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DIE
FRIEDENS-WRRTE
Zeitschrift für zwischen-
staatliche Organisation
Herausgegeben
von
ALPRED M. FRIED
)(V. ]RHR<5RN<3
• *
BERUH - WIEM - LEIPZIG
1913
Fi
Jg. 15
LAW LIBRARY
APR 5 1963
FAbü'JY OF LAW
UNIVERSIYY OF TORONTO
MMMMMMMMMtMMfaU«
n. Spezial - Artikel.
Seite
Angell, Norman, Ein offener Brief an
die Kriegs- und Friedensgesellschaft
an der Universität Cambridge .... 54
Bellardi, Dr. W., Das Problem eines
internationalen Staatengerichtshofes . 44
Bourgeois, L6on, lieber das Haager
Werk 385
Bryan, William Jennings, Unsere aus-
wärtige Politik 448
Carnegie, Andrew, Ein Brief von ... 2
Dumas, Jacques, Miss P. H. Peckover.
Zum 27. Oktober 1913 387
Dumeril-Hallb erger, Edmond, Das
junge Frankreich 252
E i c k h o f f , Prof. Richard, Die XVIII. in-
terparlamentarische Konferenz (3. bis
5. September 1913) 337
Federn, Walther, Das Rüstungs-Elend in
Oesterreich-Ungarn 410
Fe r n a u , Hermann, Frankreichs Groß-
machtstellung und Kulturziele ... 10
— Zu den neuen Rüstungsvorlagen . . . 129
— Die französischen Sozialisten und die
Verständigung mit Deutschland .... 375
F i s h e r , Garret, Ueber die F-Strahlen . . 424
Francke, Pastor, Berliner Konferenz pa-
zifistischer Pastoren 419
Friedrichs, Elsbeth, Der XX. Welt-
friedenskongreß im Haag (18. bis
23. August) , 328
— Ein heimgegangener Friedensfreund . . , 420
G ä d k e , Richard, Abrüstung ! 47
— Die Politik Deutschlands während des
Balkankrieges 83
— Die Irrtümer des Militarismus 126
— Zwischen Deutschland und Frankreich' 211
— Die Furcht der Franzosen . . . ... . .. 250
— Die Sünden Bulgariens 306
— Der Irrtum der Rüstungswut 379
G o t h e i n , Georg, Wettrüsten und
Rüstungsverständigung 123
Grosch, Dr. G.. Der Deutsche Bund als
Vorbild der Staatenorganisation .... 8
— Die gesellschaftlichen Verbände der
Menschheit 143
Grote, cand. phil. Adolf, Die angebliche
und die wahre Höhe der deutschen
Rüstungslasten 169
Has kell, Henry S., Brief aus den Ver-
einigten Staaten 94
— Brief aus den Vereinigten Staaten ... 137
— Brief aus den Vereinigten Staaten . . . 176
— Die XIX. Lake Mohouk-Konferenz (4.
bis 16. Mai) 222
— Brief aus den Vereinigten Staaten . . . 256
Seite
Has kell, Henry S., Brief aus den Ver-
einigten Staaten ,311
— Brief aus den Vereinigten Staaten . . . 388
— Brief aus den Vereinigten Staaten . . . 422
— Brief aus den Vereinigten Staaten . . 461
Herve, Gust., Ueber die Ursachen zum
Kriege 377
Jong van Beek en Donk, de, Brief
aus den Niederlanden 220
Kammerer, Dr. Paul, Kampf und Hilfe
in der untermenschlichen Lebewelt . . 372
Koetschke, H., Die deutsch- französi-
sche Journalistenkonferenz in Gent . . 386
Kor ff , Professor Baron S. A., Brief aus
Rußland . . 459
Lamszts, Wilhelm, Vom Anarchismus
zum Gesetz. (Die Diagnose eines euro-
päischen Krieges.) 58
Lange, Chr. L., Albert Gobat 137
L i s z t , Dr. Eduard Ritter von, Kanonen-
futter 50
L o c h n e r , Louis P., Ein internationaler
Studentenkongreß 96
Mead, Edwin D., Deutschland, England
und die Vereinigten Staaten 403
Meider, Egon, Zweiter Kongreß des1 Ver-
bandes der internationalen Studenten-
vereine an deutschen Hochschulen . . 217
Mühsam, Erich, Paul Scheerbart . . . 57
Müller-Lyer, F., Friedensbewegung
und Schule 368
O j s e r k i s , Iro, Pazifisten der antiken
Welt r . ...... . . 13
Perris, Georg Herbert, Die Internatio-
nalität des Waffenhandels 340
P e r s i u s , L., Verständigung in der
Flottenrüstung -, 245
— Das' bedenkliche Treiben des deutschen
Flottenvereins 407
— Patriotismus 'und Dividendenhunger . 446
Pilot y, Prof. Robert, Friedens- und
Kriegshysterie 171
Pleiier, Ernst Frhr. v., Dr. HeinrichT
Lammasch 174
Politisi', Prof. N., Der 70. Geburtstag
..Prof. Renaults 172
Ritter, Prof. Dl-., Goethe über den Krieg 101
Sandstedt, Knut, Brief aus Schweden 423
Schmid, Dr. Karl Fr., Maupassant, ein
Vorkämpfer der Friedensbewegung . 259
Schücking, Prof. Walther, Kultur und
Krieg. Vortrag, gehalten am 6. Okto-
ber 1913 am II. Verbandstag des Ver-
bandes für internationale Verständi-
gung zu Nürnberg 382
IV
Seite
Seber, Dr. Max, Geburtenrückgang und
Internationalismus 100
Seufert, Dr. O., Das' Christentum und
der Kampf gegen den. Krieg. Eine Ent-
gegnung 98
Seufert-Wieber, Dr., Tolstoi und
die Idee des universalen Friedens . . 254
Siemering, C. L., „Deutschland in
Waffen" 175
— Daten aus dem Leben der Baronin
von Suttner 207
Strupp, Dr. Karl, Eine Lanze für die
Rechtsnatur des Völkerrechts .... 97
Südekum, Dr. Albsrt, Kriegsindustrie 163
Suttner, Bertha von, Gerhart Haupt-
manns Festspiel 242
Umfrid, O., Die fromm© Diplomatie. 85
— Mobilmachung der Kirchen gegen den
Krieg 208
— Der deutsche, der englische und der
humane Gedanke in der Welt .... 301
— Die Unlösbarkeit der Abrüstungsfrage
in der Zeit der zwischenstaatlichen
Anarchie 343
Wagner, L., Das internationale Friedens-
seminar und die Ferienkurse für Aus-
länder in Kaiserslautern. Ein Beitrag
zur „Erziehung zum Frieden" . . . . 413
Wehberg, Dr. Hans, Ein Handbuch des
Völkerrechts 3
— Die Zukunft der Haager Friedenskon-
ferenzen 139
— Die Zukunft der Haager Friedenskon-
ferenzen (Schluß) 178
— Bryans Friedensvorschlag 248
— In wessen Namen wird im Haager Frie-
denspalaste Recht gesprochen werden? 286
— Minister Asser, ein Bahnbrecher der
Völkerverständigung 305
— Offener Brief an Seine Exzellenz den
Generalleutnant z. D. von Reichenau
in Düsseldorf 310
— Geheimrat von Bar, ein Bahnbrecher
des Völkerrechts 342
W s, C, Korrespondenz aus Eng-
land 6
Westphal, Dr. A., Hauptversammlung
der deutschen Friedensgesellschaft in
Mannheim 215
White, Andrew D., Zur Vorgeschichte
des Haager Friedenspalastes 281
Krise ;....:.:.... 1
Die Bewegung in den Vereinig-
ten Staaten zugunsten der
schiedlichen Erledigung des
Panamakanalstreites mit
Großbritannien 5
Konservative N eu j ahrs f reude 7
Die gefundene Formel 41
Ueber uns die Sintflut 81
Der Fall Maurenbrech'er 87
Seite
Das kleine Heer. Von einem Offizier 90
Die englisch-deutsche Flotten-
formel. Von besonderer Seite ... 92
Kider len-Wae c ht er. Von J. S. . . . 93
Im Namen Europas 121
Das Weltfeier jähr im Flotten-
bau 131
Kundgebungen gegen die
Rüstungen. 133
Ein offizieller Vorstoß gegen
die Kriegshetzer in der
Presse 136
Die Ueberwindung des Balkan-
konfliktes : 161
Die Jubilare des 21. Mai 172
Die moderne Frieden sbewegung
und die österreichische
Schule. Von einem Schulmann . . . 182
Kaiser Wilhelm und der Welt-
frieden 201
An Baronin Bertha von Suttner.
Zu ihrem 70. Geburtstage 201
Der Carthage- und Monoubafall
vor dem Haager Schiedshof. 21 1
Offizielle Kundgebung für die
Veranstaltung der Feier des
ersten Fr iedens j ahr hun-
der t s zwischen Großbritan-
nien und den Vereinigten
Staaten 225
Der „dritte" Balkankrieg . . . 241
Vom XX. We lt f r i e dens k ongr e ß . 255
BriefausJapan 257
Eine Rundfrage über das Haager
Werk 288
Die Aufgaben des XX. Weltfrie-
denskongresses 301
Die vitale Frage. Zur Montreal-Rede
des Lordkanzlers Haldane 320
Rund um den Friedenskongreß. 324
Die Einweihung des Haager
Fried enspalastes 335
Völkerschlachtdenkmal .... 361
Der zweite Verbandstag des Ver-
bandes für internationale
Verständigung zu Nürnberg. 363
Ein französischer Sozialist
über die Ursachen zum
Kriege..... 377
Verständigung ohne „Preisgabe
der Idee" 401
Erlauschtes, Erlebtes, Erdach-
tes in Frankreich. Ernste Be-
trachtungen von einem patriotischen
deutschen Studenten 417
Der Balkankrieg als pazifisti-
sches Dokument 441
Knistern im Gebälk 449
Die Fr iedens- Warte und die
Wissenschaft 452
B. Randglossen zur Zeitgeschichte.
Von Bertha v. Suttner.
Brief aus Amerika Seits 17
Das neue System. — Der angesagte Krieg.
— Das Handschreiben Kaiser Franz Jo3efs. —
Das pazifistische Gift. — Das letzte Auf-
flackern. — Italienische Schule. — Was heißt
vermitteln? — Human und militärisch. —
Schämen muß man sich, Zeitgenosse zu sein.
— König Alfonso. — Die Vermilitarisierung
Oesterreichs. — Zwangstaufen. — Das englisch-
deutsche Marineabkommen Seite 62
Alle Wirren noch, unentwirrt. — Die Suffra-
gettes. — Der Ueberrüstungswahnsinn in
Deutschland und Frankreich. — Was geht auf
dem balkanischen Kriegstheater vor? — Durch-
sickernde Greuelberichte. — Erinnerungsfeiern
für 1813. — Ein Doppelmanifest der deutschen
und französischen Sozialisten. — William
Jennings Bryan und seine letzte Friedensrede.
— Ein Sacrilegium. — Internationale Abord-
nung, eine Anregung. — Woodrow Wilson,
Ehrenpräsident der amerikanischen Frie-
densgesellschaft Seite 104
Der Kampf zwischen Krieg xmd Frieden.
— Das neu auftauchende Gebilde „Europa".
— Die Friedenspolizei. — Die einigen Groß-
mächte. — Neuer Ausbruch des Rüstungs-
wahnsinns. — Bethmanns Rede. — Die Milliarde
als Deckung. — Churchills Vorschlag, ein Jahr
zu pausieren. — Sasonows Sieg über die Pan-
slavisten. — Skutari oder den Tod. — Der
König von Griechenland ermordet. — Parla-
mentseröffnung in China Seite 146
Skutari geräumt. Der europäische Frie-
denswille. — Die Wirkung der Blockade. —
Europäische Föderation als Ziel. — Sir Max
Wächters Aufruf. — Resolution der Elsässischen
Zweiten Kammer. — Wie die Fäden hin und
her laufen. — Blicke in das Lager der Kriegs-
freimdn. — Lied an das Maschinengewehr. — Die
Aussichten unseres nächsten Krieges. — Wil-
sons und Bryans Friedensaktion. — Das Buch
des deutschen Kronprinzen. — Eine neue Ka-
nonenfabrik. — Albanien Seite 185
Das Ende des Balkankrieges. — Streit
zwischen den verbündeten Siegern. — Gene-
ralstabsoberst Redl, Spionage und Kontrespio-
nage. — Ein Augenzeuge über die Beschießung
von Skutari. — Japan stimmt dem Wilson-
Bryanschen Weltfriedensplan bei. — Das
Schwert des1 Brennus. — Die Hochzeit ssäste
am Berliner Hof. — Georg V. über seinen Vater.
— Vorgeführte Gefechte. — Titanic und Ne-
vada. — Satan in der Luft. — Berner Kon-
ferenz und andere verheißungsvolle Zeichen.
Seite 226
Der dritte Balkankrieg. — Der Versuch des
Zaren, dem Kriege vorzubeugen. — Eine neue
Verhetzungsparole. — Rumänien mobilisiert. —
Das europäische Gleichgewicht. — Scheide-
mann über das neue deutsche Wehrgesetz. —
Ein General über das Wehrgesetz. — Kaiser Wil-
helms Regierungsjubiläum. — Pazifistische
Worte des Kaisers. — Interpellation im eng-
lischen Unterhause. — Der Aufruf König Kon-
stantins an sein Volk Seite 260
Ende des Beuteaufteilungskrieges. — Ein
neues Schlagwort: Gleichgewicht; die Politik
der Balancierstange. — Der Bukarester Friede.
— Vergleichende Berechnung der Verlustziffern.
— Weitere Probleme und Gefahren. — Greuel-
taten, gegenseitige Anklagen. Eine Depesche
König Konstantins. — Barbarisierung der Luft.
— Der Prozeß Krupp. — Die Sanktion der
internationalen Polizei. — Politische Hygiene.
Seite 312
Das Ende des Balkankrieges. — Die Zu-
kunft im Lichte der Tagesbefehle. — Adrianopel
wieder türkisch. — Die Einweihung- des Frie-
denspalastes. — Telegramm des Zaren. — Die
Katastrophen auf den Uebungsplätzen. — Die
F-Strahlen des Italieners Uliva. — Die Cholera.
— König Konstantin lobt die deutsche Kriegs-
kunst. — China und Japan. — Nationalisti-
sches Harakiri. — Zuversicht trotz alledem.
Seite 345
Der Balkan und kein Ende. — Triumph
des Maschinengewehrs. — Aus dem Motiven-
bericht der italienischen Regierung. — Euro-
päischer Staatenbund. — Heeresverstärkung in
Oesterreich. — Die chinesische Republik. —
Vorbereiteter Bürgerkrieg in Irland. — Präsi-
dent Poincarre in Madrid. — Das Gleichgewicht
im Mittelmeer. — Die Vollendung des Panama-
kanals Seite 390
Das österreichisch-ungarische Ultimatum
an Serbien. — Unausgesetzte Rüstungen. —
Winston Churchills Vorschlag. — Das Echo in
Washington. — Der Parlamentsschreck. — Von
den Kriegsindustrien. — Fortgesetzte Balkan-
wirren. — Italien und Griechenland. — Der
Brand des Volturno. — Verbotene Luftzonen.
— Ein abscheulicher Lügenartikel gegen
d^Estournelles. — Der Bodenreformplan von
Lloyd George. — Ritualmordprozeß in Kiew.
Seite 425
Die Unruh der Welt. — Gehäufte Vor-
schläge zum Einhalt der Rüstungen. — Die
Neue Freie Presse gegen die Rüstungspolitik.
— Der enthüllte militärische Geheimvertrag.
— Die Sensationsaffäre von Zabern. — Sturz
des französischen Ministeriums. — Die italieni-
sche Thronrede. — Deutsche Instruktoren in
der türkischen Armee. — Die Botschaft Wil-
sons Seite 463
C. Rus der Zeit.
I. Völkerrecht.
Ein neuer Schiedsfall zwischen England
und Amerika. — Verschiedene Mitteilungen
zur Schiedsentwicklung. — Die „Amerikanische
Gesellschaft für die richterliche Beilegung in-
ternationaler Schwierigkeiten" . . . Seite 20
Interparlamentarische Union . . Seite 65
Vorbereitung der III. Hager Konferenz.
Seite 108
Vom Haager Schiedshof. — Die organisatori-
sche Bedeutung der Haager Konferenzen. Von
v. L. — Zwischenstaatliche Exekution. Von
C. L. Siemering . Seite 148
Die Schiedsgerichtsbarkeit in der portu-
giesischen Verfassung. — Bryans Aktion zur
Sicherung des Weltfriedens .... Seite 188
Das alte und das neue Haager Schiedsab-
kommen. — „Dasi Werk vom Haag". — Be-
sitzergreifung von Ada Kaleh . . . Seite 230
Die Bryans chen Verträge. — Das inter-
nationale Wechselrechtsabkommen im deut-
schen Reichstag Seite 264
Haager Schiedshof Seite 316
Die Haager Völkerrechtsakademie. — Das
Institut de Droit international . . . Seite 347
Verlängerung von Schiedsverträgen.
Seite 392
Vorbereitung der dritten Haager Kon-
ferenz Seite 466
VI
II. Rüs tu ngs prob lern.
Deutschlands Militärausgaben für 19.13. —
Austriaca Seite 21
(Kein Geld für Kulturnotwendigkeiten. —
Friedrich Naumann über den Zusammenhang
zwischen Küstungsfrage und Schiedsgerichts-
barkeit Seite 66
Die Rüstungsbeschränkung in den Ver-
einigten Staa-ten. — Gemeinsame Kundgebung
der deutschen und französischen Sozialdemo-
kratie gegen die Rüstungen Seite 108
Von den unsichtbaren Rüstungslasten. —
Der gemeinsame deutsch-französische Aufruf
Seite 189
Die deutsche Heeres vorläge. — Gegen die
Rüstungsindustrie. — Die Friedensindustrie
Seite 264
Von der Kriegsindustrie .... Seite 348
Neue "Wehrvorlage in Deutschland. — Neue
Rüstungslasten für Oesterreich-Ungarn. — Vom
Rüstungsgeschäft. — Glückliches Land!
Seite 393
Unterirdische Arbeit. — Das Flottenfeier-
jahr. — Rüstungsgroßmacht und soziales Elend.
— Die russischen Rüstungen. — Vom inter-
nationalen Rüstungsgeschäft . . . Seite 428
Unterirdische Arbeit. — "Wiener Protestver-
sammlung gegen das internationale "Wettrüsten
Seite 467
III. Verschiedenes.
v. Kiderlen-Wächter f. — Eine pazifisti-
sche Rede im österreichischen Reichsrat. —
Kaiser Friedrich gegen den Krieg. — Die Gieße-
ner Burschenschaft. — Deutsche Intelligenz-
träger gegen den Krieg. — „Warum baut man
im Haag einen Friede nspalast?" — Ein Fasttag
für (den Frieden. — Die .,Vermehruner der inter-
nationalen Reibungsflächen". Von Dr. J. Mez.
— Die Vertreibung der Türken aus1 Europa. —
Kurze Mitteilungen Seite 22
Die Greuel des Balkankrieges. — Deutsch-
land und England. — Elsaß-Lothringen im
deutschen Reichstag. — Zunahme der inter-
nationalen Korrespondenz Seite 67
Norman Angells Propaganda in deutschen
Studentenkreisen. — Des „ausländischen'"' Par
zifisten Heimkehr. — Militärische Kriegshoff-
nungen. — Ein Künstler gegen den Krieg. —
Kurze Mitteilungen Seite 109
Wrie man Kriege „macht". — Die „Brücke"
und der Internationalismus. Von Dr. J. M. —
Richard Dehmel und die internationale Kultur-
bewegung. Von Dr. Walther Berendsohn. —
Pazifistische Kundgebung des Fürsten Albert
von Monako. — Ein deutscher Feldherr über
den Krieg. — Nach Maurenbrecher Horneffer.
Von J. M Seite 149
Gibt es in Oesterreich eine Kriegspartei?
— Deutschland und Frankreich. — Ein gefähr-
licher Zwischenfall und seine vernunftgemäße
Erledigung. — „Du sollst nicht töten!" oder
Anpreisung einer ungesetzlichen Handlung. —
Kurze Mitteilungen Seite 191
Der Tag von Bern. — Bryans Friedensplan.
— Die Schönheiten des Krieges. — Von der
Sensationspresse. — Der heutige Stand der
Friedenssache. — Vom 8. national-französischen
Friedenskongreß. — "Was ist ein Pazifist?
Seite 231
Parlamentarierzusammenkünfte in der Ver-
gangenheit. — Die Adresse der englischen
Kirchen an den Kaiser. — Das wahre Antlitz
des Krieges. — Die pazifistische Durchdrin-
gung. — Kurze Mitteilungen .... Seite 266
Das Elend des Balkankrieges. — Festgaben
zur Einweihung des Haager Friedenspalastes.
— Oesterreichische Kommission für die Vorbe-
reitung der dritten Friedenskonferenz. — Fie
18. Interparlamentarische Konferenz. — Der
„ewige Friede". — Kurze Mitteilungen Seite 316
„Der schlimmste Feind". — Billige Reise-
erfahrungen. — Ein Ausland- Pflichtjahr für
die deutsche wie französische Jugend. — All-
deutsche Philosophie. — Seltsame Fr;eden(-
freunde Seite 35 )
Die österreichische Industrie gegen die aus-
wärtige Politik der Regierung. — Das Elend in
Galizien. — Reichtums Vermehrung und dennoch
Rückgang der Lebenshaltung. — Zum Kapitel:
Wissenschaft und Pazifismus. — Das ungeheure
Hazardspiel. — Die französische Jugend gegen
den Revanchekrieg Seite 394
Offizielle Gedankengänge über die Leipziger
Schlachtenfeier. — Die bulgarischen Verluste:
44 892 Tote. 104 586 Verwundete. — Der Be-
richt über die Balka.ngreuel. — Vom Nachrich-
tenschwindel. — Kriegs eindrücke. — Der Ge-
burtenrückgang. — Die Gefahr für die Zu-
kunft Deutschlands . Seite 431
Lamprecht gegen Keim Seite 469
D. Aus der Bewegung.
Felix Moscheies' 80. Geburtstag. — Richard
Feldhaus' 600. Friedensvortrag. — Drei Tote:
(Albert K. Smiley. Graf Leonid Kamarowsky.
John Lund). — Revolution des Zentralvorstan-
des des Verbandes für internationale Verstän-
digung : Seite 27
Kongreß- Kalendarium. — Den Beer Poortu-
gacl f. Von Dr. Hans Wehberg. — Die Ent-
wicklung der internationalen Studenten vereine
in Deutschland. — Zwei neue Zeitschriften. —
Eine Denkschrift über die Reform der Frie-
denskongresse. — Todesfälle. — Kurze Mit-
teilungen Seite 69
Kalendarium der pazifistischen Veranstal-
tungen. — Von der Feldhaustournee. — Studien-
reise nach den Vereinigten Staaten , Seite 112
Kongreß- Kalendarium. — Interparlamentari-
sche Union. — Endgültige Tagesordnung für
den 20. Weltfriedenskongreß. — Die Mülhause-
ner Versammlungen. — Der zweite Weltkongreß
der internationalen Verbände. — Professor
Emanuel v. Ulimann f. — Der 21. Mai 1913.
— Kurze Nachrichten Seite 153
Der 70. Geburtstag der Baronin Suttner. —
Kalendarium der pazifistischen Veranstaltun-
gen. — Generalversammlung der russischen
Friedensgesellschaft Seite 194
Kalendarium der pazifistischen Veransta1-
tungen. — Lord Avebury f. — Ein internatio-
nales pazifistisches Seminar Seite 235
, Der XXI. Weltfriedenskongreß in Wien.
— Kalendarium der pazifistischen Veranstal-
VII
tungen. — Der 70. Geburtstag der Baronin
Suttner. — Friedensges ellschaft in Mülhausen
i. E Seite 269
Zu Monetas achtzigstem Geburtstag. — Ka-
lendarium der pazifistischen Bewegung. — Die
Gewinner des Seabury- Preises von 1913. —
Kleine Mitteilungen Seite 351
Charles Richet und Edoardo Girctti. — Das
Auslandpflichtjahr betreffend . . . Seite 134
Der Friedenspreis der Nobelstiftung 1913. —
Baron Carl Carlsson Bonde f. — Aus Holland
Seite 469
E. Pazifistische Chronik.
Seite 19, 65, 107, 147, 188, 229, 263, 315, 317, 39% 428, 465.
F. Literatur und Presse.
Seite
I. Anzeigen.
Der Koloß von Brüs s el ...... 92
Eine neue japanische Friedens-
zeitschrift 30
Eine Norman - Angell - Zeit-
schrift . . . .*., ......... . 396
„Das Werk vom Haag" 470
Zu Weihnachtsgeschenken . . . 470
II. Besprechungen.
Andre ws, The Promotion öf Peace , . . . 195
A n g e 1 1, Peace Theories and the Balkan War 32
Angell, Die falsche Rechnung 73
Bernthardi, Unsere Zukunft 31
Böhme, Friedensbewegung und Lebens-
erziehung 113
Cellini, Benvenuto, Das Leben des . . 195
Classic s, the, of International
Law 115
van Daehne van Varick, Bijdrage tot
de Geschiedenis der Oostersche Kwestie 319
Darby, The Claim of „the new Pacifism" 114
Diederich, Krieg. Ein Buch der Not . 32
Emerson, Ueber den Krieg 436
D'E s t o ur n eil e s de Constant, Les
Etats-Unis DAmerique 271
Friedenskongreß, V. Deutscher 236
Für den Frieden 74
Gießwein, Alexander, Der Friede Christi 156
Goethe, Aus meinem Leben 195
„G r o t i u s" International jaarbock voor
1913 ... 272
Heim, Um der Gerechtigkeit willen . . 236
Hüttenhein, Die Handelsschiffe der
Kriegführenden 33
Jahrbuch des Völkerrechts . . 437
Jerusalem, Einleitung in die Philosophie 274
Johnson, The „coastwise exemption".
Nation against it 113
Die Kaisernummer der New York
Times , 271
Key, Die junge Generation
Kohl er, Moderne Rechtsprobleme . . . 236
Lammasch, Die Rechtskraft internatio-
naler Schiedssprüche 196
Lamprecht, Die Nation und die Frie-
densbewegung 436
Landmann, Weltstaat und Weltfrieden . . 318
Lange, Chr. L., Annuaire de l'Union In-
terparlementaire . . . t..^._ . t.j . . . . 318
Seite
Lange, Hendr. J. de, Oorlog en Arbi-
trage . . . . ,.„ . .,. . . . I#1 . ..... 33
Laukhard, Sein Leben und seine Schick-
sale, von ihm selbst beschrieben 195
Lim an, Der Kaiser • • • ... 272
v. L i s z t , Das Völkerrecht 30
Loreburn, Capture at sea 318
M e a d , Lucia, Swords and Ploughshares or
the supplanting of the System of War
by the System of Law , 114
Meyer, Das Weltscheckrecht. , 318
Meyer, Das Weltwechselrecht ....... 318
Moritz, Karl Philipp, Anton Reiser . . 195
N e u r a t h , Die Kriegswirtschaftslehre als
Sonderdisziplin 195
Nippo ld, Der deutsche Chauvinismus . . 317
Nippold, Vorfragen des Völkerrechts . 319
Nithack- Stahn, Barbareien . . ... . . 274
Nithack-Stahn, Kirche und Krieg ,..274
Oppenheim, The Panama Canal Conflict
between great Britain and the United
States of America 74
Oppenheim, International law .... 319
Peace Year-Book, The 1913 ... 33
Pinon, France et Allemagne 1870—1913 273
Platters, Thomas und Felix, Lebens-
beschreibungen 195
v. Puttkammer, Die Mißerfolge in der
Polenpolitik 196
R o o t , The Obligations of the United States
as to Panama Canal Tolls ...... .. 113
Rosenberg, A Bekenapra az iskoläknak 236
Rousseau's Bekenntnisse ,. 195
S i e p e r , Deutschland und England in ihren
wirtschaftlichen, politischen und kultu-
rellen Beziehungen - 275
Sombart, Krieg und Kapitalismus ... 73
Sozialdemokratische Flug-
schriften . . 33
S t r a u s s , The American Spirit 272
Sturm, Die Einteilung des Rechts und die
Abtrennung des internationalen Privat-
rechts sowie des Friedensrechts, eine
rechtspsychologische Abhandlung .... 74
S v e n s1 k e , Harald, Antwort auf Sven
Hedins Warnungsruf . . . 156
vta
U m f r i d , Europa den Europäern ....
Uni on inte rpar lernen taire . . .
Wertheiraer, Graf Julius Andrassy . .
White, Sieben große Staatsmänner im
Kampfe der Menschheit gegen Unver-
nunft
Seite
435
114
196
72
Ilt Eingegangene Druckschriften,
Zeitschriften - Rundschau, Fach-
presse, Ar t i k e 1 (Rundschau und
B i b 1 i o g-r a p h i e).
Seite 33, 74, 115, 156, 197, 237, 275, 352,
396, 438, 471.
Q. Mitteilungen der Friedensgesellschaften.
Deutsche Friedensgesell sc ha f t :
Ortsgruppe Cöln .... Seite 119
Frankfurter Friedens verein Seite 200
Oesterreichisch'e Friedensgesell-
schaft Seite 39, 80, 119, 160, 200, 239,
279, 320, 360, 400, 472.
Pfarrer O. TJmfrid . Seite 200, 239, 279.
*355
Januar 1913.
Krise.
Es geht etwas vor in Europa, das sich,
wohl zu unterscheiden scheint von den son-
stigen diplomatischen Krisen. Es handelt
sich nicht bloß um die Entwirrung eines
augenblicklich gegebenen Konfliktes, um die
Herstellung des gewohnten, durch einen
Krieg in Schwankung geratenen Gleichge
wichts. Die gegenwärtige Krise scheint viel-
mehr nur der Auftakt zu einer viel größeren
zu werden, die sich nicht heute noch morgen
beruhigen wird. Es ist so, als ob jetzt die
Entscheidung über die Stellung Europas in
der Welt fallen solle. Unsere Diplomaten
haben jahrzehntelang vom „kranken Mann
am Bosporus" gesprochen und haben dabei
ganz übersehen, daß ganz Europa dieser
kranke Mann ist. Krank an der internatio-
nalen Anarchie, zerfressen vom Chauvi-
nismus und Militarismus, die an den Lebens-
säften aller Nationen dieses unglücklichen
Erdteils nagen. Bei allen Krankheiten gibt
es ein Stadium der Krise, wo es sich zeigt,
ob der Organismus stärker ist als die ihn
bedrohenden Kräfte, oder ob diese die Ober-
hand erlangen. Zwischen Gesundung oder
Vernichtung schwankt dann die "Wage.
"Wir Pazifisten sind Optimisten. Wir
glauben an die gesunde Logik: der Dinge,
die wir erkannt haben, und deren Walten
uns berechtigt, an die schließliche Gesun-
dung dieses Erdteils zu glauben, dessen Be-
wohner trotz all der traurigen Perioden, die
sie bereits durchlaufen haben, und unter
deren Einflüssen sie noch leiden, der Mensch-
heit die Kultur gegeben haben. Wir sind
nicht Optimisten aus Bequemlichkeit oder
aus Kurzsichtigkeit, sondern aus der Er-
kenntnis der Zusammenhänge heraus, auf
Grund unseres unerschütterlichen Glaubens
an eine Entwicklung der Menschheit. Die
Gegner lassen sich vom Lärm des Tages
betören und sprechen triumphierend vom
„Bankrott des Pazifismus''. Sie sehen die
Zusammenhänge nicht und nehmen die
Krummlinie einer Episode für eine nach ab-
wärts gerichtete Kurve. Nicht, daß sie
meinen, Recht zu haben, betrübt uns, sondern
daß sie dabei triumphieren erfüllt uns mit
Schmerz. Die Resignation auf das Menschen-
tum, die darin liegt, ist das Entsetzliche.
Die Episode der Wirren und Greuel, die
wir jetzt durchleben, kann die Richtlinie
der Entwicklung erschüttern, aber nicht ab-
lenken. Das Gesetz, das das Weltall be-
herrscht, beherrscht auch die Menschheit;
sonst hätte sie den Aufstieg vom Kannibalen
zu Kant und Goethe nicht zurücklegen
können.
Europa hat das blutige Gemetzel auf
der Balkanhalbinsel über sich, ergehen lassen
müssen, die Werte schaffende Menschheit
hat das schädigende Gebaren jener Träumer,
die an eine befruchtende Wirkung der Ge-
walt glauben, jener Spekulanten, die auf
Strandgut hoffen, ertragen müssen. Noch
sind Kräfte am Werke, die sich nicht
scheuen, eine Uebertragung des Krieges auf
Europa zu versuchen. Aber auch die
Gegenkräfte sind am Werke. Im Momente
der ärgsten Gefahr zeigte sich Europa
wieder einmal als Organismus, als Gemein-
schaft. Die Botschafterreunion in London
ist mehr als eine zwanglose Diplomaten-
sitzung. Sie ist die schüchterne Andeutung
einer großen Entwicklung. Dort denkt,
spricht und handelt der Wille zum Leben
des unglücklichen Erdteils, sein Wille zum
Aufbau, zur Höherentwicklung, zur Kultur.
Dort festigt sich der neue Organismus unter
den Krampfanfällen, die der Ansturm der
Kräfte der Vernichtung des Rückfalles in die
Tierheit verursachen. Wieder sehen wir, wie
ganz ungewollt von den daran beteiligten
Menschen aus jener Handlung eine anders-
geartete, höhere Wirkung ausgeht; wieder
der Beweis für die „Radioaktivität der ge-
DIE FRIEDENS-^VABTE
[©
sellschaftlichen Arbeit''. Wo Menschen sich
zu gemeinsamer Arbeit vereinigen, ergibt
sich immer etwas Höheres aus dieser Hand-
lung; etwas, das gar nicht in ihrer Ab-
sicht lag. Ich habe diese Erkenntnis noch
immer und überall bestätigt gefunden. Jeder
kann, wenn er will, die gleiche Erfahrung
machen. In ihr liegt ein gut Stück unseres
Optimismus verankert. Erkennen wir doch
daraus, daßj es nicht nötig ist, erst die
Macht zu erringen, um einer Idee zum Durchr
bruch zu verhelfen, daß vielmehr auch aus
den Handlungen der Gregner ungewollte fort-
schrittliche Werte hervorgehen müssen. Die
Logik der Dinge!
Die Botschaf terreunion wird den Willen
Europas durchsetzen, jenes Europas, das man
nur als geographischen Begriff gelten lassen
will, und das dennoch schon eine politische
Realität geworden ist. Denn was einen
Willen hat und demgemäß handelt, ist.
„Gogito ergo sum" lautet der Beweis des
Cartesius für die Existenz des Individuums.
Auch Europa denkt und handelt ; es ist
daher.
Aber es ist noch nicht fertig. Es wird
auch noch nicht fertig sein an dem Tage,
an dem die Balkanerschütterung vorläufig
ausgeglichen und die inmitten dieses Erd-
teils mobilisierten Heere wieder zu ihren
Arbeitsstätten entlassen sein werden. Die
Kräfte des Rückschrittes sind dann noch
nicht überwunden, und man wird auf neuen
Alarm gefaßt sein müssen. Es wird eine
lange Krise sein, die wir durchleben müssen,
die wir ja auch schon seit langem durchleben.
Aber da sie immer zugespitzter wird, immer
entscheidender, hat es den Anschein, als ob
wir ihrer Endphase nahekommen. Eis ist
daher eine ereignisschwere, wichtige Zeit.
Weniger wichtig durch die Umwälzungen
auf der Landkarte und die glitzernden Er-
oberungen der einzelnen Kabinette, als durch
die Betätigung Europas als Organismus, die
Schulung des Gesamtwillens und des Ge-
samthandelns dieses alten Erdteils und die
dadurch bewirkte Herausentwicklung seiner
vollwertigen Lebensorgane.
Lassen wir uns daher durch Rückschläge
nicht beirren. Wir wohnen dem Geburtsakt
einer neuen Zeit bei und dürfen die Wehen
nicht als Symptome des Unterganges an-
sehen. Es wird eine höhere Menschheits-
organisation geboren ; eine Gemeinschaft, die
über den Kleinlichkeiten der Nationen steht,
und die berufen ist, die Aufgaben, die der
isolierte Staat nur zum geringsten Teile
lösen konnte, voll zu erfüllen. Schwierige
Arbeit harrt derer, die dieser neuen Zeit
vorarbeiten. Seien wir dabei des Dichter-
wortes eingedenk, das da lautet:
„Nur in schweren Prüfungsstunden
Sproßt die Palme, die den Sieger krönt.''
A. H. F.
Ein Brief von Rndrew Carnegie.
Die englische Ausgabe von
Alfred H. Frieds Buch „Der
Kaiser und der Weltfriede", die vor
einiger Zeit bei Hodder & Stoughton
in London erschien, wurde von den
englischen Verlegern an Andrew
Carnegie gesandt. Dieser, um seine
Meinung über das Buch befragt,
richtete an das Verlagshaus folgendes
Schreiben, das bis jetzt nicht ver-
öffentlicht wurde, es aber wohl ver-
dient, in Deutschland bekannt zu
werden, zumal es für englische
Leser bestimmt war :
„Es gereicht mir zum großen Vergnügen,
infolge Ihrer Aufforderung Herrn Frieds An-
sicht zu bestätigen über einen der hervor-
ragendsten Herrscher der Welt, den Deut-
schen Kaiser, der in so ausgezeichneter Weise
für den internationalen Frieden eintritt. Das
habe ich seit langem gewußt. Seinem Ein-
fluß ist es auch zu danken, daß das Duell
in der deutschen Armee und Flotte von
1200 Fällen im Jahre auf zwölf hinabgegangen
ist. Auch die Mäßigkeit hat in dem Kaiser
den stärksten Anwalt. Er ist in der Tat
ein Mustermonarch.
Das gegenwärtige Anwachsen der Rüstun-
gen rührt aus Englands Inangriffnahme
des Dreadnought-Types her. Nach Hirst ist
es klar, daß England die erste Macht war,
die diesen ersten verhängnisvollen Schritt
tat, und völlig verdient es das Urteil, das
ihm zuteil geworden. Die Einführung der
Dreadnoughts ließ in gewissem Grade die
Hunderte von Kriegsschiffen, die England
hatte, veraltet erscheinen. Als Deutschland
mit dem Bau von Dreadnoughts begann, hatte
es keine große Flotte, die dadurch wirkungs-
los wurde. Dies gab ihm in gewissem Grade
einen gleichen Status mit England.
Andererseits muß man anerkennen,
daß Deutschlands so sehr über seine Be-
dürfnisse hinausgehende Betätigung im
Kriegsschiffbau England unvermeidlich
zwingt, zu folgen, da seine Existenz von der
Vorherrschaft zur See abhängt, damit es
seine Nahrungszufuhr sichere. So beharren
die beiden Nationen in einem verderblichen
Wettbewerb, der wiederum andere Nationen
in größerem oder kleinerem Maße zwingt,
dasselbe zu tun.
Zugunsten Deutschlands ist noch zu
sagen, daß es bereitwilligst seinen Wunsch
ausdrückte, in den Schiedsvertrag mit
Amerika einzutreten, dem sich auch Frank-
<§s
reich und England anschlössen. Wenn diese
vier Mächte durch ein solches Abkommen
verbunden sein werden, ist nur ein Schritt
nötig, um den anderen Nationen der Welt
anzudeuten, daß sie, die übereinkommen, alle
internationalen Streitigkeiten schiedlich zu
lösen, mit Mißfallen jede andere Nation be-
trachten würden, die den Weltfrieden brechen
wollte.
Wir sind der festen Ueberzeugung, daß
die Zeit nicht so entfernt ist, wo sich diese
Mächte wieder einander nähern und den
Weltfrieden durch gegenseitige Abkommen
sichern werden. Kommt dieser Tag, dann
glaube ich, daß Deutschland unter der Führung
seines friedlich gesinnten Kaisers so handeln
wird, wie es neulich handelte, und seinen
lebhaften Wunsch zum Ausdruck bringen
wird, sich mit seinen Schwesternationen zu
vereinigen.
Das scheinbar unlösbare Problem unserer
Tage ist folgendes. Es gibt keinen Herrscher
noch klugen Staatsmann in der Welt, der
nicht wüßte, daß der Friede das größte
Interesse für sein Land bedeutet. Dem-
entsprechend gibt es keinen, der nicht die
Herrschaft des Friedens wünschen würde.
Die erste Frage ist nun: Wie ist das zu
sichern, was jede Nation für das Beste hält
und wirklich von Herzen wünscht, nämlich
der Friede mit ihren Nachbarn ?
Wenn jede Nation, wie sie es neulich an-
läßlich der Londoner Konferenz*) tat, ihre
zwei hervorragendsten und fähigsten Männer
ernennen würde, damit diese zusammentreten
mit der Aufgabe, ihre gemeinsame Aktion mit
ihren gemeinsamen nationalen Wünschen in
Einklang zu setzen, so würde, glaube ich, ein
Ergebnis erreicht werden, wie es einstimmig
auf der Londoner Konferenz erreicht wurde.
Unlösbar ist das Problem nur, weil die Staats-
männer der verschiedenen Länder sich gegen-
seitig als ständige Feinde betrachten, statt aus-
zuführen, was sie alle fühlen, daß nämlich der
internationale Friede das Beste für alle ist.
In einer solchen Konferenz würden die
Schwierigkeiten verschwinden; sollte sie aber
doch scheitern, so hätten wir wenigstens die
Befriedigung, daß wir die Bahn des Giftes
kennen, welches die Adern der Nationen noch
immer füllt. „Wir hassen nur, was wir nicht
kennen." Wenn Deutschland, England, Ame-
rika, Rußland, Frankreich, Oesterreich, Italien
nur wüßten, wie aufrichtig alle den Frieden
wollen, würde alles gut sein und eine mit dieser
Erkenntnis übereinstimmende Aktion würde
unternommen werden. Es ist das gegenseitige
Mißtrauen, ein Mißtrauen, das auf keiner festen
Grundlage beruht, das die Kulturvölker heute
vom internationalen Frieden abhält.
Ich glaube, daß dieses Mißtrauen nicht
andauern kann."
*) Gemeint ist die Londoner Seerechts-
konferenz.
= DIE FRI EDENS -^X*\RXE
Ein Handbuch des Völkerrechts.
Von Dr. Hans Wehberg, Düsseldorf.
Die deutsche Völkerrechtswissenschaft er-
lebt gegenwärtig unzweifelhaft eine besondere
Blütezeit. Im Jahre 1912 ist ein „Jahrbuch
fjür den internationalen Rechts-
verkehr" von Rechtsanwalt Dr. Wertheimer
begründet worden, und Anfang 1913 erscheint
ein noch viel großartiger angelegtes „Jahr-
buch des Volk er rechts" (herausge-
geben von Professor Niemeyer und Dr. Strupp),
so daß wir auf dem Gebiete des internationalen
privaten wie öffentlichen Rechts fortan wert-
volle Nachschlagwerke in Form von Jahr-
büchern besitzen. Die Erörterung der tief-
greifenden Probleme der Haager Konferenzen
ist durch die Sammlung „Das Werk vom
Haag" in besonders weitschauender Weise
begonnen worden. Auch wurde kürzlich eine
„Deutsche Vereinigung für inter-
nationales Recht" auf Anregung Nie-
meyers begründet. Nun beginnt zu alledem
ein großartiges „Handbuchdes Völker-
rechts"*) zu erscheinen, das ein Meister-
werk der systematischen Bearbeitung des ge-
samten Völkerrechts sein wird. Da ist in der
Tat die Behauptung von einer Renaissance der
deutschen Völkerrechtswissenschaft begründet.
Im Gegensatze zu den anderen großen
Staaten, die auf völkerrechtlichem Gebiete eine
besondere Rolle spielen, haben wir in Deutsch-
land nur sehr wenige systematische Werke
über das gesamte Gebiet des Völkerrechts.
Nur v. Liszt und v. Ulimanns Bücher ge-
hören zu den größer angelegten Werken dieser
Art. Das Buch von Albert Zorn ist recht
knapp gehalten, und das Werk von Quaritsch
verfolgt keine eigentlich wissenschaftlichen
Zwecke. Es kann daher nicht bestritten wer-
den, daß der Gedanke, ein „Handbuch des
Völkerrechts" zu begründen, ein vortrefflicher
war. Wir Pazifisten müssen es besonders
freudig begrüßen, wenn die wertvollen Prob-
leme des Völkerrechts weiten Kreisen bekannt
gemacht werden.
An die Lektüre der ersten Lieferung des
Handbuches und des darin abgedruckten Vor-
bemerkes von Stier-Somlo bin ich nicht ohne
eine gewisse Furcht gegangen, wir können
in diesem Handbuche ein Werk erleben, das
in aller und jeder Beziehung, so auch in der
Tendenz, dem 1885 — 1889 erschienenen „Hand-
buche des Völkerrechts" von Holtzendorff
gliche. Bereits Professor Schücking hat in
seiner „Organisation der Welt" (S. 65) darauf
hingewiesen, „in welch unglaublich reaktio-
närer und verständnisloser Weise in dem
Holtzendorffschen Buche die Probleme der
internationalen Organisation behandelt worden
sind", und daß „z. B. ein gewisser Professor
Lueder aus Erlangen die geistvolle Betrach-
tung anstellt, das Aufhören der Kriege sei
nicht das richtige Kulturideal, weil es der
*) Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart.
DIE FRIEDENS -WARTE
1©
göttlichen Weltordnung widerspräche." Heute,
wo das Interesse an völkerrechtlichen Din-
gen so ungemein gewachsen ist, müßte eine
antipazifistische Tendenz eines von so kom-
petenter Seite herausgegebenen Werkes noch
größeres Unheil anrichten.
Aber es ist im Gegegensatze zu dem Werke
von Holtzendorff festzustellen, daß der dies-
malige Herausgeber Stier-Somlo, wie man
das ja von einer Persönlichkeit mit so weitem
Blicke nicht anders erwarten konnte, in ganz
hervorragender Weise den modernen pazi-
fistischen Tendenzen gerecht geworden ist.
In der Vorbemerkung redet er gleich von den
„großen Bestrebungen des Pazifismus"; er
weist bei der Charakterisierung der modernen
Entwicklung vor allem auf die Haager
Friedenskonferenzen und die Schiedsgerichts-
fälle hin, und er hat — dies ist das größte
Verdienst — von den vierzehn Kapiteln seines
Handbuches nicht weniger als zwei ausschließ-
lich den Haager Friedenskonferenzen und der
internationalen Schiedsgerichtsbarkeit \ ge-
widmet. Diese große Berücksichtigung des
Schieds- und Friedensgedankens erhebt das
Werk über alle bisher vorhandenen Lehrbücher
des Völkerrechts. In der Tat haben die
neueren Lehrbücher von Oppenheim, Liszt,
v. Ulimann u. a., wie hoch bedeutsam diese
Publikationen auch sind, die welthistorische
Bedeutung der Haager Konferenzen nicht ge-
nügend berücksichtigt. Daß hier der Angel-
punkt aller weiteren Entwicklung zu suchen
ist, tritt in keinem jener anderen Werke mit
ausreichender Deutlichkeit hervor. Man be-
denke, daß Stier-Somlos Werk vor der bahn-
brechenden Arbeit Schückings über den
„Staatenverband der Haager Konferenzen" er-
schienen ist, und man wird diese Eigenart da-
her ganz besonders schätzen müssen.
Sehr wichtig ist, daß die beiden Kapitel
über die Schieds- und Friedensbewegung von
so hervorragenden Männern wie Lammasch
und Zorn geschrieben werden. Gerade die
maßvolle Art der beiden Verfasser wird unsere
Ideen außerordentlich propagieren. Auch die
übrigen Mitarbeiter an dem Handbuche sind
als durchaus fortschrittlich bekannt: Heilborn,
Frhr. v. Dungern, Schönborn, Fleischmann,
Huber, Hold v. Ferneck, Zitelmann, Kohler
und Stier-Somlo selbst. Has Handbuch soll
in drei bis vier Bänden erscheinen und etwa
1914 fertig sein. Der erste Band umfaßt die
„Grundbegriffe und Geschichte des Völker-
rechts" von Professor Heilborn. Eine
ausführliche Erörterung dieser ersten vortreff-
lichen Lieferung gehört nicht in diesen Zu-
sammenhang. Es muß hier genügen, auf
einige allgemeine Gesichtspunkte hinzuweisen.
Außerordentlich erfreulich ist bei der
Heilbornschen Darstellung die fortwährende
Berücksichtigung der neuesten Völkerrechts-
entwicklung, insbesondere des Schiedsgerichts-
wesens, der Haager Friedenskonferenzen, des
zentralamerikanischen Gerichtshofes usw.
Zahlreiche Hinweise auf alle diese neuesten
Errungenschaften finden sich in seiner Dar-
stellung, und die Würdigung ist in allen Fällen
sehr gerecht und fortschrittlich. Auf S. 15
sagt er: „Dem völkerrechtlichen Schiedsver-
fahren steht vermutlich eine große Zukunft
bevor." Wie ausgezeichnet findet sich auf
Seite 23 die Bemerkung: „Zwischen dem
Völkerrecht und dem Krieg besteht in der Tat
ein Widerspruch, welcher nicht vertuscht wer-
den soll. Als Ordnung des staatlichen Ver-
kehrs und Zusammenlebens will und muß das
Völkerrecht das von ihm anerkannte subjektive
Recht schützen, ihm, nicht aber der Macht
zum Siege zu verhelfen. Die Tendenz des
Völkerrechts muß deshalb auf Beseitigung, zu-
nächst auf allmähliche Verminderung der
Kriege gerichtet sein."
Freilich wäre vielleicht ein noch ausführ-
licheres Eingehen auf den Zusammenhang
zwischen Völkerrecht und Friedensbewegung
wünschenswert gewesen. Heilborn will, wie
er ausdrücklich bemerkt, das Problem des
ewigen Friedens nicht erörtern. Aber die
Frage, in welchem Zusammenhang Völker-
recht und Pazifismus stehen, ist doch zu
grundlegend und neuerdings zu oft auf-
geworfen worden, als daß man bei der Er-
örterung der Grundbegriffe des Völkerrechts
dieses Problem so gut wie ganz beiseite lassen
könnte. Heilborn gibt, wie aus den obigen
Bemerkungen hervorgeht, den innigen Zu-
sammenhang zwischen beiden, der vor allem
durch Schücking betont worden ist, ohne
weiteres zu. Aber andere, z. B. Giese (Lite-
rarisches Zentralblatt vom 21. IX. 1912), be-
haupten, beide hätten nicht den geringsten
Zusammenhang. Namentlich deshalb wäre
eine Erörterung dieses Problems wünschens-
wert gewesen. Es ist aber wahrscheinlich,
daß dies erst in der von Zorn in Aussicht
gestellten Abhandlung geschehen soll, da ja
die Haager Friedenskonferenzen in dem denk-
bar größten Zusammenhange mit dem Pazi-
fismus stehen und bei dem Ueberblick über
die Verhandlungen dieser Konferenzen eine
Stellungnahme zur Friedensbewegung not-
wendig sein wird.
Sehr schade ist, daß Heilborn Schückings
Werk nicht mehr benutzen konnte. Er leugnet,
daß wir eine organisierte Gemeinschaft haben
und beschränkt sich in der Hauptsache auf
die Widerlegung der v. Lisztschen Anschau-
ungen über diese Frage.
Im übrigen Ist die Heilbornsche Dar-
stellung eine ausgezeichnete Einleitung für das
ganze Werk. Sie ist sehr übersichtlich an-
geordnet und benutzt eine sehr reichhaltige
deutsche, französische, englische, italienische,
holländische usw. Literatur.
Nach alledem dürfen wir ein Werk von der
Tendenz und der Anlage des Stier- Somloschen
Buches mit großer Freude begrüßen. Wel-
chen Fortschritt hat doch unsere Idee inj den
letzten 25 Jahren gemacht, daß sie so weite
<§:
DIE FRIEDEN5-^\*\RXE
Kreise ergriffen hat! Die Friedensbewegung
ist nicht mehr auf die Vertretung durch einige
Außenseiter angewiesen, sondern die Wissen-
schaft des Völkerrechts selbst hat den Kampf
aufgenommen und trägt das Banner des Fort-
schritts voran. Von diesem fast einheitüchen
Auftreten der deutschen Völkerrechtswissen-
schaft und dem Emporblühen des „Verbandes
für internationale Verständigung" wird sich
in der Hauptsache die Weiterentwicklung der
durch die deutsche Friedensgesellschaft zuerst
angeregten Friedensbewegung in Deutschland
vollziehen. In den nächsten Jahren müssen
die Regierungsbeamten, Richter, Staatsanwälte
sowie alle Intellektuellen außer den Chau-
vinisten gewonnen werden. Wir Jüngeren
werden noch den Sieg der großen Idee er-
leben, das Eintreten des offiziellen Deutsch-
lands für den Pazifismus. Wer die Richtung
unserer Zeit begriffen hat, dem muß der
Sieg unserer Sache gewiß sein.
Die Bewegung in den Vereinigt.
Staaten zugunsten der schied-
ikhen Erledigung des Panama-
Kanal-Streits mit Großbritannien.
Am 16. August vorigen Jahres nahm der
amerikanische Senat mit 48 gegen 18 Stimmen
eine Bill an, worin unter anderem bestimmt
wurde, daß die amerikanische Küstenschiffahrt
den Panamakanal gebührenfrei wird benutzen
können. Darin erblickte England eine Ver-
letzung des Hay-Pauncefote-Vertrages vom
18. November 1901, wonach der Kanal allen
Nationen auf gleicher Grundlage offen sein
soll. (Siehe über den Streit die Ausführungen
in der „Friedens- Warte" 1912, S. 341 u. f.)
Das Verlangen Großbritanniens, den Streit-
fall vor das Haager Schiedsgericht zu bringen,
wurde merkwürdigerweise von amerikanischer
Seite dahin erwidert, daß es sich um eine
„innere Angelegenheit" der Vereinigten Staaten
handle, der Fall daher nicht arbirabel sei.
Eine gewisse Presse in Europa erblickte darin
triumphierend eine Niederlage der Schieds-
gerichtsbarkeit !
Nunmehr hat sich aber in den Ver-
einigten Staaten eine Bewegung zugunsten
der schiedlichen Lösung jenes Streitfalles ent-
wickelt, von der in der europäischen, nament-
lich aber in der deutschen, Presse nur sehr
spärlich Notiz genommen wird, trotzdem sie
von hoher Bedeutung ist.
An die Spitze dieser Bewegung hat sich
Präsident Taft selbst gestellt, der am
4. Januar, bei einem ihm von der Gesellschaft
„International Peace Forum" im
Hotel Waldorf-Astoria gegebenen Bankett,
eine Rede zugunsten der schiedlichen Erledi-
gung der Panamafrage hielt.
„Wenn die Zeit kommt," so sagte er,
„unterliegt es keinem Zweifel, was ich bezüg-
lich einer Unterwerfung der Frage zur Ent-
scheidung vor einem unparteiischen Tribunal
tun werde. Ich bin bereit, mit Eng-
land zur Schiedsgerichtsbarkeit
zu gehen, sobald wir zu dem • strittigen
Punkt gelangen . . . Ich würde mich schämen,
mit England nicht zur Schiedsgerichtsbarkeit
bereit zu sein, über den Inhalt des Vertrages,
wenn wir den genauen Streitpunkt erreicht haben
werden, in dem wir differieren. Man sagt, ich
solle das nicht tun, weil wir verlieren würden.
Das ist unser Kanal, und England würde wegen
dieses Streites keinen Krieg führen. Warum
daher nachgeben, wenn es unwahrscheinlich ist,
daß wir ein befriedigendes Schiedsurteil er-
reichen. Aber ohne Eier zu zerbrechen, kann
man keine Omelette machen. Man muß manch-
mal gefaßt sein, besiegt zu werden. Eine
sichere Sache wird unter Gentlemen nicht als
eine ehrenvolle Wette angesehen." Nach Taft
sprach der Bankier M. Henry Clews, der
ebenfalls die Schiedsgerichtsbarkeit für die
Kanalfrage forderte, obwohl er sagen mußte:
„Wir sind im Unrecht und werden wahr-
scheinlich eine Niederlage erleben, wenn die
Sache nach dem Haag kommt, um dort ent-
schieden zu werden." Später soll sich Präsident
Taft geäußert haben, daß er es vorziehen
würde, den Fall einem aus Engländern und
Amerikanern zusammengesetzten Sondertribu-
nal zu unterbreiten, statt dem Haager Hof,
im Hinblick darauf, daß ganz Europa an der
Entscheidung interessiert ist, und das Ueber-
gewicht des europäischen Einflusses einer un-
parteiischen Entscheidung Abbruch täte. Diese
Anschauung, die nach Lage der Sache absolut
keinen Vorwurf gegen die Haager Institution
enthält, sahen sich einige deutsche Zeitungen
bemüßigt, unter der Ueberschrift „Präsident
Taft gegen das Haager Schiedsgericht" zu
veröffentlichen.
Diese Erklärung des Präsidenten ist nicht
die einzige Aktion zugunsten der schiedlichen
Erledigung des Streitfalles in den Vereinigten
Staaten.
Am 22. November trat Elihu Root bei
einem Handelskammer-Bankett in New York
gegen die Kanalbill auf und sagte, daß diese
Amerika in die Lage eines treubrüchigen
Kaufmannes bringe.
Josef H. Choate, der Hauptdelegierte
der Vereinigten Staaten auf der IL Haager
Konferenz und Charles Francis Adams,
der bekannte Historiker, protestierten, am
14. Dezember bei einer Sitzung der New-
Yorker genealogischen und biographischen Ge-
sellschaft, der auch der großbritannische Ge-
sandte, James Bryce, beiwohnte, gegen die
Haltung des Senats in dieser Frage.
Die New York World veröffentlicht
in ihrer Nummer vom 18. Dezember eine
Enquete, die sie telegraphisch bei den Präsi-
denten der amerikanischen Universitäten und
DIEFßlEDEN5-^^DTE
3
Kollegien unternommen hatte, in der in über-
wältigender Weise die schiedliche Erledigung
des Panama-Falles verlangt wird. Als eine
„ewige Schande" wird es da bezeichnet, wenn
die Panamabill nicht zurückgezogen wird;
„eine nichtswürdige Politik ist es, einen Ver-
trag zu verletzen," sagt Starr Jordan. „Die
Vertragsbestimmungen müssen heilig ge-
hlalten werden" telegraphiert Blurton aus
Northampton. „Unbegreiflich," „ehrlos" sind
die Worte, die in fast jeder Antwort vor-
kommen, und alle fordern Rücknahme der
Bill oder Schiedsentscheidung. In seiner Ant-
wort an die „World" sagte Nicholas Mur-
ray BiUtler, daß Amerika durch die Ab-
lehnung der schiedsrichterlichen Erledigung
des Streitfalles „dauernd entehrt" sein
Werde. „Wir erkauften das Recht zur Er-
bauung des Kanals durch ein Pfand," sagte
er, „und dieses Pfand war die Verpflichtung,
die Schiffe aller Staaten gleichmäßig zu be-
handeln. Nun sind welche unter uns, die jetzt
dieses Pfand gewaltsam zurückweisen, und so
in ein er An g el ege nh ei t des natio-
nalen und internationalen Ver-
kehrs eine ehrlose Handlung be-
gehen wollen, die sie in ihren
Privatangelegenheiten keinen
Augenblick in Erwägung ziehen
würden."
Auf der Jahresversammlung der „ A meri-
can Society o f Judicial Settlement
K>f international Dispute s", die am
20. Dezember in Washington tagte, brauchte
Präsident P. W h e e 1 e r von New York scharfe
Worte gegen diejenigen, die sich weigern, den
Streitfall dem Schiedsgericht zu unterbreiten.
Er sagte am Schluß seiner denkwürdigen Aus-
führungen, „es würde tausendmal besser sein,
der Panamakanal wäre nie gebaut worden,
lals daß die Vereinigten Staaten
ihre verpfändete Treue brechen
und die Stellung einer Nation ein-
nehmen, die dringlichst darauf be-
stand, daß Großbritannien Fragen
der Schiedsgerichtsbarkeit unter-
breite, die die Vereinigten Staaten
nicht einmal direkt berührten, nun
aber, wo sie selbst angerufen wer-
den, dem Haager Hofe eine Frage
dieser Art zu unterbreiten, es ver-
weigern." F.
Korrespondenz aus England.
Zur Jahreswende blickt man natürlicher-
weise zurück auf die Ereignisse des vergan-
genen Jahres, insofern dieselben die Bezie-
hungen zwischen England und Deutschland
beeinflußt haben. Mit großer Freude be-
stätigen wir in England, daß zu Anfang 1913
diese Beziehungen sich außerordentlich ver-
bessert haben, so daß man sagen kann, daß
bei den jüngsten Verhandlungen der beiden
Regierungen zur Aufrechterhaltung des euro-
päischen Friedens das intime Verhältnis der
beiden verwandten Nationen zueinander herz-
licher war, wie schon lange nicht. Und doch
haben auf englischer Seite viele Umstände,
wie z. B. die letzten öffentlichen Reden Chur-
chills und Lord Roberts, dahin gewirkt, daß
deutsche Chauvinisten sich noch immer schroff
gegen eine engere Annäherung stellen.
Wer hier die deutsche auswärtige Politik
gegenüber England verfolgt hat, muß freudig
zugeben, daß Kaiser Wilhelm, wenn auch nicht
öffentlich, hierin eine leitende Rolle gespielt
hat. Denn wie freundlich auch das deutsche
Volk — die Sozialdemokraten sowie auch viele
der bürgerlichen Parteien — dem Inselreich
gesinnt ist, so liegt doch die Leitung der aus-
wärtigen Politik schließlich in Allerhöchsten
Händen, was auch immer die Alldeutschen
dazu sagen mögen. Die Wahl geeigneter Per-
sönlichkeiten, wie die des so früh verstorbenen
Grafen Marschall und des jetzigen Botschafters
Fürst Lichnowsky, hat in England allgemein
Beifall gefunden, und dürfen englische und
deutsche Pazifisten sich besonders freuen, daß
ihre Bestrebungen von den deutschen Bot-
schaftern in London sowie von dem englischen
Auswärtigen Amt unterstützt worden sind. Als
Resultat kam dann Ende Oktober die Ver-
ständigungskonferenz in London zustande, die,
obwohl nicht offiziös, doch etwas beigetragen
hat zu der jetzigen besseren Stimmung zwischen
England und Deutschland. Ueber die Kon-
ferenz selbst hat die Friedens-Warte ausführ-
lich Bericht erstattet. Der Gedanke, eine
Konferenz abzuhalten, wurde schon im No-
vember 1911 von dem National Peace Council
aufgeworfen, und dann im Laufe des Jahres
1912 von dem Kirchlichen Komitee energisch,
von der British German Friedenship Society
aber nur zögernd unterstützt. Dennoch sind
wir jetzt alle einstimmig der Ansicht, daß
das Zusammenkommen angesehener Männer
Deutschlands und Englands ihre öffentlichen
Auseinandersetzungen und vielleicht ganz be-
sonders die geselligen Veranstaltungen, bei
denen die Delegierten sich persönlich kennen
lernten, der Sache der Verständigung be-
deutend geholfen hat. Ein privates Zu-
sammensein der führenden Persönlich-
keiten dürfte besonders erwähnt werden. Auf
Einladung des Vorsitzenden des National
Peace Council, Mr. Gordon Harvey, liberales
Mitglied, und des Oberst Williams, konserva-
tives Mitglied des englischen Unterhauses,
kamen einige Teilnehmer der Konferenz bei
einem Privat-Diner mit englischen Parlamen-
tariern im House of Commons zusammen. Von
dieser Festlichkeit ist natürlich wenig an die
Oeffentlichkeit gedrungen, aber es ist bekannt,
daß von englischen Staatsmännern, die Minister
Lloyd George und Lewis Harcourt,
der ehemalige konservative Minister Bal-
four, der jetzige Führer der Konservativen,
Bonar Law, und der Führer der Sozialister
@=
DIE FRIEDEN5-^^RXE
Ramsay Macdonald, anwesend waren.
Wir vernehmen ferner, daß unser Minister des
Auswärtigen Amtes, Sir E. G r e y , mit einem
bekannten deutschen Teilnehmer eine Unter-
redung hatte. Ein Bericht über die Konferenz
ist wohl auch in allerhöchste Kreise in Deutsch-
land gedrungen!
Und wie steht es nun um unsere weitere
Arbeit zum Legen der Vorurteile hüben und
drüben? Das Komitee der Konferenz führt
zurzeit seine Arbeit fort, da wir aus Deutsch-
land erfahren, daß das entsprechende deutsche
Komitee im laufenden Jahre eine zweite, ähn-
liche Konferenz wahrscheinlich in Berlin ein-
berufen wird, und ist es zweckmäßig, daß die-
selbe Organisation, die mit den Regierungs-
kreisen in enger Fühlung steht, bis dahin be-
stehen bleibt.
Einstweilen aber gibt es für jeden in Eng-
land lebenden Deutschen sowie für alle eng-
lischen Freunde Deutschlands noch viel zu
tun. Und hier muß man besonders die Arbeit
zum Verständnis Deutschlands und deutscher
Verhältnisse sowie zur Annäherung der beiden
Völker betonen, die von Deutschen, wie dem
an der Universität Cambridge tätigen Prof.
Dr. Karl B r e u 1 und dem deutschen Konsul
in Manchester, Hauptmann d. R. S c h 1 a g i n t-
weit, geleistet wird. Dasselbe kann leider
von vielen in England lebenden Deutschen
nicht gesagt werden, die oft englischer sind
wie die Engländer!
Was englische Pazifisten vor allem zu be-
kämpfen haben, ist der von englischen Chau-
vinisten geschürte Militarismus. Denn wir
haben in England auch unsere Bernhardi —
den greisen Feldmarschall Lord Roberts —
und andere Militärs und Junker, die von
der Furcht vor Deutschland beseelt sind!
Arme, blinde Menschen 1 Sie sollten doch ein-
mal die große Friedensbewegung in Deutsch-
land studieren und sich unter das deutsche
Volk begeben, statt immer nur den Worten der
deutschen Chauvinisten zu lauschen. Sogar
einer der bekanntesten Schriftsteller, der sonst
vernünftige Frederic Harrison, der in seinem
Alter überall nur die sogenannte deutsche Ge-
fahr erblickt, gibt im Neujahrshefte der „Eng-
lish Review" dem englischen Volke eine noch-
malige Warnung und unterstützt Lord Roberts
und die englischen Militärs a. D<. in der Pro-
paganda zur Einführung der allgemeinen Wehr-
pflicht als einziges Mittel, die „deutsche Gefahr"
zu legen. Ueber diesen letzten Punkt möchte
ich, mit Erlaubnis der Redaktion, später ein-
mal zurückkommen. C. W . . .s.
London, 5. Januar 1913.
Konservative Meujahrsfreude.
Randglossen zu einem Artikel
des Herrn Dr. Adolf Grabowsky, Berlin.
Die neubegründete „Wochenschrift für
konservativen Fortschritt" (eine eigentüm-
liche contradictio in adjecto), die den Titel
„Das neue Deutschland" führt, befaßt sich
an der Spitze ihrer Nummer vom. 11. Jan.
mit der Broschüre „D er Weg zum Welt-
friede n", die den Herausgeber dieser Blätter
zum Verfasser hat. Wir sind gewiß weit ent-
fernt davon, die Berechtigung einer konser-
vativen Weltanschauung nicht anzuerkennen,
wenn wir auch einer anderen Welt-
anschauung zugewandt sind und für
diese arbeiten. Die Berechtigung des
Konservatismus soll jedoch in dieser
Welt der Gegensätze und Rundungen
nicht bestritten werden. Ebenso können wir
verstehen, daß das Programm des Pazifismus
tnit dieser Weltauffassung nicht harmoniert
und demgemäß von ihr bekämpft werden muß.
Gerade deshalb fordern aber wir von unseren
politischen Antipoden dieselbe Erkenntnis, die
gleiche Gerechtigkeit und Anerkennung, ein
über dem Parteigesichtspunkt stehendes Ver-
stehen unseres Wirkens.
In dem erwähnten Artikel vermissen wir
jedoch diese Objektivität. Der Verfasser
freut sich über den „Bankerott des Pazi-
fismus", der ihm in jener Broschüre
zum Ausdruck zu kommen scheint. Er sieht
nicht, daß es eigentlich der Bankerott seiner
Auffassung des Pazifismus ist, die er sich un-
gerechtfertigterweise gebildet hat.
Daß er den Herausgeber dieser Blätter
gleich in der ersten Zeile als „Friedens-
apostel" anspricht, beweist zwar seine völlige
Unkenjntnis über den Pazifismus, es sei ihm aber
verziehen, da es schwer ist, sich von solchen
Klischees zu emanzipieren. Daß er es aber
als „Heiterkeit" empfindet, weil in der der Bro-
schüre beigegebenen Chronik auch „sämtliche
kriegerischen Konflikte, ebenso auch alle mili-
tärischen Rüstungen" angeführt werden, läßt
erkennen, daß er nicht vorurteilslos der Sache
gegenübertrat; denn bei etwas weniger guter
Laune hätte er erkennen können, daß in jener
Chronik nicht nur die Masse der auf die
Völkerverständigung hinzielenden Daten an-
geführt worden ist, sondern — und zwar zum
besseren Verständnis des Geschehens — auch
alle Aeußerungen des noch lebenden alten
Geistes in der Politik. Die „Heiterkeit", die
den Beurteiler darob befiel, entspringt nicht
der Ueberlegenheit oder einer überragenden
Sachkenntnis. Dann heißt es:
„Fried zieht die Bilanz für 1912 und
hält für das Hauptergebnis des abgelaufenen
jahres, daß der den Pazifisten so lieb-
gewordene und schöne Gedanke von der
Beseitigung des Krieges durch die Schieds-
gerichtsbarkeit nun endgültig fallen ge-
lassen oder wenigstens auf das richtige Maß
zurückgeführt werden müsse. Schieds-
gerichte seien nur bei Rechtsstreitigkeiten
wirksam. Wo bleibt der Traum vom
Haag ?"
Diese Darstellung ist unrichtig. Nicht die
■richtige Klassifizierung des Schiedswesen be-
DIE FRIEDENS- V&DTE
■3
zeichnete ich als das Hauptergebnis dieses
Jahres, sondern (S. 6) das Werk der anglo-
deutschen Verständigung.
Die richtige Klassifizierung der Schieds-
gerichtsbarkeit habe ich aber auch nicht erst im
Jahre 1912 angeregt, sondern schon vor zehn
Jahren und habe sie seither mit wachsendem
Erfolg in meinen Schriften vertreten. Die
Mehrheit der denkenden Pazifisten ist dieser
Ansicht; sie brauchen sie nicht erst jetzt zu
entdecken. Ich schrieb lediglich, daß „Viele"
von uns den ihnen liebgewordenen Gedanken
Hunmehr endgültig fallen lassen müssen.
„Viele" sind aber nicht „alle".
Damit habe ich aber keineswegs die
Schiedsgerichtsbarkeit verworfen, wie der Ver-
fasser jenes Artikels glaubt und glauben
machen will. Ich habe sie nur richtig ein-
geordnet, indem ich sagte: „Ihre (der Schieds-
gerichtsbarkeit) Rolle wird um so größer sein,
je höher das internationale Recht
entwickelt sein wird in der Mensch-
heit. Die Schiedsgerichtsbarkeit wird die
Krönung der Weltorganisation sein, aber
nicht ihr Fundament." Damit ist die
Antwort auf die naive Frage „Wo bleibt der
Traum vom Haag?" gegeben; denn im Haag
ist es ja, wo das internationale Recht immer
weiterentwickelt wird.
Ich habe immer daran festgehalten, daß
wir der gewaltlosen Streitschlichtung zu-
steuern müssen, die gegeben ist a) durch
diplomatische Verhandlungen, b) durch die
Schiedsgerichtsbarkeit, c) durch die ordent-
liche Staatengerichtsbarkeit. Diese Dreiteilung
ist angepaßt den Erfordernissen der Praxis,
für Interessen-, Macht- und Rechtsfragen. Der
Umstand allein, daß unsere Gegner glauben,
wir predigen die Schiedsgerichtsbarkeit als
Allheilmittel, veranlaßte sie, unsere Bestre-
bungen für utopisch zu halten. Wir betrachten
sie aber nur als eine für besondere Fälle be-
stimmte Art der mannigfaltigen pazifistischen
Streitschlichtungsmethoden. Nicht wir haben
unsere Ansicht geändert, die Gegner sollen an-
fangen, die ihre über uns zu revidieren.
Es ist auch nicht richtig, wenn in jenem
Artikel gefolgert wird, daß Schiedsgerichte
nur bei untergeordneten Streitigkeiten
möglich seien. Ein Blick auf die Schiedsfälle
der letzten Jahre beweist das Gegenteil. Rechts-
fragen sind im heutigen Völkerleben nicht
immer untergeordnete Streitigkeiten.
Im übrigen geht der Verfasser, wie alle
Gegner des Pazifismus, von dem grundlegen-
den Irrtum aus, als wollten wir den Krieg
aus den politischen Verhältnissen, so wie
diese heute sind, beseitigen, was uns
natürlich nie einfällt. Wir wollen nicht das
Symptom des Uebels beseitigen, sondern dessen
Ursachen. Darum treten wir für eine Ver-
änderung dieser heutigen politischen Verhält-
nisse ein, für eine Umwandlung der Politik
der Gewalt in eine Politik der Verständigung
durch starke Infiltration mit der internatio-
nalen Rechtsidee, für eine Organisation der
heute zum Teil noch anarchischen Staaten-
geselischaft. Und in Verbindung mit diesem
Grundproblem unserer Bewegung bewegt sich
die Forderung einer nach diesen Grundsätzen
handelnden „modernen Diplomatie", was
Dr. Grabowski als unsern „allerletzten Ret-
tungsanker" bezeichnet. Es ist unser Funda-
ment 1 Wir betreiben eben nur die Prophy-
laxis des Krieges, die Hygiene des internatio-
nalen Lebens, was uns vernünftiger erscheint
als die Doktor Eisenbart-Kuren der Blut- und
Eisen-Apostel. Noch einmal sei's gesagt: Man
vergleiche uns nicht mit einer Feuerwehr,
die berufen ist, einen Brand zu löschen,
wenn er schon ausgebrochen ist, son-
dern mit einer Agentur für Imprägnie-
rungsmittel, deren Anwendung den Aus-
bruch des Brandes verhindern kann.
So aufgefaßt, wird es den Gegnern vielleicht
doch möglich sein, unsere Bewegung etwas
objektiver zu beurteilen. Sie würden sich nur
selbst ehren, wenn sie zu einer solchen Beur-
teilung kommen würden. Unseren Glauben
an den Erfolg brauchen sie ja nicht zu teilen,
nur als Dummköpfe und Narren sollen sie
aufhören, uns hinzustellen, denn es könnte
ihnen passieren, daß die öffentliche Meinung
diese Vorwürfe auf ihre Urheber zurückwirft.
A. H. F.
Der Deutsche Bund als Vorbild
der Staatenorganisation.
Von Dr. phil., jur. et sc. pol. G. Grosch.
Für die Realisation der Staatenorgani-
sation, welch letztere sich juristisch als
völkerrechtlicher Staatenbund darstellen wird,
kann der frühere Deutsche Bund ein Vor-
bild abgeben. Mutatis mutandis kann die
Friedensorganisation des Erdballs so kon-
stituiert werden wie seinerzeit der Deutsche
Bund. Darum soll auf seine hauptsächlichsten
Institutionen, soweit sie für die eben er-
wähnte Verwirklichung eines Zusammen-
schlusses der Staaten in Betracht kommen,
einmal die Aufmerksamkeit gelenkt werden.
Der Zweck des genannten Bundes war
— gemäß der deutschen Bundes-Akte vom
8. Juni 1815 — die Erhaltung der äußeren
und inneren Sicherheit Deutschlands und der
Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der
einzelnen deutschen Staaten. Die Mitglieder
des Bundes versprachen, sowohl ganz Deutsch-
land, als jeden einzelnen Bundesstaat gegen
einen Angriff in Schutz zu nehmen; sie ga-
rantierten sich gegenseitig ihre sämtlichen
unter dem Bunde begriffenen Besitzungen.
Deshalb machten sie sich verbindlich, ein-
ander unter keinerlei Vorwand zu bekriegen,
noch ihre Streitigkeiten mit Gewalt — d. i.
durch Krieg — zu verfolgen, sondern bei
der Bundesversammlung anzubringen.
8
@=
DIE FR! EDENS -^O^RXE
Die Bundesversammlung war zusammen-
gesetzt aus Delegierten der Staaten. Ihr
lag bei einem entstehenden Zwist zwischen
den Mitgliedstaaten ob, die Vermittlung
durch einen Ausschuß zu versuchen. Schlug
dieser Versuch fehl, und wurde demnach eine
richterliche Entscheidung not-
wendig, so sollte diese durch eine wohl-
geordnete Austrägal-Instanz bewirkt werden,
deren Ausspruch die streitenden Teile sich
sofort zu unterwerfen hatten.
Das Austrälverfahren war durch eine be-
sondere Ordnung vom 16. Januar 1817 geregelt.
Der inkriminierte Staat — wenn von dessen
Seite gezögert wurde, hatte es die Bundes-
versammlung zu tun — mußte drei Mit-
glieder benennen, die an dem entstandenen
Zwist unbeteiligt waren. Der beschwerde-
führende Staat wählte aus den dreien sich
einen aus, und dessen höchstes Gericht ver-
handelte und entschied den Streit „im Namen
und anstatt der Bundesversammlung, sowie
vermöge derselben Auftrags". Es wurde das
Urteil gefällt und publiziert; es war damit
rechtskräftig und konnte, wenn nötig, von
Bundes wegen exequiert werden.
Damit war der Krieg als rohes
Zwangsmittel aus den gegenseitigen
Beziehungen der Bundesstaaten eliminiert.
Nur als Rechtsschutzmittel blieb der
Krieg auch weiter anerkannt. „In einem
Falle war der innere Krieg nicht zu ver-
meiden : nämlich wenn ein Bundesstaat in
Erfüllung seiner durch den völkerrechtlichen
Grundvertrag übernommenen Bundespflichten
säumig und zu ihrer Einhaltung anders als mit
den Waffen nicht herbeizubringen war; denn
das schließliche völkerrechtliche Exekutions-
mittel ist der Krieg." Hierfür war eine Exe-
kutionsordnung— vom 3. August 1820 — auf-
gestellt, so daß der Zwang innerhalb der
Schranken des Rechts gehandhabt wurde.
Schon St. Pierre hat für die „Union
de l'Europe", die er vorschlägt, auf das
damalige Deutsche Reich exemplifiziert, das
ja nicht viel fester organisiert war als der
spätere Deutsche Bund. Er führt etwa aus:
Durch die kaiserliche Acht würden die Ver-
wegensten abgehalten, Krieg mit den übrigen
zu beginnen, weil sie sonst fürchten müßten,
depossediert zu werden; und geschähe es
doch, so sei daran schuld die Verbindung mit
auswärtigen Souveränen, die sie gegen die
Gefahr der Acht deckten. Wenn nun diese
Glieder des deutschen Reichskörpers keine
Nachbarn hätten, die sich in die Angelegen-
heiten jener einmischten, würde es niemals Krieg
zwischen ihnen geben; wenn also diese Ver-
einigung, anstatt sich auf Deutschland allein
zu beschränken, alle Souveräne, alle Staaten
Europas umfaßte, würde es keinen Krieg
mehr geben, weder im Deutschen Reich noch
im übrigen Europa.
Das „tertium comparationis" ist nicht
— wie etwa ein Gegner einwerfen könnte — ,
daß das frühere Deutsche Reich sich auf-
gelöst habe und der Deutsche Bund ge-
sprengt worden sei, daß also einer even-
tuellen Friedensorganisation der Staaten das
gleiche Schicksal drohe; jenes sind po-
litische Bewegungen gewesen, die ja ihren
Abschluß in dem neuen Deutschen Reiche,
einem durchaus festen staatlichen Gefüge,
gefunden haben. Nein, wenn wir vergleichs-
weise auf das alte Deutsche Reich und den
Deutschen Bund hingewiesen haben, so
wollten wir damit nur 'sagen, daß ähnliche
Institutionen, wie die künftige Friedens-
organisation der Staaten, bereits bestanden
haben.
Einen weiteren Einwurf, den man noch
machen könnte, lehnen wir gleichfalls ab ; näm-
lich den, daß es sich bei unseren Beispielen
um Zugehörige zu demselben Volke gehandelt
habe. Dem können wir ruhig das Argument
entgegensetzen, daß der Verkehr in der heu-
tigen Staatenwelt viel intensiver, der Austausch
der Kulturerrungenschaften viel leichter, das
Herüber- und Hinüberfluten von einem Staate
zum andern — nicht nur etwa bloß der Waren,
sondern ebenso der Personen und Geistes-
produkte — viel häufiger geschieht als in dem
früheren Deutschen Reiche. Diesen Inter-
nationalismus können die erpichtesten
Rassenfanatiker nicht mehr leugnen, denn er
ist tagtäglich geradezu mit Händen zu greifen.
Die gegenseitige Annäherung der Völker voll-
zieht sich unaufhaltsam, und der Menschheit
einend Band wird sich um die heutigen Staaten
sicherlich ebenso fest schließen wie früher das
Bewußtsein der Volksgemeinschaft um die
Territorien des Deutschen Bundes.
Der Fortschritt der Menschheit besteht
darin, daß das Unvollkommene durch immer
Vollendeteres abgelöst, daß das weniger Gute
durch Besseres ersetzt, daß nach schwäch-
lichem Vorbild ein starkes, ragendes Monument
gestaltet wird. So kann der Deutsche Bund
als vorbildlich für die Friedensorganisation der
Staaten angesehen werden; indes, diese wird
jenen weit übertreffen. Schon der Umstand,
daß es sich um die Organisation der Mensch-
heit und nicht bloß um einen, wenn auch noch
so bedeutsamen Bruchteil von ihr handelt, er-
hellt zur Genüge, welcher Fortschritt mit der
Biefriedigung der heutigen Staa-
te n w e 1 1 erreicht wird.
Mit Nachdruck ist darauf hinzuweisen, daß
die rechtliche Ausgestaltung der Staaten-
gemeinschaft schon längst in Angriff ge-
nommen wurde. Das Völkerrecht, das zwischen-
staatliche Recht, ist schon Jahrhunderte alt;
und gerade in unserer Zeit ist ein neuer Auf-
schwung zu konstatieren: die Haager Frie-
denskonferenzen, der durch dieselben konsti-
tuierte Schiedshof, all das sind herrliche An-
sätze, gesunde Keime, die auf reiche Früchte
hoffen lassen.
Gewiß, die Gegner jubeln, daß nicht mit
einem Schlage schon alles erreicht worden ist.
DIE FßlEDENS-^^BTE
3
daß immer noch der Krieg als roher Zwang
wütet, daß immer wieder Rückfälle eintreten.
Diese kleinlichen Geister stellen sich wie blind
gegen die Erwägung, daß der Aufstieg der
Menschheit ein gar langsamer und mühsamer,
von Rückfällen bedrohter gewesen ist. Aber
gerade wer diesen ehrlich ins Auge faßt, der
ist voller Genugtuung darüber, daß schon so
Großes erreicht worden ist, Größeres bereits
in die Wege geleitet wird. Wir befinden uns in
einer neuen Phase der Menschheitsgeschichte;
wir gehen einem neuen, einem Völkerfrühling
entgegen.
Frankreichs Großmachtsstellung
und Kulturziele.
Von Herrn. Fernau, Paris.
Frankreich ist heute unbestreitbar die
friedliebendste Großmacht in Europa ge-
worden. Allerdings dürfen wir unsere Vogesen-
nachbarn nicht mit den Wissenschaften und
Beobachtungsfähigkeiten der „führenden"
Tagespresse beurteilen, wenn wir ehrlich fest-
stellen wollen, inwieweit die französische
Nation seit etwa 40 Jahren ihre „glorreiche"
napoleonische Tradition verleugnet. Alles zielt
heute bei den Franzosen auf eine neue Kultur
hin, die keinen Platz mehr hat für Waffenruhm
und nationalen Eigensinn und in direktem
Gegensatz zu jener „Großmachtpolitik" steht,
von der seit Bismarck in Europa so viel ge-
redet wird und die wie eine beständige Be-
diohung des Friedens über den Völkern Eu-
ropas hängt.
Für den denkenden Menschen gibt es nicht
leicht einen sinnloseren Begriff als er in
Worten wie Großmachtpolitik, Großmacht-
stellung usw. usw. zum Ausdruck kommt. Ver-
geblich bemühe ich mich seit Jahren, hinter
das Geheimnis dieser und ähnlicher Worte
unserer Diplomatensprache zu kommen. Ich
bin ganz unfähig, zu verstehen, inwieweit die
Großmachtpolitik zum menschlichen Glücke
unentbehrlich ist. Mein Respekt vor den
Diplomaten und Zeitungsschreibern, die seit
Jahrzehnten mit dieser Ware so lärmend beim
Volke hausieren gehen, ist darob nicht sonder-
lich gewachsen. Sie sind mir verdächtig
und auch ein bißchen lächerlich die Leute,
die mit einem Auge immer in China herum-
schielen, mit dem anderen „unsere Interessen-
sphären" in Marokko und am Bosporus beob-
achten, die beständig von der Bedrohung
„unseres Einflusses", „unserer Machtstellung"
und anderer kostbarer Dinge reden, und deren
Weisheit letzter Schluß immer derselbe ist:
Wir müssen rüsten und wieder rüsten, zu
Wasser und zu Lande, auf, unter und über
der Erde, damit wir unsere Großmacht-
stellung erhalten, damit man uns nicht „ein-
kreise", nicht erdrücke, sondern „im Konzert
der Großmächte" respektiere, usw. usw.
Aber damit, daß uns Pazifisten die Groß-
machtpolitiker und Diplomaten allenthalben
verdächtig und lächerlich zu werden beginnen,
ist es nicht getan. Es gilt zu beweisen, daß
sie überflüssig und schädlich in der moderne»
Welt sind, daß wir, die Bürger der Kultur-
nationen, fähig und wülens sind, unsere Ge-
schäfte fortan ohne diplomatische Vermittlung
zu machen. Es gilt dem Volke klarzumachen,
daß die „hohe" Diplomatie eine Gefahr für
den Frieden und Fortschritt der Menschheit
bildet. Wir müssen den Großmachtpolitikern
und allen, die ihrer Art sind, endlich ein neues,
vornehmeres und ehrlicheres Kulturideal ent-
gegensetzen, eine KuUtur, in der man nicht
mehr so balkenbrechend lügt, sondern in der
man die geheimen Ursachen der sogenannten
Großmachtpolitik beim richtigen Namen nennt,
auf die Gefahr hin, einige patriotische Emp-
findlichkeiten zu verletzen. Wenn es uns
nicht gelingt, den Diplomaten den Wind aus
den Segeln zu nehmen, ihren Einfluß beständig
zu schwächen und sie so allmählich überflüssig
in der modernen Welt zu machen, dann werden
wir noch auf lange hinaus ohnmächtig bleiben.
Da ist nun Frankreich, das bekanntlich
auch überall seinen „großen Stein im Welt-
schachbrett" hat. Prinzipiell sollte eine Re-
publik mit dem hohlen Phrasengewirr der
Diplomatie aufräumen und eine ehrlichere
Sprache reden, als sie bisher in der inter-
nationalen Politik geführt wurde. Aber die
Zeiten, wo wir nur noch sprechen werden, um
verstanden zu werden, jenes goldene Zeitalter,
wo die Bildung der Massen gebieterisch
fordern wird, daß nur noch diejenigen reden
und schreiben, die wirklich etwas zu sagen
haben, ist trotz der republikanischen Etikette
selbst in Frankreich noch nicht angebrochen.
Auch in Frankreich regiert man noch mit
hohlen Worten. Ganz ebenso wie anderswo
redet man auch in Frankreich noch von der
„nationalen Ehre", von der Schönheit und Not-
wendigkeit der kolonialen Expansion, der
„friedlichen" Durchdringung Marokkos und
ähnlichen Kinkerlitzchen mehr. Drei Viertel
aller Leute, die täglich ihre Zeitung lesen, ver-
stehen trotzdem nichts von dieser „hohen Po-
litik", mit der man nichtsdestoweniger über
das Wohl und Wehe, über Krieg und Frieden
der Bürger entscheidet. Das letzte Viertel
verhält sich dieser diplomatisch-finanziellen
Metaphysik der Neuzeit gegenüber zwar miß-
trauisch, aber es weiß trotz aller Aufklärung
noch immer nicht recht, welche ureinfachen
Dinge die Sprache der Diplomaten im Grunde
verdeckt; sehr viele ahnen dunkel, daß es
sich dabei um Geschäfte handelt, die nicht
ihre Geschäfte sind, daß man ihre Haut ver-
pfändet, um die Dividenden einer Bank zu
erhöhen usw., aber . . sie sind in der Minder-
zahl. Ihre Proteste verhallen. Und darum
regieren heute die Könige der Finanz in
Frankreich mit einer Art moderner Metaphysik,
die als Basis die Glaubhaftmachung von der
10
<5S
DIE FRIEDENS-^VÄBXE
Notwendigkeit einer starken Großmachtpolitik
hat und die sich im übrigen mit den demo-
kratischen Prinzipien der Republik ganz ge-
schickt abzufinden weiß. In der Monarchie
regiert man noch mit der Glaubhaftmachung
der göttlichen. Autorität, in der weltlichen Re-
publik dagegen mit dem latenten Respekt der
Volksmassen vor den Weisheiten der „geheimen
Diplomatie". Die Mittel sind verschieden, das
Ergebnis dasselbe: Dienstbarmachung des
Volkswillens für die (rein materiellen) Ge-
schäfte einer Dynastie, eines Banktrusts usw.,
Bearbeitung der Volksmeinung nötigenfalls bis
zur Kriegsbegeisterung. — Und doch besteht
zwischen dem Respekt vor dem Uebernatür-
lichen (Diplomatie der Monarchie) und dem
Respekt vor dem bloß Unverständlichen (Di-
plomatie der Republik) jener kleine Abstand
um den uns die Franzosen in der Kultur vor-
aus sind. Der Respekt vor der von Gott ein-
gesetzten Monarchie ist nämlich viel schwerer
durch die freie Kritik zerstörbar als jener
andere. Und deshalb sehen wir, daß sich seit
einiger Zeit in Frankreich eine Kritik gegen
das Vorhandensein der Diplomatie breit macht,
die den Regierenden ernstlich unangenehm zu
werden beginnt. Frankreichs Bürger werden
nämlich mit Hilfe ihrer demokratischen Er-
ziehung von Tag zu Tag respektloser und neu-
gieriger in Sachen der „hohen Politik". Sie
nehmen nicht alles mehr für „bare Münze",
was man ihnen bietet. Zudem erlaubt ihnen
ihre Staatsverfassung schon heute Rechen-
schaft zu fordern über die kulturelle, prinzipielle
und soziale Notwendigkeit ihres diplomatischen
Apparates. Oder, um es anders auszudrücken :
Die französische Demokratie ist im Begriff,
eine gründliche Umwertung der Werte auf
diesem Gebiete vorzunehmen.
Diese Umwertung wird erst dort möglich,
wo alles das, was wir in Deutschland noch
als erstrebenswertes nationales Ideal, als natio-
nale Kraft, Pflicht, Würde usw. verehren, in
Dekadenz gerät. Wenn wir die französische
Demokratie mit der deutschen Monarchie ver-
gleichen, ist Frankreich in der Tat ganz und
gar dekadent, das heißt viele „Staatsbürger-
tugenden", die nur noch im Gewissenszwang
und in der Dummgläubigkeit der Massen ihren
Halt finden, sind in der Freiheit der Demo-
kratie schon längst verschwunden. Ueberall
sind dergestalt heute in Frankreich die
Breschen und Brücken zu einer ehrlicheren
Kultur geschlagen. — Am deutlichsten läßt
sich diese Dekadenz des alten Frankreich wohl
am Militarismus feststellen. Nicht nur, daß
die nicht wachsende Bevölkerung dem Mili-
tarismus heute bereits eine numerische Kräfte-
zunahme verbietet, nicht nur, daß die Zahl
der Deserteure (trotz der fehlenden Soldaten-
mißhandlungen) in Frankreich zehnmal größer
ist als in Deutschland, daß der französische
Offizier ganz im Gegensatz zu seinem deutschen
Kollegen wenig Kriegsbegeisterung zeigt und
daß die immer lauter zur Herrschaft drängende
Arbeiterklasse immer klarer die Zwecklosigkeit
des heutigen Militarismus nachweist, nein, auch
die Lehrerschaft ist heute bereits in Frank-
reich deutlich antimilitaristisch, das heißt pa-
zifistisch gesinnt*). — Es ist eine für uns
erfreuliche Tatsache, daß die überwiegende
Mehrheit der französischen Lehrer der Jugend
heute bereits die Ideale des Pazifismus lehrt,
denn eben damit wird auf die wirksamste Weise
der Boden vorbereitet, auf dem in Frankreich
eine neue Kultur erblühen kann. Wenn die
Leute ä la Millerand seit einiger Zeit so viel
Bemühungen um die Wiederbelebung der
nationalen und militaristischen Tradition an-
stellen, wenn sich Frankreichs Regierung seit
etwa zwei Jahren so krampfhaft bemüht, diesem
Gassenjungen der europäischen Kultur einen
neuen Flitter um die kriegsdrohende Stirn zu
winden, so sind eben diese Bemühungen für
jeden Einsichtigen ein Beweis, daß Frank-
reichs Militarismus (ich meine hier den Mili-
tarismus als aggressive Kraft, auch als Kaste
und Karriere für Raufbolde; daneben gibt es
noch einen Militarismus der guten Art, den
auch der Pazifist in Kauf nehmen kann) in
unaufhaltsamer Dekadenz begriffen ist. Würde
man sonst die Volksbegeisterung für Militär-
paraden und Ruhmfassaden schon allenthalben
künstlich beleben müssen?
Wie also wird jene Kultur aussehen, die sich
allem Anschein nach ganz ebenso aus dem gegen-
wärtigen dekadenten Frankreich zu entwickeln
beginnt, wie sich die bürgerliche Demokratie
von heute aus der Greisenhaftigkeit und Sitten-
verlotterung der französischen Monarchie am
Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt hat?
Ich habe es oben bereits anzudeuten ver-
sucht: Die militaristische Dekadenz unserer
Nachbarn muß die Republik zu einer allmäh-
lichen Verzichtleistung auf Großmachtpolitik,
Außendiplomatie usw. usw. führen. Marokko
war die letzte Tat dieser dekadenten Außen-
politik. Man weiß heute in Frankreich, für
wen man eigentlich Marokko „erobert" hat.
Und wohi niemals hat ein Volk die Erwerbung
einer Kolonie gleichgültiger aufgenommen, als
die Franzosen 1911 ihr Marokko. — Fortan
wird sich Frankreich in Sachen der Weltpolitik
immer mehr seinem schweizerischen Vorbilde
nähern. Und als gute Pazifisten können wir
die Franzosen zu dieser Entwicklung und Ab-
kehr von der Hohlheit der Großmachtpolitik
nur beglückwünschen. Denn jene Nationen,
die keine Großmachtpolitik treiben, die nicht
bis an die Zähne bewaffnet stehen, um ihre
„Interessensphären" und Expansionsmähren
gewaltsam zu verteidigen, jene Völker, die die
Kultur erst innen suchen, ehe sie sich unter-
fangen, sie nach außen zu tragen, haben sich
bisher im kommerziellen Wettstreit (und auf
diesen allein kommt es in der modernen Welt
noch an) mindestens ebenso wacker gehalten
**) Siehe hierzu meinen Aufsatz : „Die fran-
zösischen Lehrer und der Pazifismus" in „Das
freie Wort", zweites Novemberheft 1912.
11
DIE FBIEDENS-^ÖJZTE
'3
als die sogenannten Großmächte. Die
Schweizer zum Beispiel sind ohne Kolonien,
Großmachtpolitik und anderen Djiplomaten-
unsinn glücklicher, vaterlandsstolzer und fried-
liebender als die Bürger jener Nationen, deren
angeblich „große Ziele" sich für den einzelnen
nur immer durch eine fortwährende Erhöhung
der Steuern fühlbar machen. Was kümmert
den Schweizer (den Norweger, Schweden,
Holländer, Belgier usw.) die Marokkoaffäre,
die Balkankrise und die sonstigen Hinterländer
der Diplomaterei? Er ist frei von Befürch-
tungen. Er kann den zwecklosen Kämpfen
der Großmachtfritzen mit glücklicher Ver-
achtung zusehen. Und dabei entwickeln sich
seine Industrien ebenso gut, seine Reichtümer
nehmen ebenso schnell zu, ja seine Finanzen
sind sogar in besserer Ordnung als die der
Großmächte. Die Bürger dieser Länder sind
ein für allemal frei vom Alpdruck der Groß-
machtpolitik, frei vom Alpdruck der Kriegs-
möglichkeit. Ihr unaufhaltsamer Fortschritt
in Industrie und Handel, insonderheit die Zu-
nahme ihrer Exporttätigkeit, sollte doch nach-
gerade auch den Blindesten beweisen, daß
man in unserer Zeit keiner Armeen und Flotten
bedarf, um der Vorzüglichkeit seiner Produkte
auf dem Weltmarkte zum Siege zu verhelfen.
Wählen wir ein noch krasseres Beispiel für
die Zwecklosigkeit der großmächtigen Kriegs-
rüstungen: Eben jetzt beklagen sich die Fran-
zosen sehr lebhaft über die „deutsche Inva-
sion", das heißt über den ständig zunehmenden
Import deutscher Erzeugnisse. Und Gott weiß,
daß man in Frankreich die „camelote alle-
mande" nicht liebt. Wenn nun die deutsche
Industrie die französische Konkurrenz im
eigenen Lande trotz der hohen französischen
Zollmauern für gewisse Artikel schlägt, welcher
Esel möchte uns dann wohl beweisen, daß
wir einer schlagfertigen Armee bedürfen als
Voraussetzung und Garantie für die friedlichen
Siege der deutschen Industrie in Frankreich?
Wie, die Franzosen könnten (wenn keine
deutsche Armee bereit stände) die deutsche
Einfuhr einfach durch prohibitive Zölle ver-
nichten ? Und ihr eigener Export nach Deutsch-
land? Und die im Hintergrund lauernde Re-
volte der Volksmassen gegen die dadurch be-
dingte Preissteigerung? Unsere Armee ist, wie
gesagt, überflüssig zum Schutze unseres Ex-
ports nach Frankreich. Das gleiche läßt sich
auch für andere Länder nachweisen, wo
„unsere Interessensphären" und Absatzgebiete
angeblich in Gefahr sind.
Wir stolzen Bürger der Großmächte, die
wir mit hohlen Phrasen und diplomatischer
Verlogenheit unser Leben und unseren Geist
vergiften in dem kindlichen Glauben, daß die
Diplomaten einem Bedürfnis entsprechen und
an unserem Glücke arbeiten, wir sollten die
schweizerische Anspruchslosigkeit in Sachen
der Großmachtpolitik als das höhere Glück,
das heißt als die gesündere Kultur beneiden.
An der Schweiz und einigen anderen Klein- m
Staaten seilen wir sehr deutlich, daß sich die
Lebenskraft, Gesundheit und Entwickiungs-
freudigkeit der Nationen in Wirklichkeit an
ganz anderen Dingen mißt als an Kolonial-
politik und hochtönendem Geschwätz über
Großmachtstellung, nationale Wehrkraft und
dergleichen. — Ich begehe wahrscheinlich eine
Ketzerei wider den heiligen Geist des Patrio-
tismus, aber ich sage es offen: Für die Groß-
machtstellung Deutschlands bin ich (als guter
Deutscher, wenn ich bitten darf) nicht ein-
mal bereit, meinen kleinen Finger zu opfern,
denn mein kleiner Finger dient mir zum Ab-
stäuben der Asche, wenn ich Zigaretten rauche
und ist mir darum dienlicher als Deutschlands
Großmachtstellung.
Ich komme auf mein Thema zurück : Auch
Frankreich beginnt zu begreifen, was hier
eigentlich Kultur ist: nämlich das Fallenlassen
jenes kostspieligen, verlogenen und gefähr-
lichen „Bluffs", den wir Großmachtpolitik
nennen. Die wahre Republik, die ehrlich auf
das Allgemeinwohl bedachte Demokratie
braucht weder stehende Heere noch diploma-
tische Schwere um ihre Lebenskraft zu be-
weisen und ihr Ideal zu verwirklichen. — Das
so überaus fragwürdige und gefährliche Ding,
das wir zum Beispiel heute noch „nationale
Ehre" nennen, wird in einer nahen Zukunft
jeden kriegerischen Eigensinn verlieren müssen.
In dem Maße nämlich, als der einzelne Bürger
zum Verständnis dessen erwacht, was die Dy-
nastien oder Finanzmenschen eigentlich natio-
nale Ehre nennen, in dem Maße auch, als die
Beziehungen der Menschen immer inter-
nationaler werden und die Staatsgrenzen immer
stärker im Handel und Wandel der Zeit ver-
wischen, wird es allmählich unmöglich, sich
dieses Dinges als einer Kriegsursache oder als
Kriterium der menschlichen Glückseligkeit zu
bedienen. Die Republik wird darum auf-
hören müssen, mit den im neunzehnten Jahr-
hundert geschaffenen Dreipfennigsweisheiten
der Diplomaten noch länger beim Volke hau-
sieren zu gehen. Heute besteht im franzö-
sischen Volke bereits ein instinktiver Wille
zum Frieden und zur Einfachheit der guten
Nachbarschaft, den nur noch die „führende"
Presse zu leugnen wagt und den alle jene
Chauvinisten totschweigen, die mit Patriotismus
und Armeelieferungen ihr Geld verdienen.
Die verjüngte französische Demokratie
wird im zwanzigsten Jahrhundert auf den
Blödsinn der Großmachtpolitik, auf den Wort-
schwall der Diplomaten und auf die Fiktion
von der „biologischen" Feindseligkeit der
Rassen verzichten; sie wird als erste Groß-
macht ihren „Feinden" die versöhnende Hand
bieten zur gemeinsamen Weiterarbeit an den
Schicksalen der Menschheit.
An uns ist es, den herrschenden deutschen
Imperialismus so zu schwächen, daß er diese
versöhnende Hand annehmen muß. Das ist
keine leichte Aufgabe. Sehr viele Aktienkurse
werden nämlich mit diesem Händedruck herab-
12
<§=
= DIE FRIEDENS -WARTE
gedrückt, sehr gewinnbringende Operationen
der Großbanken usw. auf immer unmöglich
gemacht werden. Es gehört viel vornehme
Selbstüberwindung dazu, mit 2 o/0 Dividenden
zufrieden zu sein, wo man früher 10 °/o ver-
teilte. Und darum wird es bei dieser Umwer-
tung der nationalen Ehre und Heere hüben und
drüben genug Leute geben, die in einer solchen
Friedenserklärung eine neue Kränkung der
nationalen Integrität und Autonomie, eine Fäl-
schung der „biologisch-historischen Mission"
der Völker, eine Bedrohung der deutschen
Kultur und dergleichen herausrechnen werden.
Aus allen diesen Gründen gehört es zu
den vornehmsten Aufgaben der deutschen Pa-
zifisten der Gegenwart, die deutsche De-
mokratie vorzubereiten. Denn die Verwirk-
lichung der deutschen Demokratie wäre heute
eine der sichersten Friedensgarantien in
Europa. Erst mit der deutschen Demokratie
und . . Republik wird nämlich erst jene Ver-
brüderung der feindlichen Nachbarn von heute
möglich, deren ,, diplomatische Spannung"
Europa seit 40 Jahren zerteilt und beunruhigt:
A bon entendeur, salut . .
Pazifisten der antiken Welt.
Von Iro Ojserkis, Wien.
Es mag wohl paradox erscheinen, in der
antiken Welt, in welcher Götzenkulte mit ihren
grauenhaften Menschenopfern, Schaukämpfe
mit reißenden Tieren, die Blutrache, die
Sklaverei als Institution, großzügige Kriegs-
unternehmungen heimisch waren, in jener Ge-
sellschaft, welche Vergehen gegen die be-
stehende Ordnung mit Kreuzigung, Steinigung
und anderer körperlicher Verstümmelung ahn-
dete, Spuren einer Friedenspropaganda oder
auch nur eines vereinzelt aufflackernden,
ernsten Sehnens nach dauernder Eintracht und
Freundschaft unter Staaten und Nationen
suchen zu wollen. Und doch verlohnt es sich,
auf diese Frage näher einzugehen, zumal wir
auch eine sympathische Kehrseite des Alter-
tums kennen. Diese Periode der Menschheits-
geschichte war nämlich reich an ideellen Re-
gungen des Geistes und Herzens, sie brachte
Männer hervor, welche theoretisch und nach
Möglichkeit auch praktisch die umfassendste
Menschenliebe, wahrhaft demokratische Frei-
heit, weitherzige soziale Gerechtigkeit, Vor-
urteilslosigkeit im Verkehre von Individuen
und Nationen mutig verfochten. Wir können
in der Antike Fälle leicht nachweisen, wo die
Kriege ihre zureichende Begründung hatten,
wo echter Patriotismus dem Bürger das
Schwert in die Hand zwang, als rohe Gewalt
von außen dessen Haus- und Gemeinwesen
überfiel und sich darin selbstherrlich festzu-
setzen suchte. Man denke beispielsweise an
die kleinen semitischen Völker, die gegen die
mächtigen, eroberungssüchtigen Assyrer und
Babylonier sich ihrer Haut fortwährend er-
wehren mußten — man beachte, wie die galli-
schen Stämme dem genialen Cäsar verzweifel-
ten Widerstand leisteten, als er sich anschickte,
auf den Trümmern ihrer Bauerngehöfte und
ihrer respektablen Kultur die römische Herr-
schaft zu etablieren, — man vergegenwärtige
sich schließlich, was aus den zahllosen Stadt-
staaten Griechenlands geworden wäre, wenn
sie sich nicht aufgerafft und zusammenge-
schlossen hätten, um die persische Invasion
zurückzuschlagen, die der hellenischen Frei-
heit, dem hellenischen Genius den Garaus zu
machen drohte. Und noch ein wichtiger Um-
stand soll nicht übersehen werden, daß nämlich
die antike Kriegführung im Vergleich mit der
modernen — wenn auch bloß wegen der
ganz primitiven Waffentechnik — einfacher
und, fast möchte man sagen, humaner war.
1. Nach diesen Vorbemerkungen wollen
wir nun der Besprechung der einschlägigen
antiken Literatur uns zuwenden. Da tritt uns
zunächst die grandiose, Ehrfurcht einflößende
Persönlichkeit des jüdischen Propheten Jesaias
entgegen. Dieser gottbegeisterte Seher wird
nicht müde, im Hinblick auf die eifrigen Ex-
pansionsbestrebungen der assyrischen Könige
Tiglath-Pilesar IL, Salmanassar IV., Sargon
und Sanherib, die insbesondere gegen Israel,
Juda und Aegypten gerichtet waren, sein Ideal
der Universaltheokratie, d. h. eines Reiches,
das alle Nationen der Erde, regeneriert und
ausgesöhnt, unter Führung von Jahve um-
fassen sollte, zu propagieren. Mit überwälti-
genden Worten verkündet er im Kapitel 2, 4-5
diesen politischen Umschwung, der von Jeru-
salem ausgehen soll: „Und er (Jahve) wird
zwischen den Heiden richten und vielen Völ-
kern Recht sprechen, und sie werden ihre
Schwerter zu Karsten umschmieden und ihre
Spieße zu Winzermessern. Kein Volk wird
mehr gegen das andere das Schwert erheben
und nicht mehr werden sie den Krieg er-
lernen." Und Kap. 57,19 sagt Jesaias: „Ich
will Frucht den Lippen schaffen, die da pre-
digen: Friede, Friede, beides denen in der
Ferne und denen in der Nähe — spricht der
Herr und will sie heilen." Bevor aber diese
selige Zeit erblüht, meint dieser überzeugte
Volksmann und mannhafte Streiter für Recht
und Wahrheit, müsse ein furchtbares Straf-
gericht über die Laster der Reichen und Mäch-
tigen aller Völker gehalten werden, wodurch
die Herzen geläutert und zur Betätigung von
wahrem Gottesglauben, Gerechtigkeit und
Frieden bekehrt werden. Sogar wilde Tiere
werden in diesen Weltfrieden einbezogen, denn
nach Jesaias 11, 5 würden selbe in jener Zeit
der allgemeinen göttlichen Erkenntnis ihre
Schädlichkeit ablegen und sich unter den Men-
schen harmlos herumtreiben. Mag man in dem
Entwürfe dieses Zukunftsbildes lediglich einen
poetisch-utopischen Erguß eines Schwärmers
erblicken, so bleibt dennoch die Tatsache be-
stehen, daß die erhabene Idee der Völkerver-
söhnung und Abrüstung, allerdings in reli-
13
DIE FRIEDENS -^&DTE
3
giösem Gewände gefaßt, schon vor über 2500
Jahren gedacht, klar ausgesprochen und der
Nachwelt im Buche der Bücher überliefert
wurde. Wenn wir uns vollends vor Augen
führen, daß im Jahre des Heils 1912 die öster-
reichische Armeeverwaltung an der Frontseite
ihres neuen Heimes das nur allzu prosaische,
aufreizende Motto „Si vis pacem, para bellum"
anbringen läßt, so werden wir des grellen
Kontrastes erst recht gewahr und die ange-
führten Jesaiasstellen in kulturhistorischer
Hinsicht nach Gebühr zu würdigen veranlaßt.
* * *
2. Im Neuen Testamente, der Haupt-
quelle des Christentums, findet sich nicht
die geringste Spur von einer Stellungnahme
gegen die Institution des Krieges. Wohl ist
das Verbot „Du sollst nicht töten" daselbst
mehrmals hervorgekehrt, doch ist ohne
Zweifel nur der Einzelmord gemeint. Zu einer
Verdammung des Massenmordes vermochten
sich die Verfasser der Evangelien, so sehr
sie von der Notwendigkeit der Eintracht, der
Nächstenliebe und des gerechten Lebens-
wandels durchdrungen waren, nicht empor-
zuschwingen. Im Gegenteil, in richtiger Vor-
aussicht kommender Dinge prophezeien sie
wiederholt Kriege, Völkerrevolutionen, Greuel
der Verwüstung, Hungersnot und Erdbeben
(vgl. Lukas 21, 9—15, Markus 13, 7—26, und
mehrere andere Stellen). In Matthäus 10,34
meint Jesus, er sei nicht gekommen, um
Frieden zu bringen, sondern das Schwert,
und Lukas 12,49, er sei gekommen, um Feuer
und Spaltung auf die Erde zu werfen. Be-
zeichnend ist die Stelle des Lukasevan-
geliums 3, 14, wo Johannes den Kriegs-
leuten auf ihre Frage, wie sie denn in wür-
diger Weise Buße tun sollten, erwidert, sie
mögen niemanden beunruhigen, von nie-
mandem erpressen und sich mit ihrem Solde
begnügen. Nach dem Zusammenhang der
Rede, wo der Evangelist die Massen, die zur
Entgegennahme der Taufe herbeiströmten,
wegen ihrer Sünden eine Otternbrut schilt
und ihnen als „würdige 'Frucht der Buße"
Altruismus predigt („wer zwei Röcke hat,
teile mit dem, der keinen hat, und ebenso
tue der, der Speisen hat", Luk. 3, 7 f.)
hätten wir etwa folgenden energischen Pro-
test erwartet : „Lasset von Eurem schänd-
lichen Mordhandwerk, denn Ihr könnet nicht
selig werden, solange Ihr Waffen gegen Euere
Mitmenschen führt." In der Epistel an die
Hebräer, Kap. 11, werden im Namen des
Glaubens vollbrachte Kriegstaten aus dem
Alten Testament angeführt. Auch sonst ge-
fällt sich das Neue Testament in kriegerischen
Bildern, z. B. in seiner zweiten Epistel,
Kap. 2, 3 — 6, ermahnt Paulus den Timotheus,
für die Lehre Christi wacker zu streiten,
denn „wer in Kriegsdienst geht, der ver-
flicht sich nicht in Geschäfte der Nahrung,
damit er dem, der ihn zum Dienst geworben
hat, gefalle", und „auch einer, der den Ring-
kampf mitmacht, wird nicht bekränzt, er
kämpfe denn ordnungsmäßig", vgl. dazu
Luk. 14,31 — 34, Paul, an die Epheser 6,
11 — 17. In den Evangelien wird zwar der
Friede häufig erwähnt, so in der orientalischen
Grußformel „Friede dem Hausei", „der Gott
des Friedens sei mit Euch!", „Gnade Euch
und Friede von Gott" — wir lesen Paulus an
die Kolosser 3, 15, „der Friede Christi führe
das Wort in Euerem Hause", Petrus Ep. I,
5, 14, „Friede Euch allen, die in Christus
sind" — wir hören Paulus Ep. an die Phi-
lipper 4, 7 von einem Frieden Gottes, der
höher sei als alle Vernunft, und Paulus an die
Epheser 2, 14 von einer Identifizierung Christi
mit dem Frieden („er ist unser Friede") —
der Friede wird mit unter die zu erstrebenden
Früchte des Geistes gezählt (Paul, an die
Galater 5, 19 f.), jedoch bezieht sich immer
die Friedfertigkeit lediglich auf diejenigen,
„die den Herrn anrufen von reinem Herzen"
(2. Timotheus 2, 22), also auf Gesinnungs-
genossen, auf Mitglieder der christlichen
Glaubensgemeinde. Allgemeiner äußert sieh
Paulus an die Römer 12, 17 — 20, „Wo mög-
lich, so viel an Euch ist, Frieden halten
mit allen Menschen, nicht Euch selbst Recht
schaffen, Geliebte", auch Ep. an die He-
bräer 12,14 heißt es: „Jaget nach der«
Frieden gegen jedermann." Gemeint ist
natürlich hier wie überall im Neuen Testa-
mente der Friede im privaten Leben.
Diese Haltung der ersten Verkünder des
Christentums ist eine natürliche Konsequenz
ihrer Anschauungen über Zweck und Inhalt
des menschlichen Lebens im allgemeinen und
über die individuelle Freiheit im besonderen.
Ihr Gedankengang ist im wesentlichen fol-
gender: Eitel und nutzlos ist das gewöhn-
liche Streben der Menschen nach irdischen
Gütern, all ihr Sinnen und Trachten soll
vielmehr auf die Erlangung „eines Schatzes,
der nicht eingeht", der Seligkeit im Himmel
konzentriert sein, die Sorge um die tät-
lichen Lebensbedürfnisse kann ganz getrost
Gott überlassen werden, die Lust des Fleisches
und der Augen wie auch das Großtun des
Geldes — wie Johannes Ep. I, 2, 16 sagt —
müssen gemieden werden, den Lehrern, den
Besitzenden, den Herren, insbesondere aber
jeder Obrigkeit als Vertreterin Gottes auf
Erden, die überall dazu eingesetzt ist, um
die Bösen zu schrecken und zu strafen, hin-
gegen die Guten zu loben, gebührt be-
dingungslose Unterwürfigkeit und blinder
Gehorsam, um des Zorngerichtes, des Ge-
wissens und des Herrn willen" (vgl. Paulus
Ep. an die Römer 13, 7, „Gebet jedem, was
er zu fordern hat, Steuer dem Steuer, Zoll
dem Zoll, Furcht dem Furcht, Ehre dem
Ehre gebührt", ebenso Petrus Ep. I, 2,
13 — 15). Da jede Opposition als Auflehnung
gegen die göttliche Ordnung angesehen wird,
so dürfen wir mit Recht schließen, daß eine
schwere Sünde begeht, wer beispielsweise
14
<s=
DIE FRIEDENS -WARTE
sogar aus edlen Motiven, wie Menschenliebe
oder Schonung fremden Gutes, sich weigert,
auf seines Fürsten Befehl in den Krieg zu
ziehen. Es ist klar, daß das unermüdliche
Hoffen auf eine bequeme, gemeinsame Selig-
keit im Jenseits, wie auch der sklavische
Autoritätsglaube, da sie einmal als Grund-
sätze im privaten und öffentlichen Leben
gelehrt und betätigt wurden, den Gesichts-
kreis so beengten und für das Aufkommen
der Idee eines Weltfriedens, der Idee einer
wirklichen Verbrüderung aller Menschen ohne
die Schranken der Geburt, der Konfession,
des Landes und der Rasse keinen Raum
ließen. Angesichts dessen mußte auch die
von den Evangelisten häufig gepredigte Nach-
sicht mit menschlichen Schwächen, Barm-
herzigkeit, Gerechtigkeit, vornehmlich aber
die in allen Tonarten gepriesene Nächsten-
liebe (vgl. z. B. die erste Epistel des Jo-
hannes, besonders den ehrungsvollen Hym-
nus auf die Liebe, Paulus Ep. I an die Ko-
rinther, Kap. 13,1 — 11) verblassen und zu
einer bloß auf die Glaubensgenossenschaft
beschränkten Anhänglichkeit und Solidari-
tät erstarren.
Daß auch heute die Offiziösen der
Christenheit, namentlich der katholischen
Kirche, an der alten Anschauung über die
Friedensfrage festhalten, weiß jedermann.
Wer etwa im Zweifel sein sollte, den möchte
ich auf eine charakteristische Aeußerung des
Fürsten Zdenko Lobkowitz, des Präsidenten
der katholischen Union für Oesterreich, in
der Nummer 420 der streng katholischen
,, Reichspost" am 11. September v. J. er-
schienen, aufmerksam machen. Seiner Mei-
nung nach wird der Völkerfriede nach mensch-
lichen, materiellen Gesichtspunkten allein
und ohne Stütze der göttlichen Autorität
nicht begründet werden können; nur die ka-
tholische Kirche, die frei sei von Einflüssen
einer materiellen Macht wie von Opportuni-
tätsrücksichten und Sonderinteressen, habe
die Kraft und den Beruf, die Individuen und
Nationen aus der Wildnis und dem Elend
unserer sozialen und politischen Verhältnisse
zur geistigen Wiedergeburt und zur Ver-
brüderung im Sinne eines gemeinsamen
Strebens und Vervollkommnung zu führen.
