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Full text of "Die Friedens-Warte"

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DIE 


FRIEDENS-WRRTE 

Zeitschrift  für  zwischen- 
staatliche Organisation 


Herausgegeben 


von 


ALPRED  M.  FRIED 


)(V.  ]RHR<5RN<3 


•  * 


BERUH    -    WIEM    -    LEIPZIG 

1913 


Fi 
Jg. 15 


LAW  LIBRARY 

APR  5    1963 

FAbü'JY  OF  LAW 
UNIVERSIYY  OF  TORONTO 


MMMMMMMMMtMMfaU« 


n.    Spezial  -  Artikel. 


Seite 

Angell,  Norman,  Ein  offener  Brief  an 
die  Kriegs-  und  Friedensgesellschaft 
an    der    Universität    Cambridge  ....      54 

Bellardi,    Dr.    W.,    Das    Problem   eines 

internationalen   Staatengerichtshofes     .      44 

Bourgeois,    L6on,    lieber    das    Haager 

Werk       385 

Bryan,  William  Jennings,  Unsere  aus- 
wärtige Politik 448 

Carnegie,    Andrew,    Ein    Brief    von  ...    2 

Dumas,   Jacques,    Miss   P.    H.  Peckover. 

Zum  27.  Oktober  1913 387 

Dumeril-Hallb  erger,  Edmond,    Das 

junge  Frankreich 252 

E  i  c  k  h  o  f  f ,  Prof.  Richard,  Die  XVIII.  in- 
terparlamentarische Konferenz  (3.  bis 
5.    September    1913)        337 

Federn,  Walther,  Das  Rüstungs-Elend  in 

Oesterreich-Ungarn 410 

Fe  r  n  a  u  ,  Hermann,  Frankreichs  Groß- 
machtstellung   und    Kulturziele      ...      10 

—  Zu  den   neuen  Rüstungsvorlagen     .    .    .    129 

—  Die    französischen    Sozialisten    und    die 

Verständigung  mit  Deutschland  ....    375 
F  i  s  h  e  r  ,  Garret,  Ueber  die  F-Strahlen  .    .    424 
Francke,  Pastor,  Berliner  Konferenz  pa- 
zifistischer  Pastoren 419 

Friedrichs,  Elsbeth,  Der  XX.  Welt- 
friedenskongreß im  Haag  (18.  bis 
23.  August) , 328 

—  Ein   heimgegangener  Friedensfreund  .    . ,  420 
G  ä  d  k  e  ,    Richard,    Abrüstung ! 47 

—  Die  Politik  Deutschlands   während  des 

Balkankrieges      83 

—  Die  Irrtümer  des  Militarismus 126 

—  Zwischen    Deutschland    und    Frankreich'  211 

—  Die  Furcht  der  Franzosen     .    .   . ...    .  ..  250 

—  Die  Sünden  Bulgariens 306 

—  Der  Irrtum  der  Rüstungswut 379 

G  o  t  h  e  i  n  ,       Georg,       Wettrüsten       und 

Rüstungsverständigung 123 

Grosch,  Dr.  G..  Der  Deutsche  Bund  als 

Vorbild    der    Staatenorganisation    ....      8 

—  Die     gesellschaftlichen     Verbände    der 

Menschheit       143 

Grote,  cand.  phil.  Adolf,  Die  angebliche 
und    die    wahre    Höhe    der    deutschen 

Rüstungslasten 169 

Has  kell,  Henry  S.,  Brief  aus  den  Ver- 
einigten Staaten 94 

—  Brief  aus  den  Vereinigten  Staaten  ...    137 

—  Brief  aus  den  Vereinigten  Staaten  .    .    .    176 

—  Die  XIX.   Lake  Mohouk-Konferenz   (4. 

bis  16.  Mai) 222 

—  Brief  aus  den  Vereinigten  Staaten  .    .   .    256 


Seite 

Has  kell,  Henry  S.,  Brief  aus  den  Ver- 
einigten Staaten ,311 

—  Brief  aus  den  Vereinigten  Staaten  .    .    .    388 

—  Brief  aus  den  Vereinigten  Staaten  .    .    .    422 

—  Brief  aus  den  Vereinigten  Staaten  .  .  461 
Herve,   Gust.,    Ueber  die   Ursachen  zum 

Kriege 377 

Jong  van  Beek  en  Donk,  de,   Brief 

aus  den  Niederlanden 220 

Kammerer,  Dr.  Paul,  Kampf  und  Hilfe 

in  der  untermenschlichen  Lebewelt    .    .    372 

Koetschke,  H.,  Die  deutsch- französi- 
sche Journalistenkonferenz  in  Gent  .    .    386 

Kor  ff ,  Professor  Baron  S.  A.,  Brief  aus 

Rußland     .    .    459 

Lamszts,  Wilhelm,  Vom  Anarchismus 
zum  Gesetz.  (Die  Diagnose  eines  euro- 
päischen  Krieges.) 58 

Lange,   Chr.  L.,  Albert  Gobat 137 

L  i  s  z  t ,  Dr.  Eduard  Ritter  von,  Kanonen- 
futter            50 

L  o  c  h  n  e  r  ,   Louis  P.,   Ein  internationaler 

Studentenkongreß      96 

Mead,   Edwin  D.,  Deutschland,   England 

und  die  Vereinigten  Staaten 403 

Meider,  Egon,  Zweiter  Kongreß  des1  Ver- 
bandes der  internationalen  Studenten- 
vereine an  deutschen  Hochschulen    .    .    217 

Mühsam,    Erich,    Paul    Scheerbart  .    .    .      57 

Müller-Lyer,     F.,     Friedensbewegung 

und    Schule 368 

O  j  s  e  r  k  i  s  ,     Iro,    Pazifisten  der  antiken 

Welt  r .   ......    . .      13 

Perris,    Georg  Herbert,    Die  Internatio- 

nalität   des    Waffenhandels 340 

P  e  r  s  i  u  s  ,     L.,      Verständigung     in     der 

Flottenrüstung -,  245 

—  Das'  bedenkliche  Treiben  des  deutschen 

Flottenvereins 407 

—  Patriotismus  'und  Dividendenhunger  .  446 
Pilot  y,    Prof.     Robert,     Friedens-     und 

Kriegshysterie 171 

Pleiier,    Ernst    Frhr.    v.,    Dr.    HeinrichT 

Lammasch 174 

Politisi',    Prof.    N.,    Der   70.   Geburtstag 

..Prof.  Renaults 172 

Ritter,  Prof.  Dl-.,  Goethe  über  den  Krieg  101 
Sandstedt,  Knut,  Brief  aus  Schweden  423 
Schmid,  Dr.  Karl  Fr.,   Maupassant,  ein 

Vorkämpfer  der  Friedensbewegung  .  259 
Schücking,  Prof.  Walther,  Kultur  und 
Krieg.  Vortrag,  gehalten  am  6.  Okto- 
ber 1913  am  II.  Verbandstag  des  Ver- 
bandes für  internationale  Verständi- 
gung zu  Nürnberg 382 


IV 


Seite 

Seber,   Dr.   Max,   Geburtenrückgang  und 

Internationalismus 100 

Seufert,  Dr.  O.,  Das'  Christentum  und 
der  Kampf  gegen  den.  Krieg.  Eine  Ent- 
gegnung       98 

Seufert-Wieber,     Dr.,     Tolstoi    und 

die   Idee   des   universalen  Friedens  .    .    254 

Siemering,    C.    L.,    „Deutschland     in 

Waffen" 175 

—  Daten     aus     dem    Leben    der    Baronin 

von   Suttner 207 

Strupp,    Dr.    Karl,   Eine   Lanze  für  die 

Rechtsnatur  des   Völkerrechts     ....      97 
Südekum,    Dr.    Albsrt,    Kriegsindustrie     163 
Suttner,    Bertha   von,    Gerhart   Haupt- 
manns Festspiel 242 

Umfrid,    O.,    Die   fromm©   Diplomatie.      85 

—  Mobilmachung  der   Kirchen  gegen  den 

Krieg 208 

—  Der    deutsche,    der    englische    und   der 

humane  Gedanke   in  der  Welt ....    301 

—  Die    Unlösbarkeit    der    Abrüstungsfrage 

in  der  Zeit  der  zwischenstaatlichen 
Anarchie 343 

Wagner,  L.,  Das  internationale  Friedens- 
seminar und  die  Ferienkurse  für  Aus- 
länder in  Kaiserslautern.  Ein  Beitrag 
zur  „Erziehung  zum  Frieden"    .    .    .    .    413 

Wehberg,  Dr.  Hans,  Ein  Handbuch  des 

Völkerrechts 3 

—  Die   Zukunft  der   Haager  Friedenskon- 

ferenzen      139 

—  Die   Zukunft   der   Haager   Friedenskon- 

ferenzen   (Schluß) 178 

—  Bryans  Friedensvorschlag 248 

—  In  wessen  Namen  wird  im  Haager  Frie- 

denspalaste Recht  gesprochen  werden?    286 

—  Minister    Asser,    ein    Bahnbrecher    der 

Völkerverständigung 305 

—  Offener   Brief  an   Seine   Exzellenz   den 

Generalleutnant    z.  D.    von    Reichenau 

in   Düsseldorf 310 

—  Geheimrat    von    Bar,    ein   Bahnbrecher 

des  Völkerrechts 342 

W s,  C,  Korrespondenz  aus  Eng- 
land             6 

Westphal,  Dr.  A.,  Hauptversammlung 
der  deutschen  Friedensgesellschaft  in 

Mannheim 215 

White,    Andrew   D.,    Zur    Vorgeschichte 

des  Haager  Friedenspalastes 281 

Krise      ;....:.:....       1 

Die  Bewegung  in  den  Vereinig- 
ten Staaten  zugunsten  der 
schiedlichen  Erledigung  des 
Panamakanalstreites  mit 

Großbritannien       5 

Konservative       N eu j ahrs f reude       7 

Die  gefundene  Formel 41 

Ueber   uns    die    Sintflut 81 

Der   Fall    Maurenbrech'er 87 


Seite 

Das  kleine  Heer.    Von  einem  Offizier      90 
Die  englisch-deutsche  Flotten- 
formel.   Von  besonderer  Seite    ...      92 
Kider  len-Wae  c  ht er.   Von  J.  S.  .    .    .      93 

Im   Namen   Europas 121 

Das   Weltfeier  jähr   im   Flotten- 
bau     131 

Kundgebungen  gegen  die 

Rüstungen. 133 

Ein     offizieller    Vorstoß    gegen 
die      Kriegshetzer       in       der 

Presse 136 

Die    Ueberwindung   des    Balkan- 

konfliktes : 161 

Die  Jubilare  des  21.   Mai 172 

Die  moderne  Frieden sbewegung 
und        die        österreichische 
Schule.   Von  einem  Schulmann    .    .    .    182 
Kaiser    Wilhelm   und   der   Welt- 
frieden       201 

An  Baronin  Bertha  von  Suttner. 

Zu  ihrem  70.  Geburtstage 201 

Der  Carthage-  und  Monoubafall 

vor  dem  Haager  Schiedshof.    21 1 
Offizielle    Kundgebung    für    die 
Veranstaltung  der  Feier  des 
ersten  Fr iedens j ahr hun- 

der t  s    zwischen    Großbritan- 
nien    und     den     Vereinigten 

Staaten 225 

Der    „dritte"    Balkankrieg       .    .   .    241 
Vom  XX.  We  lt  f  r  i  e  dens  k  ongr  e  ß    .    255 

BriefausJapan 257 

Eine  Rundfrage  über  das  Haager 

Werk 288 

Die  Aufgaben  des  XX.   Weltfrie- 
denskongresses        301 

Die  vitale  Frage.    Zur  Montreal-Rede 

des  Lordkanzlers  Haldane 320 

Rund  um  den  Friedenskongreß.    324 
Die      Einweihung       des      Haager 

Fried  enspalastes      335 

Völkerschlachtdenkmal       ....    361 
Der  zweite  Verbandstag  des  Ver- 
bandes     für      internationale 
Verständigung  zu  Nürnberg.    363 
Ein       französischer        Sozialist 
über       die       Ursachen       zum 

Kriege..... 377 

Verständigung  ohne  „Preisgabe 

der  Idee" 401 

Erlauschtes,  Erlebtes,  Erdach- 
tes  in  Frankreich.     Ernste   Be- 
trachtungen  von  einem   patriotischen 

deutschen  Studenten 417 

Der    Balkankrieg  als   pazifisti- 
sches  Dokument 441 

Knistern   im  Gebälk 449 

Die      Fr  iedens- Warte      und      die 

Wissenschaft 452 


B.    Randglossen  zur  Zeitgeschichte. 

Von  Bertha  v.  Suttner. 


Brief  aus  Amerika Seits  17 

Das  neue  System.  —  Der  angesagte  Krieg. 
—  Das  Handschreiben  Kaiser  Franz  Jo3efs.  — 
Das  pazifistische  Gift.  —  Das  letzte  Auf- 
flackern. —  Italienische  Schule.  —  Was  heißt 


vermitteln?  —  Human  und  militärisch.  — 
Schämen  muß  man  sich,  Zeitgenosse  zu  sein. 
—  König  Alfonso.  —  Die  Vermilitarisierung 
Oesterreichs.  —  Zwangstaufen.  —  Das  englisch- 
deutsche Marineabkommen Seite  62 


Alle  Wirren  noch,  unentwirrt.  —  Die  Suffra- 
gettes.  —  Der  Ueberrüstungswahnsinn  in 
Deutschland  und  Frankreich.  —  Was  geht  auf 
dem  balkanischen  Kriegstheater  vor?  —  Durch- 
sickernde Greuelberichte.  —  Erinnerungsfeiern 
für  1813.  —  Ein  Doppelmanifest  der  deutschen 
und  französischen  Sozialisten.  —  William 
Jennings   Bryan  und  seine   letzte  Friedensrede. 

—  Ein  Sacrilegium.  —  Internationale  Abord- 
nung, eine  Anregung.  —  Woodrow  Wilson, 
Ehrenpräsident  der  amerikanischen  Frie- 
densgesellschaft Seite  104 

Der    Kampf    zwischen    Krieg   xmd   Frieden. 

—  Das    neu    auftauchende    Gebilde    „Europa". 

—  Die  Friedenspolizei.  —  Die  einigen  Groß- 
mächte. —  Neuer  Ausbruch  des  Rüstungs- 
wahnsinns. —  Bethmanns  Rede.  —  Die  Milliarde 
als  Deckung.  —  Churchills  Vorschlag,  ein  Jahr 
zu  pausieren.  —  Sasonows  Sieg  über  die  Pan- 
slavisten.  —  Skutari  oder  den  Tod.  —  Der 
König  von  Griechenland  ermordet.  —  Parla- 
mentseröffnung in  China Seite  146 

Skutari  geräumt.  Der  europäische  Frie- 
denswille. —  Die  Wirkung  der  Blockade.  — 
Europäische  Föderation  als  Ziel.  —  Sir  Max 
Wächters  Aufruf.  —  Resolution  der  Elsässischen 
Zweiten  Kammer.  —  Wie  die  Fäden  hin  und 
her  laufen.  —  Blicke  in  das  Lager  der  Kriegs- 
freimdn.  —  Lied  an  das  Maschinengewehr.  —  Die 
Aussichten  unseres  nächsten  Krieges.  —  Wil- 
sons und  Bryans  Friedensaktion.  —  Das  Buch 
des  deutschen  Kronprinzen.  —  Eine  neue  Ka- 
nonenfabrik.   —   Albanien Seite   185 

Das  Ende  des  Balkankrieges.  —  Streit 
zwischen  den  verbündeten  Siegern.  —  Gene- 
ralstabsoberst Redl,  Spionage  und  Kontrespio- 
nage.  —  Ein  Augenzeuge  über  die  Beschießung 
von  Skutari.  —  Japan  stimmt  dem  Wilson- 
Bryanschen  Weltfriedensplan  bei.  —  Das 
Schwert  des1  Brennus.  —  Die  Hochzeit ssäste 
am  Berliner  Hof.  —  Georg  V.  über  seinen  Vater. 

—  Vorgeführte  Gefechte.  —  Titanic  und  Ne- 
vada. —  Satan  in  der  Luft.  —  Berner  Kon- 
ferenz   und    andere    verheißungsvolle    Zeichen. 

Seite  226 
Der  dritte  Balkankrieg.  —  Der  Versuch  des 
Zaren,  dem  Kriege  vorzubeugen.  —  Eine  neue 
Verhetzungsparole.  —  Rumänien  mobilisiert.  — 
Das  europäische  Gleichgewicht.  —  Scheide- 
mann über  das  neue  deutsche  Wehrgesetz.  — 
Ein  General  über  das  Wehrgesetz.  —  Kaiser  Wil- 
helms     Regierungsjubiläum.     —     Pazifistische 


Worte  des  Kaisers.  —  Interpellation  im  eng- 
lischen Unterhause.  —  Der  Aufruf  König  Kon- 
stantins an  sein  Volk Seite  260 

Ende  des  Beuteaufteilungskrieges.  —  Ein 
neues  Schlagwort:  Gleichgewicht;  die  Politik 
der  Balancierstange.  —  Der  Bukarester  Friede. 

—  Vergleichende  Berechnung  der  Verlustziffern. 

—  Weitere  Probleme  und  Gefahren.  —  Greuel- 
taten, gegenseitige  Anklagen.  Eine  Depesche 
König  Konstantins.  —  Barbarisierung  der  Luft. 

—  Der  Prozeß  Krupp.  —  Die  Sanktion  der 
internationalen   Polizei.    —   Politische   Hygiene. 

Seite  312 
Das  Ende  des  Balkankrieges.  —  Die  Zu- 
kunft im  Lichte  der  Tagesbefehle.  —  Adrianopel 
wieder  türkisch.  —  Die  Einweihung-  des  Frie- 
denspalastes. —  Telegramm  des  Zaren.  —  Die 
Katastrophen  auf  den  Uebungsplätzen.  —  Die 
F-Strahlen  des  Italieners  Uliva.  —  Die  Cholera. 

—  König  Konstantin  lobt  die  deutsche  Kriegs- 
kunst. —  China  und  Japan.  —  Nationalisti- 
sches   Harakiri.    —    Zuversicht    trotz    alledem. 

Seite  345 
Der  Balkan  und  kein  Ende.  —  Triumph 
des  Maschinengewehrs.  —  Aus  dem  Motiven- 
bericht der  italienischen  Regierung.  —  Euro- 
päischer Staatenbund.  —  Heeresverstärkung  in 
Oesterreich.  —  Die  chinesische  Republik.  — 
Vorbereiteter  Bürgerkrieg  in  Irland.  —  Präsi- 
dent Poincarre  in  Madrid.  —  Das  Gleichgewicht 
im  Mittelmeer.  —  Die  Vollendung  des  Panama- 
kanals     Seite  390 

Das  österreichisch-ungarische  Ultimatum 
an  Serbien.  —  Unausgesetzte  Rüstungen.  — 
Winston  Churchills  Vorschlag.  —  Das  Echo  in 
Washington.  —  Der  Parlamentsschreck.  —  Von 
den  Kriegsindustrien.  —  Fortgesetzte  Balkan- 
wirren. —  Italien  und  Griechenland.  —  Der 
Brand   des  Volturno.    —   Verbotene  Luftzonen. 

—  Ein  abscheulicher  Lügenartikel  gegen 
d^Estournelles.  —  Der  Bodenreformplan  von 
Lloyd    George.    —    Ritualmordprozeß    in    Kiew. 

Seite  425 
Die    Unruh    der   Welt.    —   Gehäufte    Vor- 
schläge   zum    Einhalt    der    Rüstungen.    —    Die 
Neue  Freie   Presse  gegen  die   Rüstungspolitik. 

—  Der    enthüllte    militärische    Geheimvertrag. 

—  Die  Sensationsaffäre  von  Zabern.  —  Sturz 
des  französischen  Ministeriums.  —  Die  italieni- 
sche Thronrede.  —  Deutsche  Instruktoren  in 
der  türkischen  Armee.  —  Die  Botschaft  Wil- 
sons     Seite   463 


C.    Rus  der  Zeit. 


I.    Völkerrecht. 

Ein  neuer  Schiedsfall  zwischen  England 
und  Amerika.  —  Verschiedene  Mitteilungen 
zur  Schiedsentwicklung.  —  Die  „Amerikanische 
Gesellschaft  für  die  richterliche  Beilegung  in- 
ternationaler   Schwierigkeiten"      .    .    .  Seite    20 

Interparlamentarische      Union  .   .  Seite    65 

Vorbereitung    der     III.     Hager    Konferenz. 

Seite  108 

Vom  Haager  Schiedshof.  —  Die  organisatori- 
sche Bedeutung  der  Haager  Konferenzen.  Von 
v.  L.  —  Zwischenstaatliche  Exekution.  Von 
C.    L.    Siemering  . Seite  148 

Die    Schiedsgerichtsbarkeit    in    der    portu- 


giesischen Verfassung.  —  Bryans  Aktion  zur 
Sicherung    des    Weltfriedens      ....  Seite  188 

Das  alte  und  das  neue  Haager  Schiedsab- 
kommen.  —  „Dasi  Werk  vom  Haag".  —  Be- 
sitzergreifung   von    Ada    Kaleh  .    .    .  Seite  230 

Die  Bryans  chen  Verträge.  —  Das  inter- 
nationale Wechselrechtsabkommen  im  deut- 
schen   Reichstag     Seite  264 

Haager    Schiedshof Seite  316 

Die  Haager  Völkerrechtsakademie.  —  Das 
Institut    de    Droit    international  .    .    .  Seite  347 

Verlängerung  von  Schiedsverträgen. 

Seite  392 

Vorbereitung  der  dritten  Haager  Kon- 
ferenz      Seite  466 


VI 


II.    Rüs  tu  ngs  prob  lern. 

Deutschlands  Militärausgaben  für  19.13.  — 
Austriaca Seite    21 

(Kein  Geld  für  Kulturnotwendigkeiten.  — 
Friedrich  Naumann  über  den  Zusammenhang 
zwischen  Küstungsfrage  und  Schiedsgerichts- 
barkeit   Seite    66 

Die  Rüstungsbeschränkung  in  den  Ver- 
einigten Staa-ten.  —  Gemeinsame  Kundgebung 
der  deutschen  und  französischen  Sozialdemo- 
kratie gegen  die  Rüstungen Seite  108 

Von  den  unsichtbaren  Rüstungslasten.  — 
Der     gemeinsame     deutsch-französische    Aufruf 

Seite  189 

Die  deutsche  Heeres  vorläge.  —  Gegen  die 
Rüstungsindustrie.     —     Die     Friedensindustrie 

Seite  264 

Von   der    Kriegsindustrie     ....  Seite  348 

Neue  "Wehrvorlage  in  Deutschland.  —  Neue 
Rüstungslasten  für  Oesterreich-Ungarn.  —  Vom 
Rüstungsgeschäft.       —       Glückliches        Land! 

Seite  393 

Unterirdische  Arbeit.  —  Das  Flottenfeier- 
jahr.  —  Rüstungsgroßmacht  und  soziales  Elend. 

—  Die   russischen   Rüstungen.    —   Vom    inter- 
nationalen     Rüstungsgeschäft       .    .    .  Seite  428 

Unterirdische  Arbeit.  —  "Wiener  Protestver- 
sammlung gegen  das  internationale  "Wettrüsten 

Seite  467 

III.    Verschiedenes. 

v.  Kiderlen-Wächter  f.  —  Eine  pazifisti- 
sche Rede  im  österreichischen  Reichsrat.  — 
Kaiser  Friedrich  gegen  den  Krieg.  —  Die  Gieße- 
ner Burschenschaft.  —  Deutsche  Intelligenz- 
träger gegen  den  Krieg.  —  „Warum  baut  man 
im  Haag  einen  Friede nspalast?"  —  Ein  Fasttag 
für  (den  Frieden.  —  Die  .,Vermehruner  der  inter- 
nationalen Reibungsflächen".    Von  Dr.   J.   Mez. 

—  Die  Vertreibung  der  Türken  aus1  Europa.   — 
Kurze  Mitteilungen Seite    22 

Die  Greuel  des  Balkankrieges.  —  Deutsch- 
land und  England.  —  Elsaß-Lothringen  im 
deutschen  Reichstag.  —  Zunahme  der  inter- 
nationalen    Korrespondenz      Seite     67 

Norman  Angells  Propaganda  in  deutschen 
Studentenkreisen.  —  Des  „ausländischen'"'  Par 
zifisten  Heimkehr.  —  Militärische  Kriegshoff- 
nungen. —  Ein  Künstler  gegen  den  Krieg.  — 
Kurze  Mitteilungen Seite  109 


Wrie  man  Kriege  „macht".  —  Die  „Brücke" 
und  der  Internationalismus.  Von  Dr.  J.  M.  — 
Richard  Dehmel  und  die  internationale  Kultur- 
bewegung. Von  Dr.  Walther  Berendsohn.  — 
Pazifistische  Kundgebung  des  Fürsten  Albert 
von  Monako.  —  Ein  deutscher  Feldherr  über 
den  Krieg.  —  Nach  Maurenbrecher  Horneffer. 
Von   J.    M Seite  149 

Gibt   es    in    Oesterreich   eine   Kriegspartei? 

—  Deutschland  und  Frankreich.  —  Ein  gefähr- 
licher Zwischenfall  und  seine  vernunftgemäße 
Erledigung.  —  „Du  sollst  nicht  töten!"  oder 
Anpreisung  einer  ungesetzlichen  Handlung.  — 
Kurze   Mitteilungen Seite  191 

Der  Tag  von  Bern.  —  Bryans  Friedensplan. 

—  Die  Schönheiten  des  Krieges.  —  Von  der 
Sensationspresse.  —  Der  heutige  Stand  der 
Friedenssache.  —  Vom  8.  national-französischen 
Friedenskongreß.     —     "Was     ist    ein    Pazifist? 

Seite  231 
Parlamentarierzusammenkünfte  in  der  Ver- 
gangenheit. —  Die  Adresse  der  englischen 
Kirchen  an  den  Kaiser.  —  Das  wahre  Antlitz 
des  Krieges.  —  Die  pazifistische  Durchdrin- 
gung. —  Kurze  Mitteilungen  ....  Seite  266 
Das  Elend  des  Balkankrieges.  —  Festgaben 
zur    Einweihung   des    Haager    Friedenspalastes. 

—  Oesterreichische  Kommission  für  die  Vorbe- 
reitung der  dritten  Friedenskonferenz.  —  Fie 
18.  Interparlamentarische  Konferenz.  —  Der 
„ewige  Friede".  —  Kurze  Mitteilungen  Seite  316 

„Der  schlimmste  Feind".  —  Billige  Reise- 
erfahrungen. —  Ein  Ausland- Pflichtjahr  für 
die  deutsche  wie  französische  Jugend.  —  All- 
deutsche Philosophie.  —  Seltsame  Fr;eden(- 
freunde Seite  35 ) 

Die  österreichische  Industrie  gegen  die  aus- 
wärtige Politik  der  Regierung.  —  Das  Elend  in 
Galizien.  —  Reichtums  Vermehrung  und  dennoch 
Rückgang  der  Lebenshaltung.  —  Zum  Kapitel: 
Wissenschaft  und  Pazifismus.  —  Das  ungeheure 
Hazardspiel.  —  Die  französische  Jugend  gegen 
den   Revanchekrieg Seite   394 

Offizielle  Gedankengänge  über  die  Leipziger 
Schlachtenfeier.  —  Die  bulgarischen  Verluste: 
44  892  Tote.  104  586  Verwundete.  —  Der  Be- 
richt über  die  Balka.ngreuel.  —  Vom  Nachrich- 
tenschwindel. —  Kriegs  eindrücke.  —  Der  Ge- 
burtenrückgang. —  Die  Gefahr  für  die  Zu- 
kunft Deutschlands .  Seite  431 

Lamprecht    gegen    Keim      Seite  469 


D.    Aus  der  Bewegung. 


Felix  Moscheies'  80.  Geburtstag.  —  Richard 
Feldhaus'  600.  Friedensvortrag.  —  Drei  Tote: 
(Albert  K.  Smiley.  Graf  Leonid  Kamarowsky. 
John  Lund).  —  Revolution  des  Zentralvorstan- 
des des  Verbandes  für  internationale  Verstän- 
digung      : Seite      27 

Kongreß- Kalendarium.  —  Den  Beer  Poortu- 
gacl  f.  Von  Dr.  Hans  Wehberg.  —  Die  Ent- 
wicklung der  internationalen  Studenten  vereine 
in  Deutschland.  —  Zwei  neue  Zeitschriften.  — 
Eine  Denkschrift  über  die  Reform  der  Frie- 
denskongresse. —  Todesfälle.  —  Kurze  Mit- 
teilungen  Seite     69 

Kalendarium  der  pazifistischen  Veranstal- 
tungen. —  Von  der  Feldhaustournee.  —  Studien- 
reise nach  den  Vereinigten  Staaten    ,  Seite  112 


Kongreß- Kalendarium.  —  Interparlamentari- 
sche Union.  —  Endgültige  Tagesordnung  für 
den  20.  Weltfriedenskongreß.  —  Die  Mülhause- 
ner  Versammlungen.  —  Der  zweite  Weltkongreß 
der  internationalen  Verbände.  —  Professor 
Emanuel  v.   Ulimann  f.   —  Der  21.  Mai   1913. 

—  Kurze  Nachrichten Seite  153 

Der  70.  Geburtstag  der  Baronin  Suttner.  — 
Kalendarium  der  pazifistischen  Veranstaltun- 
gen. —  Generalversammlung  der  russischen 
Friedensgesellschaft        Seite  194 

Kalendarium  der  pazifistischen  Veransta1- 
tungen.  —  Lord  Avebury  f.  —  Ein  internatio- 
nales pazifistisches  Seminar Seite  235 

,        Der    XXI.    Weltfriedenskongreß    in    Wien. 

—  Kalendarium    der    pazifistischen    Veranstal- 


VII 


tungen.    —    Der    70.    Geburtstag    der    Baronin 
Suttner.   —  Friedensges ellschaft  in  Mülhausen 

i.  E Seite    269 

Zu  Monetas  achtzigstem  Geburtstag.  —  Ka- 
lendarium  der  pazifistischen  Bewegung.  —  Die 
Gewinner    des    Seabury- Preises     von    1913.   — 


Kleine  Mitteilungen Seite  351 

Charles  Richet  und  Edoardo  Girctti.  —  Das 

Auslandpflichtjahr  betreffend  .  .  .  Seite  134 
Der  Friedenspreis  der  Nobelstiftung  1913.  — 

Baron  Carl  Carlsson  Bonde  f.  —  Aus   Holland 

Seite  469 


E.    Pazifistische  Chronik. 


Seite  19,  65,  107,  147,  188,  229,  263,  315,  317,  39%  428,  465. 


F.    Literatur  und  Presse. 


Seite 
I.  Anzeigen. 

Der  Koloß  von  Brüs  s  el    ......  92 

Eine  neue   japanische  Friedens- 
zeitschrift      30 

Eine        Norman   -   Angell  -   Zeit- 
schrift     .   .   .    .*.,  .........    .  396 

„Das  Werk  vom  Haag" 470 

Zu  Weihnachtsgeschenken     .    .    .  470 

II.  Besprechungen. 

Andre  ws,  The  Promotion  öf  Peace  , .    .    .  195 

A  n  g  e  1 1,  Peace  Theories  and  the  Balkan  War  32 

Angell,  Die  falsche  Rechnung    73 

Bernthardi,  Unsere  Zukunft 31 

Böhme,   Friedensbewegung    und    Lebens- 
erziehung    113 

Cellini,   Benvenuto,  Das  Leben   des     .    .  195 
Classic s,    the,    of    International 

Law 115 

van  Daehne  van  Varick,  Bijdrage  tot 

de  Geschiedenis  der  Oostersche  Kwestie  319 

Darby,  The  Claim  of  „the  new  Pacifism"  114 

Diederich,  Krieg.    Ein  Buch  der  Not    .  32 

Emerson,   Ueber  den  Krieg 436 

D'E  s  t  o  ur  n  eil  e  s   de   Constant,    Les 

Etats-Unis  DAmerique 271 

Friedenskongreß,    V.    Deutscher  236 

Für  den  Frieden      74 

Gießwein,  Alexander,  Der  Friede  Christi  156 

Goethe,  Aus  meinem  Leben 195 

„G  r  o  t  i  u  s"     International    jaarbock    voor 

1913    ... 272 

Heim,   Um   der   Gerechtigkeit   willen     .    .  236 
Hüttenhein,     Die     Handelsschiffe     der 

Kriegführenden 33 

Jahrbuch   des   Völkerrechts     .    .  437 

Jerusalem,  Einleitung  in  die  Philosophie  274 
Johnson,     The    „coastwise    exemption". 

Nation    against   it     113 

Die  Kaisernummer  der  New  York 

Times    , 271 

Key,  Die  junge  Generation 

Kohl  er,   Moderne    Rechtsprobleme     .    .    .  236 
Lammasch,  Die  Rechtskraft  internatio- 
naler   Schiedssprüche 196 

Lamprecht,   Die   Nation    und   die   Frie- 
densbewegung   436 

Landmann,  Weltstaat  und  Weltfrieden  . .  318 
Lange,  Chr.  L.,  Annuaire  de  l'Union  In- 

terparlementaire     .   .   .  t..^._  .  t.j .   .    .   .  318 


Seite 
Lange,    Hendr.   J.   de,    Oorlog  en  Arbi- 
trage      .   .   .   .  ,.„ .   .,.   .   .   .  I#1 .   .....  33 

Laukhard,  Sein  Leben  und  seine  Schick- 
sale, von  ihm  selbst  beschrieben 195 

Lim  an,   Der   Kaiser      •    •    •  ... 272 

v.  L  i  s  z  t ,  Das  Völkerrecht 30 

Loreburn,  Capture  at  sea 318 

M  e  a  d  ,  Lucia,  Swords  and  Ploughshares  or 
the  supplanting  of  the   System  of  War 

by  the  System  of  Law  , 114 

Meyer,    Das    Weltscheckrecht. ,  318 

Meyer,  Das  Weltwechselrecht  .......  318 

Moritz,  Karl  Philipp,    Anton  Reiser     .    .  195 
N  e  u  r  a  t  h ,  Die  Kriegswirtschaftslehre  als 

Sonderdisziplin     195 

Nippo  ld,  Der  deutsche  Chauvinismus    .    .  317 

Nippold,   Vorfragen   des   Völkerrechts     .  319 

Nithack-  Stahn,   Barbareien     .    .    ...    . .  274 

Nithack-Stahn,   Kirche   und   Krieg   ,..274 
Oppenheim,  The  Panama  Canal  Conflict 
between   great  Britain   and    the   United 

States    of    America       74 

Oppenheim,    International    law     ....  319 
Peace    Year-Book,    The    1913     ...  33 
Pinon,  France  et  Allemagne  1870—1913  273 
Platters,    Thomas    und    Felix,    Lebens- 
beschreibungen      195 

v.  Puttkammer,  Die  Mißerfolge  in  der 

Polenpolitik 196 

R  o  o  t ,  The  Obligations  of  the  United  States 

as  to  Panama  Canal  Tolls ......    ..  113 

Rosenberg,  A  Bekenapra  az  iskoläknak  236 

Rousseau's    Bekenntnisse       ,.  195 

S  i  e  p  e  r ,  Deutschland  und  England  in  ihren 
wirtschaftlichen,  politischen  und  kultu- 
rellen Beziehungen    - 275 

Sombart,  Krieg  und  Kapitalismus     ...  73 
Sozialdemokratische    Flug- 
schriften       .    . 33 

S  t  r  a  u  s  s  ,   The  American  Spirit 272 

Sturm,  Die  Einteilung  des  Rechts  und  die 
Abtrennung  des  internationalen  Privat- 
rechts sowie  des  Friedensrechts,  eine 
rechtspsychologische  Abhandlung    ....     74 

S  v  e  n  s1  k  e  ,    Harald,     Antwort    auf    Sven 

Hedins    Warnungsruf        .   .   . 156 


vta 


U  m  f  r  i  d  ,   Europa   den  Europäern     .... 

Uni  on  inte rpar lernen taire      .    .   . 

Wertheiraer,  Graf  Julius  Andrassy    .    . 

White,  Sieben  große  Staatsmänner  im 
Kampfe  der  Menschheit  gegen  Unver- 
nunft  


Seite 

435 
114 
196 


72 


Ilt     Eingegangene    Druckschriften, 
Zeitschriften  -  Rundschau,         Fach- 
presse,     Ar  t i k  e  1        (Rundschau       und 
B  i  b  1  i  o  g-r  a  p  h  i  e). 

Seite  33,    74,    115,    156,   197,   237,    275,   352, 
396,    438,    471. 


Q.    Mitteilungen  der  Friedensgesellschaften. 


Deutsche  Friedensgesell  sc  ha  f  t : 

Ortsgruppe   Cöln       ....     Seite  119 

Frankfurter  Friedens  verein  Seite  200 

Oesterreichisch'e      Friedensgesell- 


schaft    Seite  39,  80,   119,  160,  200,   239, 
279,    320,    360,    400,    472. 
Pfarrer  O.  TJmfrid    .    Seite  200,  239,  279. 


*355 


Januar  1913. 


Krise. 


Es  geht  etwas  vor  in  Europa,  das  sich, 
wohl  zu  unterscheiden  scheint  von  den  son- 
stigen diplomatischen  Krisen.  Es  handelt 
sich  nicht  bloß  um  die  Entwirrung  eines 
augenblicklich  gegebenen  Konfliktes,  um  die 
Herstellung  des  gewohnten,  durch  einen 
Krieg  in  Schwankung  geratenen  Gleichge 
wichts.  Die  gegenwärtige  Krise  scheint  viel- 
mehr nur  der  Auftakt  zu  einer  viel  größeren 
zu  werden,  die  sich  nicht  heute  noch  morgen 
beruhigen  wird.  Es  ist  so,  als  ob  jetzt  die 
Entscheidung  über  die  Stellung  Europas  in 
der  Welt  fallen  solle.  Unsere  Diplomaten 
haben  jahrzehntelang  vom  „kranken  Mann 
am  Bosporus"  gesprochen  und  haben  dabei 
ganz  übersehen,  daß  ganz  Europa  dieser 
kranke  Mann  ist.  Krank  an  der  internatio- 
nalen Anarchie,  zerfressen  vom  Chauvi- 
nismus und  Militarismus,  die  an  den  Lebens- 
säften aller  Nationen  dieses  unglücklichen 
Erdteils  nagen.  Bei  allen  Krankheiten  gibt 
es  ein  Stadium  der  Krise,  wo  es  sich  zeigt, 
ob  der  Organismus  stärker  ist  als  die  ihn 
bedrohenden  Kräfte,  oder  ob  diese  die  Ober- 
hand erlangen.  Zwischen  Gesundung  oder 
Vernichtung  schwankt  dann  die  "Wage. 

"Wir  Pazifisten  sind  Optimisten.  Wir 
glauben  an  die  gesunde  Logik:  der  Dinge, 
die  wir  erkannt  haben,  und  deren  Walten 
uns  berechtigt,  an  die  schließliche  Gesun- 
dung dieses  Erdteils  zu  glauben,  dessen  Be- 
wohner trotz  all  der  traurigen  Perioden,  die 
sie  bereits  durchlaufen  haben,  und  unter 
deren  Einflüssen  sie  noch  leiden,  der  Mensch- 
heit die  Kultur  gegeben  haben.  Wir  sind 
nicht  Optimisten  aus  Bequemlichkeit  oder 
aus  Kurzsichtigkeit,  sondern  aus  der  Er- 
kenntnis der  Zusammenhänge  heraus,  auf 
Grund  unseres  unerschütterlichen  Glaubens 
an  eine  Entwicklung  der  Menschheit.  Die 
Gegner  lassen  sich  vom  Lärm  des  Tages 
betören  und  sprechen  triumphierend  vom 
„Bankrott  des  Pazifismus''.    Sie  sehen  die 


Zusammenhänge  nicht  und  nehmen  die 
Krummlinie  einer  Episode  für  eine  nach  ab- 
wärts gerichtete  Kurve.  Nicht,  daß  sie 
meinen,  Recht  zu  haben,  betrübt  uns,  sondern 
daß  sie  dabei  triumphieren  erfüllt  uns  mit 
Schmerz.  Die  Resignation  auf  das  Menschen- 
tum, die  darin  liegt,   ist  das  Entsetzliche. 

Die  Episode  der  Wirren  und  Greuel,  die 
wir  jetzt  durchleben,  kann  die  Richtlinie 
der  Entwicklung  erschüttern,  aber  nicht  ab- 
lenken. Das  Gesetz,  das  das  Weltall  be- 
herrscht, beherrscht  auch  die  Menschheit; 
sonst  hätte  sie  den  Aufstieg  vom  Kannibalen 
zu  Kant  und  Goethe  nicht  zurücklegen 
können. 

Europa  hat  das  blutige  Gemetzel  auf 
der  Balkanhalbinsel  über  sich,  ergehen  lassen 
müssen,  die  Werte  schaffende  Menschheit 
hat  das  schädigende  Gebaren  jener  Träumer, 
die  an  eine  befruchtende  Wirkung  der  Ge- 
walt glauben,  jener  Spekulanten,  die  auf 
Strandgut  hoffen,  ertragen  müssen.  Noch 
sind  Kräfte  am  Werke,  die  sich  nicht 
scheuen,  eine  Uebertragung  des  Krieges  auf 
Europa  zu  versuchen.  Aber  auch  die 
Gegenkräfte  sind  am  Werke.  Im  Momente 
der  ärgsten  Gefahr  zeigte  sich  Europa 
wieder  einmal  als  Organismus,  als  Gemein- 
schaft. Die  Botschafterreunion  in  London 
ist  mehr  als  eine  zwanglose  Diplomaten- 
sitzung. Sie  ist  die  schüchterne  Andeutung 
einer  großen  Entwicklung.  Dort  denkt, 
spricht  und  handelt  der  Wille  zum  Leben 
des  unglücklichen  Erdteils,  sein  Wille  zum 
Aufbau,  zur  Höherentwicklung,  zur  Kultur. 
Dort  festigt  sich  der  neue  Organismus  unter 
den  Krampfanfällen,  die  der  Ansturm  der 
Kräfte  der  Vernichtung  des  Rückfalles  in  die 
Tierheit  verursachen.  Wieder  sehen  wir,  wie 
ganz  ungewollt  von  den  daran  beteiligten 
Menschen  aus  jener  Handlung  eine  anders- 
geartete, höhere  Wirkung  ausgeht;  wieder 
der  Beweis  für  die  „Radioaktivität  der  ge- 


DIE  FRIEDENS-^VABTE 


[© 


sellschaftlichen  Arbeit''.  Wo  Menschen  sich 
zu  gemeinsamer  Arbeit  vereinigen,  ergibt 
sich  immer  etwas  Höheres  aus  dieser  Hand- 
lung; etwas,  das  gar  nicht  in  ihrer  Ab- 
sicht lag.  Ich  habe  diese  Erkenntnis  noch 
immer  und  überall  bestätigt  gefunden.  Jeder 
kann,  wenn  er  will,  die  gleiche  Erfahrung 
machen.  In  ihr  liegt  ein  gut  Stück  unseres 
Optimismus  verankert.  Erkennen  wir  doch 
daraus,  daßj  es  nicht  nötig  ist,  erst  die 
Macht  zu  erringen,  um  einer  Idee  zum  Durchr 
bruch  zu  verhelfen,  daß  vielmehr  auch  aus 
den  Handlungen  der  Gregner  ungewollte  fort- 
schrittliche Werte  hervorgehen  müssen.  Die 
Logik  der  Dinge! 

Die  Botschaf  terreunion  wird  den  Willen 
Europas  durchsetzen,  jenes  Europas,  das  man 
nur  als  geographischen  Begriff  gelten  lassen 
will,  und  das  dennoch  schon  eine  politische 
Realität  geworden  ist.  Denn  was  einen 
Willen  hat  und  demgemäß  handelt,  ist. 
„Gogito  ergo  sum"  lautet  der  Beweis  des 
Cartesius  für  die  Existenz  des  Individuums. 
Auch  Europa  denkt  und  handelt ;  es  ist 
daher. 

Aber  es  ist  noch  nicht  fertig.  Es  wird 
auch  noch  nicht  fertig  sein  an  dem  Tage, 
an  dem  die  Balkanerschütterung  vorläufig 
ausgeglichen  und  die  inmitten  dieses  Erd- 
teils mobilisierten  Heere  wieder  zu  ihren 
Arbeitsstätten  entlassen  sein  werden.  Die 
Kräfte  des  Rückschrittes  sind  dann  noch 
nicht  überwunden,  und  man  wird  auf  neuen 
Alarm  gefaßt  sein  müssen.  Es  wird  eine 
lange  Krise  sein,  die  wir  durchleben  müssen, 
die  wir  ja  auch  schon  seit  langem  durchleben. 
Aber  da  sie  immer  zugespitzter  wird,  immer 
entscheidender,  hat  es  den  Anschein,  als  ob 
wir  ihrer  Endphase  nahekommen.  Eis  ist 
daher  eine  ereignisschwere,  wichtige  Zeit. 
Weniger  wichtig  durch  die  Umwälzungen 
auf  der  Landkarte  und  die  glitzernden  Er- 
oberungen der  einzelnen  Kabinette,  als  durch 
die  Betätigung  Europas  als  Organismus,  die 
Schulung  des  Gesamtwillens  und  des  Ge- 
samthandelns dieses  alten  Erdteils  und  die 
dadurch  bewirkte  Herausentwicklung  seiner 
vollwertigen  Lebensorgane. 

Lassen  wir  uns  daher  durch  Rückschläge 
nicht  beirren.  Wir  wohnen  dem  Geburtsakt 
einer  neuen  Zeit  bei  und  dürfen  die  Wehen 
nicht  als  Symptome  des  Unterganges  an- 
sehen. Es  wird  eine  höhere  Menschheits- 
organisation geboren ;  eine  Gemeinschaft,  die 
über  den  Kleinlichkeiten  der  Nationen  steht, 
und  die  berufen  ist,  die  Aufgaben,  die  der 
isolierte  Staat  nur  zum  geringsten  Teile 
lösen  konnte,  voll  zu  erfüllen.    Schwierige 


Arbeit  harrt  derer,   die  dieser  neuen  Zeit 
vorarbeiten.    Seien  wir  dabei  des   Dichter- 
wortes eingedenk,  das  da  lautet: 
„Nur  in  schweren  Prüfungsstunden 
Sproßt  die  Palme,  die  den  Sieger  krönt.'' 

A.  H.  F. 


Ein  Brief  von  Rndrew  Carnegie. 

Die  englische  Ausgabe  von 
Alfred  H.  Frieds  Buch  „Der 
Kaiser  und  der  Weltfriede",  die  vor 
einiger  Zeit  bei  Hodder  &  Stoughton 
in  London  erschien,  wurde  von  den 
englischen  Verlegern  an  Andrew 
Carnegie  gesandt.  Dieser,  um  seine 
Meinung  über  das  Buch  befragt, 
richtete  an  das  Verlagshaus  folgendes 
Schreiben,  das  bis  jetzt  nicht  ver- 
öffentlicht wurde,  es  aber  wohl  ver- 
dient, in  Deutschland  bekannt  zu 
werden,  zumal  es  für  englische 
Leser    bestimmt    war : 

„Es  gereicht  mir  zum  großen  Vergnügen, 
infolge  Ihrer  Aufforderung  Herrn  Frieds  An- 
sicht zu  bestätigen  über  einen  der  hervor- 
ragendsten Herrscher  der  Welt,  den  Deut- 
schen Kaiser,  der  in  so  ausgezeichneter  Weise 
für  den  internationalen  Frieden  eintritt.  Das 
habe  ich  seit  langem  gewußt.  Seinem  Ein- 
fluß ist  es  auch  zu  danken,  daß  das  Duell 
in  der  deutschen  Armee  und  Flotte  von 
1200  Fällen  im  Jahre  auf  zwölf  hinabgegangen 
ist.  Auch  die  Mäßigkeit  hat  in  dem  Kaiser 
den  stärksten  Anwalt.  Er  ist  in  der  Tat 
ein  Mustermonarch. 

Das  gegenwärtige  Anwachsen  der  Rüstun- 
gen rührt  aus  Englands  Inangriffnahme 
des  Dreadnought-Types  her.  Nach  Hirst  ist 
es  klar,  daß  England  die  erste  Macht  war, 
die  diesen  ersten  verhängnisvollen  Schritt 
tat,  und  völlig  verdient  es  das  Urteil,  das 
ihm  zuteil  geworden.  Die  Einführung  der 
Dreadnoughts  ließ  in  gewissem  Grade  die 
Hunderte  von  Kriegsschiffen,  die  England 
hatte,  veraltet  erscheinen.  Als  Deutschland 
mit  dem  Bau  von  Dreadnoughts  begann,  hatte 
es  keine  große  Flotte,  die  dadurch  wirkungs- 
los wurde.  Dies  gab  ihm  in  gewissem  Grade 
einen  gleichen  Status  mit  England. 

Andererseits  muß  man  anerkennen, 
daß  Deutschlands  so  sehr  über  seine  Be- 
dürfnisse hinausgehende  Betätigung  im 
Kriegsschiffbau  England  unvermeidlich 
zwingt,  zu  folgen,  da  seine  Existenz  von  der 
Vorherrschaft  zur  See  abhängt,  damit  es 
seine  Nahrungszufuhr  sichere.  So  beharren 
die  beiden  Nationen  in  einem  verderblichen 
Wettbewerb,  der  wiederum  andere  Nationen 
in  größerem  oder  kleinerem  Maße  zwingt, 
dasselbe    zu   tun. 

Zugunsten  Deutschlands  ist  noch  zu 
sagen,  daß  es  bereitwilligst  seinen  Wunsch 
ausdrückte,  in  den  Schiedsvertrag  mit 
Amerika   einzutreten,   dem  sich  auch  Frank- 


<§s 


reich  und  England  anschlössen.  Wenn  diese 
vier  Mächte  durch  ein  solches  Abkommen 
verbunden  sein  werden,  ist  nur  ein  Schritt 
nötig,  um  den  anderen  Nationen  der  Welt 
anzudeuten,  daß  sie,  die  übereinkommen,  alle 
internationalen  Streitigkeiten  schiedlich  zu 
lösen,  mit  Mißfallen  jede  andere  Nation  be- 
trachten würden,  die  den  Weltfrieden  brechen 
wollte. 

Wir  sind  der  festen  Ueberzeugung,  daß 
die  Zeit  nicht  so  entfernt  ist,  wo  sich  diese 
Mächte  wieder  einander  nähern  und  den 
Weltfrieden  durch  gegenseitige  Abkommen 
sichern  werden.  Kommt  dieser  Tag,  dann 
glaube  ich,  daß  Deutschland  unter  der  Führung 
seines  friedlich  gesinnten  Kaisers  so  handeln 
wird,  wie  es  neulich  handelte,  und  seinen 
lebhaften  Wunsch  zum  Ausdruck  bringen 
wird,  sich  mit  seinen  Schwesternationen  zu 
vereinigen. 

Das  scheinbar  unlösbare  Problem  unserer 
Tage  ist  folgendes.  Es  gibt  keinen  Herrscher 
noch  klugen  Staatsmann  in  der  Welt,  der 
nicht  wüßte,  daß  der  Friede  das  größte 
Interesse  für  sein  Land  bedeutet.  Dem- 
entsprechend gibt  es  keinen,  der  nicht  die 
Herrschaft  des  Friedens  wünschen  würde. 
Die  erste  Frage  ist  nun:  Wie  ist  das  zu 
sichern,  was  jede  Nation  für  das  Beste  hält 
und  wirklich  von  Herzen  wünscht,  nämlich 
der  Friede   mit   ihren  Nachbarn  ? 

Wenn  jede  Nation,  wie  sie  es  neulich  an- 
läßlich der  Londoner  Konferenz*)  tat,  ihre 
zwei  hervorragendsten  und  fähigsten  Männer 
ernennen  würde,  damit  diese  zusammentreten 
mit  der  Aufgabe,  ihre  gemeinsame  Aktion  mit 
ihren  gemeinsamen  nationalen  Wünschen  in 
Einklang  zu  setzen,  so  würde,  glaube  ich,  ein 
Ergebnis  erreicht  werden,  wie  es  einstimmig 
auf  der  Londoner  Konferenz  erreicht  wurde. 
Unlösbar  ist  das  Problem  nur,  weil  die  Staats- 
männer der  verschiedenen  Länder  sich  gegen- 
seitig als  ständige  Feinde  betrachten,  statt  aus- 
zuführen, was  sie  alle  fühlen,  daß  nämlich  der 
internationale  Friede  das  Beste  für  alle  ist. 

In  einer  solchen  Konferenz  würden  die 
Schwierigkeiten  verschwinden;  sollte  sie  aber 
doch  scheitern,  so  hätten  wir  wenigstens  die 
Befriedigung,  daß  wir  die  Bahn  des  Giftes 
kennen,  welches  die  Adern  der  Nationen  noch 
immer  füllt.  „Wir  hassen  nur,  was  wir  nicht 
kennen."  Wenn  Deutschland,  England,  Ame- 
rika, Rußland,  Frankreich,  Oesterreich,  Italien 
nur  wüßten,  wie  aufrichtig  alle  den  Frieden 
wollen,  würde  alles  gut  sein  und  eine  mit  dieser 
Erkenntnis  übereinstimmende  Aktion  würde 
unternommen  werden.  Es  ist  das  gegenseitige 
Mißtrauen,  ein  Mißtrauen,  das  auf  keiner  festen 
Grundlage  beruht,  das  die  Kulturvölker  heute 
vom  internationalen   Frieden   abhält. 

Ich  glaube,  daß  dieses  Mißtrauen  nicht 
andauern   kann." 


*)    Gemeint     ist     die     Londoner     Seerechts- 
konferenz. 


=  DIE  FRI  EDENS -^X*\RXE 
Ein  Handbuch  des  Völkerrechts. 

Von  Dr.  Hans  Wehberg,  Düsseldorf. 

Die  deutsche  Völkerrechtswissenschaft  er- 
lebt gegenwärtig  unzweifelhaft  eine  besondere 
Blütezeit.  Im  Jahre  1912  ist  ein  „Jahrbuch 
fjür  den  internationalen  Rechts- 
verkehr" von  Rechtsanwalt  Dr.  Wertheimer 
begründet  worden,  und  Anfang  1913  erscheint 
ein  noch  viel  großartiger  angelegtes  „Jahr- 
buch des  Volk  er  rechts"  (herausge- 
geben von  Professor  Niemeyer  und  Dr.  Strupp), 
so  daß  wir  auf  dem  Gebiete  des  internationalen 
privaten  wie  öffentlichen  Rechts  fortan  wert- 
volle Nachschlagwerke  in  Form  von  Jahr- 
büchern besitzen.  Die  Erörterung  der  tief- 
greifenden Probleme  der  Haager  Konferenzen 
ist  durch  die  Sammlung  „Das  Werk  vom 
Haag"  in  besonders  weitschauender  Weise 
begonnen  worden.  Auch  wurde  kürzlich  eine 
„Deutsche  Vereinigung  für  inter- 
nationales Recht"  auf  Anregung  Nie- 
meyers begründet.  Nun  beginnt  zu  alledem 
ein  großartiges  „Handbuchdes  Völker- 
rechts"*) zu  erscheinen,  das  ein  Meister- 
werk der  systematischen  Bearbeitung  des  ge- 
samten Völkerrechts  sein  wird.  Da  ist  in  der 
Tat  die  Behauptung  von  einer  Renaissance  der 
deutschen  Völkerrechtswissenschaft  begründet. 

Im  Gegensatze  zu  den  anderen  großen 
Staaten,  die  auf  völkerrechtlichem  Gebiete  eine 
besondere  Rolle  spielen,  haben  wir  in  Deutsch- 
land nur  sehr  wenige  systematische  Werke 
über  das  gesamte  Gebiet  des  Völkerrechts. 
Nur  v.  Liszt  und  v.  Ulimanns  Bücher  ge- 
hören zu  den  größer  angelegten  Werken  dieser 
Art.  Das  Buch  von  Albert  Zorn  ist  recht 
knapp  gehalten,  und  das  Werk  von  Quaritsch 
verfolgt  keine  eigentlich  wissenschaftlichen 
Zwecke.  Es  kann  daher  nicht  bestritten  wer- 
den, daß  der  Gedanke,  ein  „Handbuch  des 
Völkerrechts"  zu  begründen,  ein  vortrefflicher 
war.  Wir  Pazifisten  müssen  es  besonders 
freudig  begrüßen,  wenn  die  wertvollen  Prob- 
leme des  Völkerrechts  weiten  Kreisen  bekannt 
gemacht  werden. 

An  die  Lektüre  der  ersten  Lieferung  des 
Handbuches  und  des  darin  abgedruckten  Vor- 
bemerkes  von  Stier-Somlo  bin  ich  nicht  ohne 
eine  gewisse  Furcht  gegangen,  wir  können 
in  diesem  Handbuche  ein  Werk  erleben,  das 
in  aller  und  jeder  Beziehung,  so  auch  in  der 
Tendenz,  dem  1885 — 1889  erschienenen  „Hand- 
buche des  Völkerrechts"  von  Holtzendorff 
gliche.  Bereits  Professor  Schücking  hat  in 
seiner  „Organisation  der  Welt"  (S.  65)  darauf 
hingewiesen,  „in  welch  unglaublich  reaktio- 
närer und  verständnisloser  Weise  in  dem 
Holtzendorffschen  Buche  die  Probleme  der 
internationalen  Organisation  behandelt  worden 
sind",  und  daß  „z.  B.  ein  gewisser  Professor 
Lueder  aus  Erlangen  die  geistvolle  Betrach- 
tung anstellt,  das  Aufhören  der  Kriege  sei 
nicht   das   richtige    Kulturideal,    weil    es    der 

*)  Verlag   W.   Kohlhammer,    Stuttgart. 


DIE  FRIEDENS  -WARTE 


1© 


göttlichen  Weltordnung  widerspräche."  Heute, 
wo  das  Interesse  an  völkerrechtlichen  Din- 
gen so  ungemein  gewachsen  ist,  müßte  eine 
antipazifistische  Tendenz  eines  von  so  kom- 
petenter Seite  herausgegebenen  Werkes  noch 
größeres  Unheil  anrichten. 

Aber  es  ist  im  Gegegensatze  zu  dem  Werke 
von  Holtzendorff  festzustellen,  daß  der  dies- 
malige Herausgeber  Stier-Somlo,  wie  man 
das  ja  von  einer  Persönlichkeit  mit  so  weitem 
Blicke  nicht  anders  erwarten  konnte,  in  ganz 
hervorragender  Weise  den  modernen  pazi- 
fistischen Tendenzen  gerecht  geworden  ist. 
In  der  Vorbemerkung  redet  er  gleich  von  den 
„großen  Bestrebungen  des  Pazifismus";  er 
weist  bei  der  Charakterisierung  der  modernen 
Entwicklung  vor  allem  auf  die  Haager 
Friedenskonferenzen  und  die  Schiedsgerichts- 
fälle hin,  und  er  hat  —  dies  ist  das  größte 
Verdienst  —  von  den  vierzehn  Kapiteln  seines 
Handbuches  nicht  weniger  als  zwei  ausschließ- 
lich den  Haager  Friedenskonferenzen  und  der 
internationalen  Schiedsgerichtsbarkeit  \  ge- 
widmet. Diese  große  Berücksichtigung  des 
Schieds-  und  Friedensgedankens  erhebt  das 
Werk  über  alle  bisher  vorhandenen  Lehrbücher 
des  Völkerrechts.  In  der  Tat  haben  die 
neueren  Lehrbücher  von  Oppenheim,  Liszt, 
v.  Ulimann  u.  a.,  wie  hoch  bedeutsam  diese 
Publikationen  auch  sind,  die  welthistorische 
Bedeutung  der  Haager  Konferenzen  nicht  ge- 
nügend berücksichtigt.  Daß  hier  der  Angel- 
punkt aller  weiteren  Entwicklung  zu  suchen 
ist,  tritt  in  keinem  jener  anderen  Werke  mit 
ausreichender  Deutlichkeit  hervor.  Man  be- 
denke, daß  Stier-Somlos  Werk  vor  der  bahn- 
brechenden Arbeit  Schückings  über  den 
„Staatenverband  der  Haager  Konferenzen"  er- 
schienen ist,  und  man  wird  diese  Eigenart  da- 
her ganz  besonders  schätzen  müssen. 

Sehr  wichtig  ist,  daß  die  beiden  Kapitel 
über  die  Schieds-  und  Friedensbewegung  von 
so  hervorragenden  Männern  wie  Lammasch 
und  Zorn  geschrieben  werden.  Gerade  die 
maßvolle  Art  der  beiden  Verfasser  wird  unsere 
Ideen  außerordentlich  propagieren.  Auch  die 
übrigen  Mitarbeiter  an  dem  Handbuche  sind 
als  durchaus  fortschrittlich  bekannt:  Heilborn, 
Frhr.  v.  Dungern,  Schönborn,  Fleischmann, 
Huber,  Hold  v.  Ferneck,  Zitelmann,  Kohler 
und  Stier-Somlo  selbst.  Has  Handbuch  soll 
in  drei  bis  vier  Bänden  erscheinen  und  etwa 
1914  fertig  sein.  Der  erste  Band  umfaßt  die 
„Grundbegriffe  und  Geschichte  des  Völker- 
rechts" von  Professor  Heilborn.  Eine 
ausführliche  Erörterung  dieser  ersten  vortreff- 
lichen Lieferung  gehört  nicht  in  diesen  Zu- 
sammenhang. Es  muß  hier  genügen,  auf 
einige  allgemeine  Gesichtspunkte  hinzuweisen. 

Außerordentlich  erfreulich  ist  bei  der 
Heilbornschen  Darstellung  die  fortwährende 
Berücksichtigung  der  neuesten  Völkerrechts- 
entwicklung, insbesondere  des  Schiedsgerichts- 
wesens, der  Haager  Friedenskonferenzen,  des 
zentralamerikanischen       Gerichtshofes       usw. 


Zahlreiche  Hinweise  auf  alle  diese  neuesten 
Errungenschaften  finden  sich  in  seiner  Dar- 
stellung, und  die  Würdigung  ist  in  allen  Fällen 
sehr  gerecht  und  fortschrittlich.  Auf  S.  15 
sagt  er:  „Dem  völkerrechtlichen  Schiedsver- 
fahren steht  vermutlich  eine  große  Zukunft 
bevor."  Wie  ausgezeichnet  findet  sich  auf 
Seite  23  die  Bemerkung:  „Zwischen  dem 
Völkerrecht  und  dem  Krieg  besteht  in  der  Tat 
ein  Widerspruch,  welcher  nicht  vertuscht  wer- 
den soll.  Als  Ordnung  des  staatlichen  Ver- 
kehrs und  Zusammenlebens  will  und  muß  das 
Völkerrecht  das  von  ihm  anerkannte  subjektive 
Recht  schützen,  ihm,  nicht  aber  der  Macht 
zum  Siege  zu  verhelfen.  Die  Tendenz  des 
Völkerrechts  muß  deshalb  auf  Beseitigung,  zu- 
nächst auf  allmähliche  Verminderung  der 
Kriege  gerichtet  sein." 

Freilich  wäre  vielleicht  ein  noch  ausführ- 
licheres Eingehen  auf  den  Zusammenhang 
zwischen  Völkerrecht  und  Friedensbewegung 
wünschenswert  gewesen.  Heilborn  will,  wie 
er  ausdrücklich  bemerkt,  das  Problem  des 
ewigen  Friedens  nicht  erörtern.  Aber  die 
Frage,  in  welchem  Zusammenhang  Völker- 
recht und  Pazifismus  stehen,  ist  doch  zu 
grundlegend  und  neuerdings  zu  oft  auf- 
geworfen worden,  als  daß  man  bei  der  Er- 
örterung der  Grundbegriffe  des  Völkerrechts 
dieses  Problem  so  gut  wie  ganz  beiseite  lassen 
könnte.  Heilborn  gibt,  wie  aus  den  obigen 
Bemerkungen  hervorgeht,  den  innigen  Zu- 
sammenhang zwischen  beiden,  der  vor  allem 
durch  Schücking  betont  worden  ist,  ohne 
weiteres  zu.  Aber  andere,  z.  B.  Giese  (Lite- 
rarisches Zentralblatt  vom  21.  IX.  1912),  be- 
haupten, beide  hätten  nicht  den  geringsten 
Zusammenhang.  Namentlich  deshalb  wäre 
eine  Erörterung  dieses  Problems  wünschens- 
wert gewesen.  Es  ist  aber  wahrscheinlich, 
daß  dies  erst  in  der  von  Zorn  in  Aussicht 
gestellten  Abhandlung  geschehen  soll,  da  ja 
die  Haager  Friedenskonferenzen  in  dem  denk- 
bar größten  Zusammenhange  mit  dem  Pazi- 
fismus stehen  und  bei  dem  Ueberblick  über 
die  Verhandlungen  dieser  Konferenzen  eine 
Stellungnahme  zur  Friedensbewegung  not- 
wendig sein  wird. 

Sehr  schade  ist,  daß  Heilborn  Schückings 
Werk  nicht  mehr  benutzen  konnte.  Er  leugnet, 
daß  wir  eine  organisierte  Gemeinschaft  haben 
und  beschränkt  sich  in  der  Hauptsache  auf 
die  Widerlegung  der  v.  Lisztschen  Anschau- 
ungen über  diese  Frage. 

Im  übrigen  Ist  die  Heilbornsche  Dar- 
stellung eine  ausgezeichnete  Einleitung  für  das 
ganze  Werk.  Sie  ist  sehr  übersichtlich  an- 
geordnet und  benutzt  eine  sehr  reichhaltige 
deutsche,  französische,  englische,  italienische, 
holländische   usw.   Literatur. 

Nach  alledem  dürfen  wir  ein  Werk  von  der 
Tendenz  und  der  Anlage  des  Stier- Somloschen 
Buches  mit  großer  Freude  begrüßen.  Wel- 
chen Fortschritt  hat  doch  unsere  Idee  inj  den 
letzten  25  Jahren  gemacht,  daß  sie  so  weite 


<§: 


DIE  FRIEDEN5-^\*\RXE 


Kreise  ergriffen  hat!  Die  Friedensbewegung 
ist  nicht  mehr  auf  die  Vertretung  durch  einige 
Außenseiter  angewiesen,  sondern  die  Wissen- 
schaft des  Völkerrechts  selbst  hat  den  Kampf 
aufgenommen  und  trägt  das  Banner  des  Fort- 
schritts voran.  Von  diesem  fast  einheitüchen 
Auftreten  der  deutschen  Völkerrechtswissen- 
schaft und  dem  Emporblühen  des  „Verbandes 
für  internationale  Verständigung"  wird  sich 
in  der  Hauptsache  die  Weiterentwicklung  der 
durch  die  deutsche  Friedensgesellschaft  zuerst 
angeregten  Friedensbewegung  in  Deutschland 
vollziehen.  In  den  nächsten  Jahren  müssen 
die  Regierungsbeamten,  Richter,  Staatsanwälte 
sowie  alle  Intellektuellen  außer  den  Chau- 
vinisten gewonnen  werden.  Wir  Jüngeren 
werden  noch  den  Sieg  der  großen  Idee  er- 
leben, das  Eintreten  des  offiziellen  Deutsch- 
lands für  den  Pazifismus.  Wer  die  Richtung 
unserer  Zeit  begriffen  hat,  dem  muß  der 
Sieg  unserer  Sache   gewiß   sein. 


Die  Bewegung  in  den  Vereinigt. 
Staaten  zugunsten  der  schied- 
ikhen  Erledigung  des  Panama- 
Kanal-Streits  mit  Großbritannien. 

Am  16.  August  vorigen  Jahres  nahm  der 
amerikanische  Senat  mit  48  gegen  18  Stimmen 
eine  Bill  an,  worin  unter  anderem  bestimmt 
wurde,  daß  die  amerikanische  Küstenschiffahrt 
den  Panamakanal  gebührenfrei  wird  benutzen 
können.  Darin  erblickte  England  eine  Ver- 
letzung des  Hay-Pauncefote-Vertrages  vom 
18.  November  1901,  wonach  der  Kanal  allen 
Nationen  auf  gleicher  Grundlage  offen  sein 
soll.  (Siehe  über  den  Streit  die  Ausführungen 
in  der  „Friedens- Warte"  1912,  S.  341  u.  f.) 
Das  Verlangen  Großbritanniens,  den  Streit- 
fall vor  das  Haager  Schiedsgericht  zu  bringen, 
wurde  merkwürdigerweise  von  amerikanischer 
Seite  dahin  erwidert,  daß  es  sich  um  eine 
„innere  Angelegenheit"  der  Vereinigten  Staaten 
handle,  der  Fall  daher  nicht  arbirabel  sei. 
Eine  gewisse  Presse  in  Europa  erblickte  darin 
triumphierend  eine  Niederlage  der  Schieds- 
gerichtsbarkeit ! 

Nunmehr  hat  sich  aber  in  den  Ver- 
einigten Staaten  eine  Bewegung  zugunsten 
der  schiedlichen  Lösung  jenes  Streitfalles  ent- 
wickelt, von  der  in  der  europäischen,  nament- 
lich aber  in  der  deutschen,  Presse  nur  sehr 
spärlich  Notiz  genommen  wird,  trotzdem  sie 
von  hoher  Bedeutung  ist. 

An  die  Spitze  dieser  Bewegung  hat  sich 
Präsident  Taft  selbst  gestellt,  der  am 
4.  Januar,  bei  einem  ihm  von  der  Gesellschaft 
„International  Peace  Forum"  im 
Hotel  Waldorf-Astoria  gegebenen  Bankett, 
eine  Rede  zugunsten  der  schiedlichen  Erledi- 
gung   der    Panamafrage    hielt. 


„Wenn  die  Zeit  kommt,"  so  sagte  er, 
„unterliegt  es  keinem  Zweifel,  was  ich  bezüg- 
lich einer  Unterwerfung  der  Frage  zur  Ent- 
scheidung vor  einem  unparteiischen  Tribunal 
tun  werde.  Ich  bin  bereit,  mit  Eng- 
land zur  Schiedsgerichtsbarkeit 
zu  gehen,  sobald  wir  zu  dem  •  strittigen 
Punkt  gelangen  .  .  .  Ich  würde  mich  schämen, 
mit  England  nicht  zur  Schiedsgerichtsbarkeit 
bereit  zu  sein,  über  den  Inhalt  des  Vertrages, 
wenn  wir  den  genauen  Streitpunkt  erreicht  haben 
werden,  in  dem  wir  differieren.  Man  sagt,  ich 
solle  das  nicht  tun,  weil  wir  verlieren  würden. 
Das  ist  unser  Kanal,  und  England  würde  wegen 
dieses  Streites  keinen  Krieg  führen.  Warum 
daher  nachgeben,  wenn  es  unwahrscheinlich  ist, 
daß  wir  ein  befriedigendes  Schiedsurteil  er- 
reichen. Aber  ohne  Eier  zu  zerbrechen,  kann 
man  keine  Omelette  machen.  Man  muß  manch- 
mal gefaßt  sein,  besiegt  zu  werden.  Eine 
sichere  Sache  wird  unter  Gentlemen  nicht  als 
eine  ehrenvolle  Wette  angesehen."  Nach  Taft 
sprach  der  Bankier  M.  Henry  Clews,  der 
ebenfalls  die  Schiedsgerichtsbarkeit  für  die 
Kanalfrage  forderte,  obwohl  er  sagen  mußte: 
„Wir  sind  im  Unrecht  und  werden  wahr- 
scheinlich eine  Niederlage  erleben,  wenn  die 
Sache  nach  dem  Haag  kommt,  um  dort  ent- 
schieden zu  werden."  Später  soll  sich  Präsident 
Taft  geäußert  haben,  daß  er  es  vorziehen 
würde,  den  Fall  einem  aus  Engländern  und 
Amerikanern  zusammengesetzten  Sondertribu- 
nal zu  unterbreiten,  statt  dem  Haager  Hof, 
im  Hinblick  darauf,  daß  ganz  Europa  an  der 
Entscheidung  interessiert  ist,  und  das  Ueber- 
gewicht  des  europäischen  Einflusses  einer  un- 
parteiischen Entscheidung  Abbruch  täte.  Diese 
Anschauung,  die  nach  Lage  der  Sache  absolut 
keinen  Vorwurf  gegen  die  Haager  Institution 
enthält,  sahen  sich  einige  deutsche  Zeitungen 
bemüßigt,  unter  der  Ueberschrift  „Präsident 
Taft  gegen  das  Haager  Schiedsgericht"  zu 
veröffentlichen. 

Diese  Erklärung  des  Präsidenten  ist  nicht 
die  einzige  Aktion  zugunsten  der  schiedlichen 
Erledigung  des  Streitfalles  in  den  Vereinigten 
Staaten. 

Am  22.  November  trat  Elihu  Root  bei 
einem  Handelskammer-Bankett  in  New  York 
gegen  die  Kanalbill  auf  und  sagte,  daß  diese 
Amerika  in  die  Lage  eines  treubrüchigen 
Kaufmannes    bringe. 

Josef  H.  Choate,  der  Hauptdelegierte 
der  Vereinigten  Staaten  auf  der  IL  Haager 
Konferenz  und  Charles  Francis  Adams, 
der  bekannte  Historiker,  protestierten,  am 
14.  Dezember  bei  einer  Sitzung  der  New- 
Yorker  genealogischen  und  biographischen  Ge- 
sellschaft, der  auch  der  großbritannische  Ge- 
sandte, James  Bryce,  beiwohnte,  gegen  die 
Haltung  des  Senats  in  dieser  Frage. 

Die  New  York  World  veröffentlicht 
in  ihrer  Nummer  vom  18.  Dezember  eine 
Enquete,  die  sie  telegraphisch  bei  den  Präsi- 
denten der  amerikanischen  Universitäten  und 


DIEFßlEDEN5-^^DTE 


3 


Kollegien  unternommen  hatte,  in  der  in  über- 
wältigender Weise  die  schiedliche  Erledigung 
des  Panama-Falles  verlangt  wird.  Als  eine 
„ewige  Schande"  wird  es  da  bezeichnet,  wenn 
die  Panamabill  nicht  zurückgezogen  wird; 
„eine  nichtswürdige  Politik  ist  es,  einen  Ver- 
trag zu  verletzen,"  sagt  Starr  Jordan.  „Die 
Vertragsbestimmungen  müssen  heilig  ge- 
hlalten werden"  telegraphiert  Blurton  aus 
Northampton.  „Unbegreiflich,"  „ehrlos"  sind 
die  Worte,  die  in  fast  jeder  Antwort  vor- 
kommen, und  alle  fordern  Rücknahme  der 
Bill  oder  Schiedsentscheidung.  In  seiner  Ant- 
wort an  die  „World"  sagte  Nicholas  Mur- 
ray BiUtler,  daß  Amerika  durch  die  Ab- 
lehnung der  schiedsrichterlichen  Erledigung 
des  Streitfalles  „dauernd  entehrt"  sein 
Werde.  „Wir  erkauften  das  Recht  zur  Er- 
bauung des  Kanals  durch  ein  Pfand,"  sagte 
er,  „und  dieses  Pfand  war  die  Verpflichtung, 
die  Schiffe  aller  Staaten  gleichmäßig  zu  be- 
handeln. Nun  sind  welche  unter  uns,  die  jetzt 
dieses  Pfand  gewaltsam  zurückweisen,  und  so 
in  ein  er  An  g  el  ege  nh  ei  t  des  natio- 
nalen und  internationalen  Ver- 
kehrs eine  ehrlose  Handlung  be- 
gehen wollen,  die  sie  in  ihren 
Privatangelegenheiten  keinen 

Augenblick  in  Erwägung  ziehen 
würden." 

Auf  der  Jahresversammlung  der  „ A meri- 
can  Society  o  f  Judicial  Settlement 
K>f  international  Dispute  s",  die  am 
20.  Dezember  in  Washington  tagte,  brauchte 
Präsident  P.  W  h  e  e  1  e  r  von  New  York  scharfe 
Worte  gegen  diejenigen,  die  sich  weigern,  den 
Streitfall  dem  Schiedsgericht  zu  unterbreiten. 
Er  sagte  am  Schluß  seiner  denkwürdigen  Aus- 
führungen, „es  würde  tausendmal  besser  sein, 
der  Panamakanal  wäre  nie  gebaut  worden, 
lals  daß  die  Vereinigten  Staaten 
ihre  verpfändete  Treue  brechen 
und  die  Stellung  einer  Nation  ein- 
nehmen, die  dringlichst  darauf  be- 
stand, daß  Großbritannien  Fragen 
der  Schiedsgerichtsbarkeit  unter- 
breite, die  die  Vereinigten  Staaten 
nicht  einmal  direkt  berührten,  nun 
aber,  wo  sie  selbst  angerufen  wer- 
den, dem  Haager  Hofe  eine  Frage 
dieser  Art  zu  unterbreiten,  es  ver- 
weigern." F. 


Korrespondenz  aus  England. 

Zur  Jahreswende  blickt  man  natürlicher- 
weise zurück  auf  die  Ereignisse  des  vergan- 
genen Jahres,  insofern  dieselben  die  Bezie- 
hungen zwischen  England  und  Deutschland 
beeinflußt  haben.  Mit  großer  Freude  be- 
stätigen wir  in  England,  daß  zu  Anfang  1913 
diese  Beziehungen  sich  außerordentlich  ver- 
bessert haben,  so  daß  man  sagen  kann,  daß 
bei  den  jüngsten  Verhandlungen  der   beiden 


Regierungen  zur  Aufrechterhaltung  des  euro- 
päischen Friedens  das  intime  Verhältnis  der 
beiden  verwandten  Nationen  zueinander  herz- 
licher war,  wie  schon  lange  nicht.  Und  doch 
haben  auf  englischer  Seite  viele  Umstände, 
wie  z.  B.  die  letzten  öffentlichen  Reden  Chur- 
chills und  Lord  Roberts,  dahin  gewirkt,  daß 
deutsche  Chauvinisten  sich  noch  immer  schroff 
gegen   eine   engere   Annäherung   stellen. 

Wer  hier  die  deutsche  auswärtige  Politik 
gegenüber  England  verfolgt  hat,  muß  freudig 
zugeben,  daß  Kaiser  Wilhelm,  wenn  auch  nicht 
öffentlich,  hierin  eine  leitende  Rolle  gespielt 
hat.  Denn  wie  freundlich  auch  das  deutsche 
Volk  —  die  Sozialdemokraten  sowie  auch  viele 
der  bürgerlichen  Parteien  —  dem  Inselreich 
gesinnt  ist,  so  liegt  doch  die  Leitung  der  aus- 
wärtigen Politik  schließlich  in  Allerhöchsten 
Händen,  was  auch  immer  die  Alldeutschen 
dazu  sagen  mögen.  Die  Wahl  geeigneter  Per- 
sönlichkeiten, wie  die  des  so  früh  verstorbenen 
Grafen  Marschall  und  des  jetzigen  Botschafters 
Fürst  Lichnowsky,  hat  in  England  allgemein 
Beifall  gefunden,  und  dürfen  englische  und 
deutsche  Pazifisten  sich  besonders  freuen,  daß 
ihre  Bestrebungen  von  den  deutschen  Bot- 
schaftern in  London  sowie  von  dem  englischen 
Auswärtigen  Amt  unterstützt  worden  sind.  Als 
Resultat  kam  dann  Ende  Oktober  die  Ver- 
ständigungskonferenz in  London  zustande,  die, 
obwohl  nicht  offiziös,  doch  etwas  beigetragen 
hat  zu  der  jetzigen  besseren  Stimmung  zwischen 
England  und  Deutschland.  Ueber  die  Kon- 
ferenz selbst  hat  die  Friedens-Warte  ausführ- 
lich Bericht  erstattet.  Der  Gedanke,  eine 
Konferenz  abzuhalten,  wurde  schon  im  No- 
vember 1911  von  dem  National  Peace  Council 
aufgeworfen,  und  dann  im  Laufe  des  Jahres 
1912  von  dem  Kirchlichen  Komitee  energisch, 
von  der  British  German  Friedenship  Society 
aber  nur  zögernd  unterstützt.  Dennoch  sind 
wir  jetzt  alle  einstimmig  der  Ansicht,  daß 
das  Zusammenkommen  angesehener  Männer 
Deutschlands  und  Englands  ihre  öffentlichen 
Auseinandersetzungen  und  vielleicht  ganz  be- 
sonders die  geselligen  Veranstaltungen,  bei 
denen  die  Delegierten  sich  persönlich  kennen 
lernten,  der  Sache  der  Verständigung  be- 
deutend geholfen  hat.  Ein  privates  Zu- 
sammensein der  führenden  Persönlich- 
keiten dürfte  besonders  erwähnt  werden.  Auf 
Einladung  des  Vorsitzenden  des  National 
Peace  Council,  Mr.  Gordon  Harvey,  liberales 
Mitglied,  und  des  Oberst  Williams,  konserva- 
tives Mitglied  des  englischen  Unterhauses, 
kamen  einige  Teilnehmer  der  Konferenz  bei 
einem  Privat-Diner  mit  englischen  Parlamen- 
tariern im  House  of  Commons  zusammen.  Von 
dieser  Festlichkeit  ist  natürlich  wenig  an  die 
Oeffentlichkeit  gedrungen,  aber  es  ist  bekannt, 
daß  von  englischen  Staatsmännern,  die  Minister 
Lloyd  George  und  Lewis  Harcourt, 
der  ehemalige  konservative  Minister  Bal- 
four,  der  jetzige  Führer  der  Konservativen, 
Bonar  Law,  und  der  Führer  der  Sozialister 


@= 


DIE  FRIEDEN5-^^RXE 


Ramsay  Macdonald,  anwesend  waren. 
Wir  vernehmen  ferner,  daß  unser  Minister  des 
Auswärtigen  Amtes,  Sir  E.  G  r  e  y ,  mit  einem 
bekannten  deutschen  Teilnehmer  eine  Unter- 
redung hatte.  Ein  Bericht  über  die  Konferenz 
ist  wohl  auch  in  allerhöchste  Kreise  in  Deutsch- 
land gedrungen! 

Und  wie  steht  es  nun  um  unsere  weitere 
Arbeit  zum  Legen  der  Vorurteile  hüben  und 
drüben?  Das  Komitee  der  Konferenz  führt 
zurzeit  seine  Arbeit  fort,  da  wir  aus  Deutsch- 
land erfahren,  daß  das  entsprechende  deutsche 
Komitee  im  laufenden  Jahre  eine  zweite,  ähn- 
liche Konferenz  wahrscheinlich  in  Berlin  ein- 
berufen wird,  und  ist  es  zweckmäßig,  daß  die- 
selbe Organisation,  die  mit  den  Regierungs- 
kreisen in  enger  Fühlung  steht,  bis  dahin  be- 
stehen bleibt. 

Einstweilen  aber  gibt  es  für  jeden  in  Eng- 
land lebenden  Deutschen  sowie  für  alle  eng- 
lischen Freunde  Deutschlands  noch  viel  zu 
tun.  Und  hier  muß  man  besonders  die  Arbeit 
zum  Verständnis  Deutschlands  und  deutscher 
Verhältnisse  sowie  zur  Annäherung  der  beiden 
Völker  betonen,  die  von  Deutschen,  wie  dem 
an  der  Universität  Cambridge  tätigen  Prof. 
Dr.  Karl  B  r  e  u  1  und  dem  deutschen  Konsul 
in  Manchester,  Hauptmann  d.  R.  S  c  h  1  a  g  i  n  t- 
weit,  geleistet  wird.  Dasselbe  kann  leider 
von  vielen  in  England  lebenden  Deutschen 
nicht  gesagt  werden,  die  oft  englischer  sind 
wie  die  Engländer! 

Was  englische  Pazifisten  vor  allem  zu  be- 
kämpfen haben,  ist  der  von  englischen  Chau- 
vinisten geschürte  Militarismus.  Denn  wir 
haben  in  England  auch  unsere  Bernhardi  — 
den  greisen  Feldmarschall  Lord  Roberts  — 
und  andere  Militärs  und  Junker,  die  von 
der  Furcht  vor  Deutschland  beseelt  sind! 
Arme,  blinde  Menschen  1  Sie  sollten  doch  ein- 
mal die  große  Friedensbewegung  in  Deutsch- 
land studieren  und  sich  unter  das  deutsche 
Volk  begeben,  statt  immer  nur  den  Worten  der 
deutschen  Chauvinisten  zu  lauschen.  Sogar 
einer  der  bekanntesten  Schriftsteller,  der  sonst 
vernünftige  Frederic  Harrison,  der  in  seinem 
Alter  überall  nur  die  sogenannte  deutsche  Ge- 
fahr erblickt,  gibt  im  Neujahrshefte  der  „Eng- 
lish  Review"  dem  englischen  Volke  eine  noch- 
malige Warnung  und  unterstützt  Lord  Roberts 
und  die  englischen  Militärs  a.  D<.  in  der  Pro- 
paganda zur  Einführung  der  allgemeinen  Wehr- 
pflicht als  einziges  Mittel,  die  „deutsche  Gefahr" 
zu  legen.  Ueber  diesen  letzten  Punkt  möchte 
ich,  mit  Erlaubnis  der  Redaktion,  später  ein- 
mal zurückkommen.  C.  W . .  .s. 
London,  5.  Januar  1913. 


Konservative  Meujahrsfreude. 

Randglossen   zu  einem  Artikel 
des  Herrn  Dr.  Adolf  Grabowsky,  Berlin. 

Die    neubegründete    „Wochenschrift    für 
konservativen      Fortschritt"      (eine     eigentüm- 


liche contradictio  in  adjecto),  die  den  Titel 
„Das  neue  Deutschland"  führt,  befaßt  sich 
an  der  Spitze  ihrer  Nummer  vom.  11.  Jan. 
mit  der  Broschüre  „D  er  Weg  zum  Welt- 
friede n",  die  den  Herausgeber  dieser  Blätter 
zum  Verfasser  hat.  Wir  sind  gewiß  weit  ent- 
fernt davon,  die  Berechtigung  einer  konser- 
vativen Weltanschauung  nicht  anzuerkennen, 
wenn  wir  auch  einer  anderen  Welt- 
anschauung zugewandt  sind  und  für 
diese  arbeiten.  Die  Berechtigung  des 
Konservatismus  soll  jedoch  in  dieser 
Welt  der  Gegensätze  und  Rundungen 
nicht  bestritten  werden.  Ebenso  können  wir 
verstehen,  daß  das  Programm  des  Pazifismus 
tnit  dieser  Weltauffassung  nicht  harmoniert 
und  demgemäß  von  ihr  bekämpft  werden  muß. 
Gerade  deshalb  fordern  aber  wir  von  unseren 
politischen  Antipoden  dieselbe  Erkenntnis,  die 
gleiche  Gerechtigkeit  und  Anerkennung,  ein 
über  dem  Parteigesichtspunkt  stehendes  Ver- 
stehen  unseres   Wirkens. 

In  dem  erwähnten  Artikel  vermissen  wir 
jedoch  diese  Objektivität.  Der  Verfasser 
freut  sich  über  den  „Bankerott  des  Pazi- 
fismus", der  ihm  in  jener  Broschüre 
zum  Ausdruck  zu  kommen  scheint.  Er  sieht 
nicht,  daß  es  eigentlich  der  Bankerott  seiner 
Auffassung  des  Pazifismus  ist,  die  er  sich  un- 
gerechtfertigterweise  gebildet   hat. 

Daß  er  den  Herausgeber  dieser  Blätter 
gleich  in  der  ersten  Zeile  als  „Friedens- 
apostel" anspricht,  beweist  zwar  seine  völlige 
Unkenjntnis  über  den  Pazifismus,  es  sei  ihm  aber 
verziehen,  da  es  schwer  ist,  sich  von  solchen 
Klischees  zu  emanzipieren.  Daß  er  es  aber 
als  „Heiterkeit"  empfindet,  weil  in  der  der  Bro- 
schüre beigegebenen  Chronik  auch  „sämtliche 
kriegerischen  Konflikte,  ebenso  auch  alle  mili- 
tärischen Rüstungen"  angeführt  werden,  läßt 
erkennen,  daß  er  nicht  vorurteilslos  der  Sache 
gegenübertrat;  denn  bei  etwas  weniger  guter 
Laune  hätte  er  erkennen  können,  daß  in  jener 
Chronik  nicht  nur  die  Masse  der  auf  die 
Völkerverständigung  hinzielenden  Daten  an- 
geführt worden  ist,  sondern  —  und  zwar  zum 
besseren  Verständnis  des  Geschehens  —  auch 
alle  Aeußerungen  des  noch  lebenden  alten 
Geistes  in  der  Politik.  Die  „Heiterkeit",  die 
den  Beurteiler  darob  befiel,  entspringt  nicht 
der  Ueberlegenheit  oder  einer  überragenden 
Sachkenntnis.    Dann  heißt  es: 

„Fried  zieht  die  Bilanz  für  1912  und 
hält  für  das  Hauptergebnis  des  abgelaufenen 
jahres,  daß  der  den  Pazifisten  so  lieb- 
gewordene und  schöne  Gedanke  von  der 
Beseitigung  des  Krieges  durch  die  Schieds- 
gerichtsbarkeit nun  endgültig  fallen  ge- 
lassen oder  wenigstens  auf  das  richtige  Maß 
zurückgeführt  werden  müsse.  Schieds- 
gerichte seien  nur  bei  Rechtsstreitigkeiten 
wirksam.  Wo  bleibt  der  Traum  vom 
Haag  ?" 

Diese  Darstellung  ist  unrichtig.  Nicht  die 
■richtige   Klassifizierung  des   Schiedswesen   be- 


DIE  FRIEDENS-  V&DTE 


■3 


zeichnete  ich  als  das  Hauptergebnis  dieses 
Jahres,  sondern  (S.  6)  das  Werk  der  anglo- 
deutschen  Verständigung. 

Die  richtige  Klassifizierung  der  Schieds- 
gerichtsbarkeit habe  ich  aber  auch  nicht  erst  im 
Jahre  1912  angeregt,  sondern  schon  vor  zehn 
Jahren  und  habe  sie  seither  mit  wachsendem 
Erfolg  in  meinen  Schriften  vertreten.  Die 
Mehrheit  der  denkenden  Pazifisten  ist  dieser 
Ansicht;  sie  brauchen  sie  nicht  erst  jetzt  zu 
entdecken.  Ich  schrieb  lediglich,  daß  „Viele" 
von  uns  den  ihnen  liebgewordenen  Gedanken 
Hunmehr  endgültig  fallen  lassen  müssen. 
„Viele"    sind  aber  nicht   „alle". 

Damit  habe  ich  aber  keineswegs  die 
Schiedsgerichtsbarkeit  verworfen,  wie  der  Ver- 
fasser jenes  Artikels  glaubt  und  glauben 
machen  will.  Ich  habe  sie  nur  richtig  ein- 
geordnet, indem  ich  sagte:  „Ihre  (der  Schieds- 
gerichtsbarkeit) Rolle  wird  um  so  größer  sein, 
je  höher  das  internationale  Recht 
entwickelt  sein  wird  in  der  Mensch- 
heit. Die  Schiedsgerichtsbarkeit  wird  die 
Krönung  der  Weltorganisation  sein,  aber 
nicht  ihr  Fundament."  Damit  ist  die 
Antwort  auf  die  naive  Frage  „Wo  bleibt  der 
Traum  vom  Haag?"  gegeben;  denn  im  Haag 
ist  es  ja,  wo  das  internationale  Recht  immer 
weiterentwickelt  wird. 

Ich  habe  immer  daran  festgehalten,  daß 
wir  der  gewaltlosen  Streitschlichtung  zu- 
steuern müssen,  die  gegeben  ist  a)  durch 
diplomatische  Verhandlungen,  b)  durch  die 
Schiedsgerichtsbarkeit,  c)  durch  die  ordent- 
liche Staatengerichtsbarkeit.  Diese  Dreiteilung 
ist  angepaßt  den  Erfordernissen  der  Praxis, 
für  Interessen-,  Macht-  und  Rechtsfragen.  Der 
Umstand  allein,  daß  unsere  Gegner  glauben, 
wir  predigen  die  Schiedsgerichtsbarkeit  als 
Allheilmittel,  veranlaßte  sie,  unsere  Bestre- 
bungen für  utopisch  zu  halten.  Wir  betrachten 
sie  aber  nur  als  eine  für  besondere  Fälle  be- 
stimmte Art  der  mannigfaltigen  pazifistischen 
Streitschlichtungsmethoden.  Nicht  wir  haben 
unsere  Ansicht  geändert,  die  Gegner  sollen  an- 
fangen, die  ihre  über  uns  zu  revidieren. 

Es  ist  auch  nicht  richtig,  wenn  in  jenem 
Artikel  gefolgert  wird,  daß  Schiedsgerichte 
nur  bei  untergeordneten  Streitigkeiten 
möglich  seien.  Ein  Blick  auf  die  Schiedsfälle 
der  letzten  Jahre  beweist  das  Gegenteil.  Rechts- 
fragen sind  im  heutigen  Völkerleben  nicht 
immer   untergeordnete   Streitigkeiten. 

Im  übrigen  geht  der  Verfasser,  wie  alle 
Gegner  des  Pazifismus,  von  dem  grundlegen- 
den Irrtum  aus,  als  wollten  wir  den  Krieg 
aus  den  politischen  Verhältnissen,  so  wie 
diese  heute  sind,  beseitigen,  was  uns 
natürlich  nie  einfällt.  Wir  wollen  nicht  das 
Symptom  des  Uebels  beseitigen,  sondern  dessen 
Ursachen.  Darum  treten  wir  für  eine  Ver- 
änderung dieser  heutigen  politischen  Verhält- 
nisse ein,  für  eine  Umwandlung  der  Politik 
der  Gewalt  in  eine  Politik  der  Verständigung 
durch    starke    Infiltration    mit    der    internatio- 


nalen Rechtsidee,  für  eine  Organisation  der 
heute  zum  Teil  noch  anarchischen  Staaten- 
geselischaft.  Und  in  Verbindung  mit  diesem 
Grundproblem  unserer  Bewegung  bewegt  sich 
die  Forderung  einer  nach  diesen  Grundsätzen 
handelnden  „modernen  Diplomatie",  was 
Dr.  Grabowski  als  unsern  „allerletzten  Ret- 
tungsanker" bezeichnet.  Es  ist  unser  Funda- 
ment 1  Wir  betreiben  eben  nur  die  Prophy- 
laxis des  Krieges,  die  Hygiene  des  internatio- 
nalen Lebens,  was  uns  vernünftiger  erscheint 
als  die  Doktor  Eisenbart-Kuren  der  Blut-  und 
Eisen-Apostel.  Noch  einmal  sei's  gesagt:  Man 
vergleiche  uns  nicht  mit  einer  Feuerwehr, 
die  berufen  ist,  einen  Brand  zu  löschen, 
wenn  er  schon  ausgebrochen  ist,  son- 
dern mit  einer  Agentur  für  Imprägnie- 
rungsmittel, deren  Anwendung  den  Aus- 
bruch des  Brandes  verhindern  kann. 
So  aufgefaßt,  wird  es  den  Gegnern  vielleicht 
doch  möglich  sein,  unsere  Bewegung  etwas 
objektiver  zu  beurteilen.  Sie  würden  sich  nur 
selbst  ehren,  wenn  sie  zu  einer  solchen  Beur- 
teilung kommen  würden.  Unseren  Glauben 
an  den  Erfolg  brauchen  sie  ja  nicht  zu  teilen, 
nur  als  Dummköpfe  und  Narren  sollen  sie 
aufhören,  uns  hinzustellen,  denn  es  könnte 
ihnen  passieren,  daß  die  öffentliche  Meinung 
diese  Vorwürfe  auf  ihre  Urheber  zurückwirft. 

A.  H.  F. 


Der  Deutsche  Bund  als  Vorbild 
der  Staatenorganisation. 

Von  Dr.  phil.,  jur.  et  sc.  pol.   G.  Grosch. 

Für  die  Realisation  der  Staatenorgani- 
sation, welch  letztere  sich  juristisch  als 
völkerrechtlicher  Staatenbund  darstellen  wird, 
kann  der  frühere  Deutsche  Bund  ein  Vor- 
bild abgeben.  Mutatis  mutandis  kann  die 
Friedensorganisation  des  Erdballs  so  kon- 
stituiert werden  wie  seinerzeit  der  Deutsche 
Bund.  Darum  soll  auf  seine  hauptsächlichsten 
Institutionen,  soweit  sie  für  die  eben  er- 
wähnte Verwirklichung  eines  Zusammen- 
schlusses der  Staaten  in  Betracht  kommen, 
einmal   die  Aufmerksamkeit  gelenkt   werden. 

Der  Zweck  des  genannten  Bundes  war 
—  gemäß  der  deutschen  Bundes-Akte  vom 
8.  Juni  1815  —  die  Erhaltung  der  äußeren 
und  inneren  Sicherheit  Deutschlands  und  der 
Unabhängigkeit  und  Unverletzbarkeit  der 
einzelnen  deutschen  Staaten.  Die  Mitglieder 
des  Bundes  versprachen,  sowohl  ganz  Deutsch- 
land, als  jeden  einzelnen  Bundesstaat  gegen 
einen  Angriff  in  Schutz  zu  nehmen;  sie  ga- 
rantierten sich  gegenseitig  ihre  sämtlichen 
unter  dem  Bunde  begriffenen  Besitzungen. 
Deshalb  machten  sie  sich  verbindlich,  ein- 
ander unter  keinerlei  Vorwand  zu  bekriegen, 
noch  ihre  Streitigkeiten  mit  Gewalt  —  d.  i. 
durch  Krieg  —  zu  verfolgen,  sondern  bei 
der  Bundesversammlung  anzubringen. 


8 


@= 


DIE  FR! EDENS -^O^RXE 


Die  Bundesversammlung  war  zusammen- 
gesetzt aus  Delegierten  der  Staaten.  Ihr 
lag  bei  einem  entstehenden  Zwist  zwischen 
den  Mitgliedstaaten  ob,  die  Vermittlung 
durch  einen  Ausschuß  zu  versuchen.  Schlug 
dieser  Versuch  fehl,  und  wurde  demnach  eine 
richterliche  Entscheidung  not- 
wendig, so  sollte  diese  durch  eine  wohl- 
geordnete Austrägal-Instanz  bewirkt  werden, 
deren  Ausspruch  die  streitenden  Teile  sich 
sofort   zu   unterwerfen  hatten. 

Das  Austrälverfahren  war  durch  eine  be- 
sondere Ordnung  vom  16.  Januar  1817  geregelt. 
Der  inkriminierte  Staat  —  wenn  von  dessen 
Seite  gezögert  wurde,  hatte  es  die  Bundes- 
versammlung zu  tun  —  mußte  drei  Mit- 
glieder benennen,  die  an  dem  entstandenen 
Zwist  unbeteiligt  waren.  Der  beschwerde- 
führende Staat  wählte  aus  den  dreien  sich 
einen  aus,  und  dessen  höchstes  Gericht  ver- 
handelte und  entschied  den  Streit  „im  Namen 
und  anstatt  der  Bundesversammlung,  sowie 
vermöge  derselben  Auftrags".  Es  wurde  das 
Urteil  gefällt  und  publiziert;  es  war  damit 
rechtskräftig  und  konnte,  wenn  nötig,  von 
Bundes   wegen   exequiert   werden. 

Damit  war  der  Krieg  als  rohes 
Zwangsmittel  aus  den  gegenseitigen 
Beziehungen  der  Bundesstaaten  eliminiert. 
Nur  als  Rechtsschutzmittel  blieb  der 
Krieg  auch  weiter  anerkannt.  „In  einem 
Falle  war  der  innere  Krieg  nicht  zu  ver- 
meiden :  nämlich  wenn  ein  Bundesstaat  in 
Erfüllung  seiner  durch  den  völkerrechtlichen 
Grundvertrag  übernommenen  Bundespflichten 
säumig  und  zu  ihrer  Einhaltung  anders  als  mit 
den  Waffen  nicht  herbeizubringen  war;  denn 
das  schließliche  völkerrechtliche  Exekutions- 
mittel ist  der  Krieg."  Hierfür  war  eine  Exe- 
kutionsordnung—  vom  3.  August  1820  —  auf- 
gestellt, so  daß  der  Zwang  innerhalb  der 
Schranken  des  Rechts  gehandhabt  wurde. 

Schon  St.  Pierre  hat  für  die  „Union 
de  l'Europe",  die  er  vorschlägt,  auf  das 
damalige  Deutsche  Reich  exemplifiziert,  das 
ja  nicht  viel  fester  organisiert  war  als  der 
spätere  Deutsche  Bund.  Er  führt  etwa  aus: 
Durch  die  kaiserliche  Acht  würden  die  Ver- 
wegensten abgehalten,  Krieg  mit  den  übrigen 
zu  beginnen,  weil  sie  sonst  fürchten  müßten, 
depossediert  zu  werden;  und  geschähe  es 
doch,  so  sei  daran  schuld  die  Verbindung  mit 
auswärtigen  Souveränen,  die  sie  gegen  die 
Gefahr  der  Acht  deckten.  Wenn  nun  diese 
Glieder  des  deutschen  Reichskörpers  keine 
Nachbarn  hätten,  die  sich  in  die  Angelegen- 
heiten jener  einmischten,  würde  es  niemals  Krieg 
zwischen  ihnen  geben;  wenn  also  diese  Ver- 
einigung, anstatt  sich  auf  Deutschland  allein 
zu  beschränken,  alle  Souveräne,  alle  Staaten 
Europas  umfaßte,  würde  es  keinen  Krieg 
mehr  geben,  weder  im  Deutschen  Reich  noch 
im   übrigen   Europa. 

Das  „tertium  comparationis"  ist  nicht 
—  wie  etwa  ein  Gegner  einwerfen  könnte  — , 


daß  das  frühere  Deutsche  Reich  sich  auf- 
gelöst habe  und  der  Deutsche  Bund  ge- 
sprengt worden  sei,  daß  also  einer  even- 
tuellen Friedensorganisation  der  Staaten  das 
gleiche  Schicksal  drohe;  jenes  sind  po- 
litische Bewegungen  gewesen,  die  ja  ihren 
Abschluß  in  dem  neuen  Deutschen  Reiche, 
einem  durchaus  festen  staatlichen  Gefüge, 
gefunden  haben.  Nein,  wenn  wir  vergleichs- 
weise auf  das  alte  Deutsche  Reich  und  den 
Deutschen  Bund  hingewiesen  haben,  so 
wollten  wir  damit  nur  'sagen,  daß  ähnliche 
Institutionen,  wie  die  künftige  Friedens- 
organisation  der  Staaten,  bereits  bestanden 
haben. 

Einen  weiteren  Einwurf,  den  man  noch 
machen  könnte,  lehnen  wir  gleichfalls  ab ;  näm- 
lich den,  daß  es  sich  bei  unseren  Beispielen 
um  Zugehörige  zu  demselben  Volke  gehandelt 
habe.  Dem  können  wir  ruhig  das  Argument 
entgegensetzen,  daß  der  Verkehr  in  der  heu- 
tigen Staatenwelt  viel  intensiver,  der  Austausch 
der  Kulturerrungenschaften  viel  leichter,  das 
Herüber-  und  Hinüberfluten  von  einem  Staate 
zum  andern  —  nicht  nur  etwa  bloß  der  Waren, 
sondern  ebenso  der  Personen  und  Geistes- 
produkte —  viel  häufiger  geschieht  als  in  dem 
früheren  Deutschen  Reiche.  Diesen  Inter- 
nationalismus können  die  erpichtesten 
Rassenfanatiker  nicht  mehr  leugnen,  denn  er 
ist  tagtäglich  geradezu  mit  Händen  zu  greifen. 
Die  gegenseitige  Annäherung  der  Völker  voll- 
zieht sich  unaufhaltsam,  und  der  Menschheit 
einend  Band  wird  sich  um  die  heutigen  Staaten 
sicherlich  ebenso  fest  schließen  wie  früher  das 
Bewußtsein  der  Volksgemeinschaft  um  die 
Territorien  des  Deutschen  Bundes. 

Der  Fortschritt  der  Menschheit  besteht 
darin,  daß  das  Unvollkommene  durch  immer 
Vollendeteres  abgelöst,  daß  das  weniger  Gute 
durch  Besseres  ersetzt,  daß  nach  schwäch- 
lichem Vorbild  ein  starkes,  ragendes  Monument 
gestaltet  wird.  So  kann  der  Deutsche  Bund 
als  vorbildlich  für  die  Friedensorganisation  der 
Staaten  angesehen  werden;  indes,  diese  wird 
jenen  weit  übertreffen.  Schon  der  Umstand, 
daß  es  sich  um  die  Organisation  der  Mensch- 
heit und  nicht  bloß  um  einen,  wenn  auch  noch 
so  bedeutsamen  Bruchteil  von  ihr  handelt,  er- 
hellt zur  Genüge,  welcher  Fortschritt  mit  der 
Biefriedigung  der  heutigen  Staa- 
te n  w  e  1 1  erreicht  wird. 

Mit  Nachdruck  ist  darauf  hinzuweisen,  daß 
die  rechtliche  Ausgestaltung  der  Staaten- 
gemeinschaft schon  längst  in  Angriff  ge- 
nommen wurde.  Das  Völkerrecht,  das  zwischen- 
staatliche Recht,  ist  schon  Jahrhunderte  alt; 
und  gerade  in  unserer  Zeit  ist  ein  neuer  Auf- 
schwung zu  konstatieren:  die  Haager  Frie- 
denskonferenzen, der  durch  dieselben  konsti- 
tuierte Schiedshof,  all  das  sind  herrliche  An- 
sätze, gesunde  Keime,  die  auf  reiche  Früchte 
hoffen  lassen. 

Gewiß,  die  Gegner  jubeln,  daß  nicht  mit 
einem  Schlage  schon  alles  erreicht  worden  ist. 


DIE  FßlEDENS-^^BTE 


3 


daß  immer  noch  der  Krieg  als  roher  Zwang 
wütet,  daß  immer  wieder  Rückfälle  eintreten. 
Diese  kleinlichen  Geister  stellen  sich  wie  blind 
gegen  die  Erwägung,  daß  der  Aufstieg  der 
Menschheit  ein  gar  langsamer  und  mühsamer, 
von  Rückfällen  bedrohter  gewesen  ist.  Aber 
gerade  wer  diesen  ehrlich  ins  Auge  faßt,  der 
ist  voller  Genugtuung  darüber,  daß  schon  so 
Großes  erreicht  worden  ist,  Größeres  bereits 
in  die  Wege  geleitet  wird.  Wir  befinden  uns  in 
einer  neuen  Phase  der  Menschheitsgeschichte; 
wir  gehen  einem  neuen,  einem  Völkerfrühling 
entgegen. 

Frankreichs  Großmachtsstellung 
und  Kulturziele. 

Von  Herrn.  Fernau,  Paris. 

Frankreich  ist  heute  unbestreitbar  die 
friedliebendste  Großmacht  in  Europa  ge- 
worden. Allerdings  dürfen  wir  unsere  Vogesen- 
nachbarn  nicht  mit  den  Wissenschaften  und 
Beobachtungsfähigkeiten  der  „führenden" 
Tagespresse  beurteilen,  wenn  wir  ehrlich  fest- 
stellen wollen,  inwieweit  die  französische 
Nation  seit  etwa  40  Jahren  ihre  „glorreiche" 
napoleonische  Tradition  verleugnet.  Alles  zielt 
heute  bei  den  Franzosen  auf  eine  neue  Kultur 
hin,  die  keinen  Platz  mehr  hat  für  Waffenruhm 
und  nationalen  Eigensinn  und  in  direktem 
Gegensatz  zu  jener  „Großmachtpolitik"  steht, 
von  der  seit  Bismarck  in  Europa  so  viel  ge- 
redet wird  und  die  wie  eine  beständige  Be- 
diohung  des  Friedens  über  den  Völkern  Eu- 
ropas hängt. 

Für  den  denkenden  Menschen  gibt  es  nicht 
leicht  einen  sinnloseren  Begriff  als  er  in 
Worten  wie  Großmachtpolitik,  Großmacht- 
stellung usw.  usw.  zum  Ausdruck  kommt.  Ver- 
geblich bemühe  ich  mich  seit  Jahren,  hinter 
das  Geheimnis  dieser  und  ähnlicher  Worte 
unserer  Diplomatensprache  zu  kommen.  Ich 
bin  ganz  unfähig,  zu  verstehen,  inwieweit  die 
Großmachtpolitik  zum  menschlichen  Glücke 
unentbehrlich  ist.  Mein  Respekt  vor  den 
Diplomaten  und  Zeitungsschreibern,  die  seit 
Jahrzehnten  mit  dieser  Ware  so  lärmend  beim 
Volke  hausieren  gehen,  ist  darob  nicht  sonder- 
lich gewachsen.  Sie  sind  mir  verdächtig 
und  auch  ein  bißchen  lächerlich  die  Leute, 
die  mit  einem  Auge  immer  in  China  herum- 
schielen, mit  dem  anderen  „unsere  Interessen- 
sphären" in  Marokko  und  am  Bosporus  beob- 
achten, die  beständig  von  der  Bedrohung 
„unseres  Einflusses",  „unserer  Machtstellung" 
und  anderer  kostbarer  Dinge  reden,  und  deren 
Weisheit  letzter  Schluß  immer  derselbe  ist: 
Wir  müssen  rüsten  und  wieder  rüsten,  zu 
Wasser  und  zu  Lande,  auf,  unter  und  über 
der  Erde,  damit  wir  unsere  Großmacht- 
stellung erhalten,  damit  man  uns  nicht  „ein- 
kreise", nicht  erdrücke,  sondern  „im  Konzert 
der  Großmächte"  respektiere,  usw.  usw. 


Aber  damit,  daß  uns  Pazifisten  die  Groß- 
machtpolitiker und  Diplomaten  allenthalben 
verdächtig  und  lächerlich  zu  werden  beginnen, 
ist  es  nicht  getan.  Es  gilt  zu  beweisen,  daß 
sie  überflüssig  und  schädlich  in  der  moderne» 
Welt  sind,  daß  wir,  die  Bürger  der  Kultur- 
nationen, fähig  und  wülens  sind,  unsere  Ge- 
schäfte fortan  ohne  diplomatische  Vermittlung 
zu  machen.  Es  gilt  dem  Volke  klarzumachen, 
daß  die  „hohe"  Diplomatie  eine  Gefahr  für 
den  Frieden  und  Fortschritt  der  Menschheit 
bildet.  Wir  müssen  den  Großmachtpolitikern 
und  allen,  die  ihrer  Art  sind,  endlich  ein  neues, 
vornehmeres  und  ehrlicheres  Kulturideal  ent- 
gegensetzen, eine  KuUtur,  in  der  man  nicht 
mehr  so  balkenbrechend  lügt,  sondern  in  der 
man  die  geheimen  Ursachen  der  sogenannten 
Großmachtpolitik  beim  richtigen  Namen  nennt, 
auf  die  Gefahr  hin,  einige  patriotische  Emp- 
findlichkeiten zu  verletzen.  Wenn  es  uns 
nicht  gelingt,  den  Diplomaten  den  Wind  aus 
den  Segeln  zu  nehmen,  ihren  Einfluß  beständig 
zu  schwächen  und  sie  so  allmählich  überflüssig 
in  der  modernen  Welt  zu  machen,  dann  werden 
wir  noch  auf  lange  hinaus  ohnmächtig  bleiben. 

Da  ist  nun  Frankreich,  das  bekanntlich 
auch  überall  seinen  „großen  Stein  im  Welt- 
schachbrett" hat.  Prinzipiell  sollte  eine  Re- 
publik mit  dem  hohlen  Phrasengewirr  der 
Diplomatie  aufräumen  und  eine  ehrlichere 
Sprache  reden,  als  sie  bisher  in  der  inter- 
nationalen Politik  geführt  wurde.  Aber  die 
Zeiten,  wo  wir  nur  noch  sprechen  werden,  um 
verstanden  zu  werden,  jenes  goldene  Zeitalter, 
wo  die  Bildung  der  Massen  gebieterisch 
fordern  wird,  daß  nur  noch  diejenigen  reden 
und  schreiben,  die  wirklich  etwas  zu  sagen 
haben,  ist  trotz  der  republikanischen  Etikette 
selbst  in  Frankreich  noch  nicht  angebrochen. 
Auch  in  Frankreich  regiert  man  noch  mit 
hohlen  Worten.  Ganz  ebenso  wie  anderswo 
redet  man  auch  in  Frankreich  noch  von  der 
„nationalen  Ehre",  von  der  Schönheit  und  Not- 
wendigkeit der  kolonialen  Expansion,  der 
„friedlichen"  Durchdringung  Marokkos  und 
ähnlichen  Kinkerlitzchen  mehr.  Drei  Viertel 
aller  Leute,  die  täglich  ihre  Zeitung  lesen,  ver- 
stehen trotzdem  nichts  von  dieser  „hohen  Po- 
litik", mit  der  man  nichtsdestoweniger  über 
das  Wohl  und  Wehe,  über  Krieg  und  Frieden 
der  Bürger  entscheidet.  Das  letzte  Viertel 
verhält  sich  dieser  diplomatisch-finanziellen 
Metaphysik  der  Neuzeit  gegenüber  zwar  miß- 
trauisch, aber  es  weiß  trotz  aller  Aufklärung 
noch  immer  nicht  recht,  welche  ureinfachen 
Dinge  die  Sprache  der  Diplomaten  im  Grunde 
verdeckt;  sehr  viele  ahnen  dunkel,  daß  es 
sich  dabei  um  Geschäfte  handelt,  die  nicht 
ihre  Geschäfte  sind,  daß  man  ihre  Haut  ver- 
pfändet, um  die  Dividenden  einer  Bank  zu 
erhöhen  usw.,  aber  .  .  sie  sind  in  der  Minder- 
zahl. Ihre  Proteste  verhallen.  Und  darum 
regieren  heute  die  Könige  der  Finanz  in 
Frankreich  mit  einer  Art  moderner  Metaphysik, 
die  als  Basis  die  Glaubhaftmachung  von  der 


10 


<5S 


DIE  FRIEDENS-^VÄBXE 


Notwendigkeit  einer  starken  Großmachtpolitik 
hat  und  die  sich  im  übrigen  mit  den  demo- 
kratischen Prinzipien  der  Republik  ganz  ge- 
schickt abzufinden  weiß.  In  der  Monarchie 
regiert  man  noch  mit  der  Glaubhaftmachung 
der  göttlichen.  Autorität,  in  der  weltlichen  Re- 
publik dagegen  mit  dem  latenten  Respekt  der 
Volksmassen  vor  den  Weisheiten  der  „geheimen 
Diplomatie".  Die  Mittel  sind  verschieden,  das 
Ergebnis  dasselbe:  Dienstbarmachung  des 
Volkswillens  für  die  (rein  materiellen)  Ge- 
schäfte einer  Dynastie,  eines  Banktrusts  usw., 
Bearbeitung  der  Volksmeinung  nötigenfalls  bis 
zur  Kriegsbegeisterung.  —  Und  doch  besteht 
zwischen  dem  Respekt  vor  dem  Uebernatür- 
lichen  (Diplomatie  der  Monarchie)  und  dem 
Respekt  vor  dem  bloß  Unverständlichen  (Di- 
plomatie der  Republik)  jener  kleine  Abstand 
um  den  uns  die  Franzosen  in  der  Kultur  vor- 
aus sind.  Der  Respekt  vor  der  von  Gott  ein- 
gesetzten Monarchie  ist  nämlich  viel  schwerer 
durch  die  freie  Kritik  zerstörbar  als  jener 
andere.  Und  deshalb  sehen  wir,  daß  sich  seit 
einiger  Zeit  in  Frankreich  eine  Kritik  gegen 
das  Vorhandensein  der  Diplomatie  breit  macht, 
die  den  Regierenden  ernstlich  unangenehm  zu 
werden  beginnt.  Frankreichs  Bürger  werden 
nämlich  mit  Hilfe  ihrer  demokratischen  Er- 
ziehung von  Tag  zu  Tag  respektloser  und  neu- 
gieriger in  Sachen  der  „hohen  Politik".  Sie 
nehmen  nicht  alles  mehr  für  „bare  Münze", 
was  man  ihnen  bietet.  Zudem  erlaubt  ihnen 
ihre  Staatsverfassung  schon  heute  Rechen- 
schaft zu  fordern  über  die  kulturelle,  prinzipielle 
und  soziale  Notwendigkeit  ihres  diplomatischen 
Apparates.  Oder,  um  es  anders  auszudrücken : 
Die  französische  Demokratie  ist  im  Begriff, 
eine  gründliche  Umwertung  der  Werte  auf 
diesem   Gebiete   vorzunehmen. 

Diese  Umwertung  wird  erst  dort  möglich, 
wo  alles  das,  was  wir  in  Deutschland  noch 
als  erstrebenswertes  nationales  Ideal,  als  natio- 
nale Kraft,  Pflicht,  Würde  usw.  verehren,  in 
Dekadenz  gerät.  Wenn  wir  die  französische 
Demokratie  mit  der  deutschen  Monarchie  ver- 
gleichen, ist  Frankreich  in  der  Tat  ganz  und 
gar  dekadent,  das  heißt  viele  „Staatsbürger- 
tugenden", die  nur  noch  im  Gewissenszwang 
und  in  der  Dummgläubigkeit  der  Massen  ihren 
Halt  finden,  sind  in  der  Freiheit  der  Demo- 
kratie schon  längst  verschwunden.  Ueberall 
sind  dergestalt  heute  in  Frankreich  die 
Breschen  und  Brücken  zu  einer  ehrlicheren 
Kultur  geschlagen.  —  Am  deutlichsten  läßt 
sich  diese  Dekadenz  des  alten  Frankreich  wohl 
am  Militarismus  feststellen.  Nicht  nur,  daß 
die  nicht  wachsende  Bevölkerung  dem  Mili- 
tarismus heute  bereits  eine  numerische  Kräfte- 
zunahme verbietet,  nicht  nur,  daß  die  Zahl 
der  Deserteure  (trotz  der  fehlenden  Soldaten- 
mißhandlungen) in  Frankreich  zehnmal  größer 
ist  als  in  Deutschland,  daß  der  französische 
Offizier  ganz  im  Gegensatz  zu  seinem  deutschen 
Kollegen  wenig  Kriegsbegeisterung  zeigt  und 
daß  die  immer  lauter  zur  Herrschaft  drängende 


Arbeiterklasse  immer  klarer  die  Zwecklosigkeit 
des  heutigen  Militarismus  nachweist,  nein,  auch 
die  Lehrerschaft  ist  heute  bereits  in  Frank- 
reich deutlich  antimilitaristisch,  das  heißt  pa- 
zifistisch gesinnt*).  —  Es  ist  eine  für  uns 
erfreuliche  Tatsache,  daß  die  überwiegende 
Mehrheit  der  französischen  Lehrer  der  Jugend 
heute  bereits  die  Ideale  des  Pazifismus  lehrt, 
denn  eben  damit  wird  auf  die  wirksamste  Weise 
der  Boden  vorbereitet,  auf  dem  in  Frankreich 
eine  neue  Kultur  erblühen  kann.  Wenn  die 
Leute  ä  la  Millerand  seit  einiger  Zeit  so  viel 
Bemühungen  um  die  Wiederbelebung  der 
nationalen  und  militaristischen  Tradition  an- 
stellen, wenn  sich  Frankreichs  Regierung  seit 
etwa  zwei  Jahren  so  krampfhaft  bemüht,  diesem 
Gassenjungen  der  europäischen  Kultur  einen 
neuen  Flitter  um  die  kriegsdrohende  Stirn  zu 
winden,  so  sind  eben  diese  Bemühungen  für 
jeden  Einsichtigen  ein  Beweis,  daß  Frank- 
reichs Militarismus  (ich  meine  hier  den  Mili- 
tarismus als  aggressive  Kraft,  auch  als  Kaste 
und  Karriere  für  Raufbolde;  daneben  gibt  es 
noch  einen  Militarismus  der  guten  Art,  den 
auch  der  Pazifist  in  Kauf  nehmen  kann)  in 
unaufhaltsamer  Dekadenz  begriffen  ist.  Würde 
man  sonst  die  Volksbegeisterung  für  Militär- 
paraden und  Ruhmfassaden  schon  allenthalben 
künstlich  beleben  müssen? 

Wie  also  wird  jene  Kultur  aussehen,  die  sich 
allem  Anschein  nach  ganz  ebenso  aus  dem  gegen- 
wärtigen dekadenten  Frankreich  zu  entwickeln 
beginnt,  wie  sich  die  bürgerliche  Demokratie 
von  heute  aus  der  Greisenhaftigkeit  und  Sitten- 
verlotterung  der  französischen  Monarchie  am 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  entwickelt  hat? 
Ich  habe  es  oben  bereits  anzudeuten  ver- 
sucht: Die  militaristische  Dekadenz  unserer 
Nachbarn  muß  die  Republik  zu  einer  allmäh- 
lichen Verzichtleistung  auf  Großmachtpolitik, 
Außendiplomatie  usw.  usw.  führen.  Marokko 
war  die  letzte  Tat  dieser  dekadenten  Außen- 
politik. Man  weiß  heute  in  Frankreich,  für 
wen  man  eigentlich  Marokko  „erobert"  hat. 
Und  wohi  niemals  hat  ein  Volk  die  Erwerbung 
einer  Kolonie  gleichgültiger  aufgenommen,  als 
die  Franzosen  1911  ihr  Marokko.  —  Fortan 
wird  sich  Frankreich  in  Sachen  der  Weltpolitik 
immer  mehr  seinem  schweizerischen  Vorbilde 
nähern.  Und  als  gute  Pazifisten  können  wir 
die  Franzosen  zu  dieser  Entwicklung  und  Ab- 
kehr von  der  Hohlheit  der  Großmachtpolitik 
nur  beglückwünschen.  Denn  jene  Nationen, 
die  keine  Großmachtpolitik  treiben,  die  nicht 
bis  an  die  Zähne  bewaffnet  stehen,  um  ihre 
„Interessensphären"  und  Expansionsmähren 
gewaltsam  zu  verteidigen,  jene  Völker,  die  die 
Kultur  erst  innen  suchen,  ehe  sie  sich  unter- 
fangen, sie  nach  außen  zu  tragen,  haben  sich 
bisher  im  kommerziellen  Wettstreit  (und  auf 
diesen  allein  kommt  es  in  der  modernen  Welt 
noch  an)  mindestens  ebenso  wacker  gehalten 

**)  Siehe  hierzu  meinen  Aufsatz :  „Die  fran- 
zösischen Lehrer  und  der  Pazifismus"  in  „Das 
freie    Wort",    zweites    Novemberheft     1912. 


11 


DIE  FBIEDENS-^ÖJZTE 


'3 


als  die  sogenannten  Großmächte.  Die 
Schweizer  zum  Beispiel  sind  ohne  Kolonien, 
Großmachtpolitik  und  anderen  Djiplomaten- 
unsinn  glücklicher,  vaterlandsstolzer  und  fried- 
liebender als  die  Bürger  jener  Nationen,  deren 
angeblich  „große  Ziele"  sich  für  den  einzelnen 
nur  immer  durch  eine  fortwährende  Erhöhung 
der  Steuern  fühlbar  machen.  Was  kümmert 
den  Schweizer  (den  Norweger,  Schweden, 
Holländer,  Belgier  usw.)  die  Marokkoaffäre, 
die  Balkankrise  und  die  sonstigen  Hinterländer 
der  Diplomaterei?  Er  ist  frei  von  Befürch- 
tungen. Er  kann  den  zwecklosen  Kämpfen 
der  Großmachtfritzen  mit  glücklicher  Ver- 
achtung zusehen.  Und  dabei  entwickeln  sich 
seine  Industrien  ebenso  gut,  seine  Reichtümer 
nehmen  ebenso  schnell  zu,  ja  seine  Finanzen 
sind  sogar  in  besserer  Ordnung  als  die  der 
Großmächte.  Die  Bürger  dieser  Länder  sind 
ein  für  allemal  frei  vom  Alpdruck  der  Groß- 
machtpolitik, frei  vom  Alpdruck  der  Kriegs- 
möglichkeit. Ihr  unaufhaltsamer  Fortschritt 
in  Industrie  und  Handel,  insonderheit  die  Zu- 
nahme ihrer  Exporttätigkeit,  sollte  doch  nach- 
gerade auch  den  Blindesten  beweisen,  daß 
man  in  unserer  Zeit  keiner  Armeen  und  Flotten 
bedarf,  um  der  Vorzüglichkeit  seiner  Produkte 
auf  dem  Weltmarkte  zum  Siege  zu  verhelfen. 
Wählen  wir  ein  noch  krasseres  Beispiel  für 
die  Zwecklosigkeit  der  großmächtigen  Kriegs- 
rüstungen: Eben  jetzt  beklagen  sich  die  Fran- 
zosen sehr  lebhaft  über  die  „deutsche  Inva- 
sion", das  heißt  über  den  ständig  zunehmenden 
Import  deutscher  Erzeugnisse.  Und  Gott  weiß, 
daß  man  in  Frankreich  die  „camelote  alle- 
mande"  nicht  liebt.  Wenn  nun  die  deutsche 
Industrie  die  französische  Konkurrenz  im 
eigenen  Lande  trotz  der  hohen  französischen 
Zollmauern  für  gewisse  Artikel  schlägt,  welcher 
Esel  möchte  uns  dann  wohl  beweisen,  daß 
wir  einer  schlagfertigen  Armee  bedürfen  als 
Voraussetzung  und  Garantie  für  die  friedlichen 
Siege  der  deutschen  Industrie  in  Frankreich? 
Wie,  die  Franzosen  könnten  (wenn  keine 
deutsche  Armee  bereit  stände)  die  deutsche 
Einfuhr  einfach  durch  prohibitive  Zölle  ver- 
nichten ?  Und  ihr  eigener  Export  nach  Deutsch- 
land? Und  die  im  Hintergrund  lauernde  Re- 
volte der  Volksmassen  gegen  die  dadurch  be- 
dingte Preissteigerung?  Unsere  Armee  ist,  wie 
gesagt,  überflüssig  zum  Schutze  unseres  Ex- 
ports nach  Frankreich.  Das  gleiche  läßt  sich 
auch  für  andere  Länder  nachweisen,  wo 
„unsere  Interessensphären"  und  Absatzgebiete 
angeblich  in  Gefahr  sind. 

Wir  stolzen  Bürger  der  Großmächte,  die 
wir  mit  hohlen  Phrasen  und  diplomatischer 
Verlogenheit  unser  Leben  und  unseren  Geist 
vergiften  in  dem  kindlichen  Glauben,  daß  die 
Diplomaten  einem  Bedürfnis  entsprechen  und 
an  unserem  Glücke  arbeiten,  wir  sollten  die 
schweizerische  Anspruchslosigkeit  in  Sachen 
der  Großmachtpolitik  als  das  höhere  Glück, 
das  heißt  als  die  gesündere  Kultur  beneiden. 
An   der   Schweiz   und   einigen   anderen   Klein-     m 


Staaten  seilen  wir  sehr  deutlich,  daß  sich  die 
Lebenskraft,  Gesundheit  und  Entwickiungs- 
freudigkeit  der  Nationen  in  Wirklichkeit  an 
ganz  anderen  Dingen  mißt  als  an  Kolonial- 
politik und  hochtönendem  Geschwätz  über 
Großmachtstellung,  nationale  Wehrkraft  und 
dergleichen.  —  Ich  begehe  wahrscheinlich  eine 
Ketzerei  wider  den  heiligen  Geist  des  Patrio- 
tismus, aber  ich  sage  es  offen:  Für  die  Groß- 
machtstellung Deutschlands  bin  ich  (als  guter 
Deutscher,  wenn  ich  bitten  darf)  nicht  ein- 
mal bereit,  meinen  kleinen  Finger  zu  opfern, 
denn  mein  kleiner  Finger  dient  mir  zum  Ab- 
stäuben der  Asche,  wenn  ich  Zigaretten  rauche 
und  ist  mir  darum  dienlicher  als  Deutschlands 
Großmachtstellung. 

Ich  komme  auf  mein  Thema  zurück :  Auch 
Frankreich  beginnt  zu  begreifen,  was  hier 
eigentlich  Kultur  ist:  nämlich  das  Fallenlassen 
jenes  kostspieligen,  verlogenen  und  gefähr- 
lichen „Bluffs",  den  wir  Großmachtpolitik 
nennen.  Die  wahre  Republik,  die  ehrlich  auf 
das  Allgemeinwohl  bedachte  Demokratie 
braucht  weder  stehende  Heere  noch  diploma- 
tische Schwere  um  ihre  Lebenskraft  zu  be- 
weisen und  ihr  Ideal  zu  verwirklichen.  —  Das 
so  überaus  fragwürdige  und  gefährliche  Ding, 
das  wir  zum  Beispiel  heute  noch  „nationale 
Ehre"  nennen,  wird  in  einer  nahen  Zukunft 
jeden  kriegerischen  Eigensinn  verlieren  müssen. 
In  dem  Maße  nämlich,  als  der  einzelne  Bürger 
zum  Verständnis  dessen  erwacht,  was  die  Dy- 
nastien oder  Finanzmenschen  eigentlich  natio- 
nale Ehre  nennen,  in  dem  Maße  auch,  als  die 
Beziehungen  der  Menschen  immer  inter- 
nationaler werden  und  die  Staatsgrenzen  immer 
stärker  im  Handel  und  Wandel  der  Zeit  ver- 
wischen, wird  es  allmählich  unmöglich,  sich 
dieses  Dinges  als  einer  Kriegsursache  oder  als 
Kriterium  der  menschlichen  Glückseligkeit  zu 
bedienen.  Die  Republik  wird  darum  auf- 
hören müssen,  mit  den  im  neunzehnten  Jahr- 
hundert geschaffenen  Dreipfennigsweisheiten 
der  Diplomaten  noch  länger  beim  Volke  hau- 
sieren zu  gehen.  Heute  besteht  im  franzö- 
sischen Volke  bereits  ein  instinktiver  Wille 
zum  Frieden  und  zur  Einfachheit  der  guten 
Nachbarschaft,  den  nur  noch  die  „führende" 
Presse  zu  leugnen  wagt  und  den  alle  jene 
Chauvinisten  totschweigen,  die  mit  Patriotismus 
und  Armeelieferungen  ihr  Geld  verdienen. 

Die  verjüngte  französische  Demokratie 
wird  im  zwanzigsten  Jahrhundert  auf  den 
Blödsinn  der  Großmachtpolitik,  auf  den  Wort- 
schwall der  Diplomaten  und  auf  die  Fiktion 
von  der  „biologischen"  Feindseligkeit  der 
Rassen  verzichten;  sie  wird  als  erste  Groß- 
macht ihren  „Feinden"  die  versöhnende  Hand 
bieten  zur  gemeinsamen  Weiterarbeit  an  den 
Schicksalen  der  Menschheit. 

An  uns  ist  es,  den  herrschenden  deutschen 
Imperialismus  so  zu  schwächen,  daß  er  diese 
versöhnende  Hand  annehmen  muß.  Das  ist 
keine  leichte  Aufgabe.  Sehr  viele  Aktienkurse 
werden  nämlich  mit  diesem  Händedruck  herab- 


12 


<§= 


=  DIE  FRIEDENS -WARTE 


gedrückt,  sehr  gewinnbringende  Operationen 
der  Großbanken  usw.  auf  immer  unmöglich 
gemacht  werden.  Es  gehört  viel  vornehme 
Selbstüberwindung  dazu,  mit  2  o/0  Dividenden 
zufrieden  zu  sein,  wo  man  früher  10  °/o  ver- 
teilte. Und  darum  wird  es  bei  dieser  Umwer- 
tung der  nationalen  Ehre  und  Heere  hüben  und 
drüben  genug  Leute  geben,  die  in  einer  solchen 
Friedenserklärung  eine  neue  Kränkung  der 
nationalen  Integrität  und  Autonomie,  eine  Fäl- 
schung der  „biologisch-historischen  Mission" 
der  Völker,  eine  Bedrohung  der  deutschen 
Kultur  und  dergleichen  herausrechnen  werden. 
Aus  allen  diesen  Gründen  gehört  es  zu 
den  vornehmsten  Aufgaben  der  deutschen  Pa- 
zifisten der  Gegenwart,  die  deutsche  De- 
mokratie vorzubereiten.  Denn  die  Verwirk- 
lichung der  deutschen  Demokratie  wäre  heute 
eine  der  sichersten  Friedensgarantien  in 
Europa.  Erst  mit  der  deutschen  Demokratie 
und  .  .  Republik  wird  nämlich  erst  jene  Ver- 
brüderung der  feindlichen  Nachbarn  von  heute 
möglich,  deren  ,, diplomatische  Spannung" 
Europa  seit  40  Jahren  zerteilt  und  beunruhigt: 
A  bon  entendeur,  salut  .  . 


Pazifisten  der  antiken  Welt. 

Von  Iro  Ojserkis,  Wien. 
Es  mag  wohl  paradox  erscheinen,  in  der 
antiken  Welt,  in  welcher  Götzenkulte  mit  ihren 
grauenhaften  Menschenopfern,  Schaukämpfe 
mit  reißenden  Tieren,  die  Blutrache,  die 
Sklaverei  als  Institution,  großzügige  Kriegs- 
unternehmungen heimisch  waren,  in  jener  Ge- 
sellschaft, welche  Vergehen  gegen  die  be- 
stehende Ordnung  mit  Kreuzigung,  Steinigung 
und  anderer  körperlicher  Verstümmelung  ahn- 
dete, Spuren  einer  Friedenspropaganda  oder 
auch  nur  eines  vereinzelt  aufflackernden, 
ernsten  Sehnens  nach  dauernder  Eintracht  und 
Freundschaft  unter  Staaten  und  Nationen 
suchen  zu  wollen.  Und  doch  verlohnt  es  sich, 
auf  diese  Frage  näher  einzugehen,  zumal  wir 
auch  eine  sympathische  Kehrseite  des  Alter- 
tums kennen.  Diese  Periode  der  Menschheits- 
geschichte war  nämlich  reich  an  ideellen  Re- 
gungen des  Geistes  und  Herzens,  sie  brachte 
Männer  hervor,  welche  theoretisch  und  nach 
Möglichkeit  auch  praktisch  die  umfassendste 
Menschenliebe,  wahrhaft  demokratische  Frei- 
heit, weitherzige  soziale  Gerechtigkeit,  Vor- 
urteilslosigkeit im  Verkehre  von  Individuen 
und  Nationen  mutig  verfochten.  Wir  können 
in  der  Antike  Fälle  leicht  nachweisen,  wo  die 
Kriege  ihre  zureichende  Begründung  hatten, 
wo  echter  Patriotismus  dem  Bürger  das 
Schwert  in  die  Hand  zwang,  als  rohe  Gewalt 
von  außen  dessen  Haus-  und  Gemeinwesen 
überfiel  und  sich  darin  selbstherrlich  festzu- 
setzen suchte.  Man  denke  beispielsweise  an 
die  kleinen  semitischen  Völker,  die  gegen  die 
mächtigen,  eroberungssüchtigen  Assyrer  und 
Babylonier    sich    ihrer    Haut    fortwährend    er- 


wehren mußten  —  man  beachte,  wie  die  galli- 
schen Stämme  dem  genialen  Cäsar  verzweifel- 
ten Widerstand  leisteten,  als  er  sich  anschickte, 
auf  den  Trümmern  ihrer  Bauerngehöfte  und 
ihrer  respektablen  Kultur  die  römische  Herr- 
schaft zu  etablieren,  —  man  vergegenwärtige 
sich  schließlich,  was  aus  den  zahllosen  Stadt- 
staaten Griechenlands  geworden  wäre,  wenn 
sie  sich  nicht  aufgerafft  und  zusammenge- 
schlossen hätten,  um  die  persische  Invasion 
zurückzuschlagen,  die  der  hellenischen  Frei- 
heit, dem  hellenischen  Genius  den  Garaus  zu 
machen  drohte.  Und  noch  ein  wichtiger  Um- 
stand soll  nicht  übersehen  werden,  daß  nämlich 
die  antike  Kriegführung  im  Vergleich  mit  der 
modernen  —  wenn  auch  bloß  wegen  der 
ganz  primitiven  Waffentechnik  —  einfacher 
und,  fast  möchte  man  sagen,  humaner  war. 

1.  Nach  diesen  Vorbemerkungen  wollen 
wir  nun  der  Besprechung  der  einschlägigen 
antiken  Literatur  uns  zuwenden.  Da  tritt  uns 
zunächst  die  grandiose,  Ehrfurcht  einflößende 
Persönlichkeit  des  jüdischen  Propheten  Jesaias 
entgegen.  Dieser  gottbegeisterte  Seher  wird 
nicht  müde,  im  Hinblick  auf  die  eifrigen  Ex- 
pansionsbestrebungen der  assyrischen  Könige 
Tiglath-Pilesar  IL,  Salmanassar  IV.,  Sargon 
und  Sanherib,  die  insbesondere  gegen  Israel, 
Juda  und  Aegypten  gerichtet  waren,  sein  Ideal 
der  Universaltheokratie,  d.  h.  eines  Reiches, 
das  alle  Nationen  der  Erde,  regeneriert  und 
ausgesöhnt,  unter  Führung  von  Jahve  um- 
fassen sollte,  zu  propagieren.  Mit  überwälti- 
genden Worten  verkündet  er  im  Kapitel  2, 4-5 
diesen  politischen  Umschwung,  der  von  Jeru- 
salem ausgehen  soll:  „Und  er  (Jahve)  wird 
zwischen  den  Heiden  richten  und  vielen  Völ- 
kern Recht  sprechen,  und  sie  werden  ihre 
Schwerter  zu  Karsten  umschmieden  und  ihre 
Spieße  zu  Winzermessern.  Kein  Volk  wird 
mehr  gegen  das  andere  das  Schwert  erheben 
und  nicht  mehr  werden  sie  den  Krieg  er- 
lernen." Und  Kap.  57,19  sagt  Jesaias:  „Ich 
will  Frucht  den  Lippen  schaffen,  die  da  pre- 
digen: Friede,  Friede,  beides  denen  in  der 
Ferne  und  denen  in  der  Nähe  —  spricht  der 
Herr  und  will  sie  heilen."  Bevor  aber  diese 
selige  Zeit  erblüht,  meint  dieser  überzeugte 
Volksmann  und  mannhafte  Streiter  für  Recht 
und  Wahrheit,  müsse  ein  furchtbares  Straf- 
gericht über  die  Laster  der  Reichen  und  Mäch- 
tigen aller  Völker  gehalten  werden,  wodurch 
die  Herzen  geläutert  und  zur  Betätigung  von 
wahrem  Gottesglauben,  Gerechtigkeit  und 
Frieden  bekehrt  werden.  Sogar  wilde  Tiere 
werden  in  diesen  Weltfrieden  einbezogen,  denn 
nach  Jesaias  11, 5  würden  selbe  in  jener  Zeit 
der  allgemeinen  göttlichen  Erkenntnis  ihre 
Schädlichkeit  ablegen  und  sich  unter  den  Men- 
schen harmlos  herumtreiben.  Mag  man  in  dem 
Entwürfe  dieses  Zukunftsbildes  lediglich  einen 
poetisch-utopischen  Erguß  eines  Schwärmers 
erblicken,  so  bleibt  dennoch  die  Tatsache  be- 
stehen, daß  die  erhabene  Idee  der  Völkerver- 
söhnung   und    Abrüstung,     allerdings    in    reli- 


13 


DIE  FRIEDENS -^&DTE 


3 


giösem  Gewände  gefaßt,  schon  vor  über  2500 
Jahren  gedacht,  klar  ausgesprochen  und  der 
Nachwelt  im  Buche  der  Bücher  überliefert 
wurde.  Wenn  wir  uns  vollends  vor  Augen 
führen,  daß  im  Jahre  des  Heils  1912  die  öster- 
reichische Armeeverwaltung  an  der  Frontseite 
ihres  neuen  Heimes  das  nur  allzu  prosaische, 
aufreizende  Motto  „Si  vis  pacem,  para  bellum" 
anbringen  läßt,  so  werden  wir  des  grellen 
Kontrastes  erst  recht  gewahr  und  die  ange- 
führten Jesaiasstellen  in  kulturhistorischer 
Hinsicht  nach  Gebühr  zu  würdigen  veranlaßt. 
*  *  * 

2.  Im  Neuen  Testamente,  der  Haupt- 
quelle des  Christentums,  findet  sich  nicht 
die  geringste  Spur  von  einer  Stellungnahme 
gegen  die  Institution  des  Krieges.  Wohl  ist 
das  Verbot  „Du  sollst  nicht  töten"  daselbst 
mehrmals  hervorgekehrt,  doch  ist  ohne 
Zweifel  nur  der  Einzelmord  gemeint.  Zu  einer 
Verdammung  des  Massenmordes  vermochten 
sich  die  Verfasser  der  Evangelien,  so  sehr 
sie  von  der  Notwendigkeit  der  Eintracht,  der 
Nächstenliebe  und  des  gerechten  Lebens- 
wandels durchdrungen  waren,  nicht  empor- 
zuschwingen. Im  Gegenteil,  in  richtiger  Vor- 
aussicht kommender  Dinge  prophezeien  sie 
wiederholt  Kriege,  Völkerrevolutionen,  Greuel 
der  Verwüstung,  Hungersnot  und  Erdbeben 
(vgl.  Lukas  21,  9—15,  Markus  13,  7—26,  und 
mehrere  andere  Stellen).  In  Matthäus  10,34 
meint  Jesus,  er  sei  nicht  gekommen,  um 
Frieden  zu  bringen,  sondern  das  Schwert, 
und  Lukas  12,49,  er  sei  gekommen,  um  Feuer 
und  Spaltung  auf  die  Erde  zu  werfen.  Be- 
zeichnend ist  die  Stelle  des  Lukasevan- 
geliums 3, 14,  wo  Johannes  den  Kriegs- 
leuten auf  ihre  Frage,  wie  sie  denn  in  wür- 
diger Weise  Buße  tun  sollten,  erwidert,  sie 
mögen  niemanden  beunruhigen,  von  nie- 
mandem erpressen  und  sich  mit  ihrem  Solde 
begnügen.  Nach  dem  Zusammenhang  der 
Rede,  wo  der  Evangelist  die  Massen,  die  zur 
Entgegennahme  der  Taufe  herbeiströmten, 
wegen  ihrer  Sünden  eine  Otternbrut  schilt 
und  ihnen  als  „würdige  'Frucht  der  Buße" 
Altruismus  predigt  („wer  zwei  Röcke  hat, 
teile  mit  dem,  der  keinen  hat,  und  ebenso 
tue  der,  der  Speisen  hat",  Luk.  3, 7  f.) 
hätten  wir  etwa  folgenden  energischen  Pro- 
test erwartet :  „Lasset  von  Eurem  schänd- 
lichen Mordhandwerk,  denn  Ihr  könnet  nicht 
selig  werden,  solange  Ihr  Waffen  gegen  Euere 
Mitmenschen  führt."  In  der  Epistel  an  die 
Hebräer,  Kap.  11,  werden  im  Namen  des 
Glaubens  vollbrachte  Kriegstaten  aus  dem 
Alten  Testament  angeführt.  Auch  sonst  ge- 
fällt sich  das  Neue  Testament  in  kriegerischen 
Bildern,  z.  B.  in  seiner  zweiten  Epistel, 
Kap.  2,  3 — 6,  ermahnt  Paulus  den  Timotheus, 
für  die  Lehre  Christi  wacker  zu  streiten, 
denn  „wer  in  Kriegsdienst  geht,  der  ver- 
flicht sich  nicht  in  Geschäfte  der  Nahrung, 
damit  er  dem,  der  ihn  zum  Dienst  geworben 
hat,  gefalle",  und  „auch  einer,  der  den  Ring- 


kampf mitmacht,  wird  nicht  bekränzt,  er 
kämpfe  denn  ordnungsmäßig",  vgl.  dazu 
Luk.  14,31 — 34,  Paul,  an  die  Epheser  6, 
11 — 17.  In  den  Evangelien  wird  zwar  der 
Friede  häufig  erwähnt,  so  in  der  orientalischen 
Grußformel  „Friede  dem  Hausei",  „der  Gott 
des  Friedens  sei  mit  Euch!",  „Gnade  Euch 
und  Friede  von  Gott"  —  wir  lesen  Paulus  an 
die  Kolosser  3,  15,  „der  Friede  Christi  führe 
das  Wort  in  Euerem  Hause",  Petrus  Ep.  I, 
5, 14,  „Friede  Euch  allen,  die  in  Christus 
sind"  —  wir  hören  Paulus  Ep.  an  die  Phi- 
lipper 4, 7  von  einem  Frieden  Gottes,  der 
höher  sei  als  alle  Vernunft,  und  Paulus  an  die 
Epheser  2,  14  von  einer  Identifizierung  Christi 
mit  dem  Frieden  („er  ist  unser  Friede")  — 
der  Friede  wird  mit  unter  die  zu  erstrebenden 
Früchte  des  Geistes  gezählt  (Paul,  an  die 
Galater  5, 19  f.),  jedoch  bezieht  sich  immer 
die  Friedfertigkeit  lediglich  auf  diejenigen, 
„die  den  Herrn  anrufen  von  reinem  Herzen" 
(2.  Timotheus  2, 22),  also  auf  Gesinnungs- 
genossen, auf  Mitglieder  der  christlichen 
Glaubensgemeinde.  Allgemeiner  äußert  sieh 
Paulus  an  die  Römer  12,  17 — 20,  „Wo  mög- 
lich, so  viel  an  Euch  ist,  Frieden  halten 
mit  allen  Menschen,  nicht  Euch  selbst  Recht 
schaffen,  Geliebte",  auch  Ep.  an  die  He- 
bräer 12,14  heißt  es:  „Jaget  nach  der« 
Frieden  gegen  jedermann."  Gemeint  ist 
natürlich  hier  wie  überall  im  Neuen  Testa- 
mente   der   Friede   im    privaten   Leben. 

Diese  Haltung  der  ersten  Verkünder  des 
Christentums  ist   eine  natürliche  Konsequenz 
ihrer  Anschauungen  über  Zweck   und  Inhalt 
des  menschlichen  Lebens  im  allgemeinen  und 
über  die  individuelle  Freiheit  im  besonderen. 
Ihr    Gedankengang   ist    im    wesentlichen   fol- 
gender:   Eitel    und   nutzlos    ist   das   gewöhn- 
liche  Streben    der    Menschen    nach   irdischen 
Gütern,    all    ihr    Sinnen    und    Trachten    soll 
vielmehr  auf  die  Erlangung  „eines  Schatzes, 
der  nicht  eingeht",  der  Seligkeit  im  Himmel 
konzentriert     sein,    die     Sorge    um    die    tät- 
lichen   Lebensbedürfnisse   kann   ganz    getrost 
Gott  überlassen  werden,  die  Lust  des  Fleisches 
und   der   Augen   wie   auch   das    Großtun    des 
Geldes  —  wie  Johannes  Ep.  I,  2,  16  sagt  — 
müssen   gemieden  werden,   den   Lehrern,   den 
Besitzenden,    den   Herren,    insbesondere   aber 
jeder    Obrigkeit    als    Vertreterin    Gottes    auf 
Erden,    die    überall    dazu    eingesetzt    ist,    um 
die  Bösen  zu  schrecken  und  zu  strafen,   hin- 
gegen    die     Guten     zu     loben,    gebührt    be- 
dingungslose    Unterwürfigkeit      und     blinder 
Gehorsam,    um    des    Zorngerichtes,    des    Ge- 
wissens  und   des   Herrn   willen"    (vgl.   Paulus 
Ep.  an  die  Römer   13,  7,  „Gebet  jedem,   was 
er   zu   fordern   hat,    Steuer  dem   Steuer,    Zoll 
dem    Zoll,    Furcht    dem    Furcht,    Ehre    dem 
Ehre     gebührt",     ebenso     Petrus    Ep.    I,    2, 
13 — 15).     Da  jede  Opposition  als  Auflehnung 
gegen  die  göttliche  Ordnung  angesehen  wird, 
so  dürfen  wir  mit  Recht  schließen,  daß  eine 
schwere     Sünde     begeht,    wer    beispielsweise 


14 


<s= 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


sogar  aus  edlen  Motiven,  wie  Menschenliebe 
oder  Schonung  fremden  Gutes,  sich  weigert, 
auf  seines  Fürsten  Befehl  in  den  Krieg  zu 
ziehen.  Es  ist  klar,  daß  das  unermüdliche 
Hoffen  auf  eine  bequeme,  gemeinsame  Selig- 
keit im  Jenseits,  wie  auch  der  sklavische 
Autoritätsglaube,  da  sie  einmal  als  Grund- 
sätze im  privaten  und  öffentlichen  Leben 
gelehrt  und  betätigt  wurden,  den  Gesichts- 
kreis so  beengten  und  für  das  Aufkommen 
der  Idee  eines  Weltfriedens,  der  Idee  einer 
wirklichen  Verbrüderung  aller  Menschen  ohne 
die  Schranken  der  Geburt,  der  Konfession, 
des  Landes  und  der  Rasse  keinen  Raum 
ließen.  Angesichts  dessen  mußte  auch  die 
von  den  Evangelisten  häufig  gepredigte  Nach- 
sicht mit  menschlichen  Schwächen,  Barm- 
herzigkeit, Gerechtigkeit,  vornehmlich  aber 
die  in  allen  Tonarten  gepriesene  Nächsten- 
liebe (vgl.  z.  B.  die  erste  Epistel  des  Jo- 
hannes, besonders  den  ehrungsvollen  Hym- 
nus auf  die  Liebe, Paulus  Ep.  I  an  die  Ko- 
rinther, Kap.  13,1 — 11)  verblassen  und  zu 
einer  bloß  auf  die  Glaubensgenossenschaft 
beschränkten  Anhänglichkeit  und  Solidari- 
tät   erstarren. 

Daß  auch  heute  die  Offiziösen  der 
Christenheit,  namentlich  der  katholischen 
Kirche,  an  der  alten  Anschauung  über  die 
Friedensfrage  festhalten,  weiß  jedermann. 
Wer  etwa  im  Zweifel  sein  sollte,  den  möchte 
ich  auf  eine  charakteristische  Aeußerung  des 
Fürsten  Zdenko  Lobkowitz,  des  Präsidenten 
der  katholischen  Union  für  Oesterreich,  in 
der  Nummer  420  der  streng  katholischen 
,, Reichspost"  am  11.  September  v.  J.  er- 
schienen, aufmerksam  machen.  Seiner  Mei- 
nung nach  wird  der  Völkerfriede  nach  mensch- 
lichen, materiellen  Gesichtspunkten  allein 
und  ohne  Stütze  der  göttlichen  Autorität 
nicht  begründet  werden  können;  nur  die  ka- 
tholische Kirche,  die  frei  sei  von  Einflüssen 
einer  materiellen  Macht  wie  von  Opportuni- 
tätsrücksichten  und  Sonderinteressen,  habe 
die  Kraft  und  den  Beruf,  die  Individuen  und 
Nationen  aus  der  Wildnis  und  dem  Elend 
unserer  sozialen  und  politischen  Verhältnisse 
zur  geistigen  Wiedergeburt  und  zur  Ver- 
brüderung im  Sinne  eines  gemeinsamen 
Strebens  und  Vervollkommnung  zu  führen. 
Offenbar  will  uns  der  hochmögende  Herr 
glauben  machen,  daß  die  Aktionäre  der  ka- 
tholischen Banco  di  Roma,  darunter  Kirchen- 
fürsten, keine  materiellen  Interessen  ver- 
folgten, als  sie  den  berüchtigten  italienischen 
Spaziergang  nach  Lybien  mit  inszenierten. 
Nach  derselben  Logik  hätte  die  „Reichspost" 
samt  ihren  Hintermännern  ausschließlich  das 
Seelenheil  der  katholischen  Albaner  im  Auge, 
da  sie  seit  Wochen  deren  vielfache  Leiden 
registriert  und  Oesterreich  mit  einem  ganzen 
Arsenal  von  schwachbeinigen  Argumenten 
(vgl.  die  poetische  Regung  vom  20.  Nov.  v.J., 
,,vor  unserer  Südostgrenze  rast  die  serbische 
Bora    durch    die    Schluchten,    tollt    über    die 


karstigen  Gebirge  und  wühlt  die  albanische 
Adria  in  ihren  Tiefen  auf")  zu  einer  Inter- 
vention mit  den  Waffen  zu  überreden  sucht. 


3.  Ist  die  Untersuchung  im  Neuen  Testa- 
mente negativ  ausgefallen,  so  dürfen  wir  mit 
um  so  größerer  Zuversicht  an  den  Buddhis- 
mus  herantreten.     Diese    im    6.   Jahrhundert 
vor    Christi    entstandene    schwermütige    Re- 
ligion mit  ihrer  Abneigung  gegen  alles  Ueber- 
natürliche      und     Außerweltliche,     wie     auch 
gegen    Gebete    und    Opfer,    mit    ihrer    Aus- 
schaltung jeder  Autorität,  mit  ihrer  größten 
Toleranz    und   edlen,    durchgebildeten    Moral 
bekundete  eine  hohe,  geradezu  rührende  Re- 
spektierung des  Lebens  in  jedem  Wesen.  So 
meint  der  erhabene  Religionsstifter  Buddha, 
wer   ein   Tieropfer   bringen   wolle,   der   greife 
nach   drei   unheilbringenden   Schwertern,   und 
zwar  nach  den  auf  die  Tiertötung  abzielenden 
Gedanken,    Worten    und    Handlungen,    durch 
welche  er  sich  selbst  zugrunde  richte.   Wollte 
jemand      in      die      buddhistische      Religions- 
gemeinde   aufgenommen    werden,    so    mußte 
er    sich    verpflichten,    das    erste    Gebot    ein- 
zuhalten,   das    da    lautete:    „Man    soll    kein 
lebendes  Wesen  töten  noch  töten  lassen,  noch 
die    Tötung    durch    andere    billigen,    sondern 
man    soll    sich    enthalten,    allen    Geschöpfen 
ein    Leid    anzutun,    sowohl    denen,    die    stark 
sind,    als    auch   jenen,    die   sich    in    der    Welt 
ängstigen"      (Dhammika      Sutta     19).       Mit 
dieser    Vorschrift    hängt    auch    die    Sitte    des 
sogenannten  Regenzeithaltens  (alljährlich  von 
Juni  bis  Oktober)  zusammen,  während  welcher 
Buddha  und  seine  Jünger  in  Hallen,  Hütten 
und  Hainen  Aufenthalt  nahmen  und  daselbst 
den  Volksmassen  predigten,  da  sie  bei  einer 
Fortsetzung    ihrer    Wanderschaft    die    Keime 
von    Pflanzen    und    Insekten    auf    dem    auf- 
geweichten Boden  vertreten  und  dadurch  eine 
schwere  Sünde  auf  sich  laden  hätten  müssen. 
Ueberhaupt   durfte   kein   Blut,    ausgenommen 
das    eigene,    vergossen    werden,    deshalb    ver- 
pönten    die    Buddhisten    die    Hinrichtungen, 
die  Jagd  und  den  Krieg.    Interessant  ist,  daß 
König  Asoka  Priyadärsin   (im  3.  Jahrhundert 
vor  Christi),  der  den  Buddhismus  zur  Staats- 
religion    erhob     und    für    die    Fixierung    der 
reinen  Lehre  in  eigens  hergestellten  buddhi- 
stischen   Schriften    wie    für    die    Ausbreitung 
dieses    Glaubens    weit   über    Indiens   Grenze« 
hinaus    außerordentliches    leistete,    auf    einer 
Inschrift    die    Grausamkeiten    tief    bedauert, 
welche     er     früher    bei     der   Eroberung    des 
Landes    Kaiinga    begangen    hatte.     In    einem 
Edikte    erzählt    von    sich    derselbe    Monarch, 
er  habe  an  vier  griechische  Könige  Gesandte 
geschickt  und  nicht  durch  das  Schwert,  son- 
dern durch  die  Religion  einen  Sieg  errunge». 
Ebenso    vernehmen    wir,    daß    diese    „Wonne 
der   Götter"   —   wie  Asoka  genannt   wird   — 
in    Nachbarländern    Krankenhäuser    für 
Menschen  und  Tiere  errichten,  Arzneikräuter 


DIE  FRIEDENS  -WARTE 


■3 


und  fruchttragende  Bäume  pflanzen  und 
Brunnen  an  den  Straßen  graben  ließ.  Von 
den  Lehrsprüchen  (Dhammapada)  Buddhas 
verdient  der  201.  hervorgehoben  zu  werden: 
„Haß  ist  des  Sieges  Kind,  weil  Besiegte  fühlen 
Des  Unglücks  schmerzlichen  Druck. 
Wer  weder  Sieger  sein  noch  Besiegter  will,  dem 
Wird  Glück  und  Ruhe  zuteil." 

Die  ganze  Religion  ist  von  einem  Geiste 
der  Sanftmut,  der  gegenseitigen  Wertschätzung, 
der  opferwilligen  Entsagung  und  beschaulichen 
Weisheit  durchdrungen;  im  Mittelpunkte  steht 
die  uneingeschränkt  und  fortwährend  zu  be- 
tätigende Nächstenliebe  (-Metta).  Durch  Ver- 
brüderung aller  Menschen  soll  nach  Buddhas 
Ideal  ein  Reich  der  Gerechtigkeit  und  des 
Lichtes  geschaffen,  ein  Zustand  der  absoluten 
Leidlosigkeit  (Nirvana)  und  Vollkommenheit 
auf  Erden  herbeigeführt  werden.  Kein  Wun- 
der, daß  der  Buddhismus,  der  als  einzige  von 
allen  großen  Religionen  ohne  Anwendung  von 
Gewalt  umählige  Bekenner  gewann,  die  natio- 
nalen Schranken  durchbrochen,  die  grausamen 
und  rohen  Völker  Zentral-  und  Ostasiens  zur 
Mäßigkeit  und  Selbstbeherrschung  erzogen 
und  in  ihnen  die  Abneigung  gegen  andere 
Rassen  beinahe  ausgelöscht  hat.  — 


4.  Von  den  griechischen  Philosophen- 
schulen kommt  für  unsere  Zwecke  die 
kynische  und  stoische  in  Betracht.  Die  griechi- 
sche Denkweise  konnte  sich  bei  der  herakli- 
tischen  Lehre  vom  Kriege  als  dem  Vater  und 
König  aller  Dinge  (frg.  53)  auf  die  Dauer 
nicht  beruhigen,  sie  erreichte  vielmehr  später 
in  der  Ethik  eine  Höhe,  die  sogar  uns  Mo- 
dernen ob  ihrer  Erhabenheit  imponieren 
muß.  Die  ersten  K  y  n  i  k  e  r  des  5.  und  4.  Jahr- 
hunderts v.  Chr.,  jene  volkstümlichen  Prediger 
der  Bedürfnislosigkeit  und  Selbstgenügsam- 
keit, drangen  allerdings  zu  einer  Friedens- 
propaganda noch  nicht  vor;  schätzten  sie  doch 
trotz  der  Mißachtung  von  herkömmlicher 
Kultur  und  Sitte  die  Jagd,  die  Palästra  und 
den  Krieg  als  Mittel  zur  Abhärtung  der  Seele 
und  des  Körpers  (Diogenes  Laertius  VI,  30 
und  31).  Allein  einen  anziehenden  Punkt 
in  ihrem  Denken  bildet  der  Kosmopolitismus. 
Antisthenes,  das  Haupt  der  kynischen  Schule, 
empfand  die  Ungerechtigkeiten  im  Leben  der 
Nationen,  den  Gegensatz  der  Unfreien  zu  den 
Freien  und  der  Eingeborenen  zu  den  Fremden 
—  und  Diogenes  von  Sinope  hat  als  erster  in 
der  Weltgeschichte  den  Ausspruch  getan,  er 
sei  Weltbürger.  Ueberhaupt  müßten  die  Ky- 
niker,  da  sie  absolute  Illusionslosigkeit  als 
letzten  Zweck  des  Daseins  erklärten,  die  ein- 
seitige Verehrung  eines  Menschen  in  der  Liebe 
nicht  minder  wie  die  einseitige  Wertschätzung 
eines  bestimmten  Volkes  oder  Landes  im 
Patriotismus  nur  als  Wahn  und  Einbildung, 
TScpo;   ansehen   und   bekämpfen. 

Präziser  äußerten  sich  über  den  Kosmo- 
politismus    die    Stoiker,     die     das    Reifste 


und  Höchste,  was  das  sittliche  Leben  des 
Altertums  hervorgebracht  hat,  in  ihrer  Ethik 
lehrten.  Nach  stoischer  Anschauung  gehören 
alle  Menschen  als  gleiche  Vernunftwesen,  zu- 
mal es  in  Wirklichkeit  nur  e  i  n  Recht  gibt, 
einer  umfassenden  Rechts-  und  Lebens- 
gemeinschaft in  einem  Weltstaate  an,  wel- 
cher keine  Schranken  der  Nationalität  oder 
des  historischen  Staates  kennt.  Der  Wert- 
unterschied von  Hellenen  und  Barbaren,  die 
Privilegien  der  Geburt  und  des  Standes  sind 
überwunden  und  lediglich  die  Vernunft  gilt 
als  Gradmesser  des  Unterschiedes  unter  den 
Menschen.  Aus  der  Idee  des  Vernunftreiches 
ergibt  sich  den  Stoikern  das  Postulat  der  um- 
fassenden Gerechtigkeit  und  allgemeinen  Men- 
schenliebe, in  die  auch  die  Sklaven  einbe- 
zogen werden  sollten.  Eine  direkte  Stellung- 
nahme gegen  den  Krieg  als  solchen  würden  wir 
bei  den  drei  Säulen  der  Stoa  Zenon,  Kleanthes 
und  Chrysippos  vergebens  suchen.  Immerhin 
aber  ist  ein  Ausspruch  Senecas,  des  edel- 
gesinnten Stoikers  und  Erziehers  des  Kaisers 
Nero,  beachtenswert,  wonach  ein  nie  gestörter 
Friede  ohne  Zweifel  mehr  glückbringend  sei 
als  ein  durch  vieles  Blutvergießen  wieder  her- 
gestellter (Epist.  IV,  66,  40).  Im  fortge- 
schrittenen Kosmopolitismus  des  letzteren  tritt 
die  Menschenliebe  und  das  Mitleid  stärker 
hervor   als   bei   den  •Altstoikern. 

Eine  genauere  Betrachtung  verdient  der 
wandernde  Sittenprediger  und  Sophist  des 
ersten  nachchristlichen  Jahrhunderts,  Dio 
von  Prusa,  genannt  Chrysostomos,  der  in 
seiner  Moral  an  die  altkynische  und  stoische 
Lehre  anknüpfte.  Seine  Reden,  und  zwar  38., 
39.,  40.,  41.,  48.,  sind  eigentlich  salbungs- 
volle Friedenspredigten.  Der  Verfasser  hat 
sich  da  zur  Pflicht  gemacht,  mit  würdevollem 
Ernst  für  Eintracht  und  Frieden  einzutreten, 
so  oft  es  sich  um  die  Regelung  der  Grenz- 
und  Rangstreitigkeiten  benachbarter  Städte 
oder  um  Ausgleichung  sozialer  Gegensätze  im 
Innern  einer  Gemeinde  handelte.  So  verherr- 
licht er  in  oratio  38, 11  die  Eintracht,  fy^voia, 
da  sie  einen  göttlichen  Ursprung  habe  und 
die  Freundschaft,  Versöhnung  und  Verwandt- 
schaft umfasse,  in  oratio  39  feiert  er  die  Ein- 
tracht als  höchstes  Gut.  Jeder  Friede,  heißt 
es  or.  40, 26,  ist  besser  als  ein  Krieg  und 
jede  Freundschaft  wenigstens  in  den  Augen 
der  Vernünftigen  weit  wertvoller  und  nützlicher 
als  die  Feindschaft  sowohl  für  ein  einzelnes 
Haus  als  auch  für  eine  ganze  Stadt.  Es  gibt 
nichts  Schöneres  und  Göttlicheres  über  die 
Freundschaft  und  Eintracht  im  gegenseitigen 
Verhältnisse  von  Männern  und  Städten  (oratio 
41,13).  Die  Brüderlichkeit,  dSeXcpd-njc,  gilt  ihm 
als  höchste  Wonne  (or.  38, 16).  Er  bedauert 
aufrichtig,  daß  nicht  alle  Menschen  für  die 
Eintracht  Sinn  haben,  sondern  daß  manche  die 
Zwietracht  vorziehen,  deren  Bestandteile  und 
Förderungsmittel  Kriege  und  Kämpfe  sind, 
welche  unter  Staaten  und  Völkern  wie  die 
Krankheiten  im  Körper  wüten. 


©: 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


Sehr  treffend  räsoniert  Dio  über  den 
Krieg,  or.  38, 16 — 21 :  Manche  haben  den 
Krieg  dem  Frieden  vorgezogen,  nicht  weil  sie 
ihn  für  das  Bessere,  Angenehmere  oder  Ge- 
rechtere hielten,  sondern  die  einen  wollten 
einen  Königsthron,  die  anderen  die  Freiheit, 
wieder  andere  Länderbesitz  oder  die  Seeherr- 
schaft erringen.  Doch  wenn  man  ohne  ge- 
nügenden Grund  zu  den  Waffen  greife,  was 
sei  dies  anderes  als  heller  Wahnsinn  und  ein 
Rennen  ins  Verderben  ?  Bei  natürlichen  Uebeln 
wie  Seuche  oder  Erdbeben  murren  die  Men- 
schen wider  die  Götter,  halten  dieselben  für 
ungerecht  und  menschenfeindlich,  selbst  wenn 
diese  Strafen  durch  ihre  Sünden  vollkommen 
gerechtfertigt  erscheinen.  DenKriegaber, 
der  nicht  weniger  Unheil  anrichtet 
als  ein  Erdbeben,  wählen  wir  selbst 
und  machen  dessen  Urhebern 
keinen  Vorwurf,  wir  halten  sie  so- 
gar für  Volksfreunde,  hören  recht 
gerneihrenRedenzu,befolgenihre 
Ratschläge  und  üben  für  das  von 
jenen  angerichtete  Uebel  keinerlei 
Vergeltung  —  wir  müßten  sonst  folge- 
richtig mit  einem  Kriege  gegen  sie,  die  Urheber, 
uns  revanchieren  — ,  vielmehr  zollen  wir 
ihnen  noch  Dank,  Ehre  und  Lob, 
so  daß  sie  arge  Toren  wären,  wenn  sie  die- 
jenigen schonten,  die  ihnen  für  das  Böse  noch 
erkenntlich  sind. 

Um  seiner  Friedenspropaganda  wirk- 
sameren Nachdruck  zu  verleihen,  zieht  Dio 
Chrysostomos  Analogien  aus  der  elementaren 
und  animalischen  Welt  heran  (or.  40,  35  f.  und 
or.  48,14—16):  Himmel,  Sterne  und  die  Ele- 
mente überhaupt  kennen  kerne  Zwietracht,  sie 
werden  durch  Gesetzmäßigkeit,  gegenseitige 
Liebe  und  Eintracht  zusammengehalten.  Die 
Vögel  bauen  ihre  Nester  nahe  beieinander, 
ohne  über  das  Futter  in  Streit  zu  geraten;  die 
Ameisen  aus  benachbarten  Haufen,  die  sich 
aus  derselben  Tenne  Körner  holen,  gehen  sich 
höflich  aus  dem  Wege,  ja  sie  helfen  einander 
oft  bei  ihrer  Arbeit;  mehrere  Bienenschwärme 
sammeln  auf  derselben  Wiese  Honig  und  ge- 
raten trotzdem  in  keinen  Streit  untereinander; 
Rinder  und  Rosse,  Schafe  und  Ziegen  ver- 
mischen sich  friedlich  auf  der  Weide,  so  daß 
aus  zwei  Herden  anscheinend  eine  wird.  Nur 
der  dumme  und  verdorbene  Mensch  ist  der 
einzige  Friedenstörer,  er  scheint  in  bezug  auf 
Verträglichkeit  und  Zusammenhalten  schlechter 
als  die  Tiere  zu  sein.  Mit  Bitterkeit  meint  er 
or.  38,17  an  die  Nikodemier:  „Wir  Men- 
schen hassen  die  wilden  Tiere  hauptsächlich 
deswegen,  weil  wir  uns  mit  ihnen  in  einem 
nie  beizulegenden  Kriege  befinden,  aber  viele 
verfahren  gegen  die  Menschen 
genau  so  wie  gegen  wilde  Tiere  und 
haben  ihre  Freude  an  dem  Kampfe 
gegen   stammverwandte  Wesen." 

Bei  drei  Persönlichkeiten  verschiedener 
Rassen  und  Kulturen  des  Altertums  —  Jesaias, 
Buddha,   Dio   Chrysostomos   —  haben   wir   in 


unseren  Ausführungen  eine  schwärmerische 
Begeisterung  für  dauernden  politischen  Frieden 
und  eine  starke  Opposition  gegen  den  Krieg 
vorgefunden.  Wiewohl  jene  Männer  von  kon- 
kreten Vorschlägen  zur  Sicherung  des  Welt- 
friedens, von  der  Idee  der  allgemeinen  Ab- 
rüstung und  des  internationalen  Schiedsgerichts 
noch  weit  entfernt  waren,  können  wir  ihnen 
dennoch  unsere  vollste  Anerkennung  und  Be- 
wunderung nicht  versagen.  Die  Tatsache,  daß 
die  Pazifisten  schon  im  grauen  Altertum  be- 
achtenswerte Ansätze  zu  ihren  Bestrebungen 
nachweisen  können,  muß  ihnen  die  Friedens- 
idee in  einem  viel  höheren  Glänze  strahlen 
lassen  und  zugleich  lichte  Ausblicke  in  die 
Zukunft  eröffnen,  die  trotz  des  allgemeinen 
Rüstungsfiebers  und  des  greuelvollen  Balkan- 
krieges ihnen  gehört.   — 


U  RANDGLOSSEN  U 
ZUR  ZEITGESCHICHTE 

Von  Bertha  v.  Suttner. 

AnBorddesSt.  Paul,  15.  Dez.  1912. 

Dies  ist  der  letzte  Bericht  meiner  Amerika- 
fahrt. Gestern  haben  wir  uns  in  New  York 
eingeschifft,  und  nun  geht  es  wieder  dem 
heimatlichen  Kontinente  zu,  der  eben  von 
alein  möglichen  Kriegserschütterungen  heim- 
gesucht ist.  Zwar  lauteten  die  letzten  Nach- 
richten etwas  beruhigend;  aber  wie  werde  ich 
die  Zustände  drüben  finden?  Jetzt  werde  ich 
ein  paar  Tage  zwischen  Wasser  und  Himmel 
dahinschaukeln,  ohne  Kunde  von  den  das  Fest- 
land bewegenden  politischen  Ereignissen,  und 
diese  Ruhefrist  will  ich  benutzen,  um  die  Er- 
lebnisse und  Eindrücke  zu  schildern,  die  sich 
seit  meinem  vorigen  Bericht  aus  Amerika  dem 
Gedächtnisse   eingeprägt   haben. 

Ich  war  geblieben  bei  dem  großen  Frauen- 
stimmrechts-Konvent  in  Philadelphia,  an  dem 
die  Bevölkerung  so  lebhaften  Anteil  nahm, 
daß  der  Opernsaal  zu  klein  war,  das  Publi- 
kum zu  fassen,  so  daß  auf  offener  Straße 
vor  verschiedenen  Gruppen  Vorträge  gehalten 
wurden.  Am  25.  November  abends  Schluß- 
versammlung im  ausverkauften  Opernhaus. 
Rednerinnen:  Frau  Catt  (über  Mädchenhandel 
—  „white  slavery"),  Jane  Adams  und  ich.  — 
Am  folgenden  Tage  gab  mir  der  „Political 
Club"  ein  Diner  mit  darauffolgendem  Vortrag 
im  großen  Drexelsaal.  Oskar  Strauß,  der  ehe- 
malige Botschafter  in  Konstantinopel,  präsi- 
diert und  spricht  über  den  Balkankrieg.  Dieser 
ist  auch  mein  Thema,  denn  seit  dieser  Krieg 
ausgebrochen  ist,  spreche  ich  nicht  mehr  in 
abstraktem  Sinne  von  der  Friedenssache,  son- 
dern Von  der  aktuellen  Lage.  Ich  trete  der 
Auffassung  entgegen,  die  sich  eines  großen 
Teiles  des  amerikanischen  Publikums  bemäch- 
tigt hat,  daß  .dieser  Krieg  zur  Befreiung  der 


17 


DIE  FßlEDENS-WADTE 


ii        i 


Christen  im  Balkan  notwendig  war  und  durch 
die  Verdrängung  der  Türken  aus  Europa  viel- 
leicht günstige  Folgen  nach  sich  ziehen  wird. 
Kein  Krieg  ist  notwendig  heutzutage,  be- 
haupte ich,  und  keiner  kann  günstige  Folgen 
bringen.  Die  Verquickung  der  Schlächtereien 
mit  religiösen  Fragen  ist  Anachronismus, 
Heuchelei    und    Blasphemie. 

Von  Philadelphia  fuhren  wir  wieder  nach 
Winchester  bei  Bioston,  in  das  herrliche  Heim 
E.  Ginns,  wo  der  „Thanksgiving  day"  ge- 
feiert wurde.  Es  ist  dies  einer  der  größten 
Feiertage  der  Vereinigten  Staaten  —  die  Er- 
innerung an  eine  große  rettende  Ernte.  Da 
wird  überall  in  den  Familien  gefestet  und  ein 
Truthahn  verzehrt.  In  Boston  hatte  ich  noch 
drei  Vorträge  zu  absolvieren:  im  Centuryclub, 
in  Dr.  Everett  Hale's  Kirche  und  in  Fordhall, 
vor   einem  Arbeiterpublikum. 

Nun  ging  es  nach  Buffalo.  Wieder  eine 
riesengroße,  reiche  Stadt,  mit  Prachtanlagen 
und  -bauten  und  über  einer  halben  Million  Ein- 
wohner. Die  Metropolen  wimmeln  nur  so  in 
den  Vereinigten  Staaten;  die  meisten  sind 
jüngsten  Ursprungs  und  wachsen,  wachsen  . . . 
Was  wird  das  erst  in  den  nächsten  50  Jahren 
werden?  In  Buffalo  sprach  ich  in  dem 
schönsten  Frauenklub,  den  ich  noch  je  ge- 
sehen —  ein   Palais. 

Auch  in  Pittsburg  hielt  ich  mich  auf.  Das 
ist  die  Stahl-  und  Eisenstadt,  die  rechte  Krösus- 
stadt. Hier  hat  Carnegie  sein  Vermögen  er- 
worben und  hier  steht  auch  die  Carnegie-Hall, 
ein  Volksheim  in  großem  Stil.  Ich  war  Gast 
im  Hause  eines  andern  Industriekönigs,  namens 
Kennedy.  Zur  Charakteristik  des  amerikani- 
schen Mädchenerziehungs-Systems  möchte  ich 
erwähnen,  daß  die  jungen  Töchter  Kennedys 
nicht  etwa  auf  „moderne"  Vergnügungen  oder 
Phantasie-Handarbeiten  ihre  Interessen  be- 
schränkten, sondern  daß  sie  das  Gefängnis- 
wesen studierten,  unter  Leitung  die  Gefäng- 
nisse besuchten,  um  an  der  Reform  des  Straf- 
wesens mitzuarbeiten.  Irgend  etwas  zur  Hebung 
der  menschlichen  Gesellschaft  zu  leisten: 
das  ist  in  der  amerikanischen  Welt  sozusagen 
Anstandspf licht  bei  vornehm  und  gering,  jung 
und  alt,  Mann  und  Frau. 

In  Baltimore  waren  wir  im  Hause  der  Ge- 
schwister Marburg  aufgenommen.  Auch  ein 
mit  den  reichsten  Kunstschätzen  gefüllter  Palast. 
Leider  war  einer  der  Brüder  Marburg,  der 
ein  hervorragender  Pazifist  ist,  da  er  ja  die 
Gesellschaft  für  „Judicial  settlement  of  inter- 
national disputes"  gründete  und  leitet,  von 
B|altimore  abwesend,  weil  er  vor  wenigen 
Tagen  nach  Brüssel  abreisen  mußte,  um  dort 
seinen  Posten  als  neuernannter  Gesandter  der 
Vereinigten  Staaten  anzutreten.  Wenn  solche 
Diplomaten  Schule  machen  .  - 

In  Washington  habe  ich  einen  schönen, 
bedeutenden  Tag  erlebt.  Dr.  James  Brown 
Scott,  den  ich  vom  Haag  her  kenne,  wo  er 
einer    der    hervorragendsten     amerikanischen 


18 


Delegierten  an  der  zweiten  Konferenz  war. 
früherer  Solicitor  des  Staatendepartements  und 
jetzt  oberster  Leiter  der  Carnegiestiftung,  hat 
mir  die  Honneurs  dieses  Tages  gemacht. 
Einen  tätigeren,  überzeugteren  Friedensarbeiter 
als  diesen  prächtigen  Menschen  gibt  es  nicht. 
Was  desto  wertvoller  ist,  als  er  seine  Karriere 
im  andern  Lager  begonnen  hat.  Er  kennt 
den  patriotisch  -  martialischen  Begeisterungs- 
„frisson"  und  hat  als  Freiwilliger  den  spa- 
nisch-amerikanischen Krieg  mitgemacht.  Der 
Krieg  selber  mit  seinen  Greueln  und  das 
Studium  des  Völkerrechts  und  der  Friedens- 
bewegung hat  ihn  bekehrt,  und  seine  warm/ 
Blegeisterungsfähigkeit  betätigt  sich  jetzt  irr, 
Dienste  der  internationalen  Justiz.  Sehr  Inter- 
essantes hat  er  mir  von  einer  vor  kurzem  nach 
Rom  unternommenen  Reise  erzählt,  wo  er  mit 
dem  Papst  und  dem  Kardinal  Mery  del  Val 
Fühlung  nahm  wegen  einer  gegen  den  Krieg 
gerichteten  Enzyklika. 

Bei  einer  Automobilrundfahrt  durch  die 
Stiadt  unter  sonnigem  Himmel,  habe  ich  wieder 
den  Eindruck  gewonnen,  daß  Washington  mit 
'seinen  weitgestreckten  Plätzen,  mit  seinem 
Kapitol,  seinem  Obelisk,  seinem  Bibliotheks- 
gebäude den  Charakter  der  Großartigkeit,  der 
Erhabenheit  an  sich  trägt;  —  diesmal  kam 
auch  noch  der  neuerbaute  Palast  der  „Pan- 
american  Union"  hinzu,  der  mit  seinen  herr- 
lichen Sälen,  seinen  Symbolen  und  Inschriften 
an  sich  einen  Tempel  des  Begriffes  Pax  dar- 
stellt. 

Abends  wurde  mir  ein  Bankett  gegeben, 
bei  dem  Mr.  Scott  präsidierte.  Hundertfünfzig 
geladene  Gäste,  darunter  viele  Vertreter  des 
diplomatischen  Korps,  wohnten  dem  prunk- 
vollen Feste  bei.  Ich  fühle  mich  bei  der- 
gleichen immer  etwas  beschämt  und  muß  mir 
innerlich  wiederholen:  die  Sache,  die  Sache 
wird  gefeiert  1 

Mein  letzter  Aufenthalt  in  den  Vereinigten 
Staaten  war  —  eine  Woche  lang  —  in  New 
York,  wo  ich  neun  Vorträge  gehalten  habe, 
darunter  in  der  Columbia-Universität,  im  deut- 
schen Friedensverein  (dessen  Vorsitzender, 
Professor  E.  Richard  mit  Eifer  und  Geschick 
für  unsere  Sache  tätig  ist.  Auch  sein  eben 
erschienenes  Buch  „Kulturgeschichte  Deutsch- 
lands" ist  von  pazifistischem  Geist  durch- 
weht); ferner  im  Opernhaus  von  Brookline, 
in  mehreren  Mädchenschulen,  im  PoliticalClub, 
in  der  New  -  Yorker  Friedensgesellschaft  und 
bei  den  mir  gebotenen  Banketten.  Das  eine,  von 
Mrs.  Eimer  Black  veranstaltete,  vereinte  350 
Damen  der  Gesellschaft,  unter  ihnen  die  Präsi- 
dentinnen von  26  Frauenklubs,  die  Gattinnen 
des  Gouverneurs  von  New  York-City,  und  des 
Gouverneurs  von  New  York-States,  mit  offi- 
ziellen Grüßen  von  Stadt  und  Staat;  von  Mrs. 
Taft  war  ein  Telegramm  eingelangt.  Auf  dem 
zweiten  Bankett  —  im  Hotel  Astor  —  präsi- 
diert von  Andrew  Carnegie,  wurden  bedeut- 
same politische  Reden  gehalten.  Nach  N.  Mur- 
rey    Butler,    dem    Präsidenten    der    Columbia- 


<2= 


=  DIE  FRI  EDENS -^W&RXE 


Universität,  der  in  meisterhafter  Weise  über 
die  kriegerischen  Ereignisse  des  Tages,  ge- 
sehen im  Lichte  der  pazifistischen  Doktrin, 
Betrachtungen  anstellte,  betrat  Josef  Choate 
die  Tribüne.  Der  greise  Rechtsgelehrte  und 
Diplomat  (er  ist  geboren  1832),  der  Botschafter 
in  London  war  und  auf  der  IL  Haager 
Konferenz  an  der  Spitze  der  amerikanischen 
Delegation  stand,  hat  dort  die  Errichtung 
eines  ständigen  Schiedshofes  vertreten  und 
sich  erfolgreich  für  die  Periodizität  der  Haager 
Konferenzen  eingesetzt.  Hier,  in  seiner  Ban- 
kettrede polemisierte  er  mit  allem  Freimut 
gegen  die  Haltung  der  Regierung  in  der 
Panama-Zoll-Angelegenheit  und  verteidigte  den 
klaren  Sinn  des  Vertrages  —  bei  dessen  Ab- 
schluß er  mitgearbeitet  hatte  —  wonach  Gleich- 
berechtigung für  die  Schiffe  aller  Nationen 
und  Rekurs  an  das  Schiedsgericht  bei  etwa 
auftauchenden  Schwierigkeiten  unzweideutig 
stipuliert  war 

Am  14.  Dezember  nahm  ich  von  Amerika 
Abschied  und  segle  nun  dem  alten  Weltteil 
zu,  voll  der  großartigsten  und  neuartigsten 
Eindrücke.  Ich  behalte  mir  vor,  darüber  so- 
viel als  mir  möglich  ist,  meinen  Landsleuten 
mitzuteilen,  um  so  für  mein  Teilchen  beizu- 
tragen, etwas  von  dem  Unverständnis  und  der 
Verkennung  zu  verscheuchen,  die  noch  in 
Europa  der  neuen  Welt  gegenüber  vorherrscht. 
Was  werde  ich  nun  auf  unserm  Kontinent 
finden,  Krieg  oder  Frieden?  .  .  . 


Wien,   12.   Januar    1913. 

Nun  bin  ich  auf  dem  Schauplatz  der  euro- 
päischen Wirrnisse  zurückgekehrt  und  kann 
das  Glossieren  der  Tagesereignisse  wieder 
aufnehmen.  Auf  die  bange  Frage:  „Finde  ich 
Krieg  oder  Frieden,"  fand  ich  die  Antwort 
—  kein  Krieg,  Gott  sei  Dank,  aber  noch  lange 
keinen  Frieden,  Gott  sei's  geklagt!  Aber  die 
Signatur  des  Tages  ist  die  höchste  Potenz  der 
Unsicherheit.  Nicht  nur  nicht  voller  Geigen, 
sondern  voller  Damoklesschwerter  hängt  der 
Himmel.  Und  das  nennen  die  Leute  „Frieden", 
den.  sie  mittels  Gleichgewichtbalancierungen, 
Drohungen,  Bluffs  und  dergleichen  Methoden 
zu  erhalten  sich  bemühen.  Die  Haare,  an 
denen  jene  Schwerter  über  den  Häuptern  der 
armen  Völker  baumeln,  ändern  mit  jedem  Tag 
ihre  Namen.  Heute  heißen  sie  Adrianopel 
und  Silistria.  Wie  werden  sie  morgen  heißen? 
Etwas  Gutes  hat  diese  hohe  Politik.  Sie  ver- 
schaft  uns  sehr  genaue  geographische  Kennt- 
nisse. Wer  hätte  vor  Jahresfrist  noch  sagen 
können,  ob  „Durazzo"  der  Name  eines  Bri- 
ganten,  eines  Tenors  oder  eines  Berges  sei? 
Heute  weiß  jedes  Kind  in  Oesterreich,  daß  es 
ein  Adriahafen  ist,  dessen  Verbleiben  in  serbi- 
schen Händen  nicht  zu  dulden  sei,  koste  es 
auch   einen  Weltbrand. 

Und  doch,  und  doch:  —  das  pazifistische 
Bedürfnis    der    Welt,    das    Durchdringen    des 


Völkersolidaritätsprinzips  hat  sich  in  diesen 
kriegerischen  Tagen  doch  durchgerungen  und 
der  Ungeduld  der  verschiedenen  europäischen 
Kriegsparteien  zum  Trotz,  ein  friedensver- 
mittelndes Europa  —  wenn  auch  erst  als 
Schattenriß  —  entstehen  lassen.  Dreibund  und 
Tripleentente  und  Türkei  und  Balkanstaaten 
haben  sich  in  London  um  einen  größeren 
Tisch  gesetzt.  „Friedenskonferenz"  ist  zwar 
ein  viel  zu  hochklingender  Name  für  diese 
Zeiterscheinung,  aber  als  solche  ist  sie  sym- 
ptomatisch. Das  Bedürfnis,  Kriege  nicht  fort- 
zusetzen und  nicht  fortsetzen  zu  lassen,  macht 
sich  schon  bei  allen  Teilen  geltend;  aber  so 
lange  das  mit  den  alten  Formeln  und  nach  den 
alten  Methoden  versucht  wird,  kann  der 
Friede,  „den  wir  meinen",  nicht  erlangt 
werden.  Sie  sitzen  nebeneinander  —  das  ist 
schon  viel  —  aber  sie  arbeiten  noch  gegen- 
einander. Sie  vertreten  Interessen,  die  sie  so 
gern  vital  nennen,  obwohl  ihre  Verfechtung 
so  letal  ist  —  aber  es  sind  widerstreitende 
winzige  Interesselchen.  Das  große,  gemein- 
same Interesse  —  die  Ruhe  und  das  Leben 
sämtlicher  beteiligter  Nationen  auf  sichere 
Basis  zu  stellen  —  ist  noch  nicht  aufgefaßt. 
Es  fehlt  die  „Vision"  davon.  Wir  armen  Pazi- 
fisten, die  man  ja  so  gern  Visionäre  nennt, 
wir  haben  sie.  Mit  dieser  Bezeichnung  glaubt 
man  etwas  Geringschätziges  zu  sagen,  als  ob 
die  Fähigkeit,  mit  dem  geistigen  Auge  die 
Konturen  eines  zukünftigen  Bildes  zu  sehen, 
nicht  die  Grundlage  jedes  schöpferischen  Wir- 
kens wäre  —  sei  der  Visionär  nun  Künstler, 
Ingenieur  oder  Politiker.  Aber  nicht  etwa  nur 
wir  zünftigen  Pazifisten  malen  uns  den  Grund- 
riß des  kommenden  organisierten  kriegslosen 
Zeitalters  aus  —  das  Bild  lebt  schon  in  den 
Massen  des  arbeitenden  Volkes,  das  hat  der 
große  Tag  von  Basel  bewiesen,  es  schwebt 
einer  Anzahl  hochmögender  Politiker  vor,  das 
zeigt  sich  in  den  verschiedenen  offiziellen  Ver- 
ständigungs-  und  Versöhnungsaktionen  in 
Europa;  es  hat  sich  in  Universitätskreisen, 
in  staatsmännischen  Kreisen  —  bis  zum  Staats- 
oberhaupt hinauf  —  zu  einer  Weltanschauung 
und  zu  einem  politischen  Programm  verdichtet ; 
das  habe  ich  in  Amerika  erfahren. 


PAZIFISTISCHE  CHRONIK 

15.  Dez.  Die  Generalföderation  der  französischen 
Arbeiter  veranstaltet  als  Demonstration  gegen 
den    Krieg   einen   24stündigen    Generalstreik 

16.  Dezember.  Ein  aufklärendes  Communique 
des  öst.-ung.  Ministeriums  des  Aeussern  stellt  die 
Affäre  des  Konsuls  Prochaska  in  Prizrend  als 
harmlos  dar.  Beruhigung  der  geängstigten  öffent- 
lichen Meinung. 

16.  Dezember.  Erste  Sitzung  der  Friedens- 
konferenz in  London.  Sir  Edward  Greg 
Ehrenvorsitzender,  eröffnet  mit  einer  Ansprache. 


DIE  FRIEDEN5-^/AQTE 


G> 


17.  Dezember.  Im  österreichischen  Abgeordneten- 
haus beginnen  die  Tschechen  eine  Obstruktion  gegen 
das  Kriegsleistungsgesetz.  Der  Abg.  Fresl  spricht 
18  Stunden. 

18.  Dezember.  In  der  italienischen  Kammer  er- 
klärt der  Marquis  di  San  Giuliano,  dass  der 
Dreibund  für  ganz  Europa  eine  Bürgschaft  des 
Friedens  ist. 

19.  Dezember.  Die  Londoner  Botschafter- 
konferenz empfiehlt  die  Autonomie  Albaniens.  Da- 
durch Beseitigung  der  akuten  austro-serbischen 
Kriegsgefahr. 

21.  Dezember.  In  der  französischen  Kammer 
sagt  der  radikale  Deputierte  Fr ancois  Delon de:  In 
Europa  gibt  es  einen  Mann,  dessen  Friedens- 
liebe eine  feste  Bürgschaft  für  die  Aufrecht- 
erhaltung des  Friedens  bildet:  Das  ist  der 
Deutsche  Kaiser. 

29.  Dezember.  Der  russische  Kriegsminister 
Suchomlinow  in  Berlin  und  Dresden. 

30.  Dezember.  Im  österreichischen  Herrenhaus 
tritt  Frhrr.  v.  Plener  für  eine  Politik  der  Ver- 
ständigung Oesterreich-Ungarns  Serbiengegen- 
über ein. 

4.  Januar.  Präsident  Taft  erklärt  bei 
einer  Versammlung  des  „International  Peace 
Forum",  die  Panama-Abgaben- Angelegenheit 
mit  England  vor  ein  Schiedsgericht  zu 
bringen. 


DAUS  DER  ZEITCI 

Völkerrecht. 

Ein  neuer  Schiedsfall  zwischen  England  und  Amerika. 

In  einem  New  Yorker  Briefe  der  „Kreuz- 
zeitung" (3.  Januar)  wird  Mitteilung  gemacht 
von  einer  weiteren  schiedlichen  Entscheidung 
in  der  Sache  der  Robbenfrage.  Es  gibt  in  bezug 
darauf,  heißt  es  in  dem  Berichte,  mehrere 
Fragen,  die  noch  einer  weiteren  schiedsgericht- 
lichen Entscheidung  bedürfen.  5,Es  handelt  sich 
z.  B.  um  die  Zulässigkeit  des  „Robbenschlages", 
der  neuerdings  in  Alaska  verboten  ist.  Man  weiß 
nicht  recht,  ob  der  schnelle  Rückgang  der 
Robbenherden  mehr  der  Jagd  auf  dem  Lande 
oder  der  auf  dem  Meere  zuzuschreiben  ist.  Auch 
die  Neufundländer  Fischereifrage  ist  noch  nicht 
ganz  erledigt.  Es  soll  darüber  ein  Tribunal  ent- 
scheiden, das  im  nächsten  Frühjahr  zusammen- 
treten wird.  Die  erste  Sitzung  soll  in  Washing- 
ton stattfinden.  Sir  Charles  Fitzpatrick, 
der  Oberrichter  von  Kanada  und  britisches  Mit- 
glied des  Schiedsgerichts  im  Haag  für  die  Ent- 
scheidung über  die  Streitigkeiten  bezüglich  der 
Ausübung  der  Fischerei  an  der  nordatlanti- 
schen Küste  vom  Jahre  1910,  wird  England 
vertreten,  während  die  Vereinigten  Staaten  mit 
ihrer  Vertretung  Chandler  Anderson, 
Rechtsberater  des  Staatsdepartements,  beauf- 
tragt haben.  Diese  beiden  Juristen  haben  sich 
über  ein  drittes  Mitglied  zu  verständigen, 
welches  als   unparteiisches  fungiert  und  weder 


dem  britischen  noch  dem  amerikanischen  Staats- 
verbande angehören  darf.  Man  soll  sich  über 
den  „dritten  Mann"  schon  einig  sein,  hält  seinen 
Namen  aber  noch  geheim." 


Verschiedene    Mitteilungen    zur    Schiedsentwickiung. 

Die  Schiedsgerichtsklausel  in  internatio- 
nalen Verträgen  macht  weitere  Fortschritte. 
Jetzt  enthält  auch  das  spanisch -fran- 
zösische Marrokkoabkommen  ebenso 
wie  vorher  das  deutsch  -  französische  die 
Schiedsklausel. 

Die  Tavignano-Affaire  zwischen 
Italien  und  Frankreich  ist  dem  Haager  Schieds- 
höfe übergeben  worden,  um  Ende  März  gleich- 
zeitig mit  dem  Manouba-  und  Carthagekon- 
flikte  entschieden  zu  werden.  Bekanntlich  hatte 
man  den  Fall  zuerst  einer  internationalen  Unter- 
suchungskommission überwiesen.  Doch  ist  auf 
Grund  des  Berichtes  dieser  Kommission  eine 
direkte  Einigung  zwischen  den  Parteien  nicht 
erfolgt. 

Dem  letzten  Berichte  von  Darby  an  die 
International  law  association  ist  zu  entnehmen, 
daß  man  1911  den  zentralamerikani- 
schen Gerichtshof  von  Cartago  nach 
San  Jose  verlegt  hat.  Carnegie  soll  für  die 
Errichtung  eines  neuen  Palastes  für  den 
Gerichtshof  400  000  M.  gestiftet  haben.  Wahr- 
scheinlich, weil  der  Palast  des  Schiedshofes  in 
Cartago  vor  drei  Jahren  durch  Erdbeben  zer- 
stört wurde. 

Staatsrat  Dr.  C  h.  Schanz  er,  Deputierter, 
ist  von  der  italienischen  Regierung  an  Stelle 
von  Guarnaschelli  zum  Mitglied  des  Haager 
Hofes  ernannt  worden. 


Die    „amerikanische  Gesellschaft  für  die  richterliche 
Beilegung  internationaler  Streitigkeiten"   ::    ::   ::   ::   : 

hielt  am  21.  Dezember  v.  J.  in  Washington 
ihre  diesjährige  Jahresversammlung  ab,  bei  der 
Joseph  H.  Choate  zum  Präsidenten,  der 
frühere  Präsident  der  Harvard- Universität,  Dr. 
Charles  Eliot,  zum  Vizepräsidenten  der  Ge- 
sellschaft ernannt  wurden.  James  Brown 
Scott  übernahm  die  Funktion  des  Sekretärs. 
Nach  den  kurzen  vorliegenden  Berichten 
handelt  es  sich  wiederum  um  einen  hervor- 
ragenden Kongreß,  auf  dem  der  erleuchtete  Zeit- 
geist voll  zum  Ausdruck  kam.  Prof.  Paul  S. 
Reinsch  trat  in  einer  Rede  für  die  Verant- 
wortlichkeit eines  Staates  für  die  den  Bürgern 
eines  anderen  Staates  auf  seinem  Gebiet  zu- 
gefügte Rechtsverletzungen  ein.  Mac  Far- 
land,  Prof.  Henry  Wade  Rogers  u.  a. 
sprachen  über  die  Errichtung  eines  internatio- 
nalen Staatengerichtshofes.  Es  wird  sich  Ge- 
legenheit bieten,  auf  die  bedeutsamen  Verhand- 
lungen noch   zurückzukommen. 

Ml 


20 


^■■MM*^^- 


=  DIE  FRIEDENS -WARTE 


Rüstungsproblem. 

Deutschlands  Militärausgaben  für  1913.   ::  ::  ::       ::  :: 

Die  Ausgaben  für  militärische  Zwecke  im 
Deutschen  Reich  stellen  sich  für  das  Jahr  1913 
folgendermaßen    dar : 

Auswärtiges   Amt: 
Auslandszulagen  für  Militärbe- 

vollniächtigte  usw 212  220  M. 

Geheime  Ausgaben 1  000  000    „ 

Reichsamt  des  Innern: 
Unterstützung  vonPamilien  der 

zu    Uebungen    eingezogenen 

Mannschaften 3  909  000    „ 

Verwaltung  des  Reichsheeres  .     .      637  761687    „ 

Reichsmilitärgericht 536  247    „ 

Marineverwaltung 197  051989    * 

Reichsschatzamt : 
Dispositionsfonds  des  Kaisers  .  1  500  000    „ 

Unterstützungen,    Erziehungs- 
beiträge, Pensionszuschüsse  .  1  556  000    „ 
Rayonsentschädigungsraten  für 
Beschränkung  d.  Grundeigen- 
tums in  der  Umgebung  von 

Festungen 1013  674    „ 

Lagerung    von    Baumaterialien 

zu  militärischen  Zwecken      .  50  000    „ 
Beihilfen  an   hilfsbed.  Kriegs- 
teilnehmer             31000  000    „ 

Einmalige     Rayonenentschädi- 

gungen  usw 3  343  825    „ 

Reichskolonialamt         2  918  767    „ 

Reichsschuldverzinsung  ....      150000000    „ 
Allgem.  Pensionsfonds      ....      138000000    „ 

Allgem.    Finanzverwaltung : 

Quoten  an  Bayern 102  803  282    n 

Reichsamt   des   Innern : 

7.Ratef.d  Kaiser- Wilhelm-Kanal  56  000  000  „ 

Reichsheer,  einmalige  Ausgaben  138  545  232  n 

Garnisonbauten,  Festungen  .     .  22  286  006  „ 

Marineverwaltung,  einm.  Ausgab.  219  239  971  „ 

Reichskolonialamt,  einm.  Ausgab.  24  508  718  „ 

AUgem.  Finanz  Verwaltung: 

Einmalige  Ausgabe:  Quote  an 
Bayern 17  340  748    „ 

Vervollständigung  d.Eisenbahn- 
netzes  zu  Zwecken  der  Landes- 
verteidigung        2  838  270    „ 

Abbürdung  der  Vorausbeschaf- 
fungen der  Heeresverwaltung      106  106  878    „ 

Außerordentl.   Etat: 

Festungsbauten 12  700  000    „ 

Marineverwaltung     .     .     .     .     .        51  150  000    „ 
Summa  1  910  672  514  M. 

Diesen  Ausgaben  für  militärische  Zwecke 
stehen  folgende  Einnahmen  aus  militaristischen 
Quellen  gegenüber: 


Verwaltung  des  Reichsheeres: 
Einnahmen    aus    den    Militär- 
eisenbahnen, Grundstückver- 

käufen  usw *    .        29  826  403  M. 

Reichsmilitärgericht 394    „ 

Marineverwaltung 1  103  822    „ 

Reichskolonialamt 1  568  757    „ 

Reichsschuld : 
Zinsen   von    der  Reichsanleihe 

an  Togo 248  330    „ 

Zinsen    von    der   Reichsanleihe 

an  Südwestafrika 1  413  239    „ 

Verzinsung  der  chines.  Kriegs- 
entschädigung           10  564  197    „ 

Verzinsung  der  chines.  Kriegs- 
entschädigung außerord.  Etat  1  688  334    „ 
Erlös  vom  Verkauf  von  Festungs  - 
grundstucken     .     .     .    .     .     .         3  176  352    . 

Summa        49  589  878  M. 

Ausgaben 1910  672  514  M. 

Einnahmen   .     .     .     .    .    .       49  589  878    „ 

Endsumme  der  Ausgaben  1  861  082  636  M. 

Hierzu  macht  der  „Vorwärts"  (1.  Dezember 
1912)  folgende  höchst  beachtenswerte  Be- 
merkung : 

„Trotz  Abzugs  dieser  Einnahmen  in  Höhe 
von  49,5  Millionen  gelangen  wir  also  zu  dem 
ungeheuerlichen  Endresultat,  daß  die  mili- 
tärischen und  weltpolitischen  Ausgaben  des 
Etatsjahres  1913  nicht  weniger  als  18  6  1 
Millionen  betragen,  während  die  ge- 
samten Einnahmen  des  Etats - 
jahres  1913  sich  nur  auf  1820  Mil- 
lionen beziffern.  Wir  geben  also  für 
unseren  Militarismus  in  seinen  verschiedensten 
Erscheinungsformen  noch  41  Millionen 
mehr  aus,  als  sämtliche  Nettoein- 
nahmen aus  den  Zöllen,  Steuern,  Gebühren 
und  Betriebsüberschüssen  des  Deutschen 
Reiches  ausmachen!   

Daß  das  Deutsche  Reich  1913  überhaupt 
noch  Mittel  für  andere  als  militaristische 
Zwecke  übrig  hat,  dankt  es  erstens  seiner  An- 
leihe von  33  Millionen  und  zweitens  dem  Zu- 
schuß von  187  Millionen,  der  von  dem  Ueber- 
schuß  des  Jahres  1911  auf  das  Jahr  1913  ver- 
rechnet wird.  Fehlten  diese  220  Mil- 
lionen Zuschuß,  so  würde  das  Deut- 
sche Reich  aus  seinen  Einnahmen, 
aus  den  Erträgnissen  des  Jahres 
1913  nicht  einmal  seine  Militär - 
ausgaben   decken  können! " 

MB 

Austriaca.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  "  ::  ::  ::  ::   ::  ::   ::  :i 

Eine  lehrreiche  AufsteUung  zeigt,  wie  in 
wenigen  Jahren  Oesterreich,  zwar  nicht  auf  dem 
Gebiete  der  wirtschaftlichen,  kulturellen,  sozial- 
politischen Entwicklung,  wohl  aber  in  bezug  auf 
Militärausgaben  den  Vorsprung  größerer  und 
reicherer  Mächte  einzuholen  versucht  hat.  1909, 
mit  der  Annexion  Bosniens  und  der  daraus 
entstandenen  Gefahr  des  Serbenkrieges,  begann 
es.  Hunderte  Millionen  wurden  ausgegeben,  die 
„Lücken"  in  der  Rüstung  zu  stopfen.  Da  bekam 


DIE  FRIEDENS -^ADTE 


■3 


jedes  Regiment  zwei  Maschinengewehre,  Feld- 
telegraph, Feldtelephone,  Signalapparate  wurden 
eingeführt.  Die  Artillerie  bekam  Haubitzen. 
Dann  kam  die  Flotte.  312  Millionen 
Kronen  wurden  bewilligt,  vier  Dreadnoughts 
gebaut.  Darauf  das  Programm  des  Kriegs- 
ministers Schönaich :  100  Millionen  ein- 
malige, 100  Millionen  Jahresaus- 
ausgaben bewilligt.  Noch  schneller  stiegen 
die  Bewilligungen  für  die  Landwehr.  Zu- 
letzt wieder  die  außerordentlichen 
Rü s tungs kredi t e  für  Artillerie, 
Festungen,  Kriegsschiffbau. 

Die  Krise,  die  die  Sorge  um  den  serbischen 
Hafen  an  der  Adria  hervorgerufen,  läßt  sich 
schon  jetzt   in  Zahlen  bewerten: 

Nach  authentischen  Quellen  setzen  sich  die 
bisherigen  Auslagen,  die  Oesterreich-Ungarn  aus 
Anlaß  der  politischen  Krise  hatte,  wie  folgt 
zusammen:  Nicht  der  bedeutendste  Posten  sind 
die  Kosten  der  Erhaltung  des  um  130000  Mann 
erhöhten  Friedens  Standes,  das  sind  7,2  Mil- 
lionen Kronen  monatlich.  Dazu  kom- 
men dann  Ausgaben  vorübergehenden  Wertes, 
wie  für  Arbeitslöhne,  Beschaffung  von  Trag- 
tieren und  Pferden  (die  nach  der  Krise  wieder 
verkauft  werden  müssen),  und  vor  allem  die 
hohen  Kosten  der  Transporte  der  Mannschaft. 
All  dies  zusammen  kommt  einer  Ausgabe  von 
etwa  100  Millionen  Kronen  bis  Ende 
Dezember  1912  gleich.  Außerdem  sind  aber 
auch  Ausgaben  für  Investitionen  erforderlich 
geworden,  wie  Beschaffung  von  Winterklei- 
dung, von  Maschinengewehren, 
Aero  planen,  Feldküchen,  techni- 
schen Mitteln  usw.  im  Umfang  von  etwa 
150  Millionen  Kronen.  Der  Kriegsminister 
erhielt  weiter  im  voraus  zur  beschleunigten 
Durchführung  der  Reorganisation  der 
Artillerie,  die  für  1914  und  1915  fällig 
gewesenen  Raten  des  125 -Milli  onen- Kre  - 
d  i  t  s  in  der  Höhe  von  84  Millionen  Kro- 
n  e  n  und  wurde  außerdem  ermächtigt,  weitere 
125  Millionen,  die  ihm  erst  nach  dem  Jahre 
1915  zugedacht  waren,  nach  Bedarf  flüssig 
zu  machen. 

Schon  hat  aber  der  M  a  r  i  n  e  k  o  m  m  a  n  - 
dant  mit  seinem  Rücktritt  gedroht,  wenn  die 
20  Jahre  alten  Schiffe  der  Monarchenklasse  nicht 
durch  Dreadnoughts  ersetzt  werden 
sollen,  was  wieder  einige  hundert  Millio- 
nen ausmachen  wird. 

Zu  den  Geldbewilligungen  die  Steige- 
rung der  persönlichen  Leistungen. 
Das  neue  Wehrgesetz  erhöhte  den  Re- 
knitenstand  um  die  Hälfte.  Zehntausende 
werden  statt  zu  acht  Wochen  Ersatz- 
reserveaus bildung  auf  zwei  bis  drei 
Jahre  eingestellt.  Die  Zahl  der  Waffen- 
iibungen  und  ihre  Dauer  wurde  vermehrt. 
Und  eben  erledigte  der  Reichsrat  das  Kriegs- 
leistungsgesetz, das  schon  zu  Beginn 
einer  Mobilmachung  die  Militärbehörde  zum 
Herrn  über  Besitz  und  Person  der  Untertanen 
macht,   Koalitionsrecht,  Freizügigkeit.   Vereins- 


recht, alle  modernen  Rechte  zugunsten  des 
Militarismus  kassiert.  Dafür  hat  der  Staat 
kein  Geld  für  Schulen  und  Spitäler. 
Die  Sozialversicherung  ist  noch  immer  nicht 
fertig.  Staatsarbeiter,  Staatsbeamte  schlecht  be- 
zahlt. 

Vor  kurzem  erschien  der  Jahresbericht  des 
Wiener  Wärmestubenvereins.  Vom 
15.  November  1911  bis  5.  März  1912 
suchten  1218  000  Personen,  darunter  209  500 
Frauen  und  597  000  Kinder,  die  Wärmestuben 
auf.  98  857  waren  obdachlos ;  810  auf  den  Tag. 
Auf  den  Tag  kamen  fast  5000  Kinder,  die  stun- 
denlang vor  den  Stuben  warteten,  um  dann  eine 
Suppe  mit  Brot  als  Mittagessen  zu  erhalten.  715 
Kinder,  allnächtlich  im  Durchschnitt  6, 
mußten,  ohne  ein  Nachtquartier,  in 
den  Wärmestuben  übernachten:  in 
einer  Ecke  auf  nassen  Lumpen,  die  die  Eltern 
hingebreitet  hatten,  angekleidet  und  in  Schuhen, 
während  diese,  mit  andern  auf  den 
Bänken  sitzend,  die  Nacht  verbringen. 
Für  jedes  Nachtquartier  mit  Frühstück 
zahlt  die  Gemeinde  dem  Verein  — 
20  Heller!  Für  das  tägliche  Essen  von 
5000  Kindern  und  über  4300  Erwachsenen  aber 
zahlt  die  Stadt  Wien  gar  6000  Kronen  zu : 
einen  halben  Heller  für  jede  Portion!  —  Wäre 
es  bei  solch  jammervollen  Zuständen,  so  schreibt 
die  „Leipziger  Volksztg.",  der  wir  teilweise 
diese  Daten  entnehmen,  eine  vermessene  Läste- 
rung der  göttlichen  Ordnung  und  der  Groß- 
machtpflichten Oesterreichs,  wollte  man 
fordern,  daß  etwa  die  Kosten  eines  einzigen 
Bataillons  oder  einer  Dreadnoughtbatterie  ge- 
spart und  zur  Beseitigung  des  Jammers  dieser 
Unglücklichen   verwandt    würden  ? 

Verschiedenes. 

v.  Kiderlen-Wächter  f  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

In  politisch  bewegter  Zeit  ist  der  Staats- 
sekretär des  Auswärtigen  Amtes  durch  den  Tod 
von  seiner  Arbeit  abberufen  worden.  Vor  vier 
Jahren  wurde  Herr  von  Kiderlen-Wächter,  der 
als  der  Mann  der  starken  Tonart  galt,  nach  der 
Wilhelmstraße  berufen.  Viel  Hoffnungen  setzten 
die  Pazifisten  nicht  auf  ihn.  Aber  er  hat  sie 
angenehm  enttäuscht.  Die  Macht  der  Tat- 
sachen, der  Friedenswille  Europas  scheint  auch 
hier  den  erzieherischen  Einfluß  auf  die  Per- 
sönlichkeit nicht  verfehlt  zu  haben.  Kiderlen 
war  zwar  der  Mann  von  Agadir,  er  war  aber 
auch  der  Mann  vom  4.  November  1911,  an 
welchem  Tage  der  schwere  Marokko-Konflikt 
kriegslos  erledigt  wurde.  Das  Gespräcn,  das 
er  im  Sommer  1912  mit  einem  französischen 
Journalisten  hatte,  berührte  uns  ganz  eigen- 
tümlich. Er  soll  von  der  Notwendigkeit  einer 
Organisation  Europas  gesprochen  haben,  f,von 
dem  Widerwillen,  den  die  Kriege  hervorrufen. 
Der  „Mann  von  Agadir"  bewegte  sich  in  pazi- 
fistischen   Gedankengängen. 

M9 


22 


€H 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


Eine   Pazifistenrede    im   Oesterreichischen   Reichsrat. 

In  der  129.  Sitzung  des  österreichischen 
Abgeordnetenhauses  am  19.  Dezember  1912  hielt 
der  liberale  Abgeordnete  Dr.  O  f  n  e  r  eine  Rede 
gegen  das  Gesetz  über  die  Kriegsleistungen,  das 
zur  Debatte  stand.  Dabei  sagte  er  nach  dem 
stenographischen  Protokoll  nachstehende,  in 
der  gesamten  Tagespresse  todgeschwiegenen 
Worte : 

„Bevor  ich  auf  die  weiteren  Punkte  über- 
gehe, erlaube  ich  mir,  eine  allgemeine  Be- 
merkung einzulegen.  Ich  bin  ein  über- 
zeugter, ein  leidenschaftlicher 
Vertreter  des  Friedensgedankens, 
ein  leidenschaftlicher  Vertreter  des  Grundsatzes, 
daß  Streitigkeiten  von  Staaten  ähnlich  wie  die 
von  den  Staatsbürgern,  wenn  nicht  durch  Ueber- 
einkommen,  so  vor  einem  Schieds- 
gerichte auszutragen  sind.  Diese  meine  Hal- 
tung hat  mit  Aengstlichkeit  und  Todesfurcht 
nichts  zu  tun.  Ich  bin  ein  alter  Mann  und  habe 
den  Tod  jeden  Tag  und  jede  Stunde  zu  er- 
warten; ich  schaue  ihm  gelassen,  ruhig  ins 
Auge.  Allein,  ich  bekenne,  ich  schaue  dem 
Tode  ruhig  für  mich  entgegen  und  fürchte  ihn 
auch  nicht  für  alte  Menschen,  so  wie  ich  es 
bin.  Aber  ich  bin  allerdings  immer  bestürzt, 
wenn  der  Tod  ein  junges,  frisches  Leben  for- 
dert, und  mich  erfaßt  ein  unsägliches  Grauen, 
wenn  ich  andieMenschenschlächterei 
denke,  die  ein  jeder  moderne  Krieg  im  Gefolge 
hat,  an  eine  Menschenschlächterei,  welche 
Hunderttausende  solch  junger,  frischer,  hoff- 
nungsvoller Menschenblüten  knickt  und  eine 
viel  größere  Menge  anderer  Menschen  um  ihr 
Lebensglück  betrügt,  nicht  gerechnet  die  Mil- 
liarden an  Volksvermögen,  welche  ein  solcher 
Krieg  verschlingt.  Allein  wir  Freunde 
des  Friedens  sind  darum  nicht  weniger  um 
die  Kraft  und  um  das  Ansehen  unseres  Staates 
besorgt  als  andere.  Wir  finden  nur  die  Kraft 
und  das  Ansehen  des  Staates  anderswo:  wir 
finden  sie  in  der  Kultur,  in  dem  Cha- 
rakter, in  der  Arbeitskraft  des  Volkes,  und  wir 
glauben,  daß  das  Ansehen  des  Staates  durch 
diese  Faktoren  viel  mehr  gesichert  ist,  als 
durch  einen  siegreichen  Krieg.  Ich  gebrauche 
auch  absichtlich  das  Wort  „Ansehen"  und 
nicht  das  Wort  „Ehre",  denn  Ehre  ist  ein 
Schlagwort,  und  Schlagwörter  sind  immer  ge- 
fährlich; Schlagwörter  sind  empfindlich  und 
aufreizend,  und  namentlich  das  Schlagwort 
„Ehre"  hat  schon  ganze  Hekatomben  von 
Menschenopfern  gefordert.  Ansehen  ist 
mehr  als  Ehre,  aber  es  ist  nüchterner, 
konkreter,  es  hat  größeren  Wirklichkeitsgehalt, 
und  wir  wissen  wohl,  daß  man  das  Ansehen 
behalten  kann,  wenn  man  auch  auf  gewisse 
eingebildete  Ehrenpunkte  verzichtet." 

MB 
Kaiser  Friedrich  gegen  den  Krieg.   ::   ::  ::  ::  ::  ::  ::  :. 

Aus  dem  Nachlaß  des  Schweizer  Pfarrers 
Frederic  G  o  d  e  t ,  der  jetzt  durch  die  von 
dessen     Sohn      Philipp     Godet      veröffentlichte 


Biographie  (Neuchatel  1913)  bekannt  wird, 
werden  bisher  unbekannte  Briefe 
Kaiser  Friedrichs  bekannt,  die  die- 
ser an  den  ehedem  in  preußischen  Diensten 
stehenden  Pfarrer  gerichtet  hatte.  In 
einem  aus  dem  Hauptquartier  in  Ver- 
sailles geschriebenen  Briefe  äußerte  sich 
der  damalige  Kronprinz  über  den  Krieg.  Da 
heißt   es : 

„Ich  beuge  mich  vor  diesem  Gott,  der  uns 
bis  hieher  geführt  und  beschützt  hat  und  der 
über  der  Wohlfahrt  unseres  endlich  geeinigten 
Deutschlands  wachen  wird,  und  der 
schon  so  viele  edle  Patrioten  in  diesen  blutigen 
Gemetzel  geopfert  hat.  Möge  er  uns  endlich 
den  Frieden  gewähren,  auf  den  alle  Welt  hofft ! 
....  Ich  versichere  Sie,  daß  ich  ein  wahres 
Grausen  vor  dem  Krieg  empfinde 
und  daß  meine  heißen  Gebet«  sich  an  Gott 
wenden,  damit  das  der  letzte  sei,  dem  ich  bei- 
zuwohnen gezwungen  sei.  Sind  wir  wirk- 
lich im  19.  Jahrhundert,  wo  Kultur 
und  Moral  ihren  Gipfel  erreichen? 
Und  die  Heiden,  die  wir  möchten  teilnehmen 
sehen  an  den  Segnungen  unserer  Aera,  was 
müssen  sie  von  zwei  Völkern 
denken,  die  sich  morden  und  da- 
bei erklären,  daß  ihre  Sache  allein 
den  Titel  heilig  und  gerecht  ver- 
dient? Man  muß  eigentlich  die  Augen  vor 
den  Barbaren  senken,  die  nicht  mehr  und  nicht 
weniger  machen,  als  wir.  Aber  was  tun?  Ist 
man  einmal  provoziert,  so  muß  man  sich  wohl 
verteidigen,  bis  man  die  Garantie  eines  sichern 
Friedens  hat.  . .  .  Was  mich  betrifft,  so  ist 
mein  Verlangen,  unser  großes  deutsches  Vater- 
land die  Segnungen  eines  sichern  und  frucht- 
baren Friedens  genießen  zu  lassen.  Ich  habe 
nie  daran  gedacht,  mir  einen  Namen 
durch  Blutvergießen  und  Leichen- 
haufen zu  machen,  und  wenn  auch  die 
von  meinen  tapfern  Truppen  erfochtenen  Siege 
in  der.  Geschichte  einen  Platz  haben  werden, 
so  werde  ich  doch  nie  den  drücken- 
den Gedanken  (cauchemar)  los  werden, 
daß  ichsovieleLebeninder  Jugend- 
blüte habe  opfern  müssen.  Gott 
schenke  mir  eines  Tages  die  Möglichkeit  und 
die  Fähigkeit,  den  Frieden  wieder  herzu- 
stellen  . . ." 

Ein  andermal  schreibt  er:  „Glauben  Sie 
mir,  mitten  im  Auf  und  Ab  des  Krieges  kann 
einen  Menschen,  der  wie  ich  den  Krieg 
verabscheut  und  doch  pflichtgemäß  daran 
teilnehmen  muß,  nichts  mehr  stärken,  als  ein 
Zeichen  der  Freundschaft  und  Liebe  zu  emp- 
fangen   . . . ." 

MB 
Die  Gießener  Burschenschaft.   ::    ::    ::   ::    ::   ::    ::    ::    :: 

Zu  einer  Vortragsangelegenheit  der  Gießener 
Freien  Studentenschaft  hat  die  Gießener 
Burschenschaft  Stellung  genommen.  Die  auf 
diese  Angelegenheit  bezugnehmende  Erklärung, 
die  der  Vertreter  der  drei  Gießener  Burschen- 
schaften   Alemania,    Frankonia    und    Germania 


23 


DIE  FBIEDENS-^AQTE 


3 


im  allgemeinen  Studentenausschuß  abgegeben 
bat,   lautet : 

„Am  4.  Dezember  1912  fand  im  Hotel 
Schütz  ein  von  dem  Präsidium  der  Gießener 
Freien  Studentenschaft  veranstalteter  Licht- 
bildervortrag des  Vertreters  der  internationalen 
Friedensgesellschaft  E.  Feldhaus-Basel  statt 
über:  Der  Krieg,  wie  er  ist.  (Unter  Berück- 
sichtigung der  neuesten  großen  Kriege,  auch 
des  türkisch-italienischen  und  des  Balkan- 
krieges.) 

In  dieser  Angelegenheit  haben  die  drei 
Gießener  Burschenschaften  im  Studentenaus- 
schuß, als  der  Vertretung  der  gesamten  Gießener 
Studentenschaft,  folgendes  zu  erklären:  Wenn 
es  auch  der  Freien  Studentenschaft  überlassen 
bleiben  (muß,  was  sie  in  ihren  vielen  Abteilungen 
treiben  will,  so  muß  andererseits  die  Gießener 
Burschenschaft  in  der  Ankündigung  und  Ab- 
haltung dieses  Vortrages  im  gegenwärtigen 
Zeitpunkt,  in  dem  unser  Vaterland  jederzeit  in 
einen  Weltkrieg  verwickelt  werden  kann,  und 
vielleicht  um  sein  Sein  oder  Nichtsein  gekämpft 
werden  muß,  ein  trauriges  Zeichen  mangelnden 
nationalen  Verständnisses  sehen.  Sie  glaubt 
im  Namen  aller  national  gesinnten  Studenten 
der  Gießener  Universität  zu  handeln,  wenn  sie 
hierüber   ihr   tiefstes    Bedauern   ausdrückt." 

Die  in  dieser  Erklärung  geäußerte  Ansicht 
über  die  Friedensbewegung  beruht  auf  einem 
bedauerlichen  Irrtum.  Die  Friedensidee  ist 
nicht  antinational.  Sie  bekämpft  nicht  den 
Krieg  an  sich,  sondern  jene  Ursachen,  die 
„unser  Vaterland  jederzeit  in  einen  Weltkrieg 
verwickeln"  können.  Sie  will  die  internationale 
Unsicherheit  beseitigen,  jenen  unerträglichen 
Zustand,  der  es  mit  sich  bringt,  daß  die 
Nationen  ihres  Besitzes  nicht  froh  werden 
können  und  jederzeit  bereit  sein  müssen,  um 
für  ihr  ,,Sein  oder  Nichtsein"  zu  kämpfen.  Sie 
will,  daß  dieses  Sein  einer  jeden  garantiert  wird. 
Danach  entwickelt  die  Friedensbewegung,  deren 
Bedeutung  für  die  Nation  heute  von  den  bedeu- 
tendsten Gelehrten  anerkannt  wird  (es  sei  nur 
z.  B.  an  Geheimrat  Lamprecht  erinnert, 
der  in  diesen  Blättern,  Jahrg.  1910  S.  41 
und  Folge*)  in  einem  „Die  Nation  und  die 
Friedensbewegung"  betitelten  Artikel  die  Be- 
deutung der  Friedensbewegung  vom  nationalen 
Standpunkt  dargelegt  hat),  ein  hohes  Maß 
nationalen    Empfindens. 

Dessen  sind  sich  auch  weite  Kreise  der 
deutschen  Burschenschaft  schon  klar  geworden. 
Hervorragende  Burschenschafter,  wie  Prof. 
Rieh.  Eickhoff,  Geh.-Rat  Sturm,  Dr.  Hans  Weh- 
berg gehören  zu  den  Vorkämpfern  der  Friedens- 
idee, Burschenschaftliche  Zeitungen  haben  noch 
vor  kurzem  Artikel  zugunsten  der  Friedens- 
bewegung veröffentlicht,  und  in  der  „Burschen- 
schaftliche Bücherei"  ist  eine  Broschüre  über 
die  „Internationale  Schiedsgerichtsbarkeit"  er- 
schienen. 


*)    Abzüge    dieses    Artikels    stehen    Inter- 
essenten   kostenlos    zur    Verfügung. 


Es  ist  daher  dieser  Protest  unbegreiflich. 
Ihn  rückgängig  zu  machen,  wäre  eine  schöne 
Handlung  und  sicherlich  eine  vom  nationalen 
Standpunkt  erfreuliche. 


Deutsche  Intelligenzträger  gegen  den  Krieg.    ::    ::    :: 

Bei  der  Zuerteilung  des  Nobelpreises  für 
Dichtkunst  hat  Ger  hart  Hauptmann  am 
10.  Dezember  1912  in  Stockholm  eine  Rede 
gehalten,  in  der  er  die  pazifistische  Bedeutung 
aller  Nobelpreise  hervorhob.  Er  sagte  u.  a. : 
„Und  nun  ]trinke  ich  darauf,  daß  das  der  Stif- 
tung zugrunde  liegende  Ideal  seiner  Verwirk- 
lichung immer  näher  geführt  werde ;  ich 
meine  das  Ideal  des  Weltfriedens, 
das  ja  die  letzten  Ideale  der  Wissenschaft  und 
der  Kunst  in  sich  schließt.  Die  dem  Kriege 
dienende  Kunst  und  Wissenschaft  ist  nicht  die 
letzte  und  echte,  die  letzte  und  echte 
ist  die,  die  der  Friede  gebiert  und 
die  den  Frieden  gebiert.  Und  ich  trinke 
auf  den  großen,  letzten  und  rein  ideellen  Nobel- 
preis, den  die  Menschheit  sich  dann  zusprechen 
wird ;  wenn  die  rohe  Gewalt  unter  den 
Völkern  eine  ebenso  verfehmte 
Sache  geworden  sein  wird,  als  es 
die  rohe  Gewalt  unter  den  mensch- 
lichen Individuen  der  zivilisierten 
Gesellschaft  bereits  geworden  is  t." 

Kurz  vorher  hatte  der  Dichter  im  „Zeit- 
geist" vom  11.  November  einen  „Duldsamkeit' 
betitelten  Artikel  veröffentlicht,  aus  dem  wir 
nachstehende     Stelle    hier     festhalten     wollen: 

„Wahre  Religion  hat  nichts  mit  Unter- 
jochung und  mit  Götzen  zu  tun,  sie  ist 
synonym  mit  dem  Worte  Frieden. 

Nicht  die  Könige,  sondern  die  Pfaffen,  die 
Schöpfer  der  Götzen,  haben  die  Welt  unterjocht. 
Um  der  Götzen  der  Pfaffen  willen  ist  das  meiste 
Blut  geflossen.  Wo  aber  Blut  um  religiöse 
Dinge  fließt,  so  fließt  es  immer  nur  um  der 
Götzen   willen. 

Götzendienst  ist  die  ärgste  und  furchtbarste 
Greuel.  In  der  Reihe  der  Unterjochungen  ist 
diese  besonders  grausig,  die  der  schlechte 
Künstler  durch  sein  schlechtes,  angebetetes 
Werk  erfährt.  Er  besitzt  sein  Werk  und  wird 
noch  mehr  durch  sein  Werk  besessen.  Also 
wird  der  Pfaff  ein  Besessener. 

Unter  diesen  Besessenen  lebt,  statt  des 
ewigen  Friedens,  der  ewige  Krieg. 

Wer  von  diesem  ewigen  Kriege  erzählen  will, 
der  versinkt  in  Blut.  Man  spricht  davon,  daß 
im  rohen  Heidentum  nicht  selten  Menschen 
den  Götzen  geopfert  wurden.  Zweifellos  war 
es  der  Fall.  Die  Menschenopfer  der  alten 
Aegypter,  Babylonier,  Juden,  der  alten  Kar- 
thager, Inder  und  Germanen  sind  bekannt.  Man 
glaubt,  in  diese  Epochen  wie  in  Zeiten  über- 
wundener Barbarei  zurückblicken  zu  können. 
Aber  diese  Opfer  sind  sehr  gering,  im  Vergleich 
zu  denen,  die  man  indirekt  den  Götzen  dar- 
brachte. Was  sind  nioht  in  grausamsten  Götzen- 
kriegen  bis    noch    zuletzt    im    Dreißisjährigen 


24 


@= 


=  DIEFRIEDEN5-^\*M2XE 


Krieg  für  unzählbare  Menschenmassen  geopfert 
worden.  Wir  haben  einstweilen  nicht  den  ge- 
ringsten Grund,  mit  hochmütiger  Genugtuung 
auf  die  Zeiten  vor  Christi  Geburt  herab- 
zublicken." 

Als  ,, Neujahrswunsch  für  1913"  schreibt 
Herbert  Eulenberg: 

„Kein  größerer  Fluch  könnte 
uns  Menschen  treffen.  als  wenn 
wir  in  unserem  schönen  zwanzigsten  Jahr- 
hundert um  irgendwelcher  veralteter  natio- 
naler Vorurteile  willen  in  einen  allge- 
meinen europäischen  Krieg  ge- 
rieten. Endlich  sind  wir  Menschheit  zur  Ver- 
nunft gekommen  und  haben  eingesehen,  daß 
ein  jeder  Krieg  für  die  Völker,  die 
ihn  führen,  nur  Schaden  mit  sich 
b  ringt.  Und  nun  sollen  wir  den  Weg  zur 
Gesundung  des  großen  Menschenkörpers,  den 
wir  seit  wenigen  Jahrzehnten  zu  unserer  aller 
Heil  beschritten  haben,  verlassen  und  uns  einem 
barbarischen  Krieg  als  der  schädlichsten  Völker- 
krankheit sinnlos  ausliefern!  Ich  würde  mich 
dagegen  wehren  bis  aufs  äußerste.  Niemals 
würde  ich  in  meinem  ganzen  Leben  gegen  Fran- 
zosen und  Russen  zusammen  nur  halb  so  viel 
Zorn  und  Wut  aufbringen  können,  wie  ich 
gegen  einen  jeden  Friedensgegner 
empfinde." 

Der  derzeitige  Rektor  der  Wiener  Uni- 
versität, der  weltbekannte  Gelehrte,  Hofrat  Prof. 
Dr.  Anton  Weichselbaum,  schreibt  in 
einer  Enquete  der  „Zeit"  (25.   Dez.): 

„Ich  hatte  weder  zu  Beginn  noch  während 
des  Verlaufes  des  Balkankrieges  Sympathien 
für  den  einen  oder  den  anderen  der  krieg- 
führenden Staaten,  da  ich  grundsätz- 
lich ein  Gegner  der  Austragung  von 
Volke  rkonflikten  durch  Waffen- 
gewalt bin;  letztere  Ansicht  ist  durch  die 
Erfahrungen  während  des  Balkankrieges  nur 
noch  mehr  befestigt  worden,  weshalb  ich  auch 
die  Frage,  welche  der  kriegführenden  Na- 
tionen auf  mich  den  besten,  beziehungsweise 
den  schlechtesten  Eindruck  gemacht  hat,  nicht 
zu  beantworten  brauche." 

Dieselbe  Enquete  („Zeit",  1.  Jan.  1913) 
beantwortet  Prof.  Max  Dessoir  in  Berlin 
in  folgender  Weise: 

„Meine  Neigung  gehört  weder  der  Türkei 
noch  den  Staaten  des  Balkanbundes.  Mein 
Urteil  über  den  Krieg  als  die  wirtschaft- 
lich schädlichste  und  menschlich 
beklagenswerteste  Form  des  Völ- 
kerkampfes   hat   sich   nicht    geändert." 

„Warum   baut  man  im  Haag  einen  Friedenspalast?" 

Diese  Frage,  von  deren  Beantwortung  man 
sich  ein  recht  lustiges  Ergebnis  zu  versprechen 
schien,  hat  der  „Berliner  Lokal-Anzeiger"  einer 
Anzahl  Persönlichkeiten  in  der  Welt  vorgelegt, 
und  deren  Erwiderungen  als  Weihnachtsgabe 
seinen  Lesern  präsentiert.  Diese  Anfrage  wurde 
nicht     den     geistigen     Urhebern     des     Haager 


Schiedshofes,  etwa  den  Mitgliedern  des  berühm- 
ten „Coinite  d'Examen"  der  I.  Haager  Konferenz, 
dem  Professor  Zorn,  Leon  Bourgeois. 
Staatsminister  A  s  s  e  r ,  Staatsminister  Des- 
camps,  Andrew  D.  White,  Baron 
d'Estournelles  de  Constant  und  an- 
deren an  dem  Haager  Werk  beteiligten  Männern 
vorgelegt,  die  ja  die  beste  Auskunft  hätten 
bieten  können,  sondern  einer  Reihe  der  Sache 
ziemlich  fernstehender  Männer.  Die  ganze 
Fragestellung  läßt  darauf  schlie- 
ßen, daß  man  es  auf  eine  richtige 
„Verulkung"  abgesehen  hatte,  nicht 
minder  auch  die  Auswahl  der  Personen,  die  man 
zu  Begutachtern  einer  völkerrechtlichen  Ein- 
richtung machen  wollte.  Unter  den  Beant- 
wortern befinden  sich  die  Humoristen  Oskar 
Blumenthal,  Johannes  Trojan,  Ju- 
lius Bauer,  Jerome  K.  Jerome,  „der 
berühmte  französische  Karrikaturist"  Char- 
les Leandre,  „der  geistreiche  Chefredak- 
teur des  römischen  Witzblattes  /JTravaso',  Carlo 
Montanti,  „der  bekannte  römische  Satiriker" 
Dr.  Gustav  Nesti,  „der  lustige  Mailänder 
Aesthet"  Luigi  Bottazzi,  dann  „der  be- 
kannte holländische  Gynäkologe,  dessen  schlag- 
fertiger Witz  seinen  deutschen  Kollegen  von 
manchen  Kongressen  bekannt  sein  dürfte",  Dr. 
T  r  e  u  b   usw. 

Man  merkt  die  Absicht  und  man  wird 
verstimmt,  auch  wenn  man  dann  unter  der 
Masse  der  antwortenden  Sachunverständigen, 
der  Generale,  Maler,  Chirurgen,  Bakteriologen. 
Vertreter  einer  Telegraphenagentur  ( !)  usw.  auch 
eine  Handvoll  Pazifisten  findet,  wie  Bajer,  Gobat, 
Avebury  (von  deutschen  Pazifisten  nur  Dr.  Ed. 
Loewenthal !).  Sieht  man  doch,  daß  es  sich 
darum  handelte,  die  Verunglimpfung  eines  der 
größten  Kulturwerke  der  Geschichte  den  500  000 
Lesern  des  „Lokalanzeigers"  als  Festbraten  vor- 
zusetzen.    Ein  solches  Gebaren  ist  traurig! 

Ein  Fasttag  für  den  Frieden.   ::  ::  ::   ::   ::  ::  ::  ::  ::  : 

Eine  recht  interessante  Friedenskundgebung 
haben  die  Chassidim  (eine  jüdische  Sekte)  von 
Lemberg  gewählt.  Als  in  den  Zeitungen  die 
Nachricht  erschienen  war,  daß  die  Friedens- 
verhandlungen zwischen  der  Türkei  und  den 
Balkanstaaten  am  Freitag,  den  13.  in  London 
eröffnet  werden  sollen,  haben  die  Rabbiner 
sämtlicher  chassidischer  Bethäuser  von  Lem- 
berg am  Donnerstag  beim  Morgengottesdienst  den 
Freitag  als  Fasttag  proklamiert.  Tat- 
sächlich haben  zahlreiche  Juden  in  Lemberg  an 
jenem  Freitag  gefastet  und  in  den  Bethäusern 
S  pe  z  ialgebe t e  um  das  Zustande- 
kommen des  Friedens,  von  welchem 
auch  die  Ruhe  in  Europa  abhängt,  verrichtet. 
Dieser  Friedensfasttag  der  galizischen  Juden- 
sekte ist  ein  schönes  Gegenstück  zu  der  Ein- 
richtung des  „Friedenssonntag"  in  den  anglika- 
nischen Kirchen. 


DIE  FßlEDENS-^ADTE 


3 


Die„Vermehrung  der  internationalen  Reibungsfläche n", 

Ein  neues  Schlagwort  ist  wieder  einmal 
aufgetaucht,  das  eine  große  Verwirrung  an- 
zurichten geeignet  ist.  Die  Vermehrung  der 
internationalen  Beziehungen  zwischen  den 
Völkern  der  Erde,  der  regere  Handelsaustausch, 
der  ständig  wachsende  Weltverkehr,  kurzum 
die  zunehmende  Internationalisierung  der  Welt,- 
so  argumentiert  man  neuerdings,  habe  keines- 
wegs die  Wirkung  gehabt,  daß  die  Völker  ein- 
ander innerlich  nähergebracht  worden  sind, 
sondern  ganz  im  Gegenteil:  es  hat  nur  eine 
„Vermehrung  der  internationalen 
Reibungsflächen"  stattgefunden,  d.  h.  die 
Zahl  der  Gegenstände,  um  die  die  Nationen 
streiten  können,  ist  durch  die  moderne  welt- 
wirtschaftliche Entwicklung  nur  vergrößert  wor- 
den! Zum  Belege  solcher  Behauptungen  führt 
man  mit  Vorliebe  die  „deutsch-englische 
Spannung"  an,  die  überhaupt  erst  durch  den 
„Kampf  der  beiden  Nationen  um  die  Vormacht- 
stellung auf  dem  Weltmarkte"  und  die  Mannig- 
faltigkeit ihrer  divergierenden  Interessen  in 
wirtschaftlicher  Beziehung  entstanden  sei.  Die 
Zunahme  gegenseitiger  Handels-  und  Verkehrs- 
beziehungen erhöhe  daher  nur  die  Kriegs- 
gefahr zwischen  den  Nationen,  statt  sie  zu  ver- 
ringern. 

Friedrich  Naumann  hat  diesem  Gedanken 
auf  dem  Mannheimer  Parteitage  der  Fortschritt- 
lichen Volkspartei  Ausdruck  gegeben,  zahlreiche 
Zeitungen  haben  ihn  wiedergegeben  und  neuer- 
dings ist  er  auch  in  einer  nationalökonomischen 
Vorlesung  einer  süddeutschen  Universität  aus- 
gesprochen   worden. 

Wenn  dieser  Gedankengang  richtig  wäre, 
hätte  er  vielleicht  nicht  solche  Verbreitung  ge- 
funden. Denn  gerade  in  Fragen,  die  den  Pazifis- 
mus berühren,  beliebt  man  häufig,  sich  in  etwas 
unklaren  Gedankengängen  zu  bewegen,  gerade, 
als  ob  es  darauf  ankäme,  nur  ja  keine  Ent- 
wicklungstendenzen in  der  Richtung  zum  Frie- 
den oder  zum  Internationalismus  aufkommen 
zu   lassen. 

Es  wäre  schon  ein  wenig  bitter  für 
die  Pazifisten,  wenn  durch  ihr  ganzes  Ein- 
treten für  internationale  Organisation,  für  den 
Internationalismus  auf  allen  Gebieten  des  Lebens 
nichts  anderes  erreicht  würde,  als  jene  verhäng- 
nisvolle (oder  erwünschte?)  „Vermehrung  der 
internationalen  Reibungsflächen",  die  nur  den 
Frieden  gefährdet  statt  ihn  zu  fördern.  Die  so 
sprechen,  glauben  offenbar,  daß  die  Entwicklung 
auf  halbem  Wege  stehen  bleibe.  Sie  übersehen, 
daß  in  der  ganzen  Geschichte  der  Menschheits- 
und Kulturentwicklung  gerade  die  „Vermehrung 
der  Reibungs flächen"  unter  den  Menschen  es 
war,  die  sie  die  Gemeinsamkeit  ihrer  Interessen 
erst  recht  erkennen  ließ,  die  sie  zum  Zusammen- 
schluß überhaupt  erst  veranlaßt  hat.  Beseiti- 
gung von  Reibungsflächen  ist  von  jeher,  viel- 
leicht sogar  der  einzige  und  hauptsächliche  An- 
trieb zur  Organisation  gewesen;  alle  Kultur 
läßt  sich  darauf  zurückführen!  Auf  jeden  Fall 
scheint    mir    wenigstens    das    neue    Schlagwort 


von  der  Vermehrung  der  internationalen. 
Reibungsflächen  ein  verhängnisvoller  Trugs chuß 
zu  sein,  dem  nicht  entschieden  genug  entgegen- 
getreten werden  kann.  Dr.  J.   Mez. 


Die  Vertreibung  der  Türken  aus  Europa. ::   ::  :; 

H.  W.  Vor  allem  Podebrad  hat  zuerst 
in  klarer  Weise  die  Vertreibung  der  Türken  aus 
Europa  gefordert.  Der  von  ihm  befürwortete 
christliche  Fürstenbund  hatte  u.  a.  die  Ver- 
drängung des  Islams  aus  Europa  zum  Zweck. 
Nach  Schücking  war  ja  überhaupt  das  Vor- 
drängen der  Türken  vor  allem  durch  den  Zerfall 
der  Christenheit  veranlaßt  worden.  Deshalb 
wollte  man  deren  Einheit  dadurch  wiederher- 
stellen, daß  man  ihr  ein  großes  Ziel,  näm- 
lich den  Kampf  gegen  die  Türken,  gab.  „Einst,'" 
so  heißt  es  in  Podebrads  Buche,  „war  die 
Christenheit  blühend,  mächtig  und  über  weite 
Länder  verbreitet.  Nicht  weniger  als  117  große 
Königreiche  gehörten  ihr  an,  ja  selbst  das  Grab 
des  Erlösers  lag  in  ihrem  Gebiete.  Niemand 
würde  gewagt  haben,  ihr  offen  die  Stirne  zu 
bieten.  Längst  aber  hat  sich  das  geändert. 
Sind  doch  von  jenen  117  Reichen  kaum  16 
übriggeblieben,  seit  Mohammed  sein  Volk  zum 
Unglauben  verführte.  Haben  ia  doch  in  aller- 
letzter Zeit  die  Türken  Griechenland  erobert, 
Konstantinopel  erstürmt."  Mit  Recht  betont 
Schücking  (Die  Organisation  der  Welt, 
S.  34),  wieviel  Wahres  an  diesen  Worten  sei 
und  auch  heute  noch  die  türkische  Unkultur 
ihren  Bestand  in  Europa  lediglich  der  Uneinig- 
keit der  Mächte  verdanke. 

Da  somit  der  Gedanke  der  Vertreibung  der 
Türken  aus  Europa,  auch  in  Anbetracht  der 
überragenden  Bedeutung  des  Christentums,  sehr 
nahe  lag,  so  ist  es  verständlich,  daß  er  sich 
noch  bei  anderen  Schriftstellern  findet,  bei 
Campanella  de  la  Noue  und  insbesondere 
S  u  1 1  y,  dessen  christliche  Republik  vor  allem 
die  Vertreibung  der  Türken  aus  Europa  bewirken 
sollte.  Nach  dem  Projekte  des  Abbe  de 
Saint  Pierre  sollte  dagegen  der  neue  Bund 
nicht  gegen  die  Türken  vorgehen,  sondern  mit 
ihnen  ein  Bündnis   zu  schließen  suchen. 

Am  allereingehendsten  hat  von  den  früheren 
Schriftstellern  jenen  Plan  der  Kardinal 
Alberoni  behandelt  und  schon  der  Titel 
seines  Buches  kündet  besonders  deutlich  da,s 
Ziel,  auf  das  er  hinaus  will:  „Vorschlag,  das 
türkische  Reich  unter  der  christlichen 
Potentaten  Botmäßigkeit  zu  bringen."  (1736.) 
Es  ist  interessant,  daß  Alberoni  kürzlich 
gerade  einen  bekannten  und  hervorragenden  Di- 
plomaten eines  der  Staaten  des  Balkanbundes 
zum  Geschichtsschreiber  gefunden  hat.  In  seiner 
bereits  auf  S.  344  und  355  dieser  Zeitschrift 
(1912)  warm  empfohlenen  Schrift  „Le  Cardinal 
Alberoni  Pacifiste"  gibt  uns  V  e  s  n  i  t  c  h,  der 
ausgezeichnete  serbische  Gesandte  in  Paris, 
einen  sehr  guten  Ueberblick  über  Alberoni» 
Plan  einer  Eroberung  und  Aufteilung  der  Türkei. 
Alberoni     hatte    genau    bestimmt,    wie    die 


II 


I 


26 


<§= 


DIE  FRI EDENS -'^ÄRTE 


Armee  zusammengesetzt  sein  und  welches  Land 
jeder  bekommen  sollte.  Der  deutsche  Kaiser 
sollte  ganz  Bosnien,  Serbien,  Mazedonien  und 
die  Walachei  erhalten,  Frankreich  Tunis, 
Spanien  Algier,  Portugal  Tripolis,  England 
Smyrna  und  Kreta,  Preußen  die  Inseln  Negro- 
ponte,  Sardinien,  Cypern  usw.  Schließlich  sollte 
der  Herzog  von  Holstein-Gottorp  Kaiser  von 
Konstantinopel  werden  und  die  noch  übrig  blei- 
benden asiatischen  Besitzungen  der  Türkei  be- 
herrschen. 

Neben  diesen  Plänen  einer  Vertreibung  der 
Türken  aus  Europa  geht  eine  andere  Ideen- 
reihe, die  lediglich  darnach  strebt,  den  Türken 
das  Heilige  Land  zu  entreißen.  Dubois  hat 
diesen  Plan  zuerst  in  großen  Zügen  entworfen. 
Er  ist  auch  bis  heute  in  christlich  gesinnten 
Kreisen  nicht  eingeschlafen.  Trotzdem  muß  es 
wundernehmen,  daß  im  Jahre  1911  der  hol- 
ländische Völkerrechtsjurist  Jonkheer  van 
Daehne  van  Varick  in  seiner  Schrift 
,,La  revolution  et  la  question  d' Orient"  diese 
Idee  wieder  aufgenommen  hat.  Die  in  glänzen- 
dem Stile  geschriebene  Schrift  sagt,  die  euro- 
päischen christlichen  Mächte  müssen  wieder  ein 
großes  Ziel  haben,  und  dieses  besteht  in  der 
Wiedereroberung  des  Heiligen  Landes.  Unter 
Bezugnahme  auf  die  Kreuzzüge  predigt  er  einen 
Kreuzzug  gegen  die  Türken.  Man  mag  über 
dieses  Buch  (besprochen  auf  S.  268  der  Frie- 
denswarte, 1911)  denken,  wie  man  will.  Es 
wird  nicht  zu  leugnen  sein,  daß  der  Verfasser 
die  nahende  Revolution  auf  dem  Balkan  richtig 
vorausgesehen    hat. 

Auch  das  ist  eigenartig,  daß  van  Daehne 
in  seinem  Buche  auf  die  syrische  Frage  hin- 
weist und  daß  dieses  Problem  ebenfalls  nach 
Erscheinen  seiner  Schrift  aktuell  geworden  ist. 
Namentlich  Br  e  y  s  i  g  hat  im  „Tag"  ganz  offen 
gefordert,  Deutschland  solle  sich  Syriens  be- 
mächtigen. Ebenso  will  van  Daehne  in 
seinem  Buche,  daß  ein  hohenzollernscher  Prinz 
über  Syrien  herrsche. 

So  liegt  diesen  eigenartigen  Gedanken- 
gängen, wie  wenig  sie  auch  zum  Teil  mit  der 
pazifistischen  Weltanschauung  übereinstimmen, 
doch  mancher  interessante   Gedanke   zugrunde. 


Kleine  Mitteilungen.  ::  ::   ::   ::   ::   ::    :: 

Unser  Mitarbeiter  Dr.  Hans  Wehberg  in 
Düsseldorf  hat  einen  schweren  Verlust  er- 
litten. Am  16.  Dezember  starb  sein  Vater,  Dr. 
med.  Heinrich  Wehberg,  im  58.  Lebens- 
jahr. Was  Wehberg  damit  verloren  hat,  geht 
am  besten  aus  einer  Stelle  eines  Briefes  hervor, 
den  er  an  den  Herausgeber  richtete.  Sie  lautet: 
,,Ich  verdanke  meinem  Vater  außerordentlich 
viel.  Er  war  eine  Persönlichkeit  von  seltener 
Größe  der  Gesinnung.  Seine  Erziehung  war 
immerfort  darauf  gerichtet,  daß  man  für  das 
Wohl  der  Menschheit  wirken  müsse.  Männer, 
die  nur  dem  Gelderwerbe  und  ihrem  Wohlsein 
lebten,  nannte  er  Nullen.  In  der  Geschichte  der 
deutschen      Bodenreformbewegung      hat      mein 


Vater  eine  Rolle  gespielt  und  ist  in  seinen 
Schriften  auch  wiederholt  für  die  Friedens- 
bewegung eingetreten."  Das  Beileid  all  der 
vielen,  die  Hans  Wehberg  in  diesen  Blättern 
schätzen  gelernt  haben,  ist  ihm  gewiß.  —  Die 
schwedische  Schriftstellerin  Lotte  von 
Kram  er,  die  vor  kurzem  starb,  testierte  eine 
Million  Kronen,  die  teilweise  der  Förderung 
der     Friedensbewegung     zugute     kommen     soll. 

—  Die  Feier  zum  80.  Geburtstag  Geh.  Rat  Prof. 
W  i  1  h.  Försters  fand  am  30.  Dezember  in 
den  Räumen  des  Bürgersaales  des  Berliner  Rat- 
hauses statt,  wo  der  Gefeierte  selbst  einen  Vor- 
trag über  ,,Die  Erinnerungswelt  der  Mensch- 
heit" hielt.  Darauf  folgte  die  Feier,  die  durch 
einen  von  Ludwig  Fulda  gedichteten  Prolog 
eingeleitet  wurde.  —  Professor  Richett 
feierte  anfangs  Januar  im  intimen  Kreise  sein 
25  jähriges  Jubiläum  als  Inhaber  des  Lehr- 
stuhles für  Psychologie  an  der  Pariser  medi- 
zinischen Fakultät.  —  In  der  Dezember- 
nummer des  „Advocat  of  Peace"  wird  die  ver- 
nünftige Forderung  aufgestellt,  daß  das  erste 
Schiff,  das  bei  der  Eröffnung  durclrden  Panama- 
kanal fahren  soll,  kein  Kriegsschiff, 
sondern    ein    Handelsschiff    sein    soll. 

—  Der  bisherige  Sekretär  der  „Ame- 
rican Society  f o r  Judicial  S  e  1 1 1  e  - 
in  e  n  t  o  f  International  Dispute  s",  Mr. 
Theodore  M.a  rburg  aus  Baltimore 
wurde  als  Gesandter  der  Vereinig- 
ten  Staaten   nach   Brüssel   versetzt. 

—  Die  deutsche  Abteilung  der  von  Sir  Ernest 
Cassel  in  London  ins  Leben  gerufenen  König 
Eduard  VII.  Britisch-Deutsche-Stiftung  hat  in 
Hamburg  eine  Bibliothek  für  englische 
Kultur  gegründet,  die  dem  dortigen  Seminar 
für  englische  Sprache  und  Kultur  angegliedert 
werden  soll. 


AUS  DEB  BEWEGUNG 

Felipe  Moscheies'  80.  Geburtstag.  ::  ::       ::  ::  :: 

Am  8.  Februar  1833  wurde  zu  London 
Felix  Moscheies  geboren.  Es  bietet  sich  die 
Gelegenheit,  einen  der  unentwegtesten  und 
ausgezeichneten  .Werber  für  die  Sache  des 
Pazifismus  in  würdiger  Weise  zu  ehren. 

Wer  die  Weltfriedenskongresse  der 
letzten  zwanzig  Jahre  besucht  hat,  wird 
den  kleinen  Mann  mit  dem  lächelnden  Blick, 
das  von  einem  weißen  Bart  zart  umrahmte 
Antlitz  in  Erinnerung  haben,  der,  immer  ein 
Witzwort  auf  den  Lippen,  stets  auf  dem 
Posten  stand,  wenn  es  galt,  mit  Nachdruck 
für  etwas  einzutreten.  Wer  gar  das  Glück 
hatte,  Moscheies  näher  zu  kennen,  mit  ihm 
zu  plaudern,  aus  dem  Schatz  seiner  Er- 
fahrungen und  Menschenkenntnis  ihn  er- 
zählen zu  hören,  oder  mit  ihm  durch  sein 
malerisches  Künstlerheim  in  Chelsea  zu  wan- 


27 


DIE  FRIEDENS  -^/ADTE 


G) 


dem,  der  wird  für  sein  ganzes  Leben  die 
Erinnerung  an  diesen  prachtvollen  Edel- 
menschen  als  kostbares  Wertstück  in  sich 
tragen. 

Daß  Felix  Moscheies,  der  einst  die 
Suttner  in  die  Friedensbewegung  einführte, 
wie  man  in  ihrer  launigen  Schilderung  in 
ihren  Memoiren  nachlesen  kann,  schon 
80  Jahre  alt  wird,  wird  viele  wundern,  die 
sich  erinnern,  wie  frisch  und  tapfer  er  mit- 
arbeitet, wie  jugendstark  er  im  „Concord" 
die  Feder  führt.  Aber  es  ist  Tatsache,  daß 
er  nunmehr  in  die  Reihen  unserer  Pa- 
triarchen tritt.  Möge  er  —  nun  der  Doyen 
der  Bewegung  in  Europa  —  'diese  ehr- 
würdige Rolle  noch  lange  Jahre  innehaben. 
Wir  brauchen  ihn. 

Was  Moscheies  gearbeitet  hat,  wie  er 
sich  entwickelte,  wie  er  mit  der  Feder,  mit 
dem  Pinsel  und  mit  dein  ,,verda  stelo"  im 
Knopfloch  für  uns  wirkte,  lese  man  im 
„Handbuch  der  Friedensbewegung",  II.  Teil, 
Seite  381,  nach.  Die  Eingeweihten  der  Be- 
wegung werden  dies  aber  nicht  nötig  haben. 
Sie  senden  nach  dem  „Grelix-Heim"  in 
London  ihren  innigsten  Dank,  ihren  herz- 
lichsten Glückwunsch.    Vivu! 

MB 

Richard  Feldhaus  600.  Friedensvertrag.  ::  ::  :: 

Richard  Feldhaus  ist  eine  der  mar- 
kantesten Erscheinungen  in  der  deutschen 
Friedensbewegung.  Seit  20  Jahren,  seitdem 
er  den  Roman  „Die  Waffen  nieder"  der 
Baronin  Suttner  gelesen,  tritt  er  standhaft 
für  die  Friedensbewegung  ein.  Ein  zweiter 
Peter  von  Amiens,  reiste  er  von  Stadt  zu 
Stadt  —  oft  weit  über  die  Grenzen  Deutsch- 
lands hinaus  — ,  um  den  Kreuzzug  gegen 
den  Krieg  zu  predigen.  So  hat  er  vor 
Tausenden  und  Tausenden  seiner  Hörer  die 
Friedensidee  gepredigt,  das  Denken  an- 
geregt und  den  pazifistischen  Gedanken  zur 
Ausbreitung  gebracht.  Er  wurde  geradezu 
der  Quellfinder  für  die  Deutsche  Friedens- 
gesellschaft, der  er  einen  großen  Teil  ihrer 
Mitglieder  zugeführt  hat.  Die  Centrale  der 
Deutschen  Friedensgesellschaft  ließ  es  sich 
daher  auch  nicht  nehmen,  den  600.  Vortrag, 
den  Feldhaus  demnächst  halten  wird,  unter 
ihr  Protektorat  zu  stellen  und  ihn  mit 
einer  kleinen  Festfeier  zu  verbinden.  Die- 
ser Vortrag  wird  am  13.  Februar  d.  J.  im 
Bürgermuseum  in  Stuttgart  stattfinden.  Das 
Vortragsprogramm  für  diesen  Jubiläums- 
abend lautet:  „Die  Lehren  des  Bal- 
kankriegs"; erläutert  durch  viele  Licht- 
bilder. —  Rezitationen  von  Schriften  der 
Suttner    und    aus    L  a  m  s  z  u  s.     Wir    be- 


glückwünschen Feldhaus  aus  Anlaß  seines 
Jubiläums  zu  seiner  Arbeit  und  zu  seinen 
Erfolgen.  Möge  er  sich  an  dem  stolzen  Be- 
wußtsein erfreuen,  als  einer  der  deutschen 
Friedensarbeiter  der  ersten  Stunde  an  dem 
großen  Werke  der  Menschheitserweck  ung 
erfolgreich  mitgearbeitet  zu  haben. 

MB 

Drei  Tote.    ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   ;:   ::   ::   :: 

Albert  K.  Smiley.  —  Graf  Leonid 
Kamarowsky.   —  John  L  u  n  d. 

In  den  letzten  Wochen  hat  die  Friedens- 
bewegung wieder  schwere  Verluste  erlitten.  Drei 
hervorragende   Kämpen   sind  heimgegangen. 

Am  2.  Dezember  starb  in  Redlands  in  Kali- 
fornien Albert  K.  Smiley,  der  Begründer 
und  Führer  der  Lake-Mohonk-Konferenzen,  die 
sich  bereits  eines  Weltrufes  erfreuen.  Smiley 
war  am  17.  März  1828  in  Vassalboro  im  Staate 
Maine  geboren;  er  hat  demnach  ein  Alter  von 
84  Jahren  erreicht.  Er  war  ein  hervorragender 
Pädagoge  und  Gründer  verschiedener  der 
höheren  Bildung  dienender  Institute.  Viel  tat 
er  für  die  Erhaltung  der  Indianer  in  seinem 
Vaterlande.  Im  Jahre  1869  siedelte  er  sich 
am  Lake  Mohonk  im  Staate  New  York  an. 
wo  er  ein  umfangreiches,  inmitten  herrlicher 
Parkanlagen  gelegenes  Sommerhotel  errichtete. 
Es  wurde  dort  nicht  jeder  Gast  aufgenommen. 
Die  Enthaltsamkeit  von  alkoholischen  Ge- 
tränken war  eine  Bedingung.  Im  Jahre  189.') 
berief  er  nach  diesem  Landsitz  zum  ersten 
Male  eine  große  Anzahl  hervorragender  Männer 
und  Frauen  der  Vereinigten  Staaten  zu  einer 
Erörterung  über  die  Frage  des  internationalen 
Schiedsgerichts.  Diese  Konferenz  war  von 
solchem  Erfolge  begleitet,  daß  sie  fortab  jähr- 
lich abgehalten  wurde.  Im  Mai  1912  fand  die 
XVIII.  Lake-Mohonk-Konferenz  statt,  wie  sie 
allgemein  bezeichnet  werden.  Smiley  hat  dafür 
gesorgt,  daß  diese  Konferenzen  mit  seinem  Ab- 
leben   nicht    verschwinden    werden. 

Graf  Leonid  Kamarowsky,  der  An- 
fang Januar  jn  Moskau  Btarb,  war  ein  bekannter 
Völkerrechtsgelehrter  und  hervorragender  Ver- 
treter des  Friedensgedankens.  Er  wurde  am 
15.  März  1816  in  Kasan  geboren.  Jahrelang 
bereiste  er  Rußland  und  hielt  dort  öffentliche 
Vorträge  über  die  „Entwicklung  und  Organisa- 
tion des  Friedens  in  der  modernen  Gesell- 
schaft", das  „Problem  der  Abrüstung",  die 
„Humanisierung  des  Krieges",  über  den  Ersatz 
des  Krieges  durch  ein  Rechtsverfahren,  und 
über  „Die  Fortschritte  der  Schiedsgerichtsbar- 
keit". Im  Jahre  1873  war  er  Mitbegründer  des 
„Institut  de  Droit  international".  Seit  Jahr- 
zehnten wirkte  er  als  Lehrer  des  Völkerrechts 
an  der  Universität  Moskau.  Er  wurde  von  der 
russischen  Regierung  als  eines  ihrer  Mitglieder 
in  den  Haager  Schiedshof  gewählt  und  nahm 
an  der  im  Jahre  1909  begründeten  Moskauer 
Friedensgesellschaft  die  Vizepräsidentenstelle 
an.  Aus  zahlreichen  Briefen,  die  Kamarowsky 
im  Laufe  der  Jahre  an  den  Herausgeber  dieser 


2i 


@s 


DIE  FßlEDEN5-^^ßTE 


Blätter  gerichtet  hat,  geht  hervor,  welch  hin- 
gebungsvoller Freund  des  Fortschritts  durch 
den  Weltfrieden  der  Menschheit  mit  ihm  zu 
Grabe  getragen  wurde.  K.  hat  viele  völker- 
rechtlichen Schriften  verfaßt,  von  denen  sein 
Buch  über  „Das  internationale  Tribunal"  einen 
Ehrenplatz  in  der  Völkerrechtswissenschaft  ein- 
nimmt, auf  die  es  von  maßgebendem  Einfluß 
war.  Sein  letztes  —  1905  erschienenes  Werk 
—  galt  dem  „Problem  der  internationalen  Orga- 
nisation". 

Mit  großem  Schmerze  vernahm  man  von 
dem  am  8.  Jan.  1913  in  seiner  Vaterstadt 
Bergen  erfolgten  Hinscheiden  John  Lunds, 
des  hervorragenden  norwegischen  Politikers,  des 
großen  und  standhaften  Verfechters  der 
Friedenssache.  Er  wurde  am  9.  Okt.  1812 
geboren.  Fünfzehn  Jahre  lang  war  er  Vertreter 
seiner  Vaterstadt  im  Storthing,  davon  7  Jahre 
als  Präsident  des  Lagthing  und  einige  Jahre 
lang  als  Präsident  der  Eisenbahnkommission. 
Er  hat  seit  1890  an  allen  interparlamentarischen 
Konferenzen  (mit  Ausnahme  der  von  1897  und 
1912)  teilgenommen  und  war  auf  diesen  Kon- 
ferenzen bis  1900,  während  er  Mitglied  des 
Storthing  war  und  außerdem  1904  in  St.  Louis, 
Wortführer  der  norwegischen  Delegation.  L. 
war  das  erste  Mitglied  der  interparlamenta- 
rischen Union,  das  über  die  Verhandlungen 
der  interparlamentarischen  Konferenzen  (von 
1890  bis  einschließlich  1900)  seinem  Parlament 
offiziellen  Bericht  erstattete.  Er  war  Organi- 
sator der  interparlamentarischen  Konferenz  von 
1899  zu  Christiania  und  deren  Präsident.  Seiner 
Initiative  ist  es  zu  danken,  daß  das  Storthing 
als  erste  offizielle  Körperschaft  das  Berner 
interparlamentarische  Amt  durch  einen  jähr- 
lichen Geldbetrag  unterstützte.  Zur  interparla- 
mentarischen Konferenz  in  St.  Louis  wurde  L. 
als  einer  der  Vertreter  der  interparlamenta- 
rischen Gruppe  des  Storthing  gewählt  und  er- 
hielt gleichzeitig  vom  Nobelinstitut  in  Christia- 
nia den  Auftrag  zum  Studium  der  amerika- 
nischen Friedensbewegung.  Er  schrieb  eine  Reihe 
politischer  Artikel  in  norwegischen  und  aus- 
ländischen Zeitungen,  und  veröffentlichte  die 
aus  Anlaß  der  zu  Christiania  (1899)  statt- 
gehabten Interparlamentarischen  Konferenz 
veröffentlichte  Festschrift.  Lund  war  Ehren- 
mitglied des  Interparlamentarischen  Rats  und 
Vizepräsident  der  Nobelkommission  des  nor- 
wegischen Storthings.  In  der  Rede,  die  er  an 
dem  im  Jahre  1909  Moneta  zu  Ehren  ge- 
gebenen Nobelbankett  hielt,  brachte  er  die 
Grundzüge  zum  Ausdruck,  die  ihn  bei  der  Ver- 
leihung der  Nobelpreise  leiteten.  Im  Oktober 
vorigen  Jahres  feierte  er  —  schon  kränkelnd  — 
seinen  70.  Geburtstag.  In  diesen  Blättern  wurde 
aus  diesem  Anlaß  auf  seine  großen  Verdienste 
hingewiesen.  Sein  Vaterland  hat  einen  aus- 
gezeichneten Bürger,  die  Menschheit  einen  be- 
wunderungswürdigen Menschen,  die  Friedens- 
bewegung einen  ihrer  unermüdlichen  Vorkämpfer 
verloren. 


Resolution  des  Ceniralvorstandes  des  Ver- 
bandes   für    internationale    Verständigung. 

Angesichts  der  erfreulichen  Tatsache,  daß 
sich  in  der  gegenwärtigen  kritischen  Zeit  die 
Mächte  der  Triple-Entente  mit  denen  des  Drei- 
bunds zu  gemeinsamer  Arbeit  für  die  Erhaltung 
des  europäischen  Friedens  zusammengefunden 
haben,  spricht  der  Verband  für  internationale 
Verständigung  die  Hoffnung  aus,  daß  diese  ge- 
meinsamen Bemühungen  erfolgreich  sein  werden, 
indem  auf  einer  europäischen  Staatenkonferenz 
auch  widerstreitende  Interessen  einzelner  Mächte 
einen  Ausgleich  finden,  der  der  Natur  der  Dinge 
entspricht  und  dadurch  die  notwendigen  Garan- 
tien für  die  künftige  politische  Gestaltung  der 
Verhältnisse  auf  dem  Balkan  in  sich  birgt.  Wir 
sind  überzeugt,  daß  diese  Zusammenarbeit  auch 
die  zukünftigen  Beziehungen  der  europäischen 
Mächte  zueinander,  insbesondere  von  Deutsch- 
land und  den  Westmächten,  auf  das  glück- 
lichste beeinflussen  wird. 

von  Ullmann.     Nippold.     Schücking. 
Pilot  y.        Maier. 


LITERATUR  UPBESSE 

Der  Koloß  von  Brüssel. 

Das  Buch,  das  ich  als  Koloß  von  Brüssel 
bezeichne,  kann  in  viel  höherem  Maße  den  An- 
spruch erheben,  als  Weltwunder  zu  gelten,  als 
im  Altertum  der  Koloß  von  Rhodos.  Warum 
Koloß?  Es  umfaßt  im  Lexikonformat  wohlge- 
zählte 2652  Seiten  und  wiegt  gebunden  über 
viereinhalb  Kilo,  i  Aber  nicht  nur  in  seinen 
Dimensionen  ist  es  ein  Koloß,  es  kündet  auch 
durch  seinen  Inhalt  etwas  Kolossales.  Ich 
spreche  von  dem  neuen  Band  des  „A  n  n  u  a  i  r  e 
de  la  vie  internationale"  (1910  bis 
1911)*),  der  soben  verausgabt  wurde,  jenem 
Brennspiegel  des  internationalen  Lebens  der 
Gegenwart,  dem  Heiligen  Buch  der  Weltorgani- 
nation,  dem  beweiskräftigen  Dokument  der 
wachsenden  Gemeinschaftsarbeit  der  Mensch- 
heit. Ein  Buch,  das  wir  Pazifisten  gegen  den 
Ansturm  der  Chauvinisten,  der  Gewaltanbeter, 
der  Utopisten  vom  ewigen  Krieg  als  unein- 
nehmbares Bollwerk  werden  benützen  können, 
in  dessen  Zeichen  die  Lehre  von  der  sich 
organisierenden  Welt  unfehlbar  siegen  muß. 

Das  „Annuaire"  stellt  sich  als  eine  Samm- 
lung beschreibender  und  dokumentierter  Einzel- 
abhandlungen über  510  gegenwärtig  be- 
stehender internationaler  Organi- 
sationen dar.    Dabei  enthält   es   auf  seinen 


*)  „Annuaire  de  la  vie  inter- 
nationale. Unions,  Associations  Instituts, 
Commissions,  Bureaux,  Offices,  Conferences, 
Congres,  Expositions,  Publications.  Publie  pour 
l'Union  des  Associations  Internationales  avec 
le  concours  de  la  Fondation  Carnegie  pour 
la  paix  internationale  et  de  l'institut  inter- 
national de  la,  Paix.  Second  Serie.  Volume  II. 
1910—1911.  Lex.  8°.  Bruxelles  1913.  Office 
central  des  Associations  Internationales,  rue  de 
la   regence    3    bis    2652    SS.     Hbfrzbd.    40   Fr. 


29 


DIE  FRIEDENS -^/APTE 


3 


2652  Seiten  nicht  etwa  die  vollständige  Beschrei- 
bung jener  Organisationen,  sondern  nur  die  Er- 
gänzungen über  die  bereits  in  dem  vorher- 
gehenden, 1550  Seiten  umfassenden  Band  ent- 
haltenen Daten,  nebst  jenen,  allerdings  sehr 
zahlreichen  Organisationen,  die  in  dem  vor- 
liegenden Band  neu  aufgenommen  wurden.  Es 
ist  ein  Beweis  des  ungeheuren  Wachstums  der 
internationalen  Betätigung,  die  das  kolossale 
Buch    augenfällig    dartut. 

Vom  Jahre  1909,  dem  Jahre  der  vorletzten 
Ausgabe  des  Annuaire,  hat  sich  die  Gesamt- 
zahl der  internationalen  Organisationen  bis 
Februar  1912  (dem  Datum  des  letzten  Redak- 
tionsanschlusses) von  300  auf  510  vermehrt.  Die 
Zahl  der  internationalen  Kongresse  ist  in  dem 
vorliegenden  Buch  von  1840—1912  auf  2615  fest- 
gestellt worden,  wobei  erinnert  werden  muß, 
daß  eine  endgültige  Feststellung  für  die  Ver- 
gangenheit überaus  schwierig  ist  und  die  Er- 
weiterung der  Zahl  durch  neue  Entdeckungen 
als  sicher  angenommen  werden  kann.  Wie  sehr 
aber  die  Gemeinschaftsarbeit  der  Menschheit 
auf  internationalen  Kongressen  in  steter  Zu- 
nahme begriffen  ist,  ergibt  sich  aus  einer  dem 
Bande  beigegebenen  statistischen  Tabelle.  Da- 
nach haben  an  internationalen  Kongressen 
stattgefunden : 

Von  1840—1849  9 

„  1850—1859  20 

„  1860—1869  77 

„  1870—1879  169 

„  1880—1889  309 

,,  1890—1899  510 

„  1900—1909  1070 
In  den  Jahren  1910:  181,  1911:  131,  1912:  109. 

Nach  dieser  Tabelle  hat  sich  die  inter- 
nationale Gemeinschaftsarbeit  im  ersten  Jahr- 
zehnt unseres  Jahrhunderts  gegenüber  dem  vor- 
hergehenden mehr  als  verdoppelt,  dem 
vorvorigen  gegenüber  mehr  als  verdrei- 
facht. Wenn  man  die  Zunahme  des  zweiten 
Jahrzehnts  unseres  Jahrhunderts  nach  dem 
Durchschnitt  der  drei  ersten  Jahre  (d.  i.  140 
per  Jahr)  berechnet,  ergibt  sich  für  diesen 
Zeitraum  mindestens  eine  Verdreifachung  gegen- 
über dem  Jahrzehnt  1890 — 1899  und  eine  Ver- 
fünffachung der  Zahl  der  Kongresse  gegenüber 
dem  Abschnitt  1880—1889.  Fürwahr,  diese 
Zahlen  bilden  einen  erlösenden  Beweis.  Sie 
zeigen,  wie  die  Organisation  über  die  Anarchie 
siegt,  wie  trotz  der  kriegerischen  Wirren  des 
Tages  das  Friedensprinzip,  das  in  gemeinsamer 
Arbeit  der  Menschheit  im  Dienste  der  Kultur 
liegt,  sich  zusehends  fortentwickelt.  Darum  sind 
wir  berechtigt,  den  Koloß  von  Brüssel  als  eines 
der  heiligen  Bücher  der  Menschheit  zu  be- 
zeichnen. 

Vor  mir  liegt  die  erste  Ausgabe  dieses 
Annuaire  aus  dem  Jahre  1905.  Ein  kleines, 
bequem  in  die  Brusttasche  zu  steckendes  Bänd- 
chen von  156  Seiten.  Vielleicht  ist  es  nicht 
uninteressant,  daran  zu  erinnern,  was  der  Her- 
ausgeber dieses  ersten  Bandes  vor  acht  Jahren 
in  der  Einleitung  gesagt  hat.  „Diese  Arbeit", 
so  heißt  es  dort,  „ist  nur  ein  Versuch.  Man 
kann  darin  nur  die  Skizze  eines  Gemäldes 
sehen,  das  erst  auszuführen  ist.  Es  ist  un- 
möglich, zu  Anfang  mehr  zu  tun.  Der  Heraus- 
geber war  als  Quelle  nur  auf  einige  Zeitungen 
und  auf  die  Gefälligkeit  einzelner  Personen  an- 
gewiesen, die  bereit  waren,  auf  seine  Anfragen 


zu  antworten.  Unter  diesen  Umständen  konnte 
das  Werk,  dasi  er  jetzt  der  Öffentlichkeit  vor- 
legt, nur  unvollständig  sein,  es  soll  nur  als 
der  Plan  zu  einem  künftigen  Ge- 
bäude betrachtet  werden.  Doch  ge- 
stattet dieser  Plan  gewissermaßen  anzudeuten, 
was  der  vollendete  Bau  sein  wird.  Mit  der 
Zeit  wird  dieses  Annuaire  ein  sicherer  und  voll- 
ständiger Eührer  des  internationalen  Lebens 
werden." 

Das  1905  Angekündigte  ist  jetzt  zur  Tat 
geworden.  Das  Annuaire  ist  von  156  Klein- 
Oktav-Seiten  zu  2652  Seiten  Lexikon-Format  an- 
gewachsen. Zu  seiner  Herstellung  sind  in 
einem  Jahre  mehr  als  3000  Briefe  ver- 
sandt worden  und  mehr  als  4000  Nach- 
schlagungen notwendig  gewesen.  Das  Gebäude 
steht  da,  das  der  Plan  vor  acht  Jahren  an- 
zeigte. Diese  ungeheure  Leistung  ist  den  beiden 
ausgezeichneten  Männern  zu  danken,  die  seife 
1908  das  Werk  aus  den  kleinen  Verhältnissen, 
unter  denen  es1  ins  Leben  gerufen  wurde,  über- 
nahmen, um  es  auszugestalten,  dem  bel- 
gischen Senator  Henri  Lafontaine  und 
Paul  Otlet,  dem  Pfadfinder  der  neuen 
Wissenschaft  des  Internationalismus.  Es  ist 
aber  auch  der  Carnegiestiftung  zu  danken,  die 
diese  beiden  Männer  bei  ihrer  Arbeit  unter- 
stützt hat. 

Jetzt  handelt  es  sich  nur  darum,  dieses 
Monumentalwerk  bekanntzumachen.  Die  Mensch- 
heit muß  aus  ihm  erfahren,  was  sie 
in  ihrer  Mehrheit  noch  nicht  weiß;  die  füh- 
renden Männer  vor  allen  Dingen,  die  Minister» 
Diplomaten,  Parlamentarier  müssen  es  erfahren, 
daß  die  Welt  sich  organisiert.  Und  deshalb 
wünschen  wir,  daß  die  Verbreitung  dieses 
Buches  in  einer  so  nachhaltigen  Weise  durch- 
geführt werden  möge,  wie  'seine  Herstellung 
sachgemäß  zustandegebracht  worden  ist.  Vor 
allen  Dingen  wünschen  wir,  daß  man  i  n 
Deutschland  dieses  Buch  in  umfassender 
Weise  kennen  lerne.  Dieses  Buch,  das  uns  die 
internationalisierte  Welt  zeigt,  kann  um- 
wälzend wirken,  es  muß,  wenn  es  erst  ver- 
breitet ist,  das  Denken  und  Handeln  der  Zeit- 
genossen beeinflussen.  Ein  Ziel,  das  mit  aller 
Kraft  zu  erstreben   ist.  F. 


Eine  neue  japanische  Friedenszeitschrift. 

Vor  uns  liegt  in  gefälligem  Oktav-Format 
die  im  Dezember  1912  ausgegebene  erste  Nummer 
der  „The  Japan  Peace  Movement",  des  monat- 
lichen Organs  der  „Japanischen  Friedensgesell- 
schaft" und  der  „Amerikanischen  Friedensgesell- 
schaft von  Japan",  das  an  Stelle  der  früheren 
Zeitschrift  „Heiwa"  getreten  ist  und  seinen 
Titel  nach  der  Zeitschrift  des  Berner  Bureaus 
gebildet  hat.  Nach  6  Seiten  englischen  Textee 
folgen  24  Seiten  japanischer  Text.  Das  Vorwort 
rührt  vom  Grafen  Okuma  her,  es  finden 
sich  dann  noch  Artikel  von  Baron  Y.  Schi- 
busawa,  Dr.  Charles  W.  Eliot.  T.  Ko- 
shida, R.  Watanabeu.  a.  Wir  wünschen 
unserem  ostasiatischen  Bruderorgan  besten 
Erfolg. 


Besprechungen.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 
V.  Liszt,  Das  Völkerrecht,  systematisch 

dargestellt,     neunte     Auflage,      Berlin      1913, 

O.   Härinsr,    565  S. 


30 


<£ 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


Die  Auflagen  des  Lisztschen  Werkes  folgen 
einander  überaus  schnell,  der  beste  Beweis 
für  die  große  und  verdiente  Popularität  des 
Buches.  Die  Vorzüge  des  Werkes  bestehen  be- 
kanntlich in  der  guten  Systematik,  der  klaren 
Sprache,  der  Vollständigkeit  der  Literatur- 
nachweise und  vielem  anderen.  Wir  Pazifisten 
dürfen  dem  Werke  noch  seine  fortschrittliche 
Gesinnung  nachrühmen,  die  in  dem  vorliegen- 
den Bande  besonders  hervortritt. 

Wir  lesen  in  dem  Vorworte  zu  unserer  größ- 
ten Freude :  „Gerade  vom  nationalen  Standpunkte 
aus  kann  man  es  nur  auf  das  dringendste 
wünschen,  daß  das  Deutsche  Reich  der  unver- 
meidlichen Entwicklung  sich  nicht  entgegen- 
stemme, sondern  daß  es  an  ihre  Spitze  trete 
und  die  Friedenspolitik,  die  es  seit  Jahrzehnten 
unter  schwierigen  Verhältnissen  verfolgt  hat, 
auch  in  der  Mitarbeit  an  der  Weiterbildung 
des  Völkerrechts  betätige.  Aufgabe  der  deut- 
schen Vertreter  der  Völkerrechtswissenschaft 
ist  es,  eine  schöne  und  dankbare  Aufgabe,  die 
Reichsregierung,  soweit  sie  diesen  Weg  geht, 
mit  allen  Kräften  zu  unterstützen.  Die  ent- 
gegengesetzte Haltung,  die  in  einzelnen  und 
hoffentlich  vereinzelt  bleibenden  deutschen 
Schriften  zum  Ausdruck  gekommen  ist,  liegt 
nach  meiner  festbegründeten  Ueberzeugung 
nicht  im  Interesse  des  deutschen  Volkes." 

Im  einzelnen  wäre  freilich  mancherlei  zu 
bemerken.  Z.  B.  hat  die  verschiedenartige 
Interpretation  des  Artikels  23h  der  Anlage 
zum  Landkriegsabkommen  gar  keine  Feststel- 
lung gefunden.  Die  neuesten  pazifistischen 
Tendenzen  und  vor  allem  die  moderne  Schieds- 
gerichtsbewegung verdienten  eine  noch  ein- 
gehendere Berücksichtigung.  Leider  ist  ja  wohl 
Schückings  Werk  zu  spät  erschienen,  um  noch 
verwertet  zu  werden.  Mir  scheint  ein  ganz 
neues  Kapitel  nötig,  worin  die  Ergebnisse  der 
Haager  Konferenzen  und  ihr  Verhältnis  zu  dem 
modernen  Pazifismus  dargestellt  wird. 

Wir  wünschen  dem  Lisztschen  Werke,  das 
der  deutschen  Völkerrechtswissenschaft  zur 
höchsten  Ehre  gereicht,  eine  immer  größere 
Verbreitung.  W  e  h  b  e  r  g. 


Bernhardi,    Friedrich   v., 
Unsere    Zukunft.     Ein   Mahnwort   an   das   deut- 
sche Volk.    6.   und  7.   Tausend.    8°.    Stuttgart 
und  Berlin  1912.    J.   G.   Ootta.    154  S. 

Der  Verfasser  von  „Deutschland  und  der 
nächste  Krieg",  beschert  uns  wieder  ein  inter- 
essantes Buch,  das  uns  wertvolle  Aufschlüsse 
über  die  politische  Denkmethode  gewisser 
Kreise  liefert.  Um  diesen  Ozean  von  Irrtum 
zu  widerlegen,  müßte  man  ein  ganzes  Buch 
schreiben,  eine  Bibliothek.  Man  hat  sie  eigent- 
lich schon  geschrieben ;  denn  v.  Bernhardi  bringt 
keinen  Gedanken  vor,  der  nicht  schon  wider- 
legt wäre.  Mit  erfreulicher  Offenheit  tritt  er 
der  Friedensbewegung  entgegen:  „Diesen  Be- 
strebungen muß  der  Boden  unter  den  Füßen 
entzogen  werden",  meint  er  S.  56.  Wie  wollen 
Sie  das  nur  machen,  Herr  General?  Sie  meinen, 
die  Friedensbewegung  ist  eine  Erfindung.  Das 
ist  sie  nicht.  Sie  ist  ein  Produkt  der  Tat- 
sachen, die  die  Welt  beherrschen.  Ich  wüßte 
ein  Mittel,  die  Friedensbewegung  zu  beseitigen. 
Es  gibt  nur  das  eine :  Zerschlaget  alle  Maschinen, 
zerstört  alle  Eisenbahnlinien,  zerschneidet  alle 
Telegraphen-   und   Telephondrähte,    alle    Kabel, 


verbietet  jede  technische  Erfindung  —  und  der 
Friedensbewegung  ist  „der  Boden  entzogen". 
Kann  man  das  nicht,  dann  wird  sie  bestehen 
bleiben  und  unaufhörlich  und  ungeheuer 
wachsen. 

In  dem  Kapitel  „Die  soziale  und  politische 
Bedeutung  des  Krieges"  wird  der  Krieg  als 
biologische  Notwendigkeit  dargestellt.  Wir 
wissen,  daß  der  Krieg  eine  verkehrte  Auslese 
zeitigt  und  die  Völker  degeneriert.  Der  Ver- 
fasser geht  von  der  falschen  Prämisse  aus. 
daß,  weil  der  „Kampf  der  Vater  aller  Dinge 
ist,  der  Krieg  unentbehrlich  sei.  Wie  oft  haben 
wir  es  bewiesen,  daß  der  Krieg  nur  eine  und 
die  unrichtigste  Form  des  Kampfes  ist,  daß  wir 
kämpfen,  ohne  gelegentlich  in  einem  halben 
Jahrhundert  Menschenknochen  zu  zertrümmern, 
und  daß  schließlich  der  Kampf  auch  nicht  der 
Vater  aller  Dinge  ist,  sondern  in  ebenso 
hohem  Grade  auch  die  gegenseitige  Hilfe. 
Der  Kampf  ist  nur  dann  lebenspendend,  wenn 
er  sich  gegen  die  Umwelt,  aber  nicht,  wenn 
er  sich  gegen   die   eigene  Art   wendet. 

Sehr  neu  und  ein  bißchen  gewagt  erscheint 
mir  die  Erklärung  des  Verfassers,  warum  „die 
Friedensbewegung  einen  so  bedeutenden  Ein- 
fluß gewinnen  konnte,  wie  sie  ihn  heute  tat- 
sächlich erreicht  hat".  Warum?  General 
v.  Bernhardi  sagt  es  uns :  „Diese  Tatsache 
erklärt  sich  zum  Teil  dadurch,  daß  hinter 
ihr  sehr  bedeutende  Privatinter- 
essen stehen,  die  teilweise  mit 
einem  gewaltigen  Kapital  ar- 
beite n."  (! )  Die  Eingeweihten,  die  so  oft 
über  den  50-Pfennig-Pazifizismus,  wie  wir  ia 
ßelbstironie  unsere  finanziell  so  arme  Bewegung 
genannt  haben,  klagten,  werden  sich  eines 
Lächelns  nicht  erwehren  können.  Das  wagt  man 
einer  Bewegung  gegenüber  zu  behaupten,  die 
gegen  einen  Feind  ankämpft,  dem  jährlich 
20  Milliarden  zur  Verfügung  stehen,  also  das 
Zehntausendfache,  das  die  Carnegie- 
stiftung jährlich  zu  vergeben  hat.  Darüber  ist 
wahrlich   kein   Wort   weiter    zu   verlieren. 

Interessant  ist  es  auch,  daß  der  Verfasser 
die  große  Ausdehnung  der  Friedensbewegung 
in  den  Vereinigten  Staaten  begreiflich  findet. 
Das  Selbstbewußtsein,  das  die  ruhmvoll  er- 
fochtene  Unabhängigkeit  den  Amerikanern 
gibt,  die  fehlende  Voraussetzung  einar  Ueber- 
völkerungsgefahr,  die  reichen  Naturschätze  des 
Landes,  die  Möglichkeit  der  Muskelstärkung  im 
Kampfe  gegen  eine  noch  nicht  überall  unter- 
worfene Natur,  dies  alles  läßt  es  ihm  natürlich 
erscheinen,  „daß  die  Bevölkerung  dieses  Landes 
der  Friedensbewegung  im  allgemeinen  sym- 
pathisch gegenübersteht  .  .  ."  Dann  heißt  es: 
„  W  ie  anders  steht  Deutschland  da!" 
—  Wir  brauchen  die  Darlegungen  hier  weiter 
gar  nicht  zu  verfolgen.  Es  genügt  uns,  den 
Verfasser  hier  auf  einen  Grundirrtum  auf- 
merksam zu  machen :  Es  gibt  wohl  eine  Friedens- 
bewegung in  Deutschland,  aber  keine  deutsche 
Friedensbewegung.  Hätten  wir  in  Deutschland 
eine  isolierte  Friedensbewegung,  dann  wäre  sie 
sicherlich  ein  Verbrechen  am  deutschen  Volke. 
Die  Gegner  der  Friedensbewegung  übersehea 
aber  immer,  daß  die  Friedensbewegung  inter- 
national ist,  und  daß  sie  nur  als  solche  ins 
Auge  gefaßt  werden  darf.  Dann  ergibt  sich  ein 
ganz  anderes  Bild.  Dann  ist  das  gut,  waa 
unter  der  falschen  Voraussetzung  schlecht    er- 


DIE  FßlEDEN5-^\^DTE 


3 


scheint.  Wenn  z.  B.  die  Friedensbewegung  den 
kriegerischen  Geist  hemmt,  so  wäre  dies  ein 
Verbrechen,  wenn  das  nur  für  Deutschland  zu- 
träfe, aber  eine  Wohltat  —  eine  Wohltat  für 
Deutschland  — ,  wenn  dies  in  der  ganzen  Welt 
der  Fall  ist;  denn  dann  fallen  jene  Voraus- 
setzungen, aus  denen  der  Verfasser  die  Not- 
wendigkeit der  steten  Kriegsbereitschaft  des 
Reiches  herleitet.  Und  ein  unparteiischer  Ueber- 
blick  muß  dem  Pazifistengegner  sagen,  daß  — 
abgesehen  von  den  Ländern  des  Ostens  —  die 
Friedensbewegung  in  allen  Ländern  höher  ent- 
wickelt ist  als  in  Deutschland.  Das  ist  beweis- 
bar! Und  statt  die  Friedensbewegung  zu  ver- 
dammen, sollte  man  sie  gerade  vom  Stand- 
punkte  des  Patriotismus   hoch   halten. 

Der  Verfasser  kennt'  den  modernen  Pazifis- 
mus nicht,  denn  er  weist  seine  Unhaltbarkeit 
durch  eine  Kritik  der  Schiedsgerichtsbarkeit 
nach.  Die  Schiedsgerichtsbarkeit  ist  nicht  das 
Allheilmittel ;  das  sagen  wir  oft  genug.  Sie 
ist   ein  Friedensmittel   unter   hundert   anderen. 

Aber  —  wie  eingangs  erwähnt  —  man  müßte 
die  Bücher  alle  noch  einmal  schreiben,  die  wir 
schon  geschrieben  haben,  um  den  General  zu 
widerlegen.  Wozu?  Er  wird  die  Weltent Wick- 
lung nicht  ändern.  Und  wenn  er  uns  das  ein 
Jahrhundert  alte  Wort  entgegenruft :  „Das  letzte 
Heil,  das  Höchste  liegt  im  Schwerte",  so 
können  wir  ihm  nur  ein  neueres  Wort  entgegen- 
stellen, das  da  lautet:  „Der  Friede  ist  die 
Funktion    der    Kultur".  A.    H.    F. 

Mfet 

Angell,   Norman, 
Peace     Theories    and     the     Balkan    War.      8  °. 
London  1912.    Horace  Marshall  &  Son.    141   S. 
Cloth. 

Der  Verfasser  der  „Großen  Täuschung" 
benutzt  den  Balkankrieg  als  Demonstrations- 
objekt für  die  Darlegung  der  pazifistischen 
Theorie.  Das  vorliegende  Buch  ist  eine  Streit- 
schrift gegen  jene,  die  den  Ausbruch  des 
Balkankrieges  als  einen  Zusammenbruch  aller 
pazifistischen  Lehre  bezeichneten,  und  die  sich 
veranlaßt  sahen,  zu  behaupten,  daß  der  Krieg 
doch  ein  gutes  Mittel  sei. 

Norman  Angell  legt  dem  gegenüber  dar, 
daß  es  keinem  vernünftigen  Pazifisten  ein- 
gefallen ist,  den  Krieg  als  unmöglich  hin- 
austeilen. Die  Täuschung  liegt  nicht  in  der 
Unwahrscheinlichkeit  des  Krieges,  sondern  in 
seinen  Vorteilen.  Der  Krieg  ist  nichtig,  und 
die  Gewalt  ist  kein  Mittel.  Das  beweist  eben 
der  Balkankrieg.  Die  Türken  sind  es,  die  seit 
400  Jahren  das  Gewaltsystem  auf  der  Balkan- 
insel praktizierten,  und  die  jetzt  die  Nichtig- 
keit dieses  Systems  kennen  lernen.  Der  Krieg 
der  Balkanvölker  ist  nur  eine  Auflehnung  gegen 
dieses  System.  Die  Auflehnung  gegen  die  Ge- 
walt ist  nicht  Krieg  in  dem  Sinne,  in  dem 
die  Pazifisten  wirken.  Der  Gendarm,  der  den 
Räuber  mit  denselben  Mitteln  unschädlich 
macht,  wie  der  Räuber  vorher  den  friedlichen 
Wanderer,  wird  durch  diese  Handlung  nicht 
zum  Räuber.  Die  Balkanvölker  würden  anti- 
pazifistisch  handeln,  wenn  sie  den  Spieß  um- 
kehren und  nun  ihrerseits  ein  System  der  Ver- 
gewaltigung und  Ausbeutung  den  Türken  gegen- 
über geltend  machen  wollten.  Die  Eroberung 
war  das  ökonomische  Prinzip  der  Türken,  und 
dieses  sehen  wir  jetzt  auf  dem  Balkan  zu- 
sammenbrechen. 


Das  vorliegende  Buch  Angells  ist  nicht 
weniger  interessant  und  wichtig  wie  sein  großes, 
in  der  ganzen  Welt  bekannt  gewordenes  Werk. 
Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  seine  Aus- 
führungen in  dem  Schlußkapitel,  „Was  müßten 
wir  tun?"  betitelt.  Guter  Wille  allein  genügt 
nicht.  Gesunde  Ideen  breiten  sich  nicht  von 
selbst  aus.  Sie  müssen  von  Menschen  aus- 
gebreitet werden.  Die  öffentliche  Meinung 
muß  umgewandelt  werden,  denn  die  Regierungen 
sind  nur  die  Verkörperung  der  allgemeinen 
öffentlichen  Meinung.  Eine  ständige  Organi- 
sation der  Propaganda  muß  diesen  Wandel  in 
einem  halben  Menschenalter  hervorbringen 
können,  eine  Revolution  des  Geistes,  die  größer 
sein  wird,  als'  die  der  Reformation.  „Eine  der- 
artige Organisation  hat  kaum  begonnen.  Dio 
Friedensgesellschaften  haben  hervorragende 
Dienste  geleistet  und  leisten  sie  noch,  aber, 
um  die  große  Masse  zu  erreichen,  müßten 
Instrumente  von  viel  größerer  Wirkungskraft  in 
Anwendung  kommen."  Angell  führt  dann  sein 
Programm  aus.  An  hundert  Punkten  gleich- 
zeitig muß  das  Werk  angefaßt  werden.  Als 
eines  dieser  Mittel  bezeichnet  der  Verfasser  die 
Errichtung  von  Lehrstühlen  für  die  inter- 
nationale Staatskunst  an  allen  Universitäten. 
„W  ährend  wi  r",  so  führt  er  glänzend  aus, 
„Lehrstühle  zur  Erforschung  des 
Wesens  der  Insekten  -  Verwandt- 
schaften besitzen,  haben  wir  keine 
zur  Erforschung  des  Wesens  der 
Beziehungen  der  Menschen  in  ihren 
politischen  Gruppierungen."  Er  will 
die  englische  Flotten-Liga  und  den  deutschen 
Flottenverein  zu  Friedensorganisationen  um- 
wandeln, indem  er  sie  veranlaßt  sehen  will, 
statt  die  Erhöhung  der  Schiffs  zahl,  des  Schiff  s- 
umfanges  und  der  betreffenden  Armierung  zu 
erstreben,  festzustellen,  wie,  warum  und  wann 
und  unter  welchen  Bedingungen  diese  Waffen 
verwendet  werden  sollen.  Er  verlangt,  daß  die 
politischen  Parteien  Englands  und  Deutschlands 
in  London  und  Berlin  wechselseitige  Vertreter 
unterhalten  sollen,  damit  sie  sich  gegenseitig 
von  ihren  Illusionen  befreien.  „Unsere  Staats- 
kunst", so  schließt  das  hervorragende  Buch, 
„ist  noch  immer  auf  eine  Art  politischen 
Kannibalismus  begründet,  auf  der  Idee,  daß 
Nationen  sich  durch  die  Eroberung  und  Be- 
herrschung anderer  entwickeln  können.  So 
lange  das  unsere  Auffassung  von  den  Be- 
ziehungen der  menschlichen  Gruppen  bildet, 
werden  wir  immer  vor  der  Gefahr  von  Zu- 
sammenstößen stehen,  und  unsere  Vergesell- 
schaftungs-  und  Kooperationsentwürfe  werden 
immer  zusammenbrechen." 


Diederich,  Franz, 
Krieg.  Ein  Buch  der  Not.  Dem  Willen 
zum  Frieden  gewidmet.  8  °.  Dresden  1912.  Mit 
acht  Bildern  von  Goya,  Klinger,  Bock- 
1  i  n  und  Wereschtschagin.  Verlag  von 
Kaden  &  Comp.    101   S. 

Ein  aus  der  Zeit  heraus  geborener  Auf- 
schrei gegen  das  Verbrechen  des  Krieges. 
Anthologie  der  besten  Gedichte  gegen  den  Krieg. 
Mit  guten  Bildern  geschmückt.  Ein  Propaganda- 
buch bester  Art  für  die  breiten  Massen. 


32 


©_- 


DIE  FRIEDENS -MXZTE 


Hüttenhein,  Dr.  Erich. 
Die  Handelsschiff©  der  Kriegführenden.  Eine 
völkerrechtliche  Kriegsstudie.  8  °.  Breslau  1912. 
J.  U.  Kerns,  Verlag.  (Sonderabdruck  aus :  Zeit- 
schrift für  Völkerrecht  und  Bundesstaatsrecht.) 
72  S. 

Der  Verfasser  behandelt  zwar  ein  kriegs- 
rechtliches Thema,  jedoch  im  Geiste  des 
modernen  Völkerrechts.  Das  geht  aus  dem 
Schlußwort  hervor,  wo  er  das  Völkerrecht  gegen 
seine  Existenzverleugner  in  Schutz  nimmt,  es 
aus  dem  Rechtsbewußtsein  des  modernen  Staa- 
tes und  mit  Nippold  aus  der  „Solidarität  der 
heutigen  internationalen  Interessen"  herleitet. 
Die  Richtung  auf  eine  Verwirklichung  einer 
fest  gegliederten  und  geordneten  internationalen 
Menschengemeinschaft  erscheint  ihm  unver- 
kennbar. 


Lange,  Hendrik  Jan  de. 
Vorlog  en  Arbitrage.  Proefschrift  ter  Verkrij- 
gung  van  den  Grad  van  Doctor  in  de  Rechts- 
wetenschap  aan  de  Rijksuniversiteit  te  Leiden. 
Gr.  8<>.  :S-Gravenhaage  1912.  Mouton  &  Co. 
112  S. 

Das  Anwachsen  der  pazifistischen  Bewegung 
ist  auch  erkennbar  aus  den  zahlreichen 
Dissertationen,  die  auf  Grundlage  des  Pazifis- 
mus geschrieben  werden.  Die  vorliegende,  in 
holländischer  Sprache  geschriebene  Schrift 
nimmt  ihr  Material  aus  der  modernen  Völker- 
rechtsliteratur und  der  pazifistischen  Literatur. 
Wir  werden  darauf  gelegentlich  noch  zurück- 
kommen. 


Sozialdemokratische  Flug- 
schriften. 
Nr.    14.     Die    Greuel    des    Krieges.    —    Nr.    15. 
Krieg  dem  Kriege.    Gr.  8°.    Berlin  1912.    Ver- 
lag:   Buchhandlung   des    Vorwärts.      Je     16    S. 
mit    Umschlag   ä    10   Pf. 

In  Nr.  14  werden  die  Greuel  des  Balkan- 
krieges nach  den  Berichten  der  Kriegskorre- 
spondenten zusammengestellt,  in  Nr.  15  findet 
sich  ein  Bericht  des  Baseler  Kongresses  vom 
24.  und  25.  Nov.  1912,  Text  der  Eriedenspredigt 
des  Pfarrer  Täschler,  die  Reden  bei  der  Kund- 
gebung im  Münster,  das  internationale  Friedens- 
manifest.  Gute  und  billige  Propagandaschriften. 


The  Peace  Year-Book.  1913.  Edited 
by  Carl.  Heath.  8  °.  London  1913.  The  Na- 
tional Peace  Council.    283  S.    1   Sh. 

Dieser  treffliche  „Gotha"  der  Friedens- 
bewegung erweist  sich  auch  in  seiner  dies- 
jährigen Ausgabe  als  ein  unentbehrliches  Hilfs- 
mittel für  jeden,  der  in  der  Propaganda  steht, 
und  für  alle  die,  die  sich  über  den  Umfang 
des   Pazifismus    unterrichten   wollen. 


Eingegangene  Druckschriften.    ::   ::   :;   ::        ::   ::   ::   :: 

(Besprechung  vorbehalten.) 

La  Vie  Internationale.  Revue  men- 
suelle  des  Idees,  des  faits  et  des  organismes 
internationaux.     Tome    IL     1912.     Fascient    1. 

Aus  dem  Inhalt :  Oliveira  Lima,  La 
Formation  de  PAmerique  latine  et  la  conception 
internationale     de     ses     fondateurs.    —    Albert 


Counson,  Les  Meteques.  —  G.  Lecointe, 
La  Conference  internationale  de  l'Heure  de  Paris 
et  l'Unification  de  l'Heure.  —  Calendrier  des 
Reunions    internationales,    usw. 

Bulletin  of  the  Pan-American 
Union.    (Washington)  November. 

Aus  dem  Inhalt:  The  fifth  international 
Congress   of   Chambers   of   Commerce,    usw. 


d'E  stournelles  de  Constant,  Baron 
Paul  Henri  Benjamin, 
Auszug  aus  der  Rede  bei  der  Eröffnung  des 
Kongresses  des  Verbandes  für  internationale 
Verständigung  in  Heidelberg,  am  5.  Oktober 
1912.  Deutsche  autorisierte  Uebersetzung.  8  °. 
7  Seiten.  Ohne  Ort  und  Jahreszahl.  (Zu  be- 
ziehen durch  Professor  Wilhelm  Paszkowski, 
Berlin  NW.,   Bauhofstraße  7.) 

Fried,  Alfred  H., 
Handbuch  der  Friedensbewegung.  Zweiter  Teil. 
Geschichte,  Umfang  und  Organisation  der 
Friedensbewegung.  Zweite,  gänzlich  umge- 
arbeitete und  erweiterte  Auflage.  8  °.  Berlin 
und  Leipzig.  1913.  Verlag  der  „Friedens- 
Warte".    492  S.    M.  5. 

Fried,   Alfred  H, 
Der    Weg     zum    Weltfrieden     im     Jahre    1912. 
Pazifistische    Chronik.      8  °.     Berlin,    Wien   und 
Leipzig.     Verlag    der    „Friedens-Warte".    31    S. 
50  Pf. 

Friedrich,    Karl, 
Vergeude  keine  Lebenskraft.    Zweite  vermehrte 
Auflage.    8  °.   München.   Ernst  Reinhardt.  105  S. 

Ge  rs  i  n  ,   K., 
Altserbien    und    die    albanesische    Frage.     8  °. 
Wien    1912.      Anzengruber- Verlag,    Brüder    Su- 
schitzky.    55  S.  i 

Macara,  Sir  Charles  W., 
Internationale  Industrie  und  internationaler 
Handel.  Referat,  vorgelegt  der  deutsch-eng- 
lischen Konferenz  in  London.  30.  Oktober  bis 
1.  November  1912.  Fol.  O.  Ort  u.  Jahreszahl. 
(Zu  beziehen  durch  C.  W.  Macara,  33  York- 
street,    Manchester.) 

O  s  t  w  a  1  d ,  Wilhelm, 
Der  Monismus  als  Kulturziel.  Vorgetragen  im 
österr.  Monistenbund  in  Wien  (Großer  Sofien- 
saal) am  29.  März  1912.  (Schriften  des 
Monistenbundes  in  Oesterreich,  Heft  2.)  8  °. 
Wien  u.  Leipzig.  Anzengruber- Verlag,  Brüder 
Suschitzky.    39  S.    50  Pf. 

Thomas,  Pfarrer  Frank, 
Der  Friede  und  die  Friedensbewegung.  Predigt, 
gehalten  in  der  „Victoria  Hall"  in  Genf  am 
22.  September  1912  bei  Gelegenheit  der  inter- 
parlamentarischen Friedenskonferenz  und  des 
XIX.  Weltfriedenskongresses.  8  °.  Frankfurt 
am  Main  1912.  Druck  von  Gebrüder  Knauer. 
16  S. 

Veröffentlichungen       des       Ver- 
bandes für  internationale  Ver- 
ständigung: 
Heft  1.  Butler,  Nicolas  Murray, 

Der  internationale  Geist.    13  S. 
Heft  2.    Nippold,  Prof.   Dr.   Otfried, 
Die    auswärtige    Politik    und    die    öffentliche 
Meinung.    16  S. 
Heft   3.     Schücking,   Walther, 

Die  wichtigste  Aufgabe  des  Völkerrechts.  12  S. 
Heft  4.  Rode,  Prof.   Dr.  Martin. 


3S 


DIE  FßlEDENS-'MfißTE  = 


3 


Der    Beitrag     der    christlichen    Kirchen    zur 
internationalen  Verständigung.    17   S. 

Jedes  Heft  in  8°.  Stuttgart  1912.  Druck 
yon  W.  Kohlhammer.  Preis  50  Pf.  Kostenlos 
für  Mitglieder  des  Verbandes.  (Frankfurt  a.  M., 
Liebfrauenstr.   22.) 

Les  Prix  Nobel  en  1911.  8".  Stock- 
holm 1912.  80,  14,  12  und  19  S.  mit  Porträts 
und  Tafeln.  (Zu  beziehen  durch  das  Nobel- 
institut in   Stockholm.) 

Le  Groupe  francais  de  l'Arbi- 
irage  International  et  l'Union  ln- 
terparlamentaire  (mars  1912).  Kl.  8°. 
Paris  1912.    Oh.   Delagrave.    58  S. 

Butler,  Dr.  Nicholas  Murray, 
L'esprit  international.  Discours  d'ouverture  pro- 
nonce  le  16  mai  1912  ä  la  Conference  de  Lake 
Mohonk  pour  l'Arbitrage  international.  Trad. 
de  M.  Jacques  Dumas.  Kl.  8  °.  Paris  1912. 
Ch.   Delagrave.    21   S. 

Conciliation  Internationale. 

Bulletin  trimestriel  No.  2. 
L'Assemblee  Generale  du  30  mars  1912.  Pro- 
gramme du  Comite  de  Defense  des  Interets 
nationaux.  Programme,  Statuts  et  liste  des 
membres  de  la  Conciliation  internationale.  — 
Jarousse  de  Sillac,  „L'Organisation  de  la 
Societe  des  Etats."  Kl.  8°.  Paris  1912.  Ch. 
Delagrave.    142  S. 

—  Bulletin  trimestriel  No.  3. 
L'amitie  franco-americaine.  La  Keception  de 
M.  Robert  Bacon  an  Senat.  Un  Discours 
de  M.  J.  Jaures  ä  la  Chambre  des  Deputes. 
Un  article  de  M.  Fred6ric  Masson.  — 
Le  Comite  f ranco-amerique ;  avec  une  intro- 
duction  de  M.  d'Estournelles  de  Con- 
stant.  Kl.  8°.  Paris  1912.  Mit  Abbildungen. 
Ch.   Delagrave.    82  S. 

Almanach  de  la  Paix  pour  1913. 
Publie  par  l'Association  de  la  Paix  par  le  Droit. 
Priface  de  Charles  Richet.  8°.  Paris. 
Plön  Nourrit  &  Cie.  72  S.  Mit  Illustrationen. 
25  Cts. 

Hagerup,  M.  F., 
Discours  tenu  ä  la  Seance  solennelle  d'ouverture 
de  la  XXVe  Session  de  l'Institut  de  Droit  inter- 
national ä  l'Institut  Nobel  norvegien,  Christia- 
nia,  le  24  aoüt  1912.  8°.  Stockholm  1912. 
10  S.  (Zu  beziehen  durch  das  Nobel-Institut 
in   Stockholm.) 

Maday,  Dr.  Andre  de, 
Sociologie  de  la  Paix.    Introduction  ä  la  Philo- 
sophie du  Droit  international.    8  °.    Paris   1913. 
Giard  &  Briere.    13.  S.     1,50  Fr. 

Butler,  Nicholas  Murray, 
The  Service  of  the  University.  Stenogr.  Rep. 
of  an  address  delivered  on  the  occasion  of  the 
dedication  of  the  State  Education  Building  at 
Albany  N.  Y.,  Oct.  16  1912.  8°.  Repr.  from 
the  „Editorial  Review"  Dec.  1912.  (Educa- 
tional  Review  Publishing  Co.,  New  York.)  10  S. 

„International  Conciliation": 
Nr.  57  (Aug.  1912).  Neil,  Charles  Patrick. 
The  Interest  of  the  Wage-Earner  in  the 
Present  status  of  the  Peace  Movement.  An 
address  delivered  at  the  Lake  Mohonk  Con- 
ference an  International  Arbitration,  May  17, 
1912.    14  S. 


Nr.  58  (Sept.  1912).  Giddings,  Franklin  H. 
The  Relation  of  Social  Theory  to  public 
Policy.     14   S. 

Nr.    59    (Okt.    1912).    Stratton,    George    M. 

The   double   Standard   in   Regard   to   fighling. 

14  S. 
Nr.    60    (Nov.    1912).    As    to    two    Battle- 

s  h  i  p  s.     Contributions     to   the    Debats    upon 

the  Naval,  Appropriation  Bill  by  Hon.  F  i  n  1  y 

William   Ken  t.     14   S. 

Nr.  61   (Dez.   1912).   Lochner,  Louis  P. 

The     Cosmopolitan     Club    Movement.      14     S. 
Nr.   62   (Jan.   1913).    Root,  Elihu. 

The  Spirit    of  Self-Governement.    An  Address 
delivered  at  the  144th  Anniversary  Banquet  of 
the   Chamber   of   Commerce    of  the   State   of 
New    York,    November    21,    1912.     14    S. 
Jedes  Heft :  8  °.    (Zu  beziehen  kostenlos  von 
„American   Association    for    International    Con- 
ciliation"       Sub-Staiion    84     (407    West    117    th 
Street)  New  York  City. 

Monthly  Bulletin  of  Books,  Pam- 
phlets and  Magazine  Articles  dealing  with  inter- 
national Relations.  Nov.  1912  und  Dez.  1912.  8». 
New  York.  8  bzw.  10  einseitig  bedruckte  S. 
(Zu  beziehen  durch  die  „American  Association 
for  Int.  Conciliation".  Sub-Station  84  (407  West 
117th  Street)  New  York  City. 

„Judicial  Settlement  of  Inter- 
national Disputes": 
Nr.  10  (Nov.  192).  Scott,  James  Brown, 
The  Court  of  Arbitral  Justice.  Approved  by 
the  Second  Hague  Peace  Conference  (1907) 
and  Recomended  by  the  Institute  of  Inter- 
national Law  (1912).  16  °.  Baltimore,  U.  S.  A. 
(Zu  beziehen  kostenlos  durch  Tunstall 
Smith,  The  Preston,  B  a  1 1  i  m  o  r  e,  U.  S.  A.) 

Stockton,  Charles  H., 
Panama  Canal  Tolls.    Reprinted.    (U.   S.  Naval 
Institute,  Annapolis  M.  D.)    6  S. 

W  a  y  1  e  n ,  Hector. 
Conscripts  of  Peace.  An  Address  delivered  by 
Request  in  Connection  with  several  Edinburgh 
Churches.  8°.  Edinburgh  1912.  (Zu  beziehen 
durch:  F.  W.  Nish.  17  St.  Ann's  Square.  Man- 
chester.)   2  Pence.    15   S. 

D  u  d  a  n  ,  Alessander. 
La    politica    antiitaliana    in    Austria-Ungheria. 
8  °.      Roma    1912.      (Estratto    dalla    „Rassegna 
Contemporanea"    anno    V.    no.    11)     56    S. 

La  guerra  nella  caricatura.  Dis- 
segni  di  S  c  a  r  1  a  t  i  n  i.  Kl.  4  °  oblong.  Milano 
1912.    Societä  anonima  editrice  „Avanti". 

V  i  s  s  e  r ,   S.   J., 
Over     Socialisme.      Een    drietal     Studies.      8  °. 
S'Gravenhage    1913.       Martinus   Nijhoff.       186    S. 

Wicksell,  Anna  ■B., 
Avrustningssträvandet  och  Fredsarbetet.    Nägra 
ord      om      Svenska     fredsförbundes      uppgifter. 
Kl.    8  °.     Stockholm.     Albert    Bonniers    Förlag. 
(Svenska  fredsförbundes  Skriftserie  No.  I.)  12  S. 

Hellner,  Jon., 
Obligatorisk  Skiljedoni  i  toister  mellan  Stater. 
Föredrag  vid  Svenska  fredsförbundets  konsti- 
tuerande  den  30.  Jan.  1911.  Kl.  8°  Stock-« 
holm.  Albert  Bonniers  Förlag.  (Svenska  Freds- 
förbundets   Skriftserie   No.    IL)     13    S. 


34 


<£ 


DIE  Fßl  EDENS -^/AQJE 


Brisman,  Sven,  i 
Ar  Världsfreden  en  Utopie?  En  fromställning 
ar  Kriget  ur  historisk  och  ekonomisk  Synpunkt. 
Kl.  8  °.  Lund.  (Zu  beziehen  durch :  Svenska 
Fredsförbundets  Skriftseries  Expedition,  Lund.) 
23  S. 

H  u  h  t  a  1  a ,  Kyösti, 
Opetuksesta  kristillisessä  Hengessä.    (Finnisch: 
zu    deutsch:   ,Ueber   den    Unterricht    im   christ- 
lichen  Geiste.     8  °.     Tampereella    1912.     Verlag 
des  Finnischen  Friedenvereins.    18  S. 


CSS? 


Zeitschriften -Rundschau.   ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   :: 

H.  W.    Die  erste  Nummer  der  neu  begrün- 
deten   „M  itteilungen    des    Verbandes 
für  internationale  Verständigung" 
macht  einen  sehr  guten  Eindruck.    Die  Aufsätze 
sind  durchweg  praktischer  Natur.    Außer  einem 
Berichte  über  die  erste  Tagung  des  Verbandes 
in   Heidelberg   finden   wir   darin   zwei   Aufsätze 
zur  deutsch-englischen  Verständigung  und  zwei 
Artikel   über   Probleme   des   Weltverkehrsrechts. 
In    dem    Berichte    der    Tagung    des    Verbandes 
wird    u.    a.    der     Behauptung     der     Zeitschrift 
„Die  Friedensbewegung"   entgegengetreten,   daß 
d'Estournelles   in    Heidelberg   die    elsaß-lothrin- 
gische   Frage   habe   anrühren   wollen.     Es    wird 
festgestellt,  daß  dies  gar  nicht  von  dem  Redner 
beabsichtigt  war  und  daß  erfahrungsgemäß  der- 
artige  Debatten,   wenn  sie   stattfinden,   für  die 
Erhaltung  und  Pflege  internationaler  Beziehun- 
gen nur  schädlich  sind.    Das  habe  ich  bereits 
in    meinem    Berichte    über    den    Weltfriedens- 
kongreß hervorgehoben,  und  ich  hoffe,  daß  man 
sich     auch     in     den     Kreisen     der     deutschen 
Friedensgesellschaft   dieser   Ansicht   nicht    ver- 
schließen wird.    Eine  deutsch-französische  Liga 
auf  der  Basis   der   Autonomie   von  Elsaß-Loth- 
ringen innerhalb   der  deutschen   Bundesstaaten 
wird    meiner    festen    Ueberzeugung    nach    mehr 
schaden  als   nützen.    Wir   sind  in  Deutschland 
noch  lange  nicht  so  stark,  wie  der  Wehrverein 
usw.,    als    daß   wir   einen   solchen   Kampf   aufs 
große  Ganze  wagen  könnten.    Wir  müssen  erst 
Schritt    für    Schritt    eine    größere    Anzahl    An- 
hänger um  uns  sammeln,  bis  die  Zeit  gekommen 
ist,    wo    möglicherweise    eine    solche    Liga,    an 
der     sich     dann     notwendigerweise    gleich    die 
ersten  Namen  Deutschlands  beteiligen  müßten, 
Aussicht    auf    Erfolg    hat.     Mehrmann    er- 
blickt   in    seinem    Aufsatze    „Das    Konzert    der 
Mächte"  in  dem  neuesten  Zusammengehen  der 
deutschen  und  englischen  Diplomatie  eine  Art 
Wiederherstellung      des      Mächtekonzerts,      zu- 
mal    Frankreich     dem     nicht     entgegenarbeite. 
Müller- Meiningen  wünscht  eine  größere 
Fühlungnahme    der    einzelnen    Parlamente    auf 
Spezialkonferenzen,    neben   der   Zusammenkunft 
aller   Parlamentarier   auf   der    Interparlamenta- 
rischen   Union.     F  i  t  g  e  r    weist    auf    das    eng- 
lische    Recht     hin,       wonach     während     eines 
deutsch-englischen   Krieges   die  zwischen  Deut- 
schen   und    Engländern    geschlossenen    Seever- 
sicherungsverträge  nichtig   sind,   und  beantragt 
internationale  Regelung  dieser  Frage,   die  übri- 
gens   auf    Antrag    der    deutschen    Vereinigung 
für  internationales  Recht  auf  die  Tagesordnung 
der    nächsten    Tagung    der    „International    law 
association"  gesetzt  ist.    Von  Fred  Harsley 
wird     die     internationale     Ueberwachung     des 
Ozeans  behandelt. 


Im  Dezemberheft  des  „Völkerfriede"  er- 
örtert Umfrid  „die  europäische  Bedeutung 
der  Balkankrise"  in  sehr  realpolitischer  Weise. 
K  o  1  b  wünscht  einen  größeren  Ausbau  der 
Friedenspresse.  Dieser  Wunsch  erscheint  über- 
flüssig. Denn  die  Friedenspresse  ist  bereits 
überall  in  ausreichender  Weise  vertreten.  Darin 
hat  K  o  1  b  aber  recht,  daß  der  Friedensgedanke 
vermittels  der  Presse  in  weitere  Kreise  getragen 
werden  muß.  Dies  würde  aber  am  besten  da- 
durch geschehen,  daß  in  den  großen  Tages- 
zeitungen, auch  den  gegnerischen,  aufklärende 
Artikel  erscheinen,  da  die  Fachpresse  in  der 
Hauptsache  immer  nur  von  den  eigentlichen 
Pazifisten  gelesen  wird. 

Im  Dezemberhefte  der  Zeitschrift  „D  e  r 
Friede"  findet  sich  eine  Kritik  der  Nicht- 
verteilung  des  Nobelfriedenspreises.  Wir  lesen 
dort,  daß  die  Herren  in  Christiania  der  Sache 
ein  wenig  fern  ständen.  Wenn  man  allerdings 
erwägt,  daß  das  Institut  de  droit  international 
schon  vor  Jahren  des  Preises  für  würdig  er- 
achtet wurde,  die  Interparlamentarische  Union 
aber  bis  heute  noch  nicht,  daß  ferner  Roosevelt 
den  Preis  erhielt,  der  an  pazifistischen  Leistun- 
gen hinter  hunderten  der  heutigen  Pazifisten 
zurücksteht,  so  muß  man  sagen,  daß  sich  das 
Nobelkomitee  zu  der  Meinung  der  meisten 
Friedensfreunde    in    Widerspruch    gesetzt    hat. 

In  der  niederländischen  Kammer  hat  kürz- 
lich der  Minister  des  Auswärtigen  die  Erklärung 
abgegeben,  daß  er  voraussichtlich 
nicht  in  der  Lage  sei,  dem  nächsten 
Weltfriedenskongreß  eine  Subven- 
tion zu  gewähren.  Zur  Begründung 
führte  er  aus:  Bei  der  Erörterung 
der  Aktualitäten  habe  man  über 
Elsaß-Lothringen  so  gesprochen, 
daß  die  deutschen  Delegierten  fort- 
gelaufen seien,  und  bei  der  Behand- 
lung der  Marokkofrage  habe  Frank- 
reich sich  geweigert,  an  der  Bera- 
tungteilzunehmen, bis  schließlich 
der  Kongreß  in  einem  Chaos  ge- 
endet habe.  Gegenüber  dieser  irrtümlichen 
Behauptung  haben  die  holländischen  Delegierten 
zum  Genfer  Kongresse  eine  Richtigstellung  im 
„Het  Vaderland"  veröffentlicht.  Diese  letztere 
finden  wir  auch  im  Dezemberheft  von  „Vreede 
door  Recht".  Auf  jeden  Fall  ist  es  von 
Wert,  festzustellen,  wie  sehr  die  Be- 
handlung der  Aktualitäten  dem  Ansehen  der 
Weltfriedenskongresse  bereits  geschadet  hat. 


Fachpresse.    ::    ::    ::    ::   ::   ::   ::   ::    ::   ::   ::   ::   ::   ::   :: 

Völkerfriede  (Eßlingen).  Dez.  O.  U.,  Die 
europäische  Bedeutung  der  Balkankrisis.  — 
Dr.  G.  G  r  o  s  c  h  ,  Völkerfrühling.  —  Karl 
K  o  1  b ,   Aufgabe  der  Friedenspresse.  —  usw. 

Mitteilungen  des  Verbandes  für 
internationale  Verständigung 

(Würzbnrg).  No.  1.  Bericht  über  die  erste 
Tagung  des  Verbandes  für  internationale  Ver- 
ständigung. —  Dr.  Karl  Mehrmann,  Das 
Konzert  der  Mächte.  —  E.  Fitzner,  Not- 
wendigkeit internationalen  Rechts  im  Seever- 
sicherungswesen für  Kriegszeiten.  —  Fred. 
Harsley,  Lehren  der  Titanic-Katastrophe. 
—  Dr.  Müller-Meiningen,  Parlament 
und  internationale  Verständigung.   — 


35 


DIE  FRIEDENS- V&DTE 


3 


Der  Friede  (Bern).  Dez.  H.  S.,  Gottfried 
Schuster  f.  —  G.  C.,  Die  Friedensdemonstra- 
tion des  internationalen  Sozialistenkongresses 
in  Basel.  —  K.  Rüd,  Einige  Gedanken  über 
den  sozialistischen  Friedenskongreß.  —  Der 
Friedens-Nobelpreis.  —  usw. 

DieFriedensbewegung  (Bern).  No. 23/24. 
Kundgebungen  gegen  den  Balkankrieg.  —  Die 
Satzungen  des  internationalen  Friedensbureaus 
in  Bern.  —  Deutsch-englische  Verständigungs- 
Konferenz  in  London.  —  Ein  Sieg  der  Türkei 
vor  dem  Haager  Schiedshöfe.  —  Manifest  der 
Internationalen   zur   gegenwärtigen    Lage.    — 

—  usw. 

The  Arbitrator  (London).  Dez.  The  Bal- 
kan Situation.  —  The  Hague  and  British 
Policy  in  the  Balkans.  —  Mrs.  Bradlaugh- 
Bonner,  Amongst  the  Scottish  Women 
Liberais.  —  Successful  Anglo-German  Con- 
ference in  London.  —  The  Kaiser  and  Peace. 

—  usw.  usw. 

—  Jan.       The     Powers       and      the     Balkans. 

—  Canada  and  the  Navy.  —  David 
Starr  Jordan,  The  Panama  Canal  and  its 
Economies.  —  The  Panama  Canal  and  Foreign 
Shipping  (Reply  of  Sir  Eduard  G  r  e  y  to  Pre- 
sident Taft).  —  Sovereignity  over  the  air 
(Important  Lecture  by  Sir  Erle  Richards). 

—  usw. 

C  o  n  c  o  r  d  (London).  Nov.  Felix  Mosche- 
les,  The  Ordeal.  —  J.  F.  Green,  The 
Balkan  War.  —  J.  A.  Farrer,  Conscription 
in  New  Zealand.  —  Carl  Heath,  The  Anglo- 
German  Understanding  Conference.  —  An 
historic    Gongress.     —    usw.     usw. 

—  Dez.  G.  H.  Perris,  The  Work  of  Man. — 
Felix  Moscheies,  A  rising  Force.  — 
Charles  Weiß,  Some  personal  Impressions 
of  the  Anti-War  Demonstration  at  Basel.  — 

Herald  ofPeace  (London).  Jan.  „The  Time 
is  short."  —  Aberdeen  University  Peace  So- 
ciety. —  Autumnal  Meeting  of  the  Peace 
Society.   — 

Advocate  of  Peace  (Washington).  Dez. 
What  the  Peace  Movement  is.  —  The  inherent 
Weakness  of  Militarism.  —  The  Anglo-German 
Understanding  Conference.  —  Gertrude  B. 
Magill,  To  the  Baroness  von  Suttner.  — 
Churches  should  be  Leaders  in  the  Peace 
Movement.  —  Edwin  D.  Mead,  More  Sol- 
diers  or  more  Reason  1  —  James  L.  Tryon, 
The  international  Boycott  a  dangerous  Wea- 
pon.  —  Evans  Darby,  The  Peru  of  the 
Air.  —  Charles  E.  Jefferson,  Armed 
Peace  —   the   Bürden  and   Folly   of  Europe. 

—  John  Brunner,  The  Cost  of  Mili- 
tarism. —  usw. 

The  Cosmopolitan  Student  (Madison, 
Wis.).  Nov.  (Michigan-Nummer).  C.  P.  Wang, 
Rare  Tales  from  Chinese  Lore.  —  James  B. 
A  n  g  e  1 1 ,  The  Situation  in  the  Balkan.  — 
Dr.  R.  V.  Drechsler,  The  American  In- 
stituts.  — 

—  Dez.  George  W.  Nasmyth's  aus 
Heidelberg  18.  IX.  1912  datierten  Bericht 
über  die  Entwicklung  der  Corda-Fratres-Be- 
wegung    in   Europa. 

The  Messenger  of  Peace  (Richmond, 
Ind.).  Nov.  Inez  P.  Burton,  The  Oppor- 
tunity  and  the  Duty  of  the   Schools  in  the 


int.  Peace  Movement.  —  J.  G.  Alexander, 
The  Geneva  Peace  Congress.  —  usw. 
La  Paix  par  le  Droit  (Paris).  No.  22. 
Charles  Richet,  Une  Visile  an  Quai 
d'Orsay.  —  Francis  Delaisi,  La  Crise 
europeenne  (deuxieme  article).  —  J.  Prud- 
hommeaux,  La  Guerre  ne  paie  plus.  — 
Charles  Richet,  Ce  que  coüterait  une 
guerre  europeenne.    —    usw.   usw. 

—  Nr.  23.  Frederic  Passy,  Ceux  qu'il 
faut  honorer.  —  La  Paix  europeenne  par  la 
„Neutralisation"  de  rAlsace-Lorraine.  —  Lu- 
den Le  Foyer,  Le  devoir  de  l'Europe.  — 
usw.    usw.    — 

—  No.  24.  Francis  Delaisi,  Les  financier 
et  la  guerre  balkanique.    usw. 

Bulletin  de  la  Li  gue  des  Catholiques 
francais  pourlaPaix  (Brignais).  No.  21. 
A.  Vanderpol,  La  Creation  d'une  Union 
pour  l'Etude  du  Droit  des  Gens  d'apres  les 
principes  Chretiens.  —  F.  D  u  v  a  1 ,  Les  Appli- 
cations pratiques  de  la  Doctrine  de  l'Eglise 
sur  la  guerre  au  Moyen-Age.  —  usw. 

Etat-Unis  d'Europe  (Bern).  Dez.  La 
Guerre  des  Balkans  et  le  Pacifisme.  —  Emile 
Arnaud,  Arbitrage  et  amiable  Composition. 

—  usw. 

La  Paix  (Genf).  W.  Kohl,  La  Folie  de  la 
guerre.  —  Louis  Gionoli,  L'Artiste  et  la 
guerre.  —  usw. 

Fredsfanan  (Stockholm).  Nov.  Eduard 
Wawrinsky,  August  Beernaert.  —  usw.  — 

—  Dez.  (Julnummer).    Krieg :  Södes-Fred  i  Nord. 

—  Marie  Dehn,  Fran  Genevekongressen.  — 
Dr.  N.  A.  Nilsson,  Världens  f örenade  Sta- 
ter.  —  Carl  Sundblad,  Krigsprof eterna 
och  världskriget. 

Fredsbladet  (Kopenhagen).  Dr.  Niels 
Petersen,  Krig  og  Fred.  —  Nobelsfreds- 
pris.    — 


Artikel  -  Rundschau. 

Von  Carl  Ludwig  Siemering. 

Immer  wieder  muß  man  die  Greuel 
des  Balkankrieges  ungescheut  an  den 
Pranger  stellen,  „denn  sie  zeigen,  was  es  in 
Wahrheit  ist  mit  dem  Kriege!"  so  schrieb 
Richard  Gädke  im  letzten  dieser  Hefte. 
Also   denn: 

Dr.  D  i  1 1  o  n ,  der  Wiener  Spezialkorre- 
spondent  des  Londoner  „Daily  Tele- 
graph", erhielt  am  9.  Dezember  aus  Kon- 
stantinopel und  Bukarest  Nachrichten  von  un- 
menschlichen Metzeleien,  die  die  christlichen  ( !) 
Soldaten  in  der  Umgebung  Salonikis  unter 
der  unbewaffneten  mohammedanischen  Bevöl- 
kerung angerichtet  hatten.  —  Die  „Südslaw. 
Korrespondenz"  meldet  aus  Belgrad  entsetz- 
liche Einzelheiten  über  das  Vorgehen  der  Trup- 
pen und  Freischärler  des  Generals  Janko- 
witsch,  wodurch  eine  „künstliche  Ent- 
völkerung Albaniens"  stattfinde.  Ein 
furchtbares  Morden  raffte  Tausende  und  aber 
Tausende  von  Albanesen  hinweg;  die  Untaten 
an  Frauen  und  Kindern  spotten  der  blutigsten 
Phantasie.  —  Nach  einer  Mitteilung  der  Berliner 
türkischen     Botschaft      aus     den    Weihnachts- 


36 


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DIE  FRIEDENS-^^RXE 


_ an  haben  griechische  Banden,  die 
in" das  rnuselmanische  Dorf  Kolonjati  bei 
Janina  einrückten,  trotz  der  guten  Aufnahme 
durch  die  Einwohner  diese  unerbittlich  nieder- 
gemetzelt, die  Männer  obendrein  noch  verstüm- 
melt und  verbrannt.  —  Sehr  erfreulich  wirkt 
die  durch  die  Balkanwirren  erfolgte  deutsch- 
englische Annäherung,  die  von  dem 
deutschen  Botschafter  in  London,  Fürst  Lieh- 
n  o  w  s  k  y ,  am  30.  November  öffentlich  bestä- 
tigt und  im  Anschluß  daran  von  der  „Daily 
News"  unterstrichen  wurde:  Beide  Länder 
hätten  die  beste  Gelegenheit,  jeden  Appell  an 
die  Gewalt  zu  entmutigen;  solange  ihre  Verbin- 
dung bestehe,  seien  die  Aussichten  auf  eine 
friedliche  Lösung  außerordentlich  gefördert. 
Auch  der  „Daily  Telegraph"  schreibt  er- 
freut: „.  .  .  Plötzlich  kommt  die  Entdeckung, 
die  in  beiden  Hauptstädten  zugleich  gemacht 
wird,  daß  die  nämlichen  Ziele  loyal,  wenn  auch 
unabhängig  voneinander,  verfolgt  werden." 
Umso  haßlicher  wirkt  es  da,,  wenn  die  ,,L  e  i  p  z. 
N.  N."  vom  8.  Dez.  „Die  Gefahr  von  der  andern 
Seite"  in  der  kanadischen  Flottenvorlage  er- 
blicken: „England  glaubt  erst  noch  mit  diesem 
kolonialen  Zuwachs  für  seine  Flotte  rechnen  zu 
müssen,  ehe  es  stark  genug  zu  sein  meint."  — 
Auch  andere  Chauvinisten  halten  ihre  Zeit  an- 
scheinend für  gekommen ;  sie  warnen  vor  „un- 
angebrachter Vertrauensseligkeit"  und  weisen, 
wie  Herr  Keim  im  „Tag"  vom  22.  Dezember,  auf 
die  Annahme  des  Infanterie-Kadergesetzes  in  der 
französischen  Kammer  hin.  Die  Folgerung 
aber,  daß  demnach  auch  deutsche  Mehr- 
rüstungen anderwärts  erklärlichen  Argwohn  her- 
vorrufen müssen,  wird  natürlich  nicht  gezogen ; 
wenn  vielmehr  ein  deutscher  Autor,  wie  der  be- 
kannte Kapitän  zur  See  a.  D.  Persius,  Mitte 
Dezember  in  der  „Ostsee-Zeitung"  und  der  „Kö- 
nigsb.  Hartungschen  Zeitung"  energisch  gegen 
die  weitere  übertriebene  Agitation  zur  Vermeh- 
rung unseres  Schiffsbestandes  Front  macht,  da 
eine  solche  Agitation  nicht  den  Frieden  sichere, 
sondern  das  Risiko  vermehre,  dann  fallen  die 
Herren  vom  Flotten-  und  Wehrverein  sofort 
über  ihn  her  und  lassen  kein  gutes  Haar  an  ihm ! 
In  der  Weihnachtsbotschaf t  der  „N  o  r  d  d. A  11g. 
Z  t  g."  wurden  ja  auch  bereits'  für  das  Frühjahr 
„weitere  Ausgaben  für  den  Bedarf  des  Heeres" 
angekündigt,  „wie  sie  angesichts  der  Weltlage 
nicht  vermeidbar  sein  werden."  Eben  dadurch 
wird  dann  die  Weltlage  wieder  bedrohlicher 
werden;  man  wird  anderwärts,  und  schließlich 
auch  in  Deutschland,  abermals  rüsten  müssen 
—  kurzum  der  ewige,  fehlerhafte  Zirkel ! 


Die  eben  erwähnte  „K  önigsb.  Härtung- 
sohe  Zeitung"  kommt  unter  ihrem  neuen 
Chef  Paul  Listowsky  den  pazifistischen 
Bestrebungen  in  besonders  liebenswürdiger 
Weise  entgegen.  Sie  brachte  am  7.  Dezember 
einen  Leitartikel  von  Georg  K  o  s  s  a  k ,  dem 
stellvertr.  Vorsitzenden  der  rührigen  Königsber- 
ger Ortsgruppe  der  Deutschen  Friedensgesell- 
schaft: „Soll  ein  Kaufmann  Pazifist 
sein?"  Ferner  am  15.  Dezember  einen  klugen 
Leitartikel  „Der  Friedenssonntag"  aus 
der  Feder  des  Chefredakteurs  selbst,  den  bereits 
genannten  Persius-  Aufsatz  und  —  von  kleine- 
ren Berichten  und  Notizen  abgesehen  —  am 
1.  Januar  eine  stark  pazifistisch  gefärbte  „Neu- 


jahrsbetrachtung" von  Ludwig  Fulda.  Die 
Ortsgruppe  veröffentlichte  in  diesem  altange- 
sehenen Organ  (wie  auch  an  anderer  Stelle) 
mehrfach  große  Inserate,  u.  a.  einen  Aufruf  an 
die  Geistlichen  und  ein  Expose:  „Der  ewige 
Krieg  —   eine  große   Täuschung!" 


Der  so  plötzlich  verstorbene,  deutsche 
Staatssekretär  von  Kiderlen- W aechter 
machte  uns  erst  kürzlich  wegen  seiner  Stellung- 
nahme zum  Rüstungsproblem  zu  schaffen.,'  Die 
führenden  Berliner  Organe,  u.  a.  das  „Tagebl."  v. 
29.  Dez.,  führen  zu  seinen  Ehren  mit  Recht  an, 
daß  die  deutsche  Politik  in  "der  Balkanfrage 
bisher  keine  unbesonnene,  draufgängerische,  son- 
dern eine  abwägende,  ausgleichende  war.  — 
Eine  geniale  Entdeckung  hat  am  9.  Dezember  die 
freikonservative  Berliner  „Post"  gemacht:  daß 
nämlich  die  englische  Flotte  auf  einen  Winter- 
krieg in  nördlichen  Gewässern  nicht  eingerichtet 
sei,  da  ihre  Schiffe  in  der  großen  Mehrzahl 
keine  Heizungsanlagen  enthielten. 
Selbst  die„Deutsche  Tages  ztg."  verulkt 
ihre  Gesinnungskollegin  ob  dieser  nationalisti- 
schen Narretei  recht  kräftig;  dann  sollte  mau 
doch,  so  meint  sie,  den  ersten  Frosttag  dieses 
Winters  benutzen,  um  die  britische  Flotte  mit 
ihren  steifgefroreneu.  Admiralen,  Offizieren  und 
Matrosen  zu  vernichten.  Probatum  estl  —  An- 
gesichts der  in  England  rege  gewordenen  Pro- 
pagierung der  allgemeinen  Wehrpflicht 
durch  Lord  Roberts  und  die  „Times"  weist 
ein  Artikel  des  „Hamb.  Fremdenbl."  vom 
24.  Dezember  u.  a.  darauf  hin,  welche  Wirkung 
auf  den  Arbeitsmarkt  eine  Herausnahme  von 
100  000  oder  gar  250  000  arbeitsfähigen  Männern 
haben  müßte.  —  In  Heft  52  der  „Garten- 
laube" spricht  sich  Freiherr  v.  d.  Goltz 
gegen  den  immer  mehr  umi  sich  greifenden  un- 
kriegerischen Sinn  unserer  Zeit  aus,  worin  er 
eine  schwere  Gefahr  erblickt.  Diese  Befürch- 
tung erscheint  um  so  müßiger,  als,  die  wirtschaft- 
liche und  soziale  Entwicklung  bekanntlich  in 
allen  Ländern,  also  nicht  nur;  in  Deutschland, 
die  gleichen  kriegsfeindlichen  Erscheinun- 
gen zeitigt.  —  Redakteur  J.  Scherek- Berlin 
bringt  Ende  Dezember  in  mehreren  Blättern, 
z.  B.  in  der  „Bresl.  Ztg.",  einen  Artikel  „K  am  p  f 
und  Krieg",  der  in  der  Vermischung  beider 
Begriffe  das  Menschenmögliche  leistet:  es  wird 
vom  „Krieg"  in  der  nationalliberalen  Partei 
gesprochen,  vom  „Krieg",  den  das  Zentrum 
predige,  und  schließlich  heißt  es:  dann:  „Krieg 
und  (I)  Kampf  werden  nie  aufhören."  Wann 
werden  endlich  einmal,  in  den  Köpfen  der  Intel- 
lektuellen, diese  Verwechselungen  aufhören?! 
.  .  .  Franz  Wedekind  offeriert  im  „Berl. 
Tagebl."  vom  25.  Dezember  unter  dem  Strich 
6  Spalten  „Weihnachtsgedanken",  worin  er  zum 
Schluß  in  gutgemeinter,  aber  recht  dilettan- 
tischer Weise  für  ein  „W  el  t  pari  amen  t" 
eintritt  als  einen  „in  Permanenz  erklärten  Frie- 
denskongreß, der  im  Gegensatz  zu  den  bis- 
herigen, aus  Dilettanten  (!)  und  notorischen 
Händelsuchern  ( ! !)  zusammengesetzten  Friedens- 
kongressen über  alle  Machtmittel  der  Welt  ver- 
fügte." Von  der  Notwendigkeit  schrittweisen 
Vorgehens  und  der  Existenz  einer  Interparla- 
mentar.  Union  scheint  der  Autor  überhaupt 
nichts  zu  wissen,  schreibt  aber,  trotzdem  öffent- 
lich  über   eine   Bewegung,    deren   Elemente   er 


37 


DIEFBIEDENS-Vi^DTE  = 


G> 


nicht  beherrsclit.  Der  Generalsekretär  der  ge- 
nannten Union,  Chr.  L.  Lange- Brüssel,  gibt 
in  seinem  Artikel  „Europa"  („Frankf.  Ztg." 
vom  25.  Dezember)  sozusagen  die  richtige  Ant- 
wort auf  Wedekinds  Tiraden;  er  sieht  eine 
„Revolte  des  Hungers  und  der  Indignation" 
herannahen,  falls  immer  noch  weiter  gerüstet 
und  mit  dem  Kriegsfeuer  gespielt  wird. 


Günther  v.  Vielrogge  (Oberstleutnant 
.a.  D.  C a r  1  v.  Wartenberg)  war  wegen  seines 
Artikels  „Das  zu  oft  verwaiste  Regi- 
ment" (im  Aprilheft  des  „Türmer")  von  der 
„Deutsch.  Tagesztg."  und  den  „Leipz.  N.  N." 
scharf  angegriffen  worden.  Er  wehrt  sich  gegen 
diese  Verunglimpfungen  in  einer  schneidig  ge- 
schriebenen kleinen  Broschüre:  „Das  zu  oft 
verwaiste  Reg.  und  die  reaktionäre  Presse"  (Ver- 
lag Nationale  Kanzlei,  Leipzig-St.,  Naunhofer- 
str.  33),  worin  er  auf  Seite  16  einen  „Fürsten- 
spiegel"  mitteilt,  der  der  „Deutsch.  Tages- 
ztg." entstammt  und  an  Unverblümtheit  wahr- 
lich nichts  zu  wünschen  übrig  läßt.  Schwere 
Vorwürfe  werden  auch  gegen  das  preußische 
Kriegsministerium  und  das  preußische 
Militärkabinett  erhoben. 


In  einer  Besprechung  des  Erich  Marcks- 
schen  Buches  „Männer  und  Zeiten"  in  der 
„Frankf.  Zeitung"  vom  29.  Dezember  nimmt 
der  Referent,  der  Präsident  des  Ober-Konsisto- 
riums in  Elsaß-Lothringen,  Dr.  Friedrich 
Curtius,  in  interessanter  Weise  Stellung  zu 
des  Verfassers  Ansichten  vom  Kriege.  Es 
heißt  da,  anschließend  an  dem  von  Marcks 
zitierten  Satze:  „Der  Krieg  ist  der  große  Schöp- 
fer auch  innerlicher  Neubildung  in  Staat,  Ge- 
sellschaft, Wirtschaft,  in  aller  Kultur",  fol- 
gendermaßen: „Ich  kann  mich  nicht  überzeugen, 
daß  diese  Kombination  politischer  und  wirt- 
schaftlicher Bestrebungen  mit  dem  Ziele  des 
Weltkrieges  dem  deutschen  Geiste  gemäß  sei. 
Für  die  Engländer,  die  ihre  Kriege  mit  bezahl- 
ten Söldnern  führen,  ist  der*  Krieg,  im  Grunde 
genommen,  ein  Geschäft,  wenn  auch  ein  grau- 
siges, die  Entscheidung  über  Krieg  und  Frieden 
eine  Geldfrage.  Ihre  Kriege  im  18.  Jahrhundert 
werden  von  Marcks  als  Handelskriege  gewürdigt 
und  auch  ihre  Teilnahme  an  der  Erhebung 
Europas  gegen  Napoleon  war  nicht,  wie  auf 
dem  Kontinent  von  Spanien  bis  Rußland,  ein 
Kampf  um  nationale  Selbständigkeit,  sondern 
um  die  Wiedereröffnung  der  Welt  für  den  eng- 
lischen Handel.  Man  begreift  deshalb,  daß 
in  demjenigen  Teile  der  englischen  Nation,  dem 
der  Erwerb  alles  ist,  die  deutsche  Konkurrenz 
den  Gedanken  einer  gewaltsamen  Entscheidung 
entstehen  läßt.  Daß,  auch  reingeschäft- 
lich  betrachtet,  dieser  Gedanke 
eine  große  Täuschung  ist,  hat  ein 
berühmtes  Buch  nachgewiesen.  Aber 
dem  deutschen  Geiste  ist  diese  Verbindung 
von  Patriotismus  und  Geschäft  unnatürlich.  Ge- 
wiß streben  wir  nach  Raum  für  die  Erzeug- 
nisse deutscher  Arbeit  und  für  deutsche  Men- 
schen. Wie  wir  aber  im  Privatleben  den  un- 
lautern  Wettbewerb  verurteilen,  so  im  inter- 
nationalen Geschäft  den  Wettbewerb  durch 
Kanonen  und  Panzerschiffe.  .  .  .   Marcks   sagt, 


38 


daß  die  imperialen  Bestrebungen  von  der  alten, 
durchaus  nationalen  Grundlage  herkommen,  in- 
dem „die  Nationen  über  die  Ränder  ihrer 
heimatlichen  Formen  übergeströmt  sind  in  die 
Welt  hinein."  Das  ist  gewiß  richtig.  Wenn 
dem  aber  so  ist,  so  handelt  es  sich  um  eine 
wirtschaftliche  Erscheinung,  aus  der  der  Po- 
litik die  Aufgabe  erwächst,  die  unvermeid- 
lichen Kollisionen  zu  überwinden. 
Es  ist  geradezu  ein  Verzicht  auf  die  Lösung 
der  höchsten  politischen  Aufgaben,  ein  Ver- 
zicht im  Grunde  auf  die  Superiorität 
des  Geistes  über  die  Natur,  wenn  man 
die  Entwicklung  dieser  Dinge  in  der  resignier- 
ten Erwartung  eines  Welthandelskrieges  an- 
sieht. Die  „rücksichtslose  Machtpolitik"  ist 
ethisch  und  politisch  noch  eher  zu  entschul- 
digen, wenn  sie  im  Ernste  ein  Weltreich  plant, 
das  der  gequälten  Menschheit  nach  Zeiten  uner- 
hörter Drangsale  den  ewigen  Frieden  verschafft. 
So  feierten  die  römischen  Dichter  die  Herr- 
schaft des  Augustus,  als  einen  solchen  Versuch 
hat  auch  Napoleon  gelegentlich  das  letzte  Ziel 
seiner  Politik  vor  dem  Gewissen  der  Mensch- 
heit verteidigt.  Wenn  man  aber  den  Weltkrieg 
ohne  Ziel  und  Ende  kommen  sieht,  so  ist  das 
der  Bankrott  der  Politik,  eine  ent- 
schlossene Rückkehr  zur  Barbarei. 
Im  Blick  auf  eine  solche  Perspektive  erscheinen 
die  Welteroberer,  Alexander  und  Napoleon,  wie 
fromme  Idealisten."  —  In  der  „Welt  am  Montag" 
vom  16.  Dezember  weist  Helmut  v.  Gerlach 
den  „Bankerott  des  Friedens"  nach.  Ihm 
scheint  es,  daß  die  alte  Friedensidee  „Pleite 
gemacht".  „Neue  Wege  gilt  es  zu  wandeln". 
Es  dünkt  uns,  daß  nur  die  Idee,  die  sich  Herr  v. 
Gerlach  von  der  Friedensidee  gemacht  hat, 
„bankerott"  ist.  Die  „neuen  Wege",  die  er 
sieht,  haben  andere  schon  längst  gebahnt.  Ihm 
sind  sie  noch  neu;  einer,  der  mit  einem  Ha- 
pag-Luxusdampfer  nach  New  York  fährt  und  sich 
einredet,  Amerika  entdeckt  zu  haben.  —  Drol- 
lig ist  es,  wenn  die  Aestheten,  am  drolligsten 
gar,  wenn  die  Kabarett-Spaßmacher  sich  über 
die  Wissenschaft  des  Pazifismus  äußern.  In 
einem  „Deutsche  Dichtung,  Deutsche 
Wirklichkeit"  betitelten  Artikel  in  der 
„Neuen  Straß  burger  Zeitung"  vom  23. 
Dezember  kommt  uns  Freiherr  Ernst  von 
Wol zogen  in  politischem  Kostüm.  Man 
höre:  „Als  ich  in  der  Zeitung  las,  daß  heuer 
kein  Nobelpreis  für  Friedensbestrebungen  ver- 
liehen werden  könne,  da  habe  ich  dreimal 
Hurra  geschrien.  Mag  das  nun  geschehen 
sein,  weil  in  der  ganzen'  zivilisierten  Welt  wirk- 
lich kein  ehrwürdiger  Faselhans  zu 
finden  war,  oder  weil  die  Preisrichter  das  Fein- 
gefühl besaßen,  sich  in  einer  Zeit,  wo  die  ganze 
Welt  dem  Heldenmut  von  vier  verkannten 
kleinen  Völkerschaften  die  verdienten  Ehren- 
bezeugungen erweist,  sich  mit  der  Belohnung 
billiger  Salbadereien  nicht  lächerlich  zu  machen, 
gleichviel  —  das  blanke  Schwert  ist  den  müßi- 
gen Wortmachern  über  den  Mund  gefahren, 
und  das  dünkt  mich  erfreulich.'  Wir  haben  in 
Deutschland  gegenwärtig  nicht  den  geringsten 
Grund,  mit  dem  Säbel  zu  rasseln,  und  ein 
Triumph  der  Unvernunft  wäre  es,  wenn  ganz 
Europa  wirklich  darum  bluten  müßte,  weil 
österreichische  Handelsinteressen  den  sieg- 
reichen Serben  keinen  Adriahafen  gönnen.  Aber 
gut  ist  es  auf  alle  Fälle,  daß  wir  wie- 
der   einmal    einen    gerechten    Krieg 


©= 


=  DIE  FRI  EDENS  -WARTE 


in  der  Nähe  erleben  und  der  Gefahr  ins 
Auge  sehen  mußten.  Nicht  die  schlechteste 
Folge  wäre  es,  wenn  auch  die  deutsche  Dich- 
tung sich  von  dieser  Nähe  des  Schreckens 
ein  wenig  am  Ohr  gezupft  fühlen  und  sich 
dadurch  an  ihre  höheren  Pflichten  erinnern 
lassen  wollte.  Sie  ist  schon  soweit  gekommen, 
die  Bekrittelung  und  Bewitzelung  alles  Helden- 
tums als  Beweis  überlegenen  Geistes  ebenso 
anzustaunen,  wie  die  Flucht  aus  dem  Reich- 
tum der  Gegenwart  in  die  armseligsten  Winkel 
der  Vergangenheit.  In  den  vier  Jahrzehnten 
des  Friedens  ist  auch  die  Dichtung  fast  ganz 
zurreinenLuxuskunstgeworden,  und 
sie  hat  in  der  gedeihlichen  Bruthitze  ästheti- 
scher Ueberkultur  ungemein  viel  gelernt."  Ja, 
schon  zur  Hebung  der  deutschen  Dichtkunst, 
sollte  man  losschießen,  stechen,  brennen.!  Herr 
v.  Wolzogen  braucht  Kabarettstimmung  im 
Lande.  Hurra!  —  Auch  die  allezeit  „übernatio- 
nalen" „Dresdener  Nachrichten"  leisten 
sich  in  ihrer  Nummer  vom  15.  Dezember  aus 
Anlaß  der  NichtVerteilung  des  Nobelpreises 
einen  Artikel,  den  sie  „Das  Fiasko  der  Friedens- 
idee" betiteln.  —  Wahrscheinlich,  um  allen 
ihren  Lesern  gerecht  zu  werden,  schreibt  die 
„Leipziger  Illustrierte  Zeitung"  in  einen  „Friede 
auf  Erden"  betitelten  Weihnachtsartikel  u.  a. 
den  Satz :  „Daß  der  Krieg  immer  ein  unheilvolles 
Uebel  ist,  kann  getrost  zugegeben  werden, 
nichtsdestoweniger  ist  er  von  jeher  ein  Element 
fortschrittlicher  Kulturentwicklung  .  .  .  ge- 
wesen." Aber:  Ein  „Uebel"  ist  schlecht, 
ein  „Element  fortschrittlicher  Kulturentwick- 
lung" ist  gut.  Ist  der  Krieg  nun  gut  oder 
schlecht?  Heraus  mit  der  Sprache!  Solch 
zweideutiges    Gestammel   ist   unklar. 

Mi 

Artikel.     ::  ::  ::  ::  ::  n  ::  n  ::  ::  s  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

(Bibliographie.)  I.  Friedens- 
bewegung  im  allgemeinen:  Anna 
B.  Eckstein,  Auf  zur  vorbeugenden  Tat! 
„Die  Frau  der  Gegenwart."    (Breslau.)    15.   X. 

*  Walther  Nithack  Stahn,  Die  Stel- 
lung des  evangel.  Geistlichen  zum  Kriegs- 
problem. „Allgemeiner  Beobachter."  (Ham- 
burg.) 1.  XII.  *  Kurdv.  Strantz,  Weiteres 
zum  Fall  Lamszus.  „Allgemeiner  Beobachter." 
1.  XII.  *  R.  P.,  Wilhelm  Förster;  z.  Beginn 
seines  neunten  Lebensjahrzehntes.  „Eth.  Kul- 
tur." 1.  I.  *  Miyaoka,  Das  Exekutiv- 
Komitee  der  Carnegiestiftung  für  den  inter- 
nationalen Frieden.  (In  Japan.  Sprache),  „The 
Taiyo."  (Tokio.)  Nr.  16.  *  Pfarrer  Täsch- 
ler,  Völkerfrieden.  Morgenpredigt  im  Münster 
zu  Basel,  am  Tag  der  Friedenskundgebung  des 
internationalen  Sozialistenkongresses.  „Schwei- 
zerisches   Protestantenblatt."     (Basel.)     Nr.    48. 

*  Paul  Kampffmeyer,  Der  sozialistische 
Friedensgedanke;  ein  Stück  Verfassung.  „Soz. 
Monatshefte."  12.  XII.  *  P.  Rühlmann, 
Normann  Angell,  Die  große  Täuschung.  (Re- 
ferat.) „Deutsche  Literaturzeitung."  (Berlin.) 
Nr.  51/52.  *  Hermann  vom  Rath, 
Friedenspolitik.  „Der  Tag."  14.  XII.  *  Der 
Friedenssonntag.  „Königsberger  Hartung'sche 
Zeitung."  15.  XII.  *  Der  Friedenspreis.  „Köl- 
nische Zeitung."  14.  XII.  *  Nieder  mit  dem 
Krieg!  (Von  ein.  Offizier  der  serb.  Armee.) 
„Vorwärts."  18.  XII.  *  Les  Commercants  et  la 
Paix.     ITne    Enquete.      „Journal     dAUemagne." 


(Berlin.)  5.  XII.  *  Dr.  Wilh.  Stapel - 
Dresden,  Zur  Rechtfertigung  des  Krieges.  „Die 
Grenzboten."  18.  XII.  *  Eugen  Wölbe, 
Schule  und  Weltfrieden.    „Voss.  Ztg."    29.  XII. 

*  Dr.  Müller-Meiningen,  Parlament  und 
internationale  Verständigung.  „Neue  Badische 
Landeszeitung."  (Mannheim.)  1.  I.  *  Max 
Maurenbrecher,  Die  Demokratie  und  der 
Krieg.  „Das  freie  Wort."  Nr.  19.  *  Grete 
Meisel-Heß,  Die  Frau  im  Kriege.  „Ueber 
Land  und  Meer."    Nr.    13. 

IL  Die  internationale  Politik: 
Dr.  Elsbeth  Friedrichs,  Pan- Amerika 
als  Ausdruck  einer  neuen  Kultiurepoche.  „Der 
Volkserzieher."  Nr.  20.  *  Dr.  Er  ns  t  S  ieper, 
Die  deutsch-englische  Verständigung.  „Die  kri- 
tische Tribüne."  (München-Pasing.)  Nr.  18.  * 
Karl  Leuthner,  Das  Balkanproblem  und 
Oesterreich-Ungarn.   „Soz.  Monatshefte."  Nr.  23. 

*  Zwei  Mitarbeiter  an  der  deutsch-englischen 
Verständigung.  „Neue  Preußische  (f)  Zeitung." 
4.  I.  13.  *  Charles  Tuchmann,  Zur 
deutsch-englischen  Verständigung.  „Vossische 
Zeitung."  5.  I.  *  Professor  Otfried 
N  i  p  p  o  1  d ,  Der  Wert  der  deutsch-englischen 
Verständigungskonferenz.  „Karlsruher  Zeitung." 
13.  XII,  und  „Neue  Badische  Landeszeitung." 
28.  XII.  *  Prof.  Richard  Eickhoff, 
England  und  Deutschland.    „Der  Tag."   13.  XII. 

*  Ernst  Schultze,  Der  Kultureinfluß  Eng- 
lands auf  Deutschland.  „Dresdener  Anzeiger." 
22.  u.  29.  XII.  *  W.  v.  Massow,  Die  Er- 
neuerung des  Dreibunds.  „Die  Grenzboten." 
18.  XII. 

III.  Völkerrecht:  L.  Krause,  Die 
Eisenbahnen  im  Kriege  und  die  Haager  Friedens- 
konferenz. „Die  Wage."  (Wien.)  24.  XII.  * 
Karl  Schrader,  Eine  Lehre  des  Balkan- 
krieges. Ein  neuer  Weg  zum  Ausgleich  inter- 
nationaler Streitigkeiten.    „Berliner  Tageblatt." 

«5.    1. 

IV.  Internationales:  Louis  P. 
L  o  c  h  n  e  r ,  Ueber  internationale  Studenten- 
vereine. „Hochschulnachrichten."  (München.) 
Nr.   2. 

V.  Wirtschaftliches:  John  R. 
Loewenherz,  Krieg  und  Währung.  „Ber- 
liner Tageblatt."  22.  XII.  *  Francis  W. 
H  i  r  s  t ,  Englands  auswärtige  und  Handels- 
politik. „Frankfurter  Zeitung."  1.  I.  *  Prof. 
Charles  Richet,  Die  Kosten  eines  europä- 
ischen Krieges.  „Dokumente  des  Fort- 
schritts."   11. 


SMITTEILVN6EN  DEß: 
FRIEDENSGESEUSCHAFTEN 

(Verantwortlich  für  den  Inhalt   dieser  Rubrik  ist  nicht   die 
Schriftleitung,   sondern  die  betreffende  Friedensgesellschaft.) 


Oesterrekhische  Friedensgesellschaft. 

Bureau:  Wien  I,    Spiegelgasse  4. 

Rückkehr  unserer  Präsidentin 
aus  Amerika.  Nach  halbjährigem  Aufent- 
halte  in   Amerika   ist    Baronin    v.    Suttner   am 


39 


DIE  FßlEDEN5-\^DTE 


;© 


23.  v.  M.  wieder  in  Wien  eingetroffen  und  wurde 
am  Westbahnhofe  von  den  versammelten  Vor- 
standsmitgliedern unserer  Gesellschaft  sowie 
gleichfalls  anwesenden  intimen  Freunden  der 
Baronin  herzlichst  empfangen.  Dr.  v.  Dorn  rich- 
tete an  die  Heimgekehrte  Worte  der  herz- 
lichsten Begrüßung.  Baronin  v.  Suttner  wird  am 
17.  d.  M.  im  Beethovensaale  über  ihre  Er- 
lebnisse in  Amerika  einen  Vortrag  halten,  über 
dessen  Verlauf  wir  in  der  nächsten  Nummer 
berichten  werden. 


Resolution.  Der  Vorstand  beschloß  in 
seiner  Sitzung  vom  18.  v*  M.  bezüglich  des 
im  Abgeordnetenhause  gestellten  Antrages,  „die 
Regierung  ist  aufzufordern,  ihren  verfassungs- 
mäßigen Einfluß  auf  die  gemeinsame  Regierung 
in  dem  Sinne  auszuüben,  daß  Oesterreich- 
Ungarn  sich  bereit  erklärt,  im  Falle,  daß 
Serbien  eine  angemessene  Genugtuung  für  die 
Verletzung  des  österreichisch-ungarischen  Kon- 
sulates in  Prizrend  verweigern  sollte,  die  Streit- 
sache der  Entscheidung  des  ständigen  Schieds- 
gerichtes zu  unterbreiten",  dem  Antragsteller, 
Herrn  Abgeordneten  Leuthner,  sowie  jenen 
Herren  Abgeordneten,  welche  für  seinen  An- 
trag gestimmt  haben,  für  die  Vertretung  der 
Prinzipien  der  Staatenschiedsgerichtsbarkeit 
den   wärmsten   Dank  auszusprechen. 

Hierbei  hat  der  Vorstand  mit  Befremden 
und  Bedauern  konstatiert,  daß  berufene  Ver- 
treter dieser  Prinzipien,  Mitglieder  der  inter- 
parlamentarischen Union,  nicht  die  Initiative 
zu  diesem  Antrage  ergriffen,  ja,  sogar  gegen 
denselben  gestimmt  haben.  Diese  Haltung  hat 
nicht  verfehlt,  unter  allen  Friedensfreunden 
peinliches  Aufsehen  zu  erregen.  Um  so  mehr, 
als  Oesterreich-Ungarn  doch  eine  Signatar- 
imacht der  Haager  Konvention  ist,  und  ein 
offizieller  Vertreter  Oesterreich-Ungarns  am 
Haager  Schiedshöfe,  Herrenhausmitglied  Herr 
Hofrat  Lammasch,  wiederholt  öffentlich  er- 
klärte, daß  die  Angelegenheit  Prochaska  geeignet 
wäre,  vor  das  Haager  Schiedsgericht  gebracht 
zu   werden. 

Der  Vorstand  der  Oesterreichischen  Frie- 
densgesellschaft hat  daher  beschlossen,  seine 
Mitglieder  zu  ersuchen,  die  Abgeordneten  ihres 
Bezirkes  gelegentlich  der  Erstattung  des 
Rechenschaftsberichtes  über  die  Gründe  ihres 
Verhaltens  gegenüber  dem  Antrage  Leuthner  zu 
interpellieren. 


Aktionskomitee.  Oberrecbnungsrat 
Schleck,  ein  tatkräftiges  Mitglied  unseres 
Aktionskomitees,  veröffentlichte  in  der  „Staats- 
Beamten-Zeitung",  sowie  in  der  „Rechnungs- 
B  eamten-Zeitung",  Aufsätze,  zur  Förderung  un- 
serer Bestrebungen.  Seinen  Bemühungen  ist  es 
auch  zu  danken,  daß  die  genannten  Blätter 
als  Beilage  einen  Aufruf  der  Friedensgesell- 
schaft  brachten,    in    dem    die    k.    k.     Staats- 


beamten aufgefordert  werden,  sich  unserer  Ge 
Seilschaft    anzuschließen. 


CfcäS» 


Friedenspropaganda  in  Böhme 
Ein  eifriger  Förderer  unserer  Sache,   Professo: 
Dr.  A.  Batek  in  Prag,  sendet  uns  ein  Schreiben 
über  seine  pazifistische  Tätigkeit,  aus  dem  wir 
einige  interessante   Stellen   hier  folgen  lassen: 

„Da  in  Prag  läßt  sich  doch  viel  mehr 
machen  als  in  Pilsen.  Dort  unter  der  Obhut 
der  Skodawerke  wachsen  nur  dem  Flotten  verein 
die  Früchte.  Da  ich  auch  andere  als  pazifistische 
Vorträge  halte,  so  habe  ich  in  diesem  Monat  schon 
an  sieben  Stellen  vorgetragen.  Natürlich  lasse 
ich  auch  bei  Behandlung  rein  wissenschaft- 
licher und  kultureller  Vorträge  überall  die 
pazifistische  Tendenz  durchleuchten. 

Hier  ist  auch  eine  Fabrik,  welche  für  ihre 
Arbeiter  allgemein  belehrende  Vorträge  ver- 
anstaltet. Da  habe  ich  schon  dreimal 
vorgetragen.  Immer  sind  gegen  150  Arbeiter 
anwesend.  Im  Dezember  habe  ich  dort  über 
allmenschliche  Ideen  vorgetragen,  wo  ich  natür- 
lich in  erster  Reihe  die  pazifistischen  Be- 
strebungen  hervortreten   ließ. 

Schade,  daß  ich  mit  der  Schule  und  auch 
wissenschaftlich  zu  viel  beschäftigt  bin.  Sonst 
möchte  ich  einen  böhmischen  Friedensverein 
gründen.  Aber  dazu  habe  ich  viel  zu  wenig 
Zeit.  Jetzt  will  ich  mir  aber  ein  Skioptikon 
kaufen  und  meine  eigenen  Diapositive  an- 
schaffen. Dadurch  hoffe  ich,  meine  Vorträge 
anziehender    zu    gestalten." 

■MB 

Wie  uns  die  Ortsgruppenleitung  aus  Marien- 
bad mitteilt,  hat  die  dortige  Bezirkshauptmann- 
schaft ebenfalls  die  Affichierung  unseres 
Plakates  verboten. 


In  Brunn  hat  sich  bereits  eine  böhmische 
Friedensvereinigung  für  Mähren  gebildet. 
Dem  Gründungskomitee  gehören  Abgeordnete, 
hohe  Geistliche,  Advokaten,  Schuldirektoren 
und  höhere  Staatsbeamte  an.  Am  15.  Dezember 
v.  J.  war  die  Gründungsversammlung,  welche 
ungemein  gut  besucht  war,  an  welcher  sich 
ein  Vortrag  von  Frau  Henriette  Wurm  anschloß. 
Die  neue  Vereinigung  beabsichtigt,  an  den 
Landesschulrat  in  Brunn  ein  Gesuch  um  Ein- 
führung des  Friedenstages  in  den  Schulen  zu 
richten,  und  hat  vor,  sich  mit  dem  Brünner 
Deutschen  Frauenklub  in  Verbindung  zu  setzen, 
damit  dieser  auch  an  die  deutsche  Sektion  des 
Landesschulrates  die  gleiche  Petition  überreicht. 
Die  Proponentin  der  Vereinigung  ist  uns  als 
warme  Friedensförderin  bekannt  und  hat  im 
vorigen  Monate  in  Prag  zwei  große  Vorträge 
gehalten. 

CMS» 

Wiener  akademischer  Friedens- 
verein. Am  3.  Januar  d.  J.  veranstaltete  der 
Wiener  akadem.  Friedensverein  einen  Vortrags- 
abend. Prof.  Dr.  R.  Broda  (Paris)  sprach  im 
Hörsaal  50  der  Universität  über  das  Thema: 
„Inwieweit  bestätigt  der  Balkankrieg  die  Lehren 
der  Friedensbewegung",  er  erntete  für  seine 
Ausführungen  von  den  überaus  zahlreich  er- 
schienenen Zuhörern  reichen  Beifall. 


* 


Verantwortlicher  Redakteur:  Carl  Appold,  Berlin  W. 50.  —  Im  Selbstverlag  des  Herausgebers  Alfred  H.  Fried,  Wien  IX/2. 
Druck:  PassA  Garleb  G.m.b.H.,  BerünW.67.  —  Verantwortl.  Redakteur  für  Oesterreich-Ungarn  :  Vinzen  a  Jerabek  inWieD. 


40 


Februar  1913. 


Die  gefundene  Formel. 


„Eines  schönen  Tages  wird  man  an  die 
Regierung  mit  der  Frage  herantreten,  was 
sie  denn  getan  habe,  um  diese  angeblich, 
so  schwere  Formel  zu  finden.  Welch  merk- 
würdige Stellungnahme,  zu  behaupten,  eine 
Formel  sei  schwierig,  und  es  dabei  bewenden 
zu  lassen!  Welch  neuer  Beweis  für  die  Un- 
tauglichkeit  unserer  heutigen  Diplomatie! 
Wenn  die  Menschheit  diesen  Standpunkt 
immer  eingenommen  hätte,  so  hätten  wir 
uns  von  der  Kultur  des  Pfahlbauers  noch 
nicht  erhoben.  Auch  die  Formeln  für  die 
Heilung  der  Diphtherie  und  für  das  lenk- 
bare Luftschiff  waren  schwierig  zu  finden, 
und  nur,  weil  man  nach  ihnen  gesucht  hat, 
ist  man  zur  endlichen  Lösung  dieser  Pro- 
bleme gelangt.  Die  Formeln  zur  Heilung  des 
Krebses  und  der  Tuberkulose  sind  sicher- 
lich noch  schwieriger  als  die  Formeln  zur 
Verminderung  der  Rüstungen.  Nach  den 
ersteren  sucht  man  aber  mit  allen  der 
Wissenschaft  zur  Verfügung  stehenden 
Kräften,  bei  der  Suche  nach  der  letzteren 
begnügt  man  sich  im  günstigsten  Falle  mit 
dem  Gutachten  eines  Obersten  vom  General- 
stab." So  schrieben  wir  an  dieser  Stelle 
im  April  1909,  als  im  englischen  wie  im 
deutschen  Parlament  das  Problem  zur  Be- 
schränkung der  Seerüstungen  fast  gleich- 
zeitig erörtert,  und  die  Suche  nach  der 
„Formel"  von  Seiten  der  Reichsregierung 
als  eine  ziemlich  vergebliche  Arbeit  be- 
zeichnet wurde.  Die  Wege  der  Entwick- 
lung sind  manchmal  kraus.  Wer  ihnen  aber 
beharrlich  folgt,  nähert  sich  doch  dem  Ziel. 
Am  7.  Februar  1913  drang  die  Nachricht 
in  die  Welt,  daß  die  deutsche  Reichsregie- 
rung sich  mit  England  über  die  Entwick- 
lung des  Flottenbaues  beider  Länder  auf 
eine  Formel  geeinigt  habe.  Eine  Nachricht 
von  so  ungeheurer  Wichtigkeit,  daß  für 
einen  Augenblick  all  der  widerwärtige 
Wahnsinn   in   Vergessenheit   geriet,   der   im 


Südost  des  Erdteils  die  Völker  um  das  bren- 
nende und  zertrümmerte  Adrianopel  streiten 
läßt  und  Leichenhaufen  über  Leichenhaufen 
türmt.  Auch  hier  ist  eine  Bresche  ge- 
schossen, ein  Fortschritt  bei  der  Belagerung 
eines  Systems  erzielt  worden,  das  seit  Jahr- 
zehnten sich,  gegen  die  Uebergabe  sträubt. 
Das  System  des  Wettrüstens  —  es  ist  noch 
nicht  überwunden  —  aber  eine  Erschütterung 
hat  es  erhalten,  die  vom  Standpunkt  der 
Vernunft  auf  das  freudigste  zu  begrüßen 
ist.  Jahrzehnte  hindurch  haben  wir  Pazi- 
fisten gegen  die  Bollwerke  der  Rüstungs- 
routine  Sturm  gelaufen,  haben  wir  die  Wälle 
der  Vorurteile  und  des  Hasses  zu  über- 
winden versucht,  haben  wir  mit  den  Waffen 
der  Vernunft  und  des  trockenen  Kalküls  die 
schönen  Phrasen  der  Rüstungsfanatiker  be- 
kämpft. Jahrzehnte  hindurch  haben  wir 
unsere  Arbeit  jenen  Kräften  entgegen- 
gestellt, die  darauf  ausgingen,  zwei  Völker, 
die  gemeinsam  den  Weltkern  bedeuten,  zu 
spalten,  und  zur  gegenseitigen  Vernichtung 
anzuspornen.  Den  Kriegshetzern,  den  Ver- 
nichtungsgläubigen, den  Gewaltaposteln  und 
den  Propheten  eines  unbedingt  notwendigen 
und  unumgänglichen  Krieges  sind  wir  zu 
Leibe  gerückt.  Immer  dichter  schlössen  sich 
die  Kreise  der  von  uns  aufgestellten  Ver- 
ständigungsarmee, immer  enger  wurden  die 
Maschen  jenes  Netzes,  das  wir  um  beide 
Staaten  legten,  um  sie  vor  einem  gewalt- 
samen Auseinanderfall  zu  hindern.  Der  haß- 
erfüllten Sprache  berufsmäßiger  Hetzer 
setzten  wir  den  Zwang  zur  gegenseitigen 
Erörterung  entgegen,  zur  Aussprache,  zum 
Gedankenaustausch;  lauter  Mittel,  die  die 
Eignung  besitzen,  zur  Explosion  bereitetes 
D37namit  in  feuchten  Zustand  zu  versetzen. 
Den  Krieg,  den  kulturmordenden  Weltkrieg, 
gelang  es  uns  so,  hinauszuschieben  und, 
nach  menschlicher  Voraussicht,  überhaupt 
zu  bannen.    Nun  haben  wir  einen  weiteren 


41 


DIEFßlEDEN5-^/AQTE 


Q) 


Triumph  zu  verzeichnen.  Von  den  Festungs- 
mauern der  Eoutine  weht  die  weiße  Fahne 
mit  der  Formel  10:16.  Nirgends  so  sehr, 
wie  in  dem  Kampfe  der  Friedensidee  gegen 
die  Weltunvernunft,  hat  der  Satz  Berech- 
tigung, den  Frederic  Passy  in  einer 
entscheidenden  Stunde  der  pazifistischen 
Geschichte  gesprochen :  „Man  soll  nie- 
mals  „niemals"   sagen." 

Die  Formel  ist  gefunden.  Zwar  nicht 
die  Formel  der  Abrüstung,  aber  die  Formel 
für  die  Beschränkung  des  Wettbewerbes 
der  Rüstungen.  Damit  ist  aber  nicht  nur 
der  Anfang  gemacht,  sondern  gerade  das 
Unheilvolle  im  modernen  Rüstungswesen  ins 
Herz  getroffen  worden.  Denn  nicht  die 
Rüstungen  an  sich  sind  das  Verderbliche, 
sondern  das  in  seiner  Wirkung  zwecklose 
U  eberbieten,  das  die  Kräfte  erhöht,  ohne 
sie  zu  verschieben.  Jenes  U eberbieten,  das 
den  Völkern  die  größten  Lasten  auferlegt, 
ohne  einen  anderen  Grund  als  den  der  Un- 
fähigkeit zu  einer  vernünftigen  Verein- 
barung. Es  ist  ein  Anfang  gemacht,  der 
auf  die  Entwicklung  der  europäischen  Psyche 
von  segensreichstem  Einfluß  sein  muß,  denn 
bisher  haben  sich  die  Anhänger  des  Wett- 
rüstens mit  Gewalt  der  Zumutung  ver- 
schlossen, daß  über  jenes  Problem  über- 
haupt diskutiert  werden  dürfte;  mit  patrio- 
tischer Entrüstung  jeden  des  Verrats  ge- 
ziehen, der  darauf  hinwies,  daß  eine  Dis- 
kussion von  Volk  zu  Volk  allein  imstande 
wäre,  dem  Uebel  an  den  Leib  zu  gehen. 
„Die  Rüstungen  sind  unsere  eigene  Ange- 
legenheit, in  die  wir  niemanden  etwas  drein- 
zureden gestatten",  war  die  ständige  ver- 
bohrte Widerlegung  aller  unserer  Versuche. 
Vergeblich  war  unser  Bemühen,  darauf  hin- 
zuweisen, daß  jede  Rüstung  eines  Staates1 
einen  Eingriff  in  die  Angelegenheiten  des 
andern  bedeute,  daß  daher  die  gemeinsame 
Erörterung  eine  ganz  selbstverständliche 
Forderung  der  Vernunft  sei.  Die  Gegner 
gingen  so  weit,  daß  z.  B.  die  „Hamburger 
Nachrichten",  als  im  Jahre  1906  im  eng- 
lischen Unterhause  die  Anregung  zur 
internationalen  Besprechung  des  Rüstungs- 
problems  gegeben  wurde,  nicht  vor  der 
Behauptung  zurückschreckten,  die  Eng- 
länder wollen  den  Deutschen  das  Maß  ihrer 
Rüstungen  „vorschreiben",  wie  es  einst 
Napoleon  Preußen  nach  dem  Frieden  von 
Tilsit  getan.  Um  der  Wahrheit  die  Ehre 
zu  geben  muß  betont  werden,  daß  man 
sogar  in  konservativen  und  sonst  stark 
national  gesinnten  Kreisen  die  Unhaltbar- 
keit    der    Rüstungsargumente,    wie   sie   das 


Gros  der  Fanatiker  vorbrachte,  seit  einiger 
Zeit  erkannt  hat.  Schon  lange  vor 
der  zweiten  Haager  Konferenz  hat  Ge- 
heimrat von  Hollstein  zu  einer  Ver- 
ständigung mit  England  geraten,  und  sogar 
die  „Kreuz  z  ei  tun  g"  hat  in  ihrem  Oster- 
artikel  von  1909  der  Hoffnung  Ausdruck 
gegeben,  der  Reichskanzler  werde  doch  eines 
Tages  und  „hoffentlich  recht  bald  die  Formel 
finden",  die  eine  Verhandlungsbasis  mit  Eng- 
land biete.  Und  der  konservative  Erbprinz 
von  und  zu  Hohenlohe  -  Langen- 
bürg  brachte  im  März  1909  im  deutschen 
Reichstag  die  Ansicht  zum  Ausdruck,  daß 
ein  Vorschlag  Englands  über  die  Abrüstung 
zur  See  „wenn  er  an  uns  herantritt,  nicht 
in  schroffer  Weise  zurückzuweisen  ist".  Er 
meinte,  man  müsse  einen  solchen  Vorschlag 
reiflich  prüfen  und  fügte  hinzu:  „Ich  glaube, 
man  muß  die  geschichtliche  Entwicklung 
abwarten.  Es  hat  sich  schon  manches  in 
der  Welt  vollzogen,  was  vor  20,  30  oder 
50  Jahren  als  unmöglich  galt,  und  wer  weiß, 
ob  nicht  dereinst  die  Tatsachen  zu  jenem 
Ergebnis  führen  werden,  das  wir  jetzt  durch 
einen  Vertrag  vergeblich  zu  erreichen  be- 
strebt sind."  Im  März  1911  trat  auch  der 
konservative  Graf  von  Kanitz  für  eine 
Flottenverständigung  mit  England  ein,  in 
dem  er  sich  mit  den  Grundsätzen  des  Mi- 
nisters Grey  einverstanden  erklärte,  der 
kurz  vorher  gesagt  hatte:  „Die  Bürde  der 
Rüstung  ist  eine  größere  Gefahr  als  der 
Krieg  selbst;  sie  bedeutet  ein  Verbluten  in 
Friedenszeiten." 

*         *         * 

In  dem  Entwicklungsgang  zu  einer 
anglo-deutschen  Rüstungsverständigung  sind 
drei  Perioden  deutlich  zu  unter- 
scheiden. Zuerst  das  vollständige  Still- 
schweigen deutscherseits  gegenüber  den  eng- 
lischen Anregungen.  Schon  im  März  1899 
ließ  die  englische  Regierung  durch  den  da- 
maligen ersten  Lord  der  Admiralität,  G  o  - 
sehen,  erklären,  daß  sie  nichts  sehnlicher 
wünsche,  als  ihre  Marineausgaben  be- 
schränken zu  können,  und  daß  sie  bereit  sei. 
ihr  Bauprogramm  zu  vermindern,  wenn  an- 
dere Nationen  sich  mit  ihr  darüber  verstän- 
digen wollten.  Noch  im  Juli  1903  bestätigte 
der  damals  allmächtige  Minister  Cham- 
ber 1  a  i  n  diese  Erklärung  Lord  Goschens, 
die  er  für  die  Regierung  noch  immer  bin- 
dend erklärte.  Diese  Anregungen  fanden  in 
Deutschland  keinerlei  Beachtung;  ja  sie 
wurden  in  der  Oeffentlichkeit  kaum  bekannt. 

Die  zweite  Periode  kennzeichnet  sich 
durch    eine    energische    Zurückweisung    derj 


42 


es 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


englischen  Vorschläge  von  deutscher  Seite. 
Sie  setzt  um  das  Jahr  1906  ein,  als  England 
sich  bemühte,  das  Problem  der  Rüstungs- 
beschränkungen auf  der  zweiten  Haager 
Konferenz  zur  Erörterung  zu  bringen.  Die 
Debatten  im  englischen  Unterhause  im 
Frühjahr  1906  und  im  Oberhause  im  Mai 
desselben  Jahres,  so  wie  die  übrigen  Maß- 
nahmen der  englischen  Regierung  zu  jener 
Zeit  (interparlamentarische  Konferenz  zu 
London)  lösten  in  der  öffentlichen  Meinung 
Deutschlands  bis  weit  in  die  liberalen  Kreise 
hinein  eine  heftige  Opposition  aus.  Man 
vermutete  in  dem  englischen  Vorgehen  einen 
„Trick"  gegen  Deutschland  und  betrachtete 
von  diesem  Gesichtspunkt  aus  die  ganze 
zweite  Haager  Konferenz  als  eine  Falle,  in 
die  das  Reich  gelockt  werden  sollte.  Ja  man 
ging  so  weit,  die  Möglichkeit  einer  Erörte- 
rung des  Rüstungsproblems  auf  der  Kon- 
ferenz als  eine  Kriegsgefahr  anzusehen.  In 
offener  Reichstagssitzung  im  April  1907 
entrang  sich  dem  Abgeordneten  Basser- 
mann der  Stoßseufzer:  „Wenn  wir  die 
Haager  Konferenz  glücklich  überstanden 
haben,  dann  werden  hoffentlich  wieder  fried- 
liche Zeiten  kommen",  und  der  Kriegs- 
minister hielt  es  für  angebracht,  dem  Ab- 
geordneten Lieber  mann  von  Sonnen- 
berg zuzustimmen,  der  für  jene  eng- 
lischen Verständigungsversuche  nur  ein 
schußbereites  ,,sie  mögen  kommen!" 
übrig  hatte.  Fürst  B  ü  1  o  w  erklärte  dam  als, 
daß  Deutschland  an  einer  Besprechung  des 
Rüstungsproblems  auf  der  Haager  Konferenz 
nicht  teilnehmen  werde.  So  wurde  die  Be- 
ratung des  Problems  im  Haag  vereitelt.  Die 
englische  Regierung  begnügte  sich  dort,  auf 
die  Notwendigkeit  einer  Lösung  hinzuweisen, 
und  neuerdings  ihre  Bereitwilligkeit  zu 
einem  Abkommen  zu  erklären. 
*         *         * 

Aber  unmittelbar  nach  der  zweiten 
Haager  Konferenz  begann  die  dritte  Periode, 
die  sich  durch  den  Beginn  einer  wechsel- 
seitigen Erörterung  der  Rüstungsfrage . 
kennzeichnet.  Englische  Staatsmänner  un- 
terließen es  nicht,  darauf  hinzuweisen,  daß 
es  so  nicht  weitergehen  könne.  Lord  A  s  - 
q  u  i  t  h  erklärte  noch  1908,  daß  er  ?,ine  Hand 
ergreifen  würde,  die  in  guter  Absicht  und 
Treue  entgegengestreckt  wird,  und  im  März 
1909  entwickelte  sich  im  deutschon  Reichs- 
tag an  zwei  Tagen  eine  hochbedeutende  De- 
batte, in  der  die  Vertreter  verschiedener  Par- 
teien den  "Wunsch  nach  einer  Verständigung 
mit  England  zum  Ausdruck  brachten  und 
in  der  die  Regierung  zugab,  daß  „unverbind- 


liche" Gespräche  mit  den  englischen  Staats- 
männern bereits  gepflogen  wurden.  In  den 
Jahren  1910  und  1911  nahm  die  wechsel- 
seitige Erörterung  des  Rüstungsproblems  an 
Kraft  zu,  und  in  der  Reichstagssitzung  vom 
10.  Dezember  1910  konnte  der  Reichskanzler 
Bethmann  H  oll  weg  gegenüber  den 
Wünschen  mehrerer  Parteivertreter  erklären, 
daß  mit  der  englischen  Regierung  „pour- 
parlers"  schweben.  Schließlich  kam  es  am 
31.  März  1911  im  deutschen  Reichstag,  nach 
einer  zweitägigen  Debatte  über  die  Rüstung. - 
Verständigung,  zur  einstimmigen  An- 
nahme einer  Resolution,  die  dahin 
ging:  „Der  Reichstag  wolle  beschließen,  den 
Reichskanzler  zu  ersuchen,  die  Bereitwillig- 
keit zu  erklären,  in  gemeinsame  Verhand- 
lungen mit  anderen  Großmächten  einzu- 
treten, sobald  von  einer  Großmacht  Vor- 
schläge über  eine  gleichzeitige  und  gleich- 
mäßige Begrenzung  der  Rüstungsausgaben 
gemacht  werden  sollten."  Die  Marokkover- 
stimmung konnte  die  Entwickelung  der 
gegenseitigen  Erörterungen  nicht  hemmen. 
Nach  Agadir  kam  Lord  H  a  1  d  a  n  e  nach 
Berlin  und  Freiherr  von  Marschall 
wurde  nach  London  versetzt.    Ende  Oktober 

1912  fand  in  London  die  von  beiden  Regie- 
rungen gebildete  anglo-deutsche  Verständi- 
gungskonferenz  statt,   und   am   7.    Februar 

1913  erklärte  nun  der  Staatssekretär  des 
deutschen  Reichsmarineamtes  in  der  Budget- 
kommission des  Reichstages,  daß  er  eine 
Verständigung  mit  England  über  die  Größe 
der  Flotte  im  Verhältnis  von  10: 16  für 
die  nächsten  Jahre  für  annehmbar  halte. 
Damit  beginnt  die  vierte  Periode  der  anglo- 
deutschen  Verständigung,  die  der  praktischen 
Friedenssicherung  und  endlichen  Durch- 
führung eines  vernünftigen  Ebenmißes  der 
staatlichen  Schutzeinrichtungen.  Die  Zeit 
scheint  nahe  zu  sein,  wo  die  land- 
läufigen Einwände  gegen  das  allgemeine 
Verlangen  nach  Regelung  des  Rüstungs- 
wesens in  sich  zusammenfallen  werden  und 
so  der  Weg  frei  gemacht  werden  wird 
zur  wahren  Befreiung  der  Völker  von 
ihrer  eigenen  Tyrannei.  Diese  werden 
alsdann  entdecken,  wie  sie  Edward  Grey 
in  seiner  oben  erwähnten  denkwürdigen 
Unterhausrede  vom  12.  März  1911  sd 
richtig  gesagt  hat,  „daß  während  der 
Zeit,  in  der  sie  sich  in  der  Knechtschaft 
dieser  ungeheuerlichen  Ausgaben  befanden, 
die  Gefängnistür  von  der  Innen- 
seite verschlossen   war." 

Die  pazifistische   Bewegung   kann  mit 
Stolz  darauf  hinweisen,  daß  sie  es  war,  die 


43 


DIE  FßlEDENS-^ADTE 


3 


jenen  "Wandel  der  öffentlichen  Meinung  her- 
beigeführt hat,  durch  den  es  erst  möglich 
wurde,  aus  der  Zeit  des  brutalen  Hasses, 
der  gegenseitigen  Vernichtungsgier  heraus, 
in  eine  Aera  der  Vernunftherrschaft  hinüber- 
zuführen. Ihr  scheint  diese  Aenderung  in 
den  Beziehungen  der  beiden  Staaten  zugleich 
ein  "Wendepunkt  für  die  Entwicklung  ganz 
Europas  zu  werden.  Die  schlichten  Zahle q 
10:16  werden  weltgeschichtliche  Bedeutung 
erlangen.  Wenn  sie,  was  zu  erhoffen  ist, 
eine  Sicherung  dafür  bieten  werden,  daß  die 
beiden  Völker,  die  wir  den  Kern  der  "Welt 
genannt  haben,  statt  zu  gegenseitiger  Ver- 
nichtung, zur  Gemeinsamkeit  und  höheren 
Festigung  gelangen  können,  so  wird  sich 
das  Rad  der  Weltgeschichte  künftig  nach 
einer  ganz  anderen  Richtung  drehen,  und 
die  Aengste  und  Verwirrungen,  unter  denen 
der  schwergeprüfte  Erdteil  in  den  letzten 
Jahren  zu  leiden  hatte,  werden  bald  einer 
Vergangenheit  angehören,  die  einer  glück- 
licheren Zukunft  nur  Grauen  und  Abscheu 
einflößen  wird.  Wir  Pazifisten,  die  wir  uns 
den  Ruhmestitel  nicht  werden  rauben  lassen, 
der  Entwicklung  dieser  glückverheißenden 
Wendung  zugesteuert  zu  haben,  werden  mit 
erneuten  Kräften  dahin  arbeiten,  daß  diese 
Zukunft  bald  eine  Gegenwart  werde. 

A.  H.  F. 

Das  Problem  eines  inter- 
nationalen Staatengerichtshofes, 

Von  Assessor  Dr.  W.  Bellardi,  Hannover. 

Als  zweiter  Band  der  großzügig  angeleg- 
ten Sammlung  „Das  Werk  vom  Haag"  ist 
im  Sommer  des  verflossenen  Jahres  unter 
dem  obenstehenden  Titel  ein  neues  Buch 
von  Dr.  Hans  Wehberg  erschienen 
(München  und  Leipzig  1Q12,  Verlag  von 
Duncker   &    Humblot). 

Man  darf  es  a  priori  als  einen  besonders 
günstigen  Umstand  betrachten,  daß  gerade 
W  e  h  b  e  r  g  die  Bearbeitung  dieser  schwie- 
rigen Materie,  die  für  den  erhofften  bal- 
digen Fortschritt  in  der  Entwicklung  der 
internationalen  Rechtsgemeinschaft  von  so 
außerordentlich  praktischer  Bedeutung  ist,  in 
die  Hand  genommen  hat.  Zweifellos  war 
Wehberg  der  berufene  Mann  hierzu.  Hat 
er  doch  bei  seiner  unermüdlichen  und  tief- 
gehenden Beschäftigung  mit  allen  Fragen 
des  Völkerrechts  und  der  Friedensbewegung 
sich  bereits  seit  Jahren  mit  besonderem  Inter- 
esse dem  Probleme  der  internationalen 
Gerichtsbarkeit  zugewandt.  In  einer  Reihe 
von  Aufsätzen  in  Tageszeitungen  und  Fach- 
zeitschriften sowie  an  mehreren  Stellen  seines 
Kommentars     zu     dem    Haager    „Abkommen 


betreffend  die  friedliche  Erledigung  inter- 
nationaler Streitigkeiten"  vom  18.  Oktober 
1907  (Tübingen  1911,  Verlag  von  J.  C.B.Mohr) 
hat  Wehberg  seine  Gedanken  hierüber 
zum  Teil  schon  veröffentlicht.  Diese  Ge- 
danken, wesentlich  erweitert  und  in  gründ- 
licher, wissenschaftlicher  Weise  vertieft, 
finden  wir  nun  in  diesem  zweiten  Bande  des 
„Werkes  vom  Haag"  in  übersichtlicher  Zu- 
sammenfassung niedergelegt. 

Wehbergs  Arbeit  rechtfertigt  die 
darauf  gesetzten  Hoffnungen  in  reichstem 
Maße.  Ich  möchte  wünschen,  daß  sie  nicht 
nur  weit  verbreitet,  sondern  auch  ernsthaft 
studiert  würde  von  allen,  deren  Gesichts- 
und  Gedankenkreis  über  den  Horizont  des 
eigen-persönlichen  und  nationalen  Lebens 
hinausgreifend  auch  die  Anteilnahme  an  dem 
Gesamtleben  der  in  Kulturstaaten  organi- 
sierten Menschheit  umfaßt.  Besonders  aber 
sollten  alle  diejenigen  an  dieser  kostbaren 
Quelle  trinken,  in  deren  Hand  es  zum  wesent- 
lichen Teile  gegeben  ist,  über  Tempo  und 
Grad  des  Fortschritts  im  Wachstum  der 
Völker-Rechtsgemeinschaft  zu   entscheiden. 

Hiermit  könnte  ich  eigentlich  schon  mit 
dem,  was  ich  zu  Wehbergs  Werk  öffent- 
lich zu  sagen  hätte,  abschließen  :  !man  lese  das 
Buch  und  denke  darüber !  Zum  mindesten  er- 
scheint es  mir  überflüssig,  neben  dieser  drin- 
genden Empfehlung  darauf  hinzuweisen,  daß 
Wehbergs  Arbeit  in  hohem  Maße  von 
selbständigem1  Geist  und  Scharfsinn  zeugt 
und  sich  in  gleicher  Weise  durch  klare,  über- 
sichtliche Anlage  und  fesselnde,  gewandte 
Darstellung  wie  durch  die  außerordentliche 
Fülle  des  verarbeiteten  deutschen  und  fremd- 
sprachigen Akten-  und  Literaturmaterials 
auszeichnet.  Hiervon  wird  sich  jeder,  der  das 
Werk  liest,  ohnehin  bald  überzeugen.  Und 
andere  dürfte  diese  Feststellung  schwerlich 
viel    interessieren. 

Vielleicht  aber  wird  erst  eine  kurze  Dar- 
legung des  näheren  Inhalts  den  einen  oder 
anderen  zur  Lektüre  des  Buches  anregen. 
Deshalb  mag  ein  Eingehen  hierauf  an  dieser 
Stelle    berechtigt    sein. 

Und  zwar  möchte  ich  der  knappen  Mit- 
teilung des  wesentlichen  Inhalts  die  einzige 
eigentlich  „kritische"  Bemerkung,  die  ich  für 
meine  Person  zu  machen  hätte,  hier  gleich 
vorausschicken,  ohne  jedoch  eine  Polemik 
in  einer  Frage  eröffnen  zu  wollen,  die  von 
der  Mehrzahl  der  völkerrechtlichen  und  pazi- 
fistischen Schriftsteller  bereits  im  Sinne  der 
W  e  h  b  e  r  g  sehen  Auffassung  beantwortet 
worden  ist  —  wobei  ich  die  Richtigkeit  dieser 
Antwort  vom  praktischen  Standpunkte  der 
Rücksichtnahme  auf  die  heutigen  wirk- 
lichen Verhältnisse  des  politischen  Lebens 
und  auf  die  Gebote  der  Taktik  ohne  weiteres 
anerkenne. 

Es  handelt  sich  um  die  Frage,  ob  für  die 
Organisation  der  völkerrechtlichen  Recht- 
sprechung   die    Schaffung    einer    Exekutions- 


44 


<£ 


=  DIE  FRIEDENS-^^RXE 


instanz  entbehrlich  ist  oder  ob  sie  vielmehr 
notwendig,  zum  mindesten  wünschenswert  ist. 

W  e  h  b  e  r  g  meint,  es  bestehe  „keinerlei 
Bedürfnis  für  eine  Exekutionsgewalt  im 
Völkerrechte,  so  daß  das  Ideal  eines  inter- 
nationalen Gerichtshofes  einen  Zwangs- 
apparat nicht  erfordere"  (S.  105,  ähnlich 
S.  115,  122  und  129).  Der  angeblich  erbrachte 
Beweis  (S.  122)  für  diesen  Satz  könnte  meines) 
Erachtens  höchstens  in  dem  Hinweise  Weh- 
bergs darauf  erblickt  werden,  daß  bisher 
„alle  die  zahlreichen  Schiedssprüche  frei- 
willig befolgt  worden  sind"  (S.  105,  vgL 
auch  S.  90).  Indessen,  ist  diese  erfreuliche 
Tatsache  allein  ein  logisch  zwingender  Be- 
weis.? Mir  scheint  es  doch  mehr  die  frohe 
Zuversicht  des  für  das  hohe  Ideal  des  Frie- 
dens begeisterten  Optimisten  zu  sein,  die  aus 
den  folgenden  Worten  spricht :  „Es  heißt 
an  den  großen  Aufgaben  der  Menschheit 
verzweifeln  und  die  offenkundigen  Tatsachen, 
die  für  eine  immer  stärkere  Entwicklung 
in  dieser  Richtung  sprechen,  verleugnen, 
wollte  man  annehmen,  die  Zukunft  der 
Staaten  würde  nicht  ausnahmslos  durch  das 
Recht  geregelt  werden,  auch  ohne  daß  eine 
Zwangsgewalt  besteht"  (Seite  105).  Daß  Weh- 
berg nicht  abgeneigt  ist,  zugunsten  einer 
immer  stärkeren  Durchdringung  der  Völker- 
rechtswissenschaft mit  pazifistischen  Gedanken 
und  Zielen  von  der  Richtlinie  streng  logischer 
Beweisführung  gelegentlich  —  und  zwar  wohl 
bewußt  —  abzuweichen,  geht  übrigens  sehr 
deutlich  aus  seinen  eigenen  tatfrohen  schönen 
Worten  hervor:  „Den  Fortschritt  der  neuen 
Völkerorganisation  nach  außen  kundzutun, 
daran  müssen  alle  mitarbeiten,  die  der  Meinung 
sind,  daß  die  wahre  Wissenschaft  des  Völker- 
rechts nicht  lediglich  den  Zweck  hat, 
juristische  Begriffe  fein  säuberlich  zu  defi- 
nieren, sondern  daß  sie  mit  aller  Kraft  und 
der  ganzen  Begeisterung  der  wahren  Jünger 
des  Völkerrechts  an  der  Verbesserung  der 
internationalen  Anarchie  mitarbeiten  muß, 
daß  sie  sich  den  großen  Fragen  des  wahren 
Lebens  (nicht  der  Studierstube)  mit  dem 
ganzen  Eifer  widmen  muß,  den  uns  die  Pazi- 
fisten immerfort  gezeigt  haben"  (Seite  118  ff.). 
Und  so  ist  denn  Wehberg  in  seinem 
innersten  Gelehrtenherzen  doch  wohl  nicht  so 
ganz  von  der  völligen  und  dauernden  Belang- 
losigkeit einer  Exekutionsinstanz  im  Völker- 
recht überzeugt,  als  es  den  Anschein  hat. 
Denn  sonst  würde  ihm  nicht  auf  Seite  152 
die  Bemerkung  von  „dem  zurzeit  uto- 
pistischen Gedanken  einer  Exekutionsgewalt" 
entschlüpft  sein.  Auch  die  Ausführungen  auf 
Seite  90  lassen  die  uneingeschränkte  Be- 
hauptung von  der  Entbehrlichkeit  einer 
Zwangsinstanz  in  etwas  getrübtem  Licht  er- 
scheinen. 

Wehberg  verlangt  von  denjenigen,  „die 
sich  gar  nicht  von  den  innerstaatlichen  An- 
schauungen loslösen  können  und  unter  einem 
Gerichtshofe  auch  im  internationalen  Völker- 


leben nur  eine  mit  Zwangsgewalt  ausgestattete 
Behörde  verstehen",  den  Beweis  dafür,  daß 
„internationale  Gerichtsbarkeit  mit  der  natio- 
nalen Gerichtsbarkeit  wesensgleich  ist,  und 
man  daher  als  begriffliches  Merkmal  der 
internationalen  Gerichtsbarkeit  einen  Zwangs- 
apparat fordern  darf"  (Seite  105  ff.).  Die  Be- 
weislast dürfte  wohl  dem  zufallen,  der  die 
Wesensungleichheit  behauptet.  W  e  h  b  e  r  g 
tritt  den  Beweis  hierfür  auch  an,  indem  er 
bemerkt,  „die  Gerichtsbarkeit  im  nationalen 
Rechte  werde  durch  ein  über  den  Privaten 
stehendes  Rechtssubjekt,  nämlich  den  Staat, 
eingesetzt,  wohingegen  jede  Rechtsprechung 
im  Völkerrecht  begrifflich  auf  dem  freien 
Willen  der  Staaten  beruhe"  (Seite  114  ff.).  Das 
trifft  gewiß  zu.  Aber  das  Wesen  der  Gerichts- 
barkeit wird  doch  nicht  durch  den  Hinweis 
auf  die  einsetzende  Stelle,  von  welchem  der 
Gerichtshof  seine  Machtbefugnisse  ableitet, 
erfaßt.  Vielmehr  ist  es  die  Art  der  über- 
tragenen funktionären  Machtbefugnisse  selbst, 
die  das  Wesen  der  Gerichtsbarkeit  ausmacht, 
und  das  ist:  die  Handhabung  des 
„Rechts".  Und  dazu  gehört  wiederum 
dreierlei:  erstens  das  Vorhandensein  objektiver 
Regeln,  zweitens  die  spruchrichterliche  Sub- 
sumierung von  Tatbeständen  unter  diese 
Regeln,  und  endlich  die  —  nötigenfalls  ge- 
waltsame —  Durchführung  der  Entscheidung. 
Damit  ist  zugleich  gesagt,  daß  dem  objektiven 
Rechtsbegriffe  der  mit  Zwangsgewalt  aus- 
gestattete Befehl  zur  Seite  stehen  muß.  Es 
gehört  begrifflich  zum  „Rechte",  daß  es  jeden 
widerstrebenden  Willen  der  eigenen  Autorität 
unterwerfen  kann.  Anderenfalls  ist  eine 
Rechtshandhabung,  die  nicht  dem  gelegent- 
lichen Versagen  ausgesetzt  sein  will,  undenk- 
bar. So  gut  nun  jene  drei  Elemente  der 
nationalen  Gerichtsbarkeit  eignen,  müssen  sie 
auch  der  völkerrechtlichen  Rechtspflege  inne- 
wohnen. Denn  es  ist  nicht  abzusehen,  inwie- 
fern die  Grundlage  jeder  Rechtssprechung, 
nämlich  die  objektive  Norm,  im  nationalen 
und  internationalen  Rechte  qualitativ  ver- 
schieden sein  soll.  Ohne  die  Möglichkeit  des 
Zwanges  ist  eine  Garantie  für  die  Ausgleichung 
sozialer  Kollisionen,  d.  h.  für  die  Erledigung 
von  Rechtsstreitigkeiten,  hüben  wie  drüben 
nicht  gegeben.  Begrifflich  ist  also  auch 
im  Völkerrecht  eine  wirkliche  und  vollständige 
Gerichtsbarkeit  ohne  Zwangsgewalt  m.  E.  un- 
möglich, eine  Exekutionsinstanz  mithin  nicht 
„entbehrlich".  Erst  dann,  wenn  wir  einen  mit 
Exekutiv-Befugnissen  und  -Machtmitteln  aus- 
gestatteten internationalen  Staatengerichtshof 
haben,  werden  wir  wirklich  unbeanstandet 
sagen  dürfen:  es  gibt  ein  Völker  -  R  e  c  h  t. 
Ein  zwischenstaatliches  Recht,  dessen  Bedeu- 
tung als  Külturerscheinung  dem  Privatrecht 
und  dem  inneren  Staatsrecht  gleichwertig  wäre, 
gibt  es  heute  noch  nicht.  Regel  und  Rechts- 
findung —  beide  allerdings  vorläufig  noch  in 
beschränktem  Umfange  —  sind  da,  aber  es 
fehlt  die  Krone  des  Baues:  die  Sanktion  des 


45 


DIE  FßlEDENS-^ADTE 


3 


Zwanges.  Sie  wird  —  abgesehen  von  indirekten 
Beugungseinflüssen  —  heute  noch  ersetzt 
durch  die  Sanktion  der  Moral,  durch  die 
Achtung  vor  dem  Rechte,  die  niemals  ein 
integrierender  Bestandteil  des  objektiven 
Rechtes  selbst  sein  kann. 

Praktisch  freilich  ist  eine  internatio- 
nale •  Gerichtsbarkeit  ohne  Zwangsgewalt 
immerhin  möglich,  wie  die  bisherige  Er- 
fahrung zeigt.  Es  fragt  sich  nur,  ob  man 
auch  sagen  darf:  „Es  bestehe  keinerlei  Be- 
dürfnis für  eine  Exekutionsgewalt  im  Völker- 
rechte." Ich  meinesteils  bejahe  die  Bedürfnis- 
frage, mag  sie  auch  zurzeit  nicht  dringlich 
sein,  unbedingt.  Ich  halte  die  Einsetzung 
einer  internationalen  Zwangsgewalt  für  höchst 
wünschenswert,  nicht  nur  weil  die  theoretische 
Logik  es  gebietet,  sondern  auch  darum,  weü 
ich  darin  einen  außerordentlich  bedeutsamen 
Fortschritt  in  der  zwischenstaatlichen  Organi- 
sation erblicken  würde.  Man  vergegenwärtige 
sich,  welches  Ansehen  ein  mit  Exekutivbefug- 
nissen ausgestatteter  höchster  Gerichtshof  der 
gesamten  Kulturwelt  genießen  müßte,  eine 
Institution,  die  zwar  aus  dem  freien  Willen 
der  Einzelstaäten  hervorgegangen  wäre,  deren 
Aufhebung  öder  Beschränkung  aber  nur  unter 
Zustimmung  sämtlicher  Gründer  zulässig  sein 
dürfte.  Schon  die  bloße  Existenz  einer  wahr- 
haften Staaten  Justiz  würde  den  Ausbruch 
mancher  Zwistigkeiten  zwischen  den  Staaten 
verhindern.  Vom  Weltbundesstaate  wären  wir 
dann  freilich  nur  noch  einen  Schritt  entfernt; 
Hoffentlich  kommen  wir  so  weit,  —  um,  dann 
den  letzten  Schritt  auch  noch  zu  tun! 

Können  ? !  " '  N  i  c  h  t  s  ist  Unmöglich  dem, 
der  will.  Wenn  doch  nur  die  Steuerleute1  der 
Staätsschiffe  wollten!'  Sollten  sich  nicht 
einmal  über  kurz  oder  lang  gleichzeitig  in 
verschiedenen  Staaten  starke  Männer  finden, 
die  das,  was  die  weitaus  überwiegende  Mehr: 
heit  der  Menschen  ersehnt,  die  dauernde  Siche- 
rung des  Friedens  zwischen  den  Völkern,  kraft- 
voll verwirklichen  ? 

,  :,  Und  die  Exekutivgewalt  des  Staaten- 
gerichtshofes  ?  Worin  soll  die  bestehen  ?  Wie 
soll  sie  gehandhabt  werden?  Ein  Problem  für 
sich,  desseri  nähere  Erörterung  nicht  hierher 
gehört,  ;  Aber  ich  möchte  doch  darauf  hin- 
weisen, tlaß  eine  scharfe  persönliche  Verant- 
wortlichkeit der  einzelnen  Minister  der  Staaten 
wohl  die  wichtigste  Garantie  für  die  Befolgung 
der  Entscheidungen  des  Staatengerichtshofes 
bilden  müßte.  D je  Schaffung  einer  großen 
internationalen  Polizeimacht  —  ein  vorläufig 
noch  zu  fern  liegendes  Problem.  Dahin 
kommen  wir  vielleicht  einmal,  wenn  es  ge^ 
hingen  ist,  auf  der  Grundlage  eines  mit 
Zwangsgewalt  ausgestatteten  Staatengerichts- 
hofes die  Fragen  der  Rüstungsbeschränkung 
und  .des  :  Fortfalls  der  Ehren-  und  Lebens- 
klausel in  den  Schiedsverträgen  zu  lösen.  Den 
ziemlich  konservativen  Ausführungen  W  ehr 
b.er.g.s    .über   „Ehre..- und.; Lebensinteressen" 


.46 


der  Staaten  (Seite  89)  vermag  ich  übrigens 
keineswegs  zuzustimmen. 

Nun,  das  alles  hat  wohl  noch  gute  Weile. 
Arbeiten  wir  weiter,  diesen  erstrebenswerten 
Rechts  zustand  unter  Wahrung  der 
historischen  kontinuierlichen  Entwicklung,  so 
bald  und  so  vollkommen,  wie  es  uns  mög- 
lich ist,  herbeizuführen.  Den  nächsten  bedeut* 
samen  Schritt  auf  diesem  Wege  stellt  jeden- 
falls die  Einrichtung  eines  ständigen  inter- 
nationalen Gerichtshofes  —  überhaupt  und 
vorläufig  abgesehen  von  einer  Zwangsinstanz 
—  dar.  Für  diesen  Schritt  durch  Dornen  und 
Gestrüpp  freie  Bahn  und  helles  Licht  ge- 
schaffen zu  haben,  ist  das  große  Verdienst, 
das  W  e  h  b  e  r  g  sich  mit  seinem  Werke : 
„Das  Problem  eines  internationalen  Staaten- 
gerichtshofes"  erworben  hat. 

Der  Grundgedanke  des  Buches  ist  die 
Gegenüberstellung  und  scharfe  Abgrenzung 
der  bloßen  Schiedsgerichtsbarkeit  einerseits 
und  der  Gerichtsbarkeit  auf  der  anderen  Seite. 
Die  erstere  will  „schwebende  Konflikte  fried- 
lich lösen,  ohne  Rücksicht,  ob  dadurch  gleich- 
zeitig die  Ursache,  der  vorhandenen  Differenzen 
beseitigt  wird",  die  zweite  „denkt  viel  weiter 
und  versucht,  nicht  nur  gegenwärtige  Kon- 
flikte zu  beseitigen,  sondern  auch  zukünftigen 
Streitigkeiten  dadurch  vorzubeugen,  daß  durch 
allmähliche  Fortbildung  des  Völkerrechts  auf 
dem  Wege  internationalen  Rechtsspruches  die 
Rechtslage  sichergestellt  wird"   (Seite  7). 

Wehberg  weist  nun  im  einzelnen  nach, 
daß  alle  durch  Sprüche  herbeigeführte  Streit- 
erledigung zwischen  den .  Staaten,  bisher  den 
Charakter  der  Schiedssprechung  gehabt  hat, 
und  daß  diese  neben  ihren  anderweiten 
Mängeln  für  die  Fortbildung  des  Völkerrechts 
so  gut  wie  nichts  geleistet  hat.  W.ehberg 
berichtet  dann  genau  über  den  ständigen 
Haager  Schiedshof  vom  Jahre  1899  (Seite  138 
bis  151)  und  über  das  Projekt  der  zweiten 
Haager  Konferenz  vom  Jahre  1907,  die  „Cour 
de  la  justice  arbitrale"  (Seite  154  f.,  169  bis 
192).  Hieran  schließt  sich  ein  fesselndes  Inter- 
mezzo: ein  kurzer  Kommentar  zu  dem  .Ent- 
würfe dieser  „Cour  arbitrale"  (Seite  193  bis 
231).  Es  ergibt  sich  aus.  all  diesen  Betrach- 
tungen, daß  sämtliche  Versuche,  eine  wirk- 
liche zwischenstaatliche  Gerichtsbarkeit  zu 
schaffen,  auf  halbem  Wege  stecken  ge- 
blieben sind.  . 

Neben  diese  umfangreiche  historische 
Masse  des  Buches  tritt  als  zweiter  und  wich- 
tigerer Bestandteil  das  konstruktive  Element: 
Wehbergs  . eigene  Ansichten,  über  einen 
internationalen  Staatengerichtshof.  Nicht  eine 
Verdrängung. des  jetzt  bestehenden  S  eh i  eds  - 
hof.es,  der  zur  Beilegung  hochpolitischer 
Konflikte  auf  Grund,  von  Billigkeitserwägungen 
durchaus  zweckdienlich  erscheint,  wünscht 
Weh  her  g,  sondern  als  Ergänzung,  dieser 
Institution  einen  zur  .Beurteilung,  der  zahl- 
reichen mehr  oder  weniger ,  juristischen  Streit- 
fragen    berufenen     Gerichtshof,     durch 


<§^ 


DIE  FRI  EDENS -WABXE 


dessen  rein  rechtliche  Entscheidungen  an- 
gesichts des  noch  vorhandenen  Mangels  leiten- 
der Rechtsgedanken  eine  klare  Fortbildung 
des  materiellen  Völkerrechts  am  vorteil- 
haftesten bewirkt  werden  kann  (vgl.  Seite  142, 
auch  Seite  8  f.).  Daß  die  Urteilsfindung  nach 
objektiven  Rechtsregeln  der  Billigkeit  nicht 
widersprechen  darf,  versteht  sich  dabei  wohl 
von  selbst.  W  e  h  b  e  r  g  stellt  folgende  Grund- 
forderungen für  einen  internationalen  Gerichts- 
hof auf:  1.  Keine  Diplomaten,  sondern  Be- 
rufsrichter; 2.  Ausschluß  der  nationalen 
Richter;  3.  Ausschluß  der  Wahl  der  Mit- 
glieder durch  die  streitenden  Parteien  und 
überhaupt  durch  die  Staaten;  4.  wirkliche 
Ständigkeit  des  Gerichtshofes;  5.  direktes 
Klagerecht  und  6.  Schaffung  einer  Revisions- 
instanz (Seite  153,  näheres  im  4.  Kapitel, 
Seite  53 — 95).  Eingehend  werden  auch  die 
technischen  Vorteile  eines  ständigen  Gerichts- 
hofes, dauerndes  Zusammenarbeiten  der 
Richter,  sowie  größere  Schnelligkeit  und 
Billigkeit  der  Prozeßerledigung,  dargelegt 
(Seite  96—103).  Bei  der  Frage  der  Bildung 
und  Zusammensetzung  des  Staatengerichts- 
hofes spricht  Wehberg  sich  unter  Ver- 
werfung des  Rotationssystems  für  das  Prinzip 
der  Gleichheit  der  Staaten  aus  (Seite  69 — 84). 

Näher  auf  all  die  interessanten  Einzel- 
heiten einzugehen,  verbietet  sich  mir  durch 
den  zur  Verfügung  stehenden  Raum. 

In  einem  schwungvollen  Schlußkapitel 
behandelt  W  e  h  b  e  r  g  die  Aussichten  auf 
Errichtung  eines  internationalen  Gerichtshofes 
(Seite  232 — 238).  Die  Auspizien  sind  günstig. 
„Es  wird  hier  wieder  einmal  zutage  treten, 
daß  sich  alle  großen  Ideen,  durch  die  Jahr- 
hunderte zum  Lichte  durchringen  und  die 
Menschheit  nur  Ausdauer  zeigen  muß,  um 
ihre  höchsten  Ziele  zu  erreichen." 


Abrüstung! 

Von  Richard  Gädke, 
früherer    Oberst    und   Regimentskommandeur. 

Selbst  bei  der  unterwürfigen  und  ge- 
duldigen Bevölkerung  Japans  beginnt  das 
U  ebermaß  eines  chauvinistischen  Militaris- 
mus Widerstand  hervorzurufen.  Die  neuesten 
Pläne  der  bisher  allmächtigen  Militärpartei 
sind,  vorläufig  wenigstens,  gescheitert ;  aller- 
dings nur,  weil  sich  kein  Finanzminister  fand, 
der  die  materiellen  Unterlagen  für  eine  große 
Vermehrung  der  Streitkräfte  schaffen  konnte. 
Das  Volk  ist  am  Ende  seiner  steuerlichen 
Leistungsfähigkeit    angelangt. 

Das  Beispiel  Japans  ist  der  lehrreichste 
Beweis  dafür,  daß  siegreiche  Kriege  an  sich 
keinen  materiellen  Aufschwung  zur  Folge 
haben.  Die  Regierung  mußte  einen  Frieden 
schließen,  der  bei  weitem  nicht  ihren  ur- 
sprünglichen Zielen  entsprach,  weil  schon 
damals  die  Mittel  des  Landes  erschöpft  waren. 
Wie  von  den  Kriegen  der  Jahre  1866  und 
1870    die    Rüstungsepidemie    in    Europa    da- 


tiert, so  hat  der  Feldzug  der  Jahre  1904  und 
1905  ähnliche  Folgen  für  den  fernen  Osten 
gehabt.  Japan  hat  sein  Heer  um  ein  Drittel 
seiner  ursprünglichen  Stärke,  vermehrt  und 
die  Flotte  um  gewaltige  neue  Einheiten  ver- 
stärkt; Rußlands  sibirische  Truppen  haben 
sich  zu  einem  großen  Heere  entwickelt,  und 
China  sucht  tastend  noch  und  zögernd,  aber 
mit  immer  wachsender  Energie  seinen  natio- 
nalen Bestand  durch  die  Auf  Stellung  moderner 
Streitermassen  zu  sichern. 

Die  Ausführungen  Norman  Angells 
in  seiner  „großen  Täuschung"  sind  gerade 
durch  die  Entwicklung  der  Dinge  in  Ostasien 
bewahrheitet;  wer  kann  behaupten,  daß  das 
japanische  Volk  glücklicher  geworden  sei 
durch  seinen  siegreichen  Krieg  ?  Im  Gegen- 
teil, die  Unzufriedenheit  der  Massen  steigt 
von  Jahr  zu  Jahr,  so  daß  sogar  das  hoch- 
mütige Regiment  der  Samurai  nicht  mehr 
daran  vorbeigehen  kann.  Wenn  eine  Krieger- 
kaste in  einem  Lande  zur  unumschränkten 
Herrschaft  gelangt,  so  verarmt  eben  die 
Masse  des  Volkes.  Ob  in  der  oder  jener 
Form:  sie  sinkt  herab  zu  Heloten  des 
Staates.  Das  Verhältnis  wird  genau  um- 
gekehrt wie  es  sein  sollte.  Nicht  der  Staat 
ist  mehr  des  einzelnen ,  wegen  da,  sondern 
der  einzelne  schuftet  nur  noch  für  den  ge- 
fräßigen Dämon  Staat  —  er  hungert  und 
dürstet  und  plagt  sich,  damit  ein  Schemen 
den  Schein  der  Größe  gewinne. 

Was  nützt  es  dem  japanischen  Kuli,  daß 
jetzt  Korea  dem  Reiche  einverleibt  ist,  daß 
der  fruchtbarste  Teil  der  chinesischen 
Mandschurei  dem  Einflüsse  der  Regierung 
in  Tokio  unterliegt  ?  Kann  er  sich  seitdem 
besser  kleiden,  besser  nähren  ?  Wohnt  er 
bequemer,  zieht  er  seine  Kinder  leichter  auf? 
Zahlt  er  weniger  Steuern  ?  Nein,  in  jeder 
Beziehung  hat  er  sich  verschlechtert;  mehr 
und  mehr  wird  er  einer  kleinen  Oberschicht 
tributär,  die  den  Staat  militärisch  und  ad- 
ministrativ vertritt  —  und  ausbeutet. 

Wird  es  anders  auf  der  Balkanhalbinsel 
sein?  Werden,  diese  merkwürdigen  Kreuzes- 
und Kulturträger,  deren  erste  Segnungen 
blutiger  Mord  und  brutaler  Raub  sind,  dem 
neugewonnenen  Volke  wirklich  eine  erhöhte 
Glückseligkeit  bringen  ?  Die  Mohammedaner 
flüchten  verzweifelnd  in  hellen  Scharen,;  die 
Albanesen  wehren  sich  mit  Händen  und 
Füßen  gegen  die  Wohltaten  der  Serben, 
Montenegriner  und  Griechen,  die "  Juden 
klagen  über  die  rohere  Herrschaft  der -Sieger, 
und  die  Christen  werden  erst  später;  ihre 
Freude  erleben  an  erhöhten  Steuern,  und 
schwererer  Wehrpflicht.  ti       ->; •;:, 

Ich  gebe  ohne  weiteres  zu*: daß  jn  -dem 
gegenwärtigen  Zustande  der  Welt  große  mili- 
tärische Rüstungen  schließlich  noch  das 
sicherste  Mittel  sind,  den  Frieden  ;  zu  fx- 
halten..  Die  Türkei :  hat  es  an  ihrem:  Leibe 
verspürt,  was  es  bedeutet  "-—  w  e  h  r  1  o;  s'-.zu 
sein.    Die.  Kulturaufgaben  eines:  Staates  hat 


>7 


DIE  FBIEDEN5-^/ADTE 


e> 


sie  freilich  schlecht  genug  erfüllt;  aber,  ob 
wohl  Griechenland  und  Serbien,  ob  die  inittel- 
amerikanischen  Republiken,  ob  Mexiko  und 
Haiti  ein  besonderes  Recht  haben,  stolzer  als 
sie  zu  sein  ?  Hat  man  nicht  künstlich  von 
außen  her  die  Fäulnisfermente  in  ihren  Leib 
getragen,  weil  an  den  Grenzen  gierige  Erben 
lauerten  ? 

Darum  müssen  wir  unverzagt  immer  von 
neuem  daran  arbeiten,  die  große  Räuber- 
familie, die  die  Staaten  der  Erde  gegenwärtig 
bilden,  wo  jeder  die  Hand  gegen  den  anderen 
hebt,  umzugestalten  in  ein  von  sittlichen 
Idealen  erfülltes  Gemeinwesen,  das  in  fried- 
licher Kulturarbeit  zusammenlebt  und  das 
Recht  an  die  Stelle  der  rohen  Gewalt  setzt. 
Ein  Ziel  gewiß,  zu  dem  nur  ein  schmaler, 
steiler  und  rauher  Weg  führt !  Aber  er  muß 
beschritten  werden,  wenn  das  Wort  Mensch- 
lichkeit nicht  ein  Ausdruck  namenloser 
Heuchelei  sein  soll.  Wir  werden  dem  Ideale 
nur  sehr  langsam  näherkommen  und  es  nach 
der  Dürftigkeit  irdischen  Wesens  nur  in  un- 
vollkommener Gestalt  verwirklichen.  Die 
jetzt  Lebenden  mögen  nicht  einmal  die 
Grenzen  jenes  großen  Friedensreiches  schauen 
—  und  doch  kommen  wir  ihm  langsam  näher. 
Schiedsgerichtsverträge  und  Schiedsgerichts- 
höfe bilden  einen  Anfang  —  wie  oft  sie 
auch  verspottet  werden  mögen.  Wirksamer 
noch  ist  die  Organisation  jener  beiden  großen 
europäischen  Verteidigungsbünde,  die  bisher 
den  Ausbruch  des  stets  befürchteten  großen 
Weltenbrandes  verhütet  haben.  Die  Pfade 
menschlicher  Entwicklung  sind  niemals 
gerade  verlaufend. 

Insoweit  also  kann  auch  die  Rüstungswut 
ein  Mittel  zum  Ziele  sein.  Die  Furcht  aller  vor 
allen  ist  ein  wirksamer  Hebel  der  Friedens- 
tendenz —  um  so  mehr,  als  heutzutage  von 
unglücklichen  Kriegen  niemand  mehr  zu 
fürchten  hat  als  die  herrschenden  Gewalten 
und  insbesondere  die  Monarchien.  Der  Glaube 
an  das  Gottesgnadentum  ist  nur  wenig  ver- 
treten unter  diesem  ungläubigen  Geschlecht, 
das  über  schwach  und  morsch  gewordenes) 
gleichmütig  hinwegschreitet  und  sich  nur  der 
Gewalt  beugt. 

Aber  wenn  ich  die  Rüstungen  an  sich 
nicht  verwerfe,  so  muß  ich  um  so  schärfer 
mich  wenden  gegen  ihre  kostspielige  Form 
und  ihre  der  Despotie  dienende  Ausgestal- 
tung. In  Wahrheit  besitzen  wir  kein  für  die 
Verteidigung  bestimmtes  Volksheer  —  Ver- 
teidigung, um  jedes  Mißverständnis  aus- 
zuschließen, im  politischen,  nicht  im  stra- 
tegischen Sinne  gemeint  — .  Vom  Volke 
stammen  nur  die  unerschöpflichen  Massen 
her;  der  Geist  aber,  der  dem  Heere  ein- 
gepflanzt wird,  ist  noch  immer  der  Geist 
der  alten  Söldnerscharen,  die  nur  ein  Werk- 
zeug m  der  Hand  des  Fürsten  bildeten,  von 
ihm  allein  abhingen  und  mit  dem  Volke  nur 
durch  seine  Person  zusammenhingen.  Und 
daher  war  dieses  Heer  und  ist  es  noch  die 


wirksamste  Waffe  zur  Errichtung  un- 
umschränkter Fürstenmacht.  Gilt  doch  jetzt 
noch  der  Gedanke  in  manchen  Ländern  als 
ein  sträflicher,  daß  das  Heer  in  erster  Linie 
dem  Vaterlande  diene  und  in  Wahrheit  nichts 
anderes  darstellen  dürfe  als  die  organisierte 
Wehrkraft  des  Landes,  als  das'  Volk  in 
Waffen. 

Damit  es  sich  als  eine  besondere  Kaste 
fühle,  wird  die  Dienstzeit  länger  ausgedehnt, 
als,  rem  militärisch  betrachtet,  erforderlich 
ist.  Wir  würden  schon  viel  gewinnen,  wenn 
der  Soldat  nicht  länger  dienen  brauchte,  als 
zu  seiner  Ausbildung  nötig  ist.  Esi  ist  nicht 
richtig,  daß  Disziplin  und  Zusammenhang 
nur  durch  ein  mehrjähriges  Zusammenleben 
in  der  Kaserne  gewonnen  werden.  Welch 
Vorteil  in  jeder  Beziehung  wäre  es,  wenn  wir 
erst  so  weit  wären,  diese  Zeit  um  die  Hälfte 
zu  kürzen.  Man  könnte  das  noch  nicht  Ab- 
rüstung nennen;  aber  man  würde  die  Kosten 
ganz  erheblich  vermindern,  würde  dem 
Kastengeiste  Abbruch  tun  und  an  seiner 
Stelle  die  Auffassung  hochbringen,  daß  der 
Soldat  auch  während  seiner  Dienstzeit  unter 
den  Gesetzen  und  nicht  außerhalb  der  Ge- 
setze stehe.  Man  würde  die  Auswüchse 
des  Militarismus  leichter  bekämpfen  können,, 
die  eine  Gefahr  ebenso  für  den  Frieden  wie 
für  die  Freiheit  bilden. 

Wenn  man  sich  zu  Lande  noch  auf  lange 
Zeit  mit  bescheidenen  Fortschritten  wird 
begnügen  müssen,  weil  die  Verteidigung  des 
Vaterlandes,  so  lange  die  Anarchie  der 
Staatenwelt  dauert,  in  der  Tat  eine  harte 
aber  unumgängliche  Notwendigkeit  bleibt,  so 
walten  die  gleichen  Rücksichten  nicht  für 
die  Seerüstungen  ob.  Die  Flotten  sind 
ihrer  Natur  nach  Angrif  f  s  waffen,  sie 
decken  nicht  die  Grenzen  des  eigenen  Landes, 
sie  tragen  den  Krieg  nach  außerhalb,  sind 
bestimmt  zur  Beherrschung  der  Meere,  die 
von  Gottes  wegen  allen  gehören,  zum  fried- 
lichen Austausch  der  Güter  dieser  Welt. 
„Seine  Flotten  streckt  der  Brite  gierig  wie 
Polypenarme  aus  und  das  Reich  der  freien 
Amphitrite  möcht'  er  schließen  wie  sein  eigen 
Haus."  —  Nur,  daß  andere  Völker  schon 
längst  in  der  gleichen  Verdammnis  sind: 
Nordamerikaner  (siehe  Panamakanal),  Fran- 
zosen, Italiener,  Japaner  und  Deutsche,  sie 
hegen  alle  den  gleichen  geheimen  Wunsch 
im  verschwiegenen  Busen.  Leidet  nicht  auf 
dem  Meere  der  Handel  der  Neutralen  in  der 
schwersten  Weise  durch  jeden  Kriegszustand, 
wird  er  nicht  in  der  empfindlichsten,  gelegent- 
lich fast  piratenhaften  Weise  gehindert  durch 
die  Flotten   der   Kriegführenden  ? 

Die  Freiheit  der  Meere  ist  noch  viel  wich- 
tiger als  die  Beschränkung  der  Rüstungen 
zu  Lande.  Und  doch  hat  gerade  hier  der 
Gedanke  der  Seegeltung  am  festesten  Besitz 
ergriffen  von  den  Gehirnen;  er  findet  den 
stärksten  Rückhalt  bei  den  oberen  Schichten 
fast    aller    Staaten,    besonders    bei    den    in- 


48 


<§; 


DIE  FRIEDEN5-^\*M2XE 


dustriellen  und  Handel  treibenden  Klassen. 
Und  gerade  hier  liegen  die  größten  Gefahren 
vor,  daß  aus  dem  uferlosen  Wettrüsten  wie 
mit  Naturgewalt,  selbst  ohne  den  eigent- 
lichen Vorsatz  der  Betroffenen,  der  Krieg 
entstehe  wie  ein  Gewitter  aus  geballten 
Wolkenmassen. 

Kann  man  auf  dem  Lande  schon  viel 
gewinnen,  wenn  man  zu  einer  Beschränkung 
der  Dienstzeit  gelangt,  zur  See  muß  man 
zu  radikaleren  Mitteln  greifen.  Vertrags- 
mäßige Beschränkungen  der  Flottenstärken 
sind  nur  sehr  schwer  in  bindende  und  kon- 
trollierbare Formen  zu  gießen  —  wenn  sie 
nicht  gleich  so  weit  gehen,  jedem  Einzel- 
staat die  Möglichkeit  zu  nehmen,  für  sich 
allein  überhaupt  gefährlich  zu  werden. 
Weder  darf  Deutschland  mehr  für  seinen 
Handel  und  seine  jungen  Kolonien  besorgt 
sein,  noch  darf  England  fürchten,  daß  eine 
deutsche  Flotte  ein  Millionenheer  gewapp- 
neter Krieger  an  seine  Küsten  ausspeien 
könne.  Das  erreicht  man  nicht  dadurch,  daß 
man  eine  Steigerung  über  die  gegenwärtige 
Stärke  hinaus  vertragsmäßig  ausschließt; 
denn  in  ihrer  furchtbaren  Macht  ist  die 
englische  Flotte  zurzeit  an  sich  gefährlich, 
und  niemand  dürfte  es  Deutschland  ver- 
argen, wenn  es  versucht,  die  Gefahr  für  sich 
selbst  nach  Kräften  zu  vermindern.  Aber 
für  andere  Staaten  ist  wiederum  die  deutsche 
Flotte  in  ihrer  gewaltigen  Entwicklung  eine 
gefährliche  Drohung.  Und  wenn  wir  zurzeit 
sicher  nicht  daran  denken,  sie  zur  Unter- 
drückung und  Eroberung  zu  verwenden : 
können  wir  selbst  etwa  für  die  Zukunft 
stehen,  für  die  Geistesrichtung  unserer  Nach- 
kommen ?  Jede  große  Machtentfaltung  ge- 
biert letzten  Endes  den  Wunsch,  sie  an- 
zuwenden, und  führt  unwillkürlich  zu  einer 
Verwischung  der  Grenzen  von  Recht  und 
Unrecht,  sie  verführt  leicht  auch  den  billiger 
Denkenden  zur  Gewalt  und  zum  Uebermut. 
Das  gilt  für  Nordamerikaner  und  Japaner  und 
Italiener  ebenso    wie  für  alle  anderen. 

Will  man  also  hier  zum  Ziele  kommen, 
so  muß  man  gleich  tabula  rasa  machen. 

Freilich  wird  es  nicht  so  gehen,  daß  man 
jede  bewaffnete  Seemacht  schlechthin  ver- 
bietet ;  das  weite  Weltmeer  bedarf  der  Polizei, 
um  sicher  zu  bleiben.  Auch  dürfen  die  kleinen 
Staaten  nicht  mit  wenigen  Schiffen  die  tat- 
sächliche Herrschaft  gewinnen,  oder  empor- 
strebende Völker  die  Herrschaft  der  weißen 
Rasse   bedrohen. 

Man  wird  daher  den  großen  Militär- 
staaten nicht  verwehren  dürfen,  eine  gewisse 
Zahl  von  Kampfesschiffen  zu  halten,  die  die 
Meeresstraßen  schützen  und  die  Verbin- 
dungen mit  fernen  Küsten  und  mit  den 
Kolonien  sichern.  Aber  unbedingte  Not- 
wendigkeit ist  es,  daß  diese  Flotten  nur  so 
groß  sind,  daß  sie  keine  Gefahr  mehr  für 
die  anderen  bedeuten,  und  andererseits  im 
Verein  mit  anderen  Staaten  doch  wieder  stark 


genug,  um'  kriegerische  Pläne  feindlicher 
Flotten  im  Keime  vereiteln  zu  können. 

Mit  anderen  Worten :  Die  Flotten  dürfen 
nichts  weiter  sein  als  eine  Polizeimacht,  um 
die  Freiheit  des  Meeres  und  des  Handels  zu 
schützen,  aber  keine  Kriegsmacht,  um  sie 
bedrohen  oder  an  ferne  Küsten  den  Er- 
oberungskrieg  tragen   zu   können. 

Natürlich  ist  hierzu  eine  internationale 
Verständigung  erforderlich;  sie  sollte  aber 
mit  diesem  weitgesteckten  Ziele,  das  den 
gegenseitigen  Argwohn  ausschließt,  leichter 
sein,  als  wenn  man  ihr  einen  engeren 
Rahmen  zieht.  Ich  denke  mir  die  Sache  so, 
daß  die  acht  Weltmächte  (Deutschland,  Eng- 
land, Frankreich,  Italien,  Japan,  Oesterreich- 
Ungarn,  Rußland,  Vereinigte  Staaten)  zu- 
nächst auf  zehn  Jahre  ein  Abkommen  treffen, 
wonach  jede  von  ihnen  sich  verpflichtet,  in 
diesem  Zeitraum  nur  eine  sehr  kleine  Zahl 
von  Schlachtschiffen  und  geschützten  Kreuzern 
neu  auf  Stapel  zu  legen.  Es  ist  klar,  daß 
die  Zahl  nicht  eine  gleiche  bei  allen  Mächten 
sein  darf,  sondern  ungefähr  nach  dem  Maß- 
stabe abgestuft  werden  müßte,  der  gegen- 
wärtig zwischen  ihnen  herrscht.  Würde  z.  B. 
die  englische  Flotte  nur  etwa  ein  Drittel 
oder  ein  Viertel  ihrer  bisherigen  jähr- 
lichen Neubauten  in  jenem  Zeiträume  ver- 
geben, so  ist  gar  kein  Grund  mehr  vor- 
handen, warum1  sich  Deutschland  nicht  zu 
dem  gleichen  Maßstabe  verpflichten  sollte. 
Eine  sich  allmählich  so  wesentlich  ver- 
ringernde englische  Flotte  könnte  keine  Ge- 
fahr mehr  für  uns  bilden;  ihre  nach  wie  vor 
bestehende  Ueberlegenheit  aber  würde  an- 
dererseits dem  Inseireiche  die  Angst  vor 
einer   deutschen    Invasion  benehmen. 

Allerdings  müßten  die  gleichen  Mächte 
sich  verpflichten,  die  Entstehung  anderer 
Flotten,  z.  B.  in  China  oder  Südamerika, 
nötigenfalls  mit   Gewalt  zu  verhindern. 

Schreien  würden  über  ein  solches  Ab- 
kommen nur  die  Panzerplattenfabrikanten, 
die  Schiffswerften  und  die  Kanonenkönige, 
die  ganze  andere  Welt  aber  würde  erleich- 
tert aufatmen.  Die  Kontrolle  über  die  Durch- 
führung einer  so  einschneidenden  Maßregel 
wäre  nicht  schwer  durchzuführen;  damit 
nicht  aus  den  geschützten  Kreuzern  durch 
eine  Umgehung  des  Vertrages  allmählich 
Schlachtschiffe  werden  (wie  vor  einigen 
Jahren  aus  den  Panzerkreuzern),  müßte  deren 
größter  Tonnengehalt  ebenfalls  vereinbart 
werden,  im  übrigen  könnte  der  Wettkampf 
zwischen  den  einzelnen  Staaten  über  die  Güte 
und  Kampfeskraft  ihres  Materials  ohne 
großen   Schaden   weitergehen. 

Selbst  mit  einem  Viertel  seiner  gegen- 
wärtigen Schiffszahl  würde  England  seine 
Verbindung  mit  den  Kolonien  noch  immer 
aufrechterhalten  können,  so  lange  die  anderen 
Vertragsstaaten  sich  ebenso  schwächen. 
Allerdings  wäre  die  Einstimmigkeit  aller  acht 


49 


DIE  FBIEDEN5-N&/ABTE  E 


G> 


Mächte  unbedingt  erforderlich;  und  wenn  nur 
eine  sich  versagte,  fiele  der  Plan  ins  Wasser. 

Das  wäre  eine  Aufgabe  für  die  euro- 
päische Diplomatie,  bei  deren  Lösung  sie  ihren 
durch  den  Balkankrieg  und  den  berühmten 
„Status  quo  ante"  etwas  ramponierten  Ruf 
wieder  herstellen  könnte. 

Wäre  ein  solcher  Vertrag  nur  einmal 
erst  auf  zehn  Jahre  geschlossen,  und  während 
dieses  Zeitraumes  auch  gehalten  worden, 
dann  würde  die  den  Dingen  einwohnende 
Vernunft  dafür  sorgen,  daß  er  immer  wieder 
verlängert  würde  und  sich  so  allmählich  ein 
erträglicher  Zustand  teilweiser  Abrüstung 
herausbildete. 


Kanonenfutter. 


Von  Dr.  Eduard  Ritter  von  Liszt, 
k.  k.  Bezirksrichter  und  Universitätsdozent  in  Wien-Graz. 

Vor  einigen  Jahren  ist  aus  der  Feder  der 
bekannten  Schriftstellerin  El  Neccar  in  Brüssel 
ein  Büchlein  unter  dem  Titel  „La  repopulation 
de  la  France"*)  erschienen.  Dieser  Titel  sagt 
uns  schon  genugsam,  welcher  der  Inhalt  der 
Schrift  ist.  Verfasserin  macht  am  Schlüsse 
ihrer  Ausführungen  eine  Reihe  gut  gemeinter 
Vorschläge,  welche  aber,  selbst  wenn  sie  durch- 
führbar wären,  noch  lange  nicht  den  von 
El  Neccar  und  Anderen  erwünschten  Erfolg 
verbürgen  würden. 

An  dieses  Schriftchen  wurde  ich  erinnert 
durch  das  vor  wenigen  Monaten  erschienene 
Buch  des  Marseiller  Advokaten  Dr.  du 
Moriez  über  die  kriminelle  Abtreibung**). 
Nicht  als  ob  ich  die  beiden  Arbeiten  ,auf  die- 
selbe Stufe  stellen  wollte.  Das  Buch  du  .Moriez' 
ist  nicht  nur  bedeutend  größer,  sondern  gründ- 
licher und  dabei  vor  allem  wissenschaftlich. 
Doch  sein  Titel  erzählt  uns,  daß  es  gleich- 
falls vom  Standpunkte  der  re-  bzw.  depopu- 
lation  de  la  France  geschrieben  sei,  und  die 
Frage  der  Abtreibung  ist  ja  eine  der  da  ein- 
schlägigen Spezialfragen. 

Freilich  meinen  zahlreiche  Schriftsteller, 
daß  die  Abtreibung  das  Wachsen  der  Be- 
völkerung gar  nicht  ernstlich  gefährde,  daß 
daher  ihre  Unterdrückung  auf  die  repopulation 
nicht  den  gewünschten  Einfluß  üben  würde. 

Ob  —  abgesehen  natürlich  vom  Stand- 
punkte der  Kriegsführung  aus  —  große  Ver- 
mehrung der  Bevölkerungsziffern  wünschens- 
wert sei,  darüber  ist  übrigens  bekanntlich  noch 
lange   nicht  das  letzte  Wort  gesprochen. 

Es  ist  hier  nicht  der  Platz,  diese  Fragen 
zu  erörtern.  Immerhin  möchte  ich  folgendes 
feststellen:  Die  Stätte  des  notorisch  leb- 
haftesten  Blühensl   der   Fruchtabtreibung   ist 


*)  Brüssel  —  Leipzig,   Olympia- Verlag,  1909. 
**)    S.    du    Moriez,    Docteur    en    droit    — 

L'avortement,     ses    consequences    au    point 

de  vue  de  la  depopulation  de  la  France.  — 
Paris,  Marchai  &  Bülard,  1912.  308  Seiten.  Preis 
7,50    Francs. 


-  New  York.  Die  Bevölkerungsziffern  von 
Groß  -  New  York  nach  den  letzten  Volks- 
zählungen sind: 

im'   Jahre    1900    3  437  202, 
im  Jahre    1910    4  766883*). 

Das  Buch  du  Moriez'  ist,  wie  es  in  seinem 
Titel  heißt,  „une  etude  historique,  philo- 
sophique,  sociale,  me'dicale,  legale  et  de  droit 
compar6".  Und  die  Studie  ist  eine  fleißige 
Arbeit.  Leider  kann  ich  an  dieser  Stelle  nicht 
den  Vorzügen  des  Buches  gerecht  werden, 
sondern  muß  jene  Punkte  hervorheben,  mit 
denen  ich  nicht  einverstanden  sein  kann.  Und 
da  muß  ich  sagen :  Die  Arbeit  du  Moriez* 
geht  von  falschen  Voraussetzungen  aus,  hat 
eine  falsche  Tendenz  und  gelangt  folglich  auch 
zu   einem  unrichtigen   Ergebnis. 

Da  meiner  Arbeit  „Die  kriminelle  Frucht- 
abtreibung"**) von  du  Moriez  wiederholt  ein- 
gehende —  und,  wie  ich  gerne  hervorhebe, 
persönlich  anerkennende  (vgl.  S.  91)  —  Auf- 
merksamkeit gewidmet  ist,  sei  es  mir  gestattet, 
vorerst  die  obersten  Leitsätze  dieses  meines 
Buches  hier  wiederzugeben.  Ich  spreche  mich 
dafür  aus,  die  Fruchtabtreibung  sei  straflos 
zu  lassen,  wenn  sie:  1.  vor  einem  gewissen, 
eng  zu  bemessenden  Termin  nach  der  Kon- 
zeption, 2.  im  Einverständnis  mit  allen  Be- 
rechtigten, 3.  von  sachverständiger  und  der 
Behörde  verantwortlicher  Seite  vorgenommen 
wird.  Sonst  ist  die  Vornahme  zu  bestrafen; 
um  so  strenger,  je  entwickelter  die  Frucht, 
je  größer  also  die  Gefahr  war,  daß  das  Kind 
noch  außerhalb  des  Mutterleibes  leben  und 
Schmerzen  erleiden  könnte.  Nicht  nur  die 
Tötung,  sondern  auch  die  Gefährdung  der 
Gesundheit  des  Kindes  soll  strafbar  sein; 
letztere  strenger  als  erstere.  Die  Abtreibung 
aus  medizinischer  Indikation  bleibt  in  meiner 
Arbeit  durchwegs  außer  Betracht. 

Die  Forderung  eines  eng  begrenzten  Ter- 
mins für  die  Straffreiheit  begründe  ich  (S.  88) 
mit  der  Bedachtnahme  auf  jene  Rücksicht, 
welche  dem  menschlichen  Leben  als  solchem 
gebührt.  In  weiterer  Ausführung  zu  dieser 
Stelle  schlage  ich  Seite  385  zur  Grenzziehung 
jenen  Zeitpunkt  vor,  in  welchem  der  Embryo 
menschliche  Form  annimmt.  Schon  daraus 
ist  zu  ersehen,  daß  du  Moriez  sehr  irrt,  wenn 
er  (S.  91)  gegen  mich  meint:  „les  arguments, 
qu'il  donne,  s'ils  6taient  valables,  les  seraient, 
en    majorite^    pour    toute    la    dur£e    de    la 

"*)  Laut  Mitteilung  des  „Arbeiterwille"  (Graz) 
vom  15.  Juni  1912  soll  die  Ziffer  für  das  Jahr 
1912  gar  6  474  568  sein.  Ich  muß  diesem  Blatte 
die  Verantwortung  für  die  Richtigkeit  der  Zahl 
überlassen.  Mir  erschiene  die  Zunahme  über- 
trieben groß.  Vielleicht  sind  übrigens  einige 
neue  Vororte  mitgezählt.  Jedenfalls  könnte  eine 
so  gewaltige  Zunahme  binnen  zwei  Jahren  un- 
möglich nur  aus  der  Zahl  der  Geburten  resul- 
tieren. 

**)  Die  kriminelle  Fruchtabtreibung.  Zürich, 
bei  Grell  Füssli.  XLII  und  567  Seiten.  1.  Band 
1910,    2.  Band    1911. 


50 


(g) 


grossesse:  or  il  reeonnait  qü'il  n'en  est  point 
ainsi." 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


Ueberhaupt  liebt  du  Moriez  es,  mir 
Inkonsequenz  vorzuwerfen.  Er  tut  dies 
an  noch  einer  Stelle  —  S.  164  — 
seiner  Dissertation.  Ich  sage  in  meiner 
oben  erwähnten  Arbeit  Seite  38:  „Will 
der  Mann  sein  Recht  auf  Erhaltung  der  von 
ihm  erzeugten  Frucht  nicht  ausüben,  sträubt 
er  sich  im  Einverständnis  mit  der  Schwangeren 
gegen  die  „Vaterfreuden",  so  darf  niemand 
sie  ihm  aufnötigen,  ihn  „zu  seinem  Glück 
zwingen";  gerade  so  wenig,  als  man  ihn  zur 
Erzeugung  des  Kindes  zu  zwingen  be- 
rechtigt gewesen  wäre."  Und  Seite  42/43  führe 
ich  aus,  daß  der  Staat,  wenn  er  das  wahre 
(natürliche)  Recht  zum  Verbot  jeder  Ab- 
treibung wegen  seines  Populationsinteresses 
hätte,  ebenso  auch  das  Recht  zur  Bestrafung 
der  Anwendung  empfängnisverhütender  Mittel 
nicht  nur,  sondern  auch  der  Ablegung  von 
Keuschheitsgelübden  usw.  haben  müßte;  ja, 
daß  er  seine  „Untertanen"  direkt  zur  Pro- 
duktion von  Kindern  —  oder  im  Falle  der 
Unmöglichkeit  dazu  zur  Zahlung  einer  Ersatz- 
steuer — -  zwingen  dürfte,  du  Moriez  hält  dies 
für  einen  inneren  Widerspruch  und  meint 
Seite  104:  „C'est  ainsi  qu'  Eduard  von  Liszt 
parait  avoir  oublie"  qu'il  a  £crit,  ä  propos  du 
pere  .  .  ."  Denn  der  Staat  könne  doch,  wenn 
es  ihm  so  gefällt,  auf  einen  Teil  seiner  Rechte 
verzichten.  Und  dann  meint  er:  „De  tels 
arguments  n'ont,  semble-t-il,  pas  besoin  d'£tre 
r£fut6s."  Ich  möchte  du  Moriez  ersuchen,  die 
beiden  Stellen  noch  einmal  ruhig  zu  lesen. 
Er  wird  finden,  daß  sie  sich  sehr  wohl  ver- 
tragen. Nicht  darum  handelt  es  sich  ja,  ob 
der  Staat  auf  sein  Recht  bezüglich  der  anti- 
konzeptionellen Mittel  usw.  verzichtet, 
sondern  darum,  daß  er  dieses  Recht  nicht 
hat.  Ueber  seine  letztzitierte  Bemerkung  aber 
möge  du  Moriez  Seite  100  meines  Buches 
nachsehen,  wo  zu  lesen  steht,  daß  der,  der 
Gründe  für  oder  gegen  eine  Ansicht  hat, 
sie  auch  angeben  können  muß.  Dort  ist 
auch  die  Rede  von  jener  Wendung,  „die  stets 
beim  Mangel  an  Beweisen  auftaucht  und  mit 
der  oft  selbst  krasser  Unsinn*)  verteidigt  zu 
werden  pflegt:  „.  .  .  n'a  pas  besoin  d'6tre 
d£montr£""  (oder  bei  du  Moriez :  „  .  .  .  d'etre 
r£fut£").  Nein,  wer  Gründe  zur  Verteidigung 
eines  ihn  interessierenden  Satzes  hat,  der 
drückt  sich  nicht  mit  einer  Redensart  um  ihre 
Angabe  herum.  Im  Gegenteil  1  Er  freut  sich, 
sie  anführen  zu  können,  und  läßt  sich  diese 
Freude  nicht  entgehen,  wo  es  nur  irgend  mög- 
lich ist. 

Aehnlich  ergeht  es  du  Moriez  Seite  114 
mit  seiner  Polemik  gegen  meine  Ansicht  (§10), 
es  sei  ein  größeres  Glück,  nicht  geboren  zu 
sein,  als  ein  elendes  Leben  zu  führen,  und 
daß  selbst  die  den  Lebenden  etwa  erfreuenden 


*)  Dieses    Wort    beziehe    ich    hier    selbstver- 
ständlich   nicht    auf    du  Moriez. 


commoda  vom  nicht  Lebenden  nicht  entbehrt 
werden.  Hier  scheint  übrigens  du  Moriez 
ebenso  wie  an  anderen  Stellen  den  Sinn  meiner 
Worte  zum  Teil  mißverstanden  zu  haben. 

Doch  fassen  wir  den  Ausgangspunkt  seiner 
Ausführungen  ins  Auge.  Zwar  meint  er  Seite 
108:  „Le  veVitable  sujet  actif  du  droit  sanc- 
tionne1  par  la  prohibition  de  l'avortement  est 
le  petit  ötre  que  ce  crime  ddtruit.  Seule  cette 
th^orie  justifie  la  p6nalite*  en  tout  cas,  en 
tout  temps,  en  tout  lieu."  Ein  Satz,  der  viel 
zu  weit  geht.  Aber  in  Wahrheit  ist  dieser 
gar  nicht  der  Leitsatz  der  Ausführungen  des 
Verfassers.  Als  solchen  erkennen  wir  vielmehr 
das  auf  Seite  7  als  Motto  ersichtliche  Zitat: 
„Par  son  intecöndite'  la  France  perd  chaque 
jour  une  bataille.    Mar£chal  de  Moltke." 

Mit  diesem  Zitat  zeichnet  sich  die  du 
Moriezsche  Arbeit  selbst  als  Tendenzschrift. 
Und  darin  haben  wir  den  Schlüssel  gefunden, 
weshalb  er  und  ich  uns  nicht  verstehen  können : 
Ich  trachtete,  eine  Lösung  der  schwierigen 
und  blutig  ernsten  Frage  im  Sinne  wahren 
Rechts  zu  finden,  unbeirrt  durch  vorgefaßte 
Meinungen  oder  gar  Tendenzen;  du  Moriez 
hingegen  setzt  eine  Tendenz  an  die  Spitze, 
und  der  Zweck  seiner  Arbeit  ist,  diese  Ten- 
denz   durch    seine    Ausführungen    zu    stützen. 

Zumindest  für  Frankreich  war  das  aller- 
dings für  die  Wissenschaft  nicht  notwendig. 
Dort  ist  ohnedies  diese  Tendenz  die  alles  be- 
herrschende. Hauptsächlich  sie  hat  ja  wohl 
auch  dahin  geführt,  daß  im  Jahre  1912  für 
Frankreich  die  recherche  de  la  paternite  all- 
gemein eingeführt  wurde.  Können  doch  auch 
unehelich  geborene  Knaben  Soldaten  wer- 
den, auch  unehelich  geborene  Mädchen  künf- 
tighin künftige  Soldaten  mehr  oder  minder 
unehelich   gebären.*) 

Die  Frage  nach  dem  Recht  glaube  ich 
—  und  der  Großteü  der  wissenschaftlichen 
Kritik  hat  mir  darin  beigestimmt  —  in  meiner 
Arbeit  nicht  ohne  Gründlichkeit  untersucht 
zu  haben.  Diese  Arbeit  enthält  auch  anti- 
zipativ  die  volle  Widerlegung  der  Einwände 
du    Moriez'.     Es    sei    mir    deshalb    gestattet, 


*)  Kürzlich  haben  (laut  „Die  Zeit",  Wien, 
12.  Januar  1913)  zwei  Gelehrte  an  Hand  eines 
großen  statistischen  Materials  den  ziffern- 
mäßigen Nachweis  dafür  zu  erbringen  versucht, 
daß  —  unehelich  geborene  Kinder  im  Ver- 
gleich zu  ehelich  geborenen  Kindern  nicht 
minderwertig  sind.  Ob  dieser  Nachweis  von 
weiteren  Kreisen  für  notwendig  gehalten  wurde, 
weiß  ich  nicht.  Meines  Erachtens  kann  kein 
normal  denkender  Mensch  glauben,  daß  die  Be- 
zahlung gesetzlicher  Trauungsgebühren  auf  die 
folgenden  physiologischen  Vorgänge  einen  Ein- 
fluß übe.  Eher  schiene  mir  die  heutzutage 
immer  wachsende  Hinausschiebung  des  Heirats- 
alters in  Verbindung  mit  anderen  Momenten 
(vgl.  auch  Schopenhauer,  Metaphysik  der 
Geschlechtsliebe,  IV,  44,  über  „Liebeskinder") 
eine  gegenteilige  Präsumption  zu  begründen. 
Der  Einfluß  schädigender  sozialer  und  hygieni- 
scher   Momente    gehört    auf    ein    anderes    Konto. 


51 


DIE  FRIEDENS -^M!MiTE  = 


G) 


im  folgenden  nur  mehr  den  Standpunkt 
du  Moriez'  auf  seine  Richtigkeit  hin  zw 
prüfen. 

Ich  las  in  einer  der  vielen,  vielen  Arbeiten 
über  Fruchtabtreibung,  es  sei  ein  erstrebens- 
wertes Ziel  für  einen  Staat,  „anderen  Staaten 
seine  Kultur  aufzuprägen".  Egozentrismus 
in  etwas  größerem  Maß  Stabe  I  Mir  scheint 
eher  das  eines  Kulturstaates  würdig,  was 
die  „Neue  Freie  Presse"  vom  12.  8.  1912  als 
erstrebenswert  bezeichnete:  „Dann  wird 
jeder  Staat  den  natürlichen  Trieben  seiner 
eigenen    Entwicklung    folgen." 

Erscheint  mir  die  Kultur  meines  Vater- 
landes im  Vergleich  zur  Kultur  anderer 
Länder  als  die  höhere,  so  werde  ich 
wünschen,  daß  auch  andere  Länder  ihrer  teil- 
haftig werden.  Aber  dies  durch  Verbreitung 
von  Unglück  und  Elend  bewirkt  sehen  zu 
wollen,    wäre   wohl   aufgelegter   Widersinn. 

Freilich,  es  gibt  nur  selten  ein  Unglück, 
aus  dem  niemand  Nutzen  zieht.  Auch  ein 
Krieg  kann  „nützlich"  sein,  z.  B.  zur  Ver- 
besserung der  Handelsbilanz  eines  Staates. 
Woher  aber  das  Recht  käme,  Tausende  von 
Menschen  für  solchen  Nutzen  der  anderen  zu 
opfern,  ihr  Glück  und  Leben  zu  vernichten, 
ist  eine  andere  Frage.  Sie  erinnert  an  ein 
schon  öfters  behandeltes  Thema :  Gewagte 
wissenschaftliche  Versuche  an  lebenden 
Menschen  zum  Nutzen  für  andere.  Nur  daß 
solche  Versuche  ganz  unvergleichbar  harm- 
loser sind.  Aber  wie  sagt  Schopen- 
hauer? „Mancher  Mensch  wäre  imstande, 
einen  anderen  totzuschlagen,  bloß  um  mit 
dessen  Fette  sich  die  Stiefel  zu  schmieren" 
(„Ueber  das  Fundament  der  Moral",  2.  Auf- 
lage, 1860,  S.  198).  Und  nach  so  mancher 
jüngst  gelesenen  Zeitungsäußerung  wäre  ich 
nicht  einmal  besonders  verwundert,  der  Aus- 
führung zu  begegnen:  Blut  ist  ein  vorzüg- 
liches Düngemittel;  es  ist  deshalb  im  Inter- 
esse der  Landwirtschaft  und  des  natio- 
nalen Wohlstandes,  für  möglichst  viele  und 
große    Schlachtfelder    zu    sorgen. 

Noch  ist  ja  nicht  aller  Nächte  Morgen 
angebrochen. 

In  aller  Gedächtnis  sind  noch  die  letzten 
großen    Kriege. 

Aus  dem  serbisch-türkischen  Feldzuge 
meldete  das  „Neue  Wiener  Abendblatt"  vom 
23.  10.  1912:  „Die  Verluste  der  Serben  sind 
außerordentlich  groß,  werden  aber  noch  von 
den  türkischen  übertroffen."  Der  „Arbeiter- 
wille" (Graz)  vom'  10.  11.  1912  teüte  mit, 
daß  die  Schlacht  bei  Lüle  Burgas  55  000 
Tote  und  Verwundete,  nämlich  15  000  bei 
den  Bulgaren,  40  000  bei  den  Türken  kostete. 
Dem  „Grazer  Tagblatt"  vom  20.  11.  1912 
zufolge  hatte  bis  zu  diesem  Tage  Bulgarien 
Verluste  von  40  000  Mann,  die  vor  dem1 
Feinde  blieben,  und  60000  Verwundeten,  die 
in  den  Spitälern  lagen.  Dasselbe  Blatt  mel- 
dete am'  10.  12.  1912:  „Aus  Sofia  wird  ge- 
drahtet :  Nach  den  den  Ministerien  vorliegen- 


den Verlustlisten  der  /vier  Oberkommandos 
sind  bis  1.  Dezember  143  000  Mann  der  ver- 
bündeten  Balkanheere   gefallen." 

Im  „Neuen  Wiener  Abendblatt"  vom 
29.  10.  1912  aber  stand  zu  lesen:  ;„Heute 
werden  sechsi  Waggons  Petroleum  nach 
Kumanowa  abgesandt,  damit  dort  die  Un- 
menge von  Toten  verbrannt  werden  kann, 
die  schon  in  Verwesung  übergehen  und  die 
Atmosphäre   verpesten." 

Dies  sind  nur  einige  Proben  aus  der  täg- 
lichen Zeitungslektüre.  Laut  „Vierteljahrs- 
hefte  für  Truppenführung  und  Heereskunde" 
(V/1,  Berlin  1908)  sind  die  Verluste  durch 
die  Waffen  im!  japanisch-russischen  Kriege 
1904/05:  Gesamtverluste  130  500  Russen, 
146  200  Japaner.  Auf  einzelne  Schlachten  und 
die  Belagerung  von  Port  Arthur  treffen  fol- 
gende  Ziffern : 


Ort 


Datum 


Zahl  der 
Kämpfer 


Kintschou 

25.-26.  6.  04 

Wafangou 

14.— 15.  6.  04 

Liaojan 

29.  8.-5.  9.  04 

Port  Arthur 

Bade6.04— 2.1.0Ö 

Sandepu 

26.-29.  1.  05 

Mukden 

22.  2.— 11.  3.  05 

Russen : 

Japaner: 

Russen: 

Japaner: 

Russen: 

Japaner: 

Russen: 

Japaner: 

Russen: 

Japaner : 

Russen: 

Japaner: 


Tote  und 
Verwundete 


13000 

900 

40000 

4300 

36000 

2600 

36000 

1200 

210000 

45000 

145000 

16000 

62000 

30000 

100000 

55000 

90000 

10400 

65000 

7000 

310000 

70000 

300000 

40000 

% 

7 

7 

91» 
21 
11 
48,5 
55 
11,5 
11 
22,6 
14 


Einzelne  Truppenteile  aber  hatten  noch 
viel  höhere  perzentuelle  Verluste.  So  die 
japanische  Brigade  Nambu  an  einem  ein- 
zigen Schlachttage  bei  Mukden  90  o/o  ihrer 
Leute. 

Nach  vielen  Tausenden  zählen  außerdem 
die  Opfer  der  Seuchen.  „Es  ist  eine  be- 
kannte Tatsache,  daß  im  Kriege  die  Ver- 
luste, welche  durch  Infektionskrankheiten 
bedingt  sind,  diejenigen  durch  Waffen  weit 
übertreffen",  konstatiert*)  Professor  Doktor 
R.  Kraus  irni  „Neuen  Wiener  Tagblatt" 
vom  1.1.  1913.  Bis  Mitte  Januar  1913  soll  das 
bulgarische  Heer  auf  dem  Kriegsschau- 
platze mehr  als  20  000  Mann  durch  Cholera 
verloren  haben. 

Dazu  rechne  man  das  ganze  unsagbare 
Elend  der  von  Haus  und  Scholle  unschuldig 
Verjagten,  die  sich  —  ebenso  wie  die 
martervoll  hinsiechenden  Verwundeten  und 
Kranken  —  umsonst  fragen,  womit  sie  dies 
Los  wohl  verdient  haben.  „Ueberall  ver- 
härmte, verweinte  Gesichter",  wie  es  so  ein- 
fach und  erschütternd  in  einem  Berichte  des 
Graz  er  „Arbeiterwille"  vom  19.  11.  1912 
heißt. 

Bei  solchen  Berichten  denke  man  jener 
Autoren  —  man  sehe  ihre  Namen  in  meinem 


*)  In  den  Feldzügen  1870/71  und  1904/5 
war  übrigens  laut  „Vierteljahrshefte  für  Truppen- 
führung und  Heereskunde"  (V/1,  Berlin  1908, 
S.  166)    das    Verhältnis    umgekehrt. 


52 


@= 


DIE  FßlEDEN5-^ARTE 


oben  erwähnten  Buche  §  18  nach  — ,  die 
die  Strafbarkeit  der  Fruchtabtreibung  in 
der  Gefährdung  des  Nachwuchses,  in  der  Ge- 
fährdung des  „  planmäßigen  Kulturlebens" 
sehen   wollen. 

Kulturleben !  Wie  sagte  doch  der  „Ar- 
beiterwille" (Graz,  2.  11.  1912)  so  richtig: 
..Der  moderne  Krieg  versetzt  die  von  ihm 
Betroffenen  in  einen  Massenwahnsinn,  für 
dessen  Furchtbarkeit  man  vergebens  nach 
einem  Vergleich  sucht.  Ein  normales  Ge- 
hirn kann  es  unmöglich  mit  der  Vernunft 
vereinbarlich  finden,  wenn  Hunderttausende 
von  Menschen  einander  gegenüberstehen, 
von  dem  einzigen  Bestreben  erfüllt,  ein- 
ander hinzumorden.  Kann  man  von  Vernunft 
und  menschlicher  Kultur  noch  sprechen,  wenn 
Tag  für  Tag  Berichte  über  die  Abschlach- 
tung  Tausender  von  Menschen  einlaufen, 
ohne  daß  die  gesamte  Menschheit  vor  Ent- 
setzen aufschreit  ?  Kann  von  menschlicher 
Kultur  die  Rede  sein,  wenn  die  friedliche 
Bevölkerung  großer  Städte  und  zahlloser 
Dörfer,  die  notdürftigsten  Habseligkeiten  mit- 
schleppend, in  hastender  Flucht  die  heimat- 
liche Scholle  verlassen  muß,  um  den  Schrecken 
des  Krieges  zu  erteilen;  wenn  Ungezählte, 
vor  namenlosem  Elend  flüchtend,  einem 
dunklen  Schicksal  entgegengehen,  von  dem 
nur  das  eine  sicher  ist,  daß  es  nicht  minder 
namenloses  Elend  in  seinem  Schöße  birgt  ?" 
Aber  nein !  Von  menschlicher  Kultur  wird 
zwar  allenthalben  viel  und  laut  ge — sprochen; 
doch  es  fällt  der  Menschheit  gar  nicht  ein, 
vor  Entsetzen  aufzuschreien,  wenn  sie  alle 
die    Kriegsgreuel    hört. 

Wenn  bei  einer  Revolte,  wie  gewöhn- 
lich (siehe  schon  die:  „dames  de  la  halle"), 
Weiber  sich  am  rohesten  benehmen,  gegen 
die  Wache  oder  das  Militär  Steine  werfen 
usw.,  und  der  Kommandant  endlich  not- 
gedrungen seiner  Mannschaft  den  Befehl  zum 
Vorgehen  mit  der  Waffe  gibt,  dann  ist  das! 
Geschrei  der  „Kulturwelt"  groß  über  den 
Frevel,  daß  „sogar  schwache  Frauen  nicht 
geschont"  wurden.  Ob  wohl  der  schuldlos 
vor  die  Kanonen  gezwungene  Mann  gegen 
Schrapnells    weniger    schwach    ist? 

Und  noch  in  Kriegszeiten  melden  die 
Zeitungen  von  „grauenhaften  Unglücks- 
fällen", wenn  irgendwo  infolge  eines  Auto- 
Unfalles  oder  dergleichen  zwei  oder  drei 
Menschen  verletzt  werden,  während  z.  B.  am 
16.  11.  1912  eine  ganze  Reihe  von  Blättern 
mit  förmlich  behaglichem  Hohne  meldeten, 
daß  bei  einer  wenig  „erfolgreichen  tür- 
kischen Beschießung  eines  bulgarischen 
Lagers  auch  „eine  Anzahl  Bulgaren  getötet 
worden"    seien. 

Aber  nicht  nur  das.  Wie  sorgten  ihrer- 
seits die  Staaten  für  ihre  Kinder,  die  sie 
vor  die  feindlichen  Geschosse  zwangen  ?  Wie 
stand  es  mit  der  Fürsorge  für  die  gewiß 
nicht  durch  ihre  Schuld  und  mit  ihrem  freien 
Willen    Verwundeten  ? 


Ueber  die  Schlacht  bei  Lüle  Burgas  z.  B. 
schrieb  der  Berichterstatter  des  „  Daily 
Telegraph"  am  Tage  nach  dieser:  „Man 
begab  sich  in  eine  der  grössten  Schlachten 
der  Neuzeit  unter  diesen  Verhältnissen  mit 
frevelhafter  Außerachtlassung  der  Folgen. 
Die  Opfer  wurden  zur  Schlachtbank  geführt, 
ohne  daß  man  die  geringsten  Vorbereitungen 
zur  Rettung  der  Verwundeten  gemacht  hatte. 
Es  gab  nicht  eine  Feldverbandstation,  nicht 
ein  Feldspital  wurde  errichtet,  und  die  we- 
nigen Aerzte  an  der  Front  waren  aller  not- 
wendigen Dinge  entblößt  und  mußten  zu- 
sehen, ohne  einen  Finger  rühren  zu  können, 
wie  Tausende  der  Verwundeten  dem'  Tode 
geweiht  wurden,  die  sonst  hätten  gerettet 
werden    können." 

Das  „Grazer  Tagblatt"  vom  22.  11.  1912 
veröffentlichte  eine  Zuschrift,  der  ich  fol- 
gende Stelle  entnehme :  „Wiederholt  und 
nachdrücklich  muß  ich  betonen,  daß  die 
Verwundeten  in  einem  geradezu  bejammerns- 
werten Zustande  eintreffen  ....  Auch  merkt 
man,  daß  die  bulgarischen  Offiziere  die  ihnen 
unterstellten  Mannschaften,  wie  aus  den  Be- 
richten und  Aeußerungen  der  gewiß  nicht 
feigen  verwundeten  Soldaten  hervorgeht, 
häufig  in  der  schonungslosesten  Weise  auf- 
opfern, um  nur  für  ihren  Teil  irgendeinen 
Augenblickserfolg  melden  zu  können,  der 
dann    später   preisgegeben   werden   muß." 

Kulturleben !  In  anderer  Beziehung  frei- 
lich sorgten  die  kriegführenden  Staaten  schon 
für    das,    was   die   Ordnung   verlangt. 

Betreffs  der  Zurückgebliebenen  meldete 
der  Korrespondent  des  „Grazer  Tagblatt" 
diesem  zum  20.  11.  1912:  „Die  Mütter  dürfen 
jetzt,  wo  ihr  17  jähriger  Sohn,  die  Gattinnen 
und  Kinder,  denen  der  bereits  altersschwach 
werdende  fünfzigjährige  Vater  entrissen  und 
auf  die  Schlachtbank  geführt  wird,  öffentlich 
keine  Tränen  vergießen,  da  in  diesem  Falle 
Geldstrafe  oder   25   Stockprügel   drohen." 

Ist  gegen  alles  das  nicht  das  Zucht- 
haus ein  ruhiges  Elysium  ?  Und  ist  ein 
solches  „planmäßiges  Kulturleben"  —  man 
entsinne  sich,  daß  speziell  dieser  Krieg 
unter  marktschreierischer  Berufung  auf  christ- 
liche Kultur  eröffnet  wurde  —  es  wirklich 
wert,  auch  nur  durch  eine  einzige  Geburt 
gefördert    zu    werden  ? 

Und  nun  knüpfen  wir  wieder  bei .  du 
Moriez  an :  Um  dieses  schöne  Resultat  zu 
erreichen,  sollen  Menschen  verpflichtet  sein, 
Kinder  zur  Welt  zu  bringen.  Wer  es  nicht 
tut,  der  zeigt  nach  Montier  („De  l'avor- 
tement  criminel",  1894,  S.  17)  „une  pro- 
fondeur  d'immoralite  et  une  absence  de  con- 
science,  qui  eronne  et  d^courage".  Ich  frage 
im  Gegenteil:  Ist  nicht  der  Gedanke,  der 
fühlenden  Menschen  die  Idee  zumuten  will, 
zur  besseren  Ermöglichung  solcher  Massen- 
greuel schuldlose  Wesen  nicht  nur  her- 
zugeben, sondern  sogar  erst  in  die  Welt  zu 
setzen  und  das  Glück  ihrer  Familie  zu  opfern, 


53 


DIE  FRIEDENS  -WARTE 


3 


von  einer  geradezu  unfaßbaren  Ruchlosig- 
keit? Man  wird  gewiß  in  späteren  Zeiten  auf 
solche  Anschauungen  und  unsere  heutige 
„Sittlichkeit"  ebenso  verständnislos  herunter- 
schauen, wie  wir  auf  die  Weisheit  der  Hexen- 
verfolger. 

Dieses  Wort  „unsere"  bezieht  sich  selbst- 
verständlich nicht  auf  Oesterreich  und 
Deutschland  und  jene  anderen  Staaten, 
die  sich  infolge  des  energischen  Willens  ihrer 
Herrscher  mit  ihren  militärischen  Macht- 
mitteln als  feste  Bollwerke  des  Friedens  er- 
wiesen haben. 

Was  für  eine  unfaßbare  Konsequenz  darin 
liegt,  je  nach  Bedarf  die  Elternliebe  zu  ver- 
herrlichen und  dann  wieder  Zumutungen  wie 
die  obigen  an  eben  jene  verherrlichten  Eltern 
zu  stellen,  darüber  sind  wohl  besondere  Aus- 
führungen  überflüssig. 

Aber  die  Idee!  Die  Idee  des  großen, 
mächtigen  Vaterlandes!  höre  ich  einwenden. 
Der  Begriff  des  Einzelnen  tritt  zurück  hinter 
den  Begriff  der  Gesamtheit.  Was!  will  das 
Glück  des  Einzelnen  gegenüber  dem  Ruhme 
des    Vaterlandes ! 

Gewiß,  diese  Idee  hat  ihren  Zauber.  Wobei 
ich  übrigens  die  Begriffe  „Glück"  und  „Ruhm" 
nach  ihrem  inneren  Gehalt  nicht  miteinander 
vergleichen  und  ebensowenig  die  Beziehungen 
vonEinzelmensch,  Gesellschaft  und  Staat  zu- 
einander untersuchen  will,  du  Moriez  leugnet 
(S.  103)  den  Unterschied  zwischen  Staat  und 
Gesellschaft.  Ich  verweise  diesbezüglich  auf 
§  18  meiner  Arbeit.  Jedenfalls  geht  es  nicht 
an,  in  einem  von  Menschen  gebildeten  Staate 
eben  diese  Menschen  nur  als  Mittel  für  die 
Zwecke  dies   Staates   zu  betrachten. 

Andrerseits  sollte  man  beim  Aufschwünge 
vom  Egoismus  nicht  auf  dem  halben  Wege 
stehen  bleiben. 

Wer  nur  das  Interesse  seines  armseligen 
„Ich"  als  entscheidend  ansieht,  den  nennen 
wir  verächtlich  einen  Egoisten.  Wer  einen 
Schritt  nach  oben  macht,  aber  doch  noch 
immer  das  Wohl  seiner  Familie  dem  der  All- 
gemeinheit ungebührlich  vorsetzt,  dem  legen 
wir  Nepotismus  zur  Last.  (Die  Sorge  bloß 
um  die  Mitglieder  der  alten  Stammes  verbände 
erscheint  uns  heute  als  überlebt.)  Wer  noch 
höher  steigt,  aber  bei  der  Sorge  um  seine 
engste  Heimat  stehen  bleibt,  für  den  haben 
wir  das  Spottwort  „L  okalpatr  io  t".  Mit 
ähnlichen  Gefühlen  betrachten  wir  den,  der 
etwa  im  großen  Reiche  nur  für  die  Provinz 
fühlt,  die  ihn  geboren  hat.  Auch  wer  nur 
den  einen  Weltteil  gelten  lassen  will,  der  ihn 
hervorbrachte,  würde  uns  als  in  seinen  Be- 
griffen beengt  erscheinen.  Aber  ausgerechnet 
der,  der  neben  seinem  Vaterland  jedes  andere 
Land  und  dessen  Bewohner  verachtet,  soll 
das  richtige  und  allein  ehrenwerte  Empfinden 
haben  .  .  . 

Ich  wäre  wohl  der  letzte,  der  die  Liebe 
zum  Vaterhaus,  zur  Heimat,  zum  Vaterland 
herabsetzen  wollte.    Das  Vaterland  groß  und 


glücklich  zu  machen,  ist  die  Lebensarbeit  der 
Tüchtigsten  wert.  Aber  ich  sehe  nicht  ein, 
weshalb  meine  Liebe  zu  den  Mitmenschen 
(unter  „Vaterland"  ist  doch  sicher  nicht  nur 
eine  Bodenfläche  mit  totem  Zugehör  zu  ver- 
stehen), mein  Mitleid  mit  den  Leidenden,  an 
den  Grenzen  meines  Vaterlandes  haltmachen 
und  nicht  zur  Allgemeinheit  fortschreiten 
sollten.  Sie  lassen  sich  das  einfach  nicht  ge- 
bieten. Fühle  ich  warm  für  meine  Mitmenschen 
i  m  Vaterlande,  so  können  mir  jene  nicht 
gleichgültig  sein,  die  außerhalb  desselben 
leben. 

Ist  es  ein  Beweis  von  Kultur  oder  von 
Brutalität,  lärmende  Freudenfeste  zu  ver- 
anstalten zur  Feier  des  Ereignisses,  daß  auf 
Seite  der  Gegner  Tausende  von  schuldlosen 
blühenden  Menschen  —  zum  Teil  unter 
schweren  Qualen  —  getötet,  zu  siechen 
Krüppeln  gemacht,  ihre  Angehörigen  in 
Jammer  und  Elend  gestürzt  wurden?  Und 
ist  es  nicht  eine  doppelte  Blasphemie,  mit  dem 
Rufe  „für  Gott"  das  Schwert  zu  ziehen? 

Nach  diesen  Betrachtungen  ist  es  gewiß 
entbehrlich,  noch  davon  zu  sprechen,  daß 
auch  dem  Einzelmenschen  eine  gewisse  Frei- 
heitssphäre zustehen  muß  (vgl.  darüber  S.  43 
meiner  „Kriminellen  Fruchtabtreibung")  und 
daß  die  Begründung  der  du  Moriezschen  An- 
sichten durch  den  Satz:  „si  vis  pacem,  para 
bellum"  doch  wohl  eine  von  recht  weit  her- 
geholte wäre.  Abgesehen  davon,  daß  die 
großen  Rüstungen  an  sich  allein  (siehe 
oben)  den  Frieden  gar  nicht  sichern, 
wie  Alfred  H.  Fried  („Der  Weg 
zum  Weltfrieden  1912",  S.  o)  gezeigt  hat. 
Abgesehen  ferner  davon,  daß  die  Beurteilung 
von  Taten  wie  Tötung  und  Abtreibung  seitens 
der  Kulturwelt  unmöglich  nach  der  geogra- 
phischen Lage  des  Begehungsortes  grund- 
sätzlich verschieden  sein  kann. 

Der  dritte  Teil  von  du  Moriez'  Buch1  be- 
handelt l'avortement  thörapeutique.  Da  meiner 
oben  mehrfach  erwähnten  Arbeit  noch  be- 
sondere Ausführungen  über  dieses  Spezial- 
thema  folgen  sollen,  so  darf  ich  wohl  die 
Stellungnahme  zu  du  Moriez'  darauf  bezüg- 
lichen Ansichten  bis  zu  ihrer  Herausgabe 
verschieben. 

Ein  offener  Brief  an  die  Kriegs- 
und Friedensgesellschaft  an  der 
Universität  Cambridge*). 

Von  Norman  Angell,  London. 

Sämtliche  Fragen  über  den  Einfluß,  den 
militärische  Macht  zugunsten  sozialer  und  wirt- 

*)  Studenten  an  der  Universität  Cambridge 
haben  die  „Cambridge  University  War  and 
Peace  Society"  begründet,  mit  dem  Zweck, 
„die  überraschenden  volkswirtschaftlichen  Tat- 
sachen zu  erforschen,  auf  die  Normann  Angell 
in  seinem  Buch  ,Die  große  Täuschung*  auf- 
merksam   gemacht    hat". 


54 


«s: 


DIE  PRI EDENS -VS/WTE 


schaftlicher  Vorteile  ausüben  konnte,  über  das 
Ausmaß,  in  welchem  die  allgemeine  Wohl- 
fahrt einer  Gruppe  durch  militärische  Be- 
herrschung einer  anderen  gefördert  werden 
kann,  oder  darüber,  wieweit  das  Ineinander- 
greifen von  Interessen  gebietenden  Nutzen  und 
•die  Wirksamkeit  einer  solchen  Herrschaft  ver- 
hindert, alle  diese  Fragen  verlangen  infolge 
der  Entwicklung  innerhalb  der  letzten  dreißig 
bis  vierzig  Jahre  eine  Neubeantwortung. 

Die  gegenwärtige  politische  und  volkswirt- 
schaftliche Literatur  verwendet  nicht  nur  auf 
internationalen  Verhältnissen,  die  zu  bestehen 
aufgehört  haben,  beruhende  Ausdrücke,  son- 
dern die  solcher  Literatur  zugrunde  liegenden 
Gedanken  verkennen  wichtige  Tatsachen,  die 
sich  in  unserer  Zeit  entwickelt  haben.  Wenn 
man  eine  moderne  Durchschnittsbehandlung 
einer  Frage  der  Weltpolitik  —  sei  es  in  einem 
Leitartikel  der  „Times"  oder  einem  Aufsatz 
in  der  Quaxterly  Review,  oder  in  einem  Buch 
über  diesen  Gegenstand,  deren  Wert  irgend- 
wie anerkannt  ist,  mit  entsprechenden  Ab- 
handlungen aus  dem  achtzehnten  Jahrhundert 
vergleicht,  so  wird  man  finden,  daß  die  Aus- 
drücke und  die  Grundgedanken  beider  voll- 
ständig gleich  sind;  daraus  ergibt  sich, 
selbstverständlich,  daß  der  moderne  Verfasser 
annimmt  die  Tatsachen,  welche  der  Frage 
zugrunde  liegen,  hätten  sich  nicht  verändert. 
Und  doch  haben  sie  sich  so  verändert,  daß 
allgemein  anerkante  Grundsätze  des  achtzehn- 
ten Jahrhundert  im  zwanzigsten  Jahrhundert 
Unsinn  sind. 

Man  greife  zum  Beispiel  folgende  allge- 
mein herrschende  Ansichten  heraus : 

1.  Daß  ein  erobertes  Land  den  Reichtum 
des  siegreichen  Volkes  vermehrt;  daß 
dieses  es  „besitzt",  so  wie  eine  Person 
oder  eine  Vereinigung  ein  Grundstück 
besitzt ; 

2.  daß  ein  Volk  sich  durch  seine  Militär- 
macht anderen  Völkern  gegenüber  wirt- 
schaftliche Vorteile  zusichern  könne; 

3.  daß  Völker  volkswirtschaftliche  Ein- 
heiten sind — „konkurrierende  Geschäf  ts- 
firmen'T  wie  sie  ein  bedeutender  militä- 
rischer Gewährsmann  unlängst  nannte; 

und.  beweise  ihre  Richtigkeit  durch  folgende 
Tatsachen : 

1.  Daß  das  Vermögen  in  einem  eroberten 
Lande  immer  in  Händen  der  Einwohner  bleibt ; 
besondere  Steuern  oder  Tribut  ist  eine  Erfin- 
dung der  Römerzeit  und  des  Mittelalters  unet 
bei  unseren  heutigen  Verwaltungsmethoden 
immer  schwieriger  anzuwenden  und  immer 
weniger  erträglich; 

2.  daß  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse 
in  den  kleinen  Staaten  (z.  B.  Schweden, 
Holland,  Belgien,  Schweiz)  gerade  so  gut  sind, 
wie  in  den  Staaten,  die  eine  große  Militärmacht 
besitzen  (z.  B.  Rußland,  Deutschland,  Oester- 
reich).  Daß  die  meisten  großen  Staaten  mit 
Ländern  Handel  treiben,  die  sie  politisch  nicht 
beherrschen.    England  treibt   doppelt   so   viel 


Handel  mit  fremden  Ländern^  als  mit  seinen 
Kolonien  (die  es  nicht  beherrscht^;  die  un- 
geneure  Ausdehnung  des  deutschen  Handels 
besonders  in  Rußland.,  den  Vereinigten  Staaten 
und  Süd-Amerika  ist  nicht  der  deutschen  Mi- 
litärmacht zu  verdanken. 

3.  Die  großen  industrietreibenden  Völker 
sind  keine  wirtschaftlichen  Einheiten ;  der  inter- 
nationale Handel  bewegt  sich  nicht  zwischen 
Verbänden,  die  als;  „England",  „Deutschland'* 
usw.  bekannt  sind,  sondern  er  ist  ein  ver- 
wickelter Vorgang,  der  sich  unendlich  auf  ein- 
zelne Individuen  aufteilt.  Ein  Eisenindustrieller 
in  Birmingham  verkauft  seine  Maschinen  an 
einen  brasilianischen  Kaffeepflanzer,  der  sie 
deshalb  kaufen  kann  weil  er  seinen  Kaffee 
an  einen  Kaufmann  in  Havre  verkauft;  der 
seinerseits  verkauft  ihn  in  eine  westfälische 
Stadt,  die  Eisenschienen  für  Sibirien  erzeugt; 
diese  werden  dort  gekauft,  weil  sibirische 
Bauern  für  den  Bedarf  in  Lancashire  Weizen 
bauen,  wo  wiederum  Baumwollwaren  für  indi- 
sche Kuli  erzeugt  werden,  die  für  australische 
Schaffarmer  Tee  pflanzen;  diese  können  ihn 
kaufen,  da  sie  Wolle  an  einen  Kaufmann  in 
Bradford  verkaufen,  der  sie  verarbeitet,  weil 
er  sein  Petroleum  bei  den  Automobilbesitzern 
in  Berlin  an  den  Mann  bringt.  Wie  kann 
ein  derartiger  Vorgang,  der  für  den  modernen 
internationalen  Handel  typisch  ist,  als  Kon- 
kurrenz feindlicher  Verbände  wie  England, 
Frankreich,  Brasilien  und  Rußland  aufge- 
faßt werden? 

Während  aber  das  durch  dieses  Beispiel 
angedeutete  gegenseitige  Abhängigkeitsverhält- 
nis seit  einem  Jahrhundert  ein  Gemeinplatz 
der  theoretischen  Volkswirtschaftslehre  ist, 
greift  es  erst  seit  kurzem  wesentlich  in  die  inter- 
nationale Staatskunst  ein. 

Vor  vierzig  Jahren  konnten  es  alle  Staats- 
männer, außer  denen  von  England  vielleicht, 
ungestraft  außer  acht  lassen.  Zur  Zeit  des 
Deutsch-Französischen  Krieges  genügte  sich 
Deutschland  selbst.  Bismarck  wünschte  Frank- 
reich als  Faktor  aus  der  europäischen  Volks- 
wirtschaft verschwunden  zu  sehen.  Wäre  sein 
Wunsch  in  Erfüllung  gegangen,  so  hätte  das 
damalige  Deutschland  kaum  gelitten:  aber 
den  wirtschaftlichen  Aufschwung  des  modernen 
Deutschland  hätte  er  unmöglich  gemacht.  Dem) 
dieser  Aufschwung  ist  in  großem  Ausmaße 
der  Entwicklung  von  Ländern  wie  Rußland 
und  Süd- Amerika  zu  verdanken;  diese  Ent- 
wicklung wurde  größtenteils  durch  franzö- 
sisches Geld  erreicht,  weil  Frankreich,  da  es 
nicht  für  eine  sich  vermehrende  Bevölkerung 
zu  sorgen  hat,  Geld  für  auswärtige  Anlagen 
frei  hat,  während  man  es  anderswo  für  die 
Erziehung  der  Kinder  und  ihre  Ausstattung 
im  Leben  braucht.  Aber  geradeso  wie  die 
Politik  der  deutschen  Staatsmänner,  wäre  sie 
in  Erfüllung  gegangen,  für  die  Wohlfahrt  des 
eigenen  Landes  verderblich  gewesen  wäre, 
so  mußten  die  französischen  Staatsmänner  ihre 
Bestrebungen  durch  die  Macht  von  Tatsachen, 


DIE  FRIEDENS -^MfißTE 


[§> 


die  sie  richtig  einzuschätzen  versäumten,  zu- 
nichte gemacnt  sehen.  Die  französische  Politik 
suchte  nach  dem  Kriege  Rußland  zu  stärken, 
um  ein  Gegengewicht  gegen  Deutschlands  Ein- 
fluß zu  schaffen,  und  begünstigte  daher  die 
Anlage  französischen  Geldes  in  Rußland.  Dies 
hatte  aber  folgendes  Ergebnis :  der  deutsche 
Handel  stieg  dort  von  15  auf  45'%.  Deutsch- 
land beherrscht  Rußland  kommerziell  dank  des 
französischen  Geldes. 

Dieselben  Tatsachen  hatten  vor  kurzem 
unmittelbaren  Einfluß  aui  ünglands  auswärtige 
Politik.  Sie  bestimmten  wahrscheinlich  die 
Handlungsweise  derjenigen  Macht,  mit  der  es 
im  Sommer  1911  zufällig  in  Gegensätze  ge- 
riet. Daß  die  Abhängigkeit  der  deutschen 
Industrie  von  der  allgemeinen  finanziellen 
Sicherheit  Europas,  der  Umstand  nämlich,  daß 
große  Störungen  im  Kreditwesen  sie  bis  auf 
ihre  Grundlagen  erschüttern  würden,  Deutsch- 
lands Politik  im1  August  1911  sehr  stark  be- 
stimmten, ist  gewiß  ;  daß  sie  der  entscheidende 
Faktor  war,  ist  wahrscheinlich,  ■ —  weil  die 
durch  die  Störung  bedrohten  Interessen  un- 
geheuer wichtiger  waren,  als  die,  welche  durch 
sie  gefördert  werden  sollten.  Auch  hier  ist 
wichtig  zu  bemerken,  daß  die  deutschen  Staats- 
männer die  tatsächliche  Lage  nicht  von  selbst 
erkannt  hätten;  es  brauchte  die  unmittelbare 
Vermittlung  von  Führern  der  deutschen  Fi- 
nanz, damit  der  deutsche  Minister  des  Aus- 
wärtigen das  Ausmaß  der  bedrohten  Inter- 
essen voll  würdigen  konnte. 

Die  Bedeutung  einer  derartigen  Tatsache 
liegt  nicht  darin,  daß  die  Politik  irgendeines 
Ministers  oder  eines  Landes  versagte,  sondern 
daß  die  Mißverständnisse,  die  nicht  nur  einem 
Lande,  sondern  ganz  Europa  eine  schwere  Last 
auferlegten,  nur  durch  diese  Unwissenheit 
entstanden  sind;  daß  eine  endgültige  Lösung 
der  wichtigsten  und  dringlichsten  Probleme 
unserer  Zeit  oder  auch  bloß  ein  Schritt  zur 
Besserung  dieser  allgemeinen  Verhältnisse 
nicht  möglich  ist,  solange  man  in  Europa  die 
einschlägigen  Tatsachen  nicht  besser  kennt 
als  bisher. 

So  wird  zum  Beispiel  allgemein  zuge- 
geben, daß  eine  große  Gefahr  eines 
Zwistes  zwischen  England  und  Deutschland 
besteht,  der  nicht  auf  einem  tatsächlichen 
Interessenwiderstreit  zurückgeht,  sondern  auf 
allgemeines  Mißtrauen  und  Mißverständnis, 
auf  gegenseitige  Unkenntnis  dessen,  was  eines 
oder  das  andere  der  beiden  Länder  zu  unter- 
nehmen vorhat,  wobei  ein  jedes  dem  anderen 
Absichten  zuschreibt,  deren  Ausführung  selbst 
bei  oberflächlicher  Prüfung  töricht  oder  nutz- 
los wäre. 

Was  für  Quellen  stehen  jemandem  zu  Ge- 
bote, der  die  Verhältnisse  von  Volk  zu  Volk 
zum  Zwecke  wissenschaftlicher  Darstellung  und 
richtigen  Erklärung  der  durch  sie  bedingten 
Folgen  —  etwa  ähnlich  wie  der  vorhin  ange- 
deuteten —  studieren  will. 

Gegenwärtig  wird  ein  systematisches  Stu- 


dium dieser  Entwicklungsstufe  der  internatio- 
nalen Verhältnisse  nicht  betrieben.  Ein  Stu- 
dium dieser  Art  kann  am  besten  durch  ein 
Zusammenarbeiten  in  Vereinigungen,  wie  die 
C.  U.  W.  and  P.  S.  bewirkt  werden.  Ein  der- 
artiger Verein  sollte  Leute  von  möglichst  ver- 
schiedenen Ansichten  umfassen,  —  geradeso- 
viel solche,  die  sich  besonders  für  die  Kriegs- 
kunst interessieren  als  solche,  deren  Interesse 
mehr  der  Einfluß  dieser  Dinge  auf  den  Fort- 
schritt der  menschlichen  Gesellschaft  bean- 
sprucht. Wenn  der  Verein  eine  gewisse  Zahl 
von  Feinden  der  Friedensbewegung  umfaßt, 
so  ist  es  um  so  besser.  Sie  werden  durch  ihre 
Fragestellung  die  Forschungen  der  übrigen 
anregen,  während  sie  ihrerseits  für  ein  besseres 
Verständnis  von  Tatsachen,  die  selbst  vom 
rein  militärischen  Standpunkt  nicht  mehr 
länger  vernachlässigt  werden  können,  gewiß 
Nutzen  ziehen  werden.  Denn  für  einen  Sol- 
daten ist  es  nicht  nur  wichtig  zu  wissen,  in- 
wieweit ein  Staat  seine  Zwecke  durch  Militär- 
macht erreichen  kann,  sondern  die  angedeu- 
teten Probleme  stehen  in  engem  Verhältnis 
zu  den  Einzelheiten  der  Ausnützung  der  Militär- 
macht als  Mittel  zum  Zweck  und  bilden  so 
einen  wichtigen  Teil  seiner  Studien  der  Kriegs- 
führung. 

Die  Aufmerksamkeit  könnte  vorerst 
etwa  auf  folgende  eng  umgrenzte  Punkte 
gelenkt    werden : 

1.  Inwieweit  sind  der  moderne  Besitz 
und  Handel  durch  die  Entwicklung  des 
Kreditwesens  und  die  dadurch  bedingte 
gegenseitige  Abhängigkeit  der  volkswirt- 
schaftlichen Mittelpunkte  durch  militärische 
Eroberungen    nicht    antastbar  ? 

2.  In  welchem  Ausmaße  hindert  die 
größere  Kompliziertheit  des  modernen  in- 
dustriellen Lebens  die  Anwendung  des  Heeres- 
mechanismus oder  macht  ihn  überhaupt  un- 
möglich ?  (z.  B.  könnten  Staaten  wie  Deutsch- 
land ihre  industrielle  Bevölkerung  eine 
längere  Zeit  nach  einer  allgemeinen  Mobili- 
sierung, der  Unterbrechung  der  Verkehrs- 
mittel und  der  Unordnung  im  Kreditwesen 
ernähren  ?) 

3.  In  welchem  Ausmaße  bedingen  diese 
Faktoren  die  Nutzlosigkeit  der  Anwendung 
der  Militärmacht  zu  handelspolitischen 
Zwecken;  und  was  lehrt  der  Wohlstand  der 
kleineren  Staaten  für  das  Verhältnis  der 
Militärmacht  und  des  militärischen  Ansehens 
zu    wirtschaftlichen    Vorteilen  ? 

4.  Inwieweit  hat  die  Entwicklung  einer 
billigen  Presse  und  anderer  Propaganda-  und 
Agitationsmittel  der  lokalen  Selbstverwaltung 
so  große  Kraft  gegeben,  daß  militärischer 
Zwang  auf  anderen  als  wirtschaftlichen  Ge- 
bieten unmöglich  wurde  ?  (z.  B.  welche 
Lehren  sind  aus  der  Verleihung  einer  Ver- 
fassung an  Elsaß-Lothringen  und  dem  un- 
längst erfolgten  Zusammenbruch  des  ko- 
lonialen Steuersystems  Frankreichs  zu 
ziehen). 


<EF=E 


E  DIE  FRI  EDENS -^&RXE 


Es  ist  zu  hoffen,  daß  derartige  Krieg- 
und  Friedensgesellschaften  dereinst  durch 
allgemeinen  Gedankenaustausch  mit  ähn- 
lichen Vereinen  im  Ausland  Hervorragendes 
leisten  werden.  Wenn  die  Bewegung  stark 
genug  geworden  ist,  so  daß  eine  Berech- 
tigung dazu  gegeben  erscheint,  werden  Ab- 
stimmungen unter  Studenten  an  verschie- 
denen Orten  vorgenommen  werden,  um  zu 
sehen,  wie  weit  einzelne  der  erwähnten  Folge- 
rungen von  der  öffentlichen  Meinung  gut- 
geheißen   werden. 

Was  aber  auch  immer  unsere  Folge- 
rungen sein  mögen,  die  Tatsachen  verdienen 
mehr  Studium,  als  man  ihnen  für  gewöhnlich 
widmet.  Solche  Studien  zu  mißbilligen,  heißt 
behaupten,  daß  in  einem  der  schwierigsten 
Probleme  unserer  Zivilisation  Unkenntnis 
und  Vorurteile  bessere  Führer  sind,  als  Er- 
kenntnis   und    Wissen. 


Paul  Scheerbart. 

Von  Erich  Mühsam,  München. 

Für  jenen  wahren  Humor,  der  ohne  Bitter- 
keit und  ohne  Kalauerei  lediglich  aus  dem 
heiteren  Beschauen  der  Dinge  entsteht,  ist 
unserer  Zeit  der  Sinn  abhanden  gekommen. 
Der  größte  deutsche  Humorist,  Jean  Paul, 
wird  heutzutage  langweilig  und  ungenießbar 
gefunden,  und  der  einzige  lebende  deutsche 
Humorist,  Paul  (Scheerbart,  der  im  Januar 
50  Jahre  alt  geworden  ist  und  bisher  etwa 
30  köstliche  Bände  veröffentlicht  hat,  ist  der 
.großen  Mehrzahl  seiner  selbst  literarisch  inter- 
essierten Zeitgenossen  völlig  unbekannt. 

Ich  möchte  den  Dichter  an  dieser  Stelle 
-als  den  lachenden  Verkünder  der  Selbstver- 
ständlichkeit des  Friedens  unter  den  Völkern 
vorstellen.  Das  ist  ein  Moment  in  seinen 
Werken,  das  immer  wiederkehrt,  in  immer 
neuer  Form  und  neuem  Zusammenhang,  aber 
immer  nur  als  Komponente  einer  in  sich 
völlig  geschlossenen,  sehr  großzügigen  und 
eigenartigen  Weltanschauung. 

Scheerbarts  Philosophie  ist  kurz  diese: 
Alles  Irdische,  Diesseitige,  Abgegrenzte  ist  un- 
geheuer nichtig,  unwesentlich  und  gleich- 
gültig gegenüber  der  Herrlichkeit  der  kos- 
mischen Welt.  Wer  sich  Bürger  des  unend- 
lichen Alls  weiß,  der  ist  mit  seiner  Phan- 
tasie viel  zu  sehr  beschäftigt,  um  die  Dinge 
der  Erde  anders  als  mit  lustiger  Ueberlegen- 
heit  zu  betrachten.  Die  unendlichen  Möglich- 
keiten, die  in  der  außerirdischen  Welt  liegen, 
sind  die  der  Menschen  würdigste  Gedstes- 
besebäftigung.  Die  kleinen  Angelegenheiten 
unserer  Körper,  der  Beziehungen  der  Men- 
schen zueinander  und  unserer  Erhaltungsinter- 
essen verlohnen  nicht  der  Feierlichkeit,  mit 
•der  sie  gewöhnlich  behandelt  werden. 

Scheerbart  geht  denn  auch  in  seinen 
meisten  Büchern  auf  Streifzüge  in  die  Regio- 
nen des  unbekannten  Weltalls.  Mit  dem  wunder- 


vollen unbekümmerten  Humor,  der  ihn  aus- 
zeichnet, schildert  er  die  Lebewesen  fremder 
Gestirne,  und  indem  er  z.  B.  die  Einrich- 
tungen auf  dem  Jupiter  beschreibt,  verulkt  er 
zugleich  die  Kümmerlichkeiten  der  Erdbe- 
wohner. Lächerlich  ist  ihm1  in  seiner  phan- 
tastischen Seelenstimmung  jede  Erotik,  un- 
sagbar verächtlich  aber  und  dumm  kommt  ihm 
die  Methode  der  Menschen  vor,  sich  mit 
Mordwaffen  einander  gegenüberzustellen  und 
sich  gegenseitig  abzuschlachten,  abzuschießen 
und  mit  allem  möglichen  Aufwand  von  satani- 
scher Erfindungskraft  hinzumorden. 

Ganz  ergreifend  kommt  diese  Ansicht  in 
seinem  Roman  „Die  große  'Revolution"  (Insel- 
verlag) zum  Ausdruck,  der  unter  Mondbe- 
wohnern spielt.  Die  Mondleute  studieren  mit 
ungeheuren  Fernrohren  das  Leben  und  Ge- 
schehen auf  den  übrigen  Weltkörpern.  Ihre 
ganz  besondere  Aufmerksamkeit  wenden  sie 
den  Menschen  auf  der  Erde  zu.  Aber  die 
widerwärtige  Erscheinung,  daß  die  Menschen 
immer  und  immer  wieder  mordend  gegen- 
einander vorrücken,  steigert  bei  den  geistig 
vorgeschrittenen  ,'Mondbewohnern  die  Ver- 
achtung gegen  die  Erdleute,  und  e9  entsteht 
eine  Bewegung,  die  den  Boykott  der  Erde 
anstrebt,  den  Plan  nämlich,  den  großen  Stern 
Erde  völlig  zu  ignorieren  und  die  Fernrohr- 
studien fernerhin  nur  auf  die  gesitteten  übrigen 
Sterne  zu  konzentrieren.  Dagegen  sträuben 
sich  aber  die  konservativeren  Mondgeister,  und 
so  ist  die  geistige  Revolution  auf  dem  Monde 
ausgebrochen.  Die  äußert  sich  natürlich  nicht 
in  Mord  und  Totschlag,  sondern  in  Beratungen 
und  Uebereinkommen.  Endlich  soll  eine 
Wette  entscheiden.  Die  Beobachtung  der  Erde 
soll  noch  2000  Jahre  fortgesetzt  werden: 
Führen  die  Menschen  dann  immer  noch 
Kriege,  dann  sollen  die  Neuerer  recht  be- 
halten, dann  muß  man  an  der  Bildungs-  und 
Entwicklungsmöglichkeit  der  Erdbewohner  ver- 
zweifeln. Als  dann  die  2000  Jahre  herum 
sind,  ist  große  Spannung  bei  den  Mondleuten. 
Sie  suchen  mit  ihren  Fernrohren  die  Erdober- 
fläche ab,  und  schon  glaubt  die  Erdpartei 
die  Wette  gewonnen  zu  haben,  und  auch  die 
Weltpartei  will  sich  schon  freuen,  weil  der 
Friede  auf  Erden  nun  herbeigekommen  scheint, 
da  sieht  man  plötzlich  von  zwei  Seiten  Heere 
mit  Kanonen  und  allen  möglichen  Waffen 
aufmarschieren.  TJ)ie  Erdpartei  des  Mondes 
erklärt  sich  besiegt.  Man  sieht  ein,  *daB  an 
den  Menschen  Hopfen  und  Malz  verloren  ist 
una  wendet  fortab  alle  Aufmerksamkeit  dem 
großen  Weltall  und  den  Gestirnen  zu,  auf 
denen  die  Unvernunft  der  Erdbewohner  keine 
Stätte  hat. 

Hinweise  auf  die  Absurdität  des  Krieges 
finden  sich  bei  Scheerbart  fast  in  allen  Werken, 
und  neuerdings  hat  er  eine  eigene,  sehr  ori- 
ginelle Bekämpfung  der  Massenmorderei  er- 
funden, zu  der  ihm  seine  schrankenlose  Phan- 
tasie gute  Dienste  leistet.  Er  macht  das  in 
der    Form    von    Ratschlägen    an   die     Krieg- 


DIEFßlEDENS-^AQTE 


[6> 


führenden,  wie  sie  am  schnellsten  und  sicher- 
sten möglichst  viele  Menschen  auf  einmal  um- 
bringen können.  Mit  scheinbarem  Ernst  und 
mit  einer  Sachlichkeit,  daß  man  Tränen  lachen 
kann,  setzt  er  die  vortreffliche  Eignung  der 
Luftschiffe  auseinander,  um  von  dort  aus  mit 
Sprengstoffen  ganze  Heere  mit  einem  Schlage 
bis  auf  den  letzten  Mann  zu  vernichten  und 
die  kriegführenden  Länder  mit  den  billigsten 
Mitteln  so  vollständig  zu  verwüsten,  daß  der 
Friede  für  lange  Zeit  wieder  gesichert  sein 
muß.  Im  Jahre  1909  veröffentlichte  Scheer- 
bart  eine  Broschüre  (bei  Oesterheld),  deren 
Verbreitung  unter  denen,  die  im  Kriege  einen 
grotesken  Wahnsinn  erblicken,  gar  nicht  ge- 
nug empfohlen  werden  kann.  Darin  plädiert 
der  Dichter  für  die  völlige  Abschaffung  der 
Heere  und  Flotten,  da  die  Flugtechnik  bei 
geeigneter  Vervollkommnung  durchaus1  allein 
imstande  sein  wird,  jede  ausdenkbare  Vernich- 
tungsarbeit zu  verrichten.  Der  Titel  des 
Schriftchens  heißt:  „Die  Entwicklung  des 
Luftmilitarismus  und  die  Auflösung  der  euro- 
päischen Landheere,  Festungen  und  Seeflotten. 
Eine  Flugschrift".  Der  biedere  Ernst,  mit 
dem  Scheerbart  da  seine  mörderischen  Vor- 
schläge macht,  ist  der  gelungenste  Hohn  auf 
die  ganze  unsinnige  Kriegsstimmungsmachered, 
die  uns  Zeitgenossen  des  zwanzigsten  Jahr- 
hunderts immer  noch  in  die  Ohren  tutet. 

Ich  habe  mit  diesem  kurzen  Hinweis  auf 
das  Wirken  Paul  Scheerbarts  zweierlei  er- 
reichen wollen:  einmal  wollte  ich  die  Ver- 
breitung künstlerisch  .außerordentlich  wert- 
voller Bücher,  die  kein  Mensch  zu  kennen 
scheint,  fördern  (ich  empfehle  nicht  nur  die 
erwähnten  Schriften  Scheerbarts,  sondern  alle 
seine  Bücher,  in  denen  wahre  Schätze  des 
Humors  gespeichert  sind).  Zweitens  wollte  ich 
dem  Dichter  selbst  nützen,  der  dank  der  In- 
dolenz seiner  Mitmenschen  heute  noch  'in 
quälender  Not  lebt,  die  ihn  nur  ein  immer 
wacher  Humor  und  das  Bewußtsein  von  der 
Unendlichkeit  des  Wreltalls  heiter  lachend  er- 
tragen läßt. 

Vom  Anarchismus  zum  Gesetz! 

(Die    Diagnose    eines    europäischen    Krieges.) 
Von  Wilhelm  Lamszus. 

Die  Welt  ist  heute  noch  sehr  mangelhaft 
organisiert.  So  lange  es  noch  Räubervölker 
auf  der  Erde  gibt,  so  lange  es  noch  nach 
den  Grundsätzen  des  Anarchismus  regierte 
Staaten  gibt  —  und  zwar  in  unserer  nächsten 
Nähe  — •  so  lange  noch  Kulturnationen  ,es 
nicht  für  unwürdig  erachten,  mit  Rußland, 
diesem  schwer  gestraften  Land  der  Anarchisten 
von  Gottes  Gnaden,  Bündnisse  abzuschließen, 
sind  wir  in  jedem  Augenblick  vom  Krieg 
bedroht. 

Was  also,  wenn  nun  dieser  unheilvolle 
Krieg,  den  wir  so  weit  wie  möglich!  wünschen, 
trotz  aller  friedensliebenden  Elogen,  trotz  aller 


menschenbrüderlichen  Demonstrationen,  trotz 
aller  diplomatischen  Entspannungen  dennoch 
eines  Tages  auf  die  Bühne  tritt?  Wenn  es  der 
Weltgeschichte  so  gefällt,  vor  Blut  und  Eisen 
Reverenz  zu  machen  —  was  sollen  wir  dann 
tun?  Das  Ideal  der  unentwegten  Menschen- 
liebe krampfhaft  schwingen?  Mit  kategori- 
schem Imperativ  und  allgemeinem  Menschen- 
tum statt  mit  Granaten  unsere  Kanonen  laden, 
und  nachdem  wir  überzeugend  nachgewiesen 
haben,  daß  dieser  neue  Krieg  menschliche 
Maße  übersteigt,  den  duldenden,  den  schönen 
Philosophentod  erleiden  und  in  Entsagung 
untergehn  ? 

Man  hat  mein  „Menschenschlachthaus" 
ein  Produkt  der  Angst  genannt.  Ich  gebe 
gerne  zu:  Mein  „Held",  der  da  im  Schreckens- 
sturm zusammenbricht,  das  ist  kein  herz- 
erfrischend anmutendes  Bild.  Und  ich  gebe 
weiter  zu:  Ein  Geschlecht,  das  einem  Krieg 
nicht  mehr  gewachsen  ist,  das  ist  dem  Unter- 
gang geweiht.  Ich  stelle  mich  ganz  auf  die 
Seite  derer,  die  da  sagen:  Und  wäre  dieser 
Krieg  noch  zehnmal  schrecklicher  als  er  ist, 
und  wäre  er  das  leibhaftige  Inferno,  wir 
dürfen  nicht  vor  ihm  zusammenbrechen.  Es 
hilft  nichts,  reichen  unsere  Kräfte  nicht,  so 
gibt  es  keine  heiligere  Pflicht,  als  sie  zu 
stärken,  bis  sie  eben  reichen.  Denn  wehrhaft 
im  Kampf  ums  Dasein  müssen  wir  bleiben 
um  jeden  Preis.  Darum  Abhärtung  und 
Rassenhebung!  Ein  starkes  mannhaftes  Ge- 
schlecht, das  ist  die  Sehnsucht  jedes  Patrioten 
und  ist  die  Hoffnung  jedes  echten  Menschen- 
freundes. Wer  hätte  wohl  Lust  zu  einem  Volk, 
das  so  verfeinert  und  veredelt  war,  daß  ihm 
im  Baßgesang  der  freiheitjauchzendeu  Ge- 
schütze die  Nerven  zerrissen?  Wir  müßten 
nicht  selber  Draufgängerblut  in  den  Adern 
haben,  um  alle  jene,  die  rückhaltlos  für  eine 
gute  Sache  einzutreten  wagen,  die  sich  mit 
Lust  um  einer  großen  Sache  willen  ver- 
schwenden, anders  als  mit  Wohlgefallen  zu 
betrachten.  So  ist  es  ja  auch  gar  nicht  wahr: 
Ich  habe  nicht  das  Sterben  an , sich,  ich  habe 
nicht  die  physische  Angst  der  Kreatur  vor 
Tod  und  Untergang  gemalt  —  das  wäre  ein 
unwürdiger  Streich  —  ich  hab',  was  wohl  das 
bitterste  auf  Erden  ist,  das  hoffnungslose,  leere 
Sterben  gemalt,  das  nicht  mehr  weiß,  wozu  es 
stirbt.  Ich  hab  den  neuen  Menschen  in  den  neuen 
Krieg  marschieren  lassen,  den  neuen  Men- 
schen, der  nicht  mehr  glaubt,  daß  dieser  Krieg- 
notwendig war,  den  Menschen,  der  da  fühltr 
daß  seinem  Vaterlande  mehr  gedient  und  mehr 
geholfen  war,  wenn  diese  Hunderttausende 
von  Menschenleben  nicht  vergeudet  würden. 
Der  allerdings,  der  kriegsungläubige  Mensch, 
muß  in  dem  Blutgewitter  seelisch '  zugrunde 
gehen.  Ist  dieser  Mensch  Phantom,  oder  ist 
er  historisch  wahr?  Das  ist  die]  große  Frage 
an  das  Schicksal,  die  wir  dem  Vaterland© 
schuldig  sind. 

Diplomaten  und  ihre  Auftraggeber,  die  von 
Berufs   wegen  das  europäische  Gleichgewicht 


58 


<§= 


DIE  FRIEDEN5 -WARTE 


zu  überwachen  haben,  glauben  noch  immer 
unverrückt  an  jenen  bildschönen  Menschen- 
typus, der  uns  allen  aus  farbenprächtigen 
Kriegsnovellen  des  vergangenen  Jahrhunderts 
und  aus  archaisierenden  Geschichtslektionen 
der  Schule  blendend  hell  herüberstrahlt,  an 
jene  eichenlaubgeschmückten  hurrarufenden 
Heldensöhne,  die  nichts  weiter  tun,  als  zeit- 
lebens darauf  brennen,  ihren  begeisterten 
Atem  im  Donner  der  Kanonen  auszuhauchen. 

Nun  haben  wir  aber  soeben  das'  größte 
und  vernichtendste  Debacle  erlebt,  das  die 
diplomatische  Mathematik  seit  langem  zu  ver- 
zeichnen hat,  und  eine  gehörige  Skepsis  gegen 
die  Richtigkeit  der  europäischen  Schicksals- 
rechnungen hat  das  europäische  Gemüt  er- 
faßt. Wie,  wenn  auch  diese  nationale  Völker- 
psychologie, die  den  nächsten  Krieg  ent- 
scheiden soll,  auf  Fehlern  und  auf  Irrtümern 
basiert,  wenn  auch  hier,  vom  öffentlichen 
Auge  unbemerkt  und  ungesehen,  Wandlungen 
im  stillen  sich  vollzogen  haben,  die  zum  Ver- 
hängnis würden  ?  Wie,  wenn  auch  dieser 
völkisch  leuchtende  Idealmensch,  der  die 
nächsten  Völkerschlachten  schlagen  soll,  im 
Laufe  der  Zeiten  zu  emem  historischen 
Schatten  abgeblaßt,  zu  einer  konventionellen 
Phrase  zusammengeschrumpft  wäre  ?  Zu 
einer  Phrase,  die  in  dem  nächsten  Krieg  zu- 
sammenbräche ?  Es  bräche  vieles,  vieles 
mit   zusammen. 

Soviel  ist  sicher,  und  nur  politisch  völlig 
Erblindete  tappen  glückselig  daran  vorbei: 
Die  vier  Jahrzehnte  intensivster  industrieller 
Entwicklung,  die  nun  seit  dem  letzten  mittel- 
europäischen Ringkampf  verflossen  sind, 
haben  nicht  nur  einen  neuen  fremdartigen 
Krieg  erzeugt,  sie  haben  auch  eine  neue, 
wesensandere  Menschheit  geschaffen,  eine 
Menschheit,  die  von  neuen  Idealen  beseelt, 
von  neuen  Impulsen  getrieben  wird.  Das 
heutige  Geschlecht  ist  nicht  mehr  das  Ge- 
schlecht des  30  jährigen  Krieges  und  auch 
nicht  das  von  1870/71.  Die  Volksseele,  nicht 
nur  die  deutsche,  sondern  ebenso  sehr  die 
französische  und  die  englische,  hat  sich  ge- 
waltig differenziert.  Und  wie  sich  diese  neue 
Menschheitsseele  in  einem  großen  histo- 
rischen Augenblick  auswirken  würde,  das 
weiß  kein  Mensch.  Was  dann  geschehen 
würde,  wenn  sich  das  Schicksal  blind  er- 
erfüllen sollte,  daß  Europa  über  Nacht  in 
Brand  geriete,  weiß  kein  Gelehrter  und  kein 
Diplomat,  das  weiß  auch  kein  Kriegswissen- 
schaftler —  und  dieser  wahrscheinlich  am 
wenigsten,  weil  er  von  allen  jenen  der  Volks- 
seele am  abgeklärtesten  und  am  abstraktesten 
gegenübersteht.  Wie  soll  man  sagen  können, 
wie  Menschen  mit  eigenem  Fühlen  und 
Denken  in  ihrer  letzten  Stunde  sich  be- 
nehmen werden,  wenn  man  gewohnt  ist,  in 
ihnen  kaum  mehr  als  Exerziermaschinen  zu 
erblicken.  Jede  strategische  Rechnung  hat 
als  Grundlage  die  Zahl  der  Gewehre  und  Ge- 
schütze.    Mit.  Menschen   operiert   sie   wie  mit 


Nummern.  Der  Mensch  ist  weiter  nichts  als 
ein  mechanischer  Kräftekomplex,  der  in  die 
Rechnung  als  ein  äußerst  gering  innervie- 
render  Faktor    eingesetzt    wird. 

Allerdings,  daß  das  Menschenmaterial 
weicher  und  biegsamer  geworden  ist  als 
früher,  und  daß  es  daher  fraglich  ist,  ob 
die  Heere  der  Zukunft  noch  die  großen  Ver- 
luste ertragen  werden  —  von  dieser  formalen 
Seite  her  haben  die  akademischen  Strategen 
das  Problem1  zu  lösen  versucht  und  —  haben 
das    Fragezeichen    stehen    lassen. 

Aber  es  gibt  neben  dieser  formalen  Seite 
noch  eine  andere,  bedeutungsschwerere,  die 
historisch-psychologische,  die  bisher  kaum 
gesehen,  geschweige  denn  untersucht  worden 
ist.  Man  scheint  ihr  ängstlich  aus  dem  Wege 
zu  gehen.  Selbst  der  Staatsrat  Bloch  hat  in 
seiner  glänzenden  Theorie  eines  zukünftigen 
Krieges  die  Psychologie  des  modernen  euro- 
päischen Soldaten  nur  flüchtig  gestreift.  Und 
doch  liegt  hier  —  die  Geschichte  der  ver- 
gangenen Kriege  lehrt  es  immer  wieder  — 
der  Schwerpunkt  des  Problems.  Nicht  die 
Stückzahl  der  Geschütze  und  der  Menschen, 
die  ältere  oder  modernere  Konstruktion  der 
Waffen  entscheidet  letzthin,  sondern  der 
Geist,  der  diese  Waffen  führt.  Das  haben 
uns  die  deutschen  Befreiungskriege,  das 
haben  uns  die  Heere  der  französischen  Re- 
volution gezeigt,  das  hat  uns  die  Welt- 
geschichte soeben  erst  wieder  am1  Balkan  blut- 
triefend   vorgeführt. 

,, Krieg  ist,"  sagt  Byron,  „wenn  ihn  das 
Recht  nicht  heilig  macht,  bloß  Hirnzerschmet- 
tern und  Luftröhrenschneiden."  Und  bei  dieser 
problematischen  Beschäftigung  des  Hirnzer- 
schmetterns  und  Luftröhrenschneidens  würde 
jedem  normalen  Menschen,  der  nicht  als  Lust- 
mörder geboren  wurde,  bald  der  Appetit  ver- 
gehen, wenn  ihn  nicht  jene  seelische  Hoch- 
spannung ergriffe,  die  von  jeher  alle  sieg- 
reichen Völker  über  Blut  und  Leichen  an  das 
verheißungsvolle  Ziel  getragen  hat :  Jene  große 
elementare  Begeisterung,  die  dereinst  aus 
preußischen  Monatskrümpern  die  besten  Feld- 
soldaten prägte,  die  aus  zusammengelaufenen 
Menschenhaufen  unwiderstehliche  Heere  schuf. 
Das  starke  „heilige  Gefühl  des  Rechts",  das 
war  die  suggestive  Kraft,  das  war  das  seelische 
Aequivalent,  das  verbrauchte  physische  Kräfte 
immer  von  neuem  regenerierte.  Muskeln  und 
Nerven  wurden  abgenutzt  bis  zur  Erschöpfung^, 
aber  Schwung  und  Begeisterung  rissen  den 
müden  Leib  empor  und  offenbarten  grenzenlos 
das  uralte  Geheimnis  der  Suggestion:  Die 
Macht  der  aufgewachten  stürmenden  Seele 
über  den  zagenden  todbangenden  Leib.  Sug- 
gestionen ballten  die  Volkskräfte  zu  eherner 
Leidenschaft  zusammen  und  machten  sich  "Luft 
in  welthistorischen  Explosionen. 

Wie  ist  nun  aber  die  seelische  Verfassung 
des  europäischen  Bürgers,  der  morgen  in  den 
Krieg  marschieren  soll  ?  Wo  ist  das  seelische 
Aequivalent,    das  ihn   regenerieren   soll?    Wo 


5.9 


DIE  FßlEDEN5-^*\DTE 


=§> 


ist  das  heilige  Gefühl  des  Rechts,  das  seine 
skeptisch  angehauchten  Nerven  entflammen 
soll?  Ein  Blick  in  die  Oktober-  und  November- 
zeitungen aller  Landesfarben  vom  preußischsten 
Blau  bis  zum  vaterlandslosesten  Rot  zeigt  uns, 
daß  man  weit  weniger  verklärt  und  rosenrot 
den  Krieg  ansieht  als  in  vergangenen  Tagen. 
Mit  unheimlicher  Kraft  der  Anschauung  zogen 
die  Schreckensbilder  des  Balkankrieges  vor 
unseren  Augen  vorüber,  klassische  Darstellun- 
gen wahrheitsgetreuer  Schlachtenschilderung. 
Und  gerade  die  großen  konservativen  Zeitun- 
gen, die  sich  das  Vergnügen  teurer  Spezial- 
korrespondenten  leisten  konnten,  malten  uns 
die  angeschossenen  Menschen,  die  Tag  und 
Nacht  im  strömenden  Regen  ihre  Wunden 
wuschen,  malten  uns  die  Cholerakranken,  die 
in  Krämpfen  sich  wanden,  bis  sie  im  Schmutz 
krepieren  mußten,  so  lebenswahr,  so  natura- 
listisch körperhaft,  daß  wir  den  röchelnden 
Atem  zu  vernehmen  meinten  und  Grauen  und 
Empörung  uns  übermannten. 

Man  sollte  all  diesen  sonst  so  kriegs- 
lustigen Blättern,  die  uns  so  systematisch 
zum  Kriegsabscheu  zu  erziehen  suchten,  der 
Reihe  nach  den  Hochverratsprozeß  machen, 
das   wäre    nicht    mehr    als    konsequent. 

Und  doch  war  dieser  Balkankrieg  mit 
schien  teilweise  30%  Verlusten  an  Menschen- 
material nur  ein  Kinderspiel.  Weil  sie  nicht 
mit  ihren  Maschinen  umzugehen  wußten, 
kehrten  sie  wieder  zum  Handbetrieb  zurück. 
Was  will  nun  dieser  schlecht  organisierte 
Kleinbetrieb  gegen  jene  europäische  Groß- 
schlächterei  bedeuten,  die  mit  technisch  voll- 
kommenen Spezialisten,  die  mit  Dynamos  und 
Akkumulatoren  arbeitet. 

In  diesem  rasselnden  Jahrhundert  der 
Maschinen  gibt  es  auch  auf  dem  Markt  des 
Sterbens  weiter  nichts  als  eine  neue  Branche 
mehr:  die   Leichenindustrie. 

Pas  alles  aber  geht  glatt  in  die 
historische  Entwicklung  auf.  Maschinen- 
gewehre und  ingeniöse  Sprengvorrichtungen 
gehören  allerdings  ins  Zeitalter  der  Ma- 
schinen. Man  kann  sie  nicht  verbieten  und 
aus  purer  Menschenfreundlichkeit  und  Poesie 
zu  Pike  und  Muskete  retirieren.  Die  tech- 
nische Entwicklung  geht  weiter  ihren  Gang 
und  erzeugt  mit  jedem  Tage  einen  groß- 
zügigeren, produktiveren,  ergiebigeren  Krieg. 
Aber  —  nun  kommt  der  erste  Widerspruch 
—  der  unmenschlichere,  barbarischere  Krieg 
findet  mit  jedem  Tage  einen  mensch- 
licheren Menschen,  denn,  was  den 
Bürger  des  20.  Jahrhunderts  vor  dem  des 
19.  auszeichnet,  ist  das  größere  Kultur- 
bewußtsein. Wir  brauchen  nicht  die  Zahl 
der  Analphabeten  von  heute  und  vor  40  Jah- 
ren zu  vergleichen,  wir  brauchen  nicht  die 
wachsende  Zahl  und  Einrichtung  der  Schulen, 
den  ungeheuren  Aufschwung  des  Presse- 
wesens zu  verfolgen,  (wir  brauchen  keine 
Kulturstatistiken  zu  studieren.  Wir  brauchen 
nur  einen  Blick  in  jene  weitverzweigten  Volks- 


60 


Veranstaltungen  zu  werfen,  in  jene  Volks- 
konzerte und  -theatervorstellungen,  Volks- 
bibliotheken und  literarische  Abende,  die 
Arbeiter  aus  eigenen  Mitteln  sich  schufen. 
Kunst  und  Kultur  sind  nicht  mehr  Dinge, 
die  man  an  großen  Festtagen  aus  dem  Glas- 
schrank nimmt,  um  sie  zum  dankbaren  Ob- 
jekt schwungvoller  Tischreden  zu  machen. 
Humanität  ist  nicht  wie  früher  ein  holder, 
ferner,  nie  erreichter  Traum.  Ach  nein,  Fata 
morgana  sieht  nur  der,  der  noch  verloren 
in  der  Wüste  irrt.  Die  das  Land  der  Mensch- 
heit fanden,  haben  auch  den  Boden  der 
Wirklichkeit  gefunden.  Urnen  ward  Hu- 
manität zu  einem  leidenschaftlichen,  realen 
Trieb.  Er  hat  sich  als  der  größte,  unstill- 
barste aller  Triebe  erwiesen.  Nicht  nur,  daß 
er  die  Siechenhäuser  und  Spitäler  baute,  daß 
er  mit  Hygiene  und  Gesetz  das  bürgerliche 
Leben  schützte,  sogar  den  Keim  im  Mutter- 
leib mit  Zuchthausstrafen  schützt  —  er  hat 
weit  Größeres  vollbracht.  Aus  Millionen 
Köpfen  schuf  er  eine  Menschheitsseele,  aus 
Millionen  ,Sonderinteressen  einen  großen 
Menschheitswillen.  Volksstämme,  die  sich 
dereinst  zerfleischten,  verbanden  sich  zu 
Völkern,  und  Nationen,  die  sich  demnächst 
zerfleischen  sollen,  schicken  sich  an,  zu 
einem  großen  Brudervolk  zu  werden.  Man 
hat  dereinst  die  deutschen  Burschenschaftler, 
die  sich  zu  leidenschaftlich  nach  der  deut- 
schen Einheit  sehnten,  als  Landesfeinde  auf 
die  Festungen  geschickt.  Die  deutsche 
Einheit  ist  trotzdem  gekommen.  So  wird  auch 
die  Kultureinheit  der  Völker  kommen  trotz 
allen  offiziellen  Rückwärtsblasens.  Vom  Ur- 
menschen, der  da  den  Gegner  schlug,  wo  er 
ihn  fand,  sind  wir  zu  immer  größeren  und 
festeren  Kulturverbänden  emporgestiegen  und 
werden  weiter  steigen.  Wer  das  zu  leugnen 
wagt,  der  leugnet,  daß  es  je  Geschichte  gab. 
Es  hilft  hier  nichts,  wir  stehen  an  der  Wiege 
eines  neuen  Menschen.  Der  morgen  in  den 
Krieg  marschieren  soll,  ist  nicht  mehr  der 
von  1870/71.  Was  ist  das  für  ein  Mensch? 
Wenn  man  ihn  schmähen  will  und  de- 
nunzieren, so  nennt  man  ihn  den  internatio- 
nalen Menschen  und  macht  drei  fff  hinter 
ihm.  Das  hindert  aber  nicht,  daß  man  am 
Sonntag,  wenn  man  sich  die  Augen  aus- 
gewaschen hat,  dann  selber  in  die  Kirche 
geht  und  eben  diesen  selben  internationalen 
Menschenbruder  von  der  Kanzel  herab  nach 
allen  Regeln  der  Homiletik  sich  warm  ans 
Christenherze  legen  läßt.  Denn  was  macht 
das  Uebermenschentum  des  Nazareners  aus  ? 
Daß  er  das  Gleichnis  von  Alljuda  predigte  ? 
Daß  er  nach  möglichst  vielen  Legionen  und 
Kohorten  schrie  ?  Daß  er  nur  jene  Seiner 
Liebe  würdig  fand,  die  schwarz-weiß-rot  irrt 
Kleide  gingen  ?  Weswegen  ward  er  eigent- 
lich ans  Kreuz  geschlagen  ?  Das  mögen 
unsere  frommen  Patrioten  sich  von  ihren 
kundigen  Pastoren  auseinandersetzen  lassen 
Ach,   dieser  verbrecherische  menschenbrüder- 


<§= 


=  DIE  FRIEDENS -WARTE 


liehe  Trieb,  dieser  hochverräterische  Trieb 
des  Menschen  zum1  Menschen,  den  haben  ihm 
mit  nichten  Aufrührer  und  Verschwörer  in 
die  Brust  geblasen,  der  ist  auf  keinem  un- 
erlaubten polizeiwidrigen  Weg  zu  ihm  ge- 
kommen, ist  nicht  einmal  Propheten-  und 
Messiaswerk:  Ach  nein,  im  hellsten  Licht 
der  Sonne  hat  es  angefangen,  und  Eisen- 
bahnen, Telegraphen,  Dampf  und  Elektrizi- 
tät, das  sind  die  Hochverräter,  die  die  Landes- 
grenzen überwunden  haben.  Sie  haben  das 
dumpfe  landesfarbene  Empfinden  zum  größe- 
ren und  philosophischen  Menschheitsbewußt- 
sein  geweitet  und  geklärt.  Kirnst  und  Wissen- 
schaft haben  das  menschliche  Gewissen  ge- 
schärft und  haben  jenen  verruchten  wider- 
lichen Chauvinismus,  der  einst  mit  blöder 
Geringschätzung  auf  alles  niedersah.  was 
andere  Farben  trug,  für  alle  Zeit  zum  lächer- 
lichen Firlefanz  gemacht.  Sie  haben  auch 
den  Rassenhaß,  das  Erbe  aus  der  Tierheit 
Tagen,  endgültig  in  die  Rumpelkammer  der 
Kultur   gestellt. 

Es  ist  eine  neue  Menschheit,  die 
morgen  in  den  Krieg  marschieren  soll.  Wenn 
wir  die  Seele  dieser  Menschheit  analysieren 
wollen,  brauchen  wir  nicht  auf  internatio- 
nale Kongresse  und  Demonstrationsversamm- 
lungen zu  gehen  —  was  wir  hier  schreiben, 
predigen  wir  nicht  von  der  Zinne  irgendeiner 
Partei,  sondern  wir  schreiben  nur  das  Leben 
ab  und  —  eigenhändige  Dokumente  untadel- 
hafter  deutscher  Männer.  In  jenem  berühm- 
ten Sonderheft  von  „Nord  und  Süd",  wo 
Prinzen  und  Professoren,  Fürsten  und  Grafen, 
Bürgermeister  und  Minister  sich  für  die 
deutsch-englische  Verständigung  aussprechen, 
hat  vor  allem  der  Prinz  Heinrich  zu  Schön- 
aich-Carolath  die  Volksseele  am  sichersten 
und    überzeugendsten    gezeichnet : 

„Die  gesunden,  einsichtsvollen,  beachtens- 
werten, maßgebenden  und  führenden  Elemente 
beider  großen  Kulturvölker  wollen  den  Frieden, 
die  Verständigung,  die  Entente  und.  wenn  mög- 
lich :  die  Entente  cordiale!  Alle  diese 
Elemente  halten  einen  Konflikt, 
einen  Krieg  — -  man  sollte  so  ein  Wort 
gar  nicht  aussprechen,  weil  es  sich  einfach  nicht 
einmal  denken  läßt  —  für  einen  Wahn- 
sinn, für  eine  Tollheit,  unter  welcher 
jede  von  beiden  Nationen  empfindlich  leiden 
würde,  ganz  gleichgültig,  welche  Sieger  oder 
Besiegte  wäre.  Und  während  der  Zeit,  wo  beide 
Nationen,  die  so  unendlich  vieles  Gemeinsames 
haben,  deren  Eigenarten,  Stimmungen,  Gefühle, 
Anschauungen  auf  den  verschiedensten  Gebieten 
die  gleichen  sind,  sich  zerfleischen,  sich  Wunden 
schlagen  würden,  die  nur  langsam  heilen,  sich 
nur  schwer  schließen,  wohl  aber  eine  dauernde 
Verbitterung  und  heiße,  leidenschaftliche  Gegner- 
schaft zeitigen  würden,  in  derselben  Zeit  könnten 
ftuf  anderen  Weltplätzen  große  Interessen  ver- 
loren gehen  und  geschädigt  werden,  die  den 
kämpfenden    Parteien   unendlich    wertvoll   wären." 

Das  ist  die  Sehnsucht  der  neuen  Mensch- 
heit, auf  eine  psychologische  Formel  ge- 
bracht :  Entente  cordiale.  Was  aber  dem 
deutschen     Prinzen     noch     als     ein    frommer 


Wunsch  erscheint,  das  sieht  der  Attorney- 
General  und  Minister  des  vereinigten  König- 
reichs England,  Sir  Rufus  D.  lsaa.es,  in  deut- 
licheren   Konturen : 

„Nur  mit  Genugtuungkann  man 
feststellen,  daß  die  Beziehungen 
zwischen  den  Arbeiterklassen 
beider  Länder  stetig  intimer  wer- 
den. Denn  in  dieser  engeren  In- 
timität liegt  eine  starke  Schutz- 
wehr gegen  das  Andauern  der  Vor- 
urteile und   Mißverständnisse." 

Intim  und  herzlich!  Wer  Augen  hat  zu 
sehen,  sieht,  daß  das  die  Wahrheit  ist.  Man 
mag  die  Wahrheit  mit  Entzücken  oder  mit 
Erschrecken  sehen,  nur  leugnen  läßt  sie  sich 
nicht  mehr.  Wenn  sich  in  Frankreich  98  000 
Volksschullehrer  öffentlich  und  feierlich  zum 
Pazifismus  bekennen,  wenn  auf  demselben  klas- 
sischen Boden  der  „gloire"  Bürgermeistern 
großer  Städte  die  Polizeigewalt  entzogen  wer- 
den muß,  weil  sie  sich  weigern,  dem  allzu 
ungestümen  Friedensdrang  des  Volkes  Einhalt 
zu  gebieten  —  wer  will  es  leugnen,  daß  da 
neue  Kräfte,  neue  Phänomene  in  das,  mensch- 
liche Bewußtsein  treten,  daß  da  ein  wesens- 
anderer Mensch  geworden  ist.  Das  ist  das 
heute  noch  verborgen  wirkende  historische 
Gesetz,  das  sich  mit  jedem  Tage  mehr  reali- 
siert :  Die  Eins  werdung  der  mensch- 
lichen Kultur,  der  Einheitsakt  des 
menschlichen  Erkennens,  der  sich 
mit  apodiktischer  Gewißheit  über 
Raum  und  Zeit  vollzieht,  bewirkt 
die  Einswerdungdes  zur  Kultur  er- 
wachten Menschen.  Diese  Identi- 
fizierung der  Kultur  aber  trägt  in 
sich  die  Tendenz,  den  uralten, 
mystisch  verschleierten  Kampf 
ums  Mein  und  Dein,  den  ominösen 
Eigentums-  und  Land  er  st  reit  der 
Menschheit,  der  einst  in  blinden 
Katastrophen  sich  entlud  und 
unter  ungeheurer  Menschen-  und 
Materialvergeudung  vor  sich  ging, 
nicht  nur  im  kleinen,  sondern  auch 
im  großen  immer  mehr  den  klar  er- 
kannten, ökonomischen,  kultur- 
politischen Gesetzen  unterzuord- 
n  e  n.  Kulturvölker  gehören  innerlich  zusam- 
men: Das  ist  die  nächst  sichtbare  historische 
Etappe.  Reißt  man  sie  voneinander  los  und 
jagt  sie  entwerteter  Gefühlsanachronismen 
wegen  widereinander,  so  hat  man  sie  der  offe- 
nen Verzweiflung  überantwortet.  Wehe  dem 
Kriege,  der  sich  in  der  Menschheitsseele  ver- 
spekuliert! Wehe  dem  Kriege,  der  mit  einer 
anachronistischen  Psychologie  gerechnet  hat! 
Der  Einsatz  dieses  Krieges  ist  das  europäische 
Kultursystem.  Der  Einsatz  geht  verloren, 
wenn  der  Krieg  verloren  geht;  das  ist,  was  ich 
mit  meinem  „Menschenschlachthaus"  sagen 
wollte. 

Es  sind  ja  nun  in  unseren  Tagen  sonder- 
bare   Heilige    erstanden,    die    schelten    rectit- 


61 


DIE  FRIEDENS -^kßTE 


=6> 


schlaffen  die  Menschheit  aus,  daß  sie  es  nicht 
mehr  für  den  höchsten  aller  irdischen  Genüsse 
hält,  sich  gegenseitig  die  Gurgel  abzuschnei- 
den. Was  soll  aus  einer  so  erschlafften  und 
degenerierten  Menschheit  werden  ?  Es  ist  nur 
schade,  daß  es  den  Völkern  bisher  an  Zeit 
gebrach,  sich  so  wie  diese  imannstollen  Aesthe- 
ten  zu  verweichlichen  und  zu  entnerven.  Arbei- 
tende Menschen  haben  nicht  nötig,  das  er- 
schlaffte Blut  mit  einer  Eisenkur  sich  perio- 
disch aufzufrischen;  wohl  aber  wäre  jenen 
misanthropischen  Skribenten  etwas  mehr  Re- 
spekt vonnöten,  Respekt  vor  jenen,  die  all- 
jährlich auf  dem  Schlachtfelde  der  Arbeit 
fallen,  Respekt  vor  jenen,  die  im  Schatten 
atmen  und  im  Dunkel  sterben,  damit  wir 
Glücklichen  die  Sonne  sehen.  Steigt  doch 
hinunter  in  die  Bergwerke  und  geht  hinaus  aufs 
Meer  in  Sturm  und  Not,  sehet  dem  stillen 
Forscher  zu,  der  Tag  und  Nacht  um  die  Er- 
kenntnis ringt  und  seinen  letzten  Atemzug;  der 
Wahrheit  weiht  — 

Das  Heldentum  der  Arbeit  blüht  herr- 
licher als  je.  Aber  die  Sehnsucht  dieser  ar- 
beitenden Menschheit  ist4  nicht  wie  einst  das 
Hirnzerschmettern  und  Luftröhrenschneiden. 
Die  Sehnsucht  dieser  Menschheit  heißt :  Ge- 
sittung! vom  Tier  zum  Menschen,  vom  Anar- 
chismus' zum  Gesetz.  Wer  ist's,  der  diesen 
Weg  nicht  finden  kann  ?  ,,  Gleich  wie 
wir  nun",  so  sagt  Immanuel  Kant,  „die 
Anhänglichkeit  der  Wilden  an 
ihre  gesetzlose  Freiheit,  sich 
lieber  unaufhörlich  zu  balgen,  als 
sich  einem  gesetzlichen  Zwange 
zu  unterwerfen,  mit  tiefer  Ver- 
achtung ansehen,  so  sollte  man 
denken,  müßten  gesittete  Völker 
(jedes  für  sich  zu  einem  Staat  ver- 
einigt) eilen,  aus  einem  so  ver- 
worfenen Zustande  je  eher  desto 
lieber  herauszukommen.  Statt 
dessen  aber  setzt  vielmehr  jeder 
Staat  seineMajestät  gerade  darin, 
gar  keinem  äußeren  gesetzlichen 
Zwange  unterworfen   zu  sein." 

Das  ist  nun  zwar  der  internationale  Anar- 
chismus: reinster  Form,  den,  als  den  höch- 
sten aller  Zustände,  zu  preisen,  auch  heute 
noch  als  sehr  verdienstvoll  gilt."  Es  ist 
nicht  eben  viel,  womit  sich  unsere  politische 
Vernunft  begnügt.  Denn  diese  vielgepriesene 
„politische  Vernunft"  findet  sich  schon  in 
jedem  Ameisenhaufen  sinnreich  und  muster- 
gültig realisiert.  Im  Ameisenstaat  haben  wir 
nach  innen  den  vollständigen  sozialen  Aus- 
gleich, nach  außen  hin  aber  den  unerbitt- 
lichsten und  konsequentesten,  den  ganz  auf 
sich  gestellten  Nationalismus.  So  hätten  wir 
denn  glücklich  das  Niveau  der  Ameisen  er- 
klommen, und  unsere  politische  Erkenntnis 
wäre  die  eines  Insektenhirns.  Insektenethik, 
das  wäre  der  Weisheit  letzter  Schluß.  Wahr- 
lich, man  könnte  stolz  auf  dieses  Mensch  sein 
werden,   werm  nicht  die  Weltgeschichte  über 


62 


ihre  Totengräber,  die  es  zu  allen  Zeiten  gab, 
zu  allen  Zeiten  auch  zur  Tagesordnung  über- 
ginge. Organisation  heißt  das  Gesetz  der 
Welt.  Männer  des  Lebens:  Kaufherren,  In- 
dustriefürsten haben  das  Gesetz  erkannt  und 
schließen  sich,  wenn  Freund  und  Feind  der 
sinnlos  preisdrückenden  Konkurrenz  zu  er- 
liegen drohen,  zu  weltumspannenden  Kar- 
tellen, zu  internationalen  Trusts  zusammen. 
Die  Völker,  die  in  kriegerischer  Konkurrenz 
sich  aufzureiben  drohen,  fangen  an,  den  Weg 
zum  kriegerischen  Trust  zu  suchen.  Wo  sind 
die  großen  Staatsmänner,  die  Carnegie  und 
Rockefeller  der  Politik,  die  die  erwachte 
Menschheit  zum  weltumspannenden  Kultur- 
kartell zu  führen  wissen  ?  Verzückte  Schwär- 
mer, untergehende  Romantiker,  die  nicht 
zur  Wirklichkeit  genesen  können,  schauen 
sehnend  nach  rückwärts,  wo  die  gestorbenen 
Ideale  mit  dem  gestorbenen  Tag  zur  Rüste 
gehen.  Das  gibt  dem'  neuen  Menschen  seine 
aufbauende  Kraft,  daß  er  nach  vorwärts 
schaut !  Der  wird  der  Mann  der  kommenden 
Epoche  werden,  der,  was  sich  aus  dem 
Morgendämmer  der  Geschichte  hebt,  zu 
klarer  Form,  zu  menschbeglückender  Gestalt 
zusammenfassen  kann.  Wer  Bismarcks  große 
Kunst  zur  Wirklichkeit  uns  preist  und  selbst 
nichts  Besseres  versteht,  als  mit  dem  alten 
Handwerkszeug  nach  alten  Schätzen  graben, 
der  ist  ein  schlechter  Jünger  der  Vergangen- 
heit. Vorwärts  mit  neuen,  jungen  Augen  in 
die  neue  Zeit !  Das,  und  nichts  anderes  heißt 
uns  realpolitisch  denken.  Das  und  nichts 
anderes  kann  unserm  Vaterlande  dienlich  sein. 


I 


n  RANDGLOSSEN  U 
EUB  ZEITGESCHICHTE 

Von    Bert  ha   von    Suttner. 

Wien,  4.  Februar  1913. 
Seit  dem  Ausbruch  des  Balkankrieges 
ändert  sich  die  politische  Situation  mit  jedem 
Tag,  mit  jeder  Stunde.  Und  jede  neue  Va- 
riation wird  von  der  Presse  mit  Folgerungen, 
Betrachtungen,  Kombinationen  und  Prophe- 
zeihungen  begleitet,  die  einander  aufheben  und 
widersprechen,  die  von  den  Ereignissen  Lügen 
gestraft  werden,  und  die  untereinander  einen 
Wirbeltanz  aufführen,  wie  die  Vorstellungen 
eines  wilden  Traumes.  Und  das  kommt  daher : 
Wie  im  traumbefangenen  Gehirn  das  ordnende 
Bewußtsein  fehlt,  so  fehlt  im  politischen  Han- 
deln und  Denken  von  heute  das  feste  Prinzip, 
die  sichere  Zielrichtung.  Die  allgemeine  Mei- 
nung unter  den  „maßgebenden"  und  „unter- 
richteten Kreisen"  und  die  Denk-  und  Stil- 
gewohnheiten der  Zeitungen  stehen  einerseits 
noch  im  Banne  der  kriegerischen  Weltan- 
schauung, sind  aber  andrerseits  doch  schon 
beeinflußt  von  dem  Friedenswillen  und  der 
Friedensnotwendigkeit     der     modernen    Weh. 


<§: 


DIE  FRI  EDENS -^J^RXE 


Vor  hundert  Jahren,  selbst  vor  fünfzig  Jahren, 
hätte  es  zu  solchen  Verdrehungen  und  Win- 
dungen, solchen  Irrnissen  und  Wirrnissen  in 
den  offiziellen  Schritten  und  den  offiziösen 
Kommentaren  nicht  kommen  können;  — 
da  waren  der  Krieg,  die  Gewalten,  das  Er- 
obemngsrecht  noch  die  unbestrittene  Grund- 
lage des  Staatenlebens.  Das  ist  heute  — 
außer  in  den  Augen  der  verschiedenen  Kriegs- 
parteien —  nicht  mehr  der  Fall.  Wir  Pazi- 
fisten werden  von  den  täglich  veränderten, 
toll  wirbelnden  Ereignissen  nicht  zum  Schwan- 
ken und  zum  Selbstwidersprechen  gebracht; 
weil  auch  wir  auf  einer  festen  Grundlage  — 
der  Grundlage  der  Prinzipien  —  stehen,  auf 
denen  unsere  Ueberzeugungen  ruhen.  Wir 
sind  Zeugen,  wie  diese  Prinzipien  sich  stö- 
rend in  das  alte  System  einfiltrieren  und 
können  daraus  die  erneute  Sicherheit  schöpfen, 
daß  ein  neues   System   im  Werden   ist. 

mb 

Den  Verhandlungen,  Botschafter-Reunio- 
nen,  Delegierten-Konferenzen,  Pourparlers  und 
selbst  Dejeuners  ist  es  nicht  gelungen,  den 
eingegangenen  Waffenstillstand  in  einen  tat- 
sächlichen Friedensschluß  zu  verwandeln,  son- 
dern infolge  einer  temperamentvollen  Mini- 
sterratsttzung  in  Sofia  wurde  ein  neuer  Krieg 
daraus,  angesagt  zur  üblichen  Theaterstunde 

—  7  Uhr  abends  —  des  3.  Februar.  Dann 
sollte  es  wieder  ans  „Lokalisieren"  gehen. 
Nur  um  Gotteswillen  keinen  europäischen 
Krieg!  Sie  alle  hoffen,  wünschen,  beten,  daß 
es  zu  keinem  Brand  komme  —  als  ob  der 
von  Gott  weiß  wo  entzündet  werden  könnte, 

—  während  sie  es  doch  alle  selber  in  der 
eigenen  Hand  haben,  ihn  zu  entzünden  oder 
nicht. 


Kaiser  Franz  Josef  hat  durch  einen  Spezial- 
gesandten  ein  Handschreiben  an  Zar  Nikolaus 
geschickt.  Niemand  weiß,  was  drin  steht,  aber 
die  ganze  europäische  Presse  kommentiert  — 
und  wahrscheinlich  mit  Recht  — ,  daß  dies 
eine  Anbahnung  zu  freundschaftlicher  Be- 
ziehung zwischen  den  beiden  Kaiserreichen  und 
daher  zur  Verminderung  der  Konfliktsgefahr 
führen  wird.  Desto  besser,  wenn  dies  der 
Fall  ist.  Sowohl  der  Kaiser  von  Oesterreich, 
wie  der  Einberuf  er  der  Haager  Konferenz, 
sind  dem  Kriege  abhold  und  wenn  die  beiden 
direkt  miteinander  verhandeln  (nicht  durch 
ihre  Ministerräte),  so  wird  es  sein,  um  Ge- 
fahren zu  bahnen,  nicht  zu  schüren.  Aber 
so  erfreulich  diese  Tatsache  im  konkreten 
Fall  auch  wäre,  sie  würde  doch  wieder  zeigen, 
auf  wie  unsicherem  Boden  Glück  und  Leben 
der  Völker  stehen,  wenn  dies  davon  abhängen 
soll,  ob  zwei  Mächtige  freundlich  lächeln 
oder  die  Brauen   zusammenziehen. 

Immerhin,  freuen  wir  uns,  wenn  das  pazi- 
fistische Gift,  vor  welchem  gewisse  Vortrags- 


und Tägliche-Rundschau-Generale  ihre  Zeit- 
genossen so  eifrig  warnen,  auch  in  die  Re- 
gionen der  Mächtigen  dringt.  Ich  glaube,, 
die  drei  gegenwärtigen  europäischen  Kaiser 
würden  für  ihr  Leben  gern  einen  gesicherten 
Frieden  einsetzen.  Aber  als  Kriegsherren 
sind  sie  einigermaßen  die  Gefangenen  ihrer 
Kriegsheere.  Sie  können  nichts  tun,  was  dem 
Prestige,  was  der  Unentbehrlichkeit  des  Mili- 
tärs zuwider  wäre.  Und  doch,  wenn  sie  es 
wagten,  welche  Ruhmestat  in  den  Augen  künf- 
tiger   Historiker! 

MB 

Unterdessen  aber  hat  der  wiedererwachte 
militärische  Geist  erschreckende  Dimensionen 
angenommen.  Als  ob  es  keine  organisierte 
Friedensbewegung,  keine  interparlamentarische 
Union,  keinen  Haag  gäbe,  wird  wieder  das 
Eroberungsrecht  proklamiert;  wieder  die  Er- 
werbung von  Landfetzen  und  Steinhaufen  als 
das  höchste  Staatsinteresse  gepriesen  und  mit 
der  Geste  ,,La  Bourse  ou  la  vie"  rücksichtslos 
durchgesetzt;  wieder  gehört  „mit  Gottes 
Hilfe"  das  Hinmorden  von  Hunderttausenden 
zu  den  kulturfördernden  Glanzaktionen.  Wir 
müßten  verzweifeln,  wenn  wir  nicht  wüßten, 
daß  dies  nur  das  letzte  Aufflackern  einer 
zum  Erlöschen  bestimmten  Flamme  ist. 

Der  plötzliche  Regierungswechsel  in  de* 
armen  Türkei  hat  den  Friedensschluß,  der 
durch  die  Nachgiebigkeit  der  abgesetzten  Re- 
gierung schon  gesichert  war,  wieder  fraglich 
gemacht.  Und  nun  zeigte  sich  —  ganz  uner- 
warteterweise —  die  neue  Regierung  auch 
nachgiebig.  Bulgarien  hat  aber  deren  neue 
Antwort  auf  die  Note  der  Mächte  gar  nicht 
abgewartet,  sondern  den  Waffenstülstand  flugs 
gekündigt.  Mit  diesem  Nichtabwarten  hat 
Italien  Schule  gemacht.  Vermutlich  hat  der 
temperamentvolle  Ministerrat  in  Sofia  noch 
andere  Pläne.  Es  ist  ja  auch  schon  ver- 
kündet: Erhöhung  der  Kriegsentschädigung, 
die  Türkei  muß  doch  die  Kosten  der  durch 
ihre  „Hartnäckigkeit"  (sie  mag  nun  einmal 
nicht  ganz  tot  sein,  die  Eigensinnige)  ver- 
schuldeten Verlängerung  des  Krieges  zahlen. 
Ferner  wäre  der  Einmarsch  in  Konstantinopel 
auch    nicht    übel  .  .  . 

MB 

Wie  hat  sich  nun  eigentlich  die  Vermkt- 
lungsaktion  der  Mächte  erwiesen?  Vermitteln 
heißt  doch,  mit  gleicher  Gerechtigkeit  für 
beide  Parteien,  von  beiden  gleichwertige  Kon- 
zessionen zu  erreichen.  Madame  de  Stael  sagt 
irgendwo:  Die  Menschen  haben  den  Drang, 
dem  Stärkeren  zu  Hilfe  zu  eilen.  Scheint 
es  nicht,  daß  auch  die  Mächte  diesem  Dränge 
gefolgt  sind? 

MB 

Bulgarien  hat  eine  Neuerung  eingefühlt: 
es  dürfen  keine  Verlustlisten  eingeschickt 
werden.    Eine  militärische  Zeitschrift  bemerkte 


<*3 


DIE  FßlEDEN5-^&DTE 


;© 


hierzu:  „Vom  humanen  Standpunkt  mag  diese 
Maßregel  hart  erscheinen,  vom  rein  militäri- 
schen Standpunkt  ist  sie  jedoch  nützlich,  sie 
vermeidet  Gärung  in  der  Bevölkerung  und 
Demoralisierung  unter  den  Truppen."  Ganz 
richtig.  Zugegeben.  Aber  ist  damit  nicht 
wieder  einmal  der  Gegensatz  zwischen  human 
und  militärisch  unterstrichen  ? 


A  propos  von  Humanität:  Jetzt  sickern 
nach  und  nach  die  Berichte  über  die  Massa- 
kers heraus,  die  auf  dem  Balkan  verübt 
worden  sind:  Frauen  und  Kinder,  die  mit 
Petroleum  begossen  und  angezündet  werden; 
Leute,  die  man  mit  Bajonetten  in  die  Flam- 
men jagt  —  und  anderes  mehr.  Es  ist  zum 
Aufschreien.  Schämen  muß  man  sich,  Zeit- 
genosse zu  sein.  Freilich,  chauvinistische  Blät- 
ter benutzen  dies,  um  zu  beweisen,  was  die 
jeweiligen  Massakreure  für  Bestien  sind  und 
daß  ihr  ganzer  Stamm  ausgerottet  werden 
müsse.  Serbenfeindliche  Blätter  in  Oester- 
reich  z.  B.  schwelgen  in  solchen  Berichten, 
wenn  sie  von  Serben  handeln  und  folgern 
daraus,  daß  sie  immer  recht  hatten,  gegen 
Serbien  zu  hetzen.  Sie  vergessen,  daß  „Atro- 
citäten"  in  jedem  Kriege  vorkommen  und  von 
allen  Nationen  ausgeübt  worden  sind.  Haben 
im  Jahre  1900  die  Europäer  in  China  (um 
von  hunderten  nur  ein  Beispiel  anzuführen) 
nicht  die  Chinesen  an  den  Zöpfen  zusammen- 
gebunden und1  mit  den  Bajonetten  ins  Wasser 
gejagt?  Im  Kriege  sind  die  rohen  Instinkte 
der  Rohen  losgelassen  —  und  deren  gibt 
es  doch  unter  den  Massen  immer.  Und  bei 
den  Nichtrohen  kann  ein  Mordrausch,  ein 
Rachewahnsinn,  eine  Verzweiflungswut  aus- 
brechen. O,  über  diese  Höllenzustände,  die 
unsere  über  jeden  Humanitätsdusel  erhabenen 
„Realpolitiker"  sich  nicht  entschließen  kön- 
nen, aus  der  Welt  zu  schaffen ! 


In  Spanien  hat  sich  etwas  Sonderbares  ab- 
gespielt. König  Alfons  hat  Sozialdemokraten 
und  Republikaner  in  sein  Palais  berufen,  um 
sich  über  ihre  Ansichten  berichten  zu  lassen. 
Und  allerlei  liberale  Maßregeln  wurden  ein- 
geführt. Hat  wieder  einmal  ein  spanischer 
König  sich  sagen  lassen:  „Geben  Sie  Ge- 
dankenfreiheit, Sire"  ?  Und  wird,  zum  Unter- 
schied von  Philipp,  Alfonso  auf  seine  ver- 
schiedenen   Posas    hören  ? 


Die  seit  der  Balkankrise  eingetretene  Ver- 
mihtarisierung  in  Oesterreich  ist  erschreckend. 
Djas  neue  Militärleistungsgesetz  hat  die  Alters- 
grenze der  Pflichtigen  von  42  auf  50  Jahre 
.ausgedehnt,  und  dem  Militärkommando  sind 
eine  ganze  Reihe  von  neuen  Verfügungsrech- 
ten über  die  bürgerliche  Bevölkerung  und 
deren  Besitz  eingeräumt;  neue,  enorme  Mili- 
färfcrderungen    sind    angekündigt    und    schon 


wird  im  Abgeordnetenhause  ein  neuer  Finanz- 
plan mit  erhöhten  Steuern  durchberaten.  Die 
„Grenzsoldaten"  werden  noch  immer  nicht  zu- 
rückgerufen, es  werden  sogar  noch  immer  mit 
aller  Plötzlichkeit  Reserven  an  die  Grenze  be- 
ordert und  täglich  betragen  die  Kosten  dieser 
Bereithaltung  zwei  Millionen  Kronen.  Und 
was  das  Schlimmste  ist:  in  Offizierskreisen 
wird  der  kommende  Ausbruch  des  Krieges 
als  unvermeidlich,  als  bald  bevorstehend  und 
als  wünschenswert  proklamiert.  Gewisse  Blät- 
ter schüren  die  kriegerische  Stimmung  und  in 
den  vornehmen  Gesellschaftsschichten  wird 
diese  Gesinnung  als  patriotische  Pflicht  ge- 
hegt. Wären  nicht  auch  andere  Kräfte  und 
Einflüsse  am  Werk:  schon  längst  hätte  man 
„losgeschlagen".  Unser  Land  ist  dasjenige, 
in  welchem  die  pazifistische  Propaganda  am 
notwendigsten  wäre,  leider  aber  gegen  die 
größten  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  hat. 


Die  verschiedensten  Meldungen  von  Sie- 
gen und  Niederlagen  kommen  wieder  aus  den 
Balkanländern  herüber  —  Adrianopel  brennt, 
Heere  flüchten  .  .  .  kurz,  was  des  Jammers 
mehr  ist  und  was  man  so  Weltgeschichte 
nennt.  Man  weiß  nicht,  was  von  den  D«* 
peschen  und  Berichten  wahr  ist,  was  nicht. 
Soll  man  z.  B.  glauben,  was  der  Korrespon- 
dent der  Humanite  mitteilt,  daß  die  Ver- 
bündeten —  so  zwischen  durch  den  Metzeleien, 
Schändungen  und  Plünderungen  —  an  der 
türkischen  Bevölkerung  auch  Zwangs- 
taufen  vornehmen  ?  Warum  nicht  ?  Der 
finsterste  mittelalterliche  Geist  ist  ja  dort 
drüben   wieder   erwacht. 


Während  ich  diese  Chronik  zur  Post 
schicken  will  (8.  Februar),  kommt  die  Kunde 
von  dem  vorgeschlagenen  deutsch-englischen 
Marineabkommen.  Das  eröffnet  ganz  neue 
Perspektiven.  Es  ist  die  Betretung  einer  an- 
deren Bahn.  Eine  vom  Pazifismus  längst 
vorgezeichnete,  von  der  „Realpolitik"  aber 
bislang  hartnäckig  zurückgewiesene  Bahn.  Wir 
können  uns  des  Ereignisses  in  tiefer  Ergrif- 
fenheit freuen.  Viel  wird  zwar  von  gegneri- 
scher Seite  getan  werden,  um  den  Weg  durch 
Verdächtigungen  und  mit  sonstigen  Hinder- 
nissen zu  verrammeln  —  aber  die  Massen 
derer,  die  erst  an  eine  Sache  glauben  und  sie 
unterstützen,  wenn  sie  einmal  von  offizieller 
Seite  vorgeschlagen  ist,  werden  nun  mit  uns 
sein  und  nach  und  nach  die  Argumente  selber 
entdecken,  die  sie  so  lange  nicht  hören  wollten. 
Europa,  das  furchtbar  gärende,  steht  vor 
zwei  Alternativen:  vor  dem  tiefsten  Unheil, 
dem  Weltbrand,  oder  dem  höchsten  Heil,  die 
Einigung.  Durch  den  Schritt  der  Marineämter 
von  Deutschland  und  England  haben  sich  die 
Zeichen  gemehrt,  daß  das  Heil  obsiegen  will. 


«4 


@= 


=  DIE  FRI  EDENS  -WARTE 


PAZIFISTISCHE  CHRONIK 

Anfangs  Januar.  Die  Berliner  Handels- 
kammer richtet  an  eine  Reihe  englischer  Han- 
delskammern ein  Schreiben,  worin  sie  anerkennt, 
dass  die  aufklärende  Arbeit  in  England  und 
Deutschland  das  Gefühl  der  Kulturgemein- 
schaft gefestigt  habe. 

13.  Januar.  In  Heidelberg  tritt  ein  inter- 
nationaler Studentenverein  zum  erstenmalin  die 
Oeffentlichkeit. 

13.  Januar.  Der  Präsident  des  deutsch-englischen 
Verständigung skomitees,  Dr.  v.  Holleben,  in  Char- 
lottenburg f. 

Mitte  Januar.  In  Paris  werden  zwischen 
deutschen  und  französischen  Pazifisten  Vor- 
besprechungen über  die  Bildung  einer  deutsch- 
französischen Liga  gepflogen. 

Mitte  Januar.  In  Paris  tagen  die  seitens  der 
Interparlamentarischen  Union  eingesetzten 
Ausschüsse  für  die  Neutralisierung  der  Meerengen 
und  für  Neutralitätserklärung. 

16.  Januar.  Im  deutschen  Reichstag  sagt  der 
Abg.  Dr.  Hägy,  die  Elsass-Lothringer  wünschen 
die  endgültige  Sicherung  des  Weltfriedens. 
Der  Krieg  von  1870  sollte  der  letzte  sein. 

21.  Januar.  Senator  Root  tritt  im  ameri- 
kanischen Senat  für  die  schiedliche  Erledigung 
des  Panamastreites  ein. 

27.  Januar.  Festrede  des  deutschen  Botschafters 
Fürst  v.  Dichnowsky  in  London  zur  Geburtslags- 
feier des  Kaisers.  Hertorhebung  der  Gemeinschaft 
der  deutschen  und  englischen  Politik  zur  Er- 
haltung des  europäischen  Friedens. 

30.  Januar.  Vortrag  des  Prof.  Schultze-Gäver- 
nitz  in  Berlin  über  die  deutsch  englischen  Beziehungen. 
Feststellung  der  Ergebnislosigkeit  eines  Krieges 
für  beide  Teile,  der  Notwendigkeit  einer  Wirt- 
schaftsverständigung und  einer  Flotten-Kon- 
tingentierung. „Der  Abrüstungigedanke  insofern 
als  ein  gesunder  und  für  uns  annehmbarer  Gedanke 
anzuerkennen. 

30.  Januar.  Abbruch  der  Friedensverhandlungen 
zwischen  der  Türkei  und  dem  Balkanbund.  Kündigung 
des  Waffenstillstandes. 

1.  Februar.  Normann  Angell  tritt  eine  auf 
14  Tage  berechnete  Vortragstournee  durch  Deutsch- 
land an. 

1.  Februar.  In  Frankfurt  a.  M.  wird  nach  einem 
Vortrage  Normann  Angells  eine  Ortsgruppe  des 
„Verbandes   für  int.  Verständigung"  begründ  .. 

1.  Februar.  Zehnte  Jahresversammlung  der  ame- 
rikanischen Handelskammer  in  Berlin.  Aus- 
tauschpro fessnr  Sloane  bespricht  die  Sünden  der 
Presse  gegenüber  dem  Werke  der  Völker- 
verständigung. 

2.  Februar.  Prof.  Ruyssen  aus  Bordeaux 
spricht  neben  Prof.  Piloty  in  einer  vom  Verband  für 
int.  Verständigung  einberufenen  Versammlung  in 
Strassburg  über  ^Die  geistigen  Faktoren  der 
Annäherung". 

3.  Februar.     Wiederbeginn  des  Bal,kankriegis. 


5.  Februar.  Kaiser  Wilhelms  Rede  in  Kö- 
nigsberg: „An  Stelle  kriegerischer  Taten  ist  das 
segensreiche  Friedensieerk  getreten  .  .  .  Nicht 
kriegerische  Taten  .  .  .  sichern  im  letzten 
Ende  das  Schicksal  und  die  Zukunft  einet 
Volkes,  sondern  allein  die  sittliche  Kraft." 

7.  Februar.  In  der  Budgetkommission  des 
Reichstages  erklärt.  Staatsekretär  der  Marine, 
r.  Tirpitz,  dass  er  eine  Verständigung  mit 
England  über  die  Grösse  der  Flotte  im  Ver- 
hältnis von  10  zu  16  für  die  nächsten  Jahre 
für  annehmbar  halte. 


DAUS  DEB  ZEITQ 

Völkerrecht. 

Interparlamentarische  Union.  ::   ::  ::  ::  ::  "  ::  ::  ::  ::  :: 

Mitte  Januar  vereinigten  sich  zwei  von 
der  Interparlamentarischen  Union  eingesetzte 
Studienkommissionen.  Die  eine,  die 
sich  mit  der  Neutralisierung  der  Meerengen 
und  Kanäle  befaßte,  die  andere,  der  es  oblag, 
Gesichtspunkte  über  Neutralitätserklärungen 
festzustellen. 

Der  ersteren  Kommission  präsidierte  Lord 
Weardale.  Berichterstatter  war  Graf 
de  Penha  Garcia  (Portugal).  Es  nahmen 
ferner  daran  teil:  Grieg  (Norwegen),  Ko- 
w  a  1  e  w  s  k  i  (Rußland),  Manch  (  Dänemark) 
und  Baron  d'E  stournelles  de  Con- 
sta n  t  (Frankreich).  Der  Berichterstatter 
unterbreitete  eine  Zusammenfassung  der  all- 
gemeinen Diskussion,  die  sich  anläßlich 
zweier  früherer  Vereinigungen  der  Kommission 
in  den  Jahren  1911  und  1912  entwickelt  hatte. 
Diese  Zusammenfassung  wurde  neuerlich  ei*- 
örtert  und  im  wesentlichen  gebilligt.  Im  Hin- 
blick auf  die  Tatsache,  daß  gerade  mehrere 
Probleme,  die  der  Kommission  zuerteilt  sind, 
gegenwärtig  auf  der  Tagesordnung  der  inter- 
nationalen Politik  stehen,  so  die  Frage  der 
Dardanellen  und  der  Panamakanal- Abgaben,  be- 
schloß die  Kommission,  sich  darauf  zu  be- 
schränken, der  nächsten  Interparlamen- 
tarischen Konferenz,  die  sich  im  kommenden, 
September  im  Haag  vereinigen  wird,  einen  Vor- 
bericht  zu  unterbreiten.  Dieser  Bericht  wird 
die  Grundsätze  anführen,  die  nach  Ansicht  der 
Kommission  die  Materie  regeln  sollen.  Erst 
nach  einer  Erörterung  dieser  Grundsätze  durch 
die  Konferenz  selbst  wird  die  Kommission  an 
die  Pvedigierung  eines  Vertragsentwurfes  schrei- 
ten, der  den  Regierungen  unterbreitet  'werden 
kann. 

An  der  Kommission  für  Neutralitäts- 
erklärungen, die  von  Houzeau  de  Lehaie 
präsidiert  wurde,  und  bei  der  M  u  n  c  h  als 
Berichterstatter  fungierte,  nahmen  teil :  Fer- 
dinand iDreyfus  (Frankreich),  von 
Palmstjerna  (Schweden)  und'G  r  i  e  g  (Nor- 
wegen). Der  Generalsekretär  der  Union,  Herr 
Lange,   wohnte  beiden  Kommissionssitzungen 


65 


DIE  FBIEDENS-^&BTE  = 


■3 


bei.  Der  Berichterstatter  dieser  zweiten  Kom- 
mission unterbreitete  einen  internationalen 
Vertragsentwurf,  der  das  Verfahren  festsetzt, 
nach  welchem  ein  Staat,  der  den  Wunsch  hat,- 
jedem  bewaffneten  Konflikt  fern  zu  bleiben, 
sich  für  ständig  neutral  erklären  könnte.  Der 
Entwurf  setzt  die  Pflicht  der  anderen  Staaten 
zur  Beachtung  dieser  Neutralität  fest,  indem 
er  jedoch  dem  neutralen  Staat  das  Recht  läßt, 
unter  Umständen  durch  G-ewalt  jeden  Angriff 
auf  seine  Neutralität  zurückzuweisen.  Er  sieht 
für  den  Fall  des  Vertragsbruches  gemeinsame 
Maßnahmen  der  Vertragsstaaten  und,  im  Fall 
der  Meinungsverschiedenheiten  über  die  Aus- 
legung und  Anwendung  des  Abkommens,  die 
Anrufung   des    Haager   Hofes   vor. 

Alle  diese  Entwürfe  werden  der  nächsten 
Interparlamentarischen  Konferenz  vorgelegt 
worden. 

Die  Mitglieder  der  beiden  Kommissionen 
wurden  während  ihres  Pariser  Aufenthaltes 
vom  Senatspräsidenten  Diibost  und  von  dem 
damaligen  Ministerpräsidenten  Poincare 
empfangen.  Während  der  Unterhaltung  mit  den 
Kommissionsmitgliedern  drückte  der  letztere 
diesen  das  große  Interesse  aus,  das  er 
für  ihre  Arbeiten  und  für  die  Ge- 
samttätigkeit der  Union  hege. 

ftttt 

Rüstungsproblem. 
Kein  Geld  für  Kulturnotwendigkeiten!  ::  ::  :: 

Das  Telephon  ist  ein  Verkehrsmittel, 
auf  dessen  Erfindung  unsere  Zeit  mit  Recht 
besonders  stolz  ist.  Es  ist  heute  für  Hun- 
derttausende in  jedem  Lande  das  unentbehr- 
lichste Verkehrsmittel  geworden.  Ein  Ge- 
schäfts-, Zeit'ungs-,  Industriebetrieb,  die 
öffentliche  Sicherheit  und  Gesundheits- 
pflege können  das  Telephon  heute  nicht  eine 
Stunde  mehr  entbehren.  Da  das  Telephon- 
wesen in  den  meisten  Staaten  der  freien 
Konkurrenz  entzogen  ist,  und  zum  Monopol 
gemacht  wurde,  ist  es  selbstverständlich,  daß 
jeder  Staat  im  Interesse  des  öffentlichen 
Wohlstandes  dafür  sorgt,  daß  dieses  un- 
geheure Bedürfnis  ohne  die  geringste  Hem- 
mung  befriedigt   wird. 

Demgegenüber  wird  es  von  internatio- 
nalem Interesse  sein,  zu  erfahren,  daß  man 
in  Oesterreich  in  der  Regel  jahre- 
lang  warten  muß,  bis  man  einen 
Telephonanschluß  gelegt  erhält 
Der  Staat,  der  Milliarden  für  Rüstungen  aus- 
gibt, vermag  seit  vielen  Jahren  die  geringen 
Mittel  nicht  flüssig  zu  machen,  um  dem 
Telephonbedürfnis  z.  B.  in  Wien  zu  ge- 
nügen. In  der  gesamten  zivilisierten  Welt 
kann  ein  Interessent  innerhalb  24  Stunden 
einen  Telephonanschluß  eingerichtet  be- 
kommen,   in    Oesterreich,    wo    man    Dread- 


66 


noughts  auf  Vorrat  baut,  muß  man*  jahrelang 
auf  einen  Anschluß  warten,  wenn  es  einem 
nicht  gelingt,  von  einem  glücklichen,  Be- 
sitzer eines  Telephons  dieses  geg&a.  hohe 
Entschädigung  abzukaufen.  Ein  Blick 
in  die  kleinen  Anzeigen  der  Wiener  Tages- 
presse liefert  Dokumente  für  diesen  Zwi- 
schenhandel mit  Telephonanschlüssen  und 
für  diese  Verkehrsschande.  Zur  Bekämpfung 
dieser  unerhörten  Unterlassungen  hat  sich 
in  Wien  ein  Verein  gegründet,  der  soeben 
folgende  Feststellungen  in  der  Tagespresse 
veröffentlicht : 

„In  Wien  sind  1500  Außenleitungen 
schon  länge  reZeit  fertiggestellt. 
Diese  Stationen  können  nur  deshalb 
nicht  montiert  werden,  weil  in  dem 
staatlichen  Telephongroßbetrieb  absolut 
kein  Apparat  vorhanden  ist.  Wenn  er- 
wogen wird,  daß  ein  Apparat  kaum  hundert 
Kronen  kostet,  demnach  die  Anschaffung  der 
Apparate  für  1500  Einzelanschlüsse  eine 
Ausgabe  von  nur  150000  Kronen  ver- 
ursachen würde  und  daß  dagegen  für  diese 
1500  Anschlüsse  allein  schon  in  einem 
Jahre  375  000  KronenAbonnements- 
gebühren  eingenommen  werden 
könnten,  so  wird  dadurch  klar,  welch 
großen  Schaden  die  geschilderte  Unter- 
lassung nicht  nur  den  Anmeldern,  die  seit 
Jahren  der  von  ihnen  angemeldeten  Tele- 
phone harren,  sondern  auch  dem  Telephonärar 
Verursacht.  Zu  weiteren  1500  gleichfalls 
schon  seit  Jahren  angemeldeten  Tele- 
phonen sind  noch  nicht  einmal  die  Lei- 
tungen gelegt  worden." 

Es  ist  wahrhaftig  haarsträubend, 
wenn  man  sieht,  wie  bagatellenmäßig  und 
rücksichtslos  in  einem  Staate,  der  mit  so 
ungeheurem  Nachdruck  für  sein  Prestige 
und  seine  Großmachtstellung  eintritt,  Be- 
dürfnisse der  Allgemeinheit  behandelt 
werden,  wenn  diese  nicht  auch  in  Militär- 
forderungen bestehen.  — 

Man  hat  einfach  kein  Geld  für  solche 
unwichtigen  Dinge! 

'tust 

Friedrich  Naumann  über  den  Zusammenhang  zwischen 
Rüstungsfrage  und  Schiedsgerichtsbarkeit. 

Nach  einem  mir  zugehenden  Berichte  soll 
Naumann  am  13.  Januar  in  einem  Vortrage 
über  „Liberalismus  und  Weltpolitik"  seine 
Ueberzeugung  von  der  nahenden  Weltorgani- 
sation ausgesprochen,  dabei  aber  auch  folgendes 
geäußert  haben: 

„Wonach  soll  ein  Schiedsgericht  das 
Urteil  fällen?  Nach  Billigkeit?  Darunter  rer- 
steht  jeder  etwas  anderes.  Nach  „Recht"?  Wo 
aber  liegt   z.   B.  das   Recht  in   der  Frage,   ob 


@s 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


Adrianopel  der  Türkei  oder  dem  Balkanbunde 
gebührt?  Dieses  „Recht"  ist  eben  vielfacli 
heutzutage  gleichzeitig  eine  Frage  der  in 
den  Rüstungen  angedeuteten,  symbolisierten 
Machtstärke  der  sich  um  irgendein  Recht 
streitenden  Regierungen.  Ergo  mündet 
auch  das  Schiedsproblem  letzten 
Endes  wieder  in  die  Frage:  auf 
welcher  Seite  liegt  die  größere 
Machtanhäufung,  woraus  folgt,  daß  die 
Rüstungen  keineswegs  fortgeworfenes  Geld 
sind." 

Hat,  Naumann  diese  oder  ähnliche  Worte 
wirklich  gesagt,  dann  haben  wir  ein  Schul- 
beispiel dafür,  wie  politische  Kreise  über  das 
Schiedsgerichtsproblem  unterrichtet  sind. 

Der  große  Fehler,  den  Naumann  hier  macht, 
besteht  darin,  das  Schiedsgerichtsproblem  als 
ein  Allheilmittel  zur  friedlichen  Erledigung  von 
Streitigkeiten  zu  betrachten.  Nach  meiner 
festen  Ueberzeugung,  die  ich  am  ausführlich- 
sten in  Nr.  1  des  „American'  Journal  of  inter- 
national law"  (1913,  Nr.  1)  begründet  habe, 
kann  nach  dem  heutigen  Stande  des  Völker- 
rechts die  Schiedsgerichtsbarkeit  für  solche 
Fragen  nicht  in  Betracht  kommen,  die  Lebens- 
interessen der  Völker  berühren.  Das  folgt 
aus  der  juristischen  Konstruktion  der  Schieds- 
gerichtsbarkeit. Mit  dem  Schiedsverträge  unter- 
werfen sich  die  Parteien  jedem,  auch  dem 
ungünstigsten  Spruche  des  Schiedsgerichts. 
Gehen  also  die  Parteien  nach  dem  Haag,  dann 
erklären  sie  feierlich:  Wir  werden  jedes  Urteil, 
wenn  es  formell  rechtmäßig  ergangen,  erfüllen, 
selbst  wenn  einer  von  uns  mit  jedem  An- 
sprüche abgewiesen  werden  sollte.  Kann  sich 
aber  ein  Staat  in  einer  Lebensfrage  hierzu  ver- 
pflichten? Eine  Lebensfrage  ist  eine  solche 
Frage,  die  die  Existenz  des  Staates  angeht. 
Bei  solchen  Fragen  ist  also  begrifflich  die 
Existenz  des  Staates  gefährdet,  wenn  nicht 
mindestens  ein  Teil  seiner  Forderungen  erfüllt 
wird.  Seine  Existenzi  kann  nun  ein  Staat  selbst 
zugunsten  der  Völkerrechtsgemeinschaft  nicht 
aufs  Spiel  setzen.  Also  darf  er  nur  dann  seine 
Forderung  vor  ein  Schiedsgericht  bringen,  wenn 
mindestens  ein  Teil  dieser  Forderungen  vom 
Schiedsgerichte  als  recht  anerkannt  würde.  Da 
er  sich  aber  durch  den  Schiedsvertrag  von 
vornherein  auch  mit  der  evtl.  völligen  Ab- 
weisung seiner  Forderungen  einverstanden  er- 
klären muß,  so  ergibt  sich  die  Unmöglichkeit 
einer  schiedsrichterlichen  Erledigung  von 
T^ebensfragen. 

Lebensfragen  können  und  sollen  diplo- 
matisch beigelegt  werden.  Für  schiedsrichter- 
liche Erledigung  sind  sie  noch  nicht  geeignet. 
Daß  in  der  Zeit  der  noch  nicht  vollendeten 
Organisation  der  Welt  die  Machtmittel,  die  ein 
Staat  einwerfen  kann,  bei  der  diplomatischen 
Lösung  der  Frage  eine  Rolle  spielen,  mag 
richtig  sein.  Für  das  Schiedsgerichtsproblem 
aber  haben  die  Rüstungen  gar  keine  Be- 
deutung. 


Es  ist  somit  ein  völliges  Mißverstehen 
der  wahren  Ziele  der  Schiedsgerichtsbarkeit, 
wenn  Naumann  meint,  das  Schiedsproblem 
münde  in  die  Frage,  auf  welcher  Seite  die 
größere  Machtanhäufung  sei.  Glaubt  Naumann 
etwa,  ein  einziger  Schiedsrichter  im  Haag 
habe  bei  der  Lösung  irgendeiner  Frage  die 
Machtmittel  der  Staaten  gegeneinander  ab- 
gewogen ? 

Vielleicht  ist  doch  die  Mahnung'  am 
Platze,  daß  sich  unsere  Politiker  mehr-  als 
bisher  mit  völkerrechtlichen  Dingen  befassen. 
Ob  Naumann  wohl  je  die  beiden  Bände  des 
„Werks  vom  Haag"  gelesen  hat?  Wir  haben 
längst  die  Hoffnung  aufgegeben,  daß  sich 
Keim  und  Genossen  einmal  das  Problem  der 
Schiedsgerichtsbarkeit  klar  machen.  Von  un- 
seren berufenen  Politikern  aber  dürfen  wir  etwas 
größere  Kenntnisse  auf  dem  Gebiete  der  Schieds- 
gerichtsbarkeit voraussetzen.  Dr.   H   W. 


Verschiedenes. 

Die  Greuel  des  Balkankrieges.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  S  ::  :: 

Dieses  unerschöpfliche  Thema  ist  neuer- 
dings sogar  Gegenstand  der  Debatte  in  einigen 
Parlamenten  gewesen.  Der  „P  o  s  t"  werden  am 
6.  Januar  aus  Saloniki  Einzelheiten  mit- 
geteilt, die  geradezu  entsetzliche  Szenen  dar- 
stellen: Plünderung,  Blutbad,  Vergewaltigung 
von  Mädchen  und  Frauen  durch  bulgarisch« 
Banden  .  .  .  Im  Dorfe  Pedro  wo  wurde  ein 
junges  Mädchen  vor  den  Augen  seiner  Mutter 
vergewaltigt;  diese  ergreift  eine  Flinte  und 
schießt,  darauf  werden  zahlreiche  Frauen  und 
Mädchen  in  das  Cafe  des  Dorfes  eingeschlossen, 
das  Gebäude  wird  angezündet,  und  alle  kommen 
in  den  Flammen  um.  In  einem  anderen  Dorf© 
wurden  alle  Bewohner,  Männer,  Frauen  und 
Kinder,  durch  die  Banden  niedergemetzelt. 
Dem  türkischen  Dorfe  Eschekli  ging  es 
ebenso;  13  junge  Mädchen  begrub  man 
dort  lebendig,  nachdem  man  sie  ver- 
gewaltigt hatte. 

Man  könnte  die  Beispiele  leicht  durch  Be- 
richte aus  deutschen,  österreichischen,  englischen, 
ja,  selbst  amerikanischen  Zeitungen  vermehren; 
so  teilt  z.  B.  die  „V  o  s  s  i  s  c  h  e  Z  t  g."  vom 
23.  Januar  weitere  Greuel  aus  Dedeagatsch, 
Kavalla,  Drama  und  anderen  Orten  mit, 
so  daß  man  also  keineswegs  von  unzulässiger 
Verallgemeinerung  sprechen  kann.  Diese  Dinge 
bleiben  ein  unauslöschlicher  Schandfleck  für 
die  Zivilisation  des  20.  Jahrhunderts  und  zeigen 
wieder  so  recht  deutlich  die  „veredelnde  Wir- 
kung" der  Kriegsinstitution.  Die  „D  eutsch- 
asiatische  Korres  p."  vom  12.  Januar 
teilte  den  Text  einer  an  den  deutschen  Kaiser 
gerichteten  Bittschrift  aus  Kon- 
stantinopel mit,  worin  es  heißt:  „.  .  .  Die- 
ses Schlachten  nimmt  (trotz  des  Waffen- 
stillstandes) einen  so  großen  Umfang  an,  daß 
auch  die  ruhigsten  Gemüter  ein  Entsetzen 
ergreift  .  .  .    Wir  erleben  die  völlige  Aus- 


*7 


DIE  FßlEDEN5->\^ßTE 


3 


rottting  aller  Mohammedaner  in 
Mazedonien."  Die  „Nordd.  Allg.  Ztg." 
vom  12.  Januar  muß  notgedrungen  diese  Greuel- 
taten zugestehen,  beruft  sich  aber  auf  einen 
Armeebefehl  des  bulgarischen  Generals  Sa  wo  w 
vom  17.  Dezember,  der  schärfste  Maßregeln 
gegen  solche  A^erfehlungen  androht  und  die- 
selben mit  nachdrücklichen  Worten  brand- 
markt. Nur  daß  leider  von  gutgemeinten  Worten 
die  schuldlos  Hingemarterten  nicht  wieder 
lebendig  werden !  Bedauerlich  bleibt  es  auch 
—  Worauf  in  der  „B  r  e  s  1.  Z  t  g."  vom  25.  Januar 
Dr.  Paul  Hamburger  hinweist  — ,  daß  in  der 
Antwort,  die  der  Regierungsvertreter  am 
24.  Januar  im  Reichstag  auf  die  Ledeboursche 
Anfrage  erteilte,  kein  Wort  des  Bedauerns  für 
diese.  „Uebergriffe"  (welch'  zarter,  schonender 
Ausdruck !)  vorkam.  Was  ist  denn  geschehen, 
um  diesen  Banden  und  teilweise  auch  regulären 
Truppen  das  Handwerk  zu  legen?  Hat  man 
die  Metzeleien  nicht  stillschweigend  oder  sogar 
wohlwollend  geduldet?  Man  mußte  wohl,  weil 
man  eben  den   Krieg  duldete.       O.    Seh  w. 


Deulschland-Efigland.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ;:  :;  ::  :: 
Die  Berliner  Handelskammer 
richtete  anfangs  Januar  an  eine  Reihe  eng- 
lischer Handelskammern  das  nachstehende 
Schreiben : 

„Bei  Beginn  des  vorigen  Jahres  haben 
Sie  uns  in  einem  Schreiben  von  einem  Beschluß 
Ihrer  Kammer  Kenntnis  gegeben,  es  möge  dahin 
gewirkt  werden,  daß  die  Beziehungen  zwischen 
Großbritannien  und  Deutschland  sich  möglichst 
freundschaftlich  gestalteten.  Ein  Jahr  ist 
seitdem  vergangen,  das  an  politischen  Be- 
unruhigungen reich  war  und  manche  Störungen 
des  Weltfriedens  mit  sich  gebracht  hat,  die  wir 
im  Interesse  der  Humanität  und  der  wirtschaft- 
lichen Entwicklung  lebhaft  bedauert  haben. 
Wenn  nach  Zeiten  der  bangen  Sorge  beim  Jahres- 
wechsel gehofft  werden  darf,  daß  den  großen 
Völkern  Europas  neue  unabsehbare  Verwick- 
lungen erspart  bleiben  möchten,  so  ist  das  in 
erster  Reihe  dem  festen  Willen  zu  verdanken, 
der  in  den  maßgebenden  Staaten  die  Re- 
gierungen mit  der  weit  überwiegenden  Mehr- 
heit der  Bevölkerung  zu  dem  Streben  vereint 
hat,  es  dürfte  der  Kriegszerrüttung  kein  weiterer 
Spielraum  gewährt  werden.  Wir  begrüßen  dies 
Gefühl  der  gemeinsamen,  kulturellen  Aufgabe, 
das  die  Völker  Europas  in  wachsendem  Maße 
durchdringt.  Nichts  hat  u.  E.  stärker 
zu  seiner  Festigung  beigetragen 
als  die  aufklärende  Arbeit,  die 
den  Gegensatz-  zwischen  dem  deut- 
schen und  englischen  Volke  aus- 
zugleichen bemüht  war.  Deshalb 
wollen  wir  den  Jahresbeginn  nicht  vorüber- 
gehen lassen,  ohne  Ihnen  zum,  Ausdruck  zu 
bringen,  wie  sehr  es  uns  erfreut,  daß  Ihre 
Bemühungen  Erfolg  und  die  Anschauungen, 
denen  Sie  im  vorigen  Januar  Ausdruck  ver- 
liehen,   weite   Geltung  gefunden   haben.     Damit 


Verbinden  wir  die  Versicherung,  daß  allen 
einsichtigen  Gewerbetreibenden  unseres  Bezirks 
keine  politische  Hoffnung  näher 
am  Herzen  liegt,  als  die,  es  möge  gelingen, 
das  Einvernehmen  zwischen  unseren  beiden 
Länderen  so  nahe  und  sicher  wie)  mög- 
lich  zu    begründen." 

An  des  Kaisers  Geburtstag  hielt  der  neue 
deutsche  Botschafter  in  London,  Fürst 
Lichnowsky,  anläßlich  der  von  der  deut- 
schen Kolonie  im  Hotel  Cecil  veranstalteten 
Festfeier  eine  Rede,  in  der  er  auf  die  Ge- 
meinschaft der  englischen  Und  deutschen  Politik 
in  der  Bemühung  um  Erhaltung  des  europä- 
ischen Friedens  hinwies.  Er  schließt  mit  folgen- 
den   verheißungsvollen    Worten : 

„Wenn  Deutschland  und  Großbritannien 
sich  verstehen  und  sich  vertragen,  und  w  e  n  n 
sie  entschlossen  sind,  die  un- 
gestörte Arbeit  bürgerlicher  Ent- 
wicklung zu  erhalten,  so  meine  ich, 
daß  wir  mit  Vertrauen  allen  Weoh- 
selfällen  der  Zukunft  entgegen- 
sehen   können." 

Professor  v.  S  c  h  u  1 1  z  e  -  G  a  e  v  e  r  n  i  t  z 
aus  Freiburg  hielt  am  30.  Januar  im  Verein 
der  Kaufleute  und  Industriellen  in  Berlin  einen 
Vortrag  über  die  deutsch-englischen  Be- 
ziehungen, aus  dem  wir  hier  einige  bemerkens- 
werte Gesichtspunkte  festhalten  wollen.  Der 
Vortragende  wies  klipp  und  klar  auf  die  Er- 
gebnislosigkeit eines  Krieges  zwischen 
England  und  Deutschland  für  beide  Teile 
hin    und    bemerkte    hierzu : 

„Daher  seien  denn  auch  in  England  schon 
ernsthafte  Stimmen  zu  hören,  die  auf  eine 
wirkliche  Wirtsc  hafts  Verständi- 
gung zwischen  beiden  Ländertn  als  auf  die 
vernünftigste  Lösung  des  Problems  hinweisen. 
Allerdings  dürfte  ein  solches  Bündnis  auf 
unserer  Seite  nicht  den  Charakter  der  Ab- 
hängigkeit haben,  es  müßte  vielmehr  ein 
Friedensbündnis  auf  kriegsstarker  Basis  sein. 
Deutschland  könne  die  maritimen  Ver- 
teidigungsmöglichkeiten nicht  entbehren. 
Eine  feste  Flottenkontingen- 
tierung auf  beiden  Seiten  würde 
die  Gewähr  für  ein  friedliches 
Verhältnis  bieten.  Insofern  sei  der 
Abrüstungsgedanke  als  ein  ge- 
sunder und  für  uns  annehmbarer 
Gedanke  anzuerkennen.  Es  sei  nur  natür- 
lich, daß  die  beiden  stärksten  Großmächte 
sich  zusammentun,  um  bestimmend  in  die  Welt- 
politik einzugreifen.  Namhafte  englische  Schrift- 
steller und  Politiker  wirkten  auch  schon  in 
diesem    Sinne,    und   zwar   nicht   ohne    Erfolg." 

tust 
Elsaß-Lothringen  im  Deutschen  Reichstage   ::       ::  :: 

Bei  der  Erörterung  des  Etats  des  Reichs- 
amts des  Innern  in  der  Reichstagssitzumg  vom 
16.  Januar  kam  der  Elsässer  Dr.  H ä g  y  auf 
die  elsaß-lothringische  Angelegenheit  zu 
sprechen.  Er  sagte  nach  dem  stenographischen 
Sitzungsbericht   folgendes : 


OS 


<s= 


DIE  FRI  EDENS -^V&BXE 


„Wenn  unsere  Freunde  in  dem  Bestreben, 
mit  Frankreich  freundnachbarliche  Beziehungen 
anzubahnen,  französischen  Boden  betreten,  so 
tun  sie  dasselbe,  was  Deutsche  in  England  tun. 
Man  kann  es  ihnen,  nicht  verargen,  wenn  sie 
die  auf  zweihundertjähriger  Tradition  be- 
ruhenden familiären  und  gesellschaftlichen  Be- 
ziehungen zu  Frankreich  aufrechterhalten.  Die 
Elsaß-Lothringer  möchten  damit  lediglich  die 
endgültige  Sicherung  des  Welt- 
friedens fördern.  Meine  Freunde  als 
überzeugte  Pazifisten,  denen  der 
Friede  über  alles  teuer  ist,  bedauern  auf  das 
lebhafteste,  daß  die  sogenannte  elsaß-loth- 
ringische  Frage  immer  wieder  als  bedrohliches 
Gespenst  am  politischen  Himmel  auftaucht. 
Der  Krieg  von  1870  sollte  der  letzte 
sein,  der  auf  dem  Boden  unseres  Heimat- 
landes in  den  Gefilden  geführt  worden  ist, 
die  mit  dem  Blute  zweier  Völker  getränkt  sind, 
die  dazu  geschaffen  sind,  in  fried- 
lichem Wetteifer  an  den  Werken 
der  Kultur,  des  Fortschritts  und 
der  Zivilisation  mitzuarbeiten. 
Alle  den  Frieden  störenden  Tendenzen,  alle 
Revanchegelüste  stoßen  bei  uns  auf  die 
schroffste   Abwehr." 


Zunahme  der  internationalen  Korrespondenz.  ::    :: 

Nach  einer  Feststellung  des  Direktors  der 
britischen  Postverwaltung,  Sir  Alexander 
King,  betrug  die  Anzahl  der  von  Groß- 
Britannien  nach  anderen  Ländern  versandten 
Briefe  im  Jahre  1887  49  714  000  und  im  Jahre 
1911    167  000  000.     Davon   entfielen: 

im  Jahre  1887        im  Jahre  1911 
auf  Frankreich    .     9  600  000  16  000  000 

*    Deutschland  .     8  000  000  16  000  000 

„    Italien   ...     1  900  000  3  800  000 


&\JS  DEß  BEWEGUNG 

Kongreß-Kalendarium.  ::      ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

1. — 3.  Mai :  IV.  amerikanischer  National- 
friedenskongreß in  St.  Louis. 

11. — 12.  Mai :  VIII.  französischer  National- 
friedenskongreß  in   Paris. 

14.— 16.  Mai:  XIX.  Lake  -  Mohonk  -  Kon- 
ferenz. 

Mitte  Mai:  IL  Verbandstag  des  Verbandes 
der  Internationalen  Studentenvereine  Deutsch- 
lands in  Leipzig. 

10. — 13.  Juni:  IX.  englischer  National- 
friedenskongreß in  Leeds. 

29.  Aug.  bis  13.  Sept.:  VIII.  Weltkongreß 
der  Studentenverbände  (Corda  Fratres)  in 
Ithaca,  New  York. 

August :  XX.  Weltfriedenskongreß  im  Haag. 

September:  XVIII.  Interparlamentarische 
Konferenz    im    Haag. 


Den  Beer  Poortugael  f.        ::  ::   ::  ::  ::  ::  ::  ::   :: :: 

Der  im  81.  Lebensjahre  am  30.  Januar 
1912  im  Haag*  verstorbene  Generalleutnant 
den  Beer  Poortugael  war  eine  in  vielfacher 
Hinsicht  hochinteressante  Persönlichkeit.  Als 
Offizier  machte  er  namentlich  dadurch  eine 
glänzende  Karriere,  daß  er  das  moderne  Kriegs- 
recht außerordentlich  beherrschte  und  deshalb 
früh  in  den  Generalstab  berufen  wurde.  1879 
war  er  auch  ein  halbes  Jahr  Kriegsminister. 
1874  wurde  er  Sekretär  der  holländischen  Ge- 
sandtschaft zur  Brüsseler  Konferenz  über  die 
Gesetze  und  Gebräuche  des  Landkrieges.  Er 
dürfte  der  letzte  Teilnehmer  dieser  denk- 
würdigen Versammlung  sein.  Am  meisten  be- 
kannt wurde  den  Beer  Poortugael  durch  sein 
großartiges  Auftreten  auf  der  ersten  Haager 
Konferenz  zugunsten  des  russischen  Rüstungs- 
vorschlages. Seine  Worte,  daß  die  Staaten 
sich  durch  die  großen  Rüstungen  mehr  und 
mehr  ruinierten,  erregten  Aufsehen,  und  sogar 
Bertha  v.  Suttner  schrieb  darüber  in  ihre  Tage- 
buchblätter: „Merkwürdige  Worte  jedenfalls  im 
Munde  eines  Generals !"  Auf  der  zweiten  Haager 
Konferenz  arbeitete  er  lediglich  in  den  kriegs- 
rechtlichen Kommissionen  mit.  Auch  auf  der 
Genfer  Konferenz  von  1906  vertrat  er  Holland 
als  erster  Bevollmächtigter.  Man  hat  vielfach 
über  den  friedensfreundlichen  General  sich 
lustig  zu  machen  gesucht.  Aber  eine  spätere 
Zeit  wird  seinem  großen  Streben  noch 
Gerechtigkeit  widerfahren  lassen.  Wie  fort- 
schrittlich den  Beer  Poortugael  war,  geht  dar- 
aus hervor,  daß  er  mir  gegenüber  wiederholt 
sein  Bedauern  über  die  vorsichtige  Haltung 
Assers  in  der  Frage  der  obligatorischen  Schieds- 
gerichtsbarkeit auf  der  zweiten  Haager  Kon- 
ferenz aussprach. 

Das  letzte  Werk  Poortugaels  „Le  droit  des 
gens  en  marche  vers  la  paix"  war  in  keiner 
Weise  hervorstechend.  Wissenschaftlich  hoch 
stehen  dagegen  die  zahlreichen  kriegsrecht- 
lichen Werke  sowie  seine  Aufsätze  in  den 
Tageszeitungen.  Ganz  ausgezeichnet  ist  sein 
Artikel  über  die  zweite  Haager  Konferenz  in 
„Onze  Eeuw".  Die  schöne  Begeisterung,  die 
den  Beer  Poortugael  beseelte,  sein  hoher 
Idealismus  treten  in  diesem  Werke  deutlich 
hervor.  Wegen  seiner  wissenschaftlichen  Be- 
deutung wurde  Poortugael  Mitglied  und  später 
Ehrenmitglied  des  Instituts  für  Völkerrecht. 
Er  war  der  einzige,  der  vor  1899  jemals  in 
diesem  Institute  einen  ständigen  Schiedshof 
befürwortete. 

Als  ich  ihn  im  vorigen  Jahre  um  einen 
Aufsatz  für  die  „Friedens-Warte"  bat,  schrieb 
den  Beer  Poortugael:  „Ich  bin  ein  schlechter 
Journalist.  Ich  kann  nur  schreiben,  wenn 
mich  ein  Gegenstand  direkt  überwältigt  hat. 
Ich  nehme  nur  die  Feder  zur  Hand,  wenn  eine 
innere  Kraft  mich  begeistert  und  antreibt. 
Aber  von  dem  Augenblicke  an,  wo  ich  be- 
ginne, treibt  es  mich  vorwärts,  und  keine 
Pause  entsteht  mehr.  Darum  ist  solch  eine 
Arbeit  ein  Teil  meiner  selbst,  meines   Herzens 


69 


DIEFßlEDENS-^&RTE 


:3 


und  meiner  Seele.  Da  ich  nun  gerade  mein 
letztes  Buch  „Le  droit  des  gens  en  marche 
vers  la  paix"  vollendet  habe,  so  habe  ich  alle 
Gedanken  hineingelegt,  und  ich  habe  jetzt 
nichts  Neues  zu  sagen.  Aber  ich  fühle  viel 
zu  sehr  Sympathie  für  Herrn  Fried  und  seinem 
Werke,  als  daß  ich  die  Bitte,  einen  Aufsatz 
für  ihn  zu  schreiben,  zurückweisen  könnte. 
Sobald  es  mir  möglich  ist,  werde  ich  Ihnen 
den  Aufsatz  schicken."  Sechs  Tage  später 
sandte  Poortugael  bereits  den  Aufsatz,  der 
unter  dem  Titel  „Dardanellenstreitigkeiten"  im 
Junihefte  1912  der  „Friedens-Warte"  er- 
schienen ist.  Dr.  Hans  Wehberg. 


Die  Entwicklung  der  internationalen 
Studentenvereine    in    Deutschland. 

Erst  im  Jahre  1911  wurde  die  „Cos- 
mopolitan-Club-Bewegung",  die  in  Amerika  so 
großen  Umfang  angenommen  hat,  durch  die 
Gründung  des  ersten  internationalen  Studenten- 
vereins an  der  Berliner  Universität  nach 
Deutschland  übertragen.  Heute  bestehen  bereits 
neben  Berlin  an  den  Universitäten  in  Bonn, 
Göttingen,  Heidelberg,  Leipzig 
und  München  solche  Vereine.  An  anderen 
Universitäten  Deutschlands  und  Oesterreichs 
(Freiburg,  Innsbruck)  sind  solche  in  Vor- 
bereitung. Die  Vereine  sind  in  einem  „Ver- 
band der  internationalen  Studentenvereine  an 
deutschen  Hochschulen"  organisiert,  der  im 
vorigen  Jahre  seinen  ersten  Verbandstag  in 
Göttingen  abhielt  und  in  diesem  Jahre  den 
zweiten  in  Leipzig  abhalten  wird.  Die  deut- 
schen internationalen  Studentenvereine  werden 
auch  an  der  im  Sommer  dieses  Jahres  in 
Ithaca  im  Staate  New  York  ins  Auge  gefaßten 
VIII.  internationalen  Konferenz  der  Studenten- 
vereine beteiligt  sein.  Der  „Verband"  gibt 
soeben  die  erste  Nummer  seiner  Zeitschrift 
„Vaterland  und  Welt"  heraus,  sowie  das  Mit- 
gliederverzeichnis für  das  Wintersemester 
1912/13,  das  Zeugnis  gibt  für  die  rege  Be- 
teiligung der  Studenten  wie  für  die  fördernde 
Teilnahme  der  Professoren.  Ebenso  veröffent- 
lichte der  „Verband"  einen  „Offenen  Brief 
Norman  Angells  an  den  Verband  für  inter- 
nationale Verständigung  und  den  Verband  der 
internationalen  Studentenvereine  an  deutschen 
Hochschulen"  als  Broschüre,  die  viel  wert- 
volles Propagandamaterial  enthält.  Als  eine 
der  Veranstaltungen  des  Verbandes  ist  die  Rund- 
reise zu  bezeichnen,  die  soeben  (zwischen  dem 
1.  bis  14.  Februar)  Norman  Angell  durch 
Deutschland  unternommen  hat.  Die  jüngste 
Ortsgruppe  bildet  der  am  16.  Dezember  in 
Heidelberg  begründete  internationale  Studenten- 
verein, der  sich  in  Anlehnung  an  eine  aus  dem 
18.  Jahrhundert  stammende  Gründung  „Nobiles 
Academici"   bezeichnet. 

Die  Vereine  entwickeln  an  allen  Uni- 
versitäten eine  reiche  Tätigkeit.  Es  liegt  in 
ihrem  Programme,  mit  geselligen  Ver- 
anstaltungen,   die   die    Angehörigen     der     ver- 


schiedensten Nationen  vereinen,  den  großen 
Kulturzweck,  der  ihnen  zugrunde  liegt,  zu 
verbinden.  Alle  Mitteilungen  und  das  zur 
Gründung  ähnlicher  Vereine  nötige  Material 
erhält  man  durch  den  ersten  Vorsitzenden 
des  Heidelberger  Verbandes,  Dr.  George 
Nasmyth    in    Heidelberg,    Anlage    26. 

HS) 

Zwei  neue  Zeitschriften.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

Nichts  vermag  besser  den  Fortschritt  der 
Friedensbewegung  in  Deutschland  zu  kenn- 
zeichnen als  die  Entwicklung  der  Friedens- 
Fachpresse.  Neulich  konnten  wir  die  „Mit- 
teilungen des  Verbandes  für  internationale  Ver- 
ständigung" als  neues  Fachorgan  anzeigen, 
heute  sind  wir  in  der  angenehmen  Lage,  gleich 
zwei  neue,  gesinnungsverwandte  Zeitschriften 
zu  begrüßen.  Die  eine  trägt  den  viel- 
sagenden Titel  „Vaterland  und  Welt": 
Sie  ist  das  Organ  des  Verbandes  der  Inter- 
nationalen Studentenvereine  an  deutschen  Hoch- 
schulen, jenes  jüngsten  Zweiges  der  großen  Ver- 
ständigungsbewegung, die  damit  ihren  Einzug 
in  die  deutschen  Hochschulen  vollzog.  Der 
Herausgeber  ist  Paul  Baumgarten,  einer 
der  Organisatoren  des  Göttinger  Verbandstages 
der  internationalen  Studentenvereine  Deutsch- 
lands, der  im  August  v.  J.  stattfand.  Der  Heraus- 
geber entwickelt  in  seinem  Geleitwort  den  Plan, 
„Vaterland  und  Welt"  zu  einer  wissenschaft- 
lichen Zeitschrift  mit  Abhandlungen  aus  den 
Gebieten  des  Völkerrechts,  der  Völkerwirtschaft, 
der  Völkerpolitik,  der  Weltkultur,  der  Geschichte 
des  modernen  Internationalismus  usw.  zu  ent- 
wickeln. 

Die  andere  Zeitschrift  betitelt  sich  „D  i  e 
Eiche"  mit  dem  Untertitel :  „ Vierteljahres- 
schrift zur  Pflege  freundschaftlicher  Be- 
ziehungen zwischen  Großbritannien  und 
Deutschland."  Sie  ist  das  Organ  des  „Kirch- 
lichen Komitees  zur  Pflege  freundschaftlicher 
Beziehungen  zwischen  Großbritannien  und 
Deutschland".  Herausgeber  ist  der  durch  sein 
Wirken  als  Sekretär  jenes  Komitees  wohU 
bekannte  Pastor  F.  S  iegmund- S  c  hult  ze 
in  Berlin.  Die  neue  Zeitschrift  ist  ein  Beweis 
für  die  erfreuliche  Mitarbeit  der  kirchlichen 
Kreise  für  den  Völkerfrieden,  die  lange  auf  sich 
warten  ließ,  nunmehr  aber  großzügig  und  in 
voller  Erkenntnis  ihrer  hohen  Pflicht  in  den 
Dienst  der  Völkerverständigung  getreten  ist. 

Eine  Denkschrift  über  die  Reform 

der  Friedenskongresse. 

Die  niederländischen  Delegierten  auf  dem 
letzten  Weltfriedenskongreß  in  Genf  haben  ihre 
dort  gemachten  Erfahrungen  in  einer  Denk- 
schrift niedergelegt  und  daran  Vorschläge  über 
die  künftige  Umwandlung  der  Kongreßorgani- 
sation geknüpft.  Die  niederländische  Friedens- 
gesellschaft „Vreede  door  Recht"  im  Haag 
bringt  diesen  Bericht  in  einer  16  Folioseiten 
umfassenden  Denkschrift  zur  allgemeinen 
Kenntnis.     Die   von   niederländischer    Seite   an 


70 


<g= 


DIE  FRIEDENS-WARTE 


der  Kongreßorganisation  geübte  Kritik  ist  um 
so  bemerkenswerter,  als,  wie  bekannt,  der  dies- 
jährige Weltfriedenskongreß  im  Haag  ab- 
gehalten werden  soll. 

Der  Bericht  beginnt  mit  einer  Kritik  der 
in  dieser  Zeitschrift  bereits  zur  Genüge  gekenn- 
zeichneten Vorgänge  in  Genf,  von  denen  erzählt 
wird,  daß  sie  auch  auf  die  niederländische 
Regierung  einen  derartig  ungünstigen  Eindruck 
gemacht  haben,  daß  die  Möglichkeit  der  Ab- 
haltung des  nächsten  Kongresses  im  Haag  eine 
Zeitlang  in  Frage  gestellt  war.  Der  Bericht 
richtet  sich  zunächst  gegen  die  Art  der  Be- 
handlung der  sogenannten  „Aktualitäten"  und 
den  großen  Raum,  der  ihnen  auf  den  Welt- 
friedenskongressen eingeräumt  wird.  Bekannt- 
lich ging  es  in  Genf  so  weit,  daß  sich  der 
Kongreß  fast  ausschließlich  mit  unfruchtbaren 
Debatten  über  die  Aktualitätsfragen  befaßte, 
so  daß  für  die  fruchtbare  Arbeit  gar  keine 
Zeit  mehr  übrigblieb.  Es  wird  der  Vorschlag 
gemacht,  daß  der  alljährlich  erstattete  Be- 
richt über  die  Ereignisse  des  Jahres  seines 
persönlichen  Charakters  entkleidet  und  auf 
Grund  eines  von  der  gesamten  Kommission  des 
Berner  Bureaus  gelieferten  Materials  dem  Kon- 
gresse vorgelegt  werde.  Der  Arbeit  in  den 
Kommissionen  soll  ein  größeres  Gewicht  bei- 
gelegt werden,  so  daß  sich  dort  die  Haupt- 
diskussionen abzuspielen  hätten.  Die  Plenar- 
sitzungen sollen  verringert  und  nur  für  die 
Darlegung  der  Ergebnisse  der  in  den  Kom- 
missionen geleisteten  Arbeit  verwendet  werden. 
Die  Ueberlastung  des  Programms  wird  mit 
Recht  getadelt  und  als  wünschenswert  be- 
zeichnet, sich  mit  der  Behandlung  von  zwei 
oder  drei  wichtigen  Punkten  zu  bescheiden. 
Die  darüber  gemachten  Vorschläge  gehen  dar- 
auf hinaus,  die  amerikanische  Kongreßmethode 
mit  vorher  bestimmten  Berichterstattern,  ohne 
Gelegenheitsdiskussion,  und  mit  einer  ein- 
zigen, am  Schluß  zu  fassenden  Platform 
einzuführen.  Auch  sehr  vernünftige  Vorschläge 
über  das  Stimmrecht  werden  unterbreitet.  Das 
jetzt  herrschende  Reglement,  wonach  derjenige 
die  meisten  Stimmen  hat,  der  am  meisten 
bezahlt,  erscheint  in  der  Tat  unhaltbar.  Der 
Bericht  ist  außerdem  reich  an  wichtigen  klei- 
neren Vorschlägen,  die  im  höchsten  Maße  be- 
herzigenswert erscheinen,  und  die  beherzigt 
werden  müssen,  wenn  die  Weltfriedenskongresse 
nicht   beeinträchtigt   werden   sollen. 

Es  ist  zu  hoffen,  daß  die  Reorganisation 
des  Kongreßwesens  den  hervorragendsten  Be- 
ratungspunkt der  nächsten  Sitzung  der  Berner 
Kommission  bilden  wird.  Für  jeden,  die  Be- 
wegung mit  Aufmerksamkeit  verfolgenden 
Pazifisten  ist  es  klar,  daß  der  Pazifismus  heute 
weit  über  seinen  ursprünglichen  Umfang  hinaus- 
gewachsen ist.  Wenn  die  Weltfriedenskongresse 
als  Versammlungen  der  pazifistischen  Gesamt- 
bewegung fernerhin  werden  gelten  wollen,  muß 
die  bisherige  Methode  und  auch  die  bisherige 
Zusammensetzung  vollständig  umgewandelt  wer- 
den.    Das    gleiche    gilt   auch    für    das    Berner 


Bureau  selbst.  Wenn  dieses  tatsächlich  die 
Herzkammer  der  Weltfriedensbewegung  sein 
will,  muß  es  seine  Organisation  vollständig 
ändern.  Aber  nicht  in  dem  Sinne  der  jetzt 
vorges chlagenen  Statutenänderungen,  die  dar- 
auf hinauslaufen,  die  Kommission  des  Bureaus 
völlig  auszuschalten  und  die  Leitung  in  die 
Hände  des  ständigen  Berner  Komitees  zu  legen. 
Diese  Absicht  liegt  gerade  in  der  umgekehrten 
Richtung,  die  die  Entwicklung  der  Friedens- 
bewegung eingeschlagen  hat.  Statt  den  Ge- 
schäftskreis des  Bureaus  jener  Entwicklung 
entsprechend  zu  erweitern,  soll  er  noch  mehr 
verengert  werden.  Was  eine  Weltzentrale  sein 
soll,  würde  dadurch  lediglich  zu  einer  lokalen 
Friedensorganisation  hinabgedrückt  werden. 
Noch  ist  zu  hoffen,  daß  diese  Gefahr  beseitigt 
werden  kann. 

MEt 

Todesfälle.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  «  '•'■  ~  -  ~ 
Am  13.  Januar  starb  zu  Charlottenburg 
der  Präsident  des  deutsch-englischen  Ver- 
ständigungs-Komitees, kaiserlicher  Botschafter 
a.  D.  Wirkl.  Geh.-Rat  Dr.  von  Holleben. 
Eduard  de  Neufville,  der  Vizepräsident  jenes 
Komitees,  widmet  dem  Verstorbenen  folgenden 
Nachruf:  „Von  der  Gründung  des  Deutsch- 
Englischen  Verständigungs-Komitees  an  dessen 
Präsident,  hat  der  Verewigte  sein  lebhaftes 
Interesse  und  das  reiche  Maß  seiner  Er- 
fahrungen in  den  Dienst  jener,  dem  Frieden 
zwischen  den  beiden  großen  Kulturnationen 
dienenden,  Bestrebungen  gestellt.  Leider  hin- 
derte ihn  bereits  im  verflossenen  Herbst  sein 
Gesundheitszustand  an  der  Deutsch-Englischen 
Verständigungs-Konferenz  in  London,  an  der 
auch  unser  Komitee  beteiligt  war,  teilzunehmen." 
—  Ende  Januar  starb  in  Madrid  der  frühere 
Ministerpräsident  Don  Segismundo  Moret, 
der  Mitglied  des  Haager  Hofes,  des  Inter- 
parlamentarischen Rats  wie  des  europäischen 
Rats  der  Carnegiestiftung  war.  Noch  im  Mai 
vorigen  Jahres  nahm  er  an  der  Sitzung  der 
Carnegiestiftung  in   Paris   teil. 

MM 
Kurze  Mitteilungen.'  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  -  "  " .'.'•  ? 
Am  14.  Februar  feierte  Ed.  Ginn,  der 
Gründer  der  „Weltfriedensstiftung",  in  Aegypten, 
wohin  er  sich  zur  Erholung  begeben  hat, 
seinen  70.  Geburtstag.  —  Die  ständige 
Delegation  der  französischen 
Friedensgesellschaften  ließ  das  von 
der  Wiener  Polizei  verbotene  Plakat  (siehe 
„Fr.-W."  1912,  Seite  463)  ins  Französische 
übersetzen  und  in  3000  Exemplaren  in  Paris 
und  in  der  Provinz  öffentlich  anschlagen.  — 
Das  in  Berlin  erscheinende  „Journal  d'Alle- 
magne"  setzt  seine  segensreiche  Verständigungs- 
arbeit zwischen  Deutschland  und  Frankreich 
fort.  Es  veranstaltet  jetzt  eine  Rundreise 
französischer  Kaufleute         nach 

Berlin  und  Leipzig,  die  in  der  Zeit 
vom  1.  bis  8.  März  stattfinden  wird.  —  Nach 
einem   Vortrage     Norman    Angells     wurde    am 


71 


DIEFBIEDEN5-v^\BTE 


3 


1.  Februar  in  Frankfurt  a.  M.  eine  Frankfurter 
Ortsgruppe  des  Verbandes  für  internationale 
Verständigung  begründet,  deren  Vorstand  fol- 
gendermaßen gebildet  wurde:  Erster  Vor- 
sitzender Prof.  Freudenthal,  zweiter  Vor- 
sitzender Geheimrat  H  u  p  e  r  t  z  ,  Schriftführer 
Dr.  S  t  r  u  p  p ,  Beisitzer  Prof.  Dr.  R  ö  ß  1  e  r , 
Bankdirektor  Meier,  Oberlandesgerichtsrat 
Höhne,  Prof.  Nippold.  —  In  Leipzig  ist 
ein  französisches  Handelsbureau  gegründet 
worden,  dessen  Aufgabe  es  sein  soll,  den 
französischen  Export  nach 

Deutschland  zu  fördern.  —  Prinz 
Heinrich  der  Niederlande  hat  das 
Protektorat  über  den  XX.  Weltfriedenskongreß 
übernommen. 


LITERATUR  U  PRESSE 

White,  Andrew  Dickson. 
Sieben   große    Staatsmänner     im     Kampfe     der 

Menschheit  gegen    Unvernunft.     Autorisierte 

Uebersetzung   aus   dem   Englischen   von    Dr. 

Karl  und  Paul  Kupelwieser  und  Alban  Voigt. 

Gr.    8  0.     München    1913.     Ernst    Reinhardt. 

411  S. 

Andrew  D.  White  ist  den  Pazifisten  als 
hervorragender  Mitarbeiter  an  der  ersten  Haager 
Konferenz  und  durch  seine  ausgezeichneten 
Lebenserinnerungen*),  sowie  durch  seine  Mit- 
arbeit an  der  Entwicklung  des  internationalen 
Rechts  und  der  Völkerverständigung  kein  Un- 
bekannter mehr.  Lange  war  er  diplomatischer 
Vertreter  seines  Vaterlandes  in  Berlin,  wo  er 
mit  den  hervorragendsten  Persönlichkeiten 
regen  Verkehr  unterhielt.  Er  ist  von  Beruf 
Historiker.  In  Ithaca  im  Staate  New  York 
wirkt  er  als  Präsident  der  Cornell-Universität 
im    Dienste  der   Wissenschaft. 

Das  vorliegende  Buch  ist  eine  moderne 
Kulturgeschichte  in  Gestalt  von  Lebens- 
beschreibungen hervorragender  Männer,  die  den 
„Kampf  gegen  Unvernunft"  geführt  haben. 
Dieser  Kampf  ist  das  eigentliche  Kriterium 
des  großen  Mannes.  In  der  Ueberwindung  der 
Zeit,  ihrer  Vorurteile  und  Verknöcherungen  liegt 
ja  die  Größe  der  Bahnbrecher.  Die  sieben  großen 
Männer,  die  White  zum  Ausgangspunkt  seiner 
kulturgeschichtlichen  Darstellung  nahm,  sind: 
Sarpi,  Grotius,  Thomasius,  Turgot,  Stein, 
Gavour,  Bisrnarck.  Für  die  Leser  dieser  Zeit- 
schrift wird  namentlich  die  Schilderung  des 
großen  Niederländers  von  Interesse  sein,  dem 
runder  des  modernen  Völkerrechts,  für  den 
White  schon  in  seinen  Lebens  er  innerungen  eine 
große  Vorliebe  bekundet.  In  aller  Erinnerung 
der  Teilnehmer  an  der  ersten  Haager  Konferenz 
ist  noch  die  schöne  Feier,  die  Andrew  D.  White 
am  4.  Juli  1899  am  Grabe  des  Grotius  in 
Delft  veranstaltete,  seine  Rede,  die  er  dabei  hielt, 
und  die  feierliche  Niederlegung  eines  Silber- 
kranzes auf  dem  Grabe  namens  der  Delegation 
der  Vereinigten  Staaten  in  Gegenwart  der 
Haager  Delegierten. 

Den  Zustand    der     völkerrechtlichen    Be- 


*)  Siehe:  Fr.-W.  1905,  S.  207  den  Aufsatz 
„Andrew  D.  White  über  die  I.  Haager  Kon- 
ferenz". 


griffe,  den  Hugo  Grotius  vorfand,  schildert 
White  in  anschaulicher  Weise.  Man  muß 
den  Wahnwitz  erkennen,  dem  sich  die  Staa- 
ten um  die  Wende  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts über  den  Besitzanspruch  der  offenen 
Meere  hingaben,  um  die  Bedeutung  von  Grotius' 
völkerrechtlichem  Erstlingswerk  „mare  li- 
berum" ganz  zu  verstehen.  England  z.  B.  be- 
anspruchte das  Besitzrecht  über  alle  Meere, 
die  es  vom  Festlande  trennten,  und  es  hielt 
sich  allein  berechtigt,  dort  zu  fischen  und 
Schiffahrt  zu  treiben.  Andere  bedurften  dazu 
der  Erlaubnis  Englands.  Aehnliche  Ansprüche 
stellten  Spanien  und  Portugal,  stellten  Venedig, 
Genua  und  Pisa.  Da  erschien  das  Buch  des 
Grotius  und  erklärte  alle  diese  Ansprüche  für 
nichtig.  Von  englischer  Seite  wurde  ein 
holländischer  „Gelehrter"  veranlaßt,  Grotius  zu 
widerlegen.  Wie  er  dies  tat,  schildert 
White  in  anschaulicher  Weise.  Seiden,  dies 
ist  der  Name  des  Opponenten,  begann  damit, 
sich  auf  die  Bibel  zu  stützen.  Er  zitierte 
z.  B.  einen  Vers  der  Genesis,  wonach  Gott  zu 
Adam  gesagt  habe:  „Die  Fische  des  Meeres 
sollen  dein  Eigentum  sein",  und  folgerte  daraus, 
daß,  da  die  Fische  die  Nutznießung  des  Meeres 
sind,  ein  Eigentumsrecht  an  diesen  von 
Gott  den  Menschen  gegeben  sei.  Der  Be- 
kämpfer  des  Grotius  folgerte  also  ungefähr, 
daß  das  Besitzrecht  am  Meere  „ein  Element 
der  göttlichen   Weltordnung"    sei. 

Interessant  ist  es,  wie  White  die  Wir- 
kung des  großen  Werkes  des  Grotius,  seiner 
„libri  tres  de  jure  belli  ac  pacis",  schildert; 
wie  es  allmählich  in  die  Köpfe  der  Menschen 
Eingang  fand  und  ihre  Ideen  revolutionierte, 
trotzdem  es  anfänglich,  wie  jede  große  Idee, 
großer  Gleichgültigkeit  begegnete.  Gustav 
Adolf  führte  das  Buch,  das  1625  erschienen 
war,  auf  seinen  Feldzügen  mit  sich.  Aus 
seinen  Ansprachen  an  die  Soldaten,  worin  er 
sie  vor  Grausamkeiten  warnte,  ist  der  Ein- 
fluß des  Buches  auf  den  schwedischen  König 
erkennbar.  Die  Milde,  die  Kardinal  Richelieu 
bei  der  Einnahme  von  La  Rochelle  walten  ließ, 
die  drei  Jahre  nach  dem  Erscheinen  jenes 
Buches  erfolgte,  ist  auf  dessen  Einfluß  zurück- 
zuführen. White  schildert  anschaulich  das 
„Erstaunen  der  Welt",  die  ein  fürchterliches 
Blutbad,  erwartet  hatte,  und  führt  einen  glaub- 
würdigen Beweis  zugunsten  des  Einflusses  des 
Grotiusschen  Werkes  auf  den  fanatischen  und 
grausamen  Kardinal.  „Selbst  wenn  der  Kar- 
dinal das  Buch",  so  schreibt  er  auf  S.  61, 
„nur  ebenso  wie  Nikolaus  II.  von  Rußland 
das  epochemachende  Werk  Johann  von  Blochs 
gegen  den  Krieg,  das  ist  lediglich  durch 
Berichterstattung,  Besprechungen,  Diskussionen, 
kennen  gelernt  hätte,  würde  er  seinen  Haupt- 
inhalt erfahren  haben  müssen." 

Im  Westfälischen  Friedens traktat  findet 
White  „allgültige  Prinzipien"  verwirklicht, 
denen  Grotius  zum  erstenmal  Ausdruck  ge- 
geben hatte.  So  die  Idee  der  Staatengleich- 
heit, der  Milde  und  der  Vorstellung  einer 
ewigen   Gerechtigkeit. 

Von  hoher  aktueller  Bedeutung  angesichts 
der  Balkangreuel  ist  die  Schilderung  Whites 
von  der  ungezügelten  Kriegsführung  der  Zeit, 
die  Grotius  zu  seinem  Werke  inspirierte. 
„Eine  Kriegserklärung  schien  einen  Freibrief 
zu  geben  für  jede  Art  von  Verbrechen",  schreibt 
Grotius   selbst.    Wie  recht  haben  jene,  die  da 


72 


C£ 


DIE  FRIEDEN5-WAB.TE 


behaupten,  daß  der  Balkankrieg  im  Geiste  des 
dreißigjährigen  Krieges  geführt  wird.  Von 
erschütternder  Wirkung  ist  in  den  Dar- 
legungen Whites  die  Schilderung  der  Einfluß- 
nahme der  Kirche  und  des  Papsttums  gegen 
die  Versuche  einer  Milderung  der  Kriegssitten 
und  einer  Einschränkung  der  Kriege.  Nicht 
nur  das  Kapitel  über  Grotius,  alle  Dar- 
stellungen dieses  Buches  bilden  so  eine  heftige 
Anklage  gegen  die  kulturhemmende  Wirk- 
samkeit des  Klerikalismus.  Im  Verlaufe  des 
Essays  schildert  dann  White  den  Einfluß  der 
Arbeit  des  Grotius  auf  die  Völkerrechts- 
vorkämpfer des  17.  und  18.  Jahrhunderts.  Ein 
Eingehen  hierauf  verbietet  sich  durch  die 
Raumverhältnisse.  Ebenso  ein  Eingehen  auf 
jene  ausgezeichneten  Darstellungen,  die  nicht 
direkt  die  Friedensidee  berühren.  Aber  jeder 
Pazifist  wird  sie  mit  ungeteiltem  Interesse 
lesen.  Es  war  ein  verdienstvolles  Unternehmen, 
dieses  klassische  Werk  der  deutschen  Lesewelt 
zu  vermitteln,  bei  der  es  sich  bald  einen 
dauernden  Platz  erringen  wird.  Man  wird  das 
Buch  Whites  unter  den  großen  Aufklärungs- 
schriften der  Gegenwart  nicht  übersehen  dürfen. 

A.    H.   F. 


Sombart,  Werner. 
Krieg  und  Kapitalismus.    Gr.  8  °.    München  und 

Leipzig    1913.     Duncker    &    Humblot.     VIII. 

232  S.    6  M. 

Vom  pazifistischen  Gesichtspunkt  bietet 
das  vorliegende  Buch  gar  keine  Ausbeute.  Es 
ist  eine  interessante  kulturgeschichtliche  Studie 
mit  wertvollen  Belägen  über  die  Entwicklung 
des  modernen  Heerwesens.  Der  Verfasser  ver- 
sucht, die  marxistische  Lehre,  wonach  der 
Krieg  eine  Folge  der  kapitalistischen  Wirt- 
schaftsform ist,  umzudrehen  und  darzulegen, 
daß  die  kapitalistische  Wirtschaftsform  eine 
Folge  des  Krieges  sei.  Im  Heerwesen  wurde 
der  Uebergang  vom  Handwerk  (Einzelkämpfer) 
zum  organisierten  Betriebe  (Armeebildung)  zu- 
erst vollzogen.  Der  Krieg  hat  das  staatliche 
.Schuldenwesen  und  damit  den  Kredit-  und 
Börsenverkehr  geschaffen,  er  hat  das  Wirt- 
schaftsleben „kommerzialisiert".  Der  Krieg 
hat  die  Technik  erzogen,  zuerst  einen  Massen- 
bedarf hervorgerufen  und  dessen  Befriedigung 
ermöglicht,  eine  kapitalistische  Industrie  hervor- 
gerufen. Das  ist  kulturhistorisch  sehr  inter- 
essant, man  muß  sich  nur  hüten,  die  Fol- 
gerung, die  der  Autor  daraus  zieht,  zu  ver- 
allgemeinern. Er  spricht  nämlich  von  dem 
,. doppelten  Gesicht  des  Krieges:  hier  zerstört 
er  und  dort  baut  er  auf".  Das  kann  gefährlich 
werden  —  und  zweifellos  wird  das  Sombartsche 
Buch  diese  Gefahr  zeitigen  — ,  wenn  man  diese 
Lehre  auf  die  Zukunft  übertragen  will.  Sombart 
erklärt  ausdrücklich  (S.  15),  daß  er  seine  Be- 
hauptungen „nur  für  diese  frühkapitalistische 
Epoche"  aufstelle,  daß  er  nur  für  die  „Pubertäts- 
jahre" des  modernen  Kapitalismus  „die  über- 
ragende Bedeutung  des  Militarismus"  be- 
haupte. Zukunftswissen  im  Ostwaldsehen  Sinne 
ist  aus  diesem  Buche  nicht  zu  ziehen.  Schon 
aus  dem  Grunde  nicht,  als  alle  diese  günstigen 
Einwirkungen  des  Krieges  auf  die  Kultur- 
entwicklung schließlich  von  jedem  anderen 
Uebel  nachgewiesen  werden  können;  ebensogut 
auch  von  Wasser-  und  Feuergefahren,  von  Pest 
und   Cholera,,    kurz    von    dem    naturfeindlichen 


Wesen  aller  Naturgewalten.  Ist  doch  der 
Kampf  gegen  diese  das  wirklich  kultur- 
erzeugende Element,  das  die  Menschheit  von 
der  Tierheit  emanzipierte.  Jede  Nutzanwendung 
dieses  Buches,  das  schließlich  auf  die  alte  Volks- 
weisheit hinausläuft,  wonach  kein  Unglück  so 
groß  wäre,  daß  nicht  auch  ein  Glück  dabei 
sei,  zugunsten  der  Kulturkraft  des  Krieges  an 
sich,  insbesondere  aber  für  die  Gegenwart  oder 
die  Zukunft,  wäre   ein  Irrtum. 

Der  Verfasser  hat  es  zwar  unterlassen,  im 
Buche  selbst  ein  Werturteil  zu  fällen,  das 
geeignet  wäre,  den  Vorwurf  gegen  ihn  zu  er- 
heben, daß  er  diese  irrige  Ausnutzung  seiner 
Arbeit  unterstütze.  Leider  hat  er  im  Vorwort 
diese  Neutralität  nicht  bewahrt;  denn  dort 
spricht  er  von  der  großen  Bedeutung,  „die  der 
Krieg  für  unser  Kulturleben  gehabt  hat,  hat 
und  haben  wird,  solange  Männer  das 
Schicksal  der  Völker  bestimmen  werden".  Er 
überspringt  damit  die  Grenze,  die  er  sich  in 
seinem  Buche  selbst  gesetzt  hat,  und  schließt 
von  den  Verhältnissen  vom  13.  bis  zum  Ende 
des  18.  Jahrhunderts  auf  unsere  vöUig  veränderte 
Gegenwart  und  Zukunft.  Gerade  die  Unhaltbar- 
keit  dieser  Methode  hat  Norman  Angell  in 
seinem  epochemachenden  Werk  glänzend  wider- 
legt. A.  H.  F. 


Angell,   Normann, 
Die  Falsche   Rechnung.    Was   bringt  ein  Krieg 
ein?   8°.   Berlin.   Vita,  Deutsches  Verlagshaus. 
266  S.    Lwdbd.   1,25  M. 

Diese  neue  Volksausgabe  des  klassischen 
Werkes  von  Normann  Angell  befriedigt  uns 
leider  nicht  in  dem  Maße,  wie  wir  es  im  Inter- 
esse der  Sache  gewünscht  hätten.  Zunächst 
müssen  wir  den  Titel  als  ungeeignet  zurück- 
weisen. Es  geht  nicht  an,  den  Titel  eines 
Werkes,  das  sich  bereits  Weltruhm  errungen, 
nach  Gutdünken  zu  ändern.  Uns  kommt  das 
so  vor,  als  wollte  man  dem  Darwinschen  Werke 
„Die  Entstehung  der  Arten"  nun  plötzlich  den 
Titel  geben:  „Wo  kommt  der  Mensch  her? 
Stammt  er  vom  Affen  ab?"  Die  Bezeichnung 
„Die  große  Täuschung"  klingt  uns  auch  viel 
würdiger,  als  die  etwas  trivial  klingende  Frage, 
ob  der  Krieg  etwas  „einbringt".  Gerade  im 
Interesse  der  großzügigen  Propaganda,  die  mit 
dem  Buche  gemacht  wird,  hätte  man  sich  die 
Titeländerung  hundertmal  überlegen  sollen. 

In  der  neuen  Ausgabe  sind  einige  Kapitel 
des  Buches  ganz  weggelassen  worden.  Hingegen 
sind  allerdings  vier  Kapitel  neu  hinzugekommen. 
Ob  es  sich  am  Ende  nur  um  Aenderung  der 
Ueberschriften  handelt,  konnte  nicht  festgestellt 
werden.  Gerne  hätten  wir  auf  der  ersten  Seite 
(im  Vorwort)  den  von  uns  schon  früher  be- 
mängelten Satz  vermißt:  „Man  sieht,  der  Ver- 
fasser ist  kein  Pazifist."  Das  ist  eine  direkte 
Irreführung,  die  Normann  Angell  selbst  schon 
unzählige  Male  widerlegt  hat.  In  seinem 
neuesten  Buche  „Peace  Theories  and  Balkan 
War"  nennt  er  sich  selbst  auf  jeder 
Seite  einen  Pazifisten.  Was  soll  denn 
diese  Wortspielerei  auch  besagen.  Es  ist  rich- 
tig, daß  gewisse  Methoden  des  Pazifismus  dem 
Zeitgeiste  nicht  mehr  entsprechen  und  bei 
der  Werbung  von  neuen  Anhängern  die  Ver- 
wechselung des  Pazifismus  mit  diesen  Methoden 
oft  hinderlich  ist.  Als  Konzession  für  die 
Taktik  ist  diese  Verleugnung  wohl  zu  begreifen 


73 


DIE  FRIEDENS -^&QTE 


[© 


und  auch  zu  entschuldigen.  Aber  im  wissen- 
schaftlichen Kampfe  kann  man  derartiger  Aus- 
hilfemittelchen wohl  entbehren.  Pazifismus  ist 
eine  Kollektivbezeichnung  für  alle  Be- 
strebungen, die  an  Stelle  der  heutigen  Staaten- 
beziehungen eine  vernünftige  Ordnung  setzen 
wollen.  Diese  Bestrebungen  sind  verschieden; 
ihr  Ziel  ist  das  gleiche.  Auch  dem  Schluß- 
kapitel, das  der  Volksausgabe  neu  hinzugefügt 
ist,  können  wir  nicht  so  ohne  weiteres  bei- 
pflichten. Dieses  scheint  uns  fast  „in  usum 
germanorum"  geschrieben  zu  sein.  Wir  finden 
darin  einige  Behauptungen,  die  uns  so  vor- 
kommen, als  seien  sie  bestimmt,  der  in  Deutsch- 
land vorherrschenden  Geistesrichtung  Kon- 
zessionen zu  machen.  Vom  „Fehlschlagen"  der 
Haager  Konferenzen  zu  reden,  ist  ein  bißchen 
stark,  ebenso  die  Behauptung,  daß  das  große 
Wachstum  der  Rüstungen  von  der  ersten  Haager 
Konferenz  ab  datiert;  eine  Da  tum  bestimm  ung, 
die  so  aussieht,  als  sollte  damit  dem  Haager 
Werk  Abbruch  getan  werden.  Der  Ausfall  gegen 
Friedensyersammlungen,  Petitionsunterzeich- 
nungen und  sogar  gegen,  die.  anglo-deutschen 
Verständigungsbestrebungen  erscheint  uns  völlig 
unangebracht.  Man  mag  über  den  Wert  einzelner 
dieser  Handlungen  denken  wie  man  wolle, 
wenn  man  den  Schlußeffekt  will,  darf  man 
auch  über  solche  Methoden  nicht  verächtlich 
urteilen,  die  vielleicht  diesen  Nutzeffekt  nicht 
in  direktester  Linie  herbeiführen.  Es  geht  eben 
nicht  an,  das  gesamte  Friedensproblem  auf  einem 
einzigen  Argument  aufzubauen.  Der  Grund 
könnte  dadurch  ins  Wanken  kommen,  auf  dem 
man  das  Haus  aufbaut.  Evolution  der  Ideen, 
nicht    Revolution    führt    uns    zum    Siege. 

Im  "übrigen  ist  es  nicht  notwendig,  zu  be- 
tonen, welch  ungeheueren  Wert  wir  dem  großen 
Werke  Norrnann  Angells  beilegen,  und  wie  wir 
es  als  Rüstzeug  im  Kämpf  gegen  den  Krieg- 
schätzen. Eben  weil  dies  der  Fall  ist,  suchen 
wir  es  durch  die  hier  vorgebrachten  Mängel 
immer  vollkommener  zu  gestalten.  Auf  den 
Gesamtinhält  werden  wir  noch  ausführlich 
zurückkommen. 

Wir  -  verlangen  für  die  nächsten  Auflagen 
Rückkehr  zum  alten  Titel  und  Fortlassung- 
aller  zu  Mißverständnissen  führenden  Seiten- 
hiebe   auf   den   Pazifismus. 


Oppenh eim,  L.  ... 

The    Panama    Canal     Conflict      betwen     great 

Britain  and  the   United  States   of  America. 

A.  Study.     8°.    Cambridge   1913.     Universitv 
.     Press.    57  S.    Cloth. 

Der  hervorragende  Völkerrechtsgelehrte  be- 
faßt, sich  in  der  vorliegenden  Schrift  mit  der 
gegenwärtig  .  interessantesten  völkerrechtlichen 
Frage.  Er  tritt  für  die  schiedlich^  Erledigung 
des  Streitfalles  ein,  obwohl  er  bezweifelt,  ob 
dieser  nach  dem .  Wortlaut  des  anglo-amerika- 
nischen  Schiedsvertrages  von  1908  der  Schieds- 
gerichtsbarkeit unterworfen  werden  mußte,  da 
darin  Streitfälle,  die  die  Interessen  Dritter 
berühren  —  was  hier  .zutrifft  — :,  von  dem 
Obligatorium  ausgenommen  sind.  Doch  bet- 
trachtet er  diesen  Umstand  als.  geringfügig, 
•denn  -es  handelt  sich  nicht  darum,  ob  die 
Vereinigten  Staaten  vertragsmäßig  verpflichtet 
.seien,  den.  Streit  ;gchiedlich  erledigen  zu  lassen, 
sondern  darum,  daß  eine  ihrem  ganzen  Wesen 
nach  für  die- schiedliche  ^Erledigung  geeignete 


Sache  unter  keinen  Umständen  dieser  Lösung 
entzogen  werden  darf.  Das  Ansehen  der 
Schiedsgerichtsbarkeit  steht  für  ein  ganzes 
Menschenalter  auf  dem  Spiele. 

Die  interessante  Schrift  ist  geeignet,  über 
das  Wesen  des  Panama- Streitfalles  aufzuklären. 
Ueber  dieselbe  Frage  hat  auch  Prof.  Kauf- 
mann (Berlin)  in  der  Revue  de  Droit  int. 
geschrieben.  Sein  Aufsatz  wird  auch  in  der 
Zeitschrift  für  Völkerrecht  erscheinen  und  noch 
in    diesen    Blättern    besprochen    werden. 

Für  den  Frieden!    8°.    München.    Simpli- 
zissimus-Verlag.     104   S. 

Verkleinerte  Wiedergabe  satyrischer  Bilder 
aus  dem  Simplizissimus  mit  antikriegerischer 
Tendenz.  Manches  gehässige  Bild  gegen  Eng- 
land hätten  wir  in  dieser  Sammlung,  die  dem 
Frieden  dienen  soll,  gern  vermißt. 


Sturm,  August,  Dr. 
Die  Einteilung  des  Rechts  und  die  Abtrennung 
des  internationalen  Privatrechts  sowie  des 
Friedensrechts,  eine  rechtspsychologische  Ab- 
handlung. Gr.  8°.  Berlin,  Franz  Vahlen,  1912. 
152    S.    Preis    4    M. 

Sturm  ist  unter  den  alten  Burschen- 
schaftern, die  für  die  Friedensbewegung  ein- 
treten, einer  der  eifrigsten.  Seit  1910  hat  er 
bereits  fünf  Werke  geschrieben,  die  schwere 
wissenschaftliche  Betrachtungen  zugunsten  un- 
serer Bewegung  enthalten.  Es  kann  auf  die 
Dauer  nicht  ohne  Einfluß  sein,  wenn  ein  an- 
gesehener Mann  mit  solcher  Hartnäckigkeit 
und  in  Werken,  die  von  sehr  guten  Verlegern 
verbreitet  werden,  für  unsere  Idee  eintritt. 
Sturm  befürwortet  auch  in  diesem  Buche  vor 
allem  einen  Gerichtshof  für  alle  international- 
rechtlichen Fragen  im  Haag,  ferner  die  Er- 
richtung von  Völkerrechtslehrstühlen.  Das 
Buch  ist  im  Verhältnis  zu  seinen  umfang- 
reicheren Werken  recht  verständlich  ge- 
schrieben. 


Eingegangene  Druckschriften.   :::::;  "   "    ::::::   :: 
(Besprechung  vorbehalten.) 

La  Vie  Internationale.  Revue 'sen- 
suelle des  Idees,  des  faits  et  das.  organismes 
internationaux.     Tome   IL.  1912.     Fascicule    7. 

Aus  dem  Inhalt:  Ernest  Röthlis- 
berger,  Le  Droit  des  Auteurs  et  des  Artistes 
et  les  Unions  Internationales.  —  Dr.  John 
M  e  z ,  Le  Cheque  postal  international  et  les 
resultats  des  virements  postaux  en  Autriche, 
en  Hongrie,  en  Suisse  et  en  Allemagne.  . — 
Notices,   faits,  documents. 

'  Periodisches  Bulletin  des  Inter- 
nationalen Socialistischen  Bureaus.  3.  Jahrg. 
Nr.  9,  mit  2  Supplementen.  Folio.  Brüssel.  1913. 
(Zu  beziehen  durch:  Camille.  Huysmans,  Maison 
du  Peuple,  nie  -  Joseph  Stevens  Nr.  17,)  In 
deutschem,  französischem  und  englischem  Text. 

Spezialnummer  „Gegen  den  Krieg".  Akten 
und  Vorgänge  des  Baseler  Kongresses,. 


An  gell,    Norman, 
Offener  Brief  an  den  Verband  für  internationale 
■  Verständigung    und    den   Verband   der   inter- 
:   nationalen    Studenten -Vereine    an    deutschen 


74 


@: 


=  DIE  FRIEDENS -VJC&TE 


Hochschulen.  8°.  Göttingen.  12  S.  (Zu  be- 
ziehen durch  Paul  Baumgarten,  Göttingen, 
Bühlstr.   15.) 

Bührer,    K.  W., 
Raumnot   und  Weltformat.    8°.    München  1912. 
Die  Brücke.    F.  d.  Buchhandel:  Fr.  Seybolds 
Buchhdlg.  in  Ansbach.    32  S.    60  Pf. 

Bührer,    K.  W., 
Weltarchiv  der  Brücke.   Abteilung  Kleingraphik. 
89.   München  1912.   Die  Brücke.    15  S.   60  Pf. 

Feldhaus,  Richard, 
Gedanken  über  den  Frieden.  100  Aussprüche 
führender  Geister.  Für  die  Friedensfreunde 
zur  Ermutigung,  Erbauung  und  Erstarkung 
ihrer  Ideen,  für  alle  Kriegsanhänger  zur  Be- 
lehrung. Kl.  8  0.  o.  O.  u.  J.  15  S.  (Zu  be- 
ziehen durch  Rieh.  Feldhaus,  Bottminger 
Mühle  b.  Basel.) 

Hoensbroech,   Graf  von, 
14   Jahre   Jesuit.    Persönliches   und   Grundsätz- 
liches.   Volksausgabe.    2  Bde.    gr.  8°.    Leipzig 

1912.  Breitkopf  &  Härtel.  VIII  u.  182,  IV 
u.   196  S.  ä  Bd.    1  M. 

J  a  e  c  k  h ,   Dr.   Ernst, 
Deutschland  im  Orient  nach  dem  Balkankrieg. 
8°.    München    1913.    Martin  Mörikes   Verlag. 

158  S.    2  M. 

Klopp,    Onno, 
Politische  Geschichte  Europas  seit  der  Völker- 
wanderung.   Vorträge.    2  Bde.    gr.  8°.   Mainz 

1913.  XII  u.  460  und  VII  u.  413  S.    Verlag 
•  Kirchheim  &  Co.    Eleg.  Lwdbde.    15  M. 

(Lehr,   E.,) 

Drei  Andachten.  1.  Gebet  eines  Leidenden  für 
die  Genesung  wahnsinniger  Mordpatrioten- 
horden und  der  europäischen,  in  ethischer 
Beziehung  geisteskranken  Diplomaten.  2.  Bitt- 
gottesdienst für  den  Triumpf  (sie!)  der 
menschenschändenden  Kriegsbestie,  welche 
nebst  Stumpfsina  und  Massenelend,  Krüppel, 
Witwen  und  Waisen  schafft.  3.  Tägliches 
Gebet  des  allzeitigen  Friedensfürsten  und  die 
aus   der   tiefreligiös-inhaltsreichen,   Herz  und 

'  Gemüt  belebenden  Gottesandacht  sich  er- 
gebenden Morallehre.  8°.  Wien  „im  XX.  Jahr- 
hundert", 16  S.  u.  „Nachklänge",  4  S.  (Zu 
beziehen  durch  den  Verfasser:  JE.  Lehr,  Wien 
II/l,  Roten  Sterngasse  20.) 
•  M  a  n  d  1 ,   Leopold, 

Oesterreich-Ungarn     und     Serbien     nach     dem 

"r  Balkankriege.     Materialien    zum  Verständnis 
der    Beziehungen     Serbiens     zu    Oesterreich- 
Ungarn.    80.  Wien  1912.   Moritz  Perles.   60  S. 
Markus, 

Die  Volksherrschaft  im  Gottesstaat,  der  Staat 
der  Zukunft.  In  Form  einer  Erzählung  ge- 
schildert. 8°.  Berlin  1913.  Politik -Verlags- 
anstalt.   153  S. 

N  e  u  r  a  t  h  ,  Dr.  Otto, 
Die    finanziellen    und    wirtschaftlichen    Rück- 
wirkungen   des    modernen    Krieges.     Vortrag 
fehalten  in  der  60.  Monatsversammlung  des 
ndustriellen-Klub  am  14.  Nov.  1912.    Obl.-8°. 
Wien    1912.     Verlag   des    Industriellen  -  Klub 
(Wien  III,  Heuinarkt  12).    20  S. 
Os  twald,  Wilhelm,   .  ..'....' 

Sekundäre  Weltformate.  8°.  München  1912.  Die 
Brücke. ,  F.  d.  Büchhdl. :  ,  Fr.  Seybold's  Buch- 
handlung, Ansbach.  12  S.    30  Pf. 


Wehberg,  Dr.  med.  Heinrich, 
Beiträge  zur  Entwicklung  und  Begründung  des 
Sozialismus.    8°.    Hagen  i.  W.  1898.    Hermann 
Riesel  &  Co.    64  S.    1,50  M. 

Zur  Erinnerung  an  Dr.  med.  Heinrich 
Wehberg.  (1855—1912.)  Seinen  Freunden 
und  Verehrern  gewidmet,  o.  O.  u.  J.  (Zu  be- 
ziehen durch  Dr.  Hans  Wehberg,  Düsseldorf, 
Jülicherstr.  86.)  12  S. 
Union   Interparlementaire. 

Oommission     des     Declarations     de    Neutralite 
permanente.    II.   Proces  verbal  de  la  Seance 
du  21.  sept.  1912.  8°.  S.  25—34.   (Zu  beziehen 
durch  das  Interparl.  Amt  in  Brüssel.) 
Union   Interparlementaire. 

Proces  verbaux  de  la  Commission  des  Detroits 
et  des  canaux  maritimes.  IL  Seance  du 
17.  sept.  1912.  8°.  S.  41—56.  (Zu  beziehen 
durch  das   Interparl.  Amt  in  Brüssel.) 

„International  C  onciliati  on." 
No.  63  (Februar  1913).  William  Howard 
Taft,  The  Time  to  test  our  faith  in  Arbi- 
tration.  —  Arnos  S.  Hershey,  Should  the 
Panama  Canal  Tolls  Controversy  be  arbi- 
trato?   22  S. 

Jedes  Heft:  8°.  (Zu  beziehen  kostenlos 
von  „American  Association  for  International 
Conciliation"  Sub-Station  84  (407  West  117  th 
Street)  New  York  City,. 

Maryland   Quaterly. 

No.  12  (Nov.  1912).  S.  C.  Mitchell,  The 
Phases  of  Progress  toward  Peace.  8  °.,  Balti- 
more, U.  S.  A.  1912.  Maryland  Peace  Society, 
1925  Park  Avenue.    17  S. 

Pause    and   Consider.     Letter   and   Edi- 
torials  reprinted  from  the  „Japan  Times".   8  °. 
Dezember  1012.    (Tokio.)    27  S. 
B  a  j  e  r ,  Fred., 

Dansk  Interparlamentarisk  Gruppes  Aarborg  II. 
8  o.    Kjöbenhavn.    1913.    J.  H.  Schultz. 


Zeitschriften -Rundschau.  ::  ::   ::  ::  ::  ::  ::   ::   ::  j;  * 

H.    W.     Im   Januarheft   des    „Advocate   of 

Seace"  wird  die  Nichterteilung  des  Friedens- 
robelpreises  einer  scharfen  Kritik  unterzogen. 
In,  keinem  Jahre,  so  heißt  es  dort,  hätten  die 
Friedensfreunde  so  sehr  für  den  Frieden  ge- 
wirkt, wie  gerade  in  der  letzten  unheilvollen 
Zeit  des  italienisch-türkischen  und  des  Balkan- 
krieges. Interessant  ist  die  Aufzählung  der- 
jenigen Männer,  die  nach  Ansicht  der  Redaktion 
den  Nobelpreis  verdient  hätten.  Unter  den 
Amerikanern  Taft,  Carnegie,  Ginn,  Bartholdt, 
Butler,  David  Starr  Jordan  und  Senator  Elihu 
Rbot,  unter  den  Deutschen  Quidde,  unter  den 
Engländern  Lord  Weardale,  Dr.  Darby  und 
Alexander.  Ich  möchte  dazu  bemerken,  daß 
meines  Erachtens  für  Deutschland  unter  den 
eigentlichen  Pazifisten  Umfrid  des  Preises  am 
meisten  würdig  ist.  Er  hat  wie  kein  anderer 
unermüdlich  für  die  Sache  agitiert,;  Unter  den 
Völkerrechtslehrern  nenne-  ich  in  erster  Linie 
v.  Bar,  der  schon  zu  einer  Zeit,  als  .andere 
Universitätsprofessoren  noch  spöttisch  über 
uns:  lächelten,  .der  Friedensidee  mit  .größtem 
Verständnis  begegnet  ist.  Bei  Umfrid  und 
v,  Bar  würde  es  sich  nicht  lediglich  um  eine 
Krönung    erfolgreicher    Bemühungen    für  -  den 


75 


DIE  FBIEDEN5-^ÄßTE  = 


3 


Frieden  handeln,  sondern  mehr  noch  um  die 
Anerkennung  großer  und  seltener,  im  Laufe 
eines  ganzen  Lebens  bewiesenen  Treue  zu  der 
Idee  des  Fortschrittes  der  Menschheit  und  des 
Völkerfriedens.  Wenn  wirklich  der  Nobelpreis 
im  Sinne  seines  Stifters  verteilt  werden  soll, 
dann  darf  nimmermehr  lediglich  auf  die  guten 
Erfolge  irgendeiner  Persönlichkeit  im  Dienste 
unserer  Sache  gesehen  werden,  sondern  mehr 
noch  auf  die  -edle  Gesinnung,  aus  der  heraus 
jene  Taten  entstanden  sind.  Von  diesem  Stand- 
punkte aus  aber  soll  man  möglichst  zurück- 
greifen auf  diejenigen,  die  bereits  zu  einer  Zeit, 
als  man  die  Friedensidee  noch  verlachte,  dieser 
ihre  ganze  Kraft,  ihren  ganzen  Glauben  ge- 
weiht haben.  Nächst  v.  Bar  ist  Zorn  der  am 
meisten  verdiente  Anwärter  auf  den  Friedens- 
preis. 

In  demselben  Hefte  schreibt  Mead  einige 
Erinnerungen  über  die  ersten  Lake  Mohonk- 
Konferenzen  im  Hinblick  auf  den  Tod  ihres 
Stifters  Smiley.  Auf  der  ersten  Lake  Mohonk- 
Konferenz  im  Jahre  1895  waren  nur  56  Per- 
sonen anwesend,  aber  bereits  im  folgenden 
Jahre  schon  286.  Mead  weist  ferner  darauf 
hin,  welch  großes  Verdienst  sich  die  drei  ersten 
Lake  Mohonk  -  Konferenzen  durch  die  Befür- 
wortung eines  ständigen  Tribunals  erworben 
haben.  Trueblood  hat  damals  die  Diskussion 
des  Problems  angeregt,  und  Dr.  Haie  hat  die 
Idee  mit  großartiger  Beredsamkeit  vertreten. 
Wie  auf  der  Interparlamentarischen  Versamm- 
lung von  1894,  so  herrschte  auch  auf  den  ersten 
Kongressen  zu  Lake  Mohonk  noch  viel  Skepti- 
zismus gegenüber  der  Realisierung  dieses  Pro- 
jektes. Der  Grundgedanke  der  Lake  Mohonk- 
Konferenzen  ist  allzeit  gewesen:  nicht  auf  die 
Schrecken  des  Krieges  einzugehen,  sondern  die 
Mittel  zu  -erörtern,  durch  die  er  überwunden 
werden  kann,  insbesondere  die  Schiedsgerichts- 
barkeit. 

„Advocate  of  peace"  schreibt  ferner  über 
die  amerikanische  Reise  der  (Baronin  jSuttner  u.  a. 
folgendes :  „Eines  ihrer  letzten  Auftreten  war  iD 
Washington,  wo  ihr  zu  Ehren  ein  Bankett  ver- 
anstaltet wurde.  Dieses  Fest  vereinigte  viele 
Mitglieder  des  diplomatischen  Korps,  Senatoren, 
Kongreßmänner  und  andere  hervorragende  Per- 
sönlichkeiten sowohl  aus  Regierungs-  als  aus 
Gesellschaftskreisen.  Es  war  ein  Tribut,  wie 
Washington  selten  darbringt  irgendeinem  großen 
Staatsmann  oder  einem  Gast  aus  königlichem 
Geblüt.  —  Die  ganze  Tournee  war  großartig. 
Die  Baronin  hat  tiefen  Eindruck  gemacht,  wo 
immer  ihrer  Botschaft  gelauscht  wurde.  Ihre 
fühlbare  Aufrichtigkeit,  die  Tiefe  ihrer  Emp- 
findung, hervorgegangen  aus  ihrem  langen  Kon- 
takt mit  dem  europäischen  Militarismus,  ver- 
liehen ihren  Ausführungen  große  Ueberzeugungs- 
kraft.  Ihre  Mahnung  an  unser  Land,  es  möge 
seiner  hohen  Mission  treu  bleiben  und  die 
Führerschaft  zur  Weltverbrüderung  fortsetzen, 
erinnerte  an  die  Aeußerungen  und  Warnungen 
mancher  großer   biblischer  Propheten." 

In  Nr.  1  der  „Korrespondenz  des  Verbandes 
für  internationale  Verständigung"  wendet  sich 
Piloty  gegen  einen  Artikel  des  Vizepräsidenten 
des  Deutschen  Reichstages  Paasche,  der  kürz- 
lich an  dem  Ausdrucke  Kiderlen- Waechters  von 
der  „herzlichen  Intimität"  der  deutsch -eng- 
lischen Beziehungen  gesprochen  hatte.  Er 
weist  nach,  wie  billig  es  ist,  den  Beifall  der 
großen  Menge  bei  Anklagen  gegen  England  zu 


finden,  und  als  wie  töricht  gleichzeitig  ein 
Artikel  bezeichnet  werden  muß,  der  im  gegen- 
wärtigen Augenblicke  das  deutsch  -  englische 
Problem  losgelöst  von  den  Balkanwirren  er- 
örtert. Mit  Recht  meint  er,  es  sei  wenig  real- 
politisch, in  diesem  Augenblicke  einen  solchen 
Artikel    wie   den   Paasches    zu   schreiben. 

In  demselben  Hefte  gibt  Strupp  in  zwei 
Aufsätzen  einen  guten  Ueberblick  über  den 
spanisch-französischen  Marokkovertrag  und  den 
Frieden  von  Lausanne.  Am  Schlüsse  des  ersten 
Aufsatzes  sagt  er:  „Daß  die  Schiedsgerichts- 
idee in  dem  Vertrag  offene  Anerkennung  er- 
fährt, daß  beide  Staaten  sich  verpflichten, 
Streitigkeiten  bei  seiner  Anwendung  oder  Aus- 
legung dem  Haager  Schiedsgericht  zu  unter- 
breiten, muß  jeden  Anhänger  jenes  groß- 
artigsten Völkerrechtsinstitutes,  muß  jeden 
Freund  internationaler  Verständigung  und  des 
Friedens  mit  hoher  Freude  erfüllen.  In  drei 
der  bedeutendsten,  politischen  Verträge  der 
letzten  sieben  Jahre  die  ausdrückliche  Unter- 
werfung unter  die  internationale  Schieds- 
gerichtsbarkeit! Darf  man  da  noch  ernsthaft 
daran  zweifeln,  daß  die  Gewalt  jener  Idee  auch 
die   Staaten  in  ihren  Bann  gerissen  hat?" 

In  einem  weiteren  Aufsatze  derselben  Korre- 
spondenz verlangt  W.  Klohs  eine  schnellere 
Ratifikation  des  Schiedsabkommens,  die  ja  be- 
reits der  jüngste  Weltfriedenskongreß  und  die 
Interparlamentarische  Versammlung  befürwortet 
haben.  In  diesem  Aufsatz  befindet  sich  ein 
Irrtum,  der  nicht  unwidersprochen  bleiben 
kann.  Verfasser  sagt  nämlich,  durch  das  Ab- 
kommen von  1907  sei  das  Abkommen  von  1899 
auch  für  diejenigen  Staaten  hinfällig  geworden, 
die  das  erstere  noch  nicht  ratifiziert  haben. 
Da  also  die  Balkanstaaten,  außer  Rumänien 
sowie  Italien,  das  Schiedsabkommen  von  1907 
nicht  ratifiziert  haben,  so  seien  sie  an  das 
Schiedsabkommen  nicht  gebunden,  weder  in 
der  alten,  noch  in  der  neuen  Form.  Das  ist 
unrichtig.  Das  Abkommen  von  1899  gilt  nach 
den  Bestimmungen  für  Serbien,  Bulgarien, 
Griechenland  usw.  so  lange  fort,  bis  sie  es 
gekündigt  haben.  Daß  dies  auch  die  Ansicht 
der  Regierungen  ist,  ergibt  sich  daraus,  daß 
alle  Staaten  finanziell  zu  dem  Bureau  des 
Haager  Schiedshofes  beitragen,  im  Verwaltungs- 
rate vertreten  sind  usw.  Damit  erledigt  sich 
die  weitere  Behauptung  von  selbst,  wonach 
gerade  diejenigen  Staaten  in  den  letzten  Jahren 
Krieg  geführt  hätten,  die  das  Schiedsabkommen 
nicht  ratifiziert  hätten.  Daß  der  Artikel  48 
für  jene  Staaten,  die  das  neue  Abkommen  nicht 
ratifiziert  haben,  nicht  gilt,  ist  allerdings  zu- 
treffend. Dieser  Artikel  ist  aber  praktisch  nicht 
von  Bedeutung.  Er  kann  insbesondere  ein 
direktes  Klagerecht  nicht  ersetzen,  weil  der 
Kompromiß,  die  entscheidende  Schwierigkeit, 
bestehen  bleibt. 

Fachpresse.    ::    ::    ::    ::   ::  ::  ::  ::    ::  ::  '•'•  «  "  «   :: 

Völkerfriede  (Eßlingen).  Jan.  0.  U.,  1813 
bis  1913.  —  Vaterländische  Geschichte.  — 
Rieh.  Feld  haus,  Der  internationale 
Sozialistenkongreß    in   Basel   und   der   Krieg. 

—  O.  Graewe,  Chauvinistischer  Haß  gegen 
die  Friedensbewegung.  —  A.  We  s  t  p  h  a  1 , 
Jahresversammlung  des  Landesvereins  Würt- 
temberg der  Deutschen  Friedensgesellschaft. 

—  usw. 


76 


<£ 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


—  Febr.  U.  M.,  Bela-st ungsproben.  —  R.  Wie- 
la  ndt,  Friedensbestrebungen  und  Männlich- 
keit. —  Aufruf  der  deutsch-iranz.  Liga.  —  usw. 

Korrespondenz:  des  Verbandes  für 
internationale  Verständigung 

(Würzburg).  Nr.  1.  Prof.  Rob.  Piloty, 
Deutsche  Realpolitik.  —  Dr.  Karl  Strupp, 
Der  spanisch-französische  Marokkovertrag.  — 

—  D  r.  K  a  r  1  St  r  u  p  p  ,  Der  Friede  von 
Lausanne.  —  W.  Kloh  s,  Die  Ratifikation  der 
Haager  Schiedsabkomrnen.   —  usw. 

Die  Eiche.  Vierteljahresschrift  zur  Pflege 
freundschaftlicher  Beziehungen  zwischen 
Großbritannien  und  Deutschland.  (Berlin.) 
Nr.  1.  Lordbischof  von  Hereford, 
Die  Aufgabe  der  christlichen  Kirche  im 
öffentlichen  Leben.  —  Rev.  J.  H.  Rush- 
brooke,  Die  Bewegung  unter  den  britischen 
christlichen  Kirchen  zur  Pflege  freundschaft- 
licher Beziehungen  zwischen  Deutschland 
und  Großbritannien.  —  Direktor  D. 
Spiecker,  Die  deutsch  -  englische  Ver- 
ständigungskonferenz  in  London.  —  L  i  c. 
Bornhausen,  Die  Freundschaftsbeziehun- 
gen zwischen  deutschem  und  amerikanischem 
Protestantismus.  —  T  li.  Kondah,  Chronik 
der  deutsch-englischen  Beziehungen  während 
der  letzten  Monate.  —  usw. 

V  a  t  eiiand  und  Welt.  Organ  des  Ver- 
bandes der  Internationalen  Studentenvereine 
an  deutschen  Hochschulen.  (Göttingen.)  Nr.  1. 
Zum  Geleite.  —  Paul  Baumgarten,  Nor- 
man Angell.  —  usw. 

Der  Friede  (Bern).  Dr.  Bucher-Heller, 
Sylvesterabend  auf  den  Gurten  bei  Bern.  — 
Nietstew,  Balkanphilosophie  im  neutralen 
Lager.  —  C.  L.  Siemering,  Eine  pazi- 
fistische  Frauenzeitschrift.    —  usw. 

Die  Friedensbewegung  (Bern).  Nr.  1 . 
Pierre   C  1  c  r  g  e  t ,    Die   armenische   Frage. 

—  Dr.  Hans  Wehberg,  Völkerorgani- 
sation. — -  Albert  Fürst  v.  M  onaco,  Schieds- 
gerichtswesen   und    Gegenseitigkeit.    —    usw. 

idvocate  of  Peace  (Washington).  .Jan. 
The  Panama  Tolls  and  Arbitration.  —  No 
Nebel  Prize  in  1912.  —  Baroness  von  Suttners 
Lecture  Tour.  —  The  fourth  American  Natio- 
nal Peace  Congress.  —  The  Death  of  Albert 
K.  Smiley.  —  Charles  E.  Beals,  The 
Baroness  von  Suttners  Tour.  —  Evergett 
P.  Wheeler.  The  Nation  should  be  true 
to  its  plighted  faith  in  the  Matter  of  the 
Panama  Tolls.  —  Edwin  D.  Mead,  The 
first  Mohonk  Conference  on  International 
Arbitration.  —  George  M.  S  tratton. 
The  double  Standard  in  Regard   to  Fighting. 

—  usw. 

The  Oosmopoiitaa  Student  (Madison). 
Jan.  John  R.  Hart,  The  Presidents  annual 
Message.  —  Extracts  frorn  the  General  Secre- 
tary  Report.  —  usw. 

M  o  n  t  h  1  y  Circular  of  the  National 
Peace   Council    (London).    Jan. 

La  Paix  par  le  Droit  (Paris).  No.  1. 
Frederic  Passy,  Ceux  qu'il  faut  honorer  • 
Garibaldi.  —  Oh.  R  i  c  h e t ,  l'Alsace  Lorraine 
obstacle  ä  l'expansion  allemande.  —  Jules 
L.    P  u  e  c  h  ,    Coup  d'oeil   sur   1912.    —   usw. 

E  t  a  t  s  -  Unis  d'Europe  (Bern).  Jan. 
Emile  Arnaud,  Le  Devoir  des  Puissances. 

—  L.  de  M  o  n  1 1  u  c  ,  The  right  man  in  the 
right  place.   —  Guerre  et  Finances,   — -  usw, 


II  P  o  p  o  1  o  Pacifista  (Bonefro).  Jan. 
Marturino  de  Sanctis,  La  Spedizione 
a  Tripoli  e  il  diritto  internazionale».  —  I  ferro- 
vieri  d'Italia  contro  la  guerra.  —  usw. 

La  Luce  del  Pensiero  (Neapel).  Jan. 
Domenico  Maggiore,  Per  il  migliora- 
mento  economica  degl'  Insegnanti.  —  Fran- 
cesco Berlinghieri,  II  parallelismo 
dinamo-eivile  delle  nazioni.  —  Paul  Ada  m. 
La  supremazia  del  lavoro.  —  Alfredo  B.  Nobel 
o  Mme.   Berta  de  Suttner.   —  usw. 

Fredsfanan  (Stockholm).  Jan.  E  m  i  1 
Larsson,  Vär  rätta  Fiats.  —  K.  P.  Ar- 
n  o  1  d  s  o  n  ,  Krighändelserna  och  freds- 
strävandena.  —  Erik  Palmstjerna, 
Imperialismen  —  en  fara  för  Freden.  —  usw. 

Fredsbladet  (Kopenhagen).  Niels  Peter- 
sen, Det  gamle  og  det  nye  Aar.  —  N.  P.. 
Anna    B.    Eckstein.     —     Fru    Dikka    Möller. 

—  usw. 

„Vrede  door  Recht"  (Haag).  Jan.  W.  H. 
de  Beaufort,  De  Oorlog  en  de  Vredes- 
confei'enties.  —  H.  A.  L  o  r  e  n  t  z  ,  De  inter- 
nationale Wetenschap    bevordert    den   Vrede. 

—  D.  Josephus  Jitta,  Het  internationale 
Recht  en  de  Vredesbeweging.  —  H.  P.  S  t  aa  1, 
Kunnen  militares  voostanders  der  Vi-edes- 
beweging  zijn?  —  J.  de  Waal,  De  invloed 
van   het  Roode   Kruis   op  de   Vredesbeweging. 

—  A.  J.  vanLoghumSlaterus,  Vredes- 
beweging en  Godsdienst.  —  J.  M.  Maury, 
De  Katoliken  en  de  Vredesbeweging.  — 
F.  M.  W  i  b  a  u  t ,  Proletariaat  en  Vredes- 
beweging. —  H.  J.  Kieweit  de  Jonge, 
Para  pacein.  —  Johanna  W.  A.  Naaber, 
Vrouwenbeweging  en  Vredesbeweging.  — 
Chr.  Nuijs,  De  Pers  en  de  Vredesbeweging. 

—  Westerman,  Internationalisme  en 
Bankwezen.  —  F.  P.  t  e  r  M  e  u  1  e  n  .  De 
Kunst  en  het  Pacifisme.  —  A.  Pieters. 
Het  reizen  en  de  Vredesbeweging.  —  M  u  1  i  e  r, 
Sport  en  Vrede.  —  H.  J.  Romeijn,  De 
Vredesbeweging  en  de  Cooperatie.  —  A.  J.  E. 
A.  B  i  k ,  Het  Tentoonstellingswesen  en  de 
Vrede.  —  J.  J.  van  B  a  1  e  n  -  K  1  a  a  r  . 
Vrouwenkiesrecht  en  de  Vredesbeweging.  — 
S.  K.  Bakker,  De  Christensocialist  tege- 
nover  oorlog   en  Vrede.  —  usw. 

Lud  s  kose  (Warschau).  No.  3  u.  4.  In  pol- 
nischer Sprache :  Pazifismus  bei  Skarga  und 
Krasinski.  —  Resolutionen  der  polnischen 
Gesellschaft  der  Friedensfreunde.  —  Der  Welt- 
friedenskongreß.  —  usw. 

Nemzetközi  elet  (Budapest).  1 1 .  evf. 
A   NIX.   nemzetközi   bekekongresszus.   —  usw. 


Artikel  -  Rundschau. 
Von  Carl  Ludwig  Siemering. 
Am  28.  Januar  meldete  der  Pariser 
„Temps"  aus  London,  die  finanzielle  Lage 
Bulgariens  stehe  nicht  zum  testen,  und  ge- 
bieterisch zeige  sich  die  Notwendigkeit,  die 
Leute  zur  Aussaat  auf  die  Felder  zurück- 
zusenden, wenn  eine  furchtbare  wirt- 
schaftliche Krisis  vermieden  werden 
solle.  Großer  Joh.  von  Bloch  —  das  alles  hast 
du  vorausgesagt !  In  einer  Note  der  offiziösen 
Petersburger  ,,R  o  s  s  i  j  a"  vom  26.  Januar  heißt 
es,  die  russische  Regierung  verfolge,  ebenso  wie 
gana  Europa,  einmütig  das  Ziel,  diesem  Krieg 
ein  Ende  zu  machen.  Ein  ähnlicher  Gedanke 
wird    in   der   Wochenrundschau    der    „Nord  d. 


77 


DIE  FRIEDEN5-^/ADTE 


3 


Allg.  Ztg."  vom  2.  Februar  ausgesprochen, 
und  nach  einem  Privattelegramm  der  „Münch. 
N.  N."  aus  Wien  vom  11.  Januar  hat  Zar 
Nikolaus  sich  entrüstet  über  die  Kriegs- 
treibereien russischer  Blätter  ausgesprochen ; 
sein  Entschluß,  den  Krieg  zu  vermeiden,  sei 
nicht  wankend  zu  machen.  Leider  sind  auch 
unsern  Nationalistenblättern  solche  Kriegs- 
treibereien nicht  fremd.  In  einer  Zuschrift  an 
die  Königsberger  ,,0stpr.  Zeitg."  vom 
21.  Dezember  wird  kurz  und  bündig  verlangt, 
man  solle  „rechnen,  wieviel  Feindesland  (!) 
zur  Arrondierung  unserer  Grenzen  nötig  sei", 
und  später  heißt  es :  „Wie  würde  ein  frischer, 
freier  Krieg  hier  aufräumen ;  von  den 
Hundertzehn  im  Reichstage  würden  nicht  viele 
übrig  bleiben!"  —  Die  „L  e  i  p  z.  N.  N."  wenden 
sich  am  Neujahrstage  gegen  „jenen  seltsamen 
politischen  Altruismus,  an  dem  wir,  die  Epi- 
gonen Bismarcks,  leiden",  und  in  der  „Kreuz- 
zeitung"  vom  1.  Januar  wünscht  Theodor 
Sc  hiemann,  das  neue  Jahr  möge  der  Welt 
aus  dem  faulen  Frieden,  in  dem  sie  lebt, 
zu  einem  gesunden  Frieden  verhelfen.  Ganz 
unsere  Meinung  —  nur  daß  wir  und  Th.  Seh. 
unter  diesen  Worten  ganz  etwas  Verschiedenes 
verstehen!  In  Nr.  18  der  „Nati  o  nal-  Z  t  g." 
wendet  sich  J.  H.  Zimmermann,  M.  d.  R., 
gegen  die  „unnütze  Kriegsfurcht"  und  legt  ein- 
gehend dar,  eine  deutsch-russische  Verständi- 
gung wäre  „kein  Ding  der  Unmöglichkeit,  zumal 
jetzt,  da  die  Erinnerung  an  die  glorreiche 
Waffenbrüderschaft  vor  100  Jahren  wieder 
lebendig  wird."  (Vgl.  auch  die  York- Feier 
von  Tauroggen  und  Tilsit,  am  31.  Dezember.) 
Der  geistvolle  Franzose  Andre  Tardieu  darf 
in  der  „V  ossischen  Zt  g."  vom  13.  Januar, 
die  den  Weltkrieg  für  einen  Wahnsinn  erklärt, 
seinen  Unglauben  an  einen  europäischen  Krieg 
bekennen,  und  ein  zweiter  berühmter  Franzose, 
Jean  Richepin,  erklärte  am  5.  Januar  dem 
Vertreter  des  „Berl.  Tagebl.",  G.  Hochstetter: 
„Keinen  Krieg  darf  uns  die  Zukunft  bescheren 
—  die  ,  Ve  reinigung  aller  Staaten 
Europas'  die  muß  sie  uns  bringen."  Diese 
Hoffnung  wird  zum  mindesten  nicht  enttäuscht 
durch  die  am  17.  Januar  erfolgte  Wahl 
Poincares  zum  Präsidenten  der  französischen 
Republik.  Das  „W  iener  Fremdenb  1."  hebt 
bei  Besprechung  der  Wahl  seine  Verdienste  als 
eifriger  Förderer  des  Friedens  hervor. 
Alle  Bestrebungen,  die  darauf  abzielten,  die 
Solidarität  der  Mächte  zu  festigen  und  auch 
in  Zeiten  der  Gefahr  einen  Weg  zur  Verständi- 
gung offen  zu  halten,  hätten  an  ihm  eine 
kräftige  Stütze  gefunden.  —  „Petit 
Parisien"  sagt:  „Die  Bedeutung  der  Wahl 
läßt  sich  in  den  Worten  ausdrücken:  Demo- 
kratischer Fortschritt  und  vernünftige  Ent- 
wicklung einer  Politik  der  Ehre  und  des 
Friedens",  und  die  „Frankf.  Ztg."  vom 
18.  Januar  erinnert  an  die  freundlichen  Worte, 
die  Poincare  am  16.  Juni  1912  mit  Bezug  auf 
den  Marokkovertrag  gesprochen  habe,  der  „uns 
gestatten  wird,  zwischen  der  großen  benach- 
barten Nation  und  Frankreich  in  aufrichtig 
friedlichem  Geiste  Beziehungen  der  Höflichkeit 
und  Freimütigkeit  zu  unterhalten,  die  durch 
die  gegenseitige  Beachtung  ihrer  Interessen 
und  ihrer  Würde  beseelt  sind". 
* 

Eine  neue  Heeresverstärkung  steh t 
bevor ;   der   „Berl.   Lokal-Anz."   behauptete 


am  22.  Januar  in  einem  sensationellen  Artikel 
„Die  Forderungen  der  Armee",  daß  alle  diplo 
matischen  Künste  den  Ausbruch  eines  Welt- 
krieges aufhalten,  aber  niemals  verhindern 
könnten"  —  ein  Standpunkt,  würdig  der 
„Rhein.-Westfäl.  Ztg."  oder  der  „P  o  s  t",  die 
am  24.  Januar  jene  Stellen  angreift,  „die  von 
einem  unglaublichen  Frieden  sw  ahne 
befangen  sind".  Natürlich  fehlt  auch  wiederum 
nicht  der  gute,  alte  Generalmajor  a.  D.  Keim, 
der  im  „Tag"  vom  8.  Januar  („Wehrfragen  und 
Auswärtiges")  für  Deutschland  „eine  Art  von 
Gewaltmenschen"  reklamiert  oder  „wenigstens 
einen  Mann,  der  auch  vor  Lösung  gewaltiger 
Aufgaben  nicht  zurückschreckt  ..."  —  Das 
Zentrum  wird  auch  hierbei  wieder  im  Reichs- 
tage den  Ausschlag  geben.  Zwar  findet  die 
„Köln.  Volks  ztg."  vom  24.  Januar  sehr 
kräftige  Worte  gegen  den  wankelmütigen  Kriegs  - 
minister,  der  seine  eigenen  Darlegungen  von 
1912  ganz  munter  desavouiere,  und  stellt  den 
Grundsatz  auf:  „Ohne  Deckung  keine  neue 
Militärvorlage",  aber  sicher  wird  die  katholische 
„Kölner  Korresp."  vom  28.  Januar  recht 
behalten,  die  die  Taktik  des  Zentrums  gleich- 
sam als  Schwank  in  4  Akten  wie  folgt  schil- 
dert: I.  Akt:  Entrüstete  Ablehnung  der  Vor- 
lage ;  II.  Akt :  Einlenkung  angesichts  der 
kritischen  Lage,  aber :  mangelnde  Deckung ! 
III.  Akt:  Wir  dürfen  der  Regierung  die  not- 
wendigen Mittel  nicht  vorenthalten.  Aber:  die 
oberen  Hunderttausend,  nicht  die  Volksmassen, 
sollen  die  neuen  Lasten  aufbringen;  IV.  Akt: 
Glatte  Annahme  des  Gesetzes  und  Ver- 
teilung der  Lasten  auf  Reich  und  Arm;  ein 
paar  kleine  Abstriche  als  Blendwerk  für  die 
Wähler.   —  Echte   Zentrumsdiplomatie ! 


„Giornale  d'Italia"  vom  7.  Januar 
kommt  auf  des  neuen  Staatssekretärs  Jagow 
Verhalten  bei  der  Annexion  von  Tripolis  zurück 
und  erklärt  es  als  Jagows  Verdienst,  wenn  die 
Reichsregierung  Marschall  abberief,  dem  Frei- 
herrn v.  d.  Goltz  „den  Maulkorb  anlegte"  (!) 
und  die  italienfeindliche  Presse  zum  Schweigen 
brachte  (!!).  Es  geht  doch  nichts  über  eine 
schöne  Unverfrorenheit!  —  Die  alldeutsche 
„Tägl.  Rundschau"  zieht  in  einer  Zu- 
schrift vom  8.  Januar  gegen  die  „nationale 
Knochenerweichung"  zu  Felde,  die  vom 
„Illustr.  Briefmarken-Journal"  dadurch  erzielt 
werde,  daß  es  von  „unberechtigter  Deutsch- 
tümelei" spricht,  wenn  man  die  Frage,  ob 
„deutsche  oder  lateinische  Buchstaben",  zu 
einer  Frage  des  Deutschtums  machen 
wolle.  Die  Rundschau  spricht  u.  a.  von  der 
„Dreistigkeit  des  internationalen  Geschäftes" 
und  bringt  damit  einen  häßlichen  Gassenton 
in  die  Debatte.  —  Im  Pariser  „Theater  Rejane" 
wurde  unlängst  ein  Stück  „A  Isace"  auf- 
geführt, das,  wie  die  ,,B.  Z."  vom  9.  Januar 
aus  Paris  erfährt,  eine  zurechtgestutzte 
Deutschenhetze  betreibt.  —  Einem  anderen 
Hetzer,  dem  Reichstagsabg.  Wetterle,  wird 
von  der  „Nordd.  Allg.  Ztg."  (18.  Januar) 
bescheinigt,  daß  er  „ein  frevles  Spiel  mit  dem 
Frieden  zweier  Nationen"  treibe.  —  Ein  Auf- 
satz im  „Hamb.  Fremdenbl."  vom 
23.  Januar,  betitelt  „Britischer  Imperialismus", 
kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß  sich  für  Eng- 
land immer  unabwendbarer  die  Notwendigkeit 
ergebe,    „nicht   nur  einen  Ausgleich  der   Inter- 


78 


<Ö= 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


essen  zur  Vermeidung  kriegerischer  Konflikte, 
sondern  eine  ehrliche  Verständigung  mit  stamm- 
verwandten Völkern  zu  suchen".  —  Im  „Tag" 
vom  23.  Januar  tritt  Professor  Dr.  Wygod- 
z  i  n  s  k  i  -  Bonn  („Europäische  Menschen- 
ökonomie") dafür  ein,  daß  die  verschiedenen 
europäischen  Organisationen  für  Arbeits- 
nachweis sich  zu  einer  gemeinsamen  Be- 
kämpfung der  überseeischen  Auswanderung  zu- 
sammenfinden, gemäß  einem  Vorschlag  der 
„Deutschen  Arbeiterzentrale".  —  Die  „Leipz. 
N.  N."  vom  26.  Januar  haben  einen  „sozial- 
demokratisch organisierten  (ungenannten) 
Arbeiter"  entdeckt,  der,  indem  er  persönliche 
Erfahrungen  verallgemeinert,  den  Parteiführern 
anrät,  sie  möchten  aufhören,  „mit  fremden 
Völkerschaften  zu  liebäugeln".  Dieser  Muster- 
„  Sozialist"  paßt  vortrefflich  in  das  Milieu  der 
„Leipz.  N.  N."  !  —  Im  „B  e  r  1.  Lokal-An  z." 
vom  23.  Januar  erörtert  Dorothee 
Goebeler  das  Thema  „Die  Frauen  und  der 
Krieg" ;  sie  meint,  Säbel  und  Gewehr  gehörten 
in  die  Hände  unserer  Jungen  —  nicht  als 
blutiges  Werkzeug  des  Krieges,  sondern  „als 
die  Waffe,  die  in  des  Mannes  Händen  einmal 
dem  Schutz  des  Friedens  dienen  soll". 
Was  für  eine  Art  von  „Frieden"  hier  gemeint 
ist,  wird  dem  Kundigen  sofort  klar.  Die  beste 
indirekte  Widerlegung  findet  die  Autorin  in 
„Kinderlan d",  Monatsbeilage  (Februar)  zu 
,,Eth.  Kultur",  worin  ein  kleiner  Artikel  „Friede 
auf  Erden"  die  Frage  aufwirft:  „Gibt  es  gar 
keine  anderen  Mittel,  Kinder  glücklich  zu 
machen,  als  ihnen  Vernichtungswerkzeuge  zu 
schenken?  .  .  .  Ist  das  die  sogenannte  „auf- 
bauende  Kultur"  ? 

In  der  in  München  erscheinenden  Zeit- 
schrift „Kain"  (Herausgeber:  Erich  Müh- 
sam) finden  wir  einige  Artikel,  die  sich  mit 
dem  Friedensproblem  befassen.  In  Nr.  8  vom 
November  1912  „Für  den  Frieden"  richtet  der 
Herausgeber  in  bitterem  Ernst  scharfe  Mahn- 
worte an  die  Gesellschaft  zur  Verhütung  eines 
Weltkrieges.  In  Nr.  10  vom  Januar  1913  „Das 
Weltparlament"  entwickelt  er  ein  dilettantisches 
Projekt  zur  Kriegsvermeidung,  zeigt  sich  aber 
auch  hier  als  ein  folgerichtiger  Kriegshasser. 
„Eine  Diskussion  über  die  Berechtigung  des 
Krieges  ist  unmöglich.  Wir  Friedensfreunde 
wissen,  daß  der  Krieg  so  entsetzlich  ist,  daß 
er  nicht  mehr  sein  darf."  —  In  der  „Christ- 
lichen Welt  (Nr.  4)  bespricht  Friedrich 
C  u  r  t  i  u  s  „Das  Werk  vom  Haag"  in  äußerst 
sympathischer  Weise.  Er  schließt  seinen  Auf- 
satz mit  den  Worten:  „Der  Fortschritt  poli- 
tischer Kultur,  den  die  Entwicklung  des  Völker- 
rechts vollziehen  soll,  an  dem  wir  auch  als 
Menschen  und  Christen  interessiert  sind,  be- 
steht gerade  darin,  daß  die  Staaten  dahin  ge- 
führt werden,  nicht  einer  höheren  Gewalt,  son- 
dern einer  Idee  zu  huldigen."  —  In  einem 
Artikel  „Ueber  den  Einfluß  des  Balkankrieges 
auf  die  Frequenz  der  Volkshochschule"  weist 
Dr.  Oscar  Stillich  („D  ie  Volkshoch  - 
schul  e",  Heft  1)  die  bemerkenswerte  Tat- 
sache nach,  daß  der  Besuch  der  Berliner  Volks- 
hochschulen im  letzten  Quartal  1912  bedeutend 
zurückgegangen  ist.  Die  Humboldt-Akademie 
allein  hat  in  jenem  Quartal  1200  Hörer  weniger 
gehabt  als  im  gleichen  Abschnitt  des  Vor- 
jahres. Die  Schuld  wird  der  politischen  Un- 
sicherheit   zugeschrieben    und    dabei    der    Aus- 


spruch eines  Kaufmanns  zitiert,  der  sagte:  „Ich 
werde  doch  jetzt  nicht  Vorlesungen  hören,  wo 
ich  nicht  weiß,  ob  morgen  der  Krieg  auf  uns 
übergreift."  —  In  der  Wiener  „Wage",  die 
von  dem  fortschrittlichen  Reichsratsabgeord- 
neten E.  V.  Zenker  redigiert  wird,  findet 
ein  Artikel  Platz,  der  „ein  Arbeitsfeld  für  die 
Pazifisten"  vorschlägt.  Der  Verfasser  jenes 
Artikels  rät  uns,  „aus  dem  Gespinst  unserer 
Theorie,  die  ja  doch  nimmermehr  Wirklichkeit 
werden  kann",  uns  zu  entwirren  und  —  —  na 
sagen  wir,  für  die  Herstellung  der  bereits  im 
Jahre  1864  hergestellten  Genfer  Konvention 
einzutreten,  von  deren  Errichtung  ihm  nichts 
bekannt  zu  sein  scheint,  ebensowenig  wie  von 
der  erwiesenen  Unmöglichkeit,  den  Krieg  zu 
humanisieren.  —  Die  sonderbaren  Ausführungen 
Dr.  Maurenbrechers  über  „Die  Demo- 
kratie und  der  Krieg",  die  im  ersten  Januarheft 
des  „F  reien  Worte  s"  erschienen,  sucht 
der  Herausgeber  der  „Friedens-Warte''  im  ersten 
Februarheft  jener  Zeitschrift  zu  widerlegen. 


Artikel.     ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

(Bibliographie.)  I.  Friedens- 
bewegung im  allgemeinen:  Carl 
H  ü  1 1  e  r ,  Weltbürgertum  und  Vaterlandsliebe. 
„Die  Leuchte."  (Lennep.)  Nr.  2.  *  Ein  Brief 
von  Andrew  Carnegie.  „Münch.  Neueste  Nach- 
richten." 22.  I.,  „Neue  Badische  Landeszeitung." 
23.  I.,  „Metzer  Ztg."  23.  L,  „Braunschweig. 
Landesztg."  23.  I.  *  Dr.  Hans  Wehberg,  Die 
Friedensbewegung  im  Jahre  1912.  „Eth.  Kultur" 
IL  *  Nationale,  berufliche  und  gemeinnützige 
Bestrebungen  und  ihre  Förderung  durch  die 
deutschen  Hochschulen,  durch  Studierende  und 
Studierte.  „Hochschul-Nachrichten."  (München.) 
Nr.  2.  *  Alfred  H.  Fried,  Die  Demokratie 
und  der  Krieg.  „Das  Freie  Wort."  Nr.  21.  * 
Prof.  Martin  Spahn,  Der  Friedens- 
gedanke in  der  Entwickhing  des  deutschen 
Volkes.  „Deutsche  Revue."  II.  *  D.  J.  von 
F  e  r  e  n  c  z  y  ,  Krieg  dem  Kriege.  „Nord  und 
Süd."  IL  *  Dr.  C.  J a e  c k  h  ,  Weitere  Zeug- 
nisse für  die  Balkangreuel.  „Frankfurter  Ztg." 
23.  I.  *  Friedrich  v.  Vincenz,  Was  ein 
Schlachtfeld  erzählt.    „Frankfurter  Ztg."  1.   IL 

*  (Jordan),  Der  Friedensgedanke.  „Deutsch- 
Oesterreichische  Lehrerzeitung."  15.  I.  *  Karl 
Leuthner,  Der  Krieg  als  eine  moralische 
Anstalt  betrachtet.    „Soc.  Monatshefte."    16.   I. 

*  Leop.  Katscher,  Eine  tatkräftige  Frie- 
densfreundin (Anna  B.  Eckstein).  „Berliner 
Tageblatt."  10.  I.  *  (Prof.  L.  Quidde),  Ein 
Vorschlag  zum  Frieden.  „Frankfurter  Ztg." 
28.  I.  *  Georg  K  o  s  s  a  k  ,  Aus  dem  Arsenal 
der  Friedensbewegung.  „Kgsbg.  Hartungsche 
Zeitung."  26.  I.  *  Die  Katholiken  und  der 
internationale  Friedensgedanke.  „Badischer  Be- 
obachter." 12. 1.  *  „Hart  am  Weltkrieg."  „Mün- 
chener Neueste  Nachrichten."  23.  I.  *  Doro- 
thee Goebeler,  Die  Frauen  und  der  Krieg. 
„Berliner  Lokal- Anzeiger."  23.  I.  *  Friedrich 
Braumann,-  Der  Antimilitarismus.  ,,Der 
Tag."  22.  I.  *  Emil  Tanderveide,  Wieso 
ist  die  internationale  Arbeiterpartei  die  einzige 
unbeugsame  Friedenspartei?  „Dokumente  des 
Fortschritts."  I.  *  (0.  Umfrid),  Hyper- 
nationalismus  oder  Chauvinismus  in  akademi- 
schen Kreisen.  „Der  Beobachter-."  28.  I.  * 
Pfarrer  Wagner  (Neuhengstett),  Kirche  und 
Friedensbewegung.    „Der   Beobachter."    27.,   28. 


79 


DIE  FßlEDENS-^VAßTE 


3 


u.  31.  XII.,  2.,  3.,  4.  u.  7.  I.  * :  Edwin  I>. 
M  ead,  Peace  Prizes.  „Boston  Dailv  Advertiser." 
19.  XII. 

II.  Die  internationale  Politik: 
Lord  Cour tone y  of  Penwith,  Nationen 
und  Nachbarn.  „Nord  und  Süd."  II.  *  G.  H. 
Perris,  Mehr  Licht  über  die  Agadirkri'sis. 
„Nord  und  Süd."  IL  *'  Prof.  Dr.  Ernst  S  i  e  p  e  r. 
Die  deutsch-englische  Verständigungskonferenz, 
II.  u.  III.  „Nord  und  Süd."  IL  *  Ders.,  Die 
deutsch-englische  Verständigungskonferenz.  „Der 
Vortrupp."  Nr.  2  u.  3.  *  H.  lemau,  Zur 
Geschichte  der  Demokratie  in  Frankreich.  „Das 
monistische  Jahrhundert."  Nr.  20  u.  21.  * 
Ders.,  Diplomatie  und  Wirklichkeit.  „Janus." 
(München.)  Heft  8.  *  Ernst  Bassermann, 
Der  deutsche  diplomatische  Dienst  und  seine 
Reform.  „Königsberger  Allgemeine  Ztg."  17.  L, 
„Dortmunder  Zeitung."  17.  I.  *  Neue  Doku- 
mente zur  politischen  Geschichte.  „Berliner 
Tageblatt,"  2.  IL  *  A  1  f  r  e  d  H.  F  r  i  e  d ,  Sturm- 
zentrum, Oesterreich.  „Dokumente  des  Fort- 
schritts." I.  *  A.  Thardieu,  Ist  ein  europä- 
ischer Krieg  zu  befürchten?    „März."    11.  I. 

III.  Volk  e  rrec  h  t :  D  r.  KarlStrupp, 
Der  Friede  zu  Lausanne.  „Allgemeine  Zeitung." 
25.  I.  *  W.  K  1  o  h  s,  Die  Ratifikation  des  Haager 
Abkommens  vom  18.  X.  „Weser-Zeitung."  22.  L, 
„General-Anzeiger."   (Mannheim.)    21.   I. 

V.  Wirtschaftliches:  Dr.  Franz 
Lederlmann,  Der  Krieg  als  Kultur-  und 
Wirtschaftsereignis.  „Nord  und  Süd."  IL  * 
Vom  Krieg  und  Kapitalismus,  L  „Dresdener 
Volkszeitung."  7.  I.  *  A  r  k  a  d  i  A  w  e  r  - 
tschenko,  Rüstungs  Wahnsinn.  „Der  Frei- 
denker." (München.)  15.  I.  *  Heinrich 
Dove,  Die  weltwirtschaftlichen  Beziehungen 
als  Element  der  Kriegs-  und  Friedenspolitik. 
„Neue  badische  Landes-Zeitung."  17.  L,  „Neue 
Straßburger  Zeitung."  21.  L,  „Berliner  Börsen- 
Courier."    17.   I. 


SMITTEILV/NGEN  DEBS 
FRIEDENSGESELLSCHÄFTEN 

(Verantwortlich  für   den  Inhalt   dieser  Rubrik    ist   nicht   die 
Sohriftleitung,  sondern  die  betreffende  Friedensgesellschaft.) 


Oesterreichische  Friedensgesellschaft. 

Bureau:  Wien  I,    Spiegelgasse  4. 

Vortrag  Baronin  Suttner.  Zu- 
gunsten unserer  Gesellschaft  hielt  Baronin 
von  Suttner  am  27.  v.  M.  im  Beethovensaale 
einen  Vortrag  über  „Erlebnisse  und  Eindrücke 
aus  Amerika".  Dem  Vortrag,  der  über  zwei 
Stunden  währte,  lauschte  ein  überaus  zahl- 
reiches Publikum,  welches  der  Baronin  zum 
Schlüsse   stürmisch   zujubelte. 

Einer  Einladung  des  Prager  Journalisten- 
vereins „Concordia"  folgend,  sprach  Baronin 
Suttner  am  6.  d.  M.  in  Prag,  femer  am  10. 
in  Dresden,  schließlich  am  17.  und  19.  in  der 
..Urania"    in    Berlin. 


In  der  am  14.  v.  M.  abgehaltenen  Vor- 
standssitzung  wurde  folgende  Resolution  be- 
schlossen : 


„Die  vom  ehemaligen  rumänischen  Minister- 
präsidenten Karp  an  die  „Neue  Freie  Presse" 
gerichtete,  im  Morgenblatt  des  14.  v.  M.  ver- 
öffentlichte Depesche,  des  Inhaltes,  „daß  die 
rumänisch-bulgarische  Streitfrage  nicht  anders 
als  durch  das  Schwert  gelöst  werden  könne, 
daß  jede  andere  Methode  mehr  Zeit,  mehr  Geld 
und  mehr  Menschen  kosten  würde  und  daß, 
wenn  man  Rumänien  helfen  will,  dies  nicht 
auf  friedlichem  Wege  geschehen  könne",  ver- 
anlaßt die  österreichische  Friedensgesellschaft 
zu    nachstehender   Erklärung: 

Die  Behauptung,  daß  es  Konflikte  gibt,  die 
nur  durch  Anwendung  von  Gewalt  zu  schlichten 
seien,  und  daß  diese  schon  aus  Sparsamkeits- 
und Hunianitätsrücksichten  jeder  friedlichen 
Methode  vorzuziehen  sind,  kann  in  einem  Zeit- 
alter nicht  mehr  als  Dogma  hingestellt  werden,  in 
dem  die  Tendenz  (die  ja  das  Kriterium  der 
fortschreitenden  Kultur  ist),  das  Recht  an  Stelle 
der  Gewalt  zu  setzen,  in  offiziellen  Einrich- 
tungen, Haager  Tribunal,  Schiedsverträge,  Inter- 
parlamentarische Union,  Vermittlung  usw., 
schon  begonnen  hat,  feste  Formen  anzunehmen. 
In  der  1899  im  Haag  von  26  Staaten  unter- 
zeichneten Konvention  heißt  es  in  Titel  I,  daß 
„die  S  i  g  n  a  t  a  r  mächte  sich  ver- 
pflichten, alle  ihre  Bemühungen 
anzuwenden,  um  die  Schlichtung- 
internationaler  Streitigkeiten 
durch  friedliche  Mittel  herbei- 
zuführe n."  Siehe  ferner  Titel  III :  Ueber 
internationale  Unter  such  ungskom- 
missio  n  e  n. 

Eine  Ignorierung  dieser  Errungenschaften, 
denen  wir  tatsächlich  schon  die  Verhütung  von 
Kriegen  zu  danken  haben,  ist  nicht  mehr  am 
Platze,  besonders  nicht,  wenn  die  Gefahr  vor- 
liegt, wegen  territorialer  Ansprüche  einzelner 
Länder  den  ganzen  Erdteil  in  Brand  zu  setzen. 
Es  soll  hier  nicht  versucht  werden,  die 
Berechtigung  der  schon  im  Gang  befindlichen 
Bewegung  zur  rechtlichen  Organisation  der 
täglich  durch  weitverzweigte  Interessengemein- 
schaft solidarischer  werdenden  AVeit  durch 
Argumente  zu  stützen.  Schon  zeigt  sich  in 
Umrissen  ein  einig  wollendes  und  handelndes 
Europa.  Auch  soll  nicht  versucht  werden,  die 
offenbar  noch  sehr  stark  vertretene  kriegerische 
Weltanschauung  kritisch  zu  widerlegen ;  die 
gegenwärtige  Erklärung  bedeutet  nur  die  Er- 
füllung der  jedem  für  allgemeine  hohe  Zwecke 
kämpfenden  Vereine  zufallenden  Pflicht,  jeder- 
zeit und  namentlich  in  schicksalsschweren 
Stunden,  den  eigenen  Standpunkt  zu  vertreten, 
und  die  schon  erreichten .  und  noch  zu  er- 
reichenden Ziele  der  Mitwelt  ins  Gedächtnis 
zu   rufen." 

Diese  Resolution  wurde  an  die  Tagespresse 
in  Oesterreich,  sowie  auch  ins  Ausland  ge- 
sendet und  wurde  von  vielen  Journalen  ver- 
öffentlicht. Auf  Veranlassung  der  „Mirova 
Jednota"  in  Brunn  wurde  die  Resolution  auch 
in  mehreren  tschechischen  Zeitungen  zum  Ab- 
drucke gebracht. 

M 

Vortragszyklus.  Wie  alljährlich  wird 
auch  heuer  ein  acht  Abende  umfassender  Vor- 
tragszyklus in  der  Wiener  Universität  ab- 
gehalten werden.  Das  Programm  hiefür  werden 
wir    in   der   nächsten   Nummer   veröffentlichen. 


Verntwortlicher  Redakteur:  Carl  A ppold,  Berlin  W. 50.  —  Im  Selbstverlag  des  Herausgebers  Alfred  H.  Fried,  Wien  IX/2. 
Druck:  Pass&  Garleb  G.m.b.H.,  Berlin  W  57.  —  Verantwortl.  Rnriaktaur  ffir  Oasterrßicb  Unsrarn  •  Vi  nzenn  Jerahnk  inWiw. 


80 


März  1913. 


lieber  uns  die  Sintflut. 


Fast  hat  es  den  Anschein,  als  ob  es  nun 
bald  z.u  Ende  gehen  müsse  mit  dem  Irrtum  des 
Ueberrüstens.  Die  neue  Rüstungswelle,  die 
über  Europa  eben  hereinbricht,  läßt  näm- 
lich keine  andere  auf  Vernunft  begründete 
Annahme  zu.  Mit  Ausnahme  von  Deutsch- 
land und  England  scheinen  alle  anderen 
Staaten  an  der  Grenze  ihrer  Leistungsfähig- 
keit angelangt  zu  sein.  Deutschland  hat  mit 
der  bloßen  Ankündigung  der  geplanten 
Heer  es  Vermehrung  den  Ton  angegeben, 
Frankreich,  Rußland,  Oesterreich-Ungarn 
haben  sofort  Maßnahmen  ergriffen,  um  dem 
Beispiel  zu  folgen.  Italien  wird  nicht  lange 
auf  sich  warten  lassen,  und  wer  weiß,  ob 
diese  neueste  Phase  des  Rüstungswahnsinns 
nicht  auch  den  Anhängern  einer  allgemeinen 
Wehrpflicht  in  England  zum  Erfolg  ver- 
helfen wird.  Vorläufig  zeigt  sich  dort  das 
Rüstungsfieber  in  Form  eines  Luftflotten- 
paroxysmus.  Aber  nicht  nur  die  Großmächte 
wurden  von  der  Rüstungspanik  erfaßt;  die 
Kleinstaaten  können  sich  ihrer  auch  nicht 
mehr  erwehren,  wie  das  Beispiel  Belgiens 
zeigt,  das  bereits  eine  neue  Heeresverstär- 
kung angekündigt  hat.  Die  Balkanstaaten 
werden  nach  erfolgtem  Friedensschluß  nicht 
umhin  können,  ebenfalls  ihren  Rüstungs- 
panzer zu  verstärken,  und  so  sehen  wir  denn 
das  ganze  alte  Europa  von  einem  ungeheuren 
Verfolgungswahn  getrieben,  die  schiefe 
Ebene  in  einem  immer  beschleunigteren  Lauf 
hinunterrasen. 

[Was  ist  die  Ursache  dieser  erneuten 
Flut,  die  alles  übertrifft,  was  die  jetzige 
Generation  nach  dieser  Richtung  schon  er- 
lebt hat.  Deutschland,  das  mit  der  Ankün- 
digung der  Erhöhung  seiner  Heeresmacht 
zuerst  hervorgetreten  ist,  wird  deshalb  als 
der  Urheber  der  neuen  Rüstungen  angesehen. 
tWas  meinem  Ermessen  nach  nicht  richtig 
ist.  Erstens  bedingt  die  ."Widersinnigkeit 
des  modernen  Rüstungswesens,  daß  es  keinen 
einzelnen  Urheber  dafür  gibt,   sondern   die 


Gesamtheit  der  im  .Wettbewerb  befindlichen 
Staaten  sich  gegenseitig  schiebt.  .Wenn 
Deutschland  in  diesem  Augenblick  der  sicht- 
bar schiebende  Staat  ist,  so  unterliegt  es 
keinem  Zweifel,  daß  auch  auf  das  Reich 
Kräfte  eingewirkt  haben,  die  es  in  seinen 
Handlungen  bestimmten,  die  nur  nicht  so 
offen  erkennbar  sind.  Die  „Norddeutsche 
Allgemeine  Zeitung",  die  in  ihrer  Nummer 
vom  1.  März  e^nen  offiziösen  Kommentar  zu 
der  noch  ausstehenden  Heeresvorlage  gibt, 
führt  den  „Umschwung  der  Verhältnisse  im 
Südosten  Europas"  als  Grund  an.  Das  dürfte 
auch  sicherlich  der  zunächstliegende  Beweg- 
grund sein,  aber  beileibe  nicht  der  letzte 
Grund  dieser  europäischen  Krankheit.  Ohne 
bis  auf  diesen  selbst  zurückzugehen  —  es 
würde  uns  dies  hier  zu  weit  führen,  den  un- 
geheuren Komplex  der  europäischen  Sünden 
klarzulegen  — ,  können  wir  doch  die  Ursache 
über  jenen  „Umschwung  der  Verhältnisse  im 
Südosten  Europas"  hinaus  verfolgen.  Und  da 
führt  uns  der  gerade  Weg  zu  jenem  verhäng- 
nisvollen Schritt  des  Grafen  Aehrenthal,  der 
durch  die  Umtaufe  des  Besitzes  Oesterreich- 
Ungarns  an  Bosnien  und  der  Herzegowina 
ein  Steinchen  aus  dem  Berliner  Vertrag  löste, 
der  30  Jahre  lang  die  Ordnung  auf  dem  Bal- 
kan —  wenn  auch  mehr  schlecht  als  recht  — 
aufrecht  erhielt,  wodurch  das  ganze  darauf 
errichtete  Gebäude  ins  Wanken  geriet.  Diese 
Titeländerung  führte  zur  Selbständig- 
machung  Bulgariens,  zu  demRaub  von  Tripolis 
und  zuletzt  zu  jener  Auflehnung  der  Balkan- 
staaten, die  noch  nicht  abgeschlossen  ist. 
Diese  Veränderung  des  bisherigen  Zustandes 
am  Balkan  hat  die  latenten  Gegensätze 
zwischen  den  europäischen  Staaten  akut  zu- 
gespitzt und  der  Niederschlag  der  Erregun- 
gen und  Aengste  zeigt  sich  —  nicht  erst 
jetzt,  sondern  schon  seit  1908  —  in  einer  er- 
neuten krampfhaften  Anspannung  der 
Rüstungen. 

Wir    Pazifisten    sollten    nicht    unter- 


81 


DIE  FRIEDENS  -WARTE 


=9 


lassen,  auf  den  Ausgangspunkt  der  neuen 
Milliardenopfer,  die  Europa  jetzt  bringen 
muß,  immer  wieder  hinzuweisen,  um  der 
Oeffentlichkeit  den  hohen  materiellen  Wert 
der  internationalen  Verträge  deutlich  vor 
Augen  zu  führen.  JVir  sollten  es  nicht  unter- 
lassen, allen,  die  an  der  neuen  Bürde  schwer 
zu  tragen  haben  werden,  in  Mark  und  Pfenni- 
gen vorzurechnen,  wie  wertvoll  der 
Berliner  Vertrag  gewesen  ist,  und 
wie  sehr  es  im  Interesse  der  ganzen  europäi- 
schen Menschheit  gelegen  hätte,  ihn  nicht 
nur  zu  erhalten,  sondern  ihn  auch  ehrlich 
durchzuführen  (was  bekanntlich  durch  eine 
kurzsichtige  Politik  der  europäischen  Mächte 
verhindert  wurde)  und  welch  große  materielle 
Bedeutung  daher  eine  Politik  der  Verständi- 
gung und  der  festbegründeten  Verträge  be- 
sitzt. Vielleicht  wird  sich  dann  doch  in 
weiteren  Kreisen  die  Erkenntnis  durch- 
ringen, daß  es  nicht  heißen  darf  ,,si  vis 
pacem  para  bellum",  sondern  vielmehr  ,,si 
vis  pacem  para  pactum". 

Selbstverständlich  ist  —  wie  bereits  er- 
wähnt —  die  Verletzung  des  Berliner  Ver- 
trages nur  die  unmittelbare,  nicht  die  mittel- 
bare Ursache  des  krankhaften  Rüstungs- 
wettstreites, dem  vielleicht  noch  weiter 
zurückliegende  Ursachen  und  weitere  Trieb- 
kräfte der  Gegenwart  und  Vergangenheit  zu- 
grunde liegen.  Aber  immerhin  ist  es  wichtig, 
darauf  hinzuweisen,  daß  nicht  einzelne 
Staaten  die  Alleinschuldigen  sind,  sondern 
die  Gesamtheit  der  führenden  Mächte  und 
ihr  gesellschaftswidriges  Verhalten.  Jeder 
Staat  ist  Bedroher  und  Bedrohter  der  an- 
deren und  wird  in  seinen  Handlungen  von 
diesen  ebenso  beeinflußt,  wie  er  die  anderen 
beeinflußt,  4Wird  man  sich  dessen  klar,  so 
reinigt  man  nicht  nur  die  politische  Atmo- 
sphäre von  Gegensätzlichkeiten  und  Haß- 
empfindungen, die  das  Uebel,  das  man  be- 
kämpfen will,  nur  noch  mejhr  verschärfen, 
man  lenkt  auch  die  öffentliche  Aufmerksam- 
keit gerade  auf  jenen  wichtigen  Punkt  hin, 
bei  dem  eingesetzt  werden  muß,  wenn  man 
zu  einer  Erlösung  von  jenem  unerträglichen 
Uebel  kommen  will.  Indem  man  den  Dolus 
der  Gesamtheit  nachweist,  zeigt  man,  daß 
nur  eine  Aktion  der  Gesamtheit  die  ersehnte 
Aenderung  des  Zustandes  herbeiführen  kann. 
Indem  man  zeigt,  wie  die  Staaten  bei  ihren 
Rüstungen  voneinander  abhängig  sind, 
nimmt  man  dem  einzigen  Mittel,  das  eine 
Aenderung  herbeiführen  kann,  nämlich  dem 
Mittel  des  zwischenstaatlichen  Vertrages, 
den  herbsten  Stachel ;  weil  der  Vorwurf,  daß 
jeder.  Staat    seine    Rüstungen    unabhängig 


von  den  anderen  nach  seinen  eigenen  Bedürf- 
nissen bestimmt,  und  es  deshalb  mit  seinem 
Souveränitätsbegriff  •  nicht  vereinbaren 
könne,  sich  durch  einen  Vertrag  darüber  in 
eine  Abhängigkeit  gegenüber  den  anderen 
zu  begeben,  damit  in  sich  selbst  zusammen- 
fällt. Der  schrankenlose  Rüstungswetthe- 
werb  beruht  auf  der  gegenseitigen  Abhängig- 
keit der  Staaten  voneinander;  es  ist  die  ver- 
tragslose Abhängigkeit.  Die  Befreiung  von 
diesem  Zustande  wird  nur  erreicht  werden 
durch  die  vertragsgemäße  Abhängigkeit. 

Die  Möglichkeiten  eines  Rüstungsab- 
kommens können  ja  heute  nicht  mehr  so 
leicht  von  der  Hand  gewiesen  werden,  wie 
es  noch  vor  einiger  Zeit  geschah.  Seitdem 
die  englische  und  deutsche  Regierung  an 
die  Erörterung  eines  gegenseitigen  Rüstungs- 
verhältnisses geschritten  sind,  fängt  der 
Gedanke  an,  auch  jenen  Kreisen  diskutier- 
bar zu  erscheinen,  die  ihn  bisher  ablehnten. 
Und  neuerdings  dürfte  die  Verabredung 
Oesterreich-Ungarns  und  Rußlands  bezüg- 
lich der  Demobilisierung  der  galizischen 
Grenze,  wobei  genau  das  Verhältnis  der  Kom- 
pagniestärke bestimmt  und  auch  sonstige 
Einzelheiten  verabredet  werden  sollen,  als 
ein  Fortschritt  der  Idee  einer  vertragsmäßi- 
gen Rüstungsentlastung  gelten. 

,^Wie  die  Dinge  heute  liegen,  hat  es  sogar 
den  Anschein,  daß  das  Problem  der  vertrags- 
mäßigen Rüstungsbeschränkung  auf  der 
nächsten  Haager  Konferenz  diskutabel  er- 
scheinen wird.  Nicht  daß  wir  uns  der  Hoff- 
nung hingeben,  es  könnte  dort  schon  zu  einer 
Lösung  kommen ;  doch  weisen  die  gegen  1907 
veränderten  Verhältnisse  darauf  hin,  daß 
man  eine  Erörterung  nicht  mehr  fürchten 
wird,  und  mit  dieser  wenigstens  zu  dem  An- 
fang einer  Lösung  kommen  könnte.  Es  ist 
anzunehmen,  daß  sich  diesmal  die  Reichs- 
regierung einer  solchen  Erörterung  nicht 
widersetzen  wird. 

Denn  es  unterliegt  ja  keinem  Zweifel, 
daß  das  Problem  in  den  letzten  Jahren  — 
sagen  wir:  „exklusiver"  geworden  ist 
(populär  war  es  ja  schon  lange).  Es  sind 
heute  nicht  nur  die  breiten  Volksklassen, 
die  dafür  eintreten,  sondern  auch  die  höheren 
der  Regierung  nahestehenden  Gesellschafts- 
schichten  haben  dafür  Verständnis  bekom- 
men, und  werden  immer  mehr  darauf  hin- 
gewiesen werden,  sich  mit  dem  Problem  zu 
befassen.  Namentlich  in  Deutschland  und 
Frankreich,  wo  jetzt  auch  die  besitzenden 
Klassen  in  fühlbare  Mitleidenschaft  gezogen 
werden.  In  Deutschland  durch  den  freudigst 
zu  begrüßenden  Gedanken  einer  Vermögens- 


82 


<§= 


3  DIE  FRIEDENS WABTE 


abgäbe,  in  Frankreich  durch  die  ausnahms- 
los allen  Bevölkerungsklassen  auferlegte 
Last  der  dreijährigen  Dienstzeit.  Das  sind 
Tatsachen,  die  eine  allmähliche  Umkehr  als 
wahrscheinlich  erscheinen  lassen. 

Freilich;  eine  gründliche  Wandlung 
steht  noch  weit  im  Felde,  was  uns  nicht  hin- 
dern soll,  auch  den  guten  Willen,  die  sicht- 
bar  wahrzunehmenden  Anfänge  einer  Aende- 
rung  als  Fortschritt  freudigst  zu  begrüßen. 
Wir  Pazifisten  haben  uns  über  die  'Schwierig- 
keiten des  Problems  niemals  einer  Täuschung 
hingegeben,  und  haben  stets  die  Lehre  ver- 
kündet, daß  die  Rüstungen  die  Symptome 
der  internationalen  Anarchie  sind,  die  mit 
der  allmählichen  Beseitigung  ihrer  Ursachen 
allmählich  zurückgehen  werden.  Aber  wir 
täuschen  uns  auch  darüber  nicht,  daß  der 
heutige  Stand  des  Büstungsunwesens  in  den 
Verhältnissen  nicht  mehr  völlig  begründet 
erscheint,  daß  die  Ursachen  für  jenen  Grad 
der  Kräfteanspannung,  den  wir  beklagen, 
in  dem  Maße  gar  nicht  mehr  gegeben  sind, 
und  hier  nur  das  Gesetz  der  geistigen  Träg- 
heit noch  nachwirkt.  Es  bedarf  einer  Auf- 
rüttelung der  Geister,  um  die  Erkenntnis 
herbeizuführen,  daß  wir  —  obwohl  wir  die 
volle  zwischenstaatliche  Organisation  noch 
nicht  erreicht  haben  —  die  völlige  Anarchie 
doch  auch  schon  überwunden  haben,  und  aus 
den  entwickelteren  internationalen  Verhält- 
nissen  auch  bereits  Vorteile  ziehen  könnten. 
Diese  Aufrüttelung  der  Geister  wird  sich 
um  so  eher  vollziehen,  als  es  gelingt,  die 
hohen  Vorteile  klarzumachen,  die  in  einer 
Entlastung  der  .Wirtschaft  durch  Ermäßi- 
gung des  Rüstungswettbewerbs  liegt,  ohne 
daß  die  einzelnen  Staaten  dabei  Gefahr 
laufen,  ihre  Sicherheit  nur  um  einen  Grad 
zu  vermindern. 

Um  nun  zu  den  ersten  Etappen  einer 
Verminderung  des  Uebels  zu  gelangen,  wird 
vor  allen  Dingen  eine  psychische  Umwand- 
lung der  heute  in  der  hohen  Politik  markt- 
gängigen Grundsätze  vonnöten  sein.  Wie 
die  Gesellschaft  im  Innern  des  Staates  heute 
ohne  soziales  Empfinden  ihrer  Aufgabe  nicht 
mehr  gerecht  werden  kann,  so  kann  auch 
die  Staatengesellschaft  ohne  dieses  soziale 
Empfinden  nicht  auskommen.  Deutschland, 
und  im  beschränkten  Sinne  auch  England, 
haben  hier  ein  nobile  officium  zu  erfüllen. 
Diese  an  Menschen  und  Gütern  reichsten 
Staaten  werden,  wenn  es  zu  einem  europäi- 
schen Vertrags  Verhältnis  kommen  soll,  ihren 
unbegrenzten  Egoismus  in  eine  wohlverstan- 
dene Rücksichtnahme  auf  das  ärmere  Europa 
ummodeln  müssen.    Ich  meine  damit  nicht, 


daß  Deutschland  etwa  aus  Liebenswürdig- 
keit anderen  Staaten  einen  Vorsprung  ge- 
währen soll,  sondern  nur,  daß  es  sich  bereit 
zu  erklären  hätte,  nicht  seine  ganze  Macht 
als  Triebkraft  des  Wettbewerbes  in  die  Wag- 
schale zu  werfen,  unter  der  Voraussetzung, 
daß  die  anderen  Staaten  sich  zu  Aequiva* 
lenten  verpflichten.  Ich  nannte  dies  an 
anderer  Stelle  „Umtausch  eigener  Macht  in 
fremde  Pflichten".  Wenn  Deutschland,  in- 
folge seines  Menschenreichtums  und  seiner 
hohen  wirtschaftlichen  Entwicklung  den 
heutigen  Rüstungswettbewerb  auch  leichter 
ertragen  kann  als  Frankreich,  Oesterreich- 
Ungarn,  Russland,  so  kann  es,  ohne  seine 
Sicherheit  nur  im  geringsten  zu  gefährden, 
durch  eine  weise  Selbsteinschränkung  doch 
nur  Vorteile  einheimsen.  Es  kann  nur  ge- 
winnen, wenn  es  seine  Nachbarn  nicht  zum 
Weißbluten  bringt.  Es  kann  nur  gestärkt 
werden,  wenn  sein  Bundesgenosse  Oester- 
reich-Ungarn  nicht  zu  Rüstungen  gezwungen 
[wird,  die  das  wenig  begüterte  Land  so 
schwächen,  daß  seine  Bündniskraft  trotz  er- 
höhter Rüstung  leiden  muß;  es  kann  nur 
gestärkt  werden,  wenn  Frankreich  durch  die 
Aufbietung  des  letzten  Mannes  nicht  in  einen 
gefährlichen  Chauvinismus  hineingetrieben 
wird. 

Deutschland  ist  nicht  der  Urheber  des 
Wettrüstens,  es  ist  aber,  dank  seiner  wirt- 
schaftlichen und  numerischen  Ueberlegenbeit 
seiner  Bevölkerung,  in  der  Lage,  eine  ver- 
tragsmäßige Verminderung  des  verderb- 
lichen Wettlaufes  zu  inaugurieren.  Damit 
obliegt  ihm  eine  hohe  Pflicht  und  eine 
schwere  Verantwortung  vor  der  Geschichte. 
Denn  so  viel  steht  fest:  es  kann  nicht  mehr 
so  weiter  gehen.  Und  wenn  nicht  bald  dem 
verderblichen  Spiel  blinder  Gewalten  durch 
Verstandeseingriffe  Einhalt  getan  wird, 
dann  können  wir  uns  nicht  einmal  mehr 
den  frivolen  Trost  eines  „Nach  uns  die  Sint- 
flut" leisten,  sondern  müssen  sehenden  Auges 
die  Sintflut  über  uns  hereinbrechen  lassen. 
A.  H.  F. 

Die  Politik  Deutschlands 
während  des  Balkankrieges. 

Von  Richard  Gädke, 

früher   Oberst  und  Regimentskommandeur. 

Unleugbar  war  die  politische  Lage  zu 
Beginn  des  Balkankrieges  für  Deutschland 
eine  sehr  schwierige.  Wenn  dem  Scharfblick 
der  Diplomatie  das  Bündnis  der  Balkanstaaten 
und  ihre  Kriegsrüstungen  vielleicht  nicht 
entgangen  waren,  so  .  war  man  doch 
jedenfalls      durch      den      raschen      Ausbruch 


83 


DIE  FßlEDEN5-^&BTE 


m 


des  Gewitters;  erheblich  überrumpelt 
worden  und  hatte  die  türkischen  Staats- 
männer in  den  eigenen  Irrtum  mit  hineinge- 
zogen. Die  Drohung  der  Großmächte,  daß 
sie  eine  Veränderung  des  Status  quo  nicht  zu- 
geben würden,  verfiel  alsbald  dem  Fluche  der 
Lächerlichkeit.  Die  Kleinstaaten  wußten  ganz 
genau,  daß  die  scheinbare  Einigkeit  Europas 
in  die  Brüche  gehen  würde,  sobald  man 
nach  ihren  gewaltigen  und  ungeahnten  An- 
fangserfolgen von  irgendeiner  Seite  den  Ver- 
such machen  würde,  ihnen  die  Früchte  ihres 
Sieges  zu  rauben.  Sie  hatten  jedenfalls  vor- 
her von  der  russischen  Staatsleitung  ent- 
sprechende   Versicherungen    erhalten. 

Niemals  seit  dem  Ende  des  Deutsch-Fran- 
zösischen Krieges,  selbst  nicht  zur  Zeit  der 
Marokkbwirren,  ist  die  Gefahr  eines  allge- 
meinen Brandes  so  nahe  gewesen  wie  im  ver- 
gangenen Winter.  Wenn  sie  augenblicklich 
zwar  noch  nicht  ganz  geschwunden  aber  doch 
ganz  erheblich  gemildert  ist,  so  wird  kein  Ein- 
sichtiger sich  der  Erkenntnis  verschließen 
dürfen,  daß  die  friedliebende,  zurückhaltende 
und  doch  feste  und  kräftige  Politik  Deutsch- 
lands einen  großen  und  dankenswerten  An- 
teil an  diesem   Erfolge  zu  beanspruchen  hat. 

Wir  dürfen  daraus  das  tröstliche  Be- 
wußtsein schöpfen,  daß  selbst  unter  den 
heutigen  zwischenstaatlichen  Verhältnissen  eine 
entschlossene  Friedenspolitik  durch  eine  ge- 
schickte und  vor  allen  Dingen  gewissenhafte 
Diplomatie  zu  entscheidenden  Erfolgen  ge- 
führt werden  kann. 

Die  deutsche  Staatskunst,  die  diesmal  den 
Charakter  angenehm  verleugnete,  den  sie 
zwanzig  Jahre  hindurch  nicht  immer  zur  Meh- 
rung ihres  Ansehens  zur  Schau  getragen  hatte, 
mußte  nicht  nur  mit  dem  Gegensatze  des 
Dreiverbandes  zum  Dreibunde  rechnen  und 
ganz  besonders  die  hart  und  feindlich  gegen- 
überstehenden Tendenzen  Oesterreichs  und 
Rußlands!  berücksichtigen,  sondern  ihre  Sorge 
gleichzeitig  auf  das  Verhältnis  Italiens  zur 
Donaumonarchie    richten. 

Daß  es  sowohl  in  Oesterreich  wie  in 
Rußland  eme  sehr  starke  Kriegspartei  gab 
und  wohl  noch  gibt,  die  den  Augenblick  zur 
großen  Abrechnung  gekommen  glaubte,  liegt 
für  jeden  aufmerksamen  Beobachter  klar  zu- 
tage. Ebenso  auch,  daß  die  Durchführunjg 
der  österreichischen  Ansprüche  Serbien  ge- 
genüber, wenn  sie  in  vollem  Maße  versucht 
werden  sollte,  unbedingt  zum  Kriege  mit  Ruß- 
land führen  mußte.  Daß  Oesterreich  hier- 
bei mit  Sicherheit  auf  den  Beistand  Deutsch- 
lands rechnen  konnte,  ist  nicht  minder  klar, 
und  wird  bis  weit  in  die  Reihen  unserer  so- 
zialdemokratischen Partei  hinein  vollkommen 
begriffen  und  gewürdigt.  Man  darf  sogar 
sagen,  daß  bei  ihr  sonst  kein  Krieg  populär 
wäre,  wohl  aber  ein  solcher  gegen  die  Despotie 
des    Zarenreiches. 

Die  Unterredungen  in  Baltischport 
zwischen  dem  deutschen  und  dem  russischen 


Kaiser  hatten  zwar  zu  einem  durchschlagenden 
diplomatischen  Erfolge  nicht  geführt,  aber  sie 
hatten  doch  das  Verhältnis  zwischen  beiden 
Reichen  derart  gebessert,  daß  Deutschland 
gegenwärtig  die  Rolle  eines  wirksamen  Ver- 
mittlers zwischen  Oesterreich  und  Rußland 
übernehmen  konnte.  Wenn  es  keinen  Zweifel 
daran  gelassen  hat,  daß  man  es  im  Notfälle 
unbedingt  an  Oesterreichs  Seite  sehen  würde, 
so  ist  es  doch  zu  gleicher  Zeit  bemüht  ge- 
wesen, einen  billigen  Ausgleich  zwischen  den 
Standpunkten  der  beiden  auf  dem1  Balkan  in 
erster  Linie  interessierten  Großmächte  zu 
finden.  Dadurch  gelang  es,  die  weit  über  ein 
erträgliches  Maß  gesteckten  Ziele  Serbiens, 
die  ganz  offenbar  mit  einem  österreichisch- 
russischen Kriege  rechneten,  so  weit  zurückzu- 
schrauben, als  sich  mit  dem  Interesse  seines 
mächtigen  Nachbars  noch  gerade  vertrug,  und 
die  politische  Unabhängigkeit  Albaniens, 
grundsätzlich  wenigstens,  zu  retten.  Für  den- 
jenigen, der  an  dem  Sejbstbestimmungsrecht 
der  Völker  und  an  der  Einschränkung  des 
rohen  Eroberrechtes  als  an  einer  Grundforde- 
rung der  Kultur  festhält,  ein  hoch  erfreuli- 
ches Ergebnis  I 

Man  wird  es  auch  als  ein  Verdienst 
Deutschlands  in  Anspruch  nehmen  dürfen, 
wenn  selbst  das  heikle  Verlangen  Bulgariens 
in  den  Besitz  Adrianopels  zu  gelangen,  die 
Einigkeit  Europas  nicht  störte.  Daß  der  ge- 
meinsame Rat  aller  Großmächte  in  Konstan- 
tinopel, in  die  Abtretung  der  Festung  zu  wil- 
ligen, dem  tatsächlichen  Kräfteverhältnis  und 
dem  Besten  der  Türkei  entsprochen  hat, 
scheint  der  weitere  Verlauf  des  Krieges  zu 
beweisen.  Dieser  Einigkeit  und  dem  ver- 
ständigen Eingreifen  in  den  rumänisch-bul- 
garischen Gegensatz  ist  es  auch  zu  danken, 
daß  der  Wiederausbruch  der  Feindseligkeiten 
auf  dem  Balkan  bisher  keine  bedenklichen 
Folgen  für  den  allgemeinen  Frieden  gehabt  hat 
und  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nicht  mehr 
haben  wird. 

Indessen  ist  die  allgemeine  Entspannung 
der  Lage  nicht  nur  dem  günstigen  Einflüsse 
der  deutschen  —  stillen  und  unauffälligen,  aber 
um  so  sympathischeren  —  Vermittlung  zwischen 
Oesterreich-Ungarn  und  Rußland  zuzu- 
schreiben, sondern  in  vielleicht  noch  höherem 
Maße  der  heilsamen  Revidierung  seines  eige- 
nen Verhältnisses  zu  England.  Glücklicher- 
weise ging  dieses  nicht  in  jeder  Be- 
ziehung konform  mit  den  Wünschen  seines 
Dreiverbands-Genossen  Rußland.  An  der  Er- 
haltung der  asiatischen  Türkei  hatte  es  un- 
bedingt ein  Interesse  und  mußte  schon  mit 
Rücksicht  auf  die  Stimmung  der  moslemischen 
Welt  einen  großen  Krieg  zu  vermeiden  wün- 
schen. Hat  es  doch  wesentlich  nur  die  Furcht 
vor  dem  raschen  Wachstum  der  deutschen 
Flottenmacht  und  dem  militärischen  Ueber- 
gewicht  Deutschlands  an  die  Seite  Rußlands 
und  Frankreichs  geführt.  Ein  höchst  erfreu- 
liches  Ereignis  ist  es,  daß   Deutschland  sich 


@= 


S  DIE  FRIEDENS -WARTE 


mit  dem  augenblicklichen  Verhältnis  zwischen 
der  englischen  und  deutschen  Flotte  einver- 
standen erklärte  und  damit  wenigstens  für 
die  nächste  Zeit  dem  weiteren  Anwachsen  der 
Seerüstungen  einen  Riegel  vorschob.  Ein 
Beweis,  daß  man  zu  Rüstungsbeschränkungen, 
sei  es  durch  ausdrückliche  oder  stillschwei- 
gende Abmachungen  bei  beiderseitigem,  gutem 
Willen  sehr  wohl  gelangen  kann.  Gewiß 
wurden  diese  gegenseitigen  Erklärungen  der 
Marineminister  nur  darurch  möglich,  daß  sich 
in  den  letzten  Monaten  des  Mißtrauen  Eng- 
lands in  die  Absichten  Deutschlands  wesent- 
lich   abgeschwächt    hat. 

Die  Aufgabe  unserer  Staatsmänner  war  es 
nicht  nur,  in  den  Gegensatz  zwischen  Drei- 
bund und  „entente"  vermittelnd  einzugreifen, 
sondern  gleichzeitig  auch  innerhalb  des  Drei- 
bundes die  nicht  unbeträchtlichen  Gegensätze 
zwischen  Oesterreich  und  Italien  in  der  Adria 
und  in  Albanien  auszugleichen.  Daß  ihm  dies 
gelungen  ist,  und  daß  der  Dreibund  heute 
innerlich  fester  denn  je  dasteht,  ist  auch  vom 
pazifistischen  Standpunkte  aus  ein  Verdienst, 
das  man  der  deutschen  Staatskunst  nicht 
schmälern  soll.  Der  Dreibund  kann  seinem 
Wesen  nach  niemals  eine  Angriffswaffe  wer- 
den; je  größer  das  gegenseitige  Verständnis 
seiner  Mitglieder,  um  so  größer  die  Gewähr 
für  den  Frieden. 

Wenn  man  bis  hierher  die  deutsche  Po- 
litik des  letzten  Winters  uneingeschränkt  loben 
konnte,  so  scheint  es  leider,  als  ob  ein  Teil 
der  Früchte  dieses  Verhaltens  durch  die  neue 
Heeresvorlage  wieder  verloren  gehen  sollte. 
Wenn  man  die  Aeußerungen  der  deutschen 
wie  der  französischen  Presse  aufmerksam  ver- 
folgt, wird  man  sich  nur  schwer  eines  un- 
behaglichen Gefühls  und  der  Furcht  erwehren 
können,  daß  diese  unerwartete  und  gewaltige 
Anspannung  der  militärischen  Kräfte  des  Kai- 
serreiches einen  Sturm  von  Chauvinismus  und 
wachsender  Feindseligkeit  zwischen  beiden  Völ- 
kern   zu    entfesseln   droht. 

Die  Gründe,  die  die  deutsche  Regierung 
gerade  in  diesem  verhängnisvollen  Augenblick 
zur  Ankündigung  einer  großen  Heeresverstär- 
kung bewogen  haben,  sind  bisher  nicht  völlig 
durchsichtig.  Man  sagt,  es  sei  die  Verschie- 
bung der  Kräfte  auf  dem  Balkan.  Aber  ist 
es  unbedingt  sicher,  daß  sie  zuungunsten  des 
Dreibundes  stattgefunden  ?  Und  wäre  es  dann 
nicht  immer  in  erster  Linie  die  Sache  Oester- 
reichs,  sich  dagegen  zu  wappnen?  Andere 
wieder  meinen,  die  hohe  Kriegsgefahr  der 
letzten  beiden  Jahre  sei  der  wahre  Beweg- 
grund für  die  steigende  Mächtigkeit  des  Pan- 
zers, den  wir  um  den  Leib  der  Germania 
legen  wollen.  Als  ob  nicht  gerade  die  Ge- 
schichte dieser  letzten  Jahre  bewiesen  hätte, 
wie  man  schwierige  Fragen  auch  ohne  Krieg 
lösen  kann!  Gewiß,  die  starke  Prüfung  aller 
Staaten  mag  dazu  beigetragen  haben,  sie  alle 
friedlich  zu  stimmen,  weil  der  Ausgang  eines 
kriegerischen  Abenteuers   zu   ungewiß   ist,   die 


Gefahren  eines  Waffenganges  unabsehbar  sind. 
Aber  liegt  darin  ein  Grund,  diese  Rüstung 
abermals  zu  steigern  und  das  bestehende 
Kräfteverhältnis  gewaltsam  zu  stören?  Ge- 
wiß hat  Frankreich  seine  Volkskraft  relativ 
stärker  angespannt  als  Deutschland;  aber  das 
hindert  nicht,  daß  absolut  genommen  dieses 
schon  jetzt  ein  beträchtliches  Uebergewicht 
gewonnen  hatte. 

Ohne  Zweifel  wird  der  Vorgang  der  deut- 
schen Heeresleitung  eine  neue  Epidemie  des 
Wettrüstens  zu  Lande  hervorrufen,  nachdem 
der  Wetteifer  zur  See  sich  eben  erst  ein 
wenig  beruhigt  hat.  Das  Bedauerlichste  aber 
ist,  daß  dadurch  die  Erfolge  einer  fried- 
liebenden und  geschickten  Politik  mindestens 
zum   Teil   wieder  gefährdet   werden. 


Die  fromme  Diplomatie. 

Von  O.  Umfri d. 
Die  Rede,  welche  der  italienische  Mi- 
nister des  Aueßern  San  Giuliano  in  der 
römischen  Kammer  hielt,  ist  wirklich  erbaulich 
zu  lesen;  man  fühlt  sich  versucht,  den  Hut 
abzunehmen,  und  den  Bravo,  der  in  Libyen 
seine  Taschen  füllte,  zu  grüßen:  „Guten 
Morgen,  Ehrenmann."  Die  italienische  Di- 
plomatie ist  fromm  wie  eine  Riesenschlange, 
nachdem  sie  sich  sattgefressen  hat.  Was  in 
Nordafrika  geschehen  ist,  das  wirft  man  zu 
den  Akten;  es  handelte  sich  übrigens  dort 
um  eine  geschichtliche  Notwendigkeit,  die  nur 
die  Friedensfreunde  mit  ihrer  Gefühlspolitik 
wieder  einmal  nicht  verstanden  haben.  Wie- 
so —  geschichtliche  Notwendigkeit?  Nun,  das 
Gleichgewicht  in  Nordafrika  mußte  doch  her- 
gestellt werden,  so  gut  wie  das  Gleichgewicht 
in  der  Adria  herzustellen  war  und  das  Gleich- 
gewicht im  Mittelmeer  aufrechterhalten  wer- 
den muß.  Wie  ist  denn  das  Gleichgewicht 
in  der  Adria  hergestellt  worden?  Offenbar 
dadurch,  daß  man  sich  darauf  besann,  aus 
einem  unehrlichen  zu  einem  ehrlichen  Bundes- 
genossen der  Donaumonarchie  sich  zu  mau- 
sern; mfolgedessen  hat  man  nichts  mehr  von 
Oesterreich  zu  fürchten,  und  nun  findet  man 
auf  einmal,  daß  das  Gleichgewicht  in  der 
Adria  hergestellt  sei.  Wie  soll  aber  das  Gleich- 
gewicht im  Mittelmeer  aufrechterhalten 
werden  ?  Wahrscheinlich  dadurch,  daß  die 
vereinigten  österreichisch  -  italienischen  Ge- 
schwader die  französische  Kriegsflotte  be- 
drohen und  daß  die  Kriegsschiffe  Rußlands, 
mit  dem  man  übrigens  vortrefflich  zu  stehen  vor- 
gibt, nach  wie  vor  am  Auslaufen  durch  die  Dar- 
danellen gellindert  werden  sollen.  Wie  wurde 
aber  das  Gleichgewicht  in  Nordafrika  her- 
gestellt? Dadurch,  daß,  nachdem  Frankreich, 
Spanien  und  England  den  Löwenanteil  ge- 
raubt hatten,  Italien  auch  seinen  Anteil,  die 
berühmte  libysche  Sandbüchse,  einsteckte. 
Andere  Leute  hatten  eigentlich,  ehrlich  ge- 
standen, vor  dem  tripolitanischen  Abenteuer 
gar    nichts    von    der    Störung    des    Gleichge- 


85' 


DfE  FRIEDENS  -WARTE 


19 


wichts   in    Nordafrika   gemerkt;   erst   der   hei- 
lige Giuliano  war  auf  diesen  Einfall  gekommen, 
daß   dort  etwas  nicht  in   Ordnung  sei.     Wie 
aber,  wenn  eines  Tags  Großgriechenland  auf 
die    Idee   käme,    daß   es   jenseits    des   Mittel- 
meers  sehr    wichtige    Interessen     (Lebens- 
interessen  nennt  man  das  in  der  Sprache  der 
Diplomatie)   zu  vertreten  habe   und  daß   das 
dortige    Gleichgewicht    zu    seinen    Ungunsten 
gestört    sei;    wenn    es    also    eine    Kriegsflotte 
mit  einer  Expedition  für  die  nordafrikanische 
Küste   ausrüstete?     Ach,    das   wäre    natürlich 
etwas  ganz  anderes  und  nicht  zu  vergleichen 
mt  der  geschichtbildenden  Tat  San  Giulianos. 
Es    ist   aber   wirklich    reizend    zu    sehen, 
welche  Liebenswürdigkeit,  welche  bezaubernde 
Bonhommie  dieser  Staatsmann  der  Türkei  ge- 
genüber an  den   Tag   legt,    nachdem   er  sein 
Schäfchen    ins    Trockene   gebracht    hat.      Er 
hat    zwar   der    Türkei    Libyen   genommen,    er 
hat  den  Balkanstaaten  erlaubt,  die  europäischen 
Besitzungen   des   osmanischen   Reiches    unter 
sich    zu    teilen ;    aber    nun    sagt    er   dem   be- 
raubten  Wanderer,   dem   er   das   Hemd   über 
den   Kopf  gezogen  hat:   Soyons  amisl    „Wir 
haben",  sagt  er  wörtlich,  „das  Vertrauen,  daß 
die   Türkei   in   der   wirtschaftlichen    Tätigkeit 
Italiens  einen  Faktor  des  Fortschritts  erblicken 
wird,   welcher  ihr  keinen  Verdacht  einflößen 
wird,  als  ob  wir  zu  ihrem  Schaden  territoriale 
Absichten  hegten.     Wenn  die  Türkei  in  loya- 
ler Weise  den  Vertrag  von  Lausanne  erfüllt . . . 
findet      sie     in     Italien     einen      zuverlässigen 
Freund."     Es  geschehen   noch  Wunder   und 
Zeichen,  der  italienische  Wolf  liegt  neben  dem 
halbzerfleischten   Lamm   und  hilft  ihm  sogar 
durch  „greifbare  Beweise  seiner  Freundschaft", 
daß    ihm    ferner   die    Wolle    nicht    mehr    ge- 
schoren werde.     Italien  setzt  sich  für  die  Un- 
verletzbarkeit   des    osmanischen     Besitzes     in 
Asien  ein :  „Die  Integrität  der  asiatischen  Tür- 
kei", sagt  San  Giuliano,  „die  Entwicklung  der 
Wohlfahrt  und  die  Verbesserung  der  Lebens- 
bedingungen ihrer  Völkerschaften,  bilden  für 
Italien   ein    Interesse   erster   Ordnung."     Wie 
edel  und  großherzig  ist  das  gedacht  —  wenn 
nur   nicht   der   Pferdefuß    macchiavellistischer 
Diplomatenschlauheit  gar   zu  deutlich   heraus- 
schaute.   Was  wird   San   Giuliano   tun,   wenn 
nun    wider   alle   diplomatische    Erwartung   in 
absehbarer    Zeit    die   asiatische    Türkei    auch 
zerfällt ;  und  wenn  dann  gewisse  andere  Mächte 
zugreifen,  und  die  Adler  niederstoßen  auf  das 
Aas  ?  Wahrscheinlich  wird  er  dann  das  Gleich- 
gewicht des  Mittelmeers  für  gestört  angesehen 
und   seinerseits  auch   zugreifen,   um   sich   ein 
Stück  der  Beute  zu  sichern.     Aber  bis  dahin 
ist   er  ein   zuverlässiger   Freund   der   Türkei. 
Es  ist  aber  wirklich  lehrreich,  sich  nicht 
nur  die  Geschichte  von  der  Eroberung  Libyens, 
sondern    auch    die    Geschichte   des   Balkan- 
konflikts von  San  Giuliano  erzählen  zu  lassen. 
„Hundert   Jahre   lang",    sagte   er,   „hat   man 
die  Formel  des  Status  quo  auf  die  Zustände 
des     Türkenreiches     angewandt";     natürlich, 


wie  er  glauben  machen  will,  aus  reiner  Für- 
sorge  für   die   Bewohner   des   nahen   Orients, 
in  Wahrheit  nur,  weil  die  europäischen  Kabi- 
nette   mit    größter    Eifersucht    einander    be- 
wachten,   daß    doch    ja   keines    dem  andern 
zuvorkomme  und  sich  um  ein  Beutestück  be- 
reichere, das  dem  anderen  ebenso  sehr  in  die 
Augen  geleuchtet  hätte.  Aber  das  „lange  und 
treue"   ( ! )  Festhalten  an  dieser  Formel  hat 
—  nach  San  Giuliano  —  für  die  Türkei  die 
Wirkung    gehabt,    den     Verlust     ihrer    euro- 
päischen Provinzen  bis  zu  dem  Tage  zu  ver- 
zögern,  wo  die  Balkan völker  reif  waren,  die 
Erbschaft   anzutreten."    Wie  reif  sie   waren, 
davon  können  dieAlbanesen  mit  ihren  Frauen 
und  Kindern   erzählen;  aber  die  „lange  Auf- 
rechterhaltung    der     provisorischen      Formel 
vom  Status  quo  hat  heute  die  Anwendung  der 
definitiven   Formel :   der  Balkan  den  Balkan- 
völkern,  ermöglicht."    Schade,  daß  die  euro- 
päischen    Großmächte     nicht     schon    länger 
auf  diese  definitive  Formel  gekommen  sind; 
sie  hätten,   wenn   sie  die  durch  den  Berliner 
Vertrag  den  Mazedoniern  vor  34  Jahren  zu- 
gewilligte       Selbstverwaltung       durchgeführt 
hätten,  den  „reifen"  Balkanvölkern  viel  Blut- 
vergießen erspart.    San  Giuliano  sieht  in  der 
Formel :  der  Balkan  den  Balkanvölkern,  eine 
endgültige    Lösung    des    Problems,    die    den 
Frieden     für     die     Balkanhalbinsel     und    für 
Europa  auf  viele  Jahre  sichert.    Aber  was  ist 
das  für  ein  Frieden,  der  immer  nur  auf  viele 
Jahre,  statt  auf  die  Dauer  gesichert  wird,  und 
der     nur     durch      den     wahnsinnigsten     Zer- 
störungsaufwand      aufrechterhalten       werden 
kann !      Welche     Gefahren     diesem     Frieden 
drohen,     das    hat     der    italienische    Minister 
des  Auswärtigen  in  einer  etwas  dunklen    und 
doch   sehr   bezeichnenden   Stelle   seiner   Rede 
angedeutet;   ich  meine  die   Stelle,   in  der  er 
von!    Mittelmeer   handelt.     Es   ist    zwar   eine 
sehr     vernünftige     Ansicht,     die     er    in    den 
Worten  ausspricht :  „Niemand  hat  das  Recht, 
das  Mittelmeer  ein  mare  nostrum  zu  nennen. 
Es  ist  und  muß  die  freie  Bahn  der  Nationen 
bleiben,  wo  keine  Nation  die  Herrschaft  haben 
kann  und  darf,  aber  alle  daran  Anteil  haben 
dürfen."  Was  soll  es  dann  aber  heißen,  daß 
San  Giuliano  dennoch  erklärt :  „Wenn  durch 
die  Macht  der  Ereignisse  und  gegen  unseren 
Willen     und    gegen     den    aller    Großmächte 
früher  oder  später  erhebliche  territoriale  Ver- 
änderungen im   Mittelmeer  eintreten   sollten, 
könnte  ItaÜen  dabei  kein  müßiger  Zuschauer 
bleiben,  sondern  müßte  verlangen,  daß  seine 
Stellung  als  Mittelmeergroßmacht  von  jeder- 
mann gebührend  berücksichtigt  werde."  Wer 
sollte  nun  aber  diese  territoriale  Veränderung 
herbeiführen,     wenn     die    Großmächte    darin 
einig    sind,    sie    zu    verhindern  ?     Sollte    das 
etwa  die  unpersönliche  Macht  der  Geschichte 
tun,  von  der  San  Giuliano  so  große  Stücke 
hält,   daß   er  erklärt,  die  europäische  Diplo- 
matie   könne    sich   nicht    an    die    Stelle    der 
großen,  bestimmenden  Kräfte  der  Geschichte 


86 


=  DIE  FRIEDEN5-^ABT£ 


setzen,  man  müsse  vielmehr  diesen  letzteren 
häufig  die  endgültige  Lösimg  der  größten  po- 
litischen Probleme  überlassen  ?  Wir  Laien 
hatten  geglaubt,  daß  die  Diplomatie  Ge- 
schichte mache,  hatte  uns  doch  Naumann  erst 
beim  Ausbruch  des  tripolitanischen  Krieges 
bemerkt,  Italien  gehe  nach  Tripolis,  weil  es 
ein  Geschichtsvolk  sein  wolle.  Wir  hatten 
also  angenommen,  es  liege  in  der  Hand  der 
Diplomatie,  über  Krieg  und  Frieden  zu  ent- 
scheiden^  und  waren  auch  durch  den  Aus- 
bruch des  Balkankrieges,  dessen  diplo- 
matische Vorbereitung  wir  mit  Händen  greifen 
konnten,  keines  anderen  belehrt  worden. 
Nun  aber  will  uns  San  Giuliano  weis  machen, 
daß  gewisse  geheimnisvolle  Mächte  in  der 
Weltgeschichte  walten,  welche  die  Diplo- 
matie zwingen  könnten,  halb  widerwillig  ein- 
zugreifen. Setzen  wir  den  Fall,  auch  die 
asiatische  Türkei  zerfällt  oder  eine  zusammen- 
geleimte europäische  Großmacht,  deren  Namen 
ich  nicht  nennen  will,  geht  aus  dem  Leim, 
so  würden  auch  dadurch  nicht  von  selbst 
territoriale  Veränderungen  am  Mittelmeer  ent- 
stehen, wohl  aber  könnten  solche  Verände- 
rungen durch  das  gewaltsame  Eingreifen  der 
gesunden  Großmächte  in  die  Sphären  der 
kranken  Mitglieder  der  europäischen  Staaten- 
familie herbeigeführt  werden.  San  Giuliano 
würde  djann  versuchen,  uns  glauben  zu  machen, 
daß  sich  hier  einfach  geschichtliche  Notwendig- 
keiten vollziehen,  deren  Zwang  sich  auch  in 
einem  sonst  ganz  schuldlosen  Staat  fühlbar 
machen  würde. 

Auf  diese  Weise,  wie  San  Giuliano  sich 
die  Zukunft  unseres  Weltteils  denkt,  werden 
wir  nie  zu  einem  dauernden  Frieden  kommen. 
Denn  absterbende  Völker  wird  es  immer  wieder 
geben,  und  wenn  dann  die  aufstrebenden  Na- 
tionen berechtigt  sein  sollen,  sich  gewaltsam 
in  das  zur  Liquidation  kommende  Erbe  zu 
teilen,  so  werden  wir  immer  und  immer  wieder 
den  Krieg  haben.  Es  gibt  keinen  anderen 
Weg,  als  den  so  oft  beschriebenen,  wonach 
auch  in  Fällen  des  Zusammenbruchs  einer 
geschichtlichen  Macht,  abgesehen  von  dem 
dann  in  Kraft  tretenden  Selbstbestimmungs- 
recht  der  Völker,  der  herrenlos  werdende 
Boden  nur  von  solchen  besetzt  werden  darf, 
die  nachweislich  einem  zu  eng  beisammen  woh- 
nenden Volke  angehören.  Das  allein  ist  der 
Wreg  des  Rechts  und  des  Friedens.  Um  aber 
doch  auch  dem  italienischen  Minister  gerecht 
zu  werden,  so  will  ich  gern  zugestehen,  daß 
eine  Stelle  seiner  Rede  mir  nicht  übel  ge- 
fallen hat,  es  sind  dies  die  klassischen  Aus- 
führungen über  das  Verhältnis  der  Territorien 
auf  dem  Balkan.  Die  „Wunsche  und  Inter- 
essen der  Bevölkerung",  sagt  er  in  diesem 
Zusammenhang,  „müssen  versöhnt  und  in  ge- 
wissen Fällen  dem  höchsten  Ziel  der  Zivili- 
sation und  des  Friedens  untergeordnet  werden ; 
in  einer  Krisis^  wo  so  viele  entgegengesetzte 
Interessen  im  Spiel  sind,  kann  keine  große 
oder  kleine;   Macht  verlangen,   daß   alle,  ihre 


Wünsche  vollständig  befriedigt  werden.  Es 
ist  vielmehr  notwendig,  daß  jede  einige  Opfer 
bringt,  und  daß  die  auseinandergehenden  In- 
teressen durch  eine  Reihe  gegenseitiger  Trans- 
aktionen ausgeglichen  werden.''  Wenn  die 
Diplomatie  stets  nach  diesen  Grundsätzen  ge- 
handelt hätte,  so  hätte  sie  manchen  Kriegs- 
ausbruch verhindert. 


Der  Fall  Maurenbrecher. 

Der  bekannte  Sozialdemokrat  Dr.  M  a  x 
Maurenbrecher  trat  anfangs  Januar  im 
„Freien  Wort"  (erstes  Januarheft  1913)  in 
einem  „Die  Demokratie  und  der  Krieg"  be- 
titelten Artikel,  ausgehend  von  einer  Be- 
sprechimg der  Schrift  von  Wilhelm  Lamszus, 
dafür  ein, 

„daß  für  Staaten  und  Staatsformen,  die  noch  nicht 
zur  Vollendung  gekommen  sind,  die  den  natür- 
lichen Grad  ihrer  Ausreifung  noch  nicht  erreicht 
haben,  der  Krieg  und  auch  der  Er- 
oberungskrieg eine  unbedingte  Not' 
wendigkeit  ist.  .  .  .  Der  Krieg  ist  nicht  nur 
Schrecken  und  Tod.  Er  ist  oft  genug  auch  die 
Ermöglichung  einer  höheren  Organisationsform  der 
Menschheit  und  ist  damit  gut  und  liegt 
in  der  Linie  des  menschlichen  Fort- 
schrittes. Und  wenn  dem  so  ist,  so 
muß  er  gewollt  werden!  So  muß  man 
auch  innerhalb  der  nachchristlichen  Kulturperiode 
der  Menschheit  den  Willen  und  die  Entschluß- 
fähigkeit in  der  Jugend  erziehen,  unter  Um- 
ständen auch  das  eigene  Leben  wegwerfen  zu 
können  um  der  weltgeschichtli  c  h,  e  n  Zu- 
kunft willen,  die  eben  durch  einen 
solchen  Krieg  möglich  gemacht  wer- 
den   soll." 

Im  weiteren  Verlauf  des  Artikels  billigt 
der  Autor  nicht  nur  den  Verteidigungskrieg, 
was  man  immerhin  gelten  lassen  kann,  son- 
dern auch  den  Präventivkrieg,  indem  er 
sagt : 

„Es  muß  vorbehalten  werden,  daß  der  Staats- 
mann unter  Umständen  die  feineren  Zusammenhänge 
des  Werdens  und  der  Möglichkeit  der  Zukunft  weit 
umfassender  überschaut  als  der  Bauer  oder  Ar 
beiter,  der  rein  aus  seiner  täglichen  Arbeit  heraus 
von  geographischen  und  wirtschaftlichen  Zusam 
menhängen  nur  wenig  weiß.  Der  Staatsmann  kann 
unter  Umständen  den  Fall  des  notwendigen  Ver- 
teidigungskrieges schon  damit  gekommen  sehen, 
daß  eine  Verschiebung  im  Weltverkehr  oder  in  den 
Machtverhältnissen  der  andern  Staaten  eintritt,  die 
die  Wirtschaftserhaltung  der  Zukunft  für  die  eigene 
Nation  aufs  schwerste  gefährdet.  Soll  dann  die 
Demokratie  erklären,  daß  sie  in  einen  solchen 
Krieg  nicht  mitziehen  wolle,  weil  der  Boden  des 
Vaterlandes  in  körperlichem  und  handgreiflichem 
Sinne  noch  nicht  verletzt  ist?  Muß  dann  nicht 
unter  Umständen  gerade  vom  demokratischen 
Standpunkte  aus  ein  Krieg  als  notwendig 
gewollt  werden,  auch  wenn  er  äußerlich 
als  Angriffskrieg  oder  als  Krieg  um 
ganz  fernliegende  Objekte  er- 
scheint?" 

Diesen  Standpunkt  habe  ich  im  ersten 
Februarheft  des  Freien  Worts  in  einein  Ar- 
tikel zu  widerlegen  versucht,  indem  ich  u.  .a.' 


37; 


DIE  FRiEDENS-^AßTE 


3 


darin  sagte,  daß  Maurenbrecher  Sieg  und 
Krieg  verwechsle,  daß  der  Krieg  wohl 
höhere  Organisationsformen  ermöglicht,  aber 
in  viel  höherem  Maße  solche  zerstört  oder 
gehemmt  habe.    Dann   sagte  ich  weiter: 

„Maurenbrecher  verkennt  das  gesamte  Frie- 
densproblem und  hat  mit  allen  Bekämpfern  dieses 
Problems  das  gemeinsam,  daß  er  die  Lösungen, 
die  das  Problem  bietet,  auf  die  heute  noch  vor- 
herrschenden anarchischen  Verhältnisse  der  Staaten 
überträgt.  So  kommt  er  zu  einer  Dissonanz,  und 
er  hält  die  Unvollkommenheiten  des  Augenblicks 
für  eine  Unvollkommenheit  des  Systems.  Er  sieht 
keinen  Ausweg,  weil  er  von  dem  Gesichtspunkt 
ausgeht,  daß  man  sich  gegen  eine  beabsichtigte 
Unterjochung  nicht  anders  als  durch  Krieg  wehren 
könne,  daß  ebenso  eine  Befreiung  aus  einem  be- 
reits auferlegten  Joche  nicht  anders  als  durch 
Krieg  möglich  sei.  Er  setzt  dem  Extrem  des  „Frie- 
dens um  jeden  Preis"  das  Extrem  gegenüber,  daß 
der  Krieg  gut  ist,  „in  der  Linie  des  Fortschritts" 
liegt  und  daher  gewollt  werden  muß. 

Welcher  Irrtum  I  Die  moderne  Friedensidee 
bekämpft  nicht  den  Krieg  als  solchen,  der  ihr  nur 
ein  Symptom  ist,  sondern  dessen  Ursachen,  die 
in  der  Anarchie  der  Verhältnisse  der  Staaten 
liegen.  Aus  der  Wandlung  dieser  Anarchie  in 
eine  Organisation  wird  sich  ein  veränderter  Char 
rakter  der  Konflikte  ergeben,  so  daß  diese  als- 
dann durch  Vernunftmaßnahmen  lösbar  sein  wer- 
den. In  der  Organisation  werden  wir  jene  „höhere 
Organisationsform  der  Menschheit"  erreichen,  die 
wirklich  der  Menschheit,  und  nicht,  wie  es  beim 
kriegerischen  Verfahren  der  Fall  ist,  der  sieg- 
reichen Nation  auf  Kosten  der  Menschheit  zuteil 
wird.  Diese  Staatenorganisation  ist  die  Lebens- 
form der  Demokratie;  zu  ihr  führt  die  Demokratie 
hin.  Die  Organisation  wird  den  daran  beteiligten 
Staaten  eine  höhere  Stärke  geben,  als  die  raffi- 
niertesten Kriegsmaschinen  sie  erteilen  können.  Es 
wird  dann  ein  dominierender  Faktor  in  der  Welt 
bestehen,  der  Einfluß  nehmen  wird  auf  die  Hal- 
tung der  noch  auf  niedriger  Kultur  stehenden 
Staaten.  Diese  Organisation  wird  kulturfördernd 
wirken  auf  die  noch  außenstehenden,  und  die  in 
ihr  verwirklichten  Vorteile  werden  zwingend  auf 
das  Gebaren  der  andern  Staaten  Einfluß  neh- 
men. Es  ist  möglich,  daß  zum  Beispiel  der  rus- 
sische Absolutismus  überwunden  werden  kann  durch 
den  moralischen  Einfluß  einer  daneben  bestehenden 
organisierten  Gemeinschaft  hochstehender  Demo- 
kratien, mit  denen  Rußland  wird  leben  müssen. 
Das  Werk  der  Befreiung  wird  dann  sicherer  voll- 
bracht werden  als  durch  >die  Roulette  des  Krieges, 
wo  rouge,  aber  auch  noir,  fallen  kann. 

Eines  aber  wird  auch  aus  den  organisierten 
Demokratien  nicht  ausgeschlossen  sein,  wenigstens 
solange  sie  in  der  Welt  mit  nichtorganisierten 
Staaten  werden  rechnen  müssen;  die  Anwendung 
der  Gewalt  zur  Aufrechterhaltung  ihrer  Unab- 
hängigkeit, zum  Schutze  gegen  Unkultur  oder  zur 
Durchführung  der  Kultur  in  der  Welt.  Man  er- 
schrecke nicht  und  sage  nicht:  das  wäre  ja  der 
Krieg.  Wer  so  spricht,  verkennt  das  Wesen  der 
Gewalt.  Nur  im  anarchischen  Zustand  ist  die  Ger 
walt  gefährlich ;  organisierte  Gewalt  ist 
Recht.  Nicht  jede  Gewaltanwendung  seitens  des 
Staates  ist  Krieg.  Wenn  der  Landstreicher  einen 
Wanderer  und  der  Gendarm  den  flüchtenden  Land- 
streicher töten,  so  sind  dies  die  gleichen  Handlungen, 
aber  mit  ungleichem  Effekt;  der  erstere  wandte 
anarchische    Gewalt    an,    der   letztere    organisierte. 


Der  erstere  ist  ein  Verbrecher,  der  letztere  ein 
Exekutivorgan  des  Rechts.  So  wird  die  Gewalt 
anwendung,  die  Staaten  im  Dienste  des 
Rechts  vornehmen,  sich  wohl  unterscheiden  von 
einer  Gewaltanwendung,  die  heute  an  Stelle 
des  Rechtes  tritt,  die  allein  Krieg  ist.  Weder 
in  ihrer  Vorbereitung  noch  in  ihren  Folgen  wird 
eine  organisierte  Gewaltanwendung,  die  der  Ausr 
fluß  eines  internationalen  Rechtes  sein  wird,  mit 
dem  heutigen  Kriege  zu  vergleichen  sein.  Ganz  ab- 
gesehen davon,  daß  es  eine  organisierte  Staaten- 
gesellschaft nur  sehr  selten  nötig  haben  wird,  wirk- 
lich Gewalt  anzuwenden;  es  wird  ihr  noch  mehr 
als  es  im  staatlichen  Leben  der  Fall  ist,  genügen, 
ihre  organisierte  Gewalt  anzudeuten,  um  dem 
Rechte    zum    Durchbruch    zu    verhelfen." 

Hierauf  antwortete  Dr.  Max  Mauren- 
b  r  e  c  h  e  r  im  zweiten  Februarheft  des  Freien 
Wort  in  einem  „Realistische  Friedensbewe- 
gung" überschrieben en  Artikel,  in  dem  er 
voransetzte,  daß  er  „nicht  um  Worte  streiten*' 
und  zu  zeigen  versuchen  will,  „daß  der  Gegen- 
satz in  der  Sache  durchaus  nicht  so  groß 
ist,  wie  es  den  Worten  nach  vielleicht  den 
Anschein  hat".  Er  führt  dann  wörtlich;  fol- 
gendes   aus : 

Fried  sagt  freilich:  ja,  das  ist  kein  Krieg! 
Krieg  nenne  ich  nur  Gewaltanwendung  zwischen 
Staaten,  die  noch  im  anarchischen  Zustand  zu- 
einander stehen;  das  andere  ist  nicht  Krieg,  son- 
dern Gewaltanwendung,  die  im  Dienste  des  Rechts 
steht,  die  einem  Rechtssatz  zur  Autorität  ver- 
helfen will.  Aber  das  ist  eine  reine  Frage  der 
Definition.  Und  über  Definitionen  soll  man  nicht 
streiten.  Jeder  hat  das  Recht,  die  Worte  so  zu 
gebrauchen,  wie  sie  seinem  Sprachgefühl  ent- 
sprechen; er  muß  nur  deutlich  sagen,  was  er  unter 
diesen  Worten  versteht,  und  dann  ist  kein  An- 
einandervorbei-Reden  mehr  möglich.  Das  hat  Fried 
getan,  und  darum  hänge  ich  mich  nicht  an  das 
Wort   Krieg,   sondern   gehe   auf   die    Sache  selbst. 

Auch  der  nächsthöhere  Organismus,  den  wir 
gemeinsam  über  unseren  heutigen  Nationalstaaten 
erstreben,  hat  Waffen  nötig;  und  er  hat  Menschen 
nötig,  die  einerseits  sich  das  Recht  zusprechen, 
mit  gutem  Gewissen  diese  Waffen  zu  führen,  und 
die  anderseits  dazu  bereit  sind,  um  der  Idee  des 
Rechtes  willen  ihr  Leben  aufs  Spiel  zu  setzen.  Das 
heißt:  auch  in  der  Periode  der  völkerrechtlichen 
Organisierung  wird  es  als  unsittlich  abgelehnt  wer- 
den, wenn  einer  lehrt:  mein  Leben  ist  mein  höch- 
stes Gut.  Das  aber  war  es,  was  ich  gegen  Lamszus 
sagte.  Ferner:  auch  in  dieser  Periode  wird  die 
demokratische  Partei  in  den  Parlamenten  der 
Einzelstaaten  es  nicht  ablehnen  dürfen,  Geld  für 
Bewaffnungszwecke  und  Organisationen  für  Aus 
bildung  in  der  Technik  des  Waffengebrauchs  zu 
schaffen.  Das  aber  war  es,  was,  wie  ich  erinnerte, 
bereits  im  Parteiprogramme  der  sozialdemokrati- 
schen Partei  Deutschlands  steht :  „Erziehung  zur  all- 
gemeinen Wehrhaftigkeit",  das  ist  ohne  Geld  und 
ohne  militärische  Organisationen  nicht  möglich. 
Also,  so  schloß  ich,  darf  auch  die  Demokratie 
sich  nicht  darauf  versteifen,  daß  alle  Ausgaben 
für  militärische  Zwecke  unsittlich,  nutzlos  und  un- 
produktiv seien. 

Das  gilt  für  die  Zukunft,  wenn  wir  jene  höhere 
Rechtsinstitution  einmal  erreicht  haben  werden. 
Aber  in  der  Gegenwart  haben  wir  sie  noch  nicht. 
Und  das  ist  es,  worin  allein  der  Unterschied 
zwischen   uns   aufkeimen  konnte.     Fried   wirft  mir 


M 


<§] 


=  DIE  FRIEDENS -^MÄttTE 


vor.  ich  hätte  die  Lösungen,  die  das  Friedens 
problem  bietet,  auf  die  heute  noch  vorherrschenden 
anarchischen  Verhältnisse  der  Staaten  übertragen; 
ich  hätte  die  Unvollkommenheiten  des  Augenblicks 
für  eine  Unvollkommenheit  des  Systems  gehalten. 
Zugegeben;  aber  diese  Unvollkommenheiten  sind 
doch  heute  noch  da.  Fried  sagt  ja  selbst,  daß  die 
anarchischen  Zustände  unter  den  Staaten  heute 
noch  vorherrschen.  Also  ist  auch  die  Gefahr  tat- 
sächlich da,  daß  sie  sich  gegen  uns  kehren,  wenn 
wir  durch  Erziehung  und  parlamentarische  Ab- 
stimmung die  Fähigkeit,  uns  zu  schützen,  in  uns 
selber  ersticken. 

In  Frieds  Beispiel  vom  Landstreicher  ge- 
sprochen: wenn  ich  weiß,  da  ist  ein  Landstreicher, 
der  mich  totschlagen  will,  aber  dahinter  steht 
ein  Gendarmi,  der  ihn  noch  vorher  totschießen 
wird,  so  kann  ich  ruhig  meinen  Weg  gehen. 
Das  Problem  des  Schutzes  und  der  Durchsetzung 
der  Rechtsautorität  ist  dadurch  gelöst,  daß  ein 
besonderes  Organ  von  der  Gesamtheit  geschaffen 
wurde,  das  diese  Durchsetzung  berufsmäßig  be- 
treibt. Wenn  ich  aber  eine  Stunde  von  der  Eisen- 
bahn fort  wohne  und  mein  Heimweg  führt  mich 
nachts  durch  einen  Wald,  in  dem  sicherlich  kein 
Schutzmann,  wohl  aber  manchmal  Gesindel  ist, 
dann  ist  es  Pflicht  und  Recht,  daß  ich  mir  selbst 
den  Revolver  beschaffe,  um  gegebenenfalls  die 
bedrohte  Rechtsautorität  und  mit  ihr  mein  Leben 
selber  schützen  zu  können.  Wenn  das  aber  nach 
Frieds  eigenen  Worten  unser  heutiger  Zustand  ist, 
so  ist  daraus  auch  für  den  Staat  zu  folgern, 
daß  er,  solange  jene  überstaatliche  Rechtssicher- 
heit fehlt,  mit  der  Möglichkeit  rechnen  muß,  für 
das  eigene  Recht  und  das  eigene  Leben  auch  ein- 
mal in  den  Krieg  ziehen  zu  müssen,  wenn  es  kein 
billigeres  Mittel  mehr  gibt,  das  uns  helfen  könnte. 
Und  darum  dürfen  wir  uns,  solange  jene  überstaat- 
liche Rechtsgarantie  fehlt,  dieses  Mittel  nicht  selbst 
durch  Erziehung  oder   Politik  zerstören. 

Soweit  ich  Frieds  Gedanken  kenne,  wird  er 
darauf  antworten,  daß  das  auch  nicht  seine  Ab- 
sicht pei;  er  würde  als  Reichstagsabgeordneteri 
vielmehr  bereit  sein,  jede  militärische  Forderung 
der  Regierung,  deren  Notwendigkeit  nachgewiesen 
ist,  auch  zu  bewilligen  —  unbeschadet  seiner  pazi- 
fistischen Agitation.  Wenn  dem  so  ist,  so  ist  es 
gut;  denn  dann  besteht  zwischen  uns  überhaupt 
kein   Streit. 

Das  Friedensproblem,  wie  ich  es  sehe,  liegt 
nicht  darin,  den  Krieg  ohne  jede  Bedingung  und 
Ausnahme  als  unsittlich  zu  verdammen  und  ihn 
durch  antimilitaristische  Schlagwort-Propaganda 
zu  diskreditieren.  Es  liegt  vielmehr  darin,  die 
Form  zu  suchen,  wie  man  die  Organisation  der 
Bewaffnung  immer  mehr  auf  größere  Einheiten 
ausdehnen  und  damit  militärische  Reibungen  im 
Innern  dieser  Einheiten  beseitigen  könne.  Noch  vor 
fünfzig  Jahren  hatten  wir  eine  sächsische,  eine 
preußische,  eine  bayrische  usw.  Armee  und  mußten 
sie  haben.  Heute  sind  das  alles  nur  noch  Armee- 
korps einer  höheren  Einheit,  und  es  ist  unvorstell- 
bar, daß  diese  einzelnen  Anneekorps  noch  einmal 
gegeneinander  gehen  könnten.  Wir  erstreben  nun 
einen  Zustand,  daß  auch  die  deutsche,  die  deutsch- 
österreichische, die  italienische,  holländische,  bel- 
gische, französische  Armee  nur  noch  Teile, 
Armeekorps  einer  noch  höheren  Einheit,  der  mittel- 
und  westeuropäischen  Handels-  und  Verteidigungs- 
gemeinschaft der  Staaten,  seien.  Das  wird  wahr- 
scheinlich eine  enorme  Erleichterung  der  mili- 
tärischen Lasten  für  jeden  einzelnen  Staat  sein, 
schon  deshalb,  weil  nicht  mehr  jede  Einzelarmee, 


sondern  nur  noch  die  Gesamtarmee  eine  strate- 
gische Einheit  zu  sein  braucht,  und  weil  die  Einzel- 
staaten sich  differenzieren  können  (Meerflotte, 
Luftflotte,  Artillerie,  Infanterie  usw.).  Aber  es  wird 
vor  allem  eine  ungeheure  kulturelle  Errungenschaft 
sein,  wenn  der  Krieg,  wie  er  jetzt  schon  aus  dem 
Verkehr  der  einzelnen  Provinzen  und  Landesteile 
untereinander  verbannt  ist,  dann  aus  dem  Innern 
von  Mittel-  und  Westeuropa  überhaupt  verbannt, 
und  höchstens  noch  an  die  Grenzen  dieses  Gebiets 
gelegt  sein  wird." 

Ich  glaube  selbst,  daß  der  Unterschied 
zwischen  mir  und  Maurenbrecher  nicht  so 
groß  ist,  wie  es  nach  seinem  ersten  Artikel 
den  Anschein  hat.  Maurenbrecher  scheint  sich 
schließlich  gegen  etwas  wehren  zo  wollen, 
dessen  Bekämpfung  uns  Pazifisten  als  etwas 
Selbstverständliches  scheinen  muß,  näm- 
lich gegen  jene  Tendenzen,  die  man  kollektiv 
als  „Antimilitarismus"  bezeichnet.  Ich  habe 
in  allen  meinen  Schriften  darauf  hingewiesen, 
und  damit  weiß  ich  mich  mit  der  gesamten 
pazifistischen  Bewegung  eins,  daß  die  Be- 
kämpfung des  Krieges  durch  Bekämpfung 
der  Armee  ein  am  verkehrten  Ende  eingesetz- 
tes Beginnen  sei.  Die  Rüstungen  sind  mir 
immer  nur  ein  Symptom  jener  Erscheinung 
gewesen,  die  wir  nur  durch  Bekämpfung  der 
Ursachen  zu  beseitigen  imstande  sein  werden. 
Wir  Pazifisten  wissen  ganz  genau,  daß  wir 
den  Frieden  nicht  mit  der  Abrüstung  be- 
ginnen können,  am  allerwenigsten  mit  der 
Abrüstung  eines  einzelnen  Volkes,  das  etwa 
mit  dem  guten  Beispiel  vorangehen  solle. 

Aber  wenn  ich  auch  im  Grundsatz  mit 
Maurenbrecher  übereinzustimmen  glaube,  so 
gehen  wir  in  der  Methode,  die  er  anwendet, 
sehr  weit  auseinander.  Diese  darf  sich  näm- 
lich nicht  darauf  beschränken,  dem  augen- 
blicklichen Bedürfnis  Genüge  zu  tun,  son- 
dern muß  in  jedem  Augenblick  die  Zukunfts- 
werte ins  Auge  fassen,  die  sie  zu  fordern  hat. 
Ich  würde  daher,  wie  Maurenbrecher  ganz 
richtig  voraussetzt,  als  Reichstagsabgeord- 
neter die  Rüstungsforderungen  der  Regierung, 
deren  Forderungen  nachgewiesen 
sind  ( !  ),  auch  bewilligen,  würde  aber  diesen 
Nachweis  unter  keinen  Umständen  als  er- 
bracht sehen,  wenn  die  Regierung  nicht  be- 
wiesen haben  wird,  daß  sie  offen  und  ehrlich 
vorher  den  Versuch  gemacht  hat,  mit  den 
anderen  Regierungen  zu  einem1  Abkommen 
auf  Einschränkung  der  Rüstungen  zu  ge- 
langen. Ich  finde  nämlich  die  Unvollkommen- 
heiten des  Augenblicks  nicht  so  sehr  in  den 
wirklichen  internationalen  Verhältnissen  be- 
gründet, als  in  den  Anschauungen  und  Ab- 
sichten gewisser  Kreise,  die  sich  bemühen, 
diese  Unvollkommenheiten  mit  aller  Gewalt 
zu  verstärken  und  künstlich  aufrechtzuerhal- 
ten, um  dadurch  aus  der  Not  eine  für  sie 
ersprießliche  Tugend  zu  machen,  und  die 
bei  ihrem!  Treiben  unterstützt  werden  von  der 
trägen  Masse  derjenigen,  die  über  die  Be- 
dürfnisse des  Tages  nicht  hinauszublicken 
vermögen.     Indem   ich   von   ,,Unvollkommen- 


39 


DIE  FßlEDENS-^MißTE 


S> 


heiten  des  Augenblicks"  sprach,  meinte  ich 
damit  nicht,  daß  der  heute  vorherrschende 
Zustand  zwischen  den  Staaten  gar  keine  Vor- 
aussetzung für  eine  verständige  Ordnung  der 
Dinge  biete,  sondern  nur,  daß  er  noch  nicht 
ganz  jene  Vollkommenheit  erreicht  hat,  die 
dazu  nötig  wäre,  daß  die  internationale 
Anarchie  noch  nicht  vollständig  überwunden 
ist,  aber  wohl  die  internationale  Organisation 
schon  bedeutend  entwickelt  erscheint.  Der 
Wille  zur  Vollendung  jener  großen  Entwick- 
lung seitens  gewisser  an  der  Macht  befindlichen 
Kreise,  vielleicht  auch  deren  Zuversicht, 
scheint  mir,  zu  fehlen,  um  hier  die  erlösende 
Befreiung  zu  bringen.  Und  gerade  deshalb 
halte  ich  es  für  wichtig,  die  sich  bietenden 
großen  Möglichkeiten  immer  wieder  in  den 
Vordergrund  zu  stellen,  und  nicht,  wie 
Maurenbrecher  das  tut,  mit  pessimistischer 
Abfindung  mit  dem  Gegebenen  sich  zufrieden 
zu  geben  und  eine  Anpassung  an  dieses  Ge- 
gebene zu  empfehlen,  womit  nichts  anderes 
bewirkt  wird,  als  daß  die  Hemmnisse  jener 
erlösenden  Entwicklung  nur  gestärkt  werden. 
Ich  werde  immer  wieder  an  jene  mir  .un- 
vergeßlichen Worte  Sir  Edward  Greys  er- 
innert, der  von  einem  Erwachen  der  in  der 
Knechtschaft  ihrer  Rüstungen  befindlichen 
Völker  sprach,  die  dann  eines  Tages  erkennen 
werden,  daß  die  Gefängnistür  von 
innen    verschlossen    war. 

Und  deshalb  finde  ich  es  unangebracht, 
einen  Schriftsteller  zu  bekämpfen,  weil  er 
den  Krieg  wahrheitsgetreu  schildert,  die  Theorie 
eines  unter  Umständen  sittlichen  Krieges 
zu  vertreten,  während  wir  uns  jetzt  alle 
halben  Jahre  vor  eine  Kriegsmöglichkeit  ge- 
stellt sehen,  die  sich:  bei  näherer  Betrachtung 
als  frivol  herausstellt;  den  Präventivkrieg 
als  nützlich  hinzustellen,  während  wir  wissen, 
daß  aus  zahlreichen  Kriegen,  die  einflußreiche 
Diplomaten  einmal  als  unabwendbar  hin- 
gestellt haben,  nichts  geworden  ist,  weil  die 
Zeit  alle  Verhältnisse  verschiebt,  und  dann 
etwas,  Was  früher  als  Gefahr  erschien,  nach  kur- 
zer Entwicklung  sich  ganz  anders  darstellt.  Daß 
der  Krieg  unter  Umständen  sittlich  sein  kann, 
wissen  wir.  Aber  nicht  jeder  Krieg,  den  man 
uns  heute  als  sittlich  darstellen  möchte,  ist  es 
in  Wirklichkeit.  Und  wir  wissen,  daß  eis  in 
einer  gefestigten  Kulturgemeinschaft  gar 
nicht  mehr  nötig  sein  wird,  mit  jenem  allein 
sittlichen  Krieg  um  die  Existenz  des  Staates 
zu  rechnen,  da  diese  durch  die  Gemeinschaft 
fest  begründet  sein  wird. 

Maurenbrecher  hindert  aber  die  Ent- 
wicklung dieser  Kulturgemeinschaft,  indem  er 
sich  der  pazifistischen  Praxis  mit  seiner 
Theorie  entgegenstellt. 

Wir  gehen,  mit  Knüppeln  bewaffnet,  aus, 
den  Brandstifter  zu  suchen,  der  unsere  Häuser 
anzündet  und  uns  nicht  zur  Rühe  kommen 
läßt.  Und  da  tritt  uns  einer  entgegen  und 
ruft:  „Was  wollt  Ihr  denn;  das  Feuer  ist 
eine    der    wohltuendsten    Einrichtungen.      Es 


leuchtet,  es  erwärmt,  es  treibt  die  Maschinen." 
Jawohl,  Herr  Dr.  Maurenbrecher;  das  kann 
uns  aber  nicht  abhalten,  den  Brandstifter  auf- 
zuspüren   und    ihn    unschädlich    zu    madhen. 

A.  H.  F. 


Das  kleine  Heer. 

Von   einem   Offizier. 

Der  Beginn  des  allgemeinen  Wettrüstens, 
zuerst  zu  Land,  dann  auch  zu  Wasser,  ist  auf 
den  Deutsch-Französischen  Krieg  zurückzufüh- 
ren. Der  Vergeltungsgedanke  ließ  Frankreich 
keine  Opfer  scheuen  eine  neue,  große  und  mäch- 
tige Armee  zu  schaffen.  Dadurch  fühlte  sich 
Deutschland  naturgemäß  bedroht  und  schritt 
ebenfalls  an  den  Ausbau  seines  Heeres.  Auf 
diese  Weise  war  eine  ausreichende  Sicherheit 
des  neuen  Reiches  gegen  Frankreich  gewonnen, 
Handel  und  Verkehr,  Industrie  und  Gewerbe 
konnten  sich  heben;  und  führten  zu  Deutsch- 
lands   heutiger    Blüte. 

Bald  war  aber  das  Absatzgebiet  zu  eng;, 
die  wirtschaftliche  Entwicklung  drängte  zum 
Meer.  Kaiser  Wilhelm  II.  erkannte  die  hohe 
Bedeutung  der  Seegeltung  für  des  Reiches  öko- 
nomische Entwicklung  und  arbeitete  planmäßig 
an  der  Vermehrung  der  deutschen  Handels- 
und Kriegsflotte.  Besonders  das  rapide 
Wachsen  letzterer  wurde  begreiflicherweise  gar 
bald  in  England  unliebsam  wahrgenommen. 
Bedrohte  doch  eine  deutsche  Kriegsflotte 
zweifellos  die  britannische  Alleinherrschaft  zur 
See    und  gefährdete   dadurch   Nelsons    Erbe. 

Durch  das  in  den  beiden  letzten  Dezenien 
des  19.  Jahrhunderts  einsetzende  politische 
System  der  Allianzen  wurden  alle  anderen 
Staaten  Europas,  durch  den  Uebergang  von 
der  kontinentalen  zur  universalen  Volkswirt- 
schaft auch  die  amerikanischen  und  asiatischen 
Mächte,  besonders  die  Vereinsstaaten  und  Ja- 
pan, in  den  Kreis  der  für  einen  möglichen  Zu- 
kunftskrieg emsig  Rüstenden  gezogen.  Auf 
diese  Weise  erklärt  sich  der  gegenwärtige 
Stand  der  großen  Kriegsbereitschaft  und  der 
durch  letztere  verursachten  hohen  Kosten  von 
selbst.  Gleichzeitig  muß  aber  auch  die  Frage 
aufgeworfen  werden,  ob  dieser  Zustand  auf 
die  Länge  der  Zeit  erträglich  ist.  Es  kommen 
diesbezüglich  soziale,  ökonomische, 
politische  und  militärische  Gesichts- 
punkte in  Betracht. 

In  sozialer  Beziehung  machen  sich  an- 
haltende Kriegsvorbereitungen  sowohl  durch 
Förderung  körperlicher  Ausbildung,  wie  durch 
Festigung  des  Charakters  wohltätig,  durch  Zu- 
rückdrängung mancher  wichtigen  Kulturarbeit 
aber  ungünstig  bemerkbar. 

Noch  deutlicher,  und  dem  einfachen 
Manne  wahrnehmbarer,  werden  die  öko- 
nomischen Wirkungen.  Ueberall  dort,  wo  der 
Friede  nur  durch  stete  Drohung  mit  Waffen- 
gewalt •  :•  erhalten  werden  kann,  ist  man 
berechtigt,  von  einem  ..  i a  u I e  n  Fr  i  e den" 


'90 


@= 


=  DIE  FRIEDEN5->VARTE 


zu  sprechen,  und  ein  solcher  kann  wegen  der 
mit  ihm  verbundenen  Unsicherheit  niemals 
günstig  für  die  ökonomischen  Interessen  sein. 
Der  Umstand,  daß  von  den  Gesamtstaats- 
einnahmen ein  immer  größerer  Teil  für  Kriegs- 
vorbereitungszwecke verwendet  werden  muß, 
ist  der  Volkswirtschaft  ebenfalls  nicht  förder- 
lich. Allerdings  darf  man  auch  nicht  aus 
den  Augen  lassen,  daß  die  für  Rüstungszwecke 
verausgabten  Summen  bestimmte  Teile  der 
Volkswirtschaft,  die  heute  schon  recht  ansehn- 
liche Kriegsindustrie,  um  so  intensiver 
fördern,  je  mehr  sie  im  Inlande  konsumiert 
werden.  Des  weiteren  darf  man  auch  nicht 
vergessen,  daß  die  ökonomischen  Interessen 
selbst  durch  einen  erfolgreichen  Krieg  weit 
mehr  geschädigt  werden,  als  durch  einen  noch 
so  kostspieligen  Frieden.  Diesbezüglich 
können  folgende  Zahlen  Anhaltspunkte  bieten: 
das  Gesamtrüstungsbudget  Oesterreich-Un- 
garns  (Heer,  Flotte,  beide  Landwehren)  be- 
ziffert sich  pro  1913  auf  rund  0,6  Milliarden  Kr. 
Nach  den  jetzt  so  häufig  in  Fach-  und  Tages- 
blättern anzutreffenden  Untersuchungen  über 
Kriegskosten,  kann  man  einen  Durchschnitts- 
wert von  10  Kronen  pro  Mann  und  Tag  an- 
setzen. Nehmen  wir  nun  an,  daß  die  Mo- 
narchie 2  Millionen  Soldaten  mobilisieren 
würde  (tatsächlich  könnte  sie  noch  viel  mehr 
bereitstellen),  so  würden  ihr  in  einem  Jahre 
10x2x365  =  7,3  Milliarden  Kr.,  also  das 
7.3 


0.6 


=  zwölffache  an  Kosten  erwachsen. 


Weil  die  Friedensrüstung  beim  Gegner 
Furcht  erzeugen  und  dadurch  den  Kriegsaus- 
bruch verhindern  soll,  werden  ihre  Kosten  oft 
als  „Versicherungsprämien"  bezeich- 
net. Das  ist  unrichtig;  denn  die  Versicherung 
bezweckt  eine  Ersatzleistung  im  Falle  eingetre- 
tenen Ungemachs,  während  die  Friedensvor- 
sorge den  Kriegsausbruch,  also  das  Ungemach 
verhüten  soll.  Erstere  ist  somit  eine  Art  Heil- 
mittel und  gehört,  bildlich  gesprochen,  in  das 
Gebiet  der  inneren  Medizin,  während  die 
Friedensvorsorgen  Präservative  sind,  somit 
als  vorbeugende  Hygiene  zu  gelten 
haben. 

Wie  sich  diese  vorbeugende  Wirkung  be- 
währt, nimmt  man  erst  im  Momente  einer 
Friedensgefährdung  wahr.  Ist  eine  Spannung 
eingetreten,  so  stocken  nicht  nur  die  Geschäfte, 
sondern  es  beginnen  auch  überall  die  Arbeits- 
kräfte zu  mangeln,  weil  gerade  die  tüchtigsten 
geistigen  Und  manuellen  Arbeiter  zum  Kriegs- 
dienst herangezogen  werden.  Im  Momente, 
wo  die  Volkswirtschaft  den  größten  Personal- 
bedarf hat,  werden  ihr  somit  durch  das  gegen- 
wärtig praktizierte  System  die  besten  Kräfte 
entzogen.  Dieses  gewichtige  ökonomische  Mo- 
ment spricht  nicht  für  das  Massenaufgebot 
zu  Land  und  zu  Wasser. 

Fassen  wir  nun  das  politische  Gebiet  ins 
Auge,  so  können  wir  schon  aus  den  gewöhn- 
lichsten   Zeitungsberichten     heraus     erkennen, 


daß  in  bezug  auf  Kriegsvorbereitungen  in 
allen  Staaten  ein  Auktionswesen  Platz  gegriffen 
hat,  welches  jeden  Vorsprung  des  einen  Staates 
durch  einen  noch  größeren  Sprung  des  anderen 
Staates  zu  überbieten  trachtet,  und  welches 
deshalb  unmöglich  zu  einer  politischen  Klärung 
führen  kann. 

An  letzter  Stelle  wurde  nicht  ohne  Ab- 
sicht das  militärische  Moment  gerückt.  Es 
ist  ohne  Zweifel  das  wichtigste,  weil  es  so- 
wohl alle  anderen  in  sich  faßt,  wie  auch, 
weil  die  Wehrmacht  in  ihrer  eigenen  Sache 
denn  doch  die  Hauptperson  ist. 

Von  ihrem  Standpunkt  ist  zu  bemerken, 
daß  sie  wohl  an  der  Ansicht,  die  Verteidigung 
des  Vaterlandes  sei  die  erste,  edelste  und 
wichtigste  Pflicht  eines  jeden  Staatsbürgers, 
festhalten  muß,  damit  aber  nicht  gesagt  haben 
will,  es  müsse  jeder,  der  weder  ein  geistiger 
noch  ein  körperlicher  Krüppel  ist,  sofort  bei 
Mobilisierungsbeginn  in  die  Uniform  schlüp- 
fen und  das  Gewehr  schultern.  Gegen  diese 
von  Heeresgegenern  als  „M  i  1  i  t  a  r  i  s  m  u  s" 
bezeichnete  Tendenz  sprechen  gewichtige 
Gründe  der  Logik.  Die  Armee  ist  die  Be- 
schützerin des  Erwerbslebens  und  deshalb  in 
dem  Sinne  posterior,  daß  ein  Schützer  nur 
dann  einen  Sinn  hat,  wenn  ein  Schutzbedürf- 
tiger vorhanden  ist.  Reiht  man  aber  alle  mehr 
oder  minder  tauglichen  Männer  in  die  Wehr- 
macht ein,  so  nimmt  man  die  besten  Arbeiter 
dem  Erwerbsleben  wegen,  und  entzieht  diesem, 
dem  Schutzbedürftigen,  das  belebende  Blut: 
Man  könnte  diesen  Vorgang  füglich  auch  mit 
der  Behandlung  eines  Fisches  vergleichen,  den 
man  an  Land  bringt,  um  ihn  vor  dem  Er- 
trinken zu  bewahren. 

Gegen  „uferlose  Rüstungen" 
spricht  vom  militärischen  Gesichtspunkt  aus 
auch  noch  die  Tatsache,  daß  die  Qualität  der 
bewaffneten  Macht  mit  der  Zunahme  ihres  Um- 
fanges  sinken  muß.  Je  weniger  Soldaten  eine 
bestimmte  Bevölkerungsmenge  zu  stellen 
hat,  10  o/o  der  Gesamtbevölkerung  scheint 
überhaupt  das  Maximum  zu  sein,  desto 
tüchtiger  können  diese  in  geistiger  und 
körperlicher  Beziehung  sein,  und  desto  leichter 
wird  der  Ersatz  von  Abgängen.  Auch  wird 
eine  Armee  um  so  beweglicher,  je  kleiner  sie 
ist.  Millionenheere  nehmen  gezwungenerweise 
in  jeder  Beziehung  minder  leistungsfähige 
Männer  in  ihre  Reihen  auf,  und  werden  wegen 
ihres  Umfanges  so  unbeholfen,  daß  man  sie, 
einmal  in  Bewegung  gesetzt,  nicht  mehr  leiten. 
verschieben  und  manöverieren  kann,  sondern 
einfach   auslaufen    lassen    muß. 

Treten  dann  Verluste  ein,  so  wird  es 
an  geeignetem  Ersatz  fehlen,  und  dann  geht  das 
Riesenheer  an  den  Folgen  der  eigenen  Fülle 
zugrunde. 

Nimmt  man  das  Gesagte  nochmals  vor. 
so  erkennt  man,  daß  die  Friedensfreunde  wohl 
unrecht  haben,  wenn  sie  heute  den  ewigen 
Frieden    und   die   allgemeine    Abrüstimg    ver- 


91 


CHE  FBIEDENS -WARTE. 


3 


langen*).  Daß  man  aber  doch  bald  zu  einem 
Wendepunkt  in  der  Rüstungfrage  gelangen 
muß,  soll  die  Menschheit  mit  ihren  politischen, 
sozialen  und  wirtschaftlichen  Interessen  nicht 
dauernd  geschädigt  werden;  und  daß  die  bal- 
dige Erreichung  dieses  Wendepunktes  geradezu 
im  eigensten  Interesse  der  Wehrmacht  selbst 
liegt. 

Alle  Komponenten  vereinigen  sich  somit 
zu  der  Resultierenden :  Weg  mit  den 
Riesenarmeen  und  Ersatz  derselben  durch 
kleine    Heere. 

Von  der  theoretischen  Erkenntnis  bis  zur 
praktischen  Umsetzung  ist  aber  ein  recht  weiter 
Weg.  Das  ganze  Problem  kann  erst  dann  ins 
Rollen  gebracht  werden,  bis  die  Frage,  wer 
den  ersten  Schritt  zu  unternehmen  habe, 
gelöst   ist. 

Hier,  wo  der  einzelne  machtlos  ist  einzu- 
greifen, müßte  eine  dankbare  Aufgabe  aller 
wahren  Friedensfreunde  und  deren  Ver- 
einigungen sein. 

Vor  allem  wäre  von  diesen  Organisationen 
klarzustellen,  wie  sich  die  einzelnen  Staaten 
zur  Abrüstungsfrage  stellen,  dann,  welche  An- 
sichten sie  hinsichtlich  des  , .kleinen  Heeres" 
hegen. 

Das  so  gewonnene  Material  müßte  nun 
vorbereitet  werden  und  als  Resultat  die  von 
jedem  Staate  zu  tragende  Rüstung  zu  Wasser 
und  zu  Lande  ergeben. 

Die  Einwirkung  auf  die  einzelnen  Staaten 
sich  der,  zweifellos  einen  Eingriff  in  die  Sou- 
veränitätsrechte darstellenden,  Rüstungsbe- 
schränkung zu  unterwerfen,  wird  allerdings 
keine    leichte    Arbeit    sein. 

Aber  wo  ein  klarer  Wille  ist,  muß  auch 
ein  gangbarer  Weg  sein. 

Steter  Tropfen   höhlt  den    Stein! 


Die  englisch -deutsche 
Flottenformel. 

Von  besonderer  Seite. 
Die  Erklärung  des  Staatssekretärs  v.  T  i  r  - 
pitz,  daß  die  Formel  16:10  als  Stärkever- 
hältnis der  Schlachtschiffe  Englands  und 
Deutschlands  für  die  nächsten  Jahre  akzeptabel 
sei,  sagt  zunächst  nur,  daß  für  einige  Jahre, 
wo  nach  Churchill  England  in  Anbetracht  des 
noch  bestehenden  Gefechtswerts  seiner  Prae- 
Dreadnoughts  mit  jener  Ueberlegenheit 
von  60  o/o  in  Dreadnoughts  auszukommen 
glaubt,    Deutschland    nicht    die    Absicht    hat, 

*)  Es  braucht  in  diesen  Blättern  wohl  nicht 
erst  betont  zu  werden,  wie  sehr  der  gesch. 
Herr  Verfasser  das  Problem  verkennt.  Von 
„ewigem  Frieden"  und  „allgemeiner  Abrüstung" 
ist  nur  in  den  Witzblättern  die  R,ede,  wenn  sie 
die  Friedensbewegung  in  den  Kreis  ihrer  Be- 
trachtungen ziehen;  aber  nirgends  im  Pro- 
gramm  dieser    Bewegung.     Die   Red.    d.  „F.-W.". 


sein  Flottengesetz  vom  letzten  Jahre  zu  ändern. 
Churchill  betonte  allerdings  in  seiner  Flotten- 
rede vom  18.  März  1912,  daß,  wenn  Deutsch- 
land über  sein  damaliges  Flottengesetz  (1908) 
hinausginge,  England  genötigt  sein  würde,  für 
jedes  Schiff  mehr  „zwei"  auf  Stapel  zu  legen, 
und  daß  mithin  etwaige  Mehrbauten  das  Ver- 
hältnis zuungunsten  Deutschlands  ändern 
würden.  Dieser  Fall  ist  eingetreten.  Die  Er- 
regung und  die  englandfeindliche  Stimmung, 
die  1911  durch  die  Agitation  von  Kolonial- 
und  Flottenverein  wegen  der  Marokkoange- 
legenheit erzeugt  wurden,  führten  im  ver- 
gangenen Jahre  dazu,  diese  Feststellung 
Churchills  außer  Acht  zu  lassen  und  durch 
ein  neues  Flottengesetz  vom  Mai  1912  die  Zahl 
der  Linienschiffe  um  drei  zu  erhöhen.  In  dem 
britischen  Bauplan  wird  sich  dies  in  der  Folge 
aussprechen,  da  das  Ministervvort  in  England 
unantastbar  sein  dürfte.  Aber  auch  wenn  sich 
hierdurch  die  Formel  in  I6V2 :  10  für  die 
nächsten  Jahre  ändert,  wird  dies  ohne  Einfluß 
bleiben.  Zweifellos  strebt  man  in  den  Re- 
gierungskreisen Deutschlands  wie  Englands 
danach,  aus  dem  Stadium  der  Feindseligkeit 
zu  einem  modus  vivendi  zu  kommen,  da  beide 
Länder  den  Frieden  wollen  und  das  Phantom 
vom  unvermeidlichen  Krieg  lediglich  ein 
Aktionsmittel  der  Flottentreiber  ist. 

Churchill  sagte  noch  in  seiner  Rede 
vor  Jahresfrist,  daß  England  ebenso 
wie  der  Erhöhung  auch  der  „Ver- 
minderung" der  deutschen  Schiffs- 
zahl  sofort  proportional  folgen 
würde,  und  daß,  wenn  z.  B.  1913  in 
Deutschland  durch  Nichtbau  „ein 
weißes  Blatt  in  das  Buch  des  Miß- 
verstehens eingeschaltet  würde", 
mit  den  nicht  gebauten  3  deutschen 
Schiffen  5  gewaltige  englische 
Ueberdreadnoughts  weggewischt 
werden  würden  und  dies  mehr  sei, 
alsnachseinerEr  Wartung  Deutsch- 
land in  der  glänzendsten  See- 
schlacht zu  erreich  en  hoffen  könne. 
Der  Ersparnis  von  6  bis  7  Millionen  Pfund 
Sterling  (120  bis  140  Millionen  Mark)  stände 
kein  Nachteil  durch  Verringerung  der  Schiffs- 
zahl gegenüber.  Trotzdem  durch  das  Zu- 
sammengehen Deutschlands  und  Englands  in 
der  jetzigen  Orientkrisis  den  Elementen,  die 
die  Völker  gegeneinander  hetzten,  der  Boden 
entzogen  worden  ist,  dürfte  es  in  Deutschland 
kaum  möglich  sein,  dem  Vorschlage  Chur- 
chills, ein  Jahr  im  Dreadnoughtbau  eine 
Pause  eintreten  zu  lassen,  Folge  zu  geben, 
denn  der  Lärm  derer,  die  bisher  für  eine  Be- 
schleunigung der  deutschen  Flottenbauten  ein- 
traten, würde  ganz  gewaltig  sein  und1  in  Eng- 
land indirekt  Unterstützung  finden.  Denn  dort 
finden  sich  einerseits  patriotische  Politiker, 
denen  das  Wachstum  der  deutschen  Flotte 
wegen  seiner  Wirkung  auf  die  Vergrößerung 
der  britischen  und  wegen  des  Zusammen 
schließens  von  Mutterland  und  Kolonien  nicht 


92 


<£ 


DIE  FRIEDEN5-^ÄR.TE 


unerwünscht  ist,  und  andererseits  Leute  der 
Großindustrie  und  des  dahinterstehenden 
Großkapitals,  die  am  Flottenbau  Geld  ver- 
dienen wollen  und  denen  jedes  Nachlassen 
sehr  unangenehm  ist.  Es  ist  menschlich,  daß 
der  Patriotismus  wächst,  wenn  Eigennutz  da- 
zukommt, und  daß  gerade  diese  Art  Leute 
sehr  aktiv  ist  und  direkt  und  indirekt  in  den 
Flottenvereinen,  in  den  Parlamenten  und  in 
der  Presse  einen  Einfluß  auszuüben  sucht, 
ohne  daß  das  Publikum  die  Triebfedern  ge- 
wahr wird.  Das  Publikum  weiß  von  den  Par- 
lamentariern usw.  nicht,  in  welchen  Be- 
ziehungen sie  als  Aufsichtsräte  oder  sonst  zu 
den  großen  Schiffswerften  oder  sonstigen 
Lieferanten  stehen.  Daß  zwischen  der 
deutschen  und  englischen  Agita- 
tion für  Vermehrung  der  Flotten- 
bauten Beziehungen  bestehen,  er- 
gibt sich  aus  dem  Jahrbuch  des  britischen 
Flottenvereins  (Navy  League  Annual  1910  bis 
1911),  in  dem  auf  Seite  216  der  Herausgeber 
Alan  H.  Burgoyne  als  Verfasser  des  Ar- 
tikels „Die  Entwicklung  des  englisch-deut- 
schen Antagonismus"  in  einer  Fußnote*) 
bemerkt,  daß  er  denArtikel  mit  ge- 
ringen Aenderungen  früher  für  den 
Grafen  Ernst  von  Reventlow  ge- 
schrieben habe  und  erauchin  einem 
Berliner  Blatt  veröffentlicht  wor- 
den s  e  i.  —  Graf  E.  Reventlow,  der  bekann- 
teste deutsche  Flottentreiber,  Alan  H.  Bur- 
goyne, eins  der  tätigsten  Mitglieder  des  eng- 
lischen Flottenvereins. 


Kiderlen  *  Wächter. 

Als  ich  in  der  Januarnummer  der  „Frie- 
denswarte" den  kurz  gehaltenen  Nachruf  für 
den  verstorbenen  Staatssekretär  des  Aus- 
wärtigen Amtes,  von  Kiderlen-Wächter,  las, 
empfand  ich  ein  Bedauern  darüber,  daß  diesem 
Manne  auch  hier,  wie  an  so  vielen  Stellen,  nur 
eine  geringe  Anerkennung,  ja  ein  leiser  Tadel 
nachgerufen  wurde. 

Es  ist  immer  schwer,  die  Taten  zeit- 
genössischer großer  Männer  richtig  zu  be- 
urteilen, weil  einem  der  genügende  Abstand 
fehlt,  um  diese  Taten  in  der  Gesamtwirkung 
und  in  ihrer  Begründung  richtig  bewerten  zu 
können,  und  dies  wird  umso  schwerer,  je  mehr 
Menschen  sich  für  urteilsberechtigt  halten  und 
ihre  Ansichten  hinwerfen,  ohne  den  Charakter 
der    handelnden    Persönlichkeiten    zu   kennen. 

Es  gibt  Menschen,  die  man  aus  böser  Er- 
fahrung heraus  niedrig  bewertet  und  deren 
Beweggründen  man  bei  jeder  Handlung  Nie- 
drigkeit unterschiebt  und  andere,  bei  deren 
scheinbar  unverständlich  falschen  Handlungen 


*)  Diese  Fußnote  lautet:  „This  article  was 
written  by  the  author  for  Graf  Ernst  v.  Revent- 
low and  published  in  the  Berlin  .Zeitfragen'. 
It  has  only  been  altered  sufficiently  to  bring 
it    up-to-date." 


man  sofort  nach  einem  versteckten  guten  Motiv 
sucht.  Bei  jenem  sagt  man  wohl:  das  ist  ein 
häßlicher  Charakter,  den  man  jeder  Schand- 
tat fähig  hält,  —  bei  diesem:-  der  hat  eine 
prächtige  Gesinnung,  der  hat  gewiß  nichts 
Falsches  gewollt  und  seine  guten  Gründe  ge- 
habt. 

Das  soll  auf  Kiderlen  angewandt  heißen: 
die  Schwaben  haben  ihn  näher  gekannt  und 
seine  Handlungsweise  durch  seinen  Charakter- 
besser  beurteilen  gelernt  als  die  Welt  da 
draußen,  die  von  ihrem  jeweiligen  Stand- 
punkt aus  kalt  kritisiert  und  viel  geschimpft 
hat.  Weil  ich  diesen  Mann  gekannt  und  ein 
gutes  Urteil  über  ihn  gewonnen  habe,  möchte 
ich,  daß  dieses  Urteil  auch  jenseits  der 
Grenzen  seiner  engeren  Heimat  Raum  ge- 
wänne, und  deshalb  bitte  ich  noch  nachträglich 
um  Aufnahme  dieser  verspäteten  Zeilen  in 
Ihren  Spalten. 

Es  liegt  mir  fern,  über  Politik  zu  philo- 
sophieren oder  ein  Urteil  über  Richtigkeit  oder 
Unrichtigkeit  des  Verhaltens  unserer  Diplo- 
matie in  den  auswärtigen  Angelegenheiten  zu 
wagen,  darüber  denkt  der  eine  so,  der  andere 
das  Gegenteil;  nur  weil  an  dieser  Stelle  von 
dem1  „Mann  von  Agadir"  gesprochen  wurde 
als  von  einem  Manne,  an  dessen  pazifistischen 
Grundsätzen  man  gezweifelt  habe,  möchte  ich 
meine  Ansicht  aussprechen:  daß  gerade 
dieser  Kiderlen -Wächter  an  seinem 
führenden  Posten  Leiter  einer 
festen  Friedenspolitik  war  und  daß 
seine  Gesinnung  gerade  hier  an 
dieser  Stelle  Anerkennung  ver- 
diente. 

Bei  den  Friedensfreunden  hat  der  „Panter- 
sprung"  Mißfallen  hervorgerufen,  bei  den 
Kriegslustigen  Aerger  über  die  „Schlappheit 
des  späteren  Rückzugs" ;  hier  wie  dort  ist  er 
falsch  verstanden  und  falsch  gedeutet  worden, 
und  erst  jetzt  beginnt  man  ihn  hie  und  da 
als  das  darzustellen,  was  er  wirklich  war:  das 
repräsentative  Auftreten  einer  mitinteressierten 
Großmacht,  die  sich  nicht  an  die  Wand 
drücken  ließ. 

Kiderlen  hat  nie  Besitzergreifung  von 
Land  angestrebt,  darum  hat  in  seiner  Absicht 
nie  Waffengeklirr  gelegen,  und  es  kann  von 
einem  beschämenden  oder  schlappen  Rückzug 
bei  Marokko  nicht  die  Rede  sein.  Seine  dies- 
bezüglichen leitenden  Ideen  hat  er  oft  aus- 
gesprochen und  scheinen  mir  in  den  Worten 
zu  liegen,  die  er  im  Freundeskreis  gesprochen : 
„Die  italienische  Diplomatie  und 
der  König  haben  sich  durch  die 
Volksstimmung  zum  Krieg  in  Tri- 
polis t  reiben  lassen,  wir  haben  uns 
mit  Marokko  eben  nicht  dazu 
treiben  lassen."  Ein  andermal  äußerte 
er  in  Bezug  auf  Hetzartikel  in  der  Presse:  „z  u 
dumm,  wir  werden  uns  doch  nicht 
so  einer  Sandbüchse  (Marokko) 
wegen  in  einen  Krieg  einlassen!" 
Und   ein  andermal  bekam  eine  hochgestellte 


93 


DIE  FBIEDENS -^/ADTE  = 


3 


.'Persönlichkeit  von  ihm  zu  hören:  „Wir 
können  doch  nicht,  um  einigen 
Gardeleutnants  ein  Vergnügen  zu 
machen,  Krieg  anfangenl"  Noch  einen 
Tag  vor  seinem  Tode,  als  man  ihm  den  Besuch 
der  nach  London  reisenden  Friedensunter- 
händler fernhalten  wollte,  erklärte  er  aufs  aller- 
energischste :  „ich  muß  die  Herren  sehen,  sie 
sollen  unter  allen  lUmständen  an  mein  Bett 
kommen,  es  hängt  alles  davon  ab,  daß  sie 
ihre  Sache  richtig  machen." 

Viele  Aussprüche,  welche  von  der  ent- 
schiedenen Friedensrichtung  dieses  Mannes 
zeugen,  sind  bekannt  geworden  und  sollten 
auch  Fernerstehenden  ein  wahres  Bild  seiner 
Wirksamkeit  geben,  einer  segensreichen  Wirk- 
samkeit, die  leider  nur  zu  kurz  war,  um  zu 
breiterer  Anerkennung  durchgedrungen  zu  sein. 
Und  so  muß  denn  Deutschland  in  dem  Tode 
Kiderlen-Wächters  tief  das  Erlöschen  einer 
Kraft  betrauern,  die  in  politisch  hoch  be- 
deutungsvoller Zeit  „noch  so  viel  von  sich  er- 
warten ließ,"  wie  Kaiser  Wilhelm  sich  in 
seinem  Beileidstelegramm  ausdrückte.   J.  S. 


Brief  aus  denVereinigien  Staaten. 

Von   Henry   S.   Haskeil,   New   York. 

Die  Frage  von  internationaler  Bedeutung", 
die  während  des  Januar  die  Oeffentlichkeit 
in  hervorragendster  Weise  beschäftigte,  ist 
der  Gegensatz  zwischen  Großbritannien  und 
den  Vereinigten  Staaten  über  die  Panama- 
Kanal-Abgaben.  Am  4.  Januar  hielt 
Präsident  Taft  in  New  York  darüber  eine 
Rede,  worin  er  sich,  für  den  Fall,  daß  es 
auf  diplomatischem  Wege  zu  einer  befriedi- 
genden Beilegung  nicht  kommen  sollte,  un- 
zweideutig für  das  Schiedsverfahren  aus- 
sprach. Von  Interesse  war  dabei  die  Er- 
klärung des  Präsidenten,  daß  er  für  die 
Schiedsgerichtslösung  sei,  obwohl  die  Wahr- 
scheinlichkeit besteht,  daß  die  amerikanisch^ 
Regierung  vor  dem  Schiedshof  verlieren 
würde.  Am)  6.  Januar  trat  Präsident  Taft 
dann  dafür  ein,  daß  der  Fall  besser  einem 
Sondertribunal  statt  dem  Haager  Hof  über- 
antwortet  werde. 

Tausende  von  Zeitungen  unseres  Landes 
haben  die  Frage  in  Leitartikeln  erörtert,  und 
fast  alle  traten  zugunsten  einer  Erledigung 
ein,  entweder  durch  Zurückziehung  jener  Be- 
stimmung der  Panama-Kanal-Akte,  die  die 
Küstenschiffahrt  der  Vereinigten  Staaten  von 
den  Abgaben  befreit,  oder  durch  Ueberwei- 
sung an  ein  Schiedsgericht.  Professor  Em'ory 
R.  Johnson,  der  Regierungs-Referent  und 
Sonder-Kommissionär  für  den  Panama-Kanal- 
Verkehr,  veröffentlichte  eine  sorgfältige  und 
logische  Erklärung,  in  der  er  bewies,  daß 
die  Befreiung  der  Küstenschiffahrt  der  Ver- 
einigten Staaten  in  Wirklichkeit  nur  eine 
Subventionierung  des  Küstenhandels  bedeute, 
eine    solche  keineswegs   wünschenswert    noch 


notwendig  wäre  und  von  den  im  Küsten- 
handel Interessierten  in  der  Tat  auch  nicht 
verlangt  werde. 

Senator  Elihu  Root  brachte  nun  am 
14.  Januar  einen  Gesetzentwurf  ein  zur  Amen- 
dierung  der  Panama-Kanal-Akte  durch  Besei- 
tigung jener  Bestimmungen,  die  die  amerika- 
nische Küstenschiffahrt  von  der  Leistung 
von  Abgaben  befreit.  Am  21.  Januar  hielt 
Senator  Root  vor  dem  Senat  eine  meisterhafte 
Rede  zugunsten  seines  Antrags.  Die  „New 
York  Tribüne"  vom1  22.  Januar  sagte  ge- 
legentlich der  Besprechung  dieser  Rede  fol- 
gendes :  „Arn1  Schlüsse  dieser  Rede  zeigte 
sich  deutlich,  daß  die  Opposition  gegen  die 
Zurückziehung  jener  Bestimmung,  die  Groß- 
britannien anfocht,  sich  abzuschwächen  be- 
gann. Verschiedene  Senatoren,  die  in  der 
letzten  Kongreß-Session  dafür  gestimmt 
hatten,  zeigten  sich  geneigt,  ihr  Votum  zu 
ändern,  so  daß  es  jetzt  nicht  unmöglich  ist, 
daß  der  Senat  entweder  das  Gesetz  amendiert 
oder  zumindest  zur  schiedsgerichtlichen  Aus- 
legung der  Bestimmungen  des  Hay-Paunce- 
fote-Vertrages    seine    Einwilligung   gibt." 

Im  „Outlook"  vom  18.  Januar  wird  ein 
Brief  des  früheren  Präsidenten  Roosevelt 
veröffentlicht,  worin  er  die  Ansicht  vertritt, 
daß  es  zwar  unser  Recht  sei,  unseren  Küsten- 
handel von  den  Kanal-Abgaben  zu  befreien^ 
insofern  aber  Großbritannien  die  Frage  auf- 
geworfen habe,  es  dennoch  die  Pflicht  der 
Vereinigten  Staaten  sei,  sich  auf  den  Schieds- 
vertrag zu  verlassen  und  die  Frage  der  Aus- 
legung des  Hay-Pauncefote-Vertrages  der 
Schiedssprechung  des  Haager  Hofes  zu  über- 
weisen. 

Am  20.  Januar  wurde  die  Antwort  des 
Staatssekretärs  K  n  o  x  Sir  Edward  Grey 
übermittelt.  Die  Antwort  verteidigt  das  Recht 
der  Vereinigten  Staaten,  ihren  Küstenhandel 
von  den  Abgaben  zu  befreien,  und  beantwortet 
die  Punkte  des  englischen  Protestes.  Es 
besteht  zwar  eine  Meinungsverschieden- 
heit im  Lande  über  die  Stichhaltigkeit  der 
vom  Staatssekretär  angeführten  Gründe,  doch 
ist  die  Oeffentlichkeit  in  hohem  Maße  an  der 
Anregung  interessiert,  die  am1  Schlüsse  der 
Note  gemacht  wurde.  Danach  erklärte  es  der 
Staatssekretär  für  wünschenswert,  den 
zwischen  den  Vereinigten  Staaten  und  Groß- 
britannien am  3.  August  1911  abgeschlosse- 
nen Schiedsvertrag  in  der  vom  Senat  der 
Vereinigten  Staaten  erfolgten  Amendierung 
zu  ratifizieren  und  den  Streit  alsdann  der 
darin  vorgesehenen  Hohen  gemischten  Kom- 
mission   zu    überweisen. 

Ende  Januar  veröffentliche  Robert 
Underwood  Johnson,  der  Heraus- 
geber des  „Century",  eine  Broschüre,  die 
Hunderte  von  Aeußerungen  aus  der  Feder  von 
Redakteuren,  Kollegspräsidenten,  Geist- 
lichen, Schriftstellern  und  Kaüfleuten  ent- 
hielt, die  fast  alle  darin  übereinstimmen, 
daß   die  Ehre  des  Landes  entweder  eine   so- 


94 


t§! 


DIE  FRI  EDENS -^XÄRXE 


fortige  Zurücknahme  der  Befreiungsklausel 
-oder  die  Unterwerfung  der  Angelegenheit 
unter  die   Schiedsgerichtsbarkeit   erfordere. 

Das  Volksempfinden  des  ganzen  Landes 
ist  überwiegend  zugunsten  der  Rück- 
nahme der  Klausel  oder  der  schied- 
lichen  Erledigung.  Die  Angelegenheit 
hängt  jedoch  vom  Kongreß  ab.  Obwohl 
die  öffentliche  Meinung  einen  starken  Druck 
auf  die  Mitglieder  des  Kongresses  ausübt,  ist 
es  jetzt  noch  unmöglich,  vorauszusehen,  ob 
der  Kongreß  die  bestrittene  Bestimmung 
zurücknehmen  oder  zur  schiedlichen  Erledi- 
gung seine  Zustimmung  geben  wird.  Man 
kann  lediglich  sagen,  daß  die  Stimmung  im 
Kongreß  von  der  landläufigen  Ansicht  ent- 
sprechend beeinflußt  wird. 

Edwin  D.  Mead,  der  geschäftsfüh- 
rende Direktor  der  Weltfriedens-Stiftung  in 
Boston,  absolvierte  eine  drei  Wochen  wäh- 
rende Friedens-Vortragstournee  im1  Westen, 
wobei  er  mehr  als  20  Versammlungen  vor 
der  Studentenschaft  größerer  Universitäten, 
vor  hervorragenden  Handelskorporationen  und 
politischen  Organisationen  abhielt.  Die  Ver- 
sammlungen waren  durchwegs  stark  besucht, 
und  überall  wurde  er  mit  Wärme  und  En- 
thusiasmus begrüßt.  Bei  seiner  Rückkehr 
äußerte  er  sich  in  folgender  Weise:  ,,Die 
Herzen  des  Volkes  sind  überall  mit  uns.  Was 
im1  allgemeinen  nottut,  ist  schlichtere  Er- 
ziehung, ein  festumschriebenes  Programm  und 
ein  klarer  Aufruf  an  das  Volk  für  aktive 
Unterstützung  der  Bewegung  gegen  das 
System  der  ungeheuerlichen  Rüstungen  und 
des  gegenseitigen  Mißtrauens,  dessen  die 
meisten  von  Herzen  überdrüssig  sind."  Die 
Weltfriedensstiftung  hat  für  die  Zurück- 
nahme der  Befreiungsklausel  entschieden 
Stellung  genommen  und  energisch  diesem 
Ziele  entgegengearbeitet. 

Am  12.  Januar  hielt  die  „New  York  Peace 
Society"  in  der  Academy  of  Music,  Brook- 
lyn, eine  Massenversammlung  ab,  bei  der  Re- 
solutionen zur  Annahme  gelangten,  durch  die 
die  Regierung  der  Vereinigten  Staaten  auf- 
gefordert wurde,  den  Panama-Streit  der 
Schiedsgerichtsbarkeit  zu  unterbreiten,  wenn 
sich  die  diplomatischen  Beilegungsmethoden 
als  erfolglos  erweisen  würden.  Das  Kongreß- 
mitglied James  L.  Slayden  von  Texas 
sprach  dabei  über  „Das  Panama-Kanal-Ge- 
setz, eine  Bedrohung  des  internationalen  Frie- 
dens", und  der  Direktor  der  Journalisten- 
schule an  der  Kolumbia-Universität,  Dr.  T  a  1  - 
cott  Williams,  der  über  die  „Offenen 
Wasserwege  der  Welt"  referierte,  sagte,  daß 
die  Zwiespältigkeit  der  Panama-Kanal-Ab- 
gaben einen  tötlichen  Schlag  für  den  Welt- 
frieden bedeute,  da  sie  aller  Gerechtigkeit, 
Billigkeit  und  Wohlanständigkeit  wider- 
spricht. 

Am  24.  Januar  sprach  in  der  New- Yorker 
Carnegie-Hall  der  frühere  Präsident  der 
Harvard-Universität,  Dr.  C  h  a  r  1  e  s!W.E  1  i  o  t, 


in  einer  von  der  „New  York  Society"  ver- 
anstalteten Versammlung  über  „Die  Förde- 
rung des  Friedens  im  Orient".  Dr.  Eliot 
lenkte  die  Aufmerksamkeit  auf  die  wunder- 
baren Wandlungen,  die  sich  im  letzten  halben 
Jahrhundert  im  Orient  vollzogen  und  er- 
klärte den  Gedanken  an  einen  Krieg  mit 
Japan  für  den  äußersten  Widersinn.  Er 
sagt,  Japan  sei  bis  jetzt  die  einzige  Nation 
des  Orients,  die  die  Methoden  der  induk- 
tiven Philosophie  erfaßt,  die  die  Grundlage 
der  westlichen  Kultur  bilden.  Andrew  Car- 
negie, der  jener  Versammlung  präsidierte, 
gab  seiner  Ansicht  Ausdruck,  daß  der  Schutz 
des  Privateigentums  zur  See  in  Kriegszeiten 
bald  verwirklicht  sein  werde.  Bei  der  Jahres- 
versammlung der  „New  York  Peace  Society", 
die  am  30.  Januar  abgehalten  wurde,  hielt 
Mr.  Robert  Underwood  Johnson 
einen  wirkungsvollen  Vortrag  über  das  Thema 
„Warum  sollte  die  Befreiung  der  Küsten- 
schiffahrt zurückgenommen  werden  ?"  Am 
Schluß  jener  Versammlung  wurde  eine  Re- 
solution angenommen,  die  die  Rücknahme 
der  Befreiungsklausel  oder  die  Ueberweisung 
der  Streitfrage  an  ein  Schiedsgericht  fordert. 
Das  jetzt  dem  Repräsentantenhaus  vor- 
liegende Miliz-Gesetz  begegnet  aus  drei 
Gründen  einer  beträchtlichen  Opposition.  Zu- 
nächst wegen  der  Gefahr,  die  Regierung  mit 
einer  ungeheueren  und  stets  anwachsenden 
Ausgabe  zu  belasten.  Bislang  war  die 
Miliz  eine  staatliche  Organisation,  und  es 
war  ungesetzlich,  sie  außerhalb  des  Landes 
dienstlich  zu  verwenden.  Das  vorliegende 
Gesetz  sieht  die  Bezahlung  der  Miliz  durch 
die  Zentralregierung  vor  und  bestimmt,  daß 
sie  unter  gewissen  Umständen  auch  außer- 
halb des  Landes  für  den  auswärtigen  Dienst 
Verwendung  finden  dürfe.  Wird  der  Ent- 
wurf Gesetz,  so  berechnet  man,  daß  die 
Raten,  die  im1  ersten  Jahr  9  234  729  $  be- 
tragen würden,  rasch  zu  100  bis  200  Millionen 
Dollars  jährlich  anwachsen  könnten.  Der 
zweite  Einwand  ist  in  dem  Widerwillen  des 
amerikanischen  Volkes  für  jede  Entwicklung 
in  der  Richtung  des  Militarismus  begründet. 
Der  dritte  und  vielleicht  der  ernsteste  Ein- 
wand vom  nationalen  Standpunkt  liegt  in 
der  Tatsache,  daß  die  Miliz  eine  starke  po- 
litische Organisation  werden  könnte,  die 
Infolge  der  großen  Zahl  von  Stimmen,  über 
die  sie  verfügt,  einen  gefährlichen  Einfluß 
auf  die  Regierung  erlangen  könnte.  Am 
14.  Januar  hielt  die  deutsch-amerikanische 
Friedensgesellschaft  zur  Erörterung  des  Miliz- 
Gesetzes  eine  öffentliche  Versammlung  ab, 
bei  der  die  bereits  am  11.  Dezember  an- 
genommene oppositionelle  Resolution  neuer- 
dings bestätigt  wurde.  Der  Präsident  konnte 
dabei  berichten,  daß  im  Einklang  mit  der 
früheren  Resolution  die  Aufmerksamkeit  der 
Oeffentlichkeit  auf  den  gefährlichen  Cha- 
rakter der  vorgeschlagenen  Maßnahmen  ge- 
lenkt würde,  so  daß  der  Gesetzentwurf  kaum 


95 


DIE  FßlEDENS->^kDTE 


;§> 


über  die  Vorbereitungen  hinaus  gelangen 
werde. 

Der  Präsident  ist  urgiert  worden,  die 
neue  Republik  von  China  anzuerkennen,  hat 
dies  aber  bis  jetzt  nicht  getan.  Es  scheint 
die  Absicht  des  Präsidenten  wie  des  Staats- 
departements zu  sein,  die  Fortschritte  der 
neuen  Republik  mit  sympathischem  Interesse 
zu  verfolgen,  es  aber  für  unrichtig  zu  er- 
achten, die  gegenwärtige  provisorische  Re- 
gierung von  China,  ehe  ihre  Stabilität  sich 
erwiesen    haben    wird,    anzuerkennen. 

Am1  9.  Januar  hielt  der  frühere  Gesandte 
in  Chile,  Charles  H.  Sherill,  in  New 
York  einen  Vortrag  über  die  Monroe-Doctrine 
und  die  Beziehungen  unseres  Landes  mit  den 
südamerikanischen  Republiken.  Bezüglich 
Mexikos  spricht  er  sich  scharf  gegen  eine 
Intervention  aus.  Sollte  diese  durch 
die  Umstände  geboten  werden,  so  schlägt  er 
vor,  daß  Argentinien  und  Brasilien  auf- 
gefordert werden  sollten,  sich  den  Ver- 
einigten Staaten  dabei  anzuschließen,  um  da- 
durch bei  den  lateinischen  Republiken 
Amerikas  jeden  Gedanken  zu  verscheuchen, 
als  ob  es  den  Vereinigten  Staaten  um  Ge- 
bietserwerb zu  tun  wäre. 


Ein  internationaler 


Studentenkongreß. 


Von   Louis   P.    Lochner, 

Madison,   Wisconsin, 

Sekretär  der  F£d£ration  Internationale 

des   Etudiants. 

Vom  26.  August  bis  zum  16.  September 
dieses  Jahres  wird  in  Amerika  der  achte 
internationale  Studentenkongreß  tagen.  Er 
wird  von  der  F6d£ration  Inter- 
nationale des  Etudiants  „Cor  da 
Fratres"  veranstaltet,  jener  Organisation, 
die  im  Jahre  1898  in  Italien  gegründet,  sich 
jetzt  über  14  Staaten  erstreckt.  Die  Teilnahme 
an  dem  Kongreß  ist  jedoch  keineswegs  auf 
Vertreter  der  jetzt  dem  Corda  Fratres-Bunde 
angehörigen  Studentenverbände  beschränkt. 
Eine  jede  Studentenvereinigung,  die  sich  die 
Förderung  von  Freundschaft  und  gegen- 
seitiger Verständigung  zwischen  Studenten 
verschiedener  Länder  zum  Ziel  setzt,  ist  ein- 
geladen,   sich   zu  beteiligen. 

Der  Zweck  dieser  Zusammenkunft  geht 
aus  dem  „Aufruf"  hervor,  der  unlängst  in 
Tausenden  von  Exemplaren  verteilt  worden 
ist,  „damit  der  Geist  der  internationalen  Ver- 
ständigung und  der  Humanität  gefördert 
werde,  und  damit  die  Studenten  der  Welt 
in  eine  weltumfassende  Organisation  sich 
föderieren    mögen' ' . 

Die  offiziellen  Sitzungen  sollen  in 
1 1  h  a  c  a ,  New  York,  dem  Sitz  der  Cornell- 
Universität,  stattfinden;  jedoch  soll  sich  der 
Aufenthalt  der  Delegierten  keineswegs  auf 
diese  liebliche  Musenstadt  beschränken.    Das 


folgende  Reiseprogramm  ist  ausgearbeitet 
worden  und  soll  so  weit  als  möglich  aus- 
geführt werden: 

26.  Aug.:  Ankunft  in  Boston. 
27. — 30.  Aug.:  Besichtigung  der  Sehens- 
würdigkeiten Bostons  und  der  Harvard- 
Universität  zu  Cambridge.  Der  be- 
kannte Pazifist  Edwin  D.  Mead  aus 
Boston  steht  an  der  Spitze  des 
Empfangskomitees. 
31.  Aug.:  Kurzer  Aufenthalt  in  New  York. 
(Längerer  Aufenthalt  am  Ende  der 
Reise.) 

1.  Sept.:  Dampfschiffahrt  entlang  des  be- 

rühmten   Hudson- Flusses. 

Abends:  Empfang  im  Staatskapitol 
zu  Albany  von  Sr.  Exzellenz  dem  Gou- 
verneur von  New  York. 

2.  Sept.:  Ausflug  nach  den  Niagarafällen. 

3. — 7.  Sept.:  Offizielle  Sitzungen  des  Kon- 
gresses in  Ithaca,  verbunden  mit  Aus- 
flügen, Vorträgen,  Diners  u.  dergl.  m. 

8. — 9.  Sept.:     Philadelphia.      Besichtigung 
der  Sehenswürdigkeiten  der  Stadt  sowie 
der  großen  Pennsylvania-Universität. 
10. — 12.  Sept.:    Ausflug    nach    Washington 
mit  großem  Empfang  der  Pan- Amerika- 
nischen   Union   in   dem   von    Carnegie 
gestifteten  Pan-Amerikanischen   Palast. 
Auch  ein  Empfang  im  Weißen  Hause 
ist    von   dem    zukünftigen    Präsidenten 
der   Vereinigten    Staaten,    Herrn   Prof. 
Dr.  Woodrow  Wilson  grundsätzlich  zu- 
'  gesichert   worden. 
13. — 16.  Sept. :  New  York.  Besichtigung  der 
Stadt,  Empfang  von  dem  Bürgermeister 
William     Gaynor,     Bankett     von    der 
New- Yorker    Friedensgesellschaft    usw. 
Die  Vorbereitungen  für  den  Kongreß  sind 
gegenwärtig   in   vollstem1  Gange.    Der   „Auf- 
ruf"  ist  an  alle   Kultusministerien,   an  die  in 
Washington    stationierten    ausländischen    Ge- 
sandten, an  die  Studentenzeitschriften  aller  zivi- 
lisierten    Länder,     an     Studentenkorps     und 
andere  Studentenvereinigungen  sowie  an  hun- 
derte von  einzelnen  Studenten  gesandt  worden. 
Das  Ehrenkomitee,  das  dem  Unternehmen  sein 
Wohlwollen  und  seine,  Unterstützung  zugesagt 
hat,   besteht   u.  a.  aus   dem  Präsidenten 
der  Vereinigten  Staaten,  dem  Gou- 
verneur  des   Staates    und   dem    Bür- 
germeister der  Stadt  New  York,  dem 
Generaldirektor  der   Panamerika- 
nischen    Union,     den     Präsidenten- 
aller   panamerikanischen    Univer- 
sitäten, an  welchen  sich  gegenwärtig  ein 
internationaler   Studentenverein  befindet  usw. 
Eine  stattliche  finanzielle  Subvention  ist 
den   Leitern   des   Kongresses  von  der   Car- 
negie-Stiftung    zugesprochen      worden. 
Und  die  Ginn- Stiftung  zu  Boston  ermög- 
licht es  dem  Vorsitzenden  des  Comite'  Cen- 
tral  International,   Herrn  Dr.   G.   W~ 
Nasmyth,    seinen    Amtstermin    in    Europa 
zu  verbringen,   wo  er   unter   zahlreichen  Stu- 


96 


<g= 


DIE  FRIEDENS-N^RTE 


dentenverbindungen  und  ganz  besonders  in 
dem  Verband  der  Internationalen  Studenten- 
vereine an  deutschen  Hochschulen,  der  ja  auch 
dem  Corda  Fratres  Bund  gliedlich  angehört, 
Interesse   für  den   Kongreß   erweckt. 

Erwähnt  seien  noch  kurz  die  Ereignisse, 
die  für  ein  völliges  Verständnis  der  Bedeutung 
dieses  Kongresses  benötigt  sind:  Im  Jahre 
1909,  auf  Einladung  des  Zentral-Bureaus  der 
Föderation  Internationale  des 
Etudiants  „Corda  Fat  res",  nahmen 
drei  Vertreter  der  nordamerikanischen  Asso- 
ciation of  Cosmopolitan  Clubs,  die 
sich  nun  auf  dreißig  Universitäten  der  Ver- 
einigten Staaten  und  Canadas  erstreckt,  und 
deren  Wirksamkeit  ich  unlängst  in  diesen 
Spalten  erörtert*),  an  dem  sechsten  Kongreß 
dieser  F£d£ration  im  Haag  teil.  Sie 
fanden  eine  solche  Verwandtschaft  der  Zwecke 
und  Ideale  der  Cosmopolitan  Clubs 
und  der  Corda  Fratres  Konsulate  vor, 
daß  sie  begeistert  für  eine  Vereinigung  dieser 
beiden    großen    Studenten  verbände    eintraten. 

Man  konnte  sich  jedoch  auf  amerikani- 
scher Seite  nicht  sogleich  einigen,  wie  eng 
sich  dieser  Zweibund  gestalten  solle.  Eine 
zweite  Delegation  wurde  also  nach  dem  sie- 
benten Kongreß,  der  in  1911  zu  Rom  statt- 
fand, gesandt.  Hier  endlich  wurde  ein  Pro- 
gramm entworfen,  das  zunächst  nur  für  das 
gegenwärtige  Biennium  (1911 — 13)  bindend  ist, 
das  jedoch,  wie  ich  hoffe,  in  Ithaca  end- 
gültig angenommen  wird.  Gemäß  diesem 
Programm  bilden  solche  Vereinigungen  wie 
die  Consulate  der  Corda  Fratres, 
die  Clubs  der  Association  of  Cos- 
mopolitan Clubs,  die  Unions  des 
Etudiants  von  Frankreich,  die  E  a  s  t  and 
West  Clubs  von  England,  die  internatio- 
nalen Studenten  vereine  des  Verbandes  an 
deutschen  Hochschulen,  die  Ligade  Estu- 
d  i  a  n  t  e  s  von  Südamerika  eine  internationale 
Studentenkonföderation  unter  der  Leitung 
eines  Zentralkomitees,  bestehend  aus  zwei 
Vertretern  jeder  Gruppe.  Durch  Kongresse, 
Korrespondenz,  Erweisung  von  Gastfreund- 
schaft und  sonstige  Beweise  internationalen 
Wohlwollens  wollen  diese  Gruppen  ihren  ge- 
gemeinsamen Zweck  verfolgen,  d.  h.,  Freund- 
schaft und  gegenseitiges  Verständnis  zwischen 
den  Studenten  der  Welt  zu  fördern,  ohne  je- 
doch bestimmte  religiöse,  politische  oder  öko- 
nomische Grundsätze  zu  begünstigen  oder  zu 
bekämpfen. 

Es  wäre  sehr  zu  wünschen,  daß 
sich  die  Studenten  Deutschlands 
recht  zahlreich  an  diesem  Kon- 
gresse beteiligen.  Ganz  abgesehen 
davon,  daß  die  Beziehungen,  die  sie 
mit  Komilitionen  aller  Länder  bei  Ge- 
legenheit des  Kongresses  anknüpfen  können, 
von  größtem  Nutzen  für  die  Zukunft  sein 
dürften,    so    ist    eine   starke    deutsche    Beteili- 

*)    Siehe  Friedenswarte,   Mai,   1912. 


gung  ganz  besonders  wegen  der  engen  kul- 
turellen Verbindungen,  die  zwischen  Amerika 
und  Deutschland  bestehen,  wünschenswert. 
Eine  Reise  deutscher  Studenten  würde  das 
Band,  das  hauptsächlich  durch  die  Austausch- 
professuren geknüpft  ist,  ganz  bedeutend  ver- 
stärken. 

Eine  Lanze  für  die  Rechtsnatur 
des  Völkerrechts. 

Von  Dr.  K  a  r  1  S  t  r  u  p  p ,  Frankfurt  a.  M. 

Nachdem  vor  kaum  Jahresfrist  E.  J. 
B  e  k  k  e  r  gegen  die  Rechtsnatur  des  Völker- 
rechts Sturm  gelaufen  ist,  bekennt  sich  so- 
eben Bellardi  im  neuesten  Heft  dieser  Zeit- 
schrift gelegentlich  einer  manch  Beachtens- 
wertes enthaltenden  Besprechung  von  Weh- 
bergs „Problem  eines  Staatengerichtshofs" 
zu  ähnlichen  Auffassungen.  Wenn  ich  an 
dieser  Stelle  mit  einigen  wenigen  Sätzen  auf 
die  vielleicht  umstrittenste  Frage  des  Völker- 
rechts, über  die  schon  Ströme  von  Tinte  ge- 
flossen sind  und  wohl  auch  in  Zukunft  noch 
fließen  werden,  eingehen  möchte,  so  geschieht 
dies  einzig  und  allein  deshalb,  um  jene  Auf- 
fassung nicht  unwidersprochen  zu  lassen.  Denn 
es  handelt  nicht  um  Quisquilien.  Die  leider 
gerade  in  Juristenkreisen  noch  immer  er- 
schreckend zahlreichen  Gegner  des  Völker- 
rechts pflegen  sich  ja  mit  Vorliebe  hinter 
dem  Satz  zu  verschanzen,  daß  dem  Völker- 
recht keine  Rechtsnatur  zukomme,  weil 
zurzeit  weder  eine  internationale  Gerichts- 
barkeit nach  dem  Muster  der  nationalen,  noch 
deren  „notwendige"  Ergänzung,  eine  Exe- 
kutionsgewalt, vorhanden  sei.  Daher  dann  ein 
mitleidiges  Achselzucken  über  die  „idealen 
Schwärmer",  die  auch  gegenüber  den  an- 
geblich zahlreichen,  in  jedem  einzelnen  Fall 
aber  dick  unterstrichenen  Verstößen  gegen 
das  angebliche  Völkerrecht  noch  von  seiner 
Existenz  fabelten. 

Bei  Licht  betrachtet,  sind  diese  Einwände, 
gerade  wie  der  Krieg  im  Verhältnis  zur  Frie- 
densbewegung, in  einer  reichlich  großen  Zahl 
von  Fällen  lediglich  willkommenes  Deck- 
mäntelchen zur  Verhüllung  der  eigenen  Ig- 
noranz. Mit  jenen  „Leugnern"  des  Völker- 
rechts braucht  man  sich  nicht  auseinander- 
zusetzen. Ueber  sie  kann  man  getrost  zur 
Tagesordnung  übergehen.  Wohl  aber  muß 
man  den  anderen,  die  aus  innerster,  auf 
Ueberlegung  beruhender  Ueberzeugung  heraus 
eine  falsche  Auffassung  vom  Wesen  des 
Völkerrechts,  ja  des  Rechts  überhaupt, 
leitet,  den  Weg  zu  weisen  sucht,  der 
es  ihnen  ermöglicht,  ihre  vorgefaßte  Mei- 
nung in  einem  anderen  Lichte  zu  betrachten 
und,   wo   möglich,   zu  korrigieren. 

Gerade  Wehberg  ist  es  gewesen,  der 
sich  in  dem'  von  Bellardi  zum  Ausgangs- 
punkt genommenen   Buche   mit  Recht  gegen 


97 


DIE  FBIEDENS -^/ABTE  = 


£> 


eine  Gleichstellung  der  internationalen  und  der 
nationalen  Gerichtsbarkeit  ausgesprochen  hat. 
Wenn  Bellardi  sich  hiergegen  wendet  und 
meint,  die  Beweislast  für  die  mangelnde  Gleich- 
stellung müsse  dem  zufallen,  der  die  Wesens- 
gleichheit behaupte,  so  bewegt  er  sich  damit 
in  Gedankengängen,  die  dem  Naturrecht  nicht 
fremd  gewesen  sind.  Dem  ist  es  aber,  bei 
allen  Verdiensten,  die  dessen  Gläubigen  sich  un-, 
zweifelhaft  um  die  Fortbildung  des  Rechts 
erworben  haben,  zu  verdanken,  wenn  Staats- 
und Völkerrecht  bis  auf  die  neueste  Zeit  in 
falschen  Bahnen  sich  bewegt  haben  und  wenn 
man  erst  vor  wenigen  Dezennien  begonnen 
hat,  beide  Rechtsinstitute  in  voller  Erkenntnis 
ihrer  Eigenart  von  der  ihnen  anhaftenden 
Schlacken  des  Privatrechts  (man  braucht  nur 
an  die  Staatservituten  zu  erinnern)  zu  befreien. 
Aber  gesetzt,  man  müsse  wirklich  beide 
gleichstellen,  so  gibt  es  selbst  im  Staat,  im 
nationalen  Recht,  Institute,  denen  Bellardi 
doch  wohl  kaum  den  Rechtscharakter  ab- 
streiten wird,  und  bei  denen  zweifellos  eine 
Zwangsgewalt  fehlt.  Ich  meine  das  Staats-  und 
das  Strafrecht. 

Zu  einer  Kriegserklärung  seitens  des  Deut- 
schen Reiches,  die  ein  gnädiges  Geschick  ver- 
hüten möge,  bedarf  der  Kaiser  die  Zustim- 
mung des  Bundesrats,  sofern  es  sich  um  einen 
Offensivkrieg  handelt.  Gesetzt  den  praktisch 
unmöglichen  Fall,  es  würde  ohne  jene  Zu- 
stimmung .  der  Krieg  erklärt,  gäbe  es  dann 
irgendeinen  staatlichen  „Zwang"  zur  Annul- 
lierung jener  Erklärung?  Und  wie  liegt  es, 
wenn  ein  Gesetzgeber  ein  Gesetz  erläßt,  das 
mit  einer  Verfassungsbestimmung  im  Wider- 
spruch  steht  ? 

Ganz  ebenso  ist  es  aber  im  Strafrecht. 
Wenn  §  212  des  Deutschen  Strafgesetzbuchs 
den  Mord  mit  dem  Tode  bedroht,  so  ist  der 
Zwang,  der  hierin  gegenüber  dem  einzelnen 
zum  Verbrechen  Bereiten  liegt,  kein 
rechtlich,  sondern  lediglich  ein  psycho- 
logisch vermittelter.  Man  kann  daher  den 
Satz  aufstellen,  daß  der  Zwang  nicht  als 
Essentiale  des  Rechts  übersetzt,  wohl  aber 
im  modernen  Staat  als  Moment  der  strei- 
tigen (Zivil-)Gerichtsbarkeit  aufgefaßt  werden 
muß. 

Ich  sage:  im  modernen  Staat.  Denn 
schon  zu  einer  Zeit,  als  es  noch  keine  Ge- 
richtsbarkeit, noch  weniger  eine  Exekutions- 
gewalt gab,  hat  das  Recht  existiert.  Die 
Universalrechtsgeschichte,  insbesondere  die 
Rechtsgeschichte  der  Inder  und  Germanen, 
zeigt  das  auf  tausend  Blättern.  Ist  aber  selbst 
die  Gerichtsbarkeit  kein  Essentiale  des  Rechts- 
begriffs, so  kann  es  ihr  angeblicher  Annex 
noch  viel  weniger  sein. 

Und  noch  eins  lehrt  die  Rechtsgeschichte 

—  was   freilich    die    zivilistische    Jurisprudenz 
und  Bellardi  mit  ihr  nicht  anerkennen  werden 

—  daß  nämlich  der  Zwang  keineswegs  einzige 
Garantie     des     Rechts     ist.      Vielmehr    war 


und  ist  der  nichtorganisierte  Druck  eine 
viel  stärkere  Rechtsgarantie  als  aller  vom 
Staate    geübter    Zwang. 

Ich  habe  eingangs  betont,  daß  die 
Sätze,  die  ich  hier  niedergelegt,  lediglich  um 
des  Zwecks  willen  geschrieben  worden  sind, 
Leugnern  des  Völkerrechts,  die  ihre  Ne- 
gierungen auf  wissenschaftlichen  Erwägungen 
aufbauen,  Material  zur  Ueberlegung  und  Nach- 
prüfung ihrer  Auffassung  an  die  Hand  ztu 
geben.  Habe  ich  letzteres  erreicht,  so  trägt 
diese    Abwehr   ihren   Lohn   in   sich. 


Das  Christentum 
und  der  Kampf  gegen  den  Krieg. 

Von  Dr.  O.  Se  ufert. 
Eine  Entgegnung. 
Die  Januar- Nummer  der  Friedenswarte 
enthält  nebst  anderen  trefflichen  Ausführungen 
zwei  Artikel,  von  denen  man  ernstlich  be- 
zweifeln muß,  daß  sie  dem  Zweck  dienen, 
den  schließlich  alle  Veröffentlichungen  der 
pazifistischen  Presse  anstreben,  nämlich  der 
Propaganda  der   Friedensbewegung. 

Gemeint  ist  der  Artikel  von  I  r  o  O  j  s  e  r  - 
k i s  und  das  Zitat  von  Gerh.  Hauptmann. 
Der  erstere  scheint  dem  Christentum 
überhaupt  jede  Bedeutung  für  die  Friedens- 
idee absprechen  zu  wollen,  das  letztere  stellt 
eine  Probe  wüster  Ausfälle  gegen  das  Christen- 
tum oder  wenigstens  die  Diener  der  christlichen 
Kirche  dar,  auf  die  nicht  weiter  eingegangen 
werden,  sondern  deren  Aufnahme  nur  —  ge- 
linde ausgedrückt  —  bedauert  werden  soll. 
Die  Friedenswarte  scheint  auf  dem  in 
gewisser  Beziehung  löblichen  Standpunkte  zu 
stehen,  daß  alle  einschlägigen  Erscheinungen 
auf  dem  Gebiete  der  Presse,  der  Literatur,  des 
öffentlichen  Lebens,  soweit  sie  dem  pazi- 
fistischen Geiste  dienen  könnten  oder  (den. 
Zweck)  der  Verbreitung  dieser  Idee  zu  fördern 
geeignet  sind,  Aufnahme  verdienen. 

Aber,  wenn  solche  Erscheinungen  nur  den 
gegenteiligen  Erfolg  zu  erzielen  geeignet  sind, 
dürfte  es  füglich  angebracht  sein,  oder  er- 
laubt sein,  die  Notwendigkeit  oder  Zweck- 
mäßigkeit ihrer  Aufnahme  zu  kritisieren. 

Der  Aufsatz  von  Iro  Ojserkis,  der  sich 
in  förmlichen  Gegensatz  zu  den  reichen  lite- 
rarischen Erzeugnissen  aus  der  pazifistischen 
Literatur,  die  das  Thema  Pazifismus  und 
Christentum  in  einem  diesem  günstigen  Lichte 
behandeln,  stellt,  und  ihm,  speziell  den  Of- 
fiziösen der  Christenheit,  eine  sehr  traurige 
Rolle  in  der  Frage  zuspricht,  andererseits  da- 
gegen dem  Buddhismus  mit  einem  senti- 
mentalen Nimbus  entgegenkommt,  mag  sich 
gut  ausmachen  in  einer  monistischen  Zeit- 
schrift, wo  auf  anders  Denkende  keine  Rück- 
sicht genommen  zu  werden  braucht,  aber  der 
Pazifismus  und  seine  Presse,  die  sich  einer 
Anzahl  von  Ausführungen  und  Gedanken  aus 


98 


<§= 


DIE  TRI EDEN5 -WARTE 


der  christlichen  Religion  bedienen,  würde  eine 
sehr  inkonsequente  Haltung  und  Auffassung 
vton  seinen  Anhängern  verlangen,  wenn  er 
nun  die  Ausführungen  von  I.  Ojserkis  ernst 
genommen  wissen  wollte. 

(Wir  wollen  oder  können  nicht  darauf 
eingehen,  daß  der  Verfasser  des  Artikels  den 
Geist  des  Christentums  ignoriert  oder  spöt- 
tisch abtut  und  fast  nur  den  bildlichen  Wort- 
laut resp.  Symbole  als  Gegenargumente  ins 
Feld  führt,  wir  können  in  einigen  Zeilen  nicht 
mit  dem  Verfasser  uns  auseinandersetzen  über 
die  Wirkung  der  christlichen  Weltauffassung, 
die  bestimmt  war,  eine  Welt  von  Wollust  und 
Grausamkeit  umzugestalten,  und  Kultur  und 
Milde  an  Stelle  von  Barbarei  und  Blut  zu 
setzen;  wir  dürfen  hier  nur  kurz  belehren, 
daß  das  Christentum  nicht  einen  Umsturz, 
sondern  eine  allmähliche  Umgestaltung  zu  be- 
wirken berufen  war,  welcher  Prozeß  z.  B.  in 
betreff  der  mit  dem  Krieg  oft  zusammen- 
genannten Sklaverei  sich  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte vollzog  und  erst  im  letzten  Jahr- 
hundert seinen  Abschluß  fand,  wenn  über- 
haupt der  Verfasser  jenes  Artikels  das 
Christentum  als  dabei  mitwirkenden  Faktor 
gelten  zu  lassen   erlaubt. 

Greift  das  Christentum  auch  nicht  direkt 
den  Krieg  an,  —  was  wollten  auch  seine 
kleinen  Verkündiger  gegen  Weltreiche  und 
Machthaber?  —  seine  Wertung  des  indivi- 
duellen Menschen  genügte  allem  schon,  um 
daraus  das  Unchristliche  der  „Menschen- 
schlächterei" abzuleiten. 

Nein,  das  Christentum  mit  seiner  Achtung 
des  Individuums,  seiner  Fürsorge  für  die 
Aermsten  und  Unglücklichsten  zu  einer  Zeit, 
wo  für  den  Staatsabsolutismus  der  einzelne 
eine  Null  war,  darf  noch  ruhig  als  der 
mächtigste  Hort  angesehen  werden,  der  den 
Kleinen  und  Schwachen  in  Schutz  nimmt  gegen 
Gewalt  und  Machthaber,  der  in  dem  Men- 
schen ein  göttliches  Ebenbild  sieht,  ihn  nicht 
als  ein  [Stück  „Materie"  abtut;  mindestens 
darf  der  naturalistische  Monismus,  der  in  dem 
nichts  als  ein  Stück  belebten  Stoffes  oder  eine 
hochentwickelte  Bestie  sieht,  nicht  versuchen, 
einen  Vergleich  auszuhalten,  da  hieraus  nur 
der  Kampf  aller  gegen  alle  sich  folgern  ließe, 
am  allerwenigsten  aber  eine  bindende  Ver- 
pflichtung zur  Schonung  des  Nebenmenschen 
bestände. 

Ueberdies  ist  es  gar  nicht  wahr,  daß  die 
Offiziösen  der  Christenheit  sich  der  Friedens- 
frage absolut  renitent  gegenüber  verhalten. 
Eines  unserer  schönsten  Zitate,  über  das  wir 
Pazifisten  verfügen,  ist  doch  das  des  Führers 
der  katholischen  Christenheit,  Leo  XIII. : 

„Nichts  ist  dringender,  nichts  ist  not- 
wendiger, als  dem  Kriege  entgegenzuarbeiten. 
Jedes  Streben  in  dieser  Richtung  muß  als 
ein  löbliches  Wirken  im  Sinne  der  christlichen 
Anschauung  und  zum  allgemeinen  Besten  be- 
trachtet werden";  und  ein  Blick  auf  Seite  117 


(Nr.  11)  des  Völkerfriedens  dürfte  Verfasser 
belehren,  daß  in  Frankreich  und  Belgien  usw. 
mächtige  kirchliche  Faktoren  pro  pacifismo 
am  arbeiten  sind,  von  den  Ideen  durch- 
drungen, daß  sie  bei  ihren  Bestrebungen  in 
Uebereinstimmung  mit  dem  Geist  und  den 
Lehren  des  Evangeliums  handeln,  Bestre- 
bungen, denen  die  Billigung  des  Papstes  zu- 
teil wird. 

Der  Vorwurf,  den  der  Verfasser  bedauer- 
licherweise dem  Christentum  selbst  zu  machen 
sich  bemüht,  trifft  nicht  die  christliche  Re- 
ligion oder  Kirche  als  solche  — ,  sondern  viel- 
mehr Systeme,  die  sich  in  wechselseitigen  Be- 
ziehungen zwischen  Staat  und  Kirche  heraus- 
gebildet haben,  wie  Nationalkirchentum,  Par- 
teien   usw. 

Und  darin  sieht  es  freilich  in  Deutsch- 
land, Oesterreich,  Rußland  usw.,  trüb  aus. 
Wer  z.  B.  die  Verhältnisse  in  Deutschland  be- 
obachtet, muß  zugestehen,  daß  auch  das 
kirchenfreundliche  Zentrum  sich  zu  einer  ganz 
gehörig  national-enthusiastischen  Partei  ent- 
wickelt, die  unter  religiösem  Einfluß  den  quo 
ad  publicum  et  plebem  einflußreichsten 
Hinderungsgrund  des  Pazifismus,  wenn  auch 
nicht  aktiv,  so  doch  durch  sehr  passives  Ver- 
halten, darstellt;  desgleichen  die  entsch.  Par- 
teipresse. Hier  müßte  der  Hebel  eingesetzt 
werden.  (Vgl.  darüber  auch  den  Artikel  von 
M.    Spahn   im   Januarheft    des   „Hochlands".) 

Eine  solche  Tendenz,  wie  sie  eben  aus- 
gesprochen, liegt  aber  der  besprochenen  Aus- 
führung von  I.  0.  gar  nicht  zugrunde,  viel- 
mehr ist  es  ein  Angriff  gegen  das  Christen- 
tum, der  mit  großer  Kurzsichtigkeit  seine  Be- 
hauptungen mit  einigen  krampfhaft  zusammen- 
gesuchten Stellen  aus  dem  Neuen  Testament 
zu  belegen  sucht  und  dabei,  da  er  nur  Buch- 
stabe nauslegung  betreibt,  zu  Resultaten  kommt, 
über  deren  Widerspruch  mit  der  üblichen 
Auffassung  man  fast  lächeln  muß. 

Aber,  gesetzt  auch  der  Fall,  es  verhielte 
sich  das  Christentum  zum  Krieg  passiv,  oder 
besser  gesagt,  I.  O.  hätte  mehr  Recht  zu  seinen 
Behauptungen,  als  er  in  der  Tat  hat,  so  sind 
doch  in  einer  Zeit,  da  wir  den  Pazifismus  mit 
allen  Schikanen  zu  schützen  bestrebt,  und  in 
allen  Kreisen  Propaganda  zu  machen  gewillt 
sind  und  von  der  pazifistischen  Presse  dazu 
animiert  werden  — ,  solche  Aeußerungen  un- 
klug, die  geeignet  sind,  mit  einem  Schlage 
Legionen  von  Anhängern  abzuschrecken,  weil 
sie  hinter  solchen  Machenschaften  antichrist- 
liche   Tendenzen   vermuten. 

Und  vorerst  wird  der  Pazifismus  mit  einer 
hauptsächlich  aus  Anhängern  der  christlichen 
Weltanschauung  bestehenden  Gefolgschaft 
rechnen  müssen,  wenrt  er  nicht  auf  eine  Stär- 
kung  seiner   Position  verzichten   will. 


99 


DIE  FßlEDENS-^MGJZTE 


[§> 


Geburtenrückgang  und 
Internationalismus. 

Von  Dr.  MaxSeber,  Dresden. 

Von  den  Rassentheoretikern  wurde  schon 
ziemlich  früh  auf  die  unbestreitbare  Tat- 
sache hingewiesen,  daß  auch  in  Deutschland 
die  Geburtenziffer  sich  ständig  verringert  und 
hierin  eine  große  Gefahr  für  den  Bestand  der 
Nation  liegt.  Diese  Warnungsrufe  blieben  un- 
beachtet, bis  sich  das  Preußische  Ministerium 
des  Innern  entschloß,  dieser  Richtung  der 
Bevölkerungsbewegung  ihr  Augenmerk  zu 
schenken.  Seitdem  hallt  es  auch  bei  uns  von 
den  Jammerrufen  aus  ihrer  Ruhe  aufgestör- 
ter Patrioten,  und  Vorschläge  aller  Art  zur 
Eindämmung  dieses  Prozesses  hagelt  es  nur 
so.  Trotzdem  ist  in  allen  Veröffentlichungen, 
die  sich  mit  dieser  bedeutsamen  Frage  be- 
fassen, ein  gewisser  elegischer  Zug  unver- 
kennbar. Die  Erfahrungen  Frankreichs  zeigen 
doch  wohl  zur  Genüge,  wie  gering  die  Aus- 
sicht ist,  daß  diese  rückläufige  Art  unserer 
Menschenvermehrung  bald  wieder  ins  Gegen- 
teil   umschlägt. 

Die  vorliegenden  statistischen  Tatsachen 
sind  von  einer  so  unerbittlichen  Folgerichtig- 
keit, daß  man  schon  ein  großer  Optimist 
sein  muß,  um  an  eine  Besserung  zu  glauben. 
1876—1885  entfielen  auf  10000  Menschen 
393  Geburten,  1910:  298,  1911:  286.  Anstatt 
2  700  000  Geburten  hatten  wir  1910  nur 
1  980  000;  1911  :  1  924  000.  Da  nun  die  Städte 
eine  viel  geringere  Geburtenhäufigkeit  auf- 
zuweisen haben  als  dem1  Landesdurchschnitt 
entspricht,  so  ist  es  klar,  daß  die  Tendenz 
der  Geburtenminderung  ebenso  unaufhaltsam 
ist  wie  die  Tendenz  der  Verstadtlichung. 
Heute  schon  leben  zwei  Drittel  des  deutschen 
Volkes  in  Städten,  und  immer  noch  strömen 
die  Scharen  vom  Lande  ihnen  zu;  auch  um- 
klammern besonders  die  Großstädte,  die  ver- 
hältnismäßig am  wenigsten  zur  Volksver- 
mehrung beitragen,  immer  größere  Menschen- 
massen. Zweifellos  ist  aber  nicht  das  Leben 
in  den  Städten  selbst  die  Ursache  der  kleinen 
Geburtenzahlen,  sondern  die  dort  den 
breitesten  Massen  gewährte  Gelegenheit  der 
Bildungsaneignung,  wodurch  die  Einsicht  in 
die  Ursachen  ungünstiger  ökonomischer  Ver- 
hältnisse bei  jedem1  einzelnen  wächst  und 
der  Wunsch  wachgerufen  wird,  deren  Wieder- 
holung, d.  h.  eben  mehr  Kinder,  zu  ver- 
meiden. Die  praktischen  Maßnahmen  dazu 
sind  ja  bald  jedermann  bekannt.  Die  mo- 
dernen Bestrebungen,  auch  das  platte  Land 
durch  Volksbüchereien,  Wanderredner  usw. 
am1  kulturellen  Leben  zu  beteüigen,  befördern 
schließlich  auch  dort  die  Rationalisierung  des 
Geschlechtslebens,  so  daß  auch  hier  die  Ge- 
burtenziffer sinkt.  Ein  trübes  Bild  für 
unsere  Nationalisten  der  rohen  Gewalt !  Der 
vorher  noch  so  heitere  Firmament  ihrer 
Ideale,   der  nur  von   alldeutschen   Phantasie- 


gestalten, gewaltigen  Recken  und  männer- 
mordendem Schlachtgetümmel  erfüllt  war, 
hat  sich  plötzlich  umwölkt.  Die  so  romantisch 
empfindende  echt  deutsche  Männerbrust  sieht 
sich  plötzlich  um  ihre  schönsten  Träume  von 
Weltkrieg  und  Welteroberung  geprellt  und 
von  der  Poesie  des  frischen,  fröhlichen  Kriegs 
zur  karbolduftenden  Prosa  des  Wochenbetts 
versetzt.  Zwar  ist  die  Geburtenzahl  allein 
für  die  Bevölkerungsbewegung  eines  Landes 
noch  nicht  maßgebend;  es  muß  vielmehr 
auch  die  Sterblichkeitsziffer  berücksichtigt 
werden.  Doch  kann  dem  Beweisgrund  nicht 
entgegengesetzt  werden,  daß  das  Gebären 
viel  mehr  eingeschränkt  werden  kann  als  das 
Sterben.  Wenn  auch  unsere  Säuglingssterb- 
lichkeit noch  recht  hoch  ist  im1  Vergleich 
mit  den  nordischen  Staaten  und  die  Tuber- 
kulose bei  uns  doppelt  so  viele  Menschen 
dahinrafft  als  in  England,  so  ist  doch  nicht 
daran  zu  denken,  daß  durch  das  Sinken  der 
Sterblichkeitsziffer  der  Fall  der  Geburten 
wettgemacht  wird.  Der  Geburtenüberschuß 
wird  immer  kleiner.  1908—1910  betrug  er 
noch  880  000;  1911  nur  740  000,  woran  aller- 
dings die  höhere  Kindersterblichkeit  im 
heißen  Sommer  dieses  Jahres  mit  Schuld  hat. 
Ganz  besonders  bedenklich  stimmt  aber  nun 
ein  Vergleich  der  Geburtenbewegung  in  den 
anderen  Ländern.  Selbst  im  europäischen 
Rußland  ist  ja  ein  Rückgang  zu  verzeichnen, 
der  aber  weit  geringer  als  bei  uns  ist.  Heute 
schon  übertrifft  die  Bevölkerungszahl  des 
Russenreichs  die  deutsche  um1  100  Millionen, 
wenn  auch  das  asiatische  Rußland  mit  ein- 
gerechnet wird.  Um  1950  wird  sie  nach  Wolf 
aber  schon  150  Mülionen  betragen.  Unsere 
militärische  Stellung  wird  dieser  größten 
Ostmacht  gegenüber  also  ebenso  hoffnungs- 
los wie  die  Frankreichs  zu  uns.  Was  soll  denn 
da  nun  geschehen  ?  Gewiß  gibt  es  Wege 
genug,  die  einiges  bessern  können.  Die  Be- 
kämpfung der  Geschlechtskrankheiten  ist 
sicher  aussichtsreich,  wodurch  die  natürliche 
Unfruchtbarkeit  verringert  würde.  Alle  wirt- 
schaftlichen Maßnahmen  aber  werden  nur 
sehr  geringen  Erfolg  haben,  denn  sie  können 
doch  nur  einen  verschwindenden  Teil  der  Auf- 
wendungen ersetzen,  die  die  Geburt  und  Er- 
ziehung eines  Kindes  mit  sich  bringt.  Soweit 
die  rein  materielle  Denkweise,  vor  allem 
auch  der  oberen  Schichten,  als  Schuldige  an- 
gesehen werden  muß,  läßt  sich  sicher  auch 
durch  Beeinflussung  der  öffentlichen  Mei- 
nung etwas  erreichen,  doch  wiederum'  nur 
in  Verbindung  mit  einer  allgemeinen  Hebung 
unseres  Bildungsstandes,  was  keine  Sache  von 
heute  auf  morgen  ist.  So  sehen  wir  denn  ganz 
klar,  daß  es  sich  nur  darum1  handeln  kann, 
die  Folgen  dieses  nicht  mehr  zu  ändernden 
Zustandes  zu  beseitigen,  da  dieser  selbst 
nicht  mehr  umzukrempeln  ist  und,  vom 
sozialen  Gesichtspunkt  aus  betrachtet,  es 
auch  nicht  soll.  Die  Gefahr,  die  den  Völkern 
hoher    Kultur   infolge    ihrer    geringeren    Ver- 


100 


<§= 


DIE  FRI  EDENS -^&RXE 


mehrung     von    den     tieferstehenden    Völkern 
droht,    kann    nur    durch    eine    Verständigung 
der     Kulturmächte     gebannt      werden.       Sie 
müssen    sich    zusammenschließen,    um    einen 
derartigen  etwaigen  „Kulturkampf"  bestehen 
zu  können.    Je  früher  dies  geschieht,   desto 
besser   ist   es.    Jetzt,   wo   die   Kulturnationen 
die  Welt  beherrschen,  haben  sie  die  Macht, 
ihren  Willen  den  anderen  Völkerschaften  auf- 
zuzwingen.     Uebersteigen     sie    beizeiten    die 
Klüfte     und   Spalten,     die     zwischen     ihnen 
gähnen,  so  können  sie  die  Militarisierung  der 
tiefersteh  enden    Menschenhorden    verhindern, 
sich   und  der  ganzen  Welt  Frieden  bringen. 
Bleibt  diese  Verständigung  jetzt  aus,  so  wird 
vielleicht   erst  die  unmittelbare  Gefahr  eines 
Weltkrieges    zwischen    Kultur-     und     Halb- 
kulturstaaten jene  zusammenschweißen  und  uns 
dann    wahrscheinlich    vor    einem    ungeheuren 
Weltbrand  nicht  mehr  bewahren  können.    So 
möge  der  Rückgang  der  Geburten  den  Kultur- 
staaten  ein  Alarmzeichen   sein,   daß   es  hohe 
Zeit    ist,    sich   zu   verständigen.    Wir   stehen 
in   Deutschland   wieder   vor   ungeheuren   Rü- 
stungen.      Die     Gefahr      des     beschränkten 
Gewalt-Nationalismus  wird  dadurch  vielleicht 
vielen  deutlich,  die  bisher  den  Abgrund  nicht 
ahnten,    vor   dem   wir    stehen.     In   welch    un- 
geheure  Zwickmühle    führt    uns    doch    dieses 
Prinzip     des     Machtfanatismus:      Man    sieht 
die  Notwendigkeit  sozialer  Reformen  ein  und 
muß    doch     die    wirksamste     Selbsthilfe,    die 
Beschränkung    der     Kinderzahl,     bekämpfen; 
man   will   den   Familienvätern   wirtschaftliche 
Erleichterung  zukommen  lassen  und  belastet 
sie  doch  wieder  viel  ärger  durch  die  Rüstungs- 
steuern;   man     sucht     durch     kolossale     Rü- 
stungen  sein  Volk  in  einen  möglichst  guten 
Verteidigungszustand  zu  bringen  und  gefähr- 
det  es  aber  viel   stärker,   weil  dadurch  auch 
die  zurückgebliebenen  Völker  zu   Rüstungen 
gezwungen    werden,    deren    größte    Reserve 
aber    die    hohe    Geburtenziffer   ist,    die   wir 
nicht    mehr    erreichen    können.     Ein    gefähr- 
licher   Wettbewerb!     Wir    arbeiten     so    wie 
Wahnsinnige    an    unserem    eigenen     Unter- 
gang!    In    Zukunft    gibt    es    nur    zwei     ver- 
nünftige   Möglichkeiten:    entweder    benutzen 
die  Kulturmächte  ihre  Herrschaft  zur  syste- 
matischen   Ausrottung   der   Halbkulturvölker, 
oder  sie  verständigen  sich  und  schenken  der 
Welt    Frieden.     Mit    kleinlichen    Maßnahmen 
ist  nichts  getan.   Entweder  morden  wir  Millio- 
nen oder  verständigen  uns.    Kann  diese  Wahl 
noch   Zweifel   bringen  ? 


Goethe  über  den  Krieg. 

Von  Prof.  Dr.  Ritter,  Weimar. 

Im  Augenblick,  in  dem  ich  dies  über 
Goethes  Urteil  vom  Kriege  schreiben  will, 
dürfte  es  ganz  eitel  erscheinen,  über  den 
Krieg  als  über  ein  überflüssiges  Uebel  zu 
reden,    um1   so   eitler,    als*  die  letzten   beiden 


Jahre  mit  dem  Tripolis-  und  Balkankriege 
den  Friedensmachern  genug  bewiesen  haben 
könnten,  daß  der  Krieg  zur  Weltordnung, 
zumal  der  menschlichen  oder  sozialen,  ge- 
hört, noch  dazu  um  so  mehr,  weil  der  Tri- 
poliskrieg gerade  zu  der  Zeit  ausbrach,  als 
die  Friedensleute,  geschwellt  von  Friedens- 
hoffnungen, in  Rom  einen  Kongreß  zur  Welt- 
friedfertigkeit halten  wollten,  aber  dann 
wegen  des  Krieges;  nicht  halten  konnten. 
„Diese  Erfahrung  dürfe  doch  genügen !" 
mögen  die  Kriegsanbeter  triumphieren.  Aber 
weder  diese,  noch  viele  früheren  Erfahrungen 
genügen,  zumal,  wie  schon  Kant  gesagt  hat, 
die  Erfahrungen  voll  Widerspruchs  sind, 
auch  nach  der  induktiven  Logik  nicht  zu- 
reichen, widerspruchslos  allgemeine  und  für 
die  Praxis  brauchbare  Urteüe  zu  bilden. 
Kurz,  die  Kriegsanbeter  sind  alle  durchweg 
schlechte  Logiker  und  darum  keine  Denk- 
politiker, sondern  nur  Gefühls-  oder  Stim- 
mungspolitiker. Sie  lieben  es  zwar  und 
rühmen  sich  damit,  nicht  Gefühlspolitiker  zu 
sein,  sondern  Realpolitiker;  doch  um  diesen 
Gegensatz  will  ich  nicht  streiten,  sondern 
um  den  Gegensatz  Gefühls-  und  Denk- 
politiker, zumal  in  diesem  letzten  Begriff 
der  Begriff  Realpolitiker  mitgedacht  wird. 
Fühlen  ist  subjektiv,  Denken  objektiv  oder 
real.  Doch  genug,  da  ich  hier  nicht  Er- 
kenntnistheorie zu  lehren  habe,  sondern  vom 
Kriege  in  Goethes  Auffassung  reden  will. 

Bevor  ich  dazu  schreite,  darf  ich  wohl 
ein  Gleichnis  zur  Veranschaulichung  der  Un- 
logik  unserer  Gegner,  der  Anbeter  des 
heidnischen  Gottes  Mars,  hierher  setzen. 
Die  Leser  kennen,  so  setze  ich  voraus, 
etwas  von  der  Wettervorhersagung  des  Herrn 
Falb  und  von  dem1  Widerspruch  oder  der 
Kritik,  mit  der  man  sie  leicht  abtun  zu 
können  glaubte.  Es  ging  und  geht  diese  Kritik 
meist  so  vor  sich:  Wenn  Herr  Falb  vorher- 
gesagt hatte,  z.  B.  daß  am  10.  Oktober 
Sturm  und  Regen  sein  würden,  weil  dann, 
wie  gerade  in  diesem  Jahre  (1912)  Neu- 
mond in  Erdnähe  sein  würde,  so  glaubte 
jedermann,  daß  auch  er  den  Sturm  ,und 
Regen  bekommen  müßte,  nicht  bloß  die 
südlichen  Tropen,  und  erklärte,  jede  Vor- 
hersage sei  falsch,  wenn  es  auch  nur  10 
oder  gar  nur  5  Küometer  von  ihm  ent- 
fernt geregnet  hatte,  ohne  weiter  an  die 
mancherlei  Umstände  zu  denken,  die  zur  Er- 
zeugung des  Regens  zusammenwirken.  „Ja 
—  irgendwo  auf  der  Erde  kann  es  ja  ge- 
regnet haben,  nur  bei  mir  nicht",  das  war 
der  Gedanke  dieser  Herren,  die  z.  B.  das 
eine  nicht  bedachten,  daß  zur  Erzeugung 
von  Regen  zwei  Luftströmungen  gehören,  eine 
kalte  und  eine  warme,  deren  jede  schon  nur 
einen  Teil  der  Erdoberfläche,  nicht  die 
ganze  einnehmen  kann.  „Schadet  nichts! 
Falb  redet  Hirngespinste",  sagen  die,  die 
nur  ganz  abstrakt  nach  dem  Buchstaben  ur- 
teilen können,  ähnlich  wie  der  Klosterbruder 


101 


DIE  FRIEDENS -V&BTE 


;s> 


Lessings    sagt:    „Schadet   nichts!     Der   Jude 
wird    verbrannt." 

Aehnlich  abstrakt  wie  sie,  nur  gegenteilig, 
dachte  jene  Waschfrau,  zu  der  ihre  Nach- 
barin sagte:  „Haben  Sie  schon  gelesen,  Frau 
Müllern?  Ostern  soll  die  Welt  untergehen." 
„Ach!  das  geht  mich  nichts  an,"  antwortete 
die  kluge  Müllern,  „denn  ich  reise  zu  Ostern 
nach  Stettin  zu  meiner  Tochter."  Wie  jene 
abstrakt  nur  an  das  Ganze  denken,  so  denkt 
diese  abstrakt  nur  an  den  Teil,  auf  dem  sie 
gerade  steht;  beide  könnten  sich  aber  nicht 
über   das  handgreiflich   Einzelne    erheben. 

Ihnen  gleichen  Sie,  meine  Herren,  die 
nur  das  Einzelne  des  großen  Ganzen  der  Ge- 
schichte sehen,  nicht  die  ganze  Summe,  die 
Bäume  wohl,  nicht  aber  den  Wald,  auch  nur 
immer  ein  Merkmal  abstrakt  betrachten,  nicht 
alle  in  concreto,  allenfalls  nach  voreiligem 
Induktionsschluß  urteilen,  wo  nicht  gar  den 
Wunsch  den  Vater  des  Gedankens  sein  lassen, 
so  ähnlich  auch,  wie  das  Weib  Emilie  in 
Shakespeares  Othello.  Diese  meint  nämlich, 
daß  man  das  Verbrecherische  nur  gesetzlich 
zu  sanktionieren  brauche,  damit  es  den  Cha- 
rakter, verbrecherisch  zu  sein,  verliere.  Aehn- 
lich verfährt  von  Treitschke,  der  den  Krieg 
einfach  „heiligt".  „Bis  an  das  Ende  der  Ge- 
schichte werden  die  Waffen  ihr  Recht  be- 
halten", sagt  er;  „und  darin  liegt  die 
Heiligkeit  des  Krieges.  Die  Größe  des 
Krieges  liegt  gerade  in  jenen  Zügen,  welche 
die   flache   Aufklärung  ruchlos  findet". 

Armer  Kant !  Wie  bist  du  doch  ein  flacher 
Aufklärer  in  Herrn  v.  Treitschkes  Augen,  der 
du  geglaubt  hast,  die  Eliminierung  des  Krie- 
ges aus  dem  Staatenleben  zum  letzten  Schluß 
deiner  Weisheit  machen  zu  müssen!  Doch, 
mein  verehrtester  Kant,  du  brauchst  dich  nicht 
zu  schämen,  am  wenigsten  vor  Herrn  von 
Treitschke,  zumal  du  in  Herrn  Goethe  einen 
guten  Eideshelfer  deines  Glaubens  gefunden 
hast,  der  gleich  dir  an  verständige  Menschen 
appelliert  hat.  „Schon  wieder  Krieg!"  sagt 
er  (Faust  IL  Akt.  4)*).  „Der  Kluge  hört's 
nicht  gern." 

Mephistopheles,  hierin  ein  Eideshelfer  des 
Herrn  von  Treitschke,  erwidert  im  Ethos  des 
„geistigen  Tierreichs"**). 

Krieg   oder  Frieden  —   —   klug   ist   das    Be- 
mühen, 
Aus     jedem     Umstand     seinen     Vorteil 

ziehen. 
Man  paßt,  man  merkt  auf  jedes  günstige  Nu; 
Gelegenheit  ist  da;  nun,  Fauste,  greife  zu." 
Für  den  im  Reiche  der  Vernunft  lebenden 
Faust  sind  das  Rätselworte:  „Mit  solchem 
Rätselkram  verschone  mich!  Und  kurz  und 
gut,  was  soll's?    Erkläre  dich." 


*)  In  Bielschowskis  Goethe-Biographie  ist 
dieser  Akt  nicht  behandelt.  Warum  nicht?  War 
der    Stoff    heißes    Eisen  ? 

**)    Ausdruck    Hegels. 


Als  dann  Mephisto  sich  erklärt,  indem 
er  von  der  Tiefe  seines  „geistigen  Tierreichs" 
Faust  auf  die  Gelegenheit  zu  Landerwerb  hin- 
weist und  mit  der  Lockung  zu  Herrschaft 
und  Genuß  zu  gewinnen  sucht,  erwidert  Faust 
aus  der  Gedankenhöhe  seines  geistigen  Men- 
schenreiches : 

„Ein  großer  Irrtum!    Wer  befehlen  soll, 
Muß    im    Befehlen    Seligkeit    emp- 
finden; 
Ihm  ist  die  Brust  von  hohem  Willen  voll, 
So   wird  er  stets  der  Allerhöchste   sein, 
Der  Würdigste  — ;  Genießen  macht  ge- 
mein." 

Darauf  fährt  Mephisto  fort,  indem  er  mit 
klugem  Opportunismus  ein  typisches  Bild,  etwa 
nach  dem  Vorbild  des  heiligen  römischen 
Reiches  oder  der  französischen  Revolution 
oder,  gleichsam  als  hätte  er  es  vorausgeahnt, 
von  den  Balkanwirren  gegenwärtig  (Okt. 
1912)  malt  und  den  Egoismus  als  Anbeter 
des  Erfolges  heranzieht. 

„Die  Tüchtigen,  sie  standen  auf  mit  Kraft 
Und  sagten:  „Herr  ist,  der  uns  Ruhe  schafft. 
Der   Kaiser  kann's  nicht,  will's  nicht  —  laßt 

uns  wählen 
Den  neuen  Kaiser,  neu  das  Reich  beseelen, 
Indem   er  jeden  sicherstellt, 
In  einer  frisch  ^geschaffnen  Welt 
Fried'    und   Gerechtigkeit  vermählen." 

Bei  dieser  Sophistik  des   Erfolges  erhebt 
sich    Faust    wiederum    auf    die    Höhe    wahr- 
haftigen Urteilens  und  sagt: 
„Das  klingt  sehr  pfäffisch",  denn  Pfaffen 
Sind  überall  die  sophistischen  Apologeten*)  des 
Erfolges,   zumal  sie  ihren   Lohn   dabei  dahin- 

nehmen. 
„Pfaffen  waren's  auch. 
Sie  sicherten  den,  wohlgenährten  Bauch ; 
Sie  waren  mehr  als  andere  beteiligt, 
Der  Aufruhr  schwoll,  der  Aufruhr  ward  ge- 
heiligt," 

Mephisto  ist  zwar  doppelzüngig,  hinter- 
listig, aber  auch  wahrhaftig,  wenn's  ihm 
Spaß  macht,  besonders  wenn  er  andere  ver- 
höhnen kann,  nachdem  sie  ihm  Gelegenheit 
gegeben,  Widerspruch  zwischen  hohen  Intui- 
tionen (Intuition  mit  Goethe)  und  nach- 
folgenden Taten  ins  Licht  zu  stellen.  In  diesem 
Sinne  sagt  er  derb  und  geradezu  auf  Fäustens 
Frage,  was  es  gebe:  „Nein!  Aber  gleich  Herrn 
Peter  Squenz  vom  ganzen  Praß  die  Quint- 
essenz." Bei  diesen  Worten  treten  die  drei 
Gewaltigen  auf,  zu  denen  sich  bald  ein  vierter 
gesellt,  die  Typen  des  Krieges,  deren  Wesen 
Goethe  durch  ihre  Namen  allegorisiert  hat, 
denn  sie  heißen  Raufebold,  Habebald,  Halte- 
fest und  Eilebeute.  Jeder  schildert  dann  sein 
Wesen  selbst  gerade  so  ungefähr,  wie  die 
Königlein  der  Balkan-Halbinsel  reden,  die 
viel    Gerede    von   hohen    Intentionen   machen  T 


*)    Goethes    Gespräche    mit    Eckermann    III,. 
Seite    33,     215    und    230  ff. 


102 


@= 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


während  sie  doch  nur  raufen,  haben  und  fest- 
halten   wollen;   auf   sie    paßt    das    Wort,    das 
Goethe  den  Kaiser  sprechen  läßt: 
„Sich  selbst  erhalten,  ist  der  Selbstsucht  Lehre, 
Nicht  Dankbarkeit  und  Neigung,   Pflicht  und 

Ehre. 
Bedenkt  ihr  nicht,  wenn  eure  Rechnung  voll, 
Daß     Nachbars     Hausbrand    euch    verzehren 

soll." 

Das  heißt  in  die  Worte  des  Tages  über- 
setzt, daß  ihr  den  Krieg  nicht  werdet  lokali- 
sieren können.  Und  so  soll  ein  edler  Serbe 
gesagt  haben?  „Sind  wir  erst  in  Uesküb,  so 
wollen  wir  den  sehen,  der  uns  heraustreiben 
kann."'  Für  Herren  von  dieser  kaltnasigen 
Gesinnung  gilt  das  berühmte  Wort  Voltaires: 
„Dans  loutes  les  guerres  il  ne  s'agit  que  de  voler" 

Dann  stellt  Goethe  die  Schlacht  dar  zwi- 
schen dem  Kaiser  und  dem  Gegenkaiser;  aus 
dieser  Darstellung  ist  merkwürdig  das  Boten- 
paar; das  sind  nämlich  Raben,  d.  h.  Aas- 
vögel, nicht   Tauben,    denn 

„Die  Taubenpost  bedient  den  Frieden, 

Dien  Krieg  befiehlt   die   Rabenpost." 
Die  Raben  sind  Mephistos  Diener. 
„Setzt  euch  ganz  nah'  zu  meinen  Ohren! 
Wen  ihr  beschützt,    ist  nicht  verloren, 
Denn   euer  Rat  ist   folgerecht." 

Ja  —  ganz  folgerecht,  doch  die  Folge- 
richtigkeit ist  vom  Teufel,  dagegen  Erbarmen 
von  Gott^  d.  h.  logisch,  die  Inkonsequenz,  die 
Reihe  schlechter  Taten  vor  ihrem  Schlüsse 
abzubrechen,  oder  ethisch,  die  Güte,  den 
Sünder  nicht  zu  verderben,  zumal  er  will,  daß 
der  Sünder  lebe,  nicht  verderbe. 

Der  Leser  wolle  dies  auf  die  Balkan völker 
anwenden.  Gewiß  sind  die  Türken  bisher  arge 
Uebeltäter  gewesen,  aber  muß  man  sie  nun, 
da  sie  versprochen  haben,  sich  zu  bekehren, 
d.  h.  die  geforderten  Reformen  einzuführen, 
vernichten?  Vernichtet  würden  sie  schließlich 
werden,  wenn  auch  nicht  gerade  heute  schon, 
wenn  allen  den  Kleinen  zugelassen  würde,  die 
„Konsequenzen  zu  ziehen".  Daß  dies  nicht  ge- 
schehen kann,  dafür  hat  Rußland  gesorgt. 
Doch  davon  spreche  ich  besser  zum  Schlüsse, 
da  ich  eigentlich  von  Goethe  zu  sprechen  an- 
gefangen habe. 

Hier  ist  noch  übrig,  vom  Urteil  Goethes 
über  den  Ausgang  des   Krieges  zu  sprechen. 
Goethe   ist   überzeugt,,  daß    das    Ende,    sei  es 
glücklich   oder   unglücklich,   nur   vom   Zufall, 
d.  h.  nicht  von  des  Menschen  eigener  Lenkung 
abhängig  ist.    Allerdings;  weiß   er  auch,    daß 
egoistisch  der  Sieger,  zumal  der  Kaiser,  den 
Sieg    sich    nur  allein,    nicht    dem    Zufall,    zu- 
schreibt.   Seine  Botschaft  lautet: 
„Beruhigt  sei  das  Reich,  uns  freudig  zugetan! 
Hat  sich  in  unsem  Kampf  auch  Gaukelei  ge- 
flochten, 
Am    Ende    haben    wir    uns   nur   allein    ge- 
fochten. 
Zufälle  kommen  ja  den  Streitenden  zugut: 


Vom    Himmel    fällt    ein    Stein,    dem    Feinde 

regnet's  Blut,  ( 
Aus  Felsenhöhlen  tönt's  von  mächt'gen  Wunder- 
klängen, 
Die  tapfre  Brust  erhöhen,  des  Feindes  Brust 

verengen. 
Der  Ueberwund'ne  fiel,  zu  stets  erneutem 

S  po  tt; 
Der   Sieger,   wie    er    prangt,    preist   den   ge- 

w  o  g  '  n  e  n  Gott, 
Und  alles  stimmt  mit  ein,  er  braucht  nicht  zu 

befehlen, 
Herr  Gott,  dich  loben  wir!  Aus  hunderttausend 

Kehlen." 
Also  —  der  Götze,  „Erfolg"  genannt,  wird 
gepriesen  sehr,  doch  eventus  stultorum  ma- 
gister  sagt  Fabius  Cunctator  bei  Livius,  d.h.  der 
Ausgang  oder  Erfolg  ist  der  Lehrer  der  Toren, 
d.  h.  derer,  die  weder  Eigenes  denken  noch 
Fremdes  nachdenken. 

Faust,  der  dem  Kaiser  durch  allerlei 
Künste  geholfen  hat,  erhält  vom  Kaiser  ein 
Lehen,  das  dem  Wasser  durch  Dämme  erst 
abgewonnen  werden  soll.  Das  ist  allegorisch 
ein  Gebiet,  das  nicht  einfach  nach  alter  Raub- 
manier, z.  B.  wie  der  Türken,  okkupiert, 
sondern  durch  die  Erwerbsmethode  der  neuen 
humanen  Zeit  durch  Arbeit  geschaffen  werden 
muß.  In  diesem  Sinn  läßt  auch  Schiller  seinen 
Stauffacher  sagen: 

„Wir    haben    diesen    Boden    uns    erschaffen 
Durch  unserer  Hände  Arbeit." 

Diesen  Gedanken  spricht  Goethe  mehr- 
mals aus;  einmal  sagt  er  durch  Mephistos 
Mund: 

„Krieg,  Handel  und  Priraterie, 
Dreieinig  sind  sie,  nicht  zu  trennen." 
In  seinem  Sinne  zu  wirken  greift  Faust 
zur  Kolonisationsarbeit. 
„Ein  Sumpf  zieht  am  Gebirge  hin, 
Verpestet   alles   schon    Errungene; 
Den  faulen  Pfuhl  auch  abzuziehen, 
Das  Letzte  war'  das  Höchsterrungene. 
Eröffne  ich    Räume    vielen    Millionen. 
Nicht   sicher   zwar,   doch   tätig   —   frei    zu 

wohnen. 
Grün    das     Gefilde,     fruchtbar     Mensch    und 

Herde. 
Sogleich  behaglich  auf  der  neu'sten  Erde,, 
Gleich  angesiedelt  an   des    Hügels    Kraft, 
Den  aufgewälzt  kühn-ems'ge  Völkerschaft. 
Im  Innern  hier  ein  paradiesisch  Land, 
Da  rase  draußen  Flut  bis  auf  zum  Rand, 
Und  wie  sie  nascht,  gewaltsam  einzuschießen. 
Gemeindrang  eilt,  die  Lücke  einzuschließen. 
Ja!  Diesem  Sinne  bin  ich  ganz  ergeben, 
Das  ist  der  Weisheit  letzter  Schluß: 
Nur  der  verdient  sich  Freiheit  wie  das  Leben, 
Der  täglich  sie  erobern  muß. 
Und  so  verbringt,  umrungen  von  Gefahr, 
Hier  Kindheit,  Mann  und  Greis  sein  tüchtig' 

,  Jahr. 

Solch'  ein  Gewimmel  möcht'  ich  seh'n, 
Auf  freiem  G  rund  mi  t  fr  eiern  Vo  lk  e 

s  t  e  h'n." 


103 


DIE  FBIEDENS  -WARTE 


;§> 


Der  allgemeine  Gedanke  aus  dieser  Schil- 
derung anschaulicher  Tatsachen  ist  so  klar,  daß 
es  kaum  nötig  ist,  ihn  abstrakt  auszusprechen, 
zumal  er  schon  mehrmals  angedeutet  ist,  nur 
eines  zu  bemerken  kann  ich  nicht  unterlassen, 
selbst  auf  die  Gefahr  hin,  Gesagtes  zu  wieder- 
holen, daß  nämlich  Goethe  die  Gedanken  der 
Kriegsanbeter,  explizierte  wie  unexplizierte,  in 
Trugschlüsse  aufgelöst  hat,  zumal  die  Rado- 
montaden  des  Herrn  von  Treitschke,  der  sich 
mehr  geeignet  hätte,  Hofhistoriograph  bei 
Soliman  II.  zu  sein,  als  in  der  Stadt  der 
Intelligenz  Professor  und  Lehrer  der  Ge- 
schichte. Flache  Aufklärung  zu  sagen  von  einer 
Sache,  die  Kant  vertreten  hat!  Doch  die  Ge- 
schichte ist  das  Weltgericht.  In  dieser  Eigen- 
schaft sitzt  sie  gegenwärtig,  d.  h.  da  ich  dies 
schreibe,  über  Kant  und  Herrn  von  Treitschke 
zu  Gericht. 

Kant  hat  bekannlich  bei  seinemt  Streben 
nach  dem  ewigen  Frieden,  wenig  Hoff- 
nung auf  den  schwachen  guten  Willen  des 
Menschen,  dagegen  desto  mehr  auf  den 
Mechanismus  seiner  Taten  gesetzt;  er  hat  da- 
mit Herrn  von  Treitschke  und  allen  seinen 
Eideshelfern  das  Argument  von  der  Schlechtig- 
keit des  Menschen  gegen  die  Möglichkeit  des 
Friedens  vorweg  anerkannt  und  ihnen  die 
Arbeit  mit  diesem  Argument  aus  der  Debatte 
eliminiert,  so  daß  sie  eigentlich  ihre  Aufmerk- 
samkeit auf  das  richten  müßten,  was  Kant 
gelassen,  ja  eigentlich  zur  Grundlage  seiner 
Hoffnung  gemacht  hatte,  den  Mechanismus 
der  Geschichte*} ,in  der  Natur.  Dieser  Mecha- 
nismus kommt  jetzt  zu  dem  Resultat  das  Kant 
von  ihm  erwartet  hat,  in  der  Friedfertigung  der 
Balkanvölker  nach  dem  vor  einigen  Tagen 
erschienenen  Manifest  Rußlands,  diesem 
Meisterstück  kluger  Erwägung  und  mensch- 
licher Hochgedanken.  Es  ist  nicht  jedermanns 
Art,  aus  den  Tatsachen  der  Geschichte  die 
Arbeit  der  menschlichen  Vernunft  zu  er- 
kennen, ganz  besonders  nicht  derer,  die  man 
Kleinmeister  nennen  kann,  sondern  es  ist  nur 
Sache  weniger;  diese  wenigen  werden  mir 
zustimmen,  daß  der  Schlußsatz  dieses  Mani- 
festes in  den  beiden  Grundsätzen  für  die  Be- 
handlung der  Balkanwirren  das  enthält,  was 
die  Türken  leisten  können  und  ihre  Gegner 
hoffen  dürfen. 

Der  Mechanismus  in  der  Geschichte  wirkt 
nicht  überall  auf  der  Erde  gleichmäßig,  denn 
die  Massen  sind  nicht  überall  gleichmäßig,  aber 
er  wirkt  und  wirkt  augenblicklich  besonders 
auf  der  Balkanhalbinsel  im  Interesse  der 
Humanität  und  des  Friedens  unter  Rußlands 
Führung. 

Wird  da  nicht  wiederum  das  Wort  wahr, 
daß  die  letzten  die  ersten  sein  werden?  Ruß- 
land ist  zuletzt  in  den  Weltzug  der  Kultur, 
der  von  Griechenland  über  Italien  durch  Frank- 
reich, Deutschland  und  Polen  nach  Rußland 


mit  Unterstützung  aus  Byzanz  gegangen  ist, 
eingetreten  und  hilft  mit  seiner  Masse  die 
Parallelkette  dieses  Zuges  schließen,  die  von 
Westen  nach  Osten  der  Donau  entlang  liegt. 
Ihr  Ziel  ist  Friedfertigung*). 


*)    Kants    Traktat    zum    Ewigen    Frieden. 


n  RANDGLOSSEN  U 
211/12  ZEITGESCHICHTE 

Von  Bi  e  r  t  h  a  v.  S  u  1 1  n  e  r. 

Wien,  7.  Februar  1913. 
Es  brodelt  und  kocht  und  gärt  weiter 
im  europäischen  Hexenkessel.  Es  schäumt 
von  Krieg  und  Kriegsvorbereitungen  und  tropft 
von  Frieden  und  Friedensverhandlungen.  An 
der  österreichischen  und  russischen  Grenze  soll 
abgerüstet,  die  Truppen  sollen  zurückgezogen 
werden;  aber  wie  langsam',  zögernd,  wider- 
willig geschieht  das!  Nur  Mobilisierungs- 
orders werden  rasch,  rücksichts-  und  rück- 
haltlos ausgeführt.  Aber  die  Demobili- 
sierung: welche  Kautelen,  welche  Schwierig- 
keiten, welche  Geheimniskrämerei:  nur  nichts 
Günstiges  und  Beruhigendes  offiziell  ver- 
sprechen und  verkünden.  Freilich,  es  ist  ja 
alles  unentwirrt :  Der  König  von  Montenegro 
erklärt,  er  komme  ohne  Skutari  nicht  in 
seine  Berge  zurück;  Rumänien  kann  nicht 
ohne  Silistria  sein;  Bulgarien  besteht  auf 
Kriegsentschädigung  —  Mediation  wird  ver- 
langt und  angenommen,  aber  unter  dem  Vor- 
behalt, daß  man  sich  vielleicht  nicht  danach 
richten  wird;  Janina  ist  gefallen  —  darüber 
der  obligate  Straßenjubel  in  Athen.  Ein  neuer 
Staat  —  Albanien  —  ist  in  Triest  konstruiert 
worden,  doch  können  dessen  Abgrenzungen 
noch  zu  hundert  Verwicklungen  Anlaß  geben. 
Wenn  nicht  bald  ein  neues  strahlendes  Prin- 
zip alle  diese  Nebel  verscheucht  —  was  muß 
es  da  noch  für  Zusammenstöße  und  Ver- 
nichtungen  geben ! 

MB 

Auch  die  Suffragettes  in  London  führen 
Krieg.  Man  kennt  ihre  Taten.  Die  Öffent- 
lichkeit fängt  an,  sich  zu  empören.  Und  mit 
Recht.  In  einem)  Leitartikel  über  diesen 
Gegenstand  fand  ich  folgenden  Satz :  „Soll 
man  den  Frauen  jetzt  das  Stimmrecht  geben  ? 
Wäre  das  die  einfachste  Lösung  der  Frage  ? 
Es  wäre  die  gefährlichste,  die  sich  denken 
ließe.  Es  wäre  die  Anerkennung  der 
Gewalttätigkeit  als  zulässiges 
Instrument  zur  Durchsetzung  po- 
litischer Wünsche."  O,  über  deine 
Naivität,  Zeitungsschreiber!  Weißt  du  denn 
nicht,  daß  diese  deine  Worte  die  geltende 
Grundlage  unserer  großen  heutigen  diplo- 
matischen    und     müitärischen     Weltordnung 


*)    Ritter.     Weltzug    der    Kultur.      In    Kritik, 
Bd.  XII,     1877. 


104 


@= 


=  DIE  FRI EDENS -^M&RTE 


ausdrücken :  Gewalttätigkeit  und  Gewalt- 
androhung als  zulässiges  Instrument  zur 
Durchsetzung  politischer  Wünsche  ?  — 
Nein,  das  soll  den  Frauen  nicht  zu- 
erkannt werden  —  im!  Gegenteil,  die  Frauen 
werden  vielleicht  berufen  sein,  diese  Zu- 
lässigkeit  aufzuheben.  Aber  jedenfalls  war 
der  Artikel  schreib  er  blind  gegen  das  Faktum 
von  der  Allgemeingültigkeit  des  Prinzips,  vor 
dem1   er   warnt. 


Der  europäische  Ueberrüstungswahnsmn 
hat  einen  neuen  Anfall  —  man  könnte  es 
schon  Paroxismus  nennen  —  bekommen,  auf 
den  niemand  gefaßt  sein  konnte.  Mitten  in 
einer  Zeit,  wo  die  ganze  europäische  Diplo- 
matie angeblich  damit  beschäftigt  ist,  Schwie- 
rigkeiten und  Streitfragen  zu  schlichten,  wo 
es  überall  zwischen  den  Mächtegruppen  „Ent- 
spannungen", Annäherungen  und  dergleichen 
gibt;  wo  durch  die  so  hoch  gestiegenen 
Lasten  der  Militärausgaben  und  die  gleich- 
zeitig steigenden  Steuern,  Zölle  und  Lebens- 
mittelpreise die  Völker  an  den  Rand  der  Ver- 
zweiflung gebracht  werden,  mitten  in  diese  Frie- 
denssehnsucht und  Friedensnotwendigkeit  nebst 
offizieller  Friedensbeteuerung  platzt  plötz- 
lich in  Deutschland  eine  neue  Milliardenforde- 
rung für  Heeresverstärkung  aus,  die  in 
Frankreich  augenblicklich  mit  dem  Antrag 
auf  Wiedereinführung  der  dreijährigen  Dienst- 
zeit beantwortet  wird.  Beiderseitig  zur  Siche- 
rung des  Friedens  natürlich.  Sie  werden 
nicht  müde,  diese  Lügenphrase  des  si  vis 
pacem  zu  wiederholen.  Nicht,  daß  sie  den 
Krieg  wollen,  aber  die  Macht  Stellung 
wollen  sie.  Die  deutsche  Vorlage  war  zwar 
auch  eine  x\ntwort.  Nämlich  auf  jenen  Pariser 
Zapfen streichlärmi,  der  in  letzter  Zeit  alle 
nationalistisch-chauvinistischen  Elemente  auf- 
gerüttelt und  zu  neuen  ,,ä  Berlin"-Rufen 
ermutigt  hat.  Vielleicht  war  aber  auch  dieser 
Lärm  eine  Antwort,  und  zwar  auf  die  Agadir- 
geste.  Und  so  lassen  sich  diese  gegenseitigen 
Drohungen  in  einer  rückwärtsliegenden  Kette 
durch  unendlich  viele  Glieder  zerückverfolgen ; 
soll  diese  Kette  denn  auch  endlos  in  die 
Zukunft  verlängert  werden  ?  Das  geht  ein- 
fach nicht.  Ein  gewaltsames  Ende  muß  da 
kommen.  Entweder  Krieg  oder  Revolution 
oder  —  was  auch  denkbar  ist  —  ein  Er- 
wachen der  Vernunft.  Ein  Fallen  der 
Schuppen  von  den  Augen.  .  .  . 


Was  inzwischen  auf  dem  Balkan  ge- 
schehen, man  weiß  es  nicht.  Der  moderne 
Krieg  hat  den  Kriegsberichterstatter  aus- 
geschaltet, also  erfährt  der  Bürger  heute 
beinahe  weniger  als  zu  Fausts  Zeiten,  was  da 
vorgeht,  wenn  drunten  in  der  Türkei  die 
Völker  aufeinanderschlagen.  Das  belagerte 
Adrianopel  fällt  nicht;  vor  den  Tschataldscha- 
linien    geschieht    nichts;    die    „Operationen" 


werden  durch  Schneefall  gehindert  —  es  ist, 
als  wäre  die  ganze  Landpartie  wegen  schlech- 
ten Wetters  abgesagt.  Doch  wer  weiß,  was 
vorgeht  ?  Vielleicht  haben  auf  beiden  Seiten 
die  kriegsmüden  Truppen  erklärt:  „Wir  tun 
nicht  weiter."  Soviel  ist  gewiß :  Entscheiden- 
des ist  in  dieser  zweiten  Abteilung  des  Bal- 
kankrieges  nicht  eingetroffen,  denn  das  wäre 
sicher  von  der  siegenden  Partei  hinaustele- 
graphiert worden.  Es  wird  sich  immer  mehr 
und  mehr  bestätigen,  was  Bloch  schon  ge- 
sagt hat,  daß  es  in  modernen  Schlachten 
überhaupt    keine    Entscheidung   mehr   gibt. 


Nur  eines  sickert  nach  und  nach  vom 
Kriegsschauplatz  herüber.  Nämlich  die  Be- 
richte über  die  schon  in  der  ersten  Ab- 
teilung des  Feldzugs  verübten  haarsträuben- 
den Greuel.  Ganze  Broschüren  füllen  sich 
mit  beglaubigten  Beschreibungen  von  den 
Grausamkeiten,  die  von  serbischen  Banden, 
bulgarischen  Komitatschis,  albanesischen 
Horden  usw.  an  den  Türken  begangen  wurden. 
Europa  schaudert  wohl,  greift  aber  nicht 
helfend  ein,  denn  es  gibt  ja  noch  keine 
europäische  Gendarmerie.  Und  die  Leser 
jener  Berichte  rufen  empört:  „Oh  diese  Ko- 
mitatschis", „Oh  diese  Banden"  —  während 
es  einfach  heißen  sollte  „Oh  dieser  Krieg!'" 
Er   allein   ist   der    Schuldige. 


In  ganz  Deutschland  werden  große  Vor- 
bereitungen zur  hundertjährigen  Erinnerungs- 
feier der  Befreiungskriege  von  1813  getroffen. 
Dabei  dürfte  leider  viel  chauvinistischer  Geist 
angefacht  werden.  Man  wird  hervorheben, 
wie  ruhmvoll,  wie  beglückend  Kriege  in  ihren 
Folgen  sein  können  —  Befreiung  vom  Na- 
poleonischen Joch  — ,  und  vergißt,  daß  der 
Bestand  und  die  Glorifizierung  des  Krieges 
der  Boden  ist,  aus  dem  die  Napoleone  hervor- 
wachsen können.  Manche  Stimmen  erheben 
sich  auch,  um1  zu  sagen :  Die  großen  Rü- 
stungsvermehrungen der  letzten  Zeit  sind 
vielleicht  ein  Zeichen,  daß  sich  eine  Wieder- 
holung von  1813  vorbereitet,  daß  die  ernste 
Zeit  eine  ähnliche  Abrechnung  erfordert. 
Allerdings,  wieder  lastet  ein  Joch  auf  uns 
—  nicht  nur  auf  Deutschland  und  O ester- 
reich, sondern  auf  der  ganzen  Welt.  Der  Unter- 
drücker heißt  nicht  Napoleon,  er  heißt  Krieg. 
Den  Befreiungskrieg  gegen  diesen  Tyrannen 
zu  unternehmen,  das  wäre  die  richtige,  unseres 
Jahrhunderts  würdige  Feier  des  Jahres  1813. 

Die  Parteileitungen  der  französischen  und 
deutschen  Sozialdemokratie  haben  gleich- 
zeitig ein  Manifest  gebracht,  wodurch  dem 
perfiden  Doppelspiel  der  Chauvinisten  und 
Rüstungsinteressenten  beider  Länder  ein 
Ziel  gesetzt  ist,  die  sich  bemühen,  in  Frank- 
reich    die    Begünstigung     des     Militarismus 


105 


DIE  FßlEDENS-^ADXE 


3 


durch  die  deutsche  Sozialdemokratie,  und  in 
Deutschland  die  Begünstigung  des  Mili- 
tarismus durch  die  französischen  Sozialisten 
vorzuspiegeln.  Jetzt  aber  hallt  derselbe  Ruf 
gegen  den  Krieg,  dieselbe  Verurteilung  des 
bewaffneten  Friedens  in  beiden  Ländern  wider. 
Das  Manifest  erklärt,  daß  „die  Volksmassen 
mit  überwältigender  Mehrheit  den  Frieden 
wollen  und  den  Krieg  verabscheuen".  Das 
ist  wahr;  warum!  aber  verkündet  dies  nicht  die 
Mehrheit  der  Volksvertreter  in  den  Parla- 
menten? Ferner  wird  die  Forderung  erhoben, 
daß  alle  Streitigkeiten  zwischen  den  Staaten 
schiedsrichterlich  geschlichtet  werden.  Das  war 
das  erste  Prinzip  des  „bürgerlichen  Pazifis- 
mus" —  ein  Prinzip,  über  das  er  schon  hinaus 
ist,  indem1  er  Föderation  der  Staaten  und 
eine  ständige  internationale  Justiz  fordert. 
Der  Sozialismus  macht  sich  immer  mehr  die 
Prinzipien  des  einst  von  ihm  so  verhöhnten 
„bürgerlichen"  Pazifismus  zu  eigen.  Es  gibt 
eben  keinen  „bürgerlichen"  —  sondern  nur  Pa- 
zifismus überhaupt.  Zeit  wäre  es,  daß  nicht 
die  Sozialisten  allein  den  Mut  aufbringen, 
gegen  die  Geißel  des  Krieges  und  des  be- 
waffneten Friedens  zu  protestieren,  sondern 
daß  in  allen  Ländern  eine  eigene  Friedens- 
partei gegründet  werde.  Eine  Partei  der 
Weltorganisation  —  um1  das  matt  klingende 
Wort   Frieden   zu   ersetzen. 

Während  meines  Aufenthalts  in  Lincoln 
(Nebraska)  war  ich  Gast  im  Hause  Bryan. 
Leider  war  der  interessante  Hausherr  ab- 
wesend, auf  einer  Vortragstour.  Er,  der 
schon  öfter  selber  Kandidat  für  die  Präsident- 
schaft gewesen,  diesmal  aber  abgelehnt  hatte, 
nominiert  zu  werden,  bereiste  das  Land,  um 
für  Woodrow  Wilson  zu  agitieren.  Er  hätte 
gewiß  sehr  hohe  Chancen  gehabt,  gewählt 
zu  werden,  denn  aus  allem,  was  ich  in  Lin-i 
coln,  seiner  Vaterstadt,  und  auch  an  anderen 
Orten  von  ihm  erfuhr,  deutete  darauf  hin, 
daß  er  der  höchstangesehenste  Staatsmann 
der  Vereinigten  Staaten  ist.  Vor  einigen 
Jahren  bin  ich  ihm!  in  London  begegnet,  wäh- 
rend der  interparlamentarischen  Konferenz, 
und  hörte  ihn  dort  eine  glänzende  ipazi- 
fistische  Rede  halten.  Um  so  mehr  bedauerte 
ich  seine  Abwesenheit  aus  seinem  Heim,  doch 
fand  ich  von  seiten  seiner  kongenialen  Frau 
alle  die  Gesinnungen  bestätigt,  die  in  jener 
Londoner  Rede  zum  Ausdruck  ge- 
kommen waren.  Daß  William  Jennings 
Bryan  in  derselben  Richtung  weiter  wirkt, 
kann  man  aus  folgender  Nachricht  entnehmen: 
In  Raleigh  (Nordkarolina)  erklärte  er  in 
einer  Rede  über  den  Frieden,  es  sei  ge- 
bieterische Pflicht  der  Vereinigten  Staaten, 
nicht  nur  auf  jede  mögliche  Weise  mit  den 
Mächten  der  ganzen  Welt  für  den  Fortschritt 
des  Friedens  zusammenzuwirken,  sondern 
auch  in  der  Abrüstung  ein  glan- 
z  e  n  des  Beispiel  zu  geben.   Durch  ihre 


Lage  und  durch  ihre  Stellung  unter  den  Na- 
tionen seien  die  Vereinigten  Staaten  besonders 
dazu  geeignet,  mutig  diese  Haltung  ein- 
zunehmen. Wenn  man  bedenkt,  daß  höchst- 
wahrscheinlich Bryan  Staatssekretär  im 
Kabinett  Wilson,  und  nach  Wilson  vielleicht 
Unionspräsident  werden  wird,  so  gewinnen 
solche  Worte  doppelte  Bedeutung. 


Den  Manen  William  T.  Steads,  des  größ- 
ten Friedenskämpfers  unter  den  Publizisten, 
ist  empörende  Unbill  widerfahren.  Die  von 
ihm  gegründete  „Review  of  Reviews",  diese 
Hochburg  des  Pazifismus,  ist  nun  unter  der 
Redaktion  seines  Sohnes  Alfred  zum  Organ 
des  jingoistischen  Imperalismus  geworden. 
Tarifreform  (das  ist  Aufhebung  des  Frei- 
handels), Rüstungsvermehrung,  Haß  der 
gegenwärtigen  liberalen  Regierung,  Warnung 
vor  der  deutschen  Invasion  —  kurz,  die  ganze 
Lyra  —  werden  jetzt  in  unsres  Steads  Blatt 
vertreten.  Das  Februarheft  liegt  vor  mir. 
„Der  neue  Schrecken"  heißt  das  Titelblatt 
und  stellt  einen  über  der  britischen  Flotte 
schwebenden  deutschen  Zeppelin  vor.  Der 
Leitartikel  hierzu  heißt:  „Unser  die  See;  des 
Feindes  die  Luft."  Welcher  Feind  ?  Deutsch- 
land. Frankreich  baute  zwar  auch  eine 
Luftflotte;  diese  ist  aber  nicht  gegen  England 
gerichtet,  während  die  deutsche  Luftmacht 
„direkt  gegen  unser  Land  und  gegen  kein 
anderes  konstruiert  wird".  Der  Artikel  endet 
mit  einem  Aufruf  zur  Sammlung  von  Geldern 
zur  Schaffung  einer  englischen  Luftflotte. 
Alfred  Stead  eröffnet  die  Liste  mit  einer 
Spende  von  50  £  und  verlangt,  daß,  als  wür- 
diges Denkmal  für  seinen  Vater  und  in  Treue 
zu  seinen  Idealen,  ein  Kriegsäroplan  gebaut 
werde,  der  —  oh  Blasphemie  —  den  Namen 
W.  T.  Stead  führen  soll.  Es  gibt  im!  Leben 
des  großen  Publizisten  eine  Phase,  die  etwas 
widerspruchsvoll  ist,  nämlich  sein  Eintreten 
irrt  Jahre  1885  für  den  Standard  der  eng- 
lischen Flotte  „zwei  Kiele  gegen  einen". 
Daran  klammert  sich  nun  sein  Sohn  —  und 
vergessen  ist  nun  Steads  ganzes  Friedens- 
werk: seine  Haltung  im  Burenkrieg,  seine 
Unterstützung  des  Zarenmanifestes  durch 
Friedenskreuzzüge,  seine  Arbeit  während  der 
zwei  Haager  Konferenzen,  sein  tätiger 
Eifer  bei  allen  deutsch-eng- 
lischen Annäherungs-Aktionen; 
auch  vergessen,  daß  er  als  Träger  einer  Bot- 
schaft an  einen  amerikanischen  Friedens- 
kongreß in  den  Fluten  des  Ozeans  versank. 
Ja,  sicherlich,  er  hätte  gegen  die  Gefahr  eines 
Luftangriffs  von  seiten  Deutschlands  ge- 
kämpft, aber  nicht  durch  Schaffung  von 
Gegenangriffswerkzeug,  sondern  durch  die 
Verständigung  mit  Deutschland  und  durch 
Bekämpfung  der  Alarmmacher,  der  Invasions- 
propheten—  kurz,  der  Jingos  irrt  "  eigenen 
Lande* 

EsSI? 


106 


<§= 


DIE  FRIEDENS -^\*\RXE 


Ein  Vorschlag.  Er  wurde  mir  suggeriert 
von  einem1  Friedensfreund,  den  ich,  wenn  er 
es  erlaubt,  zu  nennen  bereit  bin.  Nämlich: 
eine  internationale  Abordnung  von  über- 
zeugten Pazifisten  in  hervorragender  Stellung 
—  Männer  wie  Elihu  Root,  Baron  d'Estour- 
nelles  —  etwa  zehn  an  der  Zahl,  sollten 
Europa  bereisen  und  an  den  Höfen,  bei  den 
Ministerien  und  mit  öffentlichen  Vor- 
trägen für  die  Friedensorganisation  der 
Welt  wirken.  Die  Kosten  einer  solchen  Ex- 
pedition (segensvoller  als  eine  solche  nach 
dem.!  Nord-  oder  Südpol)  müßten  natürlich 
durch  einen  hierzu  gespendeten  oder  ge- 
sammelten Fonds  aufgebracht  werden.  Doch 
dies  ist  ja  nur  eine  Andeutung  der  Grund- 
idee, und  will  ich  keine  Details  der  Ausführung 
bringen. 

MEt 

8.  März. 
Nachschrift:  Präsident  Wilson  hat  die 
Ernennung  zum  Ehrenpräsidenten  der 
amerikanischen  Friedens-  und  Schieds- 
gerichtsgesellschaft  angenommen.  —  Ex 
occidente  lux. 


PAZIFISTISCHE  CHRONIK 

8.  Februar.  Prinz  Gottfried  zu  Hohenlohe 
überreicht  dein  Zaren  ein  Handschreiben  des 
Kaisers  Franz  Josef,  das  den  Beginn  einer  freund- 
schaftlichen Lösung  der  österr. -russischen  Spannung 
bedeutet. 

10.  und  11.  Februar.  Unter  dem  Vorsitz  des 
Geh.  Rats  Prof.  Niemeyer  tagt  in  Berlin  eine  inter- 
nationale juristische  Konferenz. 

14.  Februar.  Biervorragende  Amerikaner  wider- 
setzen sich  der  Idee  einer  Intervention  der 
Vereinigten  Staaten  in  Mexiko  und  verlangen 
Bildung  einer  gemischten  Kommission  von  Gelehrten 
und  Staatsmännern  der  Vereinigten  Staaten  wie  der 
amerikanischen  Republiken  zwecks  friedlicher  Beilegung 
der  mexikanischen  Wirren. 

15.  Februar.  Der  1908  zwischen  Frankreich  und 
denVereinigten  Staaten  abgeschlossene  Schiedsvertrag 
wird  in  Washington  um  fünf  Jahre  verlängert. 

16.  Februar.  Die  russische  Duma  nimmt  ein 
Gesetz  zur  Vermehrung  der  Rüstungen  an  und 
drückt  den  Wunsch  nach  weiterer  Vervollkommnung 
der  Landesverteidigung  aus. 

Mitte  Februar.  Der  hervorragende  französische 
Pazifist  Prof.  Ruyssen  in  Bordeaux  wird  nach  der 
Rückkehr  von  seiner  Vortragstournee  aus  Deutschland 
von  chauvinistischen  Studenten  attackiert. 

Mitte  Februar.  Ankündigung  einer  neuen  grossen 
Heeresvermehrung  in  Deutschland.  Eine  Mil- 
liarde einmalige  Kosten.  Aufbringung  durch  eine 
Vermögensabgabe. 

Mitte  Februar.  Angesichts  der  angekündigten 
Heeresvermehrung  in  Deutschland  werden  in  Frank- 
reich   neue   Rüstungskredite    in   der  Höhe  von 


500  Millionen  und  die  Wiedereinführung  der  drei- 
jährigen Dienstzeit  angeJcündigt. 

Mitte  JBebruar.  Im  Wiener  Deutschen  Klub  hält 
der  ehemalige  Reichskommissar  für  Ostafrika,  Dr.  Karl 
Peters,  einen  Vortrag  über  „die  Zukunft  Europas", 
worin  er  für  einen  wirtschaftlichen  und  poli- 
tischen Zusammenschluss  Europas  eintritt. 

Mitte  Februar.  DieGrossmächte  bieten  Rumänien 
und  Bulgarien  die  Vermittlung  auf  Grund  der 
Haager  Abmachungen  an. 

19.  Februar.  Nordböhmische  Industrielle 
richten  an  den  österreichischen  Handelsminister  eine 
Petition,  toorin  sie  auf  die  durch  die  Kriegskrisis 
geschaffene  Notlagehinweisen,  „die  selbst  im  Kriegs- 
jahr 1866  nicht  so  schlimm  war". 

20.  Februar.  In  der  belgischen  Kammer 
werden  neue  Vermehrungen  des  Heeres,  Ausbau 
der  Festungen  und  Verlängerung  der  Dienstzeit  an- 
gekündigt. 

20.  Februar.  Poincare  tritt  die  Präsident- 
schaft an. 

21.  Februar.  Eine  Deputation  von  Bürger- 
meistern galizischer  Städte  bittet  den  öster- 
reichischen Ministerpräsidenten  um  Abhilfe  gegen 
die  durch  die  Mobilisierung  und  die  Kriegs, 
krise  in  Galizien  herrschende  Hungersnot. 

22.  Februar.  Der  italienische  Minister  des  Aeusseren, 
Marchese  di  San  Giuliano,  spricht  im  italienischen 
Parlament  über  die  Weltlage.  Seit  43  Jahren  keinen 
Krieg  zwischen  europäischen  Mächten.  Bei  allen 
Regierungen  starkes  Gefühl  der  Verantwortlichkeit. 

25.  Februar.  Das  dänische  Königspaar  in 
Berlin. 

25.  Februar.  Das  amerikanische  Repräsentanten- 
haus lehnt  die  Regierungsvorlage  für  den  Bau 
von  zwei  Schlachtschi ffen  ab  und  bewilligt  mit 
194  gegen  133  nur  eines. 

27.  Februar.  In  Rom  starb  im  73.  Lebensjahr 
Graf  An  gel  o  von  Gubematis. 

1.  März.  Die  deutschen  und  die  französischen 
sozialdemokratischen  Parteien  erlassen  gemein- 
sam einen  Protest  gegen  die  neuen  Rüstungs- 
vermehrungen. 

Anfang  März.  In  Oesterreich-TJngarn  icird 
eine  neue  Heeresvermehrung  von  50  000  Mann 
angekündigt. 

3.  März.  Bryan,  der  neue  Staatssekretär  der 
Vereinigten  Staaten,  hielt  in  Raleigh  (Nordcarolina) 
eine  bedeutende  Friedensrede.  Amerika  müsse  in 
der  Abrüstung  ein  glänzendes  Beispiel  geben, 
um  auf  jede  mögliche  Weise  für  den  Fortschritt  des 
Friedens  zusammenzuwirken. 

4.  März.  Der  neue  Präsident  der  Vereinigten 
Staaten,  Woodrow  Wilson,  tritt  sein  Amt  an. 

6.  März.  Präsident  Woodrow  Wilson  über- 
nimmt das  Ehrenprotektorat  des  amerikanischen 
Nationalrats  für  Frieden  und  Schiedsgericht- 
Wilsons  erste  Handlung  als  Präsident. 


107 


DIE  FBlEDENS-^ößTE 


3 


DAUS  DER  ZEITQ 

Völkerrecht. 

Vorbereitung  der  III.  Haager  Konferenz. :: 

In  England  hat  sich  auf  eine  Anregung  hin, 
die  der  vorjährige  National-Friedenskongreß  ge- 
geben hat,  ein  Komitee  gebildet,  das  sich  durch 
eine  Anzahl  hervorragender  Juristen,  National- 
ökonomen, Kaufleute  und  andere  Berufsange- 
hörige ergänzen  will  und  sich  die  Aufgabe 
stellt,  der  dritten  Haager  Konferenz 
vorzuarbeiten.  Der  frühere  Lordkanzler, 
der  Earl  of  Lorburne,  hat  den  Vorsitz 
übernommen.  Außerdem  haben  nachstehende 
Persönlichkeiten  ihren  Beitritt  gemeldet:  Lord 
Avebury,  Lady  Byles,  Noel  Buxton, 
Lord  Courteney  of  Pennwith,  W.  H. 
Dickinson,  Gordon  Harvey,  F.  W» 
Hirst,  Carl  Heath,  T.  J.  Lawrence, 
Sir  John  Mac donell,  Gr.  H.  Perris,  Lord 
Shaw  of  Dunfermline,  Norman  An- 
gell und  Sir  George  Paish. 

Dieses  von  England  gegebene  Beispiel  sollte 
auch  in  Deutschland  und  Oesterreich-Ungarn 
nachgeahmt  werden.  Vielleicht  wird  man  es 
hier  als  einen  Widerspruch  ansehen,  zu  einer 
Zeit,  wo  vor  Adrianopel  und  Skutari  die  Be- 
lagerungsgeschütze reden  und  ganz  Europa  von 
einer  Woge  des  Militarismus  beunruhigt  wird, 
von  der  dritten  Haager  Konferenz  zu  sprechen. 
Bekämpfen  wir  mit  dem  stärksten 
Nachdruck  diese  Anschauung.  Jetzt 
an  das  Haager  Werk  zu  denken,  ist 
im  höchsten  Maße  zeitgemäß.  Der 
Krieg  da  unten  ist  der  Anachronismus;  nicht 
die  Konferenz  vom  Haag. 

Rüstungsproblem. 

Die  Rüstungsbeschränkung  in  den  Vereinigten  Staaten. 

Wie  im  Vorjahre  hat  das  Repräsentanten- 
haus auch  in  diesem  Jahre  (25.  Februar)  statt 
der  von  der  Regierung  geforderten  zwei  Schlacht- 
schiffe mit  194  gegen  133  Stimmen  nur  eins 
bewilligt.  Die  Flottenliga  hat  sogar  für  drei 
Schiffe  Stimmung  gemacht,  konnte  aber  gegen- 
über der  machtvoll  organisierten  pazifistischen 
Propaganda    nicht    obsiegen. 

O0Sf 

Gemeinsame  Kundgebung  der  deutschen  und  fran- 
zösischen Sozialdemokratie  gegen   die  Rüstungen. 

Am  1.  März  erließen  die  Sozialdemokraten 
Frankreichs  und  Deutschlands  eine  gemeinsame 
Kundgebung.  Diese  war  von  den  Parteivor- 
ständen und  den  sozialistischen  Abgeordneten 
beider  Länder  unterzeichnet.  Der  Wortlaut  sei 
hier  festgehalten: 

„In  Deutschland  und  in  Frankreich  bereiten 
die  Regierungen  wiederum  Gesetzentwürfe  vor, 
durch  welche  die  ungeheuren  militärischen 
Lasten  noch  weiter  gesteigert  werden.  In  dieser 
Stunde  erachten  es  die  französische  und  die 
deutsche  Sozialdemokratie  als  ihre  Pflicht,  eich 
noch   enger   aneinanderzuschließen,   um   vereint 


den  Kampf  zu  führen  gegen  dieses  an  Wahnsinn 
grenzende  Treiben  der  regierenden  Klassen. 

Die  französische  und  die  deutsche  Sozial- 
demokratie erheben  einmütig  und  einstimmig 
Protest  gegen  die  unaufhörlichen  Rüstungen, 
die  die  Völker  erschöpfen,  sie  zur  Vernach- 
lässigung der  wichtigsten  Kulturaufgaben 
zwingen,  das  gegenseitige  Mißtrauen  steigern, 
und  statt  den  Frieden  zu  sichern,  Konflikte 
heraufbeschwören,  die  zu  einer  Weltkatastrophe 
führen  mit  Massenelend  und  Massenvernichtung 
im  Gefolge. 

Die  Sozialdemokratie  beider  Länder  darf 
sich  mit  Recht  als  Wortführerin  des  deutschen 
wie  des  französischen  Volkes  betrachten,  wenn 
sie  erklärt,  daß  die  Volksmassen  mit  über- 
wältigender Mehrheit  den  Frieden  wollen  und 
den  Krieg  verabscheuen.  Die  herrschenden 
Klassen  hüben  und  drüben  sind  es,  die  die 
nationalen  Gegensätze,  statt  sie  zu  bekämpfen, 
künstlich  verschärfen,  die  gegenseitige  Feind- 
seligkeit schüren  und  dadurch  die  Völker  von 
ihren  Kulturbestrebungen  und  ihrem  Befreiungs- 
kampf im  Innern  ablenken. 

Um  den  Frieden,  die  Unabhängigkeit  der 
Völker  und  den  Fortschritt  der  Demokratie  auf 
allen  Gebieten  in  beiden  Staaten  zu  sichern, 
fordert  die  Sozialdemokratie,  daß  alle  Streitig- 
keiten zwischen  den  Völkern  schiedsgerichtlich 
geschlichtet  werden;  sie  empfindet  die  Ent- 
scheidungen auf  dem  Wege  der  Gewalt  als 
Barbarei  und   Schande  für  die  Menschheit. 

Sie  fordert  weiter  die  Beseitigung  des  ste- 
henden Heeres,  das  eine  stete  Bedrohung  der 
Nationen  bildet  und  an  dessen  Stelle  die  Ein- 
führung einer  Volkswehr  auf  demokratischer 
Grundlage,  die  nur  der  Landesverteidigung  zu 
dienen  hat. 

Wenn  aber  trotz  ihres  entschlossenen 
Widerstandes  den  Völkern  neue  militärische 
Ausgaben  auferlegt  werden,  so  wird  die  Sozial- 
demokratie beider  Länder  mit  aller  Energie  da- 
für kämpfen,  daß  die  finanziellen  Lasten  auf 
die  Schultern  der  Wohlhabenden  und  Reichen 
abgewälzt  werden. 

Die  Sozialdemokratie  in  Deutschland  und 
in  Frankreich  hat  schon  in  der  Vergangenheit 
durch  ihre  Haltung  das  perfide  Doppelspiel  der 
Chauvinisten  und  Rüstungsinteressenten  in 
beiden  Ländern  entlarvt,  die  in  Frankreich  die 
Begünstigung  des  Militarismus  durch  die  deut- 
sche Sozialdemokratie  und  in  Deutschland  die 
Begünstigung  des  Militarismus  durch  die  fran- 
zösischen Sozialisten  dem  Volke  vorspiegeln. 
Die  gemeinsame  Bekämpfung  des  Chauvinismus, 
hüben  und  drüben,  das  gemeinsame  Eintreten 
für  ein  friedliches  und  freundschaftliches  Zu- 
sammengehen muß  dieser  dreisten  Irreführung 
der  Völker  ein  Ende  bereiten. 

Derselbe  Ruf  gegen  den  Krieg,  dieselbe 
Verurteilung  des  bewaffneten  Friedens  hallt  in 
beiden  Ländern  wider.  Unter  der  Fahne  der 
Internationale,  die  die  Freiheit  und  Unabhängig- 
keit jeder  Nation  zur  Voraussetzung  hat,  werden 
die  deutschen  und  französischen  Sozialisten  mit 


108 


@5 


E  DIE  Fßi EDENS -WABTE 


steigender  Kraft  den  Kampf  fortführen  gegen 
den  unersättlichen  Militarismus,  gegen  den 
lä-nderverwüstenden  Krieg,  für  den  dauernden 
Völkerfrieden." 


Verschiedenes, 

Norman   Angeiis    Propaganda 
in  deutschen  Studentenkreisen. 

Bekanntlich  hat  kürzlich  die  Göttinger 
Studentenschaft  in  einer  großen  Versammlung 
gegen  Norman  Angells  Propaganda  in  deutschen 
.Studentenkreisen  protestiert.  Da  auch  ein  be- 
kannter Führer  der  deutschen  Burschenschaft, 
der  Bonner  Alemanne  Assessor  Stahl, 
gegen  Angell  sprach,  so  hat  die  deutsche 
Burschenschaft  hier  ebenso  gegen  die  Friedens- 
iclee   Partei    ergriffen,   wie   kürzlich    in   Gießen. 

Ich  kann  nun,  ohne  mich  hier  auf  Details 
einzulassen,  erklären,  daß  diese  Vorgänge  in 
letztem  Ende  nur  dazu  beitragen  werden,  der 
seit  Jahren  in  burschenschaftlichen  Kreisen  für 
die  Friedensbewegung  betriebene  Propaganda 
neue  Anknüpfungspunkte  zu  geben.  Z.  B.  war 
der  Protest  der  Gießener  Biirschenschaft  und 
ein  darauf  folgender  Briefwechsel  meinerseits 
mit  der  Gießener  Burschenschaft  der  Anlaß, 
daß  sich  ein  Mitglied  der  Gießener  und  Berliner 
Burschenschaft  bereit  erklärten,  in  den  näch- 
sten Semestern  Vorträge  über  die 
Friedensbewegung  in  d e  n B  u r  s c h e  n - 
kränzchen  zu  halten.  Wenn  es  mir  ge- 
lingt, einige  wenige  jüngere  Burschenschafter 
für  die  Friedensidee  zu  begeistern,  so  ist  damit 
ein  gewaltiger  Schritt  vorwärts  getan.  Denn 
niemand,  der  die  Verhältnisse  kennt,  darf  dar- 
über im  Zweifel  sein,  daß  die  Durchdringung 
der  Korporationen  mit  pazifistischem  Geiste 
praktisch  bedeutsamer  ist,  als  die  Propaganda 
in   freistudentischen    Kreisen. 

Auf  einen  Punkt  möchte  ich  aber  hier  auf- 
merksam machen,  nämlich  die  große  Gefahr, 
die  in  der  Propaganda,  der  Friedensidee  auf 
den  deutschen  Universitäten  durch  Ausländer 
liegt.  Man  vergegenwärtige  sich  die  gewaltige 
Bedeutung,  die  die  Ausländerfrage  auf  allen 
Universitäten  einnimmt,  und  prüfe  jetzt,  ob  es 
richtig  ist,  wenn  gerade  Ausländer,  mögen  sie 
noch  so  verdient  sein,  die  Propaganda  unserer 
Idee  auf  den  Universitäten  in  die  Hand  nehmen, 
und  dadurch  veranlassen,  daß  die  Auslän- 
derfrage mit  der  Friedensfrage 
verquickt  wird.  Nicht  nur  aus  meiner 
Korrespondenz  mit  der  Gießener  Burschen- 
schaft, auch  aus  anderen  Quellen  bin  ich  darüber 
genug  orientiert,  um  sagen  zu  können:  Wenn  wir 
die  Friedens  idee  s  o  propagieren,  werden  wir  den 
chauvinisti sehen  Geist  nur  stärken.  Niemand, 
der  nicht  selbst  Korporationsstudent  gewesen 
ist,  macht  sich  einen  Begriff  von  den  geradezu 
ersehreckenden  Vorurteilen,  die  gegenüber  der 
Friedens  idee    in   den   Korporationen   herrschen. 

Die  internationalen  Studentenvereine  sind 
sehr  wertvoll ;  aber  gerade  in  den  Korporationen 


werden  sie  unmöglich  die  Friedensidee  mit  Er- 
folg verbreiten  können.  Wir  müssen  vielmehr 
versuchen,  langsam  einzelne  Mitglieder  der  Kor- 
porationen dafür  zu  gewinnen,  daß  sie  ihrer- 
seits unsere  Idee  verbreiten. 

Uebrigens  hat  kürzlich  ein  Artikel  der  Zeit- 
schrift des  „Allgemeinen  deutschen  Burschen- 
bundes", eines  ganz  kleinen  Bundes,  gegen  den 
Verband  für  internationale  Verständigung  Stel- 
lung genommen.  Aber  die  Tatsache,  daß  der 
Begründer  dieses  Verbandes,  Geheimer  Sanitäts- 
rat Dr.  Küster  (Berlin)  durchaus  auf  pazi- 
fistischem Boden  steht  (vgl.  seinen  Aufsatz  in 
Nr.  8  des  Jahrgangs  1912  der  Fr.-W.),  sollte 
diesen  Gegnern  zu  denken  geben. 

Dr.   Hans   Wehberg. 

Zu  diesen  Ausführungen  erscheinen  uns 
einige   Bemerkungen  nicht  unangebracht. 

Die  „Ausländer",  die  an  deutschen  Univer- 
sitäten und  in  anderen  Versammlungen  in  letzter 
Zeit  über  das  Friedensproblem  gesprochen 
haben,  sind  nicht  als  Emissäre  anzusehen,  die 
von  anderen  Nationen  nach  Deutschland  ge- 
sandt wurden,  um  gerade  die  Deutschen  zur 
Friedensidee  zu  bekehren.  Es  sind  dies  viel- 
mehr durchwegs  Männer,  die  in  ihrer  Heimat 
in  großzügiger  Weise  und  unter  Einsetzung  ihrer 
ganzen  Lebenstätigkeit  für  die  Friedensidee  be- 
reits gearbeitet  haben,  die  dort  für  die  Völker- 
verständigung und  Aufklärung  so  wirken,  wie 
die  deutschen  Pazifisten  dies  in  Deutschland 
tun.  Wenn  sie  nun  nach  Deutschland  kommen, 
so  taten  sie  es  nicht  aus  dem  Bestreben,  jetzt 
ihre  Propaganda  auf  Deutschland  auszudehnen. 
Sie  wissen  ganz  genau,  daß  dies  nicht  ihres 
Amtes  ist.  Sie  kamen  lediglich  von  deut- 
schen Anhängern  der  Friedensidee 
g  e  iui  f  e  n ,  die  ihren  Landsleuten  zeigen  wollen, 
daß  es  auch  jenseits  der  Grenzpfähle  gleich- 
strebende Gesinnungsgenossen  gibt.  Die  Aus- 
länder sind  da  mehr  Objekte  der  Friedens- 
propaganda, denn  Subjekte.  Wenn  die  deutschen 
Pazifisten  solche  angesehene  Pazifisten  des  Aus- 
landes nach  Deutschland  rufen,  so  ist  es  nur 
ihr  gutes  Eecht;  denn  die  Gegenpropaganda 
täuscht  das  Volk,  indem  es  ihm  immer  nur 
von  jenen  ausländischen  Agitatoren  erzählt, 
die  chauvinistisch,  kriegerisch  und  antideutsch 
wirken. 

In  dieser  Täuschung  liegt  aber  eine  große 
Gefahr.  Es  soll  nun  den  Deutschen  gezeigt 
werden,  daß  nicht  alle  Ausländer  Hetzer  und 
Kriegsschürer  sind,  ebenso  wie  die  Franzosen 
und  Engländer  und  Amerikaner  stets  mit 
größtem  Wohlwollen  deutschen  Pazifisten  in 
ihren  Ländern  das  Wort  erteilen,  damit  auch 
ihre  Landsleute  von  dem  einseitigen  Vorurteil 
über  die  Deutschen  geheilt  werden.  Die  Ab- 
lehnung von  Männern  wie  Norman  Angell, 
Kuyssen  und  Riquiez  durch  einzelne  nationale 
Gruppen  und  Zeitungen  ist  nur  unter  voller 
Vei-kennung  der  eigentlichen  patriotischen  Ten- 
denz des  Auftretens  dieser  Männer  in  Deutsch- 
land möglich  gewesen,  das'  vom  nationalen  Ge- 
sichtspunkte nicht  anders  beurteilt  werden  darf, 


10t 


DIE  FBlEDENS-^ößTE 


3 


wie  das  durch  das  Austauschwesen  geförderte 
Auftreten  ausländischer  Gelehrter  an  deutschen 
Universitäten. 

Was  die  Aufgabe  der  Internationalen  Stu- 
dentenvereinigungen anbelangt,  so  liegt  es  diesen 
fern,  direkte  Friedenspropaganda  zu  treiben. 
Sie  wollen  lediglich  da«  Verständnis  der  in 
Deutschland  studierenden  Ausländer  für  das 
Deutschtum,  das  der  Deutschen  für  die  Aus- 
länder erwecken.  Und  dieses  Verständnis  ist 
notwendig,  denn  mit  grundsätzlicher  Fremden- 
feindlichkeit, die  heute  nicht  einmal  mehr  in 
Korea  oder  Tibet  Anklang  findet,  kann  ein 
Kulturvolk  im  Wettbewerb  der  Weltwirtschaft, 
der  Weltwissenschaft  und  der  Weltpolitik 
nicht  mehr  bestehen.  Diese  Vereinigungen 
sollten  daher  von  jedem  guten  und  weitschauen- 
den Deutschen  als  dem  Vaterlande  nützliche 
Unternehmungen  ebenso  unterstützt  werden,  wie 
die  großen  Friedensvorkämpfer  des  Auslandes  als 
Schätzer  des  Deutschtums  und  seiner  Bedeu- 
timg freudig  begrüßt  werden  sollten.       Fr.-W. 


Des  „ausländischen"  Pazifisten  Heimkehr. :: 

Als  kennzeichnend  für  den  falschen  Stand- 
punkt, den  die  deutschen  Nationalisten  aus- 
ländischen Pazifisten  gegenüber  einnehmen, 
können  die  Angriffe  dienen,  die  unserem  fran- 
zösischen Kollegen,  Prof.  R  u  y  s  s  e ■  n  ,  nach 
seiner  Rückkehr  aus  Deutschland  von  Seiten 
französischer    Nationalisten    zuteil    wurden. 

Unser  Mitarbeiter,  Herr  Edmond  D  u  - 
meril-Hallberger,   schreibt  uns  darüber: 

„Den  Lesern  der  Friedens- Warte  ist  es  nicht 
unbekannt,  daß  Prof.  Ruyssen  aus  Bordeaux 
mit  Prof.  P  i  1  o  t  y  in  Elsaß-Lothringen  mehrere 
Vorträge  gehalten  hat.  Die  Redner  konnten 
sich  überall,  in  Kolmar,  in  Mühlhausen,  in 
Straßburg,  eines  sehr  bedeutenden  Erfolges  er- 
freuen, indem  die  Bevölkerung  Elsaß-Loth- 
ringens noch  einmal  bewies,  daß  sie  auf  die 
Macht  des  Rechts  allein  rechnet,  um  ihre  Lage 
allmählich  zu  verbessern. 

Dies  ist  aber  den  französischen  nationali- 
stischen Agitatoren  nicht  gerade  recht,  da  sie 
die  armen  Elsässer  stets  zu  Zwecken  der 
inneren  Politik  brauchen.  Daher  wurde  Herr 
Prof.  Ruyssen  in  ihren  Zeitungen  aufs  hef- 
tigste angegriffen  —  trotz  des  Beifalls,  den  er 
sogar  bei  dem  französischen  „ J  o  u  r  n  a  1  d'A  1  - 
s  a  c  e"  gefunden  hatte !  —  In  einem  Artikel  über 
„le  scandale  Ruyssen",  drückt  sich  das  Jingo- 
blatt  „l'Action  Francaise"  folgendermaßen  aus: 
„Herr  Ruyssen,  obgleich  er  nur  ein  , Halbfran- 
zose' (!)  ist,  war  der  Repräsentant  Frankreichs 
in  diesem  rührenden  Bund  (mit  Herrn  Prof. 
Piloty).  Der  Spaß  aber  schien  den  Elsässem 
eher  seltsam.:  sie  fanden  es  wunderbar,  daß 
ein  Franzose,  ein  Universitätsprofessor,  sich  mit 
einem  deutschen  Professor  zeigte  (I)  und  mit 
ihm  gemeinschaftlich  daran  arbeitete,  den  Pazi- 
fismus der  unglücklichen  Bevölkerung  zu  pre- 
digen": ..    usw.     (Nummer  vom    12.    Februar.) 


Nicht  nur.  daß  Herr  Ruyssen  öffentlich 
angegriffen  wurde,  diese  Blätter  verlangten  vom 
Ministerium  (!)  eine  Bestrafung,  und  da  sie 
natürlich  wohl  wußten,  daß  dieselbe  ausbleiben 
würde,  so  schickten  sie  einen  Aufruf  an  die 
royalistischen  Studenten  der  Universität  Bor- 
deaux, damit  sie  ihrem  wiederkehrenden  Do- 
zenten einen  „feierlichen"  Empfang  vorbe- 
reiteten. Diese  ergriffen  natürlich  mit  Freude 
die  Gelegenheit,  etwas  Spektakel  zu  machen, 
und  die  öffentliche  Vorlesung  des  Herrn  Ruyssen 
am  10.  Februar  konnte  nicht  stattfinden  Man 
pfiff,  man  schrie  „Sie  sind  kein  Patriot!"  usw. 
Der  Dekan  erschien  vergebens  und  mußte  die 
Polizei  holen.  Mehrere  Führer  der  Bewegung 
wurden  arretiert.  Andere  erwarteten  den  Pro- 
fessor vor  dem  Tore  des  Gebäudes,  um  ihn  auf 
der   Straße   weiter   zu   beschimpfen. 

Hoffentlich  wird  die  akademische  Behörde 
energisch  einschreiten,  falls  solche  Angriffe  sich 
wiederholen.  —  Die  deutschen  Friedensfreunde 
aber  sollen  dem  Mann  doppelt  dankbar  sein, 
der  an  der  Annäherung  Frankreichs  und 
Deutschlands  auf  dem  Boden  des  Rechts  ar- 
beitet und  dabei  wegen  seiner  edlen  Friedens- 
liebe von  den  in  jedem  Land  tobenden  Nationa- 
listen verfolgt   wird. 

Mögen  sie  auch  daraus  wohl  einsehen,  was 
wir  Friedens  freunde  von  den  Roya listen  zu  er- 
warten haben  j"  , 

Sollten  diese  Ausschreitungen  von  Chau- 
vinisten unsere  deutschen  Studenten  nicht  stutzig 
machen,  und  sie  nicht  doch  zu  einer  Revision 
über  die  Friedensverträge  von  Ausländern  in 
Deutschland  veranlassen?  So  deutschfeindlich 
scheinen  doch  jene  Leute  nicht  zu  sein,  die 
von   französischen    Jingos   ausgepfiffen   werden. 


Militärische  Kriegshoffnungen.       ::  ::  ::  : 

In  amtlichen  militärischen  Erlassen  in 
Oesterreich-Ungarn  kamen  in  letzter  Zeit  die 
Hinweise  auf  einen  künftigen  Krieg,  die  Hoff- 
nungen auf  einen  solchen  in  unzweideutiger 
Weise  zum  Ausdruck.  An  einem  Schlachten- 
gedenktage des  Regiments  „Belgier"  entbot  der 
Kriegsminister  dem  Regiment  seinen  Gruß  und 
fügte  hinzu:  „Möge  der  Geist,  der  aus  solchen 
Traditionen  sprießt,  das  brave  Regiment  auch 
dann  beseelen,  wenn  die  Befehle  Sr.  Majestät 
die  Möglichkeit  bieten  werden,  zum  er- 
erbten Lorbeer  frischgrünenden  zu 
pflücke  n."  Die  Rede,  mit  der  Marinekom- 
mandant Montecucculi  am  16.  Februar 
seinen  Abgang  ankündigte,  enthält  ebenfalls 
solche  Andeutungen.  „Unsere  ganze  Flotte," 
so  heißt  es  da,  „steht  im  Dienst  und  kann 
binnen  kurzem  berufensein,  dem 
Feinde  zu  zeigen,  daß  sie  die  langen 
Friedensjahre  nicht  unbenutzt  verstreichen  ließ." 
Dann  weiter:  „Vor  kurzem  habe  ich  Ihnen  mit- 
geteilt, daß  ich  die  volle  Ueberzeugung  habe, 
die  Flotte  werde  unter  ihren  bewährten  Führern 
unserer  Flagge  neuen  Lorbeer  bringen. 
Mir   wird   es   leider   nicht   m  e  h  r  .  v  e  r  - 


110 


<§s 


DIE  FRIEDEN5-WAETE 


g  6  ri  nt  s  e  i  n  ,  A  n  t  e  i  1  d  a  r  a  n  zunehme  n." 
Wenn-  Monarchen  oder  Staatsmänner  vom  Kriege 
reden,  vergessen  sie  nie  hinzuzufügen:  „Was 
Gott    verhüten    möge." 


Ein  Künstler  gegen  den  Krieg.  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

Der  beka  nnte  Bildhauer  Professor 
Eberlein  in  Berlin  veröffentlicht  in  allen 
Zeitungen  einen  Aufruf  gegen  die  Schädigung 
der  Kunstdenkmäler  durch  den  Krieg.  „Blut 
und  Tränen,"  meint  er,  „werden  in  jedem  Krieg 
fließen.  Aber,"  so  fährt  er  fort,  „es  gibt  Schäden 
in  seinem  Gefolge,  die  nicht  unbedingt 
mit  seiner  Natur  verbunden  und  daher  v  e  r  - 
meidbar  sind.  Auch  den  begeisterten  Freund 
des  stolzen  (?)  Krieges  wird  Trauer  ergreifen, 
wenn  große,  herrliche,  schöpferische  Werke  des 
Künstlers  und  des  Gelehrten  in  Flammen  auf- 
gehen, wie  die  Alexaiidrinische  Bibliothek  oder 
das  Heidelberger  Schloß,  wenn  der  Parthenon- 
tempel oder  das  Grabmal  des  Hadrian  zerschmet- 
tert werden.  Der  Krieg  atmet  Kraft  und  Gewalt, 
er  ist  männer  mordend,  weil  er  sein 
muß  ( ! !).  Aber  die  Werke  des  schöpferischen 
Geistes  könnten  und  müßten  allezeit  auch  im 
Kriege,  als  heilig  und  der  ganzen 
Menschheit  gehörig  gelten,  also  unan- 
tastbar sein.  Hat  doch  die  „Genfer  Konvention" 
unnötige  Grausamkeiten  und  Kriegsgreuel  bei 
allen  Kulturvölkern  wider  alles  Erwarten  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  beseitigt!  Warum 
soll  nicht  eine  neue  „Konvention"  die  uner- 
setzlichen Werke  von  Kunst  und  Wissenschaft: 
Denkmäler,  künstlerische  Bauwerke,  Bilder- 
galerien, Bibliotheken,  Museen,  wissenschaft- 
liche Institute,  für  den  Kriegsfall  in  ihren 
mächtigen  Schutz  nehmen,  zum  Segen  der  Weltl 
Fern  von  jeder  Politik,  lediglich  als  Sach- 
walterin der  adligsten  Kultur,  soll  eine  Vereini- 
gung aller  Freunde  von  Kunst  und  Wissenschaft 
in  allen  Ländern,  besonders  in  Deutschland  und 
Frankreich,  als  den  Aroraussichtlichen  Vor- 
kämpfern eines  etwaigen  Zukunftskrieges,  in 
Wirksamkeit  treten !" 

Zunächst  sei  dem  um  unsere  Kultur  po 
besorgten  Professor  gesagt,  daß  es  eine  der- 
artige Abmachung  bereits  gibt. 
Artikel  27  des  Haager  Abkommens  zur  „Ord- 
nung der  Gesetze  und  Gebräuche  des  Land- 
krieges"  sagt : 

„Bei  Belagerungen  und  Beschießungen 
sollen  alle  erforderlichen  Vorkehrungen  ge- 
troffen werden,  um  die  dem  Gottesdienste, 
der  Kunst,  der  Wissenschaft  und 
der  Wohltätigkeit  gewidmeten  Gebäude,  die 
geschichtlichen  Denkmäler,  die 
Hospitäler  und  Sammelplätze  für  Kranke  und 
Verwundete  soviel  als  möglich  (I)  zu  schonen, 
.  vorausgesetzt,  daß  sie  nicht  gleichzeitig  zu 
einem  militärischen  Zwecke  Verwendung 
finden." 

Das  Kulturbewußtsein  unserer  Künstler, 
denen  die  Erhaltung  der  Steine  über  alles  geht, 


kann  sich  also  beruhigen.  Wenn  sie  bei  diesem 
entsetzlichen  Kriege,  wo  Frauen,  Greise  und 
Kinder  in  der  rohesten  Weise  niedergemetzelt 
wurden,  die  Berichterstattung  von  lebendig  Be- 
grabenen und  Verbrannten,  von  Geschändeten 
und  Verstümmelten  meldet,  von  Cholerakranken, 
die  mit  den  Leichen  gleichzeitig  aus  dem  fahren- 
den Eisenbahnzuge  auf  den  Bahndamm  geworfen 
wurden,  von  Tausenden,  die  von  der  Cholera 
und  dem  Typhus  hinweggerafft  wurden,  von 
Zehntausenden,  die  zu  Krüppeln  geschossen 
wurden  oder  unter  entsetzlichen  Qualen  unter 
der  genialen  Wirkung  der  Maschinengewehre  ihr 
Leben  aushauchten,  wenn  sie  da  an  nichts  an- 
deres zu  denken  haben,  als  an  die  Erhaltung* 
der  geschichtlichen  Denkmäler,  so  zeigt  dies  nur, 
wie  weltfremd  sie  dem  größten  Problem  unserer 
Zeit  gegenüberstehen,  und  wie  sie  vor  lauter 
Kunstinteresse  das  Interesse  für  die  Menschheit 
verloren  haben  Vielleicht  liest  Herr  Professor 
Eberlein  Joseph  Poppers  (Lynkeus)  Buch 
über  „Das  Individtium  und  die  Be- 
wertung menschlicher  Existenze  n.'* 


Kleine  Mitteilungen.  ::  :'.   :: 

Gräfin  Hedwig  Pötting,  Stiftsdame  und  Vor- 
standsmitglied der  österreichischen  Friedens- 
gesellschaft, feiert  am  23.  März  ihren  60.  Ge- 
burtstag. Sie  ist  seit  vielen  Jahren  mit  der 
Baronin  Suttner  auf  das  innigste  befreundet 
und  deren  Helferin  und  Beraterin.  Sie  hat  den 
Roman  „Die  Waffen  nieder!"  für  die  Jugend 
bearbeitet  und  sich  auch  sonst  schriftstellerisch 
betätigt.  Ihr  überaus  sympathisches  Wesen, 
ihre  edle  Hingabe  für  alles  Gute  und  ihr  freudig 
bewegtes  Vorwärtsempfinden  haben  einen  großen 
Kreis  aufrichtiger  Freunde  um  sie  -geschart,, 
die  sie  zu  ihrem  60.  Geburtstage  alle  auf  das 
herzlichste  begrüßen  werden.  —  E.  T.  Moneta 
und  Fred.  Bajer  mußten  sich  beide  in  den  letzten 
Wochen  Operationen  unterziehen,  die  von  un- 
seren greisen  Freunden  glücklich  überstanden 
wurden.  —  Geheimrat  Prof.  Kohler  in  •  Berlin 
geriet  unter  einen  Autoomnibus,  kam  aber  mit 
geringen  Verletzungen  davon,  von  denen  er  sich 
bereits  wieder  erholt  hat.  —  Am  27.  Februar 
starb  zu  Rom  im  73.  Lebensjahre  Graf  Angelo 
de  Gubernatis.  Auf  dem  Stockholmer  Friedens- 
kongreß des  Jahres  1910  sahen  wir  ihn  an  der 
Spitze  der  italienischen  Delegation  feurig  für 
unsere  Ideen  eintreten.  Damals  überbrachte  er 
die  Einladung  zu  jener  Kongreßtagung  in 
Rom,  die  aus  bekannten  Gründen  vereitelt 
wurde.  Gubernatis  sollte  diesem  Kongreß  präsi- 
dieren Er  traf  auch  alle  Vorbereitungen  und 
arrangierte  gleichzeitig  in  der  Engelsburg  die 
„Ausstellung  des  Friedens".  Die  Vereitelung 
des  Römischen  Kongresses  durch  die  Cholera 
war  ein  glücklicher  Zufall,  der  uns  und  den 
Veranstaltern  manche  peinliche  Szene  erspart 
hat.  Die  Haltung,  die  de  Gubernatis  mit  einem 
Teile  seiner  italienischen  Gesinnungsgenossen 
während  des  Tripoliskrieges  einnahm,  trennte 
ihn  von  uns  und  veranlaßt«  ihn  auch,  aus  dem 


111 


DIE  FRIEDENS -^/AßTE 


3 


Berner  Bureau  zu  scheiden.  Der  Tod  hat  ihn 
daran  gehindert,  die  Annäherung  mit  den  alten 
Mitkämpfern  wieder  herbeizuführen.  Wir  werden 
sein  Andenken  nichtsdestoweniger  in  Ehren 
halten.  Er  war  ein  großer  Gelehrter,  der  im 
öffentlichen  Leben  seines  Landes  eine  ange- 
sehene Stellung  einnahm.  —  In  das  holländische 
Komitee  zur  Vorbereitung  der  dritten  Haager 
Friedengkonferenz  ist  an  Stelle  des  verstorbenen 
Generals  den  Beer  Poortugael  der  Generalmajor 
H.  L.  van  Oordt  gewählt  worden,  der  die 
Niederlande  bereits  auf  der  zweiten  Haager 
Konferenz  als  technischer  Delegierter  vertreten 
hat.  —  In  Meran  starb  Ende  Februar  der  rhei- 
nische Großindustrielle  Gustav  H.  Mttller-Abeken, 
der  seinen  Wohnsitz  im  Haag  hatte  und  General- 
konsul von  Rumänien  war.  Er  war  einer  der 
ersten  Industriellen,  die  dem  Verbände  für  inter- 
nationale Verständigung  beitraten.  Während  der 
Marokkokrise  trat  er  dafür  ein,  daß  die  inter- 
nationalen Verträge  gehalten  werden.  —  Der 
frühere  großbritannische  Gesandte  in  Washing- 
ton, James  Bryce,  ist  an  Stelle  des  Sir  Edward 
Fry  zum  Mitglied  des  Haager  Hofes  bestellt 
worden.  —  Mr.  Heiiry  Lorenzo  Yanes,  der  kürz- 
lich zum  Chef  der  lateinisch-amerikanischen 
Abteilung  des  Staatsdepartements  ernannt 
wurde,  ist  vom  Präsidenten  Taft  zum  Schieds- 
richter in  dem  Streit  zwischen  der  Regierung 
von  Ecuador  und  der  Guyaquil  &  Quito-Eisen- 
bahn ernannt  worden.  Die  Regierung  von  Ecua- 
dor ernannte  den  Präsidenten  des  Senats,  Dr. 
Alfred o  Baqurizo  Moreno.  —  Dr.  Karl 
Peters,  der  frühere  Reicliskommissar  von 
Deutsch-Ostafrika,  hielt  Ende  Februar  im  Deut- 
schen Klub  in  Wien  einen  Vortrag  über  „Die 
Zukunft  Europas",  in  dem  er  für  einen  födera- 
tiven Zusammenschluß  der  europäischen  Staaten 
eintrat. 


AVS  DER  BEWEGUNG 

Kcmgreß-Kalendarium.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 
14.  März;  Sitzung  der  Kommission  des  Int. 
Friedens-Bureaus    in   B  e  r  n. 

18.  März:  Sitzung  des  Interparlamentari- 
schen Rates  in  Brüssel. 

1. — 3.  Mai:  IV.  amerikanischer  National- 
friedenskongreß in  St.  Louis. 

11.— 12.  Mai:  VIII.  französischer  National- 
friedenskongreß  in   Paris. 

14.— 16.  Mai:  XIX.  Lake  -  Mohonk  -  Kon- 
ferenz. 

II. — 13.  Mai:  II.  Verbandstag  des  Verbandes 
der  Internationalen  Studentenvereine  Deutsch- 
lands in  Leipzig. 

10. — 13.  Juni :  IX.  englischer  National- 
friedenskongreß in  L  e  e  d  s. 

19.— 21.  August:  VIII.  Deutscher  Espe- 
rantokongreß    in    Stuttgart. 

29.  August:  Einweihung  des  Friedens- 
palastes  im  Haag. 


August :  XX.  Weltfriedenskongreß  im  Haag. 

29.  Aug.  bis  13.  Sept.:  VIII.  Weltkongreß 
der  Studentenverbände  (Corda  Fratrea)  in 
Ithaca,  New  York. 

29. — 31.  August:  IX.  Internationaler  Espe- 
rantokongreß in  B  e  r  n. 

22.  September:  XXVIII.  Konferenz  der  Int. 
Law    Association   in  Madrid. 

September:  XVIII.  Interparlamentarische 
Konferenz    im    Haag. 

m 

Von  der  Feldhaus-Tournee.  ::   ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

Am  4.  Februar  sprach  Feld  haus  ge- 
meinsam mit  Professor  Ruyssen  aus  Bordeaux 
in  Mühlhausen  i.  Eis.  unter  dem  Vorsitz  des 
Landtagsabgeordneten  Eduard  Drumm  über 
„Der  Krieg  und  die  Zivilisation".  Von  dem 
600.  Jubiläumsvortrag  von  R„  Feldhaus  ist  zu 
berichten,  daß  an  diesem  Abend  der  große  Saal 
des  Bürgermuseums  in  Stuttgart  bis  auf  den 
letzten  Platz  gefüllt  war.  Die  Ausführungen  zu 
dem  Thema:  „Die  Lehren  des  Balkankrieges", 
erläutert  durch  viele  Lichtbilder  vom  Kriegs- 
schauplatz, erweckten  viel  Interesse.  Der 
Redner  war  Gegenstand  vieler  Ovationen  und 
wurde  zum  Schluß  durch  Ueberreichung  eines 
Riesenlorbeerkranzes  im  Namen  der  Deutschen 
Friedens-Gesellschaft   ausgezeichnet. 

Anfangs  März  sprach  Feldhaus  am  Rhein: 
In  Köln  vor  1400  Hörern)  in  Düsseldorf  vor  900. 
Sein  Thema  lautete  da:  „Rüstungswahn  — 
Staatsbankerott  —  Balkankrieg".  Er  sprach 
außerdem  noch  in  Basel  und  Darmstadt 
vor  überfüllten  Sälen.  Nach  Ostern  begibt  er 
sich  zu  einer  neuen  Tournee  naoh  dem  Ober- 
rhein. 

MB 

Studienreise  nach  den  Vereinigten  Staaten.  ::       ::  :: 

Anläßlich  des  vom  Internationalen  Stu- 
denten-Bund, Corda.  Fratres,  einberufenen  Stu- 
denten-Kongresses in  Ithaka  (New 
York)  Anfang  September  veranstaltet  die  Deut- 
sche Freie  Studentenschaft  in  Verbindung  mit 
dem  Verband  Internationaler  Studentenvereine, 
dem  Akademischen  Freibund,  der  Deutschen 
Akademischen  Freischar  und  dem  Deutschen 
Bund  abstinenter  Studenten  eine  Studienreise 
nach  den  Vereinigten  Staaten,  über  die  nach- 
stehende Einzelheiten   bekanntgegeben  werden: 

Ueberfahrt:  Anfang  August.  Abfahrt 
von  Europa.  Anfang  August,  und  zwar  von  Liver- 
pool mit  einem  amerikanischen  Dampfer.  Die 
Teilnehmer  können  sich  dann  ohne  große  Sonder- 
kosten einige  Tage  in  England  aufhalten  und 
gewöhnen  sich  auf  dem  Schiffe  schon  an  ame- 
rikanische Speise  und  Sprache.  Der  Dampfer 
führt  nur  eine  Klasse  Fahrgäste.  Während  der 
Ueberfahrt  (etwa  10  Tage)  werden  einige  ein- 
führende Vorträge,  teils  deutsch,  teils  englisch 
gehalten. 

Aufenthalt:  Während  des  offiziellen  Auf- 
enthalts   (sechs    Wochen)     wird    das    Kongreß- 


112 


@= 


DIE  FRI EDENS -WAQXE 


Komitee,  zu  dessen  Ehrenmitgliedern  unter 
vielen  bekannten  Männern  des  öffentlichen  und 
des  akademischen  Lebens  der  Präsident  der 
Vereinigten  Staaten,  Woodrow  W  i  1  s  o  n, 
gehört,  für  Besichtigungen  und  Führungen  zur 
Belehrung  und  Anregung,  für  gesellige  Veran- 
staltungen zur  Erholung  und  Unterhaltung  und 
für  mancherlei  Vergünstigungen  sorgen.  Die 
Deutsch- Amerikaner  werden  wohl  den  Studenten 
aus  der  Heimat  einen  besonders  freundlichen 
Empfang  bereiten.  Die  Reise  wird  sich  auf  die 
östlichen  und  mittleren  Staaten  beschränken 
und  doch  ein  mannigfaches  Bild  vom  „Land 
der  unbegrenzten  Möglichkeiten"  bieten.  Das 
Programm  soll  tunlichst  auch  für  persönliche 
Neigungen  Bewegungsfreiheit  lassen.  —  Zum 
Besuch  des  Kongresses,  zu  dem  Stu- 
denten aus  aller  Welt  zusammenströmen,  sind 
alle  Reise teilnehmer  berechtigt  und  verpflichtet; 
studentische  Vereinigungen  können  Vertreter 
bezeichnen.  Sein  Zweck  ist,  „zwischen  den  Stu- 
denten der  ganzen  Kulturwelt  gegenseitiges  Ver- 
ständnis und  Freundschaft  zu  fördern,  ohne 
bestimmte  religiöse,  politische  oder  ökonomische 
Grundsätze  zu  begünstigen  oder  zu  bekämpfen. 

Rückfahrt :  Die  Teilnehmer  können  ihren 
Aufenthalt  beliebig  ausdehnen  und  mit  belie- 
bigem   Dampfer    gleicher    Art    heimkehren. 

Bedingungen:  Einige  Kenntnisse  der  eng- 
lischen Sprache  sind  unbedingt  erforderlich,  des 
Esperanto  erwünscht.  Gründliche  Vorbereitung 
auf  die  Reise  wird  dringend  empfohlen.  Das 
(staatliche)  Amerika-Institut,  Berlin  NW.  7, 
Universitätsstraße  8,  hat  sich  bereit  erklärt, 
Teilnehmern  dabei  durch  mündliche  und  schrift- 
liche Auskunft  behilflich  zu  sein. 

Die  Kosten  der  offiziellen  Reise  von  etwa 
2V2  Monaten  sollen  1000  M.  (einschließlich  der 
Ozeanfahrten)  bei  mäßigen  Ansprüchen  nicht 
überschreiten. 

Die  Teilnehmer  zahl  ist  be- 
schränkt. Teilnehmen  kann  jedes  Mitglied 
der  Dozenten  und  Studentenschaft  deutscher 
Hochschulen  (ausnahmsweise  auch  nicht  mehr 
studierende  Akademiker).  Schluß  der  Liste 
spätestens  am  15.  Juni  1913.  Auskunft  erteilen 
auch  die  Vertreter  der  angeschlossenen  Stu- 
dentengruppen. Anmeldungen  (unter  Einsendung 
von  10  M.  Beitrag-  zu  den  Organisationskosten; 
Akademiker   20  M.)   nimmt   nur  entgegen 

Das  Amt  für  Studienreisen  ins  Aus- 
land der  Deutschen  Freien  Studen- 
tenschaft 
Dr.   phil.    Walter  A.   Berendsohn, 
Hamburg,    Behnstr.    15  (ab   1.    April   Haller- 
platz 8). 


LITERATUR  U  PRESSE 

Böhme,  Ernst. 
Friedensbewegung     und     Lebenserziehung.      8  °. 
Gautzsch    bei    Leipzig    1913.     Felix    Dietrich 
(Kultur   und   Fortschritt   Nr.    661/62).     31    S. 
50  Pf. 


Es  ist  erfreulich,  daß  sich  auch  in  Deutsch- 
land die  Friedensliteratur  mehrt,  und  es  ist 
hier  von  ganz  besonderer  Bedeutung,  daß  der 
pazifistische  Gedanke  von  Vertretern  der  ver- 
schiedensten Berufsklassen  für  die  Angehörigen 
der  verschiedenen  Berufe  erörtert  wird.  Pfarrer 
Böhme  in  Künitz  bei  Jena  hat  uns  schon  vor 
Jahren  eine  Schrift,  ..Krieg  und  Christentum" 
betitelt,  beschert.  In  seiner  vorliegenden  Arbeit 
legt  er  besonderes  Gewicht  auf  die  Volks- 
erziehung im  pazifistischen  Sinne,  wie  sie  in 
Schule  und  Haus  geübt  werden  soll.  Was  er 
über  die  pazifistische  Schularbeit,  den 
Friedenstag,  die  Schulfriedensliga  schreibt,  ver- 
dient weiteste  Beachtung  in  pädagogischen 
Kreisen.  Im  ganzen  empfiehlt  sich  die  populär 
gehaltene  Schrift  als  eine  gute  Einführung  in 
die  Friedenslehre. 


(Johnson,  R.  U.) 
The  „coastwise  Exemption".  The  Nation  against 
it.  An  appeal  on  behalf  of  the  National  Honor 
and  a  sound  Business  Policy.  Represeutative 
Opinion  of  the  Press,  and  of  College  Presi- 
dents,  Superintendents  of  Schools,  Clergymen, 
and  other  Influential  Citizens.  Gr.  8  °.  New 
York  1913.  48  S.  Kostenlos  durch  R.  U. 
Johnson,  Century  Magazine,  Union  Square. 
New   York. 

In  dem  in  der  vorliegenden  Nummer  ver- 
öffentlichten „Brief  aus  den  Vereinigten 
Staaten"  wird  bereits  auf  diese  Veröffentlichung 
hingewiesen.  Sie  enthält  die  Meinungsäußerung- 
einiger  hundert  hervorragender  Bürger  der  Ver- 
einigten Staaten  über  den  zwischen  der  Union 
und  Großbritannien  entbrannten  Streit  über  die 
Abgaben  beim  Panamakanal.  Die  Schrift  trägt 
das  Motto  „Repeal  or  Arbitrat e",  was 
soviel  besagt,  als  daß  das  Gesetz,  das  der 
amerikanischen  Küstenschiffahrt  eine  Bevor- 
zugung am  Panamakanal  einräumt,  rückgängig 
gemacht  werden  soll  oder  der  Streit,  der  dar- 
über mit  England  entbrannt  ist,  eine  schieds- 
gerichtliche Erledigung  finden  möge. 

Hätten  sich  jene  hunderte  amerikanische 
Bürger  auf  den  Standpunkt  „Right  or  wrong, 
my  country"  gestellt,  so  wäre  diese  Veröffent- 
lichung in  der  alldeutschen  Presse  mit  unge- 
heurem Hailoh  begrüßt  worden.  Da  sie  aber 
eine  imposante  Kundgebung  des  Willens  zum 
Recht  der  amerikanischen  Bürger  ist,  „ein 
Aufruf  im  Interesse  der  nationalen  Ehre  und 
einer  gesunden  Politik",  wie  es  im  Titel  heißt, 
wird  sie  bei  uns  leider  nur  wenig  Beachtung 
finden. 

Für  den  europäischen  Pazifismus  wird  die 
Schrift  eine  vortreffliche  Waffe  bilden,  wenn 
es  sich  darum  handeln  wird,  den  Kredit  des 
internationalen  Rechtsgedankens  gegen  seine 
Angreifer    wieder    einmal    zu    verteidigen. 

A.  H.  F. 


Root,  Elihu. 

The    Obligations    of    the    United    States    as    to 

Panama   Canal  Tolls.    Speech   in  the   Senate 

of  the  United  States;  January  21,   1913.    8°. 

Washington.      Government     Printing     Office. 

1913.    31  S. 