Offenbar will uns der hochmögende Herr
glauben machen, daß die Aktionäre der ka-
tholischen Banco di Roma, darunter Kirchen-
fürsten, keine materiellen Interessen ver-
folgten, als sie den berüchtigten italienischen
Spaziergang nach Lybien mit inszenierten.
Nach derselben Logik hätte die „Reichspost"
samt ihren Hintermännern ausschließlich das
Seelenheil der katholischen Albaner im Auge,
da sie seit Wochen deren vielfache Leiden
registriert und Oesterreich mit einem ganzen
Arsenal von schwachbeinigen Argumenten
(vgl. die poetische Regung vom 20. Nov. v.J.,
,,vor unserer Südostgrenze rast die serbische
Bora durch die Schluchten, tollt über die
karstigen Gebirge und wühlt die albanische
Adria in ihren Tiefen auf") zu einer Inter-
vention mit den Waffen zu überreden sucht.
3. Ist die Untersuchung im Neuen Testa-
mente negativ ausgefallen, so dürfen wir mit
um so größerer Zuversicht an den Buddhis-
mus herantreten. Diese im 6. Jahrhundert
vor Christi entstandene schwermütige Re-
ligion mit ihrer Abneigung gegen alles Ueber-
natürliche und Außerweltliche, wie auch
gegen Gebete und Opfer, mit ihrer Aus-
schaltung jeder Autorität, mit ihrer größten
Toleranz und edlen, durchgebildeten Moral
bekundete eine hohe, geradezu rührende Re-
spektierung des Lebens in jedem Wesen. So
meint der erhabene Religionsstifter Buddha,
wer ein Tieropfer bringen wolle, der greife
nach drei unheilbringenden Schwertern, und
zwar nach den auf die Tiertötung abzielenden
Gedanken, Worten und Handlungen, durch
welche er sich selbst zugrunde richte. Wollte
jemand in die buddhistische Religions-
gemeinde aufgenommen werden, so mußte
er sich verpflichten, das erste Gebot ein-
zuhalten, das da lautete: „Man soll kein
lebendes Wesen töten noch töten lassen, noch
die Tötung durch andere billigen, sondern
man soll sich enthalten, allen Geschöpfen
ein Leid anzutun, sowohl denen, die stark
sind, als auch jenen, die sich in der Welt
ängstigen" (Dhammika Sutta 19). Mit
dieser Vorschrift hängt auch die Sitte des
sogenannten Regenzeithaltens (alljährlich von
Juni bis Oktober) zusammen, während welcher
Buddha und seine Jünger in Hallen, Hütten
und Hainen Aufenthalt nahmen und daselbst
den Volksmassen predigten, da sie bei einer
Fortsetzung ihrer Wanderschaft die Keime
von Pflanzen und Insekten auf dem auf-
geweichten Boden vertreten und dadurch eine
schwere Sünde auf sich laden hätten müssen.
Ueberhaupt durfte kein Blut, ausgenommen
das eigene, vergossen werden, deshalb ver-
pönten die Buddhisten die Hinrichtungen,
die Jagd und den Krieg. Interessant ist, daß
König Asoka Priyadärsin (im 3. Jahrhundert
vor Christi), der den Buddhismus zur Staats-
religion erhob und für die Fixierung der
reinen Lehre in eigens hergestellten buddhi-
stischen Schriften wie für die Ausbreitung
dieses Glaubens weit über Indiens Grenze«
hinaus außerordentliches leistete, auf einer
Inschrift die Grausamkeiten tief bedauert,
welche er früher bei der Eroberung des
Landes Kaiinga begangen hatte. In einem
Edikte erzählt von sich derselbe Monarch,
er habe an vier griechische Könige Gesandte
geschickt und nicht durch das Schwert, son-
dern durch die Religion einen Sieg errunge».
Ebenso vernehmen wir, daß diese „Wonne
der Götter" — wie Asoka genannt wird —
in Nachbarländern Krankenhäuser für
Menschen und Tiere errichten, Arzneikräuter
DIE FRIEDENS -WARTE
■3
und fruchttragende Bäume pflanzen und
Brunnen an den Straßen graben ließ. Von
den Lehrsprüchen (Dhammapada) Buddhas
verdient der 201. hervorgehoben zu werden:
„Haß ist des Sieges Kind, weil Besiegte fühlen
Des Unglücks schmerzlichen Druck.
Wer weder Sieger sein noch Besiegter will, dem
Wird Glück und Ruhe zuteil."
Die ganze Religion ist von einem Geiste
der Sanftmut, der gegenseitigen Wertschätzung,
der opferwilligen Entsagung und beschaulichen
Weisheit durchdrungen; im Mittelpunkte steht
die uneingeschränkt und fortwährend zu be-
tätigende Nächstenliebe (-Metta). Durch Ver-
brüderung aller Menschen soll nach Buddhas
Ideal ein Reich der Gerechtigkeit und des
Lichtes geschaffen, ein Zustand der absoluten
Leidlosigkeit (Nirvana) und Vollkommenheit
auf Erden herbeigeführt werden. Kein Wun-
der, daß der Buddhismus, der als einzige von
allen großen Religionen ohne Anwendung von
Gewalt umählige Bekenner gewann, die natio-
nalen Schranken durchbrochen, die grausamen
und rohen Völker Zentral- und Ostasiens zur
Mäßigkeit und Selbstbeherrschung erzogen
und in ihnen die Abneigung gegen andere
Rassen beinahe ausgelöscht hat. —
4. Von den griechischen Philosophen-
schulen kommt für unsere Zwecke die
kynische und stoische in Betracht. Die griechi-
sche Denkweise konnte sich bei der herakli-
tischen Lehre vom Kriege als dem Vater und
König aller Dinge (frg. 53) auf die Dauer
nicht beruhigen, sie erreichte vielmehr später
in der Ethik eine Höhe, die sogar uns Mo-
dernen ob ihrer Erhabenheit imponieren
muß. Die ersten K y n i k e r des 5. und 4. Jahr-
hunderts v. Chr., jene volkstümlichen Prediger
der Bedürfnislosigkeit und Selbstgenügsam-
keit, drangen allerdings zu einer Friedens-
propaganda noch nicht vor; schätzten sie doch
trotz der Mißachtung von herkömmlicher
Kultur und Sitte die Jagd, die Palästra und
den Krieg als Mittel zur Abhärtung der Seele
und des Körpers (Diogenes Laertius VI, 30
und 31). Allein einen anziehenden Punkt
in ihrem Denken bildet der Kosmopolitismus.
Antisthenes, das Haupt der kynischen Schule,
empfand die Ungerechtigkeiten im Leben der
Nationen, den Gegensatz der Unfreien zu den
Freien und der Eingeborenen zu den Fremden
— und Diogenes von Sinope hat als erster in
der Weltgeschichte den Ausspruch getan, er
sei Weltbürger. Ueberhaupt müßten die Ky-
niker, da sie absolute Illusionslosigkeit als
letzten Zweck des Daseins erklärten, die ein-
seitige Verehrung eines Menschen in der Liebe
nicht minder wie die einseitige Wertschätzung
eines bestimmten Volkes oder Landes im
Patriotismus nur als Wahn und Einbildung,
TScpo; ansehen und bekämpfen.
Präziser äußerten sich über den Kosmo-
politismus die Stoiker, die das Reifste
und Höchste, was das sittliche Leben des
Altertums hervorgebracht hat, in ihrer Ethik
lehrten. Nach stoischer Anschauung gehören
alle Menschen als gleiche Vernunftwesen, zu-
mal es in Wirklichkeit nur e i n Recht gibt,
einer umfassenden Rechts- und Lebens-
gemeinschaft in einem Weltstaate an, wel-
cher keine Schranken der Nationalität oder
des historischen Staates kennt. Der Wert-
unterschied von Hellenen und Barbaren, die
Privilegien der Geburt und des Standes sind
überwunden und lediglich die Vernunft gilt
als Gradmesser des Unterschiedes unter den
Menschen. Aus der Idee des Vernunftreiches
ergibt sich den Stoikern das Postulat der um-
fassenden Gerechtigkeit und allgemeinen Men-
schenliebe, in die auch die Sklaven einbe-
zogen werden sollten. Eine direkte Stellung-
nahme gegen den Krieg als solchen würden wir
bei den drei Säulen der Stoa Zenon, Kleanthes
und Chrysippos vergebens suchen. Immerhin
aber ist ein Ausspruch Senecas, des edel-
gesinnten Stoikers und Erziehers des Kaisers
Nero, beachtenswert, wonach ein nie gestörter
Friede ohne Zweifel mehr glückbringend sei
als ein durch vieles Blutvergießen wieder her-
gestellter (Epist. IV, 66, 40). Im fortge-
schrittenen Kosmopolitismus des letzteren tritt
die Menschenliebe und das Mitleid stärker
hervor als bei den •Altstoikern.
Eine genauere Betrachtung verdient der
wandernde Sittenprediger und Sophist des
ersten nachchristlichen Jahrhunderts, Dio
von Prusa, genannt Chrysostomos, der in
seiner Moral an die altkynische und stoische
Lehre anknüpfte. Seine Reden, und zwar 38.,
39., 40., 41., 48., sind eigentlich salbungs-
volle Friedenspredigten. Der Verfasser hat
sich da zur Pflicht gemacht, mit würdevollem
Ernst für Eintracht und Frieden einzutreten,
so oft es sich um die Regelung der Grenz-
und Rangstreitigkeiten benachbarter Städte
oder um Ausgleichung sozialer Gegensätze im
Innern einer Gemeinde handelte. So verherr-
licht er in oratio 38, 11 die Eintracht, fy^voia,
da sie einen göttlichen Ursprung habe und
die Freundschaft, Versöhnung und Verwandt-
schaft umfasse, in oratio 39 feiert er die Ein-
tracht als höchstes Gut. Jeder Friede, heißt
es or. 40, 26, ist besser als ein Krieg und
jede Freundschaft wenigstens in den Augen
der Vernünftigen weit wertvoller und nützlicher
als die Feindschaft sowohl für ein einzelnes
Haus als auch für eine ganze Stadt. Es gibt
nichts Schöneres und Göttlicheres über die
Freundschaft und Eintracht im gegenseitigen
Verhältnisse von Männern und Städten (oratio
41,13). Die Brüderlichkeit, dSeXcpd-njc, gilt ihm
als höchste Wonne (or. 38, 16). Er bedauert
aufrichtig, daß nicht alle Menschen für die
Eintracht Sinn haben, sondern daß manche die
Zwietracht vorziehen, deren Bestandteile und
Förderungsmittel Kriege und Kämpfe sind,
welche unter Staaten und Völkern wie die
Krankheiten im Körper wüten.
©:
DIE FRIEDENS -WARTE
Sehr treffend räsoniert Dio über den
Krieg, or. 38, 16 — 21 : Manche haben den
Krieg dem Frieden vorgezogen, nicht weil sie
ihn für das Bessere, Angenehmere oder Ge-
rechtere hielten, sondern die einen wollten
einen Königsthron, die anderen die Freiheit,
wieder andere Länderbesitz oder die Seeherr-
schaft erringen. Doch wenn man ohne ge-
nügenden Grund zu den Waffen greife, was
sei dies anderes als heller Wahnsinn und ein
Rennen ins Verderben ? Bei natürlichen Uebeln
wie Seuche oder Erdbeben murren die Men-
schen wider die Götter, halten dieselben für
ungerecht und menschenfeindlich, selbst wenn
diese Strafen durch ihre Sünden vollkommen
gerechtfertigt erscheinen. DenKriegaber,
der nicht weniger Unheil anrichtet
als ein Erdbeben, wählen wir selbst
und machen dessen Urhebern
keinen Vorwurf, wir halten sie so-
gar für Volksfreunde, hören recht
gerneihrenRedenzu,befolgenihre
Ratschläge und üben für das von
jenen angerichtete Uebel keinerlei
Vergeltung — wir müßten sonst folge-
richtig mit einem Kriege gegen sie, die Urheber,
uns revanchieren — , vielmehr zollen wir
ihnen noch Dank, Ehre und Lob,
so daß sie arge Toren wären, wenn sie die-
jenigen schonten, die ihnen für das Böse noch
erkenntlich sind.
Um seiner Friedenspropaganda wirk-
sameren Nachdruck zu verleihen, zieht Dio
Chrysostomos Analogien aus der elementaren
und animalischen Welt heran (or. 40, 35 f. und
or. 48,14—16): Himmel, Sterne und die Ele-
mente überhaupt kennen kerne Zwietracht, sie
werden durch Gesetzmäßigkeit, gegenseitige
Liebe und Eintracht zusammengehalten. Die
Vögel bauen ihre Nester nahe beieinander,
ohne über das Futter in Streit zu geraten; die
Ameisen aus benachbarten Haufen, die sich
aus derselben Tenne Körner holen, gehen sich
höflich aus dem Wege, ja sie helfen einander
oft bei ihrer Arbeit; mehrere Bienenschwärme
sammeln auf derselben Wiese Honig und ge-
raten trotzdem in keinen Streit untereinander;
Rinder und Rosse, Schafe und Ziegen ver-
mischen sich friedlich auf der Weide, so daß
aus zwei Herden anscheinend eine wird. Nur
der dumme und verdorbene Mensch ist der
einzige Friedenstörer, er scheint in bezug auf
Verträglichkeit und Zusammenhalten schlechter
als die Tiere zu sein. Mit Bitterkeit meint er
or. 38,17 an die Nikodemier: „Wir Men-
schen hassen die wilden Tiere hauptsächlich
deswegen, weil wir uns mit ihnen in einem
nie beizulegenden Kriege befinden, aber viele
verfahren gegen die Menschen
genau so wie gegen wilde Tiere und
haben ihre Freude an dem Kampfe
gegen stammverwandte Wesen."
Bei drei Persönlichkeiten verschiedener
Rassen und Kulturen des Altertums — Jesaias,
Buddha, Dio Chrysostomos — haben wir in
unseren Ausführungen eine schwärmerische
Begeisterung für dauernden politischen Frieden
und eine starke Opposition gegen den Krieg
vorgefunden. Wiewohl jene Männer von kon-
kreten Vorschlägen zur Sicherung des Welt-
friedens, von der Idee der allgemeinen Ab-
rüstung und des internationalen Schiedsgerichts
noch weit entfernt waren, können wir ihnen
dennoch unsere vollste Anerkennung und Be-
wunderung nicht versagen. Die Tatsache, daß
die Pazifisten schon im grauen Altertum be-
achtenswerte Ansätze zu ihren Bestrebungen
nachweisen können, muß ihnen die Friedens-
idee in einem viel höheren Glänze strahlen
lassen und zugleich lichte Ausblicke in die
Zukunft eröffnen, die trotz des allgemeinen
Rüstungsfiebers und des greuelvollen Balkan-
krieges ihnen gehört. —
U RANDGLOSSEN U
ZUR ZEITGESCHICHTE
Von Bertha v. Suttner.
AnBorddesSt. Paul, 15. Dez. 1912.
Dies ist der letzte Bericht meiner Amerika-
fahrt. Gestern haben wir uns in New York
eingeschifft, und nun geht es wieder dem
heimatlichen Kontinente zu, der eben von
alein möglichen Kriegserschütterungen heim-
gesucht ist. Zwar lauteten die letzten Nach-
richten etwas beruhigend; aber wie werde ich
die Zustände drüben finden? Jetzt werde ich
ein paar Tage zwischen Wasser und Himmel
dahinschaukeln, ohne Kunde von den das Fest-
land bewegenden politischen Ereignissen, und
diese Ruhefrist will ich benutzen, um die Er-
lebnisse und Eindrücke zu schildern, die sich
seit meinem vorigen Bericht aus Amerika dem
Gedächtnisse eingeprägt haben.
Ich war geblieben bei dem großen Frauen-
stimmrechts-Konvent in Philadelphia, an dem
die Bevölkerung so lebhaften Anteil nahm,
daß der Opernsaal zu klein war, das Publi-
kum zu fassen, so daß auf offener Straße
vor verschiedenen Gruppen Vorträge gehalten
wurden. Am 25. November abends Schluß-
versammlung im ausverkauften Opernhaus.
Rednerinnen: Frau Catt (über Mädchenhandel
— „white slavery"), Jane Adams und ich. —
Am folgenden Tage gab mir der „Political
Club" ein Diner mit darauffolgendem Vortrag
im großen Drexelsaal. Oskar Strauß, der ehe-
malige Botschafter in Konstantinopel, präsi-
diert und spricht über den Balkankrieg. Dieser
ist auch mein Thema, denn seit dieser Krieg
ausgebrochen ist, spreche ich nicht mehr in
abstraktem Sinne von der Friedenssache, son-
dern Von der aktuellen Lage. Ich trete der
Auffassung entgegen, die sich eines großen
Teiles des amerikanischen Publikums bemäch-
tigt hat, daß .dieser Krieg zur Befreiung der
17
DIE FßlEDENS-WADTE
ii i
Christen im Balkan notwendig war und durch
die Verdrängung der Türken aus Europa viel-
leicht günstige Folgen nach sich ziehen wird.
Kein Krieg ist notwendig heutzutage, be-
haupte ich, und keiner kann günstige Folgen
bringen. Die Verquickung der Schlächtereien
mit religiösen Fragen ist Anachronismus,
Heuchelei und Blasphemie.
Von Philadelphia fuhren wir wieder nach
Winchester bei Bioston, in das herrliche Heim
E. Ginns, wo der „Thanksgiving day" ge-
feiert wurde. Es ist dies einer der größten
Feiertage der Vereinigten Staaten — die Er-
innerung an eine große rettende Ernte. Da
wird überall in den Familien gefestet und ein
Truthahn verzehrt. In Boston hatte ich noch
drei Vorträge zu absolvieren: im Centuryclub,
in Dr. Everett Hale's Kirche und in Fordhall,
vor einem Arbeiterpublikum.
Nun ging es nach Buffalo. Wieder eine
riesengroße, reiche Stadt, mit Prachtanlagen
und -bauten und über einer halben Million Ein-
wohner. Die Metropolen wimmeln nur so in
den Vereinigten Staaten; die meisten sind
jüngsten Ursprungs und wachsen, wachsen . . .
Was wird das erst in den nächsten 50 Jahren
werden? In Buffalo sprach ich in dem
schönsten Frauenklub, den ich noch je ge-
sehen — ein Palais.
Auch in Pittsburg hielt ich mich auf. Das
ist die Stahl- und Eisenstadt, die rechte Krösus-
stadt. Hier hat Carnegie sein Vermögen er-
worben und hier steht auch die Carnegie-Hall,
ein Volksheim in großem Stil. Ich war Gast
im Hause eines andern Industriekönigs, namens
Kennedy. Zur Charakteristik des amerikani-
schen Mädchenerziehungs-Systems möchte ich
erwähnen, daß die jungen Töchter Kennedys
nicht etwa auf „moderne" Vergnügungen oder
Phantasie-Handarbeiten ihre Interessen be-
schränkten, sondern daß sie das Gefängnis-
wesen studierten, unter Leitung die Gefäng-
nisse besuchten, um an der Reform des Straf-
wesens mitzuarbeiten. Irgend etwas zur Hebung
der menschlichen Gesellschaft zu leisten:
das ist in der amerikanischen Welt sozusagen
Anstandspf licht bei vornehm und gering, jung
und alt, Mann und Frau.
In Baltimore waren wir im Hause der Ge-
schwister Marburg aufgenommen. Auch ein
mit den reichsten Kunstschätzen gefüllter Palast.
Leider war einer der Brüder Marburg, der
ein hervorragender Pazifist ist, da er ja die
Gesellschaft für „Judicial settlement of inter-
national disputes" gründete und leitet, von
B|altimore abwesend, weil er vor wenigen
Tagen nach Brüssel abreisen mußte, um dort
seinen Posten als neuernannter Gesandter der
Vereinigten Staaten anzutreten. Wenn solche
Diplomaten Schule machen . -
In Washington habe ich einen schönen,
bedeutenden Tag erlebt. Dr. James Brown
Scott, den ich vom Haag her kenne, wo er
einer der hervorragendsten amerikanischen
18
Delegierten an der zweiten Konferenz war.
früherer Solicitor des Staatendepartements und
jetzt oberster Leiter der Carnegiestiftung, hat
mir die Honneurs dieses Tages gemacht.
Einen tätigeren, überzeugteren Friedensarbeiter
als diesen prächtigen Menschen gibt es nicht.
Was desto wertvoller ist, als er seine Karriere
im andern Lager begonnen hat. Er kennt
den patriotisch - martialischen Begeisterungs-
„frisson" und hat als Freiwilliger den spa-
nisch-amerikanischen Krieg mitgemacht. Der
Krieg selber mit seinen Greueln und das
Studium des Völkerrechts und der Friedens-
bewegung hat ihn bekehrt, und seine warm/
Blegeisterungsfähigkeit betätigt sich jetzt irr,
Dienste der internationalen Justiz. Sehr Inter-
essantes hat er mir von einer vor kurzem nach
Rom unternommenen Reise erzählt, wo er mit
dem Papst und dem Kardinal Mery del Val
Fühlung nahm wegen einer gegen den Krieg
gerichteten Enzyklika.
Bei einer Automobilrundfahrt durch die
Stiadt unter sonnigem Himmel, habe ich wieder
den Eindruck gewonnen, daß Washington mit
'seinen weitgestreckten Plätzen, mit seinem
Kapitol, seinem Obelisk, seinem Bibliotheks-
gebäude den Charakter der Großartigkeit, der
Erhabenheit an sich trägt; — diesmal kam
auch noch der neuerbaute Palast der „Pan-
american Union" hinzu, der mit seinen herr-
lichen Sälen, seinen Symbolen und Inschriften
an sich einen Tempel des Begriffes Pax dar-
stellt.
Abends wurde mir ein Bankett gegeben,
bei dem Mr. Scott präsidierte. Hundertfünfzig
geladene Gäste, darunter viele Vertreter des
diplomatischen Korps, wohnten dem prunk-
vollen Feste bei. Ich fühle mich bei der-
gleichen immer etwas beschämt und muß mir
innerlich wiederholen: die Sache, die Sache
wird gefeiert 1
Mein letzter Aufenthalt in den Vereinigten
Staaten war — eine Woche lang — in New
York, wo ich neun Vorträge gehalten habe,
darunter in der Columbia-Universität, im deut-
schen Friedensverein (dessen Vorsitzender,
Professor E. Richard mit Eifer und Geschick
für unsere Sache tätig ist. Auch sein eben
erschienenes Buch „Kulturgeschichte Deutsch-
lands" ist von pazifistischem Geist durch-
weht); ferner im Opernhaus von Brookline,
in mehreren Mädchenschulen, im PoliticalClub,
in der New - Yorker Friedensgesellschaft und
bei den mir gebotenen Banketten. Das eine, von
Mrs. Eimer Black veranstaltete, vereinte 350
Damen der Gesellschaft, unter ihnen die Präsi-
dentinnen von 26 Frauenklubs, die Gattinnen
des Gouverneurs von New York-City, und des
Gouverneurs von New York-States, mit offi-
ziellen Grüßen von Stadt und Staat; von Mrs.
Taft war ein Telegramm eingelangt. Auf dem
zweiten Bankett — im Hotel Astor — präsi-
diert von Andrew Carnegie, wurden bedeut-
same politische Reden gehalten. Nach N. Mur-
rey Butler, dem Präsidenten der Columbia-
<2=
= DIE FRI EDENS -^W&RXE
Universität, der in meisterhafter Weise über
die kriegerischen Ereignisse des Tages, ge-
sehen im Lichte der pazifistischen Doktrin,
Betrachtungen anstellte, betrat Josef Choate
die Tribüne. Der greise Rechtsgelehrte und
Diplomat (er ist geboren 1832), der Botschafter
in London war und auf der IL Haager
Konferenz an der Spitze der amerikanischen
Delegation stand, hat dort die Errichtung
eines ständigen Schiedshofes vertreten und
sich erfolgreich für die Periodizität der Haager
Konferenzen eingesetzt. Hier, in seiner Ban-
kettrede polemisierte er mit allem Freimut
gegen die Haltung der Regierung in der
Panama-Zoll-Angelegenheit und verteidigte den
klaren Sinn des Vertrages — bei dessen Ab-
schluß er mitgearbeitet hatte — wonach Gleich-
berechtigung für die Schiffe aller Nationen
und Rekurs an das Schiedsgericht bei etwa
auftauchenden Schwierigkeiten unzweideutig
stipuliert war
Am 14. Dezember nahm ich von Amerika
Abschied und segle nun dem alten Weltteil
zu, voll der großartigsten und neuartigsten
Eindrücke. Ich behalte mir vor, darüber so-
viel als mir möglich ist, meinen Landsleuten
mitzuteilen, um so für mein Teilchen beizu-
tragen, etwas von dem Unverständnis und der
Verkennung zu verscheuchen, die noch in
Europa der neuen Welt gegenüber vorherrscht.
Was werde ich nun auf unserm Kontinent
finden, Krieg oder Frieden? . . .
Wien, 12. Januar 1913.
Nun bin ich auf dem Schauplatz der euro-
päischen Wirrnisse zurückgekehrt und kann
das Glossieren der Tagesereignisse wieder
aufnehmen. Auf die bange Frage: „Finde ich
Krieg oder Frieden," fand ich die Antwort
— kein Krieg, Gott sei Dank, aber noch lange
keinen Frieden, Gott sei's geklagt! Aber die
Signatur des Tages ist die höchste Potenz der
Unsicherheit. Nicht nur nicht voller Geigen,
sondern voller Damoklesschwerter hängt der
Himmel. Und das nennen die Leute „Frieden",
den. sie mittels Gleichgewichtbalancierungen,
Drohungen, Bluffs und dergleichen Methoden
zu erhalten sich bemühen. Die Haare, an
denen jene Schwerter über den Häuptern der
armen Völker baumeln, ändern mit jedem Tag
ihre Namen. Heute heißen sie Adrianopel
und Silistria. Wie werden sie morgen heißen?
Etwas Gutes hat diese hohe Politik. Sie ver-
schaft uns sehr genaue geographische Kennt-
nisse. Wer hätte vor Jahresfrist noch sagen
können, ob „Durazzo" der Name eines Bri-
ganten, eines Tenors oder eines Berges sei?
Heute weiß jedes Kind in Oesterreich, daß es
ein Adriahafen ist, dessen Verbleiben in serbi-
schen Händen nicht zu dulden sei, koste es
auch einen Weltbrand.
Und doch, und doch: — das pazifistische
Bedürfnis der Welt, das Durchdringen des
Völkersolidaritätsprinzips hat sich in diesen
kriegerischen Tagen doch durchgerungen und
der Ungeduld der verschiedenen europäischen
Kriegsparteien zum Trotz, ein friedensver-
mittelndes Europa — wenn auch erst als
Schattenriß — entstehen lassen. Dreibund und
Tripleentente und Türkei und Balkanstaaten
haben sich in London um einen größeren
Tisch gesetzt. „Friedenskonferenz" ist zwar
ein viel zu hochklingender Name für diese
Zeiterscheinung, aber als solche ist sie sym-
ptomatisch. Das Bedürfnis, Kriege nicht fort-
zusetzen und nicht fortsetzen zu lassen, macht
sich schon bei allen Teilen geltend; aber so
lange das mit den alten Formeln und nach den
alten Methoden versucht wird, kann der
Friede, „den wir meinen", nicht erlangt
werden. Sie sitzen nebeneinander — das ist
schon viel — aber sie arbeiten noch gegen-
einander. Sie vertreten Interessen, die sie so
gern vital nennen, obwohl ihre Verfechtung
so letal ist — aber es sind widerstreitende
winzige Interesselchen. Das große, gemein-
same Interesse — die Ruhe und das Leben
sämtlicher beteiligter Nationen auf sichere
Basis zu stellen — ist noch nicht aufgefaßt.
Es fehlt die „Vision" davon. Wir armen Pazi-
fisten, die man ja so gern Visionäre nennt,
wir haben sie. Mit dieser Bezeichnung glaubt
man etwas Geringschätziges zu sagen, als ob
die Fähigkeit, mit dem geistigen Auge die
Konturen eines zukünftigen Bildes zu sehen,
nicht die Grundlage jedes schöpferischen Wir-
kens wäre — sei der Visionär nun Künstler,
Ingenieur oder Politiker. Aber nicht etwa nur
wir zünftigen Pazifisten malen uns den Grund-
riß des kommenden organisierten kriegslosen
Zeitalters aus — das Bild lebt schon in den
Massen des arbeitenden Volkes, das hat der
große Tag von Basel bewiesen, es schwebt
einer Anzahl hochmögender Politiker vor, das
zeigt sich in den verschiedenen offiziellen Ver-
ständigungs- und Versöhnungsaktionen in
Europa; es hat sich in Universitätskreisen,
in staatsmännischen Kreisen — bis zum Staats-
oberhaupt hinauf — zu einer Weltanschauung
und zu einem politischen Programm verdichtet ;
das habe ich in Amerika erfahren.
PAZIFISTISCHE CHRONIK
15. Dez. Die Generalföderation der französischen
Arbeiter veranstaltet als Demonstration gegen
den Krieg einen 24stündigen Generalstreik
16. Dezember. Ein aufklärendes Communique
des öst.-ung. Ministeriums des Aeussern stellt die
Affäre des Konsuls Prochaska in Prizrend als
harmlos dar. Beruhigung der geängstigten öffent-
lichen Meinung.
16. Dezember. Erste Sitzung der Friedens-
konferenz in London. Sir Edward Greg
Ehrenvorsitzender, eröffnet mit einer Ansprache.
DIE FRIEDEN5-^/AQTE
G>
17. Dezember. Im österreichischen Abgeordneten-
haus beginnen die Tschechen eine Obstruktion gegen
das Kriegsleistungsgesetz. Der Abg. Fresl spricht
18 Stunden.
18. Dezember. In der italienischen Kammer er-
klärt der Marquis di San Giuliano, dass der
Dreibund für ganz Europa eine Bürgschaft des
Friedens ist.
19. Dezember. Die Londoner Botschafter-
konferenz empfiehlt die Autonomie Albaniens. Da-
durch Beseitigung der akuten austro-serbischen
Kriegsgefahr.
21. Dezember. In der französischen Kammer
sagt der radikale Deputierte Fr ancois Delon de: In
Europa gibt es einen Mann, dessen Friedens-
liebe eine feste Bürgschaft für die Aufrecht-
erhaltung des Friedens bildet: Das ist der
Deutsche Kaiser.
29. Dezember. Der russische Kriegsminister
Suchomlinow in Berlin und Dresden.
30. Dezember. Im österreichischen Herrenhaus
tritt Frhrr. v. Plener für eine Politik der Ver-
ständigung Oesterreich-Ungarns Serbiengegen-
über ein.
4. Januar. Präsident Taft erklärt bei
einer Versammlung des „International Peace
Forum", die Panama-Abgaben- Angelegenheit
mit England vor ein Schiedsgericht zu
bringen.
DAUS DER ZEITCI
Völkerrecht.
Ein neuer Schiedsfall zwischen England und Amerika.
In einem New Yorker Briefe der „Kreuz-
zeitung" (3. Januar) wird Mitteilung gemacht
von einer weiteren schiedlichen Entscheidung
in der Sache der Robbenfrage. Es gibt in bezug
darauf, heißt es in dem Berichte, mehrere
Fragen, die noch einer weiteren schiedsgericht-
lichen Entscheidung bedürfen. 5,Es handelt sich
z. B. um die Zulässigkeit des „Robbenschlages",
der neuerdings in Alaska verboten ist. Man weiß
nicht recht, ob der schnelle Rückgang der
Robbenherden mehr der Jagd auf dem Lande
oder der auf dem Meere zuzuschreiben ist. Auch
die Neufundländer Fischereifrage ist noch nicht
ganz erledigt. Es soll darüber ein Tribunal ent-
scheiden, das im nächsten Frühjahr zusammen-
treten wird. Die erste Sitzung soll in Washing-
ton stattfinden. Sir Charles Fitzpatrick,
der Oberrichter von Kanada und britisches Mit-
glied des Schiedsgerichts im Haag für die Ent-
scheidung über die Streitigkeiten bezüglich der
Ausübung der Fischerei an der nordatlanti-
schen Küste vom Jahre 1910, wird England
vertreten, während die Vereinigten Staaten mit
ihrer Vertretung Chandler Anderson,
Rechtsberater des Staatsdepartements, beauf-
tragt haben. Diese beiden Juristen haben sich
über ein drittes Mitglied zu verständigen,
welches als unparteiisches fungiert und weder
dem britischen noch dem amerikanischen Staats-
verbande angehören darf. Man soll sich über
den „dritten Mann" schon einig sein, hält seinen
Namen aber noch geheim."
Verschiedene Mitteilungen zur Schiedsentwickiung.
Die Schiedsgerichtsklausel in internatio-
nalen Verträgen macht weitere Fortschritte.
Jetzt enthält auch das spanisch -fran-
zösische Marrokkoabkommen ebenso
wie vorher das deutsch - französische die
Schiedsklausel.
Die Tavignano-Affaire zwischen
Italien und Frankreich ist dem Haager Schieds-
höfe übergeben worden, um Ende März gleich-
zeitig mit dem Manouba- und Carthagekon-
flikte entschieden zu werden. Bekanntlich hatte
man den Fall zuerst einer internationalen Unter-
suchungskommission überwiesen. Doch ist auf
Grund des Berichtes dieser Kommission eine
direkte Einigung zwischen den Parteien nicht
erfolgt.
Dem letzten Berichte von Darby an die
International law association ist zu entnehmen,
daß man 1911 den zentralamerikani-
schen Gerichtshof von Cartago nach
San Jose verlegt hat. Carnegie soll für die
Errichtung eines neuen Palastes für den
Gerichtshof 400 000 M. gestiftet haben. Wahr-
scheinlich, weil der Palast des Schiedshofes in
Cartago vor drei Jahren durch Erdbeben zer-
stört wurde.
Staatsrat Dr. C h. Schanz er, Deputierter,
ist von der italienischen Regierung an Stelle
von Guarnaschelli zum Mitglied des Haager
Hofes ernannt worden.
Die „amerikanische Gesellschaft für die richterliche
Beilegung internationaler Streitigkeiten" :: :: :: :: :
hielt am 21. Dezember v. J. in Washington
ihre diesjährige Jahresversammlung ab, bei der
Joseph H. Choate zum Präsidenten, der
frühere Präsident der Harvard- Universität, Dr.
Charles Eliot, zum Vizepräsidenten der Ge-
sellschaft ernannt wurden. James Brown
Scott übernahm die Funktion des Sekretärs.
Nach den kurzen vorliegenden Berichten
handelt es sich wiederum um einen hervor-
ragenden Kongreß, auf dem der erleuchtete Zeit-
geist voll zum Ausdruck kam. Prof. Paul S.
Reinsch trat in einer Rede für die Verant-
wortlichkeit eines Staates für die den Bürgern
eines anderen Staates auf seinem Gebiet zu-
gefügte Rechtsverletzungen ein. Mac Far-
land, Prof. Henry Wade Rogers u. a.
sprachen über die Errichtung eines internatio-
nalen Staatengerichtshofes. Es wird sich Ge-
legenheit bieten, auf die bedeutsamen Verhand-
lungen noch zurückzukommen.
Ml
20
^■■MM*^^-
= DIE FRIEDENS -WARTE
Rüstungsproblem.
Deutschlands Militärausgaben für 1913. :: :: :: :: ::
Die Ausgaben für militärische Zwecke im
Deutschen Reich stellen sich für das Jahr 1913
folgendermaßen dar :
Auswärtiges Amt:
Auslandszulagen für Militärbe-
vollniächtigte usw 212 220 M.
Geheime Ausgaben 1 000 000 „
Reichsamt des Innern:
Unterstützung vonPamilien der
zu Uebungen eingezogenen
Mannschaften 3 909 000 „
Verwaltung des Reichsheeres . . 637 761687 „
Reichsmilitärgericht 536 247 „
Marineverwaltung 197 051989 *
Reichsschatzamt :
Dispositionsfonds des Kaisers . 1 500 000 „
Unterstützungen, Erziehungs-
beiträge, Pensionszuschüsse . 1 556 000 „
Rayonsentschädigungsraten für
Beschränkung d. Grundeigen-
tums in der Umgebung von
Festungen 1013 674 „
Lagerung von Baumaterialien
zu militärischen Zwecken . 50 000 „
Beihilfen an hilfsbed. Kriegs-
teilnehmer 31000 000 „
Einmalige Rayonenentschädi-
gungen usw 3 343 825 „
Reichskolonialamt 2 918 767 „
Reichsschuldverzinsung .... 150000000 „
Allgem. Pensionsfonds .... 138000000 „
Allgem. Finanzverwaltung :
Quoten an Bayern 102 803 282 n
Reichsamt des Innern :
7.Ratef.d Kaiser- Wilhelm-Kanal 56 000 000 „
Reichsheer, einmalige Ausgaben 138 545 232 n
Garnisonbauten, Festungen . . 22 286 006 „
Marineverwaltung, einm. Ausgab. 219 239 971 „
Reichskolonialamt, einm. Ausgab. 24 508 718 „
AUgem. Finanz Verwaltung:
Einmalige Ausgabe: Quote an
Bayern 17 340 748 „
Vervollständigung d.Eisenbahn-
netzes zu Zwecken der Landes-
verteidigung 2 838 270 „
Abbürdung der Vorausbeschaf-
fungen der Heeresverwaltung 106 106 878 „
Außerordentl. Etat:
Festungsbauten 12 700 000 „
Marineverwaltung . . . . . 51 150 000 „
Summa 1 910 672 514 M.
Diesen Ausgaben für militärische Zwecke
stehen folgende Einnahmen aus militaristischen
Quellen gegenüber:
Verwaltung des Reichsheeres:
Einnahmen aus den Militär-
eisenbahnen, Grundstückver-
käufen usw * . 29 826 403 M.
Reichsmilitärgericht 394 „
Marineverwaltung 1 103 822 „
Reichskolonialamt 1 568 757 „
Reichsschuld :
Zinsen von der Reichsanleihe
an Togo 248 330 „
Zinsen von der Reichsanleihe
an Südwestafrika 1 413 239 „
Verzinsung der chines. Kriegs-
entschädigung 10 564 197 „
Verzinsung der chines. Kriegs-
entschädigung außerord. Etat 1 688 334 „
Erlös vom Verkauf von Festungs -
grundstucken . . . . . . 3 176 352 .
Summa 49 589 878 M.
Ausgaben 1910 672 514 M.
Einnahmen . . . . . . 49 589 878 „
Endsumme der Ausgaben 1 861 082 636 M.
Hierzu macht der „Vorwärts" (1. Dezember
1912) folgende höchst beachtenswerte Be-
merkung :
„Trotz Abzugs dieser Einnahmen in Höhe
von 49,5 Millionen gelangen wir also zu dem
ungeheuerlichen Endresultat, daß die mili-
tärischen und weltpolitischen Ausgaben des
Etatsjahres 1913 nicht weniger als 18 6 1
Millionen betragen, während die ge-
samten Einnahmen des Etats -
jahres 1913 sich nur auf 1820 Mil-
lionen beziffern. Wir geben also für
unseren Militarismus in seinen verschiedensten
Erscheinungsformen noch 41 Millionen
mehr aus, als sämtliche Nettoein-
nahmen aus den Zöllen, Steuern, Gebühren
und Betriebsüberschüssen des Deutschen
Reiches ausmachen!
Daß das Deutsche Reich 1913 überhaupt
noch Mittel für andere als militaristische
Zwecke übrig hat, dankt es erstens seiner An-
leihe von 33 Millionen und zweitens dem Zu-
schuß von 187 Millionen, der von dem Ueber-
schuß des Jahres 1911 auf das Jahr 1913 ver-
rechnet wird. Fehlten diese 220 Mil-
lionen Zuschuß, so würde das Deut-
sche Reich aus seinen Einnahmen,
aus den Erträgnissen des Jahres
1913 nicht einmal seine Militär -
ausgaben decken können! "
MB
Austriaca. :: :: :: :: :: :: :: :: " :: :: :: :: :: :: :: :i
Eine lehrreiche AufsteUung zeigt, wie in
wenigen Jahren Oesterreich, zwar nicht auf dem
Gebiete der wirtschaftlichen, kulturellen, sozial-
politischen Entwicklung, wohl aber in bezug auf
Militärausgaben den Vorsprung größerer und
reicherer Mächte einzuholen versucht hat. 1909,
mit der Annexion Bosniens und der daraus
entstandenen Gefahr des Serbenkrieges, begann
es. Hunderte Millionen wurden ausgegeben, die
„Lücken" in der Rüstung zu stopfen. Da bekam
DIE FRIEDENS -^ADTE
■3
jedes Regiment zwei Maschinengewehre, Feld-
telegraph, Feldtelephone, Signalapparate wurden
eingeführt. Die Artillerie bekam Haubitzen.
Dann kam die Flotte. 312 Millionen
Kronen wurden bewilligt, vier Dreadnoughts
gebaut. Darauf das Programm des Kriegs-
ministers Schönaich : 100 Millionen ein-
malige, 100 Millionen Jahresaus-
ausgaben bewilligt. Noch schneller stiegen
die Bewilligungen für die Landwehr. Zu-
letzt wieder die außerordentlichen
Rü s tungs kredi t e für Artillerie,
Festungen, Kriegsschiffbau.
Die Krise, die die Sorge um den serbischen
Hafen an der Adria hervorgerufen, läßt sich
schon jetzt in Zahlen bewerten:
Nach authentischen Quellen setzen sich die
bisherigen Auslagen, die Oesterreich-Ungarn aus
Anlaß der politischen Krise hatte, wie folgt
zusammen: Nicht der bedeutendste Posten sind
die Kosten der Erhaltung des um 130000 Mann
erhöhten Friedens Standes, das sind 7,2 Mil-
lionen Kronen monatlich. Dazu kom-
men dann Ausgaben vorübergehenden Wertes,
wie für Arbeitslöhne, Beschaffung von Trag-
tieren und Pferden (die nach der Krise wieder
verkauft werden müssen), und vor allem die
hohen Kosten der Transporte der Mannschaft.
All dies zusammen kommt einer Ausgabe von
etwa 100 Millionen Kronen bis Ende
Dezember 1912 gleich. Außerdem sind aber
auch Ausgaben für Investitionen erforderlich
geworden, wie Beschaffung von Winterklei-
dung, von Maschinengewehren,
Aero planen, Feldküchen, techni-
schen Mitteln usw. im Umfang von etwa
150 Millionen Kronen. Der Kriegsminister
erhielt weiter im voraus zur beschleunigten
Durchführung der Reorganisation der
Artillerie, die für 1914 und 1915 fällig
gewesenen Raten des 125 -Milli onen- Kre -
d i t s in der Höhe von 84 Millionen Kro-
n e n und wurde außerdem ermächtigt, weitere
125 Millionen, die ihm erst nach dem Jahre
1915 zugedacht waren, nach Bedarf flüssig
zu machen.
Schon hat aber der M a r i n e k o m m a n -
dant mit seinem Rücktritt gedroht, wenn die
20 Jahre alten Schiffe der Monarchenklasse nicht
durch Dreadnoughts ersetzt werden
sollen, was wieder einige hundert Millio-
nen ausmachen wird.
Zu den Geldbewilligungen die Steige-
rung der persönlichen Leistungen.
Das neue Wehrgesetz erhöhte den Re-
knitenstand um die Hälfte. Zehntausende
werden statt zu acht Wochen Ersatz-
reserveaus bildung auf zwei bis drei
Jahre eingestellt. Die Zahl der Waffen-
iibungen und ihre Dauer wurde vermehrt.
Und eben erledigte der Reichsrat das Kriegs-
leistungsgesetz, das schon zu Beginn
einer Mobilmachung die Militärbehörde zum
Herrn über Besitz und Person der Untertanen
macht, Koalitionsrecht, Freizügigkeit. Vereins-
recht, alle modernen Rechte zugunsten des
Militarismus kassiert. Dafür hat der Staat
kein Geld für Schulen und Spitäler.
Die Sozialversicherung ist noch immer nicht
fertig. Staatsarbeiter, Staatsbeamte schlecht be-
zahlt.
Vor kurzem erschien der Jahresbericht des
Wiener Wärmestubenvereins. Vom
15. November 1911 bis 5. März 1912
suchten 1218 000 Personen, darunter 209 500
Frauen und 597 000 Kinder, die Wärmestuben
auf. 98 857 waren obdachlos ; 810 auf den Tag.
Auf den Tag kamen fast 5000 Kinder, die stun-
denlang vor den Stuben warteten, um dann eine
Suppe mit Brot als Mittagessen zu erhalten. 715
Kinder, allnächtlich im Durchschnitt 6,
mußten, ohne ein Nachtquartier, in
den Wärmestuben übernachten: in
einer Ecke auf nassen Lumpen, die die Eltern
hingebreitet hatten, angekleidet und in Schuhen,
während diese, mit andern auf den
Bänken sitzend, die Nacht verbringen.
Für jedes Nachtquartier mit Frühstück
zahlt die Gemeinde dem Verein —
20 Heller! Für das tägliche Essen von
5000 Kindern und über 4300 Erwachsenen aber
zahlt die Stadt Wien gar 6000 Kronen zu :
einen halben Heller für jede Portion! — Wäre
es bei solch jammervollen Zuständen, so schreibt
die „Leipziger Volksztg.", der wir teilweise
diese Daten entnehmen, eine vermessene Läste-
rung der göttlichen Ordnung und der Groß-
machtpflichten Oesterreichs, wollte man
fordern, daß etwa die Kosten eines einzigen
Bataillons oder einer Dreadnoughtbatterie ge-
spart und zur Beseitigung des Jammers dieser
Unglücklichen verwandt würden ?
Verschiedenes.
v. Kiderlen-Wächter f :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
In politisch bewegter Zeit ist der Staats-
sekretär des Auswärtigen Amtes durch den Tod
von seiner Arbeit abberufen worden. Vor vier
Jahren wurde Herr von Kiderlen-Wächter, der
als der Mann der starken Tonart galt, nach der
Wilhelmstraße berufen. Viel Hoffnungen setzten
die Pazifisten nicht auf ihn. Aber er hat sie
angenehm enttäuscht. Die Macht der Tat-
sachen, der Friedenswille Europas scheint auch
hier den erzieherischen Einfluß auf die Per-
sönlichkeit nicht verfehlt zu haben. Kiderlen
war zwar der Mann von Agadir, er war aber
auch der Mann vom 4. November 1911, an
welchem Tage der schwere Marokko-Konflikt
kriegslos erledigt wurde. Das Gespräcn, das
er im Sommer 1912 mit einem französischen
Journalisten hatte, berührte uns ganz eigen-
tümlich. Er soll von der Notwendigkeit einer
Organisation Europas gesprochen haben, f,von
dem Widerwillen, den die Kriege hervorrufen.
Der „Mann von Agadir" bewegte sich in pazi-
fistischen Gedankengängen.
M9
22
€H
DIE FRIEDENS -WARTE
Eine Pazifistenrede im Oesterreichischen Reichsrat.
In der 129. Sitzung des österreichischen
Abgeordnetenhauses am 19. Dezember 1912 hielt
der liberale Abgeordnete Dr. O f n e r eine Rede
gegen das Gesetz über die Kriegsleistungen, das
zur Debatte stand. Dabei sagte er nach dem
stenographischen Protokoll nachstehende, in
der gesamten Tagespresse todgeschwiegenen
Worte :
„Bevor ich auf die weiteren Punkte über-
gehe, erlaube ich mir, eine allgemeine Be-
merkung einzulegen. Ich bin ein über-
zeugter, ein leidenschaftlicher
Vertreter des Friedensgedankens,
ein leidenschaftlicher Vertreter des Grundsatzes,
daß Streitigkeiten von Staaten ähnlich wie die
von den Staatsbürgern, wenn nicht durch Ueber-
einkommen, so vor einem Schieds-
gerichte auszutragen sind. Diese meine Hal-
tung hat mit Aengstlichkeit und Todesfurcht
nichts zu tun. Ich bin ein alter Mann und habe
den Tod jeden Tag und jede Stunde zu er-
warten; ich schaue ihm gelassen, ruhig ins
Auge. Allein, ich bekenne, ich schaue dem
Tode ruhig für mich entgegen und fürchte ihn
auch nicht für alte Menschen, so wie ich es
bin. Aber ich bin allerdings immer bestürzt,
wenn der Tod ein junges, frisches Leben for-
dert, und mich erfaßt ein unsägliches Grauen,
wenn ich andieMenschenschlächterei
denke, die ein jeder moderne Krieg im Gefolge
hat, an eine Menschenschlächterei, welche
Hunderttausende solch junger, frischer, hoff-
nungsvoller Menschenblüten knickt und eine
viel größere Menge anderer Menschen um ihr
Lebensglück betrügt, nicht gerechnet die Mil-
liarden an Volksvermögen, welche ein solcher
Krieg verschlingt. Allein wir Freunde
des Friedens sind darum nicht weniger um
die Kraft und um das Ansehen unseres Staates
besorgt als andere. Wir finden nur die Kraft
und das Ansehen des Staates anderswo: wir
finden sie in der Kultur, in dem Cha-
rakter, in der Arbeitskraft des Volkes, und wir
glauben, daß das Ansehen des Staates durch
diese Faktoren viel mehr gesichert ist, als
durch einen siegreichen Krieg. Ich gebrauche
auch absichtlich das Wort „Ansehen" und
nicht das Wort „Ehre", denn Ehre ist ein
Schlagwort, und Schlagwörter sind immer ge-
fährlich; Schlagwörter sind empfindlich und
aufreizend, und namentlich das Schlagwort
„Ehre" hat schon ganze Hekatomben von
Menschenopfern gefordert. Ansehen ist
mehr als Ehre, aber es ist nüchterner,
konkreter, es hat größeren Wirklichkeitsgehalt,
und wir wissen wohl, daß man das Ansehen
behalten kann, wenn man auch auf gewisse
eingebildete Ehrenpunkte verzichtet."
MB
Kaiser Friedrich gegen den Krieg. :: :: :: :: :: :: :: :.
Aus dem Nachlaß des Schweizer Pfarrers
Frederic G o d e t , der jetzt durch die von
dessen Sohn Philipp Godet veröffentlichte
Biographie (Neuchatel 1913) bekannt wird,
werden bisher unbekannte Briefe
Kaiser Friedrichs bekannt, die die-
ser an den ehedem in preußischen Diensten
stehenden Pfarrer gerichtet hatte. In
einem aus dem Hauptquartier in Ver-
sailles geschriebenen Briefe äußerte sich
der damalige Kronprinz über den Krieg. Da
heißt es :
„Ich beuge mich vor diesem Gott, der uns
bis hieher geführt und beschützt hat und der
über der Wohlfahrt unseres endlich geeinigten
Deutschlands wachen wird, und der
schon so viele edle Patrioten in diesen blutigen
Gemetzel geopfert hat. Möge er uns endlich
den Frieden gewähren, auf den alle Welt hofft !
.... Ich versichere Sie, daß ich ein wahres
Grausen vor dem Krieg empfinde
und daß meine heißen Gebet« sich an Gott
wenden, damit das der letzte sei, dem ich bei-
zuwohnen gezwungen sei. Sind wir wirk-
lich im 19. Jahrhundert, wo Kultur
und Moral ihren Gipfel erreichen?
Und die Heiden, die wir möchten teilnehmen
sehen an den Segnungen unserer Aera, was
müssen sie von zwei Völkern
denken, die sich morden und da-
bei erklären, daß ihre Sache allein
den Titel heilig und gerecht ver-
dient? Man muß eigentlich die Augen vor
den Barbaren senken, die nicht mehr und nicht
weniger machen, als wir. Aber was tun? Ist
man einmal provoziert, so muß man sich wohl
verteidigen, bis man die Garantie eines sichern
Friedens hat. . . . Was mich betrifft, so ist
mein Verlangen, unser großes deutsches Vater-
land die Segnungen eines sichern und frucht-
baren Friedens genießen zu lassen. Ich habe
nie daran gedacht, mir einen Namen
durch Blutvergießen und Leichen-
haufen zu machen, und wenn auch die
von meinen tapfern Truppen erfochtenen Siege
in der. Geschichte einen Platz haben werden,
so werde ich doch nie den drücken-
den Gedanken (cauchemar) los werden,
daß ichsovieleLebeninder Jugend-
blüte habe opfern müssen. Gott
schenke mir eines Tages die Möglichkeit und
die Fähigkeit, den Frieden wieder herzu-
stellen . . ."
Ein andermal schreibt er: „Glauben Sie
mir, mitten im Auf und Ab des Krieges kann
einen Menschen, der wie ich den Krieg
verabscheut und doch pflichtgemäß daran
teilnehmen muß, nichts mehr stärken, als ein
Zeichen der Freundschaft und Liebe zu emp-
fangen . . . ."
MB
Die Gießener Burschenschaft. :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Zu einer Vortragsangelegenheit der Gießener
Freien Studentenschaft hat die Gießener
Burschenschaft Stellung genommen. Die auf
diese Angelegenheit bezugnehmende Erklärung,
die der Vertreter der drei Gießener Burschen-
schaften Alemania, Frankonia und Germania
23
DIE FBIEDENS-^AQTE
3
im allgemeinen Studentenausschuß abgegeben
bat, lautet :
„Am 4. Dezember 1912 fand im Hotel
Schütz ein von dem Präsidium der Gießener
Freien Studentenschaft veranstalteter Licht-
bildervortrag des Vertreters der internationalen
Friedensgesellschaft E. Feldhaus-Basel statt
über: Der Krieg, wie er ist. (Unter Berück-
sichtigung der neuesten großen Kriege, auch
des türkisch-italienischen und des Balkan-
krieges.)
In dieser Angelegenheit haben die drei
Gießener Burschenschaften im Studentenaus-
schuß, als der Vertretung der gesamten Gießener
Studentenschaft, folgendes zu erklären: Wenn
es auch der Freien Studentenschaft überlassen
bleiben (muß, was sie in ihren vielen Abteilungen
treiben will, so muß andererseits die Gießener
Burschenschaft in der Ankündigung und Ab-
haltung dieses Vortrages im gegenwärtigen
Zeitpunkt, in dem unser Vaterland jederzeit in
einen Weltkrieg verwickelt werden kann, und
vielleicht um sein Sein oder Nichtsein gekämpft
werden muß, ein trauriges Zeichen mangelnden
nationalen Verständnisses sehen. Sie glaubt
im Namen aller national gesinnten Studenten
der Gießener Universität zu handeln, wenn sie
hierüber ihr tiefstes Bedauern ausdrückt."
Die in dieser Erklärung geäußerte Ansicht
über die Friedensbewegung beruht auf einem
bedauerlichen Irrtum. Die Friedensidee ist
nicht antinational. Sie bekämpft nicht den
Krieg an sich, sondern jene Ursachen, die
„unser Vaterland jederzeit in einen Weltkrieg
verwickeln" können. Sie will die internationale
Unsicherheit beseitigen, jenen unerträglichen
Zustand, der es mit sich bringt, daß die
Nationen ihres Besitzes nicht froh werden
können und jederzeit bereit sein müssen, um
für ihr ,,Sein oder Nichtsein" zu kämpfen. Sie
will, daß dieses Sein einer jeden garantiert wird.
Danach entwickelt die Friedensbewegung, deren
Bedeutung für die Nation heute von den bedeu-
tendsten Gelehrten anerkannt wird (es sei nur
z. B. an Geheimrat Lamprecht erinnert,
der in diesen Blättern, Jahrg. 1910 S. 41
und Folge*) in einem „Die Nation und die
Friedensbewegung" betitelten Artikel die Be-
deutung der Friedensbewegung vom nationalen
Standpunkt dargelegt hat), ein hohes Maß
nationalen Empfindens.
Dessen sind sich auch weite Kreise der
deutschen Burschenschaft schon klar geworden.
Hervorragende Burschenschafter, wie Prof.
Rieh. Eickhoff, Geh.-Rat Sturm, Dr. Hans Weh-
berg gehören zu den Vorkämpfern der Friedens-
idee, Burschenschaftliche Zeitungen haben noch
vor kurzem Artikel zugunsten der Friedens-
bewegung veröffentlicht, und in der „Burschen-
schaftliche Bücherei" ist eine Broschüre über
die „Internationale Schiedsgerichtsbarkeit" er-
schienen.
*) Abzüge dieses Artikels stehen Inter-
essenten kostenlos zur Verfügung.
Es ist daher dieser Protest unbegreiflich.
Ihn rückgängig zu machen, wäre eine schöne
Handlung und sicherlich eine vom nationalen
Standpunkt erfreuliche.
Deutsche Intelligenzträger gegen den Krieg. :: :: ::
Bei der Zuerteilung des Nobelpreises für
Dichtkunst hat Ger hart Hauptmann am
10. Dezember 1912 in Stockholm eine Rede
gehalten, in der er die pazifistische Bedeutung
aller Nobelpreise hervorhob. Er sagte u. a. :
„Und nun ]trinke ich darauf, daß das der Stif-
tung zugrunde liegende Ideal seiner Verwirk-
lichung immer näher geführt werde ; ich
meine das Ideal des Weltfriedens,
das ja die letzten Ideale der Wissenschaft und
der Kunst in sich schließt. Die dem Kriege
dienende Kunst und Wissenschaft ist nicht die
letzte und echte, die letzte und echte
ist die, die der Friede gebiert und
die den Frieden gebiert. Und ich trinke
auf den großen, letzten und rein ideellen Nobel-
preis, den die Menschheit sich dann zusprechen
wird ; wenn die rohe Gewalt unter den
Völkern eine ebenso verfehmte
Sache geworden sein wird, als es
die rohe Gewalt unter den mensch-
lichen Individuen der zivilisierten
Gesellschaft bereits geworden is t."
Kurz vorher hatte der Dichter im „Zeit-
geist" vom 11. November einen „Duldsamkeit'
betitelten Artikel veröffentlicht, aus dem wir
nachstehende Stelle hier festhalten wollen:
„Wahre Religion hat nichts mit Unter-
jochung und mit Götzen zu tun, sie ist
synonym mit dem Worte Frieden.
Nicht die Könige, sondern die Pfaffen, die
Schöpfer der Götzen, haben die Welt unterjocht.
Um der Götzen der Pfaffen willen ist das meiste
Blut geflossen. Wo aber Blut um religiöse
Dinge fließt, so fließt es immer nur um der
Götzen willen.
Götzendienst ist die ärgste und furchtbarste
Greuel. In der Reihe der Unterjochungen ist
diese besonders grausig, die der schlechte
Künstler durch sein schlechtes, angebetetes
Werk erfährt. Er besitzt sein Werk und wird
noch mehr durch sein Werk besessen. Also
wird der Pfaff ein Besessener.
Unter diesen Besessenen lebt, statt des
ewigen Friedens, der ewige Krieg.
Wer von diesem ewigen Kriege erzählen will,
der versinkt in Blut. Man spricht davon, daß
im rohen Heidentum nicht selten Menschen
den Götzen geopfert wurden. Zweifellos war
es der Fall. Die Menschenopfer der alten
Aegypter, Babylonier, Juden, der alten Kar-
thager, Inder und Germanen sind bekannt. Man
glaubt, in diese Epochen wie in Zeiten über-
wundener Barbarei zurückblicken zu können.
Aber diese Opfer sind sehr gering, im Vergleich
zu denen, die man indirekt den Götzen dar-
brachte. Was sind nioht in grausamsten Götzen-
kriegen bis noch zuletzt im Dreißisjährigen
24
@=
= DIEFRIEDEN5-^\*M2XE
Krieg für unzählbare Menschenmassen geopfert
worden. Wir haben einstweilen nicht den ge-
ringsten Grund, mit hochmütiger Genugtuung
auf die Zeiten vor Christi Geburt herab-
zublicken."
Als ,, Neujahrswunsch für 1913" schreibt
Herbert Eulenberg:
„Kein größerer Fluch könnte
uns Menschen treffen. als wenn
wir in unserem schönen zwanzigsten Jahr-
hundert um irgendwelcher veralteter natio-
naler Vorurteile willen in einen allge-
meinen europäischen Krieg ge-
rieten. Endlich sind wir Menschheit zur Ver-
nunft gekommen und haben eingesehen, daß
ein jeder Krieg für die Völker, die
ihn führen, nur Schaden mit sich
b ringt. Und nun sollen wir den Weg zur
Gesundung des großen Menschenkörpers, den
wir seit wenigen Jahrzehnten zu unserer aller
Heil beschritten haben, verlassen und uns einem
barbarischen Krieg als der schädlichsten Völker-
krankheit sinnlos ausliefern! Ich würde mich
dagegen wehren bis aufs äußerste. Niemals
würde ich in meinem ganzen Leben gegen Fran-
zosen und Russen zusammen nur halb so viel
Zorn und Wut aufbringen können, wie ich
gegen einen jeden Friedensgegner
empfinde."
Der derzeitige Rektor der Wiener Uni-
versität, der weltbekannte Gelehrte, Hofrat Prof.
Dr. Anton Weichselbaum, schreibt in
einer Enquete der „Zeit" (25. Dez.):
„Ich hatte weder zu Beginn noch während
des Verlaufes des Balkankrieges Sympathien
für den einen oder den anderen der krieg-
führenden Staaten, da ich grundsätz-
lich ein Gegner der Austragung von
Volke rkonflikten durch Waffen-
gewalt bin; letztere Ansicht ist durch die
Erfahrungen während des Balkankrieges nur
noch mehr befestigt worden, weshalb ich auch
die Frage, welche der kriegführenden Na-
tionen auf mich den besten, beziehungsweise
den schlechtesten Eindruck gemacht hat, nicht
zu beantworten brauche."
Dieselbe Enquete („Zeit", 1. Jan. 1913)
beantwortet Prof. Max Dessoir in Berlin
in folgender Weise:
„Meine Neigung gehört weder der Türkei
noch den Staaten des Balkanbundes. Mein
Urteil über den Krieg als die wirtschaft-
lich schädlichste und menschlich
beklagenswerteste Form des Völ-
kerkampfes hat sich nicht geändert."
„Warum baut man im Haag einen Friedenspalast?"
Diese Frage, von deren Beantwortung man
sich ein recht lustiges Ergebnis zu versprechen
schien, hat der „Berliner Lokal-Anzeiger" einer
Anzahl Persönlichkeiten in der Welt vorgelegt,
und deren Erwiderungen als Weihnachtsgabe
seinen Lesern präsentiert. Diese Anfrage wurde
nicht den geistigen Urhebern des Haager
Schiedshofes, etwa den Mitgliedern des berühm-
ten „Coinite d'Examen" der I. Haager Konferenz,
dem Professor Zorn, Leon Bourgeois.
Staatsminister A s s e r , Staatsminister Des-
camps, Andrew D. White, Baron
d'Estournelles de Constant und an-
deren an dem Haager Werk beteiligten Männern
vorgelegt, die ja die beste Auskunft hätten
bieten können, sondern einer Reihe der Sache
ziemlich fernstehender Männer. Die ganze
Fragestellung läßt darauf schlie-
ßen, daß man es auf eine richtige
„Verulkung" abgesehen hatte, nicht
minder auch die Auswahl der Personen, die man
zu Begutachtern einer völkerrechtlichen Ein-
richtung machen wollte. Unter den Beant-
wortern befinden sich die Humoristen Oskar
Blumenthal, Johannes Trojan, Ju-
lius Bauer, Jerome K. Jerome, „der
berühmte französische Karrikaturist" Char-
les Leandre, „der geistreiche Chefredak-
teur des römischen Witzblattes /JTravaso', Carlo
Montanti, „der bekannte römische Satiriker"
Dr. Gustav Nesti, „der lustige Mailänder
Aesthet" Luigi Bottazzi, dann „der be-
kannte holländische Gynäkologe, dessen schlag-
fertiger Witz seinen deutschen Kollegen von
manchen Kongressen bekannt sein dürfte", Dr.
T r e u b usw.
Man merkt die Absicht und man wird
verstimmt, auch wenn man dann unter der
Masse der antwortenden Sachunverständigen,
der Generale, Maler, Chirurgen, Bakteriologen.
Vertreter einer Telegraphenagentur ( !) usw. auch
eine Handvoll Pazifisten findet, wie Bajer, Gobat,
Avebury (von deutschen Pazifisten nur Dr. Ed.
Loewenthal !). Sieht man doch, daß es sich
darum handelte, die Verunglimpfung eines der
größten Kulturwerke der Geschichte den 500 000
Lesern des „Lokalanzeigers" als Festbraten vor-
zusetzen. Ein solches Gebaren ist traurig!
Ein Fasttag für den Frieden. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :
Eine recht interessante Friedenskundgebung
haben die Chassidim (eine jüdische Sekte) von
Lemberg gewählt. Als in den Zeitungen die
Nachricht erschienen war, daß die Friedens-
verhandlungen zwischen der Türkei und den
Balkanstaaten am Freitag, den 13. in London
eröffnet werden sollen, haben die Rabbiner
sämtlicher chassidischer Bethäuser von Lem-
berg am Donnerstag beim Morgengottesdienst den
Freitag als Fasttag proklamiert. Tat-
sächlich haben zahlreiche Juden in Lemberg an
jenem Freitag gefastet und in den Bethäusern
S pe z ialgebe t e um das Zustande-
kommen des Friedens, von welchem
auch die Ruhe in Europa abhängt, verrichtet.
Dieser Friedensfasttag der galizischen Juden-
sekte ist ein schönes Gegenstück zu der Ein-
richtung des „Friedenssonntag" in den anglika-
nischen Kirchen.
DIE FßlEDENS-^ADTE
3
Die„Vermehrung der internationalen Reibungsfläche n",
Ein neues Schlagwort ist wieder einmal
aufgetaucht, das eine große Verwirrung an-
zurichten geeignet ist. Die Vermehrung der
internationalen Beziehungen zwischen den
Völkern der Erde, der regere Handelsaustausch,
der ständig wachsende Weltverkehr, kurzum
die zunehmende Internationalisierung der Welt,-
so argumentiert man neuerdings, habe keines-
wegs die Wirkung gehabt, daß die Völker ein-
ander innerlich nähergebracht worden sind,
sondern ganz im Gegenteil: es hat nur eine
„Vermehrung der internationalen
Reibungsflächen" stattgefunden, d. h. die
Zahl der Gegenstände, um die die Nationen
streiten können, ist durch die moderne welt-
wirtschaftliche Entwicklung nur vergrößert wor-
den! Zum Belege solcher Behauptungen führt
man mit Vorliebe die „deutsch-englische
Spannung" an, die überhaupt erst durch den
„Kampf der beiden Nationen um die Vormacht-
stellung auf dem Weltmarkte" und die Mannig-
faltigkeit ihrer divergierenden Interessen in
wirtschaftlicher Beziehung entstanden sei. Die
Zunahme gegenseitiger Handels- und Verkehrs-
beziehungen erhöhe daher nur die Kriegs-
gefahr zwischen den Nationen, statt sie zu ver-
ringern.
Friedrich Naumann hat diesem Gedanken
auf dem Mannheimer Parteitage der Fortschritt-
lichen Volkspartei Ausdruck gegeben, zahlreiche
Zeitungen haben ihn wiedergegeben und neuer-
dings ist er auch in einer nationalökonomischen
Vorlesung einer süddeutschen Universität aus-
gesprochen worden.
Wenn dieser Gedankengang richtig wäre,
hätte er vielleicht nicht solche Verbreitung ge-
funden. Denn gerade in Fragen, die den Pazifis-
mus berühren, beliebt man häufig, sich in etwas
unklaren Gedankengängen zu bewegen, gerade,
als ob es darauf ankäme, nur ja keine Ent-
wicklungstendenzen in der Richtung zum Frie-
den oder zum Internationalismus aufkommen
zu lassen.
Es wäre schon ein wenig bitter für
die Pazifisten, wenn durch ihr ganzes Ein-
treten für internationale Organisation, für den
Internationalismus auf allen Gebieten des Lebens
nichts anderes erreicht würde, als jene verhäng-
nisvolle (oder erwünschte?) „Vermehrung der
internationalen Reibungsflächen", die nur den
Frieden gefährdet statt ihn zu fördern. Die so
sprechen, glauben offenbar, daß die Entwicklung
auf halbem Wege stehen bleibe. Sie übersehen,
daß in der ganzen Geschichte der Menschheits-
und Kulturentwicklung gerade die „Vermehrung
der Reibungs flächen" unter den Menschen es
war, die sie die Gemeinsamkeit ihrer Interessen
erst recht erkennen ließ, die sie zum Zusammen-
schluß überhaupt erst veranlaßt hat. Beseiti-
gung von Reibungsflächen ist von jeher, viel-
leicht sogar der einzige und hauptsächliche An-
trieb zur Organisation gewesen; alle Kultur
läßt sich darauf zurückführen! Auf jeden Fall
scheint mir wenigstens das neue Schlagwort
von der Vermehrung der internationalen.
Reibungsflächen ein verhängnisvoller Trugs chuß
zu sein, dem nicht entschieden genug entgegen-
getreten werden kann. Dr. J. Mez.
Die Vertreibung der Türken aus Europa. :: :: :;
H. W. Vor allem Podebrad hat zuerst
in klarer Weise die Vertreibung der Türken aus
Europa gefordert. Der von ihm befürwortete
christliche Fürstenbund hatte u. a. die Ver-
drängung des Islams aus Europa zum Zweck.
Nach Schücking war ja überhaupt das Vor-
drängen der Türken vor allem durch den Zerfall
der Christenheit veranlaßt worden. Deshalb
wollte man deren Einheit dadurch wiederher-
stellen, daß man ihr ein großes Ziel, näm-
lich den Kampf gegen die Türken, gab. „Einst,'"
so heißt es in Podebrads Buche, „war die
Christenheit blühend, mächtig und über weite
Länder verbreitet. Nicht weniger als 117 große
Königreiche gehörten ihr an, ja selbst das Grab
des Erlösers lag in ihrem Gebiete. Niemand
würde gewagt haben, ihr offen die Stirne zu
bieten. Längst aber hat sich das geändert.
Sind doch von jenen 117 Reichen kaum 16
übriggeblieben, seit Mohammed sein Volk zum
Unglauben verführte. Haben ia doch in aller-
letzter Zeit die Türken Griechenland erobert,
Konstantinopel erstürmt." Mit Recht betont
Schücking (Die Organisation der Welt,
S. 34), wieviel Wahres an diesen Worten sei
und auch heute noch die türkische Unkultur
ihren Bestand in Europa lediglich der Uneinig-
keit der Mächte verdanke.
Da somit der Gedanke der Vertreibung der
Türken aus Europa, auch in Anbetracht der
überragenden Bedeutung des Christentums, sehr
nahe lag, so ist es verständlich, daß er sich
noch bei anderen Schriftstellern findet, bei
Campanella de la Noue und insbesondere
S u 1 1 y, dessen christliche Republik vor allem
die Vertreibung der Türken aus Europa bewirken
sollte. Nach dem Projekte des Abbe de
Saint Pierre sollte dagegen der neue Bund
nicht gegen die Türken vorgehen, sondern mit
ihnen ein Bündnis zu schließen suchen.
Am allereingehendsten hat von den früheren
Schriftstellern jenen Plan der Kardinal
Alberoni behandelt und schon der Titel
seines Buches kündet besonders deutlich da,s
Ziel, auf das er hinaus will: „Vorschlag, das
türkische Reich unter der christlichen
Potentaten Botmäßigkeit zu bringen." (1736.)
Es ist interessant, daß Alberoni kürzlich
gerade einen bekannten und hervorragenden Di-
plomaten eines der Staaten des Balkanbundes
zum Geschichtsschreiber gefunden hat. In seiner
bereits auf S. 344 und 355 dieser Zeitschrift
(1912) warm empfohlenen Schrift „Le Cardinal
Alberoni Pacifiste" gibt uns V e s n i t c h, der
ausgezeichnete serbische Gesandte in Paris,
einen sehr guten Ueberblick über Alberoni»
Plan einer Eroberung und Aufteilung der Türkei.
Alberoni hatte genau bestimmt, wie die
II
I
26
<§=
DIE FRI EDENS -'^ÄRTE
Armee zusammengesetzt sein und welches Land
jeder bekommen sollte. Der deutsche Kaiser
sollte ganz Bosnien, Serbien, Mazedonien und
die Walachei erhalten, Frankreich Tunis,
Spanien Algier, Portugal Tripolis, England
Smyrna und Kreta, Preußen die Inseln Negro-
ponte, Sardinien, Cypern usw. Schließlich sollte
der Herzog von Holstein-Gottorp Kaiser von
Konstantinopel werden und die noch übrig blei-
benden asiatischen Besitzungen der Türkei be-
herrschen.
Neben diesen Plänen einer Vertreibung der
Türken aus Europa geht eine andere Ideen-
reihe, die lediglich darnach strebt, den Türken
das Heilige Land zu entreißen. Dubois hat
diesen Plan zuerst in großen Zügen entworfen.
Er ist auch bis heute in christlich gesinnten
Kreisen nicht eingeschlafen. Trotzdem muß es
wundernehmen, daß im Jahre 1911 der hol-
ländische Völkerrechtsjurist Jonkheer van
Daehne van Varick in seiner Schrift
,,La revolution et la question d' Orient" diese
Idee wieder aufgenommen hat. Die in glänzen-
dem Stile geschriebene Schrift sagt, die euro-
päischen christlichen Mächte müssen wieder ein
großes Ziel haben, und dieses besteht in der
Wiedereroberung des Heiligen Landes. Unter
Bezugnahme auf die Kreuzzüge predigt er einen
Kreuzzug gegen die Türken. Man mag über
dieses Buch (besprochen auf S. 268 der Frie-
denswarte, 1911) denken, wie man will. Es
wird nicht zu leugnen sein, daß der Verfasser
die nahende Revolution auf dem Balkan richtig
vorausgesehen hat.
Auch das ist eigenartig, daß van Daehne
in seinem Buche auf die syrische Frage hin-
weist und daß dieses Problem ebenfalls nach
Erscheinen seiner Schrift aktuell geworden ist.
Namentlich Br e y s i g hat im „Tag" ganz offen
gefordert, Deutschland solle sich Syriens be-
mächtigen. Ebenso will van Daehne in
seinem Buche, daß ein hohenzollernscher Prinz
über Syrien herrsche.
So liegt diesen eigenartigen Gedanken-
gängen, wie wenig sie auch zum Teil mit der
pazifistischen Weltanschauung übereinstimmen,
doch mancher interessante Gedanke zugrunde.
Kleine Mitteilungen. :: :: :: :: :: :: ::
Unser Mitarbeiter Dr. Hans Wehberg in
Düsseldorf hat einen schweren Verlust er-
litten. Am 16. Dezember starb sein Vater, Dr.
med. Heinrich Wehberg, im 58. Lebens-
jahr. Was Wehberg damit verloren hat, geht
am besten aus einer Stelle eines Briefes hervor,
den er an den Herausgeber richtete. Sie lautet:
,,Ich verdanke meinem Vater außerordentlich
viel. Er war eine Persönlichkeit von seltener
Größe der Gesinnung. Seine Erziehung war
immerfort darauf gerichtet, daß man für das
Wohl der Menschheit wirken müsse. Männer,
die nur dem Gelderwerbe und ihrem Wohlsein
lebten, nannte er Nullen. In der Geschichte der
deutschen Bodenreformbewegung hat mein
Vater eine Rolle gespielt und ist in seinen
Schriften auch wiederholt für die Friedens-
bewegung eingetreten." Das Beileid all der
vielen, die Hans Wehberg in diesen Blättern
schätzen gelernt haben, ist ihm gewiß. — Die
schwedische Schriftstellerin Lotte von
Kram er, die vor kurzem starb, testierte eine
Million Kronen, die teilweise der Förderung
der Friedensbewegung zugute kommen soll.
— Die Feier zum 80. Geburtstag Geh. Rat Prof.
W i 1 h. Försters fand am 30. Dezember in
den Räumen des Bürgersaales des Berliner Rat-
hauses statt, wo der Gefeierte selbst einen Vor-
trag über ,,Die Erinnerungswelt der Mensch-
heit" hielt. Darauf folgte die Feier, die durch
einen von Ludwig Fulda gedichteten Prolog
eingeleitet wurde. — Professor Richett
feierte anfangs Januar im intimen Kreise sein
25 jähriges Jubiläum als Inhaber des Lehr-
stuhles für Psychologie an der Pariser medi-
zinischen Fakultät. — In der Dezember-
nummer des „Advocat of Peace" wird die ver-
nünftige Forderung aufgestellt, daß das erste
Schiff, das bei der Eröffnung durclrden Panama-
kanal fahren soll, kein Kriegsschiff,
sondern ein Handelsschiff sein soll.
— Der bisherige Sekretär der „Ame-
rican Society f o r Judicial S e 1 1 1 e -
in e n t o f International Dispute s", Mr.
Theodore M.a rburg aus Baltimore
wurde als Gesandter der Vereinig-
ten Staaten nach Brüssel versetzt.
— Die deutsche Abteilung der von Sir Ernest
Cassel in London ins Leben gerufenen König
Eduard VII. Britisch-Deutsche-Stiftung hat in
Hamburg eine Bibliothek für englische
Kultur gegründet, die dem dortigen Seminar
für englische Sprache und Kultur angegliedert
werden soll.
AUS DEB BEWEGUNG
Felipe Moscheies' 80. Geburtstag. :: :: :: :: ::
Am 8. Februar 1833 wurde zu London
Felix Moscheies geboren. Es bietet sich die
Gelegenheit, einen der unentwegtesten und
ausgezeichneten .Werber für die Sache des
Pazifismus in würdiger Weise zu ehren.
Wer die Weltfriedenskongresse der
letzten zwanzig Jahre besucht hat, wird
den kleinen Mann mit dem lächelnden Blick,
das von einem weißen Bart zart umrahmte
Antlitz in Erinnerung haben, der, immer ein
Witzwort auf den Lippen, stets auf dem
Posten stand, wenn es galt, mit Nachdruck
für etwas einzutreten. Wer gar das Glück
hatte, Moscheies näher zu kennen, mit ihm
zu plaudern, aus dem Schatz seiner Er-
fahrungen und Menschenkenntnis ihn er-
zählen zu hören, oder mit ihm durch sein
malerisches Künstlerheim in Chelsea zu wan-
27
DIE FRIEDENS -^/ADTE
G)
dem, der wird für sein ganzes Leben die
Erinnerung an diesen prachtvollen Edel-
menschen als kostbares Wertstück in sich
tragen.
Daß Felix Moscheies, der einst die
Suttner in die Friedensbewegung einführte,
wie man in ihrer launigen Schilderung in
ihren Memoiren nachlesen kann, schon
80 Jahre alt wird, wird viele wundern, die
sich erinnern, wie frisch und tapfer er mit-
arbeitet, wie jugendstark er im „Concord"
die Feder führt. Aber es ist Tatsache, daß
er nunmehr in die Reihen unserer Pa-
triarchen tritt. Möge er — nun der Doyen
der Bewegung in Europa — 'diese ehr-
würdige Rolle noch lange Jahre innehaben.
Wir brauchen ihn.
Was Moscheies gearbeitet hat, wie er
sich entwickelte, wie er mit der Feder, mit
dem Pinsel und mit dein ,,verda stelo" im
Knopfloch für uns wirkte, lese man im
„Handbuch der Friedensbewegung", II. Teil,
Seite 381, nach. Die Eingeweihten der Be-
wegung werden dies aber nicht nötig haben.
Sie senden nach dem „Grelix-Heim" in
London ihren innigsten Dank, ihren herz-
lichsten Glückwunsch. Vivu!
MB
Richard Feldhaus 600. Friedensvertrag. :: :: ::
Richard Feldhaus ist eine der mar-
kantesten Erscheinungen in der deutschen
Friedensbewegung. Seit 20 Jahren, seitdem
er den Roman „Die Waffen nieder" der
Baronin Suttner gelesen, tritt er standhaft
für die Friedensbewegung ein. Ein zweiter
Peter von Amiens, reiste er von Stadt zu
Stadt — oft weit über die Grenzen Deutsch-
lands hinaus — , um den Kreuzzug gegen
den Krieg zu predigen. So hat er vor
Tausenden und Tausenden seiner Hörer die
Friedensidee gepredigt, das Denken an-
geregt und den pazifistischen Gedanken zur
Ausbreitung gebracht. Er wurde geradezu
der Quellfinder für die Deutsche Friedens-
gesellschaft, der er einen großen Teil ihrer
Mitglieder zugeführt hat. Die Centrale der
Deutschen Friedensgesellschaft ließ es sich
daher auch nicht nehmen, den 600. Vortrag,
den Feldhaus demnächst halten wird, unter
ihr Protektorat zu stellen und ihn mit
einer kleinen Festfeier zu verbinden. Die-
ser Vortrag wird am 13. Februar d. J. im
Bürgermuseum in Stuttgart stattfinden. Das
Vortragsprogramm für diesen Jubiläums-
abend lautet: „Die Lehren des Bal-
kankriegs"; erläutert durch viele Licht-
bilder. — Rezitationen von Schriften der
Suttner und aus L a m s z u s. Wir be-
glückwünschen Feldhaus aus Anlaß seines
Jubiläums zu seiner Arbeit und zu seinen
Erfolgen. Möge er sich an dem stolzen Be-
wußtsein erfreuen, als einer der deutschen
Friedensarbeiter der ersten Stunde an dem
großen Werke der Menschheitserweck ung
erfolgreich mitgearbeitet zu haben.
MB
Drei Tote. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ;: :: :: ::
Albert K. Smiley. — Graf Leonid
Kamarowsky. — John L u n d.
In den letzten Wochen hat die Friedens-
bewegung wieder schwere Verluste erlitten. Drei
hervorragende Kämpen sind heimgegangen.
Am 2. Dezember starb in Redlands in Kali-
fornien Albert K. Smiley, der Begründer
und Führer der Lake-Mohonk-Konferenzen, die
sich bereits eines Weltrufes erfreuen. Smiley
war am 17. März 1828 in Vassalboro im Staate
Maine geboren; er hat demnach ein Alter von
84 Jahren erreicht. Er war ein hervorragender
Pädagoge und Gründer verschiedener der
höheren Bildung dienender Institute. Viel tat
er für die Erhaltung der Indianer in seinem
Vaterlande. Im Jahre 1869 siedelte er sich
am Lake Mohonk im Staate New York an.
wo er ein umfangreiches, inmitten herrlicher
Parkanlagen gelegenes Sommerhotel errichtete.
Es wurde dort nicht jeder Gast aufgenommen.
Die Enthaltsamkeit von alkoholischen Ge-
tränken war eine Bedingung. Im Jahre 189.')
berief er nach diesem Landsitz zum ersten
Male eine große Anzahl hervorragender Männer
und Frauen der Vereinigten Staaten zu einer
Erörterung über die Frage des internationalen
Schiedsgerichts. Diese Konferenz war von
solchem Erfolge begleitet, daß sie fortab jähr-
lich abgehalten wurde. Im Mai 1912 fand die
XVIII. Lake-Mohonk-Konferenz statt, wie sie
allgemein bezeichnet werden. Smiley hat dafür
gesorgt, daß diese Konferenzen mit seinem Ab-
leben nicht verschwinden werden.
Graf Leonid Kamarowsky, der An-
fang Januar jn Moskau Btarb, war ein bekannter
Völkerrechtsgelehrter und hervorragender Ver-
treter des Friedensgedankens. Er wurde am
15. März 1816 in Kasan geboren. Jahrelang
bereiste er Rußland und hielt dort öffentliche
Vorträge über die „Entwicklung und Organisa-
tion des Friedens in der modernen Gesell-
schaft", das „Problem der Abrüstung", die
„Humanisierung des Krieges", über den Ersatz
des Krieges durch ein Rechtsverfahren, und
über „Die Fortschritte der Schiedsgerichtsbar-
keit". Im Jahre 1873 war er Mitbegründer des
„Institut de Droit international". Seit Jahr-
zehnten wirkte er als Lehrer des Völkerrechts
an der Universität Moskau. Er wurde von der
russischen Regierung als eines ihrer Mitglieder
in den Haager Schiedshof gewählt und nahm
an der im Jahre 1909 begründeten Moskauer
Friedensgesellschaft die Vizepräsidentenstelle
an. Aus zahlreichen Briefen, die Kamarowsky
im Laufe der Jahre an den Herausgeber dieser
2i
@s
DIE FßlEDEN5-^^ßTE
Blätter gerichtet hat, geht hervor, welch hin-
gebungsvoller Freund des Fortschritts durch
den Weltfrieden der Menschheit mit ihm zu
Grabe getragen wurde. K. hat viele völker-
rechtlichen Schriften verfaßt, von denen sein
Buch über „Das internationale Tribunal" einen
Ehrenplatz in der Völkerrechtswissenschaft ein-
nimmt, auf die es von maßgebendem Einfluß
war. Sein letztes — 1905 erschienenes Werk
— galt dem „Problem der internationalen Orga-
nisation".
Mit großem Schmerze vernahm man von
dem am 8. Jan. 1913 in seiner Vaterstadt
Bergen erfolgten Hinscheiden John Lunds,
des hervorragenden norwegischen Politikers, des
großen und standhaften Verfechters der
Friedenssache. Er wurde am 9. Okt. 1812
geboren. Fünfzehn Jahre lang war er Vertreter
seiner Vaterstadt im Storthing, davon 7 Jahre
als Präsident des Lagthing und einige Jahre
lang als Präsident der Eisenbahnkommission.
Er hat seit 1890 an allen interparlamentarischen
Konferenzen (mit Ausnahme der von 1897 und
1912) teilgenommen und war auf diesen Kon-
ferenzen bis 1900, während er Mitglied des
Storthing war und außerdem 1904 in St. Louis,
Wortführer der norwegischen Delegation. L.
war das erste Mitglied der interparlamenta-
rischen Union, das über die Verhandlungen
der interparlamentarischen Konferenzen (von
1890 bis einschließlich 1900) seinem Parlament
offiziellen Bericht erstattete. Er war Organi-
sator der interparlamentarischen Konferenz von
1899 zu Christiania und deren Präsident. Seiner
Initiative ist es zu danken, daß das Storthing
als erste offizielle Körperschaft das Berner
interparlamentarische Amt durch einen jähr-
lichen Geldbetrag unterstützte. Zur interparla-
mentarischen Konferenz in St. Louis wurde L.
als einer der Vertreter der interparlamenta-
rischen Gruppe des Storthing gewählt und er-
hielt gleichzeitig vom Nobelinstitut in Christia-
nia den Auftrag zum Studium der amerika-
nischen Friedensbewegung. Er schrieb eine Reihe
politischer Artikel in norwegischen und aus-
ländischen Zeitungen, und veröffentlichte die
aus Anlaß der zu Christiania (1899) statt-
gehabten Interparlamentarischen Konferenz
veröffentlichte Festschrift. Lund war Ehren-
mitglied des Interparlamentarischen Rats und
Vizepräsident der Nobelkommission des nor-
wegischen Storthings. In der Rede, die er an
dem im Jahre 1909 Moneta zu Ehren ge-
gebenen Nobelbankett hielt, brachte er die
Grundzüge zum Ausdruck, die ihn bei der Ver-
leihung der Nobelpreise leiteten. Im Oktober
vorigen Jahres feierte er — schon kränkelnd —
seinen 70. Geburtstag. In diesen Blättern wurde
aus diesem Anlaß auf seine großen Verdienste
hingewiesen. Sein Vaterland hat einen aus-
gezeichneten Bürger, die Menschheit einen be-
wunderungswürdigen Menschen, die Friedens-
bewegung einen ihrer unermüdlichen Vorkämpfer
verloren.
Resolution des Ceniralvorstandes des Ver-
bandes für internationale Verständigung.
Angesichts der erfreulichen Tatsache, daß
sich in der gegenwärtigen kritischen Zeit die
Mächte der Triple-Entente mit denen des Drei-
bunds zu gemeinsamer Arbeit für die Erhaltung
des europäischen Friedens zusammengefunden
haben, spricht der Verband für internationale
Verständigung die Hoffnung aus, daß diese ge-
meinsamen Bemühungen erfolgreich sein werden,
indem auf einer europäischen Staatenkonferenz
auch widerstreitende Interessen einzelner Mächte
einen Ausgleich finden, der der Natur der Dinge
entspricht und dadurch die notwendigen Garan-
tien für die künftige politische Gestaltung der
Verhältnisse auf dem Balkan in sich birgt. Wir
sind überzeugt, daß diese Zusammenarbeit auch
die zukünftigen Beziehungen der europäischen
Mächte zueinander, insbesondere von Deutsch-
land und den Westmächten, auf das glück-
lichste beeinflussen wird.
von Ullmann. Nippold. Schücking.
Pilot y. Maier.
LITERATUR UPBESSE
Der Koloß von Brüssel.
Das Buch, das ich als Koloß von Brüssel
bezeichne, kann in viel höherem Maße den An-
spruch erheben, als Weltwunder zu gelten, als
im Altertum der Koloß von Rhodos. Warum
Koloß? Es umfaßt im Lexikonformat wohlge-
zählte 2652 Seiten und wiegt gebunden über
viereinhalb Kilo, i Aber nicht nur in seinen
Dimensionen ist es ein Koloß, es kündet auch
durch seinen Inhalt etwas Kolossales. Ich
spreche von dem neuen Band des „A n n u a i r e
de la vie internationale" (1910 bis
1911)*), der soben verausgabt wurde, jenem
Brennspiegel des internationalen Lebens der
Gegenwart, dem Heiligen Buch der Weltorgani-
nation, dem beweiskräftigen Dokument der
wachsenden Gemeinschaftsarbeit der Mensch-
heit. Ein Buch, das wir Pazifisten gegen den
Ansturm der Chauvinisten, der Gewaltanbeter,
der Utopisten vom ewigen Krieg als unein-
nehmbares Bollwerk werden benützen können,
in dessen Zeichen die Lehre von der sich
organisierenden Welt unfehlbar siegen muß.
Das „Annuaire" stellt sich als eine Samm-
lung beschreibender und dokumentierter Einzel-
abhandlungen über 510 gegenwärtig be-
stehender internationaler Organi-
sationen dar. Dabei enthält es auf seinen
*) „Annuaire de la vie inter-
nationale. Unions, Associations Instituts,
Commissions, Bureaux, Offices, Conferences,
Congres, Expositions, Publications. Publie pour
l'Union des Associations Internationales avec
le concours de la Fondation Carnegie pour
la paix internationale et de l'institut inter-
national de la, Paix. Second Serie. Volume II.
1910—1911. Lex. 8°. Bruxelles 1913. Office
central des Associations Internationales, rue de
la regence 3 bis 2652 SS. Hbfrzbd. 40 Fr.
29
DIE FRIEDENS -^/APTE
3
2652 Seiten nicht etwa die vollständige Beschrei-
bung jener Organisationen, sondern nur die Er-
gänzungen über die bereits in dem vorher-
gehenden, 1550 Seiten umfassenden Band ent-
haltenen Daten, nebst jenen, allerdings sehr
zahlreichen Organisationen, die in dem vor-
liegenden Band neu aufgenommen wurden. Es
ist ein Beweis des ungeheuren Wachstums der
internationalen Betätigung, die das kolossale
Buch augenfällig dartut.
Vom Jahre 1909, dem Jahre der vorletzten
Ausgabe des Annuaire, hat sich die Gesamt-
zahl der internationalen Organisationen bis
Februar 1912 (dem Datum des letzten Redak-
tionsanschlusses) von 300 auf 510 vermehrt. Die
Zahl der internationalen Kongresse ist in dem
vorliegenden Buch von 1840—1912 auf 2615 fest-
gestellt worden, wobei erinnert werden muß,
daß eine endgültige Feststellung für die Ver-
gangenheit überaus schwierig ist und die Er-
weiterung der Zahl durch neue Entdeckungen
als sicher angenommen werden kann. Wie sehr
aber die Gemeinschaftsarbeit der Menschheit
auf internationalen Kongressen in steter Zu-
nahme begriffen ist, ergibt sich aus einer dem
Bande beigegebenen statistischen Tabelle. Da-
nach haben an internationalen Kongressen
stattgefunden :
Von 1840—1849 9
„ 1850—1859 20
„ 1860—1869 77
„ 1870—1879 169
„ 1880—1889 309
,, 1890—1899 510
„ 1900—1909 1070
In den Jahren 1910: 181, 1911: 131, 1912: 109.
Nach dieser Tabelle hat sich die inter-
nationale Gemeinschaftsarbeit im ersten Jahr-
zehnt unseres Jahrhunderts gegenüber dem vor-
hergehenden mehr als verdoppelt, dem
vorvorigen gegenüber mehr als verdrei-
facht. Wenn man die Zunahme des zweiten
Jahrzehnts unseres Jahrhunderts nach dem
Durchschnitt der drei ersten Jahre (d. i. 140
per Jahr) berechnet, ergibt sich für diesen
Zeitraum mindestens eine Verdreifachung gegen-
über dem Jahrzehnt 1890 — 1899 und eine Ver-
fünffachung der Zahl der Kongresse gegenüber
dem Abschnitt 1880—1889. Fürwahr, diese
Zahlen bilden einen erlösenden Beweis. Sie
zeigen, wie die Organisation über die Anarchie
siegt, wie trotz der kriegerischen Wirren des
Tages das Friedensprinzip, das in gemeinsamer
Arbeit der Menschheit im Dienste der Kultur
liegt, sich zusehends fortentwickelt. Darum sind
wir berechtigt, den Koloß von Brüssel als eines
der heiligen Bücher der Menschheit zu be-
zeichnen.
Vor mir liegt die erste Ausgabe dieses
Annuaire aus dem Jahre 1905. Ein kleines,
bequem in die Brusttasche zu steckendes Bänd-
chen von 156 Seiten. Vielleicht ist es nicht
uninteressant, daran zu erinnern, was der Her-
ausgeber dieses ersten Bandes vor acht Jahren
in der Einleitung gesagt hat. „Diese Arbeit",
so heißt es dort, „ist nur ein Versuch. Man
kann darin nur die Skizze eines Gemäldes
sehen, das erst auszuführen ist. Es ist un-
möglich, zu Anfang mehr zu tun. Der Heraus-
geber war als Quelle nur auf einige Zeitungen
und auf die Gefälligkeit einzelner Personen an-
gewiesen, die bereit waren, auf seine Anfragen
zu antworten. Unter diesen Umständen konnte
das Werk, dasi er jetzt der Öffentlichkeit vor-
legt, nur unvollständig sein, es soll nur als
der Plan zu einem künftigen Ge-
bäude betrachtet werden. Doch ge-
stattet dieser Plan gewissermaßen anzudeuten,
was der vollendete Bau sein wird. Mit der
Zeit wird dieses Annuaire ein sicherer und voll-
ständiger Eührer des internationalen Lebens
werden."
Das 1905 Angekündigte ist jetzt zur Tat
geworden. Das Annuaire ist von 156 Klein-
Oktav-Seiten zu 2652 Seiten Lexikon-Format an-
gewachsen. Zu seiner Herstellung sind in
einem Jahre mehr als 3000 Briefe ver-
sandt worden und mehr als 4000 Nach-
schlagungen notwendig gewesen. Das Gebäude
steht da, das der Plan vor acht Jahren an-
zeigte. Diese ungeheure Leistung ist den beiden
ausgezeichneten Männern zu danken, die seife
1908 das Werk aus den kleinen Verhältnissen,
unter denen es1 ins Leben gerufen wurde, über-
nahmen, um es auszugestalten, dem bel-
gischen Senator Henri Lafontaine und
Paul Otlet, dem Pfadfinder der neuen
Wissenschaft des Internationalismus. Es ist
aber auch der Carnegiestiftung zu danken, die
diese beiden Männer bei ihrer Arbeit unter-
stützt hat.
Jetzt handelt es sich nur darum, dieses
Monumentalwerk bekanntzumachen. Die Mensch-
heit muß aus ihm erfahren, was sie
in ihrer Mehrheit noch nicht weiß; die füh-
renden Männer vor allen Dingen, die Minister»
Diplomaten, Parlamentarier müssen es erfahren,
daß die Welt sich organisiert. Und deshalb
wünschen wir, daß die Verbreitung dieses
Buches in einer so nachhaltigen Weise durch-
geführt werden möge, wie 'seine Herstellung
sachgemäß zustandegebracht worden ist. Vor
allen Dingen wünschen wir, daß man i n
Deutschland dieses Buch in umfassender
Weise kennen lerne. Dieses Buch, das uns die
internationalisierte Welt zeigt, kann um-
wälzend wirken, es muß, wenn es erst ver-
breitet ist, das Denken und Handeln der Zeit-
genossen beeinflussen. Ein Ziel, das mit aller
Kraft zu erstreben ist. F.
Eine neue japanische Friedenszeitschrift.
Vor uns liegt in gefälligem Oktav-Format
die im Dezember 1912 ausgegebene erste Nummer
der „The Japan Peace Movement", des monat-
lichen Organs der „Japanischen Friedensgesell-
schaft" und der „Amerikanischen Friedensgesell-
schaft von Japan", das an Stelle der früheren
Zeitschrift „Heiwa" getreten ist und seinen
Titel nach der Zeitschrift des Berner Bureaus
gebildet hat. Nach 6 Seiten englischen Textee
folgen 24 Seiten japanischer Text. Das Vorwort
rührt vom Grafen Okuma her, es finden
sich dann noch Artikel von Baron Y. Schi-
busawa, Dr. Charles W. Eliot. T. Ko-
shida, R. Watanabeu. a. Wir wünschen
unserem ostasiatischen Bruderorgan besten
Erfolg.
Besprechungen. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
V. Liszt, Das Völkerrecht, systematisch
dargestellt, neunte Auflage, Berlin 1913,
O. Härinsr, 565 S.
30
<£
DIE FRIEDENS -WARTE
Die Auflagen des Lisztschen Werkes folgen
einander überaus schnell, der beste Beweis
für die große und verdiente Popularität des
Buches. Die Vorzüge des Werkes bestehen be-
kanntlich in der guten Systematik, der klaren
Sprache, der Vollständigkeit der Literatur-
nachweise und vielem anderen. Wir Pazifisten
dürfen dem Werke noch seine fortschrittliche
Gesinnung nachrühmen, die in dem vorliegen-
den Bande besonders hervortritt.
Wir lesen in dem Vorworte zu unserer größ-
ten Freude : „Gerade vom nationalen Standpunkte
aus kann man es nur auf das dringendste
wünschen, daß das Deutsche Reich der unver-
meidlichen Entwicklung sich nicht entgegen-
stemme, sondern daß es an ihre Spitze trete
und die Friedenspolitik, die es seit Jahrzehnten
unter schwierigen Verhältnissen verfolgt hat,
auch in der Mitarbeit an der Weiterbildung
des Völkerrechts betätige. Aufgabe der deut-
schen Vertreter der Völkerrechtswissenschaft
ist es, eine schöne und dankbare Aufgabe, die
Reichsregierung, soweit sie diesen Weg geht,
mit allen Kräften zu unterstützen. Die ent-
gegengesetzte Haltung, die in einzelnen und
hoffentlich vereinzelt bleibenden deutschen
Schriften zum Ausdruck gekommen ist, liegt
nach meiner festbegründeten Ueberzeugung
nicht im Interesse des deutschen Volkes."
Im einzelnen wäre freilich mancherlei zu
bemerken. Z. B. hat die verschiedenartige
Interpretation des Artikels 23h der Anlage
zum Landkriegsabkommen gar keine Feststel-
lung gefunden. Die neuesten pazifistischen
Tendenzen und vor allem die moderne Schieds-
gerichtsbewegung verdienten eine noch ein-
gehendere Berücksichtigung. Leider ist ja wohl
Schückings Werk zu spät erschienen, um noch
verwertet zu werden. Mir scheint ein ganz
neues Kapitel nötig, worin die Ergebnisse der
Haager Konferenzen und ihr Verhältnis zu dem
modernen Pazifismus dargestellt wird.
Wir wünschen dem Lisztschen Werke, das
der deutschen Völkerrechtswissenschaft zur
höchsten Ehre gereicht, eine immer größere
Verbreitung. W e h b e r g.
Bernhardi, Friedrich v.,
Unsere Zukunft. Ein Mahnwort an das deut-
sche Volk. 6. und 7. Tausend. 8°. Stuttgart
und Berlin 1912. J. G. Ootta. 154 S.
Der Verfasser von „Deutschland und der
nächste Krieg", beschert uns wieder ein inter-
essantes Buch, das uns wertvolle Aufschlüsse
über die politische Denkmethode gewisser
Kreise liefert. Um diesen Ozean von Irrtum
zu widerlegen, müßte man ein ganzes Buch
schreiben, eine Bibliothek. Man hat sie eigent-
lich schon geschrieben ; denn v. Bernhardi bringt
keinen Gedanken vor, der nicht schon wider-
legt wäre. Mit erfreulicher Offenheit tritt er
der Friedensbewegung entgegen: „Diesen Be-
strebungen muß der Boden unter den Füßen
entzogen werden", meint er S. 56. Wie wollen
Sie das nur machen, Herr General? Sie meinen,
die Friedensbewegung ist eine Erfindung. Das
ist sie nicht. Sie ist ein Produkt der Tat-
sachen, die die Welt beherrschen. Ich wüßte
ein Mittel, die Friedensbewegung zu beseitigen.
Es gibt nur das eine : Zerschlaget alle Maschinen,
zerstört alle Eisenbahnlinien, zerschneidet alle
Telegraphen- und Telephondrähte, alle Kabel,
verbietet jede technische Erfindung — und der
Friedensbewegung ist „der Boden entzogen".
Kann man das nicht, dann wird sie bestehen
bleiben und unaufhörlich und ungeheuer
wachsen.
In dem Kapitel „Die soziale und politische
Bedeutung des Krieges" wird der Krieg als
biologische Notwendigkeit dargestellt. Wir
wissen, daß der Krieg eine verkehrte Auslese
zeitigt und die Völker degeneriert. Der Ver-
fasser geht von der falschen Prämisse aus.
daß, weil der „Kampf der Vater aller Dinge
ist, der Krieg unentbehrlich sei. Wie oft haben
wir es bewiesen, daß der Krieg nur eine und
die unrichtigste Form des Kampfes ist, daß wir
kämpfen, ohne gelegentlich in einem halben
Jahrhundert Menschenknochen zu zertrümmern,
und daß schließlich der Kampf auch nicht der
Vater aller Dinge ist, sondern in ebenso
hohem Grade auch die gegenseitige Hilfe.
Der Kampf ist nur dann lebenspendend, wenn
er sich gegen die Umwelt, aber nicht, wenn
er sich gegen die eigene Art wendet.
Sehr neu und ein bißchen gewagt erscheint
mir die Erklärung des Verfassers, warum „die
Friedensbewegung einen so bedeutenden Ein-
fluß gewinnen konnte, wie sie ihn heute tat-
sächlich erreicht hat". Warum? General
v. Bernhardi sagt es uns : „Diese Tatsache
erklärt sich zum Teil dadurch, daß hinter
ihr sehr bedeutende Privatinter-
essen stehen, die teilweise mit
einem gewaltigen Kapital ar-
beite n." (! ) Die Eingeweihten, die so oft
über den 50-Pfennig-Pazifizismus, wie wir ia
ßelbstironie unsere finanziell so arme Bewegung
genannt haben, klagten, werden sich eines
Lächelns nicht erwehren können. Das wagt man
einer Bewegung gegenüber zu behaupten, die
gegen einen Feind ankämpft, dem jährlich
20 Milliarden zur Verfügung stehen, also das
Zehntausendfache, das die Carnegie-
stiftung jährlich zu vergeben hat. Darüber ist
wahrlich kein Wort weiter zu verlieren.
Interessant ist es auch, daß der Verfasser
die große Ausdehnung der Friedensbewegung
in den Vereinigten Staaten begreiflich findet.
Das Selbstbewußtsein, das die ruhmvoll er-
fochtene Unabhängigkeit den Amerikanern
gibt, die fehlende Voraussetzung einar Ueber-
völkerungsgefahr, die reichen Naturschätze des
Landes, die Möglichkeit der Muskelstärkung im
Kampfe gegen eine noch nicht überall unter-
worfene Natur, dies alles läßt es ihm natürlich
erscheinen, „daß die Bevölkerung dieses Landes
der Friedensbewegung im allgemeinen sym-
pathisch gegenübersteht . . ." Dann heißt es:
„ W ie anders steht Deutschland da!"
— Wir brauchen die Darlegungen hier weiter
gar nicht zu verfolgen. Es genügt uns, den
Verfasser hier auf einen Grundirrtum auf-
merksam zu machen : Es gibt wohl eine Friedens-
bewegung in Deutschland, aber keine deutsche
Friedensbewegung. Hätten wir in Deutschland
eine isolierte Friedensbewegung, dann wäre sie
sicherlich ein Verbrechen am deutschen Volke.
Die Gegner der Friedensbewegung übersehea
aber immer, daß die Friedensbewegung inter-
national ist, und daß sie nur als solche ins
Auge gefaßt werden darf. Dann ergibt sich ein
ganz anderes Bild. Dann ist das gut, waa
unter der falschen Voraussetzung schlecht er-
DIE FßlEDEN5-^\^DTE
3
scheint. Wenn z. B. die Friedensbewegung den
kriegerischen Geist hemmt, so wäre dies ein
Verbrechen, wenn das nur für Deutschland zu-
träfe, aber eine Wohltat — eine Wohltat für
Deutschland — , wenn dies in der ganzen Welt
der Fall ist; denn dann fallen jene Voraus-
setzungen, aus denen der Verfasser die Not-
wendigkeit der steten Kriegsbereitschaft des
Reiches herleitet. Und ein unparteiischer Ueber-
blick muß dem Pazifistengegner sagen, daß —
abgesehen von den Ländern des Ostens — die
Friedensbewegung in allen Ländern höher ent-
wickelt ist als in Deutschland. Das ist beweis-
bar! Und statt die Friedensbewegung zu ver-
dammen, sollte man sie gerade vom Stand-
punkte des Patriotismus hoch halten.
Der Verfasser kennt' den modernen Pazifis-
mus nicht, denn er weist seine Unhaltbarkeit
durch eine Kritik der Schiedsgerichtsbarkeit
nach. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist nicht das
Allheilmittel ; das sagen wir oft genug. Sie
ist ein Friedensmittel unter hundert anderen.
Aber — wie eingangs erwähnt — man müßte
die Bücher alle noch einmal schreiben, die wir
schon geschrieben haben, um den General zu
widerlegen. Wozu? Er wird die Weltent Wick-
lung nicht ändern. Und wenn er uns das ein
Jahrhundert alte Wort entgegenruft : „Das letzte
Heil, das Höchste liegt im Schwerte", so
können wir ihm nur ein neueres Wort entgegen-
stellen, das da lautet: „Der Friede ist die
Funktion der Kultur". A. H. F.
Mfet
Angell, Norman,
Peace Theories and the Balkan War. 8 °.
London 1912. Horace Marshall & Son. 141 S.
Cloth.
Der Verfasser der „Großen Täuschung"
benutzt den Balkankrieg als Demonstrations-
objekt für die Darlegung der pazifistischen
Theorie. Das vorliegende Buch ist eine Streit-
schrift gegen jene, die den Ausbruch des
Balkankrieges als einen Zusammenbruch aller
pazifistischen Lehre bezeichneten, und die sich
veranlaßt sahen, zu behaupten, daß der Krieg
doch ein gutes Mittel sei.
Norman Angell legt dem gegenüber dar,
daß es keinem vernünftigen Pazifisten ein-
gefallen ist, den Krieg als unmöglich hin-
austeilen. Die Täuschung liegt nicht in der
Unwahrscheinlichkeit des Krieges, sondern in
seinen Vorteilen. Der Krieg ist nichtig, und
die Gewalt ist kein Mittel. Das beweist eben
der Balkankrieg. Die Türken sind es, die seit
400 Jahren das Gewaltsystem auf der Balkan-
insel praktizierten, und die jetzt die Nichtig-
keit dieses Systems kennen lernen. Der Krieg
der Balkanvölker ist nur eine Auflehnung gegen
dieses System. Die Auflehnung gegen die Ge-
walt ist nicht Krieg in dem Sinne, in dem
die Pazifisten wirken. Der Gendarm, der den
Räuber mit denselben Mitteln unschädlich
macht, wie der Räuber vorher den friedlichen
Wanderer, wird durch diese Handlung nicht
zum Räuber. Die Balkanvölker würden anti-
pazifistisch handeln, wenn sie den Spieß um-
kehren und nun ihrerseits ein System der Ver-
gewaltigung und Ausbeutung den Türken gegen-
über geltend machen wollten. Die Eroberung
war das ökonomische Prinzip der Türken, und
dieses sehen wir jetzt auf dem Balkan zu-
sammenbrechen.
Das vorliegende Buch Angells ist nicht
weniger interessant und wichtig wie sein großes,
in der ganzen Welt bekannt gewordenes Werk.
Von besonderer Wichtigkeit sind seine Aus-
führungen in dem Schlußkapitel, „Was müßten
wir tun?" betitelt. Guter Wille allein genügt
nicht. Gesunde Ideen breiten sich nicht von
selbst aus. Sie müssen von Menschen aus-
gebreitet werden. Die öffentliche Meinung
muß umgewandelt werden, denn die Regierungen
sind nur die Verkörperung der allgemeinen
öffentlichen Meinung. Eine ständige Organi-
sation der Propaganda muß diesen Wandel in
einem halben Menschenalter hervorbringen
können, eine Revolution des Geistes, die größer
sein wird, als' die der Reformation. „Eine der-
artige Organisation hat kaum begonnen. Dio
Friedensgesellschaften haben hervorragende
Dienste geleistet und leisten sie noch, aber,
um die große Masse zu erreichen, müßten
Instrumente von viel größerer Wirkungskraft in
Anwendung kommen." Angell führt dann sein
Programm aus. An hundert Punkten gleich-
zeitig muß das Werk angefaßt werden. Als
eines dieser Mittel bezeichnet der Verfasser die
Errichtung von Lehrstühlen für die inter-
nationale Staatskunst an allen Universitäten.
„W ährend wi r", so führt er glänzend aus,
„Lehrstühle zur Erforschung des
Wesens der Insekten - Verwandt-
schaften besitzen, haben wir keine
zur Erforschung des Wesens der
Beziehungen der Menschen in ihren
politischen Gruppierungen." Er will
die englische Flotten-Liga und den deutschen
Flottenverein zu Friedensorganisationen um-
wandeln, indem er sie veranlaßt sehen will,
statt die Erhöhung der Schiffs zahl, des Schiff s-
umfanges und der betreffenden Armierung zu
erstreben, festzustellen, wie, warum und wann
und unter welchen Bedingungen diese Waffen
verwendet werden sollen. Er verlangt, daß die
politischen Parteien Englands und Deutschlands
in London und Berlin wechselseitige Vertreter
unterhalten sollen, damit sie sich gegenseitig
von ihren Illusionen befreien. „Unsere Staats-
kunst", so schließt das hervorragende Buch,
„ist noch immer auf eine Art politischen
Kannibalismus begründet, auf der Idee, daß
Nationen sich durch die Eroberung und Be-
herrschung anderer entwickeln können. So
lange das unsere Auffassung von den Be-
ziehungen der menschlichen Gruppen bildet,
werden wir immer vor der Gefahr von Zu-
sammenstößen stehen, und unsere Vergesell-
schaftungs- und Kooperationsentwürfe werden
immer zusammenbrechen."
Diederich, Franz,
Krieg. Ein Buch der Not. Dem Willen
zum Frieden gewidmet. 8 °. Dresden 1912. Mit
acht Bildern von Goya, Klinger, Bock-
1 i n und Wereschtschagin. Verlag von
Kaden & Comp. 101 S.
Ein aus der Zeit heraus geborener Auf-
schrei gegen das Verbrechen des Krieges.
Anthologie der besten Gedichte gegen den Krieg.
Mit guten Bildern geschmückt. Ein Propaganda-
buch bester Art für die breiten Massen.
32
©_-
DIE FRIEDENS -MXZTE
Hüttenhein, Dr. Erich.
Die Handelsschiff© der Kriegführenden. Eine
völkerrechtliche Kriegsstudie. 8 °. Breslau 1912.
J. U. Kerns, Verlag. (Sonderabdruck aus : Zeit-
schrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht.)
72 S.
Der Verfasser behandelt zwar ein kriegs-
rechtliches Thema, jedoch im Geiste des
modernen Völkerrechts. Das geht aus dem
Schlußwort hervor, wo er das Völkerrecht gegen
seine Existenzverleugner in Schutz nimmt, es
aus dem Rechtsbewußtsein des modernen Staa-
tes und mit Nippold aus der „Solidarität der
heutigen internationalen Interessen" herleitet.
Die Richtung auf eine Verwirklichung einer
fest gegliederten und geordneten internationalen
Menschengemeinschaft erscheint ihm unver-
kennbar.
Lange, Hendrik Jan de.
Vorlog en Arbitrage. Proefschrift ter Verkrij-
gung van den Grad van Doctor in de Rechts-
wetenschap aan de Rijksuniversiteit te Leiden.
Gr. 8<>. :S-Gravenhaage 1912. Mouton & Co.
112 S.
Das Anwachsen der pazifistischen Bewegung
ist auch erkennbar aus den zahlreichen
Dissertationen, die auf Grundlage des Pazifis-
mus geschrieben werden. Die vorliegende, in
holländischer Sprache geschriebene Schrift
nimmt ihr Material aus der modernen Völker-
rechtsliteratur und der pazifistischen Literatur.
Wir werden darauf gelegentlich noch zurück-
kommen.
Sozialdemokratische Flug-
schriften.
Nr. 14. Die Greuel des Krieges. — Nr. 15.
Krieg dem Kriege. Gr. 8°. Berlin 1912. Ver-
lag: Buchhandlung des Vorwärts. Je 16 S.
mit Umschlag ä 10 Pf.
In Nr. 14 werden die Greuel des Balkan-
krieges nach den Berichten der Kriegskorre-
spondenten zusammengestellt, in Nr. 15 findet
sich ein Bericht des Baseler Kongresses vom
24. und 25. Nov. 1912, Text der Eriedenspredigt
des Pfarrer Täschler, die Reden bei der Kund-
gebung im Münster, das internationale Friedens-
manifest. Gute und billige Propagandaschriften.
The Peace Year-Book. 1913. Edited
by Carl. Heath. 8 °. London 1913. The Na-
tional Peace Council. 283 S. 1 Sh.
Dieser treffliche „Gotha" der Friedens-
bewegung erweist sich auch in seiner dies-
jährigen Ausgabe als ein unentbehrliches Hilfs-
mittel für jeden, der in der Propaganda steht,
und für alle die, die sich über den Umfang
des Pazifismus unterrichten wollen.
Eingegangene Druckschriften. :: :: :; :: :: :: :: ::
(Besprechung vorbehalten.)
La Vie Internationale. Revue men-
suelle des Idees, des faits et des organismes
internationaux. Tome IL 1912. Fascient 1.
Aus dem Inhalt : Oliveira Lima, La
Formation de PAmerique latine et la conception
internationale de ses fondateurs. — Albert
Counson, Les Meteques. — G. Lecointe,
La Conference internationale de l'Heure de Paris
et l'Unification de l'Heure. — Calendrier des
Reunions internationales, usw.
Bulletin of the Pan-American
Union. (Washington) November.
Aus dem Inhalt: The fifth international
Congress of Chambers of Commerce, usw.
d'E stournelles de Constant, Baron
Paul Henri Benjamin,
Auszug aus der Rede bei der Eröffnung des
Kongresses des Verbandes für internationale
Verständigung in Heidelberg, am 5. Oktober
1912. Deutsche autorisierte Uebersetzung. 8 °.
7 Seiten. Ohne Ort und Jahreszahl. (Zu be-
ziehen durch Professor Wilhelm Paszkowski,
Berlin NW., Bauhofstraße 7.)
Fried, Alfred H.,
Handbuch der Friedensbewegung. Zweiter Teil.
Geschichte, Umfang und Organisation der
Friedensbewegung. Zweite, gänzlich umge-
arbeitete und erweiterte Auflage. 8 °. Berlin
und Leipzig. 1913. Verlag der „Friedens-
Warte". 492 S. M. 5.
Fried, Alfred H,
Der Weg zum Weltfrieden im Jahre 1912.
Pazifistische Chronik. 8 °. Berlin, Wien und
Leipzig. Verlag der „Friedens-Warte". 31 S.
50 Pf.
Friedrich, Karl,
Vergeude keine Lebenskraft. Zweite vermehrte
Auflage. 8 °. München. Ernst Reinhardt. 105 S.
Ge rs i n , K.,
Altserbien und die albanesische Frage. 8 °.
Wien 1912. Anzengruber- Verlag, Brüder Su-
schitzky. 55 S. i
Macara, Sir Charles W.,
Internationale Industrie und internationaler
Handel. Referat, vorgelegt der deutsch-eng-
lischen Konferenz in London. 30. Oktober bis
1. November 1912. Fol. O. Ort u. Jahreszahl.
(Zu beziehen durch C. W. Macara, 33 York-
street, Manchester.)
O s t w a 1 d , Wilhelm,
Der Monismus als Kulturziel. Vorgetragen im
österr. Monistenbund in Wien (Großer Sofien-
saal) am 29. März 1912. (Schriften des
Monistenbundes in Oesterreich, Heft 2.) 8 °.
Wien u. Leipzig. Anzengruber- Verlag, Brüder
Suschitzky. 39 S. 50 Pf.
Thomas, Pfarrer Frank,
Der Friede und die Friedensbewegung. Predigt,
gehalten in der „Victoria Hall" in Genf am
22. September 1912 bei Gelegenheit der inter-
parlamentarischen Friedenskonferenz und des
XIX. Weltfriedenskongresses. 8 °. Frankfurt
am Main 1912. Druck von Gebrüder Knauer.
16 S.
Veröffentlichungen des Ver-
bandes für internationale Ver-
ständigung:
Heft 1. Butler, Nicolas Murray,
Der internationale Geist. 13 S.
Heft 2. Nippold, Prof. Dr. Otfried,
Die auswärtige Politik und die öffentliche
Meinung. 16 S.
Heft 3. Schücking, Walther,
Die wichtigste Aufgabe des Völkerrechts. 12 S.
Heft 4. Rode, Prof. Dr. Martin.
3S
DIE FßlEDENS-'MfißTE =
3
Der Beitrag der christlichen Kirchen zur
internationalen Verständigung. 17 S.
Jedes Heft in 8°. Stuttgart 1912. Druck
yon W. Kohlhammer. Preis 50 Pf. Kostenlos
für Mitglieder des Verbandes. (Frankfurt a. M.,
Liebfrauenstr. 22.)
Les Prix Nobel en 1911. 8". Stock-
holm 1912. 80, 14, 12 und 19 S. mit Porträts
und Tafeln. (Zu beziehen durch das Nobel-
institut in Stockholm.)
Le Groupe francais de l'Arbi-
irage International et l'Union ln-
terparlamentaire (mars 1912). Kl. 8°.
Paris 1912. Oh. Delagrave. 58 S.
Butler, Dr. Nicholas Murray,
L'esprit international. Discours d'ouverture pro-
nonce le 16 mai 1912 ä la Conference de Lake
Mohonk pour l'Arbitrage international. Trad.
de M. Jacques Dumas. Kl. 8 °. Paris 1912.
Ch. Delagrave. 21 S.
Conciliation Internationale.
Bulletin trimestriel No. 2.
L'Assemblee Generale du 30 mars 1912. Pro-
gramme du Comite de Defense des Interets
nationaux. Programme, Statuts et liste des
membres de la Conciliation internationale. —
Jarousse de Sillac, „L'Organisation de la
Societe des Etats." Kl. 8°. Paris 1912. Ch.
Delagrave. 142 S.
— Bulletin trimestriel No. 3.
L'amitie franco-americaine. La Keception de
M. Robert Bacon an Senat. Un Discours
de M. J. Jaures ä la Chambre des Deputes.
Un article de M. Fred6ric Masson. —
Le Comite f ranco-amerique ; avec une intro-
duction de M. d'Estournelles de Con-
stant. Kl. 8°. Paris 1912. Mit Abbildungen.
Ch. Delagrave. 82 S.
Almanach de la Paix pour 1913.
Publie par l'Association de la Paix par le Droit.
Priface de Charles Richet. 8°. Paris.
Plön Nourrit & Cie. 72 S. Mit Illustrationen.
25 Cts.
Hagerup, M. F.,
Discours tenu ä la Seance solennelle d'ouverture
de la XXVe Session de l'Institut de Droit inter-
national ä l'Institut Nobel norvegien, Christia-
nia, le 24 aoüt 1912. 8°. Stockholm 1912.
10 S. (Zu beziehen durch das Nobel-Institut
in Stockholm.)
Maday, Dr. Andre de,
Sociologie de la Paix. Introduction ä la Philo-
sophie du Droit international. 8 °. Paris 1913.
Giard & Briere. 13. S. 1,50 Fr.
Butler, Nicholas Murray,
The Service of the University. Stenogr. Rep.
of an address delivered on the occasion of the
dedication of the State Education Building at
Albany N. Y., Oct. 16 1912. 8°. Repr. from
the „Editorial Review" Dec. 1912. (Educa-
tional Review Publishing Co., New York.) 10 S.
„International Conciliation":
Nr. 57 (Aug. 1912). Neil, Charles Patrick.
The Interest of the Wage-Earner in the
Present status of the Peace Movement. An
address delivered at the Lake Mohonk Con-
ference an International Arbitration, May 17,
1912. 14 S.
Nr. 58 (Sept. 1912). Giddings, Franklin H.
The Relation of Social Theory to public
Policy. 14 S.
Nr. 59 (Okt. 1912). Stratton, George M.
The double Standard in Regard to fighling.
14 S.
Nr. 60 (Nov. 1912). As to two Battle-
s h i p s. Contributions to the Debats upon
the Naval, Appropriation Bill by Hon. F i n 1 y
William Ken t. 14 S.
Nr. 61 (Dez. 1912). Lochner, Louis P.
The Cosmopolitan Club Movement. 14 S.
Nr. 62 (Jan. 1913). Root, Elihu.
The Spirit of Self-Governement. An Address
delivered at the 144th Anniversary Banquet of
the Chamber of Commerce of the State of
New York, November 21, 1912. 14 S.
Jedes Heft : 8 °. (Zu beziehen kostenlos von
„American Association for International Con-
ciliation" Sub-Staiion 84 (407 West 117 th
Street) New York City.
Monthly Bulletin of Books, Pam-
phlets and Magazine Articles dealing with inter-
national Relations. Nov. 1912 und Dez. 1912. 8».
New York. 8 bzw. 10 einseitig bedruckte S.
(Zu beziehen durch die „American Association
for Int. Conciliation". Sub-Station 84 (407 West
117th Street) New York City.
„Judicial Settlement of Inter-
national Disputes":
Nr. 10 (Nov. 192). Scott, James Brown,
The Court of Arbitral Justice. Approved by
the Second Hague Peace Conference (1907)
and Recomended by the Institute of Inter-
national Law (1912). 16 °. Baltimore, U. S. A.
(Zu beziehen kostenlos durch Tunstall
Smith, The Preston, B a 1 1 i m o r e, U. S. A.)
Stockton, Charles H.,
Panama Canal Tolls. Reprinted. (U. S. Naval
Institute, Annapolis M. D.) 6 S.
W a y 1 e n , Hector.
Conscripts of Peace. An Address delivered by
Request in Connection with several Edinburgh
Churches. 8°. Edinburgh 1912. (Zu beziehen
durch: F. W. Nish. 17 St. Ann's Square. Man-
chester.) 2 Pence. 15 S.
D u d a n , Alessander.
La politica antiitaliana in Austria-Ungheria.
8 °. Roma 1912. (Estratto dalla „Rassegna
Contemporanea" anno V. no. 11) 56 S.
La guerra nella caricatura. Dis-
segni di S c a r 1 a t i n i. Kl. 4 ° oblong. Milano
1912. Societä anonima editrice „Avanti".
V i s s e r , S. J.,
Over Socialisme. Een drietal Studies. 8 °.
S'Gravenhage 1913. Martinus Nijhoff. 186 S.
Wicksell, Anna ■B.,
Avrustningssträvandet och Fredsarbetet. Nägra
ord om Svenska fredsförbundes uppgifter.
Kl. 8 °. Stockholm. Albert Bonniers Förlag.
(Svenska fredsförbundes Skriftserie No. I.) 12 S.
Hellner, Jon.,
Obligatorisk Skiljedoni i toister mellan Stater.
Föredrag vid Svenska fredsförbundets konsti-
tuerande den 30. Jan. 1911. Kl. 8° Stock-«
holm. Albert Bonniers Förlag. (Svenska Freds-
förbundets Skriftserie No. IL) 13 S.
34
<£
DIE Fßl EDENS -^/AQJE
Brisman, Sven, i
Ar Världsfreden en Utopie? En fromställning
ar Kriget ur historisk och ekonomisk Synpunkt.
Kl. 8 °. Lund. (Zu beziehen durch : Svenska
Fredsförbundets Skriftseries Expedition, Lund.)
23 S.
H u h t a 1 a , Kyösti,
Opetuksesta kristillisessä Hengessä. (Finnisch:
zu deutsch: ,Ueber den Unterricht im christ-
lichen Geiste. 8 °. Tampereella 1912. Verlag
des Finnischen Friedenvereins. 18 S.
CSS?
Zeitschriften -Rundschau. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
H. W. Die erste Nummer der neu begrün-
deten „M itteilungen des Verbandes
für internationale Verständigung"
macht einen sehr guten Eindruck. Die Aufsätze
sind durchweg praktischer Natur. Außer einem
Berichte über die erste Tagung des Verbandes
in Heidelberg finden wir darin zwei Aufsätze
zur deutsch-englischen Verständigung und zwei
Artikel über Probleme des Weltverkehrsrechts.
In dem Berichte der Tagung des Verbandes
wird u. a. der Behauptung der Zeitschrift
„Die Friedensbewegung" entgegengetreten, daß
d'Estournelles in Heidelberg die elsaß-lothrin-
gische Frage habe anrühren wollen. Es wird
festgestellt, daß dies gar nicht von dem Redner
beabsichtigt war und daß erfahrungsgemäß der-
artige Debatten, wenn sie stattfinden, für die
Erhaltung und Pflege internationaler Beziehun-
gen nur schädlich sind. Das habe ich bereits
in meinem Berichte über den Weltfriedens-
kongreß hervorgehoben, und ich hoffe, daß man
sich auch in den Kreisen der deutschen
Friedensgesellschaft dieser Ansicht nicht ver-
schließen wird. Eine deutsch-französische Liga
auf der Basis der Autonomie von Elsaß-Loth-
ringen innerhalb der deutschen Bundesstaaten
wird meiner festen Ueberzeugung nach mehr
schaden als nützen. Wir sind in Deutschland
noch lange nicht so stark, wie der Wehrverein
usw., als daß wir einen solchen Kampf aufs
große Ganze wagen könnten. Wir müssen erst
Schritt für Schritt eine größere Anzahl An-
hänger um uns sammeln, bis die Zeit gekommen
ist, wo möglicherweise eine solche Liga, an
der sich dann notwendigerweise gleich die
ersten Namen Deutschlands beteiligen müßten,
Aussicht auf Erfolg hat. Mehrmann er-
blickt in seinem Aufsatze „Das Konzert der
Mächte" in dem neuesten Zusammengehen der
deutschen und englischen Diplomatie eine Art
Wiederherstellung des Mächtekonzerts, zu-
mal Frankreich dem nicht entgegenarbeite.
Müller- Meiningen wünscht eine größere
Fühlungnahme der einzelnen Parlamente auf
Spezialkonferenzen, neben der Zusammenkunft
aller Parlamentarier auf der Interparlamenta-
rischen Union. F i t g e r weist auf das eng-
lische Recht hin, wonach während eines
deutsch-englischen Krieges die zwischen Deut-
schen und Engländern geschlossenen Seever-
sicherungsverträge nichtig sind, und beantragt
internationale Regelung dieser Frage, die übri-
gens auf Antrag der deutschen Vereinigung
für internationales Recht auf die Tagesordnung
der nächsten Tagung der „International law
association" gesetzt ist. Von Fred Harsley
wird die internationale Ueberwachung des
Ozeans behandelt.
Im Dezemberheft des „Völkerfriede" er-
örtert Umfrid „die europäische Bedeutung
der Balkankrise" in sehr realpolitischer Weise.
K o 1 b wünscht einen größeren Ausbau der
Friedenspresse. Dieser Wunsch erscheint über-
flüssig. Denn die Friedenspresse ist bereits
überall in ausreichender Weise vertreten. Darin
hat K o 1 b aber recht, daß der Friedensgedanke
vermittels der Presse in weitere Kreise getragen
werden muß. Dies würde aber am besten da-
durch geschehen, daß in den großen Tages-
zeitungen, auch den gegnerischen, aufklärende
Artikel erscheinen, da die Fachpresse in der
Hauptsache immer nur von den eigentlichen
Pazifisten gelesen wird.
Im Dezemberhefte der Zeitschrift „D e r
Friede" findet sich eine Kritik der Nicht-
verteilung des Nobelfriedenspreises. Wir lesen
dort, daß die Herren in Christiania der Sache
ein wenig fern ständen. Wenn man allerdings
erwägt, daß das Institut de droit international
schon vor Jahren des Preises für würdig er-
achtet wurde, die Interparlamentarische Union
aber bis heute noch nicht, daß ferner Roosevelt
den Preis erhielt, der an pazifistischen Leistun-
gen hinter hunderten der heutigen Pazifisten
zurücksteht, so muß man sagen, daß sich das
Nobelkomitee zu der Meinung der meisten
Friedensfreunde in Widerspruch gesetzt hat.
In der niederländischen Kammer hat kürz-
lich der Minister des Auswärtigen die Erklärung
abgegeben, daß er voraussichtlich
nicht in der Lage sei, dem nächsten
Weltfriedenskongreß eine Subven-
tion zu gewähren. Zur Begründung
führte er aus: Bei der Erörterung
der Aktualitäten habe man über
Elsaß-Lothringen so gesprochen,
daß die deutschen Delegierten fort-
gelaufen seien, und bei der Behand-
lung der Marokkofrage habe Frank-
reich sich geweigert, an der Bera-
tungteilzunehmen, bis schließlich
der Kongreß in einem Chaos ge-
endet habe. Gegenüber dieser irrtümlichen
Behauptung haben die holländischen Delegierten
zum Genfer Kongresse eine Richtigstellung im
„Het Vaderland" veröffentlicht. Diese letztere
finden wir auch im Dezemberheft von „Vreede
door Recht". Auf jeden Fall ist es von
Wert, festzustellen, wie sehr die Be-
handlung der Aktualitäten dem Ansehen der
Weltfriedenskongresse bereits geschadet hat.
Fachpresse. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Völkerfriede (Eßlingen). Dez. O. U., Die
europäische Bedeutung der Balkankrisis. —
Dr. G. G r o s c h , Völkerfrühling. — Karl
K o 1 b , Aufgabe der Friedenspresse. — usw.
Mitteilungen des Verbandes für
internationale Verständigung
(Würzbnrg). No. 1. Bericht über die erste
Tagung des Verbandes für internationale Ver-
ständigung. — Dr. Karl Mehrmann, Das
Konzert der Mächte. — E. Fitzner, Not-
wendigkeit internationalen Rechts im Seever-
sicherungswesen für Kriegszeiten. — Fred.
Harsley, Lehren der Titanic-Katastrophe.
— Dr. Müller-Meiningen, Parlament
und internationale Verständigung. —
35
DIE FRIEDENS- V&DTE
3
Der Friede (Bern). Dez. H. S., Gottfried
Schuster f. — G. C., Die Friedensdemonstra-
tion des internationalen Sozialistenkongresses
in Basel. — K. Rüd, Einige Gedanken über
den sozialistischen Friedenskongreß. — Der
Friedens-Nobelpreis. — usw.
DieFriedensbewegung (Bern). No. 23/24.
Kundgebungen gegen den Balkankrieg. — Die
Satzungen des internationalen Friedensbureaus
in Bern. — Deutsch-englische Verständigungs-
Konferenz in London. — Ein Sieg der Türkei
vor dem Haager Schiedshöfe. — Manifest der
Internationalen zur gegenwärtigen Lage. —
— usw.
The Arbitrator (London). Dez. The Bal-
kan Situation. — The Hague and British
Policy in the Balkans. — Mrs. Bradlaugh-
Bonner, Amongst the Scottish Women
Liberais. — Successful Anglo-German Con-
ference in London. — The Kaiser and Peace.
— usw. usw.
— Jan. The Powers and the Balkans.
— Canada and the Navy. — David
Starr Jordan, The Panama Canal and its
Economies. — The Panama Canal and Foreign
Shipping (Reply of Sir Eduard G r e y to Pre-
sident Taft). — Sovereignity over the air
(Important Lecture by Sir Erle Richards).
— usw.
C o n c o r d (London). Nov. Felix Mosche-
les, The Ordeal. — J. F. Green, The
Balkan War. — J. A. Farrer, Conscription
in New Zealand. — Carl Heath, The Anglo-
German Understanding Conference. — An
historic Gongress. — usw. usw.
— Dez. G. H. Perris, The Work of Man. —
Felix Moscheies, A rising Force. —
Charles Weiß, Some personal Impressions
of the Anti-War Demonstration at Basel. —
Herald ofPeace (London). Jan. „The Time
is short." — Aberdeen University Peace So-
ciety. — Autumnal Meeting of the Peace
Society. —
Advocate of Peace (Washington). Dez.
What the Peace Movement is. — The inherent
Weakness of Militarism. — The Anglo-German
Understanding Conference. — Gertrude B.
Magill, To the Baroness von Suttner. —
Churches should be Leaders in the Peace
Movement. — Edwin D. Mead, More Sol-
diers or more Reason 1 — James L. Tryon,
The international Boycott a dangerous Wea-
pon. — Evans Darby, The Peru of the
Air. — Charles E. Jefferson, Armed
Peace — the Bürden and Folly of Europe.
— John Brunner, The Cost of Mili-
tarism. — usw.
The Cosmopolitan Student (Madison,
Wis.). Nov. (Michigan-Nummer). C. P. Wang,
Rare Tales from Chinese Lore. — James B.
A n g e 1 1 , The Situation in the Balkan. —
Dr. R. V. Drechsler, The American In-
stituts. —
— Dez. George W. Nasmyth's aus
Heidelberg 18. IX. 1912 datierten Bericht
über die Entwicklung der Corda-Fratres-Be-
wegung in Europa.
The Messenger of Peace (Richmond,
Ind.). Nov. Inez P. Burton, The Oppor-
tunity and the Duty of the Schools in the
int. Peace Movement. — J. G. Alexander,
The Geneva Peace Congress. — usw.
La Paix par le Droit (Paris). No. 22.
Charles Richet, Une Visile an Quai
d'Orsay. — Francis Delaisi, La Crise
europeenne (deuxieme article). — J. Prud-
hommeaux, La Guerre ne paie plus. —
Charles Richet, Ce que coüterait une
guerre europeenne. — usw. usw.
— Nr. 23. Frederic Passy, Ceux qu'il
faut honorer. — La Paix europeenne par la
„Neutralisation" de rAlsace-Lorraine. — Lu-
den Le Foyer, Le devoir de l'Europe. —
usw. usw. —
— No. 24. Francis Delaisi, Les financier
et la guerre balkanique. usw.
Bulletin de la Li gue des Catholiques
francais pourlaPaix (Brignais). No. 21.
A. Vanderpol, La Creation d'une Union
pour l'Etude du Droit des Gens d'apres les
principes Chretiens. — F. D u v a 1 , Les Appli-
cations pratiques de la Doctrine de l'Eglise
sur la guerre au Moyen-Age. — usw.
Etat-Unis d'Europe (Bern). Dez. La
Guerre des Balkans et le Pacifisme. — Emile
Arnaud, Arbitrage et amiable Composition.
— usw.
La Paix (Genf). W. Kohl, La Folie de la
guerre. — Louis Gionoli, L'Artiste et la
guerre. — usw.
Fredsfanan (Stockholm). Nov. Eduard
Wawrinsky, August Beernaert. — usw. —
— Dez. (Julnummer). Krieg : Södes-Fred i Nord.
— Marie Dehn, Fran Genevekongressen. —
Dr. N. A. Nilsson, Världens f örenade Sta-
ter. — Carl Sundblad, Krigsprof eterna
och världskriget.
Fredsbladet (Kopenhagen). Dr. Niels
Petersen, Krig og Fred. — Nobelsfreds-
pris. —
Artikel - Rundschau.
Von Carl Ludwig Siemering.
Immer wieder muß man die Greuel
des Balkankrieges ungescheut an den
Pranger stellen, „denn sie zeigen, was es in
Wahrheit ist mit dem Kriege!" so schrieb
Richard Gädke im letzten dieser Hefte.
Also denn:
Dr. D i 1 1 o n , der Wiener Spezialkorre-
spondent des Londoner „Daily Tele-
graph", erhielt am 9. Dezember aus Kon-
stantinopel und Bukarest Nachrichten von un-
menschlichen Metzeleien, die die christlichen ( !)
Soldaten in der Umgebung Salonikis unter
der unbewaffneten mohammedanischen Bevöl-
kerung angerichtet hatten. — Die „Südslaw.
Korrespondenz" meldet aus Belgrad entsetz-
liche Einzelheiten über das Vorgehen der Trup-
pen und Freischärler des Generals Janko-
witsch, wodurch eine „künstliche Ent-
völkerung Albaniens" stattfinde. Ein
furchtbares Morden raffte Tausende und aber
Tausende von Albanesen hinweg; die Untaten
an Frauen und Kindern spotten der blutigsten
Phantasie. — Nach einer Mitteilung der Berliner
türkischen Botschaft aus den Weihnachts-
36
<§=
DIE FRIEDENS-^^RXE
_ an haben griechische Banden, die
in" das rnuselmanische Dorf Kolonjati bei
Janina einrückten, trotz der guten Aufnahme
durch die Einwohner diese unerbittlich nieder-
gemetzelt, die Männer obendrein noch verstüm-
melt und verbrannt. — Sehr erfreulich wirkt
die durch die Balkanwirren erfolgte deutsch-
englische Annäherung, die von dem
deutschen Botschafter in London, Fürst Lieh-
n o w s k y , am 30. November öffentlich bestä-
tigt und im Anschluß daran von der „Daily
News" unterstrichen wurde: Beide Länder
hätten die beste Gelegenheit, jeden Appell an
die Gewalt zu entmutigen; solange ihre Verbin-
dung bestehe, seien die Aussichten auf eine
friedliche Lösung außerordentlich gefördert.
Auch der „Daily Telegraph" schreibt er-
freut: „. . . Plötzlich kommt die Entdeckung,
die in beiden Hauptstädten zugleich gemacht
wird, daß die nämlichen Ziele loyal, wenn auch
unabhängig voneinander, verfolgt werden."
Umso haßlicher wirkt es da,, wenn die ,,L e i p z.
N. N." vom 8. Dez. „Die Gefahr von der andern
Seite" in der kanadischen Flottenvorlage er-
blicken: „England glaubt erst noch mit diesem
kolonialen Zuwachs für seine Flotte rechnen zu
müssen, ehe es stark genug zu sein meint." —
Auch andere Chauvinisten halten ihre Zeit an-
scheinend für gekommen ; sie warnen vor „un-
angebrachter Vertrauensseligkeit" und weisen,
wie Herr Keim im „Tag" vom 22. Dezember, auf
die Annahme des Infanterie-Kadergesetzes in der
französischen Kammer hin. Die Folgerung
aber, daß demnach auch deutsche Mehr-
rüstungen anderwärts erklärlichen Argwohn her-
vorrufen müssen, wird natürlich nicht gezogen ;
wenn vielmehr ein deutscher Autor, wie der be-
kannte Kapitän zur See a. D. Persius, Mitte
Dezember in der „Ostsee-Zeitung" und der „Kö-
nigsb. Hartungschen Zeitung" energisch gegen
die weitere übertriebene Agitation zur Vermeh-
rung unseres Schiffsbestandes Front macht, da
eine solche Agitation nicht den Frieden sichere,
sondern das Risiko vermehre, dann fallen die
Herren vom Flotten- und Wehrverein sofort
über ihn her und lassen kein gutes Haar an ihm !
In der Weihnachtsbotschaf t der „N o r d d. A 11g.
Z t g." wurden ja auch bereits' für das Frühjahr
„weitere Ausgaben für den Bedarf des Heeres"
angekündigt, „wie sie angesichts der Weltlage
nicht vermeidbar sein werden." Eben dadurch
wird dann die Weltlage wieder bedrohlicher
werden; man wird anderwärts, und schließlich
auch in Deutschland, abermals rüsten müssen
— kurzum der ewige, fehlerhafte Zirkel !
Die eben erwähnte „K önigsb. Härtung-
sohe Zeitung" kommt unter ihrem neuen
Chef Paul Listowsky den pazifistischen
Bestrebungen in besonders liebenswürdiger
Weise entgegen. Sie brachte am 7. Dezember
einen Leitartikel von Georg K o s s a k , dem
stellvertr. Vorsitzenden der rührigen Königsber-
ger Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesell-
schaft: „Soll ein Kaufmann Pazifist
sein?" Ferner am 15. Dezember einen klugen
Leitartikel „Der Friedenssonntag" aus
der Feder des Chefredakteurs selbst, den bereits
genannten Persius- Aufsatz und — von kleine-
ren Berichten und Notizen abgesehen — am
1. Januar eine stark pazifistisch gefärbte „Neu-
jahrsbetrachtung" von Ludwig Fulda. Die
Ortsgruppe veröffentlichte in diesem altange-
sehenen Organ (wie auch an anderer Stelle)
mehrfach große Inserate, u. a. einen Aufruf an
die Geistlichen und ein Expose: „Der ewige
Krieg — eine große Täuschung!"
Der so plötzlich verstorbene, deutsche
Staatssekretär von Kiderlen- W aechter
machte uns erst kürzlich wegen seiner Stellung-
nahme zum Rüstungsproblem zu schaffen.,' Die
führenden Berliner Organe, u. a. das „Tagebl." v.
29. Dez., führen zu seinen Ehren mit Recht an,
daß die deutsche Politik in "der Balkanfrage
bisher keine unbesonnene, draufgängerische, son-
dern eine abwägende, ausgleichende war. —
Eine geniale Entdeckung hat am 9. Dezember die
freikonservative Berliner „Post" gemacht: daß
nämlich die englische Flotte auf einen Winter-
krieg in nördlichen Gewässern nicht eingerichtet
sei, da ihre Schiffe in der großen Mehrzahl
keine Heizungsanlagen enthielten.
Selbst die„Deutsche Tages ztg." verulkt
ihre Gesinnungskollegin ob dieser nationalisti-
schen Narretei recht kräftig; dann sollte mau
doch, so meint sie, den ersten Frosttag dieses
Winters benutzen, um die britische Flotte mit
ihren steifgefroreneu. Admiralen, Offizieren und
Matrosen zu vernichten. Probatum estl — An-
gesichts der in England rege gewordenen Pro-
pagierung der allgemeinen Wehrpflicht
durch Lord Roberts und die „Times" weist
ein Artikel des „Hamb. Fremdenbl." vom
24. Dezember u. a. darauf hin, welche Wirkung
auf den Arbeitsmarkt eine Herausnahme von
100 000 oder gar 250 000 arbeitsfähigen Männern
haben müßte. — In Heft 52 der „Garten-
laube" spricht sich Freiherr v. d. Goltz
gegen den immer mehr umi sich greifenden un-
kriegerischen Sinn unserer Zeit aus, worin er
eine schwere Gefahr erblickt. Diese Befürch-
tung erscheint um so müßiger, als, die wirtschaft-
liche und soziale Entwicklung bekanntlich in
allen Ländern, also nicht nur; in Deutschland,
die gleichen kriegsfeindlichen Erscheinun-
gen zeitigt. — Redakteur J. Scherek- Berlin
bringt Ende Dezember in mehreren Blättern,
z. B. in der „Bresl. Ztg.", einen Artikel „K am p f
und Krieg", der in der Vermischung beider
Begriffe das Menschenmögliche leistet: es wird
vom „Krieg" in der nationalliberalen Partei
gesprochen, vom „Krieg", den das Zentrum
predige, und schließlich heißt es: dann: „Krieg
und (I) Kampf werden nie aufhören." Wann
werden endlich einmal, in den Köpfen der Intel-
lektuellen, diese Verwechselungen aufhören?!
. . . Franz Wedekind offeriert im „Berl.
Tagebl." vom 25. Dezember unter dem Strich
6 Spalten „Weihnachtsgedanken", worin er zum
Schluß in gutgemeinter, aber recht dilettan-
tischer Weise für ein „W el t pari amen t"
eintritt als einen „in Permanenz erklärten Frie-
denskongreß, der im Gegensatz zu den bis-
herigen, aus Dilettanten (!) und notorischen
Händelsuchern ( ! !) zusammengesetzten Friedens-
kongressen über alle Machtmittel der Welt ver-
fügte." Von der Notwendigkeit schrittweisen
Vorgehens und der Existenz einer Interparla-
mentar. Union scheint der Autor überhaupt
nichts zu wissen, schreibt aber, trotzdem öffent-
lich über eine Bewegung, deren Elemente er
37
DIEFBIEDENS-Vi^DTE =
G>
nicht beherrsclit. Der Generalsekretär der ge-
nannten Union, Chr. L. Lange- Brüssel, gibt
in seinem Artikel „Europa" („Frankf. Ztg."
vom 25. Dezember) sozusagen die richtige Ant-
wort auf Wedekinds Tiraden; er sieht eine
„Revolte des Hungers und der Indignation"
herannahen, falls immer noch weiter gerüstet
und mit dem Kriegsfeuer gespielt wird.
Günther v. Vielrogge (Oberstleutnant
.a. D. C a r 1 v. Wartenberg) war wegen seines
Artikels „Das zu oft verwaiste Regi-
ment" (im Aprilheft des „Türmer") von der
„Deutsch. Tagesztg." und den „Leipz. N. N."
scharf angegriffen worden. Er wehrt sich gegen
diese Verunglimpfungen in einer schneidig ge-
schriebenen kleinen Broschüre: „Das zu oft
verwaiste Reg. und die reaktionäre Presse" (Ver-
lag Nationale Kanzlei, Leipzig-St., Naunhofer-
str. 33), worin er auf Seite 16 einen „Fürsten-
spiegel" mitteilt, der der „Deutsch. Tages-
ztg." entstammt und an Unverblümtheit wahr-
lich nichts zu wünschen übrig läßt. Schwere
Vorwürfe werden auch gegen das preußische
Kriegsministerium und das preußische
Militärkabinett erhoben.
In einer Besprechung des Erich Marcks-
schen Buches „Männer und Zeiten" in der
„Frankf. Zeitung" vom 29. Dezember nimmt
der Referent, der Präsident des Ober-Konsisto-
riums in Elsaß-Lothringen, Dr. Friedrich
Curtius, in interessanter Weise Stellung zu
des Verfassers Ansichten vom Kriege. Es
heißt da, anschließend an dem von Marcks
zitierten Satze: „Der Krieg ist der große Schöp-
fer auch innerlicher Neubildung in Staat, Ge-
sellschaft, Wirtschaft, in aller Kultur", fol-
gendermaßen: „Ich kann mich nicht überzeugen,
daß diese Kombination politischer und wirt-
schaftlicher Bestrebungen mit dem Ziele des
Weltkrieges dem deutschen Geiste gemäß sei.
Für die Engländer, die ihre Kriege mit bezahl-
ten Söldnern führen, ist der* Krieg, im Grunde
genommen, ein Geschäft, wenn auch ein grau-
siges, die Entscheidung über Krieg und Frieden
eine Geldfrage. Ihre Kriege im 18. Jahrhundert
werden von Marcks als Handelskriege gewürdigt
und auch ihre Teilnahme an der Erhebung
Europas gegen Napoleon war nicht, wie auf
dem Kontinent von Spanien bis Rußland, ein
Kampf um nationale Selbständigkeit, sondern
um die Wiedereröffnung der Welt für den eng-
lischen Handel. Man begreift deshalb, daß
in demjenigen Teile der englischen Nation, dem
der Erwerb alles ist, die deutsche Konkurrenz
den Gedanken einer gewaltsamen Entscheidung
entstehen läßt. Daß, auch reingeschäft-
lich betrachtet, dieser Gedanke
eine große Täuschung ist, hat ein
berühmtes Buch nachgewiesen. Aber
dem deutschen Geiste ist diese Verbindung
von Patriotismus und Geschäft unnatürlich. Ge-
wiß streben wir nach Raum für die Erzeug-
nisse deutscher Arbeit und für deutsche Men-
schen. Wie wir aber im Privatleben den un-
lautern Wettbewerb verurteilen, so im inter-
nationalen Geschäft den Wettbewerb durch
Kanonen und Panzerschiffe. . . . Marcks sagt,
38
daß die imperialen Bestrebungen von der alten,
durchaus nationalen Grundlage herkommen, in-
dem „die Nationen über die Ränder ihrer
heimatlichen Formen übergeströmt sind in die
Welt hinein." Das ist gewiß richtig. Wenn
dem aber so ist, so handelt es sich um eine
wirtschaftliche Erscheinung, aus der der Po-
litik die Aufgabe erwächst, die unvermeid-
lichen Kollisionen zu überwinden.
Es ist geradezu ein Verzicht auf die Lösung
der höchsten politischen Aufgaben, ein Ver-
zicht im Grunde auf die Superiorität
des Geistes über die Natur, wenn man
die Entwicklung dieser Dinge in der resignier-
ten Erwartung eines Welthandelskrieges an-
sieht. Die „rücksichtslose Machtpolitik" ist
ethisch und politisch noch eher zu entschul-
digen, wenn sie im Ernste ein Weltreich plant,
das der gequälten Menschheit nach Zeiten uner-
hörter Drangsale den ewigen Frieden verschafft.
So feierten die römischen Dichter die Herr-
schaft des Augustus, als einen solchen Versuch
hat auch Napoleon gelegentlich das letzte Ziel
seiner Politik vor dem Gewissen der Mensch-
heit verteidigt. Wenn man aber den Weltkrieg
ohne Ziel und Ende kommen sieht, so ist das
der Bankrott der Politik, eine ent-
schlossene Rückkehr zur Barbarei.
Im Blick auf eine solche Perspektive erscheinen
die Welteroberer, Alexander und Napoleon, wie
fromme Idealisten." — In der „Welt am Montag"
vom 16. Dezember weist Helmut v. Gerlach
den „Bankerott des Friedens" nach. Ihm
scheint es, daß die alte Friedensidee „Pleite
gemacht". „Neue Wege gilt es zu wandeln".
Es dünkt uns, daß nur die Idee, die sich Herr v.
Gerlach von der Friedensidee gemacht hat,
„bankerott" ist. Die „neuen Wege", die er
sieht, haben andere schon längst gebahnt. Ihm
sind sie noch neu; einer, der mit einem Ha-
pag-Luxusdampfer nach New York fährt und sich
einredet, Amerika entdeckt zu haben. — Drol-
lig ist es, wenn die Aestheten, am drolligsten
gar, wenn die Kabarett-Spaßmacher sich über
die Wissenschaft des Pazifismus äußern. In
einem „Deutsche Dichtung, Deutsche
Wirklichkeit" betitelten Artikel in der
„Neuen Straß burger Zeitung" vom 23.
Dezember kommt uns Freiherr Ernst von
Wol zogen in politischem Kostüm. Man
höre: „Als ich in der Zeitung las, daß heuer
kein Nobelpreis für Friedensbestrebungen ver-
liehen werden könne, da habe ich dreimal
Hurra geschrien. Mag das nun geschehen
sein, weil in der ganzen' zivilisierten Welt wirk-
lich kein ehrwürdiger Faselhans zu
finden war, oder weil die Preisrichter das Fein-
gefühl besaßen, sich in einer Zeit, wo die ganze
Welt dem Heldenmut von vier verkannten
kleinen Völkerschaften die verdienten Ehren-
bezeugungen erweist, sich mit der Belohnung
billiger Salbadereien nicht lächerlich zu machen,
gleichviel — das blanke Schwert ist den müßi-
gen Wortmachern über den Mund gefahren,
und das dünkt mich erfreulich.' Wir haben in
Deutschland gegenwärtig nicht den geringsten
Grund, mit dem Säbel zu rasseln, und ein
Triumph der Unvernunft wäre es, wenn ganz
Europa wirklich darum bluten müßte, weil
österreichische Handelsinteressen den sieg-
reichen Serben keinen Adriahafen gönnen. Aber
gut ist es auf alle Fälle, daß wir wie-
der einmal einen gerechten Krieg
©=
= DIE FRI EDENS -WARTE
in der Nähe erleben und der Gefahr ins
Auge sehen mußten. Nicht die schlechteste
Folge wäre es, wenn auch die deutsche Dich-
tung sich von dieser Nähe des Schreckens
ein wenig am Ohr gezupft fühlen und sich
dadurch an ihre höheren Pflichten erinnern
lassen wollte. Sie ist schon soweit gekommen,
die Bekrittelung und Bewitzelung alles Helden-
tums als Beweis überlegenen Geistes ebenso
anzustaunen, wie die Flucht aus dem Reich-
tum der Gegenwart in die armseligsten Winkel
der Vergangenheit. In den vier Jahrzehnten
des Friedens ist auch die Dichtung fast ganz
zurreinenLuxuskunstgeworden, und
sie hat in der gedeihlichen Bruthitze ästheti-
scher Ueberkultur ungemein viel gelernt." Ja,
schon zur Hebung der deutschen Dichtkunst,
sollte man losschießen, stechen, brennen.! Herr
v. Wolzogen braucht Kabarettstimmung im
Lande. Hurra! — Auch die allezeit „übernatio-
nalen" „Dresdener Nachrichten" leisten
sich in ihrer Nummer vom 15. Dezember aus
Anlaß der NichtVerteilung des Nobelpreises
einen Artikel, den sie „Das Fiasko der Friedens-
idee" betiteln. — Wahrscheinlich, um allen
ihren Lesern gerecht zu werden, schreibt die
„Leipziger Illustrierte Zeitung" in einen „Friede
auf Erden" betitelten Weihnachtsartikel u. a.
den Satz : „Daß der Krieg immer ein unheilvolles
Uebel ist, kann getrost zugegeben werden,
nichtsdestoweniger ist er von jeher ein Element
fortschrittlicher Kulturentwicklung . . . ge-
wesen." Aber: Ein „Uebel" ist schlecht,
ein „Element fortschrittlicher Kulturentwick-
lung" ist gut. Ist der Krieg nun gut oder
schlecht? Heraus mit der Sprache! Solch
zweideutiges Gestammel ist unklar.
Mi
Artikel. :: :: :: :: :: n :: n :: :: s :: :: :: :: :: ::
(Bibliographie.) I. Friedens-
bewegung im allgemeinen: Anna
B. Eckstein, Auf zur vorbeugenden Tat!
„Die Frau der Gegenwart." (Breslau.) 15. X.
* Walther Nithack Stahn, Die Stel-
lung des evangel. Geistlichen zum Kriegs-
problem. „Allgemeiner Beobachter." (Ham-
burg.) 1. XII. * Kurdv. Strantz, Weiteres
zum Fall Lamszus. „Allgemeiner Beobachter."
1. XII. * R. P., Wilhelm Förster; z. Beginn
seines neunten Lebensjahrzehntes. „Eth. Kul-
tur." 1. I. * Miyaoka, Das Exekutiv-
Komitee der Carnegiestiftung für den inter-
nationalen Frieden. (In Japan. Sprache), „The
Taiyo." (Tokio.) Nr. 16. * Pfarrer Täsch-
ler, Völkerfrieden. Morgenpredigt im Münster
zu Basel, am Tag der Friedenskundgebung des
internationalen Sozialistenkongresses. „Schwei-
zerisches Protestantenblatt." (Basel.) Nr. 48.
* Paul Kampffmeyer, Der sozialistische
Friedensgedanke; ein Stück Verfassung. „Soz.
Monatshefte." 12. XII. * P. Rühlmann,
Normann Angell, Die große Täuschung. (Re-
ferat.) „Deutsche Literaturzeitung." (Berlin.)
Nr. 51/52. * Hermann vom Rath,
Friedenspolitik. „Der Tag." 14. XII. * Der
Friedenssonntag. „Königsberger Hartung'sche
Zeitung." 15. XII. * Der Friedenspreis. „Köl-
nische Zeitung." 14. XII. * Nieder mit dem
Krieg! (Von ein. Offizier der serb. Armee.)
„Vorwärts." 18. XII. * Les Commercants et la
Paix. ITne Enquete. „Journal dAUemagne."
(Berlin.) 5. XII. * Dr. Wilh. Stapel -
Dresden, Zur Rechtfertigung des Krieges. „Die
Grenzboten." 18. XII. * Eugen Wölbe,
Schule und Weltfrieden. „Voss. Ztg." 29. XII.
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internationale Verständigung. „Neue Badische
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Maurenbrecher, Die Demokratie und der
Krieg. „Das freie Wort." Nr. 19. * Grete
Meisel-Heß, Die Frau im Kriege. „Ueber
Land und Meer." Nr. 13.
IL Die internationale Politik:
Dr. Elsbeth Friedrichs, Pan- Amerika
als Ausdruck einer neuen Kultiurepoche. „Der
Volkserzieher." Nr. 20. * Dr. Er ns t S ieper,
Die deutsch-englische Verständigung. „Die kri-
tische Tribüne." (München-Pasing.) Nr. 18. *
Karl Leuthner, Das Balkanproblem und
Oesterreich-Ungarn. „Soz. Monatshefte." Nr. 23.
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Verständigung. „Neue Preußische (f) Zeitung."
4. I. 13. * Charles Tuchmann, Zur
deutsch-englischen Verständigung. „Vossische
Zeitung." 5. I. * Professor Otfried
N i p p o 1 d , Der Wert der deutsch-englischen
Verständigungskonferenz. „Karlsruher Zeitung."
13. XII, und „Neue Badische Landeszeitung."
28. XII. * Prof. Richard Eickhoff,
England und Deutschland. „Der Tag." 13. XII.
* Ernst Schultze, Der Kultureinfluß Eng-
lands auf Deutschland. „Dresdener Anzeiger."
22. u. 29. XII. * W. v. Massow, Die Er-
neuerung des Dreibunds. „Die Grenzboten."
18. XII.
III. Völkerrecht: L. Krause, Die
Eisenbahnen im Kriege und die Haager Friedens-
konferenz. „Die Wage." (Wien.) 24. XII. *
Karl Schrader, Eine Lehre des Balkan-
krieges. Ein neuer Weg zum Ausgleich inter-
nationaler Streitigkeiten. „Berliner Tageblatt."
«5. 1.
IV. Internationales: Louis P.
L o c h n e r , Ueber internationale Studenten-
vereine. „Hochschulnachrichten." (München.)
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V. Wirtschaftliches: John R.
Loewenherz, Krieg und Währung. „Ber-
liner Tageblatt." 22. XII. * Francis W.
H i r s t , Englands auswärtige und Handels-
politik. „Frankfurter Zeitung." 1. I. * Prof.
Charles Richet, Die Kosten eines europä-
ischen Krieges. „Dokumente des Fort-
schritts." 11.
SMITTEILVN6EN DEß:
FRIEDENSGESEUSCHAFTEN
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Schriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
Oesterrekhische Friedensgesellschaft.
Bureau: Wien I, Spiegelgasse 4.
Rückkehr unserer Präsidentin
aus Amerika. Nach halbjährigem Aufent-
halte in Amerika ist Baronin v. Suttner am
39
DIE FßlEDEN5-\^DTE
;©
23. v. M. wieder in Wien eingetroffen und wurde
am Westbahnhofe von den versammelten Vor-
standsmitgliedern unserer Gesellschaft sowie
gleichfalls anwesenden intimen Freunden der
Baronin herzlichst empfangen. Dr. v. Dorn rich-
tete an die Heimgekehrte Worte der herz-
lichsten Begrüßung. Baronin v. Suttner wird am
17. d. M. im Beethovensaale über ihre Er-
lebnisse in Amerika einen Vortrag halten, über
dessen Verlauf wir in der nächsten Nummer
berichten werden.
Resolution. Der Vorstand beschloß in
seiner Sitzung vom 18. v* M. bezüglich des
im Abgeordnetenhause gestellten Antrages, „die
Regierung ist aufzufordern, ihren verfassungs-
mäßigen Einfluß auf die gemeinsame Regierung
in dem Sinne auszuüben, daß Oesterreich-
Ungarn sich bereit erklärt, im Falle, daß
Serbien eine angemessene Genugtuung für die
Verletzung des österreichisch-ungarischen Kon-
sulates in Prizrend verweigern sollte, die Streit-
sache der Entscheidung des ständigen Schieds-
gerichtes zu unterbreiten", dem Antragsteller,
Herrn Abgeordneten Leuthner, sowie jenen
Herren Abgeordneten, welche für seinen An-
trag gestimmt haben, für die Vertretung der
Prinzipien der Staatenschiedsgerichtsbarkeit
den wärmsten Dank auszusprechen.
Hierbei hat der Vorstand mit Befremden
und Bedauern konstatiert, daß berufene Ver-
treter dieser Prinzipien, Mitglieder der inter-
parlamentarischen Union, nicht die Initiative
zu diesem Antrage ergriffen, ja, sogar gegen
denselben gestimmt haben. Diese Haltung hat
nicht verfehlt, unter allen Friedensfreunden
peinliches Aufsehen zu erregen. Um so mehr,
als Oesterreich-Ungarn doch eine Signatar-
imacht der Haager Konvention ist, und ein
offizieller Vertreter Oesterreich-Ungarns am
Haager Schiedshöfe, Herrenhausmitglied Herr
Hofrat Lammasch, wiederholt öffentlich er-
klärte, daß die Angelegenheit Prochaska geeignet
wäre, vor das Haager Schiedsgericht gebracht
zu werden.
Der Vorstand der Oesterreichischen Frie-
densgesellschaft hat daher beschlossen, seine
Mitglieder zu ersuchen, die Abgeordneten ihres
Bezirkes gelegentlich der Erstattung des
Rechenschaftsberichtes über die Gründe ihres
Verhaltens gegenüber dem Antrage Leuthner zu
interpellieren.
Aktionskomitee. Oberrecbnungsrat
Schleck, ein tatkräftiges Mitglied unseres
Aktionskomitees, veröffentlichte in der „Staats-
Beamten-Zeitung", sowie in der „Rechnungs-
B eamten-Zeitung", Aufsätze, zur Förderung un-
serer Bestrebungen. Seinen Bemühungen ist es
auch zu danken, daß die genannten Blätter
als Beilage einen Aufruf der Friedensgesell-
schaft brachten, in dem die k. k. Staats-
beamten aufgefordert werden, sich unserer Ge
Seilschaft anzuschließen.
CfcäS»
Friedenspropaganda in Böhme
Ein eifriger Förderer unserer Sache, Professo:
Dr. A. Batek in Prag, sendet uns ein Schreiben
über seine pazifistische Tätigkeit, aus dem wir
einige interessante Stellen hier folgen lassen:
„Da in Prag läßt sich doch viel mehr
machen als in Pilsen. Dort unter der Obhut
der Skodawerke wachsen nur dem Flotten verein
die Früchte. Da ich auch andere als pazifistische
Vorträge halte, so habe ich in diesem Monat schon
an sieben Stellen vorgetragen. Natürlich lasse
ich auch bei Behandlung rein wissenschaft-
licher und kultureller Vorträge überall die
pazifistische Tendenz durchleuchten.
Hier ist auch eine Fabrik, welche für ihre
Arbeiter allgemein belehrende Vorträge ver-
anstaltet. Da habe ich schon dreimal
vorgetragen. Immer sind gegen 150 Arbeiter
anwesend. Im Dezember habe ich dort über
allmenschliche Ideen vorgetragen, wo ich natür-
lich in erster Reihe die pazifistischen Be-
strebungen hervortreten ließ.
Schade, daß ich mit der Schule und auch
wissenschaftlich zu viel beschäftigt bin. Sonst
möchte ich einen böhmischen Friedensverein
gründen. Aber dazu habe ich viel zu wenig
Zeit. Jetzt will ich mir aber ein Skioptikon
kaufen und meine eigenen Diapositive an-
schaffen. Dadurch hoffe ich, meine Vorträge
anziehender zu gestalten."
■MB
Wie uns die Ortsgruppenleitung aus Marien-
bad mitteilt, hat die dortige Bezirkshauptmann-
schaft ebenfalls die Affichierung unseres
Plakates verboten.
In Brunn hat sich bereits eine böhmische
Friedensvereinigung für Mähren gebildet.
Dem Gründungskomitee gehören Abgeordnete,
hohe Geistliche, Advokaten, Schuldirektoren
und höhere Staatsbeamte an. Am 15. Dezember
v. J. war die Gründungsversammlung, welche
ungemein gut besucht war, an welcher sich
ein Vortrag von Frau Henriette Wurm anschloß.
Die neue Vereinigung beabsichtigt, an den
Landesschulrat in Brunn ein Gesuch um Ein-
führung des Friedenstages in den Schulen zu
richten, und hat vor, sich mit dem Brünner
Deutschen Frauenklub in Verbindung zu setzen,
damit dieser auch an die deutsche Sektion des
Landesschulrates die gleiche Petition überreicht.
Die Proponentin der Vereinigung ist uns als
warme Friedensförderin bekannt und hat im
vorigen Monate in Prag zwei große Vorträge
gehalten.
CMS»
Wiener akademischer Friedens-
verein. Am 3. Januar d. J. veranstaltete der
Wiener akadem. Friedensverein einen Vortrags-
abend. Prof. Dr. R. Broda (Paris) sprach im
Hörsaal 50 der Universität über das Thema:
„Inwieweit bestätigt der Balkankrieg die Lehren
der Friedensbewegung", er erntete für seine
Ausführungen von den überaus zahlreich er-
schienenen Zuhörern reichen Beifall.
*
Verantwortlicher Redakteur: Carl Appold, Berlin W. 50. — Im Selbstverlag des Herausgebers Alfred H. Fried, Wien IX/2.
Druck: PassA Garleb G.m.b.H., BerünW.67. — Verantwortl. Redakteur für Oesterreich-Ungarn : Vinzen a Jerabek inWieD.
40
Februar 1913.
Die gefundene Formel.
„Eines schönen Tages wird man an die
Regierung mit der Frage herantreten, was
sie denn getan habe, um diese angeblich,
so schwere Formel zu finden. Welch merk-
würdige Stellungnahme, zu behaupten, eine
Formel sei schwierig, und es dabei bewenden
zu lassen! Welch neuer Beweis für die Un-
tauglichkeit unserer heutigen Diplomatie!
Wenn die Menschheit diesen Standpunkt
immer eingenommen hätte, so hätten wir
uns von der Kultur des Pfahlbauers noch
nicht erhoben. Auch die Formeln für die
Heilung der Diphtherie und für das lenk-
bare Luftschiff waren schwierig zu finden,
und nur, weil man nach ihnen gesucht hat,
ist man zur endlichen Lösung dieser Pro-
bleme gelangt. Die Formeln zur Heilung des
Krebses und der Tuberkulose sind sicher-
lich noch schwieriger als die Formeln zur
Verminderung der Rüstungen. Nach den
ersteren sucht man aber mit allen der
Wissenschaft zur Verfügung stehenden
Kräften, bei der Suche nach der letzteren
begnügt man sich im günstigsten Falle mit
dem Gutachten eines Obersten vom General-
stab." So schrieben wir an dieser Stelle
im April 1909, als im englischen wie im
deutschen Parlament das Problem zur Be-
schränkung der Seerüstungen fast gleich-
zeitig erörtert, und die Suche nach der
„Formel" von Seiten der Reichsregierung
als eine ziemlich vergebliche Arbeit be-
zeichnet wurde. Die Wege der Entwick-
lung sind manchmal kraus. Wer ihnen aber
beharrlich folgt, nähert sich doch dem Ziel.
Am 7. Februar 1913 drang die Nachricht
in die Welt, daß die deutsche Reichsregie-
rung sich mit England über die Entwick-
lung des Flottenbaues beider Länder auf
eine Formel geeinigt habe. Eine Nachricht
von so ungeheurer Wichtigkeit, daß für
einen Augenblick all der widerwärtige
Wahnsinn in Vergessenheit geriet, der im
Südost des Erdteils die Völker um das bren-
nende und zertrümmerte Adrianopel streiten
läßt und Leichenhaufen über Leichenhaufen
türmt. Auch hier ist eine Bresche ge-
schossen, ein Fortschritt bei der Belagerung
eines Systems erzielt worden, das seit Jahr-
zehnten sich, gegen die Uebergabe sträubt.
Das System des Wettrüstens — es ist noch
nicht überwunden — aber eine Erschütterung
hat es erhalten, die vom Standpunkt der
Vernunft auf das freudigste zu begrüßen
ist. Jahrzehnte hindurch haben wir Pazi-
fisten gegen die Bollwerke der Rüstungs-
routine Sturm gelaufen, haben wir die Wälle
der Vorurteile und des Hasses zu über-
winden versucht, haben wir mit den Waffen
der Vernunft und des trockenen Kalküls die
schönen Phrasen der Rüstungsfanatiker be-
kämpft. Jahrzehnte hindurch haben wir
unsere Arbeit jenen Kräften entgegen-
gestellt, die darauf ausgingen, zwei Völker,
die gemeinsam den Weltkern bedeuten, zu
spalten, und zur gegenseitigen Vernichtung
anzuspornen. Den Kriegshetzern, den Ver-
nichtungsgläubigen, den Gewaltaposteln und
den Propheten eines unbedingt notwendigen
und unumgänglichen Krieges sind wir zu
Leibe gerückt. Immer dichter schlössen sich
die Kreise der von uns aufgestellten Ver-
ständigungsarmee, immer enger wurden die
Maschen jenes Netzes, das wir um beide
Staaten legten, um sie vor einem gewalt-
samen Auseinanderfall zu hindern. Der haß-
erfüllten Sprache berufsmäßiger Hetzer
setzten wir den Zwang zur gegenseitigen
Erörterung entgegen, zur Aussprache, zum
Gedankenaustausch; lauter Mittel, die die
Eignung besitzen, zur Explosion bereitetes
D37namit in feuchten Zustand zu versetzen.
Den Krieg, den kulturmordenden Weltkrieg,
gelang es uns so, hinauszuschieben und,
nach menschlicher Voraussicht, überhaupt
zu bannen. Nun haben wir einen weiteren
41
DIEFßlEDEN5-^/AQTE
Q)
Triumph zu verzeichnen. Von den Festungs-
mauern der Eoutine weht die weiße Fahne
mit der Formel 10:16. Nirgends so sehr,
wie in dem Kampfe der Friedensidee gegen
die Weltunvernunft, hat der Satz Berech-
tigung, den Frederic Passy in einer
entscheidenden Stunde der pazifistischen
Geschichte gesprochen : „Man soll nie-
mals „niemals" sagen."
Die Formel ist gefunden. Zwar nicht
die Formel der Abrüstung, aber die Formel
für die Beschränkung des Wettbewerbes
der Rüstungen. Damit ist aber nicht nur
der Anfang gemacht, sondern gerade das
Unheilvolle im modernen Rüstungswesen ins
Herz getroffen worden. Denn nicht die
Rüstungen an sich sind das Verderbliche,
sondern das in seiner Wirkung zwecklose
U eberbieten, das die Kräfte erhöht, ohne
sie zu verschieben. Jenes U eberbieten, das
den Völkern die größten Lasten auferlegt,
ohne einen anderen Grund als den der Un-
fähigkeit zu einer vernünftigen Verein-
barung. Es ist ein Anfang gemacht, der
auf die Entwicklung der europäischen Psyche
von segensreichstem Einfluß sein muß, denn
bisher haben sich die Anhänger des Wett-
rüstens mit Gewalt der Zumutung ver-
schlossen, daß über jenes Problem über-
haupt diskutiert werden dürfte; mit patrio-
tischer Entrüstung jeden des Verrats ge-
ziehen, der darauf hinwies, daß eine Dis-
kussion von Volk zu Volk allein imstande
wäre, dem Uebel an den Leib zu gehen.
„Die Rüstungen sind unsere eigene Ange-
legenheit, in die wir niemanden etwas drein-
zureden gestatten", war die ständige ver-
bohrte Widerlegung aller unserer Versuche.
Vergeblich war unser Bemühen, darauf hin-
zuweisen, daß jede Rüstung eines Staates1
einen Eingriff in die Angelegenheiten des
andern bedeute, daß daher die gemeinsame
Erörterung eine ganz selbstverständliche
Forderung der Vernunft sei. Die Gegner
gingen so weit, daß z. B. die „Hamburger
Nachrichten", als im Jahre 1906 im eng-
lischen Unterhause die Anregung zur
internationalen Besprechung des Rüstungs-
problems gegeben wurde, nicht vor der
Behauptung zurückschreckten, die Eng-
länder wollen den Deutschen das Maß ihrer
Rüstungen „vorschreiben", wie es einst
Napoleon Preußen nach dem Frieden von
Tilsit getan. Um der Wahrheit die Ehre
zu geben muß betont werden, daß man
sogar in konservativen und sonst stark
national gesinnten Kreisen die Unhaltbar-
keit der Rüstungsargumente, wie sie das
Gros der Fanatiker vorbrachte, seit einiger
Zeit erkannt hat. Schon lange vor
der zweiten Haager Konferenz hat Ge-
heimrat von Hollstein zu einer Ver-
ständigung mit England geraten, und sogar
die „Kreuz z ei tun g" hat in ihrem Oster-
artikel von 1909 der Hoffnung Ausdruck
gegeben, der Reichskanzler werde doch eines
Tages und „hoffentlich recht bald die Formel
finden", die eine Verhandlungsbasis mit Eng-
land biete. Und der konservative Erbprinz
von und zu Hohenlohe - Langen-
bürg brachte im März 1909 im deutschen
Reichstag die Ansicht zum Ausdruck, daß
ein Vorschlag Englands über die Abrüstung
zur See „wenn er an uns herantritt, nicht
in schroffer Weise zurückzuweisen ist". Er
meinte, man müsse einen solchen Vorschlag
reiflich prüfen und fügte hinzu: „Ich glaube,
man muß die geschichtliche Entwicklung
abwarten. Es hat sich schon manches in
der Welt vollzogen, was vor 20, 30 oder
50 Jahren als unmöglich galt, und wer weiß,
ob nicht dereinst die Tatsachen zu jenem
Ergebnis führen werden, das wir jetzt durch
einen Vertrag vergeblich zu erreichen be-
strebt sind." Im März 1911 trat auch der
konservative Graf von Kanitz für eine
Flottenverständigung mit England ein, in
dem er sich mit den Grundsätzen des Mi-
nisters Grey einverstanden erklärte, der
kurz vorher gesagt hatte: „Die Bürde der
Rüstung ist eine größere Gefahr als der
Krieg selbst; sie bedeutet ein Verbluten in
Friedenszeiten."
* * *
In dem Entwicklungsgang zu einer
anglo-deutschen Rüstungsverständigung sind
drei Perioden deutlich zu unter-
scheiden. Zuerst das vollständige Still-
schweigen deutscherseits gegenüber den eng-
lischen Anregungen. Schon im März 1899
ließ die englische Regierung durch den da-
maligen ersten Lord der Admiralität, G o -
sehen, erklären, daß sie nichts sehnlicher
wünsche, als ihre Marineausgaben be-
schränken zu können, und daß sie bereit sei.
ihr Bauprogramm zu vermindern, wenn an-
dere Nationen sich mit ihr darüber verstän-
digen wollten. Noch im Juli 1903 bestätigte
der damals allmächtige Minister Cham-
ber 1 a i n diese Erklärung Lord Goschens,
die er für die Regierung noch immer bin-
dend erklärte. Diese Anregungen fanden in
Deutschland keinerlei Beachtung; ja sie
wurden in der Oeffentlichkeit kaum bekannt.
Die zweite Periode kennzeichnet sich
durch eine energische Zurückweisung derj
42
es
DIE FRIEDENS -WARTE
englischen Vorschläge von deutscher Seite.
Sie setzt um das Jahr 1906 ein, als England
sich bemühte, das Problem der Rüstungs-
beschränkungen auf der zweiten Haager
Konferenz zur Erörterung zu bringen. Die
Debatten im englischen Unterhause im
Frühjahr 1906 und im Oberhause im Mai
desselben Jahres, so wie die übrigen Maß-
nahmen der englischen Regierung zu jener
Zeit (interparlamentarische Konferenz zu
London) lösten in der öffentlichen Meinung
Deutschlands bis weit in die liberalen Kreise
hinein eine heftige Opposition aus. Man
vermutete in dem englischen Vorgehen einen
„Trick" gegen Deutschland und betrachtete
von diesem Gesichtspunkt aus die ganze
zweite Haager Konferenz als eine Falle, in
die das Reich gelockt werden sollte. Ja man
ging so weit, die Möglichkeit einer Erörte-
rung des Rüstungsproblems auf der Kon-
ferenz als eine Kriegsgefahr anzusehen. In
offener Reichstagssitzung im April 1907
entrang sich dem Abgeordneten Basser-
mann der Stoßseufzer: „Wenn wir die
Haager Konferenz glücklich überstanden
haben, dann werden hoffentlich wieder fried-
liche Zeiten kommen", und der Kriegs-
minister hielt es für angebracht, dem Ab-
geordneten Lieber mann von Sonnen-
berg zuzustimmen, der für jene eng-
lischen Verständigungsversuche nur ein
schußbereites ,,sie mögen kommen!"
übrig hatte. Fürst B ü 1 o w erklärte dam als,
daß Deutschland an einer Besprechung des
Rüstungsproblems auf der Haager Konferenz
nicht teilnehmen werde. So wurde die Be-
ratung des Problems im Haag vereitelt. Die
englische Regierung begnügte sich dort, auf
die Notwendigkeit einer Lösung hinzuweisen,
und neuerdings ihre Bereitwilligkeit zu
einem Abkommen zu erklären.
* * *
Aber unmittelbar nach der zweiten
Haager Konferenz begann die dritte Periode,
die sich durch den Beginn einer wechsel-
seitigen Erörterung der Rüstungsfrage .
kennzeichnet. Englische Staatsmänner un-
terließen es nicht, darauf hinzuweisen, daß
es so nicht weitergehen könne. Lord A s -
q u i t h erklärte noch 1908, daß er ?,ine Hand
ergreifen würde, die in guter Absicht und
Treue entgegengestreckt wird, und im März
1909 entwickelte sich im deutschon Reichs-
tag an zwei Tagen eine hochbedeutende De-
batte, in der die Vertreter verschiedener Par-
teien den "Wunsch nach einer Verständigung
mit England zum Ausdruck brachten und
in der die Regierung zugab, daß „unverbind-
liche" Gespräche mit den englischen Staats-
männern bereits gepflogen wurden. In den
Jahren 1910 und 1911 nahm die wechsel-
seitige Erörterung des Rüstungsproblems an
Kraft zu, und in der Reichstagssitzung vom
10. Dezember 1910 konnte der Reichskanzler
Bethmann H oll weg gegenüber den
Wünschen mehrerer Parteivertreter erklären,
daß mit der englischen Regierung „pour-
parlers" schweben. Schließlich kam es am
31. März 1911 im deutschen Reichstag, nach
einer zweitägigen Debatte über die Rüstung. -
Verständigung, zur einstimmigen An-
nahme einer Resolution, die dahin
ging: „Der Reichstag wolle beschließen, den
Reichskanzler zu ersuchen, die Bereitwillig-
keit zu erklären, in gemeinsame Verhand-
lungen mit anderen Großmächten einzu-
treten, sobald von einer Großmacht Vor-
schläge über eine gleichzeitige und gleich-
mäßige Begrenzung der Rüstungsausgaben
gemacht werden sollten." Die Marokkover-
stimmung konnte die Entwickelung der
gegenseitigen Erörterungen nicht hemmen.
Nach Agadir kam Lord H a 1 d a n e nach
Berlin und Freiherr von Marschall
wurde nach London versetzt. Ende Oktober
1912 fand in London die von beiden Regie-
rungen gebildete anglo-deutsche Verständi-
gungskonferenz statt, und am 7. Februar
1913 erklärte nun der Staatssekretär des
deutschen Reichsmarineamtes in der Budget-
kommission des Reichstages, daß er eine
Verständigung mit England über die Größe
der Flotte im Verhältnis von 10: 16 für
die nächsten Jahre für annehmbar halte.
Damit beginnt die vierte Periode der anglo-
deutschen Verständigung, die der praktischen
Friedenssicherung und endlichen Durch-
führung eines vernünftigen Ebenmißes der
staatlichen Schutzeinrichtungen. Die Zeit
scheint nahe zu sein, wo die land-
läufigen Einwände gegen das allgemeine
Verlangen nach Regelung des Rüstungs-
wesens in sich zusammenfallen werden und
so der Weg frei gemacht werden wird
zur wahren Befreiung der Völker von
ihrer eigenen Tyrannei. Diese werden
alsdann entdecken, wie sie Edward Grey
in seiner oben erwähnten denkwürdigen
Unterhausrede vom 12. März 1911 sd
richtig gesagt hat, „daß während der
Zeit, in der sie sich in der Knechtschaft
dieser ungeheuerlichen Ausgaben befanden,
die Gefängnistür von der Innen-
seite verschlossen war."
Die pazifistische Bewegung kann mit
Stolz darauf hinweisen, daß sie es war, die
43
DIE FßlEDENS-^ADTE
3
jenen "Wandel der öffentlichen Meinung her-
beigeführt hat, durch den es erst möglich
wurde, aus der Zeit des brutalen Hasses,
der gegenseitigen Vernichtungsgier heraus,
in eine Aera der Vernunftherrschaft hinüber-
zuführen. Ihr scheint diese Aenderung in
den Beziehungen der beiden Staaten zugleich
ein "Wendepunkt für die Entwicklung ganz
Europas zu werden. Die schlichten Zahle q
10:16 werden weltgeschichtliche Bedeutung
erlangen. Wenn sie, was zu erhoffen ist,
eine Sicherung dafür bieten werden, daß die
beiden Völker, die wir den Kern der "Welt
genannt haben, statt zu gegenseitiger Ver-
nichtung, zur Gemeinsamkeit und höheren
Festigung gelangen können, so wird sich
das Rad der Weltgeschichte künftig nach
einer ganz anderen Richtung drehen, und
die Aengste und Verwirrungen, unter denen
der schwergeprüfte Erdteil in den letzten
Jahren zu leiden hatte, werden bald einer
Vergangenheit angehören, die einer glück-
licheren Zukunft nur Grauen und Abscheu
einflößen wird. Wir Pazifisten, die wir uns
den Ruhmestitel nicht werden rauben lassen,
der Entwicklung dieser glückverheißenden
Wendung zugesteuert zu haben, werden mit
erneuten Kräften dahin arbeiten, daß diese
Zukunft bald eine Gegenwart werde.
A. H. F.
Das Problem eines inter-
nationalen Staatengerichtshofes,
Von Assessor Dr. W. Bellardi, Hannover.
Als zweiter Band der großzügig angeleg-
ten Sammlung „Das Werk vom Haag" ist
im Sommer des verflossenen Jahres unter
dem obenstehenden Titel ein neues Buch
von Dr. Hans Wehberg erschienen
(München und Leipzig 1Q12, Verlag von
Duncker & Humblot).
Man darf es a priori als einen besonders
günstigen Umstand betrachten, daß gerade
W e h b e r g die Bearbeitung dieser schwie-
rigen Materie, die für den erhofften bal-
digen Fortschritt in der Entwicklung der
internationalen Rechtsgemeinschaft von so
außerordentlich praktischer Bedeutung ist, in
die Hand genommen hat. Zweifellos war
Wehberg der berufene Mann hierzu. Hat
er doch bei seiner unermüdlichen und tief-
gehenden Beschäftigung mit allen Fragen
des Völkerrechts und der Friedensbewegung
sich bereits seit Jahren mit besonderem Inter-
esse dem Probleme der internationalen
Gerichtsbarkeit zugewandt. In einer Reihe
von Aufsätzen in Tageszeitungen und Fach-
zeitschriften sowie an mehreren Stellen seines
Kommentars zu dem Haager „Abkommen
betreffend die friedliche Erledigung inter-
nationaler Streitigkeiten" vom 18. Oktober
1907 (Tübingen 1911, Verlag von J. C.B.Mohr)
hat Wehberg seine Gedanken hierüber
zum Teil schon veröffentlicht. Diese Ge-
danken, wesentlich erweitert und in gründ-
licher, wissenschaftlicher Weise vertieft,
finden wir nun in diesem zweiten Bande des
„Werkes vom Haag" in übersichtlicher Zu-
sammenfassung niedergelegt.
Wehbergs Arbeit rechtfertigt die
darauf gesetzten Hoffnungen in reichstem
Maße. Ich möchte wünschen, daß sie nicht
nur weit verbreitet, sondern auch ernsthaft
studiert würde von allen, deren Gesichts-
und Gedankenkreis über den Horizont des
eigen-persönlichen und nationalen Lebens
hinausgreifend auch die Anteilnahme an dem
Gesamtleben der in Kulturstaaten organi-
sierten Menschheit umfaßt. Besonders aber
sollten alle diejenigen an dieser kostbaren
Quelle trinken, in deren Hand es zum wesent-
lichen Teile gegeben ist, über Tempo und
Grad des Fortschritts im Wachstum der
Völker-Rechtsgemeinschaft zu entscheiden.
Hiermit könnte ich eigentlich schon mit
dem, was ich zu Wehbergs Werk öffent-
lich zu sagen hätte, abschließen : !man lese das
Buch und denke darüber ! Zum mindesten er-
scheint es mir überflüssig, neben dieser drin-
genden Empfehlung darauf hinzuweisen, daß
Wehbergs Arbeit in hohem Maße von
selbständigem1 Geist und Scharfsinn zeugt
und sich in gleicher Weise durch klare, über-
sichtliche Anlage und fesselnde, gewandte
Darstellung wie durch die außerordentliche
Fülle des verarbeiteten deutschen und fremd-
sprachigen Akten- und Literaturmaterials
auszeichnet. Hiervon wird sich jeder, der das
Werk liest, ohnehin bald überzeugen. Und
andere dürfte diese Feststellung schwerlich
viel interessieren.
Vielleicht aber wird erst eine kurze Dar-
legung des näheren Inhalts den einen oder
anderen zur Lektüre des Buches anregen.
Deshalb mag ein Eingehen hierauf an dieser
Stelle berechtigt sein.
Und zwar möchte ich der knappen Mit-
teilung des wesentlichen Inhalts die einzige
eigentlich „kritische" Bemerkung, die ich für
meine Person zu machen hätte, hier gleich
vorausschicken, ohne jedoch eine Polemik
in einer Frage eröffnen zu wollen, die von
der Mehrzahl der völkerrechtlichen und pazi-
fistischen Schriftsteller bereits im Sinne der
W e h b e r g sehen Auffassung beantwortet
worden ist — wobei ich die Richtigkeit dieser
Antwort vom praktischen Standpunkte der
Rücksichtnahme auf die heutigen wirk-
lichen Verhältnisse des politischen Lebens
und auf die Gebote der Taktik ohne weiteres
anerkenne.
Es handelt sich um die Frage, ob für die
Organisation der völkerrechtlichen Recht-
sprechung die Schaffung einer Exekutions-
44
<£
= DIE FRIEDENS-^^RXE
instanz entbehrlich ist oder ob sie vielmehr
notwendig, zum mindesten wünschenswert ist.
W e h b e r g meint, es bestehe „keinerlei
Bedürfnis für eine Exekutionsgewalt im
Völkerrechte, so daß das Ideal eines inter-
nationalen Gerichtshofes einen Zwangs-
apparat nicht erfordere" (S. 105, ähnlich
S. 115, 122 und 129). Der angeblich erbrachte
Beweis (S. 122) für diesen Satz könnte meines)
Erachtens höchstens in dem Hinweise Weh-
bergs darauf erblickt werden, daß bisher
„alle die zahlreichen Schiedssprüche frei-
willig befolgt worden sind" (S. 105, vgL
auch S. 90). Indessen, ist diese erfreuliche
Tatsache allein ein logisch zwingender Be-
weis.? Mir scheint es doch mehr die frohe
Zuversicht des für das hohe Ideal des Frie-
dens begeisterten Optimisten zu sein, die aus
den folgenden Worten spricht : „Es heißt
an den großen Aufgaben der Menschheit
verzweifeln und die offenkundigen Tatsachen,
die für eine immer stärkere Entwicklung
in dieser Richtung sprechen, verleugnen,
wollte man annehmen, die Zukunft der
Staaten würde nicht ausnahmslos durch das
Recht geregelt werden, auch ohne daß eine
Zwangsgewalt besteht" (Seite 105). Daß Weh-
berg nicht abgeneigt ist, zugunsten einer
immer stärkeren Durchdringung der Völker-
rechtswissenschaft mit pazifistischen Gedanken
und Zielen von der Richtlinie streng logischer
Beweisführung gelegentlich — und zwar wohl
bewußt — abzuweichen, geht übrigens sehr
deutlich aus seinen eigenen tatfrohen schönen
Worten hervor: „Den Fortschritt der neuen
Völkerorganisation nach außen kundzutun,
daran müssen alle mitarbeiten, die der Meinung
sind, daß die wahre Wissenschaft des Völker-
rechts nicht lediglich den Zweck hat,
juristische Begriffe fein säuberlich zu defi-
nieren, sondern daß sie mit aller Kraft und
der ganzen Begeisterung der wahren Jünger
des Völkerrechts an der Verbesserung der
internationalen Anarchie mitarbeiten muß,
daß sie sich den großen Fragen des wahren
Lebens (nicht der Studierstube) mit dem
ganzen Eifer widmen muß, den uns die Pazi-
fisten immerfort gezeigt haben" (Seite 118 ff.).
Und so ist denn Wehberg in seinem
innersten Gelehrtenherzen doch wohl nicht so
ganz von der völligen und dauernden Belang-
losigkeit einer Exekutionsinstanz im Völker-
recht überzeugt, als es den Anschein hat.
Denn sonst würde ihm nicht auf Seite 152
die Bemerkung von „dem zurzeit uto-
pistischen Gedanken einer Exekutionsgewalt"
entschlüpft sein. Auch die Ausführungen auf
Seite 90 lassen die uneingeschränkte Be-
hauptung von der Entbehrlichkeit einer
Zwangsinstanz in etwas getrübtem Licht er-
scheinen.
Wehberg verlangt von denjenigen, „die
sich gar nicht von den innerstaatlichen An-
schauungen loslösen können und unter einem
Gerichtshofe auch im internationalen Völker-
leben nur eine mit Zwangsgewalt ausgestattete
Behörde verstehen", den Beweis dafür, daß
„internationale Gerichtsbarkeit mit der natio-
nalen Gerichtsbarkeit wesensgleich ist, und
man daher als begriffliches Merkmal der
internationalen Gerichtsbarkeit einen Zwangs-
apparat fordern darf" (Seite 105 ff.). Die Be-
weislast dürfte wohl dem zufallen, der die
Wesensungleichheit behauptet. W e h b e r g
tritt den Beweis hierfür auch an, indem er
bemerkt, „die Gerichtsbarkeit im nationalen
Rechte werde durch ein über den Privaten
stehendes Rechtssubjekt, nämlich den Staat,
eingesetzt, wohingegen jede Rechtsprechung
im Völkerrecht begrifflich auf dem freien
Willen der Staaten beruhe" (Seite 114 ff.). Das
trifft gewiß zu. Aber das Wesen der Gerichts-
barkeit wird doch nicht durch den Hinweis
auf die einsetzende Stelle, von welchem der
Gerichtshof seine Machtbefugnisse ableitet,
erfaßt. Vielmehr ist es die Art der über-
tragenen funktionären Machtbefugnisse selbst,
die das Wesen der Gerichtsbarkeit ausmacht,
und das ist: die Handhabung des
„Rechts". Und dazu gehört wiederum
dreierlei: erstens das Vorhandensein objektiver
Regeln, zweitens die spruchrichterliche Sub-
sumierung von Tatbeständen unter diese
Regeln, und endlich die — nötigenfalls ge-
waltsame — Durchführung der Entscheidung.
Damit ist zugleich gesagt, daß dem objektiven
Rechtsbegriffe der mit Zwangsgewalt aus-
gestattete Befehl zur Seite stehen muß. Es
gehört begrifflich zum „Rechte", daß es jeden
widerstrebenden Willen der eigenen Autorität
unterwerfen kann. Anderenfalls ist eine
Rechtshandhabung, die nicht dem gelegent-
lichen Versagen ausgesetzt sein will, undenk-
bar. So gut nun jene drei Elemente der
nationalen Gerichtsbarkeit eignen, müssen sie
auch der völkerrechtlichen Rechtspflege inne-
wohnen. Denn es ist nicht abzusehen, inwie-
fern die Grundlage jeder Rechtssprechung,
nämlich die objektive Norm, im nationalen
und internationalen Rechte qualitativ ver-
schieden sein soll. Ohne die Möglichkeit des
Zwanges ist eine Garantie für die Ausgleichung
sozialer Kollisionen, d. h. für die Erledigung
von Rechtsstreitigkeiten, hüben wie drüben
nicht gegeben. Begrifflich ist also auch
im Völkerrecht eine wirkliche und vollständige
Gerichtsbarkeit ohne Zwangsgewalt m. E. un-
möglich, eine Exekutionsinstanz mithin nicht
„entbehrlich". Erst dann, wenn wir einen mit
Exekutiv-Befugnissen und -Machtmitteln aus-
gestatteten internationalen Staatengerichtshof
haben, werden wir wirklich unbeanstandet
sagen dürfen: es gibt ein Völker - R e c h t.
Ein zwischenstaatliches Recht, dessen Bedeu-
tung als Külturerscheinung dem Privatrecht
und dem inneren Staatsrecht gleichwertig wäre,
gibt es heute noch nicht. Regel und Rechts-
findung — beide allerdings vorläufig noch in
beschränktem Umfange — sind da, aber es
fehlt die Krone des Baues: die Sanktion des
45
DIE FßlEDENS-^ADTE
3
Zwanges. Sie wird — abgesehen von indirekten
Beugungseinflüssen — heute noch ersetzt
durch die Sanktion der Moral, durch die
Achtung vor dem Rechte, die niemals ein
integrierender Bestandteil des objektiven
Rechtes selbst sein kann.
Praktisch freilich ist eine internatio-
nale • Gerichtsbarkeit ohne Zwangsgewalt
immerhin möglich, wie die bisherige Er-
fahrung zeigt. Es fragt sich nur, ob man
auch sagen darf: „Es bestehe keinerlei Be-
dürfnis für eine Exekutionsgewalt im Völker-
rechte." Ich meinesteils bejahe die Bedürfnis-
frage, mag sie auch zurzeit nicht dringlich
sein, unbedingt. Ich halte die Einsetzung
einer internationalen Zwangsgewalt für höchst
wünschenswert, nicht nur weil die theoretische
Logik es gebietet, sondern auch darum, weü
ich darin einen außerordentlich bedeutsamen
Fortschritt in der zwischenstaatlichen Organi-
sation erblicken würde. Man vergegenwärtige
sich, welches Ansehen ein mit Exekutivbefug-
nissen ausgestatteter höchster Gerichtshof der
gesamten Kulturwelt genießen müßte, eine
Institution, die zwar aus dem freien Willen
der Einzelstaäten hervorgegangen wäre, deren
Aufhebung öder Beschränkung aber nur unter
Zustimmung sämtlicher Gründer zulässig sein
dürfte. Schon die bloße Existenz einer wahr-
haften Staaten Justiz würde den Ausbruch
mancher Zwistigkeiten zwischen den Staaten
verhindern. Vom Weltbundesstaate wären wir
dann freilich nur noch einen Schritt entfernt;
Hoffentlich kommen wir so weit, — um, dann
den letzten Schritt auch noch zu tun!
Können ? ! " ' N i c h t s ist Unmöglich dem,
der will. Wenn doch nur die Steuerleute1 der
Staätsschiffe wollten!' Sollten sich nicht
einmal über kurz oder lang gleichzeitig in
verschiedenen Staaten starke Männer finden,
die das, was die weitaus überwiegende Mehr:
heit der Menschen ersehnt, die dauernde Siche-
rung des Friedens zwischen den Völkern, kraft-
voll verwirklichen ?
, :, Und die Exekutivgewalt des Staaten-
gerichtshofes ? Worin soll die bestehen ? Wie
soll sie gehandhabt werden? Ein Problem für
sich, desseri nähere Erörterung nicht hierher
gehört, ; Aber ich möchte doch darauf hin-
weisen, tlaß eine scharfe persönliche Verant-
wortlichkeit der einzelnen Minister der Staaten
wohl die wichtigste Garantie für die Befolgung
der Entscheidungen des Staatengerichtshofes
bilden müßte. D je Schaffung einer großen
internationalen Polizeimacht — ein vorläufig
noch zu fern liegendes Problem. Dahin
kommen wir vielleicht einmal, wenn es ge^
hingen ist, auf der Grundlage eines mit
Zwangsgewalt ausgestatteten Staatengerichts-
hofes die Fragen der Rüstungsbeschränkung
und .des : Fortfalls der Ehren- und Lebens-
klausel in den Schiedsverträgen zu lösen. Den
ziemlich konservativen Ausführungen W ehr
b.er.g.s .über „Ehre..- und.; Lebensinteressen"
.46
der Staaten (Seite 89) vermag ich übrigens
keineswegs zuzustimmen.
Nun, das alles hat wohl noch gute Weile.
Arbeiten wir weiter, diesen erstrebenswerten
Rechts zustand unter Wahrung der
historischen kontinuierlichen Entwicklung, so
bald und so vollkommen, wie es uns mög-
lich ist, herbeizuführen. Den nächsten bedeut*
samen Schritt auf diesem Wege stellt jeden-
falls die Einrichtung eines ständigen inter-
nationalen Gerichtshofes — überhaupt und
vorläufig abgesehen von einer Zwangsinstanz
— dar. Für diesen Schritt durch Dornen und
Gestrüpp freie Bahn und helles Licht ge-
schaffen zu haben, ist das große Verdienst,
das W e h b e r g sich mit seinem Werke :
„Das Problem eines internationalen Staaten-
gerichtshofes" erworben hat.
Der Grundgedanke des Buches ist die
Gegenüberstellung und scharfe Abgrenzung
der bloßen Schiedsgerichtsbarkeit einerseits
und der Gerichtsbarkeit auf der anderen Seite.
Die erstere will „schwebende Konflikte fried-
lich lösen, ohne Rücksicht, ob dadurch gleich-
zeitig die Ursache, der vorhandenen Differenzen
beseitigt wird", die zweite „denkt viel weiter
und versucht, nicht nur gegenwärtige Kon-
flikte zu beseitigen, sondern auch zukünftigen
Streitigkeiten dadurch vorzubeugen, daß durch
allmähliche Fortbildung des Völkerrechts auf
dem Wege internationalen Rechtsspruches die
Rechtslage sichergestellt wird" (Seite 7).
Wehberg weist nun im einzelnen nach,
daß alle durch Sprüche herbeigeführte Streit-
erledigung zwischen den . Staaten, bisher den
Charakter der Schiedssprechung gehabt hat,
und daß diese neben ihren anderweiten
Mängeln für die Fortbildung des Völkerrechts
so gut wie nichts geleistet hat. W.ehberg
berichtet dann genau über den ständigen
Haager Schiedshof vom Jahre 1899 (Seite 138
bis 151) und über das Projekt der zweiten
Haager Konferenz vom Jahre 1907, die „Cour
de la justice arbitrale" (Seite 154 f., 169 bis
192). Hieran schließt sich ein fesselndes Inter-
mezzo: ein kurzer Kommentar zu dem .Ent-
würfe dieser „Cour arbitrale" (Seite 193 bis
231). Es ergibt sich aus. all diesen Betrach-
tungen, daß sämtliche Versuche, eine wirk-
liche zwischenstaatliche Gerichtsbarkeit zu
schaffen, auf halbem Wege stecken ge-
blieben sind. .
Neben diese umfangreiche historische
Masse des Buches tritt als zweiter und wich-
tigerer Bestandteil das konstruktive Element:
Wehbergs . eigene Ansichten, über einen
internationalen Staatengerichtshof. Nicht eine
Verdrängung. des jetzt bestehenden S eh i eds -
hof.es, der zur Beilegung hochpolitischer
Konflikte auf Grund, von Billigkeitserwägungen
durchaus zweckdienlich erscheint, wünscht
Weh her g, sondern als Ergänzung, dieser
Institution einen zur .Beurteilung, der zahl-
reichen mehr oder weniger , juristischen Streit-
fragen berufenen Gerichtshof, durch
<§^
DIE FRI EDENS -WABXE
dessen rein rechtliche Entscheidungen an-
gesichts des noch vorhandenen Mangels leiten-
der Rechtsgedanken eine klare Fortbildung
des materiellen Völkerrechts am vorteil-
haftesten bewirkt werden kann (vgl. Seite 142,
auch Seite 8 f.). Daß die Urteilsfindung nach
objektiven Rechtsregeln der Billigkeit nicht
widersprechen darf, versteht sich dabei wohl
von selbst. W e h b e r g stellt folgende Grund-
forderungen für einen internationalen Gerichts-
hof auf: 1. Keine Diplomaten, sondern Be-
rufsrichter; 2. Ausschluß der nationalen
Richter; 3. Ausschluß der Wahl der Mit-
glieder durch die streitenden Parteien und
überhaupt durch die Staaten; 4. wirkliche
Ständigkeit des Gerichtshofes; 5. direktes
Klagerecht und 6. Schaffung einer Revisions-
instanz (Seite 153, näheres im 4. Kapitel,
Seite 53 — 95). Eingehend werden auch die
technischen Vorteile eines ständigen Gerichts-
hofes, dauerndes Zusammenarbeiten der
Richter, sowie größere Schnelligkeit und
Billigkeit der Prozeßerledigung, dargelegt
(Seite 96—103). Bei der Frage der Bildung
und Zusammensetzung des Staatengerichts-
hofes spricht Wehberg sich unter Ver-
werfung des Rotationssystems für das Prinzip
der Gleichheit der Staaten aus (Seite 69 — 84).
Näher auf all die interessanten Einzel-
heiten einzugehen, verbietet sich mir durch
den zur Verfügung stehenden Raum.
In einem schwungvollen Schlußkapitel
behandelt W e h b e r g die Aussichten auf
Errichtung eines internationalen Gerichtshofes
(Seite 232 — 238). Die Auspizien sind günstig.
„Es wird hier wieder einmal zutage treten,
daß sich alle großen Ideen, durch die Jahr-
hunderte zum Lichte durchringen und die
Menschheit nur Ausdauer zeigen muß, um
ihre höchsten Ziele zu erreichen."
Abrüstung!
Von Richard Gädke,
früherer Oberst und Regimentskommandeur.
Selbst bei der unterwürfigen und ge-
duldigen Bevölkerung Japans beginnt das
U ebermaß eines chauvinistischen Militaris-
mus Widerstand hervorzurufen. Die neuesten
Pläne der bisher allmächtigen Militärpartei
sind, vorläufig wenigstens, gescheitert ; aller-
dings nur, weil sich kein Finanzminister fand,
der die materiellen Unterlagen für eine große
Vermehrung der Streitkräfte schaffen konnte.
Das Volk ist am Ende seiner steuerlichen
Leistungsfähigkeit angelangt.
Das Beispiel Japans ist der lehrreichste
Beweis dafür, daß siegreiche Kriege an sich
keinen materiellen Aufschwung zur Folge
haben. Die Regierung mußte einen Frieden
schließen, der bei weitem nicht ihren ur-
sprünglichen Zielen entsprach, weil schon
damals die Mittel des Landes erschöpft waren.
Wie von den Kriegen der Jahre 1866 und
1870 die Rüstungsepidemie in Europa da-
tiert, so hat der Feldzug der Jahre 1904 und
1905 ähnliche Folgen für den fernen Osten
gehabt. Japan hat sein Heer um ein Drittel
seiner ursprünglichen Stärke, vermehrt und
die Flotte um gewaltige neue Einheiten ver-
stärkt; Rußlands sibirische Truppen haben
sich zu einem großen Heere entwickelt, und
China sucht tastend noch und zögernd, aber
mit immer wachsender Energie seinen natio-
nalen Bestand durch die Auf Stellung moderner
Streitermassen zu sichern.
Die Ausführungen Norman Angells
in seiner „großen Täuschung" sind gerade
durch die Entwicklung der Dinge in Ostasien
bewahrheitet; wer kann behaupten, daß das
japanische Volk glücklicher geworden sei
durch seinen siegreichen Krieg ? Im Gegen-
teil, die Unzufriedenheit der Massen steigt
von Jahr zu Jahr, so daß sogar das hoch-
mütige Regiment der Samurai nicht mehr
daran vorbeigehen kann. Wenn eine Krieger-
kaste in einem Lande zur unumschränkten
Herrschaft gelangt, so verarmt eben die
Masse des Volkes. Ob in der oder jener
Form: sie sinkt herab zu Heloten des
Staates. Das Verhältnis wird genau um-
gekehrt wie es sein sollte. Nicht der Staat
ist mehr des einzelnen , wegen da, sondern
der einzelne schuftet nur noch für den ge-
fräßigen Dämon Staat — er hungert und
dürstet und plagt sich, damit ein Schemen
den Schein der Größe gewinne.
Was nützt es dem japanischen Kuli, daß
jetzt Korea dem Reiche einverleibt ist, daß
der fruchtbarste Teil der chinesischen
Mandschurei dem Einflüsse der Regierung
in Tokio unterliegt ? Kann er sich seitdem
besser kleiden, besser nähren ? Wohnt er
bequemer, zieht er seine Kinder leichter auf?
Zahlt er weniger Steuern ? Nein, in jeder
Beziehung hat er sich verschlechtert; mehr
und mehr wird er einer kleinen Oberschicht
tributär, die den Staat militärisch und ad-
ministrativ vertritt — und ausbeutet.
Wird es anders auf der Balkanhalbinsel
sein? Werden, diese merkwürdigen Kreuzes-
und Kulturträger, deren erste Segnungen
blutiger Mord und brutaler Raub sind, dem
neugewonnenen Volke wirklich eine erhöhte
Glückseligkeit bringen ? Die Mohammedaner
flüchten verzweifelnd in hellen Scharen,; die
Albanesen wehren sich mit Händen und
Füßen gegen die Wohltaten der Serben,
Montenegriner und Griechen, die " Juden
klagen über die rohere Herrschaft der -Sieger,
und die Christen werden erst später; ihre
Freude erleben an erhöhten Steuern, und
schwererer Wehrpflicht. ti ->; •;:,
Ich gebe ohne weiteres zu*: daß jn -dem
gegenwärtigen Zustande der Welt große mili-
tärische Rüstungen schließlich noch das
sicherste Mittel sind, den Frieden ; zu fx-
halten.. Die Türkei : hat es an ihrem: Leibe
verspürt, was es bedeutet "-— w e h r 1 o; s'-.zu
sein. Die. Kulturaufgaben eines: Staates hat
>7
DIE FBIEDEN5-^/ADTE
e>
sie freilich schlecht genug erfüllt; aber, ob
wohl Griechenland und Serbien, ob die inittel-
amerikanischen Republiken, ob Mexiko und
Haiti ein besonderes Recht haben, stolzer als
sie zu sein ? Hat man nicht künstlich von
außen her die Fäulnisfermente in ihren Leib
getragen, weil an den Grenzen gierige Erben
lauerten ?
Darum müssen wir unverzagt immer von
neuem daran arbeiten, die große Räuber-
familie, die die Staaten der Erde gegenwärtig
bilden, wo jeder die Hand gegen den anderen
hebt, umzugestalten in ein von sittlichen
Idealen erfülltes Gemeinwesen, das in fried-
licher Kulturarbeit zusammenlebt und das
Recht an die Stelle der rohen Gewalt setzt.
Ein Ziel gewiß, zu dem nur ein schmaler,
steiler und rauher Weg führt ! Aber er muß
beschritten werden, wenn das Wort Mensch-
lichkeit nicht ein Ausdruck namenloser
Heuchelei sein soll. Wir werden dem Ideale
nur sehr langsam näherkommen und es nach
der Dürftigkeit irdischen Wesens nur in un-
vollkommener Gestalt verwirklichen. Die
jetzt Lebenden mögen nicht einmal die
Grenzen jenes großen Friedensreiches schauen
— und doch kommen wir ihm langsam näher.
Schiedsgerichtsverträge und Schiedsgerichts-
höfe bilden einen Anfang — wie oft sie
auch verspottet werden mögen. Wirksamer
noch ist die Organisation jener beiden großen
europäischen Verteidigungsbünde, die bisher
den Ausbruch des stets befürchteten großen
Weltenbrandes verhütet haben. Die Pfade
menschlicher Entwicklung sind niemals
gerade verlaufend.
Insoweit also kann auch die Rüstungswut
ein Mittel zum Ziele sein. Die Furcht aller vor
allen ist ein wirksamer Hebel der Friedens-
tendenz — um so mehr, als heutzutage von
unglücklichen Kriegen niemand mehr zu
fürchten hat als die herrschenden Gewalten
und insbesondere die Monarchien. Der Glaube
an das Gottesgnadentum ist nur wenig ver-
treten unter diesem ungläubigen Geschlecht,
das über schwach und morsch gewordenes)
gleichmütig hinwegschreitet und sich nur der
Gewalt beugt.
Aber wenn ich die Rüstungen an sich
nicht verwerfe, so muß ich um so schärfer
mich wenden gegen ihre kostspielige Form
und ihre der Despotie dienende Ausgestal-
tung. In Wahrheit besitzen wir kein für die
Verteidigung bestimmtes Volksheer — Ver-
teidigung, um jedes Mißverständnis aus-
zuschließen, im politischen, nicht im stra-
tegischen Sinne gemeint — . Vom Volke
stammen nur die unerschöpflichen Massen
her; der Geist aber, der dem Heere ein-
gepflanzt wird, ist noch immer der Geist
der alten Söldnerscharen, die nur ein Werk-
zeug m der Hand des Fürsten bildeten, von
ihm allein abhingen und mit dem Volke nur
durch seine Person zusammenhingen. Und
daher war dieses Heer und ist es noch die
wirksamste Waffe zur Errichtung un-
umschränkter Fürstenmacht. Gilt doch jetzt
noch der Gedanke in manchen Ländern als
ein sträflicher, daß das Heer in erster Linie
dem Vaterlande diene und in Wahrheit nichts
anderes darstellen dürfe als die organisierte
Wehrkraft des Landes, als das' Volk in
Waffen.
Damit es sich als eine besondere Kaste
fühle, wird die Dienstzeit länger ausgedehnt,
als, rem militärisch betrachtet, erforderlich
ist. Wir würden schon viel gewinnen, wenn
der Soldat nicht länger dienen brauchte, als
zu seiner Ausbildung nötig ist. Esi ist nicht
richtig, daß Disziplin und Zusammenhang
nur durch ein mehrjähriges Zusammenleben
in der Kaserne gewonnen werden. Welch
Vorteil in jeder Beziehung wäre es, wenn wir
erst so weit wären, diese Zeit um die Hälfte
zu kürzen. Man könnte das noch nicht Ab-
rüstung nennen; aber man würde die Kosten
ganz erheblich vermindern, würde dem
Kastengeiste Abbruch tun und an seiner
Stelle die Auffassung hochbringen, daß der
Soldat auch während seiner Dienstzeit unter
den Gesetzen und nicht außerhalb der Ge-
setze stehe. Man würde die Auswüchse
des Militarismus leichter bekämpfen können,,
die eine Gefahr ebenso für den Frieden wie
für die Freiheit bilden.
Wenn man sich zu Lande noch auf lange
Zeit mit bescheidenen Fortschritten wird
begnügen müssen, weil die Verteidigung des
Vaterlandes, so lange die Anarchie der
Staatenwelt dauert, in der Tat eine harte
aber unumgängliche Notwendigkeit bleibt, so
walten die gleichen Rücksichten nicht für
die Seerüstungen ob. Die Flotten sind
ihrer Natur nach Angrif f s waffen, sie
decken nicht die Grenzen des eigenen Landes,
sie tragen den Krieg nach außerhalb, sind
bestimmt zur Beherrschung der Meere, die
von Gottes wegen allen gehören, zum fried-
lichen Austausch der Güter dieser Welt.
„Seine Flotten streckt der Brite gierig wie
Polypenarme aus und das Reich der freien
Amphitrite möcht' er schließen wie sein eigen
Haus." — Nur, daß andere Völker schon
längst in der gleichen Verdammnis sind:
Nordamerikaner (siehe Panamakanal), Fran-
zosen, Italiener, Japaner und Deutsche, sie
hegen alle den gleichen geheimen Wunsch
im verschwiegenen Busen. Leidet nicht auf
dem Meere der Handel der Neutralen in der
schwersten Weise durch jeden Kriegszustand,
wird er nicht in der empfindlichsten, gelegent-
lich fast piratenhaften Weise gehindert durch
die Flotten der Kriegführenden ?
Die Freiheit der Meere ist noch viel wich-
tiger als die Beschränkung der Rüstungen
zu Lande. Und doch hat gerade hier der
Gedanke der Seegeltung am festesten Besitz
ergriffen von den Gehirnen; er findet den
stärksten Rückhalt bei den oberen Schichten
fast aller Staaten, besonders bei den in-
48
<§;
DIE FRIEDEN5-^\*M2XE
dustriellen und Handel treibenden Klassen.
Und gerade hier liegen die größten Gefahren
vor, daß aus dem uferlosen Wettrüsten wie
mit Naturgewalt, selbst ohne den eigent-
lichen Vorsatz der Betroffenen, der Krieg
entstehe wie ein Gewitter aus geballten
Wolkenmassen.
Kann man auf dem Lande schon viel
gewinnen, wenn man zu einer Beschränkung
der Dienstzeit gelangt, zur See muß man
zu radikaleren Mitteln greifen. Vertrags-
mäßige Beschränkungen der Flottenstärken
sind nur sehr schwer in bindende und kon-
trollierbare Formen zu gießen — wenn sie
nicht gleich so weit gehen, jedem Einzel-
staat die Möglichkeit zu nehmen, für sich
allein überhaupt gefährlich zu werden.
Weder darf Deutschland mehr für seinen
Handel und seine jungen Kolonien besorgt
sein, noch darf England fürchten, daß eine
deutsche Flotte ein Millionenheer gewapp-
neter Krieger an seine Küsten ausspeien
könne. Das erreicht man nicht dadurch, daß
man eine Steigerung über die gegenwärtige
Stärke hinaus vertragsmäßig ausschließt;
denn in ihrer furchtbaren Macht ist die
englische Flotte zurzeit an sich gefährlich,
und niemand dürfte es Deutschland ver-
argen, wenn es versucht, die Gefahr für sich
selbst nach Kräften zu vermindern. Aber
für andere Staaten ist wiederum die deutsche
Flotte in ihrer gewaltigen Entwicklung eine
gefährliche Drohung. Und wenn wir zurzeit
sicher nicht daran denken, sie zur Unter-
drückung und Eroberung zu verwenden :
können wir selbst etwa für die Zukunft
stehen, für die Geistesrichtung unserer Nach-
kommen ? Jede große Machtentfaltung ge-
biert letzten Endes den Wunsch, sie an-
zuwenden, und führt unwillkürlich zu einer
Verwischung der Grenzen von Recht und
Unrecht, sie verführt leicht auch den billiger
Denkenden zur Gewalt und zum Uebermut.
Das gilt für Nordamerikaner und Japaner und
Italiener ebenso wie für alle anderen.
Will man also hier zum Ziele kommen,
so muß man gleich tabula rasa machen.
Freilich wird es nicht so gehen, daß man
jede bewaffnete Seemacht schlechthin ver-
bietet ; das weite Weltmeer bedarf der Polizei,
um sicher zu bleiben. Auch dürfen die kleinen
Staaten nicht mit wenigen Schiffen die tat-
sächliche Herrschaft gewinnen, oder empor-
strebende Völker die Herrschaft der weißen
Rasse bedrohen.
Man wird daher den großen Militär-
staaten nicht verwehren dürfen, eine gewisse
Zahl von Kampfesschiffen zu halten, die die
Meeresstraßen schützen und die Verbin-
dungen mit fernen Küsten und mit den
Kolonien sichern. Aber unbedingte Not-
wendigkeit ist es, daß diese Flotten nur so
groß sind, daß sie keine Gefahr mehr für
die anderen bedeuten, und andererseits im
Verein mit anderen Staaten doch wieder stark
genug, um' kriegerische Pläne feindlicher
Flotten im Keime vereiteln zu können.
Mit anderen Worten : Die Flotten dürfen
nichts weiter sein als eine Polizeimacht, um
die Freiheit des Meeres und des Handels zu
schützen, aber keine Kriegsmacht, um sie
bedrohen oder an ferne Küsten den Er-
oberungskrieg tragen zu können.
Natürlich ist hierzu eine internationale
Verständigung erforderlich; sie sollte aber
mit diesem weitgesteckten Ziele, das den
gegenseitigen Argwohn ausschließt, leichter
sein, als wenn man ihr einen engeren
Rahmen zieht. Ich denke mir die Sache so,
daß die acht Weltmächte (Deutschland, Eng-
land, Frankreich, Italien, Japan, Oesterreich-
Ungarn, Rußland, Vereinigte Staaten) zu-
nächst auf zehn Jahre ein Abkommen treffen,
wonach jede von ihnen sich verpflichtet, in
diesem Zeitraum nur eine sehr kleine Zahl
von Schlachtschiffen und geschützten Kreuzern
neu auf Stapel zu legen. Es ist klar, daß
die Zahl nicht eine gleiche bei allen Mächten
sein darf, sondern ungefähr nach dem Maß-
stabe abgestuft werden müßte, der gegen-
wärtig zwischen ihnen herrscht. Würde z. B.
die englische Flotte nur etwa ein Drittel
oder ein Viertel ihrer bisherigen jähr-
lichen Neubauten in jenem Zeiträume ver-
geben, so ist gar kein Grund mehr vor-
handen, warum1 sich Deutschland nicht zu
dem gleichen Maßstabe verpflichten sollte.
Eine sich allmählich so wesentlich ver-
ringernde englische Flotte könnte keine Ge-
fahr mehr für uns bilden; ihre nach wie vor
bestehende Ueberlegenheit aber würde an-
dererseits dem Inseireiche die Angst vor
einer deutschen Invasion benehmen.
Allerdings müßten die gleichen Mächte
sich verpflichten, die Entstehung anderer
Flotten, z. B. in China oder Südamerika,
nötigenfalls mit Gewalt zu verhindern.
Schreien würden über ein solches Ab-
kommen nur die Panzerplattenfabrikanten,
die Schiffswerften und die Kanonenkönige,
die ganze andere Welt aber würde erleich-
tert aufatmen. Die Kontrolle über die Durch-
führung einer so einschneidenden Maßregel
wäre nicht schwer durchzuführen; damit
nicht aus den geschützten Kreuzern durch
eine Umgehung des Vertrages allmählich
Schlachtschiffe werden (wie vor einigen
Jahren aus den Panzerkreuzern), müßte deren
größter Tonnengehalt ebenfalls vereinbart
werden, im übrigen könnte der Wettkampf
zwischen den einzelnen Staaten über die Güte
und Kampfeskraft ihres Materials ohne
großen Schaden weitergehen.
Selbst mit einem Viertel seiner gegen-
wärtigen Schiffszahl würde England seine
Verbindung mit den Kolonien noch immer
aufrechterhalten können, so lange die anderen
Vertragsstaaten sich ebenso schwächen.
Allerdings wäre die Einstimmigkeit aller acht
49
DIE FBIEDEN5-N&/ABTE E
G>
Mächte unbedingt erforderlich; und wenn nur
eine sich versagte, fiele der Plan ins Wasser.
Das wäre eine Aufgabe für die euro-
päische Diplomatie, bei deren Lösung sie ihren
durch den Balkankrieg und den berühmten
„Status quo ante" etwas ramponierten Ruf
wieder herstellen könnte.
Wäre ein solcher Vertrag nur einmal
erst auf zehn Jahre geschlossen, und während
dieses Zeitraumes auch gehalten worden,
dann würde die den Dingen einwohnende
Vernunft dafür sorgen, daß er immer wieder
verlängert würde und sich so allmählich ein
erträglicher Zustand teilweiser Abrüstung
herausbildete.
Kanonenfutter.
Von Dr. Eduard Ritter von Liszt,
k. k. Bezirksrichter und Universitätsdozent in Wien-Graz.
Vor einigen Jahren ist aus der Feder der
bekannten Schriftstellerin El Neccar in Brüssel
ein Büchlein unter dem Titel „La repopulation
de la France"*) erschienen. Dieser Titel sagt
uns schon genugsam, welcher der Inhalt der
Schrift ist. Verfasserin macht am Schlüsse
ihrer Ausführungen eine Reihe gut gemeinter
Vorschläge, welche aber, selbst wenn sie durch-
führbar wären, noch lange nicht den von
El Neccar und Anderen erwünschten Erfolg
verbürgen würden.
An dieses Schriftchen wurde ich erinnert
durch das vor wenigen Monaten erschienene
Buch des Marseiller Advokaten Dr. du
Moriez über die kriminelle Abtreibung**).
Nicht als ob ich die beiden Arbeiten ,auf die-
selbe Stufe stellen wollte. Das Buch du .Moriez'
ist nicht nur bedeutend größer, sondern gründ-
licher und dabei vor allem wissenschaftlich.
Doch sein Titel erzählt uns, daß es gleich-
falls vom Standpunkte der re- bzw. depopu-
lation de la France geschrieben sei, und die
Frage der Abtreibung ist ja eine der da ein-
schlägigen Spezialfragen.
Freilich meinen zahlreiche Schriftsteller,
daß die Abtreibung das Wachsen der Be-
völkerung gar nicht ernstlich gefährde, daß
daher ihre Unterdrückung auf die repopulation
nicht den gewünschten Einfluß üben würde.
Ob — abgesehen natürlich vom Stand-
punkte der Kriegsführung aus — große Ver-
mehrung der Bevölkerungsziffern wünschens-
wert sei, darüber ist übrigens bekanntlich noch
lange nicht das letzte Wort gesprochen.
Es ist hier nicht der Platz, diese Fragen
zu erörtern. Immerhin möchte ich folgendes
feststellen: Die Stätte des notorisch leb-
haftesten Blühensl der Fruchtabtreibung ist
*) Brüssel — Leipzig, Olympia- Verlag, 1909.
**) S. du Moriez, Docteur en droit —
L'avortement, ses consequences au point
de vue de la depopulation de la France. —
Paris, Marchai & Bülard, 1912. 308 Seiten. Preis
7,50 Francs.
- New York. Die Bevölkerungsziffern von
Groß - New York nach den letzten Volks-
zählungen sind:
im' Jahre 1900 3 437 202,
im Jahre 1910 4 766883*).
Das Buch du Moriez' ist, wie es in seinem
Titel heißt, „une etude historique, philo-
sophique, sociale, me'dicale, legale et de droit
compar6". Und die Studie ist eine fleißige
Arbeit. Leider kann ich an dieser Stelle nicht
den Vorzügen des Buches gerecht werden,
sondern muß jene Punkte hervorheben, mit
denen ich nicht einverstanden sein kann. Und
da muß ich sagen : Die Arbeit du Moriez*
geht von falschen Voraussetzungen aus, hat
eine falsche Tendenz und gelangt folglich auch
zu einem unrichtigen Ergebnis.
Da meiner Arbeit „Die kriminelle Frucht-
abtreibung"**) von du Moriez wiederholt ein-
gehende — und, wie ich gerne hervorhebe,
persönlich anerkennende (vgl. S. 91) — Auf-
merksamkeit gewidmet ist, sei es mir gestattet,
vorerst die obersten Leitsätze dieses meines
Buches hier wiederzugeben. Ich spreche mich
dafür aus, die Fruchtabtreibung sei straflos
zu lassen, wenn sie: 1. vor einem gewissen,
eng zu bemessenden Termin nach der Kon-
zeption, 2. im Einverständnis mit allen Be-
rechtigten, 3. von sachverständiger und der
Behörde verantwortlicher Seite vorgenommen
wird. Sonst ist die Vornahme zu bestrafen;
um so strenger, je entwickelter die Frucht,
je größer also die Gefahr war, daß das Kind
noch außerhalb des Mutterleibes leben und
Schmerzen erleiden könnte. Nicht nur die
Tötung, sondern auch die Gefährdung der
Gesundheit des Kindes soll strafbar sein;
letztere strenger als erstere. Die Abtreibung
aus medizinischer Indikation bleibt in meiner
Arbeit durchwegs außer Betracht.
Die Forderung eines eng begrenzten Ter-
mins für die Straffreiheit begründe ich (S. 88)
mit der Bedachtnahme auf jene Rücksicht,
welche dem menschlichen Leben als solchem
gebührt. In weiterer Ausführung zu dieser
Stelle schlage ich Seite 385 zur Grenzziehung
jenen Zeitpunkt vor, in welchem der Embryo
menschliche Form annimmt. Schon daraus
ist zu ersehen, daß du Moriez sehr irrt, wenn
er (S. 91) gegen mich meint: „les arguments,
qu'il donne, s'ils 6taient valables, les seraient,
en majorite^ pour toute la dur£e de la
"*) Laut Mitteilung des „Arbeiterwille" (Graz)
vom 15. Juni 1912 soll die Ziffer für das Jahr
1912 gar 6 474 568 sein. Ich muß diesem Blatte
die Verantwortung für die Richtigkeit der Zahl
überlassen. Mir erschiene die Zunahme über-
trieben groß. Vielleicht sind übrigens einige
neue Vororte mitgezählt. Jedenfalls könnte eine
so gewaltige Zunahme binnen zwei Jahren un-
möglich nur aus der Zahl der Geburten resul-
tieren.
**) Die kriminelle Fruchtabtreibung. Zürich,
bei Grell Füssli. XLII und 567 Seiten. 1. Band
1910, 2. Band 1911.
50
(g)
grossesse: or il reeonnait qü'il n'en est point
ainsi."
DIE FRIEDENS -WARTE
Ueberhaupt liebt du Moriez es, mir
Inkonsequenz vorzuwerfen. Er tut dies
an noch einer Stelle — S. 164 —
seiner Dissertation. Ich sage in meiner
oben erwähnten Arbeit Seite 38: „Will
der Mann sein Recht auf Erhaltung der von
ihm erzeugten Frucht nicht ausüben, sträubt
er sich im Einverständnis mit der Schwangeren
gegen die „Vaterfreuden", so darf niemand
sie ihm aufnötigen, ihn „zu seinem Glück
zwingen"; gerade so wenig, als man ihn zur
Erzeugung des Kindes zu zwingen be-
rechtigt gewesen wäre." Und Seite 42/43 führe
ich aus, daß der Staat, wenn er das wahre
(natürliche) Recht zum Verbot jeder Ab-
treibung wegen seines Populationsinteresses
hätte, ebenso auch das Recht zur Bestrafung
der Anwendung empfängnisverhütender Mittel
nicht nur, sondern auch der Ablegung von
Keuschheitsgelübden usw. haben müßte; ja,
daß er seine „Untertanen" direkt zur Pro-
duktion von Kindern — oder im Falle der
Unmöglichkeit dazu zur Zahlung einer Ersatz-
steuer — - zwingen dürfte, du Moriez hält dies
für einen inneren Widerspruch und meint
Seite 104: „C'est ainsi qu' Eduard von Liszt
parait avoir oublie" qu'il a £crit, ä propos du
pere . . ." Denn der Staat könne doch, wenn
es ihm so gefällt, auf einen Teil seiner Rechte
verzichten. Und dann meint er: „De tels
arguments n'ont, semble-t-il, pas besoin d'£tre
r£fut6s." Ich möchte du Moriez ersuchen, die
beiden Stellen noch einmal ruhig zu lesen.
Er wird finden, daß sie sich sehr wohl ver-
tragen. Nicht darum handelt es sich ja, ob
der Staat auf sein Recht bezüglich der anti-
konzeptionellen Mittel usw. verzichtet,
sondern darum, daß er dieses Recht nicht
hat. Ueber seine letztzitierte Bemerkung aber
möge du Moriez Seite 100 meines Buches
nachsehen, wo zu lesen steht, daß der, der
Gründe für oder gegen eine Ansicht hat,
sie auch angeben können muß. Dort ist
auch die Rede von jener Wendung, „die stets
beim Mangel an Beweisen auftaucht und mit
der oft selbst krasser Unsinn*) verteidigt zu
werden pflegt: „. . . n'a pas besoin d'6tre
d£montr£"" (oder bei du Moriez : „ . . . d'etre
r£fut£"). Nein, wer Gründe zur Verteidigung
eines ihn interessierenden Satzes hat, der
drückt sich nicht mit einer Redensart um ihre
Angabe herum. Im Gegenteil 1 Er freut sich,
sie anführen zu können, und läßt sich diese
Freude nicht entgehen, wo es nur irgend mög-
lich ist.
Aehnlich ergeht es du Moriez Seite 114
mit seiner Polemik gegen meine Ansicht (§10),
es sei ein größeres Glück, nicht geboren zu
sein, als ein elendes Leben zu führen, und
daß selbst die den Lebenden etwa erfreuenden
*) Dieses Wort beziehe ich hier selbstver-
ständlich nicht auf du Moriez.
commoda vom nicht Lebenden nicht entbehrt
werden. Hier scheint übrigens du Moriez
ebenso wie an anderen Stellen den Sinn meiner
Worte zum Teil mißverstanden zu haben.
Doch fassen wir den Ausgangspunkt seiner
Ausführungen ins Auge. Zwar meint er Seite
108: „Le veVitable sujet actif du droit sanc-
tionne1 par la prohibition de l'avortement est
le petit ötre que ce crime ddtruit. Seule cette
th^orie justifie la p6nalite* en tout cas, en
tout temps, en tout lieu." Ein Satz, der viel
zu weit geht. Aber in Wahrheit ist dieser
gar nicht der Leitsatz der Ausführungen des
Verfassers. Als solchen erkennen wir vielmehr
das auf Seite 7 als Motto ersichtliche Zitat:
„Par son intecöndite' la France perd chaque
jour une bataille. Mar£chal de Moltke."
Mit diesem Zitat zeichnet sich die du
Moriezsche Arbeit selbst als Tendenzschrift.
Und darin haben wir den Schlüssel gefunden,
weshalb er und ich uns nicht verstehen können :
Ich trachtete, eine Lösung der schwierigen
und blutig ernsten Frage im Sinne wahren
Rechts zu finden, unbeirrt durch vorgefaßte
Meinungen oder gar Tendenzen; du Moriez
hingegen setzt eine Tendenz an die Spitze,
und der Zweck seiner Arbeit ist, diese Ten-
denz durch seine Ausführungen zu stützen.
Zumindest für Frankreich war das aller-
dings für die Wissenschaft nicht notwendig.
Dort ist ohnedies diese Tendenz die alles be-
herrschende. Hauptsächlich sie hat ja wohl
auch dahin geführt, daß im Jahre 1912 für
Frankreich die recherche de la paternite all-
gemein eingeführt wurde. Können doch auch
unehelich geborene Knaben Soldaten wer-
den, auch unehelich geborene Mädchen künf-
tighin künftige Soldaten mehr oder minder
unehelich gebären.*)
Die Frage nach dem Recht glaube ich
— und der Großteü der wissenschaftlichen
Kritik hat mir darin beigestimmt — in meiner
Arbeit nicht ohne Gründlichkeit untersucht
zu haben. Diese Arbeit enthält auch anti-
zipativ die volle Widerlegung der Einwände
du Moriez'. Es sei mir deshalb gestattet,
*) Kürzlich haben (laut „Die Zeit", Wien,
12. Januar 1913) zwei Gelehrte an Hand eines
großen statistischen Materials den ziffern-
mäßigen Nachweis dafür zu erbringen versucht,
daß — unehelich geborene Kinder im Ver-
gleich zu ehelich geborenen Kindern nicht
minderwertig sind. Ob dieser Nachweis von
weiteren Kreisen für notwendig gehalten wurde,
weiß ich nicht. Meines Erachtens kann kein
normal denkender Mensch glauben, daß die Be-
zahlung gesetzlicher Trauungsgebühren auf die
folgenden physiologischen Vorgänge einen Ein-
fluß übe. Eher schiene mir die heutzutage
immer wachsende Hinausschiebung des Heirats-
alters in Verbindung mit anderen Momenten
(vgl. auch Schopenhauer, Metaphysik der
Geschlechtsliebe, IV, 44, über „Liebeskinder")
eine gegenteilige Präsumption zu begründen.
Der Einfluß schädigender sozialer und hygieni-
scher Momente gehört auf ein anderes Konto.
51
DIE FRIEDENS -^M!MiTE =
G)
im folgenden nur mehr den Standpunkt
du Moriez' auf seine Richtigkeit hin zw
prüfen.
Ich las in einer der vielen, vielen Arbeiten
über Fruchtabtreibung, es sei ein erstrebens-
wertes Ziel für einen Staat, „anderen Staaten
seine Kultur aufzuprägen". Egozentrismus
in etwas größerem Maß Stabe I Mir scheint
eher das eines Kulturstaates würdig, was
die „Neue Freie Presse" vom 12. 8. 1912 als
erstrebenswert bezeichnete: „Dann wird
jeder Staat den natürlichen Trieben seiner
eigenen Entwicklung folgen."
Erscheint mir die Kultur meines Vater-
landes im Vergleich zur Kultur anderer
Länder als die höhere, so werde ich
wünschen, daß auch andere Länder ihrer teil-
haftig werden. Aber dies durch Verbreitung
von Unglück und Elend bewirkt sehen zu
wollen, wäre wohl aufgelegter Widersinn.
Freilich, es gibt nur selten ein Unglück,
aus dem niemand Nutzen zieht. Auch ein
Krieg kann „nützlich" sein, z. B. zur Ver-
besserung der Handelsbilanz eines Staates.
Woher aber das Recht käme, Tausende von
Menschen für solchen Nutzen der anderen zu
opfern, ihr Glück und Leben zu vernichten,
ist eine andere Frage. Sie erinnert an ein
schon öfters behandeltes Thema : Gewagte
wissenschaftliche Versuche an lebenden
Menschen zum Nutzen für andere. Nur daß
solche Versuche ganz unvergleichbar harm-
loser sind. Aber wie sagt Schopen-
hauer? „Mancher Mensch wäre imstande,
einen anderen totzuschlagen, bloß um mit
dessen Fette sich die Stiefel zu schmieren"
(„Ueber das Fundament der Moral", 2. Auf-
lage, 1860, S. 198). Und nach so mancher
jüngst gelesenen Zeitungsäußerung wäre ich
nicht einmal besonders verwundert, der Aus-
führung zu begegnen: Blut ist ein vorzüg-
liches Düngemittel; es ist deshalb im Inter-
esse der Landwirtschaft und des natio-
nalen Wohlstandes, für möglichst viele und
große Schlachtfelder zu sorgen.
Noch ist ja nicht aller Nächte Morgen
angebrochen.
In aller Gedächtnis sind noch die letzten
großen Kriege.
Aus dem serbisch-türkischen Feldzuge
meldete das „Neue Wiener Abendblatt" vom
23. 10. 1912: „Die Verluste der Serben sind
außerordentlich groß, werden aber noch von
den türkischen übertroffen." Der „Arbeiter-
wille" (Graz) vom' 10. 11. 1912 teüte mit,
daß die Schlacht bei Lüle Burgas 55 000
Tote und Verwundete, nämlich 15 000 bei
den Bulgaren, 40 000 bei den Türken kostete.
Dem „Grazer Tagblatt" vom 20. 11. 1912
zufolge hatte bis zu diesem Tage Bulgarien
Verluste von 40 000 Mann, die vor dem1
Feinde blieben, und 60000 Verwundeten, die
in den Spitälern lagen. Dasselbe Blatt mel-
dete am' 10. 12. 1912: „Aus Sofia wird ge-
drahtet : Nach den den Ministerien vorliegen-
den Verlustlisten der /vier Oberkommandos
sind bis 1. Dezember 143 000 Mann der ver-
bündeten Balkanheere gefallen."
Im „Neuen Wiener Abendblatt" vom
29. 10. 1912 aber stand zu lesen: ;„Heute
werden sechsi Waggons Petroleum nach
Kumanowa abgesandt, damit dort die Un-
menge von Toten verbrannt werden kann,
die schon in Verwesung übergehen und die
Atmosphäre verpesten."
Dies sind nur einige Proben aus der täg-
lichen Zeitungslektüre. Laut „Vierteljahrs-
hefte für Truppenführung und Heereskunde"
(V/1, Berlin 1908) sind die Verluste durch
die Waffen im! japanisch-russischen Kriege
1904/05: Gesamtverluste 130 500 Russen,
146 200 Japaner. Auf einzelne Schlachten und
die Belagerung von Port Arthur treffen fol-
gende Ziffern :
Ort
Datum
Zahl der
Kämpfer
Kintschou
25.-26. 6. 04
Wafangou
14.— 15. 6. 04
Liaojan
29. 8.-5. 9. 04
Port Arthur
Bade6.04— 2.1.0Ö
Sandepu
26.-29. 1. 05
Mukden
22. 2.— 11. 3. 05
Russen :
Japaner:
Russen:
Japaner:
Russen:
Japaner:
Russen:
Japaner:
Russen:
Japaner :
Russen:
Japaner:
Tote und
Verwundete
13000
900
40000
4300
36000
2600
36000
1200
210000
45000
145000
16000
62000
30000
100000
55000
90000
10400
65000
7000
310000
70000
300000
40000
%
7
7
91»
21
11
48,5
55
11,5
11
22,6
14
Einzelne Truppenteile aber hatten noch
viel höhere perzentuelle Verluste. So die
japanische Brigade Nambu an einem ein-
zigen Schlachttage bei Mukden 90 o/o ihrer
Leute.