Dies  ist  die  klassische  Rede,   die  Root  zu7 

gunsten    der    Zurückziehung-    jener    Klausel    in 


113 


D.E  FRIEDENS  -WABlTE  = 


■3 


der  Pananiakanal-Bill  hielt,  die  der  amerika- 
nischen Küstenschiffahrt  eine  Bevorzugung 
gegenüber  den  Schiffen  der  anderen  Staaten 
einräumt.  Sie  ist  eine  Mahnung  zu  internatio- 
naler Wohlanständigkeit.  „Herr  Präsident", 
so  heißt  eingangs  eine  Stelle,  „die  Meinung 
der  Kulturwelt  ist  etwas,  das  wir 
nicht  leichten  Herzens  gering- 
schätzen dürfen."  Die  Achtung  vor  den 
Anschauungen  der  Menschheit,  heißt  es  weiter, 
bildete  einen  der,  für  die  Völker  dieser  Kolonien, 
in  der  großen  Erklärung  der  amerikanischen 
Unabhängigkeit  festgelegten  Grundsätze.  —  Die 
Rede  enthält  ferner  eine  fast  vollständige  Zu- 
sammenstellung aller  Aeußerungen  der  ameri- 
kanischen Präsidenten  und  Staatsmänner  zu- 
gunsten der  Schiedsgerichtsbarkeit  und  wirft 
dann  die  Frage  auf :  „Herr  Präsident, 
sind  wir  Pharisäer?  Sind  wir  unauf- 
richtig und  falsch  gewesen?  Haben 
wir  uns  in  all  den  langen  Jahren 
der  Eesolutionen  und  Erklärungen, 
der  Vorschläge  und  Beschleunigun- 
genzugunstenderSchiedsgerichts- 
barkeit  verstellt?  Sind  wir  jetzt 
entschlossen,  zuzugeben,  daß  unser 
Land,  seine  Kongresse  und  seine 
Präsidenten  alle  schuldig  sind  der 
falschen  Vorspiegelung,  des  II  u  m  - 
bugs,  des  Zuni-Fenster-Hinaus- 
redens,  der  schönen  Worte  zum 
Zwecke  der  Beifallserregung,  und 
daß  wir  in  dem  Augenblick,  wo  wir 
ein  Interesse  daran  haben,  be- 
reit sind,  alle  Erklärungen,  alle 
Versprechungen  und  alle  Grund- 
sätze zu  verleugnen?  ....  Herr 
Präsident,  hier  gibt  es  nur  eine 
Alternative,  die  der  Selbstachtung- 
gerecht  wird.  Entweder  wir  schrei- 
ten zur  schiedsgerichtlichen  Aus- 
legung dieses  Vertrages  oder  wir 
müssen  uns  von  der  Stellung,  die 
wir  errungen  haben,  zurückzieh  en." 
Das  sind  wichtige  Worte  in  ernster  Stunde, 
die  ihre  Wirkung  auch  nicht  verfehlt  haben, 
wie  aus  dem  in  dieser  Nummer  der  „Fr.-W." 
veröffentlichten  „Brief  aus  den  Vereinigten 
Staaten"  zu  ersehen  ist.  Root  hat  sich  bei 
dieser  Gelegenheit  wieder  als  das  erwiesen, 
was  er  uns  schon  lange  gilt :  als  der  hervor- 
ragendste pazifistisch  wirkende  Staatsmann. 


Darby,    Evans. 
The    Claim    of   „the    new    Pacifism."     A    Paper 

read  at  the  Autumnal  Conference  of  the  Peace 

Society,    Dundee,     October    14th,     1912.     8  °. 

London    1913.     The    Peace    Society;    47,    New 

Broad  Street.  E.  C.  12. 
Die  interessante  Rede  unseres  ausgezeich- 
neten Mitkämpfers  wendet  sich  gegen  die  in 
einer  englischen  Revue  (und  auch  anderwärts) 
verbreitete  Meinung,  die  Theorien  Norman  An- 
gells  wenden  sich  von  dem  „älteren  Pazifis- 
mus", der  versagt  habe,  ab  und  bilden  eine  neue 
Lehre.  Dem  gegenüber  betont  Darby  sehr 
richtig:  „Das  einzige  Neue  in  der  Friedens- 
bewegung ist  eine  neue  Stimme,  ein  neuer 
Akzent  der  Ueberzeugung,  eine  neue  Beweis- 
kraft und  eine  neue  Beachtung  seitens  der 
Oeffentlichkeit.  (was    wir    auf    das    herzlichste 


114 


begrüßen);  das  heißt  aber  nicht,  daß  der  .alte 
Pazifismus  versagt  hat.  ....  Er  mußte  ver- 
sagen, betonen  die  neuen  Rufer,  weil  er  sich 
nicht  auf  das  wirtschaftliche  Moment  be- 
schränkte. Aber  die  wirtschaftliche  Seite  wurde 
von  den  älteren  Pazifisten  niemals  übersehen 
oder  vernachlässigt.  Meine  Vorgänger  widmeten 
ihr  die  größte  Aufmerksamkeit,  und  ich  habe 
mehr  darüber  geschrieben  und  gesprochen  als 
über  irgendein  anderes  Gebiet  des  Pazifismus, 
eben  weil  es  die  nächstliegende,  praktischste 
und    dringlichste    Seite    ist." 

Die    Ausführungen    Darbys    sind    sehr    be- 
herzigenswert. 


Mead,    Lucia   Arnes. 
Swords    and    Ploughshares    or    the    Supplanting 
of    the    System    of    War    by    the    System    of 
Law.    With!  a  Foreword  by  Baroness  von 
Suttner.    8  °.    New  York  and  London  1912. 
The  Knickerbocker  Press.    XII  u.  249  S.    Mit 
17   Abbildungen.     Cloth. 
Ihrem     ausgezeichneten,      vor     «Jahren     er- 
schienenen   „Pnmer    of    the    Peace    Movement" 
ließ   Lucia   A.   Mead   jetzt  eine   etwas   ausführ- 
lichere      Darstellung      der      Friedensbewegung 
folgen,    die   in    15    Kapiteln   den   Leser   in   das 
verwickelte  Problem  einfuhrt.    Die  Kapitelüber- 
schriften  werden   die   Methode   der  Darstellung 
am   besten   erläutern:   I.    Kurze   Skizze  der   Ge- 
schichte  des   Pazifismus.   —   II.    Nationale   Ge- 
fahren und  nationale  Verteidigung.  —  III.  Inter- 
dependenz.    —    IV.    Die    Macher    des    Militaris- 
mus.   —   V.   Die   Flotte  als   „Versicherung".   — 

VI.  Einige    Irrtümer    des    Admiral    Mahan.    — 

VII.  Neutralisation.  —  VIII.  Das  Philippinen- 
Problem.  —  IX.  Zwei  Hauptgeister.  — 
X.  Unterricht  in  Patriotismus.  —  XL  Unter- 
richt in  Internationalismus.  —  XII.  Patriotische 
Gesänge,  Symbole  und  Gesellschaften.  — 
XIII.  Die  Fortschritte  der  Schiedsgerichtsbar- 
keit. —  XIV.  Hoffnungsvolle  neue  Friedens- 
wirkungen. —  XV.  Was  erreicht  wurde  und 
werden  wird. 


Union   Interparlementaire. 
Compte   Rendu   de   la   XVIIe   Conference   tenue 
ä  Geneve  du  18  au  20  septembre  1912.   Gr.  8  °. 
Bruxelles.      Misch    a    Thron.      XI    u.    372    S. 
Toile.    5  Frcs. 

Es  ist  erfreulich,  daß  der  Gesamtbericht 
über  die  Genfer  Interparlamentarische  Konfe- 
renz bereits  fünf  Monate  nach  ihrer  Abhaltung 
gedruckt  vorliegt.  Man  hat  dadurch  Gelegenheit, 
auf  die  Details  jener  Beratungen  näher  einzu- 
gehen, ehe  sie  noch  durch  die  Zeitereignisse 
überholt  sind.  Gerade  sehr  zu  Paß  kommt  jetzt 
der  ausgezeichnete  Bericht  d'Estournelles' 
über  die  Beschränkung  der  Rüstungen  und  die 
ausführliche  Wiedergabe  der  Debatte,  die  sich 
daran  geknüpft  hat. 

Der  Bericht  Professor  Zorns  über  die 
Schiedsgerichtsbarkeit,  der  Efremoffs  über 
die  Organisation  der  Vermittlung,  Beernaerts 
letzte  Tat,  der  Bericht  über  das  Verbot  des 
Luftkrieges  und  zahlreiche  andere  Dokumente 
sind  für  die  wissenschaftliche  Fortbildung  des 
Pazifismus  von  unschätzbarem  "Wert.  Das 
General-Sekretariat  der  Union  hat  mit  der  are- 


(§= 


DIE  FRIEDEN5 -WARTE 


wissenhaften  Redaktion  und  der  raschen  Ver- 
öffentlichung dieses  „Compte  Rendu"  wieder 
einmal  seine  vortreffliche  Organisation  bewiesen. 


Classics 
L  a  w. 


the,    of    International 


Edited  by  James  Scott:  De  Jure  et  Of ficiis 
et  Disciplina  Militari  Libri  III  by  Baltha- 
zar  Ayala.  Ed.  by  John  Westlake. 
2  vols.  I.  Reproduction  of  the  first  Edition, 
with  Introduction  by  John  Westlake. 
IL  Translation  of  the  Text,  by  John  Paw- 
1  e  y  Bäte,  with  Translators  Note  and  Index 
of  Citations.  4°.  Washington.  Published  by 
the  Carnegie  Institution  of  Washington  1912. 
I.  Bd.  XXIII  u.  227  8.,  IL  Bd.  XII  u.  250  S. 
Oloth. 

Im  Rahmen  der  in  der  „Fr.-W."  1912, 
8.  313  besprochenen  Veröffentlichung  der 
„Klassiker  des  Völkerrechts"  erfolgt  jetzt  die 
Herausgabe  eines  anderes  Vorläufers  von  Hugo 
Grotius.  Es  ist  das  Werk  des  in  Antwerpen 
geborenen  Ayala,  eines  Militärrichters  in  der 
Armee  des  Alexander  Farnese,  Fürsten  von 
Parma,  das  im  Jahre  1582  zuerst  erschien. 
Der  erste  Band  enthält  die  photographische 
Wiedergabe  der  ersten  Ausgabe  mit  einer  Ein- 
leitung Westlakes;  der  zweite  Band  enthält 
die  englische  Uebersetzung  des  lateinischen 
Originals.  In  der  Ausstattung  schließt  sich 
die  neue  Veröffentlichung  der  des  ersten 
Werkes    an. 


Eingegangene  Druckschriften.    :;   ::    :;   ::    ::    ::   ::   ::    :: 

(Besprechung  vorbehalten.) 

Weltwirtschaftliches  Archiv. 
Zeitschrift  für  allgemeine  und  spezielle  Welt- 
wirtschaftslehre. Herausgegeben  von  Prof.  Dr. 
Bernhard  Harms.  I.  Bd.,  Heft  1.  Jan. 
1913.  G-r.  8°.  Verlag  von  Gustav  Fischer  in 
Jena.    248,  92  u.  35  S. 

Aus  dem  Inhalt :  Dr.  BernhardHarms, 
Weltwirtschaft  und  Weltwirtschaftslehre.  — 
Prof.  Dr.  Ferd.  Tönnies,  Individuum  und 
Welt  in  der  Neuzeit.  —  Prof.  Dr.  Karl 
T  h  i  e  s  s  ,  Die  Weltspur  der  Eisenbahnen.  —  Dr. 
Felix  Meyer,  Das  internationale  Wechsel- 
recht. —  E.  Fitger,  Seeversicherung  im  Welt- 
verkehr. —  Prof.  Dr.  Rob.  Liefmann,  Die 
int.  Organisation  des  Frankfurter  Metallhandels. 

—  Dr.  G.  R  o  c  c  a ,  Die  int.  Bedeutung  des 
italien.  Lebensversicherungsmonopolgesetzes.  — 
Besprechungen,  Chronik  usw. 

Revue  Generale  de  Droit  int. 
Public.    1913.    No.   1.    Paris.    A.   Pedone. 

Aus  dem  Inhalt :  E.  A  u  d  i  n  e  t ,  Le  mono- 
pole  des  assurances  sur  la  Vie  en  Italie  et  le 
Droit  des  etrangers.  —  A.  Alvarez,  La  Con- 
ference des  junstes  de  Rio  de  Janeiro  et  la 
Codification  du   droit   international  americain. 

—  P.  Fauchille,  La  Fondation  de  lTnstitut 
americain  de  Droit  international.  —  G.  Gram, 
G.  F.  Hagerup,  M.  Kebedgy,  T.  J.  La- 
wrence, F.  von  Liszt,  J.  de  Louter, 
L\  Oppenheim  et  A.  Pillet,  LTnstitut 
americain  de   droit   international.   —   usw. 

La  Vie  Internationale.  Revue  men- 
sruelle  des    Idees,   des   fait?    et   des   orgauisnaes 


internationaux.  Tome  II.  1912.  Fascicule  8. 
Lex.-8°.  Bruxelles.  Office  central  des  Asso- 
ciations   Internationales. 

Aus  dem  Inhalt :  Jean  Lescure,  Les 
crises  generale«  et  la  Solidarite  des  Marches 
economiques  nationaux  et  internationaux.  — 
Prof.  W.  ,S  c  h  ü  c  k  i  n  g ,  La  Mission  essentielle 
du  Droit  international.  —  Le  Dedoublement  des 
Associations   internationales.   —  usw. 

Bulletin  of  the  Pan-American 
Union.     1912.     Dec.     Washington. 

Aus  dem  Inhalt:  The  Panama-Canal  Con- 
ference at  Atlanta.  —  Prize  for  Peace-essay.  — 
The  pan-american  Mass  at  Washington.  —  usw. 


A  n  g  e  1 1 ,  Norman, 
Der  Einfluß  des  Bankwesens  auf  die  inter- 
nationalen Beziehungen.  Ein  Vortrag,  ge- 
halten im  Bankiers- Verein  (Institute  ot  Ban- 
kers) zu  London.  Gr.  8°.  O.  0.  u.  o.  J.  und 
Verlagsfirma.  34  S.  (Gedruckt  bei  Wilhelm 
&  Brasch,  Berlin  SW.  48.) 

F  e  r  c  h ,  Joh., 
Die  Kaserne.    Ein  Roman  aus  dem  Leben  unter 
den  Fahnen.    1.  bis  5.  Tausend.   Gr.  8  °.    Wien 
und  Leipzig.  1913.  Anzengruber  Verlag.  Brüder 
Suschitzky.    288   S.    3  M.    (3  Kr.) 

Fliegenschmidt,   Maximilian, 
Deutschlands    Orientpolitik    im    ersten   Reicli^- 

jahrzehnt  1870—1880.    Teil  I.    Gr.  8°.    Berlin 

1913.    Puttkammer  &  Mühlbrecht.    322   S. 
Geschichtskalender,       deutscher,       für 

1912.    Zwölftes  Heft.    Dezember.    8°.    Leipzig. 

Felix  Meiner.    1913.    S.  339—399. 

Gero,    Dr.    Ernst, 

Die  Beseitigung  ausländischer  Ehehindernisse  in 
Ungarn.  Nach  dem  ungarischen  Ehegesetze 
und  nach  dem  Haager  Eherechtsabkommen. 
Praktischer  Wegweiser  für  Advokaten,  Justiz- 
und  Administrationsbehörden,  Heiratslustige, 
insbesondere  für  bereits  Geschiedene  oder 
Scheidung  Beabsichtigende  katholischer  Kon- 
fession. 8°.  Budapest.  1913.  Eherechts-Biblio- 
thek.  Budapest  VII.  Räkocz-Üt.  68.  32  S. 
Kr.  1.  — 
Höflin,  Emil  Gotthold, 

Eine  Friedensbewegung  des  Ostens.  8°.  St. 
Imier.  1913.  Abhandlungen  des  Internatio- 
nalen   Friedensbureaus    (Bern).     11    S. 

Rudolph,  Hermann, 
Die  vier  Wege  zur  Theosophie  undj  die  Hinder- 
nisse auf  dem  Pfade  zur  Selbsterkenntnis.  Zur 
Verbrüderung  der  Religionen  und  Völker.  Zwei 
Vorträge.  8  °.  Leipzig.  1913.  Verlag  der  Theo- 
sophischen    Kultur.     64    S.     1,20    M. 

Schulz,    Anna, 
Gott  und  Mensch.  Gemeinverständliche  Betrach- 
tungen   über    den    tieferen    Sinn    der    Bibel. 
Gr.   8°.    Stettin.    1912.    Verlag   Anna  Schulz, 
Gießereistr.  40  a.    V  und  378   S.    Geb. 

Seber,    Dr.    Max, 
Neue     Kulturperspektiven.       Weltanschauuugs- 
streit  oder  Menschheitskultur.    8°.    Dresden. 
1912.     Carl   Reißner.     94   S. 

Spender,    J.    Alfred, 
Die  Grundlagen  der  britischen  Politik.    Ueber- 
setzt  von  Alfred  Rennebarth  in  London.    8  °. 
Sonderdruck    der    ..Zeitschrift    für    Politik." 


115 


DIE  FßlEDENS-WAQTE 


=® 


II.    Bd.,    Heft    1.     Berlin. 
Nicht  im  Handel. 


1913.     S.    114—150. 


Armements  et  Aviation. 
Oompte  rendu  de  la  Conference  de  l'Union  Inter- 
parlementaire temie  ä  Geneve  en  1912.  Preface 
de  M.  cl'Estournelles  de  Constant. 
(„Conciliation  internationale":  Bulletin  tri- 
mestriel  No.   4.)    8  o.    Paris.    1912.    90   S. 

La    Conciliation    allem  and  e. 
Gongres  jde  Heidelberg.  (5.  bis  7.  Oktober  1912.) 

Introduction   &   Compte    rendu   par    M.   T  h. 

Ruyssen,  Prof.  ä  la  faculte  des  lettres  de 

l'universite  de  Bordeaux  („Conciliation  inter- 
nationale": Bulletin  trimestriel  No.   1).    8°. 

Paris.    1913.     Oh.    Delagrave.    70    S. 

Novicow,  J., 
L'Alsace-Lorraine    obstacle    ä    l'expansion    alle- 
mande.    Preface  de  M.  le  prof esseur  C  h.  Ei- 
chet.    Avec    un    Portrait    de    l'Auteur.      8°. 
Paris.    Felix   Allcan.     1913.    392  S.    Fr.   3,50. 

Union  Interparlementaire. 
Bapport  du  Secretaire  general  au  Conseil  Inter- 
parlementaire pour  lannee  1912.  Avec  deux 
Annexes  :  I.  Liste  des  Presidents  et  Secre- 
taires  des  groupes.  II.  Programme  du  Bureau 
pour  1913.  Gr.  8».  Uccle-Bruxelles.  1913. 
Bureau   Interparlementaire.    31    S. 

P  r  o  c  e  s  -  V  e  r  b  a  1 
de    PAssemblee    generale    du    mercredi    25    sep- 
tembre    1913*).     Geneve    (Salle   des    fetes    de 
l'universite).    8°.    (Ber*ne  1913,  Bureau  int.  de 
la   Paix.)     5    S. 

Proces-Verbal 
des  Seances  de  la  Commission  du  Bureau  tenues 
les    22   et   27   septembre    1912  ä   Geneve.    8°. 
(Berne    1913.    Bureau  int.  de  la'  iPaix.)    17  S. 

M  e  z  ,  Dr.  John, 
Le  cheque  postal  international  et  les  resul- 
tats  des  virements  postaux  en  Autriche,  en 
Bongrie,  en  Suisse  et  en  Allemagne.'  Gr.  8  °. 
Bruxelles  1913.  Extrait  de  „La  Vie  Inter- 
nationale"   1912.     Fase.    7  t.    IL    S.    249—262.. 

Naruse,  Jinzo, 
The  Concordia  Movement.   8°.   New  York.   „Am. 
Association    for    Int.    Conciliation",    Sub-Sta^ 
tion    84    (407    West    117th    Street).        14    S. 
(kostenlos). 

Monthly  Bulletin 
•of  Books,  Pamphlets  and  Magazine  Articles 
Dealing  with  int.  Belations.  January.  1913. 
8  °.  New  York.  „Association  for  int.  Con- 
ciliation", Sub-Station  84  (501  West,  117th 
Street).     11    einseitig    bedr.    SS.    (kostenlos). 

Rep  ort 
of  the  Proceedings  of  the  anglo-german  Under- 
standing  Conference.  London.  1912.  8  °. 
London.  The  British  Joint  Committee,  167 
St.  Stephens  House,  Westminster  SW.  (1913). 
15  S.  (kostenlos). 

Root,  Senator 
and  Latin  America.  From  the  congressional  Re- 
cord  for  January  16,  1913.  8°  New  York 
City.  American  Association  for  International 
Conciliation,  Substation  84  (407  West,  117th 
Street).  (International  Conciliation;  Special 
Bulletin,  Januar    1913.)    13  S.    (kostenlos). 


W  ho  makes   war  ? 
An  Editorial   from   the   London    Times   of  No- 
vembre  26,  1912.    8  °.    New  York  City.    Ameri- 
can Association  for  International  Conciliation, 
ßubstation  84  (407  West,  117th  Street).  (Inter- 
national Conciliation;  Special  Bulletin,  Febr. 
1913.)     10   S.    (kostenlos). 
Year Book 
of  the  American  School  Peace  League  1911/9112. 
8  °.   (Boston   1913.)    104  S.    Zu  beziehen  durch 
Mrs.   Fannie   Fem   Andrews,    Boston,    Mass., 
405   Marlborough   Street. 
Vollenhoven,  C.  van, 
De    Eendracht    van    het    Land.     8  °.     s'Graven- 
hage    1913.    Martinus   Nighoff.    97   S.    Preis 
—  50  Fl. 

Roszkowski,    Gustav, 
O  Unii  Interparlamentarnej.    Gr.  8°.    Krakow. 
1911.     Drukarna   Universvtetu   Jagiell.     37    8. 


")  Druckfehler  ain  Titel.    Gemeint  ist  1912. 


Zeitschriften -Rundschau.  ::  ::   ::  ::  ::  ::  ::   ::   ::  ::   :: 

Seit  Januar  1913  erscheint  die  holländische 
Friedenszeitschrift  „V rede  door  Recht" 
in  neuem  Gewände.  Das  Format  ist  kleiner, 
aber  die  Seitenzahl  viel  größer  und  der  Inhalt 
(reichhaltiger.  In  dieser  Ausstattung  darf  man 
die  neue  Bevue  ohne  Zweifel  zu  einer  der 
ersten  Friedenszeitschriften  der  Welt  rechnen. 
Die  anderen  Kleinstaaten,  insbesondere  die 
Schweiz,  Schweden  und  Dänemark,  verfügen 
nicht  über  eine  so  inhaltsreiche  Revue.  Das 
ist  ja  wohl  nicht  zum  wenigsten  auf  das  große 
Interesse  zurückzuführen,  das  man  in  Holland 
der  Friedensbewegung  entgegenbringt.  In  der 
Februarnummer  finden  wir  einige  vorzügliche 
Berichte  über  neuere  Schieds  fälle.  Dr.  van 
der  Flier  behandelt  den  russisch-türkischen 
Streit  vor  dem  Haager  Hofe,  van  der  Man- 
dere  die  Timorangelegenheit.  Mit  diesem 
letzteren  Falle  hat  es  folgende  Bewandtnis. 
Holland  und  Portugal  sind  kürzlich  überein- 
gekommen, den  Grenzstreit  betreffend  die  Insel 
Timor  schiedsrichterlich  erledigen  zu  lassen, 
und  zwar  soll  der  Streit  dem  schweizerischen 
Bundesrat  übergeben  worden  sein,  van  der 
M  andere  fragt  nach  den  Gründen  der  Igno- 
rierung des  Haager  Schiedshofes,  und  unter- 
sucht, ob  die  Kostspieligkeit,  das  langsame 
Verfahren  oder  die  Tatsache,  daß  der  Haager 
Schiedshof  in  dem  Gebiete  einer  der  Streit- 
teile liegt,  dieses  Verhalten  der  Parteien  recht- 
fertigen können.  Beide  Parteien  haben  sich 
in  einem  Schiedsverträge  verpflichtet,  alle 
Rechtsfragen,  über  die  eine  Einigung  nicht  er- 
zielt wurde,  dem  Haager  Hofe  anzuvertrauen. 
Das  hindert  natürlich  nicht,  daß  sie  durch  be- 
sondere Vereinbarung  den  Streit  anderswie 
erledigen  lassen,  aber  immerhin  besteht  nach 
van  der  Manderes  richtiger  Meinung  eine 
moralische  Verpflichtung,  den  Haager  Hof  nicht 
zu  umgehen.  Es  scheint  übrigens  nach  den 
neuesten  Mitteilungen,  als  habe  die  holländische 
Regierung  infolge  der  Opposition  in  Holland  die 
Absicht,  die  Angelegenheit  doch  dem  Haager 
Hofe  zu  überweisen.  Wahrscheinlich  ist  eine 
offizielle  Uebertragung  des  Schiedsrichteramtes 
an  den  schweizerischen  Bundesrat  noch  nicht 
erfolgt.  Nach  einer  Erklärung  des  Ministers 
des  Aeußeren  van  Swindere  in  der  ersten 
Kammer  der  Generalstaaten  will  man  vielleicht 


116 


<E 


=  DIE  FRIEDENS ->MößrE 


ein  einzelnes  Mitglied  des  Haager  Schiedshofes 
mit  der  Erledigung  des  Streites  beauftragen. 
„Die  Wissenschaft",  so  sagte  der  Minister,  „hat 
in  der  letzten  Zeit  festgestellt,  daß  ein  Schieds- 
gericht auch  nur  aus  einer  Person  bestehen 
kann,  und  wenn  diese  auf  der  Liste  des  Haager 
Schiedshofes  steht,  so  handelt  es  sich  um  die 
Erledigung  des  Streites  durch  den  Haager  Hof." 
Es  ist  aber  nicht  empfehlenswert,  den  Streit 
durch  eine  Einzelperson  entscheiden  zu  lassen. 

Die  Timorangelegenheit  weist  wieder  mit 
großem  Nachdruck  auf  die  Errichtung  eines 
ständigen  Gerichtshofes  hin.  In  diesem  Sinne 
ist  auch  ein  Wort  Tafts  aus  der  letzten  Zeit 
zu  verwerten.  Dieser  erklärte  nämlich,  wenn 
der  Panamastreit  schiedsrichterlich  erledigt 
würde,  dann  solle  er  aber  nicht  dem  Haager 
Hofe,  sondern  von  einer  besonderen  Kommission 
entschieden   werden. 

Frau  de  Jong-Kluyver  gibt  in  der- 
selben Nummer  einen  vorzüglichen  Ueberblick 
über  die  Neuregelung  der  Vermittlung  auf  der 
nächsten    Haager    Konferenz. 

In  Nr.  2  der  „Friedensbewegung"  ver- 
öffentlicht der  hervorragende  amerikanische 
Gesandte  in  Brüssel  Theodor  Marburg 
einen  Aufsatz  über  „die  Gefahr  der  Rück- 
ständigen". Er  weist  auf  die  ständige  Be- 
drohung des  Friedens  der  Welt  und  die  fort- 
währende Gefährdung  von  Leben  und  Eigentum 
der  Bewohner  in  unzivilisierten  und  rück- 
ständigen Staaten  hin.  Gerade  in  bezug  auf 
Mexiko  ist  sein  Aufsatz  von  aktuellem  Inter- 
esse. Er  schlägt  ein  Zusammengehen  aller 
zivilisierten  Nationen  vor,  um  gemeinsam  die 
Leitung  in  solchen  Staaten  zu  übernehmen,  die 
sich  als  unfähig  erwiesen  haben,  geordnete  Zu- 
stände zu  schaffen.  Er  weist  darauf  hin,  wie 
gerade  durch  das  Verhalten  unzivilisierter 
Staaten  andere  Mächte  zu  einer  Expansions- 
politik verleitet  werden.  Falls  alle  Mächte  die 
Verhältnisse  solcher  Staaten  künftighin  gemein- 
sam ordnen,  werden  wohl  auch  noch  Er- 
oberungen vorkommen;  aber  diese  werden  nicht 
kriegerischer,  sondern  moralischer  Art  sein. 
Was  Südamerika  betrifft,  so  meint  Marburg,  die 
Sicherung  der  Zustände  in  diesem  Erdteile 
müsse  ausschlißlich  den  Vereinigten  Staaten 
zufallen,  da  die  Monroedoktrin  dies  verlange. 
Aber  die  Vereinigten  Staaten  würden  dann 
künftig  als  Mandatare  der  Mächte  und  mit 
einem  besonderen  Rechtstitel  die  Ordnung  der 
Zustände  in  Südamerika  sichern. 


Fachpresse.    ::    ::    ::    ::  ::  ::  ::  ::    ::  ::   ::  :;   ::   ::   ;: 

Völkerfriede  (Stuttgart).  März.  O.  U., 
Fanatismus.  —  Rieh.  Gaeclke,  Die  neue 
Wehrvorlage.  —  F.  Stehelin,  Die  Lage 
in  Elsaß-Lothringen.  —  F.  Siegmund- 
Schultz,  Die  deutsch  -  englischen  Bezie- 
hungen. —  usw. 

Vaterland  und  Welt  (Göttingen).  Fe- 
bruar. Prof.  Troeltsch,  Reiseeindrücke 
in  Amerika.  —  Prof.  O.  Nippold,  Die 
Organisation  der  int.  Verständigung.  — 
Fried r.  Depken,  Veröffentlichungen  des 
Verbandes  für  internationale  Verständigung. 
—  usw. 


Der  Friede  (Bern).  Februar.  G.  -  C,  Natio- 
nale Verirr ungen.  —  Th.  Schmidt,  Selig 
sind  die  Friedensfreunde.  —  K.  W.  Schult- 
h  e  s  s  ,    Pazifistische    Rundschau.    —   usw. 

Die  Friedensbewegung  (Bern).  Februar. 
Pierre  Clerget,  Die  Fragen  der  Meer- 
engen. —  Dr.  Theodore  Marburg,  Die 
Gefahr  der  Rückständigen.  —  usw. 

La  Paix  par  le  Droit  (Paris).  No.  2. 
Th.  Ruyssen,  Guerre  ou  Paix ?  —  Fre- 
deric Passy,  Ceux  qu'il  faut  honorer : 
Emile  de  Girardin.  —  Michel  Breal  et 
Louis  Havet,  La  Neutralisation  de  l'Al- 
sace-Lorraine.  —  T h.  Ruyssen,  Le  Reveil 
des   Nationalites.    —  usw. 

—  No.  3.  Fred.  Passy,  Ceux  qu'il  faut 
honorer :  Les  Oublies.  —  Charles  Richet, 
Agathon  et  la  jeunesse  francaise.  —  T  h. 
Ruyssen,  La  guerre  jugee  par  1' Armee.  — 
Jacques  Dumas,  La  guerre  des  Balkans 
est-elle  une  illusion? 

The  Arbitrator  (London).  Februar.  Ger- 
many  and  Holland.  —  David  Starr  Jor- 
dan, Military  Conscription.  —  Mr.  Carnegies 
New  Year's  Greeting.  —  The  Panama  Canal 
Act  and  foreign  Shipping:  Reply  of  Secretary 
Knox  to  Sir  Edward  Grey.  —  Gordon  M. 
S  a  v  i  1  e  ,  Brothers  in  Arms :  The  Pride  of 
a  Race  made  Ready.  —  Heroism  and  Periis 
of  Peace. 

Concord  (London).  Jan. -Febr.  Felix  Mo- 
scheies,   to    my    Friends ;    a    message.    — 

—  Our  Presidents  eightieth  birthday.  —  Military 
Service  in  Australia.  —  J.  A.  Farrer,  The 
Vision  of  Senator  Z.  — ■  usw. 

Monthly  Circular  (of  the  National  Peace 
Council,  London).    Februar. 

Advocate  of  Peace  (Washington).  Fe- 
bruary.    The  Battleships  Program  once  more. 

—  The  Anglo-American  Centenary.  —  The 
St.  Louis  Peace  Congress.  —  Fannie  Fern 
Andrews,  American  School  Peace  League. 

—  William  D.  B.  Ainey,  An  hundred 
years  of  Peace.  —  Thomas  H.  Lewis, 
The  School  Teacher  as  the  Advance  Agent 
of  Peace.  — ■  Thomas  Raeburn  White, 
The  immediate  Establishment  of  an  inter- 
national Court  of  Arbitrale  Justice.  —  Rear- 
Admiral  ehester,  The  Panama  Canal  Bill. 

The  Messenger  of  Peace  (Richmond, 
Ind.).  Jan.  William  C.  Deming,  The 
Opportunity  and  Duty  of  the  Press  in  Re- 
lation  to   World   Peace.   —  usw. 

La  Luce  del  Pensiero  (Neapel).  Februar. 
M.  Mastropaolo,  II  problema  della  Col- 
tura  e  il  Govere  della  Democrazia.  —  G.  T  i  - 
nivella,    I   diritti  del   sentimento.   —   usw. 

(Le  Messagerde  lajPaix,  Moskau).  No.  1 
u.    2.     In  russischer   Sprache. 

„V  r  e  d  e  d  o  o  r  Recht"  (Haag).  Febr.  Aan 
het  nederlandsche  Volk.  —  Lieut.-Gen.  Ihr. 
J.  C.  C.  den  Beer  Poortugael.  —  B.  d. .  J., 
Internationale  feestelijke  Studenten  Bijen- 
komst.  —  Dr.  M.  J.  van  der  Hier., 
Het  tweede  Arbitrage-geding  in  1912.  — 
H.  van  der  M andere,  Timor-aangelegen- 
heid.    —    C.    A.    de    Jong    van    Beek    en 


117 


DIE  FRIEDENS -WAETE 


3 


D;onk,  Nadere  Regeling  betreffende  bemidde- 
ling.  —  S.  J.  Visser,  Difficiles  Nugäe.  — 
Dr.  A.  B.  van  der  Vies,  De  nederlandsche 
Staatsbegrooting  en  het  Internationalisme. 
Het  Vredesbudget. 

Fredsfanan  (Stockholm).  No.  2.  Till 
svenska    Volket.    Fredens    Sekelminne    1914. 

—  Erik  Palmstierna,  Fredsbetryggande 
Faktorer. 

Fredsbladet  (Kopenhagen).  No.  2.  Niels 
Petersen,  Faestningsagitationen.  —  G. 
K  e  m  p ,  Verdensfredsadressen.  —  Niels 
Petersen,  Faestningsagitationen  og  Krigs- 
minderne.  —  Tilnaermelsen  mellem  Tyskland 
og  England. 

Nemzetközi  elet  (Internationales  Leben, 
Budapest).  1912.  No.  12.  Feltik  a  lakossay 
nyugalmät!  —  Bekemogalmak  hazänkban.  — ■ 
Az   ezidei   Nobel-fele  bekedij.   —  usw. 

—    1913.    No.    1.     önzetlen   hazafisäy.    —    usw. 

The  Japan  Peace  Movement  (Tokio). 
No.  2.    Observance  of  Peace  Sunday  in  Japan. 

—  Sidney  L.  Gulick,  The  economic 
Theory  of  Peace.  —  Count  Okuma, 
Characteristics  of  the  modern  Peace  Move- 
ment. —  usw. 


Artikel-Rundschau,    ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

Mit  schlecht  verhehltem  Aerger  wird  die 
neue  englisch-deutsche  Verständigungs  Zeitschrift 
„Die  Eiche"  in  der  „K  reuzzeitun  g" 
vom  23.  II.  und  im  „R  e  i  c  h  s  b  o  t  e  n" 
vom  15.  II.  begrüßt.  —  In  einem  „Die 
Rechnung  gilt"  überschriebenen  Artikel  be- 
schäftigt sich  das  „Leipziger  Tage- 
blatt" (27.  IL)  mit  den  Lehren  Norman  An- 
gells.  Darin  läßt  der  Verfasser  die  Richtigkeit 
der  Angelischen  Behauptungen  „dahingestellt" 
sein,  entschließt  sich  aber  doch  zu  der  Fest- 
stellung: „Ganz  zweifellos,  daß  die  Kulturvölker 
mehr  und  mehr  dem  Kriege  als  solchem  ab- 
geneigt werden.  Auch  das  ist  ja  nur  wieder  zu 
begreiflich,  denn  ebenso,  wie  im  Leben  der 
Individuen  die  gewaltsame  Lebensbetätigung 
den  Bahnen  des  Rechts  weicht,  so  werden  auch 
im  Leben  der  Kulturvölker  die  atavistischen 
Triebe  mehr  und  mehr  überwunden,  und  die 
Sonne  des  Handelns  nach  Recht  und  Pflicht 
im  Völkerrecht  spendet  ihr  warmes  Licht.  Und 
hier  ist  es  eine  ganz  markante  Erscheinung,  daß 
die  germanischen  Völker,  also  Engländer, 
Deutsche  und  die  in  der  Kultur  so  weiten  Nord- 
germanen am  stärksten  die  Kultur  des  Pflicht- 
bewußtseins pflegen."  Es  ist  immerhin  aus 
diesen  Betrachtungen  die  zum  Ueberdenken  an- 
regende Einwirkung  der  Angellschen  Arbeit  zu 
erkennen.  Und  mehr  wollen  wir  überhaupt 
nicht,  als  zum  Denken  anregen.  —  In  einem 
als  „von  besonderer  Seite"  herrührend  bezeich- 
neten, mit  „Militaria"  überschriebenen  Artikel 
des  „Berliner  Tageblat  t",  der  offen- 
sichtlich einen  Militär  zum  Verfasser  hat,  ist 
der  bemerkenswerte  Satz  enthalten:  „Wir 
wollen  die  Hoffnung  nicht  aufgeben,  daß  bei 
besserer  politischer  Leitung  und  im  allgemeinen 
europäischen  Interesse  wir  und  unsere  zivi- 
lisierten Nachbarn  nicht  immer  die  geradezu 
ungeheuren  militärischen  Lasten  werden  tragen 
müssen."  —  Friedrich  Naumann  hat  auf 


seinem  Wege  jenseits  der  pazifistischen  Kultur- 
arbeit in  einem  in  der  „Hilfe"  (13.  IL)  er- 
schienenen Artikel  (Die  Sterbenden  von  Adria- 
nopel) wieder  das  angebliche  Versagen  der  pazi- 
fistischen Bestrebungen  betont.  Da  lesen  wir: 
„Und  Schiedsgericht?  Wir  haben  es  eben  vor 
uns  gehabt,  das  Schiedsgericht  von  London! 
Mehr  kann  ein  Haager  Gerichtshof  auch  nicht 
tun.  Die  Mächte  schlugen  vor,  Adrianopel 
mitten  durch  zu  teilen;  sie  aber  sterben  lieber, 
als  Adrianopel  teilen  zu  lassen  .  .  ."  Sie  denken 
ja  gar  nicht  daran.  Die  Sterbenden  und  die 
Beschließenden  sind  nicht  dieselben.  Andere 
haben  beschlossen,  daß  andere  „lieber"  sterben 
sollen.  Und  was  hat  das  Schiedsgericht  damit 
zu  tun  ?  Welche  Verwechselungen !  Soll  der 
Räuber  Prozeß  führen,  statt  zu  rauben?  Da  er 
das  nicht  tun  wird  —  weiß  er  doch,  er  müßte 
unterliegen  —  gibt  es  deshalb  kein  Mittel,, 
sich  der  Räuber  zu  erwehren?  Und  wer  ist 
denn  in  jenem  Kriege  der  Räuber?  Nicht  der, 
der  Adrianopel  nehmen  will,  sondern  jener,  der 
sich  darin  versteckt  hält.  —  Im  „Zeitgeist" 
vom  17.  IL  feiert  Grete  Meisel-Hess  den 
75.  Geburtstag  von  Joseph  Popper-Lyn- 
k  e  u  s ,  den  Verfasser  der  Bücher  „Das  Recht 
zu  leben  und  die  Pflicht  zu  sterben"  und  „Das 
Individuum  und  die  Bewertung  menschlicher 
Existenzen",  zweier  Schriften,  die  den  Ideen- 
schatz des  Pazifismus  unendlich  bereicherten. 
Die  Verfasserin  sagt  zum  Schluß  ihres  Auf- 
satzes: „Ich  wüßte  niemanden,  der  den  Wert 
des  Menschenlebens  in  einer  bezwingenderen 
Art  analysiert  und  dargestellt  hätte  wie  Popper. 
Er  ist  der  Mann,  dem  weitaus  als  erstem  der 
Friedensnobelpreis  gebührt  I  Denn  erst,  wenn 
dieses  Bewußtsein  vom  Wert  des  menschlichen 
Lebens,  des  Komplexes  „Ich"  so  gewaltig  wird, 
daß  keinerlei  Einwände  mehr  dagegen  stand- 
halten können,  erst  dann  wird  es  unmöglich 
sein,  daß  Menschen  gezwungen  werden,  für  die 
„Ideale"  oder,  besser  gesagt,  Interessen  anderer, 
welcher  Art  sie  auch  sein  mögen,  ihr  Leben 
hinzugeben  oder  aufs  Spiel  zu  setzen.  Für 
dieses  Bewußtsein  hat  Popper  Worte  gefunden 
wie  kein  anderer.  Das  Nobelkomitee  hat  im  ver- 
gangenen Jahre  den  Friedenspreis  nicht  ver- 
geben, weil  es  den  Würdigen  nicht  fand.  Hier  war 
und  ist  der  Mann,  den  man  vergebens  suchte." 


Artikel.     ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  n  ::  ::  : 

(Bibliographie.)  I.  Friedens- 
bewegung im  allgemeinen:  Carl 
Ludwig  Siemering,  Immanuel  Kant  als 
Philosoph  des  Weltfriedens.  „Ethische  Rund- 
schau." II.  *  M  a  x  N  o  r  d  a  u ,  Kriegsstimmung. 
„Pester  Lloyd."  23.  II.  *  Georg' 'Gothein, 
Der  Kriegskeim.  „Neckar-Zeitung  (Heilbronn). 
7.  II.  *  H.  Froelich,  Die  Völker  und  der 
Krieg.  „Der  Weg."  II.  *  Hermann  Schu- 
rig, Was  ist  der  Krieg?  „Die  Grenzboten." 
12.  II.  *  Karl  Witte,  Die  Abrüstungspläne 
zur  Zeit  des  zweiten  Kaiserreiches.  Sonntags- 
beilage der  „Voss.  Ztg."  16.  II.  *  Max  Mau- 
re n b r  e  c  he  r,  Realistische  Friedensbewegung." 
„Das  Freie  Wort."  Nr.  22.  *  Louis  P.  L  o  c  h- 
ncr,  Ueber  internationale  Studentenvereine. 
„Hochschul-Nachrichten  (München).  Nov.   1912. 

IL  Die  internationale  Politik: 
Norman  Angell.  Einige  Worte  zur  deutsch- 
euglischen  Verständigung.    „Vossische  Zeitung." 


I 


118 


(g=== 


=  DIE  FRIEDENS -WARTE 


1-1.  IL  *  Axel  Schmidt,  Die  deutsch-eng- 
lische Annäherung  und  die  englisch-russische 
Entfremdung.  ..Berliner  Börsen-Courier."  19.  II. 
*  Dr  ,C  u  r  t  1».  a  d  lauer,  Die  Neutralisation 
Albaniens.  „Hamburger  Nachrichten."  IG.  II.  * 
Modernisierung  der  Diplomatie.  „Solothurner 
Zeitung."    18.   II.   * 

III.  Völkerrecht:  Die  Genler  Verhand- 
lungen über  das  Verbot  des  Luftkrieges.  „Neue 
Preußische  (f)  Zeitung."  15.  II.  *  Dr.  Ad. 
G  r  o  t  e  ,  Das  Problem  eines  internationalen 
Staatengerichtshofes.  „Burschenschaftl.  Blätter." 
(Berlin.)    Nr.   9. 

IV.  Internationales:  Prof.  Dr.  Josef 
Kohler,  Weltmarkenschutz.  ,. Allgemeine 
Zeitung-."  (München.)  8.  II.  *'  'Nationalismus- 
Internationalismus.  „Internationaler  Volks- 
wirt."    (Berlin.)     16.    II. 

V.  Wirtschaftliches:  Hermann 
(i  ottschalk,  Krieg  und  Arbeit.  „Die  Neue 
Hundschau."  11.  *  Norman  Angell,  Why 
Germany  builds.  What  the  German  said.  „Daily 
Mail."  (Paris.)  20.  II.  *  Die  falsche  Rechnung. 
„Der  Bote  aus  dem  Riesengebirge."  22.  II.  * 
Friedrich  Depken,  Norman  Angells  fal- 
sche Rechnung.  „Heidelberger  Neueste  Nach- 
richten." 4.  II.  *  Die  internationale  Abhängig- 
keit der  Volkswirtschaft.  „Straßburger  Post." 
7.  II.  *  Ernst  Jäckh,  Deutschland |5,  Eng- 
land 8.  „Die  Hilfe."  20.  II.  *  Eine  Schilderung, 
wie  es  in  Oesterreich  ausschaut.  „Arbeiter- 
Zeitung."  (Wien.)  20.  II.  *  Hungersnot  in 
Galizien.  „Die  Zeit."  21.  II.  *  Ri  c  h.  Gaed  k  e, 
Das  deutsch-französische  Wettrüsten.  „Zeit." 
(Wien.)    23.  II. 


rMITTEIll/NQENDEBS 
FRIEDENSGESELLSCHAFTEN 

(Verantwortlich   für   den  Inhalt   dieser   Rubrik  ist   nicht   die 
Schriftleitung,   sondern  die  betreffende  Friedensgesellschaft.) 


Deutsche  Friedensgesellschaft : 
Ortsgruppe  Cöln. 

Resolution. 

An  1100  im  überfüllten  Saal  des  Frän- 
kischen  Hofes   versammelte   Bürger   Cölns 

nehmen  mit  Bedauern  Kenntnis  von  der 
neuen  Heeresvorlage,  die  nach  allerdings  noch 
nicht  offiziös  beglaubigter  Nachricht  eine 
laufende  Mehrausgabe  von  250  Millionen  und 
eine  einmalige  Ausgabe  von  einer  Milliarde  in 
den  Abgrund  des  Piüstungswahns  schleudern  wird; 

protestieren  gegen  die  nicht  nur  in  Deutsch- 
land, sondern  in  allen  Ländern  von  den  gleichen 
Kreisen  betriebenen  Hetze,  die  unter  dem  Deck- 
mantel einer  nationalen  Notwendigkeit  immer 
wieder  die  Rüstungsforderungen  stellen,  ihrer- 
seits aber  jeden  Weg  einer  Verständigung 
zwischen  den  Nationen  durch  ihre  Hetzarbeit 
ungangbar  machen; 

fordern  die  Regierung  auf,  neben  den 
Rüstungen  das   von  der  Friedensbewegung  an- 


geregte und  von  den  Regierungen  fortgesetzte 
Werk  der  Haager  Konferenzen  energisch  zu 
fördern,  das  Seebeuterecht  abzuschaffen,  damit 
einen  Hauptgrund  für  die  Flottenrüstung  zu 
beseitigen,  den  ständigen  Staatengerichtshot  im 
Haag  zu  errichten,  die  von  Nordamerika  vor 
zwei  Jahren  durch  die  Bennetbill  angeregte 
Studienkommission  für  die  Möglichkeit  der 
Rüstungsbeschränkungen  endlich  einzusetzen, 
kurz,  die  Vorbereitungen  für  eine  friedliche 
Erledigung  aller  Streitigkeiten  zwischen  den 
Nationen  ebenso  als  eine  nationale  und  daher 
kräftig  zu  fördernde  Angelegenheit  betreiben, 
wie    jetzt    die    Rüstungsvermehrungen; 

verpflichten  sich  ihrerseits  ein  jeder  an 
seinem  Teil  mitzuarbeiten  am  Werk  inter- 
nationaler   Verständigung. 


Oesterreichische  Friedensgesellschaft. 

Bureau:  .Wien  I,    Spiegelgasse  4. 

Unser  Vizepräsident,  Dr.  Alex.  Ritter  von 
Dorn,  feierte  iu  voller  geistiger  und  körper- 
licher Frische  im  vorigen  Monate  seinen  75.  Ge- 
burtstag. Unser  Vorstand  benützte  diesen  freu- 
digen Anlaß,  seinem  treuen  Gesinnungsgenossen 
zu    diesem    Jubelfeste    zu    beglückwünschen. 

MB 

Aufruf! 
In  der  jetzigen,  so  kriegsbewegten,  kon- 
iliktsschwangeren  Zeit  enthüllt  sich  uns  mit 
eindrucksvoller  Klarheit  das  Zwiespältige  in  der 
modernen  Weltanschauung:  mit  der  Tradition, 
mit  den  althergebrachten  Gebräuchen  und  Sitten 
ringen  die  neuen  zukunftsfrohen  Ideen  der  Ver- 
besserung des  sozialen  und  internationalen 
Lebens.  Noch  ist  die  Tradition  herrschend, 
noch  glauben  viele  in  gedankenloser  Wieder- 
holung des  Ausspruches  anderer  an  den  Krieg 
als  etwas  Gottgewolltes  oder  wenigstens  als  eine 
unabwendbare  Einrichtung  der  Natur  gleich  Un- 
wettern, Erdbeben  und  Meeresstürmen;  noch 
erblicken  viele  in  der  kriegerischen  Betätigung 
den  höchsten  Ruhmestitel  des  Mannes,  des 
Herrentums,  zugleich  aber  eine  radikale  Kur 
gegen  angebliche  Uebervölkerung  und  Degenera- 
tion, unter  allen  Umständen  das  einzig  wirk- 
same Mittel,  um  das  Vaterland  gegen  äußere 
„Feinde"  zu  schützen  und  zu  sichern. 

Aber  seit  langem  schon  erheben  sich  in 
der  Brust  jedes  Denkenden  und  Fühlenden 
Zweifel  an  der  Richtigkeit  dieser  Weltanschau- 
ung und  gerade  jetzt  mit  doppelter  Stärke:  zu 
laut  sprechen  die  furchtbaren  Greuel  im  Gefolge 
jedes  Krieges,  so  auch  des  jetzigen,  zu  unserem 
Herzen  —  Greuel,  welche  trotz  aller  Milderungs- 
versuche internationaler  Vereinbarungen,  dank 
der  im  Kriege  schrankenlos  entfesselten,  jeder 
Kultur  spottenden  Urtriebe  des  Menschen  immer 
wieder  zum  Ausbruche  kommen.  Da  sind  aber 
auch  die  wahnsinnig  steigenden  Rüstungskosten, 


119 


DIE  FRIEDENS -,M&ßTE 


s 


:3 


welche  in  geradezu  trostloser,  wechselseitigem 
Berufung  auf  den  bösen  Nachbar  ins  Unermeß- 
liche wachsend,  die  produktive  Tätigkeit  in 
jedem  Lande  immer  schwerer  belasten  und  es 
immer  weniger  möglich  machen,  selbst  die 
dringendsten  kulturellen  und  sozialen  Bedürf- 
nisse  des    Volkes   auskömmlich   zu   befriedigen. 

Und  in  die  bangen  Zweifel  an  der  Richtig- 
keit  jener  kriegerischen  Weltanschauung  mischt 
sich  die  in  vielen  bereits  dunkel  geahnte  und 
sich  immer  allgemeiner  durchdringende  Er- 
kenntnis von  der  Möglichkeit,  internationale 
Konflikte  durch  Kichterspruch  auszutragen,  wie 
ja  schon  längst  private  Konflikte  der  Kultur- 
menschen nicht,  mehr  durch  rohe  Gewalt, 
sondern    durch    den    Richter    beseitigt    werden. 

Diese  frohe  Botschaft  der  völkerrechtlichen 
und  weltwirtschaftlichen  Apostel  der  inter- 
nationalen Organisation  und  des  internationalen 
Schiedsgerichtes  muß  gerade  jetzt  um  so  mehr 
triumphieren,  als  wir  nunmehr  den  klaren  Be- 
weis erhielten,  daß  Rüstungen  und  Ueber- 
rüstungen  uns  doch  nicht  vor  dem  Kriege  und 
der  Kriegsgefahr  schützen,  also  ihrem  so  oft  ver- 
kündeten obersten  Zwecke  nicht  gerecht  werden, 
im  Gegenteil,  wir  müssen  schaudernd  erkennen, 
daß  wir  uns  auf  einem  ganz  falschen  Wege 
befanden,  der  uns  dem  gewöhnlichen  Ziele  um 
keinen  Schritt  näher  brachte,  sondern  uns 
immer  weiter  davon  entfernte. 

Der  Samen  für  diese  kostbare,  des  Menschen 
einzig  würdige  Auffassung  internationaler 
Fragen,  diese  kostbare  Einsicht  reift  in  uns 
allen,  in  manchen  erst  als  zartes  Pflänzchen, 
in  vielen  schon  als  stattlicher  Baum.  Wir 
wissen  es  jetzt:  das  Wohlergehen  der  Staaten 
und  ihrer  Bewohner  hängt  entscheidend  davon 
ab,  daß  jene  rechtliche  und  friedliche  Auf- 
fassung Allgemeingut  werde.  Sie  ist  ja  im 
Grunde  nichts  anderes,  als  der  wahre  Kern 
des  Christentums,  ebenso  wie  jeder  anderen 
Religion  und  Ethik.  Sie  verheißt  auch  die  so 
lange  gesuchte  Lösung  sozialer  und  politischer 
Probleme,  sie  ist  echter  Humanismus,  aber 
ebenso  echter  Patriotismus,  weil  sie  ja  den 
dauernden  Bestand  und  die  Wohlfahrt  des 
eigenen  Vaterlandes  zugleich  mit  der  Wohlfahrt 
aller  Nachbarn  wahrhaft  sichert  und  nicht  bloß 
verspricht  I 

Zu  dieser  besseren  und  geläuterten  Einsicht, 
deren  sich  ja  viele  noch  nicht  bewußt  sind, 
müssen  sich  möglichst  viele  Volksgenossen  in 
allen  Staaten  der  Welt  öffentlich  bekennen, 
dann  wird  der  Erfolg  unser  sein! 

Wir  richten  daher  an  alle  ehrlichen  Freunde 
unseres  Volkes  und  der  Menschheitsideale  die 
herzliche  Bitte,  sich  in  den  Dienst  der  modernen 
Kultur  dadurch  zu  stellen,  daß  sie  der  äußeren 
Organisation  dieser  Weltauffassung,  der  Oesterr. 
Friedensgesellschaft,  sich  als  tätiges  Mitglied 
anschließen.    Wenn   wir  alle   jene   Männer   und 


Frauen  in  Oesterreich,  welche  im  Herzen  schon 
längst  unser  sind,  auch  als  Mitglieder  begrüßen 
können,  dann  haben  wir  schon  das  schwerste 
überwunden,  dann  wird  es  endlich  gelingen, 
daß  die  Menschheit  über  ihre  gefährlichsten 
Feinde,  über  Unverstand  und  Elend,  siegen  kann. 
Wien,  im  März  1913. 

Vorstehender  Aufruf  wuz'de  an  zirka  12  000 
Persönlichkeiten  und  zirka  300  politische  und 
Fachblätter  versendet.  (Die  Neue  Freie  Presse 
veröffentlichte  ihn  im  Morgenblatte  vom  2G.  v.  M.) 
An  unsere  Mitglieder  ergeht  die 
Bitte,  uns  Adressen  von  ihren  Be- 
kannten zu  senden,  an  welche  dieser 
Aufruf  event.  zu  schicken  wäre. 


Die  beiden  Vortragszyklen,  welche  wir  im 
Jahre  1911/12  veranstalteten,  erfreuten  sich  so 
großen  Zuspruches  und  förderten  unsere  Be- 
strebungen in  so  ausgezeichneter  Weise,  daß 
wir  auch  heuer  einen  III.  volkstümlichen 
Vortragszyklus  mit  nachstehendem  Pro- 
gramm  veranstalten. 

12.  d.  M.:  Pfarrer  A.  Schindelar:  „Die 
sittlich-religiöse  Berechtigung  der  Friedens- 
bewegung". 19.  d.  M. :  Artur  Müller:  „Pazi- 
fistische Tendenzen  am  Ausgange  des  Mittel-« 
alters".  2.  IV.:  Dr.  Paul  Stiaßny,  Referent 
der  Carnegiestiftung:  „Der  österreichische 
Staatsbankrott  von  1811".  9.  IV.:  Univ. -Prof. 
Dr.  Oswald  Richter:  „Ein  Spaziergang  durch 
die  Kruppschen  Werke"  (mit  Demonstrationen). 
16.  IV.:  Alfred  H.  Fried:  Ueber  Norman  An- 
gells  Buch  „Die  große  Täuschung".  23.  IV.: 
Baronin  Berta  von  Suttner:  „Pazifismus  in 
Amerika". 

Die  Vorträge  finden  bei  freiem  Eintritt 
71/2  Uhr  abends  im  Hörsaale  50  der  k.  k. 
Universität   (Philosophische  Fakultät)   statt. 


Auf  Anregung  des  Wiener  Volksbildungs- 
vereines hielt  unser  Vorstandsmitglied,  Univ.- 
Prof.  Dr.  O.  Richter  am  23.  Februar  einen 
Vortrag  unter  dem  Titel  „Die  Friedensbewegung 
und  ihr  Erfolg"  und  am  2.  d.  M.  „Der  Kampf 
ums  Dasein". 

MB 

Vorträge:  Unser  Vorstandsmitglied, 
Schriftsteller  A.  Müller,  hielt  am  25.  Januar 
im  „Neuen  Frauenklub"  unter  dem  Titel  „Der 
Kampf  gegen  den  Krieg"  und  am  7.  d.  M.  in 
der  Ersten  Organisation  neutraler  Guttempler 
über  „Abstinenz  und  Friedensbewegung" 
Vorträge. 


Friedensbew  eg  ung  in  Mähren. 
Der  neu  geschaffene  Friedensverein  in  Brunn 
„Jednota  mirovä  pro  Moravu"  entwickelt  eine 
lebhafte  Tätigkeit.  Er  hält  fleißig  Vorträge 
und  wurde  auch  eine  Broschüre  herausgegeben. 
Die  Gesellschaft  zählt  bereits  600  Mitglieder, 
darunter  sehr  viele  Lehrer  und  Lehrerinnen. 


Verantwortlicher  Redakteur:  Carl  Appold,  Berlin  W.60.  —  Im  Selbstverlag  des  Herausgebers  Alfred  H.  Fried,  Wien  IX/2 
Druok:  Pass&Gsr!  «b  G.m.b.H.,  Berlin  W.  57.  —  VerantwortL  Redakteur  ftr  Oesterreich-Üngarn  :  Vinzene  Jerabek  in  Wien. 


120 


April  1913. 


Im  Namen  Europas. 


Seit  meiner  Kindheit  heißt  es:  „Im 
Frühjahr  geht's  los!"  Seit  mehr  als  vierzig 
Jahren  kartet  die  Menschheit  von  1900 
auf  den  von  den  Priestern  des  Militaris- 
mus angekündigten  europäischen  Krieg  nach 
der  Schneeschmelze,  wie  die  Menschheit  um 
das  Jahr  1000  auf  den  Weltuntergang.  In 
diesem  Winter  unseres  Mißvergnügens,  der 
den  Aufbruch  jenes  Geschwüres  sah,  auf 
den  die  hohe  Politik  und  mit  ihr  die  niedere 
öffentliche  Meinung  seit  einem  halben  Jahr- 
hundert mit  Bangen  wartete,  glaubten  die 
Feuerschlucker  Europas,  daß  die  Zeit  wirk- 
lich schon  gekommen  sei,  wo  ihre  Prophe- 
zeiung in  Erfüllung  gehen  müsse.  Die  Heere 
zweier  europäischer  Großmächte  standen 
sich  kriegsbereit  hart  an  den  Grenzen 
gegenüber.  Jeder  Tage  brachte  neuen  Zünd- 
stoff, neue  Verwicklungen,  neue  Befürch- 
tungen ;  aber  die  Millionen  Gewehrläufe 
blieben  ungeschwärzt.  Für  die  überkom- 
mene politische  Auffassung  etwas  ganz  Un- 
begreifliches. Statt  den  Versuch  zu  machen, 
das  Unbegreifliche  zu  ergründen,  vertagte 
man  Hoffnung  und  Befürchtung  auf  das 
Frühjahr,  auf  die  Schneeschmelze.  Das  ist 
an  sich  ein  altfränkischer  Gedanke.  In 
jenen  Zeiten,  wo  kriegerische  Auseinander- 
setzungen noch  mit  einer  gewissen  Eleganz 
ausgeführt  werden  konnten  und  mehr  einer 
mit  .Nachdruck  ausgeführten  politischen 
Demonstration  glichen  als  einem  Daseins- 
ringen von  Millionen,  konnten  Schnee  imd 
Winterkälte  noch  ihre  Ausführung  beein- 
flussen. Die  solches  heute  noch  annehmen, 
sind  sich  nicht  klar  geworden,  was  ein 
moderner  Krieg  in  Europa  eigentlich  be- 
deuten würde.  Der  deutsche  Reichskanzler 
hat  es  am  7.  April  im  Reichstag  gesagt: 
,, Von  den  Dimensionen  eines  Weltbrandes, 
von  -dem  Elend  und  der  Zerstörung,  die  er 
über  die  Völker  bringen  würde,  macht  sich 
kein  Mensch  eine  Vorstellung.  Alle  bisherigen 
Kriege  werden  wahrscheinlich   ein  Kinder- 


spiel dagegen  sein."  Und  da  sollten  Schnee 
und  Winterkälte  eine  aufschiebende  Rolle 
spielen,  wenn  solch  ein  Krieg  notwendig 
sein  sollte,  wenn  er  möglich  wäre  ?  Dieser 
Gedanke  an  einen  auf  das  Frühjahr  ver- 
tagten Krieg  ist  nur  ein  unbeholfener  Ver- 
such, über  das  unbegriffene  Neue  mit 
einem  bequemen  Gedankensprung  hinweg- 
zukommen. 

Das  unbegriffene  Neue  liegt  eben  darin, 
daß  der  Krieg  aufgehört  hat,  „eine  Fort- 
setzung der  Politik  nur  mit  anderen 
Mitteln"  zu  sein,  wie  man  es  sich  heute 
noch  nach  Clausewitzschem  Rezept  ein- 
zureden beliebt.  Diese  „anderen  Mittel"  der 
Politik,  die  über  jenen  toten  Punkt  hin- 
auswirken sollen,  wo  unsere  Väter  und 
Großväter  nur  den  Krieg  als  einzige  Mög- 
lichkeit erblickten,  haben  sich  eben  ge- 
ändert. Das  hat  uns  der  Winter  1912/13 
wieder  auf  das  deutlichste  bewiesen. 

Dieses  Neue  ist  in  die  Augen  springend ; 
man  will  es  nur  nicht  sehen.  Es  klebt 
noch  zu  viel  historischer  Staub  in  den 
Augen  unserer  Zeitgenossen,  der  ihnen  das 
Sehen  erschwert;  ihr  Blick  ist  noch  zu 
sehr  getrübt  durch  zu  viel  Interessen,  zu 
viel  Tradition,  zu  viel  Routine.  Und  weil 
man  es  nicht  sehen  will,  will  man  auch 
nichts  davon  hören  und  vermeidet  selbst 
die  Benennung  der  neuen  Dinge  durch1  neue 
kennzeichnende  Namen.  Die  sogenannte 
Botschafterkonferenz  in  London  war  ja 
doch  etwas  mehr,  als  der  Name  besagen 
durfte.  War  ja  doch  jenes  Zentralorgan  eines 
neuen  Organismus,  dem  die  Aufgabe  ob- 
lag, in  der  Stunde  ernster  Bedrohung  einer 
Gesamtheit  und  ihrem  Willen  Ausdruck 
zu  verleihen.  Und  dieser  neue  Organismus 
ist  ein  Europa,  das  isich  vom  geographischen 
Begriff  zu  einelm  politischen  gewandelt  hat. 
Man  mag  gegen  diese  Definition  einwenden 
was  man  wolle,  die  Tatsache  ist  unerschüt- 
terlich.   Freilich   wer   da   glaubt,    an    diese 


121 


DIE  FRIEDENS  -WAGTE 


3 


Anfänge  Forderungen  stellen  zu  dürfen, 
die  nur  das  Vollkommene  erfüllen  kann, 
der  wird  enttäuscht  sein.  Er  wird  aber 
nicht  das  Recht  haben,  zu  behaupten,  daß 
etwas  deshalb  nicht  ist,  weil  es  noch  nicht 
vollkommen  ist.  Nein,  dieses  politische 
Europa  ist,  und  die  Einrichtung,  die  man 
aus  Angst,  diese  Tatsache  zugeben  zu 
müssen,  bloß  als  Botschafterkonferenz  eti- 
kettierte, ist  ein  wichtiges  und  wirkliches 
Organ  dieses  neuen  politischen  Gebildes  ge- 
wesen. Ein  Organ,  das  einen  Gemeinsam- 
keitswillen anscheinend  heterogener  Teile 
erzeugte,  das  aus  den  noch  widerstrebenden 
Willensäußerungen  eine  Willenseinheit  her- 
auskristallisierte. Und  kein  ohnmächtiges 
Organ  war  es  mehr,  bloß  zu  theoretischen 
Aeußerungen  geschaffen.  Haben  die  ge- 
schichtsverklebten  Augen  der  Rückwärts- 
gewandten, ihre  allem  beglückenden  Neuen 
abgewandten  Ohren  jenes  Dokument  nicht  ge- 
sehen noch  von  ihm  gehört,  das  am  10.  April 
in  der  Adria  verkündigt  wurde?  Jenes  Do- 
kument, das  mit  den  Worten  anhebt: 
„Im  Namen  der  internationalen 
Flotte,  welche  die  Großmächte 
Europas  vertritt",  und  das  mit  den 
Worten  schließt :  „C  e  c  i  1  Burney, 
Vizeadmiral  und  Kommandier  en- 
der der  internationalen  Flotte." 

„Internationale  Flotte,  welche  die  Groß- 
mächte vertritt" !  Und  zwischen  diesen  An- 
fangs- und  Endworten  stand  ein  Wille 
dekretiert,  ein  einheitlicher  Wille,  ein  Be- 
fehl im  Namen  Europas.  Sieht  man  noch 
immer  nichts?  Freilich,  den  Rückwärts- 
gewandten wird  dieses  Sehen  nicht  leicht. 
Aber  für  uns,  die  wir  die  Kausalität  dieses 
Dokuments  kennen,  die  wir  wissen,  wie 
sieh  der  darin  ausgedrückte  Gedanke,  der 
darin  zutage  tretende  Wille,  die  darin  ver- 
körperte Aktion  allmählich  und  natur- 
notwendig aus  den  Einzelgeschehnissen  des 
letzten  Menschenalters  herausentwickelten, 
für  uns  ist  dieses  Dokument  ein  hohes 
Zeichen  von  erlösender  Bedeutung,  ein  er- 
neuter Lebensschrei  des  werdenden „Staaten- 
trüstes  unseres  von  den  Rudimenten  der 
Vergangenheit  noch  immer  überwucherten 
alten  Erdteils. 

Mögen  die  Skeptiker,  die  Zweifler  und 
Spötter,  die  um  die  Vergangenheit  sich 
Aengstigenden  noch  so  sehr  den  Wert  dieses 
Dokumentes  herabzusetzen  suchen,  daß  es 
ist,  können  sie  nicht  bestreiten,  .und  da- 
durch, daß  es  ist,  daß  es  sein  konnte,  ist 
es  etwas  Großes.  Als  wir  auf  unseren  Kon- 
gressen   von    einer     aus    den    Flotten     der 


europäischen  Mächte  gebildeten  internatio- 
nalen Polizei  sprachen,  galten  wir  als  die 
Utopisten   und  Schwärmer.    Als  selbst  ein 
Carnegie    diese    Forderung    aufstellte,     ein 
Roosevelt    sie    1910    in    Kristiania    wieder- 
holte, gab  es  nur  ein  Lächeln  bei  den  P^wig- 
gestrigen.  Und  doch  sind  in  einem  (schweren 
Augenblicke  diese  Utopien  Wirklichkeit  ge- 
worden, haben   die   Ereignisse  ganz   genau 
den  Weg  genommen,  den  wir  für  sie  theo- 
retisch skizziert  hatten.    Dabei  muß  noch 
betont   werden,    daß    es    sich    nicht  einmal 
mehr   um   eine  Ausnahmeerscheinung  han- 
delt.    Denn  wir  hatten  schon  einmal  eine 
internationale  Flotte,  wir  hatten  schon  ein 
internationales   Landheer   und  wissen,  daß 
der  englische  Weltadmiral   nur  der  Nach- 
folger des  deutschen  Weltfeldmarschalls  ist. 
Und   gerade  diese   Wiederholung   bestätigt 
die  Annahme,  daß  es  sich  hierbei  um  eine 
Umwälzung  der  politischen  Methoden  han- 
delt, die  der  alten  Routine  Hohn  spricht. 
Vergessen  wir  es  nicht:  Der  gemeinsame 
Wille  Europas,  —  wenn  es  auch  schwer  ge- 
wesen sein  mag,  ihn  zu  konzentrieren  —  die 
gemeinsame  Handlung   Europas  haben   die 
Staaten  vor  gegenseitiger  Vernichtung   be- 
wahrt.   Nur  in  dieser  Gemeinsamkeit  liegt 
das    Heil    dieses    Erdteils.      Solange    jeder 
einzelne  Staat  nur  seinen  eigenen  Frieden 
zu  wahren  sucht,   treibt  er  dem  Ruin  zu. 
Ein    teilweises   Einbekenntnis   hierzu  liegt 
in     der    Formierung    der    beiden    Staaten- 
gruppen, die  wir  in  Europa  haben.    Nicht 
aus  Liebe,  sondern  aus  der  erkannten  Ohn- 
macht des  Isoliertseins  sind  sie  erstanden. 
Eine  Organisierung  dieser  Gruppen  brächte 
das  Ziel  näher.    Was  während  des  Balkan- 
konfliktes    vorübergehend    notwendig    und 
möglich  wurde,  müßte  zu  einer  dauernden 
Einrichtung  werden.    Dann  könnte  Europa 
wirklich    zu   einem    Frieden    kommen,    der 
von    dem    Zustand    des    bloß    vermiedenen 
Krieges    grundsätzlich     verschieden     wäre. 
Dann  könnte  Europa  zu  einer  Lähmung  des 
Rüstungswettbewerbes,    ja    zu   einer   Ver- 
minderung   seines     erdrückenden    Panzers 
kommen.  Denn  nur  durch'  gemeinsames  Zu- 
sammenwirken   aller   Nationen,    zum   min- 
desten   der    größeren    führenden,    ist    das 
Rüstungsproblem   zu   lösen.    Es   ißt    ein 
inte  r  n  ationales       Problem      und 
kann     nur     international    gelöst 
w e r de n.      Der    Versuch,    durch    isolierte 
nationale   Handlungen   mit   ihm   fertig   zu 
werden,  führt  zu  jenen  aller  Vernunft  Hohn 
sprechenden    Methoden     des    gegenseitigen 
Ueberbietens  ohne  Ende. 


122 


@= 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


Im  Namen  Europas  sprach  ein  Ad- 
miral,  im  Namen  Europas  hätten  nun  auch 
die  Soziologen,  die  Sozialpolitiker,  die  Na- 
tionalökonomen, die  Hygieniker  zu  sprechen, 
und  12  Milliarden  jährlich  würden  zu  drei 
Vierteilen  für  die  Wohlfahrt  der  Mensch- 
heit frei !  Im  Namen  Europas !      A.  H.  F. 


Wettrüsten 
oder  Rüstungsverständigung. 

Von  Georg  Gothein,  M.d.  R. 
Von  jeher  ist  Macht  ein  relativer  Be- 
griff gewesen.  Schon  in  der  Bibel  heißt  es: 
,,Wenn  ein  starker  Gewappneter  seinen  Palast 
bewahrt,  bleibt  das  Seine  mit  Frieden,  wenn 
aber  ein  stärkerer  über  ihn  kommt,  so  nimmt 
er  ihm1  seinen  Harnisch,  darauf  er  sich  ver- 
ließ, und  teilt  den  Raub  aus."  Das  gut 
im  Leben  der  Völker  heut  ebenso  wie  vor 
zwei-  oder  dreitausend  Jahren.  Freilich  ist 
eins  inzwischen  wesentlich  anders  geworden. 
Der  Stärkere  hat  kein  reales  Interesse  mehr, 
den  Schwächeren  mit  Krieg  zu  überziehen, 
ihn  zu  unterjochen.  Denn  auch  für  den  Sieg- 
reichen lohnt  der  Gewinn  nicht  den  Einsatz. 
Selbst  der  glänzendste  Sieg  läßt  den  Sieger 
stark  geschwächt  zurück,  und  die  Beute 
—  der  Erwerb  von  Land  und  Menschen  — 
macht  ihn  nicht  reicher.  Es  ist  das  große 
Verdienst  Norman  Angells,  diese  Wahr- 
heit, die  von  objektiv  die  Dinge  Betrachten- 
den längst  erkannt  war,  exakt  nachgewiesen 
zu  haben.  Auch  als  Deutscher  kann  man 
nur  wünschen,  daß  sein  Buch  trotz  vielfach 
schiefer  Auffassung  unserer  Verhältnisse, 
trotz  nicht  unbeträchtlicher  historischer  Irr- 
tümer, die  geeignet  sind,  deutsche  Gefühle 
zu  verletzen,  in  allen  Ländern  ein  Volksbuch 
werde.  Denn  was  bedeuten  diese  kleinen 
Irrtümer  gegen  den  Wert,  den  die  Wider- 
legung des  schwersten  Irrtums  hat,  unter 
dem  die  Völker  leiden.  Wehrmacht  ist 
ein  relativer  Begriff;  das  fand  seinen 
Ausdruck,  als  die  Formel  von  dem  euro- 
päischen Gleichgewicht  erfunden 
wurde,  die  in  den  letzten  beiden  Jahrzehnten 
erneut  und  in  noch  weit  kostspieligerer  Weise 
wieder  aufgenommen  worden  ist  als  damals, 
wo  sie  gegen  die  Eroberungszüge  Lud- 
wigs XIV.  eine  Notwendigkeit  war.  Und 
jede  Verschiebung  des  Schwerpunkts  in  dieser 
künstlichen  Konstruktion  führt  zu  neuen 
Rüstungen.  Zwar  erklärt  jede  einzelne 
Macht,  ihrerseits  nicht  an  Eroberungen  zu 
denken,  mit  ihren  Rüstungen  nur  den  Frieden 
sichern,  einen  Angriff  erfolgreich  zurück- 
weisen zu  wollen;  lediglich  die  Versicherungs- 
prämie für  (Erhaltung  des  Friedens  bedeuteten 
ihre  Rüstungen.  Man  ist  sogar  berechtigt, 
diese   Versicherungen   bei   der   Mehrheit    der 


Staatsregierungen  für  durchaus  ernst  und 
ehrlich  zu  halten.  Denn  wenn  es  auch  in 
allen  Staaten  Leute  gibt,  die  den  Krieg  des 
Krieges  wegen  wollen,  die  da  singen:  ,,Mein 
Vaterland  muß  größer  sein",  die  eine  Er- 
schlaffung der  kriegerischen  Tugenden  eines 
Volkes  in  langen  Friedenszeiten  befürchten, 
so  ist  doch  deren  Zahl  in  England,  Frank- 
reich, Deutschland  und  Oesterreich-Ungarn 
gering;  man  kann  sagen,  sie  ist  in  einem 
Lande  um  so  geringer,  je  höher  die  Volks- 
kultur ist.  Italien  hat  leider  durch  das 
Tripolisabenteuer  bewiesen,  daß  es  unter  Um- 
ständen den  kriegslustigen  Elementen  ge- 
lingt, das  an  sich  friedliche  Volk  in  einen 
Eroberungskrieg  hineinzureißen,  und  die 
panslawistische  Agitation  in  Rußland  be- 
schränkt sich  zwar  auf  einen  nur  kleinen 
Kreis  des  Volkes,  aber  es  sind  politisch  recht 
einflußreiche   Kreise,    die   sie   betreiben. 

In  Deutschland  will  außer 
einigen  politisierenden  Militärs 
und  den  nirgends  ernst  genomme- 
nen Alldeutschen  niemand  den 
Krieg;  es  ist  recht  bedauerlich,  daß  man 
im  Auslande  den  Aeußerungen  von  Männern 
wie  des  Generals  von  Bernhardi  Kurt  von 
Strantz,  Hauptmann  a.  D.  Pauli,  Albrecht 
Wirth,  von  Blättern  wie  dem  „Deutschen 
Armeeblatt",  der  ,,Allg.  Evang.  -  Luther. 
Kirchen-Ztg.",  der  Alldeutschen  Blätter,  der 
„Deutschen  Zeitung",  „Deutschsoziale 
Blätter",  „Hammer",  „Deutsche  Hochwacht", 
die  eigentlich  unter  Ausschluß  der  Öffent- 
lichkeit erscheinen,  irgendwelche  Bedeutung 
beilegt.  Schlimmer  ist  es  schon,  wenn die„Post", 
„Tägl.  Rundschau",  „Rheinisch-Westfälische 
Zeitung"  und  „Leipziger  Neueste  Nach- 
richten" in  eine  gleiche  Tonart  verfallen. 
Aber  auch  hinter  diesen  Blättern  steht  keine 
irgendwie  nennenswerte  Partei.  Und  wenn 
seinerzeit  auch  die  „Konservative  Korrespon^ 
denz"  vor  dem  frivolen  Wort  nicht  zurück- 
geschreckt ist :  „Ein  Krieg  wäre  uns  recht", 
so  wird  man  darin  doch  kaum  mehr  als  eine 
aus  rasch  vorübergehender  Verstimmung 
hervorgerufene  Entgleisung  sehen.  Selbst 
die  konservativen  Fraktionen  wollen  den 
Frieden,  sehen  in  den  Rüstungen  nur  das  In- 
strument zu  seiner  Erhaltung,  denken  nicht 
an  eben  Eroberungskrieg,  auch  nicht  an  einen 
Krieg,  der  den  Gegner  so  schwächt,  daß  er 
dauernd  ungefährlich  ist. 

Wenn  also  die  Elemente,  die  Deutsch- 
land in  kriegerische  Unternehmungen  ver- 
wickeln wollen,  an  sich  keine  politische  Be- 
deutung haben,  so  sind  doch  die,  welche  den 
Frieden  nur  dann  gewahrt  glauben,  wenn 
Deutschland  im'  Verein  mit  seinen  Ver- 
bündeten stärker  ist  als  Rußland  und  Frank- 
reich zusammen,  um  so  einflußreicher;  nicht 
nur  gegenüber  den  maßgebenden  Stellen, 
sondern  auch  gegenüber  jenen  weiten  Kreisen, 
die  das  politische  Denken  sich  von  ihrer 
Zeitung    abnehmen    lassen,    dem    politischen 


123 


DIE  FBIEDENS -^AßTE 


Philister,  der  sich  aus  Angst  vor  dem  Krieg 
in  patriotischen  Worten  berauscht,  sich  bei 
Neuwahlen  stets  auf  die  Seite  derer  schlägt, 
die  ihn  mit  Rüstungsvermehrungen  am  meisten 
zu  schützen  bereit  sind.  Diese  Kreise  sind 
der  Suggestion  durch  die  Rüstungsfanatiker 
am1  meisten  ausgesetzt.  Und  gerade  diese 
suggestiven  Naturen  bilden  sich  ein,  nüch- 
terne Realpolitiker  zu  sein,  sehen  auf  die, 
welche  eingedenk  der  Tatsache,  daß  Wehr- 
macht ein  relativer  Begriff  ist,  daß  die  Ueber- 
treibung  der  Wehrausgaben  zur  wirtschaft- 
lichen und  damit  zur  politischen  Schwächung 
führt,  für  eine  internationale  Verständigung 
über  deren  Begrenzung  eintreten,  verächt- 
lich herab.  Sie  sind  ihnen  entweder  törichte 
Idealisten  oder  verweichlichte  Menschen, 
wenn  nicht  gar  Vaterlandsverräter.  Freilich, 
wenn  diese  „Realpolitiker",  wie  sie  sich  so 
gern  nennen,  die  noch  vor  zwei  Jahren  jede 
Verständigung  zwischen  England  und 
Deutschland  über  ein  Stärkeverhältnis  der 
beiderseitigen  Flotten  als  unsinnig,  un- 
würdig, ja  vaterlandsfeindlich  brandmarkten, 
heut  die  Worte  des1  deutschen  Reichskanzlers 
bei  der  Begründung  der  Wehrvorlage  über 
die  den  Frieden  fördernde  englische  Politik 
und  über  die  Möglichkeit,  zu  einem  fester 
begrenzten  Stärkeverhältnis  als  dem1  der 
Dreadnoughts,  ja  über  Einschränkung  des 
Flottenbaues  zu  kommen,  lesen,  so  werden 
sie  sich  eingestehen  müssen,  daß  diese  hoch- 
erfreuliche Besserung  der  deutsch-englischen 
Beziehungen,  die  für  den  Frieden  wie  für 
Deutschlands  Machtstellung  vom  größten 
Wert  ist,  eine  —  wenn  auch  erst  sehr  un- 
zulängliche —  Verständigung  über  Rüstungs- 
begrenzungen zur  Voraussetzung  hatte.  Ge- 
wiß, die  Welt  ■ —  und  gerade  auch  die  euro- 
päische —  ist  heut  nicht  so  weit  in  der 
Kulturentwicklung,  um  sich  der  Hoffnung 
hingeben  zu  können,  den  Frieden  lediglich 
durch  internationale  Verträge  und  ein  Welt- 
schiedsgericht zu  sichern  und  darüber  auf 
jede  Rüstung  zu  verzichten.  Aber  die  ganze 
Entwicklung  seit  1871  beweist  doch  un- 
zweifelhaft, daß  die  Völker,  ja  daß  sogar  die 
Diplomatie  von  dem  dringenden  Wunsch  be- 
seelt sind,  Mißverständnisse  durch  aufklärende 
Verhandlungen  aus  der  Welt  zu  schaffen, 
entgegengesetzte  Interessen  durch  billigen  Aüs^ 
gleich  zu  verringern. 

Selbst  in  so  schweren  politischen  Lagen 
wie  der  durch  die  Balkankrisis  hervorgerufe- 
nen, wo  Volksleidenschaften,  Rassen-,  ma- 
terielle und  politische  Gegensätze  jede  Ver- 
ständigung so  ungemein  erschweren,  ist  es 
bisher  doch  gelungen^  den  Krieg  zu  lokali- 
sieren, und  wird  es  hoffentlich  gelingen,  auf 
dejrt  Balkan  Zustände  zu  schaffen,  die  die 
Gewähr  einer  längeren  Dauer  haben. 

Es  klingt  paradox,  daß  die  Heeres-  und 
Flottenrüstung  der  Großmächte  heute  gar 
nicht  mehr  dem  Kriege,  sondern  dem  Frieden 
dienen    soll.      Wenn    dem   aber- !  so   ist,    muß 


man  sich  fragen:  „Wird  die  Versiche- 
rungsprämie (geg  e  n  die  Kriegs- 
gefahr, die  in  der  Rüstungausgabe 
besteht)  nicht  zu  groß?  läßt  sich 
der  damit  erstrebte  Zweck  nicht 
in  einer  Weise  erreichen,  die  we- 
niger am  Mark  des  Volkes  zehrt?" 

Deutschlands  Wehrausgaben  beliefen  sich 
nach  dem1  vorläufigen  Etat  für  1913  ein- 
schließlich der  Militär-  und  Marinepensionen 
auf  1578,8  Mill.  M. ;  rechnet  man  dazu  noch 
die  Hälfte  der  Jahresausgaben  der  Reichs- 
schuldenverwaltung mit  123  Mill.  M.,  so 
sind  das  bar  1711,8  Mill.  M.  Der  Geh.  Ober- 
Finanzrat  Schwarz  hat  die  Wehrausgaben  in 
den  Etats  pro  1912/13  (also  dem  abgelaufenen 
Jahr)  festgestellt  bei  Deutschland  auf  1570 
Mill.  M.,  England  1468  Mill.  M.,  Frankreich 
1237  Mill.  M.,  Oesterreich-Ungarn  617  Mill. 
Mark,  Italien  529  und  Rußland  1574  Mill.  M., 
zusammen  die  der  sechs  europäischen  Groß- 
mächte auf  rund  7  Milliarden  M.  —  natürlich 
ohne  Verzinsung  und  Tilgung  der  zu  Rüstungs- 
zwecken   aufgenommenen    Schulden. 

Die  neuen  deutschen  Wehrvorlagen  for- 
dern rund  1  Milliarde  für  einmalige  und 
186  Mill.  M.  für  dauernde  Ausgaben;  ver- 
teilt man  die  ersteren  auf  zehn  Jahre  und 
rechnet  die  Zinsen  hinzu,  die  bei  regel- 
mäßiger Tilgung  in  dier  Zwischenzeit  dafür 
aufgewandt  werden  müssen,  so  macht  das 
120  +  186  =  306  Mill.  M.  im  Jahr,  das 
würden  mit  den  bisherigen  Ausgaben  von 
1711,8  Mill.  M.  zusammen  2017,8  Mill.  M. 
sein;  dabei  muß  erwogen  werden,  daß  die 
Durchführung  des  letzten  Flottengesetzes 
noch  zu  beträchtlichen  Mehrausgaben  in  den 
nächsten  Jahren  führen  wird. 

Damit  sind  aber  die  Wehrlasten  Deutsch- 
lands noch  keineswegs  erschöpft.  Nach  dem 
vorläufigen  Etat  für  1913  beziffert  sich  die 
Zahl  der  in  Heer  und  Flotte  tätigen  Mann- 
schaften, Unteroffiziere,  Offiziere,  Sanitäts- 
und Veterinäroffiziere  und  Beamten  auf 
783  000  Köpfe.  Dazu  sollen  an  Heeresver- 
stärkung noch  136  000  Mann  und  ca.  1500 
Beamte  treten;  die  Durchführung  des  letzten 
Flottengesetzes  wird  weitere  ca.  15  000  Mann 
erfordern,  und  schließlich  müssen  mindestens 
65  000  Arbeitskräfte  hinzugezählt  werden,  die 
in  Militär-:  und  Marinewerkstätten  beschäf- 
tigt werden.  Rund  1  Million  Männer  im 
besten,  arbeitsfähigsten  Alter  werden  damit 
allein  in  Deutschland  dauernd  einer  wirt- 
schaftlich nutzbringenden  Beschäftigung  ent- 
zogen ;  dabei  ist  noch  gar  nicht  berücksichtigt, 
wieviel  Arbeitskräfte  in  privaten  Werkstätten 
für  Heeres-  und  Flottenzwecke  beschäftigt 
werden. 

Rechnet  man  den  Prödüktionswert  einer 
männlichen  Arbeitskraft  durchschnittlich  zu 
2000  M.  jährlich,  was  mit  Rücksicht  auf  die 
rund  39  000  Offiziere  und  Sanitäts-  usw.  Offi- 
ziere, auf  die  20  000  Beamten  und  126  000 
Unteroffiziere    sicher    sehr    niedrig   gerechnet 


124 


@= 


=  DIE  FRIEDEN5-^&DXE 


ist,  so  ergibt  sich  ein  weiterer  Kostenbetrag 
von  2000  Mill.  M.  im  Jahre,  der  Deutschland 
dadurch  erwächst,  daß  ständig  1  Million 
Männer  einer  wirtschaftlich  nutzbringenden 
Arbeit  entzogen  werden.  I  nsgesamt 
werden  dann  seine  Wehrlasten 
4000  Millionen  Mark  p.  a.  über- 
schreiten, also  höher  sein  als  1871 
die  französische  Kriegskosten- 
entschädigung, deren  gewaltiger 
Betrag  damals  das  Staunen  der 
W  e  1 1    hervorrie  f. 

Wenn  diese  Kosten  in  den  anderen  Län- 
dern auch  etwas  niedriger  sein  werden,  so 
doch  verhältnismäßig  nicht  viel.  Und  diese 
enormen  Summen  und  Arbeitskräfte  werden 
ständig  der  Volkswirtschaft  entzogen;  es 
tritt  durch  die  Rüstungen  zur  Erhaltung  des 
Friedens  jenes  finanzielle  und  volkswirtschaft- 
liche Weißbluten  ein,  das  in  seinen  wirtschaft- 
lichen Folgen  auf  die  Dauer  nicht  viel  weniger 
verderblich  ist  als  ein  Menschen  und  Güter 
verschlingender  Krieg.  Welche  enorme  Summe 
sozialen  Uebels  ließe  sich  aus  der  Welt 
schaffen,  wenn  auch  nur  die  Hälfte  der 
Küstungskosten  zun*  Besserung  des  Loses  der 
weniger  bemittelten  Klassen  Verwendung, 
fände!  Die  Ausgaben  der  Kranken-,  Un- 
fall- und  Invalidenversicherung  Deutschlands 
haben  1910  nur  804  Mill.  M.  betragen;  nur 
52  Mill.  M.  davon  hat  das  Reich  zugeschossen. 
Es  könnte  die  Leistungen  verdoppeln  und  sie 
ganz  auf  die  Reichskasse  übernehmen,  wenn 
es  seine  Wehrlasten  nur  auf  die  Hälfte  herab- 
mindern   könnte. 

Es  ist  aber  auch  klar,  daß  die  Völker 
Europas  über  den  riesigen  Wehr- 
ausgaben wirtschaftlich  zurück- 
bleiben müssen  hinter  anderen 
Völkern,  die  diese  Lasten  nicht  zu 
tragen  haben.  Das  gilt  von  denen  un- 
seres Kontingents  gegenüber  England,  das 
die  allgemeine  Wehrpflicht  nicht  kennt,  also 
nur  relativ  wenig  Menschen  im  Heeres-  und 
Flottendienst  hat.  Das  gilt  in  noch  ganz 
anderem  Maß  gegenüber  den  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika  und  Kanada.  Wenn  die 
sechs  europäischen  Großmächte  von  1881 
bis  1910  über  134  Milliarden  Mark  für 
Rüstungszwecke  ausgegeben  haben,  ist  es  da 
ein  Wunder,  wenn  ihr  Reichtum  weit  zurück- 
bleibt   hinter   dem    Nordamerikas? 

Die  Rüstungs  Vermehrung  des 
einen  Landes  treibt  mit  Natur- 
notwendigkeit die  des  an'dern'her- 
a  u  s.  Die  Verstärkung  der  russischen  Wehr- 
macht, z.  T.  vielleicht  gezeitigt  durch  die 
deutschen  und  österreichisch-ungarischen  Rü- 
stungen in  1911  und  1912,  die  wieder  bedingt 
durch  das  französische  Cadresgesetz  waren, 
hat  vereint  mit  der  Veränderung  der  poli- 
tischen Verhältnisse  auf  dem  Balkan  die 
neueste  deutsche  Wehrvorlage  hervorgerufen; 
letztere     zeitigt      die     Wiedereinführung      der 


dreijährigen     Dienstzeit    in     Frankreich     und 
neue    Rüstungen    in    Rußland  ,  usf. 

Es  ist  die  Schraube  ohne  Ende,  unter 
der   die    Völker    seufzen. 

Als  1898  der  russische  Zar  überraschend 
das  Manifest  für  die  Friedenskonferenz  im 
Haag  erließ,  war  die  Welt  skeptisch,  und 
leider  ist  —  so  segensreiche  Folgen  sie  auf 
andern  Gebieten  erreicht  hat  —  auf  dem  wich*- 
tigen  Gebiet  der  Frage  der  Rüstungsbeschrän- 
kungen ihr  Einfluß  weniger  als;  Null  ge- 
blieben. Gerade  am  Widerstand  Deutschlands 
ist  diese  Frage  gescheitert.  Die  „Formel" 
der  Rüstungsbeschränkung  Heß  sich  nicht 
finden.  Fürst  Bülow  meinte  seinerzeit,  daß' 
rnan  unmöglich  international  den  einzelnen 
Staaten  vorschreiben  könne,  wieviel  Kanonen, 
Schiffe,  Panzer-  und  Maschinenstärken,  wel- 
che Geschützstärken,  welche  Gewehre,  wel- 
ches Pulver  usw.  sie  haben  sollten.  Darin 
kann  man.  ihm  auch  recht  geben:  Diese  kom- 
plizierte Formel  läßt  sich  nicht  finden.  Aber 
schon  vor  langen  Jahren  ist  von  den  ver- 
schiedensten Seiten  unabhängig  voneinander,, 
vom  Pfarrer  Urnfrid,  Prof.  Quidde  und  mü- 
der Vorschlag  gemacht  worden,  lediglich 
das  Maß  der  Rüstungsausgaben 
international  festzulegen,  die  vor- 
handenen Heeres-  und  Flotten- 
etats als  das  Gegebene  zu  nehmen 
und  sich  zu  ve  r  pf  1  i  c h  ten,  für  eine 
bestimmte  Reihe  von  Jahren  diese 
Etats    nicht    zu   überschreiten. 

Die  Etats  unterliegen  der  Kontrolle  der 
Öffentlichkeit,  der  Parlamente.  Es  geht 
nicht  an,  neben  ihnen  noch  Geheimetats  zu 
führen,  und  in  jeder  gesetzgebenden  Körper- 
schaft fehlt  es  nicht  an  Parteien  oder  Per- 
sonen, die  dem  Versuch,  Rüstungsausgaben 
in  anderen  Etats  zu  verstecken,  energisch  ent- 
gegentreten, ihn  sofort  an  die  Öffentlichkeit 
bringen  würden.  Welche  Ausgaben  aber  in 
die  Heeres-  und  Flottenbudgets  gehören,  dar- 
über ließe  sich  leicht  eine  Verständigung  her- 
beiführen. 

Ich  bin  fest  überzeugt,  daß  eine  ein- 
mal für  fünf  Jahre  erfolgte  Fest- 
legung der  Wehrbudgets  bei  Ab- 
lauf der  Bindungsfrist  nicht  nur 
zu  einer  Erneuerung,  sondern  so- 
gar zur  Verständigung  über  gleich- 
mäßige prozentuale  Herabsetzung 
führen  würde,  daß  zum  Segen  für  die 
Völker    die    Schraube   gelockert    würde. 

Auf  mein  Betreiben  hat  noch  im  alten 
Reichstag  die  Fraktion  der  Fortschrittlichen 
Volkspartei  eine  Resolution  eingebracht,  „daß 
der  Reichskanzler  sich  nicht  ablehnend  ver- 
halten, solle,  wenn  von  einer  andern  Groß- 
macht Vorschläge  wegen  gleichzeitiger  und 
gleichmäßiger  Begrenzung  der  Rüstungen  ge- 
macht werden  sollten".  Wir  hatten  Grund 
zu  der  Annahme,  vom  Reichskanzler  eine 
entgegenkommende  Antwort  zu  erhalten  und 
waren  aufs  peinlichste  überrascht,  als  sie  kühl, 


125 


DIE  FBIEDEN5-WADTE 


i@ 


ja  fast  schroff  ablehnend  klang.  Der  Reichstag1 
hat  sie  damals  trotzdem  mit  erdrückender 
Mehrheit  angenommen,  aber  praktische  Wir- 
kung konnte  sie  nach  der  Bethmannschen 
Antwort    nicht    mehr   haben. 

Heute  ist  die  Situation  schlimmer  als  je. 
Weder  die  Regierungen  Rußlands  noch 
Deutschlands,  weder  die  Frankreichs  noch 
Oesterreich-Ungarns,  weder  die  Englands  noch 
Italiens  können  in  jetziger  Lage  mit  einern 
Rüstungsbegrenzungsvorschlag  herauskom- 
men; bei  den  ersten  fünf  würde  man  daraus 
(nur  allzu  leicht  ein  Eingeständnis  der 
Schwäche  herauslesen  l  England  gehört  zur 
Tripelentente  und  würde  den  Staaten  des 
Dreibundes    nicht    vorurteilsfrei    erscheinen. 

Die  „Frankfurter  Zeitung"  hat  sich  da- 
her ein  Verdienst  erworben,  als  sie  an  den 
neuen  Präsidenten  der  Vereinigten 
Staaten  die  Aufforderung  rich- 
tete, seinerseits  die  Initiative 
asur         Einberufung  einer         Ab- 

rüstungskonferenz zu  ergreifen. 
\Herr  Woodrow  Wilson  würde  sich  mit  einem 
solchen  Schritt  das  größte  Verdienst  um  die 
Kulturentwicklung  der  Menschheit  erwerben. 
Mehr  als  je  ist  heute  die  Stimmung  in  den 
beteüigten  Völkern  bereit,  zur  praktischen 
Verwirklichung  dieses  Gedankens  zu  schreiten. 
Es  ist  nicht  zu  befürchten,  daß  eine  solche 
Konferenz  diesmal  wieder  wie  das  Hornberger 
Schießen  ausginge.  Bei  der  Stimmung 
in  Deutschland,  speziell  auch  im 
Reichstag,  könnte  die  deutsche 
Regierung  sich  diesmal  nicht  auf 
den  ablehnenden  Standpunkt 
Stellen.  Frankreich  würde  auf- 
atmen, wenn  es  von  dem.  Alp  der 
dreijährigen  Dienstzeit  befreit 
würde.  Und  in  Rußland  könnte 
sich  Kaiser  Nikolaus  nicht  selbst 
desavouieren,  wenn  sein  vor  15 
Jahren  gefaßter  Gedanke  end- 
lich  realisiert   würde. 

Reinste  Vaterlandsliebe  ist  es,  die  sich 
in  dem  Wunsch  nach  internationalen  Rüstungs- 
begrenzungen ausspricht;  aber  nicht  minder 
ist  er  von  realpolitischen  Erwägungen  dik- 
tiert. Denn  die  Exzesse  des  jetzigen  Rüstungs- 
fiebers sind  vaterlandsgefährlich;  sie 
schwächen    die    Kraft    für    den    Ernstfall. 


Die  Irrtümer  des  Militarismus. 

Von   Richard  Gädke, 
früher  Oberst  und  Regimentskommandeur. 

So  bedauerlich  es  ist,  man  darf  sich  keiner 
Täuschung  darüber  hingeben,  daß  wir  einer 
neuen  Hochflut  der  Rüstungen  mit  unwider- 
stehlicher Macht  zusteuern.  Wie  einst  die 
Epidemie  des  Geißlertüms  ganz  Europa  in 
verheerendem  Zuge  durcheilte,  bis  endlich  der 


Wahnsinn  in  sich  selbst  hinstarb,  so  geht  es 
jetzt  mit  der  entfesselten  Wut  der  Rüstungen. 
Keine  menschliche  Macht,  keine  sittliche 
Ueberlegung  wird  ihr  Einhalt  tun,  bis  endlich 
der  Gipfelpunkt  erreicht  ist;  bis  alle  Völker 
und  alle  Staaten  die  Grenze  ihrer  Leistungs- 
fähigkeit erreicht  haben  und  dann  auf  einmal 
merken,  daß  sich  in  ihrem  gegenseitigen 
Stärkeverhältnis  nichts  Wesentliches  ge- 
ändert  hat. 

Die  menschliche  Entwicklung  zeigt  immer 
das  gleiche  Schauspiel.  Wenn  etwas  Neues  an 
die  Tür  des  Bestehenden  pocht,  hat  dieses 
gewöhnlich  den  Höhepunkt  seiner  eigenen 
Möglichkeiten  noch  nicht  erreicht.  Im  Gegen- 
teil! Das  Neue  ist  notwendigerweise  der  Feind 
des  Alten  und  pflegt  dieses  zu  einer  letzten 
gewaltigen  Kraftanstrengung  mit  innerer  Not- 
wendigkeit zu  zwingen.  Ich  darf  ein  nur  nahe- 
liegendes Beispiel  anführen.  Als  gegen  den 
Ausgang  des  Mittelalters  das  Schießpulver 
seine  siegreiche  Kraft  zu  zeigen  begann  und 
der  Waffentechnik  neue  Wege  wies,  war  seine 
nächste  Folge  nicht  die  Beseitigung  der  stähler- 
nen Schutzrüstungen,  durch  die  der  Einzel- 
kämpfer seine  Unverwundbarkeit,  mindestens 
seine  Ueberlegenheit  im  Nahkampfe,  zu  sichern 
bestrebt  war.  Nein,  gerade  damals  wurden 
die  Panzer  immer  vollkommener,  sie  hüllten 
die  Glieder  des  Mannes  immer  dichter  und 
schwerer  ein,  sie  bedeckten  selbst  den 
Körper  des  Schiachtrosses  bis  zu  den  Knien 
abwärts.  Die  Kunst  der  Waffenschmiede  er- 
reichte damals  ihren  Höhepunkt  und  schuf 
bewunderungswürdige  Rüstungen,  die  wir 
heute  in  den  Zeughäusern  anstaunen  als  in 
ihrer  Art  herrliche  Gebilde  von  Menschenhand. 
Bis  sie  dann  auf  einmal  als  überflüssig  und 
hinderlich  —  wahrscheinlich  sogar  die  körper- 
liche Entwicklung  der  Menscheit  schädigend  — 
Stück  für  Stück  sanken  und  schließlich  nur 
noch  stählerner  Helm  und  Brustpanzer  für 
die  schwere  Reiterei  übrig  blieben.  Auch  sie 
jetzt  nur  noch  Prunkstücke  für  das  militärisch- 
höfische    Schauspiel. 

In  ähnlicher  Weise  schnüren  sich  in  unseren 
Tagen  die  Völker-Individuen  in  immer  gewalti- 
gere Kriegsrüstungen  ein  und  verwenden  immer 
größere  Mittel  auf  den  Wettbewerb  militä- 
rischer Stärke  —  Mittel,  die  sie  in  Verzweifelter 
Anstrengung  den  Kulturaufgaben  und  der 
friedlichen  Behaglichkeit  ihrer  Einzelglieder 
entziehen.  Je  mehr  der  pazifistische  Gedanke 
an  Kraft  gewinnt,  je  mehr  die  Ueberzeugung 
in  unser  sittliches  Bewußtsein  übergeht,  daß 
die  Einzelnation  und  der  Partikularstaat  nicht 
den  Höhepunkt  politischer  Entwicklung  bilden, 
sondern  sich  als  dienende  Glieder  einzufügen 
haben  in  den  lebensvollen  Gesamtorganismus 
der  Menschheit,  um  so  erbitterter  bäumt  sich 
der  alte,  beschränkte  Begriff  des  Patriotismus 
auf  gegen  den  erhabenen  Gedanken  des  Welt- 
bürgertums. Um  so  mehr  wird  der  Gedanke 
internationaler  Solidarität  der  Kulturwelt  als 
staatsfeindlich  und  antipatriotisch  beschimpft. 


126 


<§] 


DIE  FRI  EDENS -^k^RXE 


Und  doch  haben  gerade  die  letzten  sorgen- 
vollen Monate,  fast  darf  man  sagen,  die 
letzten  beiden  Jahre  voller  Aufregung,  be- 
■wiesen,  daß  schon  etwas  wie  ein  europäisches 
Gemeingewissen  im  Entstehen  begriffen  ist. 
Der  Kampf  um  Marokko  wurde  vermieden, 
weil  die  beiden  nächstbeteiligten  Staaten  von 
ihren  eigenen  Freunden  mäßigend  beraten 
wurden  und  schließlich  selbst  die  Verant- 
wortung des  ungeheuren  Blutvergießens  um 
solchen  Anstoßes  willen  scheuten.  Der  Zug 
Italiens  nach  Tripolis  mochte  immerhin  mit 
■der  Kulturaufgabe  eines  aufstrebenden  gegen- 
über einem  absterbenden  Staatswesen  ent- 
schuldigt werden;  und  es  gelang  jedenfalls, 
den  Krieg  zu  lokalisieren.  Am  gefährlichsten 
schien  die  allgemeine  Lage,  als  die  verbün- 
deten Balkanstaaten  ihren  kecken  Angriff 
.gegen  die  türkische  Herrschaft  wagten  und 
sie  sozusagen  im  ersten  Anlaufe  nieder- 
warfen. Es  hat  sicher  manche  Woche 
in  diesen  letzten  sechs  Monaten  ge- 
geben, wo  ein  allgemeiner  Krieg  der  euro- 
päischen Großmächte  außerordentlich  nahe 
gerückt  war;  gleichwohl  ist  es  durch  die  hin- 
gebende Arbeit  aller  und  durch  die  Besonnen- 
heit der  österreichischen  wie  der  russischen 
Politik  geglückt,  das  Schiff  des  Friedens  durch 
alle   Fährnisse  glücklich   hindurchzusteuern. 

Man  verhöhnt  den  Pazifismus  als  die 
Utopie  weltfremder  Schwärmer  und  merkt  gar 
nicht,  welche  Fortschritte  er  bereits  in  der 
praktischen  Politik  der  Regierenden,  in  dem 
Ideenkreise  der  Diplomatie  gemacht  hat.  Ein 
nettes  Beispiel  der  ,, Philosophie  des  Unbe- 
wußten" !  Die  Pazifisten  können  in  der  Tat 
mit  dem  Endergebnis  dieser  letzten  Monde 
ganz  zufrieden  sein.  Denn  nur,  indem  sich 
der  friedliche  Ausgleich  entgegenstehender 
Interessen  von  Fall  zu  Fall  durchsetzt,  ent- 
steht daraus  allmählich  eine  Gewohnheit  und 
schließlich  ein  ungeschriebenes  Gesetz.  Wobei 
es  ganz  gleichgültig  ist,  ob  im  vorliegenden 
Falle  nur  ideale  Beweggründe  wirkend  ge- 
wesen sind,  und  nicht  vielmehr  in  starkem 
Maße  auch  weniger  ideelle  Ursachen  maß- 
gebend waren,  wie  die  Furcht  der  Regierenden 
vor  den  Folgen,  die  ein  unglücklicher  Waffen- 
gang für  sie  selbst  haben  könnte.  Man  sollte 
meinen,  daß  solche  Erfahrungen  den  strikten 
Beweis  liefern,  wie  schon  die  augenblickliche 
Stärke  der  Rüstungen  völlig  hinreicht,  jeden 
Krieg  für  alle  Beteiligten  zu  einem  furcht- 
baren Wagnis  zu  machen;  sollte  meinen,  daß 
zur  Erhaltung  des  Friedens  eine  weitere  Ver- 
größerung der  schon  jetzt  drückenden  Mili- 
tärlasten   keineswegs    erforderlich    sei. 

Es  ist  eine  wunderliche  Logik,  die  aus 
den  Erfahrungen  der  letzten  Monate  die  ent- 
gegengesetzte Folgerung  zu  ziehen  sich  an- 
schickt. Ich  bedaure  es,  daß  der  erste  Militär- 
staat, der  dies  für  angebracht  hält;  Deutsch- 
land ist.  Die  politische  Lage  im  Südosten 
soll  sich  derart  zu  seinen  Ungunsten  ver- 
schoben  haben,   daß   dem   nur  durch   weitere 


Anziehung  der  Rüstungsschraube  ein  Wider- 
part geboten  werden  kann.  Man  kann  vieles 
dagegen  einwenden;  vor  allen  Dingen,  daß 
doch  offenbar  die  Politik  sehr  kurzsichtig 
und  unfähig  sich  erwiesen,  die  solche  Folgen 
gehabt  hat.  Und  in  der  Tat,  erfolgreich  ist 
die  türkische  Politik  Deutschlands  —  eben- 
sowenig wie  die  Oesterreichs  —  gewiß  nicht 
gewesen.  Man  kann  sicherlich  behaupten, 
daß  Rußland,  Frankreich  und  besonders  Eng- 
land genußreichere  Früchte  in  jenen  inter- 
essanten Gegenden  zu  pflücken  verstanden 
haben.  Aber  muß  denn  diese  Politik  in  ihrer 
bisherigen  Hilflosigkeit  durchaus  fortgesetzt 
werden?  Ist  es  unbedingt  sicher,  daß  die 
neue  „Großmacht  der  Balkanstaaten"  immer 
und  unter  allen  Umständen  als  Gegner  des 
Dreibundes  in  Rechnung  zu  stellen  sei.  Ist  es 
überhaupt  wahrscheinlich,  daß  das  Bündnis 
der  vier  Staaten  den  Friedensschluß  mit  der 
Türkei  überdauern  wird  ?  Melden  sich  nicht 
jetzt  schon  Eifersüchteleien  zwischen  ihnen 
an;  und  sollte  es  nicht  möglich  sein,  in 
Griechenland,  Albanien  und  der  verjüngten 
Türkei  den  slawischen  Staaten  ein  Gegen- 
gewicht zu  schaffen  ?  Schlimmsten  Falles  aber, 
wäre  es  nicht  in  erster  Linie  Oesterreichs 
Sache,  sich  mit  einer  verschlechterten  militä- 
rischen Lage  abzufinden?  Was  in  aller  Welt 
nötigt  gerade  Deutschland,  mit  einer  umfassen- 
den Wehrvorlage,  der  größten  seit  dem  Be- 
stehen des  Deutschen  Reiches  voranzugehen? 
Und  dabei  seine  finanzielle  Not  vor  aller  Welt 
derart  bloßzustellen,  daß  es  zur  Deckung  der 
ungewöhnlich  hohen  einmaligen  Kosten  zu 
einer  wenig  verhüllten  Zwangsanleihe  schreitet  ? 
Wie  man  die  Sache  auch  betrachtet,  man 
kann  sich  des  Gedankens  nicht  erwehren,  daß 
die  veränderte  Lage  im  Orient  nur  den  äußeren 
und  erwünschten  Anlaß  dazu  bietet,  durch 
eine  riesige  Kraftanstrengung  jeder  militä- 
rischen Rivalität  ein-  für  allemal  ein  Ende 
zu  bereiten.  Den  Vätern  der  neuen  Wehr- 
vorlage schwebte  der  Gedanke  vor,  daß  nie- 
mand im  alten  Europa  imstande  sein  werde, 
mit  Deutschland  noch  ferner  in  Wettbewerb 
zu  treten,  wenn  dieses  den  quellenden  Born 
seiner  Volkskraft  bis  auf  den  letzten  Mann 
für  die  Wehrkraft  des  Reiches  nutzhar  ge- 
macht habe.  Gewiß  ist  ihnen  nicht  zugleich 
der  Gedanke  an  einen  Eroberungskrieg  be- 
wußt gekommen;  '  sie  würden  es  mit 
Entrüstung  zurückweisen,  wenn  man  ihnen 
eine  solche  '  Absicht  unterstellen  wollte. 
Aber  auch  sie  können  nicht  für  ihre 
Nachfolger  stehen  1  Die  Jahrhundertfeier 
der  Befreiungskriege,  die  gewaltsam  zugleich 
höfisch-monarchischen  und  nationalistischen 
Zielen  nutzbar  gemacht  werden  soll,  das 
25  jährige  Regierungsjubiläum  des  Kaisers  und 
auch  der  etwas  boshafte  Wunsch,  gerade  den 
gegenwärtigen,  ein  wenig  radikaleren  Reichs- 
tag (was  man  im  frommen  und  gehorsamen 
Deutschland  radikal  nennt  I)  vor  eine  besonders 
schwere  Probe  zu  stellen  und  ihn  nötigenfalls 


127 


DIE  FßlEDENS-^öJiTE 


aufzulösen:  alle  diese  Momente  haben  zu- 
sammengewirkt, um  der  Militärpartei  den 
Triumph  dieser  Vorlage  möglich  zu  machen. 
Man  glaubt,  daß  das  deutsche  Volk  durch 
die  Unruhe  der  letzten  Monate  mürbe  genug 
gemacht  sei,  um  jede  noch  so  riesige  Militär- 
vorlage zu  schlucken,  die  ihm  angeblich  den 
Frieden  sichern  soll.  Man  kann  es  nicht  oft 
genug  wiederholen,  daß  die  Jugend  der  höhe- 
ren Stände,  in  den  Schulen  chauvinistisch  be- 
arbeitet, daß  die  schwere  Industrie  und  ein 
Teil  des  Großhandels,  ebenso  wie  das  Junker- 
tum und  das  einflußreiche  Beamtentum  der 
militaristischen  Strömung  im  großen  ganzen 
Vorschub  leisten  —  vorausgesetzt,  daß  die 
Lasten  hauptsächlich  von  den  breiten  Schultern 
der  Massen  getragen  werden.  Diese  Massen 
selbst  aber  stehen  der  Wehrvorlage  durchaus 
abgeneigt    gegenüber. 

Es  ist  der  große  Irrtum  der  herrschenden 
Schichten,  den  Krieg  durch  die  ungeheure 
Wucht  der  Rüstungen  bannen  zu  wollen,  die 
schließlich  mitten  im  Frieden  der  Wohl- 
fahrt und  nicht  zum  wenigsten  der  Freiheit 
verderblicher  werden  'muß  als  selbst  ein 
Krieg.  Sie  Wollen  sich  der  Erkenntnis  ver- 
schließen, die  doch  diese  letzten  Monate 
mit  Sonnenklarheit  verbreiten  sollten,  daß  eine 
gute,  folgerichtige,  Abenteuern  abgeneigte  Ge- 
schäftspolitik den  Frieden  besser  sichert  als 
noch  so  starke  Heeresmassen.  Und  sie  ver- 
schließen ihre  Augen  selbst  der  noch  bedenk- 
licheren Wahrheit,  daß  gerade  ihre  chauvi- 
nistische Rüstungspolitik  das  allgemeine  Miß- 
trauen gegen  Deutschland  wachruft,  daß  man 
in  der  ganzen  Welt  keinem  anderen  Staate  in 
solchem  Maße  böse  Absichten  zutraut,  gegen 
keine  andere  Regierung  solche  Abneigung  emp- 
findet —  nicht  einmal  gegen  die  russische  — 
wie  gerade  gegen  die  Regierung  Deutschlands. 
Dieses  Mißtrauen  schießt  ohne  allen  Zweifel 
über  das  Ziel  weit  hinaus  und  beurteilt  die 
Bosheit  wie  die  Entschlossenheit  der  deutschen 
Staatsmänner  schlimmer,  als  sie  es  verdienen. 
Aber  die  Militärkreise  Deutschlands,  die  die 
Welt  mit  ihrem  Lärm  erfüllen,  dürfen  an  ihre 
eigene  Brust  schlagen:  mea  culpa,  mea  culpa, 
maxima    mea    culpa ! 

Und  diese  Wehrvorlage  schließt  noch 
einen  anderen  Irrtum  in  sich;  den,  daß  die 
anderen  großen  Mächte  nunmehr  einfach 
distanziert  wären.  Man  hätte  diesen  Fehl- 
schuß schon  aus  dem  Ausgange  des  Wett- 
kampfes zur  See  erkennen  sollen,  den  man 
Jahre  hindurch  mit  England  geführt  hatte. 
Die  englischen  Staatsmänner  erklärten  ein- 
fach, daß  sie  auf  jedes  deutsche  Schlacht- 
schiff deren  zwei  auf  Stapel  legen  würden; 
und  sie  hatten  die  Finanzkraft  ihres  Landes 
richtig  eingeschätzt.  Hier  war  es  Deutsch- 
land, das  sich  mit  dem  zweiten  Platze  be- 
gnügen   mußte. 

Jetzt  erleben  wir  ein  ähnliches  Beispiel 
in  Frankreich.  Noch  ist  die  deutsche  Wehr- 
vorlage  nicht    einmal   an   den    Reichstag  ge- 


langt, und  schon  hat  Frankreich  seine  Gegen- 
vorlage   aufgestellt. 

Es  darf  allerdings  nun  und  nimmer  mehr 
geleugnet  werden,  daß  dieses  seine  Volks- 
kraft schon  bisher  in  einem  Maße  an- 
gestrengt hatte,  wie  es  Deutschland  nicht: 
einmal  durch  sein  neues  Gesetz  er- 
reichen wird.  Ebenso  unbestreitbar  aber  ist 
es,  daß  Deutschland  trotzdem  für  Friedens- 
wie  für  Kriegszeiten  eine  nennenswerte  Ueber- 
legenheit  über  Frankreich  gewonnen  hatte. 
Im  Verein  mit  O esterreich  ist  es  schon  gegen- 
wärtig stark  genug,  selbst  einen  Krieg  nach 
zwei  Fronten  hin  nicht  scheuen  zu  dürfen. 
Andererseits  ist  es  klar,  daß  die  Geldkraft 
Frankreichs  imfmer  noch  größer  ist  als  die 
Deutschlands;  einerseits,  weil  Frankreich 
eine  durchschnittlich  reichere  Bevölkerung 
von  Rentnern  trägt  als  das  schwer  arbeitende, 
kinderreiche  Deutschland;  dann  aber  auch- 
weil  die  Staatsfinanzen  dort  besser  fundiert 
sind  als  in  Deutschland,  das  sich  seit  Jahren 
in  einer  blamablen  Finanzklemme  befindet. 
Nun  erkannten  ja  die  auch  in  Frankreich 
mächtigen  chauvinistischen  Kreise,  daß  die- 
neue  Wehrvorlage  Deutschlands  ein  schwerer 
Schlag  für  jede  militärische  Rivalität  war; 
sie  fürchteten  oder  gaben  sich  jedenfalls  den 
Anschein  zu  fürchten,  daß  Deutschland  ge- 
sonnen sei,  nach  Durchführung  seiner  Heeres- 
verstärkung ihnen  ein  neues  Sedan  zu  be- 
reiten. Vergessen  wir  nicht,  daß  Frankreich 
unter  dem  Mangel  militärischer  Vorbereitung 
schon   einmal   schwer  hat   büßen   müssen. 

So  ist  es  mindestens  verständlich,  daß 
man  dort  drüben  auf  den  Gedanken  einer 
Verlängerung  der  Friedensdienstzeit  um  ein 
Jahr  und  der  Kriegsdienstzeit  um  drei  Jahre 
kam.  Das  ist  unzweifelhaft  eine  ungeheuer- 
liche Belastung  des  Volkes,  eine  unerhörte 
Blut-  wie  Geldsteuer  zu  gleicher  Zeit.  Es- 
ist  sehr  zweifelhaft,  ob  Frankreich  sie  lange 
wird  ertragen  können,  und  ob  die  schwüle- 
Stimmung,  die  sie  vielleicht  im  Volke  er- 
zeugt, nicht  gerade  zu  dem  Ziele  führt,  das 
man  doch  anscheinend  vermeiden  möchte,, 
zum  Ausbruch  des  Krieges,  den  die  Chauvi- 
nistenblätter  in  zwei  Jahren  voraussagen. 
Denn  mißglückt  das  Experiment  der  drei- 
jährigen Dienstzeit  unter  Heranziehung  von 
78  o/o  der  wehrpflichtigen  Mannschaft  (sogar 
die  Schweiz  hebt  nur  64  °/o  aus),  so  könnte 
der  Bestand  der  Republik  selbst  bedroht  sein. 

Inzwischen  aber  wird  nach  Durchführung 
der  beiderseitigen  Verstärkungen  das  gegen- 
seitige) Kraftverhältnis  beider  Staaten  an- 
nähernd das  alte  bleiben.  Wollen  also  die 
extremen  Militaristen  in  Deutschland  ihre  Ab- 
sicht durchführen,  daß  Frankreich  endlich  die 
unvergleichliche  Ueberlegenheit  Deutschlands 
anerkenne,  90  werden  auch  sie  schließlich 
die  Wiedereinführung  der  dreijährigen  Dienst- 
zeit fordern  müssen,  durch  die  die  Friedens- 
stärke des  deutschen  Heeres  auf  1,1  Millioner 
Köpfe  würde  gesteigert  werden.    Das  eben  is 


128 


<s 


DIE  Fßl  EDENS -^\4M2XE 


der  Fluch  der  bösen  Tat,  daß  die  fortzeugend 
Böses  muß  gebären.  Schon  kündigt  auch 
Rußland  neue  Verstärkungen  an ;  schon  Oester- 
reich,  daß  es  sein  Rekrutenkontingent  aber- 
mals erhöhen  wolle.  Schon  verlauten  die 
gleichen  Absichten  Italiens,  schon  schickt  sich 
Belgien  an,  mit  der  Durchführung  der  all- 
gemeinen Wehrpflicht  Ernst  zu  machen;  und 
es  ist  kein  Zweifel,  daß  es  hierbei  mehr  von 
•der  Furcht  vor  Deutschland  als  vor  Frankreich 
getrieben  wird.  Um  ein  solches  Ergebnis  zu 
erreichen,  müssen  also  die  deutschen  Steuer- 
zahler eine  Milliarde,  die  französischen  fast 
«ine  halbe  Milliarde  Mark  an  einmaligen, 
und  jene  220,  diese  etwa  120  Millionen  dauern- 
der Mehrausgaben  tragen.  Wieviel  Leistungen 
sozialer  Fürsorge,  wieviel  kulturelle  Aufgaben 
könnten  damit  gelöst  werden,  wieviel  Tränen 
getrocknet,  wieviel  Not  und  Elend  gelindert 
werden ! 

Indem  die  französische  und  die  deutsche 
Sozialdemokratie  sich  zu  einem  gemeinsamen 
Protest  gegen  diese  immer  höher  an- 
schwellende, verheerende  Flut  der  Rüstungen 
geeinigt  haben,  haben  diese  ,,  Vaterlands  losen 
Gesellen"  eine  nicht  nur  mutige,  sondern  in 
des  Wortes  bester  Bedeutung  patriotische  Tat 
.getan.  Denn  diese  Rüstungen,  s  o  wie  sie  tat- 
sächlich geplant  werden,  sind  sinnlos,  weil  sie 
einen  schweren  Fehler  des  Kalküls  enthalten. 

Wenn  sich  dies  erst  der  allgemeinen 
Ueberzeugung  beider  Völker,  aller  Kultur- 
völker aufgedrängt  haben  wird,  dann  werden 
•auch  die  praktischen  Erfolge  besser  gewürdigt 
werden,  die  der  Pazifismus  schon  gegenwärtig 
erzielt  hat.  Die  Waffen  des  Gewissens  bleiben 
auf  die  Dauer  wirksamer  als  die  verheeren- 
den   Werkzeuge    des    Krieges. 


Zu  den  neuen  Rüstungsvorlagen 

würde  ich,  wenn  ich  im  Reichstag  säße,  das 
Wort    erbitten    und    sagen: 

Ich  werde  nicht  für  die  neuen  Vorlagen 
stimmen.  Ich  werde  niemals  für  neue  Mili- 
tärvorlagen stimmen.  Jede  Vergrößerung 
unserer  Effektiven  ist  zwecklos,  weil  unsere 
Nachbarn  darauf  sofort  mit  einer  Vergröße- 
rung ihrer  Effektiven  antworten.  Wenn  es 
wahr  ist,  daß  der  europäische  Frieden  nur 
erhalten  werden  kann  durch  das  ungefähre 
Gleichgewicht  der  Kriegsrüstungen  jeder 
Nation,  dann  ist  der  Frieden  sicherer,  wenn 
die  Armeen  der  Großmächte  im  heutigen 
Verhältnis  zueinander  bleiben,  als  wenn  wir 
mit  unserer  Truppenerhöhung  Europa 
zwingen,  sie  in  ein  höheres  Verhältnis  zu 
bringen.  Wenn  es  also,  wie  doch  die  Po- 
litik der  übrigen  Großmächte  beweist,  von 
vornherein  eine  ausgemachte  Sache  ist,  daß 
auch  nach  unserer  Effektivenerhöhung  die 
Großmächte  in  demselben  Stärkeverhältnis 
zueinander  bleiben  als  früher,  wenn  wir  folg- 
lich auch  nachher   unserem  Vaterlande  noch 


immer  keine  Garantie  bieten  können,  für  die 
Unüberwindlichkeit  unserer  Armee  (weil  wir 
ja  die  anderen  Armeen  zwingen,  auch  ihrer- 
seits die  Unüberwindlichkeit  anzustreben), 
dann  bleibt  alles  beim  alten.  Der  Fort- 
schritt läge  dann  nur  in  höheren  Ziffern, 
höheren  Steuern  und!  in  der  'höheren  Empfind- 
lichkeit   des    angehäuften    Kriegszunders. 

Ich  werde  nicht  für  eine  abermalige  Ver- 
größerung unserer  Armee  stimmen,  weil 
unserem  Vaterlande  heute  von  keiner  Seite 
her  auch  nur  die  leiseste  Gefahr  droht.  Zu 
keiner  Zeit  der  Geschichte  war  die  Friedens- 
liebe  der  europäischen  Völker,  Fürsten  und 
Staatsoberhäupter  lebhafter,  aufrichtiger  und 
notwendiger  als  heute.  Es  besteht  für  uns 
weder  eine  slawische  noch  eine  französische 
Gefahr.  —  Es  besteht  keine  slawische  Ge- 
fahr, weil  unsere  Nachbarn  im  Osten,  und 
wären  sie  noch  so  kriegslustig,  auf  lange 
Jähre  hinaus  kein  Geld  haben  werden  zur 
Organisation  eines  Eroberungsfeldzuges.  Nur 
auf  dem  Papier  sind  Rußlands  Finanzen  er- 
träglich. Ein  neuer  Krieg  würde  in  Ruß- 
land sofort  eine  neue  Revolution  auslösen. 
—  Es  gibt  keine  französische  Gefahr,  weil 
unsere  Nachbarn  im  Westen  erstens  in  der 
Minderzahl  sind,  zweitens,  weil  Frankreich 
ein  Land  von  Kleinbauern  und  Kleinrentnern 
ist,  und  niemand  den  Frieden  mehr  liebt  als 
der  kleine  Besitzende,  der  seine  Kapitalien 
in  der  ganzen  Welt  anlegen  muß,  um  davon 
leben  zu  können.  Von  584  französischen 
Kammerabgeordneten  gehören  überdies  343 
der  Interparlamentarischen  Friedensunion  an, 
von  300  Senatoren  168.  Während  von  den 
397  Mitgliedern  dieses  hohen  Hauses  leider 
nur  67  dieser  wichtigsten  aller  Friedens- 
gesellschaften angehören,  können,  wir  also  mit 
Genugtuung  feststellen,  daß  von  insgesamt 
884  französischen  Volksvertretern  511,  das 
heißt  mehr  als  die  Hälfte,  durch  ihre  Mit- 
gliedschaft in  dieser  Vereinigung  beweisen, 
daß  sie  ausgesprochene  Pazifisten  sind.  Rech- 
nen Sie  dazu,  daß  Frankreichs  Bevölkerung 
nicht  wächst,  daß  in  Deutschland  immer  vier 
künftige  Soldaten  geboren  werden,  während 
zur  gleichen  Zeit  in  Frankreich  nur  einer 
zur  Welt  kommt,  daß  die  vier  deutschen 
Soldaten  jungen  in  Gottesfurcht  und  Königs- 
treue erzogen  werden,  während  der  eine  fran- 
zösische von  mehr  als  100000  pazifistisch 
gesinnten  Lehrern  zum  Glauben  an  die 
kommende  Verbrüderung  der  Menschheit  an- 
gehalten wird,  —  und  Sie  werden,  wenn  Sie 
alle  diese  Friedensgarantien  der  dritten  Re- 
publik beachten,  als  verständige  Männer  den 
Revancheschwindel  der  Chauvinisten  be- 
lächeln müssen.  Der  französische  Chauvinis- 
mus ist  nicht  schlimmer  als  der  deutsche 
oder  der  englische,  und  schon  1902  hat  der 
Sozialistenführer  Jaures  unter  dem  Beifall  der 
Kammermehrheit  das  erlösende  Wort  aus- 
sprechen können,  daß  nämlich  jetzt  die  Zeit 
gekommen     sei,     wo     man     den    Revanche- 


129 


DIE  Fß!EDENS-WAQTE 


:3 


gedanken  vergessen  und  sich  mit  der  Ge- 
schichte   abfinden    müsse. 

Ich  werde  gegen  die  neuen  Vorlagen 
stimmen,  weil  eine  Bedrohung  in  ihnen  liegt. 
Jawohl,  wir  müssen  den  Mut  haben,  es 
klar  auszusprechen :  In  der  nimmersatten 
Rüstungspolitik  des  deutschen  Kaiserreichs 
liegt  eine  Bedrohung  der  anderen  Völker. 
Unter  allen  europäischen  Großmächten  hat 
Deutschland  seine  Rüstungen  am  heraus- 
forderndsten betrieben.  Von  1883  bis  1912 
haben  unsere  Rüstungsausgaben  um  1144 
Millionen  zugenommen,  das  heißt  um  227  o/o. 
Im'  gleichen  Zeitraum  erhöhte  England  seine 
Rüstungen  um  153  o/o,  Rußland  um  114,8  o/0, 
Oesterreich-Ungarn  um  111,9%,  Italien  um 
108,6  o/o  und  Frankreich  (das  gefürchtete 
Frankreich  der  Revanche)  um  70,2  o/0.  Diese 
Ziffern  und  Statistiken  beweisen  unwider- 
legbar, daß  wir  den  Rekord  in  der  Erhöhung 
der  Rüstungen  besitzen,  und  ich  finde  nicht, 
daß  dies  unserem  Volke  zur  Ehre  gereicht. 
Im  Gegenteil:  Ich  beklage  diese  zwecklose 
Kraftleistung  aus  ganzem  Herzen,  denn  sie 
ist  schuld  daran,  daß  wir  seit  langem  das 
Mißtrauen  der  ganzen  Welt  erregen,  daß 
wir  die  anderen  Völker  immer  wieder  zu 
Gegenmaßregeln  zwingen,  daß  der  Chau- 
vinismus hüben  und  drüben  nicht  sterben 
will  und  daß  wir  daher  vorläufig  noch  immer 
nicht  zu  einer  offenen  und  freien  Aussprache 
mit   unseren   Nachbarn   gelangen   können. 

Ich  werde  keinen  Pfennig  für  neue 
Rüstungsausgaben  bewilligen,  weil  meine 
Vaterlandsliebe  mehr  als  eine  eingelernte 
Phrase  ist.  Die  Gefahr  ist  nicht  außerhalb, 
sie  ist  innerhalb.  Nicht  die  Franzosen  be- 
drohen uns,  nicht  die  Russen  und  nicht  die 
Engländer.  Uns  bedroht  unsere  eigene  un- 
zufriedene und  hungrige  Nation.  Denn  die 
deutsche  Nation  hungert,  bildlich  und  buch- 
stäblich :  Unser  Volk  beginnt  Hundefleisch 
zu  essen.  Wir  haben  kein  Geld  für  unsere 
Veteranen.  Unsere  Arbeiterschutzgesetz- 
gebung ist  ungenügend;  im  Vergleich  zu 
dem,  was  andere  Nationen  geschaffen  haben, 
ist  sie  eine  Karikatur.  Unsere  Schulen  sind 
teuer,  unmodern  und  überfüllt.  Mit  einem 
Wort:  Wir  haben,  trotzdem  der  deutsche 
Bürger  die  höchsten  Steuern  zahlt,  kein  Geld 
für  Kulturaufgaben.  Nein,  protestieren  Sie 
nicht :  die  Franzosen  sind  nicht  mehr  die 
höchstbelastete  Nation.  Mit  dem1  Re- 
kord der  höchsten  Rüstungsaus- 
gaben halten  wir  seit  einigen 
Jahren  auch  den  Rekord  der  höch- 
sten Steuerbelastung  pro  Kopf 
der  Bevölkerung.  —  Und  welches  Elend 
auch  in  unserem  Volkshaushalt :  Unsere  In- 
dustrie, der  Stolz  unserer  Nation,  arbeitet 
allzu  stark  mit  Kredit  statt  mit  Geld.  Der 
für  den  Handel  so  unentbehrliche  Bank- 
diskont ist  darum  beständig  teurer  als 
anderswo.  Unsere  Staatspapiere  sind  billiger, 
das  heißt  wertloser  als  die  anderer  Staaten. 


Die  Aufnahme  neuer  Staatsanleihen  ist 
außerordentlich  schwierig.  Unsere  Banken 
bieten  bis  8  o/0  für  bares  Geld.  Und  so  fort. 
—  Ich  sage  nicht,  daß  Deutschland  arm  ist,. 
aber  ich  sage :  Es  hat  Hunger  und  ist  ge- 
niert in  seiner  Entwicklung.  Unter  dem 
Druck  des  Rüstungspanzers  kann  es  nicht 
mehr  recht  Atem  holen.  —  Und  nun  wollen 
Sie  unserer  Germania  das  beengende  Eisen- 
korsett nicht  nur  nicht  öffnen,  sondern  Sie 
wollen  es  noch  fester  schnüren  ?  Wenn  ein- 
Arzt  einen  gesunden,  entwicklungsfreudigen 
Menschen  zu  seinem  Vergnügen  zu. 
einer  Operation  überreden  möchte,  dann 
würden  Sie  gewiß  sagen,  er  sei  wahn- 
sinnig oder  übermütig.  Unsere  Regierung 
aber  gleicht  diesem  Arzt,  wenn  sie 
mitten  im  Frieden,  das  heißt  ohne  zwingen- 
den Grund,  eine  Milliarde  von  der  Nation 
verlangt  und  sie  mit  einer  Besitzsteuer  zu 
decken  vorschlägt.  Selbst  als  Frankreich 
1871  fünf  Milliarden  an  den  deutschen  Sieger 
zu  zahlen  hatte,  war  keine  solche  direkte 
Besteuerung  notwendig.  Ich  sage:  diese  Be- 
sitzsteuer  ist  ein  Frevel  an  der  Vaterlands- 
liebe unseres  Volkes,  und  wenn  Sie  diesen 
Frevel  gutheißen,  dann  greifen  Sie  damit  an> 
die  wichtigsten  Atmungsorgane  der  Nation. 
Gewiß :  sie  würde  diese  schmerzhafte  Ope- 
ration überstehen,  aber  sie  würde  nachher 
noch  kranker  und  kurzatmiger  sein  als  heute. 
Denn  mit  einer  solchen  Steuer  zwingen  Sie  die 
Industrie,  den  Handel  t:nd  unsere  gesamte 
Volkswirtschaft  zu  einem  immer  gefähr- 
licheren Kreditspiel;  Sie  untergraben  die 
Unternehmungslust,  denn  wer  will  noch  in 
einem  Staate  viel  Geld  verdienen,  wo  man 
um  so  mehr  zahlt,  je  mehr  man  besitzt  und 
verdient  ?  Sie  treiben  damit  unsere  ohne- 
hin schon  so  spärlichen  Kapitalverfügbar- 
keiten, unsere  beweglichen  Werte,  unsere 
vitalsten  Energien  und  Intelligenzen  ins  Aus- 
land und  entwerten  den  deutschen  Kredit 
auf  den  Weltmärkten.  Was  aber  wohl  das 
gefährlichste  dabei  ist:  Sie  vergrößern  den 
Abstand  zwischen  Volk  und  Regierung  und 
erwecken  die  Gefahr,  daß  sich  in  einer  nahen 
Zukunft  die  gärende  tiefe  Unzufriedenheit 
der  Hundefleischesser  und  freudlosen  Pro- 
letarier gewaltsam   Luft   macht. 

Ich  werde  niemals  für  neue  Militärvor- 
lagen stimmen,  denn  nach  einem  flüchtigen 
Studium  der  Börsenkurszettel  habe  ich  fest- 
gestellt, daß  in  Wirklichkeit  nur  eine  Hand- 
voll mächtiger  Kapitalisten  aus  diesen 
Rüstungsausgaben  Gewinn  zieht.  Diese  Ka- 
pitalisten, die  kaltblütig  bereit  sind,  ihre 
Dividenden  mit  dem  Patriotismus  der  Massen 
zu  erhöhen,  besitzen  die  Mehrzahl  der  Aktien 
der  Kanonenindustrie.  Sie  haben  gut  von 
einer  Besitzsteuer  reden,  denn  das,  was  sie 
auf  der  einen  Seite  ausgeben,  wird  auf  der 
anderen  doppelt  und  dreifach  durch  die  Er- 
höhung ihrer  Börsenwerte  wieder  herein- 
gebracht.     Vergleichen    Sie,    meine    Herren., 


130 


<§: 


=  DIE  FRIEDEN5-,fcÄR.TE 


die  heutigen  Kurse  der  Kruppwerke  in 
Deutschland,  der  Creusotwerke  in  Frank- 
reich und  aller  Industrieunternehmen,  die 
von  nah  oder  fern  an  den  zu  erwartenden 
vermehrten  Kriegslieferungen  interessiert 
sind,  mit  den  Kursen  vor  einigen  Monaten. 
Und  Sie  werden  nachher  nicht  mehr  bestreiten 
können,  daß  den  Besitzern  dieser  Aktien  die 
neuen  Steuern  nicht  nur  keinen  Verlust, 
sondern  Gewinn  bringen,  nicht  zu  reden  von 
den  zu  erwartenden  höheren  Dividenden.  Eine 
ganze  große  Industrie  lebt  heute  ausschließ- 
lich von  den  Budgets  der  Kriegs-  und 
Marineminister.  Sie  lebt  von  der  Vor- 
bereitung des  Krieges,  das  heißt  von  Werken 
des  Todes  und  der  Zerstörung,  auf  Kosten 
der  Steuerzahler.  Es  liegt  keine  Ehre  für 
unsere  Nation  in  dieser  Tatsache.  Wenn 
Millionen  von  Kapitalien  und  Hunderttausende 
von  Menschen  für  die  Kriegsvorbereitung 
arbeiten  müssen,  so  ist  das  bedauerlich, 
denn  diese  Millionen  und  diese  Hundert- 
tausende  sind   für   die  Kulturarbeit  verloren. 

Ich  bin  aus  tiefer  patriotischer  Ge- 
sinnung heraus  ein  Feind  der  Vermehrung 
der  Rüstungen,  weil  ich  ein  Feind  jeder  un- 
produktiven Arbeit  bin  und  weil  ich  nicht 
wünsche,  daß  diel  Welt  mit  Fingern  auf  uns 
zeige:  Seht,  die  Deutschen  haben  nur  einen 
Ehrgeiz,  nur  ein  Ziel,  nur  einen  Glücks- 
krampf: Rüstungen  und  Paraden,  Paraden 
und  Rüstungen.  Unter  allen  Völkern,  zahlen 
sie  die  höchsten  Steuern,  aber  sie  haben  nur 
Geld  für  Waffen  und  Kasernen.  Ihren  zweck- 
losen Rüstungen  zuliebe  essen  sie  Hunde- 
fleisch und  lassen  sogar  ihre  Veteranen, 
darben. 

Meine  Herren,  ich  wünsche  nicht,  daß 
man  s  o  von  uns  rede,  daß  man  auf  uns  zeige 
als  die  Gassenjungen  der  europäischen  Kul- 
tur. Ich  liebe  mein  Vaterland  und  will,  daß 
man  es  auch  jenseits  der  schwarz -weiß-roten 
Grenzpfähle  liebe.  —  Nicht  Sparta  darf  unser 
Ziel  sein,  wo  die  Kriegsidee  die  Grundlage 
der  gesamten  Volkserziehung  war  und  wo 
man  die  Industriellen  als  servile  Kreaturen 
behandelte.  Unser  Ziel  ist  Athen.  Denn 
ohne  die  glänzende  Furche,  die  Athen  in 
der  Kulturentwicklung  der  Menschheit  ge- 
zogen hat,  wäre  auch  Sparta  schon  längst 
vergessen  und  verflucht  von  der  Menschheit. 
Ich  wünsche,  daß  Deutschland 
fortan  als  Kulturschaffer  in  der 
Welt  voranleuchte,  und  ich  ver- 
hülle mein  Gesicht  bei  dem  Ge- 
danken, daß  es  jemals  mit  Sparta 
dentraurigen  Ruhm1  teilenkönnte, 
ein  Sinnbild  der  finsteren  Gewalt 
und  der  alles  erstickenden  Mili- 
tär disziplin    zu    sein. 

Selbst  Napoleon,  ein  Gewaltmensch,  der 
es  wissen  mußte,  hat  zugegeben,  daß  es  in 
der  Welt  nur  zwei  Gewalten  gibt,  den  Säbel 
und  den  Geist,  und  daß  zuletzt  immer  der 
Geist   über   den    Säbel    siege.     Ich   will,    daß 


der    deutsche   Geist   in    der   Welt    siege   und 
nicht   der   deutsche   Säbel. 

Aus  allen  diesen  Gründen  werden  alle 
ehrlichen  Patrioten  ohne  Unterschied  der 
Partei  mit  mir  gegen  die  neuen  Militär- 
vorlagen    stimmen. 

Herrn.   Fernau    (Paris). 


Das  Weltfeierjahr  im  Flottenbau. 

Am  26.  März  hat  der  englische  Marine- 
minister, Lord  Churchill,  die  Welt  mit  einem 
neuen    Vorschlag   überrascht.     Er   sagte: 

„Es  ist  keine  Aussicht  vorhanden,  die 
gewaltigen,  dauernd  wachsenden  Kosten  in 
den  Flottenetats  der  künftigen  Jahre  zu  ver- 
meiden, wenn  nicht  die  Periode  der  Rivali- 
täten und  des  technischen  Fortschritts  zu 
einem  Ende  kommt.  Von  allen  Nationen  der 
Welt  sind  wir  vielleicht  am  besten  imstande, 
eine  derartige  Ausdehnung  zu  tragen,  falls 
sie  fortgesetzt  werden  sollte.  Aber  es  gibt 
glücklicherweise  einen  Weg,  der  offen  steht 
und  offen  bleiben  wird,  durch  welchen 
die  Völker  der  Welt  eine  fast 
augenblickliche  Milderung  der 
Sklaverei  erreichen  können,  in 
die  sie  sich  selbst  begeben  haben. 
In  der  Sphäre  des  Flottenwettbewerbes  ist 
alles  relativ.  Die  Stärke  einer  Flotte  ist 
ihre  Stärke  verglichen  mit  einer  anderen. 
Der  Wert  eines  Schiffes  hängt  gänzlich  von 
dem  zeitgenössischen  Schiff  ab,  dem  es  viel- 
leicht entgegentreten  muß.  Jedoch  sehen 
wir,  daß  die  Schiffstypen  einer  jeden  See- 
macht die  der  früheren  Jahre  in  unerbitt- 
licher Hartnäckigkeit  verdrängen,  daß  viele 
Millionen  von  Jahr  zu  Jahr  ge- 
radezu vergeudet  werden  und  daß 
das  Entwicklungstempo  dauernd  sich  ver- 
stärkt, ohne  einen  wirklichen  Ge- 
winn in  der  relativen  Flotten- 
stärke. Kann  ein  Vorgang  sinn- 
loser sein?  Die  Frage,  die  sich  die  Groß- 
mächte, und  nicht  nur  die  Großmächte,  son- 
dern auch  die  großen  Nationen  vorlegen 
sollten,  ist  diese:  Wenn  für  den  Zeitraum 
eines  Jahres  kein  neues  Kriegsschiff  für 
irgendeine  Flotte  gebaut  worden  ist,  würden 
unsere  Flotteninteressen  oder  die  nationale 
Sicherheit  in  irgendeiner  erkennbaren  Weise 
gefährdet  werden?  Wir  haben  heute  gute 
Schiffe;  sie  sind  die  besten  der  Welt,  bis 
bessere  gebaut  werden.  Können  sie  nicht  ein 
Jahr  die  Herrschaft  behalten,  bevor  sie  zu- 
rückgesetzt werden  ?  Warum'  sollten  wir 
alle  nicht  für  ein  Jahr  im  Schiffsbau 
einen  Feiertag  eintreten  lassen,  soweit 
eine  neue  Konstruktion  oder  unter  allen  Um- 
ständen soweit  eine  Neukonstruktion  eines 
Linienschiffes  in  Betracht  kommt  ?  Das  ist 
die  Frage,  die  ich  im  vorigen  Jahre  gestellt 
habe,  und  das  ist  der  Vorschlag,  den  ich 
in  dieserni  Jahre  wiederhole.  Er  schließt  keine 


131 


DIEFßlEDEN5-^i*<&RrE 


e> 


Aenderung  in  der  relativen  Stärke  der  Flotten 
in  sich  ein.  Er  bedingt  nicht  das  Auf- 
geben irgendeines  Planes  bezüglich  der 
Flottenorganisation  oder  der  Flotten- 
vermehrung. Er  widerstreitet  keinem  System 
eines  Flottengesetzes.  Er  schließt  keine  Ein- 
schränkung der  wirklichen  Flottenstärke  ein. 
Et  ist  so  einfach,  daß  er  zu  keinem 
Mißverständnis  führen  kann.  Die 
Finanzen  eines  jeden  Landes  wür- 
deneineEnt las tungerhalten.  Keine 
Flotte  würde  im  geringsten  be- 
n  a  chteiligt  sein.  Wir  in  Großbritannien 
können  mit  Aufrichtigkeit  über  einen  der- 
artigen Gegenstand  sprechen.  Unsere  Schiffs- 
bautechnik ist  nicht  minderwertiger  als  die 
irgendeiner  anderen  Macht,  unsere  Erfah- 
rungen sind  weit  größer,  unsere  Hilfsmittel 
sind  reicher.  Unsere  Pläne  haben  auf  jeder 
Stufe  bei  dem  Weltwettbewerb  die  alte 
Ueberlegenheit  behauptet,  und  nach  dem, 
was  wir  von  anderen  Ländern  hören,  unter- 
liegen unsere  Preise  und  die  Qualität  unserer 
Arbeit  gewiß  keinem1  Tadel.  In  jedem  Jahre, 
solange  wie  neue  Schiffe  gebaut  werden, 
werden  (wir  die  besten  bauen,  welche  die 
Wissenschaft  erfinden  oder  Geld  kaufen  kann ; 
wir  werden  unser  bestes  tun,  die  Führung  in 
der  Konstruktion  aufrechtzuerhalten,  die  für 
die  Vorherrschaft  zur  See  nicht  weniger  wich- 
tig ist  als  das  Uebergewicht   in  der  Anzahl. 

Das  ist  kein  Appell  der  Schwäche,  des 
keuchend  Zurückbleibenden,  sondern  ein 
Appell  der  Stärke  des  in  der  Front 
Schreitenden,  den  wir  an  alle  Nationen  richten, 
und  an  keine  Nation  mit  größerer  Auf- 
richtigkeit als  an  unseren  großen  Nachbar 
jenseits   der   Nordsee." 

Es  gibt  wohl  kaum  etwas  Einleuchten- 
deres, etwas  Einfacheres,  etwas  Klareres 
als  diesen  Vorschlag.  Er  gleicht  dem  Ei  des 
Kolumbus.  Mit  einem  Schlage  scheinen  all 
die  Schwierigkeiten  überwunden,  die  uns  von 
den  Gegnern  stets  als  unüberwindbare 
Hindernisse  für  die  Rüstungsverminderung 
dargestellt  wurden.  Keine  schwierigen  For- 
meln sind  zu  suchen,  keine  Kontrollen  auf- 
zustellen. Es  wird  einfach  nichts  vermindert, 
es  bleibt  alles  beim  Alten;  nur  ein  Jahr  lang 
wird  pausiert.  Die  Hunderte  von  Millionen 
einer  einjährigen  Rüstungspause  stellen  sich  als 
klares  Ergebnis  dar.  Leider  ist  aber  das  Prin- 
zip des  Rüstungswettbewerbes  an  sich  so  un- 
logisch, daß  man  ihm  mit  logischen  Mitteln 
gar  nicht  beikommen  kann.  Ebensowenig 
wie  man  ein  Kind  oder  einen  Wilden,  mit 
Gründen  überzeugen  kann,  kann  man  die 
Rüstungsbetreiber  überzeugen.  Hier  gilt  ganz 
besonders  das  ausgezeichnete  Wort  Rudolf 
Goldscheids:  „La  r^cherche  de  la  causa- 
lite"  est  interdite."  Nach  dem  Warum  und 
Wozu  darf  hier  nicht  gefragt  werden. 

So  erhoben  sich  auch  in  der  deutschen 
Presse  sofort  Einwände.  Einwände  unglaubr 
lichster  Art.'    Nur  ein  Beispiel:    Die  „Kreuz- 


zeitung" vom  27.  März  rückt  sofort  mit  deaj 
„wahren  Gründen  der  englischen  Vorschläge" 
heraus.  Schon  dieser  Titel  kennzeichnet  die 
angewandte  Taktik;  er  verdächtigt.  Deutsch- 
land würde  nach  der  Kreuzzeitung  durch  ein 
solches  Feierjahr  „sehr  benachteiligt"  wer- 
den. „Jene  Pause  würde  der  überlasteten 
englischen  Industrie  von  Vorteil,  der  nicht 
überlasteten  deutschen  nur  von  Nachteil 
sein.  Sie  erläutert  diese  etwas  unklare  Be- 
hauptung folgendermaßen:  „Die  englischen 
Werften  verlangen  sehr  energisch  eine  Ver- 
längerung der  Baufristen  für  die  großen 
Kriegsschiffe,  da  sie  unter  gegenwärtigen 
Umständen  mit  Tag-  und  Nachtschichten 
arbeiten  müssen  und  dabei  nicht  auf  ihre 
Kosten  kommen  können;  bei  den  deutschen 
Werften  ist  das  nicht  der  Fall.  Die  englische 
Technik  mag  also  immerhin  noch  aus- 
dehnungsfähig sein,  für  eine  solche  Aus- 
dehnung braucht  sie  aber  Zeit;  die  deutsche 
Technik  ist  ebenfalls,  und  zwar  noch  sehr  aus- 
dehnungsfähig, sie  braucht  aber  keine  Zeit, 
sondern   Arbeit." 

Man  kann  dies  kaum1  als  Einwand  be- 
zeichnen; höchstens  als  Ausrede.  Die 
Milliarde,  die  beide  Staaten  in  solch  einem 
Feierjahr  sparen  würden,  kommt  für  die 
Kre,uzzeitung  gar  nicht  in  Betracht.  Sie 
spricht  nur  „von  Nachteilen". 

Aehnlich  auch  die  „Kölnische  Volks- 
zeitung". Für  sie  ist  der  Vorschlag  nur 
„ein  Paradehieb",  eine  „schöne  Idee", 
und  schließlich  mündet  auch  ihre  Betrach- 
tung nach  vie,len  Wenn  und  Aber  in  einer 
Verdächtigung:  „England  will  bloß  Luft  be- 
kommen." 

Ebenfalls  skeptisch,  wenn  auch  in  liebens- 
würdigerer Form,  hat  der  Reichskanzler  in 
seiner  großen  Rede  am  7.  April  zu  dem  Vor- 
schlag Stellung  genommen.   Er  sagte  darüber : 

„Nun  hat  Mister  Churchill  in  der 
großen  Rede,  die  er  neulich  gehalten  hat,  das 
Verhältnis  der  englischen  Flotte  zur  deut- 
schen Flotte  beleuchtet  und  dabei  einen  Ge- 
danken wiederholt,  den  er  bereits  im  vorigen 
Jahr,  und  zwar  auch  im  Parlament,  aus- 
gesprochen hat,  den  Gedanken,  daß  zur 
Verminderung  der  Rüstungen  die 
Schiffswerften  der  großen  Natio- 
nen von  Zeit  zu  Zeit  ein  Jahr  Feier- 
tag machen.  Mister  Churchül  hat  diesen 
Vorschlag  speziell  an  Deutschland,  und  zwar 
für  die  Jahre  1914  oder  1915  gerichtet.  Aber 
er  hat  selbst  anerkannt,  daß  alle  Großmächte 
an  dieser  Kontingentierung  beteiligt  werden 
müßten.  Die  Marinesachverständigen  dies- 
seits und  jenseits  haben,  wie  mir  scheint  ziem- 
lich einstimmig,  auf  die  großen  Schwierig- 
keiten hingewiesen,  die  sich  der  Ausführung 
dieses  Problems  entgegenstellen.  Mister 
Churchill  selbst  hat  diese  Schwierigkeiten  ge- 
kannt. Auch  ist  mir  nicht  bekannt  geworden, 
daß  sein  Gedanke  im  englischen  Parlament 
oder  in   der  englischen  öffentlichen   Meinung 


132 


<§s 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


mit  besonderer  Entschiedenheit  aufgegriffen 
wäre.  Wir  werden  daher  abwarten 
können,  ob  die  englische  Regie- 
rung mit  konkreten  Vorschlägen 
an  uns  herantreten  sollte.  Aber  die 
Tatsache,  daß  dieser  Gedanke  ausgesprochen 
worden  ist,  und  die  Formen,  in  die  der  erste 
Lord  der  englischen  Admiralität  sie  gekleidet 
hat,  bedeutet  schon  einen  großen  Fort- 
schritt. Es  gab  eine  Zeit,  wo  jede  Form 
eines  Vergleichs  der  englischen  und  der 
deutschen  Seestärke,  des  englischen  und  des 
deutschen  Schiffsbaues,  zu  einer  Flotten- 
hetze führte,  die  immer  wieder  die  Be- 
ziehungen beider  Länder  vergiftete.  Ich 
hoffe,  daß  diese  Zeiten  der  Ver- 
gangenheit angehören.  Mir  scheint, 
daß  das  Vertrauen  wiederzukehren  beginnt, 
das  lange  zum  Schaden  beider  Länder  und 
der  Welt  gefehlt  hat." 

Das  ist  keine  Zustimmung,  aber  auch 
keine    Ablehnung. 

Dem  scharfen  Beobachter  der  Verhält- 
nisse kann  eine  erfreuliche  Tatsache  nicht 
entgehen :  DasProblem  derRüstungs- 
verminderung  entwickelt  sich. 
Früher  durfte  darüber  kaum  gesprochen 
werden.  Das  zynische  Gelächter  der  Rück- 
wärtser  erstickte  jede  Andeutung  im  Keime. 
Jetzt  wird  doch  schon  diskutiert  und  erwogen, 
und  auch  von  deutscher  Seite  sehen  wir  jetzt 
öfter  ein,  wenn  auch  erzwungenes,  Nicken. 
Das  Problem  ist  diskutabel  geworden.  Die 
nächste  Haager  Konferenz  wird  Formeln  vor- 
finden, von  denen  die  Regierungen  bereits  er- 
klärt haben,  daß  sich  darüber  reden  ließe.  Es 
ist  nicht  mehr  so  ausgeschlossen,  daß  man  sich 
1915  im  Haag  darein  schicken  wird,  wenigstens 
zu  verhandeln.  Und  das  wird  schon  ein  großer 
Fortschritt    sein. 


Kundgebungen 
gegen  die  Rüstungen. 

Aufruf  des   Internationalen  Friedensbureaus. 

Die  gegenwärtige  Lage  Europas  hat  ihres- 
gleichen noch  nicht  gehabt. 

Zur  nämlichen  Stunde,  da  die  Vertreter 
der  Großmächte  in  London  und  in  Petersburg 
s'ich  mit  allem  Nachdruck  um  die  Herstellung 
des  Friedens  auf  der  Balkanhalbinsel  und  um 
die  Aufrechterhaltung  des  Weltfriedens  be- 
mühen, kündigen  diese  selben  Großmächte, 
unter  dem  Druck  einer  künstlich  erweckten 
Panik,  neue  gewaltige  Rüstungen  an,  mit  der 
Behauptung,  daß  diese  für  ihre  Sicherheit  not- 
wendig seien. 

Seit  Jahrzehnten  sind  wir  die  Zeugen  einer 
fortwährenden  Steigerung  der  Rüstungen  ge- 
wesen; aber  was  im  Augenblick  geplant  wird., 
um  sie  noch  weiter  zu  steigern,  überschreitet 
in  der  Tat  das  Maß  der  ausschweifendsten 
Phantasie. 


Die  Völker  müssen  begreifen:  eine  wohl- 
überlegte internationale  Kampagne  sucht  sie 
heute  auf  den  Weg  eines  unbegrenzten 
Rüstungswettkampfes  zu  verlocken;  wenn  sie 
den  Organisatoren  dieser  Kampagne  folgen, 
so  werden  bald  alle  ihre  Lebenskräfte  durch 
die  Vorbereitung  zu  den  Werken  der  Zer- 
störung und  des  Todes  aufgezehrt  werden, 
zum  Schaden  aller  Werke  des  Lebens,  der 
Zivilisation    und   des    Fortschritts. 

Eine  solche  Lage  ist  die  unausbleibliche 
Folge  der  Gewalt-  und  Raubpolitik,  die  von 
den   Regierungen  noch  immer  verfolgt  wird}. 

Es  ist  Sache  der  Völker,  unzweideutig 
ihren  Willen  zur  Beendigung  einer  solchen 
Politik   zu   bekunden. 

Heute  muB  auch  der  Blindeste  sehen/ 
daß  alle  Anstrengungen,  die  zur  Steigerung 
der  militärischen  Kräfte  eines  Landes  dienen 
sollen,  alsbald  zunichte  gemacht  Werden  durch 
gleiche  Anstrengungen  anderer  Länder.  Wenn 
die  gewaltigen,  jetzt  geplanten  Rüstungen 
durchgeführt  sind,  wird  nichts  in  dem  militä- 
rischen Kräfteverhältnis  der  verschiedenen 
Nationen  geändert  sein. 

Angesichts  solcher  Tatsachen  sollten  die 
Völker  sich  bemühen,  kaltes  Blut  zu  bewahren 
oder  wiederzugewinnen.  Zu  einer  solchen  Be- 
tätigung des  Willens  und  der  gesunden  Ver- 
nunft rufen  wir  sie  auf. 

Denn  wahrhaftig,  wollen  die  Völker  wirk- 
lich unaufhörlich  das  Bild  des  kommenden 
Krieges  vor  Augen  haben?  Wollen  sie  nicht 
vielmehr  den  Frieden,  gegründet  auf  Ge- 
rechtigkeit und  Freiheit,  die  Sicherheit  und 
den  Lohn  friedlicher  Arbeit,  den  Segen  geisti- 
gen Fortschritts,  die  Erleichterung  von  Steuer- 
und  Rüstungslasten,  die  nutzbringende  und 
rasche  Verwertung  der  wissenschaftlichen  Ent- 
deckungen, die  Verbilligung  der  Lebenshal- 
tung, die  Beteiligung  aller  an  den  Erzeug- 
nissen der  Welt  ? 

Die  Vertreter  der  Friedensgesellschaften 
der  ganzen  Welt,  die  in  Bern  zu  einer  inter- 
nationalen Versammlung  zusammengetreten 
sind,  erklären  feierlich:  Es  gibt  heute  kein 
Volk,  das  gewillt  wäre,  Krieg  zu  führen,  um 
seine  Nachbarn  zu  vernichten  oder  zu  unter- 
werfen; überall  würde  sich  vielmehr  ein  un- 
beschreiblicher Enthusiasmus  erheben,  wenn 
die  Politik  der  Staaten  sich  unter  die  Herr- 
schaft der  Friedensidee  stellen  wollte.  Jede 
Versicherung,  daß  es  anders  wäre,  muß  mit 
dem  schärfsten  Mißtrauen  aufgenommen 
werden. 

Die  wahre  öffentliche  Meinung  fordert 
die  Ersetzung  der  Kriegspolitik  durch  eine 
Politik  des  Friedens,  d.  h.  durch  eine  wohl- 
überlegte Organisation  der  internationalen 
Arbeitsgemeinschaft  und  durch  eine,  auf  dem 
Recht  beruhende,  für  alle  gleichmäßig  ver- 
pflichtende Beilegung  internationaler  Streitig- 
keiten. Nur  so  wird  jede  Nation  die  ihr  zu- 
kommende Unabhängigkeit  und  wahre  Sicher- 
heit gewinnen. 


133 


DIEFBIEDENS-^ADTE  = 


3 


Aber  ist  eine  solche  Umwandlung  der 
Politik  möglich? 

Die  jüngste  Vergangenheit  hat  zwei  be- 
merkenswerte Vorgänge  gezeitigt:  Die  von 
den  Regierungen  Rußlands  und  Oesterreich- 
Ungarns  getroffene  Vereinbarung  über  eine 
gleichzeitige  Demobilisierung  ihrer  in  den 
Grenzbezirken  stehenden  Truppen  und  die, 
wenigstens  stillschweigende,  Verständigung 
Deutschlands  und  Englands  über  das  Maß 
ihrer  Flottenrüstungen.  Diese  beiden  Vor- 
gänge, so  wenig  wir  ihre  Bedeutung  über- 
schätzen, sind  doch  außerordentlich  bezeich- 
nend; sie  zeigen,  daß  Uebereinkommen  zur 
Beschränkung  der  Rüstungen  durchführbar 
sind,  wenn  nur  die  Regierungen  den  Willen 
haben,  sie  durchzuführen. 

Unser  Aufruf  geht  an  die  Regierungen, 
die  sich  ihrer  Verantwortung  bewußt  sind, 
nicht  allein  an  jene,  die  unmittelbar  durch 
das  Rüstungsfieber  berührt  werden,  sondern 
auch  an  alle  andern,  die  die  unheilvollen 
Folgen  mitzutragen  haben  werden.  Ihre  Sache 
ist  es,  unverzüglich,  gemeinsam  oder  einzeln, 
bei  den  am  Rüstungswettkampf  unmittelbar 
beteiligten  Regierungen  vorstellig  zu  werden, 
damit  diese  gleichzeitig  auf  ihre  Pläne  ver- 
zichten, auf  diese  Pläne,  ebenso  verderblich 
und  unnütz  für  sie  selbst,  wie  gefährlich  für 
alle. 

Unser  Aufruf  geht  an  die  Parlamente  und 
unterschiedslos  an  alle  politischen  Parteien, 
die  sich  ehrlich  des  Wohles  der  Massen  an- 
nehmen, und  die  sich  unabhängig  halten  von 
den  Rüstungsinteressenten.  Ihre  Sache  ist  es, 
einmütig  und  eines  Sinnes  ihre  Stimme  zu  er- 
heben, um  von  ihren  Regierungen  die  gleichen 
Entscheidungen  und  die  gleichen  Maßnahmen 
zu  fordern. 

Unser  Aufruf  geht  schließlich  an  die 
Völker,  die  alle  den  Frieden  wollen,  die  alle 
mit  ihren  Interessen  am  Frieden  hängen  und 
die  alle  unter  der  materiellen  und  moralischen 
Last  der  Rüstungen  zusammenzubrechen 
drohen.  Ihre  Sache  ist  es,  auf  ihre  Vertreter 
in  den  Parlamenten  einen  unwiderstehlichen 
Druck  auszuüben.  Aus  allen  Hütten  und  aus 
allen  Werkstätten  muß  sich  ein  einheitlicher, 
mächtiger  und  entrüsteter  Protest  erheben 
gegen  jene,  die  da  behaupten,  Dolmetscher 
der  Volksmassen  zu  sein,  wenn  sie  von  'Kampf- 
und Schlachtbegierde  sprechen.  Alle  aufge- 
klärten Geister  müssen  sich  hinzugesellen,  um 
die  Menschheit  zu  befreien  von  dem  Alp- 
druck, der  auf  ihr  lastet  und  sie  zur  Ver- 
zweiflung treibt. 

Wir  wagen  zu  hoffen,  daß  unter  dem 
zwingenden  Druck  der  öffentlichen  Meinung 
die  Mächte  diesen  Weg  der  Beruhigung  und 
der  Verständigung  betreten  werden.  Will  man 
den  Folgen  einer  wahrhaft  selbstmörderischen 
Politik  entgehen,  so  muß  der  internationalen 
Anarchie  ein  Ende  gesetzt  werden;  denn  sie 
allein  wirkt,  lähmend  auf  alle  wohlmeinenden 
Bestrebungen,    die    auf    den    Fortschritt    und 


die  Besserung  des  Loses  der  Völker  gerichtet 
sind.  Stetigkeit  muß  an  die  Stelle  der  heu- 
tigen Unsicherheit  treten;  denn  diese  ist  nur 
zum  Vorteil  jener,  die  im  vollen  Bewußtsein 
besinnungslose  Paniken  hervorrufen,  aus- 
schließlich zu  ihrem  eigenen  Nutzen  und  zum 
Schaden  der  Kleinen  und  Armen. 

Wir  haben  die  Ueberzeugung,  in  dieser 
feierlichen  und  verantwortungsvollen  Stunde 
im  Namen  nicht  nur  der  Friedensfreunde  zu 
sprechen,  die  in  ihren  Vereinen  auf  der  ganzen 
Erdoberfläche  organisiert  sind,  sondern  auch 
im  Namen  von  Millionen  und  aber  Millionen 
Menschen,  die  durch  ihrer  Hände  und  ihrer 
Köpfe  friedliche  Arbeit  das  Auskommen 
suchen,  auf  das  sie  ein  Recht  haben,  für 
sich  und  für  ihre  Familien,  die  in  dieser  Stunde 
der  Trauer  und  des  Schreckens  die  Sorge 
niederdrückt.  Sic  alle  ersehnen  ein  Zeitalter 
gesicherten  Friedens. 

Wir  sind  sicher,  über  alle  Grenzen  hinaus 
gehört  zu  werden,  wenn  wir  auch  jetzt  wieder 
den  Ruf  erschallen  lassen,  der  die  Mensch- 
heit zu  ihren  Zielen  der  Freiheit,  Brüderlich- 
keit und  Gerechtigkeit  führt:  Krieg  dem 
Kriege ! 

Bern,  im  März   1913. 

Eingabe  der  Deutschen   Friedensgesellschaft 
an  den  Reichskanzler. 

,,An  den  Herrn  Reichskanzler 
von  Bethmann  Hollweg. 
Eure  Exzellenz 
erlaubem  wir  uns,  bezüglich  der  geplanten 
Rüstungsvorlage  in  letzter  Stunde  um  ge- 
neigtes Gehör  zu  bitten.  Wir  können  zwar 
nicht  hoffen,  die  Kaiserliche  Regierung  in 
ihren  Entschließungen  zu  beeinflussen,  halten 
es  aber  doch  für  unsere  Gewissenspflicht, 
darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß  der  ein- 
geschlagene Weg  schwerlich  zu  dem  er- 
wünschten Ziel,  einen  dauernden  Frieden  zu 
erhalten,  führen  wird.  Kein  Friedensfreund, 
sondern  ein  Kriegsfürst,  der  Zar  Nikolaus  II. 
von  Rußland,  hat  es  ausgesprochen :  „Die 
ständige  Gefahr,  welche  in  der  Kriegsstoff- 
ansammlung ruht,  macht  die  Armee  unserer 
Tage  zu  einer  erdrückenden  Last,  welche  die 
Völker  mehr  und  mehr  nur  mit  Mühe  tragen 
können.  Es  ist  deshalb  klar,  daß,  wenn  diese 
Lage  sich  noch  weiter  so  hinzieht,  sie  in 
verhängnisvoller  Weise  zu  eben  der  Kata- 
strophe führen  würde,  welche  man  zu  ver- 
meiden wünscht,  und  deren  Schrecken  jeden 
Menschen  schon  beim  bloßen  Gedanken 
schaudern  machen."  Wir  brauchen  Eurer 
Exzellenz  nichts  davon  zu  sagen,  daß  die 
neuen  Rüstungsforderungen  dem  deutschen 
Volk  überraschend  kommen  müssen,  nach- 
dem erst  vor  einem  Jahr  eine  wesentliche 
Vermehrung  des  Heeres  stattgefunden  hat, 
und  daß  durch  beide  Neuforderungen  die 
vom.  Jahr  1912,  wie  die  vom  Jahr  1913  das 
Quinquennatsgesetz,  durch  das  doch  der 
Heeresbestand  auf  5  Jahre  festgelegt  schien, 


13*. 


<s= 


=  DIEFRIEDEN5-^MM2XE 


illusorisch  gemacht  werden  dürfte.  Wir  haben 
auch  nicht  nötig,  Eurer  Exzellenz  vorzurech- 
nen, welche  Steigerung  die  Rüstungsaus- 
gaben speziell  in  Deutschland  erfahren  haben. 
Im  Jahre  1883  haben  wir  366  Millionen  Mark 
für  unser  Heer  und  36  Millionen  für  unsere 
Flotte  aufgewendet,  zusammen  also  392  Millio- 
nen; jetzt  geben  wir  bereits  ca.  1300  Millio- 
nen für  unsere  Rüstung  aus,  und  wenn  die 
neue  Wehrvorlage  angenommen  ist,  werden 
wir,  alle  Nebenausgaben  eingerechnet,  gegen 
2  Milliarden  für  unsere  Panzer  aufzuwenden 
haben,  das  ist  in  30  Jahren  eine  Steigerung 
von  rund  400  °/o,  und  dabei  ist  die  dadurch 
erstrebte  Sicherheit  keineswegs  größer  ge- 
worden, im  Gegenteil,  die  Kriegsgefahr  ist 
dringender  als  je.  Dabei  dürfte  es  sich  als 
aussichtslos  erweisen,  daß  der  Dreibund  die 
Triple-Entente  in  dem  Rüstungswettlauf 
überflügeln  könnte.  Die  Antwort  auf  die  von 
der  deutschen  Regierung  geplante  Rüstungs- 
vorlage ist  bereits  vom  französischen  Mi- 
nisterium gegeben :  in  Paris  wird  man  einen 
neuen  Rüstungskredit  von  500  Millionen 
Franken  verlangen;  man  wird  daran  gehen, 
eine  schwarze  Armee  gegen  Deutschland  auf- 
zustellen, man  wird  unser  Heer  durch  An- 
schaffung kostspieliger  Zerstörungsmaschinen 
zu  überbieten  suchen,  und  wenn  das  fran- 
zösische Volk  die  nötige  Mannschaft  nicht 
wird  aufbringen  können,  so  ist  in,  Rußland 
ein  so  unerschöpfliches  Menschenreservoir 
vorhanden,  daß,  wenn  dasselbe  unter  Vor- 
aussetzung einer  Sanierung  der  russischen 
Finanzen  aufs  äußerste  ausgenützt  wird,  die 
Ueberflügelung  des  Dreibunds  durch  die  mit 
den  Balkanstaaten  vereinigte  Triple-Entente 
zur  erschreckenden  Tatsache  werden  wird. 
Wir  sehen  keinen  Ausweg  aus  dem  verhäng- 
nisvollen Zirkel,  in  dem  sich  die  europäische 
Politik  bewegt,  als  den :  es  sollte 
versucht  werden,  eine  Uebereinkunft  unter 
den  Staaten  abzuschließen,  durch  die  sie 
sich  ihren  Besitzstand  gegenseitig  garantieren 
und  sich  eine  überseeische  Expansion  für  den 
Notfall  ermöglichen.  Auch  Frankreich  würde 
—  das  ist  unsere  Ueberzeugung  —  schließ- 
lich eher  bereit  sein,  sich  durch  einen  der- 
artigen Vertrag  zu  binden,  als  daß  es  sich 
•durch  das  ruinöse  System  des  bewaffneten 
Friedens,  diesen  latenten  Kriegszustand,  zu- 
grunde richten  ließe.  Man  müßte  aber  ein- 
sehen, daß  es  nicht  nur  die  Aufgabe  der  Po- 
litik sein  kann,  das  Interesse  des  eigenen 
Staates  zu  wahren,  daß  es  sich  vielmehr 
darum  handeln  muß,  den  Boden  für  ein 
menschenwürdiges  Zusammenleben  der  Na- 
tionen zu  bereiten.  Die  Bedrohung  einer  Na- 
tion durch  die  andere,  wie  sie  heute  die 
Regel  geworden  zu  sein  scheint,  kann  aber 
nicht  als  menschenwürdiger  Zustand  bezeich- 
net werden.  Uebrigens  sollte  auch  schon 
unter  Voraussetzung  der  gegenwärtigen  Ver- 
hältnisse eine  Uebereinkunft  unter  den  kon- 
kurrierenden   Regierungen   möglich    sein,    da- 


hingehend, daß  eine  Formel  gesucht  würde, 
welche  ein  gewisses  Maximum  der  Rüstungs- 
ausgaben festlegen  würde.  Wenn  es  ge- 
lungen ist,  zwischen  der  deutschen  und  eng- 
lischen Flotte  das  Verhältnis  von  10:16  als 
annehmbar  für  die  nächste  Zeit  festzulegen, 
warum  sollte  nicht  etwas  Aehnliches  auf  dem 
Gebiete    der    Landstreitkräfte   möglich    sein  ? 

Möge  es  Eurer  Exzellenz  gefallen,  dies: 
Gedanken  einer  geneigten  Prüfung  zu  unter- 
ziehen. 

Stuttgart,   März   1913. 

Verehrungsvoll 

Der  Vorstand   der 

Deutschen     Friedensgesellschaft. 

Dr.  Ad.  Richter.  ü.  Umfrid." 

Resolution  der  Deutschen  Friedensgesellschaft. 

Die  Deutsche  Friedensgesellschaft,  Stutt- 
gart, faßte  in  ihrer  Ausschuß-Sitzung  vom 
14.    März   1913  folgende   Resolution : 

,,Die  Deutsche  Friedensgesellschaft  be- 
dauert aufs  lebhafteste,  daß  die  Regierungen 
trotz  aller  Friedensversicherungen,  trotz  aller 
Abmachungen  der  Haager  Konferenzen,  trotz 
all  der  Anzeichen,  die  auf  die  wachsende 
Solidarität  der  Interessen  hinweisen,  immer 
noch  keinen  Ausweg  aus  dem  Zustand  des 
bewaffneten  Friedens,  dieses  latenten  Kriegs, 
finden  zu  können  meinen,  daß  sie  vielmehr 
heute  mehr  als  je  dem  Wahngedanken  folgen, 
als  ob  sie  sich  nur  durch  eine  ins  Ungemessene 
gesteigerte  Rüstung  behaupten  oder  durch- 
setzen könnten,  ohne  daß  sie  die  furchtbare 
Gefahr  bemerken  wollen,  die  sie  gerade  mit 
dieser  ungeheuerlichen  Anhäufung  der  Zer- 
störungsmittel heraufbeschwören.  Obwohl  die 
Deutsche  Friedensgesellschaft  die  Anschauung 
der  Regierung  sehr  wohl  kennt,  nach  welcher 
dieselbe  mit  einem  gleichzeitigen  Angriff  von 
Westen  und  einem  Ansturm  der  durch  die 
Balkanstaaten  verstärkten  Russen  rechnen  zu 
müssen  glaubt,  so  sieht  sie  doch  in  der  neuesten 
Milliardenforderung,  die  an  das  deutsche  Volk 
gestellt  wird,  keineswegs  eine  wirksame  Frie- 
denssicherung, sondern  weiß,  daß  die  anderen 
Mächte  in  dieser  äußersten  Anspannung  der 
deutschen  Wehrkraft  —  ob  auch  mit  Unrecht 
—  eine  furchtbare  Drohung  erblicken,  der  sie 
zunächst  mit  einem  ähnlichen  Aufwand  für 
Zerstörungsmittel  begegnen  zu  müssen  meinen, 
um  schließlich  in  der  Erkenntnis,  daß  es  so 
nicht  weitergehen  kann,  zu  der  Ansicht  zu 
gelangen,  daß  ein  Ende  mit  Schrecken  dem 
Schrecken  ohne  Ende  vorzuziehen  sei.  Sie 
fordert  daher  alle  Einsichtigen  auf,  mit  ihr 
gemeinsam  gegen  das  ziellose  Wettrüsten  zu 
protestieren,  bis  die  Regierungen  sich  dazu 
entschließen,  um  den  Frieden  auf  festere 
Grundlagen  zu  stellen,  einander  die  Unantast- 
barkeit des  bestehenden  Besitzstandes  zu 
garantieren,  für  den  Fall  der  Selbstauflösung 
eines  Staates  den  einzelnen  Völkerschaften 
desselben  das  Selbstbestimmungsrecht  zuzu- 
gestehen,   sich    selbst    jeder    Einmischung    zu 


135 


DIE  FßlEDEN5-Nfc/AE>TE  = 


3 


enthalten  und  etwaige  Streitigkeiten,  die  trotz 
derartiger  Abkommen  entstehen  sollten,  der 
Erledigung  auf  rechtlichem  Wege  zuzuführen. 
Es  zeigt  sich  schon  heute  aufs  klarste,  daß 
keine  Nation  der  andern  bezüglich  der 
Rüstungsausgaben  zuvorkommen  kann,  da  die 
andern  sofort  mit  einer  ähnlichen  Erhöhung 
ihrer  Wehrkraft  i antworten;  daß  aber  die 
Teuerung  der  Lebenshaltung,  die  jetzt  schon 
einen  exorbitanten  Grad  erreicht  hat,  durch 
die  starke  Blutentziehung,  die  in  der  geplanten 
Milliardensteuer  dem  Volkskörper  zugemutet 
wird,  erhöht  werden  wird,  dürfte  jedem  Kun- 
digen einleuchten.  Daher  sollte  unseres  Er- 
achtens  dem  Gedanken  eines  Uebereinkom- 
mens   näher  getreten   werden." 


Ein  offizieller  Vorstoß  gegen  die 
Kriegshetzer  in  der  Presse. 

Seitdem  es  eine  Friedensbewegung  gibt, 
richtet  sich  der  Kampf  gegen  die  Brunnen- 
vergifter der  öffentlichen  Meinung,  deren 
Geschäft  es  ist,  durch  sensationelle  Nach- 
richten die  öffentliche  Meinung  zu  täuschen 
und  jene  Erbitterung  zu  erregen,  die  dem 
internationalen  Frieden  recht  gefährlich  wird. 
Man  kennt  diese  Fälscher  und  Hetzer  und 
ihren  verderblichen  Einfluß.  Bei  dem  gröBen 
Werke  der  anglo-deutschen  Verständigung 
sahen  wir  sie  hemmend  am  Werke.  Lord 
Churchill  hat  sie  mit  Recht  „Die  Wege- 
lagerer der  internationalen  Politik"  genannt. 
In  den  Beziehungen  Deutschlands  zu  Frank 
reich  spielen  sie  die  verächtlichste  und  ver- 
derblichste Rolle,  nicht  minder  in  den  Be- 
ziehungen Oesterreich-Ungarns  und  Italiens. 
Aus  dem  gegenwärtigen  Balkankriege  haben 
wir  ihr  trauriges  Wirken  noch  in  aller  Er- 
innerung. Die  falschen  Nachrichten  über  die 
Ermordung  des  österreichischen  Gesandten  in 
Belgrad,  die  Aufbauschung  der  Affäre  Pro- 
chaska,  die  Fälschungen  über  die  ungnädige 
Aufnahme  des  kaiserlichen  Sondergesandten 
Hohenlohe  in  Petersburg  sind  Einzelheiten 
aus    der    Werkstatt    dieser    Giftmischer. 

Mit  Recht  hat  sich  die  anständige  Diplo- 
matie stets  gegen  jene  dunkeln  Ehrenmänner 
gewandt,  und  der  ehemalige  österreichisch- 
ungarische Minister  des  Aeußern,  Graf 
Kalnoky,  hat  einmal  ausdrücklich  die 
Hilfe  der  Friedensgesellschaften  gegen  jene 
Plage  angerufen.  Am  18.  September  1892 
sprach  er  in  den  österreichischen  Delegationen 
von  der  Alarmierung  der  öffentlichen  Mei- 
nung durch  die  Tagespresse  und  deren  Nach- 
richtendienst, „in  welchem  auf  die  Nerven  des 
lesenden  Publikums  und  sogar  auf  die  Leiden- 
schaften politischer  und  nationaler  Natur  in 
einer  Weise  eingewirkt  wird,  die  oft  heftige 
Strömungen  erzeugt,  welche  die  Regierung 
alle  Mühe  hat,  zu  beruhigen.  Wenn  die 
Friedenskongresse  sich  mit  der  Friedensfrage 


beschäftigen,  würde  ich  ihnen  sehr  empfehlen, 
dieser  Tatsache  ihr  Augenmerk  zuzuwenden 
und  in  dieser  Richtung  einen  heilsamen  Ein- 
fluß zu  üben  in  allen  Ländern,  wo  solches 
vorkommt". 

Im  Jahre  1906  hat  Graf  Aehrenthal 
in  den  Delegationen  von  jenen  Unverant- 
wortlichen gesprochen,  die  in  der  Presse 
jeden  Zwischenfall  aufbauschen  und  die  be- 
gleitenden Nebenumstände  übertreiben,  und 
1907  beklagte  sich  der  damalige  italienische 
Premierminister  T  i  1 1  o  n  i  über  „die  Zügel- 
losigkeit  eines  Teiles  der  Presse",  ihre  „straf- 
würdigen Provokationen",  die  „die  haupt- 
sächlichste, wenn  nicht  die  einzige  Gefahr  für 
den  europäischen  Frieden  bilden".  Aehnliche 
Aeußerungen  taten  noch  Campbell  Banner- 
man,  Graf  Bülow,  Kiderlen  Waechter  u.  a. 

Die  Pazifisten  haben  nicht  erst  nötig  ge- 
habt, die  Aufforderung  des  Grafen  Kal- 
noky zu  befolgen.  Schon  auf  dem  Londoner 
Friedenskongreß  von  1890  und  auf  allen 
späteren  Kongressen  forderten  sie  energisch 
Abhilfe  gegen  dieses  Uebel  und  Einschreiten 
der    Gesetzgebung. 

Hierzu  scheint  nun  der  erste 
Schritt   gemacht   zu  werden. 

In  dem  Entwurf  des  neuen  Strafgesetz- 
buches, den  die  österreichische  Regierung 
dem  Herrenhause  vorgelegt  hat,  befindet  sich 
ein  Abschnitt,  der  „Von  der  Gefährdung 
des  Friedens"  handelt.  Der  darüber  ein- 
gefügte §  115  hat  folgenden  Wortlaut: 

„Wer  durch  eine  Druckschrift  eine 
unwahre  oder  entstellte  Nachricht  ver- 
breitet, durch  welche  die  Beziehungen  der 
Monarchie  zu  einem1  fremden  Staate  ge- 
fährdet werden,  wird  mit  Gefängnis  oder 
Haft  von  einer  Woche  bis  zu  einem  Jahr 
oder  mit  Geldstrafe  von  fünfzig  bis  zu 
Viertausend  Kronen  bestraft." 
Dieser  Paragraph  ist  von  der  Regierung 
selbst  vorgelegt  worden.  Die  juristische  Kom- 
mission des  Herrenhauses  hat  in  ihrem  „Be- 
richt" folgende  Begründung  dazu  gegeben: 
„Es  ist  wiederholt  durch 
Aeußerungen  der  hervorragend- 
sten Staatsmänner  verschie- 
dener Staaten  anerkannt  wor- 
den, daß  die  Gefahr  für  den 
Frieden  heute  meist  nicht  mehr 
wie  früher  von  den  Regierungen 
und  ihrer  Diplomatie  ausgeht, 
deren  Tätigkeit  vielmehr  vor- 
wiegend in  den  Dienst  der  Frie- 
den sbewahrung  gestellt  ist, 
sondern  von  unverantwort- 
lichen Elementen,  die  aus  den 
verschiedensten  Motiven,  aus 
nationalem  Fanatisimus,  aus 
volkswirtschaftlichen  Gründen, 
zum  Teil  aber  auch  aus  gemein- 
ster Gewinnsucht  oder  au 
journalistischer  Sensations 

lust      die     Völker     und     Staate: 


136 


<§; 


DIE  FRIEDEN5-^M&RTE 


gegeneinander     verhetzen      und 
die    Versuche    friedlicher     Bei- 
legung    internationaler     Diffe- 
renzenund  Erregungder  Leiden- 
schaften     durch    Entstellungen 
von     Nachrichten,     durch     Ver- 
breiten   erlogener    Nachrichten 
stören.        Dieser      Gefahr      sucht 
§  115    durch     eine     Strafdrohung 
gegen  diese  Art  der  Gefährdung 
des  Friedens  entgegenzuwirken, 
indem     er    es    als   Vergehen     er- 
klärt, in  e  in  er  D  r  uck  s  ch  r  if  t  un- 
wahre     oder      entstellte      Nach- 
richten     zu     verbreiten,      durch 
die     die     Beziehungen    der    Mon- 
archie zu  einem  fremden   Staate 
gefährdet   werden." 
Die     Feststellung     wird     für     die      pa- 
zifistischen   Kreise    nicht    uninteressant    sein, 
daß    der    Berichterstatter    jener  juristischen 
Kommission    niemand    anderer    als    der    be- 
kannte    Völkerrechtsgelehrte      Professor 
Lammasch     ist,     der    hervorragende    Mit- 
arbeiter am  Haager  Werk  und  der  angesehene 
Richter   in    so    vielen    bedeutenden    Schieds- 
fällen. 

In  absehbarer  Zeit  wird  das  neue  öster- 
reichische Strafgesetzbuch  Gesetz  werden. 
Dann  wird  die  Propaganda  einen  Ausgangs- 
punkt haben  —  eine  Operationsbasis,  wie 
man  es  militärtechnisch  nennt.  Das  Ziel 
wird  dann  sein,  den  §  115  des  österreichischen 
Strafgesetzbuches  in  die  übrigen  Strafgesetz- 
bücher einzufügen.  Dies  wird  am  besten  zu 
erzielen  sein  durch  ein  internationales  Ab- 
kommen, und  zu  einem  solchen  wird  d  i  o 
kommende  Haager  Konferenz  die 
beste  Gelegenheit  bieten. 

A.  H.  F. 


Brief  aus  denVereinigtenStaaten. 

Von   Henry   S.    Haskeil,   New  York. 

Das  nationale  und  das New-Yorker  Komitee 
zur  Jahrhundertfeier  des  Friedens  zwischen 
den  englisch  sprechenden  Völkern  entfalteten 
eine  rege  Tätigkeit  für  die  Vorbereitung  der 
im  Jahre  1914  stattfindenden  Feier.  Es  wurde 
vorgeschlagen,  die  Geschichte  eines  Jahr- 
hunderts des  Friedens  von  Prof.  W  m.  A.  Dun- 
ning  von  der  Columbia-Universität  schreiben 
zu  lassen.  Das  Vorwort  dazu  soll  der  frühere 
Botschafter  James  *B r y  c e  liefern.  Ferner 
wurde  erwogen,  ein  Denkmal  der  Königin 
Victoria  in  diesem  Lande  und  eines  von 
George  Washington  in  London  zu  errichten^ 
Ebenso  soll  ein  Standbild  an  der  Grenze  zwi- 
schen Britisch  Columbia  und  dem  Staate 
Washington  zur  Aufstellung  gelangen.  Am 
24.  Dezember  1914  wird  für  fünf  Minuten  jede 
Art  von  menschlicher  Tätigkeit  in  den  Ver- 
einigten   Staaten    eingestellt    werden.     Es    ist 


auch  beabsichtigt,  eine  Gedenkfriedensbrücke 
über   die  'Niagara- Schlucht   zu   erbauen. 

James  L.  Tryon,  Sekretär  der  Massa- 
chusetts Friedensgesellschaft,  hat  eine  Anzahl 
illustrierter   Vorträge   gehalten,    die   sich  auf 
die  beabsichtigte  Jahrhundertfeier  beziehen. 
mb 

Die  Verhältnisse  in  Mexiko  waren  sehr 
beunruhigend.  Präsident  Taft  und  sein  Nach- 
folger, Präsident  Wilson,  sind  von  inter- 
essierten Kreisen  gedrängt  worden,  zu  inter- 
venieren oder  eine  Vermittlung  zu  versuchen, 
aber  diese  Vorschläge  wurden  beharrlich  zu- 
rückgewiesen. Der  Sturz  der  Regierung  des 
Präsidenten  Madero  und  der  Regierungs- 
antritt des  General  Huerta  als  vorläufiger 
Präsident  lassen  aber  immerhin  hoffen,  daß 
sich  eine  dauerhafte  Regierungsform  in 
Mexiko  entwickeln  wird,  wenn  es  auch  selbst- 
verständlich erscheint,  daß  es  große  Schwierig- 
keiten bereiten  wird,  eine  solche  dort  einzu- 
führen. Die  führenden  Zeitungen  sprechen 
von  einer  Intervention  der  Vereinigten  Staaten 
als  von  einem  allerletzten  Mittel  und  die  ein- 
flußreichsten Persönlichkeiten  dieses  Landes 
sind  der  Ansicht,  daß  Mexiko  allein  seine  Ver- 
hältnisse ordnen  solle,  es  sei  denn  das  Leben 
der  in  Mexiko  lebenden  Bürger  'der  Ver- 
einigten Staaten  gefährdet.  Finanzielle  Inter- 
essen fallen  aber  nicht  genügend  ins  Gewicht, 
um    eine    Intervention    zu    rechtfertigen. 

Durch  die  Presse  wurde  ein  Bericht  ver 
breitet,  wonach  die  Republik  Columbia  sich 
weigerte,  die  versuchsweisen  Vorschläge,  die 
seitens  des  Department  of  State  gemacht  wur- 
den, zwecks  Schlichtung  der  Streitfrage  über 
die  Anerkennung  der  Panama-Republik  durch 
die  Regierung  der  Vereinigten  Staaten  anzu- 
nehmen. Die  kolumbische  Regierung  besteht 
darauf,  die  Frage  einem  Schiedsgericht  zu 
unterbreiten.  Am  25.  März  veröffentlichte  der 
Generalkonsul  von  New  York  einen  an  den 
ehemaligen  Staatssekretär  <K  n  o  x  gerichteten 
Brief,  worin  er  die  Wahrhaftigkeit  des 
Berichtes,  den  der  Sekretär  dem  Kongreß  am 
1.  März  1913  unterbreitete,  bezweifelt.  Es  ist 
nicht  wahrscheinlich,  daß  diese  Frage  eine 
rasche    und   befriedigende    Lösung   findet. 

MB 

Am  4.  März  leistete  WoodrowWilson 
den  Eid  als  Präsident  der  Vereinigten  Staaten!. 
Es  waren  Gerüchte  über  bevorstehende  Re- 
volutionen in  den  Republiken  von  Zentral- 
Amerika  verbreitet,  weil  es  den  Anschein 
hatte,  als  wäre  Präsident  Wilsons  Politik 
der  Nicht  -  Intervention  'zugeneigt.  Indessen 
versprach  das  am  12.  März  veröffentlichte 
E  x  p  o  s  6  des  neuen  Präsidenten  eine  Politik 
der  Freundschaft  für  die  Republiken  Latein- 
Amerikas,  setzte  aber  die  freundschaftliche 
Warnung  hinzu,  daß  die  Regierung  der  Ver- 
einigten "Staaten  einen  Mißbrauch  ihrer 
Freundschaft  nicht   dulden  würde. 


137 


DIE  FRIEDENS -^VADTE  = 


^> 


In  den  letzten  Tagen  hat  Präsident  Wil- 
son den  führenden  amerikanischen  Banken 
mitgeteilt,  daß  die  Regierung  der  Vereinigten 
Staaten  auf  eine  Teilnahme  Ajnerikas  an  der 
Sechs-Mächte-Anleihe  in  China  nicht  bestehen 
würde.  Dies  gab  'Anlaß  zu  zahlreichen  Kom- 
mentaren und  Kritiken.  Der  allgemeine  Ein- 
druck scheint  aber  der  zu  sein,  daß  es  sich  nur 
um  eine  freundschaftliche  Kundgebung  handelt, 
der  in  kurzer  Zeit  die  offizielle  Anerkennung 
der  neuen  chinesischen  Republik  folgen  wird,. 

Es  wäre  verfrüht,  eine  Meinung  über  die 
von  Präsident  Wilson  zu  erwartende  Politik 
zu  äußern,  aber  man  wird  wohl  nicht  fehl- 
gehen in  der  Annahme,  daß  er  für  eine  be- 
scheidene Reduktion  des  Tarifs,  für  eine  all- 
gemeine oder  erhöhte  Einkommensteuer  und 
für  Gerechtigkeit  und  Wohlwollen  in  unseren 
internationalen  Verbindungen  eintreten  wircL 
cssr 

Bereits  anfangs  1913  hat  der  Sekretär 
des  Präsidenten  der  chinesischen  Republik  die 
Trustees  der  Carnegiestiftung  aufgefordert, 
einen  Rat  für  die  chinesische  Regierung  zu 
ernennen.  Frank  Johnson  Goodnow, 
Professor  für  Verwaltungsrecht  an  der  Colum- 
bia-Universität ist  dafür  bestimmt  worden  und 
wird  sehr  bald  diesen  Posten  in  China  an- 
treten. Als  Dr.  Charles  W.  Eliot  im 
Jahre  1912  die  Carnegiestiftung  in  China  ver- 
trat, wurde  die  Möglichkeit  einer  solchen  Er- 
nennung zwischen  ihm  und  dem  chinesischen 
Ministerpräsidenten  erwogen. 

MB 

Am  13.  Februar  unterschrieben  der  Staats- 
sekretär Knox  und  der  Gesandte  Jusse- 
r  a  u  d  eine  Konvention,  die  die  Schiedsverträge 
zwischen  Frankreich  und  den  Vereinigten 
Staaten    auf    fünf    Jahre    verlängerte. 

Charles  W.  Eliot,  emeritierter  Prä- 
sident der  Harvard  -  Universität,  wurde  die 
Gesandtschaft  am  Hof  von  St.  James  an- 
getragen.   Er  lehnte  den  ehrenvollen  Ruf  ab. 

John  Bassett  Moore,  Professor  für 
Völkerrecht  an  der  Columbia  -  Universität, 
wurde  zum  Rat  des  State  Department  ernannt 
und  wird  in  Abwesenheit  des  Staatssekretärs 
William  Jennings  B  r  y  a  n  diesen  ver- 
treten. 


Die  Frage  des  Panamakanal-Zolles  be- 
gegnet immer  noch  einem  lebhaften  Interesse. 
Die  einflußreichsten  Zeitungen  und  Zeit- 
schriften haben  diese  Frage  fast  täglich  be- 
sprochen und  Widerruf  jenes  Teiles  des  Aktes 
über  den  Panamakanal-Zoll  empfohlen,  der1 
eine  Befreiung  des  Zolles  der  amerikanischen 
Küstenschiffahrt  gewährt,  oder  zur  Verweisung 
der  Streitfrage  mit  Großbritannien  vor  ein 
Schiedsgericht    geraten. 

Hon.  Joseph  H.  Choate,  früher  Ge- 
sandter in  England,  stellte  in  einer  Rede  in 
der  Pilgrims  Society  in  New  York  am  4.  Fe- 
bruar   fest,    daß    er    den    Entwurf    des    Hay- 


Pauncefote-Vertrags  kenne,  und  daß  es  zwi- 
schen Lord  Pauncefote  und  John  Hay 
feststand,  daß  alle  Nationen,  mit  Inbegriff  der 
Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  den  Kanal 
unter  gleichen  Bedingungen  benutzen  könnten. 
In  der  New  York  Sun  vom  16.  März  ist  ein 
erschöpfender  und  autoritativer  Bericht  von 
Mr.  Choate  veröffentlicht  worden,  der  diesen 
Gedanken  Vertritt. 

Das  Ende  der  Kongreßsession  brachte 
keine  Erledigung  zu  dem  Gesetzentwurf  des 
Senators  Root  auf  Widerruf  der  Befreiungs- 
klausel. Es  ist  möglich,  daß  die  Widerruf- 
angelegenheit anläßlich  der  Spezialsitzung  des 
Kongresses,  die  vom  Präsidenten  Wilson 
für  den  7.  April' einberufen  wurde,  beschleunigt 
werden   wird. 

Am  18.  März  veröffentlichten  22  Mit- 
glieder der  Board  of  Trustees  der  Carnegie- 
stiftung einen  Aufruf  für  ein  Schiedsgericht 
oder  Widerruf  der  Befreiungsklausel.  Dies 
wurde  durch  die  Associated  Press  umfang- 
reich verbreitet. 

Die  Massachusetts  Friedensgesellschaft 
nahm  im  Februar  eine  Resolution  zugunsten 
des  Widerrufs  der  Befreiungsklausel  an.  Diese 
Gesellschaft  veranlaßte  alle  Prediger  in 
Neu-England,  eine  Predigt  über 
nationale  Ehre  am  Sonntag,  den 
30.  März  zu  halten,  und  dabei  von  der 
Rede  des  Senators  Root  über  den  Panama- 
kanalzoll auszugehen. 

Die  New  Yorker  Friedensgesellschaft  hat 
die  von  Robert  Underwood  Johnson, 
dem  'Herausgeber  des  „Century  Magazine", 
am  30.  Januar  1913  bei  der  jährlichen  Ver- 
sammlung der  Gesellschaft  gehaltene  Rede 
veröffentlicht  und  sehr  stark  verbreitet.  Die 
Rede  ist  eine  sorgfältige  Prüfung  der  Streit- 
frage über  den  Panamakanalzoll  und  ein  Auf- 
ruf zu  einer  ehrenvollen  Erledigung  dieser 
Frage. 

Die  „American  Association  for  Inter- 
national Conciliation"  veröffentlichte  im  Fe- 
bruar die  Rede  des  Präsidenten  Taft,  in  der 
er  für  die  schiedsgerichtliche  Erledigung  der 
Frage  des  'Panamakanalzolles  eintrat  und 
einen  sehr  interessanten  Artikel  desselben 
Inhaltes  von  Arnos  S.  Hershey,  Professor 
für  Völkerrecht  und  der  politischen  Wissen 
schaften. 


Die  World  Peace  Foundation, 
Boston,  übersiedelte  in  größere  und  bequemere 
Räume,  40  Mt.  Vernon  Street.  Es  ist  beab- 
sichtigt, alle  in  Boston  bestehenden  Friedens- 
organisationen in  diesem  Gebäude  zu  vereinen, 
um  so  ein  wirkliches  Friedenszentrum  für  die 
Stadt  zu  errichten. 

Im  Februar  veröffentlichte  die  World 
Peace  Foundation  eine  Broschüre,  die  wich- 
tige Artikel  über  das  Werk  des  Roten  Kreuzes 
im  Balkankrieg  enthielt.  Die  Artikel  hießen: 
„The  Wounded"   von  N  o  e  1   Buxton^  M.  P. 


138 


e 


und  „Women  and  War"  (die  Frauen  und  der 
Krieg)   Von    Mrs.    M.    St.    Clair   Stobart. 

Edwin  D.  Mead,  Sekretär  der  Foun- 
dation, verbrachte  die  letzte  Woche  des  Fe- 
bruar in  Washington  und  benutzte  diesen 
Aufenthalt  zu  Unterredungen  mit  den  führen- 
den Persönlichkeiten  der  Friedensgesell- 
schaften. 

Die  erste  Jahressitzung  der  New  Hamp- 
shire Friedensgesellschaft  wurde  am  27.  Fe- 
bruar in  Manchester,  N.  W.  abgehalten.  Die 
Gesellschaft  besteht  aus  107  Mitgliedern  und 
entfaltet  eine  außerordentlich  rege  Tätigkeit, 
indem  sie  zahlreiche  öffentliche  Versamm- 
lungen veranstaltet  und  wichtige  Schriften  ver- 
breitet. Der  Sekretär  der  Gesellschaft,  Mr. 
W  m.  W.  T  h  a  y  e  r  veröffentlichte  einen  Ar- 
tikel „The  international  Arbitration  of  justi- 
ciable  Disputes"  in  der  „Harvard  Law  Review" 
vom   März  1913. 

MB 

Am  11.  Februar  fand  in  Tremont  Temple 
unter  den  Auspizien  der  State  Federation  of 
Womens  Club  die  größte  öffentliche  Friedens- 
versammlung, die  in  Boston  seit  dem  Kongreß 
1904  abgehalten  wurde,  statt.  Mrs.  Henry 
CoolidgeMulligan,  Präsidentin  derFede- 
ration,  eröffnete  die  Versammlung  und  Depu- 
tierter Samuel  W.  McCall  präsidierte  und 
sprach  die  einleitenden  Worte.  Dr.  Charles 
R.  Brown,  Dechant  der  Yale  Divinity  School, 
Dr.  George  H.  Blakeslee,  Historiker 
an  der  Clark  Universität  und  Joseph  Wal- 
ker, früher  Redner  im  Massachusetts  house 
of  Representatives,  waren  die  Sprecher. 

Die  Massachusetts  Friedensgesellschaft 
kündet  eine  Serie  von  Preisen  an,  für  Essays 
und  oratorische  Wettbewerbe  an  den 
New  England  Universitäten.  Die  Preise  gelten 
für  das  beste  Essay,  dessen  Gegenstand  Bezug 
hat  auf  den  Ersatz  eines  Krieges  durch  das 
Recht.  Es  sind  ausgesetzt :  Erster  Preis  100  $, 
zweiter  Preis  75  $  und  dritter  Preis  50  9. 

MB 
Am  14.  März  wurde  ein  Wettbewerb 
in  der  großen  Halle  der  New  York  -  City  -  Uni- 
versität unter  den  Auspizien  der  Inter- 
collegiate  Peace  Association  ab- 
gehalten. Den  ersten  Preis  von  200  $  gewann 
Edwin  'S.  Murphy  von  der  Fordham  -  Uni- 
versität. Sein  Thema  war  „The  end  and  the 
Means".  Den  zweiten  Preis  von  100  &  ge- 
wann W.  D.  S  m  ith  von  der  Cornell  -  Universi- 
tät. 'Mr.  Murphy,  der  Gewinner  des  ersten 
Preises,  wird  den  Staat  New  York  in  einem 
ähnlichen  Wettbewerb  der  östlichen  Staaten- 
gruppen, der  in  der  Laf  ayette  -  Universität, 
Easton  Pennsylvania,  im  April  stattfinden  wird, 
vertreten.  Der  letzte  interstaatliche  Wett- 
bewerb wird  bei  der  Lake  Mohonk  Konferenz 
für  Internationales)  Schiedsgericht,  14.  bis 
16.  Mai  1913,  im  Mountain  House,  Lake  Mo- 
honk,   N.    £.,    abgehalten   werden. 


=  DIEFRIEDEN5->^ARTE 

Die  Zukunft  der  Haager 
Friedenskonferenzen.^ 

Von  Dr.  Hans  Wehberg  in  Düsseldorf. 
In  dem  ersten  Rundschreiben  des  Grafen 
Mourawieff  vom  12./24.  August  1898,  das 
die  Einberufung  der  großen  Haager  Friedens- 
konferenz vom  Jahre  1899  vorbereitete,  ließ 
der  russische  Zar  erklären:  „Que  le  moment 
präsent  serait  tres  favorable  ä  la  recherche, 
dans  les  voies  de  la  discussion  internationale, 
des  moyens  les  plus  efficaces  d'assurer  ä 
tous  les  peuples  les  bienfaits  d'une  paix 
reelle  et  durable,  et  de  mettre  avant  tout 
un  terme  au  developpement  progressif  des 
armements    actuels". 

Die  erste  Haager  Konferenz  sollte  also 
nicht  etwa  lediglich  eine  Konferenz  zur  Fort- 
bildung des  Völkerrechts  oder  zur  Regelung 
irgendeiner  speziellen  Frage  sein.  Sie  hatte 
vielmehr  ein  sehr  allgemeines  Ziel  im  Auge, 
nämlich  die  Sicherung  des  Friedens  unter  den 
Völkern.  Sehr  treffend  hat  man  daher  auch 
die  erste  Haager  Konferenz  allgemein  als 
„Conference  de  la  Paix"  bezeichnet,  und  dies 
ist  der  historische  Name  nicht  nur  für  die 
erste,  sondern  auch  für  alle  folgenden  Kon- 
ferenzen geworden.  Nun  konnte  selbstverständ- 
lich ein  dauernder  Friede  durch  die  Beschlüsse 
einer  einzigen  Staatenversammlung  nicht  ge- 
sichert werden.  Aufgabe  der  ersten  und  aller 
folgenden  Konferenzen  mußte  es  daher  sein, 
wenigstens  alle  diejenigen  Wege  ins  Auge 
zu  fassen,  die  uns  dem  fernen  Ziele  einer 
friedlichen  Organisation  der  Staatengemein- 
schaft näher  bringen  können.  Die  Haager 
Friedenskonferenzen  haben  die  Aufgabe,  als 
Zentralpunkt  der  offiziellen  Organisation  der 
Staatengemeinschaft,  also  einer  gemeinsamen 
internationalen  Friedenspolitik  der  Mächte,  zu 
dienen.  Ihre  Aufgabe  ist  also,  wie  Professor 
Schücking  in  seinem  bahnbrechenden 
Werke  „Der  Staatenverband  der  Haager  Kon- 
ferenzen" (1912,  S.  72)  klar  nachgewiesen  hat, 
eine  eminent  politische.  Wer  behauptet,  die 
Haager  Konferenzen  seien  lediglich  Konferen- 
zen zur  Fortbüdung  des  Völkerrechts,  der  hat 
die  Aufgaben  nicht  begriffen,  um  deren  Be- 
wältigung die  ganze  Institution  begründet 
worden   ist. 

Machen  wir  uns  die  Aufgabe  der  Haager 
Konferenzen  als  einem  Mittelpunkt  der  inter- 
nationalen Friedenspolitik  klar,  so  vermögen 
wir  auch  zu  erkennen,  daß  das  letzte  Ziel 
dieser  gemeinsamen  Aktion  der  Staaten  in 
keiner  Weise  von  dem  Ideal  der  Pazifisten 
verschieden  ist.  Die  Haager  Friedenskonferen- 
zen wollen,  wenn  man  ihre  Bedeutung  richtig 
versteht,  im  letzten  Grunde  nichts  anderes  er- 
reichen,   als    was    sich    die    bisherigen    Welt- 

■*)  Dieser  Aufsatz  ist  zuerst  in  französischer 
Sprache  in  der  „Revue  Generale  de  Droit  intern, 
public"     (1912,    Nr.  4/5)    erschienen. 


139 


DIE  FBIEDENS-^^ÖJZTE 


;§> 


friedenskongresse,  die  Konferenzen  der  inter- 
parlamentarischen Union,  die  Lake  Mohonk- 
Konferenzen  usw.  zum  großen  Ziele  gesetzt 
haben:  Sie  wollen  nach  ihren  besten  Kräften 
alles  tun,  was  zu  dem  friedlichen  Zusammen- 
schluß der  Völker  beitragen  kann.  Nur  in 
einem  Punkte  unterscheiden  sie  sich  recht 
erheblich  von  diesen  zuletzt  genannten  Kon- 
gressen. Sind  sind  nämlich  offizieller  Natur, 
während  alle  anderen  Friedensversammlungen 
lediglich  einen  privaten  Charakter  tragen. 
Daraus  folgt,  daß  die  Haager  Konferenzen 
einen  unendlich  verantwortungsvolleren  Cha- 
rakter tragen;  sie  sollen  sich  ja  nicht  nur 
allgemein  zugunsten  einer  Idee  aussprechen, 
sondern  gleichzeitig  eine  den  tatsächlichen  Ver- 
hältnissen entsprechende,  praktisch  brauchbare 
Formel  finden,  damit  eine  baldige  Ratifikation 
der  Ergebnisse  ohne  Gefahr  von  seiten  der 
Staaten  erfolgen  kann.  Vergleicht  man  also 
kurz  die  privaten  und  offiziellen  Konferen- 
zen zur  Sicherung  des  Friedens  miteinander, 
so  läßt  sich  am  besten  sagen:  Das  Ziel  der 
beiden  ist  dasselbe,  aber  die  Methode  ist  eine 
verschiedene.  Die  privaten  Konferenzen  legen 
naturgemäß  mehr  Wert  auf  die  scharfe  Be- 
tonung des  fernen  Zieles  eines  dauerhaften 
Friedens;  sie  stellen  weithin  sichtbar  das 
schöne  Ideal  auf,  das  einstmals  verwirklicht 
werden  soll.  Anders  die  Staatenkonferenzen  I 
Sie  fragen  weniger  darnach,  was  einmal  in 
Jahrzehnten  oder  Jahrhunderten  erreicht 
werden  soll,  sondern  bemühen  sich,  festzu- 
stellen, was  in  der  Gegenwart  erreichbar  und 
wünschenswert  ist. 

Ganz  gewiß  haben  beide  Methoden  ihre 
Vorteile  und  Nachteile.  Geht  man  von  der 
Idee  aus,  daß  die  internationale  Organisation 
der  Kulturstaaten  ein  natürlicher  Vorgang  ist, 
der  zwar  gefördert,  aber  nicht  mit  einem 
Male  herbeigeführt  werden  kann,  so  muß  man 
erkennen,  daß  gerade  die  langsame  und  vor- 
sichtige Methode  der  Haager  Friedenskon- 
ferenzen für  die  Erreichung  des  giv>ßartigen 
Zieles  die  am  besten  geeignete  ist.  Es  gilt 
hier  ein  schönes  Wort,  das  Professor  Zorn 
in  der  Sitzung  des  berühmten  Schiedsgerichts- 
ausschusses der  ersten  Friedenskonferenz  am 
4.  Juli  1899  sprach:  „Mais  trop  häter  cette 
Evolution  serait  compromettre  le  principe, 
auquel  nous  sommes   tous  sympathiques". 

Andererseits  sind  aber  auch  die  Nach- 
teile einer  solchen  vorsichtigen  Methode  nicht 
zu  verkennen:  Geht  man  immer  nur  schritt- 
weise vorwärts,  dann  ist  die  Gefahr  allzu  groß, 
daß  man  schließlich  das  schöne  Ziel  aus  den 
Augen  verliert,  daß  man  nicht  nur  langsam, 
sondern  zu  langsam,  daß  man  nicht  mehr 
planmäßig,  sondern  ohne  ein  festes  Pro- 
gramm seine  Beschlüsse  faßt,  die  zu  der  fried- 
lichen Verständigung  der  Völker  nicht  in  dem 
Maße  beitragen,  wie  das  in  Wahrheit  ge- 
schehen könnte  und  müßte.  Ist  auch  ein  vor- 
sichtiges Vorwärtsschreiten  der  Völker  bei  den 
Beschlüssen  der   Haaser  Friedenskonferenzen 


dringend  zu  empfehlen  und  jede  Uebereilung 
im  höchsten  Grade  gefahrvoll,  so  ist  doch 
eine  langsame  Methode  sehr  wohl  von  einer 
planlosen    Methode    zu    unterscheiden. 

Prüfen  wir  also  einmal,  in  welcher  Weise 
die  bisherigen  Haager  Friedenskonferenzen  des 
Jahres  1899  und  1907  zur  Befestigung  des 
Friedens  beigetragen  haben !  Da  fällt  zunächst 
ein  Punkt  mit  aller  Deutlichkeit  auf.  Sehen 
wir  von  all  den  indirekten  Vorteilen  ab,  die 
der  internationalen  Verständigung  durch  die 
Kodifikation  des  Kriegsrechts  erwachsen,  so 
haben  die  beiden  Konferenzen  nur  auf  zwei 
Wegen  eine  direkte  Förderung  der  internatio- 
nalen Organisation  herbeizuführen  versucht, 
nämlich  vermittels  der  Schiedsgerichtsbarkeit 
und  der  Festsetzung  eines  Vertrages  über  die 
Beschränkung  der  Kriegsmittel  und  den  Still- 
stand  der    Rüstungen. 

Daß  diese  Methode  der  Staatenkonferen- 
zen nicht  zu  rechtfertigen  ist,  leuchtet  nach 
dem  bisher  Gesagten  ohne  weiteres  ein.  Denn 
wenn  die  Haager  Friedenskonferenzen  ihre 
Aufgabe  als  Zentralpunkt  der  internationalen 
Friedenspolitik  erfüllen  wollen,  so  müssen  sie 
alle  diejenigen  Mittel  versuchen,  die  für  die 
Gegenwart  geeignet  erscheinen,  eine  Bess- 
rung  der  internationalen  Lage  herbeizuführen, 
sie  dürfen  aber  nicht  willkürlich  zwei  Gegen- 
stände herausgreifen,  um  alle  anderen  Pro- 
bleme einfach  zu  vernachlässigen.  Dies  kann 
um  so  weniger  gerechtfertigt  werden,  als  die 
Rüstungsfrage  ganz  gewiß  zu  den  schwierigsten 
Punkten  zu  rechnen  ist  und  zweifellos  einige 
andere  Aufgaben  der  internationalen  Organi- 
sation vorhanden  sind,  die  leichter  verwirk- 
licht  werden  können. 

Um  diese  Behauptung  zu  beweisen,  führe 
ich  im  folgenden  einige  Programmpunkte  einer 
zielbewußten  internationalen  Friedenspolitik 
auf,  bemerke  aber  dabei  schon  jetzt,  daß  ich 
diese  damit  durchaus  nicht  ohne  weiteres  zu 
einer  sofortigen  Annahme  den  Staaten  emp- 
fehlen will.  Ich  stelle  nur  fest,  daß  alle  diese 
Probleme  von  den  Staaten  noch  gar  nicht 
ernstlich  in  Betracht  gezogen  worden  sind. 
Am  Schlüsse  meines  Aufsatzes  werde  ich  dar 
tun,  in  welcher  Weise  die  Staaten  allen  diesen 
Aufgaben  näher  treten  sollen.  Sehr  wichtig 
scheinen  mir  jedenfalls  folgende  Fragen  zu 
sein,  die  nacheinander  erörtert  werden  sollen : 

1.  In  erster  Linie  scheint  mir  eine  Be- 
seitigung der  Spionage  von  großer  Wich- 
tigkeit zu  sein.  Was  ist  das  für  ein  Wider- 
spruch, daß  die  Regierungen  einerseits  feier- 
lich monatelang  im  Haag  zusammenkommen 
und  eine  Verbesserung  der  internationalen 
Anarchie  zu  erreichen  suchen,  dagegen  an- 
dererseits die  Hilfe  verbrecherischer  Elemente, 
nämlich  der  Spione,  in  Anspruch  nehmen, 
um  die  militärischen  Geheimnisse  des  anderen 
Staates  zu  erforschen!  Darf  ein  Staat 
Spionage  vor  seinem  höchsten  Gerichtshofe 
bestrafen,    wenn    er    selbst    Personen    zur    Be- 


140 


<£ 


DIE  FRIEDEN5->MM2XE 


gehung  dieses  Verbrechens  in  einem  anderen 
Lande  anstiftet?  Erscheint  hier  die  Idee  des 
modernen  Staates  als  des  Trägers  von  Recht 
und  Gerechtigkeit  nicht  sehr  erniedrigt  ? 
Welche  köstliche  Gelegenheit  wird  bei  jeder 
Verurteilung  eines  Spiones  den  chauvinisti- 
schen Organen  gegeben,  um  die  Hetze  gegen 
eine  ausländische  Regierung  mit  besonderem 
Nachdruck  fortzusetzen!  Welche  Beunruhi- 
gung der  Oeffentlichkeit  entsteht  jedesmal, 
wenn  ein  Spion  abgefaßt  wird!  Wird  nicht 
nach  jeder  solcher  ruchbar  gewordenen  Spio- 
nage die  Verstärkung  der  Rüstungen  mit  be- 
sonderem Eifer  betrieben  ?  Entstehen  nicht 
gerade  dadurch  Kriegsgerüchte?  Wird  nicht 
durch  das  ganze  System  der  Spionage  deut- 
lich dokumentiert,  daß  die  Staaten  natür- 
liche Gegner  sind  ?  Muß  aber  nicht  im  Gegen- 
teil jede  Bemühung  der  Regierungen  darauf 
gerichtet  sein,  die  Gegensätze  möglichst  wenig 
hervortreten  zu  lassen?  Das  System  der  Spio- 
nage bringt  ferner  die  Furcht  vor  den  Spionen 
hervor.  Alle  Augenblicke  lesen  wir  von  irr- 
tümlichen Verhaftungen  wegen  Verdachts  der 
Spionage.  Auch  dadurch  entstehen  oft  gereizte 
diplomatische  Verhandlungen  und  Verschär- 
fungen  der   Gegensätze. 

Daher  erscheint  mir  die  Beseitigung  der 
Spionage  eine  sehr  ernste  und  bedeutsame 
Frage  zu  sein.  Hochangesehene  Männer  haben 
sich  im  gleichen  Sinne  geäußert.  Am  1.  März 
1912  hat  in  der  ,, Deutschen  Juristenzeitung" 
(Berlin)  der  Heidelberger  Professor  Exzellenz 
Bekker  eine  internationale  Vereinbarung 
über  die  Beseitigung  der  Spionage  gefordert. 
Er  will  insbesondere,  daß  jeder  Staat  die 
Spionage  in  gleicher  Weise  bestraft,  ob  sie 
nun  gegen  die  eigene  Regierung  oder  gegen- 
über einem  fremden  Staate  begangen  ist. 

2.  In  zweiter  Linie  wäre  es  sehr  wün- 
schenswert, ein  „Bureau  g  6  n  e  r  a  1  inter- 
national permanent"  zu  errichten,  das 
als  Zentralstelle  vor  allem  für  Informationen 
wirtschaftlicher  Natur  zu  dienen  hätte  und 
allmählich  weiter  ausgebaut  werden  müßte. 
Die  Idee  eines  solchen  Amtes  ist  ja  zuerst 
in  dem  panamerikanischen  Bureau  verwirk- 
licht worden,  und  später  hat  der  Luzerner 
Weltfriedenskongreß  von  1905  (Bulletin, 
S.  108)  die  Errichtung  eines  Verwaltungs- 
bureaus auf  mondialer  Grundlage  befürwortet. 
Neuerdings  hat  namentlich  A.  H.  Fried, 
zuerst  auf  der  Brüsseler  Generalversammlung 
des  Internationalen  Friedensbureaus  am  8.  und 
9.  Oktober  1909,  die  Gründung  eines  solchen 
Bureaus,  freilich  auf  rein  europäischer  Grund- 
lage, propagiert.  Dieses  „Bureau  pan- 
europ^en"  sollte  ein  Zentralpunkt  werden  für 
die  gemeinsamen  Interessen  der  europäischen 
Staaten  auf  dem  Gebiete  der  internationalen 
Politik,  des  Handels,  des  Rechts,  des  Ver- 
kehrs, der  Sanitätspflege,  der  Wissenschaft, 
der  Sozialpolitik,  der  Landwirtschaft  usw. 
Fried  glaubte,  daß  hierdurch  ein  lebendiger 
Keim  geschaffen  würde,  aus  dem  heraus  sich 


die  Weltorganisation  entwickeln  könnte.  Die 
Brüsseler  Generalversammlung,  auf  der  her- 
vorragende Männer  anwesend  waren,  hat  da- 
mals den  Vorschlag  Frieds  mit  Beifall  auf- 
genommen. Bald  darauf  hat  Fried  eine 
Reihe  von  Völkerrechtsjuristen  um  ihre  Mei- 
nung zu  diesem  Probleme  gefragt,  und  Männer, 
wie  v.  Bar,  Graf  Kamarowski,  La- 
band,  Meili,  Mi  eurer,  Niemeyer, 
Oppenheim,  Rehm,  Schücking, 
K  o  h  1  e  r  und  Streit,  haben  sich,  zum  Teil 
mit  allergrößter  Begeisterung,  für  die  Errich- 
tung eines  solchen  Bureaus  ausgesprochen. 
(Vgl.  Friedenswarte,  1909,  S.  222  ff.,  1910, 
S.  6  ff.).  Einige  der  genannten  Professoren 
insbesondere  M  e  u  r  e  r  und  Oppenheim, 
waren  allerdings  der  Meinung,  daß  es  vor- 
teilhafter wäre,  das  Bureau  auf  rein  mon- 
dialer, anstatt  auf  europäischer  Grundlage  zu 
errichten.  Dieser  Meinung  möchte  ich  mich 
mit  Entschiedenheit  anschließen.  Wenn  in 
Amerika  ein  speziell  amerikanisches  Bureau 
besteht,  so  ist  dies  dadurch  zu  erklären,  daß 
es  in  der  Tat  eine  große  Anzahl  rein  amerika- 
nischer Fragen  gibt.  Dies  ist  in  Europa  keines 
wegs  in  gleichem  Maße  der  Fall.  Aber  das 
wird  ja  später  noch  eingehender  geprüft 
werden  können.  Mir  kommt  es  nur  darauf 
an,  zu  zeigen,  eine  wie  große  Sympathie  sich 
der  Grundgedanke  des  Friedschen  Vor- 
schlages erworben  hat.  Am  besten  ergibt  sich 
diese  Tatsache  wohl  daraus,  daß  der  Regierung 
der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  ein  völlig 
ausgearbeiteter  Antrag  über  die  Schaffung 
eines  „Bureau  g^neral  international  permanent" 
mit  der  Bitte  eingereicht  worden  ist,  ihn  der 
nächsten  Haager  Friedenskonferenz  vor- 
zulegen. (Vgl.  Revue  Generale,  1911,  S.  214  ff. 
Fried  hat  neuerdings  auf  S.  81  des  Jahr- 
gangs 1912  der  „Friedenswarte"  unter  dem 
Titel :  „Zweckverband  Europa"  nochmals  seine 
Lieblingsidee  befürwortet,  und  dabei  nicht 
weniger  als  34  Programmpunkte  aufgezählt, 
die  möglicherweise  dem  Bureau  übertragen 
werden  könnten.) 

3.  In  dritter  Linie  wäre  zu  prüfen,  wie 
es  mit  den  Friedensversicherungen  der  mo- 
dernen Regierungen  zu  vereinbaren  ist,  daß 
auf  den  staatlichen  Schulen  ein  chau- 
vinistischer Geist  gepflegt  wird,  daß 
den  Schülern  die  Angehörigen  eines  anderen 
Volkes  als  die  Erbfeinde  geschüdert  werden, 
daß  weit  verbreitete  nationale  Preßorgane  und 
Offiziere  bei  hohen  nationalen  Festtagen  eine 
herausfordernde  und  kriegerische  Sprache 
führen.  Wäre  es  nicht  die  Aufgabe  einer 
internationalen  Friedenspolitik,  hier  Wandel 
zu  schaffen,  indem  den  Offizieren  jede  kriege- 
rische Rede  bei  Strafe  der  Entlassung  unter- 
sagt, den  Schülern  auch  die  anderen  Völker 
in  gerechter  Weise  geschildert  und  Maß 
nahmen  gegen  allzu  chauvinistische  Preß- 
organe  gerichtet  würden?  Den  Schülern  wird 
heute  von  Jugend  auf  gepredigt,  in  den  An- 
gehörigen   anderer     Völker    den    natürlichen 


Hl 


DIE  FBIEDENS-^^DTE 


3 


Feind  des  Vaterlandes  zu  sehen,  und  dadurch 
werden  von  vorherein  alle  Verständig ungs ver- 
suche außerordentlich  erschwert.  Die  chauvi- 
nistischen Reden  der  Offiziere  erregen  stets  die 
öffentliche  Meinung  in  hohem  Grade.  Am 
schlimmsten  sind  freilich  eine  große  Anzahl 
von  Preßorganen.  Wenn  es  richtig  ist,  daß 
die  Presse  heute  eine  ungeheure  Macht  im 
Staate  darstellt,  dann  muß  um  so  mehr  Für- 
sorge getroffen  werden,  daß  die  Macht  in  der 
richtigen  Weise  benutzt  und  die  Volksstim- 
mung dadurch  nicht  auf  Abwege  geführt  wird. 
Die  Presse  hat  zur  Verhütung  wie  zur  Er- 
regung eines  Krieges  eine  ganz  außerordent- 
liche Gewalt  in  der  Hand,  und  es  müßte 
sich  mehr  und  mehr  die  Meinung  durchringen, 
daß  jede  Kriegshetze  eine  hochverräterische, 
gegen  die  Sicherheit  des  Vaterlandes  ge- 
richtete  Handlung  ist. 

Das  alles  ist  so  selbstverständlich,  daß 
man  es  eigentlich  gar  nicht  zu  sagen  brauchte, 
und  doch  steht  die  Wirklichkeit  der  Dinge 
mit  dieser  idealen  Forderung  in  geradezu 
schreiendem  Gegensatze.  Ist  es  aber  richtig, 
daß  die  Aufrechterhaltung  eines  ehrenvollen 
und  dauerhaften  Friedens  eines  der  großartig- 
sten Ziele  der  äußeren  Politik  ist,  und  daß 
dieser  Frieden  nur  durch  ein  gemeinsames  plan- 
volles Vorgehen  der  Regierungen  erhalten 
werden  kann,  so  müssen  es  die  Staaten  als 
ihre  heiligste  Pflicht  betrachten,  diesen  Ver- 
irrungen  in  ruhiger  und  bestimmter  Weise 
entgegenzutreten.  Sie  müssen  zusammen  über- 
legen, welche  Mittel  geeignet  sind,  um  eine 
allmähliche  Wandlung  auf  diesem  Gebiete  her- 
beizuführen. Ganz  gewiß  geht  das  nicht  mit 
einem  Male,  und  ein  allzu  scharfes  und  rasches 
Vorgehen  könnte  nur  schaden.  Jahrzehnte- 
lange Arbeit  wird  nötig  sein,  um  den  fried- 
lichen Bestrebungen  der  Staaten  in  dieser  Hin- 
sicht eine  bessere  und  dauerhaftere  Grundlage 
zu  verschaffen. 

Man  hat  von  den  verschiedensten  Seiten 
immer  wieder  eine  Erörterung  der  Rüstungs- 
frage befürwortet,  und,  wie  mir  scheint,  mit 
größtem  Recht.  Was  aber  kann  auf  die  Dauer 
allein  eine  Rüstungsvereinbarung  nützen, 
wenn  auf  allen  Seiten  fortgefahren  wird,  die 
Völker  gegeneinander  zu  erbittern!  Haben 
nicht  die  großen  Rüstungen  ihre  Ursache  zu 
einem  Teile  in  den  Hetzereien  zahlreicher 
Preßorgane,  der  Offiziere  und  der  chauvi- 
nistischen Erziehung  in  der  Schule  ?  Wie  will 
man  also  zu  einem  Ziele  kommen,  wenn  man 
nur  an  den  Symptomen  kuriert,  ohne  allen 
Ursachen  der  großen  Rüstungen  energisch  zu 
Leibe  zu  gehen? 

Ein  sehr  wunder  Punkt,  der  zuun- 
gunsten der  internationalen  Verständigung 
wirkt,  ist  ferner  in  dem  großen  Einflüsse 
der  großen  Armee-  und  Marine- 
faibrikanten  zu  erblicken.  Haben  nicht 
alle  diese  großen  Gesellschaften  ein  gewaltiges 


Interesse  daran,  daß  fortwährend  die  Gefahr 
eines  Krieges  besteht  und  infolgedessen 
größere  Einkäufe  an  Kanonen  und  sonstigem 
Material  gemacht  werden.  Kann  man  es 
ihnen  da  verdenken,  daß  sie  ihren  großen 
Reichtum  und  Einfluß  verwerten,  um  auf 
künstliche  Weise  eine  kriegerische  Stimmung 
zu  erregen?  Stehen  nicht  zahlreiche  große 
Kanonenfabriken  mit  Zeitungen  in  Verbindung, 
die  an  Chauvinismus,  alle  anderen  Organe  über- 
bieten? Das  Bedauernswerteste  hierbei  ist, 
daß  diese  Geschäftspolitik  unter  dem  Deck- 
mantel des  Patriotismus  geführt  wird.  (Vgl. 
die  ausgezeichnete  Schrift  „Syndicats  for  war, 
the  jnfluence  of  the  makers  of  war  material 
and  of  capital  invested  in  war  supplies",  die 
als  Flugschrift  im  Juli  1911  von  der  „World 
Peace  Foundation"  in  Boston  herausgegeben 
wurde.) 

Muß  man  nicht  auch  hier  feststellen,  daß 
es  mit  der  modernen  Friedenspolitik  der 
Mächte  unvereinbar  ist,  daß  diese  großen  Ge- 
sellschaften fortwährend  zum  Kriege  schüren? 
Also  müssen  doch  wohl  Mittel  und  Wege 
gesucht  werden,  die  diesem  Treiben  ein  Ende 
machen.  Am  20.  Februar  1912  hat  der  Abge- 
ordnete Dr.  David  im  deutschen  Reichs- 
tage eine  Reichsregie  über  die  Militärindustrie 
gefordert*). 

5.  Bereits  vier  Weltfriedenskongresse  (bul- 
letin  du  IV.  congres,  1892,  S.  89,  94—98; 
du  VI.  congres;  1894,  S.  74;  du  XIV.  con- 
gres, 1905,  S.  78,  79;  du  XVI.  congres  1907 
S.  81)  haben  sich  mit  Recht  für  ein  Verbot 
der  Unterstützung  der  Kriegsan- 
leihen durch  die  Neutralen  ausge- 
sprochen. Insbesondere  die  Franzosen  Pro- 
fessor R  i  ch  e  t  und  Professor  R  u  y  s  s  e  n  sind 
dafür  eingetreten.  In  der  Tat  scheint  mir 
bereits  die  Emmission  solcher  Anleihen  in  den 
neutralen  Staaten  gegen  die  Grundsätze  der 
Neutralität  izu  sein.  Wenn  alle  Staaten  ein 
Interesse  an  der  baldigen  Beendigung  eines 
Krieges  haben,  wie  dürfen  sie  dann  die  Par- 
teien oder  eine  von  ihnen  finanziell  unter- 
stützen? Bemerkenswert  ist,  daß  vor  dem 
Balkankriege  einigen  Staaten  des  Balkan- 
bundes keine  Anleihen  von  neutraler  Seite 
gewährt  wurden. 

6.  Wenn  eine  planmäßige  internationale 
Friedenspolitik  getrieben  werden  soll,  dann 
müssen  Anstrengungen  gemacht  werden,  daß 
in  den  Kreisen  des  Volkes  ein  größeres  Ver- 
ständnis für  diese  Politik  vorhanden  ist.  Vor 
allem  müßte  also  auf  den  nationalen  Uni- 
versitäten die  Bedeutung  der  Haager 
Friedenskonferenzen       eingehend      gewürdigt 


*)  Ich  bin  mir  völlig  bewußt,  daß  wenigstens 
augenblicklich  viele  der  hier  gemachten 
Vorschläge  undurchführbar  sind.  Aber  es  ist 
nötig,  bereits  heute  auf  die  Probleme  der 
nächsten   Zeit   hinzuweisen. 


142 


@: 


DIE  FRIEDEN5-,^4M2TE 


werden.  Das  ist  aber  bisher  nur  sehr  vereinzelt 
geschehen.  In  Deutschland  sind  meines 
Wissens  nur  von  Professor  Schücking 
regelmäßig  solche  Vorlesungen  eingerichtet 
worden.  Auch  in  Amerika  hat  man  die  Stu- 
denten in  das  Haager  Werk  eingeweiht.  So 
ist  z.  B.  das  hoch  bedeutende  Werk  Scotts 
„The  Hague  Peace  Conferences"  aus  einer 
Vorlesung  entstanden.  Uebrigens  ist  hervor- 
zuheben, daß  sich  die  zweite  Haager  Kon- 
ferenz ganz  vorübergehend  mit  dem  Projekte 
eaner  internationalen  Universität  beschäftigt 
hat. 

(Schluß  folgt.) 


Die  gesellschaftlichen  Verbände 
der  Menschheit. 

Von  Dr.  phil.,  jur.  et  sc.  pol.  G.  G  r  o  s  eh. 

Ueber  die  Vergesellschaftung  der  Men- 
schen hat  sich  Kant  prinzipiell  dahin  ge- 
äußert: „Der  Mensch  hat  eine  Neigung,  sich 
zu  vergesellschaften,  weil  er  in  einem 
solchen  Zustand  sich  mehr  als  Mensch,  d.  i. 
Entwicklung  seiner  Naturanlagen,  fühlt.  Er 
hat  aber  auch  einen  großen  Hang,  sich  zu 
vereinzelnen,  weil  er  in  sich  zugleich  die 
ungesellige  Eigenschaft  antrifft,  alles  bloß 
nach  seinem  Sinne  richten  zu  wollen  und  daher 
a  Herwärts  Widerstand  erwartet,  so  wie  er  von 
sich  selbst  weiß,  daß  er  seinerseits  zum  Wider- 
stand gegen  andere  geneigt  ist." 

Dieser  Antagonismus  durchzieht  in  der 
Tat  überhaupt  das  Gesellschaftsleben  der  Men- 
schen. Von  Natur  aus  sicher  dazu  veranlagt, 
in  Vereinzelung  zu  leben,  hat  der  Mensch  sich 
zur  Geselligkeit  durchgefunden;  während  der 
Naturzustand  das  „bellum  omnium  contra 
omnes"  auch  für  den  Menschen  war,  nur 
innerhalb  der  Menschenfamilien  der  Frieden 
herrschte,  hat  sich  der  Mensch  mittels  der 
Vergesellschaftung  zum  Rechtszustand 
durchgerungen.  Der  Mensch  ist  nicht  von 
Natur  ein  Gesellschaftswesen,  wie  Aristoteles 
behauptet,  sondern  er  ist  dies  erst  geworden, 
bewußt:  die  Vergesellschaftung  ist  die 
Großtat  des  Geschöpfes  Mensch,  auf  der  das 
spezifische  Menschtum  beruht.  Gezwungen 
durch  die  Not,  „und  zwar  die  größte  unter 
allen,  nämlich  die,  welche  sich  Menschen 
untereinander  selbst  zufügen,  deren  Neigungen 
es  machen,  daß  sie  in  wilder  Freiheit  nicht 
lange  neben  einander  bestehen  können,"  haben 
die  Menschen  sich  vergesellschaftet,  haben  sich 
die  unter  der  Autorität  des  Mannes  stehenden 
Familien  zusammengeschlossen. 

Der  Zweck  des  gesellschaftlichen  Lebens 
ist    das    auf    Bedürfnisbefriedigung   gerichtete 


Zusammenwirken  der  innerhalb  der  betr.  Ge- 
meinschaft Stehenden;  durch  die  Vergesell- 
schaftung wollen  die  einzelnen  ihre  Lebens- 
zwecke völlig  erfüllen,  ihre  Bestrebungen  voll- 
ständig durchführen.  Die  Form  ist  die 
weise  durchgeführte  Regelung  ihres  Neben-  und 
Miteinanderlebens  in  Frieden. 

Jede  Gemeinschaft  von  Menschen  hält  in 
ihrem  Innern  den  Frieden  aufrecht:  das  ist 
ihr  Charakteristikum.  Ursprünglich  entschied 
die  rohe  Gewalt,  das  sogen.  „Recht"  des 
Stärkeren,  woraus  das  „bellum  omnium  contra 
omnes"  resultierte,  das  heute  noch  im  Krieg' 
besteht.  Das  gerade  wird  innerhalb  der  Men- 
schengesellschaft  vermieden.  In  dieser  leben 
und  wirken  die  Menschen  friedlich  nebenein- 
ander und  betreiben  ohne  stete  Störung  bzw. 
Bedrohung  gewalttätiger  Art  ihre  Lebens- 
geschäfte. Indem  sie  so  selber  die  Befriedi- 
gung dessen,  was  sie  bedürfen,  am  besten  er- 
langen, und  indem  sie  selber  nach  aller  Mög- 
lichkeit schaffen  und  streben,  fördern  sie 
auch  die  Gemeinschaft.  Somit  stehen  der 
einzelne  und  die  Gesellschaft  im 
innigsten.  Konnex.  Diese  ist  der  einzelnen 
wegen  da,  sie  hat  im  Interesse  jedes  einzelnen 
ihren  Bestand  aufrechtzuerhalten.  Der  ein- 
zelne hinwiederum  gleicht  außerhalb  der  Ge- 
sellschaft einem  losen  Blatte  im  Wrinde:  es 
ist  für  ihn  ein  Erfordernis,  daß  er  in  einer 
solchen  befriedeten  Gemeinschaft  stehe;  alles, 
was  er  ist  und  hat,  dankt  er  derselben;  er 
ist  Mensch  nur  innerhalb  einer  solchen. 

Freilich,  sehr  langsam  haben  sich  diese 
Gemeinschaften  gebildet,  nur  allmählich  hat 
sich  der  Mensch  der  Vergesellschaftung  ge- 
fügt und  sich  ihr  angepaßt. 

Die  Entstehung  derselben  liegt  im  Dunkel ; 
soweit  historisches  Licht  auf  diese  Verhält- 
nisse fällt,  finden  wir  überall  den  Menschen 
als  Gesellschaftswesen.  Doch  müssen  wir  nicht 
nur  logisch  und  soziologisch  einen  Zustand 
annehmen,  in  dem  die  Menschen,  als  geson- 
derte Familien,  in  stetem  Kampf  miteinander 
gelebt  haben,  sondern  schon  aus  der  einfachen 
Erwägung  heraus,  daß  wir  sonst  aus  früheren 
Zeiten  etwas  wissen  müßten.  Denn  unser  histo- 
risches Wissen  hängt  mit  der  Vergesellschaf- 
tung aufs  innigste  zusammen ;  es  reicht  aber 
nicht  allzu  weit  zurück;  folglich  ist  auch  die 
Vergesellschaftung  der  Menschen  nicht  allzu 
weit  zurück  zu  datieren;  und  vor  derselben 
lebten  die  Menschen  in  gesonderten,  einander 
feindlichen  Familien.  Daß  wir  jetzt  überall 
den  Menschen  als  geselliges  Wesen  antreffen, 
dafür  haben  wir  nur  die  Erklärung,  daß  sich 
die  Gattung  Mensch  eben  nur  als  gesellschaft- 
liches Lebewesen  erhalten  konnte.  Die  Men- 
schen, die  im  Naturzustande  blieben,  sind 
verschwunden;  sie  sind  vor  denen  gewichen, 
die  sich  vergesellschaftet  hatten,  wie  die  nie- 
deren Gesellschaften  noch  heute  den  höheren 
weichen  müssen.  — 


143 


DIE  FßlEDENS-^k^&ßTE 


3 


Die  Keimzelle  aller  Vergesellschaftung  ist 
die  Familie.  Einzelne  Familien,  in  denen 
der  Vater  der  über  alles  gebietende  Herr  ist, 
hausen  nebeneinander,  gegeneinander;  sie 
fügen  sich  gegenseitig  alle  mögliche  Unbill 
zu.  Es  besteht  ein  „struggle  for  life",  ein 
Kampf  um  die  besten  der  natürlichen  Futter- 
plätze, in  welchem  nur  die  Kräftigsten  leben 
bleiben.  Es  ist  das  der  Naturzustand  der 
Gattung:  Mensch,  dessen  Möglichkeit  sich 
sicher  nicht  bestreiten  läßt,  wenn  wir  von 
metaphysischen   Spekulationen  absehen. 

Dieser  Naturzustand  ist  vom  Menschen 
überwunden  worden. 

Bei  der  Nahrungssuche  schart  man  sich 
gelegentlich1,  „zu  kleinen  Rudeln  oder  zu 
größeren  Herden  zusammen,  bald  trennt  man 
sich  wieder,  je  nachdem  die  Weide  oder  der 
Jagdgrund  ergiebig  ist.  Aber  diese  Vereini- 
gungen werden  nicht  zu  Gemeinschaften;  sie 
erleichtern  dem  einzelnen  nicht  die  Existenz". 
Es  ist  das  die  Horde,  eine  Anzahl  von  ein- 
zelnen Menschen,  vielleicht  ein  paar  Fa- 
milien darunter,  die  sich  zusammenfinden 
und  trennen,  wie  es  gerade  geht.  Bis  zu 
dieser  Stufe,  die  über  die  individuelle  Nah- 
rungssuche nicht  hinausgeht,  gelangen 
manche  Tierarten  ebenfalls.  Sie  hat  mithin 
noch  nichts,  was*  nur  dem  Menschen  eigen- 
tümlich wäre. 

Dagegen  das  nächste  Stadium!  Es  ist 
das  die  Epoche  der  Sippe,  um  sie  mit  dem 
gemeingermanischen  Namen  zu  belegen.  Mit 
ihrer  Konstituierung  hebt  die  Menschheits- 
geschichte an,  beginnt  das  Menschtum,  die 
Kultur.  Unter  Sippe  ist  zu  verstehen :  eine 
Vereinigung  von  Familien,  die  gemeinschaft- 
lich die  Wirtschaft  betreiben,  deren  Männer 
zu  Schutz  und  Trutz  zusammenstehen,  und 
unter  der  Leitung  eines  gemeinschaftlichen 
Oberhauptes  die  äußere  Regelung  des  Gemein- 
schaftslebens festsetzen  und  aufrechterhalten. 
Die  Sippe  ist  also  eine  organisierte  Men- 
schengesellschaft, ist  der  Typus  einer  Men- 
schengesellschaft. 

Die  Horde  charakterisiert  sich  nur  als 
Uebergangsstufe;  dagegen  stellt  die  Sippe 
eine  echte  Vergesellschaftung  dar.  Man  kann 
sie  als  eine  Erweiterung  der  Familie  be- 
zeichnen; wenigstens  hat  diese  das  Vorbild 
dazu  gegeben:  die  Sippe  gilt  unter  ihren 
Gliedern  als  eine  große  Famüie.  Nur  hat  sie 
eben  die  Besonderheit,  daß  nicht  einzelne, 
sondern  Familien  in  ihr  zusammengeschlossen 
sind,  woraus  dann  die  mannigfachsten  Kon- 
sequenzen sich  herleiten. 

Zur  Erklärung  dieses  Zusammenschlusses 
hat  man  den  Begriff  des  Gesellschaftsvertrags 
aufgestellt.  Ueber  ihn  urteilt  noch  Kant,  er 
sei  kein  Faktum,  sondern  eine  bloße  Idee  der 
Vernunft,  die  aber  ihre  unbezweifelte  (prak- 
tische) Realität  habe.  Indes,  die  Vergesell- 
schaftung der  Menschen  ist  eine  bloße  Tat- 
sache, ohne  vertragsmäßige  Festsetzung  Ist 
sie  entstanden.  Erst  zu  ihrer  Aufrechterhaltung 


144 


ist  das  Recht  geschaffen  worden ;  ohne  Recht 
keine  Gesellschaft  und  umgekehrt.  Das  Recht 
ist  der  Inbegriff  der  Regeln,  deren  Beobach- 
tung von  den  zu  einer  Gemeinschaft  Zusammen- 
geschlossenen erzwungen  wird,  um  die  Auf- 
rechterhaltung ihrer  Gesellschaft  zu  gewähr- 
leisten. Das  Recht  wechselt  mit  den  Kultur- 
stufen, es  gibt  kein  allgemein  gültiges  Recht ; 
doch  hat  jede  Menschengesellschaft  ihr  Recht. 
Der  Komplex  der  Rechtsnormen  bildet  das 
Minimum  dessen,  was  eingehalten  werden 
muß,  daß  die  betreffende  Gesellschaft  ihre 
Integrität  bewahre. 

Ein  Bild  von  der  Sippe  nun  gewinnen  wir, 
vor  allem,  wenn  wir  die  reinen  Sippen  ins 
Auge  fassen,  aber  auch  die,  welche  sich  unter 
höherer  (Stammes-  oder  Staats-)  Ver- 
fassung noch  erhalten  haben.  Die  Sippe  ist 
eine  Institution,  die  sich  über  die  ganze  Erde 
verbreitet  findet;  sie  ist  vornehmlich  zu  be- 
trachten als  das  erste  Stadium  menschheit- 
licher Vergesellschaftung,  durch  das  jede  Ge- 
meinschaft hindurch  mußte,  ehe  sie  zu  einer 
höheren  Stufe  gelangen  konnte. 

Hier  tritt  die  fundamentale  Gegensätzlich- 
keit ein  zwischen  Mensch  und  Tier.  Dieser 
Unterschied  besteht  —  rein  empirisch  —  darin, 
daß  das  letztere  sich  der  Natur  und  ihren 
Bedingungen  nach  Möglichkeit  anzupassen 
sucht,  während  der  Mensch  infolge  des  Zu- 
sammenschlusses mit  Seinesgleichen,  also  ge- 
stützt auf  die  Vergesellschaftung,  die  Natur 
meistert. 

Das  gilt  auch  für  die  nächsthöhere  Stufe, 
für  den  Stamm.  Was  den  Stamm  von  der 
Sippe  unterscheidet,  das  ist  der  Umstand,  daß 
jener  nicht  aus  Familien  nur  besteht,  sondern 
daß  sich  dazwischen  noch  eine  andere  In- 
stitution einschiebt:  die  Sippe,  die  wir  hier, 
bei  höherer  Verfassung  also,  Clan  nennen 
wollen.  Die  Lage  ist  demnach  die,  daß 
mehrere  Familien  unter  einem  Oberhaupt  einen 
Clan  bilden  und  mehrere  Clans  wiederum  zu 
einem  Stamme  zusammengeschlossen  sind.  Der 
Stamm  ist  mithin  eine  organisierte  Clan- 
vereinigung. 

Es  herrscht  über  diese  Perioden  der 
Menschheitsgeschichte,  über  diese  spezifisch 
menschheitlichen  Jnstitutionen  noch  ein  ziem- 
liches Dunkel,  das  erst  durch  die  vergleichende 
Geschichts-  und  durch  die  Gesellschaftswissen- 
schaft aufgehellt  werden  muß.  Wir  wollen  uns 
mit  der  angegebenen  Charakteristik  des 
Stammes  begnügen ;  danach  stellt  er  mehr  eine 
Uebergangsstufe  dar,  nämlich  zum  Staate. 

Was  den  Staat  als  gesellschaftliche  Bil- 
dung von  seinen  Vorstufen  unterscheidet,  das 
ist  die  enge  Verknüpfung  mit  dem  Gebiet. 
Die  streifenden  Horden  und  Sippen  kennen 
das  nicht;  ebenso  sind  die  Stämme  noch  un- 
stet und  schweifen  landauf,  landab,  wandern 
häufig  in  ihrer  Gesamtheit  in  andere  Gegen 
den.   Dagegen  ganz  anders  beim  Staate. 

Eine  Menschen  Vereinigung  ist  dann  als 
Staat  zu  charakterisieren,  wenn  sie  als  solche 


<§= 


DIE  FRI  EDENS -^fc/ÄBXE 


auf  bestimmt  abgegrenztem  Gebiet  sässig  ge- 
worden ist.  Der  Staat  ist  „eine  auf  einem 
abgegrenzten  Teil  der  Erdoberfläche  seßhafte, 
mit  einer  herrschenden  Gewalt  versehene  und 
durch  sie  zu  einer  Einheit  zusammengefaßte 
Vielheit  von   Menschen",   von  Familien. 

Der  Staat  leistet  alles  besser,  als  seine 
Vorinstitutionen,  aber  im  Grunde  ist  er  eine 
Gesellschaft  ganz  wie  Sippe  und  Stamm. 
Die  hauptsächlichsten  Modifikationen  ema- 
nieren aus  der  Verknüpfung  von  Gesellschaft 
und  Gebiet,  weiter  aus  dem  damit  im  Zu- 
sammenhang stehenden  Umstand,  daß  die  be- 
wohnbare Erde  —  vornehmlich  auch  mittels 
der  Kolonisation  von  Seiten  der  Staaten  —  im 
Besitz  von  diesen  ist. 

Zunächst  herrschte  zwischen  ihnen  der 
Naturzustand,  ganz  wie  zwischen  den  Men- 
schenfamilien der  Urzeit.  Aber  ein  solcher 
konnte  auf  die  Dauer  nicht  bestehen.  Die 
Staaten  waren  ja  gerade  dadurch  entstanden, 
daß  die  Menschen  den  Naturzustand  über- 
wunden hatten.  Den  Staaten  war  es  darum 
gewissermaßen  immanent,  auch  außerhalb 
ihrer  Grenzen  das  Recht  (Völkerrecht)  walten 
zu  lassen,  da  es  innerhalb  derselben  geschah. 

Auf  diesem  Weg,  der  nach  dem  Zu- 
sammenbruch der  Weltmachtsbestrebungen 
eingeschlagen  wurde,  ist  man,  —  also  seit 
Jahrhunderten  schon  —  fortgeschritten.  Und 
die  Menschheit  ist  zurzeit  dabei,  die  Befrie- 
dung der  Staaten  durchzuführen,  die  Staaten- 
organisation,  die  Staatenge  meinde 
aufzurichten.  Der  Staat  ist  nicht  die  Voll- 
endung menschheitlicher  Vergesellschaftung, 
sondern  deren  Bekrönung,  das  Ziel  der  Mensch- 
heitsgeschichte überhaupt  wird  die  organisierte 
Staatengesellschaft  sein  —  auch  sie  ist  im 
Grunde  genommen  dasselbe,  was  die  Sippe  ge- 
wesen ist,  nur  über  die  ganze  Menschheit  aus- 
gebreitet. 


n  RANDGLOSSEN  EI 
ZUR  MITGESCHICHTE 

Von  Bertha  v.  Suttner. 

Wien,  12.  April  1913. 
Die  Weltgeschichte  hat  bisher  eine  Unzahl 
von  Kriegen  zu  verzeichnen  gehabt:  biblische, 
punische,  persische,  römische,  germanische, 
napoleonische  usw.  bis  zu  den  balkanischen,: 
Religionskriege,  Eroberungskriege,  Kabinetts- 
kriege, Rassenkriege  —  das  Ringen  spielte  sich 
um  Länderstrecken,  um  Glaubensbekenntnisse, 
um  alles  mögliche  ab  —  aber  das  gewaltigste 
Ringen,  von  dessen  Ausgang  das  künftige 
Schicksal  der  Menschheit  abhängt,  das  findet 
in  unserer  Gegenwart  statt  —  ohne  daß  die 
Zeitgenossen  es  recht  gewahr  werden  — ,  näm- 
lich der  Kampf  zwischen  der  alten  Gewalt- 
und  der  neuen  Rechtsordnung.  Krieg  und 
Frieden  liegen  einander  in  den  Haaren.    Das 


Ende  des  Feldzugs  ist  nicht  zweifelhaft;  der 
Krieg  mag  noch  manche  Schlacht  gewinnen ; 
aber  der  Frieden,  der  durch  die  naturgesetz- 
mäßige Entwicklung  zur  Organisation  und  zum 
Zusammenschluß  langsam  aber  sicher  immer 
neue  Positionen  gewinnt,  immer  größere  Ge- 
biete erobert,  muß  schließlich  Sieger  bleiben: 
„Per  orbem  terrarum  humanitas  unita",  wie 
der  Wahlspruch  der  „Union  des  Associations 
Internationales"  heißt.  Für  die  Kurzsichtigen 
ein  gar  nicht  wahrnehmbares  Ziel  —  für  das 
visionskräftige  geistige  Auge  aber  funkelt  es 
schon  klar  und   hell  am  Zukunftshorizont. 

MB 

Im  Lichte  dieser  abstrakten  Anschauungen 
lassen  sich  die  konkreten  Fälle,  die  sich  über- 
stürzenden Ereignisse  der  letzten  Wochen  be- 
trachten, da  erscheinen  sie  alle  als  die  Phasen 
des  sich  vollziehenden  Prozesses.  Da  ist  vor 
allem  die  Entstehung  von  „Europa"  als  poli- 
tischer Begriff.  Als  der  Begriff  einer  Ein- 
heit, die  ihren  Willen  über  Länderverteilung, 
Grenzregulierung,  Feindseligkeitseinstellung 
und  Friedensbedingungen  geltend  macht.  Und 
zwar  nicht  mehr  länger  durch  bloße  diplo- 
matische Noten,  sondern  durch  ihre  vereinigt 
demonstrierenden  Flotten.  Und  so  wie  der 
Begriff  „Europa"  als  politische  Person  in  die 
Tagespresse  eingeführt  wurde,  so  erschien  da 
auch  dieses  neue  Wort :  „europäische  Friedens- 
polizei". Beides  funkelnagelneue  Erschei- 
nungen in  der  tatsächlichen  Gestaltung  der 
Dinge,  beides  uralte  Forderungen  des  Pazi- 
fismus. Dreibund  und  Dreiverband  als  .Sechs- 
union —  was  wollten  wir  denn  mehr?  —  was 
war  es  anderes,  das  Novicow  in  seiner  „Föde- 
ration de  TEurope"  als  Sicherung  des 
Friedens  hinstellte,  was  von  der  Mitwelt  als 
unmöglicher  Traum  verlacht  und  ignoriert 
wurde  und  was  jetzt  im  Mittelmeer  greifbar 
vorhanden  ist? 


Freüich  ist  diese  Union  nur  eine  tem- 
poräre, provisorische;  aber  warum  sollte  sie, 
nach  dem  herrlichen  Ergebnis,  das  sie  hatte  — 
die  Verhütung  des  Weltbrandes  — ,  sich  nicht 
als  positiv  und  dauernd  einsetzen?  Die  Vision 
von  ihrem  Nutzen  und  ihrem  Segen  ist  durch 
diese  —  wenn  auch  nur  momentane  —  Verkörpe- 
rung zu  deutlich  geworden,  als  daß  die  Forde- 
rung nach  ihrem  vertragsmäßigen  Bestand  sich 
nicht  immer  lauter  und  immer  allgemeiner  er- 
heben sollte.  Wenn  die  Einigung  der  Groß- 
mächte in  dieser  Krisis  nicht  zustande  ge- 
kommen wäre,  wenn  das  alte,  hochmütig  belli- 
zistische  System,  daß  jeder  Staat  einzeln  für 
seine  „vitalen"  Interessen  handeln  muß,  die 
Oberhand  behalten,  wenn  auch  nur  ein 
Staat  sich  von  dem  Konzert  losgesagt  hätte, 
so  wäre  das  denkbar  höllenhafteste  Unglück 
hereingebrochen,  daß  die  Millionenheere  und 
Riesenflotten  der  beiden  Mächtegruppen  zu 
gegenseitiger  Zerfleischung  und  Vernichtung 
losgelassen   worden   wären.     Ehre   und   Ruhm 


HS 


DIE  FRIEDENS -NVABTE  5 


£> 


sei  den  Staatsmännern  und  den  hinter  ihnen 
stehenden  Staatsoberhäuptern,  die  diesen, 
wenn  auch  nur  ad  hoc  geltenden  Zusammen- 
schluß   bewerkstelligt   haben. 

Zu  beklagen  ist  es,  daß  die  einmütige 
Aktion  der  Mächte,  die  dem  Balkankrieg  ein 
Ende  gebietet,  nicht  viel  früher  eingesetzt  hat 
und  so  das  Tod-  und  Zerstörungswerk  über- 
haupt verhindert  hätte,  das  nun  über  ein  halbes 
Jahr  den  Balkan  verwüstet  und  Europa  in 
Mitleidenschaft  gezogen  hat.  Ich  rnuß  immer 
wieder  an  das  Wort  Tafts  denken,  das  er 
bei  der  Einweihung  des  Palastes  der  Pan- 
american  Union  gesprochen  hat:  „Wir  wollen 
nicht  eher  ruhen,  wir  21  Republiken,  als  bis 
wenn  zwei  davon  miteinander  raufen  wollen, 
die  19  anderen  sie  daran  verhindern."  Wenn 
Europa  es  will,  es  fest  und  ernstiich  will,  so 
wird  der  Balkankrieg  der  letzte  Krieg  auf 
europäischem  Boden  gewesen  sein.  Daß  es  je- 
doch noch  Viele  gibt  in  Europa,  die  den  Krieg 
wollen,  ihn  fest  und  ernstlich  wollen,  das 
wissen  wir  Pazifisten  nur  zu  gut. 


Und  nun,  während  so  eifrig  in  allen  Staats- 
ämtern und  Botschafterreunionen  daran  ge- 
arbeitet wurde,  den  Frieden  zu  retten,  während 
überall  Entspannungen  sich  fühlbar  machten, 
Vorschläge  zu  Verständigungen  auftauchten, 
Kundgebungen  gegen  den  Krieg  —  darunter 
eine  höchst  bedeutungsvolle  im  Elsaß  —  statt- 
fanden, während  noch  hundert  Schwierigkeiten 
überwunden  werden  mußten,  man  alle  Hände, 
alle  Köpfe  und  alle  Herzen  voll  zu  tun  hatte, 
um  die  balkanischen  Wirren  zu  klären  und  die 
europäischen  Gefahren  abzuwenden,  platzte 
plötzlich  die  deutsche  Milliardenwehrvorlage 
herein  —  augenblicklich  beantwortet  mit  der 
französischen  Wiederaufnahme  der  dreijährigen 
Dienstzeit.  Als  ob  Hannibal  schon  vor  den 
Toren  stände!  Ein  paroxistischer  Anfall  des 
noch  immer  zunehmenden  epidemischen  Wahn- 
sinns. 


Die  große  Rede,  mit  der  der  deutsche 
Reichskanzler  die  neue  Vorlage  begründet  hat, 
eröffnet  ganz  merkwürdige  und  für  uns  Pazi- 
fisten sogar  erfreuliche  Ausblicke.  Vor  allem 
ist  der  Ton  zu  loben,  der  keine  trotzige 
Drohung  enthält.  Dann  wird  konstatiert,  daß 
zwischen  England  und  Deutschland  die  Be- 
ziehungen sich  vertrauensvoll  und  freundlich 
gestalten;  ferner,  daß  die  Gefahren  gegen  die 
man  sich  vorsehen  muß,  nicht  von  der  fran- 
zösischen Regierung  und  nicht  vom  fran- 
zösischen Volke,  auch  nicht  von  der  russischen 
Regierung  noch  dem  russischen  Volke  zu  ge- 
wärtigen seien,  sondern  von  dem  in  fran- 
zösischen Chauvinistenkreisen  verstärkt  hervor- 
brechenden Revanchelärm  und  von  der  leiden- 
schaftlichen panslawistischen  Agitation,  die  in 
Rußland  offen  verkündet,   daß   die   slawische 


Rasse  gegen  die  germanische  Rasse  den  Kampf 
aufnehmen  will.  (Daß  es  auch  alldeutsche 
Kriegshetzer  gibt,  vergaß  der  Herr  Kanzler  zu 
erwähnen);  deutlich  und  klar  ist  also  hier 
der  Herd  der  Kriegsgefahr  angegeben:  die 
chauvinistisch-nationalistischen  Hetzer  aller- 
orten. Und  diese  sollten  Regierungen  und 
Völker  nicht  abwehren  können?  Weil  diese 
Mißtrauen  säen,  prahlen  und  drohen,  sollen 
die  Regierungen  sich  auf  den  Krieg  vor- 
bereiten und  damit  den  Chauvinisten  der 
andern  Völker  wieder  Nahrung  zu  neuer  Haß- 
und  Mißtrauensverbreitung  geben?  Darum 
sollen  die  Völker  —  die  ja  den  Krieg  nicht 
wollen  —  sich  in  Rüstungen  verbluten  ?  Nein, 
was  not  tut,  um  den  Kriegsparteien  entgegen- 
zutreten, ist  in  jedem  Lande  die  Bildung  einer 
Friedenspartei,  die  auch  offen  und  laut  für 
die  Verständigung  und  Verbündung  der  Staaten 
eintritt,  und  die  Regierungen  müssen  (wenn 
ihr  so  oft  verkündeter  Friedenswille  auf- 
richtig ist)  diese  Partei  als  Regierungspartei 
anerkennen  und  womöglich  zu  ihrer  Unter- 
stützung —  Friedensministerien  schaffen.  Die 
Sozialisten  sind  Kriegsgegner ;  sie  demon- 
strieren und  handeln  zugunsten  der  Völker- 
verbrüderung, haben  auch  gegen  die  neuen 
Forderungen  in  Deutschland  und  Frankreich 
tapfer  protestiert,  aber  weil  sie  zugleich  andere 
Ziele  verfolgen,  hält  man  ihren  Pazifismus 
nur  für  ein  Mittel  zum  Zweck.  Ihre  Stimme 
ist  im  Parlament  nicht  ausschlaggebend.  Aber 
ihr  Einfluß  zur  Dämpfung  der  Kriegs- 
treibereien ist  doch  gewaltig.  Ihr  Verhalten 
gibt  den  Beweis,  daß  im  Volke  Millionen 
von  Menschen  leben,  die  von  Massenschläch- 
tereien nichts  mehr  wissen  wollen,  die  gegen 
die  anderen  Völker  keinerlei  Haß  mehr  auf- 
bringen können. 


Noch  ist  das  Wehrgesetz  nicht  an 
genommen.  Es  wird  noch  darüber  verhandelt 
und  zugleich  wird  schon  die  Deckungsfrage 
erörtert.  Das  sollten  diejenigen,  die  gegen  das 
Gesetz  selber  sind,  gar  nicht  tun.  Kaninchen, 
die  den  Mut  fänden,  dagegen  zu  protestieren, 
daß  sie  verspeist  werden,  müßten  sich  nicht 
in  Verhandlungen  darüber  einlassen,  in  welcher 
Sauce  sie  eventuell  zubereitet  sein  wollen. 

im 

Marineminister  Churchill  hat  den  Vorschlag 
gemacht,  die  englische  und  deutsche  Marine 
mögen  ein  Jahr  im  Weiterbau  pausieren.  Die 
Sache  wurde  als  „nicht  konkret"  beiseite  ge- 
schoben. Nun  wird,  wie  es  heißt,  Mr.  Chur- 
chill nach  Berlin  reisen  und  „Konkretes"  vor- 
bringen. Der  Widerstand  der  Rüstungsinter- 
essenten wird  sicher  sich  fühlbar  machen.  Im 
Wettlauf  ist  auch  nur  eine  Minute  stille- 
stehen unangebracht.  Es  könnten  zwei  oder 
drei  Minuten  draus  werden,  oder  gar  eine 
Verminderung  der  Schrittlänge  aufkommen. 
Nur  weiter,  weiter,  weiter,  nur  immer  schneller, 
schneller      —      der     Abgrund     lockt    zu    sehr. 


■ 


146 


<§n 


=  DIE  FRIEDENS -^MÄRTE 


Hoffentlich  kommt  er  doch  noch  rechtzeitig, 
derjenige  —  sei  es  nun  ein  Mensch  oder  ein 
Volk  oder  ein  zwingender  Umstand  — .  dem 
ein  gebieterisches   „Halt!"   gelingt. 

HS» 

Eines  der  wichtigsten  Ereignisse  in  der 
gegenwärtigen  Krise  war  der  Sieg  Sasonows 
über  die  russische  Kriegspartei.  Und  seine 
abgegebene  Erklärung:  „Rassenverschieden- 
heit bedeutet  noch  nicht  Rassengegensatz" 
wird  hoffentlich,  weil  von  so  hörbarer  Stelle 
und  in  so  entscheidender  Stunde  gesprochen, 
in  das  allgemeine  Verständnis  dringen  und 
die  fatalistisch-resignierte  Idee  verscheuchen, 
daß  es  ja  zwischen  den  Slawen  und  Deut- 
schen, zwischen  den  Gelben  und  Weißen  usw. 
doch  einmal  „zur  Auseinandersetzung  kommen 
muß".  In  der  Tat  ja:  Auseinandersetzung 
tut  not.  wo  Streit  und  Mißtrauen  herrschen, 
aber  eine  ganz  andere  als  mit  Kolbenschlägen. 
MB 

Letzter  Akt;  (hoffentlich)  letzter  Auftritt. 
Die  Bühne  stellt  eine  felsige  Gegend  vor; 
ferner    Kanonendonner. 

Eine  Stimme :  Skutari  oder  den  Tod ! 

Zweite  Stimme :  Wie  wär's  um  20  Mil- 
lionen ? 

Erste  Stimme:  Na,  .  .  darüber  ließe  sich 
diskutieren  .  .  . 

MB 

Der  König  von  Griechenland  ist  ermordet 
worden,  mitten  in  seiner  Siegesfreude.  Seine 
letzten  Worte  beinahe  waren  ein  Ausdruck 
der  Genugtuung,  daß  ein  Deutscher  Dread- 
nought  ihm  Salutschüsse  darbringen  werde. 
Und  da  fiel  der  Schuß  aus  Mörderhand.  Ein 
Blatt  meldete  das  Verbrechen  mit  den  Worten : 
,,, Etwas  Häßliches  ist  auf  den  Krieg  gefallen". 
Häßlich  —  ja;  traurig  —  gewiß;  unentschuld- 
bar —  sicherlich;  aber  der  obige  Satz  klingt 
doch  wie:  „Etwas  Nasses  ist  auf  die  See 
gefallen". 


In  China  ist  das  Parlament  fcröffnet  worden. 
Was  beginnt  da  für  eine  Aera  in  dem  Reich 
der  Mitte,  das  uns  als  das  Urbild  tausend- 
jährigen Stillstands  galt?  Als  ob  es  Stillstand 
überhaupt  gäbe! 

PAZIFISTISCHE  CHRONIK 

11.  März.  Die  teilweise  Demobilisierung 
der  österreichisch  -  russischen  Grenze  wird 
durch  ein  identisches  Communique'  beider  Staaten  mit- 
geteilt. 

12.  März.  Fürst  Lichnowsky,  der  deutsche 
Botschafter  in  London,  sprach  im  Verständi- 
gungssinne bei  einem  Festmahl  der  Vereinigten 
Londoner  Handelskammern. 

12.  März.  Grosse  Friedensversammlung 
in  Mülhausen  unter  Teilnahme  aller  Parteien. 
Gegen    die     Revanche- Chauvinisten,     gegen     den 


Krieg,  für  Lösung  der  Völkerstreitigkeiten  auf  fried- 
lichem Wege. 

14./ 15.  März.  Sitzung  des  Rats  des  Berner 
internationalen  Friedensbureaus  in  Bern. 
Erlass  eines  internationalen  Aufrufs  gegen  die 
Rüstungen. 

Mitte  März.  Der  Verband  der  Deutschen 
Friedensgesellschaft  richtet  on  den  Reichs- 
kanzler eine  Eingabe,  worin  darauf  hingewiesen 
wird,  dass  die  neuerlich  enorme  Belastung 
durch  die  neuen  Rüstungsforderungen  nicht  zu 
dem  erwarteten  Ziel  eines  dauernden  Friedens  fuhren 
werde. 

Mitte  März.  Der  Prinz  von  Wales  tritt  eine 
Studienreise  nach  Deutschland  an. 

15.  März.  Die  Trustees  der  Carnegie- 
stiftung treten  in  einem  öffentlichen  Aufruf  für 
die  schiedliche  Erledigung  des  anglo-ameri- 
kanischen  Panamakanal-Streites  ein. 

18.  März.  Sitzung  des  Interparlamentari- 
schen Rats  in  Brüssel. 

19.  März.  Der  Ordensrat  des  Grand-Orient 
von  Frankreich  erlässt  ein  Manifest  gegen  die 
Rüstungen  und  für  den  Frieden. 

23. — 30.  März.  350  französische  Kaufleute 
bestechen  Berlin  und  die  Leipziger  Messe. 

24.  März.  Der  Parteitag  der  franz.  Sozial- 
demokratie verwirft  in  einer  Resolution  die  drei- 
jährige Dienstzeit  und  tritt  für  die  deutsch-franz. 
Verständigung  ein. 

26.  März.  Lord  Churchill  macht  im  Unter- 
hause bei  Einbringung  des  Flottenetats  den  Vor- 
schlag, dass  Deutschland  und  England  ein 
Jahr  lang  überhaupt  keine  Schiffe  bauen. 

26.  März.  Erstürmung  Adrianopels  aus 
Gründen  des  militärischen  Prestiges.  Sir 
Edward  Greg  bezeichnet  es  im  Unterhause  als 
„unnützes  Gemetzel". 

27.  März.  Deutsch-italienisches  Abkommen 
über  Arbeiter  Versicherung. 

28.  März.  Veröffentlichung  der  grossen  Heeres- 
vorlage in  Deutschland.  Vermehrung  um 
4000  Offiziere,  15  000  Unteroffiziere, 
116  965  Mann,  27  000  Pferde.  Ausbau  der 
Festungen  und  der  Luftflotte.  900 Millionen 
Mark  einmalige,  190  Millionen  Mark  neue 
dauernde  Ausgaben. 

29.  März.  Beginn  einer  internationalen 
Flottendemonstration  gegen  Montenegro. 
Uebemahme  des  Kommandos  durch  den  englischen 
Admiral. 

30.  März.  Auf  dem  in  Montpellier  tagenden 
Mutualistenkongress  hält  Eürst  Albert  von 
Monaco  eine  pazifistische  Rede. 

30.  März.  Erneute  grosse  Friedensver- 
sammlung in  Mülhausen  im  Elsass,  an  der 
Fortschrittler,  Zentrumsleute  und  Sozialisten  sich  ge- 
meinsam beteiligten.  Gegen  die  Rüstungen, 
gegen  den  Krieg,  für  internationale  Ver- 
ständigung. 

31.  März.  In  dem  franco-italienischen 
Streitfalle    über    die    „Carthage" '- „Manouba" '- 


147 


DIE  FßlEDENS-^^BTE  = 


:3 


Affäre  findet  vor  dem  Haag  er  Hof  die  erste  Ver- 
handlung statt. 

Anfangs  April.  Prinz  Heinrich  von 
Preussen  in  London. 

4.  April.  In  München  starb  Prof.  Ritter 
Emanuel  v.  Ullmann,  der  erste  Vorsitzende  des 
Verbandes  für  internationale  Verständigung. 

6.  April.  Die  Berliner  Sozialdemokratie  pro- 
testiert in  61  Volksversammlungen  gegen  die 
neue  Wehrvorlage. 

8.  April.  In  Peking  tritt  das  chinesische 
Parlament  zum  erstenmal  zusammen. 

10.  April.  Ein  Komitee  von  schweizer  Politikern 
beruft  für  den  20.  April  nach  Bern  eine  Konferenz 
deutscher  und  französischer  Parlamentarier 
ein  zwecks  Anbahnung  eines  besseren  Ver- 
ständnisses beider  Völker. 

10.  April.  „Im  Namen  der  internationalen 
Flotte,  welche  die  Grossmächte  von  Europa 
vertritt",  verkündet  der  englische  Admiral  Cecil 
Burney,  als  „Kommandierender  der  inter- 
nationalen Flotte'',  die  über  die  albanische  Küste 
verhängte  Blockade. 

10.  April.  Im  elsass-lothringischen  Land- 
tag protestierten  mehrere  Abgeordnete  gegen  den 
Chauvinismus  in  Deutschland  und  Frank- 
reich und  gegen  den  Gedanken  an  einen  Krieg. 


DAUS  DER  ZEITO 

Völkerrecht. 

Vom  Haager  Schiedshof.  ::  ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   :: 

Der  Verwaltungsrat  des  ständigen  Schieds- 
hofs veröffentlicht  soeben  seinen  12.  Jahres- 
bericht über  die  Arbeiten  des  Hofes  und  die 
Punktion  der  Verwaltung  während  des  Jahres 
1912.  Der  Bericht,  der  den  Kegierungen  erst 
am  26.  März  1913  überreicht,  wurde,  ist  in  den 
Takten  bis  zu  diesem  Tage  berichtigt. 

Daraus  ergibt  sich  zunächst  die  betrübende 
Tatsache,  daß  die  Haager  Abkommen  von  1907, 
die  von  44  Staaten  unterzeichnet  wurden,  bis- 
lang nur  von  24  Staaten  ratifiziert  worden 
sind.  Von  europäischen  Staaten  haben  bisher 
Italien  und  sämtliche  Balkanstaaten,  mit  Aus- 
nahme Bumäniens,  nicht  ratifiziert.  Im  Jahre 
1912  sind  drei  Schiedsfälle  entschieden  bzw. 
anhängig  gemacht  worden.  Es  sind  dies  der 
Canevaro-Fall  zwischen  Italien  und  Peru, 
der  Indemnitätsstreit  zwischen  der  Türkei 
und  B  u  ß  1  a  n  d  ,  die  Streitfälle  über  die  Auf- 
bringung dreier  Schiffe  („Cartage",  „Manouba" 
und  „Tavignano")  zwischen  Italien  und 
Frankreich. 

Das  Budget  für  1913  ist  mit  58  149  Fl.  be- 
ziffert worden,  während  die  Ausgaben  für  1912, 
die  im  Voranschlag  mit  36  350  Fl.  angenommen 
wurden,  nur  28  217,50  Fl.  betrugen.  Diese 
Summe  wurde  nach  dem  vom  Weltpostverein 
angewandten  Schlüssel  durch  die  Vertragsstaaten 
gedeckt.  Danach  hatte  Deutschland,  Oester- 
reich-Ungarn,        Frankreich,         Großbritannien, 


148 


Italien,  Bußland,  die  Türkei,  die  Vereinigten 
Staaten,  China  und  Japan  je  1482,25  Fl.  zu 
bezahlen.  Spanien  1185,80  Fl.  Die  anderen 
Staaten  je  889,35  FL,  296,45  bzw.  177,87.  Nur 
Montenegro  hat  den  geringen  Betrag  von 
59,29  Fl.  zu  leisten.  Die  Erhöhung  des  Budgets 
für  1913  rührt  von  dem  neu  eingestellten  Posten 
von  16  501  Fl.  als  Beitrag  für  die  Verwaltung 
und  Instandhaltung  des  Ende  August  zu  be- 
ziehenden neuen  Friedenspalastes  her.  Diese 
Summe  bezieht  sich  nur  auf  die  vier  letzten 
Monate  des  Jahres  1913.  Sie  wird  künftig  das 
Dreifache,  d.  i.  49  504  Fl.  betragen. 

Die  organisatorische  Bedeutung 

der  Haager  Konferenzen. 

Vor  der  Internationalen  Vereini- 
gung für  vergleichende  Rechts- 
wissenschaft und  Volkswirt- 
schaftslehre sprach  am  15.  März  im  preußi- 
schen Herrenhaus  Professor  Dr.  Walther 
Schücking  aus  Marburg  über  „die  or- 
ganisatorische Bedeutung  der 
Haager  Konferenze n".  —  Gerade  der 
unbefriedigende  Zustand  des  Wettrüstens  ver- 
anlaßt die  Frage,  was  denn  durch  die  Haager 
Friedenskonferenzen  bisher  erreicht  ist.  Die 
Antwort  darauf  hat  bis  jetzt  sehr  verschieden 
gelautet.  Der  Bedner  ist  im  Einklang  mit 
einigen  hervorragenden  Autoren  des  Auslands 
seit  Jahren  bestrebt,  die  organisatorische  Be- 
deutung des  Haager  Werkes  in  das  rechte 
Licht  zu  stellen.  Durch  das  Schiedsgerichts- 
abkommen ist  ein  neuer  Staatenverband  ge- 
gründet, dessen  Zweck  die  Aufrechterhaltung 
des  allgemeinen  Friedens  ist.  Also  ist  dieser 
Staatenverband  auch  ein  politischer  und  be- 
deutet den  Ansatz  zu  einem  losen  Weltstaaten- 
bund. Die  zweite  Haager  Konferenz  hat  sich 
bemüht,  die  Justiz  Organisation  dieses  Staaten- 
verbandes weiter  fortzubilden.  Die  Tatsache, 
daß  in  Zukunft  vor  dem  internationalen  Prisen- 
hof der  Privatmann  seine  Bechte  gegen  einen 
fremden  Staat  wird  einklagen  können,  beweist 
den  rapiden  Entwicklungsprozeß  des  Völker- 
rechts und  die  Fortschritte  der  internationalen 
Organisation.  Die  dritte  Haager  Konferenz 
wird  das  Projekt  der  Cour  de  justice  arbitrale 
von  1907  wieder  aufnehmen  und  daraus  einen 
wirklich  ständigen  Gerichtshof  mit  verschie- 
denen Kammern  machen  müssen.  Für  gewisse 
Kategorien  von  unpolitischen  Streitigkeiten  muß 
dieses  Gericht  obligatorisch  werden,  außerdem 
muß  es  zuständig  gemacht  werden  für  Privat- 
rechtsansprüche gegen  fremde  Staaten  und  die 
Auslegung  der  Normen  des  neuen  Weltrechts 
(Internationales  Privatrecht,  Weltwechselrecht, 
Weltscheckrecht  usw.).  Ein  anderes  höchst 
wichtiges  Postulat  ist  die  Sicherung  der  Pe- 
riodizität der  Konferenzen  und  die  Annahme 
eines  Statuts  für  den  Haager  Staatenverband.  — 
Jedenfalls  wandelt  sich  die  bisher  anarchische 
Staatengesellschaft  trotz  aller  Hemmungen  all- 
mählich in  die  eine  organisierte  um  und  neue 


<§• 


=  DIE  FRI EDENS -^\*M2XE 


Probleme,  wie  internationale  Besitzgarantie, 
Exekutive,  Weltparlainent  und  Umwandlung  der 
einzelstaatlichen  Heere  in  Quoten  einer  Bundes- 
armee   werden    dann    zu   lösen   sein. 

In  der  vom  Vorsitzenden  Geh.  Justizrat 
Dr.  Felix  Meyer  geleiteten  Diskussion  be- 
zweifelte Professor  Dr.  Carl  Koehne,  daß  die 
modernen  wirtschaftlichen  und  handelspoli- 
tischen Tendenzen  (Neo-Merkantilismus)  der 
Entwicklung  eines  Weltstaatenbundes  günstig 
seien.  Dem  widersprach  außer  dem  Vor- 
tragenden, namentlich  Geh.  Justizrat  Dove,  der 
darauf  hinwies,  daß  selbst  die  schärfste  Schutz- 
zollpolitik eines  Landes  keineswegs  mit  dessen 
Isolierung  gleichbedeutend  sei.  Professor  Dr. 
Neubecker  meinte,  daß  die  Theorien  des  Redners 
in  ihren  letzten  Konsecmenzen  an  den  nicht 
voraussehbaren  Entwicklungsmöglichkeiten  der 
einzelnen  Völker  scheitern  müßten.  Hiergegen 
wendete  der  Vortragende  sich  in  seinem  Schluß- 
worte, in  dem  er  betonte,  daß  auch  nach  seiner 
Lehre  dem  wechselnden  Expansionsbedürfnisse 
der  Nationen  keine  ewig  feststehenden 
Schranken  gezogen  werden  sollen,  daß  sich  in 
Zukunft  aber  der  Besitzwechsel  nicht  mehr  im 
Wego  der  Eroberung,  sondern  in  der  friedlichen 
Form  des  Kaufes  oder  Tausches  vollziehen 
werde.  v.    L. 


Zwischenstaatliche  Epekution.    ::   ::   ::   ::   ::   ::  ::   ::   :: 

Artikel  19  der  ,, Verfassung  des  Deutschen 
Reiches"    lautet : 

„Wenn    Bundesglieder    ihre    verfassungs- 
mäßigen     Bundespflichten      nicht      erfüllen, 
können  sie  dazu  im  Wege  der  Exekution 
angehalten     werden.      Diese     Exekution     ist 
vom  Bundesrate  zu  beschließen  und  vom 
Kaiser    zu   vollstrecken." 
In   seinem   Kommentar  hierzu  bemerkt  Ge- 
heimrat   Zorn:     „Die     Mittel    der    Exekution 
sind  in  der  Reichsverfassung  nicht  bezeichnet. 
Zuvor     werden     friedliche    Mittel    anzuwenden 
sein,      insbesondere      durch      Vermittlung     des 
Bundesrats.    Weiter  wird  an  militärisches 
Einschreiten   gedacht    werden   müssen.  .  . 
Die  Exekution  kann  bis   zur  Sequestration  des 
betreffenden     Landes     und    seiner   Regierungs- 
gewalt  ausgedehnt    werden."     (Der   letzte   Satz 
war     in    der    Verfassung    des     Norddeutschen 
Bundes    wörtlich    enthalten.) 

Man  sieht  also:  es  handelt  sich  hier, 
trotz  „militärischen  Einschreitens",  nicht 
um  Krieg,  der  ja  zwischen  Bundes  gliedern 
logischerweise  ausgeschlossen  ist,  sondern  um 
die  gewaltsame  Durchsetzung  des  verletzten  und 
auf  andere  Weise  nicht  wiederherstellbaren  Ver- 
tragsrechtes. Man  hört  nun  vielfach  die  An- 
sicht, daß  eine  solche  Exekution  prinzipiell 
eben  nur  zwischen  Bundesgliedern  denk- 
bar ist,  zwischenstaatlich  aber  nicht  verwend- 
bar sein  könne.  Interessant  ist  die  Wahr- 
nehmung, daß  wir  auch  diese  Entwicklungs- 
stufe heilte  bereits  überwunden  haben.    Am 


25.    März   las    man   in  den   Tagesblättern   eine 
aus  Berlin  datierte  Meldung-  folgenden  Inhalts : 

„Aus  Rom  wird  gemeldet,  falls  Monte- 
negro den  Willen  Oesterreichs  und  den  der 
anderen  Großmächte  nicht  respektieren 
wollte,  so  würde  die  Londoner  Botschafter- 
konferenz die  Erteilung  eines  Exekutions- 
mandates an  Oesterreich-Ungam 
und  Italien  beantragen.  Auf  Grund  eines 
solchen  europäischen  Mandates  würde  sich 
Italien  an  der  militärischen  Aktion  Oester- 
reichs  beteiligen." 

Und  diese  Nachricht  wird  bekräftigt  durch 
eine   Auslassung  der   „N  o  r  d  d.    A  11g.   Z  t  g."  , 
des     offiziösen    deutschen    Regierung*- 
organs,   vom   31.   März,   worin  angedeutet  wird, 
daß  es  nötigenfalls  zu  einer  ,,E  xekutiou" 
seitens    der    europäischen     Mächte    kommen 
könnte,    falls    König    Nikolaus    auf    seinem 
Widerstände      beharrt.         Das      Organ     des 
Reichskanzlers  schreibt  unter  anderem : 
„Wir  möchten  uns  auch  an  dieser  Stelle  der 
in    der    bedeutungsvollen    Rede    Sir    Edward 
Greys    vom    25.    d.    M.    ausgedrückten    Er- 
wartung anschließen,  daß   die  Fortdauer  der 
Bestürmung    Skutaris    von    Montenegro    als 
zweckloses    Gemetzel     erkannt     und 
baldigst  eingestellt  werde.    Es   wurde  damit 
der     Anwendung     von     Maßregeln     vor- 
gebeugt,   die   keine    Großmacht   herbeiführen 
will,    die   aber   bei   anhaltender   Auf- 
lehnung    gegen     den     Willen    Eu- 
ropas unvermeidlich  werden  könnten". 
Also  ein  unumwundenes,   in  ernst  mahnen- 
dem Tone  gehaltenes,   offiziöses  Bekenntnis  zu 
eben     jener    „Exekution",    wie    sie    in    Ar- 
tikel    19     der     Deutschen    Reichsver- 
fassung   vom     IG.    April    1871    bereits    vor- 
gesehen   ist.     Ob    es    nun   im    Falle    Monte- 
negros  zu  einer  solchen  zwischenstaatlichen 
Exekution  kommt  oder  nicht  —  man  wird  sich 
das  prinzipielle  Zugeständnis  ihrer 
Möglichkeit  und  eventuellen  Unausweich- 
lichkeit    mit     unverlierbaren    Lettern    ins    Ge- 
dächtnis   schreiben   müssen   für   den  Fall,    daß 
später  wieder  einmal  ein  Ueberschlauer  mit  der 
Behauptung    sich   vorwagen    könnte,    eine   der- 
artige Exekution  sei  grundsätzlich  mir  zwischen 
Gliedern     ein     und     derselben    Staaten- 
gemeinschaft denkbar. 

C.  L.   Siemering. 


Verschiedenes. 

Wie  man  Kriege  „macht".     ::    ::    :;  [s   ::    ::    :: 

Der  entsetzliche  Balkankrieg  mit  seinen 
nach!  Zehntausenden  zählenden  Menschen- 
opfern und  seinen  in  die  Milliarden  gehen- 
den Verlusten  an  Wohlstand  und  Gütern 
geht  seinem  Ende  zu.  Beinahe  hätte  er  das 
alte  Europa  in  Brand  gesetzt,  und  wenn 
dies    auch    glücklicherweise    noch    verhütet 


149 


DIE  FBIEDENS -^/ADTE 


=© 


wurde,  so  hat  er  doch  durch  die  Störung 
des  Handels  und  Verkehrs  auf  unserem  Erd- 
teil hinreichend  Kulturarbeit  vernichtet 
und  Not  und  Elend  in  ausreichendem  Maße 
erzeugt,  Der  Balkankrieg  wird  aber  in 
der  Zukunft  von  den  Geschichtsschreibern 
und  den  Völkerpsychologen  fein  säuberlich 
zugestutzt  werden  als  die  naturnotwendige 
Entladung  geheimer  Kräfte,  die  folgerich- 
tige Entwicklung  historischer  Gesetze  und 
schließlich  auch  als  ein  ,, Element  der  gött- 
lichen   Weltordnung". 

Für  die  künftige  Betrachtung  dieses 
Krieges  sei  mir  gestattet,  hier  einen  mir 
nicht  unwichtig  erscheinenden  Beitrag  hin- 
zuzufügen, der  wohl  geeignet  sein  dürfte, 
zum  Nachdenken  über  die  „geheiligte"  In- 
stitution des  Krieges  anzuregen. 

In  der  Budgetkommission  des  deutschen 
Reichstages  machte  am  3.  April  der  Staats- 
sekretär von  Jagow  über  die  Entstehung 
des  Balkankrieges  vertrauliche  Mitteilun- 
gen, aus  deren  offiziösen  Veröffentlichungen 
besonders  folgender  Satz  von  Interesse  ist: 

„Der  Staatssekretär  ging  auf  die  Frage 
ein,  ob  die  europäische  Diplomatie  durch 
den  Ausbruch  des  Krieges  überrascht  wor- 
den sei.  Tatsächlich  habe  in  den  Haupt- 
städten der  Balkanstaaten  noch1  bis  in 
die  letzten  Tage  vor  dem  Aus- 
bruch des  Krieges  die  Stimmung 
geschwankt,  und  der  Kriegsbeginn  sei 
gegen  die  Absicht  der  anderen  Ver- 
bündeten durch'  den  frühzeitigen 
Losbruch   Montenegros    erfolgt." 

Aus  diesen  Mitteilungen  geht  hervor, 
daß,  wenn  auch  nicht  die  Wahrscheinlich- 
keit, so  doch  immerhin  eine  gewisse  Mög- 
lichkeit vorhanden  gewesen  wäre,  den 
Kriegsausbruch  zu  verhindern,  wenn  die 
eilige  Aktion  des  Königs  von  Montenegro 
nicht  vorgegriffen  hätte. 

Warum  hat  aber  der  König  von 
Montenegro  so  voreilig  gehan- 
delt? 

Hierüber  wird  mir  von  einer  Seite,  die 
mit  den  Verhältnissen  vertraut  sein  körnte, 
eine  Mitteilung  (gemacht,  die  man  nicht  ver- 
schweigen kann,  wenn  man  auch  zugeben 
muß,  daß  der  vollgültige  Beweis  dafür 
nicht  erbracht  werden  kann,  für  die  jedoch 
die  Wahrscheinlichkeit  spricht. 

Im  Herbst  des  vorigen  Jahres  soll  der 
König  von  Montenegro  in  Paris  den  Ver- 
such gemacht  haben,  eine  Anleihe  aufzu- 
bringen, die  ihm  jedoch  von  der  Pariser 
Finanzwelt  verweigert  wurde.  Ein  Pariser 
Finanzmann,   der   so   von    dem    Geldbedarf 


des  Königs  unterrichtet  war,  setzte  sich 
hierauf  mit  einem  Wiener  Bank- 
haus, dessen  Name  mir  genannt 
wurde,  in  Verbindung.  Dieses 
Bankhaus  soll  dem  König  ein 
Darlehen  Von  5  Millionen  Kronen 
(einem  Familienmitgliede  des  Königs  außer- 
dem noch  einen  etwas  geringeren  Betrag) 
unter  der  Bedingung  angeboten 
haben,   daß  er  sofort   losschlage. 

Am  8.  Oktober  hat  der  König 
von  Montenegro  der  Türkei  den 
Krieg  erklärt! 

Für  die  Wahrscheinlichkeit  dieser 
Mitteilung  sprechen  zwei  Tatsachen. 
Erstens:  Das  betreffende  Bankhaus  soll 
zu  Beginn  des  Balkankrieges  so  glücklich' 
operiert  und  durch  den  Kriegsausbruch,  der 
im  übrigen  zu  einer  allgemeinen  Börsen- 
deroute  geführt  hat,  so  ungeheuer  viel  ver- 
dient haben,  daß  dies  weiteren  Kreisen 
auffiel. 

Zweitens:  Es  soll  ja  nunmehr  auch 
die    Einstellung    des    Krieges    seitens     des 
Königs    von    Montenegro     durch    ein    Mil- 
lionendarlehen  erkauft  werden. 
Sapienti  sat! 


Die  „Brücke"  und  der  Internationalismus.         ::        :: 

Ende  März  fand  in  München  die  1.  Jahres- 
versammlung der  „Brücke",  Internationalen 
Instituts  für  Organisierung  der  geistigen  Ar- 
beit, statt.  Ein  besonderes  Gepräge  verlieh  der 
Tagung  die  Anwesenheit  zahlreicher  Geistes- 
arbeiter des  deutschen  Sprachgebiets  sowie  die 
Teilnahme  des  Prinzregenten  Ludwig,  des 
Kultusministers  und  anderer  Vertreter  der 
bayerischen  Eegierung  an  der  öffentlichen  Fest- 
sitzung. Geheimrat  Prof.  Wilhelm  O  s  t  w  a  1  d 
hielt  einen  Vortrag  über  „Brücke  und  Inter- 
nationalismus", in  dem  er  zunächst  in  weit- 
ausholenden kulturgeschichtlichen  Betrach- 
tungen die  Entwicklung  des  Organisationsge- 
dankens überhaupt  darlegte,  dessen  Grundziel 
es  ist,  jede  individuelle  Leistung  zum  Besten 
der  Gesamtheit  am  zweckmäßigsten  zur  Gel- 
tung   zu   bringen. 

Weiter  führte  er  nach  Zeitungsmeldungen 
aus :  Bezüglich  der  geistigen  Arbeit  befinden 
wir  uns  eben  in  der  Periode  des  höheren  In- 
dividualismus und  es  treten  die  ersten  Zeichen 
der  folgenden  Periode,  der  organischen  Bindung 
ein.  Die  Brücke  hat  die  Aufgabe,  diese  zur- 
zeit höchste  Kulturform  für  die  geistige  Arbeit 
herbeizuführen,  welche  durch  das  bewußte  Zu- 
sammenwirken hoch  entwickelter  Individuen  i 
spezialisierter  Betätigung  gekennzeichnet  ist 
Das,  was  hierbei  systematisiert  und  dadurch 
erledigt  wird,  sind  die  primitivsten,  wenigst 
geistigen  Anteile,  so  daß  die  notwendige 
Gleichmachuner  und  Bindung  nicht  ein  Hinder- 


150 


<§= 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


nie,  sondern  eine  erhebliche  Erleichterung  und 
Förderung  für  die  höhere  Geistesarbeit  be- 
wirkt. Damit  werden  die  landläufigen  Ein- 
wände gegen  die  Brückenarbeit  widerlegt.  Wenn 
wir  sehen,  wie  jeder  Forscher,  ehe  er  an  seine 
eigentliche  Aufgabe  heranzugehen  vermag,  eine 
Reihe  kleiner  und  kleinlicher  Vorarbeiten  zu 
machen  hat,  die  ebensogut  jeder  Durchschnitts- 
mensch machen  könnte,  so  muß  man  nach  dem 
Grundsatz,  daß  keine  Energie  vergeudet  werden 
soll,  auf  Abhilfe  sinnen.  Die  Gesamtheit  der 
Geistesschätze  der  Welt  wächst  immer  gewal- 
tiger an.  Die  Steigerung  des  Bewußtseins  von 
dem  Besitz  dieser  den  Nationen  gemeinschaft- 
lichen Kulturgüter  und  von  der  Gefahr,  sie 
verlieren  zu  können,  sollte  und  müßte  ein 
mächtiges  Friedenshand  unter  den  Völkern  be- 
deuten! In  der  Anwendung  auf  die  staat- 
lichen Verhältnisse  führen  diese  Betrachtungen 
zur  Erörterung  des  Internationalismus.  Die 
gegenwärtige  politische  Organisation  der  Welt 
stellt  einen  teilweise  noch  primitiven  Indivi- 
dualismus dar,  der  durch  internationale  Bin- 
dungen abgelöst  zu  werden  beginnt.  Das  Zu- 
sammentreten der  deutschen  Einzelstaaten,  die 
früher  einander  bekämpft  hatten,  zum  Deut- 
schen Reich,  stellt  einen  typischen  Fall  solcher 
Vorgänge  dar.  Es  wird  nachgewiesen,  daß  z.  B. 
die  europäischen  Kontinentalstaaten  im  Eisen- 
bahnverband, die  Kulturstaaten  der  ganzen  Welt 
im  Weltpostverein  bereits  überstaatliche  Organe 
geschaffen  haben,  welche  als  die  Vorstufen 
engerer  Verbände  aufzufassen  sind.  Die  Ver- 
einigten Staaten  von  Europa  und  der  ganzen 
Welt  existieren  also  bereits,  sie  sind  längst 
keine  Utopie  mehr.  Hier  hat  die  Brücke  in 
die  begonnene  Kulturorganisation  einzugreifen, 
da  die  geistigen  Werte  von  absolut  internatio- 
naler Beschaffenheit  sind.  Dadurch  wird  sie 
an  ihrem  Teil  dazu  beitragen,  die  Aufgabe  des 
dauernden  Friedens,  für  dessen  Erhaltung  durch 
militärische  Rüstungen  Europa  so  ungeheure 
Opfer  bringt,  durch  Mehrung  der  gemeinsamen 
Kulturgüter  zu  lösen.  Schon  jetzt  hat  die  ge- 
meinsame Kulturarbeit  der  Nationen  in  solchem 
Sinne  gewirkt  und  ein  geringer  Bruchteil  der 
Aufwendungen  für  die  militärische  Friedens- 
sicherung würde  genügen,  um  sehr  erhebliche 
Leistungen  auf  diesem  Boden  zu  ermöglichen, 
auf  welchem  niemals  Gefahren  für  den  Frieden, 
sondern  nur  eine  Förderung  entstehen  kann 
usw.  Dr    J.    M. 


Richard  Dehmel  und  die  internationale  Kulturbewegung. 

Der  Verband  internationaler  Studentenver- 
eine hat  eine  Rundfrage  erlassen:  Was  kann 
der  Student  für  die  internationale  Kultur- 
bewegung tun?  Unter  den  Antworten  hat  die 
von  Richard  Dehmel  in  studentischen  Kreisen 
weithin  Beachtung  gefunden  und  ist  vielfach, 
sicherlich  gegen  die  Absicht  des  Dichters, 
während  der  Ausländerstreitigkeiten  der  letzten 
Zeit  zu  Hilfe  gerufen  worden.  Sie  lautet: 
„Was  der  deutsche   Student   für  die 


internationale  Kultur  tun  kann,  ist 
genau  das,  was  jeder  junge  Mann 
von  geistigem  Weitblick  dafür  tun 
sollte:  Ein  Mann  werden,  der  es  in 
seinem  Berufskreis  als  vornehmste 
Bildungspflicht  betrachtet,  sei- 
nem Volk  Respekt  und  Sympathie 
bei  den  übrigen  Völkern  zu  ver- 
schaffen. Alles  andere  ist  kosmo- 
politische Phrase,  ob  mit  oder  ohne 
Vereinsmeiere  i." 

Der  ethischen  Forderung  Dehmels  kann 
man  sicherlich  durchaus  zustimmen:  Bildung 
ist  in  erster  Linie  etwas  Nationales.  Aber 
auch  schon  in  dem  ersten  Teil  seiner  Ant- 
wort ist  ein  starkes  Mißverständnis  der 
Frage.  Nicht  um  internationale  Kultur,  sondern 
um  internationale  Kulturbewegung  handelte  es 
sich.  Diese  Kulturbewegung  „inter  nationes", 
diese  Kulturbeziehungen  von  Volk  zu  Volk 
enthalten  als  einen  Bestandteil  eben  die  von 
Deutschland  ausgehende  Kultur,  die  sich 
Achtung  und  Teilnahme  im  Ausland  erwerben 
will.  Aber  es  ist  doch  eine  kiasse  Einseitig- 
keit, wenn  man  die  Gefühle,  die  man  für 
seine  Kultur  vom  Ausland  verlangt,  nicht  auch 
den  fremden  Kulturen  entgegenbringt.  Zur 
Bildung  gehört  sicherlich  auch  Achtung  und 
Verständnis  für  fremde  Eigenart.  Die  vom 
Ausland  zu  uns  strömenden  Einflüsse  sind  ein 
anderer  Bestandteil  der  internationalen  Kultur- 
bewegung. 

Enthält  der  erste  Teil  der  Dehmel- Antwort 
nur  ein  Mißverständnis  und  eine  Einseitigkeit, 
so  zeugt  der  letzte  Satz  von  einer  unglaub- 
lichen Unkenntnis  des  modernen  Inter- 
nationalismus, der  gegenwärtigen  netzartig  ver- 
dichteten und  verflochtenen  Beziehungen  von 
Volk  zu  Volk.  Weiß  denn  Dehmel  nichts  von 
der  stetig  wachsenden  Verflechtung  aller 
Völker  in  die  Erdwirtschaft,  von  den  Tausenden 
und  aber  Tausenden  von  Organisationen  auf 
allen  Gebieten,  die  über  die  Grenzen  hinaus 
Volk  mit  Volk  verbinden?  Weiß  er  nichts  da- 
von, daß  unsere  auswärtige  Politik  nur  noch 
ein  Viertel  Macht-,  dagegen  Dreiviertel  Wirt- 
schafts- und  Kulturpolitik  ist?  Ein  Mann  von 
„geistigem  Weitblick",  der  für  das  soziale  Ge- 
schehen, für  die  Geschichte  seiner  Zeit,  die 
Augen  offen  hat,  darf  diese  gewaltige  Ent- 
wicklung des  Internationalismus  nicht  über- 
sehen. 

Es  war  eben  töricht,  einen  Lyriker  nach 
solchen  Dingen  zu  fragen*).   Bei  den  Fragenden 

*)  Dehmel  stand  einmal  unseren  Ideen 
sehr  sympatisch  gegenüber.  Es  sei  auf  seinen 
an  den  Herausgeber  dieses  Blattes  gerichteten, 
in  der  Fr.-W.  1900,  S.  101  abgedruckten  Brief 
hingewiesen,  worin  er  von  der  „großen  kul- 
turellen Idee  der  friedensrecht- 
lichen Bestrebungen"  spricht,  und  er 
jene  als  „Trampeltiere"  bezeichnet,  die  den- 
jenigen Beifall  spenden,  die  sich  „auf  die  be- 
kannte schiefe  Ebene  der  unabänderlichen 
Naturgesetze"    begeben. 

Anrnkg,    der    Red. 


151 


DIE  FRIEDENS  -WARTE. 


3 


liegt  die  Schuld.  Wir  werden  Dehmel,  der  uns 
aus  leidenscliaftlich  subjektivem  Erleben  her- 
aus so  wundervolle  Dichtungen  geschenkt  hat, 
gern  nachsehen,  daß  er  für  das  große  soziale 
Geschehen  kein  Verständnis  besitzt.  Aber  sein 
Urteil  muß  aufs  schärfste  zurückgewiesen 
werden,  weil  es  nicht  vereinzelt  dasteht,  weil 
immer  wieder  Menschen  mit  durchaus  und  ein- 
seitig persönlicher  Weltanschauung  sich  Ur- 
teile anmaßen  über  soziale  Fragen,  die  ganz 
außerhalb  ihrer  Vorstellungswelt  liegen,  für  sie 
ein  völlig  verschlossenes  unbetretbares  Land 
sind. 

Und  doch  gibt  es  vielleicht  auch  für 
Dehmel  einen  Weg  dorthin.  Vor  Jahresfrist 
ist  mir  mal  die  Satzung  des  Vereins  lyrischer 
Dichter  (Statut  des  Kartells  lyrischer  Au- 
toren!!) in  die  Hände  gefallen.  Da  stand 
Dehmels  Name  an  zweiter  Stelle  unterschrieben. 
Wenn  es  sich  also  um  seine  eigenen  Angelegen- 
heiten handelt,  verachtet  er  die  Vereinsmeierei 
nicht  so  sehr.  Da  nun  in  diesen  Tagen  wieder- 
um eine  Vereinbarung  abgeschlossen  ist  zum 
Schutz  von  Kunstwerken,  so  daß  nun  auch  in 
Kußland  Dehmels  Werke  nur  mit  seiner  Ein- 
willigung und  Gewinnbeteiligung  übersetzt  und 
vertrieben  werden  können,  so  wäre  hier  doch 
ein  Weg,  auf  dem  selbst  ein  lyri- 
scher Dichter  Verständnis  für  die 
rechtliche  Ordnung  und  für  die  Or- 
ganisation der  Kultur  bezieh  ungen 
zwischen  den  Völkern  bekommen 
könnte. 

Dr.  phil.  W  a  1 1  e  r  A.  Berendsohn, 
Hamburg. 


Pazifistische  Kundgebung  des 
Fürsten  fllbert  von  Monako. 

Gelegentlich  der  Tagung  des  Mutualisten- 
kongresses  zu  Montpellier  hielt  am  30.  März 
Fürst  Albert  von  Monako  eine  Kede,  in  der 
er  darauf  hinwies,  daß  Kuhm,  Ansehen  und 
Gedeihen  mehr  von  einer  Milderung  der  Sitten 
als  von  der  Anwendung  von  Gewalt  abhingen. 
Der  Fürst  rühmte  dann  den  Gedanken  des 
Schiedsgerichts  und  der  gegenseitigen  Hilfe, 
deren  Macht  immer  mehr  die  Lösung  sozialer 
Probleme  erleichtern  werde.  Alle  Mutualisten 
verurteilten  die  Anwendung  von  Gewalt  bei 
Regelung  internationaler  Angelegenheiten.  Die 
internationale  gegenseitige  Hilfe  werde  bei  den 
Menschen  aller  Länder  die  Wahrheit  zur  Gel- 
tung bringen,  daß  kriegerisches  Gebaren 
draußen,  politische  Feindseligkeiten  im  Innern 
und  der  Triumph  der  Gewalt  nirgends 
die  Fragen  lösten,  von  denen  der 
menschliche  Fortschritt  abhänge. 
Denn  der  Krieg  und  seine  Vergeltung  brächten 
keine  Lösung.  Der  Fürst  schloß:  „Die  Stunde 
ist  gekommen,  ohne  Furcht  einen  so  schwie- 
rigen Gegenstand  ins  Auge  zu  fassen,  da  alle 
menschliche  Tätigkeit  unter  der  zerstörenden 
Wirkung  kriegerischer  Drohungen  leidet  und 
da  die  durch  die  gesundesten  Kräfte  der  Nation 


mühsam  erworbenen  Hilfsmittel  in  einen  Ab- 
grund gestürzt  werden  sollen.  Vielleicht  wird 
eines  Tages  das  Prinzip  der  gegenseitigen  Hilfe 
sich  gegenüber  den  Gefahren  des  internationalen 
Lebens     mächtig    zur    Geltung    bringen." 

Mtl 

Ein  deutscher  Feldherr  über  den  Krieg.  :: 

Die  Briefe  des  Fürsten  Schwarzenberg,  des 
Besiegers  Napoleons,  an  seine  Frau  sind  jetzt 
veröffentlicht  worden.  In  einem  Feuilleton, 
das  Richard  Charmatz  in  der  Neuen 
Freien  Presse  darüber  schrieb,  sind  vom  pazi- 
fistischen Gesichtspunkt  folgende  Stellen  von 
Interesse : 

„Der  Fürst  dachte  hoch  von  dem  Beruf 
des  Soldaten  und  wollte  dessen  Würde  von 
allen  Flecken  reinhalten.  Der  Kampf  sollte  von 
jeder  Entartung  frei  bleiben  und  das  Gefühl 
nicht  unterdrücken.  Die  Ritterlichkeit,  die  dem 
Feldmarschall  reinen  Adel  verlieh,  die  sein 
Wesen  durchtränkte,  durfte  im  Kampfe  nicht 
abhanden  kommen.  Mit  Stolz  erwähnte  Fürst 
Schwarzenberg  einmal  während  des  Feldzuges 
im  Jahre  1812,  daß  in  einem  Orte,  den  seine 
Soldaten  im  Feindesland  verlassen  hatten,  die 
Hühner  und  Gänse  frei  herumliefen.  Das  er- 
füllte ihn  mit  Vergnügen.  Den  Krieg  als 
solchen  beklagte  er  tief.  Treitschke  berichtet 
in  seiner  „Deutschen  Geschichte",  daß  in  dem 
Geschlecht,  das  die  erschütternden  Greuel  der 
napoleonischen  Kämpfe  mitansah,  ein  unaus- 
löschlicher  Abscheu  vor  dem  Kriege,  ein  un- 
versiegliches  Friedensbedürfnis  erwacht  war. 
Schwarzenberg,  der  auf  vielen  Schlachtfeldern 
die  Verwüstungen  und  Schrecknisse  kummer- 
voll beobachten  konnte,  gestand  nach  dem 
grauenvollen  Rückzuge  von  Hohenlinden :  „I  c  h 
kann  den  Anblick  allen  Unheils 
kaum  aushalten!"  Später  bemerkte  er : 
„Der  Krieg  ist  doch  ein  häßliches 
Ding;  welch  schreckliche  Bilder 
sich  täglich  darstellen!  Jammer, 
Elend,  Leiden,  Laster  aller  Art,  Hohnlächeln 
dem  Unglück,  menschliche  Grausamkeiten;  das 
Herz  des  rechtlichen  Menschen  empört  sich 
zehnmal  des  Tages.  Nichts  kann  diese  Emp- 
findungen erlöschen."  Noch  verzagter  urteilte 
er  in  einem  anderen  Briefe:  „Ich  wiederhole 
es  abermals,  ich  bin  nicht  dazu  gemacht,  in 
dem  Metier  glücklich  zu  sein.  Krönt  der  Er- 
folg mein  Unternehmen,  so  habe  ich  einen 
grimmigen  Graus  dabei ;  über  Blut  und 
Leichen  gehe  der  Pfad  zu  meinem 
Glück  nimmermehr.  Man  sage  nur,  es 
sei  Schwäche,  ich  leugne  es  nicht,  aber  es  ist 
nun  einmal  so,  der  Krieg  ekelt  mich  ob 
der  unzähligen  Leiden,  die  er  unter  allen  er- 
sinnlichen Formen  über  die  Menschen  ver- 
breitet." 


Mach  Maurenbrecher  Hornefferl    ::   ::        :: 

Merkwürdig  —  gerade  die  Führer  der  fuei- 
geistigen  Bewegung,  die  doch  freies  und!  fort- 


152 


(2S 


=  DIE  Fßl EDENS -WABXE 


schrittliches   Denken  fördern  und  pflegen  will, 
im   Gegensatz  zum   Pazifismus ! 

In  dem  soeben  erschienenen  Heft  1  des 
neuen  5.  Jahrganges  der  „Tat",  sozial-religiöse 
Monatsschrift  für  deutsche  Kultur,  schreibt 
Ernst  Hornef  fer  in  einem  Aufsatz  über  „R  e  - 
ligion  und  Nation":  „Auf  friedlichem 
Wege  sehen  sie  (die  Friedensfreunde)  die  Völker 
ihre  Gegensätze  ausgleichen  und  sich  in  einer 
höheren  allumspannenden  Ordnung  zusammen- 
schließen. Dies  halte  ich  für  eine  bedenkliche 
Utopie.  .  .  .  Von  selbst,  auf  friedlichem  Wege, 
durch  Verträge,  durch  freundliche  Aussöhnung 
entstehen  niemals  höhere  Organisations- 
formen, die  immer  auf  der  Bändigung  und 
Ueberwältigung  ursprünglicher  Gegensätze  be- 
ruhen" usw.  Sollte  Horneffer  wirklich  die 
Kulturgeschichte  und  die  Geschichte  mensch- 
licher Zivilisation  so  wenig  kennen,  daß  er 
solche  Behauptung'  aufzustellen  wagt?  Dann 
lieber    „hands    off"    von    diesem    Probleme ! 

J.    M. 


AUS  DER  BEWEGUNG 

Kongreß-Kalendarium.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  *• 

1. — 3.  Mai:  IV.  amerikanischer  National- 
friedenskongreß in  St.  Louis. 

11.  Mai:  Verständigungskonferenz  deutscher 
und    französischer    Parlamentarier    in   Bern. 

11. — 12.  Mai :  VIIL  französischer  National- 
friedenskongreß   in   Paris. 

11. — 13.  Mai:  II.  Verbandstag  des  Verbandes 
der  Internationalen  Studentenvereine  Deutsch- 
lands in  Leipzig. 

14.— 16.  Mai:  XIX.  Lake  -  Mohonk  -  Kon- 
ferenz. 

10. — 13.  Juni :  IX.  englischer  National- 
friedenskongreß in  Leeds. 

15. — 19.  Juni :  II.  Weltkongreß  der  inter- 
nationalen   Vereinigungen    zu    Brüssel. 

19.— 21.  August:  VIIL  Deutscher  Espe- 
rantokongreß   in    Stuttgart. 

18. — 23.  August:  XX.  Weltfriedenskongreß 
im    H  a  a  g. 

29.  August:  Einweihung  des  Friedens- 
palastes  im   Haag. 

29.  Aug.  bis  13.  Sept.:  VIII.  Weltkongreß 
der  Studenten  verbände  (Corda  Fratres)  in 
1 1  h  a  o  a ,  New  York. 

29. — 31.  August:  IX.  Internationaler  Espe- 
rantokongreß in  Bern. 

3. — 6.  September:  XVIII.  Interparlamenta- 
rische   Konferenz    im    Haag. 

22.  September:  XXVIII.  Konferenz  der  Int. 
Law    Association    in   Madrid. 


Interparlamentarische  Union.     ::   ::   ::   ::   ::   ::  ::   ::   :: 

Der  interparlamentarische  Rat  trat  Diens- 
tag, den  18.  März,  im  Palais  de  la  Nation  in 
Brüssel    zusammen. 

Anwesend  waren  die  Herren :  E  i  c  k  h  o  f  f 
und     Hauptmann     (Deutschland),     Freiherr 


E.  v.  P  leuer  und  Ritter  von  Roszkowski 
(Oesterreich),  Houzeau  de  Lehaie  und 
von  Sadeleer  (Belgien),  Moltesen  und 
Borgbjerg  (Dänemark),  d'Estournelles 
de  Consta  nt  und  de  la  Batut  (Frank- 
reich), Lord  Weardale  und  Agg  Gardner 
(Großbritannien),  Horst  und  Michelet 
(Norwegen),  T  y  d  e  m  a  n  und  van  der  Does 
de  Willebois  (Niederlande),  Graf  von 
Pen  ha  Garcia  (Portugal),  Efremoff 
(Rußland),  Wawrinsky  (Schweden).  Gobat 
(Schweiz),  BustanyEffendi  und  Nessimi 
B  e  y     (Türkei),     Lange,     Generalsekretär. 

Bei  Eröffnung  der  Sitzung  gedachte  Alters- 
präsident Houzeau  de  Lehaie  ehrend  des 
inehrjährigen  Präsidenten  der  Union.  Beer- 
n  a  e  r  t ,  der  ihr  unschätzbare  Dienste  ge- 
leistet hat. 

Auf  Vorschlag  des  Freiherrn  v.  P  1  e  n  e  r 
wurde  Lord  Weardale,  Präsident  der  eng- 
lischen Gruppe,  zum  Präsidenten  des  Rats  an 
Stelle  Beernaerts  unter  allgemeiner  Zustimmung 
gewählt,  Lord  Weardale  dankte  und  er- 
innerte dabei  an  die  Verdienste,  die  sein  Vor- 
gänger der  Union  geleistet  hat.  Er  versprach, 
den  größten  Teil  seiner  Zeit  dem  pazifistischen 
Werk,  dessen  Verwirklichung  die  Union  be- 
zweckt, zu  widmen. 

Dann  ging  der  Rat  zu  seiner  Tages- 
ordnung   über. 

Die  Konferenz  von  1913  wird  im  Haag 
zusammentreten.  Sie  wird  am  3.  September 
eröffnet  werden.  Die  Tagesordnung  der 
Konferenz   wurde   wie   folgt   festgesetzt : 

1.  Behandlung  der  Meerengen  und  neutraler 
Kanäle.  Berichterstatter  Graf  von  P  e  n  h  a 
Garcia    (Portugal). 

2.  Erklärung  einer  dauernden  Neutralität. 
Berichterstatter  Muncli,  ehemaliger 
Minister   (Dänemark). 

3..  Bechte  und  Pflichten  neutraler  Mächte. 
Berichterstatter  van  H  outen,  ehe- 
maliger   Minister    (Niederlande). 

1.  Kriegsanleihen.  Berichterstatter  Graf 
Goblet  d'Alviella,  belgischer  Se- 
nator. 

5.  Vereinheitlichung  des  internationalen 
Briefportos.  Berichterstatter  E  i  c  k  h  o  f  f , 
Präsident    der    deutschen    Gruppe. 

6.  Mitwirkung  der  Union  und  ihrer  Gruppen 
an  internationalen  Werken.  Bericht- 
erstatter Louis  Fraack,  belgischer 
Deputierter. 

Es  ist  anzunehmen,  daß  noch  eine  oder 
zwei  Spezial-Studienkommissionen  ihre  Berichte 
der    Konferenz    von    1913    unterbreiten    werden. 

Auf  Vorschlag  des  Exekutiv-Komitees,,  dem 
zurzeit  folgende  Mitglieder  angehören:  Lord 
Weardale,  Houzeau  de  Lehaie  und 
T  y  d  e  m  a  n ,  hat  der  Rat  einstimmig  folgende 
Resolution,  die  sich  auf  die  internationale  Lage 
bezieht,  angenommen: 

„Der  am  18.  März  1913  in  Brüssel  tagende 
Rat    der     interparlamentarischen    Union    stellt 


153 


DIE  FRIEDENS -^M^DTE 


■3 


fest,  daß  es  der  Uebereinstimmung  der  Groß- 
mächte gelungen  ist,  den  Balkankrieg 
örtlich  zu  begrenzen,  und  daß  dank 
dieser  Uebereinstimmung  mehrere  durch  den 
Krieg  entstandene  Probleme  durch  die  von  den 
Haager  Konferenzen  ins  Leben  gerufenen 
freundschaftlichen  und  juristischen  Mittel,  auf 
die  die  Union  nicht  müde  wurde  hinzuweisen, 
gelöst  werden. 

Der  Rat  nimmt  mit  der  gleichen  Genug- 
tuung die  Erklärungen  der  Marineminister  von 
Deutschland  und  England  betreffend  die 
Seerüstungen  zur  Kenntnis ;  er  sieht  in 
diesen  Erklärungen,  ohne  deren  Tragweite  zu 
überschätzen,  eine  Anerkennung  jener  Prin- 
zipien, für  die  die  Union  so  oft  eingetreten  ist, 
und  den  ersten  Schritt  auf  dem  Weg  der 
Rüstungsbeschränkung. 

Der  Rat  bedauert  dagegen  um  so  mehr,  daß, 
abgesehen  von  dieser  Ausnahme,  die  Mächte 
in  ihrem  verderblichen  Wettbewerb  beharren. 

Er  ist  davon  überzeugt,  daß  die  Rüstungs- 
beschränkungen, weit  davon  entfernt,  die 
Interessen  der  nationalen  Verteidigung,  deren 
Rechtmäßigkeit  von  der  Union  niemals  be- 
stritten wurde,  zu  schädigen,  diesen  im  Gegen- 
teil viel  nützlicher  sein  könnten,  als  dieses 
Ueberbieten ; 

daß  andererseits  die  Erhöhungen  der  mili- 
tärischen Lasten  unberechenbare  Eolgen  im 
sozialen  und  wirtschaftlichen  Leben  der 
Nationen  hervorrufen  werden. 

Der  Rat  hofft,  daß  die  Mächte  nicht  zu 
spät  von  den  wiederholten  Aufrufen  der  Union 
Kenntnis  nehmen  werden.  Er  ladet  die  natio- 
nalen Gruppen  ein,  den  bei  der  letzten  Kon- 
ferenz in  Genf  angenommenen  Resolutionen 
Eolge  zu  geben,  und  sich  energisch  zu  be- 
mühen, damit  diese  Resolutionen 
nicht   leere   Worte    bleiben. 

Er  ermächtigt  das  Interparlamentarische 
Bureau,  die  vorliegende  Resolution  den  Re- 
gierungen bekannt  zu  geben." 

Während  der  Sitzung  hat  Bustany 
E  f  f  e  n  d  i ,  Präsident  der  türkischen  Gruppe, 
die  Erage  aufgeworfen,  welchem  Schicksal  die 
türkische  Bevölkerung  der  Balkanhalbinsel  ent- 
gegengeht. Er  gab  der  Hoffnung  Ausdruck, 
daß  man  diesen  Völkerschaften  eine  sich  auf 
die  Prinzipien  der  Nationalitätenautonomie 
stützende  Regierung,  hauptsächlich  im  Hin- 
blick auf  die  Religion,  bewilligen  wird,  und 
bat  seine  Kollegen  im  Rat,  diese  Vorschläge 
bei    ihren    Regierungen    zu    unterstützen. 

Die  Idee  Bustany  Effendis  wurde  so- 
wohl vom  Präsidenten  des  Rats  als  auch  vom 
Ereiherrn  v.  P 1  e  n  e  r  unterstützt  und  von  dem 
ganzen  Rat  sympathisch   aufgenommen. 

Die  Interparlamentarische  Union  wird  am 
2.  Weltkongreß  der  internationalen  Verbände, 
der  im  Juni  in  Gent  zusammentreten  wird,  teil- 
nehmen. Sie  wird  durch  die  zwei  belgischen 
Mitglieder  des  Rats,  Houzeau  deLehaie 
und  Sadeleer  und  vom  Generalsekretär  ver- 
treten sein.    Es  werden  sich  auch  andere  Mit- 


glieder der  Union  dieser  Vertretung  anschließen 
können. 

Am  Schluß  dieser  Beratungen  nahm  .  der 
Rat,  auf  Vorschlag  des  Baron  d'Estour- 
nelles  de  Constant,  folgenden  An- 
trag an: 

„Der  Rat  der  Interparlamentarischen  Union 
legt  besonderen  Wert  darauf,  sich  den  zwischen 
Großbritannien  und  den  Vereinigten  Staaten  Von 
Amerika  veranstalteten  Kundgebungen  anzu- 
schließen, die  zur  Feier  des  Vertrages  von 
Gent  stattfinden  werden,  der  von  beiden  früher 
so  kriegerischen,  jetzt  aber  durch  eine  allu 
Prüfungen  seit  hundert  Jahren  überdauernde 
Freundschaft  verbundenen  Staaten,  treu  inne- 
gehalten wurde. 

Der  Rat  ist  der  Ansicht,  daß  dieses  große 
Beispiel  politischer  Klugheit  gar  nicht  oft 
genug  der  Betrachtung  und  Bewunderung  der 
zivilisierten  Welt  empfohlen  werden  kann." 


Endgültige  Tagesordnung  für 
den  W.  Weltfriedenskongreß. 

In  der  Sitzung  des  Rates  des  Seiner 
Friedensbureaus  vom  15.  März  wurde  für  den 
Ende  August  im  Haag  abzuhaltenden  XX.  Welt- 
friedenskongreß folgende  Tagesordnung  fest- 
gesetzt : 

1.  Bericht  des  Bureaus  über  die  Ereignisse 
des  Jahres,  sofern  sie  sich  auf  Krieg  und 
Frieden  beziehen.    Berichterstatter:  A.  Gobat. 

2.  Internationales  Recht. 

a.  Kodifikation  des  öffentlich-internatio- 
nalen Rechts.  Berichterstatter :  L  a 
Fontaine  und  Emil  Arnaud. 

b.  Sanktionen  auf  dem  Gebiete  des  inter- 
nationalen Rechts.  Berichterstatter : 
Van.Vollenhoven. 

3.  Die  Presse  im  Dienste  des  Pazifismus. 
Berichterstatter :  Lucien  Le  Foyer  und 
Alfred   H.   Fried. 

4.  Die  Handelseifersucht  und  die  internatio- 
nalen Beziehungen.  Berichterstatter :  Yves 
G  u  y  o  t  und  Norman  Angell. 

5.  Beschränkung  und  allmähliche  und  pro- 
portioneile Verminderung  der  Rüstungen.  Be- 
richterstatter :    Prof.     L.     Q  u  i  d  d  e. 

6.  Festsetzung  von  Sitz  und  Zeit  des 
XXI.    Kongresses. 

MB 

Die  Mülhauser  Versammlungen.    ::   ::   ::  ::   ::   ::   :: 

Zwei  Friedenskundgebungen  ganz  gewaltiger 
Art  haben  im  Laufe  des  März  in  der  elsässi- 
schen  Stadt  Mülhausen  stattgefunden.  Die 
eine  am  15.  März  stattgehabte,  der  1400  Per- 
sonen beiwohnten,  richtete  sich  vornehmlich 
gegen  den  Gedanken  eines  Revanchekriegs. 
Alle  Parteien  waren  bei  der  Veranstaltung  ver- 
treten und  einstimmig  wurde  folgende  Reso- 
lution gefaßt: 

„Die  Versammlung  richtet  an  das  aus 
dem  allgemeinen  Stimmrecht  hervorgegangene 
Parlament     von     Elsaß-Lothringen      das     Er- 


154 


<§s 


=  DIE  Fßl EDENS -VSAQTE 


suchen,  sich  mit  aller  Entschiedenheit  gegen 
■den  Gedanken  eines  Krieges  zwischen  Frank- 
reich und  Deutschland  zu  wenden  und  dem 
Wunsche  Ausdruck  zu  geben,  daß  alle  zwischen 
beiden  Völkern  schwebenden  Streitigkeiten  in 
der  Gegenwart  wie  in  der  Zukunft  auf  fried- 
lichem   Wege   gelöst    werden   mögen." 

Die  zweite  Versammlung  fand  am  30.  März 
statt.  Der  Fortschrittsverein  und  der  sozial- 
demokratische Kreisverein  waren  die  Ver- 
anstalter, während  das  Zentrum  dabei  nicht 
beteiligt  war.  In  der  großen  Markthalle  waren 
vier  Rednertribünen  aufgestellt,  auf  dem  die 
Fortschrittler  D  r  u  m  m  und  Pfarrer  S  c  h  e  e  r  , 
wie  die  Sozialisten  Emmel  und  Wicky  zu  über 
2000  Personen  sprachen.  Diese  zweite  Ver- 
sammlung galt  einem  Protest  gegen  die 
Rüstungsvorlage.  Die  zum  Schluß  einstimmig 
angenommene  Resolution  hatte  folgenden 
Wortlaut : 

„Die  heutige  Massenversammlung  von  Be- 
wohnern Mülhausens  und  der  Umgebung  er- 
hebt nachdrücklich  Einspruch  gegen  die  neuen 
Opfer  an  Gut  und  Blut,  die  durch  die  an- 
gekündigte deutsche  Militärvorlage  mit  ihrer 
Rückwirkung  auf  Frankreich  vom  Volke  ver- 
langt werden.  Die  Versammlung  sieht  in 
diesen  wachsenden  Rüstungen  die  schwerste 
Gefahr  für  den  Frieden,  dessen  Erhaltung  die 
beiden  Kulturnationen  diesseits  und  jenseits  der 
Vogescn  sich  zum  obersten  Ziele  setzen  müssen. 

Die  Versammelten  fordern  daher  die  Ver- 
treter Elsaß-Lothringens  im  Deutschen  Reichs- 
tag auf,  im  Interesse  beider  Völker  und  nicht 
zuletzt  im  Interesse  Elsaß-Lothringens,  das 
alle  Kriegs  treiberei  verdammt,  die  neuen 
Rüstungsforderungen  im  vollen  Umfang  glatt 
abzulehnen. 

Zugleich  richtet  die  Versammlung  an  Par- 
lament und  Regierung  des  Deutschen  Reiches 
das  Ersuchen,  mit  den  Mächten  der  Triple- 
Entente  in  Verhandlungen  einzutreten  behufs 
Einschränkung  der  Rüstungen.  Internationale 
Streitfragen  sind  durch  das  Mittel  der  Schieds- 
gerichte auszutragen." 


Der  zweite  Weltkongreß  der  internationalen  Verbände. 

Das  Zentralamt  der  Union  der  internatio- 
nalen Verbände  in  Brüssel  erläßt  die  Ein- 
ladung für  den  zweiten  Weltkongreß,  der  vom 
lo.  bis  19.  Juni  d.  J.  in  Brüssel  und  Gent 
stattfinden  wird.  Der  erste  Kongreß  dieser 
Art  hat  bekanntlich  im  Mai  1910  in  Brüssel 
.stattgefunden.  Damals  ließen  sich  bereits  132 
internationale  Verbände  vertreten.  Als  eines  der 
wichtigen  Ergebnisse  jenes  Kongresses  ist  die 
Schaffung  der  Union  der  internationalen  Ver- 
bände zu  betrachten,  die  es  sich  zur  Aufgabe 
stellt,  zwischen  den  ihr  angeschlossenen  Ver- 
bänden ständige  Verbindung  aufrecht  zu  er- 
lialten  und  so  zum  Zentrum  des  gesamten  Inter- 
nationalismus   zu   werden. 

Der  Kongreß  von  1913  wird  die  1910  be- 
gonnene   Arbeit    fortsetzen.     Das    reichhaltige 


Programm   ist   in   sechs    Sektionen  geteilt.      Sb 
umfaßt : 

Erste    Sektion :     Korporation.     Gemeinsam« 

Unternehmungen. 
Zweite    Sektion:    Reglementierung.     Gesetz- 
gebung. 
Dritte  Sektion :    Vereinheitlichung  der  Ein- 
heits-Systeme. 
Vierte  Sektion:    Organisation  der   Verbände 

und    der    Kongresse. 
Fünfte   Sektion:    Dokumentation  und  Ver- 
öffentlichungen.      Ausstellungen     und 
Unterricht. 
Sechste    Sektion:      Wissenschaftliche     und 

technische  Sprache. 
Die  Bedingungen  für  die  Teilnahme  au 
jenem  wichtigen  Kongreß,  wie  die  vorläufigen 
Drucksachen  sind  durch  das  Office  de  l'Union 
des  Associations  Internationale  in  Brüssel. 
3bis    Ruo   de    la   Regence   zu   beziehen. 

MB 
Professor  Emanuel  Ritter  v.  Ulimann  t-  '■'■   '■'■ 

Der  „Verband  für  internationale  Verständi- 
gung" hat  einen  schweren  Verlust  erlitten. 
Sein  erster  Vorsitzender,  der  bekannte  Völker- 
rechtsgelehrte Professor  Emanuel  Ritter 
v.  Ullmann  ist  am  4.  April  in  München 
verstorben. 

Alle  jene,  die  ihn  noch  im  vorigen  Ok- 
tober in  Heidelberg  als  Leiter  des  ersten  Vesr- 
bandstages  des  Verbandes  für  internationale 
Verständigung  am  Werk  gesehen  haben,  werden 
diese  Nachricht  mit  besonderem  Schmerz  ver- 
nommen haben.  Nicht  minder  jene  Zahlreichen, 
die  in  ihm  einen  Vertreter  des  modernen  Völker- 
rechts   in    Deutschland    verehrten. 

Sein  „Lehrbuch  des  Völkerrechts",  das  im 
Rahmen  des  von  Jellinek,  Laband  und  Pilotv 
herausgegebene  Sammelwerk  „Das  öffentlichst 
Recht  der  Gegenwart"  zuerst  1898,  dann  1908 
erschien,  ist  eines  der  Hauptquellenwerke  der 
neuen  Völkerrechtsliteratur.  Das  achte  Kapitel 
jenes  Monumentalwerkes,  das  über  „Die  inter- 
nationalen Streitigkeiten  und  deren  Erledigung. 
das  rechtliche  Verfahren,  usw."  handelt,  wird 
jeder  Pazifist  mit  Zustimmung  lind  Interesse 
lesen. 

Prof.  v.  Ulimann  wurde  1841  zu  Pe- 
trowitz  in  Böhmen  geboren;  er  blieb  auch  nach 
seiner  1899  erfolgten  Uebersiedelung  seinen: 
ganzen  Wesen  nach  Oesterreicher.  Und  auf 
dem  Hietzinger  Friedhof  bei  Wien  hat  er  seine 
letzte  Ruhestätte  gefunden.  Bevor  er  nach 
München  ging,  dozierte  er  an  den  Universitäten 
von  Prag  und  Innsbruck.  In  Heidelberg,  wo  wir 
ihn  zum  letztenmal  wirken  sahen,  verbrachte 
er  seine   Studentenjahre. 

(USB 

Der  21.  Mai  1913. ::  ::  ::   ::  ::   ::  ::   ::   ::   ::  ::   ::  ::   :: 

An  diesem  Tage  werden  vier  in  der  pazi- 
fistischen Bewegung  hervorragend  tätige  Männer 
ihr    Geburtstagsjubiläum    feiern    können. 

Dr.  Ch.  Albert  Gobat  in  Bern  uml 
Prof essor   Louis   Renault   in   Paris   werde» 


155 


DIE  FRIEDENS  -WARTE 


■3 


an  diesem  Tage  70,  Professor  Heinrich  Lam- 
masch in  Wien  60  und  Professor  Otfried 
X  i  p  p  o  1  d  in  Frankfurt  a.  M.  50  Jahre  alt. 
Die  Friedens-Warte  wird  in  ihrer  nächsten 
Nummer  der  Jubilarc  gedenken. 

MS 

Kurze  Machrichten.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 
A  n  n  a  B.  Eckstein,  die  unermüdliche  Agi- 
m  torin  ist  unter  den  Ueberanstrengungen,  die 
.sie  sich  zugemutet  hat,  schwer  erkrankt. 
Ein  Gelenkrheumatismus,  der  sich  infolge  einer 
Erkältung  einstellte,  zwingt  unsere  ausge- 
zeichnete (Mitarbeiterin,  das  Bett  zu  hüten  und 
für  einige  Zeit  der  Arbeit  zu  entsagen.  Die 
>Yünsche  für  eine  baldige  Besserung,  die  ihr 
von  allen  Seiten  zufliegen,  seien  ihr  auch  von 
der  „Friedens-Warte"  und  deren  Anhängern 
dargebracht. 

Von  schwerem  Unheil  ist  unser  hervor- 
ragender Mitkämpfer  Otto  Umfrid.  der  Vize- 
präsident der  Deutschen  Friedens-Gesellschaft, 
betroffen  worden.  Vor  einigen  Jahren  er- 
blindete er  auf  einem  Auge.  Seit  zwei  Jahren 
führt  er  einen  verzweifelten  Kampf  um  das 
ebenfalls  erkrankte  andere  Auge.  Nunmehr  ist 
ihm  die  traurige  Gewißheit  zuteil  geworden, 
daß  auch  dieses  verloren  ist.  Er  ist  ge- 
zwungen, sein  Amt  aufzugeben  und  sich  pensio- 
nieren zu  lassen.  Urufrid  erträgt  sein  Geschick 
mit  Größe.  „Mein  Schicksal  hoffe  ich  kraft 
meiner  Lebensanschauung  tragen  zu  können", 
schreibt  er  uns.  Seine  Arbeit  für  die  Friedens- 
sache wird  er  nicht  einstellen.  Noch  in  diesem 
Sommer  erscheint  ein  größeres  Werk  von  ihm, 
das  den  Titel  „Europa  den  Europäern"  trägt 
und  seine  pazifistischen  Anschauungen  syste- 
matisch zusammenfassend  zur  Darstellung 
bringen    wird. 

Es  wird  Pflicht  aller  Pazifisten  sein,  ihrem 
von  so  schwerem  Unglück  betroffenen  Mit- 
kämpfer, der  seit  zwanzig  Jahren  die  dornen- 
volle Arbeit  eines  Friedensagitators  in  Deutsch- 
land mit  bewundernswertem  Elan  und  Geschick 
leistet,  wenigstens  die  arg  bedrohte  materielle 
Seite  seines  Lebens  und  des  Lebens  seiner 
Familie    nach    Kräften    zu    erleichtern. 


LITERATUR  U  PRESSE 

Künftig  erscheinende  Schriften.     ::   ::   ::   ::        ::   ::   :: 

Im  Verlag  von  H.  Kirsch  in  Wien  er- 
scheint   demnächst : 

Der  Friede  Christi.  Christentum  und 
Friedensbewegung.  Von  Alexander  Giess- 
wein,  päpstlicher  Hausprälat  und  Dom- 
kapitular.  Preis  20  Heller.  Das  kleine  Schrift- 
chen trägt  am  Titelblatt  die  Worte  des 
Augustinus :  „Es  ist  ruhmreicher,  den  Krieg 
mit  den  Worten  zu  töten,  als  Menschen  mit 
dem  Schwerte."  In  der  Einleitung  sagt  der  Ver- 
fasser folgendes : 

„Seitdem  ich  mich  eingehender  mit  dem 
Wesen  und  Ziele  der  Friedensbewegung  befasse 
—    und    dies    ist    besonders    der    Fall,    seitdem 


ich  die  ehrende  Würde  des  Vorsitzenden  der 
ungarischen  Friedensgesellschaft  bekleide  — 
haben  mich  zwei  Dinge  unangenehm,  ja  fast 
schmerzlich  berührt.  Diese  Dinge  sind:  erstens, 
daß  manche  Pazifisten  oder  Friedensfreunde- 
die  Stellung  des  Christentums  im  allgemeinen 
und  das  Wirken  der  Kirche  für  die  Friedens- 
sache oft  ganz  falsch  beurteilen,  und  zweitens,, 
daß  das  christliche  Volk  und  dessen  geistige- 
Führer  der  Friedensbewegung,  die  doch  so  sehr 
im  christlichen  Gedanken  wurzelt,  ganz  ferne- 
stehen und  oft  mit  einer  geringschätzenden 
Gleichgültigkeit  entgegenkommen.  Dieser  Um- 
stand erweckte  in  mir  zuerst  den  Gedanken, 
die  hier  obwaltenden  Mißverständnisse  zu 
klären." 

Im  Verlag  von  Teichmann  &  Co.  er- 
scheint in  autorisierter  Uebersetzung :  Harald., 
S  v  e  n  s  k  e  ,  Antwort  auf  Sven  Hedins  War- 
nungsruf.  Die  Uebersetzung  besorgt  Dr.  F.. 
Joel    in    Leipzig. 


Eingegangene  Druckschriften.   :;   ::   :;   ::  ::   ::: 

(Besprechung  vorbehalten.) 

The  American  Journal  o  f  Inter- 
national Law.  A  Quarterly.  New  York.. 
1913.     Januar. 

Aus  dem  Inhalt :    Chandler  P.  Ander- 
son,  The  final   Outcome   of  the  fisheries   Ar-- 
bitration.     —    John    Holladay    Latane,. 
The  Panama  Canal  Act  and  the  british  Protest. 
—     Mil.     B.     Vesnitch,  Cardinal  Alberoni's 
Scheine    for   Keducing   the    turkish   Empire.    — 
The     final    settlement     of   the    North    Atlantic 
Coast     Fisheries    Controversy.     —     Elihu    Boot 
before   Latin   America.    —   The   Case   of  Bussia 
v.    Turkey     at     the    Hague     Court.    —    Effects 
of  war  upon  Treaties.   —  Peace  between   Italy 
and  Turkey.  —  The  Chinese  society  and  Journal 
of  int.   Law.   —  The  American  Institut   of  Int.. 
Law.    —    usw.    usw. 

Hierzu :  Supplement-Nummer.  Entluiltendl 
Dokumente,  u.  a.  die  Abkommen  der  IV.  Zentral- 
amerikanischen   Konferenz    vom    5.    Jan.    1912.. 

La  Vie  Internationale.  Brüssel  1913. 
Tome  III.  Fascicule  9.  Aus  dem  Inhaltt: 
C  h.  Ed.  Guillaume,  Les  Systemes  de  me— 
stires  et  POrganisation  internationale  des  Sy- 
steme metrique.  —  Les  rnigrations  Immunes.  — 
usw.    usw. 

—  Fascicule   10.     Denys   P.   Meyer,   La 
Concentration    des    Organismes    Internationaux: 
Publics. 

Bulletin  o  f  the  P  a  n  American 
Union.  Washington  1913.  Januar.  Entente  ■ 
cordial  on  South  America.  —  New  Years  Gree- 
ting  from  Andrew  Carnegie.  —  Fifth  Central 
American  Conference.  —  International  Congress 
of    Students.    —    usw.    usw. 

—  Februar.   Aus  dem  Inhalt:  The  pan-ameri- 
can    Society    of   the    United   States.    —    Hand- 
book   on    the    Panama   Canal.    —    Addresses    61 ' 
Secretary    of    State    Knox.    —   usw.    usw. 


Auf  dem   Wege 
zum   Weltfrieden.     Dritter   Jahresbericht   (1912' 
bis  1913)  der  Deutschen  Friedensgeseilschaft. 
Ortsgruppe   Königsberg  i.   Pr.    8  °.    26   S. 
Bonne,    Georg, 
Im  Kampf  um  die  Ideale.    Die  Geschichte  eines 
Suchenden.    Ein  Gegenwartsroman.    Gekürzte 


154 


@= 


DIE  FRIEDEN5-WAPXE 


"Volksausgabe.    4.-7.  Tausend.    8  °.  München 
1913.    Ernst   Reinhardt.    372   S.   gbd. 

Brücke,    Die, 
Erste     Jahresversammlung      28.     u.     29.     März 
1913.    4   S. 
Brücke,    Die, 
Mitgliederliste  1913.  O  3.  15.    8  °.    München  1913. 
Die    Brücke.     48    S. 
Ferienkurse  für   A  u  s  1 ,11  n  d  e  r. 
8  °.      Kaiserslautern     1913.       (Ludwig  Wagner, 
Kaiserslautern.)     21   S. 
Goldscheid,    Rudolf, 
Monismus    und   Politik.     Vortrag   gehalten   auf 
der     Magdeburger     Tagung     des    Deutschen 
Monistenbundes  im  Herbst  1912.  8  °.  München 
1913.    Ernst  Reinhardt.  30  S. 
Kammerer,   Paul, 
Sind  wir  Sklaven  der  Vergangenheit  oder  Werk-, 
meister  der  Zukunft?    Anpassung,  Vererbung, 
Rassenhygiene  in  dualistischer  und  monisti- 
scher Betrachtungsweise.    Vortrag  im  österr. 
Monistenbund    gehalten   am    29.    Nov.    1912. 
8°.    Wien-Leipzig  1913.    Mit  8  Abbildungen. 
Anzengruber   Verlag.    34   S.    50  h. 

L  o  e  1  e  ,    Kurt, 
Das    billige   Buch.     Ein   Ratgeber   für   Bücher- 
käufer.    8°.     Leipzig  1912.     Hermann  Zieger. 
52  S.    30  Pfg. 

Rudolph,  Hermann^ 
Die  vier  Wege  zur  Theosophie  und  die  Hinder- 
nisse auf  dem  Pfade  zur  Selbsterkenntnis. 
Zur  Verbrüderung  der  Religionen  und  Völker. 
Zwei  Vorträge.  8°.  Leipzig  1913.  Verlag  der 
Tlieosophischen    Kultur.     Gl    S.    kart. 

Trine,  Ralph  Waldo, 
Vom  köstlichsten  Gewinn.  Einzig  berechtigte 
Uebersetzung  aus  dem  Englischen  von  Dr. 
Max  C  h  r  i  s  1 1  i  e  b.  Obl.  8  ».  Stuttgart 
1913.  J.  Engelhorns  Nachf.  101  S..  Lwdbd. 
2    M.. 

Vecchio,  Dr.  Giorgio  del, 
lieber  einige  Grundgedanken  der  Politik 
Rousseaus.  8  °.  Berlin.  1912.  Dr.  Walther 
Rothschild.  Sonderabd ruck  aus  dem  Archiv 
für  Rechts-  und  Wirtschaftsphilosophie. 
Bd.   VI.    Heft  1.    IG  S. 

V  i  s  c  h  e  r ,    Dr.   Adolf, 

An  der  ^  serbischen  Front.  Erlebnisse  eines 
Arztes'  auf  dein "  serbisch-türkischen  Kriegs- 
scha upiatz  19.12.  8/?.  Basel.  153  S.  Lwdbd. 
.    A 1  v  a  r  e.  z  ,.  Alexander,   . .-; 

La.  Conference  des  .Juristen  de.  Rio.  de,  Janeiro 

et.:  la  .  Codificatiori,   du.  Droit    -International 

•  Americain.     Gr^.  8U.  .  Paris    19.13, ..A.    Pedone 

Extrait..  de .  ..la  . .,, Revue; ;  Generale .  .  de    Droit 

■  international-  public'!,  i  47   S. 

.Anhuaire     .  .     .  ■    ,    .    •    ,•        « 

du     Mouvement     paeif ist.c    ,pou.r    l'aunee     19i3 
publie    par    le    Bureau    international    de.  la 
Paix  ä  .Bern:   8°.  .355  g.    Bureau  de  da  Paix. 
Kostenlos.      ...'.   ..-.-..... 
•Bibliographie  .  "..".* 

tfimestrielle-  de  Droit  •  international  Legisla- 
tion compuroe,  Diplomatie,  Gqionisatiön,  ■  Po- 
litiquö  et  Droit  etrangers.  Compi-enant  töus 
les  Öuvrages  püblies  en  franc-ais'  avee  l'indi- 
cation  des  matieres  etudiecs  ainsi  que les 
Theses  et  articles  de  Revües;  1.  Annie  1913. 
No.  1.  8o.  Paris  1913.  IG  S.  Paris  XIII. 
28    Rue    C'orvisant.  ..  .••.::- 


P  r  u  d  h  o  m  m  e  a  u  x  ,  J-, 

France- •  et    Allemagne.     La   Course   a    l'Abime. 
quer-8  °       Nhnes     (1913).       Edition     de     la 
Revue  „La  Paix  par  le  Droit".    27  S.    20  Cts. 
Ruy  ssen,    M.    Th.,  . 

L'Alsace-Lorraine  et  la  Paix.  Conference  faite 
ä  l'Athenee  de  Bordeaux,  le  28  fevrier  1913. 
—  Les  facteurs  spirituels  du  Rapprochement 
International.  Conference  faite  a  Strasbourg 
le  1er  fevrier  1913.  8<>  o.  O.  1913.  43  S. 
Union    In t e rpar le m e ntai r e 

Commission  des   Detroits  et  des  Canaux  mari- 
times.   III.    Seance   de   8  et  9   Janvier    1913. 
Palais    du   Senat,    Paris.     8°.    27    S.     Brüssel 
(1913).     Verlag  der   Interp.    Union. 
Union    In t e rpar  lern e ntai r e 

Commission  des  Declarations  de  Neutralite  per- 
manente.     III.     Deuxi&me   seance,    Paris,   10 
et  11  Janvier  1913.   8°.   Brüssel  (1913).    34  S. 
Verlag  der   Interp.    Union. 
Andersen,    Hendrik   C, 

Creation  of  a  World  Centre  of  Communication. 
Fol.  Rome.   1913.  Beim  Verfasser:  Rom,  3  Pi- 
azza del   Popolo.     XV   S. 
Andersen,    Hendrik   C, 

„World  Conscience".  An  International  Society 
for  the  Creation  of  a  World-Centre.  To 
House  international  interests  andunite  Peoples 
and  Kations  for  the  Attainement  qf  Peace 
and  Progress  upon  broader  humanitarian 
Lines,  gr.  4°.  Rome.  (1913)  Communication 
office.  3  Piazza  del  Popolo.  17  S. 
Mont  hl  v    Bullet  in 

of  Books,  Pamphlets  and  Magazine-Articles 
Dealing  with  international  Relations.  Fc- 
bruary  1913.  8°.  New  York.  Association 
for  International  Conciliation.  Sub-Statdon  81 
(501  West  llGth  Street).  12  S.  Kostenlos. 
Barrett,    John, 

Panama    Canal.     What    it    is,    what    it    moans. 
8°.    Washington.  D.  C,    1913.    Pan  American 
Union.    120   S.   mit   zahlreichen  Abbildungen 
und  Karten.    Lwdbd.    1   Dollar. 
Butler,   Nicholas    Murray, 

Alexander  Hamilton.  Stenographic  Report  of 
an  address  delivered  at  the  Hamilton  Club 
of  Brooklyn,  N.  Y.  January  11,  1913.  8  o. 
New  York  1913;  -Reprinted  from  the  Educa- 
tional  Review  April  1913.  (Educatiohal 
Iteview  Publishing  Co.)  19  S, 
B rix  ton,   Noel,  ... 

The   Woünded..    8°.     London  (1913).    (National 
Peace  Council.-  General  -Sei-ies  No.  5.)    12  S. 

•   167  St.     Stephens-  House,  Westminster.'S.  W. 

•  Carnegie,    Andrew: 

The'  Baseless   Fear    of   War.    32°.     New   York. 
Reprinted  from  the;  Independent  of  February 
13,  1913,-  11  S.      ;. 
' ::  Hüll.  William.  J., 
The   New  Peace   Movement.'    8°.    Boston  1912. 
The  World  Peace  Foundation.    216  S.  Lwdbd. 
II  i  c  k  s  ;•  Frederik    C., 
Internationaiism."  'A    selected-  List .  of-  •'Bpdks, 
Pamphlets:  and  Periodieals.     8  °.     New   York. 
1913.   (International  Conciliation.  March  1913. 
'  vNo.  ■  64.)      American    Association    for    Inter- 
national     Conciliation.       New     York.       Sub- 
■  Station   81   (107   West   llGth;  Street).  .30   S. 
Kostenlos. 

•  Taft,   William5  Howard. 

The    Time    to    Test    on   Faith-'  in    Arbrtration. 


157 


DIE  FRIEDENS  -  WADTE 


3 


Arnos  S.  Hershey,  Should  the  Panama 
Canal  Tolls  Controversy  be  arbifcrated,  8°. 
New  York  (1913).  (International  Conciliation 
February  1913.  No.  63.)  American  Asso- 
ciation for  International  Conciliation.  New 
York.  Sub-Station  84  (407  West  116th  Street). 
22  S.  Kostenlos. 
Jordan,    David    Starr, 

Wbat  shall  we  say?  Being  Comments  on  current 
matters  of  War  and  Waste.    Gr.  8°.    Boston 
1913.    World  Peace  Foundation.    1913.    82  S. 
Kostenlos. 
Jordan,    David    Starr, 

Naval  Waste.    8<>.    Boston  1913.    World  Peace 
Foundation.    17  S.    Kostenlos. 
Krebiehl,    Edward  Benjamin, 

The  „Sixty-seven  Reasons"  of  the  Navy  League. 

An  Analysis  of  the  Arguments  set  forth  in 

behalf  of  Naval  Extension.   8  ?.   Boston  1913. 

World  Peace  Foundation.    18   S.    Kostenlos. 

White,   Andrew  D., 

The    first   Hague    Conference.     Reprinted  from 
Dr.  White's  Autobiography.   8  °.  Boston  1912. 
World  Peace  Foundation.    123  S.    Lwdbd. 
B  u  x  t  o  n ,  Noel 

The   Wounded.    —   M.    A.    Stobart,     Women 
and  War.    8  °.    Boston   1913.    (World  Peace 
Foundation.       Pamphlet     Series.      Vol.     III. 
No.    2.)    18    S.    Kostenlos. 
Year  Book 

of  the  American  School  Peace  League.    1911  bis 
1912.  8°.  (Boston  1913.)  Fannie  Fern  Andrews 
405   Marlborough  Street.    104   S.    Kostenlos. 
V  i  e  s  ,    A.   B.   von  der, 

Nederlandsche  Bibliographie  over  het  Vrede- 
vraagstuk.  8«.  (Haag)  1913.  Publicaties 
van  den  Algemeene  Nederlandschen  Bond 
„Vrede  door  Recht".)  31  S.  Einseitig  be- 
druckt. 


Fachpresse.    ::    ::    ::    ::   ::   ::   ::   ;:    ::   ::   ::   ::   ::   ::   ;: 

Völkerfriede  (Stuttgart).  April.  0.  U. , 
Kriegerischer  Geist.  —  Ewald  Stier,  In 
letzter  Stunde.  —  C.  Simon,  Die  neue 
Militärvorlage.  —  Die  französisch-deutsche 
Verständigung.   —  usw.   usw. 

Der  Friede  (Bern).  März.  G.  C,  Heute 
schließen  sich  in  allen  Ländern  sowohl  Ver- 
standesmenschen als  auch  Menschen  von 
Herz  der  Friedensbewegung  an.  —  K.  W. 
Schultheß,  Der  Balkankrieg  und  die 
schweizerischen  Industrien.  —  w.  Ko h  1 , 
1813 — 1913  „Deutschland  will  seine  Kultur  um 
100    Jahre    zurückschrauben".  .*—   usw.   usw. 

Die  Friedensbewegung  (Bern).  März. 
(Suppl.  Nr.  1.)  Eine  englisch-amerikanische 
Streitfrage.  —  Internationale  Beziehungen.  — 
usw.    usw. 

La  Paix  par  le  Droit  (Paris).  No.  4. 
Gabriel  Seailles,  Une  „Affirmation  de 
la  Conscience  moderne".  Le  vrai  pacifisme.  — 
Charles  Richet,  Pierre  Loti  et  la  Tur- 
quie  agonissante.  —  T  h.  Ruyssen,  Les 
facteurs   spirituels  de  la  Paix.  —  usw.  usw. 

—  No.  5.  J.  Prudhommeaux,  France  et 
Allemagne.  La  Course  ä  l'abime.  —  La  Con- 
ference de  Bordeaux.  L'Alsace-Lorraine  et 
la   Paix.    —   usw.   usw. 


—  No.  6.  Charles  Richet,  Les  Armements 
et  l'avenir  de  l'Europe.  —  La  Paix  euro- 
peenne  par  la  „Neutralisation"  de  l'Asace- 
Lorraine;  par  un  Volontaire  de  1870.  — 
J.  Prudhommeaux,  Oü  allons  nous  1  — 
usw.    usw. 

Les  Etats -Unis  d'Europe  (Bern).  8/9. 
L.  de  Montluc,  Le  Traite  franco-espagnol. 

—  E.    A. ,    La    Limitation   des    Armements. 

—  10:16.   —  usw.  usw. 

Bulletin  de  la  Ligue  des  Catholi- 
ques  f  rancai  s  pour  la  Paix  (Brignais). 
No.  22.  Premiere  Reunion  de  l'Union  pour 
Tetude  du  droit  des  gens  d'apres  les  prin- 
cipes  Chrötiens  —  Ad.  Tanquerrey, 
Synthese  de  la  doctrine  theologique  sur  le 
droit  de  guerre.  —  Stephan  Mariger, 
Oui  et  non?  — 

The  Arbitratpr  (London).  März.  British 
and   German   Armaments.    Balkan  Problems. 

—  Anglo-german  Relations 
Farmer  favour  Peace.  — 
Conference.    —   usw.   usw. 

—  April.     The   Resurgence 
Mr.   Asquith  Assurances. 


—  Why  Canadian 
The   third   Hague 

of    Militarism.    — 
—  Paints  of  Lord 


Roberts  Speech  at  Wolverhampton.  —  usw. 
usw. 

Concord  '(London).  März.  FelixMoschc- 
1  e  s ,  The  London  Conference.  Farce  or 
Tragedy?  —  Hubert  Ord,  An  Inter- 
national League  for  the  Reduction  of  ar- 
mement.  —  Compulsory  Service  in  Australia 
and  New  Zealand.  — 

Monthly  Circular  of  the  National  Peace 
Council    (London).     März. 

Advocate  of  Peace  (Washington).  März. 
The  Mexican  Situation.  —  The  fourtb  Ameri- 
can Peace  Congress  (1. — 4.  May).  —  David 
Starr  Jordan,  The  Navy  and  Staa.tes- 
manship.  —  Edwin  D.  Mead,  The  United 
States   as  a  World  Power.   — 

The  Cosmopolitan  Student  (Madison, 
Wis.).  Februar.  G.  F.  Lynde,  Influencc 
of  Cosmopolitanism  on  the  Native.  — 
Adolph  von  Hemert  E n g e r t ,  Con- 
stantinopel  During  the  War.  —  Friedrich 
Denken,  The  modern  German  Student.  — 
G.  W.  N  a  s  m  y  t  h ,  The  Student  Movement 
abroad.    — 

WjestnikMira  (Friedens-Bote).  (St.  Peters- 
burg.) März.  Semenoff,  Bemerkungen 
eines  Pazifisten.  —  David  Starr  Jordan, 
Der  Preis  des  Blutes.  —  Wadim.  Teles- 
n  i  m ,  Friedensidee  u.  Aviatik.  —  Maxim 
K  owalewski,  Der  Feldzug  unserer  höch- 
sten Kammer  gegen  den  Pazifismus.  — 
Austro-russische  Korrespondenz  (historische 
Dokumente).   —  (In  russischer  Sprache.)  — 

II  Popolo  Pacifista  (Bonefro).  Februar. 
Giuseppe  Barone,  Un  oratore  pacifista 
neH'antica   Grecia.    —   usw.   usw. 

„  V  r  e  d  e  d  o  o  r  R  e  c  h  t"  ('s-Gravenhage).  März. 
Bertha  von  Suttner  in  dem  Haag.  —  H.  von 
der  Mandere,  De  Arbitrage  mzake  Timor. 

—  H.  vander  Mandere,  „Das  Werk  vom 
Haag".  —  Chr.  N. ,  De  jacht  naar  den  af- 
grond.  —  Van  der  Vies,  Comte  Angelo 
de  Gubernatis.   —  usw.   usw. 

Fredsfanan  (Stockholm).  März.  Victor 
V  i  1 1  n  e  r ,  Apropä  Fredsmonument  pä  kölen. 

—  Fred  och  Neutralitet.  Ur  statsminister 
Staaffs  stora.  —  Henning  Melander,  An 


158 


@= 


DIE  FRIEDENS -,\*\ETE 


Experirnental  Kulturfcrupp.  — ■  Fredrik  Rajers 
Omvändelse  fran  Militarist  tili  fredsväu.  — 
usw.  usw. 
Fredsbladet  (Kopenhagen).  März.  Niels 
Petersen,  Freds vennerne  og  Faestnings- 
agitatorerne.  —  N.  P. ,  Tyskland  og  Frank- 
rig.    —   usw.   usw. 

Artikel-Rundschau.    ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  .:  ::  ::  :: 

Das  Emporschnellen  der  Rüstungen  hat 
natürlich  in  der  Presse  eine  eingehende  Er- 
örterung hervorgerufen.  Wiederholt  hat  die 
„Frankfurter  Zeitung"  dazu  Stellung 
genommen.  In  ihrem  Leitartikel  vom  13.  März 
wird  auf  diesen  „Rüstungswahnsinn"  hinge- 
wiesen, „bei  dem  jedes  Gefühl  für  Maß  und 
Ziel  verloren  geht".  In  der  Nummer 
vom  18.  März,  spricht  George  Bernard 
Shaw  in  der  ihm  eigenen  sarkastischen  Art 
über  „Die  auswärtige  Politik  Englands  und  die 
Rüstungsfrage",  wobei  er  vorschlägt,  daß  Eng- 
land mit  Deutschland  und  Frankreich  einen 
Dreibund  schließen,  derart,  daß  es  sich  auf  die 
Seite  Deutschlands  stelle,  wenn  dieses  von 
Frankreich,  auf  die  Seite  Frankreichs,  wenn 
dieses  von  Deutschland  angegriffen  werden 
sollte.  Den  Krieg  nennt  Shaw  darin  einen 
„grenzenlosen  Unfug".  In  der  Nummer 
vom  23.  März  ist  ein  Artikel  des  Pariser  Pro- 
fessors Charles  Seignobos  enthalten,  der 
„Ein  kostspieliges  Gespenst"  (Le  fantome 
coüteux)  betitelt  ist.  Er  vergleicht  die  Opfer, 
die  die  heutige  Menschheit  dem  Kriegsgespenst 
darbringt,  mit  den  Opfern,  die  im  Mittelalter 
das  Höllengespenst  —  die  Furcht  vor  der 
Hölle  —  erforderte.  Jahrhunderte  hindurch 
liaben  die  Menschen  den  Kirchen  und  Klöstern 
Vermögen  dargebracht,  nur  damit  sie  von  der 
Hölle  verschont  blieben.  „Wenn  man  die  Aus- 
gaben vergleicht,  so  bezahlen  wir  viel  mehr 
für  das  Kriegsgespenst  als  unsere  Vorfahren 
für  das  Höllengespenst."  In  derselben  Nummer 
ein  Artikel  Friedrich  Payers  über 
„Rüstungen",  der  sich  eingehend  mit  der 
Wehrvorlage  befaßt  und  an  ihr  Kritik  übt.  Im 
Leitartikel  vom  4.  April  finden  wir  eine  ein- 
gehende, uns  Pazifisten  nicht  unbekannte  Dar- 
Stellung  des  Kampfes  gegen  die  Rüstungen 
seit  dem  Zarenmanifest  A-on  1899,  die  in  der 
Forderung  gipfelt,  daß  die  Vereinig- 
ten Staaten  die  Initiative  zu 
einer  Rüstungskonferenz  ergreifen 
mögen. 

Das  „Berliner  Tageblatt"  hat  in 
mehreren  Artikeln  an  der  Rüstungs vorläge 
Kritik  geübt.  In  einem  „Steigende  Mi- 
litärlasten —  sinkendeKinderzahl" 
betitelten  Artikel  vom  1.  April  wird  der 
Zusammenhang  der  Geburtenabnahme  mit 
den  großen  Rüstungslasten  nachgewiesen. 
Dr.  Heinz.  Potthoff  spricht  in  der  Nummer 
vom  3.  April  von  „Deutschlands  Mobilmachung". 
Es  heißt  dort  ganz  richtig:  „Was  uns  jetzt 
zugemutet  wird,  ist  keine  Friedensmaßregel 
mehr,  sondern  einfach  eine  Mobil- 
machung!" In  einem  „Wo  bleiben  die  Milli- 
arden"?" betitelten  Artikel  vom  3.  April  wird 
der  Nachweis  erbracht,  daß  das  für  die 
Rüstungen  ausgegebene  Geld  keineswegs  immer 
im  Lande  bleibt,  wie  die  Rüstungsanhanger  be- 
haupten.   Um  die  Arbeitskräfte  zu  ersetzen,  die 


durch  die  Hecresverniehrung  dem  Lande  ent- 
zogen werden*  wird  man  künftig  200  000  aus- 
ländische Arbeiter  mehr  als  bisher  heranziehen 
müssen,  die  allein  jährlich  40  Millionen  aus 
dem  Lande  tragen  werden.  —  In  der  Nummer 
vom  5.  April  stellt  Major  a.D.  E.  Moraht 
ein  anschauliches  „Programm  der  Erspar- 
nisse"  dar. 

Friedrich  Naumann  gibt  in  der 
„Hilfe"  vom  3.  April  einen  bemerkenswerten 
Hinweis  über  „Die  volkswirtschaftlichen  Folgen 
der  Milliarde",  wobei  er  die  volkswirtschaft- 
lichen Wirkungen  dieser  großen  Arbeits-  und 
Lieferungsvergebungen  ins  Auge  faßt.  „Es  ge- 
nügt nicht,  über  die  Aufbringungsmethode  zu 
streiten,  da  die  Verwendungsmethode  volkswirt- 
schaftlich mindestens  so  wichtig  ist."  In  den 
Nummern  der  „Hilfe"  vom  13.  und  20.  März 
behandelt  Reichstagsabgeordneter  Georg  Go- 
thein  „Die  Wehrvorlage  und  ihre  Deckung". 
In  „Der  Fortschritt"  (Hannover)  25.  März 
äußert  sich  Prof.  L.  v.  B  a  r -Göttingen  „Zur 
großen  Wehrvorlage".  G  o  t  h  e  i  n  sieht,  daß 
sich  „das  Volk  in  Waffen"  in  Wirklichkeit  „zu 
einem  Staat  im  Staat  ausgewachsen"  habe, 
L.  v.  Bar  weist  auf  die  imponderablen  Wir- 
kungen der  Rüstungen  hin,  auf  den  gegen- 
seitigen, schwer  zu  tilgenden  Haß,  den  sie  her- 
vorrufen, auf  die  Meinung,  die  sie  erzeugen, 
daß  der  Krieg  als  die  höchste  menschliche 
Leistung  zu  betraöhten  sei,  auf  die  notwendige 
Bildung  von  Kriegsparteien,  die  sie  im  Gefolge 
haben. 

(Bibliographie.)  I.  Friedens- 
bewegung im  allgemeinen:  Elsbeth 
Friedrichs,  „Die  große  Armee".  „Ethische 
Rundschau"  März.  *  Ellen  Key,  Le  Pro- 
bleme de  la  Paix.  „Les  Documents  du  Progres." 
III.  *  Ueber  Krieg  und  Volkstum.  „Der  Reichs- 
bote." 19.  III.  *  W  i  1  h.  H  e  i  1  e ,  Das  Friedens- 
manifest der  Sozialdemokratie.  „Die  Hilfe." 
6.  III.  *  Richard  C  harmatz,  Der  Sieger 
von  Leipzig.  „Frankf.  Ztg."  28.  III.  *  Alf  red 
H.  Fried,  Kurze  Aufklärung  über  Wesen  und 
Ziel  des  Pazifismus.  „Der  Herold"  (Berlin). 
6.   IV. 

II.  Die  internationale  Politik: 
Dr.  W.  A.  B ehren dsohn,  Studienfahrten 
deutscher  Studenten  ins  Ausland.  „Akademische 
Rundschau"  (Leipzig).  III.  *  Das  europäische 
Problem  in  französischer  Beleuchtung.  I.,  IL 
u,  III.  „Köln.  Ztg."  3.,  4.  5.  u.  6.  IV.  *  Sir 
Charles  Bruce,  Eine  Brücke  zwischen  der 
Tripelentente  und  dem  Dreibund.  „Deutsche 
Revue."  IV.  *  Dr.  Robert  P  et  seh,  Engl. 
Kultur  im  Spiegel  des  In-  und  Auslandes. 
„Frankf.  Ztg."  30.  III.  *  Ludwig  Thoma, 
Von  Giftmischern.  „März."  .29.  III.  *  W.  H. 
de  Beaufort,  Die  Großmächte  und  der 
Friede.  „Deutsche  Revue/'  III.  *  Ludwig 
Q  u  e  s  s  e  1 ,  Verständigung  und  Imperialismus. 
„Sozialist.  Monatshefte."  27.  HL  *  Alfred 
H.  Fried,  Le  probleme  autrichien.  „Les  Do- 
cuments  du    Progres.".    III. 

IV.  Internationales:  Leopold 
Katsclier,  Neue  Weltvereinigungen.  ^Ethi- 
sche Kultur."  1.  III.  *  Friedrich  Depken, 
Internationalismus  und  deutscher  Studenten- 
verein.     „Das    Neue    Leben"    (Köln),     15.    IL 

V.  Wirtschaftliches:  Die  Stellung 
Deutschlands  und  seine  Verbündeten  im  europä- 


159 


DIE  FRIEDENS  -VAQTE 


=§> 


ischen  Rüstungswettkähipf.  „Köln.  Ztg."  16.  III. 
♦  Was  ein  europäischer  Krieg1  kosten 
würde.  „Frank.  Kurier."  31.  III.  *  Geh. -Rat 
Dr.  Schwarz ,  30  Jahre  Rüstungslasten  der 
europ.  Großmächte.  ,*Der  Tag."  12.  III.  * 
L.  Raschdau,  Wer  trägt  die  Schuld  an  den 
wüsten  Rüstungen?  „Der  Tag."  9.  III.  *  Prof. 
Dr.  A.  F  ick-  Zürich,  Nonnann  Angell:  „Die 
falsche  Rechnung".  23.  III.  *  G.  Ledebour, 
Ein  fadenscheiniger  Rüsfrungsvorwand.  „Die 
Neue  Zeit."  28.  III.  *  Leon  Hardt,  Der 
Weg  zur  finanziellen  Kriegsbereitschaft. 
„Wissenschaftliche  Beilage  der  Braunschweiger 
Neuesten  Nachrichten."  6.  IV.  *  Fried  r  i  c  h 
Depken,  Was  bringt  ein  Krieg  ein ?  „Bremer 
Nachrichten."   4.   III. 


S MITTEILUNGEN  DEBS 
FRIEDENS6ESEUSCHAFTEN 

(Verantwortlich    für   den   Inhalt   dieser   Rubrik   ist   nicht    die 
Schriftleitung,   sondern  die  betreffende  Friederisgesellsehaft.) 


Oesterrekhische  Friedensgesellschaft. 

Bureau :  Wien  I,    Spiegelgasse  4. 

,  XXI.  Hauptversammlung.. 

Am  28.  März  d.  J.  fand  im  Saale  des 
Wissenschaftlichen  Klubs  unsere  XXI.  Haupt- 
versammlung statt.  Baronin  Suttner,  die 
den  Vorsitz  führte,  begrüßte  die  erschienenen 
Mitglieder  und  erstattete  hierauf  den  Jahres- 
bericht. Sie  besprach  unsere  Tätigkeit  im  ver- 
flossenen Jahre  und  gedachte  der  wichtigsten 
Ereignisse  auf  dem  Gebiete  der  internationalen 
Friedensbewegung.; 

Revisor  Rudolf  v.  Harrer  verlas  nun  den 
Revisionsbericht,  aus  dem  hervorging,  daß  unser 
Verein  einen  Saldo  von  4743,74  Kr.  für  das 
Jahr  1913  aufzuweisen  hat. 

Darauf  wurde  zu  den  Wahlen  für  den 
Vorstand  geschritten,  die  folgendes  Resultat 
ergaben:  Johannes  C.  Barolin,  Schriftsteller, 
Alexander  Dorn  R.  v.  Marwalt,  Gemeinderat, 
k.  k.  Kommerz. -Rat,  Hans  Dupal,  k.  k.  Ko.m- 
merzialrat,  Dr.  Rudolf  Fassel,  Hof-  und  ■  Ge- 
richtsadvokat, Balduin  Groller,  Schriftsteller, 
Di*.  Ludwig  Karell,  kais.  Rat,  Schriftsteller, 
Leopold  Ratscher,  Schriftsteller,  Benedikt 
Kosian,  Cafetier,  Prof.  Dr.  Josef  Longo,  Leiter 
des  :  Landeserziehungsheimes  in  Mödling  bei 
Wien,  Ludwig  Mayer  v.  Tenneburg,  Ar- 
tur  Müller,  Schriftsteller,  Gräfin  Hedwig 
Pötting,  Stiftsdame,  Heinrich  Prechtler,  k-  u. 
k.  Hof  Schauspieler,  Dr.  Oswald  Richter,  Uni- 
versitätsprofessor, Dr.  Fritz  Ruziczka,  k.  k. 
Bezirksrichter,  Karl  Schleck,  k.  k.  Ober- 
rechnungsrat, Emil  Stoerk,  Beamter  der  Donau- 
Dampfschiffahrts-Gesellschaft,  Baronin  Berta  v. 
Suttner,  Dr.  Heinrich  Graf  Taaffe,  Herrschafts- 
besitzer, Dr.  Alfons  Witz-Oberlm,  k.  k.  Ober- 
kirchenrat. Zu  Revisoren  wurden  gewählt:  Al- 
fred Petterseh,  Oberbeamter  der  Koemanosea- 
A.-G.,  Dr.  Hugo  Novak,  k.  k.~'Notariatskandidat. 
Vorstandsmitglied  Kommerzialrat  Hans 
Dupal  sprach  der  Präsidentin  für  ihre  auf- 
opferungsvolle und  unermüdliche  Tätigkeit  den 


Dank   aus,    dem    die    Versammelten   durch    Er- 
heben  von  den   Sitzen   freudig   zustimmten. 

Nach  Schluß  der  Hauptversammlung  er- 
stattete das  neugewählte  Vorstandsmitglied, 
Oberrechnungsrat  Karl  Schleck  ein  Referat 
über  die  Organisation  der  Friedensgesellschaften 
und  daran  knüpfte  sich  eine  Diskussion,  die 
Vorstandsmitglied    A  r  t  h  u  r    M  aller    leitete. 

(HR 

Vortrags  z  y  k  1  u  s. 
Den  Vortragszyklen  von  1911  und  1912 
reiht  sich  der  Zyklus  von  heuer  in  würdiger 
Weise  an.  Es  fanden  bereits  fünf  Vorträge  im 
Hörsaale  50  der  Wiener  Universität  statt,  die 
überaus  gut  besucht  waren  und  den  Vor- 
tragenden reichen  Beifall  eintrugen.  Am  ersten 
Abend  sprach  der  altkatholische  Pfarrer  A  d  a  1  - 
b  e  r  t  Schindelar  über  „Die  sittlich-reli- 
giöse Berechtigung  der  Friedensbewegung",  am 
19.  3.  Vorstandsmitglied  A.  31  ü  1 1  e  r  über  „Die 
pazifistischen  Tendenzen  am  Ausgange  des 
Mittelalters''  mit  besonderer  Berücksichtigung 
seines  Stückes  „Paracelsus  und  der  Träumer". 
Am  2.  4.  hielt  der  Referent  der  Carnegie- 
Stiftung  Dr.  PauLStiassny  einen  technisch- 
finanz  wissenschaftlichen  Vortrag  „Der  öster- 
reichische Staatsbankrott  von  1812",  am 
9.  4.  sprach  unser  Vorstandsmitglied  Univ.-Prof. 
Dr.  0.  Richter  über  „Ein  Spaziergang  durch 
die  Kruppschen  Werke"  und  am  16.  4.  Alfred 
11.  Fried  über  Norman  Angells  Buch  „Die 
große  Täuschung".  Der  letzte  Vortrag  findet 
am  23.  d.  M.  statt  und  wird  unsere  Präsidentin 
über    „Pazifismus    in    Amerika"    sprechen. 

RS»? 

Vortragsabend  Roberto  Bracco. 
Den  Bemühungen  unseres  Mitgliedes  Hein- 
rich Gl  ücks  mann  ist  es  gelungen,  den  be- 
kannten italienischen  Dramatiker  zu  gewinnen, 
einen  Vortragsabend  zugunsten  unserer  Gesell- 
schaft zu  veranstalten.  Wir  werden  in  der 
nächsten  Nummer  über  den  Verlauf  des  Abends 
berichten.    .  ■  "; 

Rga 

'  Vortrag  Prof  es  s  o  r  Batek. 
Unser  tätkräftiges  Mitglied  Professor 
Di*.  A.  Batek  in  Prag  hielt  im  verflossenen 
Monat  \vieder  einige  seiner  vortrefflichen  Vor- 
träge für  die  Verbreitung  unserer  Bewegung 
und  veröffentlichte  in  einigen  böhmischen 
Zeitungen   eine   Reihe   von  Friedensartikeln. 

II  a  u  p  t.  v  e  r  s  a  m  m  1 u  n  g  de  r  O  r  tsgruppe 
Li  nz. 
Die  Linzer  Ortsgruppe  hielt  am  29.  März 
ihre  Hauptversammlung  im  Kaufmännischen 
Vereinshaüse  ab.  Obmann.  Fabrikant  Carl 
F  ran ck  führte  den  Vorsitz  und  begrüßte  die 
erschienenen  Mitglieder,  Schriftführer  Konsul 
Clemens:  ,K  an  t  seh  erstattete  den  Rechen- 
schaftsbericht, Kassierer  Direktor  K  all i na 
den  Kassenbericht,  Schuldirektor  Bro'sch 
den  Revisionsbericht.  Nachdem  noch  zahlreiche 
Anfragen,  und  Anregungen  seitens  der  erschie- 
nenen. Mitglieder  vorgebracht  und  auch  zum 
Teil  erledigt  wurden,  schloß  .  der  Obmann  die 
Versammlung. 


Verantwortlicher  Redakteur:  Carl  Appold,  Berlin  W.  60. 
Druck:  Paaa  *  GarUb  G.m.b.H.,  Berlin  W  .57. 


Im  Selbstverlag  des  Herausgebers  Alfred  H.  Fried,  Wien  IX/2. 
Verantwortl.  Redakteur  für  Oesteirelch-Üngarn  :  Vihz  ena  Jerabek  in  Wien 


160 


Mai   1913. 


Die  Ueberwindung  des  Balkankonflikts. 


Nicht  als  ob  wir,  mit  der  Menge  gehend, 
über  den  ,, Frieden"  jubeln  wollten,  der  uns 
erhalten  blieb.  Dieser  Zustand  isi  von  jenem, 
den  w  i  r  „Frieden"  nennen,  noch  weit  ent- 
fernt. Aber  daß  allen  Schwarzsehern  zum 
Trotz,  allen  Kraftmeiern  der  Politik  zum 
Mißvergnügen  der  Krieg  vermieden  wurde, 
der  uns  als  unausweichlich  geschildert 
wurde,  berechtigt  uns,  zu  triumphieren.  Wir 
haben  wieder  einmal  bewiesen,  daß  unsere 
Weltanschauung  richtig  orientiert  ist,  daß 
wir  die  Zusammenhänge  erkennen  und  zu 
berechnen  verstehen.  Und  wir  können  nun- 
mehr mit  um  so  größerem  Nachdruck  for- 
dern, daß  man  unserer  Lehre  Beachtung 
schenkt. 

In  den  Novembertagen,  als  das  Gemetzel 
am  Balkan  eben  hegann,  stand  an  dieser 
Stelle  zu  lesen: 

„Große  Gegensätze  stehen  sich  jetzt 
gegenüber.  Gegensätze,  die  man  seit  Jahr- 
zehnten als  zur  friedlichen  Ueberbrückung 
ungeeignet  bezeichnet  hat.  Nun  wird  es 
sich  zeigen,  ob  Europa  wirklich  noch  im- 
stande ist,  Krieg  zu  führen,  oder  ob  es 
die  Kriegsidee  nur  infolge  einer  gewissen 
Besessenheit  pflegt.  Jetzt,  wo  die  Regie- 
rungen den  Tatsachen  näherstehen,  werden 
sie  darüber  nachdenken  müssen,  ob  die  Inter- 
essen, (die  sie  am  Balkan  zu  besitzen  ver- 
meinen, wirklich  so  groß  sind,  daß  man  um 
ihretwegen  das  Schwert  ziehen  kann,  und 
ob  das  Risiko  nicht  am  Ende  doch  außer 
Verhältnis  zu  den  erträumten  Erfolgen 
steht.  Solange  den  Regierungen  die  Be- 
sonnenheit bewahrt  bleibt,  unterliegt  es  für 
mich  keinem  Zweifel,  daß  man  einen  mageren 
Vergleich  dem  riskanten  Kriegsverfahren 
vorziehen  wird.  Und  das  wird  ein  ungeheuer 
wichtiges  Ereignis  sein.  Wenn  Europa,  ge- 
zwungen sein  wird,  die  gefährlichste  Frage, 
die  es  auf  diesem  Erdteil  gibt,  friedlich  zu 
lösen  —  wenn  auch  unter  Krisen  und 
Aengsten  — ,  dann  wird  es  damit  aufs  neue 


bewiesen  haben,  daß  ein  Krieg  auf  diesem 
Erdteil  überhaupt  nicht  mehr  nötig  ist,  denn 
es  gibt  keine  schwerere,  konfliktreichere 
Frage  als  die  des  nahen  Ostens.  Vielleicht 
werden  sich  dann  aus  der  Erkenntnis  der 
zwingenden  Tatsachen  Schlüsse  ziehen  lassen, 
die  diesem  schwergeprüften  Erdteil  zum 
Heile  gereichen  können. 

Die  Pazifisten  der  gesamten  Welt  wer- 
den daher  die  Entwicklung  der  politischen 
Dinge  in  der  nächsten  Zeit  mit  großer  Span- 
nung verfolgen.  Wir  stehen  vor  einer 
großen  Entscheidungsstunde.  Es  wird  sich 
zeigen,  ob  jene  zwingenden  Tatsachen,  die 
den  Pazifismus  gezeitigt  haben,  schon  so 
stark  sind,  Europa  vor  dem  Zusammenbruch 
zu  retten,  oder  ob  die  Kräfte  der  Dumm- 
heit  und  der  Vernichtung  zum  Untergange 
der  alten  Welt  zutreiben:  ob  gemeinsam  mit 
dem  Padischah  am  Bosporus  auch  die  Herr- 
schaft Europas  in  der  Welt  ihr  Ende  finden 
soll.  Wir  sind  hoffnungsfroh  genug,  an 
einen   Sieg  der  Kulturkräfte   zu   glauben." 

Wir  sind  in  unserer  Hoffnung  nicht 
getäuscht  worden. 

Nun  gilt  es,  diesen  Sieg  der  Kultur- 
kräfte auszunützen,  die  Erkenntnis,  daß  die 
zwingenden  Tatsachen  sich  heute  schon 
stärker  erweisen,  als  die  so  unerschütterlich 
scheinenden  Kräfte  der  Dummheit  und  der 
Vernichtung,  gilt  es  zu  verwerten.  Die 
Balkanliquidation  ist  ohne  europäischen 
Krieg  vorübergegangen.  Welche  Krisis  auf 
diesem  Erdteil  kann  man  sich  noch  vor- 
stellen, die  danach  nur  durch  Blut  gelöst 
werden  könnte.  Die  pazifistisch  beeinflußten 
und  pazifistisch  wirkenden  Kräfte,  die  in 
dieser  Krisis  den  europäischen  Zusammen- 
prall vermieden  haben,  leisteten  mehr  als 
die  gerade  gegebene  Arbeit.  Sie  schafften 
Zukunftswerte  von  höchster  Bedeutung.  Der 
vermiedene  Krieg  von  1913  hat  für  alle 
künftigen  europäischen  Konflikte  das  Kriegs- 
ventil verrammelt. 


161 


DIE  FßlE  DENS -^ößTE 


3 


Freilich,  die  Apostel  des  Ewigen  Krieges, 
die  nicht  die  Zusammenhänge  erkennen, 
klammern  sich  an  Einzelheiten,  an  Zufällig- 
keiten, denen  es  zu  danken  wäre,  daß  in 
Europa  kein  Schuß  gefallen  sei.  Sie  ver- 
gessen ganz,  mit  welcher  Zähigkeit  sie  fin- 
den Krieg  eintraten.  Es  waren  starke 
Gruppen  am  Werke,  die  den  Zusammenprall 
wollten,  die  den  Krieg  um  des  Krieges  willen 
herbeizuführen  suchten.  Die  österreichische 
Kriegspartei  hatte  ja  ihren  „kleinen  Krieg'1 
schon  in  der  Tasche.  Seit  Monaten  standen 
die  Truppen  kriegsbereit  an  der  Grenze. 
Sie  waren  zu  weiteren  Operationen  schon 
eingeschifft  worden.  Der  Belagerungszu- 
stand war  bereits  über  einige  slawische 
Länder  der  Monarchie  verhängt,  für  einige 
andere  schon  angekündigt.  Der  Waren trans- 
port  auf  gewissen  Bahnen  war  eingestellt, 
um  die  Strecken  für  den  strategischen  Auf- 
marsch freizuhalten.  Der  Ruf  „Los  von  Eu- 
ropa", das  die  kriegerische  Entfaltung  zu 
hemmen  drohte»  wurde  jubelnd  ausgestoßen, 
nicht  ahnend  wie  sehr  damit  der  Rückfall 
in  -das  Asiaten  tum  gekennzeichnet  wurde. 
Die  „Politik  der  Freien  Hand"  hatte  man 
sieh  erobert,  um  ja  nicht  geniert  zu  werden 
bei  der  Inszenierung  des  Weltenbrandes. 
Der  Vorwand,  man  könne  nicht  mehr  länger 
warten,  da  man  sonst  die  militärische  Si- 
tuation verschlechtern  würde,  jener  beliebte 
Vorwand  der  Kriegsparteien,  wurde  mit 
ernster  Miene  kolportiert,  während  der 
Vater  jenes  widerwärtigen  Gedankens  eigent- 
lich nur  die  Furcht  vor  den  Friedenskräften 
war.  Man  fürchtete,  daß  man,  wenn  man 
nur  einige  Tage  Zeit  gewährt,  zu  spät 
kommen  könnte  mit  dem  Kriege;  man 
fürchtete,  daß  es  so  kommen  würde,  wie 
schon  einmal  vor  vier  Jahren,  als  man  den 
gezückten  Degen  wieder  in  die  Scheide  zu 
stecken  gezwungen  war.  Die  Furcht  vor 
der  Möglichkeit  eines  kriegslosen  Aus- 
gleiches1 steckte  den  Kriegsenthusiasten  in 
den  Gliedern  und  trieb  sie  zur  überstürzten 
Eile  ah.  „Endlich  haben  wir  es  er- 
reicht", soll :  der  österreichische  Kriegs- 
minister  triumphierend  ausgerufen  haben,  als 
er:  am  29.  April  nach  einer  Konferenz  mit 
dem  Minister  des  Aeußeren,  das  Ministerium 
am  Wiener  Ballplatz  verließ.  Ein  Wort, 
daß  man  sich  merken  muß,  wenn  man  uns 
künftig  wieder  von  der  Sicherung  des  Frie- 
dens durch  die  Rüstungen  sprechen  will. 
Und  die  Wiener  Redakteure,  die  am  selben 
Tage,  im  Pressebureau  desselben  Minis  te- 
riüinfe  die  of f izäelle  Ankündigung  entgegen- 
nahmen, daß  Oesterreich-Ungarn  entschlossen 


162: 


sei,  ohne  Mandat  seitens  der  Mächte,  allein 
vorzugehen,  sollen  diese  Mitteilung  nach 
einem  Bericht  in  der  Pariser  „Daily  Mail" 
vom  30.  April  mit  Freudenschreien  ( ! )  be- 
grüßt haben.  Einige  der  Journalisten  waren 
über  diese  Mitteilung  so  entzückt,  daß  sie 
ohne  Hut  aus  dem  Ministerium  liefen,  um 
die  große  Nachricht  rasch -est  ihrer  Redak- 
tion zu  verkünden.  Auch  das  soll  man  sich 
merken,  für  den  Fall,  wo  sich  diese  selben 
Herren  auf  Pressekongressen  als  die  Wahrer 
des  europäischen  Friedens  selbst  beräuchern 
werden. 

Und  doch  ist  es  anders  gekommen. 
Europa  wollte  diesen  Krieg  nicht,  weil  es 
kein  Kriegsduett  auf  diesem  Erdteil  mehr 
geben  kann,  weil  jede  Gewaltanwendung  so- 
fort die  beiden  großen  Staatengruppen  enga- 
giert und  dieser  Streit  um  Albanien,  um 
die  Zugehörigkeit  eines  elenden  albanischen 
Nestes  zu  diesem  oder  jenem  Lande  wahr- 
lich eines  solchen  Kräfte  auf  wandes,  eines 
solchen  Risikos  nicht  wert  war.  Es  würde 
den  Rahmen  dieses  Artikels  weit  über- 
schreiten wollte  man  hier  untersuchen,  wieso 
es1  schließlich  doch  zur  Vermeidung  des 
Krieges  gekommen  ist,  wie  jene  pazifisti- 
schen Kräfte  gegenüber  der  Entschlossen- 
heit zum  Kriege  wirkten,  wie  sie  manö- 
vrierten und  warum  sie  es  taten.  Begnügen 
wir  uns  heute,  den  Sieg  der  Friedenskräfte 
über  die  bereits  zum  Schlag  ausholenden 
Kriegskräfte  festzustellen.  Es  ist  das  wich- 
tigste an  der  Sache,  und  es  war  wahrlich 
keine  leichte  Arbeit. 

Man  hat  es  den  Kriegsgegnern  in  Eu- 
ropa wahrlich  nicht  leicht  gemacht.  Die- 
jenigen, die  den  Krieg  um  jeden  Preis  wollten, 
hatten  eine  Bearbeitung  der  öffentlichen 
Meinung  inszeniert,  die  man  als  muster- 
gültig hinstellen  kann.  Welche  Lügen 
wurden  da  verbreitet  und  am  Leben  gehalten. 
Man  denke  nur  an  den  famosen  Fall  des 
österreichischen  Konsuls  Prohaska,  der  von 
wütenden  Serben  angeblich  getötet  worden 
war  und  der  heute  noch  lebt.  Man  denke 
an  den  Pater  Palitsch,  den  Montenegriner 
angeblich  ermordet  hatten,  weil  er  seinen 
Glauben  nicht  wechseln  wollte,  was  sich 
nach  einer  eingehenden  Untersuchung  als 
unwahr  erwies.  Man  denke  an  die  letzte 
Lügenkomödie  mit  der  Proklamierung  Essad 
Paschas  zum  König  von  Albanien,  was  einen 
unverzüglichen  Einmarsch  österreichischer 
Truppen  in  Albanien  zur  Folge  hätte  haben 
sollen.  Als»  man  dies  aber  in  Gemeinschaft 
mit  italienischen  Truppen  nicht  mehr  für 
nützlich  hielt,  wurde  die  ganze  Geschichte 


I 


1 


€S 


=  DIE  FRIEDENS ->M&IZFE 


als  eine  Erfindung  dargetan.  Wie  dieses 
Lügengewebe  aber  die  Massen  aufpeitschte 
und  die  Ansicht  verbreitete,  man  hätte  sich 
alle  diese  erdichtete  Unbill  wirklich  gefallen 
lassen  und  sei  nun  gezwungen,  sie  mit  Blut 
abzuwaschen,  davon  kann  sich  nur  der  einen 
Begriff  machen,  der  in  jenen  Tagen  der 
fanatischen  Erregung  das  arme  betörte  Volk 
zu  beobachten   Gelegenheit  hatte. 

Europa  hat  sich  gefunden,  um  eine  inter- 
nationale Polizei  zur  Durchführung  seines 
Willens  auszusenden.  Es  müßte  sich  nun- 
mehr finden,  um  auch  eine  Sicherheitswache 
zu  errichten,  um  jenem  Gesindel  den  Garaus 
zu  machen,  das  durch  Alarmierung  der 
öffentlichen  Meinung  mit  lügenhaften  Be- 
richten zum  Kriege  treibt.  Die  Brandstifter 
sind  nicht  so  schlimm  wie  jene  Paniken- 
Macher,  für  die  wahrlich  kein  Galgen  hoch 
genug  wäre.  Man  müßte  die  Geschichte  des 
Kriegsalarms  vom  Winter  1912/13  schreiben, 
sie  aktenmäßig  darstellen,  damit  man  sie 
geeignetenfalls  jenen  Diplomaten  vorhalten 
könnte,  die  noch  immer  von  der  Phrase  leben, 
es  seien  heute  nicht  mehr  die  Kabinette, 
sondern  die  Völker,  die  die  Kriege  machen. 
Jawohl  die  Völker ;  aber  erst  dann,  wenn 
die  Regierungen  bei  der  Verhetzung  der 
Massen  so  untätig  zuschauen,  wie  die  rus- 
sische Polizei  bei  den  Judenpogroms,  oder 
wie  die  bestellten  Wächter  der  Ordnung  bei 
den  jüngsten  Deutschenhetzen  in  Nancy. 

Noch  eines  Faktors  sei  hier  gedacht, 
dem  es  nicht  in  letzter  Linie  zu  danken 
ist,  daß  der  Krieg  vermieden  wurde :  D  e  s 
Kaisers  Franz  Josef.  Die  Kriegs- 
enthusiasten in  seinem  Lande  grollen  ihm 
darob,  und  es  fehlt  sogar  nicht  an 
hochverräterischen  Aeußerungen  solcher 
Leute,  die  sonst  stets  mit  ihrer  Loyalität 
prahlen.  In  ihrer  Perfidie  schieben  jene 
Blutgierigen  die  Kriegsabneigung  des  Kai- 
sers seinem  hohen  Alter  zu.  Sie  wollen 
gleichzeitig  damit  andeuten,  daß  es  eben 
greisenhaft  sei,  den  Krieg  zu  verabscheuen, 
wie  sie  uns  weibisches  Wesen  und  Feig- 
heit als  Motive  unseres  Kampfes  gegen  den 
Kriegswahn  unterschieben.  Dieser  Vorwurf 
zerfällt  in  sich,  denn  der  greise  Kaiser 
würde  selbstverständlich  auch  durch  den 
blutigsten  Krieg  nicht  aus  seiner  Ruhe  und 
Behaglichkeit  gestört  werden.  Wenn  Kaiser 
Franz  Josef  dem  ungestümen  Drängen  der 
Kriegsanhänger  widerstand,  so  War  es  nicht 
greisenhafte  Schwäche,  sondern  die  hohe  Weis- 
heit eines  erfahrenen  Mannes,  die  ihn  er- 
kennen ließ,  daß  jeder  Ausgleich  besser  ist 
als  der  chancenreichste  Krieg,  daß,  solange 


die  Möglichkeit  eines  Ausgleiches  gegeben 
ist,  der  Wunsch  nach  kriegerischer  Betäti- 
gung frivol  sei  und  zurückgedrängt  wer- 
den müsse.  Man  braucht  kein  Monarchist 
zu  sein,  um  anzuerkennen,  daß  sich  Kaiser 
Franz  Josef  durch  seine  kluge  retardierende 
Haltung  vor  seinem  Volke,  vor  der  Mensch- 
heit und  vor  der  Weltgeschichte  ein  hohes 
Verdienst  erworben  hat,  um  dessenwillen  ihm 
der  Dank  aller  vernünftig  denkenden  Men- 
schen in  Europa  gebührt.  A.  HF. 


Kriegsindustrie. 


Von   Dr.  Albert  Südekum, 
Mitglied    des    Deutschen    Reichstags. 

Der  Militarismus  hat  eine  Bataille  ver- 
loren. Jetzt  ist  Unruhe  die  erste  Bürger- 
pflicht. Unruhe  im  Sinne  von  schärfstem  und 
lautestem  Protest  aller  Menschen-  und  Frie- 
densfreunde gegen  die  spekulative  Erregung 
und  Verwertung  eines  wahnsinnigen  und  ge- 
fährlichen Rüstungstreibens,  dessen  Zeugen 
und  Leidtragende  wir  zurzeit  sind.  Anklage 
müssen  wir  erheben  gegen  die  Rüstungstreiber. 
Es  genügt  nicht  mehr,  mit  sozusagen  wissen- 
schaftlichem Gleichmut  die  Tatsache  wider- 
spruchslos hinzunehmen,  daß  es  in  der  Kriegs- 
industrie sehr  menschlich  hergeht,  sondern 
jeder,  dem  das  Wohl  der  Völker  etwas  gilt, 
der  die  Reinheit  unseres  öffentlichen  Lebens 
als  einen  Teil  dieses  Wohles  erkennt,  hat  die 
persönliche  Pflicht,  sich  mit  der  furchtbaren 
Tatsache  auseinanderzusetzen,  daß  die  euro- 
päische Kultur  von  einem  Konzern  bedenken- 
loser Geschäftemacher  dauernd  in  ihren  Grund 
festen  bedroht  wird;  hat  sich  ferner  mit  der 
Tatsache  auseinanderzusetzen,  daß  diese  Rüs- 
tungskapitalisten den  höchsten  gesellschaft- 
lichen Rang  einnehmen,  mit  Ehren  und  Aus- 
zeichnungen überhäuft  werden.  Die  Pflicht 
einer  solchen  persönlichen  Auseinandersetzung 
liegt  gleichmäßig  den  bewußten  und  organi- 
sierten Friedensfreunden,  wie  den  ehrlichen 
Vertretern  des  Militarismus  und  den  Verherr- 
lichern der  sogenannten  kriegerischen  Tugen- 
den ob.  In  erster  ,Linie  gehen  die  Dinge 
auch  die  Offiziere  an,  die  so  gern  für 
sich  die  Eigenschaften  besonderer  Empfind- 
lichkeit in  Ehrensachen  in  Anspruch  nehmen. 
Darauf  ist  mit  erhöhtem  Nachruck  hinzuwei- 
sen, weil  gerade  in  den  letzten  Wochen  in 
einigen  von  deutschen  Offizieren  gern  ge- 
lesenen Blättern  geschrieben  stand,  wie  immer 
sich  auch  die  Sache  mit  der  Rüstungsindustrie 
und  ihren  internationalen  Spekulationen  ver- 
halten möge:  die  Offiziere  berühre  das 
ganz  und  gar  nicht,  denn  sie  hätten 
einfach  ihren  Dienst  zu  tun  und  die 
ihnen  in  die  Hand  gedrückte  Waffe  auf 
Kommando  zu  gebrauchen.  Eine  Ansicht, 
die  den  Offizier  zum  Automaten  erniedrigt! 
Das  gerade  Gegenteil  ist  richtig:   ?,wer  Pech 


m 


DIE  FRIEDEN5~>fc/!&arE 


® 


anfaßt,  besudelt  sich".  Ein  Offizier,  der  auf 
seine  Ehre  hält,  muß  mit  dafür  sorgen,  daß 
nicht  das  Kriegswesen  der  Völker  schamlosem 
Handel  als  Vorwand  dient.  Jedermanns  guter 
Wille  kann  mißbraucht  werden.  Wer  dem 
Betrüger  als  reiner  Tor  zum  Opfer  fällt,  ist 
für  den  Ausgang  moralisch  nicht  verantwort- 
lich. Wer  aber  willfährig  einem  Betrüger  seine 
Hilfe  leistet,  ist  dem  Betrüger  gleich  zu 
achten.  Auch  die  fahrlässige  Unterstützung  be- 
trügerischer Handlungen  kann  einen  Makel  auf 
die  Ehre  eines  Menschen  werfen.  Die  Offiziere 
der  europäischen  Armeen  haben  in  den  letzten 
Wochen  Gelegenheit  gehabt,  sich  darüber  zu 
unterrichten,  mit  welcher  ungeheuerlichen 
Dreistigkeit  die  Interessenten  der 
Kriegsindustrie  die  gepriesenen  Gefühle 
der  Vaterlandsliebe  und  der  Opferfreudigkeit 
der  Völker  auszunützen  verstehen ;  sie  erfahren, 
daß  auch  ihre  eigene  Gesinnung  und  Tätigkeit 
in  diesen  [Berechnungen  eine  Rolle  spielen. 
Wenn  sie  Augen  und  Ohren  gegen  diese  Tat- 
sache bewußt  und  absichtlich  verschließen, 
wenn  sie  nicht  wenigstens  auf  Reinlichkeit 
in  den  Angelegenheiten  der  Völkerrüst ungern 
drängen,  dann  machen  sie  sich  zu  Mitschuldi- 
gen gefährlicher  und  zum  Teil  auch  verbreche- 
rischer Handlungen  und  müssen  sich  danach 
weiterhin  einschätzen  lassen. 

Man  wird  gewiß  nicht  behaupten  können, 
es  sei  bisher  ein  Geheimnis  gewesen,  daß  die 
großen  Rüstungsfirmen  und  die  Vereinigungen 
von  solchen  (Firmen  seit  langer  Zeit  ihren 
starken  Einfluß  spielen  ließen,  um  die  Völker 
der  Erde  zu  immer  neuen,  den  Frieden  ge- 
fährdenden Rüstungen  zu  veranlassen,  daß  sie 
auch  verstanden  haben,  sich  kräftige  Helfer 
zu  sichern.  Eine  Menge  von  Zeitungen  steht, 
wie  alle  Welt  weiß,  direkt  im  Dienste  solcher 
Firmen  und  läßt  keine  Gelegenheit  vorüber- 
gehen, um  Mißtrauen  zwischen  den  Völkern 
zu  säen  und  mit  dem  Anschein  patriotischer 
Besorgnis  dadurch  die  Geschäfte  ihrer  Auf- 
trag- und  Geldgeber  zu  fördern;  andere  Zei- 
tungen, die  nicht  direkt  der  Kriegsindustrie 
verschrieben  sind,  hängen  doch  mit  ihr  über 
dem  Umweg  des  Bankkapitals  in  irgendeiner 
Weise  zusammen,  wagen  zu  mindestens  nicht, 
wider  den  Stachel  zu  löken.  Sogenannte  „Sach- 
verständige" (zum  großen  Teil  abgelegte  Offi- 
ziere) bemühen  sich  unausgesetzt,  die  alte  Un- 
richtigkeit weiter  zu  verbreiten,  daß  man  den 
Frieden  nur  sichern  könne,  wenn  man  zum 
Kriege  rüste.  Die  Schullesebücher  triefen  von 
„Patriotismus",  und  ihre  Verfasser  suchen  sich 
in  der  Verherrlichung  des  Krieges  und  kriege- 
rischer Gesinnung  zu  überbieten.  Auch  der 
offizielle  Religionsbetrieb  hat  sich  ganz  und 
gar  in  den  Dienst  dieser  Strömung  gestellt 
und  weiß  die  Predigt  der  „Religion  der  Liebe" 
äußerlich  geschickt,  wenn  auch  mit  erheb- 
lichen inneren  Schwierigkeiten,  der  Verherr- 
lichung des  Völkerhasses  und  des  organisier- 
ten Massenmords  anzupassen;  gewaltige  Or- 
ganisationen mit    Hunderttausenden    von  Mit- 


gliedern, wie  die  Kriegervereine,  die  Veteranen- 
vereine, die  Wehrvereine,  die  Jugendwehren, 
die  Flottenvereine,  bearbeiten  mit  unermüd- 
licher Ausdauer  Hirn  und  Herzen  weiter 
Volkskreise  immer  in  demselben  Sinne,  immer 
mit  derselben  Phraseologie  nach  dem  Erfah- 
rungssatze: „steter  Tropfen  höhlt  den  Stein". 
Und  über  dem  allen  schwebt  der  Segen  der 
staatlichen  Regierungen,  die  in  „gottgewollter 
Abhängigkeit"  die  Agitation  der  Rüstungs- 
interessenten erst  fördern,  um  dann  das  so 
gewonnene  Material  zu  neuer  Aufmunterung 
des  Geschäfts  zu  verwenden. 

Diese  großen  Grundzüge  eines  wahrhaft 
verderblichen  Systems  waren,  wie  gesagt,  seit 
langem  bekannt.  Nicht  nur  in  Deutschland 
und  O esterreich,  auch  in  England  und  Frank- 
reich hatten  aufmerksame  Beobachter  des 
öffentlichen  Lebens  längst  das  weitmaschige 
Gewebe  vor  aller  Augen  ausgebreitet,  oft- 
mals auch  die  Erörterung  durch  kleine  anek- 
dotenhafte Einzelheiten  gewürzt.  Aber  eine 
rechte  durchschlagende  Wirkung  war  bisher 
doch  nicht  zu  erzeilen  gewesen.  Es  fehlte 
der  solide  Hebel  eines  unanfecht- 
baren Beweismaterials,  um  den 
schwer  lastenden  Stein  in«  Rollen  zu  bringen. 

Dieser  Hebel  ist  jetzt  durch  eine  Fülle 
von  Enthüllungen  geliefert  worden,  die 
wie  ein  prasselnder  Regen  über  die  Rüstungs- 
interessenten in  Deutschland  und  anderen 
Staaten  niedergegangen  sind.  Parlamente  und 
Presse  waren  einige  Tage  hindurch  voll  von 
diesen  Dingen,  und  die  öffentliche  Erörterung 
beschäftigte  sich  eine  kleine  Weile  damit. 
Da  sich  aber  jetzt  schon  wieder  das  Schweigen 
tiefen  Vergessens  darüber  zu  breiten  beginnt, 
wollen  wir  hier  zur  Auffrischung  wenigstens 
das  wichtigste  noch  einmal  kurz  zusammen- 
stellen. 

Zuerst  sei  behandelt,  was  unzweifelhaft 
das  meiste  Aufsehen  erregte,  nämlich  die 
Affäre  Krupp,  deren  Aufdeckung  an  den 
Namen  des  Reichstagsabgeordneten  Dr.  Lieb- 
knecht   anknüpft. 

Die  überragende  Stellung  der  Firma 
Krupp  in  der  internationalen  Rüstungs- 
industrie ist  bekannt.  Krupp  gehört  so- 
zusagen mit  zum  deutschen  Heere  und  ist 
enger  mit  ihm  verwachsen,  als  etwa  Schneider 
in  Creusot  mit  dem  französischen.  Das 
Deutsche  Reich  unterhält  ein  paar  eigene  Ka- 
nonenfabriken, die  aber  nur  für  leichteres 
Material  eingerichtet  sind  und  bei  weitem 
nicht  den  ganzen  Bedarf  decken.  Alle  schwe- 
reren Kaliber,  namentlich  auch  die  gewalti- 
gen Schiffs-  und  Positionsgeschütze  sowie 
einen  großen  Teil  der  Feldartilleriebewaffnung 
besorgt  Krupp.  Konkurrenz  gegen  ihn  gab 
es  bis  vor  ein  paar  Jahren  überhaupt  nicht 
und  gibt  es  jetzt  nur  in  ganz  beschränktem 
Umfange.  Die  Rheinische  Metallwarenfabrik 
von  Heinrich  Ehrhardt  hat  sie  jahrelang  ver- 
sucht und  sich  dabei  verblutet,  obschon  ihre 
Konstruktionen  als  ausgezeichnet  gerühmt  wor- 


I 


164 


E  DIE  FRIEDENS -^M^BXE 


den  sind,  und  obschon  sie  mit  dem  Rohr- 
rücklaufgeschütz den  Kruppschen  Ingenieuren 
um  Jahre  voraus  war.  Wir  haben  also  heute 
ein  beinahe  vollständiges  Kanonenmonopol 
Krupps  in   Deutschland. 

Krupps  Beziehungen  zu  Deutschland  waren 
nicht  immer  so  eng.  Es  hat  eine  Zeit  gegeben, 
wo  der  eigentliche  Schöpfer  des  gewaltigen 
Militärbetriebs,  Alfred  Krupp,  nachdem  er 
schon  Preußen  mit  Hinterlader-Gußstahl- 
kanonen ausgestattet  hatte,  an  anderer  Stelle 
Relais  zu  legen  versuchte.  Ein  Zusammen- 
stoß zwischen  Preußen-Deutschland  auf  der 
einen  Seite  und  Frankreich  auf  der  anderen, 
galt  nach  1866,  namentlich  in  den  Kreisen 
der  großdeutschen  Politiker,  für  unvermeid- 
lich. So  betrachtete  auch  Alfred  Krupp  die 
Sache.  Da  er  aber  an  die  Ueberlegenheit 
der  napoleonischen  Armee  glaubte  und  als 
vorsichtiger  Geschäftsmann  mit  der  Möglich- 
keit einer  Einverleibung  des  Rheinlands  nach 
Frankreich  rechnete,  so  bot  er  1868  in  einem 
berühmt  gewordenen  Briefe  seine  schätzbaren 
Dienste  —  dem  Feinde  seines  Vaterlands  an. 
Eine  kleine,  wenn  auch  unangenehme  Ent- 
gleisung, die  indessen  große  Geister  nicht  ge- 
nieren kann. 

Es  versteht  sich,  daß  die  Firma  Krupp  die 
ihr  mit  Recht  oder  Unrecht  zugefallene  Mo- 
nopolstellung weidlich  auszunützen  trachtete. 
Sie  legte  sich  dabei  so  wenig  Zurückhaltung 
auf,  daß  es  endlich  zu  einem  offenen  Skandal 
kam,  den  der  Reichstagsabgeordnete  Erz- 
berger  in  der  Sitzung  des  deutschen  Reichstags 
vom  23.  April  1913  rückschauend  wie  folgt 
schilderte:  „Der  Vorgänger  des  jetzigen 
Kriegsministers,  Herr  von  Einem,  hat  am 
27.  März  1905  ausdrücklich  zugegeben  und 
durch  amtliche  Zahlen  bewiesen,  daß,  solange 
eine  bestimmte  Firma  (Krupp)  allein  das 
Monopol  in  der  Lieferung  von  Kanonen  und 
Geschossen  hatte,  von  der  Heeresverwaltung 
mindestens  60— 8Q0/0  mehr  bezahlt  werden 
mußten,  als  von  dem  Moment  ab,  wo 
eine  andere  Firma  in  die  Konkurrenz  ein- 
getreten ist." 

Aber  die  Firma  überteuerte  nicht  nur  das 
Reich,  sie  lieferte  nicht  nur,  was  ihr  auch 
kaum  hätte  verboten  werden  können,  ihre 
Waffen  und  Munitionen  an  das  Ausland  und 
dorthin  —  was  schon  bedenklich  ist  —  zu 
niedrigerem,  weil  durch  die  Konkurrenz  be- 
stimmtem, Preise,  nein,  Angestellte  von  ihr 
unterhielten  auch  in  Deutschland  einen  förm- 
lichen Geheimdienst,  den  erst  Lieb- 
knechts Material  aufgedeckt  hat.  In  dem  Pro- 
tokoll der  Reichstagssitzung  vom  18.  April 
1913  heißt  es  darüber:  „Der  Vorstand  der 
Gußstahlfabrik  Friedrich  Krupp- Essen  a.  Ruhr 
unterhielt  in  Berlin  bis  vor  wenigen  Wochen 
einen  Agenten  namens  Brandt,  einen  früheren 
Feuerwerker,  der  die  Aufgabe  hatte,  sich  an 
die  Kanzleibeamten  der  Behörden,  der  Armee 
und  der  Marine  heranzumachen,  sie  zu  be- 
stechen, um  auf  diese  Weise  Kenntnis  von 


geheimen  Schriftstücken  zu  erhalten,  deren 
Inhalt  die  Firma  interessierte.  Was  sie  inter- 
essiert, sind  besonders  Absichten  der  Behör- 
den in  Bewaffnungsfragen,  Angaben  über  Kon- 
struktionen der  Behörden  sowie  der  Konkur- 
renz, Ergebnisse  von  Versuchen,  namentlich 
aber  die  Preise,  welche  andere  Werke  for- 
dern oder  die  ihnen  bewilligt  werden.  Herrn 
Brandt  sind  zu  diesem  Zwecke  große  Mittel 
zur  Verfügung  gestellt.  Die  berühmte 
Firma  nützt  ihre  Geldmacht  syste- 
matisch dazu  aus,  um  höhere  und 
niedere  preußische  Beamte  zum 
Verrat  militä  r  i  scher  Geheimnisse 
zu  verleiten.  Dieser  Zustand  besteht  seit 
Jahren.  In  den  Geheimschränken  eines  Herrn 
von  Dewitz-Essen,  eines  hohen  Beamten  der 
Firma  Krupp,  liegen  —  oder  lagen  —  diese 
Geheimberichte  säuberlich  aufgestapelt.  Das, 
was  ich  Ihnen  eben  hier  gesagt  habe,  beruht 
nicht  auf  einer  bloßen  Mitteilung,  die  mir  von 
irgendeiner  Seite  gemacht  worden  ist.  Ich 
darf  Ihnen  sagen,  daß  ich  selbstverständlich 
von  dem,  was  mir  mitgeteilt  wurde,  dem 
Herrn  Kriegsminister  Kenntnis  gegeben  habe. 
Ich  bin  besonders  darauf  aufmerksam  gemacht 
worden,  daß  eine  Bekanntgabe  dieser  Dinge 
zu  einem  frühen  Zeitpunkt  leicht  dazu  führen 
könnte,  daß  die  Firma  bei  ihrer  ungeheuren 
Geldmacht  in  der  Lage  sein  würde,  alle 
Beweisstüc k.e  und  auch  unbequeme 
Personen  irgendwohin  aus  der 
Welt  zu  schaffen.  Der  Herr  Kriegs- 
minister hat  in  dieser  Angelegenheit  seine 
volle  Schuldigkeit  getan.  Er  hat  eingegriffen, 
und  zwar  nicht  nur  gegen  Militärpersonen, 
sondern  auch  gegen  Zivilpersonen.  Gegen 
sechs  oder  sieben  Personen  —  ich  will  im 
Moment  die  Namen  nicht  preisgeben  — 
schwebt  die  Voruntersuchung,  wenn  sie  nicht 
bereits  geschlossen  ist.  Es  ist  mit  anerken- 
nenswerter Energie  eingegriffen  worden.  Die 
Betreffenden  sind  in  Untersuchungshaft  ge- 
nommen worden.  Hochgestellte  Leute!  Es  ist 
also  kein  Vorwurf  gegen  die  Militärverwal- 
tung zu  erheben.  Die  Untersuchung  ist  im 
wesentlichen  abgeschlossen  und  hat  bis  auf 
das  Tüpfelchen  über  dem  i  dasjenige  bestä- 
tigt,  was  ich   Ihnen  hier  vorgetragen   habe." 

Zerschmetternd  wirkte  diese  Enthüllung. 
Mit  einigen  mühsam  gestammelten  Worten 
suchte  der  preußische  Kriegsminister  vergeb- 
lich den  fatalen  Eindruck  moralischen  Zu- 
sammenbruchs dieser  großen  Hilfsinstitution 
des  deutschen  Heeres  zu  verwischen.  Selbst 
die  unverfrorensten  publizistischen  Helfers- 
helfer von  Krupp  verloren  für  ein  paar  Tage 
die  Haltung.  Ein  allgemeines  Mißtrauen  er- 
wachte im  Volke,  dem  man  die  ungeheuer- 
lichste Vermehrung  der  Rüstungen  und  eine 
wahrhaft  erschöpfende  Steuerleistung  gerade 
jetzt  angesonnen  hat. 

Dann  trat  der  Generaldirektor  von  Krupp, 
ein  Geheimrat  Hugenberg,  in  der  Kölnischen 
Zeitung   mit    einer    wortreichen,    entrüstungs- 


165 


DIE  FRIEDENS -^MkDTE  = 


[© 


schwangeren,  aber  inhaltsleeren  Erklärung  vor 
die  Oeffentlichkeit.  Sein  Manöver  lag  zu  nahe, 
als  daß  er  es  hätte  nicht  machen  sollen: 
„Racheakt  eines  entlassenen  Beamten",  „nur 
untergeordnete  Personen  in  die  Sache  ver- 
wickelt", „Zentralinstanz  völlig  unbeteiligt" 
usw.  Das  fällt  natürlich  für  verständige  Leser 
platt  zu  Boden  und  kann  keine  größere  Be- 
achtung beanspruchen,  wie  etwa  das  Gerede 
eines  Angeklagten  über  den  „großen  Unbe- 
kannten" vor  den  Schranken  des  Gerichts. 
Anders  ist  es  schon  mit  der  Bemerkung  des 
Herrn  Hugenberg,  „Geheimberichte 
seien  das  tägliche  Brot  seiner  In- 
dustrie". Selbstverständlich:  es  gibt  Ge- 
heimberichte und  Geheimberichte.  Für  die 
Firma  Krupp  ist  es  jedenfalls  sehr  schmerz- 
lich, daß  die  ihr  nahestehenden  Firmen  in 
der  Industrie  nicht  an  die  Harmlosigkeit  der 
von  ihr  bezogenen  Geheimberichte  glauben. 
Der  seit  1911  in  Deutschland  bestehende  Ver- 
ein gegen  das  Bestechungsunwesen  hat  am 
3.  Mai  1913  die  unter  Nr.  294  in  seiner  Mit- 
gliederliste aufgeführte  Firma  „Friedrich 
Krupp,  Aktiengesellschaft,  iStahlgußfabrik  in 
Essen"  einstimmig  aus  dem  Verein  aus- 
geschlossen; und  ebenso  einstimmig  be- 
schloß der  Verein,  die  gerichtliche  Verfolgung 
zu  veranlassen,  da  die  Krupp-Affäre  dies  ge- 
bieterisch erheische.  Ueberdies  beweisen  Na- 
men und  gesellschaftliche  Stellung  der  in 
Untersuchungshaft  genommenen  Angestellten 
der  Firma  Krupp,  daß  es  sich  nicht,  wie 
Herr  Hugenberg  behauptet,  um  eine  unter- 
geordnete Affäre  und  um  Mißgriffe  eines  Sub- 
alternen gehandelt  hat.  Auch  die  von  ver- 
schiedenen Interessenten  jetzt  prompt  hervor- 
geholte Berufung  auf  die  großen  Freun- 
de der  Firma  und  der  an  ihrer  Spitze 
stehenden  Familie  wird  in  Deutschland  den 
Fortgang  des  Prozesses  nicht  aufzuhalten  ver- 
mögen. Soweit  sind  wir  hoffentlich  denn  doch 
noch  nicht  russifiziert,  so  tief  hat  das  Krebs- 
übel kapitalistischer  Unmoral  das  Gefüge  des 
Staates  wohl  noch  nicht  zerfressen  können, 
daß  die  Justiz  vor  Verbrechern  Halt  machen 
sollte,  bloß  weil  hohe  Herrschaften  bisher  im 
Hause  der  Genießer  des  mit  anfechtbaren 
Mitteln  erworbenen  Reichtums  gesellig  ver- 
kehrten. 

Soweit  sind  wir  noch  nicht.  Aber  daß 
wir  wirklich  schon  tief  im  Schlamm  sitzen, 
beweist  eine  Mitteilung  des  „Vorwärts"  vom 
5.  Mai  1913.  Danach  hat  die  Firma  Krupp 
den  zur  Abnahme  von  Kriegsmaterial  nach 
Essen  kommandierten  Offizieren  die 
Kosten  für  einen  verhältnismäßig  üppigen 
Lebensunterhalt  während  ihres  Aufenthalts 
in  Essen  bezahlt  und  dafür  nur  rein 
fiktive  Beträge  in  Gegenrechnung  gestellt. 
In  und  außerhalb  Deutschlands  hätte  man 
so  etwas  vor  der  einwandsfreien  Beweisfüh- 
rung für  unmöglich  gehalten!  Daß 
deutsche  Offiziere  sich  ihren  Wein  und 
ihren   Braten,  ihre  Zigarren   und  ihr  Klosett- 


papier von  der  Firma  bezahlen  lassen, 
deren  Erzeugnisse  sie  für  die  Heeresverwal- 
tung prüfen  und  abnehmen  sollen,  ist  eine 
geradezu  revolutionierende  Neuig- 
keit. 

Aber  man  sollte  die  damit  Gekennzeich- 
neten nicht  allzu  heftig  schmähen,  denn  die 
Verführung  ist  wirklich  groß.  Auf  den 
Kruppschen  Werken,  übrigens  auch  bei  den 
großen  Elektrizitätsfirmen,  bei  den  Werften, 
den  Waffen-  und  Munitionsfabriken,  laufen 
zu  Dutzenden  die  inaktiven  Generäle,  Ad- 
miräle,  Geheimen  und  Wirklichen  Geheimen 
Räte  herum,  die  sich  nicht  schämen,  Riesen- 
gehälter und  Tantiemen  einzustecken,  und 
sich  daneben  noch  die  Pensionen  aus  den 
Steuergroschen  der  Armen  und  Aermsten 
zahlen  zu  lassen.  Die  Verbindung  der  höch- 
sten militärischen  und  zivilen  Bureaukratie 
mit  der  Großfinanz  und  den  von  ihr  kon- 
trollierten industriellen  Werken  ist  in  Deutsch- 
land in  den  letzten  Jahren  so  umfassend  und 
so  intim  geworden,  daß  dem  weitgehendsten 
Korruptionsverdacht  Tür  und  Tor 
geöffnet  ist.  Diese  Seite  unseres  öffentlichen 
Lebens  bedarf  dringend  der  eingehenden 
Untersuchung. 

Während  diese  Zeilen  schon  im  Satz 
waren,  verlautete  in  offiziösen  Blättern,  die 
Versorgung  von  Abnahme-Offizieren  und  Ab- 
nahme-Beamten durch  Krupp  in  der  oben  ge- 
schilderten Weise  sei  neuerdings  abgeschafft 
worden;  nur  (!)  auf  den  Schießplätzen  gebe 
die  Firma  den  Vertrauensmännern  des  Reichs 
noch  Naturalverpflegung.  Diese  Mitteilung  ist 
nur  zum  Teil  wahr:  die  nach  Essen  Kom- 
mandierten erhalten  jetzt  bares  Geld  von 
Krupp.  Uebrigens  wird  allgemein  behauptet, 
daß  die  zeitweüig  nach  Essen  kommenden 
Offiziere  und  Beamten  —  bis  zu  den  höchsten 
hinauf  —  nur  Scheinrechnungen  in 
dem  der  Firma  Krupp  gehörenden  Hotel  be- 
zahlen. 

Verlassen  wir  nunmehr  die  Firma  Krupp, 
über  die  sich  noch  mancherlei  sagen  ließe, 
um  zunächst  einige  andere  Blüten  der  Kriegs- 
industrie zu  betrachten.  Da  lenkt  vor  allem 
der  „M  ar  ine-  Ver  s  tän  d  ig  ung  sko  n  - 
zern"  die  Aufmerksamkeit  auf  sich.  Die 
geschäftstüchtigen  Großlieferanten  von 
Schiffsbaumaterial  haben  schon  seit  Jahren, 
um  die  Ausnützung  der  „Konjunktur"  recht 
gründlich  besorgen  zu  können,  im  geheimen 
ihren  Zusammenschluß  vollzogen.  Die  Ge- 
schäftsstelle ihres  Konzerns  befindet  sich  in 
Dortmund,  Kronprinzenstraße  36.  „Ver- 
traulicher" Leiter  dieses  Bureaus  ist  Direktor 
G  u  t  h  e  i  1 ,  früher  einer  der  Direktoren  der 
Union,  Eisen-  und  Stahlwerke  in  Dortmund, 
dann,  nachdem1  diese  Gesellschaft  in  die 
Deutsch -Luxemburgische  Bergwerks-  und 
Hüttenaktiengesellschaft  aufgegangen  war, 
eine  Zeitlang  einer  der  Leiter  ihrer  Abteilung 
C.,  die  die  sämtlichen  in  Dortmund  und  Um- 
kreis gelegenen   Werke   der  Deutsch-Luxem- 


166 


(§; 


=  DIE  FRIEDEN5->MM2XE 


burgischen  Gesellschaft  umfaßt.  Das  Ge- 
schäftsverfahren dieses  Marineverständi- 
gungskonzerns ist  praktisch  und  sinnreich. 
Wenn  eine  Werft,  z.  B.  die  Kieler  oder  Wil- 
helmshavener Reichswerft,  Schiffsbaumaterial 
braucht  und  sich  an  verschiedene  Lieferanten 
mit  der  Frage  nach  Preis  und  Bedingungen 
wendet,  dann  erhält  sie  nicht  sofort  und 
direkt  Antwort,  sondern  die  Anfragen  gehen 
zunächst  an  das  Bureau  in  Dortmund.  Die 
Geschäftsstelle  unterrichtet  dann  alle  ihm 
angeschlossenen  Werke,  welche  Meldungen 
eingegangen  sind ;  die  befragten  Werke 
unterhandeln  dann  entweder  direkt  oder 
über  die  Geschäftsstelle  miteinander,  wie  sie 
ihre  Angebote  gestalten  und  welche  Preis- 
forderungen sie  stellen  sollen.  Jedes  Werk 
ist  verpflichtet,  von  jedem  Auftrag,  den  es 
erhält,  10  o/o  abzugeben,  und  zwar  nicht  vom 
Gewinne,  sondern  vom  Rechnungsbetrag ;  also 
schlägt  es  natürlich  mindestens  diesen  Be- 
trag zunächst  auf  den  angebotenen  Preis 
auf.  Die  anderen  Werke  folgen  ihm  darin 
und  reichen  nunmehr  ihre  Offerten  ein.  Auch 
•die  Auftragserteilung  sowie  die  Ausführung 
und  Ablieferung  werden  immer  rechtzeitig 
an  das  Bureau  in  Dortmund  gemeldet.  Die 
von  dem  ausführenden  Werke  abzuliefern- 
den 10  o/o  von  dem  Rechnungswert  gehen  zum 
Teil  (Vio)  an  die  Geschäftsstelle  für  ihre 
Bemühungen  und  Unkosten;  die  übrü 
9/io  werden  an  jene  Werke 
ebenfalls  Offerten  eingereicht 
bei  der  Auftragserteilung  leer 
sind.  Da  es  sich  bei  den  Schiffsmaterial- 
lieferungen  um  Aufträge  im  Werte  von  vielen 
Millionen  handelt,  so  kann  man  sich  un- 
gefähr vorstellen,  welche  Beträge  der  Reichs- 
kasse auf  diese  einfache,  allerdings  die  Ecken 
einer  bedenklichen  Moral  streifende  Manier 
entnommen  werden. 

Wieder  ein  anderes  Bild.  Vor  einiger 
Zeit  brachte  die  „Friedens-Warte"  den  Nach- 
weis, daß  an  der  englischen  Kriegsindustrie 
die  Creme  der  Aristokratie  beteiligt  sei.  In 
Deutschland  ist  das  ganz  genau  so.  Nur 
daß  darüber  hinaus  auch  noch  eine  inter- 
nationale Vereinigung  von  aristo- 
kratischem! Kapital  im  Rüstungs- 
geschäft gebräuchlich  ist,  die  in  England 
meines  Wissens  bisher  fehlt.  Deutschland 
bezieht  die  Panzerplatten  für  seine  Kriegs- 
marine außer  von  Krupp  nur  noch  von  der 
Dillinger  Hütte,  einem  Werke,  das  zum 
größten  Teil  den  Erben  des  verstorbenen 
Herrn  von  Stumm  gehört.  Formell  ist  die 
Dillinger  Hütte  eine  Aktiengesellschaft  nach 
deutschem  Recht.  Ein  Teil  der  Aktien  ist 
in  französischen  Händen.  Die  Geschäfts- 
sprache in  der  Generalversammlung  ist,  wie 
der  frühere  Regierungsrat  im  Reichsamt  des 
Innern  Rudolf  Martin  zuerst  in  seinem1  Jahr- 
buch der  Millionäre  mitgeteilt  hat,  und  wie 
dann  auch  im  Reichstag  unwidersprochen 
wiederholt   wurde,   die  französische,  oder  war 


jem 
verteilt,  die 
haben,  aber 
ausgegangen 


es  bis  vor  wenigen  Jahren.  h  Mehrere  Fran- 
zosen", so  sagt  Martin,  „sitzen  im  Auf- 
sichtsrat, verdienen  ungeheuer  viel  Geld  an 
der  deutschen  Panzerplattenfabrikation,  an 
der  Verteidigung  von  Metz  und  Straßburg, 
an  der  Vergrößerung  der  deutschen  Flotte, 
an  der  deutschen  Küstenbefestigung  und  er- 
halten genauen  Einblick  in  unsere  ganze 
Verteidigung.  Es  sind  dies  die  französischen 
Herren  Rene  de  Bobet  in  Paris  und  Eugen  IV. 
Comte  von  Waldner  -  Freundstein,  vormals 
französischer  Botschaftssekretär  und  fran- 
zösischer Leutnant  der  Reserve,  dessen  Sohn 
Eduard  französischer  Leutnant  der  Reserve 
des  10.  Regiments  Jäger  zu  Pferde  ist, 
Chateau  de  Levy,  Departement  Allier  und  in 
Paris.  Sollen  diese  Herren  nicht  auch  eine 
Kleinigkeit  von  dem  in  Deutschland  ver- 
dienten Gelde  zur  deutschen  Kriegssteuer 
beitragen  ?" 

Es  wäre  in  der  Tat  unglaublich,  wenn  die 
französischen  Reserveoffiziere,  die  im  Auf- 
sichtsrat dieses  Werkes  sitzen,  ihre  bei  den 
Beratungen  gewonnenen  Kenntnisse  der  Fabri- 
kationsmethoden, der  Preise,  der  Lieferungs- 
bedingungen, namentlich  auch  der  Lieferungs- 
termine nicht  sofort  der  französischen  Marine- 
verwaltung mitteilen  würden.  Vom  Stand- 
punkte ihres  spezifisch  französischen  Patriotis- 
mus' aus  wären  sie  dazu  durchaus  verpflichtet. 
Das  müßte  doch  gerade  ein  alter  Offizier  wie 
der  Königlich  preußische  Generalleutnant  von 
Schubert,  Exzellenz,  der  Schwiegersohn  des 
verstorbenen  Stumm,  Vorsitzender  dieses  Auf- 
sichtsrats, am  besten  wissen,  oder  am  schnell- 
sten einsehen!  Dieser  Herr,  der  bis  vor 
wenigen  Jahren  deutscher  Reichstagsabgeord- 
neter war  und  sich  auch  jetzt  wieder  um  das 
Mandat  eines  preußischen  Landtagsabgeord- 
neten bewirbt,  hat  indessen,  soviel  bekannt 
geworden  ist,  nichts  getan,  um  der  unglaub- 
lichen   Situation    ein    Ende    zu    bereiten. 

Das  Zusammenwirken  des  Kapitals  ver- 
schiedener nationaler  Herkunft  ist  in  dem 
internationalen  Waffenkonzern  bis 
zur  direkten  Gewinnabgleichung  getrieben. 
Zwischen  der  Oesterreichischen  Waffenfabrik- 
Gesellschaft,  den  Deutschen  Waffen-  und 
Munitionsfabriken  in  Berlin-Karlsruhe,  der 
Waffenfabrik  Mauser  in  Oberndorf  a.  Neckar 
und  der  Fabrique  Nationale  d'Armes  de 
Guerre  in  Herstal  in  Belgien  bestehen  Ver- 
träge, wonach  (§1)  „Waffengeschäfte,  welche 
sich  auf  Lieferung  von  neu  herzustellenden 
Repetiergewehren  oder  Karabinern  für  Ruß- 
land, Japan,  China  und  Abessinien  beziehen,  zu 
gemeinschaftlichem  Nutzen  durch- 
geführt und  die  annähernden  Gewinne  nach 
einer  bestimmten  jSkala  unter  die  Gruppen 
verteilt  werden."  Im  §3  heißt  es:  „Die 
den  beiden  Gruppen  angehörenden.  Fabriken 
werden  sich  gegenseitig  jede  mögliche  Unter- 
stützung gewähren,  damit  jede  Fabrik  aufs 
rascheste  und  billigste  zu  fabrizieren  vermag. 
Zu  dem  Zwecke  sollen  auch  die  Zeichttun- 


167 


DIEFBIEDENS-\>v*M2TE 


:§> 


gen  und  Dimensionstabellen  der  verlangten 
und  zu  erzeugenden  Modelle  gratis,  die  er- 
forderlichen Lehrgeräte  und  Kaliber  zum 
Selbstkostenpreise,  resp.  insoweit  sie  entbehr- 
lich sind,  leihweise  gratis  gegenseitig 
überlassen  werden."  In  §  4:  „Der  Preis 
für  die  zu  liefernden.  Waffen  ist  jeweils  von  den 
beiden  Gruppen  einverständlich  fest- 
zusetzen u»nd  zu  offerieren."  In  §  6:  „Be- 
hufs Verwirklichung  der  im  §  1  ausgesproche- 
nen Grundabsichten  vorliegender  Vereinbarun- 
gen wird  eine  gemeinschaftliche 
Kasse  gebildet,  in  welche  jede  Fabrik,  welche 
unter  die  vorliegende  Abmachung  fallende 
Gewehre  bzw.  Karabiner  fabriziert,  anliefert 
und  fakturiert,  eine  Abgabe  im  Betrage  von 
15  Francs  pro  Waffe  einzuzahlen  hat". 

Was  will  es  besagen,  daß  man  diese 
internationale  Kapitalversippung  im  Waffen- 
geschäft  mit  dem  Einwand  als  harmlos  hin- 
stellen will,  es  handle  sich  dabei  um  Mutter- 
und  Tochtergesellschaften?  Wird  damit  nicht 
selbst  das  [zugegeben,  worum  sich  die  Dis- 
kussion  eigentlich   dreht? 

Es  hat  offenbar  nicht  an  den  deutschen, 
österreichischen  und  belgischen  Firmen  ge- 
legen, daß  sich  das  Abkommen  auf  sie  be- 
schränken mußte.  Wenigstens  hat  die  von 
Jaures  herausgegebene  „H uraanite"  dar- 
auf hingewiesen,  daß  vor  Jahren  ein  viel  um- 
fassenderes Kartell  geplant  war,  in  das  auch 
die  englischen  und  französischen  Rüstungs- 
fabriken einbezogen  werden  sollten;  die  Be- 
sprechungen führten  indessen,  namentlich 
wegen  der  Reibereien  zwischen  Krupp  und 
Schneider  in  Creusot  über  die  serbischen  und 
bulgarischen  Rüstungslieferungen  nicht  zum 
Abschluß. 

Das  ist  eigentlich  zu  bedauern.  Denn  der 
internationale  Wa^entrust  würde  sich  doch 
so  schön  an  den  Internationalen  Pul- 
vertrust anschließen,  der  schon  längst  be- 
steht. Das  Genie  des  kürzlich  verstorbenen 
Geheimen  Kommerzienrats  Heidemann- 
Köln  hat  den  Pulvertrust  zustande  gebracht 
und  die  Sprengmittelwerke  der  ganzen  Welt 
in  geschäftliche  (Beziehungen  zueinander  ge- 
setzt. Ein  schwieriges,  aber  auch  ein  gewinn- 
reiches Unternehmen,  das  seinen  Machern 
jahraus,  jahrein  Riesenprofite  abwirft.  Die 
Aktien  der  besten  Sprengmittelwerke  werden 
überhaupt  gar  nicht  an  den  Börsen  gehan- 
delt,  es  gilt  vielmehr  in  der  kapitalistischen 
Welt  als  ein  besonderer  Glücksfall,  wenn 
einmal  jemand  für  nicht  allzu  viel  Geld  in 
den  Besitz  einer  -  „freigewordenen"  Aktie 
gelangt. 

Das  (Schlimmste  von  allem,  was  bisher 
enthüllt  worden  ist,  ist  zweifellos  ein  schon 
vor  mehreren  Jahren  veröffentlichter,  damals 
aber  leider  ziemlich  unbeachtet  gebliebener 
Brief  der  Deutschen  Waffen-  und 
Munitionsfabriken  Aktiengesell- 
schaft; Berlin-Karlsruhe,  gerichtet  an  eine 
Adresse   in   Paris.    Er  lautet: 


„Wir  drahteten  Ihnen  soeben:  ,Bitten 
unseren  heutigen  Brief  in  Paris  abwarten'. 
Grund  dieser  Depesche  war,  daß  wir  die 
Aufnahme  eines  Artikels  in  einer  der  ge- 
lesensten  französischen  Zeitungen,  möglichst 
im  Figaro,  durchsetzen  möchten,  welcher 
folgenden  Inhalt  haben  soll: 

„Die  französische  Heeresverwaltung  hat 
sich  entschlossen,  die  Neubewaffnung  der 
Armee  mit  Maschinengewehren  erheblich  zu 
beschleunigen  und  die  doppelte  Anzahl  als 
zuerst   beabsichtigt,    zu   bestellen." 

Wir  bitten  Sie  alles  aufzubieten,  um  die 
Aufnahme  eines  derartigen  Artikels  zu  er- 
reichen. Hochachtungsvoll 
Deutsche  Munitions-  und  Waffenfabriken*" 
Unterzeichnet  haben  dieses  Schreiben  die 
beiden  Generaldirektoren  der  Deutschen  Waf- 
fen- und  Munitionsfabriken,  Königlich  preußi- 
scher Geheimer  Baurat  Paul  von  Gon- 
tard  und  M.  Kosegarten.  In  den  Akten 
der  Firma  ist  es  in  der  Geheimregistratur 
unter  Nr.  8236,  1907  verzeichnet.  Die  Firma 
hat  behauptet,  und  der  preußische  Kriegs- 
minister hat  im  Reichstag  diese  Entschuldi- 
gung weitergegeben,  sie  habe  den  Artikel  in 
eine  französische  Zeitung  zu  lancieren  ver- 
sucht, nur  |um  Anhaltspunkte  für  zu  jener 
Zeit  geplante  französische  Maßnahmen 
zu  gewinnen ;  der  Gedanke,  auf  die  deutsche 
Heeresverwaltung  Einfluß  zu  gewinnen,  habe  ihr 
ferngelegen.  Wie  wenig  Glauben  diesen  Behaup- 
tungen beigemessen  wird,  belege  ich  wiederum 
durch  einige  Sätze  aus  einer  Rede  des  Reichs- 
tagsabgeordneten Erz  berger  in  der  Sitzung 
vom  23.  April  1913.  Da  sagte  er:  „Dieser 
Brief  stammt  aus  dem  Jahre  1907.  Im  Jahre 
1907  war  man  in  den  militärischen  Kreisen 
der  ganzen  Welt  noch  lange  nicht  so  von 
der  Vorzüglichkeit  des  Maschinengewehrs 
durchdrungen  wie  heute,  wo  man  es  als  un- 
entbehrliche Waffe  hinstellt.  1907  hat '  man 
in  vielen  Kreisen  auch  des  deutschen  Heeres 
die  Maschinengewehre  noch  als  Waffen  nur 
gegen  Herero  und  Hottentotten  gekennzeich- 
net; ganz  klein,  minimal  war  die  Anschaffung 
von  Maschinengewehren  auf  diesem  Gebiete. 
Frankreich  fing  dann  an,  mehr  Maschinen- 
gewehre auch  in  den  Dienst  seines  europäischen 
Heeres  zu  stellen.  Wenn  ich  mir  diese 
Situation  vor  Augen  halte,  dann 
gewinnt  der  Brief  der  Deutschen 
Waffen-  und  Munitionsfabriken 
ein  ganz  anderes  Gesicht,  als  wenn 
wir  ihn  aus  diesem  Zusammenhange  heraus- 
reißen. Wie  oft  hat  man  uns  hier  im  Reichs- 
tage gesagt,  wenn  wir  40  Millionen  Mark  für 
Maschinengewehre  in  den  Jahren  1908,  1909 
und  1910  —  also  gleich  nach  diesem 
Briefl  —  ausgegeben  haben:  wir  brauchen 
diese  Maschinengewehre,  wir  brauchen  diese 
Neubeschaffung  —  wir  haben  sie  auch  be- 
willigt — ,  weil  Frankreich  uns  soundso 
viel  auf  dem  Gebiete  der  Maschinengewehr- 
beschaffung voran  ist.  Dann  gewinnt  der  Brief 


168 


<g= 


DIE  FRIEDEN5-^^\RTE 


der  Deutschen  Munitions-  und  Waffenfabrik 
ein  ganz  anderes  Interesse  und  es  ist  ein 
ganz  anderes  Material,  als  man  bisher  an- 
nehmen konnte.''  (Um  der  Gerechtigkeit  willen 
sei  darauf  hingewiesen,  daß  kurz  vor  der 
Drucklegung  dieser  Zeilen  ein  Artikel  in  der 
„Frankfurter  Zeitung"  erschien,  worin  die  Re- 
daktion mitteilte,  die  D.  W.-  u.  M.-Fabriken 
hätten  ihr  durch  Vorlage  von  Aktenmaterial 
wahrscheinlich  gemacht,  daß  der  1907  in  den 
„Figaro"  zu  lancierende  Artikel  in  der  Tat 
nicht  auf  die  deutsche  Militärverwaltung 
wirken  sollte;  aber  selbst  die  sehr  gutmütige 
Redaktion  der  „Frkf.  Ztg."  meint,  dadurch 
werde  nur  wenig  entschuldigt,  und  ich  füge 
hinzu,  daß  mir  das  Veröffentlichte  zur 
Stützung  der  Behauptung  nicht  auszureichen 
scheint.) 

Wenn  übrigens  etwas  geeignet  wäre,  diesen 
Gipfel  gefährlicher  und  anstößiger  Geschäfte- 
macherei  zu  übergipfeln,  so  die  Nachricht, 
daß  der  eine  Unterzeichner  des  Schreibens, 
Herr  von  Gohtard,  zu  einer  Zeit,  als  der 
Brief  schon  öffentlich  bekannt  geworden  war, 
zum  Mitglied  des  preußischen 
Herrenhauses  berufen  worden  ist. 
Man  hat  nichts  davon  vernommen,  daß  die 
edlen  und  erlauchten  Mitglieder  der  preußi- 
schen Herrenkammer  an  der  Handlung  ihres 
Kollegen  Anstoß  genommen  hätten.  So 
tief  sitzt  der  Byzantinismus  diesen  edlen 
Herren  in  den  Knochen,  daß  sie,  die  sonst 
vor  der  schärfsten  Opposition  gegen  Re- 
gierungsmaßnahmen nicht  zurückscheuen, 
wenn  es  ihr  Vorteil  erheischt,  offenbar  schon 
beim  bloßen  Gedanken  einer  mehr  gesell- 
schaftlichen Fronde  gegen  den  König,  der 
Herrn  von  Gontard  berief,  in  die  Knie  ge- 
knickt sind.  Uns  fehlt,  offen  gestanden,  das 
Verständnis  für  diese  Feinheiten  aristo- 
kratischer   Ehrenauffassung. 

Seit  Jahren  lastet  der  furchtbare  Druck 
beständiger  Kriegsgefahr  auf  den  Völkern 
Europas.  Die  Hunderttausende  und  Millio- 
nen, die  im  schwersten  Lebenskampf,  oft 
vergeblich,  um  ein  bißchen  Daseinsfreude, 
um  einen  Strahl  der  Glückssonne  ringen, 
brechen  unter  den  Lasten  beinahe  zusammen, 
die  auf  ihren  Schultern  liegen.  Mit  der  Kul- 
turentwicklung geht  es  bei  uns  nicht  mehr 
vorwärts.  Körperlich  zerfällt  das  Volk  in 
den  Elendsquartieren  unserer  Großstädte 
und  Industriesiedelungen  so  unvermeidlich,  wie 
es  dort  sittlich  und  geistig  zurrüttet  werden 
muß.  Es  ist  ein  herzzerbrechender  Anblick, 
soviel  köstliches  Menschenmaterial  tag- 
täglich zugrunde  gerichtet  zu  sehen.  Wenn 
das  ein  unabänderliches  Schicksal  wäre, 
schwer  zu  tragen  wäre  es  auch  dann.  Aber 
da  man  die  schmutzigen  Finger  sieht,  die 
hinter  den  Kulissen  Weltgeschichte  agieren, 
da  statt  eines  unabänderlichen  Schicksals  ein 
dreister  Schwindel  die  Drähte  zieht,  so  packt 
uns  ein  herzhafter  Zorn,  und  aus  tiefer  Ent- 
rüstung    über      das     Treiben      gewissenloser 


Menschen  löst  sich  der  feste  Wüle,  an  der 
notwendigen  Aenderung  solcher  Zustände 
nach    Kräften    mitzuwirken. 


Die  angebliche  und 

die  wahre  Höhe 

der  deutschen   Rüstungslasten. 

Von  cand.  phil.  Adolf  Grote. 

Von  allen  Preßorganen  sämtlicher  die 
neue  Wehrvorlage  billigenden  deutschen 
Parteirichtungen  wird  jetzt  natürlich  mit  be- 
sonderem Eifer  jene  Behauptung  wieder- 
holt, mit  welcher  zumal  die  Alldeutschen 
immer  ihre  Rüstungsmehrforderungen  zu  be- 
gründen gesucht  haben:  die  Behauptung 
nämlich,  die  deutsche  Volkswirtschaft  könne 
die  neue  Mehrbelastung  an  Militärsteuern 
doch  ganz  gut  ertragen,  weil  die  Rüstungs- 
ausgaben Deutschlands,  auf  den  Kopf  der 
Bevölkerung  berechnet,  kleiner  seien  als 
die  entsprechend  berechneten  anderer  Groß- 
mächte, wie  z.  B.  Frankreichs  und  Englands. 

Daher  ist  die  Erinnerung  an  den  Beweis 
sehr  angebracht,  den  Dr.  Johann  Plenge 
(Prof.  a.  d.  Univ.  Leipzig)  seinerzeit  („Die 
Finanzen  der  Großmächte",  Zeitschr.  f.  d. 
ges.  Staatswissenschaften  64  [1908] :  713—75) 
dafür  geliefert  hat,  daß  diese  Angabe  eine 
offizielle  Verfälschung  des  wahren  Sach- 
verhalts ist,  uml  durch  Verschleierung  der 
tatsächlichen  Höhe  der  deutschen  Rüstungs- 
ausgaben die  Durchsetzung  immer  neuer 
Militärausgaben    möglich    zu    machen. 

Denn  natürlich  ist  die  Kopfziffer  der 
deutschen  Rüstungsausgaben  —  von  „kleinen" 
Fehlern  der  offiziellen  Budget vergleichung, 
die  z.  B.  nie  darauf  aufmerksam  macht,  daß 
im  deutschen  Heeresetat  die  Ausgabe  für 
die  Kolonialtruppen  fehlt,  während  im  fran- 
zösischen der  Posten  für  die  doch  Friedens- 
zwecken dienende  Gendarmerie  erscheint, 
sehen  wir  einmal  ab  —  als  solche  kleiner 
als  die  entsprechende  Ziffer  für  England  und 
Frankreich,  allein  eine  ganz  triviale  Erwägung 
zeigt  doch  sogleich,  daß  daraus  keineswegs 
die  geringere  Rüstungsbelastung  Deutsch- 
lands im  Vergleich  zu  den  beiden  anderen 
Ländern  zu  folgern  ist.  Denn  wenn  Staaten, 
so  führt  Plenge  in  Sperrdruck  aus,  „mit 
stark  verschiedener  Bevölkerung 
in  internationaler  Großmachts- 
konkurrenz stehen,  muß  selbst  bei 
überlegener  Rüstung  des  an  Be- 
völkerung reichsten  Staates  die 
Kopfziffer  der  Rüstungsausgaben 
notwendig  geringer  sein,  als  bei 
dem'  an  Zahl  geringeren  Nach- 
barn": so,  und  nicht  anders,  liegt  das  Ver- 
hältnis zwischen  Deutschland  .mit  seinen 
64  Millionen  einerseits  und  Frankreich 
(39   Mill.)    und  England    (45   Mill.)   anderer- 


169 


DIE  FßlEDENS-WABTE 


§> 


seits.  Die  geringere  Höhe  der  militärischen 
Belastungsziffer  ist  sogar  im  Gegenteil  ein 
Beweis  für  die  größere  Schwere,  mit  der 
die  Rüstungsausgaben  auf  Deutschland  ruhen : 
weil  nämlich  Deutschland  seiner  höheren 
Geburtenziffer  (30  Geb.  jährl.  auf  1000  Einw.) 
entsprechend  relativ  viel  mehr  Kinder  zu  er- 
nähren und  zu  erziehen  hat  als  Frankreich 
(19  Geb.)  und  England  (25  Geb.).  Alle  Er- 
ziehungskosten aber  sind  volkswirtschaftlich 
zunächst  unproduktiv  und  müssen  daher  jede 
steuerliche  Belastung,  ihrerHöhe  entsprechend, 
doppelt  empfinden  lassen.  Noch  drückender 
aber  wird  diese  Belastung  für  Deutschland 
durch  den  Umstand,  daß  in  ihm,  dem  erst 
in  den  letzten  Jahrzehnten  reich  gewordenen 
Lande,  das  Volksvermögen  ganz  anders 
verteilt  ist  als  in  Frankreich  und  in  Eng- 
land: in  diesen  beiden  Ländern  konnte  bei 
ihrem  Jahrhunderte  alten  Handel  die  Zahl 
der  mittleren  Vermögen  viel  größer  werden, 
d.  h.  das  Nationalvermögen  konnte  sich  viel 
günstiger  verteilen  als  bei  uns,  wo  sich  der 
größte  Teil  des  in  dem  plötzlichen  wirtschaft- 
lichen Aufschwung  nach  1870  gewonnenen 
Reichtums  zu  einer  verhältnismäßig  kleinen 
Zahl  großer  und  sehr  großer  Vermögen  zu- 
sammengeballt hat.  Und  was  außer  diesen 
beiden  erschwerenden  Umständen  des  un- 
günstigen Altersaufbaus  und  der  ungünstigen 
Vermögensverteilung  die  Militärlast  für  die 
deutsche  Volkswirtschaft  nun  noch  schlimmer 
gestaltet,  ist  vor  allem  die  ungerechtere  Art 
ihrer  Verteilung,  welche  die  Hauptlast  der- 
selben in  der  Form  von  indirekten,  von 
Verbrauchs  steuern,  auf  die  Schultern 
der  minderbesitzenden  Klassen  wälzt:  kamen 
doch,  '  wie  Plenge  (S.  724)  berechnet,  im' 
Jahr  1906:  auf  jede  Mark  direkter  Steuern 
indirekte    Steuern 

in  England  .  •.  .  .  1,47  M., 
in  Frankreich  .  .  .  2,61  ,, 
in  Deutschland  .  .  2,94  „I 
Zu  dieser  durch  überwiegende  Konsum- 
steuern bewirkten  Erschwerung  des  Daseins- 
kampfes unserer  niederen  und  mittleren 
Klassen  kommt  aber  noch  die  durch 
Schutzzölle  auf  Getreide  hervorgerufene 
Verteuerung  des  Brotes  hinzu,  welche 
jedes  Jahr  800  Millionen  aus  den 
Taschen  der  arbeitenden  Bevölkerung  in 
die  der  adligen  Großgrundbesitzer  fließen 
läßt  und  die  natürlich  eine  noch  größere 
Verteuerung  der  gesamten  Lebenshaltung 
zur  Folge  haben  muß.  Wieviel  schlechter 
daher  die  arbeitende  Bevölkerung  bei  uns 
unter  einer  solchen  brutalen  Wirtschafts- 
politik gestellt  ist  als  die  in  Frankreich  und 
England,  das  lehren  die  Untersuchungen  von 
Lujo  Brentano  („Die  deutschen  Getreide- 
zölle", 1911),  von  Paul  Mombert  („Die  Be- 
lastung des  Arbeiterbudgets  durch  die  Korn- 
zölle", 1904),  von  Wilh.  Gerloff  („Ver- 
brauch und  Verbrauchsbelastung  kleiner  und 
mittlerer  Einkommen  in  Deutschland",  1907), 


von  Karl  v.  Tyszka  („Die  Lebenshaltung  der 
arbeitenden  Klassen  i.  d.  bedeut.  Industrie- 
staaten", 1912)  und  anderen  eindringlich 
genug.  Schließlich  wird  natürlich,  wenn  es 
sich  um  einen  Vergleich  der  Rüstungsbudgets 
Englands  und  Deutschlands  handelt,  meist 
verschwiegen,  daß  Deutschland  einen  zahlen- 
mäßig zwar  schwer  ausdrückbaren,  aber 
nichtsdestoweniger  vorhandenen  riesigen 
Posten  für  Rüstungszwecke  mehr  ausgibt 
als1  England :  dieser  Posten  besteht 
in  der  Tatsache  der  allgemeinen 
We  hrpficht.  Es  ist  ein  großer  Unter- 
schied, ob  man,  wie  in  England,  aus  mehr 
oder  minder  zweifelhaften  und  volkswirtschaft- 
lich wenig  wertvollen  Individuen  ein  Söldner- 
heer bildet,  oder  ob  man,  wie  bei  uns,  gerade 
den  wirtschaftlich  tüchtigsten  jungen  Leuten 
zwei  Jahre  ihrer  Ausbildungszeit  und  später 
noch  soundso  viel  Wochen  und  Monate  an 
Uebungen  fortnimmt,  was,  ganz  abgesehen 
von  dem  direkten  Lohnausfall,  eine  ständige 
Störung  des  ganzen  beruflichen  Lebens  be- 
deutet. Und  zuletzt  ist  noch  zu  berück- 
sichtigen, daß  Frankreich  und  England  nicht 
so  viele  wirtschaftliche  Betriebe  vom  Staat 
entzogen  sind  wie  uns  deren  Reingewinn, 
wie  z.  B.  der  der  Eisenbahnen,  welcher 
ca.  900  Mill.  im  Jahre  beträgt,  sofort  wieder 
für  Rüstungsausgaben  verloren  geht,  so  daß 
auch  hier  ein  zahlenmäßig  nicht  leicht  fest- 
stellbarer aber  darum1  nicht  minder  großer 
Verlust  für  die  deutsche  Volkswirtschaft 
entsteht.    — 

Also  erst  unter  Berücksichtigung  dieser 
Faktoren  der  Bevölkerungszahl,  des  Altersauf- 
baus, der  Vermögensverteilung,  der  Art  der 
steuerlichen  Belastung  und  des  Betriebs- 
entzuges, soweit  es  sich  um  England  handelt, 
auch  unter  Berücksichtigung  des  Umstandes, 
daß  dieses  Land  keine  allgemeine  Wehrpflicht 
hat:  erst  unter  Berücksichtigung  aller  dieser 
Faktoren  wird  ein  Vergleich  der  europäischen 
Militärbudgets  Anspruch  auf  wissenschaftliche 
Richtigkeit  erheben  können,  und  wie  sehr  sich 
schon  dann  das  Bild  zuungunsten  Deutsch- 
lands verschiebt,  haben  wir  gesehen. 

Danach  läßt  sich  nun  leicht  entscheiden, 
daß,  wenn  Deutschland  obendrein  auch  noch 
die  schnellste  Steigerung  seiner  Rüstungsaus- 
gaben, verglichen  mit  der  im  gleichen  Zeit- 
raum vollzogenen  Rüstungssteigerung  anderer 
Länder  zeigt,  an  der  Tatsache  nicht  mehr  anders 
als  aus  völliger  Unkenntnis  oder  in  der  Absicht 
lügnerischer  Entstellung  zu  rütteln  ist:  daß 
dieLastderRüstungenaufDeutsch- 
land  schwerer  ruht  als  auf  allen 
anderen  Ländern.  Und  tatsächlich  ist 
das  denn  auch  der  Fäll :  die  Rüstungsausgaben 
vom  Jahre  1906  standen  nach  Plenges  genauer 
Berechnung  zu  denen  von  1875  und  zu  denen 
von   1893  in  folgendem  Verhältnis: 

Setzt    man   die    Rüstungsausgaben   voi 
-     1875  =  100,  so  waren  sie  im  Jahre  1906  ge 
stiegen  auf: 


170 


@= 


DIE  FRIEDENS-^VARTE 


Heer     Flotte 

215.8  555,4         in  Deutschland 

135.9  243,3         in  Frankreich 
172,5        311,4         in  England 

Setzt    man   die    Rüstungsausgaben   von 
1893  =  100,  so  waren  sie  im  Jahre  1906  ge- 
stiegen auf: 
Heer     Flotte 

132,0         329,2         in  Deutschland 

111,4         127,2         in  Frankreich 

155,9         237,6         in  England. 

Wer  wagt  angesichts  dieser  Ziffern  noch 
der  Folgerung  zu  widersprechen,  die  Plenge 
(Sl.  714,  im  Orig.  gesp.)  aus  ihnen  zieht : 

„Deutschland  hat  seit  1893  unter  den 
europäischen  Großmächten  die  stärkste  Stei- 
gerung der  Ausgaben  für  Rüstungszwecke 
aufzuweisen"!?  Ist  es  da  so  unberechtigt, 
wenn  man  Deutschland  das  klassische  Land 
des  Militarismus  nennt?  Ist  da  die  Erregung 
in  England  und  Frankreich  über  das  an- 
dauernde Weiterrüsten  Deutschlands,  das  sich 
zu  der  jetzigen  Milliardenvorlage  gesteigert  hat, 
so  ganz  unbegreiflich  ?  Ist  es  da  wirklich  Vater- 
landsverrat und  ehrlose  Gesinnung,  in  diesem 
wahnwitzigen  Rekordrüsten  Deutschlands  kein 
Heil  für  sein  Vaterland  zu  sehen?  — 

Was  der  Pazifismus  seit  Jahrzehnten  ge- 
predigt hat,  daß  die  Rüstungsausgaben  der 
großen  Kulturländer  eine  unnatürliche  und  auf 
die  Dauer  unerträgliche  Last  für  ihre  kul- 
turelle Weiterentwicklung  darstellen,  das  be- 
stätigt Plenges  scharfsinniger  Hinweis  darauf, 
daß  erst  ein  Vergleich  der  Bevölkerungs- 
zunahme mit  der  Rüstungszunahme  eines  Lan- 
des ein  völlig  zutreffendes  Bild  der  Sachlage 
ergibt  und  er  schließt  diesen  Hinweis  mit  den 
—  wiederum  im  Original  gesperrten  —  Worten 
(S.  766): 

„Es  ist  erschreckend,  daß  in  den 
dreigroßenKulturländern  [Deutschi., 
Frankr.,  Engl.]  die  Rüstungsausgaben 
erheblich  schneller  gewachsen 
sind  als  die  Bevölkerung  und  man 
sieht  nicht  ohne  Ueberraschung, 
daß  in  Deutschland,  dem  Lande  der 
stärksten  Bevölkerungszunahme, 
der  gesamte  Rüstungsauf  wand  der 
wachsenden  Bevölkerung  verhält- 
nismäßig am  meisten  vorangeeilt 
is  t."  Möge  daher  jeder  Reichstagsabgeordnete, 
der  die  neue  Milliardenvorlage  zu  bewilligen 
entschlossen  ist,  sich  überlegen,  ob  er  seinem 
Vaterlande  damit  wirklich  einen  Dienst  erweist : 
ob  er  damit  wirklich  dessen  kultureller  Fort- 
entwicklung und  der  Erhaltung  des  Welt- 
friedens nützt.  Die  gesamte  Wehrvereins-  und 
sonstige  gleichgesinnte  Presse  möge  sich  doch 
bemühen,  die  von  Plenge  beigebrachten  Nach- 
weise und  Zahlen  zu  widerlegen  I  Es  ist  dies 
aber  eben  nur  unter  Preisgabe  der  wissenschaft- 
lichen Wahrheit  möglich:  die  klare  Sachlage 
ist,  wie  wir  nochmals  zusammenfassen,  die: 
unter  den  drei  großen  Kultur- 
staaten ist  es- Deutschland,  das  im 


europäischen  Wettrüsten  seit  1870 
stets  die  erste  Stelle  eingenommen 
und  dadurch  direkt  oder  indirekt 
Frankreich  und  England  gezwun- 
gen hat,  entsprechend  mitzurüsten. 
Es  leidet  unter  seiner  Rüstungs- 
last, die  schon  an  sich  die  absolut 
größte  im  Vergleich  mit  der  Eng- 
lands und  Frankreichs  ist,  doppelt 
und  dreifach  schwer,  weil  es  dabei 
eine  große  Kinderzahl  zu  erhalten 
hat,  weil  es  untereinerungünstigen 
Vermögensverteilung  und  unter 
dem  Entzug  vieler  Betriebe  leidet, 
die  in  den  beiden  anderen  Ländern 
Privateigentumsind,  undweildiese 
seine  ganze  Rüstungslast  oben- 
drein am  ungerechtesten  durch 
überwiegend  indirekte  Besteue- 
rung auf  den  minderbemittelten 
Klassen  ruht. 

Friedens-  und  Kriegshysterie. 

Von  Prof.  Robert  Pilot y,  Würzburg. 

Gedanken  über  Krieg  und  Frieden  haben 
mit  allen  Gedanken  über  menschliches  Tun 
und  Lassen  das  Gemeinsame,  daß  sie  als  Ur- 
teile der  reinen  (theoretischen)  oder  der 
praktischen  Vernunft  erwogen  werden  können. 
Diese  beiden  Sphären  des  Denkens  werden 
aber  gerade  in  diesem  Gebiete  nur  selten 
scharf  geschieden.  Aus  der  Vermischung  aber 
ergeben  sich  mitunter  psychopathische 
Erscheinungen,  die  sich  als  Friedens-  und 
Kriegshysterie    diagnostizieren    lassen. 

Eine  wunderliche  Verirrung,  der  man 
nicht  selten  begegnet,  ist  es,  wenn  der 
Friedenshysteriker  gegen  die  gesamte  ge- 
rüstete Staatenwelt  und  ihre  Führer  sich  in 
veitstanzartigen  Schimpfsalven  entlädt  und 
statt  sanfter  Töne  oder  vernünftig-logischer 
Darlegungen,  durch  die  man  Seelen  und 
Geister  gewinnen  könnte,  ein.  förmliches 
Kriegsgeschrei  für  den  Frieden  erhebt.  Er 
glaubt  sich  vom  Boden  der  Theorie  völlig  ge- 
löst, lebt  in  dem  Wahne,  den  archimedischen 
Gedankenpunkt  gefunden  zu  haben,  von  dem 
aus  er  mit  beleidigenden  Stinkbomben  um 
sich  schleudert,  die  Empfindungen  der  Vater- 
landsliebe und  Völkerehre"  auszurotten  ver- 
sucht und  ganze  Berufsgruppen,  Verfassungs- 
formen und  Staatseinrichtungen  als  Satans- 
werke verketzert.  Man  muß  mit  kühlem  Blut 
solche  Nervenentladungen  auf  ihr  Substrat 
untersuchen  und  findet  dann  gewöhnlich  mehr 
Aufwand  wohlerworbener  Dialektik  als  Ge- 
dankenreichtum, eine  krasse  Rednereitel- 
keit und  eine  Kriegslust,  die  sich  zwar  the- 
orethisch  noch  am  Ziel  des  Friedens  fest- 
nagelt, dabei  aber  mit  Armen  und  Beinen 
wie  besessen  in  der  Luft  herumschlägt,  heraus- 
fordert ohne  Neigung,  Satisfaktion  zu  geben. 

Diese    pathologische    Art    von    Friedens- 
bewegung    glaubt     wirklich     die     Friedens- 


171 


DIE  FßlEDENS-^MkDTE 


3 


erhalterin  zu  sein,  während  sie  tatsächlich 
auf  der  Hetzerseite  steht,  indem  sie  ruhig 
denkende  Leute  aufregt,  kriegsgeneigte 
Schichten  reizt  und  durch  das  Gesetz  des 
Widerspruchs  in  ihrer  kriegerischen  Rich- 
tung  vorandrängt. 

Es  ist  nicht  nötig,  Namen  als  Beispiele 
zu  nennen  und  ihnen  dadurch  zur  ersehnten 
Berühmtheit  als  Friedenshelden  zu  ver- 
helfen; wer  kein  Anfänger  in  der  Feder- 
psychologie ist,  der  kennt  den  Typus  ohne- 
hin   schon,    und    das    genügt. 

Die  Selbsttäuschung,  in  der  ein  solcher 
Pseudoapostel  lebt,  wurzelt  darin,  daß  er  den 
Kriegshetzer  für  seinen  grimmigsten  Feind 
hält,  während  er  in  der  Tat  dessen  unfrei- 
williger Kopist  ist.  Auch  der  Kriegshysteriker 
ist  ein  Nervenschwächling,  der  mit  dem  Krieg- 
führenden nichts  gemein  hat,  dem  aber  die 
Vorstellungswelt  der  Kriegsgreuel  eine  Art 
unentbehrlichen  Giftgenusses  geworden  ist. 
Ihm  ist  die  Welt  ohne  Krieg  eine  unerträg- 
liche Idee,  er  muß  ihre  öde  Leere  mit  den 
verderbensprühenden  Explosivstoffen  seiner 
subjektiven  Phantasie  füllen,  um  sich  anfangs 
nur  quartalweise,  allmählich  aber  ständig 
im  Rausch  seiner  tapferen  Selbstbespiegelung 
kl  übernatürlichen  Dimensionen  als  der  Held 
aller  vergangenen  und  künftigen  Kriege  zu  fühlen. 

Sonderbari  Nur  im  Worte  unterscheiden 
sich  die  beiden,  ihr  Wappenschild  und  ihre 
Figur  sind  die  gleichen.  Das  Ganze  ist 
nicht  Tatsache,  sondern  Nervensache,  und  es 
darf  nicht  wundernehmen,  wenn  man  beide  im 
Gefechte  plötzlich  die  Rollen  tauschen  sieht, 
oder  wenn  gar  ein  Virtuose  der  Sensation 
es  fertigbringt,  beide  Rollen  in  seiner  Per- 
son zu  vereinigen.  Aber  sie  sind  beide  nicht 
so  unschuldig,  wie  sie  exaltiert  sind.  Denn 
wenn  sie  auf  ihren  Postamenten  agieren, 
dann  ist  es  eine  Kunst,  zwischen  ihnen  hin- 
durchzukommen, ohne  eine  Beschmutzung 
angehängt    zu    erhalten. 

Es  wäre  aber  auch  unbillig,  ihnen  die 
Schuld  an  ihrem  unnormalen  Seelenzustand 
ausschließlich  zuzuschieben.  Wer  möchte 
von  sich  behaupten  können,  daß  er  im  Leben 
nie  in  dem  einen  oder  anderen  dieser  beiden 
Exaltationszustände  sich  befunden  hätte  ? 
Zeiten  und  Umstände  reißen  mitunter  auch 
die  Festesten  mit  sich  fort.  Aber  es  kann 
nichts  schaen,  rechtdzeitig  und  stetig 
in  der  Abwehr  der  suggestiven  Schwin- 
gungen, welche  von  diesen  Polen  ausgehen, 
sich   zu   üben. 

Die  Jubilare  des  21.  Mai. 

i. 

Der  70.  Geburtstag  Prof.  Renaults.  < 

Von  Prof.  N,  P  o  1  i  t  i  s ,  Paris. 
Unter  den  großen  Berühmtheiten  unserer 
Zeit    verkörpert    Prof.    Renault    die   inter- 
nationale Idee  in  ihrem  vornehmsten  und  er- 


habensten Sinne.  Keiner  hat  soviel  wie  er 
zum  Fortschritt  des  Rechts  und  zur  Förde- 
rung der  Gerechtigkeit  in  den  Beziehungen 
zwischen    den   Völkern   beigetragen. 

Seit  dreißig  Jahren  Lehrer  des  Völker- 
rechts, hat  er  Tausende  von  Schülern  aller 
Nationalitäten  herangebildet.  Alle  Inter- 
nationalisten, die  meisten  Diplomaten,  die 
Elite  der  Verwaltungs-,  Militär-  und  Marine- 
Beamten  in  Frankreich,  zahlreiche  Rechts- 
gelehrte und  Staatsmänner  im  Auslande,  sind 
stolz  darauf,  ihn  zum1  Lehrer  gehabt  zu  haben. 
Es  gibt  fast  kein  Land,  in  das  seine  wohl- 
tätige Lehre  nicht  gedrungen  ist.  Der  Beweis 
dafür  wurde  durch  das  unvergeßliche  Fest 
erbracht,  das  vor  sechs  Jahren  anläßlich 
seines  25jährigen  Jubiläums  als  Völkerrechts- 
professor an  der  Pariser  Universität  statt- 
fand. 

Seit  einem  Vierteljahrhundert  ist  es  ihm 
als  Rat  des  französischen  auswärtigen  Amtes 
gelungen,  die  Diplomatie  nach  und  nach  zur 
Gesetzmäßigkeit  zu  erziehen.  Vor  einigen 
Jahren  noch  hatten  die  Staatskanzleien  dafür 
nicht  viel  übrig.  Sie  haben  es  auch  heute 
noch  nicht  genügend.  Aber  es  ist  schon  sehr 
viel,    daß    sie  damit  anfangen. 

Als  Delegierter  der  meisten  internatio- 
nalen Konferenzen  seit  Ende  des  XIX.  Jahr- 
hunderts, hat  er  alle  Kräfte  seiner  Vernunft 
und  seines  Wissens  daran  gesetzt,  um  die 
Zahl  der  internationalen  Gesetze  zu  ver- 
mehren  und  ihre  Qualität  zu  verbessern. 

Er  hat  unzählige  Male  als  Schiedsrichter 
fungiert  und  dabei  Urteilssprüche  gefällt, 
die  den  künftigen  Rechtsgelehrten  und 
Schiedsrichtern  gleichzeitig  als  Entschei- 
dungen höchster  Gerechtigkeit  wie  als  Muster- 
beispiele dienen  können.  Er  setzte  sich  auch 
für  die  Umgestaltung  der  Schiedsgerichts- 
barkeit ein,  die,  vor  kurzem  noch  ein  ein- 
faches diplomatisches  Auskunftsmittel,  dahin 
strebt,  eine  wirkliche  Rechtsinstitution  zu 
werden.  Der  früheren  Ansicht  des  Schieds- 
richters, der  sich  als  der  geborene  Verteidiger 
seines  Landes  ansah,  setzte  Prof.  Renault 
seine  höhere  Auffassung  des  Richters  ent- 
gegen, der  im*  Namen  des  Rechtes  und  der 
Billigkeit  sein  Urteil  fällt,  ohne  die  Interessen 
irgendeiner  der  Parteien  zu  den  seinen  zu 
machen.  Seine  Unparteilichkeit  machte 
manchmal  jene  erstaunen,  die  in  der  alten 
Praxis  erzogen  waren,  aber  sein  gutes  Bei- 
spiel hat  den  Beifall  der  größten  Skeptiker 
gefunden,  so  daß  er  schließlich  eine  Be- 
wegung ins  Leben  rief,  die  nach  und  nach 
alle    zivilisierten    Länder    ergreift. 

Den  einmal  angeschlagenen  Weg  fort- 
zusetzen, wurde  Professor  Renault  nicht 
nur  durch  seine  angeborenen  Talente  und 
seinen  unermüdlichen  Fleiß  ermöglicht, 
sondern  auch  weil  er  sich  der  Schwierigkeit 
seiner  Aufgabe  genau  bewußt  war.  Seine  ge- 
sammelten Erfahrungen  über  Menschen  und 
Dinge   überzeugten    ihn,    daß   mehr  noch   als 


172 


@s 


DIE  FRIEDEN5 -WARTE 


jeder  andere  menschliche  Fortschritt,  der 
Weg  zum  internationalen  Fortschritt  ein  dor- 
nenvoller und  mühseliger  sei.  Man  benötigt 
Mut,  Geduld  und  vor  allen  Dingen  viel  Klug- 
heit,   um   ihn   bis   ans  Ende   zu   gehen. 

Daher  das  kluge  Mißtrauen  des  Gelehrten 
gegen  absolute  Doktrinen,  die,  weil  sie  sich 
allzusehr  von  der  Wirklichkeit  entfernen,  Ge- 
fahr laufen,  die  Ueberzeugung  zu  erschüttern 
und  dem  Geist  eine  falsche  Richtung  geben. 
Daher  der  große  Sinn  für  Versöhnlichkeit 
des  offiziellen  Ratgebers  und  Vertragsbevoll- 
mächtigten, der  stets  bereit  ist,  die  ver- 
schiedensten Meinungen  gelten  zu  lassen, 
sie  ohne  Vorurteil  zu  prüfen,  ihnen  —  nö- 
tigenfalls —  das  notwendige  Verständnis  ent- 
gegenzubringen, um  wünschenswerte  Ueber- 
einstimmung  zu  ermöglichen.  Daher  endlich 
die  Sorge  des  Richters,  der  berufen  wird, 
leidenschaftliche  Konflikte  zu  lösen,  die 
Schärfe  des  Rechts  durch  die  Empfindlich- 
keit schonende  Konzessionen  zu  mildern,  um 
die   Beziehungen    harmonischer   zu   gestalten. 

Die  Ideologen  sind  vielleicht  versucht, 
diese  Klugheit  für  Lauheit  anzusehen,  die 
den  Fortschritt  aufhält  oder  verlangsamt.  In 
Wirklichkeit  ist  aber  diese  Klugheit  die 
sicherste  Gewähr  des  Fortschritts  in  einer 
aus  Nationen  verschiedener  Rasse,  Zivili- 
sation und  Gebräuche  gebildeten  Gesell- 
schaft. Die  Dauer  eines  zu  errichtenden 
Baues  hängt  vor  allem  von  dem  Umfang  und 
der  Solidität  ihrer  Fundamente  ab ;  die  an 
ihrer  Legung  arbeiten,  verdienen  daher  die 
Dankbarkeit    der    Menschheit. 

Von  diesem  Geiste  durchdrungen,  ver- 
urteilt Prof.  Renault  die  gefährlichen  Ueber- 
treibungen  einzelner  Pazifisten :  so  die  vor- 
eilige Kodifikation  des  Völkerrechts,  weil  die 
Sitten  der  Völker  ohne  eine  eingehende  De- 
t eilarbeit  zweckmäßig  nicht  textlich  fest- 
gelegt werden  könnten;  so  das  integrale  und 
obligatorische  Schiedsgericht,  weil  diese  Ein- 
richtung, deren  Anwendung  durch  die  Do- 
mäne des  Rechts  selbst  geboten  erscheint, 
kein  Zweck,  sondern  ein  Mittel  ist;  so 
die  Abrüstung,  weil,  so  wünschenswert  diese 
Maßnahme  auch  sei,  sie  nur  die  Folge  einer 
auf  Recht  gegründeten  internationalen  Or- 
ganisation sein  könnte;  so  endlich  und  haupt- 
sächlich den  Antipatriotismus,  weil  durch  die 
Konstruierung  eines  Widerspruches  zwischen 
der  internationalen  Idee  und  der  des  Vater- 
landes, von  der  ersten  alle  jene  entfernt 
werden,  die  am  Vaterlande  mit  ganzer  Seele 
hängen.  Da  der  Internationalismus  auf  der 
Achtung  vor  der  Freiheit  und  der  Würde 
jedes  Staates  beruht,  so  ist  derjenige  un- 
würdig, sich  internationaler  Bürger  zu  nennen, 
der  damit  beginnt,  seinem  eigenen  Lande 
diese   Achtung   zu   versagen. 

Viel  mehr  aber  als  alle  Worte  predigt 
das  Beispiel  Prof.  Renaults  selbst  diese 
Wahrheit:  indem  er  Frankreich  diente,  hat 
er    am'    besten    allen    anderen    Nationen    s:e- 


dient,  und  seine  Hingebung  an  dieses  Land 
war  immer  um  so  größer,  als  er  wußte,  daß 
im  letzten  Grunde  auch  die  anderen  Völker 
daran  teilhaben  würden. 

Das  ist  sicher  nicht  das  geringste  seiner 
Verdienste,  die  ihm  die  Verehrung  der  ganzen 
Welt  einbrachten.  Seine  Rüstigkeit  läßt  uns 
hoffen,  daß  er  noch  lange  Jahre  seine 
ausgezeichnete  Tätigkeit  zugunsten  der 
Wissenschaft  und  der  Menschheit  wird  weiter 
entfalten  können.  Dies  ist  —  zu  seinem 
70.  Geburtstag  —  der  herzliche  Wunsch 
aller,  die  das  Höchste  darin  erblicken,  Be- 
ziehungen der  Gerechtigkeit  und  des  Friedens 
zwischen  den  Nationen  sich  entwickeln  zu 
sehen. 


IL 

Albert  Gobat. 

1843  -  21.  Mai  —  1913 

Von   Chr.   L.  Lange, 

Generalsekretär  der  Interparlamentarischen  Union 

in    Brüssel. 

Es  wird  allen,  die  ihn  kennen,  unglaub- 
lich scheinen,  daß  Albert  Gobat  jetzt 
die  „Jahre  des  Staubes"  erreicht:  es  ist  an 
ihm  so  wenig  Verstaubtes;  er  hat  so  gar 
nicht  das  Gepräge  des  alternden  Mannes. 
Seine  rüstige  Gestalt,  sein  kräftig  gebauter 
Körper,  der  nichts  Schwerfälliges  an  sich  hat, 
sein  noch  schwarzes  Haar,  das  von  der  Stirn 
wie  eine  \Flamme  emporstrebt  —  das  alles 
widerspricht  dem  Zeugnis  seines  Geburts- 
scheines. Es  läßt  uns  auch  hoffen,  daß  Gobat 
zu  der  schon  stattlichen  Reihe  von  Friedens- 
freunden gehören  wird,  die  uns  bis  an  die 
achtziger  und  neunziger  Jahre  erhalten  geblie- 
ben sind,  wie  die  abgeschiedenen  Passy, 
Hodgson,  Pratt,  Cremer  und  Beernaert 
oder  die  uns  noch  erhaltenen  Labiche  und 
Houzeau  de  Lehaie. 

Albert  Gobat  hatte  schon  eine  rege  öffent- 
liche Tätigkeit  hinter  sich,  als  er  im  Jahre 
1891,  48  Jahre  alt,  sich  der  Friedensbewe- 
gung anschloß.  Als  ganz  junger  Advokat 
hatte  er  sich  in  seiner  Heimat,  dem  berni- 
schen Jura,  besonders  der  Entwicklung  des 
Unterrichtswesens  gewidmet.  Noch  nicht  40 
Jahre  alt,  war  er  in  den  Großen  Rat  des 
Kantons  Bern  gewählt  worden,  und  übernahm 
gleichzeitig  auch  hier  die  Leitung  des  Unter- 
richtsdepartements. Schwere  Kämpfe  hatte  er 
hier  zu  bestehen  wider  eingewurzelten  Konser- 
vatismus und  faule  Trägheit.  Aber  der  Wider- 
stand steigerte  nur  seine  rücksichtslose  Energie 
und  er  konnte,  als  er  nach  fünf undzwanzig  Jah- 
ren die  Leitung  des  Unterrichtswesens  nieder- 
legte, stolz  auf  die  Ergebnisse  seines  Wirkens 
sein.  Die  Berner  Universität  hat  während 
dieser  Jahre  ihren  hohen  wissenschaftlichen 
Ruf,  namentlich  auf  dem  medizinischen  Ge- 
biete, erworben,  und  die  Primärschule  hat 
namhafte     Fortschritte     gemacht,     besonders 


173 


DIE  FßlEDENS-^VAQTE 


=3 


durch  die  große  Reform  von  1894,  die  Gobats 
persönliches  Werk  war.  Mittlerweile  war  er 
auch  in  den  Dienst  des  öffentlichen  Lebens 
der  Schweizer  Konföderation  getreten:  als 
Nationalrat  hat  er  im  Jahre  1891-  der  dritten 
interparlamentarischen  Konferenz  in  Rom  bei- 
gewohnt. 

Gobat  trat  in  die  Bewegung  ein,  als  die 
Friedensfreunde  darangingen,  sich  internatio- 
nal zu  organisieren.  "Es  war  ganz  natürlich, 
daß  sie  dann  mit  Begeisterung  und  Dank- 
barkeit seine  bewährte  organisatorische  und 
administrative  Begabung  in  Anspruch  nahm, 
und  er  hat  sich  auch  unbegrenzt  zu  ihrer 
Verfügung  gestellt.  Er  war  schon  1891  als 
Mitglied  des  ständiger  Komitees  des  Friedens- 
bureauS  Elie  Ducommun  bei  Seite  getreten 
und  blieb  in  dieser  Stellung  bis  1899.  Im 
Jahre  1892  hat  die  4.  Interparlamentarische 
Konferenz,  die  zu  Bern  unter  dem  Präsidium 
Gobats'  tagte,  beschlossen,  der  Interparla- 
mentarischen Union  eine  festere  Organi- 
sation zu  geben.  Gobat  unternahm  die  Auf- 
gabe, diese  Organisation  zu  schaffen  und  zu 
leiten,  und  siebzehn  Jahre  hindurch  hat  er 
hier  als  Ehrensekretär  außerordentliches  ge- 
leistet, an  Arbeit,  an  Initiative,  an  Kampf. 
Das  Nobelkomitee  hat  ihm  1902,  als  einem 
der  vier  ersten,  den  Friedenspreis  zuerkannt. 

Wir  können  hier  nicht  im  einzelnen  der 
Wirksamkeit  Gobats  im  interparlamenta- 
rischen Amt,  in  den  jährlichen  Konferenzen, 
als  Leiter  der  Monatsschrift  „La  Conference 
interparlementaire"  nachgehen.  Das  hieße  die 
Geschichte  der  Union  selbst  während  dieser 
Jahre    schreiben. 

Beim  Tode  Elie  Ducommuns,  1906,  über- 
nahm Gobat  auch  die  Leitung  des  Friedens- 
bureaus, und  als  1912  das  Bureau  sich  mit 
Hilfe  der  Carnegie-Stiftung  reorganisierte, 
trat  er  als  Direktor  des  Instituts  an  dessen 
Spitze  und  widmet  ihm  jetzt  seine  ganze 
Arbeitskraft.  Von  hier  aus  führt  er  seinen 
freudigen  Kampf  weiter  für  die  Ideen,  die 
ihm!   Herzenssache   sind. 

Gobat  ist  eben  sein  ganzes  Leben  ein 
Kämpfer  gewesen.  Der  Kampf  ist  sein 
Element;  der  Widerstand  ist  ihm  eine  Not- 
wendigkeit und  ein  Bedürfnis;  man  könnte 
versucht  sein  zu  sagen,  daß,  wenn  der  Wider- 
stand nicht  da  wäre,  so  würde  er  ihn 
schaffen,  um  desto  frischer  kämpfen  zu 
können,  mit  der  rücksichtslosen  und  rück- 
sichtsfreien Energie,  die  seiner  ganzen  Per- 
sönlichkeit ihr  ganzes  Gepräge  verleiht.  Er 
leistet  glücklicherweise  ein  kräftiges  De- 
menti der  albernen  Lehre,  daß  pazifistische 
Anschauung  die  Freude  des  Kämpfens  aus- 
schließt. 

Alle  Friedensfreunde  werden  Albert  Gobat 
zum  siebzigsten  Jahre  ihren  Dank  und  ihre 
Grüße  darbieten,  in  dem  Wunsche,  daß  er 
noch  lange  Jahre  seine  Tätigkeit  fortsetzen 
möge. 

CSS? 


III, 

Dr.  Heinrich  Lammasch. 

Zu  seinem  60.  Geburtstage. 
Von    E.    Frhr.    v.    Plener. 