Nach vielen Tausenden zählen außerdem
die Opfer der Seuchen. „Es ist eine be-
kannte Tatsache, daß im Kriege die Ver-
luste, welche durch Infektionskrankheiten
bedingt sind, diejenigen durch Waffen weit
übertreffen", konstatiert*) Professor Doktor
R. Kraus irni „Neuen Wiener Tagblatt"
vom 1.1. 1913. Bis Mitte Januar 1913 soll das
bulgarische Heer auf dem Kriegsschau-
platze mehr als 20 000 Mann durch Cholera
verloren haben.
Dazu rechne man das ganze unsagbare
Elend der von Haus und Scholle unschuldig
Verjagten, die sich — ebenso wie die
martervoll hinsiechenden Verwundeten und
Kranken — umsonst fragen, womit sie dies
Los wohl verdient haben. „Ueberall ver-
härmte, verweinte Gesichter", wie es so ein-
fach und erschütternd in einem Berichte des
Graz er „Arbeiterwille" vom 19. 11. 1912
heißt.
Bei solchen Berichten denke man jener
Autoren — man sehe ihre Namen in meinem
*) In den Feldzügen 1870/71 und 1904/5
war übrigens laut „Vierteljahrshefte für Truppen-
führung und Heereskunde" (V/1, Berlin 1908,
S. 166) das Verhältnis umgekehrt.
52
@=
DIE FßlEDEN5-^ARTE
oben erwähnten Buche § 18 nach — , die
die Strafbarkeit der Fruchtabtreibung in
der Gefährdung des Nachwuchses, in der Ge-
fährdung des „ planmäßigen Kulturlebens"
sehen wollen.
Kulturleben ! Wie sagte doch der „Ar-
beiterwille" (Graz, 2. 11. 1912) so richtig:
..Der moderne Krieg versetzt die von ihm
Betroffenen in einen Massenwahnsinn, für
dessen Furchtbarkeit man vergebens nach
einem Vergleich sucht. Ein normales Ge-
hirn kann es unmöglich mit der Vernunft
vereinbarlich finden, wenn Hunderttausende
von Menschen einander gegenüberstehen,
von dem einzigen Bestreben erfüllt, ein-
ander hinzumorden. Kann man von Vernunft
und menschlicher Kultur noch sprechen, wenn
Tag für Tag Berichte über die Abschlach-
tung Tausender von Menschen einlaufen,
ohne daß die gesamte Menschheit vor Ent-
setzen aufschreit ? Kann von menschlicher
Kultur die Rede sein, wenn die friedliche
Bevölkerung großer Städte und zahlloser
Dörfer, die notdürftigsten Habseligkeiten mit-
schleppend, in hastender Flucht die heimat-
liche Scholle verlassen muß, um den Schrecken
des Krieges zu erteilen; wenn Ungezählte,
vor namenlosem Elend flüchtend, einem
dunklen Schicksal entgegengehen, von dem
nur das eine sicher ist, daß es nicht minder
namenloses Elend in seinem Schöße birgt ?"
Aber nein ! Von menschlicher Kultur wird
zwar allenthalben viel und laut ge — sprochen;
doch es fällt der Menschheit gar nicht ein,
vor Entsetzen aufzuschreien, wenn sie alle
die Kriegsgreuel hört.
Wenn bei einer Revolte, wie gewöhn-
lich (siehe schon die: „dames de la halle"),
Weiber sich am rohesten benehmen, gegen
die Wache oder das Militär Steine werfen
usw., und der Kommandant endlich not-
gedrungen seiner Mannschaft den Befehl zum
Vorgehen mit der Waffe gibt, dann ist das!
Geschrei der „Kulturwelt" groß über den
Frevel, daß „sogar schwache Frauen nicht
geschont" wurden. Ob wohl der schuldlos
vor die Kanonen gezwungene Mann gegen
Schrapnells weniger schwach ist?
Und noch in Kriegszeiten melden die
Zeitungen von „grauenhaften Unglücks-
fällen", wenn irgendwo infolge eines Auto-
Unfalles oder dergleichen zwei oder drei
Menschen verletzt werden, während z. B. am
16. 11. 1912 eine ganze Reihe von Blättern
mit förmlich behaglichem Hohne meldeten,
daß bei einer wenig „erfolgreichen tür-
kischen Beschießung eines bulgarischen
Lagers auch „eine Anzahl Bulgaren getötet
worden" seien.
Aber nicht nur das. Wie sorgten ihrer-
seits die Staaten für ihre Kinder, die sie
vor die feindlichen Geschosse zwangen ? Wie
stand es mit der Fürsorge für die gewiß
nicht durch ihre Schuld und mit ihrem freien
Willen Verwundeten ?
Ueber die Schlacht bei Lüle Burgas z. B.
schrieb der Berichterstatter des „ Daily
Telegraph" am Tage nach dieser: „Man
begab sich in eine der grössten Schlachten
der Neuzeit unter diesen Verhältnissen mit
frevelhafter Außerachtlassung der Folgen.
Die Opfer wurden zur Schlachtbank geführt,
ohne daß man die geringsten Vorbereitungen
zur Rettung der Verwundeten gemacht hatte.
Es gab nicht eine Feldverbandstation, nicht
ein Feldspital wurde errichtet, und die we-
nigen Aerzte an der Front waren aller not-
wendigen Dinge entblößt und mußten zu-
sehen, ohne einen Finger rühren zu können,
wie Tausende der Verwundeten dem' Tode
geweiht wurden, die sonst hätten gerettet
werden können."
Das „Grazer Tagblatt" vom 22. 11. 1912
veröffentlichte eine Zuschrift, der ich fol-
gende Stelle entnehme : „Wiederholt und
nachdrücklich muß ich betonen, daß die
Verwundeten in einem geradezu bejammerns-
werten Zustande eintreffen .... Auch merkt
man, daß die bulgarischen Offiziere die ihnen
unterstellten Mannschaften, wie aus den Be-
richten und Aeußerungen der gewiß nicht
feigen verwundeten Soldaten hervorgeht,
häufig in der schonungslosesten Weise auf-
opfern, um nur für ihren Teil irgendeinen
Augenblickserfolg melden zu können, der
dann später preisgegeben werden muß."
Kulturleben ! In anderer Beziehung frei-
lich sorgten die kriegführenden Staaten schon
für das, was die Ordnung verlangt.
Betreffs der Zurückgebliebenen meldete
der Korrespondent des „Grazer Tagblatt"
diesem zum 20. 11. 1912: „Die Mütter dürfen
jetzt, wo ihr 17 jähriger Sohn, die Gattinnen
und Kinder, denen der bereits altersschwach
werdende fünfzigjährige Vater entrissen und
auf die Schlachtbank geführt wird, öffentlich
keine Tränen vergießen, da in diesem Falle
Geldstrafe oder 25 Stockprügel drohen."
Ist gegen alles das nicht das Zucht-
haus ein ruhiges Elysium ? Und ist ein
solches „planmäßiges Kulturleben" — man
entsinne sich, daß speziell dieser Krieg
unter marktschreierischer Berufung auf christ-
liche Kultur eröffnet wurde — es wirklich
wert, auch nur durch eine einzige Geburt
gefördert zu werden ?
Und nun knüpfen wir wieder bei . du
Moriez an : Um dieses schöne Resultat zu
erreichen, sollen Menschen verpflichtet sein,
Kinder zur Welt zu bringen. Wer es nicht
tut, der zeigt nach Montier („De l'avor-
tement criminel", 1894, S. 17) „une pro-
fondeur d'immoralite et une absence de con-
science, qui eronne et d^courage". Ich frage
im Gegenteil: Ist nicht der Gedanke, der
fühlenden Menschen die Idee zumuten will,
zur besseren Ermöglichung solcher Massen-
greuel schuldlose Wesen nicht nur her-
zugeben, sondern sogar erst in die Welt zu
setzen und das Glück ihrer Familie zu opfern,
53
DIE FRIEDENS -WARTE
3
von einer geradezu unfaßbaren Ruchlosig-
keit? Man wird gewiß in späteren Zeiten auf
solche Anschauungen und unsere heutige
„Sittlichkeit" ebenso verständnislos herunter-
schauen, wie wir auf die Weisheit der Hexen-
verfolger.
Dieses Wort „unsere" bezieht sich selbst-
verständlich nicht auf Oesterreich und
Deutschland und jene anderen Staaten,
die sich infolge des energischen Willens ihrer
Herrscher mit ihren militärischen Macht-
mitteln als feste Bollwerke des Friedens er-
wiesen haben.
Was für eine unfaßbare Konsequenz darin
liegt, je nach Bedarf die Elternliebe zu ver-
herrlichen und dann wieder Zumutungen wie
die obigen an eben jene verherrlichten Eltern
zu stellen, darüber sind wohl besondere Aus-
führungen überflüssig.
Aber die Idee! Die Idee des großen,
mächtigen Vaterlandes! höre ich einwenden.
Der Begriff des Einzelnen tritt zurück hinter
den Begriff der Gesamtheit. Was! will das
Glück des Einzelnen gegenüber dem Ruhme
des Vaterlandes !
Gewiß, diese Idee hat ihren Zauber. Wobei
ich übrigens die Begriffe „Glück" und „Ruhm"
nach ihrem inneren Gehalt nicht miteinander
vergleichen und ebensowenig die Beziehungen
vonEinzelmensch, Gesellschaft und Staat zu-
einander untersuchen will, du Moriez leugnet
(S. 103) den Unterschied zwischen Staat und
Gesellschaft. Ich verweise diesbezüglich auf
§ 18 meiner Arbeit. Jedenfalls geht es nicht
an, in einem von Menschen gebildeten Staate
eben diese Menschen nur als Mittel für die
Zwecke dies Staates zu betrachten.
Andrerseits sollte man beim Aufschwünge
vom Egoismus nicht auf dem halben Wege
stehen bleiben.
Wer nur das Interesse seines armseligen
„Ich" als entscheidend ansieht, den nennen
wir verächtlich einen Egoisten. Wer einen
Schritt nach oben macht, aber doch noch
immer das Wohl seiner Familie dem der All-
gemeinheit ungebührlich vorsetzt, dem legen
wir Nepotismus zur Last. (Die Sorge bloß
um die Mitglieder der alten Stammes verbände
erscheint uns heute als überlebt.) Wer noch
höher steigt, aber bei der Sorge um seine
engste Heimat stehen bleibt, für den haben
wir das Spottwort „L okalpatr io t". Mit
ähnlichen Gefühlen betrachten wir den, der
etwa im großen Reiche nur für die Provinz
fühlt, die ihn geboren hat. Auch wer nur
den einen Weltteil gelten lassen will, der ihn
hervorbrachte, würde uns als in seinen Be-
griffen beengt erscheinen. Aber ausgerechnet
der, der neben seinem Vaterland jedes andere
Land und dessen Bewohner verachtet, soll
das richtige und allein ehrenwerte Empfinden
haben . . .
Ich wäre wohl der letzte, der die Liebe
zum Vaterhaus, zur Heimat, zum Vaterland
herabsetzen wollte. Das Vaterland groß und
glücklich zu machen, ist die Lebensarbeit der
Tüchtigsten wert. Aber ich sehe nicht ein,
weshalb meine Liebe zu den Mitmenschen
(unter „Vaterland" ist doch sicher nicht nur
eine Bodenfläche mit totem Zugehör zu ver-
stehen), mein Mitleid mit den Leidenden, an
den Grenzen meines Vaterlandes haltmachen
und nicht zur Allgemeinheit fortschreiten
sollten. Sie lassen sich das einfach nicht ge-
bieten. Fühle ich warm für meine Mitmenschen
i m Vaterlande, so können mir jene nicht
gleichgültig sein, die außerhalb desselben
leben.
Ist es ein Beweis von Kultur oder von
Brutalität, lärmende Freudenfeste zu ver-
anstalten zur Feier des Ereignisses, daß auf
Seite der Gegner Tausende von schuldlosen
blühenden Menschen — zum Teil unter
schweren Qualen — getötet, zu siechen
Krüppeln gemacht, ihre Angehörigen in
Jammer und Elend gestürzt wurden? Und
ist es nicht eine doppelte Blasphemie, mit dem
Rufe „für Gott" das Schwert zu ziehen?
Nach diesen Betrachtungen ist es gewiß
entbehrlich, noch davon zu sprechen, daß
auch dem Einzelmenschen eine gewisse Frei-
heitssphäre zustehen muß (vgl. darüber S. 43
meiner „Kriminellen Fruchtabtreibung") und
daß die Begründung der du Moriezschen An-
sichten durch den Satz: „si vis pacem, para
bellum" doch wohl eine von recht weit her-
geholte wäre. Abgesehen davon, daß die
großen Rüstungen an sich allein (siehe
oben) den Frieden gar nicht sichern,
wie Alfred H. Fried („Der Weg
zum Weltfrieden 1912", S. o) gezeigt hat.
Abgesehen ferner davon, daß die Beurteilung
von Taten wie Tötung und Abtreibung seitens
der Kulturwelt unmöglich nach der geogra-
phischen Lage des Begehungsortes grund-
sätzlich verschieden sein kann.
Der dritte Teil von du Moriez' Buch1 be-
handelt l'avortement thörapeutique. Da meiner
oben mehrfach erwähnten Arbeit noch be-
sondere Ausführungen über dieses Spezial-
thema folgen sollen, so darf ich wohl die
Stellungnahme zu du Moriez' darauf bezüg-
lichen Ansichten bis zu ihrer Herausgabe
verschieben.
Ein offener Brief an die Kriegs-
und Friedensgesellschaft an der
Universität Cambridge*).
Von Norman Angell, London.
Sämtliche Fragen über den Einfluß, den
militärische Macht zugunsten sozialer und wirt-
*) Studenten an der Universität Cambridge
haben die „Cambridge University War and
Peace Society" begründet, mit dem Zweck,
„die überraschenden volkswirtschaftlichen Tat-
sachen zu erforschen, auf die Normann Angell
in seinem Buch ,Die große Täuschung* auf-
merksam gemacht hat".
54
«s:
DIE PRI EDENS -VS/WTE
schaftlicher Vorteile ausüben konnte, über das
Ausmaß, in welchem die allgemeine Wohl-
fahrt einer Gruppe durch militärische Be-
herrschung einer anderen gefördert werden
kann, oder darüber, wieweit das Ineinander-
greifen von Interessen gebietenden Nutzen und
•die Wirksamkeit einer solchen Herrschaft ver-
hindert, alle diese Fragen verlangen infolge
der Entwicklung innerhalb der letzten dreißig
bis vierzig Jahre eine Neubeantwortung.
Die gegenwärtige politische und volkswirt-
schaftliche Literatur verwendet nicht nur auf
internationalen Verhältnissen, die zu bestehen
aufgehört haben, beruhende Ausdrücke, son-
dern die solcher Literatur zugrunde liegenden
Gedanken verkennen wichtige Tatsachen, die
sich in unserer Zeit entwickelt haben. Wenn
man eine moderne Durchschnittsbehandlung
einer Frage der Weltpolitik — sei es in einem
Leitartikel der „Times" oder einem Aufsatz
in der Quaxterly Review, oder in einem Buch
über diesen Gegenstand, deren Wert irgend-
wie anerkannt ist, mit entsprechenden Ab-
handlungen aus dem achtzehnten Jahrhundert
vergleicht, so wird man finden, daß die Aus-
drücke und die Grundgedanken beider voll-
ständig gleich sind; daraus ergibt sich,
selbstverständlich, daß der moderne Verfasser
annimmt die Tatsachen, welche der Frage
zugrunde liegen, hätten sich nicht verändert.
Und doch haben sie sich so verändert, daß
allgemein anerkante Grundsätze des achtzehn-
ten Jahrhundert im zwanzigsten Jahrhundert
Unsinn sind.
Man greife zum Beispiel folgende allge-
mein herrschende Ansichten heraus :
1. Daß ein erobertes Land den Reichtum
des siegreichen Volkes vermehrt; daß
dieses es „besitzt", so wie eine Person
oder eine Vereinigung ein Grundstück
besitzt ;
2. daß ein Volk sich durch seine Militär-
macht anderen Völkern gegenüber wirt-
schaftliche Vorteile zusichern könne;
3. daß Völker volkswirtschaftliche Ein-
heiten sind — „konkurrierende Geschäf ts-
firmen'T wie sie ein bedeutender militä-
rischer Gewährsmann unlängst nannte;
und. beweise ihre Richtigkeit durch folgende
Tatsachen :
1. Daß das Vermögen in einem eroberten
Lande immer in Händen der Einwohner bleibt ;
besondere Steuern oder Tribut ist eine Erfin-
dung der Römerzeit und des Mittelalters unet
bei unseren heutigen Verwaltungsmethoden
immer schwieriger anzuwenden und immer
weniger erträglich;
2. daß die wirtschaftlichen Verhältnisse
in den kleinen Staaten (z. B. Schweden,
Holland, Belgien, Schweiz) gerade so gut sind,
wie in den Staaten, die eine große Militärmacht
besitzen (z. B. Rußland, Deutschland, Oester-
reich). Daß die meisten großen Staaten mit
Ländern Handel treiben, die sie politisch nicht
beherrschen. England treibt doppelt so viel
Handel mit fremden Ländern^ als mit seinen
Kolonien (die es nicht beherrscht^; die un-
geneure Ausdehnung des deutschen Handels
besonders in Rußland., den Vereinigten Staaten
und Süd-Amerika ist nicht der deutschen Mi-
litärmacht zu verdanken.
3. Die großen industrietreibenden Völker
sind keine wirtschaftlichen Einheiten ; der inter-
nationale Handel bewegt sich nicht zwischen
Verbänden, die als; „England", „Deutschland'*
usw. bekannt sind, sondern er ist ein ver-
wickelter Vorgang, der sich unendlich auf ein-
zelne Individuen aufteilt. Ein Eisenindustrieller
in Birmingham verkauft seine Maschinen an
einen brasilianischen Kaffeepflanzer, der sie
deshalb kaufen kann weil er seinen Kaffee
an einen Kaufmann in Havre verkauft; der
seinerseits verkauft ihn in eine westfälische
Stadt, die Eisenschienen für Sibirien erzeugt;
diese werden dort gekauft, weil sibirische
Bauern für den Bedarf in Lancashire Weizen
bauen, wo wiederum Baumwollwaren für indi-
sche Kuli erzeugt werden, die für australische
Schaffarmer Tee pflanzen; diese können ihn
kaufen, da sie Wolle an einen Kaufmann in
Bradford verkaufen, der sie verarbeitet, weil
er sein Petroleum bei den Automobilbesitzern
in Berlin an den Mann bringt. Wie kann
ein derartiger Vorgang, der für den modernen
internationalen Handel typisch ist, als Kon-
kurrenz feindlicher Verbände wie England,
Frankreich, Brasilien und Rußland aufge-
faßt werden?
Während aber das durch dieses Beispiel
angedeutete gegenseitige Abhängigkeitsverhält-
nis seit einem Jahrhundert ein Gemeinplatz
der theoretischen Volkswirtschaftslehre ist,
greift es erst seit kurzem wesentlich in die inter-
nationale Staatskunst ein.
Vor vierzig Jahren konnten es alle Staats-
männer, außer denen von England vielleicht,
ungestraft außer acht lassen. Zur Zeit des
Deutsch-Französischen Krieges genügte sich
Deutschland selbst. Bismarck wünschte Frank-
reich als Faktor aus der europäischen Volks-
wirtschaft verschwunden zu sehen. Wäre sein
Wunsch in Erfüllung gegangen, so hätte das
damalige Deutschland kaum gelitten: aber
den wirtschaftlichen Aufschwung des modernen
Deutschland hätte er unmöglich gemacht. Dem)
dieser Aufschwung ist in großem Ausmaße
der Entwicklung von Ländern wie Rußland
und Süd- Amerika zu verdanken; diese Ent-
wicklung wurde größtenteils durch franzö-
sisches Geld erreicht, weil Frankreich, da es
nicht für eine sich vermehrende Bevölkerung
zu sorgen hat, Geld für auswärtige Anlagen
frei hat, während man es anderswo für die
Erziehung der Kinder und ihre Ausstattung
im Leben braucht. Aber geradeso wie die
Politik der deutschen Staatsmänner, wäre sie
in Erfüllung gegangen, für die Wohlfahrt des
eigenen Landes verderblich gewesen wäre,
so mußten die französischen Staatsmänner ihre
Bestrebungen durch die Macht von Tatsachen,
DIE FRIEDENS -^MfißTE
[§>
die sie richtig einzuschätzen versäumten, zu-
nichte gemacnt sehen. Die französische Politik
suchte nach dem Kriege Rußland zu stärken,
um ein Gegengewicht gegen Deutschlands Ein-
fluß zu schaffen, und begünstigte daher die
Anlage französischen Geldes in Rußland. Dies
hatte aber folgendes Ergebnis : der deutsche
Handel stieg dort von 15 auf 45'%. Deutsch-
land beherrscht Rußland kommerziell dank des
französischen Geldes.
Dieselben Tatsachen hatten vor kurzem
unmittelbaren Einfluß aui ünglands auswärtige
Politik. Sie bestimmten wahrscheinlich die
Handlungsweise derjenigen Macht, mit der es
im Sommer 1911 zufällig in Gegensätze ge-
riet. Daß die Abhängigkeit der deutschen
Industrie von der allgemeinen finanziellen
Sicherheit Europas, der Umstand nämlich, daß
große Störungen im Kreditwesen sie bis auf
ihre Grundlagen erschüttern würden, Deutsch-
lands Politik im1 August 1911 sehr stark be-
stimmten, ist gewiß ; daß sie der entscheidende
Faktor war, ist wahrscheinlich, ■ — weil die
durch die Störung bedrohten Interessen un-
geheuer wichtiger waren, als die, welche durch
sie gefördert werden sollten. Auch hier ist
wichtig zu bemerken, daß die deutschen Staats-
männer die tatsächliche Lage nicht von selbst
erkannt hätten; es brauchte die unmittelbare
Vermittlung von Führern der deutschen Fi-
nanz, damit der deutsche Minister des Aus-
wärtigen das Ausmaß der bedrohten Inter-
essen voll würdigen konnte.
Die Bedeutung einer derartigen Tatsache
liegt nicht darin, daß die Politik irgendeines
Ministers oder eines Landes versagte, sondern
daß die Mißverständnisse, die nicht nur einem
Lande, sondern ganz Europa eine schwere Last
auferlegten, nur durch diese Unwissenheit
entstanden sind; daß eine endgültige Lösung
der wichtigsten und dringlichsten Probleme
unserer Zeit oder auch bloß ein Schritt zur
Besserung dieser allgemeinen Verhältnisse
nicht möglich ist, solange man in Europa die
einschlägigen Tatsachen nicht besser kennt
als bisher.
So wird zum Beispiel allgemein zuge-
geben, daß eine große Gefahr eines
Zwistes zwischen England und Deutschland
besteht, der nicht auf einem tatsächlichen
Interessenwiderstreit zurückgeht, sondern auf
allgemeines Mißtrauen und Mißverständnis,
auf gegenseitige Unkenntnis dessen, was eines
oder das andere der beiden Länder zu unter-
nehmen vorhat, wobei ein jedes dem anderen
Absichten zuschreibt, deren Ausführung selbst
bei oberflächlicher Prüfung töricht oder nutz-
los wäre.
Was für Quellen stehen jemandem zu Ge-
bote, der die Verhältnisse von Volk zu Volk
zum Zwecke wissenschaftlicher Darstellung und
richtigen Erklärung der durch sie bedingten
Folgen — etwa ähnlich wie der vorhin ange-
deuteten — studieren will.
Gegenwärtig wird ein systematisches Stu-
dium dieser Entwicklungsstufe der internatio-
nalen Verhältnisse nicht betrieben. Ein Stu-
dium dieser Art kann am besten durch ein
Zusammenarbeiten in Vereinigungen, wie die
C. U. W. and P. S. bewirkt werden. Ein der-
artiger Verein sollte Leute von möglichst ver-
schiedenen Ansichten umfassen, — geradeso-
viel solche, die sich besonders für die Kriegs-
kunst interessieren als solche, deren Interesse
mehr der Einfluß dieser Dinge auf den Fort-
schritt der menschlichen Gesellschaft bean-
sprucht. Wenn der Verein eine gewisse Zahl
von Feinden der Friedensbewegung umfaßt,
so ist es um so besser. Sie werden durch ihre
Fragestellung die Forschungen der übrigen
anregen, während sie ihrerseits für ein besseres
Verständnis von Tatsachen, die selbst vom
rein militärischen Standpunkt nicht mehr
länger vernachlässigt werden können, gewiß
Nutzen ziehen werden. Denn für einen Sol-
daten ist es nicht nur wichtig zu wissen, in-
wieweit ein Staat seine Zwecke durch Militär-
macht erreichen kann, sondern die angedeu-
teten Probleme stehen in engem Verhältnis
zu den Einzelheiten der Ausnützung der Militär-
macht als Mittel zum Zweck und bilden so
einen wichtigen Teil seiner Studien der Kriegs-
führung.
Die Aufmerksamkeit könnte vorerst
etwa auf folgende eng umgrenzte Punkte
gelenkt werden :
1. Inwieweit sind der moderne Besitz
und Handel durch die Entwicklung des
Kreditwesens und die dadurch bedingte
gegenseitige Abhängigkeit der volkswirt-
schaftlichen Mittelpunkte durch militärische
Eroberungen nicht antastbar ?
2. In welchem Ausmaße hindert die
größere Kompliziertheit des modernen in-
dustriellen Lebens die Anwendung des Heeres-
mechanismus oder macht ihn überhaupt un-
möglich ? (z. B. könnten Staaten wie Deutsch-
land ihre industrielle Bevölkerung eine
längere Zeit nach einer allgemeinen Mobili-
sierung, der Unterbrechung der Verkehrs-
mittel und der Unordnung im Kreditwesen
ernähren ?)
3. In welchem Ausmaße bedingen diese
Faktoren die Nutzlosigkeit der Anwendung
der Militärmacht zu handelspolitischen
Zwecken; und was lehrt der Wohlstand der
kleineren Staaten für das Verhältnis der
Militärmacht und des militärischen Ansehens
zu wirtschaftlichen Vorteilen ?
4. Inwieweit hat die Entwicklung einer
billigen Presse und anderer Propaganda- und
Agitationsmittel der lokalen Selbstverwaltung
so große Kraft gegeben, daß militärischer
Zwang auf anderen als wirtschaftlichen Ge-
bieten unmöglich wurde ? (z. B. welche
Lehren sind aus der Verleihung einer Ver-
fassung an Elsaß-Lothringen und dem un-
längst erfolgten Zusammenbruch des ko-
lonialen Steuersystems Frankreichs zu
ziehen).
<EF=E
E DIE FRI EDENS -^&RXE
Es ist zu hoffen, daß derartige Krieg-
und Friedensgesellschaften dereinst durch
allgemeinen Gedankenaustausch mit ähn-
lichen Vereinen im Ausland Hervorragendes
leisten werden. Wenn die Bewegung stark
genug geworden ist, so daß eine Berech-
tigung dazu gegeben erscheint, werden Ab-
stimmungen unter Studenten an verschie-
denen Orten vorgenommen werden, um zu
sehen, wie weit einzelne der erwähnten Folge-
rungen von der öffentlichen Meinung gut-
geheißen werden.
Was aber auch immer unsere Folge-
rungen sein mögen, die Tatsachen verdienen
mehr Studium, als man ihnen für gewöhnlich
widmet. Solche Studien zu mißbilligen, heißt
behaupten, daß in einem der schwierigsten
Probleme unserer Zivilisation Unkenntnis
und Vorurteile bessere Führer sind, als Er-
kenntnis und Wissen.
Paul Scheerbart.
Von Erich Mühsam, München.
Für jenen wahren Humor, der ohne Bitter-
keit und ohne Kalauerei lediglich aus dem
heiteren Beschauen der Dinge entsteht, ist
unserer Zeit der Sinn abhanden gekommen.
Der größte deutsche Humorist, Jean Paul,
wird heutzutage langweilig und ungenießbar
gefunden, und der einzige lebende deutsche
Humorist, Paul (Scheerbart, der im Januar
50 Jahre alt geworden ist und bisher etwa
30 köstliche Bände veröffentlicht hat, ist der
.großen Mehrzahl seiner selbst literarisch inter-
essierten Zeitgenossen völlig unbekannt.
Ich möchte den Dichter an dieser Stelle
-als den lachenden Verkünder der Selbstver-
ständlichkeit des Friedens unter den Völkern
vorstellen. Das ist ein Moment in seinen
Werken, das immer wiederkehrt, in immer
neuer Form und neuem Zusammenhang, aber
immer nur als Komponente einer in sich
völlig geschlossenen, sehr großzügigen und
eigenartigen Weltanschauung.
Scheerbarts Philosophie ist kurz diese:
Alles Irdische, Diesseitige, Abgegrenzte ist un-
geheuer nichtig, unwesentlich und gleich-
gültig gegenüber der Herrlichkeit der kos-
mischen Welt. Wer sich Bürger des unend-
lichen Alls weiß, der ist mit seiner Phan-
tasie viel zu sehr beschäftigt, um die Dinge
der Erde anders als mit lustiger Ueberlegen-
heit zu betrachten. Die unendlichen Möglich-
keiten, die in der außerirdischen Welt liegen,
sind die der Menschen würdigste Gedstes-
besebäftigung. Die kleinen Angelegenheiten
unserer Körper, der Beziehungen der Men-
schen zueinander und unserer Erhaltungsinter-
essen verlohnen nicht der Feierlichkeit, mit
•der sie gewöhnlich behandelt werden.
Scheerbart geht denn auch in seinen
meisten Büchern auf Streifzüge in die Regio-
nen des unbekannten Weltalls. Mit dem wunder-
vollen unbekümmerten Humor, der ihn aus-
zeichnet, schildert er die Lebewesen fremder
Gestirne, und indem er z. B. die Einrich-
tungen auf dem Jupiter beschreibt, verulkt er
zugleich die Kümmerlichkeiten der Erdbe-
wohner. Lächerlich ist ihm1 in seiner phan-
tastischen Seelenstimmung jede Erotik, un-
sagbar verächtlich aber und dumm kommt ihm
die Methode der Menschen vor, sich mit
Mordwaffen einander gegenüberzustellen und
sich gegenseitig abzuschlachten, abzuschießen
und mit allem möglichen Aufwand von satani-
scher Erfindungskraft hinzumorden.
Ganz ergreifend kommt diese Ansicht in
seinem Roman „Die große 'Revolution" (Insel-
verlag) zum Ausdruck, der unter Mondbe-
wohnern spielt. Die Mondleute studieren mit
ungeheuren Fernrohren das Leben und Ge-
schehen auf den übrigen Weltkörpern. Ihre
ganz besondere Aufmerksamkeit wenden sie
den Menschen auf der Erde zu. Aber die
widerwärtige Erscheinung, daß die Menschen
immer und immer wieder mordend gegen-
einander vorrücken, steigert bei den geistig
vorgeschrittenen ,'Mondbewohnern die Ver-
achtung gegen die Erdleute, und e9 entsteht
eine Bewegung, die den Boykott der Erde
anstrebt, den Plan nämlich, den großen Stern
Erde völlig zu ignorieren und die Fernrohr-
studien fernerhin nur auf die gesitteten übrigen
Sterne zu konzentrieren. Dagegen sträuben
sich aber die konservativeren Mondgeister, und
so ist die geistige Revolution auf dem Monde
ausgebrochen. Die äußert sich natürlich nicht
in Mord und Totschlag, sondern in Beratungen
und Uebereinkommen. Endlich soll eine
Wette entscheiden. Die Beobachtung der Erde
soll noch 2000 Jahre fortgesetzt werden:
Führen die Menschen dann immer noch
Kriege, dann sollen die Neuerer recht be-
halten, dann muß man an der Bildungs- und
Entwicklungsmöglichkeit der Erdbewohner ver-
zweifeln. Als dann die 2000 Jahre herum
sind, ist große Spannung bei den Mondleuten.
Sie suchen mit ihren Fernrohren die Erdober-
fläche ab, und schon glaubt die Erdpartei
die Wette gewonnen zu haben, und auch die
Weltpartei will sich schon freuen, weil der
Friede auf Erden nun herbeigekommen scheint,
da sieht man plötzlich von zwei Seiten Heere
mit Kanonen und allen möglichen Waffen
aufmarschieren. TJ)ie Erdpartei des Mondes
erklärt sich besiegt. Man sieht ein, *daB an
den Menschen Hopfen und Malz verloren ist
una wendet fortab alle Aufmerksamkeit dem
großen Weltall und den Gestirnen zu, auf
denen die Unvernunft der Erdbewohner keine
Stätte hat.
Hinweise auf die Absurdität des Krieges
finden sich bei Scheerbart fast in allen Werken,
und neuerdings hat er eine eigene, sehr ori-
ginelle Bekämpfung der Massenmorderei er-
funden, zu der ihm seine schrankenlose Phan-
tasie gute Dienste leistet. Er macht das in
der Form von Ratschlägen an die Krieg-
DIEFßlEDENS-^AQTE
[6>
führenden, wie sie am schnellsten und sicher-
sten möglichst viele Menschen auf einmal um-
bringen können. Mit scheinbarem Ernst und
mit einer Sachlichkeit, daß man Tränen lachen
kann, setzt er die vortreffliche Eignung der
Luftschiffe auseinander, um von dort aus mit
Sprengstoffen ganze Heere mit einem Schlage
bis auf den letzten Mann zu vernichten und
die kriegführenden Länder mit den billigsten
Mitteln so vollständig zu verwüsten, daß der
Friede für lange Zeit wieder gesichert sein
muß. Im Jahre 1909 veröffentlichte Scheer-
bart eine Broschüre (bei Oesterheld), deren
Verbreitung unter denen, die im Kriege einen
grotesken Wahnsinn erblicken, gar nicht ge-
nug empfohlen werden kann. Darin plädiert
der Dichter für die völlige Abschaffung der
Heere und Flotten, da die Flugtechnik bei
geeigneter Vervollkommnung durchaus1 allein
imstande sein wird, jede ausdenkbare Vernich-
tungsarbeit zu verrichten. Der Titel des
Schriftchens heißt: „Die Entwicklung des
Luftmilitarismus und die Auflösung der euro-
päischen Landheere, Festungen und Seeflotten.
Eine Flugschrift". Der biedere Ernst, mit
dem Scheerbart da seine mörderischen Vor-
schläge macht, ist der gelungenste Hohn auf
die ganze unsinnige Kriegsstimmungsmachered,
die uns Zeitgenossen des zwanzigsten Jahr-
hunderts immer noch in die Ohren tutet.
Ich habe mit diesem kurzen Hinweis auf
das Wirken Paul Scheerbarts zweierlei er-
reichen wollen: einmal wollte ich die Ver-
breitung künstlerisch .außerordentlich wert-
voller Bücher, die kein Mensch zu kennen
scheint, fördern (ich empfehle nicht nur die
erwähnten Schriften Scheerbarts, sondern alle
seine Bücher, in denen wahre Schätze des
Humors gespeichert sind). Zweitens wollte ich
dem Dichter selbst nützen, der dank der In-
dolenz seiner Mitmenschen heute noch 'in
quälender Not lebt, die ihn nur ein immer
wacher Humor und das Bewußtsein von der
Unendlichkeit des Wreltalls heiter lachend er-
tragen läßt.
Vom Anarchismus zum Gesetz!
(Die Diagnose eines europäischen Krieges.)
Von Wilhelm Lamszus.
Die Welt ist heute noch sehr mangelhaft
organisiert. So lange es noch Räubervölker
auf der Erde gibt, so lange es noch nach
den Grundsätzen des Anarchismus regierte
Staaten gibt — und zwar in unserer nächsten
Nähe — • so lange noch Kulturnationen ,es
nicht für unwürdig erachten, mit Rußland,
diesem schwer gestraften Land der Anarchisten
von Gottes Gnaden, Bündnisse abzuschließen,
sind wir in jedem Augenblick vom Krieg
bedroht.
Was also, wenn nun dieser unheilvolle
Krieg, den wir so weit wie möglich! wünschen,
trotz aller friedensliebenden Elogen, trotz aller
menschenbrüderlichen Demonstrationen, trotz
aller diplomatischen Entspannungen dennoch
eines Tages auf die Bühne tritt? Wenn es der
Weltgeschichte so gefällt, vor Blut und Eisen
Reverenz zu machen — was sollen wir dann
tun? Das Ideal der unentwegten Menschen-
liebe krampfhaft schwingen? Mit kategori-
schem Imperativ und allgemeinem Menschen-
tum statt mit Granaten unsere Kanonen laden,
und nachdem wir überzeugend nachgewiesen
haben, daß dieser neue Krieg menschliche
Maße übersteigt, den duldenden, den schönen
Philosophentod erleiden und in Entsagung
untergehn ?
Man hat mein „Menschenschlachthaus"
ein Produkt der Angst genannt. Ich gebe
gerne zu: Mein „Held", der da im Schreckens-
sturm zusammenbricht, das ist kein herz-
erfrischend anmutendes Bild. Und ich gebe
weiter zu: Ein Geschlecht, das einem Krieg
nicht mehr gewachsen ist, das ist dem Unter-
gang geweiht. Ich stelle mich ganz auf die
Seite derer, die da sagen: Und wäre dieser
Krieg noch zehnmal schrecklicher als er ist,
und wäre er das leibhaftige Inferno, wir
dürfen nicht vor ihm zusammenbrechen. Es
hilft nichts, reichen unsere Kräfte nicht, so
gibt es keine heiligere Pflicht, als sie zu
stärken, bis sie eben reichen. Denn wehrhaft
im Kampf ums Dasein müssen wir bleiben
um jeden Preis. Darum Abhärtung und
Rassenhebung! Ein starkes mannhaftes Ge-
schlecht, das ist die Sehnsucht jedes Patrioten
und ist die Hoffnung jedes echten Menschen-
freundes. Wer hätte wohl Lust zu einem Volk,
das so verfeinert und veredelt war, daß ihm
im Baßgesang der freiheitjauchzendeu Ge-
schütze die Nerven zerrissen? Wir müßten
nicht selber Draufgängerblut in den Adern
haben, um alle jene, die rückhaltlos für eine
gute Sache einzutreten wagen, die sich mit
Lust um einer großen Sache willen ver-
schwenden, anders als mit Wohlgefallen zu
betrachten. So ist es ja auch gar nicht wahr:
Ich habe nicht das Sterben an , sich, ich habe
nicht die physische Angst der Kreatur vor
Tod und Untergang gemalt — das wäre ein
unwürdiger Streich — ich hab', was wohl das
bitterste auf Erden ist, das hoffnungslose, leere
Sterben gemalt, das nicht mehr weiß, wozu es
stirbt. Ich hab den neuen Menschen in den neuen
Krieg marschieren lassen, den neuen Men-
schen, der nicht mehr glaubt, daß dieser Krieg-
notwendig war, den Menschen, der da fühltr
daß seinem Vaterlande mehr gedient und mehr
geholfen war, wenn diese Hunderttausende
von Menschenleben nicht vergeudet würden.
Der allerdings, der kriegsungläubige Mensch,
muß in dem Blutgewitter seelisch ' zugrunde
gehen. Ist dieser Mensch Phantom, oder ist
er historisch wahr? Das ist die] große Frage
an das Schicksal, die wir dem Vaterland©
schuldig sind.
Diplomaten und ihre Auftraggeber, die von
Berufs wegen das europäische Gleichgewicht
58
<§=
DIE FRIEDEN5 -WARTE
zu überwachen haben, glauben noch immer
unverrückt an jenen bildschönen Menschen-
typus, der uns allen aus farbenprächtigen
Kriegsnovellen des vergangenen Jahrhunderts
und aus archaisierenden Geschichtslektionen
der Schule blendend hell herüberstrahlt, an
jene eichenlaubgeschmückten hurrarufenden
Heldensöhne, die nichts weiter tun, als zeit-
lebens darauf brennen, ihren begeisterten
Atem im Donner der Kanonen auszuhauchen.
Nun haben wir aber soeben das' größte
und vernichtendste Debacle erlebt, das die
diplomatische Mathematik seit langem zu ver-
zeichnen hat, und eine gehörige Skepsis gegen
die Richtigkeit der europäischen Schicksals-
rechnungen hat das europäische Gemüt er-
faßt. Wie, wenn auch diese nationale Völker-
psychologie, die den nächsten Krieg ent-
scheiden soll, auf Fehlern und auf Irrtümern
basiert, wenn auch hier, vom öffentlichen
Auge unbemerkt und ungesehen, Wandlungen
im stillen sich vollzogen haben, die zum Ver-
hängnis würden ? Wie, wenn auch dieser
völkisch leuchtende Idealmensch, der die
nächsten Völkerschlachten schlagen soll, im
Laufe der Zeiten zu emem historischen
Schatten abgeblaßt, zu einer konventionellen
Phrase zusammengeschrumpft wäre ? Zu
einer Phrase, die in dem nächsten Krieg zu-
sammenbräche ? Es bräche vieles, vieles
mit zusammen.
Soviel ist sicher, und nur politisch völlig
Erblindete tappen glückselig daran vorbei:
Die vier Jahrzehnte intensivster industrieller
Entwicklung, die nun seit dem letzten mittel-
europäischen Ringkampf verflossen sind,
haben nicht nur einen neuen fremdartigen
Krieg erzeugt, sie haben auch eine neue,
wesensandere Menschheit geschaffen, eine
Menschheit, die von neuen Idealen beseelt,
von neuen Impulsen getrieben wird. Das
heutige Geschlecht ist nicht mehr das Ge-
schlecht des 30 jährigen Krieges und auch
nicht das von 1870/71. Die Volksseele, nicht
nur die deutsche, sondern ebenso sehr die
französische und die englische, hat sich ge-
waltig differenziert. Und wie sich diese neue
Menschheitsseele in einem großen histo-
rischen Augenblick auswirken würde, das
weiß kein Mensch. Was dann geschehen
würde, wenn sich das Schicksal blind er-
erfüllen sollte, daß Europa über Nacht in
Brand geriete, weiß kein Gelehrter und kein
Diplomat, das weiß auch kein Kriegswissen-
schaftler — und dieser wahrscheinlich am
wenigsten, weil er von allen jenen der Volks-
seele am abgeklärtesten und am abstraktesten
gegenübersteht. Wie soll man sagen können,
wie Menschen mit eigenem Fühlen und
Denken in ihrer letzten Stunde sich be-
nehmen werden, wenn man gewohnt ist, in
ihnen kaum mehr als Exerziermaschinen zu
erblicken. Jede strategische Rechnung hat
als Grundlage die Zahl der Gewehre und Ge-
schütze. Mit. Menschen operiert sie wie mit
Nummern. Der Mensch ist weiter nichts als
ein mechanischer Kräftekomplex, der in die
Rechnung als ein äußerst gering innervie-
render Faktor eingesetzt wird.
Allerdings, daß das Menschenmaterial
weicher und biegsamer geworden ist als
früher, und daß es daher fraglich ist, ob
die Heere der Zukunft noch die großen Ver-
luste ertragen werden — von dieser formalen
Seite her haben die akademischen Strategen
das Problem1 zu lösen versucht und — haben
das Fragezeichen stehen lassen.
Aber es gibt neben dieser formalen Seite
noch eine andere, bedeutungsschwerere, die
historisch-psychologische, die bisher kaum
gesehen, geschweige denn untersucht worden
ist. Man scheint ihr ängstlich aus dem Wege
zu gehen. Selbst der Staatsrat Bloch hat in
seiner glänzenden Theorie eines zukünftigen
Krieges die Psychologie des modernen euro-
päischen Soldaten nur flüchtig gestreift. Und
doch liegt hier — die Geschichte der ver-
gangenen Kriege lehrt es immer wieder —
der Schwerpunkt des Problems. Nicht die
Stückzahl der Geschütze und der Menschen,
die ältere oder modernere Konstruktion der
Waffen entscheidet letzthin, sondern der
Geist, der diese Waffen führt. Das haben
uns die deutschen Befreiungskriege, das
haben uns die Heere der französischen Re-
volution gezeigt, das hat uns die Welt-
geschichte soeben erst wieder am1 Balkan blut-
triefend vorgeführt.
,, Krieg ist," sagt Byron, „wenn ihn das
Recht nicht heilig macht, bloß Hirnzerschmet-
tern und Luftröhrenschneiden." Und bei dieser
problematischen Beschäftigung des Hirnzer-
schmetterns und Luftröhrenschneidens würde
jedem normalen Menschen, der nicht als Lust-
mörder geboren wurde, bald der Appetit ver-
gehen, wenn ihn nicht jene seelische Hoch-
spannung ergriffe, die von jeher alle sieg-
reichen Völker über Blut und Leichen an das
verheißungsvolle Ziel getragen hat : Jene große
elementare Begeisterung, die dereinst aus
preußischen Monatskrümpern die besten Feld-
soldaten prägte, die aus zusammengelaufenen
Menschenhaufen unwiderstehliche Heere schuf.
Das starke „heilige Gefühl des Rechts", das
war die suggestive Kraft, das war das seelische
Aequivalent, das verbrauchte physische Kräfte
immer von neuem regenerierte. Muskeln und
Nerven wurden abgenutzt bis zur Erschöpfung^,
aber Schwung und Begeisterung rissen den
müden Leib empor und offenbarten grenzenlos
das uralte Geheimnis der Suggestion: Die
Macht der aufgewachten stürmenden Seele
über den zagenden todbangenden Leib. Sug-
gestionen ballten die Volkskräfte zu eherner
Leidenschaft zusammen und machten sich "Luft
in welthistorischen Explosionen.
Wie ist nun aber die seelische Verfassung
des europäischen Bürgers, der morgen in den
Krieg marschieren soll ? Wo ist das seelische
Aequivalent, das ihn regenerieren soll? Wo
5.9
DIE FßlEDEN5-^*\DTE
=§>
ist das heilige Gefühl des Rechts, das seine
skeptisch angehauchten Nerven entflammen
soll? Ein Blick in die Oktober- und November-
zeitungen aller Landesfarben vom preußischsten
Blau bis zum vaterlandslosesten Rot zeigt uns,
daß man weit weniger verklärt und rosenrot
den Krieg ansieht als in vergangenen Tagen.
Mit unheimlicher Kraft der Anschauung zogen
die Schreckensbilder des Balkankrieges vor
unseren Augen vorüber, klassische Darstellun-
gen wahrheitsgetreuer Schlachtenschilderung.
Und gerade die großen konservativen Zeitun-
gen, die sich das Vergnügen teurer Spezial-
korrespondenten leisten konnten, malten uns
die angeschossenen Menschen, die Tag und
Nacht im strömenden Regen ihre Wunden
wuschen, malten uns die Cholerakranken, die
in Krämpfen sich wanden, bis sie im Schmutz
krepieren mußten, so lebenswahr, so natura-
listisch körperhaft, daß wir den röchelnden
Atem zu vernehmen meinten und Grauen und
Empörung uns übermannten.
Man sollte all diesen sonst so kriegs-
lustigen Blättern, die uns so systematisch
zum Kriegsabscheu zu erziehen suchten, der
Reihe nach den Hochverratsprozeß machen,
das wäre nicht mehr als konsequent.
Und doch war dieser Balkankrieg mit
schien teilweise 30% Verlusten an Menschen-
material nur ein Kinderspiel. Weil sie nicht
mit ihren Maschinen umzugehen wußten,
kehrten sie wieder zum Handbetrieb zurück.
Was will nun dieser schlecht organisierte
Kleinbetrieb gegen jene europäische Groß-
schlächterei bedeuten, die mit technisch voll-
kommenen Spezialisten, die mit Dynamos und
Akkumulatoren arbeitet.
In diesem rasselnden Jahrhundert der
Maschinen gibt es auch auf dem Markt des
Sterbens weiter nichts als eine neue Branche
mehr: die Leichenindustrie.
Pas alles aber geht glatt in die
historische Entwicklung auf. Maschinen-
gewehre und ingeniöse Sprengvorrichtungen
gehören allerdings ins Zeitalter der Ma-
schinen. Man kann sie nicht verbieten und
aus purer Menschenfreundlichkeit und Poesie
zu Pike und Muskete retirieren. Die tech-
nische Entwicklung geht weiter ihren Gang
und erzeugt mit jedem Tage einen groß-
zügigeren, produktiveren, ergiebigeren Krieg.
Aber — nun kommt der erste Widerspruch
— der unmenschlichere, barbarischere Krieg
findet mit jedem Tage einen mensch-
licheren Menschen, denn, was den
Bürger des 20. Jahrhunderts vor dem des
19. auszeichnet, ist das größere Kultur-
bewußtsein. Wir brauchen nicht die Zahl
der Analphabeten von heute und vor 40 Jah-
ren zu vergleichen, wir brauchen nicht die
wachsende Zahl und Einrichtung der Schulen,
den ungeheuren Aufschwung des Presse-
wesens zu verfolgen, (wir brauchen keine
Kulturstatistiken zu studieren. Wir brauchen
nur einen Blick in jene weitverzweigten Volks-
60
Veranstaltungen zu werfen, in jene Volks-
konzerte und -theatervorstellungen, Volks-
bibliotheken und literarische Abende, die
Arbeiter aus eigenen Mitteln sich schufen.
Kunst und Kultur sind nicht mehr Dinge,
die man an großen Festtagen aus dem Glas-
schrank nimmt, um sie zum dankbaren Ob-
jekt schwungvoller Tischreden zu machen.
Humanität ist nicht wie früher ein holder,
ferner, nie erreichter Traum. Ach nein, Fata
morgana sieht nur der, der noch verloren
in der Wüste irrt. Die das Land der Mensch-
heit fanden, haben auch den Boden der
Wirklichkeit gefunden. Urnen ward Hu-
manität zu einem leidenschaftlichen, realen
Trieb. Er hat sich als der größte, unstill-
barste aller Triebe erwiesen. Nicht nur, daß
er die Siechenhäuser und Spitäler baute, daß
er mit Hygiene und Gesetz das bürgerliche
Leben schützte, sogar den Keim im Mutter-
leib mit Zuchthausstrafen schützt — er hat
weit Größeres vollbracht. Aus Millionen
Köpfen schuf er eine Menschheitsseele, aus
Millionen ,Sonderinteressen einen großen
Menschheitswillen. Volksstämme, die sich
dereinst zerfleischten, verbanden sich zu
Völkern, und Nationen, die sich demnächst
zerfleischen sollen, schicken sich an, zu
einem großen Brudervolk zu werden. Man
hat dereinst die deutschen Burschenschaftler,
die sich zu leidenschaftlich nach der deut-
schen Einheit sehnten, als Landesfeinde auf
die Festungen geschickt. Die deutsche
Einheit ist trotzdem gekommen. So wird auch
die Kultureinheit der Völker kommen trotz
allen offiziellen Rückwärtsblasens. Vom Ur-
menschen, der da den Gegner schlug, wo er
ihn fand, sind wir zu immer größeren und
festeren Kulturverbänden emporgestiegen und
werden weiter steigen. Wer das zu leugnen
wagt, der leugnet, daß es je Geschichte gab.
Es hilft hier nichts, wir stehen an der Wiege
eines neuen Menschen. Der morgen in den
Krieg marschieren soll, ist nicht mehr der
von 1870/71. Was ist das für ein Mensch?
Wenn man ihn schmähen will und de-
nunzieren, so nennt man ihn den internatio-
nalen Menschen und macht drei fff hinter
ihm. Das hindert aber nicht, daß man am
Sonntag, wenn man sich die Augen aus-
gewaschen hat, dann selber in die Kirche
geht und eben diesen selben internationalen
Menschenbruder von der Kanzel herab nach
allen Regeln der Homiletik sich warm ans
Christenherze legen läßt. Denn was macht
das Uebermenschentum des Nazareners aus ?
Daß er das Gleichnis von Alljuda predigte ?
Daß er nach möglichst vielen Legionen und
Kohorten schrie ? Daß er nur jene Seiner
Liebe würdig fand, die schwarz-weiß-rot irrt
Kleide gingen ? Weswegen ward er eigent-
lich ans Kreuz geschlagen ? Das mögen
unsere frommen Patrioten sich von ihren
kundigen Pastoren auseinandersetzen lassen
Ach, dieser verbrecherische menschenbrüder-
<§=
= DIE FRIEDENS -WARTE
liehe Trieb, dieser hochverräterische Trieb
des Menschen zum1 Menschen, den haben ihm
mit nichten Aufrührer und Verschwörer in
die Brust geblasen, der ist auf keinem un-
erlaubten polizeiwidrigen Weg zu ihm ge-
kommen, ist nicht einmal Propheten- und
Messiaswerk: Ach nein, im hellsten Licht
der Sonne hat es angefangen, und Eisen-
bahnen, Telegraphen, Dampf und Elektrizi-
tät, das sind die Hochverräter, die die Landes-
grenzen überwunden haben. Sie haben das
dumpfe landesfarbene Empfinden zum größe-
ren und philosophischen Menschheitsbewußt-
sein geweitet und geklärt. Kirnst und Wissen-
schaft haben das menschliche Gewissen ge-
schärft und haben jenen verruchten wider-
lichen Chauvinismus, der einst mit blöder
Geringschätzung auf alles niedersah. was
andere Farben trug, für alle Zeit zum lächer-
lichen Firlefanz gemacht. Sie haben auch
den Rassenhaß, das Erbe aus der Tierheit
Tagen, endgültig in die Rumpelkammer der
Kultur gestellt.
Es ist eine neue Menschheit, die
morgen in den Krieg marschieren soll. Wenn
wir die Seele dieser Menschheit analysieren
wollen, brauchen wir nicht auf internatio-
nale Kongresse und Demonstrationsversamm-
lungen zu gehen — was wir hier schreiben,
predigen wir nicht von der Zinne irgendeiner
Partei, sondern wir schreiben nur das Leben
ab und — eigenhändige Dokumente untadel-
hafter deutscher Männer. In jenem berühm-
ten Sonderheft von „Nord und Süd", wo
Prinzen und Professoren, Fürsten und Grafen,
Bürgermeister und Minister sich für die
deutsch-englische Verständigung aussprechen,
hat vor allem der Prinz Heinrich zu Schön-
aich-Carolath die Volksseele am sichersten
und überzeugendsten gezeichnet :
„Die gesunden, einsichtsvollen, beachtens-
werten, maßgebenden und führenden Elemente
beider großen Kulturvölker wollen den Frieden,
die Verständigung, die Entente und. wenn mög-
lich : die Entente cordiale! Alle diese
Elemente halten einen Konflikt,
einen Krieg — - man sollte so ein Wort
gar nicht aussprechen, weil es sich einfach nicht
einmal denken läßt — für einen Wahn-
sinn, für eine Tollheit, unter welcher
jede von beiden Nationen empfindlich leiden
würde, ganz gleichgültig, welche Sieger oder
Besiegte wäre. Und während der Zeit, wo beide
Nationen, die so unendlich vieles Gemeinsames
haben, deren Eigenarten, Stimmungen, Gefühle,
Anschauungen auf den verschiedensten Gebieten
die gleichen sind, sich zerfleischen, sich Wunden
schlagen würden, die nur langsam heilen, sich
nur schwer schließen, wohl aber eine dauernde
Verbitterung und heiße, leidenschaftliche Gegner-
schaft zeitigen würden, in derselben Zeit könnten
ftuf anderen Weltplätzen große Interessen ver-
loren gehen und geschädigt werden, die den
kämpfenden Parteien unendlich wertvoll wären."
Das ist die Sehnsucht der neuen Mensch-
heit, auf eine psychologische Formel ge-
bracht : Entente cordiale. Was aber dem
deutschen Prinzen noch als ein frommer
Wunsch erscheint, das sieht der Attorney-
General und Minister des vereinigten König-
reichs England, Sir Rufus D. lsaa.es, in deut-
licheren Konturen :
„Nur mit Genugtuungkann man
feststellen, daß die Beziehungen
zwischen den Arbeiterklassen
beider Länder stetig intimer wer-
den. Denn in dieser engeren In-
timität liegt eine starke Schutz-
wehr gegen das Andauern der Vor-
urteile und Mißverständnisse."
Intim und herzlich! Wer Augen hat zu
sehen, sieht, daß das die Wahrheit ist. Man
mag die Wahrheit mit Entzücken oder mit
Erschrecken sehen, nur leugnen läßt sie sich
nicht mehr. Wenn sich in Frankreich 98 000
Volksschullehrer öffentlich und feierlich zum
Pazifismus bekennen, wenn auf demselben klas-
sischen Boden der „gloire" Bürgermeistern
großer Städte die Polizeigewalt entzogen wer-
den muß, weil sie sich weigern, dem allzu
ungestümen Friedensdrang des Volkes Einhalt
zu gebieten — wer will es leugnen, daß da
neue Kräfte, neue Phänomene in das, mensch-
liche Bewußtsein treten, daß da ein wesens-
anderer Mensch geworden ist. Das ist das
heute noch verborgen wirkende historische
Gesetz, das sich mit jedem Tage mehr reali-
siert : Die Eins werdung der mensch-
lichen Kultur, der Einheitsakt des
menschlichen Erkennens, der sich
mit apodiktischer Gewißheit über
Raum und Zeit vollzieht, bewirkt
die Einswerdungdes zur Kultur er-
wachten Menschen. Diese Identi-
fizierung der Kultur aber trägt in
sich die Tendenz, den uralten,
mystisch verschleierten Kampf
ums Mein und Dein, den ominösen
Eigentums- und Land er st reit der
Menschheit, der einst in blinden
Katastrophen sich entlud und
unter ungeheurer Menschen- und
Materialvergeudung vor sich ging,
nicht nur im kleinen, sondern auch
im großen immer mehr den klar er-
kannten, ökonomischen, kultur-
politischen Gesetzen unterzuord-
n e n. Kulturvölker gehören innerlich zusam-
men: Das ist die nächst sichtbare historische
Etappe. Reißt man sie voneinander los und
jagt sie entwerteter Gefühlsanachronismen
wegen widereinander, so hat man sie der offe-
nen Verzweiflung überantwortet. Wehe dem
Kriege, der sich in der Menschheitsseele ver-
spekuliert! Wehe dem Kriege, der mit einer
anachronistischen Psychologie gerechnet hat!
Der Einsatz dieses Krieges ist das europäische
Kultursystem. Der Einsatz geht verloren,
wenn der Krieg verloren geht; das ist, was ich
mit meinem „Menschenschlachthaus" sagen
wollte.
Es sind ja nun in unseren Tagen sonder-
bare Heilige erstanden, die schelten rectit-
61
DIE FRIEDENS -^kßTE
=6>
schlaffen die Menschheit aus, daß sie es nicht
mehr für den höchsten aller irdischen Genüsse
hält, sich gegenseitig die Gurgel abzuschnei-
den. Was soll aus einer so erschlafften und
degenerierten Menschheit werden ? Es ist nur
schade, daß es den Völkern bisher an Zeit
gebrach, sich so wie diese imannstollen Aesthe-
ten zu verweichlichen und zu entnerven. Arbei-
tende Menschen haben nicht nötig, das er-
schlaffte Blut mit einer Eisenkur sich perio-
disch aufzufrischen; wohl aber wäre jenen
misanthropischen Skribenten etwas mehr Re-
spekt vonnöten, Respekt vor jenen, die all-
jährlich auf dem Schlachtfelde der Arbeit
fallen, Respekt vor jenen, die im Schatten
atmen und im Dunkel sterben, damit wir
Glücklichen die Sonne sehen. Steigt doch
hinunter in die Bergwerke und geht hinaus aufs
Meer in Sturm und Not, sehet dem stillen
Forscher zu, der Tag und Nacht um die Er-
kenntnis ringt und seinen letzten Atemzug; der
Wahrheit weiht —
Das Heldentum der Arbeit blüht herr-
licher als je. Aber die Sehnsucht dieser ar-
beitenden Menschheit ist4 nicht wie einst das
Hirnzerschmettern und Luftröhrenschneiden.
Die Sehnsucht dieser Menschheit heißt : Ge-
sittung! vom Tier zum Menschen, vom Anar-
chismus' zum Gesetz. Wer ist's, der diesen
Weg nicht finden kann ? ,, Gleich wie
wir nun", so sagt Immanuel Kant, „die
Anhänglichkeit der Wilden an
ihre gesetzlose Freiheit, sich
lieber unaufhörlich zu balgen, als
sich einem gesetzlichen Zwange
zu unterwerfen, mit tiefer Ver-
achtung ansehen, so sollte man
denken, müßten gesittete Völker
(jedes für sich zu einem Staat ver-
einigt) eilen, aus einem so ver-
worfenen Zustande je eher desto
lieber herauszukommen. Statt
dessen aber setzt vielmehr jeder
Staat seineMajestät gerade darin,
gar keinem äußeren gesetzlichen
Zwange unterworfen zu sein."
Das ist nun zwar der internationale Anar-
chismus: reinster Form, den, als den höch-
sten aller Zustände, zu preisen, auch heute
noch als sehr verdienstvoll gilt." Es ist
nicht eben viel, womit sich unsere politische
Vernunft begnügt. Denn diese vielgepriesene
„politische Vernunft" findet sich schon in
jedem Ameisenhaufen sinnreich und muster-
gültig realisiert. Im Ameisenstaat haben wir
nach innen den vollständigen sozialen Aus-
gleich, nach außen hin aber den unerbitt-
lichsten und konsequentesten, den ganz auf
sich gestellten Nationalismus. So hätten wir
denn glücklich das Niveau der Ameisen er-
klommen, und unsere politische Erkenntnis
wäre die eines Insektenhirns. Insektenethik,
das wäre der Weisheit letzter Schluß. Wahr-
lich, man könnte stolz auf dieses Mensch sein
werden, werm nicht die Weltgeschichte über
62
ihre Totengräber, die es zu allen Zeiten gab,
zu allen Zeiten auch zur Tagesordnung über-
ginge. Organisation heißt das Gesetz der
Welt. Männer des Lebens: Kaufherren, In-
dustriefürsten haben das Gesetz erkannt und
schließen sich, wenn Freund und Feind der
sinnlos preisdrückenden Konkurrenz zu er-
liegen drohen, zu weltumspannenden Kar-
tellen, zu internationalen Trusts zusammen.
Die Völker, die in kriegerischer Konkurrenz
sich aufzureiben drohen, fangen an, den Weg
zum kriegerischen Trust zu suchen. Wo sind
die großen Staatsmänner, die Carnegie und
Rockefeller der Politik, die die erwachte
Menschheit zum weltumspannenden Kultur-
kartell zu führen wissen ? Verzückte Schwär-
mer, untergehende Romantiker, die nicht
zur Wirklichkeit genesen können, schauen
sehnend nach rückwärts, wo die gestorbenen
Ideale mit dem gestorbenen Tag zur Rüste
gehen. Das gibt dem' neuen Menschen seine
aufbauende Kraft, daß er nach vorwärts
schaut ! Der wird der Mann der kommenden
Epoche werden, der, was sich aus dem
Morgendämmer der Geschichte hebt, zu
klarer Form, zu menschbeglückender Gestalt
zusammenfassen kann. Wer Bismarcks große
Kunst zur Wirklichkeit uns preist und selbst
nichts Besseres versteht, als mit dem alten
Handwerkszeug nach alten Schätzen graben,
der ist ein schlechter Jünger der Vergangen-
heit. Vorwärts mit neuen, jungen Augen in
die neue Zeit ! Das, und nichts anderes heißt
uns realpolitisch denken. Das und nichts
anderes kann unserm Vaterlande dienlich sein.
I
n RANDGLOSSEN U
EUB ZEITGESCHICHTE
Von Bert ha von Suttner.
Wien, 4. Februar 1913.
Seit dem Ausbruch des Balkankrieges
ändert sich die politische Situation mit jedem
Tag, mit jeder Stunde. Und jede neue Va-
riation wird von der Presse mit Folgerungen,
Betrachtungen, Kombinationen und Prophe-
zeihungen begleitet, die einander aufheben und
widersprechen, die von den Ereignissen Lügen
gestraft werden, und die untereinander einen
Wirbeltanz aufführen, wie die Vorstellungen
eines wilden Traumes. Und das kommt daher :
Wie im traumbefangenen Gehirn das ordnende
Bewußtsein fehlt, so fehlt im politischen Han-
deln und Denken von heute das feste Prinzip,
die sichere Zielrichtung. Die allgemeine Mei-
nung unter den „maßgebenden" und „unter-
richteten Kreisen" und die Denk- und Stil-
gewohnheiten der Zeitungen stehen einerseits
noch im Banne der kriegerischen Weltan-
schauung, sind aber andrerseits doch schon
beeinflußt von dem Friedenswillen und der
Friedensnotwendigkeit der modernen Weh.
<§:
DIE FRI EDENS -^J^RXE
Vor hundert Jahren, selbst vor fünfzig Jahren,
hätte es zu solchen Verdrehungen und Win-
dungen, solchen Irrnissen und Wirrnissen in
den offiziellen Schritten und den offiziösen
Kommentaren nicht kommen können; —
da waren der Krieg, die Gewalten, das Er-
obemngsrecht noch die unbestrittene Grund-
lage des Staatenlebens. Das ist heute —
außer in den Augen der verschiedenen Kriegs-
parteien — nicht mehr der Fall. Wir Pazi-
fisten werden von den täglich veränderten,
toll wirbelnden Ereignissen nicht zum Schwan-
ken und zum Selbstwidersprechen gebracht;
weil auch wir auf einer festen Grundlage —
der Grundlage der Prinzipien — stehen, auf
denen unsere Ueberzeugungen ruhen. Wir
sind Zeugen, wie diese Prinzipien sich stö-
rend in das alte System einfiltrieren und
können daraus die erneute Sicherheit schöpfen,
daß ein neues System im Werden ist.
mb
Den Verhandlungen, Botschafter-Reunio-
nen, Delegierten-Konferenzen, Pourparlers und
selbst Dejeuners ist es nicht gelungen, den
eingegangenen Waffenstillstand in einen tat-
sächlichen Friedensschluß zu verwandeln, son-
dern infolge einer temperamentvollen Mini-
sterratsttzung in Sofia wurde ein neuer Krieg
daraus, angesagt zur üblichen Theaterstunde
— 7 Uhr abends — des 3. Februar. Dann
sollte es wieder ans „Lokalisieren" gehen.
Nur um Gotteswillen keinen europäischen
Krieg! Sie alle hoffen, wünschen, beten, daß
es zu keinem Brand komme — als ob der
von Gott weiß wo entzündet werden könnte,
— während sie es doch alle selber in der
eigenen Hand haben, ihn zu entzünden oder
nicht.
Kaiser Franz Josef hat durch einen Spezial-
gesandten ein Handschreiben an Zar Nikolaus
geschickt. Niemand weiß, was drin steht, aber
die ganze europäische Presse kommentiert —
und wahrscheinlich mit Recht — , daß dies
eine Anbahnung zu freundschaftlicher Be-
ziehung zwischen den beiden Kaiserreichen und
daher zur Verminderung der Konfliktsgefahr
führen wird. Desto besser, wenn dies der
Fall ist. Sowohl der Kaiser von Oesterreich,
wie der Einberuf er der Haager Konferenz,
sind dem Kriege abhold und wenn die beiden
direkt miteinander verhandeln (nicht durch
ihre Ministerräte), so wird es sein, um Ge-
fahren zu bahnen, nicht zu schüren. Aber
so erfreulich diese Tatsache im konkreten
Fall auch wäre, sie würde doch wieder zeigen,
auf wie unsicherem Boden Glück und Leben
der Völker stehen, wenn dies davon abhängen
soll, ob zwei Mächtige freundlich lächeln
oder die Brauen zusammenziehen.
Immerhin, freuen wir uns, wenn das pazi-
fistische Gift, vor welchem gewisse Vortrags-
und Tägliche-Rundschau-Generale ihre Zeit-
genossen so eifrig warnen, auch in die Re-
gionen der Mächtigen dringt. Ich glaube,,
die drei gegenwärtigen europäischen Kaiser
würden für ihr Leben gern einen gesicherten
Frieden einsetzen. Aber als Kriegsherren
sind sie einigermaßen die Gefangenen ihrer
Kriegsheere. Sie können nichts tun, was dem
Prestige, was der Unentbehrlichkeit des Mili-
tärs zuwider wäre. Und doch, wenn sie es
wagten, welche Ruhmestat in den Augen künf-
tiger Historiker!
MB
Unterdessen aber hat der wiedererwachte
militärische Geist erschreckende Dimensionen
angenommen. Als ob es keine organisierte
Friedensbewegung, keine interparlamentarische
Union, keinen Haag gäbe, wird wieder das
Eroberungsrecht proklamiert; wieder die Er-
werbung von Landfetzen und Steinhaufen als
das höchste Staatsinteresse gepriesen und mit
der Geste ,,La Bourse ou la vie" rücksichtslos
durchgesetzt; wieder gehört „mit Gottes
Hilfe" das Hinmorden von Hunderttausenden
zu den kulturfördernden Glanzaktionen. Wir
müßten verzweifeln, wenn wir nicht wüßten,
daß dies nur das letzte Aufflackern einer
zum Erlöschen bestimmten Flamme ist.
Der plötzliche Regierungswechsel in de*
armen Türkei hat den Friedensschluß, der
durch die Nachgiebigkeit der abgesetzten Re-
gierung schon gesichert war, wieder fraglich
gemacht. Und nun zeigte sich — ganz uner-
warteterweise — die neue Regierung auch
nachgiebig. Bulgarien hat aber deren neue
Antwort auf die Note der Mächte gar nicht
abgewartet, sondern den Waffenstülstand flugs
gekündigt. Mit diesem Nichtabwarten hat
Italien Schule gemacht. Vermutlich hat der
temperamentvolle Ministerrat in Sofia noch
andere Pläne. Es ist ja auch schon ver-
kündet: Erhöhung der Kriegsentschädigung,
die Türkei muß doch die Kosten der durch
ihre „Hartnäckigkeit" (sie mag nun einmal
nicht ganz tot sein, die Eigensinnige) ver-
schuldeten Verlängerung des Krieges zahlen.
Ferner wäre der Einmarsch in Konstantinopel
auch nicht übel . . .
MB
Wie hat sich nun eigentlich die Vermkt-
lungsaktion der Mächte erwiesen? Vermitteln
heißt doch, mit gleicher Gerechtigkeit für
beide Parteien, von beiden gleichwertige Kon-
zessionen zu erreichen. Madame de Stael sagt
irgendwo: Die Menschen haben den Drang,
dem Stärkeren zu Hilfe zu eilen. Scheint
es nicht, daß auch die Mächte diesem Dränge
gefolgt sind?
MB
Bulgarien hat eine Neuerung eingefühlt:
es dürfen keine Verlustlisten eingeschickt
werden. Eine militärische Zeitschrift bemerkte
<*3
DIE FßlEDEN5-^&DTE
;©
hierzu: „Vom humanen Standpunkt mag diese
Maßregel hart erscheinen, vom rein militäri-
schen Standpunkt ist sie jedoch nützlich, sie
vermeidet Gärung in der Bevölkerung und
Demoralisierung unter den Truppen." Ganz
richtig. Zugegeben. Aber ist damit nicht
wieder einmal der Gegensatz zwischen human
und militärisch unterstrichen ?
A propos von Humanität: Jetzt sickern
nach und nach die Berichte über die Massa-
kers heraus, die auf dem Balkan verübt
worden sind: Frauen und Kinder, die mit
Petroleum begossen und angezündet werden;
Leute, die man mit Bajonetten in die Flam-
men jagt — und anderes mehr. Es ist zum
Aufschreien. Schämen muß man sich, Zeit-
genosse zu sein. Freilich, chauvinistische Blät-
ter benutzen dies, um zu beweisen, was die
jeweiligen Massakreure für Bestien sind und
daß ihr ganzer Stamm ausgerottet werden
müsse. Serbenfeindliche Blätter in Oester-
reich z. B. schwelgen in solchen Berichten,
wenn sie von Serben handeln und folgern
daraus, daß sie immer recht hatten, gegen
Serbien zu hetzen. Sie vergessen, daß „Atro-
citäten" in jedem Kriege vorkommen und von
allen Nationen ausgeübt worden sind. Haben
im Jahre 1900 die Europäer in China (um
von hunderten nur ein Beispiel anzuführen)
nicht die Chinesen an den Zöpfen zusammen-
gebunden und1 mit den Bajonetten ins Wasser
gejagt? Im Kriege sind die rohen Instinkte
der Rohen losgelassen — und deren gibt
es doch unter den Massen immer. Und bei
den Nichtrohen kann ein Mordrausch, ein
Rachewahnsinn, eine Verzweiflungswut aus-
brechen. O, über diese Höllenzustände, die
unsere über jeden Humanitätsdusel erhabenen
„Realpolitiker" sich nicht entschließen kön-
nen, aus der Welt zu schaffen !
In Spanien hat sich etwas Sonderbares ab-
gespielt. König Alfons hat Sozialdemokraten
und Republikaner in sein Palais berufen, um
sich über ihre Ansichten berichten zu lassen.
Und allerlei liberale Maßregeln wurden ein-
geführt. Hat wieder einmal ein spanischer
König sich sagen lassen: „Geben Sie Ge-
dankenfreiheit, Sire" ? Und wird, zum Unter-
schied von Philipp, Alfonso auf seine ver-
schiedenen Posas hören ?
Die seit der Balkankrise eingetretene Ver-
mihtarisierung in Oesterreich ist erschreckend.
Djas neue Militärleistungsgesetz hat die Alters-
grenze der Pflichtigen von 42 auf 50 Jahre
.ausgedehnt, und dem Militärkommando sind
eine ganze Reihe von neuen Verfügungsrech-
ten über die bürgerliche Bevölkerung und
deren Besitz eingeräumt; neue, enorme Mili-
färfcrderungen sind angekündigt und schon
wird im Abgeordnetenhause ein neuer Finanz-
plan mit erhöhten Steuern durchberaten. Die
„Grenzsoldaten" werden noch immer nicht zu-
rückgerufen, es werden sogar noch immer mit
aller Plötzlichkeit Reserven an die Grenze be-
ordert und täglich betragen die Kosten dieser
Bereithaltung zwei Millionen Kronen. Und
was das Schlimmste ist: in Offizierskreisen
wird der kommende Ausbruch des Krieges
als unvermeidlich, als bald bevorstehend und
als wünschenswert proklamiert. Gewisse Blät-
ter schüren die kriegerische Stimmung und in
den vornehmen Gesellschaftsschichten wird
diese Gesinnung als patriotische Pflicht ge-
hegt. Wären nicht auch andere Kräfte und
Einflüsse am Werk: schon längst hätte man
„losgeschlagen". Unser Land ist dasjenige,
in welchem die pazifistische Propaganda am
notwendigsten wäre, leider aber gegen die
größten Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Die verschiedensten Meldungen von Sie-
gen und Niederlagen kommen wieder aus den
Balkanländern herüber — Adrianopel brennt,
Heere flüchten . . . kurz, was des Jammers
mehr ist und was man so Weltgeschichte
nennt. Man weiß nicht, was von den D«*
peschen und Berichten wahr ist, was nicht.
Soll man z. B. glauben, was der Korrespon-
dent der Humanite mitteilt, daß die Ver-
bündeten — so zwischen durch den Metzeleien,
Schändungen und Plünderungen — an der
türkischen Bevölkerung auch Zwangs-
taufen vornehmen ? Warum nicht ? Der
finsterste mittelalterliche Geist ist ja dort
drüben wieder erwacht.
Während ich diese Chronik zur Post
schicken will (8. Februar), kommt die Kunde
von dem vorgeschlagenen deutsch-englischen
Marineabkommen. Das eröffnet ganz neue
Perspektiven. Es ist die Betretung einer an-
deren Bahn. Eine vom Pazifismus längst
vorgezeichnete, von der „Realpolitik" aber
bislang hartnäckig zurückgewiesene Bahn. Wir
können uns des Ereignisses in tiefer Ergrif-
fenheit freuen. Viel wird zwar von gegneri-
scher Seite getan werden, um den Weg durch
Verdächtigungen und mit sonstigen Hinder-
nissen zu verrammeln — aber die Massen
derer, die erst an eine Sache glauben und sie
unterstützen, wenn sie einmal von offizieller
Seite vorgeschlagen ist, werden nun mit uns
sein und nach und nach die Argumente selber
entdecken, die sie so lange nicht hören wollten.
Europa, das furchtbar gärende, steht vor
zwei Alternativen: vor dem tiefsten Unheil,
dem Weltbrand, oder dem höchsten Heil, die
Einigung. Durch den Schritt der Marineämter
von Deutschland und England haben sich die
Zeichen gemehrt, daß das Heil obsiegen will.
«4
@=
= DIE FRI EDENS -WARTE
PAZIFISTISCHE CHRONIK
Anfangs Januar. Die Berliner Handels-
kammer richtet an eine Reihe englischer Han-
delskammern ein Schreiben, worin sie anerkennt,
dass die aufklärende Arbeit in England und
Deutschland das Gefühl der Kulturgemein-
schaft gefestigt habe.
13. Januar. In Heidelberg tritt ein inter-
nationaler Studentenverein zum erstenmalin die
Oeffentlichkeit.
13. Januar. Der Präsident des deutsch-englischen
Verständigung skomitees, Dr. v. Holleben, in Char-
lottenburg f.
Mitte Januar. In Paris werden zwischen
deutschen und französischen Pazifisten Vor-
besprechungen über die Bildung einer deutsch-
französischen Liga gepflogen.
Mitte Januar. In Paris tagen die seitens der
Interparlamentarischen Union eingesetzten
Ausschüsse für die Neutralisierung der Meerengen
und für Neutralitätserklärung.
16. Januar. Im deutschen Reichstag sagt der
Abg. Dr. Hägy, die Elsass-Lothringer wünschen
die endgültige Sicherung des Weltfriedens.
Der Krieg von 1870 sollte der letzte sein.
21. Januar. Senator Root tritt im ameri-
kanischen Senat für die schiedliche Erledigung
des Panamastreites ein.
27. Januar. Festrede des deutschen Botschafters
Fürst v. Dichnowsky in London zur Geburtslags-
feier des Kaisers. Hertorhebung der Gemeinschaft
der deutschen und englischen Politik zur Er-
haltung des europäischen Friedens.
30. Januar. Vortrag des Prof. Schultze-Gäver-
nitz in Berlin über die deutsch englischen Beziehungen.
Feststellung der Ergebnislosigkeit eines Krieges
für beide Teile, der Notwendigkeit einer Wirt-
schaftsverständigung und einer Flotten-Kon-
tingentierung. „Der Abrüstungigedanke insofern
als ein gesunder und für uns annehmbarer Gedanke
anzuerkennen.
30. Januar. Abbruch der Friedensverhandlungen
zwischen der Türkei und dem Balkanbund. Kündigung
des Waffenstillstandes.
1. Februar. Normann Angell tritt eine auf
14 Tage berechnete Vortragstournee durch Deutsch-
land an.
1. Februar. In Frankfurt a. M. wird nach einem
Vortrage Normann Angells eine Ortsgruppe des
„Verbandes für int. Verständigung" begründ ..
1. Februar. Zehnte Jahresversammlung der ame-
rikanischen Handelskammer in Berlin. Aus-
tauschpro fessnr Sloane bespricht die Sünden der
Presse gegenüber dem Werke der Völker-
verständigung.
2. Februar. Prof. Ruyssen aus Bordeaux
spricht neben Prof. Piloty in einer vom Verband für
int. Verständigung einberufenen Versammlung in
Strassburg über ^Die geistigen Faktoren der
Annäherung".
3. Februar. Wiederbeginn des Bal,kankriegis.
5. Februar. Kaiser Wilhelms Rede in Kö-
nigsberg: „An Stelle kriegerischer Taten ist das
segensreiche Friedensieerk getreten . . . Nicht
kriegerische Taten . . . sichern im letzten
Ende das Schicksal und die Zukunft einet
Volkes, sondern allein die sittliche Kraft."
7. Februar. In der Budgetkommission des
Reichstages erklärt. Staatsekretär der Marine,
r. Tirpitz, dass er eine Verständigung mit
England über die Grösse der Flotte im Ver-
hältnis von 10 zu 16 für die nächsten Jahre
für annehmbar halte.
DAUS DEB ZEITQ
Völkerrecht.
Interparlamentarische Union. :: :: :: :: :: " :: :: :: :: ::
Mitte Januar vereinigten sich zwei von
der Interparlamentarischen Union eingesetzte
Studienkommissionen. Die eine, die
sich mit der Neutralisierung der Meerengen
und Kanäle befaßte, die andere, der es oblag,
Gesichtspunkte über Neutralitätserklärungen
festzustellen.
Der ersteren Kommission präsidierte Lord
Weardale. Berichterstatter war Graf
de Penha Garcia (Portugal). Es nahmen
ferner daran teil: Grieg (Norwegen), Ko-
w a 1 e w s k i (Rußland), Manch ( Dänemark)
und Baron d'E stournelles de Con-
sta n t (Frankreich). Der Berichterstatter
unterbreitete eine Zusammenfassung der all-
gemeinen Diskussion, die sich anläßlich
zweier früherer Vereinigungen der Kommission
in den Jahren 1911 und 1912 entwickelt hatte.
Diese Zusammenfassung wurde neuerlich ei*-
örtert und im wesentlichen gebilligt. Im Hin-
blick auf die Tatsache, daß gerade mehrere
Probleme, die der Kommission zuerteilt sind,
gegenwärtig auf der Tagesordnung der inter-
nationalen Politik stehen, so die Frage der
Dardanellen und der Panamakanal- Abgaben, be-
schloß die Kommission, sich darauf zu be-
schränken, der nächsten Interparlamen-
tarischen Konferenz, die sich im kommenden,
September im Haag vereinigen wird, einen Vor-
bericht zu unterbreiten. Dieser Bericht wird
die Grundsätze anführen, die nach Ansicht der
Kommission die Materie regeln sollen. Erst
nach einer Erörterung dieser Grundsätze durch
die Konferenz selbst wird die Kommission an
die Pvedigierung eines Vertragsentwurfes schrei-
ten, der den Regierungen unterbreitet 'werden
kann.
An der Kommission für Neutralitäts-
erklärungen, die von Houzeau de Lehaie
präsidiert wurde, und bei der M u n c h als
Berichterstatter fungierte, nahmen teil : Fer-
dinand iDreyfus (Frankreich), von
Palmstjerna (Schweden) und'G r i e g (Nor-
wegen). Der Generalsekretär der Union, Herr
Lange, wohnte beiden Kommissionssitzungen
65
DIE FBIEDENS-^&BTE =
■3
bei. Der Berichterstatter dieser zweiten Kom-
mission unterbreitete einen internationalen
Vertragsentwurf, der das Verfahren festsetzt,
nach welchem ein Staat, der den Wunsch hat,-
jedem bewaffneten Konflikt fern zu bleiben,
sich für ständig neutral erklären könnte. Der
Entwurf setzt die Pflicht der anderen Staaten
zur Beachtung dieser Neutralität fest, indem
er jedoch dem neutralen Staat das Recht läßt,
unter Umständen durch G-ewalt jeden Angriff
auf seine Neutralität zurückzuweisen. Er sieht
für den Fall des Vertragsbruches gemeinsame
Maßnahmen der Vertragsstaaten und, im Fall
der Meinungsverschiedenheiten über die Aus-
legung und Anwendung des Abkommens, die
Anrufung des Haager Hofes vor.
Alle diese Entwürfe werden der nächsten
Interparlamentarischen Konferenz vorgelegt
worden.
Die Mitglieder der beiden Kommissionen
wurden während ihres Pariser Aufenthaltes
vom Senatspräsidenten Diibost und von dem
damaligen Ministerpräsidenten Poincare
empfangen. Während der Unterhaltung mit den
Kommissionsmitgliedern drückte der letztere
diesen das große Interesse aus, das er
für ihre Arbeiten und für die Ge-
samttätigkeit der Union hege.
ftttt
Rüstungsproblem.
Kein Geld für Kulturnotwendigkeiten! :: :: ::
Das Telephon ist ein Verkehrsmittel,
auf dessen Erfindung unsere Zeit mit Recht
besonders stolz ist. Es ist heute für Hun-
derttausende in jedem Lande das unentbehr-
lichste Verkehrsmittel geworden. Ein Ge-
schäfts-, Zeit'ungs-, Industriebetrieb, die
öffentliche Sicherheit und Gesundheits-
pflege können das Telephon heute nicht eine
Stunde mehr entbehren. Da das Telephon-
wesen in den meisten Staaten der freien
Konkurrenz entzogen ist, und zum Monopol
gemacht wurde, ist es selbstverständlich, daß
jeder Staat im Interesse des öffentlichen
Wohlstandes dafür sorgt, daß dieses un-
geheure Bedürfnis ohne die geringste Hem-
mung befriedigt wird.
Demgegenüber wird es von internatio-
nalem Interesse sein, zu erfahren, daß man
in Oesterreich in der Regel jahre-
lang warten muß, bis man einen
Telephonanschluß gelegt erhält
Der Staat, der Milliarden für Rüstungen aus-
gibt, vermag seit vielen Jahren die geringen
Mittel nicht flüssig zu machen, um dem
Telephonbedürfnis z. B. in Wien zu ge-
nügen. In der gesamten zivilisierten Welt
kann ein Interessent innerhalb 24 Stunden
einen Telephonanschluß eingerichtet be-
kommen, in Oesterreich, wo man Dread-
66
noughts auf Vorrat baut, muß man* jahrelang
auf einen Anschluß warten, wenn es einem
nicht gelingt, von einem glücklichen, Be-
sitzer eines Telephons dieses geg&a. hohe
Entschädigung abzukaufen. Ein Blick
in die kleinen Anzeigen der Wiener Tages-
presse liefert Dokumente für diesen Zwi-
schenhandel mit Telephonanschlüssen und
für diese Verkehrsschande. Zur Bekämpfung
dieser unerhörten Unterlassungen hat sich
in Wien ein Verein gegründet, der soeben
folgende Feststellungen in der Tagespresse
veröffentlicht :
„In Wien sind 1500 Außenleitungen
schon länge reZeit fertiggestellt.
Diese Stationen können nur deshalb
nicht montiert werden, weil in dem
staatlichen Telephongroßbetrieb absolut
kein Apparat vorhanden ist. Wenn er-
wogen wird, daß ein Apparat kaum hundert
Kronen kostet, demnach die Anschaffung der
Apparate für 1500 Einzelanschlüsse eine
Ausgabe von nur 150000 Kronen ver-
ursachen würde und daß dagegen für diese
1500 Anschlüsse allein schon in einem
Jahre 375 000 KronenAbonnements-
gebühren eingenommen werden
könnten, so wird dadurch klar, welch
großen Schaden die geschilderte Unter-
lassung nicht nur den Anmeldern, die seit
Jahren der von ihnen angemeldeten Tele-
phone harren, sondern auch dem Telephonärar
Verursacht. Zu weiteren 1500 gleichfalls
schon seit Jahren angemeldeten Tele-
phonen sind noch nicht einmal die Lei-
tungen gelegt worden."
Es ist wahrhaftig haarsträubend,
wenn man sieht, wie bagatellenmäßig und
rücksichtslos in einem Staate, der mit so
ungeheurem Nachdruck für sein Prestige
und seine Großmachtstellung eintritt, Be-
dürfnisse der Allgemeinheit behandelt
werden, wenn diese nicht auch in Militär-
forderungen bestehen. —
Man hat einfach kein Geld für solche
unwichtigen Dinge!
'tust
Friedrich Naumann über den Zusammenhang zwischen
Rüstungsfrage und Schiedsgerichtsbarkeit.
Nach einem mir zugehenden Berichte soll
Naumann am 13. Januar in einem Vortrage
über „Liberalismus und Weltpolitik" seine
Ueberzeugung von der nahenden Weltorgani-
sation ausgesprochen, dabei aber auch folgendes
geäußert haben:
„Wonach soll ein Schiedsgericht das
Urteil fällen? Nach Billigkeit? Darunter rer-
steht jeder etwas anderes. Nach „Recht"? Wo
aber liegt z. B. das Recht in der Frage, ob
@s
DIE FRIEDENS -WARTE
Adrianopel der Türkei oder dem Balkanbunde
gebührt? Dieses „Recht" ist eben vielfacli
heutzutage gleichzeitig eine Frage der in
den Rüstungen angedeuteten, symbolisierten
Machtstärke der sich um irgendein Recht
streitenden Regierungen. Ergo mündet
auch das Schiedsproblem letzten
Endes wieder in die Frage: auf
welcher Seite liegt die größere
Machtanhäufung, woraus folgt, daß die
Rüstungen keineswegs fortgeworfenes Geld
sind."
Hat, Naumann diese oder ähnliche Worte
wirklich gesagt, dann haben wir ein Schul-
beispiel dafür, wie politische Kreise über das
Schiedsgerichtsproblem unterrichtet sind.
Der große Fehler, den Naumann hier macht,
besteht darin, das Schiedsgerichtsproblem als
ein Allheilmittel zur friedlichen Erledigung von
Streitigkeiten zu betrachten. Nach meiner
festen Ueberzeugung, die ich am ausführlich-
sten in Nr. 1 des „American' Journal of inter-
national law" (1913, Nr. 1) begründet habe,
kann nach dem heutigen Stande des Völker-
rechts die Schiedsgerichtsbarkeit für solche
Fragen nicht in Betracht kommen, die Lebens-
interessen der Völker berühren. Das folgt
aus der juristischen Konstruktion der Schieds-
gerichtsbarkeit. Mit dem Schiedsverträge unter-
werfen sich die Parteien jedem, auch dem
ungünstigsten Spruche des Schiedsgerichts.
Gehen also die Parteien nach dem Haag, dann
erklären sie feierlich: Wir werden jedes Urteil,
wenn es formell rechtmäßig ergangen, erfüllen,
selbst wenn einer von uns mit jedem An-
sprüche abgewiesen werden sollte. Kann sich
aber ein Staat in einer Lebensfrage hierzu ver-
pflichten? Eine Lebensfrage ist eine solche
Frage, die die Existenz des Staates angeht.
Bei solchen Fragen ist also begrifflich die
Existenz des Staates gefährdet, wenn nicht
mindestens ein Teil seiner Forderungen erfüllt
wird. Seine Existenzi kann nun ein Staat selbst
zugunsten der Völkerrechtsgemeinschaft nicht
aufs Spiel setzen. Also darf er nur dann seine
Forderung vor ein Schiedsgericht bringen, wenn
mindestens ein Teil dieser Forderungen vom
Schiedsgerichte als recht anerkannt würde. Da
er sich aber durch den Schiedsvertrag von
vornherein auch mit der evtl. völligen Ab-
weisung seiner Forderungen einverstanden er-
klären muß, so ergibt sich die Unmöglichkeit
einer schiedsrichterlichen Erledigung von
T^ebensfragen.
Lebensfragen können und sollen diplo-
matisch beigelegt werden. Für schiedsrichter-
liche Erledigung sind sie noch nicht geeignet.
Daß in der Zeit der noch nicht vollendeten
Organisation der Welt die Machtmittel, die ein
Staat einwerfen kann, bei der diplomatischen
Lösung der Frage eine Rolle spielen, mag
richtig sein. Für das Schiedsgerichtsproblem
aber haben die Rüstungen gar keine Be-
deutung.
Es ist somit ein völliges Mißverstehen
der wahren Ziele der Schiedsgerichtsbarkeit,
wenn Naumann meint, das Schiedsproblem
münde in die Frage, auf welcher Seite die
größere Machtanhäufung sei. Glaubt Naumann
etwa, ein einziger Schiedsrichter im Haag
habe bei der Lösung irgendeiner Frage die
Machtmittel der Staaten gegeneinander ab-
gewogen ?
Vielleicht ist doch die Mahnung' am
Platze, daß sich unsere Politiker mehr- als
bisher mit völkerrechtlichen Dingen befassen.
Ob Naumann wohl je die beiden Bände des
„Werks vom Haag" gelesen hat? Wir haben
längst die Hoffnung aufgegeben, daß sich
Keim und Genossen einmal das Problem der
Schiedsgerichtsbarkeit klar machen. Von un-
seren berufenen Politikern aber dürfen wir etwas
größere Kenntnisse auf dem Gebiete der Schieds-
gerichtsbarkeit voraussetzen. Dr. H W.
Verschiedenes.
Die Greuel des Balkankrieges. :: :: :: :: :: :: :: S :: ::
Dieses unerschöpfliche Thema ist neuer-
dings sogar Gegenstand der Debatte in einigen
Parlamenten gewesen. Der „P o s t" werden am
6. Januar aus Saloniki Einzelheiten mit-
geteilt, die geradezu entsetzliche Szenen dar-
stellen: Plünderung, Blutbad, Vergewaltigung
von Mädchen und Frauen durch bulgarisch«
Banden . . . Im Dorfe Pedro wo wurde ein
junges Mädchen vor den Augen seiner Mutter
vergewaltigt; diese ergreift eine Flinte und
schießt, darauf werden zahlreiche Frauen und
Mädchen in das Cafe des Dorfes eingeschlossen,
das Gebäude wird angezündet, und alle kommen
in den Flammen um. In einem anderen Dorf©
wurden alle Bewohner, Männer, Frauen und
Kinder, durch die Banden niedergemetzelt.
Dem türkischen Dorfe Eschekli ging es
ebenso; 13 junge Mädchen begrub man
dort lebendig, nachdem man sie ver-
gewaltigt hatte.
Man könnte die Beispiele leicht durch Be-
richte aus deutschen, österreichischen, englischen,
ja, selbst amerikanischen Zeitungen vermehren;
so teilt z. B. die „V o s s i s c h e Z t g." vom
23. Januar weitere Greuel aus Dedeagatsch,
Kavalla, Drama und anderen Orten mit,
so daß man also keineswegs von unzulässiger
Verallgemeinerung sprechen kann. Diese Dinge
bleiben ein unauslöschlicher Schandfleck für
die Zivilisation des 20. Jahrhunderts und zeigen
wieder so recht deutlich die „veredelnde Wir-
kung" der Kriegsinstitution. Die „D eutsch-
asiatische Korres p." vom 12. Januar
teilte den Text einer an den deutschen Kaiser
gerichteten Bittschrift aus Kon-
stantinopel mit, worin es heißt: „. . . Die-
ses Schlachten nimmt (trotz des Waffen-
stillstandes) einen so großen Umfang an, daß
auch die ruhigsten Gemüter ein Entsetzen
ergreift . . . Wir erleben die völlige Aus-
*7
DIE FßlEDEN5->\^ßTE
3
rottting aller Mohammedaner in
Mazedonien." Die „Nordd. Allg. Ztg."
vom 12. Januar muß notgedrungen diese Greuel-
taten zugestehen, beruft sich aber auf einen
Armeebefehl des bulgarischen Generals Sa wo w
vom 17. Dezember, der schärfste Maßregeln
gegen solche A^erfehlungen androht und die-
selben mit nachdrücklichen Worten brand-
markt. Nur daß leider von gutgemeinten Worten
die schuldlos Hingemarterten nicht wieder
lebendig werden ! Bedauerlich bleibt es auch
— Worauf in der „B r e s 1. Z t g." vom 25. Januar
Dr. Paul Hamburger hinweist — , daß in der
Antwort, die der Regierungsvertreter am
24. Januar im Reichstag auf die Ledeboursche
Anfrage erteilte, kein Wort des Bedauerns für
diese. „Uebergriffe" (welch' zarter, schonender
Ausdruck !) vorkam. Was ist denn geschehen,
um diesen Banden und teilweise auch regulären
Truppen das Handwerk zu legen? Hat man
die Metzeleien nicht stillschweigend oder sogar
wohlwollend geduldet? Man mußte wohl, weil
man eben den Krieg duldete. O. Seh w.
Deulschland-Efigland. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ;: :; :: ::
Die Berliner Handelskammer
richtete anfangs Januar an eine Reihe eng-
lischer Handelskammern das nachstehende
Schreiben :
„Bei Beginn des vorigen Jahres haben
Sie uns in einem Schreiben von einem Beschluß
Ihrer Kammer Kenntnis gegeben, es möge dahin
gewirkt werden, daß die Beziehungen zwischen
Großbritannien und Deutschland sich möglichst
freundschaftlich gestalteten. Ein Jahr ist
seitdem vergangen, das an politischen Be-
unruhigungen reich war und manche Störungen
des Weltfriedens mit sich gebracht hat, die wir
im Interesse der Humanität und der wirtschaft-
lichen Entwicklung lebhaft bedauert haben.
Wenn nach Zeiten der bangen Sorge beim Jahres-
wechsel gehofft werden darf, daß den großen
Völkern Europas neue unabsehbare Verwick-
lungen erspart bleiben möchten, so ist das in
erster Reihe dem festen Willen zu verdanken,
der in den maßgebenden Staaten die Re-
gierungen mit der weit überwiegenden Mehr-
heit der Bevölkerung zu dem Streben vereint
hat, es dürfte der Kriegszerrüttung kein weiterer
Spielraum gewährt werden. Wir begrüßen dies
Gefühl der gemeinsamen, kulturellen Aufgabe,
das die Völker Europas in wachsendem Maße
durchdringt. Nichts hat u. E. stärker
zu seiner Festigung beigetragen
als die aufklärende Arbeit, die
den Gegensatz- zwischen dem deut-
schen und englischen Volke aus-
zugleichen bemüht war. Deshalb
wollen wir den Jahresbeginn nicht vorüber-
gehen lassen, ohne Ihnen zum, Ausdruck zu
bringen, wie sehr es uns erfreut, daß Ihre
Bemühungen Erfolg und die Anschauungen,
denen Sie im vorigen Januar Ausdruck ver-
liehen, weite Geltung gefunden haben. Damit
Verbinden wir die Versicherung, daß allen
einsichtigen Gewerbetreibenden unseres Bezirks
keine politische Hoffnung näher
am Herzen liegt, als die, es möge gelingen,
das Einvernehmen zwischen unseren beiden
Länderen so nahe und sicher wie) mög-
lich zu begründen."
An des Kaisers Geburtstag hielt der neue
deutsche Botschafter in London, Fürst
Lichnowsky, anläßlich der von der deut-
schen Kolonie im Hotel Cecil veranstalteten
Festfeier eine Rede, in der er auf die Ge-
meinschaft der englischen Und deutschen Politik
in der Bemühung um Erhaltung des europä-
ischen Friedens hinwies. Er schließt mit folgen-
den verheißungsvollen Worten :
„Wenn Deutschland und Großbritannien
sich verstehen und sich vertragen, und w e n n
sie entschlossen sind, die un-
gestörte Arbeit bürgerlicher Ent-
wicklung zu erhalten, so meine ich,
daß wir mit Vertrauen allen Weoh-
selfällen der Zukunft entgegen-
sehen können."
Professor v. S c h u 1 1 z e - G a e v e r n i t z
aus Freiburg hielt am 30. Januar im Verein
der Kaufleute und Industriellen in Berlin einen
Vortrag über die deutsch-englischen Be-
ziehungen, aus dem wir hier einige bemerkens-
werte Gesichtspunkte festhalten wollen. Der
Vortragende wies klipp und klar auf die Er-
gebnislosigkeit eines Krieges zwischen
England und Deutschland für beide Teile
hin und bemerkte hierzu :
„Daher seien denn auch in England schon
ernsthafte Stimmen zu hören, die auf eine
wirkliche Wirtsc hafts Verständi-
gung zwischen beiden Ländertn als auf die
vernünftigste Lösung des Problems hinweisen.
Allerdings dürfte ein solches Bündnis auf
unserer Seite nicht den Charakter der Ab-
hängigkeit haben, es müßte vielmehr ein
Friedensbündnis auf kriegsstarker Basis sein.
Deutschland könne die maritimen Ver-
teidigungsmöglichkeiten nicht entbehren.
Eine feste Flottenkontingen-
tierung auf beiden Seiten würde
die Gewähr für ein friedliches
Verhältnis bieten. Insofern sei der
Abrüstungsgedanke als ein ge-
sunder und für uns annehmbarer
Gedanke anzuerkennen. Es sei nur natür-
lich, daß die beiden stärksten Großmächte
sich zusammentun, um bestimmend in die Welt-
politik einzugreifen. Namhafte englische Schrift-
steller und Politiker wirkten auch schon in
diesem Sinne, und zwar nicht ohne Erfolg."
tust
Elsaß-Lothringen im Deutschen Reichstage :: :: ::
Bei der Erörterung des Etats des Reichs-
amts des Innern in der Reichstagssitzumg vom
16. Januar kam der Elsässer Dr. H ä g y auf
die elsaß-lothringische Angelegenheit zu
sprechen. Er sagte nach dem stenographischen
Sitzungsbericht folgendes :
OS
<s=
DIE FRI EDENS -^V&BXE
„Wenn unsere Freunde in dem Bestreben,
mit Frankreich freundnachbarliche Beziehungen
anzubahnen, französischen Boden betreten, so
tun sie dasselbe, was Deutsche in England tun.
Man kann es ihnen, nicht verargen, wenn sie
die auf zweihundertjähriger Tradition be-
ruhenden familiären und gesellschaftlichen Be-
ziehungen zu Frankreich aufrechterhalten. Die
Elsaß-Lothringer möchten damit lediglich die
endgültige Sicherung des Welt-
friedens fördern. Meine Freunde als
überzeugte Pazifisten, denen der
Friede über alles teuer ist, bedauern auf das
lebhafteste, daß die sogenannte elsaß-loth-
ringische Frage immer wieder als bedrohliches
Gespenst am politischen Himmel auftaucht.
Der Krieg von 1870 sollte der letzte
sein, der auf dem Boden unseres Heimat-
landes in den Gefilden geführt worden ist,
die mit dem Blute zweier Völker getränkt sind,
die dazu geschaffen sind, in fried-
lichem Wetteifer an den Werken
der Kultur, des Fortschritts und
der Zivilisation mitzuarbeiten.
Alle den Frieden störenden Tendenzen, alle
Revanchegelüste stoßen bei uns auf die
schroffste Abwehr."
Zunahme der internationalen Korrespondenz. :: ::
Nach einer Feststellung des Direktors der
britischen Postverwaltung, Sir Alexander
King, betrug die Anzahl der von Groß-
Britannien nach anderen Ländern versandten
Briefe im Jahre 1887 49 714 000 und im Jahre
1911 167 000 000. Davon entfielen:
im Jahre 1887 im Jahre 1911
auf Frankreich . 9 600 000 16 000 000
* Deutschland . 8 000 000 16 000 000
„ Italien ... 1 900 000 3 800 000
&\JS DEß BEWEGUNG
Kongreß-Kalendarium. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
1. — 3. Mai : IV. amerikanischer National-
friedenskongreß in St. Louis.
11. — 12. Mai : VIII. französischer National-
friedenskongreß in Paris.
14.— 16. Mai: XIX. Lake - Mohonk - Kon-
ferenz.
Mitte Mai: IL Verbandstag des Verbandes
der Internationalen Studentenvereine Deutsch-
lands in Leipzig.
10. — 13. Juni: IX. englischer National-
friedenskongreß in Leeds.
29. Aug. bis 13. Sept.: VIII. Weltkongreß
der Studentenverbände (Corda Fratres) in
Ithaca, New York.
August : XX. Weltfriedenskongreß im Haag.
September: XVIII. Interparlamentarische
Konferenz im Haag.
Den Beer Poortugael f. :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Der im 81. Lebensjahre am 30. Januar
1912 im Haag* verstorbene Generalleutnant
den Beer Poortugael war eine in vielfacher
Hinsicht hochinteressante Persönlichkeit. Als
Offizier machte er namentlich dadurch eine
glänzende Karriere, daß er das moderne Kriegs-
recht außerordentlich beherrschte und deshalb
früh in den Generalstab berufen wurde. 1879
war er auch ein halbes Jahr Kriegsminister.
1874 wurde er Sekretär der holländischen Ge-
sandtschaft zur Brüsseler Konferenz über die
Gesetze und Gebräuche des Landkrieges. Er
dürfte der letzte Teilnehmer dieser denk-
würdigen Versammlung sein. Am meisten be-
kannt wurde den Beer Poortugael durch sein
großartiges Auftreten auf der ersten Haager
Konferenz zugunsten des russischen Rüstungs-
vorschlages. Seine Worte, daß die Staaten
sich durch die großen Rüstungen mehr und
mehr ruinierten, erregten Aufsehen, und sogar
Bertha v. Suttner schrieb darüber in ihre Tage-
buchblätter: „Merkwürdige Worte jedenfalls im
Munde eines Generals !" Auf der zweiten Haager
Konferenz arbeitete er lediglich in den kriegs-
rechtlichen Kommissionen mit. Auch auf der
Genfer Konferenz von 1906 vertrat er Holland
als erster Bevollmächtigter. Man hat vielfach
über den friedensfreundlichen General sich
lustig zu machen gesucht. Aber eine spätere
Zeit wird seinem großen Streben noch
Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wie fort-
schrittlich den Beer Poortugael war, geht dar-
aus hervor, daß er mir gegenüber wiederholt
sein Bedauern über die vorsichtige Haltung
Assers in der Frage der obligatorischen Schieds-
gerichtsbarkeit auf der zweiten Haager Kon-
ferenz aussprach.
Das letzte Werk Poortugaels „Le droit des
gens en marche vers la paix" war in keiner
Weise hervorstechend. Wissenschaftlich hoch
stehen dagegen die zahlreichen kriegsrecht-
lichen Werke sowie seine Aufsätze in den
Tageszeitungen. Ganz ausgezeichnet ist sein
Artikel über die zweite Haager Konferenz in
„Onze Eeuw". Die schöne Begeisterung, die
den Beer Poortugael beseelte, sein hoher
Idealismus treten in diesem Werke deutlich
hervor. Wegen seiner wissenschaftlichen Be-
deutung wurde Poortugael Mitglied und später
Ehrenmitglied des Instituts für Völkerrecht.
Er war der einzige, der vor 1899 jemals in
diesem Institute einen ständigen Schiedshof
befürwortete.
Als ich ihn im vorigen Jahre um einen
Aufsatz für die „Friedens-Warte" bat, schrieb
den Beer Poortugael: „Ich bin ein schlechter
Journalist. Ich kann nur schreiben, wenn
mich ein Gegenstand direkt überwältigt hat.
Ich nehme nur die Feder zur Hand, wenn eine
innere Kraft mich begeistert und antreibt.
Aber von dem Augenblicke an, wo ich be-
ginne, treibt es mich vorwärts, und keine
Pause entsteht mehr. Darum ist solch eine
Arbeit ein Teil meiner selbst, meines Herzens
69
DIEFßlEDENS-^&RTE
:3
und meiner Seele. Da ich nun gerade mein
letztes Buch „Le droit des gens en marche
vers la paix" vollendet habe, so habe ich alle
Gedanken hineingelegt, und ich habe jetzt
nichts Neues zu sagen. Aber ich fühle viel
zu sehr Sympathie für Herrn Fried und seinem
Werke, als daß ich die Bitte, einen Aufsatz
für ihn zu schreiben, zurückweisen könnte.
Sobald es mir möglich ist, werde ich Ihnen
den Aufsatz schicken." Sechs Tage später
sandte Poortugael bereits den Aufsatz, der
unter dem Titel „Dardanellenstreitigkeiten" im
Junihefte 1912 der „Friedens-Warte" er-
schienen ist. Dr. Hans Wehberg.
Die Entwicklung der internationalen
Studentenvereine in Deutschland.
Erst im Jahre 1911 wurde die „Cos-
mopolitan-Club-Bewegung", die in Amerika so
großen Umfang angenommen hat, durch die
Gründung des ersten internationalen Studenten-
vereins an der Berliner Universität nach
Deutschland übertragen. Heute bestehen bereits
neben Berlin an den Universitäten in Bonn,
Göttingen, Heidelberg, Leipzig
und München solche Vereine. An anderen
Universitäten Deutschlands und Oesterreichs
(Freiburg, Innsbruck) sind solche in Vor-
bereitung. Die Vereine sind in einem „Ver-
band der internationalen Studentenvereine an
deutschen Hochschulen" organisiert, der im
vorigen Jahre seinen ersten Verbandstag in
Göttingen abhielt und in diesem Jahre den
zweiten in Leipzig abhalten wird. Die deut-
schen internationalen Studentenvereine werden
auch an der im Sommer dieses Jahres in
Ithaca im Staate New York ins Auge gefaßten
VIII. internationalen Konferenz der Studenten-
vereine beteiligt sein. Der „Verband" gibt
soeben die erste Nummer seiner Zeitschrift
„Vaterland und Welt" heraus, sowie das Mit-
gliederverzeichnis für das Wintersemester
1912/13, das Zeugnis gibt für die rege Be-
teiligung der Studenten wie für die fördernde
Teilnahme der Professoren. Ebenso veröffent-
lichte der „Verband" einen „Offenen Brief
Norman Angells an den Verband für inter-
nationale Verständigung und den Verband der
internationalen Studentenvereine an deutschen
Hochschulen" als Broschüre, die viel wert-
volles Propagandamaterial enthält. Als eine
der Veranstaltungen des Verbandes ist die Rund-
reise zu bezeichnen, die soeben (zwischen dem
1. bis 14. Februar) Norman Angell durch
Deutschland unternommen hat. Die jüngste
Ortsgruppe bildet der am 16. Dezember in
Heidelberg begründete internationale Studenten-
verein, der sich in Anlehnung an eine aus dem
18. Jahrhundert stammende Gründung „Nobiles
Academici" bezeichnet.
Die Vereine entwickeln an allen Uni-
versitäten eine reiche Tätigkeit. Es liegt in
ihrem Programme, mit geselligen Ver-
anstaltungen, die die Angehörigen der ver-
schiedensten Nationen vereinen, den großen
Kulturzweck, der ihnen zugrunde liegt, zu
verbinden. Alle Mitteilungen und das zur
Gründung ähnlicher Vereine nötige Material
erhält man durch den ersten Vorsitzenden
des Heidelberger Verbandes, Dr. George
Nasmyth in Heidelberg, Anlage 26.
HS)
Zwei neue Zeitschriften. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Nichts vermag besser den Fortschritt der
Friedensbewegung in Deutschland zu kenn-
zeichnen als die Entwicklung der Friedens-
Fachpresse. Neulich konnten wir die „Mit-
teilungen des Verbandes für internationale Ver-
ständigung" als neues Fachorgan anzeigen,
heute sind wir in der angenehmen Lage, gleich
zwei neue, gesinnungsverwandte Zeitschriften
zu begrüßen. Die eine trägt den viel-
sagenden Titel „Vaterland und Welt":
Sie ist das Organ des Verbandes der Inter-
nationalen Studentenvereine an deutschen Hoch-
schulen, jenes jüngsten Zweiges der großen Ver-
ständigungsbewegung, die damit ihren Einzug
in die deutschen Hochschulen vollzog. Der
Herausgeber ist Paul Baumgarten, einer
der Organisatoren des Göttinger Verbandstages
der internationalen Studentenvereine Deutsch-
lands, der im August v. J. stattfand. Der Heraus-
geber entwickelt in seinem Geleitwort den Plan,
„Vaterland und Welt" zu einer wissenschaft-
lichen Zeitschrift mit Abhandlungen aus den
Gebieten des Völkerrechts, der Völkerwirtschaft,
der Völkerpolitik, der Weltkultur, der Geschichte
des modernen Internationalismus usw. zu ent-
wickeln.
Die andere Zeitschrift betitelt sich „D i e
Eiche" mit dem Untertitel : „ Vierteljahres-
schrift zur Pflege freundschaftlicher Be-
ziehungen zwischen Großbritannien und
Deutschland." Sie ist das Organ des „Kirch-
lichen Komitees zur Pflege freundschaftlicher
Beziehungen zwischen Großbritannien und
Deutschland". Herausgeber ist der durch sein
Wirken als Sekretär jenes Komitees wohU
bekannte Pastor F. S iegmund- S c hult ze
in Berlin. Die neue Zeitschrift ist ein Beweis
für die erfreuliche Mitarbeit der kirchlichen
Kreise für den Völkerfrieden, die lange auf sich
warten ließ, nunmehr aber großzügig und in
voller Erkenntnis ihrer hohen Pflicht in den
Dienst der Völkerverständigung getreten ist.
Eine Denkschrift über die Reform
der Friedenskongresse.
Die niederländischen Delegierten auf dem
letzten Weltfriedenskongreß in Genf haben ihre
dort gemachten Erfahrungen in einer Denk-
schrift niedergelegt und daran Vorschläge über
die künftige Umwandlung der Kongreßorgani-
sation geknüpft. Die niederländische Friedens-
gesellschaft „Vreede door Recht" im Haag
bringt diesen Bericht in einer 16 Folioseiten
umfassenden Denkschrift zur allgemeinen
Kenntnis. Die von niederländischer Seite an
70
<g=
DIE FRIEDENS-WARTE
der Kongreßorganisation geübte Kritik ist um
so bemerkenswerter, als, wie bekannt, der dies-
jährige Weltfriedenskongreß im Haag ab-
gehalten werden soll.
Der Bericht beginnt mit einer Kritik der
in dieser Zeitschrift bereits zur Genüge gekenn-
zeichneten Vorgänge in Genf, von denen erzählt
wird, daß sie auch auf die niederländische
Regierung einen derartig ungünstigen Eindruck
gemacht haben, daß die Möglichkeit der Ab-
haltung des nächsten Kongresses im Haag eine
Zeitlang in Frage gestellt war. Der Bericht
richtet sich zunächst gegen die Art der Be-
handlung der sogenannten „Aktualitäten" und
den großen Raum, der ihnen auf den Welt-
friedenskongressen eingeräumt wird. Bekannt-
lich ging es in Genf so weit, daß sich der
Kongreß fast ausschließlich mit unfruchtbaren
Debatten über die Aktualitätsfragen befaßte,
so daß für die fruchtbare Arbeit gar keine
Zeit mehr übrigblieb. Es wird der Vorschlag
gemacht, daß der alljährlich erstattete Be-
richt über die Ereignisse des Jahres seines
persönlichen Charakters entkleidet und auf
Grund eines von der gesamten Kommission des
Berner Bureaus gelieferten Materials dem Kon-
gresse vorgelegt werde. Der Arbeit in den
Kommissionen soll ein größeres Gewicht bei-
gelegt werden, so daß sich dort die Haupt-
diskussionen abzuspielen hätten. Die Plenar-
sitzungen sollen verringert und nur für die
Darlegung der Ergebnisse der in den Kom-
missionen geleisteten Arbeit verwendet werden.
Die Ueberlastung des Programms wird mit
Recht getadelt und als wünschenswert be-
zeichnet, sich mit der Behandlung von zwei
oder drei wichtigen Punkten zu bescheiden.
Die darüber gemachten Vorschläge gehen dar-
auf hinaus, die amerikanische Kongreßmethode
mit vorher bestimmten Berichterstattern, ohne
Gelegenheitsdiskussion, und mit einer ein-
zigen, am Schluß zu fassenden Platform
einzuführen. Auch sehr vernünftige Vorschläge
über das Stimmrecht werden unterbreitet. Das
jetzt herrschende Reglement, wonach derjenige
die meisten Stimmen hat, der am meisten
bezahlt, erscheint in der Tat unhaltbar. Der
Bericht ist außerdem reich an wichtigen klei-
neren Vorschlägen, die im höchsten Maße be-
herzigenswert erscheinen, und die beherzigt
werden müssen, wenn die Weltfriedenskongresse
nicht beeinträchtigt werden sollen.
Es ist zu hoffen, daß die Reorganisation
des Kongreßwesens den hervorragendsten Be-
ratungspunkt der nächsten Sitzung der Berner
Kommission bilden wird. Für jeden, die Be-
wegung mit Aufmerksamkeit verfolgenden
Pazifisten ist es klar, daß der Pazifismus heute
weit über seinen ursprünglichen Umfang hinaus-
gewachsen ist. Wenn die Weltfriedenskongresse
als Versammlungen der pazifistischen Gesamt-
bewegung fernerhin werden gelten wollen, muß
die bisherige Methode und auch die bisherige
Zusammensetzung vollständig umgewandelt wer-
den. Das gleiche gilt auch für das Berner
Bureau selbst. Wenn dieses tatsächlich die
Herzkammer der Weltfriedensbewegung sein
will, muß es seine Organisation vollständig
ändern. Aber nicht in dem Sinne der jetzt
vorges chlagenen Statutenänderungen, die dar-
auf hinauslaufen, die Kommission des Bureaus
völlig auszuschalten und die Leitung in die
Hände des ständigen Berner Komitees zu legen.
Diese Absicht liegt gerade in der umgekehrten
Richtung, die die Entwicklung der Friedens-
bewegung eingeschlagen hat. Statt den Ge-
schäftskreis des Bureaus jener Entwicklung
entsprechend zu erweitern, soll er noch mehr
verengert werden. Was eine Weltzentrale sein
soll, würde dadurch lediglich zu einer lokalen
Friedensorganisation hinabgedrückt werden.
Noch ist zu hoffen, daß diese Gefahr beseitigt
werden kann.
MEt
Todesfälle. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: « '•'■ ~ - ~
Am 13. Januar starb zu Charlottenburg
der Präsident des deutsch-englischen Ver-
ständigungs-Komitees, kaiserlicher Botschafter
a. D. Wirkl. Geh.-Rat Dr. von Holleben.
Eduard de Neufville, der Vizepräsident jenes
Komitees, widmet dem Verstorbenen folgenden
Nachruf: „Von der Gründung des Deutsch-
Englischen Verständigungs-Komitees an dessen
Präsident, hat der Verewigte sein lebhaftes
Interesse und das reiche Maß seiner Er-
fahrungen in den Dienst jener, dem Frieden
zwischen den beiden großen Kulturnationen
dienenden, Bestrebungen gestellt. Leider hin-
derte ihn bereits im verflossenen Herbst sein
Gesundheitszustand an der Deutsch-Englischen
Verständigungs-Konferenz in London, an der
auch unser Komitee beteiligt war, teilzunehmen."
— Ende Januar starb in Madrid der frühere
Ministerpräsident Don Segismundo Moret,
der Mitglied des Haager Hofes, des Inter-
parlamentarischen Rats wie des europäischen
Rats der Carnegiestiftung war. Noch im Mai
vorigen Jahres nahm er an der Sitzung der
Carnegiestiftung in Paris teil.
MM
Kurze Mitteilungen.' :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: - " " .'.'• ?
Am 14. Februar feierte Ed. Ginn, der
Gründer der „Weltfriedensstiftung", in Aegypten,
wohin er sich zur Erholung begeben hat,
seinen 70. Geburtstag. — Die ständige
Delegation der französischen
Friedensgesellschaften ließ das von
der Wiener Polizei verbotene Plakat (siehe
„Fr.-W." 1912, Seite 463) ins Französische
übersetzen und in 3000 Exemplaren in Paris
und in der Provinz öffentlich anschlagen. —
Das in Berlin erscheinende „Journal d'Alle-
magne" setzt seine segensreiche Verständigungs-
arbeit zwischen Deutschland und Frankreich
fort. Es veranstaltet jetzt eine Rundreise
französischer Kaufleute nach
Berlin und Leipzig, die in der Zeit
vom 1. bis 8. März stattfinden wird. — Nach
einem Vortrage Norman Angells wurde am
71
DIEFBIEDEN5-v^\BTE
3
1. Februar in Frankfurt a. M. eine Frankfurter
Ortsgruppe des Verbandes für internationale
Verständigung begründet, deren Vorstand fol-
gendermaßen gebildet wurde: Erster Vor-
sitzender Prof. Freudenthal, zweiter Vor-
sitzender Geheimrat H u p e r t z , Schriftführer
Dr. S t r u p p , Beisitzer Prof. Dr. R ö ß 1 e r ,
Bankdirektor Meier, Oberlandesgerichtsrat
Höhne, Prof. Nippold. — In Leipzig ist
ein französisches Handelsbureau gegründet
worden, dessen Aufgabe es sein soll, den
französischen Export nach
Deutschland zu fördern. — Prinz
Heinrich der Niederlande hat das
Protektorat über den XX. Weltfriedenskongreß
übernommen.
LITERATUR U PRESSE
White, Andrew Dickson.
Sieben große Staatsmänner im Kampfe der
Menschheit gegen Unvernunft. Autorisierte
Uebersetzung aus dem Englischen von Dr.
Karl und Paul Kupelwieser und Alban Voigt.
Gr. 8 0. München 1913. Ernst Reinhardt.
411 S.
Andrew D. White ist den Pazifisten als
hervorragender Mitarbeiter an der ersten Haager
Konferenz und durch seine ausgezeichneten
Lebenserinnerungen*), sowie durch seine Mit-
arbeit an der Entwicklung des internationalen
Rechts und der Völkerverständigung kein Un-
bekannter mehr. Lange war er diplomatischer
Vertreter seines Vaterlandes in Berlin, wo er
mit den hervorragendsten Persönlichkeiten
regen Verkehr unterhielt. Er ist von Beruf
Historiker. In Ithaca im Staate New York
wirkt er als Präsident der Cornell-Universität
im Dienste der Wissenschaft.
Das vorliegende Buch ist eine moderne
Kulturgeschichte in Gestalt von Lebens-
beschreibungen hervorragender Männer, die den
„Kampf gegen Unvernunft" geführt haben.
Dieser Kampf ist das eigentliche Kriterium
des großen Mannes. In der Ueberwindung der
Zeit, ihrer Vorurteile und Verknöcherungen liegt
ja die Größe der Bahnbrecher. Die sieben großen
Männer, die White zum Ausgangspunkt seiner
kulturgeschichtlichen Darstellung nahm, sind:
Sarpi, Grotius, Thomasius, Turgot, Stein,
Gavour, Bisrnarck. Für die Leser dieser Zeit-
schrift wird namentlich die Schilderung des
großen Niederländers von Interesse sein, dem
runder des modernen Völkerrechts, für den
White schon in seinen Lebens er innerungen eine
große Vorliebe bekundet. In aller Erinnerung
der Teilnehmer an der ersten Haager Konferenz
ist noch die schöne Feier, die Andrew D. White
am 4. Juli 1899 am Grabe des Grotius in
Delft veranstaltete, seine Rede, die er dabei hielt,
und die feierliche Niederlegung eines Silber-
kranzes auf dem Grabe namens der Delegation
der Vereinigten Staaten in Gegenwart der
Haager Delegierten.
Den Zustand der völkerrechtlichen Be-
*) Siehe: Fr.-W. 1905, S. 207 den Aufsatz
„Andrew D. White über die I. Haager Kon-
ferenz".
griffe, den Hugo Grotius vorfand, schildert
White in anschaulicher Weise. Man muß
den Wahnwitz erkennen, dem sich die Staa-
ten um die Wende des 16. und 17. Jahr-
hunderts über den Besitzanspruch der offenen
Meere hingaben, um die Bedeutung von Grotius'
völkerrechtlichem Erstlingswerk „mare li-
berum" ganz zu verstehen. England z. B. be-
anspruchte das Besitzrecht über alle Meere,
die es vom Festlande trennten, und es hielt
sich allein berechtigt, dort zu fischen und
Schiffahrt zu treiben. Andere bedurften dazu
der Erlaubnis Englands. Aehnliche Ansprüche
stellten Spanien und Portugal, stellten Venedig,
Genua und Pisa. Da erschien das Buch des
Grotius und erklärte alle diese Ansprüche für
nichtig. Von englischer Seite wurde ein
holländischer „Gelehrter" veranlaßt, Grotius zu
widerlegen. Wie er dies tat, schildert
White in anschaulicher Weise. Seiden, dies
ist der Name des Opponenten, begann damit,
sich auf die Bibel zu stützen. Er zitierte
z. B. einen Vers der Genesis, wonach Gott zu
Adam gesagt habe: „Die Fische des Meeres
sollen dein Eigentum sein", und folgerte daraus,
daß, da die Fische die Nutznießung des Meeres
sind, ein Eigentumsrecht an diesen von
Gott den Menschen gegeben sei. Der Be-
kämpfer des Grotius folgerte also ungefähr,
daß das Besitzrecht am Meere „ein Element
der göttlichen Weltordnung" sei.
Interessant ist es, wie White die Wir-
kung des großen Werkes des Grotius, seiner
„libri tres de jure belli ac pacis", schildert;
wie es allmählich in die Köpfe der Menschen
Eingang fand und ihre Ideen revolutionierte,
trotzdem es anfänglich, wie jede große Idee,
großer Gleichgültigkeit begegnete. Gustav
Adolf führte das Buch, das 1625 erschienen
war, auf seinen Feldzügen mit sich. Aus
seinen Ansprachen an die Soldaten, worin er
sie vor Grausamkeiten warnte, ist der Ein-
fluß des Buches auf den schwedischen König
erkennbar. Die Milde, die Kardinal Richelieu
bei der Einnahme von La Rochelle walten ließ,
die drei Jahre nach dem Erscheinen jenes
Buches erfolgte, ist auf dessen Einfluß zurück-
zuführen. White schildert anschaulich das
„Erstaunen der Welt", die ein fürchterliches
Blutbad, erwartet hatte, und führt einen glaub-
würdigen Beweis zugunsten des Einflusses des
Grotiusschen Werkes auf den fanatischen und
grausamen Kardinal. „Selbst wenn der Kar-
dinal das Buch", so schreibt er auf S. 61,
„nur ebenso wie Nikolaus II. von Rußland
das epochemachende Werk Johann von Blochs
gegen den Krieg, das ist lediglich durch
Berichterstattung, Besprechungen, Diskussionen,
kennen gelernt hätte, würde er seinen Haupt-
inhalt erfahren haben müssen."
Im Westfälischen Friedens traktat findet
White „allgültige Prinzipien" verwirklicht,
denen Grotius zum erstenmal Ausdruck ge-
geben hatte. So die Idee der Staatengleich-
heit, der Milde und der Vorstellung einer
ewigen Gerechtigkeit.
Von hoher aktueller Bedeutung angesichts
der Balkangreuel ist die Schilderung Whites
von der ungezügelten Kriegsführung der Zeit,
die Grotius zu seinem Werke inspirierte.
„Eine Kriegserklärung schien einen Freibrief
zu geben für jede Art von Verbrechen", schreibt
Grotius selbst. Wie recht haben jene, die da
72
C£
DIE FRIEDEN5-WAB.TE
behaupten, daß der Balkankrieg im Geiste des
dreißigjährigen Krieges geführt wird. Von
erschütternder Wirkung ist in den Dar-
legungen Whites die Schilderung der Einfluß-
nahme der Kirche und des Papsttums gegen
die Versuche einer Milderung der Kriegssitten
und einer Einschränkung der Kriege. Nicht
nur das Kapitel über Grotius, alle Dar-
stellungen dieses Buches bilden so eine heftige
Anklage gegen die kulturhemmende Wirk-
samkeit des Klerikalismus. Im Verlaufe des
Essays schildert dann White den Einfluß der
Arbeit des Grotius auf die Völkerrechts-
vorkämpfer des 17. und 18. Jahrhunderts. Ein
Eingehen hierauf verbietet sich durch die
Raumverhältnisse. Ebenso ein Eingehen auf
jene ausgezeichneten Darstellungen, die nicht
direkt die Friedensidee berühren. Aber jeder
Pazifist wird sie mit ungeteiltem Interesse
lesen. Es war ein verdienstvolles Unternehmen,
dieses klassische Werk der deutschen Lesewelt
zu vermitteln, bei der es sich bald einen
dauernden Platz erringen wird. Man wird das
Buch Whites unter den großen Aufklärungs-
schriften der Gegenwart nicht übersehen dürfen.
A. H. F.
Sombart, Werner.
Krieg und Kapitalismus. Gr. 8 °. München und
Leipzig 1913. Duncker & Humblot. VIII.
232 S. 6 M.
Vom pazifistischen Gesichtspunkt bietet
das vorliegende Buch gar keine Ausbeute. Es
ist eine interessante kulturgeschichtliche Studie
mit wertvollen Belägen über die Entwicklung
des modernen Heerwesens. Der Verfasser ver-
sucht, die marxistische Lehre, wonach der
Krieg eine Folge der kapitalistischen Wirt-
schaftsform ist, umzudrehen und darzulegen,
daß die kapitalistische Wirtschaftsform eine
Folge des Krieges sei. Im Heerwesen wurde
der Uebergang vom Handwerk (Einzelkämpfer)
zum organisierten Betriebe (Armeebildung) zu-
erst vollzogen. Der Krieg hat das staatliche
.Schuldenwesen und damit den Kredit- und
Börsenverkehr geschaffen, er hat das Wirt-
schaftsleben „kommerzialisiert". Der Krieg
hat die Technik erzogen, zuerst einen Massen-
bedarf hervorgerufen und dessen Befriedigung
ermöglicht, eine kapitalistische Industrie hervor-
gerufen. Das ist kulturhistorisch sehr inter-
essant, man muß sich nur hüten, die Fol-
gerung, die der Autor daraus zieht, zu ver-
allgemeinern. Er spricht nämlich von dem
,. doppelten Gesicht des Krieges: hier zerstört
er und dort baut er auf". Das kann gefährlich
werden — und zweifellos wird das Sombartsche
Buch diese Gefahr zeitigen — , wenn man diese
Lehre auf die Zukunft übertragen will. Sombart
erklärt ausdrücklich (S. 15), daß er seine Be-
hauptungen „nur für diese frühkapitalistische
Epoche" aufstelle, daß er nur für die „Pubertäts-
jahre" des modernen Kapitalismus „die über-
ragende Bedeutung des Militarismus" be-
haupte. Zukunftswissen im Ostwaldsehen Sinne
ist aus diesem Buche nicht zu ziehen. Schon
aus dem Grunde nicht, als alle diese günstigen
Einwirkungen des Krieges auf die Kultur-
entwicklung schließlich von jedem anderen
Uebel nachgewiesen werden können; ebensogut
auch von Wasser- und Feuergefahren, von Pest
und Cholera,, kurz von dem naturfeindlichen
Wesen aller Naturgewalten. Ist doch der
Kampf gegen diese das wirklich kultur-
erzeugende Element, das die Menschheit von
der Tierheit emanzipierte. Jede Nutzanwendung
dieses Buches, das schließlich auf die alte Volks-
weisheit hinausläuft, wonach kein Unglück so
groß wäre, daß nicht auch ein Glück dabei
sei, zugunsten der Kulturkraft des Krieges an
sich, insbesondere aber für die Gegenwart oder
die Zukunft, wäre ein Irrtum.
Der Verfasser hat es zwar unterlassen, im
Buche selbst ein Werturteil zu fällen, das
geeignet wäre, den Vorwurf gegen ihn zu er-
heben, daß er diese irrige Ausnutzung seiner
Arbeit unterstütze. Leider hat er im Vorwort
diese Neutralität nicht bewahrt; denn dort
spricht er von der großen Bedeutung, „die der
Krieg für unser Kulturleben gehabt hat, hat
und haben wird, solange Männer das
Schicksal der Völker bestimmen werden". Er
überspringt damit die Grenze, die er sich in
seinem Buche selbst gesetzt hat, und schließt
von den Verhältnissen vom 13. bis zum Ende
des 18. Jahrhunderts auf unsere vöUig veränderte
Gegenwart und Zukunft. Gerade die Unhaltbar-
keit dieser Methode hat Norman Angell in
seinem epochemachenden Werk glänzend wider-
legt. A. H. F.
Angell, Normann,
Die Falsche Rechnung. Was bringt ein Krieg
ein? 8°. Berlin. Vita, Deutsches Verlagshaus.
266 S. Lwdbd. 1,25 M.
Diese neue Volksausgabe des klassischen
Werkes von Normann Angell befriedigt uns
leider nicht in dem Maße, wie wir es im Inter-
esse der Sache gewünscht hätten. Zunächst
müssen wir den Titel als ungeeignet zurück-
weisen. Es geht nicht an, den Titel eines
Werkes, das sich bereits Weltruhm errungen,
nach Gutdünken zu ändern. Uns kommt das
so vor, als wollte man dem Darwinschen Werke
„Die Entstehung der Arten" nun plötzlich den
Titel geben: „Wo kommt der Mensch her?
Stammt er vom Affen ab?" Die Bezeichnung
„Die große Täuschung" klingt uns auch viel
würdiger, als die etwas trivial klingende Frage,
ob der Krieg etwas „einbringt". Gerade im
Interesse der großzügigen Propaganda, die mit
dem Buche gemacht wird, hätte man sich die
Titeländerung hundertmal überlegen sollen.
In der neuen Ausgabe sind einige Kapitel
des Buches ganz weggelassen worden. Hingegen
sind allerdings vier Kapitel neu hinzugekommen.
Ob es sich am Ende nur um Aenderung der
Ueberschriften handelt, konnte nicht festgestellt
werden. Gerne hätten wir auf der ersten Seite
(im Vorwort) den von uns schon früher be-
mängelten Satz vermißt: „Man sieht, der Ver-
fasser ist kein Pazifist." Das ist eine direkte
Irreführung, die Normann Angell selbst schon
unzählige Male widerlegt hat. In seinem
neuesten Buche „Peace Theories and Balkan
War" nennt er sich selbst auf jeder
Seite einen Pazifisten. Was soll denn
diese Wortspielerei auch besagen. Es ist rich-
tig, daß gewisse Methoden des Pazifismus dem
Zeitgeiste nicht mehr entsprechen und bei
der Werbung von neuen Anhängern die Ver-
wechselung des Pazifismus mit diesen Methoden
oft hinderlich ist. Als Konzession für die
Taktik ist diese Verleugnung wohl zu begreifen
73
DIE FRIEDENS -^&QTE
[©
und auch zu entschuldigen. Aber im wissen-
schaftlichen Kampfe kann man derartiger Aus-
hilfemittelchen wohl entbehren. Pazifismus ist
eine Kollektivbezeichnung für alle Be-
strebungen, die an Stelle der heutigen Staaten-
beziehungen eine vernünftige Ordnung setzen
wollen. Diese Bestrebungen sind verschieden;
ihr Ziel ist das gleiche. Auch dem Schluß-
kapitel, das der Volksausgabe neu hinzugefügt
ist, können wir nicht so ohne weiteres bei-
pflichten. Dieses scheint uns fast „in usum
germanorum" geschrieben zu sein. Wir finden
darin einige Behauptungen, die uns so vor-
kommen, als seien sie bestimmt, der in Deutsch-
land vorherrschenden Geistesrichtung Kon-
zessionen zu machen. Vom „Fehlschlagen" der
Haager Konferenzen zu reden, ist ein bißchen
stark, ebenso die Behauptung, daß das große
Wachstum der Rüstungen von der ersten Haager
Konferenz ab datiert; eine Da tum bestimm ung,
die so aussieht, als sollte damit dem Haager
Werk Abbruch getan werden. Der Ausfall gegen
Friedensyersammlungen, Petitionsunterzeich-
nungen und sogar gegen, die. anglo-deutschen
Verständigungsbestrebungen erscheint uns völlig
unangebracht. Man mag über den Wert einzelner
dieser Handlungen denken wie man wolle,
wenn man den Schlußeffekt will, darf man
auch über solche Methoden nicht verächtlich
urteilen, die vielleicht diesen Nutzeffekt nicht
in direktester Linie herbeiführen. Es geht eben
nicht an, das gesamte Friedensproblem auf einem
einzigen Argument aufzubauen. Der Grund
könnte dadurch ins Wanken kommen, auf dem
man das Haus aufbaut. Evolution der Ideen,
nicht Revolution führt uns zum Siege.
Im "übrigen ist es nicht notwendig, zu be-
tonen, welch ungeheueren Wert wir dem großen
Werke Norrnann Angells beilegen, und wie wir
es als Rüstzeug im Kämpf gegen den Krieg-
schätzen. Eben weil dies der Fall ist, suchen
wir es durch die hier vorgebrachten Mängel
immer vollkommener zu gestalten. Auf den
Gesamtinhält werden wir noch ausführlich
zurückkommen.
Wir - verlangen für die nächsten Auflagen
Rückkehr zum alten Titel und Fortlassung-
aller zu Mißverständnissen führenden Seiten-
hiebe auf den Pazifismus.
Oppenh eim, L. ...
The Panama Canal Conflict betwen great
Britain and the United States of America.
A. Study. 8°. Cambridge 1913. Universitv
. Press. 57 S. Cloth.
Der hervorragende Völkerrechtsgelehrte be-
faßt, sich in der vorliegenden Schrift mit der
gegenwärtig . interessantesten völkerrechtlichen
Frage. Er tritt für die schiedlich^ Erledigung
des Streitfalles ein, obwohl er bezweifelt, ob
dieser nach dem . Wortlaut des anglo-amerika-
nischen Schiedsvertrages von 1908 der Schieds-
gerichtsbarkeit unterworfen werden mußte, da
darin Streitfälle, die die Interessen Dritter
berühren — was hier .zutrifft — :, von dem
Obligatorium ausgenommen sind. Doch bet-
trachtet er diesen Umstand als. geringfügig,
•denn -es handelt sich nicht darum, ob die
Vereinigten Staaten vertragsmäßig verpflichtet
.seien, den. Streit ;gchiedlich erledigen zu lassen,
sondern darum, daß eine ihrem ganzen Wesen
nach für die- schiedliche ^Erledigung geeignete
Sache unter keinen Umständen dieser Lösung
entzogen werden darf. Das Ansehen der
Schiedsgerichtsbarkeit steht für ein ganzes
Menschenalter auf dem Spiele.
Die interessante Schrift ist geeignet, über
das Wesen des Panama- Streitfalles aufzuklären.
Ueber dieselbe Frage hat auch Prof. Kauf-
mann (Berlin) in der Revue de Droit int.
geschrieben. Sein Aufsatz wird auch in der
Zeitschrift für Völkerrecht erscheinen und noch
in diesen Blättern besprochen werden.
Für den Frieden! 8°. München. Simpli-
zissimus-Verlag. 104 S.
Verkleinerte Wiedergabe satyrischer Bilder
aus dem Simplizissimus mit antikriegerischer
Tendenz. Manches gehässige Bild gegen Eng-
land hätten wir in dieser Sammlung, die dem
Frieden dienen soll, gern vermißt.
Sturm, August, Dr.
Die Einteilung des Rechts und die Abtrennung
des internationalen Privatrechts sowie des
Friedensrechts, eine rechtspsychologische Ab-
handlung. Gr. 8°. Berlin, Franz Vahlen, 1912.
152 S. Preis 4 M.
Sturm ist unter den alten Burschen-
schaftern, die für die Friedensbewegung ein-
treten, einer der eifrigsten. Seit 1910 hat er
bereits fünf Werke geschrieben, die schwere
wissenschaftliche Betrachtungen zugunsten un-
serer Bewegung enthalten. Es kann auf die
Dauer nicht ohne Einfluß sein, wenn ein an-
gesehener Mann mit solcher Hartnäckigkeit
und in Werken, die von sehr guten Verlegern
verbreitet werden, für unsere Idee eintritt.
Sturm befürwortet auch in diesem Buche vor
allem einen Gerichtshof für alle international-
rechtlichen Fragen im Haag, ferner die Er-
richtung von Völkerrechtslehrstühlen. Das
Buch ist im Verhältnis zu seinen umfang-
reicheren Werken recht verständlich ge-
schrieben.
Eingegangene Druckschriften. :::::; " " :::::: ::
(Besprechung vorbehalten.)
La Vie Internationale. Revue 'sen-
suelle des Idees, des faits et das. organismes
internationaux. Tome IL. 1912. Fascicule 7.
Aus dem Inhalt: Ernest Röthlis-
berger, Le Droit des Auteurs et des Artistes
et les Unions Internationales. — Dr. John
M e z , Le Cheque postal international et les
resultats des virements postaux en Autriche,
en Hongrie, en Suisse et en Allemagne. . —
Notices, faits, documents.
' Periodisches Bulletin des Inter-
nationalen Socialistischen Bureaus. 3. Jahrg.
Nr. 9, mit 2 Supplementen. Folio. Brüssel. 1913.
(Zu beziehen durch: Camille. Huysmans, Maison
du Peuple, nie - Joseph Stevens Nr. 17,) In
deutschem, französischem und englischem Text.
Spezialnummer „Gegen den Krieg". Akten
und Vorgänge des Baseler Kongresses,.
An gell, Norman,
Offener Brief an den Verband für internationale
■ Verständigung und den Verband der inter-
: nationalen Studenten -Vereine an deutschen
74
@:
= DIE FRIEDENS -VJC&TE
Hochschulen. 8°. Göttingen. 12 S. (Zu be-
ziehen durch Paul Baumgarten, Göttingen,
Bühlstr. 15.)
Bührer, K. W.,
Raumnot und Weltformat. 8°. München 1912.
Die Brücke. F. d. Buchhandel: Fr. Seybolds
Buchhdlg. in Ansbach. 32 S. 60 Pf.
Bührer, K. W.,
Weltarchiv der Brücke. Abteilung Kleingraphik.
89. München 1912. Die Brücke. 15 S. 60 Pf.
Feldhaus, Richard,
Gedanken über den Frieden. 100 Aussprüche
führender Geister. Für die Friedensfreunde
zur Ermutigung, Erbauung und Erstarkung
ihrer Ideen, für alle Kriegsanhänger zur Be-
lehrung. Kl. 8 0. o. O. u. J. 15 S. (Zu be-
ziehen durch Rieh. Feldhaus, Bottminger
Mühle b. Basel.)
Hoensbroech, Graf von,
14 Jahre Jesuit. Persönliches und Grundsätz-
liches. Volksausgabe. 2 Bde. gr. 8°. Leipzig
1912. Breitkopf & Härtel. VIII u. 182, IV
u. 196 S. ä Bd. 1 M.
J a e c k h , Dr. Ernst,
Deutschland im Orient nach dem Balkankrieg.
8°. München 1913. Martin Mörikes Verlag.
158 S. 2 M.
Klopp, Onno,
Politische Geschichte Europas seit der Völker-
wanderung. Vorträge. 2 Bde. gr. 8°. Mainz
1913. XII u. 460 und VII u. 413 S. Verlag
• Kirchheim & Co. Eleg. Lwdbde. 15 M.
(Lehr, E.,)
Drei Andachten. 1. Gebet eines Leidenden für
die Genesung wahnsinniger Mordpatrioten-
horden und der europäischen, in ethischer
Beziehung geisteskranken Diplomaten. 2. Bitt-
gottesdienst für den Triumpf (sie!) der
menschenschändenden Kriegsbestie, welche
nebst Stumpfsina und Massenelend, Krüppel,
Witwen und Waisen schafft. 3. Tägliches
Gebet des allzeitigen Friedensfürsten und die
aus der tiefreligiös-inhaltsreichen, Herz und
' Gemüt belebenden Gottesandacht sich er-
gebenden Morallehre. 8°. Wien „im XX. Jahr-
hundert", 16 S. u. „Nachklänge", 4 S. (Zu
beziehen durch den Verfasser: JE. Lehr, Wien
II/l, Roten Sterngasse 20.)
• M a n d 1 , Leopold,
Oesterreich-Ungarn und Serbien nach dem
"r Balkankriege. Materialien zum Verständnis
der Beziehungen Serbiens zu Oesterreich-
Ungarn. 80. Wien 1912. Moritz Perles. 60 S.
Markus,
Die Volksherrschaft im Gottesstaat, der Staat
der Zukunft. In Form einer Erzählung ge-
schildert. 8°. Berlin 1913. Politik -Verlags-
anstalt. 153 S.
N e u r a t h , Dr. Otto,
Die finanziellen und wirtschaftlichen Rück-
wirkungen des modernen Krieges. Vortrag
fehalten in der 60. Monatsversammlung des
ndustriellen-Klub am 14. Nov. 1912. Obl.-8°.
Wien 1912. Verlag des Industriellen - Klub
(Wien III, Heuinarkt 12). 20 S.
Os twald, Wilhelm, . ..'....'
Sekundäre Weltformate. 8°. München 1912. Die
Brücke. , F. d. Büchhdl. : , Fr. Seybold's Buch-
handlung, Ansbach. 12 S. 30 Pf.
Wehberg, Dr. med. Heinrich,
Beiträge zur Entwicklung und Begründung des
Sozialismus. 8°. Hagen i. W. 1898. Hermann
Riesel & Co. 64 S. 1,50 M.
Zur Erinnerung an Dr. med. Heinrich
Wehberg. (1855—1912.) Seinen Freunden
und Verehrern gewidmet, o. O. u. J. (Zu be-
ziehen durch Dr. Hans Wehberg, Düsseldorf,
Jülicherstr. 86.) 12 S.
Union Interparlementaire.
Oommission des Declarations de Neutralite
permanente. II. Proces verbal de la Seance
du 21. sept. 1912. 8°. S. 25—34. (Zu beziehen
durch das Interparl. Amt in Brüssel.)
Union Interparlementaire.
Proces verbaux de la Commission des Detroits
et des canaux maritimes. IL Seance du
17. sept. 1912. 8°. S. 41—56. (Zu beziehen
durch das Interparl. Amt in Brüssel.)
„International C onciliati on."
No. 63 (Februar 1913). William Howard
Taft, The Time to test our faith in Arbi-
tration. — Arnos S. Hershey, Should the
Panama Canal Tolls Controversy be arbi-
trato? 22 S.
Jedes Heft: 8°. (Zu beziehen kostenlos
von „American Association for International
Conciliation" Sub-Station 84 (407 West 117 th
Street) New York City,.
Maryland Quaterly.
No. 12 (Nov. 1912). S. C. Mitchell, The
Phases of Progress toward Peace. 8 °., Balti-
more, U. S. A. 1912. Maryland Peace Society,
1925 Park Avenue. 17 S.
Pause and Consider. Letter and Edi-
torials reprinted from the „Japan Times". 8 °.
Dezember 1012. (Tokio.) 27 S.
B a j e r , Fred.,
Dansk Interparlamentarisk Gruppes Aarborg II.
8 o. Kjöbenhavn. 1913. J. H. Schultz.
Zeitschriften -Rundschau. :: :: :: :: :: :: :: :: :: j; *
H. W. Im Januarheft des „Advocate of
Seace" wird die Nichterteilung des Friedens-
robelpreises einer scharfen Kritik unterzogen.
In, keinem Jahre, so heißt es dort, hätten die
Friedensfreunde so sehr für den Frieden ge-
wirkt, wie gerade in der letzten unheilvollen
Zeit des italienisch-türkischen und des Balkan-
krieges. Interessant ist die Aufzählung der-
jenigen Männer, die nach Ansicht der Redaktion
den Nobelpreis verdient hätten. Unter den
Amerikanern Taft, Carnegie, Ginn, Bartholdt,
Butler, David Starr Jordan und Senator Elihu
Rbot, unter den Deutschen Quidde, unter den
Engländern Lord Weardale, Dr. Darby und
Alexander. Ich möchte dazu bemerken, daß
meines Erachtens für Deutschland unter den
eigentlichen Pazifisten Umfrid des Preises am
meisten würdig ist. Er hat wie kein anderer
unermüdlich für die Sache agitiert,; Unter den
Völkerrechtslehrern nenne- ich in erster Linie
v. Bar, der schon zu einer Zeit, als .andere
Universitätsprofessoren noch spöttisch über
uns: lächelten, .der Friedensidee mit .größtem
Verständnis begegnet ist. Bei Umfrid und
v, Bar würde es sich nicht lediglich um eine
Krönung erfolgreicher Bemühungen für - den
75
DIE FBIEDEN5-^ÄßTE =
3
Frieden handeln, sondern mehr noch um die
Anerkennung großer und seltener, im Laufe
eines ganzen Lebens bewiesenen Treue zu der
Idee des Fortschrittes der Menschheit und des
Völkerfriedens. Wenn wirklich der Nobelpreis
im Sinne seines Stifters verteilt werden soll,
dann darf nimmermehr lediglich auf die guten
Erfolge irgendeiner Persönlichkeit im Dienste
unserer Sache gesehen werden, sondern mehr
noch auf die -edle Gesinnung, aus der heraus
jene Taten entstanden sind. Von diesem Stand-
punkte aus aber soll man möglichst zurück-
greifen auf diejenigen, die bereits zu einer Zeit,
als man die Friedensidee noch verlachte, dieser
ihre ganze Kraft, ihren ganzen Glauben ge-
weiht haben. Nächst v. Bar ist Zorn der am
meisten verdiente Anwärter auf den Friedens-
preis.
In demselben Hefte schreibt Mead einige
Erinnerungen über die ersten Lake Mohonk-
Konferenzen im Hinblick auf den Tod ihres
Stifters Smiley. Auf der ersten Lake Mohonk-
Konferenz im Jahre 1895 waren nur 56 Per-
sonen anwesend, aber bereits im folgenden
Jahre schon 286. Mead weist ferner darauf
hin, welch großes Verdienst sich die drei ersten
Lake Mohonk - Konferenzen durch die Befür-
wortung eines ständigen Tribunals erworben
haben. Trueblood hat damals die Diskussion
des Problems angeregt, und Dr. Haie hat die
Idee mit großartiger Beredsamkeit vertreten.
Wie auf der Interparlamentarischen Versamm-
lung von 1894, so herrschte auch auf den ersten
Kongressen zu Lake Mohonk noch viel Skepti-
zismus gegenüber der Realisierung dieses Pro-
jektes. Der Grundgedanke der Lake Mohonk-
Konferenzen ist allzeit gewesen: nicht auf die
Schrecken des Krieges einzugehen, sondern die
Mittel zu -erörtern, durch die er überwunden
werden kann, insbesondere die Schiedsgerichts-
barkeit.
„Advocate of peace" schreibt ferner über
die amerikanische Reise der (Baronin jSuttner u. a.
folgendes : „Eines ihrer letzten Auftreten war iD
Washington, wo ihr zu Ehren ein Bankett ver-
anstaltet wurde. Dieses Fest vereinigte viele
Mitglieder des diplomatischen Korps, Senatoren,
Kongreßmänner und andere hervorragende Per-
sönlichkeiten sowohl aus Regierungs- als aus
Gesellschaftskreisen. Es war ein Tribut, wie
Washington selten darbringt irgendeinem großen
Staatsmann oder einem Gast aus königlichem
Geblüt. — Die ganze Tournee war großartig.
Die Baronin hat tiefen Eindruck gemacht, wo
immer ihrer Botschaft gelauscht wurde. Ihre
fühlbare Aufrichtigkeit, die Tiefe ihrer Emp-
findung, hervorgegangen aus ihrem langen Kon-
takt mit dem europäischen Militarismus, ver-
liehen ihren Ausführungen große Ueberzeugungs-
kraft. Ihre Mahnung an unser Land, es möge
seiner hohen Mission treu bleiben und die
Führerschaft zur Weltverbrüderung fortsetzen,
erinnerte an die Aeußerungen und Warnungen
mancher großer biblischer Propheten."
In Nr. 1 der „Korrespondenz des Verbandes
für internationale Verständigung" wendet sich
Piloty gegen einen Artikel des Vizepräsidenten
des Deutschen Reichstages Paasche, der kürz-
lich an dem Ausdrucke Kiderlen- Waechters von
der „herzlichen Intimität" der deutsch -eng-
lischen Beziehungen gesprochen hatte. Er
weist nach, wie billig es ist, den Beifall der
großen Menge bei Anklagen gegen England zu
finden, und als wie töricht gleichzeitig ein
Artikel bezeichnet werden muß, der im gegen-
wärtigen Augenblicke das deutsch - englische
Problem losgelöst von den Balkanwirren er-
örtert. Mit Recht meint er, es sei wenig real-
politisch, in diesem Augenblicke einen solchen
Artikel wie den Paasches zu schreiben.
In demselben Hefte gibt Strupp in zwei
Aufsätzen einen guten Ueberblick über den
spanisch-französischen Marokkovertrag und den
Frieden von Lausanne. Am Schlüsse des ersten
Aufsatzes sagt er: „Daß die Schiedsgerichts-
idee in dem Vertrag offene Anerkennung er-
fährt, daß beide Staaten sich verpflichten,
Streitigkeiten bei seiner Anwendung oder Aus-
legung dem Haager Schiedsgericht zu unter-
breiten, muß jeden Anhänger jenes groß-
artigsten Völkerrechtsinstitutes, muß jeden
Freund internationaler Verständigung und des
Friedens mit hoher Freude erfüllen. In drei
der bedeutendsten, politischen Verträge der
letzten sieben Jahre die ausdrückliche Unter-
werfung unter die internationale Schieds-
gerichtsbarkeit! Darf man da noch ernsthaft
daran zweifeln, daß die Gewalt jener Idee auch
die Staaten in ihren Bann gerissen hat?"
In einem weiteren Aufsatze derselben Korre-
spondenz verlangt W. Klohs eine schnellere
Ratifikation des Schiedsabkommens, die ja be-
reits der jüngste Weltfriedenskongreß und die
Interparlamentarische Versammlung befürwortet
haben. In diesem Aufsatz befindet sich ein
Irrtum, der nicht unwidersprochen bleiben
kann. Verfasser sagt nämlich, durch das Ab-
kommen von 1907 sei das Abkommen von 1899
auch für diejenigen Staaten hinfällig geworden,
die das erstere noch nicht ratifiziert haben.
Da also die Balkanstaaten, außer Rumänien
sowie Italien, das Schiedsabkommen von 1907
nicht ratifiziert haben, so seien sie an das
Schiedsabkommen nicht gebunden, weder in
der alten, noch in der neuen Form. Das ist
unrichtig. Das Abkommen von 1899 gilt nach
den Bestimmungen für Serbien, Bulgarien,
Griechenland usw. so lange fort, bis sie es
gekündigt haben. Daß dies auch die Ansicht
der Regierungen ist, ergibt sich daraus, daß
alle Staaten finanziell zu dem Bureau des
Haager Schiedshofes beitragen, im Verwaltungs-
rate vertreten sind usw. Damit erledigt sich
die weitere Behauptung von selbst, wonach
gerade diejenigen Staaten in den letzten Jahren
Krieg geführt hätten, die das Schiedsabkommen
nicht ratifiziert hätten. Daß der Artikel 48
für jene Staaten, die das neue Abkommen nicht
ratifiziert haben, nicht gilt, ist allerdings zu-
treffend. Dieser Artikel ist aber praktisch nicht
von Bedeutung. Er kann insbesondere ein
direktes Klagerecht nicht ersetzen, weil der
Kompromiß, die entscheidende Schwierigkeit,
bestehen bleibt.
Fachpresse. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: '•'• « " « ::
Völkerfriede (Eßlingen). Jan. 0. U., 1813
bis 1913. — Vaterländische Geschichte. —
Rieh. Feld haus, Der internationale
Sozialistenkongreß in Basel und der Krieg.
— O. Graewe, Chauvinistischer Haß gegen
die Friedensbewegung. — A. We s t p h a 1 ,
Jahresversammlung des Landesvereins Würt-
temberg der Deutschen Friedensgesellschaft.
— usw.
76
<£
DIE FRIEDENS -WARTE
— Febr. U. M., Bela-st ungsproben. — R. Wie-
la ndt, Friedensbestrebungen und Männlich-
keit. — Aufruf der deutsch-iranz. Liga. — usw.
Korrespondenz: des Verbandes für
internationale Verständigung
(Würzburg). Nr. 1. Prof. Rob. Piloty,
Deutsche Realpolitik. — Dr. Karl Strupp,
Der spanisch-französische Marokkovertrag. —
— D r. K a r 1 St r u p p , Der Friede von
Lausanne. — W. Kloh s, Die Ratifikation der
Haager Schiedsabkomrnen. — usw.
Die Eiche. Vierteljahresschrift zur Pflege
freundschaftlicher Beziehungen zwischen
Großbritannien und Deutschland. (Berlin.)
Nr. 1. Lordbischof von Hereford,
Die Aufgabe der christlichen Kirche im
öffentlichen Leben. — Rev. J. H. Rush-
brooke, Die Bewegung unter den britischen
christlichen Kirchen zur Pflege freundschaft-
licher Beziehungen zwischen Deutschland
und Großbritannien. — Direktor D.
Spiecker, Die deutsch - englische Ver-
ständigungskonferenz in London. — L i c.
Bornhausen, Die Freundschaftsbeziehun-
gen zwischen deutschem und amerikanischem
Protestantismus. — T li. Kondah, Chronik
der deutsch-englischen Beziehungen während
der letzten Monate. — usw.
V a t eiiand und Welt. Organ des Ver-
bandes der Internationalen Studentenvereine
an deutschen Hochschulen. (Göttingen.) Nr. 1.
Zum Geleite. — Paul Baumgarten, Nor-
man Angell. — usw.
Der Friede (Bern). Dr. Bucher-Heller,
Sylvesterabend auf den Gurten bei Bern. —
Nietstew, Balkanphilosophie im neutralen
Lager. — C. L. Siemering, Eine pazi-
fistische Frauenzeitschrift. — usw.
Die Friedensbewegung (Bern). Nr. 1 .
Pierre C 1 c r g e t , Die armenische Frage.
— Dr. Hans Wehberg, Völkerorgani-
sation. — - Albert Fürst v. M onaco, Schieds-
gerichtswesen und Gegenseitigkeit. — usw.
idvocate of Peace (Washington). .Jan.
The Panama Tolls and Arbitration. — No
Nebel Prize in 1912. — Baroness von Suttners
Lecture Tour. — The fourth American Natio-
nal Peace Congress. — The Death of Albert
K. Smiley. — Charles E. Beals, The
Baroness von Suttners Tour. — Evergett
P. Wheeler. The Nation should be true
to its plighted faith in the Matter of the
Panama Tolls. — Edwin D. Mead, The
first Mohonk Conference on International
Arbitration. — George M. S tratton.
The double Standard in Regard to Fighting.
— usw.
The Oosmopoiitaa Student (Madison).
Jan. John R. Hart, The Presidents annual
Message. — Extracts frorn the General Secre-
tary Report. — usw.
M o n t h 1 y Circular of the National
Peace Council (London). Jan.
La Paix par le Droit (Paris). No. 1.
Frederic Passy, Ceux qu'il faut honorer •
Garibaldi. — Oh. R i c h e t , l'Alsace Lorraine
obstacle ä l'expansion allemande. — Jules
L. P u e c h , Coup d'oeil sur 1912. — usw.
E t a t s - Unis d'Europe (Bern). Jan.
Emile Arnaud, Le Devoir des Puissances.
— L. de M o n 1 1 u c , The right man in the
right place. — Guerre et Finances, — - usw,
II P o p o 1 o Pacifista (Bonefro). Jan.
Marturino de Sanctis, La Spedizione
a Tripoli e il diritto internazionale». — I ferro-
vieri d'Italia contro la guerra. — usw.
La Luce del Pensiero (Neapel). Jan.
Domenico Maggiore, Per il migliora-
mento economica degl' Insegnanti. — Fran-
cesco Berlinghieri, II parallelismo
dinamo-eivile delle nazioni. — Paul Ada m.
La supremazia del lavoro. — Alfredo B. Nobel
o Mme. Berta de Suttner. — usw.
Fredsfanan (Stockholm). Jan. E m i 1
Larsson, Vär rätta Fiats. — K. P. Ar-
n o 1 d s o n , Krighändelserna och freds-
strävandena. — Erik Palmstjerna,
Imperialismen — en fara för Freden. — usw.
Fredsbladet (Kopenhagen). Niels Peter-
sen, Det gamle og det nye Aar. — N. P..
Anna B. Eckstein. — Fru Dikka Möller.
— usw.
„Vrede door Recht" (Haag). Jan. W. H.
de Beaufort, De Oorlog en de Vredes-
confei'enties. — H. A. L o r e n t z , De inter-
nationale Wetenschap bevordert den Vrede.
— D. Josephus Jitta, Het internationale
Recht en de Vredesbeweging. — H. P. S t aa 1,
Kunnen militares voostanders der Vi-edes-
beweging zijn? — J. de Waal, De invloed
van het Roode Kruis op de Vredesbeweging.
— A. J. vanLoghumSlaterus, Vredes-
beweging en Godsdienst. — J. M. Maury,
De Katoliken en de Vredesbeweging. —
F. M. W i b a u t , Proletariaat en Vredes-
beweging. — H. J. Kieweit de Jonge,
Para pacein. — Johanna W. A. Naaber,
Vrouwenbeweging en Vredesbeweging. —
Chr. Nuijs, De Pers en de Vredesbeweging.
— Westerman, Internationalisme en
Bankwezen. — F. P. t e r M e u 1 e n . De
Kunst en het Pacifisme. — A. Pieters.
Het reizen en de Vredesbeweging. — M u 1 i e r,
Sport en Vrede. — H. J. Romeijn, De
Vredesbeweging en de Cooperatie. — A. J. E.
A. B i k , Het Tentoonstellingswesen en de
Vrede. — J. J. van B a 1 e n - K 1 a a r .
Vrouwenkiesrecht en de Vredesbeweging. —
S. K. Bakker, De Christensocialist tege-
nover oorlog en Vrede. — usw.
Lud s kose (Warschau). No. 3 u. 4. In pol-
nischer Sprache : Pazifismus bei Skarga und
Krasinski. — Resolutionen der polnischen
Gesellschaft der Friedensfreunde. — Der Welt-
friedenskongreß. — usw.
Nemzetközi elet (Budapest). 1 1 . evf.
A NIX. nemzetközi bekekongresszus. — usw.
Artikel - Rundschau.
Von Carl Ludwig Siemering.
Am 28. Januar meldete der Pariser
„Temps" aus London, die finanzielle Lage
Bulgariens stehe nicht zum testen, und ge-
bieterisch zeige sich die Notwendigkeit, die
Leute zur Aussaat auf die Felder zurück-
zusenden, wenn eine furchtbare wirt-
schaftliche Krisis vermieden werden
solle. Großer Joh. von Bloch — das alles hast
du vorausgesagt ! In einer Note der offiziösen
Petersburger ,,R o s s i j a" vom 26. Januar heißt
es, die russische Regierung verfolge, ebenso wie
gana Europa, einmütig das Ziel, diesem Krieg
ein Ende zu machen. Ein ähnlicher Gedanke
wird in der Wochenrundschau der „Nord d.
77
DIE FRIEDEN5-^/ADTE
3
Allg. Ztg." vom 2. Februar ausgesprochen,
und nach einem Privattelegramm der „Münch.
N. N." aus Wien vom 11. Januar hat Zar
Nikolaus sich entrüstet über die Kriegs-
treibereien russischer Blätter ausgesprochen ;
sein Entschluß, den Krieg zu vermeiden, sei
nicht wankend zu machen. Leider sind auch
unsern Nationalistenblättern solche Kriegs-
treibereien nicht fremd. In einer Zuschrift an
die Königsberger ,,0stpr. Zeitg." vom
21. Dezember wird kurz und bündig verlangt,
man solle „rechnen, wieviel Feindesland (!)
zur Arrondierung unserer Grenzen nötig sei",
und später heißt es : „Wie würde ein frischer,
freier Krieg hier aufräumen ; von den
Hundertzehn im Reichstage würden nicht viele
übrig bleiben!" — Die „L e i p z. N. N." wenden
sich am Neujahrstage gegen „jenen seltsamen
politischen Altruismus, an dem wir, die Epi-
gonen Bismarcks, leiden", und in der „Kreuz-
zeitung" vom 1. Januar wünscht Theodor
Sc hiemann, das neue Jahr möge der Welt
aus dem faulen Frieden, in dem sie lebt,
zu einem gesunden Frieden verhelfen. Ganz
unsere Meinung — nur daß wir und Th. Seh.
unter diesen Worten ganz etwas Verschiedenes
verstehen! In Nr. 18 der „Nati o nal- Z t g."
wendet sich J. H. Zimmermann, M. d. R.,
gegen die „unnütze Kriegsfurcht" und legt ein-
gehend dar, eine deutsch-russische Verständi-
gung wäre „kein Ding der Unmöglichkeit, zumal
jetzt, da die Erinnerung an die glorreiche
Waffenbrüderschaft vor 100 Jahren wieder
lebendig wird." (Vgl. auch die York- Feier
von Tauroggen und Tilsit, am 31. Dezember.)
Der geistvolle Franzose Andre Tardieu darf
in der „V ossischen Zt g." vom 13. Januar,
die den Weltkrieg für einen Wahnsinn erklärt,
seinen Unglauben an einen europäischen Krieg
bekennen, und ein zweiter berühmter Franzose,
Jean Richepin, erklärte am 5. Januar dem
Vertreter des „Berl. Tagebl.", G. Hochstetter:
„Keinen Krieg darf uns die Zukunft bescheren
— die , Ve reinigung aller Staaten
Europas' die muß sie uns bringen." Diese
Hoffnung wird zum mindesten nicht enttäuscht
durch die am 17. Januar erfolgte Wahl
Poincares zum Präsidenten der französischen
Republik. Das „W iener Fremdenb 1." hebt
bei Besprechung der Wahl seine Verdienste als
eifriger Förderer des Friedens hervor.
Alle Bestrebungen, die darauf abzielten, die
Solidarität der Mächte zu festigen und auch
in Zeiten der Gefahr einen Weg zur Verständi-
gung offen zu halten, hätten an ihm eine
kräftige Stütze gefunden. — „Petit
Parisien" sagt: „Die Bedeutung der Wahl
läßt sich in den Worten ausdrücken: Demo-
kratischer Fortschritt und vernünftige Ent-
wicklung einer Politik der Ehre und des
Friedens", und die „Frankf. Ztg." vom
18. Januar erinnert an die freundlichen Worte,
die Poincare am 16. Juni 1912 mit Bezug auf
den Marokkovertrag gesprochen habe, der „uns
gestatten wird, zwischen der großen benach-
barten Nation und Frankreich in aufrichtig
friedlichem Geiste Beziehungen der Höflichkeit
und Freimütigkeit zu unterhalten, die durch
die gegenseitige Beachtung ihrer Interessen
und ihrer Würde beseelt sind".
*
Eine neue Heeresverstärkung steh t
bevor ; der „Berl. Lokal-Anz." behauptete
am 22. Januar in einem sensationellen Artikel
„Die Forderungen der Armee", daß alle diplo
matischen Künste den Ausbruch eines Welt-
krieges aufhalten, aber niemals verhindern
könnten" — ein Standpunkt, würdig der
„Rhein.-Westfäl. Ztg." oder der „P o s t", die
am 24. Januar jene Stellen angreift, „die von
einem unglaublichen Frieden sw ahne
befangen sind". Natürlich fehlt auch wiederum
nicht der gute, alte Generalmajor a. D. Keim,
der im „Tag" vom 8. Januar („Wehrfragen und
Auswärtiges") für Deutschland „eine Art von
Gewaltmenschen" reklamiert oder „wenigstens
einen Mann, der auch vor Lösung gewaltiger
Aufgaben nicht zurückschreckt ..." — Das
Zentrum wird auch hierbei wieder im Reichs-
tage den Ausschlag geben. Zwar findet die
„Köln. Volks ztg." vom 24. Januar sehr
kräftige Worte gegen den wankelmütigen Kriegs -
minister, der seine eigenen Darlegungen von
1912 ganz munter desavouiere, und stellt den
Grundsatz auf: „Ohne Deckung keine neue
Militärvorlage", aber sicher wird die katholische
„Kölner Korresp." vom 28. Januar recht
behalten, die die Taktik des Zentrums gleich-
sam als Schwank in 4 Akten wie folgt schil-
dert: I. Akt: Entrüstete Ablehnung der Vor-
lage ; II. Akt : Einlenkung angesichts der
kritischen Lage, aber : mangelnde Deckung !
III. Akt: Wir dürfen der Regierung die not-
wendigen Mittel nicht vorenthalten. Aber: die
oberen Hunderttausend, nicht die Volksmassen,
sollen die neuen Lasten aufbringen; IV. Akt:
Glatte Annahme des Gesetzes und Ver-
teilung der Lasten auf Reich und Arm; ein
paar kleine Abstriche als Blendwerk für die
Wähler. — Echte Zentrumsdiplomatie !
„Giornale d'Italia" vom 7. Januar
kommt auf des neuen Staatssekretärs Jagow
Verhalten bei der Annexion von Tripolis zurück
und erklärt es als Jagows Verdienst, wenn die
Reichsregierung Marschall abberief, dem Frei-
herrn v. d. Goltz „den Maulkorb anlegte" (!)
und die italienfeindliche Presse zum Schweigen
brachte (!!). Es geht doch nichts über eine
schöne Unverfrorenheit! — Die alldeutsche
„Tägl. Rundschau" zieht in einer Zu-
schrift vom 8. Januar gegen die „nationale
Knochenerweichung" zu Felde, die vom
„Illustr. Briefmarken-Journal" dadurch erzielt
werde, daß es von „unberechtigter Deutsch-
tümelei" spricht, wenn man die Frage, ob
„deutsche oder lateinische Buchstaben", zu
einer Frage des Deutschtums machen
wolle. Die Rundschau spricht u. a. von der
„Dreistigkeit des internationalen Geschäftes"
und bringt damit einen häßlichen Gassenton
in die Debatte. — Im Pariser „Theater Rejane"
wurde unlängst ein Stück „A Isace" auf-
geführt, das, wie die ,,B. Z." vom 9. Januar
aus Paris erfährt, eine zurechtgestutzte
Deutschenhetze betreibt. — Einem anderen
Hetzer, dem Reichstagsabg. Wetterle, wird
von der „Nordd. Allg. Ztg." (18. Januar)
bescheinigt, daß er „ein frevles Spiel mit dem
Frieden zweier Nationen" treibe. — Ein Auf-
satz im „Hamb. Fremdenbl." vom
23. Januar, betitelt „Britischer Imperialismus",
kommt zu dem Schlüsse, daß sich für Eng-
land immer unabwendbarer die Notwendigkeit
ergebe, „nicht nur einen Ausgleich der Inter-
78
<Ö=
DIE FRIEDENS -WARTE
essen zur Vermeidung kriegerischer Konflikte,
sondern eine ehrliche Verständigung mit stamm-
verwandten Völkern zu suchen". — Im „Tag"
vom 23. Januar tritt Professor Dr. Wygod-
z i n s k i - Bonn („Europäische Menschen-
ökonomie") dafür ein, daß die verschiedenen
europäischen Organisationen für Arbeits-
nachweis sich zu einer gemeinsamen Be-
kämpfung der überseeischen Auswanderung zu-
sammenfinden, gemäß einem Vorschlag der
„Deutschen Arbeiterzentrale". — Die „Leipz.
N. N." vom 26. Januar haben einen „sozial-
demokratisch organisierten (ungenannten)
Arbeiter" entdeckt, der, indem er persönliche
Erfahrungen verallgemeinert, den Parteiführern
anrät, sie möchten aufhören, „mit fremden
Völkerschaften zu liebäugeln". Dieser Muster-
„ Sozialist" paßt vortrefflich in das Milieu der
„Leipz. N. N." ! — Im „B e r 1. Lokal-An z."
vom 23. Januar erörtert Dorothee
Goebeler das Thema „Die Frauen und der
Krieg" ; sie meint, Säbel und Gewehr gehörten
in die Hände unserer Jungen — nicht als
blutiges Werkzeug des Krieges, sondern „als
die Waffe, die in des Mannes Händen einmal
dem Schutz des Friedens dienen soll".
Was für eine Art von „Frieden" hier gemeint
ist, wird dem Kundigen sofort klar. Die beste
indirekte Widerlegung findet die Autorin in
„Kinderlan d", Monatsbeilage (Februar) zu
,,Eth. Kultur", worin ein kleiner Artikel „Friede
auf Erden" die Frage aufwirft: „Gibt es gar
keine anderen Mittel, Kinder glücklich zu
machen, als ihnen Vernichtungswerkzeuge zu
schenken? . . . Ist das die sogenannte „auf-
bauende Kultur" ?
In der in München erscheinenden Zeit-
schrift „Kain" (Herausgeber: Erich Müh-
sam) finden wir einige Artikel, die sich mit
dem Friedensproblem befassen. In Nr. 8 vom
November 1912 „Für den Frieden" richtet der
Herausgeber in bitterem Ernst scharfe Mahn-
worte an die Gesellschaft zur Verhütung eines
Weltkrieges. In Nr. 10 vom Januar 1913 „Das
Weltparlament" entwickelt er ein dilettantisches
Projekt zur Kriegsvermeidung, zeigt sich aber
auch hier als ein folgerichtiger Kriegshasser.
„Eine Diskussion über die Berechtigung des
Krieges ist unmöglich. Wir Friedensfreunde
wissen, daß der Krieg so entsetzlich ist, daß
er nicht mehr sein darf." — In der „Christ-
lichen Welt (Nr. 4) bespricht Friedrich
C u r t i u s „Das Werk vom Haag" in äußerst
sympathischer Weise. Er schließt seinen Auf-
satz mit den Worten: „Der Fortschritt poli-
tischer Kultur, den die Entwicklung des Völker-
rechts vollziehen soll, an dem wir auch als
Menschen und Christen interessiert sind, be-
steht gerade darin, daß die Staaten dahin ge-
führt werden, nicht einer höheren Gewalt, son-
dern einer Idee zu huldigen." — In einem
Artikel „Ueber den Einfluß des Balkankrieges
auf die Frequenz der Volkshochschule" weist
Dr. Oscar Stillich („D ie Volkshoch -
schul e", Heft 1) die bemerkenswerte Tat-
sache nach, daß der Besuch der Berliner Volks-
hochschulen im letzten Quartal 1912 bedeutend
zurückgegangen ist. Die Humboldt-Akademie
allein hat in jenem Quartal 1200 Hörer weniger
gehabt als im gleichen Abschnitt des Vor-
jahres. Die Schuld wird der politischen Un-
sicherheit zugeschrieben und dabei der Aus-
spruch eines Kaufmanns zitiert, der sagte: „Ich
werde doch jetzt nicht Vorlesungen hören, wo
ich nicht weiß, ob morgen der Krieg auf uns
übergreift." — In der Wiener „Wage", die
von dem fortschrittlichen Reichsratsabgeord-
neten E. V. Zenker redigiert wird, findet
ein Artikel Platz, der „ein Arbeitsfeld für die
Pazifisten" vorschlägt. Der Verfasser jenes
Artikels rät uns, „aus dem Gespinst unserer
Theorie, die ja doch nimmermehr Wirklichkeit
werden kann", uns zu entwirren und — — na
sagen wir, für die Herstellung der bereits im
Jahre 1864 hergestellten Genfer Konvention
einzutreten, von deren Errichtung ihm nichts
bekannt zu sein scheint, ebensowenig wie von
der erwiesenen Unmöglichkeit, den Krieg zu
humanisieren. — Die sonderbaren Ausführungen
Dr. Maurenbrechers über „Die Demo-
kratie und der Krieg", die im ersten Januarheft
des „F reien Worte s" erschienen, sucht
der Herausgeber der „Friedens-Warte'' im ersten
Februarheft jener Zeitschrift zu widerlegen.
Artikel. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
(Bibliographie.) I. Friedens-
bewegung im allgemeinen: Carl
H ü 1 1 e r , Weltbürgertum und Vaterlandsliebe.
„Die Leuchte." (Lennep.) Nr. 2. * Ein Brief
von Andrew Carnegie. „Münch. Neueste Nach-
richten." 22. I., „Neue Badische Landeszeitung."
23. I., „Metzer Ztg." 23. L, „Braunschweig.
Landesztg." 23. I. * Dr. Hans Wehberg, Die
Friedensbewegung im Jahre 1912. „Eth. Kultur"
IL * Nationale, berufliche und gemeinnützige
Bestrebungen und ihre Förderung durch die
deutschen Hochschulen, durch Studierende und
Studierte. „Hochschul-Nachrichten." (München.)
Nr. 2. * Alfred H. Fried, Die Demokratie
und der Krieg. „Das Freie Wort." Nr. 21. *
Prof. Martin Spahn, Der Friedens-
gedanke in der Entwickhing des deutschen
Volkes. „Deutsche Revue." II. * D. J. von
F e r e n c z y , Krieg dem Kriege. „Nord und
Süd." IL * Dr. C. J a e c k h , Weitere Zeug-
nisse für die Balkangreuel. „Frankfurter Ztg."
23. I. * Friedrich v. Vincenz, Was ein
Schlachtfeld erzählt. „Frankfurter Ztg." 1. IL
* (Jordan), Der Friedensgedanke. „Deutsch-
Oesterreichische Lehrerzeitung." 15. I. * Karl
Leuthner, Der Krieg als eine moralische
Anstalt betrachtet. „Soc. Monatshefte." 16. I.
* Leop. Katscher, Eine tatkräftige Frie-
densfreundin (Anna B. Eckstein). „Berliner
Tageblatt." 10. I. * (Prof. L. Quidde), Ein
Vorschlag zum Frieden. „Frankfurter Ztg."
28. I. * Georg K o s s a k , Aus dem Arsenal
der Friedensbewegung. „Kgsbg. Hartungsche
Zeitung." 26. I. * Die Katholiken und der
internationale Friedensgedanke. „Badischer Be-
obachter." 12. 1. * „Hart am Weltkrieg." „Mün-
chener Neueste Nachrichten." 23. I. * Doro-
thee Goebeler, Die Frauen und der Krieg.
„Berliner Lokal- Anzeiger." 23. I. * Friedrich
Braumann,- Der Antimilitarismus. ,,Der
Tag." 22. I. * Emil Tanderveide, Wieso
ist die internationale Arbeiterpartei die einzige
unbeugsame Friedenspartei? „Dokumente des
Fortschritts." I. * (0. Umfrid), Hyper-
nationalismus oder Chauvinismus in akademi-
schen Kreisen. „Der Beobachter-." 28. I. *
Pfarrer Wagner (Neuhengstett), Kirche und
Friedensbewegung. „Der Beobachter." 27., 28.
79
DIE FßlEDENS-^VAßTE
3
u. 31. XII., 2., 3., 4. u. 7. I. * : Edwin I>.
M ead, Peace Prizes. „Boston Dailv Advertiser."
19. XII.
II. Die internationale Politik:
Lord Cour tone y of Penwith, Nationen
und Nachbarn. „Nord und Süd." II. * G. H.
Perris, Mehr Licht über die Agadirkri'sis.
„Nord und Süd." IL *' Prof. Dr. Ernst S i e p e r.
Die deutsch-englische Verständigungskonferenz,
II. u. III. „Nord und Süd." IL * Ders., Die
deutsch-englische Verständigungskonferenz. „Der
Vortrupp." Nr. 2 u. 3. * H. lemau, Zur
Geschichte der Demokratie in Frankreich. „Das
monistische Jahrhundert." Nr. 20 u. 21. *
Ders., Diplomatie und Wirklichkeit. „Janus."
(München.) Heft 8. * Ernst Bassermann,
Der deutsche diplomatische Dienst und seine
Reform. „Königsberger Allgemeine Ztg." 17. L,
„Dortmunder Zeitung." 17. I. * Neue Doku-
mente zur politischen Geschichte. „Berliner
Tageblatt," 2. IL * A 1 f r e d H. F r i e d , Sturm-
zentrum, Oesterreich. „Dokumente des Fort-
schritts." I. * A. Thardieu, Ist ein europä-
ischer Krieg zu befürchten? „März." 11. I.
III. Volk e rrec h t : D r. KarlStrupp,
Der Friede zu Lausanne. „Allgemeine Zeitung."
25. I. * W. K 1 o h s, Die Ratifikation des Haager
Abkommens vom 18. X. „Weser-Zeitung." 22. L,
„General-Anzeiger." (Mannheim.) 21. I.
V. Wirtschaftliches: Dr. Franz
Lederlmann, Der Krieg als Kultur- und
Wirtschaftsereignis. „Nord und Süd." IL *
Vom Krieg und Kapitalismus, L „Dresdener
Volkszeitung." 7. I. * A r k a d i A w e r -
tschenko, Rüstungs Wahnsinn. „Der Frei-
denker." (München.) 15. I. * Heinrich
Dove, Die weltwirtschaftlichen Beziehungen
als Element der Kriegs- und Friedenspolitik.
„Neue badische Landes-Zeitung." 17. L, „Neue
Straßburger Zeitung." 21. L, „Berliner Börsen-
Courier." 17. I.
SMITTEILV/NGEN DEBS
FRIEDENSGESELLSCHÄFTEN
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Sohriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
Oesterreichische Friedensgesellschaft.
Bureau: Wien I, Spiegelgasse 4.
Vortrag Baronin Suttner. Zu-
gunsten unserer Gesellschaft hielt Baronin
von Suttner am 27. v. M. im Beethovensaale
einen Vortrag über „Erlebnisse und Eindrücke
aus Amerika". Dem Vortrag, der über zwei
Stunden währte, lauschte ein überaus zahl-
reiches Publikum, welches der Baronin zum
Schlüsse stürmisch zujubelte.
Einer Einladung des Prager Journalisten-
vereins „Concordia" folgend, sprach Baronin
Suttner am 6. d. M. in Prag, femer am 10.
in Dresden, schließlich am 17. und 19. in der
..Urania" in Berlin.
In der am 14. v. M. abgehaltenen Vor-
standssitzung wurde folgende Resolution be-
schlossen :
„Die vom ehemaligen rumänischen Minister-
präsidenten Karp an die „Neue Freie Presse"
gerichtete, im Morgenblatt des 14. v. M. ver-
öffentlichte Depesche, des Inhaltes, „daß die
rumänisch-bulgarische Streitfrage nicht anders
als durch das Schwert gelöst werden könne,
daß jede andere Methode mehr Zeit, mehr Geld
und mehr Menschen kosten würde und daß,
wenn man Rumänien helfen will, dies nicht
auf friedlichem Wege geschehen könne", ver-
anlaßt die österreichische Friedensgesellschaft
zu nachstehender Erklärung:
Die Behauptung, daß es Konflikte gibt, die
nur durch Anwendung von Gewalt zu schlichten
seien, und daß diese schon aus Sparsamkeits-
und Hunianitätsrücksichten jeder friedlichen
Methode vorzuziehen sind, kann in einem Zeit-
alter nicht mehr als Dogma hingestellt werden, in
dem die Tendenz (die ja das Kriterium der
fortschreitenden Kultur ist), das Recht an Stelle
der Gewalt zu setzen, in offiziellen Einrich-
tungen, Haager Tribunal, Schiedsverträge, Inter-
parlamentarische Union, Vermittlung usw.,
schon begonnen hat, feste Formen anzunehmen.
In der 1899 im Haag von 26 Staaten unter-
zeichneten Konvention heißt es in Titel I, daß
„die S i g n a t a r mächte sich ver-
pflichten, alle ihre Bemühungen
anzuwenden, um die Schlichtung-
internationaler Streitigkeiten
durch friedliche Mittel herbei-
zuführe n." Siehe ferner Titel III : Ueber
internationale Unter such ungskom-
missio n e n.
Eine Ignorierung dieser Errungenschaften,
denen wir tatsächlich schon die Verhütung von
Kriegen zu danken haben, ist nicht mehr am
Platze, besonders nicht, wenn die Gefahr vor-
liegt, wegen territorialer Ansprüche einzelner
Länder den ganzen Erdteil in Brand zu setzen.
Es soll hier nicht versucht werden, die
Berechtigung der schon im Gang befindlichen
Bewegung zur rechtlichen Organisation der
täglich durch weitverzweigte Interessengemein-
schaft solidarischer werdenden AVeit durch
Argumente zu stützen. Schon zeigt sich in
Umrissen ein einig wollendes und handelndes
Europa. Auch soll nicht versucht werden, die
offenbar noch sehr stark vertretene kriegerische
Weltanschauung kritisch zu widerlegen ; die
gegenwärtige Erklärung bedeutet nur die Er-
füllung der jedem für allgemeine hohe Zwecke
kämpfenden Vereine zufallenden Pflicht, jeder-
zeit und namentlich in schicksalsschweren
Stunden, den eigenen Standpunkt zu vertreten,
und die schon erreichten . und noch zu er-
reichenden Ziele der Mitwelt ins Gedächtnis
zu rufen."
Diese Resolution wurde an die Tagespresse
in Oesterreich, sowie auch ins Ausland ge-
sendet und wurde von vielen Journalen ver-
öffentlicht. Auf Veranlassung der „Mirova
Jednota" in Brunn wurde die Resolution auch
in mehreren tschechischen Zeitungen zum Ab-
drucke gebracht.
M
Vortragszyklus. Wie alljährlich wird
auch heuer ein acht Abende umfassender Vor-
tragszyklus in der Wiener Universität ab-
gehalten werden. Das Programm hiefür werden
wir in der nächsten Nummer veröffentlichen.
Verntwortlicher Redakteur: Carl A ppold, Berlin W. 50. — Im Selbstverlag des Herausgebers Alfred H. Fried, Wien IX/2.
Druck: Pass& Garleb G.m.b.H., Berlin W 57. — Verantwortl. Rnriaktaur ffir Oasterrßicb Unsrarn • Vi nzenn Jerahnk inWiw.
80
März 1913.
lieber uns die Sintflut.
Fast hat es den Anschein, als ob es nun
bald z.u Ende gehen müsse mit dem Irrtum des
Ueberrüstens. Die neue Rüstungswelle, die
über Europa eben hereinbricht, läßt näm-
lich keine andere auf Vernunft begründete
Annahme zu. Mit Ausnahme von Deutsch-
land und England scheinen alle anderen
Staaten an der Grenze ihrer Leistungsfähig-
keit angelangt zu sein. Deutschland hat mit
der bloßen Ankündigung der geplanten
Heer es Vermehrung den Ton angegeben,
Frankreich, Rußland, Oesterreich-Ungarn
haben sofort Maßnahmen ergriffen, um dem
Beispiel zu folgen. Italien wird nicht lange
auf sich warten lassen, und wer weiß, ob
diese neueste Phase des Rüstungswahnsinns
nicht auch den Anhängern einer allgemeinen
Wehrpflicht in England zum Erfolg ver-
helfen wird. Vorläufig zeigt sich dort das
Rüstungsfieber in Form eines Luftflotten-
paroxysmus. Aber nicht nur die Großmächte
wurden von der Rüstungspanik erfaßt; die
Kleinstaaten können sich ihrer auch nicht
mehr erwehren, wie das Beispiel Belgiens
zeigt, das bereits eine neue Heeresverstär-
kung angekündigt hat. Die Balkanstaaten
werden nach erfolgtem Friedensschluß nicht
umhin können, ebenfalls ihren Rüstungs-
panzer zu verstärken, und so sehen wir denn
das ganze alte Europa von einem ungeheuren
Verfolgungswahn getrieben, die schiefe
Ebene in einem immer beschleunigteren Lauf
hinunterrasen.
[Was ist die Ursache dieser erneuten
Flut, die alles übertrifft, was die jetzige
Generation nach dieser Richtung schon er-
lebt hat. Deutschland, das mit der Ankün-
digung der Erhöhung seiner Heeresmacht
zuerst hervorgetreten ist, wird deshalb als
der Urheber der neuen Rüstungen angesehen.
tWas meinem Ermessen nach nicht richtig
ist. Erstens bedingt die ."Widersinnigkeit
des modernen Rüstungswesens, daß es keinen
einzelnen Urheber dafür gibt, sondern die
Gesamtheit der im .Wettbewerb befindlichen
Staaten sich gegenseitig schiebt. .Wenn
Deutschland in diesem Augenblick der sicht-
bar schiebende Staat ist, so unterliegt es
keinem Zweifel, daß auch auf das Reich
Kräfte eingewirkt haben, die es in seinen
Handlungen bestimmten, die nur nicht so
offen erkennbar sind. Die „Norddeutsche
Allgemeine Zeitung", die in ihrer Nummer
vom 1. März e^nen offiziösen Kommentar zu
der noch ausstehenden Heeresvorlage gibt,
führt den „Umschwung der Verhältnisse im
Südosten Europas" als Grund an. Das dürfte
auch sicherlich der zunächstliegende Beweg-
grund sein, aber beileibe nicht der letzte
Grund dieser europäischen Krankheit. Ohne
bis auf diesen selbst zurückzugehen — es
würde uns dies hier zu weit führen, den un-
geheuren Komplex der europäischen Sünden
klarzulegen — , können wir doch die Ursache
über jenen „Umschwung der Verhältnisse im
Südosten Europas" hinaus verfolgen. Und da
führt uns der gerade Weg zu jenem verhäng-
nisvollen Schritt des Grafen Aehrenthal, der
durch die Umtaufe des Besitzes Oesterreich-
Ungarns an Bosnien und der Herzegowina
ein Steinchen aus dem Berliner Vertrag löste,
der 30 Jahre lang die Ordnung auf dem Bal-
kan — wenn auch mehr schlecht als recht —
aufrecht erhielt, wodurch das ganze darauf
errichtete Gebäude ins Wanken geriet. Diese
Titeländerung führte zur Selbständig-
machung Bulgariens, zu demRaub von Tripolis
und zuletzt zu jener Auflehnung der Balkan-
staaten, die noch nicht abgeschlossen ist.
Diese Veränderung des bisherigen Zustandes
am Balkan hat die latenten Gegensätze
zwischen den europäischen Staaten akut zu-
gespitzt und der Niederschlag der Erregun-
gen und Aengste zeigt sich — nicht erst
jetzt, sondern schon seit 1908 — in einer er-
neuten krampfhaften Anspannung der
Rüstungen.
Wir Pazifisten sollten nicht unter-
81
DIE FRIEDENS -WARTE
=9
lassen, auf den Ausgangspunkt der neuen
Milliardenopfer, die Europa jetzt bringen
muß, immer wieder hinzuweisen, um der
Oeffentlichkeit den hohen materiellen Wert
der internationalen Verträge deutlich vor
Augen zu führen. JVir sollten es nicht unter-
lassen, allen, die an der neuen Bürde schwer
zu tragen haben werden, in Mark und Pfenni-
gen vorzurechnen, wie wertvoll der
Berliner Vertrag gewesen ist, und
wie sehr es im Interesse der ganzen europäi-
schen Menschheit gelegen hätte, ihn nicht
nur zu erhalten, sondern ihn auch ehrlich
durchzuführen (was bekanntlich durch eine
kurzsichtige Politik der europäischen Mächte
verhindert wurde) und welch große materielle
Bedeutung daher eine Politik der Verständi-
gung und der festbegründeten Verträge be-
sitzt. Vielleicht wird sich dann doch in
weiteren Kreisen die Erkenntnis durch-
ringen, daß es nicht heißen darf ,,si vis
pacem para bellum", sondern vielmehr ,,si
vis pacem para pactum".
Selbstverständlich ist — wie bereits er-
wähnt — die Verletzung des Berliner Ver-
trages nur die unmittelbare, nicht die mittel-
bare Ursache des krankhaften Rüstungs-
wettstreites, dem vielleicht noch weiter
zurückliegende Ursachen und weitere Trieb-
kräfte der Gegenwart und Vergangenheit zu-
grunde liegen. Aber immerhin ist es wichtig,
darauf hinzuweisen, daß nicht einzelne
Staaten die Alleinschuldigen sind, sondern
die Gesamtheit der führenden Mächte und
ihr gesellschaftswidriges Verhalten. Jeder
Staat ist Bedroher und Bedrohter der an-
deren und wird in seinen Handlungen von
diesen ebenso beeinflußt, wie er die anderen
beeinflußt, 4Wird man sich dessen klar, so
reinigt man nicht nur die politische Atmo-
sphäre von Gegensätzlichkeiten und Haß-
empfindungen, die das Uebel, das man be-
kämpfen will, nur noch mejhr verschärfen,
man lenkt auch die öffentliche Aufmerksam-
keit gerade auf jenen wichtigen Punkt hin,
bei dem eingesetzt werden muß, wenn man
zu einer Erlösung von jenem unerträglichen
Uebel kommen will. Indem man den Dolus
der Gesamtheit nachweist, zeigt man, daß
nur eine Aktion der Gesamtheit die ersehnte
Aenderung des Zustandes herbeiführen kann.
Indem man zeigt, wie die Staaten bei ihren
Rüstungen voneinander abhängig sind,
nimmt man dem einzigen Mittel, das eine
Aenderung herbeiführen kann, nämlich dem
Mittel des zwischenstaatlichen Vertrages,
den herbsten Stachel ; weil der Vorwurf, daß
jeder. Staat seine Rüstungen unabhängig
von den anderen nach seinen eigenen Bedürf-
nissen bestimmt, und es deshalb mit seinem
Souveränitätsbegriff • nicht vereinbaren
könne, sich durch einen Vertrag darüber in
eine Abhängigkeit gegenüber den anderen
zu begeben, damit in sich selbst zusammen-
fällt. Der schrankenlose Rüstungswetthe-
werb beruht auf der gegenseitigen Abhängig-
keit der Staaten voneinander; es ist die ver-
tragslose Abhängigkeit. Die Befreiung von
diesem Zustande wird nur erreicht werden
durch die vertragsgemäße Abhängigkeit.
Die Möglichkeiten eines Rüstungsab-
kommens können ja heute nicht mehr so
leicht von der Hand gewiesen werden, wie
es noch vor einiger Zeit geschah. Seitdem
die englische und deutsche Regierung an
die Erörterung eines gegenseitigen Rüstungs-
verhältnisses geschritten sind, fängt der
Gedanke an, auch jenen Kreisen diskutier-
bar zu erscheinen, die ihn bisher ablehnten.
Und neuerdings dürfte die Verabredung
Oesterreich-Ungarns und Rußlands bezüg-
lich der Demobilisierung der galizischen
Grenze, wobei genau das Verhältnis der Kom-
pagniestärke bestimmt und auch sonstige
Einzelheiten verabredet werden sollen, als
ein Fortschritt der Idee einer vertragsmäßi-
gen Rüstungsentlastung gelten.
,^Wie die Dinge heute liegen, hat es sogar
den Anschein, daß das Problem der vertrags-
mäßigen Rüstungsbeschränkung auf der
nächsten Haager Konferenz diskutabel er-
scheinen wird. Nicht daß wir uns der Hoff-
nung hingeben, es könnte dort schon zu einer
Lösung kommen ; doch weisen die gegen 1907
veränderten Verhältnisse darauf hin, daß
man eine Erörterung nicht mehr fürchten
wird, und mit dieser wenigstens zu dem An-
fang einer Lösung kommen könnte. Es ist
anzunehmen, daß sich diesmal die Reichs-
regierung einer solchen Erörterung nicht
widersetzen wird.
Denn es unterliegt ja keinem Zweifel,
daß das Problem in den letzten Jahren —
sagen wir: „exklusiver" geworden ist
(populär war es ja schon lange). Es sind
heute nicht nur die breiten Volksklassen,
die dafür eintreten, sondern auch die höheren
der Regierung nahestehenden Gesellschafts-
schichten haben dafür Verständnis bekom-
men, und werden immer mehr darauf hin-
gewiesen werden, sich mit dem Problem zu
befassen. Namentlich in Deutschland und
Frankreich, wo jetzt auch die besitzenden
Klassen in fühlbare Mitleidenschaft gezogen
werden. In Deutschland durch den freudigst
zu begrüßenden Gedanken einer Vermögens-
82
<§=
3 DIE FRIEDENS WABTE
abgäbe, in Frankreich durch die ausnahms-
los allen Bevölkerungsklassen auferlegte
Last der dreijährigen Dienstzeit. Das sind
Tatsachen, die eine allmähliche Umkehr als
wahrscheinlich erscheinen lassen.
Freilich; eine gründliche Wandlung
steht noch weit im Felde, was uns nicht hin-
dern soll, auch den guten Willen, die sicht-
bar wahrzunehmenden Anfänge einer Aende-
rung als Fortschritt freudigst zu begrüßen.
Wir Pazifisten haben uns über die 'Schwierig-
keiten des Problems niemals einer Täuschung
hingegeben, und haben stets die Lehre ver-
kündet, daß die Rüstungen die Symptome
der internationalen Anarchie sind, die mit
der allmählichen Beseitigung ihrer Ursachen
allmählich zurückgehen werden. Aber wir
täuschen uns auch darüber nicht, daß der
heutige Stand des Büstungsunwesens in den
Verhältnissen nicht mehr völlig begründet
erscheint, daß die Ursachen für jenen Grad
der Kräfteanspannung, den wir beklagen,
in dem Maße gar nicht mehr gegeben sind,
und hier nur das Gesetz der geistigen Träg-
heit noch nachwirkt. Es bedarf einer Auf-
rüttelung der Geister, um die Erkenntnis
herbeizuführen, daß wir — obwohl wir die
volle zwischenstaatliche Organisation noch
nicht erreicht haben — die völlige Anarchie
doch auch schon überwunden haben, und aus
den entwickelteren internationalen Verhält-
nissen auch bereits Vorteile ziehen könnten.
Diese Aufrüttelung der Geister wird sich
um so eher vollziehen, als es gelingt, die
hohen Vorteile klarzumachen, die in einer
Entlastung der .Wirtschaft durch Ermäßi-
gung des Rüstungswettbewerbs liegt, ohne
daß die einzelnen Staaten dabei Gefahr
laufen, ihre Sicherheit nur um einen Grad
zu vermindern.
Um nun zu den ersten Etappen einer
Verminderung des Uebels zu gelangen, wird
vor allen Dingen eine psychische Umwand-
lung der heute in der hohen Politik markt-
gängigen Grundsätze vonnöten sein. Wie
die Gesellschaft im Innern des Staates heute
ohne soziales Empfinden ihrer Aufgabe nicht
mehr gerecht werden kann, so kann auch
die Staatengesellschaft ohne dieses soziale
Empfinden nicht auskommen. Deutschland,
und im beschränkten Sinne auch England,
haben hier ein nobile officium zu erfüllen.
Diese an Menschen und Gütern reichsten
Staaten werden, wenn es zu einem europäi-
schen Vertrags Verhältnis kommen soll, ihren
unbegrenzten Egoismus in eine wohlverstan-
dene Rücksichtnahme auf das ärmere Europa
ummodeln müssen. Ich meine damit nicht,
daß Deutschland etwa aus Liebenswürdig-
keit anderen Staaten einen Vorsprung ge-
währen soll, sondern nur, daß es sich bereit
zu erklären hätte, nicht seine ganze Macht
als Triebkraft des Wettbewerbes in die Wag-
schale zu werfen, unter der Voraussetzung,
daß die anderen Staaten sich zu Aequiva*
lenten verpflichten. Ich nannte dies an
anderer Stelle „Umtausch eigener Macht in
fremde Pflichten". Wenn Deutschland, in-
folge seines Menschenreichtums und seiner
hohen wirtschaftlichen Entwicklung den
heutigen Rüstungswettbewerb auch leichter
ertragen kann als Frankreich, Oesterreich-
Ungarn, Russland, so kann es, ohne seine
Sicherheit nur im geringsten zu gefährden,
durch eine weise Selbsteinschränkung doch
nur Vorteile einheimsen. Es kann nur ge-
winnen, wenn es seine Nachbarn nicht zum
Weißbluten bringt. Es kann nur gestärkt
werden, wenn sein Bundesgenosse Oester-
reich-Ungarn nicht zu Rüstungen gezwungen
[wird, die das wenig begüterte Land so
schwächen, daß seine Bündniskraft trotz er-
höhter Rüstung leiden muß; es kann nur
gestärkt werden, wenn Frankreich durch die
Aufbietung des letzten Mannes nicht in einen
gefährlichen Chauvinismus hineingetrieben
wird.
Deutschland ist nicht der Urheber des
Wettrüstens, es ist aber, dank seiner wirt-
schaftlichen und numerischen Ueberlegenbeit
seiner Bevölkerung, in der Lage, eine ver-
tragsmäßige Verminderung des verderb-
lichen Wettlaufes zu inaugurieren. Damit
obliegt ihm eine hohe Pflicht und eine
schwere Verantwortung vor der Geschichte.
Denn so viel steht fest: es kann nicht mehr
so weiter gehen. Und wenn nicht bald dem
verderblichen Spiel blinder Gewalten durch
Verstandeseingriffe Einhalt getan wird,
dann können wir uns nicht einmal mehr
den frivolen Trost eines „Nach uns die Sint-
flut" leisten, sondern müssen sehenden Auges
die Sintflut über uns hereinbrechen lassen.
A. H. F.
Die Politik Deutschlands
während des Balkankrieges.
Von Richard Gädke,
früher Oberst und Regimentskommandeur.
Unleugbar war die politische Lage zu
Beginn des Balkankrieges für Deutschland
eine sehr schwierige. Wenn dem Scharfblick
der Diplomatie das Bündnis der Balkanstaaten
und ihre Kriegsrüstungen vielleicht nicht
entgangen waren, so . war man doch
jedenfalls durch den raschen Ausbruch
83
DIE FßlEDEN5-^&BTE
m
des Gewitters; erheblich überrumpelt
worden und hatte die türkischen Staats-
männer in den eigenen Irrtum mit hineinge-
zogen. Die Drohung der Großmächte, daß
sie eine Veränderung des Status quo nicht zu-
geben würden, verfiel alsbald dem Fluche der
Lächerlichkeit. Die Kleinstaaten wußten ganz
genau, daß die scheinbare Einigkeit Europas
in die Brüche gehen würde, sobald man
nach ihren gewaltigen und ungeahnten An-
fangserfolgen von irgendeiner Seite den Ver-
such machen würde, ihnen die Früchte ihres
Sieges zu rauben. Sie hatten jedenfalls vor-
her von der russischen Staatsleitung ent-
sprechende Versicherungen erhalten.
Niemals seit dem Ende des Deutsch-Fran-
zösischen Krieges, selbst nicht zur Zeit der
Marokkbwirren, ist die Gefahr eines allge-
meinen Brandes so nahe gewesen wie im ver-
gangenen Winter. Wenn sie augenblicklich
zwar noch nicht ganz geschwunden aber doch
ganz erheblich gemildert ist, so wird kein Ein-
sichtiger sich der Erkenntnis verschließen
dürfen, daß die friedliebende, zurückhaltende
und doch feste und kräftige Politik Deutsch-
lands einen großen und dankenswerten An-
teil an diesem Erfolge zu beanspruchen hat.
Wir dürfen daraus das tröstliche Be-
wußtsein schöpfen, daß selbst unter den
heutigen zwischenstaatlichen Verhältnissen eine
entschlossene Friedenspolitik durch eine ge-
schickte und vor allen Dingen gewissenhafte
Diplomatie zu entscheidenden Erfolgen ge-
führt werden kann.
Die deutsche Staatskunst, die diesmal den
Charakter angenehm verleugnete, den sie
zwanzig Jahre hindurch nicht immer zur Meh-
rung ihres Ansehens zur Schau getragen hatte,
mußte nicht nur mit dem Gegensatze des
Dreiverbandes zum Dreibunde rechnen und
ganz besonders die hart und feindlich gegen-
überstehenden Tendenzen Oesterreichs und
Rußlands! berücksichtigen, sondern ihre Sorge
gleichzeitig auf das Verhältnis Italiens zur
Donaumonarchie richten.
Daß es sowohl in Oesterreich wie in
Rußland eme sehr starke Kriegspartei gab
und wohl noch gibt, die den Augenblick zur
großen Abrechnung gekommen glaubte, liegt
für jeden aufmerksamen Beobachter klar zu-
tage. Ebenso auch, daß die Durchführunjg
der österreichischen Ansprüche Serbien ge-
genüber, wenn sie in vollem Maße versucht
werden sollte, unbedingt zum Kriege mit Ruß-
land führen mußte. Daß Oesterreich hier-
bei mit Sicherheit auf den Beistand Deutsch-
lands rechnen konnte, ist nicht minder klar,
und wird bis weit in die Reihen unserer so-
zialdemokratischen Partei hinein vollkommen
begriffen und gewürdigt. Man darf sogar
sagen, daß bei ihr sonst kein Krieg populär
wäre, wohl aber ein solcher gegen die Despotie
des Zarenreiches.
Die Unterredungen in Baltischport
zwischen dem deutschen und dem russischen
Kaiser hatten zwar zu einem durchschlagenden
diplomatischen Erfolge nicht geführt, aber sie
hatten doch das Verhältnis zwischen beiden
Reichen derart gebessert, daß Deutschland
gegenwärtig die Rolle eines wirksamen Ver-
mittlers zwischen Oesterreich und Rußland
übernehmen konnte. Wenn es keinen Zweifel
daran gelassen hat, daß man es im Notfälle
unbedingt an Oesterreichs Seite sehen würde,
so ist es doch zu gleicher Zeit bemüht ge-
wesen, einen billigen Ausgleich zwischen den
Standpunkten der beiden auf dem1 Balkan in
erster Linie interessierten Großmächte zu
finden. Dadurch gelang es, die weit über ein
erträgliches Maß gesteckten Ziele Serbiens,
die ganz offenbar mit einem österreichisch-
russischen Kriege rechneten, so weit zurückzu-
schrauben, als sich mit dem Interesse seines
mächtigen Nachbars noch gerade vertrug, und
die politische Unabhängigkeit Albaniens,
grundsätzlich wenigstens, zu retten. Für den-
jenigen, der an dem Sejbstbestimmungsrecht
der Völker und an der Einschränkung des
rohen Eroberrechtes als an einer Grundforde-
rung der Kultur festhält, ein hoch erfreuli-
ches Ergebnis I
Man wird es auch als ein Verdienst
Deutschlands in Anspruch nehmen dürfen,
wenn selbst das heikle Verlangen Bulgariens
in den Besitz Adrianopels zu gelangen, die
Einigkeit Europas nicht störte. Daß der ge-
meinsame Rat aller Großmächte in Konstan-
tinopel, in die Abtretung der Festung zu wil-
ligen, dem tatsächlichen Kräfteverhältnis und
dem Besten der Türkei entsprochen hat,
scheint der weitere Verlauf des Krieges zu
beweisen. Dieser Einigkeit und dem ver-
ständigen Eingreifen in den rumänisch-bul-
garischen Gegensatz ist es auch zu danken,
daß der Wiederausbruch der Feindseligkeiten
auf dem Balkan bisher keine bedenklichen
Folgen für den allgemeinen Frieden gehabt hat
und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr
haben wird.
Indessen ist die allgemeine Entspannung
der Lage nicht nur dem günstigen Einflüsse
der deutschen — stillen und unauffälligen, aber
um so sympathischeren — Vermittlung zwischen
Oesterreich-Ungarn und Rußland zuzu-
schreiben, sondern in vielleicht noch höherem
Maße der heilsamen Revidierung seines eige-
nen Verhältnisses zu England. Glücklicher-
weise ging dieses nicht in jeder Be-
ziehung konform mit den Wünschen seines
Dreiverbands-Genossen Rußland. An der Er-
haltung der asiatischen Türkei hatte es un-
bedingt ein Interesse und mußte schon mit
Rücksicht auf die Stimmung der moslemischen
Welt einen großen Krieg zu vermeiden wün-
schen. Hat es doch wesentlich nur die Furcht
vor dem raschen Wachstum der deutschen
Flottenmacht und dem militärischen Ueber-
gewicht Deutschlands an die Seite Rußlands
und Frankreichs geführt. Ein höchst erfreu-
liches Ereignis ist es, daß Deutschland sich
@=
S DIE FRIEDENS -WARTE
mit dem augenblicklichen Verhältnis zwischen
der englischen und deutschen Flotte einver-
standen erklärte und damit wenigstens für
die nächste Zeit dem weiteren Anwachsen der
Seerüstungen einen Riegel vorschob. Ein
Beweis, daß man zu Rüstungsbeschränkungen,
sei es durch ausdrückliche oder stillschwei-
gende Abmachungen bei beiderseitigem, gutem
Willen sehr wohl gelangen kann. Gewiß
wurden diese gegenseitigen Erklärungen der
Marineminister nur darurch möglich, daß sich
in den letzten Monaten des Mißtrauen Eng-
lands in die Absichten Deutschlands wesent-
lich abgeschwächt hat.
Die Aufgabe unserer Staatsmänner war es
nicht nur, in den Gegensatz zwischen Drei-
bund und „entente" vermittelnd einzugreifen,
sondern gleichzeitig auch innerhalb des Drei-
bundes die nicht unbeträchtlichen Gegensätze
zwischen Oesterreich und Italien in der Adria
und in Albanien auszugleichen. Daß ihm dies
gelungen ist, und daß der Dreibund heute
innerlich fester denn je dasteht, ist auch vom
pazifistischen Standpunkte aus ein Verdienst,
das man der deutschen Staatskunst nicht
schmälern soll. Der Dreibund kann seinem
Wesen nach niemals eine Angriffswaffe wer-
den; je größer das gegenseitige Verständnis
seiner Mitglieder, um so größer die Gewähr
für den Frieden.
Wenn man bis hierher die deutsche Po-
litik des letzten Winters uneingeschränkt loben
konnte, so scheint es leider, als ob ein Teil
der Früchte dieses Verhaltens durch die neue
Heeresvorlage wieder verloren gehen sollte.
Wenn man die Aeußerungen der deutschen
wie der französischen Presse aufmerksam ver-
folgt, wird man sich nur schwer eines un-
behaglichen Gefühls und der Furcht erwehren
können, daß diese unerwartete und gewaltige
Anspannung der militärischen Kräfte des Kai-
serreiches einen Sturm von Chauvinismus und
wachsender Feindseligkeit zwischen beiden Völ-
kern zu entfesseln droht.
Die Gründe, die die deutsche Regierung
gerade in diesem verhängnisvollen Augenblick
zur Ankündigung einer großen Heeresverstär-
kung bewogen haben, sind bisher nicht völlig
durchsichtig. Man sagt, es sei die Verschie-
bung der Kräfte auf dem Balkan. Aber ist
es unbedingt sicher, daß sie zuungunsten des
Dreibundes stattgefunden ? Und wäre es dann
nicht immer in erster Linie die Sache Oester-
reichs, sich dagegen zu wappnen? Andere
wieder meinen, die hohe Kriegsgefahr der
letzten beiden Jahre sei der wahre Beweg-
grund für die steigende Mächtigkeit des Pan-
zers, den wir um den Leib der Germania
legen wollen. Als ob nicht gerade die Ge-
schichte dieser letzten Jahre bewiesen hätte,
wie man schwierige Fragen auch ohne Krieg
lösen kann! Gewiß, die starke Prüfung aller
Staaten mag dazu beigetragen haben, sie alle
friedlich zu stimmen, weil der Ausgang eines
kriegerischen Abenteuers zu ungewiß ist, die
Gefahren eines Waffenganges unabsehbar sind.
Aber liegt darin ein Grund, diese Rüstung
abermals zu steigern und das bestehende
Kräfteverhältnis gewaltsam zu stören? Ge-
wiß hat Frankreich seine Volkskraft relativ
stärker angespannt als Deutschland; aber das
hindert nicht, daß absolut genommen dieses
schon jetzt ein beträchtliches Uebergewicht
gewonnen hatte.
Ohne Zweifel wird der Vorgang der deut-
schen Heeresleitung eine neue Epidemie des
Wettrüstens zu Lande hervorrufen, nachdem
der Wetteifer zur See sich eben erst ein
wenig beruhigt hat. Das Bedauerlichste aber
ist, daß dadurch die Erfolge einer fried-
liebenden und geschickten Politik mindestens
zum Teil wieder gefährdet werden.
Die fromme Diplomatie.
Von O. Umfri d.
Die Rede, welche der italienische Mi-
nister des Aueßern San Giuliano in der
römischen Kammer hielt, ist wirklich erbaulich
zu lesen; man fühlt sich versucht, den Hut
abzunehmen, und den Bravo, der in Libyen
seine Taschen füllte, zu grüßen: „Guten
Morgen, Ehrenmann." Die italienische Di-
plomatie ist fromm wie eine Riesenschlange,
nachdem sie sich sattgefressen hat. Was in
Nordafrika geschehen ist, das wirft man zu
den Akten; es handelte sich übrigens dort
um eine geschichtliche Notwendigkeit, die nur
die Friedensfreunde mit ihrer Gefühlspolitik
wieder einmal nicht verstanden haben. Wie-
so — geschichtliche Notwendigkeit? Nun, das
Gleichgewicht in Nordafrika mußte doch her-
gestellt werden, so gut wie das Gleichgewicht
in der Adria herzustellen war und das Gleich-
gewicht im Mittelmeer aufrechterhalten wer-
den muß. Wie ist denn das Gleichgewicht
in der Adria hergestellt worden? Offenbar
dadurch, daß man sich darauf besann, aus
einem unehrlichen zu einem ehrlichen Bundes-
genossen der Donaumonarchie sich zu mau-
sern; mfolgedessen hat man nichts mehr von
Oesterreich zu fürchten, und nun findet man
auf einmal, daß das Gleichgewicht in der
Adria hergestellt sei. Wie soll aber das Gleich-
gewicht im Mittelmeer aufrechterhalten
werden ? Wahrscheinlich dadurch, daß die
vereinigten österreichisch - italienischen Ge-
schwader die französische Kriegsflotte be-
drohen und daß die Kriegsschiffe Rußlands,
mit dem man übrigens vortrefflich zu stehen vor-
gibt, nach wie vor am Auslaufen durch die Dar-
danellen gellindert werden sollen. Wie wurde
aber das Gleichgewicht in Nordafrika her-
gestellt? Dadurch, daß, nachdem Frankreich,
Spanien und England den Löwenanteil ge-
raubt hatten, Italien auch seinen Anteil, die
berühmte libysche Sandbüchse, einsteckte.
Andere Leute hatten eigentlich, ehrlich ge-
standen, vor dem tripolitanischen Abenteuer
gar nichts von der Störung des Gleichge-
85'
DfE FRIEDENS -WARTE
19
wichts in Nordafrika gemerkt; erst der hei-
lige Giuliano war auf diesen Einfall gekommen,
daß dort etwas nicht in Ordnung sei. Wie
aber, wenn eines Tags Großgriechenland auf
die Idee käme, daß es jenseits des Mittel-
meers sehr wichtige Interessen (Lebens-
interessen nennt man das in der Sprache der
Diplomatie) zu vertreten habe und daß das
dortige Gleichgewicht zu seinen Ungunsten
gestört sei; wenn es also eine Kriegsflotte
mit einer Expedition für die nordafrikanische
Küste ausrüstete? Ach, das wäre natürlich
etwas ganz anderes und nicht zu vergleichen
mt der geschichtbildenden Tat San Giulianos.
Es ist aber wirklich reizend zu sehen,
welche Liebenswürdigkeit, welche bezaubernde
Bonhommie dieser Staatsmann der Türkei ge-
genüber an den Tag legt, nachdem er sein
Schäfchen ins Trockene gebracht hat. Er
hat zwar der Türkei Libyen genommen, er
hat den Balkanstaaten erlaubt, die europäischen
Besitzungen des osmanischen Reiches unter
sich zu teilen ; aber nun sagt er dem be-
raubten Wanderer, dem er das Hemd über
den Kopf gezogen hat: Soyons amisl „Wir
haben", sagt er wörtlich, „das Vertrauen, daß
die Türkei in der wirtschaftlichen Tätigkeit
Italiens einen Faktor des Fortschritts erblicken
wird, welcher ihr keinen Verdacht einflößen
wird, als ob wir zu ihrem Schaden territoriale
Absichten hegten. Wenn die Türkei in loya-
ler Weise den Vertrag von Lausanne erfüllt . . .
findet sie in Italien einen zuverlässigen
Freund." Es geschehen noch Wunder und
Zeichen, der italienische Wolf liegt neben dem
halbzerfleischten Lamm und hilft ihm sogar
durch „greifbare Beweise seiner Freundschaft",
daß ihm ferner die Wolle nicht mehr ge-
schoren werde. Italien setzt sich für die Un-
verletzbarkeit des osmanischen Besitzes in
Asien ein : „Die Integrität der asiatischen Tür-
kei", sagt San Giuliano, „die Entwicklung der
Wohlfahrt und die Verbesserung der Lebens-
bedingungen ihrer Völkerschaften, bilden für
Italien ein Interesse erster Ordnung." Wie
edel und großherzig ist das gedacht — wenn
nur nicht der Pferdefuß macchiavellistischer
Diplomatenschlauheit gar zu deutlich heraus-
schaute. Was wird San Giuliano tun, wenn
nun wider alle diplomatische Erwartung in
absehbarer Zeit die asiatische Türkei auch
zerfällt ; und wenn dann gewisse andere Mächte
zugreifen, und die Adler niederstoßen auf das
Aas ? Wahrscheinlich wird er dann das Gleich-
gewicht des Mittelmeers für gestört angesehen
und seinerseits auch zugreifen, um sich ein
Stück der Beute zu sichern. Aber bis dahin
ist er ein zuverlässiger Freund der Türkei.
Es ist aber wirklich lehrreich, sich nicht
nur die Geschichte von der Eroberung Libyens,
sondern auch die Geschichte des Balkan-
konflikts von San Giuliano erzählen zu lassen.
„Hundert Jahre lang", sagte er, „hat man
die Formel des Status quo auf die Zustände
des Türkenreiches angewandt"; natürlich,
wie er glauben machen will, aus reiner Für-
sorge für die Bewohner des nahen Orients,
in Wahrheit nur, weil die europäischen Kabi-
nette mit größter Eifersucht einander be-
wachten, daß doch ja keines dem andern
zuvorkomme und sich um ein Beutestück be-
reichere, das dem anderen ebenso sehr in die
Augen geleuchtet hätte. Aber das „lange und
treue" ( ! ) Festhalten an dieser Formel hat
— nach San Giuliano — für die Türkei die
Wirkung gehabt, den Verlust ihrer euro-
päischen Provinzen bis zu dem Tage zu ver-
zögern, wo die Balkan völker reif waren, die
Erbschaft anzutreten." Wie reif sie waren,
davon können dieAlbanesen mit ihren Frauen
und Kindern erzählen; aber die „lange Auf-
rechterhaltung der provisorischen Formel
vom Status quo hat heute die Anwendung der
definitiven Formel : der Balkan den Balkan-
völkern, ermöglicht." Schade, daß die euro-
päischen Großmächte nicht schon länger
auf diese definitive Formel gekommen sind;
sie hätten, wenn sie die durch den Berliner
Vertrag den Mazedoniern vor 34 Jahren zu-
gewilligte Selbstverwaltung durchgeführt
hätten, den „reifen" Balkanvölkern viel Blut-
vergießen erspart. San Giuliano sieht in der
Formel : der Balkan den Balkanvölkern, eine
endgültige Lösung des Problems, die den
Frieden für die Balkanhalbinsel und für
Europa auf viele Jahre sichert. Aber was ist
das für ein Frieden, der immer nur auf viele
Jahre, statt auf die Dauer gesichert wird, und
der nur durch den wahnsinnigsten Zer-
störungsaufwand aufrechterhalten werden
kann ! Welche Gefahren diesem Frieden
drohen, das hat der italienische Minister
des Auswärtigen in einer etwas dunklen und
doch sehr bezeichnenden Stelle seiner Rede
angedeutet; ich meine die Stelle, in der er
von! Mittelmeer handelt. Es ist zwar eine
sehr vernünftige Ansicht, die er in den
Worten ausspricht : „Niemand hat das Recht,
das Mittelmeer ein mare nostrum zu nennen.
Es ist und muß die freie Bahn der Nationen
bleiben, wo keine Nation die Herrschaft haben
kann und darf, aber alle daran Anteil haben
dürfen." Was soll es dann aber heißen, daß
San Giuliano dennoch erklärt : „Wenn durch
die Macht der Ereignisse und gegen unseren
Willen und gegen den aller Großmächte
früher oder später erhebliche territoriale Ver-
änderungen im Mittelmeer eintreten sollten,
könnte ItaÜen dabei kein müßiger Zuschauer
bleiben, sondern müßte verlangen, daß seine
Stellung als Mittelmeergroßmacht von jeder-
mann gebührend berücksichtigt werde." Wer
sollte nun aber diese territoriale Veränderung
herbeiführen, wenn die Großmächte darin
einig sind, sie zu verhindern ? Sollte das
etwa die unpersönliche Macht der Geschichte
tun, von der San Giuliano so große Stücke
hält, daß er erklärt, die europäische Diplo-
matie könne sich nicht an die Stelle der
großen, bestimmenden Kräfte der Geschichte
86
= DIE FRIEDEN5-^ABT£
setzen, man müsse vielmehr diesen letzteren
häufig die endgültige Lösimg der größten po-
litischen Probleme überlassen ? Wir Laien
hatten geglaubt, daß die Diplomatie Ge-
schichte mache, hatte uns doch Naumann erst
beim Ausbruch des tripolitanischen Krieges
bemerkt, Italien gehe nach Tripolis, weil es
ein Geschichtsvolk sein wolle. Wir hatten
also angenommen, es liege in der Hand der
Diplomatie, über Krieg und Frieden zu ent-
scheiden^ und waren auch durch den Aus-
bruch des Balkankrieges, dessen diplo-
matische Vorbereitung wir mit Händen greifen
konnten, keines anderen belehrt worden.
Nun aber will uns San Giuliano weis machen,
daß gewisse geheimnisvolle Mächte in der
Weltgeschichte walten, welche die Diplo-
matie zwingen könnten, halb widerwillig ein-
zugreifen. Setzen wir den Fall, auch die
asiatische Türkei zerfällt oder eine zusammen-
geleimte europäische Großmacht, deren Namen
ich nicht nennen will, geht aus dem Leim,
so würden auch dadurch nicht von selbst
territoriale Veränderungen am Mittelmeer ent-
stehen, wohl aber könnten solche Verände-
rungen durch das gewaltsame Eingreifen der
gesunden Großmächte in die Sphären der
kranken Mitglieder der europäischen Staaten-
familie herbeigeführt werden. San Giuliano
würde djann versuchen, uns glauben zu machen,
daß sich hier einfach geschichtliche Notwendig-
keiten vollziehen, deren Zwang sich auch in
einem sonst ganz schuldlosen Staat fühlbar
machen würde.
Auf diese Weise, wie San Giuliano sich
die Zukunft unseres Weltteils denkt, werden
wir nie zu einem dauernden Frieden kommen.
Denn absterbende Völker wird es immer wieder
geben, und wenn dann die aufstrebenden Na-
tionen berechtigt sein sollen, sich gewaltsam
in das zur Liquidation kommende Erbe zu
teilen, so werden wir immer und immer wieder
den Krieg haben. Es gibt keinen anderen
Weg, als den so oft beschriebenen, wonach
auch in Fällen des Zusammenbruchs einer
geschichtlichen Macht, abgesehen von dem
dann in Kraft tretenden Selbstbestimmungs-
recht der Völker, der herrenlos werdende
Boden nur von solchen besetzt werden darf,
die nachweislich einem zu eng beisammen woh-
nenden Volke angehören. Das allein ist der
Wreg des Rechts und des Friedens. Um aber
doch auch dem italienischen Minister gerecht
zu werden, so will ich gern zugestehen, daß
eine Stelle seiner Rede mir nicht übel ge-
fallen hat, es sind dies die klassischen Aus-
führungen über das Verhältnis der Territorien
auf dem Balkan. Die „Wunsche und Inter-
essen der Bevölkerung", sagt er in diesem
Zusammenhang, „müssen versöhnt und in ge-
wissen Fällen dem höchsten Ziel der Zivili-
sation und des Friedens untergeordnet werden ;
in einer Krisis^ wo so viele entgegengesetzte
Interessen im Spiel sind, kann keine große
oder kleine; Macht verlangen, daß alle, ihre
Wünsche vollständig befriedigt werden. Es
ist vielmehr notwendig, daß jede einige Opfer
bringt, und daß die auseinandergehenden In-
teressen durch eine Reihe gegenseitiger Trans-
aktionen ausgeglichen werden.'' Wenn die
Diplomatie stets nach diesen Grundsätzen ge-
handelt hätte, so hätte sie manchen Kriegs-
ausbruch verhindert.
Der Fall Maurenbrecher.
Der bekannte Sozialdemokrat Dr. M a x
Maurenbrecher trat anfangs Januar im
„Freien Wort" (erstes Januarheft 1913) in
einem „Die Demokratie und der Krieg" be-
titelten Artikel, ausgehend von einer Be-
sprechimg der Schrift von Wilhelm Lamszus,
dafür ein,
„daß für Staaten und Staatsformen, die noch nicht
zur Vollendung gekommen sind, die den natür-
lichen Grad ihrer Ausreifung noch nicht erreicht
haben, der Krieg und auch der Er-
oberungskrieg eine unbedingte Not'
wendigkeit ist. . . . Der Krieg ist nicht nur
Schrecken und Tod. Er ist oft genug auch die
Ermöglichung einer höheren Organisationsform der
Menschheit und ist damit gut und liegt
in der Linie des menschlichen Fort-
schrittes. Und wenn dem so ist, so
muß er gewollt werden! So muß man
auch innerhalb der nachchristlichen Kulturperiode
der Menschheit den Willen und die Entschluß-
fähigkeit in der Jugend erziehen, unter Um-
ständen auch das eigene Leben wegwerfen zu
können um der weltgeschichtli c h, e n Zu-
kunft willen, die eben durch einen
solchen Krieg möglich gemacht wer-
den soll."
Im weiteren Verlauf des Artikels billigt
der Autor nicht nur den Verteidigungskrieg,
was man immerhin gelten lassen kann, son-
dern auch den Präventivkrieg, indem er
sagt :
„Es muß vorbehalten werden, daß der Staats-
mann unter Umständen die feineren Zusammenhänge
des Werdens und der Möglichkeit der Zukunft weit
umfassender überschaut als der Bauer oder Ar
beiter, der rein aus seiner täglichen Arbeit heraus
von geographischen und wirtschaftlichen Zusam
menhängen nur wenig weiß. Der Staatsmann kann
unter Umständen den Fall des notwendigen Ver-
teidigungskrieges schon damit gekommen sehen,
daß eine Verschiebung im Weltverkehr oder in den
Machtverhältnissen der andern Staaten eintritt, die
die Wirtschaftserhaltung der Zukunft für die eigene
Nation aufs schwerste gefährdet. Soll dann die
Demokratie erklären, daß sie in einen solchen
Krieg nicht mitziehen wolle, weil der Boden des
Vaterlandes in körperlichem und handgreiflichem
Sinne noch nicht verletzt ist? Muß dann nicht
unter Umständen gerade vom demokratischen
Standpunkte aus ein Krieg als notwendig
gewollt werden, auch wenn er äußerlich
als Angriffskrieg oder als Krieg um
ganz fernliegende Objekte er-
scheint?"
Diesen Standpunkt habe ich im ersten
Februarheft des Freien Worts in einein Ar-
tikel zu widerlegen versucht, indem ich u. .a.'
37;
DIE FRiEDENS-^AßTE
3
darin sagte, daß Maurenbrecher Sieg und
Krieg verwechsle, daß der Krieg wohl
höhere Organisationsformen ermöglicht, aber
in viel höherem Maße solche zerstört oder
gehemmt habe. Dann sagte ich weiter:
„Maurenbrecher verkennt das gesamte Frie-
densproblem und hat mit allen Bekämpfern dieses
Problems das gemeinsam, daß er die Lösungen,
die das Problem bietet, auf die heute noch vor-
herrschenden anarchischen Verhältnisse der Staaten
überträgt. So kommt er zu einer Dissonanz, und
er hält die Unvollkommenheiten des Augenblicks
für eine Unvollkommenheit des Systems. Er sieht
keinen Ausweg, weil er von dem Gesichtspunkt
ausgeht, daß man sich gegen eine beabsichtigte
Unterjochung nicht anders als durch Krieg wehren
könne, daß ebenso eine Befreiung aus einem be-
reits auferlegten Joche nicht anders als durch
Krieg möglich sei. Er setzt dem Extrem des „Frie-
dens um jeden Preis" das Extrem gegenüber, daß
der Krieg gut ist, „in der Linie des Fortschritts"
liegt und daher gewollt werden muß.
Welcher Irrtum I Die moderne Friedensidee
bekämpft nicht den Krieg als solchen, der ihr nur
ein Symptom ist, sondern dessen Ursachen, die
in der Anarchie der Verhältnisse der Staaten
liegen. Aus der Wandlung dieser Anarchie in
eine Organisation wird sich ein veränderter Char
rakter der Konflikte ergeben, so daß diese als-
dann durch Vernunftmaßnahmen lösbar sein wer-
den. In der Organisation werden wir jene „höhere
Organisationsform der Menschheit" erreichen, die
wirklich der Menschheit, und nicht, wie es beim
kriegerischen Verfahren der Fall ist, der sieg-
reichen Nation auf Kosten der Menschheit zuteil
wird. Diese Staatenorganisation ist die Lebens-
form der Demokratie; zu ihr führt die Demokratie
hin. Die Organisation wird den daran beteiligten
Staaten eine höhere Stärke geben, als die raffi-
niertesten Kriegsmaschinen sie erteilen können. Es
wird dann ein dominierender Faktor in der Welt
bestehen, der Einfluß nehmen wird auf die Hal-
tung der noch auf niedriger Kultur stehenden
Staaten. Diese Organisation wird kulturfördernd
wirken auf die noch außenstehenden, und die in
ihr verwirklichten Vorteile werden zwingend auf
das Gebaren der andern Staaten Einfluß neh-
men. Es ist möglich, daß zum Beispiel der rus-
sische Absolutismus überwunden werden kann durch
den moralischen Einfluß einer daneben bestehenden
organisierten Gemeinschaft hochstehender Demo-
kratien, mit denen Rußland wird leben müssen.
Das Werk der Befreiung wird dann sicherer voll-
bracht werden als durch >die Roulette des Krieges,
wo rouge, aber auch noir, fallen kann.
Eines aber wird auch aus den organisierten
Demokratien nicht ausgeschlossen sein, wenigstens
solange sie in der Welt mit nichtorganisierten
Staaten werden rechnen müssen; die Anwendung
der Gewalt zur Aufrechterhaltung ihrer Unab-
hängigkeit, zum Schutze gegen Unkultur oder zur
Durchführung der Kultur in der Welt. Man er-
schrecke nicht und sage nicht: das wäre ja der
Krieg. Wer so spricht, verkennt das Wesen der
Gewalt. Nur im anarchischen Zustand ist die Ger
walt gefährlich ; organisierte Gewalt ist
Recht. Nicht jede Gewaltanwendung seitens des
Staates ist Krieg. Wenn der Landstreicher einen
Wanderer und der Gendarm den flüchtenden Land-
streicher töten, so sind dies die gleichen Handlungen,
aber mit ungleichem Effekt; der erstere wandte
anarchische Gewalt an, der letztere organisierte.
Der erstere ist ein Verbrecher, der letztere ein
Exekutivorgan des Rechts. So wird die Gewalt
anwendung, die Staaten im Dienste des
Rechts vornehmen, sich wohl unterscheiden von
einer Gewaltanwendung, die heute an Stelle
des Rechtes tritt, die allein Krieg ist. Weder
in ihrer Vorbereitung noch in ihren Folgen wird
eine organisierte Gewaltanwendung, die der Ausr
fluß eines internationalen Rechtes sein wird, mit
dem heutigen Kriege zu vergleichen sein. Ganz ab-
gesehen davon, daß es eine organisierte Staaten-
gesellschaft nur sehr selten nötig haben wird, wirk-
lich Gewalt anzuwenden; es wird ihr noch mehr
als es im staatlichen Leben der Fall ist, genügen,
ihre organisierte Gewalt anzudeuten, um dem
Rechte zum Durchbruch zu verhelfen."
Hierauf antwortete Dr. Max Mauren-
b r e c h e r im zweiten Februarheft des Freien
Wort in einem „Realistische Friedensbewe-
gung" überschrieben en Artikel, in dem er
voransetzte, daß er „nicht um Worte streiten*'
und zu zeigen versuchen will, „daß der Gegen-
satz in der Sache durchaus nicht so groß
ist, wie es den Worten nach vielleicht den
Anschein hat". Er führt dann wörtlich; fol-
gendes aus :
Fried sagt freilich: ja, das ist kein Krieg!
Krieg nenne ich nur Gewaltanwendung zwischen
Staaten, die noch im anarchischen Zustand zu-
einander stehen; das andere ist nicht Krieg, son-
dern Gewaltanwendung, die im Dienste des Rechts
steht, die einem Rechtssatz zur Autorität ver-
helfen will. Aber das ist eine reine Frage der
Definition. Und über Definitionen soll man nicht
streiten. Jeder hat das Recht, die Worte so zu
gebrauchen, wie sie seinem Sprachgefühl ent-
sprechen; er muß nur deutlich sagen, was er unter
diesen Worten versteht, und dann ist kein An-
einandervorbei-Reden mehr möglich. Das hat Fried
getan, und darum hänge ich mich nicht an das
Wort Krieg, sondern gehe auf die Sache selbst.
Auch der nächsthöhere Organismus, den wir
gemeinsam über unseren heutigen Nationalstaaten
erstreben, hat Waffen nötig; und er hat Menschen
nötig, die einerseits sich das Recht zusprechen,
mit gutem Gewissen diese Waffen zu führen, und
die anderseits dazu bereit sind, um der Idee des
Rechtes willen ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Das
heißt: auch in der Periode der völkerrechtlichen
Organisierung wird es als unsittlich abgelehnt wer-
den, wenn einer lehrt: mein Leben ist mein höch-
stes Gut. Das aber war es, was ich gegen Lamszus
sagte. Ferner: auch in dieser Periode wird die
demokratische Partei in den Parlamenten der
Einzelstaaten es nicht ablehnen dürfen, Geld für
Bewaffnungszwecke und Organisationen für Aus
bildung in der Technik des Waffengebrauchs zu
schaffen. Das aber war es, was, wie ich erinnerte,
bereits im Parteiprogramme der sozialdemokrati-
schen Partei Deutschlands steht : „Erziehung zur all-
gemeinen Wehrhaftigkeit", das ist ohne Geld und
ohne militärische Organisationen nicht möglich.
Also, so schloß ich, darf auch die Demokratie
sich nicht darauf versteifen, daß alle Ausgaben
für militärische Zwecke unsittlich, nutzlos und un-
produktiv seien.
Das gilt für die Zukunft, wenn wir jene höhere
Rechtsinstitution einmal erreicht haben werden.
Aber in der Gegenwart haben wir sie noch nicht.
Und das ist es, worin allein der Unterschied
zwischen uns aufkeimen konnte. Fried wirft mir
M
<§]
= DIE FRIEDENS -^MÄttTE
vor. ich hätte die Lösungen, die das Friedens
problem bietet, auf die heute noch vorherrschenden
anarchischen Verhältnisse der Staaten übertragen;
ich hätte die Unvollkommenheiten des Augenblicks
für eine Unvollkommenheit des Systems gehalten.
Zugegeben; aber diese Unvollkommenheiten sind
doch heute noch da. Fried sagt ja selbst, daß die
anarchischen Zustände unter den Staaten heute
noch vorherrschen. Also ist auch die Gefahr tat-
sächlich da, daß sie sich gegen uns kehren, wenn
wir durch Erziehung und parlamentarische Ab-
stimmung die Fähigkeit, uns zu schützen, in uns
selber ersticken.
In Frieds Beispiel vom Landstreicher ge-
sprochen: wenn ich weiß, da ist ein Landstreicher,
der mich totschlagen will, aber dahinter steht
ein Gendarmi, der ihn noch vorher totschießen
wird, so kann ich ruhig meinen Weg gehen.
Das Problem des Schutzes und der Durchsetzung
der Rechtsautorität ist dadurch gelöst, daß ein
besonderes Organ von der Gesamtheit geschaffen
wurde, das diese Durchsetzung berufsmäßig be-
treibt. Wenn ich aber eine Stunde von der Eisen-
bahn fort wohne und mein Heimweg führt mich
nachts durch einen Wald, in dem sicherlich kein
Schutzmann, wohl aber manchmal Gesindel ist,
dann ist es Pflicht und Recht, daß ich mir selbst
den Revolver beschaffe, um gegebenenfalls die
bedrohte Rechtsautorität und mit ihr mein Leben
selber schützen zu können. Wenn das aber nach
Frieds eigenen Worten unser heutiger Zustand ist,
so ist daraus auch für den Staat zu folgern,
daß er, solange jene überstaatliche Rechtssicher-
heit fehlt, mit der Möglichkeit rechnen muß, für
das eigene Recht und das eigene Leben auch ein-
mal in den Krieg ziehen zu müssen, wenn es kein
billigeres Mittel mehr gibt, das uns helfen könnte.
Und darum dürfen wir uns, solange jene überstaat-
liche Rechtsgarantie fehlt, dieses Mittel nicht selbst
durch Erziehung oder Politik zerstören.
Soweit ich Frieds Gedanken kenne, wird er
darauf antworten, daß das auch nicht seine Ab-
sicht pei; er würde als Reichstagsabgeordneteri
vielmehr bereit sein, jede militärische Forderung
der Regierung, deren Notwendigkeit nachgewiesen
ist, auch zu bewilligen — unbeschadet seiner pazi-
fistischen Agitation. Wenn dem so ist, so ist es
gut; denn dann besteht zwischen uns überhaupt
kein Streit.