Der  Name  Heinrich  Lammasch's  ist  heute 
in  der  ganzen  internationalen  Welt  anerkannt 
und  hochgeachtet.  Er  hat  als  Schiedsrichter 
im1  Haag  in  schwierigen  und  wichtigen  Fällen 
die  Entscheidung  zur  Zufriedenheit  beider 
Streitteile  gefällt  und  damit  die  Autorität 
des  neuen  Schiedsgerichtshofs  vor  der  ganzen 
Welt  gehoben.  Namentlich  in  dem  letzten 
unter  seinem  Vorsitz  abgehaltenen  Schieds- 
verfahren über  die  seit  fast  zwei  Jahrhun- 
derten zwischen  England  und  den.  Ver- 
einigten Staaten  schwebende  Kontro- 
verse der  Neufundlandfischerei  hat  er 
einen  Scharfsinn  und  eine  so  gründliche 
Beherrschung  des  höchst  verwickelten 
und  umfangreichen  Materials  entwickelt,  die 
ihm1  unter  den  internationalen  Juristen  einen 
ersten  Rang  zuweisen.  Er  ist  seiner  Anlage 
und  seiner  Denkweise  nach  der  richtige 
Schiedsrichter.  Nach  einer  von  vielen  ge- 
teilten Auffassung  ist  der  Schiedsrichter  na- 
mentlich in  internationalen  Dingen  kein 
Richter  im1  eigentlichen  Sinne  des  Wortes. 
Das  Schiedsgericht  wird  zusammengesetzt 
durch  die  freie  Wahl  der  Streitteile,  welche 
mit  Recht  auch1  nationale  Schiedsrichter  im 
Kollegium!  haben  wollen,  und  der  Schieds- 
spruch ist  kein  Urteil  im  formalistischen 
Sinne  des  Zivilprozesses,  es  muß  mit  einer 
gewissen  aequitas  gefällt  werden,  es  han- 
delt sich  nicht  bloß  um  die  formelle  Unter- 
werfung des  Falles  unter  einen  Rechtssatz, 
das  Schiedsverfahren  soll  eine  ausgleichende 
Gerechtigkeit  schaffen.  Das  ist's,  was  die 
anrufenden  Teile  wollen,  und  das  ist  es, 
was  nach  unseren  heutigen  Auffassungen  den 
souveränen  Staaten  die  Anrufung  von 
Schiedsgerichten  ermöglicht,  während  die 
Unterwerfung  des1  souveränen  Staats  unter 
einen  berufsrichterlich  zusammengesetzten  Ge- 
richtshof noch  lange  große  Schwierigkeiten 
bieten  wird.  Und  jene  ausgleichende  Funktion 
des  Schiedsrichters  verstand  Lammasch  in  der 
richtigen  Weise  auszuüben,  hier  kann  das 
oft  mißbrauchte  Wort  vom  ,, guten  Richter" 
angewendet  werden,  eine  billige  Entschei- 
dung, die  einen  versöhnenden  Abschluß 
bringt,  und  in  wichtigen  Fällen,  wenn  auch 
formell  nicht  zugestanden,  tatsächlich  einen 
politischen    Charakter   an    sich   trägt. 

Aber  nicht  bloß  als  Vorsitzender  des 
Schiedsgerichtshofes  hat  sich  Lammasch  um 
die  Sache  der  schiedsgerichtlichen  Aus- 
tragung internationaler  Streitfragen  große 
Verdienste  erworben,  als  einer  der  Delegierten 
unserer  Monarchie  auf  beiden  Haager  Kon- 
ferenzen hat  er  dem1  Gedanken  obligatorischer 
Schiedsgerichte  für  bestimmte  Fälle  seine 
besten   Argumente  geliefert,   wenn   ihm  auch 


174 


<§= 


DIE  FRI EDENS -^ÄßTE 


durch  die  Instruktionen  seiner  Regierung  die 
Hände  etwas  gebunden  waren. 

Als  Mitglied  des  Institut  de  droit  inter- 
national entwickelte  Lammasch  eine  eifrige 
Tätigkeit,  und  noch  in  dessen  letzter  Jahres- 
versammlung ist  er  der  amerikanischen  Ten- 
denz nach  Einsetzung  eines  ständigen  kleinen 
internationalen  Tribunals  für  geringere  ju- 
ridische Fälle  entgegengekommen,  hat  aber 
dabei  nachdrücklich  die  Tätigkeit  des  großen 
.Schiedsgerichtshofs  für  politische  und  wich- 
tigere Fälle  gewahrt. 

In    der    allerjüngsten    Zeit    hat    er   die 
völkerrechtliche  Literatur  durch  ein  in  den  Ver- 
öffentlichungen   des    Nobel-Instituts    erschie- 
nenes größeres  Werk  über  ,,D  ie  Rechts- 
kraft     internationaler      Schieds- 
sprüche"*)   bereichert.     Er   gibt    darin    an 
der    Hand    der    bisherigen    Schiedsgerichts- 
praxis  eine  ausgezeichnete  Darstellung   über 
die   Art    der   Fälle,    welche   sich   für    schieds- 
richterliche   Austragung    eignen,    macht    mit 
der  ihm  eigenen  weisen  Vorsicht  Vorbehalte 
gegen     die     Zulässigkeit     von     Klagen     von 
Privatpersonen    gegen    einen    Staat,    weil    er 
überhaupt   von   dem  internationalen  Hof  nur 
die   Streitigkeiten   zwischen   Staat   und   Staat 
als   derzeit   möglich  entscheiden   lassen   will. 
Eingehend  behandelt  er  das  Verhältnis  inter- 
nationaler   Schiedssprüche    zu    den    Erkennt- 
nissen  der    nationalen    Gerichte    und   kommt 
zu  dem  Schluß,   daß   der  Spruch  eines  „iso- 
lierten" (d.  i.  eines  nur  ad  hoc  eingesetzten) 
Schiedsgerichts,    im1   Falle   als   er  gegen    das 
Erkenntnis   des   nationalen  Gerichts  ausfällt, 
den    unterliegenden    Staat    zur    Schadloshal- 
tung  verpflichte,    daß    derselbe   ferner   keine 
für  die  Zukunft  bindende  präjudizielle  Kraft 
für  die  nationalen  Gerichte  habe,  wohl  aber 
könne  sich  für  die  betreffende  Regierung  die 
Pflicht    ergeben,    eine    Gesetzesänderung    im 
Sinne      des      Schiedsspruchs     durchzuführen. 
Hat  ein  „institutionelles"  (d.  i.  ein  auf  Grund 
eines     allgemeinen     Schiedsgerichtsvertrages 
berufenes)    Schiedsgericht   für  eine  Vertrags- 
norm' eine  bestimmte  Auslegung  festgestellt, 
so     ist     der    Schiedsspruch     für    beide    Teüe 
gültig.    Für  die  Durchführung  internationaler 
Schiedssprüche  will  Lammasch  keine  gewalt- 
samen Exekutionsmittel,   er  vertraut  auf  die 
fortschreitende     Zivilisation     und    den    guten 
Glauben    der    Kulturstaaten,    um    die    Voll- 
streckung in  loyaler  Weise   zu  sichern. 

Wir  Oesterreicher  verehren  in  Lammasch 
den  ausgezeichneten  Rechtslehrer,  der  eine 
Zierde  unserer  ersten  Universität  ist.  An  der 
Verfassung  des  neuen  Strafgesetzentwurfs 
hat  er  hervorragenden,  maßgebenden  Anteil 
genommen,  und  sein  darüber  im  Namen  der 
juridischen  Kommission  des  Herrenhauses 
erstatteter  Bericht  ist  ein  Meisterwerk  klarer 
Darstellung,  die  von  dem  Geist  echter  Hu- 
manität getragen  wird.  Wir  alle  wünschen 
dem1  hochverehrten  Manne  noch  eine  lange 
Kristia  nia   19  13. 


Reihe  von  Jahren  der  Kraft  und  Leistungs- 
fähigkeit, die  er  sicher  mit  bedeutendster 
Tätigkeit  ausfüllen  wird,  zur  Ehre  seines 
Namens  und  zur  dankbaren  Anerkennung 
seines    Vaterlandes. 


„Deutschland  in  Waffen." 

Von  C.  L.  Siemering,  Königsberg  i.  Pr. 
Ein  junger  Mann  hat  ein  Buch  veröffent- 
licht, zu  dem  er  zwei  Artikel  beisteuerte;  der 
Rest  stammt  von  Schlachtenmalern  bzw.  akti- 
ven Offizieren  zu  Lande  und  zur  See.  Das 
Buch  ist  „Seiner  Majestät  dem  Kaiser  und 
König  ehrfurchtsvoll  gewidmet"  —  demselben 
Kaiser,  der  den  Ausspruch  getan  hat:  „Ich 
wünschte,  der  europäische  Friede  läge  in 
meiner  Hand;  ich  wollte  schon  dafür  sorgen, 
daß  er  nicht  gestört  würde." 

In  seinem  „Wo rt  zum  Geleit"  schreibt 
der  junge  Mann :  „ ...  Nur  so,  auf  das  gute 
Schwert  gestützt,  können  wir  den  Platz  an 
der  Sonne  erhalten,  der  uns  zusteht,  aber 
nicht  freiwillig  eingeräumt  wird".  Der  Kaiser 
dagegen  sagte  im  Jahre  1895,  als  er  etwa  im 
Alter  des  jungen  Mannes  stand,  bei  Eröffnung 
des  Nordostseekanals,  „  .  .  .  Die  gepanzerte 
Macht,  die  versammelt  ist  im  Kieler  Hafen, 
soll  zu  gleicher  Zeit  ein  Sinnbild  des  Friedens 
sein,  des  Zusammenwirkens  aller  euro- 
päischen Kulturvölker  zur  Hochhaltung  der 
europäischen  Kulturmission."  Außer- 
dem: der  junge  Mann  verwechselt  wieder  ein- 
mal „Krieg"  und  „Sieg";  er  vergißt,  daß 
für  den  Besiegten  oder  im  Rüstungswettkampf 
Unterliegenden  die  erträumten  Vorteile  sich 
ins  bittere  Gegenteil  verkehren  müssen. 
Weiter  lesen  wir:  „Diesen  kriegerischen, 
treuen  und  stolzen  Sinn  müssen  wir  pflegen 
und  unseren  Nachkommen  als  heiliges  Erbe 
überliefern."  Dagegen  hören  wir  in  der 
Bremer  Rede  des  Kaisers  vom  22.  März 
1905  folgendes. 

„Das  Weltreich,  das  ich  mir  geträumt 
habe,  soll  darin  bestehen,  daß  vor  allem 
das  neuerschaffene  Deutsche  Reich  von 
allen  Seiten  das  absoluteste  Vertrauen  als 
eines  ruhigen,  ehrlichen,  friedlichen  Nach- 
barn genießen  soll,  und  daß,  wenn  man 
dereinst  von  einem  deutschen  Weltreich  . . . 
reden  sollte,  es  nicht  auf  Eroberun- 
gen begründet  sein  solle  durch  das  Schwert, 
sondern  durch  gegenseitiges  Vertrauen  der 
nach  gleichen  Zielen  strebenden 
Nationen." 
Das       „internationale       Weltbürgertum*), 

*)  Es  sei  hier  auch  an  jene  Worte  erinnert, 
die  der  Kaiser  am  21.  Juni  1904  in  Cuxhaven 
sprach:  „Jedem  objektiven  Beobachter  der  Vor- 
gänge auf  unserem  Erdenkreise  muß  sich  die 
eine  Beobachtung  aufdrängen,  daß  allmählich  die 
Solidarität  unter  den  Völkern  der  Kulturländer 
unstreitig  Fortschritte  macht  auf  verschiedenen 
Gebieten.     Und     diese     Gebiete     erweitern    sich. 


175 


DIE  FRIEDENS  -WARTE 


:3 


meint  der  junge  Mann,  sei  „un  deutsch". 
Nun,  es  gab  eine  Zeit,  da  der  deutsche 
Gedanke  als  unpreußisch  galt,  so  daß  seine 
Vertreter  —  wie  Jahn  und  Reuter  —  in 
Festungskasematten  schmachten  mußten.  Und 
was  das  „Friedenswiegenlied  der 
Utopisten"  anlangt,  so  galt  auch  einmal 
die  Abschaffung  der  Inquisition,  der  Leib- 
eigenschaft, Tortur,  Hexenverbrennung,  des 
Harakiri  oder  der  indischen  Witwenverbren- 
nung als  utopisch  und  gotteslästerlich.  — 
Gleichwie  heute  Sachsen  und  Bayern  nicht 
in  „trägen  Schlaf"  versunken  sind,  seit 
sie  Mitglieder  des  Deutschen  Reiches  wurden; 
wie  dieses  reichlich  wach  geblieben  ist,  ob- 
wohl es  dem  Dreibund  beitrat  und  zeit- 
weise —  beim  Boxeraufstand  in  China  oder 
in  den  Balkanwirren  —  mit  allen  Kultur- 
staaten gemeinsam  operiert,  so  besteht  in 
Wahrheit  auch  nicht  der  leiseste  Grund  zu 
der  Befürchtung,  daß  es  irgendwie  sich  selbst 
verlieren  würde,  wenn  es,  im  wohlverstandenein 
eigensten  Interesse,  sich  dauernd  einem 
Staatenbunde  von  fünf  oder  sechs  Großmäch- 
ten angliedern  wollte  —  ein  Weg,  der  durch 
die  beiden  Haager  Konferenzen  bereits  in  sehr 
ausgedehnter  Weise  beschritten  worden  ist. 
„Dem  hitzigen  Gelderwerb",  meint  der 
junge  Mann,  „wird  in  diesen  schlimmen  Frie- 
denszeiten „alles  geopfert"."  Er  scheint  nichts 
von  der  seit  Jahren  bestehenden  Teuerung 
zu  wissen,  die  mehrfache  —  allerdings  recht 
anzulängliche  —  Besoldungserhöhungen  nötig 
machte;  er  kennt  wohl  auch  kaum  die  von 
Novicow  vor  etwa  zehn  Jahren  mitgeteilte 
Statistik,  wonach  40%  des  deutschen  Vol- 
kes ein  Durchschnittseinkommen  von  276  Mark 
jährlich  haben,  und  daß  unter  den  fortge- 
schrittensten Gesellschaftsgruppen  Westeuro- 
pas von  1000  Personen  900  im  Elend,  90 
in  halbwegs  geordneten  Verhält- 
nissen und  nur  10  im  Reichtum  le- 
ben. Wie  kommt  man  also  zu  der  Behaup- 
tung, daß  der  Luxus  die  Nationen  verdorben 
hat,  wenn  die  im  Luxus  lebenden  Personen 
stets  nur  eine  völlig  unerhebliche  Minderheit 
bildeten?  Eine  wahrhaft  teuflische  Ironie 
liegt  in  der  Ansicht,  daß  die  in  Not  und 
Elend  Lebenden  von  Zeit  zu  Zeit  sich  massa- 
krieren müssen,  um  durch  den  Luxus,  den 
sie  niemals  besessen  haben,  nicht  verweich- 
licht  zu   werden. 

Den  Schlüssel  zu  all*  diesen  Tiraden  und 
Fanfaren  bietet  uns  der  zweite  Beitrag: 
„Regiment  der  Gardes  du  Corps,  Standarten- 
Diese  Solidarität  geht  unmerklich,  aber  un- 
widerstehlich in  das  Programm  der  Staats- 
lenker über,  wie  in  die  Gedanken  der  sich 
selbst  regierenden  freien  Bürger.  Diese  Soli- 
darität wird  genährt  in  verschiedener  Weise, 
sei  es  in  ernster  politischer  Beratung,  sei  es 
auf     Kongressen,      sei     es     in     Wettkampf     und 

Spiel    Dieser    Solidarität    verdankt 

es  der  Kaufmann,  der  Industrielle,  der  Ackerer, 
wenn  er  in  ruhiger  Arbeit  sich  fortschreitend 
entwickeln    kann."      Red.     d.     Fr.-W. 


176 


eskadron".  Dort  heißt  es  am  Schlüsse,  nach 
Schilderung  einer  Reiterattacke  im  Manöver: 
„Und  doch  noch  eines  erscheint  dem  echten 
Reitersmann  schöner:  wenn  alles  dies  dasselbe 
ist,  aber  am  Ende  des  schnellen  Laufes  uns 
der  Feind  entgegenreitet,  und  der  Kampf, 
für  den  wir  geübt  und  erzogen  sind, 
einsetzt;    der    Kampf   auf    Leben    und    Tod." 

Abgesehen  davon,  daß  hier  die  alte  An- 
schauungsweise von  dem  jeweiligen  Nachbar- 
volke, mit  dem  wir  die  Handelsgüter  aus- 
tauschen, als  einem  „Feinde"  nachwirkt  — 
wofür  man  in  den  Reden  unseres  Kaisers 
kaum  ein  Analogon  finden  dürfte  — :  hier  zeigt 
sich  der  Militarismus  als  Selbstzweck  in 
seiner  unverblümten  Schöne.  Wir  sind  „da- 
für geübt  und  erzogen",  also  hegen 
wir  natürlicherweise  den  Wunsch,  das  Vater- 
land nicht  etwa  nur  im  Falle  eines  Angriffs 
zu  verteidigen,  sondern,  daß  dieser  Ernstfall, 
der  uns  Lebensbetätigung  bedeutet,  recht 
bald  eintreten  und,  falls  er  zu  lange  auszu- 
bleiben droht,  künstlich  herbeigeführt  werden 
möge,  damit  der  „Reitergeist"  endlich  Befrie- 
digung  und   Daseinszweck   erhalte  .  .  . 

Auch  aus  den  Artikeln  der  hohen  Mili- 
tärs und  aus  den  Bilde  r  -  Reproduktionen 
des  äußerlich  prächtigen  Buches  tönt  es  von 
Säbelgerassel,  Torpedoexplosion,  Fahnenrau- 
schen, Maschinengewehrfeuer  und  „Treue  bis 
in  den  Tod".  Der  Pariser  „E  x  c  e  1  s  i  o  r" 
aber  schreibt  sorgenvoll:  „Noch  hat  er  (der 
Autor)  nichts  von  der  Friedensliebe  gezeigt, 
der  sein  Vater  so  aufrichtig  ergeben  ist." 
Denn  es  handelt  sich  um  jenen  jungen  Mann, 
der  nach  menschlicher  Voraussicht  einmal 
Deutscher  Kaiser  sein  wird.  Und  dieser 
Umstand  wird  in  der  Tat  auch  jeden  Deut- 
schen   nachdenklich    stimmen. 


Brief  aus  denVereinigtenStaaten. 

Von   Henry   S.    H  a  s  k  e  1 1 ,   New  York. 

Am  10.  April  fand  in  New  York  City  die 
7.  jährliche  Versammlung  der  „Intercollegiate 
Civic  League"  statt.  Zweihundert  Vertreter 
verschiedener  Universitäten  des  Landes  waren 
anwesend.  Bei  Begrüßung  der  Versammlung 
sagte  Prof.  Nicholas  Murray  Butler, 
Präsident  der  Columbia-Universität,  unter  anderem: 

„Ich  betrachte  die  jetzige  leichtsinnige 
Auffassung  führender  Männer  in  bezug  auf 
Vertragsverpflichtungen  als  eine  sehr  wichtige 
und  beunruhigende  Frage. 

Wir  rnüssen  uns  selbst  zu  einem  Volke 
erziehen,  das  seine  äußeren  Verpflichtungen 
in  ganz  derselben  Weise  erfüllt,  wie  ein  Mann 
von  Charakter  seine  persönlichen  Verbindlich- 
keiten seinen  Mitmenschen  gegenüber.  Wir 
müssen  mit  jeder  Schönfärberei  unserer  ge- 
brochenen internationalen  Versprechen  auf- 
hören. Sophistische  Argumente,  wirtschaft- 
licher Profit  oder  politischer  Gewinn  dürfen 
niemals    einem    Land    mehr   erlauben    als 


e 


DIE  FRIEDEN5-^VARXE 


einem  ehrlich  denkenden  Menschen  in  Er- 
füllung seiner  Versprechen  gegen  andere  ge- 
statten würden. 

Ein  anderes  großes  internationales  Problem 
ist  die  Frage,  wie  wir  die  ungeheuerlichen 
Ausgaben  aller  Nationen  für  Kriegszwecke 
hemmen  können.  Tatsächlich  gibt  jedes  Land 
in  Europa  mehr  dafür  aus,  als  es  selbst  tragen 
kann.  Welcher  Wahnsinn  darin  liegt,  wurde 
am  besten  vom  Lord  der  Admiralität  in  Eng- 
land, W ins  ton  Churchill,  der  mehr  als 
jeder  andere  unserer  Zeit  von  Kriegsausgaben 
weiß,  in  einer  Parlamentsrede  bewiesen.  Er 
sagte,  daß  Großbritannien  durch  seine  Flot- 
tenausgaben die  lächerliche  Stellung  eines 
Geschäftsinstitutes  einnehme,  das  jährlich 
Hunderte  von  Millionen  für  eine  gewisse  Art 
von  Gütern  ausgibt  und  andere  Millionen  für 
die  Erfindung  solcher  Güter,  die  eben  jene 
zerstört  oder  nutzlos  macht.  Er  fragt  uns,  wie 
lange  diese  Politik  von  einem  vernünftigen 
Mann  verteidigt  werden  kann;  und  die  Ant- 
Avort  darauf  ist,  daß  sie  nicht  für  einen  ein- 
.zigen  Augenblick  einen  Verteidiger  finden  könne." 

Bei  einem  am  11.  April  abgehaltenen 
Diner  der  „Navy  League",  das  in  der  Ab- 
sicht stattfand,  zur  Anschaffung  einer  größe- 
ren Flotte  zu  ermutigen,  gab  der  anwesende 
Staatssekretär  Bryan  im  eigenen  Namen  fol- 
gende Erklärung  ab :  „Währ  end  Sie  eine 
Erhöhung  der  Kriegsschiffe  wol- 
len, werde  ich  die  kommenden  vier 
Jahre  nur  dafür  arbeiten,  daß 
Kriegsschiffe    nicht    notwendig    werden." 

MB 

Amerikanische  Zeitungen  haben  sich  mit 
den  von  Dr.  Liebknecht  erhobenen  An- 
schuldigungen gegen  die  europäischen  Waf fen- 
und  Munitionsfabriken  in  hervorragender 
Weise  beschäftigt.  Die  „New  York  Evening 
Post"  vom  24.  April  veröffentlicht  ein  Inter- 
view mit  dem  Sekretär  der  New  Yorker  Frie- 
densgesellschaft, Prof.  Samuel  T.  Dutton, 
der  der  Meinung  Ausdruck  gab,  daß  eine 
Nachforschung  bei  uns  zeigen  würde,  wie 
sehr  alle  Einflüsse,  die  für  die  Entwicklung 
einer  großen  Armee  und  einer  mächtigen 
Flotte  wirken,  größtenteils  künstlich  sind,  und 
daß  letzten  Endes  die  Munitionsfabriken  für 
die  häufigen  Kriegsalarme  zwischen  diesem  Land 
imd  andern  Ländern  verantwortlich  zu  machen  sind. 

NR 

Während  der  letzten  Woche  herrschte  im 
westlichen  Teil  unseres  Landes  und  in  Japan 
große  Aufregung  wegen  des  beabsichtigten 
Fremdengesetzes  der  gesetzgebenden  Körper- 
schaft von  Kalifornien.  Das  Gesetz  schlägt 
vor,  einem  Fremden  das  Recht  auf  Grund- 
besitz für  länger  als  ein  Jahr  zu  verweigern, 
sofern  er  nicht  die  Absicht  bekundet  hat,  ein 
Bürger  der  Vereinigten  Staaten  zu  werden. 
Weil  die  Frage  der  Erlangung  des  Bürger- 
rechts durch  Japaner  in  den  Vereinigten 
Staaten  durch  den  Obersten  Gerichtshof  noch 


nicht  erledigt  wurde,  hält  das  amerikanische 
Volk  im  allgemeinen  die  Japaner  für  nicht 
wahlfähig.  Es  wird  in  Kalifornien  zugegeben, 
daß  das  Anti-Fremdengesetz  gegen  die  Japaner 
gerichtet  ist.  In  Anbetracht  dessen,  daß  die 
Vereinigten  Staaten  einen  Vertrag  mit  Japan 
geschlossen  haben,  der  diesem  Land  verschie- 
dene Privilegien  bewilligt,  die  durch  dieses 
Fremdengesetz  gegenstandlos  werden,  hat  die 
Situation  zwei  empfindliche  Punkte  gezeitigt. 
Erstens,  die  Frage  des  Rechtes  der  Staaten 
und  zweitens  die  Vertragsbeziehungen  zwischen 
Japan  und  den  Vereinigten  Staaten.  Die 
Staatenrechtsfrage  ist  durch  das  Gesetz  ge- 
klärt. Die  Konstitution  der  Vereinigten  Staaten 
verfügt,  daß  internationale  Verträge  als  ober- 
stes Gesetz  des  Landes  zu  gelten  haben,  und 
daher  jedem  Staatengesetz  vorgehen.  In  ver- 
schiedenen Entscheidungen  hat  der  oberste 
Gerichtshof  der  Vereinigten  Staaten  dieses 
Prinzip  aufgestellt.  Wenn  Kalifornien  ein  Ge- 
setz annimmt,  welches  im  Gegensatz  zu  irgend- 
einem Vertrag  zwischen  den  Vereinigten 
Staaten  und  einer  anderen  Nation  steht,  muß 
dieses  Gesetz  vom  Obersten  Gerichtshof  für 
null  und  nichtig  erkannt  werden.  Trotzdem 
herrscht  große  Erregung  über  diese  Frage 
und  unglücklicherweise  auch  ein  schlechtes 
Verhältnis  zwischen  einer  gewissen  kleinen 
Anzahl  von  Bewohnern  der  Pacific-Küste  und 
einer  entsprechend  kleinen  Anzahl  von  Bürgern 
Japans.  Die  letzteren  scheinen  Vorteil  aus  der 
Situation  zu  ziehen,  indem  sie  der  Regierung 
von  Tokio  Schwierigkeiten  bereiten.  Es  ist 
aber  ebenso  möglich,  daß  die  Agitatoren  des 
Fremdengesetzes  in  Kalifornien  die  Absicht 
haben,  der  neuen  Verwaltung  in  Washington 
Verlegenheiten  zu  bereiten.  Die  Progressiv- 
Partei,  unter  dem  Namen  „Bull  Moose  Party" 
bekannt,  kontrolliert  die  kalifornische  Gesetz- 
gebung. So  wird  erzählt,  daß  der  ehemalige 
Präsident  Roosevelt  dem  Gouverneur  von 
Kalifornien,  Hiram  Johnson,  telegraphisch 
seinen   Rat   gesandt   habe. 

Bei  Beginn  dieser  Agitation  schien  Präsi- 
dent Wilson  abgeneigt,  in  dieser  Sache  bei 
der  kalifornischen  Staats-Gesetzgebung  zu 
vermitteln.  Als  sich  aber  zeigte,  daß  die  An- 
gelegenheit in  Japan  sehr  ernst  aufgefaßt 
wurde,  und  daß  internationale  Komplikationen 
eintreten  könnten,  versuchte  Präsident  Wil- 
son durch  Mitteilungen,  die  er  an  den  Gouver- 
neur Johnson  von  Kalifornien  sandte,  seinen 
moralischen  Einfluß  zu  einer  Milderung  der 
vorgeschlagenen  'Maßregeln  geltend  zu  machen. 
Bis  jetzt  scheint  dieser  moralische  Einfluß 
wenig  Erfolg  gehabt  zu  haben.  Präsident 
Wilson  hat  aber  vom  Gouverneur  John- 
son die  Versicherung  erhalten,  daß  kein  end- 
gültiger Beschluß  in  dieser  Sache  gefaßt  wer- 
den würde,  bis  Staatssekretär  Bryan  Kali- 
fornien besucht  und  seine  Ansichten  über  das 
Fremdengesetz  ausgedrückt  hätte.  Der  Staats- 
sekretär befindet  sich  nun  auf  dem  Wege  nach 
Kalifornien.  


177 


DIEFBIEDEN5->i^ßrE 


;§> 


Die  Zukunft  der  Haager 
Friedenskonferenzen. 

Von   Dr.    Hans   Wehberg  in   Düsseldorf. 
(Schluß.) 

7.  Endlich  —  und  damit  will  ich  die 
Vorschlagsliste  schließen  —  wäre  sehr  zu  er- 
wägen, ob  nicht  die  Regierungen  fortan  die 
nationalen  Gesellschaften,  die  für  den  Frieden 
eintreten,  z.  B.  eine  so  hervorragende  Vereini- 
gung wie  den  „Verband  vfür  internationale  Ver- 
ständigung", in  reichem  Maße  unterstützen 
wollen.  Da  eine  große  Anzahl  Regierungen 
bereits  heute  der  interparlamentarischen  Union 
jährlich  einen  Betrag  überweisen  läßt,  so  ist 
dieser  Gedanke  nicht  so  weltfremd,  wie  er 
auf  den  ersten  Blick  erscheinen  könnte.  Fallen 
denn  nicht  die  Ziele  der  Friedensbewegung 
und  der  gesunden  Friedenspolitik  der  Re- 
gierungen völlig  zusammen  ?  Gewiß  muß  man 
zugeben,  daß  bei  einzelnen  Gesellschaften 
noch  utopistische  Forderungen  auftreten;  aber 
gerade  dadurch,  daß  die  Regierungen  mit  den 
Friedensgesellschaften  Hand  in  Hand  arbeiten, 
wird  es  am  leichtesten  möglich  sein,  von  den 
Friedensgesellschaften  eine  wirklich  maßvolle 
Unterstützung  bei  der  Aufklärung  der  öffent- 
lichen Meinung  zu  erhalten. 

Wenn  auch  einzelne  der  zuletzt  genannten 
Vorschläge  auf  rein  nationaler  Grundlage  ver- 
wirklicht werden  können,  so  scheint  es  nichts- 
destoweniger gut,  gemeinsam  diese  Fragen 
zu  überlegen. 

Wir  sahen  also,  daß  von  den  genannten 
Vorschlägen  noch  kein  einziger  von  den 
Haager  Friedenskonferenzen  energisch  ange- 
faßt worden  ist.  Die  Konferenzen  haben  sich 
auf  die  Schiedsgerichts-  und  Rüstungsfrage 
beschränkt,  phne  einmal  von  Grund  aus  zu 
überlegen,  wie  in  planvoller,  allmählicher 
Arbeit  eine  Besserung  der  internationalen  Ver- 
hältnisse herbeigeführt  werden  kann. 

Nun  ist  ja  allerdings  das  Verhalten  der 
Haager  Konferenzen  sehr  wohl  dadurch  zu 
verstehen,  daß  auf  dem  Programme  der  ersten 
Haager  Konferenz  lediglich  die  Abrüstungs- 
und Schiedsgerichtsfrage  stand.  Man  hat 
eben  später  nicht  versucht,  eine  systematische 
Friedenspolitik  zu  betreiben. 

Da  erhebt  sich  denn  die  Frage,  ob  we- 
nigstens auf  dem  Gebiete  der  Rüstungsfrage 
und  der  internationalen  Schiedsgerichtsbarkeit 
die  Haager  Konferenzen  systematisch  und 
planvoll  vorgegangen  sind,  oder  ob  die  Ver- 
handlungen und  Beschlüsse  in  dieser  Hinsicht 
zu  scharfer  Kritik  Anlaß  geben. 

Betrachten  wir  zunächst  einmal  die  B  e  - 
handlung  der  Rüstung s frage  auf 
der  ersten  Haager  Friedenskon- 
ferenz, so  war  diese  einer  günstigen  Lösung 
der  Frage  so  unvorteühaft  wie  eben  möglich. 
Was  nämlich  den  Vorschlag  betreffend  einen 
Stillstand  der  Friedenspräsenzstärke  der  Land- 


armee auf  fünf  Jahre  anlangt,  so  war  hier 
der  allerschwierigste  und  ungeeignetste  Weg 
beschritten  worden,  um  die  Frage  einer 
Lösung  zuzuführen.  Als  ich  kürzlich  einmal 
die  verschiedenen  Vorschläge  zusammenstellte , 
die  bisher  in  der  Weltliteratur  zur  Rüstungs- 
frage gemacht  worden  sind,  habe  ich  nicht 
weniger  als  35  gefunden.  Höchstwahrschein- 
lich sind  aber  noch  mehr  Wege  gezeigt 
worden;  denn  ich  habe  nur  einen  kleinen  Teil 
der  Literatur  durchgesehen.  Der  russische 
Antrag  auf  der  ersten  Haager  Friedenskon- 
ferenz war  nun  von  diesen  35  Möglichkeiten 
der  am  wenigsten  empfehlenswerte,  und  es 
war  unter  diesen  Umständen  ganz  natürlich, 
daß  die  Haager  Friedenskonferenz  zu  keinem 
Resultate  gelangte.  Das  war  in  diesem  Falle 
ein  besonderes  Unglück.  Denn  die  Welt 
wurde  dadurch  in  den  schweren  Irrtum  ver- 
setzt, als  sei  die  Rüstungsfrage  unlösbar. 
Warum  wurde  gleich  zu  Anfang  so  Schwieriges 
unternommen?  Waren  nicht  zahlreiche  Vor- 
schläge gemacht  worden,  die  viel  eher  zu 
einem  Ziele  hätten  führen   können? 

Was  die  Frage  der  Festsetzung  des 
Flottenbudgets  auf  die  Dauer  von  drei  Jahren 
anlangt,  so  trat  hier  klar  zutage,  daß  man 
seine  Beschlüsse  voreilig  faßte.  Was  soll  man 
denn  dazu  sagen,  daß  die  erste  Haager  Frie- 
denskonferenz den  russischen  Antrag  über  das 
Flottenbudget  mit  Gründen  ablehnte,  die  auf 
der  zweiten  Haager  Friedenskonferenz  von 
Männern  wie  Renault,  Lammasch  und 
Scott  für  unhaltbar  erklärt  und  heute  von 
der  gesamten  Wissenschaft  als  falsch  er- 
wiesen worden  sind?  Vergegenwärtigen  wir 
uns  doch  einmal  diese  Tatsache!  Nach  Er- 
öffnung der  Diskussion  über  den  zuletzt  er- 
wähnten Antrag  äußerten  1899  die  Vertreter 
von  England,  Frankreich,  den  Vereinigten 
Staaten  und  Portugal  Bedenken,  und  erklärten, 
die  große  Schwierigkeit  liege  hier  beim  Par- 
lamente und  in  seiner  gesetzlichen  Zuständig- 
keit auf  dem  Budgetgebiete;  es  gehe  nicht 
an,  daß  sich  die  Regierungen  bezüglich  der 
Budgeterhöhungen  bänden,  wenn  das  Parla- 
ment darüber  noch  zu  sprechen  habe.  Freilich 
waren  damals  schon  hervorragende  Männer 
wie  van  Ka rnebeek  und  v.  B  i  1 1  e  der 
Meinung,  daß  die  Ansicht  der  Mehrheit  unzu- 
treffend sei.  Trotzdem  wurde  der  Antrag  aus 
konstitutionellen  Gründen  abgelehnt  und  den 
Regierungen  lediglich  ein  neues  Studium  der 
Frage  empfohlen.  Nun  vergleiche  man  hiermit 
die  Verhandlungen  über  die  konstitutionellen 
Schwierigkeiten  bei  der  obligatorischen 
Schiedsgerichtsbarkeit  auf  der  zweiten  Haager 
Friedenskonferenz.  Gerade  die  Vertreter  Eng- 
lands, Frankreichs,  der  Vereinigten  Staaten 
und  Portugals  wiesen  damals  die  konstitu- 
tionellen Bedenken  als  irrtümlich  zurück;.. 
Später  hat  der  deutsche  Delegierte  Zorn  in 
seiner  Schrift  „Das  Deutsche  Reich  und  die 
internationale  Schiedsgerichtsbarkeit"  (1911,  S. 
27)  mit  aller  Deutlichkeit  erklärt:  „Wenn  ein. 


178 


<§= 


DIE  FRIEDEN5 -WARTE 


Staat  internationale  Rechtspflichten  vertrags- 
mäßig übernimmt,  so)  sind  dadurch  alle  Organe 
des  Staates  in  gleicher  Weise  gebunden,  auch 
die  Parlamente.  Das  ist  die  einfache  logische 
Konsequenz  aus  dem  Begriff  des  interna- 
nationalen  Rechts." 

Waren  also  die  Gründe,  mit   denen   der 
Vorschlag  über  die  Festsetzung  des   Flotten- 
budgets  auf  der  ersten   Haager  Friedenskon- 
ferenz   abgelehnt    wurde,    durchaus   lunrichtig, 
so    waren    die    Verhandlungen    über    die    Be- 
schränkung  bzw.   den    Stillstand   der    Kriegs- 
mittel ebenso   verwirrt.    Ich   betone   nur,   mit 
wie    unzureichenden    Gründen    der   Vorschlag 
über   die   Verpflichtung    der    Staaten,     keine 
Selbstladegewehre    in   einer   bestimmten    Zeit 
einzuführen,     abgelehnt     worden     ist.       Eine 
eigentliche    Diskussion   fand  überhaupt   nicht 
statt.  Das  ist  um  so  bedauernswerter,  als  dieser 
Antrag   ganz    zweifellos    praktisch    durchführ- 
bar war  und  die  Militärs,  statt  die  Frage  vom 
internationalen  Gesichtspunkte  aufzufassen,  le- 
diglich den  engen  nationalen  Standpunkt  aus- 
schlaggebend sein  ließen.     Das  war  nament- 
lich    bei     dem     sonst     tüchtigen     deutschen 
Obersten  Groß  v.  Schwarzhoff  der  Fall, 
einer  sehr  sympathischen  Soldatengestalt,  der 
aber  im  letzten  Grunde  nur  zu  einer  völligen 
Verwirrung  der  Fragen  beigetragen  hat.    Was 
nämlich   insbesondere   die   Frage    der    Selbst- 
ladegewehre betrifft,    so   sind   diese   bis   zum 
heutigen  Tage  von  keiner   Regierung  einge- 
führt  worden,    obwohl   in    fast   allen    Kriegs- 
ministerien  bereits   sehr  brauchbare    Modelle 
hierfür  vorhanden  sind.    Wenn  also  auch  ein 
förmliches     Abkommen    über    die     Nichtein- 
führung  der  Selbstladegewehre  nicht  besteht, 
so  erfolgt  doch  praktisch  von  keiner  Regierung 
die  Anschaffung  eines  solchen  wegen  der  zu 
gewaltigen     Kosten.       Man     lese,     was     der 
preußische  General  der  Artillerie  v.  Deines 
am     16.    März   im    „Tag"    (Berlin)     hierüber 
schreibt :  „Alles  spricht  dafür,  daß  Frankreich 
eines  Tages  mit  einem  automatisch  arbeiten- 
den Gewehr  hervortreten  wird.   Daß  auch  alle 
übrigen  Staaten  sich  ein  neues  Gewehrmodell 
gesichert     haben,     um    nicht     überrascht     zu 
werden,   jst   anzunehmen.     Indessen:    wer   zu- 
erst mit  der  neuen  Waffe  auf  dem  Plane  er- 
scheint,  fürchtet,   daß   die  anderen   von    ihm 
lernen  und  ihn  wieder  überholen.   Jeder  scheut 
die  enormen  Kosten,  die  die  Neubewaffnung 
eines  (Millionenheeres  hervorrufen  muß.    Mit 
großer  Wahrscheinlichkeit  wird  es  also  vor- 
läufig   bei    den    bisherigen   Gewehrsystemen 
bleiben,   und  damit  können  wir   ganz 
zufrieden     sein,."       Wäre    also     wirklich 
durch  das  Verbot  der  Einführung  eines  Selbst- 
ladegewehres   die    nationale   Verteidigung    in 
unzulässiger  Weise  beschränkt  worden?    Ganz 
gewiß   nicht!     Im  Gegenteil   wäre   durch   ein 
förmliches      Abkommen      lediglich      verboten 
worden,   was   zu  tun  bisher  kein   Staat   über- 
nommen hat,  und  zwar  obwohl  fast  14  Jahre 
seit  der   ersten  Friedenskonferenz  vergangen 


sind).  Ferner  aber  wäre  dadurch  eine 
A,tmosphäre  des  Vertrauens  an  Stelle  der 
heutigen  Nervosität  geschaffen  worden. 

Ebenso  ist  die  erste  Haager  Frie- 
denskonferenz auf  demGebieteder 
internationalen     Schiedsgerichts- 
barkeit nicht  in  klarer  Weise  vorgegangen;. 
Sie  schuf  einen  ständigen   Schiedsgerichtshof 
und   setzte   in   Artikel    15    des    Haager   „Ab- 
kommens zur  friedlichen  Erledigung  interna- 
tionaler (Streitigkeiten"  fest,  daß  die  Streitig- 
keiten „sur  la  base  du  respect  du  droit"  ent- 
schieden werden  sollten.    Diese  Worte  sollten, 
wie  Beernaert  (Protokolle  II,  S.  332)  auf 
der    zweiten    Haager    Friedenskonferenz    er- 
klärte, in  Gegensatz  zu  der  vermittelnden  Ent- 
scheidung nach  Billigkeit  stehen.    Man  schuf 
also   auf    der   ersten    Haager    Konferenz    ein 
Zwitterding,  das  weder  ein  Gerichtshof  noch 
ein  Schiedsgerichtshof  ist.    Die  internationale 
Gerichtsbarkeit  verlangt  ein  fest  organisiertes 
Gericht,  das  den  Streit  nach  strengem  Rechte 
entscheidet.      Die     internationale     Schiedsge- 
richtsbarkeit (erfordert  von  den  Parteien  von 
Fall  zu  Fall  frei  gewählte  Schiedsrichter,  die 
den  Prozeß  nach  Billigkeit  entscheiden.    (VgL 
mein  kürzlich  erschienenes   Buch  „Das   Pror 
blem     eines    internationalen     Staatengerichts- 
hofes",   1912,    in    dem   ich   die   Unterschiede 
zwischen   internationaler  Gerichtsbarkeit   undj 
Schiedsgerichtsbarkeit    sowie    die    zahlreichen 
Zwischenstufen    darzustellen    versucht    habe.) 
Nun  paßt  aber  der  Haager  Schiedsgerichthof 
nicht    in    den    Rahmen    der    internationalen 
Schiedisgerichtsbarkeit,    weil   die   Parteien   bei 
der  Wahl  der  Schiedsrichter  nicht  völlig  frei, 
sondern    an   die   auf    der    Liste    des    Haager 
Hofes    stehenden    Personen    gebunden    sind, 
ferner,     weil     der     Schiedsgerichtshof     nach 
strengem  Rechte  anstatt  nach  Billigkeit  ent- 
scheiden  soll.     Andererseits   ist    der   Schieds- 
gerichtshof im  Haag  auch  kein  wirklicher  Ge- 
richtshof, weil  seine  Zusammensetzung  in  ge- 
wissen Grenzen  von  dem  Willen  der  jeweiligen 
Parteien  abhängig  ist.     Der  Haager  Schieds- 
gerichtshof war  also  in  keiner  Weise  logisch 
aufgebaut    und    hatte    nur    insofern    eine    Be- 
deutung, als  er  den  Uebergang  von  der  inter- 
nationalen  Schiedsgerichtsbarkeit  zur  interna- 
tionalen Gerichtsbarkeit  erleichterte.    In  dieser 
Hinsicht     war    freilich    die     Errichtung    des 
Haager  Schiedshofes,  wenn  sie  auch  vom  dog- 
matischen Standpunkte  aus  strenge  Kritik  ver- 
dient,   von   geradezu   welthistorischer    Bedeu- 
tung.   Aber  man  mußte  pich  dabei  vollkommen 
klar    bleiben,    daß    der    Haager    Schiedshof 
durchaus    nicht    für   humer    das    Ideal    eines 
Weltgerichtshofes   bleiben,    sondern   nur   eine 
Uebergangsstufe  darstellen  konnte.     Nun  be- 
fand sich  aber  die  ÜMehrzahl   der   Mitglieder 
der  ersten   Haager  Friedenskonferenz   durch- 
aus im  Unklaren  über  die  wahre  Natur  ihrer 
größten  Schöpfung.     Dadurch  ist  eine  große 
Verwirrung  entstanden,   und  die  große   Rede 
Beernaerts     gegen     den     amerikanischen 


179 


DIEFßlEDEN5-v^&DTE 


•§> 


„Cour  de  la  justice  arbitrale"  auf  der  zweiten 
Friedenskonferenz  ist  nur  zu  verstehen,  wenn 
man  sich  vergegenwärtigt,  daß  Beernaert 
u.  a.  in  dem  irrigen  Glauben  waren,  der 
Haager  Schiedshof  wäre  für  immer  das  große 
Ideal  eines  Weltgerichtshofes.  Da  man  auch 
auf  der  zweiten  Haager  Friedenskonferenz 
diesen  ^Irrtümern  nicht  ganz  auf  den  Grund 
ging,  (blieben  die  Aeußerungen  eines  Beer- 
naert von  großer  [Wirkung  und  konnten  nicht 
so  widerlegt  (werden,  wie  das  bei  klarer  Er- 
kenntnis der  wahren  Verhältnisse  möglich  ge- 
wesen wäre. 

Ein  zweiter  höchst  wichtiger  Punkt,  über 
den  sich  die  erste  Haager  Friedens- 
konferenz [bei  der  Schaffung  des  „Ab- 
klojmmens  zur  friedlichen  Erledigung  inter- 
nationaler Streitigkeiten"  ganz  unklar  war  una 
überhaupt  keine  Rechenschaft  abgegeben  hat, 
ist  die  Frage  nach  der  Rechtsnatur 
des  von  ihr  geschaffenen  Staaten- 
verbandes. Handelte  es  sich  bei  der  Er- 
richtung der  internationalen  Justizorganisation 
irm  eine  (Union  in  Analogie  der  völkerrecht- 
lichen Zweckverbände,  etwa  des  Weltpostver- 
vereins,  oder  um  den  von  Jahrhunderten  er- 
träumten Weltstaatenbund?  Auf  die  seltsame 
und  geradezu  auffällige  Tatsache,  daß  die 
erste  Haager  Friedenskonferenz  ihrer 
Schöpfung  gar  keinen  Namen  gegeben  hat,  ist 
zuerst  von  Schücking  in  seinem  bereits' 
erwähnten  und  fundamentalen  Standard  Work 
„Der  Staatenverband  der  Haager  Konfe- 
renzen" (S.  72)  hingewiesen  worden. 
'Schücking  hat  dort  auch  ganz  über- 
zeugend nachgewiesen,  daß  der  Staatenver- 
band der  Haager  (Konferenzen  ein  Weltstaaten- 
bund ist.  Es  ist  weiter  von  höchstem  Inter- 
esse, aus  diesem  Buche  zu  erkennen,  eine 
wie  viel  sicherere  Grundlage  man  zur  Weiterent- 
wicklung der  Haag  er  Konferenzen  hat,  wenn 
man  sich  über  diesen  Punkt  klar  ist.  Bevor 
man  nicht  weiß,  wie  die  Ergebnisse  der  ersten 
und  der  zweiten  Haager  Friedenskonferenz 
rechtlich  zu  konstruieren  sind,  so  lange  wird 
man  nicht  in  gerader  und  kürzester  Linie, 
sondern  nur  auf  großem  Umwege  zu  dem 
stolzen  Ziele  der  Weltorganisation  gelangen. 
Denn  die  Namensbenennung  des  Haager 
Staatenverbandes  ist  ja  nicht  lediglich  eine 
bedeutungslose  Formel,  sondern  würde  an- 
djeuten,  idaß  sich  die  (Mitglieder  der  ersten 
Haager  Friedenskonferenz  über  den  recht- 
lichen Aufbau  ihrer  großen  Schöpfung  völlig 
im  Klaren  gewesen  sind. 

Die  erste  Haager  Friedenskonferenz  ist 
sich  sowohl  über  die  rechtliche  Konstruktion 
des  (Haager  ständigen  Schiedshofes  wie  des 
von  ihr  geschaffenen  Staatenverbandes  in 
keiner  Weise  klar  gewesen,  ja  sie  hat  nicht 
einmal  den  Versuch  gemacht,  zu  einer  solchen 
(Klarheit  zu  gelangen.  Desgleichen  hat  sie 
das  Rüstungsproblem  nicht  in  der  richtigen 
Weise  angefaßt. 


Was  die  zweite  Haager  Friedens- 
konferenz anlangt,  so  hat  sie  mit  großem 
Verständnis  an  der  Einsetzung  eines  inter- 
nationalen Prisenhofes  gearbeitet,  und  ich 
möchte,  soweit  sich  die  Konferenz  mit  dieser 
Aufgabe  befaßt  hat,  an  ihr  keine  Kritik  üben. 
Anders  aber  steht  es  mit  dem  Probleme  eines 
Weltschiedsvertrages  und  eines 
„Cour  de  la  justice  arbitrale",  an 
die  die  Konferenz  allzu  wenig  vorbereitet 
herantrat.  Eine  spätere  Zeit  wird  einmal  fest- 
stellen, an  welchen  Kleinigkeiten  und  Miß- 
verständnissen  diese   Pläne   scheiterten. 

Bei  der  Beratung  der  obligato- 
rischen Schiedsgerichtsbarkeit 
war  man  sich  über  zahlreiche  Grundfragen 
vor  allem  deswegen  nicht  klar,  weil  niemand 
vorher  das  Problem  so  gründlich  bearbeitet 
hatte,  als  es  dies  verdient  hätte.  Viele  wollten 
die  Ehren-  und  Interessenklauseln  fallen  lassen. 
Von  deutscher  Seite  wurden  mit  der  größten 
Hartnäckigkeit  Behauptungen  aufgestellt,  die 
von  der  gesamten  maßgebenden  deutschen 
und  ausländischen  Wissenschaft  mit  durch- 
schlagenden Gründen  widerlegt  worden  sind,. 
Die  deutschen  Delegierten  mit  Ausnahme 
Zorns  sahen  in  dem  Weltschiedsvertrage 
lediglich  ein  juristisches  Instrument,  während 
er  doch  in  Wirklichkeit  ein  Friedensinstru- 
ment sein  sollte.  Aber  alle  diese  Meinungs- 
verschiedenheiten (waren  doch  nur  möglich, 
weil  man  sich  über  den  ganzen  Zweck  der 
Haager  Friedenskonferenzen  und  des  1899  ge- 
schaffenen Staatenverbandes  im  Unklaren 
war.  Die  deutschen  Delegierten  übersahen 
Vollkommen,  daß'  sie  1899  an  der  Errichtung 
eines  Staatenverbandes  zur  Förderung  des 
Weltfriedens  mitgearbeitet  hatten  und  eine 
Vervollkommnung  dieses  Verbandes  doch 
selbstverständlich  nur  aiuf  der  Grundlage  eines 
mondialen  Vertrages,  nicht  aber  einzelner  par- 
tieller Verträge  möglich  war. 

Bei  den  Verhandlungen  über  den  „Cour 
de  la  justice  arbitrale"  rächte  es  sich 
ebenfalls  sehr,  daß  man  über  zahlreiche  Grund- 
fragen im  Unklaren  war.  Man  lese  nur  die 
Rede  Barbosas  in  der  fünften  Sitzung  des 
Gornite"  d'  examen  B  der  ersten  Unterkom- 
mission der  ersten  Kommission.  (Protokolle 
II,  S.  658—660).  In  dieser  Rede  ist  ungefähr 
jeder  Satz  unrichtig.  Die  Konferenz  war  sich 
ebenso  wie  Barbosaim  höchsten  Maße  dar- 
über unklar,  ob  nun  der  „Cour  de  la  justice 
arbitrale"  ein  Gerichtshof  oder  ein  Schieds- 
gerichtshof sein  würde.  Es  wurden  vier  ver- 
schiedene Meinungen  geäußert.  Scott 
nannte  den  Cour  eine  „Institution  judiciaire", 
Lammasch  und  v.  Martens  eine  „Insti- 
tution arbitrale",  Renault  erklärte,  die  Cour 
de  la  justice  arbitrale  „nähere  sich  einer  in- 
istitutiön  judiciaire".  Fry  führte  sogar  aus, 
Schiedsgerichtsbarkeit  und  Gerichtsbarkeit 
seien  im  internationalen  Rechte  dasselbe. 
(Protokolle  II,  S.  658  ff.).  Unter  diesen 
Umständen     hatte     B  e  1  d  i  m  a  n     (Protokolle 


180 


<2= 


DIE  FRI EDENS ->\^ETE 


II,  S.  660)  vollkommen  Recht,  wenn  er 
erklärte:  „qu'il  existe  des  divergences, 
non  seulement  de  forme,  mais  aussi  de 
.  f ond  entre  les  opinions  de  MM.  Scott 
et  iLammasch  et  meme  Celles  des  auteurs 
du  projet."  Trotzdem  aber  hat  man  auf  der 
zweiten  Friedenskonferenz  gar  nicht  den  Ver- 
such gemacht,  diese  fundamentalen  Wider- 
sprüche aufzuklären.  Diese  rührten  nämlich 
ganz  gewiß  nur  daher,  daß  man  sich  über 
die  Definition  eines  internationalen  Gerichts- 
hofes und  eines  internationalen  Schiedsgerichts- 
hofes nicht  klar  war.  Die  zweite  Haager 
'Konferenz  hat  fortwährend  nationale  und  inter- 
nationale Gerichtsbarkeit  durcheinanderge- 
worfen. Sie  hat  nicht  erkannt,  daß  es  im 
internationalen  Rechte  eine  Gerichtsbarkeit  in 
dem  nationalen  Sinne,  die  von  einer  über- 
geordneten Behörde  eingesetzt  ist,  überhaupt 
nicht  gibt.  Denn  hätten  wir  diesen  Gerichts- 
hof, dann  besäßen  wir  auch  einen  Weltbundes- 
staat, .und  dann  wären  die  Grundlagen,  auf 
denen  wir  heute  das  Völkerrecht  aufbauen, 
Vernichtet.  Gerichtsbarkeit  muß  daher  im 
internationalen  Rechte  etwas  ganz  anders  sein 
als  vim  nationalen  Völkerleben.  (Eine  aus- 
führlichere Darlegung  erübrigt  sich  hier.  Ich 
verweise  auf  mein  bereits  genanntes  Buch: 
Das   Problem  eines   Staatengerichtshofes.) 

Auch  bei  der  Frage  der  Zusammensetzung 
des  „Cour  de  la  justice  arbitrale"  war  man 
über  Jiöchst  wichtige  Fragen  im  Unklaren. 
Vor  allem  deshalb  ist  auch  das  ganze  Projekt 
zuletzt  an  dem  vollkommen  berechtigten 
Widerspruche  der  Klein-  und  Mittelstaaten  ge- 
scheitert. 

So  erkennen  wir  also,  daß  die  Haager 
(Konferenzen  die  von  ihnen  erörterten  Ideen 
durchaus  nicht  systematisch  und  planvoll  an- 
gefaßt haben.  Dazu  wäre  nötig  gewesen,  daß 
man  sich  erst  über  alle  Grundbegriffe  klar 
geworden  wäre  und  dann  überlegt  hätte, 
welche    Pläne    zuerst   realisierbar   seien. 

Insgesamt  also  haben  sich  die  Haager 
Friedenskonferenzen  noch  nicht  als  ein  Zentral- 
punkt für  die  internationale  Friedenspolitik 
bewährt.  Sie  haben  von  den  zahlreichen 
Wegen  zur  internationalen  Organisation  nur 
zwei  beschritten,  d.  h.  nur  die  Fragen  der 
Schiedsgerichtsbarkeit  und  der  Rüstungsver- 
ständigung einer  Prüfung  unterzogen,  sind  da- 
bei aber  nicht  auf  den  Kern  der  ganzen  Sache 
eingegangen.  Dadurch  ist  bei  Diplomaten  so- 
wohl als  auch  in  weiten  Volkskreisen  der 
Glaube  entstanden,  als  seien  die  Haager  Kon- 
ferenzen in  der  Hauptsache  nur  zur  Förderung 
der  Schiedsgerichtsbarkeit  ins  Leben  gerufen 
worden.  Das  aber  muß  umsomehr  zur  Unter- 
grabung des  Ansehens  dieser  Konferenzen  bei- 
tragen, als  zweifellos  die  Schiedsgerichtsbar- 
keit allein  nicht  imstande  ist,  die  friedliche 
Organisation  der  Staatengemeinschaft  herbei- 
zuführen. 

So  ist  denn,  nachdem  die  Abrüstungs- 
frage fast  begraben  worden  ist,  das  ursprüng- 


liche Ziel  der  Haager  Konferenzen  fast  ganz 
aus  dem  Auge  verloren  worden.  Daß  das 
leuchtende  (Ideal  (aller  Haager  Konferenzen 
nur  lauten  kann:  „Allmähliche,  aber  syste- 
matische Entwicklung  einer  internationalen 
Friedens politik",  haben  viele  noch  gar  nicht 
erkannt*). 

Meines  Erachtens  aber  wird  eine  Besse- 
rung in  diesen  Verhältnissen  nicht  eher  ein- 
treten, als  bis  man  klar  erkannt  haben  wird, 
daß  vor  allem  einmal  erst  das  ganze  Problem 
der  internationalen  Friedenspolitik  mit  real- 
politischem [Scharfsinn  bearbeitet  werden  muß, 
ehe  man  an  die  Ausarbeitung  von  inter- 
nationalen  Verträgen   geht. 

Als  der  Bau  des  Friedenspalastes  im  Haag 
begonnen  wurde,  da  sind  nicht  eines  Tages 
unversehens  einige  Baumeister  zusammen- 
'gekommen,  um  Stein  auf  Stein  zu  türmen, 
sondern  vorher  war  ein  ganz  detaillierter  Ent- 
wurf ausgearbeitet  worden,  und  die  Arbeiter 
kannten  genau  die  Bedeutung  jedes  einzelnen 
Steines  innerhalb  des  Ganzen.  Als  aber  die 
Haager  Friedenskonferenzen  ins  Leben  ge- 
rufen wurden,  da  wußte  man  wohl  ungefähr, 
was  1899  und  was  1907  geschaffen  werden 
sollte;  aber  von  der  Bedeutung  dieser  Pläne 
innerhalb  des  großen  Zieles  der  friedlichen 
Staatenorganisation  hatte  man  keine  Ahnung. 
Dies  war  freilich  so  lange  verzeihlich,  als 
man  überhaupt  noch  nicht  fest  entschlossen 
war,  die  Haager  Konferenzen  zu  einer  regel- 
mäßigen Institution  des  Staatenlebens  zu 
machen.  Nachdem  dies  aber  1907  geschehen 
ist,  (muß  man  nicht  nur  die  Aufgaben  jeder 
Friedenskonferenz  für  sich  betrachten,  sondern 
darüber  hinaus  feststellen,  welche  Rolle  die 
Beschlüsse  der  einzelnen  Konferenz  innerhalb 
der  gesamten  Haager  Konferenzen  einnehmen,. 

Bevor  also  die  nächsten  Haager  Friedens- 
konferenzen zusammentreten,  müßten  einmal 
folgende  Fragen  beantwortet  werden: 

1.  Sind  die  Haager  Konferenzen  ledig- 
lich da,  um  die  (Schiedsgerichtsbarkeit  (und 
das  Kriegsrecht)  fortzubilden,  oder  sind  sie 
nicht  vielmehr  der  Zentralpunkt  für  die  inter- 
nationale Staatsorganisation?  Obwohl  es  gar 
nicht  zweifelhaft  sein  kann,  wie  diese  Frage 
zu  beantworten  ist,  so  sollte  sie  doch  mit  der 
nötigen  /Klarheit  und  Entschiedenheit  beant- 
wortet werden,  damit  alle  Staaten  die  richtige 
Auffassung  von  dem  Wesen  des  Häager 
Werkes  erhalten.  Die  Schückingsche 
Lehre  ist  hier  entscheidend. 

2.  Wie  kann  diese  internationale  Friedens- 
politik am  besten  betrieben  werden?  Welches 
sind  die  wichtigsten  Programmpunkte  dieser 
Politik?  Was  ist  zunächst  und  was  erst  später 
realisierbar  ? 


*)  Für  diese  Erkenntnis  bedeutet 
Schückings  groß  ange^gtes  Meisterwerk 
eine  welthistorische  Tat,  die  dem  ruhmvollen 
Eintreten  Zorns  auf  der  ersten  Friedenskonfe- 
zenz    für    den    Schiedshof   gleichkommt. 


181 


DIE  FßlEDEN5-Vi/ADTE 


=G) 


Man  wird  mir  nun  einwenden  wollen: 
Das  hat  man  ja  bereits  erkannt  und  zu  diesem 
Zwecke  hat  die  zweite  Friedenskonferenz  be- 
fürwortet, es  solle  etwa  zwei  Jahre  vor  dem 
Zusammentritt  der  nächsten  Konferenz  ein 
Ausschuß  eingesetzt  werden,  der  die  für  die 
Konferenz  wichtigen  Programmpunkte  fest- 
legen solle.  Darauf  ist  aber  zu  erwidern: 
Dieser  Ausschuß  soll  ja  nur  die  dritte  Kon- 
ferenz vorbereiten,  nicht  aber  eine  Grundlage 
geschaffen  für  die  gesamte  Zukunft  der 
Haager  Friedenskonferenzen,  die  unauslösch- 
lich mit  einer  planvollen,  systematischen,  sich 
auf  viele  Jahrzehnte  erstreckenden  Friedens- 
politik der  Staaten  verbunden  ist.  Man  be- 
achte auch  die  Ergebnisse  der  von  dem  In- 
stitut de  droit  international  zur  Vorbereitung 
der  dritten  Friedenskonferenz  eingesetzten 
Kommission  (Confer.  Revue  de  droit  inter- 
national et  de  16gislation  compar^e,  1911,  S. 
587  ff.),  die  auch  die  dritte  Friedenskonferenz 
nur  als  eine  isolierte  Versammlung  zur 
Stärkung  des  Kriegs-  und  Friedensrechts,  nicht 
aber  als  Glied  einer  großen  Reihe  von  Kon- 
ferenzen zur  allmählichen  friedlichen  Orga- 
nisation der   Staatengemeinschaft  ansieht. 

Die  planvolle  Vorbereitung  einer  inter- 
nationalen Friedenspolitik  kann  auch  unmög- 
lich in  so  kurzer  Zeit,  wie  es  zwei  Jahre  sind, 
vor  pich  gehen.  Müssen  doch  meines  Er- 
achtens,  um  für  die  Staatengemeinschaft  Richt- 
linien (für  die  zukünftige  Entwicklung  der 
Friedenspolitik  zu  schaffen,  die  bedeutendsten 
Politiker,  Völkerrechtsjuristen  und  Pazifisten 
erst  um  ihre  Meinung  gefragt  werden.  Dazu 
aber  sind  Jahre  erforderlich. 

Die  dritte  Haager  Friedenskonferenz 
könnte  deswegen  keine  größere  und  würdigere 
Tat  vollbringen,  indem  sie  einen  ständigen 
Ausschuß  damit  beauftragte,  ein  großes  Pro- 
gramm für  die  internationale  Friedenspolitik 
der  Mächte  auszuarbeiten.  Ein  solcher  Aus- 
schuß könnte  sehr  vorteilhaft  als  eine  Ab- 
teilung (des  „Bureau  g^neral  international  per- 
manent" begründet,  aber  es  kann  auch  der 
Verwaltungsrat  des  Haager  Schiedshofs  mit 
der  Aufgabe  betraut  werden.  Dieser  Ausschuß 
hätte  die  Aufgabe,  durch  berühmte  Juristen, 
die  sich  durch  praktischen  Blick  ausgezeichnet 
haben,  [  durch  Männer  wie  A  s  s  e  r , 
Lammasch,  Renault  usw.  zahlreiche 
Grundfragen  der  internationalen  Organisation, 
z.  B.  die  Konstruktion  des  Haager  Schieds- 
hofes, das  Wesen  der  Gerichtsbarkeit  im  Völker- 
recht, das  Wesen  des  von  der  ersten  Friedens- 
konferenz geschaffenen  Staatenverbandes,  das 
iPrinzip  der  Gleichheit  der  Staaten,  die  Zu- 
sammensetzung eines  internationalen  Gerichts- 
hofes usw.  feststellen  zu  lassen.  Dadurch 
wäre  fortan  eine  Grundlage  für  eine  gesunde 
Weiterarbeit  geschaffen.  Sodann  müßte  der 
Ausschuß  alle  Möglichkeiten  erwägen,  die  zur 
Stärkung  der  friedlichen  Tendenzen  der 
Staatengemeinschaft  beitragen,  und  die  prak- 
tische  Durchführbarkeit  der   einzelnen   Mittel 


prüfen.  Bezüglich  der  Frage,  ob  die  Spionage 
beseitigt  werden  könne,  wären  nicht  nur  Mi- 
litärs, sondern  auch  sonst  angesehene  Männer 
des  öffentlichen  Lebens  zu  befragen.  Auf  diese 
Weise  würde  mehr  und  mehr  festgestellt 
werden,  welche  Hindernisse  der  Realisierung 
der  einzelnen  Vorschläge  im  Wege  stehen. 
Diese  Hindernisse  müßten  dann  besonders 
daraufhin  geprüft  werden,  ob  sie  stichhaltig 
sind.  Denn  das  wäre  der  große  Unterschied 
dieser  Methode  von  dem  bisherigen  Vorgehen. 
Die  Einwendungen  gegen  einen  Plan  würden 
nicht  direkt  von  den  Staaten,  sondern  von 
(Privatpersonen  vorgebracht,  und  es  brauchte 
sich  vorläufig  keine  Regierung  auf  irgendeine 
Meinung  festzulegen.  Wenn  aber  auf  den 
Haager  Konferenzen  ein  Staat  mit  aller 
Energie  seine  Gründe  gegen  einen  Vorschlag 
eröffnet,  dann  fällt  es  dieser  Regierung  sehr 
schwer,  zu  bekennen,  daß  sie  sich  geirrt  habe, 
und  sie  verbleibt  bei  ihrer  Opposition,  selbst 
wenn  ihre  Einwendungen  fast  einstimmig  und 
überzeugend  widerlegt  worden  sind. 

Ueber  die  große  Bedeutung  der  Haager 
Friedenskonferenzen  (gibt  es  heute  nur  eine 
Stimme.  So  haben  meines  Erachtens  jene 
Konferenzen  die  hohe  Aufgabe,  ein  neues  Zeit- 
alter leinzuleiten,  in  dem  alle  Kräfte  in  der 
Welt,  die  sich  heute  befehden,  der  allergrößten 
Idee,  nämlich  der  Fortentwicklung  des 
Menschengeschlechtes,  dienstbar  gemacht 
werden  sollen.  Dieses  Ziel  ist  so  wunderbar 
und  von  solcher  Schönheit,  daß  diejenigen, 
die  die  Erreichung  dieses  Ideales  herbeiführen 
sollen,  eine  ungeheure  Verantwortung  vor  der 
Geschichte  und  den  Völkern  trifft.  Sie  haben 
daher  die  heilige  Pflicht,  alles  zu  tun,  was 
die  Menschheit  am  schnellsten  und  kürzesten 
zu  jenem  Ziele  führen  kann,  müssen  freilich 
dabei  beachten,  daß  eine  zu  große  Hast  uns 
nur  noch  mehr  von  dem  letzten  Ende  des 
steilen  Weges   entfernen  kann. 


Die  moderne  Friedensbewegung 
und  die  österreichische  Schule. 

Von    einem    Schulmann. 

Die  Frage:  „Fördert  die  Schule  den 
Völkerhaß  ?"  beantwortet  der  „Friedens- 
Katechismus"  mit  einem  wohlbegründeten 
„Ja".  Er  sagt  darüber:  „Der  Unterricht 
unserer  Schulen  pflanzt  in  die  jungen  Ge- 
müter der  Kinder  die  grausamsten  Schlach- 
ten- und  Schreckensbilder  einer  sogenannten 
Weltgeschichte  ein."  Wenn  der  Lehrer 
seinen  Schülern  im  stolzen  Ton  die  Helden- 
taten und  mutigen  Handlungen  des  Heeres 
schildert,  empfängt  die  Jugend  die  Anregung, 
militärische!  Begabung  und  Vorzüge  höher 
zu  werten  als  die  friedensfördernden  Fähig- 
keiten der  menschlichen  Persönlichkeit.  Die 
Betonung  des  kriegerischen  Standpunktes 
hat    zur    Folge,    daß    dem    Verständnis    der 


182 


@= 


DIE  FRI EDENS -N^ADTE 


heranwachsenden  Generation  das  bedeu- 
tendste Problem  unseres  Jahrhunderts,  die 
Friedensbewegung,  verschlossen  und  ihr  durch 
Ignorierung  dieser  Kulturfrage  die  Möglich- 
keit entzogen  wird,  sich  für  die  einstige 
Unterstützung  des  Pazifismus  vorzu- 
bereiten1). 

Wenn  man  bereits  in  der  Schule  für 
den  Krieg  Propaganda  macht,  hängt  dies 
mit  der  politischen  Auffassung  der  Militär- 
staaten zusammen.  Sie  erkennen  nicht  die 
durch  die  technischen  Umwälzungen  vor  sich 
gehende  zwischenstaatliche  Weltorganisation 
und  geben  sich  der  irrigen  Annahme  hin, 
daß  Konflikte,  die  früher  nur  mit  den  Waffen 
ausgefochten  wurden,  auch  heute  nicht  ohne 
Gewaltanwendung  beigelegt  werden  können. 
Sie  haben  stets  das  Ideal  der  zwischenstaat- 
lichen Anarchie  vor  Augen  und  werden  durch 
das  Uebersehen  des  sich  vollziehenden  Zu- 
sammenschlusses der  Nationen  zu  einer 
großen  Einheit  genötigt,  in  ihren  Territorien 
das  Denken  der  Allgemeinheit  an  ihre  Prin- 
zipien zu  gewöhnen. 

Auf  der  Mittelschul-Enquete2)  im  k.  und 
k.  Ministerium  für  Kultur  und  Unterricht 
sagte  Oberst  Piskaöek,  es  sei  wünschens- 
wert, „mit  der  militärischen  Erziehung  der 
Schuljugend  und  der  weiten  Volksschichten 
noch  vor  dem  Eintritt  in  das  wehrpflichtige 
Alter  zu  beginnen".  Er  verlangte  im  Namen 
der  österreichischen  Militärverwaltung,  man 
sollte  den  Turnunterricht  „mit  teilweise 
militärischem  Einschlag  an  den  Volks- 
schulen einführen,  den  militärischen  Sinn  be- 
ziehungsweise die  Vorliebe  für  den  militä- 
rischen Beruf  erwecken".  Zu  diesem1  Zwecke 
schlug  er  vor,  daß  man  an  den  öster- 
reichischen Mittelschulen,  gewerblichen,  kom- 
merziellen, land-  und  forstwissenschaftlichen 
Lehranstalten  das  Kapselschießen  und  das 
scharfe  Schießen  mit  dem  Repetiergewehr 
übe.  Ueber  den  Zweck  seiner  Vorschläge 
sprach  sich  Oberst  Piskaöek  folgenderweise 
aus1:  „Durch  Verwirklichung  der  erwähnten 
Anträge  würden  nicht  allein  der  Wehrmacht, 
sondern  auch  der  gesamten  Jugend  un- 
berechenbare Vorteile  erwachsen." 

Leider  hat  der  Oberst  verabsäumt,  diese 
„unberechenbaren  Vorteile"  für  die  heran- 
wachsende Generation  zu  erklären.  Was 
hat  das1  Schießen  am  Gymnasium  zu  tun, 
das)  den  Schüler  geistig  ausbilden  und  ihm 
eine  klare  Einsicht  in  das  menschliche  Leben 
verschaffen  soll.  Die  Mittelschule  hat  die 
Aufgabe,  die  jungen,  unerfahrenen  Menschen 
für  die  Hochschule  oder  den  künftigen  prak- 

*j  Man  vergleiche  die  Verhältnisse  in  den 
Vereinigten  Staaten  in  der  Besprechung  der 
Schrift  von  Mrs.  Fern  Andrews  in  der 
Literaturrubrik    der    vorliegenden    Nummer. 

2)  Die  Mittelschulenquete  im  k.  k.  Mini- 
sterium für  Kultus  und  Unterricht.  Wien,  21. 
bis  25.  Jänner  1908.  Herausgegeben  vom  Mini- 
sterium   des    Innern.     S.  536. 


tischen  Beruf  vorzubereiten.  Sie  hat  nichts 
mit  einer  Rekrutenausbildung  zu  tun  und 
verfehlt  ihre  programmatischen  Grundsätze 
vollends,  wenn  man  an  ihr  das  regelrechte 
Schießen  wie  am  Exerzierplatz  übt.  Trotz- 
dem behauptet  der  Erlaß  des  Ministers  für 
Kultus  und  Unterricht  vom  8.  Mai  1910, 
z.  IQ  847,  betreffend  die  körperliche  Er- 
ziehung an  den  Mittelschulen,  S.  2:  Die 
Schießübungen  seien  von  unleugbarer  Be- 
deutung für  die  Erziehung  und  müssen  daher 
für  freiwillig  sich  meldende  Schüler  der  beiden 
obersten  Klassen  unter  Beobachtung  der 
nötigen  Vorsichtsmaßregeln  an  den  Mittel- 
schulen für  die  männliche  Jugend  eingeführt 
werden.  In  einer  zweiten  Verordnung  zeigt 
esl  sich  aber,  daß  die  Pflege  der  Schieß- 
übungen als  ein  Mittel  betrachtet  wird,  auf 
dem1  unschuldigsten,  naivsten  Wege  den  mili- 
tärischen Stolz  und  Großdünkel  groß- 
zuziehen3). Man  empfiehlt,  Wettschießen  zu 
veranstalten.  „Eine  solche  Veranstaltung", 
heißt  es  auf  Seite  4  des  Erlasses  vom 
16.  Oktober  1910,  „hebt  die  Lust  für  das 
Schießwesen  und  vermag  den  Wetteifer  unter 
der  Jugend  anzuregen."  Bessere  Schützen 
bekommen  die  Auszeichnung,  den  Leitern  des 
Schießunterrichtes  als  Gehilfen  zu  dienen. 
Dadurch  soll  man  jedermann  offenbaren,  wie 
„besonders  gute  Erfolge  im  Schießen"  ge- 
würdigt werden.  Selbstverständlich  wird  auf 
diese  Weise  bewirkt,  daß  die  „Gehilfen"  den 
jüngeren  oder  nicht  so  geschickten  Kame- 
raden gegenüber  in  jeder  Beziehung  als  Vor- 
bild dienen  können  und  den  Wetteifer  für 
das  Schießwesen  unter  ihren  Schulkollegen 
stets    rege    erhalten4). 

In  der  Verordnung  wird  gesagt :  „Jeder 
Schüler  hätte  in  einem  Uebungsjahre  100 
Schüsse  abzugeben."  Ob  man  mit  einer  so 
geringen  Anzahl  von  Schüssen  die  Treff- 
sicherheit erlangt,  erscheint  in  mehr  als  einer 
Hinsicht  fraglich.  Außerdem  wird  man  be- 
deutende Fehler  im  Schießen  anstellen,  wenn 
man  nicht  kontinuierlich  sich  damit  befaßt. 
Jedem  militärischen  Fachmann  muß  es  auf- 
fallen, daß  man  wenige  Fortschritte  auf  dem 
Gebiete  dieser  Kunst  erwarten  darf,  wenn 
für  den  Schieß  Unterricht  nur  die  Sams- 
tagnachmittage in  Aussicht  genommen  wer- 
den5). Nach  dem  Wortlaut  des  Erlasses 
vom  16.  Oktober  1910,  Z.  28  968,  scheint 
man  gar  nicht  die  Absicht  gehabt  zu  haben, 
aus  Schülern  gewandte  Schützen  zu  bilden. 
Man  verfolgt  in  Wirklichkeit  die  einseitig- 
sten patriotischen  Zwecke,  wie  aus  folgen- 
den Bemerkungen  hervorgeht:  „Bei  der  Vor- 
nahme des  Schießunterrichts  in  den  Pausen, 
dann     bei     Ausflügen    usw.    wird    sich    viel- 


3)  Erlaß  des  Ministers  für  Kultus  und  Unter- 
richt vom  16.  Oktober  1910,  Z.  28,  968,  be- 
treffend die  Einführung  von  Schießübungen  an 
Mittelschulen    und   Lehrerbildungsanstalten. 

4)  Ebenda. 

5)  Das  verlangt  der  Erlaß  vom  16.  Okt.  1910. 


183 


DIE  FßlEDENS-^&ßTE  = 


leicht  Gelegenheit  ergeben,  den  Schülern 
mancherlei  Kenntnisse  zu  vermitteln.  Diese 
hätten  zu  umfassen:  Allgemeines  über  die 
Wehrmacht  und  die  Organisation  derselben, 
Bedeutung  in  volkserzieherischer  Richtung 
und  ihres  bildenden  Einflusses,  Kartenlesen 
(Spezialkarte  des  Aufenthaltsortes),  Er- 
zählung von  kriegsgeschicht- 
lichen Episoden,  hauptsächlich  solcher, 
bei  welchen  sich  das  betreffende  Hausregi- 
ment beziehungsweise  Leute  aus  der  engeren 
Heimat   ausgezeichnet   haben   usw." 

Danach  wird  dem  Lehrer  direkt  vor- 
geschrieben, alle  militärischen  Ereignisse  zu 
verschweigen,  bei  denen  Oesterreich  nicht 
rühmlich  abschnitt.  Man  glaubt,  durch  eine 
patriotisch  gefärbte  geschichtliche  Dar- 
stellung Stimmung  für  den  Militarismus  zu 
machen.  Es  wird  dem  Historiker  die  Wei- 
sung erteilt,  in  der  Weltgeschichte  nichts 
anderes  als  den  Schauplatz  von  Schlachten, 
natürlich  nicht  verlorenen,  sondern  ge- 
wonnenen, zu  erblicken.  Für  ihn  gilt  der 
vornehmlichste  Gesichtspunkt :  „Jede  sich 
darbietende  Gelegenheit  wäre  zu  benützen, 
um  bei  den  jungen  Leuten  durch  Besichti- 
gung von  Geschützen,  Maschinengewehren,, 
Feldtelegraphen,  Feldküchen,  Gewehr-  und 
Munitionsfabriken  usw.  das  Interesse  an 
militärichen   Einrichtungen   wachzurufen." 

Von  einer  Berücksichtigung  der  Friedens- 
bewegung ist  hier  keine  Spur  vorhanden. 
Ihre  Bedeutung  wird  gar  nicht  berührt.  Daß 
sie  sich  gegen  die  gewaltigen  militärischen 
Opfer  und  die  wahnsinnigen  Rüstungen  wen- 
det, darf  die  Schuljugend  nicht  wissen.  Im 
Gegenteil,  das  Ministerium  für  öffentliche  Ar- 
beiten gibt  in  dem  Erlaß  vom  10.  Jan.  1913 
für  alle  politischen  Landesstellen,  mit  Ausnahme 
von  Galizien  und  Niederösterreich,  sowie  für 
die  Direktionen  der  in  Betracht  kommenden 
gewerblichen  Zentralanstalten  d:em  Gedanken 
Ausdruck, :  „Die  wachsende  Bedeutung  un- 
serer in  aufsteigender  Entwicklung  begriffe- 
nen Kriegs-  und  Handelsmarine  im  Zu- 
sammenhang mit  der  Rückwirkung  ihres 
Aufschwunges  auf  die  Belebung  wichtiger 
heimischer  Industrie-  und  Gewerbezweige  er- 
fordern, daß  dem  Marinewesen  im  Unterricht 
der  gewerblichen  Lehranstalten  künftighin 
erhöhte  Aufmerksamkeit  zugewendet  wird." 
Es  wird  daher  dem  Lehrkörper  der  Gewerbe- 
schulen zur  (Pflicht  gemacht,  die  Jugend  ,,über 
den  gesamtstaatlichen  und  volkswirt- 
schaftlichen Wert  der  unausgesetzten 
Kräftigung  und  Ausgestaltung  unserer  Kriegs- 
und Handelsflotte  im1  allgemeinen,  nament- 
lich aber  in  ihrer  Besprechung  zur  hei- 
mischen gewerblichen  Produktion  aufzuklären 
und  ihr  Interesse  für  das  Seeleben  zu  wecken 
und  zu  fördern."  Hier  unterläuft  dem  Mi- 
nisterium für  öffentliche  Arbeiten  ein  grober 
P'ehler,  indem'  es  von  einem  großen  Nutzen 
der  ^Flottenrüstungen  für  die  Allgemeinheit 
spricht     und     dabei    den    großen    Gegensatz 


zwischen  den  gewaltigen  Ausgaben  für  den 
Militarismus  und  den  winzigen  Geldopfern 
für  humane,  kulturelle  Bedürfnisse  im  Jahres- 
budget verschweigt.  Gegen  eine  Vermehrung 
der  Handelsschiffe  hat  niemand  etwas  ein- 
zuwenden, aber  zu  bekämpfen  ist  die  Mei-' 
nung,  nach  der  die  Befruchtung  der  In- 
dustrie, Arbeitsmöglichkeiten  für  den  Pro- 
letarier usw.  bei  dem  Bau  von  Riesenschiffen 
die  Nachteile  überwiegen,  die  ein  ungeheurer 
Kostenaufwand  für  die  Kriegsmarine  zur  Ge- 
nüge   beleuchtet. 

Man  klagt  in  Oesterreich,  daß  der  Unter- 
richt in  der  höheren  und  minderen  Schule 
reformbedürftig  ist.  Das  Eindringen  militäri- 
scher Ansichten  in  das  Klassenzimmer  hat 
eine  ungünstige  Begleiterscheinung  gebracht. 
Davon  kann  man  sich  besonders  im  geschicht- 
lichen Unterricht  überzeugen,  der  das  Schwer- 
gewicht auf  die  Darstellung  von  Schlachten 
und  Feldzügen  legt  und  geistige,  wirtschaft- 
liche Bewegungen  nicht  erklärt.  Bezüglich 
der  Mittelschulen  sagte  der  frühere  Minister 
für  Kultus  und  Unterricht,  Dr.  M  a  r  c  h  e  t , 
im  Jahre  1908:  „Der  Unterricht  in  Geschichte 
ist  in  dem  Sinne  zu  modernisieren,  daß  neben 
der  politischen  mehr  als  bisher  die  Wirt- 
schafts- und  Kulturgeschichte  berücksichtigt 
und  daß  auch  der  Geographie  in  den  oberen 
Klassen  die  gebührende  Stellung  eingeräumt 
wird."  Es  wurde  wohl  in  der  letzten  Klasse 
der  Mittelschule  die  „Bürgerkunde"  im  An- 
schlüsse an  die  österreichische  Vaterlands- 
kunde eingeführt,  aber  eine  Reformierung  des 
geschichtlichen  Lehrgegenstandes  ist  damit 
nicht  erfolgt.  Ein  sehr  wichtiger  Fortschritt 
muß  allerdings  anerkannt  werden,  daß  in  dem 
neuen  Lehrplan  für  die  Mittelschulen  verlangt 
wird,  man  möge  die  Kriegsgeschichte  i:i  den 
oberen  Klassen  auf  ein  Mindestmaß  beschrän- 
ken. Es  zeigen  sich  die  Mängel  der  Vergan- 
genheit in  verjüngter  Gestalt,  wenn  man  von 
dem  Germanisten  verlangt,  er  möge  den 
Schülern  einen  „Ueberblick  über  den  Ent- 
wicklungsgang der  deutschen  Literatur  bis 
nahe  an  die  Gegenwart"  geben.  Somit  soll 
die  gegenwärtige  Zeit  weder  von  dem  Histo- 
riker noch  Literaturhistoriker  an  den  Mittel- 
schulen besprochen  werden.  Nehmen  wir  den 
Fall  an,  am  Gymnasium  kommt  man  am  Ende 
der  8.  Klasse  in  der  Geschichte  nicht  weiter 
als  bis  zum  Jahre  1848,  so  hat  die  Schul- 
jugend nach  Absolvierung  der  Mittelschul- 
studien keine  Ahnung  von  den  geistigen  Strö- 
mungen der  Jetztzeit.  Bekanntlich  trat  am 
18.  Mai  des  Jahres  1899  eine  Friedenskonfe- 
renz im  Haag  zusammen,  die  von  fast  allen 
Kulturstaaten  der  Erde  besucht  wurde  und 
den  Zweck  verfolgte,  den  unaufhörlichen 
Rüstungen  ein  Ende  zu  setzen.  Dieser  Tag 
sollte  als  ein  denkwürdiges  Ereignis  in  den 
österreichischen  Schulen  gefeiert  werden,  das 
eine  neue  Epoche  der  Weltgeschichte  ein- 
leitete. Wie  kann  ein  Gymnasiast  Kenntnis 
von   der   friedlichen   Organisierung  der   Welt 


184 


<3S 


DIE  TRI  EDENS -WARTE 


erlangen,  wenn  ihn  der  Lehrer  nicht  darüber 
aufklärt.  In  keiner  einzigen  Verordnung  wird 
die  Friedensidee  erwähnt.6)  Das  ist  ein  großer 
Nachteil  für  junge  Leute,  die  man  nach  der 
Maturitätsprüfung  in  soziale  Berufe  oder  an 
die  Hochschule  sendet,  ohne  ihr  Verständnis 
für  das  große  Werk  des  sich  des  Sieges  be- 
wußten Friedensgedankens  wachgerüttelt  zu 
haben. 

Es  muß  als  eine  feststehende  Tatsache 
angesehen  werden,  daß  sowohl  an  den  öster- 
reichischen Volks-  als  Mittelschulen  unter  den 
gegenwärtigen  Verhältnissen  nicht  die  gering- 
sten Ansätze  zu  einer  pazifistischen  Erziehung 
vorhanden  sind.  Der  Friedenswille  bedarf  von 
seiten  des  Lehrers  der  ,Stärkung,  wenn  er 
Erfolge  im  politischen  Leben  bewirken  soll. 
Auf  die  Unterstützung  der  Friedensbewegung 
durch  die  nationalen  Bildner  kommt  es  be- 
sonders an,  denn  sie  vermögen  die  inter- 
nationalen Beziehungen  zwischen  den  Kultur- 
völkern zu  erfassen  und  die  Menschheit  zur 
bewußten  Mitarbeit  an  der  Ausgestaltung  der 
Friedensorganisation  heranzuziehen.  Die  klare 
Einsicht  in  die  Entwicklung  der  Weltföderation 
wird  durch  die  Rückständigkeiten  in  der  Schul- 
gesetzgebung verschlossen.  Sie  werden  ver- 
schwinden, je  intensiver  an  ihrer  Beseitigung 
die  Friedensfreunde  arbeiten.  E.  K.. 


Z2  RANDGLOSSEM  U 
ZVÜ  ZEITGESCHICHTE 

Von    ßertba   v.   äuttaer. 

Wien,    den    7.    Mai    1913. 

Das  Haar,  an  dem  wieder  einmal  der 
Frieden  unseres  Weltteils  hing,  ist  nicht  ab- 
gerissen. Schon  war  Oesterreich-Ungarn  be- 
reit, sich  vom  europäischen  Konzert  loszutren- 
nen und  selbständig  in  Montenegro  einzumar- 
schieren, um  die  Räumung  Skutaris  zu  er- 
zwingen. Da  kam  die  erlösende  Nachricht: 
König  Nikita  fügte  sich  dem  Willen  der  Mächte. 
Schon  war  der  Becher  geschüttelt  —  die 
eisernen  Würfel  fielen  nicht.  Es  muß  doch 
schon  ein  starker  Friedenswille  in  der  Welt 
vorwalten,  daß  trotz  all  der  Gefahren  und 
Verwicklungen,  Drohungen  und  Zwischenfälle 
der  Krieg  abermals  vermieden  worden  ist. 
Dieser  Wille  hat  sich  auch  deutlich  in  man- 
chen Aeußerungen  ausgedrückt,  die  während 
der  Krise  gefallen  sind.  So  sagte  ein  engli- 
scher Diplomat  zu  einem  Vertreter  des  Reuter- 
schen   Bureaus   am   29.  April : 

„Das  Publikum  darf  nicht  außer  acht 
lassen,  daß  die  Hauptaufgabe,  ja  die  Kar- 
dinalaufgabe der  Botschafterreunion  darin  be- 


6)  Das  beweist  der  Inhalt  aller  Verord- 
nungen, die  in  dem  Werke:  „Die  Mittelschulen", 
Samm'ung  von  Verordnungen,  herausgegeben 
von  Halma  und  Schilling  (Wien,  191 1),  er- 
wähnt   werden. 


steht,  den  europäischen  Frieden  zu  erhalten 
und  daß  die  verschiedenen  durch  den  Balkan- 
krieg entstandenen  Fragen  nur  zweiten 
Ranges  sind.  An  diese  wichtigste  Tat- 
sache muß  man  sich  erinnern,  und  man  wird 
die  Fragen,  die  sich  täglich  aufwerfen,  nach 
ihrem  richtigen  Verhältnis  werten."  Ebenso 
sprach  Sir  Edward  Grey;  und  ebenso  hieß 
es  in  einer  offiziellen  russischen  Kundgebung: 
die  Aufrechterhaltung  des  europäischen  Frie- 
dens sei  die  wichtigste  Aufgabe;  alle  Me- 
thoden, den  Willen  der  Mächte  durchzusetzen, 
seien  von  diesem  Standpunkt  zu  beurteilen. 
mh 

Trotz  allen  Gespötts  und  Aergers  überBot- 
schafterreunion,  über  erfolglose  Fiottendemon- 
stration,  hat  sich  doch  die  Wirkung  der 
internationalen  Verständigung  und  der  ge- 
waltlosen internationalen  Polizeiaktion  durch- 
gesetzt. Die  verhöhnte  Blokade  hatte  zur 
Folge,  daß  Montenegro  die  Zufuhr  von  Lebens- 
mitteln abgeschnitten  war,  und  der  Hunger 
allein  genügt  hätte,  zur  Nachgiebigkeit  zu 
zwingen  und  nun  geschieht  auch  noch,  daß 
eine  internationale  Truppe  in  Sku- 
tari  einmarschieren  und  in  ihre  Hände  die 
Stadt  übergeben  wird.  Dieses  neue  Gebilde : 
„Europa",  das  sich  aus  dem  Willen,  von  einer 
Conflagration  verschont  zu  bleiben,  sozusagen 
automatisch  herausgebildet  hat,  ein  Europa, 
das  einen  Gesamtwillen  besitzt  und  eine  ver- 
einte bewaffnete  Macht,  um  diesen  Willen 
durchzusetzen,  —  das  muß  nun  von  einem 
neuen,  noch  höheren  Willen  beseelt  werden, 
nämlich,  seine  Einigkeit  zu  stabilisieren  und 
damit  den  so  mühsam  erhaltenen  Frieden  für 
die  Zukunft  zu  sichern. 
na 

Die  europäische  Föderation  —  dieses  alte 
Postulat  der  Friedensbewegung  —  reift  heran. 
Die  Symptome  mehren  sich.  Viele  Fäden 
spinnen  sich  von  den  beiden  Mächtegruppen 
hinüber  und  herüber.  Als  Forderung,  wie  ge- 
sagt, ist  die  Sache  alt:  Pandolfi  erhob  sie 
auf  dem  Friedenskongreß  von  1891  in  Rom 
und  veröffentlichte  eine  Artikelserie  darüber 
in  der  Revue  „Die  Waffen  nieder";  Emile 
Arnaud  taufte  sein  Blatt:  Les  Etats  unis 
d'Europe;  Novicow  veröffentlichte  sein  klassi- 
sches Buch  „La  Föderation  de  l'Europe",  und 
die  letzte  Nummer  der  Friedens-Warte  enthielt 
die  Formel :  „Dreibund  und  Dreiverband  zur 
Sechsunion".  Nun  hat  Sir  Max  Wächter,  der 
lange  Zeit  für  eine  europäische  Zollunion  plä- 
diert und  seinen  Plan  persönlich  fast  allen 
Staatsoberhäuptern  unseres  Erdteils  vorgetra- 
gen hat,  eine  neue  Aktion  in  Angriff  genom- 
men. Im  ersten  Maiheft  der  Fortnightly  Re- 
view veröffentlicht  er  einen  bemerkenswerten 
Artikel  über  die  politische  Lage,  über  die 
Rüstungskosten  und  über  die  Mittel  zur  Er- 
reichung des  Weltfriedens.  Als  solches  emp- 
fiehlt er  die  Gründung  einer  ,, European 
Federation  League"  und  fordert  alle  m1' t  seintn 


185 


DIE  FRIEDENS -^ADTE 


Ausführungen  sympathisierenden  Leser  auf, 
sich  ihm  anzuschließen.  Zu  diesem  Zweck  hat 
er  ein  provisorisches  Bureau  eröffnet:  39,  St. 
James  Street  Piccadilly,  London;  Sekretär 
Sir  Francis  Temple.  Dieser  Schritt  Sir  Max 
Wächters  gehört  auch  in  die  Serie  der  Forde- 
rungen; doch  zugleich  mehrt  sich  auch  die 
Serie  der  Zeichen  des  —  noch  embryonalen, 
aber  schon  lebenspulsierenden  —  Werde- 
prozesses der  europäischen  Union.  Dazu  ge- 
hören auch  die  deutsch-französischen  Annähe- 
rungsaktionen, so  die  Berner  Konferenz  (11. 
bis  13.  Mai),  der  beiderseitigen  Parlamentarier 
und  die  wiederholten  Kundgebungen  der 
elsässischen  Politiker.  Erst  heute,  7.  Mai,  hat 
die  Zweite  Kammer  des  elsässischen  Land- 
tags einstimmig  einen  Antrag  angenom- 
men, den  Statthalter  zu  ersuchen,  die  Ver- 
treter Elsaß-Lothringens  im  Bundesrate  zu 
instruieren,  daß  sie  sich  mit  Entschiedenheit 
gegen  den  Gedanken  eines  Krieges  zwischen 
Frankreich  und  Deutschland  wenden  und  auf 
die  Annäherung  der  beiden  Staaten  hinarbei- 
ten. —  Die  Sozialisten  aller  Länder  fassen 
solche  Resolutionen  schon  lange,  aber  man 
glaubt,  darüber  mit  der  Behauptung  hinweg- 
gehen zu  können,  daß  dahinter  andere  Partei- 
zwecke verborgen  sind;  wird  man  aber  die 
gleichen  Kundgebungen  der  anderen  Parteien 
auch   so   überhören   können? 


Ein  Stückchen  Dreibund  wird  in  diesen 
Tagen  beim  Dreiverband  einen  Besuch  ab- 
statten: eine  Anzahl  ilatieni scher  Deputierter 
begibt  sich  nach  Petersburg  und  soll  dort 
in  offiziellen  Kreisen  gefeiert  werden  —  alles 
Fäden,  die  von  einem  Ende  des  Kontinents 
zum  anderen  laufen;  die  Weberschiffchen  sind 
aus  pazifistischem  Holz,  und  der  Stoff,  der 
da  gewebt  wird,  der  wird  eben  heißen: 
Föderation  von  Europa.  Wird  das  zarte  Ge- 
webe, das  wir  entstehen  sehen,  noch  einmal 
von  gepanzerten  Fäusten  zerstört  werden  ? 
Ich  hoffe:  nein.  Aber  wenn  auch  —  die  Ar- 
beit würde  wieder  und  immer  wieder  auf- 
genommen werden,  bis  sie  vollendet  ist. 


Blicken  wir  einmal  in  das  andere  Lager. 
Nämlich  derer,  die  den  Krieg  lieben,  die  ihn 
herbeisehnen,  die  ihn  gegen  die  Angriffe  des 
Pazifismus  glühend  verteidigen.  Auch  Ide- 
alisten in  ihrer  Art.  An  solche  wendet  sich 
Norman  Angell  vergebens  —  denn  was 
frommt  der  Beweis,  daß  dabei  kein  Profit  ist. 
Darüber  sind  sie  erhaben,  sie  wollen  gar 
nichts  gewinnen  durch  den  Krieg,  sie  beten 
ihn  einfach  an,  sein  Bild  (nicht  seine  Wirk- 
lichkeit —  die  erfassen  sie  nicht)  füllt  sie 
mit  Wonne.  Hier  als  Beispiel  ein  Gedicht 
aus  der  Danzerschen  Armeezeitung.  Der 
Herausgeber  findet  es  genial.  Daß  es  als 
Gedicht  schön  und  talentvoll  ist,  das  finde 
ich   auch. 


Lied  ans  Maschinengewehr. 

Hast  tausend  Kugeln  in  deinem  Leib 
Und    Pulver   viele   Pfund. 
Heil    dir,    du    eisenschwang'res    Weib, 
Jetzt    schlägt    die    erlösende    Stund'. 

Gib    deine    Kinder    her! 

Du    treu'    Maschingewehr! 

Spei'    wie    eine    Kröte 

Dein    zischend     Gift! 

Und    wen's    trifft, 

Den    töte! 

Und    wer    dir    dient,    muß    niederknien 
Als    wie    vor    Gottes    Thron. 
Ins    Feld    trag'    ich    am    Arm    dich    hin, 
Als    wärst    mein    lieber    Sohn. 

Du   bist   mir  nicht   zu   schwer, 

Du    treu'    Maschingewehr! 

Ich    spiel'    auf    deiner    Flöte 

Ein   Lied,    das   pfeift    und   gellt. 

Und     wem's     nicht    gefällt, 

Den    töte! 

Ihr    klugen    Pferdchen,    flink    getrabt! 
Mit    euren    schlanken    Hufen. 
Wir    haben    lange    Fried'    gehabt, 
Der   Kaiser   hat   gerufen! 

Vorwärts    zu    Sieg    und    Ehr', 

Du    treu'    Maschingewehr  I 

Ich    knie   bei   dir    und   bete: 

Gott     schütze     Oesterreich ! 

Und    wer's    bedroht    mit    Schelmenstreich, 

Den    töte! 

Frömmigkeit  klingt  in  dem  Liede  auch 
an.  Daß  doch  diese  Dauer-  und  Wonne- 
töter  gar  so  gern  denjenigen  anrufen,  von 
dem  sie  doch  glauben,  daß  er  sagte:  Du 
sollst   nicht    töten. 


Die  genannte  Armeezeitung  lese  ich 
übrigens  mit  Eifer.  Es  ist  für  uns  Pazifisten 
so  interessant  und  nützlich,  zu  wissen,  was 
die  Kriegerischen  sagen,  wenn  sie  unter  sich 
sind,  und  zu  erfahren,  was  sie  denken,  fühlen 
und  planen.  Hier  der  Anfang  eines  Leit- 
artikels   (13.    März). 

Die   Aussichten   unseres   nächsten   Krieges. 

Der  Friede  ist  wieder  einmal  gerettet.  Wir 
demobilisieren.  Die  Kurse  steigen  und  der 
Tanz  um  das  goldene  Kalb  kann  wieder  lustig 
anheben.  Niemand  aber  zweifelt,  daß  der  jetzt 
bejubelte  Friede  zu  den  kostspieligsten  Errungen- 
schaften gehören  wird.  Die  Gegensätze,  die 
sich  seit  dem  Oktober  des  vergangenen  Jahres 
aufgetürmt  haben,  bestehen  ungeschwächt  weiter 
und  nur  zu  bald  wird  —  so  Gott  will  — 
für  uns  Soldaten  die  jetzt  zum  zweitenmal  ver- 
säumte Gelegenheit  (1908,  1913)  wiederkehren. 
Lassen  wir  alle  Sentimentalitäten  und  getäuschten 
Hoffnungen  beiseite  und  bereiten  wir  uns 
zielbewußt  für  die  dritte  Gelegen- 
heit   vor. 

Ist  das  nicht  eine  Mahnung  für  die  Frie- 
denspartei, zielbewußt  dafür  zu  arbeiten, 
daß  die  1908  und  1913  glücklich  überstande- 
nen  Gefahren  sich  nicht  wiederholen  können? 
An  einer  anderen  Stelle  leistet  sich  das  Blatt 
folgende  sozialphilosophische  Betrachtung : 
„Ein  langer  Friede  ist  eine  große  Gefahr  für 
den  modernen  Fortschritt,   für  Propagierung 


186 


<§= 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


großer  Gesichtspunkte;  hingegen  treten 
Nörgeleien,  beengte  einseitige  Auffassung, 
Voreingenommenheit,  ja  Idiosynkrasie  wieder 
in  ihr  volles  Recht."  Gewiß,  inmitten  von 
platzenden  Granaten,  brennenden  Dörfern  und 
dergleichen  ist  kein  Raum  für  Nörgeleien, 
und  gegenüber  von  meilenweiten  Leichen- 
feldern und  25  000  Cholerafällen  schwindet 
die  beengte  einseitige  Auffassung;  und  dann, 
wenn  man  seine  Zeit  nur  mit  Kunst,  Wissen- 
schaft, Reisen,  Handel,  Arbeit  ausfüllt, 
statt  mit  Bohren  des  Bajonetts  in  fremde 
Eingeweide  —  wo  bleibt  da  der  „moderne 
Fortschritt  ?" 

MB 

Hocherfreulich  war  die  aus  den  Ver- 
einigten Staaten  kommende  Nachricht,  daß 
Bryan,  im  Einverständnis  mit  Präsident  Wil- 
son, dem  diplomatischen  Korps  einen  Frie- 
densplan entwickelt  hat,  der  die  Grundlage 
zu  Vertragsverhandlungen  abgeben  soll.  Die 
genaueren  Einzelheiten  dieser  Aktion  waren 
in  den  ersten  Depeschen  noch  nicht  bekannt- 
gegeben; aber  man  sieht,  daß  es  der  neuen 
Regierung  Ernst  ist,  das  Vertragswerk  Tafts 

—  vielleicht  mit  einigen  neuen  Modalitäten  — 
wieder  aufzunehmen  und  die  edle  Führer- 
rolle in  der  Friedensbewegung  durchzuführen, 
für  die  kein  Land  so  geeignet  ist  wie  Amerika. 
Alle  Erfahrungen,  die  ich  dort  gesammelt 
habe,   bekräftigen  mich  in  dieser  Zuversicht. 

MB 

Nach  dem  Erfreulichen  wieder  etwas 
Trauriges.  Wir  Friedenskämpfer  werden  ja 
so  heftig  zwischen  Himmelhochjauchzen  und 
Zutodebetrübtsein  hingeworfen,  wie  nur  je 
„eine  Seele,  die  liebt".     Das  Betrübende  ist 

—  das  Buch  des  deutschen  Kronprinzen.  Es 
wird,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  „viel  böses 
Blut  machen".  Denn  es  zeigt  den  künf- 
tigen Träger  der  deutschen  Kaiserkrone,  der 
einst  über  Krieg  und  Frieden  zu  entscheiden 
haben  wird,  als  Bekenner  von  der  Un- 
vermeidlichkeiti  des  Krieges,  und  wenn  er 
auch  zugibt,  daß  „der  Riesenbrand,  wenn 
einmal  entfacht,  nicht  mehr  so  rasch  er- 
stickt werden  kann  und  daß  die  Berufenen 
sich  ihrer  Ungeheuern  Verantwortung  voll  be- 
wußt sein  müssen"  —  so  zeigt  er  sich  als 
Bewunderer  des  Krieges,  als  offener  Gegner 
der  modernen  Friedensbestrebungen,  die  er 
als  Utopie  und.  als  „undeutsch"  betrachtet. 
„Gewiß  soll  und  kann  die  diplomatische  Ge- 
schicklichkeit wohl  eine  Zeitlang  die  Kon- 
flikte hintanhalten;  aber  wie  der  Blitz  ein 
Spannungsausgleich  zweier  verschiedener  Luft- 
schichten ist,  so  wird  das  Schwert  bis  zum 
Untergang  der  Welt  immer  des  letzten  Endes 
ausschlaggebender  Faktor  sein  und  bleiben." 
Das  ist  apodiktisch.  Im  Artikel  über  die 
Gardes   du   Corps  heißt   es: 

„Wer  solche  Attacken  mitgeritten  hatte, 
für  den  gibt  es  nichts  Schöneres  auf  der 
Welt,    und   doch:   noch    eines   erscheint   dem 


echten  Reitersmann  schön:  wenn  alles  dies 
dasselbe  ist,  aber  am  Ende  des  Schnell- 
laufes uns  der  Feind  entgegenreitet  und  der 
Kampf,  für  den  wir  geübt  und  erzogen  sind, 
einsetzt,  der  Kampf  auf  Leben  und  Tod. 
Wie  oft  bei  solchen  Attacken  hat  mein  Ohr 
den  sehnsüchtigen  Ruf  eines  daherjagenden 
Kameraden  aufgefangen :  „Donnerwetter, 
wenn  das  doch  ernst  wäre."  Reitergeist ! 
Alle,  die  rechte  Soldaten  sind,  müssen  füh- 
len und  wissen:  Dulce  et  decorum  est  pro 
patria   mori." 

Nun  ja:  „Reitergeist".  Aber  ein  Kaiser 
ist  doch  berufen,  über  andere  als  über  Kavalle- 
risten zu  herrschen  —  es  gibt  daneben  auch 
noch  Gelehrte,  Dichter,  Bürger,  Bauern,  Ar- 
beiter, Frauen  —  denen  der  entgegenreitende 
Feind  nicht  so  wünschenswert  erscheint.  Das 
ist  es  eben:  „geübt  und  erzogen"  sind  die 
rechten  Soldaten  darnach;  —  ist  es  da  nicht 
natürlich,  daß  sie  den  Kampf  wünschen?  Aber 
Leben  und  Wissenschaft,  Erfahrungen  und 
Denken  üben  und  erziehen  doch  noch  zu  ganz 
anderen  Dingen,  als  zur  schneidigen  Reiterei. 
Vielleicht  wird  auch  der  Kronprinz  noch  um 
sich  blicken,  vielleicht  wird  er  von  seines 
Vaters  ernsteml  Friedenswillen  und  helläugigen 
Weltinteresse  etwas  abgewinnen ;  —  hoffen  wir, 
daß  „Donnerwetter!"  nicht  sein  letztes  Wort 
ist.  — 

MB 

In  Ungarn  wird  eine  neue  Kanonenfabrik 
errichtet.  Wieder  investierte  Millionen  und 
wieder  soundso  viel  Leute,  die  daran  inter- 
essiert sind,  daß  genügende  Bestellungen  ein- 
laufen, mit  anderen  Worten,  daß  kein  Mangel 
an  Kriegsgefahren  eintrete.  Wie  die  Gefahr 
der  mangelnden  Gefahr  beschworen  wird,  wie 
die  internationale  Waffenindustrie  das  Schüren 
nationaler  Furcht-  oder  Trutzgefühle  betreibt, 
um  den  Absatz  der  vertrusteten  Mordware  zu 
sichern,  das  hat  der  Abgeordnete  Liebknecht 
dokumentarisch  aufgedeckt.  In  Pazifisten- 
kreisen wurde  schon  längst  auf  das  Bestehen 
des  über  alle  Landesgrenzen  verzweigten 
Kriegssyndikats  hingewiesen ;  David  Starr  Jor- 
dans Buch  über  das  „heimliche  Reich"  (da- 
mit meint  er  die  zu  Kriegszwecken  anleihe- 
gebenden Banken)  zeigt  den  finanziellen  Unter- 
grund des  ganzen  Rüstungsrummels,  aber 
natürlich  dringen  die  Lehren  und  Warnungen 
der  Friedensliteratur  nicht  so  weit  in  die 
Oeffentlichkeit,  wie  solche  im  Parlament  vor- 
gebrachte sensationelle  Enthüllungen.  Zwar 
wird  man  versuchen,  darüber  hinwegzu — 
schweigen,  aber  die  Masken  sind  doch 
schon  gelockert  worden.  Und  schließlich 
müssen    sie   fallen. 

Aus  Albanien  wird  nun  ein  autonomer 
Staat  gemacht.  Und  Werkmeister  dabei  — 
nach  Oesterreich-Ungarns  und  Italiens  Plan 
—  soll  wieder  „Europa"  sein.  Da  hat  es 
wieder  ein  schönes  Stück  vereinter  Arbeit  vor 


187- 


DIE  FRIEDENS -^VAQTE  = 


;§> 


sich.  Die  Hauptarbeit  wird  ihm  aber  noch 
seine  eigene  Sicherung,  seine  eigene  Erlösung 
sein.  Nein,  es  darf  nicht  mehr  in  zwei  Grup- 
pen auseinanderfallen.  , 


PAZIFISTISCHE  CHRONIK 

10.  April.  Boykott- Beschluß 8  der  serbischen 
Handels-  und  Gewerbekammern  gegen  öster- 
reichisch-ungarische Waren. 

IL  April.  Freundschaftskundgebung  zivi- 
schen  Deutschen  und  Engländern  auf  dem  Oster- 
bankett  der  Londoner  City  in  Anwesenheit  des 
deutschen  Botschafters. 

12.  April.  Der  deutsche  Reichstag  berät 
über  die  Deckungsvorlagen  für  die  neue 
Heer  es  Vermehrung. 

15.  April.  Die  deutsche  Friedensgesell- 
scha'ft  und  die  ständige  Vertretung  der  französi- 
schen Friedensgesellschaften  erlassen  gemeinsam 
einen  Protest  gegen  das  Wettrüsten. 

15.  April.  Zwischenfall  xon  Nancy.  Misshand- 
lung einiger  Deutscher. 

18.  April.  Abg.  Liebknecht  macht  im  Deut- 
schen Reichstag  mehrere  Mitteilungen  über  die 
Machenschaften  der  Rüstungs-Industrie  und 
der  Armeelieferanten. 

19.  April.  Erledigung  des  deutsch- franzö- 
sischen Zwischenfalles  über  den  Handel  von 
Nancy  durch  Massregelung  der  schuldtragenden  fran- 
zösischen Beamten. 

21.  April.  Staatssekretär  Bryan  unterbreitet 
der  zuständigen  Kommission  des  amerikanischen  Kon- 
gresses einen  neuen  Plan  zur  Sicherung  des 
Weltfriedens. 

21.  April.  Der  Balkanbund  nimmt  die 
Vermittlung  der  Grossmächte  an.  Waffen- 
stillstand. 

22.  April.  Die  zweite  elsass-lothringische 
Rammer  protestiert  gegen  die  Wehrvorlage 
im  Reichstag. 

23.  April.  Auf  dem  Bankett  der  auswär- 
tigen Presse  hielt  Premier-Minister  Asquith 
eine  Rede,  in  der  er  ausführte,  „es  gebe  auf  der  Welt 
keine  Macht,  die  mehr  als  die  Presse  geeignet  sei, 
eine  internationale  Verständigung  herbeizu- 
führen". 

23.  April.  Uebergabe  von  Skutari.  Ernste 
Krieg  sab  sichten  Oesterreich-Ungarns. 

29.  April.  Staatssekretär  Bryan  unterbreitet 
seine  Weltfriedenspläne  dem  Washingtoner  diplo- 
matischen Korps. 

29.  April.  In  London  findet  die  IL  Jahres- 
versammlung der  „Vereinigung  der  Kirchen 
Grossbritanniens  und  Deutschlands  zur  För- 
derung der  freundschaftlichen  Beziehungen  zwischen 
beiden  Ländern"  statt.   Bischof  Carpenter p> äsidiert. 

1.  Mai.  Die  tschechische  Sozialdemokratie  Böh- 
mens demonstriert  in  265  Versammlungen 
gegen  den  Krieg. 

1.  Mai.  Friedliche  Wendung  in  der  Sku- 
tarifrage. 


188 


2.  Mai.  Sämtliche  Parteien  der  zweiten  Kam- 
mer des  elsass-lothringischen  Landtags  haben 
einen  Antrag  eingebracht,  der  sich  gegen  den  Ge- 
danken eines  deutsch- französischen  Krieges 
richtet. 

4.  Mai.  Die  in  Strassburg  vereinigte  Delegierten- 
Versammlung  der  elsässischen  Fortschritts- 
partei tritt  für  die  franco-deutsche  Verstän- 
digung ein. 

5.  Mai.  König Nikila  erklärt,  Skutari  zu  räumen. 
Beseitigung  der  Kriegsgefahr. 

5.  Mai.  Eine  Abordnung  der  englischen  Frei- 
maurer-Logen kommt  zum  Besuch  der  alt- 
preussischen  Landeslogen  nach  Beilin. 

6.  Mai.  Die  tschechischen  Parteien  des 
österreichischen  Reichsrais  protestieren  gegen 
das  Eingreifen  Oesterreich-Ungarns  in  die 
Entwicklung  der   Verhältnisse  am  Balkan. 

6.  Mai,  Die  Wiener  freiheitlichen  Abge- 
ordneten protestieren  gegen  eine  von  Europa 
sich  loslösende  Politik  der  österr.  -Ungar. 
Monarchie. 

6.  Mai.  Der  Haager  Schiedshof  entscheidet 
in  dem  „Garthage"  und  „Manouba" streit  zwi- 
schen Frankreich'und  Italien   zugunsten  Italiens. 


OZXV/S  DES*  ZEITQ 

Völkerrecht. 

Die  Schiedsgerichtsbarkeit  in  der 

portugiesischen  Verfassung. 

Bekanntlich  haben  Brasilien  und  Vene- 
zuela das  Schiedsprinzip  in  ihre  Verfassung 
aufgenommen,  wonach  diese  Staaten  es  sich 
zur  Pflicht  machen,  ehe  sie  zu  den  Waffen 
greifen,  eine  rechtliche  Entscheidung  anzurufen. 

Neuerdings  hat  Portugal  dieses  Prinzip  in 
seine  Verfassung  vom  21.  August  1911  auf- 
genommen. Dort  heißt  es  in  Absatz  71 :  ,,Dio 
portugiesische  Bepublik  .  .  .  betrachtet  das 
Schiedsgericht  als  das  beste  Mittel  zur  Ent- 
scheidung  internationaler   Fragen." 

Mfe 
Bryans  Aktion  zur  Sicherung  des  Weltfriedens.    ::    : 

i  Daß  der  neue  amerikanische  Staatssekretär 
daran  gehen  werde,  die  Begierungen  zu  einer 
gemeinsamen  Sicherung  des  Weltfriedens  und 
zur  Verminderung  der  Büstungslasten  anzuregen, 
stand  für  jene  außer  Zweifel,  denen  die  bis- 
herige pazifistische  Betätigung  Bryans  nicht 
unbekannt  war.  So  trat  der  neue  Staats- 
sekretär der  Vereinigten  Staaten,  wie  aus  dem 
Ende  April  nach  Europa  gelangten  kurzen  Nach- 
richten ersichtlich  wurde,  bereits  wenige 
Wochen  nach  seinem  Amtsantritt  mit  einem  de- 
taillierten Plan  vor  die  Oeffentlichkeit. 

Zwar  ist  der  Plan  in  seinen  Einzelheiten 
noch  nicht  bekanntgegeben,  sondern  nur  dessen 
allgemeine  Grundzüge.  Er  geht  von  den  Taft- 
schen  Schiedsverträgen  aus,  die  der  frühere 
Präsident  mit  England  und  Frankreich  zum 
Abschlüsse    brachte,    die    jedoch,    wie    bekannt 


GE 


=  DIE  FRIEDEN5-WARXE 


vom  Senat  in  einem  wichtigen  Punkte  verändert 
wurden,  aus  welchem  Grunde  eine  Ratifikation 
jener  Verträge  bislang  nicht  erfolgte.  Bryan 
suchte  zunächst  die  Klippe  zu  beseitigen,  an 
denen  die  Taftschen  Schiedsverträge  gescheitert 
sind;  nämlich  an  der  Eifersucht  des  Senats, 
der  von  Fall  zu  Fall  die  Ueberweisung  eines 
Streitfalles  vor  die  Schiedsgerichtsbarkeit  zu 
entscheiden  sich  vorbehielt.  Bryan  begann  da- 
mit, die  Mitglieder  des  Senats  zu  Mitarbeitern 
an  dem  Plane  zu  machen,  dessen  große  Grund- 
züge er  am  23.  April  der  auswärtigen  Kom- 
mission des  Senats  in  einer  zweistündigen  Kon- 
ferenz vortrug.  Als  Ergebnis  dieser  Konferenz 
wird  berichtet,  daß  die  Kommission  den  Plan 
allgemein   gebilligt    habe. 

Die  Grundlage  des  Bryanschen  Systems  be- 
steht darin,  daß  alle  internationalen  Streitig- 
keiten, auch  solche,  die  Lebensinteressen  und 
die  nationale  Ehre  berühren,  einem  internatio- 
nalen Untersuchungshof  unterbreitet  werden 
müssen.  Die  streitenden  Mächte  seien  an  das 
Ergebnis  der  Untersuchung  nicht  gebunden.  Sie 
haben  sie  blos  abzuwarten.  Doch  dürfen  sie 
während  der  Untersuchung  keinerlei  militärische 
Vorbereitungen  treffen.  Der  Gedanke  geht  an- 
scheinend von  der  Absicht  aus,  die  im  Haag 
geschaffenen  Untersuchungskommissionen  obli- 
gatorisch zu  machen  und  durch  deren  Funktion 
die  für  die  Aufrechterhaltung  des  Friedens  so 
gefährliche  Erregung  der  öffentlichen  Meinung 
hintanzuhalten. 

Erst  nachdem  der  Plan  auch  von  dem  Prä- 
sidenten Wilson  gebilligt  sein  wird,  sollten  seine 
Einzelheiten  bekanntgegeben  werden,  worauf  es 
dann  möglich  sein  wird,  in  nähere  Erörterungen 
einzugehen. 

Bryans  Plan  bewegt  sich  in  einer  Pachtung, 
auf  die  ich  in  meiner  Schrift  „Die  Grundlagen  des 
revolutionären  Pazifismus"  bereits  hingewiesen 
habe.  Die  „Immunisierung  der  Masse"  (S.  51) 
gegen  die  Einflüsse  jener  Faktoren,  die  zum 
Kriege  treiben,  erschien  mir  darin  als  das  wich- 
tigste, und  als  das  hervorragendste  Mittel  dazu 
erschienen  mir  „Einrichtungen  . . .,  deren  Zweck 
es  ist,  die  gesunde  Vernunft,  selbst  im  Falle 
der  intensivsten  Aufpeitschung  der  Massen, 
nicht  erlöschen  zu  lassen,  dem  Konflikt  eine 
dilatorische  Behandlung  zu  sichern."  (S.  55). 
Ich  wies  darin  auf  die  Haager  Untersuchungs- 
kommissionen hin,  auf  ihren  Erfolg  in  der 
Hüllen- Af faire  und.  sagte  dann:  „Aufgabe  des 
Pazifismus  ist  es,  die  Einrichtung  dieser  Unterr 
suchungskommissionen  auszubauen,  sie  nament- 
lich obligatorisch,  permanent  und  mobil  zu 
machen."  Wenn  sich,  wie  anzunehmen  ist,  die 
Bryansche  Aktion  in  dieser  Pachtung  bewegen 
wird,  dürfte  sie  von  einem  wohltuenden  Ein- 
fluß auf  die  internationale  Politik  sein.  Auch 
wenn  sich  zunächst  nicht  alle  Staaten  zu  einem 
solchen  Vertrage  bequemen  werden,  die  Bei- 
spiele, die  die  Praxis  derjenigen  Staaten  liefern 
wird,  die  dem  Abkommen  zustimmen,  dürften 
in  wenigen  Jahren  auch  die  zunächst  ablehnen- 
den Regierungen  in  jene  Bahn  bringen.    Welche 


Aufregungen  wären  Europa  erspart  geblieben, 
wie  viel  Millionen  von  Nationalvermögen  wären 
vor  der  Vergeudung  gerettet  worden,  wenn 
während  der  gegenwärtigen  Balkankrise  eine 
Institution,  wie  sie  Bryan  plant,  schon  bestanden 
hätte.  A.  H.  F. 

MB 

Rüstungsproblem, 

Von  den  unsichtbaren  Rüstungslasten. ::  ::  ::  ::   ::  :: 

Das  Gefühl  der  Unerträglichkeit  der 
Rüstungs vorlagen  fängt  jetzt  auch  an,  in  Krei- 
sen hervorzutreten,  die  man  zu  den  „patrio- 
tischen" zu  rechnen  gewöhnt  ist.  Man  fängt 
dort  an  nachzudenken  und  kommt  darauf,  daß 
diese  Lasten  mit  jenen  Summen  nicht  erschöpft 
sind,  die  auf  den  Budget  der  Kriegs-  und  Marine- 
ministerien verrechnet  stehen.  Wir  Pazifisten 
haben  immer  auf  die  von  uns  als  indirekt 
bezeichneten  Ausgaben  hingewiesen.  Nunmehr 
veröffentlicht  der  Zentrumsabgeordnete  Dr. 
Heim  soeben  eine  „Um  der  Gerechtigkeit 
willen!"  betitelte  Schrift,  die  er  im  Auftrag 
der  Bayerischen  Bauernvereine  veröffentlicht 
hat.  Ueber  den  bevorstehenden  Inhalt  dieser 
Schrift  entnehmen  wir  der  „Frankf.  Zeitung'1 
(15.  4.)  folgendes : 

Dr.  Heim  hat  durch  die  Obmänner  seiner 
Organisation  eine  Rundfrage  veranstaltet,  um 
zu  ermitteln,  wie  viel  Familien  in  deren  Ge- 
meinden 4  Söhne  und  darüber  zum  Militär  ge- 
stellt haben.  Es  ist  also  bei  weitem  nicht 
die  volle  Höhe  der  Blutsteuer  festgestellt,  die 
Familien  mit  3  Söhnen  sind  bereits  nicht  mit- 
gezählt. Um  so  stärker  wirkt  das  Resultat. 
Aus  den  7276  Gemeinden  des  rechtsrheinischen 
Bayerns  sind  1086  brauchbare  Antworten  ein- 
gegangen. Sie  berichten  von  1843  Familien, 
die  in  den  letzten  zwei  Dezennien  8302  Sol- 
daten gestellt  haben;  darunter  sind  1165  Fa- 
milien mit  je  4  Soldaten,  488  mit  je  5,  142  mit 
je  6,  der  Rest  gar  mit  einer  Zahl  von  7,  8  und 
9  Soldaten.  Was  das  für  einzelne  Gemeinden 
bedeutet,  dafür  ein  paar  Beispiele:  In  einer 
Gemeinde  von  155  Einwohnern  haben  seit  15 
Jahren  22  Mann  aktiv  gedient,  in  einer  anderen 
mit  172  Einwohnern  gab  es  seit  1900  25  Sol- 
daten; aus  einer  Gemeinde  mit  260  Einwohnern 
(Wernanz  in  Unterfranken)  müssen  im  Mo- 
bilisierungsfalle 35  Mann  einrücken,  aus  einer 
anderen  mit  550  Einwohnern  (Waldberg)  über 
50  Mann,  aus  einer  dritten,  Nordheim  mit  904 
Einwohnern,  gar  180  Mann  —  1870/71  waren  es 
42!  Da  hat  man  einmal  andere  Ziffern  als!  die 
offiziösen  zur  Illustration  der  Heeresver- 
mehrung; man  scheut  sich,  auszumalen,  wie 
es  in  solchen  Gemeinden  beim  Ausbruch  eines 
Krieges  aussehen  würde!  Und  die  Wirkungen 
im  Frieden?  Aus  den  Angaben  der  Obmänner 
ergibt  sich,  daß  in  Bayern  ein  Soldat  während 
der  zweijährigen  Dienstzeit  durchschnittlich 
329  M.  an  Geld  und  Naturalien  von  Hause 
geschickt  erhielt,  das  bedeutet  also  einen  Jahres- 
zuschuß  von  150  M.,  ohne  den  der  Soldat  nicht 
auskommen  kann.    Ob   ein   Zuschuß   in  solcher 


189 


DIEFBIEDENS-^MÖßTE 


[6) 


Höhe  tatsächlich  absolut  nötig  ist,  darüber  wird 
man  schwerlich  etwas  aussagen  können;  aber 
mit  den  Klagen  des  Reichskanzlers  über  Luxus 
\ind  Wohlleben  wird  man  auch  nicht  aus- 
kommen. Tatsache  ist,  daß  nach  der  Heim- 
schen  Enquete  bei  den  bayerischen  Bauern  der 
Zuschuß  in  dieser  Höhe  als  Regel  anzusehen  ist. 
Und  Tatsache  ist  ferner,  daß  es  in  sehr  vielen 
Fällen  damit  noch  nicht  getan  ist:  denn  bei 
dem  Dienstbotenmangel  auf  dem  Lande  muß 
der  Bauer  für  jeden  Sohn  einen  Knecht 
einstellen,  der  weniger  leistet,  mehr  Verpfle- 
gung beansprucht  und  300  bis  400  M.  Barent- 
lohnung  fordert.  Jeder  Sohn  in  der  Kaserne 
kostet  also  den  Bauern  mindestens  jährlich 
500  M.,  bei  der  zweijährigen  Dienstzeit  1000 
Mark,  und  wenn  die  neue  Heeresvorlage  dem 
flachen  Lande,  wie  Dr.  Heim  annimmt,  jähr- 
lich mindestens  40000  Mann  entzieht,  so  be- 
deutet das  eine  neue  Extralast  von  jährlich 
20  Millionen  M. 

Aber  erst  die  Zuschriften,  die  der  Statistik 
beigegeben  sind,  lassen  erkennen,  was  diese 
Lasten  für  die  Bauerngemeinden  bedeuten.  Fa- 
milien, die  mit  kräftigen  Söhnen  mehr  als  mit 
Geldgütern  gesegnet  sind,  gehen  mit  jedem 
Sohn,  der  wieder  zum  Militär  einrücken  muß, 
wirtschaftlich  zurück.  Hunderte  und  hunderte 
von  Familien  sind  durch  die  Opfer,  die  sie  für 
ihre  Söhne  beim  Militär  bringen  mußten,  ins 
Abhausen  gekommen;  aus  manchem  Bauern  ist 
ein  Knecht,  aus  manchen  Eigenbesitzern  arme 
Logisleute  geworden;  unter  den  Familien,  die 
vier  und  mehr  Söhne  beim  Militär  hatten,  ist 
eine  große  Zahl  von  solchen,  die  trotz  Fleiß 
und  Sparsamkeit  an  der  Blutsteuer  zugrunde 
gegangen  sind.  Nur  wenige  charakteristische 
Zuschriften  seien  hier  wiedergegeben.  Da 
schreibt  ein  Obmann  aus  Oberbayern,  der  fünf 
Söhne  beim  Militär  hat:  „Jch  hätte  schon 
längst  ein  paar  in  die  Schule  geschickt,  aber 
ich  brauchte  die  ganze  Zeit  nur  alles  Geld 
für  das  Militär."  Ein  anderer  Obmann  schreibt: 
.,.  .  .  daß  diesem  Bauern  für  Zeitverlust,  Aus- 
gaben für  fremde  Arbeitskräfte,  Reserveübungen 
usw.  ein  Schaden  von  3000  bis  6060  M.  er- 
wächst. Da  sind  gleich  in  unserer  Gemeinde 
zwei  Bauern,  die  sich  noch  dazu  in  sehr  miß- 
lichen Verhältnissen  befinden,  die  werden  sich 
von  solchen  Schlägen  nicht  mehr  erholen."  Ein 
Bericht  aus  Schwalm  lautet:  „Fünf  Söhne,  zehn 
Kinder,  zehn  Tagwerk,  Anwesen  verschuldet, 
verkauft."  Ein  Taglöhner  und  Bauer  aus  Unter- 
franken  hatte  fünf  Tagwerk,  stellte  vier  Sol- 
daten und  schreibt:  „Das  ohnehin  geringe  Ver- 
mögen ist  durch  die  Militärpflicht  aufge- 
braucht worden."  Und  so  geht  es  immer  weiter. 
Am  schlimmsten  aber  ist  es  dann,  wenn  Witwen 
diese  Lasten  tragen  sollen  oder  wenn  der  Sohn, 
als  der  einzige  Ernährer  einer  ganzen  Familie 
nach  dem  Wegsterben  des  Vaters  trotz  aller 
Vorstellungen  vom  Militär  nicht  freigegeben 
wird.  Eine  Witwe  in  Oberbayern  hat  fünf 
Söhne  beim  Militär  gehabt,  zweimal  zwei  zu 
gleicher  Zeit,  Ausgaben  1500  M.,  „für  die  Witwe 


ist  das  eine  fast  unerschwingliche  Last", 
schreibt  der  Obmann.  Eine  andere  Witwe  hatte 
fünf  Söhne  beim  Militär,  jeder  erhielt  minde- 
stens 100  M.,  „was  die  Mutter  als  Taglöhnerin, 
Verdingerin,  Gräberrichterin  verdiente,  mußte 
sie  größtenteils  ihren  Söhnen  opfern".  So  klagt 
es  aus  all  den  Zuschriften.  Da  ist  der  Vater 
gestorben,  der  älteste  Sohn  von  den  sechs  Kin- 
dern hat  das  Anwesen  übernommen,  aber  nach- 
dem er  eine  Weile  zurückgestellt  worden  ist, 
bekommt  er  doch  die  Einberuf ungsorder  und 
muß  einrücken,  während  das  Anwesen  verfällt. 
Da  hat  ein  Sohn  die  Hufschmiede,  aber  er 
muß  zum  Militär  und  eine  unerfahrene  Frau, 
die  Mutter,  muß  inzwischen  mit  einem  Ge- 
sellen die  Schmiede  führen.  Da  hat  der  Sohn 
die  alten  Eltern  allein  zu  ernähren,  aber  es 
hilft  ihm  alles  nichts.  „Die  Fälle,  wo  ganze 
Familien  daran  wirtschaftlich  zugrunde  ge- 
gangen sind,  sind  nicht  selten,"  resümiert  Dr. 
Heim.  Und  seufzend  fügt  er  im  Hinblick  auf 
die  jetzt  geplante  furchtbare  Heeresvermehrung 
hinzu:  „Wie  wird  das  erst  in  Zukunft  werden!" 
MB 

Der  gemeinsame  deutsch-französische 

Rufruf  gegen  das  Wettrüsten. 

Die  deutsche  Friedensgesellschait  und  die 
ständige  Vertretung  der  französischen  Friedensr 
gesellschaften  haben  einen  gemeinsamen  Protest 
gegen  das  Wettrüsten  verfaßt,  der  an  ungeiähr 
1000  deutsche  und  französische  Zeitungen  ver- 
sandt und  in  ca.  100  deutschen  und  franzö- 
sischen Städten  (dort  in  beiden  Sprachen)  afi'i- 
chiert  wurde. 

Das  wichtige  Dokument  sei  hier  im  Wort- 
laut   wiedergegeben : 

Aufruf! 

'Das  Internationale  Friedensbureau  in  Bern 
hat  sich  mit  einem  Aufruf  an  die  Regierungen, 
die  Parlamente  und  die  Völker  gewendet,  um 
die  unheilvolle  Steigerung  des  Rüstungswett- 
kampfes, die  gegenwärtig  die  ganze  Welt  be- 
droht,  abzuwenden. 

Die  Entscheidung  liegt  bei  Deutschland  und 
Frankreich.  Deshalb  wenden  wir  deutsche  und 
französische  Friedensfreunde  uns  gemeinsam  an 
unsere  Landsleute. 

Enorm  ist  seit  Jahrzehnten  die  Steigerung 
der  Rüstungslasten.  Die  fünf  Mächte,  die  heute 
im  Dreibund  und  im  Zweibund  gruppiert  sind, 
hatten  im  Jahre  1896/97,  zur  Zeit,  da  der  Zwei- 
bund abgeschlossen  wurde,  Militärr  und  Marine- 
budgets in  der  Höhe  von  reichlich  £1/2  Mil- 
liarden Mark,  fast  gleichmäßig  auf  beide  Mächte- 
gruppen verteilt,  Schuldzinsen  und  andere 
Nebenetats  nicht  gerechnet.  Heute,  nach  16 
Jahren,  ist  diese  Rüstungslast  auf  nahezu  fünf 
Milliarden  jährlich  angewachsen;  die  Verteilung 
auf  Dreibund  und  Zweibund  ist  die  gleiche 
geblieben. 

Die  weitere  Rüstungs Vermehrung,  die  heute 
den  Völkern  zugemutet  wird,  ist  so  ungeheuer- 
lich wie  noch  niemals  irgendeine  zuvor.  Noch 
niemals   ist   es   aber  auch   so   einleuchtend   ge- 


190 


<§= 


=  DIE  FRI EDENS -^^ÄRTE 


wesen,  daß  diese  riesigen  Anstrengungen  ihren 
Zweck  vollkommen  verfehlen. 

Der  Zweck  der  Rüstungen  soll  sein,  den 
Frieden  zu  sichern.  Jedes  Land  sieht  diese 
Sicherung  in  der  Steigung  seiner  eigenen  Wehr- 
kraft und  fühlt  sich  gleichzeitig  durch  fremde 
Rüstungen  bedroht.  Niemand  aber  kann  be- 
streiten, daß  das  Wachstum  der  Rüstungen  eines 
jedes  Landes  durch  die  Maßnahmen  aller 
übrigen  Länder  ausgeglichen  wird.  Wie  in  der 
Vergangenheit,  so  heute  und  künftig!  Deutsch- 
land und  Frankreich  sollen  jetzt  vorangehen. 
Rußland,  Oesterreich-Ungarn  und  Italien  werden 
umnittelbar  folgen.  Dann  wird  das  Rüstungs- 
fieber auf  die  anderen  Mächte,  die  heute  noch, 
scheinbar  unbeteiligt,  zur  Seite  stehen,  über- 
greifen. ' 

Und  das  Ergebnis  dieser  ungeheuren  An- 
strengungen? Für  den  Zweck,  um  den  es  sich 
allein  handeln  kann,  für  eine  Verschiebung  im 
militärischen  Kräfteverhältnis,  wird  nichts,  aber 
auch  gar  nichts  gewonnen  werden.  Nur  zweier- 
lei wird  sicher  erreicht  werden  —  die  Mächte 
haben  es  am  29.  Juli  1899  im  Haag  einstimmig 
und  feierlich  erklärt:  eine  Schädigung  des  ma- 
teriellen und  des  jnoralischen  Wohles  der  Völker. 
Dank  der  enormen  Steigerung  der  Rüstungen 
werden  die  Steuern  noch  schwerer  auf  den 
Völkern  lasten;  die  Schaffenskraft  ige  Jugend 
wird  noch  mehr  für  den  Dienst  im  Heer  und 
in  der  Marine  beansprucht  werden,  alles  auf 
Kosten  der  Mittel  und  Kräfte,  die  nötig  wären 
für  die  Werke  friedlicher  Kultur  und  für  das 
wirtschaftliche  Gedeihen  der  Massen.  Und  da- 
zu werden  Verstimmung,  Mißtrauen  und  Er- 
bitterung der  Völker  untereinander  oder  auch 
—  der  Völker  gegen  ihre  Regierungen  gefährlich 
anwachsen. 

In  dieser  verantwortungsvollen  Stunde  glau- 
ben wir  unsere  Pflicht  als  wahre  Patrioten  zu 
erfüllen,  indem  wir  an  die  gesunde  Vernunft 
der  Regierungen,  der  Parlamente  und  der  Völker 
appellieren. 

Wir    stellen    nur    eine    Frage: 

Ist  es  nicht  ein  Gebot  des  gesunden 
Menschenverstandes,  sich  dahin  zu  verständigen, 
daß  man  gleichzeitig  und  gleichmäßig  auf  Maß- 
nahmen, die  einen  so  furchtbaren  Druck  er- 
zeugen und  die  noch  dazu  sofort  durch  Gegen- 
maßnahmen unwirksam  gemacht  werden,  ver- 
zichtet? 

Jeder  Vernünftige  erkennt:  So  können  die 
Dinge  auf  die  Dauer  nicht  weitergehen!  Jeder 
empfindet  heute  mehr  als  je  die  Sinn-  und 
Nutzlosigkeit  dieses  Rüstungswettkampfes.  Und 
doch  ergeben  sich  Millionen  unserer  Mitbürger 
darein,  wie  in  ein  unabwendbares  Fatum.  Ist 
das   würdig  politischer  mündiger  Nationen? 

Wäre  es  nicht  geboten,  jetzt,  ehe  weitere 
Milliarden  geopfert  sind,  dem  Rüstungswett- 
kampf eine  Grenze  zu  setzen? 

Eine  einzelne  Regierung,  ein  einzelnes  Par- 
lament, ein  einziges  Volk  kann  nicht  voran- 
gehen.    Aber  für  ein  gleichzeitiges  und  gemein- 


sames Vorgehen  gibt  es  bei  gutem  Willen 
Wege  der  Verständigung.  Neutrale  Mächte 
können,  wenn  dadurch  das  Einvernehmen  er- 
leichtert  wird,   die   Vermittlung  übernehmen. 

Wenn  die  Regierungen  und  Parlamente  sich 
nicht  entschließen,  diesen  Weg  zu  gehen,  so 
wird  man  zu  spät  erkennen,,  wie  berechtigt 
unsere    Mahnung    war. 

Die  Stunde  der  Entscheidung  ist  gekommen. 
Der  Vorstand  der  Deutschen  Friedensgesellschaft 
Dr.  Adolf  Richter,  Vorsitzender. 
La    Delegation    Permanente 

des    Societes    Francaises    de    la    Paix 

Prof.    Charles    Rieh  et,    President. 


Verschiedenes. 

Gibt  es  in  Oesterreich  eine  Kriegspartei?  ::  :: 

Der  deutsche  Reichstagsabgeordnete 
Prof.  Dr.  Hitze,  eines  der  hervorragend- 
sten Mitglieder  der  Zentrumspartei,  sprach 
am  13.  April  in  einer  Sitzung  des  "Wahlkreis- 
komitees der  Zentrumspartei  des  Wahlkreises 
Gladbach  über:  „Die  neue  Wehr-  und 
Deckungsvorlage  im  Reichstage."  Dabei 
sagte  er  folgendes: 

„In  Oesterreich  war  es  vor  allem  der 
ehzrwürdige  Kaiser  Franz  Josef,  welcher 
sich  für  den  Frieden  einsetzte.  Allbekannt 
ist  aber,  daß  in  Oesterreich  eine 
starke  Kriegspartei  und  an  ihrer 
Spitze  der  Thronfolger,  der  Erz- 
herzog Franz  Ferdinand,  den 
Entscheidungskampf  zwischen 
Oesterreich  und  Rußland  unaus- 
bleiblich erachtete  und  deshalb 
je  eher  desto  lieber  den  Schlag 
führen  wollte.  Mehr  als  ein  General  ist 
unzufrieden  ob  der  Verzögerung  zurückge- 
treten. Ich  kann  aus  persönlichen  Unter- 
haltungen mit  einflußreichen  Oesterreicherü 
nur  bestätigen,  daß  auch  in  den  weiten 
Kreisen  des  Volkes  diese  Ueberzeugung  von 
der  Notwendigkeit  des  Krieges  vorherrscht. 
Die  Lage  war  um  so  mehr  eine  gespannte, 
als  die  russische  Armee  schlagbereit  an  der 
Grenze  stand  und  Oesterreich  gleicherweise 
seine  Reserven  zurückhielt.  Erst  in  den 
letzten  Monaten  ist  es  Dank  der  persönlichen 
Initiative  des  Kaisers  von  Oesterreich  ge- 
lungen, eine  Demobilisierung  seitens  Ruß- 
lands zu  erreichen." 

Was  „die  weiten  Kreise  des  Volkes"  an- 
belangt, bei  denen  die  Ueberzeugung  von  der 
„Notwendigkeit  des  Krieges"  vorherrscht, 
hat  sich  der  Herr  Professor  täuschen  lassen. 
Es  ist  eine  verschwindende  Minderheit,  die 
sich  von  den  Phrasen  einer  gewissen  Hetz- 
presse    fortreißen     läßt     und     mit     ihrer 


191 


DIE  FßlEDENS-^MÖ&TE 


3 


„Kriegsbegeisterung"  kokettiert.  Welches 
die  Leute  sind,  die  zu  einem  Kriege  drängen, 
geht  aus  einem  ,, offenen  Brief*  hervor,  den 
der  Generaldirektor  der  Prager  Eisenindu- 
striegesellschaft, also  einer  an  der  Kriegs- 
industrie stark  interessierten  Unternehmung, 
Herr  Kestranek,  Mitte  April  an  den 
Minister  ,Berchtold  richtete  und  in  der 
.Wiener  „Zeit"  veröffentlichte.  Darin  wird 
der  Minister  „scharf"  gemacht  und  zum 
Kriege  gehetzt.  Das  wertvolle  Dokument, 
das  anläßlich  der  Enthüllungen  über  die  pro- 
vokatorische |  Tätigkeit  der  patriotischen 
Büstungshändler  übersehen  wurde,  sei  hier 
in  seinen  Hauptpunkten  festgehalten: 

„Die  Zukunft  wird  uns  die  traurigen 
Folgen  dieser  Entäußerung  jeden 
Selbstbewußtseins  zeigen,  und  der 
Verlust  des  Prestiges  unseres  Reiches 
muß  naturgemäß  auch  eine  Einbuße  der 
Autorität  des  Staates  im  Innern 
mit  sich  bringen.  Opfer  von  Milliarden,  tiefe 
Schädigung  des  Wirtschaftslebens  der  Mon- 
archie, Einbuße  an  Ansehen  nach  außen  und 
innen,  Verlust  an  Freunden  und  Gewinn  an 
Gegnern,  eine  neue,  kräftebindende  sla- 
wische Irredenta  im  Süden,  das  werden  die 
Früchte  einer  schwächlichen,  den  un- 
abwendbaren Notwendigkeiten 
ängstlich  ausweichenden,  ein  be- 
stimmtes Ziel  vermissenden  Politik  sein. 
Der  Hinweis  jener,  die  zur  Ent- 
schuldigung dieser  Politik  des  Ball- 
platzes glauben  machen  möchten,  daß  hö- 
here Faktoren  aus  natürlichen 
Gründen  einer  tatkräftigen  Po- 
litik abhold  sind,  ist  unzulässig, 
denn  der  Minister  des  Aeußeren  ist  der  ver- 
antwortliche Faktor,  der  die  Kraft  und  den 
Mut  zum  Handeln  besitzen  muß.  Nur 
mutlose  und  überzeugungs- 

schwache Führer,  die  nicht  die  Kraft 
besitzen,  Verantwortungen  zu  übernehmen, 
schieben  unverantwortliche  Faktoren  vor. 
Entweder  man  will  den  Frieden  um  jeden 
Preis,  dann  konnte  man  sich  Milliarden  er- 
sparen und  sich  Freunde  gewinnen.  Oder 
aber  man  verfolgt  ein  bestimmtes  Ziel, 
dann  muß  man  die  Kraft  und  den 
Mut  besitzen,  seinen  Willen,  sei 
es  auch  mit  Waffengewalt,  durch- 
zusetzen. Nicht  noch  einmal  soll  das 
Wort  erklingen:  „Oesterreich  wußte  nie,  was 
es  wollte,  und  wollte  nie,  was  es  wußte!" 

Wenn  man  weiß,  daß  in  Oesterreich  die 
Anschauung  verbreitet  ist,  die  kriegerischen 
Allüren  einer  gewissen  Gruppe  sind  nur 
durch  den  ernsten  Friedenswillen  des  greisen 


Kaisers  gezügelt  worden,  so  wird  man  mit 
Erstaunen  sehen,  daß  ein  Waffen- 
fabrikant auch  revolutionär  wer 
den  kann,  wenn  man  ihm  sein  Ge 
schäft  stört! 


Deutschland  und  Frankreich.  ::  ::   :: 

Wenn  diese  Zeilen  vor  die  Augen  der  Leser 
kommen,  wird  die  Berner  Konferenz  deutscher 
und  französischer  Parlamentarier  bereits  statt- 
gefunden haben  und  das  Ergebnis  dieser  hoch- 
wichtigen Zusammenkunft  wird  bekannt  ge- 
worden sein.  Aus  technischen  Gründen  kann 
erst  in  der  nächsten  Nummer  der  Friedens,- 
Warte  auf  die  Einzelheiten  dieses  wichtigen 
Ereignisses  eingegangen  werden.  Wir  begnügen 
uns  heute  damit,  die  Befriedigung  darüber  zum 
Ausdruck  zu  bringen,  daß  eine  solche  Zu- 
sammenkunft überhaupt  möglich  wurde.  Sie 
ist  das  sichtbare  Ergebnis  der  seit  einem 
Viertel  Jahrhundert  in  den  beiden  Ländern  un- 
ausgesetzt wirkenden  pazifistischen  Arbeit.  Es 
wäre  töricht,  an  diesen  ersten  Versuch  einer 
deutsch-französischen  Verständigung  von  Par- 
lament zu  Parlament  zu  große  Hoffnungen  zu 
knüpfen.  Es  geht  aber  auch  nicht  an,  die 
Tragweite  dieses  Versuches  und  die  Möglich- 
keiten für  die  Zukunft  zu  gering  einzuschätzen. 
Haben  wir  doch  in  dem  letzten  Jahrzehnt  wäh- 
rend des  deutsch-englischen  Antagonismus'  ge- 
nügend Gelegenheit  gehabt,  den  Wert  solcher 
auf  Verständigung  gerichteter  Zusammenkünfte 
kennen  zu  lernen.  Die  Berner  Konferenz  wird 
schon  ein  großer  Erfolg  sein,  wenn  sie  ihre 
Wiederholung  beschließt,  was  außer  Zweifel  zu 
liegen  scheint.  Ein  noch  größerer,  wenn  ein 
ständiges  franko -deutsches  Parlamentskomitee 
ins  Leben  gerufen  werden  soll,  das  von  Zeit 
zu  Zeit,  bestimmt  aber  im  Augenblicke  gewisser 
Spannungen  zusammentreten  und  gemeinsame 
Kundgebungen    wird   erlassen    können. 

Der  Balkankrieg  hat  die  Lage  Europas  ver- 
schoben. Die  Militärs  in  allen  Ländern  waren 
die  ersten  dabei,  dies  zu  begreifen  und  ihre 
Schlüsse  daraus  zu  ziehen.  Ein  allgemeines 
Weiterrüsten  war  das  Ergebnis  jener  Gedanken- 
richtung. Die  Verschiebung  hat  sich  aber  auch 
in  anderer  Weise  und  in  dieser  recht  erfreulich 
geltend  gemacht.  Sie  hat  die  Notwendigkeit 
erwiesen,  daß  die  durch  so  viele  Antagonismen 
getrennten  großen  Kulturvölker  dieses  Erdteils 
notwendig  näher  zusammenrücken  müssen.  Die 
Vertreter  des  europäischen  Kulturgedankens 
haben  deshalb  die  heilige  Pflicht,  diese  Ten- 
denz des  Kulturzusammenschlusses  zu  beschleu- 
nigen, an  seiner  Vollendung  mitzuarbeiten. 
Deutschland  und  England  gehören  ebenso  wie 
Deutschland  und  Frankreich  zusammen,  um  das 
große  Menschheitsziel  des  durch  die  Vernunft 
gesicherten    Friedens    zu    verwirklichen. 

Der  Augenblick  für  eine  deutsch-franzö- 
sische Verständigung  ist  daher  günstig  und 
bietet  Hoffnungen  auf  ein  in  absehbarer  Zeit 
erreichbares   Ergebnis.      Es   sind  nicht   nur   die 


: 


192 


<§: 


DIE  FRIEDEN5->fc/AR.TE 


Parlamentarier,  die  hier  die  Arbeit  beginnen. 
Auch  andere  Volkskreise  in  Deutschland  und 
Frankreich  sind  am  Werke.  Eine  deutsch- 
französische  Liga,  deren  Anfänge  bis  an 
die  denkwürdigen  Sitzungen  des  Luzerner  Frie- 
denskongresses von  1905  zurückreichen,  ist  in 
Bildung  begriffen  und  wird  in  allernächster  Zeit 
mit  ihrem  Aufruf  in  beiden  Ländern  vor  die 
Oeffentlichkeit  treten.  Aus  dieser  Liga  her- 
aus werden  fruchtbare  Anregungen  entstehen, 
die  zur  Förderung  des  Verständigungswerkes 
der  beiden  Nationen  beitragen  werden.  Es  ist 
das   Beste   zu   hoffen  für  die  nächste   Zukunft. 

MB 

Ein  gefährlicher  Zwischenfall  und 
seine  vernunftgemäße  Erledigung. 

Das  Preßbureau  des  Wiener  Auswärtigen 
Amtes  hat  mitten  in  der  größten  Erregung 
zwischen  Oesterreich- Ungarn  und  Serbien  über 
die  Tötung  des  Franziskaners  Palitsch  eine 
grauenhafte  Schilderung  verbreitet,  Worin  dessen 
Tod   folgendermaßen    geschildert    worden    war: 

Am  7.  März  vereinigte  sich  in  und  um 
Djakowa  herum  die  Soldateska  mit  fana- 
tischen orthodoxen  Geistlichen,  um  die  Be- 
völkerung gewaltsam  zum  Uebertritt  vom  ka- 
tholischen zum  orthodoxen  Glauben  zu  zwingen. 

Etwa  dreihundert  Personen,  Männer,  Frauen 
und  Kinder,  unter  ihnen  Pater  Angelus  Pa- 
litsch, wurden  mit  Stricken  gefesselt 
und  unter  Todesdrohungen  zum  Uebertritt 
aufgefordert. 

Als  letzter  kam  Pater  Angelus  an  die  Eeihe. 
Und  er  war  der  einzige,  der  die  Stärke  besaß, 
sich  ruhig  und  würdevoll  zu  weigern,  seinen 
Glauben    zu    verlassen. 

Als  Pater  Angelus  auf  dreimalige  Aufforde- 
rung und  trotz  des  Flehens  der  zwangsweise 
übergetretenen  Katholiken  bei  seiner  Wei- 
gerung beharrte,  spielte  sich  eine  entsetzliche 
Szene  ab,  die  man  im  20.  Jahrhundert  in 
Europa  nie  und  nimmer  für  möglich  gehalten 
hätte. 

Auf  einen  Wink  der  orthodoxen  Priester 
fielen  die  Soldaten  üben  den  Fran- 
ziskaner her,  rissen  ihm  das  geist- 
liche Gewand  vom  Körper  und  be- 
gannen mit  den  Gewehrkolben  auf 
ihn   einzuschlagen. 

Pater  Angelus  stürzte  mit  mehreren 
Knochen-  und  Rippenbrüchen  zu 
Boden,  die  orthodoxen  Geistlichen  geboten  den 
Soldaten  Einhalt  und  fragten  den  Schwer- 
verletzten,  ob  er  nunmehr  übertreten  wolle. 

Und  abermals  schüttelte  er  das  Haupt  und 
sagte  ruhig:  „Nein,  ich  verlasse  meinen  Glau- 
ben   nicht    und    breche    nicht    mein    Gelübde." 

Pater  Angelus  erhielt  nun  wieder  zahl- 
lose Kolbenschläge,  bis  ihm  schließlich 
ein  Soldat  mit  einem  Bajonettstich 
die  Lunge  durchbohrte  und  so  dem 
Leben  des  Unglücklichen  ein  Ende  bereitete. 

Diese  offizielle  Mitteilung  gab  einer  ge- 
wissen österreichischen  Presse,  die  sich  an  Ent- 


rüstung   nicht   genug   tun   konnte,    Anlaß,    den 
sofortigen  Krieg  gegen  Serbien  zu  fordern. 

Wenige  Wochen  später  konnten  die  Wiener 
Blätter  folgende  amtliche  Depesche  ver- 
öffentlichen : 

Belgrad,  12.  April.  (Aus  amtlicher  ser- 
bischer Quelle.)  Heute  fand  in  Djakowa  die 
Obduzierung  des  Franziskanermönches  Pa- 
litsch statt.  Die  Obduzierung  wurde  von  zwei 
montenegrinischen  Aerzten  und  einem  ser- 
bischen Arzt  in  Anwesenheit  der  Kon- 
suln vorgenommen.  Es  wurde  fest- 
gestellt, daß  Palitsch  auf  weite  Distanz 
durch  mehrere  Gewehrschüsse  ge- 
tötetwurde.  SpurenyonBajonett- 
stichen  wurden  nicht  gefunden. 
Die  ganze  Greuelschilderung  war  nur  zum 
Zwecke   der  Verhetzung  erlogen. 


„Du  sollst  nicht  töten  I"  als  Anpreisung 

einer  ungesetzlichen  Handlung. 

Der  ,, Arbeiter-Zeitung"  (5.  Mai)  entnehmen 
wir  folgende   kennzeichnende  Mitteilung: 

Im  Juli  des  vorigen  Jahres  gab  es  irgend- 
wo in  Böhmen  eine  Versammlung  junger 
Leute,  die  vor  der  Assentierung  standen.  Da 
erhob  sich  der  Arbeiter  Josef  Jirout  und 
ermahnte  die  ijungen  Menschen,  als  Soldaten 
niemals  die  Mordwaffe  gegen  Streikende  zu 
richten,  sondern  immer  an  das  fünfte  Gebot 
zu  denken:  „Du  sollst  nicht  töten!" 
Josef  Jirout  wurde  angeklagt  und  bekam  wegen 
Aufforderung  von  Militärpersonen  zum  Un- 
gehorsam drei  Monate  schweren  Ker- 
kers. Die  jungen  Leute  freilich,  zu  denen 
der  Bibelgläubige  gesprochen  hatte,  waren  noch 
gar  keine  Militärpersonen.  Also  konnte  auch 
keine  Verleitung  von  Militärpersonen  zum  Un- 
gehorsam angenommen  werden.  Der  Oberste 
Gerichtshof  hatte  sich  mit  der  ganzen  An- 
gelegenheit nochmals  zu  beschäftigen,  hob  das 
erste  Urteil  wirklich  auf,  erkannte  aber  in  der 
Aeußerung  des  Eedners  eine  Anpreisung 
ungesetzlicher  Handlungen  und  be- 
strafte den  Josef  Jirout  mit  sechs  Wochen 
Arrest.  Das  fünfte  Gebot  ist  also  eine  An- 
preisung ungesetzlicher  Handlungen.  Wer  zur 
Befolgung  eines  göttlichen  Gebotes  auffordert, 
begibt  sich  in  die  Gefahr,  dafür  sechs  Wochen 
im    Arrest    sitzen    zu    müssen. 

MB 


Kurze  Mitteilungen.   ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

An  der  Albert-Ludwigs-  Universität  zu  Frei- 
burg i.  B.  hat  sich  am  3.  Mai  unter  dem  Vor- 
sitz von  Herrn  Dr.  John  M  e  z  ein  „Internatio- 
naler Studentenverein"  nach  dem  Vorbild  von 
Berlin,  Leipzig,  Göttingen,  Bonn  und  Heidel- 
berg konstituiert.  Bei  der  Gründungs  Versamm- 
lung sprach  Herr  Dr.  George  W.  Nasmyth, 
der  Präsident  des  Zentralkomitees  der  Inter- 
nationalen Studenten  -  Federation  „  C  o  r  d  a 
Fratres",     welcher     der     neue     Verein    bei- 


193 


DIE  PßlEDENS-^öüTE 


© 


getreten  ist.  —  Die  sechste  in  der  Reihe  jener 
internat.  frmr.  Zusammenkünfte,  die  bisher  in 
der  „Schlucht",  Basel,  Baden-Baden,  Paris  und 
Luxemburg  abgehalten  wurden,  findet  unter 
dem  Schutze  des  Gr. -Ostens  der  Niederlande 
vom  23.  bis  zum  25.  August  im  Haag  statt. 
Die  genannte  Großbehörde  wird  den  Anlaß  zu 
einer  großen  Friedensmanifestation  der  Weltfrei- 
maurerei benützen,  die  der  Feier  der  Eröffnimg 
des  Friedenspalastes  und  der  Enthüllung  des 
Friedensdenkmals  präludieren  soll.  —  P.  H. 
Eijkrnan,  der  bekannte  holländische  Vorkämpfer 
für  den  Internationalismus  ist  durch  den  am 
14.  April  erfolgten  Tod  seiner  Gattin  in  Trauer 
versetzt  worden.  —  Ende  April  starb  in  London 
in  dem  hohen  Alter  von  85  Jahren  John  West- 
lake, der  Doyen  der  Völkerrechtswissenschaft 
und  einer  ihrer  ruhmreichen  Vertreter.  Von 
1900 — 1906  war  er  Schiedsrichter  in  der  Haager 
Liste.  Seinen  Cambridger  Lehrstuhl  gab  er 
1908  auf.  Ihm  folgte  L.  Oppenheim.  Erst 
kürzlich  ist  in  der  Carnegie  Ausgabe  der  Klas- 
siker des  Völkerrechts  die  von  ilim  besorgte  Neu- 
Ausgabe  von  Ayala  erschienen.  —  Mitte  April 
starb  in  Amsterdam  E.  N.  Rahusen  im  Alter  von 
87  Jahren.  Er  war  Präsident  der  Inter- 
parlamentarischen Konferenz  von  1897  und  im 
Jahre  1899  einer  der  Niederländischen  De- 
legierten auf  der  I.  Haager  Konferenz.  Seit 
1891  war  er  Mitglied  der  ersten  Kammer  der 
Generalstaaten,  wo  er  oft  für  die  Schieds- 
gerichtsbarkeit eintrat.  —  Die  Republik  China 
hat  sich  Anfangs  dieses  Jahres  an  die  Trustees 
der  Carnegie-Stiftung  mit  dem  Ersuchen  ge- 
wandt, ihr  einen  Ratgeber  zu  bezeichnen. 
Diesem  Verlangen  wurde  stattgegeben  und 
Frank  Johnson  Goodnow,  Professor  für  Ver- 
waltungsrecht an  der  Columbia  P  Universität, 
empfohlen.  Dieser  verließ  Ende  April  seine 
Heimat,  um  sich  für  drei  Jahre  nach  Peking 
zu  begeben,  wo  er  an  der  Ausarbeitung  einer 
Verfassung  arbeiten  wird. 


AUS  DER  BEWEGUNG 

Der  70.  Geburtstag  der  Baronin  Suttner.   ::  :: 

Am  9.  Juni  wird  Bertha  von 
Suttner  70  Jahre  alt.  Die  Friedens- 
arbeiter der  ganzen  Welt  werden  an  diesem. 
Tage  der  großen  Vorkämpferin  und  Mit- 
kämpferin in  Verehrung  und  Freundschaft 
gedenken.  Mit  der  ihrem  Wesen  eigenen  Be- 
scheidenheit hat  sie  sich  jede  persönliche 
Ehrung  seitens  ihrer  Freunde  entschieden 
verbeten.  Wer  die  Absicht  hat  ihr  an  ihrem 
70.  Geburtstag  eine  Freude  zu  erweisen,  der 
möge  ihrem  Wunsche  gemäß  die  öster- 
reichische Friedensgesellschaft,  die  die  zu 
Feiernde  ins  Leben  gerufen  hat,  durch  einen 
Beitrag  unterstützen.  Es  wurde  zu  diesem 
Zwecke  ein  besonderer  „Suttner-Fonds"  er- 


richtet, dessen  Erträgnis  der  Propaganda  der 
österreichischen  Friedensgesellschaft  zugute 
kommen  soll.  Man  richtet  die  Beiträge  unter 
der  Bezeichnung  „Suttner-Stiftung"  an  die 
„Wechselstube  der  k.  k.  priv.  allgemeinen 
Verkehrsbank  vormals  Anton  Czjzek",  Wien 
(Post-Scheck-Konto   Wien   53  897). 

Die  „Friedens-Warte"  wird  in  ihrer 
Juni-Nummer  versuchen,  der  großen  Ver- 
dienste der  Jubilarin  durch  einen  Festarti- 
kel gerecht  zu  werden. 


Kalendarium  der  pazifistischen  Veranstaltungen.  :: 

25.  Mai:  VI.  Deutscher  Friedenskongreß 
in   Mannheim. 

29.  Mai:  Sitzung  des  Exekutiv  Rates  des 
europäischen  Bureaus  der  Carnegiestiftung  in 
Paris. 

7. — 8.  Juni:  Erster  belgischer  National- 
friedenskongreß in  Brüssel. 

10. — 13.  Juni:  IX.  englischer  National- 
friedenskongreß in  L  e  e  d  s. 

15. — 19.  Juni:  II.  Weltkongreß  der  inter- 
nationalen  Vereinigungen   zu   Brüssel. 

22. — 29.  Juni:  Internationaler  Theoso- 
phischer  Friedenskongreß  in  Visingkö, 
Schweden. 

4. — 30.  August:  Abhaltung  eines  inter- 
nationalen Friedens-  Seminars  in  Kaisers- 
lautern. 

19.— 21.  August:  VIII.  Deutscher  Espe- 
rantokongreß   in    Stuttgart. 

18.— 23.  August:  XX.  Weltfriedenskongreß 
im    Haag. 

23. — 25.  August:  Internationaler  Friedens- 
kongreß der  Freimaurer  im  Haag. 

29.  August:  Einweihung  des  Friedens- 
palastes  im  Haag. 

29.  Aug.  bis  13.  Sept.:  VIII.  Weltkongreß 
der  Studentenverbände  (Corda  Fratres)  in 
1 1  h  a  c  a ,  New  York. 

29.— 31.  August:  IX.  Internationaler  Espe- 
rantokongreß in  Bern. 

1. — 5.  September:  Internationale  Studenten- 
vereinigung  im   Haag. 

3. — 6.  September:  XVIII.  Interparlamenta- 
rische   Konferenz    im    Haag. 

1.  Oktober:  XXVIII.  Konferenz  der  Int. 
Law    Association   in  Madrid. 


Generalversammlung  der 

russischen  Friedensgesellschaft. 

Am  25.  März  fand  in  St.  Petersburg,  wie 
alljährlich,  die  Generalversammlung  der  russi- 
schen   FriedensgeselLschaft    statt. 

Präsident  Maxim  Kowalewsky  sprach 
über  die  politischen  Verhältnisse  und  führte 
aus,  daß  die  Schiedsgerichtsbarkeit  der  beste 
Weg  zur  Austragung  internationaler  Konflikte 
sei.  Generalsekretär  E.  Semenoff  berichtete 
über   die    Tätigkeit    der    Gesellschaft    im   abge- 


194 


<§: 


=  DIE  FRIEDENS-^^ARTE 


laufenen  Jahr  und  über  die  Ereignisse  dieses 
Jahres,  indem  er  die  Meinung  zum  Ausdruck 
brachte,  daß  der  Pazifismus  mehr  als  je  dazu 
berufen  sei,  die  beste  auf  Recht,  Gesetz  und 
Gerechtigkeit  beruhende  Organisation  der  inter- 
nationalen Beziehungen  izu  suchen  und  zu  finden. 
Verwaltungsrat  Michel  Fedoroff,  Mitglied 
des  Komitees,  sprach  über  die  durch  einen  Krieg 
der  sechs  Großmächte  entstehenden  wirtschafte 
liehen  Probleme.  Dieser  wirklich  ausgezeich- 
nete Vortrag  wird  demnächst  als  Propaganda- 
broschüre  erscheinen. 

Es  folgte  dann  die  Wahl  des  Komitees.  Ge- 
wählt wurden :  Maxim  Kowalewsky,  Prä- 
sident, W.  Philophoff  und  Frau,  Dr.  A. 
Chabanoff,  Vize-Präsidenten,  E.  Seme- 
noff, Generalsekretär,  G.  Sarkissoff, 
Vize-Sekretär;  die  anderen  Mitglieder  des  Ko- 
mitees  wurden  wiedergewählt. 


LITERATUR  U  PRESSE 

Besprechungen.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 
Erlebnis  und  Bekenntnis.     Eine  Sammlung  von 

Selbstbiographien.       Bis       jetzt      erschienen 

6  Bände. 

P  1  a  1 1  e  r's ,   Thomas  und  Felix, 
Lehensbeschreibungen.         Herausgegeben       von 
Otto  Fischer.  „Erlebnis  und  Bekenntnis". 
Bd.  I.  8  °.   München  1913.   480  S.    Martin  Mö- 
rickes  Verlag.   Pppbd.    3  M. 
Goethe, 
Aus   meinem   Leben.     Dichtung  und   Wahrheit. 
Ungekürzte     Ausgabe.       „Erlebnis     und    Be- 
kenntnis".    Bd.    IL     8°.    München    1913   mit 
Bildnissen.      768    S.     Martin    Mörickes    Ver- 
lag.   Pppbd.    3  M. 

Moritz,    Karl   Philipp, 

Anton  Reiser.  Ein  autobiographischer  Roman. 
Herausgegeben  von  Heinrich  Schnabel. 
„Erlebnis  und  Bekenntnis".  Bd.  III.  8°. 
München  1913.  Mit  dem  Bildnis  von  Moritz. 
488  SS.  Martin  Mörickes  Verlag.  Pppbd.  3  M. 
Laukhard,  Magister, 

Sein  Leben  und  seine  Schicksale,  von  ihm  selbst 
beschrieben.  Herausgegeben  von  Heinrich 
Schnabel.  „Erlebnis  und  Bekenntnis".' 
Bd.  IV.  8  °.  München  1913,  mit  dem  Bildnis 
Lauckhards.  475  S.  Martin  Mörickes  Verlag. 
Pppbd.    3  M. 

R  o  u  s  s  e  a  u's 
Bekenntnisse.     Gekürzt  und  herausgegeben  von 
Dr.    Otto    Fischer.        „Erlebnis    und    Be- 
kenntnis".    Bd.   V.    8°.     München   1913,   mit 
dem  Bildnis  Rousseaus.     492  S.     Martin  Mö- 
rickes Verlag.    Pppbd.    3  M. 
C  e  1 1  i  n  i ,  Benvenuto, 
Das    Leben   des.     Von   ihm    selbst    geschrieben. 
Uebersetzt  von   Heinrich   Conrad.    „Be- 
kenntnis und  Erlebnis".     Bd.  VI.    8°.     Mün- 
chen 1913,  mit  4  Kunstbeilagen.    677  S.  Mar- 
tin Mörickes   Verlag.     Pppbd.     3   M. 

Diese  ausgezeichnete  Memoiren-Sammlung 
stellt  sich  die  Aufgabe,  kulturgeschichtliche  Do- 
kumente durch  die  Selbstdarstellung  von  Er- 
lebnissen zu  liefern.  Männer,  die  etwas  erlebt 
und  zu  sagen  hatten,   schildern,   indem  sie  ihr 


eigenes  Leben  erzählen,  auch  ihre  Zeit.  Der 
Leser  erhält  so  eine  plastische  Darstellung  ver- 
schiedener Jahrhunderte.  Für  den  Pazifismus 
von  besonderem  Interesse  sind  die  Schicksale 
des  Magister  Laukhard,  der  uns  den  Koalitions- 
feldzug gegen  Frankreich  in  abschreckender 
Deutlichkeit  vor  Augen  führt. 

Andrews,  Fannie  Fern, 
The  Promotion  of  Peace.  I.  Suggestions  for 
the  Observance  of  Peace  Day  (May  18)  in 
Schools.  II.  Agencies  and  Associations  for 
Peace.  United  State  Bureau  of  Education. 
Bulletin  1913.  No.  12.  Whole  Number  519. 
8°.  Washington.  Governement  Printing  Of- 
fice 1913.  66  S.  Kostenlos  durch  die  „Ame- 
rican School  Peace  League". 

Diese  von  dem  amerikanischen  Unterrichts- 
ministerium veröffentlichte  Anleitung  zur  Feier 
des  Friedenstages  in  den  Schulen  ist  für  unsere 
mitteleurpoäischen  Begriffe  eines  der  wunder- 
barsten Dokumente.  In  Oesterreich  z.  B.  bemüht 
sich  die  oberste  Unterrichtsbehörde  die  Schulen 
möglichst  zu  militarisieren*).  Man  ist  dahin- 
gekommen,  in  den  Mittelschulen  den  Schieß- 
Unterricht  einzuführen.  In  Deutschland  wird 
in  den  Schulen  von  Amts  wegen  der  kriegerische 
Geist  gefördert.  Zu  einer  Förderung  der  Frie- 
densidee hat  man  sich  da  nirgends  noch  aufge- 
schwungen. Und  hier  haben  wir  eine  offizielle 
Denkschrift  in  Händen,  die  in  der  Washingtoner 
Regierungsdruckerei  angefertigt  ist  und  die  den 
Lehrern  und  Schulleitern  eine  Anleitung  in  die 
Hand  gibt,  nach  der  sie  den  Schülern  die  Frie- 
densidee begreiflich  machen  können.  Wie  pa- 
zifistisch diese  Anleitung  gehalten  ist,  geht 
daraus  hervor,  daß  sie  von  einer  führenden 
Pazifistin    bearbeitet   wurde. 

Wir  finden  neben  wertvollen  und  orientie- 
renden Uebersichten  über  die  Entwicklung  der 
Friedensbewegung  noch  nachstehende  Artikel 
in  jener  Schrift:  Die  Feier  des  Friedenstages 
von  Ferdinand  Buisson;  Die  Eröffnung 
des  Friedenspalastes  von  A.  P.  C.  Karne- 
beck; Bei  den  Lehrern  der  Vereinigten  Staa- 
ten von  Baronin  Bertha  v.  Suttner;  Die 
Cosmopolitan-Clubs  von  Louis  P.  Lochner 
usw.  Im  Anhang  findet  man  geeignete  Friedens- 
Gedichte,  Zitate  und  eine  ausführliche  Biblio- 
graphie. 

Neurath,    Otto, 
Die    Kriegswirtschaftslehre   als    Sonderdisziplin. 

Abdruck    aus :    Weltwirtschaftliches    Archiv. 

I.  Bd.    Heft  2.    Jena  im  April  1913.   8  °.    7  S. 

Nicht  im  Handel. 

Neurath  bemüht  sich,  die  Notwendigkeit 
eines  neuen  Wissenszweiges  zu  betonen.  Den 
Einfluß  des  Kriegsfalles  auf  die  Wirtschaft  dar- 
zulegen halten  wir  für  äußerst  wichtig.  Wir 
sind  nämlich  der  Ueberzeugung,  daß  solche  For- 
schungen nur  neue  Argumente  g&gen  den  Krieg 
und  gegen  den  bewaffneten  Frieden  bringen 
müssen,  wenn  sie  objektiv  angestellt  werden. 
Neurath  scheint  nicht  dieser  Ansicht  zu  sein. 
Er  ploemisiert  gegen  Norman  Angell, 
dem  er  Tendenz  zum  Vorwurf  macht  und  dessen 
Thesen  ihm  als  „übertrieben  formuliert"  er- 
scheinen, wodurch  sie  „grotesk  und  skuril" 
wirken.  Er  macht  der  Friedensbewegung,  die 
außer  Norman  Angell  doch  auch  einen  Bloch 
hervorgebracht  hat,   ziemlich  unberechtigt  den 


*)   Siehe  den  Artikel  in  dieser  Nummer. 


195 


DIEFßlEDEN5-N\Ä>ßTE  = 


G) 


Vorwurf,  daß  sie  sich  „bisher  auf  ökonomischem 
Gebiet  sehr  steril  gezeigt  hat".  Die  durch 
die  Carnegie-Stiftung  angeregten  wirtschaft- 
lichen Einzeluntersuchungen  will  Neurath 
nicht  auf  das  Konto  der  Friedensbewegung 
stellen,  „weil  sie",  wie  er  ausführt,  „inhalt- 
lich kein  Ausfluß  der  Friedensbe- 
wegung sin d",  da  laut  Statut  die  Division 
of  Economics  and  History  völlig  objektive  Ar- 
beiten über  die  ökonomischen  und  historischen 
Ursachen  und  Wirkungen  der  Kriege  zu  unter- 
stützen hat,  daher  Ergebnisse  nicht  ausge- 
schlossen sind,  welche  die  Friedensbewegung 
nicht  zu  unterstützen  geeignet  erscheinen.  Bei 
einzelnen  Arbeiten  mag  das  ja  der  Fall  sein; 
aber  das  Gesamtergebnis  wird  unzweifelhaft  zu- 
gunsten der  Friedensbewegung  ausfallen,  in  dem 
Sinne  zu  wirken  die  Carnegie-Stiftung  begründet 
wurde. 

Wertheimer,  Eduard  von, 
Graf  Julius  Andrässy.  Sein  Leben  und  seine 
Zeit.  Nach  ungedruckten  Quellen.  II.  Bd. 
Bis  zur  geheimen  Konvention  vom  15.  Ja- 
nuar 1877.  XX  und  420  S.  III.;  Bd.  Letzte 
Lebensjahre.  —  Charakteristik  Andrässys. 
XV  und  373  S.  2  Bde.  Gr.  8  o.  Stuttgart  1913. 
Deutsche    Verlagsanstalt.      Hfrz. 

Auf  das  Erscheinen  des  I.  Bandes  dieses 
biographischen  Werkes  ist  bereits  in  der  Ja- 
nuar-Nummer des  Jahrgangs  1911  der  Friedens- 
Warte  hingewiesen  worden.  Die  beiden  letzt 
erschienenen  Biände  bieten  vom  pazifistischen 
Gesichtspunkt  eine  reichere  Ausbeute.  Behan- 
deln sie  doch  die  wichtigen  Ereignisse  des  rus- 
sisch-türkischen Krieges,  des  Berliner  Kongresses 
und  der  Okkupation  Bosniens  und  der  Herzego- 
wina. Gerade  jetzt,  wo  die  Balkan-Politik  der 
österreichisch-ungarischen  Monarchie  im  Mittel- 
punkt des  europäischen  Interesses  steht,  bieten 
diese  beiden  Bände  mannigfache  orientierende 
Anhaltspunkte  über  die  Vorgeschichte  und  Ten- 
denzen dieser  Politik.  Freilich  aber  auch  über 
ihre  Irrungen.  In  das  Treiben  der  alten  und  altern- 
den Diplomatie  wie  der  führenden  Militärkreise 
gewahrt  auch  diese  Lebensbeschreibung  eines 
führenden  europäischen  Staatsmannes  ähnliche 
interessante  Einblick©  wie  die  Memoiren  des 
Fürsten  Hohenlohe.  Viel  Kriegsgeschrei  und 
Kriegsgläubigkeit  tritt  'daraus  hervor  und  man 
erkennt,  wie  über  die  Köpfe  der  Völker  hinweg 
mit  deren  Köpfen  gespielt  wird. 

Ein  Beispiel  hierfür:  Andrässy  hielt  den 
Einmarsch  in  Bosnien  zum  Zwecke  der  Okku- 
pation, wofür  bekanntlich  der  Monarchie  am 
Berliner  Kongreß  das  Mandat  erteilt  wurde, 
für  einen  Spaziergang.  Er  glaubte,  man  werde 
die  österreichisch-ungarischen  Truppen  mit 
offenen  Armen  empfangen.  Er  machte  aber 
die  Rechnung,  ohne  das  Ruhmesbedürfnis  der 
hohen  Militärs  zu  berücksichtigen.  Die  Okku- 
pation gestaltete  sich  zu  einem  recht  blutigen 
Feldzug.  Andrässy  äußerte  sich  darüber  zu 
dem  deutschen  Botschafter  in  Wien  wie  folgt: 
„Anstatt,  daß  man  getrachtet  hätte,  rechtzeitig 
mit  geringeren,  aber  kampfbereiten  Truppen  da- 
zustehen, mit  denen  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  eine  friedliche  Besetzung  erzielt  werden 
konnte,  verzögerten  sich  die  Vorbereitungen  für 
den  Einmarsch  bis  zu  dem  Moment,  wo  er  ohne 
Gefährdung  der  ganzen  Unternehmung  nicht 
mehr  hinausgeschoben  werden  durfte.  Das  war 
allerdings  nach  dem  Geschmack  Philippovics  und 
vieler  Offiziere,  die  keine  friedliche  Ok- 


kupation wünschten,  wo  keine  Lor- 
beeren zu  holen  waren,  sondern  sich 
nach  de  m  Krieg  in  großem  Stil  sehn- 
ten, mit  all  dem,  was  damit  in  Zu- 
sammenhang zu  stehen  pflegt.  Man 
darf  auch  annehmen,  daß  er  über  die  blutige 
Wendung,  die  die  Dinge  in  Bosnien  nahmen,  gar 
nicht  ungehalten  war.  Jetzt  bot  sich  Gelegen- 
heit zur  Auszeichnung  auf  dem  Felde  der  Ehre." 
So  also  stellen  sich  die  Kriege  hinter  den 
Kulissen  dar,  die  man  auf  der  Weltbühne  als 
ein  Element  der  göttlichen  Weltordnung  dra- 
piert. Solche  lehrreichen  Blicke  in  das  tech- 
nische Gebiet  der  Weltgeschichte  bietet  das 
Werk  Wertheimers  in  Fülle. 

Lammasch,    Heinrich, 
Die  Rechtskraft  internationaler  Schiedssprüche. 

4°.     Kristiania,   München  und   Leipzig    1913. 

Publications    de    l'Institut    Nobel    Norvegien. 

Tome  II.  Fase.  2.  227  S.  Duncker  &  Humblot. 
Dieses  neue  Werk  des  hervorragenden 
Rechtsgelehrten  zerfällt  in  vier  Haupsttücke. 
1.  Der  Inhalt  der  Schiedssprüche.  IL  Die 
Wirkungen  des  Schiedsspruches.  III.  Rechts- 
mittel gegen  den  Schiedsspruch.  V.  Die  Aus- 
führung des  Schiedsspruches.  An  anderer  Stelle 
dieser  Nummer  ist.  auf  die  Bedeutung  dieses 
Werkes  von  berufener  Seite  hingewiesen  worden. 
In  einer  der  nächsten  Nummern  dieser  Blätter 
werden  wir  noch  ausführlich  auf  diese  wichtige 
Veröffentlichung  zurückkommen. 

Pütt  kämm  er,  v., 
Die  Mißerfolge  in  der  Pblenpolitik.     8°.     Berlin 
1913.     Verlag  von  Karl  Curtius. 

Dieses  Büchlein  ist  eine  sehr  willkommene 
Gabe.  Der  den  Friedensfreunden  wohlbekannte 
Baron  v.  Puttkamer  ist  lange  Jahre  im  Kreise 
Mogilno  als  Landrat  tätig  gewesen  und  ist  da- 
her wie  kein  anderer  dazu  berufen,  auf  Grund 
eingehender  Sachkenntnis  ein  beachtenswertes 
Urteil  über  die  Polenfrage  abzugeben.  Frei 
von  aller  Schönfärberei  sucht  er  doch  der  pol- 
nischen Eigenart  gerecht  zu  werden.  Es  ist 
ihm  in  der  vorliegenden  Schrift  vorzüglich  ge- 
lungen, den  Nachweis  zu  erbringen,  daß  die  an 
sich  fügsame  und  leichtlebige  polnische  Nation 
sich  längst  in  das  Zusammenleben  mit  den  Deut- 
schen gefunden  hätte,  wenn  sie  nicht  durch  die 
verkehrte  Polenpolitik  daran  gehindert  worden 
wäre.  Die  Unterdrückung  der  Polen,  wie  sie 
sich  in  Enteignungsgesetzen  u.  a.  Ausnahme- 
verordnungen äußert,  ist  nicht  nur  unchristlich 
und  ungerecht,  sie  ist  auch  im  Interesse  des 
Staates  durchaus  verkehrt.  Daß  die  Preußen 
ihre  Polen  schlechter  behandeln  als  die  Rus- 
sen die  ihrigen,  daß  der  deutsche  Name  im  Aus- 
land verlästert  wird  um  der  rückständigen 
Zwangsmäßregeln  willen,  mit  denen  die  Polen 
drangsaliert  werden,  daß  Beamte,  Rechtsanwälte 
und  Aerzte,  die  von  Regierungs  wegen  in  die 
Ostmarken  versetzt  oder  mit  besonderen  Zulagen 
dorthin  gelockt  werden,  die  Landessprache  viel- 
fach gar  nicht  verstehen,  daß  durch  die  künst- 
liche Parzellierung  des  Großgrundbesitzes  die 
Lebensmittelpreise  direkt  verteuert  werden,  daß 
der  Schutz  der  Ostgrenze  durch  ein  unzufrie- 
denes Polenvolk  erschwert  wird,  das  alles  mag 
in  der  Broschüre  Puttkamers  selbst  nachge- 
lesen werden.  Wir  Friedensfreunde  können 
diesen  tapferen  Protest  eines  unserer  mutigsten 
Mitkämpfer  nur  dankbar  begrüßen,  wissen  wir 
doch  "aus  Erfahrung,   wieviel  eine  gerechte  Be- 


196 


<§E 


DIE  FßlEDENS-X^ÄBXE 


handlung  der  nationalen  Minderheiten  zu  dem 
internationalen  Vertrauen  beitragt,  das  wir  als 
Voraussetzung  für  die  Annäherung  der  Völker 
betrachten   müssen.  O.  U. 

BUB 
Eingegangene  Druckschriften.   :;  ::  :;  ::  ::  :: 

(Besprechung  vorbehalten.) 

Zeitschrift  für  Völkerrecht  und 
Bundesstaatsrecht.  Herausgeg.  vou  Prof. 
Dr.  Josef  Kohler,  Berlin ,  und  Prof.  Dr. 
L.  Oppenheim,  Cambridge.  II.  Bd.  5.  u. 
(5.  Heft.    Breslau  1913.   J.  ü.  Kerns  Verlag. 

Aus  dem  Inhalt:  W.  Kaufmann,  Das 
Panamakanalgesetz  der  Vereinigten  Staaten  vom 
24.  Aug.  1912  und  das  Völkerrecht.  —  Depeschen- 
wechsel zwischen  Großbritannien  und  den  Ver- 
einigten Staaten  zum  amerikanischen  Panama- 
kanalgesetz. —  Dr.  KavlStrupp,  Ein  russisch- 
türkischer Streitfall  vor  dem  Haager  Schieds- 
gericht. —  usw.  usw. 

La  Vie  Internationale.  Tome  III. 
Fascicule  11.  Brüssel  1913.  Offlee  central  des 
Associations  Internationales. 

Aus  dem  Inhalt :  Institut  International  de 
Chine.  —  Relations  eeonomiques  anglo-allemandes. 
—  Conference  centrale  amoricaine.  —  Conference 
de  la  Paix.  —  usw.  usw. 

Bulletin  of  the  Pan-American 
Union.     "Washington  1913.     März. 

Aus  dem  Inhalt:  International  Congress  of 
Students.  —  Secretary  Knox'  Farewell  to  the 
Governing  Board.  —  Special  Missions  Welcome 
President  Wilson. 

Gießwein,  Dr.  Alexander, 
Der   Friede  Christi.    Christentum    und  Friedens- 
bewegung. 16°.  Wien  1913.  40  S.  Preis:  20  Heller. 

Lamprecht,  Prof.  Dr.  Karl, 
Rine  Gefahr  für  die  Geisteswissenschaften.  Sonder- 
abdruck aus  „Die  Zukunft",    Nr.  27,    1913.     8°. 
Berlin  1913.     12  S.    Verlag  der  Zukunft. 

S  t  r  u  p  p ,  Dr.  Karl, 
lOin  russisch-türkischer  Streitfall  vor  dein  Haager 
Schiedsgericht.    Sonderabdruck  aus:  Zeitschrift 
für  Völkerrecht  und  Bundesstaatsrecht.    Bd.  IL 
8°.    Breslau  1913. 

S  v  e  n  s  k  e ,  Harald, 
Antwort  auf  Sven  Hedins  Warnungsruf !  Heraus- 
gegeben von  der  schwedischen  Friedens-  und 
Schiedsgerichtsvereinigung  in  Stockholm  (Frie- 
densschriften Nr.  9).  Ins  Deutsche  übertragen 
von  Dr.  F.  Joel.  8°.  Leipzig  1913.  73  S.  Kom- 
missions-Verlag   von    Teichmann  &  Co.     75  Pf. 

Associated  Councils,  The, 
of  Churches  in  the  British  and  German  empires 
for  fostering  friendly  Relations  between  the  two 
peoples.  British  Council.  Second  Annual  Re- 
port for  the  year  1912.  8°.  (London  1913.) 
142  S.  Verlag  der  Gesellschaft.  Adi-esse  des 
Sekretärs:  W.  H.  Dickinson,  41  Parliament  Street, 
London  SW. 

C  ap  en,  Samuel  B., 
Foreign  Missions  and  World  Peace.  Address  al 
Portland,  Maine.  Oct.  10.  1912  World  Peace 
Foundation  Pamphlets  Series.  Oct.  1912  No.  7. 
Part.  III.  8°.  Boston  1913.  23  S.  World  Peace 
Foundation.     29 A  Beacon  Street.     Kostenlos. 

D  e  m  i  n  g ,  William  C, 
The  Opportuuity    and  Duty    of   the  Press  in  Re- 
lation    to     World     Peace.      international    Con- 


ciliation.  May  1913.  No.  66.  8°.  New  York 
1913.  Am.  Association  for  Int.  Conciliation. 
Sub-Station84  (107  West  117  th  Street)  Kostenlos. 

Hob  s  o  n,  J.  A., 
The  German  Panic.    With  an  Introduction  by  the 
right  Hon-  the  EarlLoreburne.    3°.    Lon- 
don 1913.     30  S.     Cobden-Club.     1  Penn.v. 
Lange,  Christian  L., 
The  Interparlamentary  Union.    International  Con- 
ciliation.    April  1913.     No.  65.     8°.     New  York 
1913.   14  S.   Am.  Association  for  Int.  Conciliation. 
Sub-Station84  (407  West  1 17  th  Street).  Kostenlos. 
Liverpool   Peace   Society, 
Annual  Meeting   and  Report.     1913.     8°.     (Liver- 
pool   1913).      19  S.      Liverpool    Peace    Society. 
Kostenlos. 
Conseil    Inte  rpar  lerne  ntaire. 
Proces  Verbaux.    III.  Seanco    du    18.  mars  1913. 
Palais    de  la  Nation.  Bruxelles.     8°.    Bruxelles 
1913.  35  S.  Verlag  der  Intevp.  Union.  Kostenlos. 


Fachpresse.  ::  ::  ::  ::  ::     ::  ::  ::  ::  ::  ::  '■'■    :' 

V  ö  1  k  er  1"  r  i  e  d  e  (Eßlingen).  Mai.  O.  U.,  Die 
Geschlossenheit  der  europäischen  Diplomatie.  — 
Noch   ein  Wort   zur  Lage  in  Elsaß-Lothringen. 

—  Ernst  Reis,  Herbert  Spencer  und  die 
Friedensbewegung.  —  Pi  of.  W  i  1  h.  F  ö  r  s  t  e  r , 
Spionage,  Geheimfonds,  Totalisatoren.  —  usw. 
usw. 

Der  Friede  (Bern).  April.  G.-C,  Gegenwart 
und  Zukunft  —  Hermann  Cohn,  Die 
Friedensidee  im  Alten  Testament.  • —  W.  Kohl, 
Rüstungen  und  kein  Ende!  —  usw.  usw. 

Die  Friedensbewegung  (Bern).  April, 
Manifestationen  gegen  die  neuen  Wettrüstungen. 

—  Statistik  und  amtliche  Mitteilungen.  —  Atis 
allen  Ländern.  —  usw.  usw. 

Korrespondenz  des  Verbandes  für 
internationale  Verständigung  (Würz- 
burg u.  München).  II.  Jahrg ,  Nr.  2.  Prof. 
R.  P  i  1  o  t  y  ,  Emanuel  Ritter  v.  UUmann  f.  — 
W.  Kloß,  Das  alte  und  das  neue  Haager 
Schiedsabkommen.  —  Prof  R.  Piloty,  Zur 
Psychologie  des  Chauvinismus. 

Vaterland  und  Welt  (Göttingen).  Nr.  7 
Dr.  G.  W.  Nasmyth,  Der  Internationale 
Studentenbund  „Corda  Fratres". —  Cv.  Schwe- 
rin,  Nobiles  Academici,  Heidelberg.  —  usw. usw. 

Die  Eiche  (Bern).  Nr.  2.  D.  Dryander, 
Deutschland  und  England.  —  F.  Siegmund- 
Schultze,  Friede  und  Mission.  —  D. 
Spiecker,   Das  Privateigentum  im  Seekrieg. 

—  O.  Um  f  r  i  d  ,  Der  deutsch-englische  Flotten- 
wettbewerb. —  A.  Erkelenz,  Arbeiteraus- 
tausch zwischen  Deutschland  und  Großbritannien. 

—  T  h.  Mann,  Der  christliche  Studentenwelt- 
bund und  der  Friede  unter  den  Nationen.  — 
K.  Bornhausen,  Die  Verwertung  der  kirch- 
lichen Beziehungen  zwischen  Deutschland  und 
Amerika.  —  Th.  Komlah,  Chronik  der 
deutsch-englischen  Beziehungen.    —    usw.  usw. 

La  Paix  par  le  Droit  (Paris).  10.  April. 
Th.  Ruyssen,  Le  Paeifümc  en  Alsace- 
Lorraine.  —  Jacques  Dumas,  „Aux  ecoutes 
de  la  France  qui  vient".  —  Contre  Paccroissement 
de  la  duröe  du  Service.  —  J  Prudhommeaux, 
La  justice  internationale  ä  bon  marche.  —  usw. 
usw. 

—  25.  April.  Dr.  Hans  Wehberg,  Les  vingt 
premieres    annees    du    mouvemetit    paeifiste  en 


197 


DIE  FBIEDENS -^ößTE 


® 


Allemagne.  —  Ch.  R.,  Pierpont  Morgan  et  l'id6e 
de  Paix.  —  La  Conference  de  jBerne  pour  le 
rapprochement  franco-  allem  and.  —  usw.  usw. 
Etats  Unis  d'Europe  (Bern).  April.  La 
Conference  interparlementaire  franco-allemande. 

—  usw.  usw. 

The  Arbitrator  (London).  Mai.  Armour- 
Plate  Patriotism.  —  Private  Property  at  Sea.  — 
Mr.  James  Bryce  on  World  Unity.  —  Lord 
Rosebery  on  the  press  and  "War.  —  Farmers 
ruined  by  Conscription.  —  usw.  usw. 

C  o  n  c  o  r  d  (London).  April.  Felix  Mosche- 
les,  «Et  voilä  comme  on  ecrit  1'histoire!"  — 
J  F.  G  r  e  e  n  ,  The  Balkan  War.  —  David  Starr 
Jordan.  —  usw.  usw. 

Herald  of  Peace  (London).  April.  The 
Panama  Canal  Dispute.  —  Teignmouth 
Shore,  Does  England  need  her  fleet?  —  The 
Lack  of  great  Leadership.  —  usw.  usw. 

Monthly  Circular  of  the  National  Peace 
Council  (London).    April. 

Peace  and  G-oodwill  (Wisbech).    April. 

The  Advocate  of  Peace  (Washington). 
April.  Andrew  Carnegie,  The  baseless 
Fear  of  War  —  Charles  L.  Coon,  What 
the  Schools  can  do  for  Peace.  —  James 
L.  T  r  y  o  n ,  Sulgrave  Manor,  a  Shrine  of  British- 
American  Peace.  —  S.  A.  Whiterspoon, 
No  more  Battleship  needed. 

The  Cosmopolitan  Student  (Madison, 
Wisc).  März.  Alfred  Dachnowski,  The 
Trend  of  the  Times.  —  J.  H.  Vogel,  Japan 
seeks  only  Peace.  —  W.  N.  Fenninger, 
Broadening  our  Vision.  —  W.  O.  Thompson, 
The  Signiflcance  of  the  Cosmopolitan  Club.  — 
J.  E.  Hamond,  The  Cosmopolitan  Clubs  and 
Esperanto.  —  James  A.  Barr,  Congresses, 
Societies  and  Conventions  for  1915.  —  usw.  usw. 

—  April.  (University  of  Chicago -Numb er). 
F.  Starr,  Are  we  Cosmopolitans  or  Cosmopo- 
litan? —  Bohemian  Corda  Fratres.  —  Handbuch 
der  Friedensbewegung.  —  usw. 

TheJapanPeaceMovement  (Tokio).  März. 
American  Peace  Society  of  Japan.  Annual  Report. 
In  japanischer  Sprache:  Dr.  V.  I  r  e  - 
1  a  n  d ,  Bewaffneter  Friede  und  Lebensmittel- 
teuerung. —  H.  Miyamoto,  Die  Balkan-Frage. 

—  Die  neuerliche  Betätigung  der  Friedenskräfte 
in  Europa  und  Amerika.  —  usw.  usw. 

„Vreede  doorRecht"  (Haag).  April.  C.  A.  J. 
Hartzfeld,  Prof.  van  Vollenhovens  politic- 
plan  niet  geschikt  voor  dezen  tijd.  —  Van  der 
V i e  s ,  Felix  Moscheies.  —  H.  J.  de  Lange, 
Mit  buitenlandsche  Orgaanen  der  Vredes- 
beweging  —  usw.  usw. 

Fredsfanan  (Stockholm).  April.  G  ö  s  t  a 
Seilesberg,  Förverkligar  en  hundraärig 
Fred?  —  Thomas  Thrap,  Krigets  Logik.  — 
usw.  usw. 

Fredsbladet  (Kopenhagen).  April.  Niels 
Petersen,  Freds vennerne  hjemlige  Virkefelt. 

—  0.  Th.  Zahle,  Militaervaesenet  og  de  sociale 
Udgifter.  —  Olaf  Forchhammer,  Freds- 
politik eller  Faestningspolitik  ?  —  Niels 
Petersen,  Voldgiftstraktaterne  og  Interessen- 
faellenskabet  mellem  Landene.  —  usw.  usw. 


Artikel-Rundschau.    ::  ::  ::  :;  ;:  ::  ::  :;  ::  ::  ::  :;  :: 

Im  „März"  vom  29.  März  spricht  Lud- 
wig Thoma  von  den  „Giftmischern".  Gemeint 
ist  damit  die  unentwegte  Hetzpresse.  Man  wäre 
versucht,  denganzenArtikel  abzudrucken. 


Hier  nur  einige  Stellen  daraus:  „Geben  wir  der 
chauvinistischen  Presse,  was  der  Presse  ist. 
Schmälern  wir  nicht  ihr  Verdienst!  Sie  hat  es 
erreicht,  hüben  und  drüben,  daß  alle  Fäden  zer- 
rissen sind,  daß  jedes  Wort,  jede  Gebärde  miß- 
verstanden wird,  daß  Gerechtigkeit,  Humanität, 
Friedensliebe  als  schwächliche  Anwandlungen 
von  jedem  schreienden  Stubenhocker  verhöhnt 
werden  dürfen.  Lassen  wir  der  gelben  Presse 
diese  Ehre !  Es  ist  die  Kleinarbeit  von  365  Tagen 
im  Jahre,  Mosaik,  zusammengesetzt  aus  Ge- 
meinheiten, Entstellungen,  Lügen.  Es  ist  die 
Arbeit  nicht  von  mächtigen  Geistern,  sondern 
von  kleinlichen  Leuten,  die  niedrigen  Instinkten 
schmeicheln,  verbrecherischen  Begierden  dienen 
und  trotzdem  durch  Phrasen,  durch  nichts 
anderes  als  Phrasen  die  Ehrlichen  und  Ver- 
ständigen zum  Schweigen  zwingen.  Keiner  von 
diesen  Leuten  hätte  die  Gabe,  das  Volk  fort- 
zureißen, vielleicht  jeder  von  ihnen  erregt  Un- 
willen und  Verachtung  bei  den  Näherstehenden, 
und  doch  haben  sie  es  vermocht,  durch  Wieder- 
holen und  Wiederholen,  daß  leere  Worte  und 
Lügen  zu  unantastbaren  Wahrheiten  geworden 
sind,  und  doch  haben  sie  Tropfen  für  Tropfen 
der  öffentlichen  Meinung  Gift  eingeflößt,  bis 
diese  in  krankhafter  Ueberreizung  die  Kraft  zum 
Widerstände  verloren  hat." 

Und  weiter:  „Auch  in  Deutschland  wirkt 
die  immer  wieder  verkündete  Botschaft  von 
dem  unvermeidlichen  Kriege  lähmend  und  ver- 
derblich. Die  gefaßte  und.  ruhigere  Art  des 
Volkes  läßt  wohl  solche  Frechheiten,  wie  sie 
die  Rotzlöffel,  die  Herren  Camelots  du  Roi  und 
andere,  verüben  dürfen,  nicht  zu,  aber  wir 
pfeifen  leider  auch  die  Propheten 
nicht  aus,  welche  im  Lande  herum- 
reise nundvond  er  „taten armen  Zeit" 
faselieren." 

Erfreulich  ist  es,  daß  die  Reichsregierung 
jetzt  häufiger  als  früher  das  gemeingefährliche 
Treiben  jener  Presse  brandmarkt.  So  findet  sich 
in  der  „Norddeutschen  Allgemeinen  Zeitung" 
vom  22.  April  folgende  offiziöse  Erklärung : 
„Wir  finden  in  einem  deutschen  Blatte,  in  der 
„Post",  aus  Anlaß  der*  Nancy  er  Vorgänge  be- 
schimpfende Ausfälle  gegen  da«  französische 
Volk  im  ganzen.  Derartige  Machwerke  ver- 
stoßen gegen  echten  Patriotismus  und  waliro 
deutsche  Gesittung.  Sie  liefern  dem  Auslände. 
zu  Unrecht  verallgemeinert,  den  Vorwand,  eigene 
chauvinistische  Treibereien  mit  deutschen  Maß- 
losigkeiten gleicher  Art  zu  entschuldigen.  Tm 
Interesse  des  Ansehens  und  der  Würde  des 
deutschen  Namens,  den  sie  kompromittieren, 
muß  eine  derartige  Sprache,  als  eines  hoch- 
stehenden Volkes  unwürdig,  ener- 
gisch zurückgewiesen  werden."  Bravo 
so!  Da  wir  gerade  von  der  Presse  sprechen, 
sei  eines  in  der  „Frankfurter  Zeitung" 
vom  17.  4.  enthaltenen  Artikels  gedacht,  der 
von  dem  Haager  Korrespondenten  ienes  Blattes 
herrührt  und  „Erbauliches  vom  Friedensbau" 
betitelt  ist,  Da  wird  der  Bauleitung  des  Haager 
Friedenspalastes  der  Vorwurf  gemacht,  daß  sin  , 
einen  Aufenthaltsraum  für  die  Presse  vergessen 
habe.  Dann  lesen  wir  mit  starrem  Entsetzen 
folgenden  Satz:  „Wir  sind  so  dreist,  zu  fragen, 
obes  nicht  die  Presse  der  ganzen 
W  e  1 1  w  a  r ,  d  i  e  d  e  n  F  r  i  e  d.  e  n  s  g  e  d  a  n  k  e  n 
ge  hegt  und  gefördert  h  a  t ,  die  erst 
jene  Stimmung  hervorgebracht'  "hat, 


198 


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DIE  FBlEDEN5->fcÄRXE 


aus  der  die  I'riedeaskojif  erunzcu 
und  die  Idee  des  Friedenspalastes 
gewachsen  sind.''  Diese  Frage  ist  so  haar- 
sträubend naiv,  daß  wir  sie  in  der  „Friedens- 
Warte"  und  vor  einem  pazifistisch  eingeweihten 
Publikum  wahrlich  nicht  zu  beantworten  brauchen. 
Aber  doch  können  wir  uns  nicht  enthalten,  dem 
naiven  Fragesteller  zu  sagen,  daß  der  Satz  die 
Tatsachen  gerade  auf  den  Kopf  stellt.  Das 
Gegenteil  ist  richtig.  Es  gibt  in  der  großen 
Menschheitsgeschichte  keine  Kulturerschemung. 
die  in  ihren  Anfängen  von  der  Tresse  derartig 
mißverstanden,  verlacht,  verhöhnt  und  bekämpft 
wurde  wie  das  Haager  Werk.  Mit  einer  Aus- 
nahme von  vielleicht  einem  Dutzend  Zeitungen 
am  ganzen  Erdenrund  hat  es  die  gesamte  Tresse 
der  Welt  jene  Stimmung  zu  bekämpfen  unter- 
nommen, aus  der  die  Friedenskonferenzen  und 
die  Idee  des  Friedenspalastes  hervorgewachsen 
sind  Das  kann  ich  beweisen.  Aus  der  Zeit  der 
I.  Haager  Konferenz  bewahre  ich  eine  ganze 
Kiste  von  Zeitungsausschnitten,  die  ich  später 
einem  Museum  überantworten  werde;  und  auch 
aus  den  späteren  Perioden  kann  ich  mit  Belegen 
über  die  Haltung  der  Fresse  dienen.  Das  recht- 
fertigt allerdings  nicht  den  Felder  der  Haager 
Bauleitung.  Sie  müßte  auf  die  Presse,  die  sich 
ja  mittlerweile  zu  ändern  anfängt,  volle  Rück- 
sicht nehmen.  —  „Die  schimpfenden  Pazifisten" 
betitelt  „Das  neue  Deutschland"  einen  Artikel 
(20.  4.),  worin  Berendsohns  Angriff  gegen 
D  e  h  m  e  1  aus  der  letzten  Nummer  der 
„Friedens- Warte"  einer  Kritik  unterzogen  wird. 
Dehmel  habe  in  der  bekämpften  Aeußerung  nur 
dem  Ausdruck  gegeben,  „was  heute  stärker 
und  stärker  Gemeingeist  der  wirklich  Gebildeten 
wird.  Diese  stehen  heute  längst  nicht  mehr 
beim  „Berliner  Tageblatt"  und  der  „Friedens- 
Warte",  sondern  sind  auf  dem  Marsch  nach 
ganz  anderen  Zielen."  Die  Anhänger  der  Frie- 
densbewegung werden  sich  ob  dieses  versteckten 
Vorwurfs  der  Unbildung  wohl  zu  trösten  wissen. 


Artikel.     ::  ::  ::  ::   ::  ::  ::  ::   ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

(Bibliographie.)  I.  Friedens- 
bewegung im  allgemeinen:  Auf  der 
Toteninsel    Adrianopels.     „Berliner    Tageblatt". 

17.  IV.  *  j>ie  Lehren  des  Balkankrieges  und 
die  Friedensbewegung.  „Aachener  Allgemeine 
Zeitung".  17.  IV.  *  Hugo  Schulz,  Der  Mi- 
litarismus  in  der  Sackgasse.    „Die   Neue  Zeit". 

18.  IV.  *  Dr.  Se  ufert,  Ist  die  augenblick- 
lich inszenierte  bewaffnete  Intervention  der  ver- 
einigten Großmächte  ein  Beweis  für  oder  gegen 
die  Wirksamkeit  der  internationalen  Friedens- 
.idee?  „Süchteiner  Volkszeitung".  4.  IV.  * 
Maßvolle  und  maßlose  Chauvinisten.  „Dresde- 
ner Volkszeitung".  23.  IV.  *  Dr.  M.  Kro- 
nenberg,  Krieg  und  Kultur.  „Frankfurter 
Zeitung".  20.  IV.  *  Dr.  Paul  Kammerer, 
Allgemeine  Symbiose  und  Kampf  ums  Dasein 
als  gleichberechtigte  Triebkräfte  der  Evolution. 
(Sonderabdruck  aus  „Archiv  für  Bässen-  und 
Gesellschafts-Biologie".  5.  Heft,  1909.)  *  Ders. 
Gegenseitige  Hilfe  und  erbliche  Belastung. 
„Pester  Lloyd",  31.  I.  *  J.  Z an g will,  Der 
Kriegsteufel.  „Neue  Freie  Presse".  21.  TV.  * 
Prof.  Dr.  Robert  Piloty,  Zur  Psychologie 
des  Chauvinismus.  „Neckar-Zeitung"  (Heil- 
bronn). 26.  TV.  *  Kurt  Eisner,  Weltkrieg 
A.-G.  „Vorwärts".  28.  IV.  *EdwinD.  Mead, 
what  is  the  Peace  Movement?     „The  Indepen- 


dent".  24.  IV.  *  Alfred  H.  Fried,  Im 
Xaanen  Europas.     „Der  Herold".    (Berlin.)    1.    V. 

*  A 1  f  r  e  d  H.  Fried,  Friedensbewegung.  „Das 
Monistische  Jahrhundert".  19.  IV.  *  Prof.  Dr. 
\V  i  1  h  e  Im  F  o  e  r  s  t  e  r ,  zur  Verständigung 
über  den  Fortschritt  der  Menschheit.  „Doku- 
mente des  Fortschritts".  IV.  *  Prof.  Dr.  Lud- 
wig Stein,  Die  Ueberwindung  des  Kosmo- 
politismus durch  die  Nationalidee.  „Nord  und 
Süd".  V.  *  Sir  Max  Wa  echt  er,  England, 
Germany  and  the  Peace  of  Europe.  „The  Fort- 
nightly  Review".   V. 

II.  Die  internationale  Politik: 
Dr.  Freiherr  von  Mackay,  Deutschland, 
das  europäische  Reich  der  Mitte.  „Export" 
^Berlin).  24.  IV.  *  H.  v.  Kupffer,  ,Das 
deutsche  Gespenst  in  England.  „Berliner  Lo- 
kal-Anzeiger". 20.  IV.  *  Friedrich  Our- 
t  i  u  s  ,  Nowicows  Buch  über  Elsaß-Lothringen. 
„Frankfurter  Zeitung".  13.  IV.  *  Le  Conflit 
franco-allemand.  „Revue"  (Paris).  1.  IV.  * 
Rene  Schickele,  „Stimmung"  in  Frank- 
reich.    „Berliner  Zeitung  am  Mittag".    17.    IV. 

*  F.  Schotthoefer,  Französischer  Chauvi- 
nismus. „Frankfurter  Zeitung".  18.  IV.  * 
„Z.  IV"  in  Luneville.  Der  Bericht  von  Kapitän 
Grund.  „Frankfurter  Zeitung".  18.  IV.  *  (Hei- 
melt) Eine  Lanze  für  die  Diplomatie.  „Weser- 
Zeitung".  6.  IV.  *  Norman  Angell,  Einige 
Worte  zur  deutsch-englischen  Verständigung. 
„Fortschrittliche  Volkszeitung".  (Freiburg  i.  B.) 
14.  IV.  *  E.  Gagliardi,  Italien  und  Monte- 
negro. „Der  Tag"  (illustrierter).  24.  IV.  *  Ge- 
orges Bourdon,  Entre  la  france  et  l'Al- 
lemagne.  „Revue"  (Paris).  15.  TV.  *  Albert 
B  e  n  c  k  e ,  Panslawismus,  Kriegsentschädigung 
und  andere  Dinge.  „Handel  und  Industrie" 
(München).  19.  IV.  *  K  a  r  1  E  u  g  e  n  S  c  h  m  i  d  t, 
Deutsch-französische  Kriegslust.  „Neue  Ham- 
burger Zeitung".  30.  IV.  *  Neue  Anregungen  für 
internationale  Verständigungen.  „Weser-Zei- 
tung". 27.  IV.  *  Martin  Spahn,  Oester- 
reichs  Balkanpolitik.  „Der  Tag"  (illustrierter). 
30.  IV.  *  L.  Wagner,  In  eigener  Sache.  Die 
Ferienkurse  für  Ausländer  und  die  Franzosen. 
„Kaiser  lauterer  Stadtanzeiger".  24.  IV.  * 
Karl  Leuthner,  Die  Wiener  Politik.  „So- 
cialistische  Monatshefte".     24.   IV. 

III.  Völkerrecht:  Kurt  Wol  z  en- 
do rff,  „Das  Werk  vom  Haag".  „Frankfurter 
Zeitung".  20.  IV.  *Dr.  Karl  Str  upp,  Lehren 
des  Luneviller  Zwischenfalls  für  eine  völker- 
rechtliche Regelung  der  Luftschiffahrt.  „Frank- 
furter Zeitung".     3.  V. 

IV.  Internationales:  Dr.  Albert 
Grobat,  Die  Achtung  vor  den  internationalen 
Verträgen.     „Ethische  Kultur".      1.    V. 

V.  Wirtschaftliches:  Konteradmiral 
z.  D.  Stiege,  Wettrüsten.  „Kölnische  Zei- 
tung". 18.  IV.  *  Die  falsche  Rechnung.  „Pester 
Lloyd".  22.  IV.  *  Nationalismus  und  Geschäft. 
„Frankfurter  Zeitung".  19.  TV.  *  Die  Wehrkraft 
Deutschlands  im  Vergleich  mit  der  der  anderen 
europäischen  Großmächte.  „Militär-Wochen- 
blatt". 19.  IV.  *  Prof.  R,  Broda,  Paix  ou 
Guerre.  Le  Probleme  des  Armements.  „Les 
Documents  du  Progres.  IV.  *  Das  Kartell  des 
Mordkapitals.  Die  Internationale  der  Kriegs- 
hetzer. „Arbeiterzeitung".  30.  IV.  *  Kriegs- 
industrie und  Kriegshetze.  „Frankfurter  Zei- 
tung". 1.  V.  *  Der  Skandal  in  der  Rüstungs- 
industrie.    „Frankfurter  Zeitung".     3.  V. 


199 


DIE  FRIEDENS«  VADfTC  = 

IMITTEILVNdEN  DEBS 
FRIEDENSGESELLSCHAFTIN 

(Verantwortlich   für   den   Inhalt   dieser  Rubrik  ist   nicht   die 
Schriftleitung,   sondern  die  betreffende  Friedensgesellschaft.) 


3 


Pfarrer  ümfrid, 
Stuttgart,  Birkenwaldstr.  26, 
nimmt  vom  20.  Oktober  an  junge  Engländerinnen, 
Französinnen,  Belgierinnen,  Holländerinnen  oder  junge 
Mädchen  aus  den  skandinavischen  Ländern  in  sein 
Haus.  Herrliche  Lage.  Gute  Verpflegung.  Alle 
Bildungsgelegenheiten  in  der  Stadt.  Unentgeltlicher 
Unterricht  in  der  deutschen  Sprache.  Originelle 
Methode  mit  vorzüglichen  Erfolgen.  Preis  monatlich 
120  M.  Anmeldungen  während  des  Sommers  erwünscht. 


Frankfurter  Friedensverein. 

Frankfurt  a.  M.,  Gr.  Gallusstraße  18. 
Der  kürzlich  verstorbene  Herr  AdolfMar- 
b  u  v  g,  der  von  1893—1902  Vorstandsmitglied  und 
bis  zu  seinem  Ableben  ein  tatkräftiger  Förderer 
des  „Frankfurter  Friedens  Vereins"  gewesen  ist,  hat 
in  seinem  Testament  diesem  ein  Vermächtnis  von 
3000  M.  ausgesetzt.  Es  ist  dieses  neben  der 
„Franz  Wirthschen  Stiftung"  die  zweite  größere 
Zuwendung,  welche  der  Friedensverein  zu  Frank- 
furt a.  M.  erhalten  hat. 


Oesterreichische  Friedensgesellschaft. 

Bureau:  Wien  I,    Spiegelgasse  4. 
Ihre  k.  u.  k.  Hoheit  Frau  Erzherzogin  Maria 
Theresia  ließ  unserer  Präsidentin  den  Betrag  von 
100  K.  als  Spende  für  die  Oesterreichische  Friedens- 
gesellschaft übermitteln. 

MB 

Den  Schluß  des  3.  volkstümlichen  Vortrags- 
zyklus bildete  der  am  23.  v.  M.  abgehaltene  Vor- 
trag der  Frau  Baronin  v.  Suttner,  welche  über 
„Pazifismus  in  Amerika"  sprach.  Der  Saal  war 
bis  auf  das  letzte  Plätzchen  gefüllt  und  die  Vor- 
tragende wurde  wiederholt  durch  stürmischen 
Beifall  unterbrochen. 

m 

F  r  i  e  d  e  n  s  t  a  g.  Am  18.  Mai  findet  im  Fest- 
saale der  Wiener  Universität  ein  vom  Akademi- 
schen Friedensverein  veranstalteter  Friedenstag 
statt,  bei  welchem  der  Rektor  der  Universität, 
Hofrat  Dr.  Weichselbaum,  Baronin  Suttner,  Alfred 
H.  Fried  und  Univ.-Prof.  Dr.  O.  Richter  sprechen 
werden. 

An  den  Minister  des  Aeußeren,  Exz.  Graf 
Berchtold,  richtete  unser  Vorstand  nachfolgendes 
Schreiben: 

Euer  Exzellenz !  Mit  ungeteilter  Freude  und 
hoher  Genugtuung  wird  die  gesamte  Kulturwelt 
von  einem  abermaligen  und  verbesserten  Vor- 
schlage Kunde  erhalten,  welchen  der  Präsident 
der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  Woodrow 
Wilson,  und  der  Staatssekretär  des  Auswärtigen, 
W.  J.  Bryan,  in  diesen  Tagen  zur  Vervollkomm- 
nung der  internationalen  schiedsgerichtlichen  Ver- 
tragsorganisation im  diplomatischen  Korps  zu 
Washington  entwickelt  hat. 


Die  Regierung  der  nordamerikanischen  Union, 
wo  ja  Staatsmänner  und  Bevölkerung  im  gleichen 
Maße  von  der  Notwendigkeit  überzeugt  sind,  zu 
einem  internationalen  Abkommen  über  Schieds- 
gerichtsbarkeit und  Abrüstungsstillstand  zu  ge- 
langen, erstrebt  neuerdings  diese  Uebereinkunft 
der  Staaten. 

Diese  hochherzige  Initiative  der  Bundes- 
regierung muß  gerade  in  der  jetzigen  Zeit  um  so 
mehr  die  ernsteste  Beachtung  aller  Kabinette 
hervorrufen,  als  sich  ja  nur  zu  deutlich  erwies, 
wie  sehr  Kriege,  trotz  stärkster  Rüstung,  nicht 
vermieden  werden  konnten,  wie  sehr  die  Furcht 
vor  einem  noch  so  stark  gerüsteten  Staat  weit 
schwächere  Staaten  keineswegs  zur  Vermeidung 
kriegerischer  Handlungen  vermochte  und  wie  bei- 
nahe unmöglich  es  geworden  ist,  in  dem  inter- 
nationalen Wettrüsten  zu  einem,  den  wirtschaft- 
lichen und  finanziellen  Kräften  der  Staaten  an- 
gepaßten Ruhepunkt  zu  gelangen. 

Es  liegt  daher  im  ureigensten  Interesse 
jedes  europäischen  Staates,  ob  groß  oder  klein, 
ob  es  sich  um  Land-  oder  Seemacht  handelt,  daß 
seine  Regierung  der  Einladung  der  nordamerika- 
nischen Regierung  bereitwilligst  Folge  leiste  und 
die  Hand  zum  Abschluß  des  erwähnten  inter- 
nationalen Abkommens  darreiche. 

Wir  bitten  somit  Euer  Exzellenz,  im  wohl- 
erwogenen Interesse  unserer  Monarchie,  sowohl 
selbst  dem  Rufe  der  Regierung  der  Vereinigten 
Staaten  zu  einer  eventuellen  Konferenz  über  ein 
solches  Abkommen  Folge  zu  leisten  und  sich  für 
den  Abschluß  eines  solchen  Abkommens  auszu- 
sprechen sowie  auch  auf  geeignetem  Wege  die 
Regierungen  anderer  Staaten  zu  einem  gleichen 
Vorgehen  einzuladen. 

Genehmigen  usw.  usw. 
IMS 

Friedensvortrag.  Bei  der  am  6.  v.  M. 
in  Hotzenplotz  stattgefundenen  Vollversammlung 
des  Vereins  der  Lehrer  und  Schulfreunde  wurde 
der  Lichtbilderzyklus  .Du  sollst  nicht  töten!" 
vorgeführt.  Die  Regleitworte  von  Th.  Hermann 
sprach  Frl.  Stephanie  Beier  in  ausgezeichneter 
Weise. 


Die  Nummer  9  der  Fachzeitschrift  der  Rech- 
nungsbeamten bringt  abermals  einen  trefflichen 
Artikel:  „Die  österreichische  Staatsbeamtenschaft 
und  die  Friedensbewegung",  welchen  unser  Vor- 
standsmitglied Karl  Schleck  zum  Verfasser  hat. 
ras* 

Zur  Nachahmung  empfohlen:  Unser  Mitglied 
Schriftsteller  E.  Lehr  forderte  anläßlich  der  Ver- 
mählung seiner  Tochter  alle  Verwandte  und 
Freunde  seiner  Familie  auf,  statt  des  üblichen 
Glückwunschtelegramms  den  hierfür  entfallenden 
Betrag  der  Oesterreichischen  Friedensgesellschaft 
zuzuwenden.  Dieser  gewiß  sehr  treffliche  Ge- 
danke ist  auf  guten  Boden  gefallen  und  bis  heute 
sind  schon  über  20  K.  als  Spenden  im  Sinne  des 
Anregers  eingelaufen. 

um 
7i  u  mj  70.  G  e  b  u  r  t  s  t  a  g  e  unserer 
Präsidentin:  Photogravüren  in  Ansichts- 
kartenformat mit  dem  neuesten  Bilde  der  Frau 
Blaronin  von  Suttner  sind  in  drei  Aufnahmen 
ei*schienen  und  durch  unser  Bureau,  per  Stück 
20  Heller  (6   Stück.  1   K.   franko),   zu  beziehen. 


Verantwortlicher  Redakteur:  Carl  Appol<l,  Berlin  W. 60.  —  Im  Selbstverlag  des  Herausgebers  Alfred  H.  Fried,  Wien  IX/2. 
Druck:  Pass  *  Garlab  G.m.b.H.,  Berlin W.B7.  —  Verantwortl. Redakteur  für  Oesterreich-Ün 


Ungarn  :  Vinzens  Jerabak  in  Wien 


200 


Juni  1913. 


Kaiser  Wilhelm  und  der  Weltfrieden. 

Zum   Regierungsjubiläum   des   Kaisers. 


Das  Vierteljahrhundert  der  Regierung 
Kaiser  Wilhelms  II.  ist  für  uns  Jüngere  auch 
ein  persönliches  Erlebnis.  .Wir  waren  da- 
mals jung  mit  dem  „jungen  Kaiser"  in  jenem 
denkwürdigen  Dreikaiser  jähr  von  1888  und 
linden  uns  nun  mit  ihm  zusammen  in  der 
Würde  des  grau  werdenden  Scheitels.  Was 
damals  Hoffnung  und  Befürchtung  war,  ist 
mittlerweile  Erlebnis  geworden.  Enttäu- 
schungen und  Erfüllungen,  aber  auch  man- 
che ungeahnte  Entwicklungen  sind  einge- 
troffen, und  mancher  gärende  Most  jener 
Zeit  hat  sich  mittlerweile  zum  reinen  Wein 
gewandelt.  Ruhiger  als  wir  es  damals  zu 
hoffen  gewagt  hätten,  gedenken  wir  jener 
Zeit,  wo  die  Fin-de-siecle-Periode  begann  und 
alles  anders  zu  werden  schien  im  öffent- 
liche n  Leben,  in  der  Politik,  in  der  Wissen- 
schaft, in  der  Literatur  und  in  der  Kunst. 
Als  alles  voll  Ahnungen  dem  kommenden 
Neuen  entgegensah,  das  den  Stempel  des 
neuen  Jahrhunderts  tragen  sollte. 

Manches  hat  sich  in  diesen  25  Jahren 
erfüllt,  nur  jene  Befürchtung  eines  baldigen 
Krieges  nicht,  die  damals  Deutschland  und 
ganz  Europa  bedrückte,  als  der  junge  Sol- 
datenkaiser von  seinem  Potsdamer  Regiment 
weg  den  Thron  bestieg.  Der  Friede  der  da- 
mals 17  Jahre  lang  gewährt  hatte,  hat  nun 
schon  die  stattliche  Reihe  von  42  Jahren 
aufzuweisen  und  auch  Kaiser  Wilhelm  II. 
hat  ihn  gewahrt.  Diese  Wilhelminische 
Friedensperiode  wird  als  eines  der  größten 
Ereignisse  der  Zeitgeschichte  bezeichnet  wer- 
den müssen.  Denn  daß  ein  junger  Herrscher, 
ein  Soldat  vom  Kopf  bis  zum  Fuße,  der 
oberste  Kriegsherr  eines  der  mächtigsten 
Militärstaaten,  25  Jahre  ohne  Krieg  regieren 
konnte,  ist  nach  dem  bisherigen  Verlauf  der 
Geschichte  etwas  ganz  Neues,  etwas,  das  von 
einer  inneren  Umwälzung  des  internationa- 
len Lebens  beredtes  Zeugnis  gibt.     Es  gibt 


in  der  europäischen  Geschichte  keinen  Herr- 
scher eines  Großstaates,  der  eine  Regierung 
von  solcher  Dauer  aufzuweisen  hätte,  die 
nie  durch  einen  Krieg  befleckt  wurde.  J)ie 
Worte,  die  Anatole  France  vor  einigen 
Jahren  über  den  Kaiser  in  einer  Pariser 
Versammlung  gesagt  hat,  drängen  sich  hier 
auf.  Er  sprach  von  dem  unbestreitbaren 
Friedenswillen  des  französischen  Volkes  und 
führte  weiter  aus:  „Eine  Schwalbe  macht 
noch  keinen  Sommer  und  eine  Nation  macht 
noch  nicht  den  Frieden  in  der  Welt.  Zweifel- 
los ;  aber  sehen  wir  denn  die  Friedenszeichen 
allein  in  Frankreich?  Schauen  wir  nach 
Deutschland.  Es  ist  ein  militärisches  Land 
mit  einer  herrlichen  Armee.  Die  unsere  ist 
ebenso;  ebenso  die  jeder  anderen  Nation. 
Aber  Deutschland  hat  etwas  mehr.  Es  hat 
einen  Soldatenkaiser,  einen  großen  Soldaten, 
einen  vollkommenen  Durch-und-Durch-Solda- 
ten.  Der  Kaiser  ist  der  Abgott  der  Soldaten, 
er  ist  der  Hohenzollern-Soldat,  der  Lohen- 
grin-Soldat,  er  hat  Seele  und  Schnurrbart 
eines  Soldaten . . .  Durch  seine  Stellung  und 
seinen  Charakter  war  er  dazu  bestimmt, 
Krieg  zu  führen.  Er  hat  Musikstücke  ge- 
schrieben, Bilder  gemalt,  er  hat  Segelsport 
getrieben,  Bildhauerei  studiert,  Theologie, 
kurz  alles  mögliche  getan,  nur  nicht 
Krieg  geführt.  Warum ?  Weil  sich  an- 
scheinend etwas  geändert  hat  in  Deutsch- 
land sowohl,  wie   im  übrigen  Europa." 

Und  so  ist  es  auch.  Die  Anfänge  eines 
neuen  Europa  machten  sich  geltend,  eine 
neue  Art  im  zwischenstaatlichen  Verkehr, 
eine  neue  Richtung  in  der  Regelung  der 
Völkerbeziehungen.  Es  ist  sicher  nicht  bloßer 
Zufall,  daß  das  Jahr,  in  dem  der  Kaiser 
seine  Regierung  antrat,  auch  den  Anfang  der 
neuen  Periode  der  Friedensbewegung  be- 
zeichnet, jener  Periode,  mit  der  die  Bewegung 
anfing   sich   zu  organisieren.     Tm    Oktober 


201 


DIE  FßiEDEN5->MMlTE 


•© 


jenes  Jahres  wurde  in  Paris  die  interparla- 
mentarische Union  begründet  und  wenige 
Wochen  später  dort  die  neue  Serie  der  Welt- 
friedenskongresse in  Angriff  genommen.  Im 
selbe  n  Jahre  entwickelte  sich  zwischen  der 
amerikanischen  Union  und  England  wie 
Frankreich  die  Bewegung  um  die  Herstel- 
lung wechselseitiger  Schiedsverträge.  Da- 
mals hatte  Bertha  von  Suttner  ihren  Ro- 
man „Die  Waffen  nieder!"  in  der  Feder, 
der  im  darauffolgenden  Jahr  erschien  und 
die  Friedensbewegung  in  Deutschland  und 
Oesterreich  ins  Leben  rief.  Es  hatte  sich 
etwas  geändert  in  Europa,  und  so  groß  das 
Verdienst  ist,  das  dem  Kaiser  nicht  geschmä- 
lert werden  soll,  das  Verdienst,  ohne  Krieg, 
ein  Viertel  Jahrhundert  regiert  zu  haben,  in 
dieser  Zeit  der  heftigsten  Gegensätze  und 
Konflikte,  so  darf  doch  nicht  außer  acht  ge- 
lassen werden,  daß  an  dieser  kriegslosen  Zeit 
auch  die  anderen  Staaten  beteiligt  waren. 
Denn,  wenn  der  Beste  nicht  in  Frieden  leben 
kann,  wenn  es  dem  bösen  Nachbar  nicht  ge- 
fällt, so  darf  dem  Nachbar  das  Verdienst 
nicht  geschmälert  werden,  wenn  Deutsch- 
land  doch   im  Frieden  leben   konnte. 

Kaiser  Wilhelm  ist  keineswegs  ein  Pa- 
zifist im  Sinne  unserer  Weltanschauung.  Er 
vertritt  noch  zu  nachdrucksvoll  die  Theorie 
der  Friedens-„Erhaltung"  und  die  Politik 
des  scharf  geschliffenen  Schwertes  wie  des 
trocken  gehaltenen  Pulvers.  Unter  seiner 
Regierung  haben  sich  die  Ausgaben  für  Mi- 
litärzwecke mehr  als  verdoppelt.  Aber  wir 
sind  weit  entfernt,  ihm  persönlich  daraus 
einen  Vorwurf  zu  machen.  Der  Mensch  kann 
über  seine  Umwelt  nicht  mit  einem  Sprunge 
hinaus,  am  allerwenigsten  ein  Kaiser.  Wer, 
wie  er,  aufgewachsen  ist  in  den  alten  Theo- 
rien der  Gewaltherrschaft  und  wer  unter 
diesem  Gesichtspunkt  die  Verantwortung  für 
Millionen  übernommen  hat,  wird  sich  nicht 
auf  einmal  unbedingt  und  ohne  Umschweife 
einer  neuen  Theorie  anschließen  können. 
Noch  weniger,  wenn  weite  Kreise  des  Vol- 
kes noch  im  Banne  jener  alten  Theorien 
stehen.  Aber  weit  entfernt,  das  Friedens- 
verdienst des  Kaisers  zu  schmälern,  wird 
es  bei  näherer  Betrachtung  der  Dinge  gerade 
durch  die  Erkennung  seiner  Abhängigkeit 
von  Erziehung  und  Umwelt  erhöht.  Ist  des- 
halb Kaiser  Wilhelm  kein  Pazifist  —  die 
revoltierenden  Uebernationalen  haben  ihm 
einmal  dieses  Beiwort  höhnend  angehängt  — , 
so  hat  er  dennoch  Beweise  dafür  geliefert, 
daß  er  die  pazifistische  Tendenz  des  Zeit- 
alters erfaßt  hat,  so  hat  er  Großes  getan, 
wenn  er  infolge  ihrer  Erkenntnis  sich  nicht 


von  den  ererbten  Anschauungen  beeinflussen 
ließ,  sich  dem  Zeitgeiste  entgegenzustellen. 
Er  hätte  die  Macht  dazu  gehabt,  es  zu  tun, 
er  hätte  Hunderttausende  im  Volke  ge- 
funden, die  ihm  Beifall  zugejubelt  haben 
würden.  Und  doch  ließ  er  sich  nicht  auf 
die  gefährliche  Bahn  bringen. 

Die  Erkenntnis  der  pazifistischen  Ten- 
denz der  Zeit  tritt  immer  und  immer  wieder 
in  des  Kaisers  Reden  hervor,  wenn  er  von 
dem  notwendigen,  organisatorischen  Zu- 
sammenschluß Europas,  von  der  Solidari- 
tät der  Kulturwelt  spricht.  Und  wie  oft 
hat  er  davon  gesprochen!  Gewiß;  er  hat 
auch  kriegerische  Reden  gehalten.  Wenn  er 
vor  seinen  Soldaten  stand,  konnte  er,  wie 
kürzlich  ein  französischer  Schriftsteller  tref- 
fend ausführte,  nicht  gut  von  Obstbaum- 
zucht reden.  Seine  kriegerischen  Reden 
stießen  zwar  sehr  oft  auf  Widerspruch  bei 
uns,  aber,  wenn  wir  alle  Zusammenhänge  ins 
Auge  fassen,  waren  sie  doch  zu  verstehen. 
In  keinem  Falle  dürfen  wir  über  sie  des 
Kaisers  so  oft  zum  Ausdruck  gebrachte 
Aeußerungen  über  die  Notwendigkeit  einer 
internationalen  Organisation,  über  die  So- 
lidarität der  Völker  und  über  die  europä- 
ische Kulturgemeinschaft  vergessen.  In 
ihnen  liegt  der  Schlüssel  für  die  Wilhel- 
minische Friedensperiode  und  ein  wahrlich 
recht  erfreulicher  Ausblick  für  die  Zukunft. 
Schon  1891  hat  der  Kaiser  in  jener  Widmung 
an  den  Generalpostmeister  Stephan  Worte 
festgelegt,  die  sich  wie  ein  Programm  an- 
hören: „Die  Welt  am  Ende  des  19.  Jahr- 
hunderts steht  unter  dem  Zeichen  des  Ver- 
kehrs. Er  durchbricht  die  Schranken,  welche 
die  Völker  trennen  und  knüpft  zwischen 
den  Nationen  neue  Beziehungen  an."  Ver- 
gessen wir  nicht,  daß  das  Lehrgebäude  des 
modernen  Pazifismus  auf  dieser  hier  aus- 
gedrückten Erkenntnis  beruht.  Bei  der  Er- 
öffnung des  Nord-Ostseekanals,  der  1895 
unter  großem,  kriegerischem  Gepränge  aller 
Nationen  stattfand,  wies  der  Kaiser  auf  das 
„Zusammenwirken  aller  europäischen  Kul- 
turvölker zur  Hochhaltung  und  Aufrechtr 
erhaltung  der  europäischen  Kulturmission" 
hin.  Damals  äußerte  er  auch  sein  Bekennt- 
nis zum  Frieden,  indem  er  sagte:  „Im  Frie- 
den nur  kann  der  Welthandel  sich  ent- 
wickeln, im  Frieden  nur  kann  er  gedeihen, 
und  Frieden  werden  und  wollen  wir 
aufrechterhalten..."  Noch  im  selben 
Jahre  rief  der  Kaiser  durch  das  bekannte 
Knackfußbild  die  Völker  Europas  „zur 
Wahrung  ihrer  heiligsten  Güter"  auf.  Im 
Jahre    1896,    in   Görlitz,    als    der   russische 


202 


@= 


£  DIE  Fßl EDENS -VSASTE 


Zar  bei  ihm  zu  Gaste  weilte,  hören  wir 
wieder  das  Bekenntnis  von  der  Solidarität 
Europas.  „In  völliger  Uebereinstimmung 
mit  mir,"  so  heißt  es  in  jenem  Trinkspruch 
auf  den  Zaren,  „geht  sein  Streben  dahin,  die 
gesamten  Völker  des  europäischen  "Welt- 
teiles zusammenzuführen,  um  sie 
auf  der  Grundlage  gemeinsamer 
Interessen  zu  sammeln,  zum  Schutze 
unserer  heiligsten  Güter."  Etwas  wie  eine 
Zustimmung  zu  dem  damals  vielleicht  schon 
geplanten,  zwei  Jahre  später  veröffentlich- 
ten Aufruf  des  Zaren,  der  zur  Haager  Kon- 
ferenz führte,  könnte  man  aus  jenen  Worten 
herauslesen.  Am  deutlichsten  aber  finden 
wir  des  Kaisers  Anschauungen  in  jener  Cux- 
havener Kode  aus  dem  Jahre  1904  ausge- 
drückt, deren  wichtigste  Stelle  folgenden 
Wortlaut  hat:  „Ich  glaube,  daß  jedem  ob- 
jektiven Beobachter  der  Vorgänge  auf 
unserem  Erdenkreise  die  eine  Beobachtung 
sich  aufdrängen  muß,  daß  allmählich 
dieSolidaritätunterden  Völkern 
der  Kulturländer  unstreitig 
Fortschritte  macht  auf  verschie- 
denen Gebieten.  Und  diese  Gebiete  er- 
weitern sich.  Diese  Solidarität  geht 
unmerklich,  aber  unwidersteh- 
lich in  das  Programm  sowohl  der 
Staatslenker  über,  wie  in  die  Ge- 
danken der  sich  selbst  regierenden  freien 
Bürger.  Diese  Solidarität  wird  genährt  und 
gepflegt  auf  verschiedene  Weise,  sei  es  in 
ernster  politischer  Beratung,  sei  es  auf  Kon- 
gressen, sei  es  im  Wettkampf  und  Spiel . . . 
Dieser  Solidarität  verdankt  es 
der  Kaufmann,  der  Industrie  11  e , 
der  Ackerer,  wenn  er  in  ruhiger 
Arbeit  sich  fortschreitend  ent- 
wickeln kann.  Denn  er  hat  auf  die 
Zukunft  Vertrauen,  und  das  ist  die  Haupt- 
sache."  Aus  diesen  Worten  spricht  pazi- 
fistischer Geist.  Anderes  sagen  wir  auf 
unseren  Kongressen  und  in  unseren  Schrif- 
ten auch  nicht. 

Uebereinstimmend  berichten  auch  ver- 
schiedene Persönlichkeiten,  die  Gelegenheit 
hatten,  mit  dem  Kaiser  zu  sprechen,  daß 
er  mit  ihnen  über  den  organisatorischen  Zu- 
sammenschluß der  europäischen  Staaten 
gesprochen  habe.  So  der  bekannte  fran- 
zösische Mutualist  Mabilleau,  so  Sir 
Max  Wächter,  der  französische  Mi- 
nister P  i  ch  o  n  ,  Baron  d'Estournelles 
und  andere.  Der  Letztgenannte  berichtete 
darüber  im  Juni  1909  im  „Temps" :  „Der 
Kaiser  ist  seiner  ursprünglichen 
Idee      eines     Zusammenschlusses 


aller  Kultur  Staaten  zur  höheren 
Entwickelung  eines  jeden  von 
ihnen  sehr  treu  geblieben."  Kurz 
vorher,  im  Jahre  1907,  soll  der  Kaiser  zu 
dem  damaligen  französischen  Militärata- 
che  die  bezeichnenden  Worte  gesagt  haben : 
„Europa  ist  viel  zu  klein,  um  ge- 
teilt zu  sein." 

Unzählig  sind  die  Äußerungen,  die  hier 
zitiert  werden  könnten,  aus  denen  die  Tat- 
sache sich  ergibt,  daß  der  Kaiser  den  großen 
Gedanken  der  Weltorganisation  —  nicht  wie 
er  früher  erträumt  wurde,  sondern  wie  ihn 
die  moderne  Friedenstechnik  heute  zurecht- 
legt —  vollkommen  erfaßt  hat  und  billigt. 
Und  vielleicht  hat  Andrew  Carnegie  nicht 
so  unrecht,  wenn  er  immer  und  immer  wieder 
der  Meinung  Ausdruck  gibt,  daß  Kaiser  Wil- 
helm der  Mann  sei,  den  Krieg  abzuschaffen 
aus  den  Beziehungen  der  Kulturwelt. 

Kaiser  Wilhelm  hat  aber  nicht  nur  den 
Frieden  gepriesen,  nicht  nur  den  Gedanken 
einer  internationalen  Organisation  erörtert, 
er  hat  sich  auch,  trotz  mancher  entgegen- 
gesetzter militärischer  Rede,  in  weihe- 
vollen Worten  gegen  den  Krieg,  insbesondere 
gegen  die  Eroberung  ausgesprochen.  Man 
vergesse  nicht,  was  er  in  seiner  berühmten 
Bremer  Rede  von  1905  gesagt  hat:  „Das 
Weltreich,  das  ich  mir  erträumt  habe,  soll 
darin  bestehen,  daß  vor  allem  das  neuer- 
schaffene Deutsche  Reich  von  allen  Seiten 
das  absoluteste  Vertrauen  als  eines  ruhigen 
und  friedlichen  Nachbars  genießen  soll 
und  daß,  wenn  man  dereinst  von 
einem  deutschen  Weltreich  oder 
einer  Hohenzol  lern -Weltherr- 
schaft in  der  Geschichte  reden 
sollte,  sie  nicht  auf  Eroberungen 
begründet  sein  solle  durch  das 
Schwert,  sondern  durch  gegen- 
seitiges Vertrauen  der  nach  glei- 
ohenZielenstrebendenNationen, 
kurz  ausgedrückt,  wie  ein  großer  Dichter 
sagt:  Außenhin  begrenzt,  im  Innern  un- 
begrenzt." 

Daß  der  Kaiser  den  Kampf  gegen  den 
Krieg  billigt,  geht  aus  einer  Aeußerung 
hervor,  die  er  dem  Maler  Wereschtschagin 
gegenüber  nach  Besichtigung  seiner  be- 
rühmten Schlachtenbilder  getan  hat.  „Da- 
mit, lieber  Meister",  so  äußerte  er  sich, 
„kämpfen  sie  gegen  den  Krieg 
wirksamer  an,  als  irgendwelche 
Friedenskongresse."  Ein  Wort,  das 
sich  die  Pazifisten  bei  ihrer  Aktion,  wo- 
bei sie  so  oft  den  Vorwurf  der  Vaterlands- 
losigkeit und  wohl   auch   der  Verständnis- 


203 


DIE  FßlEDENS->k4MJTE  = 


3 


losigkeit  einheimsen  müssen,  sich  als  gut 
wirkende  Waffe  merken  sollten.  Daß  der 
Kaiser  auch  ein  Anhänger  der  Schieds- 
gerichtsbarkeit ist,  beweist  eine  Depesche, 
die  er  nach  Abschluß  des  deutsch-amerika- 
nischen Schiedsvertrags  im  November  1904 
an  den  Präsidenten  Roosevelt  richtete,  wo 
er  jenen  Vertrag  als  „ein  starkes 
Glied"  bezeichnete,  „um  Amerika  und 
Deutschland  in  friedlichen  Beziehungen 
zum  besten  der  Zivilisation  zu 
verknüpfen". 

Man  kann  die  Friedenstätigkeit  des 
Kaisers  nicht  würdigen,  ohne  nicht  auch 
auf  sein  überaus  eifriges  Bestreben,  inter- 
nationale Verständigung  anzubahnen,  hin- 
zuweisen. Seine  Versuche,  Verständigung 
von  Volk  zu  Volk  anzubahnen  und  so  die 
Grundlagen  des  bornierten  Völkerhasses  an 
ihrer  Wurzel  auszurotten,  füllen  seine 
ganze  Regierung  aus.  Nicht  nur  durch  seine 
Reisen  an  die  verschiedenen  Höfe  übte  er  die 
Praxis  der  internationalen  Verständigung, 
sondern  auch  durch  seine  regen  Beziehungen 
zu  hervorragenden  Persönlichkeiten  frem- 
der Staaten.  Wieviele  ausgezeichnete  und 
modern  denkende  Franzosen,  Engländer, 
Amerikaner  hat  er  zu  sich  gezogen,  wie 
hat  er  durch  Höfliohkeitsakte,  durch  Bei- 
leids- und  Beifallsbezeugungen  und  durch 
sonstige  Kundgebungen  günstigen  Einfluß 
auf  die  Verständigung  der  Völker  genommen. 
Daß  unter  seiner  Regierung  die  Einrichtung 
des  Professorenaustausches  zustande  ge- 
kommen ist,  ist  kein  Zufall,  liegt  vielmehr 
in  der  ganzen  Richtung  seiner  inter- 
nationalen   Politik. 

Wir  können  hier  das  Bild  Kaiser  Wil- 
helms als  Erkenner  der  Verständigungs- 
und Organisationstendenz  unserer  Zeit  nicht 
vollständig  ausführen,  glauben  aber,  es 
wenigstens  so  skizziert  zu  haben,  daß  die 
Friedenstendenz  seiner  Politik  deutlich1  zum 
Ausdruck  kommt.  Der  Pazifismus  hat  von 
Seiten  des  Kaisers  noch  keine  direkte  An- 
eiferung  erfahren,  aber  indirekt  und  unab- 
hängig von  ihm  hat  der  Kaiser  im  modern- 
pazifistischen Sinne  gewirkt.  Er  steht  noch 
auf  der  Höhe  des  Lebens,  und  es  ist  noch 
viel  von  ihm  zu  erwarten.;  Wenn  er  im 
ersten  Viertel  Jahrhundert  seiner  Regierung 
seinen  Ruhm  darein  gesetzt  hat,  keine 
Kriege  zu  fuhren,  als  Friedenskaiser  in 
die  Geschichte  einzugehen,  so  ist  es  nicht 
ausgeschlossen,  daß  er  in  den  kommenden 
Jahren  daran  mitarbeiten  wird,  den  Frie- 
den Europas  auf  festere  Grundlagen  zu 
stellen,   ihn   nicht  so   sehr   von   den   Bajo- 


204 


netten  als  auch  von  Rechtsinstitutionen  ab- 
hängig zu  machen  und  den  ,, Zweckverband 
Europa",  der  heute  bereits  besteht,  für  alle 
sichtbar  auszubauen  und  zu  erhöhen.  Der 
Deutsche  Kaiser,  der  25  Jahre,  trotz  der 
oftmals  heftigsten  internationalen  Kon- 
flikte, trotz  der  von  gewissenlosen  Hetzern 
oftmals  gefährlich  erregten  öffentlichen 
Meinung  keine  Kriege  geführt,  den  Frieden 
mit  Kraft  und  Ehren  zu  behaupten  ver- 
standen hat,  der  wird  vielleicht  der  Mann 
sein,  den  Europa  braucht,  damit  es  sich 
zusammenschließen  und  ein  Friedenshört 
der  ganzen  Erde  werden  könne. 

„Wer  wäre  berufener,"  so  schrieb  ich 
im  Jahre  1905  an  dieser  Stelle  nach  der 
bereits  erwähnten  Bremer  Kaiser-Rede, 
„diesem  Wirrwarr  ein  Ende  zu  machen, 
diesen  Wahn  zu  beseitigen,  die  Menschheit 
zum  Bewußtsein  zu  rufen,  als  jener  Fürst, 
der  dauernd  die  europäische  Welt  bereist 
und  ihre  Kulturhöhe  kennen  lernt,  der  auf 
dem  völkerverbindenden  Meere  zu  Hause 
ist,  die  internationale  Solidarität  der  Kul- 
turwelt verkündet  hat,  und  der  von  dem 
Wert  des  Friedens  überzeugt  ist  wie  keiner. 
Ein  Weltreich  wäre  zu  gründen,  wie  keines 
noch  gegründet  worden,  ein  Weltreich,  das 
Dauer  verspricht  für  ewige  Zeiten,  das 
demjenigen,  der  es  gründet,  den  hell- 
strahlendsten Ruhm  in  der  Geschichte  ver- 
heißt, und  der  das  Volk,  dem  er  ent- 
sprossen, zu  dem  führenden  machen  würde: 
Das  Weltreich  der  auf  Vernunft 
und  Recht  begründeten  Vereini- 
gung der  Kulturwelt."       A.  H.  F. 


Rn  Baronin  Bertha  von  Suttner. 

Zu  ihrem  70.  Geburtstag  am  9.  Juni  1913. 
HochverehrteFrau  Baronin  ! 
Sie  haben  Ihre  traute  Arbeitsstätte  ver- 
lassen und  sich  an  die  Ufer  des  Wörther 
Sees  begeben,  um  sich  den  Huldigungen  zu 
entziehen,  die  Ihrer  harren.  Sie  wollten 
Ansprachen,  Adressen,  Festreden  entgehen, 
um,  wie  Sie  sagen,  Ihren  Verehrern  An- 
strengungen zu  ersparen,  obwohl  diese  Hul- 
digungen sicherlich  nur  eine  Freude  für  diese 
gewesen  wären.  Auch  mir  gaben  Sie  solchen 
Rat.  In  Ihrem  Abschiedsbrief  schrieben  Sie 
mir:  „Wenn  Sie  nicht  schon  einen  Artikel 
über  mich  für  die  Friedens- Warte  geschrie- 
ben haben,  so  möchte  ich  Ihnen  aus  Freund- 
schaft diese  Mühe  ersparen.  Sie  könnten 
sagen,  ich  hätte  gebeten,  daß  in  dem  Blatte, 


©^ 


DIE  FRI EDENS -^övÄETE 


wo  ich  sozusagen  zu  Hause  bin,  kein  Hul- 
digungsartikel  stehen  möge ;  —  Interessantes 
gibt  es  da  auch  nicht  zu  erzählen,  die  Leser 
kennen  mich  ja  alle  ohnehin  schon  genau." 

Sie  werden  es  mir,  Ihrem  alten  Mit- 
arbeiter, gewiß  verzeihen,  wenn  ich  dies- 
mal ungehorsam  bin  und  in  diesen  Blättern, 
die  unser  gemeinsames  Arbeitsfeld  bilden, 
dieses  für  die  gesamte  Friedensbewegung  so 
wichtigen  Tages  gedenke.  Für  Ihre  Person 
mögen  Ihnen  diese  Huldigungen  ein  Greuel 
sein;  aber  vergessen  Sie  nicht,  —  Sie  sind 
ja  ein  Stück  der  Bewegung  selbst,  und  als 
deren  wichtiger  Teil  müssen  Sie  es  sich  ge- 
fallen lassen,  daß  auch  die  Friedens-Warte 
ihre  Suttner-Feier  hat. 

In  allen  Ländern  der  alten  und  der 
neuen  Welt  wird  man  in  diesen  Tagen  Ihrer 
gedenken,  in  allen  Sprachen  wird  über  Sie 
gesprochen  und  geschrieben  werden.  Das 
Schürzenband,  meine  verehrte  Frau  Baronin, 
an  dem  Ihre  Gesinnungsgenossen  hängen,  ist 
ja  viel  größer,  als  der  General,  der  neulich 
verächtlich  davon  sprach,  sich  vorzustellen 
vermag.  Es  reicht  ein  paarmal  um  den 
Aequator.  Und  hier  in  diesen  Blättern, 
in  denen  Sie  seit  ihrem  Bestände 
die  Zeitereignisse  von  der  ,Warte 
einer  höheren  Weltanschauung  aus 
glossieren,  gerade  hier  sollte  nichts  gesagt, 
Ihr  Name  nicht  genannt  werden,  an  jenem 
wichtigen  Lebensabschnitt,  den  Sie  eben  er- 
reichten? Ich  würde  es  als  Redakteur  nicht 
verantworten  können,  wenn  ich  schon  als 
[Freund  Ihrem  Wunsch  willfahren  wollte. 
Gewiß,  ich  kann  den  Lesern  dieser  Blätter 
nichts  Neues  über  Sie  mehr  sagen.  Wie 
sich  Ihr  Leben  abspielte,  haben  Sie  selbst 
niedergelegt  in  jenem  kostbaren  Dokument 
unserer  Bewegung,  das  ihre  Memoiren  bil- 
det, und  wer  heute  noch  nichts  davon  weiß, 
wird  es  bequem  und  in  würdiger  Ausführ- 
lichkeit dort  nachlesen  können.  Obwohl  ich 
abnehme,  daß  es  unter  den  Lesern  dieser 
Blätter  wenige  geben  wird,  denen  diese 
Daten   nicht  schon  bekannt  sind. 

Wenn  ich  Ihnen  in  der  Friedens-Warte 
meine  Huldigung  und  die  der  hinter  dieser 
Zeitschrift  stehenden  Gleichgesinnten  dajr- 
Ibringe,  so  denke  ich  mir  dies  besser  in  Form 
einer  Bilanz  über  die  letzten  24  Jahre,  die 
aeit  dem  Tage  verflossen  sind,  an  welchem 
Sie  nach  Veröffentlichung  Ihres  Romans 
„Die  Waffen  nieder!"  in  die  Bewegung  ge- 
treten sind.  Ich  denke  mir,  eine  Rückschau 
über  den  Wandel  der  Friedensidee  seit  1889 
wird  am  besten  dazu  dienen,  das  Verdienst 


Ihres  Schaffens  in  das  richtige  Licht  zu 
setzen. 

Es  ist  noch  nicht  ganz  ein  Viertel  Jahr- 
hundert her,  seit  Sie  mit  jenem  Ruf  „Die 
Waffen  nieder  1"  in  Deutschland  und  Oester- 
reich  unsere  Bewegung  entfesselten.  Wahr- 
lich ein  kurzer  Zeitraum  in  der  Menschheits- 
geschichte. Und  doch  wie  verändert  hat 
sich  seitdem  die  Welt!  Der  Friedensge- 
danke war  im  Westen  Europas  damals  ein 
schwaches  Pflänzchen,  trotzdem  er  dort 
schon  eine  Geschichte  hatte.  Bei  uns  in 
den  deutschsprachigen  Ländern,  war  er  so 
gut  wie  unbekannt.  Keiner  wagte  sich  zu 
jener  soviel  verspotteten  Idee  zu  bekennen, 
keiner  an  sie  zu  glauben,  oder  gar  die  Hoff- 
nung zu  hegen,  sie  in  absehbarer  Zeit 
zur  Anerkennung  zu  bringen.  Die  militä- 
rische Phrase  herrschte  und  Moltkes  heute 
längst  überwundener  Satz  vom  Kriege,  der 
ein  „Element  der  göttlichen  Weltordnung" 
sei,    hatte    noch    volle   ,Währung. 

Da  kam  Ihr  Buch.  Die  Septenats- 
Wahlen  im  Reiche  hatten  eben  einen  starken 
Kriegsalarm  entfacht  und  den  Glauben  an 
einen  baldigen  Krieg  zwischen  Deutschland 
und  Frankreich  befestigt  Boulanger  stand 
im  vollsten  Glänze.  Hüben  und  drüben  tri- 
umphierte der  Chauvinismus.  Da  schlug  es 
wie  ein  Blitz  ein  in  die  Geister.  „Die  Waf- 
fen nieder!"  Ein  Mahnwort,  wie  es  wuch- 
tiger und  zeitgemäßer  selten  gesprochen 
wurde.  Es  zeigte  sich,  daß  nicht  alle  von 
dem  tollen  Taumel  des  Kriegsenthusiasmus 
ergriffen  waren,  daß  es  Menschen  gab,  die 
ruhiger  Ueberlegung  zugänglich  und  ent- 
schlossen waren,  durch  mühevolle  Arbeit 
immer  mehr  solcher  Menschen  zur  Besonnen- 
heit zu  bekehren.  Mit  Ihrem  Buche,  mit 
Ihrem  Schlachtrufe  der  Geister,  erstand  die 
Friedensbewegung  in  Deutschland  und 
Oesterreich;  begann  der  Pazifismus  seine 
Rolle  zu  spielen,  die  dadurch  in  der  Welt 
um  so  größer  war,  als  die  Mitarbeit  der  An- 
gehörigen jener  hauptsächlichsten  Militär- 
staaten Europas  die  Reihen  der  bisherigen 
Anhänger,  deren  Macht  und  Kredit  verstär- 
ken konnten. 

Das  war  die  Periode  des  Hohns,  der 
uns  überschüttete.  Unsere  Gegner  bewarfen 
uns  mit  den  Brotkügelchen  ihres  Witzes, 
und  die  Organisationen,  die  wir  schufen, 
waren  klein  und  ohnmächtig.  Heute  sind 
wir  erfreulicherweise  bereits  eine  „Gefahr". 
Das  heißt,  eine  Gefahr  in  den  Augen  der- 
jenigen, die  sich  in  ihrer  veralteten  Welt- 
anschauung des  Hasses  und  des  blutigen 
Streites,  die  in  ihrer  Verehrung  der  Gewalt 


205 


DIE  fbiedens-^öüte:  = 


3 


sich  bedroht  und  erschüttert  sehen.  Nicht 
mehr  mit  (Witzen  suchen  Sie  uns  abzutun, 
sondern  mit  den  Verzweiflungswaffen  der 
Verleumdung.  Die  Kriegsanhänger  sind 
noch  nicht  tot,  wie  Sir  Edward  Grey  kürz- 
lich in  seinem  Telegramm  an  die  Londoner 
Peace  Society  so  richtig  ausführte,  aber  die 
Kräfte,  die  für  den  Frieden  wirken,  sind 
bereits  überlegener.  Und  das  ist  der  große 
[Wandel  in  den  Verhältnissen,  den  wir  hier 
an  Ihrem  70.  Geburtstag  triumphierend  re- 
gistrieren können.  Die  Friedensidee  ist 
heute  eine  politische  Macht  geworden.  Dar- 
über sind  sich  vielleicht  sogar  noch  viele 
Pazifisten  nicht  klar,  die  sich  nicht  abge- 
wöhnen können,  diesen  großen  Menschheits- 
prozeß vom  Vereinsgesichtspunkt  ins  Äuge 
zu  fassen.  Die  da  glauben,  die  Größe  und 
die  Aktion  der  Friedensgesellschaften  sei 
ausschlaggebend  für  den  großen  Kampf  um 
die  Abschaffung  des  Krieges  aus  der  Ge- 
meinschaft der  Kulturstaaten.  , 

Das  ist  ein  bedauerlicher  Irrtum,  der 
das  Urteil  beschränkt.  Unsere  Freunde 
selbst  müssen  sehen  lernen,  damit  sie  zu  er- 
kennen vermögen,  wie  die  Friedensidee 
eigentlich  wirkt.  Alle  unsere  private  Tätig- 
keit ist  nicht  imstande,  direkt  das  Ziel  her- 
beizuführen. Alle  unsere  Vereine,  unsere 
Zeitschriften,  unsere  Bücher,  Broschüren, 
Vorträge,  unsere  persönlichen  Werbungen, 
kurzum  alles,  was  man  sich  unter  dem  or- 
ganisierten Pazifismus  vorstellt,  wird  immer 
nur  ein  Mittel  sein,  eine  richtunggebende 
Leistung,  nicht  die  zielsetzende.  Wenn  man 
sich  erst  darüber  klar  wird,  fällt  aller 
Pessimismus  zusammen,  alles  Klagen  über 
die  Geringfügigkeit  unserer  Mittel,  über  die 
nur  nach  einigen  Tausenden  zählenden  Mit- 
glieder unserer  Gesellschaften,  jener  Pessi- 
mismus, der  manchen  unter  uns  überkommt, 
wenn  er  die  Zahlen  vergleicht  mit  den  im 
Oberwasser  der  offizielle n  Gunst  schwim- 
jmenden  Gesellschaften  der  gegnerischen 
Sichtung. 

Aber  noch  nie  hat  die  Masse  den  Fort- 
schritt gemacht.  Wäre  dieser  von  den 
Viele n  abhängig,  welcher  Fortschritt  hätte 
sich  je  durchsetzen  können,  da  wir  die  Vielen 
immer  auf  der  Seite  des  Bestehenden,  nie 
des  Werdenden  sahen.  Und  wir  können  zu- 
frieden sein  mit  der  uns  zufallenden  Auf- 
gäbe, die  Eichtung  zu  geben,  lediglich  die 
Lenkstange  zu  bewegen  und  nicht  die  Vor- 
wärtsstoßende  Kraft  der  Maschine.  Wir 
nützen  diese  Kraft,  Wenn  wir  die  Eichtung' 
weisen.  Niemals  konnte  die  Friedensbewe- 
■gung  hoff en<  direkt  wi  wifketi.  j  Sie  ömßite 


sich  darauf  beschränken,  das  Denken  anzu- 
regen und  zu  lenken  und  so  unbemerkt  den 
Zeitgeist  zu  beeinflussen,  die  öffentliche 
[Meinung  zu  durchdringen  und  schließlich 
die  Machthaber  sich  zu  Willen  zu  machen. 
Ohne  daß  diese  etwas  davon  merkten,  ist  es 
geschehen.  Das  ist  der  große  Erfolg  unserer 
Arbeit,  Frau  Baronin,  Ihrer  Arbeit:  Daß 
die  Idee  durch  Endosmose  auch 
in  die  Köpfe  derjenigen  einge- 
drungenist,diegarnichtsvonihr 
wissen  wollten  und  ihr  nun  doch 
dienstbar  sind.  Die  unbewußten  Pa- 
zifisten sind  unsere  wichtigsten  Helfer  ge- 
worden, jene,  die  sich  dagegen  wehren,  unsere 
Ideen  zu  teilen  und  dennoch  gezwungen  shui, 
unter  dem  Drucke  der  von  uns  bearbeiteten 
öffentlichen  Meinung,  unter  dem  Zwange 
der  von  uns  aufgerüttelten  Denkapparäte 
pazifistisch  zu  handeln. 

Das  ist  nun,  verehrte  Frau  Baronin,  der 
große  Unterschied  der  Welt  von  heute  und 
der  von  1889.  Der  Krieg  ist  noch  nicht  ab- 
geschafft, aber  im  Bewußtsein  der  Zeit  ist 
er  verurteilt  und  es  braucht  nur  noch  we- 
niger Jahre,  das  Heranwachsen  noch  einer 
Generation,  das  Absterben  der  ältesten  Eou- 
tiniers,  die  noch  zu  sehr  in  den  Ideen  der 
alten  Zeit  stecken,  um  das  Ziel  in  Wirk- 
lichkeit zu  erreichen. 

Es  ist  nicht  möglich,  hier  die  heutige 
Breite  der  Bewegung  und  aller  ihrer  be- 
wußten und  unbewußten  Hilfsströmungen 
auch  nur  anzudeuten,  zu  zeigen,  wie  sich 
der  Pazifismus  zur  mächtigsten  Bewegung 
der  Menschheit  entfaltet  hat.  Wir  hier  in 
diesem  Blatte  können  diese  Wandlung  am 
besten  verfolgen.  Einstens  war  es  uns  hier 
möglich,  alle  pazifistischen  Vorgänge  zu  re- 
gistrieren und  sie  festzuhalten  als  Zeichen 
unseres  Fortschrittes.  Ich  war  stolz  dar- 
auf, in  der  „Friedens- Warte"  so  eine  Art 
Tagebuch  der  Friedensbewegung  all- 
monatlich liefern  zu  können.  Und  wie  arm- 
selig erscheinen  mir  jetzt  diese  40  Seiten, 
wenn  sich  die  Dokumente  der  pazifistischen 
Entwicklung  auf  meinem  Schreibtisch  auf- 
türmen. Es  ist  mir  manchmal,  als  ob  ich 
den  Ehein  in  einem  Wasserschaff  auffangen 
wollte.  Und  das  ist  keine  Uebertreibung. 
i  Wer  mit  den  Augen  des  Pazifisten,  das  heißt 
mit  Augen,  die  durch  Verfolgung  eines  be- 
stimmten Zieles  für  alle  darauf  bezug- 
;  habenden  Ereignisse  besonders  eingestellt 
sind,  die  Zeitungen  Verfolgt,  wird  zugeben 
i  müssen,  daß  es  heute  in  der  Welt  überhaupt 
(keine  andere  Frage  gibt,  mit  der  man  sich 
;•  beläßt,  \al«  mjt  -der  wn  der  Ueberwindung 


•206 


es 


=  DIE  FRIEDENS-^^AKTE 


des  Kriegs  und  der  Sicherung  des  Friedens 
nach,  einer  vernünftigeren  Methode.  Ob  die 
Leute  dies  nun  als  Pazifismus  erkennen  oder 
nichts  ist  einerlei.  Die  Menschen  am  Be- 
ginn des  20.  Jahrhunderte  stehen  unzweifel- 
haft unter  dem  Banne  jenes  Biesenprozesses, 
der  um  die  Ersetzung  der  alten  Methode 
des  Völkerstreites  durch  die  neue  geführt 
wird. 

Sehen  wir  die  Dinge  so  an,  erkennen 
wir,  daß  dies  alles,  was  die  Oeffentlichkeit 
heute  bringt,  Friedensbewegung  ist  oder 
Kampf  gegen  sie,  sehen  wir,  daß  unsere  Be- 
wegung keine  Vereinsangelegenheit  mehr, 
sondern  ein  geschichtlicher  Prozeß  geworden 
ist,  ein  .Welt-  und  Menschheitsereignis, 
so  können  wir  dessen  zufrieden  sein.  Mehr 
konnte  in  diesen  24  Jahren,  seitdem  Sie  an 
diesem  großen  Werke  arbeiten,  nicht  er- 
reicht werden. 

Und  an  Ihrem  70.  Geburtstag,  meine 
hochverehrte  Frau  Baronin,  mußte  dies  hier 
ausgedrückt  werden.  Mußte  gesagt  werden, 
was  heute  unter  Friedensbewegung  zu  ver- 
stehen ist,  mußte  der  wahre  Umfang  dieser 
Bewegung  festgestellt  werden.  Denn  zu  dem 
Kampfe  für  diese  Entwicklung  riefen  Sie. 
Sie  waren  es,  die  in  unseren  Ländern  auf 
steinigem  Boden  den  ersten  Samen  ausge- 
streut haben,  Ihnen  gebührt  die   Ehre. 

Möge  die  Lebenskraft  der  Bewegung 
sich  auf  Ihre  Person  übertragen  und  Ihnen 
die  Freude  zuteil  werden,  noch  einige  Jahr- 
zehnte, wie  es  den  Passys,  den  Pratts,  den 
Beernaerts  und  so  vielen  anderen  unserer 
Mitkämpfer  vergönnt  war,  den  Aufstieg  des 
Pazifismus  weiter  zu  verfolgen.  Die  Küste 
von  Neuland  liegt  vor  unseren  Augen ;  möge 
es  Ihnen  auch  vergönnt  sein,  den  Boden  der 
neuen,  der  versittlichten  Welt  zu  betreten. 

Dies  wünscht  Ihnen   Dir  getreuer 
Alfred    H.    Fried. 


Daten  aus  dem  Leben  der 
Baronin  von  5uttner. 

Zusammengestellt  von  C.  L.  Siemering. 

1843,  9.  Juni1:  in  Prag  geboren,  als  Gräfin 
Kinsky. 

1856,  im  Sommer :  erste  Reise,  nach  Wies- 
baden. Im  Herbst:  Uebersiedlung  von 
Brunn  nach  Wien. 

1859 :  wieder  in  Wiesbaden. 

1864,  im  Sommer :  in  Homburg  v.  d.  Höhe. 
Bekanntschaft  mit  der  Fürstin  von  Min- 
grelin  („Dedopali,").  Prinz  Heraclius  von 
Georgien. 


1865:  Kunstnoviziat  (Gesangsstudium)   in 
Baden-Baden. 

1867:  in   Paris  weitere  Gesangsstudien. 

1868,  in  Biaden  -  Baden :  Bekanntschaft  mit 
König  Wilhelm.' von  Preußen. 

1872,  in  Wiesbaden:  Verlobung  mit  Prinz 
Wittgenstein;  sein  Tod  auf  der  Ueber- 
fahrt  nach  Amerika. 

1873 :  Erzieherin  im  Hause  Suttnerin  Wien. 
Heimlich  verlobt  mit  Artur  Gundaccar 
v.   Suttner. 

1876,  in  Paris :  Zusammentreffen  mit  Alfred 
Nobel;  am  12.  Juni  in  Wien ;  heim- 
liche Trauung  mit  Artur  Gundaccar; 
„Hochzeitsflucht"  nach  dem  Kaukasus, 
zur  „Dedopali". 

1876—1885:  im  Kaukasus  (Kutais,  Tiflis, 
Zugdidi).  Daseinskampf.  Erfolgreiche 
Schriftstellerei  beider  Gatten.  „Inven- 
tarium  einer  Seele"  und  Belletristik. 

1885,  im  Mai:  Heimkehr  nach  Schloß  Har- 
mannsdorf, dem  Stammsitz  der  Familie 
Suttner.  Schriftstellerkongreß  in  Bterlin; 
Bodenstedt. 

1886:  „Schriftstellerroman"  und  „Maschinen- 
zeitalter". Im  Winter  in  Paris:  zweites 
Zusammentreffen  mit  Nobel. 

1889 :  erscheint  der  Roman  „D  ie  Waffen 
nieder!"  Ein  Welterfolg.  Zahlreich© 
Uebersetzungen. 

1890/91,  im  Winter  in  Venedig :  Bekanntschaft 
mit   Felix  Moscheies. 

1891 :  Gründung  der  österreichischen 
Friedensgesellschaft.  —  Frie- 
denskongreß in  Rom. 

1892:  Monatsschrift  „Die  Waffen  nieder!"  (bis 
1899).  —  Vortrag  in  Berlin.  —  Welt- 
friedenskongreß in  Bern.  —  Besuch  bei 
Alfred  Nobel  in  Zürich.  —  Entstehung 
der  deutschen  Friedensgesellschaft. 

1893,  in  Wien :  Zusammentreffen  mit  Weresch- 
tschagin. 

1894:  Kongresse  in  Antwerpen  und  Haag.  — 
Roman  „Vor  dem  Gewitter."  „Es  Lö- 
wos",  eine  Monographie. 

1895:  Roman  „Einsam  und  arm."  —  Grün- 
dung der  ungarischen  Friedensgesell- 
schaft. 

1896:  Weltfriedenskongreß  und  Interparla- 
mentarische Konferenz  in  Budapest;  Ge- 
neral Stefan  Türr;  der  russische  Konsul 
Basily.  —  12.  Dezember:  Alfred 
Nobel  f;    sein  Testament. 

1897 :  „SchachderQual  —  ein  Phantasie- 
stück." Uebersetzung  des  englischen 
Werkes  „Marmaduke,  Emperor  of 
Europe."  Audienz  bei  Kaiser  Franz  Jo- 
seph.    Hamburger  Friedenskongreß. 

1898,  28.  August:  Zarenmanifest,  mit 
veranlaßt  durch  den  Roman  „D.  W-  N.I" 
—  Begegnung  mit  W.  T.  Stead;  Unter- 
redung  mit   Minister   Murawjew. 

1899,  18.  Mai :  Eröffnung  der  I.  Haager 
Kon f e r e n z.  Der  „Salon  Suttner"  im 
Haag.      Die  Btaronin   als    einzige  Dame 


Wl 


DIE  FßlEDEN5-^^\DJE 


zur  Eröffnungssitzung  zugelassen.  Be- 
kanntschaft mit  v.  Bloch,  d'Estournelles, 
.  Richet,  White,  Zorn,  Novicow,  Bour- 
geois, Nigra,  General  den  Beer-Poortu- 
gael  u.  v.  a.  —  Interparl.  Konferenz  in 
Christiania.      Begegnung    mit    Björnson. 

—  Der  Transvaalkrieg. 

1900:  „Die  Haager  Friedenskonferenz,  Tage- 
Ibuchblätter."  —  „Krieg  und  Frieden", 
ein  Vortrag.  —  Weltfriedenskongreß  und 
Ausstellung  in  Paris;  Freundschaft  mit 
Miß  Williams.  —  Roman  „M  arthas 
Kinder"  (als  Fortsetzung  von  „D. 
W.  N.!"). 

1901,  12.  Juni:  Silberne  Hochzeit. 

1902:  Eröffnung  des  Luzerner  Kriegs-  und 
Friedensmuseums.  —  Friedenskongreß  in 
Monaco;  Fürst  Albert  als  Pazifist.  —  Er- 
krankung und  Tod  (10.  Dezbr.)  des 
Barons;  Feuerbestattung  in  Gotha. 

1903 — 1906:  viermal  als  Gast  des  Fürsten 
Albert  in  Monaco.  —  1903:  Eröffnung 
des    Friedensinstituts   dortselbst. 

1904:  Frauenkongreß  in  Berlin.  —  „Briefe 
an  einen  Toten."  —  Weltfriedenskongreß 
in  Boston,  Vorträge  in  Amerika. 

1905:  Vortragsreise  durch  28  deutsche  Städte. 

—  Friedenskongreß  in  Luzern.  —  Zuer- 
kennung  des  Nobelpreises. 

1906:  Nobelpreis-Vortrag  in  Christiania;  an- 
schließend eine  Vortragstourn^e  durch 
Schweden  und  Dänemark,  unter  reichsten 
Ehrungen.  —  Gast  bei  der  Interparla- 
mentarischen Konferenz  in  London.  — 
Friedenskonferenz  in  Mailand. 

1907:  Teilnahme  an  der  IL  Haager  Kon- 
ferenz und  am  Münchener  Friedens- 
Kongreß.  —  „Stimmen  und  Gestalten", 
gesammelte  Aufsätze. 

1908 :  Weltfriedenskongreß  in  London.  Besuch 
bei  Carnegie  auf  Schloß  Skibo.  Jnter- 
parl.  Konferenz  in  Berlin.  —  Die  umfang- 
reichen   „Memoiren"    erscheinen. 

1909:  „Rüstung  und  Ueberrüstung"  (ein  Pro- 
test) —  Uebersetzung  von  Richets  „Die 
Vergangenheit  des  Krieges  und  die  Zu- 
kunft des  Friedens";  Volksausgabe  1912. 

1910:  Englische  Ausgabe  der  „Memoiren".  — 
Im    Dezember :    Vorträge    in    Budapest. 

1911 :  Stimmen  zum  18.  Mai  gesammelt  („Neue 
Freie  Presse").  —  Roman  „D  e  r 
Menscheit  Hochgedanken."  — 
November :  Vortrag  in  Bukarest. 

1912:  „Die  Blarbarisierung  der  Luft."  —  Von 
Juni  bis  Dezember:  große  Vor- 
tragstournee durch  die  Vereinigten 
Staaten.  —  „Aus  der  Werkstatt  des  Pa- 
zifismus." 

1913:  Vorträge   in   Dresden,    Berlin,    Breslau, 

—  Am  9.  Juni :  70.  Geburtstag. 


Mobilmachung  der  Kirchen 
gegen  den  Krieg. 

Von  O.  Umfrid,    Vizepräsident  der  Deutschen 
Friedensgesellschaft,  Stuttgart. 

Es'    war    im    Monat    März,    als    Nithack- 
Stahn,    der   berühmte    Dichter   des   Christus- 
dramas  und  desi  „Neuen  Reichs",   der  wirk- 
same   Kanzelredner    von    der   „Kaiser- Wil- 
helm -  Gedächtniskirche"    in    Berlin,    sich    an 
mich  wandte  mit  der  Aufforderung,  in  dieser 
„letzten     bösen     Zeit",    die    wir    durchleben, 
mit  einem  Aufruf  an  die  evangelischen  Geist- 
lichen Deutschlands  heranzutreten,  worin  sie 
gebeten    werden    sollten,    der    Verständigung 
der  Völker  anstatt  der  fortwährenden  gegen- 
seitigen Bedrohung  das  Wort  zu  reden   und 
ihre  Pflicht  als  Prediger  des  Friedens  durch 
Beschwörung   des  Kriegsgespenstes,    das   uns 
schon   so  lange  ängstigt,  zu  tun.     Ich  kam 
diesem)   Appell    um    so   lieber   nach,    als    ich 
mir  längst  gesagt  hatte,  es  handelt   sich  für 
die  Kirche  nicht  nur  um1  eine  Pflichterfüllung 
gegenüber    den    von    ihr    belehrten    Völkern, 
sondern  auch  um  eine  Selbsterhaltungspflicht.. 
Versagt  die  Kirche  —  davon  war  ich  längst 
überzeugt  —  auch  in  dieser  weltbewegenden 
Frage    gerade    so,    wie    sie    in    der    sozialen 
Frage   versagt   hat,    so  gräbt   sie    damit    ihr 
eigenes  Grab.     Freilich  war  meine  Hoffnung 
auf    guten    Erfolg    sehr   gering.      Ich    fühlte 
mich  durch  die  schmerzlichen  Enttäuschungen, 
die    ich    in    einer    fast    20jährigen    Tätigkeit 
im  Dienst  der  Völkerversöhnung  zu  machen 
gehabt   habe,    durch   die  Zurückweisung,    die 
ich    besonders    in    Kreisen    der   Kollegen    er- 
fahren habe  —  hat  doch  einer  derselben  die 
Friedensbewegung    geradezu     antichristlicher 
Tendenzen     geziehen     — ,     derartig     nieder- 
geschlagen    und     gelähmt,     daß     ich     kaum 
den     freudigen      Ton     finden     konnte,      der 
zur   Aufrüttelung    der   Geister    hätte    dienen 
können.     Zwar    hatte    der   frühere,    von   mir 
verfaßte  Aufruf,  den  ich  mit  Professor  Rade 
und    Lic.    Weber    zusammen    unterzeichnete, 
der    Deutschen     Friedensgesellschaft    wenig- 
stens   100   geistliche    Mitglieder   eingebracht, 
nachdem  er  an  1000  Pfarrer  verschickt  wor- 
den war.     Allein    die  Zeiten  schienen  seither 
eher    schlimmer   geworden    zu   sein,    die    Un- 
gerechtigkeit    der     italienischen     Expedition 
nach   Tripolis   sowie  die  Greuel   des  Balkan- 
krieges hatten  sich  wie  ein   Mehltau  auf  die 
hoffnungsvolle   Blüte    der    Friedensbewegung 
gelegt,  und  das  deutsche  Volk,  das  eben  be- 
reit    war,     eine     Milliardenrüstungsforderung 
zu     bewilligen,     schien      bis     hinein     in     die 
Kreise  seiner  geistigen  Führer  wenig  geneigt, 
auf    das    Friedensevangelium    zu    hören.      So 
mag    man    denn   meinem   Entwurf   zu    einem 
Aufruf,     der     sich     hauptsächlich     mit     der 
theoretischen  Bekämpfung  naheliegender  Ein- 
wendungen   befaßte,    eine    gewisse    Gemüts- 
schwere nachgefühlt  haben.     Ich  selbst  hatte 


208 


@= 


DIE  FRI EDENS -V^ETE 


den  Eindruck,  zwar  überzeugend,  aber  nicht 
packend  genug  geschrieben  zu  haben.  Als 
Nithack-Stahn  meinen  Vorschlag  zu  Ge- 
sicht bekam,  mag  ihn  ein  ähnliches  Gefühl 
beschlichen  haben.  Er  verfaßte  daher  einen 
Parallelentwurf,  der  weniger  theoretisch  ge- 
faßt, aber  praktisch  um  so  wirksamer  war, 
und  insbesondere  kräftige  Willensimpulse 
zu  finden  wußte.  Als  wir  die  Entwürfe  einem 
berühmten  Dozenten,  den  wir  gern  zur 
Mitunterschrift  gewonnen  hätten,  vorlegten, 
bekannte  er  sich  theoretisch  zu  mir,  aber 
praktisch  zu  Nithack-Stahn,  weigerte  sich 
aber,  sowohl  den  einen  wie  den  anderen  Auf- 
ruf zu  unterzeichnen,  da  er  der  Meinung 
war,  das'  Deutsche  Reich  sei  verpflichtet, 
sich  auf  einen  Angriff  von  selten  ider 
direktionslosen  Slavenvölker  gefaßt  zu 
machen;  die  Friedensbewegung  zeichne  zwar 
das  Ziel,  auf  das  die  Weltentwicklung  hinaus- 
komme, richtig,  könne  aber  vorläufig  nicht 
wohl  als  Richtlinie  für  das  praktische  Ver- 
halten dienen.  Da  wir  also  diesen  Bundes- 
genossen weder  auf  theoretischem'  noch  auf 
praktischem  Wege  gewinnen  konnten,  so  ent- 
schloß ich  mich,  den  Nithaqk-Stahn'schen 
Entwurf  als  den  offenbar  wirksameren  zu 
akzeptieren  und  ihn  nur  mit  einem  vertrau- 
lichen, warm  gehaltenen  Begleitschreiben  an 
die  Kollegen  zu  verbinden. 

Der  Erfolg  hat  alle  Erwartungen  über- 
troffen. Wir  haben  den  Aufruf  in  3400 
Exemplaren  versandt,  darauf  kamen  in  den 
ersten  sechs  Wochen  340  Unter- 
schriften*), also  genau  10  o/o,  an  meine 
Adresse.  Wir  hatten  bestimmt,  daß  der 
Aufruf  erst  dann  veröffentlicht  werden  sollte, 
wenn  mindestens  50  Unterschriften  ein- 
gelaufen sein  würden.  Schon  dann  hätten 
wir  es  gewagt,  ihn  der  Presse  zu  übergeben. 
Und  nun  sind  wir  selbst  überrascht 
über  das  starke  Echo,  das  der  Aufruf  ge- 
funden hat.  Aber  ich  muß  der  Reihe  nach 
erzählen.  Ehe  wir  an  die  Versendung  gingen, 
mußten  wenigstens  7  Mitarbeiter  gewonnen 
sein.  Es  gelang  uns,  Professor  Weinel 
von  Jena,  Pfarrer  Böhme  von  Kunitz,  Pfarrer 
Francke,  Berlin,  Pfarrer  Wagner,  Neuheng- 
stett,  Pfarrer  Lic.  Wielandt,  Niedereggenen, 
zur  Mitunterschrift  zu  bewegen.  Dann  wur- 
den zunächst)  3000  Pfarrer  nach  dem  Hammel- 
sprungsystem1 gleichsam  herausgeknobelt,  an 
die  der  Aufruf  durch  das  Sekretariat  der 
Deutschen  Friedensgesellschaft  versandt 
wurde.  Dabei  wurde,  um  das  gleich  zu  An- 
fang zu  betonen,  nicht  der  leiseste  Unter- 
schied zwischen  positiven  und  liberalen  Geist- 
lichen gemacht.  Es  ist  also  eitel  Phantasie, 
wenn  die  konservativen  Blätter  sich  ein- 
lüden, die  Aktion  als  ,, Machwerk  links- 
liberaler Pfarrer  stigmatisieren  zu  dürfen". 
Wie  fern  sich  der  Aufruf  von  aller  kirch- 
lichen Parteitendenz  hält,  das  mögen  die 
Leser  selbst  beurteilen.  Hier  der  Wortlaut: 
*)  Einstweilen    sind    es    395    geworden. 


An     die     Geistlichen     und     theolo- 
gischen   Hochschullehrer 

der  evangelischen  deutschen 
Landeskirchen. 
Werte  Herren  und  Amtsgenossen! 
Das  Jahr  1913,  das  uns  Deutschen  eine 
große  Volkserhebung  zurückruft,  bringt  uns 
zugleich  neue  und  beispiellose  Kriegsrüstungen. 
Um  den  Völkerfrieden  zu  erhalten,  so  sagt 
man  uns,  muß  immer  angespannter  gerüstet 
werden.  Aber  die  Tatsachen  zeigen,  daß,  da 
alle  Kulturstaaten  das  gleiche  tun,  die  Kriegs- 
gefahr so  nicht  vermindert  wird,  weil  gerade 
die  immer  drückendere  Last  des  bewaffneten 
Friedens,  verschärft  durch  Haß  und  Miß- 
trauen der  Völker  untereinander,  zur  blutigen 
Entscheidung  drängen  kann,  die  wiederum  nicht 
das  Ende,  sondern  den  Anfang  erneuten  Wett- 
rüstens  bedeuten   würde. 

Als  Christen,  die  wir  sein  wollen,  fühlen 
wir  uns  vor  Gott  und  unserem  Gewissen  ver- 
pflichtet, aus  diesem  Dilemma  des  Krieges 
ohne  Ende  den  Ausweg  zu  suchen,  der 
menschenmöglich  und  gottgewollt  ist:  Friede 
auf  Erden!  Verständigung  der  Völker  über 
eine  Rechtsgemeinschaft,  die  das  Unrecht  des 
Krieges  durch  den  Rechtsspruch  ersetzt  und 
den  Völkern  d  i  e  Ethik  zumutet,  die  zwischen 
den    Einzelmenschen    selbstverständlich    ist. 

Nicht,  daß  wir  materielle  Opfer  für  hohe 
sittliche  Güter  scheuten,  wie  es  das  Bestehen 
eines  selbständigen  Volksganzen  ist.  Im  Gegen- 
teil, auch  uns  ist  das  Leben  der  Güter  höchstes 
nicht.  Aber  wir  sind  überzeugt,  daß  der  Krieg 
seine  Opfer  an  Menschenblut  keineswegs 
rechtfertigt,  weil  sein  angeblicher  Zweck,  der 
Frieden  und  das  Recht,  durch  seinen  Aus- 
gang nicht  verbürgt  wird.  Wir  fordern  von  den 
Völkern  christlicher  Kultur  das  sittliche 
Opfer,  daß  sie  unter  Zurückstellung  kriege- 
rischen Ehrgeizes  und  der  Gelüste  gewalt- 
samer Eroberung  einen  internationalen  Rechts- 
zustand herbeiführen,  der  das  Gewaltmittel  der 
Waffen    ausschaltet. 

Mit  diesen  Forderungen,  die  den  Ur- 
gedanken  des  Evangeliums  entsprechen,  sollten 
diejenigen  voranstehen,  die  auf  Katheder  und 
Kanzel  die  Religion  des  Gekreuzigten  ver- 
künden. Es  ist  schmerzlich  zu  bedauern,  daß 
bisher  nur  ein  verschwindender  Teil  der  deut- 
schen evangelischen  Theologen  den  Völker- 
frieden öffentlich  vertritt,  daß  wir  diese  prak- 
tische Gefolgschaft  Jesu  Christi  der  kirchen- 
fremden   Sozialdemokratie    überlassen. 

Nicht  allein  das  Ansehen  unserer  Kirchen, 
auch  die  Lebenskraft  unseres  Glaubens  ver- 
langt diesen  Beweis  des  Geistes  ohne  Men- 
schenfurcht   und   der   Kraft    der   Menschenliebe. 

Wir  Unterzeichner  richten  an  alle  unsere 
Berufsgenossen  die  dringende  Bitte,  daß  sie 
es  als  einen  wichtigen  Teil  ihrer  Mission  an- 
sehen, in  Wort  und  Schrift  die  Bruderschaft 
aller    Menschen    und    Völker    zu    verkündigen! 

Dieser  unser  gemeinsamer  Entschluß  sei 
uns  die  schönste  Jahrhundertfeier  des  letzten 
europäischen  Völkerkrieges,  dies  eine  deutsche 
Volkserhebung  unter  der  Losung:    „Gott   mit  uns!" 

Im    April    1913. 

Als  die  ersten  150  Unterschriften  bei- 
sammen waren,  schickten  wir  jedem  der 
Unterzeichner  vier  weitere  Exemplare  des 
Aufrufs    mit    der    Bitte,    damit    neue    Unter- 


209 


DIE  FRIEDENS -,MMiTE 


1® 


Schriften,  zu  werben.    Der  Erfolg  war  durch- 
aus befriedigend:  in  wenigen  Wochen  waren 
gegen   200   neue   Namen  gesammelt.    Dabei 
ergab    sich    ein    besonders    erfreuliches    Bild 
der       Stimmung       innerhalb        des       geist- 
lichen    Standes.      Zwar     haben    nicht     alle 
ohne    jede    Bedingung    unterzeichnet;    einige 
bemängelten   den    Satz,    in   dem   gesagt    ist, 
daß    wir     die    praktische    Gefolgschaft    Jesu 
nicht  der  Sozialdemokratie  überlassen  dürfen. 
Vier    ängstliche    Gemüter    zogen    sogar    ihre 
Unterschrift   nachträglich    wieder   zurück.   Es 
fehlte  auch  nicht  an  beleidigenden  Ausfällen 
gegen     die     Friedensbewegung:      einer     der 
Kollegen   meinte    mich    vor    dem    verfehlten 
Weg,   den  ich  eingeschlagen  habe,   in  väter- 
licher   Weise     warnen    zu    müssen.     Einige 
andere  verweigerten  ihre  Unterschrift  mit  der 
Begründung,  daß  unser  Unternehmen  nahezu 
ein  Verbrechen  Sei,  das  an  Hoch-  oder  Vater- 
landsverrat streife,  andere  meinten,  es  dürfe 
jedenfalls  nicht  der  Schein  entstehen,  als  ob 
wir  etwas  gegen  die  so  hochnötige  und  durch- 
aus    berechtigte       deutsche       Müitärvorlage 
sagen  wollten;  einer  leistete  sich  sogar  den 
billigen  Witz,   Berta  von  Suttner  durch   uns 
auffordern  zu  lassen,   sie  solle  doch   bei   der 
französischen     Regierung      auf     Abschaffung 
der    Fremdenlegion     hinwirken.      Aber     die 
große  Mehrzahl  gab  ihre  Unterschrift  willig 
und    bedingungslos,     viele    verbanden    damit 
den     Ausdruck      begeisterter     Zustimmung. 
Einer    schrieb :    „Gott    Lob,    endlich    einmal 
das   rechte   Wort."    Ein  anderer  meinte,   er 
habe    jahrelang    auf     eine   derartige   Kund- 
gebung   gewartet;    wieder    andere    erklärten, 
es   sei  einfach  eine  Ehrenpflicht   der   christ- 
lichen   Kirche,    endlich    einmal    der    Völker- 
verhetzung   entgegenzutreten.      Einer    verlas 
den   Aufruf  am   Pfingstfest  auf   der   Kanzel 
und    schloß    mit    den    Worten:     „Hie    stehe 
ich,  ich  kann  nicht  anders;  Gott  helfe  mir! 
.Nithack-Stahn      selbst      schrieb     mir:     „Es 
ist    eine    Lust    zu    leben,     wenn     der     träge 
Stein  so  ins  Rollen  kommt,  und  die  Dämonen 
des  Stumpfsinns   und  Wider sinns  erwachen." 
Eine  besonders  erfreuliche  Tatsache  war  es, 
daß      auch      einige       politisch       konservativ 
denkende   Pfarrer  in  dieser  Sache  ihren  Or- 
ganen die  Gefolgschaft  kündigten  und  offen 
für    die    Friedenssache    Partei   nahmen. 

Auch  außerhalb  der  Geistlichkeit  ist 
durch  unsere  Kundgebung  viel  Staub  auf- 
gewirbelt worden  —  eine  Tatsache,  die 
unserer  Friedensarbeit  nur  zugute  komimen 
kann.  Während  die  liberalen  Blätter  unseren 
Aufruf  mit  Zustimmung  abdruckten  und 
unseren  Verteidigungsreden  gern  ihre  Spalten 
öffneten,  so  hat  uns  dagegen  die  konser- 
vative und  nationalistische  Presse  mit  einer 
zum  Teil  unerhörten  Heftigkeit  begeifert. 
„Eine  deplacierte  Kundgebung"  hat  man' 
unseren  Aufruf  genannt,  „ein  beschämendes 
Zeichen  der  Zeit,  einen  Mangel  an  nationaler 
Würde",  und  wie  die  schönen  Klischees  alle 


heißen,  hat  man  darin  '  gefunden.  Der 
„Reichsbote"  hat  unter  heuchlerischem! 
Augenverdrehen  den  frommen  Wunsch  ge- 
äußert, daß  der  Aufruf  keine  50  Unter- 
schriften finden  möge  und  hat  von  Miß- 
deutungen des  Evangeliums  geredet,  das  wir 
in  den  Dienst  unserer  rührseligen  und  kraft- 
losen Friedensmacherei  stellen  wollen,  und 
dergl.  mehr.  Geradezu  schäumende  Wut- 
ausbrüche sind  in  den  agrarischen  „Neuen 
hessischen  Blättern",  in  der  „Neuen  Tages- 
zeitung", in  der  „Deutschen  Reichspost",  in 
der  „Rundschau",  in  den  „Hamburger  Neu- 
esten Nachrichten",  wie  in  der  „Magdeburger 
Zeitung"  gestanden.  Derartige  Ausfälle 
können  uns  selbstverständlich  auf  unserem 
Weg  nicht  irre  machen,  sie  beweisen  nur, 
daß  der  Hieb,  der  den  Nationalisten  appli- 
ziert wurde,  gut  getroffen  hat.  Zugleich 
zeigen  sie,  wie  nötig  es  ist,  endlich  einmal 
dieser  Hetzpresse  die  Heuchelmaske  der 
Vaterlandsliebe  und  der  gepachteten  Christ- 
lichkeit vom  Gesicht  zu  reißen. 

Interessant  ist  es  nun,  zu  sehen,  in 
welcher  Art  sich  die  Menge  der  gewonnenen 
Unterschriften  gliedern  läßt.  Zunächst  ist 
es  sehr  erfreulich,  daß  nicht  nur  einfache 
Pfarrer,  sondern  auch  höhere  kirchliche  Be- 
amte unterzeichnet  haben.  Ich  zähle  zwei  Kon- 
sistorialpräsidenten,  fünf  Dekane,  dann  aber, 
was  besonders  wichtig  und  wertvoll  ist :  es  haben 
auch  Professoren  der  Theologie  unterzeich- 
net, ihre  Namen  sind,  abgesehen  von 
Weinel,  der  schon  zu  den  ersten  Miturhebern 
des  Aufrufs  gehört,   folgende: 

Professor  Dr.  Baldensperger,  Gießen, 
Privatdozent  Lic.  Bornhausen,  Marburg,  Pro- 
fessor Dr.  Nowak,  Straßburg,  Professor 
Dr.  Thieme,  Leipzig,  Professor  Dr.  Wendt, 
Jena,  Professor  Dr.  Frommel,  Heidelberg, 
Professor  Glaue,  Jena,  Professor  Dr.  Gre- 
gory, Leipzig,  Professor  Dr.  Lobstein,  Straß- 
burg i.  E.,  Professor  Dr.  Niebergall,  Heidel- 
berg, Professor  D.  Rade,  Marburg. 

Nun  mag  die  Friedensschwalbe,  die  den 
Sommer  kündet,  fliegen.  Die  Hoffnung,  daß 
diesen  bedeutenden  Männern  Tausende  von 
Schülern  folgen  werden,  ist  von  heute  an  un- 
ausrottbar. Daran  wird  nichts  geändert 
durch  das  Gekrächze  der  nationalistischen 
Raben,  die  noch  den  alten  Kaiserberg  um1- 
flattern.  Von  großem  Interesse  ist  es  aber 
endlich,  zu  sehen;  wie  sich  die  Unterschriften 
nach  den  Ländern  verteilen  Dabei  steht 
Elsaß-Lothringen  mit  108  Unterschriften  an 
der  Spitze.  Ein  in  die  Augen  fallender  Be- 
weis dafür,  wie  das  so  viel  verkannte  und 
verregierte  elsaß-lothringische  Volk  mit 
seinen  geistigen  Führern  keineswegs  ge- 
willt ist,  fernerhin  als  Festungsglacis  oder 
als  Kampfplatz  zwischen  Deutschland  und 
Frankreich  zu  dienen,  wie  es  vielmehr  immer 
deutlicher  die  Aufgabe  erkennt,  eine  Völker- 
brücke zwischen  den  beiden  Nationen  zu 
werden.      Es    folgt    Preußen   mit    99    Unter- 


210 


@= 


=  DIE  FRI EDENS -WAJZTE 


Schriften,  wobei  sich  die  Namen  in  folgender 
Weise  auf  die  einzelnen  Provinzen  verteilen: 
Brandenburg  10,  Hannover  30,  Hessen-Nassau 
1 1 ,  Ostpreußen  9,  Pommern  5,  Rheinprovinz  1 0, 
Sachsen  9,  Schlesien  6,  Schleswig-Holstein  6, 
Westfalen  1,  Westpreußen  3.  Dann  Baden 
mit  47  Stimmen.  Es  ist  beachtenswert,  daß 
gerade  dieses  Land,  das  nächst  dem'  Elsaß 
einem  feindlichen  Ansturm  am  meisten  aus- 
gesetzt wäre,  und  dessen  geistige  Führer  in 
letzter  Zeit  durch  einen  vielbesprochenen 
Vortrag  von  Lic.  Wielandt  besonders  ener- 
gisch auf  die  Beschäftigung  mit  der  Friedens- 
frage hingedrängt  wurden,  eine  solch  zahl- 
reiche Beteiligung  aufzuweisen  hat.  Hierauf 
21  in  Württemberg,  16  in  Hessen,  15  in 
Bayern,  im  Königreich  Sachsen  13,  in  Sachsen- 
Weimar  6,  in  Braunschweig,  Bremen,  Ham- 
burg je  5,  in  Sachsen-Coburg-Gotha  4,  in 
Oldenburg  und  MeCklenburg-Strelitz  2,  in 
Anhalt,  Lippe-Detmold,  Reuß  j.  L.,  Sachsen- 
Meiningen   und   Schaumburg-Lippe   je   1. 

Wir  können  zufrieden  sein;  Die  evan- 
gelischen Landeskirchen  sind  in  weitem!  Um- 
fang gegen  den  Krieg  mobilisiert  worden ;  wir 
werden  die  begonnene  Arbeit  fortsetzen,  bis 
die  Friedenssache  in  der  ganzen,  deutsch- 
evangelischen Christenheit  zu  einer  alle  Ge- 
müter bewegenden  Angelegenheit  wird;  wir 
Werden  sogar  versuchen,  eine  Parallelaktion 
unter  den  katholischen  Geistlichen  zu  be- 
ginnen, und  endlich  werden  wir  die  Zeit 
heraufdämmern  sehen,  da  das  sich  auf  sich 
selbst  besinnende  Christentum  dem  Krieg 
den  Krieg   erklärt. 


Zwischen  Deutschland  und 
Frankreich. 

Von  Richard  Gädke, 
früher  Oberst  und  Regimentskommandeur,  Berlin. 

Der  größte  und  gefährlichste  Gegensatz 
innerhalb  der  europäischen  Staätenwelt  ist 
noch  immer  der  zwischen  Deutschland  und 
Frankreich.  Es  hat  gewiß  Zeiten  gegeben, 
in  denen  das  Wachstum  der  deutschen  Flotte 
oder  koloniale  Eifersüchteleien  zwischen 
Deutschland  und  England  zu  bedenklichen 
Krisen  für  den  Frieden  führte;  auch  zwischen 
Oesterreich  und  Rußland  besteht  im  nahen 
Osten  eine  Nebenbuhlerschaft,  die  mitunter 
drohende  Formen  angenommen  hat.  So  war 
andererseits  die  Lage  zwischen  Italien  und 
seinem  Dreibundgenossen  Oesterreich  mehr- 
fach zugespitzt  und  nicht  immer  ohne  die 
Möglichkeit  eines  kriegerischen  Zusammen- 
stoßes. Der  Fall  von  Faschoda,  der  um  eines 
Haares  Breite  zum  Waffengange  zwischen 
England  und  Frankreich  geführt  hätte,  ist 
in  unser  aller  Gedächtnis.  Aber  das  sind 
letzten  Endes'  Gewitter,  die  aus  örtlichen 
Spannungen  der  politischen  Luft  sich  ge- 
legentlich    zusammenballen^     und    selbst    sie 


werden  von  der  Gegnerschaft  zwischen 
Deustchland  und  Frankreich  in  schärfster 
Weise  beeinflußt.  Der  feste  Punkt  in  der 
Erscheinungen  Flucht  ist  ausschließlich  dieser 
große  Gegensatz,  der  von  den  Folgen,  des 
Krieges  von  1870/71,  genauer  gesagt,  schon 
von  denen  des  Jahres  1866,  seinen  Ausgang 
nimmt.  Wie  zwei  Fechter  stehen  sich  beide 
Länder  seitdem1  gegenüber,  jedes  aufmerksam 
den  anderen  beobachtend,  jedes  mit  besorg- 
tem Eifer  spähend,  ob  das  andere  nicht  eine 
schärfere  Waffe  in  seine  Hand  nehme,  seine 
Rüstung  verstärke,  seinen  Arm  zu  vernich- 
tendem Schlage  erhebe.  Keiner  traut  dem 
anderen,  jeder  ist  auf  heimtückischen  oder 
auch  brutalen  Angriff  gefaßt,  sobald  er  sich 
nur  auf  der  kleinsten  Schwäche  ertappen  läßt. 
Das  Mißtrauen  dieser  beiden  Länder,  die 
trotz  alledem  im  lebhaftesten  Austausche 
aller  materiellen  Güter  stehen,  sich  vielleicht 
in  stärkerem  Maße  noch  gegenseitig  auf 
allen  Gebieten  der  Kultur  beeinflussen,  scheint 
fast  unbesiegbar,  nachdem  es  einer  Zeit  von 
42  Jahren  nicht  geglückt  ist,   es  zu  bannen. 

Um  sie  erst  gruppieren  sich  die  anderen 
Gegnerschaften  Europas;  sie  sind  die  Mittel- 
punkte und  alles  in  allem  doch  die  treibende 
Kraft  der  beiden  großen  Mächtegruppie- 
rungen, von  deren  friedlichem  Nebeneinander- 
leben oder  feindlichem'  Zusammenstoße  das 
Schicksal  unseres  Weltteils  abhängt.  Ge- 
länge es,  den  dauernden  Gegensatz,  die  bei- 
nahe angstvolle  Spannung  zwischen  Frank- 
reich und  Deutschland  auszugleichen,  so 
wäre  damit  zugleich  auf  absehbare  Zeit  die 
Gefahr  eines  großen  Krieges  innerhalb 
Europas  beseitigt,  die  Möglichkeit  einer  fried- 
lichen Konsolidierung,  ja  einer  organischen 
Verbrüderung  seiner  Staatenwelt  sehr  nahe 
gerückt.  Es  wäre  der  zweifellos  größte 
Triumph,  den  der  Friedensgedanke  praktisch 
überhaupt  feiern  könnte. 

Leider  Gottes  bewegt  sich  die  Politik 
beider  Staaten  in  einem  circulus  vitiosus, 
der  so  klar  zu  überschauen  scheint,  und 
aus  dem  sie  praktisch  doch  auf  keine  Weise 
hinausgelangen.  Um  sich  gegen  die  bösen 
Anschläge  des  anderen  zu  sichern,  ver- 
stärken sie  unaufhörlich  ihre  Rüstung,  und 
aus  dieser  Rüstung  entsteht  wieder  unauf- 
hörlich neues  Mißtrauen  und  neue  Reizbar- 
keit. Die  Militärs,  die  aufrichtig  urri  die 
Sicherheit  ihres  Landes  besorgt  sind,  die  ihrer 
Wachsamkeit  und  Stärke  anvertraut  ist, 
durchkreuzen  alle  Bemühungen  der  Staats- 
kunst, ein  freundlicheres  Verhältnis  zwischen 
beiden  Ländern  herzustellen  .  Leider  Gottes 
halten  sie  sich  verbunden,  um!  ihren.  Forde- 
rungen nach  neuen  Machtmitteln  leichter 
Gehör  zu  schaffen,  die  chauvinistischen  In- 
stinkte der  Völker  immer  von  neuem  auf- 
zurütteln, den  Ehrgeiz  und  den.  Argwohn  der 
maßgebenden  Schichten  immer  wieder  an- 
zustacheln. Ihnen  zur  Seite,  als  apokalyp- 
tische   Dämonen,    stehen    die   großen    Inter- 


211 


DIE  FßlEDENS-^ÖÜTE 


3 


essen,  der  Waffenindustrie,  des  Eisens,  des 
Schiffbaues,  gewiß  nicht  auf  den  Krieg 
selbst  erpicht,  uml  so  mehr  aber  auf  immer 
größere  Kriegsrüstung,  vielleicht  auch  auf 
Kriegsdrohung.  Eine  internationale  Ver- 
brüderung zur  Verhetzung  der  Völker,  die 
eiserne  Internationale,  weit  verdamimens- 
werter  als'  die  goldene  oder  gar  die  rote,  für 
die  doch  der  Frieden  eine  Lebensbedingung 
ist !  Allerlei  atavistische  Vorstellungen  über 
die  Natur  und  (die  Bestimmung  des  Menschen- 
geschlechtes kommen  hinzu,  dem  Kriegs- 
gedanken immer  neue  Nahrung  zu  ver- 
schaffen. Wenn  (Heraklit  den  Streit  den  Vater 
aller  Dinge  genannt  und  darin  den  Satz  vom 
Kampf  ums  Dasein  aufgestellt  hat,  so  saugen 
die  Rüstungsfanatiker  auch  aus  dieser  Blüte 
wissenschaftlicher  Erkenntnis  verderben- 
schwangeres Gift.  Sie  stellen  fest,  daß  die 
Staaten  nur  durch  den  Krieg  zu  erhalten 
und  zu  erweitern  sind,  während  die  Völker 
in  Luxus1  und  Wohlleben  verkommen.  Solche 
Weisheit  durfte  der  erste  Diener  des  Deut- 
schen Reiches  den  Volksboten  künden,  als 
er  die  neue  riesige  Vorlage  zur  Vermehrung 
des    deutschen    Heeres    einbrachte. 

Man  darf  aussprechen,  ohne  sich  einer 
Verdächtigung  schuldig  zu  machen,  daß  es 
gerade  die  Regierungen  und  die  einfluß- 
reichsten, die  gebildetsten  Schichten  der 
Völker  sind,  die  an  der  Rüstungspolitik  fest- 
halten, während  die  Massen  auf  beiden  Seiten 
der  Vogesen  die  Opfertragenden  sind  und  nur 
durch  die  suggestive  Wirkung  des  Mißtrauens 
zur  Uebernahme  der  immer  schwerer  drücken- 
den Last   vermocht   werden. 

Kein  Zweifel,  daß  diesmal  der  erneute 
Anlauf  von  Deutschland  ausgegangen  ist;  so 
lange  die  Geheimschränke  der  Regierung  sich 
nicht  öffnen,  wird  es  sehr  schwer  sein,  die  Vor-; 
gänge  hinter  den  Kulissen,  den  Anteü  der 
äußeren  Politik  und  die  Wirkung  innerstaat- 
licher Verhältnisse  völlig  klarzulegen,  die 
letzten  Endes  zu  dieser  gewaltigen  Wehr- 
vorlage geführt  haben  —  alles  in  allem'  die 
größte,  die  überhaupt  je  eingebracht  worden 
ist.  Denn  die  von  1893  war  wenigstens  zu: 
gleicher  Zeit  mit  der  Verkürzung  der  Dienst- 
zeit von  drei  auf  zwei  Jahre  für  die  Masse 
der  Dienstpflichtigen  verknüpft.  Die  Be- 
gründung, die  Militärverwaltung  und  Reichs- 
kanzler der  Gesetzesvorlage  mit  auf  den  Weg 
gegeben  haben,  war  mehr  als'  kümmerlich 
und  in  keiner  Weise  durchschlagend.  Nur 
die  geringe  Bedeutung  des  Parlamentes  in 
Deutschland  macht  es  erklärlich,  daß  ihre' 
Annahme  von  vornherein  so  gut  wie  sicher 
war.  Gewiß  hat  Agadir,  und  in  höherem^ 
Maße  noch  der  Balkankrieg,  wie  ein  schwerer 
Alpdruck  auf  unserem  Wirtschaftsleben  ge-; 
lastet,  und  die  kriegerischen  Besorgnisse 
der  hinter  uns  liegenden  acht  Monate  haben 
zu  ihrem  Teile  beigetragen,  weitere  Kreisle 
des  deutschen  Volkes  in  i  einer  vermehrten 
Anziehung  der   Rüstungsschraube  eine  Asse- 


kuranzprämie gegen  den  Krieg  sehen  zu 
lassen.  Denn  gar  nicht  genug  kann  es  be- 
tont, nicht  oft  genug  wiederholt  werden,  daß 
die  große  Masse  des  deutschen  Volkes  fried- 
liebend bis  in  das  Mark  ihrer  Knochen  ist 
und  jeden  Gedanken  an  einen  Angriffskrieg 
weit  von  sich  weist,  gegen  wen  es  auch  seL 
Ganz  besonders  aber  ist  die  alte  National- 
feindschaft gegen  Frankreich  längst  dahin- 
gestorben, und  die  Prahlereien  und  Hetzreden 
wichtigtuender  Wehrvereinsgenerale  —  sie 
täuschen  sich  durch  diese  Tätigkeit  den 
Glauben  vor,  daß  ihr  dienstlich  brachgelegtes 
Leben  noch  einen  Zweck  und  Inhalt  habe  — 
beweisen  ebensowenig  wie  gelegentlich  rohe 
Ausfälle  und  Schimpfreden  alldeutscher  Jour- 
nalisten. Sie  bedeuten  auch  genau  so  wenig, 
wie  Lümmeleien  eines  gut  gekleideten  Pöbels 
gegen  harmlose  deutsche  Reisende  in  den 
französischen  Grenzprovinzen.  Kein  Volk 
kann  schließlich  die  Verantwortung  für  die 
Ausschreitungen  jener  minderwertigen  Ele- 
mente übernehmen,  die  es  überall  gibt. 

Immerhin  hat  die  deutsche  Rüstungs-. 
vorläge  in  Frankreich  zweifellos  eine  chauvi- 
nistische Strömung  begünstigt,  die  bereits 
durch  die  unsanfte  Form  unseres  Vorgehens 
während  der  Marokko-Krisis  angebahnt  war. 
Man  muß  aber  gerecht  sein  und  zugeben,  daß 
man  sich  dort  in  der  Tat  durch  die  plötzlich 
einsetzende,  ungewöhnlich  große  Verstärkung 
unseres  Friedensheeres  beunruhigt  sehen 
konnte.  Niemand,  der  mit  einiger  Un- 
befangenheit und  Billigkeit  sich  auch  in  die 
Seele  unserer  Nachbarn  hineinzusetzen  ver-, 
steht,  kann  dieses  Moment  übersehen  oder 
ableugnen.  Selbst  wenn  man  noch  nicht  eine 
unmittelbare  Kriegsvorbereitung  in  ihr  sah, 
war  man  vom  französischen  Standpunkte  aus 
wohl  berechtigt,  von  dieser  abermaligen  Ver- 
schiebung des  militärischen  Gleichgewichts 
eine  wesentliche  Verschlechterung  der  eigenen 
Weltstellung  zu  befürchten.  Wir  dürfen 
nicht  vergessen,  daß  das  Mißverhältnis  der 
organisierten  Heereskraft  Frankreich  schon 
einmal  verhängnisvoll  geworden  ist. 

i  Insofern  darf  man  sich  also  nicht  wun- 
dern, wenn  unsere  Nachbarn  krampfhafte  An-. 
strengungen  machen,  die  Ebenbürtigkeit  mit 
dem  deutschen  Heere  so  lange  als  möglich 
und  so  weit  als  möglich  aufrechtzuerhalten; 
Aber  man  darf  auch  hinzufügen,  daß  das» 
Mittel,  das  sie  zu  diesem  Zweck  in  An-; 
wendung  gebracht  haben,  verfehlt  ist,  weil' 
es  nach  dem  tatsächlichen  Verhältnis  der 
beiderseitigen  Volkskraft  verfehlt  sein  muß 
und  seinen  Zweck  dauernd  nicht  erfüllen 
kann.  Hier  beginnt  der  schwere  Irrtum  der 
französischen  Staatslenker,  hier  hat  ihr 
Augenmaß  für  das1  Mögliche  versagt.  Die 
Verlängerung  der  Dienstzeit  bei  der  Fahne 
von  zwei  auf  drei  Jahre  wird  im  Lande  selbst^ 
wie  sich  mehr  und  mehr  herausstellt,  keinesr- 
wegs  mit  Begeisterung  aufgenommen,  ja  sie 
begegnet    offenbar    einem    stetig  wachsenden1 


I 


212 


<§; 


DIE  rRIEDEN5-^VARTE 


Widerstände,  der  sich  bis  zur  Feindseligkeit 
steigert  und  in  den  verschiedensten  Gegen- 
den des  Landes  sich  sogar  in  Soldaten- 
Meutereien  Luft  gemacht  hat.  Man  sollte 
diese  Aufsässigkeiten,  die  im  Norden  und 
Süden,  im  Osten,  Westen  und  in  der  Mitte 
gespielt  haben,  gerade  bei  dem  unzweifel- 
haften Patriotismus  und  der  hohen,  fügsamen 
Opferwilligkeit  des  französischen  Volkes 
nicht  übersehen.  Sie  beweisen,  daß  man 
•dort  im  Begriffe  steht,  die  militärische  und 
die  finanzielle  Kraft  des  Landes  noch  weit 
mehr  anzuspannen,  als  dies  in  Deutschland 
geschieht,  ja  daß  man  sie  um  des  politischen 
Prestiges  willen  zu  überspannen  ge- 
neigt ist.  Gerade  die  einsichtigsten  Staats- 
männer Frankreichs  setzen  sich  diesem  Be- 
ginnen mit  einem  Mute  entgegen,  den  erst 
eine  spätere  Zeit  zu  würdigen  wissen  wird. 
Die  Verlängerung  der  Dienstzeit,  verbunden 
mit  einer  Höhe  der  Aushebung,  die  auch 
nach  unseren  neuen  Bestimmungen  die 
deutsche  Aushebung  noch  wesent- 
lich hinter  sich  läßt,  bedeutet  eine 
auffallende  Vernachlässigung  der  wirtschaft- 
lichen   und    kulturellen    Verhältnisse. 

Es  zeigt  sich,  daß  ein  Volk  von  kaum 
40  Millionen  Einwohnern  auf  die  Dauer  mit 
einem  noch  stetig  sich  vermehrenden  Volke 
von  67  Millionen  auf  militärischem  Gebiete 
den  Wettlauf  nicht  durchführen  kann.  Hier 
handelt  es  sich  um  ein  unentrinnbares  Natur- 
gesetz. Selbst  unter  den  heutigen  Verhält- 
nissen hat  jedes  Volk  genug  getan,  das  seine 
ganze  Volkskraft  für  die  Landesverteidigung 
nutzbar  gemacht  hat.  Niemand  vermag  über 
seine  natürliche  Größe  zu  wachsen,  indem 
er  sich  Ziegelsteine  unter  die  Sohlen  schnallt. 
Die  Torheit  eines  solchen  Versuchs  würde  uns 
sofort  klar  werden,  wenn  etwa  Belgien  oder 
Holland  oder  die  Schweiz  versuchen  wollten, 
mit  dem  Deutschen  Reiche  an  Mächtigkeit 
der  militärischen  Rüstungen  zu  wetteifern. 
Und  doch  wäre  dieses  Unterfangen  nur  quan- 
titativ, aber  nicht  qualitativ  von  dem  ver- 
zweifelten Wettrüsten  Frankreichs  unter- 
schieden. 

Alle  Mängel  der  französischen  Heeres- 
organisation rühren  daher,  daß  man  an 
Kriegsstärke  dem  deutschen  Heere  möglichst 
nicht  nachstehen  wollte.  So  schuf  man  eine 
Wehrmacht,  die  an  Zahl  der  Friedenst- 
stämme  die  des  deutschen  Heeres  teils  er- 
reichte, teils  sogar  überstieg,  und  im 
schlimmsten  Falle  nur  wenig  dahinter  zurück- 
blieb. So  stellte  man  Mindertaugliche  zum 
Waffendienst  ein,  schuf  außerdem  den  so- 
genannten „Hilfsdienst",  der  eine  scheinbare 
Erhöhung  der  Mannschaftsstärke  ergab,  nahm 
zu  gleicher  Zeit  eine  erschreckend  hohe 
Krankenzahl  und  Sterblichkeit  mit  in  den 
Kauf  und  steigerte  von  Jahr  zu  Jahr  die 
Menge  derer,  die  sich  der  Gestellung  oder 
doch  den  Uebungen  des  Beurlaubtenstandes 
entzogen.     Frankreich  hat  sich  ein  Kleid  an- 


gezogen, das  ihm  um  die  Glieder  schlottert, 
das  für  seinen  körperlichen  Umfang  viel  zu 
weit  ist.  Die  Zahl  der  Kompagnien  jst 
größer  noch  als  die  des  deutschen  Heeres, 
aber  ihr  Mannschaftsstand  ist  ein  so  ge- 
ringer, daß  die  Ausbildung  dadurch  erschwert, 
die  Kriegsbereitschaft  wesentlich  herab- 
gesetzt wird. 

Lebten  wir  in  Zeiten,  die  das  Heil  nicht 
mehr  hauptsächlich  in  der  Gewalt  der 
Rüstungen  erblickten,  so  wäre  das  einzige  ver- 
nünftige Heilmittel  das,  daß  Frankreich  die 
Zahl  seiner  Truppeneinheiten  verminderte, 
ihre  Stärke  und  Schlagfähigkeit  aber  erhöhte. 
Ehrgeiz  und  Argwohn  haben  es  leider  dahin 
nicht  kommen  lassen.  Man  hat  vielmehr 
zu  dem  verzweifelten  Mittel  einer  Verlänge- 
rung der  Dienstzeit  gegriffen,  nicht  etwa  aus 
Notwendigkeiten  der  Ausbildung  (abgesehen 
von  der  Reiterei),  sondern  um  die  blutleeren 
Stämme  aufzufüllen,  ihnen  mehr  Masse  und 
Gewicht  zu  geben.  Wie  aber,  wenn  nun  auch 
Deutschland  wieder  zur  dreijährigen  Dienst- 
zeit überginge  und  damit  in  der  Tat  das  Frie- 
densheer auf  beinahe  vollen  Kriegsfuß  setzen, 
es  auf  eine  Gesamtstärke  von  elfhundert- 
tausend (1100  000)  bringen  würde?  Diese 
Frage  aufwerfen,  heißt  bereits  den  Irrsinn 
dieses    Wettlaufes    brandmarken. 

Dieser  Weg  führt  notwendigerweise  an 
seinem  Zeitpunkte  oder  in  seiner  Ziellosigkeit 
zum  Ruin  beider  Völker,  oder  er  treibt  einem 
gewaltsamen  Ausbruche  zu,  wie  eine  Flasche 
mit  Kohlensäure  platzen  muß,  wenn  der 
Ueberdruck  die  Widerstandskraft  der  Wan- 
dungen übersteigt. 

Daß  die  deutsche  Rüstungsvorlage  in 
diesem  Augenblicke  weder  durch  die  Gefahren 
der  Lage  noch  durch  militärische  Notwendig- 
keiten genügend  begründet  war,  wird  von 
mir  immer  wieder  betont  werden.  Aber  in 
Frankreich  kann  man  sich  kaum  mit  gutem 
Gewissen  darauf  berufen,  weil  man  auf  diesem 
Wege  seinerseits  bereits  ein  gutes  Stück 
vorangegangen  war  und  sich  nun  zu  einer 
noch  gewaltigeren  Ausbeutung  der  Volks- 
kraft anschickt. 

Die  Aufgabe  der  Friedensfreunde  kann 
es  nur  sein,  auf  die  maßlose  Torheit  dieses» 
zwecklosen  Wettlaufens  immer  wieder  hin- 
zuweisen. Nicht  augenblickliche  Erfolge 
kann  der  Pazifismus  erringen,  aber  er  hat 
auch  keinen  Grund,  sich  durch  scheinbare 
Mißerfolge  entmutigen  zu  lassen.  Den  Geist 
der  maßgebenden  Kreise  gilt  es  allmählich 
mit  anderer  Sinnesart  zu  erfüllen,  ihn  von  der 
Nutzlosigkeit  und  der  Kulturfeindlichkeit  der 
öden  Gewaltpolitik  zu  überzeugen  und  zu- 
gleich den  unwirtschaftlichen  Druck,  unter 
dem  alle  Völker  leiden,  zu  einem  Sturmbock 
zu  benutzen  gegen  die  Herrschaft  eines  un- 
gezügelten Militarismus.  Daß  die  besten 
Kräfte  beider  Nationen  sich  vereinen,  um 
verjährten  Haß  und  altes  Mißtrauen  aus  der 
Welt    zu    schaffen    und    dadurch    den    Boden 


213 


DIE  FRIEDENS -^VADTE  = 


=9 


für  Abrüstung  und  Schiedsgerichtsverträge 
zu  bereiten,  das  ist  unsere  nächste  Aufgabe. 
Man  sollte  interparlamentarische  Konferenzen 
möglichst  alle  Jahre  erneuern  und  dabei  die 
Mittel  und  Wege  freundschaftlich  besprechen, 
die  schließlich  z.u  einer  Verminderung  der 
Rüstungslast  führen  können.  Denn  zwischen 
Frankreich  und  Deutschland  ist  für  alle 
Weiterblickenden  der  Wettlauf  längst  ent- 
schieden, an  dem  gegenseitigen  Kräftever- 
hältnis beider  Völker  kann  gar  nichts  mehr  ge- 
ändert werden.  Und  darum  sind  alle  diese 
Rüstungsvorlagen  zwecklos  und  sinnlos. 
H.  W. 

Der  Carthage-  und  Manoubafall 
vor  dem  Haager  Schiedshöfe. 

Von  den  Streitigkeiten,  die  im  vorigen 
Jahre  durch  Frankreich  und  Italien  dem1 
Haager  Schiedshöfe  überwiesen  worden  sind, 
hat  der  Haager  Hof  selbst  nur  zwei  Kon- 
flikte durch  Urteile  vom1  6.  Mai  1913  ent- 
schieden, und  zwar  den  Carthage-  und  Ma- 
noubafall. Dagegen  sind  die  Zwischenfälle 
wegen  des  französischen  Dampfers  Tavignano 
und  zweier  tunesischer  Fischerboote  durch 
diplomatische  Verhandlungen  zwischen  den 
Parteien  beigelegt  worden.  Italien  hat  sich 
verpflichtet,  wegen  dieser  beiden  letzteren 
Fälle  eine  Entschädigung  von  5000  Franken 
an  die  verletzten  Privatpersonen,  zu  zahlen. 
Es  ist  dies  nicht  das  erstemal,  daß  ein  bereits 
dem  Schiedsgericht  überwiesener  Konflikt 
nachträglich  doch  noch  durch  direkte  Ver- 
handlungen   aus    der   Welt    geschafft    wurde. 

Wie  der  Carthage-  und  Manoubafall 
entstanden  sind,  ist  wohl  noch  in  Erinne- 
rung. Beide  Dampfer  wurden  im  Januar 
1912  von  den  Italienern  festgehalten  und  in 
den  Hafen  von  Cagliari  gebracht,  von  wo 
erst  nach  mehreren  Tagen  die  Freilassung 
erfolgte.  Die  Carthage  war  beschlagnahmt 
worden,  weil  sie  ein  Flugfahrzeug  an  Bord 
hatte,  von  dem  die  Italiener  glaubten,  es  sei 
für  die  Türken  bestimmt ;  die  Manouba  führte 
29  Türken  bei  sich,  die  angeblich  zur  otto- 
manischen Armee  gehörten.  Die  Fest- 
haltung der  beiden  Postdampfer  rief  damals 
in  Frankreich  eine  große  Erregung  hervor, 
und  die  französische  Regierung  forderte  von 
der  italienischen  mit  Entschiedenheit  Ge- 
nugtuung. Schließlich  wurde  der  Konflikt 
am  6.  März  1912  dem  Haager  Hofe  zur  Ent- 
scheidung überwiesen.  Die  Regierungen 
einigten  sich  auf  folgende  fünf  Schiedsrichter : 
T.  den  schwedischen  früheren  Minister 
Hammarskjöld  als  Vorsitzenden,  2.  den  vor- 
tragenden Rat  im  russischen  Auswärtigen 
Amt  Baron  von  Taube,  3.  den  Direktor  im 
deutschen  Auswärtigen  Amt  Kriege,  4.  den 
französischen  Rechtsgelehrten  Renault  und 
5.  den  italienischen  früheren  Staatsminister 
Fusinato.     Alle  Richter  hatten  bereits  früher 


an  Schiedsgerichten  vor  dem  Haager  Hofe 
teilgenommen,  Renault  sogar  dreimal  und 
Hammarskjöld  zweimal.  Man  merkt  hieraus, 
wie  die  Tendenz  dahin  geht,  nur  erfahrene 
Männer,  wie  sie  in  der  Regel  nur  ein  stän- 
diges Tribunal  aufzuweisen  hat,  zu  Richtern 
zu  ernennen.  Ebenso  sehr  drängt  auch  die 
Entwicklung  nach  einer  ständigen  Rechts- 
anwaltschaft. Hat  doch  Fromageot,  Advo- 
kat am  Pariser  Appellhofe,  der  zusammen 
mit  Hesse  Frankreichs  Interessen  vertrat,  in 
etwa  ein  Drittel  aller  Streitigkeiten  des 
Haager  HofeS  als  Verteidiger  fungiert.  Auf 
italienischer  Seite  traten  als  Anwälte  der 
Gesandte  Ricci-Busatti  und  der  Professor 
an  der  Universität  Rom,  Anzilotti,  auL 
Hammarskjöld  selbst  hob  in  der  Eröffnungs- 
rede die  Tendenz  nach  einem  ständigen  Tri- 
bunale hervor;  er  machte  darauf  aufmerk- 
sam, daß  jetzt  mehrere  Streitigkeiten  auf 
einmal  dem  Tribunale  überwiesen  worden 
seien. 

Für  die  verletzten  Privatpersonen  ver- 
langte Frankreich  vor  dem  Schiedsgerichte 
685  339,93  Franken.  Außerdem  beantragte 
es  in  beiden  Fällen,  Italien  zu  verurteilen, 
je  einen  Frank  für  die  Verletzung  der  fran- 
zösischen Flagge  und  je  100  000  Franken 
als  Entschädigung  für  den  politischen  und 
moralischen  Schaden  zu  zahlen,  den  das 
Völkerrecht  durch  die  Nichtbeachtung  der 
völkerrechtlichen  Verträge  seiten  Italiens 
erlitten  hatte.  Italien  beantragte  Abweisung 
der  Klage  und  beanspruchte  widerklagend 
2112,70  Franken  als1  Ersatz  für  die  durch 
die  erforderlich  gewordene  Festhaltung  der 
Schiffe  entstandenen  Kosten;  ferner  stellte 
es  den  Antrag,  Frankreich  zur  Zahlung  einer 
Buße  von  100  000  Franken  dafür  zu  ver- 
urteilen, daß  es  die  Rückgabe  der  Türken 
verlangt  und  somit  gegen  die  Grundsätze 
des  Völkerrechts  verstoßen  habe.  Die 
Summen  von  100  000  Franken  sollten  ge- 
mäß dem  Antrage  der  Parteien  vom  Schieds- 
gerichte an  eine  im!  Dienste  des  Völkerrechts 
stehende  Körperschaft  überwiesen  werden. 

Sowohl  über  den  Carthage-  wie  den 
Manoubastreit  hat  der  Haager  Hof  in  einem 
besonderen  Urteil  entschieden.  Dies  ist 
eigenartig,  weil  die  Entscheidungen  in  vielen 
Punkten  fast  wörtlich  übereinstimmen.  Nicht 
verständlich  ist,  daß  sich  die  Schiedsrichter 
wiederum  der  schwerfälligen  französischen 
Urteilsformel  bedient  haben,  anstatt  dem 
Beispiel  Lardys  zu  folgen  und  einen  klaren 
Stil  zu  schreiben.  Der  internationale  Prozeß 
Soll  sich  die  Vorzüge,  nicht  aber  die  Fehler  der 
nationalen  Prozesse  zu  eigen  machen.  In 
einer  sehr  wertvollen  Schrift,  „Opmerkingen 
over  den  vorm  onzer  vonnissen  en  wetten" 
(Haag,  1913),  hat  sich  noch  kürzlich  Baron 
W.  C.  Snouckaert  van  Schauburg  für  die 
deutsche    Urteilsforrn    ausgesprochen. 

Im  Carthagestreit  erklärte  das  Schieds- 
gericht    das     italienische    Vorgehen    für    un- 


214 


<s= 


=  DIE  FRI EDENS ->M3kR.TE 


gerechtfertigt,  da  ein  begründeter  Verdacht, 
daß  das  Schiff  Konterbande  bei  sich  führte, 
nicht  vorgelegen  habe.  Italien  wurde  ver- 
urteilt, an  Frankreich  160  000  Franken  inner- 
halb drei  Monaten  vom  Tage  der  Verkündung 
des  Urteils  ab  zu  zahlen.  Im1  Manoubastreite 
ging  das  Schiedsgericht  davon  aus,  daß  die 
verschiedenen  Operationen  für  sich  getrennt 
beurteilt  werden  müßten.  Es  stellte  fest, 
Italien  habe  den  Postdampfer  nicht  ohne 
weiteres  nach  Cagliari  bringen  dürfen,  son- 
dern habe  den  Kapitän  sofort,  nicht  erst  im1 
Hafen  von  Cagliari,  auffordern  müssen,  die 
türischen  Passagiere  auszuliefern.  Im  übrigen 
sei  aber  Italien,  nachdem1  der  Kommandant 
im  Hafen  von  Cagliari  die  Herausgabe  der 
Türken  verweigert  habe,  zur  Festhaltung  des 
Dampfers  berechtigt  gewesen.  Italien  wurde 
daher  lediglich  zur  Zahlung  von  4000  Franken 
Entschädigung  verurteilt,  indem  Italien  seine 
durch  die  berechtigte  Festhaltung  der  Ma- 
nouba  entstandenen  Kosten  in  Rechnung  ge- 
stellt wurden  .  Zur  Feststellung  der  Ent- 
schädigungen hatte  vor  zwei  beauftragten 
Mitgliedern  des  Schiedsgerichts  eine  Beweis- 
aufnahme stattgefunden.  Dies  ist,  von  dem 
schwedisch-norwegischen  Falle  abgesehen,  der 
einzige  Fall  einer  Beweisaufnahme  vor  dem 
Haager  Hofe. 

Betreffs  der  Bußforderungen  sprach  sich 
das  Schiedsgericht  mit  Recht  dahin  aus:  Für 
den  Fall,  daß  eine  Regierung  ihre  völker- 
rechtlichen Pflichten  nicht  erfülle,  sei  be- 
reits die  Feststellung  dieser  Tatsache  in 
einem  Schiedssprüche  eine  hinreichende 
Sanktion.  Die  Einführung  einer  anderen  Ge- 
nugtuung in  das  Völkerrecht  erscheine  über- 
flüssig und  überschreite  die  Grenzen  der 
internationalen  Schiedsgerichtsbarkeit. 

Gegenwärtig  sind  alle  dem  Haager  Hofe 
überwiesenen  Fälle  erledigt.  13  Streitfälle 
sind  im  ganzen  im  bisherigen  Gebäude  des 
Schiedshofes,  Prinsegracht  71,  entschieden 
worden.  Im  September  siedelt  das  inter- 
nationale Bureau  nach  dem  von  Carnegie  ge- 
stifteten Friedenspalaste  über.  Anläßlich 
dieses  besonderen  Ereignisses  wird  in  we- 
nigen Wochen  als  Band  3  der  von  Schücking 
herausgegebenen  Sammlung  „Das  Werk 
vom  Haag"  (Duncker  &  Humblot,  Leipzig) 
eine  Darlegung  sämtlicher  bisher  im  Haag 
erledigter  Streitfälle  herausgegeben  werden. 
Hervorragende  Männer  der  Wissenschaft,  wie 
v.  Bar,  Fleischmann,  Kohler,  v.  Martitz, 
Meurer,  Niemeyer,  Nippold,  Scott,  Strupp, 
Zitelmann  und  Zorn,  haben  ihre  Mitwirkung 
zugesagt  bzw.  bereits  ihre  Beiträge  dem1 
Herausgeber  eingesandt.  Somit  dürfte  der 
neue  Band  der  bekannten  Sammlung  eine 
hervorragende  wissenschaftliche  Tat  be- 
deuten. 


Hauptversammlung  der 

Deutschen   Friedensgesellschaft 

in  Mannheim. 

Von  Dr.  A.  W  e  s  t  p  h  a  1 , 

Sekretär  der  Deutschen  Fiiedensgesellschafi,  Stuttgart. 

In  Anwesenheit  von  41  Ortsgruppenver- 
tretern 'tagte  am  24.  und  25.  Mai  die  diesjährige 
Hauptversammlung  der  Deutschen  Friedens- 
gesellschaft in  Mannheim  unter  Vorsitz  von 
Dr.  Richter-  Pforzheim,  der  leider  wieder 
die  Abwesenheit  unseres  treuen  Friedens- 
dieners und  2.  Vorsitzenden,  Stadtpfarrer  U  m  - 
f  r  i  d  —  aus  demselben  Grunde,  wie  auf  der 
Berliner  Tagung  1912  —  in  seiner  einleitenden 
Biegrüßungsansprache  feststellen  mußte.  In 
warmherzigen  Worten  beklagte  Dr.  Richter 
das  harte  Geschick  U  m  f  r  i  d  s  ,  und  die  Dele- 
giertensitzung gab  ihrem  schmerzlichen  Mit- 
fühlen vor  Eintritt  in  die  Tagesordnung  tele- 
graphisch Ausdruck.  —  Aus  dem  vom 
Kassierer  P.  A 1  b  e  r  erstatteten  Kassenbericht, 
der  mit  ca.  13V2  tausend  Mark  balanziert, 
erhellt,  daß  der  Zufluß  neuer  Geldmittel  in 
absehbarer  Zeit  bereits  notwendig  werden 
müßte,  namentlich  infolge  der,  besonders  im 
1.  Jahre  der  Erstellung  des  Stuttgarter  Sekre- 
tariats relativ  hoch  gewordenen  Kosten  für 
dasselbe.  Die  Herausgabe  des  vergrößerten 
„Völkerfriedens"  in  ca.  8500  Exemplaren  be- 
lastet gleichfalls  nicht  unerheblich  die  Zentral- 
kasse. Aus  der  Versammlung  wurde  daher 
der  Wunsch  rege,  die  Geschäftsleitung  möge 
der  Carnegie-Stiftung  die  unterstrichene  Bitte 
um  eine  baldige  Entscheidung  bezüglich 
höherer  Unterstützung,  wie  solche  anderen 
Organisationen  zufließt,  vortragen.  — 

Der  Jahresbericht  des  unterzeichneten 
Sekretärs  läßt  im  allgemeinen  ein  Wachsen 
der  Arbeit  der  Geschäftsleitung,  der  Sekre- 
tariatstätigkeit und  erfreulicherweise  auch  der 
Deutschen  Friedensgesellschaft  erkennen:  Der 
Zuwachs  beträgt  ca.  400  Mitglieder,  und  an 
13  Orten  wurden  neue  Ortsgruppen  gegründet 
oder  die  dortigen  Einzelmitglieder  zu  Orts- 
gruppen zusammengeschlossen;  namentlich  in 
Rheinland-Westfalen  —  wo  ein  vorläufig  noch 
loser  Landesverband  ins  Leben  trat  — ,  sodann 
in  Elsaß-Lothringen,  der  bayr.  Pfalz,  in 
Hessen,  Ostpreußen  und  Württemberg.  Die 
Gesamtzahlen  sind  jetzt  8500  Mitglieder,  95 
Ortsgruppen.  Größere  erfolgreiche  Vortrags- 
reisen in  Deutschland  in  Friedensvereinen, 
Frauenvereinen,  Gewerbevereinen,  Studenten- 
vereinen, Pressevereinen  u.  a.  unternahmen 
unser  französischer  Gesinnungsfreund  Prof.  E. 
R  i  q  u  i  e  z  ,  Norman  A  n  g  e  1 1 ,  Rieh.  Feld- 
haus,  Prof.  Q  u  i  d  d  e  und  der  Unterzeichnete. 
Einzelvorträge  fanden  zahlreich  statt.  Die 
revidierte  Satzung  nebst  Programm  wurde  neu 
gedruskt,  ca.  10  000  neue  Flugblätter  wurden 
ausgegeben.       Verhältnismäßig     groß,     viele 


215 


DIE  FßlEDENS-^ABXE  = 


hundert  Exemplare,  war  "die  Nachfrage  nach 
alter  wie  nach  der  1912/13  zahlreich  er- 
schienenen neuen  pazifistischen  Literatur,  die 
in  einigen,  ihrer  Eigenart  wie  ihrem  Inhalts- 
reichtum nach  wertvollen  Büchern  und  Bro- 
schüren besonderer  Erwähnung  bedarf:  „Die 
falsche  Rechnung"  v.  N.  Angell,  „Krieg" 
von  F.  Diederichs,  „Handbuch  der 
Friedensbewegung  II"  von  A.  H.  Fried, 
„Die  Vergangenheit  des  Krieges"  von  Ch» 
Rieh  et,  „Für  den  Frieden"  vom  Sim- 
plicissimus-  Verlag.  Die       Broschüre 

„Friedensbewegung  und  Lebenserziehung'*  von 
E.  Böhme  und  die  Hefte  „Internationale 
Organisation"  von  Goldscheid,  Starr- 
jordan, Fried  und  B,  v.  Suttner.  Die 
Berner  „Friedensbewegung"  wird  in  Deutsch- 
land in  ca.  800  Exemplaren  monatlich  ver- 
breitet. Die  Weltpetition  fand,  wie  bislang, 
alle  mögliche  Unterstützung.  An  der  deutsch- 
englischen wie  deutsch-französischen  An- 
näherungsarbeit war  die  D.  F.  G.  im  Verein 
mit  den  anderen  Verständigungsorganisationen 
lebhaft  beteiligt,  so  an  der  Londoner  Kon- 
ferenz Oktober/November  1912  und  an  der 
deutsch-französischen  und  der  Berner  Liga- 
gründung. Seit  dem  Balkankriegausbruch  und 
namentlich,  seitdem  die  neue  Rüstungskrank- 
heit grassiert,  wurden  von  Wehrverein, 
Regierung  und  real,  wenn  auch  nicht  reell  (?) 
interessierten  Gruppen  aus  Handel  und  In- 
dustrie, besonders  viele  Versuche  unter- 
nommen, auf  die  öffentliche  Meinung 
zu  wirken.  In  den  Monaten  Februar-März- 
April  1913  wurden  daher  14  verschiedene  No- 
tizen, Korrespondenzblittardkel,  Resolutionen, 
Eingaben  an  den  Reichskanzler  betr.  Milliarden- 
steuer, Aufruf  „An  die  evangelischen 
Geistlichen  und  Hochschullehrer",  „An  das 
deutsche  und  französische  Volk",  „Gegen  die 
Rüstungen"  u.  a.  m.  durch  die  Presse  bzw. 
öffentliches  Plakatieren  Hunderttausenden  be- 
kannt gegeben.  Auch  die  Reichstagsabge- 
ordneten wurden  mehrfach  apostrophiert.  Vor- 
nehmlich die  beiden  Aufrufe  lösten  viele 
hundert  Zustimmungs-  und  Mitarbeitser- 
klärungen aus,  so  der  an  die  Geistlichen  rund 
390  Unterschriften.  Im  ganzen  also  ein  leid- 
lich erfreuliches  Bild  der  Vorwärtsbewegung. 
Die  Hauptbesprechungspunkte  der  Dele- 
giertensitzungen waren  infolge  eingelaufener 
Anträge :  Technische  Organisationsfragen,  betr. 
Publikationen  usw.,  Erhöhung  des  Völker- 
friede-Abonnements auf  60  Pf.  jährlich, 
Stellungnahme  zu  den  die  Jugendgehirne 
militarisier  enden  Jugendorgarrsationsn  "(Pfad- 
finder, sowie  einzelne  Jungdeutschlandgruppen 
u.  a.  m.),  zum  Wehrverein,  und  infolge  der 
in  den  internen  zwei  Sitzungen  unter  viel  Zu- 
stimmung gehaltenen  Vorträge:  „Was  können 
und  sollen  die  Frauen  für  die  Friedenssache 
tun"  von  Frl.  Springer,  „Pazifistische 
Jugenderziehung"  von  A.  v.  Härder, 
„Stellungnahme  zur  politischen  Lage"  von  Dr. 
Reis. 


Den  Niederschlag  der  Beratungen  bildeten 
die   nachfolgenden  Resolutionen: 

Erklärung. 
Die  Deutsche  Friedensgesellschaft 
fühlt  sich  verpflichtet,  ihre  Stimme  gegen 
die  unverantwortlichen  Treibereien  des 
Wehrvereins  zu  erheben.  Wenn  in  einem 
Militär s'taat  wie  Deutschland  noch  eine 
besondere  Gesellschaft  zur  Stärkung  der 
Wehrkraft  gegründet  wird,  so  kann  das 
Ergebnis  nur  sein,  eine  ungesunde  und  im 
höchsten  Grade  gefährliche  Aufstachelung 
der  Massen  zu  blindem  Kriegsenthusiasmus, 
zu  Mißtrauen  und  Haß  gegenüber  dem 
Auslande,  mit  dem  im  Frieden  zu  leben 
wir  allen  Anlaß  haben.  Der  Wehrverein 
hat  es  an  skrupelloser,  hetzerischer  Agi- 
tation nicht  fehlen  lassen.  Seine  Taktik 
geht  dahin,  im  Bunde  mit  den  Rüstungs- 
interessenten jede  Wehrvorlage  für  völlig 
ungenügend  zu  erklären;  seine  Presse 
konnte  es  wagen,  den  preußischen  Kriegs- 
minister wegen  seiner  Schlaffheit  in 
Rüstungsfragen  unter  öffentliche  Anklage 
zu  stellen.  Er  hat  es  so  erreicht,  die  Re- 
gierung über  ihre  eigenen  ursprünglichen 
Anschauungen  hinaus  zu  neuen  Forde- 
rungen von  unerhörter  Höhe  zu  treiben, 
und  er  rühmt  sich  dieses  seines  Erfolges. 
Um  solchen  Erfolg  zu  erreichen,  hat  er 
Ziffern  der  Statistik  tendenziös  mißbraucht 
und  gefährliche  Leidenschaften  in.  den 
Massen  aufpeitschen  müssen;  er  hat  den 
Eindruck  geweckt,  als  ob  unsere  Rü- 
stungen nicht  nur  das  deutsche  Volk 
schützen  und  den  Frieden  sichern  sollten, 
sondern  das  Ausland  und  den  Frieden  be- 
drohten. Damit  wird  unsere  Stellung  in 
der  Welt  nicht  gestärkt,  sondern  ge- 
schwächt und  Deutschland  verleumdet, 
denn  das  deutsche  Volk  will  aufrichtig 
den  Frieden.  Der  Vorsitzende  des  deut- 
schen Wehrvereins,,  General  Keim,  hat  sich 
dahin  verstiegen,  die  Bemühungen  um 
Verständigung  unter  den  Völkern  zu  ver- 
höhnen und  zu  fordern,  wir  müßten  hassen 
lernen.  Jawohl,  hassen  sollen  wir  das  ge- 
wissenlose Treiben  verblendeter  Hetzer. 
Aber  lieben  sollen  wir  die  große  Kultur- 
gemeinschaft der  ganzen  Menschheit. 
Nicht  dem  Völkerhaß,  dem  Völkerfrieden 
gehört   die   Zukunft. 


Die  Hauptversammlung  der  Deutschen 
Friedensgesellschaft  begrüßt  in  dem  wenn 
auch  unverbindlich  ausgesprochenen  Ein- 
vernehmen Deutschlands  und  Englands 
über  das  Kraft  Verhältnis  ihrer  Schlacht- 
flotten den  ersten  bescheidenen,  aber  hoff- 
nungsvollen Anfang  für  eine  internationale 
Verständigung   in    Rüstungsfragen. 


216 


<§= 


£  DIE  FRI  EDENS  -WARTE 


Die  Hauptversammlung  der  Deutschen 
Friedensgesellschaft  begrüßt  das  Ergeb- 
nis der  Berner  Verständigungskonferenz 
auf  das  wärmste  und  setzt  sich  von  ihrer 
Seite  dafür  ein,  daß  auf  der  dort  ge- 
schaffenen Grundlage  weitergearbeitet 
werde.  Danach  soll  neben  internationaler 
Verständigung  überhaupt  speziell  auf  ein 
dauerndes  Einvernehmen  zwischen  Deutsch- 
land und  Frankreich  hingearbeitet  wer- 
den, damit  durch  eine  derartige  Ver- 
ständigung der  beiden  führenden  Militär- 
mächte Europas'  eine  allseitige  allmähliche 
Herabsetzung  der  drückenden  Rüstungen 
sich    bewerkstelligen   lasse. 


Die  Hauptversammlung  der  Deutschen 
Friedensgesellschaft  begrüßt  durchaus  sym- 
pathisch alle  Bestrebungen,  die  auf  Pflege 
der  körperlichen  Tüchtigkeit  der  Jugend 
gerichtet  sind,  sie  verurteilt  aber  ebenso 
entschieden  die  vielfach  getriebene,  päda- 
gogisch äußerst  bedenkliche  Kriegsspielerei 
in  Gruppen  des  Jungdeutschland-Bundes, 
der  Pfadfinder-Vereine  des  Wehrkraftver- 
eins und  sogar  konfessioneller  Jugend- 
vereine,   gegen   die    sich   auch   schon   mili- 

i  tärische  Autoritäten  mit  Nachdruck  aus- 
gesprochen haben.  Die  Kriegsspielerei  ist 
geeignet,  die  Jugend  militaristisch-chau^ 
vinistisch    zu    verhetzen    und    zugleich    den 

(  Gegensatz  politischer  Parteien  in  sie  hinein- 
zutragen. 

*  *  * 

Die  Versammlung  beschließt,  den  Kon- 
greß   des   nächsten   Jahres    in   Königsberg 

.'  zu  halten,  und  bittet,  die  Geschäftsleitung, 
falls  Mittel  verfügbar  werden,  einen 
größeren  Betrag  zur  Gewährung  von  Reise- 

1     beihilfen   zur  Verfügung  zu  stellen. 

*  *         * 

Zu  der  am  24.  Mai,  abends,  abgehaltenen 
gut  besuchten  öffentlichen  Propaganda- Ver- 
sammlung, der  Rechtsanwalt  v.  Härder- 
Mannheim  als  Ortsgruppenvorsitzender  präsi- 
dierte, sprach  Lic.  Wielandt  über  „Ist  der 
Krieg  christlich  oder  nicht?"  und  resümierte 
aus  Vergangenheit  und  Gegenwart,  aus  Ver- 
nunftschluß und  Gefühlswertung  die  Ver- 
werflichkeit, Schändlichkeit  und  Unchristlich- 
keit  des  Kriegssystems.  Ferner  sprach  Prof. 
Quidde  über  „Milliardensteuer  und  Ab- 
rüstung" und  wies  vornehmlich  nach,  wie  un- 
gerechtfertigt und  schwach  die  Regierung  be- 
gründen könne,  und  wie  kleine,  aber  an  Einfluß 
große  Kreise  es  vermögen,  die  Quantität  der 
Rüstungen  zu  vermehren,  aber  die  Rüstungs- 
relationen zu  den  andern  Mächten  nicht  zu 
ändern  und  die  Schwierigkeiten  der  Völker- 
verständigung dadurch  nur  zu  vergrößern. 
Bleiden  Referaten  folgte  starker  Beifall.  — 
Den  nächsten  Kongreß  'wird  wohl  Königsberg 
halten.  A.  Westphal. 


Zweiter  Kongreß  des 

Verbandes   der  Internationalen 

Studentenvereine  an  deutschen 

Hochschulen. 

Von  Egon  Meider, 

Erstem   Schriftführer  des   „Wiener  Akademischen 

Friedensvereins". 

Die  in*  Vorjahre  auf  der  ersten  Tagung 
zu  Göttingen  gelegten  Saaten,  haben  längst 
zu  sprießen  begonnen  und  fangen  bereits1 
an,  herrliche  Früchte  zu  tragen.  Beseelt 
vom  Geiste  regster  Kraftentfaltung  zur  Ver- 
wirklichung ihrer  vornehmsten  Ziele :  Er- 
weckung gegenseitigen  Verständnisses  für 
deutsche  und  fremdländische  Kultur  bei  hei- 
mischen und  ausländischen  Studierenden  und 
Anknüpfung  freundschaftlicher  Beziehungen 
zwischen  Studenten  aller  Nationen,  fand  vom 
14.  bis  17.  Mai  die  zweite  Tagung  des  Ver- 
bandes der  Internationalen  Studentenvereine 
an  deutschen  Hochschulen  in  der  alten 
Goethestadt  Leipzig  statt,  zu  welcher  75  Dele- 
gierte, die  23  Nationen  angehören,  in  Ver- 
tretung der  sieben  Internationalen  Studenten- 
vereine Deutschlands  erschienen  waren. 

Ein   Begrüßungsabend  im  „Hotel  Deut- 
sches   Haus"    eröffnete    die    Tagung.      Stud. 
jur.  Juriaan  von  der  Heyde-Schreuder 
(Südafrika)     begrüßte      als     1.    Vorsitzender 
des    Leipziger    Vereins    die    Ehrengäste    und 
Kongreßteilnehmer       und      feierte       sodann 
Deutschland  als  Treffpunkt  aller  strebsamen 
jungen  Männer  aus  allen  Ländern  der  Erde. 
„Es  scheine,"  führte  er  aus,  „als  ob  sich  mit 
immer  größeren  Zügen   ein  gewaltiger  Geist 
durch   die   Welt    unwillkürlich   hindurchziehe, 
der    danach    strebe,    die    verschiedenen    Na- 
tionen   in    stets    engeren    Zusammenhang   zu 
bringen.     Diesen  Geist  richtig  zu  führen,  — 
das  ist  der  Zweck  des  Verbandes  und  seiner 
Bestrebungen.      Und     über     allen     Nationen 
steht    die    Menschheit.  .  .  ."      Hierauf   wurde 
ein  Schreiben  des  Ehrenprotektors  des  Leip- 
ziger Vereins,  Geheimrats  Prof.  Lamprecht, 
verlesen,     in     welchem     er    bedauert,    durch 
Krankheit  am  Erscheinen  verhindert  zu  sein, 
im   Geiste   aber   an   der   Tagung   teilnehme. 
Dann  nahm  Prof.   Schmidt,  Direktor  der 
Vereinigten      staatswissenschaftlichen     Semi- 
nare der  Universität  Leipzig,  das  Wort  und 
überbrachte    zunächst     die    besten   Wünsche 
des    Rektors,    dessen    größtes    Interesse    die 
Verbandstagung  erwecke.     Auch  er,  Redner, 
bringe  den  ^Bestrebungen  das  größte  Interesse 
entgegen.     Er  sei  durch  seine  Zugehörigkeit 
zu  O esterreich  und  im  Hinblicke  auf  die  Nähe 
Preußens1    von     seiner     Heimat     ehemals    zu 
einem    gewissen     Kosmopolitismus     gelangt, 
der,      eine      Art      Reinigungsprozeß      durch- 
machend, älter  und  geläuterter  geworden  sei 
und  sich  dann  in  einen  Patriotismus  für  das 


217 


DIE  FBIEDENS -WAETE 


& 


gesamte  deutsche  Vaterland  verwandelt  und 
zum  Schlüsse  in  einen  Internationalismus  ge- 
klärt habe.  Jetzt  aber  gehe  eine  starke  chau- 
vinistische Welle  über  das  deutsche  Volk, 
in  welcher  eine  große  Gefahr  für  seine  Zu- 
kunft liege.  Längst  aber  sei  schon  ein  Bau 
aufgeführt  worden,  um  die  Nationen  zu  ver- 
einen :  die  Rechts-  und  Verwaltungsgemein- 
schaften, die  jetzt  die  Welt  regieren.  Diese 
Organisationen  beruhen  auf  internationalem 
Privat-  und  Verwaltungsrecht,  einem  mäch- 
tigen Bau,  aufgeführt  durch  gemeinsame 
Tätigkeit  sämtlicher  Hochschulen  der  Erde. 
Parallel  laufen  die  Kulturinteressen,  welche 
zu  durchdringen  und  zu  vertiefen  Aufgabe  der 
internationalen  Studentenvereine  sei,  und  die 
darin  gipfle,  ein  besseres  Kennenlernen  der 
Studenten  der  verschiedenen  Nationen  zu  er- 
möglichen und  ein  chauvinistisches  Ab- 
schließen derselben  zu  verhüten.  Ein  vor- 
zügliches Mittel,  der  Eigenart  einer  anderen 
Nation  näherzukommen,  läge  im  Erlernen 
ihrer  Sprache  und  im  Aufsuchen  dieser  Nation 
in  ihrem  eigenen  Lande.  In  der  Veranstal- 
tung derartiger  Studienreisen  ins  Ausland  sei 
die  Wiener  Universität  vorbildlich  geworden. 
Schließlich  sprach  Prof  Schmidt  den  Wunsch 
aus,  daß  die  Beratungen  und  die  Arbeit  des 
Kongresses  vom1  besten  Erfolg  gekrönt  sein 
mögen. 

Stürmisch  begrüßt,  ergriff  hierauf  Geheim- 
rat Prof.  Ostwald  das  Wort.  Er  feierte 
vom  praktisch-idealistischen  Standpunkte  aus 
die  Entwicklung  der  Menschheit :  aus  dem 
chaotischen  Urbrei  habe  sich  zunächst  der 
primitive  Urmensch  als  Individualmensch  ent- 
wickelt. Durch  Zusammenschluß  dieser  pri- 
mären Individuen  komme  es  zu  einer  primi- 
tiven Vergesellschaftung,  die  sich  nach 
vielfachen  Läuterungsprozessen  zum  Natio- 
nalismus verdichte,  der  wiederum  eine  Ver- 
gesellschaftung, diesmal  aber  im  höheren 
Sinne,  suche.  Diese  neue  Associationisforrri 
aber  heiße  Organisation.  Solche  Organi- 
sationsformen stellten  die  internationalen  Ver- 
waltungsgemeinschaften und  die  wissenschaft- 
lichen Organisationen,  an  ihrer  Spitze  das 
Institut  „Die  Brücke",  dar.  Ostwald  feierte 
sodann  den  Gedanken  des  Internationalismus 
als  des  allerwichtigsten  Kulturfaktors,  nannte 
die  Wissenschaft  einen  internationalen  Be- 
griff und  die  Wissenschaftler  Repräsentanten 
des  Internationalismus.  Dann  erteilte  der 
Vorsitzende  dem  Präsidenten  des  Weltbundes 
„Corda  Fratres",  Dr.  G.  W.  Nasmyth,  das 
Wort,  der  von  seiner  Propagandareise  nach 
den  skandinavischen  und  russischen  Universi- 
tätsstädten berichtete  .  Nach  ihm  referierten 
die  Vertreter  der  internationalen  Studenten- 
vereine Berlin,  Bonn.,  Freiburg,  Heidelberg, 
Leipzig,  Göttingen  und  München  über  die 
Anzahl  ihrer  Mitglieder,  die  sich  insgesamt 
auf  mehr  als  500  stellt,  ihre  Veranstaltungen 
auf  wissenschaftlichem  und  geselligem  Ge- 
biet,   ihre   Vorträge    und  Exkursionen. 


Der  nächste  Morgen  vereinigte  zu  früher 
Stunde  die  Kongreßteilnehmer  zur  vor- 
bereitenden Arbeit  für  die  eigentliche  Tagung. 
Das     Bureau     konstituierte     sich    wie    folgt : 

1 .  Vorsitzender :  Paul  Baumgarten- 
Göttingen,  2.  Vorsitzender:  Edgar  Herzog- 
Leipzig,     1.    Schriftführer:     Meid  er- Wien, 

2.  Schriftführer :  Smirnoff- Berlin,  Nord- 
mey  er -Leipzig  und  N  e  u  fei  d- Berlin, 
Kassenrevisoren :  Dr.  Brunner-  München, 
B  er  gm  ann- Leipzig.  Am  Nachmittag  und 
während  der  beiden  folgenden  Tage  fanden 
Sitzungen  der  verschiedenen  Ausschüsse  sowie 
des  Plenums  statt.  Auf  Vorschlag  der  be- 
züglichen Kommissionen  wurde  eine  Ge- 
schäftsordnung für  die  Verbandstage,  ein 
gemeinsames  Vereinsabzeichen  und  ein  Pro- 
pagandaprogramm beschlossen,  ferner  nähere 
Maßregeln  festgelegt,  um  die  ehemaligen 
Vereinsmitglieder  (Altmitglieder)  dem  Ver- 
bände zu  erhalten  und  in  Fühlung  mit  ihnen 
zu  bleiben;  das  weitere  Erscheinen  der  unter 
der  trefflichen  Leitung  des  bisherigen  Ver- 
bandspräsidenten Paul  Baumgarten- 
Göttingen  stehenden  Monatsschrift  „Vater- 
land und  Welt",  von  der  bisher  bereits  vier 
Nummern  herausgekommen  sind,  wurde  ge- 
sichert und  gleichzeitig  bestimmt,  daß  diese 
Zeitschrift  als  Organ  des  Verbandes  zu 
gelten  habe,  um  das  Zusammengehörigkeits- 
gefühl der  einzelnen  Vereine  und  ihrer  Mit- 
glieder zu  stärken.  Zum  Zwecke  der  Pro- 
paganda aber  habe  wie  bisher  zu  Beginn  eines 
jeden  Semesters  ein  Heft :  „Zur  internatio- 
nalen Kulturbewegung",  herausgegeben  vom 
Leipziger  Verein  unter  Führung  seines  Vor- 
sitzenden, Edgar  Herzog,  zu  erscheinen. 
Es  wurde  das  Detailprogramm  der  im  Sommer 
stattfindenden  Studienfahrt  nach  Amerika 
zum  Kongreß  der  „Corda  Fratres"  be- 
sprochen. Die  mittelbare  Führung  dieser 
Reiste  hat  das  „Amt  für  Studienreisen  ins 
Ausland"  der  Deutschen  freien  Studenten- 
schaft übernommen.  Der  Kongreß  beschloß 
auch,  zur  Erleichterung  des  brieflichen  Ver- 
kehrs der  Mitglieder  eine  Liste  sämtlicher 
Vereinsmitglieder  jährlich  erscheinen  zu 
lassen. 

Die  Tätigkeit  des  Verbandes  als  der 
Zentrale  der  Organisation  wurde  einer  Neu- 
regelung unterworfen.  Man  wollte  der  Ueber- 
lastung  eines  einzigen  Vereins,  der  als  Vor- 
ort bisher  die  gesamten  Verbandsagenden  zu 
führen  hatte,  steuern  und  gleichzeitig  ver- 
hüten, daß  die  Zentrale  mit  jedem  Jahre  an 
einen  anderen  Ort  wandere  und  so  eine  ge- 
wisse Inkontinuität  Platz  greife;  man,  griff 
also  zu  einem!  System  der  Dezentralisation  der 
Verbandsarbeit:  München  wurde  als  stän- 
dige Adresse  und  Auskunftsstelle  über 
Studienfragen  und  Angelegenheiten  des  täg- 
lichen Lebens  für  Studierende  des  In-  und 
Auslandes  des  Verbandes  der  Internationalen 
Studentenvereine  erklärt  und  ebendorthin  die 
Drucksachenzentrale  verlegt;  der  Zweck  der 


218 


<§s 


DIE  FR!EDEN5-^M&DTE 


letzteren  liegt  darin,  daß  sämtliche  Veröffent- 
lichungen der  einzelnen  Vereine  —  die  im  von 
der    „Brücke"     propagierten    Weltformat    zu 
erscheinen    haben    — ,    nach    dieser    Zentrale 
gesandt    und   erst   von   ihr   versandt    werden 
sollen,    um    so    einen   Austausch    der    Erfah- 
rungen und  Arbeitsmethoden  herbeizuführen. 
Alle    Publikationen    haben    im    Monographie- 
system   zu    erscheinen.      Leipzig    erhält     die 
Preßzentrale,     Berlin      das      Verbandsarchiv, 
während  das1  Mitgliederarchiv  vom  Münchener 
Verein  geführt  wird.  Der  Heidelberger  Verein 
wurde  beauftragt,   eine   Monographie  ,,Ueber 
die  Nutzbarkeit  der  Münchener  , Brücke'  für 
die  internationalen  Studentenvereine"  zu  ver- 
fassen,   die    im   Weltformate    erscheinen    und 
der    Zeitschrift    „Vaterland    und    Welt"    an- 
geheftet    werden    soll.       Um    die    Bewegung 
durch    Zusammenschluß    mit    anderen    inter- 
nationalen   Bestrebungen    zu    fördern,    wurde 
der     Beitritt     zur     „Union    des    Associations 
Internationales"  in  Brüssel  erklärt.     Schließ- 
lich wurde  die  Einrichtung  wissenschaftlicher 
Abende  nach  Muster  der  „Garton  Foundation" 
beschlossen.      Dr.    Langdon    D  a  w  i  e  s  ,    der 
eifrige  Mitarbeiter  Norman  Angells,  hielt  zur 
Orientierung  der  Kongreßteilnehmer  über  das 
Wesen   dieser    Stiftung   einen  längeren   Vor- 
trag   und    führte   im   Verlaufe    desselben   als 
Grundgedanken   dieser   Bestrebungen   folgen- 
des  an:    „Daß    der   Krieg   gottlos    sei,    wird 
nicht  von  uns  behauptet,  da  eine  solche  Be- 
hauptung nicht  zu  unseren  Bestrebungen  ge- 
hört.    Daß    der   Krieg  eine   Täuschung   oder 
eine  Unmöglichkeit  sei,  sagen  wir  auch  nicht, 
denn  wir  sind  keine  Idealisten.    Wir  suchen 
nicht    den    Beweis    dafür    zu    erbringen,    daß 
die  Finanziers  die  Friedensstifter  der  Zukunft 
seien  und  daß  dies  ein  Segen  sei;  wohl  aber 
behaupten    wir,     daß     das    Kreditwesen    mit 
seinem  Produkt,  der  Finanz,  uns  unmittelbar 
die  Wirkungen  der  nationalen  und  internatio- 
nalen Politiken   erkennen  läßt  und  daß   dies 
ein     nützliches     Moment     für     das     richtige 
Studium   von   Ursache   und   Wirkung   in   der 
Volkswirtschaft  darstellt.  .  .  .  Die  Gartonsche 
Stiftung   besteht   darin,   mittels  Druckschrif- 
ten,   Vorlesungen,    Organisationen    usw.     die 
Erforschung   der   wirtschaftlichen   und   philo- 
sophischen   Faktoren    der   gegenseitigen   Be- 
ziehungen  der   zivilisierten   Nationen   zu  för- 
dern.    Im   Zusammenhang   damit   entwickeln 
sich  gegenwärtig  in  verschiedenen  Teilen  Eng- 
lands zwei  Hauptgruppen  von  Vereinigungen : 
die    War    and    Peace    Societies    oder    Study 
Circles    zum    Zwecke    der   Heranbildung    der 
Mitglieder    im    Sinne    der    Lehre    zum    Ein- 
greifen    bei     Diskussionen,      Vorträgen,    po- 
litischen Reden  oder  dgl.    Die  zweite  Gruppe 
richtet  sich  an  weitere  Kreise,  indem'  zur  Mit- 
gliedschaft _  alle  jene  zugelassen  werden,   die 
sich    für     internationale    Beziehungen    inter- 
essieren;    sie    lädt    Redner    aller    möglichen 
Ansichten     zu     ihren     Diskussionen    ein.  .  . . 
Study  Circles  der  ersten  Art  bestehen  auch 


an    verschiedenen     deutschen    Universitäten, 
deren    Entstehung     durch     Norman    Angells 
Ausschreibung  eines  Preises  für  jede  Vereini- 
gung in  Anerkennung   des   besten  im  Laufe 
des    nächsten    Jahres    abgefaßten    Aufsatzes 
ein  weiterer  Sporn  verliehen  ist.    Diese  Grün- 
dungen gehen  auf  die  Initiative  der  internatio- 
nalen   Studentenvereine    zurück.     Der    Lohn 
ihrer  Tatkraft  und  Hingabe  bei  der  Schöpfung 
des   Unternehmens   wird   sich   voraussichtlich 
in     Gestalt     einer     Preiskrönung     einstellen, 
was   aber    weit    we rtvoller   ist,    der 
Verein  wird  das  Bewußtseinhaben, 
daß    er    bei    der    Einführung    einer 
der    höchsten     Bestrebungen     des 
zwanzigsten  Jahrhunderts  für  die 
Wohlfahrt       der       Menschheit      an 
erster   Stelle    stand.  ...    Das   Prinzip, 
das  wir  entwickeln  —  Sie  in  Deutschland  und 
wir   in   England   — ,    erstreckt    sich   über   die 
ganze  Welt.     Wir  gehen  ja  nicht  darauf  aus, 
etwas     zu     vernichten,     was    die     Menschen 
schätzen,  wir  arbeiten  nicht  im  Dienste  eines 
Teiles    der    Menschheit    zum    Nachteile    des 
anderen;    wir    wirken    lediglich     durch     das 
volle  Medium  der  Wissenschaft,  um  auf  festem 
Grund  und  Boden  das  Zusammenwirken,  die 
Sicherstellung    und    den    Frieden    unter    den 
Völkern  aufzubauen.  .  .  ."      Im   Sinne   dieser 
englischen    Anregung    wurde    festgelegt,    daß 
jeder    Verein,    der    wissenschaftliche    Abende 
auf  Grund  der  Lehren  Norman  Angells  ver- 
anstaltet  und  fünf  Arbeiten  aus  dem  Kreise 
seiner    Mitglieder  über   Themen  aus   Angells 
Buch:    „Die  große   Täuschung"   bis   31.   De- 
zember 1913  einliefert,  als  Preis  für  die  beste 
dieser   Arbeiten    100    M.   zur   Verfügung    er- 
hält.    Als  Preisrichter  ist  möglichst  ein  Pro- 
fessor der  Nationalökonomie  der  Universität 
der    betreffenden  Vereinsstadt    zu    gewinnen. 
Zur   Anleitung    und   Hilfe   bei   Veranstaltung 
dieser      wissenschaftlichen     Abende     ist     die 
Herausgabe  eines  Büchleins  in  Aussicht  ge- 
nommen. 

Die  Neuwahlen  in  den  Vorstand  des  Ver- 
bandes ergaben  als  Resultat :  Vorsitzender 
cand.  phil  et  hist.  Edgar  Herzog  für  den 
Vorort  Leipzig,  Beisitzer:  für  Berlin:  med. 
A 1  p  e  r  n  und  phil.  Paranype,  für  Bonn : 
jur.  V  i  r  m  i  c  h  ,  für  Freiburg :  Dr.  phil.  M  e  g, 
für  Göttingen :  phil.  Löwenstein,  für 
Heidelberg :  med.  Dierksen,  für  München : 
jur.  L  emm  er. 

Zum  Ort  der  nächsten  Tagung  wurde 
München    bestimmt. 

Nach  einer  Reihe  von  Besichtigungen 
und  geselligen  Veranstaltungen  folgte  eine 
Studienfahrt  nach  Weimar,  die  alle,  die 
an  ihr  teilnahmen,  in  eine  weihevolle  Stim- 
mung versetzte.  Sie  wird  uns  stets  un- 
vergessen bleiben. 


219 


DIE  FBIEDENS  -WASTE  = 


\3 


Brief  aus  den  Miederlanden. 

Von  Dr.   de  J  o  n  g  van  Beek  en  Donk, 
Ministerialrat    des    niederländischen    Justiz- 
ministeriums,   Haag. 
(Der    nächste    Friedenskongreß.    —    Die    Küsten- 
verteidigungsvorlage.   —    Die    Friedensfeier    vom 
22.  Mai.)  ' 

Ein  Brief  aus  den  Niederlanden  muß 
sich  in  dieser  Zeit  notwendigerweise  auf  den 
nächsten  Weltfriedenskongreß  beziehen,  der 
vom  18.  bis1  zum  23.  August  im  Haag  statt- 
finden wird  und  der  im  Jahre  1913,  in  dem 
so  viele  internationale  Kongresse  in  Holland 
tagen  werden,  ohne  Zweifel  im  Interesse  des 
niederländischen  Volkes  eine  erste  Stelle 
einnehmen  wird. 

Wir  holländischen  Pazifisten  fühlen  nicht 
nur    immer    mehr,    an    welchem    bevorzugten 
Platz    wir   in   der   Friedensbewegung   stehen, 
sondern    zugleich,    welche    schwere    Pflichten 
auf  uns  ruhen.     Bei  uns  gibt  es  keine  mili- 
tärische Partei,   die  den  Krieg  nicht  als  ein 
Uebel     empfinden     würde.      Die    Einwohner 
unseres  kleinen  Staates  wissen  ja  zu  gut,  daß 
die  beste  Gewähr  für  die  Erhaltung  unserer 
Unabhängigkeit     in     der    Verbesserung    der 
internationalen  Rechtsorganisation  und  in  der 
allmählichen  Entwicklung  des  internationalen 
Gerechtigkeitsgedankens  liegt.     Wir  sind  da- 
her  nicht,    wie    unsere   Freunde   in   anderen 
Ländern,    der    Gefahr    ausgesetzt,    als    anti- 
patriotisch  gescholten  zu  werden,   wenn  wir 
unsere    Landsleute     anregen,,     sich    der    Be- 
wegung   für    internationales    Recht    und    für 
internationale     Gerechtigkeit      anzuschließen. 
Aber    außerdem    hat     der    holländische 
Pazifist  auch  unter  denen  der  anderen  kleinen 
Staaten  eine   besondere   Stellung  inne.      Wir 
genießen  den  großen  Vorzug,  in  unserer  Mitte 
die    Friedenskonferenzen     und    schon     zwölf 
Sitzungen    des    Haager    Schiedshofes    gehabt 
zu  haben.     Wir  haben  den  Vorzug,  daß  sich 
hier  im  Haag  der  Friedenspalast  erhebt,  der 
der    Sitz    der   künftigen   Friedenskonferenzen 
und  der  künftigen  Zusammenkünfte  des  inter- 
nationalen    Schiedshofes     sein      wird.      Also 
haben    wir,    wie    die    holländische    Rednerin 
in  der  vor  einigen  Tagen  unter  Vorsitz  der 
Mrs.    May    Wright    Sewall   mit    großem 
Erfolg    stattgehabten   öffentlichen   Versamm- 
lung   des    Internationalen   Frauenbundes   be- 
merkte, in  unserem  Lande  als  Tatsachen  ge- 
sehen,    was     das    Resultat    der    riesenhaften 
Friedenspropaganda     in     allen     Ländern    zu- 
sammen   gewesen    ist.      Die    niederländische 
Bevölkerung  ist  jedesmal  Zeuge  des  Heran- 
wachsens   der    internationalen    Rechtsorgani- 
sation;   sie    hat    die    Gelegenheit,    selbst    zu 
sehen  und  ganz  nahe  zu  beobachten,  daß  die 
Pazifisten  nicht   nur   hohe   Ideale  anstreben, 
sondern  auch  schon  viel  erreicht  haben.    Ist 
es  nun  ein  Wunder,  daß  die  Friedenspropa- 
ganda bei  uns'  so  fruchtbaren  Boden  findet  ? 


Weil  die  Propaganda  in  unserem  Lande 
so  erleichtert  wird,  ist  es  für  uns  eine  um) 
so  größere  Pflicht,  alle  unsere  Kräfte  an- 
zuspannen, wenn  wir  in  einer  bestimmten 
Weise  in  der  internationalen  Friedensorgani- 
sation tätig  sein  können,  wie  jetzt  bei  der 
Vorbereitung  des  XX.  Weltfriedenskon- 
gresses. 

Selbstverständlich  war  es  unsere  erste 
Pflicht,  dafür  zu  sorgen,  daß  der  Kongreß 
von  offizieller  Seite  die  Sympathiebeweise 
empfange,  die  er  mit  Recht  beanspruchen 
kann.  In  dieser  Hinsicht  haben  wir  zweifel- 
los Erfolg  gehabt.  Der  Prinz-Gemahl  hat 
das1  Protektorat  des  Kongresses  —  ein  Sym- 
pathiebeweis des  königlichen  Hauses  —  an- 
genommen. Der  Ministerpräsident  Heems- 
kerk  ist  Vorsitzender  des  Ehren-Komitees, 
dem  unter  anderen  noch  angehören:  die 
Vorsitzenden  der  ersten  und  der  zweiten 
Kammer  der  Volksvertretung,  der  Vize- 
präsident des  Staatsrates,  die  Mitglieder  des 
internationalen  Schiedshofes,  die  Ehren-Vor- 
sitzenden der  ersten  und  der  zweiten  Frie- 
denskonferenz, de  Beaufort  und  van 
Tets,  die  Delegierten  der  Friedenskonfe- 
renzen Asser  und  van  Karnebeck, 
die  ,, Kommissarien  der  Koningin"  der  Pro- 
vinzen von  Nord-  und  Süd-Holland,  die 
Bürgermeister  vom  Haag,  von  Amsterdam', 
Rotterdam  und  Delft,  dem  Geburtsort  von 
Grotius,  die  höchste  protestantische,  ka- 
tholische und  israelitische  Geistlichkeit,  der 
Vorsitzende  der  niederländischen  Handels- 
bank u.  a.  iri.  Obwohl  die  vielen  nachteiligen. 
Gerüchte  über  den  Genfer  Weltfriedens- 
kongreß, die  in  viel  größerem  Maße,  als  es 
gerechtfertigt  erschien,  verbreitet  worden 
sind,  zur  Folge  hatten,  daß 'dem  Kongreß  eine 
finanzielle  Unterstützung  seitens  der  Regie- 
rung verweigert  wurde,  und  wir  uns  infolge- 
dessen fragen  mußten,  ob  die  Würde  der 
Friedensbewegung  es  unter  diesen  Umständen 
überhaupt  noch  gestatte,  den  Kongreß  in 
Holland  abzuhalten,  haben  alle  einfluß- 
reichen Persönlichkeiten  durch  ihren  bereit- 
willigen Beitritt  zum  Ehren-Komitee  geholfen, 
diese  Zweifel  zu  überwinden.  Der  vereinzel- 
ten Anschauung  des  Ministers  des  Aus- 
wärtigen Amtes  über  die  Bedeutung  des 
Kongresses  durfte,  allen  diesen  offiziellen 
Anerkennungen  gegenüber,  kein  zu  großes 
Gewicht    beigelegt    werden. 

Es  sei  hier  noch  besonders  erwähnt,  daß 
die  drei  größten  Gemeinden  unseres  Landes, 
Amsterdam,  Rotterdam  und  Haag,  wie  auch 
Delft  den  Kongreß  offiziell  zu  empfangen 
hoffen,  und  daß  die  Regierung  so  wohl- 
wollend gewesen  ist,  den  „Ridderzaal",  in  der 
die  zweite  Konferenz  ihre  Versammlung  ab- 
hielt, für  die  Eröffnungssitzung  zur  Ver- 
fügung zu  stellen.  Als  gemeinschaftliche 
Ausflüge,  die  zur  Förderung  der  gegenseitigen 
Bekanntschaft  auf  jeder  internationalen  Zu- 
sammenkunft   notwendig    sind,    werden    ge- 


220 


<§: 


=  DIE  FRI EDENS -WABXE 


plant:  ein  Besuch  im  alten,  dem  Haag  nahe 
gelegenen  Städtchen  Delft,  woran  sich  eine 
Huldigung  für  Grotius  anschließen  wird, 
eine  Dampfschiffahrt  durch  den  Rotterdamer 
Hafen  und  eine  solche  von  Alkmaar  nach 
Amsterdam,  durch  die  charakteristischen 
holländischen  ,,Zaanstreek"  mit  ihren  zahl- 
losen alten  Mühlen. 

Wenn  wir  also  erwarten  dürfen,  daß  es 
an  Ehrenbezeugungen  und  geselligen  Ver- 
anstaltungen nicht  fehlen  wird,  so  drängt 
sich  die  Frage  auf,  welches  die  große  und 
tiefe  Bedeutung  dieses  XX.  Weltfriedens- 
kongresses   sein    wird  ? 

Außer  der  nicht  gering  zu  achtenden. 
Gelegenheit  zur  persönlichen  Bekanntschaft 
der  Pazifisten  der  ganzen  Welt  muß  der 
Weltfriedenskongreß  meiner  Ansicht  nach, 
drei    Forderungen    erfüllen : 

1.  Der  Kongreß  muß  einen  großen  pro- 
pagandistischen  Einfluß   haben; 

2.  er  muß  zu  einer  Vertiefung  des  Stu- 
diums jener  Probleme  beitragen,  die,  will 
die  Friedensbewegung  ihr  Ziel  erreichen,  eine 
Lösung    erfordern; 

3.  er  muß  ein  gewisses  Aktionsprogramm 
festsetzen,  nach  welchem  sich  die  Pazifisten 
der  gesamten  Welt  in  nächster  Zukunft  zu 
richten   haben   werden. 

Was  nun  den  propagandistischen  Einfluß 
betrifft,  der  von  dem1  Kongresse  ausgehen 
muß,  ebenso  wie  die  Förderung  der  auf  den 
Frieden  bezughabenden  Probleme,  so  kann 
man  dem  XX.  Weltfriedenskongreß  nur  mit 
Vertrauen    entgegensehen. 

Es  ist  uns  gelungen,  ein  Preßkomitee 
zu  bilden,  woran,  neben  Journalisten,  einige 
der  fremden  Sprachen  mächtige  Damen  und 
Herren  teilnehmen  werden,  die  in  die  zu 
behandelnden  Probleme  eingedrungen  sind, 
wodurch  wir  imstande  zu  sein  hoffen,  jeden 
Tag  eine  verläßliche,  sachliche  Uebersicht 
an  die  Auslandspresse  senden  zu  können.  Und 
unzweifelhaft  werden  die  in  der  Märzversamm- 
lung von  der  Internationalen  Kommission  des 
Berner  Bureaus  gefaßten  Beschlüsse  —  daß 
nur  jene  Aktualitäten  behandelt  werden 
sollen,  die  die  Internationale  Kommission  zur 
Ausführung  zu  bringen  hat,  daß  die  Kom- 
missionen zwei  Tage  vor  der  Eröffnungs- 
sitzung zu  einer  gründlichen  Besprechung 
der  zuvor  gedruckten  und  an  die  Teilnehmer 
gesandten  Berichte  zusammenkommen,  und 
daß  nur  eine  kleine  Anzahl  Vorlagen  zur 
Besprechung  gebracht  werden  sollen  —  zur 
Folge  haben,  daß  diese  Uebersicht  der  De- 
batten in  der  Tat  einen  rein  propagan- 
distischen Anstrich  tragen  wird.  Hierzu 
kommt  noch  zum  Schlüsse,  daß  die  Bericht- 
erstatter ohne  Ausnahme  Männer  von  so 
großer  Bedeutung  sind,  daß  in  der  Tat  er- 
wartet werden  kann,  daß  deren  Berichte  nicht 
wenig  zur  Lösung  der  vielen  schwierigen 
Probleme  beitragen  werden.  Wenn  man  weiß, 
daß    niemand   andere    wie    La    Fontaine, 


Arnaud,  Prof.  de  Maday,  Prof.  van 
Vollenhoven,  Fried,  Le  Foyer,  Yves 
Guyot,  Norman  Angell  und  Prof. 
Q  u  i  d  d  e  die  Berichterstatter  sein  werden, 
wird  man  dies  ohne  weiteres  zugeben  müssen. 

Schade,  daß  man  noch  nicht  bestimmt 
sagen  kann,  ob  auch  in  Beziehung  auf  den 
dritten  Punkt  ein  günstiger  Einfluß  vom 
XX.  Weltfriedenskongreß  ausgehen  wird. 
Doch  ist  es,  glaube  ich,  die  allererste  Be- 
dingung unserer  Bewegung,  daß  mehr  Kraft- 
konzentration Platz  haben  muß  als  bis  jetzt 
der  Fall  ist,  wozu  der  Weltfriedenskongreß 
an    allererster    Stelle    mitwirken    kann. 

Ein  gemeinschaftliches  Aktionsprogramm 
muß  von  dem  folgenden  Weltfriedens-Kon- 
gresse ausgehen,  auf  daß  die  Ratschläge  und 
Beschlüsse  nicht  nur  theoretisch  von  ^großer 
Bedeutung  bleiben,  sondern  auch  sofort  prak- 
tische  Ausführungen   zur   Folge   haben. 


Zum  Schlüsse  noch  einige  Mitteilungen, 
die  nicht  mit  dem  Kongresse  in  Verbindung 
stehen. 

Eine  der  letzten  Taten  der  scheidenden 
zweiten  niederländischen  Kammer  der  Gene- 
ralstaaten war  die  Annahme  eines  Gesetz- 
entwurfes, wobei  die  Ausgabe  von  12  Millio- 
nen Gulden  zur  Verbesserung  der  Küsten- 
verteidigung bewilligt  wurde,  hauptsächlich, 
um  unsere  Neutralität  im  Falle  eines  See- 
krieges   ungehindert    durchzuführen. 

Die  Beratung  war  besonders  dadurch 
interessant,  weil  der  Kriegsminister  C  o  1  y  n 
die  Erklärung  abgab,  daß,  falls  die  großen 
Staaten  zu  einer  Entwaffnung  schreiten 
würden,  er  der  erste  wäre,  diesem1  Beispiel 
zu  folgen,  wodurch  also  der  Kriegsminister 
vollkommen  von  dem  Standpunkte,  der  durch 
viele  militärische  Autoritäten  noch  immer 
verteidigt  wird,  abging,  daß  nämlich  Kriege 
für  den  Fortschritt  der  Menschheit  not- 
wendig seien. 

Eine  besonders  pazifistische  Rede  hielt 
der  frühere  Minister  des  Auswärtigen  Amtes, 
de  Beaufort,  der  diese  Ausgaben  für  über- 
flüssig hielt,  da,  seiner  Ansicht  nach,  ein 
großer  europäischer  Krieg  nicht  mehr  mög- 
lich sei.  Als  Beweis  dafür  führte  dieser 
Staatsmann  den  guten  Ablauf  der  Balkan- 
krisis  an,  worin  doch  so  viele  Gelegen- 
heiten für  das1  Ausbrechen  eines  Krieges,  falls 
dieser  gewünscht   wurde,   gegeben  waren. 

Der  Führer  der  Sozialdemokraten, 
Troelstra,  wies  wiederum  auf  die  großen 
Wohltaten  hin,  die  mit  dem  für  militärische 
Ausgaben  bestimmten  Gelde  dem  Volke  er- 
wiesen werden  könnten,  und  glaubte  seiner- 
seits auch  nicht,  daß  ein  großer  Staat  es 
wagen  würde,  sich  an  die  Unabhängigkeit 
eines  kleinen  Kulturstaates  zu  vergreifen,  da 
die  Kultur  eines  kleinen  Volkes  für  den 
Fortschritt  der  Menschheit  nicht  zu  missen 
wäre. 


221 


DIEFßlEDENS-^fc/^JirE 


!§> 


Verschiedene  bekannte,  den  Regierungs- 
parteien angehörende  Pazifisten,  unter  denen 
sich  auch  der  2.  Vorsitzende  von  dem 
Bunde  „Vrede  door  Recht",  Herr  Dr.  Van 
Asch  van  Wyck,  befand,  stimmten  für 
den  Entwurf.  Obschon  ich  persönlich  die 
mehr  optimistischen  Auffassungen  der  Herren 
de  Beaufort  und  Troelstra  teile,  so 
glaube  ich  doch  wohl,  daß  man  diese  Frie-i 
densanhänger  wegen  ihrer  Abstimmung  nicht 
streng  beurteilen  darf.  Man  kann  sehr  wohl 
ein  überzeugter  Pazifist  sein,  und  doch  damit 
rechnen,  daß  bei  den  so  oft  drohenden  inter- 
nationalen Verwicklungen  ein  kleiner  Staat 
in  die  Notwendigkeit  versetzt  ist,  für  eine 
Verstärkung  seiner  Verteidigungsmittel  Sorge 
zu  tragen.  Es  wäre  bloß  zu  wünschen,  daß 
diese  Parlamentsmitglieder  sich  einmal  die 
Frage  stellten,  ob  es  nicht  vernünftiger  sei, 
wenn  der  kleine  Staat  jährlich  zugleich  mijt 
den  Millionen  für  militärische  Zwecke  einige 
tausend  Gulden  zur  Förderung  der  Friedens- 
bewegung aussetzen  würde,  die,  wenn  ein- 
mal ihr  Ziel  erreicht  ist,  jährlich  Millionen 
retten  wird. 


Der  22.  Mai  war  bei  vielen  Pazijfisten 
vollkommen  dem  Frieden  gewidmet.  Des 
Morgens  fand  eine  dicht  besuchte  allgemeine 
Jahresversammlung  des  Bundes  „Vrede  door 
Recht"  statt,  worauf  unter  anderem1  be- 
schlossen  wurde : 

a)  an  die  Niederländische  Regierung  ein 
Gesuch  zu  richten,  mit  allen  Kräften  fördern 
zu  wollen,  daß  sobald  als  möglich  die  Inter- 
nationale Kommission  zur  Vorbereitung  der 
dritten  Friedenskonferenz  ins  Leben  ge- 
rufen werde; 

b)  ein  genaues  und  unparteiisches  Stu- 
dium des  Problems,  eine  internationale  Po- 
lizeimacht  zu   errichten; 

c)  jedes  Jahr  einen  nationalen  Friedens- 
kongreß  zu  organisieren. 

Mittags  fand  die  Debatte  zwischen 
Prof.  van  Vollenhoven  und  Prof.  Struycken 
über  die  internationale  Polizei  statt,  die  sehr 
großem    Interesse    begegnete. 

Des  Abends  fand  gelegentlich  der  Zu- 
sammenkunft des  Internationalen  Frauen- 
bundes unter  der  begeisternden  Leitung  von 
Mrs.  May  Wright  Sewall  eine  große 
öffentliche  Versammlung,  die  sich  mit  Friede 
und  Schiedsgericht  befaßte,  statt,  die  ein 
außergewöhnlich  großes  Interesse  fand.  Als 
Sprecherinnen  traten  auf:  Mrs.  May  Wright 
Sewall  (Amerika)  selber,  Frau  von  Hainisch 
(Oesterreich),  Frau  Ella  Anker  (Norwegen), 
Mrs.  Courtice  (Kanada),  Frau  Zipernowsky 
(Ungarn),  Mlle.  L.  La  Fontaine  (Belgien) 
und  Mevrouw  de  Jong  van  Beek  en  Donk 
(Holland). 


){\){.  Lake-Mohonk-Konferenz. 

Von  Henry   S.   Haskell,  New  York. 

Die  XIX.  Jahreskonferenz  für  inter- 
nationale Schiedsgerichtsbarkeit  wurde  am 
Mohonksee  am  14.  Mai  eröffnet.  In  den  ver- 
gangenen Jahren  war  es  gebräuchlich,  daß  nur 
ein  Präsident  allen  in  den  drei  Tagen  abge- 
haltenen Sitzungen  vorstehe.  Dieses  Jahr  wurde 
iür  jede  einzelne  Sitzung  je  ein  hervorragender 
Präsident  gewählt.     Es  waren  dies: 

Rev.   Dr.    Lyman  Abbott,   New  York, 
Herausgeber    des    ,, Outlook", 

I.    Allen   Baker,    London,    Parlaments- 
mitglied, 

James  Brown   Scott,   Washington,   Se- 
kretär der  Carnegie-Stiftung, 

Dr.  Charles  W.  Eliot,  Cambridge,  Prä- 
sident der  Harvard-Universität, 

Hon.  Charlemagne  Tower,  Philadelphia, 
früherer  Botschafter  in  Deutschland, 

Dr.   James   M.   Taylor,   Poughkeepsie, 
Präsident    des    Vassar    College. 

Bei  Eröffnung  der  Konferenz  gab  Lyman 
Abbott  einen  kurzen  Ueberblick  über  die 
früheren  Konferenzen,  dabei  an  eine  im  Jahre 
1895  getane  Aeußerung  des  verstorbenen 
Albert  Keith  Smiley  erinnernd:  „Dies  ist 
eine  Konferenz  für  internationale  Schieds- 
gerichtsbarkeit; keine  gegen  die  Greuel  des 
Krieges  oder  für  den  Frieden  um  jeden  Preis." 
Er  bezog  sich  auf  das  Drama  Mrs.  Trasks) 
,,In  The  Vanguard"  und  sagte:  „Wenn  einem 
einzelnen  Soldaten  das  Recht  zugesprochen 
wird,  alle  ihm  zur  Verfügung  stehenden 
Kräfte  zu  benützen,  um  ein  Mädchen  vor 
einem  beschimpfenden  Kuß  zu  bewahren, 
dann  kann  es  nicht  als  Unrecht  angesehen 
werden,  wenn  das  bulgarische  Volk  seiner-* 
seits  alle  Kräfte  aufbietet,  um  eine  Ent- 
führung seiner  Frauen  und  Töchter  aus  ihrem 
Heim  in  türkische  Harems  zu  verhindern." 
Dr.  Abbott  trat  nachdrücklich  ein  für 
internationale  Gerechtigkeit  und  internatio- 
nales Gewissen,  durch  welche  erst  der  inter- 
nationale Frieden  gezeitigt   werden  würde. 

Dr.  James  Brown  Scott  sprach  über 
die  künftigen  Fortschritte  der  Konferenz. 
„Unser  Werk",  sagte  er,  „wird  jetzt  eine  all- 
gemeine öffentliche  Meinung  wecken,  die 
die  schiedsgerichtliche  Schlichtung  aller 
internationalen  Differenzen  fordern  wird,  um 
die  schon  geschaffene  Maschinerie  der 
Schiedsgerichtsbarkeit  wirksam  und  prak- 
tisch am  Werke  zu  sehen.  Die  Praxis  des 
Schiedshofes  soll  vom  Kompromiß  zur  richter- 
lichen  Aktion    entwickelt   werden. 

Ansprachen  über  die  nahende  Jahrhun- 
dertfeier des  anglo-amerikanischen  Friedens 
wurden  von  H.  S.  Perris,  englischem  Se- 
kretär des  Komitees,'  und  von  Andrew 
B.  H  u  m  ph  r  e  y ,  amerikanischem  Sekretär 
des  Komitees,  gehalten.  Perris  lenkte  in 
einer  schwungvollen  und  logisch  gegliederten 


222 


<5G 


DIE  FRI  EDENS ->fc*XRTg 


Rede  die  Aufmerksamkeit  der  ganzen  Welt 
auf  das,  was  dieses  Jahrhundert  des  Friedens 
lehrt,  auf  die  über  fast  viertausend  Meilen 
unbefestigte  Grenze  zwischen  Kanada  und 
den  Vereinigten  Staaten  und  auf  verschiedene 
Arten  von  Streitigkeiten,  die  durch  das 
Schiedsgericht    erledigt   wurden. 

Prof.  James  M.  Callahan  schilderte 
die  Geschichte  der  Schiedsgerichtsbarkeit 
zwischen  Großbritannien  und  den  Vereinigten 
Staaten    im    verflossenen    Jahrhundert. 

Edward  Ginn,  Boston,  erörterte  die 
Mittel,  um  den  Zweck  und  den  Einfluß  der 
internationalen  Schiedsgerichtsbarkeit  und 
das  Zusammenwirken  derjenigen  wachsen  zu 
lassen,  die  nach  dieser  Richtung  arbeiten. 
Um  die  Erzwingung  der  Schiedsurteile  zu 
ermöglichen,  schlug  er  vor,  daß  jede  Nation 
ein  Zehntel  ihrer  Militär-  und  Flottenmacht 
dem  Hof  zur  Verfügung  stellen  sollte.  Die 
Verfügung  über  die  restlichen  neun  Zehntel 
soll  jeder  einzelnen  Nation  vorbehalten 
bleiben,  bis  diese  sie  freiwillig  vermindern 
oder  ganz  streichen  würden. 

Am  Nachmittag  des  14.  Mai  fand  eine 
einfache,,  aber  würdige  Feier  zur  Erinnerung 
an  den  verstorbenen  Albert  Keith  S  m  i  1  e  y 
statt,  der  die  Lake  Mohonk-Konferenzen  ins 
Leben  gerufen  hat.  Dr.  Eimer  Brown 
sprach  über  Smileys  edles  Werk  zugunsten 
der  amerikanischen  Indianer.  Dr.  Lyman 
Abbott  schilderte  S  m  i  1  e  y  als  einen 
Idealisten  und  Tatmenschen..  Bei  einer  spä- 
teren Sitzung  wurden  diesbezügliche  Sym- 
pathie-Resolutionen  angenommen. 

Der  Abendsitzung  vom  14.  Mai  präsi- 
dierte J.  Allen  Bake  r.  Er  erstattete  einen 
begeisterten  und  sehr  interessanten  Bericht 
über  die  Beratungen  des  britisch-ameri- 
kanischen Komitees  für  die  Feier  des  ersten 
Jahrhunderts  des  Friedens,  und  fügte  noch 
hinzu,  daß  auch  das  anglo-deutsche  Freund- 
schaftskomitee sehr  viel  getan  habe,  um  herz- 
liche Beziehungen  zwischen  England  und 
Deutschland  anzubahnen. 

"Prälat  Dr.  Alexander  G  i  e  ß  w  e  i  n  von 
Budapest  sprach  über  „Christentum  in  der 
Friedensbewegung"  und  überbrachte  die 
Grüsse  der  ungarischen  Friedensgesellschaft, 
deren  Präsident  er  ist. 

H enri  Bourassa,  Führer  der  fran- 
zösischen canadischen  Nationalistenpartei,  Mit- 
glied der  Quebeker  gesetzgebenden  Körper- 
schaft und  Herausgeber  des  „Le  Devoir"  in 
Montreal,  spielte  auf  den  Mangel  an  inter- 
nationalem Einfluß  an,  den  Canada  vormals 
infolge  seiner  besonderen  geographischen 
Lage  besaß.  Er  führte  aus,  daß  in  Zukunft 
Canada  einen  wichtigen  Anteil  an  den  ameri- 
kanischen Angelegenheiten  der  Welt  über- 
haupt nehmen  würde,  und  daß  es  der  Sache 
des  internationalen  Schiedsgerichtes  helfen 
wolle.  Ferner  begründete  Bourassa, 
warum  Canada  keine  Schiffe  für  die  britische 
Flotte  liefern  wolle. 


William  R.  Shepherd,  Historiker  an 
der  Columbia- Universität,  behandelte  in  einem 
außerordentlich  interessanten  Bericht,  der  die 
Beziehungen  zwischen  den  Vereinigten  Staaten 
und  den  Republiken  Latein-Amerikas  be- 
leuchtete, die  unter  dem  Namen  „Monroe 
Doktrin"  bekannte  Politik.  Er  hält  die 
„Monroe  Doktrin"  nicht  für  die  Schieds- 
gerichtsbarkeit  geeignet. 

Norman  A  n  g  e  1 1 ,  (Ralph  Lane),  Paris, 
Verfasser  von  „Die  große  Täuschung"  (die 
falsche  Rechnung)  skizzierte  einige  praktische 
Methoden,  um  die  öffentliche  Meinung  richtig 
zu  informieren.  Darunter  befanden  sich: 
eigene  Leitfaden  für  die  Schulen;  systema- 
tischen Unterricht  in  Mittelschulen  und  an 
Universitäten,  mit  Schaffung  von  Lehrstühlen 
für  die  Wissenschaft  der  internationalen  Be- 
ziehungen. 

Bei  der  Morgensitzung  des  15.  Mai  prä- 
siderte  Dr.  James  Brown  Scott.  Er  gab  ein 
klares  und  überzeugendes  Resume  der  Grund- 
sätze, die  bei  der  dritten  Haager  Konferenz 
befolgt  werden  sollten. 

William  C.  Dennis,  vom  Washingtoner 
Barreau  legte  allen  dringlich  nahe,  ihren  Ein- 
fluß bei  der  Regierung  dahin  geltend  zu 
machen,  daß  sie  die  dritte  Haager  Konferenz 
vorbereiten  helfe.  Zwei  Gegenstände  sollten 
vor  allem  in  Erwägung  gezogen  werden: 

1.  Die  Regulierung  des  Krieges  mit  be- 
sonderem Bezug  auf  die  Vorbereitungen  zum 
Krieg,  Beschränkung  der  Rüstungen  und  Ge- 
setze für  die  Kriegsführung. 

2.  Ersatz  des  Krieges  durch  richterliches 
Verfahren,  durch  Hinweis  auf  den  Zweck  des 
Schiedsgerichtes  und  durch  Verbesserung  des 
Systems  und  des  Verfahrens  der  Schiedsge- 
richtsbarkeit. 

Er  glaubt,  daß  durch  die  Ausnahme  des 
Privateigentums  von  der  Seebeute  ein  Einfluß 
gegen  den  Krieg  wegfalle,  indem  dadurch  die 
Furcht  vor  einem  wirtschaftlichen  Verlust  im 
Kriegsfall  beseitigt  werden  würde. 

Hon.  Jackson  H.  Ralston  L.  L.  D.,  be- 
zeichnete den  Krieg  als  ein  Verbrechen,  ein 
Uebel,  einen  Wahnsinn.  Jene,  die  Verbrechen 
begehen  wollen,  werden  kein  Strafgesetz  er- 
finden, und  Herrschern,  die  Kriegsmache  be- 
treiben, sollte  es  nicht  gestattet  werden,  Anti- 
Kriegsverträge  für  andere  Nationen  zu  bilden. 
Die  Rechte  der  Neutralen  müßten  den  Rechten 
der  Kämpfenden  vorgehen.  Blockaden  sind 
ungerecht,  denn  sie  schädigen  die  Rechte  der 
Neutralen. 

„Die  Kodifikation  der  Regeln  und  Ge- 
bräuche im  Seekrieg"  hieß  der  Titel  des 
Berichtes  von^Prof.  Dr.  Arnos.  S.  Hershey, 
von  der  Indiana  State  Universität.     """ 

Arthur  K.  Kuhn  vom  New- Yorker 
Barreau  erläuterte  den  Entwurf  für  einen  inter- 
nationalen Staatengerichtshof,  der  nicht  als 
ein  Ersatz  für  den  bestehenden  Haager  Hof 
zu   gelten    habe,    sondern    als   ein   neues    und 


223 


DIE  FRIEDENS -^ÄDTE  = 


3 


ergänzendes  Organ,  das  mit  internationaler 
Sanktion  die  friedliche  Schlichtung  von  Streitig- 
keiten zwischen  Nationen  durchzuführen  haben 
wird. 

Der  Hof  für  Schiedsgerichtsbarkeit  hätte, 
einmal  ins  Leben  gerufen,  obligatorische  Ge- 
richtsbarkeit über  eine  beschränkte  Anzahl  von 
Gegenständen,  über  die  man  sich  noch 
schlüssig   werden   würde,   auszuüben. 

Ein  Aufruf  für  die  Freiheit  der  Luft,  zum 
Verbot  der  Verwendung  der  Luftschiffe  im 
Krieg  wurde  von  Edwin  D.  Mead,  Bbston, 
Direktor  der  World  Peace  Foundation,  einge- 
bracht. Mead  wandte  sich  dann  in  einer 
sehr  logischen  Rede  gegen  die  Gelddarlehen 
der  Neutralen  an  die  Kriegführenden,  was 
durch  ein  internationales  Uebereinkommen  ver- 
boten werden  sollte. 

Bei  Eröffnung  der  Abendsitzung  vom 
15.  Mai  sprach  Dr.  Charles  W.  ETio  t  über 
„Wie  die  Ursachen  des  Krieges  auszurotten 
wären."  Er  führte  sehr  beredt  aus,  daß  ein 
internationales  Uebereüikommen  abge- 
schlossen werden  müsse  zur  Beschränkung 
der  Rüstungen  und  zur  Errichtung  eines  inter- 
nationalen Staaten-Gerichtshofes,  der  durch 
internationale  Macht  unterstützt  werden 
sollte.  Die  Erziehung  der  Massen,  öffent- 
liche Arbeiten  für  Erhaltung  und  Vorbeuw 
gungsmaßregeln  würden,  wenn  auch  langsam, 
folgen.  Der  Fortschritt  des  Völkerrechts, 
und  einer  wirtschaftlichen  und  industriellen 
Gesetzgebung,  die  Annahme  und  ehrliche 
Durchführung  der  Politik  der  „Offenen  Tür" 
und  die  Vermehrung  der  Gelegenheiten  zum 
gegenseitigen  Kennenlernen  wie  des  guten 
Willens  zwischen  den  Völkern  sind  Mittel, 
durch  welche  Kriege  unmöglich  gemacht  wer- 
den können,.  ' 

Heinrich  York-Steiner,  Wien,  be-j 
faßte  sich  mit  der  amerikanischen  Einwände^ 
rung,  indem1  er  mit  Nachdruck  auf  den  Ver- 
lust an  Menschenleben  in  den  Bergwerken, 
und  Faktoreien  der  Vereinigten  Staaten  hin-« 
wies1  und  gerechte  Gesetze  zum1  Schutze  der 
Arbeiter  verlangte. 

Hon.  P.  P.  Claxton,  Unterrichts- 
minister der  Vereinigten  Staaten,  schlug 
vor,  daß  ein  Buch,  betreffend  die  Ur- 
sachen, die  Kosten  und  die  Ergebnisse  des! 
Krieges'  und  des  bewaffneten  Friedens  in  den 
Lehrplan  der  Volks1-  und  Mittelschulen  auf-i 
genommen  werde.  Es  sei  auch  eine  Aende- 
rung  in  der  Lehrmethode  für  Geschichte  und 
Geographie  notwendig.  Junge  Schüler  sollten 
über  die  wahre  Auffassung  der  Bürgerpflich- 
ten, Ehre  und  des'  Patriotismus  belehrt  wer- 
den. „Gerechtigkeit  als  Grundlage  des  inter-, 
nationalen  Friedens"  war  der  Inhalt  eines, 
Referates  von  Felix  Adl  er , Professor  für 
soziale  und  politische  Ethik  an  der  Columbia- 
Universität.  Dr.  Adler  gab  der  Meinung 
Ausdruck,  daß  sentimentale  und  wirtschaft- 
liche Einflüsse  nicht  imstande  wären,,  die 
öffentliche   Meinung   zu  erwecken,   daß  aber 


ein  Appell  an  die  Gerechtigkeit  zwischen  allen 
Nationen  die  beste  Methode  sei^  den  Welt- 
frieden zu  sichern.  Ami  Schlüsse  der  Rede 
Dr.  Adlers  bemerkte  der  Präsident 
Dr.  Eliot:  „ES  ist  mehr  Hoffnung  zu  setzen 
auf  internationale  Gerechtigkeit  als  auf  ge- 
sunde   Wirtschaftsverhältnisse." 

Der  Gegenstand  der  Beratung  vom 
16.  Mai  war:  „Panamazölle  und  internatio- 
nale Schiedsgerichtsbarkeit.".  Der  Präsi- 
dierende, Hon.  Charlemagne  Tower,  gab 
eine  klare  Darstellung  der  Geschichte  aller 
diesen  Gegenstand  behandelnden  Schieds- 
verträge. Am  Schlüsse  sagte  er:  „Es  ist 
hier  nicht  die  Frage,  ob  wir  ein  gutes  oder 
schlechtes  Geschäft  machen,  aber  es  ist  für 
das  amerikanische  Volk  von  größter  Wich- 
tigkeit, daß  die  Regierung  der  Vereinigten 
Staaten  ihren  Verpflichtungen,  nachkommt 
und  ihre  internationalen  Verbindlichkeiten 
loyal    austrägt." 

Thomas  Raeburn  White  aus  Phila- 
delphia gab  einen  Ueberblick  aller  gegen  die 
schiedsgerichtliche  Austragung  der  Panama- 
Zollfrage  gerichteten  Argumente  und  wider- 
legte sie  durch  bewundernswürdig  logische 
und   unerschütterliche    Gegenbeweise. 

Der  Bevollmächtigte  für  Panama-Handel 
und  Zölle  der  Vereinigten  Staaten,  Emory 
R.  Johnson,  sprach  über  den  vorgeschla- 
genen Widerruf  der  Zollbefreiungsklausel  und 
der  wirtschaftlichen  Auffassung  dieser  Frage. 
Indem  er  die  Befreiung  als  tatsächliche  und 
unmittelbare  Unterstützung  der  Küstenschiff- 
fahrt  ansah,  brachte  er  verschiedene  zwin- 
gende Argumente  zugunsten  des  Widerrufs 
der  Befreiungsklausel  auf  rein  wirtschaft- 
licher  Grundlage. 

Hon.  Joseph  R.  Knowland,  Mitglied 
des  Kongresses  von  Kalifornien,  verteidigte 
die  Zollbefreiungsklausel  als  innerhalb  der 
Vertragsrechte  der  Vereinigten  Staaten 
liegend  und  als  wirtschaftlich  gerechtfertigt. 
Er  befürwortete  aber  trotzdem  die  schieds- 
gerichtliche Austragung  dieser  Frage  wegen 
ihres  Zusammenhanges  mit  dem  Hay-Paunce- 
fote-V  ertrag. 

Der  Herausgeber  der  New  York  World, 
Don  C.  S  e  i  t  z ,  richtete  einen  geharnischten 
Angriff  gegen  jene  Personen,  die  zur  Zeit, 
als  die  Vereinigten  Staaten  die  Panamakanal- 
Zone  erwarben,  an  der  Regierung  waren.  Er 
beklagte  sich  darüber,  daß  der  kolumbischen 
Republik  schweres  Unrecht  zugefügt  wurde 
und   verlangte,    daß   dies  gutgemacht   werde. 

Bei  der  nun  folgenden  Debatte  erklärten 
Dr.  Lyman  Abbott  und  ehester,  Admiral 
der  Flotte  der  Vereinigten  Staaten,  daß  die 
Regierung  der  Vereinigten  Staaten  nichts  ge- 
tan habe,  um  die  Panamarevolte  hervor- 
zurufen, und  daß  eine  Verletzung  der  Ver- 
tragsrechte nicht   erfolgt   sei. 

Edwin  D.  Mead  lenkte  die  Aufmerksam- 
keit auf  die  öffentliche  Darlegung  Joseph 
H.    Choates,    um   allen    am    Hay-Paunce- 


224 


<£ 


=  DIE  FRIEDENS-^M^RXE 


fote  Vertrag  Interessierten  klarzumachen, 
daß  alle  Nationen,  inklusive  der  Vereinigten 
Staaten,  den  Kanal  zu  gleichen  Bedingungen 
benützen  können.  Dr.  Ernst  Richard, 
Lektor  an  der  Columbia-Universität,  führte 
aus,  daß  kein  Grund  vorhanden  wäre,  zu 
glauben,  daß  der  Haager  Schiedshof  den  Fall 
nicht  absolut  unparteiisch  behandeln  würde, 
wenn  ihm  die  Zollfrage  unterbreitet  werden 
sollte. 

Die  Abendsitzung  vom  16.  Mai  unter 
dem  Vorsitz  von  Dr.  James  M.  Taylor 
war  den  Komiteeberichten,  der  Annahme  einer 
Resolution  und  einem  interessanten  Referat 
über  „Vertragsverpflichtungen  und  Schutz  der 
Ausländerrechte  durch  die  Vereinigten 
Staaten"  von  George  Crafton  Wilson,  Pro- 
fessor für  Völkerrecht  an  der  Harvard-Uni- 
versitätj    gewidmet. 

Das  Komitee  für  Handelsorganisationen 
unterbreitete  seine  Beschlüsse,  die  von  der 
Konferenz  gebilligt   wurden. 

„Daß  eine  wirksame  Zentrale  für  die 
Verbreitung  von  Informationen  betreffend 
die  durch  den  Krieg  gefährdeten  wirtschaft- 
lichen  Interessen  geschaffen  werde. 

Daß    die    Regierung    der    Vereinigten 
Staaten   aufgefordert   werde,   ihren   schwer- 
wiegenden     Einfluß  '   dahin      geltend      zu 
machen,   um   ein   internationales    Ueberein- 
kommen  zu  sichern,  das  Geldanleihen  oder 
""Waffenlieferungen    durch    Nationen   irgend 
eines  Landes  an  eine  kriegführende  Macht 
verbietet." 
Die    durch   die   Konferenz   angenommene 
P 1  a  t  f  o  r  m    hat   folgenden   Wortlaut : 

"1.  Der  Staatssekretär  der  Vereinigten 
Staaten  möge  die  Nationen,  die  an  der 
zweiten  Haager  Konferenz  teilnahmen,  auf- 
fordern, unverzüglich  das  von  dieser 
empfohlene  internationale  Vorbereitungs- 
Komitee  zu  bilden  mit  der  Aufgabe,  ein 
Programm  für  die  dritte  Haager  Konferenz 
zu  entwerfen,  den  Staaten  zu  unterbreiten, 
und  einen  Organisationsplan  für  die  Kon- 
ferenz selbst  auszuarbeiten. 

2.  Der  Staatssekretär  möge  dafür  Sorge 
tragen,  daß  dem  internationalen  Vorbe- 
reitungskomitee ehestens  eine  Aufstellung 
der  Fragen,  die  die  Vereinigten  Staaten 
auf  der  dritten  Haager  Konferenz  erörtert 
haben  möchten  mit  einer  Liste  der  von  den 
Vereinigten  Staaten  zu  jedem  Gegenstande 
gemachten    Vorschläge   zugeht. 

3.  Die  dritte  Haager  Konferenz  möge 
die  Frage  eines  allgemeinen  Schiedsvertra- 
ges wieder  erwägen,  wie  dieser  in  Ueberein- 
stimmung  mit  den  Grundsätzen  der  obliga- 
torischen Schiedsgerichtsbarkeit  einstimmig 
durch  die  zweite  Haager  Konferenz  ange- 
nommen wurde,  wodurch  der  Schieds- 
gerichtsbarkeit Streitigkeiten  juristischer 
Natur  ohne  Einschränkung  unterbreitet  wer- 
den, oder  solche,  die  sich  auf  die  Auslegung 


und  Anwendung  internationaler  Verträge 
beziehen,  ebenso  auf  andere  Konflikte,  die 
für  eine  schiedliche  Regelung  zugänglich 
erscheinen. 

4.  Der  im  Prinzip  von  der  zweiten 
Konferenz  angenommene  Staatengerichtshof 
möge  errichtet  werden,  um  Streitigkeiten 
rechtlicher  Natur  auszutragen,  ohne  daß 
der  ständige  Schiedshof  dadurch  beein- 
trächtigt   werde. 

5.  Die  Frage  der  Freigabe  des  zur 
See  erbeuteten  feindlichen  Privateigentumes 
möge  auf  der  dritten  Haager  Konferenz 
neuerdings    erörtert    werden. 

6.    Im    allgemeinen    möge    die    dritte 
Haager    Konferenz     größeren     Nachdruck 
auf    Maßregeln    legen,    durch    welche    der 
Friede  aufrechterhalten  oder,  wenn  einmal 
gestört,     wiederhergestellt     wird,     als    auf 
Kriegsreglementierung. 
Im  ganzen  kann  die  Konferenz  als   sehr 
erfolgreich   angesehen    werden.     Der   Verlust 
des     verstorbenen     Albert     Keith     S  m  i  1  e  y 
wurde  von  allen  Anwesenden  tief  empfunden. 
Der  freie  Gedanken-  und  Ideenaustausch  war 
ebenso  herzlich  wie  in  früheren  Jahren.    Der 
Gastgeber,  Daniel  Smiley,  führte  aus,  daß 
dieselben  hohen  Ideale,  dieselbe  gute  Kame- 
radschaftlichkeit   und    Herzlichkeit    und   das- 
dasselbe    tiefe    Eindringen    in    die    Probleme 
jetzt    wie   vormals    die   Lake    Mohonk-Konfe- 
renz   beseelen. 


Offizielle  Kundgebung 

für  die  Veranstaltung  der  Feier 

des  ersten  Friedensjahrhunderts 

zwischen  Großbritannien  und  den 

Vereinigten  Staaten. 

New  York,  10.  Mai  1913. 

Die  Vertreter  von  Großbritannien,  von 
Neufundland,  der  Vereinigten  Staaten,  von 
Kanada,  von  Australien  und  des  Gemeinde- 
rats von  Gent,  die  über  eine  würdige  Feier 
des'  hundertjährigen  Bestandes  des  den  letz- 
ten Krieg  zwischen  Großbritannien  und 
Amerika  beendenden  Vertrages  zu  Gent  be- 
ratschlagten, beschlossen,  alle  zivili- 
siertenVölker  z  urTeilnahme  auf- 
zufordern, damit  diese  Feier  in  jeder 
Weise  würdig  der  Bedeutung  dieses  Jahr- 
hunderts des  Friedens  sei. 

Wir  fordern  letzten  Endes  auch  deshalb 
zur  Teilnahme  auf,  damit  die  öffentliche  Mei- 
nung klar  und  deutlich  darüber  informiert 
werde,  daß  die  Zeit  zur  Schlichtung  selbst 
sehr  ernster  internationaler  Streitigkeiten  und 
Rivalitäten  ohne  Blutvergießen  und  ohne 
Kriegsgreuel  gekommen   sei.     Wenn  es  auch 


225 


DfE  FBIEDENS-^/ABTE  = 


■EE© 


unvernünftig  wäre,  die  Möglichkeit  künf- 
tiger Konflikte  und  Mißverständnisse  zu  be- 
streiten, so  müssen  wir  doch  erkennen,  daß 
diese  zumi  großen  Teil  durch  die  moderne 
Wissenschaft,  die  eine  Aussprache  ermög- 
licht und  Verbindungen  erleichtert,  aus- 
geschieden wurden.  Deshalb  hoffen  wir,  daß 
die  weitere  Entwicklung  der  Wissenschaft 
und  Künste,  des  Handels,  der  Industrie  und 
der  Finanz,  des1  gegenseitigen  Verstehensl 
auch  verschiedensprachliche  Völker  zu- 
sammenführen wird. 

Großbritannien  legte  Kolonien  an,  und 
die  Vereinigten  Staaten  haben  ihrer  Bevölke- 
rung mannigfache  und  mächtige  Elemente 
verschiedener  Nationalitäten  zugezogen.  Des- 
halb ist  die  hundertjährige  Friedensfeier 
zwischen  Großbritannien  und  seiner  Dominien 
einerseits  und  den  Vereinigten  Staaten 
andererseits  von  Interesse  für  alle 
jene  Länder,  wohin  Großbritanniens 
Söhne  gegangen  sind,  ebenso  wie  sie  jede 
Nation  angehen,  durch  welche  die  heutige 
Bevölkerung  der  Vereinigten  Staaten  gebildet 
wird.  Diese  Feier  soll  nicht  nur  ein  Jahr- 
hundert von  außergewöhnlicher  Bedeutung 
und  Wichtigkeit  bezeichnen,  sondern  soll 
auch  die  Aufmerksamkeit  lenken  auf  ein  Bei- 
spiel und  ein  Ideal,  das1,  wie  wir  hoffen, 
in  den  kommenden  Jahren  fortgesetzt  werden 
soll.  Was1.  Nationen  tun  konnten, 
werden  Nationen  tun  können. 

Wir  bitten  ehrfürchtig  den  Sekretär  des1 
Auswärtigen  Amtes  Seiner  Majestät  und  den 
Staatssekretär  der  Vereinigten  Staaten,  diese 
Einladung  offiziell  den  Regierungen  der  Welt 
zu  übermitteln,  damit  sowohl  durch  die  Teil- 
nahme der  Regierungen  als  auch  durch  die 
Zusammenarbeit  der  Gutgesinnten  in  jedem 
Lande  diese  Feier  nicht  nur  dazu  dienen  soll, 
das  erste  Jahrhundert  des  Friedens  zwischen 
den  englisch  sprechenden  Völkern  zu  be- 
gehen, sondern  auch  dazu,  eine  neue  Aera  des 
Friedens  und  des  guten  Willens  zwischen 
den  Nationen  der  ganzen  Welt  ein- 
zuleiten.  , 


n  RANDGLOSSEN  U 
ZUQ  ZEITGESCHICHTE 

Von  Bertha  v.  Suttner. 

Wien,  4.  Juni  1913. 

Der  Krieg  zwischen  den  Balkanstaaten 
und  der  Türkei  ist  zu  Ende.  Noch  zögerten 
einige  der  Beteiligten,  den  Präliminarfrieden 
zu  unterzeichnen  und  versuchten  allerlei  Ver- 
schleppungen, aber  Sir  Edward  Grey  —  der 
Wortführer  Europas  —  machte  dem  ein  ener- 
gisches Ende.  Es  ist  doch  eine  schöne,  ver- 
heißungsvolle Neuerscheinung,   daß  jetzt  die 


Feldzüge  nicht  von  den  Kriegführenden  auf 
dem  Kriegsschauplatz  beendet  werden,  son- 
dern durch  die  Verhandlungen,  man  könnte 
beinahe  sagen  durch  die  Befehle  von  aus- 
wärtigen, am  grünen  Konferenztisch  ver- 
tretenen Mächten.  Noch  ein  Schritt  mehr, 
und  die  Mächte  werden  den  Ausbruch  des 
Krieges  verhindern,  nicht  nur  sein  Ende  und 
seine   Resultate    dekretieren. 


Jetzt  müßte  verhindert  werden,  daß  die 
siegreichen  Verbündeten  untereinander,  wegen 
Teilung  der  Beute  (das  Wort  „Beute"  drückt 
so  richtig  den  raubtierischen  Charakter  aller 
Eroberungskriege  aus)  sich  an  die  Kehle 
fahren.  Lehrreich  wäre  das  zwar  und  würde 
zeigen,  wie  Krieg  immer  wieder  Krieg  er- 
zeugt und  wie  hinfällig  die  Phrasen  von 
„Christenbefreiung",  „Jochabschütteln"  usw. 
sich  erweisen,  wenn  einmal  Habgier,  Haß  und 
Mordwut  losgelassen  sind.  Uebrigens  wird 
der  Streit,  mit  Hilfe  Europas,  vielleicht  doch 
ohne  serbisch-bulgarischen  oder  griechisch- 
bulgarischen Krieg  geschlichtet  werden.  Für 
Differenzen  über  Gebiets-  und  Vertragsfragen 
gibt  es  ja  schon  ein  Tribunal.  Alle  Blätter- 
stimmen sollten  darauf  hinweisen,  statt 
immer  die  Sensationsnachrichten  der  gegen- 
seitigen Forderungen  und  Drohungen  zu  ver- 
breiten, wodurch  sie  die  Haß-  und  Miß- 
trauensstimmung nur  verschärfen.  Die 
Balkandelegierten  in  London  haben  auch  Ver- 
wahrung gegen  solche  übertriebene  Mel- 
dungen eingelegt,  und  sie  erklärten,  „daß  die 
schwebenden  Fragen,  wenn  sie  auch  delikater 
und  schwieriger  Natur  seien,  keineswegs  zu 
Feindseligkeiten  führen  werden,  denn  die 
Verbündeten  seien  fest  entschlossen,  diese 
Fragen  einer  freundschaftlichen  Lösung  zu- 
zuführen. Ein  Krieg  zwischen  ihnen  wäre  ein 
wahnwitziges  Verbrechen,  eine  Eventualität,  an 
die  nur  eine  verschwindende  Zahl  von  Chauvi- 
nisten denken  können  —  die  Regierungen 
aller  Balkanstaaten  rechnen  mit  dem 
Haager  Schiedsgericht  als  ihre  letzte 
Zuflucht."  Das  ist  vernünftig  gesprochen. 
Die  Frage  ist  nur,  ob  sich  die  Chauvinisten 
wirklich  als  „verschwindend"  und  nicht  als 
überhandnehmende    Kriegspartei    erweisen. 


Ein  Oberst  des  österreichischen  General- 
stabs, Redl  war  sei  Name,  erschießt  sich, 
wird  in  aller  Stille  begraben,  und  offiziell 
wird  der  Fall  durch  eine  Nervenkrankheit 
des  überarbeiteten  Offiziers  erklärt.  Die 
Täuschung  dauert  aber  kaum'  24  Stunden. 
Gerede  und  Gerüchte  fliegen  durch  die  Stadt, 
Interpellationen  fallen  im  Parlament,  und  die 
Wahrheit  kommt  —  behördlich  bestätigt  — 
an  den  Tag :  Oberst  Redl  war  ein  Spion, 
sein  Verbrechen  wurde  entdeckt,  und  eine 
Feme  hat  ihm  die  Pistole  zum  Selbstgericht 


226 


<£ 


DIE  FRIEDEN5-^5^RXE 


in  die  Hand  gedrückt.  Die  Sensation  ist  eine 
ungeheure.  Alle  Blätterspalten  und  alle 
Stadtgespräche  ergehen  sich  in  Entsetzen 
über  den  Einzelfall  und  in,  Betrachtungen  über 
die  Spionage  imi  allgemeinen.  „Die  Folgen 
sind  gar  nicht  auszudenken,"  heißt  es,  ,,wenn 
der  Mann,  der  an  der  Spitze  der  Kundschafts- 
abteilung des'  Kriegsministeriums  gestanden, 
wo  die  vertraulichsten  Angelegenheiten  zu 
führen  sind,  zum!  Verräter  im  Dienste  eines 
fremden  Staates1  wird,  mit  dem  wir  im  letzten 
Winter  so  ernste  Auseinandersetzungen 
hatten.  .  ."  —  „Was  hier  aufgedeckt  wird,  ist 
so  fürchterlich,"  schreibt  ein  Blatt,  „daß  die 
ganze  Bevölkerung  mit  lähmendem  Entsetzen 
erfüllt  ist.  Der  Mann,  der  das  weiß,  was  im 
Kriege  vielleicht  über  Sieg  und  Niederlage 
entscheidet,  verrät  es  dem  Feinde  .  .  er  war 
bereit,  Hunderttausende  österreichischer  und 
deutscher  Soldaten  in  die  Falle  zu  locken,  sie 
und  die  Sache,  der  sie  dienen,  der  Vernich- 
tung entgegenzuführen."  Diese  Sprache 
zeugt  von  dem  abergläubischen 
Gruseln  und  zitternden  Respekt,  mit  wel- 
chem das1  Volk  die  Mysterien  der  Kriegs- 
kanzleien betrachtet  —  als  wäre  das  höchste 
Wohl  und  Wehe  des  Staates,  die  Sicherheit 
der  Bevölkerung,  Glück  oder  Untergang,  von 
den  verschiedenen  ausgeheckten  Marsch- 
plänen, Truppenverschiebungen,  Mobili- 
sierungs-  und  Bewaffnungs-Details  und  son- 
stigen „Reservat"-Angelegenheiten  abhängig, 
die  den  Gegenstand  der  militärischen  Geheim- 
tuerei einerseits  und  der  militärischen  Aus- 
kundschaf tung  andererseits  abgeben.  Nein, 
ihr  Völker,  nicht  davon  hängt  euer  Wohl  ab, 
ob  der  eigene  Aufmarschpunkt  verheimlicht 
und  der  gegnerische  ausspioniert  worden,  son- 
dern davon,  daß  der  Aufmarsch  überhaupt 
v  er  hütet  wird.  Wir  hatten  ernste  Aus- 
einandersetzungen mit  dem  fremden  Staat, 
allerdings;  —  aber  diejenige  Auseinander- 
setzung, die  darin  bestand,  daß  Prinz  Hohen- 
lohe  mit  einer  Friedensmission  des  Kaisers 
nach  Petersburg  reiste,  und  der  .Befehl,  den 
der  Zar  erteilte,  die  Truppen  von  der  Grenze 
zurückzuziehen,  das  war  eine  wichtige  und 
segensreiche  Transaktion,  ganz  unabhängig 
von  den  Praktiken  der  Spionage  und  Konter- 
spionage. Selbst  vom  militärischen  Stand- 
punkte aus1  sollte  man  doch  schon  zur  Ueber- 
zeugung  gelangt  sein,  daß  Siege  und  Nieder- 
lagen von  Zufällen  und  Verwicklungen  ab- 
hängen und  daher  nicht  jahrelang  vorher  in 
den  Generalstabskanzleien  als  gehütete  Ge- 
heimnisse gebraut  werden  können.  Daß  der 
Krieg  ein  Anachronismus  geworden  ist,  das 
behaupten  wir  Pazifisten,  und  es  wird  von 
den  Gegnern  bestritten;  aber  daß  innerhalb 
des  modernen  Krieges  und  nach  den  Gesetzen 
seiner  eigenen  Struktur  die  ganze  Heimlich- 
keit und  das  ganze  Spionagesystem  zum 
Anachronismus  geworden  ist,  das  müßten 
doch  die  militärischen  Fachleute  selber  zu- 
geben.    Zudem  ist  es  eine  Gemeinheit.    Und 


da,  wo  der  Verrat  auftritt,  stellt  sich  die 
Infamie  ein.  Redl  hat  infam  gehandelt,  und 
daß  er  nebstbei  ein  ausschweifender,  laster- 
hafter Mensch  war,  kann  als  Erklärung,  nicht 
aber  als  Milderung  gelten.  Was  er  getan, 
war  der  Gipfel  der  Ehrlosigkeit  —  daß  der 
aber  „Hunderttausende  der  Vernichtung  ent- 
gegenführen wollte",  das  trifft  nicht  zu  —  er 
wird  wohl  selber  gewußt  haben,  daß  seine  so 
gut  bezahlte  Mitteilung  keine  solche  ver- 
hängnisvollen Folgen  haben  kann.  Der 
macht  sich  jenes  Riesenverbrechens  schuldig, 
Hunderttausende  in  Tod  und  Verderben  zu 
jagen,  der  zum  Kriege  hetzt,  der  einen  Krieg 
entfesselt  —  nicht  aber  der,  der  einen  so- 
genannten „Kriegsplan"  verkauft,  ein  Ding, 
das'  sich  vor  einem  Feldzug  ebensowenig 
entwerfen  läßt,  als  etwa  ein  Schachspielplan 
vor  der  Partie.  Ehrlos  ist  der  Verräter,  aber 
nicht   grausam1. 


Ueber  die  Beschießung  von  Skutari  er- 
zählt  ein  Augenzeuge : 

Die  Stunden  vergehen  und  Tage  und 
Wochen;  Schuß  kracht  auf  Schuß  herein  in 
die  armselig  schwachen  Häuser  und  zerfetzt 
Menschen    und   Vieh,    Habe    und    Hausrat. 

Sie  flüchten  in  Keller  und  leben,  Höhlen- 
menschen gleich,  in  dumpfen  Löchern,  über 
deren  Wände  das  Wasser  herabrinnt,  glücklich, 
Schutz  gefunden  zu  haben:  aber  als  hätte  er 
es  geahnt,  beginnt  der  Feind  statt  der  „kleinen" 
Pulvergranaten  Melinitgeschosse  in  die  Stadt  zu 
werfen. 

Da  hilft  kein  Keller  mehr,  keine  Ver- 
schanzung: Häuser  verschwinden  vom  Erdboden, 
durch  drei  Stockwerke  schlägt  das  Geschoß  in 
den  Boden  und  reißt  Dächer  und  Mauern,  Balken 
und  Steine  zu   einem  Trümmerhaufen  zusammen. 

Besonders  nachts  lieben  sie  es,  Melinit- 
granaten zu  schleudern,  weil  mehr  Leute  auf 
einem  Fleck  beisammen  liegen;  sie  fällt  in  ein 
Zimmer,  wo  —  nach  Albanesenart  —  zehn 
Menschen  zusammengedrängt  schlafen,  und  am 
nächsten  Tage  findet  man  ihre  Arme  und  Beine 
in  den  umliegenden  Straßen  und  ihre  Eingeweide 
auf   den   Dächern 

Man  sollte  glauben,  das  könne  nicht 
mehr  überboten  werden ;  es  kommt  aber  noch 
ärger.  Es  wird  erzählt,  daß,  der  Feind 
etwas  Neues  erfunden  hat:  die  regelmäßigen 
„Halbstundenschüsse".  Alle  dreißig  Mi- 
nuten, genau,  wenn  der  Zeiger  die  Stunde 
zeigt,  kommt  eine  Melinitgranate  daher- 
gesaust  .  .  .  man  weiß,  daß  zur  festgesetzten 
Sekunde  jeder  in  seiner  Beschäftigung  innehält 
und  des  zischenden  Todes  harrt,  aufatmend, 
wenn  der  platzende  Stahl  den  Nachbar  trifft. 
Das  täglich  von  7  Uhr  früh  bis  spät  am 
Abend,  durch  sechs  Wochen.  Die  Bevölke- 
rung floh  in  die  Kathedrale  —  aber  auch  die 
wurde    beschossen.      Dann    heißt    eS    weiter: 

„Nun  begann  das  Versteckenspiel  zwischen 
dem  Volk  und  seinen  Peinigern.  Matratzen  auf 
dem  Kopf,  Kinder  an  der  Hand,  so  zogen  sie 
winselnd  durch  die  Straßen  aus  den  beschossenen 


227 


DIE  FRIEDENS-WABTE 


■3 


Quartieren  und  solche,  die  im  Augenblick 
weniger  bedroht  sind.  Wie  die  gefangenen 
Ratten    fuhren    sie    ...  ." 

Genug!  Solche  Berichte  lesen  die  Leute. 
Niemand  wird  dadurch  aufgeschreckt,  die 
Bürger  gehen  weiter  ihren  Geschäften  nach, 
politisieren  im  Kaffeehaus  über  die  Chancen 
der  Belagerer  und  Belagerten,  und  die  Mi- 
litärs studieren  weiter  Festungstaktik.  Nichts 
dringt  in  die  Herzen,  nichts  streift  die  Ge- 
müter. Haben  denn  alle  die  Leute  —  es 
sind  ja  viele  gute  und  gescheite  darunter  — 
nur  mehr  Steinherzen  und  Hornhautgehirne, 
wenn  der  Begriff  „Krieg"  sie  immunisiert  ? 
Nur  wir  Pazifisten  sind  erschüttert  und 
empört  —  die  andern  lassen  das  alles  von 
sich  abgleiten.  Sie  schämen  sich  nicht,  sie 
kränken  sich  nicht,  sie  ärgern  sich  nicht. 
Aber  uns  nennen  sie  die  Sanftmütigen,  die 
Geduldigen,  die  „Sich-alles-gefallen-lassen- 
den".  Umgekehrt  ist  es:  wir  sind  die  Zorn- 
mütigen, uns  reißt  die  Geduld,  in  leiden- 
schaftlichem Schmerz,  in  siedender  Ent- 
rüstung rufen  wir  hinaus :  „So  darf  es  nicht 
weitergehen." 


Und  es  wird  nicht  so  weitergehen. 
Stetig  mehren  und  häufen  sich  die  Zeichen, 
daß  es  anders  wird.  Da  ist  eine  ganz  kurze 
Depesche  aus  Washington,  2.  Juni:  Der 
japanische  Botschafter  Chinda  hat  den  Staats- 
sekretär Bryan  davon  in  Kenntnis  gesetzt, 
daß  die  japanische  Regierung  im  Prinzip  den 
von  den  Vereinigten  Staaten  vorgeschla- 
genen Weltfriedensplan  annehme.  Diese 
Nachricht  ist  von  ungeheuerer  Tragweite. 


Und  noch  eine  wichtige  positive  Aktion 
Woodrow  Wilsons.  Er  hat  befohlen,  daßi, 
während  Verhandlungen  (über  die  Einwande- 
rungsfrage) mit  Japan  im  Gange  sind,  keiner- 
lei Bewegungen  und  Dislokationen  der  Flotte 
vorgenommen  werden  dürfen.  Bisher  liebte 
man  es,  bei  schwebenden  Streitfragen  das 
Rasseln  der  Waffen  bis  in  die  Verhandlungs- 
säle hörbar  zu  machen.  Man  nennt  das 
„seinen  Ansprüchen  Nachdruck  geben". 
Oder  es  hieß  auch,  „das  Schwert  in  die  Wag- 
schale legen".  Na,  es  gibt  ja  eigentlich  kein 
Schwert  mehr,  und  Melinitgranaten,  Seeminen 
und  fliegende  Zeppelins  werden  sich  doch 
nicht  mehr  so  recht  zur  Abwägung  inter- 
nationaler Rechtsfragen  eignen.  Dieser  Be- 
fehl Wilsons,  die  militärischen  Drohungs- 
manöver während  eines  zwischenstaatlichen 
Prozesses  aufzuheben,  entspricht  schon  ganz 
dem  Sinne  jenes  Weltfriedensprojektes,  das 
er  allen  Staaten  unterbreiten  will  und  das 
zuallererst  von  jener  Nation  angenomjmen 
worden  ist,  die  immer  als  der  zukünftige 
Kriegsgegner  Amerikas  bezeichnet  zu  wer- 
den pflegt.  Man  konnte  ja  gar  nicht  von' 
dem   Blühen   des   amerikanischen   Pazifismus 


reden,  ohne  daß  unsere  Gegner  schmunzelnd 
einwarfen :  „Was  ist  aber  mit  Japan  ?  Der 
Krieg  zwischen  den  Vereinigten  Staaten  und 
Japan  ist  ja  doch  unvermeidlich."  Wirk- 
lich ?  Nun,  legen  wir  ihn  getrost  zu  den 
zahlreichen  anderen  unvermeidlichen  und  nie- 
mals   ausgebrochenen    Kriegen. 


Zur  Hochzeit  der  Kaisertochter  sind  der 
König  von  England  und  der  Zar  nach  Berlin 
gekommen.  Dazu  bemerkten  die  Blätter  aus- 
nahmslos, daß  dies  keine  politische  Be- 
deutung habe,  weil  es  sich  nur  um  ein  Fa- 
milienfest handle,  und  fügten  ebenso  aus- 
nahmslos im  selben  Atem  hinzu,  daß^  die 
Zusammenkunft  doch  ein  hochpolitisches 
Friedensanzeichen  sei.  Tatsache  ist,  daß 
solcher  Freundschaftsverkehr  zwischen  den 
Kriegsherrn  ganz  unmöglich  ohne  Ein- 
fluß auf  ihre  Entscheidungen  über  Krieg  oder 
Frieden  sein  kann.  Auch  werden  sie  sicherlich 
—  gerade  jetzt  nach  Beendigung  der  gefähr- 
lichen Balkankrise  —  über  das  Thema  mit- 
einander gesprochen  haben.  Der  König  von 
England  nahm  die  Gelegenheit  wahr,  um  auf 
der  englischen  Botschaft  an  eine  Deputation 
der  'englischen  Kolonie  folgende  Worte  zu 
sagen:  „Indem  Sie  gute  Beziehungen  mit1 
dem  Volke,  das  diese  Ihre  Adoptivheimat 
bewohnt,  pflegen,  tragen  Sie  dazu  bei,  den, 
Weltfrieden  zu  sichern,  dessen  Erhaltung 
mein  sehr  ernster  Wunsch  ist,  wie  es  der 
Hauptzweck  und  das  Ziel  des  Lebens  meines 
teuren  Vaters  war."  Das  sind  feierliche  Und 
pietätvoll  gesprochene  Worte:  „Hauptzweck 
und  Lebensziel."  Die  neunmal  weisen  deut- 
schen Realpolitiker  und  fleißigen  Zei- 
tungsleser werden  wohl  verschmitzt  dazu 
lächeln,  denn  die  Ansicht,  daß  Eduard  VII.  ein 
abgefeimter  Feind  und  „Einkreiser"  Deutsch- 
lands war,  ist  dort  zur  eingewurzelten  fixen 
Idee  geworden.  Uns  Pazifisten,  die  wir  die 
Entwicklungsgeschichte  der  englisch-fran- 
zösischen Entente  kennen,  und  wissen,  welche 
Schritte  Eduard  VII.  unternommen  hat,  wir 
wissen  auch,  daß  er  den  von  seinem1  Volke 
ihm  verliehenen  Titel  „Edward  the  peace- 
maker"  ebenso  verdiente,  als  er  stolz  darauf 
war;  uns  sagte  Georg  V.  nichts  Neues;  doch 
ist  uns  erfreulich,  zu  hören,  daß  er  für  sich 
selbst  auch  die  Gesinnung  in  Anspruch 
nimmt,   die   er  an  seinem  Vater  rühmt. 


Aber  warum  mußte  wieder  (oh,  daß  doch 
unter  veränderten  Bedingungen  und  Zeiten 
die  Gewohnheiten  der  alten  Zeit  immer  wieder 
routinemäßig  abgehaspelt  werden!),  warum 
mußte  der  Kaiser  dem  Zaren  zur  Unterhal- 
tung eine  militärische  Uebung  mit  einem 
„heftigen  Gefecht"  zeigen  ?  Gegen  wen 
würden  denn  diese  Soldaten  fechten  müssen, 
wenn  das  Spiel  Ernst  wird  ?  Gegen  den  ge- 
ehrten   Gast.      Ich    besprach    diesen    Vorfall 


228 


es 


=  DIE  FRIEDENS-^^ßTE 


mit  einem  Gesinnungsgenossen :  „ Sagen  Sie 
mir  nur,  was'  denken  denn  die  Fürsten  bei 
einem  solchen  Schauspiel  unter  solchen  Um- 
ständen ?"  Die  Antwort,  die  ich  erhielt,  war 
vortrefflich  und  erklärt  alles:  Nichts 
denken   sie." 


Vor  einem  Jahr  ungefähr  ging  die  ,, Ti- 
tanic" unter,  von  einem  elementaren  Ding, 
einem  Eisberg,  getroffen.  Nearer  to  thee, 
my  God"  spielten  die  todesmutigen  Musi,L 
kanten.  Am  letzten  24.  Mai  geriet  der 
amerikanische  Passagierdampfer  „Nevada" 
bei  der  Ausfahrt  aus  dem  Hafen  von  Smyrna 
in  die  Linie  der  Torpedominen.  Der  Vorder- 
teil des  Schiffes  stieß  auf  eine  Mine,  eine 
Minute  später  auf  eine  zweite,  und  zwei  Mi- 
nuten darauf  auf  eine  dritte.  Es  erfolgte 
eine  Explosion.  Der  Dampfer  sank  sofort. 
Dreihundert  Opfer.  Diese  Minen  werden 
von  Menschen  gelegt  —  für  Menschen.  .  .  . 
Oh,    „näher   zu   dir,   Satan".   — 


Von  einer  Probefahrt  des  Luftschiffes 
L.  Z.  XVI  wurde  aus  Friedrichshafen  ge- 
schrieben: „Die  Fahrt  war  insofern  be- 
merkenswert, als  vom  Oberdeck  aus  mit 
einem  Maschinengewehr  scharf  geschossen 
wurde.  Es  wurden  im1  ganzen  500  Schüsse 
abgefeuert,  wobei  es  sich  zeigte,  daß  die  ganze 
Anordnung  ihrem1  Zwecke  vortrefflich  ent- 
spreche und  sicheres  Arbeiten  mit  dem  Ma- 
schinengewehr zulasse."  .  .  Satan  in  der 
Luft. — 


Andererseits  aber  auch  wieder  die  frohen, 
verheißungsvollen  Begebenheiten:  die  deutsch- 
französische Parlamentarierzusammenkunft  in 
Bern;  die  Schaffung  einer  neuen  deutsch- 
französischen Liga;  die  sich  ausbreitende  und 
befestigende  Versöhnung  zwischen  Deutsch- 
land und  England;  die  Mission  Carnegies 
beim  Deutschen  Kaiser,  und  vor  allem  der 
überhandnehmende  Begriff  „Europa",  das  ist 
ein  klares  Ziel.  Hartnäckig  muß  es  gefordert 
werden.  Wie  einst  das  „Carthaginem  esse  de- 
lendam",  muß  jetzt  immer  wieder  wiederholt 
werden:  Europa  ist  zu  föderieren. 


PAZIFISTISCHE  CHRONIK 

Anfang  Mai.  Eine  Anzahl  pazifistisch  gesinnter 
evangelischer  Theologen  Deutschlands  erlässt  einen 
Aufruf  an  ihre  Amtsgenossen,  sich  der  Friedens- 
sache anzuschliessen. 

5.  Mai.  König  Nikolaus  von  Montenegro  hat 
den  Mächten  mitgeteilt,  dass  er  zur  bedingungslosen 
Räumung  Skutaris  bereit  sei.  Beseitigung  der 
Kriegsgefahr. 


7.  Mai.  Der  König  von  Spanien  trifft  in 
Paris  ein. 

9.  Mai.  In  London  tagt  eine  Kommission  zur 
Vorberatung   eines  internationalen  Scheckrechts. 

10.  Mai.  In  New  York  wird  in  Gegenwart  des- 
deutschen Botschafters  und  des  deutschen  General- 
konsuls ein  Denkmal  für  Karl  Schurz  enthüllt. 

10. — 12.  Mai.  In  Paris  tagt  der  VLLT.  national- 
französische Friedenskongress. 

11.  Mai.  Die  deutsch  -  französische  Ver- 
ständigungskonferenz in  Bern  verläuft  bei  nur 
eintägiger  Dauer  programmässig.  Sie  schloss  mit  einer 
Resolution  zugunsten  der  Friedensidee,  der  Ab- 
rüstung und  der  internationalen  Schiedsgerichtsbarkeit. 

14.  Mai.  Der  Staatssekretär  des  Auswärtigen 
Amtes  v.  Jagow  ist  in  Wien  eingetroffen  und 
hatte  eine  längere  Unterredung  mit  dem  Grafen 
Berchlold. 

14.  Mai.  Bei  einem  Bankett  erklärte  Bryan  in 
Washington,  dass  während  seiner  Amtsführung  von 
der  amerikanischen  Union  kein  Krieg  geführt 
werden  würde. 

14.  Mai.  Die  internationalen  Truppen  unter 
dem  Kommando  des  englischen  Admirals  Burney 
sind  in  Skutari  eingezogen. 

Mitte  Mai.  Aus  Anlass  der  beabsichtigten  Wi eder- 
einführung  der  dreijährigen  Dienstzeit  in 
Frankreich  kommt  es  an  verschiedenen  Orten  zu  anti- 
militaristischen  Kundgebungen  der  Truppen. 

Mitte  Mai.  Die  britischen  Delegierten  zur 
Konferenz  über  die  Feier  des  hundertjährigen 
Friedens  zwischen  England  und  Amerika  loerden  in 
Amerika  mit  grossem  Enthusiasmus  empfangen. 

Mitte  Mai.  Lord  Morley  in  besonderer  Mission 
in  Berlin. 

16.  Mai.  Die  „American  Association  for 
int.  Conciliation"  bringt  eine  Gratulations- 
adresse zum  Regierungsj  ubiläum  des  deut- 
schen Kaisers  zur  Absendung. 

18.  Mai.  Der  Friedenstag  wird  in  Europa 
und  Amerika  von  den  iriedensgesellschaften  festlich 
begangen. 

19.  Mai.  Kaiser  Wilhelm  begnadigt  die  in 
deutscher  Gefangenschaft  befindlichen  englischen 
Spione  Brandqn,  Trench  und  Stewart. 

20.  Mai.  Im  Londoner  Mansion  House  wird  die 
Jahresversammlung  der  ^Peace- Society"  eröffnet. 
Der  Lord  May or  hält  eine  Ansprache.  Begrüssungs- 
telegramm  Sir  Edward  Gregs. 

21.  Mai.  Zur  Teilnähme  an  den  Vermählungs- 
feierlichkeiten am  kaiserlichen  Hofe  trafen  der  König 
und  die  Königin  von  England  in  Berlin  ein. 

22.  Mai.  Italien  stimmt  als  erste  Regierung 
dem  Bryanschen  Friedensvorschlag  zu. 

22.  Mai.  Zur  Teilnahme  an  den  Hochzeitsfeier- 
lichkeiten im  Kaiserhause  trifft  der  russische  Zar  in 
Berlin  ein. 

23.  Mai.  König  Georg  von  England  emp- 
fängt in  Berlin  die  englische  Kolonie  und  fordert  sie 
auf,  dabei  zu  helfen,  den  Weltfrieden  zu  sichern. 


229 


DIE  FRIEDENS -WAEETE 


st 


25.  Mai.  In  Mannheim  tagt  die  General- 
versammlung der  deutschen  Friedensgesell- 
schaft. 

.;.  '  27.  Mai.  Im  österreichischen  Reichsrat 
findet  die  Tätigkeit  des  Chefs  des  literarischen 
Bureaus  im  Auswärtigen  Amt  schärfste  Ver- 
urteilung wegen  der  Irreführung  der  öffent- 
lichen Meinung  durch  aufhetzende  Nachrichten. 

28.  Mai.    Lord  Avebury  in  London  f. 

28.  Mai.  In  Berlin  wird  eine  deutsch- 
schwedische Vereinigung  begründet. 

30. Mai.  Der  Präliminar  frieden  der  Balkan- 
staaten mit  der  Türkei  wird  in  London  unter- 
zeichnet. 

30.  Mai.  Prinz  Heinrich  telegraphiert  an  den 
englischen  königlichen  Automobilklub:  „Lasst  uns 
zusammen  für  Frieden  und  Freundschaft 
icirken." 

30.  Mai.  Deulsch-englisches  Pressebänkett 
in  London  in  Anwesenheit  des  deutschen  Botschafters 
Fürst  v.  Lichnowsky. 

2.  Juni.  Japan  erklärt  sich  grundsätzlich  dazu 
einverstanden,  den  Vorschlag  Bryans  anzunehmen. 

4.  Juni.  In  Paris  tritt  die  internationale 
Finanzkonferenz  zur  Regelung  der  durch  den 
Balkänkrieg  geschaffenen  Finanzfragen  zu- 
sammen. 

9.  Juni.  Beriha  von  Suttner  begeht  ihren 
70.  Geburtstag. 


PAUS  DEB  ZEITO 

Völkerrecht. 

Das   alte    und   das  neue  Haager  Schiedsabkommen. 

In  Nr.  2  des  Jahrgangs  2  der  „Korrespon- 
denz des  Verbandes  für  internationale  Ver- 
ständigung" polemisiert  W.  Klohs  dagegen,  „daß 
sich  die  Friedenswarte  in  ihrer  Februarnummer 
für  berechtigt  hält,  zu  behaupten,  es  sei  ein 
Irrtum,  zu  sagen,  das  Abkommen  zur  fried- 
lichen Erledigung  internationaler  Streitigkeiten 
yon  1907  habe  dasselbe  Abkommen  .  von  1899 
hinfällig  gemacht."  Der  ausgezeichnete  Ver- 
fasser bekämpft  diese  Ansicht  mit  Gründen,  die 
sich  kurz  dahin  zusammenfassen  lassen :  „Hätten 
die  Verfasser  der  Konvention  von  1907  beab- 
sichtigt, falls  keine  Ratifikation  erfolgt,  die 
Konvention  in  Kraft  zu  lassen,  so  würden  sie 
das  ausdrücklich  gesagt  haben."  Diese  Deduk- 
tion ist  irrtümlich.  Die  erste  Haager  Friedens- 
konferenz hat  die  Geltung  des  Friedens- 
abkommens nicht  auf  eine  bestimmte  Zeit  be- 
schränkt, sondern  den  Staaten  nur  die  Möglich- 
keit der  Kündigung  vorbehalten.  Deshalb 
brauchte  die  zweite  Konferenz  gar  nicht  die 
Fortdauer  des  1899  geschlossenen  Abkommens 
zu  beschließen.  Im  Gegenteil :  Ein  solcher  Be- 
schluß hätte  nur  die  bereits  vorhandene  Rechts- 
lage ausdrücklich  festgestellt.  Daß  in  anderen 
Abkommen  die  ausdrückliche  Fortdauer  im  Falle 


der  Nichtratifikation  der  veränderten  Konven- 
tion vereinbart  worden  ist,  ist  rechtlich  ganz 
ohne  Bedeutung.  Es  handelt  sich  offenbar  um 
Ungleichheiten  in  der  Redaktion. 

Es  ist  somit  klar,  daß  die  alte  Konvention 
bestehen  bleibt,  bis  sie  entweder  gekündigt 
oder  ausdrücklich  aufgehoben  wird.  Das  Ab- 
kommen von  1899  ergibt  dies  ohne  jeden 
Zweifel.  Von  ihm  muß  die  juristische  Betrach- 
tung ausgehen.  Eine  Untersuchung,  die  ledig- 
lich den  Text  des  zum  Teile  gar  nicht  ratifi- 
zierten Abkommens  von  1907  zur  Grundlage 
nimmt,    schwebt   offenbar   in   der   Luft. 

Die  Richtigkeit  dieser  Darlegungen  ergibt 
sich  u.  a.  daraus,  daß  diejenigen  Staaten,  die 
nur  die  alte,  aber  nicht  die  neue  Konvention 
Unterzeichnet  haben,  trotzdem  im  Verwaltungs- 
rate des  Schiedshofes  vertreten  sind  und  an 
den  Kosten  des  Bureaus  repartieren. 


Das  „Werk  vom  Haag".   ::   ::   ::   ::  ::   ::   ::   ::   ::   ::  ;: 

Das  „Werk  vom  Haag"  wird  als  Band  III 
zur  Einweihung  des  Friedenspalastes  im  Haag 
eine  Festgabe  herausbringen,  die  den  Anteil 
der  reichsdeutschen  Völkerrechtswissenschaft  an 
diesem    Ereignis    bekunden    soll. 

In  der  Einleitung  wird  Prof.  Zorn  seine 
Erinnerungen  an  das  Zustandekommen  des 
ständigen  Schiedshofes  von  1899  wiedergeben. 
Im  übrigen  wird  sich  die  Festgabe  auf  die 
bisherige  Judikatur  dieses  Gerichtshofes  be- 
ziehen, indem  alle  zwölf  dort  durchgeführten 
Prozesse  auf  einem  einheitlichen  Schema,  unter 
eingehender  juristischer  Würdigung  des  Urteils, 
dargestellt    werden    sollen. 

Mitarbeiter  sind  außer  Prof.  Zorn,  die 
Professoren  von  Bar,  Kohler,  v.  Martitz, 
Meurer,  Niemeyer,  Nippold,  Fleisch- 
mann, ferner  Dr.  Strupp  und  Prof.  Zitel- 
m  a  n  n.  Dem  Herausgeber,  Prof.  Schücking, 
ist  es  auch  gelungen,  James  Brown  Scott, 
der  als  ehemaliger  Schüler  Jellineks  und 
Heidelberger  Doktor  jur.  auch  der  deutschen 
Rechtswissenschaft  angehört,  dafür  zu  ge- 
winnen. Zu  den  ständigen  Mitarbeitern  des 
Sammelwerkes  gehören  heute  auch :  v.  Mar- 
titz, Berlin,  Strisower,  Wien,  Huber, 
Zürich,   Strupp,  Frankfurt  a.  M. 


Die  „Besitzergreifung"  von  flda  Kaleh.        ::  ::   ::  :: 

Die  Regierung  von  Oesterreich-Ungarn  hat 
die  Welt  Mitte  Mai  durch  eine  Handlung  über- 
rascht, die  wohl  nicht  in  ihrer  Wirkung,  wohl 
aber  in  der  dabei  angewandten  Methode  jeden 
Vertreter  des  internationalen  Rechtsgedankens 
mit  Betrübnis  erfüllen  muß.  Die  kleine,  in  der 
Donau  bei  Orszova  gelegene  Insel  Ada  Kaleh 
gehörte  wenigstens  nominell  der  Türkei.  Durch 
den  Berliner  Vertrag  bekam  Oesterreich-Ungarn 
das  Besetzungsrecht.  Im  (übrigen  aber  wurde  die 
nur  1000  Einwohner  ■zählende  Insel  von  einem 
türkischen     Beamten     verwaltet.        Oesterreich- 


2§0 


€E 


=  DIE  FRIEDEN5->M&RXE 


Ungarn  annektierte  nun  in  diesen  Tagen  ganz 
plötzlich  dieses  Stückchen  Land.  Die  Türkei 
verliert  wohl  nichts  daran,  und  Europa  wird? 
dadurch  nicht  erschüttert.  Aber  ein  Gewalt- 
akt bleibt  diese  Handlung  dennoch.  Er  ist  um 
so  bedauerlicher,  als  die  Annexion  nach  den 
gegenwärtigen  Verhältnissen  sicherlich  in  einer 
dem  Kechtsbewußtsein  mehr  entsprechenden 
Weise  hätte  durchgeführt  werden  können. 
Diese  bereits  in  Bosnien  und  in  Tripolis  geübte 
Methode  schlägt  dem  Zeitgeist  ins  Gesicht, 
denn  jede  Regierung,  der  das  Wohl  ihres  Landes 
am  Herzen  liegt,  müßte  es  vermeiden,  der- 
artige Verfahren  einzuschlagen,  auch  selbst 
wenn  es  sich  nur  um  einen  Ziegelstein  handelt. 


Verschiedenes. 

Der  Tag  von  Bern.    ::   ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::   ::   ::   :: 

Der  Tag  von  Bern  hat  die  Erwartungen, 
die  wir  in  der  vorhergehenden  Nummer  der 
Friedens-Warte  zum  Ausdruck  brachten,  nicht 
getäuscht.  Die  von  34  Mitgliedern  des  Deut- 
schen Reichstags  und  von  124  Mitgliedern  der 
französischen  Deputiertenkammer  und  des  Senats 
beschickte  Konferenz  einigte  sich  auf  eine  ge- 
meinsame Resolution,  die  ohne  Debatte  und 
unter  großem  Beifall  zur  Annahme  gelangte. 
Sie  hat  folgenden  Wortlaut: 

„Die  erste  Konferenz  der  deutschen  und 
französischen  Parlamentarier,  versammelt  zu 
Bern  am  11.  Mai  1913,  wendet  sich  mit  aller 
Entschlossenheit  gegen  die  verwerflichen  chau- 
vinistischen Hetzereien  jeder  Art  und  gegen  die 
sträflichen  Treibereien,  die  auf  beiden  Seiten 
der  Grenze  den  gesunden  Sinn  und  die  Liebe 
der  Bevölkerung  zum  Vaterlande  irre  zu  führen 
drohen.  Sie  weiß  und  verkündet,  daß  die  beiden 
Völker  in  ihrer  ungeheuren  Mehrheit 
den  Frieden  wollen,  diese  oberste  Be- 
dingung jedes  Fortschrittes.  Sie  verpflichtet 
sich,  unermüdlich  daran  zu  arbeiten,  daß  Miß- 
verständnisse zerstreut  und  Konflikte  vermieden 
werden,  und  sie  dankt  von  Herzen  der  vom 
Volke  gewählten  Vertretung  Elsaß-Lothringens, 
daß  sie  durch  ihre  hochherzigen  Erklärungen 
die  Annäherung  beider  Länder  zu  einer  werk- 
tätigen Gemeinschaft  der  Zivilisation  erleich- 
tert hat. 

Sie  lädt  ihre  Mitglieder  ein,  mit  aller  Kraft 
auf  die  Regierungen  der  Großmächte  zu  wirken, 
daß  sie  eine  Beschränkung  der  Aus- 
gaben fürHeerundFlotte  herbeiführen. 
Die  Konferenz  tritt  warm  ein  für  den  von  dem 
Staatssekretär  der  Vereinigten  Staaten  B  r  y  a  n 
in  der  Schiedsgerichtsfrage  gemachten  Vor- 
schlag. Sie  fordert  demgemäß,  daß  Konflikte, 
die  zwischen  den  beiden  Staaten  entstehen 
könnten  und  die  auf  diplomatischem  Wege  nicht 
zu  schlichten  sein  sollten,  dem  H  a  a  g  e  r 
Schiedsgericht  unterbreitet  werden.  Sie 
zählt  auf  ihre  Mitglieder,  daß  sie  in  diesem 
Sinne    eine    takräftige    und    nachhaltige    Wirk- 


samkeit entfalten  werden.  Sie  ist  überzeugt, 
daß  eine  Annäherung  zwischen  Deutschland  und 
Frankreich,  die  Verständigung  zwischen  den 
großen  Mächtegruppen  erleichtern  und  damit 
die  Grundlage  für  einen  dauernden  Frieden 
schaffen  werde. 

Sie  beschließt,  daß  ihr  Präsidium  sich  als 
ständiges  Komitee  konstituiert  mit  dem 
Recht  beiderseitiger  Kooptation.  Sie  gibt  dem 
Komitee  zugleich  den  Auftrag,  neue  Konferenzen 
periodisch  oder  je  nach  den  Umständen  unver- 
züglich einzuberufen." 

Das  ständige  Komitee,  das  eingesetzt  wurde, 
besteht  deutscherseits  aus  den  Reichstagsabge- 
ordneten Haase,  Haußmann  und  Rick- 
1  i  n ,  französischerseits  aus  den  Senatoren 
d'Estournelles  de  Constant,  Gaston 
Meunier  und  dem  Deputierten 
Jaures. 

Ueber  die  große  Bedeutung  dieses  Ereig- 
nisses hier  ,ein  Wort  zu1  verlieren,  erscheint  über- 
flüssig. Nur  darauf  sei  hingewiesen,  daß  die 
Wichtigkeit  des  Vorganges  nicht  nur  darin  lag, 
daß  sich  deutsche  und  französische  Volks- 
vertreter zu  gemeinsamer  Arbeit  zusammen- 
fanden, sondern  auch  darin,  daß,  für  Deutsch- 
land wenigstens,  zum  erstenmal  Bürgerliche  und 
Sozialdemokraten  bei  einer  Friedensaktion  ver- 
eint wirkten. 

Aber  noch  eine  andere  franco-deutsche 
Verständigung  trat  anläßlich  jener  Berner  Zu- 
sammenkunft zutage.  Die  deutsche  und  die 
französische  Chauvinistenpresse  war  wieder 
einmal  eines  Sinnes.  Sie  triumphierte  in 
beiden  Ländern  über  die  angebliche  Ergebnis- 
losigkeit der  Zusammenarbeit  und  stellte  dort 
die  Franzosen,  hier  die  Deutschen  als  Verräter 
an  ihren  respektiven   Vaterländern  hin. 

Man  hat  die  verhältnismäßig  geringe  Be- 
teiligung der  deutschen  Abgeordneten  bemän- 
gelt. Aber  die  Masse  macht  es  nicht  in  solchen 
Dingen.  Mit  nur  9  Mitgliedern  des  englischen 
Unterhauses  kam  Randal  Cremer  1888  zur 
franco-englischen  Zusammenkunft  nach  Paris, 
aus  der  die  Interparlamentarische  Union  her- 
vorgegangen ist.  •  Mit  90  französischen  Depu- 
tierten (Kammer  und  Senat  weisen  über  1000 
Abgeordnete  auf!)  ging  d'Estournelles  1903  zu 
jener  Parlamentsentrevue  nach  London,  aus  der 
die  „Entente  cordiale"  entstand.  Das  in  Bern 
eingesetzte  Reis  wird  trotz  der  numerisch  ge- 
ringen Beteiligung  der  Deutschen  dennoch  die 
schönsten    Früchte    tragen. 

Aus  diesem  Grunde  ist  es  vielleicht  ange- 
bracht, authentische  Daten  über  die  Vor- 
geschichte der  Berner  Zusammenkunft  hier  fest- 
zuhalten, um  späterer  Legendenbildung  vorzu- 
beugen. Der  Plan  stammt  von  dem  deutschen 
Reichstagsabgeordneten  Dr.  Ludwig  Frank 
in  Mannheim,  der  ihn  am  13.  März  in  einer 
Versammlung  der  sozialdemokratischen  Partei 
in  Mannheim  zum  erstenmal  vorbrachte.  Nach 
dem  Bericht  der  Mannheimer  „Volksstimme" 
vom  14.  März  sagte  Frank  damals: 


231 


DIE  FßlEDENS-^MS&TE  = 


S> 


„In  Wahrheit  haben  beide  Völker,  abge- 
sehen von  den  direkt  interessierten  Waffen- 
fabrikanten oder  den  Offizieren,  den  dringenden 
Wunsch,  den  Rüstungen  Einhalt  zu  gebieten. 
Aber  die  französischen  Politiker  berufen  sich 
auf  die  deutschen  Maßregeln  und  die  deutschen 
Politiker  auf  die  französischen  Vorbereitungen. 
Die  Sozialisten  sind  in  den  Parlamenten  beider 
Länder  nur  Minderheiten.  Sollte  es  aber  nicht 
möglich  sein,  eine  Aussprache  aller  derjenigen 
deutschen  und  französischen  Abgeordneten 
herbeizuführen,  die  überzeugt  sind,  daß  unter 
der  Flagge  des  Nationalismus  hüben  (und  drüben 
eine  in  ihren  Wirkungen  antinationale  Politik 
getrieben  wird  1  Auf  neutralem  Boden, 
in  Brüssel  oder  in  Genf,  müßte  diese 
deuts  ch  -f  ranz  ösis  che  Konferenz 
tagen.  Die  zu  lösende  Aufgabe  liegt  offen 
zutage,     usw." 

Hierauf  interessierte  Dr.  Frank  seine  fran- 
zösischen Gesinnungsgenossen  für  den  Plan,  die 
ihn  vollständig  billigten.  Nachdem  dies  er- 
reicht war,  wandte  er  sich  an  ihm  persönlich 
bekannte  Politiker  in  der  Schweiz,  mit  dem 
Ersuchen,  sich  der  Idee  anzunehmen.  In  ihrer 
Nummer  vom  4.  April  nahm  sich  das  Züricher 
„Volksrecht"  im  Leitartikel  des  Frankschen 
Planes  an,  der  dann  durch  die  Mitwirkung  des 
Schweizer  Nationalrats  Grimm  zur  Ausführung 
gebracht  wurde. 


Bryans  Friedensplan.    ::   ::   ::   ::    ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   :: 

Das  Friedensprojekt  des  gegenwärtigen 
amerikanischen  Staatssekretärs  (siehe  Fr.-W. 
Nr.  5,  S.  188)  ist  bereits  von  einer  ganzen  Anzahl 
von  Regierungen  zustimmend  beantwortet  worden. 
Italien,  Großbritannien,  Frankreich,  Brasilien, 
Schweden,  Norwegen,  Peru,  Rußland  und  Japan 
haben  sich  grundsätzlich  bereit  erklärt,  den 
vorgeschlagenen  Vertrag  zu  unterzeichnen.  Von 
ganz  besonderer  Bedeutung  ist  die  Zustimmung 
Japans,  das  sich,  wie  bekannt,  mit  der  Union 
in  einem  argen  Konflikt  befindet.  Diese  Zu- 
stimmungen sind  von  allergrößter  Bedeutung, 
denn,  wenn  es  sich  auch  vorläufig  nur  um  Ver- 
träge der  Staaten  mit  der  amerikanischen  Union 
handelt,  so  hat  Bryan  recht,  wenn  er  in  einer 
kürzlich  in  New  York  gehaltenen  Rede  die 
großen  Perspektiven  dieser  Vertrags  Schlüsse  her- 
vorhob.   Er  sagte   nämlich: 

„Diejenigen,  welche  an  den  Erfolg  des 
Projektes  glauben,  hegen  die  Hoffnung,  daß, 
wenn  es  von  den  Vereinigten  Staaten  und 
einigen  anderen  Nationen  angenommen  wäre, 
es  auch  bei  den  übrigen  Nationen  unter- 
einander durchgeführt  werden  würde,  bis' 
schließlich  alle  Nationen  auf  der 
Erde  durch  Abkommen  miteinander  verknüpft 
wären." 

Bryan  ist  übrigens  in  seiner  staatlichen 
Stellung  seinen  pazifistischen  Grundsätzen 
durchweg  treu  geblieben.  Bei  einem  den  bri- 
tischen  Friedensfeier-Delegierten  zu   Ehren   ge- 


gebenen Bankett  sagte  er:  „Als  ich  das  Amt 
des  Staatssekretärs  annahm,  war  ich  mir  klar, 
es  nicht  übernommen  zu  haben,  wenn  während 
meiner  Amtszeit  ein  Krieg  hätte  stattfinden 
können.  Ich  glaube,  daß  während  meiner 
Sekretärschaft  kein  Krieg  sein  wird  und  wir 
überhaupt  den  letzten  großen  Krieg  gesehen 
haben."  Auf  dem  Bankett  der  Carnegiestiftung 
sagte  er:  „Wir  wissen,  daß  es  keinen  Streit- 
fall geben  kann,  der  nicht  besser  durch  die  Ver- 
nunft als  durch  Krieg  erledigt  werden  könnte." 
Den  vereinigten  Flottenenthusiasten  gab  Bryan 
aber  die  Erklärung  ab,  daß  er  alles  daran  setzen 
werde,  daß  in  den  Vereinigten  Staaten  neue 
Kriegsschiffe   nicht  mehr  gebaut   werden. 

Dieser  Mann  wird  den  europäischen  Kanz- 
leien gar  bald  als  ein  Ruhestörer  erscheinen. 


Die  Schönheiten  des  Krieges.  ::   ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::   :: 

Im  „Tag"  vom  1.  Juni  berichtet  O.  von 
Gottberg  über  seine  Eindrücke  auf  einer 
„Fahrt  durch  Montenegro".  Aus  den  Schilde- 
rungen greifen  wir  eine  Stelle  heraus,  die  wert 
ist  festgehalten  zu  werden  als  Dokument  gegen 
jene  idealen  Träumer,  die  uns  so  oft  noch  vom 
„frischen,  fröhlichen  Krieg"  faseln    Man  höre: 

„Die  Scheu  vor  dem  letzten  Sturm  durch 
das  letzte  Hindernis  wird  hier  begreiflich.  In 
den  Verhauen  am  weiten  Hange  hängen  hie 
und  da  noch  die  unter  glühender  Sonne  au 
Mumien  erstarrten  Leichen  Verstrickter.  Mon- 
tenegriner blieben  beim  Sturm,  Türken  auf  der 
Flucht  nach  einem  Vorstoß  in  den  Netzen 
hängen.  Wie  von  den  Fäden  eines 
Spinngewebes  sind  Hals,  Arme  und 
die  oft  in  der  L|uft  schwebenden 
Füße  umsponnen.  In  der  Luft  zap- 
pelnd, mögen  die  Unglücklichen  unter  Schüs- 
sen verendet  sein.  Die  Uniformen  sind  von 
Kugeln  zerfetzt.  Aus  den  schwarzen  Gesichtern 
grinsen    grausig    weiß   die    Zähne." 

—  —  Stahlbad  der  Völker!  Ele- 
ment der  göttlichen  Weltordnung!! 


Von  der  Sensationspresse.  ::  ::   ::  ::  ::   ::   ::  ::  ::   :: 

In  der  „Frankf.  Ztg."  lesen  wir: 
Der  Abgeordnete  Marcel  Sembat  stellt  in 
der  „Humanite"  fest,  daß  die  chauvinistischen 
und  nationalistischen  Blätter  alles  Mögliche  ge- 
tan haben,  um  die  Niederlage,  die  die  elsaß- 
lothringische Regierung  mit  ihren  geplanten 
Ausnahmemaßregeln  im  Reichstag  erlitten  hat, 
ihren  Lesern  zu  verheimlichen.  Er  schreibt : 
Für  die  Ankündigung  der  Ausnahmemaß- 
regeln welcher  Aufwand  von  Entrüstung!  De- 
peschen auf  der  ersten  Seite,  fette  Ueber- 
schriften,  flammende  Artikel!  Dagegen  für  das 
Scheitern  der  geplanten  Maßregeln,  für  die 
Niederlage  ihrer  Urheber  nur  kleine  Schrift  auf 
der  dritten  oder,  vierten  Seite,  nur  kurze  Tele- 
gramme, keine  fetten  Titel,  keine  Kommentarel 


232 


g>~ 


DIE  FRI EDENS ->fcÄBXE 


Die  Haltung  des  Reichstags  hat  eben  durch 
die  Rechnung  der  französischen  Chauvinisten 
und  Nationalisten,  die  von  den  Ausnahmemaß- 
regeln eine  Verschärfung  der  deutsch-franzö- 
sischen Beziehungen  erwarteten  und  erhofften, 
einen  dicken  Strich  gemacht.  Sollten  die  Herren 
in  Straßburg  oder  Berlin,  die  für  den  Plan  ver- 
antwortlich sind,  für  die  aus  dieser  Tatsache 
sich  ergebende  Lehre  kein  Verständnis  haben? 


Der  heutige  Stand  der  Friedenssache. ::   S    ::   ::   ::   :: 

Ein  Telegramm,  das  Sir  Edward  Grey  an 
der  Vorsitzenden  der  Jahresversammlung  der 
Londoner  Peace  Society  richtete,  enthält  fol- 
gende Mitteilung: 

„Sie  können  in  meinem  Namen  erklären, 
daß  zwar  noch  verschiedene  Kräfte 
inderRichtungdes  Krieges  wirken, 
die  noch  nicht  tot  sind.  Andererseits 
bin  ich  jedoch  froh,  sagen  zu  können,  daß  be- 
deutend stärkere  Kräfte  am  Werke 
sind,  die  für  die  Erhaltung  und 
Kräftigung  der  Friedenssache  ein- 
trete n." 

Darin  ist  in  der  Tat  der  heutige  Stand  der 
Friedens sache  in  Europa  glücklich  gekenn- 
zeichnet. Die  Gegenkräfte  leben  noch,  aber 
die  Friedenskräfte  überwiegen  bereits. 

Vom  8.  national-französischen  Friedenskongreß.  ::   :: 

Ueber  diesen  hervorragenden  Kongreß,  der 
zu  Pfingsten  in  Paris  unter  dem  Vorsitz  von 
Charles  Richet  tagte,  haben  die  deut- 
schen Zeitungen  durch  eine  Depesche  berichtet, 
in  der  nichts  anderes  enthalten  war,  als  daß 
sich  Leon  Bourgeois  für  die  dreijährige 
Dienstzeit  ausgesprochen  habe.  Man 
müßte  meinen,  daß  in  den  drei  Tagen  der  Ver- 
handlungen doch  noch  andere  Dinge  von  all- 
gemeinem Interesse  zur  Sprache  gekommen 
wären.  Aber  die  patriotische  Berichterstattung 
will  es  nun  einmal,  daß  das  deutsche  Volk 
glauben  solle,  auf  diesem  Friedenskongreß  wäre 
wirklich  nichts  anderes  vorgekommen  als  jene 
Aeußerung,  womit  ein  sonst  als  hervorragender 
Pazifist  bekannter  Staatsmann  sich  zur  mili- 
taristischen Weltanschauung  bekehrt  habe.  Daß 
Leon  Bourgeois  diese  Aeußerung  nicht  in  jenem 
brutalen,  sondern  in  einem  ganz  anderen  Sinne 
getan  hat,  möge  aus  der  nachfolgenden  Ueber- 
setzung  jenes  an  den  Pariser  Friedenskongreß 
gerichteten  Briefes  ersehen  werden,  der  mit 
der  Absicht  hier  wiedergegeben  wird,  um  von 
jenen  Methoden  der  völkerverhetzenden  und 
fälschenden  Berichterstattung  wieder  einmal 
wenigstens  ein  Zipfelchen  zu  lüften.  Der  Brief 
hat    folgenden    Wortlaut: 

„Mein  Herr  Präsident!  Ich  habe  Ihnen  mein 
Bedauern  darüber  ausgedrückt,  den  Sitzungen 
des  achten  nationalen  Friedenskongresses  nicht 
beiwohnen  zu  können  und  bitte  Sie  hiermit, 
Ihren  Kollegen  meine*  Entschuldigungen  zu  über- 
mitteln   und    die    Wünsche    zum    Ausdruck    zu 


bringen,  die  ich  hege,  auf  daß  Ihre  Arbeiten  in 
dieser  besonders  schwierigen  Stunde  von  Er- 
folg   gekrönt    seien. 

Wenn  ich  von  den  Schwierigkeiten  der 
Stunde  spreche,  brauchen  jene  jedoch,  die  fest 
an  die  Souveränität  des  Rechtes  glauben  und 
für  den  Triumph  der  Gerechtigkeit  zwischen 
den  Nationen  kämpfen,  durch  die  gegenwärtig 
Europa  durchziehende  Krise  keineswegs  ent- 
mutigt zu  sein. 

Bei  allen  menschlichen  Dingen  muß  man 
das  Vorübergehende  vom  Dauernden  trennen. 
Und  auch  in  der  gegenwärtigen  Krise  muß 
unterschieden  werden,  das,  was  von  alten  Ur- 
sachen herrührt,  deren  grausame  Folgen  sich 
zur  gegebenen  Stunde  verhängnisvoll  einstellen 
können  und  das  was  hingegen  den  Hoffnungen 
der  modernen  Gesellschaft  entspricht  und  ais- 
ein glückliches  Zeichen  für  ihre  Zukunft  aus- 
gelegt   werden    kann. 

Ein  Ereignis  berührt  uns  in  erster  Linie 
schmerzhaft  und  könnte  zunächst  Verwirrung 
in  die  Geister  bringen.  Die  in  diesem  Augen- 
blick dem  Deutschen  Reichstag  vorliegenden 
Gesetzentwürfe  werden  in  ungeheurem  Verhält- 
nis die  Rüstungen  Deutschlands  vermehren  und 
notwendigerweise  von  Seiten  Frankreichs  eine 
außerordentliche  Anstrengung  und  Opfer  nach 
sich  ziehen,  zu  denen  wir  uns  nachdrücklichst 
und    ohne    Verzug    entschließen    müssen. 

Das  neue  Militärgesetz  will  ich  hier  nicht 
erörtern.  Doch  will  ich  sagen,  daß,  wenn  nach 
einer  loyalen  Beratung  in  den  Kammern  der 
dreijährige  Dienst,  wie  ich  glaube,  als  unent- 
behrlich zur  Sicherung  unseres  Vaterlandes  er- 
kannt werden  wird,  ich  in  Erinnerung  an  die 
Niederlagen  von  1870  nicht  zögern  werde,  da- 
für zu  stimmen.  Keiner  bedauert  mehr  als 
ich  diesen  Rüstungswahn,  in  den  Europa  ver- 
fallen ist,  und  ich  vergesse  nicht,  daß  ich  im 
Jahre  1899  auf  der  ersten  Haager  Konferenz 
der  Redakteur  und  Verteidiger  jenes  Wunsches 
gewesen  bin,  der  auf  eine  Beschränkung  der 
auf  der  Welt  lastenden  Rüstungen  hinwies. 
Ebenso  vergesse  ich  nicht,  was  ich  im  Jahre 
1907  nach  Schluß  der  zweiten  Haager  Konferenz 
gesagt  habe:  ,Für  uns  entschlossene  Anhänger 
der  Schiedsgerichtsbarkeit  und  des  Friedens  ist 
die  Abrüstung  eine  Folge  und  keine  Vorberei- 
tung. Damit  die  Abrüstung  möglich  werde,  ist 
erst  notwendig,  daß  jeder  sein  Recht  für  ge- 
sichert erachtet.  Demnach  ist  zuerst  die  Rechts- 
sicherheit zu  organisieren.  Nur  hinter  diesem! 
Schutzdamm  werden  die  Nationen  abrüsten 
können. 

Das  Recht  ist  der  Schutz  der  Schwachen. 
Es  hieße  die  Sache  des  Friedens  entwaffnen 
und  diejenigen,  die  die  Herrschaft  des  Rechtes 
vorbereiten,  schwächen.  Wer  unter  uns  dächte 
daran,  unser  Vaterland  zu  schwächen,  von  dem 
Sie  mit  mir  in  Reims  auf  Ihrem  VI.  nationalen 
Kongreß  gesagt  haben,  ,daß  es  in  der  Zukunft 
das  bleiben  müsse,  was  es  so  oft  in  der  Ge- 
schichte gewesen,  die  Hüterin  der  Freiheit  und 
der  Soldat  des  Rechts.' 


233 


DIE  FßlEDEN5-^6-<kßTE 


=9 


Seien  wir  friedlich  und  seien  wir  stark  und 
finden  wir  uns  darein,  zu  warten.  Gerade  aus 
diesem  Uebermaß  der  Lasten,  die  Europa  be- 
drücken, wird  früher,  als  man  es  glaubt,  die 
unwiderstehliche  Bewegung  hervorgehen,  die 
«ine  Politik  der  Klugheit,  der  gegenseitigen  Ach- 
tung und  der  wirklichen  Sicherheit  notwendig 
machen  wird." 

Der  Brief  Bourgeois'  ist  noch  viel  länger. 
Wir  haben  hier  nur  jene  Stelle  wiedergegeben, 
die  sich  mit  den  Rüstungen  befaßt,  um  die 
Tendenz  der  verbreiteten  Nachricht  in  das  rich- 
tige Licht  zu  setzen. 

ms 

Was  ist  ein  Pazifist?    ::  ::  ::  ::   ::  ::   ::   »  ::   ::   ::   :: 

(Diese  Frage  wirft  unser  englisches  Bruder- 
organ „The  Arbitrator"  in  seiner  Nummer  von* 
Juni  auf.  Den  Anlaß  hierzu  bot  eine  Biogra- 
phie Lloyd  Georges,  deren  Verfasser  die  auch 
bei  uns  in  Deutschland  zur  Uebung  gewordene 
Methode  befolgt,  bei  Anführung  all  der  auf  den 
Frieden  hinzielenden  Taten  und  Aeußerungen 
des  englischen  Schatzkanzlers  entschuldigend 
sich  dagegen  zu  verwahren,  daß  dieser  nicht 
etwa  ein  „Pazifist"  sei.  Der  „Arbitrator"  bemerkt 
dazu  ganz  richtig,  daß  der  Biograph  „Pazi- 
fist" gleichbedeutend  mit  „Non-resistant"  hält, 
das  heißt  mit  jener  Weltanschauung  der  Quäker, 
der  auch  Tolstoi  zustimmte,  daß  man  dem  Uebel 
nicht  widerstehen  dürfe.  Es  ist  der  alte,  auf 
Denkfaulheit  beruhende  Glaube,  daß  die  Pazi- 
fisten Leute  seien,  die  den  sogenannten  „Frieden 
um  jeden  Preis"  fordern  und  in  der  Politik  den 
Grundsatz  aufgestellt  wissen  wollen,  daß  man 
seine  linke  Backe  hinhalten  müßte,  wenn  man 
einen  Schlag  auf  die  rechte  bekommt.  Dos  ist 
natürlich  Fälschung.  Und  sehr  richtig  fügt 
.„The  Arbitrator"  hinzu:  „Ein  Pazifist  ist  nicht 
notwendigerweise  ein  Non-resistant,  die  Be- 
zeichnung gebührt  vielmehr  jedem, 
der  gegen  einen  ungerechtfertigten 
Krieg  ist,  und  der  dafür  eintritt, 
daß  internationale  Streitigkeiten 
durch  Vernunftschlüsse  besser  als 
durch  das  Schwert  entschieden 
werden." 

MB 

Die  amerikanische  Friedensadresse  an  Kaiser  Wilhelm. 

Auf  Anregung  Carnegies  hat  die  amerika- 
nische Gruppe  der  „International  Conciliati">n" 
zum  Regierungs  Jubiläum  des  Kaisers  eine 
Adresse  herstellen  lassen,  die  dem  Kaiser  für 
seine  Friedenstätigkeit  in  dem  abgelaufenen 
Vierteljahrhundert  seiner  Regierung  dankt.  Die 
Adresse,  die  von  der  Kunstfirma  Tiffany  &  Co. 
prachtvoll  auf  Pergament  ausgeführt  ist,  wurde 
durch  Vermittlung  des  deutschen  Botschafters 
in  Washington,  Grafen  Bernstorf f,  nach  Berlin 
übermittelt.  Sie  hat  folgenden  Wortlaut: 
„An  Seine  Majestät  den  Deutschen  Kaiser. 
Im  Namen  von  Organisationen  und  Körper- 
schaften, welche  das  Bestreben  amerikanischer 
Bürger  ohne  Rücksicht  auf  Wohnsitz,  Glaubens- 


234 


bekenntnis  oder  Rassenzugehörigkeit  repräsen- 
tieren, die  Sache  der  Zivilisation  zu  fördern, 
erlauben  wir  uns,  Eurer  Majestät  unseren  Glück- 
wunsch auszusprechen  zu  einer  Regierung,  die 
in  unzähligen  Punkten  bemerkenswert  ist,  in 
keinem  Punkte  aber  bemerkenswerter,  als  in  der 
Aufrechterhaltung  eines  25  jährigen,  ungestörten 
Friedens  zwischen  Deutschland  und  den  übrigen 
Nationen  der  Welt.  Die  unvergeßlichen  Worte, 
die  Eure  Majestät  kurz  vor  der  Thronbestei-» 
gung  aussprachen:  „Der  Frieden  meines  Landes 
ist  mir  heilig"  waren  ebenso  überlegt,  wie  sie 
aus  dem  Herzen  kamen.  Heilig  sind  in  der  Tat 
die  Friedensliebe,  die  Zucht  und  der  Wohlstand 
des  deutschen  Volkes.  Mehr  als  einmal  ist  es 
in  den  verflossenen  25  Jahren  das  erhabene 
Vorrecht  Eurer  Majestät  gewesen,  nicht  nur 
friedfertige  Zurückhaltung  zu  üben,  sondern  sie 
auch  in  anderen  zu  erwecken.  Wir  möchten 
Eurer  Kaiserlichen  Majestät, unseren  Dank  dafür 
aussprechen,  was  Eure  Majestät  getan  haben, 
um  Krieg  zu  vermeiden  und  den  Anbruch  des 
Tages  herbeizuführen,  an  dem  Friede  auf  Erden 
für  alle,  die  guten  Willens  sind,  herrschen  wird. 

Abgesehen  von  der  Erhaltung  des  inter- 
nationalen Friedens,  wissen  wir,  daß  jeder  Re- 
gierungszweig sich  der  sympathischen  Mit- 
wirkung Eurer  Majestät  erfreut  hat  und  sich 
deren  noch  erfreut.  Die  bemerkenswerten  Er- 
rungenschaften auf  dem  Gebiete  des  Handels 
und  der  produzierenden  Industrien  des  deut- 
schen Reiches  sowie  die  Entwicklung  des  Acker- 
baues und  der  Landwirtschaft  sind  nicht  zum 
wenigsten  den  verständnisvollen  und  unermüd- 
lichen Bemühungen  Eurer  Majestät  zuzu- 
schreiben. Unter  der  Regierung  Eurer  Majestät 
hat  sich  die  wirtschaftliche  Lage  der  breiten 
Massen  des  deutschen  Volkes  ständig  gebessert. 
Deren  Bildung  ist  zur  Zeit  umfangreicher  und 
für  den  Kampf  ums  Dasein  nützlicher  denn  je 
zuvor.  Die  Gesetze  zum  Schutz  der  öffentlichen 
Wohlfahrt,  die  Pensions-  und  Altersversiche-i 
rungsgesetze,  die  Schutzmaßregeln  für  die  im 
Arbeits  betrieb  Verletzten  und  Arbeitsunfähigen 
sind  samt  und  sonders  größtenteils  (der  kräftigen 
Förderung  und  Gutheißung  Eurer  Majestät  zu 
verdanken. 

Die  Zunahme  der  Bevölkerung  und  der  sich 
steigernde  Wohlstand  Deutschlands  infolge  der 
sich  stetig  bessernden  Lebensbedingungen  und 
Arbeitsverhältnisse  zollen  den  Bemühungen 
Eurer  Majestät  um  die  Wohlfahrt  des  deutschen 
Volkes   eindrucksvollste   Anerkennung. 

Diejenigen  von  uns,  die  sich  in  der  Entwick- 
lung der  einzelnen  Industrien,  des  Handels, 
der  Erziehung,  der  Wissenschaft  und  der 
schönen  Künste  in  unserem  Lande  betätigen, 
die  ferner,  soweit  es  in  ihrer  Macht  Hegt,  die 
Verbrüderung  der  Menschheit  fördern,  be- 
trachten es  als  eine  Pflicht,  Eurer  Majestät 
ihre  einmütige  Anerkennung  für  das  leuchtende 
Beispiel  auszusprechen,  das  die  25  jährige  Re- 
gierungszeit Eurer  Majestät  gibt. 