Das Friedensproblem, wie ich es sehe, liegt
nicht darin, den Krieg ohne jede Bedingung und
Ausnahme als unsittlich zu verdammen und ihn
durch antimilitaristische Schlagwort-Propaganda
zu diskreditieren. Es liegt vielmehr darin, die
Form zu suchen, wie man die Organisation der
Bewaffnung immer mehr auf größere Einheiten
ausdehnen und damit militärische Reibungen im
Innern dieser Einheiten beseitigen könne. Noch vor
fünfzig Jahren hatten wir eine sächsische, eine
preußische, eine bayrische usw. Armee und mußten
sie haben. Heute sind das alles nur noch Armee-
korps einer höheren Einheit, und es ist unvorstell-
bar, daß diese einzelnen Anneekorps noch einmal
gegeneinander gehen könnten. Wir erstreben nun
einen Zustand, daß auch die deutsche, die deutsch-
österreichische, die italienische, holländische, bel-
gische, französische Armee nur noch Teile,
Armeekorps einer noch höheren Einheit, der mittel-
und westeuropäischen Handels- und Verteidigungs-
gemeinschaft der Staaten, seien. Das wird wahr-
scheinlich eine enorme Erleichterung der mili-
tärischen Lasten für jeden einzelnen Staat sein,
schon deshalb, weil nicht mehr jede Einzelarmee,
sondern nur noch die Gesamtarmee eine strate-
gische Einheit zu sein braucht, und weil die Einzel-
staaten sich differenzieren können (Meerflotte,
Luftflotte, Artillerie, Infanterie usw.). Aber es wird
vor allem eine ungeheure kulturelle Errungenschaft
sein, wenn der Krieg, wie er jetzt schon aus dem
Verkehr der einzelnen Provinzen und Landesteile
untereinander verbannt ist, dann aus dem Innern
von Mittel- und Westeuropa überhaupt verbannt,
und höchstens noch an die Grenzen dieses Gebiets
gelegt sein wird."
Ich glaube selbst, daß der Unterschied
zwischen mir und Maurenbrecher nicht so
groß ist, wie es nach seinem ersten Artikel
den Anschein hat. Maurenbrecher scheint sich
schließlich gegen etwas wehren zo wollen,
dessen Bekämpfung uns Pazifisten als etwas
Selbstverständliches scheinen muß, näm-
lich gegen jene Tendenzen, die man kollektiv
als „Antimilitarismus" bezeichnet. Ich habe
in allen meinen Schriften darauf hingewiesen,
und damit weiß ich mich mit der gesamten
pazifistischen Bewegung eins, daß die Be-
kämpfung des Krieges durch Bekämpfung
der Armee ein am verkehrten Ende eingesetz-
tes Beginnen sei. Die Rüstungen sind mir
immer nur ein Symptom jener Erscheinung
gewesen, die wir nur durch Bekämpfung der
Ursachen zu beseitigen imstande sein werden.
Wir Pazifisten wissen ganz genau, daß wir
den Frieden nicht mit der Abrüstung be-
ginnen können, am allerwenigsten mit der
Abrüstung eines einzelnen Volkes, das etwa
mit dem guten Beispiel vorangehen solle.
Aber wenn ich auch im Grundsatz mit
Maurenbrecher übereinzustimmen glaube, so
gehen wir in der Methode, die er anwendet,
sehr weit auseinander. Diese darf sich näm-
lich nicht darauf beschränken, dem augen-
blicklichen Bedürfnis Genüge zu tun, son-
dern muß in jedem Augenblick die Zukunfts-
werte ins Auge fassen, die sie zu fordern hat.
Ich würde daher, wie Maurenbrecher ganz
richtig voraussetzt, als Reichstagsabgeord-
neter die Rüstungsforderungen der Regierung,
deren Forderungen nachgewiesen
sind ( ! ), auch bewilligen, würde aber diesen
Nachweis unter keinen Umständen als er-
bracht sehen, wenn die Regierung nicht be-
wiesen haben wird, daß sie offen und ehrlich
vorher den Versuch gemacht hat, mit den
anderen Regierungen zu einem1 Abkommen
auf Einschränkung der Rüstungen zu ge-
langen. Ich finde nämlich die Unvollkommen-
heiten des Augenblicks nicht so sehr in den
wirklichen internationalen Verhältnissen be-
gründet, als in den Anschauungen und Ab-
sichten gewisser Kreise, die sich bemühen,
diese Unvollkommenheiten mit aller Gewalt
zu verstärken und künstlich aufrechtzuerhal-
ten, um dadurch aus der Not eine für sie
ersprießliche Tugend zu machen, und die
bei ihrem! Treiben unterstützt werden von der
trägen Masse derjenigen, die über die Be-
dürfnisse des Tages nicht hinauszublicken
vermögen. Indem ich von ,,Unvollkommen-
39
DIE FßlEDENS-^MißTE
S>
heiten des Augenblicks" sprach, meinte ich
damit nicht, daß der heute vorherrschende
Zustand zwischen den Staaten gar keine Vor-
aussetzung für eine verständige Ordnung der
Dinge biete, sondern nur, daß er noch nicht
ganz jene Vollkommenheit erreicht hat, die
dazu nötig wäre, daß die internationale
Anarchie noch nicht vollständig überwunden
ist, aber wohl die internationale Organisation
schon bedeutend entwickelt erscheint. Der
Wille zur Vollendung jener großen Entwick-
lung seitens gewisser an der Macht befindlichen
Kreise, vielleicht auch deren Zuversicht,
scheint mir, zu fehlen, um hier die erlösende
Befreiung zu bringen. Und gerade deshalb
halte ich es für wichtig, die sich bietenden
großen Möglichkeiten immer wieder in den
Vordergrund zu stellen, und nicht, wie
Maurenbrecher das tut, mit pessimistischer
Abfindung mit dem Gegebenen sich zufrieden
zu geben und eine Anpassung an dieses Ge-
gebene zu empfehlen, womit nichts anderes
bewirkt wird, als daß die Hemmnisse jener
erlösenden Entwicklung nur gestärkt werden.
Ich werde immer wieder an jene mir .un-
vergeßlichen Worte Sir Edward Greys er-
innert, der von einem Erwachen der in der
Knechtschaft ihrer Rüstungen befindlichen
Völker sprach, die dann eines Tages erkennen
werden, daß die Gefängnistür von
innen verschlossen war.
Und deshalb finde ich es unangebracht,
einen Schriftsteller zu bekämpfen, weil er
den Krieg wahrheitsgetreu schildert, die Theorie
eines unter Umständen sittlichen Krieges
zu vertreten, während wir uns jetzt alle
halben Jahre vor eine Kriegsmöglichkeit ge-
stellt sehen, die sich: bei näherer Betrachtung
als frivol herausstellt; den Präventivkrieg
als nützlich hinzustellen, während wir wissen,
daß aus zahlreichen Kriegen, die einflußreiche
Diplomaten einmal als unabwendbar hin-
gestellt haben, nichts geworden ist, weil die
Zeit alle Verhältnisse verschiebt, und dann
etwas, Was früher als Gefahr erschien, nach kur-
zer Entwicklung sich ganz anders darstellt. Daß
der Krieg unter Umständen sittlich sein kann,
wissen wir. Aber nicht jeder Krieg, den man
uns heute als sittlich darstellen möchte, ist es
in Wirklichkeit. Und wir wissen, daß eis in
einer gefestigten Kulturgemeinschaft gar
nicht mehr nötig sein wird, mit jenem allein
sittlichen Krieg um die Existenz des Staates
zu rechnen, da diese durch die Gemeinschaft
fest begründet sein wird.
Maurenbrecher hindert aber die Ent-
wicklung dieser Kulturgemeinschaft, indem er
sich der pazifistischen Praxis mit seiner
Theorie entgegenstellt.
Wir gehen, mit Knüppeln bewaffnet, aus,
den Brandstifter zu suchen, der unsere Häuser
anzündet und uns nicht zur Rühe kommen
läßt. Und da tritt uns einer entgegen und
ruft: „Was wollt Ihr denn; das Feuer ist
eine der wohltuendsten Einrichtungen. Es
leuchtet, es erwärmt, es treibt die Maschinen."
Jawohl, Herr Dr. Maurenbrecher; das kann
uns aber nicht abhalten, den Brandstifter auf-
zuspüren und ihn unschädlich zu madhen.
A. H. F.
Das kleine Heer.
Von einem Offizier.
Der Beginn des allgemeinen Wettrüstens,
zuerst zu Land, dann auch zu Wasser, ist auf
den Deutsch-Französischen Krieg zurückzufüh-
ren. Der Vergeltungsgedanke ließ Frankreich
keine Opfer scheuen eine neue, große und mäch-
tige Armee zu schaffen. Dadurch fühlte sich
Deutschland naturgemäß bedroht und schritt
ebenfalls an den Ausbau seines Heeres. Auf
diese Weise war eine ausreichende Sicherheit
des neuen Reiches gegen Frankreich gewonnen,
Handel und Verkehr, Industrie und Gewerbe
konnten sich heben; und führten zu Deutsch-
lands heutiger Blüte.
Bald war aber das Absatzgebiet zu eng;,
die wirtschaftliche Entwicklung drängte zum
Meer. Kaiser Wilhelm II. erkannte die hohe
Bedeutung der Seegeltung für des Reiches öko-
nomische Entwicklung und arbeitete planmäßig
an der Vermehrung der deutschen Handels-
und Kriegsflotte. Besonders das rapide
Wachsen letzterer wurde begreiflicherweise gar
bald in England unliebsam wahrgenommen.
Bedrohte doch eine deutsche Kriegsflotte
zweifellos die britannische Alleinherrschaft zur
See und gefährdete dadurch Nelsons Erbe.
Durch das in den beiden letzten Dezenien
des 19. Jahrhunderts einsetzende politische
System der Allianzen wurden alle anderen
Staaten Europas, durch den Uebergang von
der kontinentalen zur universalen Volkswirt-
schaft auch die amerikanischen und asiatischen
Mächte, besonders die Vereinsstaaten und Ja-
pan, in den Kreis der für einen möglichen Zu-
kunftskrieg emsig Rüstenden gezogen. Auf
diese Weise erklärt sich der gegenwärtige
Stand der großen Kriegsbereitschaft und der
durch letztere verursachten hohen Kosten von
selbst. Gleichzeitig muß aber auch die Frage
aufgeworfen werden, ob dieser Zustand auf
die Länge der Zeit erträglich ist. Es kommen
diesbezüglich soziale, ökonomische,
politische und militärische Gesichts-
punkte in Betracht.
In sozialer Beziehung machen sich an-
haltende Kriegsvorbereitungen sowohl durch
Förderung körperlicher Ausbildung, wie durch
Festigung des Charakters wohltätig, durch Zu-
rückdrängung mancher wichtigen Kulturarbeit
aber ungünstig bemerkbar.
Noch deutlicher, und dem einfachen
Manne wahrnehmbarer, werden die öko-
nomischen Wirkungen. Ueberall dort, wo der
Friede nur durch stete Drohung mit Waffen-
gewalt • :• erhalten werden kann, ist man
berechtigt, von einem .. i a u I e n Fr i e den"
'90
@=
= DIE FRIEDEN5->VARTE
zu sprechen, und ein solcher kann wegen der
mit ihm verbundenen Unsicherheit niemals
günstig für die ökonomischen Interessen sein.
Der Umstand, daß von den Gesamtstaats-
einnahmen ein immer größerer Teil für Kriegs-
vorbereitungszwecke verwendet werden muß,
ist der Volkswirtschaft ebenfalls nicht förder-
lich. Allerdings darf man auch nicht aus
den Augen lassen, daß die für Rüstungszwecke
verausgabten Summen bestimmte Teile der
Volkswirtschaft, die heute schon recht ansehn-
liche Kriegsindustrie, um so intensiver
fördern, je mehr sie im Inlande konsumiert
werden. Des weiteren darf man auch nicht
vergessen, daß die ökonomischen Interessen
selbst durch einen erfolgreichen Krieg weit
mehr geschädigt werden, als durch einen noch
so kostspieligen Frieden. Diesbezüglich
können folgende Zahlen Anhaltspunkte bieten:
das Gesamtrüstungsbudget Oesterreich-Un-
garns (Heer, Flotte, beide Landwehren) be-
ziffert sich pro 1913 auf rund 0,6 Milliarden Kr.
Nach den jetzt so häufig in Fach- und Tages-
blättern anzutreffenden Untersuchungen über
Kriegskosten, kann man einen Durchschnitts-
wert von 10 Kronen pro Mann und Tag an-
setzen. Nehmen wir nun an, daß die Mo-
narchie 2 Millionen Soldaten mobilisieren
würde (tatsächlich könnte sie noch viel mehr
bereitstellen), so würden ihr in einem Jahre
10x2x365 = 7,3 Milliarden Kr., also das
7.3
0.6
= zwölffache an Kosten erwachsen.
Weil die Friedensrüstung beim Gegner
Furcht erzeugen und dadurch den Kriegsaus-
bruch verhindern soll, werden ihre Kosten oft
als „Versicherungsprämien" bezeich-
net. Das ist unrichtig; denn die Versicherung
bezweckt eine Ersatzleistung im Falle eingetre-
tenen Ungemachs, während die Friedensvor-
sorge den Kriegsausbruch, also das Ungemach
verhüten soll. Erstere ist somit eine Art Heil-
mittel und gehört, bildlich gesprochen, in das
Gebiet der inneren Medizin, während die
Friedensvorsorgen Präservative sind, somit
als vorbeugende Hygiene zu gelten
haben.
Wie sich diese vorbeugende Wirkung be-
währt, nimmt man erst im Momente einer
Friedensgefährdung wahr. Ist eine Spannung
eingetreten, so stocken nicht nur die Geschäfte,
sondern es beginnen auch überall die Arbeits-
kräfte zu mangeln, weil gerade die tüchtigsten
geistigen Und manuellen Arbeiter zum Kriegs-
dienst herangezogen werden. Im Momente,
wo die Volkswirtschaft den größten Personal-
bedarf hat, werden ihr somit durch das gegen-
wärtig praktizierte System die besten Kräfte
entzogen. Dieses gewichtige ökonomische Mo-
ment spricht nicht für das Massenaufgebot
zu Land und zu Wasser.
Fassen wir nun das politische Gebiet ins
Auge, so können wir schon aus den gewöhn-
lichsten Zeitungsberichten heraus erkennen,
daß in bezug auf Kriegsvorbereitungen in
allen Staaten ein Auktionswesen Platz gegriffen
hat, welches jeden Vorsprung des einen Staates
durch einen noch größeren Sprung des anderen
Staates zu überbieten trachtet, und welches
deshalb unmöglich zu einer politischen Klärung
führen kann.
An letzter Stelle wurde nicht ohne Ab-
sicht das militärische Moment gerückt. Es
ist ohne Zweifel das wichtigste, weil es so-
wohl alle anderen in sich faßt, wie auch,
weil die Wehrmacht in ihrer eigenen Sache
denn doch die Hauptperson ist.
Von ihrem Standpunkt ist zu bemerken,
daß sie wohl an der Ansicht, die Verteidigung
des Vaterlandes sei die erste, edelste und
wichtigste Pflicht eines jeden Staatsbürgers,
festhalten muß, damit aber nicht gesagt haben
will, es müsse jeder, der weder ein geistiger
noch ein körperlicher Krüppel ist, sofort bei
Mobilisierungsbeginn in die Uniform schlüp-
fen und das Gewehr schultern. Gegen diese
von Heeresgegenern als „M i 1 i t a r i s m u s"
bezeichnete Tendenz sprechen gewichtige
Gründe der Logik. Die Armee ist die Be-
schützerin des Erwerbslebens und deshalb in
dem Sinne posterior, daß ein Schützer nur
dann einen Sinn hat, wenn ein Schutzbedürf-
tiger vorhanden ist. Reiht man aber alle mehr
oder minder tauglichen Männer in die Wehr-
macht ein, so nimmt man die besten Arbeiter
dem Erwerbsleben wegen, und entzieht diesem,
dem Schutzbedürftigen, das belebende Blut:
Man könnte diesen Vorgang füglich auch mit
der Behandlung eines Fisches vergleichen, den
man an Land bringt, um ihn vor dem Er-
trinken zu bewahren.
Gegen „uferlose Rüstungen"
spricht vom militärischen Gesichtspunkt aus
auch noch die Tatsache, daß die Qualität der
bewaffneten Macht mit der Zunahme ihres Um-
fanges sinken muß. Je weniger Soldaten eine
bestimmte Bevölkerungsmenge zu stellen
hat, 10 o/o der Gesamtbevölkerung scheint
überhaupt das Maximum zu sein, desto
tüchtiger können diese in geistiger und
körperlicher Beziehung sein, und desto leichter
wird der Ersatz von Abgängen. Auch wird
eine Armee um so beweglicher, je kleiner sie
ist. Millionenheere nehmen gezwungenerweise
in jeder Beziehung minder leistungsfähige
Männer in ihre Reihen auf, und werden wegen
ihres Umfanges so unbeholfen, daß man sie,
einmal in Bewegung gesetzt, nicht mehr leiten.
verschieben und manöverieren kann, sondern
einfach auslaufen lassen muß.
Treten dann Verluste ein, so wird es
an geeignetem Ersatz fehlen, und dann geht das
Riesenheer an den Folgen der eigenen Fülle
zugrunde.
Nimmt man das Gesagte nochmals vor.
so erkennt man, daß die Friedensfreunde wohl
unrecht haben, wenn sie heute den ewigen
Frieden und die allgemeine Abrüstimg ver-
91
CHE FBIEDENS -WARTE.
3
langen*). Daß man aber doch bald zu einem
Wendepunkt in der Rüstungfrage gelangen
muß, soll die Menschheit mit ihren politischen,
sozialen und wirtschaftlichen Interessen nicht
dauernd geschädigt werden; und daß die bal-
dige Erreichung dieses Wendepunktes geradezu
im eigensten Interesse der Wehrmacht selbst
liegt.
Alle Komponenten vereinigen sich somit
zu der Resultierenden : Weg mit den
Riesenarmeen und Ersatz derselben durch
kleine Heere.
Von der theoretischen Erkenntnis bis zur
praktischen Umsetzung ist aber ein recht weiter
Weg. Das ganze Problem kann erst dann ins
Rollen gebracht werden, bis die Frage, wer
den ersten Schritt zu unternehmen habe,
gelöst ist.
Hier, wo der einzelne machtlos ist einzu-
greifen, müßte eine dankbare Aufgabe aller
wahren Friedensfreunde und deren Ver-
einigungen sein.
Vor allem wäre von diesen Organisationen
klarzustellen, wie sich die einzelnen Staaten
zur Abrüstungsfrage stellen, dann, welche An-
sichten sie hinsichtlich des , .kleinen Heeres"
hegen.
Das so gewonnene Material müßte nun
vorbereitet werden und als Resultat die von
jedem Staate zu tragende Rüstung zu Wasser
und zu Lande ergeben.
Die Einwirkung auf die einzelnen Staaten
sich der, zweifellos einen Eingriff in die Sou-
veränitätsrechte darstellenden, Rüstungsbe-
schränkung zu unterwerfen, wird allerdings
keine leichte Arbeit sein.
Aber wo ein klarer Wille ist, muß auch
ein gangbarer Weg sein.
Steter Tropfen höhlt den Stein!
Die englisch -deutsche
Flottenformel.
Von besonderer Seite.
Die Erklärung des Staatssekretärs v. T i r -
pitz, daß die Formel 16:10 als Stärkever-
hältnis der Schlachtschiffe Englands und
Deutschlands für die nächsten Jahre akzeptabel
sei, sagt zunächst nur, daß für einige Jahre,
wo nach Churchill England in Anbetracht des
noch bestehenden Gefechtswerts seiner Prae-
Dreadnoughts mit jener Ueberlegenheit
von 60 o/o in Dreadnoughts auszukommen
glaubt, Deutschland nicht die Absicht hat,
*) Es braucht in diesen Blättern wohl nicht
erst betont zu werden, wie sehr der gesch.
Herr Verfasser das Problem verkennt. Von
„ewigem Frieden" und „allgemeiner Abrüstung"
ist nur in den Witzblättern die R,ede, wenn sie
die Friedensbewegung in den Kreis ihrer Be-
trachtungen ziehen; aber nirgends im Pro-
gramm dieser Bewegung. Die Red. d. „F.-W.".
sein Flottengesetz vom letzten Jahre zu ändern.
Churchill betonte allerdings in seiner Flotten-
rede vom 18. März 1912, daß, wenn Deutsch-
land über sein damaliges Flottengesetz (1908)
hinausginge, England genötigt sein würde, für
jedes Schiff mehr „zwei" auf Stapel zu legen,
und daß mithin etwaige Mehrbauten das Ver-
hältnis zuungunsten Deutschlands ändern
würden. Dieser Fall ist eingetreten. Die Er-
regung und die englandfeindliche Stimmung,
die 1911 durch die Agitation von Kolonial-
und Flottenverein wegen der Marokkoange-
legenheit erzeugt wurden, führten im ver-
gangenen Jahre dazu, diese Feststellung
Churchills außer Acht zu lassen und durch
ein neues Flottengesetz vom Mai 1912 die Zahl
der Linienschiffe um drei zu erhöhen. In dem
britischen Bauplan wird sich dies in der Folge
aussprechen, da das Ministervvort in England
unantastbar sein dürfte. Aber auch wenn sich
hierdurch die Formel in I6V2 : 10 für die
nächsten Jahre ändert, wird dies ohne Einfluß
bleiben. Zweifellos strebt man in den Re-
gierungskreisen Deutschlands wie Englands
danach, aus dem Stadium der Feindseligkeit
zu einem modus vivendi zu kommen, da beide
Länder den Frieden wollen und das Phantom
vom unvermeidlichen Krieg lediglich ein
Aktionsmittel der Flottentreiber ist.
Churchill sagte noch in seiner Rede
vor Jahresfrist, daß England ebenso
wie der Erhöhung auch der „Ver-
minderung" der deutschen Schiffs-
zahl sofort proportional folgen
würde, und daß, wenn z. B. 1913 in
Deutschland durch Nichtbau „ein
weißes Blatt in das Buch des Miß-
verstehens eingeschaltet würde",
mit den nicht gebauten 3 deutschen
Schiffen 5 gewaltige englische
Ueberdreadnoughts weggewischt
werden würden und dies mehr sei,
alsnachseinerEr Wartung Deutsch-
land in der glänzendsten See-
schlacht zu erreich en hoffen könne.
Der Ersparnis von 6 bis 7 Millionen Pfund
Sterling (120 bis 140 Millionen Mark) stände
kein Nachteil durch Verringerung der Schiffs-
zahl gegenüber. Trotzdem durch das Zu-
sammengehen Deutschlands und Englands in
der jetzigen Orientkrisis den Elementen, die
die Völker gegeneinander hetzten, der Boden
entzogen worden ist, dürfte es in Deutschland
kaum möglich sein, dem Vorschlage Chur-
chills, ein Jahr im Dreadnoughtbau eine
Pause eintreten zu lassen, Folge zu geben,
denn der Lärm derer, die bisher für eine Be-
schleunigung der deutschen Flottenbauten ein-
traten, würde ganz gewaltig sein und1 in Eng-
land indirekt Unterstützung finden. Denn dort
finden sich einerseits patriotische Politiker,
denen das Wachstum der deutschen Flotte
wegen seiner Wirkung auf die Vergrößerung
der britischen und wegen des Zusammen
schließens von Mutterland und Kolonien nicht
92
<£
DIE FRIEDEN5-^ÄR.TE
unerwünscht ist, und andererseits Leute der
Großindustrie und des dahinterstehenden
Großkapitals, die am Flottenbau Geld ver-
dienen wollen und denen jedes Nachlassen
sehr unangenehm ist. Es ist menschlich, daß
der Patriotismus wächst, wenn Eigennutz da-
zukommt, und daß gerade diese Art Leute
sehr aktiv ist und direkt und indirekt in den
Flottenvereinen, in den Parlamenten und in
der Presse einen Einfluß auszuüben sucht,
ohne daß das Publikum die Triebfedern ge-
wahr wird. Das Publikum weiß von den Par-
lamentariern usw. nicht, in welchen Be-
ziehungen sie als Aufsichtsräte oder sonst zu
den großen Schiffswerften oder sonstigen
Lieferanten stehen. Daß zwischen der
deutschen und englischen Agita-
tion für Vermehrung der Flotten-
bauten Beziehungen bestehen, er-
gibt sich aus dem Jahrbuch des britischen
Flottenvereins (Navy League Annual 1910 bis
1911), in dem auf Seite 216 der Herausgeber
Alan H. Burgoyne als Verfasser des Ar-
tikels „Die Entwicklung des englisch-deut-
schen Antagonismus" in einer Fußnote*)
bemerkt, daß er denArtikel mit ge-
ringen Aenderungen früher für den
Grafen Ernst von Reventlow ge-
schrieben habe und erauchin einem
Berliner Blatt veröffentlicht wor-
den s e i. — Graf E. Reventlow, der bekann-
teste deutsche Flottentreiber, Alan H. Bur-
goyne, eins der tätigsten Mitglieder des eng-
lischen Flottenvereins.
Kiderlen * Wächter.
Als ich in der Januarnummer der „Frie-
denswarte" den kurz gehaltenen Nachruf für
den verstorbenen Staatssekretär des Aus-
wärtigen Amtes, von Kiderlen-Wächter, las,
empfand ich ein Bedauern darüber, daß diesem
Manne auch hier, wie an so vielen Stellen, nur
eine geringe Anerkennung, ja ein leiser Tadel
nachgerufen wurde.
Es ist immer schwer, die Taten zeit-
genössischer großer Männer richtig zu be-
urteilen, weil einem der genügende Abstand
fehlt, um diese Taten in der Gesamtwirkung
und in ihrer Begründung richtig bewerten zu
können, und dies wird umso schwerer, je mehr
Menschen sich für urteilsberechtigt halten und
ihre Ansichten hinwerfen, ohne den Charakter
der handelnden Persönlichkeiten zu kennen.
Es gibt Menschen, die man aus böser Er-
fahrung heraus niedrig bewertet und deren
Beweggründen man bei jeder Handlung Nie-
drigkeit unterschiebt und andere, bei deren
scheinbar unverständlich falschen Handlungen
*) Diese Fußnote lautet: „This article was
written by the author for Graf Ernst v. Revent-
low and published in the Berlin .Zeitfragen'.
It has only been altered sufficiently to bring
it up-to-date."
man sofort nach einem versteckten guten Motiv
sucht. Bei jenem sagt man wohl: das ist ein
häßlicher Charakter, den man jeder Schand-
tat fähig hält, — bei diesem:- der hat eine
prächtige Gesinnung, der hat gewiß nichts
Falsches gewollt und seine guten Gründe ge-
habt.
Das soll auf Kiderlen angewandt heißen:
die Schwaben haben ihn näher gekannt und
seine Handlungsweise durch seinen Charakter-
besser beurteilen gelernt als die Welt da
draußen, die von ihrem jeweiligen Stand-
punkt aus kalt kritisiert und viel geschimpft
hat. Weil ich diesen Mann gekannt und ein
gutes Urteil über ihn gewonnen habe, möchte
ich, daß dieses Urteil auch jenseits der
Grenzen seiner engeren Heimat Raum ge-
wänne, und deshalb bitte ich noch nachträglich
um Aufnahme dieser verspäteten Zeilen in
Ihren Spalten.
Es liegt mir fern, über Politik zu philo-
sophieren oder ein Urteil über Richtigkeit oder
Unrichtigkeit des Verhaltens unserer Diplo-
matie in den auswärtigen Angelegenheiten zu
wagen, darüber denkt der eine so, der andere
das Gegenteil; nur weil an dieser Stelle von
dem1 „Mann von Agadir" gesprochen wurde
als von einem Manne, an dessen pazifistischen
Grundsätzen man gezweifelt habe, möchte ich
meine Ansicht aussprechen: daß gerade
dieser Kiderlen -Wächter an seinem
führenden Posten Leiter einer
festen Friedenspolitik war und daß
seine Gesinnung gerade hier an
dieser Stelle Anerkennung ver-
diente.
Bei den Friedensfreunden hat der „Panter-
sprung" Mißfallen hervorgerufen, bei den
Kriegslustigen Aerger über die „Schlappheit
des späteren Rückzugs" ; hier wie dort ist er
falsch verstanden und falsch gedeutet worden,
und erst jetzt beginnt man ihn hie und da
als das darzustellen, was er wirklich war: das
repräsentative Auftreten einer mitinteressierten
Großmacht, die sich nicht an die Wand
drücken ließ.
Kiderlen hat nie Besitzergreifung von
Land angestrebt, darum hat in seiner Absicht
nie Waffengeklirr gelegen, und es kann von
einem beschämenden oder schlappen Rückzug
bei Marokko nicht die Rede sein. Seine dies-
bezüglichen leitenden Ideen hat er oft aus-
gesprochen und scheinen mir in den Worten
zu liegen, die er im Freundeskreis gesprochen :
„Die italienische Diplomatie und
der König haben sich durch die
Volksstimmung zum Krieg in Tri-
polis t reiben lassen, wir haben uns
mit Marokko eben nicht dazu
treiben lassen." Ein andermal äußerte
er in Bezug auf Hetzartikel in der Presse: „z u
dumm, wir werden uns doch nicht
so einer Sandbüchse (Marokko)
wegen in einen Krieg einlassen!"
Und ein andermal bekam eine hochgestellte
93
DIE FBIEDENS -^/ADTE =
3
.'Persönlichkeit von ihm zu hören: „Wir
können doch nicht, um einigen
Gardeleutnants ein Vergnügen zu
machen, Krieg anfangenl" Noch einen
Tag vor seinem Tode, als man ihm den Besuch
der nach London reisenden Friedensunter-
händler fernhalten wollte, erklärte er aufs aller-
energischste : „ich muß die Herren sehen, sie
sollen unter allen lUmständen an mein Bett
kommen, es hängt alles davon ab, daß sie
ihre Sache richtig machen."
Viele Aussprüche, welche von der ent-
schiedenen Friedensrichtung dieses Mannes
zeugen, sind bekannt geworden und sollten
auch Fernerstehenden ein wahres Bild seiner
Wirksamkeit geben, einer segensreichen Wirk-
samkeit, die leider nur zu kurz war, um zu
breiterer Anerkennung durchgedrungen zu sein.
Und so muß denn Deutschland in dem Tode
Kiderlen-Wächters tief das Erlöschen einer
Kraft betrauern, die in politisch hoch be-
deutungsvoller Zeit „noch so viel von sich er-
warten ließ," wie Kaiser Wilhelm sich in
seinem Beileidstelegramm ausdrückte. J. S.
Brief aus denVereinigien Staaten.
Von Henry S. Haskeil, New York.
Die Frage von internationaler Bedeutung",
die während des Januar die Oeffentlichkeit
in hervorragendster Weise beschäftigte, ist
der Gegensatz zwischen Großbritannien und
den Vereinigten Staaten über die Panama-
Kanal-Abgaben. Am 4. Januar hielt
Präsident Taft in New York darüber eine
Rede, worin er sich, für den Fall, daß es
auf diplomatischem Wege zu einer befriedi-
genden Beilegung nicht kommen sollte, un-
zweideutig für das Schiedsverfahren aus-
sprach. Von Interesse war dabei die Er-
klärung des Präsidenten, daß er für die
Schiedsgerichtslösung sei, obwohl die Wahr-
scheinlichkeit besteht, daß die amerikanisch^
Regierung vor dem Schiedshof verlieren
würde. Am) 6. Januar trat Präsident Taft
dann dafür ein, daß der Fall besser einem
Sondertribunal statt dem Haager Hof über-
antwortet werde.
Tausende von Zeitungen unseres Landes
haben die Frage in Leitartikeln erörtert, und
fast alle traten zugunsten einer Erledigung
ein, entweder durch Zurückziehung jener Be-
stimmung der Panama-Kanal-Akte, die die
Küstenschiffahrt der Vereinigten Staaten von
den Abgaben befreit, oder durch Ueberwei-
sung an ein Schiedsgericht. Professor Em'ory
R. Johnson, der Regierungs-Referent und
Sonder-Kommissionär für den Panama-Kanal-
Verkehr, veröffentlichte eine sorgfältige und
logische Erklärung, in der er bewies, daß
die Befreiung der Küstenschiffahrt der Ver-
einigten Staaten in Wirklichkeit nur eine
Subventionierung des Küstenhandels bedeute,
eine solche keineswegs wünschenswert noch
notwendig wäre und von den im Küsten-
handel Interessierten in der Tat auch nicht
verlangt werde.
Senator Elihu Root brachte nun am
14. Januar einen Gesetzentwurf ein zur Amen-
dierung der Panama-Kanal-Akte durch Besei-
tigung jener Bestimmungen, die die amerika-
nische Küstenschiffahrt von der Leistung
von Abgaben befreit. Am 21. Januar hielt
Senator Root vor dem Senat eine meisterhafte
Rede zugunsten seines Antrags. Die „New
York Tribüne" vom1 22. Januar sagte ge-
legentlich der Besprechung dieser Rede fol-
gendes : „Arn1 Schlüsse dieser Rede zeigte
sich deutlich, daß die Opposition gegen die
Zurückziehung jener Bestimmung, die Groß-
britannien anfocht, sich abzuschwächen be-
gann. Verschiedene Senatoren, die in der
letzten Kongreß-Session dafür gestimmt
hatten, zeigten sich geneigt, ihr Votum zu
ändern, so daß es jetzt nicht unmöglich ist,
daß der Senat entweder das Gesetz amendiert
oder zumindest zur schiedsgerichtlichen Aus-
legung der Bestimmungen des Hay-Paunce-
fote-Vertrages seine Einwilligung gibt."
Im „Outlook" vom 18. Januar wird ein
Brief des früheren Präsidenten Roosevelt
veröffentlicht, worin er die Ansicht vertritt,
daß es zwar unser Recht sei, unseren Küsten-
handel von den Kanal-Abgaben zu befreien^
insofern aber Großbritannien die Frage auf-
geworfen habe, es dennoch die Pflicht der
Vereinigten Staaten sei, sich auf den Schieds-
vertrag zu verlassen und die Frage der Aus-
legung des Hay-Pauncefote-Vertrages der
Schiedssprechung des Haager Hofes zu über-
weisen.
Am 20. Januar wurde die Antwort des
Staatssekretärs K n o x Sir Edward Grey
übermittelt. Die Antwort verteidigt das Recht
der Vereinigten Staaten, ihren Küstenhandel
von den Abgaben zu befreien, und beantwortet
die Punkte des englischen Protestes. Es
besteht zwar eine Meinungsverschieden-
heit im Lande über die Stichhaltigkeit der
vom Staatssekretär angeführten Gründe, doch
ist die Oeffentlichkeit in hohem Maße an der
Anregung interessiert, die am1 Schlüsse der
Note gemacht wurde. Danach erklärte es der
Staatssekretär für wünschenswert, den
zwischen den Vereinigten Staaten und Groß-
britannien am 3. August 1911 abgeschlosse-
nen Schiedsvertrag in der vom Senat der
Vereinigten Staaten erfolgten Amendierung
zu ratifizieren und den Streit alsdann der
darin vorgesehenen Hohen gemischten Kom-
mission zu überweisen.
Ende Januar veröffentliche Robert
Underwood Johnson, der Heraus-
geber des „Century", eine Broschüre, die
Hunderte von Aeußerungen aus der Feder von
Redakteuren, Kollegspräsidenten, Geist-
lichen, Schriftstellern und Kaüfleuten ent-
hielt, die fast alle darin übereinstimmen,
daß die Ehre des Landes entweder eine so-
94
t§!
DIE FRI EDENS -^XÄRXE
fortige Zurücknahme der Befreiungsklausel
-oder die Unterwerfung der Angelegenheit
unter die Schiedsgerichtsbarkeit erfordere.
Das Volksempfinden des ganzen Landes
ist überwiegend zugunsten der Rück-
nahme der Klausel oder der schied-
lichen Erledigung. Die Angelegenheit
hängt jedoch vom Kongreß ab. Obwohl
die öffentliche Meinung einen starken Druck
auf die Mitglieder des Kongresses ausübt, ist
es jetzt noch unmöglich, vorauszusehen, ob
der Kongreß die bestrittene Bestimmung
zurücknehmen oder zur schiedlichen Erledi-
gung seine Zustimmung geben wird. Man
kann lediglich sagen, daß die Stimmung im
Kongreß von der landläufigen Ansicht ent-
sprechend beeinflußt wird.
Edwin D. Mead, der geschäftsfüh-
rende Direktor der Weltfriedens-Stiftung in
Boston, absolvierte eine drei Wochen wäh-
rende Friedens-Vortragstournee im1 Westen,
wobei er mehr als 20 Versammlungen vor
der Studentenschaft größerer Universitäten,
vor hervorragenden Handelskorporationen und
politischen Organisationen abhielt. Die Ver-
sammlungen waren durchwegs stark besucht,
und überall wurde er mit Wärme und En-
thusiasmus begrüßt. Bei seiner Rückkehr
äußerte er sich in folgender Weise: ,,Die
Herzen des Volkes sind überall mit uns. Was
im1 allgemeinen nottut, ist schlichtere Er-
ziehung, ein festumschriebenes Programm und
ein klarer Aufruf an das Volk für aktive
Unterstützung der Bewegung gegen das
System der ungeheuerlichen Rüstungen und
des gegenseitigen Mißtrauens, dessen die
meisten von Herzen überdrüssig sind." Die
Weltfriedensstiftung hat für die Zurück-
nahme der Befreiungsklausel entschieden
Stellung genommen und energisch diesem
Ziele entgegengearbeitet.
Am 12. Januar hielt die „New York Peace
Society" in der Academy of Music, Brook-
lyn, eine Massenversammlung ab, bei der Re-
solutionen zur Annahme gelangten, durch die
die Regierung der Vereinigten Staaten auf-
gefordert wurde, den Panama-Streit der
Schiedsgerichtsbarkeit zu unterbreiten, wenn
sich die diplomatischen Beilegungsmethoden
als erfolglos erweisen würden. Das Kongreß-
mitglied James L. Slayden von Texas
sprach dabei über „Das Panama-Kanal-Ge-
setz, eine Bedrohung des internationalen Frie-
dens", und der Direktor der Journalisten-
schule an der Kolumbia-Universität, Dr. T a 1 -
cott Williams, der über die „Offenen
Wasserwege der Welt" referierte, sagte, daß
die Zwiespältigkeit der Panama-Kanal-Ab-
gaben einen tötlichen Schlag für den Welt-
frieden bedeute, da sie aller Gerechtigkeit,
Billigkeit und Wohlanständigkeit wider-
spricht.
Am 24. Januar sprach in der New- Yorker
Carnegie-Hall der frühere Präsident der
Harvard-Universität, Dr. C h a r 1 e s!W.E 1 i o t,
in einer von der „New York Society" ver-
anstalteten Versammlung über „Die Förde-
rung des Friedens im Orient". Dr. Eliot
lenkte die Aufmerksamkeit auf die wunder-
baren Wandlungen, die sich im letzten halben
Jahrhundert im Orient vollzogen und er-
klärte den Gedanken an einen Krieg mit
Japan für den äußersten Widersinn. Er
sagt, Japan sei bis jetzt die einzige Nation
des Orients, die die Methoden der induk-
tiven Philosophie erfaßt, die die Grundlage
der westlichen Kultur bilden. Andrew Car-
negie, der jener Versammlung präsidierte,
gab seiner Ansicht Ausdruck, daß der Schutz
des Privateigentums zur See in Kriegszeiten
bald verwirklicht sein werde. Bei der Jahres-
versammlung der „New York Peace Society",
die am 30. Januar abgehalten wurde, hielt
Mr. Robert Underwood Johnson
einen wirkungsvollen Vortrag über das Thema
„Warum sollte die Befreiung der Küsten-
schiffahrt zurückgenommen werden ?" Am
Schluß jener Versammlung wurde eine Re-
solution angenommen, die die Rücknahme
der Befreiungsklausel oder die Ueberweisung
der Streitfrage an ein Schiedsgericht fordert.
Das jetzt dem Repräsentantenhaus vor-
liegende Miliz-Gesetz begegnet aus drei
Gründen einer beträchtlichen Opposition. Zu-
nächst wegen der Gefahr, die Regierung mit
einer ungeheueren und stets anwachsenden
Ausgabe zu belasten. Bislang war die
Miliz eine staatliche Organisation, und es
war ungesetzlich, sie außerhalb des Landes
dienstlich zu verwenden. Das vorliegende
Gesetz sieht die Bezahlung der Miliz durch
die Zentralregierung vor und bestimmt, daß
sie unter gewissen Umständen auch außer-
halb des Landes für den auswärtigen Dienst
Verwendung finden dürfe. Wird der Ent-
wurf Gesetz, so berechnet man, daß die
Raten, die im1 ersten Jahr 9 234 729 $ be-
tragen würden, rasch zu 100 bis 200 Millionen
Dollars jährlich anwachsen könnten. Der
zweite Einwand ist in dem Widerwillen des
amerikanischen Volkes für jede Entwicklung
in der Richtung des Militarismus begründet.
Der dritte und vielleicht der ernsteste Ein-
wand vom nationalen Standpunkt liegt in
der Tatsache, daß die Miliz eine starke po-
litische Organisation werden könnte, die
Infolge der großen Zahl von Stimmen, über
die sie verfügt, einen gefährlichen Einfluß
auf die Regierung erlangen könnte. Am
14. Januar hielt die deutsch-amerikanische
Friedensgesellschaft zur Erörterung des Miliz-
Gesetzes eine öffentliche Versammlung ab,
bei der die bereits am 11. Dezember an-
genommene oppositionelle Resolution neuer-
dings bestätigt wurde. Der Präsident konnte
dabei berichten, daß im Einklang mit der
früheren Resolution die Aufmerksamkeit der
Oeffentlichkeit auf den gefährlichen Cha-
rakter der vorgeschlagenen Maßnahmen ge-
lenkt würde, so daß der Gesetzentwurf kaum
95
DIE FßlEDENS->^kDTE
;§>
über die Vorbereitungen hinaus gelangen
werde.
Der Präsident ist urgiert worden, die
neue Republik von China anzuerkennen, hat
dies aber bis jetzt nicht getan. Es scheint
die Absicht des Präsidenten wie des Staats-
departements zu sein, die Fortschritte der
neuen Republik mit sympathischem Interesse
zu verfolgen, es aber für unrichtig zu er-
achten, die gegenwärtige provisorische Re-
gierung von China, ehe ihre Stabilität sich
erwiesen haben wird, anzuerkennen.
Am1 9. Januar hielt der frühere Gesandte
in Chile, Charles H. Sherill, in New
York einen Vortrag über die Monroe-Doctrine
und die Beziehungen unseres Landes mit den
südamerikanischen Republiken. Bezüglich
Mexikos spricht er sich scharf gegen eine
Intervention aus. Sollte diese durch
die Umstände geboten werden, so schlägt er
vor, daß Argentinien und Brasilien auf-
gefordert werden sollten, sich den Ver-
einigten Staaten dabei anzuschließen, um da-
durch bei den lateinischen Republiken
Amerikas jeden Gedanken zu verscheuchen,
als ob es den Vereinigten Staaten um Ge-
bietserwerb zu tun wäre.
Ein internationaler
Studentenkongreß.
Von Louis P. Lochner,
Madison, Wisconsin,
Sekretär der F£d£ration Internationale
des Etudiants.
Vom 26. August bis zum 16. September
dieses Jahres wird in Amerika der achte
internationale Studentenkongreß tagen. Er
wird von der F6d£ration Inter-
nationale des Etudiants „Cor da
Fratres" veranstaltet, jener Organisation,
die im Jahre 1898 in Italien gegründet, sich
jetzt über 14 Staaten erstreckt. Die Teilnahme
an dem Kongreß ist jedoch keineswegs auf
Vertreter der jetzt dem Corda Fratres-Bunde
angehörigen Studentenverbände beschränkt.
Eine jede Studentenvereinigung, die sich die
Förderung von Freundschaft und gegen-
seitiger Verständigung zwischen Studenten
verschiedener Länder zum Ziel setzt, ist ein-
geladen, sich zu beteiligen.
Der Zweck dieser Zusammenkunft geht
aus dem „Aufruf" hervor, der unlängst in
Tausenden von Exemplaren verteilt worden
ist, „damit der Geist der internationalen Ver-
ständigung und der Humanität gefördert
werde, und damit die Studenten der Welt
in eine weltumfassende Organisation sich
föderieren mögen' ' .
Die offiziellen Sitzungen sollen in
1 1 h a c a , New York, dem Sitz der Cornell-
Universität, stattfinden; jedoch soll sich der
Aufenthalt der Delegierten keineswegs auf
diese liebliche Musenstadt beschränken. Das
folgende Reiseprogramm ist ausgearbeitet
worden und soll so weit als möglich aus-
geführt werden:
26. Aug.: Ankunft in Boston.
27. — 30. Aug.: Besichtigung der Sehens-
würdigkeiten Bostons und der Harvard-
Universität zu Cambridge. Der be-
kannte Pazifist Edwin D. Mead aus
Boston steht an der Spitze des
Empfangskomitees.
31. Aug.: Kurzer Aufenthalt in New York.
(Längerer Aufenthalt am Ende der
Reise.)
1. Sept.: Dampfschiffahrt entlang des be-
rühmten Hudson- Flusses.
Abends: Empfang im Staatskapitol
zu Albany von Sr. Exzellenz dem Gou-
verneur von New York.
2. Sept.: Ausflug nach den Niagarafällen.
3. — 7. Sept.: Offizielle Sitzungen des Kon-
gresses in Ithaca, verbunden mit Aus-
flügen, Vorträgen, Diners u. dergl. m.
8. — 9. Sept.: Philadelphia. Besichtigung
der Sehenswürdigkeiten der Stadt sowie
der großen Pennsylvania-Universität.
10. — 12. Sept.: Ausflug nach Washington
mit großem Empfang der Pan- Amerika-
nischen Union in dem von Carnegie
gestifteten Pan-Amerikanischen Palast.
Auch ein Empfang im Weißen Hause
ist von dem zukünftigen Präsidenten
der Vereinigten Staaten, Herrn Prof.
Dr. Woodrow Wilson grundsätzlich zu-
' gesichert worden.
13. — 16. Sept. : New York. Besichtigung der
Stadt, Empfang von dem Bürgermeister
William Gaynor, Bankett von der
New- Yorker Friedensgesellschaft usw.
Die Vorbereitungen für den Kongreß sind
gegenwärtig in vollstem1 Gange. Der „Auf-
ruf" ist an alle Kultusministerien, an die in
Washington stationierten ausländischen Ge-
sandten, an die Studentenzeitschriften aller zivi-
lisierten Länder, an Studentenkorps und
andere Studentenvereinigungen sowie an hun-
derte von einzelnen Studenten gesandt worden.
Das Ehrenkomitee, das dem Unternehmen sein
Wohlwollen und seine, Unterstützung zugesagt
hat, besteht u. a. aus dem Präsidenten
der Vereinigten Staaten, dem Gou-
verneur des Staates und dem Bür-
germeister der Stadt New York, dem
Generaldirektor der Panamerika-
nischen Union, den Präsidenten-
aller panamerikanischen Univer-
sitäten, an welchen sich gegenwärtig ein
internationaler Studentenverein befindet usw.
Eine stattliche finanzielle Subvention ist
den Leitern des Kongresses von der Car-
negie-Stiftung zugesprochen worden.
Und die Ginn- Stiftung zu Boston ermög-
licht es dem Vorsitzenden des Comite' Cen-
tral International, Herrn Dr. G. W~
Nasmyth, seinen Amtstermin in Europa
zu verbringen, wo er unter zahlreichen Stu-
96
<g=
DIE FRIEDENS-N^RTE
dentenverbindungen und ganz besonders in
dem Verband der Internationalen Studenten-
vereine an deutschen Hochschulen, der ja auch
dem Corda Fratres Bund gliedlich angehört,
Interesse für den Kongreß erweckt.
Erwähnt seien noch kurz die Ereignisse,
die für ein völliges Verständnis der Bedeutung
dieses Kongresses benötigt sind: Im Jahre
1909, auf Einladung des Zentral-Bureaus der
Föderation Internationale des
Etudiants „Corda Fat res", nahmen
drei Vertreter der nordamerikanischen Asso-
ciation of Cosmopolitan Clubs, die
sich nun auf dreißig Universitäten der Ver-
einigten Staaten und Canadas erstreckt, und
deren Wirksamkeit ich unlängst in diesen
Spalten erörtert*), an dem sechsten Kongreß
dieser F£d£ration im Haag teil. Sie
fanden eine solche Verwandtschaft der Zwecke
und Ideale der Cosmopolitan Clubs
und der Corda Fratres Konsulate vor,
daß sie begeistert für eine Vereinigung dieser
beiden großen Studenten verbände eintraten.
Man konnte sich jedoch auf amerikani-
scher Seite nicht sogleich einigen, wie eng
sich dieser Zweibund gestalten solle. Eine
zweite Delegation wurde also nach dem sie-
benten Kongreß, der in 1911 zu Rom statt-
fand, gesandt. Hier endlich wurde ein Pro-
gramm entworfen, das zunächst nur für das
gegenwärtige Biennium (1911 — 13) bindend ist,
das jedoch, wie ich hoffe, in Ithaca end-
gültig angenommen wird. Gemäß diesem
Programm bilden solche Vereinigungen wie
die Consulate der Corda Fratres,
die Clubs der Association of Cos-
mopolitan Clubs, die Unions des
Etudiants von Frankreich, die E a s t and
West Clubs von England, die internatio-
nalen Studenten vereine des Verbandes an
deutschen Hochschulen, die Ligade Estu-
d i a n t e s von Südamerika eine internationale
Studentenkonföderation unter der Leitung
eines Zentralkomitees, bestehend aus zwei
Vertretern jeder Gruppe. Durch Kongresse,
Korrespondenz, Erweisung von Gastfreund-
schaft und sonstige Beweise internationalen
Wohlwollens wollen diese Gruppen ihren ge-
gemeinsamen Zweck verfolgen, d. h., Freund-
schaft und gegenseitiges Verständnis zwischen
den Studenten der Welt zu fördern, ohne je-
doch bestimmte religiöse, politische oder öko-
nomische Grundsätze zu begünstigen oder zu
bekämpfen.
Es wäre sehr zu wünschen, daß
sich die Studenten Deutschlands
recht zahlreich an diesem Kon-
gresse beteiligen. Ganz abgesehen
davon, daß die Beziehungen, die sie
mit Komilitionen aller Länder bei Ge-
legenheit des Kongresses anknüpfen können,
von größtem Nutzen für die Zukunft sein
dürften, so ist eine starke deutsche Beteili-
*) Siehe Friedenswarte, Mai, 1912.
gung ganz besonders wegen der engen kul-
turellen Verbindungen, die zwischen Amerika
und Deutschland bestehen, wünschenswert.
Eine Reise deutscher Studenten würde das
Band, das hauptsächlich durch die Austausch-
professuren geknüpft ist, ganz bedeutend ver-
stärken.
Eine Lanze für die Rechtsnatur
des Völkerrechts.
Von Dr. K a r 1 S t r u p p , Frankfurt a. M.
Nachdem vor kaum Jahresfrist E. J.
B e k k e r gegen die Rechtsnatur des Völker-
rechts Sturm gelaufen ist, bekennt sich so-
eben Bellardi im neuesten Heft dieser Zeit-
schrift gelegentlich einer manch Beachtens-
wertes enthaltenden Besprechung von Weh-
bergs „Problem eines Staatengerichtshofs"
zu ähnlichen Auffassungen. Wenn ich an
dieser Stelle mit einigen wenigen Sätzen auf
die vielleicht umstrittenste Frage des Völker-
rechts, über die schon Ströme von Tinte ge-
flossen sind und wohl auch in Zukunft noch
fließen werden, eingehen möchte, so geschieht
dies einzig und allein deshalb, um jene Auf-
fassung nicht unwidersprochen zu lassen. Denn
es handelt nicht um Quisquilien. Die leider
gerade in Juristenkreisen noch immer er-
schreckend zahlreichen Gegner des Völker-
rechts pflegen sich ja mit Vorliebe hinter
dem Satz zu verschanzen, daß dem Völker-
recht keine Rechtsnatur zukomme, weil
zurzeit weder eine internationale Gerichts-
barkeit nach dem Muster der nationalen, noch
deren „notwendige" Ergänzung, eine Exe-
kutionsgewalt, vorhanden sei. Daher dann ein
mitleidiges Achselzucken über die „idealen
Schwärmer", die auch gegenüber den an-
geblich zahlreichen, in jedem einzelnen Fall
aber dick unterstrichenen Verstößen gegen
das angebliche Völkerrecht noch von seiner
Existenz fabelten.
Bei Licht betrachtet, sind diese Einwände,
gerade wie der Krieg im Verhältnis zur Frie-
densbewegung, in einer reichlich großen Zahl
von Fällen lediglich willkommenes Deck-
mäntelchen zur Verhüllung der eigenen Ig-
noranz. Mit jenen „Leugnern" des Völker-
rechts braucht man sich nicht auseinander-
zusetzen. Ueber sie kann man getrost zur
Tagesordnung übergehen. Wohl aber muß
man den anderen, die aus innerster, auf
Ueberlegung beruhender Ueberzeugung heraus
eine falsche Auffassung vom Wesen des
Völkerrechts, ja des Rechts überhaupt,
leitet, den Weg zu weisen sucht, der
es ihnen ermöglicht, ihre vorgefaßte Mei-
nung in einem anderen Lichte zu betrachten
und, wo möglich, zu korrigieren.
Gerade Wehberg ist es gewesen, der
sich in dem' von Bellardi zum Ausgangs-
punkt genommenen Buche mit Recht gegen
97
DIE FBIEDENS -^/ABTE =
£>
eine Gleichstellung der internationalen und der
nationalen Gerichtsbarkeit ausgesprochen hat.
Wenn Bellardi sich hiergegen wendet und
meint, die Beweislast für die mangelnde Gleich-
stellung müsse dem zufallen, der die Wesens-
gleichheit behaupte, so bewegt er sich damit
in Gedankengängen, die dem Naturrecht nicht
fremd gewesen sind. Dem ist es aber, bei
allen Verdiensten, die dessen Gläubigen sich un-,
zweifelhaft um die Fortbildung des Rechts
erworben haben, zu verdanken, wenn Staats-
und Völkerrecht bis auf die neueste Zeit in
falschen Bahnen sich bewegt haben und wenn
man erst vor wenigen Dezennien begonnen
hat, beide Rechtsinstitute in voller Erkenntnis
ihrer Eigenart von der ihnen anhaftenden
Schlacken des Privatrechts (man braucht nur
an die Staatservituten zu erinnern) zu befreien.
Aber gesetzt, man müsse wirklich beide
gleichstellen, so gibt es selbst im Staat, im
nationalen Recht, Institute, denen Bellardi
doch wohl kaum den Rechtscharakter ab-
streiten wird, und bei denen zweifellos eine
Zwangsgewalt fehlt. Ich meine das Staats- und
das Strafrecht.
Zu einer Kriegserklärung seitens des Deut-
schen Reiches, die ein gnädiges Geschick ver-
hüten möge, bedarf der Kaiser die Zustim-
mung des Bundesrats, sofern es sich um einen
Offensivkrieg handelt. Gesetzt den praktisch
unmöglichen Fall, es würde ohne jene Zu-
stimmung . der Krieg erklärt, gäbe es dann
irgendeinen staatlichen „Zwang" zur Annul-
lierung jener Erklärung? Und wie liegt es,
wenn ein Gesetzgeber ein Gesetz erläßt, das
mit einer Verfassungsbestimmung im Wider-
spruch steht ?
Ganz ebenso ist es aber im Strafrecht.
Wenn § 212 des Deutschen Strafgesetzbuchs
den Mord mit dem Tode bedroht, so ist der
Zwang, der hierin gegenüber dem einzelnen
zum Verbrechen Bereiten liegt, kein
rechtlich, sondern lediglich ein psycho-
logisch vermittelter. Man kann daher den
Satz aufstellen, daß der Zwang nicht als
Essentiale des Rechts übersetzt, wohl aber
im modernen Staat als Moment der strei-
tigen (Zivil-)Gerichtsbarkeit aufgefaßt werden
muß.
Ich sage: im modernen Staat. Denn
schon zu einer Zeit, als es noch keine Ge-
richtsbarkeit, noch weniger eine Exekutions-
gewalt gab, hat das Recht existiert. Die
Universalrechtsgeschichte, insbesondere die
Rechtsgeschichte der Inder und Germanen,
zeigt das auf tausend Blättern. Ist aber selbst
die Gerichtsbarkeit kein Essentiale des Rechts-
begriffs, so kann es ihr angeblicher Annex
noch viel weniger sein.
Und noch eins lehrt die Rechtsgeschichte
— was freilich die zivilistische Jurisprudenz
und Bellardi mit ihr nicht anerkennen werden
— daß nämlich der Zwang keineswegs einzige
Garantie des Rechts ist. Vielmehr war
und ist der nichtorganisierte Druck eine
viel stärkere Rechtsgarantie als aller vom
Staate geübter Zwang.
Ich habe eingangs betont, daß die
Sätze, die ich hier niedergelegt, lediglich um
des Zwecks willen geschrieben worden sind,
Leugnern des Völkerrechts, die ihre Ne-
gierungen auf wissenschaftlichen Erwägungen
aufbauen, Material zur Ueberlegung und Nach-
prüfung ihrer Auffassung an die Hand ztu
geben. Habe ich letzteres erreicht, so trägt
diese Abwehr ihren Lohn in sich.
Das Christentum
und der Kampf gegen den Krieg.
Von Dr. O. Se ufert.
Eine Entgegnung.
Die Januar- Nummer der Friedenswarte
enthält nebst anderen trefflichen Ausführungen
zwei Artikel, von denen man ernstlich be-
zweifeln muß, daß sie dem Zweck dienen,
den schließlich alle Veröffentlichungen der
pazifistischen Presse anstreben, nämlich der
Propaganda der Friedensbewegung.
Gemeint ist der Artikel von I r o O j s e r -
k i s und das Zitat von Gerh. Hauptmann.
Der erstere scheint dem Christentum
überhaupt jede Bedeutung für die Friedens-
idee absprechen zu wollen, das letztere stellt
eine Probe wüster Ausfälle gegen das Christen-
tum oder wenigstens die Diener der christlichen
Kirche dar, auf die nicht weiter eingegangen
werden, sondern deren Aufnahme nur — ge-
linde ausgedrückt — bedauert werden soll.
Die Friedenswarte scheint auf dem in
gewisser Beziehung löblichen Standpunkte zu
stehen, daß alle einschlägigen Erscheinungen
auf dem Gebiete der Presse, der Literatur, des
öffentlichen Lebens, soweit sie dem pazi-
fistischen Geiste dienen könnten oder (den.
Zweck) der Verbreitung dieser Idee zu fördern
geeignet sind, Aufnahme verdienen.
Aber, wenn solche Erscheinungen nur den
gegenteiligen Erfolg zu erzielen geeignet sind,
dürfte es füglich angebracht sein, oder er-
laubt sein, die Notwendigkeit oder Zweck-
mäßigkeit ihrer Aufnahme zu kritisieren.
Der Aufsatz von Iro Ojserkis, der sich
in förmlichen Gegensatz zu den reichen lite-
rarischen Erzeugnissen aus der pazifistischen
Literatur, die das Thema Pazifismus und
Christentum in einem diesem günstigen Lichte
behandeln, stellt, und ihm, speziell den Of-
fiziösen der Christenheit, eine sehr traurige
Rolle in der Frage zuspricht, andererseits da-
gegen dem Buddhismus mit einem senti-
mentalen Nimbus entgegenkommt, mag sich
gut ausmachen in einer monistischen Zeit-
schrift, wo auf anders Denkende keine Rück-
sicht genommen zu werden braucht, aber der
Pazifismus und seine Presse, die sich einer
Anzahl von Ausführungen und Gedanken aus
98
<§=
DIE TRI EDEN5 -WARTE
der christlichen Religion bedienen, würde eine
sehr inkonsequente Haltung und Auffassung
vton seinen Anhängern verlangen, wenn er
nun die Ausführungen von I. Ojserkis ernst
genommen wissen wollte.
(Wir wollen oder können nicht darauf
eingehen, daß der Verfasser des Artikels den
Geist des Christentums ignoriert oder spöt-
tisch abtut und fast nur den bildlichen Wort-
laut resp. Symbole als Gegenargumente ins
Feld führt, wir können in einigen Zeilen nicht
mit dem Verfasser uns auseinandersetzen über
die Wirkung der christlichen Weltauffassung,
die bestimmt war, eine Welt von Wollust und
Grausamkeit umzugestalten, und Kultur und
Milde an Stelle von Barbarei und Blut zu
setzen; wir dürfen hier nur kurz belehren,
daß das Christentum nicht einen Umsturz,
sondern eine allmähliche Umgestaltung zu be-
wirken berufen war, welcher Prozeß z. B. in
betreff der mit dem Krieg oft zusammen-
genannten Sklaverei sich im Laufe der Jahr-
hunderte vollzog und erst im letzten Jahr-
hundert seinen Abschluß fand, wenn über-
haupt der Verfasser jenes Artikels das
Christentum als dabei mitwirkenden Faktor
gelten zu lassen erlaubt.
Greift das Christentum auch nicht direkt
den Krieg an, — was wollten auch seine
kleinen Verkündiger gegen Weltreiche und
Machthaber? — seine Wertung des indivi-
duellen Menschen genügte allem schon, um
daraus das Unchristliche der „Menschen-
schlächterei" abzuleiten.
Nein, das Christentum mit seiner Achtung
des Individuums, seiner Fürsorge für die
Aermsten und Unglücklichsten zu einer Zeit,
wo für den Staatsabsolutismus der einzelne
eine Null war, darf noch ruhig als der
mächtigste Hort angesehen werden, der den
Kleinen und Schwachen in Schutz nimmt gegen
Gewalt und Machthaber, der in dem Men-
schen ein göttliches Ebenbild sieht, ihn nicht
als ein [Stück „Materie" abtut; mindestens
darf der naturalistische Monismus, der in dem
nichts als ein Stück belebten Stoffes oder eine
hochentwickelte Bestie sieht, nicht versuchen,
einen Vergleich auszuhalten, da hieraus nur
der Kampf aller gegen alle sich folgern ließe,
am allerwenigsten aber eine bindende Ver-
pflichtung zur Schonung des Nebenmenschen
bestände.
Ueberdies ist es gar nicht wahr, daß die
Offiziösen der Christenheit sich der Friedens-
frage absolut renitent gegenüber verhalten.
Eines unserer schönsten Zitate, über das wir
Pazifisten verfügen, ist doch das des Führers
der katholischen Christenheit, Leo XIII. :
„Nichts ist dringender, nichts ist not-
wendiger, als dem Kriege entgegenzuarbeiten.
Jedes Streben in dieser Richtung muß als
ein löbliches Wirken im Sinne der christlichen
Anschauung und zum allgemeinen Besten be-
trachtet werden"; und ein Blick auf Seite 117
(Nr. 11) des Völkerfriedens dürfte Verfasser
belehren, daß in Frankreich und Belgien usw.
mächtige kirchliche Faktoren pro pacifismo
am arbeiten sind, von den Ideen durch-
drungen, daß sie bei ihren Bestrebungen in
Uebereinstimmung mit dem Geist und den
Lehren des Evangeliums handeln, Bestre-
bungen, denen die Billigung des Papstes zu-
teil wird.
Der Vorwurf, den der Verfasser bedauer-
licherweise dem Christentum selbst zu machen
sich bemüht, trifft nicht die christliche Re-
ligion oder Kirche als solche — , sondern viel-
mehr Systeme, die sich in wechselseitigen Be-
ziehungen zwischen Staat und Kirche heraus-
gebildet haben, wie Nationalkirchentum, Par-
teien usw.
Und darin sieht es freilich in Deutsch-
land, Oesterreich, Rußland usw., trüb aus.
Wer z. B. die Verhältnisse in Deutschland be-
obachtet, muß zugestehen, daß auch das
kirchenfreundliche Zentrum sich zu einer ganz
gehörig national-enthusiastischen Partei ent-
wickelt, die unter religiösem Einfluß den quo
ad publicum et plebem einflußreichsten
Hinderungsgrund des Pazifismus, wenn auch
nicht aktiv, so doch durch sehr passives Ver-
halten, darstellt; desgleichen die entsch. Par-
teipresse. Hier müßte der Hebel eingesetzt
werden. (Vgl. darüber auch den Artikel von
M. Spahn im Januarheft des „Hochlands".)
Eine solche Tendenz, wie sie eben aus-
gesprochen, liegt aber der besprochenen Aus-
führung von I. 0. gar nicht zugrunde, viel-
mehr ist es ein Angriff gegen das Christen-
tum, der mit großer Kurzsichtigkeit seine Be-
hauptungen mit einigen krampfhaft zusammen-
gesuchten Stellen aus dem Neuen Testament
zu belegen sucht und dabei, da er nur Buch-
stabe nauslegung betreibt, zu Resultaten kommt,
über deren Widerspruch mit der üblichen
Auffassung man fast lächeln muß.
Aber, gesetzt auch der Fall, es verhielte
sich das Christentum zum Krieg passiv, oder
besser gesagt, I. O. hätte mehr Recht zu seinen
Behauptungen, als er in der Tat hat, so sind
doch in einer Zeit, da wir den Pazifismus mit
allen Schikanen zu schützen bestrebt, und in
allen Kreisen Propaganda zu machen gewillt
sind und von der pazifistischen Presse dazu
animiert werden — , solche Aeußerungen un-
klug, die geeignet sind, mit einem Schlage
Legionen von Anhängern abzuschrecken, weil
sie hinter solchen Machenschaften antichrist-
liche Tendenzen vermuten.
Und vorerst wird der Pazifismus mit einer
hauptsächlich aus Anhängern der christlichen
Weltanschauung bestehenden Gefolgschaft
rechnen müssen, wenrt er nicht auf eine Stär-
kung seiner Position verzichten will.
99
DIE FßlEDENS-^MGJZTE
[§>
Geburtenrückgang und
Internationalismus.
Von Dr. MaxSeber, Dresden.
Von den Rassentheoretikern wurde schon
ziemlich früh auf die unbestreitbare Tat-
sache hingewiesen, daß auch in Deutschland
die Geburtenziffer sich ständig verringert und
hierin eine große Gefahr für den Bestand der
Nation liegt. Diese Warnungsrufe blieben un-
beachtet, bis sich das Preußische Ministerium
des Innern entschloß, dieser Richtung der
Bevölkerungsbewegung ihr Augenmerk zu
schenken. Seitdem hallt es auch bei uns von
den Jammerrufen aus ihrer Ruhe aufgestör-
ter Patrioten, und Vorschläge aller Art zur
Eindämmung dieses Prozesses hagelt es nur
so. Trotzdem ist in allen Veröffentlichungen,
die sich mit dieser bedeutsamen Frage be-
fassen, ein gewisser elegischer Zug unver-
kennbar. Die Erfahrungen Frankreichs zeigen
doch wohl zur Genüge, wie gering die Aus-
sicht ist, daß diese rückläufige Art unserer
Menschenvermehrung bald wieder ins Gegen-
teil umschlägt.
Die vorliegenden statistischen Tatsachen
sind von einer so unerbittlichen Folgerichtig-
keit, daß man schon ein großer Optimist
sein muß, um an eine Besserung zu glauben.
1876—1885 entfielen auf 10000 Menschen
393 Geburten, 1910: 298, 1911: 286. Anstatt
2 700 000 Geburten hatten wir 1910 nur
1 980 000; 1911 : 1 924 000. Da nun die Städte
eine viel geringere Geburtenhäufigkeit auf-
zuweisen haben als dem1 Landesdurchschnitt
entspricht, so ist es klar, daß die Tendenz
der Geburtenminderung ebenso unaufhaltsam
ist wie die Tendenz der Verstadtlichung.
Heute schon leben zwei Drittel des deutschen
Volkes in Städten, und immer noch strömen
die Scharen vom Lande ihnen zu; auch um-
klammern besonders die Großstädte, die ver-
hältnismäßig am wenigsten zur Volksver-
mehrung beitragen, immer größere Menschen-
massen. Zweifellos ist aber nicht das Leben
in den Städten selbst die Ursache der kleinen
Geburtenzahlen, sondern die dort den
breitesten Massen gewährte Gelegenheit der
Bildungsaneignung, wodurch die Einsicht in
die Ursachen ungünstiger ökonomischer Ver-
hältnisse bei jedem1 einzelnen wächst und
der Wunsch wachgerufen wird, deren Wieder-
holung, d. h. eben mehr Kinder, zu ver-
meiden. Die praktischen Maßnahmen dazu
sind ja bald jedermann bekannt. Die mo-
dernen Bestrebungen, auch das platte Land
durch Volksbüchereien, Wanderredner usw.
am1 kulturellen Leben zu beteüigen, befördern
schließlich auch dort die Rationalisierung des
Geschlechtslebens, so daß auch hier die Ge-
burtenziffer sinkt. Ein trübes Bild für
unsere Nationalisten der rohen Gewalt ! Der
vorher noch so heitere Firmament ihrer
Ideale, der nur von alldeutschen Phantasie-
gestalten, gewaltigen Recken und männer-
mordendem Schlachtgetümmel erfüllt war,
hat sich plötzlich umwölkt. Die so romantisch
empfindende echt deutsche Männerbrust sieht
sich plötzlich um ihre schönsten Träume von
Weltkrieg und Welteroberung geprellt und
von der Poesie des frischen, fröhlichen Kriegs
zur karbolduftenden Prosa des Wochenbetts
versetzt. Zwar ist die Geburtenzahl allein
für die Bevölkerungsbewegung eines Landes
noch nicht maßgebend; es muß vielmehr
auch die Sterblichkeitsziffer berücksichtigt
werden. Doch kann dem Beweisgrund nicht
entgegengesetzt werden, daß das Gebären
viel mehr eingeschränkt werden kann als das
Sterben. Wenn auch unsere Säuglingssterb-
lichkeit noch recht hoch ist im1 Vergleich
mit den nordischen Staaten und die Tuber-
kulose bei uns doppelt so viele Menschen
dahinrafft als in England, so ist doch nicht
daran zu denken, daß durch das Sinken der
Sterblichkeitsziffer der Fall der Geburten
wettgemacht wird. Der Geburtenüberschuß
wird immer kleiner. 1908—1910 betrug er
noch 880 000; 1911 nur 740 000, woran aller-
dings die höhere Kindersterblichkeit im
heißen Sommer dieses Jahres mit Schuld hat.
Ganz besonders bedenklich stimmt aber nun
ein Vergleich der Geburtenbewegung in den
anderen Ländern. Selbst im europäischen
Rußland ist ja ein Rückgang zu verzeichnen,
der aber weit geringer als bei uns ist. Heute
schon übertrifft die Bevölkerungszahl des
Russenreichs die deutsche um1 100 Millionen,
wenn auch das asiatische Rußland mit ein-
gerechnet wird. Um 1950 wird sie nach Wolf
aber schon 150 Mülionen betragen. Unsere
militärische Stellung wird dieser größten
Ostmacht gegenüber also ebenso hoffnungs-
los wie die Frankreichs zu uns. Was soll denn
da nun geschehen ? Gewiß gibt es Wege
genug, die einiges bessern können. Die Be-
kämpfung der Geschlechtskrankheiten ist
sicher aussichtsreich, wodurch die natürliche
Unfruchtbarkeit verringert würde. Alle wirt-
schaftlichen Maßnahmen aber werden nur
sehr geringen Erfolg haben, denn sie können
doch nur einen verschwindenden Teil der Auf-
wendungen ersetzen, die die Geburt und Er-
ziehung eines Kindes mit sich bringt. Soweit
die rein materielle Denkweise, vor allem
auch der oberen Schichten, als Schuldige an-
gesehen werden muß, läßt sich sicher auch
durch Beeinflussung der öffentlichen Mei-
nung etwas erreichen, doch wiederum' nur
in Verbindung mit einer allgemeinen Hebung
unseres Bildungsstandes, was keine Sache von
heute auf morgen ist. So sehen wir denn ganz
klar, daß es sich nur darum1 handeln kann,
die Folgen dieses nicht mehr zu ändernden
Zustandes zu beseitigen, da dieser selbst
nicht mehr umzukrempeln ist und, vom
sozialen Gesichtspunkt aus betrachtet, es
auch nicht soll. Die Gefahr, die den Völkern
hoher Kultur infolge ihrer geringeren Ver-
100
<§=
DIE FRI EDENS -^&RXE
mehrung von den tieferstehenden Völkern
droht, kann nur durch eine Verständigung
der Kulturmächte gebannt werden. Sie
müssen sich zusammenschließen, um einen
derartigen etwaigen „Kulturkampf" bestehen
zu können. Je früher dies geschieht, desto
besser ist es. Jetzt, wo die Kulturnationen
die Welt beherrschen, haben sie die Macht,
ihren Willen den anderen Völkerschaften auf-
zuzwingen. Uebersteigen sie beizeiten die
Klüfte und Spalten, die zwischen ihnen
gähnen, so können sie die Militarisierung der
tiefersteh enden Menschenhorden verhindern,
sich und der ganzen Welt Frieden bringen.
Bleibt diese Verständigung jetzt aus, so wird
vielleicht erst die unmittelbare Gefahr eines
Weltkrieges zwischen Kultur- und Halb-
kulturstaaten jene zusammenschweißen und uns
dann wahrscheinlich vor einem ungeheuren
Weltbrand nicht mehr bewahren können. So
möge der Rückgang der Geburten den Kultur-
staaten ein Alarmzeichen sein, daß es hohe
Zeit ist, sich zu verständigen. Wir stehen
in Deutschland wieder vor ungeheuren Rü-
stungen. Die Gefahr des beschränkten
Gewalt-Nationalismus wird dadurch vielleicht
vielen deutlich, die bisher den Abgrund nicht
ahnten, vor dem wir stehen. In welch un-
geheure Zwickmühle führt uns doch dieses
Prinzip des Machtfanatismus: Man sieht
die Notwendigkeit sozialer Reformen ein und
muß doch die wirksamste Selbsthilfe, die
Beschränkung der Kinderzahl, bekämpfen;
man will den Familienvätern wirtschaftliche
Erleichterung zukommen lassen und belastet
sie doch wieder viel ärger durch die Rüstungs-
steuern; man sucht durch kolossale Rü-
stungen sein Volk in einen möglichst guten
Verteidigungszustand zu bringen und gefähr-
det es aber viel stärker, weil dadurch auch
die zurückgebliebenen Völker zu Rüstungen
gezwungen werden, deren größte Reserve
aber die hohe Geburtenziffer ist, die wir
nicht mehr erreichen können. Ein gefähr-
licher Wettbewerb! Wir arbeiten so wie
Wahnsinnige an unserem eigenen Unter-
gang! In Zukunft gibt es nur zwei ver-
nünftige Möglichkeiten: entweder benutzen
die Kulturmächte ihre Herrschaft zur syste-
matischen Ausrottung der Halbkulturvölker,
oder sie verständigen sich und schenken der
Welt Frieden. Mit kleinlichen Maßnahmen
ist nichts getan. Entweder morden wir Millio-
nen oder verständigen uns. Kann diese Wahl
noch Zweifel bringen ?
Goethe über den Krieg.
Von Prof. Dr. Ritter, Weimar.
Im Augenblick, in dem ich dies über
Goethes Urteil vom Kriege schreiben will,
dürfte es ganz eitel erscheinen, über den
Krieg als über ein überflüssiges Uebel zu
reden, um1 so eitler, als* die letzten beiden
Jahre mit dem Tripolis- und Balkankriege
den Friedensmachern genug bewiesen haben
könnten, daß der Krieg zur Weltordnung,
zumal der menschlichen oder sozialen, ge-
hört, noch dazu um so mehr, weil der Tri-
poliskrieg gerade zu der Zeit ausbrach, als
die Friedensleute, geschwellt von Friedens-
hoffnungen, in Rom einen Kongreß zur Welt-
friedfertigkeit halten wollten, aber dann
wegen des Krieges; nicht halten konnten.
„Diese Erfahrung dürfe doch genügen !"
mögen die Kriegsanbeter triumphieren. Aber
weder diese, noch viele früheren Erfahrungen
genügen, zumal, wie schon Kant gesagt hat,
die Erfahrungen voll Widerspruchs sind,
auch nach der induktiven Logik nicht zu-
reichen, widerspruchslos allgemeine und für
die Praxis brauchbare Urteüe zu bilden.
Kurz, die Kriegsanbeter sind alle durchweg
schlechte Logiker und darum keine Denk-
politiker, sondern nur Gefühls- oder Stim-
mungspolitiker. Sie lieben es zwar und
rühmen sich damit, nicht Gefühlspolitiker zu
sein, sondern Realpolitiker; doch um diesen
Gegensatz will ich nicht streiten, sondern
um den Gegensatz Gefühls- und Denk-
politiker, zumal in diesem letzten Begriff
der Begriff Realpolitiker mitgedacht wird.
Fühlen ist subjektiv, Denken objektiv oder
real. Doch genug, da ich hier nicht Er-
kenntnistheorie zu lehren habe, sondern vom
Kriege in Goethes Auffassung reden will.
Bevor ich dazu schreite, darf ich wohl
ein Gleichnis zur Veranschaulichung der Un-
logik unserer Gegner, der Anbeter des
heidnischen Gottes Mars, hierher setzen.
Die Leser kennen, so setze ich voraus,
etwas von der Wettervorhersagung des Herrn
Falb und von dem1 Widerspruch oder der
Kritik, mit der man sie leicht abtun zu
können glaubte. Es ging und geht diese Kritik
meist so vor sich: Wenn Herr Falb vorher-
gesagt hatte, z. B. daß am 10. Oktober
Sturm und Regen sein würden, weil dann,
wie gerade in diesem Jahre (1912) Neu-
mond in Erdnähe sein würde, so glaubte
jedermann, daß auch er den Sturm ,und
Regen bekommen müßte, nicht bloß die
südlichen Tropen, und erklärte, jede Vor-
hersage sei falsch, wenn es auch nur 10
oder gar nur 5 Küometer von ihm ent-
fernt geregnet hatte, ohne weiter an die
mancherlei Umstände zu denken, die zur Er-
zeugung des Regens zusammenwirken. „Ja
— irgendwo auf der Erde kann es ja ge-
regnet haben, nur bei mir nicht", das war
der Gedanke dieser Herren, die z. B. das
eine nicht bedachten, daß zur Erzeugung
von Regen zwei Luftströmungen gehören, eine
kalte und eine warme, deren jede schon nur
einen Teil der Erdoberfläche, nicht die
ganze einnehmen kann. „Schadet nichts!
Falb redet Hirngespinste", sagen die, die
nur ganz abstrakt nach dem Buchstaben ur-
teilen können, ähnlich wie der Klosterbruder
101
DIE FRIEDENS -V&BTE
;s>
Lessings sagt: „Schadet nichts! Der Jude
wird verbrannt."
Aehnlich abstrakt wie sie, nur gegenteilig,
dachte jene Waschfrau, zu der ihre Nach-
barin sagte: „Haben Sie schon gelesen, Frau
Müllern? Ostern soll die Welt untergehen."
„Ach! das geht mich nichts an," antwortete
die kluge Müllern, „denn ich reise zu Ostern
nach Stettin zu meiner Tochter." Wie jene
abstrakt nur an das Ganze denken, so denkt
diese abstrakt nur an den Teil, auf dem sie
gerade steht; beide könnten sich aber nicht
über das handgreiflich Einzelne erheben.
Ihnen gleichen Sie, meine Herren, die
nur das Einzelne des großen Ganzen der Ge-
schichte sehen, nicht die ganze Summe, die
Bäume wohl, nicht aber den Wald, auch nur
immer ein Merkmal abstrakt betrachten, nicht
alle in concreto, allenfalls nach voreiligem
Induktionsschluß urteilen, wo nicht gar den
Wunsch den Vater des Gedankens sein lassen,
so ähnlich auch, wie das Weib Emilie in
Shakespeares Othello. Diese meint nämlich,
daß man das Verbrecherische nur gesetzlich
zu sanktionieren brauche, damit es den Cha-
rakter, verbrecherisch zu sein, verliere. Aehn-
lich verfährt von Treitschke, der den Krieg
einfach „heiligt". „Bis an das Ende der Ge-
schichte werden die Waffen ihr Recht be-
halten", sagt er; „und darin liegt die
Heiligkeit des Krieges. Die Größe des
Krieges liegt gerade in jenen Zügen, welche
die flache Aufklärung ruchlos findet".
Armer Kant ! Wie bist du doch ein flacher
Aufklärer in Herrn v. Treitschkes Augen, der
du geglaubt hast, die Eliminierung des Krie-
ges aus dem Staatenleben zum letzten Schluß
deiner Weisheit machen zu müssen! Doch,
mein verehrtester Kant, du brauchst dich nicht
zu schämen, am wenigsten vor Herrn von
Treitschke, zumal du in Herrn Goethe einen
guten Eideshelfer deines Glaubens gefunden
hast, der gleich dir an verständige Menschen
appelliert hat. „Schon wieder Krieg!" sagt
er (Faust IL Akt. 4)*). „Der Kluge hört's
nicht gern."
Mephistopheles, hierin ein Eideshelfer des
Herrn von Treitschke, erwidert im Ethos des
„geistigen Tierreichs"**).
Krieg oder Frieden — — klug ist das Be-
mühen,
Aus jedem Umstand seinen Vorteil
ziehen.
Man paßt, man merkt auf jedes günstige Nu;
Gelegenheit ist da; nun, Fauste, greife zu."
Für den im Reiche der Vernunft lebenden
Faust sind das Rätselworte: „Mit solchem
Rätselkram verschone mich! Und kurz und
gut, was soll's? Erkläre dich."
*) In Bielschowskis Goethe-Biographie ist
dieser Akt nicht behandelt. Warum nicht? War
der Stoff heißes Eisen ?
**) Ausdruck Hegels.
Als dann Mephisto sich erklärt, indem
er von der Tiefe seines „geistigen Tierreichs"
Faust auf die Gelegenheit zu Landerwerb hin-
weist und mit der Lockung zu Herrschaft
und Genuß zu gewinnen sucht, erwidert Faust
aus der Gedankenhöhe seines geistigen Men-
schenreiches :
„Ein großer Irrtum! Wer befehlen soll,
Muß im Befehlen Seligkeit emp-
finden;
Ihm ist die Brust von hohem Willen voll,
So wird er stets der Allerhöchste sein,
Der Würdigste — ; Genießen macht ge-
mein."
Darauf fährt Mephisto fort, indem er mit
klugem Opportunismus ein typisches Bild, etwa
nach dem Vorbild des heiligen römischen
Reiches oder der französischen Revolution
oder, gleichsam als hätte er es vorausgeahnt,
von den Balkanwirren gegenwärtig (Okt.
1912) malt und den Egoismus als Anbeter
des Erfolges heranzieht.
„Die Tüchtigen, sie standen auf mit Kraft
Und sagten: „Herr ist, der uns Ruhe schafft.
Der Kaiser kann's nicht, will's nicht — laßt
uns wählen
Den neuen Kaiser, neu das Reich beseelen,
Indem er jeden sicherstellt,
In einer frisch ^geschaffnen Welt
Fried' und Gerechtigkeit vermählen."
Bei dieser Sophistik des Erfolges erhebt
sich Faust wiederum auf die Höhe wahr-
haftigen Urteilens und sagt:
„Das klingt sehr pfäffisch", denn Pfaffen
Sind überall die sophistischen Apologeten*) des
Erfolges, zumal sie ihren Lohn dabei dahin-
nehmen.
„Pfaffen waren's auch.
Sie sicherten den, wohlgenährten Bauch ;
Sie waren mehr als andere beteiligt,
Der Aufruhr schwoll, der Aufruhr ward ge-
heiligt,"
Mephisto ist zwar doppelzüngig, hinter-
listig, aber auch wahrhaftig, wenn's ihm
Spaß macht, besonders wenn er andere ver-
höhnen kann, nachdem sie ihm Gelegenheit
gegeben, Widerspruch zwischen hohen Intui-
tionen (Intuition mit Goethe) und nach-
folgenden Taten ins Licht zu stellen. In diesem
Sinne sagt er derb und geradezu auf Fäustens
Frage, was es gebe: „Nein! Aber gleich Herrn
Peter Squenz vom ganzen Praß die Quint-
essenz." Bei diesen Worten treten die drei
Gewaltigen auf, zu denen sich bald ein vierter
gesellt, die Typen des Krieges, deren Wesen
Goethe durch ihre Namen allegorisiert hat,
denn sie heißen Raufebold, Habebald, Halte-
fest und Eilebeute. Jeder schildert dann sein
Wesen selbst gerade so ungefähr, wie die
Königlein der Balkan-Halbinsel reden, die
viel Gerede von hohen Intentionen machen T
*) Goethes Gespräche mit Eckermann III,.
Seite 33, 215 und 230 ff.
102
@=
DIE FRIEDENS -WARTE
während sie doch nur raufen, haben und fest-
halten wollen; auf sie paßt das Wort, das
Goethe den Kaiser sprechen läßt:
„Sich selbst erhalten, ist der Selbstsucht Lehre,
Nicht Dankbarkeit und Neigung, Pflicht und
Ehre.
Bedenkt ihr nicht, wenn eure Rechnung voll,
Daß Nachbars Hausbrand euch verzehren
soll."
Das heißt in die Worte des Tages über-
setzt, daß ihr den Krieg nicht werdet lokali-
sieren können. Und so soll ein edler Serbe
gesagt haben? „Sind wir erst in Uesküb, so
wollen wir den sehen, der uns heraustreiben
kann."' Für Herren von dieser kaltnasigen
Gesinnung gilt das berühmte Wort Voltaires:
„Dans loutes les guerres il ne s'agit que de voler"
Dann stellt Goethe die Schlacht dar zwi-
schen dem Kaiser und dem Gegenkaiser; aus
dieser Darstellung ist merkwürdig das Boten-
paar; das sind nämlich Raben, d. h. Aas-
vögel, nicht Tauben, denn
„Die Taubenpost bedient den Frieden,
Dien Krieg befiehlt die Rabenpost."
Die Raben sind Mephistos Diener.
„Setzt euch ganz nah' zu meinen Ohren!
Wen ihr beschützt, ist nicht verloren,
Denn euer Rat ist folgerecht."
Ja — ganz folgerecht, doch die Folge-
richtigkeit ist vom Teufel, dagegen Erbarmen
von Gott^ d. h. logisch, die Inkonsequenz, die
Reihe schlechter Taten vor ihrem Schlüsse
abzubrechen, oder ethisch, die Güte, den
Sünder nicht zu verderben, zumal er will, daß
der Sünder lebe, nicht verderbe.
Der Leser wolle dies auf die Balkan völker
anwenden. Gewiß sind die Türken bisher arge
Uebeltäter gewesen, aber muß man sie nun,
da sie versprochen haben, sich zu bekehren,
d. h. die geforderten Reformen einzuführen,
vernichten? Vernichtet würden sie schließlich
werden, wenn auch nicht gerade heute schon,
wenn allen den Kleinen zugelassen würde, die
„Konsequenzen zu ziehen". Daß dies nicht ge-
schehen kann, dafür hat Rußland gesorgt.
Doch davon spreche ich besser zum Schlüsse,
da ich eigentlich von Goethe zu sprechen an-
gefangen habe.
Hier ist noch übrig, vom Urteil Goethes
über den Ausgang des Krieges zu sprechen.
Goethe ist überzeugt,, daß das Ende, sei es
glücklich oder unglücklich, nur vom Zufall,
d. h. nicht von des Menschen eigener Lenkung
abhängig ist. Allerdings; weiß er auch, daß
egoistisch der Sieger, zumal der Kaiser, den
Sieg sich nur allein, nicht dem Zufall, zu-
schreibt. Seine Botschaft lautet:
„Beruhigt sei das Reich, uns freudig zugetan!
Hat sich in unsem Kampf auch Gaukelei ge-
flochten,
Am Ende haben wir uns nur allein ge-
fochten.
Zufälle kommen ja den Streitenden zugut:
Vom Himmel fällt ein Stein, dem Feinde
regnet's Blut, (
Aus Felsenhöhlen tönt's von mächt'gen Wunder-
klängen,
Die tapfre Brust erhöhen, des Feindes Brust
verengen.
Der Ueberwund'ne fiel, zu stets erneutem
S po tt;
Der Sieger, wie er prangt, preist den ge-
w o g ' n e n Gott,
Und alles stimmt mit ein, er braucht nicht zu
befehlen,
Herr Gott, dich loben wir! Aus hunderttausend
Kehlen."
Also — der Götze, „Erfolg" genannt, wird
gepriesen sehr, doch eventus stultorum ma-
gister sagt Fabius Cunctator bei Livius, d.h. der
Ausgang oder Erfolg ist der Lehrer der Toren,
d. h. derer, die weder Eigenes denken noch
Fremdes nachdenken.
Faust, der dem Kaiser durch allerlei
Künste geholfen hat, erhält vom Kaiser ein
Lehen, das dem Wasser durch Dämme erst
abgewonnen werden soll. Das ist allegorisch
ein Gebiet, das nicht einfach nach alter Raub-
manier, z. B. wie der Türken, okkupiert,
sondern durch die Erwerbsmethode der neuen
humanen Zeit durch Arbeit geschaffen werden
muß. In diesem Sinn läßt auch Schiller seinen
Stauffacher sagen:
„Wir haben diesen Boden uns erschaffen
Durch unserer Hände Arbeit."
Diesen Gedanken spricht Goethe mehr-
mals aus; einmal sagt er durch Mephistos
Mund:
„Krieg, Handel und Priraterie,
Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
In seinem Sinne zu wirken greift Faust
zur Kolonisationsarbeit.
„Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
Verpestet alles schon Errungene;
Den faulen Pfuhl auch abzuziehen,
Das Letzte war' das Höchsterrungene.
Eröffne ich Räume vielen Millionen.
Nicht sicher zwar, doch tätig — frei zu
wohnen.
Grün das Gefilde, fruchtbar Mensch und
Herde.
Sogleich behaglich auf der neu'sten Erde,,
Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
Den aufgewälzt kühn-ems'ge Völkerschaft.
Im Innern hier ein paradiesisch Land,
Da rase draußen Flut bis auf zum Rand,
Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen.
Gemeindrang eilt, die Lücke einzuschließen.
Ja! Diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig'
, Jahr.
Solch' ein Gewimmel möcht' ich seh'n,
Auf freiem G rund mi t fr eiern Vo lk e
s t e h'n."
103
DIE FBIEDENS -WARTE
;§>
Der allgemeine Gedanke aus dieser Schil-
derung anschaulicher Tatsachen ist so klar, daß
es kaum nötig ist, ihn abstrakt auszusprechen,
zumal er schon mehrmals angedeutet ist, nur
eines zu bemerken kann ich nicht unterlassen,
selbst auf die Gefahr hin, Gesagtes zu wieder-
holen, daß nämlich Goethe die Gedanken der
Kriegsanbeter, explizierte wie unexplizierte, in
Trugschlüsse aufgelöst hat, zumal die Rado-
montaden des Herrn von Treitschke, der sich
mehr geeignet hätte, Hofhistoriograph bei
Soliman II. zu sein, als in der Stadt der
Intelligenz Professor und Lehrer der Ge-
schichte. Flache Aufklärung zu sagen von einer
Sache, die Kant vertreten hat! Doch die Ge-
schichte ist das Weltgericht. In dieser Eigen-
schaft sitzt sie gegenwärtig, d. h. da ich dies
schreibe, über Kant und Herrn von Treitschke
zu Gericht.
Kant hat bekannlich bei seinemt Streben
nach dem ewigen Frieden, wenig Hoff-
nung auf den schwachen guten Willen des
Menschen, dagegen desto mehr auf den
Mechanismus seiner Taten gesetzt; er hat da-
mit Herrn von Treitschke und allen seinen
Eideshelfern das Argument von der Schlechtig-
keit des Menschen gegen die Möglichkeit des
Friedens vorweg anerkannt und ihnen die
Arbeit mit diesem Argument aus der Debatte
eliminiert, so daß sie eigentlich ihre Aufmerk-
samkeit auf das richten müßten, was Kant
gelassen, ja eigentlich zur Grundlage seiner
Hoffnung gemacht hatte, den Mechanismus
der Geschichte*} ,in der Natur. Dieser Mecha-
nismus kommt jetzt zu dem Resultat das Kant
von ihm erwartet hat, in der Friedfertigung der
Balkanvölker nach dem vor einigen Tagen
erschienenen Manifest Rußlands, diesem
Meisterstück kluger Erwägung und mensch-
licher Hochgedanken. Es ist nicht jedermanns
Art, aus den Tatsachen der Geschichte die
Arbeit der menschlichen Vernunft zu er-
kennen, ganz besonders nicht derer, die man
Kleinmeister nennen kann, sondern es ist nur
Sache weniger; diese wenigen werden mir
zustimmen, daß der Schlußsatz dieses Mani-
festes in den beiden Grundsätzen für die Be-
handlung der Balkanwirren das enthält, was
die Türken leisten können und ihre Gegner
hoffen dürfen.
Der Mechanismus in der Geschichte wirkt
nicht überall auf der Erde gleichmäßig, denn
die Massen sind nicht überall gleichmäßig, aber
er wirkt und wirkt augenblicklich besonders
auf der Balkanhalbinsel im Interesse der
Humanität und des Friedens unter Rußlands
Führung.
Wird da nicht wiederum das Wort wahr,
daß die letzten die ersten sein werden? Ruß-
land ist zuletzt in den Weltzug der Kultur,
der von Griechenland über Italien durch Frank-
reich, Deutschland und Polen nach Rußland
mit Unterstützung aus Byzanz gegangen ist,
eingetreten und hilft mit seiner Masse die
Parallelkette dieses Zuges schließen, die von
Westen nach Osten der Donau entlang liegt.
Ihr Ziel ist Friedfertigung*).
*) Kants Traktat zum Ewigen Frieden.
n RANDGLOSSEN U
211/12 ZEITGESCHICHTE
Von Bi e r t h a v. S u 1 1 n e r.
Wien, 7. Februar 1913.
Es brodelt und kocht und gärt weiter
im europäischen Hexenkessel. Es schäumt
von Krieg und Kriegsvorbereitungen und tropft
von Frieden und Friedensverhandlungen. An
der österreichischen und russischen Grenze soll
abgerüstet, die Truppen sollen zurückgezogen
werden; aber wie langsam', zögernd, wider-
willig geschieht das! Nur Mobilisierungs-
orders werden rasch, rücksichts- und rück-
haltlos ausgeführt. Aber die Demobili-
sierung: welche Kautelen, welche Schwierig-
keiten, welche Geheimniskrämerei: nur nichts
Günstiges und Beruhigendes offiziell ver-
sprechen und verkünden. Freilich, es ist ja
alles unentwirrt : Der König von Montenegro
erklärt, er komme ohne Skutari nicht in
seine Berge zurück; Rumänien kann nicht
ohne Silistria sein; Bulgarien besteht auf
Kriegsentschädigung — Mediation wird ver-
langt und angenommen, aber unter dem Vor-
behalt, daß man sich vielleicht nicht danach
richten wird; Janina ist gefallen — darüber
der obligate Straßenjubel in Athen. Ein neuer
Staat — Albanien — ist in Triest konstruiert
worden, doch können dessen Abgrenzungen
noch zu hundert Verwicklungen Anlaß geben.
Wenn nicht bald ein neues strahlendes Prin-
zip alle diese Nebel verscheucht — was muß
es da noch für Zusammenstöße und Ver-
nichtungen geben !
MB
Auch die Suffragettes in London führen
Krieg. Man kennt ihre Taten. Die Öffent-
lichkeit fängt an, sich zu empören. Und mit
Recht. In einem) Leitartikel über diesen
Gegenstand fand ich folgenden Satz : „Soll
man den Frauen jetzt das Stimmrecht geben ?
Wäre das die einfachste Lösung der Frage ?
Es wäre die gefährlichste, die sich denken
ließe. Es wäre die Anerkennung der
Gewalttätigkeit als zulässiges
Instrument zur Durchsetzung po-
litischer Wünsche." O, über deine
Naivität, Zeitungsschreiber! Weißt du denn
nicht, daß diese deine Worte die geltende
Grundlage unserer großen heutigen diplo-
matischen und müitärischen Weltordnung
*) Ritter. Weltzug der Kultur. In Kritik,
Bd. XII, 1877.
104
@=
= DIE FRI EDENS -^M&RTE
ausdrücken : Gewalttätigkeit und Gewalt-
androhung als zulässiges Instrument zur
Durchsetzung politischer Wünsche ? —
Nein, das soll den Frauen nicht zu-
erkannt werden — im! Gegenteil, die Frauen
werden vielleicht berufen sein, diese Zu-
lässigkeit aufzuheben. Aber jedenfalls war
der Artikel schreib er blind gegen das Faktum
von der Allgemeingültigkeit des Prinzips, vor
dem1 er warnt.
Der europäische Ueberrüstungswahnsmn
hat einen neuen Anfall — man könnte es
schon Paroxismus nennen — bekommen, auf
den niemand gefaßt sein konnte. Mitten in
einer Zeit, wo die ganze europäische Diplo-
matie angeblich damit beschäftigt ist, Schwie-
rigkeiten und Streitfragen zu schlichten, wo
es überall zwischen den Mächtegruppen „Ent-
spannungen", Annäherungen und dergleichen
gibt; wo durch die so hoch gestiegenen
Lasten der Militärausgaben und die gleich-
zeitig steigenden Steuern, Zölle und Lebens-
mittelpreise die Völker an den Rand der Ver-
zweiflung gebracht werden, mitten in diese Frie-
denssehnsucht und Friedensnotwendigkeit nebst
offizieller Friedensbeteuerung platzt plötz-
lich in Deutschland eine neue Milliardenforde-
rung für Heeresverstärkung aus, die in
Frankreich augenblicklich mit dem Antrag
auf Wiedereinführung der dreijährigen Dienst-
zeit beantwortet wird. Beiderseitig zur Siche-
rung des Friedens natürlich. Sie werden
nicht müde, diese Lügenphrase des si vis
pacem zu wiederholen. Nicht, daß sie den
Krieg wollen, aber die Macht Stellung
wollen sie. Die deutsche Vorlage war zwar
auch eine x\ntwort. Nämlich auf jenen Pariser
Zapfen streichlärmi, der in letzter Zeit alle
nationalistisch-chauvinistischen Elemente auf-
gerüttelt und zu neuen ,,ä Berlin"-Rufen
ermutigt hat. Vielleicht war aber auch dieser
Lärm eine Antwort, und zwar auf die Agadir-
geste. Und so lassen sich diese gegenseitigen
Drohungen in einer rückwärtsliegenden Kette
durch unendlich viele Glieder zerückverfolgen ;
soll diese Kette denn auch endlos in die
Zukunft verlängert werden ? Das geht ein-
fach nicht. Ein gewaltsames Ende muß da
kommen. Entweder Krieg oder Revolution
oder — was auch denkbar ist — ein Er-
wachen der Vernunft. Ein Fallen der
Schuppen von den Augen. . . .
Was inzwischen auf dem Balkan ge-
schehen, man weiß es nicht. Der moderne
Krieg hat den Kriegsberichterstatter aus-
geschaltet, also erfährt der Bürger heute
beinahe weniger als zu Fausts Zeiten, was da
vorgeht, wenn drunten in der Türkei die
Völker aufeinanderschlagen. Das belagerte
Adrianopel fällt nicht; vor den Tschataldscha-
linien geschieht nichts; die „Operationen"
werden durch Schneefall gehindert — es ist,
als wäre die ganze Landpartie wegen schlech-
ten Wetters abgesagt. Doch wer weiß, was
vorgeht ? Vielleicht haben auf beiden Seiten
die kriegsmüden Truppen erklärt: „Wir tun
nicht weiter." Soviel ist gewiß : Entscheiden-
des ist in dieser zweiten Abteilung des Bal-
kankrieges nicht eingetroffen, denn das wäre
sicher von der siegenden Partei hinaustele-
graphiert worden. Es wird sich immer mehr
und mehr bestätigen, was Bloch schon ge-
sagt hat, daß es in modernen Schlachten
überhaupt keine Entscheidung mehr gibt.
Nur eines sickert nach und nach vom
Kriegsschauplatz herüber. Nämlich die Be-
richte über die schon in der ersten Ab-
teilung des Feldzugs verübten haarsträuben-
den Greuel. Ganze Broschüren füllen sich
mit beglaubigten Beschreibungen von den
Grausamkeiten, die von serbischen Banden,
bulgarischen Komitatschis, albanesischen
Horden usw. an den Türken begangen wurden.
Europa schaudert wohl, greift aber nicht
helfend ein, denn es gibt ja noch keine
europäische Gendarmerie. Und die Leser
jener Berichte rufen empört: „Oh diese Ko-
mitatschis", „Oh diese Banden" — während
es einfach heißen sollte „Oh dieser Krieg!'"
Er allein ist der Schuldige.
In ganz Deutschland werden große Vor-
bereitungen zur hundertjährigen Erinnerungs-
feier der Befreiungskriege von 1813 getroffen.
Dabei dürfte leider viel chauvinistischer Geist
angefacht werden. Man wird hervorheben,
wie ruhmvoll, wie beglückend Kriege in ihren
Folgen sein können — Befreiung vom Na-
poleonischen Joch — , und vergißt, daß der
Bestand und die Glorifizierung des Krieges
der Boden ist, aus dem die Napoleone hervor-
wachsen können. Manche Stimmen erheben
sich auch, um1 zu sagen : Die großen Rü-
stungsvermehrungen der letzten Zeit sind
vielleicht ein Zeichen, daß sich eine Wieder-
holung von 1813 vorbereitet, daß die ernste
Zeit eine ähnliche Abrechnung erfordert.
Allerdings, wieder lastet ein Joch auf uns
— nicht nur auf Deutschland und O ester-
reich, sondern auf der ganzen Welt. Der Unter-
drücker heißt nicht Napoleon, er heißt Krieg.
Den Befreiungskrieg gegen diesen Tyrannen
zu unternehmen, das wäre die richtige, unseres
Jahrhunderts würdige Feier des Jahres 1813.
Die Parteileitungen der französischen und
deutschen Sozialdemokratie haben gleich-
zeitig ein Manifest gebracht, wodurch dem
perfiden Doppelspiel der Chauvinisten und
Rüstungsinteressenten beider Länder ein
Ziel gesetzt ist, die sich bemühen, in Frank-
reich die Begünstigung des Militarismus
105
DIE FßlEDENS-^ADXE
3
durch die deutsche Sozialdemokratie, und in
Deutschland die Begünstigung des Mili-
tarismus durch die französischen Sozialisten
vorzuspiegeln. Jetzt aber hallt derselbe Ruf
gegen den Krieg, dieselbe Verurteilung des
bewaffneten Friedens in beiden Ländern wider.
Das Manifest erklärt, daß „die Volksmassen
mit überwältigender Mehrheit den Frieden
wollen und den Krieg verabscheuen". Das
ist wahr; warum! aber verkündet dies nicht die
Mehrheit der Volksvertreter in den Parla-
menten? Ferner wird die Forderung erhoben,
daß alle Streitigkeiten zwischen den Staaten
schiedsrichterlich geschlichtet werden. Das war
das erste Prinzip des „bürgerlichen Pazifis-
mus" — ein Prinzip, über das er schon hinaus
ist, indem1 er Föderation der Staaten und
eine ständige internationale Justiz fordert.
Der Sozialismus macht sich immer mehr die
Prinzipien des einst von ihm so verhöhnten
„bürgerlichen" Pazifismus zu eigen. Es gibt
eben keinen „bürgerlichen" — sondern nur Pa-
zifismus überhaupt. Zeit wäre es, daß nicht
die Sozialisten allein den Mut aufbringen,
gegen die Geißel des Krieges und des be-
waffneten Friedens zu protestieren, sondern
daß in allen Ländern eine eigene Friedens-
partei gegründet werde. Eine Partei der
Weltorganisation — um1 das matt klingende
Wort Frieden zu ersetzen.
Während meines Aufenthalts in Lincoln
(Nebraska) war ich Gast im Hause Bryan.
Leider war der interessante Hausherr ab-
wesend, auf einer Vortragstour. Er, der
schon öfter selber Kandidat für die Präsident-
schaft gewesen, diesmal aber abgelehnt hatte,
nominiert zu werden, bereiste das Land, um
für Woodrow Wilson zu agitieren. Er hätte
gewiß sehr hohe Chancen gehabt, gewählt
zu werden, denn aus allem, was ich in Lin-i
coln, seiner Vaterstadt, und auch an anderen
Orten von ihm erfuhr, deutete darauf hin,
daß er der höchstangesehenste Staatsmann
der Vereinigten Staaten ist. Vor einigen
Jahren bin ich ihm! in London begegnet, wäh-
rend der interparlamentarischen Konferenz,
und hörte ihn dort eine glänzende ipazi-
fistische Rede halten. Um so mehr bedauerte
ich seine Abwesenheit aus seinem Heim, doch
fand ich von seiten seiner kongenialen Frau
alle die Gesinnungen bestätigt, die in jener
Londoner Rede zum Ausdruck ge-
kommen waren. Daß William Jennings
Bryan in derselben Richtung weiter wirkt,
kann man aus folgender Nachricht entnehmen:
In Raleigh (Nordkarolina) erklärte er in
einer Rede über den Frieden, es sei ge-
bieterische Pflicht der Vereinigten Staaten,
nicht nur auf jede mögliche Weise mit den
Mächten der ganzen Welt für den Fortschritt
des Friedens zusammenzuwirken, sondern
auch in der Abrüstung ein glan-
z e n des Beispiel zu geben. Durch ihre
Lage und durch ihre Stellung unter den Na-
tionen seien die Vereinigten Staaten besonders
dazu geeignet, mutig diese Haltung ein-
zunehmen. Wenn man bedenkt, daß höchst-
wahrscheinlich Bryan Staatssekretär im
Kabinett Wilson, und nach Wilson vielleicht
Unionspräsident werden wird, so gewinnen
solche Worte doppelte Bedeutung.
Den Manen William T. Steads, des größ-
ten Friedenskämpfers unter den Publizisten,
ist empörende Unbill widerfahren. Die von
ihm gegründete „Review of Reviews", diese
Hochburg des Pazifismus, ist nun unter der
Redaktion seines Sohnes Alfred zum Organ
des jingoistischen Imperalismus geworden.
Tarifreform (das ist Aufhebung des Frei-
handels), Rüstungsvermehrung, Haß der
gegenwärtigen liberalen Regierung, Warnung
vor der deutschen Invasion — kurz, die ganze
Lyra — werden jetzt in unsres Steads Blatt
vertreten. Das Februarheft liegt vor mir.
„Der neue Schrecken" heißt das Titelblatt
und stellt einen über der britischen Flotte
schwebenden deutschen Zeppelin vor. Der
Leitartikel hierzu heißt: „Unser die See; des
Feindes die Luft." Welcher Feind ? Deutsch-
land. Frankreich baute zwar auch eine
Luftflotte; diese ist aber nicht gegen England
gerichtet, während die deutsche Luftmacht
„direkt gegen unser Land und gegen kein
anderes konstruiert wird". Der Artikel endet
mit einem Aufruf zur Sammlung von Geldern
zur Schaffung einer englischen Luftflotte.
Alfred Stead eröffnet die Liste mit einer
Spende von 50 £ und verlangt, daß, als wür-
diges Denkmal für seinen Vater und in Treue
zu seinen Idealen, ein Kriegsäroplan gebaut
werde, der — oh Blasphemie — den Namen
W. T. Stead führen soll. Es gibt im! Leben
des großen Publizisten eine Phase, die etwas
widerspruchsvoll ist, nämlich sein Eintreten
irrt Jahre 1885 für den Standard der eng-
lischen Flotte „zwei Kiele gegen einen".
Daran klammert sich nun sein Sohn — und
vergessen ist nun Steads ganzes Friedens-
werk: seine Haltung im Burenkrieg, seine
Unterstützung des Zarenmanifestes durch
Friedenskreuzzüge, seine Arbeit während der
zwei Haager Konferenzen, sein tätiger
Eifer bei allen deutsch-eng-
lischen Annäherungs-Aktionen;
auch vergessen, daß er als Träger einer Bot-
schaft an einen amerikanischen Friedens-
kongreß in den Fluten des Ozeans versank.
Ja, sicherlich, er hätte gegen die Gefahr eines
Luftangriffs von seiten Deutschlands ge-
kämpft, aber nicht durch Schaffung von
Gegenangriffswerkzeug, sondern durch die
Verständigung mit Deutschland und durch
Bekämpfung der Alarmmacher, der Invasions-
propheten— kurz, der Jingos irrt " eigenen
Lande*
EsSI?
106
<§=
DIE FRIEDENS -^\*\RXE
Ein Vorschlag. Er wurde mir suggeriert
von einem1 Friedensfreund, den ich, wenn er
es erlaubt, zu nennen bereit bin. Nämlich:
eine internationale Abordnung von über-
zeugten Pazifisten in hervorragender Stellung
— Männer wie Elihu Root, Baron d'Estour-
nelles — etwa zehn an der Zahl, sollten
Europa bereisen und an den Höfen, bei den
Ministerien und mit öffentlichen Vor-
trägen für die Friedensorganisation der
Welt wirken. Die Kosten einer solchen Ex-
pedition (segensvoller als eine solche nach
dem.! Nord- oder Südpol) müßten natürlich
durch einen hierzu gespendeten oder ge-
sammelten Fonds aufgebracht werden. Doch
dies ist ja nur eine Andeutung der Grund-
idee, und will ich keine Details der Ausführung
bringen.
MEt
8. März.
Nachschrift: Präsident Wilson hat die
Ernennung zum Ehrenpräsidenten der
amerikanischen Friedens- und Schieds-
gerichtsgesellschaft angenommen. — Ex
occidente lux.
PAZIFISTISCHE CHRONIK
8. Februar. Prinz Gottfried zu Hohenlohe
überreicht dein Zaren ein Handschreiben des
Kaisers Franz Josef, das den Beginn einer freund-
schaftlichen Lösung der österr. -russischen Spannung
bedeutet.
10. und 11. Februar. Unter dem Vorsitz des
Geh. Rats Prof. Niemeyer tagt in Berlin eine inter-
nationale juristische Konferenz.
14. Februar. Biervorragende Amerikaner wider-
setzen sich der Idee einer Intervention der
Vereinigten Staaten in Mexiko und verlangen
Bildung einer gemischten Kommission von Gelehrten
und Staatsmännern der Vereinigten Staaten wie der
amerikanischen Republiken zwecks friedlicher Beilegung
der mexikanischen Wirren.
15. Februar. Der 1908 zwischen Frankreich und
denVereinigten Staaten abgeschlossene Schiedsvertrag
wird in Washington um fünf Jahre verlängert.
16. Februar. Die russische Duma nimmt ein
Gesetz zur Vermehrung der Rüstungen an und
drückt den Wunsch nach weiterer Vervollkommnung
der Landesverteidigung aus.
Mitte Februar. Der hervorragende französische
Pazifist Prof. Ruyssen in Bordeaux wird nach der
Rückkehr von seiner Vortragstournee aus Deutschland
von chauvinistischen Studenten attackiert.
Mitte Februar. Ankündigung einer neuen grossen
Heeresvermehrung in Deutschland. Eine Mil-
liarde einmalige Kosten. Aufbringung durch eine
Vermögensabgabe.
Mitte Februar. Angesichts der angekündigten
Heeresvermehrung in Deutschland werden in Frank-
reich neue Rüstungskredite in der Höhe von
500 Millionen und die Wiedereinführung der drei-
jährigen Dienstzeit angeJcündigt.
Mitte JBebruar. Im Wiener Deutschen Klub hält
der ehemalige Reichskommissar für Ostafrika, Dr. Karl
Peters, einen Vortrag über „die Zukunft Europas",
worin er für einen wirtschaftlichen und poli-
tischen Zusammenschluss Europas eintritt.
Mitte Februar. DieGrossmächte bieten Rumänien
und Bulgarien die Vermittlung auf Grund der
Haager Abmachungen an.
19. Februar. Nordböhmische Industrielle
richten an den österreichischen Handelsminister eine
Petition, toorin sie auf die durch die Kriegskrisis
geschaffene Notlagehinweisen, „die selbst im Kriegs-
jahr 1866 nicht so schlimm war".
20. Februar. In der belgischen Kammer
werden neue Vermehrungen des Heeres, Ausbau
der Festungen und Verlängerung der Dienstzeit an-
gekündigt.
20. Februar. Poincare tritt die Präsident-
schaft an.
21. Februar. Eine Deputation von Bürger-
meistern galizischer Städte bittet den öster-
reichischen Ministerpräsidenten um Abhilfe gegen
die durch die Mobilisierung und die Kriegs,
krise in Galizien herrschende Hungersnot.
22. Februar. Der italienische Minister des Aeusseren,
Marchese di San Giuliano, spricht im italienischen
Parlament über die Weltlage. Seit 43 Jahren keinen
Krieg zwischen europäischen Mächten. Bei allen
Regierungen starkes Gefühl der Verantwortlichkeit.
25. Februar. Das dänische Königspaar in
Berlin.
25. Februar. Das amerikanische Repräsentanten-
haus lehnt die Regierungsvorlage für den Bau
von zwei Schlachtschi ffen ab und bewilligt mit
194 gegen 133 nur eines.
27. Februar. In Rom starb im 73. Lebensjahr
Graf An gel o von Gubematis.
1. März. Die deutschen und die französischen
sozialdemokratischen Parteien erlassen gemein-
sam einen Protest gegen die neuen Rüstungs-
vermehrungen.
Anfang März. In Oesterreich-TJngarn icird
eine neue Heeresvermehrung von 50 000 Mann
angekündigt.
3. März. Bryan, der neue Staatssekretär der
Vereinigten Staaten, hielt in Raleigh (Nordcarolina)
eine bedeutende Friedensrede. Amerika müsse in
der Abrüstung ein glänzendes Beispiel geben,
um auf jede mögliche Weise für den Fortschritt des
Friedens zusammenzuwirken.
4. März. Der neue Präsident der Vereinigten
Staaten, Woodrow Wilson, tritt sein Amt an.
6. März. Präsident Woodrow Wilson über-
nimmt das Ehrenprotektorat des amerikanischen
Nationalrats für Frieden und Schiedsgericht-
Wilsons erste Handlung als Präsident.
107
DIE FBlEDENS-^ößTE
3
DAUS DER ZEITQ
Völkerrecht.
Vorbereitung der III. Haager Konferenz. ::
In England hat sich auf eine Anregung hin,
die der vorjährige National-Friedenskongreß ge-
geben hat, ein Komitee gebildet, das sich durch
eine Anzahl hervorragender Juristen, National-
ökonomen, Kaufleute und andere Berufsange-
hörige ergänzen will und sich die Aufgabe
stellt, der dritten Haager Konferenz
vorzuarbeiten. Der frühere Lordkanzler,
der Earl of Lorburne, hat den Vorsitz
übernommen. Außerdem haben nachstehende
Persönlichkeiten ihren Beitritt gemeldet: Lord
Avebury, Lady Byles, Noel Buxton,
Lord Courteney of Pennwith, W. H.
Dickinson, Gordon Harvey, F. W»
Hirst, Carl Heath, T. J. Lawrence,
Sir John Mac donell, Gr. H. Perris, Lord
Shaw of Dunfermline, Norman An-
gell und Sir George Paish.
Dieses von England gegebene Beispiel sollte
auch in Deutschland und Oesterreich-Ungarn
nachgeahmt werden. Vielleicht wird man es
hier als einen Widerspruch ansehen, zu einer
Zeit, wo vor Adrianopel und Skutari die Be-
lagerungsgeschütze reden und ganz Europa von
einer Woge des Militarismus beunruhigt wird,
von der dritten Haager Konferenz zu sprechen.
Bekämpfen wir mit dem stärksten
Nachdruck diese Anschauung. Jetzt
an das Haager Werk zu denken, ist
im höchsten Maße zeitgemäß. Der
Krieg da unten ist der Anachronismus; nicht
die Konferenz vom Haag.
Rüstungsproblem.
Die Rüstungsbeschränkung in den Vereinigten Staaten.
Wie im Vorjahre hat das Repräsentanten-
haus auch in diesem Jahre (25. Februar) statt
der von der Regierung geforderten zwei Schlacht-
schiffe mit 194 gegen 133 Stimmen nur eins
bewilligt. Die Flottenliga hat sogar für drei
Schiffe Stimmung gemacht, konnte aber gegen-
über der machtvoll organisierten pazifistischen
Propaganda nicht obsiegen.
O0Sf
Gemeinsame Kundgebung der deutschen und fran-
zösischen Sozialdemokratie gegen die Rüstungen.
Am 1. März erließen die Sozialdemokraten
Frankreichs und Deutschlands eine gemeinsame
Kundgebung. Diese war von den Parteivor-
ständen und den sozialistischen Abgeordneten
beider Länder unterzeichnet. Der Wortlaut sei
hier festgehalten:
„In Deutschland und in Frankreich bereiten
die Regierungen wiederum Gesetzentwürfe vor,
durch welche die ungeheuren militärischen
Lasten noch weiter gesteigert werden. In dieser
Stunde erachten es die französische und die
deutsche Sozialdemokratie als ihre Pflicht, eich
noch enger aneinanderzuschließen, um vereint
den Kampf zu führen gegen dieses an Wahnsinn
grenzende Treiben der regierenden Klassen.
Die französische und die deutsche Sozial-
demokratie erheben einmütig und einstimmig
Protest gegen die unaufhörlichen Rüstungen,
die die Völker erschöpfen, sie zur Vernach-
lässigung der wichtigsten Kulturaufgaben
zwingen, das gegenseitige Mißtrauen steigern,
und statt den Frieden zu sichern, Konflikte
heraufbeschwören, die zu einer Weltkatastrophe
führen mit Massenelend und Massenvernichtung
im Gefolge.
Die Sozialdemokratie beider Länder darf
sich mit Recht als Wortführerin des deutschen
wie des französischen Volkes betrachten, wenn
sie erklärt, daß die Volksmassen mit über-
wältigender Mehrheit den Frieden wollen und
den Krieg verabscheuen. Die herrschenden
Klassen hüben und drüben sind es, die die
nationalen Gegensätze, statt sie zu bekämpfen,
künstlich verschärfen, die gegenseitige Feind-
seligkeit schüren und dadurch die Völker von
ihren Kulturbestrebungen und ihrem Befreiungs-
kampf im Innern ablenken.
Um den Frieden, die Unabhängigkeit der
Völker und den Fortschritt der Demokratie auf
allen Gebieten in beiden Staaten zu sichern,
fordert die Sozialdemokratie, daß alle Streitig-
keiten zwischen den Völkern schiedsgerichtlich
geschlichtet werden; sie empfindet die Ent-
scheidungen auf dem Wege der Gewalt als
Barbarei und Schande für die Menschheit.
Sie fordert weiter die Beseitigung des ste-
henden Heeres, das eine stete Bedrohung der
Nationen bildet und an dessen Stelle die Ein-
führung einer Volkswehr auf demokratischer
Grundlage, die nur der Landesverteidigung zu
dienen hat.