...    Wir  beglückwünschen  Eure  Majestät  zu  dem 
bemerkenswerten   Fortschritt,    der   in   Deutsch- 


<§= 


=  DIE  FßlEDEN5->XÄßTE 


land  auf  jedem  Gebiet  menschlichen  Strebens 
unter  Eurer  Majestät  friedliebender,  segen- 
bringender und  kulturverbreitenden  Eegierung 
zu  verzeichnen  ist.  Möge  sie  noch  lange  unge- 
stört andauern." 

Unterzeichnet  ist  diese  Glückwunschadresse 
von  400  der  hervorragendsten  Persönlichkeiten 
der  Vereinigten  Staaten. 

Im  Zusammenhang  damit  dürfte  auch  die 
für  den  17.  Juni  anberaumte  Anwesenheit 
Carnegies    in    Berlin    stehen. 


AUS  DER  BEWEGVN6 

Kalendarium  der  pazifistischen  Veranstaltungen.  ::   :: 

15. — 19.  Juni:  II.  "Weltkongreß  der  inter- 
nationalen  Vereinigungen   zu   Brüssel. 

22. — 29.  Juni:  Internationaler  Theoso- 
phischer  Friedenskongreß  in  Visingkö, 
Schweden. 

4. — 30.  August:  Abhaltung  eines  inter- 
nationalen Friedens -Seminars  in  Kaisers- 
lautern. 

19.— 21.  August:  VIII.  Deutscher  Espe- 
rantokongreß   in    Stuttgart. 

18.— 23.  August:  XX.  Weltfriedenskongreß 
im    Haag. 

23. — 25.  August:  Internationaler  Friedens- 
kongreß der  Freimaurer  im  Haag. 

29.  August:  Einweihung  des  Friedens- 
palastes im  Haag. 

29.  Aug.  bis  13.  Sept.:  VIII.  Weltkongreß 
der  Studentenverbände  (Corda  Fratres)  in 
Ithaca,  New  York. 

29.— 31.  August:  IX.  Internationaler  Espe- 
rantokongreß in  Bern. 

1. — 5.  September:  Internationale  Studenten- 
vereinigung im   Haag. 

3.-6.  September:  XVIII.  Interparlamenta- 
rische   Konferenz    im    Haag. 

1.  Oktober:  XXVIII.  Konferenz  der  Int. 
Law   Association   in  Madrid. 

4.-6.  Oktober:  Zweiter  Verbandstag  des 
„Verbandes  für  internationale  Verständigung" 
in  Nürnberg. 

10. — 13.  Dezember:  Konferenz  der  deutsch- 
französischen Verständigungs- Vereinigung  „Pour 
mieux  se  connaitre"  in  Gent. 


Der  zweite  Verbandstag  des  Verbandes 

für  internationale  Verständigung. 

Der  Frankfurter  Verband  für  internationale 
Verständigung  versendet  soeben  die  Einladung 
zu  seinem  zweiten  Verbandstag,  der  vom 
4.  bis  6.  Oktober  dieses  Jahres  in  Nürnberg 
stattfinden    wird. 

In  dem  vorläufigen  Programm  werden 
Referate  folgender  Persönlichkeiten  in  Aussicht 
gestellt: 

1.  Herr   Geheimrat   Professor   Dr.    L.    von 
Bar,  Göttingen. 

2.  Herr    Handelsredakteur ,  Leo     Benario, 
Frankfurt  a.  M„ 


3.  Herr  Baron  D'Estournelles  de  Constant, 
französischer   Senator,   Paris, 

4.  Herr    Geheimrat   Professor    Dr.    K.    Th. 
von  Eheberg,  Erlangen, 

5.  Herr   Professor   Dr.    Adolf  Friedländer. 
Hohemark   bei  Frankfurt   a.   M. 

6.  Herr  Konrad  Haußmann,  M.  d.  E.,  Stutt- 
gart, 

7.  Herr   Hofrat   Professor   Dr.   Lammasch. 
M.  d.  H,  Wien, 

8.  Herr  Bankdirektor  a.  D.  Hermann  Maier, 
Frankfurt  a.  M., 

9.  Herr    Professor    Dr.    Christian    Meurer, 
Würzburg, 

10.  Herr     Professor    Dr.     Otfried    Nippold, 
Oberursel  a.  T., 

11.  Herr   Professor   Dr.    Walter   Schücking, 
Marburg  a.  d.  L., 

12.  Herr    Geheimrat   Professor   Dr.    Philipp 
Zorn,   Kronsyndikus,  »M.  d.  H,   Bonn. 

Außerdem  wird  mitgeteilt,  daß  die  fran- 
zösischen, englischen  und  amerikanischen  Ver- 
bände für  internationale  Verständigung  auf  der 
Nürnberger  Tagung  durch  hervorragende  Persön- 
lichkeiten vertreten  sein  werden.  Den  Kongreß- 
teilnehmern werden  zahlreiche  Begünstigungen 
zuteil  werden.  Auch  festliche  Empfänge  sind 
vorgesehen.  Ein  Ortsausschuß,  an  dem  hervor- 
ragende Personen  Nürnbergs  beteiligt  sind,  hat 
sich  bereits  gebildet.  Das  endgültige  Programm 
wird  noch  später  mitgeteilt  werden. 


Lord  Rvebury  f.  ::    ::    ::   ::   :;   ::    ::   ::   ::   ::   ::   ::   ::   :: 

Wieder  hat  die  Friedenssache  einen 
schweren  Verlust  erlitten.  Ende  Mai  ist  in 
London  Lord  Avebury  (früher  Sir  John  Lub- 
bock),  der  hervorragende  Naturforscher,  im 
79.  Lebensjahre  gestorben.  Er  diente  der 
Friedenssache  seit  mehr  als  einem  Menschen- 
alter. Mit  Randal  Cremer  zusammen  trat  er  im 
Unterhause  für  die  Schiedsgerichtsbarkeit  ein. 
Und  während  des  deutsch-englischen  Mißver- 
ständnisses war  er  einer  der  Führer  in  dem 
Kampfe  für  die  Versöhnung  der  beiden  Völker. 
Er  verwarf  in  allen  seinen  Schriften  den  Krieg 
als  unwürdig  unserer  Kultur  und  als  eine  ver- 
brecherische Vergeudung.  Die  Teilnehmer  an 
dem  Besuche  deutscher  Journalisten  in  England 
werden  sich  seiner  Persönlichkeit  mit  Freuden 
erinnern.  Eines  seiner  der  Friedensidee  ge- 
widmeten Bücher  trägt  den  Titel  „Peace  and 
Happiness".  Noch  auf  der  letzten  anglo-deut- 
schen  Verständigungskonferenz  in  London  im 
Oktober  vorigen  Jahres  wirkte  Lord  Avebury 
führend  mit. 


Ein  internationales  pazifistisches  Seminar.    ::   :.-   ::   :.- 

In  Verbindung  mit  den  vom.  4.  bis 
30.  August  d,  J.  in  Kaiserslautern  zum  achten 
Male  stattfindenden  Ferienkursen  für  Aus- 
länder, die  unter  der  Leitung  des  ausgezeich- 
neten Pädagogen  Wagner  stehen  (Anfrage: 
•Ferienkurse  für  Ausländer,  Kaiserslautern,  Hack- 


>235 


DIE  FßlEDENS-^VAßXE  = 


3 


steaße  22,  Rheinpfalz),  wird  in  diesem  Jahr 
ein  Friedens seminar  abgehalten.  Dieses  stellt 
sich  die  Aufgabe,  mit  den  Gründen  und  Zielen 
(der  internationalen  Friedensbewegung  und  mit 
den  Mitteln  und  Einrichtungen  bekanntzu- 
machen, durch  die  man  zu  einer  friedlichen 
internationalen  Verständigung  gelangen  kann. 
Da  der  größte  Teil  der  Kursteilnehmer  von 
Berufs  wegen  an  der  Jugenderziehung  be- 
teiligt ist,  so  ist  zu  hoffen,  daß  sich  unter 
Mitwirkung  führender  Persönlichkeiten  auf  dem 
Gebiete  der  Friedensbewegung  und  durch  gegen- 
seitige Aussprachen  eine  Einigung  auf  gemein- 
same Grundsätze  und  Eichtlinien  ermöglichen 
läßt,  nach  denen  durch  eine  planmäßige  Jugend- 
erziehung in  den  verschiedenen  Kulturländern 
einer  friedlichen  internationalen  Verständigung 
wirksam  vorgearbeitet  werden  kann.  Der  Be- 
such  dieses  Instituts  ist  jedermann  frei  ge- 
stellt, die  Vorträge  sind  öffentlich  und  un- 
entgeltlich. 
I.  Vorträge: 

1.  Frau  Baronin  Berta  von  Suttner 
aus  Wien:  Die  Friedensbewegung  in 
Amerika. 

2.  Miß  Anna  Eckstein  aus  Boston :  Die 
Friedenssicherung,  warum  und  wie  eie 
durchführbar   ist. 

3.  A.  H.  Fried  aus  Wien:  Die  Grundr 
probleme   des    Pazifismus. 

4.  Nationalrat  Dr.  Gobat  aus  Bern:  Die 
Organisation  der  Internationalen  Frie- 
Idensbewegung. 

5.  Professor  Dr.  Quid  de  aus  München: 
Die  geschichtliche  Begründung  der  Frie- 
densidee. 

6.  Stadtpfarrer  ümfrid  aus  Stuttgart: 
Moral  und  Politik. 

7.  Pfarrer  Wagner  aus  Neuhengstetfe- 
Calw:  Die  Kirche  und  die  Friedensr 
bewegung. 

8.  Wagner  (Kaiserslautern) :  Erziehung 
zum  Frieden. 

Außerdem     haben      Herr    Professor 
Ruyssen     an     der     Universität     Borr 
deaux   und   Herr   Dr.   Westphal   aus 
Stuttgart,  Sekretär  der  Deutschen  Frie- 
densgesellschaft,   ihre    Mitwirkung    zu- 
gesagt. 
II.  Aussprachen,    die    sich    an    die    Vor- 
träge anschließen. 
III.  Ausstellung     der     wichtigsten     litera- 
rischen  Erzeugnisse   auf   dem   Gebiete   der 
Friedensbewegung    und    der    Verbände   für 
1     internationale   Verständigung. 


LITERATUR  U  PQESSE 

Besprechungen.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  n  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  v.  :: 

Friedenskongreß,  V.  Deutscher, 
Am  26.  und  27.  Oktober  1912  in  Berlin.  Inhalt: 
Bericht  über  den  Kongreß.  —  Vortrag  von 
A.  H.  Fried  über:  Der  Balkankrieg  und  die 
Friedensbewegung.  —  Vortrag  von  Pfarrer 
W.      Nithack-Stahn      über :      Ist      der 


234 


Kampf  gegen  den  Krieg  eine  ideale  oder  wirt- 
schaftliche   Notwendigkeit?    —    Vortrag   von 
Prof.    Quidde   über :   „Rüstungswettkampf 
oder     Rüstungsstillstand.     —     Vortrag     von 
Justizrat       D.       H  e  i  1  b  e  r  g      über :      Inter- 
nationales Leben  und  internationale  Spannung 
in  ihrem  Gegensatz.  —  Vortrag  von  Geheimrat 
Prof.  Dr.  Förster  über:  Moral  und  Staats- 
raison.     8  °.     Stuttgart.     (1913).    Verlag    der 
Deutschen    Friedensgesellschaft.     61    S. 
In    dieser    Broschüre    sind   die   Beratungen 
und  öffentlichen  Vorträge  festgelegt,  die  Ende 
Oktober  in  Berlin  stattfanden.     Sie  geben  ein 
gutes  Bild  über  den  Stand  der  Bewegung  und 
über  die  aktuellen  Fragen,  die  der  Krisen winter 
dieses   Jahres   aufgeworfen  hat. 

Heim,    Dr,   Georg, 
Um    der    Gerechtigkeit    willen!      Im    Auftrage 

der  Zentralstelle  der  bayr.  Bauernvereine  in 

Regensburg.  8°.  Regensburg  1913.  30  S. 
Auf  den  Inhalt  dieser  bemerkenswerten 
Schrift  ist  bereits  in  Na  5  der  F.-W.  (S.  189) 
hingewiesen  worden.  Der  Zentrumsabgeordnete 
Dr.  Heim  hat  damit  einen  wichtigen  Beitrag  zur 
Beratung  der  Militärlasten  und  ihres  Druckes 
auf  die  deutsche  Bevölkerung  gegeben.  Heim 
führt  im  besonderen  aus,  wie  die  doch 
so  rüstungsfreundlichen  landwirtschaftlichen 
Kreise  Deutschlands  unter  der  Militärpflicht 
und  der  Rüstungslast  zu  leiden  haben.  „So 
trägt  der  Militarismus  dazu  bei,  die  Quelle  nach 
und  nach  zu  verschütten,  aus  der  er  allein  den 
gesunden  Zufluß  bekommt.  Der  Schaden,  den 
die  deutsche  Landwirtschaft  Jahr  für  Iahr  da- 
durch erleidet,  kann  überhaupt  nicht  in  Mark 
und  Pfennig  geschätzt  werden."  Wenn  solche 
Kritik  von  dieser  Seite  kommt,  so  kann  man 
ermessen,  daß  die  Rüstungsfreudigkeit  im 
deutschen  Volke  nicht  mehr  in  jenem  Maße 
vorhanden  ist,  wie  man  es  gern  glauben  machen 
möchte. 

K  ohler,   Josef, 
Moderne    Rechtsprobleme.     2.    durchgearbeitete 

Auflage.    8«.    Leipzig.    1913.    B.  G.  Teubner. 

(Aus  Natur  und  Geisteswelt."  128.  Bändchen.) 

98  S.  Lwdbd. 
Wir  haben  auf  diese  bemerkenswerte  Schrift 
schon  beim  Erscheinen  der  1.  Auflage  hingd- 
wiesen.  Das  Kapitel  über  den  Frieden  ist  nicht 
geändert  worden.  Nur  der  Titel  wurde  ver- 
bessert. Er  heißt  nicht  mehr  „Ewiger  Friede", 
sondern  „Weltfrieden." 

Rosenberg,    Auguste, 
A.    Bekenapra    az    iskolaknak.     8  °.     Budapest. 
1913.     58  S. 

Zu  deutsch :  „Den  Schulen  am  Friedens- 
tage." Auguste  Rosenberg  hat  nach  dem  Muster 
der  vom  amerikanischen  Unterichtsministerium 
herausgegebenen  Anleitung  zur  Feier  des 
18.  Mai  eine  solche  Anleitung  für  die 
ungarischen  Schulen  zusammengestellt.  Der 
Inhalt  stellt  sich  folgendermaßen  dar: 

Als  Einleitung:  Die  Verordnung  des  Graf 
Albert  Apponyi,  Kultus-  und  Unterrichts- 
ministers, die  Schulfeier  des  Friedens  (.ages  be- 
treffend. Wiederholung  der  Verordnung  durch 
Graf  Johann  Zichy,  Kultus-  und  Unter- 
richtsmin:s'Ler,  ferner  Rundschreiben  d  sselben, 
von  den  Aufsichtsbehörden  der  Schulen  Bericht- 
erstattung fordernd  über  die  Art  und  Weise 
der  Abhaltung  der  Feier  des  Friedenstages. 
—  Graf  Albert  Apponyi:  Ueber  die  päda- 


1 


<§G 


DIE  FRIEDEN5-^^*M2XE 


gogische  Bedeutung  des  Friedenstages.  Die 
Organe  und  Institutionen  der  Friedensbewegung. 
—  Dr.  Wilhelm  Lers,  Staatssekretär : 
Friedensidee  und  Pädagogie.  —  Dr.  Alex. 
Gießwein,  Landtagsabgeordneter :  Der 
18-  Mai.  —  Prof.  Franz  Kemeny:  Was 
kann  'jedermann  für  den  Frieden  tun.  —  Flora 
v.  Perczel- Kozma:  Der  Christus  der 
Anden.  —  Frau  Dr.  Julius  Farkas:  Ueber 
den  Frieden  den  Kindern.  —  Auguste 
Rosenberg:  Die  Erziehung  zum  guten  Willen 
und    zur    Nachsicht    gegen    einander. 

Einteilung  des  Lehrstoffes :  Nach  Mrs. 
Fern-Andrews  Fr.  v.  Markos:  Den 
Kindern  über  die  Bedeutung  der  Haager 
Friedenskonferenz.  —  Fr.  Karl  Ziper- 
n  o  w  s  k  y :  Einige  Entgegnungen.  —  Passende 
Gedichte  zur  Feier  des  Friedens- 
tages. —  Ungarische  Frie  den  s  li  t  e  - 
ratur.  —  Krieg  oder  Frieden? 

MB 

Eingegangene  Druckschriften.    :;   ::   :;   ::  :: 

(Besprechung  vorbehalten.) 

The  American  Journal  of  Inter- 
national Law.  A  Quarterly.  New  York. 
1913.    April. 

Aus  dem  Inhalt :  Eugene  Wambaugh, 
Exemption  from  Panama  Tolls.  —  Norman 
Dwight  Harris,  The  New  Moroccan  Pro- 
tectorate.  —  William  Cullen  Dennis, 
The  Necessity  for  an  international  code  of 
Arbitral  Procedura.  —  Hans  Wehberg,  Re- 
strictive  Clauses  in  international  Arbitration 
Treaties.  —  President  Wilson  and  Latin 
America.  —  William  Jennings  Bryan,  Secre- 
tary  of  State.  —  The  Passing  of  Dollar  Di- 
plomacy.  —  The  Japanese  Review  of  Inter-  - 
national  Law.  —  John  Basset  Moore,  the  new 
Connsellor  for  the  Departement  of  State.  — 
usw.  usw. 

Hierzu  Supplement-Nummer,  enthaltend  Do- 
kumente. 

Bulletin  of  the  Pan  American 
Union.    Washington   1913.    April. 

Aus  dem  Inhalt:  Dinner  in  honor  of  Secre- 
tary  bf  State  Bryan.  —  President  Wilson  and 
Latin  America.  —  Pan  America  in  France.  — 
International  South  American  Postal  Bureau. 
—  American  Peace  Congress.  —  American  So- 
ciety of  International  Law.  —  usw.   usw. 

E  i  s  1  e  r ,    Julius, 
Das    Ende   des   Kriegswahnes   und   der   gewalt- 
tätigen Zeitalter:    Vom    kommenden    Völker- 
rechte.  8  °.   Wien  und  Leipzig  1913.    J.  Eisen- 
stein &  Co.    13  S. 

Freundlich,  Leo, 
Albaniens    Golgatha.     Anklageakten    gegen   die 

Vernichter  des  Albanervolkes.    Gr.  8°.    Wien 

1913.    Josef  Roller  &  Co.    32  S.    20  Heller. 
Biermer-Gießen,   Prof.   Dr., 
Die   finanzielle   Mobilmachung.    Vorträge.    Aus 

dem    Nachlaß    herausgegeben    von    Prof.    Dr. 

Lief  mann-Frei  bürg    i.    B.     8°.     Gießen    1913 

Emil  Roth.    55  S.    1,50  M. 
Roßmanith,    Alfred    Johann, 
Quousque    tandem  .  .  .  Rede    an    die    Nationen 

Oesterreichs.    Gesellschaft  zur  Förderung  des 

nationalen    Friedens.      Gr.    8°.      Wien    1913. 

Kommissionsverlag     L.    W.    Seidel    &    Sohn. 

31   & 


Sonntag,  Josef, 

Deutschland   vor   der    Katastrophe.      Eine    An- 
klage-   und    Aufklärungschrift.     8  °.     Leipzig 
1913.    Arthur  Kade.    96  S.    1,25  M. 
Sturm,  Justizrat  Dr.  A., 

Kant  und  die  Juristen.  Ein  Reformvorschlag 
für  die  Stellung  der  Rechtsphilosophie  und 
für  das  internationale  Recht  und  das  Friedens- 
recht. 8  o.  Halle  a.  S.  1913.  C.  A,  Kaemmerer 
&  Co.    50  S.    1  M. 

Columbia   Universitv, 
Bulletin  of  Information.  Catalogue.   1912—1913. 
Gr.  8°.    New  York.     Published  by  Columbia 
University.  X    u.  535  S. 
Choate,  Joseph  H., 
The    two    Hague    Conferences.     8  °.     Princeton 
1913.    Princeton  Universitv  Press.  XV    u.  109 
S.    cloth. 

Holsti,   Rudolf, 
The    Relation    of    war    to    the    origin    of    the 
State.     Lex.    8°.     Helsingfors    1913.    Helsing- 
fors  New  Printing  Co.    X  u.  313  S. 

Mason,  Daniel  Gregory, 
Music  as  an  international  Language.  8  °.  New 
York  1913.  (International  Conciliation,  June 
1913,  No.  67).  American  Association  for  Inter- 
national Conciliation.  New  York.  Sub 
Station  84.  (407  West  117  th  street).  14  S. 
Kostenlos. 

Churchill,  The  Rt.  Hon.  Winston, 

On  Naval  Armaments.  From  a  speech  on  the 
naval  estimate  in  the  House  of  Commons, 
March  26,  1913.  Reprinted  from  the  London 
„Times".  8°.  New  York  1913.  (International 
Conciliation.  Special  Bulletin.  April.). 
American  Association  for  International  Co- 
ciliation.  New  York.  Sub  Station  84  (407 
West,  117  th.  street.)  13  S.  Kostenlos. 
Monthly   Bulletin 

of  books,  pamphlets  and  magazine  articles 
dealing  with  international  Relations.  8  °.  New 
York  1913.    (International  Conciliation  April.) 

.     American  Association  for  International  Con- 
ciliation.    New    York.     Sub   Station    84    (407 
West,  117  th.  street.)    13  S.    Kostenlos. 
H  y  d  e ,  Charles  Cheney, 

Legal  Problems  capable  of  Settlement  by  arbi- 
tration. 8°.  Baltimore  1913.  (Judicial  Settle- 
ment of  International  disputes.  No.  11.  Fe- 
bruary.)  Published  quarterly  by  American 
Society  for  Judicial  Settlement  of  Inter- 
national Disputes.    32  S. 

Lake  Mohonk, 

Mountain  House.    Seasons  of  1913.    Opens  May 

tenth,  closes  october  twenty  eiefhth.    Gr.  8". 

Mohonk  Lake  1913.  Daniel  Smiley,  Proprietor. 

Mit  zahlreichen  Abbildungen. 

H  a  y  ,  Hon.  John,  and  R  o  o  t ,  Hon.  Elihu, 

Instructions  to  the  American  Delegates  to  the 
Hague  Conferences,  1899  and  1907.  8°. 
Boston  1913.  (World  Peace  foundation,  Pam- 
phlet, Series.  April,  Vol.  III.  No.  4.)  Pu- 
blished monthly  by  the  World  Peace  Foun- 
dation, Boston,  40  Mt.  Vernon  Street.  27  S. 
Mead,  Edwin  D., 

Washington,  Jefferson  and  Franklin  on  war. 
8°.  Boston  1913.  (World  Peace  Foundation. 
Pamphlet  Series.  May,  Vol.  III.,  No.  5.) 
published  monthly  by  the  World  Peace  Foun- 
dation, Boston,  40  Mt.  Vernon  Street.    14  S. 


237 


DIE  FRIEDENS  -WARTE 


3 


I.  Affaire 
„Manuba". 
Cour    per- 


Comite  de  Publication  D.  Q.  0.  B. 

Les  Atrocites  des  Coalises  balkaniques.    No.   1 

u.    No.    3.     8°.     Constantinople  1913.     Dans 

radministration  du  „Journal  Ifhans",  15,  nie 

Djagal-Oglon.    46  S. 

Sentences 
du  Tribunal  arbitral  franco-italien. 
du    „Carthage".      II.    Affaire    du 
Folio.    (La   Haye)    6.    Mai    1913. 
manente  d'Arbitrage.    18   S. 

D'Estournelles    de    Constant, 
Les    Etats-Unis    d'Amerique.     8  <>.     Paris    1913. 
Armand  Colin.    IX  u.  536  S.    5  Frcs. 
Ruby,  Jean  f , 
La    Guerre    d'Orient.     Une    Eace    qu'on    exter- 
mine.    Temoignages  et  Documents.    8  °.   Paris 
1913.      Imprimene   Kleber.      16   S.     25   oent. 
Derselbe, 
La    Guerre   d'Orient.     Les   Massacres    et    leurs 
Auteurs.    Nouveaux  Temoignages.    8°.    Paris 
1913.     Imprimerie    Kleber.     16    S.     25    cent. 
Derselbe, 
La    Guerre    d'Orient.      Les    Allies    balkaniques 
a  la  Barre  d  l'Histoire.     Opinions  et  Appre- 
ciations.   8°.   (Paris)  1913.    Imprimerie  Kleber 
16  S.    25  cent. 

Derselbe, 
La   Guerre  d'Orient.     Le  röle   civilisateur   des 
Allies    balkaniques.     8°.     Paris    1913.    Impri- 
merie Kleber.    16  S.    25  cent. 


Fachpresse.    ::    ::  ::    ::   ::    ::   ::    ::   ::    ::   ::    ::   ::   :: 

Der  Friede  (Bern).  Mai.  Protokoll  über  die 
Verhandlungen  der  Delegiertenversammlung 
des  Schweiz.  Friedens  Vereins.  —  usw. 

Die  Friedensbewegung  (Bern).  Mai. 
Satzungen  des  internationalen  ständigen 
Friedenbureaus.  —  Die  deutsch-französische 
Verständigungskonferenz.  —  A.  G  o  b  a  t ,  Pa- 
zifismus in  der  Tat  . —  usw. 

Vaterland  und  Welt  (Göttingen).  Mai. 
Bericht  über  den  2.  Kongreß  des  Verbandes 
der  Internationalen  Studentenvereine  Deutsch- 
lands zu  Leipzig.  —  Prof.  Dr.  Ludwig 
Stein,  "Weltbürgertum,  nationale  Willens- 
bildung und  internationale  Verständigung! 
(Vortrag,  gehalten  auf  dem  2.  Kongreß  des 
internationalen  Studentenverbandes  in  Leip- 
zig,  16.  Mai).  —  usw. 

Zur  internationalen  Kulturbewe- 
gung. Sommer-Semester  1913.  Dr.  Walter 
A.  B  e  r  e  n  d  s  o  n ,  Studienfahrten  deutscher 
Studenten  ins  Ausland.  —  usw. 

La  Paix  par  le  Droit  (Paris).  Nr.  9. 
Francis  Delaisi,  Le  Patriotisme  des 
plaques  blindees.  —  Th.  Ruyssen,  Poür 
la    ligue   franco-allemande.    —   usw. 

La  Paix  par  la  Raison  (Paris).  Nr.  1. 
Appel-Programme.  —  usw. 

Concord  (London).  Mai.  Felix  Mo- 
se h  e  1  e  s ,  Some  Actualities.  —  Ders.,  Bertha 
v.   Suttner.   —  usw. 

Monthly  Circular  of  the  National  Peace 
Council  (London).    Mai. 

Advocate  of  Peace  (Washington).  Mai. 
Secretary  Bryans  Peace  Plan.  —  The  Treaty 
of  Ghent  Centenary.  —  Edwin  D.  Mead, 
Human  Nature  and  the  War  System.  — 
Andrea  Hofer  Proudfoot,  Inter- 
nationalism.     —     Benjamin     F.     True- 


b  1  o  o  d ,  Present  Demands  of  the  Peace  Mo- 
vement. —  Hon.  S.  A.  Witherspoon, 
No   more   Battleships   needed.   —   usw. 

The  Messenger  of  Peaoe  (Richmond). 
April. 

The  Japan  Peace  Movement  (Tokyo). 
April.  Hague  Day  in  Japan.  —  Notes  on 
Japanese  Peace  Movement.  —  Garibaldi's 
Peace  Argument.  —  H.  Miyamoto,  Miss 
Ecksteins  World  Peace  Petition.  —  usw. 

La  Fiorita  (Mailand).  Mai.  RosaliaGwis 
Adami,  NeH'ora  che  volge.  —  Corso  die 
cultura  paeifista.  —  usw. 

„Vrede  door  Recht"  (Haag).  Mai.  Of  het 
Wereldoongres  voor  den  Frede  of  bell 
Stelling  wekken  voor  Internationale  Politie 
—  Het  Fraansch-Italiaansch  geschil.  —  H. 
van  der  Mandere,  „Das  Werk  vom  Haag." 
(Schluß.)  —  Internationale  Politie.  —  B.  de 
long  van  Beek  en  Donk,  Tegen  de 
Sensatiepers.  —  W.  J.  L.  van  Es,  Eeen  op- 
merking  naar  aanleiding  van  de  „De  jacht 
naar  den  afgrond."  —  Knut  Sandstedt, 
De   Vredesbeweging  in   Scandinavie.  —  usw. 

Fredsfanau    (Stockholm).     Mai- Juni.      Hur 

f&r  det  med  fredsmonumentsinsamlingen  i 
verige?  —  „VI  Svenska."  K.  P.  Arnoldson 
om  det  senaste  varningsordet.  —  Bertha  von 
Sutanen  —  usw. 

Fredsbladet  (Kopenhagen).  Mai.  Inter- 
nationale Undersgelseskommissioner.  — 
Mindesmaerke  for  frantz  Rasmusen.  —  usw. 

Nemzetkö zielet  (Budapest).   No.  2,  3 und 4. 

Le  Messager  de  la  Paix  (Petersburg)  (in 
russischer  Sprache).    No.  4. 


Artikel.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  z  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 
(Bibliographie.)  I.  Friedens- 
bewegung im  allgemeinen:  Die  Be- 
schießung Skutaris.  „Neue  Freie  Presse."  16. 
V.  *  Prof.  Robert  Pilot  y,  Friedens-  und 
Kriegshysterie.  „Münchener  Neueste  Nach- 
richten. 20.  V.  *  Christentum  und  Krieg. 
Schleswig.  -  Holstein.  Volkszeitung."  16.  V.  * 
Alfred  H.  Fried,  Die  Wegelagerer  der  inter- 
nationalen Politik.  Ein  offizieller  Vorstoß  gegen 
die  Kriegshetzer  in  der  Presse.  „Breslauer 
Morgenzeitung."  9.  V.  *  Der  s., .  Die  Kriegs- 
hetzer in  der  Presse.  „Neue  Badische  Landes- 
Zeitung."  9.  V.  *  Die  Friedensidee.  „Hamburger 
Echo."  10.  V.  *  Patriotismus  und  Militarismus. 
„Der  Weg."  V.  *  0.  Umfrid,  Wutgebrüll. 
„Der  Beobachter."  23  V.  *  Dr.  Ortner, 
National  und  sozial.  „Freie  Stimmen."  (Klagen- 
furt). 20.  IV.  *  Hans  Land,  Die  Demokratie 
ist  der  Friede.  „Breslauer  Morgenzeitung."  26. 
V.  *  Eine  Jahrhundertfeier,  „wie  sie  noch  nie 
da  war".  (Aus  einem  New- Yorker  Briefe.)  „Neue 
Preußische  (Kreuz-)  Zeitung."  27.  V.  *  Georg 
Kossak,  Soll  ein  Kaufmann  ein  Friedens- 
freund sein?  „Die  Post  reisender  Kaufleute" 
(Leipzig).  29.  V.  *  Rede  des  Generals  Keim 
auf  der  2.  Hauptversammlung  des  Wehr- 
Vereins.  „Staatsbürger-Zeitung."  28.  V.  *  Irrende 
Geistliche.  „Hamburger  Nachrichten."  16.  V.  * 
Reitergeist.  Deutsche  Tageszeitung"  (Abend- 
ausgabe). 13.  V.  *  Eine  Michelei.  „Düssel- 
dorfer Zeitung."  11.  V.  *  E.  Oberfohren, 
Frauenbewegung  und  Antimilitarismus.  „Neue 
Preußische  (Kreuz-)  Zeitung"  (Abendausgabe). 
28.   V. 


238 


<ö= 


=  DIE  FRI  EDENS  -^MÄRXE 


II.  Die  internationale  Politik: 
Paul  Acker,  L 'Exaltation  du  souvenir  en 
Allemagne  et  chez  nous.  „La  semaine  litteraire." 
4.  V.  *  Deutschnational  —  und  doch,  friedens- 
freundlich. „Deutsches  Volksblatt."  (Wien.)  22. 
III.  *  Ludwig  Frank,  M.  d.  R,  Bern. 
„März."  17.  V.  *  Prof.  Dr.  Ludwig 
Q  u  i  d  d  e ,  Die  Berner  Verständigungskonferenz. 
„Frankfurter  Zeitung."  14.  V.  *  GeorgKorn, 
Der  Friedenstag  von  Bern.  „Zeit  am  Montag." 
13.  V.  *  Die  Berner  Konferenz.  „Vorwärts." 
12.  V.  *  Deutschland  und  Frankreich  in  Bern. 
„Vorwärts."  13.  V.  *  Oesterreichische  Kata- 
strophenpolitik.   „Frankfurter  Zeitung."   15.   V. 

*  Dr.  Ludwig  Haas- Karlsruhe,  M.  d.  R., 
Die  Berner  Verständigung.  „Berliner  Tageblatt." 
15.  V.  *  Deutschland  und  Frankreich.  „Vossische 
Zeitung."  13.  V.  *  T  h.  Rothstein  (London), 
Die  deutsch-englische  Annäherung.  „Die  Neue 
Zeit."  9.  V.  *  Arthur  Eloesser,  Deutsch- 
land und  Frankreich  (Georges  Bourdon: 
L'Enigme  allemande.)  „Vossische  Zeitung."  30. 
V.  *  Die  Männer  um  den  Kaiser.  (Frederic 
William  Wile:  Men  arround  the  Kaiser.) 
„Vossische  Zeitung."  30.  V.  *  Prof.  Richard 
E  ickhoff,  Frankreich  und  Deutschland. 
„Fränkischer  Kurier."  23.  V.  *  Anton  von 
M  ö  r  1 ,  Gedanken  zur  modernen  Machtpolitik. 
„Oesterreichische    Rundschau."    (Wien.)    15.    V. 

*  Dr.  Freiherr  v.  Mackay,  Deutschland 
und  England,  die  fremdwerdenden  Gegner. 
„Magdeburgische  Zeitung."  23.  V.  *  Wie  können 
sich  Deutschland  und  Frankreich  versöhnen? 
Eine  Enquete  des  „Neuen  Wiener  Journals." 
„Neues  Wiener  Journal."  11  V.  *  Prof.  Dr. 
T  h.  Fuchs,  Wie  können  sich  Deutschland 
und  Frankreich  versöhnen?  „Neues  Wiener 
Journal."  24.   V. 

III.  Völkerrecht:  E.  Gagliardi,  Der 
Schiedsrichterspruch  vom  Haag.  „Der  Tag" 
(illustrierter).  28.  V.  *  Heinrich  Lammasch. 
„Kölnische  Volkszeitung"  (Abendausgabe).  21. 
V.  *  Prof.  Philipp  Zorn,  Heinrich  Lam- 
masch.  „Der  Tag"  (illustrierter).  20.  V.  *  P  r  o  f . 
Dr.  Hans  Sperl,  Luftschiffahrt  und  Juris- 
prudenz. „Urania."  (Wien)  31.  V.  *  Dr.  Gustav 
Streseman  n,  Normann  Angells  falsche 
Rechnung.  „Posener  Zeitung."  4  und  6.  V.  * 
Alfred  H.  Fried,  The  f inding  of  the  naval 
formula.  „The  Socialist  Review."  (Manchester). 
May. 

IV.  Internationales:  Prof.  Dr. 
Ludwig  Stein,  Weltbürgertum,  nationale 
Willensbestimmung  und  internationale  Ver- 
ständigung. (Vortrag,  gehalten  auf  dem  2. 
Kongreß  des  Internationalen  Studentenver- 
bandes in  Leipzig,  16.  V.)  „Leipziger  Neueste 
Nachrichten."  17.  V.  *  Karl  Rathgen,  Das 
Institut  Colonial  International  in  London. 
„Deutsche  Kolonialzeitung"  (Berlin).  17.  V.  * 
Das  Weltwechselrecht.  „Berliner  Tageblatt" 
(Abendausgabe).  30.  V.  *  Dr.  Paul  von 
Salvisberg,  Studentenschaft  und  inter- 
nationale Verständigung.  „Hochschul-Nach- 
richten"  (München).  April.  *  Prof.  Dr.  Lud- 
wig Stein,  Die  Fortschritte  der  inter- 
nationalen Verständigung  unter  der  Regierungs- 
zeit des  Kaisers.  „Nord  und  Süd."  VI. 

V.  Wirtschaftliches:  L.  Persius, 
Bestrebungen  für  Rüstungsverminderung.  „Ber- 
liner Tageblatt."  28.  V.  *  (A 1  f  r  e  d  H.  F  r  i  e  d.) 
Wie  man  Kriege  macht-*.  „General-Anzeiger" 
(Reutlingen).  14.  V. 


2MITTEILVN6EN  DEBS 
FRIEDENSGESElLSOiAFTEN 

(Verantwortlich   für   den   Inhalt   dieser   Rubrik  ist   nicht   die 
Schriftleitung,   sondern  die  betreffende  Friedensgesellschaft.) 


Wer  für  seine  Töchter  oder  andere  junge  Mädchen 
Gelegenheit  zu  Studien  in  einer  Pension  in  Deutsch- 
land sucht,  wird  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß 
diese  Aufnahme  finden  können  in  der  Familie  unseres 
Freundes  Pfarrer  0.  Umfrid,  Stuttgart,  der 
jedem  Pazifisten  bekannt  ist.  —  Das  Pensionat  wird 
am  20.  Oktober  eröffnet  werden.  Lektionen  in 
deutscher  Sprache  und  anderen  Disziplinen.  Handels-, 
Kunst-,  Musik-  und  Frauenarbeitsschulen  in  der 
Stadt.  Ausgezeichnetes  Klima,  herrliche  Spaziergänge. 
Angenehmes  Familienleben. 

Referenzen: 
Frau  Geheimrat  Kromayer,  Sternwartstr.  14,  Straßburg. 
Miß  Anna  B.  Eckstein,  Langestr.  7,  Coburg. 
Herr  Geheimrat  Professor  Dr.  Förster,  Ahornallee  8, 

Charlottenburg. 
Herr  Professor  Dr.  Quidde,  Gedonstr.  4,  München. 
Herr  Dr.  Ad.  Richter,  Pforzheim. 
Herr  Direktor  Wagner,  Kaiserslautern. 
Frau  Baronin  Bertha  v.  Suttner,  7  Zedlitzgasse,  Wien  I. 
Herr  Alfred  H.  Fried,  5  Widerhofergasse,  Wien  l£. 


Oesterreichische  Friedensgesellschaft, 

Bureau:  Wien  I,    Spiegelgasse  4. 

Huldigung    für    Baronin    v.    Suttner 

Anläßlich  des  70.  Geburtstages  unserer 
Präsidentin  versammelte  sich  am  Vorabende  der 
Vorstand  der  Oesterreichischen  Friedensgesell- 
schaft zu  einer  Festsitzung,  bei  welcher  Vize- 
präsident Balduin  Groller  folgende  An- 
sprache   hielt : 

Ich  eröffne  heute  die  Sitzung,  welche  eine 
Festsitzung  sein  soll.  Wie  Sie  aus  der  Ein- 
ladung entnehmen,  ist  der  Hauptzweck  der 
heutigen  Tagesordnung  der  70.  Geburtstag 
unserer  Präsidentin. 

Wir  haben  uns  dem  Wunsch  unserer  Präsi- 
dentin zu  fügen,  die  sich  jede  persönliche 
Ehrung  verbeten  hat,  und  wir  sind  es  gewohnt, 
Disziplin  zu  halten.  Ihr  Wunsch  war  uns 
Befehl,  und  vor  dem  überlegenen  Geiste  uud 
starken  Wollen  unserer  Führerin  hat  es  bisher 
immer    ein    Einschwenken    gegeben. 

Wir  haben  Disziplin  gehalten  im  vollen 
Bewußtsein,  daß  wir  ihr  die  Führung  unserer 
Sache  mit  ruhigem  Gewissen  überlassen  können. 
Wenn  auch  jede  persönliche  Ehrung  ausge- 
schlossen sein  muß,  so  war  es  doch  für  uns, 
ich  muß  sagen,  eine  selbstverständliche  Pflicht, 
daß  wir  am  Vorabende  ihres  70.  Geburtstages 
uns  zusammenfinden,  um  wenigstens  unserem 
Fühlen  für  unsere  große  Führerin  Ausdruck  zu 
geben.  Die  Frau,  die  tapfere  Frau,  die  allen 
Gehässigkeiten,  die  einer  Welt  von  Streitig- 
keiten und  hohnvollen  Anschuldigungen  tapfer 
die  Stirne  geboten  hat,  sie  hat  die  Flucht  er- 
griffen, da  sie  vermutete,  daß  die  Liebe  sie 
rühmen,  die  Begeisterung  sie  verherrlichen  will. 
Da  ist  diese  junge  Dame  errötet  und  hat  die 
Flucht  ergriffen.  Ich  meine  aber,  daß  wir  diesen 
Anlaß  nicht  vorübergehen  lassen  dürfen,  um 
in  dieser  Sitzung  das  eine  zu  tun,  daß  wir  pro- 
tokollarisch feststellen,  daß  wir  erfüllt  sind 
von    dein    Gedanken,    daß    diese    providentielle 


239 


DIE  FBIEDENS  -^ÄßTE  = 


=© 


Frau  für  die  Sache  des  Friedens  mehr  geleistet 
hat,  als  irgendeiner  unter  uns,  und  ich  glaube 
nicht  die  Gefühle  der  Versammlung  zu  verletzen, 
daß  sie,  sie  ganz  allein  die  ganze  Last  der  Ver- 
antwortung getragen  hat  und  daß  alle  Erfolge 
auf  ihre  Rechnung  zu  setzen  sind,  und  so  meine 
ich  auch,  daß  die  Gefühle  Aller  Ausdruck  finden 
mögen,  durch  Unterzeichnung  des  heutigen 
Protokolles. 

Möge  ihr,  der  vielgeprüften  und  glorreichen 
Frau,  ein  heiterer  und  warmer  Abendsonnen- 
schein des  Lebens  beschieden  seinl 

Ich  glaube,  mit  diesen  Worten  schließen 
zu  können. 


Feier    des    Weltfriedenstages 
in  Wien. 

Die  Oesterreichische  Friedensgesellschaft 
veranstaltete  gemeinsam  mit  dem  Wiener 
Akademischen  Friedensverein,  zur  Feier  des 
Weltfriedenstages,  am  18.  Mai  eine  Festver- 
sammlung  in  der  Universität.  Der  Besuch  war 
ein  ungemein  starker,  und  man  sah  in  der  Ver- 
sammlung viele  Universitätsprofessoren.  Die 
Anwesenden  wurden  durch  Prof.  O.  Richter 
begrüßt.  Er  verlas  die  eingelangten  Briefe  und 
Telegramme,  darunter  das  Entschuldigungs- 
schreiben des  Unterrichtsministers,  und  ersuchte 
den  Rektor,  Hofrat  Di*.  Weichselbaum,  den 
Ehrenvorsitz  zu  übernehmen.  Lebhaft  akkla- 
miert,  bestieg  Hofrat  Dr.  Weichselbaum  das 
Podium  und  hielt  folgende  Ansprache:  „Es  ge- 
reicht mir  zur  besonderen  Freude,  Sie  heute 
als  Hausherr  in  diesen  Räumen  begrüßen  zu 
dürfen,  um  öffentlich  zu  dokumentieren,  daß 
der  derzeitige  Rektor  der  Wiener  Universität 
mit  seiner  ganzen  Sympathie  auf  Ihrer  Seite 
steht.  Diese  Gefühle  müssen  für  den  Rektor 
einer  Universität  selbstverständlich  sein,  ist 
doch  die  Universität  das  Zentrum  geistiger 
Bildung,  und  berufen,  die  Kultur  eines  Landes 
zu  fördern.  Die  Universität  hat  also  alle 
Ursache,  zu  wünschen,  daß  der  Friede 
zwischen  den  Staaten  erhalten  bleibe,  denn  nur 
in  friedlichen  Zeiten  läßt  sich  Kulturarbeit 
leisten.  Besonders  in  dem  gegenwärtigen  Zeit- 
punkte ist  es  unsere  Pflicht,  unsere  Ideale 
mit  aller  Mannhaftigkeit  zu  vertreten.  Wir 
alle  haben  es  mit  Schaudern  erlebt,  wie  dieser 
letzte  Krieg  mit  Phrasen  begonnen  wurde.  Es 
hieß,  man  müsse  die  Brüder  befreien,  von  dem 
Joche  der  Unterdrückung.  Dieser  Befreiungs- 
krieg ist  nun  ausgeartet  in  ein  Hinschlachten 
von  Wehrlosen,  von  Frauen  und  Kindern,  und 
schließlich  sehen  wir,  wie  jene  sich  bekriegen, 
die  sich  befreien  wollten.  Wir  sehen,  wie  dieser 
mit  Phrasen  begonnene  Krieg  zu  einer  Furie 
wurde.  Und  wenn  man  versucht,  dieser  Furie 
ein  Mäntelchen  von  Humanität  umzulegen,  so 
ist  das  nichts  anderes,  als  bewußtes  Pharisäer- 
tum. (Stürmischer  Beifall.).  Jeder  wahre 
Menschheitsfreund  muß  das  Bedürfnis  in  sich 
fühlen,  den  Kriegen  entgegenzutreten.  Daß 
die  Zahl  dieser  Menschheitsfreunde,  welche 
gegen  den  Krieg  kämpfen,  immer  größer  und 
größer  werde,  daß  jene  Menschheitsfreunde  an 
Ansehen,  Kraft  und  Macht  gewinnen,  ist  der 
aufrichtige,  treue  und  sehnliche  Wunsch  des 
derzeitigen  Rektors  der  Wiener  Universität. 
(Stürmischer  Beifall.)."     Mit  Enthusiasmus  be- 


grüßt, ergriff  Baronin  von  Suttner  das  Wort 
und  sprach  über  die  Bedeutung  des  Welt- 
friedenstages. Als  die  Rednerin  den  Wahl- 
spruch eines  amerikanischen  Studenten  Vereines 
zitierte :  „Zuerst  die  Menschheit  und  dann  erst 
die  Nation",  ertönte  minutenlanger  Beifall. 
Hierauf  sprach  Alfred  H.  Fried  über  die  Auf- 
gaben der  3.  Haager  Konferenz  und  Prof.  Dr. 
O.  Richter  über  die  Entwicklung  und  Bedeutung 
der  Organisation  des  Menschengeschlechts. 
Prof.  Dr.  Richter  brachte  die  vom  Berner 
Bureau  vorgeschlagene  Resolution  zur  Ab- 
stimmung, welche  einstimmig  angenommen 
wurde,  ebenso  nachfolgendes,  an  Se.  Majestät 
gerichtetes    Telegramm : 

„Die  vom  Wiener  Akademischen  Friedens- 
verein an  der  Universität  zur  Feier  des 
18.  Mai,  dem  Gedenktage  der  Eröffnung  der 
ersten  Haager  Friedenskonferenz,  einberufene 
Protestversammlung  wagt  es,  Euer  Majestät 
den  Ausdruck  ihrer  glühendsten  Dankgefühle 
zu  Füßen  zu  legen.  Stets  bereit,  für  das 
Wohl  des  Vaterlandes  unser  Leben  hinzu- 
geben, erkennen  wir  doch  in  der  Wahrung  des 
Völkerfriedens  eines  der  höchsten  zu  er- 
strebenden Ziele,  und  mit  Bewunderung 
konnten  wir  sehen,  daß  in  der  letzten  be- 
wegten Zeit,  da  die  Wirren  im  Balkan  ganz 
Europa  in  die  Gefahr  eines  Weltbrandes  hätte 
stürzen  können,  ds  der  Weisheit  und  Festig- 
keit unseres  erhabenen  Monarchen  gelungen 
ist,  dieses  Unglück  von  der  Mitwelt  abzu- 
wenden. Dafür  wird  Euer  Majestät  aus 
Millionen  dankbaren  Herzen  Preis  und  Segen 
dargebracht. 


In  Brunn  wurde  anläßlich  des  Weltfriedens- 
tages eine  von  der  „Jednota  mirova"  veran- 
staltete Festversammlung  abgehalten,  bei 
welcher  die  Präsidentin,  Frau  J.  Wurm,  über 
die  „Bedeutung  der  Haager  Konferenzen", 
Lehrer  Prazak  über  „Friedenserziehung  in  der 
Famile  und  Schule"  sprachen,  und  die  Berner 
Resolution  zur  einstimmigen  Annahme  gelangte. 
An  das  österreichische  Parlament  wurde  ein 
Protest  gegen  das  Wettrüsten  und  den  Miß- 
brauch  der   Aviatik  im  Kriege   abgesendet. 


Spenden  für  den  Propaganda-Fonds  sind 
uns  von  nachfolgenden  Vereinen  zugekommen: 
„Einigkeit",  Wien  200  Kr.;  „Zukunft",  Wien 
100  Kr.;  „Freundschaft",  Wien  50  Kr.;  „Hu- 
manitas", Wien  25  Kr. ;  „Caritas",  Prag  25  Kr. 


Zur  Nachahmung  empfohlen :  Außer  den  be- 
reits avisierten  20  Kr.,  welche  unserer  Gesell- 
schaft aus  Anlaß  der  Vermählung  der  Tochter 
unseres  Mitgliedes,  Herrn  E.  Lehr,  zugegangen 
sind,  können  wir  weitere  20  Kr.  verzeichnen, 
so  daß  aus  diesem  Anlaß  unserer  Propaganda- 
kasse 40  Kr.  zuflössen. 


Bei     der     am     1.     d.     Mts.     abgehalten« 
XXVII.    Hauptversammlung  des   Allgem.    n. 
Volks  bildungsvereins    in    Scheibbs    war    unse: 
Gesellschaft      durch      Herrn      Lehrer     Ro 
Schramm  vertreten. 


Verantwortlicher  Redakteur:  Carl  A  pp  o  1  d ,  Berlin  W.  50.  —  Im  Selbstverlag  des  Herausgebers  Alfred  H.  Fried,  Wien  IX/2. 
Druck:  Paus*  Garleb  G.m.b.H.,  BerßnW.57.  -  Ver»ntwortl.  Redakteur  für  Oesterreich-Üngarn  :  Vinrens  Jerabek  in  Wien 


240 


Juli  1913. 


Der  „dritte"  Balkankrieg. 


Man  nennt  ihn  den  „dritten".  Es  ist 
aber  noch  immer  derselbe,  der  im  Oktober 
vorigen  Jahres  begonnen  hat.  Nur  die  durch- 
sichtige Bemäntelung,  mit  der  man  ihn  zu  An- 
fang umgeben,  ist  mittlerweile  verschlissen 
und  läßt  die  nackte  Wahrheit  erkennen. 
Solche  lediglich,  die  an  jene  Bemäntelung 
glaubten,  meinen  jetzt  einen  neuen  Krieg 
vor  sich.-  zu  haben.  Aber  das  ist  nicht  wahr. 
„Ein  Kreuzzug  war's,  es  war  ein  heiliger 
Krieg."  Als  eine  kulturhistorische  Not- 
wendigkeit bezeichnete  man  ihn,  als  den 
Kampf  des  Kreuzes  gegen  den  Halbmond; 
als  einen  historischen  Prozeß,  der  sich  seit 
Jahrhunderten  vollzieht,  und  die  Befreiung 
der  unterdrückten  Slawenvölker  vom 
Türken  joch  zum  Ziel  hat.  Und  merkwürdig! 
Nachdem  der  Halbmond  beseitigt  und  die 
Befreiung  der  „Unterdrückten"  durchge- 
führt war,  fingen  die  Kreuz  träger  unter- 
einander an,  sich  zu  zerfleischen,  kämpften 
die  Befreier  um  die  Befreiten.  Und  damit 
trat  die  Ursache  zutage.  Alle  Rechtfertigun- 
gen waren  Phrase.  Landraub  war  das  ein- 
zige Motiv,  die  „Kilometritis"  der  einzige 
Antrieb  zu  jenem  Kriege.  Wenn  es  ihnen 
bloß  um  die  Befreiung  zu  tun  gewesen  wäre, 
dann  wäre  die  Autonomie  für  Mazedonien, 
dem  jetzigen  Zankapfel,  der  beste  Ausweg 
gewesen.  Aber  diesen  Ausweg  wollte  man 
nicht,  weil  man  eben  an  die  Befreiung  der 
Unterdrückten  gar  nicht  dachte,  weil  man 
nur  neue  Ausbeutegelegenheiten  über  neue 
Gebiete  suchte.  Die  Muse  der  Geschichte, 
die  so  oft  aufgelegt  ist  zu  ironischen 
Scherzen,  könnte  es  mit  Leichtigkeit  jetzt 
herbeiführen,  daß  die  Kreuzträger,  die  von 
ihnen  noch  übergelassenen  Regimenter  des 
Halbmondes  zur  Hilfe  aufrufen  in  dem 
Kampfe  gegen  ihre  früheren  Bundes- 
genossen. Ethische  Bedenken  wurden  jene 
edlen  Regierungen  von  diesem  Schritt  sicher- 
lich nicht  abhalten. 


Man  hat  sich  daran  gewöhnt,  uns  Pa- 
zifisten im  Hinblick  auf  diese  Balkanmisere 
zu  bedauern.  Sogar  der  vernünftige  Hugo 
Ganz  fängt  in  der  neuesten  Nummer  von 
„Das  freie  Wort"  einen  Artikel  mit  dem 
Satz  an:  „Der  Pazifismus  hat  jetzt  böse 
Tage,  und  vielleicht  schlechtere  stehen  ihm 
noch  bevor".  Es  ist  schrecklichj  dies  immer 
wieder  hören  zu  müssen.  Als  ob  wir  die 
Kriege  für  unmöglich  erklärt  hätten.  Welch 
seltsamer  Gedankengang!  Nur  dann  wären 
es  „böse  Tage"  für  uns,  wenn  wir  mit 
Emphase  erklärt  hätten,  es  gibt  keinen 
Krieg  mehr,  und  wir  uns  so  in  unserer  Vor- 
aussagung getäuscht  hätten.  Ich  möchte  nur 
wissen,  welche  Rolle  diejenigen  uns  zu- 
weisen, die  uns  eine  solche  Auffassung  zu- 
muten. Wenn  wir  der  Ansicht  wären,  daß 
es  keine  Kriege  mehr  geben  kann,  so  wäre 
unsere  Aktion  doch  vollständig  überflüssig. 
Eben  weil  wir  der  Ansicht  sind,  daß  die 
heutigen  Zustände  noch  zum  Krieg  führen 
können,  nur  deshalb  agieren  wir.  Wir  sind 
also  gar  nicht  „zu  bedauern",  wenn  das  Ver- 
brechen sich  vollzieht,  sondern  diejenigen 
sind  es,  die  uns  nie  und  nimmer  begreifen, 
können.  Dieser  Krieg  am  Balkan  mit  seinen 
verschiedenen  Phasen  rechtfertigt  wie  selten 
einer  unsere  Aktion.  Schon  zu  Beginn  haben 
wir  ihn  als  die  ;,Propaganda  der  Tat"  be- 
zeichnet, und  wir  sind  froh,  feststellen  zu 
können,  daß  sich  seit  dem  Herbst  vorigen 
Jahres,  als  Folge  jener  Propaganda,  unsere 
Reihen  in  ganz  ungewöhnlichem  Maße  ver- 
mehrt haben.  Dieser  Krieg  hat  für  die 
Friedenspropaganda  den  Wert  eines  anato- 
mischen Präparates,  an  dem  die  Krankheit 
in  ihren  hervorstechendsten  Erscheinungen 
studiert  werden  kann;  die  Krankheit,  die 
wir  bekämpfen,  deren  Vorbeugung  wir 
durchführen  wollen. 

An  diesem  Kriege  sind  die  letzten  Phra- 
sen    der     Kriegsverherrlicher     gescheitert. 


241 


DIEFßlEDENS-^MiTE 


19 


Die  Leute,  die  das  Gemetzel  im.  Hin- 
blick auf  die  „vitalen"  Interessen  der 
Balkanstaaten  zu  rechtfertigen  suchten, 
haben  in  ihrer  Beweisführung  schmählich 
Schiffbruch  gelitten.  Dieser  Krieg  hat  ge- 
zeigt, daß  durch  die  Gewalt  eine  Lösung! 
nicht  herbeizuführen  ist  und  durch  die 
Gewalt  keines  Landes  Interessen  gefördert 
werden  können.  Es  wäre  auch  den.  Balkan- 
staaten gar  nicht  eingefallen,  Krieg  zu 
führen,  wenn  nicht  die  große  Zwiespältig- 
keit in  den  politischen  Kombinationen  der 
europäischen  Mächte  ihnen  Gelegenheit  ge- 
boten hätte,  ihre  Raubtierinstinkte  zur 
Entfaltung  zu  bringen.  Gar  kein  sittlich 
zu  rechtfertigender  Anlaß,  gar  kein  ge- 
schichtlich oder  wirtschaftlich  zu  begrün- 
dender Prozeß  liegt  dem  Balkanmord  zu- 
grunde, sondern  lediglich  nur  die  Explosion 
von  atavistischen  Instinkten;  die  ermöglicht 
wurde  durch  die  Gegensätzlichkeit  der  euro- 
päischen  Kabinette. 

Die  _,, Sittlichkeit"  dieses  Krieges  wird 
am  drastischsten  dargetan  durch  die  Haltung 
Rumäniens.  Man  betrachte  diese  einmal 
im  Lichte  der  militaristischen  Phrase.  Ru- 
mänien hatte  gar  keine  Ambitionen  auf  dem 
Balkan.  Es  hatte  nichts  zu  befreien,  nichts 
zu  fordern,  kein  Lebensinteresse  war  be- 
rührt, seine  Ehre  nicht  tangiert.  Das  einzige 
Motiv  seiner  Kriegführung  war  eine  sich 
bietende  günstige  Gelegenheit  zum  Raub. 
Die  Grenzen  des  Nachbarlandes  waren  eben 
einen  Moment  lang  nicht  bewacht,  und  da 
forderte  es  die  Sittlichkeit  des  modernen 
Raubstaates,  über  diese  Grenze  hinwegzu- 
gehen und  alles  einzusacken,  was  sich  gerade 
bietet.  Im  Jargon  unserer  offiziösen  Ge- 
schichtsschreibung heißt  es  dann  „^Element 
der  göttlichen  Weltordnung",  „Natur- 
gesetz", „Stahlbad  der  Völker"  usw.  Wir 
bezeichnen  es  anders.  Jetzt  werden  wir  die 
Haltung  verstehen,  die  Herr  Beldiman,  der 
Vertreter  Rumäniens  auf  den  Haager  Kon- 
ferenzen, eingenommen  hat.  Er  lehnte  rund- 
weg alles  ab  und  war  immer  ein  Bundes-, 
genösse  der  Verneiner.  Die  Folgen  'dieser 
Politik  wird  das  arme,  von  den  .Bojaren 
ausgesogene  Volk  tragen  müssen,  denn  es 
ist  ja  natürlich,  daß  sich  derartige  Unzu- 
verlässigkeit  rächt.  Die  heute  Ueberfallenen 
und  auch  die  nicht  Überfallenen  Nachbarn 
dieses  klassischen  Landes  werden  sich  in 
der  Zukunft  zu  schützen  wissen.  Da  aber 
nach  unserer  Formel  jeder  Schutz  eine  Be- 
drohung ist,  wird  das  arme  Land  neue 
Millionen  aufbringen  müssen,  um  damit  die 
Treulosigkeit  und  die  Unklugheit  seiner 
Staatsmänner  zu  bezahlen. 


Für  Europa  sind  die  Entwicklungs- 
phasen dieses  Hexenzaubers  am  Balkan  ein 
ernstes  Warnzeichen.  Er  zeigt  wie  ohn- 
mächtig jene  Staaten  sind,  die  alljährlich 
zehn  Milliarden  für  die  Stärkung  ihrer 
Wehrmacht  ausgeben,  und  welche  Gefahren 
trotz  aller  Rüstungen  aus  dieser  Ohnmacht 
hervorgehen.  Die  Zwergstaaten  am  Balkan 
können  mit  Europa  keinen  Krieg  wagen, 
aber  sie  vermögen  es  doch,  die  reichen 
Riesenmächte  an  der  Nase  herum  zu  führen*. 
Dank  der  europäischen  Uneinigkeit  sind  die 
Mächte  zur  Schwäche  verurteilt,  sind  die 
Liliputstaaten  stark.  Europa  kann  lernen 
aus  diesem  Blutexzeß,  und  vielleicht  hat 
dieser  traurige  Krieg  denn  doch  das  gute, 
daß  der  erwartete  Mann  der  Initiative  den 
Boden  genügend  vorbereitet  findet,  um  den 
Erdteil  zur  Einigung  zu  führen.  Vielleicht 
wird  aus  dem  Blutgeruch  am  Balkan  Europa 
sich  zusammenfinden  und  die  Kultur  des 
Erdteils  dadurch  gerettet  werden.  Uns  Pa- 
zifisten fällt  in  jedem  Falle  die  hohe  Auf- 
gabe zu,  in  dieser  Zeit  der  Verirrung  und 
Finsternis  stets  deutlich  vernehmbar  den 
richtigen  Weg  zu  weisen  und  vor  jenem 
zu  warnen,  der  zum  Abgrund  führt.  Wenn 
wir  unaufhörlich  dieser  Aufgabe  eingedenk 
sind,  werden  wir  sie  auch  erfüllen.  Wir 
sind  jetzt  die  wichtigsten  Menschen  auf 
diesem  Erdteil,  wichtiger  als  alle  die  Ka- 
binette mit  ihrem  geschäftigen  Gehabe.  Die 
alte  Diplomatie  liegt  deutlich  wahrnehmbar 
in  den  letzten  Zügen  ihres  schon  viel  zu 
lange  währenden  Daseins,  die  neue  Diplo- 
matie, die  Diplomatie  des  Rechtes  und  der 
Vernunft,  wir  Pazifisten,  müssen  uns 
jede  Minute  bereithalten,  ihr  Erbe  anzu- 
treten. Aus  dem  großen  Bankerott  der 
Kultur,  der  im  Südosten  Europas  vor  sich 
geht,    ersteht    unsere    Zeit. 

______        A.   H.   F. 

Gerhart  Hauptmanns  Festspiel. 

Von  Bertha  von  Suttner,  Wien. 

Als  ich  im  vorigen  Februar  in  Breslau 
war,  wurden  mir  die  noch  unvollendeten  Jahr- 
hundert-Ausstellungsräume gezeigt.  Die  groß- 
artige Kuppelrotunde  stand  schon  unter  Dach. 
Mein  Führer  erzählte:  Hier  wird  von  Rein- 
hardt ein  Festspiel  vorgeführt  werden,  das 
Gerhart  Hauptmann  für  diesen  Anlaß  schreibt. 
Er  fügte  hinzu,  daß  der  Dichter  sich  lange 
gesträubt,  endlich  aber  doch  eingewilligt 
habe. 

Die  Frau  unseres  Justizrats  Heilberg 
stand  neben  mir.  „Sie  werden  sehen,"  sagte 
ich  zu  jhr,  „an  dem  Stücke  werden  wir  Freude 


242 


DIE  FRI  EDENS -^fc/ARXE 


erleben;  Hauptmann  wird  sicher  den  Friedens- 
gedanken in  seine  Dichtung  verweben." 

Wir  Pazifisten  sind  durch  das1  Festspiel 
nicht  enttäuscht  worden;  desto  enttäuschter 
aber  waren  230000  Veteranen  und  ein  von 
Reitergeist  beseelter  Prinz.  Was  nun  folgte, 
ist  allgemein  bekannt,  denn  es  hat  ungeheuerin 
Lärm  gemacht.  Das1  Stück  wurde  abgesetzt  und 
Proteste  erhoben  sich  von  allen  Seiten  —  teils: 
gegen  das  Stück,  teils  gegen  die  Absetzung. 

Zu  den  zahllosen  lobenden  und  tadelnden 
Kritiken,  die  über  die  Dichtung  erschienen 
sind,  soll  in  diesen  Blättern  keine  neue  hin- 
zugefügt werden;  nicht  vom  literarisch-dra- 
matischen Standpunkt  soll  sie  betrachtet 
werden,  sondern  im1  Hinblick  auf  jene  Zeit- 
erscheinung, die  gerade  uns  am  höchsten 
interessiert,  nämlich  den  Kampf  zwischen 
kriegerischer  und  pazifistischer  Weltanschau- 
ung, in  welchem1  Kampfe  die  Festspiel-An- 
gelegenheit eine  hitzige  Episode  darstellt. 
Hauptmann  hat  den  Frieden  verherrlicht :  das1 
war  sein  Hauptverbrechen.  Doch  das  wurde 
von  den  Gegnern  nicht  hervorgehoben.  Sie 
machten  dem  Autor  den  negativen  Vorwurf, 
daß  er  keine  Verherrlichung  des  Krieges 
brachte,  keine  patriotisch-begeisterten  Töne 
anschlug,  daß  er  statt  der  vaterländischen 
Helden  die  französische  Revolution  und  den 
französischen  Imperator  in  den  Vordergrund 
stellte,  daß  er  den  damals  regierenden 
Preußenkönig  gar  nicht  vorführte,  und  daß 
nirgends  das  in  militärischen  Poesien 
obligate  Hurra !  und  Hei !  ertönt.  Zudem!  wird 
die  Marionettenform  als'  eine  Profanierung, 
die  absichtlich  derben  Knüttelverse  als  dich- 
terisches Manko,  das  ganze  Stück  als  eine 
dem  Wunsch  des  Bestellers  widersprechende, 
verpfuschte  Lieferung  hingestellt.  Aber  das, 
worüber  die  entrüsteten  Gegner  schimpften, 
ist  nicht  das,  was  sie  eigentlich  aufgebracht 
hat  —  nämlich  die  von  hohem  dichterischen 
Schwung  getragenen  Hymnen  auf  die  Welt- 
friedensidee. Davon  schweigt  die  feindliche 
Kritik.  Aber  das  ist  es,  was  den  Ultrapatrioten 
besonders  hassenswert  und  sogar  gefährlich 
erscheint.     Das  mußte   verboten   werden. 

Das  ist  es1  jedoch,  was  die  Anhänger 
der  neuen  Weltanschauung,  was  die  Vorwärts- 
blicker  unter  den  Zeitgenossen,  aus  dieser  Dich- 
tung hervorholen  müssen,  ium  ihre  Zukunftshoff- 
nungen daran  zu  stärken,  um  sich  daran  zu 
freuen,  daß  ein  kühner  Dichtergeist  seherisch 
die  Wege  weist,  auf  denen  die  emporstrebende 
Menschheit  aus  den  Kämpfen  der  Vergangen- 
heit —  deren  Größe  ja  nicht  geleugnet 
wird  —  zu  höheren  und  größeren  Zukunfts- 
zielen aufsteigt : 

Athene  Deutschland  spricht  (während 
eine  leise  Sphärenmusik  durchsichtiger  Klänge 
ertönt) : 

Welch  reine  Töne,  neue  Klänge  höre  ich  nun, 
Da  sich  aus  blut'ger  Nacht  der  neue  Tag  erhebt. 


Hoch  hinaus 


mich  weitend  in  des  lichten  Aethers  andres! 

Bad. 
Und    alldurchdringend,     mich    durchdringend 

allzugleich, 
erkenn'   ich  meines  Daseins,   meiner  Waffen 

Sinn : 
Die  Tat   des  Friedens  ist  es,  nicht  die  Tat 

des    Kriegs, 
Die  Wohltat  ist  es!  Nimmermehr  die  Missetat ! 
Was  andres  aber  ist  des  Krieges  nackter  Mord. 
So  ruf  ich  euch  denn  auf,  ihr  eines  anderen 

Krieges 
Krieger  I       Ihr,     nicht     todbringend,      Leben, 

Schaffende. 
Des     heiligen     Werkzeugs      goldne     Waffe 

schenkt'  ich  euch, 
die    volle    Frucht    aus    steinigem    Grund     zu 

schöpfen,    und 
ich   machte  euch   zu   Ringern   mit   dem 

Wahn.  Ich  hob 
des  blinden  Hasses  Binde  euch  vom  Auge  los. 
Ich    machte    euch,    zu    Liebenden.     Ich    wies 

euch  an, 
Pfade  zu  treten  mit  des  Friedens  lieblichen, 
bekränzten  Füßen.    Breite  Straßen  lehrt'  ich 

1  euch 
auswerfen  für  der  Liebe  Bruderschritt... 
Nach  und  nach  müssen  aus  bedeutenden 
Schriften  erst  die  beschwingten  Worte  und 
Sätze  herausgesucht  und  hinausgestreut 
werden.  Solcher  Worte  findet  sich  eine  große 
Zahl  in  diesem'  Festspiel.  „Die  breiten 
Straßen  für  der  Liebe  Bruderschritt"  —  das 
dürfte  noch  oft  zitiert  werden.  Und  für  die 
Zukunftskriege,  für  die  Pazifisten  sich  wapp- 
nen müssen,  welch'  prächtiges  Regiment: 
,,Die  Krieger  mit   dem  Wahn." 

Die  folgenden  Verse,  die  Hauptmann  einer 
Prophetin  in  den  Mund  legt,  die  geben 
unseren  Schmerzen  über  die  Gegenwart  und 
unseren  Erwartungen  für  die  Zukunft  gar  be- 
redten Ausdruck. 

„Europa,    du,    deml    Christengotte    Untertan! 
Du,  seit  der  Griechengötter  Flucht  mit  Nacht 

bedeckt. 
In  deines  Schicksale  Abgrund  blick'  ich  tief 

hinein, 
und  fernerhin  vorsehend  deiner  Zukunft  Weg. 
Du  zucktest  oft  und  zuckst  auch  jetzt  in  Blut 
und  Schmerzen  auf,  geich  einer  Kreißenden, 
denn  immer  ist  das  Kind  noch  nicht  geboren, 

das' 
du    seit    zweitausend   Jahren   schon   geboren 

wähnst, 
Europa,  du  noch  immer  Schwangere  mit  der 

Frucht 
des   Zeus     —     —     —     —     —     —     —     — 

Noch   immer   bist   du  nicht    entbunden     und 

die  Last 
des  ungebornen  Gottessohnes  trägst  du  noch. 
Noch  nicht  geboren  ist  Europas  Friedensfürst 


Allein,   ich  sehe  dämmern  fern  des  Friedens 

Tag. 


DIE  FBIEDENS -^MMiTE 


19 


So  sehr  die  giftige  Pestilenz  auch  heute  noch 
und  finstrer  Wahnsinn  toben  in  Europas  Blut. 

Finsterer  Wahnsinn, :  jawohl  —  wir  nennen 
es  Rüstungswahnsinn.  Und  wahrlich,  in 
Blut  und  Schmerz  zuckt  das  unselige  Europa. 

Aber  Hauptmann,  vorwärtsblickend, 
sieht  das  zukünftige  Deutschland  als  eine 
Lichtgestalt  „hodh  überm  finstern  Wahn  des 
Krieges',  hoch  überm!  Taumel  blutigen  Sieges". 
Sehr  oft  kehren  in  dem  Festspiel  solche  Ver- 
dammungen des1  Krieges  wieder,  so  z.  B.,  als 
die  historischen  Marionetten  vorgeführt 
werden : 

Ihr  lacht  ?    Euch  wird  das  Lachen  vergehen, 
bekommt  ihr  erst  ihre  Taten  zu  sehen. 
Sie  erscheinen  steif,  doch  sind  sie  beweglich, 
und    ganz    unsäglich    unverträglich. 
Ihr  werdet  euren  Augen  nicht  trauen,  wie  sie 

einander  erschießen, 
erstechen  und  über   die  Köpfe  hauen, 
Sich   würgen,    morden    und   massakrieren.    — 

Begreiflicherweise  kann  eine  derartige 
Sprache  nicht  solchen  gefallen,  die  von  dem 
Festspiel  die  Erwartung  hegten,  daß  es  die 
Kriege,  zu  deren  Erinnerung  die  ganze  Jahr- 
hundertfeier stattfindet,  nicht  rückhaltlos  be- 
singt und  belobt.  Und  nun  wurde  dem  Dich- 
ter der  Vorwurf  gemacht,  daß,  wenn  er  schon 
die  ihm1  gestellte  Aufgabe  nicht  lösen  kann, 
weil  sie  seinen  Gesinnungen  widerstrebt,  er 
sie  nicht    zurückgewiesen   habe. 

Anfänglich  zögerte  er  auch.  Da  aber 
—  so  denke  ich  mir  den  innern  Vorgang  — 
stieg  in  ihm!  der  Gedanke  auf,  daß  hier  eine 
einzig  große  Gelegenheit  geboten  war,  den. 
neuen  Geist,  der  nicht  nur  ihn,  sondern 
schon  einen  bedeutenden  Teil  der  Mitwelt  er- 
füllt, weihevollen,  eindringlichen  Ausdruck  zu 
geben,  und  empfand  nun  das  Unternehmen 
des  gegebenen  Auftrages  beinahe  als  Pflicht. 
Was  war  von  ihm'  verlangt  worden  ?  Daß 
er  in  einem  auf  Massenwirkung  berechneten 
Schaustück  den  Freiheitsgeist  besinge,  der 
vor  hundert  Jahren  die  deutsche  Nation  aus 
Schmach  und  Knechtschaft  aufrüttelte  und 
sie  zur  Abschüttelung  eines  verhaßten  Joches 
begeisterte.  Das  konnte  er  tun  und  tat  es 
auch.  Er  brauchte  darum  nicht  den  Krieg  als 
solchen  zu  verherrlichen  und  zur  Nachahmung 
für  die  Zukunft  hinzustellen.  Denn  die  Zu- 
kunft birgt  ganz  andere  Notwendigkeiten  und 
andere  Ideale.  Diese  Ideale  herauf- 
zubeschwören, ihre  kommenden  Siege  vor- 
herzusagen, hatte  er  ein  Recht,  eine  stolze 
Freudenbotschaft  konnte  er  damit  seinem 
Vaterlande  und  der  Mitwelt  bringen.  Er 
brauchte  nur  die  ganze  Wahrheit  offenbaren, 
die  Wahrheit  seiner  Ueberzeugung  und  die 
der  Geschichte.  Auf  dieser  Basis  —  der 
Treue  zu  sich  selbst  und  dem'  Respekt  der 
Tatsachen  —  ist  man  sicher,  ein  Werk  zu 
schaffen,  das  wohl  manche  ärgern  kann,  das 
aber  niemand  beschuldigen  darf,  ein  Verrat 
an  der  übernommenen  Aufgabe  zu  sein.  Mit 
seinem   Gewissen   im   reinen,   baute  nun   der 


Dichter  das  Gerüst  seines  Festspiels  auf.  Zu- 
erst die  Ereignisse,  die  das  Erwachen  des 
Geistes  der  deutschen  Freiheitskriege  be- 
dingten; dann;  die  ehrerbietige  Würdigung  der 
von  diesem  Geiste  inspirierten  Opfertaten; 
zuletzt  die  Wandlung  und  Verklärung  der 
diesen  Geist  personifizierenden  Deutschland- 
Athene.  Diese  drei  Phasen  folgen  einander 
in  logischer  Klarheit.  Zuerst  die  französische 
Revolution  mit  ihrem  rasenden  Pöbel,  gefolgt 
vom  Siegeslauf  Napoleons,  den  der  Trommler 
Mors  begleitet;  dann  die  Erhebung  Deutsch- 
lands mit  ihren  geistigen  und  kriegerischen 
Helden,  ihren  Freiherrn  von  Stein,  Seharn- 
horst,  Fichte,  Jahn,  Blücher  —  und  die 
hochaufgerichtete  Gestalt  Athene-Deutsch- 
land spricht : 

Ihr  habt  mich  gewappnet,  das  ist  gut ! 
Erhoben  zur  Priesterin  und  Göttin. 
Ich   grüß'    euch   unterm   Goldhut, 
Ihr  hochgesinnten,  mit  hohem  Sinne: 
junge    Männer,    Jünglinge,    Knaben, 
die  mich  geweckt  und  gewappnet  haben, 
Leuchtende    Jugend,    unversiegliche    Kraft, 
Jünger   der   Kunst    und  Wissenschaft, 
Denker,  Dichter,   süßtönige  Sänger. 
Des  neuen  Lebens  Ursächer  und  Anfänger: 
Tretet  heran,  Jungmann  an  Jungmann, 
Daß  ich  einen  jeden  von.  euch  zu  Sieg  oder 

Tod     weihen     kann. 
Euren  lorbeerumrankten  Gedanken  entstiegen, 
Muß  ich  eure  Nacken  zum  Opfer  umbiegen. 
Ihr  habt  mir  gegeben  das  neue  Leben, 
ich  muß  euch  dafür  dem  Tod  hingeben; 
ich    gebiete    euch    dafür    dreierlei : 
Macht  Deutschland  von  der  Fremdherrschaft 

frei! 
Sorget,    daß    Deutschland    einig    sei! 
Und  seid  selber  frei,  seid  selber  frei. 

Zuletzt  kommt  die  dritte  Phase.  Die 
Kriege  sind  vorbei.  Athene-Deutschland  steht 
auf  der  höchsten  Bühne.  Ihr  Helm,  Schild 
und  Speer  verbreiten  immer  stärker  allgemeines 
Licht.  Hinter  ihr  wird  die  Fassade  eines 
gothischen  Doms  sichtbar.  In  der  Orchestra 
erscheint  ein  schön  gegliederter  Zug,  der  alles 
umfaßt,  was  der  Friede  an  Tätigkeiten  und 
Segnungen  enthält.  Mit  Bannern,  Fahnen  und 
bekränzten  Werkzeugen  schreitet  der  Hand- 
werker neben  dem  Landmann,  der  Adlige 
neben  dem  Bürger.  Schöne  Frauen  tragen 
Fruchtkörbe,  Getreidegarben  usw.  Gekrönt 
wird  der  Zug  durch  große  Männer  aller  Zeit- 
alter; in  porträtähnlichen  Erscheinungen  sieht 
man  Künstler,  Dichter,  Forscher,  Philosophen, 
Musiker  !und  Erfinder.  Auch  einige  Herrscher, 
die  sich  um  die  echte  Kultur  ihrer  Völker 
verdient  gemacht  haben.  Bekränzte  Namens- 
tafeln werden  hinter  den  auszuzeichnenden  Per- 
sönlichkeiten getragen.  Und  wieder  spricht 
die  Göttin: 
Dort    wo    ich    bin    und    wo    ihr   zuströmt,    ist 

das   Licht, 
wir  nie   Getrennten,   stets   Geeinten,   wissen 

nichts 


244 


@i 


DIE  FßlEDENS-^^AßTE 


TOn  Krieg.     Und  also  wohnt  der  Friede  unter 

uns. 
Uns    trennen    Sprachen,    trennen    Strom    und 

Meer  nicht. 
Nicht    trennen    Götter,    noch    der    unbekannte 

Gott 
die,  denen  aller  Menschen  Heil  am 

Herzen  liegt- 
Die  Apotheose  des  Festspiels  bildet  also 
der  Völkerfrieden;  daß  dieser  nicht  etwa  schon 
unwidersprochen  ist,  das  zeigt  die  letzte  Szene. 
Blücher  tritt  auf,  damit  symbolisiert  der 
Dichter  jene  Militär-  und  Kriegsparteien,  jene 
artikelschreibenden  und  redehaltenden  Gene- 
rale, die  heute  noch  weiter  den  Friedensge- 
danken bekämpfen. 

Blücher  (der  säbelklirrend  die   Treppe 
heraufkommt) : 

Was  war  das  für  ein  Friedensbimmelbammeln  ? 
Ich     lebe     noch!       Wir     jeh'n      nich'     nach 

Jedsemane ! 
Trompete!     Vorwärts!     Blast   zum    Sammeln. 
Aber  der  Direktor  legt  auch  diese  Puppe 
in  die  Kiste: 

Du  wackerer  Graukopf  lieg  an  deinem  Ort. 
Was  leben  bleiben  soll,  das  sei  dein  Wort. 
Ich  schenk  es  Deutschland,  brenn  es  in  sein 

Herz   — 
nicht  deine   Kriegslust,   aber  —   dein 

„Vorwärts". 
„Vorwärts",  ist  also  das  Schlußwort  des 
Festspiels,  und  ist  zugleich  sein  Leitwort. 
Der  Dichter  hat,  um  der  Feier  gerecht  zu 
werden,  jene  Episode  der  vaterländischen  Ge- 
schichte gepriesen,  der  die  Feier  galt  —  aber 
indem1  er  der  Vergangenheit  diesen  Tribut 
zollte,  wies  er  auf  die  Zukunft  hin,  in  welcher 
er  sein  Deutschland  voranschreiten,  sehen 
will :   vorwärts,   höhenwärts,   glückwärts. 


Verständigung 
in  der  Flottenrüstung. 

Von  L.  P  e  r  s  i  u  s  , 

Kapitän    zur    See    a.     D. 

Der  britische  Marineminister  Mr.  Chur- 
chill schnitt  mit  seltenem  Freimut  gelegent- 
lich seiner  Etatsrede  am1  26.  März  d.  J.  die 
schwierige  Frage  einer  Flottenbauverständi- 
gung  an.  Jeder,  der  den  Kulturfortschritt 
der  Menschheit  höher  bewertet  als  seine 
eigenen  egoistischen  Interessen,  wird  dem 
englischen  Staatsmann  dafür  dankbar  sein. 
Mr.  Churchill  gab  der  Hoffnung  auf  Milde- 
rung der  Sklaverei,  unter  der  er  die  Rüstungen 
verstand,  Ausdruck.  Er  führte  aus,  daß 
durch  die  unselige  Konkurrenz  im'  Kriegs- 
schiffsbau ungezählte  Millionen  alljährlich 
vergeudet  würden,  ohne  einen  wirklichen  Ge- 
winn in  der  relativen  Flottenstärke  zu  zei- 
tigen, und  er  scheute  sich  nicht,  ganz  all- 
gemein den  Rüstungswettbewerb  als  eine  ver- 
schwenderische, nichtige  und  sinnlose  Tor- 
heit   zu    charakterisieren. 


Auf  die  besonderen  Vorschläge  Mr.  Chur- 
chill® zur  Herabminderung  der  Rüstungs- 
lasten einzugehen,  erübrigt  sich.  Sie  sind 
noch  in  frischer  Erinnerung.  Jedenfalls  bleibt 
festzustellen,  daß  Großbritannien  durch  den 
Mund  seines  ersten  Lords  der  Admiralität 
zu  erkennen  gab,  daß  es  bereit  sei,  Schritte 
für  eine  Einschränkung  der  Flottenbauten 
zu  tun,  falls  sich  ihm  die  anderen  Seemächte 
anschließen   würden. 

Daß  das  englische  Volk  in  seiner  großen 
Mehrheit  einer  Flottenbaubeschränkung  sym- 
pathisch gegenübersteht,  darf  angenommen 
werden.  Der  helläugige  Engländer  mit  seinem 
praktischen  Sinn  hat  längst  erkannt,  wie 
zwecklos  ein  Wettrüsten  ist,  das  an  dem' 
relativen  Stärkeverhältnis  nichts  zu  ändern 
vermag.  Frankreich  ist  jetzt  mit  dem  Wieder- 
aufbau seiner  Flotte  beschäftigt.  Der  rast- 
losen Energie  Boue  de  Lapeyreres,  Del- 
casses  sowie  des  neuen  Marinerninisters 
Baudin  verdankt  es  auf  diesem  Wege  be- 
merkenswerte Fortschritte.  Diese  Männer 
können  sich  zugleich  rühmen,  die  Schöpfer 
des  im  vergangenen  Jahre  angenommenen 
Flottengesetzes  zu  sein.  Man  könnte  also 
annehmen,  es  bestehe  augenblicklich  wenig 
Aussicht,  in  Frankreich  einer  Flottenbau- 
verständigung  näherzutreten.  Die  fran- 
zösische Nation,  die  man  jedoch  mit  Recht 
als  eine  in  der  Front  der  Kultur  schreitende 
hochschätzt,  die  sich  stets  interessiert  zeigte, 
wenn  es  sich  um  Fragen  des  Allgemeinwohl- 
seins der  gesamten  Menschheit  handelte, 
wird  sich  nicht  ausschließen,  wenn  das 
Problem1  der  Milderung  der  Rüstungs- 
sklaverei zur  Lösung  steht.  Wie  stark  die 
Anhängerschaft  des  Gedankens  der  Ver- 
ständigung in  Frankreich  ist,  bewies  die  Zahl 
der  Besucher  der  Berner  Konferenz  am 
12.  Mai.  Hundert  französische  Parlamentarier 
nahmen    teil,    dagegen   nur   30    deutsche ! 

Nirgends  stoßen  Pläne  für  die  Einleitung 
einer  Rüstungsbeschränkung  auf  so  starken 
Widerstand  als  in  Deutschland.  Wohl  hat 
der  Deutsche  Kaiser  unzählige  Male  be- 
wiesen, daß  für  ihn  der  Friedensgedanke  das 
Leitmotiv  aller  Handlungen  sei.  Aber  neben 
der  Regierung  wissen  in  Deutschland  un- 
verantwortliche, unheilvolle  Kräfte  über- 
großen Einfluß  auf  die  ständige  Rüstungs- 
stärkung hin  geltend  zu  machen.  Jedoch  sollte 
die  Macht  dieser  Kräfte  im  Ausland  nicht 
überschätzt  werden.  Immer  mehr  wird  sich 
auch  die  breite  Masse  des  Volks  bewußt, 
welchen  Irrlehren  sie  bisher  Gehör  schenkte, 
und  sie  wird  in  Bälde  erkennen  lernen,  wieviel 
segensreicher  die  Politik  ist,  welche  die  Re- 
gierung zu  führen  im  Sinne  hat,  zu  welcher 
ihr  bisher  nur  die  nötige  Kraft  fehlte,  weil 
es  ihr  an  Unterstützung  mangelte,  d.  h.  die 
Politik,  die  darauf  ausgeht,  sich  mit  den 
anderen  Staaten  in.  Rüstungsfragen  zu  ver- 
ständigen. Wenn,  es  eines  Beweises  be- 
dürfte, daß   sich  die  deutsche  Regierung  von 


245 


DIE  FRIEDENS  -WARTE  = 


=9 


Jahr  zu  Jahr  immer  mehr  Rüstungsbeschrän- 
kungstendenzen, geneigt  zeigt,  so  wird  er 
durch  die  Reden  der  Reichskanzler  während 
der  letzten  Zeit  erbracht.  Am  31.  März  1909 
erklärte  Fürst  Bülow  im  Reichstag  bei  Be- 
sprechung der  deutsch-englischen  Verständi- 
gung: „Wir  halten  fest  an  der  Anschauung, 
daß  Verhandlungen  über  Einschränkung  der 
Rüstungen  keinerlei  Erfolg  versprechen."  Am 
30.  März  1911  sagte  Herr  v.  Bethmann  Hollweg 
in  Beantwortung  einer  Anfrage  bezüglich  der 
internationalen  Verständigung  über  allgemeine 
Einschränkung  der  Rüstungen :  „Wer  die 
Frage  der  allgemeinen  Abrüstung  einmal  sach- 
lich und  ernsthaft  durchdenkt,  der  muß  zu 
der  Ueberzeugung  kommen,  daß  sie  unlösbar 
ist,  solange  die  Menschen  Menschen  und  die 
Staaten  Staaten  sind."  Jedoch  knüpfte  er 
an  diese  schroffe  Absage  schon  damals  ein- 
lenkend das  Geständnis,  daß,  um  England 
entgegenzukommen,  dem  dortigen  Ersuchen, 
Nachrichten  über  die  gegenseitigen  Schiffs- 
bauten auszutauschen,  in  der  Zukunft  ^  ent- 
sprochen werden  solle!  Und  am1  7.  April 
dieses  Jahres  äußerte  er  gelegentlich  der  Ein- 
bringung der  Heeresvorlage,  als  er  das  Ver- 
hältnis zu  England  und  im  besonderen  den 
Vorschlag  des  Mr.  Churchill  zu  einem  Feier- 
jahr des  Flottenbaues  berührte:  „Wir  werden 
abwarten,  ob  die  englische  Regierung  mit 
konkreten  Vorschlägen  an  uns  ,  herantritt. 
Aber  die  Tatsache,  daß  der  Gedanke  — r  einer 
Rüstungsversfcändigung  —  ausgesprochen 
worden  ist,  bedeutet  schon  einen  großen  Fort- 
schritt !" 

Es  kann  nicht  in  Abrede .  gestellt  wer- 
den, daß  sich  die  Anschauungen  der  verant- 
wortlichen Leiter  unserer  Regierung  gegen- 
über einer  Rüstungsverständigung  gründlich 
geändert  haben.  Was  heißt  es.  anders1,  wenn 
Herr  v.  Bethmann  von  einem  großen  Fort- 
schritt spricht,  als  daß  das  Ziel  dieser  Be- 
strebung eine  Rüstungsverständigung  be- 
deutet, die  noch  vor  vier  Jahren  als  eine 
Utopie  galt  1 

Bei  den  drei  größten  Seemächten  be- 
steht somit  der  mehr  oder  minder  nachdrück- 
lich zum1  Ausdruck  gebrachte  Wille  für  eine 
Verständigung.  Freilich  wurde  bisher  von 
keiner  Seite  ein  positiver  Vorschlag  gemacht, 
wie  eine  Herabminderung  zu  bewerkstelligen 
sei,  sieht  man  von  dem  Mr.  Churchills  ab. 
Der  deutsche  Reichskanzler  meinte;:  nachdem 
er  die  Schwierigkeit  dieses  Vorschlages  er- 
örtert hatte:  „Wir  werden  daher  abwarten, 
ob  die  englische  Regierung  mit  konkreten 
Vorschlägen  an  uns  herantritt."  Der  Wille 
ist  also  vorhanden,  aber  es  fehlt  an  der 
Initiative,  ihm!  feste  Gestalt  zu  geben.  Es 
wäre  ja  eigentlich  Pflicht  der  .Regierungen, 
den  von  ihnen  im»  Prinzip  als  wünschenswert 
erkannten  Gedanken  in  die  Tat' umzusetzen 
und  mit  Energie  daranzugehen,  eine  Formel 
zu  finden,  welche  die  Verständigung  in 
Rüstungsfragen  ermöglicht.   :Das  Problem  zu 


lösen,  trauen  sie  sich  scheinbar  nicht  zu. 
Wollte  man  sich  also  auf  ihre  Arbeit  ver- 
lassen, so  könnten  alle  Hoffnungen  auf  eine 
Verminderung  der  Rüstungslasten  begraben 
werden. 

Sollten    sich    nicht     in     den     drei     am 
meisten     interessierten      Ländern     Fachleute 
finden,   die   sich   dein  Studium  der   delikaten 
Frage    widmen:      Welche    Formel    läßt    sich 
für  die  Einleitung  der  Rüstungsbeschränkung, 
empfehlen?    Vielleicht    erlebt    Mr.    Churchill 
die  Genugtuung,   daß   sein  Vorschlag  als  an- 
nehmbar bezeichnet  wird!    Je  mehr  man  übe: 
ihn  nachdenkt,    um!   so  mehr  wird  man   sich 
darüber    klar,    daß    er    eine    der    besten    Lö- 
sungen,  wenigstens  für  ein  Provisorium,   be 
deutet.    Sämlicthe  Einwendungen,  die  seiner- 
zeit gemacht  wurden,  halten  sachlicher  Ueber- 
legung   nicht    stand.      Es    wird    beabsichtigt, 
alle  Seemächte  zu  bewegen,  zunächst  in  die 
Budgets  für  ein  Jahr  keine  neuen,  also  ersten 
Raten  für  Großkampfschiffe  einzustellen.  Die 
Budgets  werden  den  Volksvertretungen  vor- 
gelegt.    Es  ist  undenkbar,  daß  sich  ein  Be- 
trag von  vielen  Millionen  etwa  den  Augen  der 
Oeffentlichkeit    entziehen    könnte.       Ebenso- 
wenig   wie  daß  irgendwo  der  Kiel  zu  einem 
Großkampfschiff    gestreckt    werden    könnte, 
ohne  daß  es  allgemein  bekannt  würde.      Die 
Kontrolle   wäre  also   einfach.    Die  von   allen. 
Regierungen  angenommene  Bestimmung  hätte 
z.  B.  zu  lauten:  „Wir  verpflichten  uns,  wäh- 
rend  der   Zeit   vom   1.   April    1915   bis   zum 
1.  April  1916  den  Bau  keines  Schlachtschiffes, 
d.  h.  keines  Schiffes  über  10  000  t  Deplace- 
ment, in  Angriff  zu  nehmen."   Man  wendet  ein, 
die    Industrie    werde    zu    schwer   geschädigt. 
Aber  muß  auch  nicht  jetzt  die  Privatindustrie 
damit  rechnen,   einmal  während  eines  Jahres 
keine  Neubestellung   von   der   Marine   zu   er- 
halten ?    Blohm  und  Voß  bauten  bisher  regel- 
mäßig    unsere     Schlachtkreuzer.      Der    vor- 
jährige Auftrag  ging  an  die  Schichau-Werft, 
der   diesjährige   an   die  Kaiserliche  Werft   in 
Wilhelmshaven.     Die  Firma  Blohm  und  Voß 
hatte  sich  besonders  auf  den  Bau  des  Typs 
eingerichtet   und  brachte   die  besten  Kriegs- 
schiffsmodelle heraus,  die  wir  besitzen.    Nun 
ist    sie    ohne   Beschäftigung   für    die    Kriegs- 
marine.    Wird   sie  deshalb   zugrunde  gehen  ? 
Ganz    gewiß    nicht.      Bei    vorausschauender, 
tüchtiger  Geschäftsführung  wird  sie  auch  die 
Kriegsschiffsbauaufträge     entbehren    können. 
Heißt  es  doch  jetzt  zuweilen  von  seilen  der 
Privatwerften :     „An      ihnen     verdienen      wir 
nichts."      Im    Geschäftsbericht    der    Vulcan- 
Werke.    in    Hamburg    und    Stettin    wird    als 
Grund   des    beträchtlichen   Fallens   der   Divi- 
dende   (von    11  o/o    auf    6  o/o)    das    demorali- 
sierende Preisniveau  für  Schiffsneubauten  an- 
geführt,  und   es  verlautet,  daß   sich  das  be- 
sonders  auf    die    Schiffe   für   unsere    Kriegs- 
marine    bezieht.        Die    Schiffsbau-,    Panzer- 
platten-    und    ;  Geschützfirmen     werden    also 
leicht     den    geringen  ;  Ausfall     verschmerze«. 


: 


246 


es 


DIE  FRI EDENS -VX^DTE 


Was  bedeuten  z.  B.  in  Deutschland  im  Jahre 
1915  die  ersten  Raten  für  Großkampfschiffe? 
Ein  Linienschiff  und  ein  Panzerkreuzer 
kommen  in  Frage,  somit  im  Maximum 
12  Millionen  Mark.  Und  diese  Summe  ent- 
fällt doch  noch  längst  nicht  auf  die  Werften 
allein !  In  England  stellt  sich  naturgemäß 
•die  Summe  nicht  unbeträchtlich  höher,  weil 
die  Bauten  nicht  in  drei,  sondern  in  zwei 
Raten  bewilligt  werden,  und  alljährlich  zu 
etwa  fünf  Großkampfschiffen  die  Kiele  ge- 
streckt werden.  Dahingegen  verteilt  sich  die 
eventuelle  Beschäftigung  im  Regierungsdienst 
aber  auch  auf  weit  mehr  Werften  als  in  Deutsch- 
land und  Frankreich.  Aehnlich  wie  in  Deutsch- 
land liegen  die  Verhältnisse  in  Frankreich. 
Dort  kommen  auch  nur  zwei  erste  Raten 
in  Betracht,  da  das  Flottengesetz  alljährlich 
zwei  Neubauten  von  Schlachtschiffen  vorsieht. 
Wie  wenig  berechtigt  der  Einwand,  aus  Rück- 
sicht auf  die  Industrie  verbiete  sich  eine 
Einschränkung  der  Flottenrüstungen,  ganz 
abgesehen  von  der  in  ihr  liegenden  naiven 
Skrupellosigkeit  ist,  geht  aus  der  Entwicklung 
der  Flotte  der  Vereinigten  Staaten  hervor. 
Vor  acht  bis  zehn  Jahren  herrschte  dort 
eine  rege  Kriegsschiffsbautätigkeit.  1904 
z.  B.  liefen  sieben  Linienschiffe  und  fünf 
Panzerkreuzer  von  Stapel.  Das  war  während 
der  Amtsperiode  des  flottenbegeisterten 
Präsidenten  Roosevelt.  In  den  letzten  Jahren 
bauten  die  Vereinigten  Staaten  alljährlich  nur 
je  ein  einziges  Schiff.  Man  hörte  trotzdem 
nichts  von  dem  Zusammenbruch  der  Werften  1 

Weiter  wurde  eingewendet,  England 
hätte,  weil  es  zu  einem  andern  Termin  als 
wir  seine  Schiffe  auf  Stapel  lege,  und  weil 
es  schneller  baue,  einen  Vorteil.  England 
stellt  jetzt  in  24  bis  30  Monaten  Großkampf- 
schiffe her,  wir  in  30  bis  36.  Das  war  so  und 
wird  voraussichtlich  so  bleiben.  Der  einfache 
Menschenverstand  wird  also  den  Einwand 
nicht  begreifen.  Wenn  während  zwölf  Mo- 
naten kein  Schiff  auf  die  Helling  gelegt  wer- 
den darf,  so  ändern  Kielstreckungstermine 
und  Bauzeiten  nichts  an  der  Situation. 

Auf  den  etwa  erhobenen  Einwurf,  es  könne 
nicht  untersagt  oder  verhindert  werden,  Ma- 
terialansammlungen für  den  Bau  vorzubereiten, 
so  ist  zu  erwidern,  daß  das  jetzt  auch  dicht 
vor  Beginn  des  neuen  Etatsjahres  geschieht. 
Viel  ausmachen  tut  dergleichen  nicht,  und 
schließlich  kann  das  von  allen  Staaten  gleich- 
mäßig geschehen.  Ferner  wurde  der  Einwand 
laut,  auf  britischen  Werften  würden  manche 
Kriegsschiffe  für  fremde  Regierungen  erbaut, 
die  im  JMobilmachungsfaLle  von  der  englischen 
Regierung  in  Beschlag  gelegt  würden.  Aber 
auch  in  Deutschland  werden  verschiedene 
große  und  kleine  Kriegsschiffe  im1  Auftrage 
fremder  Staaten  hergestellt !  Zudem,  alles 
dies  berührt  doch  nicht  das  Flottenbaufeierr 
jähr.  Endlich  heißt  es,  England  ruft  jetzt, 
da  seine  Werften  überlastet  sind,  nach  einer 


Pause.  Das  ist  unrichtig.  Mr.  Churchill 
stellte  vollkommen  frei,  wann  das  Feierjahr 
eingeschoben  werden  sollte.  Er  schlug  es 
keineswegs  sofort  vor.  Also  wird  auch 
dieser  Einwand  hinfällig.  Für  Deutschland 
wie  für  Frankreich  werden  zwölf  Ferienmonate 
im  Kriegsschiffsbau  sogar  in  technischer  Be- 
ziehung gewisse  Vorteile  haben.  Die  fran- 
zösischen Werften  sind  überlastet,  und  für 
uns  wäre  es  zu  begrüßen,  wenn  nach  der 
gar  zu  hastigen  Schiffsbautätigkeit  der  letz- 
ten Zeit  einige  Ruhe  einträte  und  Muße  zur 
Klärung  gewisser  konstruktiver  Fragen  ge- 
wonnen würde.  Heut  bauen  wir  noch 
Schlachtkreuzer.  England  gab  den  Typ  auf, 
Frankreich  hat  ihn  stets  für  nicht  existenz- 
berechtigt gehalten;  die  Vereinigten  Staaten 
ebenso.  Ernstes  Studium  während  eines 
Jahres  wird  für  die  glückliche  Fortentwick- 
lung unserer  Schiffsbauten  von  Bedeutung 
sein,  wird  z.  B.  die  Frage  der  Opportunität 
des    Schlachtkreuzerbaues    klären. 

Man  erkennt,  daß  an  dem  Vorschlag 
Churchills,  betrachtet  man  ihn  namentlich 
als  einen  Versuch,  einen  Uebergang,  herzlich 
wenig  auszusetzen  ist.  Keineswegs  braucht 
man  sich  aber  auf  ihn  zu  versteifen.  Es  gibt 
zahllose  Wege,  eine  auf  gegenseitige  Ab- 
machung beruhende  Rüstungseinschränkung 
zu  ermöglichen.  Ich  erwähne  nur  Fest- 
setzung der  Deplacementsgrenze,  bis  zu 
welcher  zunächst  die  Großkampfschiffe  ge- 
baut werden  dürfen,  Festsetzung  der  Zahl 
der  großen  Geschütze  an  Bord  und  ebenfalls 
der  Grenze  des  Kalibers.  Zweifelsohne 
lassen  sich  manche  brauchbare  Formeln 
finden.  Wenn  man  bisher  von  unüberwind- 
lichen Hindernissen,  denen  ein  all- 
gemeines Abkommen  über  eine  Flotten- 
einschränkung begegnen  würde,  sprach,  so 
lag  das  daran,  daß  der  Frage  kein  fach- 
männisches Studium  gewidmet  wurde.  Es 
wäre  zu  begrüßen,  wenn  nun  ein  Wandel 
einträte.  Augenblicklich  ist  die  Zeit  für 
einen  Schritt  vorwärts  in  der  Flottenrüstungs- 
beschränkungsfrage günstig.  Frankreich  und 
Deutschland  haben  sich  zu  einer  gewaltigen 
Verstärkung  ihrer  Landstreitkräfte  ent- 
schlossen, welche  viele  Hunderte  von  Millio- 
nen den  Schultern  der  Steuerzahler  aufbürdet. 
In  beiden  Ländern  wird  daher  ein  Ausweg, 
die  Rüstungskosten  an  einer  anderen  Stelle 
herabzumindern,  willkommen  geheißen  wer- 
den. Großbritannien  hat  freilich  durch  den 
Mund  Churchills  erklärt,  daß  es  leichter  als 
alle  fremden  Staaten  die  nötigen  Mittel  für 
die  Landesverteidigung  aufbringen  könnte, 
aber  es  hat  dennoch  durch  den  Appell  der 
„Stärke  des  in  der  Front  Schreitenden",  der  in 
dem  Vorschlag  des  Flottenfeierjahrs  gipfelt, 
bekundet,  daß  ihm  eine  Verminderung  der 
Flottenlasten  nicht  unangenehm1  wäre;  oder 
will  man  etwa  annehmen,  daß.  der  englische 
Staatsmann  lediglich  im  Interesse  anderer 
Länder  sprach  ?! 


247 


DIE  FßlEDENS-^ADTE  = 


■3 


Der  Lösung  des  Flottenbaueinschrän- 
kungsproblem's  winkt,  so  muß  man  hoffen, 
ein  seltener  Preis,  ein  bezüglicher,  für  alle 
Seemächte  bindender  Beschluß  auf  der  näch- 
sten Haager  Konferenz.  Die  Regierung,  die 
den  Mut  findet,  mit  brauchbaren  konkreten 
Vorschlägen  für  eine  Rüstungsbeschränkung 
hervorzutreten,  wird  sich  den  Dank  der  ge- 
samten   Kulturwelt    sichern. 


Bryans  Friedensvorschlag. 

Nachdem  das1  Taftsche  Projekt  eines  un- 
beschränkten Schiedsvertrages  in  der  Sitzung 
des1  amerikanischen  Senats  vom  7.  März  1912 
gescheitert  ist,  hat  der  jetzige  Staatssekretär 
des  Nachfolgers  Tafts  die  Idee  wieder  auf- 
genommen und  mit  überraschender  Schnellig- 
keit den  Mächten  seinein  neuen  'Plan  unter- 
breitet. Bryan  ist  von  jeher  ein  überzeugter 
Anhänger  der  modernen  Friedensbewegung 
gewesen,  und  da  der  amerikanische  Senat 
gegen  den  jetzigen  Vorschlag  kaumi  Be- 
denken erheben  wird,  so  hängt  die  Verwirk- 
lichung der  Idee  in  der  Hauptsache  von  der 
Stellungnahme  der  fremden  Regierungen  ab. 
Vergegenwärtigt  man  sich,  daß  bereits 
nach  wenigen  Wochen  die  italienische,  fran- 
zösische, englische,  russische,  japanische  usw. 
Regierung  dem  Bryanschen  Plane  zugestimmt 
haben,  so  erkennt  man  die  zukünftige  Be- 
deutung jener  Anregung.  Wie  wird  sich,  so 
müssen  wir  vor  allem  fragen,  die  deutsche 
Regierung  zu  dem  Plane  verhalten  ?  Es  liegt 
auf  der  Hand,  daß  unser  Auswärtiges  Amt 
den  Vorschlag  prüfen  wird,  zumal  es  bereits 
eine  genaue  Abschrift  des  Wortlautes  jenes 
Entwurfs  eingefordert  hat.  Eine  freundliche 
Aufnahme  jener  Anregung  dürfte  schon  des- 
wegen vorteilhaft  sein,  weil  sonst  im  Aus- 
lande der  Gedanke  entstehen  könnte,/ 
Deutschland  leiste  den  Friedensideen,  die  in 
der  ganzen  Welt  begeisterte  Zustimmung 
finden,   hartnäckigen  Widerstand. 

Der  Bryansche  Vorschlag  gehört  zu  den- 
jenigen Entwürfen  des  neuen  Völkerrechts, 
die  eine  friedliche  Erledigung  aller  Strei- 
tigkeiten ermöglichen  wollen,  selbst  der- 
jenigen, die  die  Ehre  und  die  Lebensinter- 
essen der  Parteien  berühren.  Zwei  Wege 
hat  man  in  neuerer  Zeit  zur  Erreichung  dieses 
Zieles;  einzuschlagen  versucht.  Einmal 
haben  eine  Reihe  von  Staaten  vorbehaltslose 
Schiedsverträge  miteinander  geschlossen, 
durch  die  alle  Streitigkeiten  dem  Haager 
Ständigen  Schiedshöfe  überwiesen  werden. 
In  diesem'  Zusammenhange  sind  zu  nennen 
die  Verträge  1.  zwischen  Italien  und  Däne- 
mark, 2.  zwischen  Italien  und  Holland, 
3.  zwischen  Holland  und  Dänemark,  4.  zwischen 
Dänemark  und  Portugal,  5.  zwischen  Italien 
und  Argentinien,  6.  zwischen  den  zentral- 
amerikanischen Staaten.  Wie  man  erkennt, 
handelt   es   sich  hier   um1  Parteien,    zwischen 


24  8 


denen  ein  Krieg  kaum1  entstehen  kann.  Trotz- 
dem müssen  Bedenken  geäußert  werden,  ol 
es  bereits  heute  zulässig  ist,  Lebensinter- 
essenfragen der  Schiedsgerichtsbarkeit  zi 
unterwerfen,  und  namentlich  Geheimrat 
Zorn  hat  in  seiner  Rektoratsrede  „Di 
Deutsche  Reich  und  die  internationale 
Schiedsgerichtsbarkeit"  (1911)  sowie  in  seiner 
Rede  auf  der  Genfer  interparlamentarische! 
Konferenz  von  1912  diese  Frage  verneint.  Mit 
großer  Folgerichtigkeit  hat  er  dargetan,  dal 
ein  Staat  seine  Lebensinteressen  einer 
Schiedsgerichte  nicht  unterwerfen  könne,  un( 
daß  daher  selbst  in  den  Verträgen,  in  denen 
man  die  Interessenklausel  gestrichen  habe, 
der  Vorbehalt  der  Lebensinteressen  ent- 
halten   sei. 

Die  Bedeutung  der  amerikanischen  Vor- 
schläge liegt  nun  darin,  daß  sie  zwar  eben- 
falls die  friedliche  Erledigung  aller  Streitig- 
keiten sichern  wollen,  aber  ein  anderes  Mittel 
als  die  Schiedsgerichtsbarkeit  wählen.  In  dem 
Taftschen  Projekte  kam  dies  freilich  nicht 
zum  klaren  Ausdruck,  und  es  ist  mir  bekannt, 
daß  hervorragende  amerikanische  Juristen, 
die  der  Schiedsgerichtsbarkeit  sehr  freund- 
lich gegenüberstehen,  erklärt  haben,  es  sei 
ein  Mischmasch  von  Schiedsgerichtsbarkeit 
und  diplomatischer  Streiterledigung.  Ganz 
gewiß  ist  dieser  Tadel  nicht  unberechtigt 
gewesen.  Bedeutete  auch  nach  meiner  Ueber- 
zeugung  der  Vorschlag  eines  englisch- 
amerikanischen Schiedsvertrages  einen  Fort- 
schritt, so  war  doch  der  Plan  in  vielen  Einzel- 
heiten anfechtbar.  Die  Bryansche  Idee  hat 
ganz  gewiß  den  Vorzug  größerer  Klarheit. 
Hier  tritt  die  Schiedsgerichtsbarkeit  als 
Mittel  der  friedlichen  Streiterledigung  gänzlich 
zurück,  und  die  Idee  lautet  einfach:  Alle 
Streitfragen,  auch  soweit  sie  die  Ehre  oder 
Lebensinteressen  berühren,  sollen,  wenn  die 
diplomatische  Erledigung  erfolglos  blieb,  einer 
Untersuchungskommission  überwiesen  wer- 
den. Diese  Kommission,  die  aus  Angehörigen 
der  Streitteile  oder  auch  zum'  Teil  aus  neu- 
tralen Staatsangehörigen  zusammengesetzt 
ist,  soll  die  Tatfragen  unparteiisch  und  ge- 
wissenhaft aufklären. 

Was  wäre  nun  mit  der  Einsetzung  einer 
solchen  Kommission  erreicht  ?  Zunächst  sei 
darauf  hingewiesen,  daß  der  Bericht  der 
Kommission  für  die  Streitteile  nicht  bindend 
ist  und  es  jeder  Partei  freisteht,  ob  sie  nicht 
einen  anderen  Standpunkt  vertreten  und 
diesen  möglicherweise  mit  Waffengewalt 
durchführen  will.  Aber  die  Urheber  des' 
Planes  rechnen  damit,  daß  durch  die  Ueber- 
weisung  des  Streites  an  die  Kommission  viel 
Zeit  vergeht,  innerhalb  derer  sich  die  Er- 
regung der  Parteien  abkühlt  und  sich  Ge- 
legenheit   zur    friedlichen    Lösung    bietet. 

Schon  ein  Vorfall  aus  der  jüngsten  Zeit 
liefert  den  Beweis,  daß  wir  es  hier  nicht  mit 
etwas  Neuem1  zu  tun  haben.  Als  im  vorigen 
Jahre  das  französische  Schiff  Tavignano  von 


<g== 


DIE  FRIEDEN5-^^4\ßXE 


den    Italienern     unter   dem     Verdachte     des 
Konterbandetransportes  weggenommen  wurde, 
setzten    Italien    und    Frankreich    eine   Unter- 
suchungskommission  ein,  die  feststellen  sollte, 
ob   das   Schiff  innerhalb   oder  außerhalb   der 
Territorialgewässer  aufgegriffen  wurde.  Frank- 
reich  und   Italien  ernannten  je  zwei  Schiffs- 
offiziere   zu  Kommissaren,    die  unter  Vorsitz 
eines  englischen  Kapitäns  in  Malta  zusammen- 
traten und  eine  Feststellung  des  Tatbestandes 
trafen.     Inzwischen  hatte   sich  die  Erregung 
der   beteiligten  Kreise   über  den  Vorfall   ge- 
legt,   und   man   kam   überein,   den  Fall    dem 
Haager    Schiedshöfe    zur   Entscheidung    vor- 
zulegen.      Später    einigten     sich    jedoch    die 
beiden     Mächte     diplomatisch,      indem     sich 
die      italienische      Regierung       verpflichtete, 
5000  Franken  Entschädigung  an  die  Besitzer 
der    Fischerboote    zu    zahlen.      In    einer    viel 
schwierigeren  Angelegenheit  haben  die  Staaten 
1904     von     den    Untersuchungskommissionen 
Gebrauch    gemacht.      Als     nämlich    während 
des    Russisch-Japanischen    Krieges    englische 
Fischerboote    von    russischen    Kriegsschiffen 
beschossen  wurden,  entstand  in  England  eine 
ungeheure   Erregung;  "doch   übergaben   Eng- 
land und  Rußland  diesen  sogenannten  Huller 
Fall    schon     bald    einer    Untersuchungskom- 
mission, deren  Bericht  die  Billigung  der  Par- 
teien fand.     Aus  der  jüngsten  Zeit  ist  noch 
der    Fall    Prochaska    und    die    Affäre    Palics 
zu  erwähnen,  zu  deren  friedlicher  Erledigung 
der  Bericht  von  Untersuchungskommissionen 
viel    beigetragen    hat.      Die    Einrichtung    der 
Untersuchungskommissionen  ist  auf  der  ersten 
Haager  Friedenskonferenz   in  das  allgemeine 
Völkerrecht  eingeführt  worden,  und  zwar  auf 
Vorschlag  des  russischen  Völkerrechtslehrers 
v.    Martens:.      Dieser    hat    sich    sowohl    1899 
wie  1907  vergebens  bemüht,  diese  Kommissio- 
nen obligatorisch  zu  gestalten.     Man  war  auf 
beiden    Konferenzen    äußerst    vorsichtig    und 
nahm    in    den    Artikel    9    des    Haager    „Ab- 
kommens    betr.    die     friedliche     Erledigung 
internationaler    Streitigkeiten"    eine    sehr   be- 
schränkte Bestimmung  folgenden  Inhalts  auf : 
„Bei  internationalen  Streitigkeiten,  die  weder 
die   Ehre    noch    wesentliche     Interessen   be- 
rühren   und    einer    verschiedenen    Würdigung 
von  Tatsachen  entspringen,  erachten  die  Ver- 
tragsmächte es  für  nützlich  und  wünschens- 
wert   (es   heißt   nicht:   sie  verpflichten   sich,), 
daß  die  Parteien,  die  sich  auf  diplomatischem 
Wege  nicht  haben  einigen  können,  soweit  es 
die  Umstände  gestatten  ( ! ),  eine  internatio- 
nale      Untersuchungskommission       einsetzen 
mit  dem  Auftrage,  die  Lösung  dieser  Streitig- 
keiten  zu   erleichtern,    indem   sie   durch    eine 
unparteiische  und  gewissenhafte  Prüfung  die 
Tatfragen  aufklären."     Statt   dieser  mehrere 
Einschränkungen   enthaltenden    Bestimmung, 
die    trotz    der    Ehren-    und    Umstandsklausel 
nicht    einmal    eine    juristische    Verpflichtung, 
sondern  nur  einen  Wunsch  enthält,  will  nun- 
mehr      Bryan    ,  die      obligatorischen 


Untersuchungskommissionen         in 
das  Völkerrecht  einführen. 

Die  Einwände,  die  man  gegen,  die  Schieds- 
gerichtsbarkeit vorbringt,  sind  den  Unter- 
suchungskommissionen gegenüber  nicht  stich- 
haltig. Denn  die  Staaten  behalten  ja  durch 
den  Bericht  der  Kommission  vollkommen 
freie  Hand.  Nur  insofern  wird  man  eine 
rechtliche  Bindung  feststellen  müssen,  als 
fortan  eine  Kriegserklärung  nicht  möglich 
sein  würde,  bevor  die  Untersuchungskom- 
mission ihren  Bericht  abgegeben  hätte.  Vom 
militärischen  Standpunkte  aus  wäre  zu  er- 
wägen, ob  man  der  anderen  Vertragspartei 
gegenüber  darauf  verzichten  kann,  den  Zeit- 
punkt des  Losschiagens  selbst  zu  bestimmen. 
Ueber  diese  Frage  werden  die  Ansichten 
naturgemäß  auseinandergehen.  Aber  die 
Gegner  mögen  bedenken,  daß  alle  völker- 
rechtlichen Verträge  auf  einer  gegenseitigen 
Bindung  beruhen;  man  beschränkt  sich  auf 
der  einen  /Seite,  uml  auf  der  anderen  Seite  Vor- 
teile zu  erlangen.  Wenn  es  tatsächlich  mög- 
lich wäre,  daß  durch  die  Annahme  des  Bryan- 
schen  Vorschlages  der  Weltfriede  auf  eine 
festere  Grundlage  gestellt  würde,  dann  könnte 
keine  Regierung  vor  der  Geschichte  und  den 
Völkern  die  Verantwortung  auf  sich  nehmen, 
diesen  Plan  durch  eine  Ablehnung  zu  Fall  zu 
bringen.  Welche  Hindernisse  auch  immer 
für  Deutschland  bestehen  mögen,  einen 
solchen  Vertrag  mit  europäischen  Staaten 
zu  schließen,  so  fallen  doch  wohl  alle  Be- 
denken gegenüber  Nordamerika,  dessen  eigen- 
tümliche Lage  Deutschland  den  Abschluß 
eines    solchen    Vertrages    gestattet. 

Wir  haben  es  in  den  letzten  Jahren 
wiederholt  erlebt,  wie  angesichts  einer 
schweren  Krisis  behauptet  wurde,  jetzt  sei 
ein  Krieg  die  einzige  Lösung.  Wie  mancher- 
lei Streitigkeiten  sind  kürzlich  diplomatisch 
beigelegt  worden,  nachdem  der  Krieg  in  eine 
sehr  bedrohliche  Nähe  gerückt  war  und 
Millionen  Kapitalien  verloren,  waren.  Daß  bei 
gutem  Willen  der  Parteien  eine  Verständi- 
gung immer  möglich  ist,  erscheint  daher 
nicht  ohne  weiteres  von  der  Hand  zu  weisen. 
Trifft  dies  aber  zu,  dann  sollten  die  Völker 
durch  die  Annahme  des  Bryanschen  Vor- 
schlages ein  Sicherheitsventil  schaffen,  damit 
nicht  durch  die  augenblickliche  Erregung 
der  Parteien  Kriege  geführt  werden,  die 
hätten   vermieden    werden    können. 

Es  ist  übrigens  eigenartig,  festzustellen, 
wie  schnell  |die  Entwicklung  des  ^1899  im  Haag 
Geschaffenen  vor  sich  geht.  Auf  der  ersten 
Haagfer  Konferenz  wurden  sowohl  die  Unter- 
suchungskommissionen wie  die  Vermittlung 
recht  zaghaft  in  den  Weltvertrag  auf- 
genommen, und  heute  schon  beginnen  diese 
Institute  an  Bedeutung  über  Erwarten  zu- 
zunehmen. Während  der  jüngsten  Balkan- 
wirren hat  die  Vermittlungs  aktion  der 
Mächte  in  ganz  erstaunlicher  Weise  funktio^ 
niert.    Man  braucht  nicht  direkt  anzunehmen, 


249 


DIE  FRIEDENS ->MMiTE  = 


S> 


daß  nun  auch  jeder  gefährliche  Streit  durch 
dieses  Mittel  aus  der  Welt  geschafft  wird, 
aber  man  darf  doch  betonen,  welche  Vor- 
teile    die    Vermittlung     heute    schon    bietet. 

Bemerkenswert  ist  zudem  die  Tatsache, 
daß  während  der  zahlreichen  Krisen  der 
letzten  Jahre  verhältnismäßig  wenige  Streit- 
fälle vermittelst  der  Schiedsgerichtsbarkeit 
erledigt  worden  sind.  Fast  alle  wichtigeren 
Konflikte  fanden  ihre  gütliche  Beilegung 
durch  die  diplomatischen  Verhandlungen  der 
Mächte.  Dies  spricht  besonders  für  die  Auf- 
fassung, daß  der  Krieg  keineswegs,  wie  noch 
vereinzelt  angenommen  wird,  durch  die 
Schiedsgerichtsbarkeit  überwunden  werden 
wird,  sondern  durch  internationale  Verständi- 
gungen. Der  immer  größere  Zusammen- 
schluß der  Staaten  in  kultureller  und  wirt- 
schaftlicher Beziehung,  das  dadurch  herbei- 
geführte Risiko  eines  Krieges,  ist  der  stärkste 
Faktor,  der  die  Staaten  zu  dieser  Ver- 
ständigungspolitik treibt. 

Darum  ist  auch  der  Bryansche  Plan  so 
ausgezeichnet,  weil  er  letzten  Endes  auf  der 
Erwägung  beruht,  daß  die  Schiesdgerichts- 
barkeit  allein  zur  Erledigung  der  Streitfragen 
nicht  geeignet  ist,  und  man  gut  tut,  auf 
alle  mögliche  Weise  die  diplomatische  Ver- 
ständigung zu  erleichtern.  Das  vermögen 
nun  die  Untersuchungskommissionen  gewiß 
recht  gut. 

Von  Tag  zu  Tag  wird  die  Abhängigkeit 
der  Staaten  und  demgemäß  das  Bestreben, 
sich  zu  verständigen,  an  Bedeutung  zunehmen. 
Während  jetzt  noch  bei  jedem  Streite  im 
Hintergrunde  mit  dem  Schwerte  gedroht  wird, 
dürfte  bald  schon  ein  ruhigeres  Verhandeln 
durch  die  Diplomaten  stattfinden.  Die 
Diplomatie,  unterstützt  durch  die  Unter- 
suchungskommissionen, wird  eine  immer  wich- 
tigere Aufgabe  zu  erfüllen  und  letzten  Endes 
sämtliche  politischen  Streitigkeiten  bei- 
zulegen haben.  Geht  diese  Entwicklung 
schnell  voran,  dann  wird  rnan  auch  theoretisch 
gar  nicht  mehr  den  Versuch  machen,  po- 
litische Konflikte  dem  Haager  Schieds- 
hof anzuvertrauen.  Die  Schiedsgerichtsbar- 
keit wird  nur  noch  für  die  rein  rechtlichen 
Streitigkeiten  verwandt  werden,  aber  an  Be- 
deutung zunehmen,  je  zahlreicher  diese  Art 
von  Streitfällen  mit  der  immer  stärkeren  Or- 
ganisation der  Welt  werden.  Das,  was  wir 
heute  Schiedsgerichtsbarkeit  nennen,  wird  an 
Bedeutung  abnehmen,  und  neben  sie  die  Ge- 
richtsbarkeit treten.  Dr.  H.  W. 


Die  Furcht  der  Franzosen. 

Von  Richard  Gädke,  Berlin-Steglitz, 
früher    Oberst    und    Regimentskommandeur. 

Die  neue  deutsche  Wehrvorlage  ist  gewiß 
unzureichend  begründet  worden.  Man  kann 
sich  kaum  eines  Lächelns  erwehren,  wenn  man 


sich  jetzt  daran  erinnert,  daß  die  Entstehung 
einer  neuen  Großmacht  auf  dem  Balkan  einer 
jener  Vorwände  war,  die  der  deutschen  Volks- 
vertretung das  schwer  verdauliche  Gericht 
schmackhaft  machen  sollten.  Jetzt,  wo 
der  blutige  Krieg  zwischen  den  zärtlichen 
Brüdern  in  vollem  Gange  ist,  wird 
selbst  ein  deutscher  Reichskanzler  nicht 
mehr  leugnen,  daß  noch  ein  weiter  Weg 
uns'  von  dem1  Augenblicke  trennt,  wo 
Rumänen  und  Griechen,  Serben  und  Bul- 
garen in  einem  großen,  einheitlich  geleitete 
Bundesstaate  vereinigt  sein  werden.  Vor- 
läufig lieben  sie  sich  gegenseitig  zum 
„Fressen",  und  es  wäre  eine  ungewöhnlich 
unfruchtbare  und  ungewandte  Staatskunj 
Oesterreichs,  wenn  es  nicht  in  dieser  Un- 
einigkeit die  Mittel  fände,  einen  ausschlag- 
gebenden Einfluß  auf  dem  Balkan  auszuüben. 
Mit  dem  ganzen  Schwergewicht  seiner  großen 
Macht  liegt  es  dem  Balkan  viel  näher  als 
Rußland;  wohlwollend  und  entschieden  zu 
gleicher  Zeit,  würde  es1  sicher  sein  können, 
von  dorther  keinen  Flankenangriff  besorgen 
zu  müssen. 

Zu  den  sonstigen  Gründen  der  deutschen 
Wehrvorlage  hat,  soweit  die  Reichsregierung 
es   überhaupt    für    nötig    befunden    hat,    den 
Schleier    des   Geheimnisses    ihrer   Motive   ein 
wenig   zu   lüften,    anscheinend   die   Besorgnis 
gehört,     daß     Rußland     im     Kriegsfälle      zu 
einem    sofortigen    Angriff    entschlossen    und 
auch   weit   mehr  bereit  gewesen   sei,   als  die 
Militärverwaltung     bis     dahin    angenommen. 
Allerdings  gibt   es   Kenner  der  Verhältnisse, 
die     alle     vorbereitenden     Maßnahmen      der 
Russen     aus    der     umgekehrten    Furcht    vor 
einem1     Ueberfall      durch      Oesterreich     und 
Deutschland    erklären.      Daß    man    auch    bei 
uns  in  den  Grenzgegenden  sehr  wachsam1  und 
auf  das  äußerste  gefaßt  gewesen  ist,  kann  als 
publici     juris     hingestellt    werden.      Und    so 
kommt  es  also,   daß  die  gegenseitige  Furcht 
die  Völker     zu     neuen     und    immer     neuen 
Rüstungen    treibt,    die    schließlich    weder    an 
dem  Kräfteverhältnis  noch  an  dem  Verhält- 
nis  der  gegenseitigen   Kriegsbereitschaft  das 
mindeste,      aber       auch      nur      das      aller- 
mindeste    ändern.     Ein    furchtbarer    circulus 
vitiosus,    der    der    Einsicht    der    Staatslenker 
unserer  Zeit  nicht  das  beste  Zeugnis  ausstellt. 
Auch     die     große     französische    Heeres- 
vorlage, die  Wiedereinführung  der  dreijährigen 
Dienstzeit,  wird  in  erster  Linie  mit  der  Furcht 
vor      einem1      plötzlichen     Ueberfalle      durch 
Deutschland,  ohne  vorherige  Kriegserklärung, 
vor   der  Welt   und  dein  eigenen   Parlamente 
erklärt.      Und    dieses    Schreckgespenst    muß 
dazu    herhalten,    einem    hochgebildeten,    ge- 
werbsfleißigen,  in  allen  Künsten  des  Friedens 
hervorragenden  Volke  die  Uebernahme  einer 
geradezu     ungeheuren      Last      aufzuzwingen. 
Denn  das1  eine  muß  immer  und  immer  wieder 
mit  aller  Entschiedenheit  betont  werden,  daß 
im  Verhältnis  zur  Volkskraft  die  militärische 


2'C 


@~E 


=  DIE  FRI  EDENS ->M&R.TE 


Bürde  Frankreichs  weitaus  schwerer  und 
drückender  ist  als  die  Deutschlands.  Frank- 
reich stellt  einen  größeren  Prozentsatz  Dienst- 
pflichtiger ein,  geht  erheblich  über  die  bei 
uns  festgehaltenen  Grenzen  der  Tauglichkeit 
hinaus,  zieht  die  Leute  durchschnittlich  zu 
längerer  Dienstzeit  ein  und  zahlt  auf  den  Kopf 
der  Bevölkerung  eine  größere  Prämie  für 
diese  Versicherung  gegen  den  Krieg.  Man 
muß,  wenn  man  gerecht  sein  will,  dies  immer 
wieder  betonen,  wie  man  auf  der  anderen 
Seite  zugeben  muß,  daß  es'  sich  in  seiner 
Stellung  als  Großmacht  durch  das  Wachs- 
tum der  deutschen  Bevölkerung,  durch  die 
absolut  genommen  größere  Stärke  des 
deutschen  Heeres  und  wohl  auch  gelegent- 
lich durch  die  deutsche  auswärtige  Politik 
bedroht   glaubt! 

Ob  man  freilich  auch  den  Glauben  an. 
einen  plötzlichen  Vormarsch  der  deutschen 
Grenztruppen  zur  Ueberflutung  der  nächst- 
gelegenen Gebiete  und  zur  nachhaltigen  Stö- 
rung der  französischen  Mobilmachung  allen 
Ernstes  teilt,  ob  insbesondere  die  einsich- 
tigen französischen  Generale  von  ihm  erfüllt 
sind,  ist  mehr  als  zweifelhaft.  Wahrschein- 
licher ist  es,  daß  man  dieses  wirksamste 
Propagandamittel  anwendet,  um  die  drei- 
jährige oder  mindestens  die  dreißigmonatige 
Dienstzeit  gegenüber  dem  Widerstreben  be- 
trächtlicher Teile  des  französischen  Volkes 
durchzudrücken.  Denn  diese  Verlängerung 
der  Dienstzeit  ist  dort  drüben  nicht  po- 
pulär, trotzdem  die  große  Mehrzahl  der 
Pariser  Blätter  die  Oeffentlichkeit  darüber 
hinwegzutäuschen   sucht. 

Gegenüber  der  größeren  Kriegsbereit- 
schaft aller  seiner  Truppen,  besonders  aber 
der  Grenztruppen,  die  Deutschland  durch 
die  neue  Wehrvorlage  erhält,  haben  die 
Franzosen  freilich  kein  anderes  Aequivalent 
als  die  Verlängerung  der  Dienstzeit.  Sie 
haben  sich  eben  derartig  zahlreiche  Stämme 
an  Friedenstruppen  geschaffen,  wie  sie  ihrer 
Bevölkerung  nicht  mehr  entsprechen.  Und 
darum  sind  diese  Stämme  selbst  an  der 
Grenze  gegenwärtig  lange  nicht  so  stark,  wie 
die  deutschen  es  nach  dem  nun  bewilligten 
Gesetze  sein  werden;  im  Innern  sind  sie  zum 
Teil  kümmerliche  Skelette.  Dazu  kommt, 
daß  ein  Teil  ihres  Heeres  für  den  Be- 
ginn eines  Krieges  nicht  verfügbar  ist,  weil 
sie  zahlreiche,  auch  national-französische 
Truppen  in  Algier  und  Tunis,  und  wahrschein- 
lich noch  auf  lange  Zeit  in  Marokko  gefesselt 
haben.  Gegenüber  der  konzentrierten  Kraft 
Deutschlands,  das  freilich  nach  zwei  Seiten 
Front  machen  muß,  befindet  sich  die  Heer- 
macht Frankreichs,  seiner  aktiveren  äußeren 
Politik  entsprechend,  in  einem  gewissen  Zu- 
stande   der    Zersplitterung. 

Aber  diese  relative  Schwäche  ist  bei 
weitem  nicht  so  groß,  die  überlegene  Stärke 
der  deutschen  Grenztruppen  auch  nicht  an- 
nähernd eine  derartige,  daß  sie  die  deutsche 


Heeresleitung  zu  dem  Wagnis  eines  Ein- 
bruches immobiler  Truppenteile  indasNachbar- 
land  verleiten  könnte.  Das  müssen  die  Fran- 
zosen ebenso  gut  wie  wir  übersehen,  und 
die  von  der  Regierung  vorgeschützte  Furcht 
vor  einer  attaque  brusquee  als  Hirngespinst 
oder  Bluff  erkennen  können.  Denn  trotz 
ihrer  großen  Friedensstärke  sind  alle  diese 
Truppenteile  keineswegs  unmittelbar  kriegs- 
bereit; es  fehlen  den  Bataillonen  immer  noch 
etwa  je  dreihundert  Mann  und  die  Bespannung 
ihrer  zahlreichen  Fahrzeuge;  noch  weniger 
bereit  sind  die  Batterien  und  der  Heerestroß. 
Die  Franzosen  selbst  aber  haben  die  Nach- 
teile eines  übereilten  Vorwerfens  nicht  kriegs- 
bereiter Truppenteile  im  Jahre  1870  am  eige- 
nen Leibe  so  schwer  gefühlt,  daß  sie  mit 
Fug  und  Recht  nicht  glauben  dürften,  die 
vorsichtige  deutsche  Heeresleitung  werde  sich 
so  leichthin  zu  einem  ähnlichen  Fehler  ent- 
schließen. Und  zu  welchem  greifbaren 
Zwecke  ?  Nur,  um  sich  das  Vergnügen  zu 
machen,  Nancy  und  Luneville  einige  Tage 
hindurch  besetzen  zu  können  ?  Um  sich  dann 
einen  Tag)  Später  an  den  starken  französischen 
Grenzbefestigungen  zu  stoßen?  Eine  gewalt- 
same Wegnahme  der  Sperrforts  wird  aber 
immer  mindestens  drei  Tage  Zeit  erfordern 
(wahrscheinlich  länger),  ein  Zeitraum,  der 
lang  genug  ist,  um  jeden  denkbaren  Vor- 
sprung der  deutschen  Kriegsbereitschaft  aus- 
zugleichen. 

Man  darf  mit  großer  Sicherheit  an- 
nehmen, daß  die  deutsche  Heeresleitung  nur 
mit  völlig  versammelter  Macht  in  Frankreich 
einrücken,  also  erst  ihre  mobilisierten  Streit- 
massen aus  dem  Innern  Deutschlands  heran- 
führen wird.  Schließlich  bleibt  also  von  der 
großen  Furcht  der  Franzosen  nur  die  eine 
Realität  zurück,  daß  Deutschland  einen 
Krieg  gegen  Frankreich  mit  höchster  Wahr- 
scheinlichkeit angriffsweise  führen  würde. 
Die  Theorie  aber  von  der  Ueberlegenheit  der 
Offensive  ist  auch  dem  französischen  Offizier- 
korps' derart  in  Fleisch  und  Blut  über- 
gegangen, daß  man  dort  drüben  die  gleiche 
Absicht  vermuten  muß.  Und  das  ist  der 
Grund  ihrer  jetzt  geplanten  großen  Ver-? 
Stärkung  des  Friedensheeres :  auch  sie 
wollen  so  rasch  als  möglich  zum  Angriff 
übergehen,  die  deutsche  Grenze  überschreiten 
und  möglichst  zahlreiche  Kräfte  des  Geg- 
ners auf  sich  ziehen,  um  ihren  Verbündeten, 
den  Russen,  gleichfalls  den  Angriff  möglichst 
zu   erleichtern. 

Und  so  sehen  wir,  daß  alle  Welt  un- 
aufhörlich versichert,  nur  für  den  Frieden 
und  nur  für  die  Verteidigung  zu  rüsten,,  wäh- 
rend tatsächlich  alle  Welt  sich  für  den  An- 
griffskrieg immer  stärker  und  stärker  wapp- 
net. Nicht  vor  dem  Angriff  der  Nachbarn 
will  man  sich  schützen,  sondern  seinerseits 
so  bereit  sein,  daß  man  so  rasch  als  möglich 
zur  Invasion  des  feindlichen  Gebietes 
schreiten    kann.      Dem    eigenen    Volke    aber 


251 


DIE  FRIEDENS  -WAGTE 


3 


schildert  man  alle  militärischen  Vorberei- 
tungen des  Gegners  in  den  furchtbarsten  und 
düstersten  Farben,  um  es  möglichst  opfer- 
willig zu  machen.  Die  Angaben  der  Fran- 
zosen über  die  deutsche  Heeresstärke  sind 
durchweg  weit  übertrieben.  Sie  sind  alle  in 
der  gleichen  Verdammnis,  Monarchien  und 
Republiken,  Autokratien  und  Demokratien! 
Inzwischen  feiert  der  Friedensgedanke, 
allen  Hemmnissen  zum  Trotz.,  praktische 
Triumphe.  Zum  wirklichen  Siege,  zum  ent- 
scheidenden aber  wird  er  erst  dann  gelangen, 
wenn  sich  die  Einsicht  überall  verbreitet 
hat  und  feste  Ueberzeugung  geworden  ist, 
daß  dieses  ganze  rastlose,  ziellose,  uferlose 
Wettrüsten  letzten  Endes  keinen  Nutzen, 
keine  Aenderung  der  Kräfteverhältnisse 
bringt,  sondern  nur  eine  zwecklose  und  sinn- 
lose Vergeudung  wertvoller  Kräfte,  kostbaren 
Nationalgutes  darstellt;  wenn  endlich  das 
gegenseitige  Mißtrauen  beseitigt  wird,  das 
eben  in  diesem  Wettrüsten  seine  kräftigste 
Stütze  findet  und  seinerseits  wieder  die  Ur- 
sache neuen  Wettrüstens  wird.  Aus  diesem 
Grunde  mag  einmal  in  der  Friedens-Warte 
eine  kurze  strategische  Betrachtung  Platz 
finden,  die  wenigstens  auf  einem  Gebiete 
unseren  Nachbarn  beweisen  soll,  wie  un- 
begründet ihre  Furcht  vor  der  Absicht  eines 
deutschen  Ueberfalles  ist.  Nach  der  Struk- 
tur des  Deutschen  Reiches,  nach  der  Sinnes- 
art des  deutschen  Volkes  könnte  keine  Re- 
gierung einen  so  frevelhaften  Friedens-  und 
Rechtsbruch    wagen. 


Das  junge  Frankreich. 

Von  Edmond  Dumdril-Hallberger, 
Prof.    an    der    Ecole    Superieure    zu    Ancenis. 

Nantes,  Mai  1913. 
Bis  zu  welchem  Grade  zwei  Nachbarvölker, 
die  in  unmittelbarer  Berührung  und  be- 
ständigem Ideenaustausch  stehen,  ihre  inneren 
Zustände  gegenseitig  ignorieren  können,  ist 
recht  erstaunlich.  Wir  Pazifisten  wissen 
schon  lange,  wie  sorgfältig  die  „Großmacht- 
presse" den  einfältigen  Lesern  die  Binde 
auf  den  Augen  hält  —  wenn  sie  ihnen  nicht 
noch  dazu  allerlei  Märchen  über  das  Aus- 
land erzählt ;  und  doch  fallen  mir  trotz  meiner 
Blasiertheit  die  Arme  vor  Entrüstung,  wenn 
ich  einen  Artikel  lese,  wie  den  aus  dem 
,, Türmer"  —  einer  sonst  wohlinformierten 
Zeitschrift  —  vom  Mai  1913.  Unter  dem 
Titel  „Das  junge  Frankreich"  will 
Herr  Dr.  M.  Ritzenthaler  über  Gemüt  und 
Geist  der  jungen  französischen.  Generationen 
berichten,  und  gelangt  —  vermutlich  durch 
seine  unzuverlässigen  Quellen  irregeführt  — 
zu  den  seltsamsten  und  für  die  Franzosen 
—  darf  ich  sagen  —  oft  lächerlichsten  Ent- 
deckungen. 


Betrachten  wir  einzelne  Punkte  seines 
Aufsatzes :  Eine  Renaissance  des  Idealismus 
mit  Bourtroux  und  Bergson  will  ich  zuerst 
gar  nicht  bestreiten.  Daß  aber  diese  neue 
Metaphysik  die  Jugend  zum  Katholizismus 
geführt  habe,  diese  Folgerung  gebe  ich  gar 
nicht  zu.  Unsere  philosophischen  Fakul- 
täten sind  immer  diejenigen,  wo  man  am 
freiesten  denkt  über  soziale  und  religiöse 
Fragen,  und  wo  die  Ideen  am  weitesten  vor- 
gerückt sind.  Der  Versuch  einiger  Jüng- 
linge, die  Kirche  mit  einem  gewissen 
Sozialismus  zu  vereinigen,  ist  an  der  Intoleranz 
der   Kirche  selbst  gescheitert. 

Wenn  heutzutage  eine  Kirche  an  gei- 
stigem Einfluß  —  ich  sage  nicht  an  regel- 
mäßigen Mitgliedern  —  zunimmt,  so  ist  es 
der  Protestantismus,  der  die  nach  einem 
Ideal  dürstenden  jungen  Männer  in  seinen 
Gedankenkreis  annimmt.  Und  eben  unsere 
kalvinistische  Kirche  folgt  dem  Bibelspruch 
„Frieden  auf  Erden",  sie  hält  das  jährliche 
Friedensfest,  und  alle  Sonntage  betet  sie 
nach  der  Liturgie  nicht  nur  für  die  Republik, 
sondern  für  die  Regierungen  aller  Völker, 
damit  Gott  sie  aufkläre.  Davon  spricht 
Herr  Dr.  R.  gar  nicht.     Aber  weiter. 

„Das  junge  Frankreich",  heißt  es,  „findet 
an  dem  Parlamentarismus  und  an.  den  po- 
litischen Sitten  wenig  zu  loben."  Allgemein 
betrachtet,  ist  der  Satz  richtig;  daß  aber 
dieser  sogenannte  „Bankerott  des  Parla- 
mentarismus" im  jungen  Volke  die  Sehn- 
sucht nach  einer  „starken  zentralen  Autori- 
tät" erweckt  habe  —  ist  wenigstens  un- 
richtig. (Die  meisten  glauben,  in  der  Re- 
form des  Wahlrechts  das  Heilmittel  gefunden 
zu  haben.)  Aber  die  Wahl  des  Herrn 
Poincare  ist  diesem  „Schrei  nach  Autorität" 
keineswegs  zuzuschreiben,  sondern  vielmehr 
dem  Vertrauen,  das  er  eben  durch  seine 
Rolle  als  Friedens-Stifter  und 
-Erhalter  während  des  Balkankonfliktes 
einzuflößen  wußte:  seine  Wahl  ist  von  fast 
allen  Republikanern  in  diesem  Sinne  ge- 
deutet worden. 

Was  endlich  die  sogenannte  „Wieder- 
geburt des  Patriotismus"  anbelangt,  ist  die 
Frage  gar  nicht  so  einfach,  wie  Herr 
Dr.  R.  es  glaubt.  Patriotismus  ist  immer  bei 
uns  vorhanden  gewesen  und  brauchte  daher 
gar  nicht  wiederbelebt  zu  werden.  Aber  unter 
dem  Einfluß  der  sozialen  Ideen  ist  er 
immer  reiner,  d.  h.  friedlicher  und  auf- 
geklärter, den  anderen  Völkern  wohlwollen- 
der geworden.  Das  war  aber  den  reaktio- 
nären nationalistischen  Kreisen  und  den 
Armeelieferanten  nicht  gerade  recht.  Des- 
halb haben  sie  die  ungeheure  Macht  einiger 
Zeitungen  sowie  den  Verfall  der  radikal- 
sozialistischen Partei  benutzt,  um  einen  ge- 
fährlichen, ganz  künstlichen,  ihren  Inter- 
essen dienenden  Chauvinismus  zu  verbreiten. 
Alles  wurde  längst  vorbereitet.  „Agadir"  bot 
eine  günstige   Gelegenheit;   dann   kamen   die 


DIE  Fßl EDENS ->\^RXE 


Sammlung  für  die  Luftflotte,  die  Zapfen- 
streiche. Daneben  eine  Agitation  durch  Ar- 
tikel über  Elsaß-Lothringen,  dumme  Theater- 
stücke und  Lieder  usw.  Und  nun.  gipfelt 
endlich  alles  in  der  Müitärvorlage  des  „Ser- 
vice de  Trois  Ans",  der  für  sich  seltsamer- 
weise nur  die  antirepublikanische  Presse, 
einige  furchtsame  Radikale1)  und  —  das 
Ministerium  hat.  Massenproteste  haben  sich 
in  allen  Parteien  erhoben;  so  sind  auch  die 
aufrührerischen  Bewegungen  in  einigen  Ka- 
sernen zu  deuten:  die  Soldaten  gehorchten 
nicht  antimilitaristischen  Agitatoren,  sondern 
dem  allgemeinen  Gefühl,  die  Verlängerung 
■der  Dienstzeit  sei  nur  ein  willkürliches, 
ganz    unnützes    Werk    der    Reaktion..2). 


Herr  Dr.  R.  aber  zitiert  die  „trefflich 
und  aufreizend  redigierte  Zeitschrift"  „Les 
Marches  de  l'Est",  von  der  ich  nie  etwas 
gehört  habe,  er  spricht  von  der  „großen 
Gruppe  junger  Franzosen,  mit  Barres  an  der 
Spitze",  von  der  „Liga  der  jungen  Freunde 
des  Elsaß"  (  ?  ) ;  er  wiederholt  den  dummen 
Ausdruck  der  Jingopresse  „Frankreich  hat 
seinen  Stolz  wiedergefunden"  —  das  genügt, 
um  einzusehen,  aus  welchen  meist  trüben 
Quellen  er  seinen  Artikel  geschöpft  hat.  Er 
hat  wahrscheinlich  auch  die  Enquete  benutzt, 
•die  ein  reaktionäres  Blatt  über  die  Jugend 
neulich  machte,,  und  die  vielen  „Helden" 
Anlaß  gab,  den  Krieg  auf  dem  Papier  ge- 
fahrlos  zu   führen. 

Um  ein  richtiges  Urteil  zu  fällen,  hätte 
Herr  Dr.  R.  auch  die  Widerlegungen  dieser 
tendenziösen  antirepublikanischen  Enquete 
benutzen  müssen,  und  auch  manche  Zei- 
tungen, wie  z.  B.  „La  Petite  Republique" 
(radikal),  „Les  Droits  de  l'Homme"  (jung- 
radikal), „L'Humanite"  (sozialistisch),  alle 
großen  republikanischen  Blätter  der  „Pro- 
vince",  Zeitschriften  wie  „La  Grande  Revue", 
„Le  Courrier  Europeen"  usw.,  lesen  müssen. 
Dann  wäre  er  über  das  gesamte  junge  Frank- 
reich, d.h.  das  arbeitende,  und  nicht  nur  über 
die  Camelots  du  Roy  und  die  Pariser  Spieß- 
bürgersöhne, etwas  unterrichtet  gewesen. 
Dann  hätte  er  auch  wahrscheinlich  komische 
Aeußerungen  weggelassen,  wie  folgende: 
„Ohne  Zweifel  ist  der  klassische  Boheme 
des  Quartier  Latin  im  Absterben  begriffen, 
und  mit  ihm  la  petite  femme,  die  Enkelin 
der  Grisette.  Der  junge  Franzose  zieht  sich 
früh  die  Richtlinien,  die  ihn  zum  Ziele  führen. 
Sein  Leben  wird  diszipliniert,  die  anar- 
chischen, regellosen  Epochen  vermieden.  Um 
nicht  der  Versuchung  einer  gefährlichen 
Liaison  anheimzufallen,  verheiratet  er  sich 
jung.     Es   gibt    heute   Franzosen,    die    schon 

*)  Der  Zentralvorstand  ihrer  Partei  ist  da- 
gegen! 

2)  Das  Ministerium  hat  nie  Gründe  angeben 
können. 


mit  25  Jahren  einen  Hausstand  gründen; 
einige,  die  sogar  Kinder  haben." 

Gewiß,  das  gibt  es !  Aber  leider  sehr 
selten,  und  eben  nicht  in  Paris,  noch  unter 
den  jungen,  meistens  reichen  „Fils  ä  papa" 
der  reaktionären  nationalistischen  Partei.  Die- 
jenigen, die  früh  heiraten,  sind  entweder  Ar- 
beiter oder  Intellektuelle  aus  den  Hoch- 
schulen —  aber  jedenfalls  keine  Chauvi- 
nisten. Wer  Kind  und  Frau  hat,  der  haßt 
Krieg    und    Kasernenleben ! 

Und  noch  diese  Sätze  dazu,:  „Der  junge 
Franzose  fürchtet  den  Krieg  nicht  mehr  und 
verabscheut  ihn  nicht"  —  „Studenten  mel- 
den sich  als  Freiwillige  für  die  Durchdringung 
Marokkos3)"  —  «Der  Kokottenroman  und 
die  Boudoirpsychologite  fesseln  die  jungen 
Franzosen  weniger"  —  „Ist  der  junge  Fran- 
zose ins  Ausland  gegangen,  so  steht  er  den 
Fremden  alsdann  doppelt  fremd  und  feindselig 
gegenüber"  (1);  und  jetzt  die  Perle:  „Die 
jungen  Franzosen  sind  heute  katholisch  wie 
sie  Franzosen  sind."  —  Man  sollte  den  deut- 
schen Lesern  nicht  zumuten,  solchen  Be- 
hauptungen Glauben  zu  schenken ! 

Die  Tendenz  dieses  Aufsatzes  erscheint 
aber  am  klarsten  in  folgenden  Sätzen:  „Das 
heutige  Frankreich  verzichtet  auf  humani- 
täre Ideen,  es  betrachtet  ruhigen  Auges  ( ! ) 
die  Möglichkeit  eines  Krieges"  —  Deutsch- 
land gibt  sich  einer  gefährlichen  Täuschung 
über  das  junge  Frankreich  hin."  —  „Ja,  mein 
lieber  Michel,"  sollte  der  Verfasser  hinzu- 
fügen, „du  bist  immer  zu  leichtgläubig  und 
gutmütig,  du  gibst  dich  dem  gefahrvollen 
Idealismus  des  Friedens  und  des  Rechts  hin, 
der  schon  in  Frankreich  als  ein  überwundener 
Standpunkt  betrachtet  wird.  —  Also,  lieber 
Michel,  baue  Luft-  und  Seeflotten,  schaffe 
neue  Regimenter  herbei  und  —  habe  viel 
Kinder  —  wie  die  jungen  Pariser  Franzosen." 

Aber  Herr  Dr.  R.  hat  sich  schon  klar 
genug  ausgedrückt.  .  .  .  Jeder  Franzose  wird 
seinen  Artikel  für  eine  Tendenzschrift  halten. 
Ich  leugne  nicht,  daß  in  gewissen  antirepu- 
blikanischen Kreisen  eine  nationalistische  Be- 
wegung entstanden  ist;  die  Ansteckung  wird 
aber  immer  noch  sehr  beschränkt  bleiben,  wenn 
Deutschland  vernünftig  bleibt, 
statt  mit  neuen  Rüstungen  immer 
zu  drohen.  —  Aber  reisen  Sie  nur  durch 
französische  Provinzen,  Herr  Doktor,  lesen 
Sie  echt  republikanische  Zeitungen  —  lernen 
Sie  unsere  arbeitende  Jugend  in  den  Schulen 
und  Hochschulen,  in  den  Fabriken  und  auf 
dem  Lande  kennen — ,  so  werden  Sie  noch  be- 
haupten können,  sie  habe  gewiß  „einen  neuen 
Drang  zur  Tat",  aber  Sie  werden  auch  ge- 
stehen,     dieser     Drang     steht    nicht    nach 


3)  Die  „Marokkoaffäre"  ist  überhaupt  gar 
nicht  populär.  Sie  hat  Millionen  verschlungen, 
und  der  beste  Grund,  den  ihre  Verteidiger  an- 
zuführen wissen,  ist  folgender:  „Wir  mußten 
Marokko  besetzen,  sonst  hätte  ein  anderer  Staat 
—    wie    z.    B.    Deutschland    —    es    getan." 


25  3 


DIE  FRIEDEN5-WADTE 


3 


kriegerischem1  Ruhm,  sondern  entweder  nach 
raschem  Erwerb  oder  nach  technischer  und 
sozialer  Verbesserung  in  Eintracht  mit  den 
anderen  Völkern.  Diese  Jugend  hat  jdie 
Berner  Konferenz  mit  Freude  begrüßt,  und 
eine  deutsch-französische  Annäherung,  die 
der  ewigen  el  saß -lothringischen  Frage  und 
dem1  ewigen  Wettrüsten  ein  Ende  macht,  er- 
scheint ihr  als  das  wünschenswerteste  aller 
Ziele. 

Tolstoi  und  die  Idee  des 
universalen  Friedens. 

Von 
Dr.  Seufert-Wieber,  Süchteln  (Rheinl.) 

Das'  Unausgebranntsein  der  Seele  ent- 
scheidet letzten  Endes  über  Aufnahme- 
befähigung wie  Realisationskraft  ideeller 
Werte.  Unter  diesem1  Gesichtswinkel  be- 
trachtet, eröffnen  sich  damit  der  russischen 
Menschheit  als  der  jüngsten  und  seelisch 
reichsten  volklichen  Gemeinschaft  unermeß- 
liche Perspektiven  für  die  Inanspruchnahme 
der  ethisch-religiösen  Hegemonie  und  aller 
auf  ihr  sich  gründenden  und  in  ursächlichem 
Kontakte  stehenden  materiell-ökonomischen 
Momente  innerhalb  der  Grenzen  des  Welt- 
geschehens. Zwar  hat  das  russische  Volks- 
tum den  tiefgreifenden  Zwiespalt  von,  Materie 
und  transzendentalem  Sein,  von  Eigenver- 
mögen und  ethischer  Notwendigkeit,  von 
dumpf  -  ahnendem  Hinleben  und  freier  re- 
ligiöser Erkenntnis  noch  nicht  zu  überwinden 
vermocht,  doch  liegt  in  der  spezifischen 
rassenpsychologischen  Veranlagung  die 
sicherste  Gewähr  des  Heraustretens  aus 
diesem  historisch-zufällig  gewordenen  Du- 
alismus in  die  restlose  Vereinigung  der  tief- 
sten nationalen,  Urelemente  und  des  voll- 
endeten kulturellen  Bewußt  Werdens1  als  der 
Voraussetzung  eines  umfassen- 
den   Friedens. 

Als  mystische  Unterströmung  formlos 
dunkler  Gefühlsqualitäten  begegnet  uns  der 
Gedanke  eines  Volksgottesträgertums,  der 
Grundlage  einer  auch  in  ihren  Folgerungen 
rechtlich  bestimmten,  friedlichen  Gemein- 
schaft —  ein  Gedanke,  dessen  verzerrt  grobe 
Nachbildung  der  russische  Autokratismus  in 
der  Heranbildung  des  panslavischen  Ge- 
dankens bewußt  zur  Stärkung  seiner  Position 
durch  die  Einbeziehung  volklicher  Empfin- 
dungen festlegte  —  als  immanente  Idee  des 
Slaventums  überhaupt,  wohingegen  er  frei 
schöpferisch  sich  zum1  erstenmal  bei  Leo 
Tolstoi  in  gewaltiger  Konzentration  kundgab. 

Es  ist  eine  grundsätzliche  Verkennung, 
die  Betonung  des  universalen  Friedens  bei 
Tolstoi  als  zufällige,  aus  individueller  Nei- 
gung hervorgerufene  Teilerscheinung  seiner 
Weltauffassung  begreifen  zu  wollen,  einer 
Teilerscheinung,      die     gegebenenfalls      ohne 


erhebliche  Schädigung  des  Systems  sub- 
trahiert werden  könne,  da  diese  Idee  nichts 
weniger  als  bloßer  integrierender  Bestand- 
teil, vielmehr  das  a  priori  geforderte,  alle 
Sphären  durchsetzende,  einigende  und  be- 
lebende   Motiv    repräsentiert. 

Die  Frage  eines  weltumfassenden  Frie- 
dens, die  von  Tolstoi  nur  im  Zusammenhang 
mit  sämtlichen  prinzipiellen  Kulturfragen  an- 
erkannt wird,  insofern  nämlich  der  Zustand 
zwischenstaatlicher  Anarchie  lediglich  die 
„zynische  Entblößung"  der  inneren  geistigen 
Korruption  darstellt,  ohne  deren  Beseitigung 
auch  sie  nicht  fallen  wird,  gelangt  auch  ohne 
die  Einbeziehung  eben  dieser  scheinbar 
indifferenten,  abseits  gelegenen  Faktoren  nie 
zu  einer  verläßlichen,  nicht  auf  Interesse  ge- 
gründeten  befriedigenden   Lösung. 

Das  ist  die  gleiche  Anschauung,  zu  der 
sich  auch  Alexander  Herzen  zum!  Schlüsse 
seines  Lebens  bekannte,  mit  dem  Unter- 
schiede, daß  sich  ihm  mit  der  Erkenntnis  der 
Verflachung  von  Christentum  und  Revolution 
jede  Aussicht  verschlossen  erweist  und  er 
angesichts    dessen    die    Frage    aufwirft : 

,,Mit  welch'  einem1  vulkanischen  Ausbruche 
menschlicher  Persönlichkeit  soll  denn  die 
Pöbelkultur  zerbrochen  werden  ?  Wo  ist 
jener  mächtige  Gedanke,  jener  leidenschaft- 
liche Glaube,  jene  heiße  Hoffnung?  Seht 
um  euch,  was  vermag  die  Völker  zu  er- 
heben ?"  Freilich  gehörte  schon  die  bewußt 
konzentrierte  Universalität  eines  Tolstoi 
dazu,  diese  letzte  Verzweiflung,  dieses  Un- 
möglichgemachtsehen jeder  inneren  Regene- 
ration zu  überwinden  und  eine  Grundlage  zu 
schaffen,  die,  im1  inneren.  Selbst  wurzelnd, 
imstande  ist,  eine  Objektivationsmöglich- 
keit   in   Betracht   kommen   zu  lassen. 

Der  Ausgangspunkt  Tolstoischer  Be- 
trachtungsweise ist  die  unwiderlegliche, 
historisch  gewonnene  Erkenntnis  der  in  allen 
Staatsformen  hervorragend  ausgebildeten  Ver- 
einigung von  Wahrheit  und  Freiheit  einer- 
seits, Lüge,  politischer  Willkür  und  Gewalt 
andererseits,  die  Erkenntnis  des  klaffenden 
Zwiespaltes,  der  zwischen  Christentum  und 
praktisch-tätigem!  Leben,  zwischen  dem  so- 
zialen, christlich  sein  wollenden  Kulturstande 
unserer  Tage  und  seiner  unchristlichen,  ja 
antichristlichen  Tendenz  sich  kundgibt.  Ihm 
gegenüber  stellt  er  die  nicht  nur  persönliche, 
sondern  auch  zugleich  soziale  Realität  des 
Christentums  der  Evangelien  als  Lebens- 
grundlage  hin,  die  das  Individuum1  wie  seine 
Kollektivformen  in  gleichem  Maße  umfängt. 
Es  ist  ein  leichtes,  nach  wohlbekannter  Art 
das  Tolstoische  System  eben  in  Hinsicht  des 
universalen  Friedens  nach  seinen  „Ueber- 
treibungen,  Verschrobenheiten  und  Halbwahr- 
heiten" richten  zu  wollen,  ihm1  die  Fähig- 
keit des  kritischen  Urteils  und  der  ruhigen 
Analyse  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ab- 
zusprechen, aber  was  will  daS  besagen  ?  Ver- 
gessen wir  nicht,  daß  der  Grund  seines  Han- 


254 


es 


DIE  Fßl EDENS ->VARXE 


delns  ein  im1  höchsten  Grade  uneigennütziger 
und  reiner  ist,  daß  er  es  war,  der  es 
an  der  Zeit  fand,  das  Christentum1,  als 
einer  ernsten  Sache,  auch  ernstzunehmen, 
in  allen  seinen  praktischen  Folgerungen 
ernstzunehmen;  sollte  er  trotzalledem 
aber  verlieren,  so  dürfte  es  größer 
sein,  mit  ihm  zu  verlieren,  als  wider  ihn 
zu  gewinnen.  Spricht  aber  nicht  etwa  die 
tödliche  Verlegenheit,  die  unsere  Zeit  an- 
gesichts der  quälendsten  Fragen  der  christ- 
lichen Menschheit  ergreift,  der  Fragen  nach 
Verhältnis  des  Evangeliums  zur  Gesell- 
schaft, der  Kirche  zum  Staate,  der  Religion 
zur  reaktionären  Politik  und  zum  Kriege, 
sehr  zu  seinen  Gunsten?  Oder  warum  sonst 
denn  glaubt  man  diesen  Fragen  aus  dem 
Wege  gehen  zu  müssen,  indem  man  kluger- 
weise den  einen  oder  den  anderen  der  beiden 
Faktoren  theoretisch  negiert,  ohne  je- 
doch den  Mut  zu  finden,  auch  nur  die  simpel- 
sten praktischen  Konsequenzen  zu  ziehen, 
von  denen  die  eine  zu  einem  gründlichen 
Antitheologismus,  die  andere  unmittelbar  zu 
M.  A.  Bakunin  und  einem  nicht  minder  gründ- 
lichen Nihilismus  führen   würde. 

Was  die  Realisationsmöglichkeit  eines 
auf  ethisch-religiöser  wie  Volkswirt sohaftlich- 
gesunder  Basis  ruhenden  Weltfriedens  an- 
langt, so  unterliegt  es  Tolstoi,  für  den  die 
Geschichte  der  Individuen  wie  auch  gleich- 
artiger Gruppen  derselben  fortschreiten- 
des Bewußtwerden  darstellt,  keinem 
Zweifel,  daß  bei  dem!  unbedingten  und  un- 
aufhaltsamen Aufwärtsschreiten  von  niederen 
Ideenstufen  zu  höheren  und  höchsten,  von 
überlebten  und  fremd  gewordenen  Ideen- 
gruppen zu  jugendlichen,  zukünftigen,  die 
uns  veranlassen,  unsere  Lebensformen  zu 
ändern,  die  Ideen  der  Aufhebung  aller  Ge- 
walttätigkeit und  einer  allgemeinen  Verbin- 
dung der  Menschheit,  eines  universalen  Frie- 
dens die  nächste  Staffel  des  Menschheits- 
Bewußtwerdens   repräsentieren    werden. 

Daß  die  überlebte  Idee  des  anarchischen 
Staatenverhältnisses  nur  nach  hartem  Kampfe 
der  höheren  Idee  weichen  wird,  erweist  sich 
als  die  naturgemäße  Art  der  Evolution, 
wohingegen  aber  das  um  des  Vorteiles  willen 
bewußte  Aufrechterhalten  einer  bereits  im 
Menschheitsbewußtsein  überlebten  Idee 
—  hier  der  durch  den  Begriff  des  Patriotismus 
gestützten  Idee  der  zwischenstaatlichen 
Anarchie  —  als  im!  höchsten  Maße  unsittlich 
und  verwerflich  bezeichnet  wird.  Eben  dieses 
geschieht  aber  im  Gebiete  des  Staatswesens 
in  Hinsicht  der  Idee  des  Patriotismus,  auf 
welcher  sich  jede  Staatsform  gründet,  ob- 
wohl diese  überlebte  Idee  sich  gegenüber 
dem  ganzen  Ideenkomplex,  der  in  unserer 
Zeit  bereits  ins  Bewußtsein  der  Welt  ein- 
dringt, in  schroffstem  Widerspruche  steht. 
Nur  unter  diesem  Gesichtswinkel  gesehen, 
leugnet  Tolstoi  die  Berechtigung  des  pa- 
triotischen   Gefühls,    das    zu    seiner- Zeit 


zweifellos  eine  höchste  Idee  bedeutete,  wo- 
hingegen es  heute,  bei  den  mannigfachsten 
Verwirklichungen  internationaler  Beziehungen 
und  dem  steigenden  Bewußtwerden  der  Mög- 
lichkeit und  Notwendigkeit  gegenseitiger 
rechtlich  begründeter  freundschaftlicher  Ver- 
hältnisse nur  ein  retardierendes  Moment  dar- 
stellt,   das    überwunden    werden    muß. 

Das  Eintreten  der  großen  Volksschich- 
ten in  die  höhere  Idee  der  Völkerverbrüde- 
rung hat  demzufolge  mit  dem  Erwachen  aus 
der  Hypnose  des  begrenzten  nationalen  Ge- 
dankens zu  beginnen,  dem  eine  Erziehung 
zu  eben  jenen  höheren  Ideen,  die  schon  lange 
ins  Leben  getreten  sind  und  uns  schon  von 
allen  Seiten  umgeben,  zu  folgen  hat. 

Das  Schein-Christentum  unserer  Tage, 
das  ohne  sittliche  Empörung  und  ohne  Wider- 
stand die  Existenz  eines  „christlichen" 
Heeres  hinnimmt  und  die  Bezeichnung  eines 
Krieges  als  einer  gerechten,  gottgewollten 
Sache  aufgriff,  ist  ihm  das  nächste,  nicht 
weniger  bedeutende  Motiv  der  Verzögerung 
in  der  Verwirklichung  des  umfassenden  Frie- 
dens. Ihm  gegenüber  stellt  er  sein  ,, Reich 
Gottes  auf  Erden",  das  eine  solche  Form  des 
Zusammenlebens  begründen  soll,  in  der 
Zwietracht,  Gewalt  und  Betrug  durch  zwang- 
lose Eintracht,  Rechtlichkeit  und  Wahrheit 
ersetzt  werden.  Vielleicht  ist  bis  dahin  noch 
ein  weiter  Weg,  ein  Weg,  der  die  Nationen 
vielleicht  durch  die  vollendete  Gottlosigkeit 
hindurchführt;  aber  bedenken  wir,  daß  der 
große  Russe  mit  wahrhaft  diktatorischem 
Seherblick  eigenen  Raum-  und  Zeitverhält- 
nissen vorausgeeilt  ist,  und  seine  utopistische 
Weltauffassung  einen  tieferen  Gehalt  um- 
schließt, als  es  unsere  selbstbewußten  Ver- 
treter einer  ellenweisen,  mikroskopisch  be- 
grenzten Tatsachenkasuistik  sich  träumen 
lassen. 


Vom  ^QC.  Weltfriedenskongreß. 

Das  Programm  des  im  Haag  stattfinden- 
den XX.  Weltfriedenskongresses  wird  so- 
eben bekannt  gegeben.  Der  eigentliche  Kon- 
greß beginnt  am)  20.  August  und  währt  bis 
zum  23.  August.  Am  18.  und  19.  August 
tagen  die  vorbereitenden  Kommissionen.  Die 
Sitzungen  werden  in  dem  von  der  nieder- 
ländischen Regierung  zur  Verfügung  gestell- 
ten altehrwürdigen  Ridderzaal  stattfinden,  in 
dem  bekanntlich  die  IL  Haager  Konferenz 
tagte. 

Das  Protektorat  des  Kongresses  hat,  wie 
bereits  mitgeteilt  wurde,  S.  K.  H.  Prinz 
Heinrich  der  Niederlande  über- 
nommen. 

Das  Programlm: 

Montag,  den  18.  August  : 

9—121/2  Uhr  und  2—5  Uhr:   Sitzung  der 

Kommissionen.      6    Uhr :     Bankett, 

veranstaltet    vom    Direktionskomitee    der 


255 


DIE  FRIEDENS  -WARTE 


3 


niederländischen    Friedensgesellschaft    zu 
Ehren     des     Organisationskomitees     des 
Kongresses    und    der    Kommission     des 
Internationalen  Friedensbureaus. 
Dienstag,  den  19.  August: 
Von    9—1     Uhr:     Sitzung     der     Kom- 
missionen.    Von    2 — 5    Uhr:    Sitzung 
derjenigen    Kommissionen,     welche    ihre 
Arbeiten  noch  nicht  beendet  haben  wer- 
den.     2    Uhr    nachm. :     Abfahrt     nach 
Rotterdam.     Besichtigung  des  Hafens  zu 
Schiff.     Hierauf  Empfang  durch  die  Ge- 
meindebehörden.   5  Uhr:  Rückkehr  nach 
t         dem  Haag.     Abends  81/2  Uhr:  Offizieller 
1         Empfang    durch    die    Gemeindebehörden 
der  Stadt. 
Mittwoch,  den  20.  August: 
9V2  Uhr:  Eröffnung  des  Kongresses 
im     „R  i  d  d  er  z  a  al".      21/2    Uhr   nach- 
mittags :  Erste  Plenarsitzung  des 
Kongresses.    4  Uhr :  Abfahrt  nach  Schloß 
Oud-Wassenaar,     wo     den     Kongreßteil- 
nehmern Erfrischungen  angeboten  werden. 
Donnerstag,    den   21.   August: 
Von   9—1    Uhr    und   2—51/2    Uhr:    Zweite 
und     dritte    Plenarsitzung     des 
Kongresses. 

Abends  Empfang  in  Scheveningen, 
veranstaltet  durch  die  Direktion  des  Kur- 
hauses. 

Freitag,  den  22.  August: 
9 — 1  Uhr:  Vierte  Plenarsitzung. 
Nachmittags  von  2 — 4  Uhr :  Hauptver- 
sammlung der  Delegierten  der  Friedens- 
gesellschaften. 4  Uhr:  Fahrt  nach  Delft. 
Besuch  des  Grabes  von  Hugo  Grotius. 
Empfang  durch  die  Gemeindebehörden. 
Mittagessen  in  einem  ländlichen  Restau- 
rant in  der  Umgebung  von  Delft  (auf 
eigene  Rechnung  der  Kongressisten). 
Samstag,  den  23.  August: 
Von  8 — 11 1/4  Uhr:  Schlußsitzung  des 
Kongresses.  1 1 1/2  Uhr :  Abfahrt  nach 
Alkmaar  mit  Sonderzug.  Lunch  in  der 
Stadt  und  per  Schiff  bis  Amsterdam, 
durch  eine  der  interessantesten  Gegenden 
Hollands.  Voraussichtlich  in  Amster- 
dam offizieller  Empfang  in  der  Schiffahrt- 
ausstellung durch  die  Gemeindebehörden. 
Spazierfahrt  durch  die  Stadt.  Abschieds- 
bankett oder  möglicherweise  Rückfahrt 
nach  dem  Haag  und  Bankett  in  Scheve- 
ningen. 

Bezüglich  der  Teilnahme  sei 
bemerkt,  daß  jedem  Mitgliedeiner 
F  r  ie  d  e  ns  ge  sei  lschaf  t  dazu  das 
Recht  zusteht.  Interessenten,  die 
noch  nicht  Mitglieder  einer  Frie- 
densgesellschaft sind, können  sich 
zu  diesemZweck  jederzeit  bei  einer 
solchen  einschreiben  lassen.  (Für 
Deutschland:  Sekretariat  der  Deutschen  Frie- 
densgesellschaft, Stuttgart,  Neckarstr.  69  A; 
für  Oesterreich:  Sekretariat  der  Oester- 
reichischen      Friedensgesellschaft,       Wien    I, 


Spiegelgasse  4,  oder  bei  irgendeiner  Orts- 
gruppe dieser  Gesellschaften.) 

Diejenigen  Kongressisten,  die  an  den  Aus- 
flügen nach  Delft,  Alkmaar  und  Amsterdam 
teilnehmen  wollen,  haben  dies  bis  8.  August 
an  das  „Sekretariat  der  Organi- 
sationsausschüsse des  Friedens- 
kongresses im  Haag  (Holland)" 
mitzuteilen. 

Das  Beratungsprogramm  des 
Kongresses  ist  in  Nr.  9  der  ,, Friedens- 
Warte",   S.    154,   mitgeteilt  worden. 


Brief  aus  den  Vereinigten  Staaten. 

Von   Henry  ,S.   Haskell,   New  York. 

Des  Kaisers  Regierungsjubiläuni 
und  Amerika.  —  Der  japanisch- 
amerikanische Streitfall.  —  Nor- 
mann Angell  in  den  Vereinigten 
Staaten.  —  Die  amerikanischen  Uni- 
versitäten und  die  internationale 
Verständigung.  —  Die  Flotte  als 
Schutzmann.  —  Dr.  Lauro  Müllers 
Ankunft  in  den  Vereinigten  Staaten. 

23.  Juni  1913. 

Großem  Interesse  begegnete  in  unserem 
Lande  die  Feier  des  fünfundzwanzigjährigen 
Jubiläums  der  friedlichen  Regierung  des 
Kaisers  Wilhelm1  II.  Die  „New  York  Times" 
huldigten  auf  vollen  fünf  Seiten  dem  Kaiser 
als  der  am  stärksten  für  den  Frieden  wirken- 
den Kraft  und  führten  die  Meinungen  der  be- 
deutendsten Autoritäten  von  Italien,  Groß- 
britannien, Deutschland  und  Amerika  an. 
Am  16.  Juni  überreichten  dem  Kaiser  in  Berlin 
Andrew  Carnegie,  Robert  S.  Broo- 
kings  und  J.  S.  Schmidlapp  eine 
Adresse,  die  von  den  prominentesten  und  ein- 
flußreichsten, für  den  internationalen  Frieden 
wirkenden  Amerikanern  unterzeichnet  ist. 
In  einem  Briefe  an  die  „New  York  Times" 
beleuchtet  Edwin  D.  Mead  das  ungeheure 
Verdienst  des  Kaisers  um  Deutschland,  um 
die  allgemeine  Zivilisation,  und  besonders  um 
den  Weltfrieden.  Mead  tritt  für  feine  baldige 
Bildung  einer  Triple-Friedens-Liga  zwischen 
Deutschland,  Großbritannien  und  den  Ver- 
einigten Staaten  ein. 

Die  zwischen  Japan  und  den  Ver- 
einigten Staaten  stattfindenden  diplo- 
matischen Verhandlungen  sind  nach  wie  vor 
darauf  gerichtet,  zu  einer  gegenseitig  befriedi- 
genden Lösung  der  durch  das  kalifornische 
Fremdengesetz  entstandenen  Frage  zu  ge- 
langen. Der  Meinungsaustausch  zwischen 
Tokio  und  Washington  wurde  zwar  nicht 
veröffentlicht,  und  es  ist  bloß  bekannt,  daß 
von  beiden  Seiten  alle  Bemühungen  darauf 
gerichtet  sind,  zu  einer  ehrlichen  Verständi- 
gung zu  gelangen.  Chauvinistische  Tendenzen 
sind  sowohl  in  Japan  als  auch  in  unseren 
westlichen  Staaten  bemerkt  worden,  doch  sind 


256 


e 


=  DIE  FRI  EDENS ->M&BTE 


diese  von  geringer  Wichtigkeit  und  haben 
wenig  Einfluß. 

Am  14.  Juni  teilte  der  japanische  Bot- 
schafter in  Washington,  ViscountChinda, 
dem  Staatssekretär  offiziell  mit,  daßi  Japan 
bereit  sei,  die  Schiedsverträge  mit  den  Ver- 
einigten Staaten,  die  am  24.  August  1913 
ablaufen,  auf  weitere  fünf  Jahre  zu  erneuern. 
Bei  dieser  Gelegenheit  wird  es  von  Interesse 
sein,  darauf  hinzuweisen,  daß  eine  gewisse 
Opposition  im1  Senat  von  Washington  anläß- 
lich der  Erneuerung  der  Schiedsverträge 
zwischen  Großbritannien  und  Japan  sich  be- 
merkbar machte.  Man  hält  aber  die  Gegner 
dieser  Erneuerung  für  eine  Minorität,  die 
wohl  gewillt  sei,  der  Verlängerung  zu- 
zustimmen, sobald  die  schwebenden  Fragen, 
die  sich  auf  die  Panamakanalzölle  und  das 
kalifornische  Fremdengesetz  beziehen,  von 
der  Schiedsgerichtsbarkeit  ausgeschlossen 
werden.  Es1  wird  allgemein  geglaubt,  daß  die 
Schiedsverträge  erneuert  werden,  sobald  eine 
letzte  Abstimmung  erfolgt. 

Norman  Angell  von  Paris  und  Lon- 
don, Verfasser  des  wichtigen  Buches  „Die 
falsche  Rechnung"  (Die  große  Täuschung), 
war  einen  Monat  in  Amerika  und  hielt  eine 
große  Anzahl  von  Vorträgen  über  die  wirt- 
schaftliche Bedeutungslosigkeit  des  Krieges. 
Als  Präs.  Nicholas  Murray  Butler 
Norman  An  gell  in  das  Broadway  Taber- 
nacle,  New  York,  einführte,  sprach  er  über 
Angell  S  Wirken,  wie  folgt:  ,,Wir  sind 
jetzt  belehrt  und  es  ist  un9  gleichzeitig  ge- 
zeigt worden,  [wie  wir  andere  belehren  können, 
daß  der  Krieg  nicht  bloß  moralischen  Mut- 
willen, sondern  auch  wirtschaftliche  Ver- 
wüstung bedeutet;  daß  die  Vorteile,  die  er 
angeblich  bringt,  nicht  zu  finden  sind,  wenn 
jedes  Für  und  Wider  richtig  erwogen  wird. 
Diejenigen,  die  vertrauensvoll  einer  neuen 
Aera  der  internationalen  Beziehungen  ent- 
gegensehen, freuen  sich  darüber."  Rev. 
Dr.  J.  Howard  M  e  1  i  s  h  ,  Pfarrer  der  Holy 
Trinity  Episcopal -Kirche  in  Brooklyn,  N.  Y., 
hielt  am1  16.  Juni  eine  Predigt  über  die  Frie- 
densbewegung, wozu  er  durch  die  Schrift 
Norman  Angell  s  angeregt  worden  war. 
Melish  sagte  unter  anderem:  ,,Die  Zeit 
ist  nicht  mehr  so  fern,  da  die  Nationen,  der 
Welt  nicht  nur  dem!  Schiedsgericht  zustimmen, 
sondern  auch  einen  allgemeinen  Vorschlag 
zur  Abrüstung  in  Erwägung  ziehen  werden. 
In  Europa  und  auch  in  unserem  Lande  empört 
sich  die  Volksstimme  gegen  die  ungeheure 
Verwüstung  von  Leben  und  Werten  durch 
den  Krieg.  Der  Fortschritt  verlangt  seine 
Abschaffung." 

Daß  die  amerikanischen  Universitäten 
ein  großes  Interesse  an  der  Verbesserung  der 
internationalen,  Beziehungen  nehmen,  beweist 
ein  an  der  Yale  Law  School  ami  16.  Juni 
gehaltener  Vortrag  des  Samuel  J.  Eider 
über  „Fortschritte  der  internationalen  Ver- 
ständigung".   Nach  einer  Uebersicht  der  Ge- 


schichte der  internationalen  Schiedsgerichts- 
barkeit führt  El  der  aus:  „Die  neuen  Ver- 
träge für  allgemeine  Schiedsgerichtsbarkeit 
zwischen  Großbritannien  und  Frankreich,  die 
vom1  Schiedsgericht  „Ehrenfragen"  und,, vitale 
Interessen"  ausschließen,  erwecken  die  Frage, 
weshalb  die  Fragen  nationaler  Ehre  nicht 
schiedsgerichtlich  entschieden  werden  können. 
Die  Ehre  ist  nicht  mehr  eine  Kraftfrage  der 
Männer.  Weshalb  sollte  sie  es  noch  zwischen 
Nationen  sein  ?  Der  Vorschlag  des  Präsiden- 
ten Taft,  die  zeitraubenden  Ausnahmen  aus- 
zuscheiden und  alle  Differenzen  einem! 
Schiedsgericht  zu  unterbreiten  und  die  bereit- 
willige Aufnahme,  die  er  diesseits  und  jen- 
seits des  Ozeans  fand,  beweisen  aufs  neue 
die  Uebereinstimmung  der  Nationen." 

Bei  einem1  Festessen  in  Washington  er- 
klärte der  Marinesekretär  Daniels,  daß  er 
die  Flotte  bloß  zum  Schutz,  nicht  aber  zur 
Eroberung  brauche.  Der  einzige  Gebrauch, 
den  man  von  der  Flotte  machen  könne,  sei 
derselbe,  den  das  Publikum  vom  Schutzmann 
mache;  sie  würde  nie  zu  Drohungszwecken 
vergrößert  werden.  Bei  der  gleichen  Ge- 
legenheit sagte  der  Staatssekretär  B  r  y  a  n : 
„Ich  freue  mich,  Daniels:  an  der  Spitze 
eines  Departements  zu  haben,  dessen  Auf- 
gabe der  Schutz  ist,  den  wir  aber,  wie  ich; 
hoffe,  nicht  benötigen  werden.  Ich  denke, 
es  ist  richtig,  einige  Schiffe  und  eine  kleine 
Armee  zu  besitzen,  aber  ich  möchte  nicht  an 
deren  Spitze  einen  Mann  haben,  der  nicht  nur 
vorbereitet  ist,  sondern  auch  danach  dürstet, 
seine  Geschütze  an  lebenden  Zielscheiben  zu 
erproben." 

In  den  Vereinigten  Staaten  wird  die 
Ankunft  des  Ministers  des  Auswärtigen 
von  Brasilien,  Dr.  Lauro  Müller,  als  ein 
wichtiges  Ereignis  betrachtet.  Der  Besuch 
Dr.  Müllers  gilt  als  Gegenbesuch  zu  jenem1, 
den  der  ehemalige  Staatssekretär  El  i  h  u 
Root  imi  Jahre  1906,  gelegentlich  seiner 
südamerikanischen  Besuchsfahrt,  Brasüien 
machte.  Offiziell  und  nichtoffiziell  wird  Herr 
Dr.  Müller  sehr  herzlich  begrüßt,  und  es 
wird  angenommen,  daß  sein  Besuch  die  so- 
zialen und  wirtschaftlichen  Bande  zwischen 
Brasilien  und  den  Vereinigten  Staaten  be- 
festigen wird. 

Brief  aus  Japan. 

Tokio,  26.  Mai  1913. 

Am  25.  Mai  veranstaltete  die  japanische 
Friedensgesellschaft  zur  Feier  der  Ein- 
weihung der  Ortsgruppe  Yokohama  in  der 
Volksschule  zu  Honono  (Yokohama)  eine 
Versammlung,  der  Bürgermeister  G.  Ara- 
k  a  w  a  präsidierte.  Baron  Sakatani  sprach 
über  „Die  amerikanisch-japanischen  Be- 
ziehungen und  der  Pazifismus",  während  Graf 
Okuma  die  Notwendigkeit  eines  ernstlichen 
Wirkens  der  Friedensgesellschaften  mit  Hin- 


257 


DIE FßlEDEN5-,MMirE 


;§> 


blick  auf  die  gegenwärtige  internationale 
Lage  betonte.  Nach  der  Versammlung  fand 
ein  Bankett  im  Bankers  -  Club  in  Yokohama 
statt,  bei  welchem1  Graf  Okuma  unter 
anderem  sagte :  „Die  kalifornische  Frage, 
die  jetzt  den  Streitpunkt  zwischen  den  Ver- 
einigten Staaten  und  Japan  bildet,  bedeutet 
den  Amerikanern  bloß  ein  lokales'  Problem. 
Was  aber  auch  dagegen  gesagt  werden  mag, 
die  Amerikaner  haben  im  Grund  ihres'  Her- 
zens eine  unerschütterliche  Anschauung  über 
Recht  und  Gerechtigkeit,  wie  sie  dies  in  den 
letzten  50  Jahren  ihres  Verkehrs  mit  der 
japanischen  Nation  bewiesen  haben.  Sie  be- 
sitzen auch  den  erhabenen  Geist  der  alten 
Puritaner.  Deshalb  erwarte  ich,  daß  die 
kalifornische  Frage  in  einer  friedlichen 
Weise  gelöst  werde.  Ich  hoffe,  daß.  die  Be- 
wohner Yokohamas,  die  die  Vorläufer  der 
japanischen  Zivilisation  sind,  immer  danach 
streben  werden,  den  Weltfrieden  zu  sichern." 

Bei  der  arn  5.  Mai  stattgefundenen  Ver- 
sammlung des  Exekutiv-Komitees  der  japani- 
schen Friedensgesellschaft  teilte  Baron 
Sakatani  mit,  daß  unter  anderen  promi- 
nenten Persönlichkeiten  J.  N  a  r  u  s  e  ,  Präsi- 
dent der  „Womens  University",  Tokio, 
Dr.  Jokichi  Takamine  und  Dr.  J.  B  o  e  d  a 
Mitglieder  der  Gesellschaft  geworden  sind. 
Gleichzeitig  mit  dem  Vorschlag,  eine  Orts- 
gruppe in  Yokohama  zu  gründen,  die,  wie 
oben  erwähnt,  tatsächlich  schon  erfolgte, 
hat  die  Friedensgesellschaft  beschlossen, 
eine  Anzahl  Briefe  zu  drucken'  und  an  gewisse 
in  Betracht  kommende  Persönlichkeiten  zu- 
sammen mit  einem  Exemplar  der  letzten 
Nummer  des  Organs  der  Friedensgesellschaft 
mit  der  Bitte  zu  senden,  Mitglieder  der  Ge- 
sellschaft   zu    werden.  * 

Zwischen  der  Harvard  -  Universität  in  den 
Vereinigten  Staaten  und  der  Imperial  -  Uni- 
versität in  Tokio  wurde  vereinbart,  daß  in 
den  kommenden  fünf  Jahren  jährlich  je  ein 
japanischer  Vortragender  an  die  Harvard-Uni- 
versität zur  Abhaltung  von  Vorträgen  über 
japanische  Gegenstände  gesandt  werde. 
Dr.  Seiji  Anezaki,  Professor  für  Lite- 
ratur an  der  Universität  von  Tokio,  ist  als 
erster  gewählt  worden  und  wird  Tokio  im 
August  verlassen,  um  sich  nach  den  Ver- 
einigten Staaten  zu  begeben.  Wie  oben  er- 
wähnt, wird  er  über  japanische  Literatur 
und  über  das  Leben  in  Japan  sprechen.  Die 
Kosten  für  diese  fünf  Jahre  wurden  mit 
50000  Yen  veranschlagt,  die  zur  Hälfte  von 
der  amerikanischen,  zur  Hälfte  von  der 
japanischen  Universität  getragen  werden 
sollen. 

Dr.  Anezaki  wurde  im  Jahre  1873  in 
Kyoto  geboren  und  hat  die  Universitäten,  von 
Tokio,  Berlin  und  Leipzig  besucht.  Er  be- 
reiste Indien  und  unternahm  im  Jahre  1907 
eine  Weltreise.  Anezaki  ist  Verfasser 
mehrerer  Bücher,  die  religiöse  und  ethische 
Probleme    behandeln. 


Die  japanische  und  amerikanische  Frie- 
densgesellschaft feierten  gemeinsam  den 
Friedenstag  durch  eine  öffentliche,  in  der 
Y.  M.  C.  A.  Hall  Kanda,  Tokio,  am!  Sams- 
tag, den  18.  Mai,  abgehaltene  Versamm- 
lung. Schon  vor  Beginn  der  Veranstaltung 
hatten  sich  die  hervorragendsten  Persönlich- 
keiten eingefunden.  Die  außerordentlich 
zahlreich  erschienenen  Teilnehmer  (weit  über 
800)  besetzten  nicht  nur  jedes  Plätzchen  im 
Saale   selbst,    sondern  auch  die   Galerien. 

Gilbert  Bowle  s,  Sekretär  der 
amerikanischen  Friedensgesellschaft,  präsi- 
dierte und  führte  in  seiner  Eröffnungsrede 
aus,  daß  es  in  allen  zivilisierten  Ländern 
Brauch  geworden  sei,  den  18.  Mai  deshalb 
als  Friedenstag  zu  feiern,  weil  an  diesem 
Tage  die  erste  Haager  Konferenz  eröffnet 
wurde.  Für  die  Japaner  aber  habe  dieser 
Tag  noch  eine  ganz  andere  Bedeutung,  da 
sich  am1  18.  Mai  1906  die  japanische  Frie- 
densgesellschaft   organisierte. 

T.  Miyaoka,  einer  der  Präsidenten 
der  japanischen  Friedensgesellschaft,  ver- 
suchte, mit  Bezug  auf  die  kalifornische 
Frage,  den  Unterschied  zwischen  Staaten- 
bund und  Bundesstaat  klarzulegen.  Es  sei 
für  den  Japaner  schwer  zu  begreifen,  daß 
der  Präsident  der  Vereinigten  Staaten  nicht 
die  Macht  besitze,  seine  Wünsche  durch- 
zusetzen. Aber  es  müsse  daran  erinnert  wer- 
den, daß  der  Gouverneur  von  Kalifornien 
nicht  von  Washington  aus  ernannt,  sondern 
vom  kalifornischen  Volk  selbst  gewählt 
werde,  wodurch  die  Schwierigkeiten  leicht  er- 
klärlich sind. 

Baron  Sakatani,  Vizepräsident  der 
japanischen  Friedensgesellschaft,  sagte  unter 
anderem:  „Die  japanische  und  die  amerika- 
nische Friedensgesellschaft  in  Japan  wirken 
mit  der  amerikanischen  Friedensgesellschaft 
in  Washington,  die  starke  Gruppen,  in  den 
führenden  Städten  hat,  zusammen,  was  ohne 
Zweifel  einen  Einfluß  auf  das  amerikanische 
Volk  haben  wird.  Eine  solche  internationale 
Kooperation  setzt  aber  nicht  Antipatriotismus 
voraus.  In  allen  Kulturländern  haben  die 
Völker  jetzt  großen  Anteil  an  der  Regierung. 
Die  für  den  Frieden  Arbeitenden  sollten  be- 
strebt sein,  die  großen  Fragen  über  den« 
Krieg,  internationale  Verständigung,  religiöse 
Verschiedenheiten  und  wirtschaftliche  Kämpfe 
zu  studieren.  Was  die  religiöse  Frage  be- 
trifft, hat  Japan  als  einziger  Staat  die 
„Association  Concordia"  zum  Spezialstudium 
der  religiösen  Ideen  des  Ostens  und  des 
Westens  ins  Leben  gerufen,  die  mit  der  Auf- 
gabe betraut  wurde,  eine  Grundlage  für  eine 
klare  Verständigung  zu  suchen.  Was  die 
wirtschaftlichen  Fragen  anbelangt,  so  habe 
ich  an  der  Fortsetzung  der  Spezialforschung, 
die  im  Sommer  des  Jahres  1911  bei  der  in 
Bern  abgehaltenen  Wirtschaftlichen  Kon- 
ferenz in  kurzen  Umrissen  festgelegt  wurde, 
teilgenommen.      Die    Tatsachen,    daß    solche 


258 


@= 


E  DIE  Fßl EDENS ->k*M2TE 


Organisationen  am1  Werke  sind,  werden  viel 
•dazu  beitragen,   Kriege  zu  verhüten." 

Graf  O  k  uma  ,  Präsident  der  japanischen 
Friedensgesellschaft,  sprach  von  den  drei 
Beweggründen,  die  die  Japaner  vor  einem 
halben  Jahrhundert  zu  der  fremdenfeindlichen 
Agitation  veranlaßt  haben.  Rassenvorurteil, 
wirtschaftliche  Interessen  und  Parteien- 
Antagonismus.  Wir  finden,  heute  dieselben 
Kräfte  am  Werk  in  der  antijapanischen  Agi- 
tation in  Kalifornien.  Die  Erinnerung  an 
diese  Tatsache  ermöglicht  den  Japanern  ein 
Verständnis  für  die  Lage.  Es  müsse  genügend 
Zeit  zur  vollkommenen  Verständigung  ge- 
lassen werden,  und  es  ist  dann  Grund  genug 
zu  glauben,  daß  eine  zufriedenstellende  Lö- 
sung  als  gesichert   angesehen   werden  kann. 

Vor  kurzem  beschlossen  japanische 
Pazifisten,  Amerika  zu  besuchen.  Die  Teil- 
nehmer: S.  Ebara,  Mitglied  des  Hauses 
der  Pairs,  Vizepräsident  der  japanischen 
Friedensgesellschaft,  A.  H  a  1 1  o  r  i ,  ehe- 
maliges1 Mitglied  des  Parlamentes,  und 
K.  Yamamoto,  Sekretär  der  Tokioer 
Y.  M.  C.  A.,  einer  der  Gründer  der  iGe- 
sellschaft,  schifften  sich  nach  San  Fran- 
cisco ein  und  beabsichtigen,  einige  Monate 
in  Amerika  zu  bleiben.  Während  Ebara 
Vertreter  der  konstitutionellen  Partei  ist, 
vertritt  Hattori  die  nationalistische.  Alle 
aber  vertreten  die  japanische  Friedensgesell- 
schaft, der  sie  helfen  wollen,  die  schwebende 
japanisch-amerikanische  Frage  in  einer  be- 
befriedigenden Weise  zu  lösen.  Sie  haben;  die 
Absicht,  zunächst  die  Angelegenheiten  der 
Pacific-Küste  zu  studieren,  und  dann  Washing- 
ton, New  York  und  andere  Zentren  zu  be- 
suchen. M.  Y. 


Maupassant,  ein  Vorkämpfer 
der  Friedensbewegung. 

Von    Dr.    Karl    Fr.    Schmid,    München. 

Im  Jahre  1889  veröffentlichte  Bertha 
von  Suttner  ihr  berühmtes  Buch  ,,Die  Waffen 
nieder",  welches  den  direkten  Anstoß  zur 
Friedensbewegung   bildete. 

Um  diese  Zeit  waren  schon  alle  Novellen 
Maupassants  erschienen,  welche  man  unter 
dem  Namen  „Kriegsnovellen"  zusammen- 
fassen kann,  und  auch  jenes  wundersame  Buch 
voll  intimster,  persönlichster  Gedanken, 
„Sur  l'Eau",  in  dem  der  Dichter  unter 
anderem  auch  seine  Ansichten  über  den 
Krieg   unverhüllt   und  rückhaltlos  ausspricht. 

Maupassant  kennt  den  Krieg  aus  per- 
sönlicher Erfahrung.  Er  hat  ihn  als  Frei- 
williger im1  Alter  von  zwanzig  Jahren  mit- 
gemacht, und  aus  den  Briefen  an  seine  Mutter 
kann  man  ersehen,  daß  es  ihm  nicht  immer 
zum   besten   ging. 

Es  widerspräche  dem  Kunstideal  des 
Dichters   ganz    und   gar,    wenn   er   in    seinen 


erzählenden  Werken  seine  persönlichen  An- 
sichten offenbaren  wollte.  Denn  absolute 
Objektivität  („Impersonnalite")  ist  ihm  das 
Höchste.  Trotzdem  gehen  wir  nicht  fehl, 
wenn  wir  manche  Aeußerung  aus  dem  Munde 
eines  seiner  Helden  als  seine  eigene  Ansicht 
ansehen.  Denn  die  späteren  persönlichen  Be- 
kenntnisse geben  die  Bestätigung. 

So  ist  schon  in  dem  berüchtigten  ,,Boule 
de  Suif",  der  ersten  Novelle  dieses  Genres, 
welche  der  Dichter  1880  veröffentlichte,  die 
gute  Madame  Follenoie  sehr  schlecht  auf 
das  Militär  und  den  Krieg  zu  sprechen.  Sie 
sagt  unter  anderem:  „  .  .  .  Diese  Militärs, 
die  sind  doch  zu  gar  nichts  nütze.  Muß 
das  arme  Volk  sie  ernähren,  bloß  damit  sie 
das  Morden  lernen  ?  —  ...  Wenn  es  Leute 
gibt,  die  so  viele  Entdeckungen  machen,  um 
nützlich  zu  sein,  müssen  sich  dann  andere 
wieder  so  plagen,  um  Schaden  zu  stiften?  Ist 
es  denn  nicht  was  Scheußliches,  Menschen 
umzubringen,  ob's  nun  Preußen  oder  Eng- 
länder, Polen  oder  Franzosen  sind  ?  —  Wenn 
man  sich  an  jemand  rächt,  der  einem  Unrecht 
getan  hat,  so  ist  das  schlecht,  denn  man 
wird  verurteilt.  Aber  wenn  man  unsere 
Jungen  mit  dem  Gewehr  wegschießt  wie  das 
liebe  Wild,  so  ist  das  wohl  etwas  Gutes,  weil 
man  den  mit  Orden  schmückt,  der  die  meisten 
hinüberbefördert  ?  Nein,  sehen  Sie,  das  werde 
ich   niemals    verstehen." 

So  und  ähnlich  spricht  die  brave  Bäuerin 
weiter,  die  schweren  Herzens  für  die  Heeres- 
kosten mitzahlt  und  selbst  zwei  Söhne  bei 
den  Soldaten  hat.  Auch  einer  ihrer  Mit- 
reisenden denkt  darüber  nach,  wieviel  besser 
und  gewinnbringender  es  wäre,  all  diese  Sol- 
datenkraft zu  gewerblichen  Arbeiten  zu  ver- 
wenden. ! 

In  viel  höherem1  Maße  als  diese  ein- 
zelnen Gespräche,  denen  sich  noch  Beispiele 
aus  ,,La  Mere  Sauvage"  anfügen  ließen,  sind 
es  die  Geschehnisse  in  den  Kriegsnovellen 
selbst,  welche  unseren  Abscheu  gegen  den 
Krieg  wachrufen  müssen.  Gewiß  ist  Mau- 
passant objektiv  und  stellt  die  Tatsachen 
scheinbar  persönlich  unberührt  in  seinen  Ge- 
fühlen hin.  Aber  diese  Tatsachen  selbst, 
dieses  wilde  Erwachen  der  wildesten  Instinkte 
im  Menschen  sind  das  Ungeheuerliche,  Ent- 
setzliche. Der  gutmütig  scheinende  Pere  Milon 
mordet  in  gemeinster  Weise  meuchlerisch 
18  Ulanen  und  glaubt  eine  Heldentat  begangen 
zu  haben  (Pere  Milon).  Die  Mutter  Sauvage 
verbrennt  aufs  grausamste  vier  brave  ein- 
fache Soldaten,  die  ihr  nur  lieb  und  gut  ent- 
gegengekommen sind  (Mere  Sauvage).  Der 
Marquis!  d'Eyrik,  genannt  Mlle.  Fifi,  läßt 
seiner  Zerstörungssucht  und  Grausamkeit 
bei  jeder  Gelegenheit  freien  Lauf  und  wird 
von  einem1  patriotischen  Freudenmädchen  mit 
dem  Messer  erstochen  (Mlle.  Fifi).  Die 
schöne  Irma  steckt  den  gesamten  preußischen 
Stab  in  Rouen  mit  Syphilis  an  und  rühmt 
sich  ihrer  patriotischen  Tat   (Le  Lit  29).    In 


259 


DIE  FßlEDENS-^MÖßTE 


=s» 


den  „Idees  du  Colonel"  werden  von  einem 
französischen  Detachement  zwölf  versprengte 
Ulanen  unter  den  rohesten  Witzen  zusammen- 
geschossen. „Das  gibt  Witwen",  lacht  der 
eine.  Und  die  Erklärung  für  alles?  Keine. 
Der  Krieg  macht  die  niedrigsten  Instinkte 
der  Rache  und  desi  Hasses  frei  und  stempelt 
ihre  Ausübung  zu  Heldentaten.  Das  wäre  etwa 
das  moralische  Resümee  aus  Maupassants 
Kriegsnovellen. 

In  den  Jahren  1880 — 84  waren  alle  diese 
Novellen  erschienen.  Aber  ein  Jahr  vor 
Suttners  berühmtem  Buch  wurden  jene 
wundervollen,  einzig  dastehenden  Tagebuch- 
blätter Maupassants  voll  intimster  Ge- 
danken und  reichster  persönlicher  An- 
schauungen veröffentlicht,  die  in  dem  bei 
uns  leider  fast  unbekannten  Band  „Sur  l'Eau" 
vereinigt  sind.  Darin  enthüllt  sich  der 
Dichter  als  fanatischer  Gegner  des  Krieges, 
bekämpft  ihn  mit  der  ganzen  elementaren 
Kraft  seiner  Intelligenz  und  Schärfe  seiner 
Worte,  verdammt  ihn  als  unwürdige,  un- 
menschliche Barbarei  und  wütet  dagegen  in 
fast  maßlosen,  bei  ihm  ganz  ungewohnten 
Ausbrüchen. 

So  spricht  er  gelegentlich  der  Besichtigung 
eines  Kriegsschiffes  zwar  seine  unverhohlene 
Bewunderung  darüber  aus,  klagt  aber  auch, 
daß  es  „zugleich  sowohl  das  ganze  Genie 
wie  die  ganze  Ohnmacht  und  unverbesserliche 
Barbarei  jener  so  tätigen  und  so  schwachen 
Rasse  zeige,  welche  ihre  Kräfte  benützt,  um' 
Maschinen  zu  ihrer  eigenen  Zerstörung  zu 
schaffen".  Er  spricht  davon,  wieviel  besser 
es  war,  steinerne  Kathedralen  zu  erbauen,  als 
solche  Stahlhäuser,  solche  Tempel  des  Todes. 
In  dieser  Tonart,  mit  unverminderter 
Schärfe  geht  es  weiter.  Der  Dichter  ereifert 
sich,  daß  wir  mit  unserer  Zivilisation,  unserer 
hohen  Kultur  noch  Schulen  haben,  wo  man 
lernt  ,,zu  töten,  aus  großen  Entfernungen, 
mit  vollendeten  Mitteln,  möglichst  viel  Men- 
schen zugleich,  arme  Teufel,  unschuldige  Fa- 
milienväter, ohne  richterliches  Urteil".  Er 
empört  sich  gegen  diese  Last  alter,  hassens- 
werter  Bräuche,  verdammen  swert  er  Vor- 
urteile, ererbter  wilder  Ideen.  Den  Glauben 
Victor  Hugos  an  die  Erkenntnis  des  Volkes 
bezüglich  der  wahren  Natur  des  Krieges 
hält  er  für  einen  poetischen  Traum  und  be- 
klagt die  steigende  Wertschätzung  des 
Krieges.  In  den  schärfsten  Ausdrücken 
wendet  er  sich  gegen  das,  was  Moltke  zur 
Verteidigung  des  Krieges  vorbringt,  der 
„die  Menschen  verhindere,  in  dem1  häßlichsten 
Materialismus    zu    verfallen". 

„Also",  sagt  er,  „sich  in  Trupps  von 
400  000  Mann  vereinigen,  Tag  und  Nacht 
rastlos  marschieren,  über  nichts  denken  und 
sinnen,  nichts  lernen,  nichts  lesen,  niemand 
nützen,  vor  Schmutz  verfaulen,  im  Kote 
schlafen,  wie  das  liebe  Tier  in  fortgesetztem 
Stumpfsinn  dahinleben,  Städte  plündern, 
Dörfer       niederbrennen,       die      Bevölkerung 


ruinieren,  dann  mit  einem  anderen  Haufen  von 
Menschenfleisch  zusammentreffen,  sich  darauf 
stürzen,  Seen  von  Blut  und  Ebenen  von  zer- 
stampftem Fleisch  mit  kotiger,  geröteter 
Erde  vermischt  zu  errichten,  Berge  »von 
Leichen  zu  häufen,  mit  abgeschossenen 
Armen  oder  Beinen  und  zerquetschtem  Hirne 
—  ohne  daß  jemand  davon  Nutzen  hat  —  auf 
einem  Ackerwinkel  zu  verrecken,  während  die 
armen  Eltern,  Frau  und  Kind  vor  Hunger 
sterben:  das  heißt  man  nicht  in  den  scheuß- 
lichsten   Materialismus   verfallen."   — 

Er  führt  die  Arbeit  unserer  Gelehrten,. 
Wohltäter  usw.  an.  „Der  Krieg  bricht  aus. 
In  einemi  halben  Jahr  haben  die  Generale 
die  Anstrengungen,  die  Geduld-  und  Geistes- 
arbeit von  20  Jahren  vernichtet." 

Und  immer  neue  Anklagen  häuft  er  gegen 
den  Krieg,  immer  stärker  malt  er  seine 
Schrecken,  immer  wieder  und  immer 
stärker  wendet  er  sich  gegen  das  Wort  Molt- 
kes  vom  Verfall  in  den  Materialismus.  Er 
fragt  an,  ob  Griechenland  durch  seine  Kriege 
oder  durch  seine  Kunst  und  Wissenschaft 
groß  und  für  uns1  vorbildlich  war,  ob  die 
Einfälle  der  Barbaren  Rom  gerettet  und  re- 
generiert haben,  ob  Napoleon  die  große  in- 
tellektuelle Bewegung  des  18.  Jahrhunderts 
weitergeführt  hätte  usw.  Wie  man  sieht, 
ist  Maupassant  durchdrungen  von  der  Er- 
kenntnis, daß  der  Krieg  eine  unwürdige,  un- 
menschliche Barbarei  sei.  Aber  er  zieht 
daraus  keine  Folgerungen,  seinem'  Pessi- 
mismus fehlt  die  Hoffnung.  Eine  Frau  erst 
rief  die  Scharen  zum  Kampfe  und  sammelte 
sie  unter  der  Fahne  der  Hoffnung  zum  Kriege 
gegen  den  Krieg  und  für  den  Frieden !  Eine 
deutsche  Dichterin  suchte  in  die  Tat  um- 
setzen, was  dem'  französischen  Dichter  noch 
ein   Jahr   vorher  als  Utopie  erschienen  war  1 


n  RANDGLOSSEN  Et 
ZXJÜ  ZEITGESCHICHTE 

,        Von    Bertha    v.    Suttner. 

Wien,  6.  Juli  1913. 
Im  Oktober  1912  fand  in  der  Kathedrale 
von  Sofia  ein  feierliches  Hochamt  statt.  Zar 
Ferdinand  hatte  eben  zum  Feldzug  des  Krieges 
gegen  den  Halbmond  angerufen,  um  die 
christlichen  Brüder  vom  Türkenjoche  zu  be- 
freien; der  Pope  segnete  die  Waffen  und  ließ 
ein  Gebet  zum  Himmel  steigen,  daß  Bul- 
garien, Serbien,  Montenegro  und  Griechenland 
siegen  mögen.  Dem  lieben  Gott  wurde  da  eine 
genaue  Geographielektion  gegeben.  Eine  Art 
fähnchenbesteckte  Landkarte  des  Balkans 
wurde  ihm  geboten,  damit  er  sich  bei  Er- 
teilung seines  Beistandes  ja  nicht  irre,  da- 
mit er  von  dem  Regen  seiner  Huld  ja  nichts 
über  die  Grenzen  verspritzen  lasse.  Oh,  es 
war    ein    frommer,     ein    zivilisatorischer,    ein 


260 


€= 


DIE  FRIEDENS-^M&BXE 


edler  Krieg!  —  —  Elender  Phrasenschwall: 
ein  Beutezug  war's,  weiter  nichts.  Das  zeigt 
sich  heute  klar,  da  die  siegenden  Brüder  sich 
um  der  Beute  willen  zerfleischen. 


Es  ist  also  geschehen.  Der  dritte  Balkan- 
krieg  ist  nun  ausgebrochen;  es  wird  wieder 
gemordet,  gesengt,  verwüstet,  massakriert,  ge- 
schändet, gehaßt,  getobt,  und  dem  Zeitungs- 
leser wird's  als  Weltgeschichte  serviert.  Noch 
ehe  eine  Kriegserklärung  erlassen,  stießen 
die  an  den  Grenzen  aufgehäuften  Truppen  an- 
einander (solches  Gegenüberstellen  bewaff- 
neter Massen  ist  ja  bekanntlich  nur  Vorsichts- 
maßregel: si  vis  pacem);  die  Grenzen  wurden 
überschritten,  die  Felder  rasch  mit  Leichen 
bedeckt  —  aber  Krieg  war's  noch  nicht,  es 
sollte  für  diesen  Zustand  eine  neue  „völker- 
rechtliche" Bezeichnung  gefunden  werden. 
Die  Verantwortung  für  den  Friedensbruch 
wälzt  einer  auf  den  andern  —  keiner  hat  an- 
gefangen —  der  andere  war's,  oder  wenn 
man's  doch  selber  war,  so  hatte  der  andere 
„provoziert". 

MB 

Mit  tiefstem1  Schmerz  muß  es  uns  er- 
füllen, daß  nun  wieder  dieses  namenlose  und 
verbrecherische  Unglück  losgebrochen  ist. 
Würden  diese  sich  überstürzenden  Nachrich- 
ten von  fünftägigen  Schlachten,  von  600  000 
Mann,  die  sich  auf  dem  kleinen  Raum  be- 
kämpfen und  schon  20  000  Tote  zu  melden 
haben,  nicht  mit  unsäglicher  Trauer  und  Ekel 
füllen,  so  könnten  wir  eigentlich  triumphieren 
und  sagen :  seht,  das  sind  die  Früchte  des 
Krieges:  neue  Kriege;  seht,  das  ist  die  Ent- 
larvung all  der  Heucheleien,  die  ad  absurdum- 
Führung  der  ganzen  Mord-  und  Raubpolitik. 
Wer  hat  recht  ?  Ihr,  die  ihr  behauptet,  daß 
heute  Kriege  noch  Ruhm,  Ehre,  Gewinn 
bringen  können,  oder  wir,  die  wir  den  „mo- 
dernen" Krieg  als  Anachronismus,  den  Krieg 
überhaupt  als  Hölle  erkennen  ?  Und  nun  sind 
die  Gefahren  eines  Weltbrandes  wieder  da. 
Sollte  auch  dieser,  durch  die  berühmte  „Lo- 
kalisierungs"-Formel  abgewendet  werden,  un- 
ausbleiblich sind  die  wirtschaftlichen  Schäden, 
die  Handelsstockungen  und  die  Seuchen. 
Jetzt  in  der  Sonnenhitze  die  Tausende  von 
Kadavern,  denen  ebenso  mörderische  Mi- 
asmen entsteigen,  als  den  Kanonen  mörde- 
rische Geschosse  —  nur  daß  sie  noch  weiter, 
über  jede  Grenze  hinweg,  ihren  Wirkungs- 
radius haben.  Aber  auch  die  Gefahr  einer 
Verbreitung  des  Krieges  selber  ist  wieder 
nahegerückt.  Die  seit  Monaten  mühsam 
zurückgehaltenen  Kriegsparteien  werden  jetzt 
wieder  hervortreten :  „Endlich  ist  unser  Tag 
gekommen." 

MR 

Knapp  vor  Ausbruch  der  überstürzten, 
ohne  vorherigen  Abbruch  der  diplomatischen 
Beziehungen  losgelassenen  Feindseligkeiten 
trat  Zar  Nikolaus  hervor  und  telegraphierte 


an   die   Könige  von   Serbien  und   Bulgarien, 
sie  mögen  ihren  Streit  vor  sein  Schiedsgericht 
bringen    (warum   nicht   vor   den   Haag  ?,    das 
wäre    besser    gewesen),    und    in    seiner    De- 
pesche  zitterte   etwas   von   dem   Pathos,    das 
in   seinem    Manifest    von   1898   lag:    ein    hef- 
tiger Wille,   drohendes  Unglück  abzuwenden. 
Und  er  suchte  —  von  aller  üblichen  offiziellen 
Winkelzügigkeit    und   Reserve   frei   —    starke 
Akzente:    „Der    Bruderkrieg    wäre    ein    Ver- 
brechen, wäre  ein  Ruin  der  slawischen  Sache", 
und  dabei  gab   er  seinem'  Appell   den  Nach- 
druck  einer   leisen   Drohung  —   er   wies   auf 
seine     Macht    hin,     den    Friedensbrecher    zu 
strafen.    Man  atmete  auf,  durch  diesen  Schritt 
würde  vielleicht  der  Krieg  vermieden  werden. 
Alle     hätten     (auch    die    Balkanvölker)    dem 
Zaren  dankbar  sein,  ihn  unterstützen  sollen. 
Esi    kam    anders.      Graf   Tisza    erklärte:    Die 
Balkanvölker    dürften    sich    nicht    von    Ruß- 
land    beeinflussen     lassen ;    sie    müßten     auf 
ihrem1  Rechte,  Krieg  zu  führen,  bestehen.  — 
Frieden  dürften  sie  schließen,  wann  sie  woll- 
ten,   aber   nur   nach   eigenen    Interessen    und 
nach     eigener      Entschließung.       Oesterreich 
würde  nicht  dulden,  daß  im  Namen  der  sla- 
wischen Idee  die  Handlungsfreiheit  der  Bul- 
garen oder  der  Serben  eingeschränkt  würde. 
Ein     oder     zwei     Tage     dauerte     noch    das 
Schwanken;     die    Friedensparteien    schlugen 
Demobilisierung  vor,   und  es  zeigte  sich  Ge- 
neigtheit,   die    vier    Ministerpräsidenten  nach 
Petersburg  zu   entsenden.     Aber  die   Kriegs- 
parteien   waren   flinker.     Sie   warteten   nicht 
erst  die  Entscheidung  ab  —  und  ohne  Kriegs- 
erklärung      drangen        die       bereitstehenden 
Truppen  über  die  Grenze,  und  die  vollzogene 
Tatsache  des  Krieges  war  gegeben.  —  „Der 
Zar  hat  sich  blamiert",  hörte  man  von  vielen 
Seiten  sagen.    Als  ob,  wenn  einer  etwas  Er- 
sprießliches vorschlägt,   nicht   diejenigen  sich 
blamierten,     die    den    Vorschlag    unbeachtet 
lassen.    Freilich,  dann  heißt  es,  der  Vorschlag 
war  nicht  edel  gemeint.    Und  zu  dieser  Stunde 
—  ich  mache  darauf  aufmerksam  —  ist  hierzu- 
lande die  Parole    ausgegeben:    „Rußland    und 
Frankreich  wollen  die  Serben  unterstützen."  Das 
famose  Einkreisungsmärchen,  das  zur  englisch- 
deutschen  Verhetzung    so    gute   Dienste    ge- 
tan,  das   wird  jetzt  der  neuen   Situation  an- 
gepaßt :    „Die  Triple-Entente   will   den  Drei- 
bund  einkreisen."     Die   Leute   fangen    schon 
an,  es  zu  glauben  und  zu  wiederholen.    Täg- 
lich   kehrt    dies    in    verschiedenen    Varianten 
in  der  offiziösen  Presse  wieder  (die  Melodie 
ist   wahrscheinlich  vom1  ministeriellen  Bureau 
ausgegeben),     und     die     öffentliche     Kanne- 
gießerei  gipfelt    in    der   Weisheit:    „Rußland 
ist  der  Feind  —  der  Krieg  mit  Rußland  ist 
unvermeidlich."    Die  ganze  Schuld  des  neuen 
Balkankrieges1   wird  auf   Rußland  geschoben. 


Und  nun  geschah  das  Allerunerwartetste : 
Rumänien  erklärte,  daß   es  seine  Neutralität 


261 


DIE  FBIEDENS -^^^ßTE 


■3 


aufgeben  wolle  und  mobilisiert.  Es  will  sich 
in  Bulgarien  etwas  holen.  Wie  —  dieser  treue, 
stillschweigende  Alliierte  des  Dreibundes 
schwenkt  ab  ?  Daß  Rumänien  es  mit  den 
Dreibundmächten  hielt,  davon  hat  es  auf 
der  Haager  Konferenz  Beweise  gegeben:  So 
oft  England  oder  Rußland  irgend  etwas  kriegs- 
hemmendes —  Rüstungseinschränkung, 
Schiedsgerichtshof,  Untersuchungskommissio- 
nen usw.  —  vorschlugen  und  Deutschland 
samt  Oesterreich  dagegen  protestierte,  pro- 
testierte Rumäniens!  Vertreter,  Dr.  Beldimann, 
am  allerlebhaftesten  mit.  Wenn  die  große 
Auseinandersetzung  zwischen  den  zwei  Mächte- 
gruppen kommen  würde,  dann  würde  der  Drei- 
bund —  so  glaubte  er  fest  —  auf  die  Mit- 
wrikung  Rumäniens  rechnen  können.  Und 
jetzt  ? . . . .  Ach,  daß  doch  endlich  einmal 
dieses  Gespenst  der  (gar  nicht  existierenden) 
Feindschaft  der  beiden  Gruppen  aus  der  Welt 
geschafft  würde.  Beide  haben  das  gemein- 
same größtmögliche  Interesse:  die  Ver- 
meidung eines  europäischen  Brandes  —  also 
ist  ihre  Verschmelzung  in  einen.  Sechsbund 
die  vitalste  Notwendigkeit.  Das  ist  die 
Forderung,  die  nicht  hartnäckig  genug  von 
allen,  außer  den  kriegs wollenden  Parteien  er- 
hoben   werden    muß. 

Damit  verschwände  auch  jenes  andere 
Gespenst:  das  „Gleichgewicht".  Eigentlich 
werden  ja  jetzt  alle  Kriegsvorbereitungen, 
Kriegsdrohungen,  alle  politischen  Berech- 
nungen und  diplomatischen  Schachzüge  immer 
nur  um  jenes  Gleichgewichtes  willen  gemacht. 
Was  war  die  Ursache  der  Riesenwehrvorlage, 
die  eben  jetzt  in  Deutschland  bewilligt  worden 
ist?  Das  durch  den  Balkankrieg  gestörte 
Gleichgewicht  —  die  Kräfte  waren  verschoben, 
ein  neuer  Balkanbund  gebildet ....  Und  siehe, 
im  Augenblick,  wo  die  Vorlage  erledigt  wurde, 
ist  der  Balkanbund  auseinandergefallen. 

Bei  der  dritten  Lesung  des  Wehrgesetzes 
sagte  der  Sozialdemokrat  Scheidemann :  ,,Wir 
protestieren,  wie  unsere  Gesinnungsgenossen 
aller  Länder  gegen  das  Gesetz  und  gegen  den 
Geist,  aus  dem  es  geboren  ist.  Was  ist  denn 
erreicht  mit  der  Vorlage  ?  Alle  Welt  rüstet 
seit  dem  Augenblick;  alle  Welt  wird  von  uns 
gezwungen,  zu  rüsten,  und  wir  sind  schwächer 
geworden  als  die  anderen.  Wenn  Sie  diese 
Vorlage  ablehnen,  wird  es  keine  vierund- 
zwanzig Stunden  dauern  und  Frankreich  ver- 
zichtet auf  den  dreijährigen  Dienst.  Das 
Volk  will  die  Versöhnung  mit  Frankreich. 
Esf  liebt  den  Frieden  wie  Frankreich."  — 
Solche  Worte  unterschreiben  wir  Pazifisten 
alle.  „Ihr  seid  also  Sozialdemokraten?"  ruft 
man  uns  zu>.  —  Das  folgt  nicht  daraus.  Wenn 
ein  —  sagen  wir  —  ein  Okkultist  gelegentlich 
bemerkt,  daß  2x2  =  4  ist,  so  werden  Sie  ihm 
wohl  zustimmen.  Sind  Sie  darum  ein 
Okkultist? 


Ein  Militär  denkt  über  die  Erledigung  der 
Wehrvorlage  anders  als  Scheidemann.  So 
schreibt  ein  General  a.  D.  in  einem  Artikel 
über  die  Bewilligung  der  Heeresverstär- 
kungen :  „Das  ist  fürwahr  eine  stattliche 
Leistung  des  deutschen  Volkes !  Willig  unter- 
zogen sich  seine  Vertreter  dem  Gebot,  der 
veränderten  europäischen  Lage  Rechnung  zu 
tragen.  Ihrer  Pflicht  gemäß  erwirkten  sie 
zwar  Ersparnisse  (Vio  Pfennig  von  10  000 
Mark.  B.  S.).  Es  mindern  aber  die  Ab- 
striche nicht  das  Wesen  der  Vorlage,  und 
wohlzufrieden  kann  die  Heeresverwaltung  mit 
ihrem  Schlachtenerfolg  sein.  Mit  ihr  das 
Volk,  indem  ihm  eine  Garantie  ( !  )  ge- 
schaffen ist,  daß  die  imponierende  Kraft- 
erhöhung seiner  Armee  neidende  Völker  in 
ihren  friedensfeindlichen  Bestrebungen  ein- 
schränken wird.  Schwer,  sehr  schwer  sind 
aber  die  Opfer,  die  das  Volk  für  das  wieder- 
erlangte Gefühl  seiner  Sicherheit  bringen 
muß."     „Sicherheit"   ist  gut. 


Kaiser  Wilhelm  hat  sein  25jähriges  Re- 
gierungsjubiläum gefeiert.  Andrew  Carnegie 
überbrachte  ihm'  zu  dieser  Gelegenheit  im 
Namen  der  amerikanischen  Friedensvereine 
eine  von  400  hervorragenden  Männern  unter- 
schriebene Adresse  und  beglückwünschte  den 
Monarchen,  daß  er  durch  ein  Vierteljahr- 
hundert den  Frieden  erhalten  habe.  „Ich 
hoffe,"  antwortete  Wilhelm  IL,  „daß  es  mir 
noch  weitere  25  Jahre  gelingen  wird."  Ueber- 
haupt  hat  er  anläßlich  dieses  Jubiläums  man- 
ches erhabene  Friedenswort  geäußert.  So 
heißt  es  in  dem  vom  Reichsanzeiger  ver- 
öffentlichten   kaiserlichen    Erlaß : 

„Ich  danke  Gott,  daß  ich  mit  Befriedi- 
gung zurückblicken  darf  auf  die  vergange- 
nen 25  Jahre  ernsten  Schaffens,  auf  die 
großen  Errungenschaften,  welche  sie  dem 
Vaterlande  gebracht  haben.  Daß  dies  unter 
den  befruchtenden  Strahlen  der 
Friedenssonne  geschehen  ist, 
deren  Kraft  jedes  am'  Horizont 
auftauchende  Gewölk  siegreich 
zerstreute,  macht  mich  beson- 
ders glücklich.  Ein  Herzens- 
wunschist mir  damit  inErfüllung 
gegangen." 

Auch  bei  einem  weniger  feierlichen  An- 
laß kam  Kaiser  Wilhelm  auf  die  Friedens- 
idee zurück.  Bei  dem  Festessen  des  Regatta- 
vereins in  Brunsbüttelkoog  hielt  er  eine  Rede, 
in  der  er  die  glänzende  Entwicklung  des 
deutschen  Rudersports  während  seiner  Re- 
gierungszeit hervorhob.  Er  sei  stolz  darauf, 
denn  der  Rudersport  erziehe  eine  tüchtige 
Jugend  und  tüchtige  Männer.  Will  der  Ruder- 
sport weiterhin  eine  solche  Entwicklung  neh- 
men, so  sei  das  nur  möglich,  wenn 
der  Friede  auch'  weiter  wie  bis  he  r 
während  seiner  Regierungszeit  er- 
haltenbleibe. 


262 


g= 


DIE  FRIEDENS-^J^RTE 


Ganz  richtig.  Alles  braucht  den  Frieden, 
um1  sich  glänzend  entwickeln  zu  können :  jede 
Kunst,  jede  Industrie,  jede  Wissenschaft, 
jedes1  häusliche  Glück.  Ausgenommen  na- 
türlich die  Kanonenindustrie  und  Verwandtes. 
Der  Gedanke  liegt  nahe,  daß  bei  solchen  Ge- 
sinnungen der  Kaiser  zu  dem  Entschluß  ge- 
langt, den  Frieden  fernerhin  nicht  nur  zu 
erhalten,  sondern  zu  sichern;  zu  sichern  auch 
über  seine  Regierungszeit  hinaus.  Möge  er 
sich  in  Herbeiführung  der  europäischen  Föde- 
ration an  die  Spitze  stellen.  Er  hat  die  Macht 
dazu.    Und  das  Herz  dazu. 


Im  englischen  Unterhause  kam  eine 
Rede  desi  Grafen  Gleichen  zur  Sprache, 
der  Brigadegeneral  und  Kommandeur  von 
Belfast  ist.  Er  habe  gelegentlich  eines  Ban- 
ketts beim1  Lord-Mayor  von  Belfast  geäußert, 
daß  Leute  wie  Keir  Hardie,  Andrew  Carnegie 
und  andere  Friedenshelden  an  Gehirn- 
erweichung litten.  Er  habe  mit  Vergnügen 
gehört,  daß  die  Regierung  im  Begriffe  sei, 
ein  Institut  für  Geistesschwache  zu  errich- 
ten, und  hoffe,  daß  die  genannten  Herren, 
darin  Aufnahme  finden  werden.  Als  Soldat 
müsse  er  beklagen,  daß  man  gegenwärtig 
nicht  mehr  vom  Krieg  spreche.  —  Mr.  Swift 
Mac  Reil  stellte  die  Anfrage,  ob  es  erlaubt 
sei,  daß  ein  Offizier  in  der  Oeffentl'ich- 
keit  derartige  Reden  halte.  Der  Fall  ist 
interessant.  Erstens,  weil  darüber  inter- 
pelliert wurde,  zweitens,  weil  der  betreffende 
englische  General  ein  Deutscher  ist,  ein 
Sohn  des  Prinzen  Victor  Hohenlohe-  Langen- 
burg  —  und  als  Soldat  bedauerte,  nicht  mehr 
vom  Krieg  —  einem  Kriege  gegen  Deutsch- 
land —  sprechen  zu  hören;  drittens,  weil 
der  Vertreter  des  Kriegsministeriums  dem 
Interpellanten  antwortete,  daß  Graf  Gleichen 
erklärte,  daß  seine  Worte  in  der  Presse  nicht 
ganz  richtig  wiedergegeben  waren,  und  zu- 
gleich, daß  er  für  jede  unbewußt  getane  Be- 
leidigung Abbitte  geleistet  habe.  —  So  weit 
sind  wir  auf  dem  Festlande  nicht.  Pazifisten 
werden  nicht  in  Schutz  genommen,  wenn  ein 
hoher  Militär  sie  öffentlich  angreift.  Uebrigens 
finde  ich,  daß  ein  Kriegsanhänger  zu  solchem 
Angriff  ein  gutes  Recht  hat. 


König  Konstantin  hat  an  seine  Griechen 
einen  Aufruf  erlassen:  „Ich  rufe  mein  Volk 
zu  neuem  Kampfe !"  —  Dann  werden  die 
Sünden  Bulgariens  aufgezählt,  und  zum 
Schlüsse  heißt  es :  „Auch  dieser  Kampf  wird 
von  Gott  gesegnet,  wie  der  erste,  und  diesen 
Segen  flehe  ich  heute  auf  uns  herab."  Die 
geographische  Lektion  wird  durch  neue  Ver- 
haltungsmaßregeln für  den  Segenspender 
modifiziert.     O    Blasphemie ! 


PAZIFISTISCHE  CHRONIK 

30.  Mai.  Der  kanadische  Senat  verwirft  die 
Flott  enge  schenk  vorläge. 

31.  Mai.  In  London  gelangt  der  Vorfrieden 
zwischen  der  Türkei  und  den  Balkanmächten 
zur  Unterzeichnung. 

Juni.  Der  Zar  fordert  die  Könige  von  Bulgarien 
und  Serbien  auf,  ihre  Streitigkeiten  seiner  Schied s- 
entscheidung  zu  überlassen. 

2.  Juni.  Das  italienische  Königspaar  zum 
Besuch  des  Deutschen  Kaisers  in  Kiel. 

6.  Juni.  Im  französischen  Parlament  bringt  Jaures 
einen  Antrag  auf  Einführung  der  Miliz  ein. 

I.Juni.  König  Georg  von  England  warnt  die 
Vertreter  der  Balkanstaaten  vor  einem  Krieg, 
den  er  als  „ein  Verbrechen  gegen  die  Humanität" 
bezeichnet. 

7. — 8.  Juni.  In  Brüssel  tagt  der  erste  belgische 
National- Fr  iedenskongress. 

8.  Juni.  Die  „New  York  Times"  veröffentlichen 
eine  Sondernummer  zu  Ehren  des  Regierungs- 
jubiläums des  Kaisers,  worin  dieser  von  Staats- 
männern und  Schriftstellern  als  Friedensfürst  ge- 
feiert icird. 

10.— 13.  Juni.  In  Leeds  tagt  der  neunte  eng- 
lische National-  Fr iedenskongr  es  s. 

11.  Juni.  In  London  wird  eine  deutsch- englische 
Ausstellung  eröffnet.  Eröffnungsansprache  des 
Lord  Mayors. 

13.  Juni  Deutsche  Journalisten  werden  im 
englischen  Parlament  empfangen. 

15. — 19.  Juni.  In  Brüssel  findet  der  II.  Welt- 
kongress  der  internationalen  Vereinigungen 
statt. 

16.  Juni.  Kaiser  Wilhelm  feiert  das  25jährige 
Jubiläum  seines  Regierungsantrittes.  Alle 
Zeitungsartikel  und  Festreden  betonen  sein  Friedens- 
werk. 

16.  Juni.  Andrew  Carnegieüberreichtim  Berliner 
Königlichen  Schloss  dem  Kaiser  die  Adresse  der 
amerikanischen  Friedensgesellschaften  aus 
Anlass  seiner  25  jährigen  kriegslosen  Regierung. 

17.  Juni.  Eine  Deputation  des  englischen 
kirchlichen  Komitees  zur  anglo- deutschen  Ver- 
ständigung unter  der  Führung  des  Bischofs  Boyd 
Carpenter  überreicht  dem  Kaiser  eine  Huldigungs- 
adresse. 

18.  Juni.  Der  Senat  der  Universität  Leiden 
ernennt  aus  Anlass  der  bevorstehenden  Eröffnung  des 
Friedenspalastes  im  Haag  vier  Ehrendoktoren 
der  Staatswissenschaften. 

18.  Juni.  In  der  französischen  Kammer  fordert 
der  Sozialist  Fournier  die  Regierung  auf,  mit  den 
anderen  Staaten  die  Errichtung  eines  inter- 
nationalen Parlaments  zu  vereinbaren. 

18.  Juni.  Andrew  Carnegie  stiftet  für  das 
Organ  des  deutschen  kirchlichen  Komitees  für  anglo- 
deutsche  Verständigung  100  000  M. 

19.  Juni.  In  seinem  Dankerlass  aus  Anlass 
der  Jubiläumsfeier  sagt  der  Kaiser:  „Dass  dies 
unter      den       befruchtenden      Strahlen      der 


263 


DIE  FßlEDENS->fc/2vßrE 


3 


Friedenssonne  geschehen  ist,  deren  Kraft  jedes  am 
Horizont  auftauchende  Gewölk  siegreich  zerstreut, 
macht  mich  besonders  glücklich.  Ein  Herzens- 
wunsch ist  mir  damit  in  Er füllung  gegangen." 
19.  Juni.  Kadettenführer  Miljukow  weist  in 
der  Duma  auf  den  Einfluss  der  pazifistischen 
Ideen  hin,  die  Europa  vor  einem  Krieg  bewahrten. 
.  22.  Juni.  In  Visingsö  in  Schweden  tritt  ein 
internationaler  Theosophischer  Friedenskongress 
zusammen. 

24.  Juni.    Präsident  Poincare'  in  London. 

25.  Juni.  Ratifikation  des  internationalen 
Wechselrechtsabkommens  im  deutschen  Reichs- 
tag. Staatssekretär  v.  Jagow:  „Die  internationale 
Verständigung  und  Annäherung  wird  dadurch 
gefördert." 

25.  Juni.  Der  Chef  des  russischen  General- 
stabes kündigt  in  der  Duma  eine  bedeutende  Ver- 
stärkung der  russischen  Wehrkraft  an. 

27.  Juni.  Bei  dem  Jahresfest  des  Deutschen 
Hospitals  in  Dalston  pries  der  Chef  der  englischen 
Konservativen,  Bonnar Law,  in  einer  überaus  herz- 
lichen Rede  die  Qualitäten  Kaiser  Wilhelms. 

28.  Juni.  Die  Schiedsverträge  der  Ver- 
einigten Staaten  mit  Japan,  Schweden  und 
Portugal,  die  demnächst  abgelaufen  wären,  werden 
in  Washington  verlängert. 

30.  Juni.  Die  Wehrvorlage  und  der  Wehrbeitrag 
im  deutschen  Reichstag  angenommen. 


DAV5  DER  ZEITO 

Völkerrecht. 

Die  Bryanschen  Verträge.     ::   ::  ::  ::  ::   ::  :;   ::  ::   :• 

Unter  dem  23.  Juni  wird  uns  aus  New 
York  berichtet,  daß  bis  zu  jenem  Zeitpunkt 
achtzehn  Staaten  den  Vertrags  plan 
im  Prinzip  angenommen  haben.  Es 
seien  dies  in  der  Reihe  der  eingegangenen  Zu- 
stimmungen :  Italien,  Oesterreich-Un- 
garn,  Brasilien,  Schweden,  Nor- 
wegen, Peru,  Großbritannien, 
Niederlande,  Rußland,  Frankreich, 
Deutschland,  Bolivien,  Argen- 
tinien, China,  San  Domingo,  Däne- 
mark, Haiti  und  Spanien.  Staats- 
sekretär Bryan  hofft,  in  nächster  Zeit  den 
ersten  abgeschlossenen  Vertrag  dem  Senat  vor- 
legen zu  können. 

Ueber  die  Ausgestaltung  der  in  jenem  Ver- 
trag vorgesehenen  Untersuchungskommission 
hat  der  Staatssekretär  kürzlich  folgendes  ver- 
lauten lassen:  Danach  soll  jede  Untersuchungs- 
kommission aus  fünf  Mitgliedern  bestehen.  Je 
eine  wählt  die  beiden  im  Streit  befindlichen 
Staaten,  zwei  andere  werden  von  zwei  Regie- 
rungen anderer  Länder  ernannt,  die  einen 
solchen  Friedensvertrag  mit  den  Vereinigten 
Staaten  eingegangen  sind.  Das  fünfte  Mitglied 
wird  durch  ein  Uebereinkommen  dieser  beiden 
fremden    Regierungen    gewählt. 


Die  Kommissionen  sind  als  ständjg  gedacht. 
Sie  sollen  nicht  erst  im  Falle  eines  ent- 
stehenden Streites,  sondern  sofort  nach  Unter- 
zeichnung des  'Friedensvertrages  gebildet 
werden.  Für  jeden  abgeschlossenen  Vertrag, 
eine  besondere  Kommission. 


Das  internationale  Wechselrechtsabkommen 

im  deutschen  Reichstag. 

Das  im  vorigen  Jahre  im  Haag  abgehaltene 
Wechselrechtsabkommen  wurde  am  25.  Juni  dem 
Deutschen  Reichstag  zur  Ratifikation  vorgelegt. 

Staatssekretär  von  Jagow,  der  das  Ab- 
kommen vorlegte,  führte  aus,  daß  es  bereits 
von  26  Staaten  ratifiziert  sei.  In  richtiger  Er- 
kenntnis des  organisatorischen  Wertes  solcher 
Abkommen  wies  er  darauf  hin,  daß  es  auch 
in  politischer  Beziehung  von  Wert  sei  und  da- 
durch die  gegenseitige  Verständigung  und  An- 
näherung gefördert  werde. 

Auch  die  anderen  Redner  hoben  diese  Be- 
deutung hervor.  So  sagte  der  fortschrittliche 
Abgeordnete  Dove: 

„Ich  freue  mich,  daß  dieser  Saal,  der  s  o 
lange  vom  Waffenlärm  widerhallte, 
heute  eine  friedliche  Einigung  auf 
dem  Weltrechtsgebiete  erlebt.  Die 
neue  Wechselordnung  ist  eingroßes 
Weltfriedensinstrument.  Die  Auf- 
rechterhaltung der  Rechtseinheit  kann  nur 
durch  eine  einheitliche  Rechtsprechung  ge- 
schehen. Die  Frage  der  internationalen  Ge- 
richtshöfe ist  aber  nicht  einfach.  Wir 
müssen  auf  immer  weiteren  Ge- 
bietenzueinemeinheitlichenRecht 
kommen.  Leider  besteht  in  dem  Abkommen 
mit  England  noch  eine  Lücke,  aber  auch  das 
Seerecht  ist  erst  nach  und  nach  international 
vervollständigt  worden.  Wir  können 
hoffen,  daß  die  Organisation  des 
friedlichen  V  ö  lk  er  verk  e  hr  s  immer 
weitere  Fortschritte  machen  wird, 
und  daß  wir  bei  Wahrung  unserer 
staatlichen  Individualität  doch 
die  gemeinsamenZiele  der  Mensch- 
heit   fördern!" 

Verschiedene  Redner  hoben  die  Verdienste 
hervor,  die  der  niederländische  Staatsminister 
A  s  s  e  r  um  das  Zustandekommen  der  Wechsel- 
rechts-Konvention  hat  und  drückten  diesem 
ihren  Dank  aus. 

Die  Verhandlung  ist  als  Zustimmung 
Deutschlands  zur  Fortentwicklung  der  Inter- 
nationalen Organisation  von  hoher  Bedeutung. 


Rüstungsproblem. 

Die  deutsche  Heeresvorlage.   ::   ::  ::  ::   ::  : 

Nun    ist    die    Kiesenforderung    glück- 
lieb, unter  Dach.    Der  Deutsche  Reichstag 
hat    mit    großer   Mehrheit  die    Milliardei 
wie  die  neuen  Regimenter  bewilligt.  — 


264 


<£ 


DIE  FRI  EDENS  -WARTE. 


Man  könnte  jetzt  schon  daran  zweifeln, 
ob  diese  Biesenanstrengung  noch  begründet 
ist,  hat  man  ihre  Notwendigkeit  doch  mit 
■dem  Erstehen  eines  neuen  politischen  Macht- 
faktors im  Südosten  Europas  erklärt.  Diese 
Begründung  zerfällt  nun,  nachdem  die  Mit- 
glieder des  Balkanbundes  übereinander  her- 
fallen, sich  selbst  zerfleischen  und  einander 
die  Beute  streitig  machen.  "Wir  haben  aber 
nie  daran  geglaubt,  daß  jene  ungeheure 
[Forderung  ihren  Grund  in  dieser  frag- 
würdigen Neukonstellation  iam  Balkan  haben 
konnte.  Das  war  ein  schöner  Vorwand, 
aber  nicht  das  Motiv.  Bereits  im  Leit- 
artikel der  Märznummer  haben  wir  auf  die 
Ursachen  jener  Rüstungsanspannung  hin- 
gewiesen und  angedeutet,  daß  damit  ein 
Aequivalent  gesucht  wird  für  den  durch 
Aehrenthal  erschütterten  und  seitdem  zu- 
sammengestürzten Berliner  Vertrag.  Es 
scheint  jedoch,  daß  jene  Riesenrüstungen 
noch  einen  anderen,  viel  ernsteren  Grund 
haben.  Es  sieht  so  aus,  als  ob  sie  die 
Kombination  des  Dreibundes  er- 
setzen sollten,  oder  als  ob  die  Reichs- 
regierung das  Vertrauen  zu  ihren  Bundes- 
genossen, namentlich  zu  Oesterreich-Ungarn, 
verloren  hätte,  das  mit  seinem  neuesten 
säbelrasselnden  Kurs  ihr  nicht  mehr  für 
alle  Fälle  Gewähr  zu  bieten  scheint.  Frank- 
reich irrt  sich,  wenn  es  glaubt,  die  neuen 
Rüstungen  seien  gegen  es  gerichtet.  Das 
Motiv  und  die  Wirkung  scheinen  in  ganz 
anderer   Richtung   zu  liegen. 

Und  was  mit  dieser  Kraftanstrengung 
wohl  erreicht  ist? 

Frankreich  spannt  alle  seine  Kräfte  an, 
um  sie  zu  paralysieren.  Und  Rußland?  In 
der  Reichsduma  verkündete  der  Chef  des 
Generalstabes  am  29.  Juni  folgendes: 

„Das  Militärressort  hat  bereits  eine 
Gesetzesvorlage  betreffend  eine  bedeu- 
tende Verstärkung  der  russi- 
schen Wehrkraft  und  die  Formierung 
neuer  Truppenteile  bei  der  Infanterie,  Ka- 
vallerie und  den  anderen  Waffengattungen 
sowie  eine  Reorganisation  der  Feldartillerie 
im  Sinne  der  Vermehrung  der  Anzahl  der 
■Geschütze  in  der  Feldartillerie  der  Armee- 
korps ausgearbeitet.  Alle  diese  Maßregeln 
legten  dem  Vaterlande  große  Opfer  an 
Leuten  und  Geld  auf.  Das  Militär- 
ressort ist  der  Reichs duma  dankbar  für  die 
Bewilligung  des  diesjährigen  Kontingents, 
das  die  Mittel  gegeben  hat,  um  zu  Neu- 
formierungen zu  schreiten.  Künftighin  sind 
jedoch  noch  weitere  große  Mittel 
erforderlich.     Das     Kriegsministerium 


hofft,  daß  die  Reichsduma  dem  Kriegs- 
ressort durch  Verstärkung  der  Armee  zu 
einem  Bestände  verhelfen  wird,  der  es  er- 
möglicht, die  Gesamtmacht  zur  Verteidi- 
gung des  Vaterlandes  und  zum  Schutze 
der  Friedensinteressen  zu  entfalten,  wenn 
ein  machtvolles  Wort  des  Kaisers  die  Armee 
auf  das  Feld  der  Ehren  rufen  sollte." 

Also! 

Das  ist  die  Schraube  ohne  Ende!  Das 
ist  der  Wahnsinn!  Hier  werden  Milliarden 
geopfert,  um  die  deutsche  Wehrmacht  zu 
stärken,  und  im  Westen  und  Osten  wird 
die  Wirkung  dieser  Opfer  sofort  durch  ent- 
sprechende Neurüstungen  wieder  paraly- 
siert. Hier  kann  man  das  bekannte  Wort 
anwenden:  Wer  über  gewisse  Dinge 
den  Verstand  nicht  verliert,  der 
hat  keinen  zu  verlieren. 

Die  große  Militärvorlage  ist  freilich 
bewilligt  worden ;  schon  heute  aber  erscheint 
die  Frage  berechtigt:  In  wieviel  Mo- 
naten oder  Wochen  kommt  die  neue? 


F. 


C£» 


Gegen  die  Rüstungsindustrie.    ::   ::   :;    ::   ::   ::   ::   ::   :: 

Der  vierte  englische  Friedenskongreß,  der 
vom  9.  bis  12.  Juni  in  Leeds  abgehalten  wurde, 
nahm    folgende    Resolution    an: 

„Diese  Konferenz  lenkt  die  Aufmerksam- 
keit auf  die  gewaltigen  finanziellen 
Interessen,  die  hinter  dem  Milita- 
rismus und  den  Kriegsvorberei- 
tungen stehen,  ferner  auf  die  Skru- 
pellosigkeit,  mit  der  die  Rüstungs- 
fabrikanten Verdacht  und  Miß- 
trauen zwischen  freundschaft- 
lichen Völkern  nähren,  um  ihre 
Profite  zu  erhöhen,  und  erklärt, 
daß  der  Fortbestand  dieser  Sach- 
lage den  Frieden  Europas  ernsthaft 
g  efährde  t." 

Sehr  scharf  wurde  auf  dem  Kongreß  die 
Agitation  zur  Einführung  der  allgemeinen  Wehr- 
pflicht in  England  bekämpft.  Bemerkenswert 
war  die  außerordentlich  scharfe  Abrechnung 
von  G-.  H.  P  e  r  r  i  s  mit  den  Praktiken  des 
internationalen  Rüstungskapitals,  ferner  ein  von 
dem  Redakteur  des  Ekonomist  F.  W.  H  i  r  s  t 
eingesandter  Aufsatz,  worin  er  die  Kriegs- 
anleihen als  unmoralisch  branrl markte 
und  deren  internationales  Verbot  be- 
fürwortete. 

NB 

Die  Friedens-Industrie.::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 
In  der  „Frankfurter  Zeitung"  vom  14.  Mai 
(Nr.  132)  wird  als  beste  Maßnahme  zur  Be- 
kämpfung der  der  Kriegsindustrie  dienenden 
Presse  die  Schaffung  einer  Friedens-Industrie 
hingestellt,  „die  ebenso  viel  Geld  einbringt  wie 
die    Kriegsindustrie."      Es    heißt    weiter:    „Aber 


265 


DIE  FBIEDEN5 -'MAßTE 


;§> 


das  würde  jedenfalls  ein.  schweres  Werk  sein, 
denn  die  schönsten  und  edelsten  Dinge  dieser 
Welt  haben  sich  von  jeher  dadurch  ausge- 
zeichnet,   daß    sie    wenig   einträglich   sind." 

Daß  es  an  der  geringen  Einträglichkeit  der 
Friedens-Industrie  liegt,  wenn  sich  starke  Zweige 
der  Industrie  auf  die  Herstellung  von  Kriegs- 
material legen,  erscheint  mir  nicht  richtig. 
Schließlich  dient  ja  die  vorwiegende  Betätigung 
vier  Industrie  dem  Bedarf  des  Friedens  und 
nur  ein  kleiner  Bruchteil  hat  sich  sozusagen 
für  den  Kriegsbedarf  spezialisiert.  Ein  Beweis, 
daß  die  Friedens-Industrie  nicht  uneinträglich 
ist.  Unendlich  aber  würde  sich  die  Friedens- 
Industrie  heben,  wenn  die  Milliarden,  die 
heute  für  die  Rüstungen  ausgegeben  werden, 
für  Kulturzwecke  frei  werden  möchten.  Noch 
lange  haben  die  Völker  ihren  Bedarf  an  Kultur- 
einrichtungen nicht  gedeckt.  Man  würde  dann 
viel  mehr  landwirtschaftliche  Maschinen,  Eisen- 
l>ahnen,  Brücken,  Kanalisationsbauten,  Loko- 
motiven, Werkzeugmaschinen  und  Werkzeuge  be- 
nötigen als  heute,  und  die  Kriegsindustrien 
würden  ihr  Kapital  und  ihre  Arbeitskräfte  mit 
erhöhtem  Gewinn  für  diese  produktiven  Auf- 
gaben   einsetzen    können. 

Das  schwierigste  ist  nicht,  die  Friedens- 
Industrie  ertragreich  zu  machen,  sondern  es 
scheint  mir  das  Hindernis  darin  zu  liegen,  den 
Beginn  des  Wandels  herbeizuführen.  Der  Kriegs- 
bedarf ist  organisiert.  Der  Auftraggeber  ist  in 
einer  einzigen  Institution  vorhanden,  und  seine 
Geldmittel  sind  unbeschränkt.  Es  ist  bequemer, 
diesem  klar  zum  Ausdruck  kommenden  Bedarf 
das  Angebot  gegenüberzustellen,  als  sich  in 
einen  wieder  aufregenden  Wettbewerb  um  die 
Bedürfnisse  der  vieltausendköpfigen  Auftrag- 
geber der  Friedens-Industrie  einzulassen.  Hier 
ist  nicht  der  Sperling,  sondern  die  Taube  schon 
in  der  Hand.  Auf  dem  Dache  sitzt  allerdings 
auch  eine  Taube,  man  hält  sie  aber  für  einen 
Sperling. 

Aus  diesem  fehlerhaften  Zirkel  kann  uns 
nur  die  Initiative  des  Staates  herausreißen,  in- 
dem die  Kriegsindustrie  allmählich 
verstaatlicht  wird.  Die  Interessenten 
werden  in  einer  entsprechenden  Uebergangszeit 
anfangen  müssen,  sich  um  die  Friedensbedürf- 
nisse der  Bevölkerung  umzusehen.  Sie  werden, 
wenn  von  den  großen  Autraggebern  nichts 
mehr  zu  erwarten  ist,  Pflüge  und  ähnliche 
Nützlichkeiten  bauen.  Den  Bedarf  dazu  werden 
sie  durch  ihre  Presse  anstacheln  lassen,  wenn 
er  sich  nicht  in  befriedigender  Weise  selbst 
äußert.  Die  Kriegshetzer  von  heute  werden 
dann  Bahnbau  -  Notwendigkeiten  entdecken, 
gegen  nachlässige  Stadtverwaltungen  mobil 
machen,  die  nicht  genügend  hygienische  Vor- 
sorge treffen,  durch  Erfindung  neuer  Werk- 
zeuge die  verschiedenen  Gewerbe  zur  Verbess- 
rung  ihrer  Produkte  anspornen,  für  den  Bau 
von  Tuberkulose-  und  Genesungsheimen  plä- 
dieren   und    für    ähnliche   nützliche    Dinge. 

Durch  eine  derartige  Verstaatlichung  wird 
aber    dem    internationalen    Rüstungswettbewerb 


sein  verderblichster  Ansporn  genommen  werden, 
und  die  Möglichkeit  eines  Rüstungsistillstandes 
auf  internationaler  Grundlage  wird  sich  ein- 
stellen. Durch  die  alsdann  freiwerdenden  Milli- 
onen wird  die  Friedens-Industrie  blühen  und 
erhöhten  Aufschwung  nehmen.  Und  ihre  heu- 
tigen Agenten  werden  sogar  die  interessiertesten 
Agitatoren  für  eine  weitere  Beschränkung  der 
Rüstungsausgaben  werden.  Sie  werden  alsdann 
erkennen,  daß  der  Friede  doch  das  einträg- 
lichste  Geschäft   ist. 

So  wird  es  kommen.  Aber  der  Staat  muß 
anfangen.  Der  Wandel  muß  durch  die  Macht 
des  Staates  erzwungen  werden.  Auch  die  In- 
dustrie wird  reiten  können,  wenn  sie  erst  im 
Sattel   sitzt. 


Verschiedenes. 

ParlamentarierzusammenkQnfte  in  der  Vergangenheit. 

Der  zwischen  deutschen  und  französischen 
Parlamentariern  in  Bern  unternommene  Ver- 
such, die  Verständigung  beider  Staaten  zu 
fördern,  hat  bereits  Präzedenzfälle  aufzuweisen. 
An  diese  zu  erinnern  erscheint  um  so  wich- 
tiger, als  dadurch  die  gegen  die  Berner  Zu- 
sammenkunft erhobenen  Einwände  neuerdings 
an  Gewicht  verlieren.  Zwei  Fälle,  auf  die  in 
der  vorhergehenden  Nummer  nur  kurz  hinge- 
wiesen wurde,  zeigen  deutlich,  daß  es  sich  bei 
derartigen  Unternehmungen  nicht  um  die  Masse 
der  Teilnehmer,  sondern  um  den  Geist,  der 
die  Erschienenen  beseelt,  handelt,  und  in  erster 
Linie  darum,  überhaupt  einen  Anfang  zu 
(machen,  einen  Anstoß  nach  einer  bestimmten 
Richtung  zu  geben. 

So  sei  an  jene  berühmte  Zusammenkunft 
französischer  und  englischer  Deputierter  er- 
innert, die  am  31.  Oktober  1888  im  Pariser 
Grand   Hotel   stattfand. 

Frederic  Passy  hatte  in  der  franzö- 
sischen Deputiertenkammer  wiederholt  den  Ver- 
such gemacht,  die  französische  Regierung  für 
den  Abschluß  eines  Schiedsvertrages  mit  Eng- 
land zu  interessieren.  Randal  Cremer,  der  be- 
kannte Arbeiterführer  des  englischen  Parlaments, 
der  schon  vorher  die  Initiative  für  eine  Par- 
lamentsaktion zugunsten  eines  anglo  -  ameri- 
kanischen Schiedsvertrages  unternommen  hatte, 
Wandte  sich  an  Passy  mit  dem  Vorschlage, 
zur  rascheren  Förderung  eines  englisch-franzö- 
sischen Schiedsabkommens  eine  Zusammenkunft 
englischer  und  französischer  Parlamentarier  zu 
bewirken.  Er  rechnete,  wie  Frederic  Passy  be- 
richtet, auf  die  Teilnahme  von  150  bis  200 
seiner  englischen  Kollegen.  ■  Passy  erwiderte 
ihm,  daß  er  die  Idee  für  ausgezeichnet  halte 
tund  daß,  wenn  nur  ein  halbes  Dutzend  eng- 
lischer Parlamentarier  erscheinen  würden,  ,,die 
Tatsache  einer  solchen  Entente  der  Vertreter 
zweier  Nationen  ein  Ereignis  von  höchster  Trag- 
weite wäre."  Cremer  kam  nach  Paris,  nahm 
Fühlung  mit  verschiedenen  Politikern,,  deren  Zu- 
stimmung    er    fand,     und    auch    der   Minis ter- 


266 


<£ 


DIE  FRI EDENS ->\*XRXE 


Präsident  G-oblet  ermutigte  ihn  zu  seinem  Vor- 
haben. 

An  dem  oben  erwähnten  31.  Oktober  1888 
fand  jene  Parlamentarier-Zusammenkunft  statt, 
an  der  statt  der  erhofften  200  nur  9  englische 
Deputierte  erschienen  waren,  denen  nur  25  fran- 
zösische Abgeordnete  gegenüberstanden.  Die 
Sitzung  war  nur  von  kurzer  Dauer.  Sie  währte 
eine  Stunde  und  zeitigte  eine  Anzahl  Reso- 
lutionen, durch  deren  eine  beschlossen 
wurde,  für  das  folgende  Weltausstellungsjahr 
eine  neue  Zusammenkunft  einzuberufen,  zu  der 
die  schiedsgerichtsfreundlichen  Parlamentarier 
giuch  der  anderen  Parlamente  zuzuziehen  sind. 
Es  wurde  ein  Komitee  eingesetzt,  das  diese  Zu- 
sammenkunft vorzubereiten  hatte.  Damit  war 
die  interparlamentarische  Union 
begründet.  Aus  jener  schlecht  besuchten, 
von  den  Zeitgenossen  nur  kaum  beachteten 
Vereinigung  entwickelte  sich  jene  Körperschaft, 
die  heute  in  21  Parlamenten  3640  Mitglieder 
umfaßt,  deren  großer  Einfluß  auf  die  Ent- 
wicklung der  internationalen  Beziehungen  des 
Völkerrechts  und  namentlich  des  Haager  Werkes 
von  der  ganzen  Kulturwelt  anerkannt  wird. 

Man  sieht,  es  ist  nicht  die  Masse  not- 
wendig,   um    große    Folgen   zu    zeitigen. 

Und  noch  auf  eine  andere  Parlaments- 
entrevue sei  hier  hingewiesen^  Sie  fand  zwischen 
dem  21.  und  25.  Juli  1903  in  London  statt. 
Das  Commercial  Committee  des  englischen 
Unterhauses  war  nach  Paris  gekommen,  um  die 
französischen  Parlamentarier  zu  einer  in  London 
abzuhaltenden  gemeinsamen  Sitzung  einzuladen. 
Der  Zweck  war  die  Besprechung  einer  gemein- 
samen Aktion  zur  Herstellung  eines  ständigen 
Schiedsgerichtsvertrages  zwischen  England  und 
Frankreich. 

Neunzig  Mitglieder  des  französischen  Par- 
laments leisteten  jener  Einladung  Folge.  Also 
iange  nicht  so  viel  als  französische  Parlamen- 
tarier in  Bern  anwesend  waren.  Das  Ergebnis 
jenes  denkwürdigen  Parlamentsbesuches  war 
•nicht  nur  der  Schiedsvertrag,  der  noch  im  selben 
Jahre  zwischen  England  und  Frankreich  unter- 
zeichnet wurde,  sondern  auch  die  Entente  cor- 
diale,  die  die  politischen  Verhältnisse  Europas 
in    entscheidender   Weise    beeinflußte. 


Die  Adresse    der  englischen  Kirchen    an  den  Kaiser. 

Eine  Deputation,  an  deren  Spitze  der 
Bischof  Boyd  Carpenter  sich  befand, 
überreichte  am  16.  Juni  dem  Kaiser  aus  An- 
laß seines  Regierungs  Jubiläums  eine  Adresse, 
deren   Wortlaut   hier   festgehalten  werden  soll. 

„An  Seine  Majestät  den  Deutschen  Kaiser. 
Untertänige  Adresse  des  Britischen  Aus- 
schusses der  Vereinigten  Ausschüsse  von 
Kirchen  im  Britischen  und  Deutschen  Reich 
zur  Förderung  freundschaftlicher  Beziehungen 
zwischen  beiden  Völkern.  Eure  Majestät  wolle 
uns  gestatten,  als  den  Vertretern  des  Aus- 
schusses Eurer  Majestät  unsere  respektvollsten 
und  herzlichsten  Glückwünsche  zum  25.  Jahres- 


tage von  Eurer  Majestät  Besteigung  des  Kaiser- 
lichen Thrones  von  Deutschland  darzubringen. 
Die  Periode,  während  welcher  Eure  Majestät 
negiert  haben,  ist  gekennzeichnet  durch  einen 
außerge wohnlichen  Fortschritt  in  der  mate- 
riellen, moralischen  und  intellektuellen  Wohl- 
fahrt des  deutschen  und  unseres  eigenen  Volkes 
und  an  diesen  Segnungen  haben  auch  andere 
Nationen  teilgenommen.  Ein  solcher  Fort- 
schritt ist  nur  möglich,  wenn  die  Völker  frei 
sind  von  den  Besorgnissen  und  Störungen  des 
Krieges,  und  wir  erkennen  es  mit  Dankbarkeit 
an,  daß  die  Erhaltung  des  europäischen  Frie- 
dens nächst  Gott  in  nicht  geringem  Maße  auf 
den  früh  gebildeten  und  unermüdlich  fest- 
gehaltenen Entschluß  Eurer  Majestät  zurück- 
zuführen ist,  die  Segnungen  des  Friedens  zu 
fördern  und  zu  erhalten.  —  Als  Vertreter  einer 
•Nation,  die  mit  der  deutschen  Nation  durch 
'Bande  des  Bluts,  der  Freundschaft  und  des 
wechselseitigen  Interesses  verbunden  ist, 
heißen  wir  das  Prosperieren  der  von  Eurer  Ma- 
jestät beherrschten  Länder  willkommen,  und 
,obscbon  wir  erkennen,  daß  es  zwischen  zwei 
sich  ausdehnenden  Nationalitäten  nicht  an 
einem  gesunden  Wettbewerb  fehlen  kann,  sind 
wir  doch  überzeugt,  daß  eine  solche  Rivalität 
eine  freundschaftliche  sein  kann,  und  wir 
blicken  mit  Vertrauen  nach  vorwärts,  da  wir 
uns  erinnern,  daß  unter  Eurer  Majestät  Leitung 
während  aller  dieser  Jahre  wechselseitiger 
kommerzieller  Aktivität  es  keinen  Bruch  der 
Freundschaft  zwischen  den  beiden  großen  Völ- 
kern gegeben  hat.  Wir  danken  Gott  für  dies 
Zeichen  seiner  Vorsehung,  wie  wir  überzeugt 
sind,  daß  eine  herzliche  Kooperation  zwischen 
Deutschland  und  Großbritannien  von  dem 
größten  Nutzen  für  den  allgemeinen  Fortschritt 
der  Menschheit  ist,  und  daß  jede  Behinderung 
dieser  vereinten  Bestrebungen  der  christlichen 
Zivilisation  eine  schwere  Schädigung  zufügen 
würde.  Als  Mitglieder  einer  Vereinigung  Christ- 
licher Kirchen  halten  wir  die  Förderung  einer 
internationalen  Brüderschaft  für  einen  wesent- 
lichen Teil  unserer  Pflicht  gegenüber  unserem 
Herrn  und  Meister  Jesus  Christus,  und  unsere 
Genossen  in  beiden  Reichen  streben  dem- 
gemäß danach,  ihrem  Volk  das  Gefühl  für  die 
Verantwortlichkeit  einzuprägen,  die  auf  ihnen 
mihen  würde,  wenn  sie  gestatten  würden,  daß 
irgendwelche  unwürdigen  Empfindungen  die 
freundschaftlichen  Beziehungen  unterbrechen, 
die    zwischen    den    beiden   Nationen    besteht. 

Wir  sind  sicher,  daß  sowohl  Eure  Majestät 
wie  Eurer  Majestät  Ratgeber  mit  uns  in  diesem 
Wunsche  sympathisieren,  und  wir  beten,  daß 
Gott  Eure  Majestät  lange  erhalten  möge,  um 
die  große  Aufgabe  weiterzuführen,  den  Frieden 
der  Welt  zu  suchen,  der  mit  dem  Fortschritt 
der  Zivilisation  und  der  Ausbreitung  unseres 
gemeinsamen  Glaubens  fest  verbunden  ist." 

Der  Kaiser  hat  auf  die  Ansprache  des  eng- 
lischen Bischofs  mit  folgenden  Worten  geant- 
wortet : 


267 


DIE  FßlEDEN5->i*£ßTE 


3 


„Es  gewährt  mir  ein  großes  Vergnügen, 
Ihre  Deputation  zu  empfangen  und  ich  kann 
Innen  nur  die  Versicherung  geben,  daß  ich 
fortfahren  werde,  mein  Bestes  zu  tun,  u  m  d  e  n 
Frieden  zu  erhalten  und  die  freund- 
lichen Beziehungen  zu  fördern,  die 
"zwischen    den    beiden    Nationen    bestehen." 

«5» 

Das  wahre  Antlitz  des  Krieges.    ::   ::    ::   ::   ::   ::   ::   :: 

Der  deutsche  Arzt  Dr.  von  Oettinger, 
Üer  den  Balkankrieg  als  Chef-Chirurg  des  ser- 
bischen Roten  Kreuzes  mitgemacht  hat,  ver- 
öffentlicht unter  obigem  Titel  in  der  „Ber- 
liner Illustrierten  Zeitung"  einige  Erlebnisse  aus 
dem  Balkankrieg,  die  seiner  eigenen  Darstellung 
nach  dazu  dienen  sollen,  „den  leichtsinnigen 
.Hetzern"  .  .  .  das  Kriegselend  vor  Augen  zu 
führen."  Eingangs  sagt  der  Verfasser,  der  durch- 
aus kein  Pazifist  ist,  sondern  den  Krieg  als 
„ein  unabwendbares  Uebel"  glaubt  bezeichnen 
zu  müssen: 

„Es  hat  zu  jeder  Zeit  Verherrlicher  des 
Krieges  gegeben,  und  zwar  nicht  nur  unter 
denen,  die  in  Kriegszeiten  im  Trüben  zu  fischen 
gedenken,  sondern  auch  Dichter  und  Denker 
haben  sich  begeistert  über  die  segensreichen 
Wirkungen  des  Krieges  ausgesprochen.  Mag 
man  darüber  rechten  und  streiten,  sicher  ist, 
daß  das  eigentliche  Wesen  des  Krieges,  das 
(Grauen  und  die  Scheußlichkeit  nur  in  jenem 
haften  bleiben,  der  die  Kriegsleiden  des  Kampfes 
kennen  lernen,  sie  beobachten  mußte.  Weder 
der  Kulturfortschritt  der  Nationen,  noch  die 
vervollkommnete  Technik  der  Waffen  haben 
an  der  Grausamkeit  des  Krieges 
irgend  etwas  geändert.  Im  Gegen- 
teil! Wenn  in  früheren  Jahrhunderten  „die 
Bestie  im  Menschen"  noch  die  Genugtuung 
hatte,  Aug'  in  Auge  mit  dem  Feinde  zu  ringen, 
ihn  —  sei  es  mit  Kolben  oder  Zähnen  —  zu 
vernichten,  so  kommt  das  heutzutage  nur  noch 
selten  vor."  Er  schildert  dann  die  Grausam- 
izeit der  sogenannten  „humanen"  Geschosse,  und 
fährt  fort :  Besonders  grausam  ist  der  Festungs- 
krieg, wenn  gestürmt  werden  soll.  Die  Militär- 
ingenieure haben  die  Verteidigung  selbst  einer 
'offenen  Stadt  heute  auf  eine  so  hohe  Stufe 
gebracht,  daß  ein  Ort,  der  sich  verproviantieren 
kann  (zum  Beispiel  Skutari,  das  am  See  liegt), 
fast  als  uneinnehmbar  gelten  kann.  Der  An- 
greifer bedient  sich  der  großen  Belagerungs- 
geschütze, die  aber  im  allgemeinen  nicht  viel 
Unheil  anrichten.  In  großen  Laufgräben  ver- 
bucht er  sich  dem  Orte  zu  nähern,  ihn  im 
Kreise  einzuschließen,  ihn,  wenn  möglich,  von 
der  Wasserzufuhr  abzuschneiden.  Der  Vertei- 
diger aber  benutzt  als  Annäherungshindernis 
den  berüchtigten  Stacheldraht,  der 
in  jeder  Form,  als  Wolfsgrube  oder  als  Fall- 
draht, wirksam  wird.  Letzterer  wird  nur  15 
bis  20  Zentimeter  hoch  im  Grase  ausgespannt, 
und  anstürmende  Kolonnen  pras- 
seln hin  als  wäre  der  Blitz  in  sie 
gefahren.  Dabei  sind  die  Drähte  kaum  zu 
finden.     Das   schwierigste   Hindernis  aber  sind 


die  Gewirre  von  Stacheldraht,  aus  denen  selbst 
ein  gesunder  Mann  sich  kaum  zu  befreien  ver- 
mag. Um  solche  Hindernisse  hinwegzuräumen, 
wurden  in  der  Mandschurei  Sturmkolonnen  aus- 
gelost. Mit  großen  Eisenscheren  versehen 
—  ohne  Waffe  —  mußten  sie,  —  tot- 
geweiht, —  vorausstürmen,  alles  durch- 
schneiden und  forträumen,  damit  über  ihre 
Leichen  hinweg  vorgedrungen  werden 
konnte." 

RS) 

Die  pazifistische  Durchdringung.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 
Am  19.  April  hielt  der  Führer  der  Kadetten- 
partei, Miljukow  in  der  russischen  Duma 
eine  große  Rede  zur  auswärtigen  Politik  in  der 
er    u.    a.    folgendes    sagte: 

„Es  zeigte  sich  also  in  ganz  Europa  eine 
ungewöhnliche  Tendenz  zur  Friedensliebe, 
welche  auch  noch  bis  jetzt  anhält,  wie  aus 
dem  Allerhöchsten  Reskript  an  den  Minister 
des  Aeußeren  hervorgeht.  Offenbar  haben 
die  Ideen  des  Pazifismus  in  Europa 
Erfolg.  Vor  zehn  Jahren  wäre  Eu- 
ropa aus  dieser  Balkankrisis  kaum 
so  friedfertig  hervorgegangen,  wie 
j  e  t  z  t."    , 

»st 
Kurze  Mitteilungen.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 
In  die  Redaktion  der  „Zeitschrift  für  Völ- 
kerrecht und  Bundesstaatsrecht"  ist  Dr.  Hans 
Wehberg  neben  den  Professoren  Kohler  und 
Oppenheim  eingetreten  und  hat  die  Schrift- 
leitung übernommen.  —  Baron  d'Estournelles 
'de  Constant  hat  einen  schweren  Verlust  er- 
litten. Am  11.  Juni  verschied  in  Paris  sein 
25  jähriger  Sohn.  —  Am  30.  Juni  starb  in 
Philadelphia  Alfred  H.  Love  im  83.  Lebensjahr. 
Er  begründete  1866  die  „Universal  Peace  Union" 
und  gab  seit  36  Jahren  den  „Peacemaker"  her- 
aus. —  Im  Rahmen  der  Jenaer  Ferienkurse, 
die  vom  4.  bis  16.  August  zum  25.  Mal  ab- 
gehalten werden,  wird  am  6.  August  Anna 
B.  Eckstein  über  „Der  Sinn  des  Lebens  und  die 
Friedenssicherung"  sprechen.  —  Der  Senat 
der  Universität  Leiden  hat  aus  Anlaß  der  be- 
vorstehenden Eröffnung  des  Haager  Schieds- 
palastes  vier  Ehrendoktoren  der  Staats- 
wissenschaft ernannt.  Es  sind  dies :  Staats- 
minister Prof.  Asser,  Haag,  Prof.  Renault, 
Paris,  Senator  Elihu  Root,  Washington,  und 
Alfred  H.  Fried,  Wien  —  David  Starr  Jordan, 
der  Präsident  der  Leland  Stanford-Universität 
in  Kalifornien,  hat  auf  ein  Jahr  Urlaub  ge- 
nommen, den  er  im  Dienste  der  Friedens- 
propaganda in  Europa  zu  verbringen  beabsichtigt. 
Er  wird  zunächst  in  England  einige  Vorträge 
halten  und  dann  die  Balkanstaaten  besuchen,  um 
sich  an  Ort  und  Stelle  über  die  Folgen  des 
Krieges  zu  unterrichten.  —  Im  Haag  hat  sich 
unter  dem  Vorsitz  des  Ihr.  Mr.  A.  Van  Daehne 
von  Varick  ein  Komitee  gebildet,  das  es  sich  zur 
Aufgabe  stellt,  William  Stead  im  Frie- 
denspalast   ein    Denkmal    zu    errichten. 


268 


<2= 


DIE  FBIEDEN5-WAPTE 


AVS  DER  BEWEGVN6 

Der  JC^CI.  Weltfriedenskongreß  in  Wien.  ::  ::  :: 
Im  nächsten  Jahre  wird  ein  Vierteljahr- 
hundert seit  dem  Beginn  der  neuen  Serie  der 
Weltfriedenskongresse  vergangen  sein.  In  dieser 
Zeit  werden  20  dieser  Kongresse  in  fast  allen 
Ländern  Europas  getagt  haben,  mit  Ausnahme 
von  Oesterreich.  In  der  ungarischen  Hauptstadt 
fand  der  Kongreß  bekanntlich  im  Jahre  1896 
eine  noch  in  aller  Teilnehmer  Erinnerung  be- 
findliche glänzende  Aufnahme.  Im  nächsten 
Jahre  wird  auch  ein  Jahrhundert  vergangen 
sein,  seitdem  in  Wien  der  große  Fürsten-  und 
Diplomatenkongreß  zusammentrat,  der  die 
Grundlage  zum  heutigen  Europa  legte.  Aus 
diesen  Gründen  wird  dem  im  August  im  Haag 
stattfindenden  XX.  Weltfriedenskongreß  die 
Einladung  überreicht  werden,  den  XXI.  W  e  1 1- 
f r i e d ensk o n gr e ß  im  Herbst  des 
nächsten  Jahres  in  Wien  abzu- 
halten. 

na 

Kalendarium  der  pazifistischen  Veranstaltungen.  ::   :: 

4. — 30.  August:  Abhaltung  eines  interr 
nationalen  Friedens -Seminars  in  Kaisers- 
lautern. 

19.-21.  August:  VIII.  Deutscher  Espe- 
rantokongreß   in    Stuttgart. 

20.— 23.  August:  XX.  Weltfriedenskongreß 
im    Haag. 

23. — 25.  August:  Internationaler  Friedens- 
kongreß der  Freimaurer  im  Haag. 

28.  August:  Einweihung  des  Friedens- 
palastes im  Haag. 

29. — 31.  August:  IX.  Internationaler  Espe- 
rantokongreß in  Bern. 

29.  Aug.  bis  13.  Sept.:  VIII.  Weltkongreß 
der  Studentenverbände  (Corda  Fratres)  in 
Ithaca,  New  York. 

1. — 5.  September:  Internationale  Studenten- 
vereinigung   im   Haag. 

3. — 6.  September:  XVIII.  Interparlamenta- 
rische   Konferenz    im    Haag. 

10. — 13.  September:  Konferenz  der  deutsch- 
französischen  Verständigungs-Vereinigung  „Pour 
mieux  se  connaitre"  in  Gent. 

1.  Oktober:  XXVIII.  Konferenz  der  Int. 
Law    Association   in  Madrid. 

4. — 6.  Oktober:  Zweiter  Verbandstag  des 
„Verbandes  für  internationale  Verständigung" 
in  Nürnberg. 

MB 

Der  70.  Geburtstag  der  Baronin  Suttner.  ::        ::   ::   :: 

Auf  besonderen  Wunsch  der  Baronin  unter- 
blieb jede  offizielle  Feier  ihres  70.  Geburts- 
tages. Sie  hatte  sich  auch  durch  ihre  Abreise 
jeder  Ueberrumpelung  entzogen.  Der  Vorstand 
der  österreichischen  Friedensge- 
sellschaft trat  jedoch  am  7.  Juni  zu  einer 
Festsitzung  zusammen,  bei  der  Vizepräsident  Bal- 
duin  Groller  eine  Ansprache  hielt,  deren  Wortlaut 
'bereits     in     der    vorhergehenden    Nummer    der 


„Friedens-Warte"  (S.  239)  zum  Abdruck  ge- 
bracht wurde.  Die  deutsche  Friedensgesellschaft 
übersandte  eine  kunstvoll  ausgestattete  Adresse 
folgenden    Inhalts : 

„Stuttgart,  im  Mai  1913. 

Hochverehrte  Frau  Baronin! 

An  dem  Ehrentage,  der  Ihnen  mit 
Ihrem  70.  Geburtsfeste  aufzieht,  stellt  sich 
unter  den  viel  tausenden  dankbarer  Zeit- 
genossen auch  die  Geschäftsleitung  der  Deut- 
schen Friedensgesellschaft  bei  Ihnen  ein, 
jurn  Urnen  ihre  volle  Anerkennung  für  Ihr 
selbstloses  Wirken  im  Dienst  der  uns  allen 
heiligen  Sache  auszudrücken.  Sie  haben  nicht 
nur  in  Ihren  weltberühmten  Schriften  „Die 
Waffen  nieder!",  „Schach  der  Qual",  „Der 
Menschheit  Hochgedanken"  u.  a.  m.  der 
Friedensidee .  beredten  und  hinreißenden  Aus- 
druck verliehen  und  dadurch  eine  Welt  von 
Kräften  für  den  Kampf  um  die  Zukunft  der 
Menschheit  aufgerufen,  Sie  haben  nicht  nur 
auf  den  internationalen  Kongressen  von  einer 
weithin  sichtbaren  Warte  herab  Ihre  geist- 
vollen und  lebenssprühenden  Ideen  einer  be- 
geisterten Zuhörerschaft  kundgetan,  Sie 
haben  auch  durch  eine  hingebende  Klein- 
arbeit den  wissenschaftlichen  Pazifismus 
Imitbegründet  und  das  Arsenal  der  Friedens- 
freunde mit  tausend  geistigen  Waffen  ge- 
füllt. So  sind  Sie  zu  der  Blannerträgerin 
unserer  Bewegung  geworden,  die  uns  bis  in 
die  spätesten  Zeiten  in  der  Gloriole  der  Ver- 
klärung —  ein  Gegenstück  zu  der  den  na- 
tionalen Gedanken  vertretenden  Jungfrau  von 
Orleans  —  voranleuchten  wird.  Und  wie 
die  Schülers  che  Jeanne  d'Arc  im  Blick  auf 
ihre  Fahne  sagen  konnte:  „Ich.  darf  sie 
zeigen,  denn  ich  trug  sie  treu,"  so  mögen 
auch  Sie  im  Gedanken  an  Lore  erfolgreiche 
Tätigkeit  das  Friedensbanner  in  geweihten 
Händen  halten,  des  endlichen  Siegs  der  von 
Ihnen   vertretenen   heiligen   Sache  gewiß ! 

Möge,  nachdem  sich  die  kriegerischen 
Wetterwolken  verzogen  haben,  das  Licht  der 
Friedenssonne  Ihren  Lebensabend  verklären. 
Den  Dank  der  Millionen,  die  Sie  von  der 
blutigen  Geißel  des  Krieges  erretten  halfen, 
wird  Ihnen  die  Nachwelt  nicht  schuldig 
bleiben. 

In    herzlicher   Verehrung 

der  Vorstand  der  Deutschen 
Friedensgesellschaft. 

Dr.   Adolf  Richter,   m.   p. 
Stadtpfarrer  .Umfrid,  m.  p. 

In  Stuttgart,  Hamburg,  Frankfurt  a.  M. 
veranstalteten  die  dortigen  Friedensgesell- 
schaften öffentliche  Suttnerfeiern.  Der  Prager 
(Stadtrat  übersandte  eine  künstlerisch  ausge- 
führte Bronzeplakette  mit  einer  ehrenden  In- 
schrift. Bertha  von  Suttner  ist  in  Prag  ge- 
boren. Es  ist  anerkennenswert,  daß  der  tsche- 
chische   Stadtrat   von   Prag  soviel   Objektivität 


269 


DIE  FRIEDENS -^kßTE  = 


besitzt,  die  große  Tochter  der  Stadt  zu  ehren, 
obwohl  sie  eine  deutsche  Frau  ist.  Die  deutsche 
Stadtverwaltung  von  Wien  hat  sich  leider  nicht 
einmal  zu  einer  Begrüßungsdepesche  aufge- 
schwungen. 

Das  Begleitschreiben  zur  Ehrenplakette  hat 
folgenden  Wortlaut: 

„Präsidium 

des  Stadt-  und  Magistratsrates 

der  königl.   Hauptstadt  Prag. 

Hochgeborne  Frau! 

Der  Gemeinderat  der  königl.  Hauptstadt 
Prag  hat  aus  Anlaß  der  seltenen  Feier  des 
70.  Geburtsfestes  Ihr.  Hochgeboren  in  seiner 
Sitzung  vom  23.  Mai  1913,  eingedenk  der  lang- 
jahrigen,  eifrigen  und  unermüdlichen  Bestre- 
bungen hingebend  zur  Erhaltung  eines  dauern- 
den Weltfriedens  und  eines  friedlichen  Zu- 
sammenlebens unter  allen  Nationen  der  Welt, 
einstimmig  beschlossen,  Ihnen  die  Ehren-  und 
Verdienstplakette  der  königl.  Hauptstadt  Prag 
zu  verleihen,  als  bescheidenen  Beweis  der 
höchsten  aufrichtigsten  Anerkennung  Ihrer  .  be- 
sonderen verdienstvollen  Bestrebungen  und 
Ihres,   einem  edlen  Ziele  geweihten  Lebens. 

Es  gereicht  mir  .zur  besonderen  Ehre  und 
ist  mir  eine  angenehme  Pflicht,  Sie,  hoch- 
geborne Frau,  von  diesem  einstimmigen  Be- 
schluß des  Stadtrates  der  königl.  Hauptstadt 
Prag  in  Kenntnis  zu  setzen  und  erlaube  ich  mir 
gleichzeitig,  Sie  im  Namen  des  Präsidiums  des 
Stadtrates,  sowie  im  eigenen  Namen  auf  das 
allerherzlichste    zu    beglückwünschen. 

Mit  dem  innigen  Wunsche,  es  möge  Ihnen 
durch  eine  lange  Reihe  von  Jahren  bei  voller 
Geistes-  und  Körperfrische  noch  vergönnt  sein, 
für  die  erhabene  Idee  des  Weltfriedens  bis  zu 
dem  endlichen  Siege  dieses  Ringens,  welcher 
von  der  Menschheit  so  sehnsüchtig  erwartet 
wird,  zu  wirken,  schließe  ich  gleichzeitig  die 
Plaquette  bei  und  bin 

hochgeborne  Frau  stets  ganz  ergebener 
Gros, 
Bürgermeister    der    königl.     Hauptstadt 
Prag. 
Prag,  den  23.  Mai  1913." 

Der  Baronin  zu  Ehren  wurde  eine  Samm- 
lung für  eine  Suttnerstiftung  eingeleitet,  deren 
Erträgnis  die  Baronin  für  die  Oesterreichische 
Friedensgesellschaft  bestimmte.  Die  Sammlung 
ergab  bis  jetzt  den  ansehnlichen  Betrag  von 
ca.  30  000  Kr. 

Unmöglich  ist  es,  die  nach  vielen  hunderten 
zählenden  Depeschen  und  Gratulations- 
schreiben anzuführen,  die  aus  allen  Ländern 
.und  aus  allen  Kreisen  herrührten.  Daß  aber 
auch  Mitglieder  des  österreichischen  Kaiser- 
hauses unter  den  Gratulanten  sich  befanden, 
soll   hervorgehoben  »werden.   , 

Die  Presse  aller  Länder  —  ganz  abgesehen 
(von  der  pazifistischen  Fachpresse,  —  befaßte  sich 
in    ausführlichen    Artikeln    mit    der    Jubilarin. 


(Näheres  darüber  unten  in  der  „Artikel-Biblio- 
graphie".) Viele  brachten  auch  ihr  Porträt.  So 
gestaltete  sich  das  Suttnerjubiläum  zu  einer 
Weltfriedens  feier,  bei  der  die  große  Verehrung 
und  der  internationale  Ruhm  der  großen  Frau, 
aber  auch  der  Umfang  und  die  Bedeutung  des 
Pazifismus  deutlich  zum  Ausdruck  gelangte. 


Friedensgesellschaft  in  Mülhausen  i.  E.     ::   ::    ::   ::   :: 

Auf  elsässischen  Boden  beginnt  der  Pa- 
zifismus mächtig  in  die  Höhe  zu  schießen.  Die 
(Bewohner  der  Reichslande  sind  sich  ihrer  Lage 
bewußt  geworden,  haben  erkannt,  daß  ein  Krieg 
sie  in  erster  Linie  treffen  müßte,  die  Arbeit 
für  die  Friedenssicherung  ihr  wichtigster  Be- 
ruf sei.  Aus  diesen  Erwägungen  heraus  traten 
dort  jene  erfreulichen  Kundgebungen  in  Er- 
scheinung, die  wir  in  den  letzten  Monaten  hier 
verzeichnen  konnten;  so  wird  jetzt  wieder  die 
Gründung  einer  neuen  Friedensgesellschaft  in 
Mülhausen  gemeldet,  die  ihren  Anschluß  an 
die  Deutsche  Friedensgesellschaft  gesucht  hat 
und  an  deren  Spitze  der  bekannte  elsä-ssische 
Industrielle  v.  Schlumberger  getreten  ist. 
Dieser  eröffnete  auch  die  konstituierende  Sitzung 
mit  einer  Ansprache,  in  der  er  auf  die  im'  Früh- 
ling abgehaltene  imposante  Friedenskundgebung 
der  drei  politischen  Organisationen  Mülhausens 
sowie  auf  die  einstimmig  gefaßte  Resolution 
des  elsaß-lothringischen  Landtags  zugunsten 
des  Friedens  hinwies.  Wenn  auch  die  edlen 
Bestrebungen  der  Friedensfreunde  von  mancher 
Seite  noch  als  Utopien  angesehen,  so  führte 
(der  Redner  aus,  und  der  Krieg  als  eine  Natur- 
notwendigkeit hingestellt  werde,  so  mache  der 
Pazifismus  doch  zusehends  Fortschritte.  Be- 
sonders in  Elsaß-Lothringen  finde  die  Friedens- 
idee großen  Anklang,  da  unser  Land  kein 
Festungsglacis  sein,  sondern  die  natürliche 
Brücke  zwischen  den  beiden  großen  Kultur- 
völkern diesseits  und  jenseits  der  Vogesen  bilden 
wolle,  die  es  schon  zu  französischer  Zeit  war. 
Für  eine  ruhige  friedliche  Entwicklung  unserer 
Verhältnisse  und  gegen  alle  Chauvinisten  und 
Kriegshetzer  müsse  das  Losungswort  der  zu 
gründenden  Friedensgesellschaft  sein,  schloß 
der  Redner  seine,  mit  großem  Beifall  auf- 
genommenen   Ausführungen. 

Einige  Tage  nach  der  Gründung  der  Ge- 
sellschaft, der  gleich  86  Mitglieder  beitraten, 
•würde  ein  Aufruf  erlassen.  Darin  wird  zu- 
nächst auf  das  Bestehen  von  Friedensgesell- 
schaften in  Straßburg  und  Colmar  hingewiesen, 
und  dann  werden  die  Gedanken  und  Ziele  der 
Friedensbewegung  dargelegt:  „Steigende  Kultur 
und  gemeinsame  Interessen  der  Völker  unter- 
stützen die  Forderung,  daß  die  Beziehungen  der 
Völker  und  Nationen  durch  dieselbe  Moral  und 
dasselbe  Recht  geregelt  werden,  wie  die  Be- 
ziehungen zwischen  den  einzelnen  und  daß  sie 
mit  der  übergeordneten  Idee  der  Menschheit 
in  Einklang  gehalten  werden.  Die  wirtschaft- 
liche Entwicklung  selbst  weise  in  diese  Rich- 
tung und  lasse  den  Krieg  mehr  und  mehr  auch 


I 


270 


(§: 


5  DIE  FRIEDEN5->M^BXE 


als  einen  ökonomischen  Irrtum  erscheinen. 
Pflicht  aller  Friedensfreunde  sei  es,  gegen  den 
Chauvinismus  als  die  seelische  Voraussetzung 
des  Krieges  anzukämpfen.  Zum  Schluß  sagt  der 
Aufruf:  „Allein  neben  unseren  Pflichten  gegen- 
über der  Menschheit  haben  wir  noch  besondere 
Aufgaben  zu  erfüllen  gegenüber  unserem  Heimat- 
land. Das  Elsaß  ist  immer  ein  Grenzland  ge- 
wesen und  hat  als  solches  mehr  als  andere 
Länder  unter  den  Schrecken  des  Krieges  und 
den  Vergewaltigungen,  die  er  im  Gefolge  hat, 
zu  leiden  gehabt.  Wir  wollen  deshalb  auch  im 
(Namen  des  Elsaß  unsere  Stimme  erheben,  in- 
mitten der  stets  wachsenden  Frie- 
densbewegung unseres  Zeitalters. 
In  Verbindung  mit  allen,  denen  das  große 
Ideal  des  Friedens  und  des  Rechtes  am  Herzen 
liegt,  im  Anschluß  an  die  Deutsche  Friedens- 
gesellschaft, wollen  wir  an  der  Lösung  der 
schwebenden  Fragen  so  arbeiten,  daß  da- 
durch der  Jahrhunderte  alte  Hader 
zwischen  zwei  großen  Völkern  auf- 
gehoben, ungerechteVorurteile  be- 
seitigt werden  und  zugleich  unser 
Recht  gewahrt  bleibe  auf  eine  ruhige 
und  friedliche  Entwicklung,  die  uns  vorge- 
zeichnet ist 'durch  die  Ehrenpflicht,  die  jedes 
sich  selbst  achtende  Volk  hat,  die  besonderen 
aus  seiner  ganzen  Geschichte  sich  ergebenden 
Ueberlieferungen  festzuhalten  und  weiter- 
zubilden." 


LITERATUR  V.PBESSE 

Besprechungen.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

Die      Kaisernummer     der     New  York 
Times. 

In  ihrer  Magazine  Beilage  zur  Nr.  vom 
8,  Juni  widmet  die  New  York  Times  dem  Kaiser 
aus  Anlaß  seines  Regierungsjubiläums  fünf 
Seiten  ihres  Großfolioformates.  Neben  einem 
Porträt  des  Kaisers  befinden  sich  auf 
der  ersten  Seite  Aeußerungen  des  Königs 
von  Italien,  der  früheren  Präsidenten 
Roosevelt  und  Taft,  des  Herzogs 
von  A  r  g  y  1 1 ,  des  deutschen  Botschafters 
Graf  Bernstorff  und  des  englischen 
Parlamentariers  Sir  Gilbert  Parker. 
Die  weitere  Nummer  enthält:  Hugo  Mün- 
sterberg, Die  Psychologie  des  Kaisers.  — 
Lord  Blyth,  Der  Kaiser  als  Zentralfaktor 
der  deutschen  Friedenspolitik.  —  Arthur 
von  Gwinner,  Deutschlands  wirtschaft- 
licher Fortschritt.  —  Alfred  H.  Fried,  Der 
Kaiser  und  der  Weltfriede.  —  Andrew  Car- 
negie, Kaiser  Wilhelm  als  Friedensfürst  und 
schließlich  ein  Beitrag  Nicholas  Muray 
Butlers   über  des    Kaisers   Bedeutung. 

D'Estournelles  de  Constant, 
Les    Etats-Unis    d'Amerique.      8°.      Paris    1913. 
Armand  Colin.   IX  und  536  S.     5  Fr. 

Die  Vereinigten  Staaten  sind  eine  pazi- 
fistische Vormacht  geworden.  Ihre  Regierung 
hat  es  unternommen,  die  Arbeit  der  Pazifisten, 
die  in  Europa  noch  immer  scheel  angesehen 
wird,  in  die  politische  Praxis  einzuführen.  Dieser 
Umstand  macht   das  demokratische  Reich  jen- 


seits des  Ozeans  für  alle  diejenigen  interessant, 
die  in  Europa  für  die  Herrschaft  der  Vernunft 
eintreten.  Wenn  nun  einer  der  Führer  dieser 
Bewegung  in  Europa  zu  schildern  unternimmt, 
was  er  auf  seinen  wiederholten  Reisen  nach 
jenem  wunderbaren  Lande  erlebt  und  gesehen 
hat,  so  trägt  ein  solches  Buch  die  Garantien  in 
sich,  für  alle  Friedenskämpfer  ein  Ereignis  zu 
bilden.  Es  ist  aber  weit  gefehlt  anzunehmen, 
daß  uns  D'Estournelles  eine  pazifistische  Schrift 
über  die  Vereinigten  Staaten  vorlegt.  Nein, 
durchaus  nicht.  Er  läßt  den  Pazifismus  kluger- 
weise ganz  beiseite  und  schildert  die  Energie, 
die  Jugend,  den  Willen  und  das  Kulturbewußt- 
sein jener  demokratischen  Staatenorganisation; 
er  schildert  den  Aufschwung  der  Wirtschaft, 
des  Handels,  der  sozialen  Einrichtungen  und 
die  Hemmnislosigkeit  aller  fortschrittlichen  Ge- 
danken, die  den  Bewohnern  jenes  glücklichen 
Landes  innewohnt. 

D'Estournelles  Buch  ist  ein  Führer  durch 
den  amerikanischen  Geist  und  unentbehrlich  für 
jeden,  der  Amerika  verstehen  und  der  Ent- 
wicklung Europas  Richtung  geben  will.  Das 
Buch  ist  ün  zwei  Teile  geteilt.  Der  erste» 
schildert  das  Land,  der  zweite  seine  Probleme. 
Dieser  zweite  Teil  ist  von  ganz  besonderem 
Interesse,  da  er  uns  das  Wesen  jener  starken 
Organisation  erklärt.  Einen  ganz  besonderen 
Raum  widmet  d'Estournelles  den  amerikanischen 
Erziehungsmethoden;  diese  im  weitesten  Um- 
fang genommen.  Er  schildert  uns  die  Rolle  der 
Frau  und  gibt  uns  darin  wichtige  Aufschlüsse. 
In  einem  besonderen  Kapitel  behandelt  er  den 
angeblich  unvermeidlichen  Krieg  zwischen  den 
Vereinigten  Staaten  und  Japan  und  schildert  die 
Haltlosigkeit  dieser  Annahme  und  die  Hohlheit 
des    Schlagwortes    von    der    Meerbeherrschung. 

D'Estournelles  Methode  ist  voll  geistreicher 
Pointen,  voll  sarkastischer  Vergleiche  und  voll 
aussichtsvoller  Hoffnungen.  Ein  Beispiel  seiner 
Bemerkungen:  Er  spricüt  von  dem  Widerstand 
Enfants  in  seiner  im  März  1892  erfolgten  De- 
mission. „Wahrscheinlich  hat  er  sich  unerträg- 
lich gemacht,"  so  folgert  d'Estournelles  „wie 
jeder,  der  seine  Arbeit  jenseits  seiner  Zeit  auf- 
pflanzt und  sie  gegen  die  Ungeduld  seiner  Zeit- 
genossen verteidigt."  An  einer  anderen  Stelle: 
„Uns  in  Frankreich  leitet  die  Verwaltung,  in 
Amerika  ist  es  der  öffentliche  Geist,  der  die 
Verwaltung  leitet."  Er  spricht  von  dem 
Frischen-Luft-Fanatismus  der  Amerikaner,  von 
dem  produktiven  Wert  der  Muße  und  des  Aus- 
ruhens,  von  dem  Sportbedürfnis.  Dann  sagt 
er:  „Ich  glaube  zu  träumen.  Die  Zeit  ist  nicht 
so  fern,  wo  das  Wort  Spaziergang  bei  uns  den 
Verdacht  der  Faulheit  und  der  Zeitvergeudung 
erweckte.  Das  Spazierengehen  war  nicht  gut 
gelitten.  Zu  den  verächtlichen  Redensarten  ge- 
hören in  erster  Linie  die  Worte  „Ich  habe 
keine  Zeit,  spazieren  zu  gehen"  oder  „er  soll 
spazieren  gehen."  Der  „Donnerstagsspazier- 
gang", der  uns  im  Lyzeum  auferlegt  war,  wurde 
von  uns  als  Zwangsarbeit  aufgefaßt.  Challemel- 
Lacourt,  mein  Londoner  Gesandter,  dem  ich 
vor  30  Jahren  attachiert  war,  sagte  mir  eines 
Tages,  als  ich  mit  Engländern  vom  Spaziergang 
zurückkehrte:  „In  Ihrem  Alter  bin  ich  noch 
nie  spazieren  gegangen."  An  solchen  Einfällen 
und  Bemerkungen  ist  das  Buch  überreich.  Wer 
es  durchliest  wird  nicht  nur  ein  Vergnügen 
haben,     sondern    sich    auch    bereichern.       Wir 


271 


DIE  FBIEDENS -^MMiTE  = 


® 


hoffen,     noch    ausführlicher    darauf    zurückzu- 
kommen. 

Liman,    Dr.    Paul, 
Der    Kaiser.      Ein    Charakterbild    Kaiser     Wil- 
helms   II.      Neue    umgearbeitete     und     stark 
vermehrte  Ausgabe.  8°.    Leipzig.    0.  J.  Theod. 
Thomas.    435  S. 

Es  handelt  sich  um  eine  Neuauflage  anläß- 
lich des  Kaiserjubiläums.  Der  alldeutsche 
Wortführer  ist  mit  dem  Kaiser  nicht  zufrieden. 
Die  Bilanz  seiner  bisherigen  Regierung  erscheint 
ihm  wenig  imponierend.  ,,Wir  sind  Epigonen 
geblieben"  meint  er,  „und  —  am  Maße  unserer 
Väter  gemessen  ein  kleines  Geschlecht."  Was 
soll  man  zu  solcher  Romantik  sagen?  Wir 
Elieger,  wir  drahtlos  Sprechenden,  wir 
Bakterienjäger  —  ein  kleines  Geschlecht 
gegenüber  dem  Oellampenfortschritt  unserer 
Väter?  Allerdings  Liman  macht  die  Inventur: 
„Helgoland,  Kiautschou,  der  chinesische 
Feldzug  und  die  Karolinen,  Algeciras,  Agadir 
und  die  Dünste  des  Kongo  — ."  Nicht  der  Rede 
wert.  Er  will  Europa  erobert  haben,  Amerika 
in  einen  preußischen  Landratsbezirk  verwandelt 
sehen,  und  da  dem  nicht  so  ist,  spricht  er  vom 
„Grabe  mancher  deutschen  Hoffnung".  Es  ist 
unerhört!  Weinend  ruft  er  aus:  „Unter 
Kaiser  Wilhelm  des  Zweiten  Regierung  wurde 
kein  Krieg  geführt,  hingen  die  Waffen  im 
Tempel  der  Göttin  — ."  Er  tadelt  den  Kaiser 
über  die  Auffassung  seines  Amtes,  die  er  roman- 
tisch nennt,  weil:  —  „Niemals  der  große 
Irrtum"  von  ihm  gewichen  ist,  „das  letzte 
Ziel  einer  starken  Nation  in  der  Erhaltung  des 
Friedens  zu  suchen,  niemals  der  Irrtum,  daß 
die  großen  Fragen  der  Zeit  durch  versöhnende 
Worte  gelöst  werden  können.*'  Der  Irrtum 
also  ! 

Herr  Liman  will  die  Wahrheit  und  die 
Größe  der  Nation  durch  Schießen  und  Stechen 
begründen.  Schade,  daß  er  ein  Nachgeborener 
ist.  Für  derlei  Ideale  hat  unsere  Zeit  kein 
Verständnis  mehr. 

„G  r  o  t  i  u  s." 
International  jaarbock  voor  1913  onder  Re- 
daktie van :  M.  J.  van  der  Fier,  Jhr. 
Dr.  B.  de  Jong  van  Beek  en  Donk, 
Henry  van  der  Mandere,  Jacob  ter 
Meulen.  8°.  Haag  1913.  Mar tinus  Nij  hoff. 
434  S.     Lwbd. 

Dieses  Buch  ist  ein  Zeichen  de«  mächtig 
aufstrebenden  Pazifismus  in  den  Niederlanden. 
Es  gibt  einen  Ueberblick  über  die  starke 
Entwicklung  des  Internationalismus  auf  hollän- 
dischem Boden.  Der  Wettbewerb,  der  sich 
zwischen  Holland  und  Belgien  um  die  Führung 
auf  dem  Gebiete  der  internationalen  Praxis  und 
der  internationalen  Wissenschaft  entwickelt,  ist 
von  höchstem  Interesse  und  kann  vom  Stand- 
punkt der  Friedensidee  nur  mit  Beifall  be- 
grüßt werden.  Das  vorliegende  Jahrbuch  scheint 
eine  Aktion  in  diesem  Wettkampf  zu  sein.  Die 
Belgier  haben  vor  ihren  niederländischen  Mit- 
bewerbern den  Vorteil,  daß  sie  in  einer  Welt- 
sprache schreiben,  und.  es  wäxe  zu  wünschen, 
daß  sich  die  Niederländer  diesen  Vorteil  nicht 
entgehen  lassen  sollten.  So  wäre  es  freudig  zu 
begrüßen,  wenn  das  Jahrbuch  „Grotius"  künftig 
ganz  in  französischer  Sprache  erscheinen  würde, 
was  bis  jetzt  nur  bei  einem  Artikel  der  Fall  ist. 
Aus  den  Beiträgen  sind  hervorzuheben:  eine 
Biographie    Den    Beer    Poortugaels    von    Henry 


van  der  Mandere.  Ferner  die  Artikel:  De  Ont- 
wikkeling  der  Staatengemeenschap  von  Jacob 
ter  Meulen,  De  pers  als  Vredesapostel  von  Dr. 
A.  Kuyper,  Nederlandsch  Internati  onaal-Rechte- 
lijk  Jaaroverzicht  tot  Maart  1913  von  Prof. 
Dr.  W.  J.  M.  van  Eysinga,  und  L'Unification 
du  droit  relatif  ä  ,1a,  lettre  de  change  von 
C.  Asser. 

Oscar  S.  Straus. 
The  American  Spirit.     New  York,   the   Centurv 
Co.,  1913. 

Oscar  S.  Straus  ist  ein  vielseitiger  Mann. 
Er  hat  als  ein  Hauptkämpfer  in  den  Reihen  der 
republikanischen  Partei  an  der  Seite  seines 
Freundes  Roosevelt  wiederholt  segensreich  in  die 
amerikanische  Politik  eingegriffen.  Er  war 
unter  dem  Präsidenten  Roosevelt  Handels- 
minister, hat  mehrmals  sein  Vaterland  als  Bot- 
schafter in  Konstantinopel  vertreten  und  ist 
auch  mit  ernsten  und  interessanten  Werken, 
wie  „The  Origin  of  republican  form  of  govern- 
ment  in  the  United  States"  und  „Roger  Williams 
the  Pioneer  of  religious  liberty",  in  die  Oeffent- 
lichkeit  getreten.  Jetzt  liegt  uns  ein  neues 
Buch  vor,  in  welchem  die  Erfährungen  und  das 
Bekenntnis  des  berühmten  Amerikaners  schön 
zusammengefaßt  sind.  Wie  Roosevelt  sich  in 
seinen  mannigfachen  Schriften  die  Welt  mit 
dem  bekannt  zu  machen  gemüht  hat,  was 
Amerikanismus  ist,  so  lehrt  uns  auch  Straus 
in  den  Essays,  aus  denen  sich  sein  Buch  zu- 
sammensetzt, was  amerikanischer  Geist  ist. 
Nach  seiner  Auffassung  ist  der  amerikanische 
Geist  gerade  das  Gegenteil  von  dem,  was  sich 
die  großen  Massen  Europas  am  liebsten  darunter 
vorstellen.  Er  hat  manches  Wort  geprägt,  um 
diesen  Geist  zu  charakterisieren:  „The  man 
above  the  dollar".  Ein  anderes  Wort  von  ihm 
lautet :  „We  are  a  commercial  nation,  but  not 
commercialized  people".  Oder  „the  American 
spirit  in  peace  and  war;  is  a  Ispirit  K>f  liberty  and 
humanity".  Ein  Geist  amerikanischen  Selbst- 
bewußtseins, dabei  voll  patriarchalischer  An- 
hänglichkeit an  die  Tradition,  voll  Achtung  für 
die  vielen  in  Amerika  nebeneinander  bestehen- 
den Religionen  und  dem  Grundsatze  „freie 
Kirche  im  freien  Staate"  zugetan,  geht  durch 
dieses  Buch.  Doch  auch  ein  echter  Pazifist, 
der  jederzeit  in  der  amerikanischen  Oeffent- 
lichkeit  für  sein  Bekenntnis  eine  Lanze  zu 
brechen  den  Mut  hat,  spricht  hier  zu  uns. 
Eines  der  interessantesten  Kapitel  des  Buches 
ist  das  „Humanitarian  Diplomacy"  betitelte.  Es 
kann  europäischen  Lesern  nicht  schaden,  zu- 
weilen daran  erinnert  zu  werden,  daß  die  Diplo- 
matie, bekanntlich  eines  der  kostspieligsten 
Instrumente  des  Staatslebens,  eigentlich  nicht 
zu  dem  ausschließlichen  Zwecke  da  sei,  den 
Staat  äußerlich  zu  repräsentieren,  sondern  noch 
mehr  dazu,  der  Menschlichkeit  im  Leben  der 
Völker  zum '  Siege  zu  verhelfen.  Und  so  führt 
denn  Straus  aus,  inwieweit  die  diplomatische 
Kunst  der  Amerikaner  wiederholt  aufgerufen 
ward,  solche  Siege  der  Menschlichkeit  herbei- 
zuführen. Wie  oft  ist  es  geschehen,  daß  die 
zünftige  Diplomatenkunst  Europas  die  angeb- 
liche Einmischung  Amerikas  unbequem  fand. 
Es  sei  nur  daran  erinnert,  wie  vor  einigen 
Jahren  Roosevelt  zum  Entsetzen  Rumäniens 
dieses  ermahnte,  daß  das  Königreich  es  nicht 
zum  Scheine  allein  im  Berliner  Vertrag  über- 
nommen haben  sollte,  allen  seinen  Untertanen 


I 


272 


<§= 


=  DIE  FRI  EDENS -^kÄRXE 


und  demgemäß  auch  den  Juden  gleiche  Rechte 
jsu  geben.  Auch  den  Machthaberh  in  Wien  war 
die  Unionsdiplomatie  gerade  nicht  bequem,  als 
sie  sich  nach  der  fehlgeschlagenen  ungarischen 
Revolution  des  alten  Kossuth  angenommen 
hatte. 

Der  Verfasser  ist  sehr  amerikanisch  gesinnt, 
aber,  ein  scharfer  Gegner  aller  Xenophobie,  hebt 
er  gerade  den  segensreichen  Einfluß,  den  die 
Fremden  in  Amerika  geübt  haben,  hervor.  Mit 
Roosevelt  sagt  er:  Der  Amerikanismus  ist  eine 
Frage  geistiger  Ueberzeugungen  und  Vorsätze, 
nicht  aber  des  Glaubens  oder  des  Geburtsortes. 
In  dem  Kapitel  „the  Peace  of  nations  and 
peace  within  nations"  legt  er  dar,  daß  die 
Voraussetzung  für  den  äußeren  Frieden  der 
innere  Friede  sei,  daß  Bürgerkrieg  auch  den 
Völkerkrieg  leicht  zur  Folge  habe.  Er  rühmt 
Roosevelt  als  des  Nobelpreises  würdig,  preist 
ihn  als  den  Mann,  der  in  dem  größten  'Industrie- 
kampf moderner  Zeiten  —  dem  amerikanischen 
Kohlenstrike  —  als  Schiedsrichter  erfolgreich 
aufgetreten  sei  und  auch  folgerichtig  den  ihm 
gewordenen  Nobelpreis  der  Förderung  des  Frie- 
dens in  der  Industriewelt  gewidmet  habe.  Er 
bezeichnet  den  kommerziellen  Geist  als  die 
sicherste  Friedensgarantie,  und  es  scheint  ihm 
veraltet  anzunehmen,  daß  unser  eigenes  Land 
desto  stärker  und  mächtiger  sei,  je  schwächer 
und  ärmer  die  anderen  Länder  seien  ....  im 
Gegenteil,  Reichtum  und  Fortschritt  anderer 
Länder  sei  eine  Quelle  von  Reichtum  und  Fort- 
schritt des  eigenen  Landes.  Reichtum  und 
Glück  der  Nationen  beruhen  auf  Faktoren,  die 
gleichzeitig  i  n  t  e  r  national  und  intra  national 
sind.  Es  könne  auch,  meint  er,  nicht  die  Be- 
schränkung der  Rüstungen  allein  eine  bessere 
Zeit  für  internationale  Beziehungen  herbei- 
führen, sondern  man  müsse  die  internationale 
Moral  überhaupt  heben  ....  man  müsse  den 
internationalen  Opportunismus  durch  die  inter- 
nationale Moral  substituieren.  Er  hält  die 
Doktrin  eines  Drago  für  im  Interesse  der  inter- 
nationalen Moral  gelegen.  Warum  sollte  es,  sagt 
er,  einer  Nation  erlaubt  sein,  Krieg  zu  führen, 
um  eine  Schuld  einzutreiben?  Derselbe  Staat, 
der  den  Krieg  eröffnet,  wird  doch  seinen  Unter- 
tanen nicht  erlauben,  daß  einer  von  dem  anderen 
Schulden  vor  der  Mündung  der  Kanonen  oder 
mit  Schwert  und  Pistole  eintreibt. 

Wir  wollen  nicht  das  an  vierhundert  Seiten 
starke  Buch  von  Straus  abschreiben  und  be- 
gnügen uns,  dem  Leser  eine  Idee  von  dem  reichen 
Inhalt  beizubringen,  indem  wir  noch  auf  einige 
Essays  besonders  verweisen.  Einer  derselben 
betitelt  sich  „American  commercial  diplomacy", 
ein  anderer  „Growth  of  american  prestige".  Der 
einstige  Handelsminister  verbreitet  sich  über 
„Our  commercial  age",  „Commerce  and  inter- 
national relations",  „Commerce  and  labor". 
Sehr  lehrreich  sind  auch  die  Kapitel  über  die 
Vereinigten  Staaten  und  Rußland,  über  die  Reli- 
gionsfreiheit in  den  Vereinigten-Staaten,  über 
Amerika  und  den  Geist  des  amerikanischen 
Judentums,   über  Roosevelt  usw.       S.   Münz. 

Re  ne  Pi  no  n , 
France  et  Allemagne  1870—1913.     Paris,  Perrin 
et  Co.,  Libraires-Editeurs,  1913. 

Rene  Pinon,  ein  bekannter  Mitarbeiter  der 
„Revue  des  deux  mondes"  und  des  „Temps'", 
übt  an  einer  Stelle  des  uns  vorliegenden  Werkes 
Kritik  an  gewissen  deutschen  Professoren,  die 
mit  Gelehrsamkeit  und  Pedanterie  auch  natio- 


nalen Chauvinismus  verbinden.      Aber  er  selbst 
erscheint  uns  ein  wenig  wie  solch'  ein  ins  Fran- 
zösische   übersetzter    Professorentypus.       Große 
Gründlichkeit,  dabei  einige  Pedanterie  und  viel 
Nationalismus.    Einer  Generation  angehörig,  die 
das  Jahr  1870  nur  vom  Hörensagen  und  aus  den 
Blättern  der  Geschichte  kennt,  ist  er  doch  voll 
von  dem  Gedanken,  daß   kein  Franzose  jemals' 
„die  Verstümmelung  des  Vaterlandes"  vergessen 
dürfe.     Pinon  verfällt  also   in  den  Fehler   der- 
jenigen,  die  er  rügt.     Wenn  man   Reiche   und 
Vermögen   auf   ihre   Grundlagen    prüfen   wollte, 
so    würde    einer    solchen    Revision    kein    Staat, 
und  wäre  er  auch  der  kleinste,  und  auch  kein 
Vermögen,  und  wäre  es  auch  das  geringfügigste, 
standhalten.      Pinon  schreibt,  als  ob  Frankreich 
in     seiner      gegenwärtigen      Zusammensetzung, 
selbstverständlich  Elsaß-Lothringen  inbegriffen, 
so  alt  wäre    wie  das  Menschengeschlecht  .... 
als  ob  Frankreich,  das  große  heilige  Frankreich, 
niemals   Länder  geraubt  hätte  und  Länderraub 
erst  von  Bismarck  her  datierte.    Dem  guten  Ein- 
vernehmen   zwischen    Deutschland   und    Frank- 
reich  können   Bücher,   die   auf   „patriotischen" 
Voreingenommenheiten  basieren,   wenig  nützen. 
Aber  ein  Buch  von  Pinon  enthält  immerhin  so 
viel     ernstes    Material,     daß    man    keineswegs 
darüber  wie  über  ein  erstbestes  chauvinistisches 
Machwerk    sprechen    kann.      Das    ist    vielmehr 
ein   vortrefflich   fundiertes   Buch,     dessen    Ver- 
fasser eine  ausgezeichnete  Kenntnis  insbesondere 
der    europäischen    Kolonialpolitik    der    letzten 
vierzig    Jahre    verrät.      Man     wird     ihm     auch 
manchmal  beistimmen  können,   wenn   er  Kritik 
an  der  Marokkopolitik  Deutschlands  übt.     Sein 
Buch    ist   reich  dokumentiert,    und   keiner,    der 
die  neueste  Geschichte  verfolgt,  wird  es  missen 
können.      Der  Verfasser  ist  auch  ein  lebendiger 
Beweis  dessen,  daß  Deutschland  heute  in  Frank- 
reich ganz  anders  gekannt  ist  als  vor  Ausbruch 
des   großen   Krieges,   an   dessen   Entstehen   die 
völlige      Unwissenheit     der      Franzosen      über 
deutsche    Verhältnisse    Mitschuld    trug.      Auch 
diejenigen  aber,    die  das  von  Pinon  zusammen- 
gebrachte   Material   dankbar   anerkennen,    wer- 
den sich  schwer  entschließen,  sich  zu  der  daraus 
in  seinem  letzten  Kapitel  gezogenen  Konklusion 
zu  bekennen.     Dem,  was  man  Pazifismus  nennt, 
erklärt  Pinon  von  seinem  französischen  Stand- 
punkte aus  den  Krieg,   wiewohl  er  andererseits 
an    einer    Stelle    die    Zeitungen     und     Parteien 
tadelt,    die   einander   in    nationalistisch   patrio- 
tischen Tiraden  überbieten.    Manche  Mitteilung, 
die    er    zur    Erhärtung    seiner    Thesen    anführt, 
muß  mit  Vorsicht  aufgenommen  werden.     Sollte 
Kaiser   Wilhelm   wirklich   während   des   letzten 
Marokkokonflikts  gesagt  haben:   „Ich  kenne  nur 
zwei  Menschen  in  Deutschland,  die  nicht  für  den 
Krieg   sind.      Dies   sind   der  Reichskanzler   und 
ich?"     Wir.  hatten  bis  jetzt  in  dem  Wahne  ge- 
lebt,   der    größere    Teil    des    deutschen    Volkes 
wäre  gegen  einen  Krieg  mit  Frankreich  einge- 
nommen.'    Um    in    Ziffern    zu    sprechen:       Die 
4  000  000    sozialistischen    Stimmen    haben    laut 
genug  gegen  jeden  Krieg  protestiert,  und  noch 
mehr  .bürgerliche    Stimmen    würden    sich    wohl 
gegen  einen  Krieg  erklären.     Nun,  Pinon  ist  ge- 
recht  genug,    in   dem    Kaiser   nicht    nur    einen 
Friedensfürsten,     sondern   auch    einen     Freund 
Frankreichs   zu   erkennen.       Aber  den   Mut,    es 
dem  Kaiser  in  der  Voraussetzung  eines  freund- 
lichen    Empfanges     zu    ermöglichen,     daß    er 
Parisbesuche,  bringt  Pinon  so  wenig  wie  irgend- 


273 


DIE  FBIEDENS -WAETE 


3 


einer  seiner  Landsleute  auf.  Er  fürchtet,  wie 
die  meisten  seiner  Kompatrioten,  daß,  wenn 
Frankreich  in  die  ihm  entgegengestreckte 
deutsche  Freundeshand  einschlagen'  würde,  dies 
als  eine  Anerkennung  des  Frankfurter  Friedens 
ausgelegt  würde.  Auch  die  kolonialen  Not- 
wendigkeiten Deutschlands,  eine  Folge  seiner 
überhandnehmenden  Industrie,  legt  Pinon  gern 
als  deutsche  Eroberungssucht  aus.  Wenn  die 
Deutschen  den  Franzosen  Chauvinismus  vor- 
werfen, so  meint  Pinon,  daß  dieser  nunmehr 
eine  von  den  Tatsachen  überholte  Legende  sei. 
Im  Gegenteil,  sagt  er,  wir  Franzosen  lieben  es, 
uns  anzuschwärzen.  Darauf  muß  man  ant- 
worten: Auch  in  Deutschland  ist  die  Zahl  der 
Chauvinisten  verhältnismäßig  klein,  ....  auch 
in  Deutschland  gibt  es  Leute  genug,  die 
Deutschland  eher  verkleinern.  Dem  gründlichen 
Pinon  ist  es  passiert,  daß  er  den  Vizepräsidenten 
des  deutschen  Reichstags  Dr.  Paasche  als  einen 
Zentrumsabgeordneten  deklariert  hat.  In  Wirk- 
lichkeit ist  Paasche  nationalliberal  und  kaum 
jener  Chauvinist,  als;  der  er-  von  Pinon  en  passant 
hingestellt  wird.  Wir  vermögen  es  auch  nicht 
anzuerkennen,  daß  sich  erst  in  den  letzten  Jahr- 
zehnten die  Politik  des  Egoismus  und  der  Ge- 
walttätigkeit in  Deutschland  entwickelt  habe. 
Nach  unserer  Kenntnis  Bismarcks  war  er  doch 
gerade  kein  Vertreter  des  evangelischen  Grund- 
satzes, daß  man,  auf  die  eine  Backe  geschlagen, 
auch  noch  die  andere  hinhalten  soll.  Pinöns 
Buch  hat  den  Vorzug,  nicht  selten  den  Leser 
zum  Widerspruch  herauszufordern.  Der  Ver- 
fasser beleuchtet  mit  seltener  Sachkenntnis  die 
Beziehungen  zwischen  Deutschland  und  Frank- 
reich während  der  letzten  vierzig  Jahre,  die 
zeitweilig  gefährlichen  Zusammenstöße  zwischen 
den  beiden  Regierungen  und  die  Richtungen  der 
beiderseitigen  Diplomatie,  die  im  gegebenen 
Moment  die  Gefahr  abzuwehren  verstanden  habe. 
Der  Deutsche  wird  aus  diesem  Buche,  das  er 
nicht  ohne  Widerspruch  lesen  wird,  doch  vieles 
lernen.  S.  'M. 

Nithack-Stahn,  Walther, 
Barbareien.    Gedanken  zur  Gegenwart.    8°.    Ber- 
lin 1913.     Karl  Curtius.    52  SS.  M.  1.—. 

Nithack-Stahn  geht  von  dem  hochgestei- 
gerten Kulturbewußtsein  der  Gegenwart  aus. 
Von  der  hohen  Warte  aus,  auf  der  er  steht,  sieht 
er  mit  scharfem  Blick  die  Rückständigkeiten, 
die  als  Residuen  einer  früheren  Epoche  un- 
organisch in  unsere  Zeit  hereinragten  und  die, 
wenn  sie  ein  Recht  aufs  Dasein  behaupten,  not- 
wendig zu  sittlichen  Konflikten  führen  müssen. 
Ein  falscher,  absolutistischer  Staatsbegriff  hat 
die  Kriegsgreuel,  ein  längst  überwundener  Ehr- 
begriff den  Duellunfug,  eine  verkehrte  Anschau- 
ung vom  Kampf  ums  Dasein,  die  Tierquälerei 
bei  den  Jagden  zur  Folge.  Die  Unfähigkeit, 
die  soziale  Frage  zu  lösen,  zeitigt  die  Wider- 
lichkeiten der  Massenwohltätigkeit  und  die 
Impotenz,  sich  in  den  Ernst  des  alles  gleich- 
machenden Todes  hineinzudenken,  erzeugt  die 
protzenhafte  Selbstüberhebung  der  Reichen, 
selbst  an  den  Gräbern.  Uns  interessiert  vor 
allem  der  erste  Abschnitt:  Das  Gewaltrecht 
unter  den  Völkern.  In  glänzendem  Stil  und 
mit  überwältigender  Logik  geißelt  der  Verfasser 
den  Versuch,  zweierlei  Moral  anzuwenden,  die 
eine  für  die  Völker,  die  andere  für  die  Indi- 
viduen. Mit  scharfen  Strichen  zeichnet  er  die 
Unchristlichkeit,  ja  die  Untermenschlichkeit  des 
Krieges,    um   seine   Aufhebung   im   Namen   des 


Rechts  zu  verlangen.  Wohl  kennt  auch  er  den 
Begriff  des  Polizeikrieges  und  zu  meiner  Freude 
sehe  ich,  daß  er  an  diesem  Punkt  mit  mir 
voll  übereinzustimmen  scheint.  So  sagt  er 
Seite  22  wörtlich:  „Gewiß  wird  es  unter  den 
Staaten  in  unabsehbarer  Zeit  ein  Organ  der 
internationalen  Ordnungsgewalt  geben  müssen, 
so  wie  wir  im  Staate,  trotz  Tolstoi,  ein  Polizei- 
heer nicht  entbehren  können.  Aber  darum 
handelt  es  sich,  ob  das  einzelne  Volk  sich 
sein  Recht  mit  dem  Schwerte  nehmen  soll, 
oder  ob  die  Kulturstaaten  sich  zu  einem  Rechts- 
verbande zusammenschließen,  der  ihre  Sache, 
auch  die  des  Schwächeren  gegen  den  Stärkeren, 
mit  allen  und  vor  allen  vertritt,  im  äußersten 
Notfalle  den  allgemeinen  Kulturwillen  mit  Ge- 
walt erzwingt,  aber  durch  sein  Vorhandensein 
die  Bürgschaft  bietet,  daß  es  nur  selten  zu 
diesem  Aeußersten  kommt."  —  Möge  der  Pro- 
test gegen  die  Ungeheuerlichkeiten,  die  unserer 
Kultur  noch  anhaften,  von  denen  gehört  werden, 
an  deren  Adressen  er  gerichtet  ist. 

O.    Umfrid. 

Nithack-Stahn,    Walther, 
Kirche  und  Krieg.      8°.      Halle   a.    S.      (1913.) 
J.  Frickes  Verlag  (J.  Nithack-Stahn).    31  SS. 
50  Pf. 

Das  sollte  wie  der  Hammerschlag  wirken, 
mit  dem  Luther  seine  Thesen  an  der  Schloß- 
kirche zu  Wittenberg  anschlug,  aufweckend,  wie 
der  Schall  der  Posaune,  erschütternd,  wie  der 
rollende  Donner.  Hier  redet  nicht  nur  ein 
Meister  in  der  Stilistik,  sondern  ein  von  der 
Wahrheit  wie  von  einem  Gott  gepackter  Pro- 
phet. Eine  flammende  Anklage  schleudert  er 
den  lauen  Kirchenmännern  ins  Gesicht,  die 
über  den  oft  so  kleinlichen  Dogmen  und  Sitten- 
streitereien die  Pflicht  der  Friedens  predigt  ver- 
säumen, die,  von  nationaler  Engherzigkeit  um- 
wunden, es  vergessen,  die  Völker  zur  Bruder- 
schaft zu  rufen.  Den  Geist  des  Urchristentums 
hat  Nithack-Stahn  wie  kaum  ein  anderer  er- 
faßt, und  er  weiß,  daß  es  ein  Geist  des  Frie- 
dens ist,  und  daß  der  Glaube  an  die  Zukunft 
der  Menschheit  zugleich  der  Glaube  an  den 
Sieg  des  Pazifismus  ist.  Der  Aufruf  an  die 
Geistlichen  hat  uns  395  Unterschriften  gebracht, 
aber  die  schönste  Frucht,  die  er  zeitigte,  ist 
diese  Schrift  unseres  großen  Mitkämpfers,  die 
aus  dem  Zorn  über  die  Mattherzigkeit  und  ab- 
lehnende Haltung  der  Tausende  heraus  geboren 
ist,  die  sich  bis  jetzt  dem  Sonnenstrahl  der 
Wahrheit  noch  verschlossen  haben.  Mir  aber 
fiel  beim  Lesen  dieser  Schrift  die  Strophe  ein: 
„Die  Wahrheit  ist  unser,  schon  fliehet  die 
Nacht;  drum  kämpfet,  bis  siegend  der  Morgen 
erwacht !"  O.   U  m  f  r  i  d. 

Jerusalem,   Wilhelm, 
Einleitung   in   die   Philosophie.     5.    u.    6.    Auf- 
lage.    7.  bis  9.  Tausend.     Gr.  8°.     Wien  und 
Leipzig  1913.     Wilhelm  Braumüller.     402  S, 
Die     Neuauflage     dieses     ausgezeichneten 
Lehrbuches   hat  auch  die  Probleme  der  Ethik 
und  Soziologie  mitaufgenommen.     Erfreulicher- 
weise   wird    bei    dieser    Gelegenheit    auch    der 
Friedensbewegung    Erwähnung    getan.     Jeru- 
salem   ist    es    gelungen,     in    einigen    kurzen 
Strichen,    den    Organisationsgedanken   des    mo- 
dernen Pazifismus  klarzulegen,  was  entschieden 
dazu   beitragen   wird,   viele   falsche  Urteile   zu 
zerstreuen    und    eine    Anzahl    denkender    Leser 
für  das   Friedensproblem  zu   interessieren 


374 


@E 


=  DIE  FRlEDEN5->Js^ßTE 


Sieper,  Ernst, 
Deutschland,  und  England  in  ihren  wirtschaft- 
lichen, politischen  und  kulturellen  Be- 
ziehungen. Verhandlungen  der  deutsch-eng- 
lischen Verstäadigungskonferenz.  Gr.  8°. 
München  und  Berlin.  1913.  R.  Oldenbourg. 
166  S.     Br.  2,50  M. 

Diese  gesammelten  Berichte  der  anglo-deut- 
schen  Verständigungskonferenz  vom  Oktober 
vorigen  Jahres  sind  von  höchstem  Propaganda- 
wert. Wenn  man  solche  Reden  von  einem  unserer 
Friedenskongresse  liest,  werden  sie  uns  gewiß 
gefallen,  aber  wir  werden  dabei  das  Gefühl 
nicht  los,  das  uns  unsere  lächelnden  und  lächer- 
lichen Gegner  eingeflößt  haben,  daß  wir 
mit'  solchen  vernünftigen  Reden  den  Leuten 
doch  nicht  imponieren.  Wir  sind  nun  einmal 
Friedenskongreßler !  Wenn  es  auch  Zeit  ist, 
diese  unangebrachte  Bescheidenheit  abzulegen, 
so  können  wir  doch  nicht  umhin,  festzustellen, 
daß  diese  Reden,  wenn  sie  von  den  ersten  Per- 
sönlichkeiten zweier  Länder,  von  Diplomaten, 
führenden  Industriellen  und  Presseleuten  ge- 
halten werden,  und  wenn  sie  doch  keine  andere 
Anschauung  enthalten  als  just  die  unsere,  eine 
bedeutend  höhere  Wirkung  ausüben  müssen. 

Es  ist  schade,  daß  diese  Verhandlungen  ver- 
hältnismäßig wenig  bekannt  geworden  sind.  Es 
ist  vielleicht  das  Beste,  das  seit  langem  gegen 
den  Wahnsinn  der  Völkerverhetzung  und  gegen 
die  Theorien  der  Blut-  und  Eisen-Apostel  vor- 
gebracht wurde.  Ernst  Sieper  hat  sich  mit 
Herausgabe  dieser  Verhandlungen  ein  großes 
Verdienst  erworben,  und  wir  wünschen  der  Ver- 
öffentlichung  die    weiteste   Verbreitung. 

MI 


Eingegangene  Druckschriften.    :;   ::   :;   ::   ::    ::   ::   ::   :: 

(Besprechung  vorbehalten.) 

Weltwirtschaftliches  Archiv.  Zeit- 
schrift für  allgemeine  und  spezielle  Weltwirt- 
schaftslehre, herausgegeben  von  Prof.  Dr. 
Bernhard  Harms  in  Kiel.  1.  Band, 
Heft  2.  April.  Gr.  8°.  Jena  1913.  Gustav 
Fischer. 

Aus  dem  Inhalt :  Ernst  Ober- 
fohren, Jean  Bodin  und  seine  Schule.  — 
Direktor  Dr.  Peter  Stubmann,  Panama- 
kanal und  Weltwirtschaft.  —  Prof.  Dr. 
HermannLevy,  Weltwirtschaft  und  terri- 
toriale  Machtpolitik.    —  usw. 

Zeitschrift  für  Völkerrecht  und 
Bundesstaatsrecht.  Hrsgb.  von  Prof. 
Dr.  Josef  Kohl  er  in  Berlin  und  Prof. 
Dr.  L.  Oppenheim,  Cambridge.  VII.  Band. 
1.  Heft.  (Mit  einem  Beiheft:  Ernst  Frei- 
herr von  Teubern,  Die  Meistbegünsti- 
gungsklausel in  den  internationalen  Handels- 
verträgen.) Gr.  8°.  Breslau  1913.  J.  U. 
Kerns  Verlag.     (Max  Müller.) 

Aus  dem  Inhalt :  Josef  Kohler,  Die 
Lehren  des  Canevarof alles.  —  Hermann 
Häeberlin,  Die  Geschichte  der  Monroe- 
Doktrin  von  dem  Panamakongreß  bis  zu  der 
Präsidentenschaft  Grants.  —  Urteile  des 
Haager  Schiedshofes  vom  6.  Mai  1913: 
1.  Fall  Carthage.     2.  Fall  Manouba.  —  usw. 

Bulletin  of  the  Pan-American 
U  n  i  o  n.     Washington.      Mai. 

Aus  dem  Inhalt  .-Charles  Lyon 
Chandler,      The     Pan     Americanism     of 


Henry    Clay.    —    Pan    american    educational 

matters.    —   usw. 

Revue  generale  de  Droit  Internatio- 
nal Public.  (Paris,)  März/April.  Ke- 
b  e  d  g  y ,  Les  iles  de  la  mer  Egee  oecupees 
par  les  Italiens.  —  Norwege,  Russie  et  Suede. 
La  Question  du  Spitsberg,  Conference  de 
Christiana  du  15  au  26  janvier  1912,  projet 
de  Convention.  —  Congres  universel  de  la 
paix,  session  de  Geneve  (1912)  resolutions  et 
voeux.    —   usw. 

La  Vie  Internationale.  Revue  men- 
suelle  des  idees,  des  faits  et  des  organismes 
internationaux.  Tome  III.  1913.  Numero  5. 
Fascicule  13.  Lex.  8°.  Bruxelles.  Office 
Central  des   Associations   Internationales. 

Aus  dem  Inhalt :  Irving  Fisher, 
Le  Sionisme.  —  L'Organisation  Internationale 
de  la  Mesure  du  temps.  —  La  Deutsche 
Bank  et  les  affaires  internationales.  —  Cour 
permanente  d'Arbitrage.  —  usw. 

—  Fascicule  12. 

Aus  dem  Inhalt :  Irving  Fisher, 
De  la  necessite  d'une  Conference  internatio- 
nale sur  le  Coüt  de  la  vie.  —  Le  Service 
International  des  Echanges.  —  Unification 
internationale  du  Calendrier.   —  usw. 


B  ehrend,  Dr.  Felix 

Student  und  Studentenschaft.  Sozialpädago- 
gische Betrachtungen  über  akademische  Lern- 
freiheit. 8°.  Leipzig  1913.  Sonderabdruck 
aus  der  „akademischen  Rundschau",  Zeit- 
schrift für  das  gesamte  Hochschulwesen  und 
die  akademischen  Berufsstände.  Verlag  von 
K.  F.   Koehler.     38.   S. 

Broda,    Prof.    Dr.    R.,    (Paris) 

Das  Problem  des  Proportionalwahlrechts  in 
Oesterreich.  Zusammengestellt  auf  Grund  der 
Erfahrungen  Belgiens,  dargestellt  von  Emile 
Vandervelde  (Brüssel)  und  derjenigen  Finn- 
lands, dargestellt  von  Arvid  Neovius  (Hel- 
singfors.)  8°.  o.  O.  o.  J.  '  o.  V.  15  S. 
D  e  p  k  e  n ,   Friedrich, 

Vom  modernen  Geist  im  deutschen  Studenten- 
tum.    Eine  Studie.     8°.     Leipzig  1913.     K.  F. 
Koehler.    38  S. 
Flügge,    C.    A., 

Suchet   der   Stadt   Bestes.     Sonderabdruck  des 

Kapitels :   Wohnungsnot  und  Bodenreform  aus 

Gegenwartsnöte.    Kl.  8°.    Kassel  (1913).    J.  G. 

Oncken  Nachf.,   G.   m.    b.   H.     21  S.     15  Pf. 

Flügge,    C.    A., 

Wege  zur  Lösung  sozialer  Fragen.  8°.  Neu- 
ruppin  (1913).  F.  W.  Bergemann,  G.  m.  b.  II. 
23  S.     15  Pf. 

G  ä  d  k  e ,    Richard,    fr.    Oberst, 
Die    neuen    Wehrvorlagen.      Referat,     erstattet 
1913    auf    dem    5.    Parteitage    der   Demokra- 
tischen Vereinigung  zu  Magdeburg.     8°.     Ber- 
lin-Schöneberg 1913.    Demokratische  Verlags- 
anstalt.    18  S.     15  Pf.  . 
Geschichtskalender,        deutscher       für 
"  1913.    Fünftes  Heft.    Mai.     8°.    Leipzig  1913. 
Felix  Meiner,  S.  301   bis  367. 
Goldscheid,    Rudolf, 
Frauenfrage   und    Menschenökönomie.      Gr.     8°. 
Berlin-Friedenau,   1913.     Schriften  des   preu- 
ßischen Landesvereics  für  Frauenstimmrecht. 
M.   Ludwigs.   32  S, 


27S 


DIE  FRIEDENS  -WARTE  = 


Goethes    Briefe, 
Ausgewählt   und   in   chronologischer  Folge   mit 
Anmerkungen  herausgegeben  von  Eduard  von 
der  Hellen.     8U.     Stuttgart  und  Berlin  (1913). 

I.  G.  Cotta'sche  Buchhandlung  Nachfolger. 
6  Bände. 

Jaures,  Jean. 

Die  neue  Armee.  Gr.  8°.  Jena  1913.  Eugen 
Diederichs.  492  S.  Brosch.  7  M.,  gebd. 
8,50  M. 

Jong  van  B  e  e  k  en  Denk,  Dr.  B.  de, 

Die  Fortbildung  der  Schiedsgerichtsbarkeit  im 
Berichtsjahre.  Sonderabdruck  aus  „Jahrbuch 
des  Völkerrechts".  (Nicht  im  Buchhandel.) 
8°.  München  und  Leipzig  (1913).  Duncker  & 
Humblot. 

Landmann,    Dr.    Max, 

Weltstaat  und  Weltfrieden.     Eine   Streitschrift 
gegen     Staaten- Anarchie    imd     Krieg.       8°. 
Leipzig  1913.    Bruno  V  olger  Verlagsbuchhand- 
lung 39  S.  ; 
Lutz,    G., 

Die  Verhütung  des  Krieges,  eine  sittliche  For- 
derung unseres  Jahrhunderts  an  seine  Zeit- 
genossen. Gedächtnisrede  an  der  Haager  Ge- 
denkfeier des  Schweizerischen  Friedens  Vereins 
am  18.  Mai  1913  in  Luzern.  Kl.  8°.  Luzern 
(1913).  Verlag  des  Schweizerischen  Friedens- 
vereins.    16  S. 

Prodinger,  Dr.   Karl, 

Die  Schulgemeinde  in  der  Volksschule.  1.  Be- 
trachtungen und  Erfahrungen.  2.  Die  Schul- 
gemcinde-Ordnung  für  die  Volksschulklasse 
Vi— VII  in  Stuttgart-Gaisburg  von  Fritz  Her- 
rigel. 16°.  Pola  1913.  Druck  von  Josef  Kren- 
potio,  Pola,  Piazza  Garli  1.  35  S. 
Rosa   Colin, 

Im   Balkankrieg.      8°.      München    1913.     Martin 
Mörikes  Verlag.    Mit  zahlreichen  Abbildungen. 
124    S.    brosch.     2,50    M.,     Pappbd.    3,50    M. 
Schoenborn,   Dr.  Walther, 

Staatensukzessionen.  Gr.  8°.  Berlin,  Stuttgart, 
Leipzig.  1913.  (Handbuch  des  Völkerrechts. 
Zweiter  Band.  Der  Staat  als  Subjekt  des 
Völkerrechts.  Staatensukzessionen.  Gesandt- 
scharts- und  Konsularrecht.  Staatsgebiet  und 
Staatsverträge  2.  Abt.).  Verlag  von  W.  Kohl- 
hammer in   Stuttgart.     122   S.     Br.    4,50  M. 

Schriften  der  Deutschen  Gesell- 
schaft, für  Soziologie.  I.  Serie: 
Verhandlungen  der  Deutschen  Soziolcgentage. 

II.  Band:  Verhandlungen  des  Zweiten  Deut- 
schen  Soziologentages   vom   20. — 22.    Oktober 

1912  in  Berlin.  Reden  und  Vorträge  von 
Alfred  Weber,  Paul  Bart  h,  F  er  di  - 
nand  Schmid,  Ludo  Moritz  Hart- 
mann, Franz  Oppenlieimer,  Ro- 
bert Michels  und  Debatten.  Gr.  8°. 
Tübingen  1913  I.  C.  B.  Mohr.  (Paul  Siebeck.) 
VIII  u.  192  S. 

Schücking,  Prof.  Dr.  Walther, 
Neue  Ziele  der  staatlichen  Entwicklung.     Eine 
politische   Studie.     Gr.    8°.     Marburg     i.     H. 

1913  N.  G.  Elwertsche  Verlagsbuchhandlung. 
98  S. 

Stein,  Professor  Dr.  Ludwig, 
Weltbürgertum,      Nationalstaat       und       inter- 
nationale  Verständigung.    Sonderabdruck  aus 

„Nord  und  Süd."  Lex.  8°.  Breslau  III  (1913). 
Verlag  der  Schlesischen  Buchdruckerei  von 
S.  Schottländer  A.-G.  23  S.  50  Pf. 


V  e  c  c  h  i  o  ,    Prof.   Giorgio  Del, 
Die    Tatsache    des    Krieges    und   der    Friedens 
gedanke.     Nebst   zwei   Anhängen.      Nach   der 
zweiten  Auflage  aus  dem   Italienischen  über- 
setzt  von   Richard  Pubanz.     Mit   einem   Vor- 
wort von  Professor  Dr.   Otfried  Nippold. 
Leipzig     1913.      Natur-        und      Kulturphik 
sophische    Bibliothek.      Band    VIII.     Johar 
Ambrosius    Barth.      100    S.     Brosch.    3,—    M., 
gebd.  3,80  M. 

Veröffentlichungen  des  Verbandes 
für  internationale  Verstän- 

digung: Heft  5.  D'Estournelles  de 
Constant,  Frankreich  und  Deutschland. 
6  S. 

—  Heft  6.  Piloty,  Prof.  Dr.  Robert 
Formen  internationaler  Verständigung  18 

—  Heft  7.  Spahn,  Prof.  Dr.  Martii 
Der  Friedensgedanke  in  der  Entwicklung  d< 
deutschen  Volkes  zur  Nation.    19  S. 

—  Heft  8.  Lamprecht,  Prof.  Dr.  Karl, 
über  auswärtige   Kulturpolitik.     14    S. 

Jedes  Heft  in  8°.  Stuttgart  1913.  Druck 
von  W.  Kohlhammer.  Preis  50  Pf.  Kostenlos 
für  Mitglieder  des  Verbandes.  (Frankfurt 
a.  M.) 

Bibliographie  trimestrielle  de  Droit  inter- 
national, Legislation  comparee,  Diplomatie, 
Colonisation,  Politique  et  Droit  Etrangers. 
Oomprenant  tous  les  ouvrages  publies  en  fran- 
cais  avec  1'indication  precise  des  .matieres 
etudiees  ainsi  que  les  Theses  et  Articles  de 
Revues.  lere  Annee  1913.  No.  2.  8°.  Paris 
1913.     32    S.    Paris   XHIe.    28   rue   Gorvisant 

B  o  u  r  d  o  n  ,  Georges, 
L'Enigme   allemande.      Une    Enquete    chez    les 
Allemands.      Ce    qu'ils    pensent    —    Ce    qu'ils 
veulent  —  Ce  qu'ils  peuvent.     8  .     Paris  1913. 
Plon-Nourrit  &  Cie.    471   S. 

Bulletin  periodique  du  Bureau  socialiste 
International.  (In  frz.,  deutscher  u.  engl. 
Sprache. )Nr.  10.  4.  Jahrgang.  Brüssel.  Folio. 
(Camille  Huysmans,  Maison  du  peuple,  rue 
Joseph   Stevens   Nr.    17.)     88   S. 

Congres  Universel  de  la  Paix  XlXme. 
tenfu  ä  Geneve  jdu  22  au  28  septembre  1912. 
Bulletin  officiel.  Gr.  8°.  Publie  par  les  soins 
du  Bureau  International  de  la  Paix  ä  Berne. 
382  S.    3  Frcs. 

Institut  International  de  la  Paix. 
Fondation  Albert  Ier,  Prince  de  Monaco. 
Statuts   Provisoires.     4°.    Paris.     14  S. 

Stameschkine,    Constantin, 
Armistice  Temporaire  des  Etats   europeens.    8°. 

Paris    1913.     Eugene   Figuiere  &  Cie.     31   S. 

1,—  Frcs. 
La    Verite    sur    le    desaecord   Serboi- 

Bulgare.     Gr.   8°.     Genf  1913.     AI.    N.   Z. 

Popovitsch,    27   Quai  du  Mont  Blanc.    63  S. 

Monthly  Bulletin  of  books,  pamphlets 
and  Magazine  articles  dealing  with  inter- 
national relations.  8°.  New  York  City  May 
1913.  Assoc'ation  for  International  Con- 
iciliation.     Sub-Station  84,    8    S.     Kostenlos. 

National  Peace  Congreß,  Ninth,  Leeds, 
1913.  June  lOth— 13th  Resolutions  adopted 
by   Congreß,    together   with    Report  and  Ba- 


276 


<g 


DIE  Fßl EDENS ->X*\RXE 


lance  Sheet  of  tihe  National  Peace  Council. 
16».  London  1913.  Offices  of  the  National 
Peace  Council,  167  St.  Stephens  House, 
Victoria   Embankment,    Westminster.     38     S. 

Profit  and  patriotism  reprinted  from 
the  „Economist",  London,  April  26,  1913  and 
Moneymakingand  war,  reprinted  from 
the  „Evening  Post",  New  York,  April  21, 
1913.  8°.  New  York  City.  1913.  Inter- 
national Conciliation.  opecial  Bulletin.  May. 
American  Association  for  International  Con- 
ciliation. Sub  Station  84  (407  West  117  th 
Street)  14  S.  Kostenlos. 
Eeinsch,    Prof.    Paul  S., 

American  Love  of  Peace  and  European  Skep- 
ticism.  8°  New  York  City  1913.  Inter- 
national Conciliation.  July  Nr.  68.  Ameri- 
can Association  for  International  Concilia- 
tion. Sub  Station  84.  (407  West  117  th 
Street)    14    S.      Kostenlos. 

Year  Book  for  1912. 
Carnegie   Endowment   for   International   Peace. 
Cr.  8°.     Washington  D.  C.  2,  Jackson  place. 
(1913.)     165  S.     cloth. 


Fachpresse.    ::    ::    ::    ::  ::  ::  ::  ::    ::  ::  ::  ::  ::  ::   :: 

Völkerfriede.  (Eßlingen.)  Juni.  O.  U. 
Die  Friedensfreunde  als  Bittsteller.  —  Unser 
Aufruf  an  die  Geistlichen  und  theologischen 
Hochschullehrer  der  evangelischen  deutschen 
Landeskirchen.  —  Leopold  Katscher, 
Unsere  Suttner.  —  G.  Bovet,  Die  Berner 
Konferenz.  —  usw. 

Korrespondenz  des  Verbandes  für 
internationale  Verständigung. 
(Würzburg).  Nr.  3.  Juni.  K.  G  a  1  s  t  e  r , 
Vizeadmiral,  England  zu  Deutschland.  — 
Kombinationen.  —  Prof.  Dr.  O.  Nippold, 
Lehren  aus  der  Berner  Verständigungskonfe- 
renz. —  Walther  Schücking,  Die 
Union  der  internationalen  Gesellschaften.  — 
T h.  Rohleder,  Ethische  Gedanken  über 
die    Idee    der    Verständigung.    —   usw. 

Vaterland  und  Welt.  (Göttingen).  Juni. 
Paul    Baumgarten,    Ithaca.    —    usw. 

Die  Friedensbewegung  (Bern).  Juni. 
Alfred  H.  Fried,  Bertha  von  Suttner.  — 
Norman  Angell,  Der  Kampf  um  den 
Welthandel  und  die  internationalen  Bezie- 
hungen. —  Dr.  C.  van  Vollenhoven,, 
Ueber  den  Vollzug  des  internationalen  Eechtes 
durch  eine  internationale  Polizei.  —  Dr. 
HansWehberg,  Die  neueste  Entscheidung 
des  Haager  Schiedshofes.  —  Dr.  Max 
Kolben,  Neue  amerikanische  Befriedungs- 
pläne.   —   usw. 

Der  Friede  (Bern).  Juni.  Die  Waffen 
nieder !  An  Bertha  von  Suttner.  —  Carl 
Ludwig  Siemering,  Baronin  Bertha 
von  Suttner.  (Zum  70.  Geburtstag,  9.  Juni 
1913.)  —  K.  W.  Schultheß,  Glossen  zur 
I.  deutsch-franz.  Parlamentarierkonferenz  zu 
Bern,  11.  Mai  1913.  —  Der  Kronprinz  über 
„Deutschland   in   Waffen".   —   usw. 

La  Paix  par  le  Droit  (Paris).  Nr.  11. 
Charles  Riebet,  L' Anarchie  militaire  et 
le  Pacifisme.  —  Vllle  Congres  des  Societes 
francaises  de  la  Paix.  —  usw. 


—    25.    Mai.      D'E  s  t  o  u  rne  1 1  e  a     de    C  o  n  - 

s  t  a  n  t ,  La  Conference  de  Berne.  Discours 
ä  la  seance  du  Groupe  parlementaire  de  1' Arbi- 
trage. —  Jacques  Dumas,  L' Arbitrage 
franco-italien.  —  M.  E.  R  i  q  u  i  e  z ,  Ma  troi- 
sieme  tournee  de  Conferences  en  Allemagne. 

—  Th.  Ruysen,  La  Conference  de  Berne 
et   l'Alsace-Lorraine.    —  usw. 

Les  Etats-Unis  d'E u r o p e  (Bern).  Mai/ 
Juni.  Emile  Arnaud,  La  troisieme  Con- 
ference de  la  Paix.  —  usw. 

La  Paix  par  la  Raison  (Paris).  Juni. 
Nr.  2. 

The  Arbitrator  (London).  Juni.  Mr. 
Bryans  Proposalis.  —  Death  of  Lord  Avebury. 
Franc o-German  Entente  Conference  at  Berne. 

—  usw. 

Concord  (London).  Juni.  Peace  Day  1913. 
— Ninth  National  Peace  Congres.  —  J.  A. 
Farrer,  Patriotism  and  Mammon.   —  usw. 

Herald  of  Peace  (London).  Juni.  Annual 
Report  of  the  Peace  Society,  1912 — 1913.  — 
Third    Hague    Conference.    —    usw. 

Monthly  Circular  of  the  National  Peace 
Council.     (June). 

Advocate  of  Peace  (Washington).  Juni. 
Japans  Faith  in  the  United  States.  —  Fourth 
American  Peace  Congress.  —  The  Bryan  Com- 
mission  Plan.  —  Richard  Bartholdt, 
The  Whole  Program  of  the  Peace  Mowement. 

—  Charles  W.  Fairbanks,  The  Read 
to  a  High  Destiny.  —  Philip  van  Ness 
M  y  e  r  s  ,  Disarmament  a  Moral  Issue.  — 
Wiliam  J.  Hüll,  The  Peace  Palace  and 
William  Penn.  —  usw. 

The  Cosmopolitan  Student  (Madison 
wisc).  Mai.  Prof.  Elizabeth  Mac- 
lean,  The  Peace  Movement.  —  Young 
Bing  Li,  Education  in  China.  —  L.  J. 
Vondracek,  Spreading  the  Propaganda  of 
Peace.  —  G.  de  Grassi,  The  f ounding  of 
Corda  Fratres.  First  Attempt  to  found  an. 
International  federation  of  Students.  —  usw. 

The  Messenger  of  Peace  (Richmond). 
Mai. 

Pax.  The  monthly  Organ  of  the  Peace  Society 
of  New  South  Wales.  (Sidney.)  April.  Third 
Hague  Conference.  —  Dr.  Quidde  and  the 
War.  —  Protest  of  the  Austrian  Peace  Society. 

—  usw. 

La  Fiorita.  (Mailand.)  Juni.  Rosalia 
Gwis  Adami,  Berta  de  Suttner.  —  Ada 
Crespi,  La  Lezione  Milanese  per  Berta 
de   Suttner.     Le  tristi  sorprese  della  guerra. 

—  usw. 

Guerra  alla  Guerra!  (Mailand. )  April- 
Mai.  Resooonto  ufficiale  del  XIX.  Con- 
gresso  Universale  della  Pace  (Ginevra,  23 — 28 
settembre  1912.)  —  Torti  e  colpe  dell'  organo 
deir  Unione  Lombarda.  —  Come  sono  giu- 
dicati.  —  E.  Giretti  e  il  Sindaco  di  Torino. 

—  usw. 

„Vre de  door  Reöht."  (Haag.)  Juni.  XXe. 
Wereldcongres  voor  den  Vrede.  —  E.  J.  B  e  - 
linfante,  Bijeenkomst  van  den  Internatio- 
nalen Vrouwenraad  (De  Vrede  —  avond).  — 
M.  J.  A.  Moltzer,  Vergadering van  Moderne 
Theologen.  —  Bertha  von  Suttnei\  —  Stead.- 
Hulde.  —  usw. 


277 


DIE  FRIEDENS  -^ÄBTE 


Freds-Bladet.  (Kopenhagen. )  Juni.  Jens 
Thau,  Kolding  og  Omegn.  —  Bertha  von 
Suttner.  —  usw. 

Nemzetközi  6  1  e  t.  (Budapest. )  Nr:  5  und 
Nr.  6. 


Artikel. 


(Bibliographie.)  I.       Friedens- 

bewegung im  allgemeinen:  Prof. 
Wilhelm  Ostwald,  Patriotismus  und 
Internationalismus.  ,.  Monistische  Sonntags- 
predigten." 14.  VI.  *  Bertha  v.  Suttner, 
Der  Mensch  muß  menschlich  werden.  „Ber- 
liner Morgen- Zeitung."  10.  VI.  *  Robert 
Scheu,  Neue  Wege  des  Pazifismus.     ,,März." 

14.  VI.  *  Bei  Andrew  Carnegie.  Eine  Unter- 
redung. „Vossische  Zeitung."  17.  VI.  *  Re- 
verend Dr.  Dic'kie,  Andrew  Carnegie.  „Ber- 
liner Tageblatt."  15.  VI.  *  ElsbethFried- 
r  i  ch  s  -  Schwetzingen,  Die  pazifistischen  Auf- 
gaben der  Frau.  „Friedensfragen."  Beilage  der 
Frau    der    Gegenwart     (der    Frau    im    Osten). 

15.  VI.  *  Die  Idee  des  Völkerfriedens  und  das 
deutsche  Bürgertum.  „Die  Gewerkschaft."  (Ber- 
lin.) 6.  VI.  *  Dr.  von  Oett Ingen,  Das 
wahre  Antlitz  des  Krieges.  „Berliner  Zeitung 
a,m  Mittag."  5.  VI.  *  OttoPetersilka, 
Der  XVIII.  Weltfriedenstag  am  18.  Mai  1913. 
„Evangelischer  Hausfreund."  (Wien.)  15.  V.  * 
O.  Umfrid,  Offener  Brief  an  den  deutschen 
Kronprinzen.  „Das  freie  Wort."  VI.  *  Alfred 
H.  Fried,  Aus  der  Friedensbewegung.  ,,Das 
monistische  Jahrhundert."  21.  VI.  *  Bertha 
v.  Suttner  über  den  Fall  Redl.  „Neues 
Wiener  Journal."  14.  VI.  *  Kenneth 
Morris,  Theosophie  und  der  internationale 
Friede.  „Der  Theosophische  Pfad."  VI.  * 
Montague  A.  Mach  eil,  Ein  internatio- 
naler theosophischer  Friedenskongreß  in  seiner 
Stellung  und  Bedeutung  in  der  Weltgeschichte. 
..Der  Theosophische  Pfad"  VI.  *  Iverson 
L.  Harris  j  r.,  Die  Bedeutung  des  inter- 
nationalen Theosophischen  Friedenskongresses. 
..Der  Theosophische  Pfad."  VI.  *  G-race 
Knoohe,  Der  Friedensfaden  in  Katherine 
Tingleys  internationalem  Wirken.  ..Der  Theo- 
sophische Pfad."  VI.  *  Bertav.  Suttner, 
Die  Friedensfrage  und  die  Franen.  ,, Neues 
Wiener  Journal."  8.  VI.  *  Fritz  Decker, 
Der  Zauber  des  Krieges.  „Der  Beobachter." 
(Stuttgart.)  25.  VI.  *  Dr.  Hugo  Ganz, 
Pazifismus  und  Zarismus,  „Das  freie  Wort."  VI. 

(Aus  Anlaß  des  70.  Geburtstages  von 
Bertha  v.  Suttner   erschienen*):) 

Bertha  v.  Suttner-Feier.  „Hamburger  Frem- 
denblatt." 11.  VI.  *  70.  Geburtstag  von 
Bertha  v.  Suttner.  „Hamburgischer  Korrespon- 
dent." 11.  VI.  *  Bertha  v.  Suttner.  Zum 
70.  Geburtstag.  „Nene  Badische  Landes- 
Zeitung."  8.  VI.  *  Wie  es  Bertha  v.  Suttner 
mit  ihrem  Hauptwerke  erging.  (Zu  ihrem 
70.  Geburtstage  —  9.  Juni.)  „Allgemeine  Zei- 
tung.« (Chemnitz.)  10.  VI.  *  Bertha  v.  Sutt- 
ner. (Zum  70.  Geburtstag  am  9.  Juni.)  „Neueste 
Nachrichten  für  Residenz  und  Stadt."  (Braun- 
schwehg. )    10.   VI.     *     Die  Friedensbertha  als 


*)    Soweit    der   Redaktion    zu    Gesicht   ge- 
kommen.     Siehe   auch   unter   „Fachpresse". 


Siebzigerin.  „Braunschweigische  Landeszei- 
tung." (Brauns oh weig.)  8.  VI.  *  Dr.  Hans 
W  a  n  t  o  c  h ,  Bertha  v.  Suttner,  zu  ihrem  70.  Ge- 
burtstag, 9.  Juni.  „Volks-Zeitung."  (Morgen- 
ausgabe, Berlin.)  8.  VI.  *  Bertha  v.  Suttner. 
„Deutsche  Warte."  (Berlin.)  8.  VI.  *  Bertha 
v.  Suttner.  „Deutsche  Nachrichten."  (Berlin.) 
8.  VI.  *  Bertha  v.  Suttner.  (Zum  70.  Ge- 
burtstag am  9.  Juni.)  „Pilsner  Tageblatt." 
(Pilsen.)  8.  VI.  *  70.  Geburtstag  der  Baronin 
Suttner.    „Berliner  Zeitung  am  Mittag."    7.  VI. 

*  Adele  Schreiber,  Die  Vorkiämpf  erin 
des  Völkerfriedens.  (Zum  70.  Geburtstage 
Bertha  v.  Suttner,  9.  Juni  1913.)  „Der  Ge- 
sellige." (Graudenz:. )  8.  VT.  *  Dieselbe, 
Die  Vork&mpferin  des  Völkerfriedens.  „Ham- 
burger Fremdenblatt."  8.  VI.  *  Bertha 
v.  Suttner,  Zu  ihrem  70.  Geburtstag  „Magde- 
bürgische  Zeitung."  9.  VI.  *  Bertha!  v.  Suttner. 
„Berliner  Börsen-Courier."  8.  VI.  *  Bertha 
v.  Suttner.  „Frankfurter  Zeitung."  9.  VI.  * 
Wie  es  Bertha  V.  Suttner  mit  ihrem  Hauptwerke 
erging.  „General- Anzeiger  für  Düsseldorf." 
8.  VI.  *  Bertha  v.  Suttner.  „Kleine  Presse." 
(Frankfurt  a.  M. )  7.  VI.  *  Balduin 
Groller,  Bertha  V.  Suttner.  „Neues  Wiener 
Journal."  8.  VI.  *  Baronin  Bertha  v.  Suttner. 
„Arbeiterzeitung."  7.  VI.  *  Ezard 
Nidden,  Bertha  v.  Suttners  siebzigster  Ge- 
burtstag. „Kunstwart."  VII.  *  Bertha 
v.  Suttner,  Zu  meinem  70.  Geburtstag. 
„Neue  Freie  Presse."  8.  VI.  *  Theodor 
Tagger,  Bertha  v.  Suttner.  Zum  70.  Ge- 
burtstag   am    9.    Juni.      „Berliner    Tageblatt." 

8.  VI.  *  Bertha  v.  Suttner.  Zum  siebzigsten 
Geburtstag.  „Fremden-Blatt."  (Wien.)  8.  VI.  * 
Baronin  Bertha  v.  Suttner,  „Volksstimme." 
(Frankfurt  a.  M.)  10.  VI.  *  Bertha  v.  Suttner. 
„Königsberger  Allgemeine  Zeitung."  12.  VI.  * 
Bertha  Baronin  Suttner.  „Dr.  Bloch's  Wochen- 
schrift." (Wien.)  VI.  *  Hans  Lands- 
berg, Krieg  und  Frieden,  Zum  70.  Geburtstag 
von  Bertha  v.  Suttner.  „Berliner  Lokal- An- 
zeiger" (Morgenausgabe).  7.  VI.  *  Dr.  Hans 
Wehberg,  Bertha  v.  Suttner.  geb.  9.  Juni 
1843.  „Weser  -  Zeitung."  10.  VI.  *  Dr. 
Alexander  v.  Dorn,  Bertha  von  Suttner. 
„Oesterreichische  Rundschau."  15.  VI.  *  Leo- 
pold Katscher,  Bertha  v.  Suttner,  Gedenk- 
blatt  zum  9.   Juni    1913.    „Berliner  Tageblatt." 

9.  VI.  *  Ders.  ,  Eine  Philosophin  des  Mit- 
leids. (Zum  9.  Juni  1913.)  „Vossische  Zeitung." 
(Morgenausgabe.)  8.  VI.  *  Ders1.,  Bertha 
v.  Suttner,  Zu  ihrem  70.  Geburtstag.  ,.Mün- 
ehener  Neuste  Nachrichten."  9.  VI.  *  Ders., 
Zum  70.  Geburtstage  Bertha  v.  Suttners. 
„Ethische  Rundschau."  VI.  *  Ders..  Bertha 
v.  Suttner.  „Kölnische  Volks -Z ei tnw."  (Mor- 
senausgabe. )  9.  VI.  *  Ders..  Die  Friedens- 
Bertha.  Zum  70.  Geburtstag.  9.  Juni.  ..Branden- 
burger Anzeiger."  (Brandenburg  a.  H.)  9.  VI.  * 
Leopold  ine  Kulka,  Bertha  von  Suttner. 
„Die  Wage."  (Wien.1»  14.  VI.  *  B.  Münz, 
Berta  v.    Suttner.     „Wiener   Abendpost."  7.   VI. 

*  Alfred  H.  Fried.  Bertha.  V.  Suttner. 
„Neue  Freie  Presse."  9.  VT.  *  Ders.,  „Die 
Suttner."  Zu  ihrem  70.  Geburtstag.  „Pester 
Lloyd  "  (Budapest. »  8.  VT.  *  Bertha  v.  Suttner. 
„Die  Zeit."  8.  VI.  *  Em.  Boyer  Edl. 
v.  Berghof,  Baronin  Bertha  v.  Suttners 
70.  Geburtstag.  „Salonblatt."  (Dresden.1)  VI. 
(Nr.  23. )  *  Carl  Ludwig  Siemering, 
Baronin  Bertha  von  Suttner.    (Zum'  70.  Geburts- 


278 


DIE  FBIEDENS-^ÄBTE 


tag,  9.  Juni  1913.'»  „Ethische  Kultur."  15.  VI. 
*  Ders.,  Baronin  Bertha  y.  Suttner.  „Bres- 
lauer Zeitung..''  8.  VI.  *  Ders.,  Baronin 
Bertha  v.  Suttner.  „Saale-Zeitung'"  (Halle.) 
9.  VI.  *  Ders.,  Baronin  Bertha  v.  Suttner. 
„Tüsiter  Allg.  .Zeitung."  8.  VI.  *  Ders., 
Baronin  Bertha  v.  Suttner.  „Neue  Züricher 
Zeitung."  9.  VI.  *  Ders.,  Baronin  Bertha 
v.  Suttner.  „Aargauer  Tageblatt."  8.  VI.  * 
Ders.,  Baronin  Bertha  von  Suttner.  „Thur- 
gauer  Zeitung."  Sonntagsblatt.  {Frauenfeld.)  8. 
und  15.  Vi.  *  Bertha  v.  Suttner.  „The  West- 
minster  Gazette."  9.  VI.  *  A  Septuagenarian 
Pacifist.  Baroneß  von  Suttner  Talks  of  her 
Plans.  „Daily  News  and  Leader."  9.  VI.  * 
Baroneß  v.  Suttners  7Üth  Birthday.  „Daily 
News  and  Leader."  9.   VI. 

II.  Die  internationale  Politik: 
Sup.  a.  D.  Wolf  gang  Dreising,  Der 
Kurs  des  Friedens.  Ein'  Rückblick  auf  die 
fünfundzwanzigjährige  Regierungszeit  Kaiser 
Wilhelms  II.  „Der  Reichsbote."  (Berlin.) 
14.  VI.  *  Prof.  Dr.  0.  N  i  p  p  o  1  d ,  Lehren 
aus  der  Berner  Verstandigungskonferenz.  „Der 
neue  Albbote."  (Ehingen.)  23.  VI.  *  Charles 
Bonne f  on,  U-uillaume  II  et  la  Erance,  „Le 
Figaro."  (Paris.)  17.  VI.  *  Dr.  Erhr. 
v.  Maokay,  Das  slawische  Problem.  „Die 
Gülden  kam  rr  i  er . "  (Verlag  Kaffee  Hag,  Bremen.» 
VI.  *  Hermann  Eernau,  Bern  und  die 
Boulevards.  „Ethische  Kultur."  1.  VI,  * 
O.  Umfrid,  Im  Tabernakel  der  Weltge- 
schichte. „Der  Beobachter."  (Stuttgart. ) 
17.  VI.  *  Alfred  H.  Er ied,  Kaiser  Wil- 
helm und  der  Weltfrieden.  „Der  Herold." 
(Berlin.)  29.  VI.  *  Kontreadmiral  z.  D. 
G 1  a  t  z  e  1 ,  Die  Ziele  der  deutsch-englischen 
Verständigungsbestrebungen.  „Deutsche  Revue." 
(Stuttgart.)  VII. 

III.  Völkerrecht:  Dr.  Otto  Loe- 
ning,  Zur  Frage  eines  internationalen 
Schiedsgerichtes  für  Ansprüche  gegen  fremde 
Staaten.  „Recht  und  Wirtschaft."  (Berlin.) 
Juli. 

IV.  Internationales;  Alfred 
H.  Fried.  Die  internationale  Verwaltung  und 
die  Ansätze  zu  einer  internationalen  Gesetz- 
gebung. „Dokumente  des  Fortschritts."  VI.  * 
Franz  Kemeny,  Derzeitiger  Stand  des 
internationalen  Unterrichtswesens.  „Zeitschrift 
.für  das  Realschulwesen."     VII. 

V.  Wirtschaftliches:  Hermann 
Schnell,  Wird  der  Volkswohlstand  durch 
Kriege  gefördert?  Eine  Entgegnung  auf  das 
Buch  Norman  Angells  „Die  falsche  Rechnung". 
„Süddeutsche  Monatshefte."  Vi.  *  Waffen  an 
den  Feind.  „Der  Kunstwart."  VI.  *  Die 
volks-  und  staatswirtschaftliche  Bilanz  der 
Rüstungen.     „Die  Hilfe."    12.  VI. 


smitteiiv/ngen  debs 
friedensgesellschaften 

(Verantwortlich   für   den  Inhalt   dieser   Rubrik  ist   nicht   die 
Schriftleitung,   sondern  die  betreffende  Friedensgesellschaft.) 


Wer  für  seine  Töchter  oder  andere  junge  Mädchen 
Gelegenheit  zu  Studien  in  einer  Pension  in  Deutsch- 
land sucht,    wird    darauf    aufmerksam   gemacht,    daß 


diese  Rufnahme  finden  können  in  der  Familie  unseres 
Freundes  Pfarrer  0.  Umfrid,  Stuttgart,  der 
jedem  Pazifisten  bekannt  ist.  —  Das  Pensionat  Wird 
am  20.  Oktober  eröffnet  werden.  Lektionen  in 
deutscher  Sprache  und  anderen  Disziplinen.  Handels-, 
Kunst-,  Musik-  und  Frauenarbeitsschulen  in  der 
Stadt.  Ausgezeichnetes  Klima,  herrliche  Spaziergänge. 
Angenehmes  Familienleben. 

Referenzen: 

Frau  Gehe  im  rat  Kromayer,  SternWartstr.  14,  Straßburg. 

Miß  Anna  B.  Eckstein,  Langestr.  7,  Coburg. 

Herr  Geheimrat  Professor  Dr.  Förster,  Ahornallee  8, 

Charlottenburg. 
Herr  Professor  Dr.  Quidde,  Gedonstr.  4,  München. 
Herr  Dr.  Ad.  Richter,  Pforzheim. 
Herr  Direktor  Wagner,  Kaiserslautern. 
Frau  Baronin  Bertha  v.  Suttner,  7  Zedlitzgasse,  Wien  I. 
Herr  Alfred  H.  Fried,  5  Widerhofergasse,  Wien  l£. 


Oesterreichische  Friedensgesellschaft. 

Bureau:  .Wien  I,    Spiegelgasse  4. 

Bertha  von  Suttner-Stiftung. 

Eine  Reihe  hervorragender  Persönlichkeiten 
aus  politischen,  gesellschaftlichen  und  Ge- 
lehrtenkreisen Wiens  hat  sich  zusammengetan, 
um  eine  Stiftung  ins  Leben  zu  rufen,  die  den 
Zweck  haben  soll,  unserer  Gesellschaft  eine 
weitere  ausgebreitete  Tätigkeit  im  Sinne  der 
Gründerin    zu    ermöglichen. 

Die  bis  jetzt  gezeichneten  Betrage  beziffern 
sich  auf  28  213  K.  67  h.  Die  erste  Liste  der 
Spende  befindet  sich  unten.  Die  Sammlung 
ist  noch  nicht  angeschlossen,  weitere  Spenden 
werden  von  der  Verkehrsbank  in  Wien  (I.  Stock- 
imeisenplatz    2   entgegengenommen. 


Vorstandsmitglied  Emil  Stoerk  f.  Im 
verflossenen  Monate  ist  unser  verdienstvolles 
Vorstandsmitglied,  Herr  Emil  Stoerk,  Ober- 
beamter der  D.  D.  G.,  verschieden.  Stoerk  war 
ein  überzeugter  Pazifist,  ein  warmer  Verteidiger 
unserer  Sache  für  die  er  bei  jeder  Gelegenheit 
eintrat.  Wir  werden  ihm  ein  ehrendes  An- 
denken  bewahren. 


Kooptation.  Die  Herren  Dr.  Alfred 
H.  F  r  i  e  d  und  Rudolf  Goldscheid  wurden 
in  den  Vorstand  unserer  Gesellschaft  kooptiert. 


Schule  und  Friedensbewegung. 
In  Amstetten  fand  am  4.  Juni  die  Bezirks- 
lehrerkonferenz statt,  die  von  etwa  100  Lehr- 
personen besucht  war.  Hierbei  machte  unser 
langjähriges  Mitglied  Lehrer  Demal  auf  unsere 
Bewegung  aufmerksam  und  führte  aus,  „daß 
die  Lehrer  sich  eigentlich  selbst  schaden,  wenn 
sie  gegen  die  übertriebenen  Rüstungen  nicht 
ankämpfen,  denn  es  wird  durch  diese 
nicht  nur  der  wirtschaftliche  Wohlstand 
des  Volkes  geschädigt,  die  hohen  Kriegs- 
ausgaben sind  auch  schuld,  daß  die  Forderungen 


279 


DIE  FRIEDENS -^M&ETE  = 


3 


der  Lehrerschaft  nicht  erfüllt  werden."  Bei 
dieser  Konferenz  wurde  unsere  Broschüre  „Ich 
bin  im  Volk  ein  schlichter  Lehrer"  jedem  Be- 
sucher  eingehändigt. 


Unser  Mitglied  Lehrer  Goß  in  Langen- 
dörflas  veröffentlichte  in  der  Tachau-Planer 
Zeitung  einen  Leitartikel:'  „Die  Ueberwindung 
des  Balkankonfliktes",  worin  er  auf  die  Schäden 
hinweist,  die  ein  ausgebrochener  Krieg  für  das 
ganze  Reich  gebracht  hätte. 


Der  Friedensverein  „Jednota  mirova"  in 
Brunn  hat  an  die  Parlamente  von  Bulgarien 
und  Serbien  Bittschriften  abgesendet  des  In- 
halts, es  möge  von  jedem  neuerlichen  Blut- 
vergießen  abgesehen    werden. 


vza 


„Die   Waffen   nieder"   im   Lesebuch. 

Im  k.  k.  Schulbücherverlage  ist 
ein  Lesebuch  erschienen,  das  vom 
Schulrat  K.  Fiedler  zusammenge- 
stellt wurde  und  unter  andern  auch 
einen  Abschnitt  aus  dem  Roman 
Bertha  von  Suttner  „Die  Waffen 
nieder"  bringt.  Es  ist  jener  AJb- 
schnitt,  welcher  folgendermaßen 
beginnt:  „Es  gibt  noch  Schauer- 
licheres als  ein  Schlachtfeld  wäh- 
renddes Krieges.  Das  isteinsolches 
nach  einer  Schlacht..."  Dem  Lese- 
stücke, das  97  Zeilen  umfaßt,  ist 
auch  das  Bildnis  der  Baronin 
Suttner    beigefügt. 


£S* 


Liste  I  der  für  die  Suttner-Stif- 
t  u  n  g  gezeichneten  Beträge  (in  chronologischer 
Reihenfolge) : 

Se.  kais.  und  königl.  Hoheit  Erzherzog 
Ludwig  Salvator   1000,—  K.;  Max  Stern,   Wien, 

50,—  K.;  Gräfin  Hedwig  Pötting,  Wien,  20,— 
Kronen;  Baronin  Marie  v.  Ebner-Eschenbach, 
Wien,  50,—  K.;  FML.  d.  R.  Moriz  Fraenzel, 
Wien,  50, —  K.  j  Baronin  Marie  Bock  v.  Greissau, 
Graz,  20,—  K. ;  A.  von  Guggenthall,  Graz, 
10,—  K.;  Bertha  Bacher,  Wien,  50,—  K.; 
S.  Schön,  Wien,  10, —  K. ;  Alexander  v.  Schrei- 
ber, Wien,  50, —  K. ;  kais.  Rat  Dr.  Ludwig 
Kareil,  Wien,  10,—  K. ;  R.-Abg.  Max  Friedmann, 
Wien,  50,—  K.;  Norbert  Benedikt,  Wien,  100  — 
Kronen;  Marianne  Hainisch,  Wien,  20, —  K. ; 
Marie  v.  Ebner-Ebenthall,  Triest,  50,—  K.;  Hof- 
rat Prof.  Dr.  Heinrich  Lammasch,  Wien,  10, —  K. : 
Baron  Adolf  Odelga,  Wien,  50,—  K.;  Adolf 
Engländer,  Prag,  20,—  K.;  C.  F.  5000,—  K.; 
Hofrat  Prof.  Anton  Weichselbaum,  Wien,  20, — 
Kronen;    Stefan    v.    Auspitz,    Wien,    50, —    K. ; 


Max    Ritter    von    Gutmann    2000, —    K.;      Leo 

Schreiber,  Wien,  2,—  K. ;  Kommerzialrat  Max 
Anhauch,  Czernowitz,  50, —  K. ;  Exz.  Paula,  v. 
Hoff  mann,  Wien,  20, —  K. ;  Baronin  Anna  Odelga, 
Wien,  50,—  K. ;  M.  u.  J.  Mandl,  Wien,  10  — 
Kronen;  Dr.  Heinrich  Graf  Taaffe,  Wien,  50, — 
Kronen;  Johanna  Neumann-Buska,  Wien,  25, — 
Kronen;  Ella  u.  Theodor  Auspitz,  Wien,  100, — 
Kronen;  Geh.  Kommerzienrat  Georg  Arnhold, 
Dresden,  1000, —  K. ;  E.  Böhm,  Kunitz  b.  Jena, 
6, —  K. ;  Marie  G.  Goilav,  Botosani,  Rumänien, 
20,—  K.;  Stefanie  Gräfin  Teleky,  Wien,  100,— 
Kronen;  Hans  von  Czjzek,  Wien,  300, —  K. ;  Mary 
v.  Wolter,  Judendorf  bei  Graz,  6, —  K. ;  Dr. 
Julius  Ofner,  Wien,  20, —  K. ;  Georg  Jeiteles, 
Wien,  50—  K.;  Dr.  Karl  Goldmark,  Wien, 
30,—  K.;  Hof  rat  V.  Ritter  von  Jagiö,  Wien. 
20,—  K,;  Julie  v.  Wellenau,  Baden,  10,—  K. ; 
Alfred  Graf  von  Bothmer,  Wiesbaden,  10, —  K. ; 
Anna  Eckstein,  Coburg,  25, —  K. ;  Emil  Stern, 
Brunn,  50, —  K. ;  Dr.  Peter  Ros egger,  Graz, 
5,—  K.;  Dr.  Alfred  H.  Fried,  Wien,  50,—  K. ; 
Dr.  Bernhard  Lederer,  Wien,  10, —  K. ;  Luise. 
Kuffler,  Wien,  10,—  K.;  Dr.  M.,  Wien,  2,—  K.; 
Oskar  Schwonder,  Königsberg  i.  Pr.,  7, —  K. ; 
Walter  Kloß,  Zoppot,  10,—  K.;  Valerie  Gräfin 
Orssich,  Oroslavje,  10, —  K. ;  Dr.  Karl  Wischek, 
Freiwaldau,  10, —  K. ;  Otto  Bondy,  Prag,  50, — 
Kronen;  Friedrich  Böhler,  Wien,  100, —  K. ; 
Baron  u.  Baronin  Speth,  Graz,  50, —  K. ;  Wilhelm 
R.  v.  Gutmann,  Wien,  500, —  K. ;  Dr.  Siegmund 
Münz,  Wien,  10, —  K. ;  Baron  Karl  Puttkammer, 
Berlin,  10, —  K. ;  Geza  Schönberg,  Wien,  10,— 
Kronen;  Justizrat  Dr.  Heilberg,  Breslau,  100, — 
Mark;  Jacques  Houssa,  Varennes,  10, —  Frcs. ; 
Johann  Maurizio,  Krakau,  10, —  K. ;  Justa  Kotz 
de  Dobrss,  Villa  Kaladey,  Böhmen,  25, —  K. ; 
Hofrat  Adolf  Lieben,  Wien,  100, —  K. ;  Baron 
Alfred  Liebig,  Wien,  50,—  K. ;  Jakob  Wolff, 
Hamburg,  50, —  M. ;  Nadine  Gräfin  Kolowrat, 
Dianaberg,  5, —  K. ;  Erlaucht  Carl  Graf  Kuef- 
stein,  Wien,  100,—  K.;  Dr.  Adolf  Richter. 
Pforzheim,  50, —  M. ;  Jon.  C.  Hoos,  Trautens- 
lof,  Haag,  2, —  K. ;  Felix  Moscheies,  London, 
1, —  Pfund  Sterling;  Siegfried  Trebitsch,  Wien, 
30, —  K. ;  Minna  Prohaska,  Wien,  2, —  K. ; 
Benedikt  Kosian,  Wien,  50, —  K. ;  Baronin 
Friederike  Basso,  Krumpendorf,  10, —  K. ; 
August  Ludowici,  Genf,  100, —  Frcs. ;  Georg 
Kossak,  Königsberg  i.  Pr.,  5, —  M. ;  N.  N., 
London,  1,—  Pfund  Sterling;  Nithack-Stahn, 
Berlin,  5,—  K. ;  Ing.  A.  Freißler,  Wien,  50,— 
Kronen ;  Dr  Alois  Birnbacher,  Graz,  10, —  K. ; 
Fredrik  Bajer,  Kopenhagen,  10, —  K. ;  Leon 
Bollack,  Paris,  100,—  K. ;  Elisabeth  Fränkel. 
Hildesheim,  20, —  M. ;  Leopold  Katscher,  Wien, 
20,—  K. ;  Geheimrat  Prof.  Dr.  Wilhelm  Ostwald, 
Leipzig,  50, —  M. ;  Emma  v.  Castella,  geb. 
Gräfin  Zierotin,  Littentschitz,  15, —  K. ;  Prof. 
Dr.  Oswald  Richter,  Wien,  2,—  K. ;  Justine 
Wittgenstein,  Karlsbad,  50, —  K. ;  J.  Lang, 
Luzern,  10, —  K. ;  Prof.  Dr.  Leo  Strisower,  Wien, 
50, —  K. ;  Kommerzialrat  Hans  Dupal,  Wien, 
25,—  K.;  Direktor  Rudolf  Roth,  Linz,  25,—  K. 


Die  Sammlung  ist  noch  nicht  abgeschlossen 


Spenden   übernimmt   die    Wechselstube   de 
Allgem.     Verkehrs  bank,     Wien     L,      Stock 
Eisenplatz  Nr.  2. 


n. 
er 

m 


Verantwortlicher  Redakteur:  CarlAppold,  Berlin  W.  60.  —  Im  Selbstverlag  des  Herausgebers  Alfred  H.  Fried,  Wien  ES/8. 
Druck:  PmtGirltb  G.m.b.H.,  Berlin  W.67.  —  Verantwortl.  Redakteur  für  Oesterreich-Ungarn  :  Vimens  Jerabek  in  Wien 


280 


August  1913. 


Die  vorliegende  Mummer  ist  in  Vertretung  des  in  den  Ferien  Weilenden  Herausgebers  von 
Dr.  Hans  Wchberg  in  Düsseldorf  redigiert  worden. 

Zur  Vorgeschichte  des  Haager  Friedenspalastes. 

Von  A  n  d  r  e  w  D.  W  h  i  t  e  in  Ithäca  N.  Y., 
früherem  amerikanischen  Botschafter  in  Berlin,  amerikanischem  Delegierten  zur  1.  Haager  Friedenskonferenz. 


My  dear  Mr.  Fried! 
Your  letter  of  June  eighteenth  is  duly 
received  and  I  note  in  it  your  statement 
that  Professor  Von  Martens  informed 
you  a  few  years  ago  that  it  was  I  who 
(to  use  his  own  words)  ,,made  the  decisive 
step  which  induced  Mr.  Carnegie  to 
erect  the  Palace  of  Peace  at  the  Hague". 

The  facts  regarding  which  you  enquire 
are    as    follows. 

Shortly  after  the  close  of  the  First 
Hague  Conference  in  1899  Professor  Von 
Martens,  one  of  my  Russian  colleagues 
in  that  body,  made  me  a  visit  at  the 
American  Embassy  in  Berlin,  and,  during 
our  conversations,  we  discussed  the  de- 
sirability  of  a  building  at  the  Hague  Which 
should  be  both!  a  Palace  of  Justice  for 
International  Tribunals  and  a  place  of 
meeting  for  future  Conferences.  In  the 
course  of  our  talk1  he  said :  „Your  American 
millionaires  are  doing  wonderful  things, 
why  could  you  not  approach'  some  of  th'em 
on  the  subject  of  erec'ting  such'  a  building  ?" 
My  answer  was  that  many  of  our  rieh'  men 
were  very  munificent  and  publiö  spirited 
in  American  matters  but  that  I  EneW  of 
but  one  among  them  whöse  life  and  ex- 
perience  were  such  as  to  sh'ow  him  the 
value  of  such  a  creation,  —  Mr.  Andrew 
Carnegie,  —  and  I  finished  by  saying, 
,,Mr.  Carnegie  lookö  at  the  World  in 
a  large  way  and  it  would  at  any  rate  be 
worth  while  to  discuss  the  matter  with1 
him."  The  result  was  that  I  wrote  him 
at  once. 


Mein  lieber  Herr  Fried! 

Ich  habe  Ihren  Brief  vom  19.  Juni 
empfangen,  worin  Sie  mir  mitteilen,  daß 
Prof.  v.  Martens  Ihnen  vor  einigen 
Jahren  sagte,  ich  sei  es  gewesen,  der  — 
um  seine  eigenen  Worte  zu  gebrauchen  — 
,,den  entscheidenden  Schritt  tat,  um  Car- 
negie zur  Errichtung  eines  Friedenspalastes 
im  Haag  zu  veranlassen". 

Die  von  Ihnen  gewünschten,  sich  darauf 
beziehenden    Tatsachen    sind    folgende: 

Sehr  bald  nach'  Schluß  der  ersten 
Haager  Konferenz  im  Jahre  1899  besuchte 
mich  Prof.  v.  Martens,  einer  meiner 
russischen  Kollegen,  in  der  amerikanischen 
Botschaft  in  Berlin,  und  während  unseres 
Gespräches  erörterten  wir,  wie  wünschens- 
wert die  Errichtung  eines  Gebäudes  im 
Haag  wäre,  das  als  Justizpalast  für 
internationale  Schiedsgerichte  und  zugleich 
als  Versammlungsort  für  Künftige  Konfe- 
renzen dienen  sollte.  Im  Laufe  unserer 
Unterhaltung  sagte  v.  Martens:  „Ihre 
amerikanischen  Millionäre  sind  die  Schöpfer 
so  ausgezeichneter  Werke;  könnten  Sie 
nicht  einen  von  Ihnen  veranlassen,  ein 
solches  Gebäude  zu  errichten  ?"  Ich  ant- 
wortete, daß  viele  unserer  reichen  Männer 
sehr  freigebig  und  gemeinsinnig  in  ameri- 
kanischen Angelegenheiten  seien,  daß  ich 
aber  nur  einen  einzigen  kenne,  der  den 
Wert  einer  solchen  Schöpfung  erfassen 
könnte :  Andrew  Carnegie,  und  ich 
schloß  mit  den  Worten:  „Carnegie  sieht 
die  Welt  mit  so  ungewöhnlichen  Augen  an, 
daß  es  in  jedem  Fall  der  Mühe  Wert  wäre, 
diese  Angelegenheit  mit  ihm  zu  be- 
sprechen." Bald  nach  dieser  Unterredung 
schrieb  ich  ihm. 


281 


DIE  FRIEDENS  -WARTE 


=e> 


The  answer  came  speedily  and  was 
a  very  shrewd  specimen  of  the  Soeratic 
Method,  —  asking  questions  and  suggesting 
objections.  This  resu.lt  Was  at  first  rather 
discouraging,  and  the  correspondence,  as 
continued  f'rom  Alassio  in  Italy,  wherc 
I  settled  down  for  a  year  or  two  after 
leaving  Berlin,  only  grew  more  and  more 
Socratic.  Yet  one  thing  in  Mr.  Car- 
negie'® letters  gave  me  hope :  he  evi- 
deritly  divined  meanings  and  possibilities 
in  the  work1  already  done  at  the  Hague, 
which  a  number  of  the  most  influential 
journalists  and  reviewers  of  the  world  at 
th'at  time  did  not  see.  There  had  follo- 
wed  the  First  Hague  Conference  much 
disappointment  and  söme  reaction,  and 
therefore  I  was  encouraged  to  find  in  his 
letters  that  he  saW  into  what  had  been 
done  there  and  recognized  the  value  of 
it.  He  developed  gradually  a  neW  phäse 
of  interest  in  it,  and,  to  my  great  satis- 
faction,  spoke  tentatively  of  giving  a 
great  Library  of  International  LaW  to  sohle 
suitable  Organization  at  the  Hague  for  the 
use  of  Conferences  and  courts  which  might 
be  established   there. 

In  answering  his  first  letters  it  was 
not  difficult  for  me  to  shbW1  that  such' 
a  library  wöuld  logically  follow  the  est- 
ablishment  of  the  Peace  Tribunal  and  the 
erection  of  a  Peace  Palace,  trat  that  the 
first  thing  Was  to  make  the  World  under- 
stand  that  the  International  Tribunal  had 
already  been  actually  established,  and  I 
argued  that  this  could  be  done  most  simply 
and  efficiently  by  erecting  and  throwing 
open  to  the  World  a  great  International 
Court  House  and  Palace  of  Justice.  Such 
an  edifice,  I  insisted,  Would  convey  to 
the  mind  of  the  average  thinking  man 
through'out  the  world  tangible  evidence 
that  such  a  tribunal  already  existed,  and 
would  so  influence  public1  opinion  that 
whenever  there  shbuld  afterward  arisc 
threatening  questions,  the  governments  and 
peoples  would  naturally  say  to  parties 
inclined  toWard  a  warlik'e  Solution:  „Why 
not  try  first  the  Hague  International 
Court?  A  large  body  of  judges  of  the 
high'est  standing  in  the  various  nations'  is 
already  provided  and  from  these  you  can 
make  your  choiee.  There  is  also  an  inter- 
national Court  House  standing  Wide  open 
for  you.  There  also  aWaits  your  con- 
Venience  at  this  moment  a  great  Committee 
composed  of  all  the  representatives  of 
foreign  poW'ers  now  residing  at  the  Hague, 


Die  Antwort  kam  sehr  bald  und  war 
ein  kluger  Beweis  der  „sokratischen"  Me- 
thode, Fragen  zu  stellen  und  Einwände 
zu  machen.  Dieses  Ergebnis  War  zuerst 
entmutigend,  und  die  Korrespondenz,  die 
ich  von  Alesso  (Italien),  wohin  ich  mich 
nach  meinem  Berliner  Aufenthalt  für  ein 
oder  zwei  Jahre  begab,  führte,  wurde 
immer  mehr  und  mehr  „sokratisch".  Nur 
ein  einziger  Punkt  in  Carnegies  Briefen 
ließ  mich  hoffen :  er  erkannte  die  Bedeutung 
des  im  Haag  bereits  geschaffenen  Werkes, 
die  von  einer  großen  Anzahl  einflußreicher 
Journalisten  und  hervorragender  Persön- 
lichkeiten zu  jener  Zeit  noch'  nicht  zu- 
gegeben wurde.  Eine  gewisse  Reaktion  und 
Enttäuschung  folgten  der  ersten  Haager 
Konferenz,  und  deshalb  war  ich1  erfreut, 
durch  Carnegies  Briefe  zu  erfahren,  daß 
er  den  Wert  der  dort  geleisteten  Arbeit 
anerkannte.  Er  entwickelte  nach  und  nach 
ein  großes  Interesse  dafür  und  sprach  zu 
meiner  großen  Befriedigung  davon,  eine 
umfangreiche  Völkerreehtsbiblioth'ek  zum 
Gebrauche  der  Haager  Konferenzen  und 
Schiedsgerichtshöfe  irgendeiner  in  Frage 
kommenden  Haager  Organisation  zu  stiften. 

Bei  Beantwortung  seines  ersten  Briefes 
fiel  es  mir  nicht  schwer,  ihm  vor  Augen  zu 
fuhren,  daß  einer  solchen  Bibliothek  logi- 
scherweise die  Errichtung  eines  Friedens- 
tribunals und  eines  Friedenspalastes 
folgen  Würden,  daß  es  aber  vor  allem 
darauf  ankäme,  die  Welt  davon  zu  unter- 
richten, daß  ein  internationaler  Schieds- 
gerichtshof bereits  bestände,  und  ich  folgerte, 
daß  dies  am  einfachsten  und  wirksamsten 
durch  die  Errichtung  eines  großen  inter- 
nationalen Gerichtshofes  und  eines  Justiz- 
palastes geschehen  könne.  Ein  solches  Ge- 
bäude müßte,  führte  ich'  aus,  auch'  den 
Durchschnittsmenschen  der  ganzen  Welt 
einen  deutlichen  Beweis  davon  geben,  daß 
ein  solcher  Gerichtshof  schon  vorhanden 
sei,  und  diese  Tatsache  würde  die  öffent- 
liche Meinung  so  weit  beeinflussen,  daß 
die  Regierungen  und  die  Völker  beim  Auf- 
tauchen drohender  Fragen  der  zu  einem 
Krieg  neigenden  Partei  ohne  Zweifel  sagen 
würden:  „Weshalb  nicht  zuerst  den  inter- 
nationalen Haager  Schiedshof  anrufen? 
Zahlreiche  Richter  der  höchsten  Stände,  der 
verschiedensten  Nationen  stehen  zur  Ver- 
fügung, und  ihr  könnt  eure  Wahl  treffen. 
Es  gibt  auch  leinen  internationalen  Gerichts- 
hof, der  seine  Tore  für  euch  öffnet.  Sobald 
ihr  Wollt,  wartet  auf  euch  ein  aus  allen 
Vertretern  der  fremden,  jetzt  im  Haag  resi- 


282 


e 


DIE  FRJ EDENS -VwÄRTE 


with  the  Netherlands  Minister  of  Foreign 
Affairs  as  its  Chairman,  for  the  purpose 
of  taking  all  preliminary  and  auxiliary 
steps  toward  bringing  together  these  judges 
and  getting  tliemi  at  Work'  in  your  Palace  o{f 
Justice.  Why  not  try  this  peaceful  means 
before  you   plunge  us   into   War  ?" 

I  insisted  that  while  there  was  an 
admirable  purpose  to  be  served  by  the 
Peace  Palace  as  a  home  for  International 
Conferences  and  Courts,  its  most  immediate 
practicäl  and  tangible  use  was  as  an 
,, outward  and  visible  sign"  to  the  whble 
World  that  füll  provision  had  been  made 
for  the  International  Tribunal  and  that 
such  a  Tribunal  could  be  called  together 
at  any  moment. 

This  was  so  clear  to  me  that  Mr. 
(J  a  r  n  eg  i  e  '  s  Socratic  Method  began  to 
rasp  my  nerves,  and  the  resultat  was 
that  I  wrote,  ere  long,  a  letter  which' 
I  supposed  would  close  the  ■correspondence. 
But  to  tmy  great  satisfaction  it  Was  speedily 
answered  by  a  message  saying:  ,,Come  to 
Skibo  and  we  will   talk  it  over." 

This  invitation  I  accepted  at  the 
earliest  moment  possible  and  the  result 
was  a  most  delightful  week.  Every  mor- 
ning  was  ushered  in  by  the  piper  sounding 
old  Seotch  battle  songs  under  our  Windows, 
as  he  made  liis  three  rounds  about  the 
Castle  Walls,  and  the  duties  of  every  day 
then  opened  nobly  by  anthems  from  the 
organ  in  the  great  Hall  of  the  Castle. 
Guests  of  distinction  from  various  parts 
of  the  World  took  up  discussions  of  cUrrent 
political  and  social  questions  at  breakfast 
and  then  followed  exeursions  among  the 
hüls  of  Sutherlandshire  or  along  the  shores 
of  the  Northern  Ocean  or  up  the  streams 
or  througli  the  forests  —  all  combining 
to   make   each   day   a   beautiful   dream. 

But  soon  this  began  to  alarm  me. 
There  was  nothing  more  of  the  Socratic 
Method.  The  Hague  Palace  of  Peace  and 
all  the  questions  which  I  had  cöme  to 
discuss  seemed  as  entirely  forgotten  as  the 
Ghost  of  Banquo  or  the  Battle  of  Bannock- 
burn.  Delightful  days  succeeded,  but  no 
mention  was  made  of  the  question  which' 
had  brought  me,  and,  af'ter  nearly  a  week 
of  this,  there  came  what  seemed  a  bit  of 
comedy.      One    morning    Mr.    Carnegie 


dierenden  Mächte  gebildetes  großes  Ko- 
mitee mit  dem'  niederländischen  Minister 
des  Aeußeren  als  Präsident,  um  alle  Präli- 
minarien und  Hilfsschritte  zu  unternehmen, 
und  um  diese  Richter  in  euren  Justizpalast 
ans  Werk  zu  rufen.  Weshalb  wollt  ihr 
nicht  eine  friedliche  Verständigung  suchen, 
ehe  ihr  uns  in  Krieg  verwickelt?" 

Während  es  mir  gewiß  ausgezeichnet 
erschien,  den  Friedenspalast  als'  Heim  der 
internationalen  Konferenzen  und  Höfe 
dienen  zu  lassen,  sah  ich'  doch  seinen  prak- 
tischsten und  deutlichsten  Wert  darin,  daß 
er  als  „äußerliches  und  sichtbares  Zeichen" 
der  ganzen  Welt  davon  Kunde  gebe,  daß 
alle  Vorkehrungen  für  einen  internatio- 
nalen Gerichtshof  getroffen  seien,  und  daß 
ein  solcher  jeden  Augenblick  einberufen 
werden    könne. 

Dies  erschien  mir  so  klar,  daß  Car- 
negies „sokratische"  Methode  mich  zu 
irritieren  begann,  und  ich  schrieb  ihm  einen 
Brief,  der,  wie  ich  annahm,  unsere  Korre- 
spondenz beendigen  Würde.  Zu  meiner 
großen  Befriedigung  aber  wurde  dieser  bald 
durch  eine  Einladung  beantwortet,  die 
lautete:  ,, Kommen  Sie  nach  Skibo  und  Wir 
wollen    darüber    sprechen." 

Ich  folgte  dieser  Einladung,  so  bald 
ich  konnte,  und  das  Ergebnis  war  eine 
entzückende  Woche.  Jeflen  Morgen  wurden 
wir  durch  alte  schottische  Schlachtlieder, 
die  der  Pfeifer  unter  unseren  Fenstern  bei 
einer  dreimaligen  Runde  um  die  Schloß- 
mauern erklingen  ließ,  geweckt.  Eine  in 
der  großen  „Hall"  des  Schlosses  auf  der 
Orgel  gespielte  Hymne  eröffnete  wirksam 
und  edel  den  Tag.  Vornehme  Gäste  aus 
allen  Teilen  der  Welt  unterhielten  sich1 
beim  Frühstück'  über  allgemeine  politische 
und  soziale  Fragen;  Ausflüge  in  die  Graf- 
schaft Sutherland,  an  die  Gestade  des 
nördlichen  Ozeans,  Fahrten  auf  dem  Stiom 
oder  Spaziergänge  durch  die  Wälder  ver- 
wandelten jeden  Tag  in  einen  schönen 
Traum. 

Aber  dies  begann  mich  bald  zu  be- 
unruhigen. Von  der  „sokratischen"  Me- 
thode war  nichts  mehr  zu  verspüren.  Der 
Haager  Friedenspalast  und  alle  Fragen, 
deretwegen  ich  hergekommen  war,  schienen 
vergessen  wie  Banquos  Geist  oder  die 
Schlacht  bei  Bannockburn.  Herrliche  Tage 
folgten  zwar;  aber  aller  jener  Fragen,  die 
mich1  eigentlich  hergeführt  hatten,  wurde 
nicht  Erwähnung  getan,  und,  fast  nach 
einer    Woche,    kam    etwas,    das    wie    eine 


233 


DIE  FRIEDENS -^ÖÄTE 


invited  me  to  go  fishing  with1  him  in  the 
trout  lakes  among  the  hüls.  I  had  never 
caught  a  trout  sinee  one  proud  day,  forty 
years  before,  in  the  North  .Woods  of  New 
YorK:  but  now  a  great  hope  arose  within 
nie,  —  now'  I  sheuld  häve  the  philanthropist 
all  to  myself;  what  excellent  cönditions 
for  diplomatic  angling;  whb  cöuld  teil 
•what  new  h'elp  for  the  world  I  might  bring 
home  with1  me? 

Cettainly  it  „loo'ked  like  business". 
We  were  arrayed  in  Scotch  caps,  cloaks 
and  tippets,  given  a  brave  show  of  fishing 
tackle,  and  af'ter  a  short  drive  we  stood| 
by  the  side  of  a  boat  in  one  of  the  trout 
lakes.  But,  alas,  a  colossal  Highlander 
solemnly  conducted  Mr.  Carnegie  to  one 
end  of  the  boat,  myself  to  the  other,  and, 
to  my  intense  disappointment,  took  the 
oars  and  seated  himself  between  us1.  He 
then  gave  me  to  understand  that  the  very 
first  requirement  of  Scotch  trout  fishing 
is  s  i  1  e  n  c  e.  The  Situation  was1  now 
desperate  indeed:  it  Was  my  last  day  in 
that  Paradise,  and  I  had  made  my  prepa- 
rations  for  departure  early  next  mörning. 

The  mountain  scenery  now  lost  its 
charm':  I  soon  lost#interest  in  fishing  and 
gave  myself  up  to  reflections  as  cheerless 
as  the  rock'y  hillsides.  Th'us  the  day  slowly 
passed,  —  not  a  word  exchänged,  — 
Mr.  Carnegie  catching  a  few  fish,  I 
catching  none,  and  my  hopes  of  the  great 
Palace  of  Peace  fading  into  the  misty  sky 
above  us.  The  return  ride  was  devoted  to  the 
philosophy  of  fishing.  Dinner  came,  with 
discussions  of  literary  and  scientific 
questions,  and  the  evening  followed  with' 
noble  music.  All  for  which1  I  had  come 
appeared  lost,  —  when,  suddenly,  our  host 
quietly   took  his  seat  beside  me. 

There  followed  the  „still,  small  voice", 
and  straightway,  with1  a  method  no  longer 
shrewdly  Socratie,  but  nobly  Piatonic, 
there  Was  unfolded  to  me  a  view  of  the 
whole  subjeet  which  we  had  for  many 
months  been  discussing  together.  The 
original  idea  of  a  Library  of  International 
Law  had  developed  into  something  far 
grander.  The  Peace  Palace  of  the  Hague 
began  to  reappear  and  in  a  new  glory  — 
as  a  pledge  and  sign  of  a  better  future 
for  the  world,  and  then  came  from  him 
the   words    which    assured   his    great   gif't 


kleine  Komödie  aussah.  Eines  Morgens 
lud  mich  Carnegie  ein,  mit  ihm1  auf 
Forellenfang  zu  gehen.  Nur  einmal,  vor 
40  Jahren,  hatte  ich  eine  Forelle  gefangen, 
sonst  noch1  nie.  Aber  nun  erfüllte  mich 
eine  große  Hoffnung,  nun  würde  ich  den 
Philantropen  ganz  für  mich  haben.  Welch 
ausgezeichnete  Bedingungen  für  ein  diplo- 
matisches ,, Angeln"!  Wer  könnte  wissen, 
welch  neue  Hilfe  für  die  Welt  ich'  mit 
mir   nach   Hause   bringen   Würde  ? 

Natürlich  sah'  es  wie  eine  „Arbeit" 
aus.  Wir  trugen  schottische  Kappen,  Mäntel 
und  Halskragen,  und  nach  einer  kurzen 
Fahrt  standen  wir  bei  einem  Boot  in  einem 
der  Forellenteiche.  Aber  ach,  ein  großer 
Hochländer  führte  feierlich  Carnegie 
zu  einem  Ende  des  Bootes,  mich  zum  ande- 
ren, und  zu  meiner  heftigen  Enttäuschung 
ergriff  er  die  Ruder  und  setzte  sich 
zwischen  uns.  Er  gab  mir  dann  zu  ver- 
stehen, «daß  die  erste  Bedingung  einer 
schottischen  Forellenfischerei  Schweigen 
sei.  Die  Situation  erschien  mir  nun  in  der 
Tat  verzweifelt:  es  war  mein  letzter  Tag 
in  diesem  Eiland,  und  ich  hatte  schon  Reise- 
vorbereitungen für  den  nächsten  Morgen 
getroffen. 

Die  Berge  hatten  jetzt  keinen  Reiz 
mehr.  Ich'  verlor  das  Interesse  am  Fischen, 
und  meine  Gedanken  wurden  bald  so  trost- 
los wie  die  felsigen  Hügelabhänge.  So  ver- 
ging langsam  der  Tag,  kein  Wort  wurde 
gewechselt ;  Carnegie  fing  einige  Fische, 
ich  gar  keine,  und  meine  Hoffnungen  für 
den  großen  Friedenspalast  welkten  unter 
dem  nebligen  Himmel  über  uns.  Die  Rück- 
fahrt war  nur  der  Philosophie  des  Fischens 
gewidmet.  Das  „Dinner"  kam  mit  Unter- 
haltungen über  Literatur,  wissenschaft- 
liche Fragen,  und  am  Abend  folgte  edle 
Musik.  Alles  das,  weshalb  ich  hergekom- 
men war,  schien  verloren,  als  plötzlich 
unser    Gastgeber    sich    zu    mir    setzte. 

Es  folgte  die  „ruhige,  zarte  Stimme", 
und  bald  —  jetzt  nicht  mehr  klug  „sckra- 
tisch",  sondern  edel  platonisch  —  wurde 
mir  ein  Plan  für  die  seit  Monaten  von  uns 
erörterten  Fragen  mitgeteilt.  Die  ursprüng- 
liche Idee  einer  Völkerrechtsbibliothek 
wurde  erweitert,  der  Friedenspalast  im 
Haag  erschien  in  einer  neuen  Pracht  als 
Bürgschaft  und  Zeichen  einer  besseren 
Weltzukünf t,  und  dann  sprach  Carnegie 
jene  Worte,  die  den  Nationen  seine  große 
Spende  sicherte,  die  Schöpfung  eines  Sym- 
bols   für    den    Wunsch     einer   Welt   nach 


284 


Sg: 


DIE  FRIEDEN5->Waj2rE 


to  the  nations,  —  the  creation  of  a  center 
and  symbol  of  a  world's  desire  for  peace 
and  goodwill  to  men. 

Such,  my  dear  and  honored  friend, 
is  the  whöle  story  as  I  remember  it,  and 
I  remain 

Most  sincerely  and  respectfully  yours 

Andrew  D.  White. 
Ithaca,   July  8,   1913. 

P.  S.  I  may,  perhaps,  add  to  the 
above  that  as  regards  a  Library  of  Inter- 
national Law  to  be  placed  in  the  Peace 
Palace  for  the  use  of  the  International 
Tribunals,  Conferences  and  individuals 
concerned,  I  had  the  honor  a  few  years 
since,  with  the  permission  of  Mr.  Car- 
negie, to  present  to  the  „Institute  for 
Research"  which'  he  has  founded  at 
Washington,  a  plan  for  Publishing  a  new 
edition  of  „The  Great  Classics  of  Inter- 
national Law",  both  in  the  original  text 
and  in  English.  The  plan  was  adopted, 
with  the  result  that  the  series  has  been 
begun  with  a  splendid  edition  of  the  De 
Jure  Belli  ac  Pacis  of  Grotius,  and 
continued  with  the  treatises  of  Ayala, 
Gentilis,  Suarez  and  other  great  instruc- 
tors  of  the  world  in  the  Law  of  Nations. 

No  doubt  there  will  gradually  aceu- 
mulate  about  these  a  large  collection  of 
the  main  works  in  more  recent  years  on 
the  subjects  concerned.  Perhaps,  too,  some 
one  will  appear  who  will  be  wise  enough 
te  secure  immortality  by  endowing  it 
largely  and  fitly,  —  providing  funds  to 
purchase  the  books  and  to  engage  a 
librarian  to  select  and  guard  them. 

Best  of  all,  I  am  sure  that  you  and 
other  lovers  of  peace  throughöut  the  world 
will  have  faith  with  me  that,  as  the 
culmination  and  main  glory  of  the  Library, 
there  will  be  added  to  it,  as  time  goes  on, 
a  series  of  decisionsi  by  future  Hague  Tribu- 
nals, which  shall  develop,  ever  more  and 
more  worthily,  the  science  and  practice  of 
International  LaW  and  thus  become  the 
harbinger    of    new    blessings    to    mankind. 

A.   D.   W. 


Frieden    und    Wohlwollen     zwischen     den 
Menschen. 

Dies  ist,  mein  lieber  und  verehrter 
Freund,  die  ganze  Geschichte,  wie  ich  sie 
noch  in  Erinnerung  habe,  und  ich  verbleibe 

Ihr  Ihnen  aufrichtig  ergebener 
Andrew  D.  White. 
Ithaca,  8.  Juli  1913. 

P.  S.  Ich  möchte  zu  dem  vorher  Ge- 
sagten noch  etwas  über  die  Völkerreehts- 
bibliothek,  die  in  dem  Friedenspalast 
zum  Gebrauch  der  internationalen  Schieds- 
gerichte, Konferenzen  und  Einzelpersonen 
untergebracht  werden  sollte,  hinzufügen. 
Vor  einigen  Jahren  hatte  ich  die  Ehre, 
dem  von  C  a  r  n  e  g  i  e  in  Washington  begrün- 
deten „Institute  for  Research"  mit  seiner 
Zustimmung  einen  Plan  zur  Veröffent- 
lichung einer  neuen  Ausgabe  der  „Großen 
Klassiker  des  Völkerrechts"  sowohl  im 
Originaltext  als  auch1  im  englischen  zu 
unterbreiten.  Der  Plan  wurde  angenommen, 
und  es  erschien  eine  prachtvolle  Ausgabe 
von  Grotius  „De  JureBelliacPacis", 
der  dann  die  Abhandlungen  von  Ayala, 
Gentilis,  Suarez  und  anderen  großen  welt- 
berühmten Vertretern  des  Völkerrechts 
folgten. 

Es  ist  kein  Zweifel,  daß  sich  nach 
und  nach  eine  große  Sammlung  ausgezeich- 
neter Werke  darüber  anhäufen  wird.  Viel- 
leicht wird  sich1  auch  irgend  jemand  finden, 
der  weise  genug  ist,  sich  Unsterblichkeit 
durch  eine  große  Stiftung  zu  sichern,  durch 
welche  er  einen  Fonds  schafft,  um  Bücher 
zu  kaufen  und  einen  Bibliothekar  zu  ge- 
winnen, der  sie  wählt  und  Verwahrt. 

Als  Höchstes  aber  —  davon  bin  ich 
überzeugt  —  werden  Sie  und  alle  Friedens- 
anhänger der  Welt  wünschen,  daß  der 
Bibliothek!  als  Krönung  und  vornehmste 
Errungenschaft  mit  der  Zeit  eine  Anzahl 
von  Entscheidungen  der  künftigen  Haager 
Schiedsgerichte  einverleibt  werden,  die 
immer  mehr  die  Wissenschaft  und  Praxis 
des  Völkerrechts  zu  einem  neuen  Segen 
für  das  Menschengeschlecht  entwickeln 
werden.  A,  D.  iW. 


285 


DIE  FRIEDENS -^MiTE 


3 


In  wessen  Hamen 

wird  im  Haager  Friedenspalaste 

Recht  gesprochen  werden? 

Von  Dr.   Hans   Wehberg  in  Düsseldorf. 

Es  ist  nicht  lediglich  ein  Streit  um  Worte, 
wenn  Schücking  in  seinem  hervorragen- 
den Werke  „Der  Staaten  verband  der  Haager 
Konferenzen"  (1912,  Seite  41  ff.)  die  Frage 
untersucht,  ob  der  Haager  ständige  Schieds- 
hof seine  Urteile  im  Namen  der  jeweiligen 
Parteien  oder  im  Namen  der  Staatengemein- 
schaft fällt.  Denn  ganz  abgesehen  von  dem 
wissenschaftlichen  Interesse,  das  dieser  Streit 
verdient,  ist  es  von  erheblichem1  praktischen 
Werte,  ob  das  Schiedsgericht  im  Namen  der 
gesamten  zivilisierten  Staaten  Recht  spricht. 
Im  einzelnen  hat  Schücking  die  ver- 
schiedenen Konsequenzen  angedeutet,  zu 
denen  diese  oder  jene  Ansicht  führt.  Hier 
sei  nur  auf  die  viel  höhere  moralische  Macht 
hingewiesen,  die  ein  über  allen  Staaten 
thronender    Gerichtshof    besitzt. 

In  zahlreichen  bisherigen  Schriften,  ins- 
besondere meinem  „Kommentar  zu  dem 
Haager  Abkommen  betr.  die  friedliche  Er- 
ledigung internationaler  Streitigkeiten"  (191 1 ), 
habe  ich  mit  der  herrschenden  Meinung  die 
Ansicht  vertreten,  der  Haager  Hof  sei  ledig- 
lich eine  Liste  von  Richtern.  Schücking 
hat  sich  an  der  genannten  Stelle  gegen  den 
von  Zorn,  Meurer,  v.  Uli  mann  und 
mir  vertretenen  Standpunkt  ausgesprochen. 
Ich  möchte  daher  heute,  ein  Jahr  nach  Er- 
scheinen des  Schücking  sehen  Werkes,  die 
Frage  nochmals   prüfen. 

Schon  die  Verhandlungen  der  ersten 
Haager  Friedenskonferenz  bieten  einen  An- 
haltspunkt für  die  Beantwortung  dieses  Pro- 
blems. Auf  der  ganzen  ersten  Haager  Frie- 
denskonferenz war  eine  der  Hauptfragen  die 
Schaffung  eines  ständigen  Schiedsgerichts- 
hofes. Man  wollte  —  dies  war  die  Ansicht 
der  meisten  Mitglieder  der  Konferenz  wie 
der  ganzen  Welt  —  nicht  lediglich  eine 
Richterliste  ins  Leben  rufen,  vielmehr  ein, 
wirkliches  ständiges  Schiedsgericht.  Man 
vergegenwärtige  sich  nur,  was  es  denn  eigent- 
lich für  einen  Zweck  gehabt  hätte,  wenn  "die 
meisten  Staaten  lediglich  eine  Liste  mit 
einem  Bureau  hätten  schaffen  wollen.  Hatte 
man  denn  wirklich  solchen  Mangel  an 
Schiedsrichtern,  daß  man  deswegen  eine  be- 
sondere Liste  im  Haag  auflegen  mußte,  und 
war  die  Zahl  der  Schiedsgerichte  so  groß, 
daß  sich  ihretwegen  die  Schaffung  eines  be- 
sonderen Bureaus  lohnte  ?  Nein,  der  Kern- 
punkt, worauf  es  den  Hauptmitarbeitern  der 
Konferenz  wie  schon  früher  der  Interparla- 
mentarischen Union  ankam,  war  die  Schaffung 
eines  weithin  sichtbaren  Welttribunals.  Dies 
ergibt  sich  einmal  aus  den  Worten,  mit 
denen    Pauncefote,    der    englische    Dele- 


gierte, die  Verhandlungen  über  den  Schieds- 
gerichtshof  am  26.  Mai  1899  einleitete.  Er 
betonte  die  Notwendigkeit  der  Schaffung 
eines  ständigen  Tribunals,  das  die  Sache  der 
Schiedsgerichtsbarkeit  vorwärts  treiben  und 
ihr  einen  mächtigen  Antrieb  geben  würde. 
Dabei  wies  er  gerade  auf  das  Descampsche 
Projekt  von  1895  hin.  „Wie  notwendig  dieses 
Tribunal  ist,"  so  betonte  er  etwa,  „ist 
mit  ebensoviel  Beredsamkeit  wie  Kraft  und 
Klarheit  von  unserem  hervorragenden  Kollegen 
Descamps  in  seinem  interessanten  „Essai 
sur  l'arbitrage"  gezeigt  worden,  von  dem 
sich  ein  Auszug  in  den  von  der  nieder- 
ländischen Regierung  uns  überreichten 
Dokumenten  befindet."  (Prot.  IV,  S.  4.)  Was 
für  ein  Tribunal  aber  die  große  interparla- 
mentarische Versammlung  von  1895  sowie 
Descamps  befürwortet  haben,  ist  all- 
gemein bekannt.  Dieses  Schiedsgericht  also 
sollte  die  erste  Haager  Konferenz  beschließen: 
Ein  freies  Tribunal  im  Schöße  unabhängiger 
Staaten.  Wie  erklärt  sich  anders  der  deutsche 
Widerstand  gegen  die  Annahme  des  Hofes, 
wenn  nicht  eben  durch  die  Erwägung,  daß 
Deutschland  kein  Welttribunal  wollte  ?  Bei 
den  Verhandlungen  mußte  Zorn  immer 
wieder  betonen,  es  gebe  keinen  ständigen 
Schiedshof,  sondern  nur  eine  Liste  I  Die 
anderen  Mitglieder  gingen  wiederholt  von 
dem  entgegengesetzten  Standpunkte  aus,  so 
daß  es  Zorn  im  Namen  der  deutschen  Re- 
gierung für  nötig  hielt,  seine  abweichende 
Ansicht  zu  Protokoll  zu  geben.  Das  konnte 
aber  nicht  hindern,  daß  Descamps  in 
seinem  Berichte  über  das  Friedensabkommen 
die  Institution  mit  Worten  verherrlichte,  die 
nur  zu  verstehen  sind,  wenn  Descamps 
die  Errichtung  eines  wirklichen  Welttribunals 
annahm.  „Die  Errichtung  eines  ständigen 
Schiedshofes  entspricht  der  tiefsten  Sehn- 
sucht der  zivilisierten  Völker,  den  realen 
Fortschritten  in  den  Beziehungen  der 
Staaten.  .  .  Diese  große  Einrichtung  kann 
ein  mächtiges  Hilfsmittel  sein  für  die  Siche- 
rung des  Rechtsgefühls  der  Welt."  Diese 
Worte  sind  gar  nicht  begreiflich,  wenn  man 
sich  vorstellt,  daß  Descamps  hier  ledig- 
lich darauf  anspielt,  es  sei  eine  Auswahl  von 
Richtern  und  ein  Bureau  geschaffen  worden. 
Nein,  die  Tatsache,,  daß  fortan  ein  Richter- 
k  o  1 1  e  g  i  u  m  im  Name(n  der  Staaten  fungiert, 
ist  offenbar  allein  entscheidend.  Denn  was 
anders  ist,  wie  Descamps  sagt,  von  den 
Völkern   ersehnt    worden  ? 

Aber  noch  ein  anderer  Punkt  weist  darauf 
hin,  daß  der  Haager  Schiedshof  in  seiner 
Gesamtheit  nicht  lediglich  eine  Richterliste, 
sondern  ein  wirkliches  Gericht  darstellt. 
Man  mache  sich  doch  einmal  klar,  wie  sonst 
die  Worte  „Cour  permanent  d'arbitrage"  zu 
erklären  wären.  Entweder  sind  diese  Worte 
ein  barer  Nonsens,  denn  eine  Richterliste 
ist  eben  etwas  anderes  wie  ein  Tribunal, 
oder  wir  haben  es  wirklich  mit   einem   stän- 


2  86 


<§s 


=  DIE  Fßl EDENS ->\*\BXE 


digen    Schiedsgerichte,    das    freilich    lose    or- 
ganisiert  ist,   zu  tun. 

Darauf  deutet  auch  die  Ueberschrift  der 
von  dem  Haager  Schiedshöfe  gefällten  Ur- 
teile deutlich  hin,  auf  denen  ausnahmslos 
zu  lesen  ist:  „Cour  permanente  d'arbitrage." 
Jedes  Schiedsgericht  ist  eben  ein  für  den 
Einzelfall  zusammengetretener  Teil  des  ge- 
samten Gerichtes.  Oder  was  soll  sonst  die 
Ueberschrift  bedeuten  ?  Der  Unterschied  er- 
gibt sich  klar,  wenn  man  ein  im  internatio- 
nalen Bureau  des  Haager  Schiedshofes  ge- 
fälltes Urteil  eines  besonderen  Schieds-i 
gerichtes  zur  Hand  nimmt.  So  steht  z.  B. 
über  der  Entscheidung  des  russisch-türkischen 
Schiedsgerichts  vom  11.  November  1912: 
„Urteil  des  Schiedsgerichts  vom  .  .  .,  zu- 
sammengetreten auf  Grund  des  Schieds- 
vertrages — ".  Wie  kann  man,  muß  man 
fragen,  überhaupt  von  zwölf  Urteilen  des 
Haager  Schiedshofes  reden,  wenn  man  den 
Hof  lediglich  als  eine  Liste  von  Richtern 
.auffaßt  ?  Dann  ist  doch  jedes  Urteil  die 
Entscheidung  eines  besonderen  Tribunals, 
das  im1  Namen  ganz  verschiedener  Staaten 
gesprochen  hat.  Der  Sachlage  wird  man 
nur  gerecht,  wenn  man  davon  ausgeht, 
daß  alle  einzelnen  Tribunale  Kammern  eines 
einheitlichen   Weltgerichtshofes    sind. 

Durch  die  Worte  „Cour  permanente 
d'arbitrage"  über  jedem1  Urteile  wird  also 
meines  Erachtens  schon  völlig  deutlich  her- 
vorgehoben, in  wessen  Namen  die  Urteile  I 
des  Haager  Schiedshofes  gefällt  werden. 
Denn  ist,  wie  jene  Ueberschrift  sagt,  das 
einzelne  Schiedsgericht  nur  ein  Teil  de9 
Schiedshofes,  so  urteilt  es  im  Namen  derer, 
die  den  Schiedshof  als  solchen  eingesetzt 
haben,  nämlich  der  Signatarstaaten  der 
zweiten  Haager  Friedenskonferenz.  Es  ist 
deshalb  kein  so  dringendes  Bedürfnis,  wie 
dies  Schücking  (a.  a.  O.  S.  44)  vorschlägt, 
über  die  Schiedssprüche  die  Worte  zu  setzen: 
„Im  Namen  der  Staatengemeinschaft."  Auch 
in  Deutschland  werden  keineswegs  alle  Ur- 
teile, rein  äußerlich,  im  Namen  des  Kaisers 
oder  des  Reiches  gesprochen.  So  erläßt  das 
Reichsmilitärgericht  nach  §  13  seiner  Ge- 
schäftsordnung vom  13.  März  1909  seine 
Entscheidungen  unter  der  Ueberschrift:  „Das 
Reichsmilitärgericht".  Und  auch  das  Reichs- 
patentamt, zwar  kein  Gericht,  aber  immer- 
hin eine  verwaltungsgerichtliche  Reichs- 
behörde, schreibt  über  seine  Urteile  eben- 
falls nicht  „Im  Namen  des  Reiches",  sondern 
„Im  Namen  des  Patentamts".  (Patentgesetz 
§  15.)  So  genügt  meines  Erachtens  die 
Ueberschrift  „Ständiger  Schiedshof"  voll- 
kommen, um  anzudeuten,  daß  die  Urteile  im 
Namen  der  Staatengemeinschaft  gesprochen 
werden.  Hervorgehoben  sei  noch,  daß  sich 
in  vielen  Recueil  des  actes  et  protocoles  du 
tribunal  d'arbitrage  eine  wörtliche  Abschrift 
des  Urteils  nicht  findet,  sondern  nur  der 
Wortlaut     dessen,    was     der    Generalsekretär 


in  der  Schlußsitzung  verliest.  Da  nun  hier- 
bei die  Worte  „Ständiger  Schiedshof"  ebenso- 
wenig hinzugefügt  werden  wie  bei  der  Ver- 
kündigung der  Urteile  in  der  preußischen 
Gerichtspraxis  die  Worte  „Im  Namen  des 
Königs",  so  ist  aus  dem1  Protokolle  ider 
Schlußsitzung  nicht  zu  entnehmen,  welche 
Ueberschrift  die  Urteile  tragen.  Aber  die 
Ausfertigungen  der  Entscheidungen  enthalten 
alle    zunächst    die   erwähnten   Worte. 

Dies  sind  die  entscheidenden  Punkte,  die 
mich  von  der  Richtigkeit  der  Schücking- 
schen  Auffassung  vollkommen  überzeugt 
haben.  Dagegen  möchte  ich  aus  der  Tat- 
sache, daß  die  Schiedsrichter  bei  Ausübung 
ihrer  Funktionen  exterritorial  sind,  keine 
weiteren  Folgerungen  ziehen.  Ichgaube  nicht, 
daß  Schücking  die  bisherige  Praxis  der 
Schiedsgerichtsbarkeit  für  sich  hat,  wenn  er 
meint,  früher  sei  es  regelmäßig  anders  ge- 
wesen. 

Je  mehr  ich  über  das  hier  behandelte 
Problem  nachdenke,  um  so  richtiger  erscheint 
mir  die  Schücking  sehe  Auffassung  von 
der  Stellung  des  Haager  Schiedshofes.  Be- 
reits hat  nun  ein  hervorragender  deutscher 
Gelehrter  die  Darstellung  Schückings  für  zu- 
treffend erklärt.  In  seiner  vor  wenigen  Tagen 
in  Heft  2  der  „Zeitschrift  für  Völkerrecht" 
erschienenen  Arbeit,  „Die  Stellung  des  Haager 
Schiedshofes",  spricht  K  o  h  1  e  r  von  der 
„altgeschichtlichen  Betrachtung,  die  davon 
ausging,  daß  internationale  Schiedsgerichte 
nur  speziell  mit  den  zwei  Staaten,  die  sie 
ernannten,  zu  tun  hätten,  und  zu  einer  un- 
richtigen Auffassung  des  Schiedshofes  führe". 
Der  Haager  Hof  ist  auch  noch  Kohl  er 
ein  Organ  des  Weltverbandes,  dessen  Be- 
deutung nicht  etwa  bloß  ist,  im  einzelnen 
Falle  zu  entscheiden,  sondern  durch  seine 
Entscheidung  die  Friedenszwecke  der  Kultur- 
welt zu  erfüllen.  Es  ist  ein  wahres  Gericht, 
das  freilich  nur  unter  Mitwirkung  der  Parteien 
zusammentritt.  K  o  h  1  e  r  führt  für  diese 
Auffassung  noch  einen  weiteren  Grund  an, 
nämlich  den,  daß  das  Schiedsgericht  seine 
Zuständigkeit  selbständig  bestimmen  könne. 
(Artikel  73  des  Haager  Abkommens.)  "Darin 
stimme  ich  Kohl  er  nicht  zu.  Denn  die 
Anwendung  des  Artikels  73  erfolgt  nur,  wenn 
die  Parteien  dies  wünschen.  Sie  haben  ge- 
mäß Artikel  51  das  Recht,  eine  abweichende 
Vereinbarung  zu  treffen.  Daher  beruht  auch 
die  Zuständigkeitserklärung  des  Artikels  73 
auf  wesentlich  schiedsrichterlicher  Grundlage. 
Ausdrücklich  oder  stillschweigend  erklären 
sich  die  Parteien  damit  einverstanden,  daß 
das  Schiedsgericht  selbst  seine  Kompetenz 
bestimme. 

Wie  wenig  sich  die  Staaten  darüber  klar 
sind,  daß  wir  im  Haag  nicht  nur  eine  Richter- 
liste, sondern  auch  einen  ständigen  Schieds- 
hof haben,  geht  daraus  hervor,  daß  viele 
Kompromisse  und  ständige  Schiedsverträge 
falsch     formuliert     sind.      Nur    in    vier     von 


287 


DIE  FßlEDENS-^fc^BTE 


neun  dem!  Haager  Schiedshöfe  (im  Gegen- 
satze zu  den  besonderen  Schiedsgerichten) 
überwiesenen  Fällen  ist  das  Kompromiß  im 
wesentlichen     richtig     redigiert,      indem'    es 

heißt:  „Der  Streitfall soll  dem1  Haager 

Schiedshöfe  unterbreitet  werden."  (So  un- 
gefähr im1  Venezuela-,  Maskat,  Canevaro- 
und  Carthagefalle.)  Dagegen  lauten  die 
übrigen  Kompromisse  etwa:  „Der  Streitfall 
soll  einem  Schiedsgerichte  überwiesen  wer- 
den, dessen  Mitglieder  aus  der  Liste  des 
Haager  ständigen  Schiedshofes  gewählt 
werden." 

Dagegen  sind  die  ständigen.  Schieds- 
verträge meist  richtig  abgefaßt.  Dort  heißt 
es  in  der  Regel :  „Streitigkeiten  sollen  dem1 
Haager  ständigen  Schiedshöfe  überwiesen 
werden."  (So  insbesondere  das  Modell  des 
französisch-englischen  Schiedsvertrages,  dem 
mindestens  54  Verträge  nachgebildet  sind.) 
Mir  ist  überhaupt  nur  ein  von  S  t  r  u  p  p 
(Archiv  des  öffentlichen  Rechts,  1913,  S.  588) 
erwähntes  Beispiel,  nämlich  Artikel  1  des 
russisch-brasilianischen  Schiedsvertrages,  be- 
kannt, wo  der  Wortlaut  nicht  ganz  zweifels-f 

frei  ist.  Dort  heißt  es  nämlich:  „ Richter, 

die  außerhalb  der  Liste  des  Schiedshofes  ge- 
wählt  werden*" 

Ebensowenig  wie  die ,  Staaten  haben  die 
Schiedsrichter  selbst  die  Schiedsgerichte  zu- 
treffend als  Kammern  oder  Zusammenkünfte 
des  Haager  Schiedsgerichtshofes  bezeichnet. 
Entweder  heißt  es  in  dem  Urteile  lediglich : 
„Der  Streitfall  wurde  einem  Schiedsgerichte 
übergeben"  (so  in  den  Entscheidungen  des 
japanischen,  des  Maskat-,  des  Casablanca- 
und  Neufundlandstreites),  während  es  heißen 
müßte:  „Der  Fall  wurde  dem  Haager  Hofe 
überwiesen."  In  den  Urteilen  bezüglich  des 
Orinoko-,  Carthage-  und  Manoubafalles  steht : 
„Die  Sache  wurde  einem  Schiedsgerichte 
übergeben,  dessen  Mitglieder  aus  der  Liste 
des  Haager  Hofes  gewählt  werden  sollten." 
Das  Savarkar-  und  Canevarourteil  sprechen 
lediglich  davon,  daß  die  Konflikte  „der 
Schiedsgerichtsbarkeit"  übergeben  wurden. 
Relativ  am  richtigsten  sagen  die  Entschei- 
dungen in  den  zwei  ersten  Prozessen,  daß 
„einem1  in  Gemäßheit  des  Haager  Abkommens 
zusammengesetzten  Tribunale"  der  Streitfall 
überwiesen   sei. 

Außer  Kohl  er  haben  sich  bisher 
in  der  Literatur  Lammasch,  Meurer  und 


S  t  r  u  p  p  zu  der  Schücking  sehen  An- 
sicht geäußert.  Sie  erblicken  nach  wie  voi 
in  dem  Haager  Hofe  lediglich  eine  Liste. 
Lammasch  sagt  auf  S.  221  seines  Buches 
„Die  Rechtskraft  internationaler  Schieds- 
sprüche" (1913),  der  Haager  Hof  sei  nur 
zu  dem1  Zwecke  errichtet  worden,  um  den 
Staaten  die  Auswahl  der  Richter  und  ins- 
besondere die  Stellung  des  Obmannes  zu  er- 
leichtern. Das  ist,  wie  oben  bereits  aus- 
geführt, nicht  zutreffend.  Und  wenn  es 
heißt :  „Dans  le  but  de  faciliter  le  recours! 
immediat  ä  l'arbitrage",  so  ist  eben  dieses 
Ziel  doch  schon  nach  dem  Wortlaute  des  Ab- 
kommeis erheblich  weiter  gesteckt  als  ledig- 
lich die  Auswahl  der  Richter  zu  erleichtern. 
Die  Anrufung  der  gesamten  Schiedssprechung 
soll  den  Staaten  bequemer  gemacht  werden, 
indem  ein  Zentralorgan  im  Haag  geschaffen 
wird.  Im1  übrigen  ist  nicht  lediglich  der 
Wortlaut  des  Abkommens,  sondern  auch  der 
Descampsche  Bericht  zur  Auslegung  heran- 
zuziehen. Bleibt  dieser  doch  nach  den 
Worten  eines  berühmten  Gelehrten  für  alle 
Zeiten  die  wichtigste  Quelle  der  Auslegung. 
Aus  den  Ausführungen  von  Lammasch 
ergibt  sich  deutlich,  daß  er  den  von 
Schücking  betonten  Unterschied  zwischen 
der  Rechtsprechung  im  Namen  und  im  Auf- 
trage der  Staatengemeinschaft  nicht  be- 
achtet hat. 

Wenn  S  t  r  u  p  p  (Archiv  des  öffentlichen 
Rechts,  1913,  S.  588)  sagt,  „Mitglied  des 
ständigen  Schiedsgerichtshofes  im  Haag  be- 
deutet nicht,  daß  der  einzelne  wirklich  Schieds- 
richter Sei,  sondern  einzig  und  allein,  daß  das 
einzelne  Mitglied  eine  spes  hat",  so  mache 
ich  darauf  aufmerksam,  daß  sich  bei  der  Er- 
öffnung des  Haager  Friedenspalastes  die 
sogenannten  „Listenmänner"  in  corpore  als 
„Haager  Schiedshof"  versammeln  werden,  um 
an  der  Zeremonie  teilzunehmen.  Nicht  nur 
hier  erscheinen  die  Listenmänner  als  wirk- 
liche Mitglieder  eines  Schiedsgerichtshofes. 
Auch  sonst  werden  sie  stets  als  „Mitglieder 
des  Haager  Schiedsgerichtshofes"  bezeichnet. 

Um1  die  Ansichten  hervorragender  Völker- 
rechtsgelehrter über  diese  Frage  festzustellen, 
habe  ich  unter  den  im  folgenden  abgedruck- 
ten Rundfragen  auch  eine  Antwort  über  dieses 
Problem  erbeten.  Der  Aufsatz  ist  zu  einer 
Zeit  geschrieben,  als  das  Rundschreiben  noch 
nicht  versandt  war. 


Eine  Rundfrage  über  das  Haager  Werk. 


Als  gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts 
anläßlich  des  Manifestes  des  Zaren  über  die 
Einberufung  der  ersten  Haager  Friedens- 
konferenz eine  Anzahl  hervorragender  Per- 
sönlichkeiten über  den  Plan  des  russischen 
Kaisers  und  die  Friedensidee  befragt  wurden, 
war  das  Ergebnis  nicht  viel  mehr  als  eine 
allgemeine  Verspottung.  Wie  man  heute,  in 
dem     Jahre     der    Einweihung    des    Friedens- 


palastes, in  Deutschland  über  die  Idee  einer 
Völkerverständigung  denkt,  das  zeigt  ar 
besten  die  große  Sympathie  und  die  An- 
hängerschar, deren  sich  der  „Verband  für 
internationale  Verständigung"  erfreut.  Es 
gibt  daher  heute  schon  eine  machtvolle 
Strömung  zugunsten  einer  Besserung  der  Be- 
ziehungen der  Völker  und  einer  allmählichen 
juristischen    Organisation    der    Welt.       Eine 


288 


SS 


=  DIE  FRI EDENS -^ÄKTE 


Enquete  über  diese  Probleme  würde  daher 
heute    ganz    anders    ausfallen. 

Weil  aber  die  Friedensidee  von  Jahr  zu 
Jahr  eine  immer  größere  Macht  ausübt, 
werden  ihre  Probleme  in  der  Oeffentlich- 
keit  heute  so  oft  diskutiert,  daß  man  wohl 
über  die  Stärke  der  Friedens-  und  der  Kriegs- 
apostel im  wesentlichen  orientiert  ist.  Auch 
die  Hetzer  spielen  heute  noch  eine  große 
Rolle,  wie  die  neueste  ausgezeichnete  Publi- 
kation des  Verbandes  für  internationale  Ver- 
ständigung: „D  er  deutsche  Cha,u vinis- 
m  u  s"  beweist.  Aber  führende  Persönlichkeiten 
der  Admiralität,  des  Handels  und  der  In- 
dustrie, ja  sogar  aktive  deutsche  Studenten- 
korporationen, die  bisher  von  dem  alldeutschen 
Verbände  in  Beschlag  genommen  wurden, 
sind  Mitglieder  des  Verbandes  für  inter- 
nationale Verständigung  geworden.  Dies 
deutet  scharf  die  Entwicklung  an.  Warum 
also  eine  Rundfrage  an  die  breite  Oeffent- 
lichkeit  richten,  deren  Ergebnis  doch  mehr 
oder  weniger  von  der  zufälligen  Wahl  der  zu 
Befragenden  abhängig  sein  würde !  Besser 
erschien  es,  denen,  die  sich  aus  Beruf  und 
Neigung  mit  den  Problemen  der  Haager 
Friedenskonferenzen  befassen,  einige  grund- 
legende Fragen  aus  diesem  Gebiete  vor- 
zulegen. Einmal  kommen  hierdurch  nur 
wirklich  Sachkundige  zu  Worte.  Dann  aber 
wird  es  auch  ermöglicht,  ein  wirklich  objek- 
tives Bild  von  den  Ideen  unserer  Zeit  über 
das  Haager  Werk  zu  geben,  weil  man  diesen 
begrenzten  Kreis  von  Fachgelehrten  und 
Diplomaten  ziemlich  vollständig  befragen 
kann  und  das  Ergebnis  nunmehr  nicht  mehr 
vom   Zufall   abhängt. 

Wir  haben  uns  daher  an  vierzig  an- 
gesehene Völkerrechtslehrer  und  Diplomaten 
gewandt  und  ihnen  insgesamt  sieben  Fragen 
vorgelegt.  Fast  alle  haben  eine  Antwort 
eingesandt,  und  meist  über  sämtliche  Punkte. 
Ihre    Ansichten    haben    geäußert : 

1.  Geheimrat  v.  B  a  r,  Professor  in  Göttingen, 
Mitglied  des  Haager  Schiedsgerichts- 
hofes und  des  Instituts  für  internatio- 
nales   Recht. 

2.  Früherer  holländischer  Minister  des 
Auswärtigen  de  Beaufort,  erster 
holländischer  Delegierter  zur  zweiten 
Haager    Friedenskonferenz. 

3.  Professor  Frhr.  v.  Dungern  in  Czer- 
nowitz. 

4.  Professor    Ebers    in    Münster    i.    W. 

5.  Professor   Erich    in   Helsingfors. 

6.  Professor  Jhr.  vanEysingain  Leyden. 

7.  Professor  Fleischmann  in  Königs- 
berg i.  Pr. 

8.  Professor   G  i  e  s  e   in  Posen. 

9.  Staatsminister  Gram,  Gouverneur  in 
Upsala,  Mitglied  des  Haager  Schieds- 
gerichtshofes und  des  Instituts  für  inter- 
nationales   Recht. 

10.  Exzellenz  Hagerup,  norwegischer  Ge- 
sandter in  Kopenhagen,  erster  Delegierter 
zur    zweiten    Haager    Friedenskonferenz, 


Mitglied  des  Haager  Schiedsgerichts- 
hofes des  Instituts  für  internationales 
Recht. 

11.  Professor   Heilborn    in   Breslau. 

12.  Professor  Frhr.  Hold  v.  Ferneck 
in  Wien,  Delegierter  zur  Londoner  See- 
kriegsrechtskonferenz. 

13.  Professor  Max  Huber  in  Zürich,  Dele- 
gierter zur  zweiten  Haager  Friedens- 
konferenz. 

14.  Ministerialrat  Jhr.  de  Jong  van 
Beek   en  Donk   im  Haag. 

15.  Professor  Wilhelm  Kaufmann  in 
Berlin,  Associe"  des  Instituts  für  inter- 
nationales   Recht. 

16.  Geheimrat    Kohl  er    in    Berlin. 

17.  Excellenz  L  a  b  a  n  d  ,  Professor  in  Straß- 
burg. 

18.  Professor  La  Fontaine,  Senator  in 
Brüssel,  Direktor  des  „Office  Central  des 
associations  internationales." 

19.  Hofrat  Lammasch,  Professor  in  Wien, 
Mitglied  des  Haager  Schiedsgerichts- 
hofes und  des  Instituts  für  internatio- 
nales Recht,  Delegierter  zu  beiden  Haager 
Friedenskonferenzen. 

20.  Professor  de  Louter  in  Utrecht, 
Associe  des  Instituts  für  internationales 
Recht. 

21.  Amerikanischer  Gesandter  Marburg  in 
Brüssel. 

22.  Geheimrat  M  e  u  r  e  r  ,  Professor  in  Würz- 
burg, Associe  des  Instituts  für  internatio- 
nales Recht. 

23.  Professor  Neubecker  in   Berlin. 

24.  Professor  Nippold  in  Oberursel  am 
Taunus. 

25.  Schweizerischer  Gesandter  O  d  i  e  r  in 
St.  Petersburg,  Delegierter  zur  ersten 
Haager    Friedenskonferenz. 

26.  Professor  Oppenheim  in  Cambridge, 
Mitglied  des  Instituts  für  internatio- 
nales Recht. 

27.  Excellenz  Staatsminister  Frhr.  von 
P  1  e  n  e  r  in  Wien,  Präsident  des  Ober- 
rechnungshofes, Mitglied  des  Haager 
Schiedsgerichtshofes  und  Associe  des  In- 
stituts   für    internationales    Recht. 

28.  Professor  P  o  1  i  t  i  s  in  Paris,  Associe  des 
Instituts   für   internationales    Recht. 

29.  Professor    Rehm    in    Straßburg. 

30.  Professor   S  c  h  o  e  n  in   Göttingen. 

31.  Privatdozent  Schoenborn  in  Heidel- 
berg. 

32.  Professor  Schücking  in  Marburg, 
Associe  des  Instituts  für  internationales 
Recht. 

33.  Dr.  Karl  Strupp  in  Frankfurt  am 
Main. 

34.  Professor  van  Vollenhoven  in 
Leyden. 

Man  erkennt  ohne  weiteres,  daß  es  sich 
hier  durchaus  nicht  nur  um  pazifistisch  ge- 
sinnte Persönlichkeiten  handelt.  Uns  lag 
daran,  ein  objektives  Büd  von  den  Ansichten 
der   maßgebenden    Kreise   über   das    Haager 


289 


DIE  FRIEDENS -^ÖJiTE 


® 


Werk  zu  geben.  Das  war  aber  nur  möglich, 
wenn  Männer  jeder  Richtung  zu  Worte 
kamen.  So  haben  wir  sogar  unseren,  größten 
Gegner,  Frhrn.  v.  Stengel  in  München, 
um  seine  Meinung  gebeten.  Er  hat  aber 
geschrieben,  er  sähe  den  Zweck  dieser  Rund- 
frage nicht  ein.  Bevor  nunmehr  die  Fragen 
und  Antworten  wiedergegeben  werden,  sei 
darauf  hingewiesen,  daß  bezüglich  der  dritten 


Frage  bei  den  Gegnern  der  Schücking- 
schen  Ansicht  nicht  überall  zwischen  der 
Entscheidung  ,,im  Auftrage"  und  ,, im  Namen" 
der  Staatengemeinschaft  unterschieden  wird. 
Das  ist  wesentlich.  Auch  Schücking  hat 
nie  behauptet,  der  Haager  Hof  urteile  im! 
Auftrage  der  Staatengemeinschaft.  (Vgl.  z.B. 
La  b  an  ds'  Antwort.)  Dr.  H.  W. 


I.    War    die  Errichtung    des   Haager  Schiedsgerichtshofes    im  jähre   1899  von    ent- 
scheidender Bedeutung  für  die  Entwicklung  des  Völkerrechts;  und  hat  sich  der  Haager 

Schiedsgerichtshof  bewährt? 


v.  Bar:  Der  Haager  Schiedshof  hat  sich 
meiner  Ansicht  nach  bewährt.  Seine  Tätig- 
keit fördert  auch  die  Entwicklung  des  Völker- 
rechts. Aber  letztere  wird  auch  in  Zukunft 
wie  bisher  in  der  Haupts  ache  durch  die 
Wissenschaft  bewirkt  werden. 

de  Beaufort:  Sie  war  gewiß  von  entscheiden- 
der Bedeutung. 

Frhr.  v.  Dungern:  Die  Errichtung  eines 
internationalen  Schiedsgerichtshofs  in  der 
gegenwärtigen  Form  hat  fraglos  die  Erledigung 
solcher  internationalen  Streitfragen,  wegen 
welcher  die  Parteien  einen  Krieg  nicht 
wünschen,  erleichtert.  Sie  bedeutet  einen  Ver- 
such der  Unifikation  des  völkerrechtlichen 
Schiedsverfahrens.  Darin  liegt  ein  bedeutsamer 
Fortschritt  in  der  Entwicklung  des  Völkerrechts. 

Ebers:  Jal    Unbedingt. 

Erich:  Jal  , 

Jhr.  van  Eysinga:  Ohne  jeden  Zweifel! 

Fleischmann:  Sollte  es  nicht  vermessen  sein, 
auf  eine  Frage  zu  antworten,  ob  die  Errichtung 
des  Haager  Schiedshofes  im  Jahre  1899  von 
entscheidender  Bedeutung  für  die  Entwicklung 
des  Völkerrechts  gewesen  ist?  Ich  glaube 
heute  nicht  mehr.  Seitdem  sich  der  Schieds- 
hof in  seiner  bescheidenen  Organisation  be- 
reits als  ein  Mittel  bewährt  hat,  den  Keim 
für  manchen  Völkerzwist  auszurotten,  selbst  in 
politisch  heiklen  Fragen,  wie  sie  Casablanca 
und  Maskat  boten,  darf  man  —  an  dem  Maße 
des  Fortschritts  gemessen,  mit  dem  die  Jahr- 
hunderte zuvor  das  Völkerrecht  an  Bescheiden- 
heit gewöhnt  haben  —  diese  Frage  wohl  be- 
jahen. Aber  man  muß  die  Früchte  reifen 
lassen.  Man  öffne  erst  noch  weiter  und  reich- 
licher die  Archive,  in  denen,  wie  Freiherr  v. 
Marschall  auf  i\er  zweiten  Friedenskonferenz  er- 
klärte, gar  mancher  Streitfall  der  Entscheidung 
harrt.  (Ich  nehme  an,  daß  auch  der  bald 
100  jährige  Fall  Neutral-Moresnet  dazu  gehört.) 
So  lasse  man  das  Werkzeug,  wie  es  zurzeit 
vorhanden  ist,  daran  erst  seine  Fähigkeit  weiter 
erproben. 

Giese :  Zweifellos  :  Ja ! 

Gram:  Die  Errichtung  des  Haager  ständigen 
Schiedshofes  im  Jahre  1899  war  keine  revo- 
lutionäre Maßregel  und  sollte  es  auch  nicht 
sein.  Die  darauf  bezüglichen  Bestimmungen 
sind  maßvoll  und  vorsichtig  abgefaßt  worden. 

Die  Bedeutung  dieses  Ereignisses  besteht 
darin,  daß  es  einen  weisen  Fortschritt  auf  dem 
richtigen  Wege  darstellt.  Zudem  wirkt  das  Vor- 
handensein eines  solchen  Gerichtshofes  —  selbst 
wenn  er  noch  nicht  so  oft  abgerufen  worden  ist, 
wie  die  Anhänger  der  Völkerverständigung  er- 


290 


warten   konnten   —   stark   auf   das    öffentliche 
Gewissen  in  allen  zivilisierten  Staaten. 

Wenn  man  also  die  bisherigen  segensvollen 
Wirkungen  der  Schaffung  des  Haager  Hofes 
nicht  übertreiben  darf,  so  läßt  sich  doch  wohl 
sagen,  daß  sich  diese  Einrichtung  bewährt  hat. 

Hagerup:  Ich  habe  diese  Frage  auf  meiner 
Rede  in  der  Genfer  Interparlamentarischen  Ver- 
sammlung  beantwortet. 

Heilborn:  Ich  glaube,  daß  sich  der  Haager 
Schiedshof  bewährt  hat,  halte  es  aber  nicht 
für  möglich,  bereits  heute  ein  Urteil  darüber 
abzugeben,  ob  die  Errichtung  von  entscheidender 
Bedeutung  für  die  Entwicklung  des  Völkerrechts 
gewesen  ist.  Das  kann  man  meines  Eraehtens 
erst  sagen,  wenn  seine  Anrufung  regelmäßige 
Praxis  geworden  ist  und  wenn  seine  Entschei- 
dungen einen  dauernden  Einfluß  auf  die  Rechts- 
entwicklung haben  ausüben  können. 

Frhr.  Hold  v.  Ferneck:  Daß  die  Errichtung 
des  Haager  Schiedshofes  von  entscheidender  Be- 
deutung für  die  Entwicklung  des  Völkerrechts 
gewesen  ist,  glaube  ich  nicht  annehmen  zu 
dürfen,  da  ja  eine  Verpflichtung,  den  Schieds- 
hof anzurufen,  nicht  geschaffen  wurde.  Da- 
gegen ist  nicht  zu  bestreiten,  daß  sich  der 
Schiedshof  aufs  beste  bewährt  hat. 

Huber:  Die  Errichtung  des  Haager  Schieds- 
hofes hat  unzweifelhaft  einen  entscheidenden 
Einfluß  auf  das  Schiedsgerichtswesen  und  über- 
haupt auf  das  Eindringen  der  Justizidee  in 
Völkerrecht  und  Politik  gehabt.  Die  Institution 
hat  sich  auch  bewährt. 

de  Jong:  Ohne  Zweifel  hat  die  Errichtung 
des  Haager  Schiedsgerichtshofes  im  Jahre  1899 
nicht  nur  eine  außerordentliche  Bedeutung  für 
den  Völkerfrieden  gehabt,  sondern  diese  Tat 
war  auch  von  ungemeinem  Einflüsse  für  die 
Entwicklung  des  Völkerrechts.  Auch  wenn 
vielleicht  der  Haager  Schiedsgerichtshof  in  ge- 
wissen Fällen  mehr  einen  vermittelnden  Spruch 
als  eine  strengjuristische  Entscheidung  gefällt 
hat,  so  ist  doch  andererseits  zu  bedenken,  daß 
erst  die  Errichtung  des  Haager  Schiedsgerichts- 
hofes im  Jahre  1899  die  bevorstehende  Schaf- 
fung eines  wahrhaften  permanenten  Gerichts- 
hofes  im  Jahre    1915  ermöglicht   hat. 

Kaufmann:  Ich  habe  die  Errichtung  des 
Haager  Schiedshofes  im  Jahre  1899  als  ein 
für  die  Entwicklung  des  Völkerrechts  prinzipiell 
bedeutsames  Ereignis  mit  Freude  begrüßt.  Die 
Anfänge  waren  naturgemäß  besonders  schwierig, 
aber  schon  so  bemerkenswert,  daß  man  von 
der  Zukunft  Größeres  erhoffen  kann, 


Kohler:  Ja! 


<§£ 


DIE  Fßl  EDENS  ->\ÄRTE 


Laband:  Das  Haager  Schiedsgericht  ist  un- 
zweifelhaft eine  wichtige  und.  interessante  Er- 
scheinung in  der  Geschichte  des  Völkerrechts, 
aber  von  entscheidender  Bedeutung 'für 
die  Entwicklung  des  Völkerrechts  ist  es  bisher 
noch  nicht  geworden.  Es  besteht  aber  die  Aus- 
sicht, daß  es  sie  durch  die  Entscheidung  zahl- 
reicher kasuistischer  Fragen  allmählich  er- 
langen wird. 

La  Fontaine:  Ich  bin  davon  überzeugt,  daß 
die  Schaffung  des  Haager  Schiedshofes,  obgleich 
seine  Form  augenscheinlich  unvollkommen  ist, 
als  ein  Ereignis  ersten  Ranges  bezeichnet  werden 
muß,  einmal  vom  Standpunkte  der  Entwicklung 
des  Völkerrechts,  ganz  besonders  aber  im  Hin- 
blick darauf,  daß  der  Schiedshof  dem  Ge- 
wissen der  Menschheit  als  Wahrzeichen  für  die 
juristische  Organisation  der  Staaten  voran- 
leuchtet. Ganz  gewiß  wird  fortan  die  Idee, 
daß  das  Recht  an  die  Stelle  der  Gewalt  treten 
muß,  die  Staatenbeziehungen  von  Tag  zu  Tag 
mehr  beeinflussen  und  sich  zum  Siege  durch- 
ringen. 

Lammasch:  Beide  Fragen  bejahe  ich  mit 
vollster  Entschiedenheit. 

de  Louter:  Zweifellos  hat  die  Errichtung 
des  Haager  Schiedsgerichtshofes  eine  entschei- 
dende Bedeutung,  weil  sie  der  erste  Schritt  zur 
Einheit  der  völkerrechtlichen  Entscheidungen 
gewesen  ist. 

Marburg:  Die  Einsetzung  eines  ständigen 
Schiedsgerichtshofes  im  Haag  war  nicht  nur 
deshalb  von  allergrößter  Bedeutung,  weil  sie 
gleichsam  ein  Werkzeug  für  die  Schiedsgerichts- 
barkeit schaffte,  sondern  auch,  weil  sie  die 
Menschen  ermutigte,  öfters  daran  zu  denken, 
daß  es  möglich  ist,  an  die  Stelle  des  Krieges 
ein   Schiedsgericht  zu   setzen. 

Meurer:  Ja! 

Neubecker :  Ich  stehe  nicht  an,  beide  Fragen 
zu  bejahen. 

Nippold:  Ja! 

Odier:  Ich  glaube,  daß  die  Konferenz  von 
18D9  ein  bedeutsames  Werk  geschaffen  hat.  Sie 
setzte  den  Beitritt  einer  großen  Anzahl  von 
Staaten  zu  j2em  Prinzipe  der  Schiedsgerichts- 
barkeit als  einer  geeigneten  Lösung  von  Staaten- 
streitigkeiten durch.  Sie  hat  also  einen  großen 
Fortschritt  des  Völkerrechts  verwirklicht,  und 
der  Haager  Hof  hat  bereits  wertvolle  Arbeit  ge- 
leistet. 

Oppenheim:  Ganz  gewiß! 

Frhr.  v.  Plener:  Der  Haager  Schiedsgerichts- 
hof hat  sich  unzweifelhaf t "  bewährt.  Die  Zahl 
der  ihm  unterbreiteten  Fälle  ist  zwar  nicht 
groß,  einige  darunter  waren  aber  von  erheblicher 
politischer  Bedeutung,  wie  z.  B.  die  Neufund- 
landfrage. 


Politis:  Unzweifelhaft  bedeutet  der  Haager 
ständige  Schiedshof  einen  großen  Fortschritt 
im  Völkerrecht  und  stellt  den  ersten  Schritt 
dar  auf  dem  Wege  zur  Organisation  der  inter- 
nationalen Rechtsprechung. 

Rehm:  Sie  war  von  entscheidender  Bedeu- 
tung, denn  sie  hat  den  Gedanken  allgemeiner 
Schiedsabkommen  zwischen  Staaten  gefördert. 
Der   Schiedshof  hat  sich  bewährt. 

Schoen:  Die  Errichtung  des  Haager  Schieds- 
hofes ist  zweifellos  eine  der  wichtigsten  Mark- 
steine in  der  Geschichte  des  Völkerrechts.  Sie 
hat  dem  in  der  Völkerrechtsgemeinschaft  sich 
dauernd  weiteren  Boden  erobernden  Gedanken, 
daß  allein  die  Erhaltung  des  Friedens  allen  zum 
Vorteile  gereicht  und  zu  erstreben  sei,  geeig- 
neten Ausdruck  verliehen.  Nicht  unrichtig  da- 
tieren einige  von  ihr  eine  neue  Aera  in  der 
Geschichte  des  Völkerrechts.  Daß  der  Schieds- 
hof sich  bewährt  und  segensreich  gewirkt  hat, 
steht  außer  Zweifel.  Ob  er  von  steigendem 
Einflüsse  auf  die  Entwicklung  des  Völkerrechts 
sein  wird,  wird  davon  abhängen,  inwieweit  er 
sich  in  seinen  Entscheidungen  durch  Rechts- 
grundsätze leiten  lassen  und  seinen  Urteilen 
entsprechende  Begründungen  beigeben  wird. 

Schoenborn :    Ja ! 

Schücking:  Seit  das  Völkerrecht  als  eine 
besondere  Rechtsdisziplin  existiert,  ist  meines 
Erachtens  kein  Ereignis  zu  verzeichnen,  daß 
für  die  Fortbildung  dieser  Materie  und  damit 
für  die  Ausdehnung  der  Herrschaft  des  Rechts 
auf  der  Erde  fruchtbringender  gewesen  wäre, 
wie  die  Errichtung  des  Schiedsgerichtshofes 
durch  die  erste  Haager  Konferenz  von  1899. 
Dieser  Gerichtshof  hat  sich  jedenfalls  für  die 
Erledigung  von  Rechtsstreitigkeiten  unter  den 
Staaten  trefflich  bewährt,  und  zwar,  wie  die 
Casablanca-Affäre  beweist,  auch  für  die  Er- 
ledigung solcher  Rechtsfragen,  die  durch  die 
Erregung  der  öffentlichen  Meinung  hüben  und 
drüben  schon  eine  politische  Affäre  geworden 
sind.  i 

Strupp:  Beide  Fragen  dürfen  meines  Er- 
achtens unbedingt  bejaht  werden.  Ich  trage 
keine  Bedenken,  das  Jahr  1899,  wie  es  v.  Liszt 
und  Schücking  getan  haben,  als  den  Beginn 
eines  neuen  Abschnittes  der  Weltgeschichte  zu 
bezeichnen.  Fälle,  wie  der  Casablanca-,  der 
Neufundland-,  der  „Carthage"-  und  „Manuba"- 
Fall,  die  in  früheren  Zeiten  höchst  wahrschein- 
lich zu  ernsten  Konflikten  geführt  haben 
würden,  zeigen  aufs  deutlichste,  daß  sich  der 
Schiedsgerichtshof  bewährt  hat. 

van  Vollenhoven :  Die  Errichtung  des 
Schiedshofes  war  von  entscheidender  Bedeutung. 
Auch  hat  sich  der  Haager  Hof  bewährt. 


li.    Ist  es  wünschenswert,  daß  auf  der  dritten  Haager  Friedenskonferenz  neben  dem 
Haager  Hofe  ein  Schiedshof   mit   dauernd  im  Haag  tagenden  Richtern   (Cour  de  la 

justice  arbitrale)  zustande  kommt? 


v.  Bar:  Dieser  Ansicht  bin  ich  nioht. 
Ich  halte  es  für  richtiger  —  namentlich  wenn 
durch  Schiedssprüche  Kriege  vermieden  werden 
sollen  — ,  das  Schiedsgericht  jedes  Mal  für  den 
einzelnen  Fall  zu  bilden,  aber  einerseits  die 
Zahl  der  eingetragenen  Mitglieder  durch  be- 
währte Persönlichkeiten  zu  verstärken,  die  nicht 
Diplomaten  oder  halbdiplomatische  Beamte, 
vielmehr  ausschließlich  Rechtskundige  sind,  so- 


dann, um  Verzögerungen  und  andere  Schwierig- 
keiten zu  vermeiden,  dem  Bureau  des  Haager 
Schiedshofs  eine  andere  Organisation  und  weiter- 
gehende Befugnisse  zu  geben.  Die  Richter 
müßten  sämtlich  auf  Lebenszeit  ernannt  werden. 
Frhr.  v.  Dungern :  Eine  solche  Umgestaltung 
wäre  eine  Vervollkommnung  des  Verfahrens ;  da- 
mit also  ein  weiterer  Fortschritt  im  prak- 
tischen   Ausbau   des    Schiedsgedankens.      Doch 


291 


DIE  FBlEDENS-^i^ßTE 


:& 


fürchte  ich,  daß  diese  Umgestaltung1  den  Wir- 
kungskreis gerade  des  Haager  internationalen 
Tribunals  kaum  vergrößern  würde;  wenigstens 
was  die  Bedeutung  der  ihm  unterbreiteten 
Fragen  betrifft. 

Ebers:  Ja,  ich  glaube  aber  nicht,  daß  sich 
dieser     Gedanke     schon     jetzt     bez.     auf    der 
3.  Konferenz  verwirklichen  läßt. 
Erich:  Unbedingt I 

Jhr.  van  Eysinga:  Lieber  eine  kleine 
ständige  „Delegation"  aus  dem  Haager  Hof. 
Um  den  bekannten  Schwierigkeitein  anläßlich 
der  Zusammenstellung  vorzubeugen,  müßte  diese 
„Delegation"  auf  dem  Grundsatz  fußen,  daß 
keiner  der  Streitteile  in  ihr  vertreten  sein  darf. 
Einer  der  „juges  suppleants"  hätte  dann 
Sitzung  zu  nehmen  für  den  Fall,  daß  ein 
Richter  Angehöriger  einer  der  Streitteile  wäre. 
Fleischmann :  Das  Werk  vom  Haag,  und 
darunter  auch  das  Schiedsverfahren,  ist  auch 
ein  politisches  Mittel.  Und  die  politische  Welt 
steht  ihm  noch  vielfach  skeptisch  gegenüber. 
Darum  rate  ich  zu  vorsichtigem  Schritte  in 
der  Errichtung  eines  Schiedshofes  mit  dauernd 
tagenden  Richtern.  Die  Einrichtung  will  durch 
die  Sachlage  gerufen,  nicht  aufgedrängt  sein, 
um  in  der  politischen  Luft  eine  volle  Wirk- 
samkeit zu  entfalten. 

Giese :  Die  Errichtung  eines  solchen  Schieds- 
hofes würde  für  die  Entwicklung  des  Völker- 
rechts sehr  förderlich  sein,  aber  ich  glaube 
kaum,  daß  sich  dieselbe  praktisch  rechtfertigen 
läßt,  da  die  Anzahl  der  diesem  Schiedshof  vor- 
gelegten Streitfälle  zu  gering  sein  würde. 

Gram:  Hoffentlich  wird  eine  nahe  Zukunft 
den  weiteren  Fortschritt  der  Prinzipien  erleben, 
die  die  Grundlage  der  gegenwärtigen  Recht- 
sprechung bilden,  und  zwar  entsprechend  dem 
durch  die  zweite  Haager  Friedenskonferenz 
ausgesprochenen  Wunsche  durch  die  Schaffung 
einer  Cour  de  la  justice  arbitrale. 

Hagerup:  Ich  habe  mich  in  meiner  Rede 
auf  der  Interparlamentarischen  Versammlung 
zugunsten  einer  Cour  de  la  justice  arbitrale 
ausgesprochen. 

Heilborn:  Ich  halte  es  für  wünschenswert, 
sofern  dem  Gerichtshof  zivilrechtliche  Klagen 
gegen  fremde  Staaten  zur  Aburteilung  über- 
wiesen werden.  Als  Gerichtshof  zur  Ent- 
scheidung von  Staatenstreitigkeiten  völkerrecht- 
licher Natur  könnte  er  —  einstweilen  —  die 
Neigung  zur  Anrufung  des  Schiedsgerichts  be- 
denklich  abschwächen. 

Frhr.  Hold  v.  Ferneck:  Die  Errichtung  der 
Cour  de  justice  arbitrale  neben  der  Cour 
permanente  d'arbitrage  böte  wohl  manche 
Vorteile.  Doch  werden  sich  die  Regierungen 
in  wichtigen  Streitfällen  sicherlich  lieber  an 
die  Cour  permanente  wenden,  da  sie  begreif- 
licherweise Wert  darauf  legen,  die  Streitig- 
keiten durch  Richter  ihrer  Wahl  und  ihres 
Vertrauens  entscheiden  zu  lassen. 

Hnber:  Die  Häufigkeit  der  schiedsrichter- 
lichen Entscheidung  von  Staatenstreitigkeiten 
ist  weniger  bedingt  durch  die  größere  oder 
geringere  Leichtigkeit  der  Bildung  bzw.  An- 
rufung des  Gerichtes,  als  durch  die  Geneigt- 
heit der  Staaten  zur  Betretung  des  Rechts- 
weges überhaupt.  Diese  letztere  würde  wohl 
eher  vermindert  —  wenigstens  in  Fällen  von 
größerer  Bedeutung  — ,  wenn  die  Parteien  keinen 
Einfluß  auf  die  Besetzung  des  Gerichts  im 
Einzelfalle  hätten.     Die  Analogie  zum  Bundes- 


staat in  bezug  auf  zwischenstaatliche  Gerichts- 
barkeit  ist    unzutreffend. 

de  Jong:  Es  ist  wünschenswert,  daß  im 
Jahre  1915  ein  wahrhaft  permanenter  Gerichts- 
hof errichtet  wird,  vorausgesetzt,  daß  —  wie 
auch  Professor  L.  Oppenheim  (Cambridge)  in 
„Die  Zukunft  des  Völkerrechts"  fordert  —  da- 
neben der  jetzige  Haager  Schiedsgerichtshof 
bestehen  bleibt.  Die  Regierungen  sollen  also 
berechtigt  bleiben,  ihre  Meinungsverschieden- 
heiten einem  Ausspruche  des  bestehenden 
Schiedsgeriohtshofes  zu  unterwerfen,  in  welchem 
Falle  sie  die  Richter  selbst  wählen,  und  im  Kom- 
promiß bestimmen  können,  daß  sie  nicht  aus- 
schließlich eine  Rechts  entscheidung  verlan- 
gen. Die  Zusammensetzung  dieses  permanenten 
Gerichtshofes,  der.  nur  in  Wirkung  treten  soll, 
falls  beide  Parteien  diesen  Hof  bevorzugen, 
kann  1915  nicht  mehr  diese  Schwierigkeiten 
bieten,  welche  im  Jahre  1907  die  Verwirklichung 
der  prinzipiell,  angenommenen  Idee  verhindert 
haben. 

Kaufmann:  Auch  die  Bildung  eines  stän- 
digen Schiedsgerichtshofes  (Cour  de  justice 
arbitrale)  im  Haag,  dessen  Zusammensetzung 
allerdings  noch  ein  schwieriges  Problem  ab- 
gibt, schiene  mir  wünschenswert.  Namentlich, 
wenn  gleichzeitig  wenigstens  für  gewisse  Ma- 
terien die  Schiedssprechung  nicht  bloß  obli- 
gatorisch gemacht,  sondern  auch  in  Ermangelung 
abweichender  Vereinbarung  der  Parteien  diesem 
ständigen  Schiedsgerichtshof  überwiesen  würde. 
Es  hätte  dies  zu  geschehen  für  eine  Reihe 
gewissermaßen  alltäglicherer  Streitigkeiten 
zwischen  Staaten  und  —  für  gewisse  inter- 
nationalrechtliche Streitigkeiten  von  Privaten. 
Für  letztere  könnte  er  möglicherweise,  ähnlich 
dem  Internationalen  Prisenhofe,  nur  als  Re- 
kursinstanz über  den  nationalen  Gerichten  zu- 
ständig gemacht  werden.  Ihm  könnte  ferner 
die  mit  Recht  neuerdings  vielfach  verlangte 
internationale  Schiedsgerichtsbarkeit  für  Strei- 
tigkeiten von  Privaten  mit  fremden  Staaten 
zugewiesen  werden. 

Aber  daneben  wäre  der  bisherige  sog.  stän- 
dige  Schiedshof  aufrechtzuerhalten. 

Kohler :    Ja ! 

Laband :  Neben  dem  Haager  Schiedshof 
noch  einen  dauernd  tagenden  Gerichtshof  zu 
errichten,  scheint  mir  nicht  nur  überflüssig, 
sondern  geradezu  schädlich  zu  sein.  Selbst  die 
Umwandlung  des  Haager  Gerichtshofes  in  einen 
dauernd  tagenden  halte  ich  für  sehr  bedenklich, 
da  es  ihm  an  der  genügenden  Beschäftigung 
fehlen  würde. 

La  Fontaine:  Das  ist  nicht  nur  wünschens- 
wert, sondern  eine  unbedingte  Notwendigkeit. 
Nur  ständige  Richter  können  eine  Kontinuität 
in  der  Rechtsprechung  gewährleisten  und  an 
der  Bildung  des  Völkerrechts  wirksam  mit- 
arbeiten. Die  Schiedsrichter  werden  den  Streit 
stets  durch  einen  Vergleich  beizulegen  suchen. 
Zudem  gibt  es  eine  Reihe  von  Streitigkeiten 
zwischen  Privatpersonen  und  fremden  Staaten, 
die  man  einem  internationalen  Gerichtshofe 
anvertrauen    muß. 

Lammasch :  Neben  dem  bisherigen 
Schiedsgerichtshofe  halte  ich  die  Einsetzung 
der  Cour  de  la.  justice  arbitrale  für  sehr 
wünschenswert. 

de  Louter:  Er  ist  unbedingt  wünschenswert, 
und    zwar    entweder    neben    oder    anstatt     des 
I      Haager  Hofes. 


292 


m 


DIE  FRI EDENS ->M&BXE 


Marburg:  Ein  wirklicher  internationaler  Ge- 
richtshof mit  einer  Körperschaft  von  ständigen 
Richtern,  die  vor  allen  Dingen  hervorragende 
Rechtsgelehrte  sein  müßten,  ist  wohl  aß  Er- 
gänzung, nicht  aber  als  Ersatz  für  den  gegen- 
wärtigen Hof  wünschenswert.  Für  einen  solchen 
ergänzenden  Hof  sprechen  folgende  Gründe: 

a)  Der  Wechsel  der  Persönlichkeiten  beim 
jetzigen  Hof  wirkt  auf  den  Zusammenhang  seiner 
Entscheidungen  und  die  daraus  sich  ergebende 
Entwicklung  des  Völkerrechts  nicht  günstig  ein. 

b)  Bei  den  Verfahren  des  jetzt  bestehenden 
Hofes  nimmt  das  Prinzip  der  Schiedsgerichts- 
barkeit, nämlich  das  Verlangen,  eine  Schwierig- 
keit durch  Vergleich  aus  der  Welt  zu  schaffen, 
einen  breiten  Raum  ein.  Kompromisse  bilden 
aber  notwendigerweise  wichtige  Grundzüge  eines 
solchen  Prinzipes.  Eine  große  Nation,  die  recht 
zu  haben  glaubt  —  und  die  vornehmsten  Völker 
müssen,  wenn  sie  Klage  führen,  fühlen,  daß 
sie  im  Rechte  sind  — ,  wird  mehr  oder  minder 
abgeneigt  sein,  ein  Gericht  anzurufen,  durch 
das  ihre  wichtigsten  Interessen  gefährdet 
werden  könnten.  Wenn  sie  dagegen  zu  einer 
Entscheidung  Vertrauen  hat,  die  im  Zusammen- 
hange steht  mit  dem  Geist  des  Gesetzes,  so- 
weit dieses  Gesetz  überhaupt  entwickelt  ist, 
dann  wird  sie  eher  bereit  sein,  die  Anwendung 
von  Gewalt  aufzugeben,  um  zu  ihrem  Rechte  zu 
gelangen. 

c)  Beleidigter  Stolz  ist  häufig  die  Ursache 
internationaler  Streitigkeiten.  Der  Stolz  einer 
Nation  ist  aber  gerettet,  wenn  sie  zustimmt, 
einen  Streit  einem  internationalen  Gerichtshof 
zu  unterbreiten,  und  die  Errichtung  eines  Hofes, 
der  nur  nach  dem  Rechte  urteilt,  wird  somit 
die  dadurch  entstehenden  Kriegsmöglichkeiten 
aus  der  Welt  schaffen. 

d)  Das  Vorhandensein  eines  Hofes  mit 
ständigen  Richtern  wird  die  Schwierigkeiten 
bei  der  Richterwahl  beseitigen.  Heute  müssen 
für  jeden  Streit  neue  Richter  gewählt  werden. 
Auf  diesem  Wege  wird  auch  eine  Verringerung 
der  sehr  hohen  Ausgaben,  die  der  jetzigen  Ein- 
richtung des  Schiedsgerichtes  anhaften,  er- 
möglicht werden. 

e)  Ebenso  wie  der  bestehende  permanente 
internationale  Schiedsgerichtshof  die  Aufmerk- 
samkeit der  Menschen  auf  die  wachsende  Mög- 
lichkeit, Streitigkeiten  krieglos  zu  schlichten, 
lenkt,  so  würde  ein  internationaler  Gerichtshof 
die  Menschen  auf  die  Entwicklung  des  Völker- 
rechts aufmerksam  machen.  Bei  einem  solchen 
Hof  würden  wir  wahrscheinlich  während  eines 
einzigen  Zeitalters  Zeuge  rascherer  Entwick- 
lung des  Völkerrechts  sein,  als  dies  in  vergange- 
nen Jahrhunderten  der  Fall  war.  Ein  Bei- 
spiel der  Art,  wo  die  Errichtung  eines  Ge- 
richtshofes das  Verständnis  für  das  Völker- 
recht erhöht  hat,  ist  die  Tatsache,  daß 
der  Vorschlag  des  Prisenhofes  zu  der  Londoner 
Seekriegskonferenz  von  1908/9  führte,  die  das 
Seekriegsrecht  kodifizierte. 

Meurer:  Ja! 

Neubecker:    Jal 

Nippold:  Ich  wünsche  einen  wirklichen  stän- 
digen Schiedsgerichtshof,  aber  nicht  in  der 
Form  der  Cour  de  la  justice  arbitrale.  Der 
jetzige  Haager  Hof  muß  zu  einem  solchen  aus- 
gebaut werden. 

Odier:  Ich  halte  es  für  besser,  wenn  man 
erst  noch  mehrere  Jahre  Erfahrungen  mit  der 
gegenwärtigen  Organisation  sammelt  und  wartet, 


bis  sich  die  Anwendung  derselben  verallge- 
meinert hat.  Das  ist  wünschenswerter,  als  be- 
reits jetzt  einen  wirklich  ständigen  Schiedshof 
zu  schaffen,  der  möglicherweise  nur  von  einer 
unzureichenden  Anzahl  von  Staaten  ange- 
nommen würde. 

Oppenheim:  Ja! 

Frhr.  v.  Plener:  Das  Projekt  eines  kleinen 
permanenten  aus  Berufsrichtern  bestehenden 
internationalen  Gerichtshofes  wird  voraussicht- 
lich von  amerikanischer  Seite  wieder  aufge- 
nommen werden.  Die  Schwierigkeiten,  die  das 
Projekt  bisher  fand,  sind  noch  nicht  beseitigt. 
Einmal  ist  es  die  Ernennung  der  Richter  durch 
die  verschiedenen  Staaten,  bezüglich  deren  noch 
kein  neuer  annehmbarer  Vorschlag  vorliegt. 
Dann  kommt  die  Gerichtsautonomie  der  einzel- 
nen Staaten,  welche  sich  überhaupt  nicht  leicht 
herbeilassen  werden,  in  Ausdehnung  der  Be- 
stimmungen über  den  Prisenhof,  einen  Appell 
gegen  ihre  nationalen  Gerichte  an  einen  inter- 
nationalen Gerichtshof  gelten  zu  lassen.  Doch 
ist  es  denkbar,  daß,  unter  gewissen  Vorbe- 
halten, für  internationales  Privatrecht  nament- 
lich in  jenen  Partien,  die  vertragsmäßig  ge- 
regelt sind  oder  es  werden  können,  wie  Wechsel- 
Scheck-,  Teile  des  See-  und  Versicherungs- 
rechtes, eine  internationale  Gerichtsbarkeit  für 
Streitigkeiten  von  Privatpersonen  unterein- 
ander anerkannt  werde.  Mehr  als  zweifelhaft 
erscheint  es  jedoch,  ob  die  Staaten  die  Er- 
hebung von  Rechtsansprüchen  von  Privatper- 
sonen gegen  sie  vor  einem  internationalen  Ge- 
richtshof zugeben  werden.  Dagegen  könnten 
wohl  Streitigkeiten  von  Staaten  untereinander, 
namentlich  über  Auslegung  hichtpolitischer  Ver- 
träge und  über  andere  juridischen  Fragen  unter 
gewissen  Vorbehalten  an  ein  internationales  Ge- 
richt gewiesen  werden,  doch  müßte  es  den  Staaten 
immer  freistehen,  statt  des  internationalen  Ge- 
richtshofs den  Weg  freier  schiedsgerichtlicher 
Austragung  durch  den  Haager  Schiedshof  zu  wählen. 

Politis:  Ich  glaube,  daß  die  Schaffung  der 
Cour  de  justice  arbitrale  neben  dem  jetzigen 
Schiedshöfe  äußerst  wünschenswert  ist  und 
von  der  dritten  Friedenskonferenz  verwirk- 
licht werden  müßte. 

Rehm :   Ja ! 

Schoen :  Ob  von  der  Errichtung  eines  solchen 
Schiedshofes  neben  dem  Haager  Schiedshof 
große  und  sichere  Vorteile  für  die  Praxis  zu 
erwarten  sind,  scheint  zweifelhaft.  Daß  ein 
nicht  für  den  Einzelfall  von  den  Parteien  zu- 
sammengesetzter Gerichtshof  der  Entwicklung 
des  internationalen  Rechts  mehr  dienen  wird 
als  der  Haager  Schiedsgerichtshof  ist  klar:  er 
wird  der  internationalen  Rechtsprechung  eine 
Kontinuität  sichern ;  der  Umstand,  daß  er  nur 
nach  Rechtsgrundsätzen  urteilt,  wird  das  An- 
sehen des  Völkerrechts  heben.  Allein  liegt  es  nicht 
sehr  nahe,  daß  die  Staaten,  wenn  sie  zwischen 
ihm  und  dem  Haager  Schiedsgerichtshof  in 
jedem  Falle  wählen  können,  in  allen  wichtigen 
Fällen  sich  für  letzteren  entscheiden  werden, 
auf  dessen  Zusammensetzung  sie  in  concreto 
Einfluß  haben? 

Schücking:  Darin  würde  ich  einen  wesent- 
lichen Fortschritt  erblicken,  nicht  nur  für  die 
Staatengerichtsbarkeit,  sondern  mehr  noch  als 
Symptom  der  sich  anbahnenden  Organisation 
der    Kulturwelt. 

Strupp:   Ja! 

van  Vollenhoven :    Für  sehr  wünschenswert ! 


293 


DIE  FBIEDEN5-^<M2TE 


III.  Ist  bereits  der  jetzige  Haager  Schiedshof;  wie  Schücking  behauptet,  ein  Organ  des 
Staatenverbandes,  ein  Weltgerichtshof,  oder  lediglich  eine  Liste  von  Richtern?  Urteilt 
also  der  Haaqer  Hof  im  Namen  des  Staatenverbandes  oder  der  jeweiligen  Parteien? 


v.  Bar:  Bis  jetzt  urteilt  der  Schiedshof 
nur  kraft  Vereinbarung  der  Parteien,  also  im 
Namen  der  Parteien.  Er  würde  als  im  Namen 
eines  Staatenverbandes  jedenfalls  nur  dann  ur- 
teilend angesehen  werden  können,  wenn  er  auf 
einseitiges  Anrufen  einer  Partei  seine  Zu- 
ständigkeit souverän  feststellen  und  auch  bei 
Untätigkeit  oder  Widerspruch  der  beklagten 
Partei  zusammentreten  und  das  Verfahren  ein- 
leiten könnte. 

de  Beaufort:  Der  Haager  Hof  urteilt  im 
Namen  der  Parteien. 

Frkr.  v.  Dungern:  Die  Anerkennung  der 
Autorität  des  Haager  Schiedsgerichtshofs  be- 
schränkt sich,  scheint  mir,  bisher  auf  An- 
erkennung eines  in  den  Grundzügen  geregelten 
Verfahrens.  Die  bisherigen  Anrufungen  des 
Schiedsgerichtshofes  haben  den  Charakter  von 
bedingten  Kompromissen.  Ich  vermag  aus 
keinem  der  bisher  ergangenen  Urteile  heraus- 
zulesen, daß  Parteien  oder  Richter  dabei 
glaubten,  ein  Organ  der  Staatengesamtheit 
handle  im  Haager  Schiedsgerichtshof  als  Ent- 
scheidungsbehörde dieser  Gesamtheit  für  Fragen 
des  Völkerrechts.  Ich  glaube  auch  nicht,  daß 
eine  solche  Aufgabe  objektiv  erfüllt  werden 
kann,  solange  die  subjektive  Absicht  fehlt. 

Ebers:  Der  jetzige  Haager  Hof  ist  meines 
Erachtens  noch  nicht  ein  Weltgerichtshof,  so 
daß  er  schon  im  Namen  des  Staatenverbandes 
urteilt,  kann  und  wird  dies  aber  hoffentlich 
noch   werden. 

Erich:  Die  Ausdrücke  und  Bestimmungen 
des  Abkommens  scheinen  mir  in  dieser  Hin- 
sicht nicht  ganz  unzweideutig  zu  sein.  Jeden- 
falls hat  der  Schiedshof  materiell  die  Be- 
deutung eines  Weltgerichtshofs,  ihr  entspricht 
auch  die  moralische  Verantwortung  der  Richter. 

Jhr.  van  Eysinga:  Der  Haager  Hof  urteilt 
jetzt  schon  im  Namen  des  Staatenverbandes, 
der  gerade  in  seinem  Organ  zum  Ausdruck 
kommt. 

Giese:  Ich  kann  keinen  Staaten  verband  im 
Schückingschen  Sinne  und  folglich 
auch  kein  Organ  eines  solchen  Verbandes 
anerkennen. 

Hagerup:  Ein  Eingehen  auf  die  Schücking- 
schen Ansichten,  die  teilweise  konstruktiv- 
juristischer  Natur  sind,  setzt  eine  Auseinander- 
setzung über  die  Begriffe  Organ  und  Orga- 
nisation voraus,  die  bekanntlich  sehr  umstritten 
sind. 

Heilborn:  Der  jetzige  Haager  Schiedshof 
ist  meines  Erachtens  „lediglich  eine  Liste  von 
Richtern" :.  Er  urteilt  „im  Namen  der  je- 
weiligen  Parteien". 

Frhr.  Hold  v.  Ferneck:  Der  Lehre 
Schückings,  daß  der  Haager  Schiedshof  ein 
Organ  des  Staatenverbandes  ist,  stehe  ich 
skeptisch  gegenüber.  Wenn  man  schon  glaubt, 
die  Frage  auf  werfen  zu  müssen,  in  wessen 
„Namen"  er  urteilt,  so  meine  ich,  daß  er  namens 
der  Parteien  urteilt,  die  ihn  aus  eigenem  Ent- 
schluß anrufen  und  die  Richter  selbst  wählen. 

Huber:  Diese  Frage  hat  rein  akademische 
Bedeutung;  die  Institution  als  solche  ist  ein  — 
allerdings  zum  selbständigen  Handeln  nicht  be- 
rufenes —  Organ,   oder  richtiger  eine  Anstalt, 


jeweiligen 

des  von  den  partizipierenden  Staaten  gebildeten 
Verbandes ;  das  in  concreto  funktionierende  Ge- 
richt steht  zu  den  Parteien  aber  in  gleichem 
Verhältnis  wie  ein  außerhalb  des  Friedensab- 
kommens gebildetes. 

Kaufmann:  Dieser  jetzige  ständige  Haager 
Schiedshof  ist  meines  Erachtens  mehr  als  eine 
bloße  Liste  von  Richtern.  Er  ist  ein  allerdings 
nur  leise  angedeutetes  Organ  der  in  den  Werken 
der  Haager  Friedenskonferenzen  zum  recht- 
lichen Ausdruck  gebrachten  Völkergemeinschaft. 
Sollte  darauf  durch  eine  Formel  im  Eingang 
der  Urteile  der  aus  ihm  gebildeten  konkreten 
Schiedsgerichte  hingewiesen  werden,  so  würde 
ich  die  Formel  „Im  Dienste  der  Völkergemein- 
schaft" der  Formel  „Im  Namen  des  Staaten- 
verbandes" vorziehen. 

Kohler:  Die  Schückingsche  Ansicht  ist,  wie 
ich  in  der  „Zeitschrift  für  Völkerrecht"  (1913, 
Nr.  2)  ausgeführt  habe,  auch  die  meinige. 

Laband:  Von  einem  „Staatenverband"  der 
zivilisierten  Staaten  sind  wir  noch  weit  ent- 
fernt ;  das  ist  vorläufig  noch  ein  Zukunftstraum ; 
der  Haager  Schiedsgerichts hof  kann  daher  auch 
kein  „Organ"  desselben  sein;  er  urteilt  wie 
jedes  Schiedsgericht  im  Auftrage  der  Parteien. 
Die  „Schiedsgerichte"  der  Arbeiterversicherung 
sind  keine  Schiedsgerichte,  wenn  sie  auch  so 
heißen,   sondern  Behörden. 