Wenn aber trotz ihres entschlossenen
Widerstandes den Völkern neue militärische
Ausgaben auferlegt werden, so wird die Sozial-
demokratie beider Länder mit aller Energie da-
für kämpfen, daß die finanziellen Lasten auf
die Schultern der Wohlhabenden und Reichen
abgewälzt werden.
Die Sozialdemokratie in Deutschland und
in Frankreich hat schon in der Vergangenheit
durch ihre Haltung das perfide Doppelspiel der
Chauvinisten und Rüstungsinteressenten in
beiden Ländern entlarvt, die in Frankreich die
Begünstigung des Militarismus durch die deut-
sche Sozialdemokratie und in Deutschland die
Begünstigung des Militarismus durch die fran-
zösischen Sozialisten dem Volke vorspiegeln.
Die gemeinsame Bekämpfung des Chauvinismus,
hüben und drüben, das gemeinsame Eintreten
für ein friedliches und freundschaftliches Zu-
sammengehen muß dieser dreisten Irreführung
der Völker ein Ende bereiten.
Derselbe Ruf gegen den Krieg, dieselbe
Verurteilung des bewaffneten Friedens hallt in
beiden Ländern wider. Unter der Fahne der
Internationale, die die Freiheit und Unabhängig-
keit jeder Nation zur Voraussetzung hat, werden
die deutschen und französischen Sozialisten mit
108
@5
E DIE Fßi EDENS -WABTE
steigender Kraft den Kampf fortführen gegen
den unersättlichen Militarismus, gegen den
lä-nderverwüstenden Krieg, für den dauernden
Völkerfrieden."
Verschiedenes,
Norman Angeiis Propaganda
in deutschen Studentenkreisen.
Bekanntlich hat kürzlich die Göttinger
Studentenschaft in einer großen Versammlung
gegen Norman Angells Propaganda in deutschen
.Studentenkreisen protestiert. Da auch ein be-
kannter Führer der deutschen Burschenschaft,
der Bonner Alemanne Assessor Stahl,
gegen Angell sprach, so hat die deutsche
Burschenschaft hier ebenso gegen die Friedens-
iclee Partei ergriffen, wie kürzlich in Gießen.
Ich kann nun, ohne mich hier auf Details
einzulassen, erklären, daß diese Vorgänge in
letztem Ende nur dazu beitragen werden, der
seit Jahren in burschenschaftlichen Kreisen für
die Friedensbewegung betriebene Propaganda
neue Anknüpfungspunkte zu geben. Z. B. war
der Protest der Gießener Biirschenschaft und
ein darauf folgender Briefwechsel meinerseits
mit der Gießener Burschenschaft der Anlaß,
daß sich ein Mitglied der Gießener und Berliner
Burschenschaft bereit erklärten, in den näch-
sten Semestern Vorträge über die
Friedensbewegung in d e n B u r s c h e n -
kränzchen zu halten. Wenn es mir ge-
lingt, einige wenige jüngere Burschenschafter
für die Friedensidee zu begeistern, so ist damit
ein gewaltiger Schritt vorwärts getan. Denn
niemand, der die Verhältnisse kennt, darf dar-
über im Zweifel sein, daß die Durchdringung
der Korporationen mit pazifistischem Geiste
praktisch bedeutsamer ist, als die Propaganda
in freistudentischen Kreisen.
Auf einen Punkt möchte ich aber hier auf-
merksam machen, nämlich die große Gefahr,
die in der Propaganda, der Friedensidee auf
den deutschen Universitäten durch Ausländer
liegt. Man vergegenwärtige sich die gewaltige
Bedeutung, die die Ausländerfrage auf allen
Universitäten einnimmt, und prüfe jetzt, ob es
richtig ist, wenn gerade Ausländer, mögen sie
noch so verdient sein, die Propaganda unserer
Idee auf den Universitäten in die Hand nehmen,
und dadurch veranlassen, daß die Auslän-
derfrage mit der Friedensfrage
verquickt wird. Nicht nur aus meiner
Korrespondenz mit der Gießener Burschen-
schaft, auch aus anderen Quellen bin ich darüber
genug orientiert, um sagen zu können: Wenn wir
die Friedens idee s o propagieren, werden wir den
chauvinisti sehen Geist nur stärken. Niemand,
der nicht selbst Korporationsstudent gewesen
ist, macht sich einen Begriff von den geradezu
ersehreckenden Vorurteilen, die gegenüber der
Friedens idee in den Korporationen herrschen.
Die internationalen Studentenvereine sind
sehr wertvoll ; aber gerade in den Korporationen
werden sie unmöglich die Friedensidee mit Er-
folg verbreiten können. Wir müssen vielmehr
versuchen, langsam einzelne Mitglieder der Kor-
porationen dafür zu gewinnen, daß sie ihrer-
seits unsere Idee verbreiten.
Uebrigens hat kürzlich ein Artikel der Zeit-
schrift des „Allgemeinen deutschen Burschen-
bundes", eines ganz kleinen Bundes, gegen den
Verband für internationale Verständigung Stel-
lung genommen. Aber die Tatsache, daß der
Begründer dieses Verbandes, Geheimer Sanitäts-
rat Dr. Küster (Berlin) durchaus auf pazi-
fistischem Boden steht (vgl. seinen Aufsatz in
Nr. 8 des Jahrgangs 1912 der Fr.-W.), sollte
diesen Gegnern zu denken geben.
Dr. Hans Wehberg.
Zu diesen Ausführungen erscheinen uns
einige Bemerkungen nicht unangebracht.
Die „Ausländer", die an deutschen Univer-
sitäten und in anderen Versammlungen in letzter
Zeit über das Friedensproblem gesprochen
haben, sind nicht als Emissäre anzusehen, die
von anderen Nationen nach Deutschland ge-
sandt wurden, um gerade die Deutschen zur
Friedensidee zu bekehren. Es sind dies viel-
mehr durchwegs Männer, die in ihrer Heimat
in großzügiger Weise und unter Einsetzung ihrer
ganzen Lebenstätigkeit für die Friedensidee be-
reits gearbeitet haben, die dort für die Völker-
verständigung und Aufklärung so wirken, wie
die deutschen Pazifisten dies in Deutschland
tun. Wenn sie nun nach Deutschland kommen,
so taten sie es nicht aus dem Bestreben, jetzt
ihre Propaganda auf Deutschland auszudehnen.
Sie wissen ganz genau, daß dies nicht ihres
Amtes ist. Sie kamen lediglich von deut-
schen Anhängern der Friedensidee
g e iui f e n , die ihren Landsleuten zeigen wollen,
daß es auch jenseits der Grenzpfähle gleich-
strebende Gesinnungsgenossen gibt. Die Aus-
länder sind da mehr Objekte der Friedens-
propaganda, denn Subjekte. Wenn die deutschen
Pazifisten solche angesehene Pazifisten des Aus-
landes nach Deutschland rufen, so ist es nur
ihr gutes Eecht; denn die Gegenpropaganda
täuscht das Volk, indem es ihm immer nur
von jenen ausländischen Agitatoren erzählt,
die chauvinistisch, kriegerisch und antideutsch
wirken.
In dieser Täuschung liegt aber eine große
Gefahr. Es soll nun den Deutschen gezeigt
werden, daß nicht alle Ausländer Hetzer und
Kriegsschürer sind, ebenso wie die Franzosen
und Engländer und Amerikaner stets mit
größtem Wohlwollen deutschen Pazifisten in
ihren Ländern das Wort erteilen, damit auch
ihre Landsleute von dem einseitigen Vorurteil
über die Deutschen geheilt werden. Die Ab-
lehnung von Männern wie Norman Angell,
Kuyssen und Riquiez durch einzelne nationale
Gruppen und Zeitungen ist nur unter voller
Vei-kennung der eigentlichen patriotischen Ten-
denz des Auftretens dieser Männer in Deutsch-
land möglich gewesen, das' vom nationalen Ge-
sichtspunkte nicht anders beurteilt werden darf,
10t
DIE FBlEDENS-^ößTE
3
wie das durch das Austauschwesen geförderte
Auftreten ausländischer Gelehrter an deutschen
Universitäten.
Was die Aufgabe der Internationalen Stu-
dentenvereinigungen anbelangt, so liegt es diesen
fern, direkte Friedenspropaganda zu treiben.
Sie wollen lediglich da« Verständnis der in
Deutschland studierenden Ausländer für das
Deutschtum, das der Deutschen für die Aus-
länder erwecken. Und dieses Verständnis ist
notwendig, denn mit grundsätzlicher Fremden-
feindlichkeit, die heute nicht einmal mehr in
Korea oder Tibet Anklang findet, kann ein
Kulturvolk im Wettbewerb der Weltwirtschaft,
der Weltwissenschaft und der Weltpolitik
nicht mehr bestehen. Diese Vereinigungen
sollten daher von jedem guten und weitschauen-
den Deutschen als dem Vaterlande nützliche
Unternehmungen ebenso unterstützt werden, wie
die großen Friedensvorkämpfer des Auslandes als
Schätzer des Deutschtums und seiner Bedeu-
timg freudig begrüßt werden sollten. Fr.-W.
Des „ausländischen" Pazifisten Heimkehr. ::
Als kennzeichnend für den falschen Stand-
punkt, den die deutschen Nationalisten aus-
ländischen Pazifisten gegenüber einnehmen,
können die Angriffe dienen, die unserem fran-
zösischen Kollegen, Prof. R u y s s e ■ n , nach
seiner Rückkehr aus Deutschland von Seiten
französischer Nationalisten zuteil wurden.
Unser Mitarbeiter, Herr Edmond D u -
meril-Hallberger, schreibt uns darüber:
„Den Lesern der Friedens- Warte ist es nicht
unbekannt, daß Prof. Ruyssen aus Bordeaux
mit Prof. P i 1 o t y in Elsaß-Lothringen mehrere
Vorträge gehalten hat. Die Redner konnten
sich überall, in Kolmar, in Mühlhausen, in
Straßburg, eines sehr bedeutenden Erfolges er-
freuen, indem die Bevölkerung Elsaß-Loth-
ringens noch einmal bewies, daß sie auf die
Macht des Rechts allein rechnet, um ihre Lage
allmählich zu verbessern.
Dies ist aber den französischen nationali-
stischen Agitatoren nicht gerade recht, da sie
die armen Elsässer stets zu Zwecken der
inneren Politik brauchen. Daher wurde Herr
Prof. Ruyssen in ihren Zeitungen aufs hef-
tigste angegriffen — trotz des Beifalls, den er
sogar bei dem französischen „ J o u r n a 1 d'A 1 -
s a c e" gefunden hatte ! — In einem Artikel über
„le scandale Ruyssen", drückt sich das Jingo-
blatt „l'Action Francaise" folgendermaßen aus:
„Herr Ruyssen, obgleich er nur ein , Halbfran-
zose' (!) ist, war der Repräsentant Frankreichs
in diesem rührenden Bund (mit Herrn Prof.
Piloty). Der Spaß aber schien den Elsässem
eher seltsam.: sie fanden es wunderbar, daß
ein Franzose, ein Universitätsprofessor, sich mit
einem deutschen Professor zeigte (I) und mit
ihm gemeinschaftlich daran arbeitete, den Pazi-
fismus der unglücklichen Bevölkerung zu pre-
digen": .. usw. (Nummer vom 12. Februar.)
Nicht nur. daß Herr Ruyssen öffentlich
angegriffen wurde, diese Blätter verlangten vom
Ministerium (!) eine Bestrafung, und da sie
natürlich wohl wußten, daß dieselbe ausbleiben
würde, so schickten sie einen Aufruf an die
royalistischen Studenten der Universität Bor-
deaux, damit sie ihrem wiederkehrenden Do-
zenten einen „feierlichen" Empfang vorbe-
reiteten. Diese ergriffen natürlich mit Freude
die Gelegenheit, etwas Spektakel zu machen,
und die öffentliche Vorlesung des Herrn Ruyssen
am 10. Februar konnte nicht stattfinden Man
pfiff, man schrie „Sie sind kein Patriot!" usw.
Der Dekan erschien vergebens und mußte die
Polizei holen. Mehrere Führer der Bewegung
wurden arretiert. Andere erwarteten den Pro-
fessor vor dem Tore des Gebäudes, um ihn auf
der Straße weiter zu beschimpfen.
Hoffentlich wird die akademische Behörde
energisch einschreiten, falls solche Angriffe sich
wiederholen. — Die deutschen Friedensfreunde
aber sollen dem Mann doppelt dankbar sein,
der an der Annäherung Frankreichs und
Deutschlands auf dem Boden des Rechts ar-
beitet und dabei wegen seiner edlen Friedens-
liebe von den in jedem Land tobenden Nationa-
listen verfolgt wird.
Mögen sie auch daraus wohl einsehen, was
wir Friedens freunde von den Roya listen zu er-
warten haben j" ,
Sollten diese Ausschreitungen von Chau-
vinisten unsere deutschen Studenten nicht stutzig
machen, und sie nicht doch zu einer Revision
über die Friedensverträge von Ausländern in
Deutschland veranlassen? So deutschfeindlich
scheinen doch jene Leute nicht zu sein, die
von französischen Jingos ausgepfiffen werden.
Militärische Kriegshoffnungen. :: :: :: :
In amtlichen militärischen Erlassen in
Oesterreich-Ungarn kamen in letzter Zeit die
Hinweise auf einen künftigen Krieg, die Hoff-
nungen auf einen solchen in unzweideutiger
Weise zum Ausdruck. An einem Schlachten-
gedenktage des Regiments „Belgier" entbot der
Kriegsminister dem Regiment seinen Gruß und
fügte hinzu: „Möge der Geist, der aus solchen
Traditionen sprießt, das brave Regiment auch
dann beseelen, wenn die Befehle Sr. Majestät
die Möglichkeit bieten werden, zum er-
erbten Lorbeer frischgrünenden zu
pflücke n." Die Rede, mit der Marinekom-
mandant Montecucculi am 16. Februar
seinen Abgang ankündigte, enthält ebenfalls
solche Andeutungen. „Unsere ganze Flotte,"
so heißt es da, „steht im Dienst und kann
binnen kurzem berufensein, dem
Feinde zu zeigen, daß sie die langen
Friedensjahre nicht unbenutzt verstreichen ließ."
Dann weiter: „Vor kurzem habe ich Ihnen mit-
geteilt, daß ich die volle Ueberzeugung habe,
die Flotte werde unter ihren bewährten Führern
unserer Flagge neuen Lorbeer bringen.
Mir wird es leider nicht m e h r . v e r -
110
<§s
DIE FRIEDEN5-WAETE
g 6 ri nt s e i n , A n t e i 1 d a r a n zunehme n."
Wenn- Monarchen oder Staatsmänner vom Kriege
reden, vergessen sie nie hinzuzufügen: „Was
Gott verhüten möge."
Ein Künstler gegen den Krieg. :: :: :: :: :: ::
Der beka nnte Bildhauer Professor
Eberlein in Berlin veröffentlicht in allen
Zeitungen einen Aufruf gegen die Schädigung
der Kunstdenkmäler durch den Krieg. „Blut
und Tränen," meint er, „werden in jedem Krieg
fließen. Aber," so fährt er fort, „es gibt Schäden
in seinem Gefolge, die nicht unbedingt
mit seiner Natur verbunden und daher v e r -
meidbar sind. Auch den begeisterten Freund
des stolzen (?) Krieges wird Trauer ergreifen,
wenn große, herrliche, schöpferische Werke des
Künstlers und des Gelehrten in Flammen auf-
gehen, wie die Alexaiidrinische Bibliothek oder
das Heidelberger Schloß, wenn der Parthenon-
tempel oder das Grabmal des Hadrian zerschmet-
tert werden. Der Krieg atmet Kraft und Gewalt,
er ist männer mordend, weil er sein
muß ( ! !). Aber die Werke des schöpferischen
Geistes könnten und müßten allezeit auch im
Kriege, als heilig und der ganzen
Menschheit gehörig gelten, also unan-
tastbar sein. Hat doch die „Genfer Konvention"
unnötige Grausamkeiten und Kriegsgreuel bei
allen Kulturvölkern wider alles Erwarten bis
zu einem gewissen Grade beseitigt! Warum
soll nicht eine neue „Konvention" die uner-
setzlichen Werke von Kunst und Wissenschaft:
Denkmäler, künstlerische Bauwerke, Bilder-
galerien, Bibliotheken, Museen, wissenschaft-
liche Institute, für den Kriegsfall in ihren
mächtigen Schutz nehmen, zum Segen der Weltl
Fern von jeder Politik, lediglich als Sach-
walterin der adligsten Kultur, soll eine Vereini-
gung aller Freunde von Kunst und Wissenschaft
in allen Ländern, besonders in Deutschland und
Frankreich, als den Aroraussichtlichen Vor-
kämpfern eines etwaigen Zukunftskrieges, in
Wirksamkeit treten !"
Zunächst sei dem um unsere Kultur po
besorgten Professor gesagt, daß es eine der-
artige Abmachung bereits gibt.
Artikel 27 des Haager Abkommens zur „Ord-
nung der Gesetze und Gebräuche des Land-
krieges" sagt :
„Bei Belagerungen und Beschießungen
sollen alle erforderlichen Vorkehrungen ge-
troffen werden, um die dem Gottesdienste,
der Kunst, der Wissenschaft und
der Wohltätigkeit gewidmeten Gebäude, die
geschichtlichen Denkmäler, die
Hospitäler und Sammelplätze für Kranke und
Verwundete soviel als möglich (I) zu schonen,
. vorausgesetzt, daß sie nicht gleichzeitig zu
einem militärischen Zwecke Verwendung
finden."
Das Kulturbewußtsein unserer Künstler,
denen die Erhaltung der Steine über alles geht,
kann sich also beruhigen. Wenn sie bei diesem
entsetzlichen Kriege, wo Frauen, Greise und
Kinder in der rohesten Weise niedergemetzelt
wurden, die Berichterstattung von lebendig Be-
grabenen und Verbrannten, von Geschändeten
und Verstümmelten meldet, von Cholerakranken,
die mit den Leichen gleichzeitig aus dem fahren-
den Eisenbahnzuge auf den Bahndamm geworfen
wurden, von Tausenden, die von der Cholera
und dem Typhus hinweggerafft wurden, von
Zehntausenden, die zu Krüppeln geschossen
wurden oder unter entsetzlichen Qualen unter
der genialen Wirkung der Maschinengewehre ihr
Leben aushauchten, wenn sie da an nichts an-
deres zu denken haben, als an die Erhaltung*
der geschichtlichen Denkmäler, so zeigt dies nur,
wie weltfremd sie dem größten Problem unserer
Zeit gegenüberstehen, und wie sie vor lauter
Kunstinteresse das Interesse für die Menschheit
verloren haben Vielleicht liest Herr Professor
Eberlein Joseph Poppers (Lynkeus) Buch
über „Das Individtium und die Be-
wertung menschlicher Existenze n.'*
Kleine Mitteilungen. :: :'. ::
Gräfin Hedwig Pötting, Stiftsdame und Vor-
standsmitglied der österreichischen Friedens-
gesellschaft, feiert am 23. März ihren 60. Ge-
burtstag. Sie ist seit vielen Jahren mit der
Baronin Suttner auf das innigste befreundet
und deren Helferin und Beraterin. Sie hat den
Roman „Die Waffen nieder!" für die Jugend
bearbeitet und sich auch sonst schriftstellerisch
betätigt. Ihr überaus sympathisches Wesen,
ihre edle Hingabe für alles Gute und ihr freudig
bewegtes Vorwärtsempfinden haben einen großen
Kreis aufrichtiger Freunde um sie -geschart,,
die sie zu ihrem 60. Geburtstage alle auf das
herzlichste begrüßen werden. — E. T. Moneta
und Fred. Bajer mußten sich beide in den letzten
Wochen Operationen unterziehen, die von un-
seren greisen Freunden glücklich überstanden
wurden. — Geheimrat Prof. Kohler in • Berlin
geriet unter einen Autoomnibus, kam aber mit
geringen Verletzungen davon, von denen er sich
bereits wieder erholt hat. — Am 27. Februar
starb zu Rom im 73. Lebensjahre Graf Angelo
de Gubernatis. Auf dem Stockholmer Friedens-
kongreß des Jahres 1910 sahen wir ihn an der
Spitze der italienischen Delegation feurig für
unsere Ideen eintreten. Damals überbrachte er
die Einladung zu jener Kongreßtagung in
Rom, die aus bekannten Gründen vereitelt
wurde. Gubernatis sollte diesem Kongreß präsi-
dieren Er traf auch alle Vorbereitungen und
arrangierte gleichzeitig in der Engelsburg die
„Ausstellung des Friedens". Die Vereitelung
des Römischen Kongresses durch die Cholera
war ein glücklicher Zufall, der uns und den
Veranstaltern manche peinliche Szene erspart
hat. Die Haltung, die de Gubernatis mit einem
Teile seiner italienischen Gesinnungsgenossen
während des Tripoliskrieges einnahm, trennte
ihn von uns und veranlaßt« ihn auch, aus dem
111
DIE FRIEDENS -^/AßTE
3
Berner Bureau zu scheiden. Der Tod hat ihn
daran gehindert, die Annäherung mit den alten
Mitkämpfern wieder herbeizuführen. Wir werden
sein Andenken nichtsdestoweniger in Ehren
halten. Er war ein großer Gelehrter, der im
öffentlichen Leben seines Landes eine ange-
sehene Stellung einnahm. — In das holländische
Komitee zur Vorbereitung der dritten Haager
Friedengkonferenz ist an Stelle des verstorbenen
Generals den Beer Poortugael der Generalmajor
H. L. van Oordt gewählt worden, der die
Niederlande bereits auf der zweiten Haager
Konferenz als technischer Delegierter vertreten
hat. — In Meran starb Ende Februar der rhei-
nische Großindustrielle Gustav H. Mttller-Abeken,
der seinen Wohnsitz im Haag hatte und General-
konsul von Rumänien war. Er war einer der
ersten Industriellen, die dem Verbände für inter-
nationale Verständigung beitraten. Während der
Marokkokrise trat er dafür ein, daß die inter-
nationalen Verträge gehalten werden. — Der
frühere großbritannische Gesandte in Washing-
ton, James Bryce, ist an Stelle des Sir Edward
Fry zum Mitglied des Haager Hofes bestellt
worden. — Mr. Heiiry Lorenzo Yanes, der kürz-
lich zum Chef der lateinisch-amerikanischen
Abteilung des Staatsdepartements ernannt
wurde, ist vom Präsidenten Taft zum Schieds-
richter in dem Streit zwischen der Regierung
von Ecuador und der Guyaquil & Quito-Eisen-
bahn ernannt worden. Die Regierung von Ecua-
dor ernannte den Präsidenten des Senats, Dr.
Alfred o Baqurizo Moreno. — Dr. Karl
Peters, der frühere Reicliskommissar von
Deutsch-Ostafrika, hielt Ende Februar im Deut-
schen Klub in Wien einen Vortrag über „Die
Zukunft Europas", in dem er für einen födera-
tiven Zusammenschluß der europäischen Staaten
eintrat.
AVS DER BEWEGUNG
Kcmgreß-Kalendarium. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
14. März; Sitzung der Kommission des Int.
Friedens-Bureaus in B e r n.
18. März: Sitzung des Interparlamentari-
schen Rates in Brüssel.
1. — 3. Mai: IV. amerikanischer National-
friedenskongreß in St. Louis.
11.— 12. Mai: VIII. französischer National-
friedenskongreß in Paris.
14.— 16. Mai: XIX. Lake - Mohonk - Kon-
ferenz.
II. — 13. Mai: II. Verbandstag des Verbandes
der Internationalen Studentenvereine Deutsch-
lands in Leipzig.
10. — 13. Juni : IX. englischer National-
friedenskongreß in L e e d s.
19.— 21. August: VIII. Deutscher Espe-
rantokongreß in Stuttgart.
29. August: Einweihung des Friedens-
palastes im Haag.
August : XX. Weltfriedenskongreß im Haag.
29. Aug. bis 13. Sept.: VIII. Weltkongreß
der Studentenverbände (Corda Fratrea) in
Ithaca, New York.
29. — 31. August: IX. Internationaler Espe-
rantokongreß in B e r n.
22. September: XXVIII. Konferenz der Int.
Law Association in Madrid.
September: XVIII. Interparlamentarische
Konferenz im Haag.
m
Von der Feldhaus-Tournee. :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Am 4. Februar sprach Feld haus ge-
meinsam mit Professor Ruyssen aus Bordeaux
in Mühlhausen i. Eis. unter dem Vorsitz des
Landtagsabgeordneten Eduard Drumm über
„Der Krieg und die Zivilisation". Von dem
600. Jubiläumsvortrag von R„ Feldhaus ist zu
berichten, daß an diesem Abend der große Saal
des Bürgermuseums in Stuttgart bis auf den
letzten Platz gefüllt war. Die Ausführungen zu
dem Thema: „Die Lehren des Balkankrieges",
erläutert durch viele Lichtbilder vom Kriegs-
schauplatz, erweckten viel Interesse. Der
Redner war Gegenstand vieler Ovationen und
wurde zum Schluß durch Ueberreichung eines
Riesenlorbeerkranzes im Namen der Deutschen
Friedens-Gesellschaft ausgezeichnet.
Anfangs März sprach Feldhaus am Rhein:
In Köln vor 1400 Hörern) in Düsseldorf vor 900.
Sein Thema lautete da: „Rüstungswahn —
Staatsbankerott — Balkankrieg". Er sprach
außerdem noch in Basel und Darmstadt
vor überfüllten Sälen. Nach Ostern begibt er
sich zu einer neuen Tournee naoh dem Ober-
rhein.
MB
Studienreise nach den Vereinigten Staaten. :: :: ::
Anläßlich des vom Internationalen Stu-
denten-Bund, Corda. Fratres, einberufenen Stu-
denten-Kongresses in Ithaka (New
York) Anfang September veranstaltet die Deut-
sche Freie Studentenschaft in Verbindung mit
dem Verband Internationaler Studentenvereine,
dem Akademischen Freibund, der Deutschen
Akademischen Freischar und dem Deutschen
Bund abstinenter Studenten eine Studienreise
nach den Vereinigten Staaten, über die nach-
stehende Einzelheiten bekanntgegeben werden:
Ueberfahrt: Anfang August. Abfahrt
von Europa. Anfang August, und zwar von Liver-
pool mit einem amerikanischen Dampfer. Die
Teilnehmer können sich dann ohne große Sonder-
kosten einige Tage in England aufhalten und
gewöhnen sich auf dem Schiffe schon an ame-
rikanische Speise und Sprache. Der Dampfer
führt nur eine Klasse Fahrgäste. Während der
Ueberfahrt (etwa 10 Tage) werden einige ein-
führende Vorträge, teils deutsch, teils englisch
gehalten.
Aufenthalt: Während des offiziellen Auf-
enthalts (sechs Wochen) wird das Kongreß-
112
@=
DIE FRI EDENS -WAQXE
Komitee, zu dessen Ehrenmitgliedern unter
vielen bekannten Männern des öffentlichen und
des akademischen Lebens der Präsident der
Vereinigten Staaten, Woodrow W i 1 s o n,
gehört, für Besichtigungen und Führungen zur
Belehrung und Anregung, für gesellige Veran-
staltungen zur Erholung und Unterhaltung und
für mancherlei Vergünstigungen sorgen. Die
Deutsch- Amerikaner werden wohl den Studenten
aus der Heimat einen besonders freundlichen
Empfang bereiten. Die Reise wird sich auf die
östlichen und mittleren Staaten beschränken
und doch ein mannigfaches Bild vom „Land
der unbegrenzten Möglichkeiten" bieten. Das
Programm soll tunlichst auch für persönliche
Neigungen Bewegungsfreiheit lassen. — Zum
Besuch des Kongresses, zu dem Stu-
denten aus aller Welt zusammenströmen, sind
alle Reise teilnehmer berechtigt und verpflichtet;
studentische Vereinigungen können Vertreter
bezeichnen. Sein Zweck ist, „zwischen den Stu-
denten der ganzen Kulturwelt gegenseitiges Ver-
ständnis und Freundschaft zu fördern, ohne
bestimmte religiöse, politische oder ökonomische
Grundsätze zu begünstigen oder zu bekämpfen.
Rückfahrt : Die Teilnehmer können ihren
Aufenthalt beliebig ausdehnen und mit belie-
bigem Dampfer gleicher Art heimkehren.
Bedingungen: Einige Kenntnisse der eng-
lischen Sprache sind unbedingt erforderlich, des
Esperanto erwünscht. Gründliche Vorbereitung
auf die Reise wird dringend empfohlen. Das
(staatliche) Amerika-Institut, Berlin NW. 7,
Universitätsstraße 8, hat sich bereit erklärt,
Teilnehmern dabei durch mündliche und schrift-
liche Auskunft behilflich zu sein.
Die Kosten der offiziellen Reise von etwa
2V2 Monaten sollen 1000 M. (einschließlich der
Ozeanfahrten) bei mäßigen Ansprüchen nicht
überschreiten.
Die Teilnehmer zahl ist be-
schränkt. Teilnehmen kann jedes Mitglied
der Dozenten und Studentenschaft deutscher
Hochschulen (ausnahmsweise auch nicht mehr
studierende Akademiker). Schluß der Liste
spätestens am 15. Juni 1913. Auskunft erteilen
auch die Vertreter der angeschlossenen Stu-
dentengruppen. Anmeldungen (unter Einsendung
von 10 M. Beitrag- zu den Organisationskosten;
Akademiker 20 M.) nimmt nur entgegen
Das Amt für Studienreisen ins Aus-
land der Deutschen Freien Studen-
tenschaft
Dr. phil. Walter A. Berendsohn,
Hamburg, Behnstr. 15 (ab 1. April Haller-
platz 8).
LITERATUR U PRESSE
Böhme, Ernst.
Friedensbewegung und Lebenserziehung. 8 °.
Gautzsch bei Leipzig 1913. Felix Dietrich
(Kultur und Fortschritt Nr. 661/62). 31 S.
50 Pf.
Es ist erfreulich, daß sich auch in Deutsch-
land die Friedensliteratur mehrt, und es ist
hier von ganz besonderer Bedeutung, daß der
pazifistische Gedanke von Vertretern der ver-
schiedensten Berufsklassen für die Angehörigen
der verschiedenen Berufe erörtert wird. Pfarrer
Böhme in Künitz bei Jena hat uns schon vor
Jahren eine Schrift, ..Krieg und Christentum"
betitelt, beschert. In seiner vorliegenden Arbeit
legt er besonderes Gewicht auf die Volks-
erziehung im pazifistischen Sinne, wie sie in
Schule und Haus geübt werden soll. Was er
über die pazifistische Schularbeit, den
Friedenstag, die Schulfriedensliga schreibt, ver-
dient weiteste Beachtung in pädagogischen
Kreisen. Im ganzen empfiehlt sich die populär
gehaltene Schrift als eine gute Einführung in
die Friedenslehre.
(Johnson, R. U.)
The „coastwise Exemption". The Nation against
it. An appeal on behalf of the National Honor
and a sound Business Policy. Represeutative
Opinion of the Press, and of College Presi-
dents, Superintendents of Schools, Clergymen,
and other Influential Citizens. Gr. 8 °. New
York 1913. 48 S. Kostenlos durch R. U.
Johnson, Century Magazine, Union Square.
New York.
In dem in der vorliegenden Nummer ver-
öffentlichten „Brief aus den Vereinigten
Staaten" wird bereits auf diese Veröffentlichung
hingewiesen. Sie enthält die Meinungsäußerung-
einiger hundert hervorragender Bürger der Ver-
einigten Staaten über den zwischen der Union
und Großbritannien entbrannten Streit über die
Abgaben beim Panamakanal. Die Schrift trägt
das Motto „Repeal or Arbitrat e", was
soviel besagt, als daß das Gesetz, das der
amerikanischen Küstenschiffahrt eine Bevor-
zugung am Panamakanal einräumt, rückgängig
gemacht werden soll oder der Streit, der dar-
über mit England entbrannt ist, eine schieds-
gerichtliche Erledigung finden möge.
Hätten sich jene hunderte amerikanische
Bürger auf den Standpunkt „Right or wrong,
my country" gestellt, so wäre diese Veröffent-
lichung in der alldeutschen Presse mit unge-
heurem Hailoh begrüßt worden. Da sie aber
eine imposante Kundgebung des Willens zum
Recht der amerikanischen Bürger ist, „ein
Aufruf im Interesse der nationalen Ehre und
einer gesunden Politik", wie es im Titel heißt,
wird sie bei uns leider nur wenig Beachtung
finden.
Für den europäischen Pazifismus wird die
Schrift eine vortreffliche Waffe bilden, wenn
es sich darum handeln wird, den Kredit des
internationalen Rechtsgedankens gegen seine
Angreifer wieder einmal zu verteidigen.
A. H. F.
Root, Elihu.
The Obligations of the United States as to
Panama Canal Tolls. Speech in the Senate
of the United States; January 21, 1913. 8°.
Washington. Government Printing Office.
1913. 31 S.
Dies ist die klassische Rede, die Root zu7
gunsten der Zurückziehung- jener Klausel in
113
D.E FRIEDENS -WABlTE =
■3
der Pananiakanal-Bill hielt, die der amerika-
nischen Küstenschiffahrt eine Bevorzugung
gegenüber den Schiffen der anderen Staaten
einräumt. Sie ist eine Mahnung zu internatio-
naler Wohlanständigkeit. „Herr Präsident",
so heißt eingangs eine Stelle, „die Meinung
der Kulturwelt ist etwas, das wir
nicht leichten Herzens gering-
schätzen dürfen." Die Achtung vor den
Anschauungen der Menschheit, heißt es weiter,
bildete einen der, für die Völker dieser Kolonien,
in der großen Erklärung der amerikanischen
Unabhängigkeit festgelegten Grundsätze. — Die
Rede enthält ferner eine fast vollständige Zu-
sammenstellung aller Aeußerungen der ameri-
kanischen Präsidenten und Staatsmänner zu-
gunsten der Schiedsgerichtsbarkeit und wirft
dann die Frage auf : „Herr Präsident,
sind wir Pharisäer? Sind wir unauf-
richtig und falsch gewesen? Haben
wir uns in all den langen Jahren
der Eesolutionen und Erklärungen,
der Vorschläge und Beschleunigun-
genzugunstenderSchiedsgerichts-
barkeit verstellt? Sind wir jetzt
entschlossen, zuzugeben, daß unser
Land, seine Kongresse und seine
Präsidenten alle schuldig sind der
falschen Vorspiegelung, des II u m -
bugs, des Zuni-Fenster-Hinaus-
redens, der schönen Worte zum
Zwecke der Beifallserregung, und
daß wir in dem Augenblick, wo wir
ein Interesse daran haben, be-
reit sind, alle Erklärungen, alle
Versprechungen und alle Grund-
sätze zu verleugnen? .... Herr
Präsident, hier gibt es nur eine
Alternative, die der Selbstachtung-
gerecht wird. Entweder wir schrei-
ten zur schiedsgerichtlichen Aus-
legung dieses Vertrages oder wir
müssen uns von der Stellung, die
wir errungen haben, zurückzieh en."
Das sind wichtige Worte in ernster Stunde,
die ihre Wirkung auch nicht verfehlt haben,
wie aus dem in dieser Nummer der „Fr.-W."
veröffentlichten „Brief aus den Vereinigten
Staaten" zu ersehen ist. Root hat sich bei
dieser Gelegenheit wieder als das erwiesen,
was er uns schon lange gilt : als der hervor-
ragendste pazifistisch wirkende Staatsmann.
Darby, Evans.
The Claim of „the new Pacifism." A Paper
read at the Autumnal Conference of the Peace
Society, Dundee, October 14th, 1912. 8 °.
London 1913. The Peace Society; 47, New
Broad Street. E. C. 12.
Die interessante Rede unseres ausgezeich-
neten Mitkämpfers wendet sich gegen die in
einer englischen Revue (und auch anderwärts)
verbreitete Meinung, die Theorien Norman An-
gells wenden sich von dem „älteren Pazifis-
mus", der versagt habe, ab und bilden eine neue
Lehre. Dem gegenüber betont Darby sehr
richtig: „Das einzige Neue in der Friedens-
bewegung ist eine neue Stimme, ein neuer
Akzent der Ueberzeugung, eine neue Beweis-
kraft und eine neue Beachtung seitens der
Oeffentlichkeit. (was wir auf das herzlichste
114
begrüßen); das heißt aber nicht, daß der .alte
Pazifismus versagt hat. .... Er mußte ver-
sagen, betonen die neuen Rufer, weil er sich
nicht auf das wirtschaftliche Moment be-
schränkte. Aber die wirtschaftliche Seite wurde
von den älteren Pazifisten niemals übersehen
oder vernachlässigt. Meine Vorgänger widmeten
ihr die größte Aufmerksamkeit, und ich habe
mehr darüber geschrieben und gesprochen als
über irgendein anderes Gebiet des Pazifismus,
eben weil es die nächstliegende, praktischste
und dringlichste Seite ist."
Die Ausführungen Darbys sind sehr be-
herzigenswert.
Mead, Lucia Arnes.
Swords and Ploughshares or the Supplanting
of the System of War by the System of
Law. With! a Foreword by Baroness von
Suttner. 8 °. New York and London 1912.
The Knickerbocker Press. XII u. 249 S. Mit
17 Abbildungen. Cloth.
Ihrem ausgezeichneten, vor «Jahren er-
schienenen „Pnmer of the Peace Movement"
ließ Lucia A. Mead jetzt eine etwas ausführ-
lichere Darstellung der Friedensbewegung
folgen, die in 15 Kapiteln den Leser in das
verwickelte Problem einfuhrt. Die Kapitelüber-
schriften werden die Methode der Darstellung
am besten erläutern: I. Kurze Skizze der Ge-
schichte des Pazifismus. — II. Nationale Ge-
fahren und nationale Verteidigung. — III. Inter-
dependenz. — IV. Die Macher des Militaris-
mus. — V. Die Flotte als „Versicherung". —
VI. Einige Irrtümer des Admiral Mahan. —
VII. Neutralisation. — VIII. Das Philippinen-
Problem. — IX. Zwei Hauptgeister. —
X. Unterricht in Patriotismus. — XL Unter-
richt in Internationalismus. — XII. Patriotische
Gesänge, Symbole und Gesellschaften. —
XIII. Die Fortschritte der Schiedsgerichtsbar-
keit. — XIV. Hoffnungsvolle neue Friedens-
wirkungen. — XV. Was erreicht wurde und
werden wird.
Union Interparlementaire.
Compte Rendu de la XVIIe Conference tenue
ä Geneve du 18 au 20 septembre 1912. Gr. 8 °.
Bruxelles. Misch a Thron. XI u. 372 S.
Toile. 5 Frcs.
Es ist erfreulich, daß der Gesamtbericht
über die Genfer Interparlamentarische Konfe-
renz bereits fünf Monate nach ihrer Abhaltung
gedruckt vorliegt. Man hat dadurch Gelegenheit,
auf die Details jener Beratungen näher einzu-
gehen, ehe sie noch durch die Zeitereignisse
überholt sind. Gerade sehr zu Paß kommt jetzt
der ausgezeichnete Bericht d'Estournelles'
über die Beschränkung der Rüstungen und die
ausführliche Wiedergabe der Debatte, die sich
daran geknüpft hat.
Der Bericht Professor Zorns über die
Schiedsgerichtsbarkeit, der Efremoffs über
die Organisation der Vermittlung, Beernaerts
letzte Tat, der Bericht über das Verbot des
Luftkrieges und zahlreiche andere Dokumente
sind für die wissenschaftliche Fortbildung des
Pazifismus von unschätzbarem "Wert. Das
General-Sekretariat der Union hat mit der are-
(§=
DIE FRIEDEN5 -WARTE
wissenhaften Redaktion und der raschen Ver-
öffentlichung dieses „Compte Rendu" wieder
einmal seine vortreffliche Organisation bewiesen.
Classics
L a w.
the, of International
Edited by James Scott: De Jure et Of ficiis
et Disciplina Militari Libri III by Baltha-
zar Ayala. Ed. by John Westlake.
2 vols. I. Reproduction of the first Edition,
with Introduction by John Westlake.
IL Translation of the Text, by John Paw-
1 e y Bäte, with Translators Note and Index
of Citations. 4°. Washington. Published by
the Carnegie Institution of Washington 1912.
I. Bd. XXIII u. 227 8., IL Bd. XII u. 250 S.
Oloth.
Im Rahmen der in der „Fr.-W." 1912,
8. 313 besprochenen Veröffentlichung der
„Klassiker des Völkerrechts" erfolgt jetzt die
Herausgabe eines anderes Vorläufers von Hugo
Grotius. Es ist das Werk des in Antwerpen
geborenen Ayala, eines Militärrichters in der
Armee des Alexander Farnese, Fürsten von
Parma, das im Jahre 1582 zuerst erschien.
Der erste Band enthält die photographische
Wiedergabe der ersten Ausgabe mit einer Ein-
leitung Westlakes; der zweite Band enthält
die englische Uebersetzung des lateinischen
Originals. In der Ausstattung schließt sich
die neue Veröffentlichung der des ersten
Werkes an.
Eingegangene Druckschriften. :; :: :; :: :: :: :: :: ::
(Besprechung vorbehalten.)
Weltwirtschaftliches Archiv.
Zeitschrift für allgemeine und spezielle Welt-
wirtschaftslehre. Herausgegeben von Prof. Dr.
Bernhard Harms. I. Bd., Heft 1. Jan.
1913. G-r. 8°. Verlag von Gustav Fischer in
Jena. 248, 92 u. 35 S.
Aus dem Inhalt : Dr. BernhardHarms,
Weltwirtschaft und Weltwirtschaftslehre. —
Prof. Dr. Ferd. Tönnies, Individuum und
Welt in der Neuzeit. — Prof. Dr. Karl
T h i e s s , Die Weltspur der Eisenbahnen. — Dr.
Felix Meyer, Das internationale Wechsel-
recht. — E. Fitger, Seeversicherung im Welt-
verkehr. — Prof. Dr. Rob. Liefmann, Die
int. Organisation des Frankfurter Metallhandels.
— Dr. G. R o c c a , Die int. Bedeutung des
italien. Lebensversicherungsmonopolgesetzes. —
Besprechungen, Chronik usw.
Revue Generale de Droit int.
Public. 1913. No. 1. Paris. A. Pedone.
Aus dem Inhalt : E. A u d i n e t , Le mono-
pole des assurances sur la Vie en Italie et le
Droit des etrangers. — A. Alvarez, La Con-
ference des junstes de Rio de Janeiro et la
Codification du droit international americain.
— P. Fauchille, La Fondation de lTnstitut
americain de Droit international. — G. Gram,
G. F. Hagerup, M. Kebedgy, T. J. La-
wrence, F. von Liszt, J. de Louter,
L\ Oppenheim et A. Pillet, LTnstitut
americain de droit international. — usw.
La Vie Internationale. Revue men-
sruelle des Idees, des fait? et des orgauisnaes
internationaux. Tome II. 1912. Fascicule 8.
Lex.-8°. Bruxelles. Office central des Asso-
ciations Internationales.
Aus dem Inhalt : Jean Lescure, Les
crises generale« et la Solidarite des Marches
economiques nationaux et internationaux. —
Prof. W. ,S c h ü c k i n g , La Mission essentielle
du Droit international. — Le Dedoublement des
Associations internationales. — usw.
Bulletin of the Pan-American
Union. 1912. Dec. Washington.
Aus dem Inhalt: The Panama-Canal Con-
ference at Atlanta. — Prize for Peace-essay. —
The pan-american Mass at Washington. — usw.
A n g e 1 1 , Norman,
Der Einfluß des Bankwesens auf die inter-
nationalen Beziehungen. Ein Vortrag, ge-
halten im Bankiers- Verein (Institute ot Ban-
kers) zu London. Gr. 8°. O. 0. u. o. J. und
Verlagsfirma. 34 S. (Gedruckt bei Wilhelm
& Brasch, Berlin SW. 48.)
F e r c h , Joh.,
Die Kaserne. Ein Roman aus dem Leben unter
den Fahnen. 1. bis 5. Tausend. Gr. 8 °. Wien
und Leipzig. 1913. Anzengruber Verlag. Brüder
Suschitzky. 288 S. 3 M. (3 Kr.)
Fliegenschmidt, Maximilian,
Deutschlands Orientpolitik im ersten Reicli^-
jahrzehnt 1870—1880. Teil I. Gr. 8°. Berlin
1913. Puttkammer & Mühlbrecht. 322 S.
Geschichtskalender, deutscher, für
1912. Zwölftes Heft. Dezember. 8°. Leipzig.
Felix Meiner. 1913. S. 339—399.
Gero, Dr. Ernst,
Die Beseitigung ausländischer Ehehindernisse in
Ungarn. Nach dem ungarischen Ehegesetze
und nach dem Haager Eherechtsabkommen.
Praktischer Wegweiser für Advokaten, Justiz-
und Administrationsbehörden, Heiratslustige,
insbesondere für bereits Geschiedene oder
Scheidung Beabsichtigende katholischer Kon-
fession. 8°. Budapest. 1913. Eherechts-Biblio-
thek. Budapest VII. Räkocz-Üt. 68. 32 S.
Kr. 1. —
Höflin, Emil Gotthold,
Eine Friedensbewegung des Ostens. 8°. St.
Imier. 1913. Abhandlungen des Internatio-
nalen Friedensbureaus (Bern). 11 S.
Rudolph, Hermann,
Die vier Wege zur Theosophie undj die Hinder-
nisse auf dem Pfade zur Selbsterkenntnis. Zur
Verbrüderung der Religionen und Völker. Zwei
Vorträge. 8 °. Leipzig. 1913. Verlag der Theo-
sophischen Kultur. 64 S. 1,20 M.
Schulz, Anna,
Gott und Mensch. Gemeinverständliche Betrach-
tungen über den tieferen Sinn der Bibel.
Gr. 8°. Stettin. 1912. Verlag Anna Schulz,
Gießereistr. 40 a. V und 378 S. Geb.
Seber, Dr. Max,
Neue Kulturperspektiven. Weltanschauuugs-
streit oder Menschheitskultur. 8°. Dresden.
1912. Carl Reißner. 94 S.
Spender, J. Alfred,
Die Grundlagen der britischen Politik. Ueber-
setzt von Alfred Rennebarth in London. 8 °.
Sonderdruck der ..Zeitschrift für Politik."
115
DIE FßlEDENS-WAQTE
=®
II. Bd., Heft 1. Berlin.
Nicht im Handel.
1913. S. 114—150.
Armements et Aviation.
Oompte rendu de la Conference de l'Union Inter-
parlementaire temie ä Geneve en 1912. Preface
de M. cl'Estournelles de Constant.
(„Conciliation internationale": Bulletin tri-
mestriel No. 4.) 8 o. Paris. 1912. 90 S.
La Conciliation allem and e.
Gongres jde Heidelberg. (5. bis 7. Oktober 1912.)
Introduction & Compte rendu par M. T h.
Ruyssen, Prof. ä la faculte des lettres de
l'universite de Bordeaux („Conciliation inter-
nationale": Bulletin trimestriel No. 1). 8°.
Paris. 1913. Oh. Delagrave. 70 S.
Novicow, J.,
L'Alsace-Lorraine obstacle ä l'expansion alle-
mande. Preface de M. le prof esseur C h. Ei-
chet. Avec un Portrait de l'Auteur. 8°.
Paris. Felix Allcan. 1913. 392 S. Fr. 3,50.
Union Interparlementaire.
Bapport du Secretaire general au Conseil Inter-
parlementaire pour lannee 1912. Avec deux
Annexes : I. Liste des Presidents et Secre-
taires des groupes. II. Programme du Bureau
pour 1913. Gr. 8». Uccle-Bruxelles. 1913.
Bureau Interparlementaire. 31 S.
P r o c e s - V e r b a 1
de PAssemblee generale du mercredi 25 sep-
tembre 1913*). Geneve (Salle des fetes de
l'universite). 8°. (Ber*ne 1913, Bureau int. de
la Paix.) 5 S.
Proces-Verbal
des Seances de la Commission du Bureau tenues
les 22 et 27 septembre 1912 ä Geneve. 8°.
(Berne 1913. Bureau int. de la' iPaix.) 17 S.
M e z , Dr. John,
Le cheque postal international et les resul-
tats des virements postaux en Autriche, en
Bongrie, en Suisse et en Allemagne.' Gr. 8 °.
Bruxelles 1913. Extrait de „La Vie Inter-
nationale" 1912. Fase. 7 t. IL S. 249—262..
Naruse, Jinzo,
The Concordia Movement. 8°. New York. „Am.
Association for Int. Conciliation", Sub-Sta^
tion 84 (407 West 117th Street). 14 S.
(kostenlos).
Monthly Bulletin
•of Books, Pamphlets and Magazine Articles
Dealing with int. Belations. January. 1913.
8 °. New York. „Association for int. Con-
ciliation", Sub-Station 84 (501 West, 117th
Street). 11 einseitig bedr. SS. (kostenlos).
Rep ort
of the Proceedings of the anglo-german Under-
standing Conference. London. 1912. 8 °.
London. The British Joint Committee, 167
St. Stephens House, Westminster SW. (1913).
15 S. (kostenlos).
Root, Senator
and Latin America. From the congressional Re-
cord for January 16, 1913. 8° New York
City. American Association for International
Conciliation, Substation 84 (407 West, 117th
Street). (International Conciliation; Special
Bulletin, Januar 1913.) 13 S. (kostenlos).
W ho makes war ?
An Editorial from the London Times of No-
vembre 26, 1912. 8 °. New York City. Ameri-
can Association for International Conciliation,
ßubstation 84 (407 West, 117th Street). (Inter-
national Conciliation; Special Bulletin, Febr.
1913.) 10 S. (kostenlos).
Year Book
of the American School Peace League 1911/9112.
8 °. (Boston 1913.) 104 S. Zu beziehen durch
Mrs. Fannie Fem Andrews, Boston, Mass.,
405 Marlborough Street.
Vollenhoven, C. van,
De Eendracht van het Land. 8 °. s'Graven-
hage 1913. Martinus Nighoff. 97 S. Preis
— 50 Fl.
Roszkowski, Gustav,
O Unii Interparlamentarnej. Gr. 8°. Krakow.
1911. Drukarna Universvtetu Jagiell. 37 8.
") Druckfehler ain Titel. Gemeint ist 1912.
Zeitschriften -Rundschau. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Seit Januar 1913 erscheint die holländische
Friedenszeitschrift „V rede door Recht"
in neuem Gewände. Das Format ist kleiner,
aber die Seitenzahl viel größer und der Inhalt
(reichhaltiger. In dieser Ausstattung darf man
die neue Bevue ohne Zweifel zu einer der
ersten Friedenszeitschriften der Welt rechnen.
Die anderen Kleinstaaten, insbesondere die
Schweiz, Schweden und Dänemark, verfügen
nicht über eine so inhaltsreiche Revue. Das
ist ja wohl nicht zum wenigsten auf das große
Interesse zurückzuführen, das man in Holland
der Friedensbewegung entgegenbringt. In der
Februarnummer finden wir einige vorzügliche
Berichte über neuere Schieds fälle. Dr. van
der Flier behandelt den russisch-türkischen
Streit vor dem Haager Hofe, van der Man-
dere die Timorangelegenheit. Mit diesem
letzteren Falle hat es folgende Bewandtnis.
Holland und Portugal sind kürzlich überein-
gekommen, den Grenzstreit betreffend die Insel
Timor schiedsrichterlich erledigen zu lassen,
und zwar soll der Streit dem schweizerischen
Bundesrat übergeben worden sein, van der
M andere fragt nach den Gründen der Igno-
rierung des Haager Schiedshofes, und unter-
sucht, ob die Kostspieligkeit, das langsame
Verfahren oder die Tatsache, daß der Haager
Schiedshof in dem Gebiete einer der Streit-
teile liegt, dieses Verhalten der Parteien recht-
fertigen können. Beide Parteien haben sich
in einem Schiedsverträge verpflichtet, alle
Rechtsfragen, über die eine Einigung nicht er-
zielt wurde, dem Haager Hofe anzuvertrauen.
Das hindert natürlich nicht, daß sie durch be-
sondere Vereinbarung den Streit anderswie
erledigen lassen, aber immerhin besteht nach
van der Manderes richtiger Meinung eine
moralische Verpflichtung, den Haager Hof nicht
zu umgehen. Es scheint übrigens nach den
neuesten Mitteilungen, als habe die holländische
Regierung infolge der Opposition in Holland die
Absicht, die Angelegenheit doch dem Haager
Hofe zu überweisen. Wahrscheinlich ist eine
offizielle Uebertragung des Schiedsrichteramtes
an den schweizerischen Bundesrat noch nicht
erfolgt. Nach einer Erklärung des Ministers
des Aeußeren van Swindere in der ersten
Kammer der Generalstaaten will man vielleicht
116
<E
= DIE FRIEDENS ->MößrE
ein einzelnes Mitglied des Haager Schiedshofes
mit der Erledigung des Streites beauftragen.
„Die Wissenschaft", so sagte der Minister, „hat
in der letzten Zeit festgestellt, daß ein Schieds-
gericht auch nur aus einer Person bestehen
kann, und wenn diese auf der Liste des Haager
Schiedshofes steht, so handelt es sich um die
Erledigung des Streites durch den Haager Hof."
Es ist aber nicht empfehlenswert, den Streit
durch eine Einzelperson entscheiden zu lassen.
Die Timorangelegenheit weist wieder mit
großem Nachdruck auf die Errichtung eines
ständigen Gerichtshofes hin. In diesem Sinne
ist auch ein Wort Tafts aus der letzten Zeit
zu verwerten. Dieser erklärte nämlich, wenn
der Panamastreit schiedsrichterlich erledigt
würde, dann solle er aber nicht dem Haager
Hofe, sondern von einer besonderen Kommission
entschieden werden.
Frau de Jong-Kluyver gibt in der-
selben Nummer einen vorzüglichen Ueberblick
über die Neuregelung der Vermittlung auf der
nächsten Haager Konferenz.
In Nr. 2 der „Friedensbewegung" ver-
öffentlicht der hervorragende amerikanische
Gesandte in Brüssel Theodor Marburg
einen Aufsatz über „die Gefahr der Rück-
ständigen". Er weist auf die ständige Be-
drohung des Friedens der Welt und die fort-
währende Gefährdung von Leben und Eigentum
der Bewohner in unzivilisierten und rück-
ständigen Staaten hin. Gerade in bezug auf
Mexiko ist sein Aufsatz von aktuellem Inter-
esse. Er schlägt ein Zusammengehen aller
zivilisierten Nationen vor, um gemeinsam die
Leitung in solchen Staaten zu übernehmen, die
sich als unfähig erwiesen haben, geordnete Zu-
stände zu schaffen. Er weist darauf hin, wie
gerade durch das Verhalten unzivilisierter
Staaten andere Mächte zu einer Expansions-
politik verleitet werden. Falls alle Mächte die
Verhältnisse solcher Staaten künftighin gemein-
sam ordnen, werden wohl auch noch Er-
oberungen vorkommen; aber diese werden nicht
kriegerischer, sondern moralischer Art sein.
Was Südamerika betrifft, so meint Marburg, die
Sicherung der Zustände in diesem Erdteile
müsse ausschlißlich den Vereinigten Staaten
zufallen, da die Monroedoktrin dies verlange.
Aber die Vereinigten Staaten würden dann
künftig als Mandatare der Mächte und mit
einem besonderen Rechtstitel die Ordnung der
Zustände in Südamerika sichern.
Fachpresse. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :; :: :: ;:
Völkerfriede (Stuttgart). März. O. U.,
Fanatismus. — Rieh. Gaeclke, Die neue
Wehrvorlage. — F. Stehelin, Die Lage
in Elsaß-Lothringen. — F. Siegmund-
Schultz, Die deutsch - englischen Bezie-
hungen. — usw.
Vaterland und Welt (Göttingen). Fe-
bruar. Prof. Troeltsch, Reiseeindrücke
in Amerika. — Prof. O. Nippold, Die
Organisation der int. Verständigung. —
Fried r. Depken, Veröffentlichungen des
Verbandes für internationale Verständigung.
— usw.
Der Friede (Bern). Februar. G. - C, Natio-
nale Verirr ungen. — Th. Schmidt, Selig
sind die Friedensfreunde. — K. W. Schult-
h e s s , Pazifistische Rundschau. — usw.
Die Friedensbewegung (Bern). Februar.
Pierre Clerget, Die Fragen der Meer-
engen. — Dr. Theodore Marburg, Die
Gefahr der Rückständigen. — usw.
La Paix par le Droit (Paris). No. 2.
Th. Ruyssen, Guerre ou Paix ? — Fre-
deric Passy, Ceux qu'il faut honorer :
Emile de Girardin. — Michel Breal et
Louis Havet, La Neutralisation de l'Al-
sace-Lorraine. — T h. Ruyssen, Le Reveil
des Nationalites. — usw.
— No. 3. Fred. Passy, Ceux qu'il faut
honorer : Les Oublies. — Charles Richet,
Agathon et la jeunesse francaise. — T h.
Ruyssen, La guerre jugee par 1' Armee. —
Jacques Dumas, La guerre des Balkans
est-elle une illusion?
The Arbitrator (London). Februar. Ger-
many and Holland. — David Starr Jor-
dan, Military Conscription. — Mr. Carnegies
New Year's Greeting. — The Panama Canal
Act and foreign Shipping: Reply of Secretary
Knox to Sir Edward Grey. — Gordon M.
S a v i 1 e , Brothers in Arms : The Pride of
a Race made Ready. — Heroism and Periis
of Peace.
Concord (London). Jan. -Febr. Felix Mo-
scheies, to my Friends ; a message. —
— Our Presidents eightieth birthday. — Military
Service in Australia. — J. A. Farrer, The
Vision of Senator Z. — ■ usw.
Monthly Circular (of the National Peace
Council, London). Februar.
Advocate of Peace (Washington). Fe-
bruary. The Battleships Program once more.
— The Anglo-American Centenary. — The
St. Louis Peace Congress. — Fannie Fern
Andrews, American School Peace League.
— William D. B. Ainey, An hundred
years of Peace. — Thomas H. Lewis,
The School Teacher as the Advance Agent
of Peace. — ■ Thomas Raeburn White,
The immediate Establishment of an inter-
national Court of Arbitrale Justice. — Rear-
Admiral ehester, The Panama Canal Bill.
The Messenger of Peace (Richmond,
Ind.). Jan. William C. Deming, The
Opportunity and Duty of the Press in Re-
lation to World Peace. — usw.
La Luce del Pensiero (Neapel). Februar.
M. Mastropaolo, II problema della Col-
tura e il Govere della Democrazia. — G. T i -
nivella, I diritti del sentimento. — usw.
(Le Messagerde lajPaix, Moskau). No. 1
u. 2. In russischer Sprache.
„V r e d e d o o r Recht" (Haag). Febr. Aan
het nederlandsche Volk. — Lieut.-Gen. Ihr.
J. C. C. den Beer Poortugael. — B. d. . J.,
Internationale feestelijke Studenten Bijen-
komst. — Dr. M. J. van der Hier.,
Het tweede Arbitrage-geding in 1912. —
H. van der M andere, Timor-aangelegen-
heid. — C. A. de Jong van Beek en
117
DIE FRIEDENS -WAETE
3
D;onk, Nadere Regeling betreffende bemidde-
ling. — S. J. Visser, Difficiles Nugäe. —
Dr. A. B. van der Vies, De nederlandsche
Staatsbegrooting en het Internationalisme.
Het Vredesbudget.
Fredsfanan (Stockholm). No. 2. Till
svenska Volket. Fredens Sekelminne 1914.
— Erik Palmstierna, Fredsbetryggande
Faktorer.
Fredsbladet (Kopenhagen). No. 2. Niels
Petersen, Faestningsagitationen. — G.
K e m p , Verdensfredsadressen. — Niels
Petersen, Faestningsagitationen og Krigs-
minderne. — Tilnaermelsen mellem Tyskland
og England.
Nemzetközi elet (Internationales Leben,
Budapest). 1912. No. 12. Feltik a lakossay
nyugalmät! — Bekemogalmak hazänkban. — ■
Az ezidei Nobel-fele bekedij. — usw.
— 1913. No. 1. önzetlen hazafisäy. — usw.
The Japan Peace Movement (Tokio).
No. 2. Observance of Peace Sunday in Japan.
— Sidney L. Gulick, The economic
Theory of Peace. — Count Okuma,
Characteristics of the modern Peace Move-
ment. — usw.
Artikel-Rundschau, :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Mit schlecht verhehltem Aerger wird die
neue englisch-deutsche Verständigungs Zeitschrift
„Die Eiche" in der „K reuzzeitun g"
vom 23. II. und im „R e i c h s b o t e n"
vom 15. II. begrüßt. — In einem „Die
Rechnung gilt" überschriebenen Artikel be-
schäftigt sich das „Leipziger Tage-
blatt" (27. IL) mit den Lehren Norman An-
gells. Darin läßt der Verfasser die Richtigkeit
der Angelischen Behauptungen „dahingestellt"
sein, entschließt sich aber doch zu der Fest-
stellung: „Ganz zweifellos, daß die Kulturvölker
mehr und mehr dem Kriege als solchem ab-
geneigt werden. Auch das ist ja nur wieder zu
begreiflich, denn ebenso, wie im Leben der
Individuen die gewaltsame Lebensbetätigung
den Bahnen des Rechts weicht, so werden auch
im Leben der Kulturvölker die atavistischen
Triebe mehr und mehr überwunden, und die
Sonne des Handelns nach Recht und Pflicht
im Völkerrecht spendet ihr warmes Licht. Und
hier ist es eine ganz markante Erscheinung, daß
die germanischen Völker, also Engländer,
Deutsche und die in der Kultur so weiten Nord-
germanen am stärksten die Kultur des Pflicht-
bewußtseins pflegen." Es ist immerhin aus
diesen Betrachtungen die zum Ueberdenken an-
regende Einwirkung der Angellschen Arbeit zu
erkennen. Und mehr wollen wir überhaupt
nicht, als zum Denken anregen. — In einem
als „von besonderer Seite" herrührend bezeich-
neten, mit „Militaria" überschriebenen Artikel
des „Berliner Tageblat t", der offen-
sichtlich einen Militär zum Verfasser hat, ist
der bemerkenswerte Satz enthalten: „Wir
wollen die Hoffnung nicht aufgeben, daß bei
besserer politischer Leitung und im allgemeinen
europäischen Interesse wir und unsere zivi-
lisierten Nachbarn nicht immer die geradezu
ungeheuren militärischen Lasten werden tragen
müssen." — Friedrich Naumann hat auf
seinem Wege jenseits der pazifistischen Kultur-
arbeit in einem in der „Hilfe" (13. IL) er-
schienenen Artikel (Die Sterbenden von Adria-
nopel) wieder das angebliche Versagen der pazi-
fistischen Bestrebungen betont. Da lesen wir:
„Und Schiedsgericht? Wir haben es eben vor
uns gehabt, das Schiedsgericht von London!
Mehr kann ein Haager Gerichtshof auch nicht
tun. Die Mächte schlugen vor, Adrianopel
mitten durch zu teilen; sie aber sterben lieber,
als Adrianopel teilen zu lassen . . ." Sie denken
ja gar nicht daran. Die Sterbenden und die
Beschließenden sind nicht dieselben. Andere
haben beschlossen, daß andere „lieber" sterben
sollen. Und was hat das Schiedsgericht damit
zu tun ? Welche Verwechselungen ! Soll der
Räuber Prozeß führen, statt zu rauben? Da er
das nicht tun wird — weiß er doch, er müßte
unterliegen — gibt es deshalb kein Mittel,,
sich der Räuber zu erwehren? Und wer ist
denn in jenem Kriege der Räuber? Nicht der,
der Adrianopel nehmen will, sondern jener, der
sich darin versteckt hält. — Im „Zeitgeist"
vom 17. IL feiert Grete Meisel-Hess den
75. Geburtstag von Joseph Popper-Lyn-
k e u s , den Verfasser der Bücher „Das Recht
zu leben und die Pflicht zu sterben" und „Das
Individuum und die Bewertung menschlicher
Existenzen", zweier Schriften, die den Ideen-
schatz des Pazifismus unendlich bereicherten.
Die Verfasserin sagt zum Schluß ihres Auf-
satzes: „Ich wüßte niemanden, der den Wert
des Menschenlebens in einer bezwingenderen
Art analysiert und dargestellt hätte wie Popper.
Er ist der Mann, dem weitaus als erstem der
Friedensnobelpreis gebührt I Denn erst, wenn
dieses Bewußtsein vom Wert des menschlichen
Lebens, des Komplexes „Ich" so gewaltig wird,
daß keinerlei Einwände mehr dagegen stand-
halten können, erst dann wird es unmöglich
sein, daß Menschen gezwungen werden, für die
„Ideale" oder, besser gesagt, Interessen anderer,
welcher Art sie auch sein mögen, ihr Leben
hinzugeben oder aufs Spiel zu setzen. Für
dieses Bewußtsein hat Popper Worte gefunden
wie kein anderer. Das Nobelkomitee hat im ver-
gangenen Jahre den Friedenspreis nicht ver-
geben, weil es den Würdigen nicht fand. Hier war
und ist der Mann, den man vergebens suchte."
Artikel. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: n :: :: :
(Bibliographie.) I. Friedens-
bewegung im allgemeinen: Carl
Ludwig Siemering, Immanuel Kant als
Philosoph des Weltfriedens. „Ethische Rund-
schau." II. * M a x N o r d a u , Kriegsstimmung.
„Pester Lloyd." 23. II. * Georg' 'Gothein,
Der Kriegskeim. „Neckar-Zeitung (Heilbronn).
7. II. * H. Froelich, Die Völker und der
Krieg. „Der Weg." II. * Hermann Schu-
rig, Was ist der Krieg? „Die Grenzboten."
12. II. * Karl Witte, Die Abrüstungspläne
zur Zeit des zweiten Kaiserreiches. Sonntags-
beilage der „Voss. Ztg." 16. II. * Max Mau-
re n b r e c he r, Realistische Friedensbewegung."
„Das Freie Wort." Nr. 22. * Louis P. L o c h-
ncr, Ueber internationale Studentenvereine.
„Hochschul-Nachrichten (München). Nov. 1912.
IL Die internationale Politik:
Norman Angell. Einige Worte zur deutsch-
euglischen Verständigung. „Vossische Zeitung."
I
118
(g===
= DIE FRIEDENS -WARTE
1-1. IL * Axel Schmidt, Die deutsch-eng-
lische Annäherung und die englisch-russische
Entfremdung. ..Berliner Börsen-Courier." 19. II.
* Dr ,C u r t 1». a d lauer, Die Neutralisation
Albaniens. „Hamburger Nachrichten." IG. II. *
Modernisierung der Diplomatie. „Solothurner
Zeitung." 18. II. *
III. Völkerrecht: Die Genler Verhand-
lungen über das Verbot des Luftkrieges. „Neue
Preußische (f) Zeitung." 15. II. * Dr. Ad.
G r o t e , Das Problem eines internationalen
Staatengerichtshofes. „Burschenschaftl. Blätter."
(Berlin.) Nr. 9.
IV. Internationales: Prof. Dr. Josef
Kohler, Weltmarkenschutz. ,. Allgemeine
Zeitung-." (München.) 8. II. *' 'Nationalismus-
Internationalismus. „Internationaler Volks-
wirt." (Berlin.) 16. II.
V. Wirtschaftliches: Hermann
(i ottschalk, Krieg und Arbeit. „Die Neue
Hundschau." 11. * Norman Angell, Why
Germany builds. What the German said. „Daily
Mail." (Paris.) 20. II. * Die falsche Rechnung.
„Der Bote aus dem Riesengebirge." 22. II. *
Friedrich Depken, Norman Angells fal-
sche Rechnung. „Heidelberger Neueste Nach-
richten." 4. II. * Die internationale Abhängig-
keit der Volkswirtschaft. „Straßburger Post."
7. II. * Ernst Jäckh, Deutschland |5, Eng-
land 8. „Die Hilfe." 20. II. * Eine Schilderung,
wie es in Oesterreich ausschaut. „Arbeiter-
Zeitung." (Wien.) 20. II. * Hungersnot in
Galizien. „Die Zeit." 21. II. * Ri c h. Gaed k e,
Das deutsch-französische Wettrüsten. „Zeit."
(Wien.) 23. II.
rMITTEIll/NQENDEBS
FRIEDENSGESELLSCHAFTEN
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Schriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
Deutsche Friedensgesellschaft :
Ortsgruppe Cöln.
Resolution.
An 1100 im überfüllten Saal des Frän-
kischen Hofes versammelte Bürger Cölns
nehmen mit Bedauern Kenntnis von der
neuen Heeresvorlage, die nach allerdings noch
nicht offiziös beglaubigter Nachricht eine
laufende Mehrausgabe von 250 Millionen und
eine einmalige Ausgabe von einer Milliarde in
den Abgrund des Piüstungswahns schleudern wird;
protestieren gegen die nicht nur in Deutsch-
land, sondern in allen Ländern von den gleichen
Kreisen betriebenen Hetze, die unter dem Deck-
mantel einer nationalen Notwendigkeit immer
wieder die Rüstungsforderungen stellen, ihrer-
seits aber jeden Weg einer Verständigung
zwischen den Nationen durch ihre Hetzarbeit
ungangbar machen;
fordern die Regierung auf, neben den
Rüstungen das von der Friedensbewegung an-
geregte und von den Regierungen fortgesetzte
Werk der Haager Konferenzen energisch zu
fördern, das Seebeuterecht abzuschaffen, damit
einen Hauptgrund für die Flottenrüstung zu
beseitigen, den ständigen Staatengerichtshot im
Haag zu errichten, die von Nordamerika vor
zwei Jahren durch die Bennetbill angeregte
Studienkommission für die Möglichkeit der
Rüstungsbeschränkungen endlich einzusetzen,
kurz, die Vorbereitungen für eine friedliche
Erledigung aller Streitigkeiten zwischen den
Nationen ebenso als eine nationale und daher
kräftig zu fördernde Angelegenheit betreiben,
wie jetzt die Rüstungsvermehrungen;
verpflichten sich ihrerseits ein jeder an
seinem Teil mitzuarbeiten am Werk inter-
nationaler Verständigung.
Oesterreichische Friedensgesellschaft.
Bureau: .Wien I, Spiegelgasse 4.
Unser Vizepräsident, Dr. Alex. Ritter von
Dorn, feierte iu voller geistiger und körper-
licher Frische im vorigen Monate seinen 75. Ge-
burtstag. Unser Vorstand benützte diesen freu-
digen Anlaß, seinem treuen Gesinnungsgenossen
zu diesem Jubelfeste zu beglückwünschen.
MB
Aufruf!
In der jetzigen, so kriegsbewegten, kon-
iliktsschwangeren Zeit enthüllt sich uns mit
eindrucksvoller Klarheit das Zwiespältige in der
modernen Weltanschauung: mit der Tradition,
mit den althergebrachten Gebräuchen und Sitten
ringen die neuen zukunftsfrohen Ideen der Ver-
besserung des sozialen und internationalen
Lebens. Noch ist die Tradition herrschend,
noch glauben viele in gedankenloser Wieder-
holung des Ausspruches anderer an den Krieg
als etwas Gottgewolltes oder wenigstens als eine
unabwendbare Einrichtung der Natur gleich Un-
wettern, Erdbeben und Meeresstürmen; noch
erblicken viele in der kriegerischen Betätigung
den höchsten Ruhmestitel des Mannes, des
Herrentums, zugleich aber eine radikale Kur
gegen angebliche Uebervölkerung und Degenera-
tion, unter allen Umständen das einzig wirk-
same Mittel, um das Vaterland gegen äußere
„Feinde" zu schützen und zu sichern.
Aber seit langem schon erheben sich in
der Brust jedes Denkenden und Fühlenden
Zweifel an der Richtigkeit dieser Weltanschau-
ung und gerade jetzt mit doppelter Stärke: zu
laut sprechen die furchtbaren Greuel im Gefolge
jedes Krieges, so auch des jetzigen, zu unserem
Herzen — Greuel, welche trotz aller Milderungs-
versuche internationaler Vereinbarungen, dank
der im Kriege schrankenlos entfesselten, jeder
Kultur spottenden Urtriebe des Menschen immer
wieder zum Ausbruche kommen. Da sind aber
auch die wahnsinnig steigenden Rüstungskosten,
119
DIE FRIEDENS -,M&ßTE
s
:3
welche in geradezu trostloser, wechselseitigem
Berufung auf den bösen Nachbar ins Unermeß-
liche wachsend, die produktive Tätigkeit in
jedem Lande immer schwerer belasten und es
immer weniger möglich machen, selbst die
dringendsten kulturellen und sozialen Bedürf-
nisse des Volkes auskömmlich zu befriedigen.
Und in die bangen Zweifel an der Richtig-
keit jener kriegerischen Weltanschauung mischt
sich die in vielen bereits dunkel geahnte und
sich immer allgemeiner durchdringende Er-
kenntnis von der Möglichkeit, internationale
Konflikte durch Kichterspruch auszutragen, wie
ja schon längst private Konflikte der Kultur-
menschen nicht, mehr durch rohe Gewalt,
sondern durch den Richter beseitigt werden.
Diese frohe Botschaft der völkerrechtlichen
und weltwirtschaftlichen Apostel der inter-
nationalen Organisation und des internationalen
Schiedsgerichtes muß gerade jetzt um so mehr
triumphieren, als wir nunmehr den klaren Be-
weis erhielten, daß Rüstungen und Ueber-
rüstungen uns doch nicht vor dem Kriege und
der Kriegsgefahr schützen, also ihrem so oft ver-
kündeten obersten Zwecke nicht gerecht werden,
im Gegenteil, wir müssen schaudernd erkennen,
daß wir uns auf einem ganz falschen Wege
befanden, der uns dem gewöhnlichen Ziele um
keinen Schritt näher brachte, sondern uns
immer weiter davon entfernte.
Der Samen für diese kostbare, des Menschen
einzig würdige Auffassung internationaler
Fragen, diese kostbare Einsicht reift in uns
allen, in manchen erst als zartes Pflänzchen,
in vielen schon als stattlicher Baum. Wir
wissen es jetzt: das Wohlergehen der Staaten
und ihrer Bewohner hängt entscheidend davon
ab, daß jene rechtliche und friedliche Auf-
fassung Allgemeingut werde. Sie ist ja im
Grunde nichts anderes, als der wahre Kern
des Christentums, ebenso wie jeder anderen
Religion und Ethik. Sie verheißt auch die so
lange gesuchte Lösung sozialer und politischer
Probleme, sie ist echter Humanismus, aber
ebenso echter Patriotismus, weil sie ja den
dauernden Bestand und die Wohlfahrt des
eigenen Vaterlandes zugleich mit der Wohlfahrt
aller Nachbarn wahrhaft sichert und nicht bloß
verspricht I
Zu dieser besseren und geläuterten Einsicht,
deren sich ja viele noch nicht bewußt sind,
müssen sich möglichst viele Volksgenossen in
allen Staaten der Welt öffentlich bekennen,
dann wird der Erfolg unser sein!
Wir richten daher an alle ehrlichen Freunde
unseres Volkes und der Menschheitsideale die
herzliche Bitte, sich in den Dienst der modernen
Kultur dadurch zu stellen, daß sie der äußeren
Organisation dieser Weltauffassung, der Oesterr.
Friedensgesellschaft, sich als tätiges Mitglied
anschließen. Wenn wir alle jene Männer und
Frauen in Oesterreich, welche im Herzen schon
längst unser sind, auch als Mitglieder begrüßen
können, dann haben wir schon das schwerste
überwunden, dann wird es endlich gelingen,
daß die Menschheit über ihre gefährlichsten
Feinde, über Unverstand und Elend, siegen kann.
Wien, im März 1913.
Vorstehender Aufruf wuz'de an zirka 12 000
Persönlichkeiten und zirka 300 politische und
Fachblätter versendet. (Die Neue Freie Presse
veröffentlichte ihn im Morgenblatte vom 2G. v. M.)
An unsere Mitglieder ergeht die
Bitte, uns Adressen von ihren Be-
kannten zu senden, an welche dieser
Aufruf event. zu schicken wäre.
Die beiden Vortragszyklen, welche wir im
Jahre 1911/12 veranstalteten, erfreuten sich so
großen Zuspruches und förderten unsere Be-
strebungen in so ausgezeichneter Weise, daß
wir auch heuer einen III. volkstümlichen
Vortragszyklus mit nachstehendem Pro-
gramm veranstalten.
12. d. M.: Pfarrer A. Schindelar: „Die
sittlich-religiöse Berechtigung der Friedens-
bewegung". 19. d. M. : Artur Müller: „Pazi-
fistische Tendenzen am Ausgange des Mittel-«
alters". 2. IV.: Dr. Paul Stiaßny, Referent
der Carnegiestiftung: „Der österreichische
Staatsbankrott von 1811". 9. IV.: Univ. -Prof.
Dr. Oswald Richter: „Ein Spaziergang durch
die Kruppschen Werke" (mit Demonstrationen).
16. IV.: Alfred H. Fried: Ueber Norman An-
gells Buch „Die große Täuschung". 23. IV.:
Baronin Berta von Suttner: „Pazifismus in
Amerika".
Die Vorträge finden bei freiem Eintritt
71/2 Uhr abends im Hörsaale 50 der k. k.
Universität (Philosophische Fakultät) statt.
Auf Anregung des Wiener Volksbildungs-
vereines hielt unser Vorstandsmitglied, Univ.-
Prof. Dr. O. Richter am 23. Februar einen
Vortrag unter dem Titel „Die Friedensbewegung
und ihr Erfolg" und am 2. d. M. „Der Kampf
ums Dasein".
MB
Vorträge: Unser Vorstandsmitglied,
Schriftsteller A. Müller, hielt am 25. Januar
im „Neuen Frauenklub" unter dem Titel „Der
Kampf gegen den Krieg" und am 7. d. M. in
der Ersten Organisation neutraler Guttempler
über „Abstinenz und Friedensbewegung"
Vorträge.
Friedensbew eg ung in Mähren.
Der neu geschaffene Friedensverein in Brunn
„Jednota mirovä pro Moravu" entwickelt eine
lebhafte Tätigkeit. Er hält fleißig Vorträge
und wurde auch eine Broschüre herausgegeben.
Die Gesellschaft zählt bereits 600 Mitglieder,
darunter sehr viele Lehrer und Lehrerinnen.
Verantwortlicher Redakteur: Carl Appold, Berlin W.60. — Im Selbstverlag des Herausgebers Alfred H. Fried, Wien IX/2
Druok: Pass&Gsr! «b G.m.b.H., Berlin W. 57. — VerantwortL Redakteur ftr Oesterreich-Üngarn : Vinzene Jerabek in Wien.
120
April 1913.
Im Namen Europas.
Seit meiner Kindheit heißt es: „Im
Frühjahr geht's los!" Seit mehr als vierzig
Jahren kartet die Menschheit von 1900
auf den von den Priestern des Militaris-
mus angekündigten europäischen Krieg nach
der Schneeschmelze, wie die Menschheit um
das Jahr 1000 auf den Weltuntergang. In
diesem Winter unseres Mißvergnügens, der
den Aufbruch jenes Geschwüres sah, auf
den die hohe Politik und mit ihr die niedere
öffentliche Meinung seit einem halben Jahr-
hundert mit Bangen wartete, glaubten die
Feuerschlucker Europas, daß die Zeit wirk-
lich schon gekommen sei, wo ihre Prophe-
zeiung in Erfüllung gehen müsse. Die Heere
zweier europäischer Großmächte standen
sich kriegsbereit hart an den Grenzen
gegenüber. Jeder Tage brachte neuen Zünd-
stoff, neue Verwicklungen, neue Befürch-
tungen ; aber die Millionen Gewehrläufe
blieben ungeschwärzt. Für die überkom-
mene politische Auffassung etwas ganz Un-
begreifliches. Statt den Versuch zu machen,
das Unbegreifliche zu ergründen, vertagte
man Hoffnung und Befürchtung auf das
Frühjahr, auf die Schneeschmelze. Das ist
an sich ein altfränkischer Gedanke. In
jenen Zeiten, wo kriegerische Auseinander-
setzungen noch mit einer gewissen Eleganz
ausgeführt werden konnten und mehr einer
mit .Nachdruck ausgeführten politischen
Demonstration glichen als einem Daseins-
ringen von Millionen, konnten Schnee imd
Winterkälte noch ihre Ausführung beein-
flussen. Die solches heute noch annehmen,
sind sich nicht klar geworden, was ein
moderner Krieg in Europa eigentlich be-
deuten würde. Der deutsche Reichskanzler
hat es am 7. April im Reichstag gesagt:
,, Von den Dimensionen eines Weltbrandes,
von -dem Elend und der Zerstörung, die er
über die Völker bringen würde, macht sich
kein Mensch eine Vorstellung. Alle bisherigen
Kriege werden wahrscheinlich ein Kinder-
spiel dagegen sein." Und da sollten Schnee
und Winterkälte eine aufschiebende Rolle
spielen, wenn solch ein Krieg notwendig
sein sollte, wenn er möglich wäre ? Dieser
Gedanke an einen auf das Frühjahr ver-
tagten Krieg ist nur ein unbeholfener Ver-
such, über das unbegriffene Neue mit
einem bequemen Gedankensprung hinweg-
zukommen.
Das unbegriffene Neue liegt eben darin,
daß der Krieg aufgehört hat, „eine Fort-
setzung der Politik nur mit anderen
Mitteln" zu sein, wie man es sich heute
noch nach Clausewitzschem Rezept ein-
zureden beliebt. Diese „anderen Mittel" der
Politik, die über jenen toten Punkt hin-
auswirken sollen, wo unsere Väter und
Großväter nur den Krieg als einzige Mög-
lichkeit erblickten, haben sich eben ge-
ändert. Das hat uns der Winter 1912/13
wieder auf das deutlichste bewiesen.
Dieses Neue ist in die Augen springend ;
man will es nur nicht sehen. Es klebt
noch zu viel historischer Staub in den
Augen unserer Zeitgenossen, der ihnen das
Sehen erschwert; ihr Blick ist noch zu
sehr getrübt durch zu viel Interessen, zu
viel Tradition, zu viel Routine. Und weil
man es nicht sehen will, will man auch
nichts davon hören und vermeidet selbst
die Benennung der neuen Dinge durch1 neue
kennzeichnende Namen. Die sogenannte
Botschafterkonferenz in London war ja
doch etwas mehr, als der Name besagen
durfte. War ja doch jenes Zentralorgan eines
neuen Organismus, dem die Aufgabe ob-
lag, in der Stunde ernster Bedrohung einer
Gesamtheit und ihrem Willen Ausdruck
zu verleihen. Und dieser neue Organismus
ist ein Europa, das isich vom geographischen
Begriff zu einelm politischen gewandelt hat.
Man mag gegen diese Definition einwenden
was man wolle, die Tatsache ist unerschüt-
terlich. Freilich wer da glaubt, an diese
121
DIE FRIEDENS -WAGTE
3
Anfänge Forderungen stellen zu dürfen,
die nur das Vollkommene erfüllen kann,
der wird enttäuscht sein. Er wird aber
nicht das Recht haben, zu behaupten, daß
etwas deshalb nicht ist, weil es noch nicht
vollkommen ist. Nein, dieses politische
Europa ist, und die Einrichtung, die man
aus Angst, diese Tatsache zugeben zu
müssen, bloß als Botschafterkonferenz eti-
kettierte, ist ein wichtiges und wirkliches
Organ dieses neuen politischen Gebildes ge-
wesen. Ein Organ, das einen Gemeinsam-
keitswillen anscheinend heterogener Teile
erzeugte, das aus den noch widerstrebenden
Willensäußerungen eine Willenseinheit her-
auskristallisierte. Und kein ohnmächtiges
Organ war es mehr, bloß zu theoretischen
Aeußerungen geschaffen. Haben die ge-
schichtsverklebten Augen der Rückwärts-
gewandten, ihre allem beglückenden Neuen
abgewandten Ohren jenes Dokument nicht ge-
sehen noch von ihm gehört, das am 10. April
in der Adria verkündigt wurde? Jenes Do-
kument, das mit den Worten anhebt:
„Im Namen der internationalen
Flotte, welche die Großmächte
Europas vertritt", und das mit den
Worten schließt : „C e c i 1 Burney,
Vizeadmiral und Kommandier en-
der der internationalen Flotte."
„Internationale Flotte, welche die Groß-
mächte vertritt" ! Und zwischen diesen An-
fangs- und Endworten stand ein Wille
dekretiert, ein einheitlicher Wille, ein Be-
fehl im Namen Europas. Sieht man noch
immer nichts? Freilich, den Rückwärts-
gewandten wird dieses Sehen nicht leicht.
Aber für uns, die wir die Kausalität dieses
Dokuments kennen, die wir wissen, wie
sieh der darin ausgedrückte Gedanke, der
darin zutage tretende Wille, die darin ver-
körperte Aktion allmählich und natur-
notwendig aus den Einzelgeschehnissen des
letzten Menschenalters herausentwickelten,
für uns ist dieses Dokument ein hohes
Zeichen von erlösender Bedeutung, ein er-
neuter Lebensschrei des werdenden „Staaten-
trüstes unseres von den Rudimenten der
Vergangenheit noch immer überwucherten
alten Erdteils.
Mögen die Skeptiker, die Zweifler und
Spötter, die um die Vergangenheit sich
Aengstigenden noch so sehr den Wert dieses
Dokumentes herabzusetzen suchen, daß es
ist, können sie nicht bestreiten, .und da-
durch, daß es ist, daß es sein konnte, ist
es etwas Großes. Als wir auf unseren Kon-
gressen von einer aus den Flotten der
europäischen Mächte gebildeten internatio-
nalen Polizei sprachen, galten wir als die
Utopisten und Schwärmer. Als selbst ein
Carnegie diese Forderung aufstellte, ein
Roosevelt sie 1910 in Kristiania wieder-
holte, gab es nur ein Lächeln bei den P^wig-
gestrigen. Und doch sind in einem (schweren
Augenblicke diese Utopien Wirklichkeit ge-
worden, haben die Ereignisse ganz genau
den Weg genommen, den wir für sie theo-
retisch skizziert hatten. Dabei muß noch
betont werden, daß es sich nicht einmal
mehr um eine Ausnahmeerscheinung han-
delt. Denn wir hatten schon einmal eine
internationale Flotte, wir hatten schon ein
internationales Landheer und wissen, daß
der englische Weltadmiral nur der Nach-
folger des deutschen Weltfeldmarschalls ist.
Und gerade diese Wiederholung bestätigt
die Annahme, daß es sich hierbei um eine
Umwälzung der politischen Methoden han-
delt, die der alten Routine Hohn spricht.
Vergessen wir es nicht: Der gemeinsame
Wille Europas, — wenn es auch schwer ge-
wesen sein mag, ihn zu konzentrieren — die
gemeinsame Handlung Europas haben die
Staaten vor gegenseitiger Vernichtung be-
wahrt. Nur in dieser Gemeinsamkeit liegt
das Heil dieses Erdteils. Solange jeder
einzelne Staat nur seinen eigenen Frieden
zu wahren sucht, treibt er dem Ruin zu.
Ein teilweises Einbekenntnis hierzu liegt
in der Formierung der beiden Staaten-
gruppen, die wir in Europa haben. Nicht
aus Liebe, sondern aus der erkannten Ohn-
macht des Isoliertseins sind sie erstanden.
Eine Organisierung dieser Gruppen brächte
das Ziel näher. Was während des Balkan-
konfliktes vorübergehend notwendig und
möglich wurde, müßte zu einer dauernden
Einrichtung werden. Dann könnte Europa
wirklich zu einem Frieden kommen, der
von dem Zustand des bloß vermiedenen
Krieges grundsätzlich verschieden wäre.
Dann könnte Europa zu einer Lähmung des
Rüstungswettbewerbes, ja zu einer Ver-
minderung seines erdrückenden Panzers
kommen. Denn nur durch' gemeinsames Zu-
sammenwirken aller Nationen, zum min-
desten der größeren führenden, ist das
Rüstungsproblem zu lösen. Es ißt ein
inte r n ationales Problem und
kann nur international gelöst
w e r de n. Der Versuch, durch isolierte
nationale Handlungen mit ihm fertig zu
werden, führt zu jenen aller Vernunft Hohn
sprechenden Methoden des gegenseitigen
Ueberbietens ohne Ende.
122
@=
DIE FRIEDENS -WARTE
Im Namen Europas sprach ein Ad-
miral, im Namen Europas hätten nun auch
die Soziologen, die Sozialpolitiker, die Na-
tionalökonomen, die Hygieniker zu sprechen,
und 12 Milliarden jährlich würden zu drei
Vierteilen für die Wohlfahrt der Mensch-
heit frei ! Im Namen Europas ! A. H. F.
Wettrüsten
oder Rüstungsverständigung.
Von Georg Gothein, M.d. R.
Von jeher ist Macht ein relativer Be-
griff gewesen. Schon in der Bibel heißt es:
,,Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast
bewahrt, bleibt das Seine mit Frieden, wenn
aber ein stärkerer über ihn kommt, so nimmt
er ihm1 seinen Harnisch, darauf er sich ver-
ließ, und teilt den Raub aus." Das gut
im Leben der Völker heut ebenso wie vor
zwei- oder dreitausend Jahren. Freilich ist
eins inzwischen wesentlich anders geworden.
Der Stärkere hat kein reales Interesse mehr,
den Schwächeren mit Krieg zu überziehen,
ihn zu unterjochen. Denn auch für den Sieg-
reichen lohnt der Gewinn nicht den Einsatz.
Selbst der glänzendste Sieg läßt den Sieger
stark geschwächt zurück, und die Beute
— der Erwerb von Land und Menschen —
macht ihn nicht reicher. Es ist das große
Verdienst Norman Angells, diese Wahr-
heit, die von objektiv die Dinge Betrachten-
den längst erkannt war, exakt nachgewiesen
zu haben. Auch als Deutscher kann man
nur wünschen, daß sein Buch trotz vielfach
schiefer Auffassung unserer Verhältnisse,
trotz nicht unbeträchtlicher historischer Irr-
tümer, die geeignet sind, deutsche Gefühle
zu verletzen, in allen Ländern ein Volksbuch
werde. Denn was bedeuten diese kleinen
Irrtümer gegen den Wert, den die Wider-
legung des schwersten Irrtums hat, unter
dem die Völker leiden. Wehrmacht ist
ein relativer Begriff; das fand seinen
Ausdruck, als die Formel von dem euro-
päischen Gleichgewicht erfunden
wurde, die in den letzten beiden Jahrzehnten
erneut und in noch weit kostspieligerer Weise
wieder aufgenommen worden ist als damals,
wo sie gegen die Eroberungszüge Lud-
wigs XIV. eine Notwendigkeit war. Und
jede Verschiebung des Schwerpunkts in dieser
künstlichen Konstruktion führt zu neuen
Rüstungen. Zwar erklärt jede einzelne
Macht, ihrerseits nicht an Eroberungen zu
denken, mit ihren Rüstungen nur den Frieden
sichern, einen Angriff erfolgreich zurück-
weisen zu wollen; lediglich die Versicherungs-
prämie für (Erhaltung des Friedens bedeuteten
ihre Rüstungen. Man ist sogar berechtigt,
diese Versicherungen bei der Mehrheit der
Staatsregierungen für durchaus ernst und
ehrlich zu halten. Denn wenn es auch in
allen Staaten Leute gibt, die den Krieg des
Krieges wegen wollen, die da singen: ,,Mein
Vaterland muß größer sein", die eine Er-
schlaffung der kriegerischen Tugenden eines
Volkes in langen Friedenszeiten befürchten,
so ist doch deren Zahl in England, Frank-
reich, Deutschland und Oesterreich-Ungarn
gering; man kann sagen, sie ist in einem
Lande um so geringer, je höher die Volks-
kultur ist. Italien hat leider durch das
Tripolisabenteuer bewiesen, daß es unter Um-
ständen den kriegslustigen Elementen ge-
lingt, das an sich friedliche Volk in einen
Eroberungskrieg hineinzureißen, und die
panslawistische Agitation in Rußland be-
schränkt sich zwar auf einen nur kleinen
Kreis des Volkes, aber es sind politisch recht
einflußreiche Kreise, die sie betreiben.
In Deutschland will außer
einigen politisierenden Militärs
und den nirgends ernst genomme-
nen Alldeutschen niemand den
Krieg; es ist recht bedauerlich, daß man
im Auslande den Aeußerungen von Männern
wie des Generals von Bernhardi Kurt von
Strantz, Hauptmann a. D. Pauli, Albrecht
Wirth, von Blättern wie dem „Deutschen
Armeeblatt", der ,,Allg. Evang. - Luther.
Kirchen-Ztg.", der Alldeutschen Blätter, der
„Deutschen Zeitung", „Deutschsoziale
Blätter", „Hammer", „Deutsche Hochwacht",
die eigentlich unter Ausschluß der Öffent-
lichkeit erscheinen, irgendwelche Bedeutung
beilegt. Schlimmer ist es schon, wenn die„Post",
„Tägl. Rundschau", „Rheinisch-Westfälische
Zeitung" und „Leipziger Neueste Nach-
richten" in eine gleiche Tonart verfallen.
Aber auch hinter diesen Blättern steht keine
irgendwie nennenswerte Partei. Und wenn
seinerzeit auch die „Konservative Korrespon^
denz" vor dem frivolen Wort nicht zurück-
geschreckt ist : „Ein Krieg wäre uns recht",
so wird man darin doch kaum mehr als eine
aus rasch vorübergehender Verstimmung
hervorgerufene Entgleisung sehen. Selbst
die konservativen Fraktionen wollen den
Frieden, sehen in den Rüstungen nur das In-
strument zu seiner Erhaltung, denken nicht
an eben Eroberungskrieg, auch nicht an einen
Krieg, der den Gegner so schwächt, daß er
dauernd ungefährlich ist.
Wenn also die Elemente, die Deutsch-
land in kriegerische Unternehmungen ver-
wickeln wollen, an sich keine politische Be-
deutung haben, so sind doch die, welche den
Frieden nur dann gewahrt glauben, wenn
Deutschland im' Verein mit seinen Ver-
bündeten stärker ist als Rußland und Frank-
reich zusammen, um so einflußreicher; nicht
nur gegenüber den maßgebenden Stellen,
sondern auch gegenüber jenen weiten Kreisen,
die das politische Denken sich von ihrer
Zeitung abnehmen lassen, dem politischen
123
DIE FBIEDENS -^AßTE
Philister, der sich aus Angst vor dem Krieg
in patriotischen Worten berauscht, sich bei
Neuwahlen stets auf die Seite derer schlägt,
die ihn mit Rüstungsvermehrungen am meisten
zu schützen bereit sind. Diese Kreise sind
der Suggestion durch die Rüstungsfanatiker
am1 meisten ausgesetzt. Und gerade diese
suggestiven Naturen bilden sich ein, nüch-
terne Realpolitiker zu sein, sehen auf die,
welche eingedenk der Tatsache, daß Wehr-
macht ein relativer Begriff ist, daß die Ueber-
treibung der Wehrausgaben zur wirtschaft-
lichen und damit zur politischen Schwächung
führt, für eine internationale Verständigung
über deren Begrenzung eintreten, verächt-
lich herab. Sie sind ihnen entweder törichte
Idealisten oder verweichlichte Menschen,
wenn nicht gar Vaterlandsverräter. Freilich,
wenn diese „Realpolitiker", wie sie sich so
gern nennen, die noch vor zwei Jahren jede
Verständigung zwischen England und
Deutschland über ein Stärkeverhältnis der
beiderseitigen Flotten als unsinnig, un-
würdig, ja vaterlandsfeindlich brandmarkten,
heut die Worte des1 deutschen Reichskanzlers
bei der Begründung der Wehrvorlage über
die den Frieden fördernde englische Politik
und über die Möglichkeit, zu einem fester
begrenzten Stärkeverhältnis als dem1 der
Dreadnoughts, ja über Einschränkung des
Flottenbaues zu kommen, lesen, so werden
sie sich eingestehen müssen, daß diese hoch-
erfreuliche Besserung der deutsch-englischen
Beziehungen, die für den Frieden wie für
Deutschlands Machtstellung vom größten
Wert ist, eine — wenn auch erst sehr un-
zulängliche — Verständigung über Rüstungs-
begrenzungen zur Voraussetzung hatte. Ge-
wiß, die Welt ■ — und gerade auch die euro-
päische — ist heut nicht so weit in der
Kulturentwicklung, um sich der Hoffnung
hingeben zu können, den Frieden lediglich
durch internationale Verträge und ein Welt-
schiedsgericht zu sichern und darüber auf
jede Rüstung zu verzichten. Aber die ganze
Entwicklung seit 1871 beweist doch un-
zweifelhaft, daß die Völker, ja daß sogar die
Diplomatie von dem dringenden Wunsch be-
seelt sind, Mißverständnisse durch aufklärende
Verhandlungen aus der Welt zu schaffen,
entgegengesetzte Interessen durch billigen Aüs^
gleich zu verringern.
Selbst in so schweren politischen Lagen
wie der durch die Balkankrisis hervorgerufe-
nen, wo Volksleidenschaften, Rassen-, ma-
terielle und politische Gegensätze jede Ver-
ständigung so ungemein erschweren, ist es
bisher doch gelungen^ den Krieg zu lokali-
sieren, und wird es hoffentlich gelingen, auf
dejrt Balkan Zustände zu schaffen, die die
Gewähr einer längeren Dauer haben.
Es klingt paradox, daß die Heeres- und
Flottenrüstung der Großmächte heute gar
nicht mehr dem Kriege, sondern dem Frieden
dienen soll. Wenn dem aber- ! so ist, muß
man sich fragen: „Wird die Versiche-
rungsprämie (geg e n die Kriegs-
gefahr, die in der Rüstungausgabe
besteht) nicht zu groß? läßt sich
der damit erstrebte Zweck nicht
in einer Weise erreichen, die we-
niger am Mark des Volkes zehrt?"
Deutschlands Wehrausgaben beliefen sich
nach dem1 vorläufigen Etat für 1913 ein-
schließlich der Militär- und Marinepensionen
auf 1578,8 Mill. M. ; rechnet man dazu noch
die Hälfte der Jahresausgaben der Reichs-
schuldenverwaltung mit 123 Mill. M., so
sind das bar 1711,8 Mill. M. Der Geh. Ober-
Finanzrat Schwarz hat die Wehrausgaben in
den Etats pro 1912/13 (also dem abgelaufenen
Jahr) festgestellt bei Deutschland auf 1570
Mill. M., England 1468 Mill. M., Frankreich
1237 Mill. M., Oesterreich-Ungarn 617 Mill.
Mark, Italien 529 und Rußland 1574 Mill. M.,
zusammen die der sechs europäischen Groß-
mächte auf rund 7 Milliarden M. — natürlich
ohne Verzinsung und Tilgung der zu Rüstungs-
zwecken aufgenommenen Schulden.
Die neuen deutschen Wehrvorlagen for-
dern rund 1 Milliarde für einmalige und
186 Mill. M. für dauernde Ausgaben; ver-
teilt man die ersteren auf zehn Jahre und
rechnet die Zinsen hinzu, die bei regel-
mäßiger Tilgung in dier Zwischenzeit dafür
aufgewandt werden müssen, so macht das
120 + 186 = 306 Mill. M. im Jahr, das
würden mit den bisherigen Ausgaben von
1711,8 Mill. M. zusammen 2017,8 Mill. M.
sein; dabei muß erwogen werden, daß die
Durchführung des letzten Flottengesetzes
noch zu beträchtlichen Mehrausgaben in den
nächsten Jahren führen wird.
Damit sind aber die Wehrlasten Deutsch-
lands noch keineswegs erschöpft. Nach dem
vorläufigen Etat für 1913 beziffert sich die
Zahl der in Heer und Flotte tätigen Mann-
schaften, Unteroffiziere, Offiziere, Sanitäts-
und Veterinäroffiziere und Beamten auf
783 000 Köpfe. Dazu sollen an Heeresver-
stärkung noch 136 000 Mann und ca. 1500
Beamte treten; die Durchführung des letzten
Flottengesetzes wird weitere ca. 15 000 Mann
erfordern, und schließlich müssen mindestens
65 000 Arbeitskräfte hinzugezählt werden, die
in Militär-: und Marinewerkstätten beschäf-
tigt werden. Rund 1 Million Männer im
besten, arbeitsfähigsten Alter werden damit
allein in Deutschland dauernd einer wirt-
schaftlich nutzbringenden Beschäftigung ent-
zogen ; dabei ist noch gar nicht berücksichtigt,
wieviel Arbeitskräfte in privaten Werkstätten
für Heeres- und Flottenzwecke beschäftigt
werden.
Rechnet man den Prödüktionswert einer
männlichen Arbeitskraft durchschnittlich zu
2000 M. jährlich, was mit Rücksicht auf die
rund 39 000 Offiziere und Sanitäts- usw. Offi-
ziere, auf die 20 000 Beamten und 126 000
Unteroffiziere sicher sehr niedrig gerechnet
124
@=
= DIE FRIEDEN5-^&DXE
ist, so ergibt sich ein weiterer Kostenbetrag
von 2000 Mill. M. im Jahre, der Deutschland
dadurch erwächst, daß ständig 1 Million
Männer einer wirtschaftlich nutzbringenden
Arbeit entzogen werden. I nsgesamt
werden dann seine Wehrlasten
4000 Millionen Mark p. a. über-
schreiten, also höher sein als 1871
die französische Kriegskosten-
entschädigung, deren gewaltiger
Betrag damals das Staunen der
W e 1 1 hervorrie f.
Wenn diese Kosten in den anderen Län-
dern auch etwas niedriger sein werden, so
doch verhältnismäßig nicht viel. Und diese
enormen Summen und Arbeitskräfte werden
ständig der Volkswirtschaft entzogen; es
tritt durch die Rüstungen zur Erhaltung des
Friedens jenes finanzielle und volkswirtschaft-
liche Weißbluten ein, das in seinen wirtschaft-
lichen Folgen auf die Dauer nicht viel weniger
verderblich ist als ein Menschen und Güter
verschlingender Krieg. Welche enorme Summe
sozialen Uebels ließe sich aus der Welt
schaffen, wenn auch nur die Hälfte der
Küstungskosten zun* Besserung des Loses der
weniger bemittelten Klassen Verwendung,
fände! Die Ausgaben der Kranken-, Un-
fall- und Invalidenversicherung Deutschlands
haben 1910 nur 804 Mill. M. betragen; nur
52 Mill. M. davon hat das Reich zugeschossen.
Es könnte die Leistungen verdoppeln und sie
ganz auf die Reichskasse übernehmen, wenn
es seine Wehrlasten nur auf die Hälfte herab-
mindern könnte.
Es ist aber auch klar, daß die Völker
Europas über den riesigen Wehr-
ausgaben wirtschaftlich zurück-
bleiben müssen hinter anderen
Völkern, die diese Lasten nicht zu
tragen haben. Das gilt von denen un-
seres Kontingents gegenüber England, das
die allgemeine Wehrpflicht nicht kennt, also
nur relativ wenig Menschen im Heeres- und
Flottendienst hat. Das gilt in noch ganz
anderem Maß gegenüber den Vereinigten
Staaten von Amerika und Kanada. Wenn die
sechs europäischen Großmächte von 1881
bis 1910 über 134 Milliarden Mark für
Rüstungszwecke ausgegeben haben, ist es da
ein Wunder, wenn ihr Reichtum weit zurück-
bleibt hinter dem Nordamerikas?
Die Rüstungs Vermehrung des
einen Landes treibt mit Natur-
notwendigkeit die des an'dern'her-
a u s. Die Verstärkung der russischen Wehr-
macht, z. T. vielleicht gezeitigt durch die
deutschen und österreichisch-ungarischen Rü-
stungen in 1911 und 1912, die wieder bedingt
durch das französische Cadresgesetz waren,
hat vereint mit der Veränderung der poli-
tischen Verhältnisse auf dem Balkan die
neueste deutsche Wehrvorlage hervorgerufen;
letztere zeitigt die Wiedereinführung der
dreijährigen Dienstzeit in Frankreich und
neue Rüstungen in Rußland , usf.
Es ist die Schraube ohne Ende, unter
der die Völker seufzen.
Als 1898 der russische Zar überraschend
das Manifest für die Friedenskonferenz im
Haag erließ, war die Welt skeptisch, und
leider ist — so segensreiche Folgen sie auf
andern Gebieten erreicht hat — auf dem wich*-
tigen Gebiet der Frage der Rüstungsbeschrän-
kungen ihr Einfluß weniger als; Null ge-
blieben. Gerade am Widerstand Deutschlands
ist diese Frage gescheitert. Die „Formel"
der Rüstungsbeschränkung Heß sich nicht
finden. Fürst Bülow meinte seinerzeit, daß'
rnan unmöglich international den einzelnen
Staaten vorschreiben könne, wieviel Kanonen,
Schiffe, Panzer- und Maschinenstärken, wel-
che Geschützstärken, welche Gewehre, wel-
ches Pulver usw. sie haben sollten. Darin
kann man. ihm auch recht geben: Diese kom-
plizierte Formel läßt sich nicht finden. Aber
schon vor langen Jahren ist von den ver-
schiedensten Seiten unabhängig voneinander,,
vom Pfarrer Urnfrid, Prof. Quidde und mü-
der Vorschlag gemacht worden, lediglich
das Maß der Rüstungsausgaben
international festzulegen, die vor-
handenen Heeres- und Flotten-
etats als das Gegebene zu nehmen
und sich zu ve r pf 1 i c h ten, für eine
bestimmte Reihe von Jahren diese
Etats nicht zu überschreiten.
Die Etats unterliegen der Kontrolle der
Öffentlichkeit, der Parlamente. Es geht
nicht an, neben ihnen noch Geheimetats zu
führen, und in jeder gesetzgebenden Körper-
schaft fehlt es nicht an Parteien oder Per-
sonen, die dem Versuch, Rüstungsausgaben
in anderen Etats zu verstecken, energisch ent-
gegentreten, ihn sofort an die Öffentlichkeit
bringen würden. Welche Ausgaben aber in
die Heeres- und Flottenbudgets gehören, dar-
über ließe sich leicht eine Verständigung her-
beiführen.
Ich bin fest überzeugt, daß eine ein-
mal für fünf Jahre erfolgte Fest-
legung der Wehrbudgets bei Ab-
lauf der Bindungsfrist nicht nur
zu einer Erneuerung, sondern so-
gar zur Verständigung über gleich-
mäßige prozentuale Herabsetzung
führen würde, daß zum Segen für die
Völker die Schraube gelockert würde.
Auf mein Betreiben hat noch im alten
Reichstag die Fraktion der Fortschrittlichen
Volkspartei eine Resolution eingebracht, „daß
der Reichskanzler sich nicht ablehnend ver-
halten, solle, wenn von einer andern Groß-
macht Vorschläge wegen gleichzeitiger und
gleichmäßiger Begrenzung der Rüstungen ge-
macht werden sollten". Wir hatten Grund
zu der Annahme, vom Reichskanzler eine
entgegenkommende Antwort zu erhalten und
waren aufs peinlichste überrascht, als sie kühl,
125
DIE FBIEDEN5-WADTE
i@
ja fast schroff ablehnend klang. Der Reichstag1
hat sie damals trotzdem mit erdrückender
Mehrheit angenommen, aber praktische Wir-
kung konnte sie nach der Bethmannschen
Antwort nicht mehr haben.
Heute ist die Situation schlimmer als je.
Weder die Regierungen Rußlands noch
Deutschlands, weder die Frankreichs noch
Oesterreich-Ungarns, weder die Englands noch
Italiens können in jetziger Lage mit einern
Rüstungsbegrenzungsvorschlag herauskom-
men; bei den ersten fünf würde man daraus
(nur allzu leicht ein Eingeständnis der
Schwäche herauslesen l England gehört zur
Tripelentente und würde den Staaten des
Dreibundes nicht vorurteilsfrei erscheinen.
Die „Frankfurter Zeitung" hat sich da-
her ein Verdienst erworben, als sie an den
neuen Präsidenten der Vereinigten
Staaten die Aufforderung rich-
tete, seinerseits die Initiative
asur Einberufung einer Ab-
rüstungskonferenz zu ergreifen.
\Herr Woodrow Wilson würde sich mit einem
solchen Schritt das größte Verdienst um die
Kulturentwicklung der Menschheit erwerben.
Mehr als je ist heute die Stimmung in den
beteüigten Völkern bereit, zur praktischen
Verwirklichung dieses Gedankens zu schreiten.
Es ist nicht zu befürchten, daß eine solche
Konferenz diesmal wieder wie das Hornberger
Schießen ausginge. Bei der Stimmung
in Deutschland, speziell auch im
Reichstag, könnte die deutsche
Regierung sich diesmal nicht auf
den ablehnenden Standpunkt
Stellen. Frankreich würde auf-
atmen, wenn es von dem. Alp der
dreijährigen Dienstzeit befreit
würde. Und in Rußland könnte
sich Kaiser Nikolaus nicht selbst
desavouieren, wenn sein vor 15
Jahren gefaßter Gedanke end-
lich realisiert würde.
Reinste Vaterlandsliebe ist es, die sich
in dem Wunsch nach internationalen Rüstungs-
begrenzungen ausspricht; aber nicht minder
ist er von realpolitischen Erwägungen dik-
tiert. Denn die Exzesse des jetzigen Rüstungs-
fiebers sind vaterlandsgefährlich; sie
schwächen die Kraft für den Ernstfall.
Die Irrtümer des Militarismus.
Von Richard Gädke,
früher Oberst und Regimentskommandeur.
So bedauerlich es ist, man darf sich keiner
Täuschung darüber hingeben, daß wir einer
neuen Hochflut der Rüstungen mit unwider-
stehlicher Macht zusteuern. Wie einst die
Epidemie des Geißlertüms ganz Europa in
verheerendem Zuge durcheilte, bis endlich der
Wahnsinn in sich selbst hinstarb, so geht es
jetzt mit der entfesselten Wut der Rüstungen.
Keine menschliche Macht, keine sittliche
Ueberlegung wird ihr Einhalt tun, bis endlich
der Gipfelpunkt erreicht ist; bis alle Völker
und alle Staaten die Grenze ihrer Leistungs-
fähigkeit erreicht haben und dann auf einmal
merken, daß sich in ihrem gegenseitigen
Stärkeverhältnis nichts Wesentliches ge-
ändert hat.
Die menschliche Entwicklung zeigt immer
das gleiche Schauspiel. Wenn etwas Neues an
die Tür des Bestehenden pocht, hat dieses
gewöhnlich den Höhepunkt seiner eigenen
Möglichkeiten noch nicht erreicht. Im Gegen-
teil! Das Neue ist notwendigerweise der Feind
des Alten und pflegt dieses zu einer letzten
gewaltigen Kraftanstrengung mit innerer Not-
wendigkeit zu zwingen. Ich darf ein nur nahe-
liegendes Beispiel anführen. Als gegen den
Ausgang des Mittelalters das Schießpulver
seine siegreiche Kraft zu zeigen begann und
der Waffentechnik neue Wege wies, war seine
nächste Folge nicht die Beseitigung der stähler-
nen Schutzrüstungen, durch die der Einzel-
kämpfer seine Unverwundbarkeit, mindestens
seine Ueberlegenheit im Nahkampfe, zu sichern
bestrebt war. Nein, gerade damals wurden
die Panzer immer vollkommener, sie hüllten
die Glieder des Mannes immer dichter und
schwerer ein, sie bedeckten selbst den
Körper des Schiachtrosses bis zu den Knien
abwärts. Die Kunst der Waffenschmiede er-
reichte damals ihren Höhepunkt und schuf
bewunderungswürdige Rüstungen, die wir
heute in den Zeughäusern anstaunen als in
ihrer Art herrliche Gebilde von Menschenhand.
Bis sie dann auf einmal als überflüssig und
hinderlich — wahrscheinlich sogar die körper-
liche Entwicklung der Menscheit schädigend —
Stück für Stück sanken und schließlich nur
noch stählerner Helm und Brustpanzer für
die schwere Reiterei übrig blieben. Auch sie
jetzt nur noch Prunkstücke für das militärisch-
höfische Schauspiel.
In ähnlicher Weise schnüren sich in unseren
Tagen die Völker-Individuen in immer gewalti-
gere Kriegsrüstungen ein und verwenden immer
größere Mittel auf den Wettbewerb militä-
rischer Stärke — Mittel, die sie in Verzweifelter
Anstrengung den Kulturaufgaben und der
friedlichen Behaglichkeit ihrer Einzelglieder
entziehen. Je mehr der pazifistische Gedanke
an Kraft gewinnt, je mehr die Ueberzeugung
in unser sittliches Bewußtsein übergeht, daß
die Einzelnation und der Partikularstaat nicht
den Höhepunkt politischer Entwicklung bilden,
sondern sich als dienende Glieder einzufügen
haben in den lebensvollen Gesamtorganismus
der Menschheit, um so erbitterter bäumt sich
der alte, beschränkte Begriff des Patriotismus
auf gegen den erhabenen Gedanken des Welt-
bürgertums. Um so mehr wird der Gedanke
internationaler Solidarität der Kulturwelt als
staatsfeindlich und antipatriotisch beschimpft.
126
<§]
DIE FRI EDENS -^k^RXE
Und doch haben gerade die letzten sorgen-
vollen Monate, fast darf man sagen, die
letzten beiden Jahre voller Aufregung, be-
■wiesen, daß schon etwas wie ein europäisches
Gemeingewissen im Entstehen begriffen ist.
Der Kampf um Marokko wurde vermieden,
weil die beiden nächstbeteiligten Staaten von
ihren eigenen Freunden mäßigend beraten
wurden und schließlich selbst die Verant-
wortung des ungeheuren Blutvergießens um
solchen Anstoßes willen scheuten. Der Zug
Italiens nach Tripolis mochte immerhin mit
■der Kulturaufgabe eines aufstrebenden gegen-
über einem absterbenden Staatswesen ent-
schuldigt werden; und es gelang jedenfalls,
den Krieg zu lokalisieren. Am gefährlichsten
schien die allgemeine Lage, als die verbün-
deten Balkanstaaten ihren kecken Angriff
.gegen die türkische Herrschaft wagten und
sie sozusagen im ersten Anlaufe nieder-
warfen. Es hat sicher manche Woche
in diesen letzten sechs Monaten ge-
geben, wo ein allgemeiner Krieg der euro-
päischen Großmächte außerordentlich nahe
gerückt war; gleichwohl ist es durch die hin-
gebende Arbeit aller und durch die Besonnen-
heit der österreichischen wie der russischen
Politik geglückt, das Schiff des Friedens durch
alle Fährnisse glücklich hindurchzusteuern.
Man verhöhnt den Pazifismus als die
Utopie weltfremder Schwärmer und merkt gar
nicht, welche Fortschritte er bereits in der
praktischen Politik der Regierenden, in dem
Ideenkreise der Diplomatie gemacht hat. Ein
nettes Beispiel der ,, Philosophie des Unbe-
wußten" ! Die Pazifisten können in der Tat
mit dem Endergebnis dieser letzten Monde
ganz zufrieden sein. Denn nur, indem sich
der friedliche Ausgleich entgegenstehender
Interessen von Fall zu Fall durchsetzt, ent-
steht daraus allmählich eine Gewohnheit und
schließlich ein ungeschriebenes Gesetz. Wobei
es ganz gleichgültig ist, ob im vorliegenden
Falle nur ideale Beweggründe wirkend ge-
wesen sind, und nicht vielmehr in starkem
Maße auch weniger ideelle Ursachen maß-
gebend waren, wie die Furcht der Regierenden
vor den Folgen, die ein unglücklicher Waffen-
gang für sie selbst haben könnte. Man sollte
meinen, daß solche Erfahrungen den strikten
Beweis liefern, wie schon die augenblickliche
Stärke der Rüstungen völlig hinreicht, jeden
Krieg für alle Beteiligten zu einem furcht-
baren Wagnis zu machen; sollte meinen, daß
zur Erhaltung des Friedens eine weitere Ver-
größerung der schon jetzt drückenden Mili-
tärlasten keineswegs erforderlich sei.
Es ist eine wunderliche Logik, die aus
den Erfahrungen der letzten Monate die ent-
gegengesetzte Folgerung zu ziehen sich an-
schickt. Ich bedaure es, daß der erste Militär-
staat, der dies für angebracht hält; Deutsch-
land ist. Die politische Lage im Südosten
soll sich derart zu seinen Ungunsten ver-
schoben haben, daß dem nur durch weitere
Anziehung der Rüstungsschraube ein Wider-
part geboten werden kann. Man kann vieles
dagegen einwenden; vor allen Dingen, daß
doch offenbar die Politik sehr kurzsichtig
und unfähig sich erwiesen, die solche Folgen
gehabt hat. Und in der Tat, erfolgreich ist
die türkische Politik Deutschlands — eben-
sowenig wie die Oesterreichs — gewiß nicht
gewesen. Man kann sicherlich behaupten,
daß Rußland, Frankreich und besonders Eng-
land genußreichere Früchte in jenen inter-
essanten Gegenden zu pflücken verstanden
haben. Aber muß denn diese Politik in ihrer
bisherigen Hilflosigkeit durchaus fortgesetzt
werden? Ist es unbedingt sicher, daß die
neue „Großmacht der Balkanstaaten" immer
und unter allen Umständen als Gegner des
Dreibundes in Rechnung zu stellen sei. Ist es
überhaupt wahrscheinlich, daß das Bündnis
der vier Staaten den Friedensschluß mit der
Türkei überdauern wird ? Melden sich nicht
jetzt schon Eifersüchteleien zwischen ihnen
an; und sollte es nicht möglich sein, in
Griechenland, Albanien und der verjüngten
Türkei den slawischen Staaten ein Gegen-
gewicht zu schaffen ? Schlimmsten Falles aber,
wäre es nicht in erster Linie Oesterreichs
Sache, sich mit einer verschlechterten militä-
rischen Lage abzufinden? Was in aller Welt
nötigt gerade Deutschland, mit einer umfassen-
den Wehrvorlage, der größten seit dem Be-
stehen des Deutschen Reiches voranzugehen?
Und dabei seine finanzielle Not vor aller Welt
derart bloßzustellen, daß es zur Deckung der
ungewöhnlich hohen einmaligen Kosten zu
einer wenig verhüllten Zwangsanleihe schreitet ?