La  Fontaine:  Ich  glaube  nicht,  daß  man  die 
Frage  so  bejahend  beantworten  kann,  wie  dies 
Schücking  tut.  Aber  ganz  gewiß  bilden 
der  Haager  Hof  und  die  Friedenskonferenzen 
die  Grundlagen  einer  einheitlichen  Zusammen- 
fassung der  Staatengesellschaft.  Auf  diesen 
Fundamenten  wird  sich  die  Weltföderation  ent- 
wickeln. 

Lammasch:  Meines  Erachtens  ist  der  bis- 
herige Schiedsgerichtshof  kein  Weltgerichts- 
hof und  fungiert  nur  im  Namen  der  jeweiligen 
Parteien. 

Marburg:  Der  gegenwärtige  Haager  Hof  be- 
steht einfach  aus  einer  Anzahl  von  Richtern,  aus 
denen  auf  Verlangen  jene  gewählt  werden,  die 
einen  Schiedsgerichtshof  bilden  sollen.  So  kam 
es  vor,  daß  einer  oder  mehrere  Richter  bei  ver- 
schiedenen durch  den  Hof  durchgeführten  Ent- 
scheidungen mitwirkten.  Dies  war  aber  nur 
eine  Anerkennung  der  großen  Verdienste 
einzelner  Persönlichkeiten;  bei  Errichtung  des 
Hofes  ist  dies  nicht  vorgesehen  worden.  Der 
Hof  richtet  im  Namen  der  Streitenden  und 
nicht  im  Namen  der  Gesellschaft  der  Nationen. 

Meurer:  Der  Haager  Hof  ist  kein  Organ 
des  Staatenverbandes  und  urteilt  im  Namen 
der  Parteien.  Diese  Ansicht  habe  ich  bereits 
in  der  Deutschen  Juristenzeitung  1912,  Nr.  18, 
S.    1151,   ausgesprochen. 

Nippold:  Der  Haager  Hof  ist  ein  Organ 
der  Staatengemeinschaft,  das  auch  in  _  deren 
Namen,  nicht  nur  im  Namen  der  Parteien,  in 
Funktion  tritt. 

Odier :  Ich  lege  wenig  Wert  auf  Definitionen. 
Die  Tatsachen  erscheinen  mir  wichtiger.  Es 
ist  eine  Tatsache,  daß  alle  Völker  die  Mög- 
lichkeit haben,  schnell  ein  Schiedsgericht  zu 
bilden,  um  die  zwischen  ihnen  entstandenen 
Streitfragen    zu    lösen.      Die    Völker,    die    der 


294 


££ 


DIE  Fßl EDENS -VSAQTE. 


Haager  Konvention  beigetreten  sind,  finden  im 
Haag  die  Schiedsgerichtsjustiz.  Also  kann  der 
Haager  Hof  sehr  wohl  betrachtet  werden  als 
ein  Welttribunal  für  die  Schiedssprechung. 
Dieser  Schiedshof  wird  unmittelbar  durch 
die  Streitteile  in  Bewegung  gesetzt  und  urteilt 
auf  Grund  der  amtlichen  Befugnisse,  die  ihm 
durch  einen  internationalen  Vertrag  eingeräumt 
sind.  i 

Oppenheim:  Diese  Frage  ist  nicht  so  präzis 
gestellt,  daß  man  sie  mit  „Ja"  oder  „Nein" 
beantworten  kann.  Der  Haager  Schiedshof  ist 
weder  ein  Weltgericht,  noch  lediglich  eine  Liste, 
noch  ein  Gericht;  er  ist  eine  Institution,  be- 
stehend aus  1.  dem  ständigen  Verwaltungsrat, 
2.  dem  internationalen  Bureau,  und  3.  der  Liste 
derjenigen,  welche  als  Schiedsrichter  gewählt 
werden  können.  Diese  Institution  ist 
ein  Organ  der  Staatengemein- 
schaft; die  Urteile  des  für  jeden  Fall  ge- 
bildeten Gerichts  ergehen  aber  nicht  im 
Namen  der  Staatengemeinschaft,  sondern  im 
Namen  der  jeweiligen  Parteien. 

Frhr.  v.  Plener:  Der  Haager  Hof  ist  kein 
Organ  des  Staaten  Verbandes  im  eigentlichen 
Sinne  des  Wortes,  wohl  aber  eine  nützliche 
international  anerkannte  Institution,  welche  es 
den  Staaten  ermöglicht,  durch  freie  Wahl  von 
Schiedsrichtern    aus    der    das    allgemeine    Ver- 


trauen besitzenden  Liste  einen  Schiedshof  zu- 
sammenstellen, um  einzelne  Streitfälle  beizu- 
legen. 

Politis:  Die  Ansicht  Schückings  ist  über- 
trieben. Der  gegenwärtige  Hof  ist  mehr  das 
Embryo  eines  internationalen  Gerichts  als  ein 
wirklicher  Gerichtshof. 

Rohm:  Er  ist  nur  eine  Liste  und  urteilt 
im  Namen  der  Parteien. 

Schoen:  Den  Schiedshof  halte  ich  für  ein 
Organ  des  Staatenverbandes.  Er  urteilt  im 
Namen   dieses. 

Schücking:  Wenn  bei  der  Einweihung  des 
Friedenspalastes  das  eingeladene  Plenum  des 
Gerichtshofes  in  corpore  seinen  Einzug  hält 
in  das  neue  Gebäude,  wie  kann  man  dann 
noch  behaupten,  dieser  Gerichtshof  sei  eine 
Liste?  Mag  das.  einzelne  Schiedsgericht  auch 
seinen  Auftrag  von  den  Parteien  erhalten,  es 
urteilt  darum  doch  im  Namen  d.  h.  als  Organ 
des    Staatenverbandes. 

Strupp:  Es  handelt  sich  nur  um  eine  Liste. 
Die  Urteile  ergehen  im  Namen  der  jeweiligen 
Parteien.  (Vgl.  meine  Besprechung  des 
Schückingschen  Werkes  im  Archiv  des  öffent- 
lichen Rechts   XXX,    S.   588.) 

van  Vollenhoven:  Der  Schiedshof  ist  ein 
Organ  des  Staatenverbandes.  Er  urteilt  iui 
Namen   dieses    Verbandes. 


IV.    Ist  die  Ansicht  Schückings,  daß  durch  das  Haager  Friedensabkemmen  von  1899 

ein  Weltstaatenbund  oder  doch  wenigstens  der  Keim  zu  einem  solchen  geschaffen 

worden  ist,  zutreffend?     Ist  das  Werk  vom  Haag  ein  politisches? 


v.  Bar:  Ein  Weltstaatenbund  ist  meiner 
Ansicht  nach  durch  das  Haager  Abkommen 
nicht  geschaffen:  ein  Staatenbund  schließt 
meines  Erachtens,  so  lange  er  existiert,  die 
Möglichkeit  eines  Krieges  unter  den  Mitglieds- 
staaten aus.  —  Die  weitere  Frage  bin  ich  zu 
beantworten  außerstande. 

de  Beaufort:  Ja!  Es  ist  ein  Keim  da,  wenn 
auch   nur   ein   sehr  kleiner. 

Frhr.  v.  Dungern:  Internationale  Ueber- 
einkünfte  haben,  wie  die  Geschichte  zeigt,  stets 
politische  Voraussetzungen,  aber  nicht  not- 
wendig politische  Folgen!  Ein  Weltstaatenbund 
müßte  politisch  gegründet  und  gesichert  sein, 
ehe  er  rechtliche  Wirkungen  haben  könnte. 
Die  judikatorische  Wirksamkeit  des  Haager 
Schiedsgerichtshofes  als  Wirkung  und  damit 
als  Beweis  für  die  Existenz  eines  Weltstaaten- 
bundes aufzufassen  seheint  mir  sehr  opti- 
mistisch, solange  eine  solche  Organisation  nicht 
anderweit  sichtbar  ist  und  die  politischen  Vor- 
aussetzungen für  ihren  Bestand  offenbar  noch 
fehlen. 

Ebers :  Vorläufig  ist  erst  der  Keim  zu  einem 
Weltstaatenbund  da. 

Erich:  „Der  Weltstaatenbund"  ist  meines 
Erachtens  bis  auf  weiteres  ein  Ausdruck  ohne 
reellen  Inhalt,  dagegen  dürfte  man  wohl  von 
dem  Keim  zu  einem  solchen  sprechen  können. 
Uebrigens  muß  ich  den  Ausführungen 
Nippolds  (Vorfragen  des  Völkerrechts)  in 
manchen  Punkten   zustimmen. 

Jhr.  van  Eysinga:  Der  Staatenverband  ist 
nicht  einem  der  bekannten  „Staatenbünde" 
gleichzustellen,  gerade  weil  das  politische  Ele- 
ment, ohne  den  ein  „  Staaten  buad"  nicht 
möglich   ist,    ihm   fehlt. 


Giese :     Nein ! 

Heilborn:  Die  erste  Frage  beantworte  ich 
mit  „Nein".  Daß  politische  Gesichtspunkte  für 
die  Staaten,  welche  das  Werk  vom  Haag 
schufen,  auch  maßgebend  waren,  nehme  ich 
als  selbstverständlich  an;  das  Gegenteil  wäre 
meines  Erachtens  ein  Verbrechen.  Das  hat 
aber  damit  nichts  zu  tun,  daß  die  geschaffenen 
Vereinbarungen  rechtsnormativer  Natur  sind. 

Frhr.  Hold  v.  Ferneck:  In  der  Absicht  der 
Regierungen,  welche  das  Haager  Friedens- 
abkommen von  1899  getroffen  haben,  lag  es 
gewiß  nicht,  einen  „Weltstaatenbund"  zu 
schaffen.  Ob  im.  Abkommen  der  Keim  zu 
einem  solchen  Bund  liegt,  läßt  sich  gegen- 
wärtig wohl  nicht  annähernd  sagen..  Daß  die 
Errichtung  des  Schiedshofes  politische  Be- 
deutung hat,    dürfte   kaum   zu    bestreiten  sein. 

Huber:  Weder  haben  die  Vertrags  Staaten 
von  1899  und  1907  die  Absicht  gehabt,  einen 
politischen  Staatenbund  zu  bilden,  noch  recht- 
fertigt die  rechtliche  Struktur  und  tatsäch- 
liche Wirksamkeit  der  Haager  Verträge  eine 
solche  Konstruktion.  Das  Haager  Werk  ist 
nur  mittelbar  politisch  und  kann  auch  nur  als 
solches  sich  als  universelle  Institution  ent- 
wickeln. 

de  Jong:  Wenn  auch  juristisch  der  Welt- 
staatenbund noch  nicht  besteht,  ideell  ist  er 
schon  da.  Es  wird  die  Aufgabe  der  dritten 
Friedenskonferenz  sein,  durch  die  Vorschrift, 
daß  die  nächsten  Friedenskonferenzen  von  Rechts 
wegen  periodisch  tagen  sollen,  diesen  Welt- 
staatenbund, der  alsdann  außer  dem  inter- 
nationalen Bureau  des  Arbitragehofes  auch  den 
Gerichtshof  und  das  permanente  Vorbereitungs- 
komitee als  ständige  Organe  erhalten  wird, 
auch  juristisch  zu  begründen. 


295 


DIE  FßlEDEN5-^&DTE  = 


■® 


Kaufmann:  In  dem  bisherigen  Haager  Werk 
sehe  ich  nicht  einen  Haager  Weltstaatenbund, 
oder  einen  Keim,  eines  solchen,  wenigstens 
nicht,  wenn  durch  diese  Bezeichnung  eine  weit- 
gehende Wesensidentität  mit  den  historischen 
Staatenbünden  behauptet  werden  soll.  Dafür 
sind  der  Analogien  zu  wenige  und  die  Ver- 
schiedenheiten   zu    tiefgreifend. 

Auch  glaube  ich  nicht,  daß  die  Weiterent- 
wicklung der  Haager  Völkergemeinschaft  in 
analogen  Bahnen,  wie  bei  jenen  Staatenbünden, 
verlaufen  wird, 

i  Als  politisch  erachte  ich  das  Haager  Werk. 
Doch  bliebe  die  Vorfrage,  ob  ich  und  andere 
dabei  den  Begriff  des  Politischen  und  dessen 
Abgrenzung  vom  Nicht-Politischen  in  gleicher 
Weise  auffassen.  Eine  Auseinandersetzung  dar- 
über würde  aber  an  dieser  Stelle  zu  weit 
führen. 

Kohler:  Ja!  Das  Haager  Werk  ist  politisch 
und    rechtsgestaltend. 

Laband:  Nein.  Ein  Weltstaatenbund  ist 
nicht  möglich,  so  lange  es  unter  den  Groß- 
staaten eine  schwere  Kollision  der  Inter- 
essen gibt.  Eine  friedliche  —  schiedsrichter- 
liche —  Entscheidung  von  Rechtsfragen  ist 
dazu  nicht  genügend,  wenn  auch  von  Wichtig- 
keit und  erstrebenswert. 

La  Fontaine:  Wenn  auch  der  Weltstaaten- 
bund durch  das  Haager  Abkommen  von  1899 
nicht  ausdrücklich  festgelegt  worden  ist,  so  ist 
er  doch  in  Wirklichkeit  in  ihm  enthalten.  Das 
zustandegekommene  Werk  ist  einmal  ein 
völkerrechtliches,  es  trägt  aber  auch  einen  po- 
litischen Charakter  —  das  Wort  „politisch" 
in  einem  wissenschaftlichen  Sinne  verstanden  — , 
da  es  die  Tendenz  hat,  die  Weltorganisation 
weiterzubilden. 

Lammasch:  Den  Keim  eines  Weltstaaten- 
bundes finde  ich  in  den  Friedensakten  von 
1899  und  1907  nicht. 

de  Louter:  Die  erstere  Ansicht  scheint  mir 
nicht  zutreffend.  Die  zweite  Frage  ist  selbst- 
verständlich zu  bejahen. 

Marburg:  Die  Gesellschaft  der  Nationen  ist 
eine  Tatsache.  Bis  jetzt  ist  sie  noch  wenig 
organisiert,  aber  diese  Organisation  erhielt  eine 
bemerkenswerte  Anerkennung  durch  die  erste 
und  zweite  Haager  Konferenz.  Abgesehen  von 
den  mehr  als  300  internationalen  Organisationen, 
deren  Mittelpunkt  das  „Bureau  des  associations 
internationales"  in  Brüssel  bildet,  wird  die  Tat- 
sache einer  Organisation  der  Nationen  am  deut- 
lichsten durch  die  40  internationalen  Kon- 
ventionen bewiesen,  bei  welchen  die  Staaten 
selbst  Signatare  sind. 
Meurer:  Nein! 

Neubecker:    Den    Keim   eines    Weltstaaten- 
bundes wird  man  bereits  trotz  allem  und  allem 
erkennen  können. 
Nippold:  Nein! 


Odier:  Es  ist  meines  Erachtens  noch  zu 
früh,  um  von  einem  Weltstaatenbund  als  einem 
Resultate  von  1899  zu  sprechen.  Aber  dieses 
Werk  hat  gewiß  eine  politische  Bedeutung,  da 
es  den  Zweck  hat,  mehr  und  mehr  an  Stelle  der 
ratio  belli  die  Entscheidung  durch  das  Recht 
zu    setzen. 

Oppenheim:  Die  Ansicht  Schückings  ist  ein 
Phantasiegebilde ;  das  Schiedsabkommen  hat  gar 
nichts  mit  einem  Weltstaatenbund  zu  tun  und 
enthält  gewiß  auch  keinen  Keim  eines  solchen! 
Die  Frage  „Ist  das  Werk  vom  Haag  ein  poli- 
tisches?" ist  mir  ganz  unverständlich,  solange 
ich  nicht  weiß,  welche  Bedeutung  Sie  dem  Wort 
„politisch"  beilegen. 

Politis:  Ich  glaube,  daß  das  Haager  Werk 
keinen   politischen   Charakter  trägt. 

Rehm:  Der  Keim  ist  geschaffen.  Das  Werk 
ist  politisch,  denn  es  hat  den  Verständigungs- 
gedanken gefördert. 

Schoen :  Daß  ein  Weltstaatenbund  geschaffen 
ist,  glaube  ich  nicht:  dem  Wesen  des  Staaten- 
bundes widerspricht  es,  daß  der  Krieg  zwischen 
den  Bundesgliedern  etwas  Erlaubtes  ist.  Auch 
kann  man  nicht  annehmen,  daß  ein  Weltstaaten- 
bund entstanden  ist,  ohne  daß  der  Wille  der 
Staaten  bewußt  auf  die  Gründung  eines  solchen 
gerichtet  war. 

Schoenborn:  Ich  glaube  mit  Schücking,  daß 
1899  zum  mindesten  der  Keim  zu  einem  Welt- 
staatenbunde   geschaffen    worden    ist. 

Schücking:  Meines  Erachtens  wird  sich  sehr 
bald  die  Erkenntnis  durchgesetzt  haben,  daß 
im  Haag  ein  Weltverband  der  Kulturstaaten 
mit  politischem  Einschlag  (weil  geschaffen  zur 
Aufrechterhaltung  des  Rechtsfriedens)  begründet 
worden  ist.  Ob  man  darin  mit  mir  einen  Welt- 
staatenbund sehen  wird,  ist  natürlich  zunächsst 
davon  abhängig,  wie  man  den  Staatenbund  als 
solchen  definieren  will.  In  diesem  Punkte  gehen 
die  Anschauungen  aber  weit  auseinander.  Wer 
zum  Staatenbund  eine  Beschränkung  der  Souve- 
ränität fordert,  wird  den  Weltverband  natürlich 
nicht  als  Staatenbund  ansehen.  Doch  begreife  ich 
nicht,  wie  man  dem  Haager  Weltverband  den 
Charakter  als  Weltstaatenbund  darum  bestreiten 
kann,  daß  hier  keine  gemeinsame  Verteidigung; 
nach  außen  verfolgt  wird.  Wollte  man  an 
diesem  Kriterium  unbedingt  festhalten,  dann 
wäre  es  überhaupt  schlechterdings  unmöglich, 
einen  Weltstaatenbund  jemals  zu  begründen. 
Und  doch  hat  schon  Martens  diesen  Begriff 
auf  die  zu  verwirklichende  politische  Orga- 
nisation der  Kulturwelt  angewandt. 

Strupp:  Es  handelt  sich  um  eine  Orga- 
nisation sui  generis.  Der  Verband  der  am 
Haager  Friedensabkommen  beteiligten  Staaten 
hat  zweifellos  ein  politisches  Werk  geschaffen. 
van  Vollenhoven:  Er  ist  geschaffen,  aber 
nicht   zum   klaren   Ausdruck  gebracht   worden. 


V.    Wird  die  Schiedsgerichtsbarkeit  im  Laufe  der  Zeit  mit  dem  Erstarken  der  inter- 
nationalen Organisation  eine  solche  Bedeutung  einnehmen,   daß  ihr  regelmäßig  auch 
Ehren-  und  Lebensinteressenfragen  überwiesen  werden? 


v.  Bar:  Die  Entwicklung  könnte  meines  Er- 
achtens dahin  erstarken,  daß  man  für  Ehr  e  n  - 
fragen  eine  Ausnahmeklausel  für  erforderlich 
nicht  mehr  halten  würde.  Bei  Differenzen 
über  wirkliche  oder  vermeintliche  Lebens- 
interessen   werden    machtvolle    Staaten    einem 


Schiedssprüche,  da  sie  dessen  Inhalt  nicht  vor- 
hersehen können,  sich  nicht  unterwerfen.  Da- 
gegen könnte  ein  von  hoher  und  als  unparteiisch 
anerkannter  Autorität  abgegebenes  Gut- 
a  c  h  t  e  n  in  solchen  Fällen  oft  einen  friedlichen 
Ausgleich   herbeiführen. 


296 


DIE  FRI  EDENS  -WARTE 


de  ßeaufort:    Ich  hoffe  es! 

Frhr.  v.  Dungern:  Ja  —  wenn  auch  kaum 
in  viel  stärkerem  Maße  als  Lebens-  und  Ehren- 
fragen der  Völker  zunehmend  in  die  Abhängig- 
keit internationaler  ökonomischer  Interessen  ge- 
raten. Jedenfalls  scheint  es  mir  zweifellos, 
daß  die  Weltwirtschaft  zunehmend  inter- 
nationales Recht  und  friedliche  Durchführung 
solchen   Rechts    verlangt. 

Ebers:    Ja,  aber  noch  nicht  so  bald! 

Erich:  Meiner  Ueberzeugung  nach  werden 
ihr  in  einer  nicht  entfernten  Zukunft  auch 
manche  als  Ehren-  und  Interessenfragen  zu 
bezeichnende  Fragen  überwiesen  werden.  Die 
Errichtung  der  Cour  de  justice  arbitrale  dürfte 
der  Entwicklung  in  dieser  Richtung  "Vorschub 
leisten,  ihre  Existenz  gewissermaßen  einen 
moralischen  Zwang  auf  die  Regierungen  aus- 
üben. 

Jlir.  van  Eysinga:  Ja,  soweit  es  keine 
„unsettled"  Teile  der  Erde  mehr  gibt,  wie  z.  B. 
den  Balkan,  und  verausgesetzt,  daß  die  Schieds- 
gerichtsbarkeit immer  erst  in  zweiter  Linie 
kommt,  also  erst,  wenn  der  diplomatische  Weg 
versagt  hat ;  für  viele  Interessenfragen  ist  ja  die 
diplomatische  Lösung,  so  wie  1904  zwischen 
Frankreich  und  Großbritannien  und  1911 
zwischen  Frankreich  und  Deutschland,  die  beste. 

Giese:  Nein!  Das  ist  praktisch  völlig  un- 
durchführbar. Mit  welchen  Mitteln  soll  das 
im    konkreten    Falle    durchgesetzt    werden? 

Heilborn:  Ja,  wenn  man  ausschließlich  auf 
Staaten  abstellt,  welche  ihrer  geographischen 
Lage  halber  einen  Krieg  miteinander  nicht 
führen  können,  wie  Portugal  und  die  Schweiz. 
Im  übrigen  wird  es  immer  Völker  geben,  welche 
nach  der  Maxime  handeln:  „nichtswürdig  ist 
die  Nation,  die  nicht  alles  setzt  an  ihre  Ehre." 

Frhr.  Hold  v.  Ferneck:  Ob  es  jemals  dazu 
kommen  wird,  daß  die  Staaten  über  ihre  Ehre 
und  ihre  Lebensinteressen  Schiedsrichter  ur- 
teilen lassen,  ist  eine  Frage,  welche  die  Wissen- 
schaft heute  nicht  beantworten  kann.  Ich 
glaube  nicht,  daß  sich  eine  internationale 
Organisation  willkürlich  schaffen  läßt. 
Vielleicht  ergibt  sich  einmal,  in  ferner  Zu- 
kunft, eine  auch  das  politische  Gebiet  er- 
fassende Solidarität  der  Interessen  der  Staaten. 
Dann  wird  sich  die  Organisation  wohl  von 
selbst  herausbilden.  Ich  halte  es  für  müßig, 
sich    heute    darüber    den    Kopf   zu    zerbrechen. 

Huber :  Wenn  die  Rechtsidee  im  Völkerleben 
weitere  Fortschritte  macht  und  namentlich  das 
Gewissen  der  öffentlichen  Meinung  in  inter- 
nationalen Angelegenheiten  geschärft  wird,  wird 
die  sogenannte  Interessen-  und  Ehrenklausel 
in  den  Verträgen  nur  da  angerufen,  wo  wirk- 
liche Lebensinteressen  des  Staates  auf  dem 
Spiele  sind.  Aber  eine  bedingungslose  generelle 
Unterwerfung  unter  eine  Gerichtsbarkeit  ist  für 
einen  unabhängigen  Staat  weder  rechtlich  noch 
politisch    möglich. 

de  Jong:  Mit  dem  Erstarken  der  internato- 
nalen Organisation,  und  dem  dadurch  wachsen- 
den gegenseitigen  internationalen  Zutrauen, 
werden  Ehrenfragen  selten  oder  nie  vorkommen. 
Jede  „Interessenfrage"  ist  immer  auch  einer 
Rechtsentscheidung  fähig,  wie  ich  auseinander- 
gesetzt habe  in  „Die  Fortbildung  der  inter- 
nationalen Schiedsgerichtsbarkeit"  („Jahrbuch 
des  Völkerrechts  1913).  Wo  es  also  keine  reinen 
Interessenfragen  gibt,  wird  in  Zukunft,  bei  der 
fortschreitenden      Entwicklung      des      interna- 


tionalen Rechtsempfindens,  jede  Meinungsver- 
schiedenheit, die  nicht  auf  diplomatischem 
Wege  gelöst  werden  kann,  der  Schiedsgerichts- 
barkeit unterworfen  werden. 

Kaufmann:  Für  die  friedliche  Entwicklung 
der  internationalen  Beziehungen  der  Völker  ist 
insbesondere  erforderlich,  entsprechend  der  Ent- 
wicklung und  den  Bedürfnissen  der  weltwirt- 
schaftlichen, Weltverkehrs-  und  weltsozialen 
Verhältnisse  die  Völkerrechtsordnung  aus- 
zubauen und  zu  vertiefen,  wobei  dieselbe 
nicht  mehr  vor  den  Staaten  als  geschlossenes 
Ganzes  halt  machen  kann,  sondern  immer 
häufiger  und  vielfältiger  mit  ihren  Regelungen 
in  dieselben  hinein  unmittelbar  auf  die  Ver- 
hältnisse der  Individuen  und  auf  funktionelle 
Betätigungen  von  Staatsorganen  usw.  sich  er- 
strecken muß. 

In  organisatorischer  Hinsicht  halte  ich  für 
die  friedliche  Entwicklung  die  Ausbildung  und 
Kräftigung  der  internationalen  Schiedsgerichts- 
barkeit hochwichtig.  Aber  auch  mancherlei 
andere  Verfahrensweisen,  Organisierungen  und 
Organbildungen  werden  dem  Zwecke  dienstbar 

femacht  werden  können  und  müssen,  die  großen 
nteressenkonflikte,  welche  von  Zeit  zu  Zeit 
im  Leben  der  Völker  auftauchen,  je  länger 
je  mehr  in  friedlichem  Wege  zu  einem  ge- 
rechten, auch  der  Entwicklung  Rechnung  tra- 
genden Ausgleich  zu  bringen.  Ob  dafür  immer 
gerade  ein  Verfahren  vor  einem  internationalen 
Schiedsgericht  sich  als  am  geeignetsten  er- 
weisen  wird,    erscheint   mir   problematisch. 

Kohler:  Ja! 

Laband:  Man  kann  nicht  sagen,  daß  dies 
ausgeschlossen  ist.  Aber  ich  halte  es  für  lange 
Zeit   noch   für   unwahrscheinlich. 

La  Fontaine:  Meiner  Ansicht  nach  können 
alle  Fragen  der  Ehre  (soweit  solche  überhaupt 
bestehen)  und  der  Lebensinteressen  dem  Urteil 
von  Schiedsrichtern  urterworfen  werden,  und 
zwar  unter  ähnlichen  Bedingungen  wie  die 
zwischen  Privatpersonen  entstehenden  Streitig- 
keiten. Ich  bin  also  überzeugt,  daß  die  An- 
rufung der  Schiedsrichter  sich  auf  diese  Fragen 
ebenso   wie  auf  alle  anderen   erstrecken  wird. 

Lammasch :  Regelmäßig  ja!  Gewisse 
Ausnahmen  werden  aber  wohl  stets  bleiben. 

de  Louter:  Nein! 

Marburg:  Der  Haager  Hof  hat  sich  mit 
politischen  und  rechtlichen  Streitigkeiten  be- 
schäftigt. Er  ist  berechtigt,  sich  mit  jeder 
Frage  zu  befassen,  die  ihm  die  Streitteile  unter- 
breiten. 

Meurer:  Nein.  Die  Fragen  der  Selbster- 
haltung nie.  In  Fragen  der  Ehre  kann  man 
sich  zwar  vor  dem  Urteilspruch  der  Gerechtig- 
keit beugen.  Aber  man  schädigt  nur  den 
Friedensgedanken,  wenn  man  in  aufdringlicher 
Weise  schlechthin  jeden  Ausweg  versperren 
will.  Das  sind  besonders  heikle  Fragen,  die 
keine  allgemeine  Lösung  vertragen  und  besser 
frei  von  Obligationen  bleiben. 

Neubecker:  Das  scheint  mir  das  Ziel  der 
Entwicklung  zu  sein. 

Nippold:  Regelmäßig  wohl  kaum,  aber  dies 
ist  auch  nicht  nötig,  da  wir  neben  der  Schieds- 
sprechung  noch  die  Vermittlung  und  die  Unter- 
suchungskommissionen haben. 

Odier:  Ich  bin  davon  überzeugt,  daß  sich 
im  Laufe  der  Jahre  das  Tätigkeitsfeld  des 
Haager  Hofes  immer  mehr  ausbreiten,  und  daß 
er  ganz   von  selbst  Fragen  der  Ehre   und  der 


297 


DIE  FRIEDENS -^&DTE  = 


:§> 


Lebensinteressen,  der  Völker  an  sich  ziehen  wird. 
Neuere  Schiedsverträge  sind  in  diesem  Sinne 
abgefaßt. 

Oppenheim:  Ehrenfragen  gewiß;  ob  aber 
auch  Vitale  Interessenfragen,  das  kann  niemand 
voraussehen. 

Frhr.  V.  Plener:  Die  Ehren-  und  Lebens.- 
interessenklausel  wird  in  absehbarer  Zeit  noch 
immer  Vorbehalten  werden. 

Politis :  Ja,  aber  in  einem  langen  Zeiträume. 

Rehm:  Nein! 

Schoen :  Ich  glaube  nicht,  daß  in  absehbbarer 
Zeit,  die  mächtigeren  Staaten  sich  dazu  ver- 
stehen werden,  regelmäßig  Ehren-  und  Lebens- 
interessenfragen der  Schiedsgerichtsbarkeit  zu 
überweisen.  Die  großen  Daseinsfragen  der 
Völker  Werden  wie  in  der  Vergangenheit,  so 
auch  in  der  Zukunft  regelmäßig  mitt  dem  Schwert 
entschieden  wexden! 

Schoenborn:  Für  absehbare  Zeit  kann  ich 
diese  Erage   nicht  bejahen. 

Schücking:  Die  Vernunft  wird  auch  die 
Völker  lehren,   daß   die   Ehre  ein   inneres   Gut 


ist,  daß  dem  Volk  doch  im  Unrecht  von 
außen  ebensowenig  genommen  werden  kann, 
wie  dem  Individuum.  Damit  werden  die 
„Ehrenfragen"  ihre  Bedeutung  verlieren  Später 
wird  die  Schiedsgerichtsbarkeit  auch  Inter- 
essenfragen vortrefflich  entscheiden  können. 
Die  brennende  Frage  ist  heute  für  uns  nur  die, 
wie  vermeiden  wir  bei  solchen  Fragen  den  Krieg 
durch  andere  Institutionen,  solange  die  Völker 
für  solche  Ausdehnung  der  Schiedsgerichtsbar- 
keit   noch    nicht    reif    sind? 

Strupp:  In  dieser  Richtung  darf  man  nur 
Wünsche  und  Hoffnungen  hegen,  die  aber  "keines- 
falls utopistisch  sind,  nachdem  die  Geschichte 
der  Schiedsgerichtsbarkeit  zeigt,  wie  häufig 
Ehren-  und  Lebensinteressenfragen  schieds- 
richterlich erledigt  wurden. 

van  Vollenhoven :  Rechtsstreitigkeiten 
können  und  müssen  schiedsrichterlich  erledigt 
werden.  Bei  Interessenstreitigkeiten  soll  man 
entweder  eine  freundliche  Vermittlung  er- 
streben oder  den  Streitfall  eine  Zeitlang  ruhen 
lassen,  aber  niemals  die  Entscheidung  des 
Schwertes  anrufen. 


VI.  Ist  das  Zustandekommen  eines  beschränkten  Weltschiedsvertrages  auf  der  nächsten 
Haager  Konferenz  wünschenswert?     Kann  dieser  Vertrag  ohne  die  Ehren-  und  Lebens- 
interessenklausel geschlossen  werden? 


v.  Bar:  Die  hier  gestellte  erste  Frage 
möchte  ich  verneinen.  Sie  läßt  aich  meines 
Erachtens  bejahend  nur  beantworten,  wenn  man 
einen  ständigen  internationalen  Schiedshof  mit 
einer  Organisation,  wie  sie  die  Gerichte  der 
einzelnen  Staaten  besitzen,  für  wünschenswert 
erklärt.  Uebrigens  würde  ein  Weltschiedsver- 
trag,  der  dem  Schiedsverfahren  nur  eine  stark 
beschränkte  Zahl  von  Streitsachen  zuweisen 
würde,  nicht  gerade  ein  Ziel  sein,  das  die  Auf- 
wendung großer  Mühe  lohnen  würde. 

Frhr.  v.  Dungern :  ad  Frage  1 :  ja,  weil  die 
formelle  Ausgestaltung  des  internationalen 
Schiedsverfahrens  dahin  drängt. 

ad  Frage  2:  Die  Klausel  wäre,  wenn  fort- 
gelassen, selbstverständlich,  weil  vor  der  Hand 
kein  aufrichtiger  Staatsvertreter  die  Verant- 
wortung auf  sich  nehmen  könnte,  eine  Unter- 
werfung seines  Volkes  in  Ehren-  und  Existenz- 
fragen zu  verbürgen.  Die  Formulierung 
praktisch  undurchführbarer  Rechtssätze  ist,  wie 
die  Geschichte  lehrt,  der  Entwicklung  der 
Schiedsidee  eher  hinderlich  als  förderlich  ge- 
wesen. ( 

Ebers:  Ohne  diese  Klausel  dürfte  gegen- 
wärtig ein  Weltschiedsvertrag,  so  wünschens- 
wert er  ist,  kaum  möglich  sein. 

Erich:  Zunächst  nicht  ohne  Klausel,  aber 
mit  einem  Verzeichnis  unbedingt  arbitraler 
Streitfragen,  welches  allmählich,  auf  Grund  der 
Erfahrung,    erweitert    werden    könnte. 

Jhr.  van  Eysinga:  Vorläufig  ist  vielleicht 
von  einer  von  allen  Staaten  sehr  intensiv  be- 
triebenen Schiedsgerichtsbarkeitspolitik,  die  zu 
einer  sehr  großen  Zahl  allgemeiner  Arbitrage- 
verträge zwischen  je  zwei  Staaten  führt,  am 
meisten  zu  erwarten.  Jedenfalls  erscheint  auf 
der  nächsten  Friedenskonferenz  ein  Weltschieds- 
vertrag ohne  die  Ehren-  und  Lebensinteressen- 
klausel ausgeschlossen. 

Fleischmann:  Den  Ausbau  des  Systems  der 
Schiedsverträge,    namentlich    durch    einen    be- 


schränkten Weltschiedsvertrag  mit  der  Ehren- 
klausel,  halte   ich  für  erstrebenswert. 

Giese:  Ein  solcher  Vertrag  erscheint  mir 
für  heute  verfrüht,  für  späteir  diskutabel,  aber 
nie  ohne  die  Ehren-  und  Interessenklausel. 

Heilborn:  Das  bisher  geschaffene  Schieds 
recht  scheint  mir  einstweilen  ausreichend  (vor- 
behaltlich Verbesserungen  im  einzelnen). 
Meines  Erachtens  kommt  es  jetzt  vor  allem 
darauf  an,  materielles  Recht  zu  schaffen.  So- 
weit hierüber  Vereinbarungen  vorliegen,  werden 
die  Staaten  auch  geneigt  sein,  Streitigkeiten 
über  das  vereinbarte  Recht  schiedsrichter- 
licher  Entscheidung    zu   unterbreiten. 

Frhr.  Hold  v.  Ferneck:  Ich  hielte  es 
für  wünschenswert  und  auch  für  erreich- 
bar, daß  die  Staaten  auf  der  nächsten 
Haager  Friedenskonferenz  einen  Weltschieds- 
vertrag abschließen,  jedoch  beschränkt  auf 
Differenzen  juristischer  Art  und  mit  Aus- 
schluß der  Streitigkeiten,  welche  die  Ehre 
und  die  Lebensinteressen  der  Beteiligten 
tangieren. 

de  Jong:  Ein  beschränkter  Weltschiedsver- 
trag (als  Muster  diene  der  Schiedsvertrag  Däne- 
mark-Frankreich vom  9.  August  1911)  würde 
schon  einen  sehr  großen  Fortschritt  bedeuten, 
sogar  wenn  die  Ehren-  und  Lebensinteressen- 
klausel einstweilen  darin  enthalten  wäre  und 
einige  der  vorzüglichen  "Eigenschaften  des 
dänisch-französischen  Vertrages  nicht  mit  über- 
nommen wurden. 

Kaufmann:  Ich  halte  einen  obligatorischen 
Weltschiedsvertrag  für  wünschenswert,  in 
welchem  die  allmählicher  Erweiterung  fähige 
Liste  der  Rechtsmaterien  und  der  Kategorien 
von  Rechtsverhältnissen  festgelegt  würde,  auf 
die  er  sich  beziehen  soll.  Bei  solcher  Be- 
schränkung würde  ich  die  Aufnahme  einer 
Ehren-  und  Lebensinteressenklausel  nicht  für 
angezeigt  erachten. 

Würden  sich  einige  Staaten  einem  solchen 
Weltschiedsvertrage   widersetzen,    so   fände   ich 


298 


<2= 


m  DIE  PRIEDEN5->VAD.TE 


es  erwünscht,  daß  die  übrigen  mit  dem  guten 
Beispiel  vorangingen  und  zunächst  allein  unter 
sich  diesen  Weltschiedsvertrag   schlössen. 

Kohler:  Ein  Weltschiedsvertrag  ist  wün- 
schenswert. 

Laband :    Nein ! 

La  Fontaine:  Ich  meine,  daß  das  1907  for- 
mulierte Projekt  eines  Weltschiedsvertrages  auf 
der  nächsten  Friedenskonferenz  durch  die 
Staaten  angenommen  werden  müßte.  Der  Vor- 
behalt der  Ehre  und  der  Lebensinteressen 
müßte  selbstverständlich  aus  dem  zu  schließen- 
den Vertrage  verschwinden,  da  er  mit  dem 
obligatorischen  Charakter  des  Vertrages  in 
Widerspruch  stehen  würde. 

Lammasch:  Ich  halte  den  allgemeinen 
Schiedsgerichtsvertrag  nach  dem  Vorbilde  der 
Beschlüsse  des  Comite  d'examen  von  1907  für 
wünschenswert    und    möglich. 

de  Louter:  Das  Zustandekommen  eines 
Weltschiedsvertrages  für  Rechtsfragen  ist 
wünschenswert. 

Marburg:  Allgemeine  Schiedsverträge,  die 
alle  Fragen,  auch  Ehrenfragen  und  vitale  Inter- 
essen, einschließen,  sind  äußerst  wünschens- 
wert zwischen  Kulturmächten.  Rückständige 
Mächte  daran  teilnehmen  zu  lassen  würde  be- 
deutungslos sein  und  die  Sache  beeinträchtigen, 
weil  diesen  entweder  die  Absicht  oder  die 
Fähigkeit   fehlt,    Verträge   durchzuführen. 

Meurer:  Ich  halte  einen  Weltschiedsvertrag 
nach  dem  Muster  des  deutsch-englischen 
Schiedsvertrages  für  sehr  wünschenswert ;  ohne 
die  dortigen  Klauseln  halte  ich  aber  die  Ver- 
wirklichung nicht  für  möglich.  Man  sollte 
doch  endlich  einmal  das  Mißtrauen  gegen  diese 
Klauseln  überwinden  und  dem  Bekenntnis  zur 
Friedensidee  vertrauen. 

Neubecker:  Der  Abschluß  eines  Weltschieds- 
vertrages  erscheint   mir   wünschenswert. 

Nippold:    Ja,  mit  Klausel! 


Odier:  Ich  glaube  nicht  an  die  gegenwärtige 
Möglichkeit  eines  begrenzten  und  noch  weniger 
an  die  eines  unbegrenzten  Weltschiedsvertrages. 

Oppenheim:  Ja,  aber  mit  der  Ehren-  und 
Lebensinteressenklausel ! 

Frhr.  v.  Plener:  In  einem  allgemeinen 
Schiedsgerichtsvertrag  können  und  sollten  eine 
Anzahl  von  Gegenständen  aufgebaut  werden,  be- 
züglich deren  man  auf  die  Erhebung  des  Ehren- 
und    Lebensinteressenvorbehalts    verzichtet. 

Politis :  Ein  ständiger  Weltschiedsvertrag  er- 
scheint mir  wünschenswert  und  möglich,  aber 
zunächst  —  und  auf  lange  Zeit  hinaus  —  muß 
man  die  Fragen  der  Ehre  und  der  Lebens- 
interessen   beiseite    lassen. 

Rehm :  Ich  halte  ihn  für  wünschenswert. 
Der  Vertrag  kann  nur  mit  der  Klausel  ge- 
schlossen werden. 

Schoen:  Das  Zustandekommen  eines  solchen 
Vertrages  wäre  wünschenswert.  Jedoch  er- 
scheint sein  Abschluß  ohne  Ausscheidung  der 
Ehren-  und  Lebensinteressenfragen  zunächst 
ausgeschlossen. 

Schoenborn:  Wenn  es  bei  der  Weigerung  der 
Vereinigten  Staaten  bleibt,  die  Panamakanal- 
gebührenfrage  einem  Schiedsgerichte  zu  unter- 
breiten, so  verspreche  ich  mir  von  einem  be- 
schränkten Weltschiedsvertrage  nicht  viel. 

Schücking:  Ich  bin  entschieden  für  einen 
Weltschiedsvertrag  für  Rechtsstreitigkeiten, 
einstweilen  mit  der  Ehrenklausel.  Letztere 
würde    meines    Erachtens    genügen. 

Strupp:  Das  Zustandekommen  des  Welt- 
schiedsvertrages ist  wünschenswert.  Ich  glaube 
aber  kaum,  daß  sich  die  Staaten  jetzt  dazu 
entschließen  werden,  die  Ehren-  und  Interessen- 
klausel aufzugeben.  Wohl  aber  sind  freiwillig 
schon  mehrere  die  Ehre  berührende  Fälle 
Schiedsgerichten  unterworfen  worden.  Erst 
müssen  die   Völker  erzogen   werden. 


VII.    Ist  ein  recht  baldiger  Zusammentritt  der  dritten  Haager  Konferenz  wünschens- 
wert, eventuell  wann? 


v.  Bar:  Den  Zusammentritt  einer  erneuten 
Friedenskonferenz  halte  ich  für  wünschenswert 
nur,  wenn  diese  genügend,  und  zwar  unter 
Mitwirkung  öffentlicher  Kritik  vorbereitet  ist 
und  daher  eine  Anzahl  wichtiger  Fragen 
als  spruchreif  oder  baldiger  Beantwortung 
zugänglich  und  bedürftig  sich  herausgestellt 
haben.  —  Hiernach  und  in  Anbetracht  der  inter- 
nationalen Ereignisse  der  letzten  Jahre  könnte 
meines  Erachtens  der  Zusammentritt  einer 
dritten  Friedenskonferenz  schon  im  Jahre  1914 
als  verfrüht  sich  erweisen. 

de  Beaufort:  Ohne  gute  und  tüchtige  Vor- 
bereitung darf  die  Haager  Friedenskonferenz 
nicht  zusammentreten.  Es  ist  schwer  zu  sagen, 
wie  lange  Zeit  diese  Vorbereitung  in  Anspruch 
nimmt. 

Frhr.  v.  Dungern:  Der  Kredit  der  Friedens- 
konferenzen würde,  glaube  ich,  leiden,  wenn 
die  Konferenzidee  wieder  auftauchte,  ehe  die 
türkischen  Verwicklungen  ein  wenig  vergessen 
sind,  da  gerade  dieser  imminentewte  inter- 
nationale Konfliktsherd  augenblicklich  einer 
Konferenz  für  den  allgemeinen  Völkerfrieden 
unmöglich  unterbreitet  werden  könnte.  Da- 
gegen scheint  es  mir  durchaus  im  Bereich  des 
Möglichen,  eine  spezielle  Friedenskonferenz  für 


Regelung  der  Verhältnisse  der  Türkei  im  Haag 
stattfinden  zu  lassen  und  ihr  den  Charakter 
eines  Weltkongresses  zu  geben.  Es  bedarf 
hierzu  vielleicht  nur  einer  geschickten  An- 
regung. 

Ebers:  Nach  den  Ereignissen  auf  dem  Bal- 
kan würde  meines  Erachtens  ein  Hinausschieben 
zur  Klärung  mancher  Fragen  nur  beitragen 
können. 

Jhr.  van  Eysinga:  Ja,  vorausgesetzt,  daß 
sie  gut  vorbereitet  ist,  was  vor  1915  kaum 
möglich  erscheint,  und  daß  auch  das  Prisenhof- 
abkommen  und  die  Londoner  Seerechtsdekla- 
ration einstweilen  in  Kraft  getreten  sein  werden, 
oder  wenigstens  plausible  Abänderungsvor- 
schläge  der   letzteren   vorliegen. 

Fleischmann :  Der  Zeitpunkt  der  neuen 
Friedenskonferenz  sollte  in  erster  Linie  nach 
dem  Maße  der  gehörigen  Vorbereitung  bestimmt 
werden. 

Giese:  Dies  ist  eine  Frage  des  praktischen 
Bedürfnisses.  So  wünschenswert  eine  Weiter- 
bildung des  Völkerrechts  und  eine  Fortführung 
der  Haager  Arbeiten  ist,  so  dringend  ist  vor 
einer  zu  umfassenden  und  zu  raschen  Kodi- 
fikation   völkerrechtlicher    Fragen    zu    warnen. 


DIE  FßlEDENS-WABTE 


■a 


Hagerup:  Hierüber  habe  ich  mich  bereits 
früher  geäußert:  „Ich  glaube  nicht  daran,  daß 
die  Zusammenberufung  der  nächsten  Friedens- 
konferenz so  schnell  erfolgen  wird.  Angesichts 
der  jüngsten  Ereignisse,  nämlich  des  italienisch- 
türkischen Krieges,  der  Haltung  Englands 
gegenüber  dem  Prisenhofe  und  der  Londonejr 
eklaration  und  der  Haltung  des  Senats  gegen- 
über den  Schiedsverträgen  in  den  Vereinigten 
Staaten,  kann  man  ohne  Zweifel  voraussehen, 
daß  die  Mächte  zögern  werden,  sich  nach  dem 
Haag  zu  begeben."  (Annuaire  de  l'Institut  de 
droit  international,   1912.) 

Heilborn:  Darüber  habe  ich  kein  Urteil, 
weil  ich  weder  den  Stand  der  Vorarbeiten 
kenne  noch  weiß,  wie  stark  die  friedliche  Ge- 
sinnung der  führenden  Mächte  augenblicklich 
ist.  Eine  Macht,  die  damit  rechnet,  im  nächsten 
Monat  überfallen  zu  werden,  wird  nichts  kon- 
zedieren. Zur  Fortführung  des  Haager  Werkes 
gehört  meines  Erachtens  wechselseitiges  Ver- 
trauen. Es  ist  mir  sehr  zweifelhaft,  ob  die 
frische  Erinnerung  an  das  gewaltige  Bingen 
in  den  Jahren  1912/13,  an  die  heroische  Be- 
reitwilligkeit tausender,  ihr  Leben  für  die 
große  allgemeine  Sache  zu  opfern  —  der  dritten 
Friedenskonferenz  in  nächster  Zeit  einen  wir- 
kungs-  und  stimmungsvollen  Hintergrund  bieten 
wird. 

Frhr.  Hold  v.  Ferneck:  Meiner  Ansicht  nach 
könnte  die  dritte  Friedenskonferenz  schon  bald, 
etwa  im  Jahre  1915,  zusammentreten,  vor  allem, 
um  einige  Materien  des  Völkerrechtes  zu  kodi- 
fizieren. Ein  Erfolg  wäre  allerdings  nur  zu 
erwarten,  wenn  die  Arbeiten  entsprechend  vor- 
bereitet würden  und  für  eine  praktische  Arbeits- 
methode gesorgt  würde.  (Bildung  kleiner  Aus- 
schüsse.) 

Huber:  Eine  Konferenz  ist  nur  wünschbar, 
wenn  Aussicht  besteht,  daß  positive  Besultate 
erreichbar  sind,  und  zwar  nicht  nur  unter- 
zeichnete, sondern  auch  allgemein  ratifizierte 
Verträge.  Das  Fehlen  so  vieler  Ratifikationen 
zu  den  Verträgen  von  1907  und  1909  ist  eine 
wenig  ermutigende  Erscheinung. 

de  Jong:  Alle,  die  das  Völkerrecht  und  den 
Völkerfrieden  fördern  wollen,  müssen  in  nächster 
Zeit  dahin  streben:  1.  daß  die  internationale  Vor- 
bereitungskommission noch  im  Jahre  1913  oder 
spätestens  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1914 
zusammengestellt,  und  2.  die  dritte  Friedens- 
konferenz im  Jahre  1915  abgehalten  wird. 

Kaufmann:  Die  periodische  Wiederholung 
der  Haager  Friedenskonferenzen  in  nicht  zu 
langen  Zwischenräumen  muß  angestrebt  werden. 
Die  dritte  sollte  bald  fällig  sein.  Immerhin, 
ob  sie  ein  Jahr  früher  oder  später  stattfindet, 
ist  nicht  so  wichtig.  Wichtiger  wäre,  daß  sie 
gründlich  vorbereitet  würde  mit  einem  nicht 
zu  umfassenden  Programm,  das  aber  auch  wirk- 
lich  durchgeführt  würde. 

Kohler :   Ja  1 

Laband:  Dies  hängt  davon  ab,  ob  sich  die 
Großmächte  auf  ein  bestimmtes  Programm 
einigen;  ohne  dieses  ist  die  Friedenskonferenz 
zwecklos  und  nicht  ungefährlich. 


La  Fontaine:  Ganz  gewiß!  Möglichst  1915r 
spätestens  1916.  Die  Arbeit  aller  Pazifisten 
und  der  fortschrittlich  gesinnten  Männer  aller 
Parteien  müßte  sich  vereinigen,  um  den  pünkt- 
lichen  Zusammentritt   zu    sichern. 

Lammasch:  Ja:   1915,   allerspätestens   1916. 

de  Louter:  Ich  bin  unbedingt  für  einen 
baldigen  Zusammentritt. 

Marburg:  Es  ist  von  größter  Wichtigkeit, 
daß  die  nächste  Haager  Konferenz,  wie  durch 
die  vorangegangenen  Konferenzen  bestimmt 
wurde,  im  Jahre  1915  stattfindet,  wie  es  das 
Prinzip  periodischer  Zusammenkünfte  mit  sich 
bringt.  1 

Meurer:  Ich  bin  für  einen  recht  baldigen 
Zusammentritt,  aber  doch  erst  nach  gründlicher 
Vorbereitung. 

Neubecker:  Bei  großen  Entwicklungen 
kommt's  nicht  auf  Tag  und  Stunde  an. 

Nippold:  Nein,  sie  wäre  nicht  nur  politisch 
verfrüht,  sondern  auch  ungenügend  vorbereitet. 

Odier:  Ich  glaube,  daß  man  gut  tun  würde, 
die  Zusammenberufung  der  dritten  Haager 
Konferenz  zu  verschieben,  bis  sich  Europa  ein 
wenig  von  den  Balkankriegen  erholt  hat. 

Oppenheim:   Ja,    1915. 

Frhr.  v.  Plener:  Ein  baldiger  Zusammen- 
tritt ist  wünschenswert,  aber  ebensosehr  eine 
sorgfältige  Vorbereitung  der  einzelnen  Pro- 
grammpunkte. 

Politis:  Ich  wünsche  die  baldige  Zusammen- 
kunft der  dritten  Konferenz,  aber  es  erscheint 
mir  richtig,  daß  man  sich  erst  vollständig  über 
ein  Programm  einigt,  dessen  Ausarbeitung  etwa 
zwei  Jahre  beanspruchen  würde.  Deshalb  halte 
ich  es  nicht  für  nützlich,  wenn  die  dritte 
Konferenz  vor  dem  Sommer  1915  zusammentritt. 

Rehm:  Ja! 

Schoen:  Eine  gedeihliche  Tätigkeit  der 
dritten  Konferenz  ist  nur  zu  erwarten, 
wenn  sich  sichere  Urteile  über  die  Re- 
sultate der  vorangegangenen  Haager  und 
der  Londoner  Konferenz  gebildet  haben, 
was  zurzeit  noch  nicht  der  Fall  sein 
dürfte.  Auch  ist  weitere  Voraussetzung  für  eine 
gedeihliche  Tätigkeit  der  Konferenz,  daß  sie 
eingehender  vorbereitet  wird,  als  dieses  bei  den 
früheren  Konferenzen  der  Fall  gewesen  ist.  Es 
dürfte  daher  noch  einige  Jahre  bis  zum  Zu- 
sammentritt einer  neuen  Konferenz  zu  warten 
sein;  einen  Zeitraum  von  10  Jahren  sollte  man 
zwischen  den  einzelnen  Konferenzen  doch  ver- 
streichen  lassen. 

Schücking:  Spätestens  1915. 

Strupp:  Keinesfalls  vor  1920  wünschenswert. 
Die  Ergebnisse  von  1907  sind  noch  viel  zu  wenig 
wissenschaftlich  verarbeitet,  und  vor  allem 
müssen  erst  die  Konventionen  der  zweiten 
Haager  Akte  ratifiziert  werden.  Ueberhasten 
kann  dem  ganzen  Kodifikationswert  nur 
schaden. 

van  Vollenhoven:  Man  befolge  die  Schluß- 
akte der  zweiten  Haager  Friedenskonferenz. 
(1899  —  1907  —  1915). 


300 


€= 


DIE  FRIEDEN5->M&BTE 


Der  deutsche;  der  englische  und 
der  humane  Qedanke  in  der  Welt. 

Von  O.  Umfrid, 
Vizepräsident  der  Deutschen  Friedensgesellschaft. 

Selten  hat  mir  ein  Buch  eine  schmerz- 
lichere Enttäuschung  bereitet,  als  die  Schrift 
Rohrbachs  „Der  deutsche  Gedanke  in  der 
Welt".  Mit  großem  Interesse,  wenn  auch 
nicht  unter  voller  Zustimmung,  hatte  ich  das 
größere  Werk  dieses  Autors  „Deutschland 
unter  den  Weltvölkern"  gelesen  und  hatte 
mich  besonders  der  Uebereinstimmung  ge- 
freut, die  sich  zwischen  mir  und  Rohrbach 
bezüglich  der  deutschen  Expansionspolitik 
ergab.  Unabhängig  voneinander  waren  wir 
beide  auf  den  Gedanken  gekommen,  daß  ein 
Ausgreifen  des  deutschen  Imperialismus  zu 
Zwecken  kriegerischer  Landerwerbungen  nicht 
nur  nutzlos,  sondern  geradezu  lebensgefähr- 
lich für  unser  Staatswesen  sein  müßte.  Da- 
gegen hatten  wir  beide  den  Ausweg  gefunden, 
eine  Regelung  der  deutschen  Auswanderung 
und  friedliche  Ansiedlung  deutscher  Kolo- 
nisten in  überseeischen  Ländern  zu  empfehlen. 
Demgegenüber  kann  ich  das  neue  Buch 
Rohrbachs  nur  als  einen  schweren  Rückfall 
in  den  Nationalismus  betrachten.  Das  Buch 
ist  nicht  nur  voll  von  einer  fast  abstoßenden 
Ueberschätzung  des  heutigen  deutschen 
Volkstums,  das  doch  so  schwere  sittliche 
Schäden  aufweist,  es  enthält  auch  eine  Pro- 
klamierung jenes  einseitig  nationalistischen 
Standpunktes,  den  ich  immer  und  überall,  wo 
er  mir  begegnet,  bekämpfe.  Wenn  unter  dem 
deutschen  Gedanken  in  der  Welt  nichts 
anderes  verstanden  wird,  als  die  räumliche 
Ausbreitung  und  Einflußverstärkung  der  heu- 
tigen deutschen  Rasse  mit  all  ihren  Fehlem, 
so  ergibt  sich  daraus  eine  bedauerliche  Ent- 
leerung des  Begriffs  vom  deutschen  Wesen. 
So  wie  Rohrbach  die  Sache  darstellt,  könnte 
man  fast  versucht  sein,  statt  vom  deutschen 
Gedanken  in  der  Welt  vielmehr  von  der  deut- 
schen Gedankenlosigkeit  oder  Ideenarmut  in 
der  Welt  zu  reden.  Fast  naiv  schreibt  Rohr- 
bach bei  einem  Vergleich  zwischen  der  deut- 
schen und  englischen  Weltmachtstellung: 
„Jedem  großen  Volke  ist  es  ein  natürliches  Be- 
dürfnis, alles  Geschehen  unter  dem  Gesichts- 
punkt des  eigenen  nationalen  Interesses  anzu- 
schauen und  alle  Vorkommnisse  in  der  Welt 
als  nationale  Angelegenheiten  zu  behandeln." 
Aber  das  ist  ja  gerade  die  Verdrehtheit, 
gegen  die  wirklich  fortschrittlich  gesinnte 
Männer  nicht  scharf  genug  protestieren 
können.  Das  ist  diese  nationale  Kirchturms- 
politik, die  das  Weltgeschehen  unter  einem1 
viel  zu  engen  und  darum  falschen  Gesichts- 
winkel betrachtet  und  die  ebenso  verkehrt 
ist,  ob  sie  von  der  Wilhelmstraße  oder  von 
Downing-Street  ausgeht.  Die  Nation  als 
solche  ist,  wenn  sie  sich  gegen  die  Zusammen- 
fassung mit  dem  Weltganzen   sperrt,  nicht  als 


Gut,    sondern    als   Uebel,    nicht    als    Lebens- 
förderung,    sondern     als    Lebenshemmnis    zu 
betrachten.     Der   Egoismus    ist  überall   vom 
Uebel,   auch   wenn  er   sich   zur  Völkerselbst- 
sucht  ausweitet   und   sich  mit   dem    Mäntel- 
chen des  Staatswohls  umkleidet.   Etwas  ganz 
anderes   wäre   es,   wenn  Rohrbach  den   deut- 
schen  Gedanken  nicht   bloß   formell   gefaßt, 
sondern   inhaltlich   bestimmt  hätte,   wenn   er 
etwa   gesagt   hätte:    Die  deutsche  Eigenart, 
die  ein  Recht  hat,   sich   in   der  Welt   durch- 
zusetzen,   besteht    in    unserer    Gedankentiefe, 
und  diese  unsere  Eigenart  ist  der  Beachtung 
und  der  Liebe  ebenso  wert,  wie  die  Anmut 
und   Eleganz    der  Franzosen,   wie   die   Trag- 
kraft  der   Russen,   wie  die   Gewandtheit   der 
Engländer,  Kulturgedanken  in  praktische  Me- 
thoden umzusetzen.    Rade  hat  in  der  „Christ- 
lichen Welt"  mit  Recht  darauf  hingewiesen, 
daß    Rohrbach   gut   daran  getan   hätte,    den 
deutschen   Geist    als    den   Schöpfer   der    Re- 
formation zu  schildern  und  zu  zeigen,  wie  der 
deutsche     Gedanke     durch     Aufklärung    und 
Pietismus    hindurch    zu    unserer   klassischen 
Periode    und    zu    den   modernen    Kulturideen 
fortgeschritten  ist,  und  wie  insbesondere  unsere 
Philosophie  als  Extrakt  des  deutschen  Geistes 
angesehen    werden    muß.     Wird    das   über- 
sehen,    so     scheint    es    so,    als    ob    man    in 
Deutschland    nichts     als    militärischen    Drill 
und      bureaukratische       Regierungsmanieren 
lernen  könnte.    Würde  das  Gehirn  der  Welt, 
das  in  Deutschland  tatsächlich  vorhanden  ist, 
einmal   den   Gedanken   der   Weltorganisation 
vollziehen,    so    würde,    das    ist    meine    feste 
Ueberzeugung,    der    Nationalismus    überwun- 
den,  und  die  Idee  der  Solidarität  würde  die 
nötigen   Formen   sich    schaffen.     So   wie   die 
Dinge   heute   liegen,    ist   die   Unfähigkeit   der 
Deutschen,   über  die  nationalistischen  Grenz- 
pfähle hinauszusehen,  mit  eine  Hauptursache 
der  internationalen  Spannung  und  der  schein- 
bar unüberbrückbaren  Kluft,  die  sich  zwischen 
den    Völkern     auftut.      Solange     der    Natio- 
nalismus   Trumpf    ist,    muß    auch    das    Miß- 
trauen,   das    die    Völker    auseinanderhält,    so 
unberechtigt  es  ist,   bestehen  bleiben.    Wenn 
die  bedeutendsten  Männer  einer  Nation  noch 
wie     Rohrbach     dem      Gedanken      Ausdruck 
geben,  daß  die  wirtschaftliche  Prosperität  der 
einen  Nation  von  der  anderen  notwendig  als 
Benachteiligung  empfunden  werden  müsse,  so 
ist   es  kein  Wunder,  wenn  die  Konkurrenten 
auf    dem    Weltmarkt    sich    mit    den    Argus- 
augen der  Eifersucht  beobachten.   Daß  Rohr- 
bach   auch    seinerseits    davon    nicht    frei    ist, 
das  beweist   der   eine  Satz :   „Es  gibt  nichts 
in   der    Welt,    das    unsere   Gegner    dazu    be- 
wegen  könnte,    uns    zu    schonen,    als    unsere 
Stärke."    Das   ist   natürlich   durchaus  falsch. 
Man    mag    das    Gewicht    moralischer    Erwä- 
gungen   in    der    Staatskunst    so    niedrig    als 
möglich    einschätzen;    ein    gewisses    Verant- 
wortlichkeitsgefühl,  das   die   Staaten  hindert, 
übereinander  herzufallen,  wird  doch  auch  bei 


301 


DIE  FRIEDENS -^kßTE 


§> 


unseren  Realpolitikern  als  Erbe  einer  besse- 
ren Vergangenheit  noch  nicht  ganz  aus- 
gestorben sein.  Aber  selbst  vorausgesetzt, 
die  Ethik  in  der  Politik  wäre  auf  den  Null- 
punkt herabgesunken,  so  müßte  doch  schon 
die  nüchterne  Erwägung  unsere  Gegner  von 
einem1  Angriff,  selbst  auf  ein  schwächeres 
Deutschland,  abhalten,  daß  ein  vernichtetes 
Deutschland  alle  Kaufkraft  auf  dem'  Welt- 
markt verlöre,  und  daß  unsere  Nachbarn 
also  mit  einer  Zertrümmerung  unserer  Volks- 
kraft sich  ins  eigene  Fleisch  schneiden  würden. 
Es  liegt  mir  ferne,  den  ganzen.  Gedanken- 
gang der  Rohrbachschen  Schrift  hier  wieder- 
zugeben; ich  müßte  sonst  zeigen,  wie  er 
selbstverständlich  immer  noch  die  Re- 
vanchelust der  Franzosen  als  einen  schwer- 
wiegenden Faktor  in  seine  Rechnung  ein- 
stellt, wie  er  die  panslawistischen  Aspiratio- 
nen nicht  vergißt,  und  wie  er  andererseits 
ein  viel  zu  großes1  Gewicht  auf  die  Erhaltung 
der  Türkei  legt,  die  er  sogar  so  hoch  ein- 
schätzt, daß  er  meint,  eine  Zertrümmerung 
ihres  europäischen  Besitzstandes  müsse  für 
Deutschland  und  O esterreich  den  Kriegsfall 
bedeuten.  Wohl  aber  muß  ich  zu  zeigen 
versuchen,  wie  schroff  der  deutsch-englische 
Gegensatz  von  Rohrbach  aufgefaßt  wird,  und 
wie  unfähig  er  ist,  die  Entwicklung  des  bri- 
tischen Imperiums  mit  Augen  neidloser  Ob- 
jektivität zu  beobachten.  Eduard  VII.  —  das 
ist  etwa  sein  Gedankengang  —  sah,  daß 
die  deutsche  Expansion  in  wirtschaftlicher 
wie  in  politischer  Beziehung  den  englischen 
Weltherrschaftsplänen  gefährlich  werden 
mußte.  Daher  sein  Bestreben,  den  deutschen 
Wettbewerb  durch  seine  Einkreisungsbewe- 
wegungen  so  gut  wie  möglich  auszuschalten. 
Fast  in  der  Weise  Hergeletts  und  Lookouts 
wird  die  r.eine  Moritat  von  den  schwarzen, 
Plänen  des1  gekrönten  Handlungsreisenden  der 
englischen  Politik  entworfen.  Er  hat  nicht 
nur  Spanien  durch  eine  dynastische  Heirat 
dazu  bewogen,  den  englischen  Kriegsschiffen 
im!  Bedarfsfall  die  Häfen  zu  öffnen,  wie  denn 
auch  Portugal  längst  in  Abhängigkeit  von 
England  geraten  ist.  Er  hat  nicht  nur  die 
Italiener,  die  schon  durch  die  monte- 
negrinische Heirat  ihre  Fühler  auf  die  Ost- 
küste der  Adria  hinüberstreckten,  durch  den 
albanischen  Köder  kirre  gemacht,  er  hat  den 
Russen  zuerst  die  japanische  Kur  ( ! )  ver- 
ordnet, um1  sie  dadurch  willig  zu  machen, 
ein  Abkommen  bezüglich  einer  Abgrenzung 
der  asiatischen  Interessensphären  und  einer 
Teilung)  der  Türkei  zu  treffen;  er  hat  mit  den 
Russen  zusammen  den  schwarzen  Plan  eines 
mazedonischen  Aufstandes  entworfen,  um  da- 
durch den  Stein  der  orientalischen  Frage  ins 
Rollen  zu  bringen,  ja,  er  hat  in  Gemeinschaft 
mit  seinen  skrupellosen  Staatsmännern  den 
ungeheuren  Plan  eines  englischen  Weltreichs, 
von  Afrika  bis  Australien,  geschmiedet,  eines 
Weltreichs,  dessen  Schlußstein  die  den  Per- 
sischen  Golf   umlagernden   Ländermassen   zu 


bilden  hätten,  ein  Meisterstück  welt- 
umspannender Diplomatie,  die  ihre  Fäden 
durch  das  Projekt  einer  deutschen  Bagdad- 
bahn sich  nicht  zerreißen  lassen  konnte. 
Rohrbach  verschmäht  es  nicht,  in  diesem 
Zusammenhang  allerlei  sensationelle  Kleinig- 
keiten beizubringen,  so  die  berühmt  gewor- 
dene, aber  verfängliche  Frage  des  Eng- 
länders Wilcock,  ob  der  zwischen  Euphrath 
und  Tigris  neu  zu  erbauende  Königskanal 
wohl  den  Namen  des  Kaisers  von  Deutsch- 
land oder  des  Kaisers  von  Indien  tragen 
werde,  sowie  die  Rede  Curtsons,  des  Vize- 
königs von  Indien,  daß  jene  Gegenden  am 
Persischen  Meerbusen  von  indischen  und 
ägyptischen  Bauern,  d.  h.  von  englischen 
Untertanen,  zu  besiedeln  sein  dürften.  Ich 
will  dieses  Riesenprojekt  englischer  Welt- 
politik zunächst  dahingestellt  sein  lassen;  wo- 
gegen ich  aber  energisch  protestieren  muß, 
das  ist  die  systematische  Züchtung  des  Miß- 
trauens gegen  England,  die  sich  Rohrbach 
angelegen  sein  läßt.  Er  verschmäht  es  dabei 
nicht,  olle  Kamellen  zu  wiederholen,  wie  die 
Geschichte  des  Admirals  Monk,  der  im 
17.  Jahrhundert  ( !  )  die  Zerstörung  der 
holländischen  Kriegsflotte  verlangte,  weil 
die  holländische  Handelskonkurrenz  den  Eng- 
ländern gefährlich  werden  könnte,  oder  wie 
den  Ausspruch  des  jüngeren  Pitt,  der  ein  Jahr- 
hundert später,  zur  Zeit  des  Hubertusburger 
Friedens  ( 1  ),  erklärte :  „Frankreich  ist  uns 
hauptsächlich  als  See-  und  Handelsmacht  ge- 
fährlich. Was'  wir  in  dieser  Hinsicht  ge- 
winnen, ist  uns  vor  allem  wertvoll  durch 
den  Schaden,  den  Frankreich  dadurch  er- 
leidet." In  Ewigkeit  unverzeihlich  ist  es 
natürlich  auch,  daß  Lord  Palmerstone  im 
Jahre  1861  ( ! )  sagen  konnte,  die  Deutschen 
sollen  den  Acker  pflügen  und  Luftschlösser 
bauen,  aber  sich  nicht  einfallen  lassen,  die 
See  zu  befahren,  und  daß  die  Saturday-Re- 
view  zu  einer  Zeit  höchster  Spannung  be- 
haupten konnte:  Wenn  der  deutsche  Handel 
vernichtet  würde,  so  wäre  kein  Engländer, 
der  dadurch  nicht  reicher  würde.  Unvergeß- 
lich für  Rohrbach  ist  natürlich  auch  die  in 
Champagnerstimmung  erfolgte  Drohung  des 
Admirals  Lee,  daß  die  englische  Flotte  den 
Angriff  auf  die  deutschen  Küsten  so  rasch 
müßte  unternehmen  können,  daß  man  in 
Deutschland  die  ersten  Schüsse  hören  würde, 
ehe  man  die  Kriegserklärung  zu  lesen  be- 
käme. Daß  es  natürlich  auch  in  England 
Leute  gibt,  mit  denen  man  Riegel  wände  ein- 
schlagen könnte,  Leute,  mit  deren  Verstand 
das  Mundwerk  durchzugehen  pflegt,  soll 
nicht .  geleugnet  werden.  Aber  so  wenig  wir 
die  Herren  Keim,  Reichenau,  Reventlow  und 
Hasse  als  die  maßgebenden  Träger  deut- 
scher Politik  betrachten  dürfen,  ebensowenig 
dürfen  wir  die  Schreier  an  der  Themse  mit 
den  verantwortlichen  Leitern  des  britischen 
Staatsschiffes  verwechseln.  Der  Merkan- 
tilismus   aber,    der    noch    Staatsmänner    wie 


302 


DIE  Fßl EDENS ->MMJTg 


Monk  und  Pitt  leiten  konnte,  ist  in  Eng- 
land längst  überwunden.  Ein  Norman  Angell 
spricht  nur  aus,  was  in  England  bereits  Ge- 
meingut der  allgemeinen  Ueberzeugung  ge- 
worden ist,  daß  der  Handelsvorteil  Deutsch- 
lands nicht  als  Handelsnachteil  in  England 
empfunden  werden  darf,  daß  vielmehr  durch 
das  Wohl  des  einen  auch  das  Wohl  desi 
andern   gefördert    wird. 

Selbst    davor     schreckt     Rohrbach    nicht 
zurück,     die    Legende     von     den    Ueberfalls- 
gelüsten,  von  denen  der  Geist  der  englischen 
Staatsmänner    im    Sommer    1911    erfüllt    ge- 
wesen  sei,   zu   wiederholen.    Die   feierlichsten 
Versicherungen     der    Lenker     der    englischen 
Politik,   daß   kein  Ueberfall  auf  Deutschland 
geplant  gewesen   sei,   und  daß   man  niemals1 
den  Franzosen  versprochen  habe,  ihnen  irgend- 
welche    Hilfstruppen     auf    das    Festland    zu 
schicken,     vermögen    nicht,     Rohrbach    eines! 
Irrtums     zu    überweisen.       Er    bleibt    dabei: 
Der  Ueberfall  war  geplant,  die  Hilfstruppen 
waren    zugesagt.      Was    er    dafür    beibringt, 
ist  nichts,  als  die  Tatsache  von  der  Schlag- 
fertigkeit   der    englischen    Flotte,    womit    na- 
türlich gar  nichts  anderes  bewiesen  wird,  als 
dasselbe,  was  durch  die  gleichzeitige  Schjag- 
fertigkeit     der     deutschen    Flotte    ins    helle 
Licht  gesetzt  wird,  nämlich    daß  die  Kriegs- 
gefahr vom  Sommer  191 1  allerdings  akut  ge- 
wesen   ist.      Die    Akten    darüber    sind    noch 
nicht  geschlossen,  wahrscheinlich  tragen  beide 
streitenden    Teile    die    gleiche    Schuld.     Daß 
aber  in  dem  berüchtigten  Sommer  in  der  eng- 
lischen  Politik   und  in  der  öffentlichen   Mei- 
nung des  Landes  eine  sehr  energische  Wen- 
dung   zugunsten    des    Friedens    erfolgte,    ob- 
wohl  die  Gelegenheit   für  England  vielleicht 
äußerst     günstig     gewesen     wäre,     sich    der 
Nebenbuhlerin,     wie     sie     in    der    deutschen 
Kriegsmarine   dem    seegewaltigen   Albion   er- 
standen war,   zu  entledigen,  das  mag  in  der 
kleinen,  aber  sachverständigen  Broschüre  von 
Adolf  Bürk:  ,,Die  Wahrheit  über  die  deutsch- 
englische    Krisis    im     Sommer     1911"    nach- 
gelesen   werden.      Wenn    aber    Rohrbach    er- 
klärt, daß  nur  Sozialdemokraten,  utopistische 
Pazifisten    und    unverbesserliche   Anglophilen 
sich     der     Tatsache    englischer     Feindselig- 
keit gegen  Deutschland  verschließen  können, 
so  ist  darauf  zu  erwidern,  daß  Rohrbach  sich 
als   schlechter    Prophet    erwiesen   hat,    da    er 
nichts     von     der     notorischen     Annäherung 
zwischen    Deutschland    und   England   voraus- 
gesehen hat,  die  wir  „utopistischen  Pazifisten" 
kommen   sahen    und   vorbereiten   halfen,   eine 
Annäherung,     die    in     der   Aufrechterhaltung 
des     Friedens    während     des    Balkankonflikts 
ihie  Feuerprobe  bestanden  hat.    Es  soll  nicht 
geleugnet   werden,   daß   trotz   alledem  immer 
noch  ein  Stein  des  Anstoßes  besteht,  der  die 
Engländer   hindert,    sich   in  unsere  Arme   zu 
werfen,   das  ist   aber  nicht   unsere   Handels-, 
sondern  unsere  Kriegsflotte,  durch  welche  der 
eigene  Handel  nicht  geschützt  wird,  während 


der  fremde  Handel,  ob  mit  Recht  oder  Un- 
recht, sich  tatsächlich  davon  bedroht  fühlt. 
Die  nationalistische  Meinung,  daß  wir  durch 
die  Aufbietung  aller  Kräfte  für  die  Rüstung 
uns  den  Frieden  oder  im  Fall  des  Kriegs- 
ausbruchs den  Sieg  versichern  können,  wird 
selbst  dann  nicht  wahr,  wenn  ein  Rohrbach 
für  dieselbe  eintritt.  Wir  sollten,  meint 
er,  nicht  an  Millionen  knickern,  wenn  es 
sich  um  den  Schutz  für  Milliarden  handelt, 
aber  wer  bürgt  uns  dafür,  daß  der  Zukunfts- 
krieg mit  einem  Siege  Deutschlands  endigt  ? 
Ziehen  wir  aber  den  Kürzeren  bei 'dem  blu- 
tigen Würfelspiel,  so  verlieren  wir  nicht  nur 
die  Millionen,  sondern  auch  die  Milliarden, 
und  dann  werden  wir  uns  vielleicht  zu  spät 
darauf  besinnen,  daß  es  verfehlt  war,  den 
deutschen  Gedanken  mit  Waffengewalt  in  der 
Welt  ausbreiten  zu  wollen. 

Wenn  man  die  Weltlage  unter  dem  Ge- 
sichtspunkt   eines    Ziels    der   Weltgeschichte 
betrachtet,  so  ist  es  für  den  höchsten  Zweck 
des  menschlichen  Daseins  vollständig  gleich- 
gültig,    ob     die     Welt     (d.    h.     die     über- 
seeischen    Gebiete)     englisch     oder    deutsch 
wird.      Wir    würden    wirklich    keinen    Vorteil 
darin  sehen,  wenn  die  vom  Union  Yack  über- 
wehten Gebiete  plötzlich  von  dem  preußischen 
Adler  beschattet   würden.     Nicht  das  ist  die 
Frage,    ob    der   deutsche   oder   der    englische 
Gedanke   in    der    Welt    siegen    soll,    sondern 
darum   handelt    sichs,  ob  der   humane   Ge- 
danke seinen  Siegeslauf  vollenden  kann,  und 
das  ist  unter  dem  englischen  Banner  ebenso 
leicht    möglich,     wie    unter   dem    deutschen. 
Möchte   es    unser   Volk   doch   endlich   einmal 
lernen,    energisch    wirtschaftlich    und    natio- 
nalökonomisch  zu   denken!     Möchte   es   sich 
klarmachen,  daß  die  politischen  Aspirationen 
zum  großen  Teil  einer  Art  von  sentimentalen 
Erwägungen   entspringen    und   daß   mit   aller 
politischen   Machtentfaltung  kein  realer  Ge- 
winn   zu    erzielen    ist,    der    nicht    ebensogut 
durch        vernünftig        geregelte        Handels- 
beziehungen   erreicht    werden    könnte.     Auch 
Naumann  hat  dieses  Grundgesetz  lange  Zeit 
nicht   erkannt.     So  hat   er  einmal   schreiben 
können:  „Um  den  Suezkanal  muß  noch  scharf 
geschossen  werden;  dann  werden  wir  auf  De- 
peschen  von   Alexandria    und   Kairo    warten, 
wie  man  im  Jahre  1870  auf  die  Telegramme 
aus  den  Vogesen  aufpaßte."    Ich  habe  darauf 
erwidert :    „Ich  sehe  nicht  ein,  welchen  Vor- 
teil   es'    uns    bringen    sollte,    wenn    wir    den 
Engländern   den    Suezkanal   nehmen   würden. 
Lassen  wir  es  ruhig  beim  alten,   dann  wer-! 
den   wir   die  Vorteile  der   englischen   Kultur 
mitgenießen.     Wenn  früher  ein  Mensch  nach 
Aegypten  reiste,   war  er  seines  Lebens  nicht 
sicher;     seitdem     die    englische    Kultur    dort 
ihre    Herrschaft    aufgerichtet    hat,    kann    der 
Reisende  ruhig  unter  den  Pyramiden  spazieren 
gehen    und    am    Fuß    der    Obelisken    seinen 
Kaffee  trinken."    Es  ist  richtig,  daß'  der  Lehre 
Norman  Angells,   die  den  Besitz   der  Lände- 


MD3 


DIE  FRIEDENS -WAETE  = 


reien  für  irrelevant  erklärt,  durch  die  Eng- 
länder selbst  widersprochen  zu  werden 
scheint.  Warum,  so  könnte  einer  fragen, 
besetzen  sie  immer  neue  Länderstrecken, 
warum  legen  sie  so  großen  Wert  darauf,  in 
der  Gegend  von  Bagdad  die  Verbindungs-, 
brücke  zwischen  ihrem  afrikanischen  und 
indischen  Besitz  herzustellen,  warum  sehen 
sie  nicht  ruhig  zu,  daß  die  deutsche  Kultur- 
macht durch  die  Vollendung  ihrer  Bagdad- 
bahn bis  zum  Persischen  Meerbusen  einen 
Keil  zwischen  Afrika  und  Indien  hinein- 
treibe, d^er  ihnen  doch  in  Wirklichkeit  so 
wenig  Schaden  bringen  könnte,  wie  eine 
deutsche  Kolonie  in  London  den  dortigen 
englischen  Handel  schädigt  ?  Norman  An- 
gell würde  wahrscheinlich  die  Antwort  geben : 
„Das  ist  ein  Stück  Atavismus,  an  dem  wir 
alle  miteinander  kranken,  daß  wir  glauben, 
unser  Wohlsein  zu  fördern,  wenn  wir  eine 
möglichst  große  Kilometerzahl  besitzen." 
Eins  möchte  ich  auch  hier  denn  doch  er- 
wähnen: Der  Boden  ist  die  Grundlage  aller 
Güter  der  Erde,  wer  ihn  besitzt,  ist  sicherer, 
immer  neue  Quellendes  Reichtums  erschließen 
zu  können,  als'  derjenige,  der  auf  die  Gunst 
des  Besitzers  angewiesen  ist.  Aber  über- 
schätzen dürfen  wir  diese  Tatsache  nicht. 
Wenn  es  unserer  Diplomatie  gelingt,  die 
Engländer  von  der  Verschließung  der  offenen 
Tür  für  alle  Zeiten  abzuhalten,  so  kann  uns 
die  Farbe  der  Flagge,  die  über  den  einzelnen 
Ländern  weht,  relativ  gleichgültig  sein.  Wenn 
nur  in  allen  Ländern,  wo  europäische  Kultur- 
nationen sich  einbohren,  auch  wirklich  hu- 
mane Grundsätze  durchgeführt  werden;  wenn 
es  nur  überall  gelingt,  Kulturbedürfnisse  zu 
wecken,  den  Reichtum  der  Erde  zu  er- 
schließen, dem  Handel  neue  Bahnen  zu  öffnen 
und  die  einzelnen  Länder  zu  lebendigen  Glie- 
dern der  großen  Kulturgemeinschaft  zu 
machen  ,  so  können  wir  zufrieden  sein.  Es 
ist  aber  grundverkehrt,  die  deutsche  Volks- 
seele mit  Neid  gegen  den  reicheren  Nachbar 
zu  erfüllen.  Es1  hat  noch  allezeit  große, 
mittelgroße  und  kleine  Machtzentren  in  der 
Welt  gegeben,  und  wenn,  wir  kein  Riesenreich, 
wie  England,  Rußland  oder  Amerika  werden 
können,  so  sollten  wir  uns  mit  der  Stellung 
eines  Großstaates,  dessen  Weltbeziehungen 
immerhin  fruchtbar  werden  können,  begnügen. 
Unser  Beruf  kann  niemals  darin  bestehen, 
die  Welt  zu  erobern,  wohl  aber  darin,  sie 
mit  unserer  Gedankentiefe  zu  durchdringen, 
mit  unseren  technischen  Errungenschaften  zu 
bereichern.  Das  Ziel  aber,  das  uns  mit  allen 
Kulturnationen  gleichermaßen  gestellt  ist, 
scheint  von  Rade  richtig  formuliert  zu  sein, 
wenn  er  gegen  Rohrbach  sagt:  „Das  ist 
schließlich  die  Herrlichkeit  deutscher  Nation, 
daß  mit  ihrer  Hilfe  eine  wirkliche  Kulturwelt, 
ein  Kosmos  der  Humanität,  ein  Reich  Gottes 
geschaffen  werde."  Die  Nation  als  solche 
ist  nichts,  die  Menschlichkeit  aber,  der  die 
Nation  zu  dienen  hat,  ist  alles. 


304 


Die  Hufgaben  des 
JQC.  Weltfriedenskongresses. 

Wenn  die  Bedeutung  eines  Kongresses 
nach  der  Zahl  der  von  ihm  gefaßten  Reso- 
lutionen beurteilt  werden  darf,  so  würde  der 
Genfer  Weltfriedenskongreß  ein  gewaltiges 
Ereignis  bedeuten.  In  dem  Jahrbuch  von 
1913  der  Interparlamentarischen  Union  be- 
finden sich  am  Schlüsse  die  Ergebnisse  von 
sieben  großen  internationalen  Konferenzen  des 
vergangenen  Jahres,  und  die  Beschlüsse  der 
anderen  sechs  Konferenzen  zusammengenom- 
men nehmen  kaum  so  viel  Seiten  in  An- 
spruch wie  die  Resolutionen  des  letzten  Welt- 
friedenskongresses. Gegenüber  diesem  um- 
fangreichen Resultate  steht  die  Tatsache,  daß 
kein  anderer  Kongreß  in  der  Presse  eine  so 
ungünstige  Beurteilung  erfahren  hat,  sogar  in 
führenden  Kreisen  der  Pazifisten.  Der  Kon- 
greß hat  das  jüngste  Weltgericht  über  alle 
Regierungen  und  Völker  spielen  wollen  und 
sich    dabei    im    Tone    wiederholt    vergriffen. 

Es  war  vielleicht  für  die  zukünftigen 
Weltfriedenskongresse  ein  Glück,  daß  die 
Fehler  in  der  Organisation  dieser  Versamm- 
lungen so  scharf  wie  noch  nie  zur  Geltung 
gelangten  und  dadurch  alle  Einsichtigen  zu 
einer  Reform  angetrieben  wurden.  In  zahl- 
reichen Artikeln  haben  nach  der  Versamm- 
lung führende  Persönlichkeiten  unserer  Be- 
wegung Reformpläne  dargetan,  und  es  muß 
mit  ganz  besonderer  Hoffnung  erfüllen,  daß 
der  Kongreß  dieses  Jahres  inmitten  eines 
Landes  stattfindet,  dessen  Delegierte  sich  in 
Genf  einstimmig  gegen  die  bisherige  Arbeits- 
methode der  Versammlungen  ausgesprochen 
haben.  Man  hat  zudem  in  Holland  ungemein 
fleißig  gearbeitet,  Denkschriften  versandt  und 
hervorragende  Persönlichkeiten  für  die  dies- 
jährige Tagung  gewonnen.  Die  Führer  des 
Kongresses  werden  also  gewiß  diese  neue 
Zusammenkunft  zu  einem  Höhepunkte  in  der 
Geschichte  der  Friedensbewegung  gestalten 
können,  wenn  nur  alle  Teilnehmer  ebenfalls 
ihr  Bestes  tun.  Es  kommt  nicht  darauf  an, 
daß  viele  Beschlüsse  gefaßt  werden,  sondern 
daß  einzelne  Probleme  recht  gründlich  und 
in  ruhiger  Form  behandelt  werden.  Die 
hohe  Politik  lasse  man  ganz  aus  dem  Spiele. 
Daß  man  politische  Probleme  überhaupt  er- 
örtert, hängt  wohl  noch  mit  der  früher, 
gänzlich  verfehlten  Anschauung  zusammen,  es 
könne  die  Welt  mit  einem  Schlage  zu  einem 
Reiche  des  Friedens  gemacht  werden.  Wenn 
dies  möglich  wäre,  wenn  also  jede  Re- 
gierung in  diesem  Augenblicke  mit  ihrer  gan- 
zen früheren  Politik  brechen  könnte,  .  ja, 
dann  wären  jene  Anklagen  auf  dem  Genfer 
Kongresse  vielleicht  berechtigt.  Aber  die 
Staaten  sind  selbst  nur  das  Produkt  einer 
allmählichen  Entwicklung;  sie  sind  von 
anderen  Regierungen  abhängig,  die  ebenfalls 
noch   eine   Politik  alten   Stils   betreiben,   und 


jg=^ 


=  DIE  FRIEDEN5-^AßTE 


wie  sollte  da  mit  einem  Schlage  alles  anders 
werden  können  I  Es  bedarf  vielmehr  eines 
allmählichen  Wandlung  in  den  Anschau- 
ungen der  Regierungen  und  der  Völker,  und 
je  ruhiger  und  klarer  wir  unsere  Meinung 
vertreten,  umso  eher  werden  wir  die  Gegner 
auf  unsere  Seite  ziehen.  Die  nimmer  ruhende, 
heilige  Begeisterung,  die  das  große  Ideal  allen 
deutlich  sichtbar  zeigt,  erweckt  Bewunderung 
und  Nacheiferung;  aber  der  Hohn,  die  Ver- 
achtung und  der  Fanatismus  muten  an  wie 
aus  einer  anderen  Welt,  stoßen  ab  und  be- 
gegnen keinem  Verständnis. 

Das  alles  soll  nicht  heißen,  als  ob  man 
nicht  besonders  grobe  Rechtsbrüche  wie  die 
Kriegserklärung  Italiens  an  die  Türkei  als 
solche  bezeichnen  dürfe.  Gewiß  hat  ja 
auch  die  Interparlamentarische  Union  den 
hohen  Mut  besessen,  die  Wahrheit  über 
diesen  Punkt  zu  sagen.  Aber  es  ist  etwas 
anderes,  diese  eine  feststehende  Tatsache  zu 
dokumentieren,  als  noch  zahlreiche  andere 
Punkte,  die  heiß  umstritten  sind,  zum  Gegen- 
stande einer  Anklage  zu  machen.  Nachdem 
der  Genfer  Kongreß  zu  viel  des  Guten  in 
dieser  Richtung  getan  hat,  werden  die 
nächsten  Weltfriedenskongresse  am  besten 
fahren,  wenn  sie  jede  Kritik  einer  Regierung 
peinlichst  vermeiden.  Es  gilt  zunächst  ein- 
mal wieder  die  Geltung  zu  erringen,  die  den 
Kongressen  gebührt  und  die  man  sich  in 
einzelnen  Kreisen  durch  die  Ereignisse  der 
letzten   Jahre   verscherzt  hat. 

Was  die  einzelnen  Punkte  des  diesjährigen 
Weltfriedenskongresses  angeht,  so  möchte  ich 
zunächst  auf  den  im  9,  Hefte  des  Jahres  1912 
von  de  Jong  van  Beek  en  Donk  ge- 
schriebenen Aufsatz  über  „Völkerrechts- 
kodifikation  und  Genfer  Weltfriedens- 
kongreß" verweisen.  Darin  Wurde  treffend 
vorgeschlagen,  die  Versammlung  möge  sich 
darauf  beschränken,  die  Regelung  der  wich- 
tigsten Punkte  —  Autonomie,  territoriale  Inte- 
grität und  vielleicht  auch  noch  ein  paar 
andere  —  in  das  pazifistische  Programm  auf- 
zunehmen, aber  nicht  über  die  sämtlichen 
Einzelheiten  Arnauds   zu  beraten. 

Zu  den  interessantesten  Punkten  der  dies- 
jährigen Verhandlungen  dürfte  das  Pro- 
blem einer  internationalen  Poli- 
zeimacht gehören,  worüber  der  bekannte 
Professor  an  der  Universität  JLeyden  van 
Vollenhoven  referieren  wird.  Damit  in 
Zusammenhang  steht  ein  Bericht  des  Pro- 
fessors de  M a d a y  von  der  Universität  Neu- 
chatel  über  die  ökonomischen  Sanktionen  im 
internationalen    Recht. 

Die  Konferenz  muß  sich  wohl  bewußt 
sein,  daß  die  Vorschläge  nach  Schaffung 
einer  internationalen  Exekutive  noch  in  vielen 
Kreisen  als  völlig  utopistisch  angesehen  wer- 
den. Selbst  Männer,  die  den  Friedensbestre- 
bungen im  Grunde  höchst  sympathisch  gegen- 
überstehen, glauben  doch  mit  Entschieden- 
heit    gegen    derartige     Forderungen      Front 


machen  zu  müssen.  Aber  viele  dieser 
Gegner  urteilen  ohne  genügende  Kenntnisse 
des  Problems.  Noch  keiner  von  ihnen  hat 
in  ausführlicher  monographischer  Darstellung 
die  Einwendungen  van  Vollen hovens 
widerlegt.  Was  sie  vorgebracht  haben,  ist 
oft  nichts  als  die  Aeußerung  eines  noch  nicht 
klar  durchdachten  Gefühles.  Es  ist  ja  ge- 
wiß zweifelhaft,  ob  eine  internationale  Exe- 
kutive auf  dem  organischen  Wege  der  Völker- 
rechtsentwicklung liegt.  Aber  gerade  des- 
wegen soll  man  einmal  rein  wissenschaftlich 
die  Gründe  dafür  und  dawider  prüfen.  Man 
soll  nicht  mit  allgemeinen  Redensarten  einen 
Vorschlag  zu  Fall  bringen,  der  ja  gewiß 
vielleicht  gefährlich  sein,  aber  möglicherweise 
auch  unsagbares  Glück  für  die  Völker  be- 
deuten kann.  Gerade  die  jüngsten  Balkan- 
ereignisse, wie  das  gemeinsame  Vorgehen 
gegen  Montenegro  und  der  Plan  einer  Flotten- 
demonstration der  europäischen  Großmächte 
gegen  die  Türkei,  zeigen  mit  Deutlichkeit, 
daß  anscheinend  eine  gewisse  Tendenz  der 
Entwicklung  dahin  geht,  daß  die  Staaten- 
gemeinschaft in  krassen  Fällen  widerspen- 
stige Regierungen  zum  Gehorsam  zwingt. 

Wie  dem  auch  sein  mag,  das  Problem 
mußte  einmal  aufgerollt  und  erklärt  werden, 
und  es  ist  ein  großes  Verdienst  van  Vollen- 
hovens,  dies  gietan  zu  haben.  Das  eine 
scheint  mir  freilich  gewiß :  Es  wird  unmög- 
lich sein,  die  Frage  auf  einem  Kongresse 
zur  Entscheidung  zu  bringen.  Man  sollte 
bei  diesem  ungeheuer  schwierigen 
Probleme  davon  absehen,  sofort 
eine  weitgehende  Resolution  zu 
fassen  und  die  Errichtung  einer 
internationalen  Polizeimacht  zu 
befürworten,  sondern  sich  mit 
einer  vorsichtigen  Erklärung  etwa 
dahingehend  begnügen:  Die  Konferenz 
sei  der  Meinung,  daß  insbesondere  nach  den 
jüngsten  Ereignissen  die  Schaffung  einer  inter- 
nationalen Exekutive  einer  eingehenden  Prü- 
fung bedürfe,  und  bitte  die  Vertreter  des 
Völkerrechts,  an  der  Klärung  der  Frage  zu 
arbeiten. 

Von  den  übrigen  Programmpunkten 
haben  außer  dem  Berichte  über  „die  Presse 
im  Dienste  des  Friedens"  besonders  die  Vor- 
träge Normann  Angells  über  „Han- 
delskonkurrenz und  interna- 
tionale Beziehungen"  und  Quid  des 
über  „Rüstungstillstand"  eine  beson- 
dere Bedeutung.  Norman  Angell  erfreut 
sich  einer  gewissen  Berühmtheit  und  sein  Vor- 
trag wird  dem  Kongresse  eine  besondere  Be- 
deutung verleihen.  Von  Q  u  i  d  d  e  werden  wir 
hoffentlich  auf  dem  Kongresse  oder  doch 
bald  darauf  das  Buch  über  die  Rüstungsfrage 
sehen,   das  er   uns  versprochen   hat. 

Wir  wünschen  dem  Kongresse  in  der 
gastlichen  Hauptstadt  der  Niederlande  einen 
schönen  Und  seiner  Bedeutung  entsprechen- 
den  Verlauf. 


305 


DIEFBIEDEN5-VVADTE  = 


MinisterRsserf ;ein  Bahnbrecher 
der  Völkerverständigung. 

Mit  dem  am  29.  Juli  im  Haag  verstorbenen 
holländischen  Staatsminister  Asser  ist  einer 
der  schärfsten  Denker  auf  völkerrechtlichem 
und  international-privatrechtlichem  Gebiete  da- 
hingegangen, ein  hochstrebender,  ideal  ge- 
sinnter Mann,  der  sich  von  kleinen  Anfängen 
zu  höchstem  Ruhme  emporgearbeitet  und 
immerfort  seine  ganze  Kraft  der  Menschheit 
dienstbar  gemacht  hat.  Er  ging  vom  Handels- 
rechte aus  und  erkannte,  wie  sehr  die  Mensch- 
heit statt  der  vielen  nationalen  Rechte  ein 
Weltrecht  nötig  hatte.  Von  den  Tagen  an, 
wo  er  als  24jähriger  Professor  an  der  Uni- 
versität Amsterdam  dozierte,  verließ  ihn  nie 
der  Glaube  an  die  Vereinheitlichung  der  ver- 
schiedenen Rechtssysteme,  und  er  kämpfte 
heiß  für  die  Verwirklichung  dieses  Gedankens. 
Ihn  zeichnete  besonders  aus,  daß  er  trotz 
seiner  idealen  Gesinnung  niemals  Utopien 
nachlief.  Er  dachte  niemals  daran,  mit  einem 
Schlage  dieses  Weltrecht  herbeizaubern  zu 
können  und  ging  deshalb  lediglich  darauf 
hinaus,  den  Grundstein  zu  legen.  Und  dies 
ist  ihm  in  vollstem  Maße  gelungen.  Die  vier 
Konferenzen,  die  in  den  letzten  zwanzig  Jahren 
im  Haag  über  internationales  Privatrecht  ab- 
gehalten wurden,  sind  Assers  Werk..  Er  hat 
ihre  Organisation  in  die  Hände  genommen 
und  sie  erfolgreich  durchgeführt.  Kein 
Wunder,  daß  er  in  Anerkennung  dieser  Ver- 
dienste auf  allen  diesen  Staaten  Versammlungen 
ebenso  wie  auf  den  Konferenzen  für  das  Welt- 
wechselrecht zum  Vorsitzenden  ernannt  wurde. 
Ein  hervorragender  Delegierter  zur  zweiten 
Haager  Friedenskonferenz  erklärte  mir  einmal, 
wenn  man  auf  den  Konferenzen  für  inter- 
nationales Privatrecht  nicht  mehr  weiter  ge- 
konnt habe,  dann  habe  man  Asser  in  die 
Kommission  geholt,  und  der  habe  den  Knoten 
schnell  durchhauen.  Assers  Werk  über  inter- 
nationales Privatrecht  ist  auch  in  fremde 
Sprachen  übersetzt  worden. 

Nicht  minder  bedeutsam  war  die  Rolle 
des  holländischen  Staatsministers  auf  völker- 
rechtlichem Gebiete.  Bereits  im  Jahre  1869 
begründete  er  zusammen  mit  seinen  Freunden 
Westlake  und  Rolin-Jaequemyns  die  Revue  de 
droit  international  et  de  16gislation  comparee, 
die  heute  noch  besteht  und  lange  Zeit  die 
einzige  völkerrechtliche  Zeitschrift  blieb,  ferner 
das  berühmte  Institut  für  Völkerrecht.  Schon 
bald  wurde  man  in  den  Kreisen  der  hollän- 
dischen Regierung  auf  ihn  aufmerksam,  be- 
rief ihn  in  den  Staatsrat  und  delegierte  ihn 
auf  zahlreiche  Konferenzen,  so  in  die  K©n- 
ferenz  zur  Vereinheitlichung  des  Eisenbahn- 
frachtverkehrs, zum,  ßchutze  der  unterseeischen 
Kabel,  zur  Neutralisierung  des  Suezkanals  und 
zur  Regelung  der  Kongofrage.  Besonderen 
Ruhm  hat  sich  Asser  durch  seine  Verdienste 


auf  den  Haager  Friedenskonferenzen  er- 
worben. Hier  spielte  er  eine  entscheidende 
Rolle,  und  namentlich  in  dem  Schiedsgerichts- 
ausschusse der  ersten  Haager  Konferenz  hat 
er  segens voll  gewirkt.  Als  der  deutsche  Dele- 
gierte Zorn  im  Juni  1899  den  ständigen 
Schiedshof  ablehnte,  da  stand  Asser  als  erster 
auf  und  bat  Zorn,  in  seiner  Schlußfolgerung 
weniger  bestimmt  zu  sein  und  in  einer  so  wich- 
tigen Frage  doch  noch  einmal  an  seine  Re- 
gierung zu  berichten.  Bekanntlich  fuhr  dann 
Zorn  noch  einmal  nach  Berlin  und  erreichte 
auch,  daß  die  deutsche  Regierung  der  Er- 
richtung des  Haager  Schiedshofes  zustimmte. 
Interessant  ist  auch,  daß  Asser  1899  im  Gegen- 
satze zu  der  deutschen  Delegation  mit  Ent- 
schiedenheit dafür  eintrat,  die  Vermittlung 
obligatorisch   zu   gestalten. 

Auch  auf  der  zweiten  Haager  Konferenz 
spielte  Asser  eine  bedeutsame  Rolle.  Mit 
seinem  klaren  Blicke  sah  er  vollkommen  vor- 
aus, daß  der  Weltschiedsvertrag  infolge  des 
Widerstandes  Deutschlands  und  Oesterreichs 
nicht  zustande  kommen  würde,  und  er  sagte 
mir  einmal,  es  sei  doch  zwecklos  gewesen, 
daß  der  Präsident  der  Kommission,  der  frühere 
französische  Ministerpräsident  Bourgeois,  die 
Konferenz  vier  Monate  in  dieser  Frage  auf- 
gehalten habe.  Asser  war  eben  trotz  seiner 
idealen   Gesinnung  vollkommen   Realpolitiker. 

Der  Friedensbewegung  als  solcher  stand 
Asser  sympathisch  gegenüber,  obwohl  er  sich 
in  keiner  Weise  direkt  an  ihr  beteiligte.  Er 
war  zwar  Mitglied  der  holländischen  Friedens- 
gesellschaft und  des  internationalen  Friedens- 
instituts in  Monako  (jetzt  in  Paris)*),  auch  hat 
er  den  Nobelpreis  zusammen  mit  Fried  und 
anläßlich  der  Einweihung  des  Friedenspalastes 
den  Ehrendoktor  der  Universität  Leyden  eben- 
falls1 zusammen  mit  Fried  erhalten.  Aber 
seine  pazifistische  Gesinnung  Ist  doch  wenig 
hervorgetreten.  Daß  er  aber  ganz  auf  Seiten 
dieser  Bewegung  stand,  mag  man  daraus  er- 
sehen, daß  er  mir  einmal  mit  großer  Be- 
wunderung von  dem  Friedensaposter  Stead 
und  mit  großem  Unwillen  über  das  bekannte 
Buch  v.  Stengels  ,, Weltstaat  und  Friedens- 
problem" sprach.**) 

Mit  dem  75jährigen  Asser  scheidet  ein 
selten  begabter  Mann  von  wahrhaft  idealer 
Gesinnung  dahin,  der  in  der  Geschichte  des 
internationalen  Rechts  als  einer  der  Aller- 
größten fortleben  wird. 

Dr.  Hans  Wehberg. 


*)  Nach     einer     Liste      in      „Friedenswarte", 
1903,    S.  37. 

**)  Die  Worte  Assers  über  Stengels  Buch 
waren  von  solcher  Schärfe,  daß  ich  sie  im  ein- 
zelnen erst  in  späterer  Zeit  wiedergeben  möchte. 


306 


<§= 


DIE  FRIEDEN5->M&DXE 


Die  Sünden  Bulgariens. 

Von  Richard  Gädke,  Berlin-Steglitz, 
früher    Oberst    und    Regimentskommandeur. 

Die  gegenwärtige  Lage  Bulgariens  ist 
ein  Schulbeispiel  für  die  Folgen  einer  chauvi- 
nistischen, imperialistischen  Politik,  die  alles 
auf  die  Schärfe  des  Schwertes  stellt  und  den 
internationalen  Zusammenhang  der  Dinge 
übersehen  zu  können  glaubt.  Vielleicht  nie- 
mals ward  eine  anfänglich  überaus  günstige 
Lage  derart  verdorben  und  in  ihr  Gegenteil 
verkehrt  durch  eine  kurzsichtige  Habgier,  die 
den  Nachbarn  nichts  gönnte  und  mit  einem 
Schlage  auf  dem  Wege  brutalster  Gewalt  die 
Vorherrschaft  des  eigenen  Staates  gewinnen 
wollte.  Hätten  die  Staatsmänner  Bulgariens 
auch  nur  ein  mittleres  Maß  von  Einsicht  und 
Vernunft  besessen,  so  lag  in  der  Tat  ein 
militär-politischer  Bund  der  Balkanstaaten 
nicht  außerhalb  des  Bereichs  der  Möglichkeit. 
Und  damit  konnte  eine  neue  Großmacht  ent- 
stehen, die  durch  die  Art  ihrer  Organisation 
selbst  eine  Gewähr  für  den  Frieden  Europas 
gewesen  wäre.  Es  konnte  ein  dauerndes 
Staatengebilde  sich  erheben,  das  eine  der 
größten  Quellen  aller  Beunruhigung  ver- 
stopft hätte.  Die  gegenseitigen  Eifersüchte- 
leien der  Großmächte  gerade  auf  diesem  vul- 
kanischen Boden  wurden  beseitigt;  der 
Staatenbund  wäre  mächtig  genug  gewesen, 
sich  in  voller  Unabhängigkeit  zwischen  Oester- 
reich  und  Rußland  zu  behaupten.  Sogar 
der  Bestand  der  asiatischen  Türkei  konnte 
gesichert,  ihr  Zeit  und  Möglichkeit  für  eine 
grundlegende  Erneuerung  geboten  werden. 
Welche  Aussichten!  Welch  Glück  für  den 
dauernden   Frieden   Europas ! 

Wie  hat  sich  das  jetzt  geändert !  Es  ist 
nur  ein  magerer  Trost,  wenn  durch  die  Be- 
mühungen der  Diplomaten  diesmal  vielleicht 
der  allgemeine  Frieden  noch  wird  erhalten 
werden,  hauptsächlich  darum,  weil  die  Furcht 
vor  den  Folgen  eines  großen  Zusammen- 
stoßes in  friedlichem  Sinne  wirkt,  und 
weil  beinahe  alle  maßgebenden  Staaten 
sich  inmitten  neuer  gewaltiger  Rüstungen  be- 
finden. Laßt  sie  erst  vollendet  sein,  und  ihr 
werdet  sehen,  wie  der  Wetterwinkel  am 
Balkan  und  in  Kleinasien  seine  unheilvollen 
Wirkungen  äußert,  bereit  alles,  was  gesittete 
Männer  im  Laufe  langer  Jahre  mit  unend- 
licher Mühe  und  Geduld  aufbauen,  mit  einem 
einzigen  Sturmeshauche  zu  zerstören.  Denn 
es  ist  ja  nicht  der  große  Gegensatz  zwischen 
den  beiden  Teilstaaten  des  alten  Reiches 
Karls  des  Großen,  von  dem  aus  der  ver- 
heerende Kriegssturm  ausgehen  wird.  Dazu 
sind  denn  doch  die  Staatsmänner  und  die 
Parlamente  auf  beiden  Seiten  der  Vogesen 
zu  gewissenhaft  und  besonnen,  die  chauvi- 
nistischen Schreier  und  kriegslüsternen  Gene- 
rale bei  weitem  nicht  mächtig  genug,  um 
so  aus  dem  Handgelenke,  ohne  einen  Grund, 
der  die  Massen  in  ihren  Tiefen  aufregt,  einen 


Kriegsbrand  zu  entfesseln.  Wo  aber  sind  denn 
die  großen  Interessengegensätze  zwischen 
Frankreich  und  Deutschland?  In  Afrika  ist 
die  Kolonialfrage  auf  absehbare  Zeit  ge- 
ordnet; Frankreich  hat  Marokko,  auf  das 
sein  moralisches  Anrecht  —  sit  venia  verbo  — 
jedenfalls  größer  war  als  das  unsrige;  und 
w  i  r  haben  die  Fiebersümpfe  am  Kongo 
als  Lohn  einer  wenig  umsichtigen,  wenig 
zielbewußten  Politik.  Ich  sehe  nirgends 
Reibungsflächen,  aus  denen  hier  noch  neue 
Konflikte  entstehen  könnten.  Um  Elsaß -Loth- 
ringen zurückzugewinnen,  werden  die 
Franzosen  schwerlich  einen  Krieg  vom  Zaune 
brechen.  Dies  Symbol  ist  prächtig,  um  das 
Volk  zu  militärischen  Opfern  willig  zu  machen, 
aber  es  hat  bei  der  lebenden  Generation 
längst  nicht  mehr  die  Wirkung,  um  es  der 
Rache  wegen  in  einen  gefährlichen  Krieg  zu 
stürzen.  Unsere  angebliche  Absicht  aber 
auf  Belgien  ist  eine  ausschweifende  Phantasie, 
von  der  sich  nur  besonders  törichte  Franzosen 
umnebeln  lassen.  Frankreich  und  Deutschland 
sind  gewiß  durch  manche  Erinnerung  und 
durch  die  schwere  Demütigung  von  1870 
getrennt,  aber  ohne  großen  äußeren  Anlaß 
wird  die  Abneigung,  die  daraus  hervor- 
geht, schwerlich  zu  einem  Kriege  zwischen 
beiden  Völkern  führen.  Diesen  äußeren  An- 
laß kann  nur,  soweit  wir  irgend  die  Lage  zu 
überblicken  vermögen,  die  Entwicklung  der 
Dinge  auf  dem  Balkan  und  in  Kleinasien 
I  geben.  Auch  sie  nicht  einmal  unmittelbar; 
sondern  weil  hier  die  großen  Interessengegen- 
sätze zwischen  den  beiderseitigen  Verbündeten 
bestehen,  die  die  beiden  größten  Militär- 
staaten der  Welt,  Selbst  widerwillig,  in  ihren 
verderblichen  Strudel  zu  ziehen  vermögen. 

Ein  Balkanbund,  besonders  unter  Ein- 
schluß der  Türkei,  konnte  diese  Interessen- 
gegensätze mildern,  selbst  beseitigen,  weil  er, 
wie  ich  oben  gesagt,  ein  lebensfähiges  Gebilde 
war,  das  den  Appetit  der  Nachbaren  in  seine 
Grenzen  zurückwies.  Der  Zustand  aber,  wie 
er  höchstwahrscheinlich  aus  den  Konferenzen 
von  Bukarest  hervorgehen  wird,  ist  voll  der 
größten  Gefahren.  Er  kann  höchstens  ein 
labiles  aber  kein  stabiles  Gleichgewicht  er- 
geben. Unmittelbar  nach  dem  Friedens- 
schlüsse werden  die  Rüstungen  und  die  In- 
triguen  von  neuem  beginnen,  und  man  wird  ver- 
suchen, die  vorläufige  Entscheidung  durch 
eine  endgültige  zu  ersetzen.  Nicht  friedliches 
Nebeneinanderleben  von  Staaten,  die  den  Fort- 
schritten der  Kultur  zustreben  wollen,  wird 
die  Folge  sein,  sondern  gegenseitige  Eifer- 
sucht, vermehrte  Gegensätze,  Anziehung  der 
Rüstungsschraube,  Ehrgeiz,  der  anstatt  des 
Glückes  der  Bürger  die  Machterweiterung" 
durch  das  Schwert  sucht !  Und  in  dieses  gegen- 
seitige Intriguenspiel  werden  Rußland  und 
Oesterreich,  Italien  und  Frankreich,  Deutsch- 
land und  England  hineingezogen  werden. 
Denn  die  traurige  Entwicklung  der  Dinge  läßt 
ihnen   die   Möglichkeit   eigener   Machter- 


307 


DJE  FRIEDENS  ^VADTE  = 


© 


erweiterung  und  darum  auch  die  böse  Lust 
danach.  Wenn  man  dort  noch  immer  im 
trüben  fischen  kann,  so  ist  es  klar,  daß  nie- 
mand dem  anderen  den  fetten  Bissen  gönnt. 
Man  spricht  von  einem  Gleichgewicht  der 
Balkanstaatenwelt,  das  sich  aus  dem  neuen 
Kriege  ergeben  solle  und  werde;  aber  gerade 
dies  Gleichgewicht  ist  ihrer  aller  Schwäche, 
es  eröffnet  der  Einmischung  der  Großmächte 
freie  Bahn,  und  hält  die  Wunde  offen,  die 
sie  sich  jetzt  gegenseitig  schlagen. 

Schon,  daß  Bulgarien  mit  zäher  Hart- 
näckigkeit auf  den  ungeteilten  Besitz 
von  Adrianopel  bestand,  das  ihm  die  Türken 
bereits  zur  Hälfte  abgetreten  hatten,  war  ein 
schwerer  Fehler.  Es  brachte  ungeheure  neue 
Opfer,  sich  der  Festung  zu  bemächtigen, 
Während  die  anderen  Verbündeten  leichte 
Siege  gewannen  und  ihre  Heere  reorgani- 
sieren und  vermehren  konnten.  Nur  eine 
außerordentliche  Ueberschätzung  der  eigenen 
Kraft  kann  die  Staatsmänner  und  Generale 
des  Zaren  Ferdinand  zu  dieser  Verlängerung 
des  Krieges  bewogen  haben.  Wenn  die 
Griechen  sie  in  dieser  kranken  Staatskunst 
bestärkt  haben  sollten,  so  mag  es  nicht  ge- 
rade machiavellistische  Bosheit  gewesen  sein, 
sondern  mehr  der  Wunsch  mit  der  Uebergabe 
Adrianopels  an  Bulgarien  für  sich  selbst 
Saloniki     und    vielleicht    Kawala   zu    sichern. 

Jedenfalls  stellte  sich  alsbald  heraus,  daß 
die  Bulgaren  gerade  noch  Adrianopel,  mehr 
durch  Aushungerung  als  durch  Gewalt, 
nehmen,  aber  'weiter  nicht  vorzudringen  ver- 
mochten. Weder  die  Tschataldjastellung  noch 
die  heißersehnte  Halbinsel  Gallipoli  waren 
sie  imstande  zu  bezwingen,  obwohl  sie 
durch  zwei  serbische  Divisionen,  gut  30  000 
Mann,  unterstützt  waren.  Wenn  ihnen  also 
das  politische  Ziel  vorgeschwebt  hatte,  festen 
Fuß  am  Marmarameere  und  nahezu  vor  den 
Toren  von  Konstantinopel  zu  fassen,  Adria- 
nopel aber  in  umgekehrter  Entwicklung  der 
osmanischen  Geschichte  zur  Hauptstadt  von 
Groß-pBulgarien  zu  machen,  ehe  ihnen  in 
einem  späteren  Feldzuge  Konstantinopel  als 
reife  Frucht  in  die  Hand  fiel,  so  mußten 
sie  dieser  Sehnsucht  entsagen.  Schon  hier 
bewies  ihnen  das  Schicksal,  daß  ihre  Kraft 
geringer  war  als  ihr  Wünschen  und 
Hoffen,  daß  der  zweite  Feldzug  politisch 
militärisch,  finanziell,  unnütze  Opfer  von  ihrem 
Volke  gefordert  und  nahezu  ein  leichtfertiges 
Verbrechen   gewesen   war. 

Sie  zogen  leider  keine  Lehre  daraus  für 
die  Zukunft.  Es  ist  fast  ausnahmslos 
eine  schlechte  Politik,  die  die  verlorenen 
Feldzüge  im  Gefolge  hat.  Weit  inniger 
noch,  als  wir  gewöhnlich  träumen,  betäubt 
von  der  blutigen  Gewalt  der  Schlachten- 
schläge, hängen  Politik  und  Erfolg  eines 
Krieges,  wie  Ursache  und  Wirkung,  mit- 
einander zusammen.  Die  Bulgaren  sind  jetzt 
weniger,  als  die  Menschen  meinen,  mili- 
tärisch von  ihren  früheren  Verbündeten  über- 


wunden worden.  Sie  haben  sich  durch  ihre 
leichtfertige    Politik    selbst   gemordet. 

Dem  Fehler,  den  sie  den  Türken  gegen- 
über begingen,  fügten  sie  den  zweiten,  viel- 
leicht noch  schwereren  hinzu,  das  mächtige 
und  festgefügte  Rumänien  zu  reizen  und 
mittelbar  auch  Rußland  zu  verstimmen.  Na- 
türlich hat  Rumänien  ebenso  wenig  Anrecht 
auf  bulgarisches  Land,  als  dieses  auf  die 
Hadriansstadt  und  die  Gestade  der  Marmara. 
Ist  aber  einmal  eine  Prestige-  und  Erobe- 
rungspolitik auf  einer  Stelle  begonnen,  so 
frißt  sie  wie  ein  Krebsgeschwür  weiter  und 
reizt  die  Begehrlichkeit  der  Nachbarn.  Auch 
für  Rumänien  handelte  es  sich  nicht  um 
kulturelle  Fragen,  sondern  um  eine  nackte 
Vergrößerungspolitik,  um  jenen  Ehrgeiz  des 
Staates,  der  mit  dem  Glücke  der  Menschen 
wenig  gemein  hat,  um  die  berühmte  Politik 
des  Gleichgewichts,  die  in  Wahrheit  eine 
Politik  mißtrauischer  Räuberbanden  ist.  Aber 
da  die  Bulgaren  glaubten,  in  Bukarest  Türken 
vor  sich  zu  haben  und  nicht  ebenso  geriebene 
und  entschlossene  Männer  als  sie  selbst  sind, 
so  zerronn  in  diesem  Augenblick  der  schöne 
Traum  eines  Balkanbundes,  und  der  Krieg 
aller  gegen  lalle  ward  entfesselt.  Der  thra- 
zische  Krieg,  der  immerhin  einen  wirklichen 
Kulturfortschritt  hätte  anbahnen  können, 
wenn  er  ein  gemeinsames  Werk  höher  ge- 
sitteter Völker  gegen  primitivere  und  un- 
haltbar gewordene  Zustände  geblieben  wäre, 
ward  nun  ein  Unternehmen  sinnloser 
Menschenschlächterei,  und  brachte  den  un- 
glücklichen, den  „befreiten"  Völkerschaften 
namenlose  Leiden.  Mehr  wie  in  einem  anderen 
Kriege  ward  hier  die  Wut  der  verschiedenen 
Nationalitäten  zu  Taten  grausamster  Nieder- 
tracht gegeneinander  entflammt,  und  an- 
statt die  Gesittung  zu  heben,  ward  die  Bestie 
im  Menschen  freigemacht.  Es  ist  sehr 
gleichgültig,  wenn  sie  sich  gegenseitig  der 
Metzeleien  beschuldigen,  und  jeder  die  eigenen 
Hände  in  Unschuld  wäscht:  sie  sind  alle  in 
der  gleichen  Verdammnis,  und  auf  allen 
Seiten  sind  zweifellos  Taten  geschehen,  deren 
viehische  Wollust  zum  Himmel  stinkt.  Das 
sind  die  Folgen  des  bulgarischen  Großmachts- 
dünkels I 

Es  wäre  immer  noch  nicht  so  weit  ge- 
kommen, wenn  man  nicht  zugleich  die  beiden 
Verbündeten,  Serbien  und  Griechenland,  böse 
vor  den  Kopf  gestoßen  hätte.  Der 
Beuteanteil,  den  ihnen  Bulgarien  zuge- 
stehen wollte,  konnte  weder  das  eine  noch 
das  andere  zufrieden  stellen.  Nachdem 
man  einmal  den  Weg  des  Krieges  betreten 
hatte,  durften  hier  nicht  mehr  formale  Rechts- 
gründe entscheiden,  sondern  Grundsätze  der 
Billigkeit  und  der  Moral.  Sie  völlig 
außer  acht  gelassen  zu  haben,  darin  bestand 
der  größte  Frevel  der  bulgarischen  Politik. 
Besonders  Serbien  war  unzweifelhaft  benach- 
teiligt. Nachdem  Oesterreich-Ungarn  ihm 
den  Ausgang  zur  Adria  versperrt  hatte,  mußte 


308 


<5E 


E  DIE  FRlEDEN5->\^ErE 


es  notgedrungen  anderswo  Ersatz  suchen;  es 
durfte  ihm  jedenfalls  nicht  das  nackte 
Nationalitätsprinzip  entgegengestellt  werden, 
das  in  diesen  interessanten  Gegenden  so  un- 
klar und  verworren  wie  nur  möglich  ist. 
Nationalitäten  sind  hier  erst  im  Entstehen 
begriffen.  Dazu  kommt,  daß  gerade  Serbien 
weit  mehr  als  die  anderen  Staaten  des  Balkan 
in  seiner  Vereinzelung  ein  unfertiges  Staats- 
gebilde ist,  wie  einst  Piemont,  wie  einst 
Brandenburg-Preußen!  Es  muß  entweder 
untergehen  oder  sich  ausdehnen!  Die  Politik 
Oesterreichs  ihm  gegenüber  ist  voll  der  folgen- 
schwersten Fehler,  weil  sie  nicht  weiß,  was 
sie  will.  Sie  müßte  Serbien  verschlucken, 
oder    es   zum    Freunde   gewinnen. 

Ueberall  unter  den  sogenannten  Sachver- 
ständigen Europas  hat  man  die  militärischen 
Erfolge  der  Bulgaren  überschätzt,  die  der 
Griechen  und  Serben  unterschätzt.  Kein 
Wunder,  daß  jene  selbst  der  gleichen  Meinung 
waren.  In  Wahrheit  aber  hatten  sie  ein  un- 
fertiges Türkenheer  mehr  überrannt  als  eigent- 
lich geschlagen;  die  fortifikatorisch  nicht  eben 
großartige  Stellung  von  Tschadtaldja  hatten 
sie  nicht  mehr  zu  stürmen  vermocht.  Anderer- 
seits hatten  die  Serben  sich  bei  Kumanowo 
und  bei  Monastir  ernsthaft  und  tüchtig  ge- 
schlagen, während  die  Griechen,  die  aller- 
dings leichtere  Arbeit  vorfanden,  mindestens 
strategisch  sehr  gut  geführt  waren.  Aber  die 
falsche  Beurteilung  der  gegenseitigen  Kraft- 
verhältnisse durch  die  Bulgaren  ist  ein  klassi- 
sches Beispiel  dafür,  wie  schwer  es  ist, 
sich  von  dem  wahrscheinlichen  Ausgang  eines 
großen  Krieges,  von  dem  Werte  feindlicher 
Armeen  vor  dem  Gottesgerichte  der  Schlacht 
ein  irgendwie  zutreffendes  Bild  zu  machen. 
Der  Ausgang  eines  jeden  großen  Krieges  liegt 
immer  erst  nachträglich  in  seiner  Bedingt- 
heit, in  seinen  Ursachen  klar  vor  unsern  Augen. 
Vorher  ist  er  das  größte  Hasardspiel;  und 
man  mag  eher  hoffen,  die  Bank  von  Monako 
zu  sprengen,  als  in  einem  Kriege  mit  einem 
der  großen  Militärstaaten  Sieger  zu  bleiben. 
Wenn  unsere  Diplomaten  einige  Fähigkeit  in 
ihrem  Berufe  und  einige  Gewissenhaftigkeit 
besitzen,  muß  gerade  diese  Erfahrung  sie 
friedliebend  stimmen  und  dem  Gedanken  der 
Schiedsgerichte  geneigt  machen.  Auch  vor 
einem  Gerichtshofe  mag  das  Recht  nicht 
immer  zum  Siege  gelangen,  aber  niemals  gibt 
es  dort  ein  Lotto,  wie  es  das  Schlachtfeld 
ist;  niemals  die  blutige  Größe  des  Einsatzes! 

Zu  der  Ueberschätzung  ihres  eigenen  mili- 
tärischen Wertes  kam  dann,  wie  es  unter 
solchen  Umständen  und  bei  einer  an  sich 
kurzsichtigen  und  zugleich  abenteuerlichen 
Politik  immer  zugehen  pflegt,  der  schwere 
Fehler  einer  falschen  Versammlung  der 
Hauptkräfte.  Ihre  Anhäufung  an  der  serbi- 
schen Südostgrenze  mit  der  demonstrativen 
Bedrohung  von  Belgrad  war  nur  dann  ge- 
rechtfertigt, wenn  man  dort  auf  rasche  Er- 
folge hoffen  konnte,  ehe  die  verhältnismäßig 


schwache  Aufstellung  in  Mazedonien  über- 
wältigt wurde.  Aber  man  rechnete  freilich 
auch  hier  auf  den  Sieg,  weil  man  die  Energie 
der  griechischen  Heerführung  bei  weitem 
zu  gering,  die  Schwierigkeiten  des  Landes 
und  der  Verpflegung  bei  weitem  zu  hoch 
einschätzte.  Man  glaubte,  die  Serben  durch 
einen  Flankenangriff  von  Süden  her  auf- 
rollen zu  können,  ehe  die  griechische  Ein- 
wirkung zur  Geltung  käme.  Dieser  Fehler  im 
Kalkül  ist  nahezu  unverzeihlich,  weil  die 
Erfahrung  des  Winterfeldzuges  für  eine  hohe 
Entschlossenheit  und  Gewandtheit  der  griechi- 
schen Heeresleitung  zeugte.  Auch  die  smarte 
und  rasche  Art,  wie  man  ihnen  Saloniki  vor 
der  Nase  wegschnappte,  hätte  den  hoch- 
mütigen Bulgaren  zu  denken  geben  sollen. 
Im  ganzen  genommen,  ist  der  Feldzug 
von  ihnen  schlecht  eingeleitet  und  schlecht  ge- 
führt worden;  hoffnungslos  aber  wurde  er,  als 
die  Rumänen  eingriffen.  Ohne  sie  wäre  der 
Kampf  wahrscheinlich  ohne  endgültige  Ent- 
scheidung an  den  alten  bulgarischen  Grenzen 
zum  Stillstand  gekommen,  und  die  allge- 
meine Erschöpfung  hätte  dem  zwecklosen 
Morden  ein  schließliches  Ziel  gesetzt.  Nun 
ist  Bulgarien  so  gebeugt,  wie  wohl  noch  nie 
ein  Land  nach  glänzenden  Siegen;  noch  nie 
wohl  ist  einem  meteorgleichen  Aufstieg  so 
rascher  Fall  gefolgt!  Des  alten  Aeschiylus 
Erfahrung  wird  aufs  neue  bestätigt: 

—    „daß   nicht   zu   hoch    der    Mensch   das 

Haupt    erhebe  I 
Blühender  Uebermut  trägt  schon  die  Aehre 
Der   Schuld,   zu  tränenreicher   Ernte  reif!" 

Das  arme,  vielgeprüfte  Volk,  für  das  ein 
Menschenopfer  von  angeblich  100  000  blühen- 
den Leben  einen  ungeheuren  Aderlaß  be- 
deutet (als  ob  Deutschland  im  Feldzuge  von 
1870  die  Zahl  von  einer  Million  Männer  ver- 
loren hätte!),  hat  nur  den  einen  Trost 
und  die  eine  Hoffnung,  daß  für  die  Groß- 
mächte seine  Erhaltung  eine  Notwendigkeit 
bedeutet.  Ein  Großserbien  an  seiner  Stelle 
würde  den  sofortigen  europäischen  Krieg 
zur  Folge  haben.  Bulgarien  wird  also 
verhältnismäßig  gnädig  davonkommen,  mag 
vielleicht  sogar  Adrianopel  wieder  gewinnen  — 
vielleicht!  Aber  der  Traum  von  seiner  Vor- 
machtstellung auf  dem  Balkan  ist  ausgeträumt; 
und  diese  Enttäuschung  wird  am  besten  Marke 
des  Landes  zehren  und  es  zu1  einer  steten  Quelle 
der  Besorgnis  für  Europa  machen.  Erstjetzt 
wird  die  Lage  auf  dem  Balkan  wirklich  bedroh- 
lich, gerade  weil  an  einen  Balkan b  und 
nicht  mehr  zu  denken  ist.  Und  weil  alles 
von  neuem  in  Frage  gestellt  ist!  Wer  kann 
die  Türken  anklagen,  nachdem  die  Bul- 
garen mit  so  schlechtem  Beispiel  vorange- 
gangen sind?  Und  wer  schließlich  die  Bul- 
garen verurteilen,  da  ja  die  Großmächte 
Europas  einig  immer  nur  in  der  Negative, 
in  der  Passivität  waren.  Der  Ehrgeiz  des 
kleinen     Landes     ist    durch    die    eine     klare 


309 


DIE  FßlEDEN5-^\ETE 


Erkenntnis  auf  falsche  Bahnen  gelenkt 
worden,  daß  es  von  den  Großmächten 
nichts  zu  fürchten  habe,  weil  diese  selbst  so- 
fort in  den  schwersten  Zwist  geraten  wären, 
wenn  sich  eine  von  ihnen  zu  einer  positiven. 
Tat  entschlossen  hätte.  In  dieser  mangeln- 
den Einheit  des  politischen  Ziels  liegt  ein  be- 
unruhigendes Symptom  für  die  nächste 
Zukunft. 

Offener  Brief  an  Seine  Ejccellenz 

den  Generalleutnant  z.  D. 
von  Reichenau  in  Düsseldorf. 

Sehr  geehrte  Excellenz! 

In  einem  am  27.  Juli  im  „Tag"  erschie- 
nenen Leitartikel  über  „die  qualitative  Seite 
der  Heeresverstärkung"  schreiben  Sie  einige 
ausgezeichnete  Worte  über  die  Gefahren 
eines  heutigen  Krieges :  „Täuschen  wir  uns 
nicht",  so  sagen  Sie  in  Ihrem  fachmännischen 
Aufsatze,  „über  den  Ernst  der  Lagel  Mehr 
wie  der  30  jährige  Krieg  würde  jetzt  ein 
Krieg  von  nur  30  Wochen  die  Kultur  eines 
Landes  zurückwerfen,  in  dessen  Grenzen  der 
Kampf  sich  abspielte,  dessen  Felder  von  den 
Millionenheeren  zerstampft,  dessen  industrielle 
Produktion  lahmgelegt,  und  dessen  bewegliche 
Werte  vom  Gegner  in  Anspruch  genommen 
würden.  Je  höher  der  Kulturwert  eines 
Landes  gestiegen  und  je  größer  sein  Besitz- 
stand ist,  desto  schwerer  lastet  die  Faust 
des  Krieges  auf  ihm,    wenn  es  unterliegt." 

Nun  muß  jeder  Klardenkende  zugeben, 
daß  die  Besiegung  Deutschlands  in  einem 
Kriege,  so  w,enig  wahrscheinlich  sie  sein 
mag,  doch  immerhin  nicht  ganz  ausge- 
schlossen ist  und  daß  daher  der  wahre 
Patriot  dahin  streben  muß,  seinem  Vater- 
lande einen  Krieg  zu  ersparen.  Ist  es  uns 
also  möglich,  wenn  auch  in  langer  ununter- 
brochener Arbeit,  dahin  zu  gelangen,  daß 
Kriege  zum  wenigsten  seltener  werden,  dann 
haben  wir,  wie  auch  .einmal  Zorn  betont 
hat,  unserem  Lande  einen  unschätzbaren 
Dienst  erwiesen. 

Die  Schlußfolgerungen,  die  nun  Eure 
Excellenz  aus  dem  bisherigen  Resultate  ziehen, 
sind  nun  allein  die,  daß  wir  nach  besten 
Kräften  gerüstet  sein  müssen.  Sie  bedauern 
von  diesem  Standpunkt  aus  mit  vollem  Rechte, 
daß  wir  so  viele  „Krüppel  und  solche  unter 
uns  haben,  deren  seelische  Schwungkraft 
flügellahm  geworden  ist". 

Gegen  Ihre  Forderung  möglichst  tüch- 
tiger Wehrhaftmachung  will  ich  mich  an 
dieser  Stelle  keinen  Augenblick  wenden.  Man 
kann  ihr  sogar  mit  gewissen  Modifikationen 
von  pazifistischer  Seite  aus  zustimmen  Was 
ich  aber  in  Ihrem  Aufsatze  nicht  für  richtig 
halten  kann,  ist  dies: 

Sie  reden  von  der  „Naturnotwendigkeit 
des  Krieges".   Sie  berufen  sich  dabei  vielleicht 


auf  die  Vergangenheit,  die  meines  Erachtens 
gar  nichts  beweist;  denn  die  Menschheit 
befindet  sich  in  einer  steten  Entwicklung, 
und  Sklaverei,  Hexenzauber  und  Inquisition 
sind  auch  von  uns  überwunden  worden.  Aber 
vor  allem  sollte  Ihnen  doch  die  Geschichte 
der  jüngsten  Balkankriege  gezeigt  haben,  daß 
wirklich  nicht  alle  Kriege  notwendig  sind. 
Als  Staatsmann  des  zu  Boden  geschmetterten 
Bulgariens  hätten  gewiß  auch  Sie  ein  Nach- 
geben für  besser  erachtet.  Und  die  Ge- 
schichte der  deutsch-französischen  Krisen  in 
den  letzten  Jahren  beweist  deutlich,  wie  viele 
Kriege  tatsächlich  vermieden  worden  sind, 
die  —  wären  sie  geführt  worden  —  von  ihnen 
wohl  als  Naturnotwendigkeit  bezeichnet  wor- 
den wären. 

Immerhin  läßt  sich  doch  nicht  eine  so 
heiß  umstrittene  Frage,  ob  der  .Krieg  eine 
Naturnotwendigkeit  ist,  kurzerhand  für  immer 
als  bejaht  hinstellen  und  nunmehr  daraus  die 
Schlußfolgerung  ziehen,  die  Pazifisten  jagten 
Utopien  nach.  Es  handelt  sich  bei  der 
Frage  von  der  Naturnotwendigkeit  des  Krieges 
um  ein  höchst  schwieriges  und  wissenschaft- 
liches Problem,  das  viel  zu  {heilig  ist,  als 
daß  man  darüber  mit  Leichtigkeit  hinweg- 
huschen könnte. 

Wenn  nun  (wie  zahlreiche  angesehene 
Männer,  auch  hohe  Offiziere  a.  D.,  —  denn 
auch  Admiräle  und  Generäle  sind  unter  den 
Führern  der  Pazifisten  und  im  Verband  für 
internationale  Verständigung  —  behaupten) 
die  Naturnotwendigkeit  des  Krieges  keines- 
wegs feststeht,  dürfte  es  dann  wohl  richtig  sein, 
eine  so  hochwichtige  Menschheitsfrage  mit 
einem  Achselzucken  beiseite  zu  schieben  ? 
Die  Pazifisten  erklären,  daß  der  Krieg  nur 
ein  Produkt  der  bisherigen  Entwicklung  ist 
und  mit  der  Organisation  der  Staaten,  mit 
der  immer  größeren  Abhängigkeit  der  Völker 
verschwinden  wird  und  zwar  umso  schneller, 
je  mehr  wir  diese  Organisation  fördern.  Das 
ist  freilich  nicht  das  Werk  einiger  Monate 
und  Jahre,  sondern  erfordert  jahrzehntelange 
treue  Arbeit  und  jene  seelische  Schwungkraft, 
die  nach  Ihrer  Meinung  den  Pazifisten  fehlen 
soll.  Wie  eigenartig,  daß  Sie  die  seelische 
Schwungkraft  nur  dem  zugestehen,  der  auf 
Ihr  Programm  schwört! 

Nein,  Excellenz,  die  seelische  Schwung- 
kraft ist  nicht  nur  bei  denen,  die  im  Feuer 
der  Schlachten  für  ein  ihnen  hohes  Ideal 
standhalten.  Auch  denen  kommt  sie  zu,  die 
für  die  hohen  und  letzten  Ziele  der  Mensch- 
heit trotz  des  Unverstandes  der  Mitwelt  ein- 
treten, die  für  ihren  Glauben  und  ihre  Ueber- 
zeugung  ebenso  tapfer  den  Tod  erleiden 
würden  wie  die  Helden  auf  dem  Schlacht- 
felde. 

Sie  sagten  schließlich,  der  Balkankrieg 
habe  gezeigt,  daß  alle  Beschwörungen  um  des 
lieben  Friedens  und  der  Menschlichkeit  willen 
sich  als  wirkungslos  erwiesen.  Diese  Aus- 
führungen zeigen,    daß   Ihnen  unbekannt  ist, 


310 


<§= 


=  DIE  FRI  EDENS  ->fc/ÄBXE 


was  wir  Pazifisten  wollen.  Wir  können  ja 
gar  nicht  an  einem  Tage  die  bisherige  Ent- 
wicklung verändern  und  deshalb  entmutigen 
uns  neue  Kriege  nicht,  sondern  es  folgt 
daraus  für  uns  nur  die  Notwendigkeit,  immer 
eifriger  an  dem  Ziele  der  großen  juristischen 
Organisation  der  Menschheit  zu  arbeiten.  Wer 
allerdings  die  Früchte  seines  Strebens  in 
wenigen  Augenblicken  erleben  will,  der  soll 
nicht  zu  uns  kommen.  Denn  die  gewaltige 
Tat,  die  wir  erstreben,  erfordert  zähen  Ide- 
alismus. 

Wenn  daher  Eure  Excellenz  in  Ihren 
interessanten  „Tag"  -  Artikeln  von  Voraus- 
setzungen ausgehen  wollten,  die  dem  Wesen 
der  Friedensbewegung  gerecht  würden,  so 
dürfte  das  vielleicht  im  Interesse  einer  Klärung 
der   hochbedeutsamen   Frage  liegen. 

Euer  Excellenz  sehr  ergebener 
Dr.   jur.   Hans  Wehberg,   (Düsseldorf). 

Brief  aus  denVereinigtenStaaten. 

Von  Henry  S.  Haskeil,  New  York. 
Die  Republik  Mexiko  und  die  Ver- 
einigten Staaten.  —  Der  neue  Frie- 
densvorschlag des  Staatssekretär. s 
Bryan.  —  Die  Vereinigten  Staaten 
und  Nicaragua.  —  Der  japanisch- 
amerikanische Streitfall.  —  Robert 
Bacons  Besuch  der  südamerikani- 
schen   Republiken. 

24.  Juli  1913. 
Die  öffentliche  Meinung*  beschäftigten  in 
den  letzten  Wochen  hauptsächlich  die  Be- 
ziehungen zwischen  der  Republik  Mexiko  und 
den  Vereinigten  Staaten.  Es  erscheint  unmög- 
lich, autoritative  Informationen  über  die  Er- 
eignisse in  Mexiko  zu  erhalten.  Die  empfange- 
nen Nachrichten  sind  widersprechend.  Soviel 
scheint  aber  festzustehen,  daß  sich  die  mexi- 
kanische Regierung  in  einer  sehr  prekären! 
Situation  befindet,  und  daß  die  Anhänger  der 
Verfassung,  die  \Gegner  der  jetzigen  Re- 
gierung sind,  wahrscheinlich  die  Majorität 
bilden.  Die  Regierung  der  Vereinigten  Staaten 
wurde  dringend  aufgefordert,  die  durch  den 
vorläufigen  Präsidenten  Huerta  angeführte 
Regierung  anzuerkennen;  es  verlautet  aber, 
daß  Präsident  Wilson  nicht  nur  dieser  Auf- 
forderung nicht  nachkommen,  sondern  auch 
veranlassen  will,  daß  die  Ausfuhr  von  Waffen 
nach  allen  Teilen  Mexikos  verboten  werde. 
Eine  Intervention  durch  die  Vereinigten 
Staaten  ist  nicht  möglich.  Ein  Vorschlag, 
der  Beifall  fand,  ging  dahin,  die  Vereinigten 
Staaten  möchten  in  Verbindung  mit  den 
größeren  Republiken  Latein -Amerikas,  wie  Ar- 
gentinien und  Brasilien,  in  Mexiko  intervenieren 
und  die  Wahl  eines  neuen  konstitutionellen 
Präsidenten  sichern.  Die  Verhältnisse  in 
Mexiko  scheinen  schlimmer  zu  werden,  und 
die  Ausländer  haben  große  materielle  Ver- 
luste und  vereinzelt  auch  Menschenleben  zu 
beklagen.  Die  finanzielle  Lage  ist  trostlos, 
und  es  ist  sicher,  daß  die  Verantwortlichkeit 


der  Vereinigten  Staaten  irgendeine  Aktion  in 
sehr  kurzer  Zeit  notwendig  machen  wird.  Der 
amerikanische  Gesandte  Henry  Lane  Wilson 
ist  nach  Washington  zu  einer  Konferenz  be- 
rufen worden  und  wird  diese  Woche  erwartet. 
Präsident  Wilson  und  Staatsrat  ~John  Bassett 
Moore  haben  alle  Phasen  der  Situation  sorg- 
fältig untersucht,  und  nach  Ankunft  des  Ge- 
sandten Wilson  wird  wahrscheinlich  eine 
Entscheidung  über  die  zu  verfolgende  Politik 
getroffen  werden. 

Staatssekretär  Bryan  teilt  mit,  daß  von 
den  39  Regierungen,  denen  sein  Friedens- 
plan vorlag,  20  geantwortet,  ihr  Interesse  dafür 
ausgedrückt  und  weitere  Details  verlangt 
haben.  Der  Plan  wurde  etwas  geändert,  aber 
der  endgültige  Vorschlag,  dem  Präsident 
Wilson  zustimmte  und  der  den  39  Nationen 
unterbreitet  wurde,  enthält  die  folgende  Be- 
stimmung: daß  alle  Streitfragen,  ohne  jede 
Ausnahme,  nach  dem  Versagen  der  diplo- 
matischen Aktion  einer  internationalen  Kom- 
mission unterbreitet  werden  sollen,  und  daß 
weder  der  Krieg  erklärt  noch  die  Feind- 
seligkeiten eröffnet  werden  dürfen,  bevor 
diese  Kommission  ihren  Bericht  erstattet  hat. 
Es  wird  vorgeschlagen,  ein  Jahr  für  die  Unter- 
suchung einzuräumen.  Diese  internationale 
Kommission  soll  aus  fünf  Mitgliedern  ge- 
bildet werden;  jede  Regierung  soll  einen 
ihrer  Staatsbürger  und  einen  fremden  Staats- 
angehörigen wählen;  alle  fünf  Mitglieder 
sollen  von  beiden  Regierungen  anerkannt 
werden. 

Dieser  Plan  wird  die  Vereinigten  Staaten 
veranlassen,  der  Frage  auf  Aufrechterhaltung 
des  Status  quo  während  der  Untersuchungs- 
zeit näherzutreten.  Es  wird  versuchsweise 
vorgeschlagen,  alle  Staaten,  die  diesen  Ver- 
trag abschließen,  zu  verpflichten,  einer  Er- 
haltung des  Status  quo  ihrer  Flotte  und  ihrer 
Armee  während  der  Untersuchung  bei- 
zustimmen, es  sei  denn,  daß  die  eine  oder  die 
andere  Partei  von  einer  dritten  Seite  bedroht 
werde.  In  diesem  Falle  müßte  die  sich  be- 
droht fühlende  Partei  der  anderen  vertrau- 
liche Mitteilung  davon  machen,  wodurch  ihre 
Verpflichtung,  die  Stärke  ihrer  Armee  und 
Flotte  unverändert  zu  erhalten,  aufhören 
würde.  Dadurch  würde  dann  diese  Verpflich- 
tung auch  für  die  andere  Partei  entfallen. 
Es  geschieht  zum  erstenmal,  daß  eine  große 
Nation  den  Vorschlag  macht,  Armee  und 
Flotte  auch  /vor  einem  drohenden  Kriege 
nicht  zu  erhöhen.  Wenn  dieser  von  den 
großen  Mächten  angenommen  wird,  würde 
dadurch  der  Anfang  zu  einer  allgemeinen 
Rüstungsbeschränkung    gegeben    sein.*) 

Kurz  vor  Schluß  der  Präsidentschaft 
Tafts  wurde  ein  Vertrag  zwischen  den  Ver- 
einigten Staaten  und  Nicaragua  abgeschlossen, 
der  aber  durch  den  Senat  noch  nicht  be- 
stätigt worden  ist.    Es  war  eine  der  nicht  er- 

*)  Der  erste  Vertrag  dieser  Art  mit  Salvador 
ist   bereits    unterzeichnet    worden.  Fr.  W. 


311 


CHE  FRIEDENS  -WAGTE 


:3 


ledigten  Angelegenheiten,  die  der  neue  Präsident 
übernahm.  Nun  wird  mitgeteilt,  daß  Staats- 
sekretär Bryan  auf  Veranlassung  des  Ge- 
sandten Von  Nicaragua  einer  wichtigen  Aende- 
rung,  die  die  Regierung  von  Nicaragua  unter 
das  Protektorat  der  Regierung  der  Vereinigten 
Staaten  stellt,  beigestimmt  habe.  Wenn  beide 
Regierungen  diesen  Vertrag  annehmen,  wird 
Nicaragua  ohne  Zustimmung  der  Vereinigten 
Staaten  einen  Krieg  nicht  erklären,  keine  Ver- 
träge mit  fremden  Regierungen  abschließen 
können,  die  darauf  ausgehen,  ihre  Selbständig- 
keit "zu  tangieren,  und  keine  öffentliche  Schuld 
kontrahieren,  die  über  die  gewöhnlichen, 
durch  die  Einnahmen  bestimmten  Hilfsquellen 
der  Regierung  hinausgeht.  Es  wird  den  Ver- 
einigten Staaten  das  Recht  zugestanden,  zu 
jeder  Zeit  Vorkehrungen  zu  treffen,  um  die 
Selbständigkeit  von  Nicaragua  zu  bewahren 
oder  Leben  und  Werte  zu  beschützen,  ferner 
das  Recht,  einen  Kanal  durch  Nicaragua  zu 
bauen  Und  eine  99jährige  Pacht  der  Fonseca- 
bai  und  der  zwei  Inseln  im  Caribean  zu  er- 
halten, mit  dem  Vorrecht,  diese  Pacht,  für 
die  3  000  000  Dollars  in  Gold  an  Nicaragua 
zu  bezahlen  wäre,  zu  erneuern. 

Dieser  Vorgeschlagene  Vertrag  wird  gün- 
stig beurteilt,  und  es  ist  wahrscheinlich,  daß 
ihn  der  Senat  sanktioniert  und  er  in  Kraft 
tritt.  Die  anderen  Republiken  Zentral-Amerikas 
kritisieren  diesen  Vorschlag  hauptsächlich  in 
bezug  darauf,  daß  ähnliche  Verträge  mit 
diesen  Staaten  abgeschlossen  werden  sollten. 
Die  Regierung  der  Vereinigten  Staaten  erklärte 
aber  offiziell,  daß  sie  sich  nicht  bemühen 
werde,  ähnliche  Verträge  ins  Leben  zu  rufen. 
Wenn  andere  Republiken  gleiche  Verträge  ein- 
gehen wollen, müßten  sie  dielnitiative  ergreifen. 
Es  wird  angenommen,  daß,  sobald  der  Ver- 
trag mit  Nicaragua  ratifiziert  ist,  der  große 
Vorteil;  der  diesem  Staate  dadurch  gesichert 
wird,  auch  andere  Republiken  Zentral- 
Amerikas  veranlassen  dürfte,  ähnliche  Ver- 
träge mit  den  Vereinigten  Staaten  ab- 
zuschließen. 

Sehr  spärlich  sind  die  Nachrichten  über 
den  Fortschritt  der  Unterhandlungen  zwischen 
den  Vereinigten  Staaten  und  Japan  in  bezug 
auf  das  Fremdengesetz  in  Kalifornien.  Es 
ist  bekannt,  daß  am  16.  Juli  die  zwei 
japanischen  Protestnoten  beantwortet  wurden. 
Diese  Antwort  anerkennt  die  japanischen 
Reklamationen  nicht,  daß  der  Vertrag  zwischen 
den  Vereinigten  Staaten  und  Japan  nicht  ein- 
gehalten wurde,  und  versucht  ferner,  eine 
schiedsgerichtliche  Lösung  dieser  Sache  als 
nicht  wünschenswert  erscheinen  zu  lassen.  Der 
erste  Eindruck  in  Japan  war  ein  ungünstiger, 
da  es  unverkennbar  erschien,  daß  die  Ant- 
wort dahin  führen  würde,  die  Diskussion  dieser 
Frage  ins  unendliche  zu  verlängern.  Das  Ver- 
halten der  japanischen  Regierung  und  einer 
Anzahl  prominenter  japanischer  Persönlich- 
keiten, die  nach  den  Vereinigten  Staaten  ge- 
sandt wurden,   um  dort   die   Bedingungen  zu 


erforschen  und  (den  Amerikanern  eine  ge- 
nauere und  bessere  Kenntnis  Japans  zu  ver- 
mitteln, war  freundschaftlich  und  versöhnlich. 
Weil  diese  Frage  nicht  in  kurzer  Zeit  er- 
ledigt werden  kann,  scheint  deshalb  die  Ge- 
fahr einer  Aenderung  in  den  freundschjaft- 
lichen  Beziehungen  zwischen  den  zwei  Re- 
gierungen ausgeschlossen.  Es  wird  allgemein 
erkannt,  daß  nur  in  einem  kleinen  Teil 
Amerikas  eine  gewisse  Bitterkeit  gegen  die 
Japaner  vorherrscht,  daß  aber  die  Majorität 
Ohne  Vorurteil  und  ohne  bösen  Willen  ist. 
Für  den  Herbst  wird  ein  Besuch  der 
südamerikanischen  Republiken  durch  Robert 
B  a  c  o  n ,  ehemaligen  Gesandten  in  Frank- 
reich und  früheren  zweiten  Staatssekretär,  in 
Aussicht  gestellt,  der  im  Rahmen  der  „Car- 
negie Endowment  for  international  peace" 
zum  Zwecke  internationaler  Verständigung  er- 
folgen soll.  Die  Reise  wird  Bacon  nach  Ar- 
gentinien, Brasilien,  Uruguay,  Chile,  Bolivien, 
Peru,  Ecuador,  Venezuela  und  Panama  führen. 

n  RANDGLOSSEN  U 
ZISB  ZEITGESCHICHTE 

Von  Bertha  v.  Suttner. 

August  1913. 
Vier  Wochen  lang  hat  der  Beuteauf- 
teilungskrieg auf  dem  Balkan  gewütet,  dann 
kam  ein  fünftägiger  Waffenstillstand,  schließ- 
lich der  Antrag  zu  dessen  dreitägiger  Verlänge- 
rung. Es  genügt  also  ein  Entschluß,  ein 
Befehl,  und  das  unvermeidliche  Elementar- 
ereignis „Krieg"  hört  auf.  Gibt  das  nicht 
zu  denken  ?  Für  acht  Tage  kann  man  „Die 
Waffen  nieder"  dekretieren,  damit  unter- 
dessen Zeit  und  Muße  ist,  am  grünen 
Tisch  über  Grenzdemarkationen  zu  ver- 
handeln ?  Warum  versucht  man  nicht  ein- 
mal, ein  solches  Dekret  für  acht  Monate,  für 
acht  Jahre  —  für  immer  —  zu  erlassen,  um 
Zeit  und  Muße  zu  haben,  durch  Arbeit, 
Studium  und  Tat  das  Leben  der  Menschheit 
zu  immer  höherer  Entfaltung  zu  bringen? 
Das  gegenseitige  Morden,  Dörferanzünden, 
Augenausstechen,  Brückensprengen,  Leichen- 
giftverbreiten ist  doch  wirklich  keine  sehr 
zweckentsprechende  Methode.  Selbst  auf  den 
Schlachtfeldern  versagt  sie  schon  und  bringt 
keine  Entscheidung  mehr.  Früher  galt  doch 
erobertes  Gebiet  als  unbestreitbares  Eigen- 
tum :  jetzt  rücken  die  Sieger  irgendwo  hinein 
und  müssen  auf  Grund  von  Abmachungen 
Unbeteiligter  wieder  hinausrücken.  Die 
Soldaten  erkämpfen,  die  Diplomaten  er- 
feilschen die  Verteilung  des  Erkämpften,  und 
schließlich  kommen  noch  die  Mächte  und 
„überprüfen"    das   Erfeilschte. 

MB 

Und  nach  welchem  Grundsatz  wird  ge- 
kämpft, verhandelt,  geprüft  ?  Man  sollte 
glauben,    es    gäbe    da    nur   einen:    Gerechtig- 


312 


m 


DIE  FRIEDEN5-^fc*\RXE 


keit.  Das  ist  aber  gerade  das  einzige  Prin- 
zip, das  bislang  niemals  beachtet  worden  ist. 
—  Seit  Urzeiten  hieß  es  Gewalt  und  Macht. 
Die  Bemühung,  an  Stelle  dieser  beiden  Recht 
und  Billigkeit  zu  setzen,  die  führt  den  Namen 
Pazifismus,  und  es  ist  ihr  ja  schon  gelungen, 
sichtbare  und  wirksame  Organe  in  die  Er- 
scheinung zu  rufen.  Das  Haager  Tribunal 
steht  da.  Aber  unfertig.  Noch  kann  es  von 
den  Liebhabern  der  Macht  und  der  Gewalt 
unbeachtet  bleiben.  In  jüngster  Zeit  ist  im 
politischen  Felde  ein  neuer  Fetisch  auf- 
getaucht: Gleichgewicht.  Schlagworte 
sind  wie  Moden;  sie  verbreiten  sich  mit  der- 
selben Raschheit,  sie  erfreuen  sich  derselben 
Beliebtheit  und  sie  drängen  sich  mit  der- 
selben Tyrannei  auf,  wie  —  neue  Hutformen 
oder  ein  neuer  Gesellschaftstanz.  Das  durch 
den  Balkankrieg  verschobene  Gleichgewicht 
der  europäischen  Allianzen  diente  als  Be- 
gründung der  deutschen  Milliardenwehr- 
vorlage  und  der  darauf  folgenden  dreijährigen 
Dienstzeit  in  Frankreich;  das  mangelnde 
Gleichgewicht  zwischen  de#  Balkanverbün- 
deten zwang  sie,  sich  zu  zerzanken  und  sich 
zu  zerfleischen;  Rumänien  konnte  kein  Ueb er- 
gewicht der  Bulgaren  dulden  und  rückte  mit 
500  000  Mann  dagegen  aus,  war  aber  sofort 
bereit,  falls  Bulgariens  Gegner  ein  Ueber- 
gewicht  gewännen,  auch  gegen  diese  sich  zu 
kehren.  Die  patriotische  Begeisterung  der  Ru- 
mänen hätte  sich  heute  in  Haß  gegen  die  Bul- 
garen, Imorgen  'gegen!  die  Serben  und  Griechen 
äußern  müssen,  je  nach  den  Erfordernissen 
des  Gleichgewichts.  Alle.  Verhandlungen 
über  Grenzregulierungen  berufen  sich  auf  das 
Gleichgewichtsbedürfnis.  Der  König  von 
Griechenland  in  seiner  Proklamation,  die 
Delegierten  auf  der  Bukarester  Konferenz, 
alle  gebrauchen  sie  das  Zauberwort.  Sogar 
im1  französischen  Senat  bei  der  Verhandlung 
des  Gesetzes  über  die  dreijährige  Dienst- 
zeit führte  General  Pau  unter  allgemeinem 
Beifall  aus:  ,,Es  genügt  nicht,  stark  zu 
sein,  wir  müssen  auch  dem  Gegner  Respekt 
vor  unserer  Kraft  einflößen.  Dazu  ist  not- 
wendig, aus  unserer  militärischen  Organi- 
sation jedes  dem  Gleichgewicht  der 
Kräfte  widersprechende  Prinzip 
auszuschalten.  Anders  handeln,  hieße 
den  Gegner  in  Versuchung  führen."  Um 
recht  sicher  zu  ruhen  —  das  hat  man  uns 
schon  lange  gelehrt  — ,  müssen  die  Staaten 
sich  auf  Bajonette  setzen;  und  um  sich  in 
'dieser  bequemen  Stellung  zu  erhalten,  müssen 
sie  —  das  ist  die  neueste  Errungenschaft  — 
eine    Balancierstange    handhaben. 

Der  zweite  Balkankrieg  —  nämlich  der 
Beuteverteilungskrieg  zwischen  den  Siegern 
des  ersten  —  ist  zu  Ende.  Am  7.  August 
verkündete  die  europäische  Presse  den 
„Frieden  von  Bukarest"  und  jubelte,  daß  nun 
die  Welt  von  dem  Alp  dieses  fürchterlichen 
Krieges  befreit  ist,  und  die  Gefahr  einer 
europäischen  Konflagration  nicht  mehr  droht. 


Nicht  dieser  Krieg  war  ein  Alp,  sondern  der 
Krieg  als  Institution  lastet  schwer  auf  der 
menschlichen  Gesellschaft,  und  die  Gefahr 
eines  europäischen  Brandes  ist  so  lange  nicht 
behoben,  als  die  beiden  Mächtegruppen  sich 
nicht  zusammenschließen.  Nicht  der  „Frieden 
von  Bukarest"  bringt  irgendwelche  Bürg- 
schaft oder  Erlösung,  wohl  aber  kann  der 
Verlauf  des  Balkankrieges  dem  übrigen 
Europa  den  Anstoß  geben,  sich  zu  diesem 
rettenden  Zusammenschluß  aufzuraffen.  Auf 
der  kleinen  Halbinsel  standen  sich  eine  Million 
und  zweimalhundertausend  Soldaten  gegen- 
über und  die  addierten  Ziffern  der  Toten  — 
ohne  die  Ermordeten  und  die  Opfer  der 
Cholera  und  anderer  Epidemien  dazuzu- 
rechnen  —  ergeben  die  Zahl  350  000.  Die 
finanziellen  Kosten  betragen  fünf  Milliarden.*) 
Ich  möchte  den  Mathematikern  des  Gleich- 
gewichts raten,  einmal  statt  der  Balancier- 
stange eine  Wage  und  eine  Rechentafel  zur 
Hand  zu  nehmen  und  folgende  Abwägungen 
und  Berechnungen  vorzunehmen:  1.  Wie  ver- 
halten sich  die  gegebenen  Verluste  zu  den  durch 
den  ganzen  Feldzug  erreichten  Gewinnen  ? 
2.  Was  hätten  jene  Länder  mit  den  geopferten 
Menschenkräften  unter  Anwendung  der  ge- 
opferten Geldkraft  an  Kulturfortschritten  er- 
reichen können?  3.  Wie  hoch  würden  sich 
die  Verluste  beziffern,  wenn  statt  der  kleinen 
Balkanstaaten  die  europäischen  Großmächte 
miteinander   Krieg   führten  ? 


Uebrigens  ist  der  ganze  „Balkanfrieden" 
ziemlich  prekär.  Er  wurde  aus  purer  Er- 
schöpfung geschlossen.  Bulgarien  in  seiner 
Not,  bedrängt  von  fünf  Feinden,  muß  alle 
diktierten  Bedingungen  annehmen,  tut  es  aber 
unter  dem  Vorbehalt,  daß  es  auf  eine  Revision 
der  Mächte  oder  auf  eine  künftige  Revanche 
hofft.  Versöhnung,  Verbindung  liegt  da  nicht 
vor,  sondern  ein  durch  gegenseitiges  Gemetzel 
und  gegenseitige  Verleumdung  gesäter  unge- 
heurer Haß.  Zudem  ist  noch  eine  große 
ungelöste  Komplikation  da:  Die  Totgeglaubten 
Türken  sind  wieder  in  Adrianopel  ein- 
marschiert und  die  türkische  Armee  schwört, 
daß  sie  freiwillig  die  heilige  Stätte  nicht 
wieder  hergeben  wird.  Und  vom  Stand- 
punkte des  Kriegsrechts  hat  sie  ganz  recht. 
Jetzt  kommt  noch  die  Frage  der  ägäischen 
Inseln  dazu,  und  außerdem  das  unfertige  neu- 
geschaffene Albanien,  über  dessen  Südab- 
grenzung und  Thronbesetzung  man  sich  in 
London  noch  wird  die  Köpfe  zerbrechen 
muß.  Ueberhaupt,  der  Sonderbarkeiten  und 
der  Nochniedagewesenheiten  bietet  die  ganze 


*)  Diese  Ziffern  sind  der  Schätzung  eines 
Korrespondenten  des  „Corriere  della  sera"  ent- 
nommen, der  sämtliche  Balkanschlachtfelder 
besucht  hat.  Die  500  000  Mann  starke  mobili- 
sierte Armee  Rumäniens  ist  nicht  eingerechnet, 
da  sie  ja  nur  einen  widerstandslosen  Spazier- 
gang   gemacht    hat. 


313 


DIE  FßlEDEN5-^AßrE 


■3 


Balkanwirrnis  eine  Fülle.  Diese  Spontangeburt 
eines  selbständigen  Kulturstaates  aus  einem 
blutrache-treibenden  Bergvolke  heraus;  dann 
dieses  andere  Novum  und  Unikum:  der  Ein- 
marsch einer  halben  Million  Bewaffneter  ins 
Nachbarland,  wobei  es  zu  keinem  Schuß  und 
zu  keinem  Schwertstreich  kommt,  weil  der 
Ueberfallene  gar  keine  Verteidigung  versucht. 
Die  grausame  Invasion  (denn  grausam  ist  es 
doch,  einem  schon  halbtot  am  Wege  Liegen- 
den fünfmalhunderttausend  Pistolen  an  die 
Brust  zu  setzen:  „den  Streifen  Turtukaja  bis 
Baltschik  oder  das  Leben")  endet  mit 
einem  Depeschenwechsel  zwischen  Zar  Fer- 
dinand und  König)  Carol,  worin  der 
letztere  von  den  langjährigen  guten  Be- 
ziehungen spricht,  die  durch  die  letzten  Er- 
eignisse „ungetrübt  geblieben  sind".  Man  muß 
sich  an  die  Stirne  greifen  und  fragen:  Ist 
das  alles  ein  Kapitel  Weltgeschichte  oder  ein 
Operettentext  ? 


Die  Rubrik  „Greueltaten"  ist  in  den  letzten 
Wochen  dieses  Krieges  wieder  ungeheuer  ver- 
mehrt und  von  den  Angeschuldigten  heftig 
dementiert  worden.  Da  bliebe  immer  noch 
eine  Masse  gegenseitiger  Verleumdungsgreuel 
übrig.  Aber  die  Kriegsgeschichte  aller  Zeiten 
und  aller  Länder  zeigt,  daß  Verwüstungen, 
Verstümmelungen,  Plünderungen,  Mord- 
brennereien usw.  die  unausbleiblichen  Be- 
gleiterscheinungen der  Schlachten  sind.  Cest 
la  guerre.  Da  hilft  kein  Leugnen:  Hier  einige 
Muster  der  gegenseitigen  Anklagen:  „Sofia, 
21.  Juli.  Der  Kjommandeur  der  zweiten  Armee 
meldet:  Die  Serben  haben  die  Stadt  Rado- 
wischta  in  Brand  gesteckt  und  die  Bevölkerung 
niedergemetzelt.  Die  bulgarischen  Dörfer 
(folgen  sieben  Namen)  sind  von  den  Griechen 
zerstört  worden.  Ein  Teil  der  Bevölkerung 
ist  mit  den  Bulgaren  zurückgezogen.  Alle 
diejenigen,  die  nicht  rechtzeitig  flohen,  sind 
von  den  Griechen  niedergemacht  worden  oder 
verbrannt."  —  „Saloniki,  24.  Juli.  Von  der 
Bevölkerung  von  Doxato,  angesichts  der 
mit  vier  Feldgeschützen  herannahenden  Bul- 
garen, waren  etwa  100  Einwohner  zurückge- 
blieben, die  sich  in  ihren  Häusern  einschlössen. 
Sie  sahen  sich  den  ärgsten  Ausschreitungen 
der  bulgarischen  Truppen  preisgegeben. 
Frauen,  Kinder  und  Greise  wurden  schonungs- 
los massakriert,  die  Frauen  geschändet  und 
Säuglinge  von  den  Soldaten  auf  die  Bajonette 
gespießt  oder  durchs  Fenster  auf  die  Straße 
geworfen.  Auch  Offiziere  beteiligten  sich  an 
den  Greueltaten  sowie  Zivilbeamte,  darunter 
der  Friedensrichter  Bassow  und  der  Polizei- 
chef Pristow."  Dieser  vom  griechischen  Preß- 
bureau veröffentlichte  Bericht  scheint  mir  als 
ein  Muster  der  Verleumdungsmethode  gelten 
zu  können;  die  bajonettgespießten  Kinder 
klingen  mir  doch  zu  unglaubwürdig  und 
mahnen  an  die  Kriegsszenen  mittelalterlicher 
Holzschnitte.      Dagegen    kann    doch    der    fol- 


314 


gende  Bericht  über  das  Ergebnis  der  Unter- 
suchung des  österreichischjungarischen  und 
italienischen  Konsuls  in  Saloniki  nicht  als  eine 
tendenziöse  Erfindung  gelten:  „19.  Juli.  Die 
bulgarischen  Truppen  verließen  Serres  auf 
die  Meldung  von  der  Niederlage  der  bul- 
garischen Streitkräfte  bei  Lahara.  Sie  kehrten 
dann  aber  auf  die  Höhen  vor  der  Stadt  zurück 
und  begannen,  ohne  jeden  Anlaß,  wohl 
wissend,  daß  kein  griechischer  Soldat  in 
Serres  anwesend  war,  die  Stadt  zu  beschießen. 
Mehrere  Abteilungen  mit  Offizieren,  auch  viele 
Komitatschis,  drangen  in  die  Stadt  ein  und  be- 
gannen mit  Brandlegung  und  Gemetzel.  Man 
erkannte  mehrere  Offiziere.  Ganz  besonders 
betätigte  sich  der  Sekretär  des  Generals 
Bulkow."  Zum  Schluß  sei  noch  die  Depesche 
festgehalten,  die  der  König  von  Griechenland 
an  das  Ministerium  des  Aeußern  nach  Athen 
gerichtet  hat:  „Das  Hauptquartier  der  6.  Di- 
vision meldet :  Bulgarische  Soldaten  haben  auf 
Befehl  ihres  "Hauptmannes  den  Metropoliten 
von  Demir  iHissar,  zwei  Priester  und  mehr 
als  hundert  Notebein  in  den  Hof  der  Schule 
geführt  und  dort  getötet.  Bulgarische  Sol- 
daten haben  zu  gleicher  Zeit  zwei  Mädchen 
geschändet.  Ein  Mädchen,  das  Widerstand 
leistete,  wurde  grausam  ermordet.  Protestieren 
Sie  in  meinem  Namen  bei  den  Vertretern  der 
zivilisierten  Mächte  gegen  diese  Unholde  in 
Menschengestalt;  protestieren  Sie  auch  bei  der 
ganzen  zivilisierten  Welt  und  erklären  Sie, 
daß  ich  mich  zu  meinem  Bedauern  gezwungen 
sehen  werde,  Rache  zu  üben,  um  den  Un- 
holden Schrecken  einzuflößen  und  sie  zur  Be- 
sinnung zu  Dringen,  bevor  sie  wieder  ähnliche 
Verbrechen  begehen.  Die  Bulgaren  über- 
treffen alle  Greuel  der  vergangenen  barba- 
rischen Zeiten  und  beweisen,  daß  sie  kein 
Recht  mehr  haben,  sich  unter  die  zivilisierten 
Völker  zu  rechnen.     König  Konstantin." 

Dieses  Recht,  Ew.  Majestät,  hat  keines 
der  zeitgenössischen  Völker,  solange  diese  die 
barbarische  Institution  des  Krieges  beibehalten, 
solange  man,  um  Unholden  Schrecken  ein- 
zuflößen, sich  gezwungen  sieht,  anzukündigen, 
daß  man  selber  —  um  Rache  zu  üben  — 
als  Unhold  auftreten  will.  Rache  für  Taten, 
die  vielleicht  auch  Rache  waren,  und  die 
auch  wieder  Rache  hervorrufen  wird,  und  so 
ins  Unendliche.  Wo  ist  das  erste  und  wo  das 
letzte   Glied   dieser  unseligen   Kette? 

MB 

Barbarisierung'  der  Luft.  Eine  Depesche 
vom  29.  Juli  aus  New  York  meldet,  daß  der 
Flieger  Masson  über  dem  Hafen  Guogmas 
eine  Bombe  warf,  wodurch  das  mexikanische 
Kanonenboot  „Tambioo"  zerstört  wurde.  Die 
Nachricht  ist  weder  verblüffend,  noch  ist  sie 
bestätigt.  Das  Barbarische  liegt  in  dem 
Kommentar,  den  der  fachmännische  Mit- 
arbeiter der  „Presse"  an  die  Mitteilung  knüpft. 
„Die  Kriegsgeschichte  hat  ein  wichtiges  Er- 
eignis   zu   verzeichnen,"   so   beginnt   der   zwei 


@s 


DIE  FQ1  EDENS -^SkRXE 


Spalten  lange  Artikel.  Nun  wird  in  die  Zu- 
kunft geblickt:  „In  allen  Armeen  gibt  es  be- 
reits ein  ganzes  Arsenal  von  Geschossen  und 
Abwurfsvorrichtungen,  um  der  'Gefechtstätig- 
keit von  Luftfahrzeugen,  die  bisher  auf  Nach- 
richtendienst beschränkt  war,  ein  neues  "Ge- 
biet zu  eröffnen.  In  einem  künftigen  Kriege 
werden  die  Luftfahrzeuge  schwere,  mit  hoch- 
explosiblen Präparaten  gefüllte  Bomben,  Hand- 
granaten und  Brandgeschosse  an  Bord  führen 
una  yder  kriegerische  Zerstörungs-  uncf  Ver- 
nichtungsakt wird"  noch  ungeheurere  Efschei- 
nungsformen  annehmen.  Kriegshäfen  und 
Festungen,  Munitionsmagazine  werden  das 
Ziel  feindlicher  Aeroplanflüge  sein."  Und  so 
weiter  —  die  Beschreibung  der  entsetzlichen 
Wirkungen  geht  eine  Zeitlang  so  fort  und  nun 
kommt  die  Schlußfolgerung.  Man  erwartet 
etwas  wie  den  Vorschlag,  daß  die  nächste 
Haager  Konferenz  wieder  das  Verbot  des 
Bombenwerfens  aus  Luftfahrzeugen  erneuern 
solle,  oder  doch  eine  Betrachtung,  daß  dies 
nicht  so  fortgehen  könne  .  .  .  aber  im  sol- 
datischen Denkapparat  vollziehen  sich  die 
Schlüsse  in  ganz  anderer  Weise:  „Wir  haben 
heute  kein  besseres  Abwehrmittel  gegen 
Bombenwurf  aus  Flugzeugen,  als  die  Be- 
kämpfung der  feindlichen  Aeroplane  durch 
eigene  Flugmaschinen.  Eine  reichliche  Do- 
tierung der  Flotten  und  Kriegshäfen  mit  Flug- 
maschinen gibt  die  Möglichkeit,  ähnliche  Re- 
sultate zu  erzielen,  wie  der  Amerikaner 
Masson."  Kurz,  die  Moral  ist:  „wir  brauchen, 
dringend  und  massenhaft,  armierte  Flieger". 
Und  schöne  Damen  veranstalten  Blumentage 
zugunsten  unserer  Luftflotte. 

«SRJ 

Der  durch  die  Enthüllungen  des  Abge- 
ordneten Liebknecht  notwendig  gewordene 
Krupp-Prozeß  ist  geführt  worden.  Zuerst  sollte 
dies  mit  Ausschluß  der  Öffentlichkeit  ge- 
schehen. Der  Prozeß  wurde  dennoch  öffent- 
lich, aber  er  wurde  daneben  geführt.  Was 
aufgedeckt  werden  sollte:  die  große  inter- 
nationale, mit  Milliarden-Interessen  die  ganze 
Welt  umspannende  Zusammenarbeit  von 
Waffenindustrie  in  hohen  und  höchsten 
Kreisen,  das  hat  sich  im  Gerichtssaal  in  das 
Vergehen  einiger  subalterner  Angestellter  ver- 
wandelt, die  über  belanglose  Fabrikations- 
details ein  paar  indiskrete  Aufschlüsse  gegeben 
hätten.  Die  eigentliche,  unheimliche  Frage 
von  der  Verbindung  der  Kriegsfurchtmache 
mit  der  Kriegswerkzeugs-Industrie  —  die  ist 
gar   nicht    zur    Sprache    gekommen. 

am 

Die  Lage  auf  dem  Balkan  (während  ich 
dieses  schreibe)  ist  noch  gar  nicht  geklärt. 
Die  Türken  in  Adrianopel  bereiten  den 
„Mächten"  eine  arge  Verlegenheit.  Zur  Durch- 
setzung ihres  Willens  —  nämlich,  daß  die 
Londoner  Abmachung  respektiert  werde  — 
haben  sie  keine  Handhabe.  Europa,  das 
embryonale    Europa,     dessen    Herz     man    ja 


schon  schlagen  sieht,  in  dessen  Gehirn  schon 
ein  Wüle  erwacht  ist  —  hat  noch  keine 
Organe.  Auf  dem  Programm  des  diesjährigen 
Friedenskongresses  steht  ein  Punkt,  dessen 
hohe  Wichtigkeit  durch  die  gegenwärtige  Lage 
deutlich  illustriert  wird :  Die  Sanktion 
einer  internationalen  Polizei.  Was 
jeder  Rechtsstaat  braucht,  um  seine  Urteils- 
sprüche den  Staatsangehörigen  gegenüber 
geltend  zu  machen:  Die  Gendarmerie  im 
Hintergrund;  das  wird  auch  die  Rechtsge- 
meinschaft der  verbündeten  Staaten  brauchen. 
Alles  das  kommt  langsam,  aber  es  kommt. 
Die  kranke  Welt  will  genesen.  Die  Gesund- 
heitsmittel sind  entdeckt:  Wasser,  Luft  und 
Licht  sind  die  Elemente  der  physischen  — 
Recht,  Freiheit  und  Wohlwollen  der  poli- 
tischen   Hygiene. 


PAZIFISTISCHE  CHRONIK 

13.  Juli.  In  Paris  veranstalten  die  Sozialisten 
zum  drittenmal  eine  Massenkundgebung  gegen  die 
dreijährige  Dienstzeit. 

14.  Juli.  In  seinem  dritten  Friedensvorschlag 
befürwortet  Staatssekretär  Bryan  während  der  Dauer 
der  Untersuchung  völkerrechtlicher  Streitigkeiten  die 
Erhaltung  der  Armee  und  Flotte  beider  Par- 
teien auf  dem  Status  quo.  Die  Verpflichtung  soll 
aber  aufhören,  wenn  eine  der  beiden  Parteien  von 
einer  dritten  Macht  bedroht  wird. 

16.  Juli.  Der  französische  Ministerpräsident 
Barthou  tritt  für  den  Bau  eines  Tunnels  zwischen 
England  und  Frankreich  ein. 

17.  Juli.  Oesterreich-Ungarn  kündigt  eine  neuer- 
liche Erhöhung  des  Rekrutenstandes  an. 

19.  Juli.  Die  französische  Deputiertenkammer 
hat  das  Gesetz  über  dieWiedereinführung  der 
dreijährigen  Dienstzeit  angenommen. 

21.  Juli.  Beim  interv,ationalen  Bergarbeiter- 
kongress  in  Karlsbad  schlägt  Präsident  Smillie  von 
der  britischen  Bergarbeiterkonföderation  vor,  bei  einem 
drohenden  Kriege  einen  ausserordentlichen  Kongress 
einzuberufen,  der  über  Massnahmen  zur  Kriegs- 
abwendung beschliessen  solle. 

22.  Juli.  In  einer  in  Birmingham  gehaltenen 
Bede  führt  Premierminister  Asquith  aus,  dass  die 
Mächte  ihr  Möglichstes  tun,  um  die  Gegner  zur  Ab- 
haltung einer  Friedenskonferenz  zu  bewegen. 

23.  Juli.  Lehrer  Gustav  Huhtala,  Präsident 
des  finnländischen  Friedensvereines,  gestorben. 

27.  Juli.    Der  König  von  Spanien  in  London. 

29.  Juli.  Staatsminister  Asser  im  Haag  gestorben. 

30.  Juli.  Zusammentritt  der  Friedens- 
konferenz der  Balkanstaaten  in  Bukarest. 

31.  Juli.  Beginn  eines  fünftägigen  Waffenstill- 
standes zwischen  den  Balkanstaaten. 

31.  Juli.  In  Gegenwart  des  Kaisers  und  des 
Königs  Haakon  von  Norwegen  findet  die  feierliche 
Enthüllung  der  vom  Kaiser  den  Norwegern  gestifteten 
Frithjofstatue  statt. 


315 


DIE  FBIEDENS -^ÖJiTE 


:3 


Ende  Juli.  Deutsche  Lehrer  werden  von  der 
Lehrervereinigung  des  Seine-Departements 
eingeladen,  einer  Generalversammlung  beizuwohnen^  wo 
sie  von  ihren  französischen  Kollegen  auf  das  lebhafteste 
begrüsst  werden.  Der  Präsident  des  französischen 
Lehrer-  Vereins  hebt  in  seiner  Begrüssungsrede  hervor, 
dass  die  Lehrer  zu  beiden  Seiten  der  Grenze  viel  für 
die  Sache  des  Friedens  tun  und  diesen  fördern  können. 

Ende  Juli.  Auf  dem  Pariser  Weltkongress  für 
freies  Christentum  sprechen  deutsche,  französische, 
englische  und  amerikanische  Geistliche  zu- 
gunsten des  Weltfriedens. 

1.  August.  Senator  d'Estournelles  de  Constant 
protestiert  im  französischen  Senat  gegen  die  Einführung 
der  dreijährigen  Dienstzeit. 

3.  August.  In  Bregenz  findet  aus  Anlass  der 
internationalen  Zusammenkunft  der  Sozialisten  der 
Bodenseestaaten  eine  imposante  Friedenskund- 
gebung statt. 

4.  August.  Der  Waffenstillstand  wird  um  drei 
Tage  verlängert. 

7.  August.  Der  Präliminarfrieden  zwischen 
den  Balkanstaaten  wird  in  Bukarest  unterzeichnet. 

8.  August.  In  London  tagt  ein  internatio- 
naler medizinischer  Kongress. 


DAUS  DER  ZEITE! 

Völkerrecht. 

Haager  Schiedshof.  ::   ::  ::  ::  ::   ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::   :: 

Am  28.  August  siedelt  das  Bureau  des 
Haager  ständigen  Schiedshofes  in  den  Friedens- 
palast über.  Bei  der  Feier,  die  in  Gegenwart 
der  Königin  von  Holland,  Carnegies,  des  Ver- 
waltungsrats und  der  Mitglieder  des  Schieds- 
hofes stattfindet,  wird  Jonkheer  van  Karne- 
be e  k  ,  Vizepräsident  der  ersten  Haager  Kon- 
ferenz und  Vorsitzender  der  Carnegiefriedens- 
palaststiftung,  die  Festrede  halten  und  darauf 
das  Gebäude  dem  Vorsitzenden  des  Verwaltungs- 
rats, dem  holländischen  Minister  des  Aus- 
wärtigen,   übergeben. 

Fs  ist  wahrscheinlich,  daß  mehrere  mit 
den  Balkandifferenzen  zusammenhängende 
Streitfälle  im  Haag  entschieden  werden.  So 
hat  der  Ausschuß  der  Pariser  internationalen 
Finanzkonferenz  für  die  Entschädigungsforde- 
rungen der  Kriegführenden  angeblich  eine  Ver- 
ständigung zustande  gebracht,  daß  die  For- 
derungen der  Balkanstaaten  für  die  von  der 
türkischen  Regierung  beschlagnahmten  Schiffe, 
(es  kommen  vor  allem  griechische  in  Betracht) 
dem  Haager  Hofe  unterbreitet  werden  sollen. 

Nach  einer  neueren  Meldung  vom  3.  August 
haben  Portugal  einerseits  und  Frankreich,  Eng- 
land und  Spanien  andererseits  die  Entscheidung 
der  Reklamationen  betreffs  der  Kongregations- 
güter  in  Portugal  dem  Haager  Hofe  unterbreitet. 
Es  ist  dies  der  zweite  Streit  um  geistliche 
Güter,  der  im  Haag  erledigt  werden  wird. 
Portugal  hat  sich  damit  zum  ersten  Male  an 
den  Haager  Hof  gewandt.    Dagegen  tritt  Frank- 


reich bereits  zum  siebenten  Male  und  England 
zum  sechsten  Male  vor  dem   Haager  Hof  auf. 

Bezüglich  der  kalifornischen  Frage  besteht 
noch  keine  Hoffnung,  daß  sie  schiedsrichterlich 
erledigt  wird.  B  r  y  a  n  hat  in  seiner  letzten 
Note  an  Japan  erklärt,  er  könne  auf  eine 
üeberweisung  an  das  Haager  Schiedsgericht 
nicht  eingehen.  Uebrigens  würde  eine  für  Japan 
günstige  Entscheidung  dieses  Tribunals  deshalb 
(kaum  durchführbar  sein,  weil  die  Regierung 
in  Washington  die  Einzelstaaten  nicht  zum 
Gehorsam  zwingen  könne.  Japan  müsse  sich 
an  die  amerikanischen  Gerichte  wenden.  Die 
japanische  Regierung  ist  naturgemäß  von  dieser 
Antwort   unbefriedigt. 

Die  Panamakanalfrage  wird  noch  immer 
durch  die   Diplomaten  verhandelt. 

Der  frühere  Generalsekretär  des  Bureaus  des 
Haager  Schiedshofes,  Baron  Ruyssenaers, 
der  bei  den  vier  ersten  Prozessen  des  Schieds- 
hofes fungierte,  ist  im  Juli  1913  im  Haag  ge- 
storben. Er  war  zuletzt  Mitglied  des  Ver- 
waltungsrates der  Carnegiefriedenspalast- 
stiftung. 


Verschiedenes. 

Das  Elend  des  Balkankrieges.  ::   ::        ::  ::        ::  ::  :: 

In  der  „Kölnischen  Zeitung"  lasen  wir  kürz- 
lich folgendes  Inserat: 

„Zirka  3000  künstliche  Gliedmaßen 
für    eine    kriegführende    Regierung 
sofort   gesucht.      Offerten   von   nur 
leistungsfähigen     Fabriken     an     Dr. 
Richard   Mauch   in   Köln." 
Dazu  bemerkt  die  Braunschweigische  Landes- 
zeitung mit  Recht:    Hinter  diesen  Zeilen  steht 
die  schreckliche  Phalanx  von  3000  zerschossenen 
Männern,   und  sie  werden  mit  einer  Geschäfts- 
mäßigkeit veröffentlicht,  als  sollte  die  Lieferung 
von  Erbswurst  und  Speck  vergeben  werden.    Da 
wäre    es    doch    schon    besser,     man     „rüstete" 
schon    zu   Friedenszeiten   auch    in    künstlichen 
Gliedmaßen. 


Festgaben  zurEinweihung  des  Haager  Friedenspalastes. 

Außer  den  beiden  im  Inseratenteile  dieser 
Nummer  angezeigten  Festschriften  zur  Ein- 
weihung des  Haager  Friedenspalastes  verdient 
noch  eine  ausgezeichnete  Denkschrift  der  hollän- 
dischen Gesellschaft  „Vreede  door  Recht"  be- 
sondere Erwähnung,  die  in  mehreren  Sprachen 
bei  Belinfante  freres  im  Haag  erscheinen  soll, 
[n  ihr  hat  auch  A  s  s  e  r  die  letzte  Arbeit 
seines  Lebens  veröffentlicht.  Außerdem  arbeiten 
u.  a.  mit :  deBeaufort,  de  Louter,  Lam- 
masch, Oppenheim,  Stein,  La  Fon- 
taine, Fried,  Strupp,  Wehberg,  Eck- 
stein, Heath,  Lange,  Bajer  und  Car- 
negie. Sie  wird  auch  eine  Reihe  Abbildungen 
bringen.  Wir  weisen  auf  dieses  hochinteressante 
Werk    hin. 

RSSJ 


316 


£ 


5  DIE  FRI EDENS -^ÄCTE 


Oesterreichische  Kommission  für  die  Vor- 
bereitung   der   dritten   Friedenskonferenz. 

In.  Oesterreich  ist  nunmehr  ebenfalls  nach  dem 
Vorbilde  Dänemarks,  Frankreichs,  Norwegens, 
der  Niederlande  und  Schwedens  eine  natio- 
nale Kommission  zur  Vorbereitung  der  dritten 
Friedenskonferenz  gebildet  worden.  Sie  besteht 
aus  Baron  v.  M  a  c  c  h  i  o ,  Sektiionschef  im 
Ministerium  des  Aeußeren,  Professor  Heinrich 
L  a  m  m  a  s  c  h ,  Ritter  von  Weil,  Sektions- 
chef im  Ministerium  des  Aeußeren  und  Baron 
Hold  v.  Feraeck.  Die  drei  ersten  waren 
Delegierte  der  zweiten  Haager  Konferenz,  der 
letzte  war  Delegierter  zur  Londoner  Seekriegs- 
konferenz. Die  Kommission  soll  durch  die 
Ernennung  eines  fünften  Mitgliedes  ergänzt 
wferden.  In  der  Festschrift  der  „Zeitschrift 
für  Völkerrecht"  zur  Einweihung  des  Friedens- 
palastes wird  N  i  p  p  o  1  d  eine  hochbedeutsame 
Uebersicht  über  die  Vorarbeiten  zur  dritten 
Friedenskonferenz  geben. 

Die  18.  Interparlamentarische  Konferenz  ::  ::   ::  »:   :: 

findet  vom  3.  bis  5.  September  im  Haag  statt. 
Auf  der  Tagesordnung  stehen  u.  a.  folgende 
Themen:  Rechte  und  Pflichtea  der  neutralen 
Staaten  bei  Seekriegen:  Abg.  van  Houten  (frü- 
herer niederländischer  Minister  des  Innern) ; 
Vereinheitlichung  des  internationalen  Brief- 
portos :  Abg.  Prof.  Eickhoff ;  Mitarbeit  der 
Union  Interparlamentaire  bei  internationalen 
Werken:  Abg.  Louis  Franck  (Belgien).  Unter 
den  geselligen  Veranstaltungen  befindet  sich 
u.  a.  eine  Besichtigung  des  Friedenspalastes 
im  Haag.  Aus  Deutschland  werden  teilnehmen : 
die  Abgeordneten  Prof.  Eickhoff,  J.  Fegter, 
Prof.  Neumann-Hofer,  Dr.  Struve,  Hoff,  der 
Sekretär  der  deutschen  Gruppe  Geheimrat  Jung- 
heim, der  frühere  Abgeordnete  Dr.  Schepp  und 
viele  andere. 


Der  „ewige"  Friede.    ::   ::  ::   ::   ::  ::  ::  ::   ::   ::   ::  :: 

Der  erste  Artikel  des  Londoner  Präliminar- 
Friedens  vom  31.  Mai  zwischen  der  Türkei 
und  den  Balkanstaaten,  der  diesem  überaus 
grausamen  Krieg  ein  Ende  setzt,  hat  folgenden 
Wortlaut :   ' 

„Von  der  Auswechslung  der  Ratifikatio- 
nen   des    gegenwärtigen    Vertrages   an   wird 
Friede  und  Freundschaft  bestehen  zwischen 
Sr.    Majestät   dem    türkischen   Sultan  einer- 
seits und  Ihren  Majestäten  den  verbündeten 
Souveränen  andererseits,  sowie  zwischen  ihren 
Erben  und   Nachfolgern,   ihren  Staaten  und 
Bevölkerungen   auf   ewige    Zeite n." 
„Auf  ewige  Zeiten."     Diese  Phrase  hat  die 
Diplomatie    ohne    Erröten    aufgenommen    und 
unterzeichnet,       Das      ist     jenes     Ideal     des 
„ewigen  Friedens",   das   lauten  Spott  verdient. 
Wo   sitzen  die   Utopisten?   — 

HB 
Kurze  Mitteilungen.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 
Am    10.    Juli   starb   in    Tokio   der   hervor- 
ragende japanische  Diplomat  Graf  Hayashi,  der 


erste  japanische  Delegierte  zur  ersten  Haager 
Friedenskonferenz.  —  Am  23.  Juli  starb  der 
Präsident  des  finnländischen  Friedensvereins 
Lehrer  Gustav  Hnhtala.  Er  war  rednerisch  und 
schriftstellerisch  in  hervorragendem  Maße  für 
die  Bewegung  tätig  gewesen.  —  Der  bekannte 
amerikanische  Professor  an  der  Wisconsin-Uni- 
versität, Paul  S.  Reinsch,  ist  zum  Gesandten  in 
China  ernannt  worden.  —  Anläßlich  der  dies- 
jährigen Tagung  des  Völkerrechtsinstituts  in 
Oxford  wurden  zu  Ehrendoktoren  ernannt: 
v.  Bar  (Göttingen),  Clunet  (Paris),  Fusinato 
(Rom),  Nys  (Brüssel),  und  Elihu  Root  (Washing- 
ton). Auch  Lammasch  war  die  Ehre  zugedacht. 
Doch  hinderte  ihn  leichte  Krankheit  am  Er- 
scheinen. | 

LITERATUR  U  PRESSE 

Besprechungen.    ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::   ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

Der   deutsche  Chauvinismus.    Von 
Professor     Dr.      Otfried     Njppold. 
Stuttgart,  W.   Kohlhammer,  1913,  130  S. 
Heft  9  der  „Veröffentlichungen  des  Ver- 
bandes für  internationale  Verständigung". 
Preis  1  Mark,  für  Mitglieder  des  Verban- 
des  kostenlos. 
Kurz    vor   Redaktionsschluß    wird   Uns 
ein  "Werk  zugesandt,  das  infolge  seines  hoch 
interessanten  Themas  und  seiner  besonders 
überzeugenden      Beweiskraft      außerordent- 
liches Aufsehen  erregen  wird.  Nippold  zeigt 
an  einer  unendlichen  Fülle  von  Beispielen, 
wie  stark  und  gefährlich  der  gewissenlose 
Chauvinismus  in  Deutschland  geworden  ist, 
und  daß  man  rechtzeitig  vorbeugen  muß,  soll 
daraus  kein  schwerer  Schaden  entstehen.  Die 
große  politische  Gefahr,  die  von  dieser  Seite 
dem  .Weltfrieden  droht,  wird  nachgewiesen 
und  an  alle  Einsichtigen  die  Mahnung  ge- 
richtet, diese  Strömung  zu  bekämpfen. 

Wenn  so  hochangesehene  Blätter  wie 
die  Kölnische  Zeitung  immerfort  auf  den 
Chauvinismus  im  Auslande  aufmerksam 
machen,  so  zeigt  ihnen  das  vorliegende  Werk, 
daß  wir  Deutsche  vor  allem  den  Balken  im 
eigenen  Auge  sehen  sollen.  Man  wird  fortan 
erkennen,  daß  der  Chauvinismus  in  allen 
Ländern  zu  Hause  ist  und  in  allen  Ländern 
beseitigt   werden  muß. 

Wer  das  vorliegende  Werk  zur  Hand 
nimimt,  wird  erstaunt  sein,  wie  weit  das  ge- 
wissenlose Treiben  berufsmäßiger  Hetzer  in 
Deutschland  ausgeübt  wird.  Eine  ganz  neue 
Seite  des  Hochverrats  —  denn  was  ist  dieser 
Chauvinismus  anders!  —  wird  hier  aufge- 
deckt. Alle  Hüter  der  wahren  Grundlagen 
des    modernen    Staatswesens    sollten    dem 

*)  Die  bibliographischen  Notizen  mußten  aus 
Raummangel  zurückgestellt  werden. 


317 


CHE  FRIEDENS -WARTE 


•§> 


anarchistischen  Treiben  des  Chauvinismus 
machtvoll  entgegentreten  und  dieses  Gift  am 
Leibe  der  Völker  ausrotten. 

Die  Aufmerksamkeit  der  Regierungen 
wie  der  Völker  wird  sich  daher  bald  diesem 
,Werke,  dessen  nähere  Besprechung  vorbehal- 
ten bleibt,  zuwenden.  Wir  machen  daher 
alle  dringend  auf  diese  Neuerscheinung  auf- 
merksam ! 

Loreburn, 
Capturo   a  t    s  e  a ,    VI   u.    179    S.,     London, 
Methuen  &   Co. 

J>ie  Zahl  derer,  die  in  England  für  die 
Beseitigung  des  Seebeuterechts  eintreten,  wird 
immer  größer.  Namentlich  die  Arbeit  von 
Macdonell,  des  Londoner  Professors,  die 
seinerzeit  auch  hier  (1911,  S.  155)  kurz  be- 
sprochen, wurde,  ist  in  dieser  Hinsicht  sehr 
bemerkenswert.  Auch  die  deutsch-englische 
Verständigungskonferenz  hat  sich  kürzlich  mit 
diesem  Probleme  nach  einem  interessanten  Be- 
richte Eickhoffs  befaßt.  Kein  Wunder,  daß 
sogar  die  Carnegiefriedensstiftung  einen  fran- 
zösischen Juristen,  Staatsanwalt  Dumas,  da- 
mit beauftragt  hat,  ein  Werk  über  die  öko- 
nomischen Wirkungen  des  Seebeuterechts  zu 
schreiben,     das    demnächst    erscheinen    dürfte. 

Das  Werk  Loreburns  ist  nun  ein  er- 
neuter Verstoß  von  englischer  Seite  gegen  das 
alte  Raubrecht  der  Seebeute.  Verfasser,  frü- 
herer Lordkanzler,  weist  eingehend  nach,  daß 
gerade  England  durch  die  Anwendung  des  See- 
beuterechts besonders  geschädigt  werden  würde. 
Aber  er  geht  noch  weiter.  Auch  gegen  die 
Konterbande  erklärt  er  sich  und  nimmt  den 
Antrag  Englands  auf  der  zweiten  Haager  Kon- 
ferenz wieder  auf,  Waren  der  Konterbande 
genau  so  zu  behandeln  wie  anderes  Privat- 
eigentum. Sodann  wendet  er  sich  gegen  die 
Blockade,  die  er  nur  gestatten  will,  um  eine 
Landbelagerung  zu  unterstützen  oder  um  die 
seeseitige  Versorgung  von  Truppen  mit 
Lebensmitteln  und  sonstigen  Vorräten  zu  ver- 
hindern. Auch  mit  der  Beibehaltung  der 
Minen  ist  er  keineswegs  einverstanden,  und 
macht  radikale  Vorschläge,  die  nicht  weit  von 
der  Forderung  des  völligen  Verbotes  entfernt 
sind. 

Bas  B!uch  Loreburns  verdient  ernsteste 
Beachtung  und  wird  zweifellos  die  gute  Position 
derer  stärken,  die  im  Interesse  der  Humanität 
und  des  modernen  Zieles  des  Krieges  einer 
Abschaffung  des  Beuterechts  zur  See  das  Wort 
reden.  Es  ist  mit  überzeugender  Logik  ge- 
schrieben und  hebt  die  realen  Gesichtspunkte 
scharf  hervor.  Es  wird  alle,  die  für  die  Un- 
verletzlichkeit des  Privateigentums  im  Seekriege 
kämpfen,  mit  neuem  Mute  und  neuer  Begei- 
sterung  erfüllen. 

Wir  wünschen,  daß  das  Buch  bald  ins 
Deutsche   übersetzt    wird. 

Lange, 
Annuaire     de     l'Union     Interparle- 
mentaire,   3.  annee,  1913,  Misch  &  Thron, 
XXVII  u.    291    S.,   Preis    5  Fr. 

Das  Jahrbuch  der  Interparlamentarischen 
Union  ist  in  seiner  Art  mustergültig  und  legt 
nicht  nur  ein  treffliches  Zeugnis  ab  von  dem 
Wachstum  und  den  Arbeiten  der  Union,  son- 
dern auch  von  dem  Fortschritte  der   Schieds- 


gerichtsbarkeit und  der  internationalen  Organi- 
sation. Das  Buch  ist  vorläufig  noch  das 
einzige,  woraus  man  sich  z.  B.  über  die  na- 
tionalen Komitees  zur  Vorbereitung  der  dritten 
Haager  Konferenz  informieren  kann.  In  der 
Einleitung  befinden  sich  zwei  Beographieen  von 
Passy  und  Beernaert  aus  der  Feder  von 
d'Estournelles  und  H  o  u  z  e  a  u  d  e 
Lehaie,  mit  den  Bildern  der  beiden  Vor- 
kämpfer geschmückt.  Aus  dem  reichen  In- 
halt sei  noch  hervorgehoben:  eine  Uebersicht 
über  die  Ratifikationen  der  Abkommen  der 
zweiten  Haager  Konferenzen,  über  die  neuesten 
Schiedsfälle  und  die  Beschlüsse  der  neuesten 
internationalen  Völkerrechts-  und  Friedenskon- 
ferenzen. 

Dr.    Max    Landmann, 
Weltstaat   und   Weltfrieden,    Leipzig, 
Bruno  Volger,    39   S.  Preis   GO  Pfg. 

Die  vorliegende  Schrift  erscheint  verfehlt. 
Der  Verfasser  befürwortet  nichts  weniger  als 
einen  Weltbundesstaat,  der  durch  einen  Staats- 
vertrag der  Mächte  eins  zwei  drei  geschaffen 
werden  soll.  Derartige  Schriften  schädigen  nur 
die  Bewegung,  weil  sie  eine  unrichtige  An- 
schauung über  das  Wesen  und  die  Methode 
des   Pazifismus   verbreiten. 

Felix  Meyer, 
Das        Weltwechselrecht,  Leipzig, 

dchertsche  Verlagsbuchhandlung,    1909, 
nd     VI    u.    757    S.,    IL    Band    434    S. 


vv  e  u  w 
A.  Deichertsch* 
Band      VI    u. 
29   M. 


I. 

Preis 


Felix  Meyer, 
Das    Weltscheckrecht,      Berlin,      Franz 
Vahlen,  1913,    I.  Band  X  u.  5G8  S.,    II.  Band 
IV  u.    426    S.,    Preis    31   M. 

An  den  erstaunlichen  Fortschritten,  die 
in  neuester  Zeit  das  Weltverkehrsrecht  gemacht 
hat,  geht  auch  die  Friedensbewegung  nicht 
teilnahmslos  vorüber.  Denn  die  großartigen 
Kodifikationsbestrebungen  auf  diesem  Gebiete 
bringen  die  Völker  außerordentlich  näher  und 
beweisen,  wie  stark  die  gegenseitige  Abhängig- 
keit aller  untereinander  ist.  So  ist  es  auch 
ganz  berechtigt,  daß  gerade  dem  neuesten  Ent- 
würfe über  ein  internationales  Wechselrecht  von 
seiten  des  Pazifismus  ein  ganz  außerordent- 
liches Verständnis  entgegengebracht  wird.  Wir 
finden  denn  auch  sowohl  in  dem  Jahr- 
buch der  Interparlamentarischen  Union,  wie 
in  dem  holländischen  Friedensjahrbuche  „Gro- 
tius"  den  Entwurf  eines  internationalen  Wech- 
selrechts besprochen.  Zu  denen,  die  seit  Jahren 
auf  diesem  Gebiete  planmäßig  gearbeitet,  die 
Aufmerksamkeit  der  Völker  und  Regierungen 
geschärft,  die  Einzelheiten  der  Probleme  selbst 
vertieft  haben,  gehört  in  allererster  Linie  der 
Kammergerichtsrat  Felix  Meyer  in  Berlin, 
der  Begründer  und  erste  Vorsitzende  der  In- 
ternationalen Vereinigung  für  vergleichende 
Rechtswissenschaft  und  Volkswirtschaftslehre. 
Man  darf,  wenn  man  seine  Verdienste  richtig- 
würdigen  will,  nicht  nur  auf  diese  mehr  als 
2000  Druckseiten  umfassenden  Werke  blicken, 
sondern  muß  über  die  emsige  Tätigkeit  dieses 
Gelehrten  im  Dienste  der  Propaganda  seiner 
Ideen  informiert  sein.  In  aller  Herren  Län- 
der hat  Meyer  für  ein  Weltwechselrecht  ge- 
arbeitet. Wenn  man  die  Geschichte  des 
Haager  Wechselrechtsentwurfes  schreibt,  so 
wird    der    Name    Felix    Meyer      an     erster 


318 


5  DIE  FßlEDENS->WÄRTB 


Stelle  genannt  werden  müssen.  Darum  hat 
denn  auch  der  Vorsitzende  der  Wechselrechts- 
konferenzen bei  der  Eröffnung  der  Verhand- 
lungen Meyers  Verdienste  besonders  gedacht 
und  man  hätte  billigerweise  erwarten  dürfen, 
daß  Meyer  von  der  deutschen  Ilegierung  nach 
dem  Haag  delegiert  worden  wäre. 

Meyers  Bücher  sind  sehr  praktisch  ange- 
ordnet. In  den  ersten  Bänden  beider  Ar- 
beiten gibt  er  eine  vergleichende  Darstellung 
des  geltenden  Rechts,  um  in  den  zweiten  Bänden 
seinen  eigenen  Entwurf  niederzulegen.  In  der 
Tat  ist  die  Haager  Konferenz  dem  Vorbilde 
Meyers  in  allen  entscheidenden  Punkten  ge- 
folgt, und  wo  sie  dies  nicht  getan  hat,  z.  B. 
in   der    Moratorienfrage,    ist    sie    fehlgegangen. 

Meyer  wird  voraussichtlich  als  drittes 
Werk  auf  dem  Wege  zur  Vereinheitlichung  des 
Privatrechts  ein  Buch  über  den  Handelskauf 
und  die  einheitliche  Regelung  desselben  bei 
allen  Völkern  schreiben.  Auch  dies  wird  ge- 
wiß   ein    Meisterwerk    werden. 

Inzwischen  ist  Meyer  bei  der  Vertiefung 
des  materiellen  Rechta  nicht  stehen  geblieben, 
sondern  hat  auch  bereits  weitschauenden  Blicks 
einen  Weltwechselgerichtshof  befürwortet.  (Vgl. 
Deutsche  Revue,  Mai  1913.)  Hier  nähern  sich 
die  Arbeitsgebiete  Meyers  mit  denen  der 
Friedensbewegung  und  des  Völkerrechts  noch 
viel  mehr.  Denn  dieser  Weltwechselgerichtshof 
dürfte  wahrscheinlich  als  eine  Kammer  des 
Weltgerichts  errichtet  werden,  das  von  uns 
in  erster  Linie  erstrebt  wird.  Die  Schwierig- 
keiten zur  Schaffung  eines  solchen  Tribunals 
für  die  Erledigung  der  Streitigkeiten  des 
Wechselrechts  sind  nach  Meyers  Meinung 
nicht  unüberwindlich. 

Wir  lenken  die  Aufmerksamkeit  aller  für 
die  internationale  Verständigung  eintretenden 
Kreise  auf  die  gewaltige  und  tiefgründige  Ge- 
dankenarbeit, die  Felix  Meyer  bereits  seit 
Jahrzehnten  im  Dienste  der  Völkerverständigung 
und  der  Vereinheitlichung  des  Rechts  leistet. 
Nur  zähe  Ausdauer  und  helle  Begeisterung 
konnte  ihn  immer  wieder  dazu  bringen,  das 
Verständnis  für  die  großen  von  ihm  vertretenen 
Ideen  zu  wecken,  die  erst  neuerdings  weite 
Kreise  in  ihren  Bann     gezogen  haben. 

Oppenheim, 
International  law,    second  edition,   vol. 
IL     London,     Longmans,      Green     and    Co., 
1912,   711   S. 

Das  Oppenheimsche  Werk  ist  wohl 
die  beste  englische  Darstellung  des  geltenden 
Rechts.  Der  erste  Band  ist  bereits  früher 
angezeigt  worden.  Auch  in  dem  zweiten  Bande 
erkennen  wir  die  fortschrittliche  Gesinnung  und 
die  Gründlichkeit  des  Verfassers,  der  nament- 
lich in  der  Beherrschung  der  ausländischen 
Literatur  unübertrefflich  ist.  Gerade  die  Eng- 
länder ignorieren  bei  ihren  Arbeiten  die  Litera- 
tur anderer  Völker  allzusehr. 

Die  schiedsrichterlichen  Probleme  hätte 
Oppenheim  vielleicht  eingehender  behandeln 
können;  dafür  hätte  sich  die  kriegsrechtliche 
Darstellung  kürzen  lassen.  Aber  dem  vor- 
sichtig abwägenden  Autor  erschien  es  noch 
nicht  gut,  mit  der  herrschenden  Ansicht  in 
dieser  Hinsicht  zu  brechen.  Wir  haben  bereits 
an  dem  v.  L  i  s  z  t  sehen  Werke  dasselbe  aus- 
gesetzt. 


August  van  Daehne  van  Varick, 
Bijdrage    tot    de    Gcschiedenis      der 

Oostersche      Kwestie,       Dissertation, 

Utrecht,  1869,  153  S. 
Dieses  Erstlingswerk  des  bekannten  hollän- 
dischen Völkerrechts  Juristen  verdient  gerade  in 
den  Tagen  der  Balkankriege  wieder  der  Ver- 
gessenheit entrissen  zu  werden.  Der  Autor 
zeigt  darin  schon  seine  große  Belesenheit  und 
seinen  bestechenden  Stil.  Welch  lange  Zeit 
liegt  zwischen  dem  Erscheinen  dieser  Arbeit 
und  seiner  neuesten  Schrift  „La  revolution  et  la 
question  d'orient"  (1911),  in  dem  Daehne 
die  Vertreibung  der  Türken  aus  Europa  und 
die  Wiedergewinnung  des  Heiligen  Landes 
predigt ! 

Otfried  Nippold, 
Vorfragen   des     Völkerrechts,     Sepa- 
ratabdruck aus   „Jahrbuch  des   Oeffentlichcn 
Recht",    Band  VII,    1913,    S.  20  bis  48,  Ver- 
lag von  J.  C.  B.  Mohr  in  Tübingen. 

Von  Nippold  etwas  zu  lesen,  ist  immer 
von  höchstem  Interesse,  besonders  wenn  es 
sich  um  so  wichtige  Probleme  wie  in  dem 
vorliegenden  Aufsatze  handelt.  N  i  p  p  o  1  d  s 
Stil  ist  in  bezug  auf  Klarheit  und  Verständlich- 
keit mustergültig  und  daher  erklärt  sich  wohl 
auch  die  außerordentliche  Verbreitung,  die 
Nippolds  Schriften  auch  in  den  Kreisen 
der  Nichtjuristen  gefunden  haben.  Der  vor- 
liegende Aufsatz  ist  ein  gekürzter  Vorabdruck 
aus  Nippolds  monumentalem  Werke  über 
die  dritte  Haager  Konferenz,  das  1914  erschei- 
nen soll.  Nippold  setzt  sich  zunächst  mit 
den  Leugnern  des  Völkerrechts  auseinander  und 
bekämpft  deren  Meinung  sehr  geschickt.  „Die 
Vertreter  des  Völkerrechts  vor  allem  werden 
sich  auch  durch  die  jüngsten  Ereignisse  nicht 
in  der  Ueberzeugung  irre  machen  lassen,  daß 
im  Haag  wirklich  etwas  Großes  und  Unver- 
gängliches geschaffen  worden  ist,  das  nur 
noch  des  weiteren  Ausbaues  harrt  und  dessen 
Früchte  daher  erst  allmählich  reifen  können.'' 
Mit  schönen  Worten  weist  er  dann  auf  die 
Pflicht  der  Völkerrechtswissenschaft  hin, 
Rechtsverletzungen  im  Staatenleben  nicht  zu 
entschuldigen,  sondern  festzustellen.  Die  offene 
Aussprache  über  das,  was  völkerrechtsgemäß 
erlaubt  sei,  ist  nach  Nippolds  Worten  der 
beste  Weg,  um  die  Leugner  zum  Schweigen 
zu  bringen.  Außer  den  Leugnern  des  Völker- 
rechts sind  nach  Nippold  diejeniger  auf  einer 
falschen  Bahn,  die  sich  der  Erkenntnis  ver- 
schließen, daß  man  an  der  Fortbildung  des 
Völkerrechts   mitarbeiten   muß. 

Nippold  berührt  nun  in  seinem  wert- 
vollen Aufsätze  auch  das  Verhältnis  der  Volke r- 
reehtswissenschaft  zum  Pazifismus,  und  meint, 
man  könne  das  ganze  Problem  der  Fortbildung 
des  völkerrechtlichen  Verfahrens  auch  erörtern, 
ohne  des  Wortes  Krieg  auch  nur  Erwähnung 
zu  tun.  An  diesem  Standpunkte  hält  Nippold 
auch  heute  noch  fest.  „Die  Aufgaben,  die 
die  Völkerrechtswissenschaft  zu  lösen  hat,  und 
diejenigen,  die  der  Pazifismus  lösen  will,  sind 
keineswegs  identisch.  —  Meine  Bücher  wollen 
keine  pazifistischen  Propagandaschriften  sein. 
—  Die  Völkerrechtswissenschaft  hat  die  Auf- 
gabe, allen  Erscheinungen  des  internationalen 
Lebens  nachzugehen  und  ihnen  mit  möglichster 
Objektivität  gerecht  zu  werden.      Sie  darf  sich 


319 


DIE  FBIEDENS  -WAEETE 


■9 


weder  auf  den  Standpunkt  eines  einseitigen 
Nationalismus  noch  eines  einseitigen  Pazifis- 
mus stellen,  der  alle  Probleme  des  inter- 
nationalen staatlichen  Lebens  lediglich  vom 
Standpunkte  der  Friedens  er  haltung  aus  lösen 
will.  —  Dieser  prinzipielle  Standpunkt  der 
Völkerrechtswissenschaft  mußte  hier  festge- 
stellt werden,  weil  Wehberg  kürzlich  (Frie- 
denswarte 1912,  S.  326)  den  Satz*  aufgestellt 
hat,  die  deutsche  Völkerrechtswissenschaft 
werde  pazifistisch  sein  oder  sie  werde  nicht 
sein."  Ich  glaube,  daß  Nippold  und  ich 
im  Grunde  einig  sind.  Ich  habe  die  Völker- 
rechtswissenschaft keineswegs  in  den  Dienst  der 
Friedenspropaganda  stellen  wollen.  Mit  dem 
Worte  pazifistisch  deutete  ich  nur  an,  daß 
das  Völkerrecht  nach  Kräften  dem  hohen  Ziele 
zustreben  soll,  die  zwischenstaatlichen  Be- 
ziehungen immer  mehr  rechtlich  zu  gestalten. 
Der  Krieg  ist  die  Verneinung  des  Rechts,  wie 
noch  kürzlich  Piloty  erklärt  hat,  und  die 
Völkerrechtswissenschaft,  die  nicht  ihr  ein  und 
alles  darin  setzt,  den  Krieg  durch  rechtliche 
Methoden  der  Streiterledigung  zu  beseitigen, 
würde  ihre  Aufgabe  verkennen.  Dabei  bleibe 
ich  und  befinde  mich  nicht  nur  im  Einver- 
ständnisse mit  Schücking,  sondern  auch 
mit  anderen  hochangesehenen  Völkerrechts- 
lehrem,  die  mir  geschrieben  haben,  der  pazi- 
fistische Standpunkt  sei  der  einzig  richtige 
im  Völkerrecht. 

Man  kann  gewiß  aus  taktischen  Gründen 
dem  Pazifismus  fernbleiben;  aber  diese  tak- 
tischen Gründe  können  für  mich  vom  Stand- 
punkte der  Wissenschaft  aus  nicht  maßgebend 
sein.  Faßt  man  den  Pazifismus  richtig  auf, 
dann  ist  er  selbst  eine  Wissenschaft  und  unter- 
scheidet sich  eben  als  solche  von  der  rein 
einseitigen  Friedenspropaganda.  Ein  Teil  dieser 
pazifistischen  Wissenschaft  bildet  das  Völker- 
recht. 

Nippold  meint,  daß  der  Pazifismus 
schlecht  abkommen  würde,  wenn  man  an  ihn 
denselben  Maßstab  wie  an  das  Völkerrecht  legen 
wollte.  Es  ist  aber  doch  zwischen  Friedens- 
propagandaschriften und  der  wissenschaftlichen 
Literatur  des  Pazifismus  eines  Fried,  Novieow 
zu   unterscheiden. 

Nippold  nimmt  sodann  Hu  den  Ausführungen 
Schückings  in  seinem  Werke  „Der  Staaten- 
verband der  Haager  Konferenzen"  Stellung 
und  lehnt  es  ab,  in  dem  Haager  Friedensab- 
kommen den  Keim  eines  Weltstaatenbundes  zu 
erblicken.  Recht  interessant  ist,  was  Nip- 
pold über  die  Frage  sagt,  ob  die  künftige 
Entwicklung  des  Völkerrechts  überhaupt  auf 
eine  politische  Organisation  der  Staatenwelt 
hinausläuft.  Er  zweifelt  daran  und  führt  aus: 
„Es  wird  vielleicht,  wenn  das  Haager  Werk 
erstarkt,  einmal  gelingen,  der  internationalen 
Rechtsordnung  ein  solches  Ansehen  und  solche 
Kraft  zu  verleihen,  daß  die  Staaten  der  poli- 
tischen Sonderbündnisse  nicht  mehr  bedürfen 
werden,  daß  sie  aber  ebensowenig  das  Bedürf- 
nis empfinden  werden,  sich  zu  einer  Staaten- 
verbindung, wie  es  der  Staatenbund  ist,  zu- 
sammenzutun, sondern  wo  die  souveränen 
Staaten  in  einer  freien  Rechtsgemeinschaft 
miteinander  leben  werden,  die  auf  der  Er- 
kenntnis ihrer  wahren  solidarischen  Interessen 
beruht  und  die  daher  irgendwelche  politischen 


Verträge  zwischen  einzelnen  oder  allen  unter 
ihnen  als  entbehrlich  erscheinen  läßt."  Dieses 
Problem  bedarf  wohl  in  der  Tat  noch  einer 
sehr  genauen  Prüfung,  und  es  ist  höchst  dankens- 
wert, daß  Nippold  diese  andere  Alternative 
so  scharf  betont.  Vorläufig  möchte  ich  mich 
aber  der  Schückingschen  Ansicht  nach  wie 
vor  anschließen. 

Man  sieht :  Die  Arbeit  Nippolds  ent- 
hält eine  Fülle  interessanter  Probleme  und 
läßt  den  Wert  des  späteren  Hauptwerkes  ahnen. 


SMITTEIIA/NGEN  DEBS 
FRIEDENSGESEUSCHAFTEN 

(Verantwortlich   für   den  Inhalt   dieser  Rubrik   ist  nicht   die 
Schriftleitung,   sondern  die  betreffende  Friedensgesellschaft.) 


Mitteilungen  der  Oesterreichischen 
Friedensgesellschaft, 

Bureau:  Wien  L,  Spiegelgasse  4. 
XX.  Weltfriedenskongreß  im  Haag. 

Dieser  Kongreß,  der  wie  schon  berichtet 
vom  18.  bis  23.  August  im  Haag  abgehalten 
wird,  verspricht  einer  der  interessantesten  zu 
Werden,  dafür  bürgen  die  Namen  der  be- 
deutendsten Pazifisten,  die  im  Programm  ver- 
merkt sind. 

Unsere  Gesellschaft  wird  durch  nach- 
stehende Persönlichkeifen  vertreten  sein:  Ba- 
ronin Bertha  v.  Suttner,  Dr.  Alfred  H.  Fried, 
Benedikt  Kosian,  Arthur  Müller,  Schriftsteller, 
Dr.  Heinrich  Maschler,  Kommerzialrat  Josef 
Weiß,  Hofbuchhändler  Hans  Feiler  (Karlsbad), 
Frau  Andrea  Hofer-Proudfoot,  Frau  Dr.  Paula 
Müller- Schubert  und  Sekretär  Gustav  Schuster. 

Spende.  Anläßlich  eines  Gartenfestes 
übersandte  uns  unser  langjähriges  Mitglied 
Frau  Revierförster  Kubik  ia  Zebus  (Böhmen) 
eine   Spende  von   10  Kronen. 

«** 
Lehrertagin  Gab  Ion  z. 

Auf  diesem  Lehrertage  tat  ein  Redner  fol- 
genden Ausspruch:  „Die  Lehrer  haben  viele 
Mittel ;  wehe,  wenn  sie  sich  den 
Friedensbestrebungen  hingeben; 
wenn  sie  in  der  Schule  bei  der  Besprechung  der 
Kriege  nicht  von  Kampf  und  Mut  und  Sieg 
lerzählen,  sondern  von  zerfetzten  Menschen- 
leiibern  und  den  Tränen  der  Mütter  und 
Waisen!" 

Wir  würden  die  Sache  gar  nicht  so  fürchter- 
lich finden  und  bei  genauerem  Nachdenken 
müßte  sich  der  Redner  selbst  sagen,  daß 
eine  allgemeine  Antipathie  gegen  den  Rüstungs- 
wahnsinn  eine  Herabminderung  der  Kriegs- 
fürsorgekosten bedeuten  würde,  was  denn  wieder 
für  andere  Gebiete  z.  B.  für  die  Gehaltsregulie- 
rnng  der  Lehrerschaft  von  Vorteil  sein  könnte. 
Der  betreffende  Herr  l^ehrer  dürfte  keine 
Ahnung  haben,  wie  viele  seiner  Kolegen  mit 
uns  eines  Sinnes  sind.  Sollte  er  Aufklärungen 
über  die  Friedensidee  wünschen,  wir  würden 
sie    ihm    kostenlos    zusenden. 


Verantwortlicher  Redakteur:   Carl   Appold,   Berlin  W.  50.  —  Im  Selbstverlag  des  Herausgebers   Alfred  H.  Fried,  Wien  IX/2. 
Druck:  Paß  &  Garleb  G.  m.  b.  H.,'_ Berlin  W. 57.  —  Verantwortl. Redakteur  für  Oesterreich- Ungarn:  Vinzens  Jorabek  in  Wien 

320 


September  1913. 


Die  vitale  Frage. 


Zur    Montreal-Rede    des    Lord- Kanzlers    Haidane. 


In  der  Eröffnungsansprache,  die  N  i  - 
colas  Murray  Butler,  der  bekannte 
Präsident  der  Columbia-Universität,  am 
15.  Mai  1912  als  Vorsitzender  der  Lake 
Mohonk-Konferenz  gehalten  hat*),  sagte  er 
unter  anderem : 

Die  wirklich  vitale  Frage  ist  die,  ob 
die  Zeit  jetzt  gekommen  ist,  und  wenn 
nicht,  was  wir  tun  können,  um  ihr 
Kommen  zu  beschleunigen,  wo  Rassen 
und  Nationen  in  der  Lage  sein  werden, 
aufzuhören  mit  dem  gegenseitigen  Be- 
rauben und  gegenseitigen  Bedrücken  und 
miteinander  leben  als  Mitglieder  einer 
zivilisierten  Welt.  Mit  anderen  Worten, 
die  vitale  Frage  ist  die,  wie  weit  die 
Grundprinzipien  der  Moral, 
die  wir  als  Individuen  so  eifrig 
bekennen,  auch  in  unserer  kor- 
porativen Eigenschaft  Besitz 
von   uns    ergriffen   habe  n." 

Mit  dieser  „vitalen  Frage"  hat  sich 
eingehend  der  englische  Lordkanzler,  V  i  s  - 
count  Haidane,  befaßt,  als  er  Ende 
August  im  Auftrage  des  Königs  in  Mon- 
treal einen  Kongreß  amerikanischer  und 
kanadischer  Juristen   begrüßte. 

Auf  diese  Rede,  die  mir  eine  der  be- 
deutendsten Dokumente  unserer  Zeit  !zu  sein 
scheint,  nicht  nur,  weil  sie  nachträglich 
als  eine  offizielle  Kundgebung  der  Regie- 
rung Großbritanniens  bezeichnet  wurde, 
sondern     auch,     weil     sie     im     Geiste     der 


*)  Die  Rede  erschien  auch  in  deutscher 
Sprache  unter  dem,  Titel  „Der  internationale 
Geist",  Stuttgart  1912.  W.  Kohlhammer.  Ver- 
öffentlichungen des  Verbandes  für  internationale 
Verständigung.     Heft   1. 


pazifistischen  Weltbewegung  gesprochen 
wurde,  ist  es  notwendig,  hier  des  näheren 
einzugehen. 

Viscount    Haidane,    der    zu    Ju- 
risten sprach,  ging  von  der  Bedeutung  der 
Jurisprudenz  für  das  Staatsleben   aus.    Er 
betonte,  wie  sehr  die  Entwicklung  der  Ver- 
einigten Staaten,  Kanadas  und  Großbritan- 
niens gerade   von   hervorragenden   Juristen 
beeinflußt    wurde    und    wies    anschließend 
darauf     hin,      daß      dennoch     das      Gesetz 
nur  den  kleinsten  Teil  jenes  Vorschriften-« 
Systems     bildet,     das     das     Verhalten     des 
Staatsbürgers    bedingt.     In    viel    höherem 
Grade     ist     dies     das     Sittlichkeitsbewußt- 
sein    des     einzelnen.      Von     dieser     Fest- 
stellung   gelangte    Haidane    zu    dem    Kern- 
punkt seiner  Ausführungen    durch  die  von 
ihm     aufgeworfene     Frage:     „Wenn     dies 
innerhalb  der  Staaten  so   ist,  könnte  es 
nicht  auch  zwischen  den  Staaten 
so   sein?     Können     nicht     Staaten     eine 
Gruppe  oder  eine  Gemeinschaft  unter  sich 
bilden,   innerhalb  welcher  die  Gewohnheit, 
gemeinsamen  Idealen  zuzustreben,  so  stark 
anwachsen    könnte,    daß    sich  ein    gemein- 
samer Wille  daraus  entwickelt,  so  daß  sich 
durch  die  verbindende  Macht  dieser  Ideale 
eine  zuverlässige  Sanktion  für  ihre  gegen- 
seitigen   Verpflichtungen    bildet?" 

Die  günstigen  Anzeichen,  die  zur  Be- 
jahung dieser  Frage  führen,  setzte  Hai- 
dane im  weiteren  Verlauf  seiner  Rede  aus- 
einander.   Er  sagte: 

„Die  Welt  ist  anscheinend  noch1  weit 
entfernt  von  der  Abschaffung  der  Rüstun- 
gen und  des  Krieges.  Doch  sind  Anzeichen 
vorhanden,  daß  bei  den  besten  Menschen 
der     besten     Völker     allmählich     das 


321 


DIE  FRIEDENS -^MMiTE 


Verlangen  nachläßt,  in  einer  ledig- 
lich, von  egoistischen  Forderungen  erfüllten 
Welt  zu  leben  und  bei  jeder  Gelegenheit 
das  Dictum  „Alles  eins1,  ob  Recht  oder  Un- 
recht, es  ist  mein  Vaterland",  zu  verkün- 
den. Die  Grausamkeiten  des  Krieges  sind 
gemildert  worden,  und  wenn  die  Praxis 
auch  der  Theorie  nicht  immer  entspricht, 
so  begegnet  der  große  Grundsatz,  daß  die 
Staaten  ihren  Nachbarn  gegenüber  Pflich- 
ten sowohl  wie  Rechte  haben,  keinerlei 
ernstere  Widerlegung.  Dies  aber  ist 
der  Geist,  der  sich  mit  der  Zeit 
zu  einer  vollen  internationalen 
Sittlichkeit  entwickeln  dürfte." 

Auf  die  verschiedenen  europäischen 
Gruppensysteme  näher  eingehend,  wies  Pal- 
dane auf  die  letzten  Ereignisse  in  Europa 
hin.  ,,Die  Weise,"  fuhr  er  fort,  „in  der 
die  Großmächte  zur  Erhaltung  des  Friedens 
zusammengewirkt  haben,  als  ob  sie  eine 
Gemeinschaft  bildeten,  deutet 
auf  die  ethischen  Möglichkeiten 
des  Gruppensystems  hin,  das  des- 
halb eines  ernsten  Studiums  der  Staats- 
männer wie  der  Gelehrten  wohl  wert  wäre. 
Jene  Sittlichkeit,  die  sich  zwischen  den 
Völkern  oder  zwischen  einer  nur  locker 
verbundenen  Gruppe  entwickeln  kann, 
scheint  mir  eine  Sanktion  für 
internationale  Verpflichtungen 
in  Aussicht  zu  stellen,  die,  soweit 
mir  bekannt,  bisher  die  Aufmerksamkeit  in 
Verbindung  mit  dem  Völkerrecht  nicht  auf 
sich  gezogen  hat." 

Diese  letzte  Bemerkung  läßt  erkennen, 
daß  dem  englischen  Staatsmann,  als 
er  jene  Rede  hielt,  die  Aeußerungen  seines 
großen  amerikanischen  Kollegen,  des  ehe- 
maligen Staatssekretärs  Eli  hu  Root, 
nicht  bekannt  waren,  der  in  seiner  denk- 
würdigen Rede  vom  Jahre  1908  über  „Die 
Sanktion  des  internationalen  Rechts"*)  die 
gleiche  Auffassung  zum  Ausdruck  brachte. 
Auch  er  führt  den  Gedanken  aus,  daß  das 
sittliche  Verhalten  der  Bürger  im  Staate 
nicht  in  erster  Linie  durch  das  Gesetz  be- 
wirkt wird.  „Es  ist  ein  Irrtum,"  heißt 
es  dort,  „zu  behaupten,  daß  die  Sanktion, 
welche  den  Gesetzen  des  Staates  die  Be- 
folgung sichert,  ausschließlich  oder  haupt- 
sächlich in  den  Bußen  oder  Strafen  besteht, 
welche  vom   Gesetz   selber   für   seine   Ver- 


*)  Präsidial-Ansprache  vor  der  Amerika- 
nischen Gesellschaft  für  Völkerrecht.  Deutsche 
Uebersetzung.  Berlin  1908.  Verlag  von  Bern- 
hard   Sinnon  Nf. 


letzungen  vorgesehen  sind.  Es  sind  nur 
Ausnahmefälle,  in  denen  die  Menschen  vor 
dem  Verbrechen  zurückschrecken  aus 
Furcht  vor  Geld-  oder  Gefängnisstrafe.  In 
der  großen  Mehrzahl  der  Fälle  scheuen 
die  Menschen  ein  kriminelles  Verhalten, 
weil  sie  in  der  Gemeinschaft,  in  der  sie 
leben,  nicht  die  öffentliche  Beurteilung  oder 
Schande  erleiden  wollen,  welche  auf  eine 
Nichtachtung  der  Grundsätze  des  von  dieser 
Gemeinschaft  für  ihre  Mitglieder  vorge- 
schriebenen  Verhaltens   folgen    würden." 

Und    auch    Elihü    Root    gelangt    von 
dieser    Erkenntnis    zu    Schlüssen    für    die 
internationale  Moral,  indem  er  weiter  aus- 
führt: „Für  die  große  Masse  der  Mensch- 
heit  empfangen   die   von    der   bürgerlichen 
Gesellschaft     geschaffenen     Gesetze      ihre 
Wirksamkeit  direkt   durch  die   Macht  der 
öffentlichen  Meinung,  welche  als  die  Sank- 
tion   für    ihre    Urteile    die    Verweigerung 
alles    dessen    in    der    Hand    hat,    was    die 
Menschen   im  Leben  erstreben.    Und   die 
Regeln     des     Völkerrechts    emp- 
fangen  ihre   Wirksamkeit   durch 
ganz  dieselbe  Art  von  Sanktion, 
die  allerdings  weniger  sicherer  und  gebie- 
terisch,    aber    in     beständigem    Wachstum 
wirkungsvoller  Kontrolle  begriffen  ist..." 
Man    sieht,    hier    ist    der    gleiche    Ge- 
danke  ausgedrückt  wie   bei   Haldane,   und 
es   ist   daher   nicht   uninteressant,    die   Be- 
gründungen des  Amerikaners  weiter  zu  ver- 
folgen :  „Früher  begnügte  sich  jede  einzelne 
Nation,"  so  fährt  er  fort,,  „mit  ihrer  eigenen 
Meinung  von  sich1  selber  und  war  gleich- 
gültig gegen  die  Meinung  der  anderen.   Ge- 
trennt von  allen  anderen  durch  gegenseitige 
Unkenntnis  und  Mißbeurteilung  zog  sie  nur 
die  physische  Macht  der  anderen  Nationen 
in   Betracht. . . .    Gegenwärtig   jedoch'  kann 
man   klar   die  Dauerwirkungen  eines   Ent- 
wicklungsprozesses   erkennen,    welcher    der 
Isolierung  der   Nationen  ein   Ende   macht. 
Indem  er  jedes  Land  mit  besserer  Erkennt- 
nis  und    besserem    Verständnis    von    jedem 
•anderen  Lande  durchdringt  und  durch  die 
ganze   Welt   die    Kenntnis    des    Verhaltens 
jeder    Regierung    als    eine    Grundlage    für 
Kritik  und  Urteil  verbreitet,  wird  allmäh- 
lich   eine    Gemeinschaft    von    Na- 
tionen geschaffen,  in  Welcher  Grundsätze 
des  Verhaltens  aufgestellt  werden  und  eine 
weltweite  öffentliche  Meinung  die  Nationen 
in    Uebereinstimmung    erhält    oder    Wegen 
Mißachtung   der   festgestellten   Grundsätze 
verurteilt. ...     Es    gibt   zurzeit   kein    zivi- 
lisiertes  Land,   welches    für   diese   gemein- 


322 


=  DIE  FRIEDENS-^M&RXE 


same  Meinung  nicht  empfänglich  ist,  kein 
Land,  welches  gewillt  ist,  sich  selber  dem 
üblen  Ruf  auszusetzen,  daß  es  in  brutaler 
Weise  auf  seiner  Macht  besteht,  anderen 
Ländern  die  Wohltat  von  anerkannten 
Hegeln  redlichen  Verhaltens  streitig  zu 
machen.  Die  Ehrerbietung,  welche  dieser 
allgemeinen  internationalen  öffentlichen 
Meinung  bezeugt  wird,  steht  in  geradem 
Verhältnis  zu  der  Größe  und  der  Zivilisa- 
tionsstufe   einer    Nation Nationale 

Hochachtung  für  die  inter- 
nationale öffentliche  Meinung 
wird  nicht  lediglich  von  der  Eigenliebe 
eingegeben,  auch  nicht  bloß  von  dem  Ver- 
langen nach  Zustimmung  und  guter  Mei- 
nung der  Menschheit.  Zugrunde  liegt  dem 
Verlangen  nach  Zustimmung  und  der  Scheu 
vor  allgemeiner  Verurteilung,  bei  den  Na- 
tionen wie  bei  den  Personen,  ein  tiefes 
Gefühl  von  Interesse,  Welches  zum 
Teil  auf  der  Erkenntnis  beruht,  daß  die 
Menschheit  ihre  Meinung  durch  Verhalten 
unterstützt,  und  daß  die  Nichtübereinstim- 
mung mit  den  Grundsätzen  der  Nationen 
Verurteilung  und  Isolierung  bedeutet;  zum 
anderen  Teil  auf  der  Erkenntnis,  d  a  ß  e  s 
bei  dem  Geben  und  Nehmen  in 
internationalen  Angel  egenhei- 
tcn  für  jede  Nation  besser  ist, 
sich  den  Schutz  des  Rech'tes  zu 
sichern,  indem  man  sich  unterwirft, 
statt  seiner  Wohltaten  verlustig  zu  gehen, 
indem  man  dasselbe  ignoriert." 

Man  merkt  die  Uebereinstimmung. 
Beide  Staatsmänner  gehen  von  der  Tat- 
sache aus,  daß  im  Innern  der  Staaten  nicht 
die  Gesetze,  sondern  in  der  Hauptsache  das 
Streben  nach  Achtung  seitens  der  Staats- 
genossen die  Ordnung  garantieren,  und  sie 
kommen  beide  zu  dem  gleichen  Schluß,  daß 
dieses  Streben  nach  der  Achtung  der  an- 
deren, sich  auch'  auf  die  Beziehungen  der 
Staaten  zu  übertragen  beginnt  und  so  zur 
Sanktion  der  zwischenstaat- 
lichen Verpflichtungen  Wird, 
deren  Gültigkeit  von  kurzsichtigen  Juristen 
und  Staatsmännern  wegen  des  fehlenden 
körperlichen  Zwanges  sehr  oft  überhaupt 
bestritten  wurde.  Was  Haidane  „Sitt- 
lichkeit" im  internationalen  Verkehr  und 
Iloot  „nationale  Hochachtung  für  die 
internationale  öffentliche  Meinung"  nernt, 
ist  im  Grunde  genommen  ein  und  dasselbe. 

Diese  hochbedeutsamen  Aeußerungen 
des  englischen  Lordkanzlers-  gewinnen  nur 
noch  an  Bedeutung  durch  ihre  Ueberein- 
stimmung mit  den  Aeußerungen  eines  der 


hervorragendsten  amerikanischen  Staats- 
männer. „Durch  zweier  Zeugen  Mund 
wird  allerwärts  die  Wahrheit  kund,"  wie 
das  deutsche  Sprichwort  lautet.  Wir  kön- 
nen die  Skepsis,  mit  der,  namentlich  in 
den  deutschsprechenden  Ländern,  die  Rede 
Haldanes  seitens  der  Presse  begrüßt  wurde, 
nicht  teilen.  Gewiß,  die  Vorgänge  der 
letzten  Zeit  lassen  diese  Skepsis  begreif- 
lich erscheinen.  Aber  trotz  der  Vertrags- 
brüche, der  skrupellosen  Annexionen,  der 
kriegerischen  Ueberfälle  ohne  vorhergehende 
Kriegserklärung,  der  schändlichen  Kriegs- 
greuel, von  denen  wir  erfahren,  weisen  die 
übereinstimmenden  Aeußerungen  der  beiden 
Staatsmänner  dennoch  auf  die  Entwicklung 
zum  Besseren  hin. 

Der  Machiavellismus  ist  in  der  inter- 
nationalen Politik  noch   lange  nicht  über- 
wunden;   aber    daß    er    nicht    mehr    allein 
herrscht,  daß  die  Erkenntnis  anfängt,  sich 
Bahn  zu  brechen,  auch  das  moralische  Han- 
deln zeitige  Vorteile,  ist  schon  ein  Erfolg. 
Und  die  Symptome  dieser  aufdämmernden 
Erkenntnis  sind  gar  nicht  zu  übersehen ;  die 
Anzeichen    mehren    sich,    daß    die    Staaten 
bestrebt  sind,  ihren  moralischen  Kredit  in 
der    Welt    möglichst    hochzuhalten.     Man 
braucht  nur  zu  beobachten,  wie  die  Balkan- 
staaten  bestrebt  sind,    die   vorgekommenen 
Greueltaten  von  sich  abzuwälzen  und  den 
anderen  zuzuschreiben,  wie  sie  sich  die  Ver- 
antwortung für  den  zweiten  Krieg  einander 
zuzuschieben  suchen.    Und  waren  sie  nicht 
bedacht    dem    ersten    Krieg,    der    sich    als 
offener   Raubkrieg  darstellt,   ein   sittliches 
Motiv  zugrunde  zu  legen,  wonach  sie  ihn 
zur   Befreiung   ihrer   angeblich  bedrückten 
Religions-     und     Stammesgenossen     unter- 
nahmen ?    Sind  das  nicht  Symptome  dafür, 
daß  die  internationale  öffentliche  Meinung 
bereits    als    Wert    empfunden    wird.     Ja, 
selbst  die  bei  unserer  heutigen  Diplomatie 
übliche   Heuchelei  scheint   nur,    so    traurig 
sie  an   sich   ist,    ein   Beweis   für  den   Um- 
schwung der  Ideen  zu  sein.   Ueberall  suchen 
die    Verantwortlichen    die    „böse    Tat"    zu 
rechtfertigen,  und  wenn  dies  nicht  angeht, 
doch   zu   verkleiden.    Das   ist   verwerflich; 
aber  in  dieser  Verwerflichkeit  liegt  der  Be- 
ginn  zu   einem    Wandel.    Es   beweist,    daß 
die  Sittlichkeit  bereits  ein   Faktor   in    der 
Politik    geworden    ist,    den    man    zwar    zu 
umgehen  bereit  ist,  mit  dem  man  aber,  so- 
lange es  angeht,  doch  zu  rechnen  versucht. 
Und  !wenn  die  Völker  erst  reifer  sein  wer- 
den,   wird    es    ihnen    nicht    schwer    fallen 
nachzurechnen,  wieviel  ein  gehaltener  Ver- 


323 


DIE  FRIEDENS -^ÖJiTE 


3 


trag-  in  Mark  und  Pfennigen  wert  ist,  und 
wie  gut  es  ist,  manchmal  auf  ,, Prestige" 
und  „Gloire"  weniger  Gewicht  zu  legen, 
wie  auf  Vertragstreue  und  Verläßlichkeit, 
kurz  auf  jene  Sittlichkeit,  die  Haidane  und 
Root  Platz  greifen  sehen  in  den  internatio- 
nalen   Beziehungen. 

Was  für  uns  in  Europa  von  hoher  Be- 
deutung erscheint,  das  ist,  daß  es  gerade  in 
der  angelsächsischen  Welt  Männer  wie  Hai- 
dane, Root  und  Butler  gibt,  die  den  Wert  der 
internationalen  Moral  erkennen  und  ihn 
offen  darzulegen  unternehmen.  Europäi- 
sche Reden  gleichstehender  Persönlichkeiten 
lauten  oft  ganz  anders1.  Aber  wenn  wir 
nach  den  Gründen  forschen,  finden  wir  die 
Erklärung  und  sehen  auch  wiederum  ein 
Stück  guter  Hoffnung  für  den  Fortschritt 
der  Menschheit  darin.  Die  angelsächsische 
Welt,  weit  über  ein  Viertel  der  gesamten 
Menschheit,  hat  eben  den  Krieg  bereits 
überwunden.  Ein  Jährhundert  des  Friedens 
liegt  hinter  ihr,  eines  Friedens,  dessen 
Bruch  diesen  Hunderten  von  Millionen 
ebenso  absurd  erscheint  wie  ein 
Friedensbruch  zwischen  den  Staaten  des 
Deutschen  Reiches  den  65  Millionen  dieses 
Verbandes  erscheinen  würde.  Und  dieser 
große  Friedensherd  erzeugt  neue  Kultur- 
werte, neue  Kulturgedanken.  Das  zeigen  uns 
die  Reden  dieser  drei  Angelsachsen,  die 
wir  hier  zusammen  ins  Auge  gefaßt  haben. 
Die  „Vitale  Frage"  Butlers  hat  ihre  Be- 
antwortung gefunden.  In  dieser  Welt  der 
Gewalt  haben  dennoch  die  Grundprinzipien 
der  Moral  auch  in  unserer  internationalen 
Gemeinschaft  begonnen,  von  uns  Besitz  zu 
ergreifen.  Nicht  allgemein  noch',  aber  zu 
einem  großen  Teil.  Aber  das  ist  eine  Tat- 
sache, die  auch1  der  Allgemeinheit  zugute 
kommen  muß.  Es  kann  in  der  Welt  nichts 
mehr  geschehen,  das  seine  Wirkung  nicht 
auf  die  Gesamtheit  erstreckt.  Dazu  hat 
die  Isolierung  der  Staaten  schön  zu  Jange 
aufgehört.  Das  Mißtrauen  eines  einzelnen 
Staates  zwingt  alle  anderen  zum  Rüsten 
und  zum  Ueberrüsten.  Das  Vertrauen,  das 
sich  auf  einem  Teile  der  Erdoberfläche  aus- 
bildet, diese  Enklave  des  Friedens  auf  nur 
einem  Teile  des  Globus,  muß  notwendiger- 
weise auch  auf  die  anderen  Teile  über- 
schlagen. Die  „Vitale  Frage"  der  Mensch- 
heit nach  der  Einführung  der  Sittlichkeit 
des  innerstaatlichen  Verkehrs  auf  ihre 
zwischenstaatlichen  Beziehungen  fängt  an, 
sich  :zu  lösein.  iA.  H.  F. 


Rund  um  den  Friedenskongreß. 


Fortschritte 
Organisation.  - 
Mängel.    —    Die 
tantismus.     — 
der  Bewegung. 


in         der         Kongrcß- 

-  Noch  abzustellende 
Gefahren    des    Dilet- 

Die      Spezialisierung 

—  Die  Lake-Mohonk- 
Konferenz  als  Beispiel.  —  Die  kom- 
menden internationalen  Kongresse 
der  Conziliations-Bewegung.  —  Die 
Presse  über   den  Haager   Kongreß.   — 

Die    alldeutsche    Methode. 

Die  Haager  Tage  zeigten  ein  erfreuliches 
Bild  des  allgemeinen  Aufstiegs,  der  wachsen- 
den Bedeutung  und  Macht  des  Friedens- 
gedankens in  der  Welt.  Es  ist  dies  eine 
Feststellung,  die  an  sich  genügt,  den 
XX.  Weltfriedenskongreß  als  ein  bedeutendes 
Ereignis  erscheinen  zu  lassen.  Es  würde  erst 
kein  näheres  Eingehen  auf  die  Arbeiten  jener 
Tagung  und  ihre  Ergebnisse  vonnöten  sein. 
Der  außerordentlich  starke  Zustrom'  von  Teil- 
nehmern —  es  waren  fast  tausend  erschienen, 
eine  bisher  nie  erreichte  Zahl  — ,  die  um- 
fassende Internationalität  des  Kongresses,  an 
dem  24  verschiedene  Völkerschaften  vertreten 
waren,  die  starke  Beachtung,  die  er  in  der 
Weltpresse  fand,  die  Teilnahme  der  nieder- 
ländischen Regierung,  zahlreicher  im  Haag 
beglaubigter  diplomatischer  Vertreter  der 
europäischen  Länder,  der  Stadtbehörden 
der  Hauptstädte  des  Landes  und  —  last  not 
least  —  der  Vertreter  der  Wissenschaft,  all 
dies  hat  dazu  beigetragen,  diesen  Erfolg  zu 
zeitigen.  Die  Friedenskongresse  sollen  ja 
nicht,  wie  die  ewig  unbelehrbaren  Gegner 
glauben  oder  glauben  machen  wollen,  den 
Frieden  unmittelbar  einsetzen,  ihn  dekretieren, 
sondern  lediglich  die  öffentliche  Meinung  ein 
wenig  aufrütteln,  die  Geister  schütteln  und 
das  Denken  anregen.  Tausendfältige  Samen- 
körner sollen  sie  ausstreuen,  um  die  Idee  le- 
bendig zu  erhalten,  ihr  Dasein  kundzugeben 
und  ihr  Wachstum  zu  fördern.  Dies  alles1 
ist  in  den  Haager  Augusttagen  in  Fülle  be- 
wirkt worden.  Und  darum  können  wir  hier 
mit  Genugtuung  von  einem  Erfolg  des  Kon- 
gresses sprechen. 

Auf  die  Einzelheiten  der  Beratungen  wird 
weiter  unten  von  kundiger  Feder  besonders 
hingewiesen  werden. 

Mir  erübrigt  es  sich  hier  nur,  über  ein- 
zelne Erscheinungen  Betrachtungen  an- 
zuknüpfen und  gewisse  Vorgänge  und  Folge- 
erscheinungen zweckdienlich  zu  besprechen. 
Alljährlich  nach  unseren  Kongressen  wurde 
an  dieser  Stelle  auf  die  Mängel  ihrer  Organi- 
sation hingewiesen  und  Klage  geführt  über 
gewisse  Uebelstände.  Nicht  ohne  Genug- 
tuung kann  jetzt  hier  festgestellt  werden, 
daß  der  Haager  Kongreß  viele  von  den  früher 
gerügten  Mängeln  abgelegt  hat  und  in  bezug 
auf  Organisation  einen  Schritt  zum  Besseren 
bedeutete.  Die  unsinnig  große  Tagesord- 
nung der  früheren  Kongresse  wurde  etwas 
gekürzt,    die  Zahl   der   Resolutionen    vermin- 


324 


<ss 


=  DIE  FRI  EDENS -^d^AKTE 


dert,  der  Redeschwall  der  Berufenen  wie  der 
Unberufenen  zum  Nutzen  der  Gesamtarbeit 
wohltuend  eingeschränkt.  Die  Kommissionen, 
die  zum  erstenmal  vor  dem  Kongreß  zu- 
sammentraten,' konnten  in  Ruhe  arbeiten  und 
den  Vollversammlungen  wohl  ausgearbeitete 
Vorschläge  unterbreiten.  Auch  die  vorherige 
Drucklegung  des'  größten  Teilesi  der  Berichte 
kann  als  eine  Förderung  der  Arbeit  bezeichnet 
werden. 

Trotzdem  ist  es  angebracht,  weiter  Kritik 
zu  üben;  um  so  mehr,  als  man  sieht,  wie  die 
unausgesetzte  Kritik  dem  Werke  nützlich  ist, 
wenn  man  den  Kritikern  auch  oftmals  ihre 
wohlgemeinte  Arbeit  recht  übel  nimmt.  So 
sagen  wir  es  rund  heraus :  Der  Haager  Kongreß 
bezeichnete  in  Bezug  auf  die  Organisation 
einen  Fortschritt,  bei  weitem  aber  noch  keine 
Lösung  des  Problems.  Noch  immer  arbeiten 
die  Kongresse  nach  Methoden,  die  in  den  An- 
fängen der  Bewegung  angebracht  gewesen 
sein  mochten,  die  aber  heute,  angesichts  der 
ungeheuren  Entwicklung  des  Pazifismus,  im 
Hinblick  auf  das  erhöhte  Augenmerk,  das 
den  Kongreßarbeiten  seitens  einer  weiten 
Oeffentlichkeit  zuteil  wird,  grundlegend  ge- 
ändert werden  müßten.  Noch  immer  ist  die 
Tagesordnung  mit  Beratungsstoff  überladen, 
dessen  Häufung  verhindert,  daß  das  Wich- 
tige vom  Unwichtigen  geschieden  wird,  ja  in 
der  Regel  dahin  führt,  daß  die  wirklich  wich- 
tigen und  zeitgemäßen  Fragen  von  der  Masse 
des  Minderwichtigen  oder  gar  Unwichtigen  in 
den  Hintergrund  gedrängt  werden.  Das  fran- 
zösische Sprichwort :  „Qui  trop  embrasse 
mal  etreint"  trifft  infolgedessen  für  unsere 
Kongresse  noch)  immer  zu.  Noch  immer  wird 
ein  mir  stets  unfaßbar  gebliebener  Wert  auf 
die  Formulierung  recht  zahlreicher  Reso- 
lutionen gelegt,  wofür  eine  Menge  Zeit  für 
Wortklaubereien  und  Haarspaltereien  ver- 
wendet wird,  die  wahrlich  besser  ausgenutzt 
werden  könnte.  Man  tut  so,  als  ob  mit  den 
Resolutionen  Gesetze/  für  alle  Ewigkeiten  fest- 
gelegt werden'  sollten,  während  diese  im  gün- 
stigten  Falle  nur  geschichtliche  Belege  für 
die  zurzeit  geltenden  Anschauungen  innerhalb 
der   Bewegung  bilden  können. 

Aber  auch'  direkte  Schädigungen  der  Be- 
wegung treten  durch  die  Ueberladung  der 
Kongreß-Tagesordnung  in  Erscheinung.  So 
Avird  namentlich  durch  die  Behandlung  von 
Problemen,  die  gar  nicht  in  die  Kompetenz 
des  Kongresses  fallen,  jener  Dilettantismus  ge- 
nährt, der  den  Gegnern  eine  bequeme  Ge- 
legenheit bietet,;  ihren  Spott  auszugießen.  Der 
Friedenskongreß  ist  nicht  nur  kein  euro- 
päischer Areopag,  wie  wir  es  im  Vor- 
jahre, anläßlich  seiner  beunruhigenden  Stel- 
lungnahme zu  innerpolitischen  Angelegen- 
heiten europäischer  Staaten,  hier  zum  Aus- 
druck brachten,  er  bildet  auch  kein 
wissenschaftliches  Forum,  das  Gut- 
achten  abzugeben  oder  wissenschaftliche  Pro- 
bleme zu  lösen  berufen  wäre.   Er  ist  eben  nicht 


imstande,  seine  Teilnehmer  zu  wählen ;  seine  Be- 
ratungen stehen  allen  offen,  die  guten  Willens 
sind  und  mit  den  elementaren  Grundsätzen  der 
Friedenslehre  übereinstimmen.  Dies  gibt  ihnen 
aber  noch  nicht  das  Recht  und  noch  weniger 
die  Fähigkeit,  in  wissenschaftlichen  Fachfragen 
bestimmend  mitzuwirken.  Der  Kongreß  kann 
Anregungen  geben)  und  Wünsche  formulieren, 
die  die  Wissenschaft  aufgreifen  und  weiter  ver- 
folgen vermag;  er  kann  Tatsachen  verkünder» 
und  seine  Kritik  daran  üben;  aber  er  ist  nicht 
berechtigt,  selbst  wissenschaftliche  Probleme 
in  Angriff  zu  nehmen,  zu  bearbeiten  oder  zu 
begutachten.  Auch  die  von  ihm  einzusetzen- 
den Fach-Ausschüsse  (Kommissionen)  können 
da  nicht  fördernd  einwirken,  denn  diesen  Fach- 
Ausschüssen  fehlt  es  in  der  Regel  an  Fach- 
leuten. Wir  haben  im  vorigen  Jahr  eine  so- 
ziologische Kommission  eingesetzt.  Es  fehlen 
ihr  nur  die  Soziologen.  Wir  besitzen  eine 
juristische  Kommission,  die  sich  vorwiegend 
mit  Völkerrechts-Fragen  befaßt.  Die  Mit- 
glieder dieser  Kommission  mögen  ausgezeich- 
nete Rechtsanwälte  oder  Notare  sein;  aber 
zur  Beurteilung  von  Völkerrechts-Fragen  ge- 
nügt dies  noch  nicht.  So  hätte  der  Kongreß 
bald  die  bedeutende  Arbeit  von  V  ollen - 
hoven  unter  den  Tisch  geworfen.  Dazu  war 
er  in  keinem  Falle  befugt.  Andererseits  hat 
er  keine  Autorität,  das  von  A  r  n  a  u  d  vor- 
gelegte Weltgesetzbuch  zu  beurteilen  und  mit 
seinem  Placet  versehen  in  die  Oeffentlichkeit 
zu  schicken. 

Die  Fachleute  des  Völkerrechtes1  haben 
ihre  eigenen  Institute  und  Kongresse,  wo  der- 
artige Fragen  mit  Nutzen  studiert,  erörtert 
und  begutachtet  werden  können.  Warum 
weisen  die  Friedenskongresse  diese  Fachpro- 
bleme nicht  dahin?  —  Dadurch  könnte  sofort 
eine  Erleichterung  der  überbürdeten  Tages1- 
ordnung  erzielt  werden. 

Man  darf  eben  nicht  vergessen,  daß  die 
Entwicklung  des  Pazifismus  eine  eingehende 
Spezialisierung  zur  Folge  hat.  Aus  dem  Chaos 
der  Bewegung  organisierten  sich  die  Sonder- 
fächer heraus.  Nicht  nur  das  pazifistisch 
orientierte  Völkerrecht  hat  seine  eigenen  Kon- 
gresse, auch  die  in  der  Richtung  der  Friedens- 
idee wirkende  Soziologie  hat  ihre  nationalen 
und  internationalen  Veranstaltungen.  In  der 
Menschenökonomie  und  Eugenik  sehen  wir 
neue  pazifistische  Sonderfächer  sich  ent- 
wickeln, die  dem  Kriege  vom  biologischen  Ge- 
sichtspunkt zu  Leibe  rücken.  Neuerdings  fin- 
den wir  auch  die  Theologen  bereit,  auf  Sonder- 
wegen der  Friedensidee  zu  dienen.  Die  inter- 
nationale katholische'  Friedensorganisation,  die 
Kongresse  für  liberales  Christentum,  die  be- 
ginnende Organisation  der  deutschen  Pastoren, 
all  das  sind  erfreuliche  Anzeichen  dieser  neuen 
Sonderbewegungen.  Auch  die  Ausbildung 
einer  eigenen  Wissenschaft  des  Internationalis- 
mus mit  ihren  Kongressen  und  Einrichtungen 
ist  als  pazifistische  Sonderbewegung  anzusehen. 
Die  besondere   Organisierung  der  Frauen  im 


325 


DIE  FßlEDEN5-^ößTE 


3 


Dienste  des  Pazifismus  ist  geplant.  Auf  die 
äitere  Sonderbewegung  der  Parlamentarier,  auf 
die  neue  der  Verständigungsverbände,  die  mit 
bestimmt  begrenztem  Programm  neue,  bis- 
her unzugängliche  Kreise  zu  erreichen  suchen, 
braucht  nur  hingewiesen  zu  werden.  Und 
immer  neue  Sonderbewegungen  sind  voraus- 
zusehen. Das  Buch  Norman  Angells  und 
die'  zu  erwartenden  Ergebnisse  der  von  der 
IL  Abteilung  der  Carnegiestiftung  angeregten 
Studien  werden  sicherlich  eine  wirtschafts- 
politische Sonderbewegung  ins  Leben  rufen. 
Reif  zur  Loslösung  von  der  allgemeinen  Be- 
wegung sind  die  Bestrebungen  zur  pazifisti- 
schen Erziehung  der  Jugend.  Die  Unterrichts- 
kommission des  Weltfriedenkongresses  bildet 
bereits  einen  kleinen  Kongreß  im  Kongreß, 
und  es  wäre  nur  mit  Freude  zu  begrüßen,  wenn 
der  erste  pazifistisch-pädagogische  Kongreß 
recht  bald  ins  Leben  treten  würde!. 

Was  hier  festgestellt  wird,  weist  nicht  auf 
Zersplitterung  hin,  ist  kein  Zeichen  des  Ver- 
falls; es  bedeutet  vielmehr  Entfaltung  und 
kennzeichnet  einen  ungeheuren  Aufstieg  der 
Bewegung.  Nur  müssen  die  alten  Organe  der 
Bewegung  dieser  Entwicklung  Rechnung 
tragen,  sonst;  verlieren  sie  ihre  Bedeutung,  ja, 
sonst  verkümmern  sie.  Der  Weltfriedens- 
Kongreß  ist  in  erster  Linie  dazu  berufen, 
seine  Methoden  zu  ändern,  um  angesichts  der 
immer  zahlreicher  werdenden  Sonderkongresse 
seine  Stellung  als  zusammenfassende  Ein- 
richtung zu  behaupten.  Er  darf  sich  nicht  mehr 
in  Einzelfrageri  verlieren;  er  muß  trachten, 
das  Gesamtgebiet  im  Auge  zu  behalten.  Aber 
nicht  etwa  so,  daß  er  sich  in  alles  hinein- 
mischt und  schwierige  Probleme  breitspurig 
von  Nichtfachleuten  erörtern  läßt,  oder  in  Er- 
mangelung der  Zeit  über  wichtige  Fragen 
eine  ungeprüfte)  und  oberflächliche  Resolution 
in  die  Welt  setzt.  Vielmehr  so,  daß  er  für 
die  wichtigsten  Probleme,  und  für  möglichst 
viele,  alljährlich  fachlich  mit  den 
FragenvertrautePersöniichkeiten 
beauftragt,  über  den  Stand  der  ein- 
zelnen Probleme  kurze  Vorträge 
zu  halten.  Seine  daran  zu  knüpfenden 
Wunscne  und  Anregungen  kann  dann  der  Kon- 
greß in  einer  einzigen  Resolution  zusammen- 
fassen. Ich  meine,  daß  das  von  der  Lake- 
Mohonk-  Konf  er  enz  gegebene  Bei- 
spiel einfach  Nachahmung  finden  müßte. 
Wenn  der  Weltfriedenskongreß,  wie  es  dort 
geschieht,  nur  Fachleute  zu  Worte  kommen 
läßt,  die  führenden  Rechtsgelehrten,  Diplo- 
maten neuer  Schule,  führende  Pazifisten, 
Gelehrte  der  verschiedenen  der  Friedensidee 
nahestehende  Disziplinen,  bekannte  Jour- 
nalisten, Verständigungs  -  Techniker  usw., 
dann  wird  er  in  der  Oeffentlichkeit 
jene  Beachtung  finden,  die  ihm  ge- 
bührt und  die  der  Bewegung  nottut.  Dann 
wird  er  die  ihm  zufallende  Aufgabe  erfüllen. 
Wir  brauchen  die  100  Resolutionen  nicht  mehr, 
deren   Wortlautfeststellung  uns   kostbare   Zeit 


raubt,  ohne  daß  uns  ein  Nutzen  daraus 
erwächst,  wir  brauchen  die  langatmigen  De- 
batten nicht,  bei  denen  jeder  Outsider  seine 
Ideen  ablagern  kann,  noch  weniger  die  oft  über- 
eilten, noch  öfter  unzuständigen  Beurteilungen. 
Was  uns  auf  den  Kongressen  nottut,  ist  eine 
möglichst  umfassende  Aufrollung  aller  Vor- 
gänge der  Bewegung,  Berichte  über  ihre  Ent- 
wicklung und  Vertiefung.  Wir  sollen  der 
Außenwelt  eine  Parade  der  pazifistischen  Ar- 
beit vorführen  und  ihr  den  Umfang  und  die 
Richtung  dieser  Arbeit  erkennbar  machen.*) 
Tun  wir  das,  dann  werden  wir  das  alte 
Instrument  der  Weltfriedens-Kongresse  den 
neuen  Anforderungen  der  höher  entwickelten 
Bewegung  dienstbar  machen.  Tun  wir  das 
nicht,  werden  andere  Organisationen  ins  Leben 
treten,  die  das  Bedürfnis  der  Zeit  besser  er- 
fassen. Schon  haben  die  Organisationen  der 
„Conciliation  internationale"  mit  ihren  moder- 
neren Arbeitsmethoden  und  ihrer  politisch 
klügeren  Taktik  die  Friedensbewegung  in  ganz 
neuen,  bisher  unerreichbaren  Schichten  zu  An- 
sehen gebracht.  In  den  Hauptländern  sind 
diese  Organisationen  bereits  durch  nationale 
Gruppen  vertreten.  Es  unterliegt  unbedingt 
keinem  Zweifel,  daß  diese  nationalen  Gruppen 
über  kurz  oder  lang  zu  internationalen  Kon- 
gressen zusammentreten  werden,  die  nicht  in 
die  Fehler  der  Weltfriedens-Kongresse  ver- 
fallen, sondern  aus  diesen  Nutzen  ziehen 
werden.  Sie  werden  sich,  wie  dies  mit  großem 
Erfolg  bereits  der  deutsche  Zweig  der  Con- 
ciliations-Bewegung,  der  „Verband  für  inter- 
nationale Verständigung"  auf  seinen  nationalen 
Verbandstagen  tut,  die  Methoden  der  Lake- 
Mohonk-Konferenzen  zu  eigen  machen,  werden 
nur  berufene  Fachleute  zu  Worte  kommen 
lassen  und  das  müßige  Resolutions-Geplänkel 
vermeiden.  Dann  werden  die  wertvollen  Ele- 
mente der  Bewegung  sich  ganz  dieser  Organi- 
sation anschließen  und  die  bereits  eine  Tra- 
dition besitzenden  älteren  pazifistischen  Ein- 
richtungen, mit  ihnen  die  Weltfriedens-Kon- 
gresse, die  im  nächsten  Jahre  auf  ein  Viertel- 
jahrhundert ihrer  Arbeit  zurückblicken  können, 
jede  Bedeutung  verlieren  und  ganz  aufhören. 

Vom  allgemeinen  Gesichtspunkt  wird  das 
gewiß  nicht  zu  bedauern  sein;  denn  in  erster 
Linie  steht  der  Fortschritt  der  Sache.  Und 
was  diesem  dient,  muß  uns  willkommen  sein. 
Aber  es  fragt  sich  nur,  ob  es  nicht  möglich 

*)  Es  sei  bei  dieser  Gelegenheit  auf  jene 
vertrauliche  Denkschrift  hingewiesen,  die  ein 
von  der  „New  York  Peace  Society"  eingesetzter 
Sonderausschuß  über  die  Umwandlung  der 
Weltfriedenskongresse  ausgearbeitet  und  unterm 
4.  Juni  d.  J.  an  die  Mitglieder  des  Berner  Bureaus 
versandt  hat.  Hierin  wird  nachdrücklichst  eine 
Reform  der  Kongreßmethode  gefordert  und  ge- 
eignete, äußerst  praktische  Vorschläge  dazu  ge- 
macht. Es  wäre  wünschenswert,  wenn  diese 
Denkschrift  gedruckt  und,  in  die  Hauptsprachen 
übersetzt,  weiteren  Kreisen  zugänglich  gemacht 
werden    würde. 


^26 


<§= 


DIE  FRI  EDENS -^MkRXE 


ist,  diesen  energievergeudenden  Wettkampf 
zu  ersparen  und  das  alte  Werkzeug,  das 
vielen  von  uns  lieb  geworden  ist,  an  dem 
die  Arbeitskraft  unserer  besten  Schaffenszeit 
hängt,  lebenstüchtig  zu  erhalten.  Meiner  An- 
sicht nach  ist  das  möglich.  Nur  rascher 
W'andel    tut    not. 


Nun  noch  ein  Wort  über  die  Presse.  — 
Die  Zeiten  sind  vorüber,  wo  wir  vor  den 
Redaktionstüren  stehen  und  um  Auf- 
nahme von  Mitteilungen  über  unsere  Kongresse 
betteln  mußten.  Die  großen  Zeitungen  und 
Telegraphen-Agenturen  kommen  heute  von 
selbst  und  berichten  in  ausführlicher  Weise 
über  unsere  Beratungen*),  die  sich  dadurch 
vor  der  ganzen  Welt  abspielen.  Namentlich 
die  holländischen  Zeitungen  haben  sich  durch 
die  Sachlichkeit  und  Ausführlichkeit  ihrer  Be- 
richte ein  nicht  genug  anzuerkennendes  Ver- 
dienst erworben.  Auch  mit  der  Bericht- 
erstattung in  der  großen  Presse  Deutschlands 
können  wir  zufrieden  sein.  Daß  die  alldeutsche 
Presse  jedoch  alles  daran  gesetzt  hat,  die 
Kongreßarbeit  zu  verleumden,  darf  uns  nicht 
wundernehmen.  Im  Grunde  genommen  können 
wir  ihr  dankbar  dafür  sein,  daß  sie  uns  nicht 
totschweigt;  denn  auch  die  Gehässigkeit  der 
Gegner  fördert  uns,  wie  der  Segler  auch  durch 
den  Wind  nach  vorwärts  getrieben  wird,  der 
gegen  seine  Fahrtrichtung  bläst.  Aber  gerade 
Vom  nationalen  Gesichtspunkt,  den  ja  jene 
Organe  hochzuhalten  glauben,  ist  die  Perfidie 
zu  bedauern,  mit  der  jene  Presse  Unsere  Kultur- 
arbeit zu  behandeln  sich  herausnimmt.  Daß 
sie  als  Gegner  dazu  Stellung  nimmt,  würden 
wir  ihr  nicht  verargen;  nur  die  Form,  in  der 
diese  Gegnerschaft  zum  Ausdruck  kommt  und 
die  dabei  angewandten  Methoden  weisen  wir 
zurück.  Man  betrachte  nur  die  Ueberschriften 
jener  Artikel,  in  denen  die  Leser  solcher  Blätter 
über  den  Haager  Kongreß  unterrichtet 
werden :  ,,D  ie  Friedensfarce"  (Deutsche 
Tageszeitung,  21.  August).  —  „Die  Welt- 
friedensbrüder im  Haag"  (Hamburger 
Nachrichten,  22.  August).  —  „H  a  a  g  e  r 
Friedensseuchelei"  (Rheinisch  -  West- 
fälische Zeitung,  23.  August).  —  „D  i  e 
Herren  aus  Wolkenkuckuckshei m" 
(Rheinisch-Westfälische  Zeitung,  24.  August). 
—  „D  ie  Haager  Propheten"  (Hallesche 
Zeitung,  23.  August).  —  „Ein  gefähr- 
licher Unfug"  (!)  (Berliner  Neueste  Nach- 
richten, 30.  August)  usw.  Es  genügen  diese 
Angaben.  Daß  diesen  Titeln  auch  die  Bericht- 
erstattung bzw.  die  Kritik  entspricht,  braucht 
wohl  nicht  erst  erwähnt  zu  werden.  Vom 
national-sittlichen  Standpunkt  bedauernswert 
ist  es,  daß  jene  „nationale"  Presse  durchweg 
Lügen  berichtet  und  Phantasien  zum  besten 
gibt.  Keine  einzige  dieser  Zeitungen  hatte 
einen    Berichterstatter    im    Haag.      Sie    „be- 

*)  Siehe  die  Artikel-Bibliographie  der  vor- 
liegenden   Nummer. 


richten"  dennoch  so,  als  ob  sie  alles  gehört 
und  gesehen  hätten.  Zum  Teil  halten  sie  sich 
an  einzelne  Worte,  die  in  irgendeinem  Tele- 
gramm verunstaltet  wurden,  und  machen  aus 
einer  Episode,  die  sich  zum  ganzen  im  Maß- 
stab von  1 :  374  000  hält,  das  Ereignis  des 
Kongresses.  Zum  überwiegend  größten  Teil 
dichten  sie  einfach  und  lassen  den  Kongreß 
„die  allgemeine  Abrüstung"  fordern  oder 
durch  ein  Schiedsgericht  den  Balkankrieg 
erledigen  oder  —  was  noch  immer  als  be- 
liebtes Steckenpferd  gilt  —  Elsaß-Lothringen 
vom  Reich  abtrennen.  Daß  bei  dieser  triefen- 
den Sachkenntnis  der  Weltfriedenskongreß, 
die  Haager  Regierungskonferenzen,  die  Er- 
öffnung des  Friedenspalastes  und  die  Inter- 
parlamentarische Konferenz  einfach  durch- 
einander  geworfen    werden,    ist    nur   zu   klar. 

Um  nur  ein  Beispiel  der  „Bericht- 
erstattung" anzuführen,  seien  die  Eingangssätze 
eines  Artikels1  des  „Generalanzeiger  für  Bonn" 
(30.  August)  hier  zitiert.    Diese  lauten: 

„Ein  Gemisch  aus  allen  Stilen,  charakterlos 
vom  Dach  bis  zum  Keller^  so  steht  der  neue 
„Friedenspalast"  im  Haag  vor  den 
Blicken  der  verblüfften  Beschauer.  Auf  dem 
First  weht  die  allem  Geschmack  ebenso  hohn- 
sprechende „Friedensfahne"  (!!):  die  sieben 
Regenbogenfarben  mit  einem  weißen  Streifen. 
Im  Festsaal  aber  verliest  seine  Weiherede  ein 
verhutzeltes,  kleines  Männchen,  der  Stifter  Car- 
negie, und  diese  Rede  ist  vom  Anfang  bis  zum 
Ende   spießbürgerlich    und    taktlos." 

Daß  der  „Berichterstatter"  den  Palast  ge- 
schmacklos findet,  ist  sein  Recht.  Nur  soll 
er  uns  nicht  weißmachen  wollen,  daß  er  ihn 
je  gesehen  hat  und  selbst  zu  den  „Verblüfften" 
gehörte.  Ebensowenig,  wie  er  die  sagenhafte 
Friedensfahne  gesehen  hat,  deren  geschildertes 
„Wehen"  deutlich  anzeigt,  wie  sich  der  Bonner 
„kleine  Moritz"  die  Eröffnung  eines  Friedens- 
palastes nun  einmal  vorstellt.  Ebenso  wie  er 
sich  Carnegie  vorstellt,  der  durchaus  „ ver- 
hutzelt"   sein    muß. 

Was  die  guten  Patrioten  aber  über  jene 
Rede  Carnegies  zusammengeschrieben  haben, 
in  der  Kaiser  Wilhelm  als  der  Hort  des  euro- 
päischen Friedens  bezeichnet  wird,  geht  über 
das  Maß  des  Erlaubten.  Was  hätte  die  „Jour- 
naille" dann  erst  geschrieben,  wenn  Carnegie 
den  Kaiser  als  Hemmnis  des  Weltfriedens  be- 
zeichnet hätte?  Nach  ihrer  Entrüstung  zu  ur- 
teilen, wäre  ihnen  das  sogar  lieber  gewesen. 

Wir  möchten  hier  anführen,  was  ein  so- 
zialdemokratisches Blatt  über  die  Stellung- 
nahme jener  „Nationalen"  zu  dem  Haager 
Friedenskongreß  gesagt  hat,  weil  dies  ganz 
unsere  Auffassung  wiedergibt.  Wir  können 
dies  umso  eher  tun,  als  die  gesamte  sozial- 
demokratische Presse  den  Haager  Kongreß 
noch  viel  unglimpflicher  behandelt  hat,  als 
die  alldeutsche.  Doch  das  ist  ein  Kapitel  für 
sich,  das  uns  hier  zu  weit  führen  würde. 
Hier  das'  Zitat  aus  der  „Schwäbischen  Volks- 
zeitung"   (30.   August): 


327 


DIE  FBIEDEN5-^6JiTE 


•9 


„Mit  einer  Genugtuung,  als  gelte  es  den 
höchsten  Ruhm!  der  Menschheit  zu  verkünden, 
wird  darauf  hingewiesen,  daß  es  den  humanen 
Bestrebungen  der  Pazifisten  nicht  gelungen 
ist,  den  Kriegen  ein  Ende  zu  bereiten.  Jede 
Schlacht  und  jedes  Gemetzel,  vom  spanisch- 
amerikanischen Krieg  bis  zu  den  jüngsten  Bal- 
kangräueln,  wird  mit  Wohlbehagen  hervor- 
gezogen, als  wäre  der  bisherige  zweifellose 
Mißerfolg  der  friedensfreundlichen  Bestre- 
bungen so  etwas  wie  der  Triumph  einer  guten 
Sache.  Und  indem  man  die  Tatsachen  der 
neueren  und  neuesten  Kriegsgeschichte  den 
armen  Pazifisten  unbarmherzig  um  die  Ohren 
schlägt  — »  was  glaubt  man  dadurch  gewonnen 
zu  haben.  Ist  die  Tatsache,  daß  ein 
erstrebenswertes  Ziel  noch  nicht 
erreicht  worden  ist,  etwa  ein  Be- 
weis dafür,  daß  das  Ziel  überhaupt 
nicht  erstrebenswert  ist?  Und  ist 
der  Mißerfolg  einer  Bewegung  schon  dadurch 
bewiesen,  daß  sie  in  den  ersten  Jahren  ihres 
Wirkens  noch  keinen  durchschlagenden  Er- 
folg  zu  verzeichnen  hat?" 

Das  ist  vollkommen  richtig !  —  Wenn  jene 
nationale  Presse  den  Nachweis  erbringen  will, 
daß  alle  pazifistische  Arbeit  notwendig  er- 
gebnislos ist,  so  müßte  sie  dies,  wenn  es  ihr 
nur  darum  zu  tun  wäre,  nach  psychologischen 
Gesetzen  mit  Bedauern  tun,  so  wie  man  mit 
Bedauern  erfährt,  daß  irgendein  Fortschritt 
auf  Hemmnisse  stößt;  wie  man  die  abstürzen- 
den Aviatiker,  die  von  den  Elementen  ver- 
nichteten Zeppelin  -  Ballone,  die  erfrorenen 
Nordpolforscher,  die  aufgefressenen  Afrika- 
reisenden bedauert.  Aber  über  solche  Wider- 
lichkeiten triumphieren,  zeigt,  daß  man  gar 
nicht  zu  hoffen  wagt,  daß  sie  überwunden 
werden,  zeigt,  daß  jene  witzigen  Triumphatoren 
den  Weltfrieden  fürchten,  der  ihnen  den 
sicheren  Garaus  machen  muß. 

Diese  Besudelungen  dürfen  uns  jedoch 
nicht  erschrecken.  Nur  um  mit  einem  Schein- 
werfer die  Straße  zu  beleuchten,  die  wir 
wandern  müssen,  sind  diese  Glossen  hier  ge- 
macht worden.  Man  muß  eben  hohe  Stiefel 
anziehen,  wenn  man  für  die  Menschheitsent- 
wicklung arbeitet.  Der  Boden  ist  schmutzig. 
Den  Gang  der  Welt  halten  jedoch  die  „Ge- 
neralanzeiger" und  „Neuesten  Nachrichten" 
nicht  auf.  A.  H.  F. 

Der  $(.  Weltfriedenskongreß 
im  Haag. 

(18.  bis  23.  August.) 

Von  Elsbeth  Friedrichs,  Locarno-Monti. 
Das  war  einmal  wieder  eine  Tagung,  die 
einen  Aufschwung  darstellte,  der  XX. 
Weltfriedenskongreß,  einen  Aufschwung  von 
allen  Seiten,  einen  Aufschwung,  dem  zum 
Schluß  auch  noch  die  Wissenschaft  Sanktion 
und  dadurch  Dauer  verliehen  hat.  Ja,  der 
XX.  Weltfriedenskongreß  hat  zur  Evidenz  be- 


wiesen, daß  der  Pazifismus,  weit  davon  ent- 
fernt, durch  die  kriegerischen  Ausbrüche  der 
letzten  Zeiten  niedergeworfen  zu  sein,  in  seiner 
Entwicklung  und  Ausbreitung  bedeutend  zu- 
nimmt, daß  er  in  seinen  Erscheinungsformen; 
deren  dieser  Kongreß  eine  war,  seine  unan- 
fechtbare innere  Wahrheit  auch  für  alle  noch 
nicht    Kundigen    darzustellen    imstande    ist! 

Dies  sei  eingangs  dieses  Berichtes  gleich 
allen  Klein-  und  Schwachgläubigen  versichert, 
die,  entmutigt  durch  die  letzten  Jahre  die 
pazifistischen  Waffen  niederlegen  möchten  und 
zur  Kapitulation  geneigt  sind.  Also  ein  Er- 
folg ist  das  Resultat  des  XX.  Weltfriedens- 
kongresses, ein  Erfolg  nach  allen  Richtungen 
hin;  und  wir,  die  wir  längst  die  Immanenz 
des  in  der  Friedensbewegung  lebendigen  Ge- 
setzes erkannt  und  infolgedessen  nie  unsere 
Arbeit  aufgegeben  haben,  konnten  es  mit 
Freude  und  Genugtuung  fast  in  jeder  Stunde 
neu  wahrnehmen,  wie  der  Friedenswille  die 
weitesten  Kreise  umfaßt,  in  ihnen  eine  be- 
wußte pazifistische  Weltanschauung  schafft 
und  die  verschiedensten  Stände  und  Gesell- 
schaftsklassen antreibt,  sich  organisatorisch  zu- 
sammenzuschließen und  sich  einzuordnen  in 
die  Arbeit.  Das  eben  ist  jenes  selbsttätige 
Walten  des  organisatorischen  Prinzips,  jene 
immer  schneller  einhergehende  Weltorgani- 
sation, von  der  Alfred  H.  Fried  schon 
Jahrzehnte  lang  spricht.  Jetzt  wird  er 
nicht  mehr  tauben  Ohren  predigen, 
die  950  Kongressisten,  welche  sich  in 
der  letzten  Augustwoche  im  Haag  ver- 
sammelt haben,  werden  das  alle  empfunden 
haben,  und  sie  werden  das  Evangelium  weiter- 
tragen von  dem  „Rittersal"  der  schönen  hollän- 
dischen Hauptstadt  hinaus  in  die  ganze  Welt, 
da   sie   ja  aus   aller  Welt  kamen. 

Es  ist  imponierend,  wie  systematisch,  wie 
unermüdlich  und  hingebend  die  holländischen 
Freunde  vorgearbeitet  haben.  Jede  Korpora- 
tion, Sektion  und  Spezialgruppe  bis  herab  zu 
dem  einzelnen  Delegierten  und  dem  einfachen 
Teilnehmer,  fand  die  seinen  Arbeitsbedürf- 
nissen entsprechende  fertige  Form  vor  bei 
seinem  Erscheinen.  Eine  Gastfreundschaft 
und  Noblesse  war  geboten  durch  die  ver- 
schiedensten hervorragenden  holländischen 
Städte,  die  allein  schon  geeignet  war,  ein 
Hochgefühl  zu  erwecken;  denn  diese  Gast- 
freundschaft galt  ja  der  Weltfriedensbewegung 
und  war  ein  Zeichen  des  pazifistischen  Be- 
kenntnisses   Hollands. 

Besonders  wertvoll  erwies  sich  die  von  den 
Holländern  geleistete  vorbereitende  Arbeit  für 
die  Vorberatungen  der  Kommissionen  einer 
zum  erstenmal  geübten  Praxis,  diecjsich  als 
sehr  zweckentsprechend  gezeigt  hat.  Man 
hatte  längst  vorher  Sorge  getragen,  daß  diese 
einzelnen  Kommissionen  aus  Spezialarbeitern 
der  verschiedensten  Länder  zusammengesetzt 
waren,  daß  den  Vorsitzenden  jeder  Kom- 
mission die  Anträge  und  Anregungen  von 
Seiten    der    einzelnen    Teilnehmer    vorschrifts- 


328 


<s= 


=  Die  FRIEDEN5->kÄErE 


mäßig  formuliert  vorher  zugesandt  worden 
waren,  so  daß  in  jeder  Kommission  das  Ar- 
beitsmaterial wohlgeordnet  vorlag  und  in  vor- 
her bestimmter  Folge  durchberaten  werden 
konnte. 

Die  Zahl  dieser  vorbereitenden  Komitees 
war  sechs,  jedes  bestand  aus  etwa  neun  vor- 
her angemeldeten  Personen,  und  ihre  Funk- 
tionen bestanden  in  der  durch  Beratung  vor- 
zunehmenden Sichtung  und  Anordnung  des 
durch  die  Pazifisten  aller  Länder  vorgelegten 
Arbeitsstoffes  (Anträge,  Anregungen  und  Vor- 
schläge usw.).  Bei  Eröffnung  der  Voll- 
sitzungen lagen  sowohl  die  gedruckten  Be- 
richte über  die  Tätigkeit  der  einzelnen  Ko- 
mitees, sowie  die  Resolutionen  und  Erklä- 
rungen fertig  für  die  Kongreßarbeit  vor.  Die 
Arbeitsteilung  war  gegeben  durch  folgende 
Einteilung:  Kommission  A  (Aktualitäten).  — 
Kommission  B  (Internationales  Recht).  — 
Kommission  C  (Propaganda).  —  Kom- 
mission D  (Rüstungen).  —  Kommission  E 
(Soziologie).    —    Kommission    F    (Erziehung). 


Der  schöne  glänzende  Rittersal  im  Haag, 
den  Holländern  teuer  durch  eng  mit  dem 
Volk  verknüpfte  Tradition,  der  Welt  ein 
Friedenshort  durch  Tagung  der  zweiten 
Friedenskonferenz,  war  dem  diesjährigen  Kon- 
greß für  seine  Verhandlungen  bewilligt 
worden.  Er  war  am  Mittwoch,  dem  Tage 
der  9  Uhr  45  Minuten  stattfindenden  feier- 
lichen Eröffnung,  dicht  gefüllt.  Nachdem, 
vom  Orgelklang  getragen,  ein  Frauenchor  die 
holländische  Nationalhymne  und  einen  Frie- 
densgesang vorgetragen  hatte,  begrüßte  der 
Präsident  der  Niederländischen  Friedensgesell- 
schaft, Dr.  de  Pinto  die  Versammlung  und 
machte  die  Mitteilung,  daß  das  Königshaus 
leider  durch  verschiedene  Gründe  an  der  per- 
sönlichen Anteilnahme  verhindert  sei,  doch  mit 
seiner  Sympathie  die  Tagung  begleite,  daß 
die  Regierung  ihr  Wohlwollen  bekunde  durch 
Gewährung  des  Rittersales  als  Versamm- 
lungsort und  durch  aktive  Teilnahme 
des  Ministers  des  Inneren,  Sr.  Exzellenz 
Heemskerk,  ferner  durch  den  Beschluß, 
am  nächsten  Tage  die  Tore  des  Friedens- 
palastes für  die  fremden  Kongressisten  noch 
vor   der  offiziellen   Eröffnung   aufzutun. 

Professor  de  L o  u  t  e  r  (Dozent  für  inter- 
nationales Recht  an  der  Universität  Utrecht), 
welcher  zum  Präsidenten  des  Kongresses 
gewählt  wurde,  wies  in  seiner  Rede  hin  auf 
den  Charakter  der  internationalen  Klassizität, 
den  Holland,  das  Vaterland  des  Hugo  Grotius, 
durch  die  dort  tagenden  großen  und  größten 
Weltkongresse  nach  und  nach  erhalten  habe. 
Er  gedachte  mit  tiefem  Bedauern  der  Balkan- 
konflikte, hob  aber  im  trostreichen  Gegensatz 
dazu  hervor,  wie  über  diese  hin  und  wieder 
noch  ausbrechenden  ^Barbareien  hinaus  die 
dauernd  wachsende  Völkereinigung  gewaltig 
fortschreite,  besonders  eifrig  gefördert  von  den 


Amerikanern,  denen  dafür  die  Glückwünsche 
und  der  Dank  der  Welt  gebühre.  Als  Auf- 
gäben des  Pazifismus  bezeichnet  der  Redner 
die  Beförderung  einer  neuen  Weltorganisation, 
welche  das  internationale  Recht  kodifiziere, 
die  Frage  der  Sanktionen  des  Völkerrechts 
studiere,  die  vom  Richter  ausgesprochenen 
Urteile  exekutiere  (er  bezeichnete  diese  Frage 
als  eines  der  schwierigsten  Probleme),  denn 
nur  der  Friede,  der  im  Recht  seinen  Grund 
habe,  sei  von  Wert,  und  dem  internationalen 
Recht  habe  selbst  die  Souveränität  der 
Staaten  untergeordnet  zu  werden.  .  .  .  Der 
Kongreß  aber  sei  berufen,  die  öffentliche 
Meinung  zu  beeinflussen,  zu  erziehen  und  da- 
durch den  Regierungen  die  besten  Dienste 
zu  leisten.  Was  daraus  entspringen  müsse, 
sei  Brüderschaft  unter  den  Völkern,  sei  ein 
durch  Internationalismus  gereinigter  Patriotis- 
mus. .  .  . 

Minister  Heemskerk  sprach  im  Namen 
der  Königin  Wilhelmina  den  herzlichsten 
Willkommensgruß  aus.  Er  drückte  seine  An- 
sicht dahin  aus,  daß  schon  das  alte  Römerwort 
Jus  suum  cuique  tribuere  dem  Völkerleben 
seine  Bahnen  vorgezeichnet  habe,  daß  man 
dieses  als  Ideal  aufzustellen  und  ihm  nach- 
zustreben habe,  wenn  man  den  Krieg  be- 
kriegen wolle,  was  aber  die  Notwendigkeit 
der  Kodifizierung  des  internationalen  Rechts 
nicht  überflüssig  mache.  Diesem  Ideal  nach- 
zustreben möge  dem  Kongreß  in  erfolg- 
reicher Arbeit  gelingen.  Mit  diesem  Glück- 
wunsch eröffnete  der   Minister  den  Kongreß. 

Der  folgende  holländische  Redner,  Herr 
Goemann  Biorgesius,  ehemaliger  Mi- 
nister des  Innern,  forderte  zunächst  die  Ver- 
sammlung auf,  durch  Erheben  von  den  Sitzen 
dem  jüngst  dahingeschiedenen  Gesinnungs- 
genossen Asser,  ein  kurzes  trauerndes  Ge- 
denken zu  widmen.  Mit  Genugtuung  hob  er 
die  ungeheuer  große  Beteiligung  bei  diesem 
Kongresse  hervor,  als  Zeichen  eines  gerade 
durch  die  Kriege  der  letzten  Zeit  erhöhten 
Eifers.  Holland,  das  kleine  Land,  das  nach 
einem  Ausspruche  der  verehrten  Königin- 
Mutter  groß  sein  solle  in  allem,  in  dem  ein 
kleines  Land  groß  sein  kann,  Holland  kann 
vorangehen   in   der   pazifistischen   Arbeit.  .  .  . 

Senator  Lafontaine  ergriff  als  Vor- 
sitzender des  Berner  Bureaus  das  Wort  zu 
einer  Huldigung  an  Holland,  das  seinen 
ernsten  Friedenswillen  schon  längst  bewiesen 
hat,  zu  einem  Nachruf  an  die  verstorbenen 
großen  Friedensförderer  —  Asser,  Beernaert 
—  und  zu  einem  hoffnungsvollen  Ausblick  auf 
die    Zukunft    der    Gerechtigkeit. 

Dr.  Gobat  fordert  zur  Absendung  eines 
Huldigungstelegramms  an  das  holländische 
Königspaar  auf  und  bringt  die  eingelaufenen 
Begrüßungstelegramme  der  am  Erscheinen 
verhinderten  führenden  pazifistischen  Persön- 
lichkeiten zur  Kenntnis.  Es  fehlen  dieses  Mal 
nur  wenige,  und  diese  aus  triftigen  Gründen. 

Frau  Baronin  von  Suttner  teilt  mit, 


329 


DIE  FRIEDENS -WAGTE 


■3 


daß  die  Öesterreichisch-ungarische  Delegation 
anläßlich  des  Geburtstages  ihres  Monarchen 
ihm  ein  Glückwunsch-  und  Danktelegramm 
gesandt  habe  für  das,  was  er  in  letzter  Zeit 
zur  Beförderung  des  Völkerfriedens  getan 
habe,  ferner,  daß  der  Kaiser  sofort  in  herz- 
licher Weise  dankend  geantwortet  habe. 


Das  Rüstungsproblem. 

Nach  Eröffnung  der  um  2  Uhr  desselben 
Tages  beginnenden  ersten  Plenarsitzung  —  auf 
der  Tagesordnung  steht  die  Rüstungs- 
frage —  legt  zunächst  Professor 
Dr.  Q  u  i  d  d  e  sein  Referat  über  Rüstungs- 
beschränkung vor.  Er  geht  ein  auf  die  Ur- 
sachen und  Gründe  —  auch  die  angeblichen 
—  der  letzten  allgemeinen  Rüstungssteige- 
rungen und  kann  selbst  als  Deutscher  nicht 
in  Abrede  stellen,  daß  Deutschland  im  Wett- 
kampf mit  dem  westlichen  Nachbar  den  Aus- 
gangspunkt geboten  habe,  indem  das  Gesetz 
der  dreijährigen  Dienstzeit  derselben  zweifels- 
ohne nicht  angenommen  worden  wäre  ohne 
die  deutsche  Rüstungssteigerung.  Daß  die 
deutsche  Regierung  den  Balkanbund  zum 
Ausgangspunkt  genommen  habe,  sei  keine  ein- 
wandfreie Begründung  gewesen,  da  ja  der 
Zerfall  dieses  Bundes  ziemlich  sicher  hätte 
vorausgesehen  werden  können.  Die  Parla- 
mente und  die  Regierungen,  diese  verant- 
wortlichen Gewalten,  sie  tragen  die 
schwere  Schuld  an  der  Konstellation.  Sie 
haben  zwar  schwache  Versuche  gemacht 
nach  einer  besseren  Richtung  hin,  aber  diese 
sind  mißglückt  aus  Mangel  an  wahrem 
ernsten  Willen.  Sie  trifft  die  Schuld  an 
der  sich  steigernden  internationalen  Anarchie; 
denn  das  Rüstungsproblem  ist  ein  inter- 
nationales Problem  und  erfordert  die  ge- 
meinsame Arbeit  der  Regierungen  und 
Parlamente.  Jetzt,  nachdem  Jahrzehnte  ver- 
flossen sind  seit  dem  vorzüglichen  Ausdruck 
des  bekannten  Zarenmanifestes,  jetzt 
mahnen  wir  die  Regierungen,  Wort  zu 
halten,  jetzt  fordern  wir  Friedensfreunde 
unsere  gesetzgebenden  und  Gesetze  beratenden 
Körperschaften  auf,  Ernst  zu  machen  mit  den 
Pflichterfüllungen,  die  sie  sich  auferlegt 
haben,  indem  sie  auf  der  ersten  Haager  Kon- 
ferenz anerkannten,  daß  ein  Rüstungsstillstand 
im  Interesse  der  Menschheit  geboten  sei; 
Ernst  zu  machen,  indem  sie  die  Frage  der 
Rüstungsbeschränkung  zu  einem  Hauptver- 
handlungspunkt der  Tagesordnung  der  dritten 
Friedenskonferenz  machen. 

Die  Resolution  I  wird  mit  allen  Stimmen 
angenommen. 

Resolution  I. 
Die    Notwendigkeit    eines 
Rüstungsstillstandes. 
Der  Kongreß,  versammelt  unter  dem  Ein- 
druck   einer    Steigerung    der    Rüstungen,    wie 
sie    die    Welt    noch    niemals    gesehen    hat,    er- 
hebt   Anklage,    nicht    so    sehr    gegen    die    be- 
teiligten Regierungen  und  Parlamente,  sondern 


gegen  den  Zustand  internationaler  Anarchie,. 
der  immer  wieder  zu  neuen  Exzessen  des- 
wilden   Rüstungswettkampfes    führt; 

er  ruft  denen,  die  solche  Rüstungen  für 
notwendig  halten,  um  den  Frieden  zu  sichern, 
in  Erinnerung,  daß  die  Rüstungen  ihres- 
eigenen  Landes,  von  denen  sie  diese  Wirkung 
erhoffen,  kurz,  nachdem  sie  beschlossen  sind,, 
entwertet  werden,  oder  vorher  schon  ent- 
wertet sind  durch  Rüstungen  andrer  Länder, 
in  denen  sie  eine  Bedrohung  des  Friedens- 
erblicken; 

er  appelliert  an  das  Empfinden,  das  sich 
weiter  Kreise  in  allen  Völkern  in  steigendem 
Maße  gerade  unter  dem  Eindruck  dieser 
letzten  Rüstungen  bemächtigt  hat,  daß  es  so 
nicht  weitergehen  darf  mit  der  unaufhör- 
lichen sinn-  und  nutzlosen  Steigerung  der 
Rüstungslasten,  und  er  fordert,  daß  aus  diesem 
Empfinden  nun  endlich  auch  der  klare  und 
entschiedene  Wille  sich  entwickele,  den  Weg 
internationaler  Verständigung  und  Organi- 
sation zu  betreten,  auf  dem  allein  dem 
Rüstungswettkampf  Grenzen  gesetzt  werden 
können ; 

er  fordert  von  den  Regierungen,  die  schon 
auf  der  ersten  Haager  Konferenz  in  einer 
feierlich  und  einmütig  beschlossenen  Reso- 
lution die  Beschränkung  der  Rüstungen  als 
für  das  moralische  und  materielle  Interesse 
der  Menschheit  wünschenswert  bezeichnet 
haben,  und  die  wiederholt  das  Studium  der 
Frage  versprochen  haben,  daß  sie  endlich 
Ernst  machen  mit  ihrer  Erklärung  und  ihrem 
Versprechen,  und  daß  sie  nicht  nur  die  Frage 
des  Rüstungsstillstandes  als  einen  Haupt-Ver- 
handlungsgegenstand auf  die  Tagesordnung 
der  dritten  Haager  Konferenz  setzen,  son-r 
dem,  um  ihrer  Beratung  ernsthaften  Charakter 
zu  geben,  sie  durch  nationale  Studienkommis- 
sionen   vorbereiten    lassen. 

Die  Rüstungsindustrie. 

Dr.  Perris  (London)  erläutert  dier 
Resolution  II  und  charakterisiert  unter  Vor- 
legung von  Erfahrungsmaterial  erschrecken- 
der Natur  die  Zustände  auf  dem  Gebietq 
der  internationalen  Rüstungsindustrie.  Die 
Waffenindustrie  kennt  keine  Grenze,  sie  lernt 
die  Theorie  vom  Nationalismus,  aber  ihre 
Praxis  ist  eine  internationale;  die  Lieferanten 
fragen  nicht,  wohin  ihre  Waffen  gehen, 
sondern  nur,  ob  sie  gute  Geschäfte  machen. 
Und  diese  Leute  werden  von  ihrem  Lande 
geehrt  und  belohnt,  sie  gelten  als  die 
besten  Patrioten,  werden  ausgezeich- 
net und  berühmt!  Das  ist  eine  Be- 
leidigung der  ganzqn  Menschheit.  .  .  . 
Auch  diese  Resolution  II  gelangt  einstimmig 
zur    Annahme. 

Resolution  II. 
Der  Kongreß  lenkt  die  allgemeine  Auf- 
merksamkeit auf  die  vor  aller  Augen  liegende 
Tatsache,  daß  die  Interessenten  der  Rüstungs- 
Industrie  sich  in  der  gewissenlosesten  Weise 
der  verwerflichsten  Mittel  bedienen,  um  die 
Völker  in  immer  weitere  Steigerung  der 
Rüstungen  hineinzutreiben.  Ihr  Einfluß  auf 
die  Regierungen  und  die  öffentliche  Meinung 
ist  eine  der  größten  Gefahren  für  die  inter- 
nationalen   Beziehungen    und    für    den    Welt- 


330 


@= 


DIE  FRI  EDENS  -WAOT^ 


frieden.  Patrioten,  die  sich  für  eine  nationale 
Sache  zu  begeistern  glauben,  sind  oft  genug 
nur  die  genarrten  unfreiwilligen  Werkzeuge 
für  die  Geldbeutel-Interessen  dieser  Rüstungs- 
Industrie. 

Modell    eines    Vertrages    zur    Beschränkung 
der  Rüstungen. 

Professor    Quidde    hat    einen    Entwurf 
zu     einem     allgemeinen     Vertrage    über    Be- 
schränkung der  Rüstungen  ausgearbeitet  und 
vorgelegt.     Dieser  äußerst   übersichtlich   und 
klar  disponierte,  in  55  Artikeln  niedergelegte 
Entwurf  wird  erst  dann  seinem  Werte  nach 
gewürdigt   werden   können,    wenn   er   studiert 
worden   ist ;    daß    dieses   geschehe,    daß    sein 
Studium  zum  Ausgangspunkt  für  weitere  Ar- 
beiten in  der  Richtung  diene,  dies  und  nichts 
anderes    ist    Wunsch    und   Absicht    Professor 
Uuiddes,  und  es  konnte  die  sich  an  den  Ent- 
wurf  knüpfende   Diskussion   nicht   den   Wert 
einer    eingehenden,    die    Frage    auch    nur    im 
mindesten    gründlich     erfassenden    Beratung 
haben,    sondern   es   wurde   eben   aus   Mangel 
an     Verständnis     dessen,     was    Referent    be- 
absichtigt   hatte,    vielfach    nebenbei   geredet, 
es  wurden  Dinge,  wie  Frauenstimmrecht  u.  a., 
gewaltsam     mit     dem      Problem     verquickt, 
welche   nichts    zu   tun   hatten   mit    der    fach- 
gemäß   zu    behandelnden    Frage.      Trotzdem 
wurde    zum     Schluß     dieser    Aussprache    die 
Resolution    III    angenommen. 
Resolution  III. 
Vertrag     über    Beschränkung     der 
Rüstungen. 
Der    Kongreß    empfiehlt    den    Mitgliedern 
des     Kongresses,      den     Friedensgesellschaften 
und  allen,   die  an   der   Frage   interessiert   sind, 
das  Studium  des  von  Dr.   Quidde  vorgelegten 
Entwurfes     zu      einem     allgemeinen    Vertrage 
über    Beschränkung    der    Rüstungen. 

Er  beauftragt  die  Kommission  D  des 
Berner  Bureaus,  die  Frage  weiter  zu  be- 
handeln und  dem  nächsten  Kongreß  einen 
Bericht     vorzulegen. 

Die  Internationale  Polizei. 

Auf  der  Tagesordnung  der  am  Vormittag 
des  21.  August  eröffneten  Sitzung  stand  zu- 
nächst die  Frage  über  den  Vollzug  des 
internationalen  Rechtes  durch  eine  inter- 
nationale Polizei.  Referent  war  Pro- 
fessor v.  Vollenhoven  von  der  Uni- 
versität Leiden.  Bevor  Referent  das  Wort 
ergreift,  wird  ein  Antrag  der  Kommission  B 
vorgelegt  mit  folgendem  Wortlaut:  Der 
Kongreß  ist  der  Meinung,  daß  die  Organi- 
sation einer  internationalen  Polizei  weder  not- 
wendig noch  angezeigt  ist,  um  die  Voll- 
ziehung des  internationalen  Rechtes  zu 
sichern. 

Das  Referat  des  Redners  sowohl  wie  die- 
jenigen der  anderen  Hauptreferenten  liegt 
gedruckt  vor  und  wird  auf  Wunsch  von 
Interessenten  von  verschiedenen  Stellen  aus 
noch  jetzt  versandt,  nachdem  die  „Friedens- 
bewegung" schon  im  Monat  Juli  die  Dar-- 
legungen    veröffentlicht    hat. 


Professor  v.  Vollenhoven  wendet  sich 
von  seinem  Standpunkt  als  Fachgelehrter 
gegen  die  durch  viele  Friedensfreunde  ver- 
tretene irrige  Meinung,  daß  der  Friede  her- 
beizuführen sei  durch  Schiedsgerichte  und 
Abrüstung,  während  doch  nur  die  Entwick- 
lung des  Völkerrechtes  die  Richtung  sein 
könne,  in  der  die  Erreichung  des 
Zieles  liege.  Die  Sanktion  des  Völkerrechts! 
sei  ein  Ziel,  und  das  Sanktionsmittel  sei  die 
internationale   Polizei.  ...  v 

Die  sehr  lebhafte  Diskussion  über  diese 
umstrittene  Frage  bewegte  sich  natürlich 
nach  entgegengesetzten  Richtungen  hin. 
Während  Vertreter  verschiedener  Nationen 
—  die  englisch  sprechenden  scheinen  beson- 
ders diesen  Standpunkt  einzunehmen  — 
prinzipiell  die  internationale  Polizei  aus- 
geschlossen sehen  wollen  und  dem  Moral- 
und  Rechtsbewußtsein  der  heutigen  Welt 
genug  Kraft  zutrauen,  um  Rechtsurteile  aus- 
zuführen, sprechen  andere  ebenso  energisch, 
für  die  Einführung  dieser  Exekutivgewalt. 
Dr.  A.  H.  Fried  weist  darauf  hin,  daß  ja 
diese  Polizei  tatsächlich  in  verschiedenen 
Fällen  (China,  Kreta,,  Skutari)  erfolgreich 
eingegriffen,  sich  also  bewährt  habe,  daß 
also  eigentlich  nur  eine  .Organisation  (der 
internationalen  Polizei  anzustreben  sei.  ,  .  . 
Schließlich  gelangte  folgende  Resolution 
zur    Annahme : 

„Der  Kongreß  beschließt,  die   interessante 
und    bedeutsame    Frage    der    Sanktion    durch! 
eine     internationale    Polizei     für     die    Tages- 
ordnung     der      nächsten     Kongresse      beizu- 
behalten." 
Etwa    700    der    anwesenden    Delegierten 
betraten   noch   vor   der   offiziellen    Eröffnung 
den    Friedenspalast,    und    es    wird   der 
Eindruck,    den    dieser   Donnerstagnachmi^tag 
machte,   wohl  den  meisten  der  Besucher  .un- 
vergeßlich     bleiben.        Berichte      über      den 
Friedenspalast   wird   es  in   diesem    Monat   in 
Fülle   geben.      Man    wird    das    herrliche    Ge- 
bäude beschreiben;  die  Wirkung  aber  des 
erstmaligen       Betretens      durch      diese      700 
Friedensfreunde    kann    man    nicht    schildern, 
das    kann    nur    der    einzelne    von    Mund    zu 
Mund   tun. 

Die  Balkankriege. 

Noch  eine  kurze  Sitzung  reihte  sich,  an 
den  Besuch  in  später  Nachmittagsstunde  an. 
Professor  Ruyssen  als  Vorsitzender 
der  Aktualitätenkommission  legte  die  von 
dieser  vorbereitete,  aus  acht  Punkten  be- 
stehende Resolution  über  den  Balkankrieg 
vor.  Diese  Resolution  wird  besprochen  und 
schließlich  angenommen.  Sie  ist  besonders 
lehrreich,  indem  der  aufmerksame  Leser  da- 
durch unterrichtet  wird  über  die  lange 
zurückreichende  Kette  von  Ursachen  und 
Wirkungen,  welche  diese  Kriege  herauf- 
beschworen  haben.     Hier   der   Wortlaut : 

Tief    bewegt    durch    die    Ereignisse,     die 
sich  seit  einem  Jahre  auf  der  Balkanhalbinsel 


331 


DIE  FRIEDENS -^ÖÜTE 


m 


zugetragen  haben,  und  in  der  Ueberzeugung, 
daß  er  der  Ansicht  des  größten  Teiles  der 
zivilisierten  Welt  Ausdruck  verleiht,  macht 
der  Kongreß  es  sich  zur  Pflicht,  seine  Mei- 
nung über  die  verschiedenen  Erscheinungen 
beider    Balkankriege    darzulegen. 

I .  Ansprüche  der  Balkanvölker. 
—  Der  Kongreß  erkennt  an,  daß  die  Balkan- 
völker   im    ottomanischen    Reiche    nicht    unter 

'  einem  gerechten  Rechtszustand  lebten,  und  daß 
i  ihre  seit  langer  Zeit  zum  Ausdruck  gebrachten 
Wünsche  eine  entsprechende  Würdigung  ver- 
dienten. Er  meint  jedoch,  daß  solche  An- 
sprüche durch  weniger  willkürliche,  gewalt- 
tätige zerstörende  Mittel  als  den  Krieg  be- 
friedigt werden  konnten  und  bedauert,  daß 
.  -die  Großmächte,  welche  wertvolle  wirtschaft- 
liche Vorteile  vom  ottomanischen  Reich  für 
sich  zu  erreichen  wußten,  es  versäumt  haben, 
zum  Vorteile  der  Balkanvölker  die  Mittel  zu 
gebrauchen,  welche  der  Berliner  Vertrag  in 
ihre    Hände    gelegt    hatte. 

II.  Die  Verantwortlichkeiten. 
i —  Wie  groß  auch  die  Schuld  der  Türkei 
gegenüber  ihren  Untertanen  sein  mag,  der 
Kongreß  kann  nicht  umhin,  die  erste  Ver- 
antwortung für  den  Balkankrieg  den  Groß- 
mächten zuzuschreiben,  da  sie  die  Integrität 
des  ottomanischen  Reiches  gewährleistet,  aber 
später  selbst  verletzt  haben:  und  zwar  Oester- 
reich-Ungarn  in  Bosnien-Herzegowina,  Italien 
•in  Tripolis,  und  die  vier  anderen,  Deutsch- 
land, Frankreich,  Großbritannien  und  Ruß- 
land, indem  sie  die  Integritätsverletzung  zu- 
gelassen   und     bestätigt     haben. 

III.  Kriegserklärung.  —  Der  Kon- 
greß stellt  fest,  daß  der  erste  und  zweite 
Balkankrieg  ohne  vorherige  Kriegserklärungen 
und  ohne  Ultimatum  —  welchem  in  be- 
friedigender Weise  hätte  entsprochen  werden 
können  —  begonnen  worden  sind;  daß  keiner 
•der  Kriegführenden  eine  schiedsgerichtliche 
Erledigung  der  Streitfragen  vorgeschlagen  hat 
und  daß  die  neutralen  Staaten  die  ihnen  durch 
die     Haager     Konvention     auferlegte     Pflicht, 

.  ihre  Vermittlung  anzubieten,  nicht  ausgeübt 
haben.  Was  insbesondere  den  zwischen  den 
Verbündeten  ausgebrochenen  Krieg  anlangt, 
so  stellt  der  Kongreß  mit  Entrüstung  fest, 
daß  die  Klausel  des  zwischen  ihnen  abge- 
schlossenen Vertrages  —  wonach  im  Falle 
von  Streitigkeiten  untereinander  bei  Regelung 
der  Balkanfrage  die  Vermittlung  des  Schieds- 

<  Spruches  Rußlands  vorgesehen  war  —  nicht 
beobachtet  worden  ist  und  daß  diese  Ver- 
letzung des  Vertrages  einen  neuen  Bruderkrieg 
hervorgerufen   hat. 

IV.  Kriegführung.  —  Der  Kongreß 
stellt  mit  tiefem  Bedauern  fest,  daß  beide 
Kriege  mit  unerhörter  Grausamkeit  geführt 
worden,  daß  nicht  einmal  die  Kriegsgesetze 
und  -gebrauche  immer  beobachtet  worden  und 
daß  besonders  Verwundete,  Greise,  Frauen 
und  Kinder  beraubt,  vergewaltigt,  gemartert 
und   ermordet   worden   sind. 

V.  Friedensunterhandlungen. — 
Der  Kongreß  bedauert,  daß  die  europäische 
Diplomatie  unfähig  war,  dem  Streite  vorzu- 
beugen oder  ihn  abzukürzen.  Er  weist  auf 
den  jämmerlichen  Mißerfolg  der  Londoner 
Verhandlungen  hin  und  schreibt  diese  Ohn- 
macht der  großen  Staaten  ihrer  dauernden 
Rivalität    zu,    insbesondere    dem    Ehrgeiz    ge- 


wisser Mächte,  welche  selbstsüchtige  Zwecke 
dabei  verfolgten,  anstatt  in  Uneigennützigkeil 
sich  zusammenzuschließen  zur  Wiederherstel- 
lung des  Gleichgewichts,  der  .  Gerechtigkeit 
und    des    Friedens. 

VI.  Der  Vertrag  von  Bukarest. 
—  Indem  der  Kongreß  den  Grundsatz  festhält, 
daß  die  Völker  über  sich  selbst  bestimmen 
sollen,  spricht  er  sein  Bedauern  darüber  aus, 
daß  die  in  Bukarest  versammelten  Bevoll- 
mächtigten eine  Befragung  der  beteiligten 
Völker  nicht  zugelassen  haben;  er  befürchtet, 
daß  dieser  durch  die  Gewalt  auferlegte  Ver- 
trag neue  Streitigkeiten  erzeugen  wird,  und 
schließlich  bedauert  er,  daß  dem  Vertrage 
keine  Klausel  zur  Schlichtung  etwaiger  neuer 
Streitfragen  durch  den  Haager  Schiedsgerichts- 
hof   eingefügt    worden    ist. 

VII.  Die  Frage  Adrianopels.  — 
In  Erwägung,  daß  das  Los  von  Adrianopel 
und  Thrazien  noch  unsicher  ist,  spricht  der 
Kongreß  den  Wunsch  aus,  daß  die  Bevölke- 
rung dieser  Gegend  über  ihre  endgültige 
Zugehörigkeit    befragt    werde. 

VIII.  Die  Frage  Albaniens.  —  In 
Erwägung,  daß  die  albanische  Frage  noch 
nicht  genügend  geklärt  ist,  um  den  Gegen- 
stand bestimmter  Beschlüsse  zu  bilden,  über- 
weist der  Kongreß  dem  Berner  Bureau  die 
Aufgabe,  diese  Frage  mit  Aufmerksamkeit  zu 
verfolgen  und  gegebenenfalls  die  durch  seine 
Kompetenz   bedingten    Maßnahmen   zu   treffen. 

Deutsch-französische    Liga. 

Professor  Quidde  macht  in  der 
ersten  Freitagssitzung  zuerst  die  Errich- 
tung einer  „Deutsch-französischen  Liga"  be- 
kannt und  gibt  die  nötigen  Begründungen 
und  Erläuterungen  zu  ihrer  Notwendigkeit. 
Die  hierzu  vorgelegte  Resolution  wird  an- 
standslos angenommen. 

Panamakanalfrage. 

Es  folgt  die  Panamakanalfrage,  kurz  dar- 
gelegt durch  Dr.  G  o  b  a  t.  Wir  lernen  wieder 
einmal  während  der  kurzen  Diskussion  über 
das  Problem,  wie  auch  hier  die  Differenz 
geschaffen  ist  durch  den  Widerstand  der 
Interessentengruppen,  durch  den  Kapitalis- 
mus.    Die  Resolution  wird  angenommen. 

Kriegsanleihen. 

Die  Resolution  gegen  die  Kriegsanleihen 
wird  diskutiert  und  nach  einigen  interessanten 
Meinungsverschiedenheiten  folgendermaßen 
verändert   angenommen : 

„Mit  Beziehung  auf  die  Luzerner  und 
Münchener  Kongreßbeschlüsse  hinsichtlich  der 
Kriegsanleihen  erklärt  der  Kongreß  diese  als 
eine  unglückliche  Folge  der  internationalen 
Anarchie  und  drückt  sein  lebhaftes  Bedauern 
aus  über  die  dem  Balkankrieg  geleistete 
Unterstützung  seitens  der  internationalen 
Finanz." 

Die  Einberufung  der  dritten  Haager  Konferenz. 

Die  nächste  und  mit  großer  Aufmerk- 
samkeit behandelte  Frage  gehört  in  das 
Gebiet  des  internationalen  Rechtes,  sie  be- 
trifft die  Einberufung  der  dritten  Haager 
Konferenz  und  führt  schließlich  zur  An- 
nahme   der    Resolution: 


332 


e 


DIE  FRlEDEN5-,fc*VBTe 


Der  allgemeine  Friedenskongreß  erinnert 
an  seine  früheren  Beschlüsse  über  die  Vor- 
bereitung und  Einberufung  der  dritten  Frie- 
denskonferenz. 

Er  verlangt  von  neuem,  daß  die  Staaten 
dem  Wunsche  genügen,  den  sie  selbst  im 
Jahre  1902  einstimmig  dahin  geäußert  haben, 
daß  eine  dritte  Friedenskonferenz  in  einem 
Zeitpunkte  einberufen  werde,  der  dem  seit 
der  vergangenen  Konferenz  verflossenen  ent- 
spricht,  also   im  Jahre    1915. 

Er  erinnert  daran,  daß  die  Vertreter  der 
Staaten  es  selbst  für  notwendig  erklärt  haben, 
die  Arbeiten  dieser  neuen  Friedenskonferenz 
zeitig  genug  vorzubereiten,  damit  die  Be- 
ratungen der  Konferenz  sich  mit  der  unerläß- 
lichen   Autorität    und    Schnelligkeit    vollziehen. 

Er  fordert  daher  alle  Regierungen  der 
Welt  auf,  sich  über  den  Zeitpunkt  für  die 
Einberufung  der  dritten  Friedenskonferenz  und 
die  sofortige  Ernennung  einer  vorbereitenden 
Kommission    zu    verständigen. 

Er  fordert  die  Regierungen  auf,  nach  dem 
Beispiel  der  Regierungen  von  Oesterreich- 
Ungarn,  Dänemark,  Frankreich,  Norwegen, 
der  Niederlande  und  Schweden  sofort  vor- 
bereitende Kommissionen  der  einzelnen  Staaten 
einzusetzen. 

Er  wendet  sich  an  die  Regierung  der 
Niederlande,  damit  diese  jetzt,  da  eine  förm- 
liche Einladung  einer  bestimmten  Regierung 
nicht  mehr  erforderlich  ist,  unter  diesen  ver- 
schiedenen Gesichtspunkten  bei  den  anderen, 
auf  der  zweiten  Friedenskonferenz  vertretenen 
Regierungen    die    erforderlichen    Schritte    tue. 

Er  ersucht  angesichts  der  Haltung  der 
Regierung  der  Vereinigten  Staaten  bei  Ein- 
berufung der  zweiten  Friedenskonferenz  diese 
Regierung  um  energische  Unterstützung  der 
auf  die  Intervention  der  Regierung  der  Nieder- 
lande   erfolgenden     Schritte. 

Er  beauftragt  endlich  die  Friedensgesell- 
schaften der  verschiedenen  Länder,  bei  ihren 
Regierungen  darauf  zu  dringen,  daß  diese  den 
vorliegenden  Beschluß,  der  ihnen  durch  das 
internationale  Friedensbureau  überreicht 
werden  wird,  in  ernstlichste  Erwägung 
nehmen  und  fordert  die  Friedensgesellschaften 
auf,  bei  den  bei  ihren  Regierungen 
akkreditierten  Gesandtschaften  der  Niederlande 
und  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika 
dringende    Schritte    zu    tun. 

Sonnabend  der  letzte  Kongreßtag  —  und 
noch  immer  waren  Fragen,  die  zu  den  wich- 
tigsten gehören,  gar  nicht  einmal  in  Angriff 
genommen  worden.  Es  lag,  wie  gewöhn- 
lich vor  der  letzten  Sitzung,  eine  Ansamm- 
lung zu  erledigenden  Materiales  vor,  deren 
Ueberwindung  unmöglich  war.  Natürlich  litt 
auch  die  Behandlung  fast  aller  Punkte  sehr 
darunter,  und  man  kann  nicht  von  einer 
Durcharbeit  z.  B.  der  Frage  des  Verhältnisses 
zwischen  Presse  und  Pazifismus  reden,  man 
konnte  keine  Aussprache  über  diese  hoch- 
bedeutende, dringliche  Angelegenheit  herbei- 
führen bei  der  knappen  Zeit,  die  zu  irgend- 
einer Klarheit  und  Festigkeit  und  zu  einer 
Einheit  der  Ansichten  und  Auffassungen  ge- 
führt   hätte. 


Presse  und  Friedensbewegung. 

Die  Pressefrage  kommt  endlich  auf  die 
Tagesordnung.  Sie  wird  zunächst  in  einem 
Referat  behandelt.  Mr.  1  e  Foyer  hält  es 
für  das  beste  Mittel  zur  Verbreitung  von 
Friedensideen,  wenn  die  Zeitschriften  solche 
Themata  dauernd  behandeln.  Wir  müssen 
also  mit  allen  Mitteln  versuchen,  dies  herbei- 
zuführen, daneben  ist  es  notwendig,  den  Pa- 
zifismus zu  schützen  vor  lügenhaften  und  ent- 
stellenden Zeitungs-  und  Zeitschriftenberichten. 
Man  muß  Mittel  und  Wege  suchen  zu  einer 
organisatorischen  Verbindung  der  Journal-Ge- 
sellschaften und  Presseagenturen  mit  dem 
Pazifismus. 

Die  vorgelegte  Resolution  lautet: 

Um  Gebrauch  von  der  Presse  zur  Förde- 
rung des  pazifistischen  Gedankens  zu  machen, 
wünscht    der    Kongreß  : 

I.  Daß  das  Berner  Bureau  und  die  natio- 
nalen Friedensgesellschaften  eine  dauernde 
Verbindung  anknüpfen  mit  den  telegraphi- 
schen Hauptagenturen  und  den  führenden 
großen    Zeitungen. 

II.  Daß  die  nationalen  Friedenszentralen 
alle  Informationen,  über  die  sie  verfügen, 
austauschen  und  diesen  Pressestellen  vermitteln 
sollen. 

III.  Daß  die  lokalen  Friedensgruppen 
sowie  die  einzelnen  Friedensfreunde  es  sich 
zur  Aufgabe  machen,  alle  falschen  und  ent- 
stellenden Nachrichten  aus  ihrer  Lokalpresse 
zu  sammeln,  zu  dementieren  oder  zu  ver- 
bessern. 

Mr.  le  Foyer  fügt  noch  den  Vorschlag 
hinzu,  daß  man  die  Namen  aller  friedens- 
freundlichen Journalisten  sammele  und  vor- 
öffentliche. 

Der  zweite  Referent  über  dasselbe  Thema, 
Herr  Dr.  Alfred  H.  Fried,  hatte  ebenso 
wie  Herr  Professor  von  Vollenhoven,  seine 
Ausführungen  schon  vorher  in  der  letzten 
Nummer  der  „Friedensbewegung"  vorö  ff  ent- 
licht, auch  liegt  es  im  Separatdruck  für  Inter- 
essenten vor.  Er  betont  in  kurzer  Zusammen- 
fassung dieser  früheren  Ausarbeitungen  die 
Aufgabe  des  Pazifismus,  in  unentwegter  Ar- 
beit und  systematischer  Einwirkung  auf  die 
Vertreter  der  Presse,  diese  zu  erziehen  und 
nach  und  nach  zu  heben  und  umzuwandeln. 
Er  verspricht  sich  sicheren  Erfolg  davon  und 
entnimmt  diese  seine  optimistische  Anschau- 
ung seiner  langjährigen  Erfahrung  und  Be- 
obachtung, denn  auch  die  Entwicklung  der 
Presse  als  eines  Teiles  des  allgemeinen  fort- 
schreitenden Kulturkomplexes  gehe  nach  den- 
selben Gesetzen  vor  sich,  die  dem  Gesamt- 
fortschritt  zugrunde   liegen.  .  .  . 

Es  wird  zur  Resolution  ein  Amendement 
vorgeschlagen,  daß  das  Berner  Bureau  selbst 
die  Regelung  des  Verkehrs  zwischen  Pazifis- 
mus und  Journalistik  rege  in  die  Hand 
nimmt. 

Nach  verschiedenen  Meinungsäußerungen 
und  mehr  oder  minder  positiven  Vorschlägen 
wird    das    Thema    verlassen.      Zwei    freund- 


333 


D»E  FRIEDENS  -^ARXE 


© 


liehe  Telegramme,  eines  vom  Prinz-Gemahl 
der  Niederlande,  das  andere  von  Mr.  Carnegie, 
kommen  zur  Verlesung,  und  schließlich  taucht 
noch  einmal  das  Thema  der  Friedensvor- 
schläge des  Präsidenten  der  V.  S.  A.  Dr.  Wil- 
son auf.  Noch  stehen  die  Berichte  über  die 
Arbeit      einiger      der      Kommissionen      aus. 

Mr.  Arnaud  legt  zu  dem  Thema  Ko- 
difikation .  .  .  („composition  amiable")  noch 
eine    Resolution    vor,    die   angenommen   wird. 

Und  endlich  erhalten  noch  einige  Bericht- 
erstatter das  Wort  zu  ihrem  Rapport  über 
die    Arbeiten    der    Kommissionen. 

Baron  de  Neufville  teilt  zunächst 
sein  Protokoll  über  die  Sitzungen  der  Pro- 
pagandakommission mit.  Wer  es  aufmerksam 
verfolgt  hat,  muß  es  beklagen,  daß  da  eine 
Fülle  vielseitiger  höchst  wertvoller  Vorschläge, 
Anregungen,  Ideen  und  fleißiger  Ausarbei- 
tungen zum  Ausdruck  gekommen  ist,  ohne 
daß  der  Bewegung  etwas  davon  zugute  kommt, 
da  nichts  davon  mehr  zur  Beratung  und  Be- 
arbeitung herausgegriffen  werden  kann. 

Nicht  besser  ergeht  es  dem  Biericht  der 
Erziehungskommission.  Die  zwölfte  Stunde 
will  schlagen,  und  man  schließt  den  Kongreß 
mit  dem  Bewußtsein,  kaum  die  Hälfte  der 
Arbeit   erledigt  zu  haben. 

Der  Vorschlag,  den  nächsten  Kon- 
greß inWien  abzuhalten,  wird  durch  Akkla- 
mation angenommen,  und  es  bleibt  nur  noch 
die  gegenseitige  Dankes-  und  Anerkennungs- 
äußerung zwischen  der  Präsidentenschaft  und 
dem    Kongreß. 


Wenn  schon  die  programmäßig  ge- 
übten Vollsitzungen  sowie  die  Beratungen  der 
Kommissionen  im  allgemeinen  einen  höchst 
befriedigenden  Verlauf  genommen  haben,  so 
ist  daneben  und  dazwischen  von  den  ver- 
schiedenen Gruppen  und  Spezialvereini- 
gungen  noch  so  viel  Und  so  wertvolle  Arbeit 
geleistet  worden,  deren  genaue  Registrierung 
und  Aufzählung  sich  einer  genauen  Bericht- 
erstattung entzieht,  wie  bisher  wohl  auf  keinem 
der  vorhergegangenen  Kongresse.  Hervor- 
gehoben seien  besonders  zwei  wohlgelungene 
neu  in  die  Bewegung  eingetretene  Spezial- 
vereinigungen,  wenn  beide  auch  wohl  noch 
nicht  ihre  offizielle  Konstitutierung  vor- 
genommen haben.  Es  ist  die  „D  eutsch- 
französische  Liga"  mit  den  Vor- 
sitzenden Herrn  Professor  L.  Quidde  für  die 
deutsche  Gruppe  und  Mr.  Gaston  Mioch  auf 
französischer  Seite.  Seit  der  bekannten  ersten 
Berner  Zusammenkunft  im  Monat  Mai  sind 
die  Vorarbeiten  zur  Sammlung  von  Mit- 
gliedern für  beide  Abteilungen  in  beiden 
Ländern,  sowie  andere  notwendige  organisa- 
torische Arbeiten  eifrigst  betrieben  worden, 
nun  hat  man  sich  bei  Gelegenheit  des 
Kongresses  in  privaten  Sitzungen  über  die 
weiteren    Schritte    verständigt    und     die    kon- 


stituierende Versammlung,  die  dem  Kongresse 
baldigst   folgen   soll,   vorbereitet. 

Ebenso  ist  eine  katholisch- pazi- 
fistische Vereinigung  zustande- 
gekommen. Vorläufig  —  wie  es  scheint  — 
wird  diese  Vereinigung  als  katholisch-pazi- 
fistischer Spezialverein  getrennt  von  der  all- 
gemeinen Friedensbewegung  arbeiten,  doch 
ist  eine  gewisse  Fühlung,  ein  gegenseitiges 
Verhältnis  zwischen  beiden  Bewegungen  von 
vornherein  gewonnen  worden,  da  man  ja  den 
Kongreß  benutzt  hat,  um  die  ersten  Be- 
ratungen zu  pflegen  und  sich  gleichsam  im 
Schöße  desselben,  im  Geiste  des  Kongresses 
gesammelt  hat.  Wir  dürfen  die  neue  Union 
freudig  begrüßen  als  Seitenstück  zu  den  in 
letzter  Zeit  lebhaft  betriebenen  organi- 
satorischen Arbeiten  in  den  Kreisen  der 
protestantischen    Geistlichkeit. 

Sondersitzungen  sind  noch  manche  ab- 
gehalten worden  —  z.  B.  über  die  Frage 
eines  Weltparlamentes,  über  Presse-An- 
gelegenheiten, über  pazifistische  Frauen- 
organisationen  u.    a. 

So  sehen  wir  den  Komplex  dessen,  was 
wir  Pazifismus  nennen,  sich  innerlich  mehr 
und  mehr  ausgestalten  und  äußerlich  immer 
weiter  um  sich  greifen  über  alle  realen  und 
idealen  Gebiete  des  Lebens,  wir  sehen  eine 
neue  Weltanschauung  emporwachsen,  lang- 
sam —  wie  es  uns  Mitlebenden  erscheint, 
langsam  und  sicher  sich  ausgestaltend  und 
die  Menschheit  durchdringend,  eine  Welt- 
anschauung, die  nichts  von  Krieg  und  Mili- 
tarismus weiß  und  darum,  ohne  plötzlich 
die  Kriegsfackel  ausblasen  oder  die  Welt  ent- 
waffnen zu  können,  die  sicherste  Ueberwinderin 
der  Gewalt-  und  Kriegsherrschaft  sein  wird. 
Die  Weltfriedenskongresse  sollen  die 
Etappen  in  ihrem  Vormarsch  sein;  sie  sind 
berufen,  die  Bilanz  der  Jahresarbeit  zu 
ziehen,  Vorgetanes  zu  prüfen,  zu  berich- 
tigen und  festzustellen  und  für  die  Weiter- 
arbeit neue  Bedingungen  zu  schaffen.  Nach 
allen  diesen  hier  angedeuteten  Richtungen 
hin  hat  der  XX.  Weltfriedenskongreß  seine 
Aufgaben  glänzend  erfüllt.  Das  kann  nie- 
mand in  Abrede  stellen. 

Der  XX.  Weltfriedenskongreß  ist  aber  um 
zweier  pazifistischer  Weltereignisse  willen, 
die  zwar  nicht  Bestandteile  seines  Arbeits- 
kreises sind,  aber  doch  ursächlich  in  vieler 
Beziehung  mit  ihm  zusammenhängen,  er  ist 
um  zweier  Ereignisse  willen  von  ganz  be- 
sonderer Bedeutung  geworden.  Es  sind  dies 
die  Eröffnung  des  Friedenspalastes  und  die 
feierliche  Promotionsakte,  die  sich  in  der 
Universität  Leiden  einige  Tage  nach  Schluß 
des  Kongresses  —  am  Vortage  der  Eröff- 
nung des  Friedenshauses  —  vollzog.  Es 
wurden  der  verstorbene  Staatsminister 
A  s  s  e  r  ,  der  Pariser  Völkerrechtsgelehrte 
Renault,  der  amerikanische  Staatsmann 
Elihu  Root  und  Alfred  H.  Fried  zu 
Ehrendoktoren  der  Staatswissenschaften  pro- 


334 


DIE  FRI  EDENS -^ABXE 


moviert.  Dr.  Alfred  H.  Fried,  der  nun 
akademisch  anerkannte  Vertreter  des 
wissenschaftlichen  Pazifismus,  hat  in 
seiner  kurzen,  aber  charakteristischen  Pro- 
motionsrede in  bescheidener  persönlicher 
Zurückhaltung  diesen  Sinn  seiner  Doktor- 
würde h.  c.  hervorgehoben,  er  hat  mit  Freude 
und  Genugtuung  der  Friedensbewegung  die 
Ehre  zugewiesen,  und  er  hat  damit  nichts 
weniger  hervorgehoben,  als  den  Eintritt  einer 
neuen  Wissenschaft  in  die  Menschheits- 
geschichte. 

So  hat  die  Wissenschaft  dem  Pazi- 
fismus seinen  Charakter  verliehen,  es  kann 
danach  die  Verkennung  des  Pazifismus,  die 
mißverständliche  Deutung  und  falsche  Wer- 
tung der  Friedensbewegung  von  seiten  der 
Außenstehenden  nicht  mehr  dauern,  sondern 
sie  muß  einer  richtigen  Einsicht  Platz 
machen,  und  dadurch  sind  die  Bedingungen 
gegeben  zur  Verbreitung  unserer  Welt- 
anschauung. 

Die  Einweihung 
des  Haager  Friedenspalastes. 

Die  Festwochen  im  Haag  haben  ihr  Ende 
erreicht.  Die  Teilnehmer  am  Friedenskongreß, 
die  sie  einleiteten,  die  fremden  Diplomaten 
und  Gelehrten,  die  zur  Weihe  des  neuen 
Friedenshauses  eingeladen  waren,  sind  zu  ihren 
Heimstätten  zurückgekehrt,  sofern  sie  es  nicht 
vorgezogen  haben,  am  benachbarten  Scheve- 
ninger  Strand  die  günstige  Konjunktur  des 
spät  eingetretenen  Sommers  auszunützen.  Nun 
steht  der  Millionenpalast  am  alten  Scheve- 
ninger  Weg  wieder  vereinsamt  da  und  wartet 
der  Aufgaben,  die  ihm  zur  Erledigung  über- 
geben werden  sollen. 

Rückblickend  sei  es  jetzt  gestattet,  die  Be- 
deutung dieses  wunderbaren  Bauwerkes  und 
die  zu  seiner  Eröffnung  veranstalteten  Fest- 
lichkeiten ins'  Auge  zu  fassen.  Der  Witz  aller 
Ewig-Lächelnden  hat  dieses  schöne  Haus  in 
argen  Verruf  gebracht.  Er  gefiel  sich  am 
meisten  darin,  zwischen  seiner  Bestimmung  und 
dem  Zeitpunkt  seiner  Eröffnung  einen  iro- 
nischen Zufall  zu  konstruieren.  Und  so  billig 
solcher  Witz  auch  ist,  bei  der  großen  Masse 
jener,  die  die  öffentliche  Meinung  bilden, 
konnte  er  auf  Zustimmung  rechnen.  Für  mich 
und  für  meine  zahlreichen  Gesinnungsgenossen 
liegt  etwas  Tragisches  in  dieser  Heiterkeit.  Es 
wäre  so  einfach,  die  Zusammenhänge  zu  be- 
greifen; doch  hat  es  den  Anschein,  als  ob 
man  sich-  dieser  geringen  Denkmühe  gar  nicht 
unterziehen  will.  Ja  noch  mehr:  als  ob  das 
Problem,  das  hier  zur  Erörterung  steht,  die 
geringste  Anstrengung  des  Denkvermögens  gar 
nicht  erst  lohnen  würde.  Weil  wir  einen  der 
blutigsten,  einen  der  widersinnigsten  Kriege  vor 
unseren  Toren  erlebt  haben,  deshalb  soll  alles 
Bestreben,  künftigen  Gemetzeln  vorzubeugen, 
nicht    der    Mühe   lohnen?! 


Wie  seltsam  denkt  doch  dieses  zwanzigste 
Jahrhundert.  So  trivial  es  auch  ist,  man  muß 
dennoch  immer  denselben  Vergleich  herbei- 
ziehen; den  Vergleich  mit  den  Krebsinstituten, 
mit  den  Schwindsuchtsheilstätten,  den  inter- 
nationalen Tuberkulosekongressen  und  ähn- 
lichen Einrichtungen,  deren  Errichtung  und 
Bestand  man  als  einen  Fortschritt  der  Zeit 
begrüßt,  trotzdem  das  Uebel,  das  dadurch  be- 
kämpft werden  soll,  noch  vorhanden  ist  und 
täglich  an  Umfang  zunimmt.  Kein  Mensch 
wird  den  Geheimen  Rat  Czerny  in  Heidelberg 
einen  Utopisten  nennen,  weil  er  dort  ein  In- 
stitut zur  Bekämpfung  des  Krebses  errichtet 
hat.  Und  Andrew  Carnegie  und  wir  alle,  die 
wir  an  einer  vernünftigen  Organisation  der 
international  voneinander  abhängigen  Mesch- 
heit  arbeiten,  werden  wegen  dieses  Friedens- 
palastes wörtlich  oder  in  einem  durch  die 
Zeilen  blickenden  Sinne  als  die  Akteure  einer 
großen  Farce  hingestellt.  Wir  machen  uns 
nicht  viel  daraus,  denn  das  Gelächter  hält  die 
Entwicklung  der  Welt  nicht  auf.  Dieses  Ge- 
lächter, das  Kolumbus  begrüßte,  als  er  aus- 
fuhr, die  Neue  Welt  zu  entdecken,  das  Fulton 
und  Stephenson  und  Friedrich  Lißt,  den 
großen  Eisenbahnökonomen,  heimsuchte,  hat 
sich  iru  der  Geschichte  bereits  das  Bürgerrecht 
erworben.  Es'  war  auch  da,  als  vor  fünfzehn 
Jahren  diq  erste  Haager  Konferenz  ins  Leben 
trat,  und  konnte  dennoch  nicht  verhindern,  daß 
diese  Konferenz  den  ständigen  Schiedshof 
schuf,  der  bereits  in  vierzehn  Fällen  gewirkt 
hat,  wobei  er  in  drei  Fällen  zweifellos  Kriegen 
vorbeugte.  Das  belächelte  Werk  entwickelte 
sich  trotzdem,  und  der  jetzt  neuerdings  be- 
lächelte Haager  Friedenspalast  ist  nur  eine 
weitere   Entwicklungsstufe   dieses   Werkes. 

Die  Unverständigen,  die  in  der  Meinung 
leben,  daß  man  gerade  bei  Regenwetter  keinen 
Regenschirm  aufspannen  dürfe,  das  heißt  ins 
Aktuelle  übersetzt,  in  kriegerisch  bewegter  Zeit 
an  den  Voraussetzungen  des*  gesicherten  Frie- 
dens nicht  arbeiten  dürfe,  gelangen  dadurch 
in  jene  schiefe  Denkrichtung,  weil  sie  in  ge- 
nauer Sachunkenntnis  glauben,  daß  mit  dem 
Palaste  des  ständigen  Schiedshofes  die  Insti- 
tution selbst  erst  ins  Leben  gerufen  wurde. 
Und  das  finden  sie  eben  unzeitgemäß.  Nun 
bedeutet  aber  die  Eröffnung  des  Hauses  nicht 
die  Errichtung  der  Institution.  Es  handelt  sich 
vielmehr  nur  um  die  Uebersiedlung  des  seit 
1901  bestehenden  ständigen  Schiedshofes  aus 
einem  gemieteten  Privathause  in  das  ihm  zur 
Verfügung  gestellte  Palais.  Ich  kann  nicht 
begreifen,  warum)  man  die  Bauhandwerker  im 
Oktober  vorigen  Jahres  hätte  entlassen  sollen 
mit  der  Begründung,  daß  es  unschicklich  wäre, 
jetzt  an  dem  Friedenshause  zu  bauen,  weil  ajuf 
dem  Balkan,'  die  Kanonen  losgegangen  waren. 
Ich  kann  noch  weniger  begreifen,  warum  man 
den  Sekretären  des  Schiedshofes  hätte  an- 
empfehlen sollen,  in  der  unwürdigen  Privat- 
wohnung  zu  verbleiben,  nachdem  der  würdige 
Palast  fertiggestellt  worden  war,  mit  der   Be- 


335 


DIE  FßlEDENS-^ößTe 


:m 


gründung,  daß  diese  Uebersiedlung  unschick- 
lich wäre,  weil  der  Mord  auf  dem  Balkan 
gerade  sein  klägliches  Ende  erreicht  habe. 
Vielleicht  würde  ich  den  Einwand  gelten 
lassen,  daß  man  von  festlichen  Veranstaltungen 
in  Rücksicht  auf  die  Trauer  hätte  abstehen 
sollen,  in  der  sich  durch  den  unseligen  Balkan- 
Krieg  die  Kulturelemente  Europas  befanden. 
Man  nimmt  zwar  nicht  Anstand,  die  neuen 
Kriegsschiffe  mit  großem,  festlichem  Pomp 
vom  Stapel'  laufen  zu  lassen,  man  scheut  sich 
nicht,  die  Erinnerung  an  Schlachten,  die  hun- 
dert und  oft  mehr  Jahre  hinter  uns  liegen, 
mit  dem  größten  Glänze  zu  begehen,  und 
deshalb  würde  ich  auch  jenen  Einwand  nicht 
voll  gelten  lassen;  denn  warum  soll  die  Kul- 
turwelt sich  nicht  offen  einer  Einrichtung 
freuen  dürfen,  die  dazu  bestimmt  ist,  Glück- 
verheißendes wenigstens  in  Aussicht  zu  stellen. 
Im  übrigen  waren  ja  die  Feste  nicht  gar 
so  glänzend,  wie  man  es  sich  in  der  Phan- 
tasie vorstellen  mag.  Die  wirkliche  Eröffnungs- 
feier hielt  sich  in  ganz  bescheidenen  Grenzen. 
Zunächst  wurde  der  Raum  nach  Tunlichkeit 
beschnitten  und  von  den  Millionen  Kultur- 
trägern der  ganzen  Welt,  die  Anteil  genommen 
haben  an  dieser  Eröffnungsfeier,  hatten  nur 
400  das  Glück,  eine  Einladung  zu  erhalten. 
Unter  diesen  waren  sehr  viele  Personen,  die 
durch  ihre  Stellung  am  Hofe  und  im  Staate 
des  einladenden  Hollands  zugezogen  werden 
mußten,  die  aber  der  Sache  selbst  ziemlich 
gleichgültig  gegenüberstanden.  Die  Zahl  der 
eigentlichen  „Freudtragenden",  die  der  Feier 
beiwohnen  durften,  war  demnach  auf  ein 
Mindestmaß  reduziert.  Von  uns  Pazifisten,  die 
wir  den  Geist  schufen,  der  jene  Einrichtung 
verwirklichte,  der  das  Haus  geweiht  ist,  waren 
nur  fünf  in  der  glücklichen  Lage,  der  Ein- 
weihung beiwohnen  zu  dürfen.  Die  Feier  be- 
stand, wie  der  Telegraph  bereits  gemeldet  hat, 
lediglich  aus  zwei  Reden  zweier  Diplomaten, 
durch  die  der  Besitztitel  des  „Immobiliums" 
gewechselt  wurde.  Der  Direktor  der  Stiftung 
Carnegies,  die  den  Bau  ermöglichte,  übergab 
dem  Präsidenten  des  Verwaltungsrates  vom 
Haager  Schiedshof  die  Schlüssel.  Dreimaliger 
Chorgesang  umgab  diese  Reden.  Die  Königin, 
die  mit  dem  Prinzgemahl,  mit  ihrer  Mutter 
und  einem  glänzenden  Gefolge  erschienen  war, 
hörte  schweigend  diesen  Reden  zu  und  verließ 
schweigend  das!  Haus.  Es  war  ein  Schweigen, 
das  in1  diesem  Falle  nicht  Gold,  sondern  eher 
Blut  und  Eisen  bedeutete.  Im  übrigen  war 
die  ganze  Feier  eine  höfische  Parade  im  vollen 
Glanz,  „der  goldgestickten  Uniformen.  Heines 
Worte   fielen  mir  dabei  ein: 

„Schwarze  Röcke,   seidne  Strümpfe, 
•      Weiße,    höfliche    Manschetten, 
Sanfte   Reden,   Embrassieren   — 
Ach,    wenn    sie    nur    Herzen    hätten I" 

Gelacht  wurde  dabei  nicht,  aber  in  ihrem 
Innern  mögen  die  elegant  uniformierten 
Herren  über  das  Unternehmen,  dem  sie  bei- 
wohnten,   trotz    der    ernsten    Mienen,    die    sie 


zur  Schau  trugen,  ganz  herzlich  gelacht  haben.. 
Doch  was  nützt  es?  Es  gibt  eine  Radium- 
wirkung der  sozialen  Geschehnisse.  Es  gibt 
eine  Potenzierung  des  Einzel wirkens.  Von 
einem  Geiste,  der  den  einzelnen  Teilnehmern' 
fremd  ist,  wurden  sie  zu  einer  Handlung  ge- 
zwungen, die  ihnen  gleichgültig  war.  Aber 
indem  sie  mittaten,  entstanden  aus  ihrer  mul- 
tiplizierten /Mitwirkung  neue  geistige  Kräfte,, 
die  lebendig  bleiben  und  weiter  wirken.  Das 
konnte  man  bereits  am  darauffolgenden  Tage 
sehen.  Die  Leute,  die  es  ehrlich  meinen  mit 
diesem  Friedenswerk,  kamen  in  Scharen  her- 
bei, um  die  Büste  eines  der  Ihrigen,  die  dem 
Friedenspalast  zum  Geschenk  gemacht  wurde,, 
zu  enthüllen.'  Es  war  die  Bronzestatue  Ran- 
dal  Cremers,  jenes  englischen  Arbeiters,. 
der  einer  der  Führer  der  pazifistischen  Be- 
wegung wurde  und  der  die,  heute  von  allen 
Regierungen  unterstützte,  Interparlementa- 
rische  Union  schuf.  Andrew  Carnegie,, 
der  am  Eröffnungstage  mit  dem  großen  Bande 
jenes  Ordens  geschmückt,  den  die  Königin  ihm 
verliehen  hatte,  schweigsam  dasaß,  nahm  selbst 
die  Enthüllung  der  Büste  vor.  Er  präsidierte 
dieser  denkwürdigen  ersten  Friedensversamm- 
lung in  jenem  mißverstandenen  Friedenshause,, 
und  neben  ihm  saßen  hervorragende  englische 
Männer,  die  die  Cremerbüste  als  Geschenk 
überbracht  hatten.  Da  war  der  englische 
Minister  ThomasBurt,  jener  frühere  Berg- 
arbeiter, da  war  Howard  Evans,  ein  Ar- 
beiter im  Wollhemd,  der  als  Kamerad  Cremers 
gewirkt,  da  war  das  Parlamentsmitglied 
M  a  d  d  i  s  o  n ,  der  Nachfolger  Cremers  als 
Sekretär  der  von  ihm  gegründeten  „Arbitration 
Society",  da  war  Lord  Weardale,  der 
Führer  der;  englischen  Gruppe  der  Interparla- 
mentarischen Union  und  nunmehr  Präsident 
ihres  ausführenden)  Rats,  einer  der  geistigen 
Mitschöpfer  des  ständigen  Schiedshofes,  da 
war  auch  der  amerikanische  Gesandte  im 
Haag  Mr*  Bruce.  Und  diese  Männer  hielten 
Reden,  die  von  echtem  pazifistischen  Geiste 
getragen  waren.  Die  ersten  Worte  zur  Ver- 
dammung des  Krieges  hallten  durch  den 
großen  Saal  des  Schiedspalastes,  und  eine 
nach  Hunderten  zählende  Menge  zollte  diesen 
Worten  begeisterten  Beifall.  Bei  dieser  Ge- 
legenheit hielt  Carnegie  auch  jene  Auf- 
sehen erregende  Rede,  in  der  er  neuerdings 
Kaiser  Wilhelm  anrief,  die  in  seinen  Händen 
liegende  Macht  zu  benutzen  und  Europa  den 
organisierten  Frieden  zu  geben.  An  jenem 
Tage,  nicht  an  dem  der  offiziellen 
Eröffnung  geweihten  vorher- 
gehenden, fand  die  Weihe  des 
Hauses  statt;  an  jenem  Tage  brach  der 
Geist  durch,  den  das  ängstliche  Zeremoniell 
der  Hofzeremonienmeister  und  der  Diplomatie 
durch  goldstrotzende  Uniformen  und  salbungs- 
volle Chorgesänge  ersetzen  wollte.  Und  das 
ist  das  Tröstliche  an  jenem  Ereignisse  vom 
29.  August.  Der  Geist  des  Jahrhunderts,  der 
noch  von  so  vielen  verlacht  und  verhöhnt  wird. . 


336 


«F== 


=  DIE  FRIEDENS-^^ÄRTE 


er  hat  jenes  Haus,  gebaut,  er  hat,  trotzdem 
er  etwas  Immaterielles  ist,  Ziegel  auf  Ziegel 
gesetzt,  hat  die  luxuriöse  Prachteinrichtung 
des  Interieurs!  aus  allen  Zonen  herbeigetragen, 
hat  die  Regierungen  und  ihre  Vertreter  ge- 
zwungen, an  einem  Werke  teilzunehmen,  das 
sie  niemals)  ernstlich  ins  Auge  zu  fassen  be- 
absichtigten, und  dieser  Geist,  der  sich  nicht 
töten  läßt,  und  nicht  ausschließen,  der  am 
29.  August  sich  mit  aller  Gewalt  manifestierte, 
nachdem  man  ihm  am  28.  August  feierlich 
die  Türe  verschlossen  hatte,  dieser  Geist  wird 
dafür  Sorge  tragen,  daß  das  Werkzeug  des 
Friedens  auch  in  seiner  neuen  Heimstätte  zur 
Anwendung    kommt. 

Da  steht  nun  der  Palast  mit  seinen  beiden 
in  die  Lüfte  ragenden  Türmen  in  der  Nähe 
des  Meeres.  Man  wird  versuchen,  ihn  zu  ver- 
gessen. Aberl  es  wird  nicht  gehen.  So  "wie  es 
Schandflecke  gibtÄ  die  man  nicht  wegwaschen 
kann,  ist  hier  ein  Ehrenfleck  unserer  Zeit  ge- 
schaffen worden,  der  unheimlich  leuchten  wird, 
wie  trübe  sich  auch  die  kommenden  Ereig- 
nisse gestalten  mögen,  und  der  nicht  wegge- 
wischt werden  kann  von  allen  jenen,  die  ihn 
gern  beseitigen  möchten.  So  wird  das  neue 
Gewand  des  Haager  Schiedshofes  dazu  bei- 
tragen, der  Einrichtung  zu  dienen,  ihr  er- 
höhtes Ansehen  zu  gewähren.  Die  Lächeln- 
den und  Witzelnden  werden  im  Unrecht 
bleiben.  A.  H.  F. 

Die  18.  Interparlamentarische 
Konferenz. 

(3.   bis   5.   September    1913.) 

Von 

Professor  Richard  Eickhoff,    Remscheid, 
Mitglied  des  preußischen  Abgeordnetenhauses. 

Der  freundlichen  Aufforderung  des 
Herausgebers  der  „Friedens-Warte",  ihren 
Lesern  einen  kurzen,  zusammenfassenden  Be- 
richt über  die  18.  Interparlamentarische 
Konferenz  zu  erstatten,  komme  ich  um  so 
lieber  nach,  als  die  Haager  Konferenz,  von 
der  ich  soeben  zurückkehre,  sich  ihren  Vor- 
gängerinnen würdig  anreiht  und  ihr  Verlauf 
wie  ihre  Ergebnisse  als  durchaus  erfreulich 
bezeichnet    werden    dürfen. 

Was  ist  denn  die  Hauptaufgabe  der  Inter- 
parlamentarischen Union  ?  Sie  will  den  Ge- 
danken der  Schiedsgerichtsbarkeit  und  aller 
ihr  verwandten  Einrichtungen  und  Bestre- 
bungen in  immer  erhöhtem  Maße  zur  Durch- 
führung bringen,  und  sie  schafft  daher  un- 
ermüdlich das  Material  herbei,  das  diesem 
Zwecke  zu  dienen  bestimmt  ist.  Dieser  Auf- 
gabe hat  sich  auch  die  18.  Konferenz  der 
Union  gewidmet,  und  man  wird  anerkennen 
müssen,  daß  sie  einen  tüchtigen  Schritt  vor- 
wärts auf  dem  Wege  getan  hat,  den  diese 
nun  schon  fast  ein  volles  Vierteljahrhundert 
verfolgt. 


Unter  den  Gegenständen,  die  auf  der 
Tagesordnung  der  Konferenz  standen,  be- 
fanden sich  einige,  die  schon  frühere  Kon- 
ferenzen beschäftigt  hatten  und  dennoch  auch 
jetzt  nicht  endgültig  verabschiedet  werden 
konnten,  weil  sie  internationale  Probleme  auf- 
werfen, die  nicht  von  heute  auf  morgen  ge- 
löst werden  können.  Ich  rechne  dazu  die 
Frage  der  Rechtsverhältnisse  der 
interozeanischen  Meerengen  und 
Kanäle,  die  der  deutsche  Abgeordnete 
Dr.  Pachnicke  zuerst  auf  der  16.  Kon- 
ferenz in  Brüssel  (1910)  behandelt  hatte 
und  die  dann  einer  Studienkommission  über- 
wiesen worden  war,  namens  deren  der  portu- 
giesische Graf  von  Penha  Garcia  jetzt 
einen  vorläufigen  Bericht  erstattete.  Danach 
hat  die  Kommission  fünf  Grundsätze  auf- 
gestellt, über  die  sich  die  Mächte,  wie  sie 
hofft,  leicht  einigen  könnten:  es  sind  die 
freie  Durchfahrt  und  gleiche  Behandlung  für 
alle  Handelsschiffe,  die  Meerengen  und  See- 
kanäle passieren;  das  Verbot  der  Blockade 
derselben;  das  Verbot,  sie  durch  Torpedos 
oder  selbsttätige  Minen  zu  versperren;  das 
Verbot,  bestimmte  Leuchtfeuer  auf  großen 
Seewegen  selbst  in  Kriegszeiten  aus- 
zulöschen; endlich  die  Verpflichtung,  in 
allen  Streitfragen,  die  aus  der  Auslegung 
dieser  Grundsätze  entstehen,  schiedsrichter- 
liche Hilfe  anzurufen.  Die  Kommission  be- 
antragt, sie  bis  zur  nächsten  Konferenz  mit 
der  Ausarbeitung  eines  allgemeinen  Ab- 
kommens zu  betrauen,  in  dem  die  genannten 
Grundsätze  zur  Geltung  kommen  sollen; 
erst  dann  will  sie  die  andern  Fragen  be- 
handeln, die  zur  Lösung  des  ganzen  Pro- 
blems gehören.  Einstimmig  nahm  die  Kon- 
ferenz   diesen    Vorschlag    an. 

Zu  den  Fragen,  die  schon  frühere  Kon- 
ferenzen beschäftigt  hatten  und  dennoch  auf 
der  Haager  Konferenz  keine  Lösung  fanden, 
gehört  auch  die  der  dauernden  Neu- 
tralität. Volle  18  Redner  ergriffen  zu 
dieser  Frage  das  Wort:  ein  Beweis,  welch 
lebhaftem  Interesse  sie  begegnet  —  na- 
mentlich, wie  nicht  anders  zu  erwarten  war, 
bei  den  kleineren  Staaten,  die  —  wie  Däne-t 
mark,  Norwegen  und  Schweden  —  schon 
lange  den  Wunsch  hegen,  neutralisiert  zu 
werden.  Der        dänische       Abgeordnete 

Dr.  M  u  n  c  h  —  seines  Zeichens  Minister 
der  nationalen  Verteidigung!  —  erstattete 
einen  vortrefflichen  Bericht.  Aber  in  der 
Diskussion  wurde  nicht  mit  Unrecht  her- 
vorgehoben, daß,  der  Begriff  der  „neutralite 
permanente"  noch  nicht  einmal  feststehe; 
denn  die  „dauernde  Neutralität"  hat  bei- 
spielsweise für  einen  Staat  doch  nur  dann 
Wert,  wenn  nicht  nur  er  selbst  sie  erklärt,; 
sondern  auch  die  anderen  Staaten  sie  an- 
erkennen, wie  das  bei  der  Schweiz,  Belgien, 
Luxemburg  und  dem  Kongostaat  geschehen 
ist.  Da  gerade  diese  Frage  noch  einer 
weiteren    Klärung    bedurfte,    so    verwies    die 


337 


DIE  FßlEDENS-^ÖJiTE  = 


3 


Konferenz  mit  Zustimmung  des  Bericht- 
erstatters selber  den  ganzen  Gegenstand 
zur  weiteren  Prüfung  an  die  sogen,  zentrale 
Kommission,  und  dem  gleichen  Schicksal 
verfiel  der  Antrag  des  früheren  hollän- 
dischen Ministers  van  Houten  über  die 
Rechte  und  Pflichten  der  neu- 
tralen Staaten  im  Seekriege,  der 
eine  Lücke  des  Haager  Abkommens  vom 
18.  Oktober  1907  auszufüllen  bestimmt  ist. 
Nach  der  Auffassung  des  Antragstellers  soll 
nämlich  diese  Lücke  darin  bestehen,  daß  ein 
neutraler  Staat  unter  Umständen  außerstande 
sein  kann,  die  im  Artikel  25  dieses  Ab- 
kommens gegen  die  Bedrohung  durch  eine 
Seemacht  vorgesehenen  Maßnahmen  selber 
zu  ergreifen,  und  deshalb  auf  die  Unter- 
stützung einer  anderen  neutralen  Macht  an- 
gewiesen ist.  Auch  diese  Frage  soll  also 
in  der  zentralen  Kommission  eingehend  ge- 
prüft und  der  nächsten  Konferenz  alsdann 
darüber   berichtet   werden. 

Man  erinnert  sich,  welches  Aufsehen  der 
neue  schiedsgerichtliche  Vor- 
schlag des  amerikanischenStaats- 
sekretärsMr.  Bryan  vor  einigen  Monaten 
nicht  nur  drüben,  jenseits  des  Kanals,  her- 
vorrief. Dieser  Vorschlag  ist  inzwischen  allen 
Mächten  unterbreitet  worden.  Es  war  vor- 
auszusehen, daß  die  amerikanische  Gruppe 
sich  die  Gelegenheit  nicht  nehmen  lassen 
würde,  ihn  der  Konferenz  vorzulegen  und 
seine  Empfehlung  von  ihr  zu  erbitten.  Die 
Herren  RichardBartholdt  und  B  u  r  t  o  n 
unterzogen  sich  denn  auch  dieser  Aufgabe 
mit  großem  Eifer.  Herr  Bartholdt  teilte 
mit,  daßi  bereits  28  Staaten  das  Prinzip 
dieses  Vorschlages  gebilligt  hätten,  mit  dem 
Staate  Salvador  auch  schon  ein  förmlicher 
Vertrag  auf  Grund  der  Bryanschen  Vor- 
schläge abgeschlossen  worden  sei.  So  stimmte 
denn  auch  die  Konferenz  dem  amerika- 
nischen Antrage  insoweit  zu,  als  sie 
das  Prinzip  dieser  Vorschläge  empfahl  und 
der  von  ihr  eingesetzten  Kommission  für 
internationale  Schiedsgerichtsbarkeit  anheim- 
gab, die  Frage  der  allgemeinen  Anwendung 
solcher  Verträge  eingehend  zu  prüfen.  Es 
mag  indes  schon  an  dieser  Stelle  angedeutet 
werden,  daß  der  Vertrag,  der  zwischen  den 
Vereinigten  Staaten  von  Amerika  und  Sal- 
vador abgeschlossen  worden  ist,  insbesondere 
Artikel  4,  für  Großmächte  kaum  durchführbar 
erscheint.  Der  Vorschlag  des  Herrn  Bryan  sieht 
vor  dem  Beginne  der  Feindseligkeiten  die 
Untersuchung  des  Streitfalles  durch  eine  un- 
parteiische internationale  Untersuchungs- 
kommission vor.  Aber  sollte  es  wirklich 
möglich  sein,  einen  Großstaat  zu  verpflichten; 
während  der  Tagung  dieser  Kommission  auf 
jede  Rüstung  zu  verzichten,  „ä  maintenir  le 
statusquo   militaire   et    naval"  ? 

Die  Frage  der  Kriegsanleihen  ist 
nicht  von  heute  oder  gestern,  und  auch  die 


Interparlamentarische  Union  hat  sich  schon 
auf  zwei  Konferenzen  —  1910  in  Brüssel 
und  1912  in  Genf  —  mit  ihr  beschäftigt. 
Aber  während  die  alte  Schule  unter 
Bluntschlis  Führung  sich  für  ein  Verbot  der 
Kriegsanleihen  aussprach,  ist  die  neuere 
Richtung  weniger  rigoros  und  hält  es  für 
durchaus  erlaubt,  daß  neutrale  Staaten  krieg- 
führenden Mächten  Gelddarlehen  gewähren, 
wie  dies  ja  noch  soeben  im  Balkankriege 
so  ausgiebig  geschehen  ist.  Anderseits 
haben  schon  jetzt  einzelne  Staaten  durch 
Gesetz  solche  Kriegsanleihen  von  ihrem 
Markte  ausgeschlossen.  In  jedem  Falle  ist 
auch  diese  Frage  sehr  strittig,  und  man  kann 
deshalb  dem  belgischen  Senator  Graf 
Gobi  et  d'Alviella,  einem  verdienten 
Veteranen  der  Interparlamentarischen  Union, 
nur  Dank  dafür  wissen,  daß  er  diese  Frage 
aufs  neue  zur  Erörterung  gestellt  hat.  Die 
Konferenz  nahm  nach  einer  anregenden  De- 
batte seinen  Antrag  denn  auch  mit  über- 
wiegender Mehrheit  an,  der  auf  ein  inter- 
nationales Abkommen  oder,  wenn  dies  nicht 
zu  erreichen  ist,  auf  eine  Aenderung  der 
Gesetzgebung  in  den  einzelnen  Staaten  in 
dem  Sinne  abzielt,  daß  der  Geldmarkt  neu- 
traler Staaten  den  Kriegsanleihen  ver- 
schlossen bleibt. 

Ich  folge  in  meinem  Berichte  der  Reihen- 
folge der  Tagesordnung,  und  so  muß  ich  jetzt 
ein  Wort  über  die  von  mir  selber  behandelte 
Frage  des  Weltpennyportos  sagen. 
Schon  auf  der  16.  (Brüsseler)  Konferenz 
hatte  der  englische  Abgeordnete  Henniker 
Heaton  diese  Frage  auf  die  Tagesord-t 
nung  zu  bringen  versucht,  ohne  daß  er 
satzungsgemäß  dazu  berechtigt  gewesen 
wäre.  Nachdem  aber  die  Union  im  vorigen 
Jahre  in  Genf  das  Gebiet  ihrer  Tätigkeit 
durch  eine  entsprechende  Satzungsänderung 
erweitert  hat,  kann  sie  alle  Probleme  in  den 
Kreis  ihrer  Erörterungen  ziehen,  ,,die  für 
die  Entwicklung  der  friedlichen  Beziehungen 
unter  den  Völkern  von  Bedeutung  sind".  Daß. 
dazu  in  erster  Reihe  ein  billiges  Einheits-t 
porto  für  den  internationalen  Briefverkehr 
gehört,  bedarf  keiner  weiteren  Worte :  es 
gibt  kaum  eine  populärere  Forderung  in  allen 
Kulturstaaten  als  diese.  Ich  nahm  deshalb 
die  dankenswerte  Anregung  unseres  bri- 
tischen Kollegen  aus  dem  Jahre  1910  im 
Haag  wieder  auf  und  hatte  die  Genugtuung!,, 
daß  mein  Antrag  nach  einer  kurzen  Emp- 
fehlung durch  Lord  Weardale  und  den 
kanadischen  Senator  Dandurand  ein- 
mütige Annahme  fand.  Insbesondere  konnte 
Herr  Dandurand  meine  Argumente  auf 
Grund  der  Erfahrungen  seines  Heimatlandes 
durchweg    bestätigen. 

Die  bisher  besprochenen  Gegenstände 
nahmen  die  Tagesordnung  der  drei  Sitzun- 
gen der  beiden  ersten  Konferenztage  ein; 
aber  auch  der  dritte  und  letzte  Tag 
brachte   noch    interessante   Verhandlungen. 


338 


<§= 


DIE  FRI  EDENS ->M&RTE 


Zuerst  wurde  ein  Antrag  des  belgischen 
Abgeordneten  Louis  Franck  (Antwerpen), 
eines  vorzüglichen  Kenners  des  Seerechts, 
beraten,  der  die  Union  zum  Mittel- 
punkte aller  internationalen  Be- 
strebungen machen  will.  Was  Herr 
Franck  bezweckt,  geht  aus  seinem  Berichte 
und  den  mündlichen  Erläuterungen,  die  in 
seiner  Vertretung  Herr  Mechelynck 
dazu  gab,  klipp  und  klar  hervor:  es  handelt 
sich  darum,  die  Interparlamentarische  Union 
zu  einer  Zentralstelle  auszugestalten,  von  der 
aus  die  Regierungen  in  wirksamerer  Weise 
als  bisher  auf  alle  Bestrebungen  hingewiesen 
werden  könnten,  die  der  internationalen  Ver- 
ständigung dienen.  In  der  Debatte  wurde 
beispielsweise  auf  ein  internationales  Ab- 
kommen über  den  Opiumhandel  hingewiesen, 
dessen  Ratifizierung  durch  Vermittlung  der 
Union  herbeigeführt  werden  könne.  Der 
Grundgedanke  des  Franckschen  Antrages 
läuft  also  —  entsprechend  der  im  vorigen 
Jahre  erfolgten  Satzungsänderung  —  auf  eine 
Erweiterung  des  Tätigkeitsfeldes  der  Union 
hinaus,  die  von  ihren  Führern  schon  länger 
geplant  war.  Eben  deshalb  fand  er  auch 
die  Zustimmung  der  großen  Mehrheit  der 
Konferenz.  Denn  daß  die  Union,  ,,das 
Parlament  der  Parlamente",  am  ehesten  in 
der  Lage  ist,  auf  die  Regierungen  ein- 
zuwirken und  so  eine  nützliche  Vermittler- 
rolle zu  spielen,  geht  schon  aus  ihrer  Zu- 
sammensetzung und  ihrem  ganzen  Charakter 
hervor.  Daß  sich  die  Union  dabei  aber  doch 
vor  einer  Zersplitterung  ihrer  Kräfte  hüten 
muß,  wurde  von  englischer  Seite  mit  Recht 
bemerkt. 

Eine  längere  Erörterung  knüpfte  sich  so- 
dann an  den  Jahresbericht  des 
Generalsekretärs  Dr.  Lange,  dessen 
Verdienste  um  die  Vorbereitung  und  Organi- 
sation der  Konferung  wiederum  allgemeine 
Anerkennung  fanden.  Die  Ratifikation 
der  wichtigsten  Konventionen  der 
Haager  Friedenskonferenz  von 
1907  und  der  Londoner  Seerechts- 
deklaration von  1909  ist  bisher  noch 
von  einer  Anzahl  von  Staaten  unterlassen 
worden.  Schon  mehrfach  hat  die  Union, 
wie  aus  dem  Jahresberichte  des  Herrn 
Dr.  Lange  hervorgeht,  die  Regierungen  zu 
dieser  Ratifikation  aufgefordert,  ohne  die  eine 
Fortbildung  des  Völkerrechts  unmöglich  er- 
scheint. Diesmal  war  es  der  Vorsitzende 
der  ungarischen  Gruppe,  Herr  v.  Berze- 
v  i  c  z  y  ,  der  die  Erneuerung  der  früheren 
Beschlüsse  —  unter  Hinweis  auf  die  Zu- 
stimmung der  österreichisch-ungarischen  Re- 
gierung zur  Regelung  des  Prisenrechts  — 
dringend  empfahl  und  die  Mächte  zugleich 
erneut  aufgefordert  wissen  wollte,  die  Vor- 
bereitungen zur  dritten  Haager 
Konferenz  unverzüglich  in  die  Wege  zu 
leiten.  In  diesem  Sinne  wurde  denn  auch 
ein    einmütiger    Beschluß    gefaßt,    und    man 


kann  nur  wünschen,  daß  die  Regierungen 
sich  endlich  zu  einem  Entschlüsse  aufraffen 
mögen.  Auch  die  weitere  Anregung  des 
Herrn  v.  Berzeviczy,  alle  geeigneten 
Schritte  zu  tun,  um  den  Wiedereintritt 
der  italienischen  Gruppe  in  die  Union 
zu  veranlassen,  eine  Anregung,  der  sich  Freiherr 
v.  Plener  und  Herr  Constantinesco 
(Rumänien)  anschlössen,  fand  allseitige  Zu- 
stimmung; es  darf  dazu  bemerkt  werden, 
daß  schon  längere  Zeit  unverbindliche  Ver- 
handlungen über  die  Beseitigung  des  pein- 
lichen Zwischenfalls  in  die  Wege  geleitet 
worden  sind.  Es  mag  weiter  erwähnt  werden, 
daß  Herr  Dr.  Qu'idde  (München)  bei 
diesem  Gegenstande  der  Tagesordnung  einen 
in  französischer  und  deutscher  Sprache  ge- 
druckten „Entwurf  zu  einem  inter- 
nationalen Vertrage  über  Rü- 
stungsstillstand" der  Konferenz  vor- 
legte. 

Eine  aktuelle  Frage  war  es  endlich,  die 
den  letzten  Gegenstand  der  Tagesordnung 
bildete,  die  —  wie  man  zugeben  wird  — 
an  Mannigfaltigkeit  nichts  zu  wünschen 
übrigläßt.  Von  zwei  Seiten,  von  rumänischer 
durch  Herrn  D  i  s  s  e  s  c  o,  den  jetzigen  Justiz- 
minister, und  in  seiner  Vertretung  durch  den 
Senator  Lahovary,  und  von  österreichischer 
Seite  durch  Herrn  Professor  Ritter  v.  R  o  s  z  - 
k  o  w  s  k  i ,  war  die  heikle  Frage  der  Bal- 
kangreuel, der  zahlreichen  Verletzungen  der 
Haager  Konvention  vom  18.  Oktober  1907 
betr.  die  Gesetze  und  Gebräuche  des  Land- 
krieges, zur  Sprache  gebracht  worden.  Zahl- 
reiche Redner  beteiligten  sich  an  dieser  De- 
batte, deren  Ergebnis  ein  einstimmig  an- 
genommener Antrag  des  Inhaltes  war,  daß 
alle  Fragen,  die  sich  auf  diese  Rechtsver- 
letzungen beziehen,  insbesondere  die  Frage, 
auf  welchem  Wege  wirksame  Maßnahmen 
und  Uebereinkommen  über  etwaige  Ver- 
letzungen des  Völkerrechts  getroffen  werden 
können,  auf  die  Tagesordnung  der  nächsten 
Haager  Konferenz  gesetzt  werden  möchten. 
Hoffentlich  wird  diesem  von  allen  Kultur- 
freunden einmütig  gehegten  Wunsche  Er- 
füllung   zuteil    werden. 

Ich  habe  im  vorstehenden  die  Ergebnisse 
der  18.  Interparlamentarischen  Konferenz, 
soweit  es  der  mir  zustehende  Raum  ge- 
stattete, den  Lesern  der  „Friedens-Warte" 
dargelegt.  Aber  wenn  ich  auch  nur  die 
wichtigsten  Gesichtspunkte  hervorheben 
konnte  und  manche  recht  interessante  Er- 
örterungen und  Anregungen  dabei  aus- 
schalten mußte,  so  hoffe  ]ich  doch,  ein  einiger- 
maßen anschauliches  Bild  dieser  Verhand- 
lungen gegeben  zu  haben,  die  in  der  ersten 
Septemberwoche  im  Haag  gepflogen  wurden. 
Ich  darf  noch  hinzufügen,  daß  das  Interesse 
der  Konferenzmitglieder  an  den  Verhand- 
lungen ein  ungeteiltes  war,  wie  denn  der 
ehrwürdige  „Groote  Ridderzaal"  von  der  ersten 
bis  zur  letzten  Sitzung  so  regelmäßig  und  so 


339 


DIE  FBIEDENS -^ÖÜTE 


3 


gut  besucht  war,  wie  ich  es  kaum  auf 
einer  der  früheren  Konferenzen  bemerkt 
habe.  Dabei  wetteiferten  die  Vertreter  aller 
Nationen  miteinander :  neben  den  Russen 
waren  die  Türken,  neben  den  Amerikanern 
waren  die  Japaner  vertreten;  von  den  euro- 
päischen Staaten  fehlten  —  außer  Italien  — 
nur  die  Vertreter  der  Bulgaren,  Serben  und 
Griechen  —  aus  naheliegenden  Gründen. 
Und  so  durfte  man  dem  verehrten  Präsi- 
denten der  Konferenz,  Herrn  Abgeordnetem 
Tydeman,  aus  vollem  Herzen  zustimmen, 
wenn  er  seiner  Befriedigung  über  den  schönen 
Verlauf  der  Konferenz  und  ihre  guten  Er- 
gebnisse Ausdruck  gab,  und  er  selbst  hatte 
den  Dank  wohl  verdient,  den  ihm  der 
Vorsitzende  der  ungarischen  Gruppe,  Herr 
v.  Berzeviczy,  namens  aller  Konferenz- 
teilnehmer für  seine  vortreffliche  Leitung  der 
Verhandlungen  aussprach.  In  der  Tat  ist 
im  Haag  wieder  ein  gut  Stück  Arbeit  im 
Dienste  der  erhabenen  Gedanken  geleistet 
worden,  deren  Verwirklichung  die  Inter- 
parlamentarische Union  ihr  Lebenswerk  ge- 
weiht hat:  ,,Vrede  door  Recht",  um  mit 
unseren  niederländischen  Freunden  zu  sprechen, 
wird  darum  auch  in  Zukunft  ihre  Losung  sein. 


Die  Internationalilät  des 
Waffenhandels. 

Von  Georg  Herbert  Perris  (London). 

Der  bemerkenswerteste  Zug  des  Waffen- 
handels ist  seine  in  das  Ausland  reichende 
Entwicklung.  Sehr  selten  überschreitet  eine 
mit  Waffen  handelnde  Gesellschaft  selbst  die 
Grenzen.  So  übernahm  im  letzten  Jahre 
die  im  Jahre  1887  registrierte  französische 
Hotchiß-Gesellschaft  die  Geschäfte  der  eng- 
lischen Hotchiß-Gesellschaft.  Gewöhnlich 
aber  bleibt,  wie  dies  bei  einer  berühmten 
Gelegenheit  gesagt  wurde,  die  britische  Flagge 
„aktiv".  Das  Bauen  von  fremden  Kriegs- 
schiffen in  britischen  Werften  würde  eine 
Anomalie  bedeuten,  wenn  der  imperialistische 
Patriotismus  das  wäre,  was  er  zu  sein  vor- 
gibt. Was  soll  mian  aber  von  den  Werften 
der  britischen  Firmen  auf  dem  Festlande 
sagen,  die  nur  zur  Verteidigung  unserer  aus1- 
ländischen    „Rivalen"    da    sind  ? 

Wenn  man  von  der  Bergreihe  Pozzuolis 
nach  der  Bucht  von  Neapel  hinunterschaut, 
ist  man  erstaunt,  daß  diese  liebliche  Küste 
durch  rote  Backstein-Gebäude  und  hohe 
Schornsteine  verunstaltet  wird.  Es  ist  das 
Arsenal  der  britischen  Armstrong-Pozzuoli- 
Gesellschaft,  die  viertausend  Arbeiter  be- 
schäftigt und  die  die  hauptsächlichste  Quelle 
zur  Flottenergänzung  des  zweiten  Alliierten 
Deutschlands  bildet.  Ebenso  hat  die  An- 
saldo-Armstrong-Gesellschaft  von  Genua  zwei 
Dreadnoughts  und  mehrere  Kreuzer  für 
Italien  und  kleinere  Schiffe  für  die  Türkei 
gebaut.     Armstrongs    haben   auch    Geschütz- 


und  Rüstungsfabriken  in  Japan,  und  sie  sind, 
zusammen  mit  Vickers  und  John  Brown 
&  Co.,  Teilhaber  der  ,,Hispana"-Ges:ellschaft 
für  Schiffbau,  das  hauptsächlichste  In- 
strument für  den  Ehrgeiz  König  Alfonsos 
und  für  die  Verarmung  des  spanischen 
Bauers.  Vickers  Ltd.  tragen  auch  zur  Er- 
gänzung der  italienischen  Flotte  bei  durch 
ihre  Schwestergesellschaften  Vickers  -  Terni 
Ltd.,  Odero  in  Genua  und  Orlando  in  Livorno. 
Eine  der  seltsamsten  Episoden  der  fi- 
nanziellen und  wirtschaftlichen  Geschichte 
der  letzten  Zeit  ist  wohl  die  Wiedererrichtung 
der  russischen  Flotte,  zu  der  britische,  fran- 
zösische, deutsche,  belgische  und  amerika- 
nische Firmen  beigetragen  haben  und  heute 
noch  beitragen,  eine  Ausstellung  des1  Inter- 
nationalismus, in  seiner  Weise  ebenso  über- 
zeugend, wie  die  Friedenskonferenzen  im 
Haag,  die  derselbe  Zar  einberief,  um  die 
Rüstungen  zu  beschränken.  Fünfzig  Millio- 
nen Pfund  Sterling  soll  diese  neue  Flotte, 
deren  Autorisation  vor  einem  Jahr  von  der 
Duma  erzwungen  wurde,  ungefähr  kosten. 
Das  Kapital  wurde  hauptsächlich  durch  fran- 
zösische und  andere  ausländische  Institute 
investiert;  die  Zinsen  werden  von  den  armen 
russischen  Bauern  und  Arbeitern  gezahlt. 
Es  muß  aber  bedacht  werden,  daß  der  Pa- 
triotismus in  Rußland  größer  ist  als  in  Eng- 
land, d.  h.  er  ist  ultra-nationalistisch  und 
ultra-protektionistisch ;  er  ist  ebenso  ultra- 
klerikal und  hängt  gewöhnlich  mit  dem 
Geben  und  Nehmen  von  Bestechungs- 
geldern zusammen.  Das  ist  aber  eine  Sache 
für  sich.  Die  russische  Regierung  hat  keine 
unserer  britischen  Einwände  über  die  Aus- 
dehnung der  Staatsgeschäfte  für  sich.  Aber 
je  mehr  Unternehmen  die  Regierung  in  ihrer 
Gewalt  hat,  desto  mehr  Profitgelegenheit 
hat  die  herrschende  Bureaukratie.  Deshalb 
wurde  beschlossen,  daß,  trotzdem  aus- 
ländisches Geld  und  ausländische  Kennt- 
nisse verwendet  werden  müssen,  diese  soviel 
als  möglich  in  den  Dienst  der  „wachsenden 
Schaffung  einer  nationalen  Industrie  für 
Schiffbau"  gestellt  werden.  So  haben  Vickers 
Ltd.  (die  eben  den  Kontrakt  schließen)  nicht 
die  notwendigen  Geschütze  zu  ergänzen, 
sondern  eine  neue  Fabrik  in  Form  einer 
Spezialgeseilschaft  mit  einem  Kapital  von 
1  500  000  £  zu  bauen.  So  sollen  Schiffe  nicht 
aus  dem  Auslande  importiert,  sondern  durch 
russische  Arbeiter,  mit  russischem  Material, 
unter  ausländischer  Führung  erbaut  werden. 
Die  ersten  vier  russischen  Dreadnoughts 
sind  gerade  in  St.  Petersburg  unter  der  Auf- 
sicht von  John  Brown  &  Co.  fertiggestellt 
worden.  In  Nikolajeff  am  Schwarzen  Meer 
wurden  zwei  andere  Kriegsschiffe  durch  eine 
franco-russische  Gesellschaft  erbaut,  wäh- 
rend andere  in  einer  zum  Teil  der  Vickers  Ltd. 
gehörigen  iWerft,  die  auch  zur  Ergänzung 
der  Maschinerien  zweier  Schiffe  der  Osts'ee 
dient,    erbaut   werden.     Andere   Maschinerien 


340 


e= 


DIE  FRIEDENS-^V&DXE 


werden  unter  der  Aufsicht  von  Blohm  &  Voß 
von  Hamburg  ergänzt.  Rußland  erzeugt 
nun  seine  meisten  Panzerplatten  selber, 
aber  die  Aufträge  dafür  wurden  in  Amerika 
und  Frankreich  erteilt.  Bei  schweren  Ge- 
schützen haben  die  Ausländer  größere  Vor- 
teile, und  Vickers  und  Armstrong  erhalten 
nun  die  wichtigsten  Aufträge. 

Die  technische  Beilage  der  „Times"  vom 
25.  Juni  1913  bringt  einen  sehr  bezeich- 
nenden Artikel  über  diese  Tatsachen.  Früher 
hielten  es  die  Meister  der  Strategie  für  un- 
angebracht, „daß-  eine  Nation  ihr  Kriegs- 
geheimnis  und  ihr  Kriegsmaterial  preisgab". 
Diese  „Einrichtung  eines  Heimlichkeits-Prin- 
2ips"  wurde  aufgegeben  und  „der  gegen- 
wärtige Wechsel  der  Ideen  und  Waren  in 
Kriegsmaterial  zwischen  den  Nationen  ist  ein 
bezeichnendes  Produkt  des  modernen  Han- 
dels und  der  Diplomatie".  Dies  „wird  mit 
vollkommener  Gleichgültigkeit  betrachtet. 
Es  ist  aber  vielleicht  das  am  meisten 
paradoxe  Moment  unseres  Zeitalters",  näm- 
lich, daß  die  Equipierung  der  Armeen  und 
Flotten  immer  einheitlicher  wird;  aber  die 
Oberhand  „würde  jener  Nation  zuteil  werden, 
die  die  Entwicklung  der  Verschiedenheiten  der 
bestehenden  Typen  in  Betracht  zieht"  —  eine 
Folgerung,  die  den  Kriegshändlern  sehr 
bequem   ist. 

Rußland  ist  ein  reiches  Land.  Am 
anderen  Ende  Europas  liegt  der  kleine  und 
arme  Staat  Portugal,  der  verzweifelt  um  die 
Erhaltung  seiner  neuen  republikanischen  In- 
stitution kämpft.  Mit  jährlichen  Einnahmen 
von  bloß  16  000  000  £  trägt  er  eine  Schuld 
von  180  000  000  £,  so  daß  das  Budget  in 
der  Regel  ein  Defizit  aufweist.  Aber  auch 
die  Regierung  von  Portugal  wurde  davon 
überzeugt,  daß  sie  eine  neue  Flotte  brauche, 
und  daß  nur  britische  Erbauer  sie  erretten 
können.  Damit  übereinstimmend  wurde  ein 
in  der  Zusammensetzung  beinahe  ganz  bri- 
tisches „Portugiesisches  Flottenbau  -  Syn- 
dikat" gebildet,  das  schon  seinen  Kontrakt 
in  der  Höhe  von  1  500  000  £  in  der  Tasche 
hat.  Dazu  gehören  die  Firmen:  John  Brown, 
Cammell,  Laird,  the  Fairfield  Co.,'  Palmers 
Thorneycrotts  und  die  Coventry  Ordnance 
Co.*).  Es  gab  Zeiten,  da  die  Engländer  für 
Portugal  geblutet  haben;  jetzt  muß  unser  alter 
Bundesgenosse  für  uns  bleiben.  So  bezahlt 
der    Schwache    für    den    Schutz   des    Starken. 

Diese  großen  Unternehmungen  regen  ver- 
schiedene große  Fragen  an.  Von  Zeit  zu 
Zeit  tauchen  leicht  Fragen  über  Englands 
Stellung  am  Mittelländischen  Meer  auf;  und 
öfter  noch  wird  nach  der  Stärke  der  Land- 
und  See- Verteidigung  des  Weges  nach  Indien 
gefragt.  Die  einzige  Gefahr  in  dieser  Rich- 
tung wurde  von  den  „patriotischen"  bri- 
tischen Kapitalisten  ins  Leben  gerufen. 
Nehmen   wir   einen   Augenblick   an,    daß    der 


')  „Economist",    Mai    1913. 


Krieg,  den  diese  Patrioten  so  oft  kommen 
sehen,  —  der  Kampf  um  Leben  und  Tod 
zwischen  der  Tripel-Allianz  und  der  Tripel- 
Entente  —  ausgebrochen  wäre.  Die  Arse- 
nale und  Werfte  würden,  wahrscheinlich  be- 
schlagnahmt und  gegen  uns  angewendet 
werden.  Andrew  Noble  oder  Vickers  werden 
dies  zwar  als  absurd  verwerfen.  Wenn  dem 
aber  nicht  so  ist,  weshalb  bauen  sie  Dread- 
noughts  für  Italien?  Gegen  wen,  wenn  nicht 
gegen  England?  Gegen  unseren  Freund 
Frankreich?  In  Uebereinstimmung  mit  der 
„patriotischen"  Theorie  würde  dies  einem 
Bauen  gegen  England  gleichkommen.  Oder 
gegen  die  Türkei?  Aber  dieselben  Firmen 
zeigen  ihre  Unparteilichkeit  dadurch,  daß  sie 
ihre  italienischen  Werften  dazu  benützen,  der 
Türkei  Kriegsschiffe  zu  liefern,  die  diese  nicht 
benützen  kann.  Oder  gegen  Spanien?  Zu 
gleicher  Zeit  aber  versorgen  sie  Spanien  mit 
einer  Flotte,  die  es  gewissermaßen  gegen  jene, 
die   sie  für   Italien  bauten,   benützen  soll. 

Dies  klingt  wie  Wahnsinn;  aber  als  Ge- 
schäft ist  es  äußerst  methodisch  und  gewinn- 
bringend. Ihr  überzeugt  einen  Staat,  —  zum 
Beispiel  Italien  —  daß  er  mehr  große  Schiffe 
oder  ein  neues  Feldgeschütz  braucht.  Der 
nächste  Nachbar  —  Frankreich  zum  Beispiel 
—  muß  diesem  Beispiel  bald  folgen;  da- 
durch häufen  sich  die  Aufträge.  Mittler- 
weile ist  ein  anderer  Nachbar  —  Spanien  zum 
Beispiel  —  leicht  davon  zu  überzeugen,  daß 
seine  afrikanischen  Interessen  in  Gefahr  sind 
und  daß  der  britische  Dreadnought  die  ein- 
zige Maßnahme  zur  Begegnung  einer  solchen 
Gefahr  ist.  Nun  wird  dieses  Aufdrängen 
eines  Geschäftes  von  Pozzuoli  auf  Ferrol 
übertragen  und  die  Runde  beginnt  von  neuem. 
Oder,  um  die  Szene  zu  ändern,  wird  es  euch, 
in  einem  gegebenen  Moment  sehr  leicht 
fallen,  Staatsmänner  Japans  davon  zu  über- 
zeugen, daß  eine  moderne  Flotte  für  ihre 
Absichten  in  China  und  in  der  Mandschurei 
notwendig  ist.  Seid  ihr  da  nicht  die  Urheber 
von  Britanniens  Macht  und  ist  dies  nicht  das 
„Britannien  des  fernen  Ostens!?"  Alles  ge- 
schieht, wie  ihr  es  vorhergesagt  habt.  Nun 
aber  bietet  Rußlands  Demütigung  eine  gute 
Beute  für  eure  „Liebkosungen".  Millionen 
haben  eine  eigene  Art,  zwischen  den  Fingern 
der  Minister  des  Zaren  zu  verschwinden.  Es 
gab  zahlreiche  Flottenskandale  in  St.  Peters- 
burg, in  welchen  ausländische  Agenten  eine 
eigentümliche  Rolle  spielten.  Letzten  Endes 
aber,  wird  Rußland  seine  Flotte  und  Vickers 
und  Brown  ihre  Profite  erhalten.  Laßt 
Deutschland  seiner  Ostseeküste  gedenken! 
Es  denkt  schon  daran;  und  —  die  Krupps, 
die  Vulkan-Werke,  die  Deutsche  Munitions- 
und Waffen-Fabrik  verzeichnen  gute  Ge- 
schäfte. Nun  sind  aber  sofort  die  Nobles 
und  Mulliners,  die  Roberts  und  Beresfords 
alle  aufs  höchste  erregt.  England  wieder- 
hallt von  anti-deutschem  Sturmläuten  und  neue 
Kontrakte     werden    an     Vickers,    Armstrong, 


341 


DIE  FBIEDENS  -^ÖÜTE 


9 


Brown  und  anderen  Gesellschaften  gegeben. 
Parlament  und  Presse  sprechen  von  einer  po- 
litischen Krise :  dies  alles  ist  aber  nur 
der  Ausfluß  einer  unaufhörlichen 
Propaganda  der  Kriegshändler. 

Nun  aber  sind  die  hier  erwähnten  Fälle 
weitaus  der  geringste  Teil  der  jährlich  durch- 
geführten Aktionen.  Mehr  als  die  Hälfte  eines 
Jahrhunderts  hat  England  Leben  und  Gut 
daran  gesetzt  —  wir  geben  dafür  noch  jetzt 
viele  tausend  Pfund  jährlich  aus  —  um 
Sklavenhändler  in  Afrika  und  Asien  zu  unter- 
drücken und  um  die  Angriffe  der  jetzt  nicht 
mit  Bpgen  und  Pfeil  sondern  mit  modernen 
Waffen  kämpfenden  Eingeborenen  zurück- 
zuschlagen. Woher  stammen  diese  Gewehre)? 
Wer  bewaffnet  die  Eingeborenen  der  indischen 
Grenze,  die  Straßenräuber  von  Persien,  die 
erst  kürzlich  mehrere  britische  Offiziere 
töteten;  wer  bewaffnet  die  Sklavenhändler  vom 
indischen  Ozean  und  die  Araber  von  Tri- 
polis, die  Somalis  von  Abessynien,  die  Albaner 
und  Kreter,  die  Revolutionäre  von  Süd-Ame- 
rika und  die  unzählbaren  Eingeborenen  aus 
dem  Innern  Afrikas?  Birmingham  wird  nicht 
das  Geheimnis  des  Geschütz-Wettbewerbes  an 
der  Küste  von  Marokko  verraten.  Aber  wir 
wissen,  daß  der  britische  Export  von  Feuer- 
waffen und  Munition  (ohne  dazu  Panzerplatten 
und  anderes  großes  Material  zu  rechnen)  im 
Jahre  1911  auf  3  8451000  £  stieg  und  daß 
dieser  „patriotische"  Handel  im  Wachsen  be- 
griffen ist.  Wir  können  überzeugt  sein,  daß 
dies  verstärkte  Rüstungen  zur  Folge  haben 
wird. 

Geheimrat  von  Bar,  ein 
Bahnbrecher  des  Völkerrechts. 

Von  Dr.  Hans'  W  eh  b  e  r  g. 

Nur  wenige  Tage  nach  der  diesjährigen 
Sitzung  des  Instituts  für  internationales  Recht, 
an  dem  er  mit  glühender  'Liebe  hing,  ist 
v.  Bar  dahingeschieden.  Schon  seit  längeren 
Jahren  hatte  er  wiederholt  Krankheiten  zu  über- 
stehen gehabt;  aber  jedesmal,  wenn  das  In- 
stitut für  internationales  Recht  von  neuem  zu- 
sammentrat, erwachte  die  alte  Begeisterung 
wieder  in  ihm,  und  so  fuhr  er  noch  1912 
nach  Christiania  und  in  diesem  Jahre  wieder 
nach  Oxford.  Als  ich  Ende  Juli  v.  Bar  um 
einen  Aufsatz  für  die  Zeitschrift  für  Völker- 
recht bat,  schrieb  er  unter  das  Antwort- 
schreiben mit  großen  Buchstaben  die  für  ihn 
charakteristischen  Worte:  „Nächste  Woche 
fahre  ich  nach  Oxford  zur  Sitzung  des 
Instituts !"  Es  war  seine  größte  Freude,  an 
den  Arbeiten  dieser  gelehrten  Körperschaft 
teilzunehmen. 

Es  hatte  wohl  einen  besonderen  Grund, 
daß  v.  Bar  gerade  dem  Völkerrechtsinstitute 
solche  Anhänglichkeit  entgegenbrachte.  In  den 
Jahrzehnten,  da  er  dort  gewirkt,  hatte  er 
reiches  Verständnis!  gefunden,  und  seine  Aus- 


führungen auf  den  Tagungen  wie  in  den 
schriftlichen  Berichten  waren  stets  in  ver- 
dienter Weise  anerkannt  worden.  In  den 
Kreisen  der  internationalen  Wissenschaft,  die 
in  jener  Institution  verkörpert  ist,  würdigte 
man  das  tiefe  Wissen  dieses  Mannes  auf  dem 
Gebiete  des  gesamten  internationalen  Rechts, 
und  er  fühlte  sich  dort  nicht,  wie  oftmals  in 
seinem  Vaterlande,  vereinsamt.  Im  offiziellen 
Deutschland  habe  er,  so  klagte  er  mir  ein- 
mal bitter,  wenig  Verständnis  gefunden;  weil 
er  den  Mut  gehabt,  eine  eigene  Ueberzeugung 
zu  haben,  habe  man  ihn  oftmals  zurückgestellt. 

Immerhin  konnte  v.  Bar  mit  der  Aner- 
kennung zufrieden  sein,  die  seine  Werke  auch 
bei  den  deutschen  Juristen  gefunden  haben. 
Sein  in  zweiter  Auflage  erschienenes  Hand- 
buch des  internationalen  Privat-  und 
Strafrechts  wird  noch  heute,  obwohl  es 
über  20  Jahre  alt  ist,  auf  zahllosen  Gerichts- 
bibliotheken benutzt,  und  Sachkenner  halten 
es  für  das  beste  deutsche  Buch  auf  diesem 
Gebiete. 

In  den  letzten  Jahrzehnten  seines  Lebens 
hat  sich  v.  Bar  mehr  und  mehr  dem  Völker- 
rechte zugewandt  und  eine  Fülle  von  klei- 
neren Aufsätzen  geschrieben.  Irgend  ein 
größeres  Buch  hat  er  dagegen  über  diese 
Probleme  nie  veröffentlicht.  Trotzdem  sind 
seine  Ausführungen  zum  großen  Teile  von 
bleibendem  Werte.  Charakteristisch  für  ihn 
war,  daß  er  weniger  für  die  Darstellung  des 
geltenden  Rechts  arbeitete,  als  für  die 
Schaffung  eines  besseren  Rechtes  eintrat.  In 
einem  seiner  letzten  Aufsätze  in  dem  „Archiv 
für  Rechts-  und  Wirtschaftsphilosophie"  unter- 
suchte er,;  welches  die  Grundlagen  des  Völker- 
rechts   sind    bezw.    sein    sollen. 

In  Einzelfragen  trat  v.  Bar  namentlich 
bei  der  Erörterung  des  Schiedsgerichts- 
problems hervor.  Er  hatte  Bedenken,  ob 
sich  schwierigere  Streitfragen  jetzt  oder  in  Zu- 
kunft schiedsrichterlich  erledigen  ließen,  und 
schlug  deswegen  eine  internationale  Akademie 
vor,  die  Gutachten  über  politische  Konflikte 
erstatten  sollte.  Auf  kriegsrechtlichem  Ge- 
biete ist  besonders!  die  Opposition  v.  Bars 
gegen  die'  Ratifikation  der  Londoner  See- 
kriegserklärung   bemerkenswert. 

Aber  wenn  er  auch  in  solchen  Detailfragea 
Schöpfungen,  die  sonst  allgemein  als  Fort- 
schritte bezeichnet  wurden,  schwer  bekämpfte,, 
so  war  er  dennoch  alles  (eher  als  lediglich 
ein  Verneiner.  In  ihm  waren  die  Eigenschaften 
eines  oft  tüftlichen  Kritikers  und  eines  groß- 
zügigen Idealisten,  der  die  leitenden  Grund- 
züge nicht  aus  den  Augen  verliert,  in  treff- 
licher Weise  vereinigt.  So  entspricht  seine 
Stellung  zur  Friedensfrage  genau  seinem 
Verhalten  gegenüber  sonstigen  Problemen.  In 
Einzelheiten  war  er  hier  sehr  kritisch  und 
hielt  sich  auch  meist  von  der  praktischen 
Propaganda  zurück.  Im  großen  ganzen  aber 
ließ  er  immerfort  eine  große  Sympathie  für 
die  Friedensideen 'durchblicken,  und  er,  der  in» 


342 


=  DIE  Fßl EDENS ->WÄETE 


den  jüngeren  Jahren  bei  den  Interparlamen- 
tarischen Versammlungen  oftmals  zugegen 
war,  wurde  noch  zu  Anfang  dieses  Jahres  der 
erste  Vorsitzende  des  Verbandes  für  inter- 
nationale Verständigung. 

v.  Bar  war  Ehrendoktor  zahlreicher  Uni- 
versitäten. Noch  vor  wenigen  Tagen  verlieh 
ihm  Oxford  den  Ehrendoktor.  Auch  war  er 
von  Anfang,  an  Mitglied  des  Haager  Schieds- 
gerichtshofes. Sein  größter  Schüler  ist  Pro- 
fessor  Schücking   in    Marburg. 

Die  Erinnerung  an  v.  Bar  wird  in  der 
deutschen  und  ausländischen  Völkerrechts- 
wissenschaft ewig  leben,  nicht  nur  wegen  der 
Tiefe  seiner  juristischen  Werke,  sondern  wegen 
des  hohen  Idealismus,  mit  dem  er  die  Wissen- 
schaft in  den  Dienst  der  großen  Aufgaben 
der  Fortentwicklung  der  Menschheit  stellte. 
Er  hat  nie  lediglich  mit  Begriffen  operiert 
und  sich1  in  seine  Studierstube  eingeschlossen, 
sondern  all  seine  Arbeit  wuchs  aus  dem 
tiefen  Verstehen  des  Getriebes  der  Welt  und 
dem  Wunsche,  ihr  vorwärts  zu  helfen. 


DieUnlösbarkeitderRbrüstungs- 
frage  in  der  Zeit  der  zwischen- 
staatlichen Anarchie. 

Von  O.  Umfrid, 
Vizepräsident  der  Deutschen  Friedensgesellschaft. 

Es  hat  eine  Zeit  jn  der  Friedensbewegung 
gegeben,  da  man  glaubte,  mit  der  Abrüstung 
anfangen  zu  können.  Man  hätte  meinen 
sollen,  diese  x*\nschauung  sei  längst  über- 
wunden. Tatsächlich  hat  sich  auch  im 
neueren  Pazifismus  die  Meinung  durchgesetzt, 
daß  die  Lösung  der  Schwierigkeiten,  die 
unsere  internationale  Lage  so  unerquick- 
lich machen,  nicht  damit  begonnen 
werden  dürfe,  daß  man  das  Symptom 
der  Krankheit,  den  Rüstungswettlauf,  be- 
seitigen könne,  daß  man  mit  anderen  Worten 
den  Hausbau  nicht  mit  dem  Dach  anfangen 
dürfe.  Und  nun  hat  Professor  Quidde  auf 
dem  Haager  Kongreß  einen  Vorschlag  ge- 
macht, der  darauf  hinauskommt,  daß  man 
zwar  nicht  mit  der  Abrüstung,  wohl  aber  mit 
dem   Rüstungsstillstand   beginnen   solle. 

Es  liegt  mir  durchaus  fern,  die  großen 
Verdienste  Quiddes,  speziell  um  die  Klä- 
rung des  Rüstungsproblems,  herabsetzen  zu 
wollen.  Ich  bin  vielmehr  geneigt,  die  un- 
bestreitbaren Vorzüge  des  von  ihm  ausgear- 
beiteten Entwurfs,  so  namentlich  die  Gründ- 
lichkeit und  Vielseitigkeit  der  Darstellung, 
voll  und  ganz  anzuerkennen.  Der  Entwurf 
ist  mit  parlamenatrischem  Geschick  schon 
so  weit  ausgeführt,  daß  ihn  die  Regierungen 
zur  Grundlage  eines  Rüstungs'stillstands- 
vertrags  machen  könnten,  so  gut  wie  sie 
seinerzeit  den  Descampschen  Entwurf  al's 
Fundament    ihres    Schiedsgericht sabkommenjs 


benutzt  haben.  Die  Mächte  könnten  das 
tun,  wenn  die  Voraussetzungen  vorhanden 
wären,  die  als  conditio  sine  qua  non  für  jeden 
Rüstungsstillstand  betrachtet  werden  müssen. 
Aber  daß  es  an  diesen  Voraussetzungen 
fehlt,  das  ist  meine  wissenschaftlich  be- 
gründete Ueberzeugung,  aus  der  ich  auch 
Herrn  Professor  Quidde  gegenüber  kein 
Hehl   machen    kann. 

Ein  Rüstungsstillstand  auf  Grundlage  des 
Quiddeschen  Entwurfs  ließe  sich  etwa  er- 
zielen, wenn  heute  ein  Gleichmaß  der 
Rüstungen  in  allen  Staaten  erreicht  wäre 
und  wenn  die  einzelnen  Staatenlenker  sich 
sagen  könnten :  wir  werden  bei  einem 
etwaigen  Kriegsausbruch  keinerlei  Risiko 
laufen,  von  einem  irgendwie  stärker  ge- 
rüsteten Staat  niedergezwungen  zu  werden. 
So  steht  die  Sache  aber  nicht :  Die  Hebel 
der  Rüstungsschraube  befinden  sich  sozusagen 
nie  auf  gleicher  Höhe;  da  die  einzelnen 
Kriegsminister  sich  sagen,  wir  werden  nur 
dann  mit  Zuversicht  auf  Sieg  hoffen  dürfen, 
wenn  wir  den  andern  überlegen  sind,  so  hat 
jeder  das  Bestreben,  seinem  prasumptiven 
Gegner  in  Rüstungsfragen  zuvorzukommen; 
die  eisernen  Arme,  welche  die  Rüstungs- 
schraube bilden,  stehen  daher  immer  so.  daß 
bald  der  eine,  bald  der  andere  einen  Vor-j 
sprung  auf  seiner  Seite  hat.  Solange  aber 
der  eine  Staat  den  andern  im  Vorsprung 
sieht,  kann  er  sich  in  der  Zeit  des  latenten 
Kriegszustandes,  in  dem  wir  uns  befinden, 
nicht  auf  einen  Rüstungsstillstand  einlassen, 
wenn  er  nicht  zum  voraus  eine  etwaige 
Niederlage   in    Rechnung   nehmen   will. 

Es  möge  mir  gestattet  sein,  von  diesem 
Standpunkt  aus  die  Einzelheiten  des  Quidde- 
schen Entwurfs  zu  kritisieren,  soweit  sie  die 
Kritik   direkt   herauszufordern   scheinen. 

Zu  Artikel  1  möchte  ich  bemerken,  daß 
es  schon  sehr  schwer  halten  dürfte,  eine 
Klarheit  über  die  wirklichen  normalen 
Rüstungsausgaben  zu  schaffen,  wenn  man  an- 
nimmt, daß  einzelne  Länder,  wie  z.  B.  Ruß- 
land, durch  unglückliche  Kriege  sich  ver- 
anlaßt sehen,  eine  Reorganisation  von  Heer 
und  Marine  vorzunehmen.  Wer  will  dem 
einzelnen  Staat  nachweisen,  wieviel  in 
dieser  Reorganisation  außerordentliches  Bud- 
get ist,  wieviel  auf  das  Normalbudget  zu  setzen 
wäre?  Aber  auch  abgesehen  davon,  welche 
schwerwiegenden  Konsequenzen  ergeben  sich 
aus  der  Tatsache,  daß  einzelne  Länder 
Kolonialtruppen  unterhalten  und  daß  es 
ihnen  freisteht,  im  Falle  eines  Kriegsaus- 
bruchs dieselben  unter  Umständen  eben  doch 
gegen  den  europäischen  Feind  zu  verwenden, 
nach  dem  Grundsatz,  daß  man  eher  eine 
Kolonie  verlieren  als  seine  europäische 
Stellung    gefährden    lassen    dürfe! 

Zu  Artikel  2.  Die  Steigerung  von  5  o/0  in 
der  einzelnen  Waffengattung  kann  immerhin 
ganz  beträchtliche  Machtverschiebungen  mit 
sich  bringen.     Man  stelle  sich  vor,  daß  z.  B. 


343 


D1E  FßlEDENS->MM3TE 


& 


für  irgendeine  europäische  Infanterie  jähr- 
lich 600  Millionen  ausgegeben  werden  und 
daß  die  kommandierenden  Generale  darauf 
verfallen,  für  die  einzelnen  Kompagnien 
Maschinengewehre  anzuschaffen,  so  stehen 
dafür  bei  5  o/o  30  Millionen  zur  Verfügung. 
Es  ist  selbstverständlich,  daß  eine  derartige 
Maßregel  die  entsprechenden  Gegenmaß- 
regeln in  der  benachbarten  Nation  hervor- 
rufen müßte,  daß  also  eine  Rüstungssteige- 
rung  zwar  nicht  auf  dem  Gebiete  der  Gesamt- 
ausgaben, aber  innerhalb  der  einzelnen  Budget- 
posten  ihren   Fortgang   nehmen   würde. 

Ganz  besonders  schwierig  müßte  sich  das 
von  Quidde  intendierte  Abkommen  durch 
seinen  dritten  Artikel  gestalten.  Nehmen 
wir  an,  irgendeine  Marine  soll  nach  einem 
bestimmten  Programm  bis  zum  Jahre  1920 
ausgebaut  werden,  so  wird  die  gegnerische 
Marineverwaltung  sich  selbstverständlich 
sagen,  daß  durch  die  programmäßige  Voll- 
endung der  feindlichen  Kriegsflotte  die  eigene 
Flotte  bedroht  werde,  wenn  nicht  die  nötigen 
Gegenrüstungen  durchgeführt  werden.  Stellen 
wir  uns  vor,  das  erwähnte  Programm  be- 
stimmt, daß  im  ersetn  Biaujahr  vier,  im 
zweiten  fünf,  im  dritten  sechs  usw.  Dread- 
noughts  gebaut  werden  sollen,  so  ergibt 
sich  daraus  mit  Naturnotwendigkeit,  daß  das 
Normalbudget,  das  auf  vier  Panzerschiffe  an- 
gegeben sein  mag,  im  zweiten  und  dritten 
Baujahr  überschritten  wird,  daß  demnach  der 
sich  bedroht  fühlende  Nachbarstaat  sich  be- 
mühen wird,  das  nötige  Gegengewicht  in  die 
Wagschale  zu  werfen.  Vielleicht  an  keinem 
Punkte  zeigt  sich  so  deutlich  wie  an  diesem, 
daß  ein  Vertrag  betreffend  Rüstungsstillstand 
nicht  möglich  ist,  solange  sich  die  Mächte 
als  feindselige  Konkurrenten  gegenüber- 
stehen. 

Wenn  Quidde  meint,  ein  Staat,  der  sich 
zur  Dislozierung  einzelner  Armee-  und 
Flottenteile  entschließt,  werde  sich  bereit 
finden  lassen,  den  Mitkontrahenten  von 
diesem  Plan  ein  halbes  Jahr  vor  der  Aus- 
führung desselben  Kenntnis  zu  geben,  so  be- 
wundere ich  die  politische  Glaubenskraft,  die 
in  diesem  Gedanken  niedergelegt  ist,  ich 
muß  aber  bekennen,  daß  mir  der  Glaube  an 
diese  Botschaft  fehlt;  hat  sich  doch  in  der 
bisherigen  Geschichte  immer  gezeigt,  daßi 
derartige  Verschiebungen  ganz  plötzlich  und 
überraschend  vorgenommen  wurden.  Und 
niemand  kann  verkennen,  daß  dadurch  tat- 
sächliche Machtveränderungen  sich  vollziehen. 
Es  wird  nicht  nötig  sein,  zur  Feststellung 
dieser  Tatsache  ein  Schiedsgericht  an- 
zurufen. 

Wenn  dann  Quidde  in  Artikel  4  der  Mei- 
nung Ausdruck  gibt,  daß  diejenigen  Aus- 
gaben, die  ein  Staat  aufwenden  müsse,  um 
sich  gegen  gewisse  in  den  Vertrag  nicht  ein- 
beschlossene Mächte  zur  Wehr  zu  setzen,  dem 
Normalbudget  nicht  zuzurechnen  seien,  so 
zeigt    sich    aufs    neue,    daß    er   hier    mit    Zu- 


ständen rechnet,  die  in  Wirklichkeit  nicht 
durchsichtig  genug  sind,  um  beruhigend 
wirken  zu  können.  Stellen  wir  uns  doch  ein- 
mal vor,  es  gelänge  zwar,  die  europäischen 
Staaten  zu  dem  von  Quidde  vorgeschlagenen 
Vertrag  zu  vereinigen,  die  russische  Diplo- 
matie reüssiere  aber  nicht  in  dem  Bestreben, 
Japan  für  den  Rüstungsstillstand  zu  gewinnen, 
so  würde  Rußland  mit  Recht  erklären,  es 
müßte  eine  Mehrrüstung  auf  sich  nehmen, 
um  das  feindselige  Inselreich  im  fernen  Osten 
im  Schach  zu  halten.  In  derselben  Zeit  aber 
ergäbe  sich  ein  diplomatischer  Konflikt 
zwischen  Rußland  Und  Deutschland,  so  ist 
doch  mit  mathematischer  Sicherheit  anzu- 
nehmen, daß  Rußland  die  ursprünglich  anti- 
japanische Mehrrüstung  in  antideutschem 
Sinn  verwenden  würde,  und  schon  die  leise 
Möglichkeit  einer  derartigen  Verwendung 
würde  der  deutschen  Staatskunst  genügen, 
eine  militärische  Mehrforderung  an  den  Reichs- 
tag z*ü  bringen,  womit  offenbar  der  ganze 
Vertrag   über   den   Haufen   geworfen   wäre. 

Ich  kann  nach  alledem  die  Gutgläubigkeit 
Quiddes  nicht  teilen,  die  er  in  Artikel  6  zum 
Ausdruck  bringt,  wonach  die  Mächte  sich 
verpflichten,  den  Vertrag  loyal  zu  halten. 
Solange  sie  sich  nun  einmal  auf  dem  Kriegs- 
fuß gegeneinander  befinden,  werden  sie  eben- 
sowenig wie  die  sich  auf  dem  Kriegspfad 
tummelnden  Indianer  darauf  verzichten,  von 
den  sittlich  anfechtbaren  Mitteln  der  List 
und  Hintergehung,  der  Spionage  und  be- 
zahlten Verrats,  Gebrauch  zu  machen.  Man 
kann  von  einem  faulen  Baum  nicht  gute 
Früchte  erwarten,  und  aus  der  unsittlichen 
Grundlage  des  Kriegszustandes  kann  nicht  das 
Aehrenfeld  der  Loyalität  und  wahrhaft  fried- 
licher Gesinnung  aufsprießen.  Es  ist  nicht 
die  Verbohrtheit  in  irgendeine  Theorie,  die 
mich  hindert,  den  Quiddeschen  Vorschlägen 
zuzustimmen.  Es  ist  einfach  der  Blick  für 
die  Wirklichkeiten  des  Lebens,  der  mir  zeigt, 
daß  die  Frage  der  Abrüstung  wie  des 
Rüstungsstillstandes,  solange  das  internationale 
Faustrecht  gilt,  unlösbar  ist.  Die  Geschichte 
der  letzten  Jahrzehnte  dürfte  unzweideutige  Be- 
lege dafür  in  sich  schließen.  Eugen  Schlief 
hat  recht  gehabt,  wenn  er  nicht  als  Theo- 
retiker, sondern  als  praktischer  Kopf  den 
„Staatengrund vertrag"  als  Voraussetzung  jeder 
dauernden  Annäherung  der  Völker  betrachtete. 
Erst  wenn  sich  die  Staaten  ihren  gegen- 
wärtigen Besitzstand  garantiert  haben  werden, 
erst  wenn  sie  aus  Konkurrenten  Associes  ge- 
worden sein  werden,  erst  wenn  die  Brücke 
zwischen  Dreibund  und  Tripelentente  ge- 
schlagen sein  wird,  erst  dann*)  kann  man  an 

*)  Ich  bin  im  allgemeinen  ein  Gegner  der 
Methode  des  „erst  dann".  Der  Quiddesche 
Entwurf  sollte  nach  Absicht  des  Verfassers 
keinen  anderen  Zweck  haben,  als  die  Erörterung 
anzuregen.  Umfrids  Artikel  ist  also  bereits  eines 
dieser  gewollten  Ergebnisse  Quiddes.  Es  ist 
gut,   daß   diese  Anschauung   Umfrids   wieder   ein- 


344 


=  DIE  Fßl EDENS ->M&KTE 


die  Frage  des  Rüstungsstillstandes  und  der 
•Abrüstung  mit  Aussicht  auf  Erfolg  heran- 
treten. 


0  RANDGLOSSEN  B 
Zl/ß  ZEITGESCHICHTE 

Von -Bertha    v.    Suttner. 

Wien,  13.  September  1913. 
Der  Friede  —  was  man  so  Friede  nennt  — 
ist  in  Bukarest  unterzeichnet  worden  und 
hat  dem  Beuteverteilungskrieg  zwischen  den 
Balkanverbündeten  ein  Ende  gemacht  —  was 
man  so  ein  Ende  nennt.  Nämlich  Atemschöpfen 
bis  zum  nächsten  Krieg.  Vielleicht  werden 
die  Ereignisse  die  Dinge  anders  gestalten, 
aber  im  Sinne  der  Friedensunterzeichner  do- 
miniert der  Begriff:  Revanche.  Nicht  etwa 
im  stillen:  es  wird  gar  kein  Hehl  daraus 
gemacht.  So  hat  König  Ferdinand  am  Tage 
nach  dem  Friedensschluß  in  einem  Armee- 
befehl  folgendes   gesagt : 

Von  allen  Seiten  bedrängt,  mußten  wir 
den  Bukarester  Frieden  unterzeichnen,  da 
unser  Vaterland  nicht  imstande  war,  mit 
seinen  fünf  Nachbarn  zu  kämpfen,  ohne 
Gefahr  zu  laufen,  alles  zu  verlieren.  Er- 
schöpft und  ermüdet,  aber  nicht  besiegt,: 
mußten  wir  unsere  glorreichen  Fahnen  für 
bessere  Zeiten  zusammenfalten.  Möge  Gott 
euch  alles  lohnen,  was  ihr  getan  habt.  Er- 
zählt euren  Kindern  und  Enkelkindern  von  der 
Tapferkeit  unseres  Heeres  und  bereitet  sie 
vor,  das  ruhmvolle  Werk  zum  Abschluß, 
zu  bringen,  das  ihr  begonnen  habt. 

Wie  es  scheint,  gibt  es  im  Kriege  immer 
Sieger,  aber  niemals  Besiegte;  denn  wenn 
das  von  fünf  Nachbarn  wehrlos  gemachte 
Land  von  sich  verkünden  darf,  daß  es  nicht 
besiegt  ist,  wann  tritt  dann  dieser  Zustand 
eigentlich  ein  ?  Und  wenn  alles,  was  einj 
Feldzug  bringt  —  ob  Gewinn  oder  Ver- 
lust — ,  „glorreich"  und  „ruhmvoll"  ist, 
worauf  sind  die  Gewinnenden  so  besonders 
stolz  ?  Das  Stechen,  Hauen,  Schießen,  Plün- 
dern, Brennen  selber  —  auch  wenn  es  seinen 
Zweck  nicht  erreicht  —  gilt  als  das  Be- 
wundernswerte, als  alles  das  Getane,  ,,das 
Gott    lohnen   möge". 


Aber   auch    die   tatsächlichen    Sieger   be- 
trachten  den  Frieden  nicht  als   definitiv,   er- 
achten  das   Erreichte  nicht  als   befriedigend. 
In  dem  nach  dem  Friedensschluß  vom  König 
Konstantin   erlassenen  Tagesbefehl  heißt   es : 
„Unser    Werk    ist    jedoch    nicht    voll- 
endet.      Griechenland     muß      stark,     sehr 
stark      werden.        (Freuet      euch,      Krupp; 

mal  betont  wird.  Immerhin  ist  es  aber  auch 
gut,  dem  vielleicht  gar  nicht  mehr  so  fernen 
Zeitpunkt  vorzuarbeiten,  wo  diese  Anschauungen 
Allgemeingut  sein  werden.  Das  hat  Quidde  am 
XX.     Weltfriedenskongresse     getan.  A.  H.  F. 


Armstrong,  Creuzot !)  Ich  werde  ohne 
Unterlaß  arbeiten,  um  dieses  Ziel  zu 
erreichen.  Bewahret  den  unumstößlichen 
Entschluß  unser  Aller,  Griechenland  mili- 
tärisch sehr  stark,  von  seinen  Freunden 
geachtet,  seinen  Feinden  furchtbar  zu 
machen." 

O,  dieser  Ehrgeiz  nach  dem  Furchtbar- 
sein !  Lebt  denn  in  unserer  Zeit  wirklich 
noch    das    Tamerlan-Ideal  ? 

MB 

Kaum  hatte  man  aus  Bukarest  ver- 
kündet, daß  der  Balkankrieg  zu  Ende  sei, 
so  machte  sich,  unter  Enver  Bey,  die  tür- 
kische Armee  auf  den  Weg  und  nahm  sich 
Adrianopel  zurück.  Das  mit  Tausenden  von 
Blutopfern  aufgepflanzte  Kreuz  wurde  wieder 
durch  den  Halbmond  ersetzt.  Darüber  Jubel 
in  Konstantinopel,  und  die  türkischen  Heer- 
führer wollen  das  ganze  verlorene  Gebiet 
zurückerobern,  ja  sogar  bis  Sofia  vordringen. 
Die  Bulgaren  können  sich  nicht  wehren,  aber 
die  Türken  können  die  Hunderttausende  im 
Felde  stehende  Soldaten  nicht  ernähren.  Und 
so  kommt  es  zu  direkten  Friedensverhand- 
lungen zwischen  den  beiden  Gegnern.  Sie 
werden  sich  wahrscheinlich  einigen,  mög- 
licherweise sogar  ein  Bündnis  schließen.  Das 
wäre  doch  der  allerironischste  Abschluß  des 
mit  so  frommem  Pomp  unternommenen  Kreuz- 
zugs. 

MB 

Genug  vom  Balkan.  Es  gibt  auch  lichtere 
Bilder  in  der  Zeitgeschichte.  Im  Haag  wurde 
der  Friedenspalast  feierlich  eröffnet.  Alle 
Glocken  der  Stadt  läuteten  dazu:  die  inter- 
nationale Völkerjustiz  ist  in  ein  prunkvolles 
Heim  eingezogen.  Sichtbar,  greifbar  steht 
der  stolze  Bau  nun  da:  Tempel,  Symbol  und 
Arbeitsstätte.  So  ist  der  Genius  des  Frie- 
dens wenigstens  nicht  mehr  obdachlos.  Die 
Wirkung,  die  von  diesem  Monument  aus- 
strahlen wird,  ist  noch  unberechenbar. 
Andrew  Carnegie  hat  der  Welt  ein  Ge- 
schenk gemacht,  das  ihm  ein  paar  Millionen 
gekostet  hat,  das  aber,  wenn  es  seine  Be- 
stimmung erfüllt,  der  Welt  ungezählte 
Milliarden  ersparen  wird.  Daß  rings  im  Heer 
der  Verständnislosen  zu  dem  ganzen  Bau, 
zu  der  ganzen  Zeremonie  gelächelt  wurde, 
und  auf  den  als  Gegenargument  gebrauchten 
Kontrast  des  Balkankrieges  und  der 
Rüstungssteigerungen  hingewiesen  wurde,  das 
verschlägt  nichts.  Es  ist  noch  nichts 
Neues  und  Großes  in  die  Welt  getretene 
das  nicht  vom  Hohngelächter  der  Toren  be- 
gleitet   worden    ist. 

MSt 

Der  Zar  hat  folgendes  Telegramm  an 
die    Königin    der    Niederlande    geschickt : 

„Ich  bitte  Eure  Majestät,  meine  herz- 
lichsten Glückwünsche  anläßlich  der  feier- 
lichen Einweihung  des  Friedenspalastes 
entgegenzunehmen.     Ich  hege  die  aufrichtig- 


345- 


DIE  FßlEDEN5->VAQTE 


3 


sten  Wünsche,  daß  dieses  Gebäude,  welches 
bestimmt  ist,  den  Gedanken  des  internatio- 
nalen Schiedsspruches  zu  symbolisieren,  zu 
■dem  Friedenswerke,  das  mir  seit  jeher 
am  Herzen  gelegen  ist,  beitragen  und 
•ein  neues  Band  zwischen  den  'Nationen  werden 
möge,  indem  es  ihnen  als  Mittelpunkt  dient,; 
wo  die  Streitigkeiten,  die  sie  trennen,,  ge- 
schlichtet   werden    sollen.  Nikolaus." 

Dieses  Telegramm  ist  eine  rückhaltlose 
GesinnungserkLärung,  die  sich  genau  mit  dem 
Manifest  von  1898  deckt.  „Und  der  Krieg 
mit  Japan,"  werden  die  ewigen  Verneiner 
fragen,  „warum  wurde  der  nicht  durch  einen 
Haager  Schiedsspruch  verhütet  ?"  —  Nun, 
die  Unterrichteten  wissen,  daß  der  Zar  den 
Krieg  nicht  wollte.  Andere  waren  es,  die 
ihn  herbeigeführt  haben.  Nikolaus  war  ent- 
schlossen, den  Streit  im  Haag  schlichten  zu 
lassen.  An  einem  gewissen  Tage,  nach- 
mittags 2  Uhr,  sollte  der  Minister  des 
Aeußern  den  nötigen  Schritt  ausführen,  da 
geschah  es,  daß  am)  Abend  zuvor  die  Japaner* 
ohne  Kriegserklärung,  Port  Arthur  beschossen 
—   und  da  war  die  Furie   entfesselt. 

In  erschreckender  Weise  mehren  sich 
die  Katastrophen,  die  in  Friedenszeiten  durch 
Kriegsapparate  verursacht  werden.  Auf  dem 
Steinfeld  bei  Wiener-Neustadt  fand  neuerlich 
die  Explosion  eines  Pulvermagazins  statt,  wo- 
durch mehrere  Menschen  in  Stücke  zerrissen 
wurden;  im  Hafen  von  Pola  platzte  beim 
Probeschießen  ein  Schiffsgeschütz,  das  dem 
Vizeadmiral  Grafen  Lanyus  beide  Bieine  zer- 
schmetterte; der  Beklagenswerte  starb  nach 
•unsäglichen  Qualen;  bei  Helgoland  end- 
lich manöverierte  über  den  Schlachtschiffen 
ein  Zeppelin.  Er  hat  2000  m  hochsteigen 
müssen,  „um  vor  den  Schüssen  der  Schiffe 
sicher  zu  sein";  in  dieser  Höhe  ergriff  ihn 
ein  Sturm  und  schleuderte  ihn  ins  Meer  — 
siebzehn  Menschen  in  den  Fluten  begrabend. 
Mit  Tötungsübungen  beschäftigt,  wurden  die 
Betreffenden  getötet.  Alle  diese  Spreng- 
mittel und  Luftvehikel  werden  immer  riesen- 
hafter und  gefährlicher;  schließlich  wird, 
wenn  das  so  fortgeht,  die  Kriegstechnik  ihre 
eigenen  Maschinen  und  deren  Bediener  ver- 
nichten, was  ja  im  Grunde  auf  dem  Manöver- 
felde nicht  tragischer  als  auf  dem  Schlacht- 
felde ist.  Wenn  nun  auch  noch  die  vom 
italienischen  Ingenieur  Uliva  erfundenen 
F-Strahlen,  die  drahtlos  auf  Distanz  jeg- 
liches Objekt  vernichten,  zu  Uebungszwecken 
probiert  werden,  so  kann  man  damit  zu- 
fällig nicht  nur  ein  Pulvermagazin,  sondern 
das  ganze  Steinfeld  in  die  Luft  fliegen  lassen. 
Die  Vertreter  der  Staaten,  die  alle  diese 
Mordwerkzeuge  eingestandenermaßen  gegen- 
einander konstruieren  und  probieren,  können 
dann  wieder,  krokodiltränengefüllten  Auges, 
Kondolenzdepeschen    austauschen. 


Kriege  können  lokalisiert  werden.  Zum 
Glück  (und  zur  Ehre  der  europäischen  Re- 
gierungen), dem  Balkankriege  ist  es  nicht 
erlaubt  worden,  seine  Flammen  über  die 
Grenzen  hinübergreifen  zu  lassen.  Aber 
gegen  zweierlei  Kriegsfolgen  gibt  es  keine 
Grenzabsperrung:  finanzielle  Schäden  und 
Seuchen.  Die  Depression  im  Handel,  die 
der  Balkankrieg  verursacht  hat,  hat  sich  bis 
nach  Argentinien  fühlbar  gemacht,  und  die 
Cholera,  das  unheimliche  Gespenst,  ist  auf 
dem  Wege  zu  uns.  Sie  hat  unzählige  Opfer 
unter  den  Kriegführenden  und  unter  dem 
kampflos  promenierenden  Heere  Rumäniens 
gefordert,  und  jetzt  zeigt  sie  sich  schon  in 
Ungarn.  Ob  die  fürchterliche  Geißel  an- 
wächst und  sich  verbreitet  —  wer  kann's 
wissen  ?  Hoffen  wir,  daß  die  gesteigerte 
hygienische  und  medizinische  Kunst  die 
Seuche  meistern  wird.  Wir  wehren  uns  ja 
so  tapfer  und  so  geschickt  gegen  alle  er- 
denklichen Uebel.  Aber  die  Quelle  des 
Uebels  zu  verstopfen?  ...  Warum  nicht 
gar:   Utopie. 

MB 

Etwas  unsäglich  Kindisches  spielt  sich 
eben  ab.  Der  König  von  Griechenland  hat 
aus  der  Hand  seines  Schwagers  den  Mar- 
schallsstab erhalten.  Darauf  hielt  er  eine 
Dankesrede  und  lobte  die  deutsche  Kriegs- 
kunst. Darob  Beleidigung  in  Frankreich  — 
die  griechische  Armee  hat  ja  doch  fran- 
zösische Instruktoren,  also  darf  ein  Grieche 
(der  übrigens  ein  Däne  ist)  die  deutsche 
Kriegsschule,  in  der  er  studiert  hat,  nicht 
preisen.  Noch  dazu,  wenn  man  eben  einen 
Besuch  in  Paris  angesagt  hat.  Die  natio- 
nale Empfindlichkeit  dreht  sich  hauptsäch- 
lich um  alles  Soldatische.  Diplomaten  be- 
mühen sich  nun,  die  Worte  des  Königs  zu 
erklären,  abzuschwächen,  zu  entschuldigen  . . . 
aber  nun  kommt  hinzu,  daß  König  Kon- 
stantin eine  Einladung  angenommen  hat, 
die  deutschen  Manöver  des  kommenden 
Jahres  mitzumachen...  Das  sind  doch  gräß- 
liche  Verwicklungen. 

CMS) 

Und  wie  wird  die  Sache  zwischen  China 
und  Japan  enden  ?  Auch  dort  drängt  ein 
akuter  Nationalismus,  der  sich  bis  zum 
Harakiri  versteigt,  zum  Kriege.  Japaner,  die 
in  Nanking  wohnen,  sind  in  der  chinesischen 
Revolution  getötet  worden;  dafür  verlangt 
die  japanische  chauvinistische  Partei  von 
China  eine  demütigende  Genugtuung  —  und 
um  das  zögernde  Ministerium  des  Aeußern 
zu  schneller  Tat,  womöglich  zum  Einmarsch 
aufzustacheln,  schlitzt  sich  einer  im  Mi- 
nisterpalais den  Bauch  auf.  Wirklich,  es  ist, 
als  ginge  eine  Woge  von  Kriegswahnsinn 
über  die  Welt . . .  Wird  sich  noch  rechtzeitig 
eine  Flut  des  Friedenswillens  erheben,  die 
jene    unselige   WToge    verschlingt '? 


346 


ggf 


=  DIE  FRIEDEN5->WACrE 


Ja,  trotzalledem,  es  wird.  Denn  mit 
einem  Fragezeichen  will  ich  nicht  schließen. 
Dieser  krumme  Schnörkel  paßt  nicht  in  das 
"Wappenschild  von  Fortschrittskämpfern.  Ihr 
Speer  heißt  Wagemut  und  ihr  Panzer:  Zu- 
versicht. 


PAZIFISTISCHE  CHRONIK 

4.  August.  In  Oxford  tagt  die  28.  Versammlung 
■des  Institut  de  Droit  international. 

6.  August.  Im  englischen  Unterhaus  interpelliert 
der  Deputierte  Barnes  über  die  Vorbereitungen 
zur  III.  Haager  Friedenskonferenz. 

7.  August.  Zwischen  den  Vereinigten  Staaten 
v,nd  San  Salvador  toird  der  erste  Vertrag  nach  den 

Plänen  Bryans  abgeschlossen. 

9.  August.  Die  Schweiz  nimmt  den  Bryan- 
,chen  Friedensplan  im  Prinzip  an. 

10.  August.  Der  Friede  zu  Bukarest  zwischen 
den  Balkanstaaten  toird  unterzeichnet.  Es  folgt  ein 
Tedeum. 

12.  August.  Pessimistische  Aeusserungen  des  eng- 
lischen Schatzkanzlers  Lloyd  George  über  die  Aus- 
sichten einer  Rüstungsverminderung.  „Ehe 
nicht  vollkommene  Vertändigung  und  vollständiges  Zu- 
sammenarbeiten unter  den  Ländern  hergestellt  ist,  um 
den  Rüstungen  Einhalt  zu  tun,  sei  keine  Möglichkeit 
vorhanden,  diese  einzuschränken." 

18. — 23.  August.  20.  Weltfriedenskongress 
im  Haag. 

22.  August.  Englische  Studenten  {Mitglieder 
der  War  and  Peace  Society  in  Manchester)  treffen  in 
Seidelberg  ein. 

23.-25.  August.  Freimaurerische  internationale 
Kundgebung  für  den  Weltfrieden  im  Haag. 

27.  August.  Aus  Anlass  der  Eröffnung  des 
Friedenspalastes  promoviert  die  Leydener  Uni- 
versität vier  Ehrendoktoren. 

28.  August.  Feierliche  Einweihung  des 
Friedenspalastes  im  Haag  in  Anwesenheit  der 
Königin  von  Holland. 

29.  August.  Bei  der  Enthüllung  der  Büste 
Randall  Cremers  im  Haager  Frieäenspalasi  appelliert 
Andrew  Carnegie  an  Kaiser  Wilhelm,  dass  er 
die  Initiative  einer  Organisierung  des  Friedens  ergreife. 

29.  August.  8.  int.  Studentenkongress  Ithaca 
(V.  St.  Am.). 

Anfangs  September.  Die  Carnegie-Stiftung 
■entsendet  eine  internationale  Kommission  zum 
Studium  der  Balkangreuel. 

1.  September.  In  Montreal  hält  der  Lord- 
Kanzler  Viscount  Haidane  eine  denkwürdige  Rede 
über  die  zunehmende  Sittlichkeit  in  der  inter- 
nationalen Politik. 

3.-5.  September.  Im  Haag  tagt  die  XV11I.  In  ter- 
p  ar  l  am  ent  arische  Konferenz. 

5.  September.  König  Ko ns tantin  von  Griechen- 
land trifft  in  Berlin  ein. 


U  AUS  DER  SEITE! 

Völkerrecht. 

Die  Haager  Völkerrechtsakademie     ::   ::   ::   ::   ::   ::   :: 

soll  nun  im  nächsten  Jahr  verwirklicht  werden. 
Die  Vorlesungen  werden  in  den  Monaten  August. 
September  und  Oktober  in  den  Räumen  des 
neuen  Friedenspalastes  stattfinden.  Jedes  Land 
wird  durch  ein  Mitglied  in  der  Fakultät  ver- 
treten sein.  Die  Kurse  werden  sich  auf  zeit- 
gemäße Fragen  des  Völkerrechts  beschränken 
und  von  hervorragenden  Rechtsgelehrten  abge- 
halten werden.  Auch  praktische  Uebungen  sind 
vorgesehen.  Professor  Renault,  der  hervor- 
ragende französische  Völkerrechts  Jurist,  hat  be- 
reits einen  Cyklus  von  30  Vorträgen  über  die 
Schiedsgerichtsbarkeit  angemeldet.  Die  fünf 
europäischen  Hauptsprachen,  das  Deutsche, 
Französische,  Englische,  Spanische  und  Ita- 
lienische sind  als  Unterrichtssprachen  zuge- 
lassen. Die  Vorträge  sollen  nachträglich  auch 
im  Druck  erscheinen.  Man  rechnet,  daß  nicht 
nur  die  europäischen  Mächte,  sondern  auch  die 
Regierungen  Asiens  und  Südamerikas  Schüler 
nach  der  neuen  Universität  senden  werden. 
Namentlich  hofft  man,  daß  die  künftigen  Diplo- 
maten zur  weiteren  Ausbildung  von  ihren  Re- 
gierungen nach  dem  Haag  geschickt  werden 
dürften.  Die  wissenschaftliche  Leitung  wird  in 
den  Händen  eines  Kuratoriums  liegen,  das  sich 
aus  den  früheren  Präsidenten  des  Instituts  de 
Droit  international  zusammensetzt.  Im  übrigen 
wird  das  Unternehmen  von  der  dritten  (völker- 
rechtlichen) Abteilung  der  Carnegiestiftung,  als 
deren  Präsident  James  Brown  Scott  fungiert, 
finanziert.  Dieser  Abteilung  steht  e,ine  Dele- 
gation von  neun  Mitgliedern  des  erwähnten  In- 
stituts de  Droit  international  zur  Seite,  dem 
u.  a.  die  Professoren  Lammasch,  Renault 
und  Holland  und  der  frühere  norwegische 
Ministerpräsident  Hager up  angehören. 

Das  Ins  lebentreten  dieser  Ferienkurse,  die 
sich  zweifelsohne  gar  bald  zu  einer  ständigen 
Völkerrechtsuniversität  entwickeln  werden,  ist 
als  eine  hervorragende  Förderung  des  Welt- 
friedensgedankens  und  der  internationalen  Or- 
ganisation auf  das   freudigste  zu  begrüßen. 

P0Sk 

Das  „Institut  de  Droit  international''    t:  ::  ::  ::  ::   :: 

trat  zu  seiner  28.  Tagung  anfangs  August  in 
Oxford  unter  dem  Präsidium  des!  Professors  T.  E. 
Holland  zusammen.  In  der  Hauptsache  be- 
faßte man  sich  mit  der  Durchberatung  eines 
Gesetzbuches  für  das  internationale  Seekriegs- 
recht und  mit  dem  Problem  der  Haager  Ferien- 
kurse für  Völkerrecht,  die  dort  einstimmig  be- 
schissen wurden.  Die  nächste  Tagung  des 
Instituts  wird  im  August  1914  in  München 
stattfinden.  Dementsprechend  wurde  Professor 
Harburger  in  München  zum  Präsidenten 
für  das  laufende  Jahr  gewählt.  Sir  Tho- 
mas Barclay  wurde  zum  Vicepräsi- 
denten,     Professor     Albertic    R  o  1  i  n   zum   Ge- 


347 


DIE  FßlEDEN5-^6^ßTE 


neralsekretär  ernannt.  Aus  Anlaß  der  Instituts- 
tagung hat  die  Universität  Oxford  den  Pro- 
fessoren v.  Bar;  Clunet,  Fusinato  und 
N  y  s  das  Ehrendoktorat  verliehen.  Diese 
Ehrung  sollte  auch  Professor  Lammasch  zu- 
teil werden,  der  jedoch  durch  Krankheit  am 
Erscheinen    verhindert    war. 

MR 


Rüstungsproblem. 


Von  der  Kriegsindustrie.  ::   ::   ::  ::  i:   ::  ::  «  ::  ::  :: 

Die  „Neue  Ereie  Presse"  teilt  unterm 
2.    September  folgendes   mit: 

„Wie  in  finanziellen  Kreisen  verlautet, 
schweben  Unterhandlungen,  welche  den  Ab- 
schluß einer  chinesischen  Anleihe  von 
1,2  Millionen  Pfund  in  Oesterreich 
bezwecken.  Die  chinesische  Regierung  unter- 
handelt hinsichtlich  dieser  Anleihe  mit  der 
Niederösterreichischen  Eskompte  -  Gesellschaft. 
Von  dem  Erlöse  der  Anleihe  soll  der 
größere  Teil  zur  Anschaffung  von 
drei  Kreuzern  für  die  chinesische 
Kriegsmarine  dienen.  Die  Verhand- 
lungen sind  weit  vorgeschritten  und  dürften  in 
den  nächsten  Tagen  zum  Abschlüsse  gelangen. 
Direktor  Kraßny  hatte  in  dieser  Angelegenheit 
mit  dem  chinesischen  Gesandten  in  Wien  eine 
Konferenz." 

Der  Londoner  „Economist"  (6.  TX.)  weist 
darauf  hin,  daß  die  britische  Admiralität 
Flotten-Missionen  sowohl  nach  Griechenland  wie 
nach  der  Türkei  entsandt  habe,  die  offenbar  den 
Zweck  haben,  die  betreffenden  Regierungen  zu 
neuen  Flottenrüstungen  anzuregen.  „Daß  unsere 
liberale  Regierung",  so  schreibt  das  genannte 
Blatt,  „sich  offiziell  dazu  hergibt,  diese  elen- 
den Länder  anzureizen,  das  Wenige,  das  ihnen 
an  Kredit  noch  geblieben  ist,  für  neue  See- 
rüstungen zu  verausgaben,  ist  ein  so  äußerst 
unnötiges  Verbrechen,  daß  wir  es  nicht  dem  Ka- 
binett in  seiner  Gesamtheit  in  die  Schuhe 
schieben.  Es  mag  die  Verirrung  eines  oder 
zweier  Mitglieder  sein  und  nicht  die  überein- 
stimmende Politik  von  20  Ministern." 

Der  Balkan  wird  jetzt  überschwemmt 
werden  von  den  Agenten  der  Kriegsmaterial- 
Fabrikanten  und  der  europäischen  Banken. 
Die  neue  militärische  Konzentration  im  Süd- 
osten Europas,  gegen  die  man  in  Oesterreich  und 
in  Deutschland  die  Milliarden  bereit  stellte, 
wird  von  den  internationalen  Rüstungshändlern 
erst  geschaffen. 

Mfe 

Verschiedenes. 

„Der  schlimmste  Feind."  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  "   ::   »   :: 

Die  Nr.  87  seiner  „  Monistischen 
Sonntagspredigten"  widmet  Wilhelm 
O  s  t  w  a  1  d  einige  Betrachtungen  über  die  Er- 
gebnisse des  Balkankrieges.  Eine  Stelle  aus 
diesen  Betrachtungen  wollen  wir  hier  festhalten : 

„Zunächst  muß  dasjenige  bezeichnet  wer- 
den,   was    als    schlimmstes    Uebel    diese    ganze 


348 


Reihe  von  Zerstörung-,  Mißhandlung,  Krankheit 
und  Armut  gebracht  hat.  Dieser  schlimmste 
Feind  ist  der  Nationalismus.  Wenn  wir 
gegenwärtig  auf  die  Religionskriege  zurück- 
schauen, die  vor  vier  Jahrhunderten  die  da- 
maligen führenden  Kulturländer  zerfleischten 
und  unabsehbar  blühende  Gebiete  zerstörten, 
insbesondere  aber  unser  armes  Deutschland  um 
mindestens  ein  Jahrhundert  in  seiner  Entwick- 
lung zurückgeworfen  hatten,  so  können  wir  uns 
nicht  vorstellen,  wie  die  Menschen  so  aller 
Vernunft  bar  sein  konnten,  daß  sie  diese  un- 
geheuren Zerstörungen  um  gewisser  religiöser 
Glaubenssätze  willen  über  eich  ergehen  ließen, 
deren  Inhalt  der  allergrößten  Zahl  der  dabei 
Beteiligten  und  darunter  Leidenden  selbst  voll- 
ständig unbekannt  und  unverständlich  war,  da 
er  tatsächlich  nur  einige  wenige  Hunderte  oder 
vielleicht  Tausende  von  Theologen  interessierte. 
Aber  da  diese  Männer  als  die  Verwalter  der 
höchsten  und  heiligsten  Güter  galten  und  ver- 
standen hatten,  sich  eine  vollständige  Herr- 
schaft über  das  Denken  der  großen  Masse  durch 
jahrhundertelange  Beeinflussung  ihres  Handelns- 
und Fühlens  zu  sichern,  so  ließ  sich  diese  Masse 
auf  die  Schlachtbank  treiben  und  lieh  ihre 
Hand  für  die  Kulturzerstörende  Tätigkeit  der 
Fanatiker  auf  beiden  Seiten.  In  Mitteleuropa  ist 
es  gegenwärtig  vollkommen  unmöglich  ge- 
worden, derartige  Religionskämpfe  von  neuem 
zu  entfachen.  Es  würde  sich  jedermann  achsel- 
zuckend fragen,  was  denn  daran  liegt,  ob  beim 
heiligen  Abendmahl  der  Priester  allein  den 
Wein  zu  trinken  bekommt  oder  auch  die  Ge- 
meindemitglieder ihres  Anteils  teilhaftig  wer- 
den, und  was  sonst  die  trennenden  Faktoren  der 
verschiedenen  Konfessionen  gewesen  sind. 

Während  wir-  uns  aber  völlig  erhaben  fühlen 
über  jene  inzwischen  vertrockneten  Quellen  des 
Kampfes  und  der  gegenseitigen  Zerstörung,  sind 
wir  selbst  noch  zum  allergrößten  Teil  einem 
neuen  geistigen  Einfluß  patho- 
logischer Natur  ausgesetzt,  der  unter  dem 
Namen  des  Nationalismus  oder  des 
Nationalgefühls  seit  einem  Jahrhundert  in  Eu- 
ropa schweres  Unheil  anrichtet.  So  Schweres 
wie  vor  vier  Jahrhunderten  das  Religionsprinzip 
allerdings  nicht,  weil  denn  doch  unsere  gesamte 
Kultur  viel  zu  hoch  gestiegen,  als  daß  ein  der- 
artiger wahnwitziger  Fanatismus  der  Führenden 
und  eine  derartige  stumpfsinnige  Opferbereit- 
schaft der  großen  Massen  möglich  wäre,  welche 
beispielsweise  die  Scheußlichkeiten  des  Dreißig- 
jährigen Krieges  verschuldet  hatten.  Aber  wenn 
wir  beobachten,  daß  der  Nationalismus  unserem 
Nachbarstaate  Oesterreich  so  gut  wie  voll- 
ständig seine  innere  Entwicklung  unterbunden 
hat,  daß  die  ungeheuren  unverbrauchten  Ener- 
gien, die  in  den  dortigen  Völkern  vorhanden 
sind,  nutzlos,  ja  zerstörend  darauf  verwendet 
werden,  um  sich  gegenseitig  im  Namen  des 
Nationalismus  zu  bekriegen,  wenn  wir  uns  ver- 
geblich fragen,  welche  Kulturarbeit  denn  über- 
haupt   der    nationale    Gedanke    in    irgendeinem 


<£ 


=  DIE  FRIEDENS-^fcÄBXE 


Gebiet  geleistet  hat,  so  erkennen  wir,  daß  wir 
■tatsächlich  hier  vor  den  Wirkungen  einer  ähn- 
lichen geistigen  Epidemie  stehen,  wie  sie  vor 
-Jahrhunderten  unsere  Kultur  zum  großen  Teile 
zerstört  und  unsägliches  Unheil  über  die 
Menschheit  gebracht  hat. 
«■k 

Billige  Reiseerfahrungen.  ::    ::   ::   ::  ::   ::   ::   ::    ::   ::   :: 

kann  man  nach  den  Empfehlungen  des  „Ober- 
lausitzer  Heimatkalenders"  erwerben.  Die 
„Frankfurter   Zeitung"   berichtet   folgendes : 

„Ueber  den  Krieg  als  Bildungsmittel  plau- 
dert, dem  „Simplizissimus"  zufolge,  in  überaus 
anregender  und  origineller  Weise  „ein  alter 
Kriegs  veteran"  im  „Oberlausitzer  Heimat- 
kalender auf  das  Jahr  des  Herrn  1913,  heraus- 
gegeben im  Auftrage  bzw.  mit  Unterstützung  der 
hohen  Herren-Stände  des  Markgraftums  Ober- 
lausitz  beider  Anteile": 

„.  .  .  .  Ja,  das  war  eine  herrliche  Zeit 
anit  ihren  segensreichen  Begleiterscheinungen. 
Das  tägliche  Politisieren,  Räsonieren  und  Nör- 
geln hatte  aufgehört;  man  dachte  an  seine 
Lieben,  die  im  Felde  standen,  und  betete  fromm 
und  inbrünstig  für  sie.  Der  Krieg  lehrt  nicht 
nur  beten,  er  begeistert  uns  für  Ideale  und 
läßt  uns  ein  fremdeslLand  mit  seinen 
anderen  Sitten  und  Ku  1 1  u  r  er  f  o  Ige  ri 
kennen  lernen.  Kein  Volk  zieht  so  viel 
Vorteil  und  Gewinn  aus  einem  Kriege  als  das 
deutsche,  das  den  Gelehrten-  wie  den  Arbeiter- 
stand gleichmäßig  unter  die  Waffen  ruft  und  da- 
-durch  befähigt  ist,  Beobachtungen  in 
Feindesland  zu  machen,  die  wir  in 
der  Heimat  verwerten  können." 

„Der  alte  Kriegsveteran"  findet  es  offenbar 
au  teuer,  auf  eigene  Kosten  in  ein  fremdes1  Land 
au  reisen,  um  dessen  Sitten  und  Kulturerfolge 
kennen  zu  lernen.  Er  würde  es  vorziehen,  auf 
Staatskosten,  einfach  in  Folge  eines  „frisch- 
fröhlichen Krieges"  sich  Europa  anzusehen. 
Sonderbare  Früchte! 


Ein    Ausland  -  Pflichtjahr    für    die 
«deutsche  und  französische  Jugend. 

Aus    einem   Aufruf : 

„Pflanzt  in  die  Herzen  eurer  Knaben  schon 
in  zartem  Alter  die  Ehrfurcht  vor  der  Arbeit, 
die  Wertschätzung  von  allem,  was  Menschen- 
hand und  Geist  zum  Nutzen,  zur  Freude  und 
zum  Segen  für  Menschen  geschaffen  haben,  und 
die  Verachtung  vor  dem  heute  so  viele  Seelen 
vergiftenden,  einem  vielgestaltigen  Elend  ins 
Antlitz  grinsenden  leeren,  hoffärtigen  Prunk  und 
täuschenden  Schein.  —  Laßt  sie  später  im  herr- 
lichen Vaterlande  durch  Gebirg  und  Tal  wan- 
dern, daß  sie  an  den  Brüsten  der  Allmutter 
Natur  sich  sattrinken  mögen  in  der  Geist  und 
Körper  stählenden  Milch  eines  ungekünstelten, 
wahrhaft  menschlichen  Denkens  und  Empfin- 
dens. —  Dann  endlich  führt  die  gesund  an  Leib 
und  Seele  Herangewachsenen  (etwa  13jährigen, 
da  die  meisten  Knaben  mit  14  Jahren  ins  Be- 


rufsleben eintreten)  dem  Nachbar  im  Westen 
mit  den  Worten  zu:  Nimm  sie  für  ein  Jahr, 
gib  ihnen  einen  Platz  an  deinen  Herdstätten  in 
Dorf  und  Stadt.  Sie  wollen  deine  Jugend 
kennen  lernen  und  lieb  gewinnen,  und  indem 
deren  Sprache,  mit  der  sie  sich  daheim  schon 
etwas  vertraut  gemacht  haben,  in-  Verkehr  und 
Schule  ihnen  immer  geläufiger  wird,  wollen  sie 
zusammen  von  allem  reden,  was  ihren  von 
Rassenhaß  freien  Sinn  in  gleicher  Weise  be- 
wegt. Dafür  schicke  uns  deine 
gleichaltrigen  Knaben  zu,  daß  wir 
Gleiches  mit  Gleichem  vergelten  können.  — 
Und  das  Bündnis,  das  unsere  Kinder  im  Her- 
zen, nicht  auf  Papierfetzen  und  ohne  spitz- 
findige Verklausulierungen,  unter  alljährlicher 
Erneuerung  durch  die  Nachwachsenden 
schließen  werden,  wird  dann  mit  der  Selbst- 
verständlichkeit eines  sieghaften  schöpferischen 
Gedankens  in  dem  Staate  der  zwiefach  mündig 
Gewordenen  allen  kulturmörderischen  „Ideen" 
den  Garaus  machen  und  zu  einem  Frie- 
den zwischen  Deutschland  und 
Frankreich  und  damit  von  Europa  führen, 
der  nicht  mehr  auf  Bajonetten  balanciert. 

Und  so  bitte  ich  euch  denn,  gleichgesinnte 
Volksgenossen,  mich  in  meinem  Bemühen  zur 
Verwirklichung  des  hiermit  der  Oeffentlichkeit 
unterbreiteten  sozialpolitischen  Plans  nachhaltig 
zu  unterstützen.  Fordert  unablässig  in  Wort 
und  Schrift,  in  Versammlungen  und  in  der 
Presse,  vornehmlich  auch  durch  die  Verbreitung 
dieser  meiner  Flugschrift,  das  großzügig  ge- 
dachte, in  seiner  Ausführung  klassisch-einfache, 
gesetzlich  festzulegende  und  staatlich  zu 
regelnde  Ausland-Pflicht  jähr  für  die 
deutsch-französische  Jugend.  (Die  französische 
Flugschrift  ist  auch  bereits  von  mir  verfaßt.) 
Zustimmungserklärungen  aus  allen  Kreisen  der 
Bevölkerung  sind  mir  sehr  willkommen. 
Schriftsteller  Rein  hold  Schmidt, 
Boilstädt  b.    Gotha  (Allemagne)." 

Dieser  Gedanke  ist  wert,  weiter  verfolgt 
zu  werden.  Wie  wäre  es,  wenn  man  ihn  durch 
eine  internationale  Organisation  der  „Wander- 
vögel-" und  „Pfadfinder  -  Bewegung"  verwirk- 
lichen  wollte. 

Alldeutsche  Philosophie.    ::    ::  :: 

In  den  „Alldeutschen  Blättern"  (30.  Aug.) 
polemisiert  der  „bekannte  Rassengelehrte"  K.  F. 
Wolff  in  einem  „Vorbehalt  der  politischen 
Rechte !"  übers  chriebenen  Artikel  gegen  Nor- 
man A  n  g  e  1 1.  Er  ist  diesem  gegenüber  der 
Ansicht,  daß  sich  der  Krieg  in  der  Gegenwart 
doch  „noch  bezahlt"  macht  und  eine  Eroberung 
„sich  noch  lohnen  dürfte."  Um  diesen  Beweis  zu 
erbringen,  konstiuiert  der  „Rassengelehrte" 
einen  Gegensatz  zwischen  Menschenrechten  und 
politischem  Rechte.  Die  Menschenrechte  will 
Wolff  den  Bewohnern  der  eroberten  Länder  ge- 
wahrt erhalten,  aber  die  politischen  Rechte 
sollen  lediglich  dem  Eroberer  gehören,  denn  sie 
wurden  nur  durch  Krieg  erworben. 

Wir  wollen  auf  das  Unsinnige  dieser 
Theorie  nicht  näher  eingehen,  sondern  nur  auf 


349 


DIE  FßlEDENS-^ADTE 


3 


die  von  dein  alldeutschen  Gelehrten  gezogenen 
Folgeerscheinungen    verweisen.     Er    führt    aus : 

„Die  Eroberer  handeln  biologisch  nur  folge- 
richtig,  wenn  sie  die  fremde  Sprache  zu  ver- 
drängen und  das  fremde  Volkstum  zu  zer- 
trümmern trachten.  Darum  keine  Versöhnungs- 
versuche, sondern  kühles  Herrenbewußtr 
sein,  möglichste  Machtentfaltung  und  strenge 
Vorbehaltung  aller  politischen   Eechte! 

Auch  Mr.  Angell  wird  zugeben  müssen,  daß 
sich  bei  solchem  Verfahren  ein  Krieg  schon  noch 
bezahlt  machen  und  eine  Eroberung  noch  lohnen 
dürfte.  Nur  muß  das  erobernde  Volk  menschen- 
reich sein,  (Das  ist  ja  eine  Aufforderung  an  Ruß- 
land, in  Deutschland  einzufallen!  F./W)  damit 
es  den  gewonnenen  Landstrich  mit  seinen  Leu- 
ten überfluten  kann.  Menschenreiche  Völker 
aber  sind  auch  die  einzigen,  die  ein  moralisches 
Anrecht  auf  Eroberungen  haben,  denn  es  ist 
unbillig,  daß  in  dem  einen  Lande  Uebervölke- 
rung  herrscht,  während  dicht  daneben  —  und 
noch  dazu  auf  besserem  Boden  —  eine  wenig 
zahlreiche  Bevölkerung  sich's  bequem  macht. 
Mehr  als  unbillig  hingegen,  ja  geradezu  frevel- 
haft ist  es,  wenn  ein  menschenarmes  Volk  sicn 
fremder  Länder  bemächtigt,  bloß  in  der  Ab- 
sicht, ihr  Rekrutenmaterial,  sei  es  nun  weiß 
oder  farbig,  für  ehrgeizige  Pläne(  zu  mißbrauchen. 

Mr.  Angell  glaubt,  daß  man  „in  unserer 
Zeit  des  Telegraphen,  des  Dampfschiffes,  der 
Verfassungen"  Eroberungen  zwar  machen,  aber 
nicht  behaupten  könne.  Was  Telegraph  und 
Dampfschiff  damit  zu  tun  haben,  ist  nicht 
recht  verständlich;  bezüglich  der  „Verfassun: 
gen"  jedoch  gibt  sich  Mr.  Angell  landläufigen 
Vorurteilen  hin ;  ein  willenskräftiger  Staatsmann 
wird  solche  Vorurteile  über  Bord  werfen.  Ver- 
fassung für  die  Sieger,  aber  nicht 
für  die  Besiegten!  Den  Besiegten  gebe 
man  Menschenrechte,  aber  keine  Herrenrechte. 
Das  Menschentum  wird  mit  uns  geboren,  das 
Herrentum  aber  will  auf  Schlachtfeldern  ver- 
dient sein." 

In  diesem  Stile  geht  es  weiter.  Bis  in  die 
Einzelheiten  werden  die  „Herrenrechte"  des  sieg- 
reichen Volkes  dargelegt. 

Nur  eins  hat  der  große  Gelehrte  über- 
sehen. Das  Rezept  ist  nicht  neu.  Ein  Volk 
hat  es  schon  einmal  anzuwenden  versucht.  Es 
waren  die  Türken,  die  ihr  „kühles  Herren- 
bewußtsein", das  sich  die  von  ihnen  Besiegten 
nun  doch  nicht  gefallen  lassen  wollten,  mit 
ihrem  Zusammenbruch  bezahlen  mußten.  Uns 
deucht,  Norman  Angell  hat  doch  recht. 
MB 

Seltsame  Friedensfreunde.         ::    ::    ::   ::  ::    :: 

Aus  Anlaß  der  Eröffnung  des  Haager 
Friedenspalastes  hat  die  Zeitschrift  „Nord 
und  Süd"  eine  besondere  Holland-Nummer 
(Septemberheft  1913)  herausgegeben,  für  die  so- 
gar Andrew  Carnegie  einen  viel  beach- 
teten Leitartikel  über  „das  Problem  des  inter- 
nationalen Friedens"  gesehrieben  hat.  Im 
Sinne  des   friedlichen  Fortschrittes   finden  wir 


in  jener  FriedensrNummer  auch  Beiträge  voä 
von  Karnebeck,  Professor  v.  Vollen- 
h  o  v  e  n  und  Dr.  de  Jong  van  Beek  e  n 
D  o  n  k.  Aber  auch  ein  Artikel  über 
„Deutschlands  nächste  Aufgaben"' 
ist  in  jener  zu  Ehren  des  Friedens palastes  er- 
schienenen Nummer  aufgenommen,  der  uns  gar 
nicht  gefällt  und  uns  eher  für  das  Blatt 
des  Wehrvereins  geeignet  er-1 
scheint.  Der  Artikel  ist  „Georg  Erdmann"  ge- 
zeichnet, soll  jedoch  von  einem  höheren  Militär 
herrühren.  Der  Verfasser  verändert  von  seinem 
Schreibtisch  aus  die  Weltkarte,  und  es  ist  nicht 
uninteressant,  was  er  über  das  Verhältnis 
Deutschlands  zu  Frankreich  sagt,  das  heute  alle 
Vernünftigen  und  alle  ehrlichen  Friedensfreunde 
zu  einem  günstigen  Ausgleich  bringen  wollen. 
Man  liest  auf  Seite  312  jener  Friedens-Fest- 
nummer  folgende  „pazifistischen"  Ausführungen  c 

„Daß  Deutschland  nicht  so  ohne 
weiteres  Frankreich  angreifen  kann,  ver- 
steht sich  von  selbst.  Als  erste  Vorbedin- 
gung gehört  hierzu,  daß  Rußland  als  der 
Verbündete  Frankreichs  wieder  ernstlich  in 
Asien  gefesselt  ist.  Und  daß  dies  in  nicht 
zu  ferner  Zeit  wieder  geschehen  wird, 
und  zwar  durch  China,  ist  nicht  zu  be- 
zweifeln. Aus  diesem  Grunde  hat  Deutsch- 
land China  gegenüber  eine  möglichst 
freundschaftliche  Politik  zu  führen  und  ein 
Verhältnis  zu  ihm  herzus teilen,  ähnlich  demr 
wie  es  zwischen  England  und  Japan  be- 
besteht. Eine  Veranlassung,  den 
Krieg  herbeizuführen,  nach  der 
Frankreich  als  der  herausfordernde  Teil  er-r 
scheint,  dürfte  bei  der  hohen  Reiz- 
barkeit des  französischen  Volkes 
einer  geschickten  Diplomatie 
wohl   nicht  schwer  werden.   (!) 

Wie  schade  (!),  daß  Deutschland,  ab- 
gesehen von  manchen  anderen  günstigen  Ge- 
legenheiten, den  russisch-] spanischen  Krieg 
so  unbenutzt. (!)  hat  vorübergehen 
lassen ! 

Daran  ist  natürlich  gar  nicht  zu  denken,, 
daß  durch  einen  für  Deutschland  selbst  gün- 
stigen Krieg  ein  wirklicher  Friede  zwischen 
diesem  und  Frankreich  zu  erreichen  sein 
würde.  Das  ist  aber  auch  gar  nicht  die 
Aufgabe  ( !),  die  vielmehr  nur  darin  besteht,. 
Frankreich  so  zu  schwächen,  daß  es 
seine  drohende  Gefährlichkeit  verliert  und 
Deutschland  gestattet,  seine  eigenen  Rüstun- 
gen auf  ein   normales    Maß  zurückzuführen. 

Um  dies  zu  erreichen,  wäre  a  1 1  e  s  ,. 
was  früher  zu  Lothringen  gehört 
hat,  nebst  den  noch  im  Besitz, 
Frankreichs  gebliebenen  zum  El- 
saß gehörigen  Teilen  sowie  überr 
haupt  das  ganze  Maasgebiet  zu-r 
rückzunehmen. 

Desgleichen  hätte  Frankreich  alle  die 
nördlichen  Departements,  die 
früher   zu  Belgien   gehört   haben, 


350 


<£ 


DIE  Fßl EDENS ->M^D.TE 


au  dieses  abzutreten,  wogegen  wieder 
Belgien  seinen  flämischen  Gebietsteil  mit 
deutsch  sprechender  Bevölkerung  an  Holland 
auszuliefern  hätte. 

Und     Italien     hätte     seine      West- 
grenze  bis  ins   Rhonetal  nebst  Sat- 
voyen    vorzuschieben     und     möglichst     auch 
Tunis  zu  annektieren." 
Und    das    zu    Ehren    der    Eröffnung    des 
Friedenspalastes ! ! 

Etwas  Gefährlicheres  gibt  es  nicht  als  diese 
bramarbasierenden  Redensarten,  die  keinerlei 
Echo  im  deutschen  Volke,  aber  jenseits 
der  Greuze  Beachtung  finden.  Solche  unver- 
antwortlichen Schwätzereien  veranlassen  natür- 
lich die  französischen  Chauvinisten  für  die  An, 
Spannung  der  Wehrkraft  ihres  Landes  einzu- 
treten. Dann  kommen  aber  die  Gesinnungs- 
freunde des  Artikelschreibers,  weisen  auf  die 
unerhörten  Herausforderungen  Erankreichs  hin 
und  verlangen  unvermindert  neue  Milliarden 
für  die  Abwehr  der  französischen  Rüstungen 
oder,  wie  es  der  Artikelschreiber  tut,  den  Prä- 
ventivkrieg. Solche  Leute  kosten  durch  ihr 
unverantwortliches  Geschwätz  dem  deutschen 
Volke    Milliarden. 

Daß  sich  aber  eine  Zeitschrift,  die  der 
internationalen  Verständigung  dienen  will,  dazu 
hergibt,  solch  blutigen  Tiraden  Raum 
zu  gewähren,  noch  dazu  in  einer  Nummer,  die 
ganz  besonders  dem  Friedensgedanken  gewidmet 
ist,    erscheint    im    höchsten    Maße    bedenklich. 


AV5  DEQ  BEWEGVNG 

Zu  Monetas  achtzigstem  Geburtstag.  ::    :: 

Am  20.  September  vollendet  E  r  n  e  s  t  o 
Teodore  Moneta  seinen  achtzigsten  Ge- 
burtstag. Im  Jahre  1833  in  Mailand  geboren, 
nahm  er  schon  als  Kind  regen  Anteil  an  jener 
politischen  Bewegung,  die  zur  Bildung  der  ita- 
lienischen Einheit  führte.  Fünfzehnjährig  nahm 
er  mit  seiner  ganzen  Familie  an  dem  Mailänder 
Aufstand  von  1848  teil.  Im  Jahre  1859  befand 
er  sich  als  Freiwilliger  bei  den  von  Garibaldi 
kommandierten  Alpenjägern,  1860  war  er  Gene- 
ralstabsoffizier in  der  Armee  Garibaldis  und 
machte  als  solcher  den  Feldzug  in  Süditalien 
mit;  von  1861 — 1867  finden  wir  ihn  als  Offi- 
zier in  der  italienischen  Armee.  Von  Mai  1867 
bis  Oktober  1896  war  er  Chefredakteur  der 
großen  Mailänder  Tageszeitung  „Secolo".  Im 
Jahre  1897  gründete  er  die  der  Friedensidee 
und  dem  Internationalismus  gewidmete  Revue 
„La  Vita  internazionale",  deren  Direktor  er  seit 
der  Gründung  ist.  Im  Jahre  1889  rief  er  noch 
den  Friedensalmanach  „Giu  il  armi"  ins  Leben, 
der  jährlich  erscheint  (jetzt  unter  dem  Titel 
„Pro  Pace")  und  sich  eines  stets  wachsenden 
Erfolges  erfreut.  Im  Jahre  1878  gründete  Mo- 
neta die  „Unione  Lombarda",  bis  1911  die  er- 
folgreichste und  tätigste  italienische  Friedens- 
gesellschaft, der  er  seit  1891  präsidiert.  Er 
ist  der  Gründer  der  italienischen  Friedensgesell- 


schaften zu  Assi,  Barzano,  Borgolesia,  Gallarate, 
Missaglia,  Perugia  und  Voghera;  die  Konferenz 
der  italienischen  Friedensgesellschaften  in  Rom 
von  1891  wurde  von  ihm  organisiert.  Als  Dele- 
gierter der  „Unione  Lombarda"  war  M.  auf  allen 
Friedenskongressen,  mit  Ausnahme  der  in  Chi- 
cago, Paris  (1900),  Glasgow,  Stockholm,  Genf 
und  Haag  abgehaltenen,  und  beteiligte  sich  im 
reichsten  Maße  an  deren  Arbeiten.  Im  Jahre 
1894  veranstaltete  M.  auf  der  Mailänder  Aus- 
stellung eine  Propagandaausstellung  im  Sinne 
der  Friedensidee,  und  im  Jahre  1896  gelang  es 
ihrn,  nach  der  Schlacht  von  Adua  eine  mit 
120  000  Unterschriften  bedeckte  Petition  gegen 
die  Fortsetzung  des  Krieges,  die  von  einer 
großen  Revanchepartei  gefordert  wurde,  dem 
Parlament  zu  unterbreiten  und  diese  Forderung 
durchzusetzen.  Unzählig  sind  die  Vorträge, 
die  M.  seit  dem  Jahre  1889  in  Italien  über  die 
europäische  Union  und  die  Umwandlung  der 
stehenden  Heere  in  Defensivheere  gehalten  hat. 
M.  bereitete  auch  den  Mailänder  Friedenskon- 
greß von  1906  vor  und  präsidierte  diesem.  Auf 
der  Ausstellung  in  Mailand  von  1906  organi- 
sierte er  abermals  eine  große  Friedensaus- 
stellung in  eigenem  Pavillon.  Während  der  Tri- 
poliskrise von  1911 — 1912  hat  M.,  der  schwer 
erkrankt  war,  anscheinend  Einflüsterungen 
Folge  gebend,  die  pazifistischen  Grundsätze 
nicht    vertreten.     Er    veröffentlichte : 

„Le  Guerre,  le  Insurrezioni  e  la  Pace  nel 
secolo  XIX".  Bis  jetzt  vier  Bände  erschienen. 
1908—1910.  —  „L'Ideal  de  la  Paix  et  la  Patrie." 
1912  —  sowie  zahlreiche  Broschüren  und  Artikel 
in  den  verschiedensten   Zeitungen  und  Revuen. 

Von  1892—1912  war  Moneta  Mitglied  des 
Rates  des  Berner  Friedens bureaus.  Er  ist  Mit- 
glied des  Internationalen  Friedensinstituts  und 
des  europäischen  Rats  der  1.  Abth.  der  Carnegie- 
stiftung. Im  Jahre  1907  wurde  ihm  der  Nobel- 
preis   verliehen. 

Wenn  auch  die  Haltung  Monetas  im  Jahre 
1911  von  den  Anliängern  der  Friedensidee  nicht 
gebilligt  werden  konnte,  darf  darüber  nicht  ver- 
gessen werden,  daß  der  Achtzigjährige  ein 
reiches  der  großen  Sache  gewidmetes  Leben 
hinter  sich  hat,  und  daß  er  zu  den  Arbeitern 
der  ersten  Stunde  gehörte.  Er  hat  so  viel  zur 
Förderung  des  Pazifismus  geleistet,  daß  seine 
von  unglücklichen  Zufällen  bedingte  Haltung 
während  der  Tripoliskrise  seine  großen  Ver- 
dienste  nicht   verlöschen  konnte. 

Wir  wünschen,  daß  er  die  Kraf t  besitze, 
noch  weiter  für  das  Friedenswerk  tätig  zu  sein, 
um  die  Erinnerung  an  1911  ganz  vergessen  zu 
machen  und  hoffen,  daß  er  wieder  den  Weg 
zu  seinen  alten  Freunden  und  Mitarbeitern 
finden   wird.  A.    H.    F. 

«9 

Kalendarium  der  pazifistischen  Veranstaltungen.   ::   :: 

23. — 26.  September.  Konferenz  deutscher 
und    französischer   Journalisten    in    Gent. 

1. — 6.  Oktober.  28.  Konferenz  der  Int. 
Law   Association  in   Madrid. 


351 


PJE  FßlEDENS-^/AßrE  = 


;© 


4. — 6.  Oktober.  Zweiter  Verbandstag  des 
^, "Verbandes  für  internationale  Verständigung" 
in   Nürnberg. 

Anfang  Oktober.  Friedenskongreß  der 
deutschen  protestantischen  Theologen  in 
Stuttgart. 

MB 

Die  Gewinner  des  Seabury-Preises  von  1913.   ::   ::   :: 

Bei  der  von  der  „American  School  Peace 
League"  veranstalteten  Preis bewerbung  fiel  der 
I.  Preis  für  Normal-Schulkonkurrenten  an  Herrn 
Siegfried  Wagner  von  der  Lehrerbildungs- 
ansalt in  Kaiserslautern,  der  II.  Preis  für  Se~ 
kundar-Schulkonkurrenten  an  den  Handels- 
Akademiker  Otto  Petersilka  in  Wien.  Die 
übrigen  Preise  fielen  sämtlich  nach  den  Ver- 
einigten  Staaten. 

iMO 

Kleine  Mitteilungen.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 
Geh.  Rat  Prof.  Ostwald  in  Groß-Bothen  in 
Sachsen  feierte  am  2.  Sept.  seinen  60.  Geburts- 
tag. Der  Gründer  der  Lehre  von  der  Energie 
hat  so  viel  für  die  internationale  Verständigung 
und  Organisation  gewirkt,  ist  von  seiner  natur- 
wissenschaftlichen Weltanschauung  aus  so  nach- 
drücklichst für  den  Friedensgedanken  einge- 
treten, daß  er  mit  vollem  Becht  zu  den  Unseren 
gezählt  werden  kann.  Die  Glückwünsche  aller 
Pazifisten  und  ihre  Hoffnung,  daß  er  noch  lange 
seine  Kräfte  in  den  Dienst  unserer  Sache  wird 
stellen  können,  sind  ihm  an  seinem  60.  Ge- 
burtstag massenhaft  zum  Ausdruck  gebracht 
worden.  —  Dem  Generalsekretär  der  Interparla- 
mentarischen Union,  Herrn  Ch.  L.  Lange  in 
Brüssel,  wurde  das  Portefeuille  eines  nor- 
wegischen Ministers  des  Auswärtigen  angeboten, 
das  er  jedoch  ablehnte. 


LITERATUR  VPBESSE 

Die  „Ethische  Rundschau", 

die  Magnus  Schwant  je  seit  dem  vorigen 
Jahre  als  Monatsschrift  in  Berlin  herausgibt, 
widmet  der  Friedensbewegung  eingehende  Be- 
achtung. Wir  finden  in  fast  jeder  Nummer 
der  gut  geleiteten  und  schön  ausgestatteten 
Zeitschrift  Beiträge  aus  der  Feder  hervorragen- 
der Pazifisten,  die  die  Tagesfragen  behandeln, 
wie  auch  eine  umfangreiche  Berücksichtigung 
der  pazifistischen  Literatur.  In  der  Juli- 
August-Nummer  sind  z.  B.  Beiträge  von  Feld- 
haus, Katscher,  Siemering,  Umfrid  und  Wehberg 
enthalten.  Der  Jahrgang  kostet  5  M.  Probe- 
hefte stehen  kostenlos  durch  den  Herausgeber 
(Berlin  W  15,  Düsseldorfer  Straße  23)  zur  Ver- 
fügung. 

MB 

eingegangene  Druckschriften.   ::   ::   :;   ::   ::    ::   ::   ::   :: 

(Besprechung  vorbehalten.) 

Zeitschrift    für     Völkerrecht       und 

Bundesstaatsrecht.  Herausgegeben  von 

Prof.  Dr.  Josef  Kohler,  Berlin,  Prof.  Dr. 

L.  Oppenheim,  Cambridge,  und  Dr.  Hans 


W  e  h  b  e  r  g ,  Düsseldorf.    VII.  Band.  2.  Heft. 
Breslau   1913.     J.   N.  Kerns    Verlag. 

Aus  dem  Inhalt :  Prof.  Kohler,  Die 
Stellung  des  Haager  Schiedshofes.  — 
Gustav  Kraemer,  Das  Recht  der  Küsten- 
zonen in  bezug  auf  die  Fischerei.  —  Dr.  H  an  3 
.Wehberg,  Die  Schiedsgerichtsklausel  in 
deutschen    Handelsverträgen.    —   usw.    usw. 

Revue  Generale  de  Droit  Inter- 
national Public.  (Paris.)  Mai  -  Juin 
1913.     No.    3. 

Aus  dem  Inhalt :  Prof.  C.  de  Boeck, 
La  sentence  arbitrale  de  la  Cour  permanente 
de  la  Haye  dans  l'af faire  Canevaro  (3.  mai 
1912.)  —  Prof.  C.  Dupuis,  L'Institut  de 
Droit  international.  Session  de  Christiania 
(aoüt  1912).  —  Allemagne  et  France.  —  usw. 

La  Vie  Internationale.  Revue  men- 
suelle  des  idees,  des  faits  et  des  organismes 
internationaux.  Tome  III.  1913.  Numero  6. 
Fascicule  14.  Lex.  8°.  Bruxelles.  Office 
Central  des  Associations   Internationales. 

Aus  dem  Inhalt :  H.  La  Fontaine 
et  P.  Otlet,  La  deuxieme  Session  du 
Congres  mondiaL  —  Centenaire  de  la  Paix 
anglo  -  americaine.  —  Internationalisation 
et   militarisme.    « —   usw. 

—  Tome  IV.  1913.  No.  1.  Fascicule  15  de  la 
collection. 

Aus  dem  Inhalt:  David  Starr 
Jordan,  Ce  qu  l'Amerique  peut  enseigner 
ä  l'Europe.  —  George  Sarton,  LTiistoire 
de  la  Science  et  l'Organisation  Internationale, 
usw. 
Bulletin  of  thePanAmerican  Union. 
Washington.    Juni. 

Aus  dem  Inhalt:  Fifth  Pan-American 
Conference.  —  Visit  to  United  States  of  Rra- 
zilian  Minister  of  Foreign  Affairs.  — 
Mr.  Carnegie  and  the  Governing  Board.  — 
Lake  Mohonk  Conference  on  International 
Arbitration.  —  usw. 

—  Juli. 

Aus  dem  Inhalt:  Mission  of  Dr.  Lauro 
S.  Müller  to  the  U.  S.  —  Notable  Speeches 
by  Members  of  governing  board.  —  Inter- 
national Students  Conference.  —  usw. 


Annuaire  de  l'Union  Interparle- 
mentaire.  Troisieme  annee  1913.  Publie 
par  Chr.  L.  Lange.  Gr.  8°.  Brüssel  1913. 
Misch  &  Thron.   291  S.   Lwbd. 

Allen,   Arthur  W., 

The  Drain  of  Armaments.  (Revised  Edition.) 
The  cost  of  peace  under  arms.  8°.  Boston 
1913.  (World  Peace  Foundation,  Pamphlet 
Series.  June,  Vol.  III.  No.  6.)  Published 
monthly  by  the  World  Peace  Foundation, 
40  Mt.  Vernon  Street.    19  S. 

Aliance  Beige  des  fremmes  pour  la 
paix  par  l'education.  Rapport  de  1912. 
8°.  Antwerpen  1913.  Imprimerie  J.  E.  Busch- 
mann,  rempart  de   la  porte   du  Rhin.    25   S. 

Beals,   Charles,  E., 

From  Jungleism  to  Internationalism.   (An  adress 

delivered  at  the  Fourth  American  Peace  Con- 

greß,    St.   Louis,   May  1.   1913.)    8°.    Chicag3 

1913.     The  Chicago  Peace  Society.     30  North 

Lasalle  Street.  20  S. 

Broda,   Prof.   Dr.   R., 

Die   Rolle   der   Gewalt  in   den   Konflikten   des 

modernen  Lebens.     Eine  Rundfrage.      Gr.  < 


352 


@= 


Berlin  1913.  Monographien  des  Instituts  für 
den  internationalen  Austausch  fortschritt- 
licher Erfahrungen  in  Paris.  Georg  Reimer. 
56   S.    brosch.   1  M. 

Mr.  Bryans  Peace-Plan. 

Address  by  Hon.  William  J.  Eryan  at  the  Con- 
ference  of   the   Interparliamentary   Union  at 
London,    July    24,    1906.      8°.      Boston    1913. 
World   Peace   Foundation      4   S.     Kostenlos. 
Carnegie,   Andrew, 

The  latest    Panacea.     Plugblatt  4   S. 
D  e  1  a  i  s  i ,   Francis, 

Le  Patriotisme  des  Plaques  blindees.  (Krupp- 
Schneider  &  Cie.)  Edition  de  la  Revue  „La 
Paix  par  le  Droit",  Obl.-8°,  Nimes.  30  Cen- 
times. 

Eighth  international  Congress  of 
Students.  29  August  —  20  September. 
Programm  and  Information,  obl.  8°.  Ithaca, 
N.  J.  Cornell  Cosmopolitan  Club,  301  Bryant 
Avenue.     35   S.     Kostenlos. 

Essays  towards  peace,  by  John  M.  R  o- 
b e r t s  o n ,  Prof.  Ed.  Westermarck, 
Norman  Angell,  and  S.  H.  Swinuy. 
With  intrcduction  by  Hypatia  Bradlaugh 
Bonner.  Kl.  8°.  London,  o.  J.  Watts  &  Co. 
91  S.  Sixpence. 

Euchs,    Hof  rat   Prof.    Th., 

Aphorismen  zur  Abrüstungsfrage.  8°.  Wien 
und  Leipzig  1913.  Kaiserl.  und  Königl. 
Hof-Buchdruckerei  und  Hof-Verlags-Buch- 
handlung    Carl   Fromme.    15   S. 

Gerber,  Max, 

Demokratie  und  Militarismus.  Betrachtungen 
über  die  Voraussetzungen  Schweiz.  Militär- 
politik. 8°.  Zürich  1913.  Sozialpolit.  Zeit- 
fragen  der  Schweiz  in  Verbindung  mit 
anderen  herausgegeben  von  Paul  Pflüger, 
Zürich.  Verlag  der  Buchhandlung  des 
Schweizerischen  Grütlivereins.  94  S.  brosch. 
1  Fr. 

Geschichtskalender,       Deutscher,      für 
1913.    Sechstes  Heft.    Juni.  8°.   Leipzig  1913. 
Felix  Meiner.     S.  369—476. 
Ginn,   Edwin, 

The  international  Library.  8°.  o.  O.  1910. 
o.  V.  15  S. 

Ginn,  Edwin, 

An   International   School  of  Peace.     An    adress 
delivered    at    the    international    Peace    Con- 
greß  at  Luceme  September  1905.     8°.     o.  O. 
o.    J.   o.    V.   7    S. 
Ginn,   Edwin, 

Organizing  the  Peace  work.  8°.  Boston  1913. 
World  Peace  Foundation.  Pamphlet  Series. 
July,  Vol.  III.  No.  7.  Part.  I.  Published 
monthly  by  the  World  Pea-ce  Foundation. 
40  Mt.  Vernon  street.  10  S.  Kostenlos. 
G  o  bat ,     A.,  * 

Rapport  sur  les  Evenements  de  l'annee  inter- 
essant la  Guerre  et  la  Paix.  8°.  Bern  1913. 
Publications  du  Bureau  International  de  la 
Paix.    23.    S. 

G  o  b  a  t ,    Albert, 
La    Conference    interparlementaire   Franco-Alle- 
mande  de  Berne.     Gr.  8°.     Bern  1913.     Publi- 
cations du  Bureau   International  de  la  Paix, 
Berne.      36   S. 

G  o  b  a  t ,   Dir.    Albert, 
Ucber  die  internationalen  Friedensbostrebungan. 


=  DIE  FRlEDENS-^ö^ttTE 

Gr.  8°.  Breslau  III,  1913.  Sander-Druck  aus 
der  schweizerischen  Sondernummer  von  „Nord 
und  Süd".  Augustheft.  Verlag  der  Schle- 
sischen  Buchdruckerei  v.  S.  Schottlaender, 
A.-G.  6.  S. 

H  i  r  s  t ,  Francis  W., 
Loans  for  war.  The  gladiatorial  Press.  A  Paper 
read  ad  the  Ninth  National  Peace  Congress, 
Leeds  1913.  8°.  London  1913.  National  Peace 
Council,  Economic  Series  No.  4  National! 
Peace  Council,  167  St.  Stephenshouse,  West- 
minster   S.    W.    7    S.    1    Penny. 

Hoffmann,  Geza  von, 
Sterilisieiiing  der  Minderwertigen  im  Staate 
Kalifornien.  8°.  Leipzig  1913.  SonderaD- 
druck  aus  dem  Archiv  für  Kriminalanthro- 
pologie und  Kriminalistik.  Band  53.  F.  C. 
W.   Vogeh     Von  S.  337—341. 

Hoffmann,  Geza  von, 
Die  Rechtsgültigkeit  der  Sterilisierungsgesetze 
und  der  einschränkenden  Ehegesetze  in  den 
Vereinigten  Staaten  von  Nord-Amerika.  8°. 
o.  O.  Sonderabdruck  aus  Zeitschrift  für  die 
gesamte  Strafrechtswissenschaft.  34.  Bland. 
1912/1913.  (Nicht  im  Handel.)  Von  S.  90O 
bis   905. 

Ho  11,    Prof.    Dr.    Karl, 

Thomas  Chalmers  und  die  Anfänge  der  kirch- 
lich-sozialen Bewegung.  Separatabdruck  aus 
Zeitschrift  für  Theologie  und.  Kirche.  4.  Heft, 
23.  Jahrgang.  (Im  Buchhandel  nicht  erhält- 
lich.) 8°  Tübingen  J.  C.  B.  Mohr  (Paul 
Siebeck).    Von  S.   218—265. 

International  Library,  The.  The  most 
important  series  of  books  on  the  Peace 
Movement.  8°.  Boston  1913.  (World  Peace 
Foundation,  Pamphlet  Series.  May,  Vol.  III. 
No.  5.  Part.  2.)  Published  monthly  by  the 
World  Peace  Foundation,  40  Mt.  Vernon 
Street.    7   S. 

Johnson,     Herbert   B.,    D.   D., 
Discrimination    against    the    Japanese   in    Cali- 
fornia.    A  Keview  of  the  real  Situation.    8°. 
Berkeley     1907.     Press    of   the    Courier    Pu- 
blishing   Company.     133    S. 

Lewinneck,    Artur, 
Die    Freunde      des    Kronprinzen.        Auch     eine 
Schrift    zum   25  jährigen   Regierungsjubiläum 
unseres  Kaisers.  Gr.-8°.  Königsberg  i.  Pr.  1913. 
Hartungsche    Buchdruckerei.     47    S. 

Lloyd  Jones,  Jenkin.  L.  L.  D. 
Peace,  not  war,  the  School  of  Heroism.  (An 
adress  delivered  before  the  fourth  American 
Peace  Congress  at  St.  Louis,  Missouri,  May  1, 
1913.)  8°.  Chicago  1913.  The  Chicago  Peace 
Society.     30  North  Lassalle  Street.  15  S. 

Lochner,  Louis  P., 
Internationalism  among  universities.  8°.  Boston 
1913.  World  Peace  Foundation.  Pamphlet; 
Series.  July.  Vol.  III.  No.  7.  Part.  11. 
Published  monthly  by  the  World  Peace  Foun- 
dation, 40  Mt.  Vernon  Street.  12  S.  Kostenlos, 

Maciejewski,  Dr.  Casimir, 
Les  erreurs  et  les  fautes  des  chefs  du  paci- 
fisme.  Kl.  8°.  Paris  1913.  M.  Giard  &  E. 
Briere.  51  S.  0,75  Fr. 
Massachusetts  Peace  Society,  Work 
and  Plans  of  the,  obl.  8°.  Boston,  Massachu- 
setts 1913.  o.  V.  19  S. 


353 


DIE  FBIEDENS->MöJiTE 


3 


MorroWj    William   W., 

Adress  et  the  Fastkommers  celebrating  the 
twenty-fifth  amiwersary  of  the  Ascension  to 

,  the  Throne  of  His  Majesty,  the  German 
Emperor,  William  II,  delivered  ät  the  Ger- 
man House,  San  Francisco,  California,  Sa,- 
turday  evening,  June  fourteenth,  nineteen 
hundred  and  thirteen.    8°.    9  S. 

N  i  p  p  o  1  d  ,  Prof.  Dr.  Otfried, 
Der  deutsche  Chauvinismus.  8°.  Stuttgart  1913. 
Veröffentlichungen  des  Verbandes  für  Inter- 
nationale Verständigung.  Heft  9.  Druck  von 
W.  Kohlhammer.  131  S.  1  M.  —  (Kostenlos 
für   Mitglieder   des    Verbandes.) 

Nobelstif  telsens,   Kalender  1913.   Kl.  8°. 

Stockholm    1913.     Kungl.    Böktryckeriet.     P. 

A,  Norstedt  &  Söner.     48  S. 
Oliveira  Lima,  Manoel  de,    The  relations 

of   Brazil   with   the   United    States.     8°.    New 

York   City.    1913.    International  Conciliation. 

August    No.    69.      American   Association    for 

International   Conciliation.      Sub   Station  84. 

(407   West  117  th  Street.)    14   S.     Kostenlos. 

P  e  r  r  i  s  ,  George  Herbert, 
The  war  traders  :  an  exposure.   8°.   London  1913. 
National  Peaoe    Council,    167,    St.    Stephend- 
house,   Westminster,   S.  W.  32  S.  2  d. 

Pich  ler,   Hans  A., 
Der   Krieg  vom  Standpunkte  der  Naturgesetze. 
8°.      Dresden    und    Leipzig    1913.    „Globus", 
Wissenschaftl.    Verlagsanstalt.    46    S. 

Ralston,  Jackson  H., 

The   proper  attitude   of  the   Hague   Conference 

toward    the    Laws    of   war.      Adresis    at    the 

Mohonk    Conference    on    International    Arbi- 

tration,    May   15,    1913.    8°.     Boston,    World 

.   Peace    Foundatiom      4   S.    Kostenlos. 

Schloesser,  Dr.  Hans  C, 
Die  Rückgabe  des  Elsaß  an  Frankreich  unmög- 
lich !  Eine  geschichtliche  Beweisführung  und 
ein  ernstes  Mahnwort  an  alle  Deutschen  und 
Franzosen.  8°.  Leipzig-Go.  1913.  Otto  Hill- 
mann.   31  S. 

S  e  m  b  a  t ,    Marcel, 
Faites   un   Roi   sinon  faites   la  Paix.    Septieme 
edition.      8°.     Paris    1913.      Eugene    Figuiere 
et  Cie.  275  S.  3,50  Fr. 

Serfass,    Charles, 
Peut-ou  rester  Pacifiste?     Gr.    8°.    Saint-Imier. 
1913.     Publications    du   Bureau   International 
de    la   Paix.     (Berne.)     Imprimerie   E.    Gross- 
niklaus  &  Cie.    16  S. 

Steinitzer,    Major   a.    D.   Alfred, 

und 
Michel,    Wilhelm, 
Der    Krieg    in    Bildern.      Mit    91    Abbildungen 
auf  66  Tafeln.     4°    München  1912.    R.  Piper 
&  Co.    124  S.  Lwbd. 
Three   Sermons   on  a  failure  of  Christen- 
dom.   I.   W.  L.   Grane,  Precept  and  Prac- 
tica    IL    T.    J.    Lawrence,    Three    great 
wants.     III.    C.    O.    Baumgarten,      The 
stupidity   of  destruction.     8°.    London  1913. 
Published  by  the  Church  of  England  Peace 
League.  167,   St.  Stephenshou.se,  Westminster. 
•   26   S.   3  d. 

Try  on,    James    L., 
"The  Hague  Peace  System  in  Operation.     Cases 
decided    by    the    permanent    Court    of    Arbi- 

354 


•  tration.  (Reprinted  from  the  Yale  Law 
Journal,  November  1911.)  Gr.  8°.  Boston 
Mass.  1911  The  Massachusetts  Peace  Societv, 
31  Beacon  Street.  24  S. 
Tryon,  James  L., 
A  permanent  Court  of  International  Justice. 
A  Suggestion  for  the  Programme  Committee 
of  the  Third  Hague  Conference.  Gr.  6°. 
Boston  Mass.  1913.  The  Massachusetts  Peace 
Society,    31  Beacon  Street.    17  S. 

Waltershausen,    Prof.    Dr.    A.    Sarto- 
rius   Freiherr  von, 
Begriff   und  Entwicklungsmöglichkeit   der  heu- 
tigen Weltwirtschaft.        Rede     gehalten    am 
2.  Mai  1913.     Gr.  8°.    Straßburg  1913.     Rek- 
toratsreden der  Universität  Straßburg.     J.  H. 
Ed.   Heitz  (Heitz  &  Mündel.)    24  S. 
Zamenhof,    Dr.    L.    L., 
Deklaracio     pri     homaranismo.       16°.       Madrid 
1913.      Eldonejo    Kaj    Presejo  de    „Homaro". 
8,     Pasaje  del    Comercio.    14   S. 
Barclay,    Sir   Thomas, 
Der  italienisch-türkische  Krieg.    Ein  Rückblick. 
(In     englischer      Sprache.)        Sonderabdruck 
(nicht    im    Buchhandel)    aus    „Jahrbuch    des 
Völkerrechts".      8°.      München    und    Leipzig. 
O.  J.  Duncker  &  Humblot.     Von  S.  496—520. 
Couturat,       L.,       Jesperson,        0., 
Lorenz,  R.,  Ostwald,  W.,  Pfaund- 
ler,    L.    v. 
Weltsprache  und  Wissenschaft.     Gedanken  über 
die  Einführung  der  intemat.  Hilfssprache   in 
die    Wissenschaft.     8°.      Jena  1913.      Gustav 
Fischer.     154   S.   brosch. 
Fried;   Dr.   Alfred  H, 
Friedensbewegung    und    Presse.      Bericht,     er- 
stattet  an   den   XX.   Weltfiedenskongreß    im 
Haag    (17.    bis    24.    August    1913).      Gr.    8°. 
(Bern    1913.)     Publikationen   des    Internatio- 
nalen Friedensbureaus.     8  S. 
Friedens-Jahrbuch    1913,    Das,    gr.    8°. 
Stuttgart  1913.     Zu  beziehen  von   der   Deut- 
schen  Friedensgesellschaft,    Stuttgart.         54 
u.  29  S.    50  Pfg. 
H  a  r  s  1  e  y ,   Fred, 
Gefahren  auf  dem  Meere.    Internationale  Üeber- 
wachung  des  Ozeans.     Die  Grenzen  des  See- 
krieges.   Flugblatt. 
Kammerer,  Dr.  Paul, 
Genossenschaften    von    Lebewesen    auf    Grund 
gegenseitiger   Vorteile.     8°.      Stuttgart   1913. 
Strecker   &   Schröder.     120   S. 

Lamprecht,  Prof.  Dr., 
Die  Technik  und  die  Kultur  der  Gegenwart. 
(Vorgetragen  auf  der  54.  Hauptversammlung 
des  Vereins  deutscher  Ingenieure  zu  Leipzig.) 
Sonderabdruck  aus  der  „Zeitschrift  des  Ver- 
eines deutscher  Ingenieure",  Jahrgang  1913. 
40.     4   S. 

L  e    Foyer,    Luden, 
Einrichtung  eines   Weltnachrichtendienstes  für 
die  Presse  durch  die  Friedensvereine.     Gr.  8°. 
(Bern    1913.)     Publikationen   des   Internatio- 
nalen Friedensbureaus.    8  S. 

Maday,  Prof.  M.  A., 
Ueber  wirtschaftliche  Zwangsmittel  in  Fällen 
von  Uebertretungen  des  internationalen 
Rechts.  Bericht  an  das  Internationale  Friedens- 
bureau zur  Weiterleitung  an -den  Kongreß  im 
Haag    im    August    1913.       Gr.     8°       (Bern.) 


<Si 


=  DIE  FßlEDEN5->MM2XE 


Publikationen   des    Internationalen  Friedens- 
bureaus,  Bern.    11    S. 
Mayer-Wien,    Betty, 
Anzengrubers    Frauengestalten.      Gr.    8° ;    o.     0. 
1913;    o.    V.      15.    S. 
N  e  u  m  a  n  n  ,   Hermann, 
Krieg     dem     Kriege.         16°.       Breslau       1870. 
F.   Gebhardi.     51   S. 
N  i  p  p  o  1  d  ,    Prof.    Dr.    Otfried, 
Vorfragen  des  Völkerrechts.     Gr.  8°.     Tübingen. 
Separat  -  Abdruck     aus     dem     ,.  Jahrbuch  des 
öffentlichen  Rechts.     Band  VII,  1913".      (Im 
Buchhandel  nicht  erhältlich.)    J.  C.  B.  Mohr. 
(Paul    Siebeck.)      Von    S.    20—48. 

Norman    Angell, 

Der  Kampf  um  den  Welthandel  und  die  inter- 
nationalen Beziehungen.  Bericht  an  das 
Internationale  Friedensbureau  in  Bern  zu- 
handen des  Weltfriedenskongresses  im  Haas; 
(August  1913).  Gr.  8°.  (Bern  1913.)  Publi- 
kationen des  Internationalen  Friedensbureaus. 
7  S. 
Oloff,    F., 

Eine  neue  Form  des  Wahlrechts  auf  Grund 
des  allgemeinen,  gleichen,  direkten  und  ge- 
heimen Wahlrechts.  Ein  Kaiser-Jubiläums- 
Aufruf  „An  das  deutsche  Volk".  8°.  Berlin 
1913.  Puttkammer  &  Mühlbrecht.  132  S. 
Mk;   2.—. 

Poppe  r-Lynke  us,  Josef, 
Die    politische    Gleichberechtigxing   der   Frauen 
und    ihre    wahrscheinlichen   Folgen.     Gr.    8°. 
Separat-Abdruck    aus    „Neues    Frauenleben". 
No.    6.     1913.     4  S. 

Sittewalt,   Philander  von, 
Elsaß  -  Lothringen      deutsch?        Nein!       Elsaß- 
Lothringisch!      Gl'.    8°.      Straßburg   i.    Elsaß. 
1913.      Selbstverlag   des    Verfassers.      23    S. 
Umfrid,    O., 
Europa  den   Europäern.     Politische   Ketzereien. 
Gr.  80.    Eßlingen  a.  N.     (1913.)     Wilh.  Lang- 
'    guth.     208   S.     Mk.  2.50. 

V  ollen  h  oven,  Prof.  Dr.  C, 
Ueber  den  Vollzug  des  internationalen  Rechtes 
durch  eine  internationale  Polizei.  Bericht 
an  das  Internationale  Friedensbureau  in  Bern, 
zuhanden  des  Weltfriedenskongresses  im 
Haag  (August  1913).  Gr.  8°.  (Bern  1913.) 
Publikationen  des  Internationalen  Friedens- 
:    bureaus.     11   S. 

Arnau  d ,  Emile, 
Code  International  Public.     (Code  de   la  Paix.) 
'  Deuxieme  edition.     Gr.   8°.     Bern    o.   J.  Con- 
.    gres     Universel    de    la    Paix.       Ligue     Inter- 
nationale de  la  Paix  et  de  la  Liberte.     32  S. 
A  r  n  a  u  d  ,   Emile, 
La  Troisieme  Conference  de  la  Paix.     16°.    Bern 
1913.      Ligue    Internationale    de    la    Paix    et 
de    la   Liberte.     Aux   Bureaux    de    la   Ligue, 
43,    Luisenstraße.     33   S. 
B  o  1 1  a  c  k  ,   Leon. 
Rapport    sur    une    methode    d'action     dans     la 
propagande   pacifiste :   les   Pacifistes   doivent 
—   ils   constituer   un  partie?      Gr.    8°.     Paris 
1913.      VHIe    Congres    National   de    la    Paix. 
Paris   11.   bis   13.  Mai    1913.     Au  Congres   de 
la  Paix.    Mairie  du  Xe  Arrondissement.     8  S. 
Droit  International  Public,  Le,  dans 
les    Pays-Bas    1596—1913.      Catalogue     d'une 
collection   d'ouvrages   ecrits   par  des    auteurs 


neerlandais  ou  publies  dans  les  Pays-Bas 
reunie  par  la  libra.irie  Martinus  Nijhoff.  8°. 
Haag    1913.     Martinus    Nijhoff.      19    S. 

Fried,  Dr.  Alfred  H., 
La  Presse  au  Service  du  Pacifisme.  Rapport 
adresse  au  Bureau  International  de  la  Paix 
pour  etre  transmis  au  Congres  de  la  Have. 
(Aoüt  1913.)  Gr.  8°;  o.  O.  (1913).  Publi- 
cations  du  Bureau  International  de  la  Paix. 
11    S. 

Gobat,   A., 
Rapport  sur  les  evenements  de  l'Anne  interessant 
la  Guerre  et  la  Paix.     Gr.   8°.     (Bern   1913.) 
Publications    du   Btireau   International  de    la 
Paix.     23    S. 

Harsley,    Fred, 
Dangers  of  the  Sea.    International   Supervision 
of  the  Ocean.    Restriction  of  Battle  to  Natio- 
nal Waters.     Flugblatt. 

Jourdain,    Victor, 
Le   Röle  de  la  Presse    devant   la  Guerre  et  la 
Paix.    Eapport.    Gr.  8° ;  o.  O.  (1913).   Premier 
Congres  National  de  la  Paix.     11  S. 

Karnebeek,  A.  van, 
Discours  du  President  du  Comite  des  Directeurs 
de    la    Fondation    Carnegie    ä    l'occasion    de 
l'ouverture   du    Palais    de   la    Paix.      28    Aoüt 
1913.     Gr.   8°;   o.  O.    o.   J.  o.    V.     16   S. 

N  i  j  hoff,    Martinus, 
Ouvrages     principaux     de     Droit     International 
Public.      (Droit    des    Gens.)      8°.      La    Haye 
o.  J.  Martinus  Nijhoff.    66   S. 

Norman  Angell, 
La  Jalousie  Commerciale  et  les  Relations  inter- 
nationa'es.  Rapport  adresse  au  Bureau  Inter- 
national de  la  Paix  pour  etre  transmis  au 
Congres  de  la  Haye.  (Aoüt  1913.)  Gr.  8°; 
o.  O.  (1913.)  Publications  du  Bureau  Inter- 
national de  la  Paix.    7   S. 

Palais  de  la  Paix,  Le, 
Memoire  publie  par  la  redaction  de  „Vrede 
Door  Recht"  ä  l'occasion  de  l'Inauguration 
solennelle  du  Palais  de  la  Paix  ä  la  Have,  le 
28  Aoüt  1913.  4o.  La  Haye  1913.  Librairie 
Belinfante  freres.      129   S. 

Perrelet,    Dr.    Bernard, 

Le  Bureau  international  de  relations  mac.  Or- 
ganisation -  But  -  Activite.  8°.  Bern  o.  J. 
Imprimerie  Büchler  &  Co.     32    S. 

Union  Interparlementaire.  XVIIIe 
Conference  La  Haye  3 — 5  septembre  1913. 
Documents  preliminaires.  Ordre  du  jour. 
Projets  de  Resolutions-Rapports  I  u.  IL  Gr. 
8°.  Uccle  Brüssel  1913.  Bureau  Interparle- 
mentaire.    108  u.   33   S. 

Union  Interparlementaire.  Confe- 
rence internationales  de  la  Paix.  Rati- 
fication des  Conventions  issues  de  la 
deuxieme  Conference  et  preparation  des  tra- 
vanx  de  la  troisieme  Conference.  Gr.  8°. 
Uccle  Brüssel.  1913.  Bureau  Interparlemen- 
taire.    16   S. 

Union  Interparlementaire.  Statuts  et 
Reglements.  (Revision  de  1912  et  1913.) 
Gr.  8°.  Uccle  Bruxelles.  1913.  Bureau  Inter- 
parlementaire.     12    S. 

Union  Interparlamentaire.  X  Vlla 
Conference,  La  Haye.  Rapport  du  Conseil 
interparlementaire  ä  la  Conference.  Gr.  8°. 
Uccle  Brüssel  1913.     16  S. 


355 


DIE  rßlEDENS-^k/fcßTE 


3 


Union      Inte  rparlementa,  Ire.       Convo- 
cation  du   Conseil.     4°.     Uccle   Brüssel   1913. 
12   S. 
Bourne,    Randolph    S., 
Arbitration  and  International  Politics.    8°.    New 
•York   City    1913.     International  Conciliation. 
«September  No.  70.    American  Association  for 
International    Conciliation.      Sub-Station    84. 
(407  West  117  th  Street.)    14   S.     Kostenlos. 
Brown,    Alice   M., 
Education,   Not   Legislation  California  and   the 
Japanese.    8°;  o.  J.  o.   V.  o.  O.  42  S.  brosch. 
Brown,    Alice    M., 
Japanese    in   Florin.     O.  J.    o.    V.   o.    O.      7    S. 
8° ;    broscn. 
Brown,    Alice    M., 
The    Recrudescence    of    Japanese    Agitation    in 
California,      8».    8    S. ;    o.     V.    o.    J.     o.     Dt 
brosch. 


Columbia  Alumni  News. 
New  York.     1913.     8«.     617 


Vol.  4.    No. 
S.   brosch. 


37. 


„Corda  Erat  re  s", 
Eighth     international     Congress    of    Students. 

Ithaca,    August    29.    bis    3.    September    1913. 

Einal  Bulletin  of  Information.    Ciroular  No.  3. 

8«.     12   S. 
Fried,    Dr.    Alfred    H., 
The  Peace  Movement  and  the   Press.     A  Paper 

sent   to   the   International  Peace    Bureau   for 

Transmission  to  the  Hague  Peace   Congress. 

(August   1913.)     Gr.   8«;   o.    O.      (1913.)     Pu- 

blications  of  the  International  Peace  Bureau. 

8    S. 

Leopold,    Lewis, 
Prestige.      A     psych  ological     Study    of     Social 
Estimates.      Gr.    8°.      London    und     Leipzig. 
1913.      T.    Fischer    Unwin.      352    S.       Cloth 
10    sh.    6d. 

Montlily  Bulletin  of  books,  pamphlets 
and  magazine  articles  dealing  with  inter- 
national relations.  8°.  New  York  City  1913. 
Association  for  International  Conciliation. 
July.  (|Zu  beziehen  durch  die  „American 
Association  for  Int.  Conciliation".  Sub 
Station  84.  407  West  117  th  Street.) 
Kostenlos. 

PeaceCongress.  International Theosophical, 
Inaugurated  by  Katherine  Tingley,  Leader 
and  official  Head  of  the  Universal  Brother- 
hood  and  Theosophical  Society  throughout 
the  World  to  be  held  at  Visingsö,  Lake 
Vettern,  Sweden.  June  22  to  29,  1913.  Kl.  4°. 
London  E.  C.  (1913.)  Theosophical  Book 
Co.,  18  Bartletts  Buildings.  111  S. 
V  i  e  s  ,   A.   B.  van  der, 

Bijdrage  tot  de  Geschiedenis  van  de  Vrede- 
Conferenties  en  Het  Vrede  -  Paleis.  8°. 
Amsterdamsche  Boek-  en  Steendrukkerij  Voor- 
heen  Eilermann,  Harms  &  Co.  1913.  42  S. 
broscn. 

I  n  t  e  r  ja  i  t  a  S  c  i  i  g  o.  No.  2,  3,  4,  5,  6. 
Herausgeber  B.  J.  Klingenberg,  Christiania. 
Dahls  Gate  18. 


Fachpresse.    ::    ::    ::    ::   ::   ::   ::   ::    ::   ::   ::   ::   ::   ::   :: 

V  ö  1  k  e  r  f  r  i  e  d  e.  (Eßlingen.)  Juli.  G.  R  ü  h  1  e  , 
Krupp  und  Konsoi-ten.  —  A.  Westphal, 
Generalversammlung  der  deutschen  Friedens- 
gesellschaften   in   Mannheim.    —    Dr.    Hans 


letzten 


Kohl,. 
Rein- 
Balkan- 


Christ,  Zum. 
Zwahlen,  Die 
Suttner.    — 


Wehberg,    Professor    Lammasch     und     die 
Haager    Friedenskonferenzen.    —    usw. 

—  August.     O.    U  m  f  r  i  d  ,    Tambour     Tod.     — 

—  usw. 

—  September.  O.  Umfrid,  Der  Friede  von? 
Bukarest.  —  Dr.  Richard  Wilhelm, 
Deutsche  Friedensaufgaben  in  China.  —  Dr. 
II  a  n  s  W  e  h  b  e  r  g,  Staatsminister  Asser  f ,  ein; 
Bahnbrecher  des  internationalen  Rechts.  — 
usw. 

Der     Friede.       (Bern.)      Juli.      W. 
Um  die  Teilung  der  Beute.  —  Dr.  L. 
hardt,    Die    Kosten     des 
krieges.    —    usw. 

—  August.         G  e  e  r  i  n  |g  - 
Friedensschluß.    —    Otto 
Friedensbewegung  und  Bertha  v. 
usw. 

Die  Friedensbewegung.  (Bern.)  Juli.. 
Dr.  C.  van  Vollenhoven,  üeber  den 
Vollzug  des  internationalen  Rechtes  durch 
eine  internationale  Polizei.  —  Julian 
G  r  a  u  d  e  ,  Die  Friedensbewegung  und  die  eng- 
lische Presse.  —  Alfred  H.  Fried,  Frie- 
densbewegung und  Presse.  —  Andrew  Car- 
negie in  Paris.  —  DenysP.lyers,  Schieds- 
gericht durch  Verfassung.  —  Knut  Sand- 
s  t  e  d  t ,  Die  Friedensarbeit  im  Norden.  — 
usw. 

Die  Eiche.  Vierteljahresschrift  zur  Pflege 
freundschaftlicher  Beziehungen  zwischen  Groß- 
britannien und  Deutschland.  (Berlin.)  Nr.  3r 
Fried r.  Siegmund  Schultze,  Belle- 
alliance.  —  Lloyd  George,  Die  Mitarbeit- 
der  Kirchen  an  der  Besserung  der  sozialen 
Mißstände.  —  Lic.  Peisker,  Kirchliche 
Friedensarbeit.    —    usw. 

Vaterland  und  Welt.  (Göttingen.)  Juli. 
Friedrich  Depken,  Die  Grundlagen  der 
internationalen  Studentenbewegung  Deutsch- 
lands. —  Dr.  K.  Brunner,  Internationale; 
Ferien.    —   usw. 

La  Paix  par  le  Droit.  (Paris.)  No.  12_ 
Charles  Richet,  Les  societes  de  la  guerre. 
—  J.  Pr  udh  o  m  meaux  ,  Le  mouvement  de- 
xa paix  en  Russie.  —  usw. 

—  No.  13/14.  Ernest  Roussel,  Paeifisme 
mystique  et  paeifisme  pratique.  —  Jacques: 
Dumas,  Choses  d'Allemagne.  —  B.  de  J  o  n  g: 
van  Beek  enDonk,  Le  Mouvement 
paeifiste   en   Hollande.   —   usw. 

—  No.  15/16.  Jaques  Pannier,  Gü 
et  quand  Grotius  a  compose  le  „De  jure 
belli".  —  Charles  Riebet,  Les  troupe» 
noires.  —  Les  Congres  de  la  Paix  et  le 
Bureau  de  Berne :  Dr.  Robert  Sorel, 
I.  Les  Congres  Universeis  de  la  Paix. 
Jaques  Dumas,  IL  A  propos  de 
l'Assemblee  Generale  de  Berne.  — 
Th.  Ruyssen,  Apres  la  Loi   de  trois  ans?' 

—  Andrew   Carnegie    ä  Paris.    —   usw.. 
Bulletin     de     la     Ligue     des     Cath'o- 

liques  francais  pour  la  Paix.    (Brig- 
nais.)      No.    23.      J.    Rambaud,    Le    Paci- 
—  A.  Vanderpol,  Reponse 
—  No.  24.    A.  Vanderpol,. 
Rambaud,    (suite   eb   fin.)     — 


fisme  chretien. 
ä  Mr.  Rambaud. 
Reponse   ä   Mr. 
usw. 
Les      Etats-U 


n  i  s    d'Europe.         (Bern.> 
Juli/ August.        Deloncle,      Francois,       Les* 
Evenements   balkaniques    et   le   Paeifisme.    — 
usw. 


356 


<®ü 


=  DIE  FRIEDENS-'VÄBXE 


Tlie  Arbitrator.  (London.)  Juli.  Ed- 
ward Bernstein,  The  franco-gerrnaii  Con- 
ference for  mutual  nnderstanding.  —  In- 
teresting  Sidelights  on  the  Agadir  Incident. 
—  The  Leeds  Peace  Congress.  —  usw. 
—    August.      Mr.    Bryans    Peace    Proposais.    — 

The    Inter-Parliamentary    Union    Conference. 

—   Mr.    Carnegie   to  unveil    the   Creruer  Bust 

at     the    Hague.     —    Mr.     Lloyd     George    on 

Armaments.  —  usw. 

-  September.  The  next  Hague  Conference.  — 
The  International  Spirit.  —  H  o  w  a  r  fl 
Evans,    The    International    Peace   Congress 


at   The    Hague. 


W.    M.    J.    Williams, 


The    Armour-Plate    Menaoe.     „Sacrifice*    for 

the  Taxpayer-Plums  for  the  Contractor.  — 
An  Academy  of  International  Law  at  The 
Hague.    —    usw. 

C  oncor  d.  (London.)  Juli.  Felix  Mo- 
scheies, Can  the  war  be  stopped?  — 
Hers.,  ,,A  Long  Step".  —  William  Hea- 
f  o  r  d  ,  International  notes.  —  C.  E.  M  a  u  - 
r  i  c  e  ,   „Great"  Powers  and  ,,Small"   Powers. 

—  usw. 

M  o n t li  1  y  Circular  of  the  National  Peace 
Council.     (London.)     Juli/August. 

Peace    a  n  cl    G  o  o  d  w  i  1 1.      (Wisbech.)     Juli. 

Advocate  of  Peace.  (Washington.)  Juli. 
Reasons  for  Eenewing  the  Treaties.  —  Mr. 
Bryan,  Pacif ist  and  Diplomat.  —  Jackson 
H.  R  a  1  s  t  o  n  ,  The  proper  attitude  of  the 
Hague  Conference  toward  the  Laws  of  war. 
-Thomas  Raeburn  White,  Should  the 
Panama  T'olls  Question  be  arbitrated?  — 
W  m.  H.  S  h  o  r  t ,  Work  of  the  New  York 
Peace  Society.  —  Lucia  Arnes  Mead,  our 
Gift    to    the    Hague    Peace    Palace.    —    usw. 

—  August  und  September.  The  Administration 
Peace  Plan.  —  Felix  Adler,  Justice  the 
Basis  of  International  Peace.  —  Walter 
S  c  h  ü  c  k  i  n  g  ,  The  Union  of  International 
Societies.  —  Gerniauy's  Hope  in  This  Country. 
—  usw. 

Pax.  The  monthly  Organ  of  the  Peace  Society 
of  New  South  Wales.  (Sidney.)  May.  David 
Starr  Jordan,  What  war  really  means.  — 
Norman  Angell,  The  May  to  stop  war.  — 
Britain*  greatest  need.  —  The  power  of  Public 
opinio».    —    How   Peace   will    come.    —    usw. 

The  Messenger  of  Peace.  (Rachmond.) 
Jnly.  —  At  the  Hague  this  Summer.  —  usw. 
June.  Davijd  Starr  Jordan,  What 
war   really    means.    —  usw. 

The  Japan  Peace  Movement.  (Tokyo.) 
Juni.    C  o  u  n  t  0  k  u  m  a ,  Japan  Und  America. 

—  I  n  japanischer  Sprache:  Count 
ükuma,  Concerning  the  Anti- Japanese  Mo- 
vement. —  Baron  S  a  k  a  t  a  n  i ,  The  Prend 
of  the  Peace  Movement.  —  Dr.  Charles 
W.  Eliot,  The  California  Law.  —  K. 
H  i  g  u  c  h  i ,  Peace  Movement  in  Europe  and 
America.    —    usw. 

—  Juli.  Gilbert  Bowles,  The  Japanese 
Language  School  -  Tokyo.  —  In  japanischer 
Sprache.        T.      Miyaoka,      Constitutional 

Government    in    Relation    to    the     California 
jQuestion.   —  Dr.  B.  F.   Trueblood,  Letter 
from  American  Peace   Society.  —   usw. 
La    F  i  o  r  i  t  a.       (Mailand.)     Juli.      Rosalia 
Gwis    Adami,    La   Valanga.    —   usw. 


—  August.  R  o  s  a  1  i  e  Gwis  A  d  a  m  i ,  La 
Rumenia  pacificatrice.   —  usw. 

„Yrede  door  Rech  t."  (Haag.)  Juli. 
XXe.  Wereldcongres  voor  den  Vrede.  —  B. 
de  J  o  n  g  v a n  B  ee  k  e n  D o n  k  ,  De  aan- 
staande  Internationale  weclstrijden.  —  D  r. 
J.  W  o  1 1  e  r  b  e  e  k  M  u  1 1  er ,  De  Jaarvergade- 
ring  van  de  Nederlandsche  Vereeniging  voor 
International  Recht.  —  R  o  e  p ,  B.,  De  ge- 
wapende  Vrede.  —  De  Leidsche  Universiteit 
en  de  Vreclesbeweging.  —  usw. 

Freds  fanan.  (Stockholm.)  Juli- August. 
Carl  Sundblat,  Fredsmonumentet  och  nii- 
litaristerna.  —  Harald  Svenske,  Balkan- 
staiternas    „befrielsekrig". 

F  reds  -  B  ladet.  (Kopenhagen.)  Juli.  Freds- 
staevnet  paa  Himmelbjerget.  —  Uffe  Bir- 
ke dal,  En  projsisk  Statskirkepraest  om 
Kr  ig  og  Fred.   —  usw. 

—  M.  P.,  Vaerdien  af  Menneskeliv  i  Freds  og 
i  Krigstid.    —   usw. 

Lud  z  kose.  (Warschau.)  No.  1—2.  Question 
juive.  —  Societe  polonaise  des  auiis  de  la 
paix  en   1912.    —  usw. 


Artikel -Bibliographie.    ::  ::   ::  ::   ::  ::       ::   ::   ::  ::  :: 

I.  Friedensbewegung  im  allge- 
meinen: Dr.  Anton  Pannekock,  Der 
Krieg  und  die  sozialistische  Wissen- 
schaft. „Hamburger  Echo."  19.  VII.  ^ 
Fritz  Decker,  Das  Oel  der  Welt- 
maschine. ,,Der  Beobachter"  (Stuttgart). 
21.  VII.  *  Der 8.,  Die  siebzigjährige  Bertha 
von    Suttner.      ,, Süchteiner    Zeitung."    10.     Vi. 

*  Der  70.  Geburtstag  Bertha  v.  Suttners. 
„Süchteiner  Zeitung."  4.  VI.  *  F.  S  t  e  h  e  1  i  n  , 
Friedensbewegung  und  Feigheit.  „Neue  Straß- 
burger Zeitung."  6.  VII.  *  Henriette 
F  ü  r  t  h  ,  Friedensbewegung  und  Menschen- 
Ökonomie.  „März."  5.  VII.  *  O.  Umfrid, 
Geistlichkeit  und  Krieg.  ,,Der  Beobachter." 
(Stuttgart.)  18.  VII.  *  Ders.  ,  Nationa- 
listisches Christentum  und  der  Opfergedanke 
in  der  Religion.  „Die  Christliche  Welt.'  (Mar- 
burg i.  H.)  7.  VIII.  *  Friedrich  Cur- 
t  i  u  s ,  Krieg  und  Frieden.  Zur  Frage  des 
Friedenssonntages.  „Die  Christliche  Welt." 
7.  VIII.  *  Rade,  Das  Standbild  der  Straß- 
bourg  auf  dem  Platze  de  la  Concorde  in  Paris. 
„Die  Christliche  Welt"  7.  VIII.  *  Dir.  Albert 
G-obat,  Ueber  die  internationalen  Friedens- 
bestrebungeii.  „Nord  und  Süd"  (Schweizerische 
Sondernummer).  VIII.  *  Leopold  Kat- 
scher,  Haus,  Schule  und  Friedensethik. 
„Ethische  Kultur".  1.  VIII.  *  E.  Vogtherr, 
Das  Freidenkertum  und  der  Krieg.  „Der  Frei- 
denker". (München  und  Zürich.)  1.  VIII.  * 
Dr.  Elise  Dosen  heimer,  Militarismus  hier 
und    dort.      ,jDie    Frauenbewegung."     1.     VIII. 

*  Walter  J.  Renshaw,  Internationaler 
Friede.  „Der  theosophische  Pfad."  (Nürn- 
berg.) VII.  *  Dr.  Hans  Wehberg,  Staats- 
minister Asiser.    „Berliner  Tageblatt."    3.   VIII. 

*  Mr.  Bryans  Peace  Plan.  „The  Independent." 
24.  VII.  *  Andrew  Carnegie,  Das  Problem 
des  internationalen  Friedens.  ^Nord  und  Süd." 
(Holländische  Sondernummer.)  September.  * 
Ders.,  Das  Genie  und  die  Masse.  „Breslauer 
Generalanzeiger."  24.  VIII.  *  Ders.,  Das 
Genie  und  die  Masse,  „Neues  Tageblatt"  (Stutt- 
gart.)    27.    VIII.    *    Sil   Va'ra,    Andrew    Car- 


357 


DIE  FRIEDENS -^ÖJZTE 


m 


negie.  „Neue  Freie  Presse".  VIII.  *  Carnegie 
über  den  Weltfrieden.  „Brandenburger  An- 
zeiger".  30.  VIII.  *  Carnegie  für  den  Welt- 
frieden. „Die  Zeit"  (Wien).  29.  VIII.  *  Car- 
negie über  den  Kaiser  und  den  Weltfrieden. 
„Bremer  Nachrichten".  30.  VIII.  *  Eine  Frie,- 
densrede  Carnegies.  „Frankfurter  Zeitung".  30. 
VIII.  *  Eine  Friedensrede  Carnegies.  „Gene- 
ral-Anz.  f.  Stettin  u.  Prov.  Pommern"  (Stettin). 
29.  VIII.  *  Hermann  vom  Eath,  D'Estour- 
nelles  de  Constant.  „Der  Tag"  (illustrierter). 
14.  VIII.  *  Emma  Kraft,  Bertha  von  Sutt- 
ner.  „Otava",  Juli.  *  Dr.  Wilhelm  Ohr, 
Erinnerungen  an  Ludwig  von  Bar.  „Berliner 
BörsenrCourier".  29.  VIII.  *  Van  Käme- 
beek,  Die  Eröffnung  des  Friedenspalastes  im 
Haag.  „Nord  und  Süd".  (Holländische  Sonder- 
nummer). September.  *  Walther  Nithack- 
Stahn,  Der  Friedenspalast.  „Hannoverscher 
Courier".  21.  VIII.  *  Ders.,  Der  Friedens - 
palast.  „Erfurter  Allgemeiner  Anzeiger".  16. 
VIII.  *  Ders.,  Der  Friedenspalast.  „Chem- 
nitzer Tageblatt".  23.  VIII.  *  Prof.  E.  Eick- 
hoff,  Zur  Einweihung  des  Haager  Friedens.- 
palastes'.    „Neue  Straßburger  Zeitung".  28.  VIII. 

*  Ders.,  Zur  Einweihung  des  Haager  Frie- 
denspalastes. „Berliner  BörsenrCourier".  26. 
VIII.  *  Ders.,  Zur  Einweihung  des  Haager 
Friedenspalastes.      „Breslauer     Morgenzeitung". 

27.  VIII.  *  Ders.',  Zur  Einweihung  des  Frie- 
denspalastes. „Danziger  Zeitung".  26.  VIII.  * 
Ders.,  Zur  Einweihung  des  Haager  Friedens - 
pala-stes.     „Wiesbadener    Tageblatt".    25.    VIII. 

*  Ders.,  Zur  Einweihung  des'  Haager  Friedens- 
palastes. „Neuer  Görlitzer  Anzeiger".  (Görlitz). 
26.  VIII.  *  Ders.,  Zur  Einweihung  des  Haager 
Friedenspalastes.  „Königsberger  Hartungsche 
Zeitung".  26.  VIII.  *  Ders.,  Zur  Einweihung 
des  Haager  Friedenspalastes.  „Fränkischer  Ku- 
rier". 26.  VIII.  *  Dt;  Hans  Wehberg,  Zur 
Einweihung  des  Haager  Friedenspalastes.  „Köl- 
nische Zeitung".  28.  VIII.  *  Dr.  Alfred  H. 
Fried,  Die  Bedeutung  des  Haager  Friedens- 
oalastes.  „Neue  Freie  Presse".  22.  VIII.  * 
Dr.  Theodor  Wenzelburger,  Der  neue 
Friedenspalast.    „Vossische  Zeitung".    19.  VIII. 

*  Der  Friedenspalast  im  Haag.  „Schwarzwälder 
Bote"  (Oberndorf  a.  N.).  24.  VIII.  *  Der  Frie- 
denspalast im  Haag.    „Kölnische  Volks-Zeitung". 

28.  VIII.  *  Der  Weltfriede.  „Berliner  Tage- 
blatt". 29.  VIII.  *  Hofra,t  Prof.  Dr.  Heinrich 
Lammasch,  Zur  Eröffnung  des '  Friedens- 
palastes im  Haag.   „Neue  Freie  Presse".  26.  VIII. 

*  Hofrat  Di-,  v.  Lentner,  Idee  und  Wirkr 
lichkeit.  Zur  Eröffnung  des  Haager  Friedens- 
palastes.   „Neue  Tiroler   Stimmen"   (Innsbruck). 

29.  VIII.  *  Die  feierliche  Einweihung  dos 
Friedenspalastes.   „Vossische  Zeitung".    31.  VIII. 

*  Die. Einweihung  des  Friedenspalastes.  „Frank- 
furter Zeitung".  29.  VIII.  *  Zur  Einweihung  des 
Haager  Friedenspalastes.  Eine  Rede  Carnegies. 
„ Kleine    Presse"    (Frankfurt    a.    M.).     28.    VIII. 

*  Friedenspalast  und  Friedenswerk.  „Echo  der 
Cegenwart"  (Aachen).  29.  VIII.  *  Der  Friedens- 
palast. „Leipziger  Volkszeitung".  29.  VIII.  * 
Theoretische  und  praktische  Friedensarbeit. 
..Hamburgischer  Korrespondent".  30.  VIII.  * 
Zur  Einweihung  des  Friedenspalastes  im  Haag, 
„Bergisch -Märkische  Zeitung"  (Elberfeld).  27. 
VIII.  *  Der  Friedenspalast.  „Leipziger  Neueste 
Nachrichten".  29.  VIII.  *  Des  Palais  de  la 
Paix.    ..De  Nieuwe  Courant"  (Haag).    27.  VIII. 

*  Friedensbürgen.    „Chemnitzer   Tageblatt".   27. 


VIII.  *  Dr.  Alf  red  H.  Fried,  Der  20.  Welt- 
friedenskongreß im  Haag.  „Berliner  Tageblatt". 
26.  VIII.  *  Dr.  jur.  Ludwig  Weyringer, 
An  die  Haager  Friedenskonferenz.  „Wiesbadener 
Zeitung".  28.  VIII.  *  Ders.,  Ein  Wort  an  die 
Haager  Friedenskonferenz.  „Dresdener  An- 
zeiger". 25.  VIII.  *  Ders.,  Ein  Wort  an  die 
Haager    Friedenskonferenz.     „Barmer    Zeitung". 

25.  VIII.  *  Der  s.,  Ein  Wort  an  die  Haager 
Friedenskonferenz.  „Dortmunder  Zeitung".  24. 
VIII.  *  Ders.,  Ein  Wort  an  die  Haager 
Friedenskonferenz.  Neues  Tagblatt"  (Stutt- 
gart). 25.  VIII.  *  Ders.,  Ein  Wort  an  die 
Haager  Friedenskonferenz.  „Leipziger  Tage- 
blatt". 23.  VIII.  *  20.  Weltfriedenskongreß. 
„Hamburger  Fremdenblatt".  17.  VIII.  *  Der 
20.    Weltfriedenskongreß.     „Kölnische    Zeitung". 

26.  VIII.  *  Die  Haager  Propheten.  „Hallesche 
Zeitung".  23.  VIII.  *  Prof.  Richard  Eick- 
hoff,  Die  18.  Interparlamentarische  Konferenz. 
„Der  Tag"  (illustrierter).  2.  IX.  *  Johannes 
T  i  e  d  j  e  ,  Die  große  Täuschung  Mr.  Carnegies. 
„Königsberger  Hartungsche  Zeitung".    21.  VIII. 

*  B.  de  Jong  van  Beek  en  Donk,  Dir 
Friedensbewegung  in  den  Niederlanden.  „Nord 
und  Süd".  (Holländische  Sondernummer).  Sep- 
tember. *  Eine  Friedensbewegung  in  Japan.  „Do- 
kumente des  Fortschritts.  VIII.  *  Wilhelm 
O  s  t  w  a  1  d  ,  Balkanfriede.  „Monistische  Sonn- 
tagspredigten". 23.  VIII.  (Nr.  87).  *  Die  Fest- 
tage der  Friedensbewegung.  „Pester  Lloyd".  23. 
VIII.  *  Die  Kraft  des  Friedens.  „Die  Zeit". 
(Wien).  16.  VIII.  *  „Ich  schütze  den  Kauf- 
mann". „Berliner  Tageblatt".  11.  VIII.  *  Die 
Rüstungspatrioten  an  der  Arbeit.  „Zeit  am 
Montag".  (Berlin).  25.  VIII.  *  Karl  Bleib- 
treu,  Chauvinismus.  „Leipziger  Tageblatt". 
19.  yill.  *  Dr.  Gustav  Stresemann, 
Lehren  der  Gegenwart.  „General-Anzeiger" 
(Mannheim).  8.  VIII.  *  Ders.,  Lehren  der 
Gegenwart.     „Hannoverscher   Kurier".     8.    VIII. 

*  Ders.,  Lehren  der  Gegenwart.  „Königs- 
berger Allgemeine  Zeitung".  8.  VIII.  *  Ders.. 
Lehren  der  Gegenwart.  „Hamburgischer  Korre- 
spondent". 8.  VIII.  *  Ders.,  Lehren  der 
Gegenwart.  „Magdeburgische  Zeitung".  8. 
VIII.  *  Ders.,  Lehren  der  (!e- 
genwart.  „Leipziger  Tageblatt".  8.  VIII.  * 
Ders.,  Lehren  der  Gegenwart.  „Aachener  All- 
gemeine Zeitung".  8.  VIII.  *  Ders.,  Lehren 
der  Gegenwart.  „General-Anzeiger  für  Frank- 
furt" (Frankfurt  a.  M.).  9.  VIII.  *  Weltfrie- 
densschwärmereien.  „Bautzener  Nachrichten"'. 
26.  VIII.  *  Die  Friedenslämmer  in  der  Sack 
gasse.  „Rheinisch-Westfälische  Zeitung".  31. 
VIII.  *  v.  Pfister,  Der  Wahn  vom  ewigen 
Frieden.  „Deutsche  Tageszeitung".  9.  VIII.  * 
Die  Weltfriedensbrüder  im  Haag.  „Hamburger 
Nachrichten".  22.  VIII.  *  Haager  Friedens- 
seuchelei. „Rheinisch -Westfälische  Zeitung". 
23.  VIII.  *  Die  Friedensfarce.  „Deutsche 
Tageszeitung".  21.  VIII.  *  Der  Homunkulus 
aus  dem  Haa^r.  „Berliner  Neueste  Nachrichten". 
25.  VIII.  *  Die  Herren  aus  Wölkenkuckucks- 
heim. „Rheinisch-Westfälische  Zeitung".  24. 
VIII.  *  Die  stummen  Hunde  des  Friedens. 
„Arbeiter-Zeitung"  (Wien).  26.  VIII.  *  Frie- 
densbewegung und  Presse.  „München -Axigs- 
burger  Abendzeitung".  (München).  23.  VIII.  * 
Julian  Grande,  Die  Friedensbewegung  und 
die  englische  Presse.  „Posener  Tageblatt".  22. 
VIII.  *  Dr.  Siegbert  Feucht  wanger, 
Der   Krieg  und  das   Mitleid.    „Frankfurter  Zei- 


358 


DIE  FRI EDENS ->fc*\RXE 


tuiig".    20.  VII.    *  In  den.  Krankenhäusern  Bel- 
grads.   „Frankfurter  Zeitung".    21.  VIII.    *  Um 
Adrianopel.        „Harnburger     Nachrichten".      14. 
VIII.    *  Eine  Geschichte  des  Grauens.    „Vossi- 
sche Zeitung".    27.   VIII.    *  Dr.  W.  von  üet- 
tingen,  Die  chirurgische  Bilanz  des  Krieges. 
„Berliner    Zeitung    am    Mittag".     16.    VIII.     * 
Theodor     HeuU,     Der    deutsche    Chauvinis- 
mus.     „März".     23.     VIII.     *     Verständigungs- 
Konferenz     französischer    und    deutscher   Jour- 
nalisten.     „Pariser     Presse".      29.     VII.     *    J. 
Schiller,   Zur  2.   Tagung  des  Verbandes   für 
internationale  Verständigung.    „Fränkischer  Ku- 
rier".   15.,   16.,    17.   und  18.    VIII.  *  Prof.   Hans 
Delbrück,      Völkerverhetzung.      „Der      Tag " 
(illustrierter).     14.    VIII.     *   Dr.   Hans   Weh- 
berg,   Die   rheinische   Kriegsindustrie   und  die 
Zukunft    der   Friedensbestrebungen..     „Das    Mo- 
nistische   Jahrhundert".      30.    VIII.     *     Carl 
Ludwig    Siemering,    Immanuel    Kant   als 
Philosoph    des    Weltfriedens.     „Ethische   Rund- 
schau".   Februar.    *  Dr.    Ludwig  Hammer- 
schlag,  Die     Wege     zur     Friedensbewegung. 
„Ethische    Rundschau".    Februar.    *    Talcott 
Williams,    Teaching  Journalism   in  a  Great 
City.    „The   Independent".    7.   VIII.   *   Edwin 
D.  Mead,  Th©  Contribution  of  religions  Radi- 
cals  to  Liberty.    „The  Christian  Register"  (Bos- 
ton). 10.  VII.  *  Ders.,  Wood 's  Military  Camps 
for  College  Men  denounced.  „The  New  York  Tir 
mes".  20.  VII.  *  The  Palace  of  Peace.  „The  Ti- 
mes". 28.  VIII.  *  To  day  at  The  Hague.    „The 
Times".     28.    VIII.     *    World   Peace    Congress. 
„The   Daily   Citisen".     19.   VIII.    *  Armaments 
and  Peace.    „The  Times".  19.  VIII.    *  Pacifists 
and  Peace.    „The  Times".    25.  VIII.  *  Le  Paci- 
fisme   et    la   presse.     „Le   Patriote".     (Brüssel). 
10.  VIII.    *  Dr.  Alfred  H.  Fried,  Le  role 
de    la   Presse.     „Journal   d'Allemagne".     7.    IX. 
*   Ders.,       Vom       Haager      Weltfriedenskon- 
greß.      „Pester      Lloyd".     27.     VIII.     *      Otto 
Riemasch,   Der  letzte   Krieg.    „Berliner  Lo- 
kal-Anzeiger".    9.   VIII.     *     Prof.     Richard 
Eickhoff,      Die      18.     Interparlamentarische 
Konferenz    (Schluß).     „Der    Tag"    (illustrierter). 
3.   IX.    *  Dr.   Hans  Wehberg,  Der  Haager 
Weltfriedenskongreß.        „Weser-Zeitung"       (Bre- 
men).    31.     VIII.     *    Dr.     Albert     Gobat, 
Ueber  die  internationalen  Friedensbestrebungen. 
„Nord  und  Süd".    VIII. 

II.  Die  internationale  Politik: 
Der  Wert  des  Dreibundes.  „Plutus"  (Char- 
lottenburg). 21.  VI.  *  David  Starr  Jor- 
dan, The  higher  Politics.  „The  Independent." 
VII.  *  Herrn.  Fernau,  Ein  Wort  zur 
franko-deutschen  Verständigung.  „Ethische 
Kultur."  15.  VII.  *  Dr.  Ludwig  Haas, 
Die  Berner  Konferenz.  „Dokumente  des  Fort- 
schritts." VII.  *  Edwin  D.  Mead,  Ger- 
many,  England  and  the  United  States.  „Boston 
Herald."  22.  VI.  *  Francis  Trippel, 
Wilhelm  II.  als  Friedensfürst.  „Weser-Zei- 
tung." 4.  VIII.  *  Zwischen  Frankreich  und 
Deutschland.  „Frankfurter  Zeitung".  8.  VIII.  * 
Deutschland  und  das  Konzertl  der  Großmächte. 
„Die  Post"  (Berlin).  20.  VIII.  *  Krieg  ohne 
Frieden?  „Dresdener  Volkszeitung".  9.  VIII.  * 
Die  blamierte  Gewalt.  ,,Die  Zeit"  (Wien). 
21.  VIII.  *  Vor  zwölf  Jahren.  Der  Gedanke 
eines  Dreibundes  Deutschland-England-Japan. 
„Berliner  Tageblatt".  20.  VIII.  *  Ein  sozial- 
politisches Uebereinkommen  zwischen  Deutsch- 
land    und    Qesterreich.       „Berliner    Tageblatt". 


19.  VIII.  *  Grausamkeiten  und  Abwanderungen. 
„Weser -Zeitung".  29.  VIII.  *  Oesterreich- 
Ungarn  und  Europa.  „Danzer's  Armee-Zei- 
tung". 14.  VIII.  *  Was  soll  Oesterreich  tun? 
„Berliner  Tageblatt".  9.  VIII.  *  Ernst  R.  v. 
Dombrowski,       Neu  -  Oesterreich.  „Die 

Wage".  (Wien).  16.  VIII.  *  Nithack- 
S  talin,  Europa  den  Europäern.  „Berliner 
Tageblatt".  21.  VIII.  *  Freundlichere-  inter- 
nationale Lage.  „Apoldaer  Tageblatt".  29.  VIII. 
*  Arthur  Ponsoby,  Das  europäische  Kon- 
zert. „Zeitschrift  für  Sozialwissenschaft". 
VIII.  *  Rene  Lauret,  Guillaume  II. 
et  la  France.  „Les  Marches  de  l'Est".  (Pa- 
ris). VII.  *  Georges  Renard,  France 
et  Allemagne.  „La  Revue".  1.  VIII.  *  H.  W. 
B  o  y  n  t  o  n  ,  Kaiser  Wilhelm  als  Peacemaker. 
„The  New  York  Times".  15.  VI.  *  AI  van 
F.  Sanborn,  Why  France  is  arming.  „The 
Independent".  31.  VII.  *  The  Balcan  Policy 
and  the  peril  of  Armaments.  „The  Econo- 
mist".  16.  VIII.  *  Edwin  D:  Mead,  Walker 
calls  aiHalt.    „Boston  Daily  Advertiser".  5.  VII. 

III.  Völkerrecht:  Theorie  und  Praxis 
im  Staatenverkehr.  „Frankfurter  Zeitung." 
13.  VII.  *  Völkerrechtliche  Rundschau.  „Rund- 
schau   des    auswärtigen    Dienstes".      15.    VIII. 

*  Die  Regelung  des  Seekriegsrechts.  „Mün- 
chener Neuesten  Nachrichten".  30.  VIII.  * 
Prof.  Heinrich  Pohl,  Internationale 
Schiedsgerichtsbarkeit.  „Das  neue  Deutsch- 
land".     (Berlin).      9.    VIII. 

IV.  Internationales:  Professor 
Dr.  Grosse,  Das  internationale  Zeitamt  in 
Paris.  „Der  Tag."  (illustrierter)  18.  VII.  * 
Dr.  Emil  Frey,  Die  Entwicklung  der  /vier 
internationalen  Bureaus  in  Bern.  „Nord  und 
Süd."      (Schweizerische    Sondernummer.)     VIII. 

*  Zur  Abänderung  des  internationalen  Ueber- 
einkommens  über  den  Eisenbahnfrachtverkehr. 
„Zeitung  des  Vereins  deutscher  Eisenbahn- 
verwaltungen". (Berlin).  27.  VIII.  *  Inter- 
nationale Polizei.  „Posener  Neueste  Nach- 
richten". 23.  VIII.  *  Internationale  Polizei. 
„Kasseler  Tageblatt".  23.  VIII.  *  Internationale 
Verständigung.  „Der  Weckruf".  (Innsbruck). 
15.  VIII.  *  The  Growth  of  Internationalist. 
„The   Times".     29.    VIII. 

V.  Wirtschaftliches:  The  financal 
outlook  and  war  requirements.  „The  Econo- 
mist."  VII.  *  Geh.  Justizrat  Heinrich 
D  o  v  e ,  Die  Bedeutung  der  Vereinheitlichung 
des  Wechselrechts.  „Königsberger  Hartungsche 
Zeitung".  3.  VIII.  *  Was  kostet  der  Welt- 
frieden?    „Neue  Hamburger  Zeitung".  27.  VIII. 

*  Was  brachte  der  Krieg?  —  Was  wird  der 
Frieden  bringen?  „Leipziger  Tageblatt". 
8.  VIII.  *  E.  Marscher,  Norman  Angell 
als  Nationalökonom.  „Danzer's  Armee-Zeitung". 
14.  VIII.  *  Dr.  Gustav  Stresemann,  Nor- 
man Angells  falsche  Rechnung.  „Deutsche 
Industrie".  (Berlin).  Mai.  *  Finanzielle 
Kriegsbereitschaft  und  Kriegsführung.  „Frank- 
furter Zeitung".  10.  VIII.  *  Dr.  Fritz 
R  o  e  d  e  r ,  Staatsmonopol  der  Rüstungs- 
industrie?    „Das  neue  Deutschland".     16.  VIII. 

*  H  e  n  r.  Fürth,  Bevölkerungsproblem,  Wehr- 
vorlage und  Wirtschaftspolitik.  „Das  freie 
Wort".  Erstes  Augustheft.  *  Friedrich 
v.  Bernhardi,  Militärische  und  wirtschaft- 
liche Zukunftssorgen.  „Der  Tag"  (illustrierter). 
17.,  19.  und  26.  VIII.  *  Prepare  for  Peace.  „The 
Eeonomist".     6.    IX. 


359 


DIE  FßlEDENS-^ÖJiTE  = 

SMITTEILV/N6EN  DEB5 
FRIEDENSGESEUSCHAFTEN 

(Verantwortlich  für  den  Inhalt  dieser  Rubrik  ist  nicht  die 
Souriftleitung,   sondern  die  betreffende  Friedensgesellschaft.) 

Mitteilungen  der  Oesterreichischen 
Friedensgesellschaft, 

Bureau:  Wien  I.,  Spiegelgasse  4. 

Auf  eine  Widmungsdepesche,  die  die  im 
Haag  anwesenden  österreichisch-ungarischen 
Mitglieder  des  XX.  Friedens-Kongresses  am 
18.  August  an  Sr.  Majestät  Kaiser  Franz  Josef, 
dem  Beschützer  des  Friedens,  abgesandt  haben, 
lief  folgend©  Antwort  ein,  die  in  der  Eröffnungs- 
sitzung verlesen  und  mit  stürmischem  Beifall 
aufgenommen  wurde: 

Seine  k.  u.  k.  apostolische  Majestät  danken 
herzlichst  den  österreichischen  und  ungarischen 
Mitgliedern  der  vorbereitenden  Kommission  des 
Friedenskongresses  im  Haag  für  die  darge- 
brachten Glückwünsche.  Im  allerhöchsten  Auf- 
trage Freiherr  v.   Schießl. 


Die  Friedensfahne.  Aus  dem  All- 
gemeinen Tiroler  Anzeiger  entnehmen  wir  die 
Nachricht,  daß  unser  Mitglied  K.  E.  Hirt  am 
Tage  der  Einweihung  des  Friedenspalastes  im 
Haag,  auf  seinem  Hause  die  weiße  Fahne  des 
Friedens  hießte.  Ferner  hat  Herr  K.  E.  Hirt 
in  den  „Innsbrucker  Nachrichten"  einen  langen 
Artikel  „Carnegie  und  sein  Friedenspalast" 
veröffentlicht. 


Ein  Friedenslesebuch.  Die  Schrift- 
stellerinnen J.  Wurm  und  Paula  Moudra  in 
Brunn  haben  ein  reich  illustriertes  pazifistisches 
Lesebuch  herausgegeben.  Dieses  umfaßt  zwei 
Teile,  und  zwar  einen  für  die  Jugend,  der  Bei- 
träge von  den  Professoren  Masaryk,  Drtina  und 
Batek  usw.  enthält,  während  der  andere  Ueber- 
setzungen  aus  fremden  pazifistischen  Werken 
bringt. 

MB 

Nachtrag  zum  Weltfriedens- 
kongreß. Außer  den  im  vorigen  Heft  ange- 
führten Persönlichkeiten,  die  unsere  Gesellschaft 
beim  Kongreß  im  Haag  vertraten,  ist  noch 
nachzutragen:  Schriftsteller  Johannes  C.  Ba- 
rolin,  ferner  für  die  Ortsgruppe  Marienbad  Re- 
dakteur Moroder  und  als  Vertreter  der  Orts- 
gruppe Linz  Ingenieur  Eduard  Binder  und 
Fachlehrer    Hans    Langoth. 

MB 

Fortsetzung  der  .Liste  I  der  für  die  Suttner- 
Stiftung  gezeichneten  Beträge  (in  chrono- 
logischer Reihenfolge) : 

Prof.  R.  Meyer,  Magdeburg,  30,—  M. ;  Dr.  Fritz 
Hochsinger,  Wien,  10, —  K. ;  Prof.  Dr.  Rudolf 
Kobatsch,  Wien,  10, —  K. ;  Prof.  Dr.  Charles 
Richet,  Paris,  125, —  Frcs.  ;Pro  f.  Oppen- 
heim, Cambridge,  1, —  Pfund  Sterling; 
Dr.  Alfonso  Witz  -  Oberlin,  Wien,  25,—  K. ; 
C.  Bojko,  Wien,  10,—  K. ;  Präsident  Carl 
Morawetz,    Wien,    1000—    K.;     E.     Th.    Mo- 


e> 


neta,  Mailand,  100,—  L. ;  F.  Aist, 
Wien,  2,—  K. ;  Dr.  Hans  Wehberg,  Düssel- 
dorf, 15,—  K. ;  Emilie  Broome,  Stockholm, 
15, —  K. ;  Herr  und  Frau  Prof.  Carl  Zipernovsky^ 
Budapest,  100, —  K. ;  Geheimrat  Prof.  Dr.  Fried- 
rich Prym,  Würzburg,  100,—  K. ;  Les  Amis  de 
la  Paix,  Havre,  5,—  Frcs. ;  Societe  la  la  jeunesse 
italienne  pour  la  Paix,  Mailand,  25, —  L. ;  Exz. 
Baronin  Bertha  Call,  Wien,  10,—  K. ;  Dr.  Albert 
Nußbaum,  Abbazia,  10, —  K. ;  Dr.  Ludwig 
Quidde,  München,  50, —  K. ;  Wilhelmine  Enenkl. 
Wien,  5, —  K. ;  Otto  Ogris,  Meiselding,  3, —  K. ; 
Rudolf  Goldscheid-Golm,  Wien.  50, —  K. ; 
A.  Merignhac,  Toulouse,  10,—  Frcs.;  Ellen  Key, 
Alvastra,  25, —  K. ;  Amalie  Saxl,  Geiersberg, 
3, —  K. ;  Ignaz  Graf  Attems,  Graz,  200, —  K. ; 
Dr.  Rudolf  Fassel,  Wien,  30,—  K. ;  Marie  Stona, 
Strzebowitz,  100,—  K. ;  Marie  Gräfin  Hoyos, 
Wien,  30,—  K. ;  Elisabeth  Hielle-Dittrich, 
Schönlinde,  50, —  K. ;  Dr.  Julius  Blum,  Wien, 
20,—  K. ;  Eduard  de  Neufviile,  Frankfurt  a,  M., 
50,—  K.;  Dr.  Kurt  Arnhold,  Dresden,  20,—  K.; 
Dr.  Heinrich  Arnhold,  Dresden,  100, —  K. ; 
Adolf  Arnhold,  Dresden,  100,—  K. ;  Sophie  Gold- 
schmidt, Ischl,  5, —  K. ;  N.  Schweiger,  Schlad- 
ming,  10, —  K. ;  Ludwig  u.  Marie  Pohlner,  Wien, 
10, —  K. ;  Ludwig  Mayer  R.  v.  Tenneburg,  Wien, 
10, —  K. ;  Anselm  Heinzel,  Dittersbach,  5, —  K. ; 
Carl  Fiedler,  Gestütthof,  100,—  K. ;  Axel  v. 
Fielitz,  München,  20,—  M. ;  Hofrat  Prof.  Dr. 
Ernst  Mach,  München,  10, —  K. ;  Josef  Richter, 
Gablonz,  20, —  K. ;  Carl  Dittrich,  Schönlinde, 
200—  K.;  A.  Vanderpol,  Lyon,  10—  Frcs.; 
Ortsgruppe  Danzig  der  Deutschen  Friedens- 
gesellschaft 116, —  M. ;  Dr.  Alexander  Dorn 
R.  v.  Marwalt,  Wien,  20, —  K. ;  „Ein  Baustein", 
10  000,—  K.;  Eduard  R.  v.  Merkl,  Prag,  1,—  K. ; 
Baronin  Jella  Oppenheimer,  Wien,  50,—  K. ; 
World  Peace  Foundation,  Boston,  100, — 
Dollars ;  Fürst  Albert  von  Monaco,  Paris, 
200,—  Frcs. ;  Anna  Mann,  Karlsbad,  20,— 
Kronen ;  Jules  Lippert,  Baden-Baden,  5, —  M. ; 
Emanuela  Gräfin  Khuen-Belasi,  Grusbach,  20, — 
Kronen;  Societe  de  la  Paix  de  St.  Petersbourg, 
25, —  K. ;  Baron  und  Baronin  Haebler,  Schi. 
Gutenbüchel,  100, —  K. ;  Ein  Veilchenbüschel, 
1, —  K. ;  Baronin  Adele  Schleimte,  Riva,  2, — 
Kronen ;  Dr.  Flora  Barolin,  Wien,  10, —  K. ; 
Johannes  C.  Barolin,  Wien,  10, —  K. ;  Nagel 
&  Wortmann,  Wien,  {10, — K. ;  Durchlaucht  Fürst 
Kinsky,  Chotzen,  500, —  K. ;  Prof.  Steinmeyr, 
Braunschweig,  15,—  K. ;  E.  Smith,  Philadelphia. 
2,—  Doli.;  B.  Groller,  Wien,  15,—  K. ;  Th.  v. 
Redlich-Wezek,  Wien,  200,—  K. ;  Ortsgruppe 
Magdeburg  d.  D.  F.  G.,  20,—  M. ;  Societa  la 
Place,  Como,  20, —  Frcs. ;  Frau  J.  Malcolm 
Forbes,  Milton  Hill,  100,—  Doli.;  Frau  Owen- 
Wister,  Philadelphia,  2, —  Doli. ;  Gottlieb  Kraus, 
Wien,  1, —  K. ;  Dotation  Carnegie  pour  la  Paix, 
Paris,  500, —  Frcs. ;  Hans  Feller,  Karlsbad, 
10,—  K. ;  J.  N.  Köpke,  Buxtehude  6,—  Kr. ;  Dr. 
H.  Löwner,  Wien,  4, —  K. ;  Rieh.  Feldhaus, 
Basel,  8, —  K. ;  Frau  Kommerzienrat  Muscate, 
Dirschau,  20,—  M. ;  Chr.  L.  Lange,  Brüssel, 
10, —  Frcs. ;  A.  Wagner,  Neuhengstett,  25, —  K. ; 
Friedensverein  Warschau  15, —   K. 

Die  Sammlung  ist  noch  nicht  abgeschlossen. 

Spenden  übernimmt  die  Wechselstube  der 
Allgem.  Verkehrsbank,  Wien  L,  Stock  im 
Eisenplatz  Nr.  2. 


Verantwortl.  Redakteur:    Carl   Appold,    Berlin  W.  50.  —   Im  Selbstverlag  des  Herausgebers   Dr.  Alfred  H.  Fried,  Wien  IX/2. 
Druck:   Paß  ii  Garleb  G.m.b.H.,  Berlin  W.  67.  —  Verantwortl.  Redakteur  für  Oesterreicb  Ungarn :  Vinzens  Jerabek  in  Wien 


360 


Oktober  1913. 


Völkerschlachtdenkmal. 


Auf  der  Ebene  von  Leipzig  wird  heute 
das  Denkmal  eingeweiht  zur  Erinnerung  an 
die  vor  hundert  Jahren  dort  geschlagene 
Völkerschlacht,  durch  die  Napoleon  nieder- 
gerungen und  Deutsehland  befreit  wurde. 
Wir  sind  im  Grunde  keine  Freunde  von 
Schlachtenerinnerungen.  Sie  sollen  dazu 
dienen,  den  kriegerischen  Geist  zu  erhalten, 
und  durch  das  Gedenken  an  die  Taten  der 
Väter  die  lebende  Generation  zur  Nach- 
eiferung anzuspornen.  Solche  Feiern  um- 
nebeln nur  zu  oft  den  gesunden  Sinn  der 
Massen  und  erzeugen  jene  Stimmungen,  bei 
denen  die  Vernunft  ausgeschaltet,  und  die 
Fähigkeit  für  die  ruhige  Beurteilung  der 
Dinge  wenigstens  zeitweise  verloren  geht. 
Wir  haben  beinahe  zuviel  der  Kriegs-  und 
Schlachtenerinnerungen,  und  die  Gefahr  be- 
steht, daß  wir  vor  lauter  Rückblicke  den 
Blick  voraus,  den  Blick  für  die  Größe  der 
Gegenwart  verlieren. 

Wir  sollen  allerdings  niemals  unsere 
Geschichte  vergessen,  und  der  schweren 
Zeiten  gedenken,  der  es  bedurfte,  die  Völker 
zur  Nation,  die  Kleinstaaterei  zum  mäch- 
tigen Großstaat  zu  entwickeln.  Wir  sollen 
der  Taten  unserer  Väter  und  ihrer  Leiden 
gedenken.  Aber  doch  nur  immer  in  dem 
Sinne  der  Pietät ;  nicht  in  blinder  Verehrung 
der  Vergangenheit.  Wir  können  uns  nie- 
mals mehr  zur  Vergangenheit  zurück- 
entwickeln, und  dürfen  nie  den  Fehler  be- 
gehen, in  Notwendigkeiten,  die  einstens  ernst 
und  heilig  waren,  Vorbilder  für  unserer  Zu- 
kunft zu  suchen.  Die  Zeit  von  1813  liegt 
zwar  nur  ein  Jahrhundert  hinter  uns;  wir 
alle,  die  wir  heute  im  Mannesalter  stehen, 
haben  Menschen  gekannt,  die  sie  noch  er- 
lebt haben,  oder  deren  Jugend  wenigstens 
unter  dem  Eindruck  jener  Zeit  gestanden 
hat.  Und  dennoch  liegt  diese  Zeit  von 
unserem  Leben  so  fern  ab  wie  die  Zeit  der 
Kreuzzüge,   wie   die   der   Kämpfe  zwischen 


Sparta  und  Athen.  Die  Menschen  sind  andere, 
die  heute  leben.  Ihr  Denken  ist  weiter,  ihr 
Leben  reicher,  ihr  Schaffen  mächtiger,  ihre 
Einrichtungen  sind  unvergleichlich  groß- 
artiger. Die  Schlacht  bei  Leipzig  hat  die 
Deutschen  von  der  Fremdherrschaft  befreit. 
Aber  seitdem  haben  sie  sich,  und  nicht  nur 
sie,  alle  Kulturvölker  der  Erde,  vom  Geist 
der  Scholle  befreit  durch  die  Maschine ;  sind 
sie  Weltarbeiter  und  dadurch  Weltbürger 
geworden. 

Trotzig  ragt  das  Schlachtendenkmal  bei 
Leipzig  in  die  Lüfte,  ein  Riesenstein  stillen 
Gedenkens  an  Kampf  und  Tod  und  fürchter- 
lichem Ringen  der  Vergangenheit.  Aber 
auf  was  blickt  dieses  Denkmal  ?  Auf  tausend 
Schlote,  die  zu  den  Friedensmaschinen  ge- 
hören, die  Arbeitswerte  schaffen;  auf  eine 
von  Dampf  und  Elektrizität  bewegte  freie 
Menschheit.  Ueber  ihm  kreuzen  die  Luft- 
schiffe, fliegt  der  Gedanke  drahtlos  um 
die  Welt.  Maschinen,  die  dem  modernen 
Menschen  Allgegenwart  auf  dem  Erdball 
ermöglichen,  die  ihn  zum  Herrn  der 
Erde  gemacht  haben,  wirken  ringsherum, 
und  das  Vaterland  von  einst,  um  das  zu 
Füßen  jenes  Denkmals  gerungen  wurde,  ist 
zwar  viel  größer,  aber  durch  die  Technik, 
die  es  umsponnen,  auch  unendlich  kleiner 
geworden.  Denn  näher  stehen  sich  heute  die 
Menschen  aller  Länder  als  damals. 

Wir  sind  keine  Freunde  von  Schlachten- 
feiern. Weil  sie  über  den  Rausch  des  Sieges 
das  Fürchterliche  der  Blutarbeit  vergessen 
machen  der  es  bedurfte,  um  zum  Siege  zu 
gelangen.  Einer,  der  gegen  den  Vorwurf 
der  ,Friedensduselei''  sicher  ist,  Treitsehke. 
der  große  Lobpreiser  des  Krieges,  gibt  uns 
eine  Schilderung  der  Tage  von  Leipzig,  die 
sich  alle  jene  vor  Augen  halten  mögen,  die 
in  dem  Gedenktag  nur  eine  Kriegsverherr- 
lichung erblicken  wollen.  „Ein  ganzes  Heer, 
an  hunderttausend  Mann,  lag  tot  oder  ver-. 


361 


DIE  FßlEDENS-^ADTE 


3 


wundet.  Was  vermochte  die  Kunst  der 
Aerzte,  was  die  menschliche  Aufopferung 
des  edlen  Ostfriesen  R  e  i  1  gegen  solches 
U ebermaß  des  Jammers?  .  .  .  Tagelang 
blieben  die  Leichen  der  preußischen  Krieger 
im  Hofe  der  Bürgerschule  am  Wall  un- 
beerdigt,  von  Raben  und  Hunden  benagt; 
in  den  Konzertsälen  des  Gewandhauses  lagen 
Tote,  Wunde,  Kranke  auf  faulem  Stroh  bei- 
sammen, ein  verpestender  Brodem  erfüllte 
den  scheußlichen  Pferch,  ein  Strom  von 
zähem  Kot  sickerte  langsam  die  Treppe  hin- 
ab. Wenn  die  Leichenwagen  durch  die 
Straßen  fuhren,  dann  geschah  es  wohl,  daß 
ein  Toter  der  Kürze  halber  aus  dem  dritten 
Stockwerk  hinabgeworfen  wurde,  oder  die 
begleitenden  Soldaten  bemerkten  unter  den 
starren  Körpern  auf  den  Wagen  einen,  der 
sich  noch  regte,  und  machten  mit  einem 
Kolbenschlage  mitleidig  dem  Greuel  ein 
Ende.  Draußen  auf  dem  Schlachtfelde 
hielten  die  Aasgeier  ihren  Schmaus;  es 
währte  lange,  bis  die  entflohenen  Bauern 
in  die  verwüsteten  Dörfer  heimkehrten  und 
die  Leichen  in  großen  Massengräbern  ver- 
scharrten .  .  .  Dem  Geschlechte,  das  solches 
gesehen,  blieb  für  immer  ein  unauslösch- 
licher Abscheu  vor  dem  Kriege,  ein  tiefes, 
für  minder  heimgesuchte  Zeiten  fast  un- 
verständliches Friedensbedürfnis."*)  Diese 
dunklen  Bilder  des  Krieges  werden  bei 
den  Schlachtenfeiern  nicht  hervorgezogen, 
und  es  besteht  die  Gefahr,  daß  gerade  da- 
durch der  Friedenswille  immer  unverständ- 
licher wird. 

Aber  die  Feier  der  Völkerschlacht  sollte 
nicht  bloß  eine  Verherrlichung  des  Krieges 
und  der  kriegerischen  Tat  sein,  nicht  bloß 
ein  Gedenken  der  Vergangenheit.  Sie  kann 
auch  eine  ernste  Feier  des  Friedens  werden, 
und  den  Blick  öffnen  für  die  Zukunft.  Be- 
siegelte sie  doch  das  Schicksal  eines  Mannes, 
der  als  der  größte  Anarchist  der  neueren 
Geschichte  gilt,  eines  Mannes,  der  den  Krieg 
um  des  Krieges  willen  getrieben  hat.  Er 
führte  jene  Kriege,  die  die  Friedensbewegung 
meint,  wenn  sie  die  Geister  mobil  macht 
zum  Kampfe:  den  Raubkrieg,  den  Ver- 
gewaltigungskrieg. Nicht  um  sein  Volk  zu 
verteidigen  zog  er  aus,  sondern  um  andere 
zu  unterjochen,  um  Länder  zu  rauben  und 
den  friedlichen  Bürgern  die  Frucht  ihrer 
Arbeit  wegzunehmen.  Die  Kriegsidee  jenes 
Mannes  kommt  zum  Ausdruck  in  seiner  Pro- 
klamation vom  27.  März  1796,  die  er  vor 
dem   italienischen  Feldzug  als   Obergeneral 


*)    Deutsche    Geschichte.      I.    S.    509. 


an  seine  Soldaten  erließ.  ,,lhr  seid  nackt 
und  schlecht  genährt"  rief  er  ihnen  zu.  „Die 
Regierung  schuldet  Euch  viel,  aber  sie  kann 
Euch  nichts  geben.  Ich  will  Euch  in  die 
fruchtbarsten  Ebenen  der  Welt  führen. 
Reiche  Provinzen,  große  Städte  werden  in 
Eure  Gewalt  fallen.  Ihr  werdet  dort  Ehre, 
Ruhm  und  Reichtümer  finden.  Soldaten  der 
Armee  von  Italien,  sollte  es  Euch  an  Mut 
und  Beharrlichkeit  fehlen?"  Das  ist  das 
Programm  eines  Räuberhauptmanns,  und  das 
ist  der  Geist,  unter  dem  Europa  anderthalb 
Jahrzehnte  zu  leiden  hatte.  Der  Geist  des 
Konquistadors,  der  mit  den  Staaten  des  alten 
Europas  verfuhr,  wie  ein  Pizzaro  und  ein 
Kortez  mit  den  Wilden  in  der  neu  entdeckten 
Welt.  Und  dieser  Geist  ist  es,  den  die 
Friedensbewegung  bekämpft;  in  den  drei 
Tagen  bei  Leipzig  wurde  er  niedergerungen. 
Die  Schlacht,  deren  Feier  man  jetzt  begeht, 
war  daher  eine  Auflehnung  der  Ordnung 
gegen  die  Anarchie,  ein  Polizeiakt  der  Völker 
gegen  den  Verbrecher.  In  diesem  Sinne 
können  auch  wir,  die  Verfechter  des  Ge- 
dankens einer  Weltordnung,  den  Gedenktag 
mitfeiern ;  denn  niemals  haben  wir  uns  gegen 
jene  Kriege  gewandt,  die  im  Dienste  und  zur 
Wiederherstellung  der  Ordnung  geführt 
wurden.  Wir  können  die  Tage  von  Leipzig 
mitfeiern,  weil  sie  den  Sieg  der  Ordnung 
herbeigeführt  haben  durch  die  Kooperation 
der  Völker.  Deutsche,  Oesterre icher,  und 
unter  diesen  viele  Nichtdeutsche,  Russen 
und  Schweden  haben  zusammengewirkt,  und 
dieser  internationalen  Verständigung  ist  es 
erst  gelungen,  was  den  einzelnen  nicht  ge- 
lang, den  Bedroher  der  alten  Ordnung  zu 
überwinden. 

Ein  ernster  Malmruf  soll  daher  dieses 
Schlachtendenkmal  auf  der  Leipziger  Ebene 
sein  für  alle  jene,  die  fernerhin  den  Ver- 
such machen  sollten,  den  bewaffneten  Raub 
über  die  Grenzen  ihrer  Länder  zu  tragen. 
Den  Expansionspolitikern,  die  von  Welt- 
herrschaft träumen  in  unserer  Zeit  der 
internationalen  gegenseitigen  Abhängigkeit, 
der  unendlich  verwickelten  internationalen 
Solidarität  der  Interessen,  den  Anarchisten, 
die  das  Recht  der  Völker  und  ihren  Besitz 
mißachten,  jenen  soll  als  ernste  Drohung 
das  bei  Leipzig  besiegelte  Schicksal  Na- 
poleons dienen. 

Wir  wissen  uns  in  dieser  Wertung  des 
Ereignisses  eins  mit  Kaiser  Wilhelm,  der 
in  seiner  Bremer  Rede  vom  22.  März  190f) 
die  Nutzanwendung,  die  er  aus  dem  Auf- 
treten Napoleons  gezogen,  in  deutlicher 
Weise  zum  Ausdruck  brachte.    Diese  Rede 


362 


E 


DIE  Fßl EDENS -n^QXE 


wird  aktuell  an  dem  Tage,  wo  man  daran 
geht,  die  Jahrhundertfeier  zu  Leipzig  zu 
begehen.  „Ich  habe  mir  gelobt  auf  Grund 
meiner  Erfahrungen  aus  der  Geschichte",  so 
sprach  der  Kaiser  zu  dem  Bürgermeister 
von  Bremen,  „niemals  nach  einer  öden 
Weltherrschaft  zu  streben.  Denn  was 
ist  aus  den  großen  sogenannten  Weltreichen 
geworden?  Alexander  der  Große,  Napo- 
leon der  Erste,  alle  die  großen  Kriegs- 
hclden.  im  Blute  haben  sie  geschwommen  und 
unterjochte  Völker  zurückgelassen,  die  beim 
ersten  Augenblick  wieder  aufgestanden  sind 
und  die  Reiche  zum  Verfalle  gebracht  haben. 
Das  Weltreich,  das  ich  mir  geträumt  habe, 
soll  darin  bestehen,  daß  vor  allem  das  neu- 
erschaffene Deutsche  Reich  von  allen  Seiten 
das  absoluteste  Vertrauen  als  eines  ruhigen, 
ehrlichen,  friedlichen  Nachbarn  genießen 
soll,  und  daß,  wenn  man  dereinst  vielleicht 
von  einem  deutschen  Weltreich  oder  einer 
Hohenzollern-  Weltherrschaft  in  der  be- 
schichte reden  sollte,  sie  nicht  auf  Er- 
oberung begründet  sein  sollte  durch  das 
Schwert,  sondern  durch  gegenseitiges 
Vertrauen  der  nach  gleichen 
Zielen  strebenden  Nationen,  kurz 
ausgedrückt,  wie  ein  großer  Dichter  sagt: 
„Außenhin  begrenzt,  im  Innern  unbegrenzt." 

In  diesem  Sinne  wollen  auch  wir 
der  Leipziger  Schlacht  gedenken  und  des 
Jahrhunderts,  das  uns  von  ihr  trennt; 
und  über  das  Gedenken  wollen  wir  den 
Blick  nicht  von  der  Zukunft  lassen. 
Froh  wollen  wir  der  Tatsache  sein, 
daß  im  selben  Jahre,  in  dem  das 
Völker  sohl  acht  denkmal  in  Leipzig  er- 
richtet wurde,  das  in  die  Vergangenheit 
weist,  auch  im  Haag  der  Palast  des  Friedens 
als  ein  Völker  rechts  denkmal  errichtet 
wurde,  das  in  die  frohe  Zukunft  zeigt;  in 
eine  Zukunft,  wo  der  Ruhm  der  Staaten 
darin  bestehen  wird,  daß  ihre  Eroberungen 
nach  des  Kaisers  Worten  begründet  sein 
werden  „durch  das  gegenseitige  Vertrauen 
der  nach  gleichen  Zielen  strebenden  Na- 
tionen". So  ehren  wir  die  Helden  von  da- 
mals und  das  Andenken  der  Toten,  die  im 
Kampfe  gegen  den  Schwerteroberer  gefallen 
sind,  und  ehren  damit  gleichzeitig  das 
Streben  derjenigen,  die  am  Werke  sind,  das 
Zeitalter  der  Verständigung  zwischen  den 
Völkern  herbeizuführen.  A.  H.  F. 


Zweiter  Verbandstag 

des  Verbandes  für  internationale 

Verständigung, 

A.  H.  F.  Die  Eindrücke,  die  ich  ge- 
rade vor  Jahresfrist  an  dieser  Stelle  über  den 
Heidelberger  Verbandstag  zum  Ausdruck 
brachte,  haben  sich  in  Nürnberg,  wo  vom  4.  bis 
6.  Oktober  die  zweite  Tagung  des  Verbandes 
stattfand,  nur  vertieft.  Es  konnte  ein  neuer 
Aufstieg  festgestellt  werden.  Der  Verband, 
dessen  Anregung  von  diesen  Blättern  ausge- 
gangen ist,  eine  Tatsache,  die  den  Heraus- 
geber mit  Stolz  erfüllt,  hat  sich  bereits  einen 
festen  Platz  im  öffentlichen  Leben  Deutsch- 
lands errungen.  Er  beginnt  ein  Faktor  zu 
werden,  mit  dem  gerechnet  werden  muß.  Daß 
diese  Erkenntnis  durchgreift,  bewies  nicht  nur 
die  große  Beteiligung  an  der  Tagung,  sondern 
auch  die  offizielle  Ehrung,  die  ihr  seitens  der 
Behörden  zuteil  wurde.  Den  Ehrenvorsitz  des 
Ortsausschusses  führte  der  Regierungspräsi- 
dent von  Ansbach,  Exellenz  Dr.  von  B  1  a u  1 , 
der  den  Verbandstag  in  der  Eröffnungssitzung 
auch  im  Namen  des  bayrischen  Staatsministe- 
riums begrüßte.  Der  Präsident  der  kgl.  Bank, 
Exellenz  Staatsrat  von  Blurkhard,  führte 
den  Vorsitz  des  Ortskomitees,  dem  eine  große 
Anzahl  hervorragender  Persönlichkeiten  Nürn- 
bergs, darunter  auch  der  Bürgermeister  der 
großen  Handelsstadt,  Dr.  Bräutigam,  an- 
gehörten. 

Von  den  ungefähr  350  Teilnehmern  des 
Verbandstages   seien  genannt: 

P  h.  J.  Baker,  Cambridge.  —  Redakteur 
L.  Benario,  Frankfurt  a.  M.  —  Kommer- 
zienrat  Berthold  Bing,  Nürnberg.  —  Direk- 
tor des  Germanischen  Nationalmuseums  Dr. 
G.  von  Bezold,  Nürnberg.  —  Präsident 
Dr.  Friedrich  Curtius,  Straßburg  i.  E.  — 
Prof.  Dr.  Hans  Dorn,  Nürnberg.  — •  Prof. 
Freiherr  von  Dungern,  Czernowitz.  —  Hof- 
rat Prof.  Dr.  Adolf  Friedländer,  Hohe 
Mark  b.  Oberursel  a.  T.  —  Prof.  G.  S.  Fül- 
ler ton,  New  York.  —  Exz.  Vizeadmiral 
Galster,  Kiel.  —  Rektor  der  Universität 
Erlangen,  Prof.  Dr.  Geiger.  —  Privatdozent 
Dr.  K.  A.  G  e  r  1  a  c  h  ,  Leipzig.  —  Pro- 
fessor Dr.  Friedr.  G  i  e  s  e  ,  Posen.  —  Reichs- 
tagsabgeordneter G.  Gothein,  Breslau.  - 
Prof.  Dr.  Harms,  Kiel.  —  Reichstagsabge- 
ordneter Konrad  Haußmann,  Stuttgart.  - 
Prof.  Dr.  H.  Hollatz,  Frankfurt  a.  M. 
Kammergerichtsreferendar  Dr.  Kurt  I  m  b  e  r  g  , 
Berlin.  — -  Hof  rat  Prof.  Dr.  Heinrich  Lam- 
masch, Wien.  —  Bänkdirektor  Hermann 
Maier,  Frankfurt  a.  M'.  —  Prof.  Dr.  Christ. 
Meurer,  Würzburg.  —  Dr.  John  Mi  e  z , 
Freiburg  i.  Breisg.  —  Oberlandesgerichtspräsi- 
dent Theodor  von  Müller,  Nürnberg.  — 
—  Landtagsmitglied  Oskar  M  u  s  e  r.  —  Prof. 
Paul  Natorp,  Marburg.  —  Prof.  Dr.  O. 
Nippold,  Oberursel.  —  Dr.  Wilhelm  Ohr, 


363- 


DIE  FRIEDENS -^AQTE 


D 


München.  —  Reichstagsabgeordneter  D. 
Pachnicke,  Bühl-Immenstadt.  —  Prof.  Dr. 
Robert  Piloty,  Würzburg.  —  Dr.  Otto 
Prange,  Berlin.  —  Prof.  Dr.  H.  Rehm, 
Straßburg  i.  E.  —  Prof.  Dr.  Heinrich  R  ö  ß  - 
ler,  Frankfurt  a.  M.  —  Hofrat  Prof.  Dr.  Gu- 
stav von  Roszkowski,  Lemberg.  — 
Jacques  von  Schlumberger,  Gebweiler 
i.  E.  —  Prof.  Dr.  Walther  Schücking,  Mar- 
burg a.  L.  —  Prof.  Heinrich  Sieveking, 
Zürich.  —  Generalkonsul  Carl  Simon, 
Mannheim.  —  Reichstagsabgeordneter  M. 
Sir,  Wernberg.  —  Reichstagsabgeordneter 
Sivkovich,  Lübtheen  i.  M.  —  Hofrat  Dr. 
Soergel,  München.  —  F.  Stehelin, 
Sennheim.  —  Dr.  Strupp,  Frankfurt  a.  M. 

—  Reichstagsabgeordneter  Dr.  August  Tren- 
d  e  1 ,  Regensburg.  —  Landtagsmitglied  Stadt- 
rat G.  Wolf,  Straßbürg  i.  E. 

Als  alte  Bekannte  von  den  Friedenskon- 
gressen begrüßten  wir:  Geh.  Kommerzienrat 
F.  A  r  n  h  o  1  d  und  Frau,  Dresden.  —  Dr. 
Arnhold,  Dresden.  —  Anna  B.  Eckstein,  Co- 
burg. —  Rechtsanwalt  A.  von  Härder, 
Mannheim.   —   Dr.    Ml.    H  ö  1 1  z  e  1 ,   Stuttgart. 

—  M.  W.  Hohenemser  und  Frau,  Frankfurt 
a.  M.  —  Universitätskanzler  David  Starr 
Jordan,  Californien.  —  Senator  H.  La  Fon- 
taine u.  Frau,  Brüssel.  —  Gymnasialdirektor 
Prof.  Dr.  W.  M  a  r  t  e  n  s  ,  Konstanz.  —  Gaston 
M  o  c  h ,  Paris.  —  Bankier  Hermann  Müller, 
Nürnberg.  —  Eduard  de  Neufville, 
Frankfurt  a.  M.  —  Prof.  Vittore  P  r  e  s  t  i  n  i , 
Rom.  —  Dr.  Ludwig  Q  ü  i  d  d  e  und  Frau, 
München.  —  Pfarrer  Theoder  Rohleder, 
Haßfelden.  —  Prof.  Dr.  Th.  R  u  y  s  s  e  n  ,  Bor- 
deaux. —  Ludwig  Wagner,  Kaiserslautern. 

Eine  besondere  Stellung  nahm  wie  im 
Vorjahre  Baron  d'Esto  urnelies  de 
Constant  ein,  der  die  Gelegenheit  des  Ver- 
bandstages wieder  benützte,  um  für  die  end- 
liche franco-deutsche  Verständigung  machtvoll 
einzutreten. 

Einem  Begrüßungsabend  am  4.  Oktober 
folgte  am  Morgen  des  5.  zunächst  die  or- 
dentliche Mitgliederversammlung  des  Verban- 
des, bei  der  den  in  diesem  Jahre  verstorbenen 
beiden  ersten  Vorsitzenden,  Prof.  v.  Ulimann, 
Prof.  v.  Bar,  Nachrufe  gehalten  wurden.  Pro- 
fessor C  u  r  t  i  u  s  aus  Straßbürg  wurde  hierauf 
zum  ersten  Vorsitzenden  gewählt.  In  den  Aus- 
schuß wurden  außer  drei  Herren  des  Nürn- 
berger Ortskomitees  die  Professoren  Lam- 
masch und  Rehm  gewählt.  Man  entschied 
sich  dafür,  die  nächstjährige  Tagung  in  Eise- 
nach abzuhalten  und  diese  hauptsächlich  der 
Frage  der  Erziehung  zu  widmen. 

In  der  darauf  folgenden  öffentlichen  Ver- 
sammlung hielt  der  neugewählte  Präsident, 
Professor  C  u  r  t  i u  s  ,  eine  Begrüßungs- 
ansprache, die  zum  Teil  auch  eine  Programm- 
rede war.  Es  ist  wichtig,  daraus  folgenden 
Satz  festzuhalten:  „Es  ist  ein  altes,  sehr  viel 
zitiertes,  nicht  selten  auch  mißbrauchtes 
Wort:    si  vis   pacem  para  bellum.     Wir  sind 


der  Meinung,  daß  diese  Maxime  doch  nicht 
alles  enthält,  was  über  Krieg  und  Frieden  zu 
sagen  ist.  Es  ist  eine  halbe  Wahrheit,  welche 
der  Ergänzung  bedarf.  Und  diese  lautet :  s  i 
vis  pacem,  para  pacem."  Das  ist  nun 
gerade  kein  neuer  Grundsatz;  wir  hören  ihn 
und  predigen  ihn  seit  einem  Vierteljahrhundert. 

Etwas  entschiedener  versuchte  darauf 
Professor  N  i  p  p  o  1  d  in  einer  offiziellen 
Programmrede  den  Unterschied  der  Auf- 
gaben des  Verbandes  und  der  sonstigen 
Friedensbewegung  darzulegen.  „Es  fehlte," 
so  führte  er  aus1,  „bis  vor  kurzem  an  einer 
großen  Organisation,  welche  die  schweben- 
den Fragen  im  internationalen  Sinne  zu 
lösen  und  dem  Volke  näher  bringen  konnte. 
Mit  Utopien  und  Friedensphan- 
tasien habe  der  Verband  nichts  zu 
tun,  er  predige  nicht  Idealismus,  son- 
dern Vernunft,  nicht  Gefühls-,  sondern  nüch- 
terne Verstandespolitik.  Sein  Stand- 
punkt sei  der,  den  die  überwiegende  Mehr- 
heit des  deutschen  Volkes  auch  einnimmt. 
Der  Verband  nimmt  die  politischen  Dinge 
wie  sie  wirklich  sind;  andere  nationale  Ver- 
bände sollen  nicht  bekämpft  werden.  Zu 
mißbilligen  sei  der  Nationalismus,  der  in 
Chauvinismus  ausartet.  Auf  der  anderen 
Seite  erkenne  der  Verband  das  ideali- 
stische Wirken  der  Friedens- 
gesellschaften an,  die  viel  Gutes  ge- 
wirkt haben.  Der  Verband  habe,  um  ein 
Bild  zu  gebrauchen,  weder  mit  dem  po- 
litischen Alkoholismus  der  Alldeutschen  noch 
mit  der  Abstinenz  der  Pazifizisten 
etwas  gemein,  sondern  er  bewege  sich  auf 
temperenzlerischer  Grundlage.  Der  Verband 
wolle  nur  die  Verständigung  zwischen  den 
Völkern  herbeiführen  und  nicht  den 
Frieden  ä  tout  prix." 

Soweit  hier  die  positiven  Aufgaben  des 
Verbandes  ausgeführt  werden,  kann  man 
diesen  nur  zustimmen.  Durch  Phantastereien 
und  Idealismus,  durch  Gefühlsmethoden  und 
Forderung  des  „Friedens  um  jeden  Preis"  nützt 
man  der  Sache  in  Deutschland  nichts.  Der 
Verband,  der  sich  von  solchen  Sachen  frei- 
hält, wird  dadurch  gute  Dienste  leisten. 
Es  ist  aber  unrichtig,  die  Sache  so  hin- 
zustellen, als  ob  bislang,  d.  h.  bis  der  Ver- 
band ins  Leben  trat,  und  jetzt  außerhalb 
des  Verbandes,  nur  Utopien  und  Phantasien 
betrieben  werden,  als  ob  die  Friedensgesell- 
schaften nur  „idealistisch"  wirkten  und  ge- 
dankenlos einen  „Frieden  um  jeden  Preis" 
fordern  würden.  Die  gesamte  maßgebende 
pazifistische  Literatur  beweist,  daß  diese  Dar- 
stellung    der    Wirklichkeit     nicht    entspricht. 

Der  Verband  bedarf  aber  zu  seiner 
Rechtfertigung  solcher  Mittel  gar  nicht.  Er 
hat  es  nicht  nötig,  alle  andern  Friedens- 
kämpfer und  alle  seine  Vorkämpfer  als 
Dummköpfe  hinzustellen,  um  seine  eigene 
Klugheit  zu  beweisen.  Die  Ideen,  die  der 
Verband  vertritt,  sind  nun  einmal  nicht  neu; 


364 


<£ 


=  DIE  FRIEDENS -WARTE 


er  wurde  selbst  aus  diesen  Ideen  heraus 
geboren,  die  der  Pazifismus  lange  vor  ihm 
in  Deutschland  verbreitete.  Seine  Aufgabe 
wäre  es  nur,  die  alten  und  gesunden 
Ideen  mit  neuen  Mitteln  unter 
neuen  Formen  zu  vertreten.  Er  hat  den 
mehr  kleinbürgerlichen  Charakter  der  bis- 
herigen Friedensorganisationen  durch  die 
Großzügigkeit  einer  Vereinigung  von  Gelehr- 
ten und  Politikern  zu  ersetzen.  Darin  —  in 
der  veränderten  Form,  nicht  im  Wesen  — 
liegt  seine  Rechtfertigung,  seine  Stärke  und 
Bedeutung. 

Die  Friedensbewegung  hat  sich  zu  einer 
Wissenschaft  durchgerungen  und  die  Politik 
real  beeinflußt.  Doch  ist  das  nicht  all- 
gemein bekannt,  und  viele  scheuen  sich,  an 
dieser  Bewegung  mitzuarbeiten,  aus  Furcht 
vor  der  Karikatur,  die  sie  sich  fälschlich 
selbst  davon  gemacht  haben.  Diesen  —  ver- 
zeihlichen —  Irrtum  auszunützen,  zum  Wohle 
der  guten  Sache  auszunützen,  aber  nicht,  ihn 
zu  vertiefen,  ist  Aufgabe  des  .Verbandes, 
war  die  Absicht,  die  seiner  Errichtung  zu- 
grunde   lag. 

Schon  vor  zehn  Jahren  habe  ich  an  dieser 
Stelle*)  auf  jene  Erscheinung  hingewiesen; 
auf  die  in  Deutschland  erwachende  Zu- 
neigung der  Intelligenz  für  die  pazifistische 
Idee  und  deren  Abneigung  gegen  die  Formen 
ihrer  Vertretung.  Ich  habe  diese  Erscheinung 
schon  damals  zu  erklären  versucht,  und  es 
dünkt  mich,  daß)  die  von  mir  damals  auf- 
gestellte „N  ageltheorie"  dem  Wesen 
der  Sache  näher  kommt,  als  der  Nippoldsche 
Vergleich  mit  Abstinenzlern  und  Temperenz- 
lern, der,  was  die  sogenannten  Pazifisten  an- 
belangt, vollständig  unrichtig  ist  und  höch- 
stens auf  die  verschwindend  kleine  und  gar 
nicht  ins  Gewicht  fallende,  in  Deutschland 
überhaupt  nicht  vorhandene  Gruppe  der 
Tolstoianer    und    Quäcker    zuträfe. 

Meine  „Nageltheorie"  entwickelte  ich 
hier  im  Jahre  1903  in  folgender  Weise: 

,,  .  .  .  Es  ergibt  sich,  daß  die  Neo- 
Pazifisten  in  ihrer  Idee  und  in  ihren  Ab- 
sichten vollständig  mit  dem  bisherigen 
Pazifismus  zusammenhängen,  ob  sie  dies 
zugeben  wollen  oder  nicht,  ob  ihnen  dies 
bewußt  wird  oder  nicht.  Ihr  zugespitztes 
Programm  ist  nichts  weiter  als  eine  An- 
passung der  Idee  an  die  Wirklichkeit  zum 
Zwecke  der  leichteren  Umwandlung  der 
Idee  in  die  Tat.  Es  sei  mir  ein  Vergleich 
aus  der  Mechanik  gestattet.  Wenn  man 
ein  rundgewalztes  Stück  Eisen  von  etwa 
15  cm  Länge  in  eine  feste  Mauer  schlagen 
will,  wird  die  Mauer  den  härtesten  Wider- 
stand leisten.  Das  Stückchen  Eisen  wird 
sich  verbiegen  und  wohl  gar  abbrechen. 
Der   kluge    Mensch   hat    daher   für    solche 


*)  Man  lose  meine  Aufsätze:  ,.Neo-Paci- 
fisten  (Friedens-Warte  1903,  SS.  85  u.  f.) 
und  „PacifistcnuudNeo-Pacifisten" 
(ebd.   SS.    101  u.   f.). 


Fälle  die  Einrichtung  getroffen,  das  Stück- 
chen  Eisen  an   dessen   unterem   Ende  zu- 
zuspitzen.     Er   hat    damit    den    Nagel    er- 
funden,   den    er    mit    Leichtigkeit    in    die 
Mauer  einführen  kann.     Die  kleine  Spitze 
findet      weniger      Widerstand,      und      das 
stärkere     Eisenstäbchen      dringt      bequem 
nach    Maßgabe   des   Raumes   ein,   den   die 
konische    Spitze    in    der    Wand    leicht    er- 
zeugt  hat.     Diese  Nageltheorie  läßt 
sich     auf     alle     menschlichen     Ideen    an- 
wenden,   die    es    in   die   Wirklichkeit    ein- 
zuführen gilt.     Sie  müssen  ihr  Programm 
ganz  fein  zuspitzen,  um  Halt  zu  gewinnen; 
das   ferner   folgende   umfangreiche   Massiv 
der  Idee  folgt  dann  bequem  den  Bahnen, 
die    die    feine    Spitze    geöffnet    hat.       So 
geht   es   auch  mit   der  Friedensbewegung, 
und     die     Neo-Pazifisten     spielen    nur    die 
Rolle   der   diese    Idee   in   die   Wirklichkeit 
bequem    einführenden     Spitzen.       Freilich, 
wenn     die     Spitze     eines    Nagels    denken 
könnte,     würde     sie     ebenfalls     ihren    Zu- 
sammenhang mit  dem  übrigen  Nagel  ver- 
leugnen !" 
Diese    Theorie    scheint    mir    auch    heute 
nach   zehn   Jahren   noch   richtig   zu   sein.    Sie 
kann    dem    „Verband"    zu    seiner    Rechtferti- 
gung  dienen,    ohne   daß    dessen    Vorkämpfer 
und  Mitkämpfer  vor  den  Kopf  gestoßen  werden. 
Der     Programmrede     Prof.     N  i  p  p  o  1  d  s 
folgte  ein  Vortrag  des  Reichstagsabgeordneten 
G  o  t  h  e  i  n  über  „W  eltpolitik  und  Welt- 
wdr t  s  c  haft",     worin      dieser     nach     inter- 
essanten  statistischen    Darlegungen    über    die 
deutsche  Wirtschaftspolitik  abschließend  sagte : 
Die    Weltpolitik     muß    die    Politik    der    Ver- 
ständigung zur   Erleichterung   und   Sicherung 
des  Verkehrs,  zur  Hebung  der  Kultur  sein,  eine 
Politik     der      internationalen     Verträge     und 
Schiedsgerichte,      die      allerdings     noch     aus- 
gebaut werden  müsse,  durch  Aufstellung  von 
unparteiischen   Schiedsrichtern,   da   die  Diplo- 
matie doch  immer  durch  die  Vertretung  von 
Landes-ßonderinteressen    gebunden    ist.      Der 
Aushau  der  internationalen   See-   und  Kriegs- 
rechte,    die     Einführung     eines    einheitlichen 
Wechsel-  und  Scheckrechtes,  die  Regelung  des 
Luftverkehrs,     des     Post-     und     Telegraphen- 
rechts, ein  internationaler  Arbeiterschutz,  sind 
große  Aufgaben  für  den   Verband.     Nur  auf 
dem  Wege  der  friedlichen   Verständigung  ist 
ein   Fortschritt   möglich,   nicht   aber  auf  dem 
Wege  des  Krieges. 

In  der  zweiten  öffentlichen  Versammlung 
sprachen  zunächst  Hofrat  Professor  Lam- 
masch über  „Die  Fortbildung  der  inter- 
nationalen Schiedsgerichtsbarkeit"  und  Pro- 
fessor Dr.  Christian  M  eurer  über  das 
Thema  „Der  internationale  Gerichtshof  für 
Forderungen  von  Privatpersonen  gegen  aus- 
ländische Staaten".  Beide  Vorträge  sind  vom 
pazifistischen  Gesichtspunkt  so  wichtig,  daß 
uns  eine  durch  die  Raumverhältnisse  ge- 
botene,    nur     skizzierte    Wiedergabe    unange- 


365 


DIE  FRIEDENS -WARTE  = 


■6) 


bracht  erscheint.  Es  wird  verwiesen  auf  die 
demnächst  zu  erwartende  Drucklegung  der 
Arbeiten. 

Nicht  minder  wichtig  und  interessant 
waren  die  Darlegungen  des  Hofrats  Prof. 
Dr.  Friedländer  aus  Hohe  Mark  bei 
Frankfurt,  der  über  „Die  Bedeutung  der, 
Suggestion  im  Völkerleben"  sprach.  Der  Vor- 
trag ist  im  vollen  Umfang  abgedruckt  in  der 
„Frankfurter  Zeitung"  Vom  8.  Oktober 
(1.  Morgenblatt).  Eine  Stelle  sei  hier  aber 
besonders  wiedergegeben:  „Der  ewige  Welt- 
friede mag  eine  Chimäre  sein,  die  früher  viel 
geschmähten  und  auch  heute  von  manchen 
Seiten  stark  angefeindeten  Pazifisten  können 
auf  große  Erfolge  hinweisen,  ihre  Ideen  haben 
Wurzel  gefaßt  und  schöne  Blüten  gezeitigt. 
Und  was  vor  Jahrtausenden,  was  vor  Jahr- 
hunderten notwendig  erschien,  braucht  es 
nicht  heute  zu  sein.  Heute  ist  die  Erde 
kleiner,  die  Macht  der  Massen,  der  öffent- 
lichen Meinung  größer  geworden;  wie  Faust- 
recht, Kabinettsjustiz  verschwunden  sind,  so 
erscheinen  auch  Kabinettskriege  unmöglich. 
Größer  und  nicht  viel  weniger  gefährlich  ist 
die  überschäumende  nationale  Sug- 
gestion (in  ihrer  Erscheinungsform  inter- 
national) "geworden.  Große  Teile  verschic 
dener  Nationen  hassen  sich  und  trauen  ein- 
ander jede  Gewalttat  zu  —  ohne  sich  zu 
kennen.  Der  Haß  macht  aber  ebenso  blind 
wie  die  Liebe,  nur  ist  letztere  national  und 
international  betrachtet  weit  weniger  ge- 
fährlich." 

Diesen  Ausführungen  folgten  noch  zwei 
interessante  Vorträge  mit  wirtschaftlicher 
Tendenz.  Es  sprachen  der  frühere  Direktor 
der  Deutschen  Bank  in  Frankfurt  a.  M., 
Hermann  M  a  i  e  r ,  über  „Die  Einwirkung 
politischer  Krisen  auf  die  Finanzlage",  und 
der  Redakteur  Leo  B  e  n  a  r  i  o  aus  Frank- 
furt a.  M.  über  „Die  Einwirkung  politischer 
Krisen  auf  die  Wirtschaftslage".   — 

Seinen  Höhepunkt  erreichte  der  Nürn- 
berger Verbandstag  mit  einer  am  Abend  des 
6.  Oktober  im  großen  Saale  des  Kultur-  und 
Industrievereins  abgehaltenen  dritten  öffent- 
lichen Versammlung.  Nach  einem  bedeuten- 
den Vortrag  Prof.  Walther  Schückings 
über  „Kultur  und  Krieg",  den  wir  an  anderer 
Stelle  vollinhaltlich  zum  Abdruck  bringen, 
kam  in  zwei  Vorträgen  des  Senators 
cl'Estournelles  aus  Paris  und  des  deut- 
schen Reichstagsabgeordneten  K  o  n  r  a  d 
Haussmann  das  Thema  Deutschland  und 
Frankreich  zur  Sprache. 

Nach   einigen    einleitenden    Worten,    an 
die    Leiter    des    „Verbandes    für    internatio- 
nale  Verständigung"   gerichtet,    sagte   Baron 
d'Estournelles    ungefähr    folgendes : 
„Verehrte  Anwesende! 

Franzosen  und  Deutsche,  wir  sind  Han- 
delnde und  nicht  Zuschauer  in  dem  Trauer- 
spiel, welches  sich  in  Europa  abspielt.  Wollen 


wir  ruhig  die  Entwicklung  abwarten,  welche 
unsere  beiderseitige  Untätigkeit  vorbereitet  ? 

Wenn  dem  so  wäre,  so  laßt  uns  offen 
unsere  Abdankung  erklären.  Es  wäre  Selbst- 
mord! Wenn  dem  aber  nicht  so  ist,  so  ist 
es  auf  beiden  Seiten  an  der  Zeit,  zu  wissen, 
was  wir  wollen  und  uns  zu  beeilen,  dem- 
entsprechend   zu   handeln. 

Versäumen  wir  keine  Zeit  mehr  damit, 
das  widerspruchsvolle  Regime  zu  unter- 
suchen, in  welchem  wir  beiderseits  leben, 
durch  welches  Rüstung  auf  Rüstung  und 
Lasten    auf    Lasten    gehäuft    werden. 

Wir  leben  in  einer  Atmosphäre,  welche 
mit  Argwohn  geschwängert  ist,  voll  von 
gegenseitigen  Vorwürfen  und  einer  gehässigen 
Ueberreizung  der  Gefühle,  welche  jeden  Tag 
gefährliche  Zwischenfälle  hervorrufen  können. 

Unser  beiderseitiger  Handel  wird  hier- 
durch nicht  nur  in  seiner  Entwicklung, 
sondern  selbst  in  seinen  Plänen  aufgehalten. 
Die  Unsicherheit  sowie  die  Feindseligkeit 
bei  eintretenden  Krisen  lasten  schwer  auf 
unserer  Tätigkeit.  Nur  unsere  Konkurrenten 
ziehen  hieraus  Nutzen,  da  sie  sich  hierdurch 
mit  Riesenschritten  in  der  alten  und  in  der 
neuen  Welt  entwickeln  können,  während  wir 
ihnen    das    Feld    überlassen    müssen. 

Hierdurch  sind  unsere  nationalen  Hilfs- 
quellen bedroht  in  dem  Augenblicke,  in 
welchem  wir  dieselben  vervielfältigen  müß- 
ten, um  den  neuen  Ausgaben  nachzukommen, 
welche  dringend  durch  unsere  ökonomischen 
Einrichtungen,  durch  unsere  Kolonien, 
unsere  auswärtige  Entwicklung,  durch  soziale 
Reformen,  durch  die  Pflichten  für  Er- 
ziehung, Unterstützungen,  Gesundheitspflege 
und  überhaupt  durch  nötigen  Fortschritt  auf 
allen    Gebieten    von    uns    verlangt    werden. 

Das  ist  aber  nicht  alles! 

Dies  Regime  darf  nicht  länger  dauern, 
da  es  mit  jedem  Tag  unerträglicher  wird 
und  einen  allgemeinen  Abscheu  hervor- 
bringt und  ein  unwiderstehliches  Bedürfnis 
erzeugt,   damit   zu  Ende  zu  kommen. 

Wir  werden  bald  soweit  sein,  fest- 
zustellen, daßi  wir  nun  darüber  einig 
sind,  daß  ein  Ende  damit  gemacht  werden 
muß.  Aber  w  i  e  soll  das  geschehen  ?  Viel- 
leicht   durch    einen    Krieg  ? 

Das  wäre  die  schrecklichste  Verschlimme- 
rung der  Lage,  die  nur  eintreten  könnte, 
weil  wir  nicht  die  Weisheit  besessen  haben, 
beizeiten  gemeinschaftlich  die  Mittel  zu 
suchen,  um  eine  Lösung  durch  den  Frieden 
zu   finden ! 

Das  ist  der  Weg,  den  wir  mit  ge- 
schlossenen Augen  wandeln.  Unglück  auf 
diejenigen,  welche  die  Gefahr  sehen  und 
schweigen.  Die  Geschichte  wird  ihnen  dies 
Verbrechen   nicht   verzeihen. 

Die  beiden  Länder  können  sich  einen 
Krieg  nicht  erklären,  den  sie  nicht  wollen. 
Sie  können  nicht  daran  verzweifeln,  den 
Frieden    aufrechtzuerhalten,     nachdem     eine 


366 


<§= 


DIE  FRI  EDENS -WAPXE 


40jährige  Erfahrung-  bewiesen  hat,  daß.  der 
Friede  möglich  ist. 

Sie  können  nicht  daran  verzweifeln, 
eine  deutsch-französische  Annäherung  herbei- 
zuführen, bevor  sie  auf  beiden  Seiten  alles 
Mögliche  getan  haben,  um  dieselbe  vor- 
zubereiten. 

Die  Erfahrung  der  letzten  Jahre  hat  trotz 
Widersprüchen  und  traurigen  Vorfällen  be- 
wiesen, daß  keinerlei  Grund  zur  Entmutigung 
vorliegt.  Sie  hat  trotz  allem  bewiesen,  daß 
ein  deutsch  -  französisches  Einverständnis 
möglich    war. 

Im  Jahre  1905  war  Frankreich  allein  und 
in  voller  militärischer  Umgestaltung  be- 
griffen. Rußland  war  erschöpft  durch  den 
Krieg  und  die  darauf  folgende  Revolution. 
England  war  kaum  mit  Frankreich  aus- 
gesöhnt. Welche  gute  Gelegenheit  wäre 
dies  für  Deutschland  zum  Kriege  gewesen, 
wenn  es  kriegerisch  gesinnt  wäre!  Deutsch- 
land hat  aber  diese  Gelegenheit  nicht  er- 
griffen. 

Der  Vorfall  von  Casablanca  bot 
wieder  eine  solche  Gelegenheit.  Deutsch- 
land hat  denselben  aber  durch  ein  Schieds- 
gericht   erledigt. 

Der  Vorfall  von  Agadir  wurde  durch 
den  Vertrag  vom  4.  November  1912  erledigt, 
welcher  ohne  Zweifel  beiden  Regierungen 
Opfer  auferlegte,  aber  beiden  Ländern  keinen 
Tropfen  Blut   kostete! 

Was  soll  man  zu  den  Balkankriegen 
sagen,  aus  welchen  die  Skeptiker  Schlüsse 
für  sich  ziehen  wollen,  während  sie  doch 
Frankreich  und  Deutschland  Gelegenheit  ge- 
boten haben,  Hand  in  Hand  zu  arbeiten  und 
auf  diese  Weise  einen  scheinbar  unvermeid- 
lichen Zusammenstoß,  aller  europäischen 
Mächte  vorgebeugt  haben. 

Welcher  Fortschritt ! 

Dieselben  beiden  Mächte,  welche  man 
vor  noch  zehn  Jahren  als  die  Gefahr  be- 
trachtete, sind  die  Beschwörer  der- 
selben   geworden. 

Der  Brand  wurde  bekämpft  und  ein- 
geschränkt gerade  von  den  beiden  Mäch- 
ten, welche  man  beargwöhnte,  denselben 
unterhalten   oder   anzünden   zu   wollen ! 

Wenn  diese  gelegentliche  deutsch- 
französische Entente  sich  verwirklichen 
könnte,  weshalb  soll  dann  eine  allgemeine 
und  dauernde  Entente  unmöglich  sein,  da- 
mit sie  der  ganzen  Weltlage  ihren  Stempel  auf- 
drücke ? 

Man  führt  mir  den  Abgrund  vor,  der  die 
zwei  Länder  trenne.  Ich  habe  ihn  leider  nur 
zu  sehr  ausmessen  können! 

Er  konnte  die  Diplomatie  beider  Länder 
auseinander  bringen,  aber  er  kann  die  beiden 
Völker  nicht  verhindern,  sich  einander  zu 
nähern,  wenn  sie  es  wollen. 

Wenn  sie  es  wollen! 

Das  ist  die  Frage! 


Wollen  wir  Deutsche  und  Franzosen  mit 
dem  gegenwärtigen  Regime,  unter  dem  wir 
beide  gleichmäßig  leiden,  zu  Ende  kommen? 

Ja  oder  Nein? 

Wollen  wir  es? 

Wollt  ihr  es? 

Wir  sind  zwei  freie  Nationen,  zwei  Demo- 
kratien, was  man  auch  sagen  möge,  unter  zwei 
ganz  verschiedenen  Regierungsformen. 

Wir  haben  das  Recht,  über  unsere  Zukunft 
zu  entscheiden.  Wollen  wir,  ja  oder  nein,  die 
deutsch-französische    Annäherung  ? 

Sicherlich  ja! 

Dann  höre  der  eine  auf  zu  war- 
ten, bis  ihm  der  andere  alle  Zuge- 
ständnisse gemacht  hat. 

Bereite  sich  jeder  von  uns  vor,  nicht  nur 
Zugeständnisse  zu  verlangen,  sondern  auch 
solche  zu  bewilligen! 

Was  sollen  das  für  Zugeständnisse  sein? 

Ich  habe  es  hundertmal  gesagt.  Sie 
sollen  sich  ergeben,  nicht  aus  beiderseitiger  ab- 
soluter Intransigenz,  sondern  aus  erleuchteter 
und  spontaner  Einwilligung  seitens  beider 
Teile. 

Auf  dieser  Grundlage  wird  die  Verständi- 
gung dauernd,  ehrenhaft  und  für  alle  annehm- 
bar sein. 

Ich  bin  überzeugt  davon,  daß  dies  in 
Frankreich  dem  allgemeinen  Gefühle  ent- 
spricht. 

Eine  aufrichtige  Bemühung  zur  Versöh- 
nung seitens  Deutschlands  wird  mehr  auf  die 
Herzen  der  Franzosen  wirken,  wie  alle  Armeen 
der  Welt. 

Wir  wollen  uns  den  Frieden  weder  aufer- 
legen lassen,  noch  denselben  auferlegen.  Wir 
werden  mit  Freude  den  uns  gezeigten  guten 
Willen   in   gleicher   Weise   beantworten. 

Was  Deutschland  betrifft,  so  untersuchen 
Sie  Ihr  Gewissen,  Ihr  Interesse,  Ihre  Pflicht  als 
Patrioten  und  als  freie  Männer  und  suchen 
Sie  danach,  uns  alle  Zugeständnisse  zu  machen, 
welche  Ihnen  möglich  sind,  um  sich  uns  zu 
nähern. 

Aber  beeilen  wir  uns! 

In  wenigen  Jahren  vielleicht  kann  es  zu 
spät  sein. 

Die  gegenwärtige  Lage  darf  nicht  länger 
bestehen. 

Der  Augenblick  kommt,  wo  wir  wählen 
müssen  zwischen  Revolution,  Anarchie  oder 
Ordnung,  Glück,  Fortschritt,  oder,  anders  aus- 
gedrückt, zwischen  dem  europäischen  Krieg 
oder  den  Vereinigten  Staaten  von  Europa. 

Mögen  unsere  beiden  großen  Nationen 
ihre  Mission  erfüllen,  welche  darin  besteht, 
allen  den  Weg  des  Heils  zu  ebnen!" 

Ein  Beifall,  der  das  übliche  Maß  über- 
schritt, krönte  diese  Rede. 

Die  Antwort  erteilte  unter  jubelnder  Zu- 
stimmung der  Anwesenden  Konrad  Hauß- 
mann: 

„Ich  will  auf  die  Worte  des  Barons 
d'Estournelles   de    Constant    eine   offene   Ant- 


367 


DIE  FRIEDENS -VVAQTE 


=§> 


wort  geben",  sagte  er.  „Ich  bin  bereit  zu 
dieser  Antwort,  denn  sie  ist  nicht  der  Ausdruck 
einer  Aufwallung  des  Augenblicks,  sondern  das 
Ergebnis  ernster  Beobachtung  und  Erwägung 
während  all  der  letzten  Jahre.  Ja,  auch  wir 
Deutschen,  wir  wollen  den  Frieden,  wir  wollen 
die  Verständigung  mit  Frankreich;  ja,  auch 
wir  wollen  handeln,  ehe  es  zu  spät  ist!  Wir 
wollen  uns  ans  Werk  machen  mit  den  Franzo- 
sen, wir  wollen  guten  Willen  mit  gutem  Wil- 
len erwidern.  Auch  wir  wünschen  lebhaft, 
daß  die  Deutschen  ihren  Anteil  an  den  gegen- 
seitig notwendigen  Konzessionen  übernehmen." 
Haußmann  sprach  noch  weiter  über  dies 
Thema.  Zum  Schlüsse  reichten  sich  beide 
Redner  unter  dem  Jubel  der  Hörer  die  Hände 
mit  dem  Versprechen,  sich  noch  oft  zusammen- 
finden zu  wollen  im  Dienste  der  franco-deut- 
schen    Verständigung. 


Friedensbewegung  und  Schule. 

Von    F.    Müller-Lyer,    München. 

In  jeder  Geschichtsperiode  stehen  die 
einzelnen  Kulturerscheinungen  in  innigem  Zu- 
sammenhang; Wirtschaft,  Familie,  staatliche 
und  zwischenstaatliche  Organisation,  Re- 
ligion, Wissenschaft,  Philosophie,  Moral, 
Recht  und  Kunst,  sie  befinden  sich  alle  bis» 
zu  einem  gewissen  Grad  zueinander  im  Ver- 
hältnis der  Abhängigkeit  und  der  Wechsel- 
wirkung, weil  sie  stets  mehr  oder  weniger 
aneinander  angepaßt  sind.  So  bildet  denn 
jede  vollentwickelte  Kultur  gleichsam  ein  'Ge- 
webe, in  denn  jeder  (einzelne  'Faden  den  andern 
stützt  und  hält  und  wieder  in  jedem  andern 
verfestigt  und  verfilzt  ist;  und  wollte  man 
auch  nur  einen  einzigen  Faden  ändern,  so 
müßte  man  das  ganze  Gewebe  umweben. 
Kurz,  jeder  Veränderung  einer  Einzelheit 
stellt  sich  das  ganze  System  mit  all  seinen 
inneren  organischen  Widerständen  entgegen. 

Dieser  enge  und  zähe  Zusammenhang 
der  einzelnen  Kulturfunktionen  ist  offenbar 
dem  Fortschritt  ungünstig.  Denn  wenn  es 
auch1  nicht  schwer  ist,  eine  einzelne  Ein- 
richtung zu  verbessern,  so  ist  es  aber  fast 
unmöglich,  die  gesamte  Kultur  plötzlich  so- 
zusagen umzuwehen  und  umzukrempeln.  — 
Wenn  daher  ein  Fortschrittsfreund  und  ein 
Fortschrittsgegner  miteinander  diskutieren,  so 
wird  sich  zwar  der  pegner  von  einer  einzelnen 
Verbesserung  vielleicht  überzeugen  lassen,  er 
wird  aber  dann  nachweisen,  daß  diese  Ver- 
besserung mit  anderen  bestehenden  Ein- 
richtungen nicht  in  Einklang  zu  bringen  ist 
und  deshalb  als  verfehlt  verworfen  werden 
muß.  —  Bedenkt  man  außerdem  noch,  daß 
der  Mensch  von  Natur  ein  durch  und  durch 
konservatives  Wesen  ist,  so  wird  es  einem 
fast  unerklärlich,  wie  denn  jemals  ein  Kul- 
turfortschritt überhaupt  hat  stattfinden 
können. 


Ziehen  wir  nun  zur  Beantwortung  dieser 
Frage  die  Kulturgeschichte  zu  Rate,  so  sehen 
wir,  daß  von  allen  soziologischen  Funktionen 
die  Wirtschaft  es  ist,  die  den  Menschen  am 
ersten  noch  zum  Fortschreiten  verlocken 
kann.  Denn  ein  wirtschaftlicher  Fortschritt 
bedeutet  im  allgemeinen  eine  Verbesserung 
der  materiellen  Lage,  und  überall,  wo  dieser 
Ton  das  Ohr  des  Durchschnittsmenschen 
trifft,  der  Zauber  des  Besitzes,  des  klingen- 
den Geldes  oder  auch  nur  der  Wunsch  rege 
wird,  aus  der  Enge  und  Not  in  ein  reicheres 
Leben  hinauszukommen,  da  wird  die  an- 
geborene Neophobie  überwunden  und  die  Bahn 
des    Fortschritts    wird    willig    eingeschlagen. 

So  vollzieht  sich  denn  in  der  Tat  regel- 
mäßig der  Fortschritt  zunächst  und  zuerst 
auf  dem  Gebiet  der  Wirtschaft.  Sobald  aber 
entscheidende  oder  erhebliche  wirtschaftliche 
Fortschritte  gemacht  worden  sind,  so  ist  das 
ganze  Kulturgewebe  auseinandergerissen;  das 
Gleichgewicht  des  Kultursystems  ist  gestört, 
und  es  tritt  jetzt  eine  sogenannte  „kritische" 
Geschichtsperiode  ein,  wo  alles  in  Unordnung 
ist  und  wo  nun  eine  Neuordnung  aller 
menschlichen  Dinge  Platz  greifen  muß. 
Diese  Neuordnung  besteht  dann  darin,  daß 
alle  soziologischen  Funktionen :  Familien-  und 
Staatsverfassung,  Religion  und  Kunst,  Er- 
ziehung, Erbfolge,  Recht,  Moral  usw.  der 
neuen  Wirtschaft  angepaßt,  d.  h.  auf  das 
höhere  Niveau  der  neuen  Wirtschaft  hinauf- 
gehoben werden.  Ist  dieser  Anpassungs- 
und  Umbildungsvorgang  abgelaufen,  so  ist 
die  kritische  Periode  zu  Ende,  und  eine 
„stabile"  Periode  beginnt,  d.  h.  eine  neue 
Kulturstufe  ist  erstiegen  worden,  die  nun 
langsam  in  den  Einzelheiten  wieder  aus- 
gebaut wird. 

Daß  wir  uns  gegenwärtig  nicht  in  einer 
stabilen,  sondern  in  einer  kritischen  Periode 
befinden,  darüber  wird  wohl  kein  Wort  zu 
verlieren  sein.  Durch  die  Erfindung  der  großen 
Arbeitsmaschinen,  durch  die  Verwertung  der 
Kohle  und  des  Dampfes,  durch  die  hoch- 
kapitalistische Organisation  und  den  Welt- 
handel ist  unsere  Wirtschaft  zu  neuen,  höhe- 
ren \Formen  der  Arbeitsvergesellschaftung 
fortgeschritten,  von  denen  man  früher  keine 
Ahnung  hatte.  Und  wir  sind  nun  Zuschauer 
des  soziologisch  fesselnden  Prozesses,  durch 
den  alle  anderen  Kultureinrichtungen  dieser 
veränderten  Wirtschaftslage  sich  langsam,  aber 
unwiderstehlich  anpassen,  anpassen  müssen.. — 
So  ist  z.  B.  die  Volkswirtschaft  in  Welt- 
wirtschaft übergegangen,  und  parallel  dazu 
muß  nun  auch  die  nationale  Organi- 
sation in  die  internationale  über- 
gehen. Der  Pazifismus  ist  daher  in  unserer 
Zeit  nicht,  wie  seine  Gegner  meinen,  eine 
wohlgemeinte  Utopie,  sondern  eine  sozio- 
logische  Notwendigkeit. 

Aber  die  Entwicklung  zum  Pazifismus 
wird  auch  hier  wieder  gehemmt  durch  Zu- 
sammenhänge mit  andern  Kulturerscheinungen, 


368 


@] 


DIE  FRI  EDENS -^*M2XE 


von  denen  eine  der  wichtigsten  die  E  r  - 
ziehung  ist.  Solange  die  Schule  den 
Kindern  noch  den  alten,  kriegerischen  Geist 
einhaucht,  solange  der  Geschichtsunterricht 
von  fast  nichts  anderem,  zu  erzählen  weiß,  als 
von  siegreichen  Monarchen,  glorreichen 
Kriegen  und  Schlachten,  von  heimtückischen 
Erbfeinden  und  dergleichen,  solange  die  Schule 
noch  vom  Chauvinismus  beherrscht  wird,  kann 
die  Friedensbewegung  über  ihre  Gegner 
schwerlich  triumphieren.  Denn  wo  die  Ge- 
müter nationalistisch  überhitzt  sind,  da  ver- 
dampfen alle  Vernunftgründe  in  nichts,  und 
sogar  der  Appell  an  den  sonst  so  allmächtigen 
„Nervus  rerum"  (Norman  Angell)  verhallt  un- 
gehört   oder   doch    erfolglos. 

Gerade  aber  in  der  Erziehung  ist  in  den 
letzten  Jahren  eher  eine  Verschlimmerung  als 
eine  Verbesserung  eingetreten;  die  rückläufige 
Bewegung,  die  sich  augenblicklich  abspielt  (wie 
immer  am  Vorabend  sehr  großer  Fortschritte), 
hat  auch  die  Schule  ergriffen.    Namentlich  hat 
in    Deutschland    das    Erziehungssystem   einen 
starken   militärischen    Einschlag    erhalten.    — 
Vor  mir  liegt   eine  kleine   Abhandlung   (Juli- 
heft  der  „Freien   Schulgemeinde"    1913),    die 
von  Gustav  Wyneken  und  Hans  Reichenbach 
verfaßt    ist    und    diese    neue     Bewegung    mit 
aufmerksamem     Blick    Und    feinem     pädago- 
gischen   Verständnis     verfolgt.      Sie     ist     be- 
titelt:     „Die    Militarisierung    der    deutschen 
Jugend".      Darin    wird     geschildert,     wie     im 
Jahre     1911     der     Jungdeutschlandbund     ge- 
gründet   wurde,    dem    sich    dann    rasch    zahl- 
reiche Vereinigungen  (Bund  deutscher  Jugend- 
vereine, Akademischer  Sportbund,  Wehrkraft- 
vereine,    Pfadfinderbund    usw.)     anschlössen, 
die  die  Jugend  nach  dem  Vorbild  der  Armee 
zu     organisieren     und     den     Knaben     vater- 
ländischen   Geist,    d.   h.    besonders    auch  den 
Haß    gegen   andere    Nationen    und    die    Lust 
am  Kriege  beizubringen  bestrebt  sind.     Diese 
Bewegung  wurde  von  den  Regierungen  stark 
gefördert   und   hat   große   Erfolge.     So   zählt 
z.   Bl   der  1910  gegründete  bayerische  Wehr- 
kraftverein   heute    28    Ortsgruppen    mit    über 
3000   Knaben,   die   von   322   Führern   geleitet 
werden,   wovon   236   Offiziere   sind.   —  Wenn 
nun  auch  das  Streben  nach  körperlicher  Er- 
tüchtigung   der   Jugend    zu    loben    ist,    so   ist 
es    aber    nicht    die    moralische    Tendenz,    die 
damit  verbunden  wird.     Ueber  diese  Tendenz 
des     Wehrkraft  Vereins     schreibt    z.    B;.     Grat 
Böthmer,     einer     der     Führer     des      Vereins 
(Jugend  und  Wehrkraft,  S.  31) :  „Wir  müssen 
aber,  wollen  wir  nicht  untergehen,  an  der  alten 
Forderung  festhalten,  daß  der  erste  Gedanke 
eines  Jungen  dem  Vaterlande,  sein  erster  Zorn 
dem    Feinde    gehört,    der    es    so   oft   bedroht 
und  verwüstet   hat  .  .  .     Die  lange   Friedens- 
zeit    an     sich,     zunehmende    Wohlhabenheit 
wirken   erschlaffend    und    verwässernd,    einen 
ganz  gefährlichen  Einfluß,  der  Gott  sei  Dank 
auf    die    gesund    und     natürlich    denkenden 
Massen  des  Volkes  weniger  wirkt  als  auf  einen 


Teil  der  „Gebildeten",  üben  die  internationalen 
Friedensapostel  aus;  wie  überempfindsame 
Damen  schildern  sie  nur  die  Scheußlichkeiten 
der  Schlächterei,  nicht  die  gewaltige  ideale 
Kraft,  die  im  Heldentod  des  höchsten  wie 
des  einfachsten  Mannes  sich  äußert;  sie 
machen  uns  wehrlos  dadurch,  daß  sie  die  an 
sich  weichere  Generation  verhindern,  dem 
Kriege  fest  in  die  Augen  zu  schauen,  der 
kommen  wird  und  muß  und  der  furchtbarer 
sein   wird   als   alle   seine   Vorgänger." 

Der  Geist  des 'militärischen  Nationalismus 
wird  besonders  vom  Pfadfinderbund  ,  vom 
Kartell  der  deutschen  Jugendwehren  und  dem 
bayerischen  Wehrkraftverein  gepflegt.  Die 
politischen  Bestrebungen  dieser  Vereine  und 
des  Jungdeutschlandbundes  im  allgemeinen 
faßt  Wyneken  treffend  in  folgende  Sätze  zu- 
sammen : 

1.  Er  macht  Stimmung  für  jede  Ver- 
stärkung des  Heeres  und  der  Flotte. 

2.  Er  macht  Stimmung  für  eine  kriege- 
rische Auseinandersetzung  Deutschlands 
mit  anderen  Mächten  und  sucht  die 
Bestrebungen  für  internationale  Ver- 
ständigung  verächtlich   zu  machen. 

3.  Er  arbeitet  der  politischen  Aktivierung 
des  Volkes,  seiner  Erziehung  zur  Be- 
teiligung am  politischen  Geschehen  und 
zur  Mitverantwortlichkeit  dafür  ent- 
gegen, im  Sinne  eines  militärischen  Ab- 
solutismus und  völkischen  Servilis- 
mus. 

„Seine  »Vaterlandsliebe'  erschöpft  sich" 
'sagt  Wyneken)  „in  der  "Vorstellung  des 
Kampfes  gegen  Nachbarvölker,  des  Helden- 
todes in  diesem  Kampfe  und  der  in  unermüd- 
lichen Hochrufen  betätigten  Anhänglichkeit 
an  das  Herrscherhaus."  Und  diese  Ge- 
danken kehren  immerfort  wieder  in  den 
von  den  Vereinen  gesungenen  und  auch  meist 
selbstgedichteten  Liedern,  die,  auch  rein 
literarisch  genommen,  eine  betrübende  Ge- 
schmacklosigkeit und  Unkultur  verraten  und 
an  poetischem  Gehalt  noch  weit  hinter  den 
Soldatenliedern    zurückstehen.    — 

In  diesem  Geist  soll  also  jetzt  die 
deutsche  Jugend  erzogen  werden;  und  wie 
empfänglich  die  deutsche  Jugend  für  solche 
Lehren  ist,  das  kann  man  sich  leicht  vor- 
stellen. So  erzählt  z.  B.  H.  Reichenbach: 
„Als  die  Jungen  bei  einer  Moorkultur  gerade 
ein  Stück  Sumpfland  umgruben,  sagte  einer 
davon :  ,Bei  jedem'  Erdkloß;,  den  wir  mit  dem 
Spaten  zerstießen,  dachten  wir,  es  wäre  ein 
Franzos',    dem    wir   den    Kopf    zerschlugen". 

Daß  die  neue  Art  der  „Jugendkultur"  so 
rasche  Erfolge  hat,  erklärt  sich  eben  nicht 
bloß  daraus,  daß  die  Bewegung  von  oben  her 
eine  so  kräftige  Förderung  findet,  sondern 
noch  mehr  dadurch,  daß  sie  sich,  an  In- 
stinkte wendet,  die  in  jedem  Menschen  von 
der  Natur  angelegt  sind,  die  zwar  durch  die 
Kultur  vermindert  oder  veredelt  werden, 
aber  gerade  deshalb  natürlich  in  der  Jugend 


369 


DIE  FßlEDEN5-^&DTE 


;© 


noch  besonders  stark  in  Tätigkeit  sind.  Die 
beiden  wichtigsten  der  hier  in  Betracht 
kommenden  Naturinstinkte  kann  man  als 
Fremdenhaß  und  als  Kampftrieb  be- 
zeichnen. 

Haß  und  Verachtung  der  Fremden  und 
des  Fremden  finden  sich  bei  fast  allen  Völkern 
der  Erde,  und  sie  sind  um  so  stärker  aus-f 
geprägt,  je  tiefer  ein  Volk  auf  der  Leiter  der 
Kultur  steht.  Ein  jedes  Volk  hält  sich  für 
das  vorzüglichste,  die  anderen  Völker  dagegen 
für  minderwertig.  Nach  der  Ansicht  der 
Eskimos  z.  B.  mißlang  dem  Großen  Geist  sein 
erster  Versuch,  einen  Menschen  zu  machen, 
vollständig,  so  daß  daraus  ein  Europäer 
wurde;  erst  der  zweite  Versuch  gelang,  und 
nun  brachte  er  einen  Eskimo  fertig.  Die 
armseligen  Australneger  halten  die  Weißen 
für  Arbeitssklaven,  sich  selbst  aber  für 
Gentlemen,  die  sich  keiner  Arbeit  unter- 
ziehen dürfen,  weil  sie  dafür  zu  vornehm  sind. 
Die  Tschippewäh-Indianer  haben  das  Wort : 
„Dumm  wie  ein  Weißer",,  und  Westermarck 
hat  in  seinem  Buch  über  die  Entwicklung 
der  Moralbegriffe  eine  lange  Liste  ähn- 
licher Aussprüche  gesammelt,  die  zeigen,  wie 
sehr  die  Naturvölker  von  ihrer  eigenen  Herr- 
lichkeit und  Ueberlegenheit  überzeugt  sind. 
Dieser  Instinkt  erhält  sich  auch  auf  viel 
höheren  Kulturstufen.  Die  Chinesen  halten 
sich  für  das  Reich  der  Mitte,  die  Juden 
für  das  auserwählte  Volk,  die  Germanen- 
schwärmer haben  entdeckt,  daß,  alle  Kultur 
auf  Erden  von  der  nordischen  Rasse  her- 
rührt, eine  „Theorie",  die  schon  Fritz  Reuter 
in  die  Worte  zusammengefaßt  hat :  „Im 
Anfang    schuf    Gott    Möcklenbörg." 

Der  Ursprung  dieses  Naturinstinkts  ist 
leicht  zu  verstehen.  Denn  die  Natur  schuf 
den  Menschen  als  ein  Herdenwesen,  d.  h.  als 
ein  Individuum,  das  sich  mit  seiner  Herde 
oder  Horde  solidarisch  verbunden  fühlt,  was 
aber  nur  möglich  ist,  wenn  es  fremde  Herden 
mehr  oder  weniger  verabscheut.  Daher  sind 
alle  Herdentiere  den  fremden  Herden  feindlich. 
Eine  Ameise,  von  einem  Haufen  in  einen 
andern  versetzt,  wird  dort  sofort  in  Stücke 
zerrissen,  selbst  wenn  sie  von  derselben  Art 
ist,  und  ähnlich  verhält  es  sich  mit  den 
Hunden,  Rindern,  Affen  und  fast  allen  rich- 
tigen Herdentieren.  —  Für  die  Höherentwick- 
lung der  Kultur  ist  dieser  Naturtrieb  jedoch 
ein  Hemmnis;  und  daher  vermindert  er  sich 
bei  wachsender  Kultur.  Je  mehr  die  Völker 
miteinander  in  Verkehr  treten,  je  mehr  sie 
sich  davon  überzeugen,  daß  „hinterm  Berge 
auch  noch  Leute  wohnen",  um  so  deutlicher 
wird  ihnen,  daß  sie  zwar  nicht  gleich  sind, 
aber  in  einem  Verhältnis  wechselseitiger 
Ueberlegenheit  zueinander  stehen.  Beim  Kind 
aber  ist  jener  Trieb  noch  in  ungehemmter 
Kraft;  ein  richtiger  amerikanischer  Junge  wird 
z.  B,  bei  jeder  Gelegenheit  die  Behauptung 
aufstellen:  „American  boys  are  the  best";  und 
wenn  dem  Kind  solche  Weisheit  von  Erwach- 


senen, ja  sogar  von  seinen  Lehrern  auch  noch 
bekräftigt  wird,  so  erwacht  das  primitive 
Herdentier  im  Kindergemüt  wieder  zu  vollem 
Leben.  — 

Der  zweite  Naturtrieb,  den  die  neuchauvi- 
nistische Bewegung  zu  ihren  Zwecken  miß- 
braucht, ist  der  Kampf  trieb.  Ursprünglich 
ist  der  Mensch  bekanntlich  ein  Raubtier.  Von 
der  Natur  auf  das  Fleisch  seiner  Mitgeschöpfe 
angewiesen,  war  er  ungezählte  Jahrtausende 
lang  ein  Jäger,  dessen  wichtigste  Beschäfti- 
gung die  Erlegung  anderer  Tiere  war,  und 
auch  das  Fleisch  seiner  eigenen  Rasse  ver- 
schmähte er  nicht;  auf  einer  gewissen  Kultur- 
stufe war  der  Kannibalismus  bei  allen 
Völkern,  wie  Andr£e  nachgewiesen,  eine  ganz 
universelle  Erscheinung.  Je  mehr  die  Kultur 
fortschritt,  um  so  wichtiger  aber  wurde  das 
Zusammenwirken  der  Menschen,  und  die  ver- 
gesellschaftete Arbeit  wurde  immer  mehr  die 
Erzeugerin  aller  Werte,  die  das  Leben  ver- 
schönern und  veredeln  und  die  Mutter  aller 
hohen  Kultur.  —  Aber  das  Kind  ist  noch 
ganz  Natur.  Im  Knaben  sehen  wir  —  gemäß 
dem  biogenetischen  Grundgesetz  Häckels  — 
den  Jagd-  und  Kampftrieb  noch  voll  aus- 
gebildet. Knaben  jagen  und  haschen  nach 
allem,  was  da  kreucht  und  fleucht,  nach 
Schmetterlingen,  Vögeln  und  Fischen,  ihre 
Neck-  und  Rauflust  ist  wie  bei  allen  Un- 
gebildeten, Unkultivierten  so  groß,  daß  ihre 
Lieblingsspiele    Kampfspiele   sind. 

Kampftrieb,  Rassendünkel,  Fremdenhaß 
sind  also  dem  Menschen  eingeborene  Natur- 
instinkte, kulturwidrige  Triebe  des  Wilden,  die 
durch  Erziehung  und  höhere  Gesittung  um- 
gebildet werden  müssen.  Gerade  diese  In- 
stinkte aber  erleichtern  in  hohem  Grade  die 
jetzt  beabsichtigte  Militarisierung  der  Jugend. 
Das  Kind,  dessen  rohe  Naturinstinkte  noch 
nicht  veredelt  und  vergeistigt  sind,  bietet  da- 
für ein   nur  allzugünstiges    Objekt   dar. 

Nun  ist  von  den  Regierungen  und  Par- 
lamenten, die  ihre  Unfähigkeit,  der  inter- 
nationalen Anarchie  zu  steuern,  durch  das 
denkbar  gedankenloseste  System  —  das  Wett- 
rüsten! —  genugsam  dargelegt  haben,  für  die 
Schule  der  Zukunft  in  absehbarer  Zeit  leider 
kaum  ein  Verständnis  oder  eine  Besserung 
zu  erwarten.  Entscheidende  Fortschritte 
können  vorläufig  hier  nur  durch  private  Ini- 
tative  erstrebt  werden.  Ich  möchte  daher  die 
Pazifisten  und  Kulturfreunde,  denen  es  ja  nicht 
gleichgültig  sein  kann,  daß  ihre  Kinder  nach 
rückwärts,  zur  Unkultur  erzogen  werden,  auf 
die  Freie  Schul  gemeinde  Gustav  Wynekens 
aufmerksam  machen. 

In  der  Wyneken-Schule  sind  alle  wich- 
tigsten Forderungen,  die  von  unsern  großen 
Schulreformern  und  pädagogischen  Denkern 
aufgestellt  worden  sind,  harmonisch  vereinigt. 
Tener  großartige  Dichtertraum  von  der  „pä- 
dagogischen Provinz!",  den  uns  Goethe  im 
Wilhelm  Meister  auseinandergesetzt  hat,  hier 
ist  er  Wirklichkeit  geworden.    Die  Schule  liegt 


370 


@= 


=  DIE  FRIEDEN5-WARXE 


fern  von  der  Großstadt  auf  dem  Lande,  wo 
die  Schüler  in  innigem  Verkehr  mit  der  Natur 
aufwachsen.  Körperliche  Uebungen,  Wande- 
rungen und  Sport  sorgen  für  die  Kraft  und 
Gesundheit  des  Schülers  und  zugleich  dafür, 
daß  jene  atavistischen  Kampftriebe,  die  die 
Jungdeutschen  zur  alten  Wildheit  reaktivieren 
wollen,  kultiviert,  d.  h.  vom  Willen  zu 
schaden  befreit  und  durch  die  Vernunft  ge- 
regelt und  beherrscht  werden.  Denn  nicht 
zum  Kampf  ums  Dasein,  wie  das  öde  Schlag- 
wort lautet,  soll  nach  Wyneken  der  Mensch 
erzogen  werden,  sondern  zum  Zusammenwirken 
mit  seinesgleichen,  nicht  zur  Zerstörung,  son- 
dern zum  Bau  an  dem  großen  Werke  der 
Kultur.  —  Der  Unterricht  findet  statt  nicht 
auf  Grundlage  der  Autorität  und  des  blinden 
Gehorchens,  durch  die  jetzt  Lehrer  und 
Schüler  in  zwei  feindliche  Lager  gespalten 
werden,  sondern  nach  dem  Prinzip  der  Selb- 
ständigkeit und  der  „Selbsttätigkeit".  An  die 
Stelle  der  Dressur  und  des  Drills,  des  Ar> 
hörens  und  papageienartigen  Aufsagens  ist  die 
eigene  Anschauung  und  die  eigene  Tätigkeit 
getreten,  sowie  der  freie  kameradschaftliche 
Verkehr   zwischen   Lehrern   und   Schülern. 

Ganz  besondere  Pflege  wird  in  der  Neu- 
schule der  Ausbildung  des  Charakters  ge- 
widmet, die  in  unserer  Kultur  leider  so  ent- 
setzlich vernachlässigt  wird,  daß  man,  wie  ich 
glaube,  sagen  muß :  für  die  Charaktererzie- 
hung ist  sogar  bei  den  Wildvölkern,  bei  den 
Eskimos  und  Indianern  besser  gesorgt  als  bei 
unsern  „Kultur"völkern  (vgl.  die  Kriminal- 
statistik, besonders  die  Zahl  der  jugendlichen 
Verbrecher).  Was  schon  Aristoteles  wußte,  in 
der  Wynekenschule  ist  es  zur  Tat  geworden : 
nicht  durch  Moralpredigten  oder  gar  durch 
religiöse  Dogmen  erzieht  man  den  Charakter, 
sondern  gerade  wie  man  das  Schwimmen  nur 
im  Wasser  lernt,  durch  die  Sittlichkeit  der 
Tat,  durch  die  frühzeitige  Gewöhnung,  durch 
die  praktische  Ausübung  einer  gerechten  und 
edlen  Handlungsweise,  die  dann  so  in  Fleisch 
und  Blut  übergeht,  zur  Uebung  und  Gewohn- 
heit wird,  daß  der  Mensch  gar  nicht  mehr 
anders  als  anständig  handeln  kann.  Daher 
müssen  Kinder  sozial  auf  erzogen  werden ; 
durch  wohlgeleiteten  Umgang  erziehen  sie  sich 
selber  und  schleifen  sich  jene  sozialen  Un- 
tugenden ab,  deren  allgemeine  Verbreitung 
gegenwärtig  das  Leben  vielfach  so  häßlich 
macht.  Daher  ist  in  der  Wynekenschule  das 
Prinzip  der  Selbstregierung  der  Schüler 
in  der  glücklichsten  Weise  durchgeführt 
worden.  Die  Charaktererziehung  wird  außer- 
dem noch  gefördert  durch  die  besondere 
Pflege,  die  bei  Wyneken  die  sogenannten  Ge- 
sinnungsfächer finden.  Der  geistlose,  rein 
äußerliche  Geschichtsunterricht  (Jahreszahlen) 
ist  durch  die  soziologische  Betrachtungsweise 
vergeistigt.  Die  Bürgerkunde  üben  sich  die 
Schüler  in  ihrer  „Freien  Schulgemeinde" 
praktisch  selber  ein.  Die  schönen  Künste, 
besonders  auch  die  Musik,  werden  nicht  spiele- 


risch, sondern  mit  tiefem  Ernst  betrieben,  so 
daß  sie  ihre  veredelnde  Macht  voll  ent- 
wickeln können.  An  die  Stelle  des  über- 
wundenen Dogmenglaubens  setzt  Wyneken 
eine  Religion  des  Herzens,  die  die  Kinder 
zu  Kulturträgern  erzieht,  zu  Gliedern  eines 
großen  Ganzen,  einer  wahren  Kulturgemein- 
schaft, und  anstatt  des  blöden  und  rohen 
Chauvinismus  (der,  wie  schon  der  hl. 
Augustinus  wußte,  nichts  anderes  ist,  als  der 
Haß  gegen  andere  Völker)  lehrt  er  jenen 
edlen  „Kulturpatriotismus",  der  sich  zwar  mit 
Begeisterung  dem  eigenen  Volk  hingibt,  zu- 
gleich aber  in  den  andern  Völkern  gleich- 
berechtigte Organe  der  zum  höchsten  stre- 
benden  Kulturmenschheit  erkennt. 

Trotz  so  hoher  Anforderungen  ist  aber 
Wyneken  keineswegs  der  Anschauung,  daß 
die  Jugend  bloß  als  eine  Zeit  der  Vorbereitung 
betrachtet  werden  darf,  sondern  zugleich  als 
ein  vollwertiger  Abschnitt  des  Lebens,  worin 
der  der  Jugend  so  eigene  Frohmut  sich  aus- 
leben   und    auswirken    kann.    — 

Alle  diese  Grundsätze  hat  Wyneken  zu 
einem  harmonischen  System  vereinigt  und  in 
verschiedenen,  höchst  wertvollen  Schriften  dar- 
gelegt, so  in  den  Wickersdorfer  Jahrbüchern, 
ferner  in  der  jetzt  im  drtiten  Jahrgang  er- 
scheinenden Zeitschrift  „Die  Freie  Schul- 
gemeinde", besonders  aber  kürzlich  in  einem 
in  außerordentlich  schöner  Sprache  geschrie- 
benen Buch:  „Schule  und  Jugendkultur". 
(Jena,    Diederichs,    1913.) 

Aber  nicht  nur  in  Worten,  auch  in  Werken 
hat  Wyneken  seine  pädagogischen  Ideen 
durchzuführen  gestrebt.  Zunächst  gründete  er 
unter  großen  Opfern  und  Anstrengungen  die 
„Freie  Schulgemeinde"  in  Wickersdorf  (in 
Thüringen),  und  wie  gut  es  ihm  gelungen  ist, 
in  jener  Anstalt  seine  Absichten  zu  verwirk- 
lichen, mag  folgende  Stelle  zeigen,  die  aus 
der  Feder  eines  Wickersdorfer  Studenten  her- 
rührt, und  deren  Inhalt  für  den  Geist  der 
Wyneken-Schule  bezeichnend  ist:  „Wenn  ein 
Abiturient  der  Freien  Schulgemeinde  Wickers- 
dorf" (heißt  es  darin)  „die  Hochschule  be- 
zieht, so  wird  ihm  mit  voller  Schärfe  fühlbar 
werden,  was  wir  meinen,  wenn  wir  der  Hoch- 
schule das  Prädikat  einer  Kulturstätte  ab- 
sprechen. Wie  ist  er  gewohnt  zu  leben?  Er 
hat  bisher  mit  älteren  und  jüngeren  zusammen 
ein  geregeltes  Dasein  geführt,  hat  mit  ihnen 
gearbeitet,  Gymnastik  und  Sport  getrieben,  ist 
mit  ihnen  im  großen,  lichten  Speisesaal  zu 
Tisch  gegangen,  jede  Mahlzeit  ein  kleines 
Fest  voll  Regel  und  Rhythmus.  Er  ist  mit 
seinen  Kameraden  gewandert,  hat  mit  ihnen 
musiziert  und  Theater  gespielt,  hat  mit 
wachem  Sinn  teilgenommen  an  regelmäßigen 
Vorlesungen  und  Musikabenden  in  größerer 
oder  kleinerer  Gemeinschaft.  Er  ist  gewohnt, 
im  engeren  Kreis  der  selbstgewählten  Kamerad- 
schaft wie  im  Schülerausschuß  und  in  der 
alle  umfassenden  Schulgemeinde  als  ein  freier, 


371 


DIE  FRIEDENS -^/ABTE 


G) 


nur  durch  Satzungen  und  Sitte  gebundener 
Mensch  mit  eigener  Verantwortlichkeit  in 
Rechten  und  Pflichten  mitzusorgen  durch  Rat 
und  Tat  für  seine  Kameraden,  wie  für  das 
Wohl  des  Ganzen.  —  Wo  findet  er  auf  der 
Universität   dergleichen?"    — 

Um  einer  großen  Organisation  einen 
solchen  Geist  einzuhauchen,  dazu  bedarf  es 
einer  genialen  Persönlichkeit.  Nur  wer  selbst 
begeistert  ist,  kann  andere  begeistern,  mit- 
reißen. Eine  solche  Persönlichkeit  ist 
Wyneken.  Keine  Entbehrung  war  ihm  zu 
hart,  keine  Verfolgung  seiner  verständnislosen 
Feinde  (woran  es  ihm  ebenso  wenig  fehlt  wie 
seinem  großen  Vorgänger  Pestalozzi)  war  ihm 
zu  bitter,  unentwegt  hat  er  an  seinem  hohen 
Ziel  festgehalten.  Mit  der  Ritterlichkeit  des 
Idealisten  und  zäher  Energie  verbindet  er  ein 
fast  kindlich  naives  Verständnis  für  die  Jugend 
und  eine  geniale  pädagogische  Begabung,  mit 
ihr  umzugehen.  Von  ihm  dürfen  wir  daher 
wohl  hoffen,  daß  es  ihm  gelingen  wird,  die 
Menschheitsschule  der  Zukunft  zu  errichten, 
die  dann  wie  eine  Akropolis  höchster  Kultur 
in  die  Lande  hinausleuchtet,  als  ein  Vorbild, 
dem  überall  in  der  Kulturmenschheit  nach- 
gestrebt  werden   kann. 

Nun  ist  Wyneken  mit  einer  Neugründung 
beschäftigt,  in  der  er  in  noch  höherem  Maße 
das  Ideal  einer  Kulturschule  verwirklichen 
will.  Bereits  ist  ein  von  vielen  fortschritt- 
lichen und  bedeutenden  Männern  unterzeich- 
neter Aufruf  an  die  Oeffentlichkeit  ergangen. 
Aber  die  pekuniären  Mittel  sind  noch  zu  ge- 
ring, um  das  Projekt  Wirklichkeit  werden  zu 
lassen.  Ich  glaube,  daß  alle  Pazifisten  und 
alle,  denen  der  Fortschritt  der  Kultur  am 
Herzen  liegt,  nichts  Besseres  tun  können,  als 
diese  neue  Schule  mit  gründen  zu  helfen.  Be- 
sonders die  Besitzenden  unter  den  Kultur- 
freunden dürften  hier  ein  herrliches  Gebiet  für 
die  wahrhaft  nutzbringende  Verwendung  ihrer 
Reichtümer  finden.  Millionen  sind  zusammen- 
geflossen, als  es  galt,  Zeppelin  zu  [unterstützen ; 
welche  tatkräftige  Hilfe  hat  Richard  Wagner 
gefunden !  Und  diese  Opferwilligkeit  ge- 
reicht den  edlen  Helfern  gewiß  zu  hohem 
Ruhme.  Aber  so  groß  die  Werke  jener 
Männer  waren,  die  Verwirklichung  des 
Wynekenschen  Gedankens  ist  ungleich  wich- 
tiger für  das  Volk  sowohl  als  für  den  Fort- 
schritt der  Kultur  und  für  das  Glück  der 
Menschheit.  Denn  die  Schule  Wynekens  ist 
der  Zukunftstypus  der  eines  Kulturvolkes 
würdigen  Jugendkultur,  die  früher  oder  später 
unser  jetzt  noch  so  tief  stehendes  Schulwesen 
zu  ersetzen  berufen  ist.  Und  erst  dann  werden 
wir  ein  wirkliches  Kulturvolk  sein,  wenn  wir 
eine  Schule  besitzen,  die  fähig  ist,  aus  dem 
kindlichen  Rohmaterial  den  Kulturmenschen 
zu  formen. 


Kampf  und  Hilfe  in  der 
untermenschlichen  Lebewelt. 

Von    Dr.    Paul    Kammerer, 
Privatdozent   an   der   Universität   Wien. 

Seit  Darwin  ist  es  üblich  geworden, 
den  Kampf  ums  Dasein  als  „Vater  aller 
Dinge"  anzusprechen,  ihn  als  Triebkraft  des 
Fortschritts  anzusehen,  die  durch  ihn  be- 
wirkte natürliche  Auslese  als  ein- 
zigen Entwicklungsfaktor  anzuerkennen. 

Doch  verknüpft  sich  diese  Auslegung  zu 
Unrecht  mit  dem  Namen  Darwins :  rein 
extensiv  genommen,  beansprucht  allerdings 
in  Darwins  Werken  die  Darstellung  des 
Kampfprinzips  den  breitesten  Raum;  doch 
auch  intensiv  erfaßt,  sind  dafür  die  wenigen 
Seiten,  die  Darwin  in  seinem  Buch  über  die 
Abstammung  des  Menschen  dem  Prinzip  der 
gegenseitigen  Hilfe  gewidmet  hat, 
um  so  entscheidender.  Manches  spricht 
dafür,  daß  Darwin  im  Begriffe  war,  diesem 
Antagonisten  des  Daseinskampfes  eingehen- 
des Studium  zu  schenken,  an  dessen  Voll- 
endung er  durch  den  Tod  gehindert  wurde, 
der  ja  stets  dafür  sorgt,  daß  Menschenwerk 
Stückwerk  bleibe.  —  Darwin  hat  also  jeden- 
falls bereits  klar  erkannt,  daß  von  jedem 
einzelnen  Lebewesen  zu  jedem  einzelnen 
anderen  nicht  nur  feindliche,  sondern  auch 
freundliche  Beziehungen  geschlungen  sind ; 
und  weiter  ließ  er  die  Höherentwicklung 
nicht  etwa  bloßj  vom1  Ueberleben  des  Passend- 
sten, sondern  ebenso  von  aktiver  und 
passiver  Anpassung  der  Lebenden 
untereinander  und  an  ihre  leblose  Umgebung 
abhängen. 

Neben  dem  Hilfe-  und  Anpassungs- 
moment bestand  und  besteht  aber  der  Krieg 
aller  gegen  alle  in  seiner  Eigenschaft  als 
indirekte  Triebkraft  fortschreitender  Ent- 
wicklung zu  Recht.  —  Fast  wie  Ueberfluß 
erscheint  an  vorliegender  Stelle  der  nur 
nebenher  gemachte  Hinweis,  daß  jener  Krieg 
jedes  einzelnen  gegen  jeden  anderen  selbst- 
verständlich nicht,  wie  es  oft  geschieht  und 
worauf  sich  die  sogenannten  ,, sozialen  Dar- 
winisten" gern  berufen,  dem  politischen 
Krieg  gleichgesetzt  werden  darf.  Dieser 
ist  höchstens  ein  Spezialfall  von  jenem  (ob- 
schon  er  oft  nicht  positive,  sondern  negative 
Auslese,  Ueberleben  nicht  des  Tüchtigsten, 
sondern  des  Schlechtesten,  bewirkt);  noch 
dazu  ein  Spezialfall,  der  sich  in  der  Gesamt- 
natur  äußerst  selten  ereignet  —  außer  beim 
Menschen  nur  noch  bei  staatenbildenden  In- 
sekten. Von  einer  friedlich  weidenden  Rinder- 
herde wird  gewiß  niemand  behaupten,  sie 
führe  soeben  politischen  Krieg:  dennoch 
steht  sie  mitten  im  Daseinskampf,  weil  jedes 
Mitglied  der  Herde  jedem  anderen  das  Futter 
schmälert. 


372 


<£ 


DIE  FRIEDEN5-^*\RXE 


Mit  Rücksicht  auf  Ausnahmecharak- 
ter und  verheerende  Wirkung  kann  man 
den  politischen  Krieg  als  Unnatur  und 
verderbliches  Laster  bezeichnen,  gleich  Al- 
koholismus oder  ausgesucht  scheußlicher 
Sexualverirrung,  —  Phänomene,  die  eben- 
falls in  der  „Kultur"  der  sozialen  Haut- 
flügler  und  Termiten  wiederkehren :  falls 
man  gelten  läßt,  daß  es  „Unnatur"  über- 
haupt gibt;  denn  schließlich  ist  alles,  was 
Natur  gebiert,  eben  deshalb  auch  natürlich. 
Daß  der  Einsiedlerkrebs  seinen  weichen 
Hinterleib  in  leere  Schneckenschalen  steckt, 
statt  ihn  nach  Urvätersitte  frei  zu  tragen 
oder  gleich  den  Schnecken  ein  arteigenes 
Gehäuse  abzusondern,  könnte  mit  demselben 
Recht  als  unnatürlich  bezeichnet  werden  wie 
etwa  die  Sodomie  oder  die  Gewohnheit, 
narkotischen  Genußmitteln  zu  fröhnen :  ja 
jedes  Abweichen  über  die  Grenzwerte  der 
„normalen"  Variationsbreite,  jede  sprung- 
hafte Variation  erscheint  zunächst  na- 
turnotwendig (wenigstens  im  engen  Be- 
trachtungskreise des  Menschen  an  seinem 
Mitmenschen)  als  Unnatur.  Unnatur  in 
diesem  Sinne  und  im  höchsten  Grade,  aber 
nicht  adaptiver,  sondern  destruktiver  Be- 
schaffenheit, keine  Anpassung,  sondern 
pathologische  Variation  der  In- 
stinkte, ist  ganz  gewiß  der  politische 
Krieg,  der  denn  auch  letzten  Endes  mit 
Schädigung  des  Angreifers  und  selbst  des 
Siegers   ausgehen  muß.   —  — 

Ich  erwähnte  soeben  den  Einsiedler- 
krebs und  seinen  Trieb,  den  ungepanzerten 
Hinterleib  durch  ein  Schneckenhaus  zu 
schützen;  wenn  der  Krebs  von  dessen  Ihnen- 
räumen  Besitz  ergreift,  haben  oft  schon 
andere  Lebewesen,  wie  Seeanemonen,  stock- 
bildende Polypen,  Schwämme,  Algen  u.  dgl., 
dessen  Außenflächen  besetzt.  Dann  ent- 
wickelt sich  zwischen  diesen  festsitzenden 
Organismen  und  dem  unrechtmäßigen  In- 
haber des  Gehäuses  ein  wechselseitiges 
Trutzbündnis  im  Daseinskampf,  sog.  Sym- 
biose: für  alle  jene  an  die  Unterlage  ge- 
fesselten Geschöpfe  ist  es  von  großem  Vor- 
teil, wenn  der  Krebs  die  ihnen  fehlende 
Ortsbewegung  in  seine  eigene  Regie  über- 
nimmt, sie  in  immer  neues  Atem-  und  Nähr- 
medium trägt;  und  der  Krebs  seinerseits  er- 
fährt durch  den  botanischen  oder  zoologischen 
Garten  auf  seinem  Wohnhaus  gelungene 
Maskierung  oder  andere  wirksame  Unter- 
stützung —  so  in  Gestalt  brennender  Nessel- 
batterien der  Polypen  und  Seeanemonen,  und 
in  Gestalt  von  Erweiterungsbauten  zum  Ge- 
häuse, die  von  gewissen  Seeanemonen  und 
Schwämmen  geleistet  werden  und  dem  heran- 
wachsenden Krebs  zeitweise  oder  für  immer 
den  lästigen  und  gefährlichen  Umzug  in 
größ-ere    Gehäuse    ersparen. 

Solche  „Symbiosen"  —  zwischen 
Tier   und   Tier,    Tier    und    Pflanze, 


Pflanze  und  Pflanze*)  —  hat  uns  die 
Natur  in  beträchtlicher  Zahl  gleichsam  als 
Schulbeispiele  vor  Augen  geführt,  als  Pa-. 
radigmen,  die  im  Kleinen  und  Faßlichen 
dieselben  Regelmäßigkeiten  gegenseitiger 
Hilfe  aufweisen,  wie  sie  im  Großen  und 
schwer  Ueb erblickbaren  die  gesamte  Lebe- 
welt beherrschen.  So  gibt  es  (um  nur 
noch  ein  Exempel  anzuführen)  eine  Menge 
Tierarten,  auf  oder  sogar  in  deren  Körper 
sich  einfache,  blattgrünhältige  Pflänzchen, 
die  Algen,  niedergelassen  haben,  wie  z.  B. 
in  den  Zellen  des  inneren  Keimblattes  bei 
unserem  gemeinen  grünen  Süßwasserpolypen. 
Der  Hauptvorteil  herüber  und  hinüber  be- 
steht hier  im  zweckmäßigen  Gasaus- 
tausch: wenn  das  Tier  atmet,  verbrennt 
es  den  Kohlenstoff  seiner  Gewebe  mit  dem 
eingeatmeten  Sauerstoff  zu  Kohlendioxyd', 
das,  von  den  in  ihm  lebenden  Algenzellen 
gierig  aufgenommen,  neuerdings  in  Kohlen- 
und  Sauerstoff  gespalten  wird.  Ersteren 
verwendet  nun  die  Alge  zum  Bau  ihres 
eigenen  Leibes,  letzteren  gibt  sie  großenteils 
den  tierischen  Zellen  zurück,  die  davon 
abermals  ihren  Respirationsbedarf  bestreiten. 
Das  ist,  nur  auf  engerem  Räume  zusammen- 
gedrängt, dasselbe  Wechselverhältnis  zwischen 
Sauerstoffproduzenten  und  Kohlensäure- 
konsumenten einerseits,  Sauerstoffabnehmern 
und  Kohlensäurespendern  andererseits,  wie  es 
sich  in  der  gesamten  Vegetationsdecke  der 
Erde  und  der  sie  besiedelnden  Tierwelt 
abspielt.  Nur  mußt  hier  die  Atmosphäre 
(Atemluft  oder  lufthaltiges  Wasser)  als  ver- 
mittelndes Medium  benutzt  werden,  der 
inneren  Gewebsatmung  eine  äußere  Atmung 
(Luftaufnahme  durch  Lungen,  Kiemen,  Spalt- 
öffnungen usw.)  vorangehen,  während  im  be- 
schriebenen Symbiosefalle  sich  all  das  ganz 
oder  fast  ganz  auf  die  Innenwelt  des  Or- 
ganismus beschränkt.  Er  kann  der  äußeren 
Atmung  und  daher  besonderer  Atmungs- 
organe so  gut  wie  völlig  entbehren  und 
empfängt  seine  Lebensluft  aus  erster  Quelle 
gleich  an  Ort  und  Stelle:  in  den  atembedürf- 
tigen Zellen. selber.  Der  ökonomische  Nutzen 
der  engeren  Symbiose  gegenüber  der  fernen 
Wechselwirkung  ist  ungefähr  vergleichbar 
demjenigen  Nutzen,  wenn  Kohle  und  Eisen 
im  selben  Lande  gewonnen  werden,  statt 
erst  langwieriger  Transporte  zu  bedürfen, 
um  eine  (dann  entsprechend  verteuerte) 
Industrie   zu    ermöglichen. 

Ein  analoger  Kreislauf,  der  je  nach  Nähe 
der  austauschenden  Partner  in  gradweisen 
Abstufungen  größer  oder  kleiner,  langsamer 
oder   rascher   ausfällt,    läßt    sich    ebenso    für 


*)  Ausführliche  Zusammenstellung  der  meisten, 
bis  1910  beschriebenen  Fälle  bei  Kammerer, 
„Genossenschaften  von  Lebewesen  auf  Grund 
gegenseitiger  Vorteile",  120  Seiten,  8  Bilder- 
tafeln; Stuttgart,  bei  Strecker  &  Schröder,  1913. 
—    Daselbst    weitere    Literatur. 


373 


DIE  FRIEDENS  -WAGTE  = 


3 


die  Wanderung  des  Stickstoffes,  des  wichtig- 
sten Gewebebildners,  nachweisen,  und  ebenso 
für  jedwedes  Element,  woraus  die  lebende 
Substanz  sich  aufbaut.  Die  Symbiosen  sind 
also  nicht,  wie  man  früher  wohl  glaubte, 
sporadische  Seltenheiten,  vereinzelte  Schau- 
stücke im1  Kuriositätenkabinett  der  Natur, 
sondern  sie  sind  nichts  weiter  als  aus- 
nehmend lehrreiche  Sonderfälle  und  in 
diesem  Sinne  allerdings  Prunkobjekte  von 
Gesetzmäßigkeiten,  die  den  ganzen  be- 
lebten Planeten  umfassen  — -  sie  sind  gleich- 
sam Monogramme  der  allgewaltigen  P  a  n  - 
symbiose,  die  Groß  und  Klein,  Hoch 
und  Niedrig  zu  nutz-  und  friedvoller  mutueller 
Anpassung   zwingt !    — 

Werfen  wir  noch  einen  Blick  auf  diel 
Tier  -  Algensymbiosen  oder,  was  prinzipiell 
dasselbe,  auf  die  als  „Flechten"  be- 
kannten Pilz -Algen  Symbiosen :  bei  vielen 
Arten  muß  die  Genossenschaft  von  Gene- 
ration zu  Generation  erneut  werden  —  jeder 
von  den  das  Doppelwesen  (oder  Mehrfach- 
wesen)  konstituierenden  Organismen  vermehrt 
sich  auf  eigene  Faust  und  verbringt  seine 
früheste  Jugend  noch  ohne  den  Teilhaber. 
Große  Häufigkeit  des  Vorkommens  nebst 
manch  anderer  biologischen  Erleichterung 
fügen  es  in  überragender  Mehrzahl  der  Fälle, 
daß  sich  die  Partner  bald  wieder  begegnen 
und  den  Rest  ihres  Lebens,  dessen  größere 
und  bessere  Hälfte,  miteinander  verkettet  zu- 
bringen. Zahlreiche  andere  Arten  jedoch  be- 
dürfen nicht  mehr  der  Neuinfektion 
mit  dem  symbiotischen  Organismus:  bei- 
spielsweise wandern  die  Algen  des  grünen 
Polypen  bei  Tageslicht  aus  der  Innenschicht 
des  Körpers  in  die  sich  innerhalb  seiner 
Außenschicht  bildenden  Eier  ein;  und  wenn 
die  Eier  abgeschnürt,  abgelegt  werden,  so 
hat  der  junge  Polyp,  der  aus  ihnen  hervor- 
gehen wird,  bereits  einen  Vorrat  von  sauer- 
stoffspendenden Algen  für  sein  ganzes  Leben 
und  mittelbar  das  aller  seiner  Nachfahren 
mitbekommen. 

Weiter  ist  die  Frage  zu  erörtern,  wie  eine 
Symbiose,  die  sich  gegenwärtig,  unabhängig 
von  der  Außenwelt  einrichtet  und  auto- 
matisch erneuert,  ursprünglich  zustande- 
gekommen sein  mag.  Die  Eigenschaft,  sich 
mit  einem  völlig  fremdartigen  Lebewesen  so 
zu  vereinigen,  daß  beide  fortan  wie  ein  ein- 
ziges funktionieren,  ist  offenbar  jeder  be- 
liebigen anderen,  körperlichen  oder  psy- 
chischen Eigenschaft  gleichwertig  zu  er- 
achten :  sie  bildet  ein  Charakteristik 
kum  der  Art  ebensogut,  wie  z.  B.  die 
Fangarmzahl,  bestimmte  Größe,  Form  usw. 
des  Süßwasserpolypen.  Nun  sollen  die  Art- 
merkmale laut  den  „Neu-Darwinianern"  und 
„soziologischen  Selektionisten",  die  vorgeb- 
lich unter  Darwins  Flagge  segeln,  als  feste 
Anlagen  i,m  Keimstoff  von  jeher 
gegeben  sein;  in  jedem  Individuum  ent- 
falten sie  sich  aus  ihren  Anlagen  aufs  neue, 


ohne  in  umgekehrter  Richtung  vom  Körper 
des  Individuums  her  beeinflußt  werden  zu 
können.  Veränderung  jener  starren  Eigen- 
schaf tsanlagen  oder  Erbeinheiten  sei  nur 
durch  Vermischung  der  Keimstoffe  bei  der 
Kreuzung  sowie  durch  Auslese  des  Taug- 
lichsten   bei    der    Zuchtwahl   möglich. 

Wie  stellen  sich  zu  diesem  neo- 
darwinistischen  Dogma  die  erblichen 
Vergesellschaftungen  heterogener 
Lebewesen  ?  Kann  die  Pflanzenzelle,  die  am 
Körper  des  Polypen  seine  grüne  Färbung 
entfaltet,  in  dessen  Keimplasma  auch  schon 
„vom  Schöpfungstage  an"  enthalten  gewesen 
sein  ?  Eine  dahinzielende  Behauptung  würde 
dem  gesunden  Verstände  geradeswegs  ins 
Gesicht  schlagen :  die  Vereinigung  von  Polyp 
und  Alge,  von  Tier  und  Pflanze  muß  ganz 
im  Gegenteil  ein  Erzeugnis  verhältnismäßig 
später  Epoche  sein  —  kann  keine  von  Be- 
ginn angeborene,  sondern  muß  eine  er- 
worbene Eigenschaft,  eine  direkte  An- 
passung sein.  Auf  dem  Wege  zu  ihrer 
Vollendung,  zur  intrazellulären  Durchdrin- 
gung zweier  fremder  Lebensformen  bezeich- 
nen jene  vorhin  skizzierten  Arten  freund- 
nachbarlichen Zusammenlebens  nur  ebenso- 
viele  Uebergangsstationen  von  primitiver  zu 
stets  vollkommenerer  Zweckmäßigkeit  und 
Innigkeit :  zuerst  das  gemeinsame  Wachsen 
im  gleichen  Milieu,  aber  noch  durch  das 
Lebensmedium  (Luft  oder  Wasser)  mehr  oder 
weniger  weit  getrennt;  dann  das  Wachsen 
neben-,  auf-  und  ineinander;  das  Ineinander- 
wachsen  zwischen  den  Geweben  und  endlich 
in  den  gewebebildenden  Elementarbausteinen, 
den  Zellen  selbst  .  .  .  Die  Anpassung  ge- 
langt zum  Gipfel,  indem  die  Partner  zu  guter 
Letzt  nicht  bloß  den  Instinkt,  die  Neigung 
zur  Erneuerung  der  Freundschaft  in  jeder 
folgenden  Generation  vererben,  sondern  indem 
sie  gleich  den  Freund  selber  erben:  der 
Transport  grüner  Algenzellen  in  die  Eizelle 
des  Polypen  gewährt  uns,  obschon  es  sich 
eigentlich  dabei  nur  um  das  Uebertreten 
eines  Fremdkörpers,  vergleichbar  dem  eines 
künstlich  beigebrachten  Farbstoffes,  handelt, 
sicher  wenigstens  ein  anschauliches  Bild 
davon,  wie  frisch  erworbene  Anlagenstoffe 
einer  neuen  körperlichen  Eigenschaft  in  den 
Keim  übertragen  werden  mögen. 

Noch  könnte  man  einwenden:  der  Trieb, 
sich  mit  anderen  Lebewesen  zu  verbünden, 
sei  vielleicht  als  präformierte  Anlage  seit 
je  Eigentum  der  lebenden  Substanz,  des  kei- 
menden Stoffes  gewesen,  und  sie  sei  dann 
durch  Zuchtwahl,  also  ohne  Vererbung  er- 
worbener Eigenschaften,  gesteigert  und  zu 
ihren  jeweiligen  besonderen  Ausdrucksformen 
differenziert  worden.  Dieses  Einwurfs  mußte 
gedacht  werden,  weil  er  tatsächlich  fort- 
während gegen  erbliche  Anpassungen  jeder 
Art  erhoben  wird;  in  Wirklichkeit  ist  er 
heute  bereits  zum  Anachronismus  ge- 
worden, weil  (von  Gegnern  der  Vererbung  er- 


374 


<§] 


=  DIE  FRIEDENS -^VARTE 


worbener  Eigenschaften!)  unwiderleglich  ex- 
perimentell nachgewiesen  ist,  daß  die  Zucht- 
! wähl  nur  herausarbeiten  kann,  was 
schon  besteht;  nur  reiner  isolieren,  von  un- 
zweckmäßigen Beimengungen  befreien,  was 
in  vollem  Umfange  schon  vorhanden  ist  — 
aber  daßi  sie  niemals  Neues  zu  schaffen 
oder  etwas  aus  dem  Alten  in  neue  Höhen 
zu  steigern  vermag.  Sie  gleicht  dem 
geologischen  Hammer,  der  eine  Versteine- 
rung aus  umgebendem  Gestein  nur  heraus- 
klopft (und  sie  in  ungeschickter  Hand  auch 
leicht  zertrümmert),  aber  nicht  dem  Meißel 
des  Bildhauers,  der  eine  Statue  aus  rohem 
Marmorblock  durch  schöpferische  Linien- 
führung erst  erzeugen  muß.  Zuchtwahl  kann 
also  am  Zustandekommen  der  Symbiose  nur 
insofern  beteiligt  sein,  als  sie  innerhalb 
einer  Art  diejenigen  Individuen  begünstigte, 
die  sich  rechtzeitig  eines  Bundesgenossen 
versichert  hatten;  so  daß  schließlich  nur 
mehr  symbiotisch  lebende,  den  Symbiose- 
trieb ihren  Nachkommen  weitergebende  In- 
dividuen im  Daseinsstreite  übrig  blieben. 
Die  erstmalige  Entstehung  der 
Symbiose  und  des  dazu  führenden  Instinktes 
aber  bleibt  durch  Zuchtwahlwirkungen  voll- 
kommen unerklärt.  —  So  ist  denn  nur 
die  andere,  erste  Annahme  übrig,  daß  es 
die  Einflüsse  der  Umgebung  sind, 
die  den  Lebewesen  ihre  Hilfsinstinkte  auf- 
prägten, und  daß'  sodann  diese  erworbenen 
Gewohnheiten  samt  ihren  formgebenden 
Folgeerscheinungen  erheblich   fixiert   wurden. 

Vielleicht  darf  ich  ein  andermal  den 
ebenfalls  leicht  zu  führenden  Nachweis  er- 
bringen, daß  ebenso,  wie  die  Symbiose  wei- 
testen Sinnes  (die  allgemeine  gegenseitige 
Entwicklungshilfe)  ohne  Vererubng  er- 
worbener Eigenschaften  nicht  verständlich 
würde;  so  auch  umgekehrt  diese  Vererbung 
ohne  Symbiose  engsten  Sinnes  (das  Zusammen- 
leben und  Zusammenwirken  der  Teile  in 
EinzelindividuumJ  und  ihre  gegenseitige  Beein- 
flussung durch  innere  Sekretion)  nicht 
erklärbar  wäre.  Gestalten  sich  aber  Anpassungs- 
erbe  und  erbliche  Symbiose  in  ihrer  Kumulation 
als  wechselseitige  Entwicklungshilfe  zur 
machtvollsten  Triebkraft  des  Fortschritts  im 
Pflanzen-  und  Tierreich,  so  'sollte  die  Mensch- 
heit ihrer  (ebenfalls  auf  Darwin  zurück- 
gehenden) Einordnung  in  die  Lebensreiche 
eingedenk  bleiben  und  sich  rechtzeitig  dessen 
bewußt  werden,  daß  immer  für  sie  gilt, 
was  für  die  übrige  Natur  bindend  ist :  wenn 
der  Daseinskampf  beansprucht, 
VaterallerDingegenannt,  —  so  darf 
die  Daseins hilfe  mit  mindestens 
demselben  Rechte  fordern,  als 
Mutter  aller  Dinge  gerühmt  zu 
■werden! 


Die  französischen  Sozialisten 

und    die  Verständigung    mit 

Deutschland. 

Von   Herrn.   Fernau,    Paris. 

Das  Hemmnis,  das  seit  42  Jahren  nicht 
nur  eine  Annäherung  Frankreichs  und 
Deutschlands  verhindert,  sondern  das  auch 
die  Riesenrüstungen  verursacht  und  so  recht 
eigentlich  die  gesamte  europäische  Politik 
vergiftet,  heißt  Elsaß-Lothringen.  In  den 
Augen  der  meisten  Zeitgenossen  ist  dieses 
Hemmnis  zur  Verständigung  und  Gesundung 
Europas  so  groß  und  unüberwindlich,  daß 
sie  am  liebsten  überhaupt  nicht  davon 
sprechen.  Ja>  viele  glauben  auch  heute 
noch  (42  Jahre  nach  1871),  daß»  es  einen 
Krieg  bedeuten  würde,  wenn  beide  Länder 
eine  ernsthafte  Diskussion  über  Elsaß.-Loth- 
ringen  eröffnen  wollten.  Also  haben  beide 
Nationen  es  vorgezogen,  über  Elsaß'-Loth- 
ringen  zu  schweigen  und  finster  und  miß- 
trauisch auf  die  Verteidigung  resp.  die  Zu- 
rücknahme  des   Zankapfels    zuzurüsten. 

Und  diese  peinliche  Zurückhaltung  und 
Rücksichtnahme  wird  nicht  etwa  nur  von 
den  Diplomaten  und  Großmachtpolitikern 
geübt.  Nein,  bis  in  die  Kongresse  der  Pa- 
zifisten und  Sozialisten  hinein  wurde  bisher 
die  Diskussion  über  das  heikle  elsaß-loth- 
ringische  Problem  sorgfältig  umgangen.  Als 
zum  Beispiel  die  erste  deutsch-französische 
Verständigungskonferenz  der  Parlaments- 
mitglieder in  Bern  in  ihre  Resolution  den 
Satz  aufgenommen  hatte:  ,,Die  Konferenz 
dankt  von  Herzen  der  vom  Volke  gewählten 
Vertretung  Elsaß-Lothringens,  daß  sie  durch 
ihre  hochherzigen  Erklärungen  die  Annähe- 
rung beider  Länder  zu  einer  werktätigen  Ge- 
meinschaft der  Zivilisation  erleichtert  hat", 
da  erklärte  sofort  der  Abgeordnete  Thalamas 
(und  mit  ihm  ein  halbes  Dutzend  seiner 
Parteigenossen),  daß  in  dieser  —  doch  ge- 
wiß harmlosen  —  Erklärung  eine  stillschwei- 
gende Anerkennung  des  1871  von  Deutsch- 
land vollführten  Gewaltaktes  liege,  und  daß 
er  eine  solche  Erklärung  nie  unterzeichnen 
werde.  —  Dieser  Vorfall  zeigt  uns,  wie  über- 
aus empfindlich  man  in  Frankreich  selbst 
noch  in  jenen  Kreisen  ist,  in  denen  es1  durch- 
aus nicht  am  guten  Willen  zur  Verständigung 
mit  Deutschland  fehlt  (Herr  Thalamas  ge- 
hört zum  äußersten  linken  Flügel  der  radikal 
sozialistischen    Partei    Frankreichs). 

Wenn  wir  nun  diese  besondere  Empfind- 
lichkeit des  französischen  Volkes  in  Sachen 
Elsaß-Lothringens  berücksichtigen,  dann  wird 
uns  sofort  klar,  daß  eine  Diskussion  über 
dieses  Problem  ohne  Gefahr  einer  argen 
Verschnupfung  in  Frankreich  nicht  von 
Deutschland  begonnen  werden  kann.  An- 
dererseits aber  muß  mit  dieser  Dis- 
kussion  endlich  begonnen   werden,  wenn  wir 


375 


DIE  FRIEDENS-VAQTE  = 


=§> 


nicht  in  alle  Ewigkeit  hinein  in  der  po- 
litischen Spannung  mit  Frankreich  fortleben, 
das  heißt,  dem  bewaffneten  Frieden  immer 
ungeheurere    Opfer   bringen   wollen. 

Aus  diesen  Gründen  werden  wir  es  daher 
als  Deutsche  dankbar  begrüßen,  wenn  die 
französischen  Sozialisten  heute  endlich  das 
von  Gambetta  diktierte  Stillschweigen  über 
die  elsaß-lothringische  Frage  brechen  und 
freimütig  ihre  Landsleute  zu  einer  fried- 
fertigen Lösung  dieses  folgeschweren  Pro- 
blems   auffordern. 

Zwei  bedeutungsvolle  Bücher  haben  diese 
Frage  neuerdings  in  Frankreich  zur  Dis- 
kussion gestellt.  Sie  sind  beide  von  nam- 
haften Sozialisten  verfaßt.  Sie  wollen  beide 
dasselbe:  die  Verständigung  mit  Deutsch- 
land; aber  sie  wollen  es  auf  zwei  verschie- 
denen Wegen.  Das  eine  hat  den  bekannten 
Antimilitaristen  Gustave  Herv£  zum  .Ver- 
fasser und  ist  soeben  unter  dem  Titel  „El- 
saß-Lothringen und  die  deutsch-französische 
Verständigung"  in  deutscher  Uebersetzung 
im  Verlage  von  Duncker  &  Humblot  in  Mün- 
chen erschienen.  Das  zweite  stammt  von 
dem  Pariser  Abgeordneten  Marcel  Sembat 
und  führt  den  ironischen  Titel:  „Faites  un 
Roi,    sinon    faites    la   Paix". 

Herve"  stellt  zunächst  fest,  daß  seine 
bisherige  Art,  den  Krieg  zu  bekämpfen  (die 
Insurrektion  und  der  Generalstreik  der  Pro- 
letarier als  Antwort  auf  eine  Kriegserklä- 
rung) schon  deshalb  Fiasko  gemacht  hat, 
weil  die  deutschen  Sozialisten  diese  hals- 
brecherische Taktik,  die  ihnen  auf  mehreren 
Kongressen  zur  Annahme  vorgeschlagen 
wurde,  nicht  angenommen  haben.  Um  also 
den  Krieg  auf  andere  Art  unmöglich  zu 
machen,  fordert  er  die  Verständigung  mit 
Deutschland.  Diese  Verständigung  ist  seiner 
Meinung  nach  nur  möglich,  wenn  man  sich 
mit  Deutschland  vorerst  über  Elsaßi-Loth- 
ringen  s  o  einigt,  daß  diese  Einigung  der 
französischen  Nationaleigenliebe  und  Empfind- 
lichkeit einige  Befriedigung  gibt.  Eine 
deutsch-französische  Verständigung  ist  also 
nur  denkbar,  wenn  man  zunächst  den 
Zankapfel,  Elsaß-Lothringen,  beseitigt;  da- 
gegen werden  alle  Verständigungsversuche, 
die  ohne  Rücksicht  auf  Elsaß-Lothringen  an- 
gestrebt werden,  immer  wieder  an  dem 
1870/71  gekränkten  Nationalhochmut  des 
französischen    Volkes    scheitern. 

Ganz  anders  Marcel  Sembat :  Wir  haben 
schon  zu  lange  geschwiegen  und  geschmollt, 
sagt  er  seinen  Landsleuten.  Die  Fragte  ist, 
ob  Deutschland  überhaupt  noch  ein  Interesse 
daran  hat,  sich  mit  uns  zu  verständigen.  Ich 
glaube  nicht.  Je  mehr  die  Zeit  fortschreitet, 
um  so  mächtiger  wird  Deutschland,  um  so 
weniger  braucht  es  unsere  Freundschaft. 
Wollt  ihr  euch  mit  ihm  verständigen,  dann 
stellt  keine  Bedingungen;  verzichtet  auf  jede 
Forderung  an  Deutschland  (zum  Beispiel 
wird    die    Autonomie    für    Elsaß-Lothringen, 


die  Herv6  als  deutsche  Konzession  an  den 
französischen  Nationalhochmut  fordert,  den 
Reichslanden  von  der  deutschen  Regierung 
ganz  von  selbst  gegeben  werden,  sobald  ein- 
mal eine  Annäherung  an  Frankreich  erfolgt 
ist).  Wie,  ihr  trotzt  ?  Ihr  rüstet  ?  Die  Re- 
publik darf  nicht  trotzen  und  rüsten.  Es 
gibt  nur  zwei  Wege:  Entweder  ihr  versöhnt 
euch  bedingungslos  mit  Deutschland  und 
rüstet  ab,  oder  ihr  trotzt  und  rüstet  weiter, 
und  in  diesem  Falle  ist  eure  Republik  ein 
Widersinn.  In  diesem  Falle  macht  einen 
König,  denn  ihr  wollt  augenscheinlich  den 
Krieg.  Und  einen  erfolgreichen  Krieg  könnte 
nur  ein  König  führen.  Die  Republik  da- 
gegen ist  die  Versöhnung  mit  Deutschland 
und  der  Frieden.  Wählt !" 
*  „,  * 

Das  Bedeutungsvolle  dieser  beiden  Bücher 
liegt,  wie  gesagt,  zunächst  darin,  daß  einige 
französische  Sozialisten  jetzt,  nach  vierzig- 
jährigem Schweigen,  endlich  den  Mut  finden, 
mit  solchen  für  den  entzündlichen  fran- 
zösischen Volkscharakter  höchst  „gefähr- 
lichen" Thesen  vor  ihre  Landsleute  zu 
treten,  dann  aber  auch  in  zwei  anderen  Tat- 
sachen : 

Erstens  fordern  beide  Bücher  zur  Neu- 
bildung des  „Linksblockes"  auf  und  schlagen 
als  Hauptprogrammpunkt  dieses  neuen  Re- 
gierungsblocks die  Verständigung  mit 
Deutschland   vor. 

Zweitens  wird  uns  mit  diesen  Büchern 
der  Beweis  geliefert,  daß  die  französischen 
Sozialisten  ihre  marxistischen  Dogmen  in 
Sachen  des  Krieges  allmählich  fallen  lassen. 

Zu  diesen  beiden  Punkten  sind  einige 
Kommentare    unerläßlich : 

1.  Der  neue  Block  aller  Linksparteien 
ist  im  Keime  bereits  auf  der  Berner  Kon- 
ferenz gebildet  worden.  Radikale  und  So- 
zialisten fanden  sich  hier  mit  den  gleichen 
Idealen  und  Forderungen  auf  einem  gemein- 
samen Terrain  zusammen,  und  die  Anwesen- 
heit von  vier  ehemaligen  französischen  Mi- 
nistern und  wahrscheinlichen  Ministern  von 
morgen  (Augagneur,  Couyba,  Boncour, 
Raynaud)  ist  in  diesem  Sinne  sehr  viel- 
versprechend. —  Ein  solcher  Regierungs- 
block bestand  in  Frankreich  schon  (als  Folge 
der  Dreyfusaffäre)  von  1899  bis  1905  unter 
der  Führung  von  Waldeck  -  Rousseau  und 
Combes.  Er  hatte  damals  ein  antiklerikales 
Kampfprogramm,  und  Frankreich  verdankt 
ihm  mehrere  durchgreifende  Reformen 
(Trennung  von  Kirche  und  Staat,  Verbot 
der  Unterrichtstätigkeit  für  religiöse  Orden, 
Herabsetzung  der  Dienstzeit  von  drei  auf 
zwei  Jahre  usw.).  Leider  aber  wurde  dieser 
Block  auf  Betreiben  der  deutschen  Marxisten 
hin  aufgelöst,  denn  der  internationale  'So- 
zialistenkongreß von  Amsterdam  hatte  die 
vom  berühmten  Dresdener  Kongreß 
kommende  Parole  ausgegeben :  Keine  Kom- 
promisse mit  bürgerlichen  Parteien.  —  Heute- 


376 


<^r 


=  DIE  FRIEDEN5-^M&BXE 


beginnen  die  französischen  Sozialisten  end- 
lich einzusehen,  daß=  die  Auflösung  dieses 
Blocks  einem  Parteidogma  zuliebe  ein 
schwerer  taktischer  Fehler  war.  Wenn  näm- 
lich die  nationalistische  Reaktion  seit  einiger 
Zeit  wieder  in  Frankreich  zu  triumphieren 
beginnt  (Wiedereinführung  der  Militärfackel- 
züge, der  dreijährigen  Dienstzeit,  Ueber- 
schwemmung  der  Theater  mit  hurrapatrioti- 
schen Rührstücken,  Hetzereien  gegen  den 
deutschen  Import,  Vorfälle  in  Nancy  usw.), 
dann  ist  dies  eine  wesentliche  Folge  der 
Auflösung  resp.  Kräftezersplitterung  des 
Linksblockes.  Von  den  Sozialisten  zu  Fall 
gebracht,  kann  dieser  Block  nur  wieder  von 
•den  Sozialisten  neu  gebildet  werden.  Und 
deshalb  fordern  Herve  und  Sembat  (und  mit 
ihnen  Jaures)  ihre  Parteigenossen  für  die 
nächsten  Wahlen  (Mai  1914)  auf,  sich  mit  den 
bürgerlichen  Linksparteien  zu  verständigen, 
um  die  Reaktion  zu  Fall  zu  bringen,  die 
politische  Herrschaft  zu  gewinnen  und  .  .  . 
die  Verständigung  mit  Deutschland  an- 
zustreben. 

2)  Das  marxistische  Dogma  in  Sachen 
des  Krieges  lautet  bekanntlich  so:  Der 
Krieg  ist  eine  notwendige  Folge  der  kapi- 
talistischen Wirtschaft  und  kann  nur  mit 
dieser  enden ;  solange  der  Kapitalismus  re- 
giert, solange  wird  es  Kriege  geben,  und 
solange  hat  es  keinen  Zweck,  gegen  den 
Krieg  anzukämpfen.  —  Inwieweit  heute  die 
französischen  Sozialisten  von  diesem  Dogma 
abgekommen  sind,  darüber  gebe  ich  Gustave 
Herve  selbst  das  Wort.  Aus  dem  Auszug 
<les  Herveschen  Buches,  den  die  Friedens- 
Warte  in  dieser  Nummer  veröffentlicht,  wird 
der  Leser  ersehen,  wie  Herve  gegen  jene 
Parteigenossen  polemisiert,  die  auch  heute 
noch  unentwegt  an  ihrem  marxistischen 
Dogma  festhalten.  Und  es  ist  kein  als 
Reformist  bekannter  Sozialist,  der  so  von 
den  Ursachen  des  Krieges  spricht.  Sondern 
es  ist  der  Mann,  der  in  Frankreich  den 
äußersten  linken  Flügel  der  sozialistischen 
Partei  befehligt.  Zeichen  der  Zeit:  Der  So- 
zialismus beginnt  auf  seine  doktrinäre  Eigen- 
brödelei  zu  verzichten;  er  will  endlich  auch 
in  der  internationalen  Politik  praktische  Ar- 
beit leisten.  Da,  wo  er  vor  einigen  Jahren 
noch  hartnäckig  nur  die  Abschaffung  der 
kapitalistischen  Wirtschaft  forderte,  fordert 
er  heute  bereits  die  Verständigung  zweier 
Kulturvölker  auf  dem  Boden  der  gegen- 
wärtigen politischen  Zustände.  Der  So- 
zialismus verzichtet  auf  seine  metaphysischen 
Dogmen.  Er  will  nicht  länger  unfruchtbar 
bleiben. 

Mit  der  Uebersetzung  des  Herveschen 
Buches  ins  Deutsche  wünschte  ich  meinen 
Landsleuten  im  allgemeinen  und  meinen  so- 
zialistischen Landsleuten  im  besonderen  vor 
Augen  zu  führen,  welche  hoffnungsvollen 
Strömungen  uns  heute  von  der  anderen  Seite 
der   Vogesen   her   entgegenkommen,    um   das 


große  Versöhnungswerk  zu  ermöglichen.  Frei- 
lich haben  auch  hier  wieder  die  Franzosen 
den  ungeheuren  Vorzug  vor  uns,  daß  sie 
sich  nur  unter  sich  zu  verständigen 
brauchen,  um  in  ihrer  Demokratie  die  po- 
litische Macht  zu  erlangen  und  ihr  Programm 
durchzusetzen.  Es  besteht  kein  Zweifel,  daß, 
wenn  sich  die  Linksparteien  auf  ein  solches 
Programm  hin  einigen,  die  Wähler  dieses 
Programm  des  neuen  Blocks  mit  großer 
Mehrheit  gutheißen  werden.  Von  der  fran- 
zösischen Seite  wären  dann  alle  Hindernisse 
zu  einer  freundschaftlichen  Diskussion  mit 
Deutschland   aus    dem   Wege  geräumt. 

Zu  dieser  Diskussion  aber  gehören  zwei. 
Die  Frage  ist,  ob  wir  auch  in  Deutschland 
endlich  jenen  großen  Linksblock  werden 
bilden  wollen  und  können,  von  dem  man 
schon  seit  Jahren  redet,  und  der  bisher  leider 
auf  der  einen  Seite  an  der  Lendenlahmheit 
des  deutschen  Liberalismus  und  andererseits 
an  der  Dogmatik  des  Sozialismus  gescheitert 
ist.  Dieser  Block  würde  auch  in  Deutschland 
die  Mehrheit  der  Wähler  für  sich  haben. 
Und  wie  die  Dinge  liegen,  gibt  es  kein 
anderes  Mittel,  um  die  deutsche  Regierung 
zu  jenen  Konzessionen  (die  Autonomie  für 
Elsaß-Lothringen  usw.)  zu  zwingen,  auf 
Grund  deren  allein  eine  Verständigung  mit 
unseren  Nachbarn  möglich  wird.  Wenn  das 
Herv^sche  Buch  in  deutscher  Uebersetzung 
imstande  wäre,  dieses  Hauptproblem  der 
heutigen  internationalen  Politik  allen  liberalen 
und  sozialistischen  Parteiführern  Deutsch- 
lands recht  eindringlich  vor  Augen  zu  führen, 
dann  wird  es  nicht  umsonst  geschrieben  und 
übersetzt    worden    sein. 


Ein  französischer  Sozialist 
über  die  Ursachen  zum  Kriege. 

Wir  haben  heute  das  Vergnügen,  mit 
Genehmigung  der  Herren  Verleger  einen  Aus- 
zug aus  dem  Gustave  Herveschen  Buche 
,,1'Alsace-Lorraine"  zu  veröffentlichen,  das  von 
unserem  Mitarbeiter  Herrn.  Fernau  ins 
Deutsche  übersetzt  und  soeben  in  Mün- 
chen*) erschienen  ist.  —  Als  erster  fran- 
zösischer Sozialist  hat  Gustave  Herve  das 
elsaß-lothringische  Problem  auf  dem  letzten 
nationalen  Kongreß  der  französischen  So- 
zialisten in  Brest  zur  Diskussion  gestellt.  Von 
diesem  Kongreß  berichtend,  bespricht  Herve" 
die  Einwände,  die  man  gegen  seine  Ver- 
ständigungsvorschläge vorgebracht  hat,  und 
schreibt : 


*)  Gustave  Herve,  „Elsaß-Lothringen  und  die 
deutsch-französische  Verständigung",  aus  dem 
Französischen  übersetzt  und  mit  einem  Vorwort 
versehen  von  Herrn.  Fernau.  Verlag  Duncker 
&  Humblot,  München.  In  eleganter  Ausstattung 
3  Mark. 


377 


DIEFßlEDEN5-^/ADTE  5 


;§> 


Man  darf  tausend  gegen  eins  wetten, 
daß,  wenn  diese  Frage  (der  deutsch-fran- 
zösischen Verständigung)  auf  dem  nächsten 
Kongreß  der  französischen  Sozialisten  dis- 
kutiert werden  wird,  dieser  sich  weder  durch 
die  Einwände  Mistrals,  noch  durch  die  von 
Bracke  oder  Pressens6  aufhalten  lassen  wird. 

Diese  alte  Leier,  daß  die  Kriege  das  Er- 
gebnis des  kapitalistischen  Regimes  sind,  daß 
sie  so  lange  dauern  werden  als  dieses,  hat 
die  sozialistische  Partei,  leider,  schon  lange 
vor    dem    Kongreß^   in    Brest    hören    müssen. 

Gewiß  sind  die  wirtschaftlichen  Kon- 
flikte Und  Interessengegensätze  in  Europa 
und  in  den  Kolonien  —  ungerechnet  die 
chauvinistischen  Herausforderungen  der  von 
den  Kanonenhändlern  und  Panzerplatten- 
lieferanten bestochenen  kapitalistischen 
Presse  —  am  Ursprung  aller  Kriege.  Aber 
wie  kann  man  wagen,  wenn  man  die  großen 
Nationalitätenkriege  betrachtet,  die  das 
ganze  19.  Jahrhundert  mit  Blut  befleckt 
haben,  sowie  die  nationalen  Kriege,  die  so- 
eben vor  unseren  Augen  den  Balkan  ver- 
wüstet haben  —  um  vielleicht  morgen  auch 
Zentraleuropa  zu  verwüsten  — ,  wie  kann 
man  es  wagen,  sage  ich,  auf  einem 
sozialistischen  Kongresse  diese 
grobe  Auslegung  des  historischen 
Materialismus  von  Marx  zu  ent- 
wickeln, die  nichts  als  eine  gro- 
teske Verzerrung  des  Marxismus 
ist?  Denn  die  Albernheit  ist  in  der  so- 
zialistischen Partei  doch  hoffentlich  noch 
nicht  bis  zu  jenem  Grade  entwickelt,  wo 
man  uns  glauben  machen  könnte,  daß'  man 
sich  im  Balkan  einzig  und  allein  für  die  ser- 
bischen Schweine  geschlagen  hat  oder  um 
den  Kanonen-  und  Geschützhändlern  Ver- 
gnügen zu  machen.  Es  ist  unmöglich,  daß 
sie  so  blind  ist,  um  nicht  zu  begreifen, 
welche  tief  populären  und  sentimentalen 
Gefühle  beim  Ausbruch  der  nationalen  Leiden- 
schaften in  Serbien,  Bulgarien,  Griechen- 
land und  bis  in  das  Liliputkönigreich  des 
Brigantenkönigs  von  Montenegro  hinein  eine 
Rolle   gespielt   haben. 

Armer  Marxismus.  Wenn  man  ihn  durch 
solche  Argumente  verteidigt  sieht,  wird  man 
schließlich  noch  von  ihm  abgeschreckt.  Die 
politische  Oekonomie  ist  ein  schönes  Ding, 
aber  unter  einer  Bedingung:  sie  darf  in  uns 
nicht  alle  psychologischen  Beobachtungs- 
gaben töten. 

Die  ökonomischen  Interessenverschieden- 
heiten sind  eine  augenscheinliche  Ursache  von 
Konflikten.    Wer  leugnet  es  ? 

Aber  wie  kann  man  so  kurzsichtig  oder 
blind  sein,  um  nicht  zu  sehen,  daß  man  sich 
nicht  hauptsächlich  für  Interessenfragen 
schlägt,  sondern  für  Gefühlsfragen  ?  An  der 
Seite  der  Verbrechen  gegen  das  Eigentum 
gibt  es  im  Leben  der  Völker,  wie  im  Leben 


der  Individuen,  auch  die  Verbrechen  aus 
Leidenschaft,   die  weitaus  häufigsten. 

Man  schlägt  sich  selten  um  Geldfragen; 
die  Geldgeschäfte  können  unter  Nationen 
leicht  durch  Verträge  geregelt  werden.  Dies 
ist  wieder  einmal  durch  das  deutsch-fran- 
zösische Abkommen  über  Marokko  und  den 
Kongo  bewiesen  worden.  Was  schwieriger 
zu  regeln  ist,  das  sind  die  Fragen  des  Hoch- 
muts, der  Eitelkeit,  der  Eigenliebe  und  Ge- 
fühle. 

Die  Angelegenheit  Elsaß-Lothringens  ist 
eine    dieser    Fragen. 

Sie  hat  in  Frankreich  eine  so  lebhaft 
schmerzliche  Erinnerung  gelassen,  daß 
42  Jahre  später,  wo  fast  niemand  mehr  bei 
uns  kaltblütig  von  einer  bewaffneten  Re- 
vanche zu  sprechen  wagt,  jede  Regierung,  die 
mit  dieser  Erinnerung  zu  spielen  wüßte,  fähig 
wäre,  das  Land  in  die  schlimmsten  Aben- 
teuer  zu   stürzen. 

Ich  bin  nicht  ganz  sicher,  daß,  wenn  die 
sozialistische  Partei  zusammen  mit  der  All- 
gemeinen Arbeitskonföderation  das  Volk  zu 
einer  Straßenmanifestation  aufriefe,  wo  es 
einige  Fußtritte  und  Säbelhiebe  zu  ris- 
kieren gäbe,  ich  bin  nicht  sicher,  sage  ich, 
ob  wir  in  ganz  Paris  mehr  als  10  000  wären, 
um  diese  immerhin  minderwertige  Gefahr 
zu  laufen. 

Aber  ich  bin  sicher,  mit  ganzer  Sicher- 
heit sicher,  daß,  wenn  wir  die  sentimentale 
Saite  anschlagen,  wenn  wir  geschickt  den 
Groll  und  die  Wunden  der  Eigenliebe  aus- 
zubeuten wissen,  die  durch  die  Annexion 
Elsaß-Lothringens  und  durch  die  Ungerech- 
tigkeit dieses  Attentats  verursacht  wurden, 
wir  würden  allein  in  Paris  50  000  Männer 
finden,  bereit,  ihr  Leben  zu  riskieren,  um 
diese  nationale  Demütigung  zu  rächen. 

Ich  pflichte  nicht  bei. 

Ich  stelle  fest. 

Wie  ich  auch  feststelle,  daß  der  Marxis- 
mus zu  beklagen  wäre,  wenn  er  uns  mit 
Genossen  Bracke  zu  dem  Glauben  verpflich- 
tete, daß  es  ketzerisch  und  der  gesamten 
kolonialen  Auffassung  der  internationalen 
Sozialistenpartei  zuwiderlaufend  ist,  eine 
Lösung  des  elsaßrlothringischen  Problems'  ins 
Auge  zu  fassen,  die  als  Basis1  den  Austausch 
Elsaß-Lothringens  gegen  ein  großes  Stück 
des    französischen    Kolonialreichs   hat. 

Ohne  Zweifel  empfindet  man  einigen 
Widerwillen,  nicht  nur  als  Sozialist,  sondern 
schon  als  einfacher  Republikaner,  jener  Re- 
gierung, der  man  vorwirft,  Elsaß-Lothringen 
1871  wie  ein  Stück  Vieh  behandelt  zu  haben, 
als  Entgelt  für  die  Befreiung  der  annek- 
tierten Provinzen  afrikanische  oder  asiatische 
Bevölkerungen  anzubieten,  die  man  selbst 
schlimmer  als  Vieh  behandelt  hat.  Und  wir 
sind  einige  in  der  Partei,  die  gelegentlich 
des  letzten  gegen  die  Marokkaner  verübten 
Raubzuges  mehr  getan  haben  als  nur  Reden 
gehalten,  um  ihre  Ausraubung  zu  verhindern, 


378 


Q== 


DIE  FRI EDENS -^V&RXE 


denn  wir  haben  Monate  und  Jahre  dafür  im 
Gefängnis  gesessen.*) 

Wir  fühlen  ebenso  wie  irgend  jemand 
für  die  europäischen  Eroberer  die  Pflicht, 
die  Eingeborenen  mit  Menschlichkeit  zu  be- 
handeln, die  Pflicht  der  Sozialisten,  sie  zu 
beschützen,  gegen  die  Auswüchse  der  kapi- 
talistischen Kolonisation  zu  protestieren, 
ihnen  nach  Maßgabe  ihrer  Fähigkeit  ohne 
Schaden  für  sich  und  die  Menschheit,  die 
Autonomie  zu  bewilligen,  die  England  allen 
seinen  Kolonien  europäischen  Ursprungs  be- 
willigt hat.  Aber  nicht  wahr,  wir  erheben 
nicht  den  Anspruch,  daß  die  uns  regierende 
Kapitalistenklasse  von  heut  auf  morgen  auf 
ihre  Kolonien  verzichte,  unter  dem  Vorwande, 
daß  es  den  Menschenrechten  zuwiderläuft, 
selbst  minderwertigere  Völker  zu  unter- 
jochen ?  Wo  also  ist  vom  sozialistischen  und 
menschlichen  Standpunkt  aus  das  Uebel,  an 
Deutschland,  so  wie  man  es  in  der  Marokko- 
affäre getan  hat,  ein  weiteres  Stück  Kolonial- 
besitz abzugeben,  wenn  dies  ein  Mittel  ist, 
den  verderblichen  Rüstungswahnsinn  in 
Europa  durch  eine  deutsch-französische  Ver- 
ständigung zu  mildern  ?  Welches  Unrecht 
würde  man  den  Eingeborenen  der  ab- 
getretenen Gebiete  tun  ?  Ob  die  Kapitalisten, 
Beamten  und  sonstigen  Heuschrecken,  die 
auf  ihrem  Rücken  leben,  deutscher  oder 
französischer  Nationalität  sind,  was  kann  das' 
wohl  den  Kongonegern  oder  den  Hovas  von 
Madagaskar  ausmachen  ?  Es  handelt  sich 
nicht  darum,  Bevölkerungen  der  Er- 
oberung preiszugeben,  es  handelt  sich 
darum,  schon  eroberte  Länder,  in  denen  die 
blutige  Eroberung  eine  vollendete  Tatsache 
ist,  abzutreten.  Was  kann  wohl  die  koloniale 
Doktrin  der  sozialistischen  Partei,  der  deut- 
schen oder  der  französischen,  damit  zu  tun 
haben  ? 

Die  Einwände  des  Herrn  von  Pressense 
sind   noch    erstaunlicher. 

Man  wendet  ein,  daß,  wenn  die  fran- 
zösische Regierung,  von  uns  aufgefordert, 
mit  dem  deutschen  Kaiser  zu  verhandeln, 
ihm  offiziell  eine  Annäherung  auf  der  von 
den  elsaß-lothringischen  Sozialisten  und  von 
der  Mülhauser  Versammlung  (wo  die  Ver- 
treter aller  elsaß4othringischen  Parteien 
sprächen),  vorgeschlagenen  Basis  .anböte,  dies 


*)  Nach  dem  Gemetzel  von  Casablanca  (1907) 
veröffentlichte  Gustave  Herve  eine  Reihe  von 
Aufsätzen,  auf  Grund  deren  er  wegen  „Schmä- 
hung" der  französischen  Armee  zu  einem  Jahr 
Gefängnis  verurteilt  wurde.  Im  Januar  1912 
erntete  er  weitere  drei  Monate  Gefängnis  für 
einen  Artikel,  betitelt:  „Attila  in  Marokko",  der 
als  beleidigend  für  die  französische  Armee  an- 
gesehen wurde.  Mehrere  seiner  Mitarbeiter 
wurden  ebenfalls  zu  längeren  Gefängnisstrafen 
verurteilt  für  Aufsätze,  die  sie  gegen  die  „marok- 
kanische    Räuberei"     veröffentlicht     hatten. 

(Der    Uebersetzer.) 


im  Falle   einer   Weigerung  der   Berliner   Re- 
gierung   einen    Krieg    bedeuten    würde. 

Aber  wer  hat  denn  jemals  die  ab- 
geschmackte, wahnsinnige  und  verbreche- 
rische Idee  gehabt,  dem  deutschen  Kaiser 
ein    Ultimatum    zu   stellen  ? 

Als  wenn  es  keine  diskreten  diplo- 
matischen Mittel  gäbe,  Verhandlungen  über 
heiklige  Dinge  einzuleiten,  ohne  den  Frieden 
zu  gefährden.  Ist  es  denn  so  kühn,  zu 
glauben,  daßi  eine  solche  Unterhaltung 
zwischen  Berlin  und  Paris  sich  durch  Ver- 
mittlung   eines    Dritten    einleiten    ließe? 

Gustave  Herve. 


Der  Irrtum  der  Rüstungswut. 

Von  Richard  Gädke,  Berlin-Steglitz, 
früher    Oberst    und    Regimentskommandeur. 

Damit  müssen  wir  uns  leider  abfinden, 
daß  in  allen  Großmächten  starke  Teile 
gerade  der  besitzenden  Klassen  einem  aus- 
gesprochenen Imperialismus  .verfallen  sind. 
Der  Gedanke  beherrscht  sie,  daß  eine  Aus- 
breitung des  eigenen  Volkstums',  eine  Ver- 
größerung seines  Landbesitzes  ein  großes 
Glück  nicht  nur  ideeller,  sondern  materieller 
Art  sei,  daß  es  letzten  Endes  ein  Glück  für 
die  Welt  sei.  Denn  man  kann  nicht  gerade 
sagen,  daßi  dasjenige,  was  der  heranwachsen- 
den Jugend  aller  Völker  als  Patriotismus  ge- 
lehrt wird,  an  einem  Uebermaß)  von  Be- 
scheidenheit kranke.  Engländer,  Franzosen, 
Deutsche  halten  sich  sämtlich  für  das  aus- 
erwählte Volk  Gottes,  und  sogar  die  Russen 
träumen  davon,  daßi  am  slawischen  Wesen 
die  Welt  noch  werde  genesen.  Einen  Vor- 
geschmack davon  haben  wir  in  Mazedonien, 
Thrazien    und   Albanien   bekommen. 

Mit  unheimlicher  Gewalt  hat  sich  der 
Gedanke  in  die  Köpfe  eines  großen  Teils 
der  gebildeten  Jugend  festgesetzt,  daß 
Macht  und  Ruhm  und  Größe  des  Staates 
mit  dem  Glück  und  der  Wohlfahrt  des  Volkes 
gleichbedeutend  sei.  Zum  Teil  ist  es  frei- 
lich auch  Gedankenlosigkeit,  Im  übrigen 
entbehrt  der  Satz  für  diejenigen  Schichten, 
die  die  Träger  des  Staatsgedankens  —  aber 
auch  die  Nutznießer  des  Staates  —  sind, 
nicht    einer   gewissen   Wahrheit. 

Eine  Vergrößerung  des  Staatsgebietes, 
eine  Ausdehnung  seines.  Herrschaftsbereiches, 
eine  Erweiterung  seiner  Machtstellung  und 
seines  Einflusses  setzen  sich  für  die 
herrschenden  Kreise  des  Staates'  allerdings 
leicht  in  sehr  materielle  Vorteile  um, 
Beamte  und  Offiziere  finden  zahlreiche  neue 
und  gutbezahlte  Stellen,  die  bewaffnete  Macht 
wird  vermehrt,  der  Bau  von  Kriegsschiffen 
beschäftigt  die  Werften,  die  Waffenrüstungen 
steigern  Einkommen  und  Kapitalbesitz 
einiger  Industriemagnaten  ins  Ungemessene*), 

*)  Das  Einkommen  des  Hauses  Krupp  er- 
reicht zum  mindesten  das  des  deutschen  Kaisers. 


379 


DIE  FßlEDENS-v^DTE  = 


3 


die  Grundbesitzer  können  ihre  nachgeborenen 
Söhne  versorgen,  ihr  Getreide  und  ihre  Pferde 
zu  guten  Preisen  dem  Staate  verkaufen,  und 
Handeltreibende  ergattern  die  Gelegenheit 
zu  vorteilhaften  Geschäften.  Der  Krieg 
sogar  bringt  manchen  Leuten  reichlichen 
Gewinn,  und  noch  ein  unglücklicher  Krieg 
ist  für  viele  Kreise  eine  Fundgrube,  aus  der 
ihnen  Gold  entgegenlacht.  Das  Ungeheuer- 
liche, daß.  solcher  Gewinn  mit  dem  Blute, 
dem  Siechtum,  dem  Elend  Tausender  von 
Volksgenossen  erkauft  werden  muß,  pflegt 
gemeiniglich  die  Gewissen  nicht  allzusehr 
zu  belasten.  Das  Mitleid  mit  dem  Elend  der 
anderen  bleibt  meist  ein  recht  platonisches, 
solange  dieses  Elend  sich  nicht  in  gefähr- 
liches Mißvergnügen,  in  drohendes  Murren 
ufnsetzt. 

Daß  die  breiten  Massen,  bis  weit  in  den 
Mittelstand  hinauf,  daß  also  die  überwiegende 
Mehrheit  des  Volkes  vom  bewaffneten  Frieden 
keinen  Vorteil,  noch  weniger  aber  vom 
Kriege  selbst  hat,  braucht  in  diesen  Blättern 
nicht  auseinandergesetzt  zu  werden.  Nor- 
man Angell  hat  das  so  beweiskräftig  dar- 
gelegt, daß  jedes  Wort  mehr  Verschwendung 
wäre.  Die  breiten  Schichten  merken  nur 
den  wachsenden  Steuerdruck,  die  Verteuerung 
der  Lebensbedürfnisse,  den  Wettbewerb 
fremder  Arbeitskräfte,  durch  die  die  feiernden 
Hände  der  dienenden  Jugend  ersetzt  werden 
müssen,  das  immer  reichlicher  fließende 
Blutopfer. 

Es  ändert  an  der  Sachlage  nichts,  daß 
die  offizielle  Heuchelei  in  sämtlichen  Staaten 
jeden  Gedanken  an  Eroberungsgelüste  mit 
Empörung  abweist  und  die  ungeheuren 
Rüstungen  durch  die  feste  Absicht  be- 
gründet, mit  ihrer  Hilfe  den  Frieden  be- 
wahren zu  wollen.  Alle  versichern,  sich  nur 
um  der  Verteidigung  willen  zu  waffnen,  sie 
wollen  nur  bereit  sein,  den  Angriff  des 
bösen  Nachbars  auf  die  heimischen  Penaten 
abzuwehren. 

Aber  die  im  stillen  arbeitenden  Kräfte 
sind  in  Wirklichkeit  entgegengesetzter  Art. 
Man  braucht  nur  das  Treiben  deutscher  Im- 
perialisten zu  verfolgen,  um  die  wahren  Be- 
weggründe dieses  Wettrüstens  zu  erfahren. 
„Der  Expansionstrieb  Deutschlands  ist  noch 
lange  nicht  befriedigt,"  so  heißt  es  dort; 
„unsere  Grenzen  werden  uns  zu  eng,  wir 
müssen  unser  Volkstum  auf  eine  breitere 
Basis  stellen",  oder  gar:  „Das  deutsche  Volk 
sehnt  sich  nach  einem  Kriege."  Das  ist 
eine  kleine  Blütenlese  der  Redensarten,  die 
man  in  alldeutschen,  in  konservativen  Zei- 
tungen lesen  kann.  Paul  Rohrbach, 
gewiß  ein  Alldeutscher,  aber  ein  besonnener 
und  gemäßigter  Mann,  schreibt  in  einem 
Aufsatz  über  Wilhelms  IL  auswärtige  Po- 
litik als  Leitmotiv  den  Satz :  „Bereit 
sein  ist  alles1."  Er  führt  dann  weiter  aus,  daß 
wir  unserer  Flotte  die  Möglichkeit  einer  deut- 
schen   Weltpolitik    verdanken,    und    er    weist 


die  Frage,  ob  Deutschland  denn  überhaupt 
Weltpolitik  treiben  müsse,#  als  undiskutabel 
rundweg  ab.  Indem  er'  sich  mit  dem 
Vorwurfe  beschäftigt,  der  dem  Kaiser  je 
länger  je  öfter  gemacht  werde,  daß  er  zu 
unentschlossen  sei,  im  gegebenen 
Augenblicke  die  diplomatischen 
Mittel  der  Politik  mit  den  kriege- 
rischen zu  vertauschen,  gibt  er  un- 
umwunden zu,  „daß  seit  dreißig 
Jahren  Deutschland  allein  unter 
den  großen  Nationen  keine 
nennenswerten  auswärtigen  Fort- 
schritte gemacht  hat".  Und  er 
schließt  endlich  eine  Art  Verteidigung  des 
Kaisers  wegen  dieser  angeblichen  Unter- 
lassungen mit  dem  bemerkenswerten,  in  der 
Urschrift  gesperrt  gedruckten  Bekennt- 
nisse: „Daß  noch  in  keinem  ein- 
zigen Augenblick  die  Voraus- 
setzung, die  für  die  Herbeifüh- 
rung einer  Waffen-Entscheidung 
die  erstrebenswerteste  is;t,  näm- 
lich das  möglichst  günstige 
Verhältnis  zwischen  den  eigenen 
Kräften  und  denen  der  verbün- 
deten Gegner,  auf  unserer  Seite 
erreicht  gewesen  ist.  Bei  der 
Flotte  werden  die  Dinge  vielleicht  im 
nächsten  Jahre  so  stehen,  und  dann 
wird  man  wohl  auch  die  Befesti- 
gungen an  und  in  der  Nordsee  und  den 
Umbau  des  Nordostseekanals  soweit  geför- 
dert haben,  daß  diese  Werke  in  Funktion 
treten  können.  Welchen  Sinn  aber  sollte 
es  haben,  eine  Krisis  herbeizuführen, 
bevor  man  bereit  war?"  Endlich 
schließt  er:  „Wer  uns  vom  Orient  ver- 
drängen will,  der  fordert  uns  auf  Tod  und 
Leben  heraus,  und  der  Entscheidung  wer- 
den sich  weder  der  Kaiser  noch  die  Nation 
entziehen    dürfen." 

Man  kann  nicht  gut  offenherziger  und 
bestimmter  reden,  in  Tönen,  die  unsere 
Wettbewerber  als  ernste  Warnung  werden 
verstehen  müssen. 

Aber  freilich :  Verfahren  sie  nicht  alle 
nach  dem  gleichen  Rezepte '?  Unwiderlegbar 
ist  die  eine  Behauptung  Rohrbachs,  daß  die 
Expansionspolitik  der  Wettbewerber  Deutsch- 
lands in  den  letzten  vierzig  Jahren  eine  un- 
vergleichlich! größere  —  und  vor  allen 
Dingen  durchaus  nicht  unblutige  war.  Man 
sehe  das  gewaltige  afrikanische  Kolonialreich 
an,  das  Frankreich  mit  großer  Tatkraft  und 
größeren  Opfern  gezimmert  hat.  In  Ma- 
rokko allein  unterhält  es  zur  Stunde  etwa 
70000  Mann  Truppen.  Werfen  wir  unsere 
Blicke  auf  England,  auf  seine  Erwerbung 
Aegyptens  und  Südafrikas,  auf  den  Ausbau 
seines  weltumspannenden  Imperiums!  Das 
gleiche  Bild,  wenn  wir  uns  nach  Rußland 
wenden,  nach  Japan,  nach  dem  jungen  Riesen 
in  Nordamerika.  Selbst  das  verhältnismäßig 
arme   und    schwächere    Italien   hat,    von    bei- 


360 


<£ 


DIE  FRI EDENS -NVARTE 


nahe  einmütiger  nationaler  Leidenschaft  ge- 
trieben, die  Eroberung  eines  großen  Stückes 
von  Nordafrika  begonnen  und  läßt  die 
Augen  begehrlich  nach  Albanien  und  zu  den 
Inseln  an  der  kleinasiatischen  Küste 
schweifen.  Endlich  hat  auch  Belgien,  das 
kleine,  neutralisierte  Land,  ein  unermeß- 
liches Herrschaftsgebiet  im  tropischen  Afrika 
in  seine  Gewalt  gebracht. 

Bereit    sein,    ist    alles! 

Dieses  Motto  beherrscht  zurzeit  die  ge- 
samte europäische  Staatenwelt.  Nicht  nur 
in  Deutschland  lauert  die  herrschende 
Schicht  auf  die  Schicksalsstunde,  die  andern 
alle  suchen  die  zukunftkündenden  Zeichen 
am  Sternenhimmel   ebenso   zu  deuten. 

Und  in  dieser  Erwartung  hat  das  all- 
gemeine Wettrüsten  mit  erneuter  Wut,  mit 
verbissener,  finsterer  Entschlossenheit  ein- 
gesetzt. England  baut  Schiffe  auf  Schiffe, 
um  sich  die  Herrschaft  auf  den  Wogen  des 
Ozeans  für  alle  Zeiten  zu  sichern.  ,,Rule 
Brittania,  rule  the  wawes !"  Frankreich 
macht  Anstrengungen  auf  Anstrengungen,  um 
dem  Nachbar  militärisch  gewachsen  zu 
bleiben,  dessen  Bevölkerungsüberschuß  und 
dessen  überquellende  Energie  ihm  schlaf- 
lose Nächte  ob  seiner  eigenen  nationalen 
Zukunft  bereitet.  Niemand  wird  leugnen 
wollen,  daß  seine  Leistungen,  daß  seine 
nationale  Opferwilligkeit  bewunderungs- 
würdig sind,  wie  sehr  sie  den  Fortschritt  der 
Kultur  hemmen  mögen.  Vorbildlich  geradezu 
ist  die  Bereitwilligkeit  der  besitzenden 
Klassen,  ihren  eigenen  Söhnen  die  gleichen 
Lasten,  das  heißt  die  gleiche  Dienstzeit,  auf- 
zuerlegen, wie  den  Söhnen  der  Armen.  Ich 
muß  gestehen,  ich  schäme  mich  des  deut- 
schen Bürgertums,  dessen  Patriotismus 
darin  besteht,  auf  anderer  Leute  Kosten  be- 
willigungsfreudig zu  sein.  Auch  Rußland 
rüstet,  auch  Oesterreich  rüstet,  auch  Italien 
rüstet,  Belgien  rüstet,  die  Balkanstaaten 
rüsten    —    wer   rüstet    nicht  ?    . 

Bereit    sein,    ist    alles! 

Bisher  haben  sie  alle  noch  nicht  ,,das 
günstige  Verhältnis  zwischen  den  eigenen 
Kräften  und  denen  der  verbündeten  Gegner" 
erreicht,  Das,  und  das  allein,  hat  uns  den 
Frieden  erhalten.  Wann  aber  werden  sie  es 
erreichen  ? 

Diese  Frage  kennzeichnet  den  großen 
Irrtum  dieser  Rüstungswut.  Deutschland 
glaubt  im  Handel  um  Marokko,  mehr  noch 
bei  den  gefährlichen  Verwicklungen  auf  dem 
Balkan,  zu  bemerken,  daß  seine  Rüstung 
Lücken  hat ;  es  wirkt  auf  Oesterreich] 
mäßigend  ein,  dessen  Rüstung  größere 
Lücken  vielleicht  noch  aufwies.  Aber  zu- 
gleich bringt  es  vor  seinen  Reichstag  die 
größte  Militärvorlage,  die  je  ein  Parlament 
in  Deutschland  beschäftigt  hat,  und  bringt 
sie  spielend  durch.  Es  ist  nicht  zu  kühn, 
zu  behaupten,  daß  einer  freiheitlichen  Re- 
gierung  bei    einem   Entgegenkommen   in   der 


Beschränkung  der  Kommandogewalt  und 
einigen  anderen  militärischen  Zugeständ- 
nissen sogar  ein  Teil  der  Sozialdemokraten 
die  Rüstungskredite  bewilligt  hätte.  Und 
nun  scheint  es  einen  Augenblick,  als  sei 
Deutschland  allen  kriegerischen  Stürmen  ge- 
wachsen, stehe  unangreifbar  und  drohend  zu- 
gleich  da. 

Aber  wieder  einmal  vergaß  man,  daß  alle 
militärische  Stärke  etwas  Verhältnismäßiges 
ist.  Man  kann  mit  200  000  Mann  jedem 
möglichen  Gegner  gewachsen,  mit  einer 
Million  Soldaten  noch  sehr  schwach  sein. 
Bevor  die  neue  Wehrvorlage  Gesetz  wurde, 
war  Deutschland  dem  französischen  Frie- 
densheere um  60  000  bis  70  000  Mann  über- 
legen; vom  15.  November  d.  J.  ab  wird  es 
kaum  mehr  gleich  stark  sein.  Auch  an 
Kriegsstärke  hat  es  wenig  gewonnen,  da  die 
Franzosen  dem  P'eldheere  jetzt  vierzehn 
Jahrgänge  gegen  zwölf  deutsche  Jahrgänge 
zuführen,  und  da  Deutschland  die  große 
Zahl  seiner  Reservisten  und  Landwehrleute 
organisatorisch  nicht  genügend  verwertet, 
unter  den  augenblicklichen  Verhältnissen 
nicht    verwerten    kann. 

Wo  also  bleibt  der  Sinn,  der  Zweck, 
der  Nutzen  dieser  Rüstungswut  ?  Sind  wir 
jetzt  bereit,  das  Kriegsglück  zu  versuchen '? 
Und  drückt  unseren  noch  immer  ärmeren 
Steuerzahler  das  gewaltig  erhöhte  Kriegs- 
budget auf  die  Dauer  nicht  stärker  als  den 
französischen  ? 

Was  aber  ist  die  Folge  der  falschen 
Rechnung  ?  Schon  kündet  der  Wehrverein 
für  das  Jahr  1916  neue  erhebliche  Forde- 
rungen an,  die  in  ihrer  Gesamtheit  die  so- 
eben Gesetz  gewordene  Vorlage  erreichen 
werden.  Aber  auch  der  Flottenverein  be- 
weist durch  kräftige  Opposition,  daß  er 
noch  lebe.  Und  dann,  werden  wir 
dann  die  endgültige  Ueb  erleg  enheit  ge- 
wonnen haben,  so  daß  unsere  Nebenbuhler 
„uff"    schreien   und  den  Wettlauf  aufgeben  ? 

Wer  vermag  das  zu  glauben  ?  Ist  es 
nicht  wahrscheinlicher,  entspricht  es  nicht 
mehr  der  gegenwärtigen  Lage  der  Dinge,  daß 
sie  eher  zum  Schwerte  greifen  und  die 
blutige  Entscheidung  erzwingen  werden,  ehe 
sie  sich  im  Frieden  für  endgültig  überwunden 
erklären  ? 

Unter  solchen  Auspizien  wäre  jeder 
Versuch  mit  Dank  zu  begrüßen,  der 
diesem  sinnlosen  Wettrüsten  Einhalt  ge- 
bietet. Aber  ebenso  sicher  ist  es,  daß  er 
nicht  unternommen  werden  wird.  Der  Geist 
und  die  Moral  der  herrschenden  Klassen 
sind  noch  nicht  so  entwickelt,  ihr  .Vorteil  steht 
solcher  Abmachung  feindlich  entgegen.  Das 
Waffenkapital  der  ganzen  Welt,  unter  dem 
Deckmantel  des  Patriotismus  international 
verbrüdert,  würde  seinen  ganzen  Einfluß  auf- 
bieten, die  Lösung  zu  verhindern,  die  der  ge- 
sunden   Vernunft    entspricht. 


381 


DiEFRIEDENS-^AßTE  = 


3 


Ich  stimme  Herrn  Stadtpfarrer  Umlfrid 
zu,  wenn  er  das  Problem  der  Abrüstungsfrage 
unter  den  gegenwärtigen  anar- 
chischen Zuständen  der  Staaten- 
welt für  schwer  lösbar  hält.  Man  ver- 
sucht damit  ein  Symptom  zu  kurieren, 
anstatt  der  Krankheit  selbst  zu  Leibe 
zu  gehen.  Ich  selber  habe  alle  denk- 
baren Modalitäten  der  Abrüstung  durch- 
dacht und  bin  schließlich  zu  dem  pessi- 
mistischen Schlüsse  gekommen,  daß,  sie  sämt- 
lich ohne  jede  Ausnahme  umgangen  werden 
können,  und  daß  ihre  Durchführung  kaum 
zu    überwachen    wäre. 

Aber  gibt  es  denn  keine  andern  Mittel, 
dem  Gedanken  des  Völkerfriedens  allmählich 
näherzukommen  ? 


Kultur  und  Krieg. 

Vortrag,  gehalten  am  6.  Oktober  1918  am 
zweiten  Verbandstag  des  „Verbandes  für  inter- 
nationale Verständigung"  in  Nürnberg  von 
Professor  Walt  her  Schücking,  Marburg. 

Man  hat  sich  in  Deutschland  gewöhnt,  die 
Epoche  des  wirtschaftlichen  Aufschwungs  von 
dem  letzten  Kriege  an  zu  datieren.  Zeitlich 
mag  das  richtig  sein,  aber  das  Nacheinander 
zweier  Ereignisse  bedeutet  bekanntlich  noch 
nicht  ein  Jnfolgeeinander.  Die  enorme  Ent- 
wicklung von  Handel  und  Industrie,  die  wir 
allerdings  in  dem  letzten  Menschenalter  haben 
vor  sich  gehen  sehen,  hat  ihre  Parallele  in 
anderen  Ländern,  die  keinen  siegreichen  Krieg 
geführt  haben.  England,  weit  entfernt  durch 
das  Aufblühen  Deutschlands  verloren  zu  haben, 
wie  unsere  Chauvinisten  behaupten,  hat  in  dem 
gleichen  Zeitalter  ebenfalls  einen  glänzenden 
Aufschwung  seiner  wirtschaftlichen  Verhält- 
nisse erlebt,  ebenso  andere  Staaten  wie  z.  B. 
das  gewerbfleißige  Belgien.  Die  Gründe  da- 
für liegen  tiefer,  als  unsere  Nationalisten  es 
wissen  wollten.  Die  Fortschritte  in  der  natur- 
wissenschaftlichen Erkenntnis  'haben  alle 
Kräfte  der  Erde  in  ungeahnter  Weise  in  den 
Dienst  des  Menschen  gestellt,  d.  h.  durch  die 
Errungenschäften  der  Technik  ist  es  möglich 
geworden,  die  Produktion  ins  Ungemessene  zu 
steigern,  und  damit  mußte  natürlich  der  Wohl- 
stand des  Volkes  sich  entsprechend  steigern. 
Deshalb  sollen  wir  uns  hüten,  die  wirtschaft- 
lichen Resultate  des  Krieges  von  1870/71  zu 
überschätzen  und  schon  unter  diesem  Gesichts- 
punkt den  Krieg  als  Kulturbringer  zu  preisen. 

Fördert  der  Krieg  wirklich  die  Kultur, 
wie  es  seine  Anhänger  behaupten  ?  Die  Ant- 
wort darauf  mag  eine  persönliche  Erinnerung 
geben. 

Vor  wenig  Wochen  war  ich  in  Oxford. 
Wir  wanderten  von  einem  Kolleg  zum  andern 
und  bewunderten  die  unsagbar  schöne  Pracht 
jener    halb    schloß-,    halb    klosterartigen    Ge- 


bäude mit  ihren  verschwiegenen  Kreuzgängen,, 
mit  den  weiten  Binnenhöfen,  deren  Wände  ein 
Epheu  von  vielen  Jahrhunderten  deckt,  mit 
den  alten  Parks  und  ihren  ehrwürdigen. 
Bäumen  und  Alleen.  Wir  sahen  die  Biblio- 
theken dieser  Studienhäuser  mit  ihren  Schätzen 
des  Mittelalters,  alten  Pergamenten  und  bunten 
Miniaturen,  wir  sahen  an  den  Wänden  die  Oel- 
bilder  der  größten  Gelehrten  aller  Jahrhun- 
hunderte,  und  wir  waren  alle  ganz  bezau- 
bert von  soviel  Schönheit  und  Glanz.  Da 
faßte  ich  mir  ein  Herz  und  fragte  einen  der 
hervorragenden  Engländer,  in  deren  Gesell- 
schaft wir  waren,  woher  nur  all  dieser  Reich- 
tum komme,  einer  Zeit  entstammend,  in  der 
England  noch  nicht  die  Länder  und  die 
Meere  fremder  Erdteile  beherrschte.  Der  von 
mir  Gefragte  war  Sir  Thomas  Barclay,  ein 
Friedensfreund,  der  mit  unserem  verehrten 
Gast  Baron  d'Estournelles  de  Constant  Eng- 
land und  Frankreich  versöhnt  und  die  Entente 
cordiale  zustande  gebracht  hat.  Und  was 
gab  er  mir  zur  Antwort:  „Hier  ist  nur  nichts 
zerstört  worden.  Seit  1066  hat  England  keinen 
Feind  in  seinen  Grenzen  gesehen."  Da  dachte 
ich  an  meine  deutsche  Heimat,  an  den  30  jäh- 
rigen Krieg,  die  Raubkriege  Ludwigs  XIV. 
in  der  Pfalz,  den  spanischen  Erbfolgekrieg, 
den  siebenjährigen  Krieg,  die  napoleomscben 
Feldzüge,  die  Freiheitskriege  und  all  die 
Kulturgüter,  die  uns  der  Krieg  und  immer 
wieder  der  Krieg  gekostet  hat.  Wieviel  schö- 
ner und  herrlicher  würde  es  in  unserm  deut- 
schen Vaterlande  aussehen,  wenn  bei  uns  noch 
all  die  Dome,  Burgen  und  Schlösser,  all  die 
Patrizierhäuser  mit  ihrem  alten  Hausrat,  all 
die  Bauernhäuser  mit  Erzeugnissen  boden- 
ständiger Volkskunst  zu  finden  wären,  die  die 
Fackel  des  Krieges  verzehrt  hat!  Wir  brauch- 
ten nicht  in  die  paar  Museen  der  Großstädte 
zu  gehen,  wo  die  Fülle  der  Stapelware  uns 
müde  macht,  wir  brauchten  nicht  Reisen  zu 
machen,  um  entlegene  Täler  aufzusuchen,  die 
von  der  Furie  des  Krieges  verschont  ge- 
blieben, wir  brauchten  nur  um  uns  zu  schauen 
und  die  Augen  aufzumachen,  wo  wir  uns  gerade 
befänden.  Und  was  das  Schlimmste  ist,  es 
sind  ja  nicht  nur  die  Kulturdenkmäler  ver- 
gangener Zeit  an  sich,  die  bei  uns  tausendfach 
vom  Kriege  vernichtet,  es  ist  die  einzigartige 
Stimmung,  die  von  ihnen  ausgeht.  Ob  Sie 
das  englische  Parlamentsgebäude  in  West- 
minster  betreten  und  im  Unterhause  den  Ver- 
handlungen beiwohnen,  während  die  Sonne 
durch  die  bunten  Scheiben  lacht,  die  "die  nor- 
manischen Herrscher  mit  ihren  Wappen  und 
französischen  Wappensprüchen  dort  eingefügt, 
ob  wir  in  Warwichi  Castle  auf  dem  Bowling 
green  stehen  und  das  Schloß  bewundern,  das 
mit  all  seinen  Mauern,  Wehrgängen,  Türmen 
und  Zinnen  im  edelsten  Tudor-Stil  vor  uns 
aufragt,  ob  wir  nach  Stratford  pilgern,  von 
wo  der  Schwan  des  Avon  seinen  Flug  genom- 
men, und  sehen  die  Stube,  in  der  ein  Shake- 
speare geboren,    und   das   reizvolle   Fachwerk- 


382 


@= 


DIE  FRI EDENS -WAPXE 


haus,  in  dem  er  die  Lateinschule  besucht,  über- 
all stoßen  wir  in  England  auf  die  Traditionen 
einer  ununterbrochenen  Kultur  von  langen 
Jahrhunderten.  Und  wer  kann  uns  sagen,  wie- 
viel erzieherische  Wirkungen  von  solchen  Ein- 
drücken ausgehen!  Jeder  einzelne  erscheint 
als  Glied  der  Kette,  die  von  der  Vergangen- 
heit ununterbrochen  zu  uns  heraufreicht  und 
uns  wieder  mit  der  Zukunft  verknüpft,  ge- 
meinsame Erinnerungen  einen  das  Volk, 
Heiligtümer  der  Vergangenheit  geben  unserem 
Volke  seine  Geschichte,  und  wenn  das  durch 
die  moderne  wirtschaftliche  Entwicklung  von 
der  Heimat  Boden  entwurzelte  Volk,  zusam- 
mengepfercht in  modernen  Großstädten  viel- 
fach traditionslos  geworden  ist,  nun  so 
müssen  wir  ihm  eben  in  aufbauender  Arbeit 
von  Geschlecht  zu  Geschlecht  die  neue  Hei- 
mat lieb  und  reizvoll  machen.  Die  deutsche 
Erde  wohnlich  machen  auch  für  den  Aerm- 
sten  und  Niedrigsten  unserer  Brüder,  d.  h. 
Kulturarbeit  leisten,  und  nicht  Kriege  führen 
und  Schlachten  schlagen,  mag  es  nun  auf  dem 
fremden  oder  schlimmer  noch  auf  dem  eigenen 
Boden  sein.  Wohl  sind  gelegentlich  durch  den 
Krieg  mächtige  Reiche  gegründet,  von  denen 
die  Zivilisation  ihren  Ausgang  genommen,  aber 
bind  nicht  ebenso  viele  Reiche  mihdestjens  durch 
den  Krieg  zerstört  worden?  Und  sind  wirk- 
lich nur  diejenigen  im  Kriege  überrannt  wor- 
den, die  innen  faul  und  morsch  gewesen,  wie 
jetzt  die  europäische  Türkei?  Gerade  die 
Geschichte  der  Türkei  beweist  das  Gegenteil. 
Es  waren  keine  Kulturwerte  der  Mongolen, 
die  Tschingis-Khan  bis  vor  die  Tore  Breslaus 
führte,  es  waren  keine  Fähigkeiten  zur  Kultur, 
die  den  Türken  den  Balkan  für  Jahrhunderte 
in  die  Hand  spielten,  die  das  große  Serben- 
reich zerstörten  in  der  Schlacht  auf  dem 
Amselfelde,  so  daß  die  Südslawen  heute  müh- 
sam dort  anfangen  müssen,  wo  sie  einst  vor 
Jahrhunderten  aufgehört,  um  unter  dem  Joch 
der  Türken  zu  schmachten,  die  die  Kultur  nur 
gehemmt  haben.  Ist  es  umgekehrt  nicht  ewig 
schade,  um  die  Vernichtung  der  einzigartigen 
Kultur  der  Araber  in  Spanien?  Fürwahr,  es 
ist  unmöglich,  den  Krieg  als  den  großen  Kul- 
turbringer  hinzustellen  und  die  Blüte  der 
Völker  davon  abhängig  zu  machen,  daß  ihre 
Angehörigen  von  Zeit  zu  Zeit  zu  Tausenden 
einander   hinschlachten. 

Auch  für  die  Kultur  der  Einzelpersönlich- 
keit leistet  der  Krieg  nicht  das,  was  man  ihm 
zuschreibt.  Gewiß  kann  es  seinen  erziehlichen 
Wert  haben,  wenn  der  einzelne  genötigt  wird, 
sein  Leben  einzusetzen  für  seine  Volks- 
genossen, aber  der  Krieg  zwingt  ihn,  den 
Seinen  zu  nützen,  indem  er  die  andern  schä- 
digt. Wer  durch  einen  wohlgezielten  Torpedo- 
schuß einen  Riesenpanzer  mit  Tausenden  von 
Menschen  in  die  Luft  sprengt,  der  hat  sich  am 
besten  verdient  gemacht  um  Volk  und  Staat. 
Kann  man  wirklich  behaupten,  daß  solche 
Arbeit  veredelnd  wirkt  auf  den  Soldaten  ?  Muß 
nicht  gerade  die  Liebe  zum  Vaterlande  und  der 


Ehrgeiz,  dem  Vaterlande  zu  dienen,  im  Kriege 
Haß  und  Mordlust  gegen  den  Feind  auslösen  ? 
Auch  der  Arzt  und  die  Krankenschwester 
setzen  oft  ihr  Leben  ein  für  ihre  Volks- 
genossen, aber  sie  bringen  nur  Hilfe  und  brin- 
gen niemandem  den  Tod.  Und  nicht  nur  die 
Schlachtfelder  haben  ihre  Invaliden,  sondern 
alle  Stätten  der  Arbeit.  Wer  hinabsteigt  in 
die  dunklen  Schächte  der  Erde,  um  durch  die 
Gewinnung  von  Kohlen  für  Gewerbefleiß»und 
Wohlstand  seiner  Mitbürger  die  nötigen  Be- 
dingungen zu  schaffen,  der  wagt  auch,  wie  die 
Erfahrung  lehrt,  immer  wieder  sein  Leben, 
und  seine  stille,  unsichtbare  Arbeit  da  unten, 
die  ihn  oft  siech  macht  in  den  Jahren  der  Kraft, 
bringt  nur  Segen  und  kein  Verderben.  Wir 
haben  allen  Grund,  ein  hohes  Lied  zu  singen 
von  der  Arbeit,  wie  es  der  Dichter  tut  mit  den 
Worten : 

Ehre  jedem  Tropfen  Schweiß, 
Der  in  Hütten  fällt  und  Mühlen; 
Ehre  jeder  nassen  Stirn 
Hinterm  Pfluge,  doch  auch  dessen, 
Der  mit  Schädel  und  mit  Hirn 
Hungernd  pflügt,  sei  nicht  vergessen. 
Aber  zu  behaupten,  daß  die  grausige 
Arbeit  des  Schlachtfeldes,  die  nur  im  Ver- 
nichten blühender  Leben  besteht,  die  beste  und 
edelste  sei,  und  daß  die  Völker  den  Krieg  zu 
ihrer  Erziehung  brauchten,  das  geht  zu  weit. 
Ich  habe  vorhin  von  den  Denkmälern  alter 
Kultur  in  England  gesprochen.  Auch  hier 
auf  dem  Boden  des  alten  Nürnberg  schauen 
wir  um  uns  überall  solche  Denkmäler,  wie  sie 
herrlicher  keine  andere  Stadt  in  Deutschland 
besitzt.  Bei  dem  Anblick  des  Sebaldusgrabes 
von  Peter  Vischer  oder  des  Sakramentshäus- 
chens von  Ulrich  Krafft  kann  man  sich  wirk- 
lich fragen,  ob  wir  uns  überhaupt  eine  höhere 
Kultur  denken  können,  als  diejenige,  die  hier 
in  Nürnberg  schon  einmal  geblüht  hat.  Ich 
habe  mir  diese  Frage  selbst  vorgelegt,  aber  ich 
habe  sie  kühnen  Mutes  bejaht,  als  ich  die 
Folterwerkzeuge  hier  auf  der  Burg  gesehen. 
Da  bin  ich  zu  der  Einsicht  gekommen,  was 
hilft  all  die  künstlerische  und  wissenschaftliche 
Kultur,  die  hier  in  Nürnberg  schon  einmal  ge- 
wesen ist,  so  lange  die  ;Menschen  gegenein- 
ander so  grausam  gewütet  haben.  Der  wahre 
Fortschritt  in  der  Kultur  ist  der  Fortschritt  in 
der  Humanität.  Und  vom  Standpunkt  der  Hu- 
manität aus  müssen  wir  die  Einrichtung  des 
Krieges  verurteilen.  Denken  Sie  einmal  an  die 
Schlacht  bei  Königgrätz,  wo  auf  der  einen 
österreichischen  Seite  40  000  Sterbende  und 
Verwundete  durcheinander  lagen.  Es  gibt 
keine  Phantasie,  die  furchtbar  und  genial 
genug  wäre,  um  dieses  Massenelend  sich  wirk- 
lich vorstellen  zu  können. 

Mag  man  also  behaupten,  daß  der  Krieg 
heute  noch  zuweilen  notwendig  sei,  wo  es  gilt, 
das  Vaterland  zu  verteidigen,  würden  wir  ja  alle 
ohne  Unterschied  des  Alters  und  der  Partei  die 
Flinte  auf  den  Rücken  nehmen,  man  soll  aber 
nicht  behaupten,  daß  der  Krieg  in  sich  etwas 


38  3 


DIE  FRIEDENS -WACHTE 


S) 


Gutes  sei.  Der  Fortschritt  der  Kultur  liegt  in 
dem  Fortschritt  der  Humanität  und  der  Geist 
der  Menschlichkeit  verhüllt  schluchzend  sein 
Haupt,  wenn  die  Fackel  des  Krieges  entzündet 
ward. 

Darum  versündigen  sich  diejenigen,  fre- 
velnd an  der  Menschheit  im  allgemeinen  und 
an  unserm  Volk  im  besonderen,  die  immer 
wieder  behaupten,  die  Zeit  sei  gekommen,  wo 
unsef  Volk  wieder  einen  Krieg  brauche,  um 
einmal  aus  dem  Jagen  nach  Erwerb  und  Ge- 
nuß herauszukommen  und  edlere  Empfindun- 
gen des  Herzens  zu  spüren.  Das  kann  nur  je- 
mand sagen,  der  die  Dinge  von  oben  betrachtet 
und  die  wirkliche  Lage  des  Volkes  gar  nicht 
kennt.  Es  mag  ja  wirklich  Kreise  geben,  die 
sich  zu  sehr  dem  Genuß  ihres  Reichtums  zuge- 
wandt haben,  obgleich  erfahrungsgemäß  z.  B. 
unsere  Großindustriellen  höchst  arbeitsame 
Leute  sind,  die  große  Mehrzahl  unseres  Volkes 
ringt  heute  noch  hart  um  seine  Existenz.  Die 
Mehrzahl  der  preußischen  Staatsbürger  hat 
weniger  wie  900  Mark  Einkommen.  Ist  da 
wirklich  schon  die  Gefahr,  daß  unser  Volk  in 
einem  Genußleben  verkommt  und  haben  wir 
nicht  vielmehr  allen  Grund,  unserm  Kaiser 
dafür  dankbar  zu  sein,  daß  er  sich  redlich  und 
erfolgreich  bemüht  hat,  von  unserm  Volke  die 
furchtbare  wirtschaftliche  Not  abzuwenden, 
die  erfahrungsgemäß  mit  jedem  Kriege 
für  die  Mehrzahl  der  Bevölkerung  verbunden 
ist?  Wer  also  glaubt,  daß  es  in  unserem 
Volke  Schichten  gibt,  denen  es  zu  gut  geht, 
der  sollte  für  eine  andersartige  Verteilung  von 
Besitz  und  Einkommen  durch  innere  Reformen 
eintreten,  nicht  aber  für  den  Krieg  als  Volks- 
erzieher, der  eine  entsetzliche  Krisis  im  Wirt- 
schaftsleben mit  sich  bringen  und  gerade  die 
Aermsten  des  Volkes  in  Hunger  und  Elend 
stürzen  würde.  Zum  Glück  hat  sich  ja  unsere 
Regierung  bisher  durch  das  Treiben  dieser 
Kriegshetzer,  die  manchmal  wahrscheinlich 
nicht  sowohl  aus  Verblendung,  sondern  aus 
kapitalistischer  Gewinnsucht  handeln,  nicht  im 
geringsten  beeinflussen  lassen.  An  ihrem  ehr- 
lichen Willen  zum  Frieden  dürfen  wir  nicht 
zweifeln.  Aber  da  die  Regierungen  der  Kultur- 
staaten einander  nicht  trauen,  werden  die 
Rüstungen  zum  Schutze  des  Friedens  von  Jahr 
zu  Jahr  gesteigert.  In  den  letzten  30  Jahren 
haben  sechs  europäische  Großmächte  134  Mil- 
liarden Mark  für  militärische  Zwecke  ausgege- 
ben. Rechnet  man  alle  hierher  gehörigen 
Ausgaben,  wie  z.  BL  auch  die  Militärpensionen, 
die  Lohnverluste  der  unter  den  Waffen  be- 
findlichen Truppen  usw.  zusammen,  so  ergibt 
sich  allein  für  das  Deutsche  Reich  eine  Jahres- 
last von  etwa  4  Milliarden  Mark.  Das  ist 
eine  unermeßliche  Summe,  und  was  das 
Schlimmste  ist,  wenn  die  Dinge  so  weiter 
gehen  wie  bisher,  so  wird  auch  diese  Summe 
noch  von  Jahr  zu  Jahr  weiter  gesteigert  werden. 
Man  pflegt  zu  sagen,  das  Geld  bleibt  im  Lande, 
aber  es  liegt  doch  klar  zutage,  daß  diese  Aus- 
gaben  im   volkswirtschaftlichen    Sinne    unpro- 


384 


duktiv  sind.  Volkswirtschaf tüch  betrachtet,  liegt 
doch  ein  ungeheurer  Unterschied  darin,  ob  der 
Staat  für  60  Millionen  Mark  eine  neue  Eisen- 
bahnlinie baut,  die  eine  entsprechende  Ver- 
zinsung bringt,  ob  er  dafür  meüenweite  Moore 
und  Oedländereien  in  lachende  Fluren  ver- 
wandelt, oder  ob  60  Millionen  für  die  Erbau- 
ung und  Armierung  eines  Riesenpanzers  aus- 
gegeben werden,  der  nach  einer  Anzahl  Jahre 
schon  wieder  zum  alten  Eisen  geworfen  werden 
muß.  Gewiß,  wir  wollen  die  positiven  Werte, 
die  unserm  Volke  die  militärische  Erziehung 
schon  auf  rein  körperlichem  Gebiete  gibt,  nicht 
verkennen,  aber  damit  ist  doch  nicht  gesagt, 
daß  dieser  Unfug  des  Wettrüstens  zu  Lande, 
zu  Wasser  und  in  der  Luft  immer  so  weiter 
gehen  müsse.  Die  Anhänger  dieses  Systems, 
zum  Teil  pekuniär  daran  interessiert,  recht- 
fertigen es  mit  der  Erwägung,  daß  wir  trotz- 
dem immer  reicher  würden  und  die  Lebens- 
haltung aller  Schichten  sich  bessere.  Gewiß 
sind  das  Tatsachen,  die  sich  nicht  bestreiten 
lassen.  Aber  ich  habe  schon  vorhin  gesagt, 
der  wahre  Fortschritt  der  Kultur  zeigt  sich  in 
dem  Fortschritt  der  Humanität  —  und  vom 
Standpunkt  der  Humanität  aus  betrachtet,  wie 
viel  wäre  da  noch'  zu  tun.  Wir  haben  in 
Deutschland  eine  Säuglingssterblichkeit  von 
etwa  350  000  Kindern  jährlich;  es  gibt  Arbei- 
terviertel in  (Berlin  N.,  wo  bloß  infolge  der 
ungünstigen  sozialen  Verhältnisse  42  Prozent 
aller  Kinder  und  Säuglinge  sterben;  es:  ster- 
ben in  Deutschland  jährlich  etwa  35  000  Wöch- 
nerinnen, weil  z.  BL  im  Regierungsbezirk  Gum- 
binnen  beinahe  bei  der  Hälfte  der  Geburten 
aus  Armut  sogar  die  Hebamme  fehlt;  ein 
großer  Teil  unserer  Volksschulkinder  leidet 
an  Unterernährung,  es  wohnen  in  Berlin  mehr 
als  600  000  Menschen  in  Wohnungen,  in  denen 
mehr  als  fünf  Personen  auf  ein  heizbares  Zim- 
mer kommen.  Während  der  ganze  Krieg  von 
1870/71  uns  nur  40000  Menschenleben  ge- 
kostet hat,  gehen  uns  jährlich  mehrere  100  000 
Menschenleben  verloren,  weil  der  Zustand  des 
bewaffneten  Friedens  all  die  Mittel  verschlingt, 
mit  denen  sie  erhalten  werden  könnten.  Wir 
rühmen  uns  unserer  Arbeiterversicherung,  aber 
das  Deutsche  Reich  gibt  für  diese  Versiche- 
rung weniger  aus,  wie  für  einen  einzigen  Rie- 
senpanzer. Nicht  ohne  Grund  hat  man  von 
der  Witwenversicherung,  die  jetzt  der  Arbeiter- 
Versicherung  eingefügt  ist,  gesagt,  daß  es 
eigentlich  nur  eine  Attrappe  sei.  Denn  nur 
die  invalide  Witwe  des  Arbeiters  bekommt 
eine  Rente,  nicht  diejenige,  die  noch  selbst 
schaffen  kann,  mag  auch  ihre  Tätigkeit  vollauf 
daheim  durch  die  Erziehung  und  Ver- 
pflegung der  Kinder  in  Anspruch  genom- 
men sein.  Vom  Standpunkt  der  Huma- 
nität aus  müssen  wir  aber  doch  die  Forderung 
aufstellen,  daß  jeder  Mensch  zunächst  ein- 
mal auch  eine  menschenwürdige  Existenz 
führe.  Bekanntlich  lebt  der  Mensch  aber  nicht 
von  Brot  allein,  wir  müssen  auch  unseren 
Volksgenossen    über   die    bloße    leibliche    Er- 


@; 


DIE  FRIEDENS-^M&RXE 


nährung  hinaus  Anteil  verschaffen  an  den 
höheren  Kulturgütern  dieses  Lebens.  Um  nur 
eines  zu  nennen,  die  dramatische  Kunst  muß 
eine  Sache  des  Volkes  werden,  wie  sie  es 
einst  war  in  Athen.  Dort  baute  der  Staat  die 
Theater  und  veranstaltete  die  Festspiele,  jeder 
Bürger  hatte  freien  Zutritt  und  erhielt  noch 
eine  Summe  Geldes,  um  sich  Erfrischungen 
zu  kaufen,  damit  ihm  im  Theater  nicht  das 
Gefühl  von  Hunger  und  Durst  den  Kunst- 
genuß störe.  Wenn  wir  so  unsere  Kunst 
demokratisieren  könnten,  dann  würden  wir 
unsere  Kultur  befruchten,  dann  könnten  uns 
Dichter  erstehen  wie  Aeschylus,  wie  Euri- 
pides,  wie  Sophokles.  Denn  das  Volk  will 
eine  große  und  edle  Kunst.  Es  gibt  nur  zwei 
Dinge,  die  gut  sind,  auf  der  Welt,  sagt 
W.  v.  Humboldt,  Gott  und  das  Volk. 

Also,  wer  sein  Volk  lieb  hat,  der  soll  ein- 
treten für  jene  große  Kulturbewegung,  die 
jetzt  durch  die  Lande  geht :  das  Streben  nach 
internationaler  Verständigung.  Es  handelt 
sich  hier  nicht  um  eine  Utopie.  Der  Krieg 
bricht  nicht  aus,  wie  die  Cholera  und  die 
Pest,  den  Krieg  machen  wir  Menschen,  und 
wenn  wir  Menschen  eines  Sinnes  sind,  dann 
brauchen  wir  weder  den  Krieg  noch  die  Un- 
sicherheit des  bewaffneten  Waffenstillstandes 
von  heute.  Schon  dämmert  am  Horizont  das 
Morgenrot  einer  neuen  Zeit;  schon  haben  die 
englischen  und  die  deutschen  Staatsmänner 
erklärt,  daß  man  in  bezug  auf  die  Zahl  der 
Riesenpanzer  ein  bestimmtes  Verhältnis  wahren 
wolle.  Das  ist  ein  schöner  Anfang  zu  neuen 
Zielen.  Es  kommt  nur  darauf  an,  daß  end- 
lich die  Völker  guten  Willens  sind.  Vor  unsern 
Kindern  und  Enkeln  sind  wir  dafür  verant- 
wortlich, daß  wir  Deutsche  zu  diesem  großen 
Werk  der  internationalen  Verständigung  recht- 
zeitig unseren   Beitrag  leisten. 

Drum    jeder    fleh',    daß    es    gescheh', 
Wie's  einst  geschieht,  trotz  alledem, 
Daß  rings  der  Mensch  die  Bruderhand 
Dem  Menschen  reicht,  trotz  alledem. 


Über  das  Haager  Werk.*) 

Von  L6on  Bourgeois,  Paris, 

französischer     Senator,      ehemaliger    Minister- 
präsident,   Mitglied   des    Haager   Hofes. 

Es  ist  eine  ganz  neue  Welt,  deren  Werden 
man  empfindet.  Es  sind  die  Organe  einer' 
neuen  Menschheit,  die  allmählich  Gestalt  an- 
nehmen. Wohl  weiß  ich,  daß  zur  Stunde,  in 
der  ich  spreche,  die  Gegner  unserer  Arbeit 
glauben,  sich  das  Recht  beimessen  zu  können, 
von  dem  Scheitern  einer  Einrichtung  zu  reden, 
an  deren  Ausbildung  wir,  mein  sehr  verehrter 

*)  Autorisierte  Wiedergabe  einer  Stelle  in 
einer  Rede,  die  Leon  Bourgeois  im  Sept.  d.  J. 
auf  dem  Genter  Kongreß  des  ständigen  Komitees 
für   Sozialversicherungen   usw.   hielt. 


Herr  Präsident,*)  vor  sechs  Jahren  zusammen 
gearbeitet  haben;  jener  großen  Einrichtung 
der  internationalen  Schiedsgerichtsbarkeit,  die 
durch  die  Haager  Abkommen  geschaffen  wurde.. 
Vor  einigen  Tagen  eröffnete  man  im  Haag 
den  Friedenspalast,  was  der  Kleinpresse  beider 
Welten  Gelegenheit  gab,  billige  Scherze  über 
das  tragische  Zusammentreffen  zu  machen,  das. 
die  Tore  jenes  der  Rechtssouveränität  gewid- 
meten Gebäudes  zur  selben  Stunde  sich  öffnen 
ließ,  wo  im  Osten  Europas  die  entsetzlichen 
Blutkonflikte  sich  abspielten. 

Meine  Herren,  denken  Sie  an  Bastiats- 
Wort:  „Es  gibt  Dinge,  die  man  sieht,  und 
solche,  die  man  nicht  sieht."  Nein,  das  Haager 
Werk  hat  keine  Niederlage  erlitten.  Es  ge- 
nügt, an  die  großen  Dienste  zu  erinnern,  die 
der  Schiedshof  der  Welt  bereits  geleistet  hat, 
indem  er  großen  Staaten,  wie  Rußland  und 
England,  wie  Frankreich  und  Deutschland,  wie 
die  Vereinigten  Staaten  und  Japan,  es  ermög- 
lichte, dank  der  Intervention  unparteiischer  und 
unabhängiger  Schiedsrichter,  solche  diploma- 
tische Konflikte  zu  vermeiden,  aus  denen  sofort 
der  Krieg  hätte  hervorgehen  können. 

Es  wäre  auch  leicht,  einfach  zu  sagen,  daß 
jedes  Menschenwerk  unvollkommen  ist,  und 
daß  man  nicht  hoffen  kann,  in  wenigen  Jahren 
jene  Revolution  vollzogen  zu  sehen,  die,  größer 
als  alle  Revolutionen,  die  bisher  die  Welt  er- 
schüttert haben,  das  Reich  der  Ordnung  und. 
der  Gerechtigkeit  an  Stelle  der  Gewalt  setzen 
wird.  Aber  ist  es  nicht  notwendig,  bei  aller 
Traurigkeit  der  Ereignisse,  die  den  Orient  und 
Europa  mit  Blut  befleckten,  und  den  Skep- 
tikern, den  Gleichgültigen  und  Egoisten  den 
Anlaß  geben,  wieder  einmal  den  Bankrott 
des  Menschheitsbewußtseins  zu  verkünden,  die 
schmerzliche  Empfindung  gegenüber  zu  stel- 
len, die  diese  Ereignisse  in  der  öffentlichen 
Meinung  erweckten,  und  auch  die  energischen 
Aktionen,  die  jene  öffentliche  Meinung,  als  ein 
Ausdruck  eines  neuen  Zustandes  des  Welt- 
gewissens, unentwelt  im  Sinne  der  Gerechtig- 
keit und  des  Friedens  auf  die  Haltung  der 
direkt  oder  indirekt  in  den  Konflikt  inter- 
essierten Regierungen  ausübte? 

Ich  werde  mich  wohl  in  acht  nehmen,  liier 
nur  die  geringste  politische  Anspielung  zu 
machen;  aber  es  handelt  sich  um  die  einfache 
Anführung  eines  massenpsychologischen  Fak- 
tums, wenn  man  feststellt,  daß  es  gerade  die 
europäische  öffentliche  Meinung,  die  Meinung], 
der  Männer  der  Arbeit  und  des  Handels,  die 
der  Gesamtheit  der  tätigen  Masse  war,  die  die 
Ausbreitung  des  Krieges  verhinderte.  Ich 
will  mich  nicht  darum  kümmern,  ob  geheime 
Wünsche,  uneingestandene  Hoffnungen  be- 
standen. Nichts  derartiges  vermochte  Gestalt 
anzunehmen,  und  vielleicht  zum  erstenmal  hat 
sich  das  Konzert  der  Großmächte  vereinigt, 
nicht  um  unter  sich  irgendeine  Verteilung  von 
Eroberungen  vorzunehmen,  sondern  um  in  dem 
entbrannten  Kampfe  ihre  wechselseitige  Un- 
*)  Van    der    Heuvel. 


385- 


DIE  FßlEDENS-^VAQTE 


3 


Interessiertheit  zu  sichern,  ihren  Willen  zur 
Begrenzung  des  Schlachtfeldes  durchzuführen, 
den  Abbruch  der  Feindseligkeiten  vorzuberei- 
ten und  nach  Möglichkeit  für  ein  Rechtsgleich- 
gewicht zwischen  den  kämpfenden  Staaten  zu 
wirken. 

Empfinden  wir  nicht,  meine  Herren,  die 
Auflehnung,  die  in  allen  Geistern  das 
Schreckensschauspiel  dieses  letzten  Krieges 
und  besonders  des  brudermörderischen  Kamp- 
fes hervorbrachte,  der  ihn  abschloß  ?  Heute 
gibt  es  niemanden  unter  uns,  der  sich  nicht 
die  Frage  vorgelegt  hat,  ob  derartige  Dinge 
wirklich  noch  in  unsere  Zeit  hineingehören,  und 
ob  der  gemeinsame  Wille  der  Völker  nicht 
schon  auf  jenen  lasten  sollte,  die  verantwort- 
lich sind  für  die  Verhinderung  solcher  Rück- 
fälle. 

Eine  ganz  einfache  Beobachtung  erlaubt 
uns,  diesen  täglich  zunehmenden  Einfluß  der 
öffentlichen  Meinung  auf  die  Richtung  der 
internationalen  Politik  im  Sinne  der  Verständi- 
gung und  des  Friedens  zu  ermessen :  sogar  die 
Erhöhung  der  Rüstungen  wird  der  öffentlichen 
Meinung  als  eine  durch  den  Willen  zum  Frie- 
den bedingte  Notwendigkeit  dargestellt.  Das 
ist  paradox,  aber  zum  Teil  wahr.  Wenn  wir 
darauf  bestehen,  dann  wird  "man  uns  klipp 
und  klar  beweisen,  daß  auch  die  Rüstungen 
eine  internationale  Organisation 
der  sozialen  Fürsorge  bedeuten.  Aber 
diese  ist  fürchterlich  kostspielig,  und  jeder 
wird  sich  fragen,  ob  es  nicht  viel  sparsamer 
und  'viel  klüger  wäre,  sie  durch  eine  Organi- 
sation zu  ersetzen,  die  ebenso  international 
und  ebenso  fürsorgend  wäre,  wo  aber  das 
den  Frieden  erzeugende  Gleichgewicht  in  der 
Definition  der  beiderseitigen  Rechte  und  nicht 
in  der  wechselseitigen  Berechnung  ihrer  dro- 
henden Streitkräfte  gesucht  werden  würde. 

Fast  ebenso  sprach'  noch  gestern  der 
Schatzkanzler  von  England:  „Jeder  ist  da- 
von überzeugt,  daß  es  so  nicht  weiter  geht." 
Die  Lasten  können  nicht  immer  größer  werden, 
ohne  daß  in  einem  gegebenen  Moment  der 
Zahlende,  der  schließlich  in  allen  Dingen  das 
letzte  Wort  hat,  erklärt,  daß  er  nicht  mehr 
imstande  sei,  die  Bürde  weiter  zu  tragen. 


Die  deutsch -französische 
Journalistenkonferenz  in  Gent. 

Von  H.  Kötschke,  Berlin. 
Muß  das  immer  so  fortgehen  mit  der  un- 
gemütlichen Stimmung  zwischen  Deutschland 
und  Frankreich,  daß  die  Presse  immer  neuen 
Stoff  zu  gegenseitiger  Verärgerung  sucht  und 
findet  ?  Es  war  doch  schon  einmal  viel 
besser.  Vor  zehn  und  fünfzehn  und  zwanzig 
Jahren  herrschte  auf  beiden  Seiten  ein  viel 
gemütlicherer  Zustand  als  heute.  Der  Ma- 
rokkostreit hat  dann  alles  verdorben.  Seit 
der  Tangerfahrt  des  Kaisers  und  dann  durch 


386 


Agadir  gleicht  Frankreich  einem  auf- 
gescheuchten Bienenschwarm.  Aber  über 
Marokko  hat  man  sich  ja  nun  glücklich 
längst  geeinigt.  In  der  Heeresvermehrung 
ist  man  auf  beiden  Seiten  nun  wohl  auch 
auf  lange  Zeit  gesättigt.  Da  mußt  doch 
wieder  einmal  ein  anderer  Ton  sich  Bahn 
brechen. 

Das  war  die  Erkenntnis,  die  den  Schreiber 
dieser  Zeilen  auf  einer  Reise  im  Juli  in 
Paris  mit  einer  Reihe  französischer  Jour- 
nalisten Fühlung  nehmen  ließ.  Er  fand  hier 
auch  überraschend  viel  Verständnis.  Selbst 
Jules  Hedemann  vom  Matin  war  nicht  ab- 
geneigt, die  Hand  zu  ergreifen,  und  der 
deutsche  Botschafter  sagte:  ,,W,as  ich  tun 
kann,  das  soll  geschehen."  Für  den 
Augenblick  hielt  man  die  Stimmung  in  Paris 
zwar  durch' die  Heeresvorlage  für  erregt.  Aber 
das  würde  sich  ja  in  etlichen  Monaten  legen. 

Eine  Gruppe  von  Pariser  Schriftstellern, 
die  sich  schon  immer  mit  der  Einführung 
deutscher  Literatur  in  Frankreich  beschäf- 
tigt hatte,  war  sogar  schon  tätig  gewesen 
und  hatte  unter  Führung  des  Herrn  Grand 
Carteret  eine  Gesellschaft  gegründet :  pour 
mieux  se  connaitre.  Man  hatte  das  ganz 
richtige  Gefühl:  Lernt  euch  nur  gegenseitig 
erst  besser  kennen,  dann  werdet  ihr  euch 
auch  besser  verstehen,  und  das1  Mißtrauen 
und  der  Haß  werden  schwinden.  Dieser 
Gesellschaft  hatte  sich  auch  schon  eine 
Reihe  namhafter  Deutscher  angeschlossen. 
Wir  nennen  darunter:  Gerhart  und  Carl 
Hauptmann,  Hermann  Sudermann,  Hugo 
v.  Hoffmannstal,  Richard  Dehmel,  Manuel 
Schnitzer,  Felix  v.  Weingartner,  Richard 
Strauß,  Eugen  Diederichs,  v.  Tepper-Laski, 
v.  Gwinner,  Prof.  Lamprecht,  Prof.  Reicher- 
Frankfurt   a.    M.    usw. 

Diese  Gesellschaft  hielt  im  September 
ihre  Generalversammlung  ab.  Man  wählte 
dazu  Gent,  den  Weltausstellungsplatz'.  Die 
Belgier  sollten  auch  in  die  deutsch- fran- 
zösische Annäherung  hineingezogen  werden. 
Leider  war  die  Zeit  zu  kurz,  um  die  deutsche 
Presse  für  diese  Konferenz  vollständig 
heranzuziehen.  Immerhin  zeigte  man  all- 
gemein großes  Interesse  an  der  Sache.  Man 
sagte  sich:  Wir  sind  vor  etlichen  Jahren 
mit  der  englischen  Presse  in  engere  Be- 
ziehungen getreten.  Wir  haben  uns  da  gegen- 
seitig besucht,  einander  kennen  und  schätzen 
gelernt.  Manches  Mißtrauen  und  Vorurteil 
ist  durch  persönliche  Bekanntschaft  über- 
wunden worden.  Für  das  jetzige  bessere 
Verhältnis  zwischen  Deutschland  und  Eng- 
land sind  diese  Journalistenbesuche  sicher- 
lich nicht  umsonst  gewesen.  Dasselbe  mit 
den  Franzosen  zu  versuchen,  wird  sich  schon 
auch  lohnen.  So  fuhr  ich  im  Auftrag  des 
Vereins  Berliner  Presse  und  des  Provinzial- 
verbandes  Berlin-Brandenburg  des  Reichs- 
verbandes der  deutschen  Presse  nach'  Gent. 
Gottfried    Stoffers-Düsseldorf     war     da    im 


©= 


DIE  FRI  EDENS -^ARTE 


Namen  des  Gesamtvorstandes  der  deutschen 
Presse.  Verschiedene  andere  journalistische 
Verbände  hatten  schriftlich  ihre  schönste 
Sympathie  für  die  Sache  ausgesprochen. 
Daneben  waren  die  großen  Zeitungen  wie  das 
Berliner  Tageblatt,  die  Vossische  Zeitung, 
die  Münchener  Neuesten  Nachrichten  usw. 
durch  ihre  Pariser  oder  Brüsseler  Korrespon- 
denten  vertreten. 

Eine  starke  Vertretung  war  an  sich  auch 
von  Frankreich  nicht  da.  Es  war  ja  das 
ganze  eben  nur  eine  Art  Vorbesprechung,  we- 
nigstens für  die  Vertreter  der  Presse.  Aber 
•eine  größere  Anzahl  Zeitungen  hatte  schrift- 
lich ihre  Zustimmung  mit  den  Bestrebungen 
ausgedrückt.  So  vor  allem  der  Radical, 
l'Aurore,  die  Clemencau  seinerzeit  ge- 
gründet hatte,  le  Journal,  eine  der  bedeu- 
tendsten französischen  Zeitungen,  Paris-Jour- 
nal, l'Humanite,  und  nicht  zu  vergessen  le 
Figaro.  Der  Direktor  dieses  Blattes,  Georges 
Bourdon,  hat  bekanntlich  jetzt  ein  aus- 
gezeichnetes Buch  geschrieben,  l'Enigme 
Allemand,  das  deutsche  Rätsel,  Verlag  von 
der  Librairie  Plön  in  Paris.  In  diesem 
Buche  gibt  er  die  Eindrücke  und  Unter- 
redungen wieder,  die  er  auf  einer  Reise  durch 
Deutschland  gesammelt  hat.  Er  findet  da 
zu  seinem  Erstaunen,  daßi  das  deutsche  Volk 
viel  friedlicher  gesinnt  ist,  als  er  angenommen 
hatte.  Seine  Beobachtungen  sind  sehr  be- 
langreich. Vor  allem  steht  auch  die  Provinz- 
presse hinter  der  Sache.  Von  Bedeutung 
war  auch  ein  Brief,  den  das  angesehene 
Mitglied  des  Institut  de  France,  Bonet- 
Mauvy,  nach  Gent  gerichtet,  und  in  dem  er 
erklärt  hatte,  daß,  wenn  Elsaß-Lothringen 
eine  Autonomie  erhalten  würde  wie  die 
andern  deutschen  Bundesstaaten,  die  Wünsche 
des  französischen  Volkes  im  ganzen  befrie- 
digt   wären. 

Die  Verhandlungen  in  Gent  drehten  sich 
erstens  um  die  Festsetzung  gewisser  Grund- 
linien, die  für  die  deutsch-französische  An- 
näherung maßgebend  sein  sollten.  Die 
elsaß-lothringische  Frage  wurde  natürlich 
völlig  ausgeschaltet.  An  praktischen  Auf- 
gaben wurde  beschlossen  die  Errichtung 
zweier  Bureaus  in  Berlin  und  Paris  zur  Be- 
kämpfung von  gegenseitigen  Mißverständ- 
nissen und  mißgünstigen  Artikeln  in  der 
Presse.  Ferner  die  Herausgabe  'einer  deutsch- 
französischen Zeitschrift,  die  den  lite- 
rarischen und  Kulturaustausch  zwischen 
beiden  Ländern  fördern  soll.  Dann  wurde 
über  einen  weiteren  Treffpunkt  für  eine 
stärkere  Heranziehung  der  Journalisten  beider 
Länder  gesprochen.  Da  lag  nun  bereits  eine 
Einladung  der  Stadt  Leipzig  vor,  die  für  ihre 
Buchgewerbeausstellung  im  nächsten  Jahre 
die  französischen  Journalisten  gerne  in  ihren 
Mauern  versammelt  hätte.  Aber  die  Fran- 
zosen waren  der  Ansicht,  zunächst  lieber  noch 
eine  Versammlung  auf  neutralem  Boden  ab- 
zuhalten.    Die   Franzosen   müssen   erst   lang- 


sam an  den  Gedanken,  sich  mit  ihren  deut- 
schen Kollegen  anzufreunden,  gewöhnt  wer- 
den. So  wurde  denn  auf  eine  Anregung  der 
belgischen  Kollegen  beschlossen,  im  näch- 
sten Frühjahr  in  Brüssel  in  großem  Maß- 
stabe die  deutsche  und  französische  Presse 
zu  einem  Kongreß  einzuladen.  Für  den 
Herbst,  wo  in  Leipzig  der  internationale 
Pressekongreß  ist,  soll  dann  eine  Studien- 
reise der  französischen  Journalisten  durch 
verschiedene  deutsche  Städte  vorbereitet 
werden,    die    in    Leipzig    enden    soll. 

Man  hielt  dann  in  Gent  noch  Vorträge 
über  den  Gedankenaustausch  zwischen  den 
beiden  Ländern  in  den  letzten  Jahrzehnten, 
aus  denen  man  ersah,  wie  man  in  Frankreich 
unsrer  Kulturentwicklung  viel  mehr  folgt, 
als  wir  das  im  allgemeinen  annehmen.  Im 
ganzen  ist  zu  hoffen,  daß  die  in  Gent  ein- 
geleitete Annäherung  der  deutschen  und 
französischen  Journalisten  nicht  ohne  Frucht 
für  die  Beziehungen  beider  Länder  bleiben 
wird. 


Miß  P.  H.  Peckover. 

Von   Jacques   Dumas,   Versailles. 
(Zum   27.    Oktober   1913.) 

Ist  es  wirklich  möglich,  daß  Miß 
P.  ,H.  Pek'over,  deren  Herzensjugend  der 
Zeit  immer  trotzte,  ihr  achtzigstes  Lebens- 
jahr erreicht  hat  ?  Die  Vertreter  des  Fort- 
schritts besitzen  das  seltene  Privilegium,  die 
Jahre  mit  Leichtigkeit  zu  ertragen.  Es  gibt 
für  sie  kein  Greisentum,  und  keiner  von 
ihnen,  der  die  gewöhnlichen  Lebensgrenzen 
überschritt,  lernte  Reue  oder  Entmutigung 
kennen.  Der  Glaube  erhält  und  vermehrt 
ihre  Kräfte  und  beweist  uns,  wie  sehr  die 
Seele  den  Körper  mit  aller  jener  Kraft  be- 
herrscht, die  der  Geist  über  die  Materie  aus- 
übt. Wer  hätte  gewagt,  an  der  Jugend  des 
90jährigen  Frederic  Passy  zu  zweifeln  ? 
Wer  zweifelte  an  jener  von  Lemonnier, 
Hodgson  Pratt,  Dudley  Field, 
Tolstoi,  Jules  Simon,  Castelar, 
als  sie  schon  längst  das1  Alter  der  Patriarchen 
zählten  ?  Wer  zweifelt  an  der  Jugend 
F.  Bajers,  Moscheies,  MonetaS 
oder  der  Baronin  v.  S  u  1 1  n  e  r  ?  Wer  würde 
endlich  an  derjenigen  der  Miß.  P. 
H.  Peckover  zweifeln  ? 

Unter  allen  Persönlichkeiten,  die  dank 
ihrer  moralischen  Autorität,  ihrer  intellek- 
tuellen Tätigkeit,  ihrer  sozialen  Stellung 
der  internationalen  Sache  dienen  konnten, 
gibt  es  wohl  keine,  die  uneigennütziger, 
treuer  und  ausdauernder  war  als  Miß 
P.  H.  Peckover.  Freilich  war  ihre  Stellung 
nicht  eine  derartige,  daß  die  Oeffentlich- 
keit  sich  darüber  Rechenschaft  geben  konnte, 
denn  ihre  christliche  Bescheidenheit  hat 
mehr  noch  als  ihre  weibliche  Zurückhaltung- 


SS? 


DIE  FRIEDEN5-VVAQTE 


:3 


sie  veranlaßt,  ihre  Wohltaten  zu  verbergen, 
und  jene,  die  ihr  am  meisten  zu  Dank  ver- 
pflichtet waren,  wußten  oft  nicht,  aus  welcher 
Quelle  ihnen  Hilfe  kam.  Ihre  linke  Hand 
durfte  nie  wissen,  was  ihre  rechte  gab,  und 
die  Schatten  des  Schweigens  erschienen  ihr 
nie  dicht  genug,  um  ihre  Hochherzigkeit  zu 
verhüllen.  Ohne  Zweifel  waren  die  Leser 
des  „Herald  of  Peace"  schon  daran  gewöhnt, 
jährlich  einen  hohen  Betrag  von  ihr  ge- 
zeichnet zu  finden,  und  viele  europäische 
Vereine,  deren  Werke  sie  durch  Unter- 
stützung förderte,  fühlten  sich  verpflichtet, 
ihren  Namen  zu  veröffentlichen;  aber  wie 
vielen  anderen  mag  sie  Stillschweigen  zur 
Pflicht  gemacht  haben,  weil  sie  daran  fest- 
hielt, sich  menschlichem  Dank  zu  ent- 
ziehen für  das,  was  sie  in  Gottes  Namen 
gab. 

Es  hieße  einer  solchen  Bescheidenheit 
Unrecht  tun,  wollte  man  hier  selbst  auS 
Anlaß  ihres  achtzigsten  Geburtstages1  ihre 
Biographie  oder  ihr  Lob  veröffentlichen.  Wir 
erlauben  uns  eine  solche  Indiskretion  nicht. 
Aber  wir  hoffen,  sie  nicht  zu  kränken,  wenn 
wir  unsere  Ehrfurcht  und  die  herzlichsten 
Glückwünsche  von  „La  Paix  par  le  Droit" 
ausdrücken,  der  sie  seit  ihrer  Gründung  die 
aufopferungsvollste  Freundin  war,  ja  ich 
möchte  sogar  der  Schutzengel  sagen.  Zur 
Zeit,  als  wir  diese  Verbindung  gründeten, 
glaubten  sehr  wenige  an  ihre  Zukunft.  Wir 
waren  bloß  Schüler,  und  die  Jugend  wiegt  leicht. 
Miß  P.  H.  Peckover  hat  nie  an  unserem 
Glauben,  nie  an  unserem  Erfolg  gezweifelt; 
und  nur  dank  ihrer  treuen  Freundschaft,  ihrer 
klugen  Ratschläge,  ihrer  Weitsichtigkeit 
konnten  wir  unsere  ersten  fruchtbaren  Er- 
gebnisse verzeichnen.  Sie  war  es,  die  seit 
1887  die  meisten  von  uns  in  jenen  Umgebun- 
gen akkreditierte,  wo  wir  unsere  Aufgabe 
zu  erfüllen  hofften,  und  unser  höchster  Ehr- 
geiz ging  dahin,  ihr  Vertrauen  zu  recht- 
fertigen. Der  Dankbarkeit,  die  wir  ihr  hier 
zollen,  könnten  sich  viele  Gesellschaften 
aus  Italien,  Deutschland,  aus  den  skan- 
dinavischen Ländern  anschließen.  Wieviel 
Herzen  lernten  sie  lieben,  von  Kopenhagen 
bis  Frankfurt  a.  M.,  von  Mailand  bis  Pa- 
lermo! Wieviel  Freunde  konnten  in  der 
stillen  Stadt  Wisbech,  wo  ihr  Bruder,  Lord 
Peckover,  ihre  drei  Schwestern  und  sie  selbst 
sich  eines  Rufes  großer  ,  Hochherzigkeit,/ 
christlicher  Liebe  und  Klugheit  erfreuen,  ihre 
Gastfreundschaft  genießen,  in  ihrer  Schule 
lernen,  sich  an  ihrem  Beispiel  erbauen,  sich 
an  ihrem  strahlenden  Glauben  erwärmen  und 
durch  ihr  ebenso  einfaches  als  einfluß- 
reiches Sprechen,  in  religiösen  oder  sozialen 
Vereinen  das  dreifache  Geheimnis  eines 
nützlichen,  eines  glücklichen  und  eines 
ewigen    Lebens    erfahren  ? 


Brief  aus  denVereinigtenStaaten. 


Von    Henry    S.    Haskeil,    New    York. 

Die  Republik  Mexiko  und  die  Ver- 
einigten Staaten.  —  Die  Annahme 
des     Bryanschen     F  ri  e  d  en  s  planes. 

—  Der  Vertrag  zwischen  den  Ver- 
einigten   Staaten    und    Nicaragua. 

—  Die  japanisch-kalifornische 
Streitfrage.  —  Die  Montrealrede 
Viscount  Haidane  s.  —  Der  achte 
internationale  Studenten-Kon- 
greß. 

N  e  w  Y  o  r  k,  den  22.  September  1913. 

Seit  meinem  Schreiben  vom  24.  Juli 
sind  in  den  Beziehungen  zwischen  den 
Vereinigten  Staaten  und  Mexiko 
keine  wesentlichen  Aenderungen  eingetreten, 
aber  die  Situation  ist  im  großen  ganzen  er- 
mutigend. Der  Gesandte  in  Mexiko,  Henry 
Lane  Wilson,  erstattete  in  der  letzten 
Juliwoche  einen  Bericht  beim  Präsidenten,, 
der  deutlich  erkennen  ließ,  daß  seine  An- 
sichten mit  jenen  der  Regierung  der  Ver- 
einigten Staaten  nicht  übereinstimmten. 
Seine  Demission,  die  er  einige  Zeit  vorher 
gab,  wurde  deshalb  angenommen.  Da  ein 
neuer  Gesandter  ohne  Anerkennung  der 
gegenwärtigen  provisorischen  Regierung  von 
Mexiko  nicht  ernannt  werden  kann,  be- 
stimmte Präsident  Wilson  den  früheren 
Gouverneur  des  Staates  Minnesota,  John 
Lind,  zum  Rat  der  amerikanischen  Ge- 
sandtschaft in  Mexiko.  Lind  kam  am 
12.  August  mit  dem  Auftrag  nach  Mexiko, 
die  provisorische  Regierung  zur  Annahme  fol- 
gender vom  Präsidenten  Wilson  ge- 
machten Vorschläge  in  freundlicher  Weise 
zu    veranlassen : 

Erstens :  Schaffung  eines  Ueberein- 
kommens,  das  zum  Einstellen  der  Feind- 
seligkeiten in  Mexiko  und  zu  einem  end- 
gültigen   Waffenstillstand    führen    sollte. 

Zweitens:  Vorkehrungen  für  eine  freie 
und  sehr  bald  vorzunehmende  Präsidenten- 
wahl. 

Drittens :  keine  Kandidatur  Huertas  für 
die   Präsidentschaft. 

Viertens :  Alle  Parteien  müßten  sich  be- 
reit    erklären,     das     Ergebnis   anzuerkennen. 

Lind  wurde  in  Mexiko  gut  empfangen 
und  hatte  schon  mehrere  private  Be- 
sprechungen mit  dem  mexikanischen  Minister 
des  Auswärtigen.  Er  übergab  auch  der 
provisorischen  Regierung  Mexikos  die  vom» 
Präsidenten  Wilson  für  sie  bestimmte 
Botschaft,  die  durch  eine  nach  Washington 
gerichtete  erwidert  wurde,  durch  welche 
Präsident  Huerta  die  Vorschläge  Wilsons! 
zwar  verwarf,  aber  in  einer  Weise,  die 
weitere  Verhandlungen  ermöglichte.  Am 
27.  August  berichtete  Präsident  Wilson 
dem  Kongreß  über  die  mexikanische  Krise, 
indem   er   die   bis   dahin   geführten  Verhand- 


388 


©: 


DIE  FRIEDEN5-WABXE 


lungen  beschrieb,  und  die  künftige  Po- 
litik, die  die  Unterstützung  des  ganzen 
Landes  findet,  skizzierte.  Alle  einfluß- 
reichen Persönlichkeiten  sprechen  sich  gegen 
jede    bewaffnete    Intervention    aus. 

Im  Oktober  soll  in  Mexiko  eine  Präsi- 
dentenwahl stattfinden.  Eine  Kandidatur  des 
Generals  H  u  e  r  t  a  im  Rahmen  der  mexi- 
kanischen Konstitution  wird  nicht  für  mög- 
lich gehalten.  In  einem  am  21.  September 
ausgegebenen  Bericht  betont  Präsident 
H  u  e  r  t  a  ,  daß  die  provisorische  Regierung 
weder  einen  offiziellen  Kandidaten  auf- 
stellen, noch  irgendeinen  anderen  bevorzugen, 
und  daß  sie  die  absolute  Neutralität  be- 
wahren würde.  Es  erscheint  unmöglich,  die 
Ereignisse  des  kommenden  Monats  vorher- 
zusehen. Wenn  aber  eine  unparteiische  und 
ehrliche  Wahl  in  Mexiko  vor  sich  gehen 
wird,  dann  ist  eine  Klärung  der  jetzt  so  ver- 
wickelten Situation  wohl  denkbar.  Allem 
Anschein  nach  haben  die  Gegner  der  jetzigen 
provisorischen  Regierung  wenig  Erfolg,  und 
in  den  letzten  Wochen  haben  sie  sogar 
an    Boden    verloren. 

Vier  Monate  nach  Veröffentlichung  des 
Bryanschen  Friedensplanes,  der  für 
friedliche  Schlichtung  internationaler  Strei- 
tigkeiten durch  internationale  Kommissionen 
eintritt,  wurde  der  erste  Vertrag  zwischen 
Staatssekretär  B  r  y  a  n  und  Don  Frederico 
Mejia,  Minister  der  Republik  Salvador,  am 
7.  August  geschlossen,  dem  ähnliche  Ver- 
träge mit  der  Republik  von  Guatemala  und 
der  Republik  Panama  folgten,  die  der  Senat 
der  Vereinigten  Staaten  noch  ratifizieren 
muß.  Die  Tatsache,  daß  der  erste  Vertrag 
zwischen  einer  der  größten  und  einer  der 
kleinsten  Nationen  abgeschlossen  wurde,  wird 
als  Beispiel  eines  ehrlichen  Wollens  an- 
gesehen, internationale  Streitigkeiten  durch 
friedvolle    Schlichtung    zu    erledigen. 

Der  ins  Auge  gefaßte  Vertrag  zwischen 
Nicaragua  und  den  Vereinigten 
Staaten,  der  diesen  eine  große  Vorsorge 
durch  das  Protektorat  überNicaragua  auferlegt, 
wurde  vom  Senat  der  Vereinigten  Staaten 
eben  wegen  dieser  Protektoratsklausel  ver- 
worfen. Zuerst  hatte  dieser  Vorschlag  über- 
all Zustimmung  gefunden,  dann  sah  man  aber 
ein,  daß  dieser  Präzedenzfall  sehr  viel  Un- 
annehmlichkeiten mit  sich  bringen  könnte. 
Zweierlei  kann  nun  erfolgen.  Entweder  der 
Vertrag  wird  ohne  die  Protektoratsklausel 
wieder  vorgelegt  oder  er  wird  zu  einem  ge- 
eigneteren Augenblick  einer  späteren  Senats- 
Session    unterbreitet. 

Die  japanisch-kalifornische 
Frage  kam  auch  in  den  letzten  Wochen 
einer  Lösung  nicht  näher.  Es  wurde  ein 
neuer  wirtschaftlicher  Vertrag  zwischen  den 
Vereinigten  Staaten  und  Japan  vorgeschlagen, 
der  alle  durch  den  gegenwärtigen  Streitfall 
entstandenen  Fragen  lösen  sollte.  Dieser 
Plan  würde  die  Zustimmung  der  Vereinigten 


Staaten  finden,  aber  das  Auswärtige  Amt 
in  Japan  will  die  durch  den  gegenwärtigen 
Vertrag  gebotenen  Vorteile  nicht  verlieren, 
und  ist  dementsprechend  auch  nicht  ge- 
neigt,   diesen   Vorschlag   anzunehmen. 

Der  Besuch  Viscount  Haidan  es. 
Lord  Großkanzler  von  Großbritannien,  in 
den  Vereinigten  Staaten  und  Kanada  in  der 
letzten  Augustwoche  begegnete  großem 
Interesse.  In  seiner  am  1.  September  in  der 
American  Bar  Association  in  Montreal. 
Kanada,  gehaltenen  Rede  überbrachte  Lord 
Haidane  die  Grüße  Königs  Georg  V.  und 
trat  ein  für  die  Entwicklung  einer  inter- 
nationalen ,, Sittlichkeit"  zwischen  den  Na- 
tionen in  ihren  Beziehungen  zueinander,  und 
für  die  Schlichtung  internationaler  Streit- 
fälle in  demselben  Geist  und  in  derselben 
Weise,  wie  solche  Fälle  zwischen  Individuen 
geschlichtet   werden. 

Der  in  der  Cornell-Universität,  Ithaca. 
New  York,  vom  29.  August  bis  zum  3.  Sep- 
tember abgehaltene  achte  internatio- 
nale Studenten kongreß  war  außer- 
ordentlich erfolgreich.  Mehr  als  zwei- 
hundert Delegierte  von  Nationen  aller  Welt- 
teile waren  erschienen,  die  dann  die  größeren 
Städte  der  östlichen  Staaten  besuchten.  In 
Washington  wurden  sie  vom  Präsidenten  der 
Vereinigten  Staaten,  in  New  -  York  -  City  vom 
Bürgermeister  empfangen.  Am  18.  Sep- 
tember gab  die  New-Yorker  Friedensgesell- 
schaft zu  Ehren  der  auswärtigen  Delegierten 
ein  Schlußbankett  im  Hotel  Astor  in 
New  York,  dem  Prof.  William  M.  S  1  o  a  n  e 
von  der  Columbia  Universität  präsidierte. 
Unter  anderem  sprach  auch  der  Heraus- 
geber des  ,,Independent",  Hamilton  Holt, 
der  ausführte:  „Es  gibt  vier  große  Pro- 
bleme von  vitalem  Interesse.  Das  erste  ist 
das  wirtschaftliche  Problem  —  die  gerechte 
Verteilung  von  Besitztum.  Das  zweite  ist 
das  Frauenproblem  —  die  neue  Stellung 
der  Frau  oder  die  Stellungnahme  der  neuen 
Frau  zum  Heim,  zur  Politik  und  zu  ähn- 
lichen Fragen.  Das  dritte  ist  das  —  wohl 
am  schwersten  zu  lösende  —  Rassenproblem. 
Das  vierte  ist  das  Problem  des  internatio- 
nalen Friedens.  Alle  diese  Probleme  müssen 
durch  einen  Appell  an  die  Gerechtigkeit 
ihrer  Lösung  zugeführt  werden.  Die  Frie- 
densbewegung ist  eine  Bewegung,  um  den 
Krieg  durch  das  Gesetz  zu  ersetzen,  keine 
Bewegung  gegen  den  Krieg,  sondern  eine 
für  das  Gesetz ;  aufbauend,  nicht  zerstörend. 
Das  Völkerrecht  befindet  sich  heute  auf  der 
gleichen  Stufe,  wie  sich  das  Privatrecht  im 
zehnten  Jahrhundert  befand.  Die  wert- 
vollsten Menschen  der  Vereinigten  Staaten 
sind  Anhänger  der  Friedensbewegung.  Die 
letzten  vier  Staatssekretäre,  Hay,  Root, 
Knox  und  Bryan,  haben  ihr  Bestes  für 
das   Friedenswerk  geleistet." 

Dr.  M  e  z  aus  München  referierte  über 
die     Rüstungsfrage     in     folgenden     Worten: 


389 


DIE  FßlEDEN5-\>/AQTE 


'3 


Die  menschliche  Rasse  bricht  unter  der 
schweren  Bürde  der  Rüstungen  zusammen. 
In  Deutschland  werden  durch  die  Rüstungs- 
kosten die  so  notwendigen  sozialen  Reformen 
vernachlässigt,  und  dasselbe  gilt  für  Frank- 
reich, England,  Italien  und  Oesterreich.  Das 
alles  geht  aber  auch  Sie,  die  Vereinigten} 
Staaten,  an.  Je  mehr  Geld  wir  in  Deutschland 
für  Rüstungszwecke  ausgeben,  desto  we- 
niger können  wir  von  euch  Amerikanern 
kaufen.  Ich  glaube  sicher,  daß  wir  von  den 
Vereinigten  Staaten  ein  besseres  und  er- 
höhtes    Menschentum    zu    erwarten   haben." 


n  RANDGLOSSEN  n 
£UR  ZEITGESCHICHTE 

Von   Baronin   Bertha    v.    Süttner. 

Schloß  Stockern,  Oktober  1913. 
Immer  noch  muß  man  vom  Balkan  reden. 
Die  Friedensschlüsse  und  Kriegsausbrüche 
wechseln  dort  in  rascher  Folge  miteinander  ab ; 
es  wird  mobilisiert,  demobilisiert  und  wieder 
mobilisiert;  nachdem  Verbündete  sich  verfein- 
det haben,  verbünden  sich  Feinde  —  man 
muß  nur  die  zwischen  Türken  und  Bulgaren 
gewechselten  Freundschaftsversicherungen  le- 
sen — ;  trotz  der  verschiedenen  eingetretenen 
offiziellen  Kriegseinstellungen  wird  ununter- 
brochen weiter  gekämpft,  geplündert  und  ge- 
sengt; nebstbei  kommt  es  zu  einem  richtigen 
Albanesenaufstand  und  Griechen  und  Türken 
rüsten  gegeneinander,  um  über  ein  paar  ziem- 
lich bedeutungslose  Differenzen  einen  neuen 
Feldzug  zu  inszenieren.  Wenn  einmal  die  Ge- 
schichte dieser  Balkanereignisse  wahrheitsge- 
treu geschrieben  würde,  so  müßte  sich  daraus 
mit  Sonnenklarheit  die  ganze  Absurdität  erge- 
ben, die  dem  Begriffe  „Krieg"  in  unserer  Ge- 
genwart anhaftet.  Dreifach  absurd,  wenn  man 
ihn  in  Gedanken  in  unser  Westeuropa  und  in 
die  Zukunft  versetzt. 


Den  serbischen  Truppen  ist  es  schnell  ge- 
lungen, die  von  ihren  Bergen  herabgestiegenen 
albanesischen  Rebellen  zu  vernichten.  Creuzot- 
sche  Kanonen  und  das  Maschinengewehr 
haben  sich  bewährt.  Zum  ersten  Male  wurde 
das  Maschinengewehr  von  den  Franzosen  in 
Madagaskar  erprobt.  Der  General  beschrieb 
die  Wirkung  dieser  Waffe  mit  folgenden  Wor- 
ten: „Die  Geschosse  klatschen  in  die  Reihen, 
das  Blut  spritzt  auf,  das  Fleisch  fliegt  in 
Stücken  herum  und  auf  dem  Kampfplatz  bleibt 
eine  breiige,  formlose  Masse/'  Wahrlich:  ein 
befriedigender  Nutzeffekt  —  wie  der  mili- 
tärisch-technische Ausdruck  lautet. 


Bei  der  letzten  Eröffnung  des  italienischen 
Parlaments  brachte  die  italienische  Regierung 
in  ihrem  Motivenbericht  u.  a.  folgendes  vor: 


„Die  Tatsache,  daß  es  infolge  des  einträch- 
tigen Willens  der  Großmächte  gelang,  große 
Konflikte  zu  verhüten,  ist  ein  Argument,  das  zur 
Hoffnung  berechtigt,  daß  eine  lange  Periode 
des  Friedens  für  Europa  beginnt"  (wir  lebten 
schon  in  einer  solchen  langen  Periode,  als 
der  lybische  Feldzug  sie  unterbrach!).  „In- 
des der  Friede,  der  das  höchste  Interesse  der 
Völker  ist"  (dies  ist  eine  Konzession  an  den 
pazifistischen  Gedanken.  Es  gibt  aber  Kreise, 
deren  höchstes  Interesse  der  Krieg  ist,  das 
wird  freilich  nur  in  Armeezeitungen  und  Wehr- 
vereinsversammlung verkündet,  und  nicht 
in  Regierungskreisen),  „ist  nicht  sicher,  wenn 
man  nicht  ein  dauerhaftes  Gleichgewicht  der 
Kräfte"  —  (d£cid£ment;  „Gleichgewicht"  ist 
jetzt  das  beliebteste  Schlagwort)  „zwischen 
den  verschiedenen  Mächten  aufrechterhält, 
und  wenn  somit  nicht  auch  unsere  Streitkräfte 
zu  Wasser  und  zu  Land  (da  haben  wir's  wieder, 
das  verlogene  para  bellum-Argument)  in  dem 
Verhältnis  aufrechterhalten  werden,  das  seiner 
politischen  Lage,  sowie  der  Bedeutung  der 
großen  Interessen,  welche  es  wahren  muß,  ent- 
spricht." —  Welche  Interessen  ?  Das  sollte  doch 
einmal  genau  präzisiert  werden.  Das  Publikum 
gibt  sich  mit  dem  so  vagen  Begriff  „Inter- 
essen" zufrieden,  besonders  wenn  er  durch 
den  Zusatz  „vital"  verstärkt  wird.  Man  fragt 
nicht  nach  der  substantiellen  Begründung  — 
die  am  ehesten  in  den  Kreisen  der  Waffen- 
industrien und  ihrer  Aktionäre  gefunden  wer- 
den könnten,  oder  unter  den  Schachspielern 
des  Machtprestiges.  Was  für  Interessen  aber 
durch  die  Rüstungsanspannung  geschädigt 
werden,  darnach  fragt  man  schon  gar  nicht 
und  daß  das  höchste  Interesse  der  Völker 
der  Frieden  sei,  wie  einen  Augenblick  früher 
zugegeben  wurde,  das  ist  schon  ganz  vergesse'}, 
und  mit  keinem  Wort  wird  darauf  hingedeutet, 
daß  es  ja  schon  eine  Bewegung,  schon  Insti- 
tutionen gibt,  die  für  die  Sicherung  des  Dauer- 
friedens ins  Leben  getreten  sind  und  des 
Ausbaues  und  der  Anwendung  harren.  Solches 
wird  mit  keinem  Wort  erwähnt,  es  wird  ab- 
sichtlich totgeschwiegen.  Dies  muß  von  seiten 
Italiens  besonders  wundernehmen,  wenn  man 
bedenkt,  wie  vor  dem  lybischen  Feldzug 
dieses  Land  in  der  Pflege  des  Pazifismus  vor- 
geschritten war;  wie  mehr  als  zwei  Drittel 
der  Kammern  der  interparlamentarischen 
Union  angehörten;  wie  der  italienische  Sekre- 
tär dieser  Union  (Marchese  Pandolfi)  die  Idee 
eines  europäischen  Staatenbündnisses  anregte. 
Wenn  auch  nicht  als  erster:  schon 
Victor  Hugo  hat  die  „Etats  unis  d'Europe" 
gefordert,  und  Lemonier  hat  seine  Zeit- 
schrift so  betitelt.  Schlief  war  auch  ein 
Verkünder  des  Staatenbundes,  Novicow 
schrieb  seine  „Föderation  de  l'Europe",  und 
heute  ist  es  Sir  Max  Wächter,  der  diese. 
Ideen  verficht.  Man  sollte  glauben,  daß  der 
Moment  zur  Verwirklichung  gekommen  sei. 
„Europa"  ist  schon  mehr  als  ein  geo- 
graphischer   Begriff,    es    ist    —    man    könnte 


390 


@= 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


sagen  —  eine  latente  Persönlichkeit  ge- 
worden. Es  handelt  und  verhandelt,  es  wird 
angerufen,  es  verkündet  laut,  daß  die  Ver- 
hütung eines  europäischen  Krieges  siein 
höchstes  Ziel  sei  und  richtet  danach  seine 
Konferenzbeschlüsse;  es'  steckt  Grenzen  ab, 
es  entsendet  Schiffe  und  Truppen  —  nur 
eins  fehlt  ihm  noch:  die  Existenz.  Es  be- 
steht ja  noch  —  im  politischen  Sinne  —  aus 
gegnerischen  Gruppen,  die  sich  gegenseitig 
zu  balancieren  und  zu  imponieren  trachten, 
wobei  jede  sich  selber  dem  wirtschaftlichen 
Ruin  entgegentreibt.  „Ein  geeinigtes,  ver- 
bündetes Europa",  dies  hat  fortan  das1  Lo- 
sungswort des  geklärten  Pazifismus!  zu 
sein.  Das  kann  man  nicht  oft  genug  wieder- 
holen. 


Unser  gemeinsamer  Ministerrat  in  Oester- 
reich  hat  uns  nun  auch  eine  Heeresver- 
stärkung im  Preise  von  nahezu  einer  Milliarde 
beschert.  Daß  man  vier  neue  Ueber-Dread- 
noughts  bauen  will,  läßt  man  uns  schon 
wissen.  In  dem  Ministerrate  sitzen  auch 
zwei  Finanzminister,  die  durch  mehrere  Stun- 
den bemüht  sind,  Abstriche  zu  machen,  was 
ihnen  ebenso  sicher  gelingt,  als  es  den  im 
selben  Rate  sitzenden  Generalen  gelingt, 
die  prinzipielle  Zustimmung  für  die  un- 
erläßliche Notwendigkeit  der  Verstärkungen  zu 
erlangen.  Die  Sache  spielt  sich  immer  in  den- 
selben Gleisen  ab,  und  die  vorbereitenden 
Zeitungsartikel  und  offiziellen  Mitteilungen 
benutzen  frisch  drauf  los  die  ältesten 
Klischees.  Z.  B.  ,,Das  Bestreben  der  Heeres- 
leitung, die  Armee  so  zu  heben,  wie  dies 
nach  den  Kraftanstrengungen  der  euro- 
päischen Staaten  im  letzten  Jahre  an- 
gemessen erscheint,  wird  mit  dem  begreif- 
lichen Bestreben  der  beiden  Finanzminister, 
mit  der  entsprechenden  Schonung  der  finan- 
ziellen Leistungsfähigkeit  der  Steuerzahler 
vorzugehen,  in  Einklang  gebracht  werden 
müssen." 

Statt  der  geforderten  40  000  Mann  neuer 
Rekruten  begnügt  man  sich  schonend  mit 
31 300  Mann,  und  für  die  Zahlung  der  nö- 
tigen Summen  (nahezu  eine  Milliarde)  wird 
eine  Verlangsamung  der  Fristen  gewährt. 
So  ist  der  schöne  Einklang  erreicht.  Bis 
endlich  die  Saiten  reißen.  Die  beiden  ^be- 
greiflichen Bestrebungen"  können  nicht  fort- 
während befriedigt  werden,  denn  die  finan- 
zielle Leistungskraft  (vielleicht  auch  die 
Lammesgeduld)  der  Steuerzahler  hat  Grenzen ; 
die  militärische  Mehrforderungskraft  hat 
keine. 


Der  japanischen  Kriegspartei  ist  es  nicht 
gelungen,  den  Konflikt  mit  China  zur  ge- 
wünschten Verschärfung  zu  bringen.  Durch 
kluges  Nachgeben  hat  China  den  Bruch  ver- 
hütet.     Inzwischen    hat    sich    das    Reich    der 


Mitte  einen  Präsidenten  gewählt,  und  die 
Mächte  erkennen  die  Republik  an.  Da  ist 
ein  gar  großes  demokratisches  Gemeinwesen 
ins  Leben  getreten,  das  auf  die  weitere 
historische  Entwicklung  unseres1  Planeten 
noch  gewaltigen  Einfluß  üben  wird.  Die 
einen  werden  prophezeien:  „Wird  nicht  von 
Dauer  sein."  Andere  werden  besonders  un- 
heimlich ausrufen  :  „Gelbe  Gefahr !"  Warum 
soll  gerade  „gelb"  gefährlicher  sein  ?  Als 
ob  wir  hier  nicht  jahrtausendelang  unter 
den  weißen  Gefahren  gelitten  hätten  und 
noch  leiden!  Während  das  chinesische 
Volk  eigentlich  jahrtausendelang  ein  fried- 
liches Volk  gewesen  ist;  —  wenn  es  „Krieg 
erlernt",  so  wird  es  dies  nur  Europa  zu  ver- 
danken haben.  Und  man  muß  bedenken: 
China  richtet  sich  nach  dem  Muster  der 
Vereinigten  Staaten  Nordamerikas,  zu  welchen 
es  mit  Bewunderung  und  Freundschaft  auf- 
blickt. Seit  vielen  Jahren  sind  die  Söhne 
der  ersten  Familien  aus  China  nach  den 
amerikanischen  Universitäten  gewandert  und 
haben  von  dort  die  Kenntnis  der  Ein- 
richtungen und  der  Ideale  der  amerika- 
nischen Demokratie  in  ihr  Land  zurück- 
gebracht. 

MB 

Ein  ganz  merkwürdiges  Phänomen  spielt 
sich  jetzt  in  Irland  ab:  der  von  Sir  E.  Carson 
organisierte  Widerstand  gegen  die  Erfüllung 
des  alten  irischen  Traums:  Homerule.  Ein 
regelmäßiger  Rebellenkrieg  wurde  da  ange- 
kündigt und  die  Rüstung  dazu  unter  dem 
Enthusiasmus  der  Bevölkerung  durchgeführt. 
Ulster  will  von  Homerule  nichts  wissen;  es 
will  weiter  von  England  regiert  werden.  Auf- 
lehnung gegen  die  Regierung  und  gegen  eine 
zum  Gesetz  gewordene  Institution;  noch  dazu 
bewaffnete  Auflehnung;  dagegen  gibt's  doch 
nur  eine  alte  bewährte  Methode:  hinein- 
schießen. Man  nennt  das,  „das  Land  von  den 
Rebellen  säubern",  öder  „den  Aufstand  unter- 
drücken", oder  kurzweg  „Pazifikation".  Die 
englische  Regierung  scheint  anders  vorgehen 
zu  wollen,  nämlich  zu  gestatten,  daß  von  den 
acht  Grafschaften  Ulsters,  die  drei  oder  vier, 
wo  die  Unionisten  überwiegen,  sich  vom  Ho- 
merule ausschließen.  Churchill  schlägt  auch 
vor,  die  Aktivierung  des  neuen  Gesetzes  bis 
zu  den  nächsten  Neuwahlen  zu  verzögern. 
Kurz,  vor  dem  Bürgerkrieg  schreckt  die  Re- 
gierung zurück  —  sie  scheint  etwas  wie  Re- 
spekt vor  dem  Volkswillen  zu  hegen.  Das 
ist  auch    etwas    Neues. 

- 

Präsident  Poincare  hat  dem  König  von 
Spanien  einen  Besuch  abgestattet,  und  dabei 
wurde  bei  den  üblichen  Toasten  auf  „die 
freundschaftlichen  Beziehungen  der  beiden 
Nachbarvölker"  besondere  gegenseitige  Be- 
wunderung der  beiderseitigen  Armeen  und 
Flotten   ausgedrückt.     Natürlich    wird   in    der 


391 


DIE  FRIEDENS -^VADTE 


® 


politischen  Welt  sofort  eine  Verstärkung  des 
Dreiverbandes  gewittert,  und  daraus  geschlos- 
sen, daß  die  Heeresverstärkungen  des  Drei- 
bundes vielleicht  schon  in  Voraussicht  dieser 
Eventualität  beschlossen  worden  sind.  Das  gibt 
wieder  eine  Verschiebung  des  famosen  Gleich- 
gewichts. Die  Mittelmeerpolitik  wird  immer 
bedrohlicher,  und  kann  nicht  anders  beschwo- 
ren werden,  als  durch  Dreadnoughts  und 
Ueberdreadnoughts  und  Ueber-Ueberdread- 
tioughts  —  bis  es  endlich  den  F-Strahlen  ge- 
lingt, mittels  sowohl  in  Triest  als  in  Marseille 
und  in  Gibraltar  abgedrückter  Knöpfe  die  sämt- 
lichen Mittelmeerflotten  in  die  Luft  springen 
zu  machen.  Das  wird  auch  ein  gewisses 
Gleichgewicht  herstellen.  Gegen  alle  diese  ge- 
fährlichen Spielereien  gibt  es  auch  nur  das 
eine  Mittel:  die  Einigung  Europas. 

■MB 

Da  ist  im  Weißen  Hause  in  diesen  Tagen 
in  ganz  anderem  Sinne  ein  solcher  Wunder- 
knopf abgedrückt  worden.  Die  Beschreibung 
davon  liest  sich  wie  ein  Kapitel  aus  einem 
phantastischen  Zukunftsroman  —  phantasti- 
scher noch  als  Kellermanns  , .Tunnel'".  „Es 
herrschte  feierliche  Stille,  als  Präsident  Wil- 
son punkt  2  Uhr  auf  den  Knopf  der  elektri- 
schen Leitung  drückte,  die  die  6400  Kilo- 
meter lange  Strecke  von  Washington  bis  zur 
Barriere  von  Garhboa  verbindet.  40  000 
Gramm  Dynamit  waren  notwendig,  um  die 
Barriere  zu  sprengen."  (O,  Alfred  Nobel,  so 
träumtest  du  stets  die  Verwendung  deiner  Er- 
findung!) „Am  Orte  selbst  war  die  Wirkung 
cles  Druckes  eine  kolossale.  Zuerst  eine  ge- 
waltige Detonation,  die  auf  hundert  Meilen 
her  vernehmbar  war.  Eine  riesige  Staubwolke 
erfüllte  die  Luft,  so  daß  im  weiten  Umkreise 
das  Tageslicht  verfinstert  war.  Das  Erdreich 
geriet  ins  Schwanken  und  die  Wassermassen 
drangen  ein.  Erst  langsam,  dann'  immer  stärker 
ergoß  sich  die  Flut  in  das  Kanalbett.  Das 
Werk  war  vollendet. . . .  Die  Kunde  davon 
wurde  telegraphisch  ins  Weiße  Haus  gemeldet 
und  verbreitete  sich  wie  ein  Lauffeuer  über 
das  ganze  Land  —  Salutschüsse  erdröhnten, 
alle  Glocken  läuteten  . . ." 

Ein  Siegeswerk  ist  es,  der  menschliche 
Genius  — I  ein  Friedenswerk,  das  ungeheure 
Perspektiven  des  Weltverkehres,  der  Welt- 
einigung eröffnet.  Das  war  ein  Augenblick, 
um  in  die  Knie  zu  sinken :  „nearer,  ph  my 
God  to  theen"   —   — - 


PAZIFISTISCHE  CHRONIK 

25.  September.  Tagung  des  Internationalen 
Kongresses  für  Luftrecht  in  Frankfurt  a.  M. 

27.  September.  Deutsch-französischer  Journalisten- 
kongress  in  Gent. 

30.  September.  Unterzeichnung  des  Friedens- 
vertrages zwischen  der  Türkei  und  Bulgarien. 


392 


Ende  September.  Eine  Versammlung  der  Vor- 
stände der  elsässischen  Ortsgruppen  der  deutschen 
Friedensgesellschaft  beschlieskt  in  Colmar  die 
Gründung  eines  Landesverbandes  und  die  Ab- 
haltung französischer  und  deutscher  Vorträge 
zur  Förderung  der  Friedensidee. 

Ende  September.  Ein  deutsch-französischer 
Ausschuss  mit  Ernst  Haeckel  und  Maurice 
Maeterlinck  an  der  Spitze  tritt  für  den  Ausbau 
einer  deutsch-  französischen  Unterrichts- 
anstalt  ein. 

Ende  September .  Tagung  der  Internationalen 
Arbeiterschutzkonferenz  in  Bern. 

Ende  September.  König  Konstantin  von 
Griechenland  trifft  in  Paris  ein. 

1.  Oktober.  Tagung  des  Kongresses  für  inter- 
nationales Recht  in  Madrid. 

4. — 6.  Oktober.  Tagung  des  Verbandes  für 
Internationale  Verständigung  in  Nürnberg. 

6.  Oktober.  Gründung  der  deutsch-französischen 
Liga  zu  Nürnberg. 

6.  Oktober.  Besuch  des  Präsidenten  der 
französischen  Bepublik,   Poincare",   in  Madrid. 

7.  Oktober.  In  München  findet  eine  Kund- 
gebung des  Verbandes  für  internationale  Ver- 
ständigungstatt, in  welcher  Baron  d' Estournelles 
de  Constant  den  Gedanken  der  deutsch-fran- 
zösischen Verständigung  entwickelt. 

9.  Oktober.     Im   Rahmen   des   Verbandes   für 
Internationale  Verständigung   tritt  in   Frank- 
furt a.  M.  Baron   d' Estournelles   de   Constant 
!      für  eine  deutsch-französische  Annäherung  ein. 


DAUS  DER  ZEITB 

Völkerrecht. 

Verlängerung  von  Schiedsverträgen.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

Der  Schweizer  Bundesrat  unterbreitete  im 
Juli  ci.  J.  der  Bundesversammlung  die  neuen, 
mit  Spanien  und  Portugal  abgeschlossenen 
Schiedsverträge  zur  Genehmigung.  Der  neue  Ver- 
trag mit  Spanien  ersetzt  den  am  9.  Juli  1912 
abgelaufenen  Schiedsvertrag  vom  14.  Mai  1907; 
während  der  alte  Vertrag  ein  Obligatorium  nicht 
kannte,  ist  im  neuen  Vertrag  nach  dem  Muster 
des  Schiedsvertrags  mit  Belgien  ein  fakultatives 
Obligatorium  des  Schiedsgerichte  vorgesehen  für 
jene  besonders  umschriebenen  Streitfälle,  die 
nach  der  Ansicht  eines  jeden  der  vertrag- 
schließenden Staaten  weder  die  Ehre  noch  die 
Unabhängigkeit  oder  die  Souveränität  des 
andern  Landes  berühren.  Der  neue  Vertrag  gilt 
auf  zehn  Jahre ;  im  Falle  er  nicht  sechs  Mo- 
nate vor  Ablauf  dieser  zehn  Jahre  gekündigt 
wird,  gilt  er  stillschweigend  weiter,  mit  fünf- 
jähriger Kündigungsfrist.  —  Der  neue  Vertrag 
mit  Portugal  ist  lediglich  eine  Verlängerung  auf 
zehn  Jahre  des  am  23.  Oktober  1913  ablaufenden 
Schiedsvertrags  vom  18.  Juli  1905,  der  keinerlei 
Obligatorium   des    Schiedsgerichts    vorsieht. 


<§= 


DIE  Fßl  EDENS  -WARTE 


Rüstungsproblem. 

Eine  neue  Wehrvorlage  in  Deutschland.     ::  ::  :: 

Auf  dem  alldeutschen  Parteitag,  der  im 
September  in  Breslau  stattfand,  hat  der  bekannte 
Kriegs-Barde,  Generalmajor  a.  D.  Keim  ,  seine 
Unzufriedenheit  mit  der  Milliardenvorlage  dieses 
Sommers  ausgedrückt  und  die  nächste  Wehr- 
vorlage an  die  Wand  gemalt.  Er  sagte  in  seiner 
Rede: 

„Mit  unter  dem  Druck  der  öffentlichen  Mei- 
nung, wobei  der  Wehrverein,  unterstützt  vom 
Altdeutschen  Verband,  die  Hauptarbeit  leistete, 
ist  es  endlich  gelungen,  nach  zwei  durchaus 
ungünstigen  (!)  Wehrvorlagen  eine  dritte  in 
diesem  Sommer  durchzusetzen.  So  erfreulich  das 
an  sich  auch  ist,  würde  es  eine  schwere  und 
schädliche  Selbsttäuschung  bedeuten,  wenn  diese 
Auffassung  Fuß  fassen  sollte,  als  ob  die 
letzte  Wehrvorlage  den  Abschluß 
unserer  Rüstungepolitik  bedeutete. 
Es  kommt  bei  dieser  Frage  nämlich  in  erster 
Linie  in  Betracht,  welche  militärischen  Gegen- 
maßregeln unsere  voraussichtlichen  Feinde  ge- 
troffen haben  und  noch  zu  treffen  bestrebt  sindH" 

Ob  sich  der  rüstungsfreundliche  General- 
major schon  einmal  die  Frage  vorgelegt  hat, 
welche  Rüstungen  getroffen  werden  müßten,  die 
,,die  voraussichtlichen  Feinde"  nicht  zu  Gegen- 
maßregeln veranlassen  werden  ? 

Daß  aber  die  Alldeutschen  diese  Rüstungen 
nicht  zur  Erhaltung  des  Friedens  brauchen,  son- 
dern für  den  Krieg,  geht  aus  einer  anderen  auf 
jenem  Parteitage  gehaltenen  Rede,  der  des  Ver- 
bandsvorsitzenden Bechteanwalt  Claß,  in 
größter  Deutlichkeit  hervor.  Dieser  Herr  sagte 
in  seiner  Programmrede  über  die  politische  Lage 
folgendes : 

„Um  den  Preis  der  Entsagung  können  wir 
die  Freundschaft  der  ganzen  Welt  genießen. 
Aber  wir  wollen  und  dürfen  nicht  entsagen! 
Schon  heute  hört  man  in  allen  Schichten  unseres 
Volkes,  zumeist  aber  im  gebildeten  Mittelstande, 
die  Frage :  wofür  die  ungeheuren  Opfer 
für  Flotte  und  Heer,  wenn  wir  nichts 
wollen  und  nichts  erreichen?  Diese 
Frage  kann  die  Regierung  eigentlich  nicht  miß- 
verstehen. Unsere  Flotte  ist  so  stark,  daß  Eng- 
land sich  vor  ihr  hüten  muß;  unser  Heer  wird 
jetzt  wieder  auf  die  Höhe  seiner  Leistungsfähig- 
keit gebracht.  Und  da  sollen  wir  eine  Politik' 
der  Entsagung  betreiben  ?  DerHungernach 
Land  drückt  unserer  Zeit  den  Stempel  auf;  er 
will  und  muß  befriedigt  werden." 

Das  ist  offenbarer  Anarchismus  und  so 
staatsgefährlich    wie    dieser. 

Neue  Rüstungslasten  für  Oesterreich-Ungarn.  ::       :: 

Nachdem  Deutschland  eine  besondere  Mil- 
liarde für  Rüstungskosten  auf  sich  genommen 
hat,  glaubt  die  Regierung  Oesterreich -Ungarns, 
diesem  viel  ärmeren  Lande  ein  gleiches  hohes 
Opfer  zumuten  zu  dürfen.  Der  gemeinsame 
Ministerrat  hat  beschlossen,   den  demnäcnst  zu- 


sammentretenden   Delegationen     eine     einmalige- 
Forderung  von 

926    Millionen 
vorzulegen. 

E6  werden  in  Anspruch  genommen: 
Für  4   Ueber-Dreadnoughts    ....    280   Millionen 

„     kleine  Kriegsschiffe 146  „ 

„     die  Kosten  der  Mobilisierung    350  „ 

„     die   Vermehrung   des   Rekru- 
tenbudgets um  90  000  Mann  .    150  „ 
Eine  Umbewaffnung  der  Artillerie,  die  eben- 
falls   einige    hundert    Millionen    erfordern    wird, 
steht  bevor. 

Wohin  das  führen  soll  in  einem  Lande, 
dessen  Handelsbilanz  passiv  ist,  dessen  Wirt- 
schaft darniederliegt  und  dessen  Bevölkerung 
zum  übergrößten  Teil  in  Armut  lebt,  weiß  nie- 
mand. Anscheinend  auch  nicht  der  öster- 
reichische Finanzminister  v.  Z  a  1  e  s  k  i ,  der 
unmittelbar  nach  jenem  gemeinsamen  Ministerrat 
„krankheitshalber"  seine  Demission  gab.  Man 
weiß  nicht:  Ist  der  Minister  krank  oder  der 
Staat? 

Der  ungarische  Staatsmann  Franz  Kos- 
8  u  t  h  hat  sich  über  diese  militärischen  Neufordef 
rungen  kürzlich  in  folgender  Weise  geäußert: 

„In  der  Frage  der  Mehrforderungen  auf 
militärischem  Gebiete  der  Kriegsverwaltung  ist 
mein  Standpunkt  der,  daß,  da  bekanntlich  die 
volkswirtschaftliche  Lage  Ungarns  auf  einer 
solchen  Stufe  steht,  auf  der  es  bereits  schwer 
geworden  ist,  den  bisherigen  militärischen  An- 
forderungen Genüge  zu  leisten,  eine  weitere  Er- 
höhung des  Standes  der  Armee  zu  keinem  guten 
Ziele  führen  kann,  da  das  Land  nicht  in 
der  Lage  ist,  diese  neueren  Lasten 
an  Geld-  und  Blutopfern  zu  leiste  n." 

es? 
Vom  Rüstungsgeschäft.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 
Die  Niederösterreichische  Eskomptegesell- 
schaft  verhandelt  wegen  Uebernahme  einer 
neuen  chinesischen  Schatzscheinanleihe  von 
2  Millionen  Pfund.  Vor  einigen  Monaten  hat 
die  Bank  1,2  Millionen  Pfund  chinesische  Schatz- 
scheine übernommen  und  sich  damals  die  Option 
auf  weitere  2  Millionen  Pfund  Schatzscheine- 
für die  erste  Oktoberhälfte  vorbehalten.  Falls 
die  Verhandlungen,  die  gegenwärtig  noch  in 
der  Schwebe  sind,  zu  einem  Ergebnisse  führen, 
sollen  für  den  Erlös  der  Schatz- 
scheine 12  Torpedobootzerstörer 
in  Oesterreich-Ungarn  angeschafft 
werden. 


Glückliches  Land!  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  -  ::  ::  ::  **  ::  :r 

Aus  Buenos-Aires  wird  unter  dem  30.  Sep- 
tember gemeldet:  Der  Staatsvoranschlag  für 
1914  stellt  die  Gesamtsumme  der  Einnahmen  auf 
451  449  000,  die  der  Ausgaben  auf  451  439  222 
Papierpiaster  fest.  Das  Budget  des  Kriegs  - 
ministeriums  ist  um  2  150  000  Piaster 
niedriger,  das  Unterrichtsbudget  um 
6  139  531  Piaster  höher  als  im  Jahr   1913. 


393 


DIE  FRIEDENS -^ARTE 


:3 


Verschiedenes. 

Die  österreichische   Industrie  gegen 
die  auswärtige  Politik  der  Regierung. 

Auf  dem  XXVI.  ordentlichen  Verbandstiag 
des  Zentralverbandes  der  Industriellen  Oester- 
reichs,  der  am  14.  September  d.  J.  in  Aussig 
abgehalten  wurde,  gelangte  eine  Resolution  zur 
Annahme,  die  sich  gegen  die  Schädigung  der  In- 
dustrie seitens  der  auswärtigen  Politik  der 
Monarchie    wandte. 

Das  Herrenhausmitglied  Ginzkey  brachte 
«inen  Antrag  ein,  den  er  nach  dem  steno- 
graphischen Protokoll  folgendermaßen  be- 
gründete : 

„Meine  sehr  verehrten  Herren!  Wir  alle 
stehen  unter  dem  Eindrucke  der  tiefen  wirt- 
schaftlichen Depression,  unter  der  wir  schon 
eine  so  geraume  Zeit  zu  leiden  haben.  In 
erster  Linie  ist  von  dieser  Depression  die  In- 
dustrie betroffen.  Die  Motive  für  diese  De- 
pression sind  leicht  zu  finden.  Sie  liegen  un- 
bedingt in  der  verfehlten  Führung 
unserer  auswärtigen  Politik.  Dem 
Ausdruck  zu  geben,  ist  der  Zweck  meines  An- 
trages. Mit  dem  unglückseligen  Falle  des 
Konsuls  Prochazka  beginnend,  reihte  sieh  Fehler 
an  Fehler,  bis  man  es  sogar  fertig  gebracht 
hat,  eine,  wenn  auch  —  Gott  sei  Dank!  — 
nur  vorübergehende  Verstimmung  mit  Italien 
durch  die  Triester  Erlässe  hervorzurufen.  Es 
fällt  einem  wirklich  mit  Bangen  das  englische 
Wort  ein: 

What  is  going  to  be  next? 
Ich    werde    mir   erlauben,    Ihnen    eine    Re- 
solution  zur  Annahme  zu  empfehlen,  die  ich  im 
Verein    mit    mehreren    meiner    Freunde    aus- 
gearbeitet  habe.      Die   Resolution   lautet : 

„Bei  dem  Abschluß  einer  Periode  kriege- 
rischer Ereignisse,  welche  an  Lebensinter- 
essen der  Monarchie  rührten,  hält  sich  die 
österreichische  Industrie  für  berechtigt,  ja 
aus  Gründen  der  Selbsterhaltung  für  ver- 
pflichtet, mit  allem  Ernst  auszusprechen,  daß 
sie  die  Richtung  unserer  auswärtigen  Politik 
für  verfehlt  erachtet.  Statt  daß  die  aus- 
wärtige Politik  als  Instrument  der  wirtschaft- 
lichen Expansion  gewirkt  hätte,  führte  sie 
zu  dem  geraden  Gegenteil:  zur'  Verdrängung 
unseres  Handels  auf  altgewohnten  und  durch 
Jahrhunderte  mit  Opfern,  aber  auch  mit  Er- 
folg gepflegten  Märkten,  zum  Verschwinden 
politischer  Freundschaften,  die  wir  zu  unserm 
sichern  und  wertvollsten  Besitzstande  ge- 
rechnet haben. 

Die  österreichische  Industrie  weiß  sehr 
wohl,  daß  die  Erhaltung  bestehender  und  die 
.  Erwerbung  neuer  Absatzgebiete  ein  Werk  ist,' 
das.  vor  allem  sie  selbst  zu  besorgen  hat; 
j  sie  darf  aber  verlangen,  daß  ihre  Wege 
nicht  durch  staatliche  Gewalten 
durchkreuzt  und  daß  die  Kanäle,  auf 
welchen  sie  den  Ueberschuß  ihrer  Produktion 


394 


auswärtigen  Märkten  zuführt,  nicht  schwan- 
kenden Meinungen  und  einer  vermeint- 
lichen Prestigepolitikzuliebe  ge- 
sperrt werden. 

Der  Verbandstag  des  Zentralverbandes  der 
Industriellen  Oesterreichs  erhebt  daher 
namens  der  österreichischen  Industrie  die 
Forderung,  daß  der  auswärtigen  Politik  eine 
Richtung  gegeben  werde,  welche  diesen 
Grundsätzen  entspricht.  Diese  Forderung  ist 
eine  um  so  dringendere,  als  die  Monarchie 
angesichts  der  innerwirtschaftlichen  Verhält- 
nisse mehr  als  jemals  auf  Wiederherstellung 
der  Aktivität  ihrer  Handelsbilanz  und  in  dei 
Folge  auf  die  systematische  Entwicklung  zui 
Ausfuhrstaate  angewiesen  ist." 

Meine    Herren!      Ich    erlaube    mir,     Ihnen 

diese   Resolution   zur  Annahme   zu  empfehlen. 

(Lebhafter  Beifall.). 

Die  Annahme  erfolgte  mit  Stimmeneinheit. 


Das  Elend  in  Galizien.  ::   ::  ::   ::  ::  ::  ::  ::  :: 

Das  durch  den  Balkankrieg  und  die  doppelte 
Mobilisierung  der  Monarchie  hervorgerufene 
Elend  macht  sich  in  entsetzlicher  Weise  in  Ga- 
lizien  geltend.  Ein  Beweis,  wie  sehr  jetzt  jeder 
geführte  Krieg  auch  die  nicht  direkt  darin  ver- 
wickelten Länder  in  Mitleidenschaft  zieht.  E.s 
gibt  keinen  fremden  Krieg  mehr.  Das  Elend 
Galiziens  ist  so  groß,  daß  die  österreichische 
Regierung  eine  Staatshüfe  von  100  Millionen 
Kronen    zu    gewähren    sich    entschließen    mußte. 

Ueber  die  grauenhaften  Zustände  ist  uns  das 
nachstehende  Schreiben  eines  Studenten  zu- 
gegangen : 

„Goethe  sagt  im  „Totentanz":  Der  Türmer 
schaut  zu  Mitten  der  Nacht  hinab  auf  die  in 
Reihen  liegenden  Gräber  ... 

Diese  Worte  sind  für  das  unglückliche  Ga- 
lizien  wie  geschaffen.  Ganz  Galizien  ist  ein 
Friedhof.  Aber  ein  eigentümlicher  Friedhof,  weil 
die    Menschen    noch    leben. 

Man  kämpfte  auf  dem  Balkan,  aber  in  Ga- 
lizien sind  Tausende  von  Existenzen  zugrunde 
gegangen. 

Der  größere  Teil  der  8  Millionen  Einwohner 
ist  am  Bettelstab.  Der  gequälte  Bauer  bricht 
zusammen.  Der  Kaufmarin  und  der  Industrielle 
ächzen,  weil  die  schrecklichen  Tage  des  Krieges 
auf  dem  Balkan  ihnen  alles  geraubt  haben.  Der 
erste  Schuß  des  jungen  Prinzen  von  Montenegro 
hat  ihn  niedergeschlagen.  —  Risum  teneatis 
amici,  man  sagt:  Den  Beamten  geht  es  noch  gut. 

Die  grausamsten  Taten  des  barbarischen 
Siegers  in  der  ganzen  Welt  haben  nie  so  viel 
Schaden  gebracht  wie  der  Krieg  auf  dem  Balkan. 

Jetzt  fragen  wir  den  blutigen  Ares:  „Quo 
usque  tandem  abutere  ?" 

MS) 


@= 


DIE  Fßl EDENS -^VARXE 


Reichtumvermehrung  und  dennoch 

Rückgang  der  Lebenshaltung. 

In  einem  sehr  beachtenswerten  „Friede  auf 
Erden  I"  betitelten  Artikel  der  in  Hannover  er- 
scheinenden „Deutschen  Volkszeitung"  äußert 
sich  Oskar  v.  Voigt  auch  über  den  Einfluß 
der  Rüstungen  auf  das  Wirtschaftsleben.  Er 
schreibt: 

„Leider  befinden  wir  uns  in  puncto  Rüstungen 
noch  nicht  auf  einer  Bahn,  die  zu  diesem 
Ziele  (der  Verminderung.  Red.)  hinführt.  Für 
unsere  Zwecke  war  vor  allen  Dingen  der 
vernünftige  Vorschlag  Englands  zu  hören 
und  zu  beachten,  der  die  Rüstungen  be- 
schränken will.  Aber  wir  haben  eine  recht  ab- 
weisende Antwort  gegeben:  die  ungeheure  Ver- 
mehrung unserer  Heeresmacht.  Auf  diesem 
Wege  entfernen  wir  uns  von  unserm  Ziele.  — 
Oder,  so  paradox  es  klingen  mag,  wir  nähern 
uns  ihm.  Nur  in  einer  Weise,  die  wir  nicht 
wollen:  Wir  rüsten  uns  bankrott,  das  Rüstungs- 
gebäude bricht  zusammen  und  die  Friedens- 
bewegung tritt  die  Erbschaft  an.  Nun  weiß  ich 
wohl,  daß  der  Gedanke  des  Rüstungsbankrotts 
von  den  Gegnern  verlacht  wird.  Mit  scheinbar 
richtiger  Begründung  wird  entgegnet,  daß 
Deutschland  trotz  der  Rüstungen  von  Jahr  zu 
Jahr  reicher  wird;  die  Statistik  liefere  den  Be- 
weis. Wenn  aber  bei  der  herrschenden  und  noch 
zunehmenden  Teuerung  alles,  was  Wert  hat, 
einfach  jedes  Jahr  um  soundso  viel  Prozent 
höher  angesetzt  wird,  so  ist  leicht  auf  dem  Pa- 
pier eine  Vermögensvermehrung  festzustellen. 
Sieht  man  aber  nach  der  Lebenshaltung,  z.  B. 
nach  dem  Verbrauch  von  Fleisch,  so  ändert 
sich  das  Bild.  Bezeichnend  sind  auch  die  Be- 
richte der  Konsumvereine,  die  hervorheben,  daß 
der  Verkauf  von  Surrogaten  (wie  Margarine) 
stetig  zunimmt,  der  Verbrauch  der  echten  Er- 
zeugnisse (wie  Butter)  ebenso  stetig  zurück- 
geht. Also  vielleicht  mehr  Geld,  aber  sicher 
weniger  Kaufkraft,  und  die  ist  bei  der  Fest- 
stellung des  Vermögens  maßgebend." 


Zum  Kapitel  Wissenschaft  und  Pazifism«.1  ::   ::   ::]  :: 

In  Hofrat  Professor  Lammaschs  neuester 
•Veröffentlichung  „Die  Lehre  von  der  Schieds- 
gerichtsbarkeit in  ihrem  ganzen  Umfange",  auf 
die  in  dieser  Zeitschrift  noch  näher  eingegangen 
werden  wird,  lesen  wir  auf  Seite  36:  „Nie- 
mals hätte  die  Idee  des  Schiedsgerichtes1 
zwischen  den  Staaten  jene  Triebkraft  und  jenen 
Schwung  erlangt,  der  zu  den  Haager  Konferenzen 
von  1899  und  1907,  zur  Errichtung  des  inter- 
nationalen Schiedsgerichtshofes,  zu  jener  Aus- 
breitung schiedsgerichtlicher  Tätigkeit  geführt 
hat,  die  wir  in  den  letzten  zwei  Jahrzehnten 
sehen,  wenn  sie  auf  die  Lösung  von  Konflikten 
auf  dem  Gebiete  des  Verwaltungsrechtes  be- 
schränkt geblieben  wäre.  Dazu  bedurfte 
sie  stärker  wirkender  Impulse. 
Solche    sind   in   dem   Eindringen    der 


Friedensbewegung,  der  pazifisti- 
schen Idee,  in  weite  Kreise  der  Be- 
völkerung und  schließlich  auch  in 
der  Wissenschaft  des  Völkerrechts 
g  ele  g  e  n." 


Das  ungeheure  Hasardspiel.  ::   ::   ::   ::   ::  ::  ::  :  ::  :: 

In  der  „Frankfurter  Zeitung"  vom  19.  Au- 
gust bespricht  der  Pariser  fs. -Korrespondent 
jenes  Blattes  ein  bei  Plön  in  Paris  erschienenes 
Buch  von  Germain  B  a  p  s  t  über  ,,L  a  B  a  - 
taille  de  St.  Priva  t."  Wir  entnehmen  der 
Besprechung  einige  Stellen,  die  an  sich  inter- 
essant sind,  aber  auch  das  Augenmerk  auf  das 
Buch  lenken.  „Germain  Bapst",  so  heißt  es 
dort,  „schildert  die  Vorgänge  auf  der  deutschen 
Seite  ganz  kurz  und  beschreibt  die  Verwirrung 
im  französischen  Heere  mit  aller  Offenheit  und 
Ausführlichkeit.  Er  |sieht  davon  ab,  die  Schrecken 
der  Schlacht  zu  schildern.  Aber  abgesehen  von 
allem,  bleibt  das  Buch  außerordentlich  lehrreich. 
Wenn  man  es  aus  der  Hand  legt,  fragt  man 
sich :  Wie  können  die  Nationen  ihre 
Schicksale  noch  von  so  ungewissen 
Dingen  abhängig  machen  wie  einer 
Schlacht?  Das  Glück,  der  Zufall  spielen 
eine  ungeheure  Rolle.  Weder  Uebermacht  noch 
Heldenmut  und  Feldherrngeschick  allein  ent- 
scheiden. Alles  wirkt  zusammen  und  durch- 
einander, am  Ende  ist  nur  der  der  Sieger,  der, 
wie  Prinz  Friedrich  Karl  sagt,  am  Abend  sich 
selbst  für  den  Sieger  hält." 

Und  zum  Schluß  sagt  der  Verfasser: 
„Der  Wüle  zum  Sieg  ist  der  entscheidende 
Faktor,  predigen  heute  alle  Gelehrten  des  Kriegs. 
Auch  Bapst  zieht  diesen  Schluß.  Ich  weiß  nicht, 
ob  das  wirklich  zutrifft.  Die  Bulgaren  haben 
damit  die  Türken  niedergekriegt,  aber  nicht  die 
Serben  und  Griechen.  Im  Jahre  1870  war  die 
französische  Armee  nur  zu  siegesgewiß.  Der 
Krieg  bleibt  trotz  der  peinlichsten  Vorbereitung, 
welche  die  Gegenwart  erfunden  hat,  ein  un- 
geheures Hasardspiel.  Der  Zufall  nistet 
sich  schon  in  die  Vorbereitung  ein.  Ein  unfähiger 
Oberbefehl  macht  die  Vorteile  der  Uebermacht 
zunichte.  Im  Gewühle  der  Schlacht  herrscht 
der  Zufall  noch  mehr.  Ich  meine,  die  große 
Lehre,  die  man  aus  einem  Schlachtengemälde 
wie  dem  von  Bapst  ziehen  sollte,  sind  nicht 
strategische  und  taktische  Lektionen.  Das  ist 
noch  immer  das,  was  die  Hasard- 
spieler mit  einem  „System"  ver- 
suchen. Die  große  Lehre  scheint  mir  zu  sein, 
daß  der  Krieg  immer  eine  riskierte  Sache  bleibt, 
der  man  am  klügsten  aus  dem  Weg  geht,  eolango 
man  nicht  unabweisbar  dazu  gedrängt  wird.  Der 
Kultus  des  Kriegs  bei  einer  Nation  ist  keine 
Garantie  für  den  Erfolg.  Aber  er  schadet,  weil 
er  die  Lösungen  des  Friedens  für  internationale 
Konflikte  unbeliebt  macht,  und  zuletzt  liegt  doch 
nur  in  diesen  Lösungen  die  Dauer." 


395 


DSEFßlEDENS-^AQTE 


=6>i 


Die  französische  fugend   gegen    den   Revanchekrieg. 

Der  am  25.  September  in  Paris  stattgehabte 
Kongreß  der  französischen  Laien-Jugend  nahm 
nach  einem  Vortrage  Herves  einstimmig  folgende 
Resolution  an: 

„Der  Kongreß  der  Laienjugend  weist  jeden 
Gedanken  des  Revanchekrieges  von  eich,  nimmt 
sich  den  pazifistischen  Geist  der  Berner  Zu- 
sammenkunft zum  Vorbilde  und  ladet  die  Sozia- 
listen und  Radikalsozialisten  Frankreichs  und 
Deutschlands  oder  noch  allgemeiner  alle  recht- 
schaffenen Leute  beider  Länder  ein,  an  dem 
großen  Werk  der  französisch-deutschen  Versöh- 
nung durch  freundschaftliche  Regelung  der 
elsässisch-lothringischen   Frage    mitzuarbeiten." 


LITERATUR  U  PRESSE 

Eine  Norman-Rngell-Zeitschrift. 

Unter  dem  Titel  „War  and  Peace"  gibt 
William  S.  Searle  in  London  eine  neue 
pazifistische  Zeitschrift  heraus,  die  es  sich  zur  Auf- 
gabe stellt,  die  Lehre  Norman  Angells  zu  ver- 
breiten und  zu  vertiefen.  Die  neue  Zeitschrift 
wird  unter  der  Führung  der  Garton-Foun.da.tion 
veröffentlicht  und  wird  Norman  Angell  selbst  zum 
Mitarbeiter  haben.  Außer  von  ihm  sind  bis  jetzt 
Beiträge  angekündigt  von  The  Hon.  Lady  Barlow, 
G.  K.  Chesterton,  G.  P.  Gooch,  Prof.  J.  W.  Graham, 
Canon  Grane,  Carl  Heath,  F.  W.  Hirst,  Prof. 
L.  T.  Hobhouse,  Prof.  Starr  Jordan,  The  Rt.  Hon. 
Lord  Loreburn,  F.  Maddison,  Alfred  Noyes,  Alfred 
Ollivant,  H.  S.  Perris,  Arthur  Ponsonby,  M.P., 
J.  E.  Raphael,  The  Rt.  Hon.  Russell  Rea,  P.C., 
M.P.,  Stephen  Reynolds,  The  Hon.  Rollo  Russell, 
H.  G.  Wood.      . 


Eingegangene  Druckschriften.   ::  ::  :;  ::  ::   ::   ::  ::  :: 

(Besprechung  vorbehalten.) 

Revue  Generale  de  Droit  Inter- 
national Public  (Paris).  Juli  —  August 
1913.      Nr.    4. 

Aus  dem  Inhalt :  A.  S.  Hershey,  La 
codification  des  regles  de  la  guerre  sur  mer 
ä  la  troisierne  Conference  de  la  Haye.  i — 
J.  Brown  Scott,  Quelques  observations  sur 
le    mouvement    paeifique.    • —    usw.    usw. 

The  American  Journal  of  Inter- 
national Law.  A ,  Quarterly.  New  York 
1913.     July. 

Aus  dem  Inhalt :  Eli  hu  Root,  Francis 
Lieber.  —  BlewettLee,  Souvereignit  of  the 
air.  —  Edwin  M.  Borchard,  Basic  Ele- 
ments of  diplomatic  protection  of  Citizens 
abroad.  < —  George  B.  Davis,  The  prisoner 
of  war.  —  Thomas  Willing  Balch,  The 
Hudsonian  Sea,  is  a  great  open  Sea  —  The 
Nineteenth  Lake  Mohonk  Conference  on  Inter- 
national Arbitration.  ■ —  Mr.  Bryans  proposed 
commissions  of  inquiry.  —  The  visit  of  Hon. 
Robert  Bacon  to  South   America.  —  usw. 


Hierzu  Supplement-Nummer,  enthaltend  Do- 
kumente.   — 

Bulletin    of    the     Pan-American: 
Union.      Washington.      August. 

Aus  dem  Inhalt:  Hon.  Robert  Bacons  tour 
of  'South  America.  —  Eighth  International  Cotn- 
gress  of  Students.  —  Honor  to  Mr.  Carnegie 
in  Paris.   —  usw. 


Abiturienten,  An  die, 
mit  Beitragen  von  Prof.  Dr.  Oswald 
Richter,  Dr.  Gust.  Wyneken.  Gr.  8°. 
Wien  1913.  Der  moderne  Student.  Flug- 
schriften. Erstes  Heft.  Herausgegeben  vom 
akad.  Komitee  für  Schulreform.  Hugo  Heller  & 
Cie.     15  S.     30  Pf.       ' 

Bar,  Prof.  Dr.  L.  von, 
Gutachten  über  die  Frage  der  Einrichtung  eines 
ständigen  internationalen  Gerichtshofes  für 
Klagen  von  Privatpersonen  gegen  fremde 
Staaten.  8°.  Oberursel  o.  J.  Druck  von 
Jakob  Abt.     12  S. 

Berendsohn,  Walter  A., 
The  international  student  movement  and  the 
German  student  Body.  Gr.  8°.  o.  O.  o.  J. 
„Corda  Fratres".  Federation  internationale 
des  Etudiants.  Eighth  international  congress 
of  Students.  Cornell  Cosmopolitan  Club. 
Cornell  Universitv,  Ithaca,  N.  Y.  U.  St.  A. 
August    29  — September    3,    1913.      12    S. 

JEickhoff,  Prof.  Dr., 
Die  Interparlamentarische  Union  1912.  Sonder- 
abdruck (nicht  im  Buchhandel)  aus  „Jahr- 
buch des  Völkerrechts".  Gr.  8°.  München 
und  Leipzig.  O.  J.  Duncker  &  liumblot.  Von 
S.    1291—1303. 

Fried,  Dr.  Alfred  H., 
Die  Friedensbewegung  im  Berichtsjahre  1912. 
Sonderabdruck  (nicht  im  Buchhandel)  aus 
„Jahrbuch  des  Völkerrechts".  Gr.  8°.  Mün- 
chen und  Leipzig  (1913).  Duncker  &  Humblot. 
Von    S.    1303—1312. 

Fried,  Dr.  Alfred  H., 
Die  panamerikanische  Bewegung.  Sonder- 
abdruck (nicht  im  Buchhandel)  aus  „Jahr- 
buch des  Völkerrechts".  Gr.  8°.  München 
und  Leipzig  (1913).  Duncker  &  Humblot. 
Von  S.   1419—1426. 

Gold'ß  c  h  eid,  Rudolf, 
Monismus  und  Politik.  Vortrag,  gehalten  auf 
der  Magdeburger  Tagung  des  Deutschen  Mo- 
nistenbundes im  Herbst  1912.  Gr.  8°.  Wien- 
Leipzig,  o.  J.  Schriften  des  Monistenbundes 
in  Oesterreich,  Heft  4.  Anzengruber- Verlag 
Brüder   Suschitzky.      30  S. 

H  e  i  n  ,  Erich, 
Geheime  Gesellschaften  in  alter  und  neuer 
Zeit,  ihre  Organisation,  ihre  Zwecke  und 
Ziele.  Mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Freimaurer-  und  Odd-Fellow-Logen,  des  Dru- 
iden- und  Illuminaten-Ordens.  Gr.  8°.  Leip- 
zig 1913.     Raimund  Gerhard.     12  S.    M.  3.—. 

Hoffmann,    Geza    von, 
Sammlung   von    Vererbungsdaten   durch    „Field 
workers"  in  den  [Vereinigten  Staaten  von  Nordi- 


396 


@= 


E  DIEFRIEDEN5-^M£kB.TE 


amerika.  4°.  Psychiatrisch.  -  neurologische 
Wochenschrift,  XIV.  Jahrgang,  Nr.  9.  31.  Mai 
1913.  Carl  MarhoM,  Verlagsbuchhandlung  in 
Halle  a.    S.     4   S. 

Hoffmann,  Geza  von, 
Das    erste    staatliche   Amt    für   Rassenhygiene. 
Gr.  8°.     Sonderabdruck  aus  ,,  Dokumente  des 
Fortschritts".      Berlin.      Georg   Reimer.      Von 
S.    415—417. 

Honig,    Bertholid, 
Individuum  und  Staat  und  aller  Ethik  innerster 
Kern.      Gr.    8°.      Neuschloß    bei    Hohenwant. 

1912.  .0  V.     24  & 

Jahrbuch 
der  Internationalen  Handels-Union  1913/14.     Gr. 
8°;  o.  O.  o.  J.     Herausgegeben  von  der  Inter- 
nationalen    Handels  -  Union,     Berlin    W.    15, 
Düsseldorfer   Straße    14.      li8   S. 

J  a  h  r  e  s  r  e  c  h  n  u  n  g   von    1912. 
Verzeichnis    dier    bei    der    Freimaurergeschäfts- 
stelle  eingelangten  Gaben  von  1910  bis  31.  Juli 

1913.  (Deutsch,  englisch,  französisch).  8° 
o.   O.   o.  J.   o.   V.     37  S. 

„Kunst  und  Leben  1914." 
Ein  Kalender  mit  53  Originalzeichnungen  und 
Originalholzschnitten  deutscher  Künstler  und 
Versen  und  Sprüchen  deutscher  Dichter  und 
Denker.  Verlag  Fritz  Heyder,  Berlin- Zehlen- 
dorf. 

M  a  n  d  e  r  e,  H.  van  der, 
Die  Opiumkonferenz  im  Haag  und  die  Opium- 
konvention vom  23.  Januar  1912.  Separat- 
abdruck (nicht  im  Buchhandel)  aus  „Jahr- 
buch des  Völkerrechts".  Gr.  8°.  München 
und  Leipzig,  o.  J.  Bericht  über  Kongresse 
und  Konferenzen.  Verlag  von  Duncker  & 
Humblot.'    Von   S.   1239—1257. 

M  a  n  d  e  r  e  ,  Henri  van  der, 
Die  Niederlande.  (Literatur.)  Sonderabdruck 
(nicht  im  Buchhandel)  aus  „Jahrbuch  des 
Völkerrechts".  Gr.  8°.  München  und  Leip- 
zig, o.  J.  Berichte  über  die  völkerrechtliche 
Entwicklung  der  einzelnen  Staaten  1911/12. 
Verlag  von  Duncker  &  Humblot.  Von  S. 
1112—1123. 

M  a  r  t  i  t  z  ,  Prof.  Ferdinand  von, 
Völkerrecht.  Sonderabdruck  (im  Buchhandel 
nicht  erhältlich)  aus  „Systematische  Rechts- 
wissenschaft". 2.  verbesserte  Auflage.  Gr. 
8°.  Leipzig-Berlin  1913.  Die  Kultur  der  Ge- 
genwart.    B.   G.  Teubner.     Von  S.   470 — 550. 

Müller-Lyer,   F., 
Phasen   der   Liebe.     Eine    Soziologie   des    Ver- 
hältnisses der  Geschlechter.    Gr.  8°.   München 
1913.     Verlag  Albert  Langen.     254   S.     Geh. 
M.  3,50,  geb.  M.   5,—. 

Ostwald,  Wilhelm, 
Fastschrift  aus  Anlaß  seines  60.  Geburtstages 
(2.  September  1913).  Mit  Ostwalds  Porträt 
und  mit  Beiträgen  von  Prof.  Dr.  Rudolf 
Wegs  c  h  ne  id  er ,  Geh.  Rat  und  Prof. 
Dr.  Ernst  Ha  ecke  1,  Prof.  Dr.  Fried- 
rich Jodl,  Univ.  -Do  z.  Dr.  Paul 
Kammerer,  Geh.  Rat  Dr.  Wilhelm 
Einer,  Rudolf  Goldscheid.  Heraus- 
gegeben vom  Monistenbund  in  Oesterreich. 
Gr.  8°.  Wien-Leipzig  1913.  Anzengruber- 
Verlag    Brüder    Suschitzky.      87    S. 


Schücking,    Prof.    Dr.   Walt  hei-, 
Neue    Ziele    der   staatlichen    Entwicklung.     *2. 
und  3.  erweiterte  Auflage.     Gr.  8°.     Marburg 
i.  H.    1913.     N.   G.   Elwertsohe  Verlagsbuch- 
handlung.     110   S.     Brosch.   M.    1, — . 

Weltfriedens,    Sicherung    des, 
durch    Etablierung    eines    internationalen    Exe- 
kutivorgans.     8°.      Separatabdruck   aus    dem 
„Militär-Kameradschaftsblatt"  Nr.  32.  33,  34, 
Jahrgang    1913.      19   S. 

Wilson  Woodrow,  & 

Die  neue  Freiheit.  Ein  Aufruf  zur  Befreiung 
der  edlen  Kräfte  eines  Volkes.  Mit  einer 
Einleitung  von  Hans  Winand.  2.  Auflage. 
Gr.  8°.  München  1914.  Georg  Müller. 
225  S. 

American    School   Peace   League. 
Salt    Lake    City,    Utah.      July    1913.      Gr.     8°. 
Headquarters    Hotel    Utah.      19    S. 

Association    Concor dia    of    Japan. 
First     Report.      Gr.     8°.      Tokyo     1913.      o.     V. 
130   S. 

Bu.rne,  Randolph  S., 
Arbitration  and  International  PoLitics.  8°. 
New  York  1913.  International  Conciliation. 
September  Nr.  70.  American  Association  for 
International  Conciliation.  Sub  Station  84. 
(407  west   117  th  street).     14   S.     Kostenlos. 

XX.  Congres  Universel  de  la  Paix. 
The  Project  of  an  international  Treaty  for  the 
Arrest  of  Armaments.     Gr.    8°.     o.    O.    o.    J. 
o.  V.     11  S. 

D  a  r  b  y  ,  W.  Evans,  LI.  0., 
International  Arbitration  Procedura  A  Review 
of  the  Present  Position.  A  Paper  presenteld 
on  his  behalf  by  the  Hon.  Mr.  Justice  Philli- 
more  to  the  Conference  of  The  International 
Law  Association  at  Madrid,  October  1  et 
1913.  8°.  London  (1913)  Peace  Societv, 
47  New  Broad  St.     20  S. 

H  a  1  d  a  n  e  ,  Viscount,  of  Cloan. 
Higher  Nationality.  A  Study  in  Law  and 
Ethics.  An  address  delivered  before  the  Ame- 
rican Bar  Association  at  Montreal  on  Sep- 
tember 1.  1913.  8°.  New  York  City  1913. 
International  Conciliation.  American  Associ- 
ation of  International  Conciliation.  30  S. 
Kostenlos. 

Haidane,  Viscount,  of  Cloan 
Higher  Nationality.  A  Study  in  Law  ;uvl 
Ethics.  An  Adress  delivered  before  the  Ame- 
rican  Bai-  Association  at  Montreal  on  1 
September  1913.  8°.  London  1913,  John 
Murray,    Albermarie    Street   W. 

Hart  mann,  Dr.  Henry. 
The  educative  Work  of  the  finnish  students 
and  its  suggestions  for  students  organizations 
in  other  countries.  Gr.  8°.  o.  O.,  o.  J.,  o.  V. 
„Corda  fratres".  Föderation  internationale 
des  Etudiants.  Eighth  International  Congress 
of  Students.  Cornell  Cosmopolitan  Club. 
Gornell  University,  Ithaca,  N.  Y.  U.  St.  A. 
August    29  — September   3,    1913.      4    S. 

Havelock,    Ellis, 
The  forces   warring  against  war.     8°.     Boston 
1913.     World   Peace  Foundation.      Pamphlet 
Series.     August.     Vol.  III  No.  8.     Published 


397 


DIE  FßlEDEN5->VABXE 


3 


monthly  by  the  world  Peace  Foundation,  40 
Mt.  Vernon  street.     19  S.     Kostenlos. 

Herzog,  Edgar, 
Some  Suggestions  for  the  future  Development 
of  the  international  federation.  Gr.  8°.  o.  O., 
o.  J.,  o.  V.  „Corda  Fratres".  Federation  In- 
ternationale des  Etudiants.  Eighth  Inter- 
national Congress  of  Students.  Cornell  Cos- 
mopolitan Club.  Cornell  University,  Ithaca, 
N.  Y.  U.  St.  A.  August  29  —  September  3. 
1913.     4  S. 

K  ü  h  n  e  r  t ,  Dr.  Herbert, 
The  German  freie  Studentenschaft  and  the 
stud^y  of  international  Problems.  Gr.  8°.  o.  O. 
1913  „Corda  Fratres".  Föderation  inter- 
nationale des  Etudiants.  Eighth  international 
Consrress  of  Students.  Cornell  Cosmooolitan 
Club.  Cornell  University,  Ithaca.  N.  J.  U. 
St.  A.     August  29  — September  3,  1913.     4  S. 

Lochner,  Louis  P., 
Report  of  Secretary  of  the  International  Central 
Committee  of  Corda  Fratres.  Gr.  8°.  o. 
0.,  o.  J.,  o.  V.  „Corda  Fratres".  Federation 
Internationale  des  Etudiants.  Eighth  Inter- 
national Congress  of  Students.  Cornell  Cos- 
mopolitan Club.  Cornell  University,  Ithaca, 
N.  Y.  U.  St.  A.  August  29  —  September  3, 
1913.     4  S. 

Marvin,  F.   S., 
The  living  past.    A  sketsch  of  western  Progress. 
8°.     Oxford   1913.     At   the   Clarendon   Press. 
288  S.      cloth. 

Moritzen,  Julius, 
The  Peace  Movement  of  America.  With  an 
lhtroduction  by  James  L.  T  r  yo  n.  wiEn 
64  il'lustrations.  Gr.  8°.  New*  York  and 
London.  1912.  G.  P.  Putnams  Sons.  The 
Knickerbocker  Press.     XIX  u.  419  S.     cloth. 

Nasmyth,  George  W., 
Third  Circular  letter  of  the  President  of  the 
international  central  committee  of  Corda 
Fratres.  Gr.  8°.  Zürich  1913.  „Corda 
Fratres".  Federation  internationale  des 
Etudiants.  Eigth  international  Congress 
of  Students.  Cornell  Cosmopolitan  Club. 
Cornell  University,  Ithaca.  N.  Y.  U.  St.  A. 
August    29  — September   3,    1913.      8   S. 

Pollard,    F.    E.,   M.    A., 

Education  and  national  Service.      8°.      London 

o.   J.     National  Peace   Council.     Educational 

Series    Nr.   9.     National    Peace    Council,  167, 

St.    Stephens house,    Westminster     S.    W.    Id. 

Proceedings, 
of  the  American  Society  of  International  Law  at 
its  seventh  annual  meeting  held  at  Washing- 
ton (D.  C.  April  24—26,  1913.  Lex.  8°. 
Washington  1913.  Byron  S.  Adams,  Printer. 
X  u.   377   S. 

Proceedings, 
of  third  national  Conference.  American  Society 
for  judicial  settlement  of  International  Dis- 
putes. December  20 — 21,  1912  Wahington,  D. 
C.  Edited  by  James  Brown  Scott.  Gr. 
8°.  Baltimore  1913.  William  &  Willdns  Com- 
pany.     XXVII    u.    320    S.      cloth. 

Reinsch,   Prof.   Paul  S., 
Precedent  and  Codefication  in  international  Law. 
Gr.  8°.     Baltimore  1913.     Tudioial  Settlement 
of     International     Disputes    No.     12.      May. 


Published  quarterly  by  American  Society  for 
Iudicial  settlement  of  International  Disputes. 
38  S. 

Rowntree,  Joshua, 
Justice  not  force.  Reprinted  from  the  „Friends" 
Quarterly  Examiner.  8°.  London  o.  J. 
National  Peace  Council.  Political  Series  No.  8. 
National  Peace  Council  167,  St.  Stephans- 
house,   Westminster   SW.    8   S.      Id. 

Students    of   the   World,    Tho, 
and   International   Conciliation.     Published    for 
the    Eighth    International    Congress    of    Stu- 
dents.     Gr.    8°.      Ithaca    (New    York)    1913. 
Cornell   Cosmopolitan  Club.     134   S. 

Tsao,  S.  K., 
The  World  Chinese  Student  Federation.  Gr. 
8°.  o.  O.,  o.  J.,  o.  V.  „Corda  Fratres". 
Federation  Internationale  des  Etudiants. 
Eighth  International  Congress  of  Students. 
Cornell  Cosmopolitan  Club.  Cornell  Univer- 
sity, Ithaca,  N.  Y.  U.  St.  A.  August  29  bis 
September  3,    1913.     4   S. 

W  i  r  t  h  ,  Frederick,  jr., 
War.  Its  effect  upon  the  commercial  relations 
of  the  Belligerents.  Gr.  8°.  Consta ntinople 
1913.  International  Law.  Printing  Office  of 
the  Levant  Herald,  rue  Asmali-Mesdjid.  35, 
Pera.      24    S. 

Catalogue, 
de  pamphlets  et  d'iestampes  concernant  les 
Traites  de  Paix  conclus  Civec  les  Päys-Bas 
depuis  1576 — 1815.  Publie  ä  l'occasibn  de 
l'ouverture  solenelle  du  „Palais  de  la  Paix" 
En  vente  aux  prix  marques  chez  Van  Stocknms 
Antiquariaat.  4°.  La  Haye  1913.  (15  Prinse- 
gracht).      40    S. 

Lambert,  Henri, 
Pax  Oeconomica.  Gr.  8°.  Paris  1913.  Publi- 
cation  de  Ma  Ligue  du  Libre  -  Echange.  Au 
Siege  de  la  Ligue,  Bureaux  du  Journal  des 
Economistes,  108  Boulevard  Saint-Germain. 
15  S.       - 

Union  Interparlementaire. 
Proces-Verbaux  de  la  commission  de  la  Juri- 
diction    internationale    et    de    la    Mediation 
entre  Etats.     Avec  annexes.     8°.     o.  O.    1913. 
o.   V.     92  S. 

Union  Interparlementaire. 
XVII.  Conference  La  Haye,  3 — 5  Septernbrc 
1913.  Resolutions  adoptees  et  nominations 
faites.  Circulaire  aux  groupes.  Gr.  8°. 
Uccle-Bruxelles  1913.  Bureau  Interparlemen- 
taire.    19   S. 

Union  Interparlementaire. 
Documents  interparlementaires.  No.  8—9.  Juni 
1913.  La  Deklaration  navale  de  Londres  du 
26  fövrier  1909  et  la  Convention  sur  la  Cour 
des  Prises.  Discussions  an  parlement  'bri- 
tannique.  Gr.  8°.  Brüssel  1913.  Misch  & 
Thron.     231   S.      . 

Verite,    La, 
sur  le  desaccord  Serbo-Bulgare.    Mit  Beiträgen 
von    Pachitch,    Drachkovitsch,    usw.    usw.     Gr. 
8°    Genf    1913.     Imperimerie    et    Litographie 
Zoellner  S.  A.    63  S. 

B  a  j  e  r ,    Frederik, 
Fredsferelse    (Pacigerance).       Gr.    8°.      Kopen- 
hagen    1913.      Nordisk     Interparlamentarisk 


I 


398 


@= 


DIE  Fßl EDENS -^VARTE 


Forbunds    Snmskrifter    No.    1.      A/S.    J'.    H. 
Schultz   Forlagsboghandei.      21   S. 

Holstein,    Lage    Stae*    von, 
Internationalismen.     En  Oeiverblick.     8°.    Lund 
1913.    Svenska  Fredsförbundets  Skriftserie  VI. 
Hakan    Ohlssons    Boktryckeri.      26    S. 

Malmgreen,    Rob., 
Kriget  och  Privategendomen.     8°.     Lund  1913. 
Svenska      Fredsförbundets       Skriftserie      IV. 
Hakan   Ohlssons    Boktryckeri.     28   S. 

Nilsson,  J.  O., 
Sotilas  ja  Kuolema.  („Soldat  und  Tod'). 
Finnische  Uebersetzung  von  Johann  A.  Mä- 
kinen. Kl.  8°.  Tampereella  1913.  Tampereen 
Sanomain  Kustannus;-  Osakeyhtiön  Kirjapai- 
nossa.     32  S. 

Nilsson,    J.   E., 
Balkanfrägan  i    dess  vigtigare  skeden.   8°.   Lund 
1913.      Svenska    Fredsförbundets    Skriftserie 
V.     Hakan    Ohlssons   Bocktryckeri.      52   S. 

V  e  c  c  h  i  o  ,    Prof.    J.   del, 
El   (Fenomeno   de   la   Guerra  y    la   idea   de  la 
Paz.     Kl.  8°.     Madrid  1912.     Manueles  Reus. 
Volumen  VIII.     Hijos  de  Reus.     171   S.  geb. 

Wehberg,  Dr.  Hans, 
Vorbereitung  der  dritten  Haager  Friedenskon- 
ferenz. Sonderabdruck  (nicht  im  Buchhandel) 
aus  „Jahrbuch  des  Völkerrechts".  8°.  Mün- 
chen nmd  Leipzig.  Diunöker  &  Humblot.  Von 
S.    1386—1395. 

Xax^Xo'Jxa,  Ituavvrj;  Z. 
A^EÖve;  A.aaiov  T0U  1'JoXep.ou.     Tofxo;  Trpiu-co;:  laropta  tou 
A'xaiou  tou  lioXe{i.O'j  xat  Aixouov  tou  xoxa  Er^pav  ÜoXe(j.ou. 
Ev  Aü/jvat;  Turcot;  u7tO'jpY£io'j  a-paTtMmxcuv  1912.  Gr.  8°. 

287  S. 

pB 

Fachpresse.  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  t: 

Völker  friede  (Eßlingen).  Oktober.  Dr. 
A.  Heilberg,  Breslau,  Der  XX.  Welt- 
friedenskongreß im  Haag.  —  Reinhold 
Schmidt,  Die  Forderung  eines  Ausland- 
Pflichtjahres.  —  Leopold  Katscher, 
Friedenspädagogik.  —  Dr.  G.  Grosch, 
Widersprüche.   —   usw. 

Der  Friede  (Bern).  September.  Einige 
Worte  über  den  XX.  allgemeinen  Friedens- 
kongreß im  Haag  vom  18.— 24.  August  1913. 
—  (G.-C.)  Die  „Ideologen"  im  Haag.  —  usw. 

Korrespondenz  des  Verbandes  für  inter- 
nationale Verständigung  (Würzburg  und 
München).  September.  Einladung  und  Pro- 
gramm des  Verbandes  für  internationale 
Verständigung  zum  II.  Verbandstag  in  Nürn- 
berg vom  4.  bis  6.  Oktober  1913.  —  Pro  f. 
P  i  1  o  t  y  ,  Die  Balkankriege  im  Lichte  der 
internationalen  Verständigung.  —  Prof. 
N  i  p  p  o  1  d  ,  Die  Carnegie-Stiftung.  —  usw. 

Die  Friedensbewegung  (Bern).  Sep- 
tember. Bericht  über  die  Verhandlungen  des 
XX.  Weltfriedenskongresses  im  Haag.  18. 
bis  23.  August  1913.  —  Die  Pazifisten  im 
Haager  Friedenspalast.  —  Albert  Gobat, 
Der   Friedenspalast.    —   usw. 

La  Paix  par  le  Droit  (Paris).  Nr.  17. 
Henri  Lafontaine,  Au  Palais  de  la 
Paix.  —  T  h.  >R  u  (y  s  s  e  n  ,  Le  XX.  Congres 
de  la  Paix.  —  J.  Prudhommeaux, 
L'Inauguration  du  Palais  de  la  Paix.  —  usw. 


The  Arbitrator  (London).  October,  AI 
the  Hague.  —  The  Cremer  Bust  unveileti 
by  Mr.  Carnegie.  —  Conference  of  the  inter- 
parliamentary    Union.    —   usw. 

C  o  n  c  o  r  d  (London).  Aug.—  Sept.  Felix 
Moscheies,   A   i'ew  meliorist   impressions. 

—  John  D.  Fitz  Gerald,  The  reign 
of  Law  in  industrial  and  international  Dis- 
putes.  —  usw. 

The  Peacemaker  (London).  Serptember. 
The  official  Organ  of  the  associated  Councils 
of  churches  in  the  British  and  German  Em- 
pires for  fostering  friendly  relations  between, 
the  two  peoples.  Published  quarterly  by  the 
British  Council.  —  Aus  dem  Inhalt:  „Sitt- 
lichkeit". W.  H.  Dickinson,  Deputation 
of  the  British  Council  to  H.  M.  the  German 
Emperor.  —  Unveiling  of  the  Cremer  Bust 
at  the  Temple  of  Peace  at  the  Ilague.  Speech 
by   Mr.    Andrew   Carnegie.    —   usw. 

Monthly  Circular  of  the  National  Peace 
Council   (London).      September. 

The  Messenger  of  Peace  (Richmond). 
September.  International  Congress  of  Stu- 
dents.  —  The  pnroposed  Gift  of  the  United 
States   to  the  Pälace  of  Peace.  —  usw. 

The  Herald  of Peace  and  Internati- 
onal Arbitration  (London).  September. 
The    Peace    Society    and    the    Peace    Palace. 

—  The  Hague  Peace  Congress.  —  Opening 
of   the   Palace   of   Peace.    —  usw. 

„Vrede  door  Recht"  (Haag).  Sej)t.-Oct. 
Het  XX.  Wereldcongres  voor  den  Vrede.  — 
De  opening  van  het  Vredespaleis.  —  De  XVIII. 
Bijeenkomst  der  Interparlamentaire  Unie.  — 
Bertha  von  Snttner  op  de  Tentoonstelling, 
„De  Vrouw  1813—1913".  —  De  Jong  van 
Beck  enDonk,  De  Congreszittingen  van  het 
XX.  Wereldcongres  voor  den  Vrede.  —  Dr. 
J.  van  der  F 1  i  e  r ,  De  Besluiten  van  de 
XVIII.  Bijeenkomst  der  Interparlementaire 
Unie.  —  G.  M.  W.  Jellinghaus, 
Voortdurende  onzijdigheid.  —  H.  van  der 
M  a  n  d  e  r  e ,  Staatsraad  Mr.  T.  M.   C.  Asser. 

—  usw. 

Fredsfanan        (Stockholm).  September. 

Emil  Larsson,  Gustaf  Janson.  —  Knut 
Sandstedt,  Världsfredskongressen.  —  usw. 

Freds-Bladet  (Kopenhagen).  September. 
Fredspaladset  i  Haag.  —  Johanne  Pe- 
tersen Norup,  Carnegie  og  Fredspaladset. 

—  usw. 


Artikel- Bibliographie.   ::  ::  ::  ::  ::  ::   ::  ::  ::  :: 

I.  Friedensbewegung  im  allge- 
meinen: Oskar  v.  Voigt,  Friede  a u E 
Erden.  „Deutsche  Volkszeitung"  (Hannover). 
5.  X.  *  Dr.  Hans  Wehberg,  Das  Werk 
vom  Haag.  „Zukunft."  13.  IX.  *  Dere. ,  Drei 
Friedensfeste.  „Ethische  Rundschau."  IX.  * 
Oberstleutnant  z.  D.  Hirzel,  Der  Friedens- 
palast im  Haag.  „Allgemeine  Zeitung" 
(München).  6.  IX.  *  Theodor  K  a,  p  p  s  t  e  i  n  , 
Kants  Statue  im  Friedenstempel.  „Weser- 
Zeitung."  9.  IX.  *  Dr.  Pachnicke,  Frie- 
densarbeit. „Vossische  Zeitung."  15.  IX.  * 
Baron  d'Estournelles  de  Constant, 
Ein  französischer  Friedensapostel.  „Berliner 
Tageblatt."  23.  IX.  *  Ludwig  Wagner. 
Gerade  aus !     Eine  ungeschminkte  Antwort,  auf 


399 


DIE  FRIEDENS  -^/AQTE 


G) 


die  neugierige  Frage  des  Uermanikus.  „Pfäl- 
zische Presse"  (Kaiserslautern).  25.  IX.  * 
Der  'Denkfehler  in  Carnegies  Rede.  „Die  Main- 
brücke" (Frankfurt  a.  M.).  27.  IX.  *  Prof. 
Otfried  Nippold,  Die  Carnegie-Stiftung. 
„Wiesbadener  Tageblatt/'  1.  X.  *  Prof. 
\V  a.  1 1  li  e  r  Scliückiug,  Der  Verband  für 
internationale    Verständigung.      „März."      I.    X. 

*  Der  deutsche  Chauvinismus.  „Vorwärts." 
22.  IX.  *  Der  Krieg  im  Lichte  der  christlichen 
Moral.  „Dresdener  Nachrichten."  2.  X.  * 
Der  Krieg  im  Lichte  der  christlichen  Moral. 
„Dresdener  Anzeiger."  2.  X.  *  Die  18.  Kon- 
ferenz der  interparlamentarischen  Union  (3.  bis 
6.  September.  „Kölnische  Zeitung."  9.  IX.  * 
XVIII.  Konferenz  der  Interparlamentarischen 
Union.  „Frankfurter  Zeitung."  9.  IX.  * 
Johannes  Karl  Barolin,  Im  Zeichen 
des   Friedens.     „Per  Zirkel"    (Wien).     21.    IX. 

*  Dr.  Alfred  H.  Fried,  La  presse  au 
service  du  pacifisme.  „Le  Reveil"  (Cherbourg). 
10.  IX.  *  The  Backward  Nation:  Prince  di 
Cassfino,  An  international  Jury  d'Honneur. 
Bester  Burrell  Shippee,  Diff iculties  in 
the  Way.  „The  Independent."  25.  IX.  *  Arnos 
S.  Hershey  ,*The  peace  palace  at  the  Hague. 
„The  Independent."  18.  IX.  *  David  Starr 
Jordan,  The  Suddenness  of  war.  „The  In- 
dependent." 18.  IX.  *  The  federation  of  Stu- 
dents.  „The  Independent."  11.  IX.  *  Herrn. 
Fernau,  Ein  Vorkämpfer  der  Friedens- 
bewegung.    „Der   Weg"   (Charlottenburg).    Okt. 

*  Ein  Appell  an  die  Vernunft.  „Vorwärts." 
9.  X.  *  Internationale  Verständigung.  „Vor- 
wärts." 8.  X.  *  Internationale  Verständigung. 
„Münchener  Neueste  Nachrichten."  6.  X.  * 
Verband  für  internationale  Verständigung. 
„Deutsche  Tageszeitung"  (Berlin).  8.  X.  * 
Ein  lichter  Augenblick  der  Nürnberger  Ver- 
ständigungskonferenz. ,,  Hamburger  Nach- 
richten." 7.  X.  *  Prof.  Dr.  Friedländer, 
Die  Bedeutung  der  Suggestion  im  Völkerleb^n. 
„Frankfurter  Zeitung."  8.  X.  *  Prof.  Dr. 
Ludwig  Stein,  Wilhelm  Ostwald  als  Phi- 
losoph. „Nord  und  Süd."  Okt.  *  Dr.  Alfred 
H.  Fried,  Die  Nürnberger  Tagung  des  Ver- 
bandes für  internationale  Verständigung.  „Pester 
Lloyd."  11.  X.  *  D  e  r  s. ,  Mesothorium  und 
Kriegsrüstungen.    „Der  Morgen"  (Wien).   29.  IX. 

II.  Die  internationale  Politik: 
Hermann  von  R  a  t  h ,  Die  Sittlichkeit  in 
der  Politik.  „Der  Tag"  (illustrierter).  18.  IX. 
*  Dr.  George  W.  Nasmyth,  Auswärtige 
Kulturpolitik  und  die  deutschen  Universitäten. 
„Akademische  Rundschau"  (Leipzig).  VIII.  * 
Die  Zukunft  des  Dreibundes  ,.,  Vossische 
Zeitung."  16.  IX.  *  Berengar,  Neuorientie- 
rungen? „Das  freie  Wort."  Okt.  *  D  r.  C  h. 
W.  Eliot,  Amerikas  Dankesschuld  an 
Deutschland.  „Nord  und  Süd."  Okt.  *  Prof. 
Hugo  Münsterberg,  Deutschland  und 
Amerika.  „Nord  und  Süd."  Okt.  *  Sir 
Francis  Trippel,  Wilhelm  II.  als  Friedens- 
fürst. „Nord  und  Süd."  Okt.  *  Prof.  Karl 
Lamprecht,  Der  Kaiser.  Aus  einer 
Charakteristik  des  deutschen  Kaisers. 
„Vossische  Zeitung."  5.  X.  *  Ein  deutsch- 
französischer Journalistenkongreß.  „Münchener 
Neueste  Nachrichten."  1.  X.  *  Der  Genter 
deutsch  -  französische  Verständigungsversuch. 
„Schwäbischer    Merkur"    (Stuttgart).      30.    IX. 


*  Um  sich  besser  kennen  zu  lernen.  „Kölnische 
Zeitung."  3.  X.  *  Prof.  l>r.  Martin  Faß- 
b  ender,  Gallophobie?  Zugleich  eine  Antwort 
an  Herrn  Prof.  Aulard,  Paris.  .,\)cv  Tag" 
(illustrierter).  .23.  IX.  *  F.  S  c  h  o  1 1  Ix",  i'  er  . 
Der  Glaube  an  den  Krieg.  „Frankfurter 
Zeitung."  13.  IX.  *  Die  Bresche  von  Luxem- 
burg. „Frankfurter  Zeitung."  I.  X.  *  Leon 
Bazalgette,  Europa.  , ,  Frankfurter  Zeitung. " 
5.  X.  *  Balkan  Anai'chy  and  Bulgarian  Bosses. 
„The  Economist."  4.  X.  *  Herbert  Adams 
Gibbons,  After  the  Treaty  of  Buoharest. 
„The    Intependent."      18.    IX. 

III.  Völkerrecht:  Das  Institut  für 
Völkerrecht.      „Frankfurter    Zeitung."      10.    IX. 

*  P  r  o  f .  HeinrichGeffken,  Das  „Luxem- 
burger Loch"  im  Lichte  des  Völkerrechts. 
„Magdeburgische  Zeitung."  4.  X.  *  D  e  r  s. , 
Das  „luxemburgische  Loch"  im  Lichte  des 
Völkerrechts.  „Neue  Vogtl.  Zeitung"  (flauen). 
4.  X.  *  Prof.  Rieh.  Eickhoff,  Die  Ent- 
wicklung des  internationalen  Rechts.  „Der 
Tag"    (illustrierter).      24.   und   26.    IX. 

V.  Wirtschaftliches:  Albert 
Thomas,  Die  dreijährige  Dienstzeit  und  die 
französische  Volkswirtschaft.     „Mä.rz."    27.   IX. 

*  Max  S'chippel,  Abrüstung,  Miliz  und 
Heeresreformen.  „Sozialistische  Monatshefte." 
13.  IX.  *  Bewaffnete  Handelsschiffe  in  Frieden 
und  Krieg,  „Vossische  Zeitung."  24.  IX.  * 
Generalmajor  a.  D.  Karl  Bahn,  Die  Ent- 
wicklung der  Luftfahrzeuge  zum  Kriegsmittel. 
„Internationale  Monatsschrift  für  Wissenschaft, 
Kunst  und  Technik."  Okt.  *  Deutschlands 
Reichtum.      „Frankfurter    Zeitung."      2.    X 


SMITTEIL\/N6EN  DEBS 
FRIEOENSßESEUSCHAFTEM 

(Verantwortlich   für   den   Inhalt   dieser   Rubrik  ist  nioht   die 
Schriftleitung,   sondern  die  betreffende  Friedensgesellschaft.) 

Mitteilungen  der  Oesterreichischen 
Friedensgesellschaft, 

Bnreau:  Wien  I,  Spiegelgasse  4. 

Friedenslotterie. 
Unserer  Gesellschaft  wurde  abermals  die  Ab- 
haltung einer  Lotterie  bewilligt,  deren  Reinerträgnis 
zur  Stärkung  des  Propagandafonds  dienen  soll. 
Wir  werden  in  der  nächsten  Nummer  über  die 
weiteren  Einzelheiten  berichten. 
MB 
Schule  und  Friedensbewegung. 
Am  27.  v.  M.  wurde  in  Plan  (Böhmen)  eine 
Bezirkslehrerversammlung  abgehalten,  bei  der  unser 
Mitglied  Lehrer  Franz  Würl  einen  Vortrag  über 
„Schule  und  Friedensbewegung"  hielt.  Er  be- 
leuchtete die  Kulturschädlichkeit  $  des 1  Krieges, 
zeigte  dessen  oft  nichtige  Ursachen  und  wies 
zahlenmäßig  nach,  wie  die  Volkswohlfahrt  unter 
der  Last  des  bewaffneten  Friedens  leide.  Ferner 
gab  er  eine  kurze  Uebersicht  über  die  Organisation 
der  Friedensbewegung  und  forderte  die  Ver- 
sammelten auf,  in  der  Schule  sowie  im  Volke  für 
den  Frieden  zu  wirken.  Dem  Redner  wurde  für 
seinen    gediegenen  Vortrag   reicher  Beifall  zuteil. 


Verantwortl.  Redakteur:    Carl    Appold,    Berlin  "W.  50.  —    [m  Selbstverlag  des  Herausgebers   Dr.  AHred  H.  Fried,  Wien  IX/2. 
Druck:   Paß  &  Garleb  G.m.b.H.,  Berlin  "W.  57.  —  Verantwortl.  Redakteur  für  Oesterreicti-TJngarn :  Vinzens  Jerabek  iu  Wien 


400 


November  1913. 


Verständigung  ohne  „Preisgabe  der  Idee". 


Zwei  deutsche  Fürstenhäuser,  die  durch 
die  Entscheidung  des  Krieges  fast  ein 
halbes  Jahrhundert  lang  in  Feindseligkeit 
lebten,  haben  sich  ausgesöhnt.  .Was  vor 
wenigen  Monaten  noch  für  unmöglich  ge- 
halten wurde,  konnte  sich  erfüllen.  Der 
Weifenherzog  konnte  den  seinem  Hause  seit 
27  Jahren  vorenthaltenen  Thron  besteigen, 
ohne  vorerst  jene  Bedingungen  erfüllt  zu 
haben,  die  man  die  Jahrzehnte  hindurch  als 
Voraussetzung  für  die  Uebernahme  der  Re- 
gierung im  Herzogtum  Braunschweig  be- 
zeichnet hat.  Per  direkte  Verzicht  auf 
Hannover  erfolgte  nicht.  Die  Zeit,  die  über 
die  Ereignisse  von  1866  hingegangen  ist,  hat 
es  ermöglicht,  daß  der  Bestand  der  Dinge 
durch  einen  ihnen  anscheinend  entgegen- 
stehenden Grundsatz  nicht  mehr  erschüttert 
werden  kann. 

Das  ist  ein  Ereignis  von  hoher  Trag- 
weite für  die  Technik  des  Weltfriedens. 
Zeigt  es  doch,  daß  alte,  unversöhnlich 
scheinende  Gegensätze  auch  in  der  Politik 
auf  friedlichem  Wege  auszugleichen  sind, 
wenn  man  sich  dazu  entschließt,  sich  über 
Formen  hinwegzusetzen,  die  äußerlich  noch  , 
drohend  erscheinen,  durch  das  Wirken  der 
Zeit  aber  ihres  Inhalts  beraubt  wurden. 
Solche  Formen  können  oftmals  nicht  aufge- 
geben oder  nur  gewandelt  werden,  weil  sich 
in  ihnen  Grundsätze,  Ueberlieferungen,  Ehr- 
begriffe und  ähnliche  Unwägbarkeiten  ver- 
dichten, die  mit  dem  Sein  von  ganzen 
Generationen  auf  das  innigste  verwachsen 
sind.  Sie  sind  es,  die  gerade  bei  ernsten  Kon- 
flikten der  Aussöhnung  und  Verständigung 
unüberwindlich  scheinende  Hindernisse  ent- 
gegenstellen. In  dem  Konflikte  zwischen 
Weifen  und  Hohenzollera  hat  es  sich  ge- 
zeigt, daß  man  zur  Verständigung  gelangen 
kann,  indem  man  über  jene  Hindernisse  ein- 
fach hinwegschreitet  und  ihre  völlige  Er- 
ledigung weiter  dem  Wirken  der  Zeit  über- 
läßt. 


Der  konservative  Politiker  Prof.  Del- 
brück, der  seine  Weltanschauung  auf  ge- 
schichtlicher Erkenntnis  aufbaut,  hat  für  die 
Unterlassung  eines  formellen  Verzichtes  auf 
Hannover  seitens  des  jungen!  Welfenherzogs 
eine  Rechtfertigung  gefunden.  Er  bezeich- 
net es  als  unmöglich,  daß  der  Sohn  den 
„mystischen  Begriff  des  angeborenen 
Königsrechts",  der  den  Großvater  be- 
reits erfüllt  hatte  und  dem  der  Vater 
das  Martyrium  seines  Lebens  dargebracht 
hat,  einfach  verleugnen  konnte.  Die  Rück- 
sicht auf  die  treue  Anhängerschaft  in  Han- 
nover, die  für  den  jungen  Herzog  eine  Ehren- 
pflicht gewesen  sei,  die  Rücksicht  auf 
Männer,  denen  das  Opfer,  das  die  histori- 
sche Entwicklung  ihnen  auferlegt  hat, 
unendlich  schwer  geworden  ist,  und  von 
denen  noch  heute  viele  unter  uns  leben,  dies 
alles  läßt  er  als  ausreichende  Erklärung  für 
die  Unterlassung  des  formellen  Verzichts 
gelten.  „Der  Erbe"  —  so  schreibt  Delbrück 
in  den  „Preußischen  Jahrbüchern"  — ,  „dem 
all  dieser  Idealismus  gewidmet  war,  kann 
wohl  auf  die  praktische  Verwirklichung  der 
Restaurationspläne  verzichten,  aber  die 
Preisgabe  der  Idee  kann  ihm  nicht  zu- 
gemutet .werden."  Sollte  in  dieser  die 
Schwerkraft  der  Unwägbarkeiten  richtig 
einschätzenden  Rechtfertigung  laicht  auch 
ein  Schlüssel  für  die  Ueberwindung  zwischen- 
staatlicher Gegensätze,  nicht  ein  Weg  auch1 
für  die  fernere  Gestaltung  des  deutsch-fran- 
zösischen Verhältnisses  zu  finden  sein? Sollte 
nicht,  was  den  Fürsten  recht  war,  den 
beiden  großen  Völkern  billig1  sein  können? 
Wie  wäre  es,  wenn  Deutschland  von  Frank- 
reich „die  Preisgabe  der  Idee"  nicht  mehr 
fordern  und  beide  Staaten  entschlossen  da- 
nach trachten  würden,  nach'  dem  Muster  von 
Weifen  und  Hohenzollern  über  das  direkte 
Hindernis  hinweg  zu  einem  vernünftigen 
Verhältnis  zu  gelangen,  das  ihnen  in  wirt- 
schaftlicher und  kultureller  Beziehung"  un- 


401 


DIEFßlEDENS-^ARTE  = 


3 


eingeschränkte    Zusammenarbeit    gestatten 
würde. 

Man  Iweüde  mir  nicht  ein,  daß  eine 
solche,  die  Zusammenarbeit  ermöglichende 
Aussöhnung  undurchführbar  ist,  so  lange 
bei  den  Franzosen  gerade  jene  nicht  preis- 
zugebende „Idee"  darauf  hinausgeht, 
deutsche  Gebietsteile,  die  ehedem  fran- 
zösisch ;waren,  ihrem  Staate  wieder  einzu- 
fügen, und  so  lange  der  Gedanke  an  eine 
gewaltsame  Wiederherstellung  des  früheren 
Standes  der  J)jjige  jenseits1  der  Vogesen 
nicht  erloschen  ist.  So  liegen  ja  die  Dinge 
doch  nicht  mehr.  Frankreich  als  Ganzes  ge- 
nommen, nicht  als  ein  unter  besonderen  po- 
litischen Einflüssen  stehendes  Segment, 
Frankreich  nicht  nach  den  Bewegungen  be- 
urteilt, die  gerade  der  Tag  mit  sich  bringt, 
sondern,  zusammenfassend  betrachtet,  niach 
seiner  42  Jahre  hindurch  beobachteten  Wäh- 
rung des  Friedens,  hat,  ebenso  wie  Dielbrück 
es  richtig  von  demj  Weifenprinzen  voraus- 
setzt, „auf  die  praktische  Verwirklichung 
der  Restaurationspläne"  seit  langem  ver- 
zichtet. Nicht  auf  die  Idee;  wohl  aber  auf 
ihre  Verwirklichung  durch  die  Gewalt.  Wer 
die  letzten  zehn  bis  fünfzehn  Jahre  des  fran- 
zösischen öffentlichen  Lebens  in  Presse,  Li- 
teratur und  im  Parlament  verfolgt  hat,  wird 
dies  nicht  bestreiten  können.  Von  jedem 
ernsthaften  französischen  Politiker  wird  es 
unumwunden  ausgesprochen,  daß  man  an 
eine  kriegerische  Lösung  des  Konfliktes 
nicht  mehr  denkt,  nicht  denken  kann;  weil 
man  mittlerweile  erkannt  hat,  daß  ein  Krieg 
im  modernen  Europa,  selbst  wenn  er  sieg- 
reich wäre,  in  solchem!  Konflikte  keine 
Lösung,  höchstens  eine  Verschiebung  brin- 
gen würde.  Diese  Anschauung  haben  42 
Jahre  deutsch-französischer  Geschichte  und 
letzten  Endes  die  Entwicklung  der  Dinge 
in  Elsaß-Lothringen  selbst  bestätigt. 

Wenn  die  Haltung  Frankreichs  Deutsch- 
land gegenüber  noch  immer  gegnerisch  ist, 
wean  der  Rüstungswettbewerb  zwischen 
beiden  Staaten  auf  der  französischen  Seite 
den  Anschein  erweckt,  als  rechnete  man 
dort  doch  noch  mit  einer  gewaltsamen 
Restauration,  so  liegt  dieser  Anschauung 
eine  Verkennung  der  wirklichen  Ursachen 
zugrunde.  Die  Gegnerschaft  zwischen  den 
beiden  Völkern  ist  nämlich  geblieben  und 
nährt  sich  dauernd  aus  den  wechselseitigen 
gegnerischen  Handlungen,  während  die  Ur- 
sache der  Gegnerschaft  schon  längst  durch 
den  Einfluß  der  Zeit  stark  verblaßt  ist. 
Wie  das  Licht  mancher  Sterne  Jahrtausende 
braucht,   bis  es   unseren   Planeten  erreicht, 


402 


so  daß  es  vorkommen  kann,  daß  unser  Auge 
das  glänzende  Funkeln  ferner  Welten  erst 
wahrnimmt,  wenn  diese  schon  längst  er- 
loschen sein  mögen,  so  wirkt  die  längst  in 
ihrer  Wirklichkeit  abgeschwächte  Ursache 
jener  Gegnerschaft  noch  immer  auf  das 
heutige  deutsch-französische  Verhältnis  ein, 
wo  durch  den  unversöhnlichen  Schein  und 
nicht  mehr  durch  das  reale  Sein  der  Dingo 
das  Schicksal  zweier  Völker  bestimmt  wird. 
Jahrzehntelang  hat  man  sich  auf  bei- 
den Seiten  der  Vogesen  die  Köpfe  darüber 
zerbrochen,  wie  es  möglich  wäre,  die 
trennende  Kernfrage  zwischen  den  beiden 
Völkern  zu  lösen,  um  zu  einer  Arbeitsge- 
meinschaft zu  gelangen.  Schon  vor  zwan- 
zig Jahren  habe  ich  meiner  Schrift  über 
„Elsaß-Lothringen  und  der  Krieg"  ein  Wort 
Renans  als  Motto  vorangesetzt,  das  da 
lautet:  „Wie  viele  Fragen  der  Geschichte 
des  armen,  Menschengeschlechts  wollen  da- 
durch gelöst  sein,  daß  man  sie  nicht  löst. 
Nach  Verlauf  von  etlichen  Jahren  ist  man 
ganz  überrascht,  daß  die  Frage  gar  nicht 
mehr  vorhanden  ist."  Meine  Ueberzeugung 
Ivon  der  Richtigkeit  dieses  Satzes  hat  sich 
in  den  Jahrzehnten  nicht  geändert.  Sie  ist 
durch  die  Entwicklung,  die  die  Dinge 
zwischen  Frankreich  und  Deutschland  ge- 
nommen haben,  nur  gestärkt  worden.  Sie 
hat  sich  in  der  Weifenfrage  neuerdings  als 
wahr  erwiesen.  Die  trennende  Frage  steht 
Zwar  noch  immer  zwischen  Deutschland  und 
Frankreich,  aber  die  Zeit  hat  sichtlich  ihr 
Wesen  geändert,  und  wahrscheinlich  wäre 
sie  überhaupt  schon  ganz  verschwunden, 
wenn  man  nicht  auf  beiden  Seiten  den 
Fehler  begangen  hätte,  sie  —  jeder  Staat) 
in  seiner  Art  —  „lösen"  zu  wollen.  Das 
•  Programm  der  Zukunft  muß  darin  be- 
stehen, jenen  Fehler  zu  vermeiden.  Man 
muß  aufhören,  dem  konkreten  Streit  direkt 
zu  Leibe  gehen'  zu  wollen.  Solange  dies 
nicht  geschieht,  kommen  wir  aus  dem  fehler^ 
haften  Zirkel  nicht  heraus.  Es  ist  nicht 
möglich,  über  einen  Konflikt  hinwegzu- 
kommen, solange  die  feindselige  Gegner- 
schaft besteht,  die  aus  jenem  Konflikt 
hervorgegangen  ist,  und  solange  diese 
Gegnerschaft  aus  den  täglichen  Rei- 
bereien heraus  sich  fortwährend  er- 
neuert. Der  konkrete  Konflikt  wird  sich 
ganz  von  selbst  lösen,  wenn  man  über  ihn 
hinweg  zu  der  oben  bereits  angedeuteten 
Zusammenarbeit  auf  wirtschaftlichem  und 
kulturellem  Gebiete  gelangt.  Die  Atmo- 
sphäre der  Verständigung,  die  aus  solcher 
Gemeinschaft   entstehen  muß,   wird  selbst- 


<§: 


DIE  FRI EDENS -^^ÄßJE 


tätig  zu  jener  seit  Jahrzehnten  vergeblich, 
gesuchten  Lösung  führen.  In  der  An- 
bahnung dieser  Zusammenarbeit  soll  für 
Frankreich  kein  Verzicht,  für  Deutschland 
kein  Zurückweichen  enthalten  sein.  Aber 
es  wäre  unklug,  nicht  die  Hoffnung  ausi- 
zusprechen,  daß  eine  Lösung  sich  dann  auf! 
ganz  andere  ,Weise  wird  vollziehen  können, 
als  man  sie  sich  heute  im  Stadium  der 
akuten  Gegensätzlichkeit  vorzustellen  ver- 
mag. Höchstwahrscheinlich  werden  sich  im! 
Laufe  einer  solchen  Kulturgemeinschaft 
ganz  neue  Begriffe  einstellen,  und  nicht 
mehr  um  den  Besitz,  der  Provinzen  wird  es 
sich  dann  handeln,  sondern  um  ein  ganz 
neues  Verhältnis,  in  dem  das  historisch  Gen 
Wordene  mit  dem  historisch  Gewesenen  sich 
ausgleichen  wird.  So  wie  Alfred  Wolf,  der 
treu  zum  Reiche  haltende  Elsässer,  kürz- 
lich in  der  „Hilfe"  anerkennend  die  Gefühle- 
der  Dankbarkeit  hervorhob,  die  die  Elsaßr 
Lothringer  ihrem  alten  Vaterlande  gegen- 
über hegen  und  mit  riecht  betonte,  „es  wäre 
schlimm,  wenn  es  anders  wäre",  so  wird 
man  alsdann  anch  anfangen,  die  Gefühle 
der  Anhänglichkeit  Frankreichs  den  Pro- 
vinzen gegenüber  als  etwas  Selbstverständ- 
liches zu  betrachten,  wenn  die  Art  ihrer 
Aeußerung  den  feindlichen  Stachel  verloren 
haben  wird,  ,der  Ihr  heute  noch  anhängt. 
Es  werden  sich  Wechselbeziehungen  ent- 
wickeln, die  aus  dem  Hindernis  das  bisher 
längst  aber  vergeblich  erwünschte  Verbinr 
dungsmittel  machen  werden.  Es  muß  so 
kommen,  weil  es  ja  zum  Teile  schon  so  ist. 
Die  beiden  .Völker  sind  ja  heute  schon  durch 
Elsaß-Lothringen  verbunden.  Sie  kommen 
nicht  darüber  hinweg,  sie  können  nicht  da- 
von los.  Es  handelt  sich  gar  nicht  mehr 
um  die  Befreiung  der  beiden  Provinzen, 
sondern  um  die  Befreiung  der  beiden 
Staaten,  die  sich  unter  der  Diktatur  dieser* 
Provinzen  befinden.  Es  handelt  sich  darum, 
Deutschland  und  Frankreich,  die  heute  die 
Vasallen  von  Elsaß  -  Lothringen  sind,  frei- 
zumachen, von  dieser  Hörigkeit  und  Zwangs- 
verbindung, die  Ketten,  die  sie  heute  an- 
einander schmieden,  zu  einem  freien  Bunti, 
umzugestalten. 

Dies  kann  geschehen,  wenn  die  heil- 
same Lehre  erfaßt  wird,  die  die  Lösung 
des  Weifenkonfliktes  bietet.  Daß  es  mög- 
lich war,  alten  Zwiespalt  zu  überbrücken 
ohne  Gewalt  und  durch  Verzicht  auf  ein 
Beharren  auf  Bedingungen,  die  so  lange  die 
Verständigung  verhindert  haben,  läßt  uns 
hoffen,  daß  auch  für  Frankreich  und 
.Deutschland  die  Stunde  schlagen  wird,  die 


die  lange  Trennung  zum  Heile  beider 
Länder,  zum  Heile  ganz  Europas  über- 
winden wird.  Und  wir  können  das  Heran- 
nahen dieser  Stunde  beschleunigen,  wenn 
wir  es  aufgeben  wollen,  von  einer  Lösung 
des  konkreten  Konfliktes  zur  Verständi- 
gung zu  gelangen,  vielmehr  den  Weg  ein- 
schlagen, der  durch  eine  vorhergehende  Ver- 
ständigung zur  allmählichen  Beseitigung  des 
ursprünglichen  Streitgegenstandes  führen 
wird.  Und  eine  solche  vorhergehende  Ver- 
ständigung ist  möglich,  wenn  man  sich  zu- 
nächst auf  ein  kulturelles  Zusammenwirken 
beschränkt  und  auf  beiden  Seiten  Rück- 
sicht nimmt  auf  begreifliche  Gefühle,  deren' 
Preisgabe  oder  Revision  man  sich  hütet  zur 
Voraussetzung  zu  machen.  A.  H.  F. 

Deutschland;   England   und  die 
Vereinigten  Staaten. 

Von  Edwin  D.   Mead, 
Direktor  der  ,, World  Peace  Foundation" 
in    Boston    (Mass.). 

Am  15,  Juni  feierten  Deutschland  und  die 
ganze  Welt  das  25  jährige  Regierungsjubiläum 
des  deutschen  Kaisers.  Ueberall,  und  nir- 
gends mehr  als  in  Amerika,  wurde  seiner 
großen  Verdienste  um  Deutschland,  um  die 
Zivilisation  im  allgemeinen  und  hauptsächlich 
seiner  Verdienste  um  den  Weltfrieden  gedacht. 
„Die  geschichtliche  Wahrheit  fordert  die  Fest- 
stellung", schrieb  kürzlich  der  frühere  Prä- 
sident Taft,  daß  im  Hinblick  auf  die  wichtige 
Stellung,  die  der  Kaiser  zwischen  den  Nationen 
einnimmt,  er  im  letzten  Vierteljahrhundert  die 
einzige  und  mächtigste  Kraft  zur  Erhaltung  des 
Friedens  war."  „Der  einzige  Mensch  außer- 
halb unseres  Landes",  sagte  Roosevelt,  „der 
mich  beim'  Abschluß  des  Friedens  von  Ports- 
mouth  unterstützte,  war  Seine  Majestät  Wil- 
helm II.  Von  keiner  anderen  Nation  erhielt 
ich  irgendeine!  Hilfe,  nur  der  Kaiser  half  mir 
persönlich  und  durch  seinen  Gesandten  in 
St.  Petersburg,  Rußland  zu  veranlassen,  die 
vollzogene  Tatsache  anzuerkennen  und  zu  einer 
Verständigung  mit  Japan  zu  gelangen." 

Der  Kaiser  wird  allgemein  als  der  „War 
Lord"  angesehen,  aber  es  ist  Tatsache,  daß 
keine  andere  große  Nation  so  ehrlich  den 
Frieden  hielt,  als  Deutschland,  nicht  nur 
während  der  letzten  25  Jahre,  sondern  wäh- 
rend mehr  als  40  Jahren;  seit  dem  deutsch- 
französischen Krieg.  Es  wird  ihm  oft  eine 
zu  große  Armee  und  eine  zu  starke  Ent- 
faltung seiner  Flotte  zum  Vorwurf  gemacht, 
und  doch  gibt  es  kein  Land  in  Europa,  das 
durch  seine  Lage  und  seine  Verbindungen  mit 
den  großen  angrenzenden  Mächten  mehr  Be- 
rechtigung für;  seine  großen  Rüstungen  hätte. 
Während  dieser  ganzen  Zeit  haben  seine  Rü- 
stungen   nur   der    Verteidigung   gedient.     Die 


403 


DIE  FßlEDEN5-^/ARTE 


3 


anderen  Großmächte  hatten  in  der  Zwischen- 
zeit Krieg  geführt,  Großbritannien  und  die 
Vereinigten  Staaten  furchtbare  und  blutige 
Kriege  im  Transvaal  und  in  den  Philippinen. 
Deutschland  allein  hielt,  ausgenommen  die  un- 
bedeutenden Zusammenstöße  mit  den  Ein- 
geborenen in  Westafrika,  den  Frieden  auf- 
recht. Daran  muß  erinnert  werden,  zu 
Deutschlands  und'  seines  Kaisers  Ruhm. 

Eine  gewisse  Verstimmung  herrschte 
längere  Zeit  zwischen  Deutschland  und  Eng- 
land, für  die  nicht  hauptsächlich  Deutschland 
verantwortlich  gemacht  werden  kann.  Glück- 
licherweise scheint  diese  Verstimmung  zurzeit 
im  Schwinden  begriffen.  Staatsmänner  und 
Männer  der  Volkswirtschaft  kamen  beider- 
seits überein,  daß  eine  Feindseligkeit  sinnlos 
und  wertlos  sei,  daß  ein  Krieg  furchtbar  wäre, 
und  daß  der  Wohlstand  des  einen  Landes 
das  Gedeihen  des  anderen  fördert.  Die  Ver- 
einigten Staaten  sind  im  Begriff,  die  Feier 
des  hundertjährigen  Friedens  mit  Groß- 
britannien festlich  zu  begehen.  Zwischen  ihnen 
und  Deutschland  herrschte  stets  Frieden. 
Dies  ist]  jetzt  eine  günstige  Zeit,  die  Wirkung 
auf  den  Weltfrieden  durch  ein  gemeinsames 
Zusammengehen  dieser  drei  großen  teuto- 
nischen Völker  ins  Auge  zu  fassen,  wenn  sie 
darin  übereinkommen,  die  Führerschaft,  die 
durch  die  Interessen  der  Zivilisation  in  diesem 
wichtigen  Augenblick  verlangt  wird,  zu  über- 
nehmen. 

Gleich  nach  Erstehen  der  amerikanischen 
Republik  veröffentlichte  Immanuel  Kant,  der 
größte  deutsche  und  gegenwärtigste  Philo- 
soph, sein  berühmtes  Traktat  über  „den  ewigen 
Frieden".  Dies  war  gewissermaßen  die  be- 
merkenswerteste Prophezeiung  und  das  aus- 
gezeichnetste Programm,  das  je  in  bezug  auf 
eine  organisierte  und  friedliche  Welt  gemacht 
wurde.  Es  wurde  im  Jahre  1795  veröffent- 
licht, während  der  Regierung  Washingtons, 
während  der  französischen  Revolution,  und 
einige  Jahre  nach  der  amerikanischen  Revolu- 
tion, deren  Erfolg  Kant  eine  so  große  Be- 
friedigung gewährte  und  deren  Prinzipien  seine 
Sympathie  hatten.  In  seinem  Traktat  identi- 
fiziert er  kühn  die  Sache  des  Friedens  mit 
der  Sache  der  Selbstregierung,  und  er  scheint 
die  neue  amerikanische  Republik  im  Auge  zu 
haben,  wenn  er  schreibt:  „Denn  wenn  das 
Glück  es  so  fügt,  daß  ein  mächtiges  und  auf- 
geklärtes Volk  sich  zu  einer  Republik,  die  ihrer 
Natur  nach'  zum  ewigen  Frieden  geneigt  sein 
muß,  bilden  kann,  so  gibt  diese  einen  Mittel- 
punkt der  föderativen  Vereinigung  für  andere 
Staaten  ab,  um  sich  an  sie  anzuschließen  und 
so  den  Freiheitszustand  der  Staaten,  gemäß 
der  Idee  des  Völkerrechts,  zu  sichern,  und 
sich  durch  mehrere  Verbindungen  dieser  Art 
nach  und  nach  immer  weiter  auszubreiten." 
Wie  er  der  Ansicht  war,  daß  die  erste  Be- 
dingung für  einen  allgemeinen  Frieden  in 
dem  Vorherrschen  von  Selbstregierungen  in 
der   Welt  sei;   es   schien   ihm   dazu   der  Weg 


in  der  Öffentlichkeit  der  Politik  zu  liegen. 
Deshalb  tadelte  er  die  geheimen  Verträge 
ebenso  scharf,  wie  die  Fried  enspartei  in  Frank- 
reich es  mit  so  großem  Recht  in  diesem  Jahr 
getan  hat. 

Immanuel  Kant  war  nicht  der  einzige  aus- 
gezeichnete Deutsche,  dessen  Sympathien  wir 
uns  während  unserer  Revolution  erfreuten. 
Die  Bewunderung  Friedrichs  für  Washington 
ist  bekannt.  Hessische  Soldaten  waren  gemie- 
tet, um  gegen  uns  zu  kämpfen,  —  das  war  die 
Zeit  der  Söldnerheere  —  aber  Steuben  und 
De  Kalb  kamen  uns  freiwillig  zu  Hilfe  und 
leisteten  uns  hervorragende  Dienste.  Wenn 
einem  allgemeinen  Frieden  Selbstregierungen 
vorangehen  müssen,!  dann  war  es  angebracht, 
daß  die  Amerikaner  sich  bei  der  Einweihung 
des  Steubendenkmales  im  Jahre  1911  durch 
Richard  Bartholdt,'  dem  Vorkämpfer  des  Frie- 
dens, dem  Präsidenten  der  amerikanischen 
interparlamentarischen  Gruppe,  vertreten 
ließen. 

Wenn  wir  an  die  Deutschen  denken,  deren 
Sympathien  mit  uns  waren,  und  die  mit  uns 
für  unsere  Unabhängigkeit  kämpften,  dürfen 
wir  auch  nicht  vergessen,  daß  unsere 
Landkarte  eine  ganze  Reihe  Städte  besitzt, 
wie  Chatham,  Pittsfield,  Foxboro,  Gonway, 
Grafton,  Wilkes,  Barre,  deren  Namen  Denk- 
mäler für  große  englische  Männer  bilden,  die 
mit  uns,  ebenso  tapfer  im  Parlament  gefochten 
haben,  als  unsere  Väter  bei  Bunker  Hill  und 
Trenton  kämpften: 

Das  germanische  Element  war  schon  zur 
Zeit  der  Revolution  sehr  groß  in  den  Vereinig- 
ten Staaten.  Es  wurde  dann  immer  größer 
und  war  eine  Zeitlang  das  zweitgrößte  Element 
unserer  Bevölkerung.'  Wenn  Professor  Fausts 
Statistik  richtig  ist  („The  German  Element 
in  the  Uni,ted  States",  S.  27),  dann  waren  von 
unserer  Gesamtbevölkerung  (67  000  000)  im 
Jahre  1900  20  000  000  Engländer,  18000  000 
Deutsche,  14  000  000  Schotten  und  Irländer, 
der  Rest  andere  nationale  Stämme.  Da  bei  der 
letzten  Zählung  die  Zahl  größer  war,  ist  eine 
wesentliche  Aenderung  in  den  Zahlen  der 
deutschen  und)  englischen  Abkömmlinge  nicht 
anzunehmen.  Es  wird  manchen  überraschen, 
zu  erfahren,'  daß  die  Anzahl  der  Amerikaner, 
deren  Ursprung  im  englischen  Mutterland 
liegt,  nicht  viel  größer  ist  als  jener,  die  aus 
dem  deutschen  „Vaterland"  stammen.  Es 
eibt  Staaten,  wie  Wisconsin,  wo  zwei  Drittel 
der  Bevölkerung  deutschen  Ursprungs  sind, 
und  große  Städte,  wie  Milwaukee,  St.  Louis, 
Chicago,  in  denen  mehr  Deutsche  als  Eng- 
länder wohnen.  New  York  selbst  ist  die  fünft- 
größte deutsche  Stadt  der  Welt.  Drei  Fünf- 
tel unserer  Gesamtbevölkerung,  und  zwar  die 
am  meisten  ins  Gewicht  fallenden,  sind  eng- 
lisch und  deutsch.  Die  Vereinigten  Staaten 
sind  daher  im  wesentlichen  eine  teutonische 
Nation. 

Was  Deutsch-Amerikaner  in  unserem  Bür- 
gerkrieg auf  politischen,  literarischen,  journa- 


404 


<§= 


=  DIE  FRIEDENS-^M&RXE 


listischen,  musikalischen,  erzieherischen  Gebie- 
ten unseres  amerikanischen  Lebens  geleistet 
haben,  ist  so  bedeutend,  daß  es  töricht  wäre, 
einzelne  Deutsche  lobend  zu  erwähnen.  Doch 
sind  uns  gerade  jetzt  durch  wirkungsvolle  Ge- 
dächtnisfeiern zwei  ausgezeichnete  Namen 
nachdrücklich  in  Erinnerung  gebracht  worden. 
Im  April  widmete  Senator  Root  seine  Präsiden- 
tenrede auf  der  Jahresversammlung  unserer 
American  Society  of  international  Law  den 
bahnbrechenden  Diensten  von  Francis  Lieber, 
dessen  berühmtes  Gesetzbuch  zur  Kriegs- 
reglementierung, das  auf  Veranlassung  un- 
serer Regierung  während  unseres  Bürgerkrie- 
ges vorbereitet  und  an  einem  Apriltag  im  Jahre 
1863  verkündet  wurde,  gerade  50  Jahre  vor 
Senator  Roots  Erinnerungsrede.  Dieses  hu- 
mane und  immerhin  revolutionäre  Gesetzbuch 
war  zu  jener  Zeit  epochemachend;  und  es 
war  so  vollkommen,  daß,  als  ein  Zeitalter  spä- 
ter, die  erste  Haager  Konferenz  sich  mit  dieser 
Frage  beschäftigte,  die  von  ihr  angenommenen 
Kriegsgesetze  nicht  viel  mehr  als  eine  Wieder- 
holung und  Ergänzung  des  denkwürdigen  Ge- 
setzbuches von  Lieber  waren.  Während  seiner 
Studentenjahre  in  Berlin  wurde  Lieber  wegen 
seiner  Freiheitsgesänge  ins  Gefängnis  ge- 
worfen; er  focht  wie  Byron  für  die  Freiheit 
der  Griechen,  und  für  die  Freiheit  kam  er  nach 
Amerika,  wo  er  in  Boston  seine  berühmte 
Laufbahn  begann,  die  identifiziert  werden  kann 
mit  dem  South  Carolina  College  und  mit  dem 
Columbia  College  in  New  York,  wo  er  auch 
sein  berühmtes  „Code  of  war  for  the  Go- 
vernment and  the  Armies  of  the  United  States 
in    the    Field"    vorbereitete. 

Im  Mai,  wurde  in  New  York,  Morningside 
Heights,  zu  gleicher  Zeit,  als  diese  Stadt  die 
britische  Delegation  zur  Erinnerungsfeier  des 
hundertjährigen  Friedens  bewillkommnete, 
nicht  weit  von  der  Columbia  Universität,  die 
mit  L  i  e  b  e  r  s  Gesetzbuch  so  unvergleichlich 
zusammenhängt,  ein  Denkmal  für  Karl 
Schurz  enthüllt,  der  gleich  Lieber  seine  Frei- 
heitsliebe mit)  dem  Gefängnis  gebüßt  hat,  der 
Freiheit  wegen  nach  den  Vereinigten  Staaten 
gekommen  war  und  hier  seine  Laufbahn  als 
Journalist,  Soldat  und  Staatsmann  begann,  eine 
Laufbahn,  die  den  stolzesten  Besitz  der  letz- 
ten Generation  bildet.  Er  trat  für  die  höchsten 
Ideale  in  unserem  öffentlichen  Leben  ein. 
„Wir  müssen  die  Sterne  herunterholen  wol- 
len," antwortete  er  auf  die  Frage,  warum  er 
um  Ideale  kämpfe,  die  so  entfernt  wie  die 
Sterne  wären.  Er  liebte  die  Freiheit  und  die 
Menschen  und  diesen  beiden  Leidenschaften 
wurde  bei  der  Gedächtnisfeier  gedacht.  Dem 
höchsten  deutschen  Idealismus  immer  ergeben, 
forderte  er  auch  vom  amerikanischen  Bürger 
das  Höchste,  und  er  hielt  es  für  die  vornehm- 
ste Pflicht,  seines  zweiten  Vaterlandes,  allen 
anderen  Nationen  voranzugehen  auf  dem 
Wege  zur  internationalen  Gerechtigkeit  und 
zum  Frieden  als  Ersatz  des  veralteten  Kriegs- 
systems.   Auf  der  im  Jahre  1896  in  Washing- 


ton abgehaltenen  Konferenz  für  Schiedsge- 
richtsbarkeit war  er  es,  der  am  beredtsten  und 
eindrucksvollsten  sprach.  „Als  amerikanischer 
Bürger,"  sagte  er,  „kann  mich  diese  edle  Frie- 
densmission meines  Landes  nur  mit  Stolz  er- 
füllen; und  ich  muß  gestehen,  daß  es  mir 
wie  ein  Angriff  auf  die  Würde  dieser  Re- 
publik erscheint,  wenn  ich  höre,  daß  Ameri- 
kaner diese  Friedensmission  als  von  unter- 
geordnetem Interesse  für  die  Vereinigten  Staa- 
ten zurückweisen  und  für  den  Schutz  dieses 
Landes  oder  für  die  Vorbereitung  zu  kriege- 
rischen Aktionen  eine  Durchdringung  des  Vol- 
kes   mit    kriegerischem    Geist    verlangen." 

Die  Verpflichtungen  unserer  Studenten- 
schaft gegenüber  den  Universitäten  in 
Deutschland  sind  unberechenbar.  Der  erste 
Amerikaner,  der  eine  deutsche  Universität 
besuchte,  war  Benjamin  Franklin, 
der  dazu  durch  die  genaue  Uebereinstim- 
mung  zwischen  den  Gründern  der  Republik, 
die  beständig  und  mit  Nachdruck  das  Kriegs- 
system anklagten,  veranlaßt  wurde.  Im  Jahre 
1766  wohnte  Franklin  einer  Versammlung 
der  königlichen  Gesellschaft  für  Wissenschaft 
von  Göttingen,  der  damals  erst  seit  einem 
Zeitalter  bestehenden  Universität,  bei,  und' 
nach  Göttingen  kam,  ein  halbes  Jahrhundert 
später,  die  erste  berühmte  Gruppe  amerika- 
nischer Studenten,  als  Avantgarde  der  großen, 
nach  Tausenden  zählenden  Armee  amerika- 
nischer Studenten,  die  in  dem  darauf  folgen- 
den Jahrhundert  Göttingen,  Leipzig,  Berlin 
und  andere  deutsche  Universitäten  besuch- 
ten. Edward  Everett,  George  Ticknor,  George 
Bancroft  und  Joseph  Qogswell  bildeten  jene 
hervorragende  erste  amerikanische  Gruppe  in 
Göttingen  (die  beiden  ersten  im  Jahre  1815  . 
und  Bancroft  war  der  erste  Amerikaner, 
der  an  einer  deutschen  Universität  einen 
akademischen  Grad  erhielt.  Durch  ein  merk- 
würdiges Zusammentreffen  wurde  dieser 
erste  an  einer  deutschen  Universität  gra- 
duierte Amerikaner  ein  halbes  Jahrhundert 
später  der  erste  amerikanische  Botschafter 
des  neuen  Deutschen  Reiches.  In  manchen 
Jahren  des  letzten  Jahrhunderts  gab  es  nahezu 
tausend  amerikanische  Studenten  an  allen 
deutschen  Universitäten  zusammen,  beinahe 
fünfhundert  in  Berlin  allein,  und  die  Tau- 
sende von  amerikanischen  Gelehrten,  die  jetzt 
an  unseren  Hochschulen  und  Universitäten 
Lehrstühle  innehaben,  deren  Kultur  und 
Erziehung  größtenteils  in  Deutschland  er- 
worben sind  und  die  das  deutsche  Volk  lieben, 
sind,  zusammen  mit  unserer  großen  deut- 
schen Bevölkerung,  eine  mächtige  Bürg- 
schaft dafür,  daß  zwischen  diesen  großen 
Nationen  letzten  Endes  immer  Verständi- 
gung und  guter  Wille  herrschen   werden. 

In  der  gegenwärtigen  bemerkenswerten 
internationalen  Studentenbewegung,  die  zu 
der  Gründung  der  Cosmopolitan  Clubs  an 
dreißig  amerikanischen  Universitäten  und  zu 
zahlreichen  ähnlichen  Organisationen  in  ande- 


405 


DIE  FRIEDENS -^/AQTE  5 


:3 


ren  Ländern  führte,  ist  es  eine  bezeich- 
nende und  wohltuende  Tatsache,  daßi  die 
neuen  internationalen  Clubs  an  vielen  deut- 
schen Universitäten  auf  amerikanische  Ini- 
tiative zurückzuführen  sind.  Der  zwischen 
Deutschland  und  den  Vereinigten  Staaten 
eingeführte  Professorenaustausch  trägt  noch 
mehr  dazu  bei,  Brüderlichkeit  und  gegen- 
seitige Achtung  in  der  Studentenschaft  zu 
fördern.  Aus  dieser  Bewegung  "heraus  ent- 
stand das  Amerika-Institut  in  Berlin,  das1 
mit  seiner  ausgezeichneten  Bibliothek  dazu 
dient,  deutschen  Gelehrten  und  Studenten 
Kenntnis  des1  Lebens,  der  Geschichte  und 
der  Institutionen  in  den  Vereinigten  Staaten 
zu  geben.  Es  wäre  wünschenswert, 
daß  ein  solches  deutsches  In- 
stitut in  New  York,  vor  allem  aber 
in  London,  begründet  werde.  Woran 
es  in  England  heute  hauptsächlich  mangelt, 
das  ist  jenes  geschlossene  Zusammengehen 
mit  Deutschland,  das  zwischen  deutschen  und 
amerikanischen  Gelehrten  besteht.  Viele 
Studenten  der  schottischen  Universitäten 
haben  im  letzten  halben  Jahrhundert  zur 
Vollendung  ihrer  Erziehung  Deutschland  be- 
sucht, dagegen  sind  von  englischen  Uni- 
versitäten bedauerlicherweise  nur  wenige 
nach  Deutschland  gekommen.  Im  Jahre 
1909  wohnte  ich  der  Feier  des  5O0jährigen 
Bestandes  der  Leipziger  Universität,  an  der 
ich  selbst  studiert  habe,  bei,  und  äußerte 
zu  einer  Gruppe  schottischer  Professoren,  die  | 
an  derselben  Universität  studiert  hatten, 
mein  Bedauern  über  die  damals  herr- 
schende Verstimmung  zwischen  Deutschland 
und  Großbritannien.  „Sagen  Sie  nicht  Groß- 
britannien", erwiderten  diese,  „sagen  Sie 
England.  Es  gibt  keinen  denkenden  Men- 
schen nördlich  des1  Tweed,  der  dieses  Fühlen 
teilte.  Wir  Schotten  halten  es  einfach  für 
eine  Anwandlung  englischer  Beschränktheit." 
Dies  erhellte  mir  sofort  die  periodischen 
Paniken  im  vereinigten  Königreich  wegen 
einer   deutschen   „Invasion". 

Ich  möchte,  daß  aus  Anlaß  der  vor 
nahezu  hundert  Jahren  begonnenen  großen 
Wanderung  amerikanischer  Studenten  nach 
Deutschland,  in  Berlin  ein  deutsch-amerika- 
nisches Gedächtnis-Institut  gegründet  werde, 
um  den  sozialen  und  intellektuellen  Bedürf- 
nissen der  großen  Anzahl  von  Amerikanern 
zu  begegnen.  Ein  Sammelort  für  Deutsche 
und  Amerikaner  sollte  es  werden,  ein  Mittel- 
punkt für  internationale  Aufklärung,  mit  einer 
Bibliothek  und  mit  Konferenzräumen,  die  die 
Namen  von  Bancroft,  Everett  und  der  be- 
rühmten Pioniere  tragen  müßten.  In  erster 
Linie  sollte  eine  Halle  vorhanden  sein,  die  den 
Namen  Immanuel  Kants  führen  würde.  Das 
Gebäude  müßte  den  Namen  Andrew  D.  White 
führen,  zu  Ehren  des  großen  Gelehrten, 
unseres  internationalen  Nestors,  der  jahrelang 
so  viel  zu  den  freundschaftlichen  Beziehungen 
zwischen    Deutschland    und    Amerika    beige- 


tragen, der  Amerika  und  der  Welt  so  aus- 
gezeichnete Dienste  als  amerikanischer  Ge- 
sandter in  Berlin  geleistet  hat,  und  der  diesen 
ehrenvollen  Posten  verließ,  um  unsere  ameri- 
kanische Delegation  bei  der  ersten  Haager 
Konferenz  zu  leiten. 

Nichts  ist  zwingender  und  nichts  könnte 
bei  dem  gegenwärtigen  internationalen  Zeit- 
punkt segensvoller  und  wirksamer  sein,  als 
gute  Verständigung  und  das  geschlos- 
senste Zusammenwirken  zwischen 
diesen  drei  großen  teutonischen 
Nationen:  Deutschland,  Großbri- 
tannien und  den  Vereinigten  Staa- 
ten. Dieses  Zusammenwirken  liegt  besonders 
in  der  Macht  der  Bevölkerung  der  Vereinigten 
Staaten,  deren  Wurzeln  fast  gleichmäßig 
ebenso  im  Mutterlande  wie  im  „Vaterland" 
verankert  sind.  Die  Vereinigten  Staaten  sind 
auf  keinen  Fall  nur  Neu-England  oder  Neu- 
Deutschland.  Sie  sind  ebenso  Neu-Irland, 
Neu-Frankreich,  Neu-Italien,  Neu-Rußland. 
New  York  mit  seinen  Millionen  Juden  sicher- 
lich auch  Neu-Jerusalem;  in  internationalen 
Dingen  sind  alle  Rassen  in  allen  Ländern 
zusammen  verantwortlich.  In  den  Vereinigten 
Staaten  fällt  die  hauptsächlichste  Verantwort- 
lichkeit auf  die  vorherrschenden,  das  ist  auf 
die  großen  teutonischen  Elemente  der  Nation. 

Dies  ist  die  Stunde  der  Tat.  Diese  drei 
durch  alle  Umstände  ihrer  Geschichte  und 
ihres  Charakters  zur  Führerschaft  berufenen 
Nationen  tragen  heute  als  die  drei  größten 
Flottenmächte  am  meisten  zum  wahnsinnigen, 
die  Nationen  bedrohenden  und  entkräftenden 
Wettbewerb  bei.  Wir  begrüßen  es,  daß  diese 
Verstimmung  zwischen  Großbritannien  und 
Deutschland  während  der  letzten  Jahre  im 
Schwinden  ist,  und  wir  freuen  uns  der  auf- 
richtigen Worte  und  ernsten  Mahnungen,  wie 
sie  in  der  neulichen  Ansprache  des  ersten 
Lords  der  britischen  Admiralität  an  Deutsch- 
land gerichtet  waren.  Die  augenblickliche 
große  Verstärkung  der  deutschen  Armee  in- 
folge der  Stärkezunahme  der  östlich  gelegenen 
Länder  und  der  fortwährenden  Agitation  ihrer 
Militärparteien  bedeutet  eine  neue  Bürde  für 
das  belastete  Volk,  eine  Quelle  der  Schwäche 
mehr  denn  der  Stärke,  und  ein  der  ganzen 
Welt  durch  den  Ansporn  zu  ähnlichen  Ver- 
stärkungen zugefügtes  Uebel.  Ebenso  wie 
Deutschland  mit  England  zu  einer  Verständi- 
gung über  den  Flottenbau  kommen  konnte, 
könnte  es  mit  Frankreich  ein  Uebereinkommen 
in  bezug  auf  eine  entsprechende  Rüstungs- 
verminderung treffen.  Die  Vereinigten  Staaten 
müssen  nicht  warten  und  sollten  auch  nicht 
auf  eine  deutsche  und  britische  Aktion  zur 
Beschränkung  der  Rüstungen  warten;  wir 
freuen  uns  an  dem  Kraftwort  unseres  Staats- 
sekretärs, der  unserem  Volke,  als  dem 
sichersten,  als  vornehmste  Aufgabe  die  Pflicht 
auferlegte,  jenes  Werk  zu  vollbringen,  auf 
das  die  Welt  wartet. 


406 


<3r 


=  DIE  FRI  EDENS -^J^RXE 


Zur  Ersetzung  des  Kriegssystems  und  des 
bewaffneten  Friedens  durch  internationale 
Verständigung  ist  kein  Schritt  wichtiger  als 
der  einer  gemeinsamen  Bürgschaft  der  Na- 
tionen in  bezug  auf  die  Unantastbarkeit  des 
Meeres  während  eines  Krieges;  und  es  ist 
eine  bezeichnende  Tatsache,  daß  der  erste  ge- 
schichtliche Vertrag,  der  dies  zwischen  zwei 
Staaten  verbürgte,  zwischen  den  Vereinigten 
Staaten  und  Preußen  unter  Friedrich  dem 
Großen  im  Jahre  1785  abgeschlossen  wurde. 
Deutschland  vertrat  diesen  Standpunkt  zu- 
sammen mit  den  Vereinigten  Staaten  auf  der 
zweiten  Haager  Konferenz;  und  es  ist  Hoff- 
nung vorhanden,  daß  auf  der  dritten  Konferenz 
Großbritannien  sich  diesen  beiden  anschließen 
wird.  Nichts  könnte  mehr  dazu  beitragen 
der  anglo-deutschen  Verstimmung  entgegen- 
zuwirken,   als     ein     solches    Zusammengehen. 

Es  ist  jetzt  ein  bedeutsamer  und  viel- 
sagender Augenblick  in  dem  Leben  der  drei 
teutonischen  Nationen  erschienen.  Deutsch- 
land feiert  die  hundertjährige  Wiederkehr  des 
Sieges  bei  Leipzig,  der  es  von  Napoleon  be- 
freite und  ihm  seine  vollständige  Freiheit 
wiedergab.  Großbritannien  und  die  Ver- 
einigten Staaten  feiern  nächstes  Jahr  den  Be- 
stand des  hundertjährigen  Friedens.  Das 
neue  Leben  Deutschlands,  das  vor  hundert 
Jahren  mit  Männern  wie  Fichte  und  Stein  be- 
gann, war  hauptsächlich  durch  die  großartige 
Wiederaufbauung  seines:  Erziehungs-  und  Un- 
terrichtswesens  ausgezeichnet,  wofür  Deutsch- 
lands große  Fortschritte  und  seine  Macht  spre- 
chen. Diese  drei  Nationen  könnten  gemeinsam 
aus  Anlaß  der  hundertjährigen  Gedenkfeiern 
eine  groß  ei  neue  Zeit  des  internationalen  Ent- 
gegenkommens und  der  internationalen  Er- 
ziehung einleiten,  eine  geregelte  und  friedens- 
volle Aera  für  das  Menschengeschlecht. 

Als  Wilhelm  IL  im  Jahre  1888  Kaiser  von 
Deutschland  wurde,  versicherte  er,  daß  der 
Frieden  seines  Landes  ihm  heilig  sei.  „Als 
ich  den  Thron  bestieg,"  sagte  er  dann  in 
Breslau  vor  ungefähr  sechs  Jahern,  „schwur 
ich,  daßj  ich  mein  möglichstes  tun  werde,  um 
Bajonette  und,  Kanonen  schweigen  zu  lassen." 
Und  die  25  Jahre  seiner  Regierung  beweisen, 
wie  treu  er  diese  Versicherung  gehalten 
hat.  „Ich  wünschte,"  sagte  er  in  Düssel- 
dorf im  Jahre  1891,  „daß  der  Friede  Europas 
in  meine  Hände  gelegt  werde.  Ich  würde 
sicherlich  Sorge  tragen,  daß  er  nie  wieder  ge- 
brochen wird."  Im  selben  Jahre  sprach 
er  im  gleichen  Sinne  in  der  Guildhall 
in  London.  Anläßlich  des  Empfanges,  der 
ihm  dort  im  Jahre  1907  bereitet  wurde, 
betonte  er  im  Anschluß  an  seine  bei 
dem  früheren  Empfang  gehaltene  Rede 
wieder  seinen  sehnlichsten  Wunsch:  „Ich 
sagte  damals  an  diesem  Orte,  daß  ich  über 
alles  danach  strebe,  den  Frieden  aufrecht 
zu  erhalten.  Ich  hoffe,  daß  die  Geschichte 
mir  Gerechtigkeit  darin  wird  widerfahren 
lassen,    daß    ich    diesem    Streben    immer   ge- 


dient habe.  Die  hauptsächlichste  Stütze  und 
Bürgschaft  für  den  Weltfrieden  ist  die  Auf- 
rechterhaltung guter  Beziehungen  zwischen 
unsern  Ländern,  und  ich  werde  diese  ferner- 
hin so  gut  und  freundschaftlich  gestalten, 
als  dies  in  meinen  Kräften  liegt.  Die 
deutsche  Nation  hegt  den  gleichen  Wunsch." 

Der  stolzeste  Titel  des  Königs,  der  im 
gleichen  Jahre  (1907)  in  England  regierte,  war 
„the  Peacemaker".  Am  23.  Mai  des  laufenden 
Jahres  sagte  sein  Sohn  in  Berlin  in  seiner 
Rede  an  die  britische  Kolonie  in  der  deutschen 
Hauptstadt:  „Die  Erhaltung  des  Weltfriedens 
ist  mein  heißester  Wunsch,  und  dies  war  auch 
das  einzige  Ziel  und  der  Lebenszweck  meines 
teuern  Vaters." 

Dies  ist  auch  sicherlich  heute  der  eifrigste 
Wunsch  des  Präsidenten  der  Vereinigten 
Staaten,  wie  es  das  größte  Streben  seines 
Vorgängers  war.  Das  Hauptbedürfnis  und 
die  wichtigste  Forderung  der  ganzen  großen 
Welt  geht  heute  dahin,  daß  diese  drei  führen- 
den teutonischen  Nationen  sich  in  einer  groß- 
zügigeren Politik  als  es  je  in  der  Vergangenheit 
sich  ereignete,  vereinen  sollen  zum  Zwecke 
eines  dauernden  Friedens  und  einer  besseren 
Organisation  der  Welt. 


Das  bedenkliche  Treiben  des 
deutschen  Flottenvereins. 

Von  L.  Persius,  Kapitän  zur  See,  Berlin. 
In  seiner  letzten  Kundgebung  schildert 
das  Präsidium  des  Deutschen  Flottenvereins 
die  angebliche  dringende  Not  an  Panzer- 
kreuzern, und  fordert  die  durch  zwingende 
Umstände  (  ?  )  gebotene  Beschleunigung  des 
Baues  von  Ersatzschiffen.  Ferner  wird  die 
vermehrte  Indiensthaltung  von  kleinen  Kreu- 
zern, die  Bereitstellung  der  Mannschaften 
und  die  Indiensthaltungskosten  hierfür  für 
nötig  erachtet.  Am  Schluß  heißt  es :  „Daß 
alle  diese  Gesichtspunkte  der  Marineverwal- 
tung nicht  fremd  sind,  kann  ohne  weiteres1 
angenommen  werden.  Möchte  die  Arbeit  des 
Flottenvereins  dazu  beitragen,  ihr  die  Wege 
zu  einer  entsprechenden  Vorlage  zu  ebnen. 
Die  deutsche  Volksvertretung  hat,  als  sie  im 
vergangenen  Sommer  trotz  der  erheblichen 
Schwierigkeiten  auf  Grund  der  vom  Kriegs- 
minister immer  wieder  betonten  Notwendig- 
keit die  bereits  gestrichenen  drei  Kavallerie- 
regimenter bewilligte,  den  Beweis  geliefert, 
daß  sie  überzeugender  Begründung  nicht  un- 
zugänglich ist.  Dieser  Vorgang  müßte  den 
Marineminister  daher  veranlassen,  einen  Zu- 
stand abzustellen,  der  angesichts  der  rüstig 
voranschreitenden  Bauten  der  möglichen 
Gegner  (  ?  )  unsere  Flotte  immer  mehr  ins 
Hintertreffen  bringt."  Diese  Kundgebung 
ist  ein  typischer  Beweis  für  die  Art,  wie  der 
Flottenverein  der  Reichsmarineamtsverwal- 
tung    die    Wege    ebnet !      Es    wird    stets    in 


407 


DIE  FRIEDEN5-WABTE 


;§>■ 


Abrede  gestellt,  daß  der  Staatssekretär 
irgendwelchen  Einfluß  auf  den  Flottenverein 
ausübe.  Es  braucht  nicht  daran  erinnert 
zu  werden,  daß  der  Präsident  des  Vereins, 
der  Großadmiral  v.  Köster,  und  der  ge- 
schält sführ  ende  Vorsitzende  und  zugleich  der 
Leiter  des  Pressewesens,  also  der  Verfasser 
der  Kundgebungen  und  Mitteilungen,  zumeist 
der  Admiral  Weber  ist,  der  seinerzeit 
—  1908  — ,  als  der  dem  Reichsmarineamt 
wegen  seiner  freimütigen  Kritik  unbequeme 
General  Keim  gestürzt  wurde,  auf  Ver- 
wenden des  Staatssekretärs  den  Posten  beim 
Flottenverein  erhielt.  Betrachtet  man  die 
Kundgebung  genauer,  so  stellt  sie  eine  Aus- 
lese von  Irreleitungen  der  öffentlichen  Mei- 
nung dar.  Im  letzten  Satz  z.  B.  wird  von 
den  „rüstig  voranschreitenden  Bauten  der 
möglichen  Gegner"  gesprochen,  die  unsere 
Flotte  immer  mehr  ins  Hintertreffen  bringen. 
Wohlverstanden,  die  deutsche  Flotte !,  die 
nächst  der  englischen  die  weitaus  stärkste 
heute  ist!  Deutschland  hat  jetzt  17  fertige 
Dreadnoughts,  Frankreich  hat  2,  die  Ver- 
einigten Staaten  haben  8,  Rußland  keinen, 
Oesterreich  2  und  Italien  2.  Da  es  sich 
in  der  Kundgebung  des  Flottenvereins  dies- 
mal nur  um  Kreuzer  handelt,  enthält 
die  Aeußerung  aber  eine  direkt  den  Tat- 
sachen ins  Gesicht  schlagende  Behauptung. 
Die  englische  Flotte  ist  einer  der  mög- 
lichen Gegner,  und  sie  ist  die  einzige,  die 
den  Kreuzerbau  im  größeren  Stil,  wie  wir 
es  tun,  betreibt.  Schlachtkreuzer  und  ge- 
schützte Kreuzer  wurden  bisher  nur  in 
Deutschland  und  England  gebaut.  Frank- 
reich z.  B.  hat  seit  1905  überhaupt  keinen 
Kreuzer,  weder  Schlacht-  noch  geschütz- 
ten, auf  Stapel  gelegt.  Seine  Kreuzer- 
streitkräfte sind  sämtlich  veraltet.  Das 
gleiche  gilt  von  der  nordamerikanischen 
Flotte.  Die  italienische  und  österreichische 
Flotte  verfügen  nur  über  ganz  unbedeutende 
Kreuzerkräfte. 

Man  ist  an  Skrupellosigkeiten  gewöhnt, 
wenn  es  sich  um  Flottenrüstungsagitation 
handelt.  Betont  nicht  die  Regierung  stets, 
wir  ba\jen  unsere  Seemacht  nach  unserem 
eigenen  Bedürfnis  aus,  ohne  irgendwie  eine 
andere  Flotte  als  Gegner  ins  Auge  zu 
fassen !  Wie  reimt  sich  diese  im  Reichs- 
tag unzählige  Male  vorgebrachte  Phrase  mit 
dem  Schlußsatz  der  Flottenvereinskund- 
gebung ?  Natürlich  ist  es  nur  eine  Phrase. 
Welches  sind  unsere  Bedürfnisse  ?  Unsere 
Flotte  steht  am  zweiten  Platz.  Wäre  die 
englische  nicht  vorhanden,  so  würden  unsere 
eigenen  Bedürfnisse  den  weiteren  Schiff- 
bau schon  längst  nicht  mehr  erfordern. 
Früher  hieß  es,  unsere  Flotte  muß  unsere 
Handelsschiffahrt  und  unsere  Kolonien  zu 
schützen  imstande  sein.  Als  die  Erkenntnis 
aufdämmerte,  daß  wir  das  gegenüber  der 
seegewaltigsten  Flotte  doch  nicht  könnten, 
erfand  ein  genialer  Herr  am  Leipziger  Platz 


40S 


den    Risikogedanken,    ,. unsere   Flotte   soll    so 
stark     sein,     daß     auch     der    seemächtigste 
Gegner   sie  nicht   anzugreifen   wagt."    Er  ist 
ein     wunderbarer     Kautschukbegriff.       Aber 
unser  Volk  ließ   sich  von  ihm  hypnotisieren. 
Anfänglich   las   man   im   offiziösen   Nautikus, 
wir    erstreben    eine    Flotte,    die    es    mit    der 
französischen  aufnehmen  kann.    Nun  ist  diese 
Stärke  längst  erreicht,  ja  weit  überholt.    Die 
französische  Flotte  ist  knapp  halb  so  kampf- 
kräftig als  die  unsere,  zieht  man  alle  Schiffs- 
gattungen an  Quantität  und  Qualität  in  Be- 
tracht.     Im    vergangenen    Jahre    meinte    der 
Staatssekretär      des     Reichsmarineamts,     ein 
Verhältnis   von   10  zu  16  der  deutschen   und 
englischen  Schlachtschiffe  wäre  „akzeptabel  ". 
Wenn  wir  diese  Stärke  erreicht  haben  werden, 
wird  der  Flottenverein  sagen :  Sicherer  ist,  wir 
sind   ebenso   stark   wie  England.     Erst   dann 
dürfen  wir  ruhig  schlafen.     Also  wird  er  sich 
gemüßigt   fühlen,    „der   entsprechenden  Vor- 
lage den  Weg  zu  ebnen".     Sein  Pflichtgefühl 
wird    ihm    das    vorschreiben.      Alle    die    An- 
gestellten des  Flottenvereins  tun  ja  notabene 
ihren    Dienst   nur   aus   ideellen   Rücksichten ! 
Man    braucht    die    Perspektive,    die    die 
Agitation    des   Flottenvereins   gewährt,   nicht 
weiter    auszuspinnen.      Würde    die    deutsche 
Flotte    der     englischen     an     Stärke    gleich- 
gekommen   sein,    so    müßte    weiter    agitiert 
werden,   damit  jeder  Kombination  die  Spitze 
geboten   werden   könne,    usw.     Nun,    es   wird 
dafür  gesorgt  werden,    daß    die  Bäume    des 
Flottenvereins    nicht    allzu     hoch     wachsen. 
Zwei  Möglichkeiten  bestehen.    Denkbar  wäre 
es,   daß   dem   Steuerzahler  der  Geduldsfaden 
reißt,   d.   h.,   unser  gutmütig,  allzu  gläubiges 
Volk    erkennt,    wohin    es    vom    Flottenverein 
geleitet    wird,    und    daß    es    dem    Verein    die 
Gefolgschaft    aufkündigt.      Leider    ist    hierzu 
freilich     geringe     Aussicht     vorhanden.      Ein 
dickmaschiges    Netz    der     Ortsgruppen     des 
Flottenvereins     ist     über    ganz    Deutschland 
geworfen.      Die    Vorstände    spielen   an    ihren 
Orten    eine    beträchtliche    Rolle,    auch    z.    B. 
im  Wahlkampf.  —  Die  Vorteile  einer  solchen 
Betätigung  brauchen  nicht  näher  erläutert  zu 
werden !   —   Sie  werden  ferner  für  unermüd- 
liche   Werbearbeit    belohnt.      Vielfache    Ver- 
günstigungen    gewährt     die     Mitgliedschaft. 
Anregende    Vortragsabende,     fast    stets   mit 
Tanz    und    ähnlichen    Belustigungen,    sorgen 
für    die    Unterhaltung.      Man    ist    geschäfts- 
kundig im   Flottenverein !     Der   simple   Vor- 
trag   würde    wenige    herbeilocken,    aber    um 
so  mehr  Lichtbilder,  Konzerte  u.  a.  m.    Und 
der  Verkauf  von  Postkarten,  Kalendern,  Ab- 
zeichen    bringt    Geld     in     die    Vereinskasse. 
Ehrendiplome  werden  als  Orden  auf  der  Brust 
getragen.        Können        auch       nur       wenige 
richtige     Orden     abfallen,     so     genügt    auch 
schon  solch  eine  Talmidekoration  im  engeren 
Kreise.      Wie    stolz    wird    das    Abzeichen   an 
der    Vereinsmütze    gezeigt.      Das    Präsidium 
kennt   die  kleinen   Schwächen   des  Deutscht iri 


<s= 


DIE  FRIEDENS -^ARXE 


und  rechriet  gern  mit  ihnen;  bringt  sich  das 
doch  reichlich  ein.  Für  die  Lehrer,  die  be- 
sonders geeignet  erscheinen,  schon  in  der 
Jugend  die  nötige  Flottenbegeisterung  zu 
verbreiten,  wird  besonders  gesorgt.  Für  sie 
werden  kostenlose  Sommerfahrten  zur 
Wasserkante  arrangiert.  Gewaltige  Scharen 
-von  Schülern  schafft  ferner  der  Verein  teil- 
weise auf  seine  Kosten  alljährlich  nach 
den  Kriegshäfen  Kiel  und  Wilhelmshafen,  wo 
ihnen  die  Marine  die  Matrosenkasernen  als 
Quartier  zur  Verfügung  stellt,  die  Besichti- 
gung der  Schiffe  unter  sachkundiger  Leitung 
von  Offizieren  ermöglicht  usw.  Matrosen- 
kapellen holen  die  Ausflügler  vom  Bahnhof 
ab,  kurz,  die  Marine  gewährt  jede  Unter- 
stützung. Die  „Mitteilungen"  des 
Vereins  sind  weiter  ein  vorzügliches  Mittel, 
um,  man  kann  sagen,  fast  die  gesamte  Presse 
Deutschlands1  in  Bann  zu  schlagen.  In 
Tausenden  und  aber  Tausenden  von  Exem- 
plaren gehen  sie  kostenlos  an  die  Zei- 
tungen. Nicht  einmal  die  Herkunft  braucht 
genannt  zu  werden.  Es  finden  sich  in  der 
Presse  zahllose  Artikel  über  Marineangelegen- 
heiten, die  doch  sämtlich  immer  die  gleiche 
Tendenz  verfolgen,  Stimmung  für  gesteiger- 
ten Schiffbau  zu  machen.  Wer  kann  es 
einem  Blatt  nicht  nachfühlen,  daß  es  gern 
einen  Leitartikel  oder  dergleichen  veröffent- 
licht, der  ihm  gratis  zur  Verfügung  gestellt 
wird. 

So  bearbeitet  der  Flottenverein  syste- 
matisch das  Volk,  predigt  immer  erneut  von 
der  bedrohlichen  Gefahr,  die  durch  die  ge- 
waltigen Rüstungen  der  anderen  Flotten  ent- 
steht und  ermahnt,  einzutreten  für  den  be- 
schleunigten Kriegsschiffbau.  Daß  die  ein- 
schlägigen Industrien  dankbar  die  Bestre- 
bungen des  Vereins  anerkennen  und  nicht 
nur  mit  Worten,  sondern  mit  Taten  unter- 
stützen,   bedarf    nicht    der   Erwähnung. 

Es  dünkt  ein  unmögliches  Unterfangen, 
gegen  das  verhängnisvolle  Treiben  des 
Flottenvereins  aufzukommen.  Verhängnis- 
voll, weil  es  eine  ausgesprochene  Spitze 
gegen  England  zeigt.  Nur  durch  den  Hin- 
weis auf  die  noch  allein  stärkere  Flotte, 
die  englische,  läßt  sich  ja  eine  Agitation  für 
die  Vermehrung  unseres  Schiffsparks  be- 
gründen. Verschiedentlich  wurde  mir  von 
Reichstagsabgeordneten  eingeräumt,  es  sei 
fast  ausgeschlossen,  gegen  irgendeine  Forde- 
rung der  Marineverwaltung  Front  zu  machen. 
,,Wir  können  es  unserer  Wähler  wegen  nicht 
unternehmen.  Sie  glauben  nicht,  welche 
Macht  der  Flottenverein  darstellt,  wie  ver- 
hetzend er  auf  unsere  Beziehungen  zu  Eng- 
land wirkt." 

Hiermit  kommen  wir  zur  andern  Möglich- 
keit —  wie  dem  Flottenwettrüsten  und  den 
Treibereien  des  Flottenvereins  ein  Ende  ge- 
steckt werden  könnte.  Kurz  gesagt,  durch  eine 
kriegerische  Entladung.  Nämlich  dann,  wenn 
England  einsieht,  daß  die  Begehrlichkeit  des 


deutschen  Volkes,  richtiger  gesagt  jener  lär- 
menden und  fanatisierenden  Minorität,  die 
durch  den  Flottenverein  dargestellt  wird,  die 
aber  das  gesamte  Volk  in  Marinefragen  zu 
beherrschen  scheint,  unbegrenzt  ist,  d.  h.. 
wenn  es  merkt,  daß  die  Rüstungsschraube  ad 
infinitum  von  Deutschland  gedreht  wird.  Es 
stehen  heute  nicht  wenige  Leute  bei  uns  auf 
dem  Standpunkt :  „Besser  ein  Ende  mit 
Schrecken."  So  kann  es  nicht  weitergehen. 
Die  Teuerung  wird  unerträglich,  die  Steuer- 
schraube denkt  nicht  daran,  stillzustehen. 
Abgesehen  von  Oesterreich,  lebt  man  nirgends 
kostspieliger  als  in  Deutschland.  Der 
Deutsche,  wenn  er  ein  billiges  Dasein  haben 
will,    geht    nach    Frankreich    oder    England. 

Man  sagt,  jede  Rüstung  sei  wohlfeiler 
als  ein  Krieg.  Heut,  im  Zeichen  der  Millio- 
nenheere und  der  Dreadnoughts,  trifft  das 
nicht  mehr  zu.  Man  erinnere  sich  der  Summe, 
die  allein  die  deutsche  Flotte  während  des 
letzten  Jahrzehnts  gekostet  hat,  ganz  ab- 
gesehen von  dem  Verlust  an  Menschenkraft, 
die,  durch  sie  absorbiert,  dem  Lande  ent- 
zogen wurde,  usw.  Es  sind  unter  Hinzu- 
rechnung der  Kosten  des  Baues  und  der 
Erweiterung  des  Kaiser-Wilhelm-Kanals  —  er 
wäre  der  Handelsschiffahrt  wegen  nie  be- 
willigt worden — ,  der  Pensionen,  des  Flotten- 
stützpunkts! in  Kiautschou  usw.  fünf  Milliarden 
viel  zu  niedrig  gegriffen.  In  der  Tat  scheint 
es  also,  daß  eine  blutige  Auseinandersetzung! 
billiger  kommen  würde  als  das  endlose  Wett- 
rüsten. Selbstverständlich  leugnen  der  Flotten- 
verein und  seine  Anhänger  es  ab,  zu  einem 
Krieg  zu  drängen.  Man  wird  ihnen  auch  im 
gewissen  Grade  Glauben  schenken  dürfen, 
daß  ihnen  ein  solches  Resultat  ihrer  Hetze- 
reien unerwünscht  wäre.  So  klug  sind  die 
Präsidialmitglieder  auch,  daß  sie  wissen,  daß 
Deutschland  in  einem  Krieg  gegen  England 
nichts  gewinnen  kann  und  nur  ärmer  werden 
wird.  Und  weiter  wissen  sie,  daß  die  Existenz 
des  Flottenvereins  dann  zugleich  ernstlich 
bedroht  wäre,  denn  es  würde  auch  dem  Un- 
mündigsten die  Erkenntnis  kommen,  zu 
welchem  unheilvollen  Ende  die  Agitation  des 
Vereins  geführt  hat,  wer  die  Schuld  an  der 
Vernichtung  unserer  Kriegs-  und  Kauffahrtei- 
flotte,  an  der  Zerstörung  unserer  Handels- 
beziehungen u.  a.  m.  trägt. 

Liest  man  jetzt  wieder  die  Veröffent- 
lichungen der  die  Bestrebungen  des  Vereins 
unterstützenden  Presse  über  den  erneuerten 
Vorschlag  des  englischen  Marineministers 
Churchill  zu  einem  Feierjahr  im  Flottenbau, 
so  kann  kaum  in  Abrede  gestellt  werden,  daß 
hier  eine  Sprache  geführt  wird,  die  mehr  als 
provozierend  genannt  werden  muß.  Es  wird 
die  Grenze  überschritten,  die  das  gewöhn- 
liche Anstandsgefühl  vorschreibt.  Mit  Hohn 
und  Spott  wird  Churchill  Übergossen.  Man 
scheut  sich  nicht,  ihn  des  Betrugs  zu  zeihen, 
schilt  ihn  einen  Toren  und  ähnliches  mehr. 
Man  ma°-  über  den  ersten  Lord  der  britischen 


409 


DIE  FBIEDENS-^ADTE 


=6) 


Admiralität  denken,  wie  man  will.  Es  gibt 
wohl  aber  sonst  keine  Presse,  die  sich  heraus- 
nähme, in  einem  so  unqualifizierbaren  Ton 
über  einen  der  höchsten  Regierungsbeamten 
einer  fremden  Macht  zu  sprechen.  Man  mag 
über  die  Rede  verschiedener  Ansicht  sein. 
Liest  man  sie  im  Urtext,  so  kann  man  sich 
der  Ueberzeugung  nicht  verschließen,  daß 
es  Churchill  bitter  ernst  ist  mit  seinem 
Wunsch,  dem  Unverstand  des  Rüstungs- 
wettbewerbs zu  steuern.  Keineswegs,  daß 
man  glauben  brauchte,  er  hätte  aus  selbst- 
losen Gründen  gehandelt.  Er  will  seine  Po- 
sition auf  innerpolitischem  Gebiet  verbessern, 
will  England  die  Möglichkeit  geben,  durch 
Ersparnisse  an  der  Flotte  auf  sozialem  Boden 
endlich  etwas  zu  leisten.  Aber,  sollten  wir 
uns  fragen,  wollen  wir  denn  nicht  auch  Geld 
sparen  ?  Haben  wir  keinerlei  Aufgaben  auf 
sozialpolitischem  Gebiet  mehr  zu  erfüllen  ? 
Es  tut  nicht  nötig,  die  lange  Liste  her- 
zuzählen, die  bei  uns  der  Abarbeitung  be- 
darf. Rein  realpolitisch  sollte  gerade  dem 
Churchillschen  Vorschlag  nähergetreten  wer- 
den. Es  ist  ein  Geschäft,  wie  jedes  andere. 
Aber  ein  weit  gewinnbringenderes,  als' 
mancher  ahnt.  Die  Perspektive  auf  eine 
endliche  allgemeine  Rüstungsbeschränkung 
eröffnet  sich.  Hat  man  erst  beim  Flotten- 
bau den  Anfang  gemacht,  sah  ein,  daß  dem 
ersten  Feierjahr  ohne  Schaden  weitere  folgen 
können,  so  wird  auch  eine  Formel  gefunden 
werden,  um  die  übermäßigen  Ziffern  der 
Heere   herabzudrücken. 

Zum  Schlußi.  Man  unterschätzt  vielfach 
den  Einflußi  und  die  Macht,  die  natio- 
nalistische Vereine,  wie  der  Flottenverein,  in 
Deutschland  ausüben.  Er  hat  jetzt  322  000 
Mitglieder,  die  sich  auf  3786  Ortsgruppen 
verteilen.  Fast  eine  Million  ist  die  Gesamt-! 
gefolgschaft,  rechnet  man  die  angeschlosse- 
nen Vereine  hinzu.  Die  „Flotte",  das  Organ 
des  Vereins",  erscheint  allmonatlich  in  360  000 
Exemplaren.  Das  Einkommen  des  Vereins 
betrug  im  vergangenen  Jahre  rund  445  000  M. 
Das  verzinslich  angelegte  Vermögen  beträgt 
etwa  eine  halbe  Million.  Diese  Zahlen 
geben  einen  Begriff  von  dem  Einfluß  und  der 
Kraft  der  Agitation  des  Flottenvereins.  Der 
Hinweis  auf  seine  den  Frieden  gefährdenden 
Machinationen  soll  dazu  dienen,  allen  denen, 
die  in  einem  Zusammengehen  Englands  und 
Deutschlands  die  wichtigste  Bedingung  für 
den  Frieden  Europas  sehen,  die  Augen  zu 
öffnen  und  sie  zu  bewegen,  an  ihrem  Teil) 
mitzuarbeiten,  das  unheilvolle  Wirken  des 
Flottenvereins  und  seine  zügellose  Agitation 
zu   unterbinden.*) 


*)  Was  hier  vom  Flottenverein  gesagt  wurde, 
gilt  in  analoger  Weise  vom  Wehrverein.  Er  sucht 
den  Zwiespalt  Deutschland-Frankreich  für  seine 
selbstischen  Zwecke  auszubeuten.  Der  Ver- 
fasser gibt  keine  praktischen  Winke,  wie  dem 
verderblichen  Treiben  dieser  Vereine  gesteuert 
werden     kann.      Jeder,     der     in     seiner     Zeitung 


Das  Rüstungs-  Elend  in 
Oesterreich-  Ungarn. 

Unter  der1  Ueberschrift  „Wehrreform  und 
Finanznot"  bringt;  „Der  österreichische  Volks- 
wirt" (Wien,,  1913.  11.  X.)  aus  der  Feder  des 
Herausgebers,  Dr.  Walter  Federn,  einen 
Artikel,  der  vom  pazifistischen  Gesichtspunkt 
im  höchsten  Grade  beachtenswert  ist,  weshalb 
wir  ihn,;  mit  Einwilligung  des  Verfassers,  hier 
zum    größten    Teil    wiedergeben. 

Der  Artikel  weist  zunächst  auf  den  wirt 
schaftlichen  Aufschwung  Italiens  hin,  das  ebe 
einen  Krieg)  geführt  hat  und  fährt  dann  fort: 

„Oesterreich-Ungarn  hat  keinen  Krieg  ge 
führt,  aber  sein  Volkswohlstand,  der  sich 
wenige  Jahre  hindurch  —  allerdings  zum 
großen  Teile  nur  scheinbar  —  kräftig  gehoben 
hat,  ist  erschüttert,  alle  Wirtschaftszweige 
leiden  unter  einer  Produktions-  und  Absatz- 
krise. Industrie'  und  Handel  können  nur  mit 
den  größten  Opfern  Kredit  finden,  die  Bau- 
tätigkeit ist  durch  Kreditmangel  nahezu  voll- 
ständig unterbunden,  unsere  4 o/o  igen  Renten 
stehen  nur  wenig  höher  als  80  o/o,  weit  tiefer 
als  die  Renten  der  Türkei,  die  seit  zwei  Jahren 
in  Kriege  verwickelt  ist,  die  dem  Reiche  nach 
dem  afrikanischen  fast  den  ganzen  europä- 
ischen Besitz,  zu  rauben  schienen,  tiefer  als  die 
serbische,  verzinst  sich  kaum  niedriger  als  die 
Rente  Bulgariens,  das  nach  einjährigem  Kriege 
fast  die  ganzen  Früchte  seiner  anfänglichen 
Siege  eingebüßt  hat  und  wir  müssen  nun  schon 
zum  dritten  Male  seit  einem  Jahre,  angesichts 
der  Schwierigkeiten  Rente  anzubringen,  kurz- 
fristige Schatzscheinoperationen  zu  einem  Zins- 
fuße vornehmen,  den  irgendeiner  anderen 
Großmacht  zuzumuten  nicht  möglich  wäre. 
Diesmal  ist  es  Ungarn,  das  diese  Zinssätze 
bewilligen  muß,  vielleicht  wird  in  wenigen 
Monaten  Oesterreich,  so  wie  im  Dezember 
vorigen  Jahres  ähnliche  Opfer  bringen  müssen, 
wenn  es  seinen  Geldbedarf  zu  decken  streben 
wird." 

Der  Verfasser  untersucht  alsdann,  wie  dies 
alles  gekommen  ist  und  gibt  darüber  folgende 
Aufschlüsse : 

Die  Müitärlasten  Oesterreich- Ungarns 
waren  lange  verhältnismäßig  gering  im  Ver- 
gleiche zu  den  Aufwendungen  anderer  Groß- 
mächte, nicht  nach  dem  Willen  der  Militär- 
verwaltung, sondern  infolge  der  Verfassungs- 
kämpfe in  Ungarn  und  der  Schwierigkeiten  der 


:t 

! 


völkerverhetzende  oder  das  Wettrüsten  auf- 
stachelnde Artikel  findet,  besonders,  wenn  sie 
den  „Mitteilungen"  der  Vereine  entstammen, 
sollte  dem  Verlag  seines  Blattes  mitteilen, 
daß  er  das  Abonnement  aufgeben  würde,  falls 
sich  dergleichen  Auslassungen  nochmals  darin 
vorfänden.  Die  Sorge  vor  dem  verminderten 
Absatz  ist  das  beste  Mittel,  Zeitungsverlegei 
zu  veranlassen,  ihren  Redakteuren  größere  Vor- 
sicht   anzuempfehlen! 

Der    Herausgeber. 


410 


@s 


DIE  FR! EDENS -\>v£M2.TE 


parlamentarischen  Verhältnisse  in  Oesterreich. 
Auch  damals  waren  aber  die  Lasten  im  Ver- 
hältnis zur  Tragfähigkeit  der  österreichisch- 
ungarischen Volkswirtschaft  nicht  gering  und 
seither  sind  sie  ganz  außerordentlich  ge- 
stiegen. Die  rapide  Steigerung  begann  im 
Jahre  1907.  Damals  betrug  das  Budget  des 
Kriegsministeriums  noch  415  Millionen 
Kronen,  pro  1912  war  es  auf  562  Millio- 
nen Kronen  angewachsen,  pro  1913  waren 
584  Millionen  Kronen  präliminiert, 
allerdings  einschließlich  der  außerordent- 
lichen Heeres-  und  Marinekredite;  aber  diese 
sind  eine  regelmäßig  wiederkehrende  Erschei- 
nung geworden  und  niemand  kann  diese  An- 
forderungen mehr  als  einmalige  ansehen. 
Tatsächlich  ausgegeben  wurden  in  diesem 
Jahre  mehr  als  1  Milliarde  Kronen, 
da  ja  die  mit  435  Millionen  Kronen  offiziös 
angegebenen  Auslagen  für  die  Bereitschaft 
während  des  Balkankrieges  hinzukommen. 
Nach  dem  Wehrgesetz  vom  Jahre  1911 
wachsen  die  ordentlichen  Ausgaben  von  Jahr 
zu  Jahr,  so  daß  sie  allein  im  Jahre  1915  um 
71  Millionen  Kronen  höher  sein  werden  als  im 
Jahre  1911,  wo  sie  459  Millionen  Kronen  be- 
tragen haben.  Zu  diesen  Erfordernissen  kom- 
men die  der  Landwehr  und  Honved  mit  etwa 
120  Millionen  Kronen  jährlich,  so  daß  wir 
schon  jetzt  mit  über  700  Millionen 
jährlich  belastet  sind  und  nach  Errei- 
chung des  Maximums  der  durch  die  letzte  Wehr- 
reform bewirkten  Ausgaben  auf  nahezu 
800  Millionen'  Kronen  jährlich  kommen 
werden.  Aber  schon  hat  die  Kriegsverwaltung 
einen  neuen  Heeres-  und  Flottenplan  aufge- 
stellt, über  den  im  gemeinsamen  Ministerrat, 
wie  mitgeteilt  wird,  eine  Einigung  erzielt  wor- 
den ist,  dessen  Kosten  man  noch  nicht  kennt, 
der  aber  jedenfalls  die  laufenden  Ausgaben 
wieder  um  etliche  Dutzend  Millionen  Kronen 
erhöhen  und  uns  außerordentliche  Ausgaben 
von  etlichen  hundert  Millionen  Kronen  be- 
scheren wird.  Bevor  dieser  Aufwand  erledigt 
ist,  wird  die  Kriegsverwaltung  vermutlich  mit 
einem  neuen  Programm  kommen,  d.  h.  sie 
wird  damit  kommen,  wenn  sie  noch  kommen 
kann.  Denn  daran  ist  sehr  zu  zweifeln.  Viel 
wahrscheinlicher  ist  es,  daß  man  schon  mit 
dem  jetzigen  Programm  die  Volkswirtschaft  und 
die  Staatsfinanzen  zerstört  und  damit  die  mili- 
tärische Schlagkraft  in  nicht  gut  zu  machen- 
der Weise  geschwächt  haben  wird.  Und  das 
mögen  diejenigen  bedenken,  die  unbekümmert 
um  alle  Not  des  Staates  und  der  Bevölkerung 
im  maßlosen  Rüstungsaufwande  mit  den  an- 
deren   Großmächten  wetteifern  wollen." 

Den  Vergleich  mit  anderen  Großmächten 
namentlich  mit  Deutschland,  weist  der  Artikel 
zurück.  Er  legt  die  viel  höhere  wirtschaft- 
liche Entwicklung  Deutschlands  dar  und 
kommt  zu  dem  Schluß : 

„Die  wirtschaftliche  Leistungsfähigkeit 
Oesterreich  -  Ungarns  ist  weder  mit  der 
Deutschlands  noch'  überhaupt  mit  der  irgend- 


einer der  europäischen  Großstaaten  zu  ver- 
gleichen. 

Die  volkswirtschaftlichen  Er- 
trägnisse fließen  nur  aus  der  Pro- 
duktion, was  man  davon  für  unpro- 
duktive Zwecke  zu  konsumieren 
vermag,  kann  also  nur  im  Verhält- 
nis zur  Produktionsmenge  und  zum 
Produktionswerte  gesetzt  werden. 
Oder  wird  es  unseren  Rüstungsschwärmern 
lieber  sein,;  wenn  wir  die  Steuerlasten  verglei- 
chen? Mit  der  einmaligen  Milliardenabgabe 
—  so  drückend  sie  auch  empfunden  wird  ■ — 
sind  Deutschlands  Steuerträger  noch  immer 
ungleich  weniger  belastet  als  die  unseren.  Oder 
mit  den  Aufwendungen  des  Staates  für  kul- 
turelle, für  volkswirtschaftliche  Zwecke?  Sie 
halten   ebensowenig  einen    Vergleich   aus. 

Aber  lassen  wir  die  Vergleiche  mit  an- 
deren Ländern,  denn  man  könnte  uns  er- 
widern, wenn  wir  ein  armes  Land  sind,  so 
sind  damit  unsere  Grenzen  nicht  weniger  be- 
droht und  wir  müssen  vorkehren,  was  nötig 
ist,  um  uns  nach  Möglichkeit  zu  schützen. 
Die  Frage  ist  nur,  ob  wir  es  können.  Wissen 
die  Finanzminister  vielleicht  neue  Steuern,  die 
sie  unserer  Bevölkerung  auferlegen  können, 
wo  das  ganze  Steuerbukett,  um  das  seit  Jahren 
im  Reichsrate  gekämpft  wird,  schon  für  andere 
Zwecke  bestimmt  ist,  oder  sehen  sie  die  Mög- 
lichkeit, neue  Anleihen  für  militärische  Er- 
fordernisse aufzunehmen ?  Für  eine  Milli- 
arde hat  Oesterreich-Ungarn  kurzfristige 
Schatzscheine  in  Umlauf  gesetzt,  die  inner- 
halb dreier  Jahre  zur  Rückzahlung  fällig  wer- 
den ;  mindestens  250  Millionen  Kronen 
ist  der  laufende  Anleihebedarf  für  produk- 
tive Zwecke,  so  sehr  man  das  Budget  auch 
zu  drosseln  sucht,  für  Eisenbahninvestitionen 
und  ähnliche  Ausgaben,  die  zum  größten  Teile 
aus  den  laufenden  Einnahmen  bestritten 
*  werden  sollten,  die  wir  aber  nicht  aus  den 
Steuereingängen  und  anderen  staatlichen  Ein- 
nahmen bedecken  können.  Glauben  die 
Finanzminister,  daß  sie  in  den  nächsten  Jahren 
auch  nur  diese  Anleihen  zu  halbwegs  annehm- 
baren Kursen  unterbringen  können  ?  Ist  es 
nicht  genug,  daß  unsere  Renten  tiefer  stehen 
als  die  aller  anderen  europäischen  Staaten, 
daß  Ungarn  für  die  Schatzscheine,  die  es  so- 
eben ausgegeben  hat,  1%  °/o  Zinsen  zahlt,  nicht 
genug,  daß  Länder  und  Städte  ihre  dringend- 
sten Kapitalsbedürfnisse  nicht  aufbringen 
können,  daß  die  Bautätigkeit  im  Reiche  voll- 
ständig ins'  Stocken  geraten  ist,  weil  auf  dem 
Kapitalmarkte  keine  Abnehmer  für  Pfand- 
briefe vorhanden  sind,  weil  keine  Hypotheken 
gewährt  werden  können  ?  Wo  wollen  die 
Finanzminister  die  Hunderte  Millionen  für 
Kasernen,  Geschütze'  und  Dreadnoughts  über- 
haupt aufnehmen?  Sollen  unsere  Renten  von 
80  o/o  auf  70  und  60  °/o  fallen  ?  Wollen  sie  noch 
Schatzscheine  emittieren,  genügt  es  nicht,  daß 
wir  seit  drei  Jahren  fast  ein  Fünftel  unserer 
Budgets      in     schwebenden     Schuldverpflich- 


411 


DIE  FRIEDEN5-Vk/AQTE 


3 


tungen  laufen  haben?  Und  denken  sie  nicht 
daran,  daß,  wenn  so  weiter  gewirtschaftet  wird, 
es  auch  geschehen  kann,,  daß  solche  kurz- 
fristige Schuldverpflichtungen  in  einem  Augen- 
blick fällig  werden  können,  wo  wir  auch  zu 
noch  viel  drückenderen  Bedingungen  das  Geld 
zur  Einlösung  oder  vielmehr  zur  Erneuerung 
nicht  mehr  aufbringen  können  ?  Ist  eine 
solche  Finanz  Wirtschaft  über- 
haupt noch  zu  verantworten?  Da 
glauben  die  Finanzminister,  weiß  Gott,  was 
geleistet  zu  haben,  wenn  sie  von  den  Militär- 
forderungen den  achten  Teil  herabdrücken, 
wenn  sie  die  Hinausschiebung  der  Ausführung 
der  Pläne  der  Militärverwaltung  um  ein  hal- 
bes Jahr  und  der  Erreichung  des  Maximaltrup- 
penkontingents um  ein  paar  Jahre  erwirken. 
Ist  keiner  unter  ihnen,  der  den  Mut  fände,  zu 
erklären,  daß  Oesterreich-Ungarn 
diese  neuen  Lasten  einfach  nicht 
mehr  ertragen  kann,  daß.  wir  einer 
Katastrophe  entgegentreiben?  Ist 
nicht  einer  da,  der  lieber  seinen  Namen  als 
verantwortlichen  Verwalters  der  Staatsfinanzen 
rettet  denn  sein  Portefeuille? 

.  Nicht  das  erstemal  geschieht  es  in  der 
Geschichte  der  Monarchie,  daß  die  maß- 
losen Forderungen  der  Kriegsver- 
waltung das  Land  wir  tschaft  lic  h, 
finanziell  und  militärisch  an  den 
Abgrund  getrieben  haben.  Man 
denke  an  die  Zeit  vor  1859,  die  damit  geendigt 
hat,  daß  zum  Abbruch  des  italienischen 
Krieges  in  jenem  Jahre  auch  der  Umstand  bei- 
trug, daß  es  dem  Finanzminister  einfach  nicht 
mehr  möglich  war,  Geld  zur  Führung  des 
Krieges  aufzubringen.  Weiß  unsere  Militär- 
verwaltung nicht,  daß  die  finanzielle  Kriegs- 
bereitschaft nicht  minder  wichtig  ist  als  die 
militärische  ?  Hat'  sie  vergessen,  was  sich  im 
Dezember  vorigen  Jahres  abspielte,  als  man 
noch  an  eine  aktive  Politik  dachte  und  etwa 
<S00  Millionen  Kronen  aufnehmen  wollte  und 
von  den  Finanzinstituten  die  Antwort  erhielt, 
daß  dies  unmöglich  sei?  Erinnert  man 
sich  nicht,  daß  man  damals  auch  die  250  Millio- 
nen Kronen,  auf  die  die  beiden  Finanzverwal- 
tungen schließlich  ihre  Forderungen  herab- 
geschraubt hatten,  im  Inland  nicht  auf- 
zubringen vermochte  und  zu  7  o/o  ins  Ausland 
gehen  mußte,  glücklich  jenseits  des  Ozeans 
das  Geld  zu  finden  ? 

Die  Geschichte  der  fünfziger  Jahre  ist  für 
die  Gegenwart  sehr  lehrreich.  Nach  dem 
Jahre  1848  begann  in  Oesterreich  trotz  Re- 
aktion, Absolutismus  und  Militärdiktatur  eine 
Zeit  der  Wiedergeburt.  Ungeheure  Aufwen- 
dungen wurden  gemacht,  um  das  erschütterte 
Reich  wieder  zu  heben.  Das  abgefallene 
Ungarn  wurde  an  das  Gesamtreich  geschmie- 
det. Für  kulturelle  Bedürfnisse  wurde  vieles 
geleistet,  der  Hebung  der  Volkswirtschaft  galt 
die  Sorge  tüchtiger  Ressortchefs.  Die  Bauern- 
befreiung wurde  mit  großen  Opfern  durch- 
geführt, große   Investitionen  zur  Hebung  der 


Produktion  vorgenommen,  die  Grundlagen  des 
Eisenbahnnetzes  mit  für  die  damalige  Zeit 
enormen  Kosten  gelegt,  und  schließlich  so- 
gar die  Währung  reguliert.  So  verschwindend 
gering  die  aufgewendeten  Ziffern  jener  Zeit 
sind,  im'  Verhältnis  zu  den  heutigen,  so  enorm 
waren  die  Lasten,  die  -der  Staatsschatz  für  die 
damaligen  Verhältnisse  auf  sich  nahm.  Und 
sie  wären  nicht  vergebens  gewesen,  wenn  man 
der  Volkswirtschaft  Zeit  gelassen  hätte,  die 
Früchte  der  reichen  Aussaat  einzuheimsen. 
Aber  das  ließ  die  Militärverwal- 
tung nicht  zu,  die  damals  wie  heute 
Wünsche  und  Ziele  der  Zivilverwaltung  igno- 
rierte und  gegen  alle  Bedenken  ihre  For- 
derungen durchsetzte.  Denn  auch  damals 
glaubte  man  imperialistische  Politik  treiben 
zu  dürfen,  ohne  sich  um  die  Tragfähigkeit 
der  Volkswirtschaft}  zu  kümmern.  Und  das 
hielten  die  Finanzen  und  die  Volks- 
wirtschaft nicht  aus.  Das  Land,  das 
mit  der  Sammlung  seiner  Kräfte  eben  erst  be- 
gonnen hatte,  brach  unter  den  mili- 
tärischen Lasten  zusammen.  Hätte 
man  der  Volkswirtschaft  Zeit .  gelassen,  bis 
die  großen  Kapitaisa  uf Wendungen  produktiv 
geworden  wären,,  Ertrag  geliefert  hätten,  hätte 
man  die  Last  geteilt,  erst  die  Volkswirtschaft 
leistungsfähig  gemacht  und  ihr  nachher  Opfer 
für  die  militärische  Bereitschaft  zugemutet, 
die  Katastrophe  des  Jahres  1859  hätte  nicht 
eintreten  müssen,  der  ganze  Verlauf  der 
österreichischen  Geschichte  wäre 
vielleicht   ein  anderer  gewesen. 

Und  heute  liegen  die  Dinge  ähnlich.  Zwar 
die  Regierung  kann  sich  nicht  den  Vorwurf 
machen,  im  letzten  Dezennium  zur  Entfaltung 
der  produktiven  Kräfte  des  Reiches  großc 
Kapitalien  investiert  zu  haben.  Das  einzige, 
was  sie  bauen  wollte,  die  Wasserstraßen, 
konnte  sie  nicht  bauen  und  der  Aufwand  wäre 
auch  verfehlt  und  zweckwidrig  gewesen,  das- 
selbe Geld  für  wirklich  produktive  Zwecke 
verwendet,  hätte  ganz  andere  und  raschere 
Früchte  getragen.  Regierung  und  Parlament 
-^  sie  teilen  die  Verantwortung  —  haben  in 
diesen  Jahren  nur  die  Beamtenschaft  korrum- 
piert und  idas  Budget  zerrüttet.  Und  auch  da- 
für findet  sich  die  Analogie  in  den  fünfziger 
Jahren  in  der  unerhörten  militärischen  Korrup- 
tion, dem  Militärlieferungsschwindel  usw.  Aber 
die  Volkswirtschaft  selbst  war  in  den  letzten 
Jahren  von  einem  ungeheuren,  in  Oesterreich- 
Ungarn  bis  dahin  nicht  erlebten  Schaffens- 
drange erfüllt.  Sie  hat  sich  ausgedehnt,  die 
produktiven  Energien  entfaltet  und  ungeheure 
Kapitalsinvestitionen  zu  diesem  Zwecke  ge- 
macht, die  ebenso  wie  in  den  fünfziger  Jahren 
erst  nach1  Verlauf  etlicher  Jahre  ihre  Früchte 
tragen  konnten.  Schlimme  Verfehlungen  und 
Uebertreibungen  sind  dabei  unterlaufen,  aber 
trotzdem  hätte  man  die  Früchte  nach  etlichen 
Jahren  einheimsen  können.  Aber  auch 
diesmal  ließ  es  die  Militärverwal- 
tung nicht  zu.     Zu  der  ungeheuren  Kapi- 


412 


<£ 


DIE  FR!  EDENS -WARTE 


talsinanspruchnahme  für  Investitionen  der 
Volkswirtschaft  gesellte  sie  ihre  nicht  minder 
großen  Ansprüche  an  den  Kapitalmarkt  für 
die  enorme  Vermehrung  der  laufenden  und 
sogenannten  einmaligen,  aber  immer  wieder- 
kehrenden Ausgaben  und  überdies  für  die 
zweimalige  Mobilisierung  innerhalb  fünf 
Jahren.  Das  vertrug  der  Kapitalmarkt  nicht. 
Er  ist  zusammengebrochen  und  die  Folgen 
sind  eben  unsere  gegenwärtige  Kapi- 
talsnot, die  Unmöglichkeit,  Ren- 
ten anzubringen,  Pfandbriefe  zu 
begeben,  Kredite  für  Produktion  und  Han- 
del zu  erlangen,  die  Produktions-,  Absatz-  und 
Kreditkrise,  die  Insolvenzen,  die  Not  der  Be- 
völkerung, die  ungeheure  Auswanderung 
derer,  die  nicht  mehr  Brot  zu  Hause  finden 
können. 

Wir  sind  kein  militärisches  Fachblatt. 
Wir  haben  nicht  zu  beurteilen,  ob  das,  was  die 
Kriegsverwaltung  verlangt,  wirklich  notwen- 
dig ist.  Gewiß,  je  größer  das  Heer,  desto 
größer  seine  Erfolgchancen.  Wir  wollen  nicht 
dabei  verweilen,  daß  die  Vermehrung  der 
Quantität  mit  einer  Verringerung  der  Quali- 
tät verbunden  ist,  daß,  wie  kürzlich  unwider- 
sprochen dargelegt  wurde,  schon  jetzt,  um 
die  nötige  Zahl  an  Rekruten  aufzubringen, 
die  Anforderungen  in  bezug  auf  Größe,  Ge- 
hör- und  Gesichtssinn  herabgesetzt  werden 
mußten.  Wir  haben  auch  heute  nicht  zu  be- 
urteilen, ob  die  politische  Situation  so  ist, 
daß  sie  uns  zu  einem  verstärkten  Grenzschutz 
zwingt.  Aber  wir  haben  die  finanziellen  und 
ökonomischen  Möglichkeiten  für  diesen  Auf- 
wand zu  prüfen,  da  es  die  Heeresverwaltung 
selbst  nicht  tut  und  die  Finanzverwaltungen 
ihrer  Kenntnis  der  Unmöglichkeit,  diesen  Auf- 
wand ohne  wirtschaftliche  und  finanzielle  Kata- 
strophe zu  leisten,  nicht  in  einem  Veto  Aus- 
druck verleihen.  Und  diese  Prüfung  sagt, 
daß,  was!  die  Militärverwaltung  erreichen  will, 
heute  nicht  möglich  ist.  Wir 
können  diese  Lasten  nicht  tragen. 
Der  Kapitalmarkt  —  wenn  man  schon  die 
anderen  Zeichen  der  Wirtschaftskrise  nicht 
sehen  will  —  sagt  es  jedermann  deutlich, 
daß  wir  nicht  alljährlich  für  Hunderte  von 
Millionen  Anleihen  aufnehmen  können.  Man 
lasse  der  Volkswirtschaft,  dem  Kapitalmarkte 
fünf  Jahre  Zeit,  sich  von  den  Folgen  der 
durch  die  Leiter  unserer  auswärtigen  Politik 
und  unsere  Kriegsverwaltung  verursachten 
Wirtschaftskrise  zu  erholen.  Man  lasse  der 
Bevölkerung  Zeit,  neue  Ersparnisse  zu  bilden, 
frische  Konsumkraft  zu  erwerben,  damit  die 
Tausende  der  jetzt  ganz  oder  teilweise  still- 
stehenden Betriebe  wieder  arbeiten,  Güter  und 
Einkommen  schaffen  können.  Dann  wird  die 
Steuerkraft  wieder  gehoben  sein,  dann  wird 
wieder  Geld  für  die  Anleihen  da  sein  und, 
wenn  nötig,  verlange  man  dann  von  der  Be- 
völkerung neue  militärische  Opfer.  Heute  geht 
es  nicht. 

Die    Vorlagen,    die   die   Kriegsverwaltung 


jetzt  ausarbeitet,  werden  in  etlichen  Monaten 
den  Parlamenten  vorgelegt  werden,  man  wird 
an  ihren  Patriotismus  appellieren.  Aber 
ihren  Patriotismus!  werden  die  Ab- 
geordneten beweisen,  wenn  sie 
diese  Vorlagen  ablehnen,  nicht, 
wennsie  sie  annehmen.  Sie  haben  nicht 
zu  befürchten,  daß  man  ihnen  einst  vorwerfen 
wird,  daß  sie  für  die  Bedürfnisse  der  Wehr- 
macht kein  Verständnis  gezeigt  haben. 
Nehmen  sie  die  Vorlagen  an,  dann  weiden  sie 
mit  der  Kriegsverwaltung  und  mit  den  Finanz- 
verwaltungen dafür  die  Verantwortung  teilen, 
daß  dieser  Stjaat  finanziell  und 
wirtschaftlich  und  damit  auch 
militärisch  dem  Ruin  zugeführt 
wird.  Im  Interesse  unserer  Wehrmacht 
müssen  diese  Vorlagen  abgelehnt  werden." 

—  Soweit  der  Artikel  des  hervorragenden 
Wirtschaftspolitikers.  Es  fehlt  der  pazi- 
fistische Schluß :  Internationale  Ver- 
einbarung zur  Verminderung  des 
Rüstungs  Wettbewerbes.  Das  natio- 
nale Uebel,  an  dem  nicht  nur  Oesterreich- 
Ungarn  leidet,  kann  nur  durch  inter- 
nationale Methoden  beseitigt  wer- 
den. Die  verschiedenen,  an  die  Donau- 
monarchie im  Laufe  der  letzten  Jahre  heran- 
getretenen Anregungen  auf  Vereinbarungen 
über  die  Ermäßigung  der  Rüstungslasten  sind 
von  dieser  im  Verein  mit  dem  Deutschen 
Reich  dauernd  abgelehnt  worden.  Hier 
liegt   der  Fehler! 


Das  internationale  Friedens  - 
seminar  und  die  Ferienkurse 
für  Ausländer  in  Kaiserslautern, 

Ein  Beitrag  zur  „Erziehung  zum  Frieden" 
von  Ludwig  Wagner  in  Kaiserslautern. 
Der  Hauptgrund,  den  die  Widersacher 
der  Friedensbewegung  gegen  diese  ins  Feld 
führen,  ist  die  Behauptung,  daß  trotz  aller 
vorübergehenden  Erfolge,  die  etwa  die  Pazi- 
fisten mit  ihren  Bestrebungen  aufzuweisen 
haben,  der  Krieg  die  ultima  ratio  sei  und  nach 
der  Gesetzmäßigkeit  des  historischen  Welt- 
geschehens auch  bleiben  müsse.  Diese  An- 
schauung, daß  der  Krieg  niemals  ganz  aus 
dem  Leben  der  Völker  verschwinden  werde, 
ist  aber  auch  in  den  Reihen  derer  zu  finden, 
die  sich  für  den  Gedanken  internationaler 
Verständigung  einsetzen.  Die  politischen 
Ereignisse  der  letzten  Jahre  scheinen  diesem 
Standpunkte  recht  zu  geben.  Fast  allen  Maß- 
nahmen, mit  denen  sich  seit  Jahrzehnten  die 
Friedensorganisationen  an  die  Erwachsenen 
wenden,  blieb  bisher  ein  allgemein  durch- 
greifender und  dauernder  Erfolg  versagt. 
Wenn  es  auch  unbedingt  feststeht,  daß  die 
großen  Massen  des  Volkes  friedliebend  sind 
und    in    normaler    geistiger    Verfassung    den 


413 


DIE  FRIEDENS -WAQTE 


3 


Krieg  verabscheuen,  so  ist  es  doch  eine  ebenso 
feststehende  Tatsache,  daß  es  sehr  kleinen 
Minderheiten,  die  am  Kriegshandwerk  und  an 
der  Kriegshetze  ein  starkes  persönliches 
Interesse  haben,  zur  gegebenen  Zeit  oft 
sehr  leicht  gelingt,  weite  Volkskreise  durch 
planmäßige  Anwendung  nie  versagender 
Suggestionsmittel  aus  der  Ruhe  ihres  Da- 
seins1 und  ihrer  politischen  Betrachtungs- 
weise herauszureißen  und  sie  in  den  Strudel 
nationalistischer  Aufregung  und  Kritik- 
losigkeit hineinzuziehen.  Diese  zielbewußte, 
zur  nationalistischen  Hypnose  sich  steigernde 
Massensuggestion  wird  mit  Recht  als  das 
Haupthindernis  für  das  Vordringen  des  Frie- 
densgedankens angesehen.  Wenn  es  freilich 
eine  ausgemachte  Sache  wäre,  daß  diese 
Suggestibilität  des  Volkes  für  Fremdenhaß 
und  Kriegsbegeisterung  eine  im  Wesen  der 
Volksseele  begründete,  unausrottbare  Eigen- 
schaft derselben  sei,  wenn  es  nicht  mögjich 
werden  sollte,  in  der  Völksseele  einen  Damm 
aufzurichten,  an  dem;  sich  die  erregten  Wogen 
nationalistischer  Hochflut  brechen  müssen, 
so  müßte  man  tatsächlich  den  Glauben  an  eine 
in  der  Zukunft  liegende,  vollständige  Aus- 
schaltung des'  Krieges  aus  dem  Völkerleben 
aufgeben.  Bevor  man  sich  aber  diese  für 
den  human  denkenden  Menschen  so  grau- 
same Verzichtleistung  auferlegt,  lohnt  es  sich 
doch,  den  Ursachen  dieser  Suggestibilität 
der  Volksmassen  nachzugehen  uind,  wenn  man 
sie  gefunden  hat,  zu  überlegen,  ob  und  wie 
sie  zu  beseitigen  seien.  Wie  Professor 
Dr.  Friedländer  auf  der  Nürnberger  Tagung 
ausführte,  gibt  es  eine  zweifache  Suggestion, 
eine  wesenseigene  und  eine  wesensfremde. 
Letzterer  gelingt  es  in  der  Regel  nicht  so 
leicht,  ihren  Einfluß  auszuüben,  weil  sie  in 
dem  zu  Suggerierenden,  zumal  wenn  er  guten 
und  starken  Willens  ist,  löft  kräftige  Hemmun- 
gen und  Widerstände  zu  überwinden  hat. 
Die  wesenseigene  Suggestion  dagegen  findet  in 
ihrem  Opfer  oft  schon  eine  Fülle  von  Apperzep- 
tionen, eine  für  die  Beeinflussung  vorbereitete 
und  wohlgeneigte  Seele.  Diese  wesens- 
eigene Suggestibilität  braucht  gar  nicht  an- 
geboren zu  sein,  sie  kann  auch  anerzogen  sein, 
und  dies  ist  bei  der  nationalistischen 
Suggestibilität  der  Fall.  Denn  es  gibt  heute 
noch  große  Völker,  die  absolut  friedliebend 
sind  und  nationalistischer  Suggestion  den 
stärksten  Widerstand  entgegenstellen.  Auch 
unsere  Kulturvölker  wissen  auf  Grund  ihrer 
Lebenserfahrungen,  daß  ihnen  Glück  und 
Wohlergehen  nur  im  Frieden  erblühen.  Wenn 
sie  trotzdem  immer  wieder  der  natio- 
nalistischen Suggestion  erliegen,  so  ist  dies 
dem  Umstand  zuzuschreiben,  daß  die  Volks- 
seele von  Kindheit  an  durch  die  Schul-  und 
Hauserziehung  mit  zahllosen  Fäden  natio- 
nalistischer Denkweise  umsponnen  wird,  in 
die  sich  später  eine  derartige  Suggestion  mit 
Leichtigkeit  verankern  kann.  Dieser  von 
Kindheit  an  gesponnenen  Fäden  können  sich 


414 


die    Völker    trotz    gegenteiliger    Erkenntnisse 
und  Erfahrungen  nie  mehr  ganz   entledigen. 
Denn    die   in    der   Jugend   gewonnenen    Ein- 
drücke und  Willensimpulse   sind  die  für  das 
ganze    Leben     nachhaltigsten.     So   wird   die 
ganze   Gesinnungs-,   Willens-  und  Charakter 
bildung  des  Volkes  von  Jugend  auf  durch  die 
staatlich    organisierte    Schulerziehung    darauf 
eingestellt,   den  Nationalismus  mit  all  seinen 
Aeußerungen    und     Ausstrahlungen     als     die 
höchste  Tugend   des  Volkes  betrachten   und 
wertschätzen  zu  lernen.   Dem  A-B-C-Schützen 
sowohl  wie  dem  Primaner  wird  es  in  Fleisch 
nud  Blut  eingeimpft,  daß  der  höchste  Ruhm 
der  ist,  für  das  Vaterland  zu  sterben.  Durch 
die  ganze  Art   des   Schulbetriebs,   durch   den 
kriegerischen    Geist    der    historischen    Unter- 
weisungen,  durch   die  von  eitlem  nationalem 
Ehrgeiz    gefärbten   Belehrungen   über  andere 
Länder  und  Völker  wird  das  Volk  von  Gene- 
ration zu  Generation  in  einen  von  Nationalis- 
mus    und     Militarismus     durchtränkten    gei- 
stigen Habitus  gesteckt,  aus  dem  es  auch  im 
späteren  Leben  nie  mehr  ganz  herauskommt. 
Hier  liegt,  wie  ich  bereits  an  anderen  Stellen 
dargetan   habe,   der  Angelpunkt,   in   dem  die 
Friedensbewegung   einzusetzen   hat,   wenn   es 
ihr    nicht    bloß    um   vorübergehende    Erfolge 
zu  tun  ist,  sondern  wenn  sie  ihre  große  Zu- 
kunftsaufgabe  erfüllen  will,   nämlich  die  Ge- 
sinnungs- und  Willensrichtung  der  Völker  im 
Sinne  des  Friedensgedankens  von  Grund  aus 
umzugestalten.    Die  Verwirklichung  des  Frie- 
densgedankens   ist    im    letzten    Grunde    eine 
Sache  der  Erziehung.     Der  Friedensgedanke 
muß  aufs  engste  verknüpft  werden  mit  dem 
Gedanken     der    Erziehung    des    Men- 
schengeschlechtes,     wie      er      unsern 
großen  Geistesheroen  Herder,  Lessing,  Goethe, 
Schiller,     Wilh.     von    Humboldt    und    vielen 
anderen  Führer  war  im  Leben  und  im  Wirken. 
Nur   durch    die   Erziehung,   durch   eine   plan- 
mäßige,    wohlüberlegte     Einwirkung   auf    die 
Jugend    im    Geiste    der   Versöhnlichkeit    und 
der      gegenseitigen       internationalen      Wert- 
schätzung wird  es  möglich  werden,  die  wesens- 
eigene    nationalistische.   Suggestion     in    eine 
wesensfremde    umzuwandeln    und    so    in    der 
Volksseele  selbst  einen  Damm  gegen  die  wech- 
selnden Stimmungen,  gegen  die  die  niedrigen 
Instinkte  aufpeitschenden  Verhetzungen  auf- 
zurichten.     Durch    die    Erziehung    muß    das 
verkehrte  Werturteil  vom  Tod  für  das  Vater- 
land dahin  umgewertet  werden,  daß  es  wert- 
voller   ist,    für    das    Vaterland    zu    leben, 
statt  zu  sterben,  daß  sich  der  echte  Patriotis- 
mus in  dem  guten  Willen  zeigt,  an  der  Lösung 
und  Verwirklichung  der  vaterländischen  Kul- 
turaufgaben nach  Kräften  mitzuarbeiten.    Die 
Erziehung    muß    die    Erkenntnis    vermitteln, 
daß   Heldentum  nicht   bloß   in   der   Schlacht 
zu  finden  ist,   sondern  daß   sich  Gelegenheit 
zu  echtem  Heldentum  auch  im  kleinsten  Wir- 
kungskreise täglich  darbietet;  die  Erziehung 
muß  in  die  Jugend  eine  Vaterlandsliebe  ein- 


g>~ 


=  DIE  FRIEDEN5-^ARXE 


pflanzen,  die  sich  jederzeit  bewußt  ist,  daß  das 
eigene  Vaterland  allein  noch  nicht  die  Welt 
bedeutet,  sondern  in  seinem  Gedeihen  von 
den  anderen  Ländern  der  Erde  abhängig'  ist, 
daß  die  Voraussetzungen  für  seine  Wohlfahrt 
um  so  mehr  gegeben  sind,  je  mehr  es  ihm 
gelingt,  im  friedlichen  Wettstreit  mit  den 
anderen  Nationen  um  die  Erzeugung  der 
höchsten  Kulturwerte  sich  die  Achtung  und 
Wertschätzung  in  der  Welt  zu  erringen,  und 
je  mehr  Freundschaftsbande  es  mit 
anderen  Völkern  verbindet.  Diesen  Weg, 
der  durch  die  Jugenderziehung  hindurchführt, 
hat  uns  Goethe  schon  gewiesen,  wenn  er 
sagt,  daß  mit  Erwachsenen  in  solch  großen 
Dingen  nie  viel  anzufangen  ist.  „Fangt 
mit  der  Jugend  an,  und  es  wird  gehen!" 

Ein  Blick  in  die  Organisation  des  heu- 
tigen Erziehungswesens  zeigt,  daß  die  Um- 
formung desselben  im  Sinne  des  Friedens- 
gedankens keine  leichte  Arbeit  ist,  sondern 
unendlich  viel  Geduld  und  Ausdauer  erfor- 
dert; denn  Voraussetzung  für  ein  Gelingen 
ist  doch,  daßi  die  Erzieher  erst  selbst  einmal 
den  Friedensgedanken  als  einen  sie  in  ihrer 
Berufsarbeit  verpflichtenden  Imperativ  an- 
erkennen. Daher  gilt  es  vor  allem,  diejenigen 
für  den  Friedensgedanken  zu  gewinnen  und 
zu  begeistern,  die  in  erster  Linie  zur  Er- 
ziehung der  Jugend  berufen  sind:  Lehrer, 
Lehrerinnen,  Professoren,  Geistliche,  Ge- 
lehrte. Eine  weitere  Vorbedingung  für  diese 
Umbildung  ist,  daß  sie  nicht  einseitig  in 
einem  Lande  einsetzt,  sondern  gleichzeitig 
in  den  benachbarten  Kulturländern  nach  ge- 
meinsamen Grundsätzen  und  Richtlinien  sich 
vollzieht.  Zu  diesem  Zwecke  müssen  sich 
die  am  Erziehungsgeschäfte  in  den  ver- 
schiedenen Kulturländern  Beteiligten  selbst 
persönlich  nähertreten,  sich  gegenseitig 
kennen  und  verstehen  lernen.  Um  dies  zu 
ermöglichen,  könnte  man  verschiedene  Wege 
einschlagen.  Man  könnte  z.  B.  von  Zeit  zu 
Zeit  internationale  Kongresse  für  alle  an  der 
Jugenderziehung  beteiligten  Personen  ver- 
anstalten. Dafür  scheint  mir  aber  jetzt  die 
Zeit  noch  nicht  gekommen  zu  sein.  Denn, 
abgesehen  davon,  daß  sich  eine  derartige 
Zusammenkunft  doch  immer  auf  eine  ver- 
hältnismäßig kurze  Zeit  von  einigen  Tagen 
beschränken  müßte  und  infolgedessen  zu 
wenig  Zeit  für  ein  persönliches  Sichnäher- 
treten übrigließe,  so  würden  solche  Kon- 
gresse in  der  Hauptsache  doch  nur  von  solchen 
Personen  besucht  werden,  die  bereits  dem 
Friedensgedanken  mehr  oder  weniger  näher- 
gekommen sind.  Die  große  Mehrheit  der 
Lehrpersonen  würde  aber  immer  noch  in  Unr- 
kenntnis  oder  Teilnahmslosigkeit  an  der  pä- 
dagogischen Friedensbewegung  abseits  stehen. 
Gerade  diese  Mehrheit  aber  gilt  es  zu  ge- 
winnen. Da  der  Friedensgedanke  allein  sie 
nicht  zusammenbringen  würde,  so  muß.  man 
nach  anderen  Gelegenheiten  suchen,  die  zug- 
kräftig   genug     sind,     um     regelmäßig    eine 


größere  Anzahl  von  Lehrern  und  Erziehern 
aus  allen  Ländern  auf  möglichst  lange  Zeit 
zu  gemeinsamer  Arbeit  und  Beratung  zu- 
sammenzuführen. Eine  derartige  Gelegen- 
heit glaube  ich  durch  unsere  „Ferienkurse 
für  Ausländer"  geschaffen  zu  haben,  die  in 
diesem  Sommer  zum  achten  Male  stattgefun- 
den haben.  Sie  verdanken  ihre  Entstehung 
hauptsächlich  der  Beobachtung,  daß  in  den 
meisten  Kulturländern  sich  in  den  Kreisen 
der  Schulmänner  immer  mehr  die  Strömung 
die  Oberhand  verschafft,  die  fremde  Sprache 
und  Kultur,  Land  und  Leute,  Sitten  und  Ein- 
richtungen in  dem  betreffenden  Lande  selbst 
an  Ort  und  Stelle  kennen  zu  lernen.  Alles, 
was  diesem  Zwecke  dient,  muß  daher  in  dem 
Programm  solcher  Kurse  im  Vordergründe 
stehen,  was  nicht  ausschließt,  daß  alle  der- 
artigen Darbietungen  vom  Gedanken  und  der 
Absicht  internationaler  Verständigung  ge- 
tragen werden.  Im  Gegenteil !  Durch  die 
Tatsache,  daß.  die  Kursteilnehmer  wenigstens 
vier  Wochen,  viele  sogar  sechs  und  neun 
Wochen  lang  zusammengehalten  werden,  ist 
außerordentlich  viel  Gelegenheit  zu  gegen- 
seitigem Gedankenaustausch  gegeben,  der  es 
ermöglicht,  bestehende  Vorurteile  zu  zer- 
streuen und  sich  gegenseitig  kennen  und 
schätzen  zu  lernen.  Im  Gegensatze  zu  man- 
chen anderen  derartigen  Einrichtungen,  die 
meistens  ausschließlich  wissenschaftliche 
Unterweisungen  an  einheimische  Lehrer  zum 
Zwecke  haben,  oder  die  sich  nur  an  aus- 
ländische Neuphilologen  wenden,  vereinigen 
unsere  Kurse  von  Anfang  an  Lehrer,  Lehre- 
rinnen, Professoren  und  Schüler  höherer  Lehr- 
anstalten aus  allen  Kulturländern,  und  daher 
wirken  an  ihnen  auch  Lehrer  und  Professoren 
aller  Schulgattungen,  von  Volks-,  Mittel-  und 
Hochschulen.  Da  mit  den  Ferienkursen  auch 
solche  in  französischer  und  englischer  Sprache 
verbunden  sind,  so  stellt  sich  jährlich  auch 
eine  größere  Anzahl  deutscher  Lehrer  und 
Schüler  bei  denselben  ein,  so  daß,  sich  die 
verschiedenen  Nationen  durch  gegenseitigen 
Sprachaustausch  näher  kommen.  So  stellten 
sich  also  unsere  Ferienkurse  von  Anfang  an 
durch  Förderung  des  persönlichen  Verkehrs 
und  Gedankenaustausches  an  Diskussions-, 
Familien-  und  Unterhaltungsabenden,  auf  ge- 
meinsamen Spaziergängen  und  Ausflügen  in 
den  Dienst  des!  internationalen  Verständi- 
gungsgedankensL  :  .Es  ist  doch  leicht  ein- 
zusehen, daß  auf  diese  Weise  in  einer  Reihe 
von  Jahren  in  den  verschiedenen  Ländern 
ein  Stab  von  Erziehern  gewonnen  wird,  die 
als  Pioniere  des1  Friedensgedankens  in  diesem 
versöhnlichen  Geiste  auf  die  ihnen  anver- 
traute Jugend  und  damit  auf  ihr  Volk  ein-i 
wirken  und  so  der  internationalen  Verständi- 
gung immer  mehr  den  Boden  bereiten.  Da 
die  Kurse  jährlich  im  Durchschnitt  von 
200  Teilnehmern  —  die  deutschen  nicht  ein- 
gerechnet —  besucht  werden,  so  wird  in  zehn 
Jahren  eine  Zahl  erreicht,  die  in  ihrem  Ein- 


415 


DIE  FRIEDENS  -WARTE  = 


■3 


fluß  auf  die  Ausbreitung  des  Verständigungs- 
gedankens gewiß  nicht  zu  unterschätzen  ist. 
Aus  einer  Fülle  ganz  spontaner  Kundgebun- 
gen unserer  Kursteilnehmer  durften  wir  die 
Ueberzeugung  gewinnen,  daß  man  unserem 
Bemühen,  dem  Verständigungsgedanken 
immer  mehr  Anwälte  und  Verkündiger  zu 
verschaffen,  Verständnis  und  guten  Willen 
entgegenbringt.  Selbst  Skeptiker  und  hart- 
gesottene Nationalisten  haben  uns  den  Be- 
weis geliefert,  daß  sie  durch  ihren  hiesigen 
Aufenthalt  allmählich  zu  einer  besseren  Ein- 
sicht   gekommen    sind. 

Diese  günstigen  Erfahrungen  ermutigten 
die  Kursleitung,   das1  Ziel   weiter  zu   stecken 
und  sich  nicht  bloß  damit  zu  begnügen,  die 
Kursteilnehmer  einander  persönlich  näher  zu 
bringen  und  sie  für  eine  internationale  Ver- 
ständigung ziu  erwärmen.   Wer  planmäßig  und 
zielbewußt  für  den  Friedensgedanken  arbeiten 
und  gegen   alle  Angriffe,   von  welcher   Seite 
sie  auch  kommen,  gerüstet  sein  will,  der  muß 
den   Friedensgedanken   auch   wissenschaftlich 
erfaßt   und  ihn  nach  allen  Seiten  betrachtet 
haben,    nach    seinen    historischen,    ethischen, 
sozialen,   nationalen,   wirtschaftlichen,   völker- 
rechtlichen Stützpunkten.   Diese  allseitige  Auf- 
klärung über  den  Friedensgedanken  soll  unser 
internationales    Friedensseminar    bieten,    das 
wir  organisch  mit  unseren  Ferienkursen  ver- 
bunden haben  und  das  im  letzten  Sommer  ium 
erstenmal   in   Tätigkeit   trat,   wenn  wir  auch 
schon    in    den    vorhergehenden    Jahren    stets 
einige   rein    pazifistische  Vorträge  aufs   Pro- 
gramm gesetzt   hatten.     Hervorragende  Ver- 
treter    und    Führer    der    Friedensbewegung 
hatten    wir    für    solche    Vorträge    gewonnen. 
Leider  wurden  einige  Redner  durch  den  Um- 
stand, daß  der  Haager  Kongreß  in  die  zweite 
Hälfte  des  August  fiel,  verhindert  zukommen. 
Trotzdem    boten    die    übrigen   pazifistischen 
Vorträge  eine  solche  Fülle  von  Anregungen, 
daß  die  Zeit  kaum  ausreichte,  den  dargebote- 
nen Stoff  zu  verarbeiten.     Bemerkt  sei  noch, 
daß    die   meisten    dieser   Vorträge    öffentlich 
und  daher  für  jedermann  zugänglich   waren. 
Schon  zu  dem  ersten  Vortrage  hatte  sich  eine 
große  Zuhörerschaft,  rund  600  Personen,  ein- 
gefunden    und    dem    Redner,    Richard    Feld- 
haus,    gelang    es)    auch    durch     seine   inter^ 
essanten   und  fesselnden   Ausführungen   über 
das  Thema  „Der  Balkankrieg  und  die  Frie- 
densbewegung",   erläutert   durch   viele  Licht- 
bilder,   die  Hörer  für  den   Friedensgedanken 
zu  erwärmen  und  sie  in  atemlosem  Lauschen 
bis    zum    Schlüsse    festzuhalten.      Die    wirt- 
schaftliche   Seite    der   Friedensbewegung   be- 
handelte der  englische  Professor  Ernst  Breul 
in  seinen  Vorträgen  „Das  Geld  im  täglichen 
Gebrauch"      und      „Die      Friedensrolle      des1 
Kredits".    Der  Kursleiter  nahm  Veranlassung, 
das   in   diesem   Jahre  aktuelle   Thema    „Die 
vaterländische  Dichtung  von  1813"  vom  Frie- 
densgedanken aus  zu  beleuchten  und  in  dessen 
pädagogische  Grundlagen  durch  den  Vortrag 


„Erziehung  zum  Frieden"  einzuführen.   Ueber 
„die    Organisation    der    internationalen    Frie 
densbewegung"    erstattete   der   Direktor    de 
Berner  Bureaus,  Nationalrat  Dr.  Gobat,  einen 
klar   und   übersichtlich    aufgebauten    Bericht. 
Den     Höhepunkt     erreichten     unsere     Kurse 
durch    den    Vortrag    unserer    hochverehrten 
Führerin,  der  Frau  Baronin  von  Suttner,  über 
„Die    Friedensbewegung    in    Amerika".     Das 
war    nicht    bloß,    ein    sensationelles   Ereignis 
für  unsere  Kurse,   sondern  für  ganz  Kaisers- 
lautern,   ja   für    die    Pfalz.      Denn   auch    von 
auswärts      trafen      mit      den      Zügen      zahl- 
reiche Hörer  ein  und  halfen  Saal  und  Galerien 
der    mehrere    Tausend    Menschen    fassenden 
Fruchthalle   füllen.      Wer    schon    einmal    das 
Glück  hatte,  dieser  geistreichen  Frau  zuhören 
zu     dürfen,     wird     sich     keinen      Augenblick 
im  Zweifel  darüber  sein,  wie  sehr  es  ihr  auch 
bei     dieser    Gelegenheit     gelungen    ist,    ihre 
Hörer  unwiderstehlich  in  den  Bannkreis  ihrer 
Ideen  zu  ziehen  und  sie  nicht  bloß  für  ihre 
große   Persönlichkeit,    sondern   auch   für    die 
große   Sache,   die  sie  vertritt,   zu  begeistern. 
Mit  dem  Anhören  der  Vorträge  sollte  es- 
aber  nicht  sein  Bewenden  haben.     Friedens- 
seminar    heißen    wir    unsere    Einrichtung^ 
und  zwar  deshalb,  weil  sie  den  Teilnehmern 
Gelegenheit    geben    soll,    selbsttätig    zu    den 
verschiedenen   Problemen    der   Friedensbewe- 
gung Stellung  zu  nehmen,  sich  zu  üben,  den 
Friedensgedanken    gegen    vorgebrachte    Ein- 
wände zu  verteidigen   und  durch   eigene  Ar- 
beit immer  tiefer  in  denselben  einzudringen. 
Zu    diesem    Zwecke   wurden    besondere    Dis- 
kussionsstunden   angesetzt,    in    denen    die    in 
den  Vorträgen  gehörten   Gedanken  und  An- 
schauungen zur  Aussprache  gestellt  wurden. 
Eingeleitet    wurden    diese   Aussprachen    stets- 
durch    einige    kurze    Referate,    die    von    den 
Kursteilnehmern   gern    übernommen    wurden. 
Bei   Verteilung    derselben    wurde   darauf   ge- 
gesehen,   daß    die    verschiedenen    Nationali- 
täten   und    auch    diejenigen   Teilnehmer,    die 
dem  Friedensgedanken  noch  gleichgültig  oder 
ablehend  gegenüberstanden,  zu  Worte  kamen- 
Zur  Vorbereitung  steht  den  Berichterstattern 
eine    reiche    Literatur    zur    Verfügung;    denn 
mit    dem    Friedensseminar   ist    eine    ständige 
Ausstellung       und      möglichst      vollständige 
Sammlung    der    Friedensliteratur    verbunden. 
Hier  liegen  auch  die  Weltpetitionsbogen  von 
Miß   Eckstein  auf,   die  zudem  auch  während 
jedes    öffentlichen   Vortrages    zur   Verteilung 
kamen. 

Wenn  noch  irgendwo  Zweifel  bestehen 
sollten,  ob  wir  mit  unserer  Einrichtung  den 
erwünschten  Erfolg  erzielen,  so  werden  sie 
durch  das  Verhalten  unserer  Gegner  be 
seitigt,  die  ihrem  Groll  über  die  von  dem. 
Friedensseminar  ausgeübte  Wirksamkeit 
durch  scharfe,  öffentliche  Angriffe  und  Ver- 
dächtigungen, sogar  in  der  Berliner  Kreuz- 
zeitung, Luft  machten.  Gerade  dieses1  auf- 
geregte   Gebaren     unserer     nationalistischen. 


416 


(§s 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


Widersacher  beweist  uns,  daß  wir  auf  dem 
rechten  Wege  sind.  Auch  der  zahlreiche 
Besuch  der  diesjährigen  Kurse  ist  ein  Beleg 
dafür,  daß  der  Anschluß  eines  Friedens- 
seminars an  die  Ferienkurse  diesen  selbst 
nur"  förderlich  sein  kann.  Wenn  auch  diesmal 
die  französischen  Gymnasiasten  infolge  der 
hochgradigen  Erregung,  die  im  letzten  Winter 
die  Nachbarvölker  ergriffen  hatte,  sich  in 
geringerer  Zahl  einfanden,  so  haben  wir  doch 
auch  einen  Fortschritt  im  Besuch  zu  ver- 
zeichnen, insofern  auch  weiter  abliegende 
Länder  zum  erstenmal  vertreten  waren.  Die 
Hauptzahl  stellte  immer  noch  Frankreich, 
dann  folgte  England,  Belgien,  Rußjland, 
Ungarn.  Vertreten  waren  außerdem  Griechen- 
land. Norwegen,  Indien,  Aegypten,  Algerien, 
Tunis  und  zum  erstenmal  auch  Amerika.  Frei- 
lich bedarf  eine  derartige  Einrichtung,  wenn 
sie  Bestand  haben  und  weiter  entwicklungs- 
fähig sein  soll,  auch  der  nötigen  Geldmittel. 
Bis  jetzt  konnte  sie  nur  durch  die  größten 
persönlichen  Opfer  gehalten  werden.  Der 
Leitgedanke  unserer  Ferienkurse  und  unseres 
Friedensseminars  soll  auch  fernerhin  sein  und 
bleiben:  Durch  Erziehung  zum 
Frieden! 


Erlauschtes,  Erlebtes,  Erdachtes 
in  Frankreich, 

Ernste  Betrachtungen 

von  einem  patriotischen  deutschen 

Studente  n*). 

Der  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Pro- 
fessor Dumeril-Ancenis  verdankte  ich  meine 
Einladung  in  eine  französische  Familie  West- 
frankreichs. Ich  fühle  mich  bewogen,  Herrn 
Dumeril,  der  ein  geschätzter  Mitarbeiter  der 
,, Friedenswarte"  ist,  auch  an  dieser  Stelle 
meinen  wärmsten  Dank  für  seine  Freundlich- 
keit auszusprechen.  Hatte  ich  mich  doch  schon 
lange  danach  gesehnt,  eigene  Erfahrungen  in 
dem  Nachbarreiche  zu  sammeln,  um  so  ein 
objektives,  ungetrübtes  Bild  des  französischen 
Volkes  zu  erhalten  und  die  ganze  Tiefe  seiner 
Seele  nach  Möglichkeit  kennen  zu  lernen. 

Einiges  mitzuteilen,  von  dem,  was  ich  in 
zweieinhalbmonatlichen  Aufenthalte  in  Frank- 
reich in  stetem  Verkehr  und  in  enger  Vertraut- 
heit mit  der  französischen  Volksseele  schaute, 
erlauschte  und  erlebte,  und  die  Gedanken,  die 
mich  gar  oft  in  fremden  Landen  bestürmten, 


*)  Der  Verfasser,  dessen  Name  der  Re- 
daktion bekannt  ist,  schreibt  dieser:  „Ich 
stehe  auf  streng  konservativem 
Standpunkte,  was  mich  aber  nicht  hindert, 
unbedingt  für  die  Friedensbewegung  zu  arbeiten, 
soviel  in  meinen  schwachen  Kräften  liegt,  d  a 
ich  ihre  Daseinsberechtigung,  ja 
kategorische  Forderung  während 
meines  Aufenthalts  in  Frankreich 
erkannt    hab  e." 


jedermann   offen  kund   zu   tun,    soll  in   nach- 
folgenden Ausführungen  meine  Aufgabe  sein. 

Ich  lebte  die  ganze  Zeit  in  einer  einfachen, 
schlichten  Handwerkerfamilie,  wurde  ganz  wie 
zur  Familie  gerechnet,  und  man  machte  mir 
gegenüber  nie  aus  seinen  Gedanken  ein  Hehl. 
Ich  lernte  viele,  viele  kennen,  in  Stadt  und 
Land,  vom  einfachen  Arbeiter  bis  zum  Führer 
des  Volkes,  verkehrte  in  vertrauter  Weise  viel 
in  Familien  und  gewann  dabei  viele  liebe 
Freunde,  so  daß  ich  im  Laufe  der  Zeit  ein 
ziemlich  klares  Bild  des  Franzosen  von  heute 
gewonnen  habe. 

Vor  allem  muß  ich  die  große  Gast- 
freundschaft und  Liebenswürdigkeit  des 
französischen  Volkes  loben.  Ich  war  ein 
wildfremder  Mensch,  selbst  für  meine  Wirts- 
leute, der  nur  auf  Empfehlungen  eingeladen 
war  und  noch  dazu  dem  feindlichen  Nachbar- 
volke angehörte.  Trotzdem  nahm  man  mich 
mit  einer  Herzlichkeit  auf,  die  mich  in  Staunen 
setzte.  Bald  wurde  ich  ganz  zur  Familie  ge- 
rechnet. Ich  besuchte  mit  meinen  freundlichen 
Wirtsleuten  deren  Verwandte,  Bekannte  und 
Freunde,  und  überall,  wohin  ich  kam,  fand 
ich  gastfreundliches,  herzlichstes  Entgegen- 
kommen, obwohl  ich  der  Nation  der  „Prussiens 
qui  fönt  la  guerre"  angehörte.  Es  waren  meist 
einfache  Landleute,  mit  denen  ich  näher  ver- 
kehrte, Landleute,  denen  die  Finessen  der 
diplomatischen  Redewendungen  meist  fern 
waren,  so  daß  ich  stets  die  offene  Wahrheit, 
ihr  wahres  Fühlen  und  Denken  kennen  lernte. 
Die  guten  Leute  überboten  sich  förmlich  in 
Freundlichkeit.  Gerade,  wenn  man  hörte,  daß 
ich  Deutscher  sei,  wurde  ich  um  so  aus- 
gesuchter behandelt,  mußte  ich  unbedingt 
ihren  Wein  trinken  und  mit  ihnen  anstoßen, 
und  mehr  als  einmal  tönte  mir  dabei  der  Ruf 
entgegen:  „Vive  l'AUemagne!  Auf  Ihr  fernes 
Vaterland!"  Die  Bewirtung  war  geradezu 
großartig.  Gerichte  über  Gerichte  wurden  auf- 
getragen, selbst  bei  einfachen  Leuten,  und 
alles  nur,  weil  ich  ein   Deutscher  war. 

Als  ich  einst  durch  den  Mund  eines 
Schülers  des  Gymnasium  von  Nantes  dem 
dortigen  Direktor  den  Wunsch  ausgesprochen 
hatte,  einmal  den  Unterrichtsbetrieb  anzusehen, 
wurde  mir  dieses  sofort  auf  bereitwilligste  ge- 
währt. Der  Direktor  führte  mich  persönlich 
von  Klasse  zu  Klasse,  und  ich  wohnte  dem 
deutschen  Unterricht  in  verschiedenen  Klassen 
bei,  ich,  ein  deutscher  Student,  der  ich  noch 
dazu  nicht  einmal  Philologe  bin.  Jeder  Pro- 
fessor der  deutschen  Sprache  sprach  ohne 
weiteres  Deutsch  mit  mir,  sobald  er  vernahm, 
daß  ich  Deutscher  sei.  — 

Bald  war  ich  ein  gern  gesehener  Gast 
und  Vertrauter  in  mehreren  Familien  des 
Ortes.  Wie  oft  saßen  wir  des  Abends  in 
traulichem  Familienkreise  und  erzählten  uns 
von  dem  Großen  und  Schönen  beider 
Nationen,  und  abwechselnd  erklangen  deutsche 
und   französische   Lieder.      Namentlich   wollte 


417 


DIE  FRIEDEN5-^/AQTE 


■3 


man  deutschnationale  Lieder  immer  wieder 
hören. 

Und  dabei  machte  ich  aus  meiner  patrio- 
tischen Gesinnung  nie  ein  Hehl.  Im  Gegenteil, 
ich  sprach  stets  mit  Liebe  und  Achtung  von 
meinem  deutschen  Vaterlande  und  erklärte 
stets,  daß  ich  Deutscher  tmd  überzeugter  Mo- 
narchist   mit    Herz   und    Seele    sei. 

Wie  natürlich  kam  die  Rede  immer  wieder 
auf  das  Politische.  Und  da  mußte  ich  bald 
eine  große  Ueberraschung  erleben.  Das  fran- 
zösische Volk,  so  wie  ich  es  im  Westen  kennen 
gelernt  habe,  ist  vollkommen  friedlich  gesinnt. 
Sein  sehnlichster  Wunsch  ist,  einen  dauernden 
Frieden  zu  genießen.  Der  Revanchegedanke 
ist  tot,  man  sehnt  sich  nach  Frieden.  Man 
hat  mir  bisweilen  gesagt:  „Wir  wollen  Elsaß- 
Lothringen  gar  nicht  wieder  haben."  Im 
Laufe  der  Unterhaltung  wurde  ich  dann  stets 
gefragt :  „Weshalb  sind  die  Deutschen  nur  ein 
so  kriegerisches  Volk  und  sinnen  stets  dar- 
auf, u  ns  zu  bekriegen  ?  Wie  schön  wäre  es 
doch,  wenn  sie  uns  in  Ruhe  ließen  und  wir 
friedlich  nebeneinder  leben  könnten!"  Die 
guten  Leute  waren  stets  aufs  höchste  erstaunt, 
wenn  ich  ihnen  dann  auseinandersetzte,  daß 
das  deutsche  Volk  nicht  im  entferntesten  an 
Krieg  denke,  nichts  aufrichtiger  als  den 
Frieden  wünsche  und  seinerseits  gleichfalls 
glaube,  daß  das  französische  Volk  unserer 
Tage  beständig  an  eine  kriegerische 
Schwächung  Deutschlands  denke:  „Ja,  aber 
unsere  Zeitungen!"  sagte  man  mir   dann  oft. 

Ja,  die  Zeitungen,  darin  liegt  leider 
gerade  der  wunde  Punkt.  Anstatt  das  Volk 
aufzuklären,  hetzen  sie  es  nur  auf,  und  im 
Osten  der  Republik  ist  ihnen  dieses  bereits 
nur  zu  gut  gelungen.  Volksaufklärung 
tut  daher  bitter  not.  Und  es  ist  so  leicht,  das 
französische  Volk  aufzuklären,  wenn  man  es 
nur  in  geeigneter  Weise  anfängt.  Ich  habe 
mich  überall  stets  bemüht,  aufklärend  zu 
wirken  und  ihnen  ihre  falschen  Meinungen 
zu  nehmen,  was  mir  stets  gelungen  ist.  Ja, 
ich  habe  selbst  denen,  mit  denen  ich  näher 
verkehrte,  durch  meine  Schilderungen  auf- 
richtige Bewunderung  für  Deutschland  ein- 
geflößt. Einem  Brief,  den  ich  eben  aus  Frank- 
reich  erhalte,   entnehme   ich   folgende    Stelle: 

„Ich  gestehe,  daß  ich  vordem,  wenn  ich 
auch  nicht  Deutschland  haßte,  so  doch  keines- 
wegs es  liebte.  Sie  haben  meine  Gefühle 
ganz  geändert,  indem  Sie  es  mir  so  dar- 
stellten, wie  es  wirklich  ist.  Und  von  ganzem 
Herzen  sage  ich  daher  jetzt:  Es  lebe  Frank- 
reich!   Es  lebe  Deutschland!" 

Wenn  schon  der  einzelne,  landfremde 
solche  Erfolge  aufweisen  kann,  um  wieviel 
mehr  müßte  da  planmäßige,  aufklärende  Ar- 
beit von  berufener  Seite  wirken  können.  Es 
ist  ein  dankbares  Gebiet,  hier  Volksauf- 
klärungsarbeit zu  leisten:  „Die  Saat  ist  reif. 
Frischauf,   ihr   Schnitter,   zaudert   nicht!" 

Beide  Völker  wünschen  heute  in  ihrer 
großen  Gesamtheit  ernsthaft  den  Frieden,  ver- 


stehen sich  aber  nicht,  weil  man  sich  absolut 
nicht  kennt.  Man  rüstet,  weil  man  sich 
fürchtet,  man  fürchtet  sich,  weil  man  rüstet. 
Das  ist  der  beständige  Kreislauf.  Auf  beiden 
Seiten  sagt  man,  wir  sind  bereit;  möge  das 
Nachbarvolk  die  dargebotene  Friedenshand  an- 
nehmen. Aber  niemand  will  den  Anfang 
machen,  und  hierin  liegt  die  ungeheure  Ge- 
fahr, die  jedem  ernsthaften  Mann  zu  denken 
geben  muß.  Der  Deutsche  muß  aufhören,  in 
jedem  Franzosen  den  revanchelustigen  Drauf- 
gänger zu  sehen,  der  Franzose  in  dem  Deut- 
schen den  finstern  Kriegsmann,  den  Stören- 
fried Europas,  der  beständig  an  Ueberfall  und 
Zerstückelung  Frankreichs  denkt.  Möchte  man 
auch  endlich  einsehen  in  Frankreich,  daß 
Kaiser  Wilhelm  ein  Friedens kaiser  ist. 
Denn  unser  Kaiser  ist  jenseits  des  Rheins  der 
gefürchtetste  Mann.  Man  hält  ihn  meist  für 
den  größten  Feind  des  Weltfriedens,  für  den 
gewaltigen  Organisator  des  feindlichen 
Deutschland,  der  beständig  und  unermüdlich 
seine  gewaltige,  eisengepanzerte  Armee  ver- 
mehrt und  übt,  um  mit  ihr  dereinst  den  ge- 
waltigsten Weltbrand  zu  erregen,  den  die  Welt 
je  gesehen  hat.  Oft  hat  man  mir  gesagt : 
„Ein  dauernder  Frieden  ist  nicht  möglich, 
solange   Kaiser  Wilhelm  lebt." 

Wieviel  Aufklärungsarbeit  gibt  es  da  auf 
beiden  Seiten  zu  leisten.  Vor  allem  müßte 
man  der  chauvinistischen  Presse  den  Krieg 
bis  aufs  Messer  erklären.  Dann  müßte  in 
Theaterstücken  und  Büchern  alles  vermieden 
werden,  was  das  Nachbarvolk  in  seinen  Ge- 
fühlen verletzen  könnte.  Ich  denke  hier  vor 
allem  an  die  französischen  Theaterstücke,  in 
denen  die  deutsche  Armee  und  deutsches 
Wesen  und  deutsche  Sitten  lächerlich  gemacht 
werden.  In  Deutschland  müßte  man  aufhören, 
Bücher  zu  verfassen,  wie  z.  B. :  „Das  Ende 
Frankreichs",  die  unendlich  zur  Verschlechte- 
rung der  Beziehungen  beitragen. 

Möchten  doch  die  Völker  endlich  ein- 
sehen, daß  es  neben  den  Sonderinteressen 
der  einzelnen  Nationen  Interessen  gibt,  die 
allen  Staaten  gemeinsam  sind,  und  daß  man 
daher  am  besten  durch  internationale  Gemein- 
schaftsarbeit fährt.  Schon  die  wirtschaftlichen 
Interessen  drängen  gebieterisch  darauf  hin. 
Deutschland  bezieht  aus  Frankreich  eine 
Menge  Luxusartikel;  Frankreich  vollends  ist 
vollständig  in  wirtschaftlicher  Beziehung  von 
Deutschland  abhängig.  Seine  Hochöfen  an 
der  Ostgrenze  sind  auf  deutsche  Kohlen  an- 
gewiesen; die  wichtigsten  Maschinen  der  fran- 
zösischen Schiffswerften  stammen  aus  Düssel- 
dorf, sämtliche  elektrischen  Apparate  der 
Kriegsschiffe  aus  Berlin.  Alle  roten  Hosen- 
stoffe der  französischen  Armee  stammen  aus 
einer  Fabrik  in  Ludwigshafen.  Die  Gläser 
der  Feldstecher  kommen  aus  Jena,  die  Kon- 
serven der  französischen  Feldküche  sind  gleich- 
falls deutsches  Fabrikat  (Knorr-Konserven). 
Auch  der  Stoff  zu  den  Ballons  wird  aus 
Deutschland  bezogen.    Neuerdings  werden  die 


418 


@= 


=  DIE  FRIEDEN5-^k*M2XE 


modernen,  großen  Handelsschiffe  in  Stettin 
gebaut.  Eine  gewaltige  Anzahl  von  Ma- 
schinen, Lokomotiven  u.  a.  m.,  werden  gleich- 
falls in  Deutschland  hergestellt. 

Es  muß  aber  im  Interesse  aller  wahren 
Kultur  nach  Möglichkeit  erwünscht  und  er- 
strebt werden,  daß  dieser  gesteigerte  Handels- 
verkehr die  (Völker  auch  innerlich  näher 
bringt.     Leider  ist   das   nicht   der  Fall! 

Wieviel  würden  wir  voneinander  lernen, 
wenn  wir  Deutschen  und  die  Fran- 
zosen alle  Vorurteile,  allen  nationalen  Hoch- 
mut fahren  lassen  würden.  Wir  sind  ja  von 
Natur  bestimmt,  uns  zu  ergänzen.  Wieviel  das 
französische  Volk  von  uns  Deutschen,  dem 
Volke  der  modernen  Technik,  methodischen 
Bildung  und  Disziplin,  und  von  deutscher  Ge- 
mütstiefe lernen  könnte,  brauche  ich  nicht  erst 
zu  sagen.  Aber  auch  wir  könnten  gar  viel 
von  den  Franzosen  lernen.  Sind  sie  doch  das 
Volk  der  Gastfreundschaft  und  Ritterlichkeit, 
glühenden  Freiheitsverlangens,  Herzenswärme 
und  Schwärmerei,  mit  edlem  Sinn  für  Adel 
und  Schönheit — ,  das  Erbe  der  alten  Trou- 
badours. 

Möchte  dereinst  eintreten,  was  schon  jetzt 
von  einsichtsvollen  Geistern  hüben  und  drüben 
ersehnt  wird:  ein  ungetrübtes  Nachbarver- 
hältnis, ein  aufrichtiger  Freundschaftsbund 
zwischen  den  beiden  großen  Staaten. 


Berliner  Konferenz  pazifistischer 
Pastoren. 

Von  Pastor  F  r  a  n  c  k  e  ,  Berlin. 
Für  den  15.  Oktober  war  anläßlich  der 
Jubiläumstagung  des  Deutschen  Protestanten- 
vereins in  Berlin  eine  Konferenz  pazifistischer 
Pastoren  dahin  einberufen  worden.  Die  Ein- 
ladung hatte  sich  an  Theologen  im  Kirchen- 
und  Schulamt  ohne  Unterschied  der  Richtung 
gewendet.  Da  sie  aber  von  drei  Mitgliedern 
des  liberalen  Protestantenvereins  ausgegangen 
und  in  den  Rahmen  der  Protestantenvereins^ 
tagung  nachträglich  eingefügt  worden  war, 
so  war  es  begreiflich,  daß  die  Konferenz 
Beschickung  ausschließlich  aus  liberalen 
Pfarrerkreisen  erfuhr  und  daß  auch  diese  nur 
durch  solche  Interessenten  vertreten  waren, 
die  als  Protestantenvereinsmitglieder  die  Jubi- 
läumstagung in  Berlin  mitzumachen  in  der 
Lage  waren.  Angesichts  dieser  doppelt  ge- 
siebten Auswahl  war  die  Bteteiligung  eine  über- 
raschend gute  und  der  Verlauf  der  Verhand- 
lungen dürfte  trotz  der  sehr  ungünstigen  Be- 
gleitumstände, die  die  Konferenz  einengten^ 
bei  den  Teilnehmern  den  Eindruck  hinter- 
lassen haben,  daß  die  Weltfriedens« 
frage  bei  den  evangelischen 
Pfarrern  en  marche  ist  und  daß  der 
Prozentsatz  mindestens  der  liberalen  Theo- 
logen, die  sich  dafür  interessieren,  zusehends 
wächst.    Eingeengt   war  die    Konferenz    nicht 


nur  durch  den  völlig  unzulänglichen  Raum, 
der  ihr  zur  Verfügung  stand,  sondern  vor 
allem  durch  die  erdrückende  Konkurrenz 
zweier  gleichzeitig  tagenden  Versammlungen, 
die  um  4  Uhr  bereits  begonnen  hatten  und 
um  6V2  'Uhr  immer  noch  nicht  zu  Ende  waren. 
Da  um  8  Uhr  abends'  jedermann  wieder  zu 
den  großen  Volksversammlungen  eilte,  so 
blieb  der  pazifistischen  Konferenz  knapp  die 
Zeit  von  6V2  bis  7z/±  Uhr;  und  in  diesen 
fünfviertel  Stunden  hörte  sie  das  feinsinnige 
Referat  des  bekannten  Wortführers  der  pazi- 
fistischen Pastoren,  des  Pfarrers  Nithack- 
Stahn  von  der  Kaiser  Wilhelm-Gedächtnis- 
kirche,  sowie  eine  Diskussion  von  etwa  6  bis 
8  Debatterednern,  die  sich  äußerst  lebhaft 
und  interessant  gestaltete.  NithaCk- 
Stahn  hatte  in  seinem  Referat  ausgeführt: 
Es  sei  eine  Gewissenspflicht  der  Theologen, 
die  Gewaltanwendung  bei  Völkerstreitigkeiten 
lals  etwas  dem  Geiste  Jesu  .Christi  Wider- 
streitendes zu  erkennen.  Wer  den  Krieg 
als  Element  der  göttlichen  Welt- 
ordnung ansieht,  der  kennt  die 
Weltordnung  nicht,  die  der  Vatergott 
Jesu  durch  ihn,  den  Sohn,  geoffenbart  hat. 
L'nd  wer  die  von  den  Pazifisten  gezeigten 
Möglichkeiten,  den  Krieg  abzuschaffen,  nicht 
würdigen  mag,  weil  er  grundsätzlich  miß- 
trauisch ist,  der  hat  eigentlich  keinen  Glau- 
ben. Er  glaubt  nicht  an  das  Kommen  des 
Reiches  Gottes.  Es  ist  sehr  billig,  die  Pazi- 
fisten als  Utopisten  zu  verspotten;  also  haben 
sie  auch  getan  den  ,, Schwärmern"  früherer 
Zeiten,  die  die  Nachwelt  beschämt  als  Prophe- 
ten anerkennen  mußte.  Es  wäre  sehr  be- 
dauerlich, wenn  gerade  wieder  die  Geistlich- 
keit, das  Priestertum  und  die  Schriftgelehr- 
samkeit unserer  Tage  das  Prophetische  be- 
kämpfen wollte,  was  von  den  nichtgeistlichen 
Bannerträgern  der  pazifistischen  Bewegung  in 
unsere  Zeit  hineingetragen  worden  ist. 

Die  sich  anschließende  Debatte  konzen- 
trierte sich  bald  auf  2  Punkte:  Wie  will  die 
Kirche  das  Vertrauen  der  Arbeiterschaft 
wiedergewinnen,  wenn  sie  sich  in  der  Be- 
mühung um  Weltfrieden  und  Völkerverständi- 
gung von  der  Sozialdemokratie  beschämen 
läßt  ? !  Unerläßlich  sei  es,  daß  sie  neben  der 
Predigt  vom  Frieden  auch  den  Willen  zum 
Frieden  und  die  Tat  zum  Frieden  treibt,  und 
zwar  nicht  nur  zum  Frieden  der  Seelen,  son- 
dern zum  Frieden  der  Welt.  Denn  auch  den 
will  die  iBibel  und  verheißt  die  Bibel.  — 
Sodann  wurde  psychologisch  erörtert,  ob 
Kriegsverherrlichung  und  Tapferkeitsruhm 
dem  Gerechtigkeitsgefühl  entspricht.  Minde- 
stens nicht  dem  christlichen!  wurde  von  der 
einen  Seite  gesagt.  Denn  es  ist  kern  sonder- 
liches Verdienst  und  erfordert  nur  geringe 
Selbstbeherrschung,  in  der  tosenden  Feld- 
schlacht physische  Tapferkeit  zu  beweisen, 
und  aufsteigende  Angst  und  Zaghaftigkeit  zu 
unterdrücken.  Woher  sonst  die  kriegerische 
Ueberlegenheit      ethisch      tiefstehender      Völ- 


419 


DIE  FRIEDENS -^/ARTE 


■3 


ker?  —  Es  war  sehr  interessant,  daß 
als  dem  von  der  anderen  Seite  ent- 
gegengehalten wurde,  auch  die  Pazifisten 
dürften  die  im  Kriege  bewiesene  Virtus, 
die  Männlichkeit,  nicht  gering  einschätzen,  — 
sei  sie  doch  die  Seele  der  großen  Zeit  vor 
100  Jahren,  sowie  auch  der  Großtaten  unserer 
Väter  von  1866  und  1870  gewesen!  —  seitens 
eines  Oberlehrers,  eines  früheren  Theologen, 
erwidert  wurde:  ihm  sei  von  seinem  Vater, 
einem  Berufssoldaten  und  Feldzugsteilnehmer, 
bezeugt  worden,  daß  von  persönlicher  Tapfer- 
keit in  der  Feldschlacht  nur  in  ganz  seltenen 
Ausnahmefällen  die  Rede  sein  könne.  Das, 
was  die  Massen  fortreißt,  sei  nicht  Tapfer- 
keit, sondern  Nervenaufregung ;  dieselbe  könne 
auch  in  ihr  Gegenteil,  in  allgemeine  De- 
pression, umschlagen  und  habe  dann  jene  un- 
begreifliche Massenfurcht,  die  Panik,  im  Ge- 
folge. —  Sehr  schade,  daß  dieser  interessante 
Beitrag  aus  persönlicher  Erfahrung  nur  noch 
von  Wenigen  gehört  wurde.  Die  Versammlung 
hatte  sich  angesichts  der  bevorstehenden  fünf 
großen  Volksversammlungen  desselben  Abends 
schon  sehr  gelichtet  und  mußte  von  dem 
Leiter,  Pfarrer  Böhme  aus  Kunitz  bei  Jena 
gegen  3/±8  Uhr  geschlossen  werden.  Sie  war 
von  ca.  20  Theologen  und  zahlreichen  Gästen 
besucht  gewesen,  unter  den  ersteren  befand 
sich  bezeichnenderweise  ein  Delegierter  des 
evangelisch-protestantischen  Kirchenblattes  für 
Elsaß-Lothringen. 

Irgend  eine  Beschlußfassung  oder  Herbei- 
führung eines  engeren  Zusammenschlusses  der 
pazifistischen  Pastoren  konnte  unter  diesen 
Verhältnissen  nicht  erfolgen;  doch  ist  gewiß, 
daß,  wenn  bei  ähnlichen  Anlässen  bald  weitere 
Zusammenkünfte  der  friedensfreundlichen 
Theologen  folgen,  dem  Pazifismus  aus  diesen 
Kreisen  eine  starke  und  einflußreiche  Hilfe 
erwachsen  wird.  Die  Stimmung  war  eine  aus- 
gezeichnete. 

Als  besonders  bedeutsam  muß  noch  nach- 
getragen werden,  daß  diese  für  den  Pazifismus 
günstige  Stimmung  sich  wiederholt  auch  bei 
den  anderen  Versammlungen  der  Protestanten- 
vereinstagung geltend  machte.  Den  preußi- 
schen liberalen  Pfarrern  mag  es  noch  über- 
raschend gekommen  sein,  wie  gleich  der  erste 
Hauptredner,  der  Baseler  Theologie-Professor 
P.  W.  Schmidt  in  seinem  Referat  warme 
pazifistische  Töne  anschlug.  Aber  dem  freien 
Sohn  der  Schweiz  war  das  so  selbstverständ- 
lich, daß  sich  die  Preußischen  Kollegen  bald 
sehr  ernst  gefragt  haben  mögen,  ob  Militär- 
schwärmerei und  Kriegsbegeisterung  mit 
echtem  Liberalismus  nicht  ebenso  schwer  ver- 
einbar sei,  wie  mit  echtem  protestantischen 
Christentum.  Jedenfalls  erfuhr  Pfarrer  Fre- 
de r  k  i  n  g  aus  Charlottenburg  in  einer  nur 
von  Pfarrern  besuchten,  stark  frequentierten 
Versammlung  eine  Ablehnung,  als  er 
die  400  Unterzeichner  des  Friedensaufrufs  des 
Dilettantismus  bezichtigte  und  andeutete,  sie 
seien  zu  wenig  politisch-geschichtlich  orientiert, 


um  öffentlich  aufzutreten.  Unter  dem  Beifall 
der  Versammlung  konnte  der  Vertreter  dieses 
Berichts  erwidern,  daß  Pfarrer  Frederking 
in  der  Geschichte  der  Vergangenheit  gewiß 
sehr  gut  zuhause  wäre,  daß  er  aber  für  die 
Mächte  der  Gegenwart  offenbar  keinen  Blick 
habe. 

Mit  Spannung  darf  man  erwarten,  ob 
nach  dieser  Kundgebung  von  liberal  -  theo- 
logischer Seite  auch  die  orthodoxen  Pfarrer- 
kreise sich  bewogen  fühlen  werden,  zum  Welt- 
friedensproblem Stellung  zu  nehmen.  Hoffen 
wir,  daß  ein  edler  Wetteifer  entbrennt,  auf 
diesem  Gebiet  sich  von  den  erkannten  Grund- 
sätzen des  wahren  Christentums  vorwärts 
treiben   zu  lassen. 


Ein  Heimgegangener 

Friedensfreund. 

Von  Elsbeth  Friedrichs,  Schwetzingen. 

Wir  haben  schon  wiederholt  die  be- 
trübende und  unbegreifliche  Erscheinung  er- 
lebt, daß  Söhne  unserer  überzeugtesten  und  ver- 
dientesten Mitarbeiter,  Führer,  denen  die  pazi- 
fistische Mission  Evangelium  und  Leitstern 
des  Lebens  war,  daß  die  Söhne  dieser  Ge- 
treuen entgegengesetzte  Wege  wandelten,  ja, 
sich  bestrebten,  den  Tempel  niederzureißen, 
den  ihre  Väter  aufbauten.  So  der  Frankfurter 
Franz  Wirth,  so  der  englische  William  Stead 
und  andere.  Wir  haben  alle  Ursache,  dar- 
über zu  trauern,  wenn  wir  uns  sagen,  was 
kann  ein  Sohn  erst  vollbringen,  dessen  Vater 
das  Fundament  eines  Baues  schon  errichtet 
hat,  eines  Baues,  an  dem  Generationen  ar- 
beiten müssen.  Was  so  eine  Aufeinanderfolge 
von  Vätern  und  Söhnen  und  wieder  Söhnen 
für  die  stetige,  ununterbrochene  Förderung 
großer  Kulturaufgaben  vermag,  das  haben 
wir  ja  vereinzelt  schon  beobachtet  auf  dem 
Gebiete  der  Wissenschaft  und  auf  dem  der 
Kunst  —  man  denke  an  die  glänzende  Reihe 
der  Meister  „Bach",  wo  der  Genius  der  Musik 
eine  lange  Ahnenreihe  durchwandelte  und  den 
größten,  Sebastian,  jenen  gewaltigen  Kunst- 
bau vollenden  ließ,  dessen  Grundstein  Jahr- 
hunderte vorher  von  einem  Vorvater  Bach 
gelegt  worden  war.  Wir  haben  das  auch  schon 
auf  dem  Gebiete  der  ethischen  Kultur  erlebt. 
Es  gibt  große,  weltumfassende,  menschen- 
beglückende Bewegungen,  zu  deren  Förderung 
immer  wieder  der  Sohn  das  Werkzeug  aus 
der  Hand  des  Vaters  erhielt.  Nun,  das  sind 
hervorragende  Erscheinungen  in  der  Kultur- 
geschichte. Sie  kommen  nicht  allzu  oft.  Aber 
was  man  zu  erwarten  dürfen  glaubt,  das  ist 
doch  eine  treue  Anhänglichkeit  der  Söhne 
an  die  Ideale,  denen  der  Vater  sein  Leben 
weihte,  mit  denen  er  das  Geistes-  und  Ge- 
mütsleben  seiner   Kinder   nährte. 

Eine  solche  treue  Anhänglichkeit  hat  ein 
in  diesen  Wochen  Geschiedener  seinem  großen 


420 


@ 


DIE  FRIEDEN5->MM2.TE 


Vater  zeitlebens  bewahrt.  Es  ist  der  älteste 
Sohn  des  Königsberger  Philosophen  Julius 
R  u  p  p.  Uns  ist  dieser  Mann  durch  Hin- 
weise in  der  pazifistischen  Presse  sowie 
namentlich  durch  das  von  Oskar  Schwonder 
herausgegebene  Büchlein  „Von  der  ersten 
deutschen  Friedensgesellschaft  zu  Königsberg" 
bekannt  geworden.  Er  war  einer  jener 
Größten,  die  nicht  nur  ihrer  Zeit  um  Jahr- 
hunderte voraus  sind,  sondern,  die  frei  von 
jeglichen  Banden  ihrer  oder  irgendeiner  Zeit 
die  reine,  ewige  Idee  erkennen  und  ihr  nach- 
streben, ob  es  auch  Gut  und  Blut  koste.  So 
war  es  auch  ganz  selbstverständlich,  daß  ein 
solcher  Mann  zu  den  Pazifisten  zählte,  daß 
er  ein  Pazifist  war,  der  nicht  fragt,  ob  die 
Sache  auch  opportun  ist,  sondern  der  mitten 
in  der  Zeit  schwerer  Reaktion  zur  Tat 
schreitet,  in  seiner  Vaterstadt  Königsberg 
einen  Friedensverein  —  den  ersten  deutschen 
überhaupt  —  gründet,  öffentlich  leitet  und 
eine  Friedenszeitung  herausgibt.  Dies  wurde 
ihm  bald  darauf  in  brutalster  Weise  durch 
Polizeigewalt  zerstört;  doch  der  Mann  setzte 
natürlich  dessenungeachtet  seine  Friedens- 
arbeit fort,  wie  und  wo  immer  die  Gelegen- 
heit dazu  sich  bot.  Er  verstummte  keinen 
Augenblick  als  Prediger  des  pazifistischen 
Evangeliums.  Er  verkündete  es  —  als  der 
einzige  im  Deutschen  Reich  —  von  der  Kanzel 
und  von  der  Rednertribüne  herab,  er  ver- 
breitete es  in  weiteren  Privat-  und  Schüler- 
kreisen und  stritt  dafür  in  zahlreichen  seiner 
Schriften. 

Als  dieser  Held  im  Jahre  1884  auf  der 
Bahre  lag,  da  reichten  sejine  beiden  Söhne, 
Theobald  und  Julius,  über  seiner  Leiche 
einander  die  Hand  in  stummem  Gelübde,  auf 
allen  Wegen,  die  der  edle  Streiter  beschritten 
hatte,  weiter  zu  klimmein,  nach  dem  Maß 
ihrer  Kraft  seine  Arbeit  fortzusetzen.  Sie 
haben  ihren  Schwur  gehalten,  sie  beide  waren 
getreu,  der  älteste,  Theobald,  getreu  bis  in 
den  Tod.  Er  verschied  vor  wenigen  Wochen 
als  Vorsteher  der  „Ruppschen  Gemeinde"  zu 
Königsberg,  70  Jahre  alt,  und  die  Gemeinde 
steht  voll  Dankes  und  voll  Trauer  nun  vor  der 
Urne,   die  seine   Asche  birgt. 

Auch  die  Königsberger  Friedensbewe- 
gung nimmt  an  dieser  Trauer  teil.  Auch  sie 
hat  einen  der  ihren  verloren,  zwar  nicht  einen 
aktiven  Arbeiter,  aber  einen  festbewußten 
Vertreter  und  steten  Förderer  der  Idee.  Theo- 
bald Rupp  besaß  nicht  die  hohe  Geisteskraft 
seines  Vaters,  er  konnte  nicht,  wie  jener,  fast 
das  ganze  geistige  Lebensgebiet  tätig  um- 
fassen; aber  er  besaß  den  heiligen,  felsen- 
festen ethischen  Willen.  Im  Privatleben  das 
reine  Menschentum  selbst  zu  erreichen  und 
zu  pflegen,  in  der  Politik  Gerechtigkeit  und 
Offenheit  und  in  der  Religion  Freiheit  und 
Fortschritt  zu  fördern,  dem  hat  er  nachge- 
strebt, und  sein  größter,  ihn  immer  wieder 
tief    darniederdrückender    Schmerz    war    die 


Beobachtung  der  Rückfälle  der  verschiedenen 
Kreise  nach  jedem    zeitweiligen  Aufschwung. 

Was  war  Theobald  Rupp  der  Friedens- 
bewegung? Wie  hat  er  sie  aufgefaßt,  wie  ihr 
gedient?  Das  ist  schwer  in  Worte  zu  fassen. 
Unzählige  Steine  bilden  einen  Bau.  So  in 
diesem  Falle.  Man  sieht  es  ja  den  Steinen 
nicht  an,  zu  welchem  Gebäude  sie  bestimmt 
sind.  In  der  Seele  des  Verstorbenen  lebte 
ein  unzerstörbarer  Glaube  an  den  Sieg  der 
Idee  des  Völkerfriedens  —  er  war  ihm  ja 
schon  vom  Vater  eingepflanzt  worden  —  und 
diesem  Glauben  gab  er  als  Politiker  stets 
ruhig  und  fest  Ausdruck,  wenn  ein  Anlaß 
dazu  war.  So  geschah  es  z.  B.  in  jener  Zeit, 
nach  dem  von  Eugen  Richter  verkündeten 
„Ruck  nach  links"  innerhalb  der  Freisinnigen 
Volkspartei.  Da  verließ  Theobald  Rupp  die 
Fortschrittliche  Volkspartei  um  ihrer  veränder- 
ten Haltung  willen  in  Militär-  und  Marinefragen. 
Es  gelang  ihm  nicht,  dieselbe  zu  bekämpfen, 
und  so  wandte  er  der  Partei  den  Rücken  und 
gesellte  sich  der  Freisinnigen  Volkspartei  zu. 
Das  ist  wohl  eine  pazifistische  Tat  angesichts 
der  zahlreichen  Friedensfreunde  innerhalb 
rüstungsfreundlicher  Parteien,  welche  nicht 
daran  denken,  auch  nur  ein  Wort  gegen  diese 
Haltung  zu  verlieren.  Durch  Rupps  ganze  sehr 
lebhafte,  politische  Tätigkeit  zieht  sich  sicht- 
lich ein  Biestreben,  durch  vornehme  Gesin- 
nung das  gesamte  politische  Leben  zu  adeln. 
Er  wurde  beredt,  wenn  es  sich  darum  handelte, 
dem  Gegner  gerecht  zu  werden,  einerlei,  ob 
dies  eine  gegnerische  Partei  innerhalb  des 
Vaterlandes  oder  eine  andere  Nation  war, 
stets  trat  er  furchtlos  dem  Bestreben  entgegen, 
den  Gegner  zu  verdächtigen,  schlechte  Motive 
seiner  Handlungen  von  vornherein  anzu- 
nehmen, und  sicherlich!  er  legte  mit  solchem 
Tun  die  Hand  an  die  Wurzel  eines  der  ge- 
fährlichsten Uebel  in  der  Politik. 

So  gibt  es  Menschen,  die,  ihr  Leben 
lang  politisch  tätig,  doch  keine  einzige  propa- 
gandistische Tat  direkt  für  die  Friedens- 
bewegung leisten  und  doch  der  Bewegung 
mehr  sind  als  gewisse  pazifistische  Eiferer, 
denen  beim  ersten  Hahnenschrei  patriotischen 
Aufbrausens  in  ihrem  Vaterlande  die  Ver- 
leugnung ihrer  bisherigen  Ideale  so  schnell 
vom  Munde  geht.  Solchem  Wahn  hätte 
Theobald  Rupp  nie  verfallen  können.  Er 
glaubte  an  den  einstigen  Frieden,  den  kon- 
fessionellen, den  ethischen  unter  den  Men- 
schen, den  inner-  und  außerpolitischen  unter 
den  Völkern  und  Parteien,  an  diejenige  Einig- 
keit, die  (dem  Volke  wie  dem  Individuum  das 
volle  Recht  der  Eigenart  vorbehält,  und  für 
diesen  Zustand  wirkte  er  auf  allen  Gebieten. 
Gerechtigkeit,  Offenheit,  Fortschritt!  In 
Flammenschrift  standen  diese  für  das  Leben 
der  menschlichen  Gemeinschaft  zu  erstreben- 
den Zustände  stetig  vor  der  Seele  des  Ver- 
storbenen. 

Theobald  Rupp  hat  sich  niemals  intensiv 
mit   pazifistischen   Problemen  befaßt,    er    ver- 


421 


DIE  FßlEDEN5-\X/ARTE 


i<5) 


mied  es  daher,  sich  in  längerer  Rede  zu 
solchen  zu  äußern.  Seine  Zugehörigkeit  aber 
zur  organisierten  Friedensbewegung  war  ihm 
etwas  Selbstverständliches,  und  so  finden  wir 
auch  wieder  in  der  letzten  Organisation  pazi- 
fistischer Art,  der  „Deutsch-französischen 
Liga",  seinen  Namen  auf  der  Mitgliederliste. 
Er  hat  es  beklagt,  daß  in  Königsberg,  wo 
der  erste  Friedensverein  getagt  hat,  nachher 
die  Bewegung  gänzlich  schlief.  Dann,  sobald 
innerhalb  seiner  Gemeinde  vom  Prediger  der- 
selben die  Einführung  eines  Friedenssonn- 
tages begonnen  wurde,-  hat  er  freudig  mit 
seinem  Blruder,  dem  damaligen  Vorsteher, 
diesen  Plan  unterstützt  und  noch  mehr  unter- 
stützt, als  sich  daraus  eine  Gesellschaft  zur 
Verbreitung  des  Friedenssonntages  im  ganzen 
Deutschen  Reiche  entwickelte.  Er  hat  diese 
Bewegung  auf  die  Tagesordnung  der  General- 
versammlungen gesetzt,  den  Berichten  über 
die  Fortschritte  mit  freudiger  Anteilnahme 
zugestimmt  und  die  Arbeiten  auch  ständig 
von  seiten  der  Gemeinde  mit  Geldmitteln  ge- 
fördert. Als  diese  Friedenssonntagpropaganda 
dann  weiter  hinaustrat  über  den  Rahmen  der# 
Gemeinde  und  sich  zu  einer  Königsberger 
Friedensgruppe  entwickelte,  da  war  er  wieder 
der  Ersten  einer,  die  an  dieser  pazifistischen 
Vereinigung    teilnahmen. 

Wir  haben  also  ein  volles  Recht,  den 
Geschiedenen  zu  den  Unseren  zu  zählen  und 
durch  diesen  U  eberblick  über  seine  pazi- 
fistische Gesinnungsfreudigkeit  ihm  auch 
bei  uns  ein  warmes  Andenken  zu  sichern. 


Brief  aus  denVereinigten  Staaten. 

Von     Henry     S.    Haskell,     New    York. 

Die  japanisch -kal  if  ornisch  e  Streit- 
frage. —  Die  Vereinigten  Staaten 
und  Kolumbien.  —  Präsident  Wil- 
son und  die  Panamakanalzoll- 
frage. —  Die  internationale  Unter- 
suchungskommission der  Balkan- 
greuel. —  Die  Republik  Mexiko 
und  die  Vereinigten  Staaten. 
New  York,  den  23.  Oktober  1913. 
Während  der  letzten  Monate  wurde  keine 
der  zwischen  den  Vereinigten  Staaten  und 
den  anderen  Regierungen  schwebenden 
Fragen  endgültig  erledigt,  ja  man  kann  nicht 
einmal  sagen,  daß  große  Fortschritte  zu 
ihrer  Erledigung  erzielt  wurden.  Gegen  Ende 
des  Sommers!  ließi  die  Haltung  der  japanischen 
Regierung  darauf  schließen,  daß  Japan  einem 
neuen  wirtschaftlichen  Vertrag  nicht  geneigt 
sei.  Als  aber  am  30.  September  eine  neue 
Note  über  die  kalifornische  Frage  nach 
Washington  gesandt  wurde,  verlautete  es,  daß, 
Japan  seine  Haltung  ändere.  Der  Inhalt 
dieser  Note  wurde  nicht  veröffentlicht,  aber 
es  gilt  als  sicher,  daß  sie  einen  neuen  wirt- 
schaftlichen Vertrag,  der  alle  Schwierigkeiten 


lösen  würde,  begünstigt.  Es  ist  zweifellos. 
daß  ein  beide  Regierungen  befriedigender 
Vertrag  alle  Streitfragen  einer  Lösung  zu- 
führen würde,  aber  es;  wird  gewiß'  sehr  schwie- 
rig sein,  einen  zu  finden,  der  Japan  befrie- 
digt, und  der  dem  Senat  der  Vereinigten 
Staaten,  der  erst  jeden  Vertrag  ratifizieren 
muß,   annehmbar   erscheint. 

Wahrscheinlich  ist  es,  daß  eine  hin- 
reichende Anzahl  von  Senatoren  so  weit  von 
der  Staatsrechtstheorie  durchdrungen  sind,  daß 
es  unmöglich  sein  dürfte,  die  Senats-Rati- 
fikation für  einen  Vertrag  zu  erhalten,  der 
den  Einzelstaaten  das  Recht  zur  beliebigen 
Gesetzgebung  in  bezug  auf  die  Frage  des 
Landerwerbes  durch  P'remde  verweigern 
würde.  Die  Streitfrage  ist  demnach  einer 
befriedigenden  Lösung  nicht  näher  gekommen. 

Die  zwischen  den  Vereinigten  Staaten 
und  Kolumbien  schwebenden  Fragen  be- 
schäftigten wieder  die  Zeitungen.  Nach  einer 
am  29.  September  mit  dem  kolumbischen 
Gesandten  bei  den  Vereinigten  Staaten  statt- 
gefundenen Konferenz  teilte  der  Staats- 
sekretär William  J.  Bryan  mit.  daß  ein 
einen  vollen  Erfolg  verheißender  Fortschritt 
zu  einer  direkten  Abmachung  zu  verzeich- 
nen sei.  Die  Oktobernummer  der  ,.Worlds 
Work"  veröffentlichte  einen  ernsten  Artikel 
von  Earl  Harding,  der  1909  und  1910  längere 
Zeit  in  Panama  verbrachte  und  dort  die  die 
Panamasezession  betreffenden  Tatsachen  stu- 
dierte. In  diesem  Artikel  schlägt  Harding 
den  Erwerb  weiterer  Gebiete  von  der  Repu- 
blik Panama  vor,  wie  die  Rückgabe  aller 
jener  Territorien  an  Kolumbien  südlich 
einer  Grenze,  die  festgesetzt  werden  soll  als 
die  südlichste  Grenze  eines  Landstriches,  der 
von  den  Vereinigten  Staaten  zur  eigenen  Ver- 
waltung des  Panamakanals  gebraucht  wird. 
Dieser  Plan  hat  viel  für  sich,  und  man  hofft, 
daß  beide  Regierungen  ihn  ernstlich  in  Er- 
wägung  ziehen  werden. 

Es  verlautet  aus  autoritativer  (Quelle,  daß 
Präsident  Wilson  den  Widerruf  der  Klausel 
begünstige,  die  eine  Zollbefreiung  aller  im 
Küstenhandel  der  Vereinigten  Staaten 
engagierten  und  den  Panamakanal  passieren- 
den Schiffe  vorsieht.  Am  17.  Oktober  teilte 
Adamson,  Mitglied  des  Repräsentantenhauses, 
Vorsitzender  der  parlamentarischen  Kom- 
mission für  zwischenstaatlichen  und  aus- 
wärtigen Handel  und  Urheber  der  Panama- 
kanalakte, mit,  daß  er  in  der  Dezember- 
sitzung des  Kongresses  eine  Resolution  ein- 
bringen werde,  die  die  Verfügung  der  Pa- 
namakanalakte, den  amerikanischen  Schiffen 
freie  Durchfahrt  zu  gewähren,  so  lange  auf- 
heben sollte,  bis  es  erwiesen  ist,  daß  der 
Kanal  sich  selbst  erhält.  Diese  Methode 
zur  Beseitigung  der  Schwierigkeiten  ist  wohl 
nur  ein  Kompromiß,  doch  könnte  sie  immer- 
hin eine  Zeitlang  die  Schlichtung  der  Frage 
bedeuten,  die  aber  nicht  aufhören  würde  zu 
bestehen,     solange     die    Klausel,    gegen    die 


422 


@= 


=  DIE  FRIEDENS -WARTE 


Großbritannien  Einwendung  erhoben  hat, 
nicht   widerrufen   ist.    ^ 

Professor  Samuel  T.  Dutton  von  der 
Columbia-Universität,  Mitglied  der  durch 
die  Carnegiestiftung  ins  Leben  gerufenen 
internationalen  Kommission  zur  Unter- 
suchung der  Ursachen  und  Wirkungen 
der  letzten  Balkankriege,  kehrte  am  13.  Ok- 
tober zurück.  Professor  Dutton  teilte  mit, 
daß  er  bis  zur  Veröffentlichung  des  Be- 
richtes der  Kommission  nichts  Endgültiges 
über  das  Resultat  sagen  könne.  Er  deutete 
aber  an,  daß  die  Erzählungen  über  Greuel- 
taten, die  von  allen  Seiten  lanciert  wurden, 
in  der  Tat  begründet  sind,  aber  keinen  An- 
spruch auf  unbedingte  Richtigkeit  erheben 
können.  Der  Bericht  der  Balkankommission 
wird  wahrscheinlich  gegen  Ende  des  Jahres 
veröffentlicht  werden,  und  ein  unparteiisches 
Referat  über  den  Befund  der  Kommission 
wird  der  Welt  ein  Bild  aller  Vorfälle  geben, 
von  denen  es  schwer  fällt,  zu  glauben,  daß 
sie  sich  tatsächlich  im  zwanzigsten  Jahr- 
hundert ereigneten. 

Die  mexikanischen  Zustände  haben  schon 
chaotischen  Charakter  angenommen.  Die 
willkürliche  Annahme  der  Präsidentschaft 
durch  den  provisorischen  Präsidenten  Huerta, 
die  Vertagung  des  Parlamentes  und  die  Er- 
mordung des  Senators  Dominquenz,  die  von 
manchen  Huerta  zugeschrieben  wird,  haben 
eine  Situation  geschaffen,  die  eine  baldige 
Schlichtung  der  mexikanischen  Ereignisse 
nicht  wahrscheinlich  erscheinen  lassen.  Trotz- 
dem die  mexikanische  Konstitution  vorsieht, 
daß  ein  provisorischer  Präsident  nicht  für  die 
Präsidentschaft  bei  den  nächsten  Wahlen  kan- 
didieren darf,  verlautet,  daß  der  provisorische 
Präsident  Huerta  auf  irgendeine  Weise  die  Er- 
nennung und  die  Wahl  annehmen  würde, 
wenn  sie  auf  ihn  fällt.  In  Anbetracht  dessen, 
daß  seine  eigenen  Militär-  und  Zivil-Beamten 
die  Wahlen  leiten,  ist  es  ganz  gut  möglich, 
daß  er  diese  so  vor  sich  gehen  läßt,  daß 
entweder  er  selbst  oder  einer  seiner  Freunde, 
der  seine  Politik  gutheißt,  gewählt  wird. 
Präsident  Wilson  ließ  durch  eine  formelle 
an  die  provisorische  Regierung  gerichtete 
Note  erklären,  daß  es  den  Vereinigten 
Staaten  durch  die  oben  erwähnten  Un- 
gerechtigkeiten unmöglich  gemacht  werde, 
die  für  den  26.  Oktober  geplanten  Wahlen 
ernst  zu  nehmen,  es  sei  denn,  daß  nicht  nur 
ein  Präsident  und  Vize-Präsident,  sondern 
auch  Senatoren  und  Abgeordnete  gewählt 
werden  würden.  Die  Situation  ist  so  kri- 
tisch geworden,  daßi  drei  europäische  Re- 
gierungen es  für  notwendig  erachtet  haben, 
Kriegsschiffe  zum  Schutze  der  Interessen 
ihrer    Untertanen    hinzusenden. 

Trotz  der  chaotischen  Zustände  in 
Mexiko  und  einiger  ausländischer  Kritiken 
über  Präsident  Wilsons  Politik  wird  doch 
die  eingeschlagene  Politik  vom  Lande  selbst 
nicht   verurteilt,    und   die   Presse   ist   einig   in 


Anerkennung  der  Haltung  unseres  Staaten- 
departements. Eine  Intervention  oder  eine 
Vermittlung  werden  nicht  ernstlich  erwogen, 
es  sei  denn,  daß,  es  als  letztes  Mittel  und 
nur  in  Verbindung  mit  anderen  interessierten 
Regierungen   in   Betracht   käme. 


Brief  aus  Schweden. 

Die     Feier      des      hundertjährigen 
Friedens    in     Schweden     und    Nor- 
wegen. 

Von  Knut  Sandstedt,  Stockholm. 
Stockholm,   3.   Okt.   1913. 

Die  Friedensfreunde  der  beiden  skan- 
dinavischen Länder,  Schweden  und  Nor- 
wegen, bereiten  sich  vor,  im  Jahre  1914  das 
Andenken  eines  hundertjährigen  Friedens  zu 
feiern.  Nachdem  Schweden  im  Jahre  1809 
Finnland  an  Rußland  abgetreten  hat,  wurde 
der  berühmte  französische  Marschall'  Jean 
Bernadotte  für  den  alten  und  kinderlosen 
König  Carl  XIII.  zum  Thronfolger  gewählt. 
Nach  dem  Kriege  gegen  Napoleon  im  Jahre 
1814  erhielt  der  Thronfolger,  der  später  den 
Thron  unter  dem  Namen  Carl  XIV.  Johann 
bestieg,  die  Einwilligung  der  verbündeten 
Mächte  als  Ersatz  für  das  verlorene  Finn- 
land, Norwegen  mit  Schweden  vereinen  zu 
dürfen.  Dies  geschah  auch  1814  nach  einem 
kurzen  und  wenig  blutigen  Krieg  mit  Däne- 
mark und  Norwegen.  Seit  jener  Zeit  haben 
die  beiden  Länder,  Schweden  und  Nor- 
wegen, sich  eines  ununterbrochenen  Frie- 
dens erfreuen  können,  und  zwar  nicht  nur 
untereinander,  sondern  auch  mit  allen 
anderen  Nationen.  Und  obwohl  die  Union 
zwischen  Schweden  und  Norwegen  im  Jahre 
1905  aufgelöst  wurde,  wurde  auch  bei  dieser 
Gelegenheit  der  Frieden  im  Norden  erhalten, 
und  die  skandinavischen  Völker  gaben  der 
ganzen  Welt  das  nachahmenswerte  Beispiel, 
durch  friedliche  Unterhandlungen  das  schwere 
Problem  zu  lösen,  das  so  leicht  einen  Krieg 
hätte  hervorrufen  können.  Anläßlich  dieses 
Ereignisses  hat  ein  schwedischer  Staats- 
mann geäußert,  daß,  „wo  Ruhe  und  Be- 
sinnung herrscht,  es  keinen  Platz  für  den 
Krieg  gebe",  und  die  Wahrheit  dieser  Aeuße- 
rung  ist  von  den  skandinavischen  Völkern 
bestätigt    worden. 

Das  Andenken  dieses  hundertjährigen 
Friedens  wollen  die  schwedischen  und  nor- 
wegischen Friedensfreunde  in  der  Weise 
feiern,  daß  sie  ein  Denkmal  an  der  Grenze 
zwischen  Schweden  und  Norwegen  ganz  nahe 
der  Eisenbahnstation  Charlottenberg  errich- 
ten lassen.  Um  die  Mittel  zur  Errichtung 
dieses  Denkmals  zu  erhalten,  wurden  in 
Schweden  und  Norwegen  Komitees  gebildet, 
die  Aufrufe  und  Sammellisten  verbreitet  und 
auf  diese  Weise  schon  19  000  Kronen  ein- 
genommen haben.  Von  den  eingereichten 
Entwürfen     zum    Friedensdenkmal      ist    der- 


423 


DIE  FRIEDENS -^&DTE  = 


3 


jenige  des  Architekten  Lars  Lehming,  dessen 
Ausführung  24  000  Kronen  kosten  dürfte, 
angenommen  worden. 

Das  Denkmal  besteht  aus  zwei  vier- 
eckigen Pfeilern,  die  aus  demselben  Grund 
hervorgehen,  ebenso  wie  die  beiden  Völker 
derselben  Wurzel  entsprießen.  Oben  laufen 
die  Pfeiler  zusammen,  und  darauf  stützt 
sich  eine  aus  zwei  männlichen  Figuren  be- 
stehende Gruppe,  die,  eine  Garbe  um- 
schließend, einander  die  Hände  reichen. 
Das    Denkmal    dürfte    20    m    hoch    werden. 

Der  Sockel  soll  folgende,  anläßlich  einer 
Studentenversammlung  von  König  Oskar  I. 
gesprochenen  Worte  tragen  :  ,,H  iernach 
ist  ein  Krieg  zwischen  skandina- 
vischen Brüdern  unmöglic h."  Ferner 
soll  auf  dem  Denkmal  noch  der  Satz  an- 
gebracht werden:  „Schwedische  und 
norwegische  Friedensfreunde  er- 
richteten diesen  Stein  zum  An- 
denken an  einen  1 00 jährigen  Frie- 
den." Die  Einweihung  des  Denkmals  soll 
am  14.  August  1914  erfolgen.  Wir  hoffen, 
daß  die  Friedensfreunde  der  ganzen  Welt 
ihre  Sympathien  und  ihr  Interesse  den 
schwedischen  und  norwegischen  Friedens- 
anhängern, die  sich  so  energisch  um  die 
Feier  des  100jährigen  Friedens  bemüht 
haben,  nicht  versagen  und  recht  zahlreich 
nächstes  Jahr  an  dieser  seltenen  Feier  teil- 
nehmen  werden. 


Ueber  die  F-Strahlen. 

Von   Garret   Fisher,   London. 

Kann  die  Wissenschaft,  die  so  viel  getan 
hat,  um  den  Krieg  immer  kostspieliger  und 
immer  zerstörender  zu  gestalten,  ihm  ein  Ende 
bereiten  ? 

Es  ist  durchaus  denkbar,  daß  die  neue 
Form  von  Strahlung,  die  Signor  Ulivi  entdeckt 
und  F-Strahlen  getauft  hat,  in  dieser  Richtung 
einen  großen  Schritt  bedeuten  wird,  wenn  es 
sich  herausstellt,  daß  sich  seine  Biehauptung 
bewahrheitet,  durch  diese  Strahlen  Spreng- 
stoffe auf  Distanz  entzünden  zu  können.  In 
diesem  Fall  wird  er  ein  größerer  Wohltäter 
der  Menschheit  sein  als  sein  Landsmann  Mar- 
coni.  So  groß  sich  kürzlich  die  Macht  der 
drahtlosen  Telegraphie  erwiesen  hat,  um 
Menschenleben  auf  der  See  zu  retten,  eine  um 
so  größere  Wohltat  für  die  Menschheit  würde 
eine  Erfindung  sein,  die  den  Krieg  so  gut  wie 
unmöglich  machen  würde,  oder  doch  die 
Außerdienststellung  all  der  teuern  Vernich- 
tungswerkzeuge herbeiführte,  für  die  jetzt  jede 
Großmacht  Hunderte  von  Millionen  jährlich 
ausgibt. 

Die  F-Strahlen  sollen  eine  neue  Form 
jener  strahligen  Kraft  sein,  die  von  dem  Punkte 
aus,    wo   sie   erzeugt    wird,    nach   allen    Rich- 


tungen mittels  Wellen  durch  den  Aether  (der 
nicht  nur  den  sogenannten  leeren  Raum,  son- 
dern alle  Zwischenräume  der  festen  Körper 
füllt)  projiziert  wird.  Der  augenfälligste  Typus 
dieser  Kraft  zeigt  sich  in  dem  Licht  und 
der  Wärme,  die  uns  die  Sonne  spendet.  Dieser 
Typus  ist  uns  von  alters  her  bekannt,  weil 
unsere  Augen  und  unsere  Körper  dafür 
empfindlich  sind.  Aber  wir  wissen  jetzt,  daß 
Licht-  und  Wärmestrahlen  nur  einer  kleinen 
Serie  von  Aetherwellen  entsprechen,  und  daß 
es  eine  Unzahl  anedrer  Strahlenvarianten  gibt, 
welche  verschiedene  Wirkungen  haben.  Die 
drahtlose  Telegraphie  ist  das  Ergebnis  einer 
speziellen  Art  von  Strahlen,  die  viel  länger 
sind  als  die  Sonnenstrahlen,  und  die  nur 
durch  das  „elektrische  Auge"  (den  sogenann- 
ten „Empfänger")  wahrgenommen  werden 
können.  Die  Röntgen-  oder  X-Strahlen  sind 
sicherlich  wieder  eine  andere  Art  von  Aether- 
wellen, ebenso  die  von  den  Radiumsalzen 
emittierten  Gammastrahlen.  Die  Wellen  der 
drahtlosen  Telegraphie  haben  eine  Länge  von 
vielen  Meilen,  jene  des  Lichtes  sind  nur  fün- 
zig  Tausendstel  Zoll  lang.  Es  liegt  kein  Grund 
vor,  die  Existenz  anderer  Strahlen  zu  be- 
zweifeln, die  zwischen  diesen  beiden  Ex- 
tremen liegen  und  imstande  sind,  bisher  un- 
geahnte Wirkungen  hervorzubringen,  wenn  sie 
auf  Empfänger  stoßen,  die  auf  ihre  Pulsie- 
rungen gestimmt  sind. 

Wir  alle  können  uns  daran  erinnern,  mit 
welchem  Sturm  ungläubigen  Spottes  die  erste 
Nachricht  von  Röntgens  Entdeckung  auf- 
genommen wurde.  Eines  lebendigen  Men- 
schen Skelett  sollte  photographiert  werden 
können?  Zu  lächerlich!  Heute  sind  wir 
weiser  geworden  und  sind  bereit,  fast  jede 
Wirkung  der  verschiedenen  Strahlungen  für 
möglich  zu  halten,  wenn  sie  uns  in  plau- 
sibler Weise  dargestellt  wird.  Die  F-Strahlen 
seien  fähig,  so  heißt  es,  Sprengstoffe  von 
weitem  zum  explodieren  zu  bringen.  Wenn 
das  wahr  ist,  so  hat  das  Kriegführen  ein 
Ende.  Denn  dieses  ist  heutzutage  einzig  auf 
Sprengstoffe  gestellt.  Das  moderne  Heer 
mit  all  seiner  komplizierten  Organisation  und 
seinem  Material,  hat  einfach  die  Aufgabe,  die 
größtmögliche  Anzahl  von  Geschossen  nach 
einem  gegebenen  Ziel  feuern  zu  können.  Das 
Schlachtschiff  ist  ein  Riesen-Kanonengefährt. 
Nun  denn,  wenn  die  F-Strahlen  wirklich  das 
leisten,  was  ihr  Entdecker  behauptet,  so  muß 
die  ganze  Taktik  und  Strategik  des  20.  Jahr- 
hunderts über  Bord  geworfen  werden.  Mar- 
conis  erste  öffentliche  Vorführung  fand  in 
einem  Vortragssaal  statt,  wo  zwischen  Ab- 
sender und  Empfänger  eine  Entfernung  von 
etwa  fünfzig  Fuß  lag.  Und  jetzt  erstrecken 
sich  die  drahtlosen  Wellen  über  Tausende  von 
Meilen.  Es  ist  ganz  klar,  daß,  wenn  die 
F-Strahlen  im  gleichen  Verhältnis  entwickelt 
werden,  sämtliche  Kordit-  und  Ekrasitbomben, 
alle  Granaten  und  Schrapnells,  kurz,  der 
ganze    Apparat     der     Fernschlächterei      auf- 


424 


@= 


gegeben  werden  muß,  da  ja  alle  Munitions- 
wagen und  -magazine  längst  in  die  Luft 
fliegen  werden,  ehe  die  Heere  oder  Flotten 
einander  begegnen   können. 

Die  einzig  gültige  Erprobung  derF-Strah- 
lung  wäre  natürlich  das  Experiment,  das  unter 
gleichen  Bedingungen  auch  von  anderen  Ex- 
perimentatoren mit  den  gleichen  Ergebnissen 
wiederholt  werden  könnte.  Aber  einstweilen 
kann  man  die  a  priori-Möglichkeiten  betrach- 
ten. Diese  sind  nicht  sehr  ermutigend.  Es 
bietet  keine  theoretische  Schwierigkeit,  einen 
Munitionsvorrat  mittels  eines  Marconi-Appa- 
rates  in  die  Luft  zu  sprengen,  vorausgesetzt, 
daß  man  in  das  Magazin  einen  passenden 
Zünder  einführt,  auf  den  die  drahtlose  Welle 
einwirkt.  Aber  von  den  F-Strahlen  heißt  es, 
daß  sie  auf  jeglichen  Sprengstoff  direkt 
einwirken.  Soviel  wir  wissen,  gibt  es  nur  drei 
Arten,  einen  Sprengstoff  zu  entzünden:  ent- 
weder durch  Hitze  (wie  beim  Schießpulver), 
durch  Stoß  (wie  beim  Dynamit)  oder  durch 
chemische  Zersetzung  (wie  bei  der  Explosion 
der  „Libert6").  Daher  müssen  die  F-Strah- 
len imstande  sein,  entweder  den  Sprengstoff, 
auf  den  sie  fallen,  bis  zu  einer  Temperatur 
von  mindestens  400  Grad  Fahrenheit  zu  er- 
hitzen, oder  (da  der  Schlag  ausgeschlossen 
ist)  irgendeine  chemische  Veränderung  zu  ver- 
ursachen, die  die  spontane  Verbrennung  des 
Nitroglyzerins  herbeiführt,  welches  die  Basis 
aller  modernen  Sprengstoffe  abgibt.  Die  zur 
Erzielung  der  erstgenannten  Wirkung  erforder- 
liche Kraft  wäre  so  unberechenbar  ungeheuer, 
daß  man  diese  Möglichkeit  füglich  ausschalten 
kann;  bleibt  nun  die  Frage,  ob  die  F-Strahlen 
imstande  sind,  in  so  labilen  Stoffen,  wie  z.  B. 
Pikrinsäure,  eine  spontane  Veränderung  her- 
vorzubringen. Was  uns  das  Radium  über  die 
verwickelten  Eigenschaften  des  sogenannten 
Atoms  gelehrt  hat,  sollte  den  modernen  Phy- 
siker bestimmen,  nicht  allzu  dogmatisch  jene 
Möglichkeit  abzusprechen.  Kein  wissenschaft- 
licher Grund  verbietet  uns,  zu  hoffen,  daß 
Signor  Uliva  seine  Kritiker  besiegen  wird. 
Und  was  wird  dann  mit  dem  Krieg  geschehen  ? 
Wird  das  Aufgeben  von  Geschützen  und 
Panzerplatten  und  allem,  was  drum  und  dran 
hängt,  einfach  eine  Rückkehr  zur  blanken 
Waffe  und  zu  der  mittelalterlichen  Artillerie 
von  Bogen  und  Pfeil,  Katapulten  und  Wurf- 
spießen bedeuten  ?  Oder  wird  es  den  Pazi- 
fisten die  Gelegenheit  geben,  der  Kriegsfurie 
sein  „Halt"  zuzurufen?  Wer  kann  es  wissen? 
Der  Mensch  ist  noch  ein  raufendes  Tier.  Aber 
möglicherweise  kann  der  Schreck  vor  einem 
solchen  Rückfall  in  finstere  Zeiten  ihm  die 
Augen  für  die  Tatsache  öffnen,  daß  der  Krieg 
zwischen  zivilisierten  Völkern  ein  wesentlicher 
Anachronismus  ist. 

(Daily  Mail,  30.  Okt.) 


=  DIE  FRIEDENS -WARTE 

n  RANDGLOSSEN  XX 
ZVU  ZEITGESCHICHTE 

Von  Bertha  v.  Suttner. 

Wien,  den  7.  November  1913. 
Wieder  einmal  knapp  am  Abgrund  vor- 
bei! In  der  zweiten  Hälfte  Oktober  (heute 
ist  es  beinahe  schon  vergessen,  so  rasch  werden 
alte  Sensationen  von  neuen  abgelöst)  wurde 
ganz  plötzlich  von  Oesterreich-Ungarn  an  Ser- 
bien ein  Ultimatum  erlassen,  des  Inhalts,  daß 
binnen  zehn  Tagen  von  sämtlichen  Positionen, 
die  Serbien  jenseits  seiner  Grenzen  in  Albanien 
besetzt  hielt,  die  Truppen  zurückzuziehen  seien. 
Widrigenfalls  —  nun,  man  weiß  ja,  was  ge- 
schieht, oder  was1  doch  angedroht  wird,  wenn 
solch  peremptorischem  Befehl  Widerstand  ge- 
leistet wird.  Es  ist  die  alte  Geste  der  an 
die  Brust  gesetzten  Pistole.  Nur  daß,  wenn 
Staaten  —  und  nicht  Straßenräuber  —  diese 
Geste  machen,  die  Pistole  mehrere  hundert- 
tausend Läufe  hat.  Dazu  werden  ja  auch  haupt- 
sächlich die  Heere  und  Flotten  neuerdings 
zu  immer  größeren  Dimensionen  angeschwellt: 
als  Drohinstrument,  als  begleitendes  Orchester 
zum  Text  des  stolzen  Großstaatliedes:  „Ich 
will".  Oesterreich-Ungarn  singt  dieses  Lied 
gar  so  gern  allein,  und  nicht  im  europäischen 
Chor.  Serbien  hat  nachgegeben.  Schön  — 
aber  wie,  wenn  dies  nicht  der  Fall  gewesen 
wäre  ?  Dieser  Eventualität  verschloß  sich  auch 
der  Leitartikler  der  Neuen  Freien  Presse  nicht, 
der  unterm  22.  Oktober  schrieb :  „Vor  einigen 
Tagen  war  die  Monarchie  von  einem  Kriege 
nicht  viel  weiter  entfernt,  als  das  Hemd  von 
der  Haut.  Eine  Welle  der  Volksleidenschaften 
in  Belgrad,  eine  .«plötzliche  Auflehnung  der 
militärischen  Gewalten  und  die  Kanonen 
hätten  zu  sprechen  begonnen."  Aber  noch 
andere  Chancen  zum  Losgehen  der  Kanonen 
hätte  es  gegeben.  Ein  so  kleiner  Staat  wie 
der  serbische  kann  natürlich  den  Befehlen 
eines  so  großen  wie  Oesterreich-Ungarn  sich 
nicht  widersetzen;  aber  was  hätte  z.B.  Ruß- 
land gehindert,  wenn  es  Krieg  gewollt  hätte, 
zu  erklären,  daß  es  sich  an  die  Seite  Serbiens 
stellt?  Immer  deutlicher  und  immer  dringen- 
der zeigt  es  sich,  daß  nur  eine  Einigung  des 
gesamten  West-  und  Mitteleuropa  die  Zustände 
Osteuropas  regeln  und  den  Weltteil  vor  einem 
Universalbrand   schützen   kann. 

Unterdessen  wird  aber  allenthalben  mit 
dem  fieberhaften  Eifer  und  unter  größten 
Opfern  in  einer  Weise  gearbeitet  und  vor- 
bereitet („bereit  sein  ist  alles!"),  nicht,  als 
wollte  man  den  Brand  verhüten,  sondern  als 
müsse  man  ihn  gewärtigen  und  so  verheerend 
wie  möglich  gestalten.  Geld,  Geld,  Geld  muß 
her!  Und  an  allen  Ecken  und  Enden  Schatz- 
scheinemissionen, Steuererzwingungen,  Zoll- 
erhöhungen, und  vor  allem:  Schulden,  Schul- 
den,     Schulden!       Der     nationalökonomische 


425 


DIEFRIEDEN5-v\^RTE  = 


3 


Grundsatz,  daß  Reichtum  nur  durch  Arbeit, 
durch  Gütererzeugung  geschaffen  werden 
kann,  daß  aber  alles  erpreßte,  aus  einer  Tasche 
in  die  andere  eskamotierte,  und  namentlich 
alles  geborgte  Geld  nicht  reicher,  sondern  nur 
ärmer  macht,  dieser  Grundsatz  wird  ganz;  ver- 
gessen, und  die  Staaten  verschaffen  sich  munter 
drauf  los  Millionen  und  Milliarden  zu  dem 
Zwecke  —  einer  staune  — ,  Güter  zerstören 
zu  können.  Und  dies,  obwohl  rings  —  eben 
als  Folge  dieser  kriegerischen  Politik  —  die 
Kurse  fallen,  die  Geschäfte  stocken,  die  Preise 
steigen,  die  Arbeitslosigkeit  überhand  nimmt. 
Alles  dies  klingt  verzweifelt,  aber  es  läßt  sich 
hoffen,  daß  der  Exzeß  dieser  Mißlage  eben 
zum  Entschlüsse  führen  wird,  ihr  abzuhelfen. 
Denn  es  handelt  sich  dabei  nicht  um  einen 
unabwendbaren  Verlauf  von  Naturgewalten, 
sondern  um  eine  willkürlich  eingeschlagene 
Richtung,  die  zu  verlassen  den  meisten  un- 
möglich scheint,  was  jedoch  auf  Jrrtum  beruht. 
Denn  der  Ausweg  ist  leicht  einzuschlagen,  er 
heißt:   Verständigung. 

Was  Winston  Churchill  angeboten  hat: 
Ein  Uebereinkommen  zu  einem  Pausejahr  im 
Schlachtschiffbau,  ist  ein  Schrittchen  in  dieser 
Richtung.  Auf  dem  europäischen  Festland  hat 
dieser  Ruf  kein  günstiges  Echo  geweckt.  Auch 
nicht  in  ganz  England.  Die  navy-league  hat 
lebhaft  protestiert  und  sogar  die  Gelegenheit 
benützt,  um  statt  zwei  —  sechs  neue  Dread- 
noughts  zu  fordern.  Einzig  im  amerikanischen 
Repräsentantenhause  wurde  am  31.  Oktober 
von  Hensley  (Missouri)  eine  Resolution  ein- 
gebracht, in  welcher  die  Zustimmung  zu  einer 
Abrüstung  im  Umfange  des  Churchillschen 
Vorschlages  verlangt  wird.  Der  Sprecher 
sagte,  er  hege  den  Wunsch,  daß  die  Reso- 
lution angenommen  werde.  Er  fügte  hinzu, 
daß  Deutschland  als  Popanz  benutzt  worden 
ist,  um  bei  den  letzten  Marinedebatten  die 
Amerikaner  zu  schrecken.  Ach  ja,  wir  kennen 
dieses  Spiel  mit  dem  kreditbewilligungsfördern- 
den  Popanz.  Bei  uns  heißt  er  der  Russ',  der 
Serb';  in  Deutschland  der  Franzos';  in  Italien 
der  Austriaco ;  in  Frankreich  Le  Teuton;  in 
England  Germany;  kurz,  es  hat  dieser  „Ab- 
geordnetenschreck" noch  mehr  verschiedene 
Gesichter,  als  das  in  den  steirischen  Bergen 
hausende,    Bauernschreck    genannte,    Untier. 


Die  Geschäfte  stocken,  sagte  ich  vorhin. 
Nicht  alle.  Ein  Blick  in  den  Bericht  eines 
Finanzblattes  kann  für  uns  Pazifisten  unge- 
heuer lehrreich  sein.  Folgender  Auszug  aus 
einem  Artikel  des  Wiener  „Mercur"  (Nr.  1727) 
wirft  so  manche  Streiflichter  auf  die  inter- 
nationale  Kriegsindustrie : 

Die  Skodawerke  sind  seit  ihrer  Re- 
konstruktion in  einer  glänzenden  Entwicklung 
begriffen.  Bekanntlich  haben  sie  nicht  gleich 
nach  ihrer  Umwandlung  in  eine  Aktiengesell- 
schaft (1899)  die  Hoffnungen  ihrer  Gründer 
erfüllt.      Nur    für    die    erste    Geschäftsperiode 


426 


1899/1900  wurde  eine  Dividende  von  6  Prozent 
bezahlt,  dann  folgten  fünf  dividendenlose  Jahre. 
Eine  Beihe  ungünstiger  Umstände  wirkten  zu- 
sammen, Um  die  Kinderkrankheiten  dieses 
großen  Unternehmens  besonders:  gefährlich  er- 
scheinen zu  lassen.  Bei  der  Reform  des  öster- 
reichischen Artillerie wesens  machten  die  Skoda- 
werke große  Anstrengungen,  um  die  von  ihnen 
konstruierte  Feldgeschütztype  durchzusetzen. 
Die  Konstruktionen,  die  Schießproben  ver- 
schlangen enorme  Summen,  und  schließlich 
blieb  'man  doch  bfei  dem  System  der  Bronze- 
kanonen, die  im  Arsenal  hergestellt  wurden. 
Die  Teilbestellungen  für  die  Ausrüstung  dieser 
Kanonen  sowie  die  Bestellungen  von  Haubitzen 
stellten  keine  ausreichende  Entschädigung  für 
diese  enormen  Ausgaben  dar.  Erst  die  Re- 
organisation der  österreichischen 
Marine  —  die  Schaffung  neuer  und 
größerer  Schlachtschiffe  schon  vor 
der  Aera  der  Dreadnoughts  —  führte  die  Ge- 
nesung der  Skodawerke  herbei.  Jahr  für 
Jahr  waren  sie  damit  beschäftigt,  Armaturen 
für  die  Kriegsschiffe  {Panzertürme  mit  Ge- 
schossen) herzustellen  und  die  Dimensionen 
dieser  Geschütze  und  damit  die  Höhe  dieser 
Aufträge  wurden  immer  größer,  bis  sie  den 
Dreadnoughttypus  erreichten.  Eür  diese  Ar- 
maturen hatten  die  Skodawerke  ein  faktisches 
Monopol,  und  an  der  Ausführung  derselben 
wuchsen  sie  empor,  so  daß  sie  auch  bei  Auslands- 
bestellungen  immer  konkurrenzfähiger  wurden. 
Die  Schiffsgeschütze  haben  die  Skodawerke  groß 
gemacht;  darüber  haben  sie  freilich  auch  die 
Erzeugung  von  Festlandsgeschützen  nicht  ver- 
nachlässigt und  insbesondere  den  Export  auf 
diesem  Gebiete  kultiviert.  'Es  ist  augenschein- 
lich nicht  nur  die  Eskomptierung  der  Dread- 
noughtgewinne,  welche  die  Skodaaktien,  wieder 
zum  Favorit  des  Publikums  gemacht  hat,  son- 
dern die  Entwicklung  der  Firma  von  einem 
Landes-  zu  einem  Weltunternehmen,  das  seine 
geographische  Sphäre  immer  weiter  ausdehnt 
und  beginnt,  neben  Krupp  und  Schneider  ge- 
nannt   zu    werden. 

Die  Expansionstendenz  der  Skodawerke,  ihre 
Entwicklung  "zur  Weltindustrie  kommt  nicht 
nur  darin  zum  Ausdruck,  daß  sie  sich  in  immer 
größerem  Maße  an  Lieferungen  für  fremde 
Staaten  beteiligen,  so  haben  sie  zum  Beispiel 
im  vergangenen  Jahre  für  die  holländischem 
Seefestungen  Aufträge  gehabt  und  vor  wenigen 
Wochen  eine  Lieferung  auf  Geschütze  im  Werte 
von  zirka  5  Millionen  Kronen  von  der  Türkei 
erhalten.  Viel  charakteristischer  ist  die  Art, 
in  welcher  sie  sich  gegebenenfalls  Lieferungen 
sichern.  So  haben  sie  im  vorigen  Jahre  zwei- 
mal Bestellungen  für  China  dadurch  erhalten, 
daß  entweder  die  Banken  ihres  Konzerns  oder 
sie  selbst  auch  die  Beschaffung  des  für  die 
Lieferungen  erf orderlichen  Kredits  übernahmen, 
in  Form  der  Uebernahme  von  chinesischen 
Staatsscheinen,  die  in  kurzer  Zeit  in  London 
plaziert  werden  konnten.  Wie  es  scheint,  haben 
die  Skodawerke  die  Absicht,  gleich  der  Poldi- 
hütte  irgendeine  dauernde  Beziehung  zu  der 
chinesischen  Republik  herzustellen.  Die  Nach- 
richt von  einer  größeren  chinesischen  Anleihe, 
welche  die  Skoda  werke  gemeinsam  mit  Krupp 
übernehmen  sollte,  wurde  zwar  dementiert,  aber 
daß  diese  Nachricht  überhaupt  verbreitet  und 
geglaubt  werden  konnte,  beweist  deutlich,  daß 
eine  intime  Beziehung-  der  Skodawerke  einerseits 


©= 


DIE  FR! EDENS -^ARTE 


zu  Krupp,  andererseits  zu  China  durchaus  auf 
dem   Gebiete  der  Wahrscheinlichkeit   liegt. 

Der  Artikel  fährt  fort,  indem  er  über 
die  Zusammenarbeit  der  Skodawerke  mit 
Krupp  und  mit  der  neuen  Kanonenfabrik  in 
Raab  ziffernmäßige  Auskunft  gibt.  Die  Ge- 
winne werden  verteilt  und  in  späteren  Jahren 
werden  die  Skodawerke  ein  Drittel  ihrer  Ge- 
schützbestellungen an  die  ungarische  Fabrik 
abgeben  müssen.  Mit  folgenden  Worten 
schließt  der  Aufsatz:  „Die  Zunahme  des 
Armeebedarfs  mag  dies  Vohl  ausgleichen,  und 
es  ist  auch  möglich,  daß  der  ungarische  Staat 
als  Eigentümer  der  ungarischen  Kanonenfabrik 
sich  lebhafter  für  den  Ersatz  der  Bronze-  durch 
Stahlkanonen  einsetzen  wird."  —  Lebhafter 
einsetzen  ?  Also  denn  :  patriotische  Brust  töne, 
und  Popanz,  herbei!  die  Staatsnotwendigkeit 
ist  fertig  und  —   die  Aktien  steigen. 

MB 

Von  der  balkanischen  Großschlächterei 
fliegen  noch  immer  Massakernachrichten  in 
die  Welt.  Ueberhaupt,  wie  es  auf  dieser  un- 
glücklichen Halbinsel  noch  von  Streit,  Haß, 
Rache,  Verwirrung  und  Gefahr  brodelt,  ist 
unsagbar.  Das  einzige  Gute,  was  man  bis- 
her Kriegen  noch  nachsagen  konnte:  daß. 
sie  in  verworrene  Situationen  Entscheidungen 
und  Klärung  bringen,  hat  sich  durch  diesen 
Balkankrieg  auch  als  nichtig  erwiesen. 
Nichts  ist  entwirrt.  Die  Friedensverhandlun- 
gen zwischen  Türkei  und  Griechenland 
,, schweben"  noch,  und  um  solch  unbedeutender 
Fragen  wegen,  wie  Kirchengüter  und 
„Wakufs"-Frage,  die  doch  nach  dem  Haager 
Schiedsgerichte  schreien.  Das  schlimmste 
aber  ist  dies:  Kaum  ist  die  Angelegenheit 
des  österreichischen  Ultimatums  an  Serbien 
aus  der  Welt  geschafft,  so  ist  Italien  in  einer 
Sonderaktion,  der  sich  Oesterreich-Ungarn 
anschloß,  mit  einer  die  Grenzregulierung 
Südalbaniens  betreffenden  Forderung  gegen 
Griechenland  aufgetreten.  Die  Antwort 
Griechenlands  ist  nicht  ganz  befriedigend  aus- 
gefallen:   Die    Sache    schwebt. 

MB 

Auf  hoher  See  geriet  ein  Schiff  in  Brand. 
Drahtlos  durchschwirrten  die  Hilferufe  des 
Volturno  den  Aether,  und  von  allen  Rich- 
tungen eilten  rettende  Schiffe  herbei.  Hun- 
derte der  Passagiere  wurden  gerettet;  viele 
sind  zwar  zugrunde  gegangen,  aber  ohne 
Marconi  —  und  ohne  hilfsbeflissene  Näch- 
stenliebe —  wären  alle  verloren  gewesen. 
Das  sind  die  Lichtbilder,  die,  zukunfts- 
erhellend,  uns  zeigen,  was  Ziel  und  Zweck 
der  technischen  Wunder  sein  soll  und  sein 
kann,  die  der  menschliche  Genius  vollbringt : 
im  Dienst  des  Lebens  sich  zu  entfalten  — 
und   nicht    des   Tötens. 


Aus  Paris  wird  gemeldet :  Der  angekün- 
digte Erlaß  über  die  verbotenen  Luftzonen 
wird     in     kürzester     Zeit     erscheinen.       Wie 


offiziös  verlautet,  wird  in  einem  Umkreis  von 
zehn  Kilometern  oberhalb  aller  Befestigungs- 
werke sowie  oberhalb  aller  Uebungs platze 
des  Landheeres  und  der  Kriegsflotte  das 
Ueberfliegen  derselben  verboten  werden. 
Was  für  ein  Polizeiposten  wird  denn  in 
1000  Metern  Höhe  aufgestellt  sein,  um  die 
Uebertreter  des  Verbots  aufzuhalten  ?  Die 
Schildbürgerei  solcher  Verbote  ist  beinähe 
spaßhaft.  Aber  etwas  sehr  Richtiges  liegt 
ihnen  doch  zugrunde.  Die  Beherrschung  der 
Luft  und  Festungen  und  Uebungsplätze 
und  dergleichen  passen  nicht  zueinander. 
Eines  von  beiden :  —  das  Fliegen  oder  das 
Kriegführen  —  wird  vor  dem  andern  schließ- 
lich   weichen    müssen. 


Die    sich    mehrenden    Bestrebungen     zu 
einer  deutsch-französischen  Annäherung  sind 
der    „Journaille"    —    wie    Fried    die    kriegs- 
hetzerischen   Preßleute    nennt    —    ein    Dorn 
im     Auge.      Einen     wahren      Rekord    dieser 
Richtung  fand  ich  in  einem  Artikel  des  Dres- 
dener Anzeigers.     Es  wird  darin  eine   „Frie- 
densschalmei"   des    Temps    besprochen:    „In 
einer  Zeit  (so  kommentiert  der  deutsche  Jour- 
nalist), wo  der  neue  Geist  des  Chauvinismus 
in   Frankreich   die   Gemüter   stärker   denn  je 
beherrscht,     wo     die     Wiedereinführung    der 
dreijährigen     Dienstzeit     lediglich     mit    dem 
Blick    auf    uns    begründet    worden    ist,    muß 
eine    solche    einlenkende    Sprache    ohne   wei- 
teres  überraschen.     Als   ein   starkes   Moment 
für    diese    Tatsache    fällt    ins    Gewicht,    daß 
die    französische   Armee    während   der   näch- 
sten    sechs     Monate,     eben     dank    der    ein- 
schneidenden   Umwälzungen,     in    einem   Zu- 
stande   sich    befindet,    der    eine    kriegerische 
Verwicklung    unerwünscht    macht.      Ist    aber 
dieses  Halbjahr  erst  vorüber,  dann  wird  auch 
im  „Temps"  eine  ganz  andere  Sprache  wieder 
angeschlagen  werden. . . .   Merkwürdig  genug, 
daß  es  gerade  ein  Vorkämpfer  einer  deutsch- 
französischen Annäherung  war,  der  bekannte 
Baron  d'Estournelles,   dem  auf  der  jüngsten 
Nürnberger  Tagung  des  Verbandes  für  inter- 
nationale   Verständigung     Vieles    verratende 
Worte   entschlüpften.     Er  trat   für   eine   En- 
tente zwischen  beiden   Mächten  ein  und  ließ 
seine  Worte  in  folgenden  Sätzen  ausklingen : 
, Mögen  Sie  in  Deutschland  gewissenhaft  und 
unabhängig    die    Lage    prüfen    und    uns    das 
Maß:    der   Zugeständnisse   machen,    das   man 
machen    kann ;    aber    beeilen    Sie    sich !       In 
wenigen    Jahren    ist    es    vielleicht    schon    zu 
spät.'      Vielleicht,     so    fügen    wir    hinzu,     ist 
es    schon    in    einem    halben    Jahre    zu    spät, 
wenn    der   Zustand   der   Desorganisation   der 
französischen   Linientruppen   überwunden   ist. 
Zugleich  erinnern  wir  uns,  daß  der  eben  ge- 
nannte  Senator   es  war,   der  in   dem  Augen- 
blick, als  in  Frankreich  das1  Gesetz  der  drei- 
jährigen   Dienstzeit    zur     Erörterung    stand, 
mit  der  äußersten  Energie  auf  die 


427 


DIE  FRIEDENS -WAGTE 


3 


Verstärkung  der  Zahl  und  Offen- 
sivkraft der  französischen  Wehr- 
macht hingewirkt  und  dabei  in 
denkbar  schärfsten  Ausdrücken 
in  Chauvinismus  gearbeitet  hat." 
Das  ist  die  allerunver  schäm- 
teste Umkehrung  der  Tatsachen! 
Wir  kennen  die  tapfere  Rede,  mit  der 
d'Estournelles  das  „Dreijahr  -  Gesetz"  im 
Senat  bekämpft  hat,  sich  dabei  stür- 
mischen Unterbrechungen  aussetzend,  und  den 
Haß  der  ganzen  Kriegspartei  inner-  und 
außerhalb  des  Landes  auf  sein  Haupt  ladend. 
Es  gibt  eine  Redensart :  „Dieser  Mensch  lügt 
wie  ein  roter  Hund."  Wer  diesen  fernliegenden 
Vergleich  erfunden  hat,  der  kannte  die  Jour- 
naille   nicht. 


In  der  Chronik  der  Zeitgeschichte  kann 
man  an  der  von  Lloyd  George  in  Angriff 
genommennen  Bodenreformkampagne  nicht 
vorübergehen.  Hier  bereitet  sich  vielleicht 
die  größte  Wandlung  in  der  wirtschaftlichen 
Entwicklung  der  menschlichen  Gesellschaft 
vor. 


Der  Ritualmord-Prozeß  in  Kiew.  Ganz 
im  Geiste  mittelalterlicher  Hexenprozesse  ge- 
führt, ist  er  eine  Schande  für  Rußland. 
Doch  nein,  nicht  für  Rußland,  denn  auch  dort 
erheben  sich  heftige  Proteste,  sondern  nur  für 
die  „schwarzen  Hundert",  für  die  „echt 
russischen  Männer".  Und  ist  nur  Rußland 
reaktionär  ?  Gibt  es  brutalen  Antisemitis- 
mus nur  dort  ?  Der  Dreyfußprozeß  wurde 
mit  derselben  judenverfolgenden  Absichtlich- 
keit geleitet  und  unter  ganz  ähnlichen  Be- 
gleiterscheinungen. Das  fürchterliche  ist  nur 
die  allerdings  in  Rußland  mehr  als  anderswo 
liegende  Pogromgefahr.  Im  österreichischen 
Parlament  wurde  über  den  Prozeß  und  über 
die  drohenden  Pogrome  interpelliert.  „Gibt 
es  denn  da  kein  Forum  ?"  fragte  der  Inter- 
pellant. Nein,  leider,  das  gibt  es  noch  nicht; 
aber  die  Vision  davon  ist  in  der  pazifistischen 
Weltanschauung  schon  aufgestiegen.  Sie 
wird  sich  verwirklichen,  wie  alles,  was  zu- 
gleich heiß'  ersehnt  und  klar  begriffen  ist, 
sich  verwirklichen  muß. 


Anfang  Oktober.  Auf  dem  englischen  Kirch en- 
kongress  in  Southampton  wird  die  anglo- 
deutsche  Verständigung  in  nachdruckvollster 
Weise  vertreten. 

Anfang  Oktober.  In  London  wird  mit  der  Ver- 
öffentlichung eines  neuen  Friedensorgans,  „War  and 
Peace"  betitelt,  begonnen,  das  sich  die  Vertretung  der 
Norman  Angell'schen  Ideen  zur  Aufgabe  macht. 


15.  Oktober.  Abhaltung  einer  Konferenz  pazi- 
fistischer Pastoren  in  Berlin  anlässlich  der  Jubi- 
läumstagung des  Deutschen  Protestanienvereins. 

18.  Oktober.  In  seiner  Bede  in  Manchester 
wiederholt  Lord  Churchill  seinen  bereits  im 
März  gemachten  Vorschlag  zur  Einführung  eines 
Flotten-Feierjahres  zwischen  Gross-Britan- 
nien und  Deutschland. 

21.  Oktober.  Die  Leipziger  Stadtvertretung 
beschliesst,  die  Gruft  der  in  der  Schlacht  bei  Leipzig 
gefallenen  französischen  Soldaten  fortan  am  18.  Ok- 
tober zu  schmücken. 

21.  Oktober.  Der  russische  Minister  des  Aeussem , 
Sasanow,  in  Berlin. 

25.  und  26.  Oktober.  Kaiser  Wilhelm  zum 
Besuch  des  Thronfolgers  Erzherzog  Franz 
Ferdinand  in  Konopischt  und  des  Kaisers  Franz 
Josef  in  Schönbrunn. 

31.  Oktober.  Im  amerikanischen  Repräsen- 
tantenhaus tritt  Hensley  (Missouri)  für  den 
Vorschlag  Lord  Churchills  ein.  Der  Sprecher 
Clark  bezeichnet  die  gegenwärtige  Bivalität  im  Fiotten- 
bau  als  „Gipfel  des  Idiotismus". 

Ende  Oktober.  In  Berlin  findet  eine  gemein- 
same Tagung  der  britischen  und  der  deut- 
schen König-Eduard-Stiftung  statt. 

Ende  Oktober.  Li  Paris  tagt  eine  Internatio- 
nale Kommission  für  die  Vereinheitlichung 
der  Zeit. 

Anfang  November.  König  Ferdinand  von 
Bulgarien  in  Wien. 


AUS  DER  ZEITO 

Rüstungsproblem. 

unterirdische  Arbeit.    ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  ::  :: 

Es  wird  uns  geschrieben : 

Der  Krupp-Prozeß  wirft  ein  eigentüm- 
liches Licht  auf  die  unterirdische  Arbeit, 
die  der  von  Krupp  angestellte  frühere  Ober- 
feuerwerker Brandt  im  Interesse  der  Firma 
geleistet  hat,  und  zeigt,  daß  jene  auch  dort 
stattfindet,  wo  man  sie  bisher  nicht  ver- 
mutete. Auch  bei  der  Verhetzung  der  Völker 
spielt  unterirdische  Arbeit  zweifellos  heu- 
tigen Tages  eine  große  Bolle.  Es  ist  auf- 
fallend, daß  den  Rüstungsforderungen  in 
neuerer  Zeit  fast  ausnahmslos  eine  ten- 
denziöse Verhetzung  vorangeht.  In  Eng- 
land, in  Frankreich,  in  Deutschland,  über- 
all entstanden  zur  gegebenen  Zeit  Zeitungs- 
artikel und  Broschüren,  die  Mißtrauen  und 
Mißstimmung  zwischen  den  Völkern  ent- 
fachten. Der  Verdacht  liegt  nahe,  daß  diese 
Ait  Preßtätigkeit  von  den  Kreisen  unter- 
stützt wird,  die  für  Erweiterung  der 
Rüstung  sind,  gleichgültig,  ob'  sie  ein  pa- 
triotisches oder  sonstiges  Interesse  dafür 
haben.      Zu     den     Broschüren,    die     neben 


428 


(ÖS 


DIE  FRI EDENS -^VARTE 


manchem  Wiahren  grobe  Entstellungen  und 
skrupellose,  hetzende  Behauptungen  ent- 
halten, die,  wie  ein  kritischer  Leser  sofort 
erkennen  muß,  lediglich  auf!  Mutmaßungen 
beruhen,  gehört  u.  a.  die  Broschüre  „Eng- 
lands "Weltherrschaft  und  die  deutsche 
Luxusflotte  von  Lookout"  —  1912  — .  Hinter 
dem  Pseudonym  des  Verfassers  haben  viele 
zunächst  irgendeinen  hohen  See  -  Offizier 
oder  einen  hohen  Staatsbeamten  vermutet, 
der  die  Sache  aus  bester  Quelle  wissen 
mußte.  Tatsächlich'  hat  jedoch  der  Schrift- 
steller Adolf  Stein  die  Broschüre  ver- 
faßt. Bald  nach  dem  Erscheinen  derselben 
wurde  ihm  durch  eine  mehrtägige  Ein- 
schiffung auf  dem  deutschen  Linienschiff 
, .Kaiser  iWilhelm  IL",  dem,  Flaggschiff  des 
Konteradmirals  Lans,  jetzigem  Vize-Admiral 
imd  Geschwaderchef,  Gelegenheit  gegeben, 
den  Betrieb  auf  einem  Linienschiff  und  auf 
dem  unter  Lans  formierten  Lehrgeschwader 
kennen  zu  lernen.  Bei  dem  geheimen  Cha- 
rakter, den  die  Uebungen  des  Lehrge- 
schwaders wegen  des  Einblicks  in  die  Taktik 
haben  —  es  dient  nämlich  zur  schulmäßigen 
Ausbildung  der  Torpedo-  und  Unterseeboote 
—  bedeutete  die  Einladung  des  Schrift- 
stellers Stein  ein  besonderes  Vertrauen. 
Man.  könnte  sie  auch  als  eine  besondere 
Anerkennung  auffassen,  und  die  Marine  täte 
daher  gut,  in  Zukunft  derartige  Schrift- 
steller nicht  an  Bord  zu  nehmen.  Was 
sollen  diese  überhaupt  an  Bord?  Es  wäre 
zu  weitgehend,  eine  Vermutung  auszu- 
sprechen, welcher  Protektion  oder  Für- 
sprache der  Schriftsteller  Adolf  Stein  seinen 
Aufenthalt  auf  dem  Geschwader  verdankt. 
Es  ist  betreffs  der  von  ihm  verfaßten 
Sensationsbroschüre  bekanntgeworden,  daß 
Stein,  als  ihm  die  Verlagsanstalt  die  Arbeit 
anbot,  zunächst  ablehnte,  sich  aber  der  Be- 
arbeitung unterzog,  als  ihm  das  Material 
voii  der  Verlagsanstalt  zur  Verfügung  ge- 
stellt wurde.  Auf  wessen  Veranlassung  hat 
nun  Adolf  Stein  geschrieben?  War  es  der 
Flottenverein,  war  es  die  Großindustrie? 


Das  Flottenfeierjahr.     ::   ::    ::   ::   ::    »   ::   ::    ::    ::   ::   :: 
Wie    schon    einmal    am    26.    März     dieses 
Jahres  ist  der  englische  Marineminister.    Lorcl 
Churchill,     am     18.     Oktober      in     Manchester 
.auf  seinen  alten  Plan  zur  Anbahnung  eines  Feier- 
jahres im  Flottenbau  zurückgekommen. 
Er  sagte  dabei  wörtlich: 
„Der  Vorschlag,  den  ich  im  Namen  der 
Regierung  vortrage,   ist   ganz   einfach:    Wir 
werden    im   nächsten    Jahr    —    abseits    von    den 
kanadischen   Schiffen   oder   ihren   Aequivalenten, 


abseits  von  allem,  was  durch  irgendwelche 
Vorgänge  im  Mittelmeer  erforderlich  werden 
könnte  —  vier,  Deutschland  zwei  große 
Schiffe  auf  den  Kiel  legen.  Jetzt  sagen 
wir  zu  Deutschland:  Wenn  du  den 
Baubeginn  deiner  beiden  Schiffe 
um  zwölf  Monate  vertagen  willst, 
werden  wir  getreulich  den  Bau- 
beginn unserer  vier  Schiffe  für 
genau  die  gleiche  Periode  vertage n." 

Im  weiteren  Verlauf  seiner  Rede  bemerkte 
Lord  Churchill  noch: 

Deutschland  würde  bei  der  Pause  sechs, 
wir  fast  zwölfMill.  (Pfund !)  s  p  a  r  e  n.  D  i  e 
relativeStärkebeiderLänder  würde 
absolut  unverändert  bleiben.  Ein  völ- 
liger Stillstand  für  ein  ganzes  Jahr  ist  unmöglich, 
wenn  nicht  andere  Mächte  überredet  werden, 
ebenso  zu  handeln.  Aber  wenn  Deutschland  und 
England  die  Initiative  ergriffen,  den  anderen 
europäischen  Mächten  voranzugehen,  wäre  da 
nicht  eine  große  Aussicht  auf  Erfolg?  Wenn 
Oesterreich  und  Italien  nicht  bauten,  so  würde 
eine  Verpflichtung  dazu  auch  für  England  und 
Frankreich  wegfallen.  Die  Tatsache,  daß  der 
Dreibund  keine  Schiffe  baute,  würde  den  Vor- 
schlag ohne  die  geringste  Risikogefahr  mög- 
lich machen.  Und  würde  ein  solches  Ereignis 
nicht  seine  Wirkung  auf  den  Schiffsbau  Ame- 
rikas und  Japans  ausüben?  Durch  eine  solche 
Politik  würden  viele  Millionen  für  den 
FortschrittderMenschheit  frei  wer- 
den, und  selbst,  wenn  sie  erfolglos  bliebe, 
würde  sie  auf  Europa  einen  wohltätigen  Ein- 
druck machen,  der  später  sicher  Früchte  tragen 
würde." 

Churchill  schloß:  „Ich  mache  diesen  Vor- 
schlag für  1914  oder,  wenn  dies  zu  nahe  er- 
scheint, für  1915.  Ich  bin  für  Gegen- 
gründe, die  große  Waffenfirmen  in 
England  und  anderen  Ländern 
zweifellos  erheben  werden,  völlig 
unzugänglich;  sie  müssen  Diener 
sein,  nicht  Herren!  Manche  werden  mich 
wegen  meines  Vorschlages  tadeln.  Aber  mögen 
sie  spotten!  Ich  bin  überzeugt,  daß  es 
fürdieWoh'lfahrtunddieFortdauer 
unserer  Zivilisation  und  des  Auf- 
baues der  europäischen  Gesell- 
schaft notwendig  ist,  daß  Rüstungs- 
fragen offen  erörtert  werden,  nicht  allein  von 
den  Diplomaten  und  Regierungen,  sondern  auch 
von  den   Parlamenten  und  Völkern." 

In  einer  gewissen  deutschen  Presse  wurde 
gegen  diesen  vernünftigen  Vorschlag  natürlich 
Bedenken  geltend  gemacht.  Kapitän  z.  See  a.  D., 
L.  Persius,  schreibt  darüber  im  „Zwickauer 
Tageblatt" : 

„Diese  „Bedenken"  stammten  durchgängig 
aus  interessierten  Kreisen.  Sie  zeichneten  sich 
gleicherweise  durch  einen  gereizten  Ton  aus, 
wie  durch  die  Schwäche  ihrer  Argumente.  Di" 
schlagende  Antwort  lautete,  daß  unsere  Privat- 
werften eingestandenermaßen  an  Kriegsschiff- 
bauten, dank  der  kaufmännischen  Qualifikation 


429 


DIE  FBlEDENS-^ös^DTE 


!§> 


unseres  Reichsmarineamtes,  herzlich  wenig  ver- 
dienten, ja  in  einem  bekannt  gewordenen  Fall 
—  Vulkan  —  zugesetzt  hätten.  Außerdem  sei 
es  übertrieben,  von  einem  nahen  Bankrott  zu 
sprechen,  wenn  einmal  zwei  Werften  während 
zwölf  Monaten  bei  den  Bestellungen  unserer 
Regierung  leer  ausgingen.  Das  Flottengesetz 
sieht  im  nächsten  Etatsjahr  1914 — 1915  nur 
zwei  Schlachtschiffsneubauten  vor.  Es  han- 
delt sich  außerdem  nur  um  die  ersten  Raten, 
also  überhaupt  um  einen  Yacht  überwältigend 
großen  Betrag.  Aber  ganz  abgesehen  davon, 
wäre  es  schließlich  doch  in  hohem  Grade  un- 
moralisch, ein  ganzes  60  Millionenvolk  bluten 
zu.  lassen,  weil  sonst  zwei  Werftbetriebe  viel- 
leicht in  einem  Jahr  geringere  Dividende  zahlen 
müßten. 

Auch  der  Hinweis,  eine  Kontrolle  über  den 
Bau  von  Großkampfschiffen  sei  ausgeschlossen, 
ist  unberechtigt.  Es  handelt  sich  um  „Ueber- 
dreadnoughts".  Man  wird  keinem  Schulbuben 
weiß  machen  können,  daß  die  Kielstreckung 
eines  solchen  Riesenschiffes  sich  irgendwo  ver- 
heimlichen ließe.  Und  ferner,  wenn  im  Marine- 
etat keine  ersten  Raten  eingestellt  und  bewilligt 
werden,  sind  eben  die  Mittel  zum  Beginn  des 
Baues  nicht  vorhanden.  Die  Behauptung, 
Schiffsbauraten  könnten  unter  einem  anderen 
Titel  in  den  Etat  eingeschmuggelt  werden  — 
auch  dies  wurde  allen  Ernstes  entgegnet  —  ist 
geradezu  grotesk.  Endlich  ist  der  Einspruch, 
eine  Umgehung  des  Abkommens  sei  durch  Ueber- 
nahme  fremder  Bestellungen  angängig,  hinfällig, 
denn  diese  Verhältnisse  haben  mit  dem  Feierjahr 
nichts  zu  tun,  sie  bestehen  jetzt  ebenso  wie 
später.  Zudem  ist  anzunehmen,  daß  sich  die 
kleineren  Seemächte,  um  die  es  sich  handelt, 
selbstverständlich  dem  Vorgehen  der  großen 
anschließen  werden:  sie  werden  froh  sein,  von 
der  Pause  im  Flottenwettrüsten  auch  ihrerseits 
profitieren  zu  können." 


Rüstungs-Großmacht  und  soziales  Elend.  ::  :: 

In  Oesterreich  ist  seit  ungefähr  fünf  Jahren 
ein  Gesetzentwurf  für  die  Sozialversicherung 
nach  reichsdeutschem  Muster  im  vorberaten- 
den Ausschuß  ausgearbeitet  worden.  Warum 
dieser  aber  noch  nicht  Gesetz  geworden  ist, 
erfährt  man  aus  dem  vom  Abgeordneten  S  e  i  t  z 
auf  dem  Wiener  Parteitag  der  österreichischen 
Sozialdemokratie  (1.  und  2.  Nov.)  erstatteten 
Bericht  der  Reichsratsfraktion.  Da 
heißt   es : 

„Schwere  Arbeit  erfordern  seit  1907  die 
Verhandlungen  über  die  Sozialversicherung. 
Es  ist  uns  seinerzeit  gelungen,  das  Ministerium 
Beck  zur  Vorlage  des  Gesetzes  zu  zwingen. 
aber  die  Beratung  zeigt  den  echt  öster- 
reichischen Jammer.  Die  Beratungen  im  Aus- 
schuß sind  eigentlich  zu  Ende.  Obwohl  es 
seihon  jeder  Mensch  als  selbstverständlich  be- 
trachtet, daß  der  Versicherte  seine  Beiträge  zu 
leisten  hat  und  daß  ein  Staatszuschuß  zu  jeder 
Rente  gewährt  wird,  damit  Krüppel  und  Greise  zu 


einer  ausreichenden  Rente  kommen,  stößt  das 
Gesetz  in  Oesterreich  plötzlich  auf  die 
schwersten  Hindernisse.  Es  hat  sich  heraus- 
gestellt, daß  in  weiten  Gebieten  des  Staates  der 
Bevölkerung  nicht  zugemutet  werden  kann, 
einen  Beitrag  von  monatlich  einer  Krone  zu 
zahlen.  Die  Ruthenen  haben  erklärt,  sie  müssen 
gegen  die  Sozialversicherung  sein,  weil  ihre 
Kleinhäusler  nicht  imstande  sind,  für  sich  und 
ihre  Arbeiter  auch  nur  den  geringsten  Beitrag 
zu  entrichten.  Wer  da  weiß,  daß  man  dort 
um  Grundsteuern  von  je  drei  K  r  o  n  e  b 
tausende  Pfändungen  vornehmen  muß, 
und  wer  die  Lebenslage  dieses  Volkes  kennt, 
wird  zugeben:  es  ist  leider  tatsächlich  unmög- 
lich, diesen  Schichten  die  Zahlung  von  Prämien 
zuzumuten." 

Diese  Feststellungen  sollten  diejenigen  zur 
Kenntnis  nehmen,  die  immer  davon  reden,  daß 
die  Bevölkerung  die  Rüstungslasten  leicht 
trägt  und  daß  unter  der  Last  dieser  Rüstungen 
die  Kulturaufgaben  nicht  leiden.  Auf  welchem 
Tierzustande  muß  eine  Bevölkerung  leben,  der 
es  nicht  möglich  ist,  1  Krone  (d.  /i.  ßo  Pfg.) 
monatlich  für  die  Versorgung  des  erwerbsun- 
fähigen Alters  auszugeben.  Und  dieses  so  ver- 
elendete Volk  muß  Dreadnoughts  für  70  Mill. 
bauen  und  zu  seinem  Schutze  jährlich  nahezu 
eine  Milliarde  ausgeben !    Zu  s  e  i  n  e  m  Schutze ! ! 


Die  russischen  Rüstungen.    ::   ::   ::        ::   ::   ::   u   ::   :: 

In  der  Rüstungskette  folgt  nun  auch  Ruß- 
land dem  durch  die  Rüstungen  der  anderen 
Länder   gegebenen   Antrieb. 

Das  Ausgabenbudget  Rußlands  erhöht  sich 
1914  um  310  Mill.  Rubel  (um  560  Mill.  Rubel 
mehr  als  noch  1912).  Davon  entfällt  für  1914 
ein  Drittel,  d.  i.  105  M(ill.  Rubel  für  Militär- 
ausgaben, die  jetzt  beinahe  1  Milliarde  Rubel 
erreichen. 

Die  Ausgaben  der  letzten  8  Jahre  stellen 
sich   nach  der  Frankf.    Ztg.    wie  folgt: 


(in  Mill 
Rbl.) 


1908 
1909 
1910 
1911 
1912 
1913 
1914 


Gewöhnliche  Ausgaben 


Kriegs- 
Ministerium 


Marine- 
Ministerium 


462,50 
488,90 
484,90 
497,80 
503,— 
550,90 
599,14 


Außerordent- 
liche Ausgaben 
für  beide 
Ministerien 


93.50  56,20  612,20 

96,20  65,—  650,10 

112,70  50,—  647,60 

120,90  50,60  669,30 

165,70  70—  738,70 

228,23  90,11  869,24 

250,40  125.42  974,96 

soll  auch  die  Dienstzeit  ver- 
Aus  Petersbm-g  wird  dar- 
„Die  Regierung  beabsichtigt, 
gleich  nach  Beginn  der  Tagungen  in  die  ge- 
setzgeberischen Körperschaften  eine  Vorlage 
einzubringen,  derzuf  olge  die  aktive 
Dienstzeit  für  die  Mannschaften  der  Armee 
und  Flotte  um  3  Monate,  und  zwar  vom 
1.  Januar  bis  1.  April  verlängert  werden 
soll.     Bereits   in  diesem   Jahre   werden  auf  be- 


Gleichzeitig 
längert  werden. 
über    berichtet : 


430 


@= 


DIE  FRIEDEN5 -WARTE 


sondere  Verfügung  die  Mannschaften,  die  sonst 
im  Oktober  zur  Reserve  entlassen  werden,  bis 
zum  1.  Januar  1914  unter  der  Fahne  gehalten. 
Die  Regierung  begründet  diese  entscheidende 
Maßnahme  dadurch,  daß  sämtliche 
Staaten  Westeuropas  ebenfalls  zur 
Verstärkung  ihres  aktiven  Armee- 
bestandes geschritten  sind.  Da  der 
Beschluß,  die  Dienstleistung  zu  verlängern,  erst 
cefaßt  wurde,  nachdem  der  Haushaltentwurf 
für  1914  der  Reichsduma  schon  übermittelt 
worden  war,  dürften  Kriegs-  und  Marine- 
ministerium  großer  Ergänzungskredite 
benötigen." 

Es  wird  uns  nicht  wundernehmen,  wenn 
diese  .Maßnahme  von  den  anderen  Staaten 
J^uropas  baldigst  nachgeahmt  wird.  Wo  bleibt 
dann  der  Vorteil  für  Rußland? 


Vom  internationalen  Rüstungsgeschäft.     ::   ::        ::   :] 

Ueber  das  bei  zwei  österreichischen  Banken 
aufgenommene  Darlehen  der  chinesischen  Re- 
gierung, für  das  diese  Kriegsschiffe  geliefert 
erhält  (Siehe  Fr. -W.  S.  393),  berichtet  die 
X.   Fr.   Presse  (19.    10.)   weiter: 

„Wie  bereits  gemeldet  wurde,  haben  die 
Niederösterreichische  Eskomptegesellschaft  und 
die  Bodenkreditanstalt  eine  chinesische  An- 
leihe von  2  Millionen  Pfund  abgeschlossen, 
deren  Erlös  zum  großen  Teile  dahin  verwendet 
werden  soll,  daß  die  Cantiere  Navale 
Triestino  einen  großen  Kreuzer  baut,  die 
Skoda- Werke  die  Armierung  desselben  be- 
sorgen. Es  ist  dies  die  dritte  Anleihe,  welche 
China  mit  der  gleichen  Bankengruppe  verein- 
bart. Vor  zwei  Jahren  haben  die  Skoda-Werke 
den  Abschluß  der  ersten  Anleihe  mit  China  an- 
geregt, und  bei  diesem  Anlasse  hat  zum  ersten- 
mal in  Oesterreich  die  Methode  praktische  Wirk- 
samkeit erlangt,  in  Verbindung  mit  der  Deckung 
der  Kreditbedürfnisse  eines  fremden  Lajides 
durch  österreichische  Finanzinstitute  zugleich 
industrielle  Bestellungen  aus  dem  Auslande 
nach  Oesterreich  zu  ziehen.  Aus  der  gestern 
abgeschlossenen  Anleihe  erhalten  die  Skoda- 
Werke  Bestellungen  für  China  in  der  Höhe 
von  12  Millionen  Kronen.  Im  heurigen  Jahre 
haben  die  Skoda-Werke  durch  die  Erlöse  der 
letzten  zwei  Anleihen  Aufträge  von  mehr  als 
24  Millionen  Kronen  erzielt.*)  Der  größte  Teil 
des  Geldes,  welches  für  diese  Lieferungen  be- 
stimmt ist,  erliegt  aus  den  Anleihen  bei  den 
hiesigen  Bankinstituten,  so  daß  die  Valuta  der 
Anleihe  nur  zum  geringen  Teile  nach 
China  remittiert  wurde,  sondern  hier 
geblieben  und  zu  industriellen  Bestellungen  ver- 
wendet  worden  ist." 

Im  Zusammenhang  damit  wird  eine  weitere 
Mitteilung  der  N.  Fr.  Presse  (vom  27.  10.)  von 
Interesse   sein : 


*)  Siehe  die  Mitteilung  über  das  Gedeihen 
der  Skoda-Werke  auf  S.  425  der  vorliegendem 
Nummer. 


,,In  Triest  hat  gestern  unter  dem  Vorsitze 
des  Herrn  Callisto  Cosulich  eine  außerordent- 
liche Generalversammlung  des  Cantiere  Na- 
vale Triestino  stattgefunden,  in  welcher 
beschlossen  wurde,  das  Gesellschaftskapital 
durch  Ausgabe  von  15  000  Aktien  mit  je  200  Kr. 
Nominale  von  6  Moll,  auf  9  Mill.  Kr.  zu  erhöhen. 
Aus  dem  Erlöse  der  Kapitalserhöhung  wird  die 
beabsichtigte  Ausgestaltung  der 

Werfte  (!)  bestritten  werden." 

MB 

Verschiedenes. 

Offizielle  Gedankengänge  über 
die   Leipziger  Schlachtenfeier. 

Bei  dem  Galadiner,  das  der  König  von 
Sachsen  aus  Anlaß  der  Feier  zur  Enthüllung 
des  Völkerschlachtdenkmals  am  18.  Oktober 
seinen  fürstlichen  Gästen  im  Gewandhaus  zu 
Leipzig  gab,  fielen  uns  einige  Wendungen  auf, 
die  sich  von  den  sonst  bei  solchen  Gelegen- 
heiten üblichen  Reden  verblümt  abhoben.  Der 
König  hob  den  Gegensatz  zwischen  der  Zeit 
der  Völkerschlacht  und  der  Jetzzeit  hervor, 
wo  die  Nachkommen  der  Kämpfer  der  großen 
Völkerschlacht  von  nah  und  fern  zu  einem 
Fest  des  Friedens  zusammenströmen. 
„Nicht  nur,"  sagte  der  König,  ,,was  Deutsch- 
land, Oesterreich  -  Ungarn,  Rußland  und 
Schweden  im  Jahre  1813  gewesen  sind, 
vor  allem,  was  die  Völker  der  Völkerschlacht 
von  Leipzig  heute  geworden  sind,  wie 
Gottes  Segen  sichtbarlich  auf  den  Fürsten- 
häusern dieser  Völker  geruht,  ist  uns  angesichts 
dieser  glänzenden  Versammlung  von  Monarchen 
und  Fürsten,  dieser  glänzenden  Versammlung 
von  hohen  und  höchsten  militärischen  Führern, 
dieser  glänzenden  Versammlung  von  Vertretern 
des  deutschen  Volkes  zum  freudigen  Bewußt- 
sein  gekommen." 

Der  König  schloß:  „Wie  im  Jahre  1813 
die  Völker  von  Deutschland,  Oesterreich-Un- 
garn,  Rußland  und  Schweden  in  Wehr  und 
Waffen  gestanden,  so  haben  sich  auch  heute 
Vertreter  dieser  Völker  im  Schmucke  von  Wehr 
und  Waffen  unseren  bewundernden  Blicken  ge- 
zeigt. Nicht  im  Kampf  und  im  Schlacht- 
getümmel jedoch  stehen  heute  die  Völker  der 
Völkerschlacht  von  Leipzig  vor  unserem 
geistigen  Auge,  vielmehr  in  friedlichem 
Wettbewerb,  den  ernsten  Aufgaben 
der  Kultur  und  Zivilisation  zu 
dienen,  deren  Lösung  uns  allen  ge- 
meinschaftlich  obliegt.  Und  so  darf 
ich  Sie  begrüßen  in  der  Erinnerung  an  eine 
Zeit  der  Kämpfe  und  Kriege  bei  einem  Feste 
des    Friede  ns." 


Die  bulgarischen  Verluste.    ::  ::   ::  n  ::  ::   ::   ::  :.-  :: 
44  892  Tote,  104  586  Verwundete. 

Das  bulgarische  Kriegsministerium  ver- 
öffentlicht nachstehende  Bilanz  des  Menschen- 
verbrauchs   Bulgariens    in    beiden    Kriegen. 


431 


DIE  FßlEDEN5-^/AQTE 


3 


Im  ersten  Krieg: 
Getötet:       Verwundet:     Vermißt: 
Offiziere  313  915  2 

Mannschaften        29  711  52  550  3  193 

Im  zweiten  Krieg: 
Offiziere  266  816  69 

Mannschaften        14  602  50  305  4  500 

Danach  getötet :  44  892,  verwundet :  104  586. 
Die  7764  Vermißten  werden  wohl  auch  nicht 
mehr  zu  den  Lebenden  zu  zählen  sein.  Auch 
muß  angenommen  werden,  daß  in  jenen  Zahlen 
diejenigen  nicht  eingerechnet  sind,  die  an 
Krankheiten  verstarben,  auch  jene  Verwundeten 
nicht,  die  in  einem  späteren  Zeitpunkt  ihren 
Verwundungen   erlegen   sind. 

Bulgarien  hatte  vor  dem  Kriege  eine  männ- 
liche Bevölkerung  von  2  206  691  aller  Alters- 
klassen, so  daß  jeder  41.  Einwohner  männlichen 
Geschlechts  —  die  Kinder  mit  eingerechnet 
—  getötet  wurde.  Um  die  Verluste  richtig 
einzuschätzen,  muß  man  bedenken,  (daß  die 
Engländer  in  dem  drei  Jahre  wälixenden  Trans- 
vaalkriege nur  ca.  21  000  Mann  verloren  haben. 

Für  die  anderen  Balkanstaaten  gibt  es 
noch    keine   authentische   Verlustliste. 

Der  Bericht  über  die  Balkangreuel,  :: 

den  die  Mitglieder  der  von  der  Carnegie-Stiftung 
entsandten  Kommission  erstatten  werden, 
dürfte  Anfang  Dezember  erscheinen.  Seiner 
Veröffentlichung,  die  gleichzeitig  in  mehreren 
Sprachen  bewirkt  wird,  sieht  man  mit  be- 
rechtigter  Spannung   entgegen. 

Die  Kommission  setzte  sich  zusammen  aus 
dem  Amerikaner  Prof.  Du  t  ton,  der  in  der 
Friedensbewegung  bereits  bekannt  ist  —  er  ist 
Mitglied  des  Berner  Bureaus  — ,  aus  dem  Russen 
Paul  Milukoff,  Mitglied  der  Duma,  dem 
Franzosen  G  o  d  a  r  t ,  Wirtschaftspolitiker 
seines  Zeichens,  und  dem  Engländer 
C.  H.  Brailsford,  Mitherausgeber  der 
„Nation",  Die  deutschen  und  die  öster- 
reichischen Mitglieder  der  Kommission  sind, 
wie  erinnerlich,  vor  Beginn  der  Reise  zurück- 
getreten. 

Aus  Mitteilungen,  die  Prof.  Dutton  an  die 
Oeffentlichkeit  gelangen  ließ,  geht  hervor,  daß 
die  Kommission,  entgegen  den  Zeitungsnach- 
richten, überall  in  höflichster  Weise  empfangen 
wurde  und  ihre  Aufgabe  erfolgreich  ausführen 
konnte.  Ueber  die  Einzelheiten  der  Ergebnisse 
soll  vor  der  vollen  Veröffentlichung  nichts  mit- 
geteilt werden.  Doch  soviel  glaubte  Prof. 
Dutton  sagen  zu  können,  daß  all  die  von 
Zeitungskorrespondenten  und  Tou- 
risten geschilderten  Greueltaten 
nicht  die  Hälfteder  Leidenund  Zer- 
störungen wiedergeben,  die  sich 
zugetragen  haben.  Als  Zweck  der  Kom- 
mission gibt  Dutton  die  Förderung  der  Friedens^ 
sache  an,  um  die  Nationen  durch  die  Aufdeckung 
der  Kriegsfolgen  und  der  Vernichtung,  die  er 
verursachte,  zurückhaltender  zu  machen,  wenn 
wieder  ein  Krieg  drohen  sollte.     Es  ist  anzu- 


nehmen, daß  manche  einflußreiche  Personen  am 
Balkan  einsehen  werden,  daß  der  Krieg  nicht 
das  beste  Mittel  zur  Erledigung  von  Grenz- 
streitigkeiten  ist. 


C£» 


Vom  Nachrichtenschwindel.   •■  ::  :: 

Anbei    drei    Depeschen,     die    deutlich    er- 
kennen    lassen,     mit     welcher     Frivolität     die 
Oeffentlichkeit    in    Unruhe    versetzt    wird : 
Newyork,   4.  November. 
Die       „Associated        Preß"       meldet       aus 
Mexiko:    Der  amerikanische   Geschäftsträger 
hat   dem    Präsidenten    Huerta   ein 
Ultimatum  zugestellt.    Huerta  müsse 
sofort    die    Präsidentschaft    niederlegen    und 
dafür    weder    den    Kriegs  minister    Blanquet 
noch  irgendein  anderes   Mitglied  seines   Ka- 
binetts  als    Nachfolger   hinterlassen. 

London,  4.  November. 
Das  Reuters  che  Bureau  meldet  aus 
Washington:  Staatssekretär  Bryan  setzt  der 
Meldung  von  der  Absendung  eines  Ultimatums 
an  General  Huerta  ein  formelles  De- 
menti entgegen.  Bryan  erklärt  es  für 
bedauerlich,  daß  die  Presse  in  den  Vereinigten 
Staaten  derartigen  Gerüchten  Glauben  ge- 
schenkt habe.  Solche  irrtümliche  Meldun- 
gen könnten  ernste  Folgen  nach  sich  ziehen. 
Berlin,  5."November. 
Wie  die  „B.  Z."  mitteilt,  hat  die  ameri- 
kanische Botschaft  in  Berlin  ein  längeres 
Telegramm  vom  Staatsdepartement  in 
Washington  erhalten,  in  dem  die  Gerüchte 
von  der  Ueberreichung  eines  Ultimatums  an 
Mexiko  in  den  all  er  schärfsten  Aus- 
drücken als  vollkommen  unbe- 
gründet bezeichnet  werden  und 
zugleich  das  Bedauern  darüber 
ausgesprochen  wird,  daß  der- 
artige Nachrichte  n,  denen  sofort 
die  Haltlosigkeit  anzumerkensei, 
im  großen  Publikum  Glauben  fän- 
den. Derartige  Nachrichten  seien  nur  ge- 
eignet, die  amerikanischen  Interessen  zu 
schädigen. 

Trotz  der  Dementis  hat  die  falsche  Nach- 
richt ihre  Wirkung  ausgeübt.  Die  Börsen  wur- 
den erschüttert,  Handel  und  Wandel  gestört. 
Gewinn  hatte  allein  die  Sensationspresse,  die 
sofort  ihre  kriegerischen  Leitartikler  ins  Treffen 
führte  und  die  „militärischen  Sachverständigen" 
zu  Worte  kommen  ließ. 

Wo  bleibt  die  im  Dienste  des  Friedens 
wirkende  Nachrichtenagentur,  wo,  ^die  Inter- 
nationale Konvention  gegen  die  verbrecherische 
Verbreitung   falscher    Nachrichten? 


Kriegs-Eindrücke.  ::   ::   ::    ::    ::    ::   ::   ::   ::    ::    ::   ::    ::     : 

„Ich  muß  von  einem  jungen  Griechen  er- 
zählen" —  so  schreibt  Felix  Moscheies  aus  dem 
holländischen  Städtchen  VoLendam,  wo  er  nach 
Beendigungr  des   Haager  Kongresses   Aufenthalt 


432 


@= 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


]jaJiin,  um  zu  malen  —  „mit  dem  icli  mich  hier 
befreundet  habe.  Sein  Name  ist  Georg-  Papa- 
«oglus,  und  er  ist  Künstler.  Er  ist  hierher- 
gekommen, um  die  Last  grausamer  Erfahrungen 
abzuschütteln  und  sich  von  den  physischen 
und  moralischen  Prüfungen  zu  erholen,  die 
ihn  im  letzten  Balkankriege  heimgesucht  haben. 
Kurz  vor  dem  Beginn  des  Feldzuges  zum 
aktiven  Dienst  einberufen,  hat  er  an  vielen 
Gefechten  teilgenommen  und  kann  als  Augen- 
zeuge von  den  Schrecken  des  Krieges  reden. 
.Ich  fühle  mich  noch  ganz  verschüchtert,' 
sagte  er,  ,ganz  unwürdig,  in  geistesgesunder 
Gesellschaft  mich  zu  bewegen,  wenn  ich  doch 
erst  gestern  ein  Wahnsinniger  unter  Wahn- 
sinnigen war,  einer  aus  dem  Haufen  wilder 
Bestien,  die  einander  zerfleischen.  Ein  Ba- 
jonett-Angriff ist  anbefohlen.  Eine  Stellung 
muß  dem  Feinde  um  jeden  Preis  entrissen 
werden.  Keine  Zeit  für  Wenn  und  Aber,  für 
Vierstand  und  Barmherzigkeit.  Es  gibt  kein 
Zögern  im  Feuer.  Töten  oder  getötet  werden: 
das  ist  der  Gedanke,  der  alles  übrige  beherrscht. 
Das  Rote  Kreuz!?  Darauf  können  wir  nicht 
warten.  Ueber  die  gefallenen,  zerstochenen 
Leiber  von  Freund  und  Feind  erklettern  wir 
die  Anhöhen  und  kümmern  uns  nicht,  was  für 
Tote  öder  Lebende  wir  unter  unseren  Fersen 
zermalmen.  Man  muß  ein  wildes  Tier  sein ! 
Das  ist  die  einzige  Chance,  seine  Mutter  wieder- 
zusehen! 

Ich  habe  die  Mutter  nicht  wiedergesehen! 
In  Rodostos  wars,  daß  sie  niedergeschossen 
wurde,  als  sie,  mit  einem  Haufen  erschreckter 
Flüchtlinge,  versuchte,  aus  der  brennenden 
Stfcdt  zu  entkommen,  die  von  den  Bulgaren 
und  Türken  genommein  und  wiedergenommen 
worden  war.  Das  war  im  zweiten  Kriege,  als 
der  exasperierte  Türke,  nachdem  er  ein  zweites 
Mal  getrieben,  mit  Feuer  und  Schwert  zerstörte, 
was  von  der  Stadt  und  ihren  45  000  Einwohnern 
übriggeblieben  war. 

Ihr  Grab?  Nein,  das  werde  icli  nimmer 
finden.  Tausende  dieser  von  Panik  ergriffenen 
Menschen  wurden  zusammen  erschlagen  und  be- 
graben in  Gräben  und  improvisierten  Fried- 
höfen.' 

Ich  wollte  meinen  trauernden  Freund  nicht 
weiter  reden  lassen,  aber  nach  einer  Pause 
nahm  er  seine  trübe  Geschichte  wieder  auf 
und  erzählte,  wie  sein  Onkel  —  Zarikonstantes 
war  sein  Name  —  ein  reicher  und  geachteter 
Bürger  von  Malzara,  ein  Greis  von  dreiund- 
achtzig Jahren,  von  den  Säbeln  der  bulgarischen 
Kavallerie    niedergemäht    wurde. 

Wieder  wollte  ich  ihn  unterbrechen,  aber 
er  selber  schauderte  davor  zurück,  mir  die 
Details  von  den  ekelhaften,  unaussprechlichen 
Folterformen  mitzuteilen,  die  dort  an  manchen 
würdigen  Priestern  und  Schullehrern  verübt 
worden.  ,Man  muß  ein  wildes  Tier  sein,' 
wiederholte  er  —  ,der  Krieg  macht  einen  dazu.' 

Mein  Freund  mag  wohl  schweigen,  denn 
die  gewissen  Stubenteufel,  die  Apologeten  der 
'Barbarei,    werden    ihm   doch    sagen,    daß    trotz 


alledem  der  Krieg  die  schönsten  Eigenschaften 
des  Mannes  wachruft  und  fördert,  und  daß  eine 
Rasse  ohne  Bajonette  bald  degenerieren  müßte 
und  verurteilt  wäre,  von  dem  ruhmreichen 
Wilden  ausgerottet  zu  werden,  der  in  Massen- 
mord   schwelgt." 

MB 

Der  Geburtenrückgang. ::   ::   ::  :: 

Dean  ausgezeichneten  Plugblatt  der  „Wies- 
badener Friedensgesellschaft",  betitelt  „Die 
wirtschaftliche  Bedeutung  der  deutschen 
Friedensbewegung",  entnehmen  wir  nach- 
stehende, den  Geburtenrückgang  in  Deutsch- 
land   betreffende    Daten : 

„Seit  1876,  also  zeitlich  zusammenfallend 
mit  dem  Einsetzen  der  deutschen  Schutzzoll- 
politik, nimmt  der  Prozentsatz  der  Geburten 
ständig  ab.  1876  gab  es  in  Deutschland  42,6 
Geburten  jährlich  auf  das  Tausend  der  Be- 
völkerung, heute  ist  diese  Zahl  bereits  auf  ca. 
28  gesunken.  Trotzdem  gab  es  bis  zum  Jahre 
1906  einen  ständig  wachsenden  Ueberschuß  der 
Geburten  über  die  Todesfälle,  weil  die  Fort- 
schritte in  der  Hygiene  das  Sterbealter  her- 
auf rückte.  Seit  1906  aber  geht  der 
Ueberschuß  der  Geburten  über  die 
Todesfälle  rapid  zurück.  1906  be- 
trug dieser  Ueberschuß  pro  100U 
Menschen  14,9.  Im  Jahre  1912  aber 
waren  es  nur  noch  etwas  über  10. 
Das  will  besagen,  daß  in  6  Jahren 
der  Ueberschuß  der  Geburten  über 
die  Sterbefälle  um  rund  ein  Drittel 
gesunken    is  t." 

Schuld  an  dieser  Erscheinung-  ist  die  Er- 
schöpfung des  Volkes  durch  die  Militärlasten, 
die  die  Lebensmittel  verteuern,  immer  mehr 
Frauen  zum  Erwerb  zwingen  und  so  die  Vor- 
aussetzung jener  Zustände  schaffen,  die  die 
Familiengründung  und  die  Kinderaufziehung 
hindern.  Schon  erhebt  sich  drohend  die  pro- 
letarische Forderung  eines  Gebärstreiks. 
Wir  nähern  uns  offenbar  jenen  Zuständen,  die 
Goldscheid  (Friedensbewegung  und  Men- 
schenökonomie) andeutet,  wenn  er  sagt,  daß 
der  Militarismus  es  schließlich  wird  „sein 
müssen,  der  zum  Schutz  der  nationalen  Kraft 
die  schrittweise  Rüstungseinschränkung  befür- 
wortet, eben  weil  die  Rüstungs  Versicherung  nur 
auf  Kosten  der  sozialpolitischen,  der  sozial- 
hygienischen, der  wirtschaftlichen  Versicherung 
sich   ausdehnen   kann  und   umgekehrt." 

ms 
Die  Gefahr  für  die  Zukunft  Deutschlands.  :: 

Eine  ernste  Mahnung  erläßt  Hans  Del- 
brück in  seinen  „Preußischen  Jahrbüchern". 
Bei  der  Erörterung  der  Veröffentlichung  des 
bekannten  Kronprinzenbriefes  in  den  „Leip- 
ziger Neuesten  Nachrichte n",  die  er 
bei  dieser  Gelegenheit  als  „das  böseste 
aller  alldeutschen  Hetzblätter"  be- 
zeichnet, sagt  der  bekannte  konservative  Poli- 
tiker: „Die  Gefahr  für  die  Zukunft  Deutsch- 
lands  liegt   nicht   in  der   Sozialdemokratie   und 


433 


DIE  FßlEDENS-^VACTE 


[@ 


nicht     im     Zentrum,     sondern     bei    den      All- 
deutschen." 

Das  haben  wir  schon  längst  behauptet. 
Wir  fragen :  Wo  bleibt  der  Reichsverband  gegen 
die  gemeingefährlichen  Bestrebungen  der  All- 
deutschen?  — 

AVS  DEB  BEWEGUNG 

Charles  Richet  und  Edoardo  Giretti.      "   '■:   '■:   ::   :: 

Charles  Richet,  unser  hervorragender  fran- 
zösischer Mitherausgeber,  wird  mit  dem  Nobel- 
preis   für    Medizin   ausgezeichnet.     Richet    gilt 
seit    langem    als    Kapazität    auf    dem    Gebiete 
der   Physiologie.    Er   bekam   erst   kürzlich   auf 
dem   Londoner   Aerztekongreß   den    „Preis    von 
Moskau"   zuerkannt.    Auch  ist   er   Ehrendoktor 
der   Universität   Leipzig.    Richet,    der   63  Jahre 
alt  ist,  wirkt  seit  1872  in  der  Friedensbewegung. 
Er    ist    Präsident    der    „Societe     francaise     de 
lArbitrage   entre    nations"    und    des    ständigen 
Rats   der   französischen  Friedensgesellschaften. 
Ebenso   gehört    er    dem    Berner    int.    Friedens- 
bureau,   dem    Internationalen    Friedensinstitut 
und  dem  europäischen  Rat  der  ersten  Abteilung 
der    Carnegie-Stiftung    als    Mitglied    an.      Sein 
epochemachendes  Buch  „Le  Passe  de  la  guerre 
et  l'avenir  de  la  Paix"  ist  von  Bertha  von  Suttner 
ins  Deutsche  übersetzt  worden.    (Volksausgabe 
1  M.  bei  Heinrich  Minden,  Dresden.)    Auch  als 
Dichter   ist   Richet   für    die   Friedensbewegung 
eingetreten,    so    in   seinen    Fabeln,    deren   eine 
„Die   Geier"   (auch   deutsch   übersetzt),    zu  den 
wirksamsten    Propagandastücken    der   pazifisti- 
schen Literatur   gehört.    Richet,    der   auch   als 
Redner  und  Verfasser  zahlreicher  Artikel  her- 
vorgetreten ist,  und  fast  alle  Friedenskongresse 
besucht  hat,  gehört  der  entschiedenen  Richtung 
des  Pazifismus  an,  der  keine  Konzessionen  zu- 
läßt.    Sein    „Deshonorons    la    guerre,"    das    er 
bei    jeder    sich    bietenden    Gelegenheit    in    den 
Vordergrund    stellt,     kennzeichnet    seine     An- 
schauung.   Als    Persönlichkeit   ist    Richet   eine 
der    liebenswürdigsten    und    erfreulichsten    Er- 
scheinungen.   Sein  feinsinniges  hochkultiviertes 
Wesen,     sein     vornehmer,     immer    konzilianter 
Redestil  läßt  ihn  als  den  geborenen  Diplomaten 
der  Bewegung  erscheinen.    Der  Nobelpreis   für 
Medizin,    der    ihn   als    Gelehrten    von   Weltruf 
ehrt,   wird   seine   Autorität    im    Kampfe   gegen 
die  Weltgeißel  noch  erhöhen.  — 

Edoardo  Giretti,  Mitglied  des  Berner  int. 
Friedensbureaus,  unser  ausgezeichneter  Kollege 
und  Mitarbeiter,  ist  bei  den  jüngsten  italieni- 
schen Wahlen  ins  Parlament  gewählt  worden. 
Giretti  ist  der  hervorragendste  und  konsequen- 
teste Pazifist  Italiens,  der  auch  während  der 
Tripolis- Affäre  das  Banner  des  Pazifismus  hoch- 
hielt. Dies  wurde  ihm  als  Vaterlandsverrat  aus- 
gelegt und  bildete  das  Hauptargument  seiner 
Gegner  im  Wahlkampf,  die  ihn  unter  anderem 
beschuldigten,  daß  er  auf  dem  Genfer  Friedens- 
kongreß gegen  Italien  gesprochen  hätte.  Daß 
er    diesen     böswilligen    Anschuldigungen     zum 


Trotz  doch  gesiegt  hat,  ist  ein  Beweis  seiner 
starken  Persönlichkeit,  die  jedem,  der  mit  ihm 
in  Berührung  kommt,  Achtung  und  Vertrauen 
einflößt.  Giretti,  der  an  den  meisten  Friedens- 
kongressen teilgenommen  hat,  ist  hervorragen- 
der Wirtschaftspolitiker,  Freihändler  (Ehren- 
mitglied des  Londoner  Cobdenklubs)  und  neben 
seiner  Berufstätigkeit  als  Seidenindustrieller, 
angesehener  Publizist. 

MB 

Das  Rusland-Pflichtjahr  betreffend.  :: 

Die  verehrliche  Schriftleitung  der  „Friedens- 
Warte"  hat  bei  der  im   Septemberheft  erfolgten 
teüweisen  Veröffentlichung  meines   Aufrufe,   der 
die  Herbeiführung  eines  Ausland-Pflicht- 
jahres    für     die     deutsche     und    französische 
Jugend  bezweckt,  darauf  hingewiesen,   daß  dieser 
Gedanke  vielleicht  durch  eine  internationale  Or- 
ganisation der  „Wandervögel"-  und  „Pf adf inder" - 
Bewegung  sich  verwirklichen  ließe.    Ich  möchte 
hierzu   bemerken,    daß    ich    selbst    allerdings    es 
für  durchaus   wünschenswert  halte,   daß   alsbald 
nach   aller  Möglichkeit  neben   den  Kreisen    der 
friedensfreundlich    gesinnten    Erwachsenen    auch 
die  auf  den  kameradschaftlichen  Zusammenschluß 
aller      gleichdenkenden      Elemente     begründeten 
Jugend-Verbände    diesseits     und    jenseits 
der  Vogesen  mit  meiner  Idee  vertraut  gemacht 
und    für    sie   gewonnen   werden.     Denn    wie   der 
im    Leben    Herangereifte     Empfänglichkeit    für 
Pläne  und  Projekte   eines  mehr   als  alltäglichen 
Geschehens    nur    dann    haben    kann,    wenn    ihm 
die     geistige     Frische     jugendlicher     Spannkraft 
nicht    ganz    verloren    gegangen    ist,    so     müssen 
gleicherweise    Regungen     der    Jugendseele     von 
einem   bestimmten   Grade   der    Stärke   und   Aus- 
dehnung an  auf  Grund  der  Wechselwirkung  ver- 
wandter Kräfte  ihren  Einfluß  auf  die  Volksseele 
ausüben.    Wir   sind   ja  nicht   nur  berechtigt,   zu 
sagen:  Wer  die  Jugend  hat,  dem  gehört  die  Zu- 
kunft;   wir  können  auch  das   andere  behaupten, 
daß  die  in  der  Jugend   entfachten  und  lebendig 
gewordenen    Ideale     ihre     segensreichen    Kreise 
sehr  wohl  über  diese  hinauszuziehen  vermögen, 
so   daß    sie  also   eine   Wiedergeburt  des   ganzen 
Volkes   in   neuem  Geiste   zu   bewirken   imstande 
ist.     Das    lehrt    uns    eindringlich    die    Zeit     vor 
hundert    Jahren.       Fichte,     Schleiermacher    und 
andere  edle  Männer  haben  durch  ihre  Einwirkung 
auf  die  deutsche  gebüdete  Jugend  im  Sinne  einer 
Erstarkung    aller    sittlichen    Kräfte    und     damit 
einer   geistigen   Erhebung   überhaupt    jene     mit 
voller  Absichtlichkeit  zu  dem  „Sauerteig"  machen 
wollen,  der  das  Lebensbrot  deutschen  Seins  und 
Wirkens   durchdringen    sollte   und   auch    tatsäch- 
lich durchdrungen  hat. 

Und  so  kann  die  erst  einmal  errungene 
freudige  Zustimmung  eines  großen,  jedenfalls 
wertvollen  Teiles  der  Jugend  beider  Länder  zu 
dem  Gedanken  eines  Ausland-Pflichtjahres  ganz 
gewiß  die  Brücke  werden,  die  länderverbindend 
auch  die  bedenklicheren  Naturen  der  „älteren 
Jahrgänge"  den  Weg  zur  Einigung  finden  läßt. 
Rein  hold    Schmidt, 


434 


<3=  = 

LITEBATV/RV.PBESSE 

O.  Umfrid,  Europa  den  Europäern.  Po- 
litische Ketzereien.  Gr.  8°.  Eßlingen 
a.  N.  208  S.  Wilh.  Langguth.  2,50  M. 
Die  geistigen  .Werte,  die  Umfrid  in 
seiner  nun  schon  mehr  als  lVs  Jahrzehnte 
umfassenden  pazifistischen  Aktion  hervor- 
gebracht hat,  bilden  einen  unschätzbaren  Be- 
sitzstand der  modernen  Kultur.  Noch  ist 
der  Tag  nicht  gekommen,  wo  er  von  den 
breiten  Schichten  entdeckt  wurde.  Nur  ein 
kleiner,  aber  auserlesener  Kreis  kennt  seine 
Schriften.  Es  unterliegt  jedoch  keinem 
Zweifel,  daß  dieser  Tag  kommen  wird,  daß 
man  dann  seinen  verborgensten  Veröffent- 
lichungen nachspüren,  alles  zusammenstellen, 
neu  herausgeben,  mit  Kommentaren  und 
biographischen  Daten  versehen,  einem  be- 
gierig gewordenen  Publikum  vorsetzen 
wird.  Dieser  Tag  wird  kommen.  Es  wird 
diesem  Europa-Deutschen  nicht  anders 
gehen,  wie  es  Friedrich  Liszt,  Schopenhauer, 
Wagner  gegangen  ist.  Und  dann  wird  unser 
Volk  stolz  sein  auf  diesen  Mann. 

Wir,  die  wir  das  erkennen  und  voraus- 
sehen, haben  die  Pflicht,  diesem  Tag  vorzuar- 
beiten, sein  Kommen  zu  beschleunigen  und 
dem  großen  Pfadfinder  einer  vernünftigen 
Weltordnung  schon  jetzt  etwas  von  dem  Dank 
zuteil  werden  zu  lassen,  ehe  sich  an  ihm 
das  Pionier-Schicksal  mit  seinem  grau- 
samen „Zu  spät"  erfüllt. 

Ich  habe  mir,  um  Umfrids  neuestes 
Buch  um  so  richtiger  genießen  zu  können, 
aus  meinem  Bücherschrank  seine  erste  Ver- 
öffentlichung hervorgeholt,  das  „Friede  auf 
Erden!"  betitelte  Buch,  das  mir  vor  nun- 
mehr 17  Jahren  auf  den  Schreibtisch  flog. 
Mit  Genuß  habe  ich  mich  der  erneuten  Lek- 
türe dieser  Schrift  hingegeben,  in  der  schon 
alle  jene  Gedankengänge  freigelegt  sind, 
deren  Erweiterung  und  Vertiefung  Umfrid 
die  ertragreichsten  Jahre  seines  Lebens1  ge- 
widmet hat.  Wenn  man  diese  Schrift  von 
1897  durchliest,  kommt  man  aus  den  Ueber- 
raschungen  nicht  heraus.  Wie  vieles  hat 
Umfrid  damals  schon  klar  erkannt,  was 
heute  erst  von  der  pazifistischen  Bewegung 
begriffen  wird.  Er  hat  darin  die  Lehren 
Schliefs  zu  einer  Zeit  vertreten,  wo  noch 
wenige  sie  verstanden.  Er  hat  1897  schon 
die  Friedfertigung  des  Balkans  empfohlen, 
um  das  Blutbad  zu  vermeiden,  dessen  Zeugen 
wir  gestern  waren,  und  das  er  kommen  sah. 
Er  hat  schon  in  jenem  Buch  die  großen 
Probleme  des  Pazifismus  klargelegt,  so  die 
Stellung  zum  Patriotismus  und  zur  Nation, 


=  DIE  Fßl EDENS -N^ADJE 

den  franko-deutschen  Gegensatz,  und  vieles 
andere.  Wir  sehen  aus  jener  Schrift  schon 
jenen  realpolitischen  Pazifismus  hervor- 
leuchten, der  heute  die  Intelligenz  Deutsch- 
lands erobert  hat.  Wenn  Umfrid  1897 
sagte:  „In  Wahrheit  ist  es  patriotischer, 
das  Wohl  der  eigenen  Nation  zu  suchen  mit 
fortwährender  Rücksicht  auf  das  Recht  der 
anderen  Völker.  ...  In  Wahrheit  ist  es  viel 
patriotischer,  ein  Völkerbündnis  anzu- 
streben .  .  .,  weil  allein  auf  diese  Weise 
demi  internationalen  Faustrecht  samt  den  un- 
geheuren Opfern,  die  es  uns  auferlegt,  so- 
wie den  ungeheuren  Gefahren,  die  es  mit  sich 
bringt,  ein  Ende  gemacht  werden  kann  . . .", 
wer  sieht  darin  nicht  den  deutschen  Urtext 
zu  dem  als  modern  ausgegebenen  altpazifisti- 
sehen  Wahlspruch:  „Pro  patria  pro  orbis 
eoncordiam." 

Das  neue  Buch  Umfrids  zeigt  uns  seine 
Friedenslehre  nunmehr  vertieft,  ausgebaut 
und  —  worauf  es  vor  allen  Dingen  an- 
kommt —  durchgelebt  in  den  IV2  Jahr- 
zehnten des  Kampfes  und  des  Aufstiegs. 
„Europa  den  Europäern!"  ist  der  Titel.  Ein 
schlechter  Titel,  der  vermuten  läßt,  irgend- 
einer der  pilzartig  in  die  Höhe  schießenden 
Weltleid-Doktoren  priese  ein  neues  Mittel 
an.  Dieser  Titel  verschleiert  den  Inhalt. 
Und  Umfrid,  der  dies  zu  fühlen  schien,  hat 
seiner  Erklärung  einen  ganzen  einleitenden 
Artikel  gewidmet,  und  erläuternd  sagt  er 
darin:  „Wenn  wir  nun  das  Losungswort  er- 
heben, ,Europa  den  Europäern!',  so  geschieht 
es  weniger  in  demi  Sinn,  als  ob  eine  ernst- 
liche Gefahr  bestünde,  daßj  unsere  Gaue  von 
mongolischen  Horden  überschwemmt  würden 
und  daß  wir  der  Unterjochung  durch 
die  gelbe  Rasse  entgegengingen,  als  vielmehr 
in  dem  Gedanken  daran,  daß  wir  in  eine 
Art  neuer  Sklaverei  versinken  und,  mit  den 
Ketten  des  Militarismus  gebunden,  das  freie 
Atmen  verlernen  können."  Das  heißt,  wir 
kommen  vor  lauter  Schutzversuchen  vor  ein- 
ander nicht  zum  Genuß  des  Besitzes  unserer 
Länder.  Lösen  wir  den  Bann,  und  durch  Be- 
freiung von  unserer  gegenwärtigen  Angst 
vor  Beraubung  erobern  wir  dieses  Europa 
für  uns  Europäer. 

Das  meint  der  Titel,  aber  er  besagt  es 
nicht.  Sonst  ist  allerdings  an  dem  Buche 
nichts  auszusetzen. 

Der  erste  Teil,  „Hochpolitisches"  über- 
schrieben, enthält  jene  Darstellung  der  Po- 
litik, die  wir  dem  posthumen  ,Werke 
Treitschkes  als  Forderung  der  herannahen- 
den Zeit  gegenüberstellen  können.  Nicht 
Interessen-,    sondern   Realpolitik,   nicht   po- 


435 


DIE  FRIEDENS -^&ßTE 


G> 


Husche  Moral,  sondern  moralische  Politik, 
nicht  politische  Expansion,  sondern  Re- 
gulierung der  Auswanderung,  nicht  Isolie- 
rung, sondern  Föderation,  nicht  Wettrüsten, 
sondern  Uebereinkunft,  nicht  Krieg,  sondern 
Vernunft  und  Kultur,  nicht  Rassenfanatis- 
mus, sondern  Zusammengehörigkeitsbewußt- 
sein,  nicht  Belastung,  sondern  Entlastung. 
Das  sind  die  Kapitelüberschriften  des  ersten 
Teils.  Sie  bilden  ein  Programm  und  zeigen 
auch,  auf  welchen  .Wegen  Umfrid  die  pa- 
zifistischen Probleme  zu  lösen  sucht.  Da 
ist  nichts  zu  finden  von  der  Forderung 
eines  „Friedens  um  jeden  Preis",  nichts  von 
sittlicher  [Entrüstung.  Das  ist  durchweg1 
Wirklichkeits-Idealismus.  Im  zweiten  und 
dritten  Teil  des  Buches  werden  wirtschaft- 
liche Probleme  und  gewisse  Modefragen  der 
Politik  beleuchtet. 

Man  muß  Umfrids  Buch  lesen.  Und 
zwar  empfiehlt  es  sich,  es  bald  zu  tun,  ehe 
es  zur  Mode  geworden  ist  und  die  Masse  es 
im  Munde  führen  wird.  Das  kann  gar  bald 
sein,  denn  die  europäische  Politik  treibt 
Zuständen  zu,  wo  man  nach  Vernunftmitteln 
verzweifelt  Umschau  halten  wird,  und  man 
Umfrids  Buch  entdecken  und  mit  Elan  ver- 
treiben wird.  Es  leben  Ideen  darin,  die  nie- 
mals sterben  können,  weil  sie  von  der  Ver- 
nunft gezeugt  sind.  Möge  Umfrids  Europa- 
Deutschtum  die  Gefahren  des  Altdeutsch- 
tums überwinden  helfen.  Die  Kraft  dazu 
hat  es.  A.  H.  F. 


Lamprecht,    Geh.-Rat   Prof.   Karl, 
Die     Nation    und    die     Friedensbewegung.      8°. 
Berlin   1914.       12    S.      Verlag  der  ,,Friedens- 
Warte".  „Internationale        Organisation". 

Heft  7.     30  Pfg. 

Ein  vor  einiger  Zeit  in  der  „Friedens-Warte" 
veröffentlichter  Artikel  des  weltbekannten 
Historikers  gelangt  hier  in  BrosehürenfOrm  zur 
Ausgabe.  Lamprecht,  der  als  geistiger  Führer 
der  deutschen  Nation  in  den  am  nationalsten 
gesinnten  Kreisen  anerkannt  ist,  nimmt  hier 
Stellung  zu  dem  in  Deutschland  noch  immer 
so  heiß  umstrittene  Problem:  die  Vereinbar- 
keit nationaler  Gesinnung  mit  der  Anhänger- 
schaft an  die  Friedensbewegung.  Viele  glauben, 
daß  hier  etwas  Unvereinbares  sich  zeige.  So 
oft  wir  Anhänger  der  Friedensbewegung  diese 
Anschauung  auch  bestritten,  den  vaterländischen 
Grundzug  unserer  Bestrebungen  dargelegt  haben, 
gelang  es  uns  doch  nicht,  in  erwünschter 
Breite  auf  die  national  gerichteten  Parteien 
einzuwirken,  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil 
es  noch  immer  bei  den  meisten  Menschen  Grund- 
satz ist,  den  andern  Teil  nicht  erst  anzuhören. 

Nun  kommt  aber  ein  Mann,  den  jene  Kreise 
anhören  mußten,  und  der  sagt  ihnen,  daß  es 
von  vornherein  naheliegt,  „in  dem  Pazifis- 
mus eine  Erscheinung  höchster  po- 
litischer Kulturblüte  der  euro- 
päischen Welt  zu  s  eh  e  n."     Er  erläutert 


436 


ihnen  auch  den  „neuen  Patriotismus".  Er  de- 
finiert ihn  folgendermaßen: 

„Der  alte  Patriotismus  hatte  ein  Moment 
des  Exklusiven :  hat  doch  ursprünglich  jede 
Nation,  die  etwas  auf  sich  gab,  nur  die  ihr 
Angehörigen  als  volle  Menschen,  die  anderen 
günstigenfalls  noch  als  Barbaren  betrachtet. 
Und  noch  unsere  Nationallieder  leben  und  weben 
zum  großen  Teile  in  dem  Momente  der  Aus- 
schließlichkeit, des  partikularen  Stolzes.  Aber 
eben  dieses  Moment  ließ  sich  nun  nicht  mehr 
im  alten  Sinne  halten.  Ständige  und  weit- 
hin sich  verbreitende  Erfahrung  entdeckte,  daß 
die  anderen  sozusagen  auch  etwas  seien;  der 
internationale  Schätzungswinkel  verschob  sich 
zu  eigenen  Ungunsten,  und  übrig  blieb  nur 
die  Vorstellung,  daß,  bei  allen  Vorzügen  der 
andern  in  dieser  oder  jener  Richtung,  doch 
auch  dem  eigenen  Volke  in  einigen  Richtungen 
ein  Vorzug  gebühre.  Auf  diese  Weise 
bildete  sich  die  neue  Basis  des  mo- 
dernen Patriotismus:  die  Vorstellung 
von  der  spezifischen  Veranlagung  der  Nationen, 
von  ihrer  arbeitsteiligen  Bestimmung  im  Kreise- 
der  aufsteigenden  Menschheit.  Nun  liegt  es 
aber  auf  der  Hand,  daß  diese  Vorstellung  wieder- 
um, eben  indem  sie  das  eigene  Wesen  als 
durch  fremdes  ergänzungsfähig  er- 
kannte, als  Grundlage  einer  solchen  praktisch 
durchgeführten  Ergänzungsfähigkeit  Ruhe, 
Friede,  Einheit  letzter  Interessen  fordern  mußte. 
Und  so  trafen  neuer  Kosmopolitis- 
mus und  neuer  Patriotismus  in  dem. 
Gedanken  der  internationalen 
Friedensbewegung    zusammen." 

Die  Broschüre  schließt  mit  den  nachfol- 
genden Worten: 

„U  nd  sogiltes  auch  für  Deutsch- 
land,andenVersuehen  zur  Wahrung 
und  Mehrung  internationalen  Frie- 
dens teilzunehmen.  Die  Nation  hat  dar- 
auf ein  Recht,  denn  ihre  großen  Denker,  vom 
Schöpfer  des  kategorischen  Imperativs  an,  haben 
sich  dem  Friedensgedanken  vielfach  geneigt  ge- 
zeigt. Es  wird  ihr  Vorteil  sein,  denn 
es  muß  für  jedes  große  Volk  gewünscht  werden, 
daß  es  seinen  vollen  Anteil  nehme  an  den 
unvermeintlichen  Fortschritten  im  Bereiche  des 
allgemein  Menschlichen.  Es  ist  ihr  not- 
wendig auch  im  Interesse  der  Völker :  denn 
das  Ganze  eines  neuen  Friedensideals  der 
Menschheit  verspricht  nur  dann  einmal,  in  den 
Grenzen  der  Unvollkommenheit,  die  allem 
Sterblichen  gezogen  sind,  zur  Wirklichkeit  zn 
werden,  wenn  in  ihm  die  Ingredienzien  der 
Auffassung  aller  großen  Nationen  in 
gerechter  Weise  gemischt  und  vertreten  sind." 

Die  organisierte  Friedensbewegung  wird  die 
Broschüre  als  willkommenes  Propaganda-Werk- 
zeug begrüßen.  Eine  große  Auflage  ist  an- 
gefertigt  worden.    Man  verbreite   sie! 


Emerson,   Ralph  Waldo, 
Ueber  den  Krieg.    Deutsch  von  Sophie  v.  Harbou 

8°.    Berlin  1914.    Verlag  der  „Friedens-Warte". 

27    S.     „Internationale  Organisation"   Heft 

30   Pfg. 

Der  vorliegende  Essay  des  in  Deutschland 
immer  mehr  zur  Ansehung  gelangenden  Ameri- 
kaners Emerson  erscheint  zum  erstenmal  in 
deutscher  Uebersetzung.  Die  Arbeit  ist  nicht 
neuesten    Datums.      Sie    entstand,    als    ein    im 


m 


DIE  FRIEDEN5 -WARTE 


Jahre  1838  in  der  „American  Peace  Society" 
zu  Boston  gehaltener  Vortrag,  der  1849  in 
englischem  Texte  zum  erstenmal  zum  Abdruck 
gelangte. 

Seitdem  hat  sich  in  der  Friedens bewegung 
vieles  geändert.  Doch  könnte  die  Schrift  Emer- 
sons  heute  geschrieben  sein.  Es  ist  eine  Ver- 
urteilung des  Krieges,  deren  Grundlagen  un- 
wandelbar geblieben  sind,  und  eine  optimistische1 
Verkündigung,  die  um  so  mehr  an  Wert  gewinnt, 
als  wir  heute  die  Erfüllung  sehen,  die  die 
sechs  Jahrzehnte  gebracht  haben,  deren  Ab- 
lauf zwischen  der  Zeit  der  Abfassung  und 
unserer   Gegenwart  liegt. 

Hier  eine  Stelle  aus  der  bedeutsamen 
Schrift:  „Wir  lassen  uns  immer  wieder  durch 
den  äußeren  Schein  entmutigen,  ohne  zu  be- 
denken, daß  dessen  Bedeutung  einzig  und  allein 
in  unserem  eigenen  Gemüt  wurzelt.  Letzten 
Grundes  sind  doch  Gedanken  das  Fundament 
dieses  ganzen  unheilschwangeren  Kriegs- 
gebäudes, und  Gedanken  sind  es  auch 
nur,  die  es  einstmals  stürzen  wer- 
den. Jedes  Volk  und  jeder  einzelne  tritt  nach 
außen  hin  solcher  Art  in  die  Erscheinung,  wie 
es  seinem  moralischen  oder  intellektuellen  Zu- 
stand entspricht.  Man  achte  nur  einmal  dar- 
auf, wie  jede  Wahrheit  und  jeder  Irrtum,  ja. 
jeder  menschliche  Gedanke  sich  allmählich 
materialisiert,  d.  h.  sich  in  Gesellschaften, 
Häuser,  Städte,  Sprachen,  Gebräuche,  Zeitungen 
umsetzt." 

Und  weiter:  „Furchtsame  Gemüter  werden 
den  Friedensgedanken  nicht  seiner  Verwirk- 
lichung näher  bringen,  Feiglinge  vermögen  ihn 
nicht  zu  verteidigen,  noch  zu  fördern.  Was 
großes  geschieht,  kann  nur  von  wirklicher  Größe 
vollbracht  werden.  Der  Mannesmut,  der  sich 
bisher  im  Krieg  betätigt  hat,  muß  der  Sache 
des  Friedens  dienstbar  gemacht  werden,  wenn 
anders  der  Krieg  seinen  Reiz  für  diet  Menschen 
verlieren  und  der  Friede  ihnen  anziehend  wer- 
den  soll." 


„Die  Sache  des  Friedens  ist  nichts  für 
Memmen!  Wahrt  und  verteidigt  man  den 
Frieden  um  der  Furchtsamen  und  um  derer 
willen,  denen  Wohlleben  über  alles  geht,  so 
ist  es  ein  Pseudofriede  und  ein  unwürdiger 
Friede.  Dann,  wahrlich,  ist  der  Krieg  besser, 
auch  wird  solcher  dann  nicht  lange  auf  sich 
warten  lassen.  Soll  der  Friede  von 
Dauer  sein,  so  muß  er  von  tapferen 
Menschen  getragen  werden,  von 
Menschen,  dieumnichts  schlechter 
sind,  als  Helden,  die  willens  sind, 
ihr  Leben  in  der  Hand  zu  tragenund 
es  jederzeit  für  ihre  Ideale  zu 
wagen,  —  die  aber  eins  vor  dem  Helden 
voraus  haben,  daß  sie  niemals  nach  eines 
anderen  Leben  trachten,  —  Menschen,  die  dank 
ihrer  intellektuellen  Einsicht  oder  ihrer  sitt- 
lichen Höhe,  ihres  eigenen  inneren  Wertes  so 
gewiß  sind,  daß  sie  weder  ihr  Eigentum,  noch 
ihr  Leben  für  ein  so  großes  Gut  halten,  als  daß 
sie  es  um  den  Preis  eines  solchen  Hochverrats 
ihrer  Grundsätze  retten  möchten,  wie  ein  Ab- 
schlachten   von    Menschen   es    bedeutet." 

Man  sieht,  daß  auch  die  Verbreitung  dieser 
Schrift  ganz  dazu  angetan  ist,  dem  pazifistischen 
Gedanken    in    Deutschland    neue    Anhänger    zu 


werben.    Der  Verlag  bittet,  die  Veröffentlichung 
umfangreich    zu   verbreiten. 


Jahrbuch   des   Völkerrechts.    In   Ver- 
bindung  mit    Staatsminister   A  s  s  e  r   (Haag), 
Prof.     v.    Bar    (Göttingen),     Dr.     Barrios 
(London),    Gesandter   Itibere   da   Cunha 
(Berlin),      Prof.      F  i  o  r  e       (Neapel),       Prof. 
Fleischmann      (Königsberg),      Gesandter 
Hagerup     (Kopenhagen),      Prof.      Huber 
(Zürich),   Prof.   Kohler  (Berlin),   Prof.  von 
Kor  ff     (Helsingfors),     Prof.     Lammasch 
(Wien),   Prof.   v.   Liszt  (Berlin),   Prof.   von 
Martitz    (Berlin),    Prof.    M eurer    (Würz- 
burg), Prof.  N  y  s  (Brüssel),  Prof.  Okamatsu 
(Kyoto),  Prof.  Marques  de  O  1  i  v  a  r  t  (Madrid), 
Prof.      Oppenheim      (Cambridge),       Prof. 
Renault        (Paris),        Prof.       Sä       Vianna 
(Rio      de      Janeiro),      Prof.       Schücking 
(Marburg),  Gesandter  Prof.  v.  Streit  (Wien), 
Prof.    Wilson    (Harvard    University),    Prof. 
Zorn  (Bonn),  herausgegeben  von  Th.   N  i  e  - 
m  e  y  e  r  und  K.  S  t  r  u  p  p.     I.  Band.    Lex.  8°. 
München  und  Leipzig.     1913.     VIII  und  1556 
Seiten.     38—  M. 
Der     erste    Band    dieses    Völkerrechtsjahr- 
buches   ist    schon    durch    seinen    Umfang    ein 
hervorragendes   Dokument.     Ein  Beweis   dafür, 
welchen     Aufschwung     die     Wissenschaft     des 
Völkerrechts  in  Deutschland  in  wenigen  Jahren 
genommen  hat.     Es  war  erst  gestern,  daß  man 
hier  noch  dem  Völkerrecht  den  Rechtscharakter 
absprach,    und   heute   noch   gibt   es   an   keiner 
deutschen      Universität      einen      ausschließlich 
dieser     Wissenschaft      gewidmeten     Lehrstuhl. 
Und    da   kommt   dieses    Jahrbach    mit    seinem 
Riesenumfang,  der  uns  die  hohe  Bedeutung  des 
Völkerrechts,     seine    eindringliche  Verzweigung 
mit  allen  Gebieten  des  öffentlichen  Lebens  clar- 
tut    und  das    Interesse   klarlegt,    das  dafür    in 
Deutschland  wie  in  der  ganzen  Welt  vorhanden 
ist.    Ein  Buch  der  Mahnung  für  die  Verächter; 
eine    kraftvolle    Forderung   nach    Anerkennung 
und  Raumgewährung  an  den  Pflegestätten  deut- 
schen   Geistes. 

Von  den  beiden  Herausgebern  war  Prof. 
Niemeyer  unter  den  deutschen  Völkerrechts- 
gelehrten der  erste,  der  die  Anregungen  des  Pa- 
zifismus verstand  und  ihre  Bedeutung  erkannte ; 
der  ihn  der  wissenschaftlichen  Völkerrechts- 
pflege, um  seine  eigenen  Worte  zu  gebrauchen, 
als  „Faktor  der  Entwicklung"  zu  respektieren 
empfahl.  Das  war  1905.  Als  er  1907  das 
Rektorat  der  Christian-Albrecht-Universität  in 
Kiel  antrat,  hielt  er  eine  Rede  über  „Inter- 
nationales Recht  und  nationale  Interessen",  wo- 
rin zum  erstenmal  seitens  eines  deutschen  Ge- 
lehrten die  hohe  Bedeutung  der  internationalen 
Organisation  und  die  richtige  Wertung  des  In- 
ternationalismus zum  Ausdruck  gebracht 
wurden.  Dr.  Strupp,  der  andere  Herausgeber, 
ist  einer  aus  dem  immer  größer  werdenden 
Kreise  der  Jungen,  die  unter  dem  Eindruck  der 
erwachenden  Renaissance  der  Völkerrechts- 
wissenschaft ihre  Studien  vollendeten  und  sich 
von  Anfang  an  die  Förderung  des  pazifistisch 
orientierten  Völkerrechts  zur  Lebensaufgabe,  ge- 
macht haben.  Er  hat  uns  bereits  durch  seine 
„Urkunden  zur  Geschichte  des  Völkerrechts" 
ein  unentbehrliches  Rüstzeug  gegeben;  ein 
Quellenwerk,  das  große  Hoffnungen  für  seinen 
Herausgeber  erweckte,  die  durch  den  jetzt  vor- 


437 


DIE  FRIEDENS -^ÄETE 


■® 


liegenden  Band  des  „Jahrbuches"  sich  sicher- 
lich   nicht  als   Täuschungen   darstellen. 

Das  „Jahrbuch"  zerfällt  in  fünf  Teile.  Der 
erste  Teil  enthält  die  völkerrechtlichen  „Ur- 
kunden" zur  Zeitgeschichte.  Die  Fülle  der  in- 
ternationalen Begebenheiten  und  die  Menge  der 
durch  sie  aufgeworfenen  Bechtsbeziehungen  ist 
erdrückend.  Sie  Jahr  für  Jahr  zu  sammeln  und 
bequem  zum  Gebrauch  zu  stellen,  ist  eine  der 
Hauptaufgaben  des  Jahrbuches.  Nicht  minder 
wichtig  erscheint  uns  jedoch  auch  der  darin 
enthaltene  dokumentarische  Beweis  einer  inter- 
national lebenden  Menschheit.  Im  zweiten  Teil 
bietet  uns  das  Jahrbuch  Abhandlungen  über 
die  wichtigsten  Vorgänge  und  Fragen  des 
Jahres,  Berichte  über  die  völkerrechtlichen 
Vorgänge  in  den  einzelnen  Staaten  und  über 
die  wichtigsten  Kongresse  und  Konferenzen 
von  internationaler  Bedeutung.  Die  Bericht- 
erstattung ist  durchweg  Fachleuten  übertragen. 
Ebenso  bietet  der  vierte  Teil  fachmännische 
Abhandlungen  über  völkerrechtliche  internatio- 
nale Probleme,  Einrichtungen  oder  über  deren 
Vorbereitung.  Der  dritte  Teil  liefert  den 
wichtigen  und  sonst  so  schwer  erhältlichen 
Nachweis  über  Unterzeichnung,  Batifikation, 
Kündigung  und  Erlöschen  von  Staatsverträgen, 
während  uns  der  fünfte  Teil  eine  umfassende, 
Bibliographie   und  das   Sachregister   liefert. 

Diese  Inhaltsangabe  enthebt  uns  davon,  das 
Jahrbuch  zu  empfehlen.  Es  geht  daraus  her- 
vor, daß  es  eine  wichtige  Aufgabe  erfüllt.  Man 
wird  es  künftig  nicht  entbehren  können.  So 
dringend  wird  man  es  benötigen,  daß  die  Her- 
ausgeber es  sich  überlegen  sollten,  ob  es  nicht 
ratsam  wäre,  die  Veröffentlichung  in  zwei  Halb- 
jahresbänden vorzunehmen,  wie  dies  bei  den 
Geschichtskalendern  mit  großem  Erfolg  ge- 
schieht. A.  H.  F. 


Eingegangene  Druckschriften.   ::  ::  :;  ::   ::   ::  ::  ::  :: 

(Besprechung  vorbehalten.) 
Zeitschrift  für  Völkerrecht  und 
Bundesstaatsrecht.  Herausgegeben  von 
Prof.  Dr.  Josef  Kohler,  Berlin,  Prof.  Dr. 
L.  Oppenheim,  Cambridge,  und  Dr.  Hans 
Wehberg,  Düsseldorf.  VII.  Band.  3.  und 
4.  Heft.  Festnummer  zur  Eröffnung  des  Haager 
Friedenspalastes.  Breslau  1913.  J.  U.  Kerns 
Verlag   (Max  Müller). 

Aus  dem  Inhalt :  Josef  Kohl  er,  Der 
Friedenstempel.  —  Prof.  Heinrich  Lam- 
masch, Zur  Eröffnung  des  Friedenspalastes 
im  Haag.  —  Henri  van  der  Mandere, 
Uebersicht  über  die  Prozesse  des  Haager  stän- 
digen Schiedsgerichtshofes.  —  Prof.  Freiherr 
v.  Düngern,  Die  historische  Entwicklung  des 
Schiedsgedankens.  —  Kurt  Eduard  I  m  - 
berg,  Die  Schiedsgerichtsverträge  der  Ver- 
einigten Staaten  von  Nordamerika  bis  zur  ersten 
Haager  Friedenskonferenz.  —  Prof.  Nippold, 
Der  gegenwärtige  Stand  der  Vorarbeiten  für 
die  dritte  Haager  Friedenskonferenz.  —  Prof. 
Dr.  Bafael  Erich,  Das  Problem  einer  in- 
ternationalen Polizeimacht.  —  Prof.  Dr.  Max 
Fleischmann,  Emanuel  von  Ulimann.  — 
Geh  Bat  Prof.  Dr.  Emanuel  v.  Ulimann. 
Prisenangelegenheiten.  —  Prof.  Dr.  Max 
Huber,  Die  kriegsrechtlichen  Verträge  und 
d  ie  Kriegsraison.  —  Prof.  Walther 
Schücking,  Der  Stand  des  völkerrecht- 
lichen  Unterrichts   in  Deutschland.    —  usw. 


438 


L'a  Vie  Internationale.  Revue  men- 
suelle  des  idees,  des  Faits  et  des  Organismen 
internationaux.  Tome  IV  1913.  Numeros  t- — 3. 
Fascicule  16.  Lex  8°  Bruxelles.  Office  central 
des    Associations    Internationales. 

Aus  dem  Inhalt :    Prof.  Wilhelm  Ost- 
wald,   Theorie  des   Unites.    —  usw. 
Bulletin  ofthePanAmerican  Union. 
Washington.      September. 

Aus  dem  Inhalt:  The  Panama-Pacific  Inter- 
national Exposition.  —  Peace  plan  of  secrelary 
Bryan.  —  Exchange  of  students.  —  'Resolution 
on  international  arbitration.  —  Eighth  Inter- 
national   Goneress    of   .students.    —    usw. 


A  ppel  t ,  0., 
Ein  europäischer  Staatenbund?    Zeitgemäße  Be- 
trachtung und  Erörterung.     8°.     Leipzig  1913. 
Otto  Hillmann.     51  S.     Brosch.   1  M. 
FlUr,    F.   und  Kahn,   Architekt   Ph., 
Wie    jede    Familie   im   Eigenhause   billiger   als 
zur  Miete  wohnen  kann.    Mit  160  Abbildungen. 
9.  Auflage.    8°.    Wiesbaden,     o.  J.  Heimkultur- 
verlag   Westdeutsche    Verlagsgesellscliaft    m. 
b.  H.    148  S. 

Forel,   Prof.   A., 
Die   sexuelle  Frage.     1 
kürzte  Volks-Ausgabe 


bis 
Gr. 


20. 


Tausend.     Ge- 
'.    München  1913 
Ernst    Reinhardt."    299    S.      2,80    M. 
Geschichtskalender,    Deutscher, 


Leip- 


.     Leipzig  1914. 
166   S.     Gebcl. 


Dr. 

2  M. 


für  1913.    Neuntes  Heft.    September.    8°. 
zig  1913.     Felix  Meiner.     S.  113—169. 
Hammer,   "Walter. 

Nietzsche  als  Erzieher. 
Hugo  Völlrath   Verlag. 
H  e  r  v  e  ,    Gustave, 

Elsaß-Lothringen  und  die  deutsch-französische 
Verständigung.  Aus  dem  französischen  über- 
setzt und  mit  einem,  Vorwort  versehen  von 
Hermann  Fernau.     8°.     München  und  Leipzig 


165  S. 


der 

bis 

Gr. 


Vereinigten 

zur     ersten 

8°.      Sonder- 


1913.  Duncker  &  Humblot. 
I  m  b  e  r  g  ,    Kurt   Eduard, 

Die     Schiedsgerichtsverträge 
Staaten    von    Nordamerika 
Haager  Friedenskonferenz, 
abdruck  aus :  Zeitschrift  für  Völkerrecht  und 
Bundesstaatenrecht.      Von    S.    272 — 285. 
Kinkel,   Walter, 

Vom  Sein  und  von  der  Seele.  Gedanken  eines 
Idealisten.  Zweite  vermehrte  Auflage  mit 
Buchschmuck  von  Ida  Blell.     Kl.  8°.     Gießen 

1914.  Alfred  Töpelmann  (vormals   J.   Ricker) 
148  S.     Gebd.  2,40  M. 

Krabbe,    Prof.    Dr.   H., 

Rechtssouveränität. 
8°.     Groningen  1906. 


Die  Lehre  der 
Staatslehre, 
ters.     254   S. 
Lübeck, 

Wie    wirkt  die 


Beitrag  zur 
J.  B.'Wol 


Friedrich, 
Luftschiffahrt 


auf  die  Kultur- 
entwicklung der  Nationen.  Entworfen  nacu 
einer  Welttragödie  „Geist  der  Kultur  und  Ar- 
beit". 8°.  Kiel  1913.  Friedrich  Lübeck  Co. 
Verlag.      30   S. 

Ludowici,    August, 
Das  genetische  Prinzip.     Versuch  einer  Lebens- 
lehre.     Gr.    8°.     München     1913.       F.    Brück 
mann  A.-G.     299  S. 

Mandere,    Henri  van  der, 
Uebersicht  über  die  Prozesse  des   Haager  stän- 
digen   Schiedsgerichtshofes.       8°.       Sonderab- 


@s 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


druck  aus:  Zeitschrift  für  Völkerrecht  und 
Bundesstaatenrecht.  Band  VII.  Von  S.  21."> 
bis  S.  256. 
M  a  u  r  e  n  b  r  e  c  li  e  r  ,  11  uida, 
Wachstum  und  Schöpfung.  Neue  Eltern- 
gesinnung  und  Kinderführung.  Gr.  8°. 
München  1914.    Ernst  Reinhardt'.  151  S.    2  M. 

Nauticus, 

Jahrbuch  für  Deutschlands  Seeinteressen.   Fünf- 
zehnter Jahrgang  1913.     Gr.  8°.    Berlin  1913. 
Ernst  Siegfried  Mittler  &  Sohn.     G40  S.  geb. 
Troll-Borostyäni,    Irma    von, 

Die    Gleichstellung    der   Geschlechter.      Dritte 
Auflage.      Gr.    8°.      München    1913.      Heraus- 
gegeben vom  Bayerischen  Verein  für  Frauen- 
stimmrecht.    Ernst  Reinhardt.    284  S.  1,25  M. 
Webb,    Sidney, 

Die  Schwächen  des  ökonomischen  Individualis- 
mus. Mit  einer  Einleitung  über  die  Gesell- 
schaft der  Fabier  vom  Uebersetzer  Dr.  Her- 
bert Kühnert.  Gr.  8°.  München  1913. 
Wege  zur  Kulturbeherrschung.  Schriften  aus 
dem  Euphoristenorden  Heft  2.  Ernst  Piein- 
hardt.  40  S.  50  Pfg. 
Webberg,    Dr.    Hans, 

Vierzig  ständige  Schiedsverträge  als  Ergänzung 
der  vom  Bureau  des  Haager  Schiedshofes  ver- 
öffentlichten Sammlung  so\vYe  für  Semina:- 
übungen.  Gr.  8°.  Breslau  1913.  Beiheft  2 
zum  VII.  Bande  der  Zeitschrift  für  Völker- 
recht. J.  U.  Kerns  Verlag  (Max  Müller). 
117   S. 

A  r  n  a  U  d  ,    Emile, 
Code  International  Public,     (code   de  la  Paix). 
"Notes   et    commentaires.      Premier    fascicule. 
8°.     Paris  1913.     Institut  International  de  la 
Paix.     54  S. 

Bibliographie   trimestrielle 
de  Droit  international.     Legislation  comparee 
—  Diplomatie,  Colonisation,  Politique  et  Droit 
etrangers.      8°.     Paris   1913    28   rue    Corvisart 
(Xllle).     Von  Seite  33—48. 

C  o n g res     National    Beige     de     la 

P  äi  x  ,    Premier, 

reuni  ä  Bruxelles  les  8  et  9  juin  1913.    Compte 

rendu  officiel.     Gr.  8°.     Brüssel  1913.     Püblie 

par    le    comite    d'orgahisation.      115    S.    unS 

Annexe. 

Eysiinga,  Prof.  W.  J.  M.  van, 
L'effet  modificatif  de  la  guerre  sur  le  droit, 
preexistant  de  la  paix.  Madrid  Conference 
1913.  8°.  London  1913.  International  Law 
Association.  Printed  by  Richard  Flint  &  Co., 
2.  Serjeants    'Inn.     Fleet    street    E.  C.     7  S. 

L  e  Foyer,  Lucien, 
La  politique  exterieure  et  l'arbitrage  inter- 
national. Rapport  presente  au  13e  congres 
radical  et  radical-sacialiste  Pau  1913.  4°. 
Comite  executif  du  parti  republicain  radical 
et  radical-socialiste.  Paris,  9  rue  de  Valois. 
20  S. 

Proces-  Verbal 
des  Seances  de  la  Commission  du  Bureau  tenues 
les   17    et  22  aoüt  1913  ä  la  Haye.     Gr.   8°. 
Bern  (1913).    Bureau  International  de  la  Paix. 
Union   Interparlementaire. 
Proces    Verhaux   du   conseil    interparlementaire, 
VIII.    Seances    du    2   au    6    septembre    1913 
ä  la  Haye.     8°.     o.  ö.  (1913)  o.  V.     37  'S. 


Eliot,    Charles    William, 

Japanese  CharacteristicNs.  8°.  New  York  City 
1913.  International  Ooncüiäthon.  Octoljer 
No.  71.  American  Association  for  Inter- 
national Gonciliation.  Sub  Station  84.  "(407 
West  117  th  street).  14  'S.  Kostenlos. 
Jordan,    David    Starr, 

War   and   Waste.      A    Series    of   Discussions   of 

War  and   War  accessories.      8°.      New    York 

1913.      Doubleday,   Page  &   Company.     296   S. 

Pollock,   Mary  R.,  Anderson,   Helen, 

International  peace.  Winning  Essays.  In  the 
second  Black  prize  contest.  Under  the  aus- 
pices  of  the  Lake  Mohonk  Conference  on 
International  Arbitration.  1912—1913.  8°.  o. 
O.  1913.  Published  by  the  Lake  Mohonk  Con- 
ference on  International  Arbitration.  21  S. 
Report 

of  the   Chicago  Peace  Society.     1913.     Gr.  8°. 
The  Chicago  Peace  Society.     40  S. 
Smith,   Bryant, 

The  present  Status1  of  International  Arbitration. 
Winning  Essay.  In  the  fifth  Pugsley  Prize 
Contest  under  the  auspices  of  the  Lake  Mo- 
li onk  Conference  on  International  Arbitration. 
1912  — 1913.  8°.  Mohonk  Lake.  N.  Y.. 
1913.  Published  by  the  Lake  Mohonk  Con- 
ference on  International  Arbitration.  14  S. 
O  o  r  d  t ,    H.    L.   van, 

Eene  Wereldstrijdmacht.  Gr.  8°.  Utrecht. 
Overdruk  üit  de  Militaire  Spectator  1913.  A. 
W.  Bruna  &  Zoom     23  S. 

Oordt,    H.    L.    van, 
Volkenrechtelijke  Homoeopathie.     Gr.  8°.    Over- 
druk  fuit    ,,De   Tijdspiegel".      o.    O.    o.   J.    o. 
V.     17  S. 


Fachpresse.    ::    ::    ::    ::   ::   ::   ::   ::    ::   ::   ::   ::   ::   ::    .: 

Völkerfriede  (Eßlingen).  Novbr.  0.  U m - 
frid,  Luftbauten.  —  Mead,  Edwin  D., 
Deutschland,  England  und  die  Vereinigten 
Staaten.  —  Kongreß  für  internationale  Ver- 
ständigung. —  Pastor  Francke,  Eine  Kon- 
ferenz  pazifistischer   Pastoren.    —   usw. 

Der  Friede  (Bern).  Oktober.  Schiedsvertrag 
zwischen  den  Vereinigten  Staaten  Amerikas 
und  Salvador.  —  Prof.  Dr.  Robert  Piloty, 
Die  Carnegie-Balkankommission.    —  usw. 

Die  Friedensbewegung  (Bern).  Okto- 
ber. Untersuchungskommission  im  Balkan. 
—  Dr.  Oskar  "Wett  stein,  Die  Presse 
und  die  Völkerverständigung.  —  Lord  Hai- 
dane, Einfluß  des  Sittengesetzes  auf  die 
internationalen   Beziehungen.    —   usw. 

Die  Eiche.  Vierteljahresschrift  zur  Pflege 
freundschaftlicher  Beziehungen  zwischen 
Großbritannien  und  Deutschland  (Berlin) 
No.  4  —  F.  Siegimfund-Schultze  ,  Völker- 
schlachtdenkmal und  Friedenspalast.  —  Ul- 
rich von  Hasseil,  Der  Weltbund  der 
evangelischen  Jünglingsvereine  und  Christ- 
lichen Vereine  junger  Männer  und  der  Völker- 
friede. —  P'.Kramer,  Die  Bedeutung  der.  deutr 
schen  evangelischen  Gemeinden  in  Großbri- 
tannien für  die  Pflege  freundschaftlicher  Be- 
ziehungen zwischen  unseren  Ländern.  — 
O.  Umfrid,  Die  Grundlagen  einer 
deutsch-englischen  Einigung.  —  F.  Sieg- 
mund-Schultze,  Ausländische  Studenten 
auf    deutschen    Universitäten.    —    usw. 


439 


DIE  FBIEDENS -^/AQTE 


3 


La  Paix  par  le  Droit  (Pa.ris).  No.-  18. 
Le  XXmo  Congres  de  Ja  l'aix.  —  usw. 

—  No.  19.  T.  Baty,  Les  Insuffisances  de  1' Ar- 
bitrage International  et  social.  —  Le  Rappro- 
chement  franco-allmand  par  M.  d'Estour-. 
nelles  de  Constant  et  Conrad 
Haussmann.  —  La  XVIIIme  Session  de 
1' Union  Interparlernentaire.  —  usw. 

La  Paix  par  la  Raison  (Paris).  Octobre/. 
Le  XXme  Congres  Universel  de  la  Paix  ä  la 
Haye.   —  Usw. 

Les  Etats- Unis  d'Europe  (Bern).  Sep- 
tembre.    Les  Semaines  Pacifistes  de  Hollande. 

—  usw. 

The  Arbitrator  (London).  November. 
Public  Opinion  and  Armaments.  —  The  „Na- 
val  Holiday".   —  usw. 

Concord  (London).  October.  J.  F.  Green, 
Notes  and  News.  —  Felix  Mos  c'heles , 
Impressions  light  and  dark.  —  Edward 
G-.  Smith,  „Lest  we  folget".  —  W.  M.  J. 
Williams,  The  recruiting  sergeant.  —  usw. 

War  and  Peace  (London).  October.  Paul 
Dix,  Krupps  Eaw  Material.  —  G-.  Valen- 
tine   Williams,    The   Balkan  „Atrocities. 

—  Lord  Loreburn,,  Prospects   of  Peace. 

—  Norman  Angell,  Man  v.  The  States- 
man.  —  usw. 

Monthly  Circular  of  the  National  Peace 
Council    (London).      October. 

Peace    &    G-oodwill    (Wisbech).       October. 

Advoclate  of  Peace  (Washington).  Oc- 
tober. Twentieth  International  Peace  Con- 
gress.  —  Project  of  an  International  Treaty 
for  the  Arrest  of  Armaments.  —  The  Con- 
ference of  Interparliamentary  Union.  —  Oorda 
Fratres.  —  Norman  An  gell,  Commercial 
Rivalry  and  International  Relations.   —  usw. 

The  Messenger  of  Peace  (Richmond). 
October.  A  Message  from  the  Friends  in 
Kansas  City.  —  usw. 

MB 

Artikel -Bibliographie.   ::  ::  ::  ::   ::  ::  ::  n  ::  ::  ::  :: 

I.  Friedensbewegung  im  allge- 
meinen: Elsbeth  Friedrichs,  Nach- 
klänge vom  zwanzigsten  Weltfriedenskongreß. 
„Ethische  Kultur."  1.  X.  *  Dr.  John  Mez, 
Internationale  Verständigung.  „Das  freie 
Wort."  XL  *  Dr.  Pach  nicke,  M.  d.  R., 
Internationale  Verständigung.  „Der  Tag" 
(illustrierter).  21.  X.  *  Die  internationalen 
Friedensbestrebungen.  ,,Der      Staatsbürger." 

Heft  20.  *  Kommerzialrat  Julius  Reich, 
Ein  finanzieller  Vorschlag  zur  Friedensfrage. 
„Dokumente  des  Fortschritte."  Heft  9.  *  Ge- 
heimrat Ed.  König,  Das  schmiedeeiserne  Tor 
am  Friedenspalast  im  Haag.  „Neue  Preußische 
(Kreuz-)  Zeitung."  17.  X.  *  Ein  Freund  Nobels 
über  die  Nobelpreise.  „Die  große  Glocke" 
(Berlin).  15.  X.  *  Der  englische  Kirchenkongreß. 
und  die  deutsch-englische  Verständigung.  „Mün- 
chener Neueste  Nachrichten."  16.  X.  * 
0.  U  m  f  r  i  d ,  Die  Friedensidee  als  Zankapfel. 
„Der  Beobachter."  11.  X.  *  Dr.  Alfred  H. 
Fried,  Aus  der  Friedensbewegung.  „Das  mo- 
nistische Jahrhundert."  1.  XI.  *  Dr.  W.  Dop- 
heide, Weltbürgertum  und  Staatsbürgertum. 
„Die    Grenzboten"    (Berlin).      15.    X.    *    Inter- 


nationale Verständigungspolitik.  „Deutsch  ' 
Revue"  (Stuttgart).  Novbr.  *  Die  Sittlichkeit 
in  der  Politik.    „Kölnische  Volkszeitung."  11.  X. 

*  H.  Prehnvon  Dewitz,  Weltnachrichten- 
dienst. Von  der  großen  Internationalen  und 
ihrer  Macht.  „Der  Kunst  wart."  Zweites  Ok- 
toberheft. *  Gas  ton  Mo  ch,  Le  XX.  Con- 
gres universel  de  la  paix  (La  Haye  18 — 23  aoüt 
1913)  et  la  2eme  assemblee  de  la  Branche  alle- 
mande  de  la  Conciliation  internationale.  (Nu- 
remberg,  4 — 6  octobre  1913).  „Journal  de  Mo- 
naco." 21.  X.  *  Edwin  D.  Mead,  President 
Butlers  international  Services.  „Unjty"  (Chi- 
cago). 18.  IX.  *  Pour  le  rapprochement  franco- 
allemand.  „Le  Reveil"  (Oherbourg).  29.  X. 
und  1.  XL 

IL  Die  internationale  Politik. 
Graf  Taisuke  Itagaki,  Japan,  Amerika' 
und  der  Weltfriede.  „Greifswalder  Zeitung" 
(Greif  swald).  26.  X.  *  0  o  n  r  a  d  H  a  u  ß  m  a  n  n  , 
M.  d.  R,  Der  vierte  Friede.     „März."     11.   X. 

*  Dr.  J.  Reinke,  Jenseits  der  Vogesen.  „Der 
Tag"  (illustrierter).  31.  X.  *  Elsaß-Lothringen 
und  die  deutsch  -  französische  Verständigung. 
„Straßburger  Post."  30.  X.  •*  Gustave 
Herve,  Paris,  Vor  einem  neuen  deutsch-fran- 
zösischen Kriege?   „Der  Staatsbürger."  Heft  20. 

*  Oesterreich  und  Albanien.  „Vossisciie 
Zeitung."  22.  X.  *  Das  Ultimatum  an  Serbien. 
„Frankfurter  Zeitung."  21.  X.  *  General'  F.  v  o|n 
Bernhardt,  Deutschland  und  Oesterreich. 
„Die  Post."  16.  X.  *  William  Jennings 
Bryan,  Our  Foreign  Policy.  „Te  Indepem- 
dent."     19.    X. 

III.  Völkerrecht.  Francis  Hage- 
rup,  Die  dritte  Haager  Friedenskonferenz. 
„Nord  und  Süd."  November.  *  Englische  Vor- 
schläge zur  Milderung  des  Seekrieges.  „Frank- 
furter Zeitung."  12.  X.  *  28.  Kongreß  der 
Vereinigung  für  internationales  Recht.  „Frank- 
furter Zeitung."     11.  X. 

V.  Wirtschaftliches.  Dr.  Otto 
P  r  i  n  g  s  h  e  i  m ,  Sind  Ersparnisse  im  deutschen 
Militäretat  möglich?  „Der  Staatsbürger." 
Heft  19.  *  Dr.  Walther  Federn,  Wehr- 
reform und  Finanznot.  „Der  österreichische 
Volkswirt"  (Wien).  11.  X.  *  Dr.  Alfred 
H.  Fried,  Ein  Ferien  jähr  für  die  Seerüstung€',n. 
„Neues  Wiener  Journal."  26.  X.  *  Kapitän 
zur  See  a.  D.  L.  P  e  r  s  i  u  s  ,  Das  englisch- 
deutsche „Feierjahr".  „Zwickauer  Tageblatt." 
26.  X.  *  Churchills  Redelust  und  Schweige- 
pflicht. „Deutsche  Tageszeitung"  (Berlin).  20.  X. 
Ekdal,  Das  Flotten  -  Feierjahr.  „Breslauer 
Zeitung."  22.  X.  *  Verhandelt  doch!  „Vor- 
wärts." 21.  X.  *  Das  Feierjahr.  „Münchenar 
Neueste  Nachrichten.  21.  X.  *  Der  Rüstungs- 
feiertag.  „Pester  Lloyd."  21.  X.  *  R.  Gädke, 
Churchills  Feier  jähr  im  Flottenbau.  „Zeit  am 
Montag."  27.  X.  *  Ders. ,  2400  Millionen 
Rüstungsausgaben.  „Zeit  am  Montag"  (Berlin). 
3.  XL  *  Churchills  Seifenblasen.  „Der  Reichs- 
bote" (Berlin).  24.  X.  *  Abermals  das  „Feier- 
jahr"  Winston  Churchills.  „Hamburger  Nach- 
richten." 21.  X.  *  Fritz  Röttcher,  Der 
kommende  Zusammenbruch  des  Militarismus. 
„Ethische  Kultur."  15.  X.  *  Financial  Reform 
in  Austria  „The  Economist."  18.  X.  *  Thie 
Armament  Crisis  in  Austria.  „The  Economist." 
11.  X.  *  The  Monster  Ship  in  Peace  and  War. 
„The  Economist."     1.  XL 


Verantwortl.  Redakteur:    Carl   Appold,   Berlin  W.  50.  —  Im  Selbstverlag  des  Herausgebers  Dr.  Alfred  H.  Fried,  "Wien  IX/2 
Druck:   Paß  St  Gar  leb  ö.  m.  b.  H.,  Berlin  W.  57.  —  Verantwortl.  Redakteur  für  Oesterreich- Ungarn :  Vinzens  Jerabek  in  Wi«n 


440 


Dezember  1913. 


Der  Balkankrieg  als  pazifistisches  Dokument. 


Die  Geschichte  dieses  letzten  Balkan- 
krieges, namentlich  die  seiner  diplomatischen 
Vorbereitung  wie  seiner  Nachwirkung,  müßte 
im  Auftrage  einer  pazifistischen  Organisation 
geschrieben  werden.  Ein  besseres  Dokument 
^egen  den  Krieg  dürfte  sich  sobald  nicht  fin- 
den. Alle  Rechtfertigungen  jenes  Krieges 
durch  die  unbedingten  Kriegsanhänger  sind 
schon  heute,  wo  der  Schleier  seiner  Vor- 
geschichte erst  ganz  wenig  gelüftet  ist,  zu 
Schanden  geworden.  Was  wurde  uns  nicht 
alles  von  dem  geschichtlichen  Entwicklungs- 
gang erzählt,  der  den  endgültigen  Zerfall  der 
Türkei  bedingte;  und  doch  wissen  wir  jetzt, 
daß  dieser  angeblich  historisch  notwendig  ge- 
wordene Krieg  ursprünglich  gar  nicht  gegen 
die  Türkei  unternommen  werden  sollte,  son- 
dern als  ein  Vorstoß  Rußlands  gegen  Oester- 
reich-Ungarn  geplant  war,  und  daß  die  Türkei 
sogar  Bundesgenosse  bei  jenem  Unternehmen 
hätte  sein  sollen.  Es  ist  dann  anders  gekommen. 
Die  Einzelheiten  über  die  Wendung  fehlen 
uns  noch.  Doch  steht  fest,  daß  es  in  der 
Hand  des  Königs  von  Montenegro  gelegen 
hat,  dem  vorhandenen  Kriegswillen  der  Ver- 
bündeten die  Richtung  zu  geben.  Wir  sahen 
sogar,  wie  der  geschlagene  Bundesgenosse  der 
Balkanstaaten,  der  den  Krieg  pathetisch  als 
einen  Kreuzzug  bezeichnet  hatte,  nach  dem 
Gemetzel  die  Bundesgenossenschaft  des  Halb- 
monds anstrebte.  Und  als  kürzlich  ein  wäh- 
rend des  Feldzuges  der  Selim  Moschee  in  Adria- 
nopel geraubtes  Reliquienstück  unter  feier- 
lichem Gepränge  zurückerstattet  wurde, 
war  als  Zeichen  der  Ehrerbietung  und  Freund- 
schaft ein  bulgarischer  General  in  jene  Stadt 
gesandt  worden,  ohne  deren  Besitz  König 
Ferdinand  einige  Monate  vorher  glaubte,  nicht 
auskommen  zu  können  und  zu  deren  Erobe- 
rung er  Täusende  von  Menschenleben  hinge- 
opfert hat. 

Ja,  die  Geschichte  dieses  Balkankrieges 
als  pazifistisches  Dokument  muß  geschrieben 
werden.  Es  muß  dargelegt  werden,  welch 
fragwürdige  Arbeit  die  Diplomatie  in  diesem 
helleuchtenden  20.  Jahrhundert  sich  noch  zu 
leisten  wagt.  Wahrhaftig,  die  Gepflogenheiten 
der  Stadtstaaten  zur  Zeit  der  italienischen  Re- 
naissance haben   sich   in  mancher   Beziehung 


auch  in  unserem  Zeitalter  noch  nicht  geän^ 
dert.  Es  wird  zwar  nicht  mehr  mit  Gift  und 
Dolch  operiert,  aber  mit  derselben  Nieder- 
tracht, die  zur  Benützung  jener  Mittel  führte. 
In  unserer  unzulänglichen  Terminologie  spre- 
chen wir  immer  noch  von  Gesamtheiten  in 
der  Politik,  von  „Rußland",  „Oesterreich- 
Ungarn",  „Serbien"  oder  „Bulgarien",  wäh- 
rend wir  i  n  Wirklichkeit  nur  von  einzelnen  Per- 
sonen sprechen  sollten,  die  sich  unter  diesen 
pompösen  Aushängeschildern  verbergen.  Der 
Krieg,  den  uns  seine  Anhänger  gerne  als 
eine  Naturgewalt  darstellen,  zum  mindesten 
aber  als  eine  Explosion  des  Volkswillens,  ist 
doch  nichts  weiter  als  das  Privatunternehmen 
einiger  Weniger.  Was  Jean  Paul  vor  mehr 
als  hundert  Jahren  geschrieben,  trifft  heute 
noch  zu:  „Das  Unglück  der  Erde"  —  so 
schreibt  der  hervorragende  Schriftsteller  — ■ 
„war  bisher,  daß  zwei  den  Krieg  beschlossen 
und  Millionen  ihn  ausführten,  indes  es  besser 
gewesen  wäre,  daß  Millionen  ihn  beschlossen 
hätten  und  zwei  gestritten."  Nur  daß  man 
die  Zahl  der  Arrangeure  etwas  erhöhen  könnte; 
es  müssen  nicht  gerade  zwei,  es  können  auch 
fünf  oder  sechs  sein.  Der  Bälkankrieg  ist 
entschieden  nicht  von  „Rußland"  gemacht 
worden,  wie  man  gedankenlos  immer  behaup- 
tet, sondern  von  einem  oder  zwei  russischen 
Diplomaten,  die  sich  mit  einer  Handvoll 
Balkandiplomaten  in  Verbindung  gesetzt  hat- 
ten und  bei  genauer  Kenntnis  des  Terrains 
ganz  allein  ihre  Minen  legten,  die  nachher  auf 
Rechnung  einer  ganzen  Nation  in  die  Luft 
flogen.  Das  Forschen  nach  den  Krankheitsi- 
erregern,  wie  es  die  moderne  Medizin  hand- 
habt, muß  auch  auf  das  Kriegsübel  über- 
tragen werden,  und  wenn  es>  gelungen  sein 
wird,  die  Krankheitserreger  auch  hier  in  Rein- 
kultur darzustellen,  wird  die  Ueberwindung 
des  Uebels  leichter  sein.  Erbringen  wir  erst 
den  Nachweis,  daß  solch  ein  mörderischer 
Krieg  nicht  eine  historische  Entwicklungs- 
notwendigkeit, kein  Naturereignis,  keine  so: 
ziale  Explosion,  sondern  einfach  das  Arran- 
gement einiger  Herren  ist,  deren  Namen, 
Adresse  und  Hausnummer  man  kennt,  die 
man  im  schwarzen  Rock  und  weißen  Hemd- 
kragen  herumlaufen   sehen   kann,   dann   wird 


441 


DIE  FRIEDENS ->&*<&DXE 


© 


die  Mystik  des  Krieges  und  mit  ihr  selbst 
der  Krieg  überwunden  sein.  Die  Geschichte 
dieses  Bialkanverbrechens,  getreulich  darge- 
stellt,  könnte   dies   bewirken. 

Sie  könnte  uns  zeigen,  wie  unter  jener 
verderblichen  Mystik  der  moderne  Macchia- 
vellismus,  der  viel  verderblicher  ist  als  der 
alte,  an  Grausamkeit  zunimmt.  Der  höchste 
Beamte  einer  großen  Kulturnation  hat  kürz- 
lich jenseits  des  Ozeans  von  der  zunehmenden 
Sittlichkeit  in  der  Politik  gesprochen.  Eine 
Tatsache,  die  nicht  bestritten  werden  soll,  er- 
freulicherweise nicht  mehr  bestritten  werden 
kann.  Aber  nicht  auf  dem  ganzen  Erdball 
ist  diese  Zunahme  der  politischen  Sittlichkeit 
zu  bemerken.  Es  gibt  noch  dunkle  Zonen,  wo 
solches  Licht  nicht  eindringt.  Dies  beweist 
uns  folgender  Vorgang.  Im  Februar  1912  hat 
König  Ferdinand  von  Biulgarien  mit 
Serbien  einen  Geheimvertrag  geschlossen,  des- 
sen hauptsächlichster  Inhalt  folgendes  fest- 
stellt : 

Falls  Oesterreich-Ungarn  Serbien  an- 
greift, so  ist  Bulgarien  verpflichtet,  unver- 
züglich Oesterreich-Ungarn  den  Krieg  zu  er- 
klären und  mindestens  200000  Kombattan- 
ten nach  Serbien  zu  dirigieren,  die,  vereint 
mit  der  serbischen  Armee,  teils  offensiv, 
teils  defensiv  gegen  Oesterreich-Ungarn 
vorgehen  werden. 

Die  gleiche  Verpflichtung  obliegt  Bul- 
-  garien    gegen    Serbien,     falls    Oesterreich- 
Ungarn,    unter    welchem    Vorwande    auch 
immer,   im   Einverständnis   oder  ohne   Zu- 
stimmung der  Türkei  mit  seinen   Truppen 
in  den  Sandschak  Novibazar  einbricht,  so 
daß    Serbien   deshalb    Oesterreich-Ungarn 
den   Krieg  erklärt,   oder,  um   seine   Inter- 
essen zu  schützen,  seine  Truppen  nach  dem 
Sandschak  dirigiert  und  dadurch  einen  be- 
waffneten Konflikt  zwischen  sich  und  Oester- 
reich-Ungarn herbeiführt. 
Am  2.  Juni  1912  finden  wir  den  König  von 
Bulgarien   mit    der   Königin   und   den   beiden 
Prinzen  in  Wien,  wo  ihm  zu  Ehren  im  Schlosse 
zu  Schönbrunn  eine  Galatafel  stattfand.  Kaiser 
Franz   Josef   brachte   einen   Trinkspruch   aus, 
aus   dem  folgende   Stelle  neu  in  Erinnerung 
gebracht     werden     soll:      „Meine     wärmsten 
Wünsche  begleiten  die  friedliche  Entwicklung 
•Bulgariens,  das  dank!  der  hohen  Weisheit  Eurer 
Majestät  ein  Element  der  Ordnung  und  der 
Ruhe  auf  dem  Balkan  bildet.    Glücklich,  die 
Anwesenheit    Eurer    Majestäten    und    König- 
lichen     Hoheiten      unter     uns     als     neues 
Unterpfand     der    ausgezeichneten 
Beziehungen     ansehen    zu    können,     die 
zwischen  unseren  Staaten  bestehen,  erhebe  ich 
mein  Glas  zu  Ehren  Eurer  Majestäten  und  der 
ganzen  Königlichen  Familie." 

Aus  der  Erwiderung  des  also  begrüßten 
Königs,  der  sich  einige  Monate  vorher  zum 
Kriege  gegen  den  Herrscher  verpflichtet  hatte, 
dessen  Gast  er  jetzt  war,  sei  folgende  Stelle 
festgehalten:  „Mit  besonderer  Genugtuung  er- 


fülle ich  heute  diese  Pflicht  und  nehme  gleich- 
zeitig Gelegenheit,  die  wahren  Gefühle 
zu  bezeigen,  die  ich  für  Eure  Ma- 
jestät hege,  deren  erhabene  Person  sich 
in  einer  langen  historischen  Regierung  den 
höchsten  Anspruch  auf  Bewunderung  und 
Achtung  ganz  Europas  erworben  hat.  Ebenso 
glücklich  wie  Sie,  Sire,  in  diesem  denkwürdi- 
gen Augenblick  ein  Unterpfand  mehr 
für  die  ausgezeichneten  Bieziehun- 
gen  zu  sehen,  die  zwischen  unseren 
beiden  Staaten  bestehen,  erhebe  ich 
mein  Glas  zu  Ehren  Eurer  Majestät  und  der 
ganzen  Kaiserlichen  Familie." 

Und  zwei  Wochen  nach  diesem  Gastmahl 
—  am  19.  Juni  —  unterzeichnet  ein  General 
dieses  treuen  Königs  die  geheime  Mili- 
tärkonvention mit  Serbien,  deren  dritter 
Artikel  folgenden  Wortlaut  hat: 

„Wenn  Oesterreich-Ungarn  Serbien  an- 
greift, so  hat  Bulgarien  ihm  unver- 
züglich den  Krieg  zu  erklären  und 
wenigstens  200 000  Mann  nach  Ser- 
bien zu  werfen  und  angriffsweise  oder  in 
Verteidigung  mit  dem  serbischen  Heere, 
gegen  Oesterreich-Ungarn  zu 
kämpfen.  Dieselbe  Pflicht  obliegt  Bul- 
garien Serbien  gegenüber,  wenn  Oesterreich- 
Ungarn,  unter  welchem  Vorwande  immer,  in 
Uebereinstimmung  mit  der  Türkei  oder  ohne 
sie  seine  Truppen  in  den  Sandschak  Novibazar 
einmarschieren  läßt  und  infolgedessen  Ser- 
bien ihm  den  Krieg  erklärt,  oder  falls  Serbien 
in  Verteidigung  seiner  Interessen  seine  eigenen 
Truppen  nach  dem  Sandschak  Novibazar  ein- 
marschieren läßt  und  dadurch  den  Krieg  mit 
Oesterreich-Ungarn   heraufbeschwört." 

So  sieht  nun  die  Sittlichkeit  in  der  Po- 
litik des  europäischen  Ostens  aus.  Die  Sitt- 
lichkeit jener  Institution,  die  ihr  Recht  von 
Gott  herleitet.  Das  ist  aber  noch  nicht  der 
ganze  Tiefstand  der  Vorgänge.  Als  jene  Ge- 
heimverträge durch  den  „Matin"  veröffent- 
licht wurden,  befand  sich  der  treue  König 
gerade  in  Wien,  wo  auch  die  Delegationen 
tagten,  die  von  dem  Grafen  Berchtold  Rechen- 
schaft über  seine  Orientpolitik  forderten.  Die 
maßgebende  österreichische  Presse,  die  ihre 
Informationen  von  der  Regierung  erhält,  be- 
eilte sich,  sowohl  den  König  wie  den  durch 
jene  Veröffentlichungen  kompromittierten 
österreichisch  -  ungarischen  Auslandsnrinister 
in  Schutz  zu  nehmen.  Nein,  so  hallte  es  aus 
den  Zeitungen  heraus,  König  Ferdinand  hat 
nicht  unkorrekt  gehandelt,  hat  nicht  einen 
Vertrag  gegen  Oesterreich  geschlossen,  um 
sich  einige  Monate  später  unter  dem  Dache 
des  Kaisers  als  dessen  dankbarer  Freund  auf- 
zuspielen. Nein!  Damals  im  Juni  1912  hätte 
der  treue  König  dem  Kaiser  vom  Inhalt  jenes 
Vertrages  Kenntnis  gegeben  und  erklärt, 
daß  er  nie  daran  denke,  ihn  zu 
halten.      Er    ist    aber   ein    Ehrenmann!    — 

,Und  über  jene  Leute,  die  ob  jener  Er- 
klärung etwas  erschreckt  waren,  rümpften  all- 


442 


@= 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


deutsche  Organe  verächtlich  die  Nase,  als 
•über  Phantasten,  die  nicht  begreifen  kön- 
nen, daß  in  der  Politik  Gefühlswerte  keine 
Bedeutung    hätten. 

Man  sieht,  es  ist  notwendig,  daß  die 
Bilanz  und  die  Entstehungsgeschichte  des 
Balkan  Verbrechens  geschrieben  wird.  Wir,  die 
wir  das  traurige  Schicksal  haben,  unter  der 
drückenden  Atmosphäre  jener  Verwesungs- 
philosophie zu  leben,  wir  haben  die  traurige 
Pflicht,  den  kommenden  Geschlechtern  we- 
nigstens zu  beweisen,  daß  nicht  alles  verwest, 
verrottet  und  korrupt  war  in  dem  Europa 
am    Anfang     des    zwanzigsten    Jahrhunderts. 

Zu  den  Lehren  dieses  Krieges  gehören 
ja  auch  erfreuliche  Tatsachen.  So,  daß  es 
gelang,  den  Krieg  zu  lokalisieren  und  den 
erwarteten  Zusammenstoß  der  europäischen 
Großmächte  zu  verhindern.  Ferner,  daß  es  ge- 
lang, den  anglo-deutschen  Konflikt  zu  über- 
winden und  eine  größere  Stetigkeit  in  die 
europäischen  Verhältnisse  hineinzubringen.  Die 
wichtigste  Forderung  ist  es  aber  jetzt,  den 
Zwiespalt  zwischen  den  beiden  Bündnisgruppie- 
rungen zu  überbrücken*  da  er  allein  jene  Si- 
tuation schafft,  die  es  den  Privatunternehmern 
der  Verhetzung  ermöglicht,  Kriegsgefahren  zu 
zeitigen  und  sogar  Kriege  zum  Ausbruch  zu 
bringen.  Der  Balkankrieg  ist  noch  nicht  zu 
Ende.  Seine  direkte  Aktion  ist  lediglich  ein- 
gestellt worden.  Jeder  Friedensvertrag,  der 
da  unten  unterzeichnet  wurde,  ist  eine  gleis- 
nerische Lüge  und  mit  dem  geheimen  Vor- 
behalt geschlossen  worden,  ihn  bei  nächster 
Gelegenheit  zu  brechen.  Europa,  das  sich  so 
trefflich  zu  schützen  weiß,  wenn  die  Pest  oder 
die  Cholera  an  seiner  äußersten  Peripherie 
pochen,  es  hätte  die  Macht,  auch  den  Balkan 
politisch  zu  sanieren,  wenn  es  nur  erst  da 
wäre;  wenn  über  unhaltbare  mystische  Vor- 
eingenommenheit hinweg  jene  Sonderbünde, 
die  so  grotesk  dem  Frieden  dienen  wollen 
und  uns  vor  lauter  Kriegsgefahr  das  Atmen 
rauben,  sich  endlich  zum  europäischen  Frie- 
<lensbunde  gestalten  wollten.  A.   H.   F. 


Unsere  auswärtige  Politik. 

Von  William  Jennings  Bryan, 
Staatssekretär  der  Vereinigten  Staaten. 

.Zur    Veröffentlichung    in    der    „Friedens- Warte" 
vom    Verfasser    ausdrücklich    bewilligt. 

Krieg  ist  mehr  Sache  des  Gefühls  als 
Sache  des  Verstandes.  Er  kann  gar  nichts 
schlichten,  das  nicht  auf.  eine  bessere  Art  gelöst 
werden  könnte.  Die  Völker  haben  ebenso- 
wenig Grund,  ihre  Differenzen  auf  dem 
Schlachtfelde  auszutragen,  als  Menschen 
Grund  hätten,  solche  durch  physische  Kraft 
beizulegen.  Wenn  es  aber  etwas  wie  einen 
Gerechtigkeitssinn  gibt  —  und  wir  können 
nicht  daran  zweifeln,  wenn  wir  nicht  ein  Chaos 
annehmen  wollen  — ,  dann  wird  durch  diese 
Gewaltsamkeit  bloß  die  endgültige  Lösung  auf- 


gehalten, die  mit  dem  zunehmenden  Interesse 
kommen  muß.  Da  die  Nationen  in  ihrer  Größe 
und  in  ihrer  Kraft  voneinander  abweichen,  so 
kann  ein  Krieg  natürlicherweise  ebensowenig 
eine  gerechte  Lösung  bedeuten,  als  ein  Kampf 
zwischen  zwei  Individuen  über  das  Recht  des 
einen  entscheidet. 

Persönliche  Streitigkeiten  sind  durch  die 
Errichtung  von  Gerichtshöfen  viel  seltener  ge- 
worden, und  die  Gerichtshöfe  haben  an  Be- 
deutung gewonnen,  als  der  Mensch  gelernt 
hat,  sich  zu  beherrschen.  Wir  fangen  an,  die 
Worte  der  Heiligen  Schrift  zu  verstehen,  die  da 
lauten:  „Der  Sanftmütige  ist  besser  als  der 
Zornige,  und  besser  der,  der  seinen  Geist  be- 
herrscht, als  der,  der  eine  Stadt  bezwingt." 
Der  Sieg  über  den  bösen  Trieb  im  eigenen 
Innern  ist  der  allergrößte  Sieg. 

Die  Zunahme  der  schiedsgerichtlichen 
Austragung  von  Streitigkeiten  zwischen  den 
Staaten  hält  Schritt  mit  dem  zunehmenden 
Einfluß  der  Gerichtshöfe ;  und  mit  der  wachsen- 
den Intelligenz,  die  Hand  in  Hand  geht  mit 
einer  Entwicklung  der  Gesinnung,  neigen  die 
herrschenden  Kräfte  in  den  Nationen  zu  einer 
friedlichen  Lösung  der.  internationalen  Pro- 
bleme. Es  war  ein  Schritt  nach  vorwärts,  als 
an  Stelle  des  sofortigen  Niederschießens  das 
Duell  trat,  das  Zeit  zur  Ueberlegung  und  zur 
Vermittlung  durch  die  Freunde  ließ ;  aber  auch 
der  Standpunkt  des  Duells  ist  überwunden, 
weil  physischer  Kampf  das  All  gemeingewissen 
verletzt. 

Die  U  n  t  er  suchung  von  S  t  r  ei  tig- 
k  e  i  t  e  n. 

Der  von  Präsident  Wilson  vor  kurzem 
gemachte  Vorschlag  bezieht  sich  auf  Unterr 
suchungen  in  allen  Fällen  und  ist  ein  Schritt 
auf  dem  Wege,  Gewalt  durch  Recht  zu  er- 
setzen, wenn  er  auch  jedem  Streitteil  offen 
läßt,  nach  Abschluß  der  Untersuchung  ganz 
unabhängig  zu  handeln.  Das  ist  ein  großer 
Schritt  zum  Frieden,  weil  er  den  Gefühlen  Zeit 
läßt,  ihre  Leidenschaftlichkeit  zu  verlieren,  und 
den  Freunden  des  Friedens  zum  vermitteln 
Gelegenheit  gibt.  Der  Tag  wird  zweifellos 
kommen,  da  alle  Fragen  friedlich  durch  ein 
Schiedsgericht  gelöst  werden,  da  er  aber  noch 
nicht  da  ist,  sind  wir  mit  unserem  Vorschlag, 
alle  Streitfragen,  welcher  Art  diese  auch  seien, 
untersuchen  zu  lassen,  im  Recht. 

Erstens  werden  wir  danach  trachten,  Ge- 
rechtigkeit als  nationale  Politik  einzusetzen, 
zweitens  sind  wir  bereit,  jede  Klage,  die  er- 
hoben wird,  zur  Kenntnis  zu  nehmen,  sie  zu 
untersuchen  und  der  Welt  unsere  Gründe  mit- 
zuteilen. Weil  wir  Gerechtigkeitssinn  und  das 
Verlangen  nach  Recht  haben  und  weil  wir 
sowohl  auf  diesen  Sinn  als  auf  dieses  Ver- 
langen stolz  sind,  werden  wir  furchtlos  unsere 
guten  Absichten  klarlegen. 

Vor  einigen  Monaten  erst  haben  die  Ver- 
einigten Staaten  im  allgemeinen  und  Washing- 
ton   im    besonderen    die    britischen    Friedens- 


443 


DIE  FßlEDENS-^ADTE 


® 


delegierten  bewillkommt,  die  hierher  kamen, 
um  die  Feier  des  hundertjährigen  Friedens 
zwischen  den  englisch  sprechenden  Nationen 
vorzubereiten.  Dieser  Besuch  erneuerte  die 
Gewißheit  des  freundschaftlichen  Zusammen- 
gehens dieser  beiden  durch  eine  gemeinsame 
Muttersprache  verbundenen  Staaten.  Aber  die- 
selbe Gelegenheit  diente  auch  als  Beweis,  daß 
die  gleiche  Freundschaft  und  der  gleiche  ge- 
meinsame Fortschritt  des  Friedens  sich  nicht 
nur  auf  die  englisch  sprechenden  Nationen  be- 
schränken, sondern  auch  andere  mit  ein- 
schließen. Es  wird  von  manchen  Seiten  als  be- 
sonders bezeichnend  angesehen,  daß  Groß- 
britannien und  die  Vereinigten  Staaten  so  lange 
den  Frieden  aufrecht  erhalten  konnten  und 
ebenso  bezeichnend,  daß  so  viele  verschiedene 
Nationalitäten  den  Frieden  durch  mehrere  Ge- 
nerationen gewahrt  haben  trotz  der  so  wider- 
sprechenden ethnologischen  und  Rassengegen- 
sätze, die  innerhalb  der  Grenzen  unseres  Lan- 
des aufeinanderstoßen.  Es  erscheint  aber  we- 
niger seltsam,  wenn  wir  das  Verhältnis  unter- 
suchen: wenn  wir  uns  vor  Augen  halten,  daß 
die  friedliche  Invasion  der  Völker  aller  Religio- 
nen, Rassen  und  Gewohnheiten  in  den  Ver- 
einigten Staaten  nur  dazu  erfolgte,  um  gemein- 
sam ihre  Lage  zu  verbessern,  unter  Umstän- 
den, die  allen  Gleichheit  und  freien  Spielraum 
versprach. 

Ersatz    des    Krieges    durch    Recht. 

Die  Vereinigten  Staaten  hegen  für  alle 
Nationen  die  freundschaftlichsten  Gefühle. 
Wenn  wir  die  letzten  Vorfälle  betrachten 
—  die  sich  vor  kürzerer  oder  längerer  Zeit 
ereigneten  — ,  finden  wir  nicht  eine  einzige 
Gelegenheit,  keine  noch  so  gewichtige  Tat- 
fcache,  wo  die  Vereinigten  Staaten  den  Wunsch 
gezeigt  hätten,  zu  den  Waffen  zu  greifen, 
um  sich  Genugtuung  zu  verschaffen.  Wir 
müssen  der  Welt  höhere  Ideale  geben,  als 
die  des  Krieges.  Wir  müssen  den  Geist  des 
Krieges  durch  den  Geist  des  Friedens  er- 
setzen. Der  Weltfrieden  ist  unser  Ziel.  Es 
gibt  keine  Sache,  die  nicht  durch  das  Recht 
besser  gelöst  werden  könnte,  als  durch  den 
Krieg.  Ich  erwarte  nicht  nur,  daß  die  Ver- 
einigten Staaten  während  meiner  Amtszeit 
keinen  Krieg  führen,  sondern  auch,  daß  unser 
Volk  während  meines  ganzen  Lebens  nicht 
mehr  in  einen  Krieg  verwickelt  wird. 

Der  Krieg  liegt  im  Interesse  einiger 
weniger,  nicht  im  Interesse  aller.  Die  Welt 
erfährt  soeben,  daß  hinter  dem  Kriegs- 
furor, hinter  der  Aufstachelung  der  Völker- 
leidenschaften, das  Interesse  für  Panzer- 
platten, Kriegsschiffe,  Munitionslieferungen 
jener  Personen  und  Institute  steht,  deren 
Geschäft  es  ist,  diese  Kriegsschiffe  zu 
bauen,  die  notwendigen  Panzerplatten  zu 
liefern  und  mächtige  Vernichtungswerkzeuge 
zu  erfinden.  Es  wurde  sogar  ausfindig  ge- 
macht, daß  Bewohner  eines  Landes  Summen 
dafür  ausgeben,  um  in  einem  anderen  Lande 


gegen  ihr  eigenes  aufzuhetzen.  Mit  änderet! 
Worten,  es  gibt  Leute,  die  den  Krieg  um 
ihres  eigenen  persönlichen  Vorteils  willen 
geschäftlich  ausbeuten,  ohne  die  Wir- 
kungen und  den  Verlust,  den  die  Mensch- 
heit durch  ihre  verächtliche  Propaganda  er- 
leidet, zu  ermessen.  Weil  die  Völker  im 
allgemeinen  jetzt  anfangen  einzusehen,  wie 
belanglos  manchmal  die  Ursachen  sind,  die 
zu  einem  vernichtenden  Kriege  führen 
können,  gehen  sie  allen  Ursachen,  die  Kriege 
entfesseln  können,  aus  dem  Weg.  Zu- 
nehmende Intelligenz  ist  ein  Schutz,  weil  sie 
eine  für  den  Frieden  wirkende  Kraft  ist. 

Gleichzeitig  ist  auch  eine  wachsende  An- 
näherung zwischen  den  Regierungen  und 
den  Völkern  zu  beobachten.  Durch  ein  ge- 
schlosseneres Zusammengehen  der  regierten 
Völker  und  der  Regierenden  hatte  und  wird 
noch  eine  große  Masse  des  Volkes  Ge- 
legenheit haben,  zu  erfahren,  daß  ein  bewaff- 
neter Kampf  keinen  Nutzen  bringen  kann, 
und  daß  jene,  die  die  Steuern  bezahlen  und 
dann  noch  ihr  eigenes  Blut  vergießen,  nur 
zum  Vorteil  solcher  arbeiten,  die  einen  per- 
sönlichen   Nutzen    daraus    ziehen. 

Es  wurde  schon  oft,  auch  von  unseren 
größten  Philosophen,  gesagt,  daß  an  den 
Frieden  glauben,  ,den  Frieden  erhalten  be 
deutet,  gleichviel,  ob  es  sich  um  eine  Person, 
eine  Gruppe  oder  ein  Volk  handelt.  Ebenso 
kann  man  sagen,  daß:  die  Vorbereitungen 
zum  Kriege  einem  solchen  günstig  sind,  und 
daß  jene  Nationen,  die  am  meisten  Zeit, 
Kraft  und  Mittel  für  die  Kriegsbereitschaft 
ausgeben,  auch  jene  sind,  die  am  ehesten 
zu   einem   Kriege  neigen. 

Ist  es  aber  nicht  gerade  so  leicht,  diese 
Unterschiede  vom  Standpunkt  des  Friedens 
statt  von  dem  des  Krieges  ins  Auge  zu 
fassen.  Und  Krieg  bedeutet  bloß  die  eine, 
am  wenigsten  wirksamste  Art  der  Lösung, 
weil  im  Kriege  die  Völker  von  ihren  nie- 
drigsten Instinkten  beherrscht  sind,  die 
jenen,  in  Zeiten  der  Gewalt  zur  Erwägung 
des  Rechtes  beider  Teile  so  notwendigen, 
Sinn  für  Humanität  und  Gerechtigkeit  zer- 
stören. Andererseits  können  aber  zur  Ver- 
meidung des  Krieges  verschiedene  einem  ge- 
gebenen Fall  mehr  oder  minder  angepaßte 
Methoden  für  die  Lösung  aller  möglichen 
Streitfragen  gefunden  werden.  Das  Ergeb- 
nis wird  immer  die  gewünschte  Entscheidung 
bringen. 

Die  trivialen  Ursachen  des  Krieges. 

Allgemein  gesprochen,  ist  die  Welt  heute 
mehr  dem  Frieden  geneigt,  als  sie  zu  irgend- 
einer anderen  Zeit  gewesen  ist.  Wir  müssen 
auch  bedenken,  daß.  individuelle  und  natio- 
nale Probleme  sich  vervielfacht  haben  und 
stärker  geworden  sind,  und  daß  zu  keiner 
anderen  Zeit  so  viele  Fragen  für  das  Wohl 
der  ganzen  Welt  zu  lösen  waren,  wie  jetzt. 
Die  Geschichte  wird  uns  beweisen,  daß  viele 


444 


<§s 


=  DIE  FRIEDEN5-^fc*\RXE 


unserer  bittersten  Kriege  aus  trivialen  Ur- 
sachen entstanden  sind.  Hätten  wir  uns1 
nicht  einem  idealen  Zustand  der  internatio- 
nalen Ruhe  genähert,  dann  würde  die 
Welt  mehr  als1  je  Kriege  führen.  Wie  die 
Sachen  heute  stehen,  ist  die  Wahrscheinlich- 
keit für  einen  ernsten  Krieg  nicht  groß,  das! 
heißt,  er  würde  jene  nicht  befriedigen,  die 
die  Führung  eines  Krieges  für  vorteilhaft 
erachten.  Europäische  Nationen  und  die  Ver- 
einigten Staaten  haben  bei  vielen  Gelegen- 
heiten des!  letzten  Jahrzehnts  das  Schieds- 
gericht angerufen;  vor  einiger  Zeit  erst  er- 
ledigte eine  Spezialkommission  in  fünfzehn 
Tagen  die  Streitfrage  zwischen  Italien  und 
Frankreich,  die  durch  die  Beschlagnahme 
einiger  französischer  Schiffe  seitens  Italiens 
entstanden  war,  eine  Ursache,  die  der  kriege- 
rischen Presse  wohl  ein  Schlachtfeld  wert 
gewesen  wäre.  Die  freundschaftliche  und  zu- 
friedenstellende Schlichtung  erforderte  we- 
niger Zeit,  als  das  Stellen  eines  Ultimatums 
und  die  notwendigen  Schritte  vor  einer 
Kriegserklärung-    gebraucht    hätten. 

Der  Panamakanal,  durch  den  wir  bald 
den  Isthmus  trennen  werden,  wird  uns1  mit  der 
westlichen  Küste  Süd-Amerikas  verbinden,  d.  i. 
mit  einem  Teil  jenes  Festlandes1,  das,  obwohl 
geographisch  nahe,  von  New  York  aus  seit  un- 
denklichen Zeiten  praktisch  unerreichbar  war. 
Ob  wir  nun  wollen  oder  nicht,  wir  müssen  NaclH 
barn  werden,  und  es  liegt  in  unserem  beider- 
seitigen Vorteil,  dieser  Nachbarschaft  gerecht 
zu  werden.  Wir  können  die  nützlichen  Er- 
gebnisse, die  aus  gegenseitiger  Hilfeleistung 
erstehen,  auf  das  Höchstmaß  bringen.  Wir 
sind  uns  dann  näher  als  wir  den  Ländern  sind, 
die  jenseits  der  Ozeane  liegen.  Alle  Länder 
der  nördlichen  Küste  Süd-Amerikas  werden 
uns  dann  näher  sein  als  Europa. 

Unsere  Politik  Latein-Amerika 
gegenüber. 

Die  Republiken  Latein-Amerikas  gehen 
erst  ihrer  größten  Entwicklung  entgegen,  weil 
sie  sich  bis  jetzt  nur  teilweise  entwickeln  konn- 
ten. Ihre  wirklichen  und  voraussichtlichen 
Hilfsmittel  sind  derart,  daß  sie  die  Mensch- 
heit veranlassen  könnten,  ihre  Kräfte  für  deren 
beste  und  nützlichste  Verwertung  einzusetzen. 
Sie  erhoffen  für  sich  jenen  Unternehmungs- 
geist und  jene  Tätigkeit,  die  während  der  letz- 
ten Jahrzehnte  die  Vereinigten  Staaten  aus 
einer  Kolonie  zu  einer  Weltmacht  entwickelt 
haben.  Wir  besitzen  Kapital  im  Ueberfluß  und 
es  ist  nur  logisch,  daß  unsere  Nachbarn  von 
uns  jenen  Beistand  in  Anspruch  nehmen  wer- 
den, der  ihnen  berechtigterweise  geleistet  wer- 
den kann.  Wir  besitzen  konstruktive  Fähig- 
keiten und  die  notwendige  Erfahrung.  Diese 
Erfahrung  und  dieses  Kapital  können  erfolg- 
reich zu  beiderseitigem  Nutzen  verwendet 
werden. 

Es  ist  trotzdem  sicher,  daß  die  Politik 
unserer  Verwaltung  unseren  lateinischen  Nach- 


barn und  anderen  Ländern  gegenüber  von 
einigen  Stellen  mißverstanden  wird.  Dennoch 
hat  der  Präsident  seine  Meinung  darüber  in 
seinen  Reden  skizziert  und  durch  Tatsachen  er- 
läutert. Amerikanische  Unternehmungen  soll- 
ten jede  Unterstützung  genießen,  und  er  ist  be- 
reit, diese  Unterstützung  zu  gewähren;  da  er 
aber  weiß,  daß  der  geschäftliche  Verkelir 
seinen  Wert  und  seine  Beständigkeit  durch 
gegenseitigen  Vorteil  erhält,  will  er  darauf 
dringen,  daß  amerikanische  Geschäftsleute  in 
jedes  Land,  wo  sie  Geschäfte  zu  machen 
hoffen,  die  höchsten  Begriffe  von  Ehre  und 
Redlichkeit  mitbringen  sollen.  Jeder  erwor- 
bene Dollar  müßte  die  Vergütung  sein  für 
einen  im  Werte  eines  Dollars  geleisteten 
Dienst.  ,      \  .  \  -j 

Eine  Unterrichts-Kampagne. 
All  dies  kann  nur  nach  einer  syste- 
matischen Unterrichtskampagne  getan  werden. 
Daß  einer  den  anderen  verstehe,  ist  eine  abso- 
lute Notwendigkeit,  und  das  zunehmende  In- 
teresse für  die  spanische  Sprache  in  den  Ver- 
einigten Staaten  wie  die  Bereitwilligkeit,  mit 
der  unsere  südlichen  Nachbarn  Kenntnisse  des 
Englischen  erwerben,  sind  gute  Vorboten  einer 
engeren  Freundschaft.  Von  da  bis  zu  einem 
geistigen  Austausch  zwischen  den  amerikani- 
schen Republiken  ist  nur  ein  Schritt.  Das  in- 
tellektuelle Leben  aller  Länder  würde  durch 
die  Kenntnis  und  den  Vergleich  der  Anschau- 
ungen angeregt  werden.  Jede  Anstrengung 
müßte  gemacht  werden,  um  einen  Gedanken- 
austausch zu  beschleunigen  und  eine  Beauf- 
sichtigung der  (Unterrichtsmethoden  in  die 
Wege  zu  leiten.  Ein  Teil  des  immer  größer 
werdenden  Stroms  der  Reisenden,  der  die  alte 
Welt  befruchtete,  würde  nach  Süd-Amerika 
abgelenkt  werden.  Auf  diese  Weise  sind  wir 
zu  unserer  Grundbehauptung  zurückgekehrt, 
nämlich,  daß  wir  miteinander  gut  auskommen 
müssen.  Das  vBewußtsein  dieser  Zusammen- 
gehörigkeit —  dieser  Verwandtschaft,  denn 
eine  solche  ist  es  —  ist  der  erste  Schritt  zu 
freundschaftlichen  Beziehungen  zwischen  den 
Nationen. 

Der  W  i  1  s  o  n  -  Bi  r  y  a  n  -  P 1  a  n. 
Vor  kurzem  hatte  ich  die  Ehre,  im  Namen 
des  Präsidenten  einen  den  Weltfrieden  betref- 
fenden Vorschlag  den  Mitgliedern  des  im  Staa- 
tendepartement versammelten  diplomatischen 
Korps  zu  unterbreiten.  Dieser  Vorschlag  be- 
fürwortet, die  Schiedsgerichtsbarkeit 
durch  eine  Klausel  zu  ergänzen,  die  die  Unter- 
suchung aller  Streitfragen,  welcher  Art  diese 
auch  seien,  vorsieht.  Dieses  Abkommen  be- 
deutet eine  Erweiterung  der  bestehenden 
Schiedsverträge  und  solcher,  die  noch  be- 
schlossen werden  sollen.  Es  betrifft  die  durch 
jene  Verträge  bislang  offen  gelassene  Lücke, 
nämlich  die  von  der  Schiedsgerichtsbarkeit  aus- 
geschlossenen Fragen.  Bei  dem  vorgeschlage- 
nen Abkommen  wird  keine  einzige  Frage  von 
der   Untersuchung   ausgenommen,   wenn   auch 


445 


DIE  FRIEDENS -^w^fZTE  = 


;© 


jeder  Nation  die  größte  Freiheit  bei  Beurtei- 
lung des  Falles  eingeräumt  wird.  Wenn  der 
Grundsatz  der  Untersuchung  angenommen 
wird,  und  einzelne  Vorschläge  des  Planes, 
gegen  die  Einwände  möglicherweise  erhoben 
werden  sollten,  richtiggestellt  sind,  bleibt 
nichts  anderes  zu  tun  übrig,  als  die  Lösung  der 
Untersuchungsmethode. 

Der  Entwurf  des  Abkommens,  den  ich  den 
Vertretern  der  ausländischen  Nationen  unter- 
breitet habe,  ist  folgender: 

Die  Vertragsteile  willigen  ein,  daß  Streit- 
fragen, welcher  Art  diese  auch  seien,  nach  Ver- 
sagen diplomatischer  Bemühungen  zum  Zweck 
einer  Untersuchung  und  Erstattung  eines  Be- 
richtes einer  internationalen  Kommission  (über 
deren  Zusammensetzung  man  übereinkommen 
müsse)  unterbreitet  werden  sollen,  und  erklären 
sich  bereit,  keinen  Krieg  zu  beginnen  und  keine 
Feindseligkeiten  zu  eröffnen,  solange  die  Unter- 
suchung nicht  abgeschlossen  und  der  Bericht 
nicht    erstattet    ist. 

Die  Untersuchung  soll  auf  Initiative  der 
Kommission  als  eine  laufende  Sache,  ohne  die 
Formalität  eines  Ansuchens  von  irgendeiner 
Partei,  vorgenommen  werden.  Der  Bericht  müßte 
binnen  (die  Zeit  wäre  zu  bestimmen),  vom  Datum 
der  Untersuchung  des  Streitfalles  an  gerechnet, 
vollendet  sein,  aber  die  Streitteile  behalten  sich 
das  Recht  vor,  unabhängig  von  dem  Befund,  nach 
erfolgter    Berichterstattung    zu    handeln. 

Der    Plan    und    seine    Aufnahme. 

Die  wichtigsten  Punkte  des  Ueberein- 
kommens,  das  der  Präsident  mit  Zustimmung 
des  Senats  mit  anderen  Nationen  einzugehen 
bereit  ist,  sind  im  obigen  Entwurf  genannt. 
Die  Tatsache,  daß  sich  der  Entwurf  nicht 
in  Details'  verlieren  will,  kann  am  besten 
dadurch  erklärt  werden,  daß  Details  unter- 
geordnete Bedeutung  haben  und  zwischen 
zwei  abschließenden  Staaten  in  verschiedenen 
Fällen  verschieden  sein  können.  Die  den 
ausländischen  Diplomaten  überreichte  Aus- 
fertigung enthält  bloß. den  hauptsächlichsten 
Vorschlag,  das  heißt,  daß  der  Präsident  der 
Vereinigten  Staaten  bereit  ist,  Abkommen 
mit  ausländischen  Ländern  zu  schließen,  die 
auch  andere  "Methoden  zur  Schlichtung  et- 
waiger Streitigkeiten  vorsehen,  und  die  haupt- 
sächlich jene  Fragen  betreffen,  die  nicht  in 
einem  gewöhnlichen  Schiedsvertrag  ein- 
bezogen sind.  Schiedsverträge  nehmen  immer 
gewisse  Fragen  von  der  schiedsgerichtlichen 
Austragung  aus,  und  wenn  sie  es  nicht  tun, 
so  kann  trotzdem  eine  Lücke  in  der  Tat-* 
sache  gefunden  werden,  daß  die  Schieds- 
gerichtsbarkeit nicht  obligatorisch  ist  und, 
zumeist,  nicht  obligatorisch  gemacht  werden 
kann.  Es  wurde  vorgeschlagen,  diesen  Plan 
als  eine  Klausel  den  künftigen  Schieds- 
verträgen einzuverleiben,  damit  den  Ein- 
wendungen, die  gegen  dieses  Abkommen,  das 
auch  Fragen  nationaler  Ehre  einschließt,  da- 
durch begegnet  wird.  Aber  sei  es  als  Separat-, 
sei  es  als  allgemeines  Abkommen  über  Schieds- 
gericht und   Untersuchung,   —   diese   Klausel 


wird  immer  einen  wohltätigen  Einfluß  aus- 
üben. Während  dieser  Artikel  verfaßt  wird, 
haben  schon  26  Nationen  den  Vorschlag  des 
Präsidenten  Wilson  wohlwollend  in  Erwlägung 
gezogen. 

Ueber  die  Zeit,  in  der  der  Bericht  er- 
stattet werden  muß,  müßte  man  sich  noch 
schlüssig  werden,  aber  jede,  wenn  auch  noch 
so  kurze  Zeit  läßt  eine  Möglichkeit  zur  Unter- 
suchung und  zur  Beratung,  und  es  ist  zu 
hoffen,  daß  die  festgesetzte  Zeit  genügen 
wird,  um  eine  kriegslose  Schlichtung  zu  sichern. 

Zum  Schluß  möchte  ich  sagen,  daß,  alles 
in  allem  genommen,  die  den  Weltfrieden  und 
das*  Gedeihen  verheißenden  Bedingungen  nie- 
mals günstiger  waren  als  jetzt,  und  indem  ich 
dies  behaupte,  beziehe  ich  mich  hauptsäch- 
lich auf  jene  Kriege,  die  sich  zwischen  zwei 
großen  Mächten  ereignen  könnten,  die  früher 
oder  später  anderer  Mächte  Krieg  ver- 
anlassen würden.  Das  würde  Hunderte  an 
Millionen,  das  Leben  von  Hunderten  und  Tau- 
senden Menschen  kosten,  und  an  Zeit  Mo- 
nate, vielleicht  Jahre  beanspruchen.  Die 
Hauptsache  ist,  uns  einander  davon  zu  über- 
zeugen, daß  wir  zur  Schlichtung  der  Streit- 
fälle an  Stelle  des  Krieges  das  Recht  setzen 
wollen,  weil,  „wo  ein  Wille  ist,  auch  ein 
Weg  ist." 


Patriotismus 
und  Dividendenhunger. 

Von    L.    P  e  r  s  i  u  s , 
Kapitän   zur   See   a.  D.,    Berlin. 

Die  Firma  Krupp  schüttet  dieses  Jahr 
eine  Dividende  von  14%  aus.  1909/10  be- 
trug die  Dividende  8%,  1910/11  10%  und 
1911/12  12 o/o.  Man  sieht,  das  Waffengeschäft 
steht  in  steigender  Blüte,  und  auch  für  die 
Zukunft .  brauchen  die  Aktionäre  keine  Sorge 
zu  haben.  Fast  in  allen  Ländern  ist  die 
Rüstungsschraube  in  Bewegung,  die  für  sie 
arbeitet.  Deutschland  ging  voran  mit  seinem 
Milliardenopfer,  von  dem  ein  recht  beträcht- 
licher Prozentsatz  in  die  Taschen  der  Militär- 
lieferanten wandern  wird.  Frankreich  mußte 
folgen.  Die  Kosten  seiner  Heeresvermehrung 
betragen  auch  etwa  eine  Milliarde.  Aber  in 
Deutschland  ist  man  nun  keineswegs  zu- 
frieden. Schon  stellt  der  Wehrverein  mit 
Emphase  —  Nachrichten  vom  20.  November 
—  fest,  daß  das  deutsche  Heer  auch  nach 
Durchführung  der  letzten  Vorlage  dem  fran- 
zösischen beträchtlich  unterlegen  sei,  und  es 
werden  verschiedene  Vermehrungen  und  Ver- 
besserungen gefordert.  Die  Zeitschrift  des 
deutschen  Wehrvereins,  „Die  Wehr",  sagte 
wörtlich  in  ihrer  September- Nummer  1913: 
„Die  französische  Armee  hatte  bisher  eine 
Kopf  stärke  von  rund  620  000  Mann,  denen 
wir  rund  670000  Mann  gegenüberstellten." 
Nach    den    neuen    Berechnungen    des    Wehr- 


446 


@= 


=  DIE  FRIEDEN5-WARXE 


Vereins  wird  im  Oktober  1915  —  nach  Durch- 
führung der  beiderseitigen  Vermehrungen  — 
die  Stärke  des  deutschen  Heeres  823300 
Mann,  die  des  französischen  898000  Mann 
betragen.  Also  gibt  der  Wehrverein  zu,  daß 
das  Resultat  des  deutschen  Milliardenopfers 
uns  eine  relative  Verschlechterung  unserer 
militärischen  Stärke  gegenüber  der  französi- 
schen  Armee  brachte! 

Hervorragende  Staatsmänner  haben  ver- 
schiedentlich öffentlich  in  Zeitschriften  u.  a. 
ausgesprochen,  daß  es  keiner  französischen 
Regierung  je  gelungen  wäre,  das  Gesetz  über 
die  dreijährige  Dienstzeit  in  Frankreich  durch- 
zudrücken, wenn  nicht  Deutschland  durch 
die  Riesen  Verstärkung  seines  Heeres  den  An- 
laß gegeben  und  den  Weg  freigemacht  hätte. 
Hierüber  besteht  ja  auch  unter  objektiv 
Urteilenden  keine  Meinungsverschiedenheit. 
Früher  standen  wir  also  sicherer  da.  Jetzt, 
nach  Erlegung  einer  Milliarde,  die  aufzu- 
bringen unendlich  böses  Blut  machte,  finden 
wir  uns  in  schlechterer  Position.  Wer  hat 
den  Vorteil  von  den  beiderseitigen  Müliarden- 
spenden?  Die  Rüstungsinteressenten,  auf 
deren  Betreiben  ja  auch  nur  die  Heeres- 
vermehrungen hüben  und  drüben  vor- 
genommen  wurden. 

Das  Vorgehen  Deutschlands  und  Frank- 
reichs findet  naturgemäß  ein  Echo.  Auch 
Oesterreichs  und  Italiens  Rüstungsfirmen 
wollen  am  Gewinn  Beteüigung  haben.  Ob 
ihnen  das  zurzeit  gelingen  wird,  da  die 
Staatsfinanzen  alles  andere  als  glänzend  sind, 
ist  freilich  fraglich.  Sie  werden  sich  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  etwas  gedulden 
müssen!  Es  verlautet,  daß  die  österreichisch- 
ungarische Heeresvermehrung  sich  in  engen 
Grenzen  halten  wird,  und  die  Flottenbau- 
pläne der  Doppelmonarchie  wie  auch  die 
Italiens  sind  äußerst  beschränkt.  Der  Ersatz 
der  österreichischen  „Monarch"-Klasse  wird 
vorläufig  noch  nicht  vom  Marinekomman- 
danten gefordert  werden  —  so  besagt  eine 
offiziöse  Versicherung  — ,  und  der  italienische 
Marineminister  verlangt  nur  eine  sehr  be- 
scheidene Summe,  um  einen  Dreadnought 
auf  Stapel  legen  zu  können.  Dahingegen 
wird  das  britische  nächste  Flottenbudget  eine 
abermalige  Steigerung  aufweisen.  Es  wird 
sich  nach  Ankündigung  Mr.  Churchills  zum 
erstenmal  über  eine  Müliarde  erheben.  Das 
diesjährige  belief  sich  bereits  auf  944,7  Mill. 
Mark.  —  "Rußlands  Marineetat  endlich  betrug 
1912355  Mill.,  1913  497,4  und  der  nächstjährige 
soll  um  120  Millionen  anschwellen.  Kurz, 
die  Aussichten  für  die  Waffenfabrikanten, 
die  Rüstungslieferanten  und  die  Erbauer  von 
Kriegsschiffen  sind  rosig,  und  mit  den  stei- 
genden Dividenden  wächst  ihr  Patriotismus, 
der  sie  heißt,  nach  weiterer  Rüstung  zu  rufen.' 
Als  wahrer  Vaterlandsfreund  gilt  zumeist 
nur,  wer  Heer  und  Flotte  nie  stark  genug 
haben  kann,  wer  unentwegt  die  Aufstellung 
neuer    Armeekorps    und     den     Bau    weiterer 


Dreadnoughts  fordert.  Man  geht  nicht  fehl, 
wenn  man  annimmt,  daß  die  Kreise,  welche 
„patriotisches  Fühlen"  in  Erbpacht  erklärt 
haben,  mehr  oder  minder  sämtlich  an  der 
Waffenfabrikation  und  an  Armee-  und 
Marinelieferungen    interessiert    sind. 

Der  Biegriff  „patriotisches  Fühlen"  ist 
nicht  einfach  zu  definieren.  Die  nationalisti- 
schen Kreise  in  Deutschland  wünschen  jetzt 
eine  Verstärkung  der  Seerüstung,  d.  h.  die 
Kreise,  die  dem  Flottenverein  nahestehen. 
Der  Konkurrenzneid  zwischen  Wehr-  und 
Flottenverein  hindert  eine  Verständigung  über 
die  Ziele  und  über  eine  entsprechend  ab- 
wechselnd einsetzende  Agitation.  1912  wurde 
freilich  erst  die  letzte  Flottennovelle  geboren, 
die  ein  drittes  aktives  Geschwader  zu  acht 
Linienschiffen  usw.  brachte.  Aber  die  große 
neue  Heeres  Vermehrung  reizt  direkt,  nun 
auch  für  die  Marine  einen  gehörigen  Macht- 
zuwachs zu  fordern.  Vornehmlich  ist  es  neuer- 
dings der  bedrohliche  Ausbau  der  russischen 
Seemacht  in  der  Ostsee  —  es  werden  eine 
größere  Anzahl  von  Schlacht-  und  geschützten 
Kreuzern  gebaut  — ,  der  zur  Begründung  der 
Propaganda  für  den  forcierten  Bau  von 
Schlachtkreuzern  usw.  herhalten  muß.  Ab- 
gesehen von  den  verschiedenen  Torpedobooten 
und  Zerstörern,  die  auf  deutschen  Werften 
für  die  russische  Regierung  hergestellt  werden, 
befinden  sich  bei  Schichau  in  Elbing  zwei 
geschützte  Kreuzer  von  je  4500  t  Deplace- 
ment für  Rechnung  der  russischen  Regierung 
im  Bau.  Schichau  hat  zu  gleicher  Zeit  einen 
Schlachtkreuzer  —  Ersatz  „Kaiserin  Augusta" 
—  für  die  deutsche  Marine  in  Arbeit.  Die 
Aktionäre  der  Firma  ziehen  also  Nutzen  von 
Freund  und  Feind,  von  den  Kreuzerbauten 
Deutschlands  und  Rußlands.  Und  russische 
und  deutsche  Steuerzahler  füllen  ihre  Taschen. 
Einen  Spion  steckt  man  ins  Zuchthaus,  vor- 
ausgesetzt, daß  man  seiner  habhaft  wird. 
Sein  unheilvolles  Treiben  könnte  dem  Lande 
vielleicht  Nachteil  bringen.  Russische  Kreuzer 
und  Torpedoboote  werden,  falls  es  zum  Krieg 
kommt,  bestimmt  zu  unserm  Schaden  ein- 
gesetzt werden.  Es  sei  die  Frage  gestattet: 
Verträgt  es  sich  mit  „patriotischem  Fühlen", 
wenn  man  dem  voraussichtlichen  Gegner 
Waffen  gegen  das  eigene  Land  in  die  Hand 
gibt? 

Und  den  gleichen  Fall  erleben  wir  an 
unsern  Parsevals.  England  gelang  es  bisher 
nicht,  in  der  Luftfahrt  vorwärts  zu  kommen. 
Die  Konstruktionen  der  im  eigenen  Lande 
erbauten  Luftschiffe,  wie  Alpha,  Beta  usw., 
waren  so  fehlerhaft,  daß  man  ein  Fiasko 
nach  dem  andern  erlebte.  Nun  wurde  ein 
Parseval  angekauft.  Er  befriedigte  ungemein, 
und  jetzt  werden  schon  drei  neue  Luftschiffe 
nach  dem  Parseval-Modell  hergestellt.  In 
England  ist  man  in  großer  Sorge  vor  der 
deutschen  Ueberlegenheit  in  der  Luft.  Aber 
deutsche  Firmen  verkaufen  ihre  Erzeugnisse 
an  den   voraussichtlichen   Gegner.      Parsevals 


447 


DIE  FBIEDENS  -WARTE 


G) 


gingen  n.  b.  auch  nach  Rußland,  Japan  usw. 
Verträgt  sich  ein  solcher  Verkauf  mit  „patri- 
otischem Fühlen"  ?  So  selbstverständlich  die 
Antwort  hierauf  lauten  wird  „nein",  ebenso 
selbstverständlich  wird  die  Entschuldigung 
lauten :  „Es  geschieht  doch  aber  überall  auf 
der  Welt."  Und  in  der  Tat,  solange  der 
Brauch  nicht  öffentlich  verurteilt,  so- 
lange er  nicht  allgemein  als  unmoralisch  an 
den  Pranger  gestellt  wurde,  darf  man  keiner 
Firma  im  einzelnen  einen  Vorwurf  machen. 
Verkaufen  wir  nicht  Kriegsmaterial  an  das 
Ausland,  so  tut  es  ein  anderer.  Wir  würden 
nur  der  Konkurrenz  in  die  Hände  arbeiten. 
In  Anklagezustand  sind  die  Völker  in  ihrer 
Gesamtheit  zu  versetzen,  die  solche  Unmoral 
dulden. 

Die  Privatwerften  jedes  Landes,  n.  b., 
soweit  sie  {Bjesteller  finden,  arbeiten  für  die 
eigene  Marine  ebenso  wie  für  Freund  und 
Feind.  Man  freut  sich,  wenn  sie  Aufträge 
fremder  Regierungen  erhalten.  Man  unter- 
stützt alle  Bestrebungen,  die  darauf  abzielen, 
ihnen  solche  zu  sichern.  Die  Marineverwal- 
tungen selbst  bemühen  sich  in  dieser  Hinsicht. 
Es  werden  Reklamefahrten  von  Kriegsschiffen 
nach  fernen  Ländern  veranstaltet.  So  jetzt  die 
Reise  der  beiden  deutschen  Dreadnoughts 
nach  Südamerika.  —  Soweit  es  sich  um 
exotische  Staaten  handelt,  mit  denen  man  nie 
in  einen  kriegerischen  Konflikt  verwickelt 
wird,  mag  es  hingehen,  wenn  es  auch  besser 
unterbliebe.  Wozu  die  Hand  auch  nur  zum 
Bau  von  Miniatur-Flotten  leihen?  Selbst 
solche  tragen  zum  Rüstungswettbewerb  bei. 
Aber  etwas  ganz  anderes  ist  es,  wenn  es  sich 
um  Lieferungen  für  die  voraussichtlichen 
Gegner  handelt.  Und  dennoch  kennt  man  in 
dieser  Beziehung  nirgends  den  geringsten 
Skrupel.  Warum?  Allerorten  sehen  wir  in 
den  Parlamenten,  in  den  Präsidien  nationa- 
listischer Vereine,  unter  den  in  der  Presse 
arbeitenden,  in  Rüstungsfragen  maßgebenden 
Generalen  und  Admiralen  solche,  die  an  der 
Waffenfabrikation  interessiert  sind.  Mit 
größter  Ungeniertheit  widmen  sie  sich  der 
Verhetzungsarbeit  der  Völker,  agitieren  für 
Rüstungsstärkung,  und  fallen  über  jeden  her, 
der  ihnen  entgegentritt.  Das  ist  besonders  in 
Deutschland  der  Fall,  wo  Achtung  vor  poli- 
tischer Gesinnung  ein  unbekannter  Bjegriff 
ist,  wo  sich  selbst  z.  B.  das  Regierungsblatt 
nicht  von  dem  Versuch  freihält,  Kritiker 
durch  persönliche  Verunglimpfung  in  der 
Öffentlichkeit  zu  diskreditieren.  Nur  die, 
welche  ständig  für  Heeres-  und  Flotten- 
vermehrung eintreten,  sind  die  wahren  Vater- 
landsfreunde, denen  es  ihr  Pflichtgefühl  vor- 
schreibt, anzukämpfen  gegen  den  Unverstand 
derer,  die  sich  etwa  vermessen,  darauf  hin- 
zuweisen, wie  sinnlos  das  Wettrüsten  ist,  das 
an  dem  relativen  Stärkeverhältnis  nichts 
ändert.  Jede  andere  Ansicht  wird  von  ihnen 
als  vaterlandslos  gekennzeichnet.  Sie  be- 
herrschen die   Öffentlichkeit   und   die  Volks- 


vertretung. Die  Rüstungsfirmen  mit  ihren 
gewaltigen  Gewinnen  und  ihrer  Gefolgschaft 
haben  auch  die  Presse  fast  vollkommen  in 
ihrer  Gewalt.  Ueberall,  ob  in  Staatsbetrieben 
oder  im  Parlament,  macht  sich  ihr  Einfluß 
geltend. 

Eine  diese  Verhältnisse  in  England 
charakterisierende  Flugschrift  erschien  vor 
kurzem  in  Manchester  unter  dem  Titel  „the 
war  trust  exposed".  Es  werden  die  britischen 
Rüstungsfirmen  aufgezählt,  ihre  Aktionäre, 
ihre  Angestellten,  und  es  wird  bemerkt, 
welche  von  ihnen  im  Parlament  sitzen.  Der 
Ring  der  Harved  united  steel  Co.  wird  be- 
leuchtet, zu  dem  englische,  nordamerika- 
nische, französische,  italienische  und  deutsche 
Firmen  gehören.  Die  Machtstellung  der 
Waffenfirmen  den  Regierungen  gegenüber 
wird  geschildert.  Verschiedentlich  herrscht 
volle  Monopolisierung.  So  wurde  z.  B.  bis- 
her kein  Zerstörer  und  kein  Torpedoboot 
auf  einer  englischen  Staatswerft  erbaut. 
—  Das  ist  in  Deutschland  der  gleiche  Fall. 
Krupp,  Germania-Werft  in  Kiel,  Vulkan  in 
Stettin  und  Schichau  in  Elbing  bauen  alle 
deutschen  Torpedofahrzeuge.  —  An  ver- 
schiedenen Beispielen,  so  bei  der  Konstruktion 
der  Luftschiffe  und  Flugzeuge,  wird  gezeigt, 
wie  die  Regierung  der  privaten  Tätigkeit  das 
ganze  Feld  überläßt,  und  es  wird  eine  Ueber- 
sicht  gegeben,  wieviel  Prozent  des  Marine- 
budgets an  die  Privatwerften  und  wieviel 
an  die  staatlichen  Werften  fallen.  Die 
Tabelle  zeigt  eine  beträchtliche  Steigerung 
des  Anteils  der  Privatwerften.  So  belief  sich 
z.  B,  derselbe  1900  auf  69,1  o/0  und  1912  auf 
89,5  °/o.  Die  Macht  der  Rüstungsinteressenten 
wird  gewürdigt.  Wenn  einmal  der  Fall  ein- 
trat, daß  die  Herrschaften  nicht  genug  ver- 
dienten, so  wurde  die  navy  league  in  Be- 
wegung gesetzt.  Ihres  Geschreis  —  es  war 
vor  einigen  Jahren  —  „we  want  eight 
and  we  won't  wait  —  wir  wollen  acht 
Schlachtschiffe  und  wir  wollen  nicht  warten  — 
wird  man  sich  noch  erinnern.  Mc.  Kenna 
wurde  auf  die  Knie  gezwungen.  Die  Be- 
stellung für  acht  Linienschiffe,  vier  Kreuzer, 
dreißig  Zerstörer  ging  in  einem  Jahr  an  die 
Privatwerften.  Das  Parlament  bewilligte 
natürlich  diese  exorbitante  Forderung,  weil 
die  Regierung  erklärte,  sie  hätte  sicheren 
Grund  zur  Annahme,  daß  Deutschland  die 
Ausführung  seines  Flottengesetzes  heimlich 
beschleunige.  Dies  Gerücht  war  von  clen 
Interessierten  in  die  Welt  gesetzt.  Als  es 
sich  später  als  unwahr  herausstellte,  war  es 
zu  spät,  um  die  Massenschiffbauaufträge 
rückgängig  zu  machen.  Die  Privatwerften 
hatten  die  Kiele  schleunigst  gestreckt,  und 
die  Aktionäre  lachten  sich  ins  Fäustchen. 
Welches  die  Leute  sind,  die  hinter  dem  „war 
trust"  stehen,  erfährt  man  ebenfalls  aus  der 
erwähnten  Broschüre.  Es  finden  sich  dort 
recht  bekannte  Namen  von  Earls,  Lords. 
Marquis    usw.       Sie    sind    zugleich    mit    den 


448 


<2) 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


Firmen  genannt,  für  die  sie  sich  inter- 
essieren. Wie  ungeniert  diese  Herren  für 
ihren  Beutel  eintreten,  dafür  ein  Beispiel: 
Laut  Bericht  des  Unterhauses  vom  Jahre 
1912,  Band  35,  Seite  987,  verbreitete  sich 
der  Admiral  Lord  Beresford  des  längeren 
über  die  Notwendigkeit  der  Einführung  eines 
automatischen  Gewehrs  für  das  Heer.  Er 
sagte  u.  a. :  „Also  was  uns  jetzt  vor  allemi 
nottut,  ist  ein  modernes  Gewehr."  Es 
fehlte  nur  noch,  daß  er  hinzugefügt  hätte : 
„und  das  erhält  man  am  besten  bei  Andrew 
and  Co.".  Der  edle  Lord  ist  nämlich  Prä- 
sident der  Gesellschaft  von  Henry  Andrew, 
Ltd.  Sheffield,  einer  Fabrik,  die  in  Stahl 
für  Gewehre,  Schwerter  usw.  arbeitet,  und 
speziell  die  Konstruktion  des  empfohlenen 
neuen    automatischen    Gewehrs    betreibt. 

In  dem  Präsidium  des  englischen  Flotten- 
vereins sitzen  vier  Herren,  die  Miteigentümer 
von  italienischen  Panzerplatten-  und  Ge- 
schützfabriken, einer  österr.  -  ungarischen 
Torpedowerkstatt  —  in  Fiume  —  und  von 
russischen  Werften  sind.  In  der  Jahres- 
übersicht des  Flottenvereins  findet  sich  der 
Passus :  „Großbritannien  ist  nicht  nur  von 
der  rapiden  Entwicklung  deutscher  See- 
geltung abhängig,  sondern  es  muß  auch  mit 
dem  Fortschritt  der  Flotten  seiner  Drei- 
bundsgenossen rechnen."  Man  darf  an- 
nehmen, daß  diese  Worte  den  vier  Präsidial- 
mitgliedern aus  dem  Herzen  gesprochen  sind. 

Auf  die  Frage:  „Wie  läßt  sich  die  Macht 
des  „war  trust"  brechen  ?"  wird  geant- 
wortet :  indem  zunächst  in  allen  Ländern  die 
an  der  Rüstungsfabrikation  Interessierten  an 
den  Pranger  gestellt  werden,  also  besonders 
auch  die  nationalistischen  Vereine,  in  erster 
Linie  die  navy  league,  ferner  die  Direktoren 
und  Aktionäre  von  Rüstungsfirmen,  die  diese 
Vereine  unterstützen,  im  einzelnen  z.  B.  der 
Protektor  der  Luftverteidigungsgesellschaft, 
Admiral  Freemantle,  der  als  Präsident  der 
Deperdussin  Aeroplan  Co.  die  Herrschaft 
Englands  in  der  Luft  gesichert  sehen  will ! 
Dann  wird  die  Verstaatlichung  jeder  Waffen- 
fabrikation   gefordert. 

Die  Verstaatlichung  der  Geschütz-, 
Panzerplatten-,  Geschoß-  und  Pulverfabri- 
kation und  die  der  Werften,  kurz  aller  Be- 
triebe, in  denen  Kriegsmaterial  angefertigt 
wird,  zeigt  in  der  Tat  den  besten  Weg,  wie 
dem  unmoralischen  Handel  mit  Waffen  an 
den  voraussichtlichen  Gegner  ein  Ende  ge- 
setzt werden  kann.  Weiter  aber  wird  die 
Verstaatlichung  der  Waffenindustrie  bald 
ein  Abflauen  des  Rüstungswettbewerbs  her- 
vorrufen. Wenn  keine  Dividenden  mehr  den 
Pseudo-Patriotismus  wachhalten,  werden  die 
Rufe  nach  Verstärkung  von  Heer  und  Flotte 
bald  verstummen.  Die  nicht  mehr  durch  die 
an  der  Waffenindustrie  Interessierten  unter- 
stützten Vereine  und  Zeitungen  werden  dem 
Siechtum  verfallen.  Und  dann  werden  auch 
die   Volksvertreter   endlich    sich   nicht   länger 


der  Stimme  der  Vernunft  verschließen,  "da 
sie  nicht  mehr  durch  die  öffentliche  Meinung 
beeinflußt  werden,  die  militärischen  Forde- 
rungen der  Regierungen  zu  bewilligen.  Und 
sie  werden  bereit  sein  zu  internationalen 
Verhandlungen,  die  die  Beschränkung  der 
Rüstungen   im   Auge   haben. 

Besteht  in  Europa  Aussicht  für  baldige 
Verwirklichung  dieser  Gedanken  ?  Nur  über- 
großer Optimismus  könnte  die  Frage  be- 
jahen. Es  wird  riesenhafter  Anstrengungen 
bedürfen,  ehe  die  Erkenntnis  von  dem  Pseudo- 
Patriotismus der  an  den  Rüstungen  Inter- 
essierten in  der  breiten  Masse  Platz  greift, 
ehe  sie  einsieht,  daß  ihr  nur  durch  den  Divi- 
dendenhunger einer  skrupellosen,  lächer- 
lichen Minorität  enorme  Steuerlasten  auf- 
gebürdet werden,  die  zur  Folge  eine  schier 
fabelhafte  Verteuerung  des  gesamten  Lebens 
haben. 

In  den  Vereinigten  Staaten  sind  Bestre- 
bungen auf  Verstaatlichung  der  Panzer- 
plattenfabrikation im  Gange.  Große  Schwie- 
rigkeiten türmen  sich  auf.  Vielleicht  ist 
trotzdem  Wilson,  der  schon  mancherlei 
vollbrachte,  der  Mann,  um  auch  sie  zu  über- 
winden. Auch  sonst  regt  es  sich  in  den 
Staaten  in  besagter  Richtung.  So  wurde 
eine  recht  verständige  Bestimmung  er- 
lassen :  Kein  Marineoffizier  darf  nach  seiner 
Verabschiedung  eine  Stellung  in  Privat- 
betrieben annehmen,  die  für  die  Flotte  ar- 
beiten. Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  frühere 
Offiziere  ihre  Beziehungen  zu  aktiven  Kame- 
raden vielleicht  nicht  immer  unter  Wahrung 
des  Interesses  des  Fiskus  ausnutzen.  Auch 
in  Deutschland  bricht  sich  jetzt  diese  An- 
sicht Bahn.  Hauptmann  Stavenhagen  schrieb 
in  der  „Zukunft",  daß  der  jetzige  Zustand 
bei  uns  unhaltbar  sei.  -Der  Gesetzgeber 
müsse  einschreiten.  Es  müsse  verboten 
werden,  daß  inaktive  Offiziere  in  der 
Rüstungsindustrie  beschäftigt  würden.  Ein 
solchest  Verbot  wäre  allerdings  schon  ge- 
eignet, dem  Rüstungswettbewerb  etwas  das 
Wasser  abzugraben.  Gar  zu  viele  inaktive 
Offiziere  werden  jetzt  durch  ihr  Inter- 
esse an  den  Dividenden  der  Waffen- 
firmen verleitet,  als  Vorkämpfer  für  ver- 
stärkte Rüstungen  aufzutreten.  Immer- 
hin bedeuten  dergleichen  Maßnahmen  nur 
das  Auslaufen  eines  Tropfens  aus  dem  Meer 
der  jetzt  in  Flor  stehenden  Unmoral.  Nur 
die  Verstaatlichung  der  Waffenindustrie  kann 
den  für  das  Wohl  der  Völker  verhängnis- 
vollen Patriotismus  und  Dividendenhunger 
beseitigen. 


Knistern  im  Gebälk. 

Die  Rüstungen  wachsen  zwar  in  allen 
Ländern  unausgesetzt  weiter,  aber  es  zeigt 
sich  doch,  daß  immer  mehr  und  mehr  die 
in      verantwortlichen       Stellen       befindlichen 


449 


DIE  FßlEDEN5-^/ACTE 


& 


Männer  öffentlich  und  mit  Nachdruck  gegen 
dieses   Ueberwuchern   Stellung  nehmen. 

Eine  ganze  Blütenlese  offizieller  Reden 
gegen  das  Wettrüsten  haben  wir  diesmal  zu 
verzeichnen.  In  erster  Reihe  steht  wieder 
England,  wo  nicht  weniger  als  vier  ver- 
antwortliche Staatsmänner  zu  Worte  kamen, 
einer  sogar  mehrere  Male.  Am  8.  November 
war  es'  der  Lord-Schatzkanzler  Lloyd  George, 
der  in  einer  Rede,  die  er  in  M  i  d  d  1  e  s  - 
borough  hielt,  sägte,  „es würde  besser  für 
Deutschland,  England,  Frankreich  und  Ruß- 
land sein,  wenn  sie  ihre  Ausgaben 
für  die  Rüstungen  in  die  Nordsee 
werfen  würden,  als  daß  sie  sie  für  die 
fürchterlichen  Maschinen  und  Werkzeuge  zur 
Menschenschlächterei  verwenden.  Ein  Land 
allein  könne  das'  nicht  tun,  aber  alle  zu- 
sammen könnten  es,  besonders',  wenn  sie 
sich  von  gewissen  Zeitungen  frei  machen 
würden.  Wenn  dieses  Geld  für  soziale 
Reformen  verwendet  würde,  so  würde  ein 
neues'   England    erstehen." 

Der  Marineminister  Churchill,  der  noch 
im  Oktober  seinen  Vorschlag  auf  Herstellung 
eines'  Feierjahres  im  Flottenbau  wiederholt 
hatte,  benutzte  das  Lord-Mayors-Bankett 
(10.  Nov.),  um  weitere  große  Auslagen  für 
die  Rüstungen  zu  Wasser  und  in  der  Luft 
anzukündigen.  Es'  war  keine  Inkonsequenz 
in  seinen  Worten,  denn  er  berief  sich  auf 
die  steigenden  Rüstungen  der  anderen  Mächte, 
die  die  englische  Regierung  veranlaßten,  die 
Wehrauslagen  neuerdings  zu  steigern.  Das 
ist  die  natürliche  Folge  seines  Feierjahr- 
Vors'chlages,  der  bislang  nicht  angenommen 
wurde.  Es1  ist  nicht  unwichtig,  die  Worte 
des  englischen  Marineministers,  der  die  Ver- 
geudung des  Volksvermögens  durch1  den 
Rüstungswettbewerb  wie  kein  anderer  in  ähn- 
licher Stellung  beklagt,  hier  festzuhalten : 
„Sie  dürfen  jedoch  nicht  annehmen,"  so 
führte  er  aus,  „daß  gegenwärtig  ein  Nach- 
lassen unserer  Bemühungen  möglich  ist, 
noch  dürfen  Sie  glauben,  daß  eine  Ver- 
minderung der  Last,  die  wir  tragen,  und 
die  jedes'  andere  Land  außer  dem  unsrigen 
erdrücken  würde,  in  unmittelbarer  Zukunft 
wahrscheinlich  ist.  Die  Stärke  und  die  un- 
gebrochene Entwicklung  der  deutschen  Marine 
und  der  Umstand,  daß  viele  große  und 
kleine  Mächte  auf  der  ganzen  Welt  gleich- 
zeitig große  moderne  Kriegsschiffe  bauen, 
werden  zweifellos'  von  uns  Ausgaben  und  An- 
strengungen verlangen,  die  größer  sind, 
a  1  s'  w  i  r  sie  u  n  s  jemals  zuvor  in 
Friedenszeiten  auferlegt  haben.  Näch- 
stes Jahr  wird  es  meine  Pflicht  sein,  falls 
ich  noch  weiterhin  für  dieses  wichtige  Amt 
verantwortlich  bin,  dem  Parlament  Vor- 
anschläge zu  unterbreiten,  die  wesent- 
lich höher  sind  als  die  ungeheure  Summe, 
die  ursprünglich  im  gegenwärtigen  Jahre  be- 
willigt wurde.  Die  Regierung  wird 
gern-    jede     günstige     Gelegenheit 


ergreifen,  um  den  Wettbewerb  in 
Marine-  und  Heeresrüstungen  zu 
vermindern,  die  unheilvoll  und 
ein  Vorwurf  für  das  moderne 
Europa  sind.  Was  aber  notwendig  ist, 
muß  getan  werden  (Beifall),  und  wir  werden 
keinen  Augenblick  zögern,  uns  frank  und  frei 
um  Bewilligung  von  Mannschaften  und 
Geld   an   das   Parlament  zu  wenden." 

Einige  Tage  später,  am  15.  November, 
sprach  Churchill  in  einer  großen  liberalen 
Massenversammlung  über  „D  ie  Rüstungs- 
sklaverei".  Er  nahm  Bezug  auf  eine  Be- 
merkung des  Vorsitzenden  jener  Versamm- 
lung, des1  Abgeordneten,  P  e  r  cy  AI  den,  der 
dem  Marineminister  besten  Erfolg  wünschte 
zu  seinen  Bemühungen,  mit  Deutschland  zu 
einem  Uebereinkommen  über  die  Rüstungen 
zu  gelangen.  Churchill  sagte :  „W  a  s 
könnte  ein  bißchen  mehr  guter 
Wille  tun.  Es  ist  unmöglich,  die  direk- 
ten und  indirekten  Lasten  zu  berechnen,  die 
gegenwärtig  auf  Europa  liegen.  In  den  letz- 
ten fünf  Jahren,  seitdem  wir  die  Verantwort- 
lichkeit der  Regierung  tragen,  haben  Frank- 
reich, Deutschland  und  Rußland  allein  ihre 
Jahresausgabe  für  Rüstungen  um  70  Millionen 
Pfund  jährlich  erhöht.  Davon  wurde  ein 
großer  Teil  für  die  Flotten  ausgegeben,  so 
daß  wir  natürlich  auch  eine  große  Summe 
daransetzen  mußten.  Die  Frage  ist  die:  Ist 
einer  von  uns  sicherer  durch  diese  un- 
geheuren Opfer,  die  wir  ein  jeder  allen  auf- 
erlegt haben  ?  Fühlen  Sie  nicht  zuweilen, 
daß  dies  alles  nur  eine  Laune  ist,  daß  wir 
durch  die  Stärke  eines'  Papierblattes  von 
einem  Zustand  des  Weltbewußtseins,  des 
Weltvertrauens,  von  einer  Welt  internatio- 
naler Freundschaft  getrennt  sind,  die  all  diese 
beklagenswerten  Vorbereitungen  überflüssig 
machen  oder  imstande  sein  würde,  eine  un- 
geheure Ermäßigung  herbeizuführen  ?  Wenn 
ich  an  den  heutigen  Zustand  Europas  denke, 
mit  all  seinen  immer  offenherziger  unter- 
einander vermischten  Nationen,  mit  all  seinen 
die  höchste  Freundschaft  für  die  anderen 
Staaten  bekundenden  Regierungen,  mit  all 
seinen  durch  Blut  und  Interessen  mit  den 
Häuptern  aller  andern  Mächte  verbundenen 
Souveränen,  mit  all  seinen  die  äußerste 
Korrektheit  bekundenden  auswärtigen  Aem- 
tern,  und  doch  diese  alle  in  der  Sklaverei  der 
Rüstungen  gefangen  sehe,  auf  einem  in  der 
Geschichte  noch  nie  dagewesenen  Maß- 
stabe, der  weit  überragt,  was  in  den  wil- 
desten und  barbarischsten  Zeitaltern  sich  er- 
eignet hat,  so  kann  ich  mir  nicht  helfen, 
immer  wieder  an  die  Geschichte  jenes  spa- 
nischen Gefangenen  erinnert  zu  werden,  der 
zwanzig  Jahre  in  einem  Kerker  schmachtete, 
bis  er  eines  Tages  zufällig  an  die  Tür  seiner 
Zelle  stieß,  die  all  die  Zeit  unverschlossen 
war,  so  daßi  er  frei  hinausgehen  konnte.  Und 
das  Empfinden  überkommt  mich,  um  wieviel 
besser  wir   die  Welt  machen   könnten,   wenn 


450 


<S) 


DIE  Fßl EDENS -^/ARTE 


alle  Völker  und  Klassen  zusammen  wirken 
würden.  Was  die  Regierung  anbelangt, 
wird  kein  Schritt  unversucht  bleiben,  der  nur 
irgendeine  Aussicht  auf  Ermäßigung  des  er- 
drückenden Rüstungswettbewerbs  bieten 
könnte." 

Am'  18.  November  war  es  der  Lordkanzler 
Haidane,  der  anläßlich  eines  Bankettes,  das 
den  Delegierten  der  Seesicherheits-Kon- 
ferenz  zu  Ehren  veranstaltet  wurde,  auf  die 
große  Frage  zu  sprechen  kam.  „Ich  glaube, 
die  Zeit  wird  kommen,"  sagte  der  Lord- 
kanzler, „wo  man  sich  wundern  wird,  daß  wir 
mit  so  viel  Aufwand  eine  so  große  Aufmerk- 
samkeit dem  Schutze  vor  unserer  gegen- 
seitigen Furcht  widmen,  statt  uns  den 
großen  gemeinsamen  Aufgaben,  die  die 
Menschheit  besser  machen  als  sie  in  der 
Vergangenheit  war,  zu  widmen.  Ich  bin  nicht 
einer  derjenigen,  die  glauben,  daß  diese  Tage 
bald  kommen  werden,  aber  einer  jener,  die 
glauben,  daßi  jeder  nach  dieser  Richtung 
unternommene  Schritt,  daß  jede  die  Nationen 
zu  gemeinsamen  Wirken  zusammenbringende 
Gelegenheit  doch  ein  Schritt  nach  vorwärts 
in  der  Entwicklung  jenes  großen  Traumes 
ist,  der  die  Völker  eines  Tages  in  engere  Ver- 
bindung bringen  wird,  als  wir  es  in  der  Ver- 
gangenheit  jemals   gekannt   haben." 

Auf  dem  Kongreß  der  nationalliberalen 
Föderation,  der  am  27.  November  in  Leeds 
stattfand,  und  der  sich  in  der  Hauptsache  mit 
der  Einschränkung  der  Rüstungen  befaßte, 
sprach  Premierminister  Asquith.  Er  wies 
auf  die  ungeheure  Vermehrung  der  Rüstungen 
hin  und  sagte:  Die  britische  Reg'ierung  be- 
klage diese  in  der  gianzen  Welt  zutage  tretende 
riesige  A  blenkung  von  Nationalver- 
mögen in  unproduktive  Kanäle. 
Ein  englisches  Kabinett,  das  aus  Leicht- 
fertigkeit oder  im  Geiste  ruhmsüchtigen 
Wetteifers1  oder  rücksichtsloser  Herausforde- 
rung die  Ausgaben  für  die  Rüstungen  um 
nur  ein  einziges  Pfund  erhöhte,  würde  ein 
Verbrechen  an  der  Nation  begehen.  Die  Re- 
gierung könne  sich  dieses  Vorwurfs  nicht 
schuldig  bekennen.  Sie  habe  eine  ernste  Auf- 
gabe zu  erfüllen,  und  in  ihrer  Ausführung  sei 
es  ihre  Pflicht,  ein  wachsames  Auge  zu  haben 
auf  das,  was  die  übrigen  Nationen  täten,  und 
ununterbrochen  die  weltumfassenden  Inter- 
essen zu  verfolgen,  über  die  sie  zu  wachen 
habe." 

Asquith  fuhr  fort :  „Sie  mögen  fragen, 
wie  lange  dieser  Zustand  dauern  wird.  Ich 
habe  letzthin  auf  dem  Guildhall-Bankett  eine 
Mahnung  und  einen  Appell  sowohl  an  die 
Staatsmänner  als  an  die  Geschäftsleute  der 
Welt  gerichtet.  Sie  mögen  sagen,  meine 
Worte  seien  gut,  aber  wie  stehe  es  mit  den 
Taten  ?  Meine  Antwort  ist  —  und  ich  bin 
weder  Schönredner  noch  sentimental:  Kein 
wirklicher  Erfolg  kann  erreicht 
werden  ohne  die  Zusammenarbeit 
der  Großmächte  der  Welt,  herbei- 


geführt durch  das  Verlangen  ihrer 
Völker.  Ich  für  meine  Person  glaube,  daß 
die  ständig  wachsende  Belastung  durch  neue 
Steuern  und  die  zunehmende  Schuldenlast 
den  Erfolg  haben  werden,  das  herbeizuführen, 
was  die  Philanthropen  und  Idealisten  vergeb- 
lich versucht  haben,  zu  erreichen.  Wir  werden 
begierig  jede  Gelegenheit  ergreifen,  welche 
wir  entdecken  oder  schaffen  können,  um  die 
Lasten  allgemein  zu  erleichtern,  die  die  besten 
Hoffnungen  und  das  beste  Streben  der 
Menschheit    beschweren." 

Nicht  nur  aus'  England  allein  sind  solche 
Aeußerungen  zu  melden.  Auch  im  amerika- 
nischen Repräsentantenhause  trat 
man  für  die  Flottenverminderung  ein.  In  der 
Sitzung  des  Repräsentantenhauses  vom 
31.  Oktober  wurde  eine  Resolution  vor- 
geschlagen, die  Churchills  Vorschlag  für  ein 
Flottenfeierjahr  befürwortete.  Die  Bedeu- 
tung der  Debatte  liegt  in  der  Tatsache,  daß 
sich  die  Häupter  der  beiden  Parteien, 
Mr.  Mann,  der  Leiter  der  republikanischen 
Minderheit,  und  der  Speaker  Clark,  der  den 
Präsidentensitz  zur  Unterstützung  der  Re- 
solution verließ,  und  der  Führer  der  demo- 
kratischen Mehrheit  ist,  sich  gleichmäßig 
energisch  dafür  einsetzten.  Der  Sprecher 
Clark  bezeichnete  dabei  die  Methode  der 
großen  Rüstungen  als  „das  idiotischste 
Vorgehen,  das  die  Menschheit  kennt." 
Der  Sekretär  der  Flotte,  Mr.  Daniels,  sprach 
sich  ebenfalls  zugunsten  des  Churchillschen 
Vorschlages  aus.  Auch  in  der  Sitzung  vom 
30.  November,  über  die  uns  erst  e*ine  ganz 
kurze  telegraphische  Meldung  vorliegt,  gab 
Marinesekretär  Daniels  bei  Unterbreitung 
des  Flottenvoranschlages  der  Hoffnung  Aus- 
druck, daß  die  Vereinigten  Staaten 
die  Initiative  ergreifen  werden, 
um  unter  den  Mächten  eine  dau- 
ernde, gegen  das  UebermaB  in  "den 
Marinerüstungen  gerichtete  Po- 
litik zu  begründen. 

Endlich  haben  wir  auch  aus  Deutsch- 
land zwei  offizielle  Aeußerungen 
gegen  die  Rüstungen  zu  verzeichnen. 
Die  eine  kommt  von  dem  Ministerpräsidenten 
von  Hertling,  der  in  der  Sitzung  der  baye- 
rischen Kammer  vom  29.  November  auf 
die  Haltung  Bayerns  bei  der  Beratung  der 
großen  Wehrvorlage  im  Bundesrat  zu  sprechen 
kam.  Bayern  habe  sich  einer  Notwendigkeit 
gegenübergesehen,  von  einem  besonders 
eifrigen  Willen  könne  nicht  die  Rede  sein. 
Der  Ministerpräsident  schloß  mit  den  denk- 
würdigen Worten:  „In  diesen  Rüstun- 
gen muß  Ruhe  eintreten  auf  Jahre 
hinaus,  denn  das  deutsche  Volk 
ist  nicht  mehr  imstande,  weiter 
solche  Lasten  auf  sich  zu  nehme n.'u 

Die  andere  Aeußerung  finden  wir  im  Par- 
lament des  Hamburger  Senats,  wo  "bei 
der  Beratung  der  Universitätsvorlage  der 
Senatskommissar,      Senator     Heidmann,    fol- 


451 


DIE  FRIEDENS -NVADTE  = 


3 


gendes'  sagte:  ,,Die  neue  Universität  soll 
ein  Werkzeug  des  Friedens  werden,  ein  Werk- 
zeug des  Friedens,  indem  es  bestimmt  ist, 
den  Kampf  gegen  den  Haß  der  Völker  unter- 
einander zu  führen.  Sind  wir  hierin  erfolg- 
reich, und  gelingt  es  uns,  mit  den  Führern 
anderer  Nationen,  die  dasselbe  Ziel  wie  wir 
verfolgen,  die  Völker  zu  überzeugen,  daß  ihre 
wirtschaftlichen  und  kulturellen  Interessen 
auch  durch  einen  siegreichen  Krieg  nicht  ge- 
fördert, sondern  geschädigt  werden,  —  daß 
jeder,  welcher  Nation  er  auch  angehöre,  der 
neue  Werte  schafft,  allen  Völkern  nützt,  — 
daß  ein  Krieg  unter  den  Großmächten,  wie 
er  uns  monatelang  jetzt  gedroht  hat,  die 
Weltkultur  um  ein  Menschenalter  oder  länger 
zurückdrängen  würde,  gelingt  uns  dieses,  so 
magderZeitpunkt  kommen,  andern 
man  daran  denken  kann,  die  immer 
wachsenden  schweren  Belastun- 
gen aller  Völker  durch  die  enor- 
men Rüstungen  einzuschränken 
und  einen  Teil  der  Gelder,  die  hier- 
für ausgegeben  werden,  für  kul- 
turelle   Zwecke    zu   benutzen." 

Wer  nach  all  diesen  Aeußerungen  —  und 
sie  können  ja  nicht  einmal  Anspruch  machen 
auf  Vollständigkeit  —  die  richtigen  Schlüsse  zu 
ziehen  versteht,  der  wird  zugeben  müssen, 
daß  das  Werk  der  internationalen  Kritik  und 
der  internationalen  Opposition  gegen  das 
Rüstungswesen  bei  den  Regierungen  selbst 
schon  seine  Anhänger  gefunden  hat.  Das 
Knistern  im  Gebälk  ist  schon  zu  deutlich 
wahrnehmbar,  um  nicht  den  beglückenden 
Schluß  d,araus'  ziehen  zu  können,  daß  das 
Rüstungsgebäude  in  seinen  Grundfesten  er- 
schüttert ist. 


Die  Friedens-Warte  und  die 
Wissenschaft. 

Ein  kleines  Jubiläum.  Die  „Friedens- 
Warte"  beendigt  mit  der  vorliegenden  Nummer 
ihren  fünfzehnten  Jahrgang.  Aus 
diesem  Anlaß  hat  sich  der  Herausgeber  kürz- 
lich mit  einem  Teil  der  Bezieher  —  soweit  diese 
dem  Verlage  dem  Namen  nach  bekannt  sind  — 
in  Verbindung  gesetzt,  um  ihre  Meinung  und 
ihre  Vorschläge  bezüglich  einer  eventuellen 
Ausgestaltung  des  Blattes  entgegenzunehmen. 
Bei  dieser  Gelegenheit  suchte  er  auch  weiter 
mit  den  betreffenden  Kreisen  in  Fühlung  zu 
treten,  sie  um  ihr  Urteil  über  die  „Friedens- 
Warte"  zu  befragen,  und  zu  erfahren,  wie  weit 
ihr  Interesse  an  den  darin  erörterten  Problemen 
geht.  Das  Ergebnis  dieser  Umfrage  hat  nach 
Zahl  und  Inhalt  das  Erwartete  weit  über- 
troffen. Es  sind  gegen  elf  hundert  Antwort- 
schreiben eingetroffen.  Manche  kurz  die  Fra- 
gen beantwortend,  die  meisten  aber  ausführ- 
lich darauf  eingehend.  An  eine  Veröffent- 
lichung   des    Gesamtergebnisses    ist    bei    dem 


großen  Umfang  nicht  zu  denken.  Man  mußte 
sich  auf  eine  Auswahl  beschränken.  Um  diese 
zu  erleichtern,  entschloß  sich  der  Herausgeber, 
wenigstens  die  Antworten  einer  bestimmten 
Klasse  vollzählig,  wenn  auch  im  Inhalt  nur 
auf  das  wesentlichste  gekürzt,  zu  veröffent- 
lichen. Die  Wahl  fiel  auf  die  Vertreter  der 
Wissenschaft.  Später  sollen  dann,  falls  der 
Raum  es  gestattet,  andere  Klassen  (Parlamen- 
tarier, Mittelschullehrer,  Schriftsteller,  Jour- 
nalisten, Diplomaten,  Bibliotheken,  aka- 
demische Vereinigungen  usw.)  daran  kommen. 

Die  im  nachstehenden  wiedergegebenen 
Aeußerungen  von  ungefähr  100  Gelehrten  be- 
ziehen sich  lediglich  auf  die  Wertschätzung  der 
„Friedens-Warte"  und  der  darin  vertretenen 
Idee.  Es  ist  für  die  Schriftleitung  ganz  be- 
sonders erfreulich,  unter  den  Antwortenden 
eine  stattliche  Reihe  von  Gegnern 
oder  Skeptikern  zu  sehen,  die  trotzdem 
ihr  Interesse  für  das  Blatt  und  ihre  Achtung 
vor  der  Idee  bekunden.  Gerade  daraus  ist 
erkennbar,  daß  die  in  einem  halben  Menschen- 
alter in  der  „Friedens-Warte"  geleistete  Arbeit 
nicht  ohne  Einfluß  auf  die  Entwicklung  des 
Zeitgeistes  geblieben  ist. 

Dr.  Augustin  Alvarez,  Professor 
des  Völkerrechts  in   Buenos  Aires: 

„Je  trouve  ce  Journal  excessivement  in- 
teressant . . ." 

Prof.  H.  G.  Atkins,  Professor  für 
deutsche   Sprache,   London: 

„Sehr  nützlich  und   interessant." 

Dr.  Aladär  B'allagi,  Professor  für 
neue  Geschichte  an  der  Universität  in  Buda- 
pest: 

Interesse:  „Ja,  ein  außerordentliches  so- 
gar, da  meiner  Ansicht  nach  die  Zeitschrift 
nicht  nur  notwendig,  sondern  für  Berufspoli- 
tiker wie  für  Studierende  ungemein  lehr- 
reich  ist." 

Geheimer  Hofrat  Dr.  Karl  Ritter  von 
Biirkmeyer,  Professor  für  Straf  recht  und 
Rechtsphilosophie,  München: 

„. . .  lese  hie  und  da  einzelne  Artikel  mit 
großem  Interesse,  und  lege  schon  Wert  darauf, 
mich  über  den  Inhalt  der  einzelnen  Hefte  so 
bequem  orientieren  zu  können." 

Georg  JBrandes,  Schriftsteller,  K o - 
p  en  hagen: 

„. . .  lese  sie  mit  Vergnügen  . . .  Jch  halte 
die  Zeitschrift  für  wohlgeschrieben  und  gesund 
in  ihrer  Denkart." 

Geh.  Justizrat  Dr.  Siegfried  Brie,  Pro- 
fessor für  Staats-  und  Rechtswissenschaft  an 
der   Universität   Bjreslau: 

„Sie  entspricht  sehr  ihrem  Zwecke." 

Reg.-Rat  Dr.  Karl  B!  rock  hausen,  Pro- 
fessor an  der  Universität  Wien: 

„. . .  großes  Interesse . . ."  „. . .  erstaunt  und 
erfreut  über  den  reichen  Inhalt." 

Dr.  Johannes  Blurchard,  Professor  für 
Rechtswissenschaft  an  der  Akademie  in 
Posen: 


452 


<£ 


=  DIE  FRI  EDENS -^VARXE 


,,. .  .  vielfach  mit  Interesse  die  ganze  Num- 
mer gelesen  . .  .  halte  die  Friedens-Warte  für 
geeignet,  Verständnis  für  die  großen  Fragen 
der  Zukunft  im  Verhältnis  der  Kulturvölker  zu- 
einander zu  wecken  und  zu  vermehren." 

Dr.  Georg  Cohn,  Professor  für  deut- 
sches Privatrecht  an  der  Universität  Zürich: 

Urteil?    „Höchst   anerkennend." 

Geh.  Regierungsrat  Hans  Delbrück, 
Herausgeber  der  „Preußischen  Jahrbücher", 
Professor  für  neuere  Geschichte  an  der  Uni- 
versität   Berlin: 

(Interesse?)  „Ja."  —  (Urteil)  „Wenig 
günstig." 

Avv.  Giulio  D  i  e  n  a ,  Prof essore  Ordinario 
nella  R.  Universitä  di  Torino: 

„La  Friedens-Warte  ha  per  me  molto 
interesse . . .  Stimo  che  questo  giornalc  puö 
servitare  un  azione  molto  benefica  per  la  pace 
e  sopra  tutto  per  la  giustizia  internazionale." 

Emil  Doernenburg,  Professor  der 
deutschen  Literatur  an  der  Ohio-University 
Athens,  Ohio,  V.  St.  A. 

„Ein  vorzügliches  Blatt,  dem  ich  nur 
einen  schärferen  Ton  wünsche." 

Dr.  A.  Drews,  Professor  für  Philo- 
sophie,  Karlsruhe : 

„Ist  ausgezeichnet  redigiert,  so  daß  ich 
nichts  daran  zu  ändern  wüßte." 

Dr.  Anton  Dyroff,  Professor  für 
Staatsrecht    an    der    Universität    München: 

„Die  Friedens^Warte  ist  vorzüglich  ge- 
leitet und  unterrichtet  musterhaft'  über  alles, 
was  mit  internationaler  Organisation  und  Frie- 
densbewegung zusammenhängt. 

Dr.  Otto  Ottovic  Eichelmann,  Pro- 
fessor für  Völkerrecht  an  der  Universität 
Ki  j  e  w: 

„. . .  gleichfalls  werden  zwei  Bibliotheken 
auf  die  interessante  Zeitschrift  auf  mein  Gut- 
achten abonnieren.  Ich  treibe  Völkerrechts- 
wissenschaft schon  40  Jahre,  gehöre  also  wohl 
zu  den  ältesten  unter  den  gegenwärtigen  Zeit- 
genossen und  habe  sozusagen  persönlich  den 
gewaltigsten  Zuwachs  der  Disziplin  und  der 
Wissenschaft  auf  diesem  Gebiete  mitgemacht. 
Empfangen  Sie  meinen  besten  und  herzlichsten 
Dank  für  die  vielen  schönen  Anregungen,  die 
wir  Ihnen  schuldig  sind." 

A.  Eleutheropulos,  Professor  für 
Philosophie  an  der   Universität   Zürich: 

„...ein  gutes  Organ  für  den  Zweck,  die 
pazifistische  Idee  zu  verbreiten." 

Dr.  D.  van  Embden,  Professor  für 
Oekonomie,    Amsterdam: 

„Sehr  viel  (Interesse) . . .  Sie  ist  wissen- 
schaftlich, in  Form  gemäßigt,  von  großem 
Nutzen." 

Dr.  Karel  E  n  g  1  i  § ,  Professor  für  Volks- 
wirtschaft, Sozialpolitik  und  Statistik  an  der 
k.  k.  böhmischen  Technischen  Hochschule  in 
Brunn: 

„Die  Zeitschrift  liegt  in  meiner  volkswirt- 
schaftlichen und  staatswissenschaftlichen  Lese- 
halle    auf,     die     mit     der    Seminarbibliothek 


meiner  Lehrkanzel  verbunden  und  daher  auch 
den  Hörern  zugänglich  ist.  In  meinen  Vor- 
lesungen lasse  ich  keine  Gelegenheit  unbenutzt, 
um  im  Geiste  der  Warte  zu  wirken." 

Prof.  Rafael  Waldemar  Erich, 
Professor  für  Staats-  und  Völkerrecht  an  der 
Universität    Helsingfors: 

„. . .  mit  dem  Inhalt  im  allgemeinen  sehr 
zufrieden  bin  und  den  Bestrebungen  derselben 
ein  lebhaftes  Interesse  entgegenbringe." 

Dr.  Arthur  Esche  Professor  an  der 
Technischen  Hochschule  in  Dresden: 

„. .  .  interessiert  mich,  weil  ich  mich  gern 
über  alle  beachtlichen  Bewegungen  in  der 
Welt,  vor  allem  in  unserem  Volke,  unterrichte 
und  finde,  daß  wir  auch  von  andern  ernst 
gerichteten  Menschen,  die  andere  Ansichten 
vertreten,  lernen  können."         % 

Dr.  Max  Fleischmann,  Professor  für 
Völkerrecht  an  der  Universität  Königs- 
berg: 

(Interesse  ?)     „. . .  ein   besonders    großes." 

Dr.  Heinrich  Fried  jung,  Histo- 
riker, Wien: 

,,. .  .  lese  jede  Nummer  mit  vielem  Inter- 
esse. Aus  zahlreichen  Artikeln  habe  ich  Be- 
lehrung geschöpft . . .  Sie  ist  ein  ernstes,  treff- 
lich geleitetes  Organ,  was  ich  um  so  unbe- 
fangener konstatieren  kann,  als  ich  den  Be- 
strebungen zur  Herstellung  des  ewigen  Frie- 
dens, so  sympathisch  sie  mir  auch  sind,  leider 
nicht  Erfolg  verheißen  kann." 

Dr.  H.  Geffcken,  Professor  des  öffent- 
lichen Rechts  a.  d.  Handelshochschule,  Köln- 
Marienburg : 

„Ich  lese  zwar  nicht  sämtliche  darin  er- 
scheinenden Aufsätze,  schon  aus  Zeitmangel 
nicht,  aber  ich  halte  mich  immer  über  den 
hauptsächlichsten  Inhalt  Ihrer  Zeitschrift  unter- 
richtet . . .  Ich  bemerke  dazu  ausdrücklich,  daß 
ich  als  Völkerrechtslehrer  nicht  unbedingter 
Anhänger  der  Friedensbewegung,  selbst  in  dem 
gemäßigten  Sinne  Ihrer  Zeitschrift  bin,  son- 
dern da  die  auch  von  mir  selbstverständlich 
gewünschte  Vermeidung  des  Krieges  einzig 
und  allein  von  einer  allmählichen  Verstärkung 
der  zwischenstaatlichen  Interessengemeinschaft 
und  von  einem  immer  wachsenden  Steigen 
des  gegenseitigen  Risikos  eines  Krieges  ab- 
hängt, ich  davon  die  Fortsetzung  des  Friedens 
erwarte." 

„Diese  wissenschaftlich  gewonnene  Ueber- 
zeugung  aber  hindert  mich  nicht,  wie  ich 
wiederholen  will,  die  dankenswerten  Bestre- 
bungen der  gemäßigten  Friedensfreunde  wohl- 
wollend  zu  verfolgen  ..." 

Dr.  W-  G  e  r  1  o  f  f ,  Universitätsprofessor, 
Innsbruck: 

„Ist  sehr  verdienstlich." 

Dr.  Friedrich  Giese,  Professor  für 
öffentliches  Recht  an  der  Akademie  in 
Pos  en: 

„Ich  bin  ein  entschiedener  Gegner  des 
sogenannten  Pazifismus,  weil  ich  darin  eine 
ernste  Gefahr  für  die  Sicherheit  unseres  Staats- 


453 


DIEFßlEDEN5-^&QTE  = 


■3 


wesens  erblicke.  Aber  ich  erkenne  gern  an, 
daß  mir  die  Friedens-Warte  insofern  von 
Interesse  ist,  als  sie  eine  gute  Materialsamm- 
lung enthält  und  einen  vortrefflichen  Einblick 
in  Wesen  und  Wirken  des  Pazifismus  gewährt. 
Auch  wer  den  Pazifismus  völlig  ablehnt  und 
Scharf  bekämpft,  wird  daher  gut  tun,  die 
,Friedens-Warte'  nicht  unbeachtet  zu  lassen." 

Heinrich  Giesecke,  Frankfurt 
a.    Main: 

„Eine  Reihe  von  Artikeln  aus  dem  über- 
reichen Inhalt  der  Hefte  ist  für  mich  immer 
von    Interesse."  < 

Dr.  H.  B.  Greven,  Professor  für  poli- 
tische Oekonomie,  Leiden: 

„Lese  jede  Nummer.  —  Vortrefflich." 

Regierungsrat  Dr.  Joseph  G  r  u  n  t  z  e  1 , 
Professor  für  politische  Oekonomie  an  der  Uni- 
versität Wien:  , 

„Die  Zeitschrift  ist  in  jeder  Hinsicht  aus- 
gezeichnet. Obzwar  ich  nicht  selbst  Pazifist 
bin,  so  begrüße  ich  doch  diese  Bewegung  und 
halte  sie  auch  für  segensreich,  weil  sie  auf  inter- 
nationalem Gebiete  die  Gegensätze  mildert, 
Mißverständnisse  zerstreuen  hilft  und  den  zeit- 
weise überschäumenden  Nationalismus  zügelt." 

Geheimrat  Dr.  tGü  t  erb  o  ck,  Professor 
der  Rechte,  Königsberg: 

„Wenn  ich  auch  kein  Anhänger  des  Pazi- 
fismus bin,  interessiert  mich  doch  die  Bewe- 
gung und  daher  auch  Ihre  Friedens-Warte." 

Sr.  Exzellenz  Wirklicher  Geheimer  Rat 
Prof.  Ernst  Haeckel,  Jena: 

„Als  überzeugter  Pazifist  und  Mitglied 
mehrerer  Friedensgesellschaften  wünsche  ich 
Ihren  philantropischen  Bestrebungen  besten 
Erfolg  1" 

Bernhard  Harms,  Professor  für 
Nationalökonomie  an  der  Universität  Kiel: 

„Ich  würde  großen  Wert  darauf  legen, 
. . .,  um  so  mehr,  als  ich  sie  (die  „Friedens- 
Warte")  im  hiesigen  Staatswissenschaftlichen 
Institut  auslege,  und  ihr  damit  ein  verhält- 
nismäßig großer   Leserkreis!  gesichert   wird." 

Dr.  Karl  R.  Held  mann,  Professor 
für  mittlere  und  neuere  Geschichte  an  der  Uni- 
versität  Halle  a.  S. 

„Ihr  Mentoramt  im  Dienste  der  internatio- 
nalen Verständigung  gegenüber  der  internatio- 
nalen Barbarei  des  Chauvinismus,  der  sich 
national  gebärdet  und  am  schlechtesten  dem 
Deutschen  zu  Gesicht  steht,  halte  ich  für  kul- 
turell überaus  wichtig,  ohne  mich  mit  ihren 
Ideen  und  Vorschlägen  im  einzelnen  identifi- 
zieren zu  wollen." 

Dr.  Robert  Hoeniger,  Professor  für 
Geschichte   an   der    Universität    Bierlin: 

„Die  Friedens-Warte  habe  ich  regelmäßig 
erhalten  und  von  dem  Inhalt  stets  Kenntnis  ge- 
nommen. Ich  verhehle  nicht,  daß  ich  den  Be- 
strebungen der  Friedens-Warte  zum  Teil  mit 
ernsten  Bedenken  gegenüberstehe." 

Dr.  Friedrich  H  offmann,  Professor 
der  Staatswissenschaften  an  der  Universität 
Kiel: 


„Der  Inhalt  interessiert  mich  sehr,  da 
ich  so  Einblick  gewinne  in  eine  eigenartige 
und  anscheinend  Umfang  gewinnende  Kultur- 
bewegung." 

Dr.  Alexander  Freiherr  Hold  von 
F  e  r  n  e  c  k ,  Professor  für  Völkerrecht  an  der 
Universität  Wien: 

„. . .  lese  sie  stets  mit  Aufmerksamkeit  und 
Interesse  —  ohne  freilich  allen  Ausführungen 
zustimmen   zu  können." 

Prof.  Mr.  D.  Josephus  Jitta,  Amster- 
dam: ! 

„...gebe  Ihnen  gerne  die  Versicherung, 
daß,  wenn  auch  meine  Arbeit  sich  bis  jetzt 
mehr  auf  dem  Gebiete  des  internationalen 
Privatrechtes  befunden  hat,  ich  auf  die  weitere 
Zusendung  dieser  Zeitschrift  Wert  lege.  Meine 
zukünftige  Arbeit,  als  Mitglied  des  Kronrates, 
an  der  Stelle  des  verstorbenen  hochverehrten 
Staatsministers  Asser,  wird  mich  wohl  auch 
mit  dem  öffentlichen  internationalen  Recht  in 
Verbindung  bringen,  und  es  mir  vielleicht  mög- 
lich machen,  dem  Zwecke  Ihrer  Zeitschrift 
mehr  dienstlich  zu  sein  als  durch  die  einfache 
gelegentliche  Lesung." 

Wilhelm  Kaufmann,  Professor  für 
Völkerrecht  an  der  Universität  B!  e  r  1  i  n : 

„Sie  hat  sich  Verdienste  erworben  im 
Kampfe  für  die  Förderung  der  Friedensidee." 

Dr.  Carl  Kindermann,  Professor  für 
Volkswirtschaft,   Stuttgart: 

„Ich  halte  die  Richtung  für  wertvoll,  wenn 
ich  mich  auch  nicht  völlig  mit  ihr  identifizieren 
kann." 

Dr.  Walter  Kinkel,  Professor  für  Philo- 
sophie an  der   Universität  Gießen: 

„...das  allergrößte  Interesse..."  „Ich 
habe  die  verschiedenen  Aufsätze  immer  mit 
Freude  gelesen,  verfolge  auch  die  Chronik  und 
Besprechungen  mit  Aufmerksamkeit.  Beson- 
ders haben  mich  die  kurzen  Bemerkungen  zur 
Zeitgeschichte  aus  der  Feder  der  Frau  Baronin 
von  Suttner  immer  sehr  angeregt." 

Dr.  W.  Kolbe,  Professor  für  alte  Ge- 
schichte an  der  Universität  Rostock:  , 

„Als  Historiker  lese  ich  Ihre  Zeitschrift 
mit  großem  Interesse,  aber  —  das  darf  ich 
nicht  unterdrücken  —  häufig  mit  starker  Oppo- 
sition." 

Dr.  A.  S.  Freiherr  von  Korff,  o.  ö. 
Professor  der  Rechte  an  der  Universität  zu 
H  eis  ingf  o  r  s: 

„Vorzügliche   Monatsschrift." 

Dr.  H.  Krabbe,  Professor  für  Staats- 
und Völkerrecht  an  der  Universität  Leiden: 

„. . .  viel  Interesse.  —  Die  Friedens-Warte 
ist  durch  die  Hervorhebung  von  Tatsachen  und 
den  daraus  entnommenen  Prinzipien  eine  Zeit- 
schrift  von  ausgezeichnetem  Wert." 

J.  Kräuterkraft,  Professor  an  der 
Universität  Turin: 

„Ein  sehr  großes  Interesse;  ich  kann  sie 
fast  gar  nicht  mehr  entbehren.  —  Sie  ist  bis 
jetzt  eine  der  besten  pazifistischen  Zeitschrif- 
ten, die  uns  am  besten  über  sämtliche  Fragen 


454 


<£ 


DIE  FRI EDENS -^J^AßTE 


der  Friedensbewegung  und  üter  manche  wich- 
tige Völkerrechtsfrage  unterrichtet.  Auch 
äußerst  interessant  und  wichtig  sind  die  Rand- 
glossen zur  Zeitgeschichte  von  Bertha  von 
Suttner." 

Dr.  Oskar  Kraus,  Professor  der  Philo- 
sophie an  der  Deutschen  Universität  in  Prag: 

„Ich  lese  manche  mich  besonders  inter- 
essierende Artikel,  nicht  alle.  Was  ich  gelesen 
habe,  hat  meine  volle  Zustimmung.  — ■  Aber 
ihre  Ziele  billige  ich  nicht  nur,  sondern  ver- 
urteile alle  Propaganda,  die  in  dem  Krieg  mehr 
sehen  will  als  ein  unter  Umständen  notwen- 
diges Uebel,  und  die  nicht  alles  daran  setzt, 
um  ihn  durch  minder  verderbliche  Institutionen 
zu  ersetzen.  Da  Ihre  Zeitschrift  ihr  möglichstes 
tut,  um  dem  „bellum  omnium  civitatum  contra 
omnes  civitates"  ein  analoges  Ende  zu  setzen, 
wie  es  der  Staat  dem  „bellum  omnium  contra 
omnes"  bereitet,  so  wünsche  ich  Ihrer  Frie- 
dens-Warte nichts  anderes  als  größtmöglichste 
Verbreitung  und  besten  Erfolg." 

Edward  B.  Krehbiel,  Professor  für 
Geschichte,  Stanford  University,  Cal., 
V.    St.    A.: 

„I  find  the  periodical  very  usefid  in 
helping  me  to  keep  abreast  with  current 
häppenings  and  with  the  literature  of  the 
peace  movement." 

Prof.  Heinr.  Kretschmayr,  Privat- 
dozent für  Geschichte  des  Mittelalters  und  der 
neueren  Zeit  an  der  Universität  Wien: 

„. . .  anerkennend,  wenn  auch  oft  nicht  zu- 
stimmend." 

Dr.  Karl  Kumpmann,  Privatdozent  für 
Staatswissenschaften  an  der  Universität 
Bonn: 

„. . .  großes  (Interesse)."  „Sie  ist  das  beste 
Blatt  der  ganzen  Friedensbewegung.  In  ihrer 
Vielseitigkeit,  ihrem  Ernst  und  ihrer  Mäßigung 
ist  sie  mir  ungemein  sympathisch.  Ich  gestehe, 
daß  die  Friedens-Warte  meine  Ansichten  über 
das  Problem  „Krieg  und  Frieden"  allgemach 
erheblich  gemodelt  hat  —  und  nicht  im  Sinne 
des  Militarismus,  wenn  ich  freilich  die  Hoff- 
nungsfreudigkeit vieler  Ihrer  Artikel  nicht  zu 
teilen  vermag.  Die  weiteste  Verbreitung  der 
Friedenswarte  in  den  Kreisen  der  Gebildeten 
scheint  mir  ein  höchst  verdienstliches  Werk." 

Hof  rat  Prof.  Lammasch,  Mitglied  des 
Herrenhauses,  Professor  an  der  Universität 
Wien: 

„Die  Friedens-Warte  ist  für  jeden,  der 
sich  für  eine  der  allerwichtigsten  Fragen  der 
Menschheit  interessiert,  unentbehrlich  gewor- 
den. Sie  bringt  die  Korrektur  zahlreicher 
falscher  Nachrichten  und  Urteile,  die  von  den 
am  Kriege  Interessierten  in  die  Welt  gesetzt 
werden.  Mag  man  vielleicht  nicht  mit  allem, 
was  sie  bringt,  einverstanden  sein  (welchem 
Buch,  welcher  Zeitschrift  gegenüber  könnte 
man  das?!),  so  wird  doch  jeder  nicht  völlig 
Voreingenommene  aus  ihr  reiche  Belehrung 
schöpfen." 


Geheimrat  Prof.  Lamprecht  an  der 
Universität    Leipzig: 

„Natürlich  bin  ich  nach  wie  vor  ein 
Freund  der  „Friedens- Warte",  und  nicht  bloß 
dies,  auch,  soviel  ich  vermag,  stets  Weiter- 
verbreiter  ihres    Inhalts  . . ." 

Dr.  Robert  L  i  e  f  m  a  n  n  ,  Professor  für 
Volkswirtschaft,    F  r  e  i  b  u  r  g   i.    B  r. : 

„Lese  vieles  daraus  regelmäßig  mit 
großem  Interesse  . .  .  und  glaube,  daß,  auch 
wenn  ein  augenblicklicher  Erfolg  Ihrer  Be- 
strebungen nicht  zu  konstatieren  ist,  die  Zeit- 
schrift doch  eine  sehr  nützliche  Arbeit  leistet.'' 

Geh.  Hof  rat  Dr.  Karl  von  Lilienthal, 
Professor  für  Strafrecht  an  der  Universität 
H  eidelb  erg: 

„Ich  interessiere  mich  sehr  für  das,  wie 
ich  meine,  gut  und  umsichtig  redigierte  Blatt." 

Dr.  E.  L  i  1  j  e  q  u  i  s  t ,  Professor  für  Philo- 
sophie an  der  Universität  L  u  n  d  (Schweden) : 

„Ich  würde  es  für  glücklich  halten,  wenn 
sich  die  Friedensbewegung  meines  eigenen 
Landes  (Schweden)  der  allgemeinen  Haltung 
der  „Friedens-Warte"  auch  nur  annäherte." 

Dr.  Jacques  Loeb,  Professor  für  Bio- 
logie am   Rockefeller-Institute,    New  York: 

„I    think    the    paper   is    exceljent." 

Geh.  Justizrat  Dr.  Edgar  L  o  e  n  i  n  g ,  Pro- 
fessor der  Rechtswissenschaft  an  der  Universi- 
tät Halle: 

„Ich  lese  die  Zeitschrift  regelmäßig  mit 
großem  Interesse.  Wenn  ich  den  Bestrebungen 
der  Friedens-Warte  auch  nicht  in  allen  Be- 
ziehungen mich  anschließen  kann,  so  halte  ich 
es  doch  für  sehr  verdienstlich,  für  ein  Ideal  zu 
kämpfen,  dessen  Verwirklichung  allerdings 
m.  E.  nicht  zu  erreichen  ist.  Diesen  Kampf 
aber  führt  die  Friedens-Warte  in  rein  sach- 
licher und  vornehmer  Weise." 

Oberfinanzrat  Prof.  Dr.  Hermann  Losch, 
Stuttgart: 

„Ich  habe  schon  manche  bemerkenswerten 
Ausführungen  in  ihr  gefunden.  —  ...  stehe  sehr 
vielen  Aeußerungen  der  sog.  Friedensbewe- 
gung skeptisch,  manchen  mehr  als  skeptisch 
gegenüber,  billige  aber  die  Grundtendenz." 

J.  de  Louter,  Professor  des  Völker- 
rechts   an    der    Universität    Utrecht: 

„Großes  Interesse ...  Ich  bewundere  die 
tiefe  Ueberzeugung  und  unermüdliche  Aus- 
dauer im  siegesbewußten  Kampf  für  die  Frie- 
densbewegung." 

Geh.  Regierungsrat  Dr.  von  Luschan, 
Professor  für  Ethnographie  und  Anthropologie 
an   der   Universität   Berlin: 

„Ich  stehe  prinzipiell  auf  einem  anderen 
Standpunkte  und  kann  an  das  para  pacem  noch 
nicht  recht  glauben.  Einstweilen  glaube  ich 
noch  immer,  daß  der  Friede,  d.  h.  natürlich 
ein  ehrenvoller  Friede  nur  durch  Rüstungen 
erhalten  werden  kann.  Aber  ich  habe  mich 
niemals  für  unfehlbar  gehalten  und  lese  jede 
einzelne  Nummer  der  Friedenswarte  mit 
großem  Interesse." 


455 


DIE  FRIEDENS  -WARTE 


© 


Ernest  Mahaim,  Professor  für  Völ- 
kerrecht an  der   Universität  von   Liege: 

„. .  .  daß  ich  die  „Friedens-Warte"  mit  ge- 
spanntem. Interesse  lese." 

Dr.  Alexander  Marki,  Professor  für 
mittelalterl.  und  neuere  Geschichte  an  der  Uni- 
versität Klausenburg  (Ungarn) : 

„Ich  begeistere  mich  für  den  Weltfrieden 
und  bin  dankbar,  daß  diese  Idee  durch  Ihre 
Zeitschrift  so  energisch  und  geistreich  ver- 
teidigt und  fortgepflanzt  wird.  Ich  halte  sie  für 
unentbehrlich  für  die  Sache  des  Friedens." 

Geh.  Oberregierungsrat  J.  von  Mar- 
ti t  z  ,   Professor  an  der  Universität  Berlin: 

„Die  Friedens-Warte  enthält  viel  wert- 
volles Material  für  das  geltende  Völkerrecht, 
für  seine  Weiterentwicklung  und  für  seine 
wissenschaftliche  Kultur." 

Dr.  Arnold  O.  Meyer,  Professor  für 
mittlere  und  neuere  Geschichte  an  der  Uni- 
versität   Rostock: 

„Die  Zeitschrift  hat  für  mich  Interesse  . . . 
bewahre  sie  schon  aus  historischem  und  völ- 
kerrechtlichem Interesse  auf.  Ich  habe  vieles 
mit  Zustimmung  gelesen,  halte  aber  die  Grund- 
stimmung der  Friedens-Warte  für  zu  opti- 
mistisch ,„. . .  finde  das  Blatt  gut  redigiert  und 
ausgestattet." 

Exizellenz  Geheimrat  Prof.  Robert 
Meyer,  Professor  für  politische  Oekonomie 
an  der  Universität   Wien: 

„Ich  pflege,  wenn  es  meine  Zeit  erlaubt, 
die  Nummern  ganz  oder  teilweise  zu  lesen 
und  habe  schon  manchen  Artikel  gefunden, 
der  mich  lebhaft   interessierte." 

Robert  Michels,  Professor  für  poli- 
tische  Oekonomie,  Turin: 

„Ich  lese  die  Friedenswarte  stets,  manch- 
mal mit  Widerspruch,  häufiger  noch  mit  Bei- 
fall." 

Prof.  Marshall  Montgomery,  Lektor 
an  der  Universität  Gießen: 

„Die  Friedens-Warte  scheint  mir  im  all- 
gemeinen einen  sehr  vernünftigen  Standpunkt 
zu  vertreten  und  eine  wirkliche  Kulturarbeit  zu 
leisten." 

Geheimer  Regierungsrat  Prof.  Dr.  Ing. 
Muthesius,    Nikolassee: 

„Ich  finde  die  Friedens-Warte  sehr  gut 
und  lese  sie  mit  Interesse." 

Dr.  Paul  Natorp,  Professor  für  Philo- 
sophie   an    der    Universität    Marburg: 

„. . .  lese  sie  jedesmal  mit  großem  Inter- 
esse, da  ich  als  Mitglied  des  Verbandes  für 
internationale  Verständigung  für  die  Sache, 
die  sie  vertritt,  alles  übrig  habe,  sie  für  eine 
der  allerwichtigsten  in  unserem  nationalen 
Leben  halte.  Ich  interessiere  mich  besonders 
auch  für  ihre  erzieherische  Seite,  und  suche 
nach  Wegen  wirksamer  Beeinflussung  unserer 
gerade  in  dieser  Sache  so  vielfach  irregeleiteten 
Jugend.  Wenn  nach  dieser  Seite  auch  die 
Friedens- Warte  noch  mehr  bringen  könnte, 
wäre  es  sehr  dankenswert,  aber  ich  weiß  zur 


Genüge,  daß  an  solchen,  die  darüber  Förder- 
liches  zu  sagen  wissen,  es  sehr   fehlt." 

Dr.  Neumeyer,  Professor  für  Rechts- 
wissenschaft an   der   Universität   München: 

„Ich  stehe  Ihren  Bestrebungen  mit  vollem 
Respekt  gegenüber,  bemühe  mich  auch,  Ihre 
Gedankengänge  zu  verstehen,  sehe  mich  aber 
freilich  in  wesentlichen  Punkten  nicht  in  der 
Lage,   sie  mir   zu  eigen  zu   machen." 

Generalmajor  H.  L.  van  Oordt,  Völker- 
rechtsgelehrter,  Breda: 

„Mein  großes  Interesse  für  den  Inhalt  der 
Friedens-Warte  basiert  in  dem  Satze:  „Audia- 
tur et  älterem  partem." 

Dr.  Robert  Petsch,  Professor  für 
deutsche  Sprache  an  der  Universität  Liver- 
pool: 

„...sehr  viel  Interesse...  Um  so  gün- 
stiger, je  mehr  sie  den  realen  Verhältnissen 
gerecht  wird  und  sich  von  Utopismus  fern- 
hält." 

Dr.  Alexander  Alexandrovic  P  i  1  e  n  c  o , 
Professor  für  Völkerrecht  an  der  Universität 
St.    Petersburg: 

,,. . .  ist   für  mich  von  Nutzen." 

Robert  P  i  1  o  t  y ,  Professor  für  Rechts- 
und Staatswissenschaft  an  der  Universität 
Wü  r  zbu  rg: 

„Ich  halte  die  Zeitschrift  für  «einen  wesent- 
lichen Kulturfaktor,  dessen  Einfluß  auf  die 
Gestaltung  der  politischen  Verhältnisse  im 
ganzen  ein  förderlicher  ist." 

Prof.  P  o  1  i  t  i  s  ,  Professor  für  Völkerrecht 
an    der    Sorbonne,    Paris: 

„La  Friedens-Warte  est  ä  mon  avis,  un 
des  peViodiques  les  plus  utiles." 

M.  Popoviliev,  Professor  des  Völker- 
rechts und  Internationalen  Privatrechts  an  der 
Universität    Sofia: 

„Die  Zeitschrift  ist  sehr  interessant,  be- 
achtenswert und  nützlich  als  Milderungsmittel 
gegen  den  Chauvinismus  und  für  die  An- 
näherung der  Völker." 

Dr.  Felix  Rachfahl,  Professor  für 
mittelalterliche  und  neuere  Geschichte  an  der 
Universität    Kiel: 

„. . .  daß  ich  den  Inhalt  Ihres  Blattes 
immer  mit  größtem  Interesse  verfolgt  habe, 
wenngleich  ich  von  Ihrem  Standpunkt  vielfach 
abweiche."    ; 

Dr.  theoLog.  M.  Rade,  Herausgeber  der 
„Christlichen    Welt",    Marburg    i.    H.: 

„Ich  finde  Ihr   Blatt  sehr  gut . . ." 

Dr.  H.  Rauchberg,  Professor  für  Sta- 
tistüc  an  der  Universität  Prag: 

„. . .  daß  ich  mich  für  Ihre  Zeitschrift  leb- 
haft interessiere." 

Lord  Reay,  Professor  an  der  Univer- 
sität   London: 

„Die  Zeitschrift  hat  für  mich  Interesse." 

Dr.  jur.  et  phil.  Hans  Reichel,  Pro- 
fessor für  Rechtswissenschaft  an  der  Univer- 
sität   Zürich: 

„Ich  lese  die  Friedens-Warte  regelmäßig. 
Ohne  in  allem  mit  ihr  einverstanden  zu  sein, 


456 


©: 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


nehme  ich  die  in  ihr  vertretenen  Anschauungen 
stets  mit  großem  Ernst  in  Erwägung.  Für 
meine  rechtsphilosophischen  Studien  ist  mir 
die  Bedachtnahme  auf  die  Friedensfrage  un- 
erläßlich. Auch  in  meiner  Vorlesung  nehme 
ich  auf  sie  oftmals  Bezug.  Die  von  mir  mit- 
herausgegebene Zeitschrift  „Recht  und  Wirt- 
schaft" hat  wiederholt  Referate  über  inter- 
essante Aufsätze  der  Friedens-Warte  ge- 
bracht . .  ." 

Sr.  Exzellenz  Dr.  von  Rennenkampf, 
Professor  für  Staatsrecht  an  der  Universität 
Odessa: 

Interesse?  „Ja,  unbedingt.  —  Die  Rich- 
tung der  Zeitschrift  ist  meiner  Meinung  nach 
höchst   sympathisch." 

Dr.  Karl  Ludwig  Reuters  kiöld, 
Professor  des  Völkerrechts  an  der  Universität 
U  psala: 

„Um  die  Entwicklung  der  Friedensbewe- 
gung, die  allerdings  als  eine  Bewegung  der 
besseren  juristischen  Ausgestaltung  der  Welt- 
verhältnisse große  Bedeutung  hat,  folgen  zu 
können,  scheint  mir  Ihre  Zeitschrift  notwendig 
zu    sein." 

Prof.  Dr.  Gustav  Ritter  von  Rosz- 
kowski,  k.  k.  Hofrat,  ehem.  Mitglied  des 
Reichsrats,  Professor  an  der  Universität 
L  e  mb  erg: 

,,. .  .  orientiert  vorzüglich  in  der  gegen- 
wärtigen Friedensbewegung.  Ich  lese  die 
Friedens-Warte  mit  größtem  Interesse." 

A.  Sartorius  Freiherr  von  Wal- 
tershausen, Professor  für  National-  und 
Finanzwissenschaft  an  der  Universität  Straß- 
burg: 

„Viele  wertvolle  Artikel,  auch  für  die- 
jenigen, welche  den  prinzipiellen  Standpunkt 
nicht  oder  nur  bedingt  teilen." 

Dr.  August  Sauer,  Professor  für 
deutsche  Philologie  an  der  Universität  Prag: 

(Interesse):  „Sehr  großes...  Ein  ausge- 
zeichnetes  Organ." 

Prof.  Dr.  Schiemann,  Direktor  des 
Seminars  für  osteuropäische  Geschichte  an  der 
Universität  Berlin  und  Mitarbeiter  der 
„Kreuzzeitung" : 

„Die  Friedenswarte,  die  sehr  gut  orien- 
tierend   finde,   lese    ich   regelmäßig  . . ." 

Dr.  Paul  Schoen,  Professor  für  öffent- 
liches Recht  an  der  Universität  Göttingen: 

„Ich  habe  die  mir  zugegangenen  Num- 
mern meist  ganz  oder  teilweise  gelesen,  denn 
wenngleich  ich  durchaus  nicht  die  in  ihr  ver- 
tretenen Ansichten  immer  teilen  kann,  haben 
mich  viele  Nummern  doch  sehr  interessiert, 
und  scheint  sie  mir  besonders  geeignet,  ihre 
Leser  über  die  Friedensbewegung  dauernd  auf 
dem  laufenden  zu  halten." 

Dr.  A.  W.  Schüddekopf,  Professor 
für  deutsche  Sprache  und  Literatur  an  der  Uni- 
versität  L  e  e  d  s  (England) : 

„Lese  die  Friedenswarte  regelmäßig  mit 
dem    größten    Interesse  . .  .     Ein    vorzügliches 


und  wertvolles  Blatt,  das  der  internationalen 
Friedensbewegung  große  Dienste  leistet." 

Geh.  Justizrat  Joh.  Friedrich  Ritter  von 
Schulte,  Professor  für  Rechts-  und  Staats- 
wissenschaft an  der  Universität  Bonn: 

„Sehr  großes  (Interesse),  lese  sie  nicht 
bloß  genau,  sondern  suche  auch  andere  dafür 
einzunehmen.  —  Ich  teile  zwar  nicht  alle  darin 
ausgedrückten  Ansichten,  kann  aber  sagen, 
daß  ich  mit  der  Tendenz  harmoniere  und  mich 
über  viele  Aufsätze  gefreut  habe." 

Dr.  Jakob  S  i  e  b  er  ,  Professor  für  Völker- 
recht an  der  Universität  Bern: 

„Ich  lese  die  Friedens-Warte  stets  mit 
dem  größten  Interesse  und  möchte  sie  nicht 
missen.  —  Die  Friedenswarte  gibt  m.  E.  mit 
ihren  kurzen  und  prägnanten  Artikeln  ein  sehr 
gutes  Bild  von  den  gegenwärtigen  Friedens- 
bestrebungen. Ich  kann  ihre  eifrige  Pro- 
paganda nur  billigen,  wenn  ich  gleich  den 
Optimismus  ihrer  Mitarbeiter  nicht  ganz  teile." 

Dr.  Ernst  Sieper,  Professor  für  engl. 
Philologie   an  der   Universität  München: 

„Was  den  ausgezeichneten  Inhalt  der 
Zeitschrift  anbetrifft,  so  habe  ich  kaum 
Wünsche  namhaft  zu  machen." 

S.  R.  Steinmetz,  Professor  für  Eth- 
nologie an  der  Universität  Amsterdam: 

,,. . .  entschiedenes   Interesse." 

Geh.-Rat  Carl  Freiherr  von  Stengel, 
Universitätsprofessor,    München: 

„Ich  bin  sehr  dankbar  für  Zusendung  der 
Friedens- Warte,  die  ich  stets  mit  Interesse 
lese." 

Dr.  Stier-Somlo,  Professor  für  Völ- 
kerrecht an  der  Universität  C  ö  1  n  : 

„. . .  erregt  stets  mein  lebhaftestes  Inter- 
esse . . .  Ich  möchte  in  unseren  literarischen 
politischen  Strömungen  die  Note,  die  die  Frie- 
denswarte anschlägt,  auch  nicht  vermissen. 
Der  im  allgemeinen  ausgezeichnete  Inhalt 
überhebt  mich  der  Notwendigkeit  einer  Kritik." 

Dr.  C.  A.  Verryn  Stuart,  Professor 
für  Völkerrecht  an  der  Universität  Gro- 
ningen: 

,,. .  .  daß  ich  Ihre  bedeutungsvolle  Zeit- 
schrift   immer    mit    Interesse    durchsehe." 

Dr.  Lehel  von  Szigethy,  Professor  der 
Nationalökonomie  an  der  Universität  K  e  c  s  - 
kernet: 

„...teile  die  Intentionen  des  Blattes  ... 
denke,  daß  die  Agitation  Früchte  tragen  wird." 

Prof.  Dr.  Michael  Freiherr  von  Taube, 
Unterstaatssekretär  im  k.  russ.  Unterrichts- 
ministerium,   Exzellenz,   St.   Petersburg: 

„. . .  sehr  großes  Interesse.  —  Sie  entspricht 
vollkommen  ihren  Zwecken  und  ermöglicht 
stets  eine  vorzügliche  '  Orientierung  auf  dem 
Gebiete    der    Friedensbewegung." 

Dr.  Richard  Thoma,  Professor  für 
Staats-  und  Verwaltungsrecht  an  der  Univer- 
sität   Heidelberg: 

„Wiewohl  ich  den  Grundanschauungen 
des    Autorenkreises    der    Friedenswarte   ferne 


457 


DIE  FRIEDENS-^^BTE  = 


& 


stehe,  hat  mir  deren  Lektüre  wiederholt  wert- 
volle Kenntnisse  und  Anregungen  vermittelt." 
Dr.  Lucien  Paul  Thomas,  Professor 
für  Französisch  an  der  Universität  Gießen: 
„J'admire  profond^ment  le  süperbe  effort 
de  la  Friedens- Warte,  son  but  desinteress£,  son 
haut  id£al;  je  voudrais  que  les  Champions  d'une 
campagne  aussi  noble  ne  se  laissent  pas  de- 
courager  par  les  eV6nements  souvent  d£ceVants 
qui  pourraient  les  troubler  mais  qu'ils  pro- 
fitent  plustöt  dans  un  sens  pratique  des  dou- 
loureuses   exp^riences." 

Dr.  Adolf  Unzer,  Professor  für  neuere 
Geschichte,  Wiesbaden: 

(Interesse?)  „Ja.  Ihr  Streben  ist  sehr 
lobenswert,  aber  den  Krieg  kann  man  ebenso- 
wenig beseitigen,  wie  Streitigkeiten  unter 
Privatpersonen ;  größtmöglichste  Einschrän- 
kung muß  das  Ziel  sein." 

Geheimer  Regierungsrat  Dr.  Goswin 
Uphues,  Professor  für  Philosophie  an  der 
Universität  Halle  a.  S. : 

„. . .  vorzüglich  redigierte  Zeitschrift,  mit 
deren  Inhalt  ich  ganz  einverstanden  bin . . . 
Mit  den  Kurzen  Aufklärungen  auf  S.  3  u.  4  des 
Umschlags  bin  ich  ganz  besonders  einverstan- 
den. Auch  mit  den  Artikeln,  die  ich  sorgfältig 
lese." 

Dr.  Richard  Wähle,  Professor  für  Philo- 
sophie an  der  Universität  Wien: 

„Sie  ist  vorzüglich  orientierend  und  gewiß 
wirkungsvoll ..." 

Dr.  K.  W  i  c  h  m  a  n  n  ,  Professor  an  der 
Universität   Birmingham: 

„Die  Friedens-Warte  arbeitet  an  ihrer 
schweren  Aufgabe  mit  Geschick  und  ist  eine 
lebendige  Kraft  im  Streben  der  Menschheit 
nach  einem  ihrer  edelsten  Ziele  geworden." 
Dr..  Hellmuth  Wolf  f,  Direktor  des  Sta- 
tistischen Amtes  der  Stadt  H  a  1 1  e  a.  S.,  Privat- 
dozent der  Staatswissenschaften. 

„. . .  manchen  mir  wertvollen  Aufsatz  in 
den  bisherigen  Heften  gefunden." 

Ihr  Interesse  an  der  Friedens-Warte 
bekundeten   ferner    durch    Zuschrift: 

Dr.  Adolf  Günther,  Privatdozent  für 
Staatswissenschaften  an  der  Universität  Bi  e  r  - 
lin.  —  Dr.  O.  Nagy  von  Eötteveny, 
Professor  des  Völkerrechts  an  der  königl.  ung. 
rechts-  und  staatswissenschaftlichen  Fakultäjt 
zu  Kassa,  Ungarn.  —  Dr.  Karl  B  r  e  u  1 , 
Professor  für  Germanistik  an  der  Universität 
Cambridge.  —  Dr.  Gilbert  Water- 
house,  Lektor  für  Englisch  an  der  Univer- 
sität Leipzig.  —  Dr.  R. deRidder  Remy, 
Professor  des  Völkerrechts  an  der  Universität 
Gent.  —  Dr.  K.  Florian,  Professor  für 
politische  Oekonomie  und  Finanzrecht  an  der 
rechts-  und  staatswissenschaftlichen  Fakultät 
E  p  e  r  j  e  s  (Ungarn).  —  Dr.  Naum  Reiches- 
b  e  r  g  ,  Professor  für  Statistik  und  National- 
ökonomie an  der  Universität  Bern.  —  Se.  Ex- 
zellenz Dr.  Eugen  von  Böhm-Bawerk, 
Wirklicher  Geheimer  Rat  und  Professor  für 
politische     Oekonomie     an     der     Universität 


Wien.  —  Dr.  P.  Johs.  Jörgensen,  Pro- 
fessor für  Rechtsgeschichte  und  Völkerrecht 
an  der  Universität  Kopenhagen.  —  Dr. 
Alfred  Vierkandt,  Professor  für  Ethnologie 
und  Völkerkunde  an  der  Universität  Bier  lin. 

—  Dr.  A.  Struycken,  Professor  für  öffent- 
liches Verwaltungs-  und  Völkerrecht  an  der 
Universität  Amsterdam.  —  Dr.  Adolf 
S  töhr,  Professor  für  Philosophie  an  der  Uni- 
versität Wien.  —  Dr.  J.  Platter,  Professor 
für  Nationalökonomie  und  Statistik  an  der 
Universität  Zürich.  —  Dr.  Ferdinand 
ßaumgarten,  Professor  für  Handels-  und 
Wechselrecht  an  der  Universität  Budapest. 

—  Dr.  Andor  Kovats,  Professor  der  Rechte 
an   der   Universität    Kecskemet   (Ungarn). 

—  Dr.  Johannes  N  i  e  d  n  e  r  ,  Geheimer  Justiz- 
rat, Professor  für  Völkerrecht  an  der  Univer- 
sität Jena  und  Oberverwaltungsgerichtsrat.  — 
Prof.  Dr.  Ribbert,  Bonn.  —  Dr.  Felix 
K  r  u  e  g  e  r  ,  Professor  für  Philosophie  an  der 
Universität  Halle  a.  S.  —  Geh.  Justizrat 
Dr.  Franz  von  Liszt,  Professor  der  Rechte 
an  der  Universität  Bl  e  r  1  i  n  ,  Mitglied  des 
Reichstags.  —  Geh.  Rat  Dr.  Max  Sering, 
Professor  für  Staatswissenschaften  an  der  Uni- 
versität Berlin.  —  Dr.  Georg  von  Mayr, 
Unterstaatssekretär  z.  D.,  Professor  für  Sta- 
tistik, Finanzwissenschaft  und  National- 
ökonomie an  der  Universität  München.  — ■ 
Geh.  Regierungsrat  Dr.  Max  Lehmann, 
Professor  für  mittlere  und  neuere  Geschichte 
an  der  Universität  Göttingen.  —  Dr.  Wil- 
liam Stern,  Professor  für  Psychologie  an 
der  Universität  Breslau.  —  Dr.  Waldemar 
Zimmermann,  Professor  für  Staatswissen- 
schaften an  der  Universität  Berlin.  —  Se. 
Exzellenz  Wirkl.  Geheimer  Rat  Dr.  Gustav 
von  Schmoller,  Professor  für  Staats- 
wissenschaften an  der  Universität  Bier  lin.  — 
Dr.  Gustav  Fred  Steffen,  Professor  für 
Nationalökonomie  und  Soziologie  an  der  Uni- 
versität Göteborg,  Mitglied  des  Reichs- 
tags. —  Geh.  Rat  Dr.  Otto  Mayer,  Professor 
für  Verwaltungs-  und  Staatsrecht  an  der  Uni- 
versität Leipzig.  —  Dr.-  Jakob  Schnei- 
der, Professor  für  neuere  Geschichte  an  der 
Universität  Basel.  —  Dr.  Hans  Gm e lin, 
Professor  für  Staatsrecht  an  der  Universität 
Gießen.  —  Prof.  Dr.  Christ.  Eckert,  Stu- 
diendirektor der  Handelshochschule  und  der 
Hochschule  für  kommunale  und  soziale  Ver- 
waltung in  C  ö  1  n.  —  Dr.  Arthur  S  p  i  e  t  h  o  f , 
Professor  für  politische  Oekonomie  an  der 
Deutschen  Universität  in  Prag.  —  Dr.  F.  M. 
P  o  w  i  c  k  e ,  Professor  für  neuere  Geschichte 
an  der  königl.  Universität  Belfast  (Irland). 
—  Dr.  Franz  Freiherr  Myrbach  von  Rhein- 
f  eld,  Professor  für  politische  Oekonomie  an 
der  Universität  Innsbruck.  —  Dr.  jur. 
Kurt  Pereis,  Professor  des  öffentlichen 
Rechts,  Hamburg.  —  Hof  rat  Prof.  Johann 
Loserth,  Professor  für  Geschichte  an  der 
Universität  Graz.  —  Geh.  Regierungsrat 
Alois     Brandl,     Professor     für    englische 


458 


@= 


DIE  FRIEDENS -WARTE 


Philologie  an  der  Universität  Bi e r  1  in.  —  Prof. 
H.  Rehm,  Professor  für  Staats-  und  Verwal- 
tungsrecht an  der  Universität  Straßburg. 
—  Prof.  Dr.  Ignaz  Jastrow,  Professor 
der  Staatswissenschaften  an  der  Universität 
BI e r  1  i n.  —  Professor  Ferdinand  Toen- 
nies,  Professor  für  Philosophie  an  der  Uni- 
versität Kiel.  —  Dr.  Hugo  Spitzer,  Pro- 
fessor für  Philosophie  an  der  Universität 
Graz.  —  Dr.  Leonard  Nelson,  Pro- 
fessor für  Philosophie  an  der  Universität  Göt- 
tingen. —  Dr.  Schmöle,  Professor  für 
Nationalökonomie  an  der  Universität  Mün- 
ster i.  W.  —  S.  J.  Fockema  Andreae, 
Professor  für  Rechtsgeschichte  an  der  Uni- 
versität Leiden.  —  F.  Le  Biourgeois, 
Dozent  für  Französisch  an  der  Handelshoch- 
schule und  der  Verwaltungshochschule  in 
Co  In.  

Brief  aus  Rußland. 

Von 
Professor  Baron  S.  A.  Korff,  Helsingfors. 
Die  Balkanfrage.  —  Das  Mongolei- 
Uebereinkommen  mit  China.  —  Die 
europäische  Politik  und  die  Reise 
des  russischen  Ministerpräsi- 
denten. —  Die  Duma.  —  Drahtlose 
telegraphische  Verbindung  auf 
der  Ostsee. 
Helsingfors,  den  1.  Dezember  1913. 
Nach,  der  großen  Erregung  des  letzten 
Sommers1  hat  das  Interesse,  das  Rußland  und 
die  russische  öffentliche  Meinung  den  Bal- 
kanfragen entgegenbrachte,  wesentlich  nach- 
gelassen. Dies  ist  aus  zweierlei  Gründen 
leicht  erklärlich :  Erstens  durch  die  Ent- 
täuschung, die  die  brudermörderischen  Strei- 
tigkeiten der  Balkanslawen  in  Rußland  her- 
vorriefen. Nach  den  entscheidenden  und 
tapferen  Siegen  der  Alliierten  gegen  die 
Türkei  im  letzten  Frühjahr  hatte  die  russische 
öffentliche  Meinung  wohl  alle  Ursache,  zu- 
frieden zu  sein.  Es  herrschte  auch  eine 
echte  Begeisterung  in  den  verschiedenen 
Teilen  der  russischen  Gesellschaft,  die  er- 
freut war,  ihre  slawischen  Brüder  siegreich 
und  einig  untereinander  zu  sehen.  Andere 
dachten  (sehr  mit  Unrecht,  wie  wir  jetzt 
sehen),  daß  dies  nun  das  endliche  Aus- 
treiben der  Türkei  aus  Europa  bedeuten 
würde,  was1  das  alte  Ziel  Rußlands,  freie 
Hand  in  der  Dardanellenfrage  zu  erhalten, 
zur  Folge  haben  würde.  Die  Ereignisse  des 
zweiten  Krieges  machten  alle  diese  Hoffnun- 
gen zunichte  und  töteten  die  Begeisterung, 
hauptsächlich  als  die  Presse  mit  der  Ver- 
öffentlichung jener  schrecklichen  Grausam- 
keiten begann,  die  die  kriegerischen  Nationen 
verübten.  Zweitens1  wurde  nach  und  nach 
im  russischen  Volke  das  Gefühl  wach,  daß  die 
russische  Regierung  aus  irgendeinem  Grunde 
nicht  bereit  war,  aktiven  Anteil  an  der  Schlich- 


tung der  Balkanunruhen  zu  nehmen.  Dies 
dämpfte  sehr  den  Eifer  der  Chauvinisten, 
die  für  eine  aktive  und  militärische  Aktion 
eintraten,  während  sie  andererseits  jene  ent- 
täuschten, die  ehrlich  eine  Hilfe  Rußlands 
für  Bulgarien  und  eine  größere  Einfluß- 
nahme auf  dessen  Feinde  wünschten.  Dies 
waren  die  vielen  Faktoren,  die  die  frühere 
Begeisterung  geringer  und  das  Interesse  des 
Landes  an  der  Balkansituation  schwächer 
werden  ließen.  Infolgedessen  verliefen  die 
Ereignisse  der  Herbstmonate  fast  unbeachtet. 
Sogar  jene  Organe  der  russischen  Presse,  die 
früher  so  chauvinistisch  waren,  blieben  gleich- 
gültig; trotz  der  Tatsache,  daß  vieles  sich 
ereignete,  das  unter  anderen  Umständen 
großem  Interesse  begegnet  wäre.  So  war 
die  Presse  z.  B.  gleichgültig  gegen  die  öster- 
reichische Politik  und  hauptsächlich  gegen 
die  unzweifelhafte  Annäherung  Bulgariens 
an  Oesterreich-Ungarn;  nur  einige  wenig 
bedeutende  offizielle  Interviews  drückten  die 
offizielle  Unzufriedenheit  über  die  seitens  Bul- 
gariens eingeschlagene  Richtung  aus.  Das 
war  aber  unbillig,  da  Rußland  seinen  ehe- 
maligen Freund,  als  dieser  am  meisten  Hilfe 
benötigte,  im  Stiche  ließ.  Es  wäre  jetzt  zu 
spät,  über  ,, Bulgariens  Undankbarkeit"  zu 
sprechen,  die  Rußland  tatsächlich  verdient 
hat.  Bulgariens  Annäherung  an  Oesterreich 
ist  bloß  eine  natürliche  Folge  der  im  Sommer 
vorgekommenen  Ereignisse,  und  die  russische 
Regierung  hat  keinerlei  Recht,  Bulgarien  Un- 
dankbarkeit vorzuwerfen.  Dieser  einfache 
Beweis  ist  so  klar,  daß  er  allein  die  Gleich- 
gültigkeit erklären  kann,  die  sogar  den  offi- 
ziellen Interviews  (die  leider  alle  anonym 
erfolgten)  von  der  Tagespresse  entgegen- 
gebracht wurde;  tatsächlich  waren  keine 
Kommentare  notwendig.  All  dem  schließt 
sich  noch  die  wachsende  allgemeine  Un- 
zufriedenheit der  öffentlichen  Meinung  mit 
der  Politik  der  Regierung  an. 

Mitte  November  wurde  ein  offizielles 
„Communique"  veröffentlicht,  das  sich  auf 
das  in  Peking  am  23.  Oktober  unterzeichnete 
Abkommen  bezog.  Es  betraf  die  mongolische 
Frage.  Ein  ganzes  Jahr  war  notwendig,  um 
China  zu  bestimmen,  dem  im  Herbst  1912 
zwischen  Rußland  und  den  mongolischen 
Piinzen  erzielten  Einverständnis  zuzustimmen; 
nun  ist  dies  endgültig  erledigt.  Beide  ver- 
einbarenden Mächte,  Rußland  und  China,  er- 
kennen offiziell  die  Souveränität  Chinas  über 
die  äußere  Mongolei  an.  Es  muß  hier  darauf 
hingewiesen  werden,  daß  Rußland  eine  sehr 
genaue  Unterscheidungslinie  zwischen  den 
als1  die  innere  und  äußere  Mongolei  bezeich- 
neten asiatischen  Territorien  zieht;  der  Ok- 
tobervertrag betrifft  nur  die  letzteren. 
Andererseits  verspricht  China,  die  Autonomie 
Mongoliens  anzuerkennen;  die  Mongolen  und 
ihre  Fürsten  erhalten  dadurch  das  Recht,  ihre 
eigenen  Angelegenheiten  ohne  auswärtige 
Einmischung    zu    erledigen.      Ueberdies    ver- 


459 


DIE  FRIEDENS -^^PTE 


;© 


sprach!  China  Rußland,  weder  militärische 
Kräfte  noch  zivile  Beamte  in  die  Mongolei 
zu  senden  oder  dort  zu  haben,  sich  in  keiner 
Weise  in  die  mongolischen  Angelegenheiten 
zu  mischen,  und  in  Zukunft  alle  Versuche 
einer  chinesischen  Kolonisation  auf  mongoli- 
schen Gebieten  zu  verhindern.  Als  Ausnahme 
dieser  Regel  ist  es  China  erlaubt,  einen  dau- 
ernden Vertreter  in  Urga  und  zeitweise,  zu 
notwendigen  Unterhandlungen  mit  mongoli- 
schen Behörden,  auch  an  anderen  Plätzen  Ver- 
treter zu  ernennen.  Das  Verbot  der  chi- 
nesischen Kolonisation  ist  eine  sehr  wich- 
tige Maßregel,  wenn  wir  in  Erwägung 
ziehen,  daßi  es!  früher  die  beste  und  wirk- 
samste Methode  war,  chinesischen  Einfluß 
unter  den  Mongolen  zu  verbreiten.  Diese 
Bewegung  war  nicht  nur  politisch,  sondern 
auch  kulturell,  und  ihre  Gefahr  scheint  in 
St.  Petersburg  richtig  eingeschätzt  worden 
zu  sein.  Hinter  dem  chinesischen  Kolonisten 
kam  nicht  nur  der  chinesische  Beamte,  kamen 
auch  chinesische  Kultur  und  Zivilisation,  die 
in  der  Mongolei  sehr  verbreitet  waren.  Durch 
dieses  Uebereinkommen  verpflichtet  sich  auch 
Rußland,  keine  Truppen  in  die  Mongolei  zu 
senden,  ausgenommen  die  militärische  Be- 
deckung der  Konsulate.  Weitere  Details 
würden  später  durch  neue  Abkommen,  so- 
bald sie  durch  die  Lage  bedingt  sein  sollten, 
getroffen  werden.  Der  Vertrag  sieht  auch 
vor,  daß  in  künftigen  wichtigen  Verhandlungen 
zwischen  Rußland  und  China  mongolische 
Autoritäten  daran  teilnehmen  sollen.  Dies 
ist  eine  wichtige  Klausel,  die  den  Mongolen 
die  Möglichkeit  gibt,  etwaige  Wünsche  zu 
äußern.  Es  erübrigt  sich,  noch  abzuwarten, 
wie  nützlich  und  wertvoll  dieses  Ueberein- 
kommen für  beide  Teile,  Rußland  und  die 
Mongolei,  sein  wird.  Während  der  letzten 
Monate  schien  mehr  Unzufriedenheit  mit 
dieser  Politik  als  mit  der  früheren  zu 
herrschen,  was  aber  kaum  ernstliche  Kon- 
sequenzen zur  Folge  haben  wird.  Ende  No- 
vember kam  eine  Spezial-Kommission  nach 
Rußland,  um  die  schwebenden  Fragen  zu  er- 
ledigen, und  es'  ist  unzweifelhaft,  daß  eine 
rasche  Verständigung  darüber  erzielt  werden 
wird.  Die  Abordnung  wurde  in  St.  Peters- 
burg   herzlich    empfangen. 

Große  Erregung  verursachten  vor  einiger 
Zeit  die  in  Berlin  vom  russischen  Minister- 
präsidenten gehaltenen  Reden,  die  zwei  wich- 
tige Fragen  betrafen :  die  auswärtige  und 
die  innere  Politik  Rußlands.  Ueber  die  aus- 
wärtige Lage  ist  nicht  viel  zu  sagen.  In  aus- 
wärtigen Angelegenheiten  gibt  es  gegen- 
wärtig keine  beunruhigenden  Fragen,  und 
über  die  wichtigsten  Dinge  ist  eine  klare 
Ueber  ein  Stimmung  in  Paris,  Berlin,  Wien 
und  London  erzielt  worden.  Das  Konzert  der 
Großmächte  ist  intakt, '  und  Rußland  hat 
keine  Forderungen  zu  stellen.  Kokokzew  hat 
viele  politische  Unterhandlungen  in  Paris  und 
Berlin  gehabt   und  hat  mit   Leichtigkeit   alle 


schwebenden,  den  Balkan,  die  Türkei  und 
Armenien  betreffenden  Fragen  erledigen 
können.  Eine  ganz  andere  Rolle  spielte  aber 
der  zweite  Teil  seiner  Reden,  die  er  mit  Ver- 
tretern der  Presse  hatte.  Es  war  tatsächlich 
ungewöhnlich,  daß  der  russische  Minister- 
präsident sich  Fremden  gegenüber  über 
russische  Angelegenheiten  beklagte  und  ihnen 
erzählte,  daß  die  Duma  und  die  Presse  im 
Lande  nicht  sehr  ins  Gewicht  fallen.  Man 
mag  über  die  Richtigkeit  der  Erklärung  des 
Ministerpräsidenten  im  Zweifel  sein;  die 
Presse  und  die  Duma  haben  unter  den  gegen- 
wärtigen Bedingungen  in  der  Tat  nicht  viel 
zu  sagen;  aber  daß  ihre  Stimme  gar  keine 
Wirkung  in  dem  Lande  hat,  ist  sicherlich  ein 
Irrtum.  Dies  wird  am  besten  durch  den  Sturm 
der  Entrüstung  bewiesen,  der  durch  die  Reden 
entfacht  wurde,  die  allgemein  sowohl  von  den 
Konservativen  wie  von  den  Liberalen  ver- 
urteilt werden. 

Bei  der  Duma  kann  man  deutlich  einen 
Mangel  an  Entscheidung  wahrnehmen.  Das 
wird  durch  die  Schwäche  des  Zentrums  ver- 
ursacht. Die  Parteien  sind  so  geteilt,  daß  die 
kleine  Zentrumsgruppe  die  wichtigsten  'Ent- 
scheidungen in  ihren  Händen  hält  und  jeder- 
zeit die  Wagschale  auf  die  eine  oder  andere 
Seite  neigen  kann.  Die  Konservativen  und 
Reaktionäre  auf  der  einen,  die  Opposition  auf 
der  anderen  Seite,  sind  hoffnungslos  durch 
einen  unüberbrückbaren  Abgrund  getrennt; 
nichts  kann  sie  vereinen.  In  der  Mitte  das 
Zentrum,  das  von  rechts  nach  links  und  von 
links'  nach  rechts  schwankt.  Es'  ist  sehr 
schwer  zu  sagen,  wie  die  Dinge  schließlich 
enden  werden.  Eines  ist  jedoch  sicher:  die 
öffentliche  Meinung  neigt  immer  stärker  der 
Richtung  verfassungsmäßiger  Reformen  zu. 
Dies  macht  die  Zehtrumsgruppe  geneigter, 
mit  der  Opposition  zu  stimmen  und  zu  han- 
deln. Das'  Endresultat  davon  ist,  daßi  die 
Regierung  nicht  mehr  über  eine  sichere  Mehr- 
heit in  der  Duma  verfügt  und  diese  geneigter 
ist,    dem    Ministerium   zu   opponieren. 

Wir  müssen  noch  auf  ein  sehr  wichtiges 
Vorgehen  seitens  der  Marinebehörden  hin- 
weisen, die  sich  auf  die  drahtlosen  tele- 
graphischen Nachrichten  in  der  Ostsee  be- 
zieht. Bis  in  die  jüngste  Zeit  widersetzten 
sich  diese  Tiehörden  dem  Vorhaben,  daß 
Nachrichten  von  oder  zu  einem  Privats'chiff 
gesandt  werden  dürften.  Nun  wird  erklärt,  daß 
alle  Unfallbotschaften,  betreffend  Schiffbruch, 
Feuer  usw.,  von  jeder  russischen  Küstenstation 
übernommen  und  überall  hin,  wo  es  notwedig 
sei,  weitergegeben  werden  sollten.  Das 
gibt  den  Dampfschiffgesellschaften  das'  Recht, 
an  Bord  ihrer  Schiffe  Telegraphenstationen 
zu  errichten  und  diesen  dadurch  die  Mög- 
lichkeit, im  Bedarfsfalle  mit  der  Küste  zu  ver- 
kehren. Wenn  man  die  wichtige  Rolle  in 
Betracht  zieht,  die  telegraphische  Nachrichten 
bei  den  letzten  Schiffskatastrophen  gespie'lt 
haben    und   die   wachsende  große    Sicherheit, 


4  60 


<§= 


DIE  FRI  EDENS -^ARXE 


die  sie  den  Seereisenden  gewähren,  dann 
muß  man  diese  Maßregel  der  russischen  Be- 
hörden als  eine  willkommene  begrüßen.  Die 
Dampfschiffgesellschaften  werden  sich  gewiß 
so  schnell  als  möglich  dieses  Privilegium 
zunutze  machen  und  drahtlose  Telegraphen- 
stationen an  Bord  ihrer  Schiffe  einführen. 
Privater  Nachrichtendienst  ist  noch  nicht 
erlaubt;  aber  es  wird  gewiß  nicht  lange 
dauern,  bis  die  Küstentelegraphenstationen 
auch  diese  annehmen  werden,  weil  Rußland 
schon  eingewilligt  hat,  solche  durch  ihre 
Stationen  am  Schwarzen  Meere  zu  befördern. 
Private  drahtlose  Telegraphenküstenstationen 
sind  in  Rußland  aus  Gründen  strategischer 
Natur   nicht    erlaubt. 


Brief  aus  denVereinigten Staaten. 

Von    Henry    S.    Haskeil,    New  York. 

Die  Republik  Mexiko  und  die  Ver- 
einigten Staaten.  —  Robert  B.acons 
Reise  nach  Süd-Amerika.  —  La- 
tein-amerikanischer Kongreß  in 
Worcester.  —  Winston  Churchills 
Vorschlag  eines  Feier  jahrs  im 
Flotten  bau.  —  Japan  und  die  Ver- 
einigten Staaten.  —  Die  internatio- 
nale Kommission  zum  Studium  der 
Blalkangreuel. 

New   York,  den  24.  Nov.   1913. 

Die  Beziehungen  zwischen  der  Regierung 
der  Vereinigten  Staaten  mit  anderen  Regie- 
rungen haben  in  dem  letzten  Monat  keine 
wesentliche  Veränderung  erfahren.  Die  ge- 
spannten Beziehungen  mit  Mexiko  werden 
selbstverständlich  als  gefährlich  betrachtet. 
Die  Presse  beginnt  die  Politik  des  Präsidenten 
Wilson  zu  kritisieren,  aber  diese  Kritiken  sind 
in  der  Regel  gemäßigt  und  vorsichtig.  Ein- 
flußreiche Persönlichkeiten,  die  über  die 
Fortschritte  der  Ereignisse  genau  informiert 
sind,  halten  es  für  notwendig,  anzunehmen,  daß 
Präsident  Wilson,  in  bezug  auf  die  Situation 
in  Mexiko  wertvolle  Kenntnisse  besitzt,  die 
der  Oeffentlichkeit  unbekannt  sind.  Im  all- 
gemeinen scheint  das  Volk  Präsident  Wilson 
gutgläubig   zu    unterstützen. 

Die  Entwicklung  der  Verhältnisse  in 
Mexiko,  wie  der  Wahlen,  die  sicherlich 
eine  vom  provisorischen  Präsidenten  Huerta 
überwachte  Farce  war,  und  die  Organi- 
sation des  neu  erwählten  Parlaments,  die 
andauernden  und  wichtigen  Siege  der  auf- 
rührerischen Anhänger  der  Verfassung 
unter  General  Carranza,  und  der  Versuch  an- 
derer Regierungen,  auf  Mexiko  einen  Druck 
auszuüben,  haben  bloß  dazu  beigetragen,  die 
Situation  kritischer  zu  gestalten  und  haben  es 
nicht  ermöglicht,  irgendeine  der  schwebenden 
wichtigen  Fragen  zu  erledigen.  Das  am 
meisten  ermutigende  Moment  in  dieser  Si- 
tuation ist,   daß   die  auswärtigen  Aemter  der 


europäischen  Regierungen  mit  dem  Staats- 
departement der  Vereinigten  Staaten  in  bezug 
auf  die  mexikanische  Frage  einig  zu  sein 
scheinen. 

Eine  bewaffnete  Intervention  der  Ver- 
einigten Staaten  in  Mexiko  fängt  an,  ein  wenig 
in  Erwägung  gezogen  zu  werden.  Sie  wird  aber 
nur  als  ein  letzter  unwillkommener  Ausweg 
angesehen,  dem  sich  einflußreiche  Kreise  er- 
bittert widersetzen.  Es  ist  wahrscheinlich,  daß 
Präsident  Wilson  jede  Art  feindseliger  Inter- 
vention vermeiden  wird,  sofern  er  nicht  durch 
die  Aufforderung  europäischer  Regierungen, 
die  Vereinigten  Staaten  mögen  sofort  eine 
Aktion  einleiten,  um  die  chaotischen  Verhält- 
nisse Mexikos  in  Ordnung  zu  bringen,  zur 
Unternehmung  kriegerischer  Aktionen  gezwun- 
gen   werden    sollte. 

Es  wurde  angenommen,  daß  die  Wich- 
tigkeit der  O  elf  eider  von  Zentral -Amerika 
und  der  Wettbewerb  der  bedeutenden,  Oel 
produzierenden  Industrien  der  Vereinigten 
Staaten,  Deutschlands  und  Englands  einen 
ernstlichen  Einfluß  auf  die  Beilegung  der 
Schwierigkeiten  in  Mexiko  haben  könnte.  Eine 
sorgfältige  Prüfung  dieser  Annahmen  zeigte 
aber,  daß,  soweit  sich  dies  auf  die  in  Rede 
stehenden  Regierungen  bezieht,  den  sich  aus 
der  Oelindustrie  ergebenden  wirtschaftlichen 
Fragen  keine  Bedeutung  beigemessen  wird. 
Es  ist  ganz  gut  möglich,  daß  die  an  derj  Oel- 
industrie interessierten  Persönlichkeiten  all 
ihren  persönlichen  Einfluß  aufbieten  werden, 
aber  es  erscheint  nicht  wahrscheinlich,  daß 
dieser  Einfluß  auch  nur  die  kleinste  Wir- 
kung auf  die  Politik  der  verschiedenen  Re- 
gierungen ausüben  könnte. 


Im  Auftrage  der  Carnegie  Endowment 
for  international  peace  besucht  der  ehemalige 
Staatssekretär  Robert  Blacon  die  Republiken 
Süd-Amerikas.  Die  Reise  erfolgt,  um  die 
Völker  der  latein-amerikanischen  Republiken 
mit  den  wirklichen  Idealen  der  Regierungs- 
theorie der  Vereinigten  Staaten  bekannt  zu 
machen,  und  etwaig  vorhandenes  Mißtrauen 
oder  bestehenden  Argwohn  zu  zerstreuen. 
Bacon  wurde  sehr  herzlich  empfangen  und 
sein  Besuch  begegnete  großem  Interesse.  Er 
erklärte  sorgfältig  die  Arbeitsmethoden  der 
Vereinigungen  für  internationale  Verständi- 
gung und  fand  begeisterte  Männer  der 
Oeffentlichkeit,  die  bereit  und  willig  waren, 
die  Organisation  ähnlicher  Gesellschaften 
in  Brasilien,  Argentinien  und  Peru  zu  unter- 
nehmen. 


Ein  wichtiger  latein-amerikanischer  Kon- 
greß wurde  letzte  Woche  in  der  Clark-Univer- 
sität,  Worcester,  Mass.,  abgehalten,  wo  eine 
Frage  von  großer  Wichtigkeit,  die  der  Monrce- 
Doktrin  und  ihre  Anwendung  auf  Fragen  der 
Gegenwart,   erörtert   wurde.    Hon.    Charles 


461 


DIE  FRIEDENS- V&QTE  = 


3 


H.  Sh!er rill,  früher  Gesandter  der  Ver- 
einigten Staaten  in  Argentinien,  verteidigte  die 
Fortsetzung  der  Doktrin,  wonach  Amerika 
nicht  ein  Feld  für  europäische  Kolonisation 
sein  solle,  und  erklärte  es  für  angebracht,  daß 
es  unter  den  jetzigen  Umständen  wünschens- 
wert wäre,  daß  die  Vereinigten  Staaten  nicht 
mehr  allein  die  Lasten  der  Verteidigung  dieser 
Doktrin  tragen,  sondern  auch  amerikanische 
Republiken  auffordern  sollten,  sich  den  Ver- 
einigten Staaten  zur  Aufrechterhaltung  dieser 
Politik  anzuschließen.  Professor  Philipp  M. 
Brown  von  der  Princeton  Universität,  frü- 
herer amerikanischer  Gesandter  in  Honduras, 
befürwortete  eine  Union  der  kleinen  Repu- 
bliken   Zentral-Amerikas. 

W.  D.  Boyce  machte  einen  interessanten 
Vorschlag.  Die  Panamakanalzone  sollte  'als 
Freistadt  und  Freihafen  erklärt  werden,  wo 
weder  Ein-  noch  Ausfuhrgebühren  erhoben 
werden  sollten.  Solch  ein  Freihafen,  der 
durch  internationale  Verträge  geschützt  und 
neutralisiert  werden  müßte,  so  daß  kein  Wech- 
sel der  Regierung  oder  der  Politik  und  keine 
Aktion  einer  ausländischen  Regierung  etwas 
daran  ändern  könnte,  würde  ein  Weltzentrum 
für  einen  freien  Warenaustausch  werden  und 
dadurch  sehr  bedeutende  internationale  Han- 
delsbeziehungen anbahnen  und  eine  der 
ganzen  Welt  zugute  kommende  Handels- 
erleichterung bewirken.  Earl  Harding, 
vom  Redaktionsstab  der  New  York  World, 
erklärte  dem  Kongreß  die  Ursachen  der  noch 
unerledigten  Streitfrage  zwischen  den  Ver- 
einigten Staaten  und  der  Regierung  von  Ko- 
lumbien. Er  befürwortete,  daß  das  seitens 
Kolumbien  während  der  Panamarevolution  er- 
littene Unrecht,  wenn  möglich,  durch  diplo- 
matische Vereinbarungen,  eventuell  durch 
Schiedsgerichtsbarkeit,     gutgemacht     werden 

sollte. 

*  * 

* 

(Bedeutendes  Interesse  brachte  der  Kon- 
greß dem  vom  ersten  Lord  der  britischen 
Admiralität  Winston  Churchill  Deutsch- 
land gemachten  Vorschlag,  für  eine  bestimmte 
Zeit  das  Bauen  von  Kriegsschiffen  einzustellen. 
Der  Marine-Sekretär  der  Vereinigten  Staaten, 
Joseph us  Daniels,  trat  dafür  ein,  daß 
alle  Kulturnationen  eine  Vereinbarung  ein- 
gehen sollten,  die  das  Bauen  von  Kriegs- 
schiffen für  eine  bestimmte  Zeit  verbietet.  In 
einem  Interview  vom  26.  Oktober  sagte 
Daniels:  „Ich  glaube,  daß  eine  solche  Ver- 
einbarung früher  oder  später  aus  wirtschaft- 
lichen Rücksichten  gemacht  werden  muß.  Die 
Hysterie  der  Flottenvorbereitungen  wird  eine 
zu  große  Bürde  der  Völker.  Wir  geben  jähr- 
lich ungefähr  140  000  000  Dollars  für  unsere 
Flotte  und  einen  gleichen  Betrag  für  unser 
Heer  aus.  Das  ist  aber  nur  eine  Kleinigkeit 
gegen  die  Summen,  die  die  europäischen  Groß- 
mächte und  Japan  für  neue  Schiffe,  die  alle 
früher  gebauten   verdrängen  und   veraltet   er- 


scheinen lassen,  ausgeben.  Die  Welt  steht 
heute  vor  der  Anomalie,  ihre  Flotte  durch  das 
beständige  Anwachsen  weniger  zureichend  zu 
machen.  Denn  wenn  neue  Schiffe  mit  ihrer 
mächtigeren  Bewaffnung  fertiggestellt  sind, 
dann  werden  die  kleineren  Schlachtschiffe,  ab- 
gesehen von  der  Küstenverteidigung,  wertlos. 
Wenn  nicht  bald  eine  Vereinbarung  getroffen 
wird,  dann  wird  jeder  Bürger  —  bildlich  ge- 
sprochen ' —  einen  Soldaten  auf  seinem  Rücken 
tragen."  Im  Senat  und  im  Repräsentanten- 
hause wurden  Resolutionen  befürwortet,  die 
den  Präsidenten  der  Vereinigten  Staaten  auf- 
forderten, seine  guten  Dienste  für  das  Zu- 
standekommen einer  Vereinbarung  zwischen 
den  Nationen  der  Welt  einzusetzen,  zugunsten 
einer  Periode  der  Untätigkeit  im  Kriegsschiff- 
bau. Champ  Clark,  der  Speaker  des  Re- 
präsentantenhauses, sprach  sich  ebenfalls  zu- 
gunsten einer  solchen,  der  nächsten  Kongreß- 
sitzung vorzulegenden   Resolution  aus*). 


Die  diplomatische  Situation  zwischen 
Japan  und  den  Vereinigten  Staaten  hat  keiner- 
lei Veränderung  erfahren.  Am  11.  November 
hielt  Dr.  HamiltonWright  Mabie  einen 
Vortrag  in  New  York  über  den  Frieden  im 
fernen  Osten.  Dr.  Mabie  lobte  sehr  den  Fleiß, 
die  Loyalität,  die  fortschrittliche  Gesinnung 
der  Japaner,  und  beschrieb  die  wunderbare 
Raschheit  ihrer  Entwicklung  während  der  ver- 
gangenen fünfzig  Jahre.  Als  ein  Beispiel  dafür 
sei  die  Universität  von  Tokyo  genannt,  an 
der  jährlich  6000  Studenten  inskribiert  sind, 
trotzdem  sie  erst  vor  42  Jahren  begründet 
wurde.  Dr.  Mabie  erklärte,  daß  Japan  ein 
Gefühl  der  Zuneigung  und  der  Bewunderung 
für  die  Vereinigten  Staaten  habe,  und  daß  die, 
die  Japan  für  kriegslustig  halten,  die  tatsäch- 
lichen  Verhältnisse   nicht   kennen. 

Am  14.  November  hielt  der  frühere  Prä- 
sident William  H.  Taft  in  der  National 
Geographical  Society  in  Washington  eine  Rede, 
worin  er  das  Verhalten  des  kalifornischen 
Staates  gegen  die  japanische  Einwanderung 
einer  strengen  Kritik  unterzog.  Er  führte  unter 
anderem  aus :  „Die  einzige  Gefahr  eines  Krie- 
ges wird  durch  das  Unrecht  gegeben,  das  wir 
den  Japanern  zufügten.  Wir  haben  als  Ehren- 
männer einen  Vertrag  hinsichtlich  der  Ein- 
wanderung ihrer  Arbeiter  in  dieses  Land  mit 
ihnen  abgeschlossen,  durch  den  wir  diese  ihrer 
Aufsicht  überließen,  unter  der  Voraussetzung, 
daß  die  Einwanderung  nicht  zunehmen  würde, 
Sie  haben   diese  Vereinbarung   gehalten." 


Sehr  viel  Interesse  fand  das  Werk  der 
Untersuchungskommission,  die  im  August  zum 
Studium  der  Greuel  nach  dem  Balkan  gesandt 

*)  Nachschrift  der  Redaktion:  Wie  ein  Tele- 
gramm meldet,  nahm  das  Repräsentantenhaus 
am  8.  Dezember  den  Antrag  über  das  Flotten- 
feierjahr    mit    317    gegen    11    Stimmen    an. 


462 


@= 


=  DIE  FRIEDENS -WARTE 


wurde.  Die  internationale  Kommission  ist  dar- 
angegangen, ihren  Bericht  abzufassen  und  her- 
auszugeben. Er  wird  aber  kaum  vor  Anfang 
des  nächsten  Jahres  veröffentlicht  und  ver- 
breitet werden  können.  Der  Bericht  wird  dann 
in  deutscher,  französischer  oder  englischer 
Sprache,  kostenlos,  auf  Wunsch,  versandt 
werden. 

n  RANDGLOSSEN  XX 
ZVÜ  ZEITGESCHICHTE 

Von    Bert  ha    v.    Suttner. 

Wien,  den  6.  Dezember  1913. 
„Die  Unruh  der  Welt"  ithe  world's 
unrest),  das  ist  ein  Satz,  der  gegenwärtig 
in  der  englischen  Publizistik  geläufig  als 
Spitzmarke  für  die  Betrachtungen  über  die 
Ereignisse  des  Tages  gebraucht  wird.  Und 
wahrlich  mit  Recht:  Stillstand  und  volle 
Ruhe  hat  es  zwar  niemals  gegeben;  aber 
ein  solches  Gären  und  Brodeln,  eine  solche 
Unsicherheit,  eine  solche  Ueberstürzung  von 
Gefahren,  Drohungen,  Konflikten  und  Krisen, 
wie  die  jüngste  Zeit  sie  aufweist,  das'  hat 
noch  keiner  von  uns  erlebt.  Wenn  das  so 
weiter  kracht  und  wirbelt  und  aufblitzt,  was 
soll  da  kommen?  Die  Antwort  wäre  einfach: 
„Was  kommen  muß:,  ist  Zusammenbruch, 
Weltkrieg,  Anarchie ..."  Aber  diese  Ant- 
wort stützt  sich!  nur  auf  eine  Kate- 
gorie der  gegenwärtigen  Unruhphänomene, 
und  zwar  die  lautesten,  sichtbarsten,  zornig- 
sten. Sie  zieht  nicht  die  stillen  Kräfte  und 
leisen  Mächte  in  Rechnung,  die,  im  Lichte 
aufdämmernder  Erkenntnis  und  erwachen- 
den Gewissens  an  der  Arbeit  sind,  mit 
rettenden  Ideen  und  erlösenden  Taten  das 
Unheil    abzuwehren. 

MS 

Nehmen  wir  aus  der  Fülle  der  weltbeun- 
ruhigenden Erscheinungen  z.  B.  diese  heraus: 
den  Rüstungswahnsinn.  Er  tobt  weiter  — 
aber  die  stillschweigende  Konvention,  daß 
man  in  politischen  Kreisen  nicht  dagegen 
reden  darf,  und  der  allgemeine  Glaube,  daß 
man  nichts  dagegen  tun  kann,  die  werden 
immer  häufiger  durchbrochen.  Es  seien 
hier  einige  Anzeichen  aus  der  letzten  Zeit 
notiert.  Daß.  es1  nicht  die  ersten  sind, 
wissen  wir  ja;  wir  haben  doch  das  Manifest 
des1  Zaren  und  so  viele  andere  abgeschlagene 
Versuche  und  Anträge  nicht  vergessen. 
Aber  um  das  Immer-wieder-Auftauchen  han- 
delt es  sich.  Und  um  das  Auftauchen  unter 
neuen  Gesichtspunkten,  neuen  Umständen, 
neuen  Notwendigkeiten.  Und  auch  um  die  Be- 
gleitmusik, welche  die  Tatsachen  zu  dem  Texte 
abgaben.  Der  Vorschlag  Churchills,  ein 
Ferienjahr  im  Flottenbau  eintreten  zu  lassen, 
wurde  schon  in  der  vorigen  ,, Friedens-Warte" 
besprochen;  seither  sind  folgende  offizielle 
Aeußerungen    zu    verzeichnen : 


Lloyd  George  in  seiner  Rede  vom 
8.  November  in  Middleton  sagte:  ,,Es  wäre 
besser  für  England,  Deutschland,  Frankreich 
und  Rußland,  wenn  sie  die  Ausgaben  für  die 
Rüstungen  ins  Meer  würfen,  als'  sie  für  Ma- 
schinen zu  Menschenschlächtereien  zu  ge- 
brauchen. Ein  Land  allein  kann  das  nicht 
tun,  aber  alle  zusammen  können  es.  Be- 
sonders wenn  sie  sich  von  gewissen  Zeitungen 
freimachen  würden." 

Bei  einer  Versammlung  der  liberalen 
Partei  in  Leeds,  deren  Hauptresolution  die 
Einschränkung  der  Rüstungen  verlangte: 
sagte  Premierminister  A  s  q  u  i  t  h :  ,,Ich  be- 
dauere ebenso  sehr  wie  jeder  der  An- 
wesenden, daß  ein  so  großer  Teil  des1 
nationalen  Wohlstandes  auf  der  ganzen  Welt 
in  unproduktive  Kanäle  geleitet  wird.  Wenn 
Sie  mich  fragen,  ob  das  so  weitergehen  soll, 
muß  ich  zur  Antwort  geben,  daß  ohne  Ko- 
operation der  Großmächte  —  angereizt 
durch  die  Forderungen  ihrer  Völ- 
ker —  keine  Aussicht  auf  Besserung  vor- 
handen ist.  Ich  selbst  und  meine  Kollegen 
würden  sicherlich  gern  jede  Gelegenheit  er- 
greifen, die  Last,  die  schwer  auf  den  besten 
Hoffnungen  und  edelsten  Aspirationen  der 
Menschen   lastet,    zu    erleichtern." 

Mit  diesen  Worten  wird  dem  organisierten 
Pazifismus  ein  Placet  gegeben,  der  ja  darauf 
hinarbeitet,  daß  die  Forderung  der  Völ- 
ker die  Regierungen  zur  Koopera- 
tion  drängt. 

Am  30.  November  machte  der  Marine- 
sekretär Daniels  dem  Kongreß  zu  Washington 
seine  Vorschläge.  In  der  Einleitung  seiner 
Rede  drückte  er  die  Hoffnung  aus,  daß  die 
Vereinigten  Staaten  die  Initiative  ergreifen 
werden,  um  unter  den  Mächten  eine  dauernde, 
gegen  das  Uebermaß  in  den  Marinerüstungen 
gerichtete  Politik  zu  begründen. 

Von  so  vielen  Seiten  her  (und  zwar  von 
Marineministern  selber)  dieser  Ruf  nach  Ver- 
ständigung zur  Einschränkung!  Wie  lange 
noch  taube   Ohren? 


Die  Auflehnung  gegen  die  Rüstungen 
dringt  schon  an  Stellen,  wo  man  sonst  nicht 
gewohnt  war,  sie  zu  finden.  In  ihrem  Leit- 
artikel vom  4.  Dezember  bespricht  die  Neue 
freie  Presse  den  Sturz  des  Ministeriums  Bar- 
thou,  das  wegen  der  Rentenfrage,  also  wegen 
eines  finanziellen  Tiefstandes  des  sonst  so 
übermütig  reichen  Frankreichs  erfolgt  ist.  In 
dem  Leitartikel  wird  dieses  Ergebnis  der  all- 
gemeinen Rüstungspolitik  zugeschrieben,  „die 
das  Mark  der  Völker  aussaugt,  die  zur  wirt- 
schaftlichen Arbeit  nötigen  Säfte  verbraucht, 
den  Mangel  an  Kapital  hervorruft,  die  Lebens- 
verhältnisse verschlechtert  und  Not  über  die 
Erde  verbreitet."  Und  weiter:  „Es  scheint^ 
daß  die  Fluten  bis  zu  jenem  Strich  am  Pegel 
gestiegen  sind,  wo  ein  Zerreißen  der  schützen- 
den   Dämme    droht,    und   die    Besorgnis    auf- 


463 


DIE  FBIEDENS -^VADTE 


;© 


blitzt,  ob  die  Rüstungen  nicht  mit  Verwüstun- 
gen enden  werden."  Erst  jetzt  blitzt  diese 
Besorgnis  auf,  fünfzehn  Jahre  nach  Johann 
von  Blochs  dröhnendem  Alarmruf?  Und 
weiter:  „Die  Rüstungspolitik  ist  überall  vor 
einer  sich  auftürmenden  Mauer  angelangt.  Die 
Völker  werden  durch  die  Bedrängnis  der  Ver- 
suchung zugänglich,  sich  entweder .  gegen  die 
Kriegsminister  aufzulehnen,  oder  verzweifelt 
durch  Blut  und  Eisen  aus  dem  jetzigen  Wirr- 
sal  herauszustürzen."  Zum  Glück  führen  noch 
andere  Wege  aus  dem  Wirrsal  hinaus:  näm- 
lich Vernunft   und   edler  Wille. 


Der  „Matin"  veröffentlichte  einen  Ge- 
Geheimvertrag,  der  im  Juni  1912  zwischen 
dem  serbischen  und  bulgarischen  Generalstab 
abgeschlossen  wurde.  Darüber  durch  zwei 
Tage  wilde  Sensation  in  der  österreichischen 
Presse,  weil  in  dieser  Militärkonvention  vor- 
gesehen war,  daß  sich  die  beiden  Kontra- 
henten gegen  etwaige  Angriff e  unserer  Mon- 
archie oder  im  Falle  ihres  Einmarsches1  in 
den  Sandschak  sich  gegenseitig  Schutz  leisten 
und  Oesterreich  Krieg  erklären  würden.  Wie 
eine  geplatzte  Biombe  wurde  diese  Nachricht 
aufgenommen.  „Geplanter  Dolchstoß  in  den 
Rücken  der  Monarchie."  —  „Komplotte  gegen 
den  Frieden  Europas."  —  „Also  nicht  gegen 
die  Türkei,  sondern  gegen  uns  haben  sich  die 
Balkanstaaten  verbündet!"  —  „Und  Rußland 
war  davon  verständigt  —  also  eine  regel- 
rechte Verschwörung,  Oesterreich  mit  Krieg 
zu  überziehen."  König  Ferdinand  weilte  eben 
in  Wien.  Als  entlarvter  Verräter  wurde  er 
bezeichnet,  den  man  sofort  ausweisen  müsse. 
Doch  da  geschah,  daß  der  Kaiser  den  bul- 
garischen Zaren  in  Schönbrunn  mit  aller  Aus- 
zeichnung empfing,  ihm  auf  dem  Treppen- 
absatz entgegenging  und  nach  einer  halb- 
stündigen Unterhaltung  wieder  zum  Treppen- 
absatz hinausbegleitete.  Da  verstummte  mit 
einem  Schlage  das  antibulgarische  Gezeter 
und  es  hieß :  Die  Veröffentlichung  ist  von  der 
russophilen  Partei  Bulgariens  ausgegangen, 
die  damit  Bulgarien  vor  Oesterreich-Ungarn 
zu  kompromittieren  sucht.  Uebrigens  habe  die 
hiesige  Regierung  bereits  längere  Zeit  vor  Aus- 
bruch des  Balkankrieges  genaue  Kenntnis  von 
diesen  Verträgen  gehabt,  und  hat  sich  doch 
nicht  von  ihrer  bulgarenfreundlichen  Politik 
abbringen  lassen,  weil  sie  „gewisse  Versiche- 
rungen darüber  hatte,  daß  diese  Verträge  nie 
erfüllt  werden  würden".  Verträge  mit  Rück- 
versicherungen, daß  sie  niemals  erfüllt  wer- 
den —  das  ist  auch  so  ein  hübsches  Gericht 
aus  der  diplomatisch-militärischen  Geheim- 
kocherei!  Nun  wurde  der  publizistische  Bul- 
garengroll gedämpft  und  die  vorhandene  Er- 
regung ganz  auf  das  intrigierende  Rußland  ge- 
lenkt, das  mit  Hilfe  seiner  beiden  Verbünde- 
ten den  Balkanbund  zum  Verderben  Oester- 
reichs  schmieden  wollte.  Es  ist,  als  wäre  die 
Welt  von  lauter  Uebeltätern  erfüllt  und  alle 


Regierungskunst  und  -Weisheit  nur  auf  das 
Durchblicken  und  Durchkreuzen  der  nachbar- 
lichen Uebeltaten  beschränkt.  Diese  Wendung 
kam  aber  auch  wieder  den  eben  in  den  Dele- 
gationen verhandelten  Militärforderungen  (und 
den  Panzerplattenfabriken)  zugute,  weil  es  doch 
zeigte,  wie  gut  man  getan  hatte,  gegen  die 
Nachbarn  zu  mobilisieren  und  wie  notwendig 
es  ist,  gegen  die  weiteren  Eventualitäten 
weiter  zu  rüsten. 


Die  ganze  Enthüllungssensation  war  aber 
schnell  von  der  Bildfläche  verschwunden,  weil 
eine  neue  größere  Sensation  auftauchte :  Z  a  - 
b  e  r  n  ,  Militärgroteske  in  vier  Aufzügen.  Es 
hätte  auch  eine  Tragödie  werden  können.  Die 
ganze  Affäre  warf  übrigens  wieder  ein  grelles 
Licht  auf  den  immer  heftigeren  Widerspruch 
zwischen  dem  sporrenklirrenden  Degen-durch- 
den-Leib-rennendenReitergeist  und  der  -mo- 
dernen Zeit.  Kaiser  Wilhelm  hat  sich  zum 
Glück  zu  rechter  Stunde  modern  gezeigt.  Wie 
übrigens  das  Kriegsgericht  entscheiden  wird, 
ist  auch  noch  abzuwarten.  Möglicherweise 
wird  der  General  beförderungsweise  versetzt, 
der  Oberst  leise  gerügt,  der  junge  „Führer 
wie  wir  sie  brauchen"  etwas  unzarter  am  Ohr 
gebeutelt,  am  härtesten  aber  die  ausplaudern- 
den Rekruten  gestraft. 
Mit 

Der  Ministersturz  in  Frankreich  ist  etwas 
mehr  als  eine  gewöhnliche  Krise  —  es  ist 
auch  ein  Symptom  der  tiefgehenden  Unrast, 
von  der  das  Land  geschüttelt  ist.  „Nieder 
mit  der  dreijährigen  Dienstzeit!"  rufen  die 
einen  in  der  Kammer.  „Es  lebe  Frankreich!" 
rufen  die  andern  zurück.  Radikale  und  Re- 
aktionäre stehen  sich  erbittert  und  kampf- 
bereit gegenüber.  Wird  da  wieder  eine  große 
Revolution  vorbereitet  ?  Nein,  so  sehr  wieder- 
holt sich  die  Geschichte  nicht.  Ganz  neue 
Elemente  sind  jetzt  in  Tätigkeit  gekommen. 
Wäre  doch  ein  Leon  Bourgeois  an  der  Spitze 
der    Republik  I,  .... 

Der  König  von  Italien  hat  eine  Thron- 
rede gehalten,  welcher  man  bei  uns  vorge- 
worfen hat,  daß  sie  ohne  Wärme  vom  Drei- 
bund gesprochen  und  dabei  Oesterreich- 
Ungarn  gar  nicht  erwähnte.  Warum  sollen 
denn  Alliierte,  die  zwischen  einander  Grenz- 
forts bauen,  miteinander  warm  sein?  Der 
König  sagte,  der  Dreibund  und  die  Triple- 
entente  sicherten  durch  ihr  Gleichgewicht  den 
Frieden.  Wie  sicher  dieser  Gleichgewichts- 
frieden bei  all  den  Verschiebungen  ist,  das 
haben  wir  im  letzten  Jahr  gesehen.  Ueber- 
haupt,  wie  kann  man  sich  nur  immer  wieder 
freuen,  daß  der  bestehende  Zustand  der  Zwei- 
Mächte-Gruppen,  der  zu  all  den  Rüstungen 
und  Befürchtungen  und  Aufregungen  Anlaß 
gibt,  weiter  besteht.  Die  Notwendigkeit  der 
Neugestaltung  —  nicht  Verschiebung  —  der 


464 


<§; 


DIE  FRIEDEN5-^ADXE 


beiden  "Dreibünde  drängt  sich  doch  immer 
eklatanter  auf.  Dann  fiele  auch  die  Frage 
weg,  an  welche  Gruppe  der  etwaige  wieder- 
hergestellte   Balkanbund    sich    anschlösse. 

MB 

Die  Türkei,  die  totgesagte,  richtet  sich 
wieder  eine  neue  Flotte  und  ein  neues  Heer 
auf.  Sie  bestellt  sich  deutsche  Instruktoren. 
Rußland  protestiert  dagegen.  Bulgarien 
schickt  seine  übriggebliebenen  Jünglinge  in 
deutsche  Kadettenschulen,  auf  daß  sie  sich 
vorbereiten  mögen,  das  Verlorene  zurück- 
zugewinnen. Das  wilde  Albanien  hat  einen 
König  erhalten,  der  sich  eine  Armee  zu- 
sammenstellen wird.  Die  griechische  Insel- 
frage schwebt  noch. . .  Sind  das  alles  Ge- 
fahren ?  Ah,  bah !  Man  braucht  ja  nur 
Dreadnoughts  zu  bauen  —  da  gibt  es  nichts 
zu  fürchten   mehr. 

Wenn  man  nach  all  dieser  europäischen 
kriegerischen  Unrast  von  der  Botschaft  ver- 
nimmt, die  Präsident  Wilson  am  2.  Dezember 
an  den  Kongreß  gerichtet  hat,  so  klingt  das 
wie  ein  Geläute  aus  einem  weltfernen  Stern. 
,"Unser  Vaterland  lebt  glücklicherweise  mit 
aller  Welt  in  Frieden.  Es  mehren  sich  allent- 
halben die  erfreulichen  Kundgebungen,  welche 
ein  Erstarken  der  Freundschaft  und  des  Ge- 
fühles1 der  Interessengemeinschaft  unter  den 
Völkern  zum  Ausdruck  bringen,  so  daß  wir 
ein  Zeitalter  des  gefestigten  Frie- 
dens und  desgutenEinvernehmens 
voraussehen  können.  Mit  jedem  Jahr- 
zehnt zeigen  die  Völker  größere  Bereitwillig- 
keit, in  feierlichen  Verträgen  zur  Erhaltung 
des  Friedens,  zu  fortschreitender  Offenheit 
und  billigem  Entgegenkommen  sich  zu  ver- 
pflichten. Bisher  waren  es  die  Vereinigten 
Staaten,  welche  bei  solchen  Verhandlungen 
an  der  Spitze  marschierten.  Sie  werden  auch, 
wie  ich  ernstlich  hoffe  und  bestimmt  glaube, 
einen  neuen  Beweis'  ihres  aufrichtigen  Fest- 
haltens an  den  Gedanken  der  internationalen 
Freundschaft  gelegentlich  der  Ratifikation 
mehrerer  Schiedsgerichtsverträge  geben,  die 
ihrer  Erneuerung  durch  den  Senat  harren."  — 
,,Das  Zeitalter  des  gefestigten  Friedens" : 
Woodrow  Wilson  sieht  es  kommen.  Und  er 
arbeitet  dafür. 

PAZIFISTISCHE  CHRONIK 

27.  Oktober.  Es  gelingt  zum  ersten  Male 
eine  zusammenhängende  drahtlos  gesprochene 
Mitteilung  von  Europa  nach  Amerika  hin- 
überzugehen. {Zwischen  Hannover  und  Nero  Jersey 
auf  6500  Kilometer). 

27.  Okiober.  Der  Staatssekretär  der  Vereinigten 
Staaten,  Bryan,  billigt  die  Erklärung  des  Marine- 
sekretärs Daniels,  dass  die  Vereinigten  Staaten 
bereit  wären,  ihre  Schiffsbauten  auf  ein  Jahr 
zu  suspendieren,  wenn  andere  Staaten  dem 
Vorschlag  Churchills  folgen  ivollten. 


31.  Oktober.  Im  amerikanischen  Repräsentanten- 
haus  befürworten  der  Speaker  Clark  und  der  Ver- 
treter Mann  den  Churchill  sehen  Vorschlag  für 
ein  Flotten- Ferien- Jahr. 

Anfang  November.  In  Paris  beginnt  eine 
Monatsschrift  zu  erscheinen,  die  sich  „Die  Ver- 
söhnung" betitelt  und  sich  den  franco- deutschen 
Ausgleich  zur  Aufgabe  macht. 

Anfang  November.  Die  Leitung  der  Deutschen 
Friedensgesellschaft  befürwortet  in  einer  Ein- 
gabe an  den  Reichskanzler  eine  Zustimmung 
Deutschlands  zu  den  Bryan' sehen  Schieds- 
vertrag-Vor  schlagen. 

8.  November.  Lloyd  George  sagt  in  Middles- 
burg:  Es  wäre  besser  für  Deutschland,  England, 
Frankreich,  Rusdand,  wenn  sie  ihre  Ausgaben  für 
die  Rüstungen  in  die  Nordsee  werfen  ivürden, 
als  sie  für  die  fürchterlichen  Maschinen  und  Werk- 
zeuge zur  Menschenschlächterei  zu  verwenden. 

10.  November.  Am  Lord- Mayor- Bankett  teilt 
Marineminister  Churchill  mit,  dass  die  Entwicklung 
der  deutschen  Flotte  und  anderer  kleinerer  Marinen 
von  England  Ausgaben  verlangen  werden,  die 
grösser  sind,  als  sie  das  Land  sich  je  in 
Friedenszeiten  auferlegt  habe. 

12.  November.  In  London  wird  eine  int.  Kon- 
ferenz für  die  Sicherheit  auf  dem  Meere  er- 
öffnet. 

13.  November.  Der  Friede  zioischen  Griechen- 
land und  der  Türkei  in  Athen  unterzeichnet. 

14.  November.  Tagungeines  int.  statistischen 
Kongresses  in  Brüssel. 

14.  November.  Die  in  Brüssel  tagende  int. 
Konferenz  für  Handelsstatistik  beschliesst  die 
Gründung  eines  internationalen  Bureaus  in  Brüssel. 

15.  November.  Marineminister  Churchill  spricht 
in  einer  grossen  liberalen  Massenversammlung  in 
London  über  die  Floitenrüstungen.  „Wieviel  Gutes 
könnte  in  der  Rüstungsfrage  ein  bisschen 
guter  Wille  tun!  Nur  eine  Kleinigkeit  trennt 
uns  von  dem  Zustand  eines  weltweiten  Ver- 
trauens, internationalen  Friedens  und  all- 
gemeinen guten  Willens,  der  all  diese  be- 
dauernswerten Vorbereitungen  unnötig  machen 
oder  wenigstens  stark  einschränken  würde. 
Um  wieviel  besser  könnten  toir  die  Welt  gestalten, 
wenn  alle  Nationen  tatsächlich  den  Versuch  machen 
ivollten". 

15.  November.  Entsendung  einer  int.  diplo- 
matischen Kommission  zum  Zweck  der  Fest- 
setzung der  russisch-persischen  und  persisch-türkischen 
Grenze. 

15.  November.  Baron  Carlsson  Bonde,  Präsi- 
dent des  XVIII.  Weltfriedenskongresses,  Mitglied  des 
Berner  Bureaus  zu  Stockholm  f. 

Mitte  November.  Der  österr.-ungar.  Thronfolger 
Franz  Ferdinand  am  Londoner  Hofe. 

Mitte  November.  Der  russische  Ministerpräsident 
Kokotozew  in  Berlin. 

17.  November.  In  Bern  tagt  eine  int.  Kon- 
ferenz für  Wel  tnatur ■schütz. 

18.  November.    Int.  Zollkonferenz  in  Paris. 


465 


DIE  FBIEDENS-^^ADTE  = 


© 


22.  November.  König  Alfons  von  Spanien 
in  Wien. 

27.  November.  In  der  Volkshalle  des  Wiener 
Rathauses  findet  eine  von  der  österr.  Friedens - 
gesellschaft  einberufene  Massen- Protest- Ver  - 
Sammlung  gegen  die  Zunahme  der  Rüstungen 
statt. 

29.  November.  Die  Deutsche  Vereinigung 
für  internationales  Recht  veranstaltet  in  Berlin 
ihre  erste  Konferenz.  (Thema:  Einfluss  des  See- 
krieges auf  die  Rechtsverhältnisse  Privater.) 

29.  November.  Der  bayrische  Ministerpräsident, 
Freiherr  von  Her  Hing,  sagt  im  bayrischen  Landtag: 
„In  diesen  Rüstungen  muss  Ruhe  eintreten 
auf  Jahre  hinaus,  denn  das  deutsche  Volk 
ist  nicht  mehr  imstande,  weiter  solche  Lasten 
auf  sich  zu  nehmen." 

30.  November.  Im  amerikanischen  Kongress 
gibt  der  Marinesekretär  Daniels  der  Hoffnung 
Ausdruck,  dass  die  Vereinigten  Staaten  die  Initiative 
zu  einer  Politik  des  Ebenmasses  in  den  See- 
rüstungen ergreifen  werden. 

Ende  November.  Auf  der  Jahreskonferenz  der 
National  Liberal  Federation  in  Leeds  wird 
eine  Resolution  gegen  die  von  Churchill  an- 
gekündigte Vermehrung  der  Rüstungen  an- 
genommen. 

2.  Dezember.  In  seiner  Jahresbotschaft  an  den 
Kongress  betont  Präsident  Wilson,  dass  wir  ein 
Zeitalter  des  gefestigten  Friedens  voraussehen 
können.  31  Nationen  hätten  sich  zu  Verhandlungen 
über  die  Bryan'schen  Schiedsverträge  bereit  erklärt. 

8.  Dezember.  Das  amerikanische  Repräsentanten- 
haus nimmt  einen  Antrag  zugunsten  des  Chur- 
chillschen  Vorschlages  über  das  Flotten  feier  - 
Jahr  mit  317  gegen  11  Stimmen  an. 

10.  Dezember.  Der  Friedenspreis  der  \Nobel- 
stiftungfäUtHenriLa  Fontaine  undElihu  Root  zu. 


□  AUS  DER  3EITD 

Völkerrecht. 

Vorbereitung  der  IM.  Haager  Konferenz.  ::        :: 

In  der  Sitzung  der  ungarischen  Delegation 
vom  21.  November  interpellierte  der  Delegierte 
Exzellenz  Albert  v.  Berzeviczy  den  Mi- 
nister des  Aeußeren  über  die  nächste  Haager 
Konferenz,  die  seinen  Informationen  nach  von 
der  Eatifikation  der  Londoner  Seerechtsdekla- 
ration durch  England  abhängen  soll.  Er  fragt 
über  den  Stand  der  Angelegenheit.  Die  Ant- 
wort des  Regierungsvertreters  lautete  folgender- 
maßen: 

„Bekanntlich  begegnet  die  am  26.  Februar 
1909  in  London  zwischen  den  großen  Seemäch- 
ten geschlossene  Seekriegs  rechtsdekla- 
ration  dem  Widerstände  der  englischen  Han- 
dels- und  Schiffahrtskreise,  welche  befürch- 
ten, daß  einzelne  Bestimmungen  derselben  im 
Kriegsfälle    eine    den    neutralen    Handel    lahm- 


legende Interpretation  erfahren  werden.  Die 
britische  Kegierung  teilt,  wie  sich  aus  den  pax- 
lamentarischen  Verhandlungen  über  die  Naval 
Prize  Bill  ergibt,  diese  Bedenken  insoweit  mit, 
als  sie  glaubt,  daß  die  befürchtete  Interpre- 
tation der  Vertragsbestimmungen  mit  dem  Wort- 
laute und  Geiste  der  Deklaration  nicht  im 
Einklänge  wäre.  Da  sie  aber  im  Hinblick  auf 
die  entstandenen  Zweifel  Gewicht  darauf  legtr 
daß  ihre  Auffassung  über  den  Inhalt  der  frag- 
lichen Stipulationen  auch  seitens  der  anderen 
Vertragsmächte  in  bindender  Weise  anerkannt 
werde,  hat  sie  die  Ratifizierung  der 
Deklaration  von  dem  Zustandeko m- 
men  einer  Vereinbarung  der  Sig- 
natar Staaten  über  die  ihrem  Stand- 
punkte entsprechende  Interpre- 
tation der  in  Frage  stehenden  Ab- 
machungen  abhängig   gemacht. 

Zwecks  Herstellung  dieses  Einvernehmens 
ist  die  britische  Regierung  im  November  1911 
an  die  Vertragsrnächte  herangetreten,  und  wir 
haben  uns,  da  unsere  Auffassung  über  die  gegen- 
ständlichen Fragen  sich  im  wesentlichen  mit 
jener  der  englischen  Regierung  deckt,  damit 
einverstanden  erklärt,  daß  anläßlich  d er- 
Ratifizierung der  Deklaration  von 
den  Vertragsstaaten  eine  einver- 
nehmliche, inhaltlich  über ein sti  m- 
mende  Erklärung  über  die  Aus- 
legung der  zweifelhaften  Vertrags- 
bestimmungenabgeg ebenwerde.  Der 
Inhalt  dieser  Erklärung  steht  heute  noch  nicht 
fest,  da  die  Verhandlungen  der  englischen  Re- 
gierung mit  einzelnen  der  Signatarstaaten  noch 
nicht  abgeschlossen  sind.  Im  Ministerium  des 
Aeußeren  wurde  bisher  keine  Kommission  zur 
Beratung  der  Vorschläge  eingesetzt,  welche 
seitens  der  gemeinsamen  Regierung  der  inter- 
nationalen Vorbereitungskommission  der 
dritten  Haager  Friedenskonferenz 
vorzulegen  sein  werden.  Es  wurden  vielmehr 
seitens  des  Ministeriums  des  Aeußeren  bisher 
nur  zwei  Fachreferenten  mit  der  Auf- 
gabe betraut,  der  internationalen  Vorbereitungs- 
kommission  unsererseits  eventuell  zu  präsen- 
tierende Programmpunkte  zu  studieren.  Die 
Arbeiten  dieser  Fachreferenten  sind  noch  nicht 
abgeschlossen.  Erst  nach  Fertigstellung  ihrer 
Elaborate  wird  seitens  des  Ministeriums  des 
Aeußeren  eine  Kommission  eingesetzt  werden, 
welcher  es  obliegen  wird,  auf  Grundlage  der  von 
den  zwei  Referenten  vorgelegten  Arbeiten  die 
der  internationalen  Vorbereitungskommission 
von  uns  vorzulegenden  Vorschläge  festzustellen. 
In  diese  Kommission  wird  selbstredend  nach 
Herstellung  des  Einvernehmens  mit  der  ungari- 
schen Regierung  auch  ein  ungarischer  Fach- 
mann   einberufen    werden."    — 

Für  die  holländische  Studienkommission  zur 
Vorbereitung  der  dritten  Haager  Konferenz 
werden  die  Professoren  de  L  outer  (Utrecht) 
und  van  Vollenhoven  (Leiden)  als  Mit- 
glieder  ernannt. 


466 


@= 


DIE  FRI  EDENS -^VARXE 


Rüstungsproblem, 
unterirdische  Rrbeit.    ::  ::  ::  ::  :: 


Bezugnehmend  auf  den  Artikel  „Unter- 
irdische Arbeit"  im  Novemberheft  der  ,, Frie- 
den s-Warte"  wird  uns  von  einer  anderen  Seite 
geschrieben : 

„Adolf  Stein  gehört  neben  dem  Grafen 
Reventlow,  dem  General  v.  Bernhardi  und 
dem  Admiral  Breusing  zu  den  Schriftstellern, 
deren  Tätigkeit  einen  geradezu  verwüstenden 
Einfluß  auf  unsere  Beziehungen  zu  England 
und  Frankreich  ausübt.  Seine  Artikel  er- 
scheinen hauptsächlich  in  der  „Täglichen 
Rundschau".  Hier  schreibt  er  z.  B.  unter 
„A."  Ueber  den  Grund,  warum  er  die  Ar- 
beiten nie  mit  seinem  Namen  unterzeichnet, 
laufen  unkontrollierbare  Gerüchte  um.  Seine 
außerordentlich  engen  Beziehungen  zum 
Reichsmarineamt  sind  längst  aufgefallen.  Er 
bezieht  manches  Material  von  dort,  und  er- 
freut sich  zahlreicher  Aufträge,  wenn  es  gilt, 
irgendeiner  unbequemen  Kritik,  die  an  der 
Tätigkeit  der  Marineverwaltung  geübt  wird, 
zu  begegnen  oder  die  öffentliche  Stimmung 
Neuforderungen   geneigt    zu   machen. 

Daß  Stein  auf  dem  Geschwader  des  Ad- 
mirals  Lans  als  dessen  Gast  weilte  und  in  die 
geheimsten  Dinge  eingeweiht  wurde,  räumt 
er  im  übrigen  öffentlich  ein.  Unter  dem 
Pseudonym  „Gerd  Fritz  Leberecht",  das  er 
meist  bei  Buchausgaben  beliebt,  berichtet  er 
in  einem  soeben  erschienenen  Werklein  für 
die  reifere  Jugend  von  |seinen  Fahrten  auf  dem 
Geschwader  des  Admirals  Lans,  auf  Torpedo- 
und  Unterseebooten  und  auf  dem  Marine- 
luftschiff  „L.  I".  Das  Büchlein  dient,  wenn 
auch  versteckt,  dem  Zweck,  zum  Krieg  gegen 
England  zu  hetzen.  Es  zeichnet  sich  im 
übrigen,  ebenso  wie  ein  früheres  unter  dem 
gleichen  Pseudonym  —  Leberecht  —  heraus- 
gegebenes Buch  über  Luftfahrten,  durch  seine 
grotesk  unfachmännische  Darstellung  aus. 
Das  beste  an  den  Büchern  ist  der  Preis.  Er 
ist  so  hoch,,  daß  er  hoffentlich  vom  Ankauf 
abhält,  zu  dem  allerdings  durch  einen  ge- 
radezu großartig  abgefaßten  Rezensions- 
waschzettel eindringlichst  aufgefordert  wird. 
In  diesem  wird  so  ungefähr  zum  Ausdruck 
gebracht,  daß  alle  bisherigen  Flottenbücher 
keines  Blickes  mehr  gewürdigt  werden  dürf- 
ten, seitdem  Leberecht  erschien.  Selbst  das 
berühmte  „Buch  von  der  deutschen  Flotte" 
von  Admiral  Werner  müsse  nun  verschwinden. 
Es  gehört  schon  etwas  dazu,  das  Wernersche 
Buch,  das  so  wunderbar  poetisch  und  doch 
naturgetreu  bis  ins  einzelnste  geschrieben  ist, 
das  noch  nie  übertroffen  wurde  und  kaum 
übertroffen  werden  kann,  in  einem  Atem  mit 
einem    Erzeugnis    Leberechts    zu    nennen. 

Daß  der  Verfasser  von  „Lookout"  Stein 
ist,  war  hier  bekannt.  Erst  wurde  —  von 
wem  ?  —  die  Mär  verbreitet,  Kontreadmiral 
v.  Hintze,  der  jetzige  Gesandte  in  Mexiko, 
hätte     das    Buch    verfaßt.      Jeder    halbwegs 


Sachverständige  erkannte  sofort,  daß  das 
nicht  möglich  sei,  weil  ein  Seeoffizier  sich  nie 
die  vielen  fachmännischen  Unstimmigkeiten, 
wie  sie  im  „Lookout"  enthalten  sind,  zu- 
schulden kommen  lassen  könnte,  abgesehen 
davon,  daß  hoffentlich  kein  deutscher  See- 
offizier es  jemals  fertigbringen  würde,  ein 
solches,  die  Interessen  des  Vaterlandes 
schädigendes  Werk  in  die  Welt  zu  setzen. 
Wenn  ich  mich  recht  erinnere,  wurde  dieses 
alles  seinerzeit  im  „Berliner  Tageblatt"  aus- 
gesprochen. 

Die  „Friedens-Warte"  fragt,  auf  wessen 
Veranlassung  hat  A.  Stein  „Lookout"  ge- 
schrieben, war  es  der  Flottenverein,  war  es 
die  Großindustrie '?"  Da  der  Herr  beim 
Reichsmarineamt  ständig  aus  und  ein  geht,  ist 
wohl  noch  ein  anderer  Schluß  möglich ! 

Zu  begrüßen  ist,  daß  die  „Friedens- 
Warte"  darauf  hinweist :  „Darf  die  Marine- 
verwaltung z.  B.  die  Einladung  des  Ad- 
mirals Lans  auf  sein  Geschwader,  die 
an  Stein  erging,  gutheißen  ?"  Kennt 
man  den  Herrn  '  Stein  so  genau,  daß 
man  ihn  ohne  Sorge  in  alle  möglichen  Ge- 
heimnisse, die  sonst  vor  der  Oeffentlichkeit 
ängstlich  versteckt  werden,  einweihen  kann  ? 
Wer  ist  Herr  Stein,  was  tat  er  bisher  ?  Hat 
man  sich  darüber  je  in  der  Marine  unter- 
richtet ?  Ist  man  endlich  sicher,  daß  Stein 
zu  unterscheiden  weiß,  was  er  von  dem  Ge- 
sehenen erzählen  darf  und  was  nicht,  damit 
damit  aus  seinen  Kenntnissen  der  Marine 
kein  Schaden  erwächst  ? 

Es  findet  sich  hoffentlich  ein  mutiger 
Reichstagsabgeordneter,  der  Auskunft  über 
alle  diese  Fragen  vom  Staatssekretär  fordert. 
Aber  es  bleibt  immerhin  bedauerlich,  daß 
hohe  Seeoffiziere  sich  so  intim  zu  einem 
Schriftsteller  stellen,  der  die  Hetze  gegen. 
England  ausgesprochen  auf  seine  Fahne 
schrieb.  Es  heißt,  deutsche  Seeoffiziere  ver- 
abscheuten einen  Krieg  'gegen  Großbritannien. 
Sie  wären  die  besten  Freunde  der  Engländer. 
Ist* das  der  Fall*  so  dürfen  sie  einen  Herrn,  wie 
Stein,  nicht  in  seinem  bösen  Treiben  unter- 
stützen." 


Wiener  Protestversammlung  gegen 

das  internationale  Wettrüsten. 

In  der  von  den  Stadtbehörden  in  entgegen- 
kommendster Weise  zur  Verfügung  gestellten 
großen  Volkshalle  des  Wiener  Rathauses  fand 
am  27.  November  eine  von  1500  Personen  be- 
suchte große  Protestversammlung  gegen  den 
internationalen  Rüstungswettbewerb  statt,  in 
der  verschiedene  Redner  zu  Worte  kamen. 

Gemeinderat  Dr.  v  o  n  I>  o  r  n ,  der  auch 
Mitglied  des  Vorstandes  der  Friedensgesell- 
schaft ist,  sprach  als  erster  Redner  zu  dem 
Hauptthema.  „Vor  allem  anderen,"  sagte  er  ein- 
leitend, „soll  folgendes  festgestellt  werden: 
Wir  wollen  nicht,  daß  Oesterreich  allein  ab- 
rüstet;  wir   wollen  auch   nicht,   daß   es   durch 


467 


DIE  FRIEDENS -^&RTE 


=9 


verminderte  Wehrkraft  seine  staatliche  Exi- 
stenz aufs  Spiel  setze.  Wir  wollen  nur,  daß  dem 
verderblichen  Wahnwitz  des  internationalen 
Wettrüstens  endlich  ein  Ende  gemacht  werde 
und  daß  Oesterreich  alles  tue,  was  in  seinen 
Kräften  steht,  um  dieses  Ziel  zu  erreichen.  Von 
England  gehe  das  stärkste  Streben  auf  Besse- 
rung der  Verhältnisse  aus.  Aber  auch  in  dem 
sonst  so  militärfrommen  Frankreich  setze  der 
Budgetausschuß  den  großen  Anlehensf orderun- 
gen der  Regierung  ernsten  Widerstand  ent- 
gegen." 

Die  Beferentin  der  Reichsorganisation  der 
Hausfrauen  Oesterreichs,  Frau  Helene  Gra- 
nitsch,  kennzeichnete  die  große  wirtschaft- 
liche Bedeutung  des  Balkans  für  die  Monarchie 
und  schloß  mit  den  Worten:  „Nicht  Rüstun- 
gen bis  an  die  Zähne  brauchen  wir,  die  das 
Volksvermögen  verschlingen,  nicht  nationalen 
Bürgerkampf,  nicht  Klassenkampf  und  Klassen- 
haß sollen  fürder  unsere  Kräfte  lähmen;  wir 
brauchen  friedliche,  fleißige  Kulturarbeit  in 
Stadt  und  Land,  die  sich  nicht  als  Gegner  be- 
fehden dürfen;  wir  brauchen  Arbeil  an  der  Er- 
ziehung des  Volkes,  an  der  Wirtschaft  des 
Volkes,  die  konkurrenzfähig  bleiben  muß  in 
der  Weltwirtschaft,  Arbeit  an  der  sittlichen 
und  geistigen  Weiterbildung  des  Volkes,  eine 
Arbeit,  an  der  Männer  und  Frauen  Anteil 
haben  müssen,  Männer  und  Frauen  zu  dieser 
Arbeit   —  gerüstet  um  die  Wette!" 

Beichsratsabgeordneter  Professor  M  a  - 
ü'aryk  sprach  über  das  Budgetäre  des  öster- 
reichischen Militarismus.  Die  ganze  Aufmerk- 
samkeit der  Begierenden  sei  auf  das  Heer  statt 
auf  die  anderen  Zweige  der  Volkswohlfahrt 
gerichtet. 

Im  Verlaufe  der  nun  folgenden  Rede  des 
Lehrers  Neumann,  der  über  das  Kin- 
der- und  Lehrerelend  sprach,  kam  es 
zu  stürmischen  Demonstrationen,  als  der 
Begierungsvertreter  den  Redner,  der  sich  in 
scharfen  Ausdrücken  gegen  die  Anschaffung  von 
Mordinstrumenten  wendete.  zur  Mäßigung 
mahnte. 

Revident  Schidl,  Obmann  des  Ver- 
eins der  Staatsbeamten,  begründete  das  vitale 
Interesse  der  Staatsbeamtenschaft  an  der  Er- 
haltung des  Friedens. 

Baronin  Suttiier,  lebhaft  begrüßt, 
führte  im  Schlußworte  aus,  daß  die  Büstungs- 
überbietung  als  universelle  Erscheinung  vom 
internationalen  Standpunkte  betrachtet  werden 
müsse.  Es  ist  ein  Wahnsinn,  und  wohin  führt 
es?  Zum  wirtschaftlichen  Zusammenbruch !  Das 
is*t  keine  Prophezeiung,  sondern  ein 
Rechenexempel;  die  Rüstungsf orderungen 
liaben  keine  Grenzen.  Die  Rüstung  in  jedem 
Lande  folgt  den  äußeren  Einwirkungen.  Es 
gibt  einen  Weg  ins  Freie;  den  können 
auch  nicht  die  einzelnen  einschlagen,  sie  sind 
aneinandergeseilt ;  nur  durch  Verständigung 
kann  der  Knoten  entzweigeschnitten  werden. 
Der   Weg  zur   Verständigung   ist  bereits   ange- 


bahnt worden.  Die  Annäherung,  die  von  Eng- 
land vorgeschlagen  wurde,  schaffe  eine  andere 
Atmosphäre.  Rednerin  forderte  die  Pazifisten 
zum  engen  Zusammenschlüsse  auf.  um  din 
öffentliche  Meinung  zugunsten  des  Friedens- 
werkes zu  verstärken,  und  es  wird,  wenn  die 
Idee  der  Friedensfreunde  die  Welt  durchdringt, 
eine  neue  Welt  kommen,  die  jetzt  schon  heran- 
dämmert. 

Zum  Schluß  wurde  nachstehende  Resolution 
angenommen : 

„Schon  die  Einberufung  der  ersten 
Haager  Konferenz  wurde  veranlaßt  durch  die 
von  autoritativer  Seite  erfolgte  Feststellung 
der  Tatsache,  daß  die  durch  die  Kriegsrüstun- 
gen hervorgerufenen  finanziellen  Lasten  eine 
steigende  Richtung  verfolgen  und  die  Volks- 
wirtschaft in  ihrer  Wurzel  treffen,  wodurch 
die  geistigen  und  physischen  Kräfte  der 
Völker,  die  Arbeit  und  das  Kapital,  zum 
großen  Teil  von  ihrer  natürlichen  Bestim- 
mung abgelenkt  und  in  unproduktiver  Weise 
aufgezehrt  werden,  und  diese  Feststellung 
gewinnt  durch  die  leider  noch  immer  stetig 
vermehrten  militärischen  Auslagen  eine  von 
Jahr    zu    Jahr    erhöhte    Bedeutung. 

Um  so  gewissenhaftere  Beachtung  von 
Seiten*  der  verantwortlichen  Faktoren  verdient 
daher  die  eben  damals  zum  Ausdruck  ge- 
brächte Mahnung:  Diesen  unaufhörlichen 
Büstungen  ein  Ziel  zu  setzen  und  die  Mittel 
zu  suchen,  dem  Unheil  vorzubeugen,  das  die 
ganze  Welt  bedroht,  das  sei  die  höchste 
Pflicht,  die  sich  allen  Staaten  aufzwinge. 
Da  nun  durch  die  bestehende  Verkettung 
der  internationalen  Beziehungen  es  jedem 
einzelnen  Staate  unmöglich  gemacht  wird, 
sich  dem  unglückseligen  Wettrüsten  zu  ent- 
ziehen, so  ergibt  sich  daraus  die  Notwendig- 
keit, eine  Vereinbarung  zu  erzielen,  wie  sie; 
von  mehreren  höchst  bedeutungsvollen  Seiten 
bereits  in  verschiedener  Weise  angeregt  wurde, 
und  das  Bestreben  nach  der  Verwirklichung 
einer  solchen  muß  sich  um  so  stärker  gel- 
tend machen,  je  schwächer  die  wirtschaft- 
liche Kraft  eines  Staates  ist  und  je  drücken- 
der er  daher  die  auferlegten  Lasten  emp- 
findet. 

Es  muß  daher  als  eine  dringende  Pflicht 
der  österreichischen  Regierung  bezeichnet 
werden,  alle  Anstrengungen  zu  machen,  damit 
ehestens,  eine  solche  für  alle  Völker  segens- 
reiche Vereinbarung  zustande  komme,  insbe- 
sondere aber  alle  diesbezüglichen  Anregun- 
gen, die  von  anderer  Seite  ausgehen,  eifrigst 
aufzugreifen,  mit  allen  zur  Verfügung  stehen- 
den Mitteln  zu  unterstützen  und  deren  prak- 
tische Durchführung  zu  fördern. 

Die  Versammlung  fordert  und  erwartet,  daß 
die  Volksvertreter  im  Parlament  und  in  den 
Delegationen  allen  ihnen  zu  Gebote  stehendem 
Einfluß  aufwenden,  um  die  Regierung  zur 
Erfüllung-    dieser    Pflichten    zu    veranlassen." 


468 


<§= 


=  DIE  FRI  EDENS -^/ÄRXE 


Verschiedenes. 

Lamprecht  gegen  Keim.    ::   ::   ::   ::   '■:  '■   '•'•  -   '•'   ::   « 

General  Keim  hat  im  Braunschweiger 
Wehrverein  eine  Versammlung  abgehalten. 
Er  ist  dabei  gegen  die  pazifistischen  Geistlichen 
aufgetreten,  indem  er  ausführte: 

„Jetzt     soll      es      nach    den     evangeli- 
schen    Geistlichen     unchristlich    sein, 
den       Krieg      als       ein      Gesetz      in 
der     W  e  1 1  o  r  d  n  u  n  g     anzuerkennen. 
Da  muß  der  Wehrverein  ein  deutliches  Wort 
sprechen.     Was    diese    Geistlichen     unserem 
Volke     vorreden,     das     ist     die     Erziehung 
zur     Feigheit.        In     dieser      Friedens- 
bewegung liegt  eine  große  Gefahr 
für    das    deutsche    Volk." 
Wir  möchten  dem  Herrn  General  mit  einem 
Zitat   aus    Geheimrat    Professor    Karl 
Lamprechts   kürzlich  erschienener   Schrift : 
„Die  Nation  und  die  Friedensbewegung"*)  ant- 
worten.   Da  heißt  es  auf  Seite  11 : 

„Ruhige  Erwägungen  der  eben  angestell- 
ten Art  werden  auch  den  Vor  würfen, die 
Friedensbewegung  entmännliche 
und  bedrohe  die  kriegerische 
Tüchtigkeit  der  Nation,  nur  hei- 
teres Lächeln  entgegensetzen  leh- 
ren. Welch  groteske  Vorstellung  zunächst, 
daß  nur  der  Krieg  mit  blanker  Waffe  zum 
Planne  bilde!  So  kann  nur  denken, 
wer  nichts  von  der  zähen  Energie 
weiß,  zu  der  heute  Wirtschaftsleben  und  Be- 
rufstätigkeit jeder,  auch  geistiger  Art  er- 
ziehen: eine  Energie,  die  momentanen  Sehiach- 
tenmut  tausendfach  überragen  kann.  Und  spe- 
zifische kriegerische  Tüchtigkeit,  und  das 
heißt  doch  wohl  Stärke  an  Ertragung  von 
Strapazen  und  körperliche  Spannkraft?  Sie 
lassen  sich  auch  in  langen  Friedensjahren 
so  erhalten  und  stählen,  daß  sie  im  Falle 
letzter  Not  nicht  versagen;  und  niemand  wird 
einer  Zeit  des  Sports  und  der  Spiele  vorwerfen 
wollen,  daß  sie  die  damit  gestellten  Aufgaben 
vernachlässige." 

Herr  General!  Die  besten  national  gesinn- 
ten Männer  tetehen  auf  unserer  Seite! 


AVS  DER  BEWEGUNG 

Der  Friedenspreis  der  Nobelstiftung  1915.   ::   ::   ::   :: 

Mit  größtem  Beifall  wird  in  der  ganzen 
pazifistischen  Welt  die  diesjährige  Ent- 
scheidung des  norwegischen  Nobelkomitees 
begrüßt  werden.  Es  wurden  in  diesem 
Jahre,  da  im  vorigen  Jahre  eine  Verteilung 
nicht  erfolgte,  zwei  Preise  zugesprochen,  von 
denen  je  einer  an  Henri  La  Fontaine 
in  Brüssel  und  Senator  Elihu  Root  in 
Washington  fiel. 

Es    ist    kaum    nötig,    in    diesen    Blättern 
die     Bedeutung     dieser     beiden    Männer     aus- 

*)  Berlin.  Verlag  der  „Friedens-Warte". 
30  Pfg. 


drücklich  hervorzuheben.  Wer  nur  einen  ganz 
oberflächlichen  Einblick  in  die  Verhältnisse  hat, 
kennt  nicht  nur  die  Namen,  sondern  auch 
das  Wirken  der  diesjährigen  Nobel-Laureaten. 
Mit  ihnen  wurde  aber  nicht  nur  ihre  Arbeit, 
sondern  auch  die  Richtung  ausgezeichnet,  die 
sie  verkörpern.  La  Fontaine  steht  als  Prä- 
sident des  Berner  Internationalen  Friedens- 
bureaus an  der  Spitze  der  ureigentlichen  pazi- 
fistischen Bewegung,  während  ElihuRoot 
der  des  modernen  Friedensdiplomaten  ist,  wie 
er  noch  nicht  zahlreich  bemerkt  wird,  der 
aber  bereits  anfängt,  sich  bemerkbar  zu  machen. 
Zwei  Arbeiter  sind  es,  die  ihr  ganzes  Leben 
für  die  große  Sache  des  Völkerfriedens  ein- 
gesetzt haben  und  ohne  Winkelzüge  und  ängst- 
liche Konzessionen  sich  stets  als  Pazifisten 
gaben.  Es  wird  ihnen  hoffentlich  noch  lange 
gegönnt  sein,  ihre  Arbeit  fortzusetzen.  La  Fon- 
taine  zählt   59,   Elihu   Root  68   Jahre. 

Henri  La  Fontaine  steht  seit  1889 
in  der  Bewegung.  Seine  wissenschaftlichen  Ar- 
beiten auf  dem  Gebiete  des  Schiedswesens 
haben  den  Haager  Konferenzen  vorgearbeitet. 
Seine  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Biblio- 
graphie sind  ein  Kulturwerk  von  Weltbedeu- 
tung und  seine  neuerliche  Leistung  durch  die 
Gründung  des  „Office  Central  des  Association» 
internationales"  bildet  die  reale  Grundlage  für 
die  zu  erstrebende  Weltorganisation.  Er  hat 
unaufhörlich  und  ohne  materiellen  Gewinn  und 
ohne  Rücksicht  auf  seine  Gesundheit  ge- 
1      arbeitet. 

Elihu  Root  hat  nicht  nur  die  Ideen 
einer  Friedensdiplomatie  in  seinen  Reden  und 
Schriften  dargelegt,  die  Psychologie  des  Welt- 
rechts erfunden,  er  hat  sich  während  seiner 
diplomatischen  Dienstzeit  unter  Roosevelt 
auch  als  Friedensdiplomat  betätigt.  Er  war 
der  erste  Staatssekretär  der  Vereinigten  Staaten, 
der  während  seiner  Dienstzeit  das  Land  ver- 
ließ, um  bei  den  südamerikanischen  Staaten 
für  ein  harmonisches  Zusammenwirken  Pan- 
amerikas  hinzuarbeiten.  Er  hat  allein 
23  Schiedsverträge  der  Vereinigten  Staaten  mit 
anderen  Regierungen  zustande  gebracht  und 
eine  hervorragende  Kampagne  zugunsten  der 
Taftschen  Anregung  über  vorbehaltlose  Schieds- 
verträge, wie  zugunsten  der  schiedlichen  Er- 
ledigung des  Panamakanalstreites  mit  England 
geführt.  In  meinem  „Handbuch"  nannte  ich 
Root  „das  Haupt  der  Friedens idee  in  den  Ver- 
einigten Staaten  und  vielleicht  die  prominen- 
teste   pazifistische    Persönlichkeit    der    Welt". 

Der  Glückwunsch  der  „Friedens-Wartt" 
und  ihrer  Mitarbeiter  sei  den  beiden  großen 
Friedenskämpfern  an  dieser  Stelle  dargebracht. 

A.    IL    F. 


Baron  Carl  Carlsson  Bonde  t    '•'  "•   '•'■ 

Unter  tragischen  Umständen  ist  am  15.  No- 
vember auf  seinem  Schlosse  Ericsberg  in 
Schweden  Baron  Carl  Carlsson  Bonde  g  - 
storben.     Der   Verstorbene   war   Präsident    des 


469 


DIE  FBIEDEN5->VADTE 


:3 


schwedischen  Keichstages  und  der  schwedi- 
schen Gruppe  der  interparlamentarischen  Union. 
Er  gehörte  dem  Berner  Friedens  bureau  an,  dem 
interparlamentarischen  Bat  und  dem  europäi- 
schen Hat  der  I.  Abteilung  der  Carnegiestif- 
tung. Dem  denkwürdigen  XVIII.  Weltfriedens- 
kongreß in  Stockholm  präsidierte  er.  Bonde 
war  ©ine  hocherfreuliche  Erscheinung"  in  der 
Friedensbewegung.  Als  ernster  Politiker,  dem 
sein  Vaterland  hohe  Aemter  zuwies,  als  Mit- 
glied einer  der  ersten  Familien  des  Landes  ge- 
lang es  ihm,  der  Friedensidee  einflußreiche 
Kreise  zu  gewinnen.  Auf  den  internationalen 
Kongressen  und  Versammlungen  war  er  infolge 
seines  liebenswürdigen  Wesens  eine  gern  ge- 
sehene und  beliebte  Erscheinung.  Zuletzt 
sahen  wir  ihn  im  Frühjahr  1912  in  Paris,  wo 
damals  aus  Anlaß  des  90.  Geburtstages  Fred. 
Passys  die  Sitzung  des  Berner  Friedensbureaus 
stattfand.  Bonde  starb  plötzlich,  nachdem  ihm 
der  Tod  seiner  seit  längerer  Zeit  kränklich  ge- 
wesenen Gattin  gemeldet  worden  war.  Er  war 
63  Jahre  alt.  Die  internationale  Friedens- 
bewegung wird  ihm  ein  ehrendes  Andenken  be- 
wahren. 

Aus  Holland.     ::    ::    ::    ::    ::    ::    ::    ::    ::    ::    :;    ::    ::    :: 

Die  anfangs  Dezember  stattgehabten  De- 
batten in  der  zweiten  Kammer  über  das  Budget 
des  Aeußern  waren  zum  größten  Teil  der  Frie- 
densbewegung und  der  kommenden  dritten 
Friedenskonferenz  gewidmet.  Zunächst  trat  der 
frühere  Minister  de  Beaufort  für  die  Frie- 
densbewegung ein,  die,  wie  er  ausführte,  die 
moralische  Unterstützung  der  Regierung 
brauche,  weil  sie  eine  große  Zahl  offener  und 
versteckter  Feinde  habe,  wie  das  von  N  i  p  - 
pöld  kürzlich  veröffentlichtes  Schriftchen  über 
den  „Deutschen  Chauvinismus"  zur  Genüge  be- 
weise. In  der  Antwort,  die  der  gegenwärtige 
Minister  des  Aeußern,  Loudon,  erteilte, 
machte  er  die  Mitteilung,  daß  Holland  bereits 
einen  im  Sinne  des  Bryanschen  Vorschlages  ge- 
haltenen Vertragsentwurf  für  einen  Schieds- 
vertrag nach  Amerika  gesandt  habe.  Der  Mi- 
nister gab  der  Hoffnung  Ausdruck,  daß  dieser 
Vertrag  als  Modell  für  die  anderen  Staaten 
dienen  werde.  Er  erklärte  weiter,  daß  er  es  sich 
angelegen  sein  lasse,  den  Zusammentritt  der 
internationalen  Vorbereitungskommission  für 
die  dritte  Haager  Konferenz  zu  beschleunigen, 
obwohl  einige  Schwierigkeiten  vorhanden  seien, 
die- sich  namentlich  aus  der  Art  der  Zusammen- 
setzung dieser  Kommission  ergeben.  Die  Frie- 
densbewegung erscheine  ihm  höchst  wertvoll, 
und  er  sei  bereit,  sie  zu  fördern,  wenn  nötig 
auch  durch  finanzielle  Unterstützung.  Auch 
das  Verhältnis  der  Sozialdemokratie  zur  so- 
genannten bürgerlichen  Friedensbewegung  wurde 
berührt,  das  Wesen  einer  modernen  Diplomatie 
erörtert  und  vielfach  Schriften  und  Aeußerun- 
gen  hervorragender  Pazifisten,  so  d'Estournelles, 
La  Fontaines,  Heilbergs,  Mrs.  Andrews'  dabei 
zitiert.  B.  d.  J.   v.   B.   e.   D. 


UTE8ATURU  PRESSE 

Zu  Weihnachtsgeschenken 

seien  nachstehend  verzeichnete  Bücher  emp- 
fohlen: 

An  gell,  Norman:  Die  falsche  Ilech- 
nung.  Mk.  1,25.  —  Diederich,  Franz :  Krieg, 
ein  Buch  der  Not.  Dem  Willen  zum  Frieden 
gewidmet.  Mk.  1, — .  —  Fried,  Alfred  IL: 
Handbuch  der  Friedensbewegung.  2  Bände, 
gbd.  Mk.  10.  —  Derselbe:  Der  kranke  Krieg, 
Mk.  1,—.  —  „Die  F  ri  ed  e  ns  -  War  t  e", 
Jahrgang  1913.  Gebd.  Mk.  7,—.  —  Hill,  David 
J. :    Völkerorganisation  und  der  moderne  Staat. 

—  Jaures,  Jean:  Die  neue  Armee.  ^~  Key, 
Ellen:  Die  neue  Generation.  —  Lamszus, 
Wilhelm:  Das  Menschenschlachthaus.  Mk.  1, — . 

—  Lynkeus:  Das  Individuum  und  die  Be- 
wertung menschlicher  Existenzen.  —  Müller- 
L  y  e  r :  Der  Sinn  des  Lebens.  —  Internatio- 
nale Organisation,  Heft  1  bis  8.  (Hai- 
dane:      Deutschland        und       Großbritannien. 

—  G  o  1  d  s  c  h  e  i  d :  Friedensbewegung-  und  Men- 
schenökonomie. —  Fried:  Panamerikanische 
Bewegung.  —  Jordan:  Krieg  und  Mannheit.  — 
Suttner:  Barbarisierung  der  Luft.  —  Lamp- 
recht: Die  Nation  und  die  Friedensbewegung. 

—  Emerson:  Ueber  den  Krieg.)  Jedes  Heft 
30  Pfg.  —  R  i  c  h  e  t ,  Charles  :  Vergangenheit 
des  Krieges,  Zukunft  des  Friedens.  Mk.  1,—.  — 
Schücking,  Walther :  Der  Staatenverband 
der  Haager  Konferenzen.  —  Suttner ,  Bertha 
von:  Der  Menschheit   Hochgedanken.   Mk.  4,—. 

—  Umfrid,  Otto:  Europa  den  Europäern.  — 
W  e  h'b.e  r  g ,  Hans  :  Das  Problem  eines  inter- 
nationalen Staatengerichtshofes.  —  White, 
A.  D. :  Sieben  große  Staatsmänner  im  Kampfe 
der  Menschheit  gegen  Unvernunft. 

USA 

Das  Werk  vom  Haag".' 

Die  Arbeiten  von  Schücking  über  den 
„Staatenverband  der  Haager  Konferenzen"  und 
von  W  e  h  b  e  r  g  über  „Das  Problem  eines  int. 
Staatengerichtshofs"  (Band  1  und  2  der  Samm- 
lung „Das  Werk  vom  Haag")  werden  1914  in 
englischer  Uebersetzung  bei  der  Cla- 
rendon Press  in  Oxford  erscheinen.  Die  Festgabe 
über  die  Entscheidungen  des  Haager  Hofes  in 
derselben  Sammlung  hat  sich  verzögert,  doch 
wird  der  erste  Band  dieser  Abteilung  i n 
wenigen   Wo  c h  e  n   herauskommen. 

■■:  us»  : 
Eingegangene  Druckschriften.    ::   ::   :;   ::    »    -   ::   "   " 
(Besprechung   vorbehalten.) 

Geschichtskalender,  Deutscher,  für  1913. 
Zehntes    Heft.     Oktober.     8°.     Leipzig     1913. 
Felix  Meiner.     S.    171—247. 
Hartmann,    Eduard    von, 

Philosophie  des  Unbewußten.  Nach  der  elften 
erweiterten  Auflage  bearbeitet  von  Wilhelm 
von  Schnehen.  Mit  einem  Geleitwort  von  Jo- 
hannes Volkelt.  Erster  Teü:  Phänomenologie 
des  Unbewußten.  Zweiter  Teil:  Metaphysik 
des  Unbewußten.  Gr.  8°.  Leipzig  o.  J.  Alfred 
Kröner.  XI  u.  200  S.  u.  IV  u.  251  S.  Je 
1,20    M. 

MB 


470 


<§= 


=  DIE  FRIEDENS -WARTE 


Fachpresse.    ::    ::    ::    ::   ::   ::   ::   ::    '•■   "•   '•'■   '•'•   »   "•    •'• 

Die  Friedensbewegung.  (Bern.)  Novem- 
ber.   Albert  Gobat,  Trennung  der  Kräfte. 

—  Ludwig  Wagner,  Verband  für  inter- 
nationale Verständigung  und  die  Friedensgesell- 
schaften. —  Th.  Baty,  28.  Kongreß  der 
Vereinigung  für  internationales  Recht.  —  usw. 

Der  Friede.  (Bern.)  November.  (Gr. — 0.), 
Was  ist  Hauptsache?  —  Aus  einer  Feld- 
predigt, gehalten  vor  dem  Infanterie-Regiment 
26,  Sonntag,  den  12.  Oktober  1913,  bei 
Guntaligen  von  K-  von  Greyerz,  Feld- 
prediger. —  Alfred  H.  Fried,  Wie  ich 
Pazifist  wurde.  —  usw. 

Vaterland  und  Welt.  (Göttingen.)  Ok- 
tober/November. Edgar  Herzog-  Leipzig, 
Der  VTH.  int.  Studentenkongreß  zu  Ithaca.  — 
F.  Knapp-  Zürich,  Die  neuen  Satzungen  des 
Studentenwelt-Bundes  „Corda  Fratres."  —  usw. 

Die  Versöhnung.  (Paris.)  Oktober.  Ernst 
H  a  e  c  k  e  1 ,  Vernunft  und  Krieg.  —  usw. 

—  November.  Henriette  Meyer,  La 
Question   d'Alsace-Lorraine.   —   usw. 

LaPaix  par  le  Droit.  (Paris.)  No.  20. 
Charles  Richet,  Pacifisme  et  Längue 
internationale.  —  Th.  Ruyssen,  Le  Herne 
Oongres  de  la  Conciliation  internationale  alle- 
mande.  —  La  XVIII  me  session  de  l'Union 
mterparlementaire.   —  usw. 

—  No.  21.  Charles  Richet,  La  Paix 
armee.  —  Jean  Teyssaire,  La  Codifi- 
cation  du  Droit  international  am6ricain.  — 
(P.  D.)  Le  Mouvement  general  de  la  vie  et 
le:  Pacifisme.    —    usw. 

LaPaix  par  1  a  Raison.    (Paris.)   November. 

Concord.  (London.)  November.  Our  annual 
:  meeting.  —  WilliamHeaford,  International 
notes.  —  W.  S.  Clayton  Greene,  „Pax 
Britannica."    —    usw. 

War  and  P  e  a  c  e.  (London.)  November.  Pa- 
cifism  at  the  Cross-roads.  —  Harry  John- 
ston, Spheres  of  Influence  and  no  more 
great  wars.  —  Viscount  E  s  h  e  r  ,  G.  C.  B., 
A  Mercennary  or  a  Conscript  Army.  —  Nor- 
man A 11  gell,  The  clever  Mr.  Churchill.  — 
Rollo  Russell,  The  Racial  Evils  of  war. 
*-   usw» 

Monthly  Circular  of  the  National  Peace 
Council.     (London.)     November. 

Advocate  of  Peace.  (Washington.)  No- 
vember. The  Pacifists  —  All  of  Them.  — 
Alfred  H.  Love  and  His  Peace  Work.  —  The 
Work  of  the  Balkan  Commission.  —  What  is 
the  matter  with  the  militarists  ?  —  Dr. 
Gustav  Wyneken,  The  German  free 
Sehool  and  the  Peace  Movement.  —  Arthur 
Deerin  Call,  The  Doom  of  War.  —  usw. 

Pax.  The  monthly  organ  of  the  Peace  Society 
of  New  South  Wales.  (Sidney.)  August. 
Francis  W.  Hirst,  Loans  for  War.  — 
Hypathia  Bradlaugh  Bonner,  A  Ra- 
tionalist's    View    of    the    Peace   Movement.   — 

—  September.  Suggestions  for  Peace  Work  in 
Schools.   —   usw. 

TheCosmopolitan  Student.  (Madison.) 
Oktober.  Ichiyi  Akahoshi,  Free  trade 
and  a  World  Language  as  a  Means  of  Se- 
curing  Universal  Peace.  —  David  Starr 
Jordan,  The  Stanford  Spirit.  —  Andrea 
Hofer-Proudfoot,    Internationalism.    — 

—  Dr.  K.   Brunn  er,  The    Second  Congress 


of  the  German  „Internationale  Studentenver- 
eine."  —  usw. 

„Vrede  door  Recht."  (Haag.)  November. 
Onze  Nieuwe  van  Buitenlandsche  Zaken.  — 
F.  A.  L  ö  h  n  i  s  ,  Landbouw  en  Vrede.  —  Prof. 
Dr.  A.  G.  Honig,  De  Religie  en  de  Vredes- 
beweging.  —  A.  B.  van  der  Vies,  Over 
internationale  inmenging  en  over  vaderlands- 
liefde.  —  Ed.  K.  de  Yong,  Jong-Nederland 
Pacifisme.  —  usw. 

Fredsfanan.  (Stockholm.)  November.  Knut 
Sandstedt,    Emile    Riquiez.    —    usw. 

Freds-Bladet.  (Kopenhagen.)  August.  Da 
det  danske  Slesvig  güc  tabt.  —  Danmark  og 
Haager  -  Fredskonf  erencen.  —  Miss  P.  H. 
Peckover.    —    usw. 

Nemzetközi   61  et.     (Budapest.)    No.    10. 


Artikel -Bibliographie.    ::  ::  ::  ::   ::  ::   ::  ::   ::   ::  ::  :: 

.  1.  Friedensbewegung  im  allge- 
meinen: Prof.  Wilhelm  Ostwald,  Patrio- 
tismus und  Internationalismus.  (LT.)  „Mo- 
nistische Sonntagspredigten."-  29.  XI.  *  Prof. 
Walther  Schücking,  Kultur  und  Krieg. 
„Fortschrittliche  Volkszeitung."  (Freiburg  i.  B.) 
25.  XL  *  Ders.,  Die  organisatorische  Bedeu- 
tung der  Haager  Konferenzen.  „Blätter  für  Ver- 
gleichende Rechtswissenschaft  und  Volkswirt- 
schaftslehre."- Nr.  5.  *  Prof.  Dr.  Fried- 
1  ander,  Die  Bedeutung  der  Suggestion  im 
Völkerleben.  „Der  Staatsbürger."  Heft  22.  # 
Dr.  Hans  W ehberg,  Die  Aufgabe  des  Rechts 
in  der  Friedensbewegung.  „Blätter  für  ver- 
gleichende Rechtswissenschaft  und  Volkswirt- 
schaftslehre." Nr.  5.  *  Otto  Hörth,  Ein 
Franzose  über  Amerika.  „Frankfurter  Zeitung." 
23.  XL  *  Dr.  J.  R  e  i  n  k  e  ,  Jenseits  des  Kanals. 
,  J)er  Tag"  (illustrierter).  23.  XI.  *  F  r  e  d  r  i  k 
B  a  j  e  r , .  Ueber  das  Ideal  des  ewigen  Friedens 
und  des  Krieges.  „Deutsche  Revue."  (Stuttgart.) 
XII.  *  Der  Krieg  und  die  Frauen.  (Gegen  Thea 
von  Harbou.)  „Frauen -Rundschau.1'  Beilage  der 
„Königsberger   Hartungsehen   Zeitung."     12,   XL 

*  Carl  Ludwig  Siemering,  Gegen  die 
Militarisierung  der  Jugend.  „Ethische  Rund- 
schau." XI.  *  Dr.  Max  Friedrichs,  Zur 
Erinnerung  an  Theobald  Rupp.   „Ethische  Kultur.'* 

15.  XL  *  Jules  Lippert,  Die  Frmrei.  und 
die   Friedensbewegung.     , JJer   Herold."-    (Berlin.) 

16.  XL  *  Alexander  Giesen,  Chauvi- 
nistische Tendenzen  in  der  Jugenderziehung. 
„Frankfurter  Zeitung.'4  30.  XI.  *  Professor  Dr1. 
Otfried  Nippold,  Ziele  der  internationalen 
Verständigung.  (I  und  IL)  ,;März."  8.  und 
15.  XL  *  Internationale  Verständigungs- 
politik.     „Deutsche     Revue."     (Stuttgart.)     XL 

*  Oesterreich  und  der  Nobel  -  Preis.  „Neues 
Wiener  Journal."  18.  XI.  *  Nicholas 
Murray  Butler,  The  Carnegie  Endow- 
ment  for  International  Peace.  „The  Inde- 
pendent."  27.  XI.  *  Edwin  D.  Mead,  The 
Scholar  and  the  united  World.  „The  Boston 
Herald."-  5.  XI.  #  Ders.,  Push  the  Slayden 
Resolution.    „Boston  Daily  Advertiser."-    10.  XL 

*  Dr.  Alfred  H.  Fried,  Zweiter  Verbandstag 
des  Verbandes  für  internationale  Verständigung 
zu  Nürnberg.  ,JJokumente  des  Fortschritts." 
Nr.   11. 

IL  Die  internationale  Politik: 
Ernst  Basser  mann,  Die  Weltlage.  „Kieler 
Neueste    Nachrichten."     21.    XI.     #     Gedanken 


47! 


DIE  FRIEDENS -^k^QTE  5 


•9 


eines  Altelsässers.    „Straßburger  Post."    18.  XI. 

*  Dr.  Paul  Rohrbach,  Deutsch-englische 
Auseinandersetzung.  „Fränkischer  Courier." 
(Nürnberg.)  3.  XI.  #  Prof.  Archibald  Cary 
Coolidge,  Die  Vereinigten  Staaten  und 
Deutschland.  „Der  Zeitgeist"  Beiblatt  zum  „Ber- 
liner Tageblatt."  17.  XL  *  Oesterreich-Ungarn 
auf  dem  Scheidewege.  „Deutscher  Kurier." 
(Berlin.)  20.  XI.  #  Leon  Boll,  L'Opinion 
francaise  et  les  rapports  franco-allemands.  „Jour- 
nal d'Alsace  -  Lorraine."    (Straßburg.)     28.    XL 

*  Hamilton  W.  Mabie,  Americans  and 
the  far  Last,   „The  Outlook."    (New  York.)  2.  VIII. 

*  J.  Ingram  Bry  an,  The  Situation  in  Japan. 
„The  Outlook."  2.  VIII.  »  Francis  G.  Pea- 
b  o  d  y  ,  California  and  Japan.  „The  Outlook." 
2.  VIII.  #  Alfred  H.  Fried,  L'entente  sans 
„L'abandon  prealable  de  l'idee".  „Journal 
dAlsace   Lorraine."     (Straßburg    i.    E.)     23.    XL 

*  Alfred  Wolf,  Elsaß-Lothringen  und  die 
deutsch-französische  Verständigung.  „Die  Hilfe." 
30.  X.  »  Ernst  Jäckh,  Die  deutsch-englische 
Verständigung.  „Die  Hilfe."  13.  XL  »  Dr.  Ju- 
lius Ulimann,  Die  Botschaft  des  Präsidenten 
Wilson.    „Neue  Freie  Presse."    ö.  XII.   ' 

III.  Völkerrecht:  Prof.  Otfried 
N  i  p  p  o  1  d  ,  Zur  Völkerrechtsliteratur.  „Frank- 
furter Zeitung."  23.  XL  »  Einfluß  eines  Krieges 
auf  Privatverträge.  „Hamburger  Nachrichten." 
30.  XL  ■'.■»  Edwin  D.  Mead,  Mahan  at  his 
worst.  „Boston  Daily  Advertiser."  3.  XL  # 
Professor  Dr.  Bingham,  Die  Gefahren  der 
Monroedoktrin.     „Berliner    Tageblatt."     22.    XL 

IV.  Internationales:  Dr.  Heinrich 
Herner,  Die  internationale  Schiffsvermessung 
im  Verhältnis  zu  ihrer  volkswirtschaftlichen  Be- 
deutung. „Weltwirtschaftliches  Archiv."  Oktober. 

*  Prof.  Dr.  Hermann  L  e  v  y  ,  Der  Ausländer, 
ein  Beitrag  zur  Soziologie  des  internationalen 
Menschen  -Austausches.  „Weltwirtschaftliches 
Archiv."  Oktober.  *  Geheimer  Justizrat  Dr. 
Felix  Meyer,  Die  Einheit  im  Wechselrecht. 
„Dokumente  des  Fortschritts."  11.  Heft.  » 
Dr.  Max  Röscher,  Ueber  das  Wesen  und  die 
Bedingungen  des  internationalen  Nachrichtenver- 
kehrs.    „Weltwirtschaftliches   Archiv."     Oktober. 

V.  Wirtschaftliches:  Prof.  L  u  j  o 
Brentano,  Zum  Krupp-Prozeß.  „Berliner 
Tageblatt,"  12.  XL  *  Friedrich  Nau- 
mann, Internationale  Ueberblicke.  „Die  Hilfe." 
13.  XL  *  Neue  Gefahren  des  Wettrüstens.  „Die 
Tribüne."  6.  XL  *  Richard  Gädke, 
Rüstungswahnsinn  —  Rüstungsschwindel.  „Die 
Zeit  am  Montag."  24.  XL  #  Eine  Anklage 
gegen  den  Finanzminister.  „Neues  Wiener  Jour- 
nal." 26.  XL  *  Prof.  Dr.  Eugen  von  Phi- 
lippovich,  Das  Problem  der  Auswanderung 
in   Oesterreich.    „Frankfurter   Zeitung."     20.   XL 

*  Geh.  Regierungsrat  Prof.  Dr.  P  a  a  s  c  h  e  ,  Der 
deutsch  -  österreichische  Wirtschaftsverband. 
„Kleine  Presse."  ((Frankfurt  a.  M.)  22.  XL  * 
Die  Kriegsindustrien.  „Mercur."  (Wien.)  Nr. 
1726  und  1727.  #  Englands  proposal  to  Ger- 
many  for  a  naval  Holiday.  „The  Independent." 
30.  X.  »  M  y  s  o  n  ,  Das  bißchen  guter  Wille. 
„Plutus."  (Charlottenburg.)  22.  XL  *  Champ 
Clark,  The  Disarmament  of  the  Nations  — 
America  should  lead  the  way.  The  British  pro- 
posal for  a  naval  Holiday  appi'oved.  „The 
Independent,"    30.  X. 


SMITTEIlt/NGEN  DEBS 
FMEDENSGESEUSOUUFTffi 

(Verantwortlich   für   den   Inhalt   dieser  Rubrik  ist   nicht   die 
Schriftleitung,   sondern  die  betreffende  Friedensgesellschaft.) 

Mitteilungen  der  Oesterreichischen 
Friedensgesellschaft, 

Bureau:  Wien  I,  Spiegelgasse  4. 

Kooptation. 
Herr  Dr.   Paul   Kämmerer,    Univ.-Privat-Do- 
zent,    wurde    in    den   Vorstand   unserer   Gesell- 
schaft kooptiert. 


Vortragszyklus. 
Für  den  am  5.  Jänner  k.  J.  beginnenden 
und  in  einem  Saale  der  Wiener  Universi- 
tät stattfindenden  Vortragszyklus  haben  wir 
bereits  folgende  Redner  gewonnen:  Professor 
Dr.  Otto  Freiherr  v.  Düngern  (Czexnowitz) ; 
Dr.  Alfred  H.  Fried ;  Prälat  Dr.  Alexander  Gieß- 
wein (Budapest);  Rudolf  Goldscheid;  Prof.  Dr. 
Hollatz  (Leipzig);  Prof.  Dr.  Paul  Kammerer; 
Privat>Dozent  Dr.  Hans  Kelsen;  Pfarrer  W. 
Nithack-Stahn  (Berlin);  Prof.  Dr.  Paszkowski 
(Berlin). 

Spenden. 
Herr  Carl  Buddeus,  unser  langjähriges 
Mitglied,  hat  unserem  Propagandafonds  den  Be- 
trag von  100  Kronen  zugewiesen.  —  Frau 
Amalie  Kubik,  Revierförstersgattin  in 
Fröhlichsdorf,  hat  uns  neuerlich,  als  Ergebnis 
einer  Sammlung  im  Freundeskreise.  5  Kr.  zu- 
gehen lassen. 

HÜ 

Vorlesung  Wilhelm  Klitsch. 
Donnerstag,  den  14.  Januar  1914,  veran- 
staltet Wilhelm  Klitsch,  Schauspieler  am  Deut- 
schen Volkstheater,  zugunsten  unserer  Gesell- 
schaft einen  Leseabend  im  Großen  Musikver- 
einssaal. Aus  dem  Programm  sei  erwähnt : 
Gerhard  Hauptmanns  Jahrhundert-Festspiel  und 
Werke  des  mit  dem  Nobelpreis  ausgezeichneten 
indischen  Dichters  Rabindranath  Tagore.  Po- 
puläre Preise.  Vormerkungen  werden  in  unse- 
rem Bureau,  Wien  I,  Spiegelgasse  4  (3  bis 
7  Uhr)  entgegengenommen. 


AnsichtskartenmitdemBildnisder 
Baronin  Suttner. 
Anläßlich  der  kommenden  Weihnachtsfeier- 
tage machen  wir  unsere  Mitglieder  auf  ,,Der 
Menschheit  Hochgedanken",  Roman  von  Berta. 
v.  Suttner,  aufmerksam.  Das  Buch  eignet  sich 
nicht  nur  vorzüglich  zu  einem  Festgeschenk, 
es  dient  auch  zur  Verbreitung  unserer  Ideen. 
Es  kostet  broschürt  4,80  Kr.,  gebunden  6  Kr. 
Ferner  „Die  Waffen  nieder",  Volksausgabe,  in 
Leinwand  gebunden,  1,20  Kr.  Für  Neujahremp- 
fehlen  wir  Ansichtskarten  mit  dem  Bildnis 
der  Baronin  Suttner  (12  Stück  1  Krone).  Alles 
durch  unser  Bureau  zu  beziehen. 


ppold  ,   Berlin  W.  50.  —  Im  Selbstverlag  des  Herausgebers   Dr.  Alfred  H.  Fried,  Wien  IX/2 
Paß  tt  Gar  leb  G.  m.  b.  H.,  Berlin  W.  67.  —  Yerantwortl.  Redakteur  für  Oesterreich-Ungarn:  ViniensJerabekin  Wien 


Verantwortl.  Redakteur:    Carl   A 
Druck 


472 


JX 
1903 
F7 
Jg.15 


Die  Friedens-Warte 


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