Wie man die Sache auch betrachtet, man
kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß
die veränderte Lage im Orient nur den äußeren
und erwünschten Anlaß dazu bietet, durch
eine riesige Kraftanstrengung jeder militä-
rischen Rivalität ein- für allemal ein Ende
zu bereiten. Den Vätern der neuen Wehr-
vorlage schwebte der Gedanke vor, daß nie-
mand im alten Europa imstande sein werde,
mit Deutschland noch ferner in Wettbewerb
zu treten, wenn dieses den quellenden Born
seiner Volkskraft bis auf den letzten Mann
für die Wehrkraft des Reiches nutzhar ge-
macht habe. Gewiß ist ihnen nicht zugleich
der Gedanke an einen Eroberungskrieg be-
wußt gekommen; ' sie würden es mit
Entrüstung zurückweisen, wenn man ihnen
eine solche ' Absicht unterstellen wollte.
Aber auch sie können nicht für ihre
Nachfolger stehen 1 Die Jahrhundertfeier
der Befreiungskriege, die gewaltsam zugleich
höfisch-monarchischen und nationalistischen
Zielen nutzbar gemacht werden soll, das
25 jährige Regierungsjubiläum des Kaisers und
auch der etwas boshafte Wunsch, gerade den
gegenwärtigen, ein wenig radikaleren Reichs-
tag (was man im frommen und gehorsamen
Deutschland radikal nennt I) vor eine besonders
schwere Probe zu stellen und ihn nötigenfalls
127
DIE FßlEDENS-^öJiTE
aufzulösen: alle diese Momente haben zu-
sammengewirkt, um der Militärpartei den
Triumph dieser Vorlage möglich zu machen.
Man glaubt, daß das deutsche Volk durch
die Unruhe der letzten Monate mürbe genug
gemacht sei, um jede noch so riesige Militär-
vorlage zu schlucken, die ihm angeblich den
Frieden sichern soll. Man kann es nicht oft
genug wiederholen, daß die Jugend der höhe-
ren Stände, in den Schulen chauvinistisch be-
arbeitet, daß die schwere Industrie und ein
Teil des Großhandels, ebenso wie das Junker-
tum und das einflußreiche Beamtentum der
militaristischen Strömung im großen ganzen
Vorschub leisten — vorausgesetzt, daß die
Lasten hauptsächlich von den breiten Schultern
der Massen getragen werden. Diese Massen
selbst aber stehen der Wehrvorlage durchaus
abgeneigt gegenüber.
Es ist der große Irrtum der herrschenden
Schichten, den Krieg durch die ungeheure
Wucht der Rüstungen bannen zu wollen, die
schließlich mitten im Frieden der Wohl-
fahrt und nicht zum wenigsten der Freiheit
verderblicher werden 'muß als selbst ein
Krieg. Sie Wollen sich der Erkenntnis ver-
schließen, die doch diese letzten Monate
mit Sonnenklarheit verbreiten sollten, daß eine
gute, folgerichtige, Abenteuern abgeneigte Ge-
schäftspolitik den Frieden besser sichert als
noch so starke Heeresmassen. Und sie ver-
schließen ihre Augen selbst der noch bedenk-
licheren Wahrheit, daß gerade ihre chauvi-
nistische Rüstungspolitik das allgemeine Miß-
trauen gegen Deutschland wachruft, daß man
in der ganzen Welt keinem anderen Staate in
solchem Maße böse Absichten zutraut, gegen
keine andere Regierung solche Abneigung emp-
findet — nicht einmal gegen die russische —
wie gerade gegen die Regierung Deutschlands.
Dieses Mißtrauen schießt ohne allen Zweifel
über das Ziel weit hinaus und beurteilt die
Bosheit wie die Entschlossenheit der deutschen
Staatsmänner schlimmer, als sie es verdienen.
Aber die Militärkreise Deutschlands, die die
Welt mit ihrem Lärm erfüllen, dürfen an ihre
eigene Brust schlagen: mea culpa, mea culpa,
maxima mea culpa !
Und diese Wehrvorlage schließt noch
einen anderen Irrtum in sich; den, daß die
anderen großen Mächte nunmehr einfach
distanziert wären. Man hätte diesen Fehl-
schuß schon aus dem Ausgange des Wett-
kampfes zur See erkennen sollen, den man
Jahre hindurch mit England geführt hatte.
Die englischen Staatsmänner erklärten ein-
fach, daß sie auf jedes deutsche Schlacht-
schiff deren zwei auf Stapel legen würden;
und sie hatten die Finanzkraft ihres Landes
richtig eingeschätzt. Hier war es Deutsch-
land, das sich mit dem zweiten Platze be-
gnügen mußte.
Jetzt erleben wir ein ähnliches Beispiel
in Frankreich. Noch ist die deutsche Wehr-
vorlage nicht einmal an den Reichstag ge-
langt, und schon hat Frankreich seine Gegen-
vorlage aufgestellt.
Es darf allerdings nun und nimmer mehr
geleugnet werden, daß dieses seine Volks-
kraft schon bisher in einem Maße an-
gestrengt hatte, wie es Deutschland nicht:
einmal durch sein neues Gesetz er-
reichen wird. Ebenso unbestreitbar aber ist
es, daß Deutschland trotzdem für Friedens-
wie für Kriegszeiten eine nennenswerte Ueber-
legenheit über Frankreich gewonnen hatte.
Im Verein mit O esterreich ist es schon gegen-
wärtig stark genug, selbst einen Krieg nach
zwei Fronten hin nicht scheuen zu dürfen.
Andererseits ist es klar, daß die Geldkraft
Frankreichs imfmer noch größer ist als die
Deutschlands; einerseits, weil Frankreich
eine durchschnittlich reichere Bevölkerung
von Rentnern trägt als das schwer arbeitende,
kinderreiche Deutschland; dann aber auch-
weil die Staatsfinanzen dort besser fundiert
sind als in Deutschland, das sich seit Jahren
in einer blamablen Finanzklemme befindet.
Nun erkannten ja die auch in Frankreich
mächtigen chauvinistischen Kreise, daß die-
neue Wehrvorlage Deutschlands ein schwerer
Schlag für jede militärische Rivalität war;
sie fürchteten oder gaben sich jedenfalls den
Anschein zu fürchten, daß Deutschland ge-
sonnen sei, nach Durchführung seiner Heeres-
verstärkung ihnen ein neues Sedan zu be-
reiten. Vergessen wir nicht, daß Frankreich
unter dem Mangel militärischer Vorbereitung
schon einmal schwer hat büßen müssen.
So ist es mindestens verständlich, daß
man dort drüben auf den Gedanken einer
Verlängerung der Friedensdienstzeit um ein
Jahr und der Kriegsdienstzeit um drei Jahre
kam. Das ist unzweifelhaft eine ungeheuer-
liche Belastung des Volkes, eine unerhörte
Blut- wie Geldsteuer zu gleicher Zeit. Es-
ist sehr zweifelhaft, ob Frankreich sie lange
wird ertragen können, und ob die schwüle-
Stimmung, die sie vielleicht im Volke er-
zeugt, nicht gerade zu dem Ziele führt, das
man doch anscheinend vermeiden möchte,,
zum Ausbruch des Krieges, den die Chauvi-
nistenblätter in zwei Jahren voraussagen.
Denn mißglückt das Experiment der drei-
jährigen Dienstzeit unter Heranziehung von
78 o/o der wehrpflichtigen Mannschaft (sogar
die Schweiz hebt nur 64 °/o aus), so könnte
der Bestand der Republik selbst bedroht sein.
Inzwischen aber wird nach Durchführung
der beiderseitigen Verstärkungen das gegen-
seitige) Kraftverhältnis beider Staaten an-
nähernd das alte bleiben. Wollen also die
extremen Militaristen in Deutschland ihre Ab-
sicht durchführen, daß Frankreich endlich die
unvergleichliche Ueberlegenheit Deutschlands
anerkenne, 90 werden auch sie schließlich
die Wiedereinführung der dreijährigen Dienst-
zeit fordern müssen, durch die die Friedens-
stärke des deutschen Heeres auf 1,1 Millioner
Köpfe würde gesteigert werden. Das eben is
128
<s
DIE Fßl EDENS -^\4M2XE
der Fluch der bösen Tat, daß die fortzeugend
Böses muß gebären. Schon kündigt auch
Rußland neue Verstärkungen an ; schon Oester-
reich, daß es sein Rekrutenkontingent aber-
mals erhöhen wolle. Schon verlauten die
gleichen Absichten Italiens, schon schickt sich
Belgien an, mit der Durchführung der all-
gemeinen Wehrpflicht Ernst zu machen; und
es ist kein Zweifel, daß es hierbei mehr von
•der Furcht vor Deutschland als vor Frankreich
getrieben wird. Um ein solches Ergebnis zu
erreichen, müssen also die deutschen Steuer-
zahler eine Milliarde, die französischen fast
«ine halbe Milliarde Mark an einmaligen,
und jene 220, diese etwa 120 Millionen dauern-
der Mehrausgaben tragen. Wieviel Leistungen
sozialer Fürsorge, wieviel kulturelle Aufgaben
könnten damit gelöst werden, wieviel Tränen
getrocknet, wieviel Not und Elend gelindert
werden !
Indem die französische und die deutsche
Sozialdemokratie sich zu einem gemeinsamen
Protest gegen diese immer höher an-
schwellende, verheerende Flut der Rüstungen
geeinigt haben, haben diese ,, Vaterlands losen
Gesellen" eine nicht nur mutige, sondern in
des Wortes bester Bedeutung patriotische Tat
.getan. Denn diese Rüstungen, s o wie sie tat-
sächlich geplant werden, sind sinnlos, weil sie
einen schweren Fehler des Kalküls enthalten.
Wenn sich dies erst der allgemeinen
Ueberzeugung beider Völker, aller Kultur-
völker aufgedrängt haben wird, dann werden
•auch die praktischen Erfolge besser gewürdigt
werden, die der Pazifismus schon gegenwärtig
erzielt hat. Die Waffen des Gewissens bleiben
auf die Dauer wirksamer als die verheeren-
den Werkzeuge des Krieges.
Zu den neuen Rüstungsvorlagen
würde ich, wenn ich im Reichstag säße, das
Wort erbitten und sagen:
Ich werde nicht für die neuen Vorlagen
stimmen. Ich werde niemals für neue Mili-
tärvorlagen stimmen. Jede Vergrößerung
unserer Effektiven ist zwecklos, weil unsere
Nachbarn darauf sofort mit einer Vergröße-
rung ihrer Effektiven antworten. Wenn es
wahr ist, daß der europäische Frieden nur
erhalten werden kann durch das ungefähre
Gleichgewicht der Kriegsrüstungen jeder
Nation, dann ist der Frieden sicherer, wenn
die Armeen der Großmächte im heutigen
Verhältnis zueinander bleiben, als wenn wir
mit unserer Truppenerhöhung Europa
zwingen, sie in ein höheres Verhältnis zu
bringen. Wenn es also, wie doch die Po-
litik der übrigen Großmächte beweist, von
vornherein eine ausgemachte Sache ist, daß
auch nach unserer Effektivenerhöhung die
Großmächte in demselben Stärkeverhältnis
zueinander bleiben als früher, wenn wir folg-
lich auch nachher unserem Vaterlande noch
immer keine Garantie bieten können, für die
Unüberwindlichkeit unserer Armee (weil wir
ja die anderen Armeen zwingen, auch ihrer-
seits die Unüberwindlichkeit anzustreben),
dann bleibt alles beim alten. Der Fort-
schritt läge dann nur in höheren Ziffern,
höheren Steuern und! in der 'höheren Empfind-
lichkeit des angehäuften Kriegszunders.
Ich werde nicht für eine abermalige Ver-
größerung unserer Armee stimmen, weil
unserem Vaterlande heute von keiner Seite
her auch nur die leiseste Gefahr droht. Zu
keiner Zeit der Geschichte war die Friedens-
liebe der europäischen Völker, Fürsten und
Staatsoberhäupter lebhafter, aufrichtiger und
notwendiger als heute. Es besteht für uns
weder eine slawische noch eine französische
Gefahr. — Es besteht keine slawische Ge-
fahr, weil unsere Nachbarn im Osten, und
wären sie noch so kriegslustig, auf lange
Jähre hinaus kein Geld haben werden zur
Organisation eines Eroberungsfeldzuges. Nur
auf dem Papier sind Rußlands Finanzen er-
träglich. Ein neuer Krieg würde in Ruß-
land sofort eine neue Revolution auslösen.
— Es gibt keine französische Gefahr, weil
unsere Nachbarn im Westen erstens in der
Minderzahl sind, zweitens, weil Frankreich
ein Land von Kleinbauern und Kleinrentnern
ist, und niemand den Frieden mehr liebt als
der kleine Besitzende, der seine Kapitalien
in der ganzen Welt anlegen muß, um davon
leben zu können. Von 584 französischen
Kammerabgeordneten gehören überdies 343
der Interparlamentarischen Friedensunion an,
von 300 Senatoren 168. Während von den
397 Mitgliedern dieses hohen Hauses leider
nur 67 dieser wichtigsten aller Friedens-
gesellschaften angehören, können, wir also mit
Genugtuung feststellen, daß von insgesamt
884 französischen Volksvertretern 511, das
heißt mehr als die Hälfte, durch ihre Mit-
gliedschaft in dieser Vereinigung beweisen,
daß sie ausgesprochene Pazifisten sind. Rech-
nen Sie dazu, daß Frankreichs Bevölkerung
nicht wächst, daß in Deutschland immer vier
künftige Soldaten geboren werden, während
zur gleichen Zeit in Frankreich nur einer
zur Welt kommt, daß die vier deutschen
Soldaten jungen in Gottesfurcht und Königs-
treue erzogen werden, während der eine fran-
zösische von mehr als 100000 pazifistisch
gesinnten Lehrern zum Glauben an die
kommende Verbrüderung der Menschheit an-
gehalten wird, — und Sie werden, wenn Sie
alle diese Friedensgarantien der dritten Re-
publik beachten, als verständige Männer den
Revancheschwindel der Chauvinisten be-
lächeln müssen. Der französische Chauvinis-
mus ist nicht schlimmer als der deutsche
oder der englische, und schon 1902 hat der
Sozialistenführer Jaures unter dem Beifall der
Kammermehrheit das erlösende Wort aus-
sprechen können, daß nämlich jetzt die Zeit
gekommen sei, wo man den Revanche-
129
DIE Fß!EDENS-WAQTE
:3
gedanken vergessen und sich mit der Ge-
schichte abfinden müsse.
Ich werde gegen die neuen Vorlagen
stimmen, weil eine Bedrohung in ihnen liegt.
Jawohl, wir müssen den Mut haben, es
klar auszusprechen : In der nimmersatten
Rüstungspolitik des deutschen Kaiserreichs
liegt eine Bedrohung der anderen Völker.
Unter allen europäischen Großmächten hat
Deutschland seine Rüstungen am heraus-
forderndsten betrieben. Von 1883 bis 1912
haben unsere Rüstungsausgaben um 1144
Millionen zugenommen, das heißt um 227 o/o.
Im' gleichen Zeitraum erhöhte England seine
Rüstungen um 153 o/o, Rußland um 114,8 o/0,
Oesterreich-Ungarn um 111,9%, Italien um
108,6 o/o und Frankreich (das gefürchtete
Frankreich der Revanche) um 70,2 o/0. Diese
Ziffern und Statistiken beweisen unwider-
legbar, daß wir den Rekord in der Erhöhung
der Rüstungen besitzen, und ich finde nicht,
daß dies unserem Volke zur Ehre gereicht.
Im Gegenteil: Ich beklage diese zwecklose
Kraftleistung aus ganzem Herzen, denn sie
ist schuld daran, daß wir seit langem das
Mißtrauen der ganzen Welt erregen, daß
wir die anderen Völker immer wieder zu
Gegenmaßregeln zwingen, daß der Chau-
vinismus hüben und drüben nicht sterben
will und daß wir daher vorläufig noch immer
nicht zu einer offenen und freien Aussprache
mit unseren Nachbarn gelangen können.
Ich werde keinen Pfennig für neue
Rüstungsausgaben bewilligen, weil meine
Vaterlandsliebe mehr als eine eingelernte
Phrase ist. Die Gefahr ist nicht außerhalb,
sie ist innerhalb. Nicht die Franzosen be-
drohen uns, nicht die Russen und nicht die
Engländer. Uns bedroht unsere eigene un-
zufriedene und hungrige Nation. Denn die
deutsche Nation hungert, bildlich und buch-
stäblich : Unser Volk beginnt Hundefleisch
zu essen. Wir haben kein Geld für unsere
Veteranen. Unsere Arbeiterschutzgesetz-
gebung ist ungenügend; im Vergleich zu
dem, was andere Nationen geschaffen haben,
ist sie eine Karikatur. Unsere Schulen sind
teuer, unmodern und überfüllt. Mit einem
Wort: Wir haben, trotzdem der deutsche
Bürger die höchsten Steuern zahlt, kein Geld
für Kulturaufgaben. Nein, protestieren Sie
nicht : die Franzosen sind nicht mehr die
höchstbelastete Nation. Mit dem1 Re-
kord der höchsten Rüstungsaus-
gaben halten wir seit einigen
Jahren auch den Rekord der höch-
sten Steuerbelastung pro Kopf
der Bevölkerung. — Und welches Elend
auch in unserem Volkshaushalt : Unsere In-
dustrie, der Stolz unserer Nation, arbeitet
allzu stark mit Kredit statt mit Geld. Der
für den Handel so unentbehrliche Bank-
diskont ist darum beständig teurer als
anderswo. Unsere Staatspapiere sind billiger,
das heißt wertloser als die anderer Staaten.
Die Aufnahme neuer Staatsanleihen ist
außerordentlich schwierig. Unsere Banken
bieten bis 8 o/0 für bares Geld. Und so fort.
— Ich sage nicht, daß Deutschland arm ist,.
aber ich sage : Es hat Hunger und ist ge-
niert in seiner Entwicklung. Unter dem
Druck des Rüstungspanzers kann es nicht
mehr recht Atem holen. — Und nun wollen
Sie unserer Germania das beengende Eisen-
korsett nicht nur nicht öffnen, sondern Sie
wollen es noch fester schnüren ? Wenn ein-
Arzt einen gesunden, entwicklungsfreudigen
Menschen zu seinem Vergnügen zu.
einer Operation überreden möchte, dann
würden Sie gewiß sagen, er sei wahn-
sinnig oder übermütig. Unsere Regierung
aber gleicht diesem Arzt, wenn sie
mitten im Frieden, das heißt ohne zwingen-
den Grund, eine Milliarde von der Nation
verlangt und sie mit einer Besitzsteuer zu
decken vorschlägt. Selbst als Frankreich
1871 fünf Milliarden an den deutschen Sieger
zu zahlen hatte, war keine solche direkte
Besteuerung notwendig. Ich sage: diese Be-
sitzsteuer ist ein Frevel an der Vaterlands-
liebe unseres Volkes, und wenn Sie diesen
Frevel gutheißen, dann greifen Sie damit an>
die wichtigsten Atmungsorgane der Nation.
Gewiß : sie würde diese schmerzhafte Ope-
ration überstehen, aber sie würde nachher
noch kranker und kurzatmiger sein als heute.
Denn mit einer solchen Steuer zwingen Sie die
Industrie, den Handel t:nd unsere gesamte
Volkswirtschaft zu einem immer gefähr-
licheren Kreditspiel; Sie untergraben die
Unternehmungslust, denn wer will noch in
einem Staate viel Geld verdienen, wo man
um so mehr zahlt, je mehr man besitzt und
verdient ? Sie treiben damit unsere ohne-
hin schon so spärlichen Kapitalverfügbar-
keiten, unsere beweglichen Werte, unsere
vitalsten Energien und Intelligenzen ins Aus-
land und entwerten den deutschen Kredit
auf den Weltmärkten. Was aber wohl das
gefährlichste dabei ist: Sie vergrößern den
Abstand zwischen Volk und Regierung und
erwecken die Gefahr, daß sich in einer nahen
Zukunft die gärende tiefe Unzufriedenheit
der Hundefleischesser und freudlosen Pro-
letarier gewaltsam Luft macht.
Ich werde niemals für neue Militärvor-
lagen stimmen, denn nach einem flüchtigen
Studium der Börsenkurszettel habe ich fest-
gestellt, daß in Wirklichkeit nur eine Hand-
voll mächtiger Kapitalisten aus diesen
Rüstungsausgaben Gewinn zieht. Diese Ka-
pitalisten, die kaltblütig bereit sind, ihre
Dividenden mit dem Patriotismus der Massen
zu erhöhen, besitzen die Mehrzahl der Aktien
der Kanonenindustrie. Sie haben gut von
einer Besitzsteuer reden, denn das, was sie
auf der einen Seite ausgeben, wird auf der
anderen doppelt und dreifach durch die Er-
höhung ihrer Börsenwerte wieder herein-
gebracht. Vergleichen Sie, meine Herren.,
130
<§:
= DIE FRIEDEN5-,fcÄR.TE
die heutigen Kurse der Kruppwerke in
Deutschland, der Creusotwerke in Frank-
reich und aller Industrieunternehmen, die
von nah oder fern an den zu erwartenden
vermehrten Kriegslieferungen interessiert
sind, mit den Kursen vor einigen Monaten.
Und Sie werden nachher nicht mehr bestreiten
können, daß den Besitzern dieser Aktien die
neuen Steuern nicht nur keinen Verlust,
sondern Gewinn bringen, nicht zu reden von
den zu erwartenden höheren Dividenden. Eine
ganze große Industrie lebt heute ausschließ-
lich von den Budgets der Kriegs- und
Marineminister. Sie lebt von der Vor-
bereitung des Krieges, das heißt von Werken
des Todes und der Zerstörung, auf Kosten
der Steuerzahler. Es liegt keine Ehre für
unsere Nation in dieser Tatsache. Wenn
Millionen von Kapitalien und Hunderttausende
von Menschen für die Kriegsvorbereitung
arbeiten müssen, so ist das bedauerlich,
denn diese Millionen und diese Hundert-
tausende sind für die Kulturarbeit verloren.
Ich bin aus tiefer patriotischer Ge-
sinnung heraus ein Feind der Vermehrung
der Rüstungen, weil ich ein Feind jeder un-
produktiven Arbeit bin und weil ich nicht
wünsche, daß diel Welt mit Fingern auf uns
zeige: Seht, die Deutschen haben nur einen
Ehrgeiz, nur ein Ziel, nur einen Glücks-
krampf: Rüstungen und Paraden, Paraden
und Rüstungen. Unter allen Völkern, zahlen
sie die höchsten Steuern, aber sie haben nur
Geld für Waffen und Kasernen. Ihren zweck-
losen Rüstungen zuliebe essen sie Hunde-
fleisch und lassen sogar ihre Veteranen,
darben.
Meine Herren, ich wünsche nicht, daß
man s o von uns rede, daß man auf uns zeige
als die Gassenjungen der europäischen Kul-
tur. Ich liebe mein Vaterland und will, daß
man es auch jenseits der schwarz -weiß-roten
Grenzpfähle liebe. — Nicht Sparta darf unser
Ziel sein, wo die Kriegsidee die Grundlage
der gesamten Volkserziehung war und wo
man die Industriellen als servile Kreaturen
behandelte. Unser Ziel ist Athen. Denn
ohne die glänzende Furche, die Athen in
der Kulturentwicklung der Menschheit ge-
zogen hat, wäre auch Sparta schon längst
vergessen und verflucht von der Menschheit.
Ich wünsche, daß Deutschland
fortan als Kulturschaffer in der
Welt voranleuchte, und ich ver-
hülle mein Gesicht bei dem Ge-
danken, daß es jemals mit Sparta
dentraurigen Ruhm1 teilenkönnte,
ein Sinnbild der finsteren Gewalt
und der alles erstickenden Mili-
tär disziplin zu sein.
Selbst Napoleon, ein Gewaltmensch, der
es wissen mußte, hat zugegeben, daß es in
der Welt nur zwei Gewalten gibt, den Säbel
und den Geist, und daß zuletzt immer der
Geist über den Säbel siege. Ich will, daß
der deutsche Geist in der Welt siege und
nicht der deutsche Säbel.
Aus allen diesen Gründen werden alle
ehrlichen Patrioten ohne Unterschied der
Partei mit mir gegen die neuen Militär-
vorlagen stimmen.
Herrn. Fernau (Paris).
Das Weltfeierjahr im Flottenbau.
Am 26. März hat der englische Marine-
minister, Lord Churchill, die Welt mit einem
neuen Vorschlag überrascht. Er sagte:
„Es ist keine Aussicht vorhanden, die
gewaltigen, dauernd wachsenden Kosten in
den Flottenetats der künftigen Jahre zu ver-
meiden, wenn nicht die Periode der Rivali-
täten und des technischen Fortschritts zu
einem Ende kommt. Von allen Nationen der
Welt sind wir vielleicht am besten imstande,
eine derartige Ausdehnung zu tragen, falls
sie fortgesetzt werden sollte. Aber es gibt
glücklicherweise einen Weg, der offen steht
und offen bleiben wird, durch welchen
die Völker der Welt eine fast
augenblickliche Milderung der
Sklaverei erreichen können, in
die sie sich selbst begeben haben.
In der Sphäre des Flottenwettbewerbes ist
alles relativ. Die Stärke einer Flotte ist
ihre Stärke verglichen mit einer anderen.
Der Wert eines Schiffes hängt gänzlich von
dem zeitgenössischen Schiff ab, dem es viel-
leicht entgegentreten muß. Jedoch sehen
wir, daß die Schiffstypen einer jeden See-
macht die der früheren Jahre in unerbitt-
licher Hartnäckigkeit verdrängen, daß viele
Millionen von Jahr zu Jahr ge-
radezu vergeudet werden und daß
das Entwicklungstempo dauernd sich ver-
stärkt, ohne einen wirklichen Ge-
winn in der relativen Flotten-
stärke. Kann ein Vorgang sinn-
loser sein? Die Frage, die sich die Groß-
mächte, und nicht nur die Großmächte, son-
dern auch die großen Nationen vorlegen
sollten, ist diese: Wenn für den Zeitraum
eines Jahres kein neues Kriegsschiff für
irgendeine Flotte gebaut worden ist, würden
unsere Flotteninteressen oder die nationale
Sicherheit in irgendeiner erkennbaren Weise
gefährdet werden? Wir haben heute gute
Schiffe; sie sind die besten der Welt, bis
bessere gebaut werden. Können sie nicht ein
Jahr die Herrschaft behalten, bevor sie zu-
rückgesetzt werden ? Warum' sollten wir
alle nicht für ein Jahr im Schiffsbau
einen Feiertag eintreten lassen, soweit
eine neue Konstruktion oder unter allen Um-
ständen soweit eine Neukonstruktion eines
Linienschiffes in Betracht kommt ? Das ist
die Frage, die ich im vorigen Jahre gestellt
habe, und das ist der Vorschlag, den ich
in dieserni Jahre wiederhole. Er schließt keine
131
DIEFßlEDEN5-^i*<&RrE
e>
Aenderung in der relativen Stärke der Flotten
in sich ein. Er bedingt nicht das Auf-
geben irgendeines Planes bezüglich der
Flottenorganisation oder der Flotten-
vermehrung. Er widerstreitet keinem System
eines Flottengesetzes. Er schließt keine Ein-
schränkung der wirklichen Flottenstärke ein.
Et ist so einfach, daß er zu keinem
Mißverständnis führen kann. Die
Finanzen eines jeden Landes wür-
deneineEnt las tungerhalten. Keine
Flotte würde im geringsten be-
n a chteiligt sein. Wir in Großbritannien
können mit Aufrichtigkeit über einen der-
artigen Gegenstand sprechen. Unsere Schiffs-
bautechnik ist nicht minderwertiger als die
irgendeiner anderen Macht, unsere Erfah-
rungen sind weit größer, unsere Hilfsmittel
sind reicher. Unsere Pläne haben auf jeder
Stufe bei dem Weltwettbewerb die alte
Ueberlegenheit behauptet, und nach dem,
was wir von anderen Ländern hören, unter-
liegen unsere Preise und die Qualität unserer
Arbeit gewiß keinem1 Tadel. In jedem Jahre,
solange wie neue Schiffe gebaut werden,
werden (wir die besten bauen, welche die
Wissenschaft erfinden oder Geld kaufen kann ;
wir werden unser bestes tun, die Führung in
der Konstruktion aufrechtzuerhalten, die für
die Vorherrschaft zur See nicht weniger wich-
tig ist als das Uebergewicht in der Anzahl.
Das ist kein Appell der Schwäche, des
keuchend Zurückbleibenden, sondern ein
Appell der Stärke des in der Front
Schreitenden, den wir an alle Nationen richten,
und an keine Nation mit größerer Auf-
richtigkeit als an unseren großen Nachbar
jenseits der Nordsee."
Es gibt wohl kaum etwas Einleuchten-
deres, etwas Einfacheres, etwas Klareres
als diesen Vorschlag. Er gleicht dem Ei des
Kolumbus. Mit einem Schlage scheinen all
die Schwierigkeiten überwunden, die uns von
den Gegnern stets als unüberwindbare
Hindernisse für die Rüstungsverminderung
dargestellt wurden. Keine schwierigen For-
meln sind zu suchen, keine Kontrollen auf-
zustellen. Es wird einfach nichts vermindert,
es bleibt alles beim Alten; nur ein Jahr lang
wird pausiert. Die Hunderte von Millionen
einer einjährigen Rüstungspause stellen sich als
klares Ergebnis dar. Leider ist aber das Prin-
zip des Rüstungswettbewerbes an sich so un-
logisch, daß man ihm mit logischen Mitteln
gar nicht beikommen kann. Ebensowenig
wie man ein Kind oder einen Wilden, mit
Gründen überzeugen kann, kann man die
Rüstungsbetreiber überzeugen. Hier gilt ganz
besonders das ausgezeichnete Wort Rudolf
Goldscheids: „La r^cherche de la causa-
lite" est interdite." Nach dem Warum und
Wozu darf hier nicht gefragt werden.
So erhoben sich auch in der deutschen
Presse sofort Einwände. Einwände unglaubr
lichster Art.' Nur ein Beispiel: Die „Kreuz-
zeitung" vom 27. März rückt sofort mit deaj
„wahren Gründen der englischen Vorschläge"
heraus. Schon dieser Titel kennzeichnet die
angewandte Taktik; er verdächtigt. Deutsch-
land würde nach der Kreuzzeitung durch ein
solches Feierjahr „sehr benachteiligt" wer-
den. „Jene Pause würde der überlasteten
englischen Industrie von Vorteil, der nicht
überlasteten deutschen nur von Nachteil
sein. Sie erläutert diese etwas unklare Be-
hauptung folgendermaßen: „Die englischen
Werften verlangen sehr energisch eine Ver-
längerung der Baufristen für die großen
Kriegsschiffe, da sie unter gegenwärtigen
Umständen mit Tag- und Nachtschichten
arbeiten müssen und dabei nicht auf ihre
Kosten kommen können; bei den deutschen
Werften ist das nicht der Fall. Die englische
Technik mag also immerhin noch aus-
dehnungsfähig sein, für eine solche Aus-
dehnung braucht sie aber Zeit; die deutsche
Technik ist ebenfalls, und zwar noch sehr aus-
dehnungsfähig, sie braucht aber keine Zeit,
sondern Arbeit."
Man kann dies kaum1 als Einwand be-
zeichnen; höchstens als Ausrede. Die
Milliarde, die beide Staaten in solch einem
Feierjahr sparen würden, kommt für die
Kre,uzzeitung gar nicht in Betracht. Sie
spricht nur „von Nachteilen".
Aehnlich auch die „Kölnische Volks-
zeitung". Für sie ist der Vorschlag nur
„ein Paradehieb", eine „schöne Idee",
und schließlich mündet auch ihre Betrach-
tung nach vie,len Wenn und Aber in einer
Verdächtigung: „England will bloß Luft be-
kommen."
Ebenfalls skeptisch, wenn auch in liebens-
würdigerer Form, hat der Reichskanzler in
seiner großen Rede am 7. April zu dem Vor-
schlag Stellung genommen. Er sagte darüber :
„Nun hat Mister Churchill in der
großen Rede, die er neulich gehalten hat, das
Verhältnis der englischen Flotte zur deut-
schen Flotte beleuchtet und dabei einen Ge-
danken wiederholt, den er bereits im vorigen
Jahr, und zwar auch im Parlament, aus-
gesprochen hat, den Gedanken, daß zur
Verminderung der Rüstungen die
Schiffswerften der großen Natio-
nen von Zeit zu Zeit ein Jahr Feier-
tag machen. Mister Churchül hat diesen
Vorschlag speziell an Deutschland, und zwar
für die Jahre 1914 oder 1915 gerichtet. Aber
er hat selbst anerkannt, daß alle Großmächte
an dieser Kontingentierung beteiligt werden
müßten. Die Marinesachverständigen dies-
seits und jenseits haben, wie mir scheint ziem-
lich einstimmig, auf die großen Schwierig-
keiten hingewiesen, die sich der Ausführung
dieses Problems entgegenstellen. Mister
Churchill selbst hat diese Schwierigkeiten ge-
kannt. Auch ist mir nicht bekannt geworden,
daß sein Gedanke im englischen Parlament
oder in der englischen öffentlichen Meinung
132
<§s
DIE FRIEDENS -WARTE
mit besonderer Entschiedenheit aufgegriffen
wäre. Wir werden daher abwarten
können, ob die englische Regie-
rung mit konkreten Vorschlägen
an uns herantreten sollte. Aber die
Tatsache, daß dieser Gedanke ausgesprochen
worden ist, und die Formen, in die der erste
Lord der englischen Admiralität sie gekleidet
hat, bedeutet schon einen großen Fort-
schritt. Es gab eine Zeit, wo jede Form
eines Vergleichs der englischen und der
deutschen Seestärke, des englischen und des
deutschen Schiffsbaues, zu einer Flotten-
hetze führte, die immer wieder die Be-
ziehungen beider Länder vergiftete. Ich
hoffe, daß diese Zeiten der Ver-
gangenheit angehören. Mir scheint,
daß das Vertrauen wiederzukehren beginnt,
das lange zum Schaden beider Länder und
der Welt gefehlt hat."
Das ist keine Zustimmung, aber auch
keine Ablehnung.
Dem scharfen Beobachter der Verhält-
nisse kann eine erfreuliche Tatsache nicht
entgehen : DasProblem derRüstungs-
verminderung entwickelt sich.
Früher durfte darüber kaum gesprochen
werden. Das zynische Gelächter der Rück-
wärtser erstickte jede Andeutung im Keime.
Jetzt wird doch schon diskutiert und erwogen,
und auch von deutscher Seite sehen wir jetzt
öfter ein, wenn auch erzwungenes, Nicken.
Das Problem ist diskutabel geworden. Die
nächste Haager Konferenz wird Formeln vor-
finden, von denen die Regierungen bereits er-
klärt haben, daß sich darüber reden ließe. Es
ist nicht mehr so ausgeschlossen, daß man sich
1915 im Haag darein schicken wird, wenigstens
zu verhandeln. Und das wird schon ein großer
Fortschritt sein.
Kundgebungen
gegen die Rüstungen.
Aufruf des Internationalen Friedensbureaus.
Die gegenwärtige Lage Europas hat ihres-
gleichen noch nicht gehabt.
Zur nämlichen Stunde, da die Vertreter
der Großmächte in London und in Petersburg
s'ich mit allem Nachdruck um die Herstellung
des Friedens auf der Balkanhalbinsel und um
die Aufrechterhaltung des Weltfriedens be-
mühen, kündigen diese selben Großmächte,
unter dem Druck einer künstlich erweckten
Panik, neue gewaltige Rüstungen an, mit der
Behauptung, daß diese für ihre Sicherheit not-
wendig seien.
Seit Jahrzehnten sind wir die Zeugen einer
fortwährenden Steigerung der Rüstungen ge-
wesen; aber was im Augenblick geplant wird.,
um sie noch weiter zu steigern, überschreitet
in der Tat das Maß der ausschweifendsten
Phantasie.
Die Völker müssen begreifen: eine wohl-
überlegte internationale Kampagne sucht sie
heute auf den Weg eines unbegrenzten
Rüstungswettkampfes zu verlocken; wenn sie
den Organisatoren dieser Kampagne folgen,
so werden bald alle ihre Lebenskräfte durch
die Vorbereitung zu den Werken der Zer-
störung und des Todes aufgezehrt werden,
zum Schaden aller Werke des Lebens, der
Zivilisation und des Fortschritts.
Eine solche Lage ist die unausbleibliche
Folge der Gewalt- und Raubpolitik, die von
den Regierungen noch immer verfolgt wird}.
Es ist Sache der Völker, unzweideutig
ihren Willen zur Beendigung einer solchen
Politik zu bekunden.
Heute muB auch der Blindeste sehen/
daß alle Anstrengungen, die zur Steigerung
der militärischen Kräfte eines Landes dienen
sollen, alsbald zunichte gemacht Werden durch
gleiche Anstrengungen anderer Länder. Wenn
die gewaltigen, jetzt geplanten Rüstungen
durchgeführt sind, wird nichts in dem militä-
rischen Kräfteverhältnis der verschiedenen
Nationen geändert sein.
Angesichts solcher Tatsachen sollten die
Völker sich bemühen, kaltes Blut zu bewahren
oder wiederzugewinnen. Zu einer solchen Be-
tätigung des Willens und der gesunden Ver-
nunft rufen wir sie auf.
Denn wahrhaftig, wollen die Völker wirk-
lich unaufhörlich das Bild des kommenden
Krieges vor Augen haben? Wollen sie nicht
vielmehr den Frieden, gegründet auf Ge-
rechtigkeit und Freiheit, die Sicherheit und
den Lohn friedlicher Arbeit, den Segen geisti-
gen Fortschritts, die Erleichterung von Steuer-
und Rüstungslasten, die nutzbringende und
rasche Verwertung der wissenschaftlichen Ent-
deckungen, die Verbilligung der Lebenshal-
tung, die Beteiligung aller an den Erzeug-
nissen der Welt ?
Die Vertreter der Friedensgesellschaften
der ganzen Welt, die in Bern zu einer inter-
nationalen Versammlung zusammengetreten
sind, erklären feierlich: Es gibt heute kein
Volk, das gewillt wäre, Krieg zu führen, um
seine Nachbarn zu vernichten oder zu unter-
werfen; überall würde sich vielmehr ein un-
beschreiblicher Enthusiasmus erheben, wenn
die Politik der Staaten sich unter die Herr-
schaft der Friedensidee stellen wollte. Jede
Versicherung, daß es anders wäre, muß mit
dem schärfsten Mißtrauen aufgenommen
werden.
Die wahre öffentliche Meinung fordert
die Ersetzung der Kriegspolitik durch eine
Politik des Friedens, d. h. durch eine wohl-
überlegte Organisation der internationalen
Arbeitsgemeinschaft und durch eine, auf dem
Recht beruhende, für alle gleichmäßig ver-
pflichtende Beilegung internationaler Streitig-
keiten. Nur so wird jede Nation die ihr zu-
kommende Unabhängigkeit und wahre Sicher-
heit gewinnen.
133
DIEFBIEDENS-^ADTE =
3
Aber ist eine solche Umwandlung der
Politik möglich?
Die jüngste Vergangenheit hat zwei be-
merkenswerte Vorgänge gezeitigt: Die von
den Regierungen Rußlands und Oesterreich-
Ungarns getroffene Vereinbarung über eine
gleichzeitige Demobilisierung ihrer in den
Grenzbezirken stehenden Truppen und die,
wenigstens stillschweigende, Verständigung
Deutschlands und Englands über das Maß
ihrer Flottenrüstungen. Diese beiden Vor-
gänge, so wenig wir ihre Bedeutung über-
schätzen, sind doch außerordentlich bezeich-
nend; sie zeigen, daß Uebereinkommen zur
Beschränkung der Rüstungen durchführbar
sind, wenn nur die Regierungen den Willen
haben, sie durchzuführen.
Unser Aufruf geht an die Regierungen,
die sich ihrer Verantwortung bewußt sind,
nicht allein an jene, die unmittelbar durch
das Rüstungsfieber berührt werden, sondern
auch an alle andern, die die unheilvollen
Folgen mitzutragen haben werden. Ihre Sache
ist es, unverzüglich, gemeinsam oder einzeln,
bei den am Rüstungswettkampf unmittelbar
beteiligten Regierungen vorstellig zu werden,
damit diese gleichzeitig auf ihre Pläne ver-
zichten, auf diese Pläne, ebenso verderblich
und unnütz für sie selbst, wie gefährlich für
alle.
Unser Aufruf geht an die Parlamente und
unterschiedslos an alle politischen Parteien,
die sich ehrlich des Wohles der Massen an-
nehmen, und die sich unabhängig halten von
den Rüstungsinteressenten. Ihre Sache ist es,
einmütig und eines Sinnes ihre Stimme zu er-
heben, um von ihren Regierungen die gleichen
Entscheidungen und die gleichen Maßnahmen
zu fordern.
Unser Aufruf geht schließlich an die
Völker, die alle den Frieden wollen, die alle
mit ihren Interessen am Frieden hängen und
die alle unter der materiellen und moralischen
Last der Rüstungen zusammenzubrechen
drohen. Ihre Sache ist es, auf ihre Vertreter
in den Parlamenten einen unwiderstehlichen
Druck auszuüben. Aus allen Hütten und aus
allen Werkstätten muß sich ein einheitlicher,
mächtiger und entrüsteter Protest erheben
gegen jene, die da behaupten, Dolmetscher
der Volksmassen zu sein, wenn sie von 'Kampf-
und Schlachtbegierde sprechen. Alle aufge-
klärten Geister müssen sich hinzugesellen, um
die Menschheit zu befreien von dem Alp-
druck, der auf ihr lastet und sie zur Ver-
zweiflung treibt.
Wir wagen zu hoffen, daß unter dem
zwingenden Druck der öffentlichen Meinung
die Mächte diesen Weg der Beruhigung und
der Verständigung betreten werden. Will man
den Folgen einer wahrhaft selbstmörderischen
Politik entgehen, so muß der internationalen
Anarchie ein Ende gesetzt werden; denn sie
allein wirkt, lähmend auf alle wohlmeinenden
Bestrebungen, die auf den Fortschritt und
die Besserung des Loses der Völker gerichtet
sind. Stetigkeit muß an die Stelle der heu-
tigen Unsicherheit treten; denn diese ist nur
zum Vorteil jener, die im vollen Bewußtsein
besinnungslose Paniken hervorrufen, aus-
schließlich zu ihrem eigenen Nutzen und zum
Schaden der Kleinen und Armen.
Wir haben die Ueberzeugung, in dieser
feierlichen und verantwortungsvollen Stunde
im Namen nicht nur der Friedensfreunde zu
sprechen, die in ihren Vereinen auf der ganzen
Erdoberfläche organisiert sind, sondern auch
im Namen von Millionen und aber Millionen
Menschen, die durch ihrer Hände und ihrer
Köpfe friedliche Arbeit das Auskommen
suchen, auf das sie ein Recht haben, für
sich und für ihre Familien, die in dieser Stunde
der Trauer und des Schreckens die Sorge
niederdrückt. Sic alle ersehnen ein Zeitalter
gesicherten Friedens.
Wir sind sicher, über alle Grenzen hinaus
gehört zu werden, wenn wir auch jetzt wieder
den Ruf erschallen lassen, der die Mensch-
heit zu ihren Zielen der Freiheit, Brüderlich-
keit und Gerechtigkeit führt: Krieg dem
Kriege !
Bern, im März 1913.
Eingabe der Deutschen Friedensgesellschaft
an den Reichskanzler.
,,An den Herrn Reichskanzler
von Bethmann Hollweg.
Eure Exzellenz
erlaubem wir uns, bezüglich der geplanten
Rüstungsvorlage in letzter Stunde um ge-
neigtes Gehör zu bitten. Wir können zwar
nicht hoffen, die Kaiserliche Regierung in
ihren Entschließungen zu beeinflussen, halten
es aber doch für unsere Gewissenspflicht,
darauf aufmerksam zu machen, daß der ein-
geschlagene Weg schwerlich zu dem er-
wünschten Ziel, einen dauernden Frieden zu
erhalten, führen wird. Kein Friedensfreund,
sondern ein Kriegsfürst, der Zar Nikolaus II.
von Rußland, hat es ausgesprochen : „Die
ständige Gefahr, welche in der Kriegsstoff-
ansammlung ruht, macht die Armee unserer
Tage zu einer erdrückenden Last, welche die
Völker mehr und mehr nur mit Mühe tragen
können. Es ist deshalb klar, daß, wenn diese
Lage sich noch weiter so hinzieht, sie in
verhängnisvoller Weise zu eben der Kata-
strophe führen würde, welche man zu ver-
meiden wünscht, und deren Schrecken jeden
Menschen schon beim bloßen Gedanken
schaudern machen." Wir brauchen Eurer
Exzellenz nichts davon zu sagen, daß die
neuen Rüstungsforderungen dem deutschen
Volk überraschend kommen müssen, nach-
dem erst vor einem Jahr eine wesentliche
Vermehrung des Heeres stattgefunden hat,
und daß durch beide Neuforderungen die
vom. Jahr 1912, wie die vom Jahr 1913 das
Quinquennatsgesetz, durch das doch der
Heeresbestand auf 5 Jahre festgelegt schien,
13*.
<s=
= DIEFRIEDEN5-^MM2XE
illusorisch gemacht werden dürfte. Wir haben
auch nicht nötig, Eurer Exzellenz vorzurech-
nen, welche Steigerung die Rüstungsaus-
gaben speziell in Deutschland erfahren haben.
Im Jahre 1883 haben wir 366 Millionen Mark
für unser Heer und 36 Millionen für unsere
Flotte aufgewendet, zusammen also 392 Millio-
nen; jetzt geben wir bereits ca. 1300 Millio-
nen für unsere Rüstung aus, und wenn die
neue Wehrvorlage angenommen ist, werden
wir, alle Nebenausgaben eingerechnet, gegen
2 Milliarden für unsere Panzer aufzuwenden
haben, das ist in 30 Jahren eine Steigerung
von rund 400 °/o, und dabei ist die dadurch
erstrebte Sicherheit keineswegs größer ge-
worden, im Gegenteil, die Kriegsgefahr ist
dringender als je. Dabei dürfte es sich als
aussichtslos erweisen, daß der Dreibund die
Triple-Entente in dem Rüstungswettlauf
überflügeln könnte. Die Antwort auf die von
der deutschen Regierung geplante Rüstungs-
vorlage ist bereits vom französischen Mi-
nisterium gegeben : in Paris wird man einen
neuen Rüstungskredit von 500 Millionen
Franken verlangen; man wird daran gehen,
eine schwarze Armee gegen Deutschland auf-
zustellen, man wird unser Heer durch An-
schaffung kostspieliger Zerstörungsmaschinen
zu überbieten suchen, und wenn das fran-
zösische Volk die nötige Mannschaft nicht
wird aufbringen können, so ist in, Rußland
ein so unerschöpfliches Menschenreservoir
vorhanden, daß, wenn dasselbe unter Vor-
aussetzung einer Sanierung der russischen
Finanzen aufs äußerste ausgenützt wird, die
Ueberflügelung des Dreibunds durch die mit
den Balkanstaaten vereinigte Triple-Entente
zur erschreckenden Tatsache werden wird.
Wir sehen keinen Ausweg aus dem verhäng-
nisvollen Zirkel, in dem sich die europäische
Politik bewegt, als den : es sollte
versucht werden, eine Uebereinkunft unter
den Staaten abzuschließen, durch die sie
sich ihren Besitzstand gegenseitig garantieren
und sich eine überseeische Expansion für den
Notfall ermöglichen. Auch Frankreich würde
— das ist unsere Ueberzeugung — schließ-
lich eher bereit sein, sich durch einen der-
artigen Vertrag zu binden, als daß es sich
•durch das ruinöse System des bewaffneten
Friedens, diesen latenten Kriegszustand, zu-
grunde richten ließe. Man müßte aber ein-
sehen, daß es nicht nur die Aufgabe der Po-
litik sein kann, das Interesse des eigenen
Staates zu wahren, daß es sich vielmehr
darum handeln muß, den Boden für ein
menschenwürdiges Zusammenleben der Na-
tionen zu bereiten. Die Bedrohung einer Na-
tion durch die andere, wie sie heute die
Regel geworden zu sein scheint, kann aber
nicht als menschenwürdiger Zustand bezeich-
net werden. Uebrigens sollte auch schon
unter Voraussetzung der gegenwärtigen Ver-
hältnisse eine Uebereinkunft unter den kon-
kurrierenden Regierungen möglich sein, da-
hingehend, daß eine Formel gesucht würde,
welche ein gewisses Maximum der Rüstungs-
ausgaben festlegen würde. Wenn es ge-
lungen ist, zwischen der deutschen und eng-
lischen Flotte das Verhältnis von 10:16 als
annehmbar für die nächste Zeit festzulegen,
warum sollte nicht etwas Aehnliches auf dem
Gebiete der Landstreitkräfte möglich sein ?
Möge es Eurer Exzellenz gefallen, dies:
Gedanken einer geneigten Prüfung zu unter-
ziehen.
Stuttgart, März 1913.
Verehrungsvoll
Der Vorstand der
Deutschen Friedensgesellschaft.
Dr. Ad. Richter. ü. Umfrid."
Resolution der Deutschen Friedensgesellschaft.
Die Deutsche Friedensgesellschaft, Stutt-
gart, faßte in ihrer Ausschuß-Sitzung vom
14. März 1913 folgende Resolution :
,,Die Deutsche Friedensgesellschaft be-
dauert aufs lebhafteste, daß die Regierungen
trotz aller Friedensversicherungen, trotz aller
Abmachungen der Haager Konferenzen, trotz
all der Anzeichen, die auf die wachsende
Solidarität der Interessen hinweisen, immer
noch keinen Ausweg aus dem Zustand des
bewaffneten Friedens, dieses latenten Kriegs,
finden zu können meinen, daß sie vielmehr
heute mehr als je dem Wahngedanken folgen,
als ob sie sich nur durch eine ins Ungemessene
gesteigerte Rüstung behaupten oder durch-
setzen könnten, ohne daß sie die furchtbare
Gefahr bemerken wollen, die sie gerade mit
dieser ungeheuerlichen Anhäufung der Zer-
störungsmittel heraufbeschwören. Obwohl die
Deutsche Friedensgesellschaft die Anschauung
der Regierung sehr wohl kennt, nach welcher
dieselbe mit einem gleichzeitigen Angriff von
Westen und einem Ansturm der durch die
Balkanstaaten verstärkten Russen rechnen zu
müssen glaubt, so sieht sie doch in der neuesten
Milliardenforderung, die an das deutsche Volk
gestellt wird, keineswegs eine wirksame Frie-
denssicherung, sondern weiß, daß die anderen
Mächte in dieser äußersten Anspannung der
deutschen Wehrkraft — ob auch mit Unrecht
— eine furchtbare Drohung erblicken, der sie
zunächst mit einem ähnlichen Aufwand für
Zerstörungsmittel begegnen zu müssen meinen,
um schließlich in der Erkenntnis, daß es so
nicht weitergehen kann, zu der Ansicht zu
gelangen, daß ein Ende mit Schrecken dem
Schrecken ohne Ende vorzuziehen sei. Sie
fordert daher alle Einsichtigen auf, mit ihr
gemeinsam gegen das ziellose Wettrüsten zu
protestieren, bis die Regierungen sich dazu
entschließen, um den Frieden auf festere
Grundlagen zu stellen, einander die Unantast-
barkeit des bestehenden Besitzstandes zu
garantieren, für den Fall der Selbstauflösung
eines Staates den einzelnen Völkerschaften
desselben das Selbstbestimmungsrecht zuzu-
gestehen, sich selbst jeder Einmischung zu
135
DIE FßlEDEN5-Nfc/AE>TE =
3
enthalten und etwaige Streitigkeiten, die trotz
derartiger Abkommen entstehen sollten, der
Erledigung auf rechtlichem Wege zuzuführen.
Es zeigt sich schon heute aufs klarste, daß
keine Nation der andern bezüglich der
Rüstungsausgaben zuvorkommen kann, da die
andern sofort mit einer ähnlichen Erhöhung
ihrer Wehrkraft i antworten; daß aber die
Teuerung der Lebenshaltung, die jetzt schon
einen exorbitanten Grad erreicht hat, durch
die starke Blutentziehung, die in der geplanten
Milliardensteuer dem Volkskörper zugemutet
wird, erhöht werden wird, dürfte jedem Kun-
digen einleuchten. Daher sollte unseres Er-
achtens dem Gedanken eines Uebereinkom-
mens näher getreten werden."
Ein offizieller Vorstoß gegen die
Kriegshetzer in der Presse.
Seitdem es eine Friedensbewegung gibt,
richtet sich der Kampf gegen die Brunnen-
vergifter der öffentlichen Meinung, deren
Geschäft es ist, durch sensationelle Nach-
richten die öffentliche Meinung zu täuschen
und jene Erbitterung zu erregen, die dem
internationalen Frieden recht gefährlich wird.
Man kennt diese Fälscher und Hetzer und
ihren verderblichen Einfluß. Bei dem gröBen
Werke der anglo-deutschen Verständigung
sahen wir sie hemmend am Werke. Lord
Churchill hat sie mit Recht „Die Wege-
lagerer der internationalen Politik" genannt.
In den Beziehungen Deutschlands zu Frank
reich spielen sie die verächtlichste und ver-
derblichste Rolle, nicht minder in den Be-
ziehungen Oesterreich-Ungarns und Italiens.
Aus dem gegenwärtigen Balkankriege haben
wir ihr trauriges Wirken noch in aller Er-
innerung. Die falschen Nachrichten über die
Ermordung des österreichischen Gesandten in
Belgrad, die Aufbauschung der Affäre Pro-
chaska, die Fälschungen über die ungnädige
Aufnahme des kaiserlichen Sondergesandten
Hohenlohe in Petersburg sind Einzelheiten
aus der Werkstatt dieser Giftmischer.
Mit Recht hat sich die anständige Diplo-
matie stets gegen jene dunkeln Ehrenmänner
gewandt, und der ehemalige österreichisch-
ungarische Minister des Aeußern, Graf
Kalnoky, hat einmal ausdrücklich die
Hilfe der Friedensgesellschaften gegen jene
Plage angerufen. Am 18. September 1892
sprach er in den österreichischen Delegationen
von der Alarmierung der öffentlichen Mei-
nung durch die Tagespresse und deren Nach-
richtendienst, „in welchem auf die Nerven des
lesenden Publikums und sogar auf die Leiden-
schaften politischer und nationaler Natur in
einer Weise eingewirkt wird, die oft heftige
Strömungen erzeugt, welche die Regierung
alle Mühe hat, zu beruhigen. Wenn die
Friedenskongresse sich mit der Friedensfrage
beschäftigen, würde ich ihnen sehr empfehlen,
dieser Tatsache ihr Augenmerk zuzuwenden
und in dieser Richtung einen heilsamen Ein-
fluß zu üben in allen Ländern, wo solches
vorkommt".
Im Jahre 1906 hat Graf Aehrenthal
in den Delegationen von jenen Unverant-
wortlichen gesprochen, die in der Presse
jeden Zwischenfall aufbauschen und die be-
gleitenden Nebenumstände übertreiben, und
1907 beklagte sich der damalige italienische
Premierminister T i 1 1 o n i über „die Zügel-
losigkeit eines Teiles der Presse", ihre „straf-
würdigen Provokationen", die „die haupt-
sächlichste, wenn nicht die einzige Gefahr für
den europäischen Frieden bilden". Aehnliche
Aeußerungen taten noch Campbell Banner-
man, Graf Bülow, Kiderlen Waechter u. a.
Die Pazifisten haben nicht erst nötig ge-
habt, die Aufforderung des Grafen Kal-
noky zu befolgen. Schon auf dem Londoner
Friedenskongreß von 1890 und auf allen
späteren Kongressen forderten sie energisch
Abhilfe gegen dieses Uebel und Einschreiten
der Gesetzgebung.
Hierzu scheint nun der erste
Schritt gemacht zu werden.
In dem Entwurf des neuen Strafgesetz-
buches, den die österreichische Regierung
dem Herrenhause vorgelegt hat, befindet sich
ein Abschnitt, der „Von der Gefährdung
des Friedens" handelt. Der darüber ein-
gefügte § 115 hat folgenden Wortlaut:
„Wer durch eine Druckschrift eine
unwahre oder entstellte Nachricht ver-
breitet, durch welche die Beziehungen der
Monarchie zu einem1 fremden Staate ge-
fährdet werden, wird mit Gefängnis oder
Haft von einer Woche bis zu einem Jahr
oder mit Geldstrafe von fünfzig bis zu
Viertausend Kronen bestraft."
Dieser Paragraph ist von der Regierung
selbst vorgelegt worden. Die juristische Kom-
mission des Herrenhauses hat in ihrem „Be-
richt" folgende Begründung dazu gegeben:
„Es ist wiederholt durch
Aeußerungen der hervorragend-
sten Staatsmänner verschie-
dener Staaten anerkannt wor-
den, daß die Gefahr für den
Frieden heute meist nicht mehr
wie früher von den Regierungen
und ihrer Diplomatie ausgeht,
deren Tätigkeit vielmehr vor-
wiegend in den Dienst der Frie-
den sbewahrung gestellt ist,
sondern von unverantwort-
lichen Elementen, die aus den
verschiedensten Motiven, aus
nationalem Fanatisimus, aus
volkswirtschaftlichen Gründen,
zum Teil aber auch aus gemein-
ster Gewinnsucht oder au
journalistischer Sensations
lust die Völker und Staate:
136
<§;
DIE FRIEDEN5-^M&RTE
gegeneinander verhetzen und
die Versuche friedlicher Bei-
legung internationaler Diffe-
renzenund Erregungder Leiden-
schaften durch Entstellungen
von Nachrichten, durch Ver-
breiten erlogener Nachrichten
stören. Dieser Gefahr sucht
§ 115 durch eine Strafdrohung
gegen diese Art der Gefährdung
des Friedens entgegenzuwirken,
indem er es als Vergehen er-
klärt, in e in er D r uck s ch r if t un-
wahre oder entstellte Nach-
richten zu verbreiten, durch
die die Beziehungen der Mon-
archie zu einem fremden Staate
gefährdet werden."
Die Feststellung wird für die pa-
zifistischen Kreise nicht uninteressant sein,
daß der Berichterstatter jener juristischen
Kommission niemand anderer als der be-
kannte Völkerrechtsgelehrte Professor
Lammasch ist, der hervorragende Mit-
arbeiter am Haager Werk und der angesehene
Richter in so vielen bedeutenden Schieds-
fällen.
In absehbarer Zeit wird das neue öster-
reichische Strafgesetzbuch Gesetz werden.
Dann wird die Propaganda einen Ausgangs-
punkt haben — eine Operationsbasis, wie
man es militärtechnisch nennt. Das Ziel
wird dann sein, den § 115 des österreichischen
Strafgesetzbuches in die übrigen Strafgesetz-
bücher einzufügen. Dies wird am besten zu
erzielen sein durch ein internationales Ab-
kommen, und zu einem solchen wird d i o
kommende Haager Konferenz die
beste Gelegenheit bieten.
A. H. F.
Brief aus denVereinigtenStaaten.
Von Henry S. Haskeil, New York.
Das nationale und das New-Yorker Komitee
zur Jahrhundertfeier des Friedens zwischen
den englisch sprechenden Völkern entfalteten
eine rege Tätigkeit für die Vorbereitung der
im Jahre 1914 stattfindenden Feier. Es wurde
vorgeschlagen, die Geschichte eines Jahr-
hunderts des Friedens von Prof. W m. A. Dun-
ning von der Columbia-Universität schreiben
zu lassen. Das Vorwort dazu soll der frühere
Botschafter James *B r y c e liefern. Ferner
wurde erwogen, ein Denkmal der Königin
Victoria in diesem Lande und eines von
George Washington in London zu errichten^
Ebenso soll ein Standbild an der Grenze zwi-
schen Britisch Columbia und dem Staate
Washington zur Aufstellung gelangen. Am
24. Dezember 1914 wird für fünf Minuten jede
Art von menschlicher Tätigkeit in den Ver-
einigten Staaten eingestellt werden. Es ist
auch beabsichtigt, eine Gedenkfriedensbrücke
über die 'Niagara- Schlucht zu erbauen.
James L. Tryon, Sekretär der Massa-
chusetts Friedensgesellschaft, hat eine Anzahl
illustrierter Vorträge gehalten, die sich auf
die beabsichtigte Jahrhundertfeier beziehen.
mb
Die Verhältnisse in Mexiko waren sehr
beunruhigend. Präsident Taft und sein Nach-
folger, Präsident Wilson, sind von inter-
essierten Kreisen gedrängt worden, zu inter-
venieren oder eine Vermittlung zu versuchen,
aber diese Vorschläge wurden beharrlich zu-
rückgewiesen. Der Sturz der Regierung des
Präsidenten Madero und der Regierungs-
antritt des General Huerta als vorläufiger
Präsident lassen aber immerhin hoffen, daß
sich eine dauerhafte Regierungsform in
Mexiko entwickeln wird, wenn es auch selbst-
verständlich erscheint, daß es große Schwierig-
keiten bereiten wird, eine solche dort einzu-
führen. Die führenden Zeitungen sprechen
von einer Intervention der Vereinigten Staaten
als von einem allerletzten Mittel und die ein-
flußreichsten Persönlichkeiten dieses Landes
sind der Ansicht, daß Mexiko allein seine Ver-
hältnisse ordnen solle, es sei denn das Leben
der in Mexiko lebenden Bürger 'der Ver-
einigten Staaten gefährdet. Finanzielle Inter-
essen fallen aber nicht genügend ins Gewicht,
um eine Intervention zu rechtfertigen.
Durch die Presse wurde ein Bericht ver
breitet, wonach die Republik Columbia sich
weigerte, die versuchsweisen Vorschläge, die
seitens des Department of State gemacht wur-
den, zwecks Schlichtung der Streitfrage über
die Anerkennung der Panama-Republik durch
die Regierung der Vereinigten Staaten anzu-
nehmen. Die kolumbische Regierung besteht
darauf, die Frage einem Schiedsgericht zu
unterbreiten. Am 25. März veröffentlichte der
Generalkonsul von New York einen an den
ehemaligen Staatssekretär <K n o x gerichteten
Brief, worin er die Wahrhaftigkeit des
Berichtes, den der Sekretär dem Kongreß am
1. März 1913 unterbreitete, bezweifelt. Es ist
nicht wahrscheinlich, daß diese Frage eine
rasche und befriedigende Lösung findet.
MB
Am 4. März leistete WoodrowWilson
den Eid als Präsident der Vereinigten Staaten!.
Es waren Gerüchte über bevorstehende Re-
volutionen in den Republiken von Zentral-
Amerika verbreitet, weil es den Anschein
hatte, als wäre Präsident Wilsons Politik
der Nicht - Intervention 'zugeneigt. Indessen
versprach das am 12. März veröffentlichte
E x p o s 6 des neuen Präsidenten eine Politik
der Freundschaft für die Republiken Latein-
Amerikas, setzte aber die freundschaftliche
Warnung hinzu, daß die Regierung der Ver-
einigten "Staaten einen Mißbrauch ihrer
Freundschaft nicht dulden würde.
137
DIE FRIEDENS -^VADTE =
^>
In den letzten Tagen hat Präsident Wil-
son den führenden amerikanischen Banken
mitgeteilt, daß die Regierung der Vereinigten
Staaten auf eine Teilnahme Ajnerikas an der
Sechs-Mächte-Anleihe in China nicht bestehen
würde. Dies gab 'Anlaß zu zahlreichen Kom-
mentaren und Kritiken. Der allgemeine Ein-
druck scheint aber der zu sein, daß es sich nur
um eine freundschaftliche Kundgebung handelt,
der in kurzer Zeit die offizielle Anerkennung
der neuen chinesischen Republik folgen wird,.
Es wäre verfrüht, eine Meinung über die
von Präsident Wilson zu erwartende Politik
zu äußern, aber man wird wohl nicht fehl-
gehen in der Annahme, daß er für eine be-
scheidene Reduktion des Tarifs, für eine all-
gemeine oder erhöhte Einkommensteuer und
für Gerechtigkeit und Wohlwollen in unseren
internationalen Verbindungen eintreten wircL
cssr
Bereits anfangs 1913 hat der Sekretär
des Präsidenten der chinesischen Republik die
Trustees der Carnegiestiftung aufgefordert,
einen Rat für die chinesische Regierung zu
ernennen. Frank Johnson Goodnow,
Professor für Verwaltungsrecht an der Colum-
bia-Universität ist dafür bestimmt worden und
wird sehr bald diesen Posten in China an-
treten. Als Dr. Charles W. Eliot im
Jahre 1912 die Carnegiestiftung in China ver-
trat, wurde die Möglichkeit einer solchen Er-
nennung zwischen ihm und dem chinesischen
Ministerpräsidenten erwogen.
MB
Am 13. Februar unterschrieben der Staats-
sekretär Knox und der Gesandte Jusse-
r a u d eine Konvention, die die Schiedsverträge
zwischen Frankreich und den Vereinigten
Staaten auf fünf Jahre verlängerte.
Charles W. Eliot, emeritierter Prä-
sident der Harvard - Universität, wurde die
Gesandtschaft am Hof von St. James an-
getragen. Er lehnte den ehrenvollen Ruf ab.
John Bassett Moore, Professor für
Völkerrecht an der Columbia - Universität,
wurde zum Rat des State Department ernannt
und wird in Abwesenheit des Staatssekretärs
William Jennings B r y a n diesen ver-
treten.
Die Frage des Panamakanal-Zolles be-
gegnet immer noch einem lebhaften Interesse.
Die einflußreichsten Zeitungen und Zeit-
schriften haben diese Frage fast täglich be-
sprochen und Widerruf jenes Teiles des Aktes
über den Panamakanal-Zoll empfohlen, der1
eine Befreiung des Zolles der amerikanischen
Küstenschiffahrt gewährt, oder zur Verweisung
der Streitfrage mit Großbritannien vor ein
Schiedsgericht geraten.
Hon. Joseph H. Choate, früher Ge-
sandter in England, stellte in einer Rede in
der Pilgrims Society in New York am 4. Fe-
bruar fest, daß er den Entwurf des Hay-
Pauncefote-Vertrags kenne, und daß es zwi-
schen Lord Pauncefote und John Hay
feststand, daß alle Nationen, mit Inbegriff der
Vereinigten Staaten von Amerika, den Kanal
unter gleichen Bedingungen benutzen könnten.
In der New York Sun vom 16. März ist ein
erschöpfender und autoritativer Bericht von
Mr. Choate veröffentlicht worden, der diesen
Gedanken Vertritt.
Das Ende der Kongreßsession brachte
keine Erledigung zu dem Gesetzentwurf des
Senators Root auf Widerruf der Befreiungs-
klausel. Es ist möglich, daß die Widerruf-
angelegenheit anläßlich der Spezialsitzung des
Kongresses, die vom Präsidenten Wilson
für den 7. April' einberufen wurde, beschleunigt
werden wird.
Am 18. März veröffentlichten 22 Mit-
glieder der Board of Trustees der Carnegie-
stiftung einen Aufruf für ein Schiedsgericht
oder Widerruf der Befreiungsklausel. Dies
wurde durch die Associated Press umfang-
reich verbreitet.
Die Massachusetts Friedensgesellschaft
nahm im Februar eine Resolution zugunsten
des Widerrufs der Befreiungsklausel an. Diese
Gesellschaft veranlaßte alle Prediger in
Neu-England, eine Predigt über
nationale Ehre am Sonntag, den
30. März zu halten, und dabei von der
Rede des Senators Root über den Panama-
kanalzoll auszugehen.
Die New Yorker Friedensgesellschaft hat
die von Robert Underwood Johnson,
dem 'Herausgeber des „Century Magazine",
am 30. Januar 1913 bei der jährlichen Ver-
sammlung der Gesellschaft gehaltene Rede
veröffentlicht und sehr stark verbreitet. Die
Rede ist eine sorgfältige Prüfung der Streit-
frage über den Panamakanalzoll und ein Auf-
ruf zu einer ehrenvollen Erledigung dieser
Frage.
Die „American Association for Inter-
national Conciliation" veröffentlichte im Fe-
bruar die Rede des Präsidenten Taft, in der
er für die schiedsgerichtliche Erledigung der
Frage des 'Panamakanalzolles eintrat und
einen sehr interessanten Artikel desselben
Inhaltes von Arnos S. Hershey, Professor
für Völkerrecht und der politischen Wissen
schaften.
Die World Peace Foundation,
Boston, übersiedelte in größere und bequemere
Räume, 40 Mt. Vernon Street. Es ist beab-
sichtigt, alle in Boston bestehenden Friedens-
organisationen in diesem Gebäude zu vereinen,
um so ein wirkliches Friedenszentrum für die
Stadt zu errichten.
Im Februar veröffentlichte die World
Peace Foundation eine Broschüre, die wich-
tige Artikel über das Werk des Roten Kreuzes
im Balkankrieg enthielt. Die Artikel hießen:
„The Wounded" von N o e 1 Buxton^ M. P.
138
e
und „Women and War" (die Frauen und der
Krieg) Von Mrs. M. St. Clair Stobart.
Edwin D. Mead, Sekretär der Foun-
dation, verbrachte die letzte Woche des Fe-
bruar in Washington und benutzte diesen
Aufenthalt zu Unterredungen mit den führen-
den Persönlichkeiten der Friedensgesell-
schaften.
Die erste Jahressitzung der New Hamp-
shire Friedensgesellschaft wurde am 27. Fe-
bruar in Manchester, N. W. abgehalten. Die
Gesellschaft besteht aus 107 Mitgliedern und
entfaltet eine außerordentlich rege Tätigkeit,
indem sie zahlreiche öffentliche Versamm-
lungen veranstaltet und wichtige Schriften ver-
breitet. Der Sekretär der Gesellschaft, Mr.
W m. W. T h a y e r veröffentlichte einen Ar-
tikel „The international Arbitration of justi-
ciable Disputes" in der „Harvard Law Review"
vom März 1913.
MB
Am 11. Februar fand in Tremont Temple
unter den Auspizien der State Federation of
Womens Club die größte öffentliche Friedens-
versammlung, die in Boston seit dem Kongreß
1904 abgehalten wurde, statt. Mrs. Henry
CoolidgeMulligan, Präsidentin derFede-
ration, eröffnete die Versammlung und Depu-
tierter Samuel W. McCall präsidierte und
sprach die einleitenden Worte. Dr. Charles
R. Brown, Dechant der Yale Divinity School,
Dr. George H. Blakeslee, Historiker
an der Clark Universität und Joseph Wal-
ker, früher Redner im Massachusetts house
of Representatives, waren die Sprecher.
Die Massachusetts Friedensgesellschaft
kündet eine Serie von Preisen an, für Essays
und oratorische Wettbewerbe an den
New England Universitäten. Die Preise gelten
für das beste Essay, dessen Gegenstand Bezug
hat auf den Ersatz eines Krieges durch das
Recht. Es sind ausgesetzt : Erster Preis 100 $,
zweiter Preis 75 $ und dritter Preis 50 9.
MB
Am 14. März wurde ein Wettbewerb
in der großen Halle der New York - City - Uni-
versität unter den Auspizien der Inter-
collegiate Peace Association ab-
gehalten. Den ersten Preis von 200 $ gewann
Edwin 'S. Murphy von der Fordham - Uni-
versität. Sein Thema war „The end and the
Means". Den zweiten Preis von 100 & ge-
wann W. D. S m ith von der Cornell - Universi-
tät. 'Mr. Murphy, der Gewinner des ersten
Preises, wird den Staat New York in einem
ähnlichen Wettbewerb der östlichen Staaten-
gruppen, der in der Laf ayette - Universität,
Easton Pennsylvania, im April stattfinden wird,
vertreten. Der letzte interstaatliche Wett-
bewerb wird bei der Lake Mohonk Konferenz
für Internationales) Schiedsgericht, 14. bis
16. Mai 1913, im Mountain House, Lake Mo-
honk, N. £., abgehalten werden.
= DIEFRIEDEN5->^ARTE
Die Zukunft der Haager
Friedenskonferenzen.^
Von Dr. Hans Wehberg in Düsseldorf.
In dem ersten Rundschreiben des Grafen
Mourawieff vom 12./24. August 1898, das
die Einberufung der großen Haager Friedens-
konferenz vom Jahre 1899 vorbereitete, ließ
der russische Zar erklären: „Que le moment
präsent serait tres favorable ä la recherche,
dans les voies de la discussion internationale,
des moyens les plus efficaces d'assurer ä
tous les peuples les bienfaits d'une paix
reelle et durable, et de mettre avant tout
un terme au developpement progressif des
armements actuels".
Die erste Haager Konferenz sollte also
nicht etwa lediglich eine Konferenz zur Fort-
bildung des Völkerrechts oder zur Regelung
irgendeiner speziellen Frage sein. Sie hatte
vielmehr ein sehr allgemeines Ziel im Auge,
nämlich die Sicherung des Friedens unter den
Völkern. Sehr treffend hat man daher auch
die erste Haager Konferenz allgemein als
„Conference de la Paix" bezeichnet, und dies
ist der historische Name nicht nur für die
erste, sondern auch für alle folgenden Kon-
ferenzen geworden. Nun konnte selbstverständ-
lich ein dauernder Friede durch die Beschlüsse
einer einzigen Staatenversammlung nicht ge-
sichert werden. Aufgabe der ersten und aller
folgenden Konferenzen mußte es daher sein,
wenigstens alle diejenigen Wege ins Auge
zu fassen, die uns dem fernen Ziele einer
friedlichen Organisation der Staatengemein-
schaft näher bringen können. Die Haager
Friedenskonferenzen haben die Aufgabe, als
Zentralpunkt der offiziellen Organisation der
Staatengemeinschaft, also einer gemeinsamen
internationalen Friedenspolitik der Mächte, zu
dienen. Ihre Aufgabe ist also, wie Professor
Schücking in seinem bahnbrechenden
Werke „Der Staatenverband der Haager Kon-
ferenzen" (1912, S. 72) klar nachgewiesen hat,
eine eminent politische. Wer behauptet, die
Haager Konferenzen seien lediglich Konferen-
zen zur Fortbüdung des Völkerrechts, der hat
die Aufgaben nicht begriffen, um deren Be-
wältigung die ganze Institution begründet
worden ist.
Machen wir uns die Aufgabe der Haager
Konferenzen als einem Mittelpunkt der inter-
nationalen Friedenspolitik klar, so vermögen
wir auch zu erkennen, daß das letzte Ziel
dieser gemeinsamen Aktion der Staaten in
keiner Weise von dem Ideal der Pazifisten
verschieden ist. Die Haager Friedenskonferen-
zen wollen, wenn man ihre Bedeutung richtig
versteht, im letzten Grunde nichts anderes er-
reichen, als was sich die bisherigen Welt-
■*) Dieser Aufsatz ist zuerst in französischer
Sprache in der „Revue Generale de Droit intern,
public" (1912, Nr. 4/5) erschienen.
139
DIE FBIEDENS-^^ÖJZTE
;§>
friedenskongresse, die Konferenzen der inter-
parlamentarischen Union, die Lake Mohonk-
Konferenzen usw. zum großen Ziele gesetzt
haben: Sie wollen nach ihren besten Kräften
alles tun, was zu dem friedlichen Zusammen-
schluß der Völker beitragen kann. Nur in
einem Punkte unterscheiden sie sich recht
erheblich von diesen zuletzt genannten Kon-
gressen. Sind sind nämlich offizieller Natur,
während alle anderen Friedensversammlungen
lediglich einen privaten Charakter tragen.
Daraus folgt, daß die Haager Konferenzen
einen unendlich verantwortungsvolleren Cha-
rakter tragen; sie sollen sich ja nicht nur
allgemein zugunsten einer Idee aussprechen,
sondern gleichzeitig eine den tatsächlichen Ver-
hältnissen entsprechende, praktisch brauchbare
Formel finden, damit eine baldige Ratifikation
der Ergebnisse ohne Gefahr von seiten der
Staaten erfolgen kann. Vergleicht man also
kurz die privaten und offiziellen Konferen-
zen zur Sicherung des Friedens miteinander,
so läßt sich am besten sagen: Das Ziel der
beiden ist dasselbe, aber die Methode ist eine
verschiedene. Die privaten Konferenzen legen
naturgemäß mehr Wert auf die scharfe Be-
tonung des fernen Zieles eines dauerhaften
Friedens; sie stellen weithin sichtbar das
schöne Ideal auf, das einstmals verwirklicht
werden soll. Anders die Staatenkonferenzen I
Sie fragen weniger darnach, was einmal in
Jahrzehnten oder Jahrhunderten erreicht
werden soll, sondern bemühen sich, festzu-
stellen, was in der Gegenwart erreichbar und
wünschenswert ist.
Ganz gewiß haben beide Methoden ihre
Vorteile und Nachteile. Geht man von der
Idee aus, daß die internationale Organisation
der Kulturstaaten ein natürlicher Vorgang ist,
der zwar gefördert, aber nicht mit einem
Male herbeigeführt werden kann, so muß man
erkennen, daß gerade die langsame und vor-
sichtige Methode der Haager Friedenskon-
ferenzen für die Erreichung des giv>ßartigen
Zieles die am besten geeignete ist. Es gilt
hier ein schönes Wort, das Professor Zorn
in der Sitzung des berühmten Schiedsgerichts-
ausschusses der ersten Friedenskonferenz am
4. Juli 1899 sprach: „Mais trop häter cette
Evolution serait compromettre le principe,
auquel nous sommes tous sympathiques".
Andererseits sind aber auch die Nach-
teile einer solchen vorsichtigen Methode nicht
zu verkennen: Geht man immer nur schritt-
weise vorwärts, dann ist die Gefahr allzu groß,
daß man schließlich das schöne Ziel aus den
Augen verliert, daß man nicht nur langsam,
sondern zu langsam, daß man nicht mehr
planmäßig, sondern ohne ein festes Pro-
gramm seine Beschlüsse faßt, die zu der fried-
lichen Verständigung der Völker nicht in dem
Maße beitragen, wie das in Wahrheit ge-
schehen könnte und müßte. Ist auch ein vor-
sichtiges Vorwärtsschreiten der Völker bei den
Beschlüssen der Haaser Friedenskonferenzen
dringend zu empfehlen und jede Uebereilung
im höchsten Grade gefahrvoll, so ist doch
eine langsame Methode sehr wohl von einer
planlosen Methode zu unterscheiden.
Prüfen wir also einmal, in welcher Weise
die bisherigen Haager Friedenskonferenzen des
Jahres 1899 und 1907 zur Befestigung des
Friedens beigetragen haben ! Da fällt zunächst
ein Punkt mit aller Deutlichkeit auf. Sehen
wir von all den indirekten Vorteilen ab, die
der internationalen Verständigung durch die
Kodifikation des Kriegsrechts erwachsen, so
haben die beiden Konferenzen nur auf zwei
Wegen eine direkte Förderung der internatio-
nalen Organisation herbeizuführen versucht,
nämlich vermittels der Schiedsgerichtsbarkeit
und der Festsetzung eines Vertrages über die
Beschränkung der Kriegsmittel und den Still-
stand der Rüstungen.
Daß diese Methode der Staatenkonferen-
zen nicht zu rechtfertigen ist, leuchtet nach
dem bisher Gesagten ohne weiteres ein. Denn
wenn die Haager Friedenskonferenzen ihre
Aufgabe als Zentralpunkt der internationalen
Friedenspolitik erfüllen wollen, so müssen sie
alle diejenigen Mittel versuchen, die für die
Gegenwart geeignet erscheinen, eine Bess-
rung der internationalen Lage herbeizuführen,
sie dürfen aber nicht willkürlich zwei Gegen-
stände herausgreifen, um alle anderen Pro-
bleme einfach zu vernachlässigen. Dies kann
um so weniger gerechtfertigt werden, als die
Rüstungsfrage ganz gewiß zu den schwierigsten
Punkten zu rechnen ist und zweifellos einige
andere Aufgaben der internationalen Organi-
sation vorhanden sind, die leichter verwirk-
licht werden können.
Um diese Behauptung zu beweisen, führe
ich im folgenden einige Programmpunkte einer
zielbewußten internationalen Friedenspolitik
auf, bemerke aber dabei schon jetzt, daß ich
diese damit durchaus nicht ohne weiteres zu
einer sofortigen Annahme den Staaten emp-
fehlen will. Ich stelle nur fest, daß alle diese
Probleme von den Staaten noch gar nicht
ernstlich in Betracht gezogen worden sind.
Am Schlüsse meines Aufsatzes werde ich dar
tun, in welcher Weise die Staaten allen diesen
Aufgaben näher treten sollen. Sehr wichtig
scheinen mir jedenfalls folgende Fragen zu
sein, die nacheinander erörtert werden sollen :
1. In erster Linie scheint mir eine Be-
seitigung der Spionage von großer Wich-
tigkeit zu sein. Was ist das für ein Wider-
spruch, daß die Regierungen einerseits feier-
lich monatelang im Haag zusammenkommen
und eine Verbesserung der internationalen
Anarchie zu erreichen suchen, dagegen an-
dererseits die Hilfe verbrecherischer Elemente,
nämlich der Spione, in Anspruch nehmen,
um die militärischen Geheimnisse des anderen
Staates zu erforschen! Darf ein Staat
Spionage vor seinem höchsten Gerichtshofe
bestrafen, wenn er selbst Personen zur Be-
140
<£
DIE FRIEDEN5->MM2XE
gehung dieses Verbrechens in einem anderen
Lande anstiftet? Erscheint hier die Idee des
modernen Staates als des Trägers von Recht
und Gerechtigkeit nicht sehr erniedrigt ?
Welche köstliche Gelegenheit wird bei jeder
Verurteilung eines Spiones den chauvinisti-
schen Organen gegeben, um die Hetze gegen
eine ausländische Regierung mit besonderem
Nachdruck fortzusetzen! Welche Beunruhi-
gung der Oeffentlichkeit entsteht jedesmal,
wenn ein Spion abgefaßt wird! Wird nicht
nach jeder solcher ruchbar gewordenen Spio-
nage die Verstärkung der Rüstungen mit be-
sonderem Eifer betrieben ? Entstehen nicht
gerade dadurch Kriegsgerüchte? Wird nicht
durch das ganze System der Spionage deut-
lich dokumentiert, daß die Staaten natür-
liche Gegner sind ? Muß aber nicht im Gegen-
teil jede Bemühung der Regierungen darauf
gerichtet sein, die Gegensätze möglichst wenig
hervortreten zu lassen? Das System der Spio-
nage bringt ferner die Furcht vor den Spionen
hervor. Alle Augenblicke lesen wir von irr-
tümlichen Verhaftungen wegen Verdachts der
Spionage. Auch dadurch entstehen oft gereizte
diplomatische Verhandlungen und Verschär-
fungen der Gegensätze.
Daher erscheint mir die Beseitigung der
Spionage eine sehr ernste und bedeutsame
Frage zu sein. Hochangesehene Männer haben
sich im gleichen Sinne geäußert. Am 1. März
1912 hat in der ,, Deutschen Juristenzeitung"
(Berlin) der Heidelberger Professor Exzellenz
Bekker eine internationale Vereinbarung
über die Beseitigung der Spionage gefordert.
Er will insbesondere, daß jeder Staat die
Spionage in gleicher Weise bestraft, ob sie
nun gegen die eigene Regierung oder gegen-
über einem fremden Staate begangen ist.
2. In zweiter Linie wäre es sehr wün-
schenswert, ein „Bureau g 6 n e r a 1 inter-
national permanent" zu errichten, das
als Zentralstelle vor allem für Informationen
wirtschaftlicher Natur zu dienen hätte und
allmählich weiter ausgebaut werden müßte.
Die Idee eines solchen Amtes ist ja zuerst
in dem panamerikanischen Bureau verwirk-
licht worden, und später hat der Luzerner
Weltfriedenskongreß von 1905 (Bulletin,
S. 108) die Errichtung eines Verwaltungs-
bureaus auf mondialer Grundlage befürwortet.
Neuerdings hat namentlich A. H. Fried,
zuerst auf der Brüsseler Generalversammlung
des Internationalen Friedensbureaus am 8. und
9. Oktober 1909, die Gründung eines solchen
Bureaus, freilich auf rein europäischer Grund-
lage, propagiert. Dieses „Bureau pan-
europ^en" sollte ein Zentralpunkt werden für
die gemeinsamen Interessen der europäischen
Staaten auf dem Gebiete der internationalen
Politik, des Handels, des Rechts, des Ver-
kehrs, der Sanitätspflege, der Wissenschaft,
der Sozialpolitik, der Landwirtschaft usw.
Fried glaubte, daß hierdurch ein lebendiger
Keim geschaffen würde, aus dem heraus sich
die Weltorganisation entwickeln könnte. Die
Brüsseler Generalversammlung, auf der her-
vorragende Männer anwesend waren, hat da-
mals den Vorschlag Frieds mit Beifall auf-
genommen. Bald darauf hat Fried eine
Reihe von Völkerrechtsjuristen um ihre Mei-
nung zu diesem Probleme gefragt, und Männer,
wie v. Bar, Graf Kamarowski, La-
band, Meili, Mi eurer, Niemeyer,
Oppenheim, Rehm, Schücking,
K o h 1 e r und Streit, haben sich, zum Teil
mit allergrößter Begeisterung, für die Errich-
tung eines solchen Bureaus ausgesprochen.
(Vgl. Friedenswarte, 1909, S. 222 ff., 1910,
S. 6 ff.). Einige der genannten Professoren
insbesondere M e u r e r und Oppenheim,
waren allerdings der Meinung, daß es vor-
teilhafter wäre, das Bureau auf rein mon-
dialer, anstatt auf europäischer Grundlage zu
errichten. Dieser Meinung möchte ich mich
mit Entschiedenheit anschließen. Wenn in
Amerika ein speziell amerikanisches Bureau
besteht, so ist dies dadurch zu erklären, daß
es in der Tat eine große Anzahl rein amerika-
nischer Fragen gibt. Dies ist in Europa keines
wegs in gleichem Maße der Fall. Aber das
wird ja später noch eingehender geprüft
werden können. Mir kommt es nur darauf
an, zu zeigen, eine wie große Sympathie sich
der Grundgedanke des Friedschen Vor-
schlages erworben hat. Am besten ergibt sich
diese Tatsache wohl daraus, daß der Regierung
der Vereinigten Staaten von Amerika ein völlig
ausgearbeiteter Antrag über die Schaffung
eines „Bureau g^neral international permanent"
mit der Bitte eingereicht worden ist, ihn der
nächsten Haager Friedenskonferenz vor-
zulegen. (Vgl. Revue Generale, 1911, S. 214 ff.
Fried hat neuerdings auf S. 81 des Jahr-
gangs 1912 der „Friedenswarte" unter dem
Titel : „Zweckverband Europa" nochmals seine
Lieblingsidee befürwortet, und dabei nicht
weniger als 34 Programmpunkte aufgezählt,
die möglicherweise dem Bureau übertragen
werden könnten.)
3. In dritter Linie wäre zu prüfen, wie
es mit den Friedensversicherungen der mo-
dernen Regierungen zu vereinbaren ist, daß
auf den staatlichen Schulen ein chau-
vinistischer Geist gepflegt wird, daß
den Schülern die Angehörigen eines anderen
Volkes als die Erbfeinde geschüdert werden,
daß weit verbreitete nationale Preßorgane und
Offiziere bei hohen nationalen Festtagen eine
herausfordernde und kriegerische Sprache
führen. Wäre es nicht die Aufgabe einer
internationalen Friedenspolitik, hier Wandel
zu schaffen, indem den Offizieren jede kriege-
rische Rede bei Strafe der Entlassung unter-
sagt, den Schülern auch die anderen Völker
in gerechter Weise geschildert und Maß
nahmen gegen allzu chauvinistische Preß-
organe gerichtet würden? Den Schülern wird
heute von Jugend auf gepredigt, in den An-
gehörigen anderer Völker den natürlichen
Hl
DIE FBIEDENS-^^DTE
3
Feind des Vaterlandes zu sehen, und dadurch
werden von vorherein alle Verständig ungs ver-
suche außerordentlich erschwert. Die chauvi-
nistischen Reden der Offiziere erregen stets die
öffentliche Meinung in hohem Grade. Am
schlimmsten sind freilich eine große Anzahl
von Preßorganen. Wenn es richtig ist, daß
die Presse heute eine ungeheure Macht im
Staate darstellt, dann muß um so mehr Für-
sorge getroffen werden, daß die Macht in der
richtigen Weise benutzt und die Volksstim-
mung dadurch nicht auf Abwege geführt wird.
Die Presse hat zur Verhütung wie zur Er-
regung eines Krieges eine ganz außerordent-
liche Gewalt in der Hand, und es müßte
sich mehr und mehr die Meinung durchringen,
daß jede Kriegshetze eine hochverräterische,
gegen die Sicherheit des Vaterlandes ge-
richtete Handlung ist.
Das alles ist so selbstverständlich, daß
man es eigentlich gar nicht zu sagen brauchte,
und doch steht die Wirklichkeit der Dinge
mit dieser idealen Forderung in geradezu
schreiendem Gegensatze. Ist es aber richtig,
daß die Aufrechterhaltung eines ehrenvollen
und dauerhaften Friedens eines der großartig-
sten Ziele der äußeren Politik ist, und daß
dieser Frieden nur durch ein gemeinsames plan-
volles Vorgehen der Regierungen erhalten
werden kann, so müssen es die Staaten als
ihre heiligste Pflicht betrachten, diesen Ver-
irrungen in ruhiger und bestimmter Weise
entgegenzutreten. Sie müssen zusammen über-
legen, welche Mittel geeignet sind, um eine
allmähliche Wandlung auf diesem Gebiete her-
beizuführen. Ganz gewiß geht das nicht mit
einem Male, und ein allzu scharfes und rasches
Vorgehen könnte nur schaden. Jahrzehnte-
lange Arbeit wird nötig sein, um den fried-
lichen Bestrebungen der Staaten in dieser Hin-
sicht eine bessere und dauerhaftere Grundlage
zu verschaffen.
Man hat von den verschiedensten Seiten
immer wieder eine Erörterung der Rüstungs-
frage befürwortet, und, wie mir scheint, mit
größtem Recht. Was aber kann auf die Dauer
allein eine Rüstungsvereinbarung nützen,
wenn auf allen Seiten fortgefahren wird, die
Völker gegeneinander zu erbittern! Haben
nicht die großen Rüstungen ihre Ursache zu
einem Teile in den Hetzereien zahlreicher
Preßorgane, der Offiziere und der chauvi-
nistischen Erziehung in der Schule ? Wie will
man also zu einem Ziele kommen, wenn man
nur an den Symptomen kuriert, ohne allen
Ursachen der großen Rüstungen energisch zu
Leibe zu gehen?
Ein sehr wunder Punkt, der zuun-
gunsten der internationalen Verständigung
wirkt, ist ferner in dem großen Einflüsse
der großen Armee- und Marine-
faibrikanten zu erblicken. Haben nicht
alle diese großen Gesellschaften ein gewaltiges
Interesse daran, daß fortwährend die Gefahr
eines Krieges besteht und infolgedessen
größere Einkäufe an Kanonen und sonstigem
Material gemacht werden. Kann man es
ihnen da verdenken, daß sie ihren großen
Reichtum und Einfluß verwerten, um auf
künstliche Weise eine kriegerische Stimmung
zu erregen? Stehen nicht zahlreiche große
Kanonenfabriken mit Zeitungen in Verbindung,
die an Chauvinismus, alle anderen Organe über-
bieten? Das Bedauernswerteste hierbei ist,
daß diese Geschäftspolitik unter dem Deck-
mantel des Patriotismus geführt wird. (Vgl.
die ausgezeichnete Schrift „Syndicats for war,
the jnfluence of the makers of war material
and of capital invested in war supplies", die
als Flugschrift im Juli 1911 von der „World
Peace Foundation" in Boston herausgegeben
wurde.)
Muß man nicht auch hier feststellen, daß
es mit der modernen Friedenspolitik der
Mächte unvereinbar ist, daß diese großen Ge-
sellschaften fortwährend zum Kriege schüren?
Also müssen doch wohl Mittel und Wege
gesucht werden, die diesem Treiben ein Ende
machen. Am 20. Februar 1912 hat der Abge-
ordnete Dr. David im deutschen Reichs-
tage eine Reichsregie über die Militärindustrie
gefordert*).
5. Bereits vier Weltfriedenskongresse (bul-
letin du IV. congres, 1892, S. 89, 94—98;
du VI. congres; 1894, S. 74; du XIV. con-
gres, 1905, S. 78, 79; du XVI. congres 1907
S. 81) haben sich mit Recht für ein Verbot
der Unterstützung der Kriegsan-
leihen durch die Neutralen ausge-
sprochen. Insbesondere die Franzosen Pro-
fessor R i ch e t und Professor R u y s s e n sind
dafür eingetreten. In der Tat scheint mir
bereits die Emmission solcher Anleihen in den
neutralen Staaten gegen die Grundsätze der
Neutralität izu sein. Wenn alle Staaten ein
Interesse an der baldigen Beendigung eines
Krieges haben, wie dürfen sie dann die Par-
teien oder eine von ihnen finanziell unter-
stützen? Bemerkenswert ist, daß vor dem
Balkankriege einigen Staaten des Balkan-
bundes keine Anleihen von neutraler Seite
gewährt wurden.
6. Wenn eine planmäßige internationale
Friedenspolitik getrieben werden soll, dann
müssen Anstrengungen gemacht werden, daß
in den Kreisen des Volkes ein größeres Ver-
ständnis für diese Politik vorhanden ist. Vor
allem müßte also auf den nationalen Uni-
versitäten die Bedeutung der Haager
Friedenskonferenzen eingehend gewürdigt
*) Ich bin mir völlig bewußt, daß wenigstens
augenblicklich viele der hier gemachten
Vorschläge undurchführbar sind. Aber es ist
nötig, bereits heute auf die Probleme der
nächsten Zeit hinzuweisen.
142
@:
DIE FRIEDEN5-,^4M2TE
werden. Das ist aber bisher nur sehr vereinzelt
geschehen. In Deutschland sind meines
Wissens nur von Professor Schücking
regelmäßig solche Vorlesungen eingerichtet
worden. Auch in Amerika hat man die Stu-
denten in das Haager Werk eingeweiht. So
ist z. B. das hoch bedeutende Werk Scotts
„The Hague Peace Conferences" aus einer
Vorlesung entstanden. Uebrigens ist hervor-
zuheben, daß sich die zweite Haager Kon-
ferenz ganz vorübergehend mit dem Projekte
eaner internationalen Universität beschäftigt
hat.
(Schluß folgt.)
Die gesellschaftlichen Verbände
der Menschheit.
Von Dr. phil., jur. et sc. pol. G. G r o s eh.
Ueber die Vergesellschaftung der Men-
schen hat sich Kant prinzipiell dahin ge-
äußert: „Der Mensch hat eine Neigung, sich
zu vergesellschaften, weil er in einem
solchen Zustand sich mehr als Mensch, d. i.
Entwicklung seiner Naturanlagen, fühlt. Er
hat aber auch einen großen Hang, sich zu
vereinzelnen, weil er in sich zugleich die
ungesellige Eigenschaft antrifft, alles bloß
nach seinem Sinne richten zu wollen und daher
a Herwärts Widerstand erwartet, so wie er von
sich selbst weiß, daß er seinerseits zum Wider-
stand gegen andere geneigt ist."
Dieser Antagonismus durchzieht in der
Tat überhaupt das Gesellschaftsleben der Men-
schen. Von Natur aus sicher dazu veranlagt,
in Vereinzelung zu leben, hat der Mensch sich
zur Geselligkeit durchgefunden; während der
Naturzustand das „bellum omnium contra
omnes" auch für den Menschen war, nur
innerhalb der Menschenfamilien der Frieden
herrschte, hat sich der Mensch mittels der
Vergesellschaftung zum Rechtszustand
durchgerungen. Der Mensch ist nicht von
Natur ein Gesellschaftswesen, wie Aristoteles
behauptet, sondern er ist dies erst geworden,
bewußt: die Vergesellschaftung ist die
Großtat des Geschöpfes Mensch, auf der das
spezifische Menschtum beruht. Gezwungen
durch die Not, „und zwar die größte unter
allen, nämlich die, welche sich Menschen
untereinander selbst zufügen, deren Neigungen
es machen, daß sie in wilder Freiheit nicht
lange neben einander bestehen können," haben
die Menschen sich vergesellschaftet, haben sich
die unter der Autorität des Mannes stehenden
Familien zusammengeschlossen.
Der Zweck des gesellschaftlichen Lebens
ist das auf Bedürfnisbefriedigung gerichtete
Zusammenwirken der innerhalb der betr. Ge-
meinschaft Stehenden; durch die Vergesell-
schaftung wollen die einzelnen ihre Lebens-
zwecke völlig erfüllen, ihre Bestrebungen voll-
ständig durchführen. Die Form ist die
weise durchgeführte Regelung ihres Neben- und
Miteinanderlebens in Frieden.
Jede Gemeinschaft von Menschen hält in
ihrem Innern den Frieden aufrecht: das ist
ihr Charakteristikum. Ursprünglich entschied
die rohe Gewalt, das sogen. „Recht" des
Stärkeren, woraus das „bellum omnium contra
omnes" resultierte, das heute noch im Krieg'
besteht. Das gerade wird innerhalb der Men-
schengesellschaft vermieden. In dieser leben
und wirken die Menschen friedlich nebenein-
ander und betreiben ohne stete Störung bzw.
Bedrohung gewalttätiger Art ihre Lebens-
geschäfte. Indem sie so selber die Befriedi-
gung dessen, was sie bedürfen, am besten er-
langen, und indem sie selber nach aller Mög-
lichkeit schaffen und streben, fördern sie
auch die Gemeinschaft. Somit stehen der
einzelne und die Gesellschaft im
innigsten. Konnex. Diese ist der einzelnen
wegen da, sie hat im Interesse jedes einzelnen
ihren Bestand aufrechtzuerhalten. Der ein-
zelne hinwiederum gleicht außerhalb der Ge-
sellschaft einem losen Blatte im Wrinde: es
ist für ihn ein Erfordernis, daß er in einer
solchen befriedeten Gemeinschaft stehe; alles,
was er ist und hat, dankt er derselben; er
ist Mensch nur innerhalb einer solchen.
Freilich, sehr langsam haben sich diese
Gemeinschaften gebildet, nur allmählich hat
sich der Mensch der Vergesellschaftung ge-
fügt und sich ihr angepaßt.
Die Entstehung derselben liegt im Dunkel ;
soweit historisches Licht auf diese Verhält-
nisse fällt, finden wir überall den Menschen
als Gesellschaftswesen. Doch müssen wir nicht
nur logisch und soziologisch einen Zustand
annehmen, in dem die Menschen, als geson-
derte Familien, in stetem Kampf miteinander
gelebt haben, sondern schon aus der einfachen
Erwägung heraus, daß wir sonst aus früheren
Zeiten etwas wissen müßten. Denn unser histo-
risches Wissen hängt mit der Vergesellschaf-
tung aufs innigste zusammen ; es reicht aber
nicht allzu weit zurück; folglich ist auch die
Vergesellschaftung der Menschen nicht allzu
weit zurück zu datieren; und vor derselben
lebten die Menschen in gesonderten, einander
feindlichen Familien. Daß wir jetzt überall
den Menschen als geselliges Wesen antreffen,
dafür haben wir nur die Erklärung, daß sich
die Gattung Mensch eben nur als gesellschaft-
liches Lebewesen erhalten konnte. Die Men-
schen, die im Naturzustande blieben, sind
verschwunden; sie sind vor denen gewichen,
die sich vergesellschaftet hatten, wie die nie-
deren Gesellschaften noch heute den höheren
weichen müssen. —
143
DIE FßlEDENS-^k^&ßTE
3
Die Keimzelle aller Vergesellschaftung ist
die Familie. Einzelne Familien, in denen
der Vater der über alles gebietende Herr ist,
hausen nebeneinander, gegeneinander; sie
fügen sich gegenseitig alle mögliche Unbill
zu. Es besteht ein „struggle for life", ein
Kampf um die besten der natürlichen Futter-
plätze, in welchem nur die Kräftigsten leben
bleiben. Es ist das der Naturzustand der
Gattung: Mensch, dessen Möglichkeit sich
sicher nicht bestreiten läßt, wenn wir von
metaphysischen Spekulationen absehen.
Dieser Naturzustand ist vom Menschen
überwunden worden.
Bei der Nahrungssuche schart man sich
gelegentlich1, „zu kleinen Rudeln oder zu
größeren Herden zusammen, bald trennt man
sich wieder, je nachdem die Weide oder der
Jagdgrund ergiebig ist. Aber diese Vereini-
gungen werden nicht zu Gemeinschaften; sie
erleichtern dem einzelnen nicht die Existenz".
Es ist das die Horde, eine Anzahl von ein-
zelnen Menschen, vielleicht ein paar Fa-
milien darunter, die sich zusammenfinden
und trennen, wie es gerade geht. Bis zu
dieser Stufe, die über die individuelle Nah-
rungssuche nicht hinausgeht, gelangen
manche Tierarten ebenfalls. Sie hat mithin
noch nichts, was* nur dem Menschen eigen-
tümlich wäre.
Dagegen das nächste Stadium! Es ist
das die Epoche der Sippe, um sie mit dem
gemeingermanischen Namen zu belegen. Mit
ihrer Konstituierung hebt die Menschheits-
geschichte an, beginnt das Menschtum, die
Kultur. Unter Sippe ist zu verstehen : eine
Vereinigung von Familien, die gemeinschaft-
lich die Wirtschaft betreiben, deren Männer
zu Schutz und Trutz zusammenstehen, und
unter der Leitung eines gemeinschaftlichen
Oberhauptes die äußere Regelung des Gemein-
schaftslebens festsetzen und aufrechterhalten.
Die Sippe ist also eine organisierte Men-
schengesellschaft, ist der Typus einer Men-
schengesellschaft.
Die Horde charakterisiert sich nur als
Uebergangsstufe; dagegen stellt die Sippe
eine echte Vergesellschaftung dar. Man kann
sie als eine Erweiterung der Familie be-
zeichnen; wenigstens hat diese das Vorbild
dazu gegeben: die Sippe gilt unter ihren
Gliedern als eine große Famüie. Nur hat sie
eben die Besonderheit, daß nicht einzelne,
sondern Familien in ihr zusammengeschlossen
sind, woraus dann die mannigfachsten Kon-
sequenzen sich herleiten.
Zur Erklärung dieses Zusammenschlusses
hat man den Begriff des Gesellschaftsvertrags
aufgestellt. Ueber ihn urteilt noch Kant, er
sei kein Faktum, sondern eine bloße Idee der
Vernunft, die aber ihre unbezweifelte (prak-
tische) Realität habe. Indes, die Vergesell-
schaftung der Menschen ist eine bloße Tat-
sache, ohne vertragsmäßige Festsetzung Ist
sie entstanden. Erst zu ihrer Aufrechterhaltung
144
ist das Recht geschaffen worden ; ohne Recht
keine Gesellschaft und umgekehrt. Das Recht
ist der Inbegriff der Regeln, deren Beobach-
tung von den zu einer Gemeinschaft Zusammen-
geschlossenen erzwungen wird, um die Auf-
rechterhaltung ihrer Gesellschaft zu gewähr-
leisten. Das Recht wechselt mit den Kultur-
stufen, es gibt kein allgemein gültiges Recht ;
doch hat jede Menschengesellschaft ihr Recht.
Der Komplex der Rechtsnormen bildet das
Minimum dessen, was eingehalten werden
muß, daß die betreffende Gesellschaft ihre
Integrität bewahre.
Ein Bild von der Sippe nun gewinnen wir,
vor allem, wenn wir die reinen Sippen ins
Auge fassen, aber auch die, welche sich unter
höherer (Stammes- oder Staats-) Ver-
fassung noch erhalten haben. Die Sippe ist
eine Institution, die sich über die ganze Erde
verbreitet findet; sie ist vornehmlich zu be-
trachten als das erste Stadium menschheit-
licher Vergesellschaftung, durch das jede Ge-
meinschaft hindurch mußte, ehe sie zu einer
höheren Stufe gelangen konnte.
Hier tritt die fundamentale Gegensätzlich-
keit ein zwischen Mensch und Tier. Dieser
Unterschied besteht — rein empirisch — darin,
daß das letztere sich der Natur und ihren
Bedingungen nach Möglichkeit anzupassen
sucht, während der Mensch infolge des Zu-
sammenschlusses mit Seinesgleichen, also ge-
stützt auf die Vergesellschaftung, die Natur
meistert.
Das gilt auch für die nächsthöhere Stufe,
für den Stamm. Was den Stamm von der
Sippe unterscheidet, das ist der Umstand, daß
jener nicht aus Familien nur besteht, sondern
daß sich dazwischen noch eine andere In-
stitution einschiebt: die Sippe, die wir hier,
bei höherer Verfassung also, Clan nennen
wollen. Die Lage ist demnach die, daß
mehrere Familien unter einem Oberhaupt einen
Clan bilden und mehrere Clans wiederum zu
einem Stamme zusammengeschlossen sind. Der
Stamm ist mithin eine organisierte Clan-
vereinigung.
Es herrscht über diese Perioden der
Menschheitsgeschichte, über diese spezifisch
menschheitlichen Jnstitutionen noch ein ziem-
liches Dunkel, das erst durch die vergleichende
Geschichts- und durch die Gesellschaftswissen-
schaft aufgehellt werden muß. Wir wollen uns
mit der angegebenen Charakteristik des
Stammes begnügen ; danach stellt er mehr eine
Uebergangsstufe dar, nämlich zum Staate.
Was den Staat als gesellschaftliche Bil-
dung von seinen Vorstufen unterscheidet, das
ist die enge Verknüpfung mit dem Gebiet.
Die streifenden Horden und Sippen kennen
das nicht; ebenso sind die Stämme noch un-
stet und schweifen landauf, landab, wandern
häufig in ihrer Gesamtheit in andere Gegen
den. Dagegen ganz anders beim Staate.
Eine Menschen Vereinigung ist dann als
Staat zu charakterisieren, wenn sie als solche
<§=
DIE FRI EDENS -^fc/ÄBXE
auf bestimmt abgegrenztem Gebiet sässig ge-
worden ist. Der Staat ist „eine auf einem
abgegrenzten Teil der Erdoberfläche seßhafte,
mit einer herrschenden Gewalt versehene und
durch sie zu einer Einheit zusammengefaßte
Vielheit von Menschen", von Familien.
Der Staat leistet alles besser, als seine
Vorinstitutionen, aber im Grunde ist er eine
Gesellschaft ganz wie Sippe und Stamm.
Die hauptsächlichsten Modifikationen ema-
nieren aus der Verknüpfung von Gesellschaft
und Gebiet, weiter aus dem damit im Zu-
sammenhang stehenden Umstand, daß die be-
wohnbare Erde — vornehmlich auch mittels
der Kolonisation von Seiten der Staaten — im
Besitz von diesen ist.
Zunächst herrschte zwischen ihnen der
Naturzustand, ganz wie zwischen den Men-
schenfamilien der Urzeit. Aber ein solcher
konnte auf die Dauer nicht bestehen. Die
Staaten waren ja gerade dadurch entstanden,
daß die Menschen den Naturzustand über-
wunden hatten. Den Staaten war es darum
gewissermaßen immanent, auch außerhalb
ihrer Grenzen das Recht (Völkerrecht) walten
zu lassen, da es innerhalb derselben geschah.
Auf diesem Weg, der nach dem Zu-
sammenbruch der Weltmachtsbestrebungen
eingeschlagen wurde, ist man, — also seit
Jahrhunderten schon — fortgeschritten. Und
die Menschheit ist zurzeit dabei, die Befrie-
dung der Staaten durchzuführen, die Staaten-
organisation, die Staatenge meinde
aufzurichten. Der Staat ist nicht die Voll-
endung menschheitlicher Vergesellschaftung,
sondern deren Bekrönung, das Ziel der Mensch-
heitsgeschichte überhaupt wird die organisierte
Staatengesellschaft sein — auch sie ist im
Grunde genommen dasselbe, was die Sippe ge-
wesen ist, nur über die ganze Menschheit aus-
gebreitet.
n RANDGLOSSEN EI
ZUR MITGESCHICHTE
Von Bertha v. Suttner.
Wien, 12. April 1913.
Die Weltgeschichte hat bisher eine Unzahl
von Kriegen zu verzeichnen gehabt: biblische,
punische, persische, römische, germanische,
napoleonische usw. bis zu den balkanischen,:
Religionskriege, Eroberungskriege, Kabinetts-
kriege, Rassenkriege — das Ringen spielte sich
um Länderstrecken, um Glaubensbekenntnisse,
um alles mögliche ab — aber das gewaltigste
Ringen, von dessen Ausgang das künftige
Schicksal der Menschheit abhängt, das findet
in unserer Gegenwart statt — ohne daß die
Zeitgenossen es recht gewahr werden — , näm-
lich der Kampf zwischen der alten Gewalt-
und der neuen Rechtsordnung. Krieg und
Frieden liegen einander in den Haaren. Das
Ende des Feldzugs ist nicht zweifelhaft; der
Krieg mag noch manche Schlacht gewinnen ;
aber der Frieden, der durch die naturgesetz-
mäßige Entwicklung zur Organisation und zum
Zusammenschluß langsam aber sicher immer
neue Positionen gewinnt, immer größere Ge-
biete erobert, muß schließlich Sieger bleiben:
„Per orbem terrarum humanitas unita", wie
der Wahlspruch der „Union des Associations
Internationales" heißt. Für die Kurzsichtigen
ein gar nicht wahrnehmbares Ziel — für das
visionskräftige geistige Auge aber funkelt es
schon klar und hell am Zukunftshorizont.
MB
Im Lichte dieser abstrakten Anschauungen
lassen sich die konkreten Fälle, die sich über-
stürzenden Ereignisse der letzten Wochen be-
trachten, da erscheinen sie alle als die Phasen
des sich vollziehenden Prozesses. Da ist vor
allem die Entstehung von „Europa" als poli-
tischer Begriff. Als der Begriff einer Ein-
heit, die ihren Willen über Länderverteilung,
Grenzregulierung, Feindseligkeitseinstellung
und Friedensbedingungen geltend macht. Und
zwar nicht mehr länger durch bloße diplo-
matische Noten, sondern durch ihre vereinigt
demonstrierenden Flotten. Und so wie der
Begriff „Europa" als politische Person in die
Tagespresse eingeführt wurde, so erschien da
auch dieses neue Wort : „europäische Friedens-
polizei". Beides funkelnagelneue Erschei-
nungen in der tatsächlichen Gestaltung der
Dinge, beides uralte Forderungen des Pazi-
fismus. Dreibund und Dreiverband als .Sechs-
union — was wollten wir denn mehr? — was
war es anderes, das Novicow in seiner „Föde-
ration de TEurope" als Sicherung des
Friedens hinstellte, was von der Mitwelt als
unmöglicher Traum verlacht und ignoriert
wurde und was jetzt im Mittelmeer greifbar
vorhanden ist?
Freüich ist diese Union nur eine tem-
poräre, provisorische; aber warum sollte sie,
nach dem herrlichen Ergebnis, das sie hatte —
die Verhütung des Weltbrandes — , sich nicht
als positiv und dauernd einsetzen? Die Vision
von ihrem Nutzen und ihrem Segen ist durch
diese — wenn auch nur momentane — Verkörpe-
rung zu deutlich geworden, als daß die Forde-
rung nach ihrem vertragsmäßigen Bestand sich
nicht immer lauter und immer allgemeiner er-
heben sollte. Wenn die Einigung der Groß-
mächte in dieser Krisis nicht zustande ge-
kommen wäre, wenn das alte, hochmütig belli-
zistische System, daß jeder Staat einzeln für
seine „vitalen" Interessen handeln muß, die
Oberhand behalten, wenn auch nur ein
Staat sich von dem Konzert losgesagt hätte,
so wäre das denkbar höllenhafteste Unglück
hereingebrochen, daß die Millionenheere und
Riesenflotten der beiden Mächtegruppen zu
gegenseitiger Zerfleischung und Vernichtung
losgelassen worden wären. Ehre und Ruhm
HS
DIE FRIEDENS -NVABTE 5
£>
sei den Staatsmännern und den hinter ihnen
stehenden Staatsoberhäuptern, die diesen,
wenn auch nur ad hoc geltenden Zusammen-
schluß bewerkstelligt haben.
Zu beklagen ist es, daß die einmütige
Aktion der Mächte, die dem Balkankrieg ein
Ende gebietet, nicht viel früher eingesetzt hat
und so das Tod- und Zerstörungswerk über-
haupt verhindert hätte, das nun über ein halbes
Jahr den Balkan verwüstet und Europa in
Mitleidenschaft gezogen hat. Ich rnuß immer
wieder an das Wort Tafts denken, das er
bei der Einweihung des Palastes der Pan-
american Union gesprochen hat: „Wir wollen
nicht eher ruhen, wir 21 Republiken, als bis
wenn zwei davon miteinander raufen wollen,
die 19 anderen sie daran verhindern." Wenn
Europa es will, es fest und ernstiich will, so
wird der Balkankrieg der letzte Krieg auf
europäischem Boden gewesen sein. Daß es je-
doch noch Viele gibt in Europa, die den Krieg
wollen, ihn fest und ernstlich wollen, das
wissen wir Pazifisten nur zu gut.
Und nun, während so eifrig in allen Staats-
ämtern und Botschafterreunionen daran ge-
arbeitet wurde, den Frieden zu retten, während
überall Entspannungen sich fühlbar machten,
Vorschläge zu Verständigungen auftauchten,
Kundgebungen gegen den Krieg — darunter
eine höchst bedeutungsvolle im Elsaß — statt-
fanden, während noch hundert Schwierigkeiten
überwunden werden mußten, man alle Hände,
alle Köpfe und alle Herzen voll zu tun hatte,
um die balkanischen Wirren zu klären und die
europäischen Gefahren abzuwenden, platzte
plötzlich die deutsche Milliardenwehrvorlage
herein — augenblicklich beantwortet mit der
französischen Wiederaufnahme der dreijährigen
Dienstzeit. Als ob Hannibal schon vor den
Toren stände! Ein paroxistischer Anfall des
noch immer zunehmenden epidemischen Wahn-
sinns.
Die große Rede, mit der der deutsche
Reichskanzler die neue Vorlage begründet hat,
eröffnet ganz merkwürdige und für uns Pazi-
fisten sogar erfreuliche Ausblicke. Vor allem
ist der Ton zu loben, der keine trotzige
Drohung enthält. Dann wird konstatiert, daß
zwischen England und Deutschland die Be-
ziehungen sich vertrauensvoll und freundlich
gestalten; ferner, daß die Gefahren gegen die
man sich vorsehen muß, nicht von der fran-
zösischen Regierung und nicht vom fran-
zösischen Volke, auch nicht von der russischen
Regierung noch dem russischen Volke zu ge-
wärtigen seien, sondern von dem in fran-
zösischen Chauvinistenkreisen verstärkt hervor-
brechenden Revanchelärm und von der leiden-
schaftlichen panslawistischen Agitation, die in
Rußland offen verkündet, daß die slawische
Rasse gegen die germanische Rasse den Kampf
aufnehmen will. (Daß es auch alldeutsche
Kriegshetzer gibt, vergaß der Herr Kanzler zu
erwähnen); deutlich und klar ist also hier
der Herd der Kriegsgefahr angegeben: die
chauvinistisch-nationalistischen Hetzer aller-
orten. Und diese sollten Regierungen und
Völker nicht abwehren können? Weil diese
Mißtrauen säen, prahlen und drohen, sollen
die Regierungen sich auf den Krieg vor-
bereiten und damit den Chauvinisten der
andern Völker wieder Nahrung zu neuer Haß-
und Mißtrauensverbreitung geben? Darum
sollen die Völker — die ja den Krieg nicht
wollen — sich in Rüstungen verbluten ? Nein,
was not tut, um den Kriegsparteien entgegen-
zutreten, ist in jedem Lande die Bildung einer
Friedenspartei, die auch offen und laut für
die Verständigung und Verbündung der Staaten
eintritt, und die Regierungen müssen (wenn
ihr so oft verkündeter Friedenswille auf-
richtig ist) diese Partei als Regierungspartei
anerkennen und womöglich zu ihrer Unter-
stützung — Friedensministerien schaffen. Die
Sozialisten sind Kriegsgegner ; sie demon-
strieren und handeln zugunsten der Völker-
verbrüderung, haben auch gegen die neuen
Forderungen in Deutschland und Frankreich
tapfer protestiert, aber weil sie zugleich andere
Ziele verfolgen, hält man ihren Pazifismus
nur für ein Mittel zum Zweck. Ihre Stimme
ist im Parlament nicht ausschlaggebend. Aber
ihr Einfluß zur Dämpfung der Kriegs-
treibereien ist doch gewaltig. Ihr Verhalten
gibt den Beweis, daß im Volke Millionen
von Menschen leben, die von Massenschläch-
tereien nichts mehr wissen wollen, die gegen
die anderen Völker keinerlei Haß mehr auf-
bringen können.
Noch ist das Wehrgesetz nicht an
genommen. Es wird noch darüber verhandelt
und zugleich wird schon die Deckungsfrage
erörtert. Das sollten diejenigen, die gegen das
Gesetz selber sind, gar nicht tun. Kaninchen,
die den Mut fänden, dagegen zu protestieren,
daß sie verspeist werden, müßten sich nicht
in Verhandlungen darüber einlassen, in welcher
Sauce sie eventuell zubereitet sein wollen.
im
Marineminister Churchill hat den Vorschlag
gemacht, die englische und deutsche Marine
mögen ein Jahr im Weiterbau pausieren. Die
Sache wurde als „nicht konkret" beiseite ge-
schoben. Nun wird, wie es heißt, Mr. Chur-
chill nach Berlin reisen und „Konkretes" vor-
bringen. Der Widerstand der Rüstungsinter-
essenten wird sicher sich fühlbar machen. Im
Wettlauf ist auch nur eine Minute stille-
stehen unangebracht. Es könnten zwei oder
drei Minuten draus werden, oder gar eine
Verminderung der Schrittlänge aufkommen.
Nur weiter, weiter, weiter, nur immer schneller,
schneller — der Abgrund lockt zu sehr.
■
146
<§n
= DIE FRIEDENS -^MÄRTE
Hoffentlich kommt er doch noch rechtzeitig,
derjenige — sei es nun ein Mensch oder ein
Volk oder ein zwingender Umstand — . dem
ein gebieterisches „Halt!" gelingt.
HS»
Eines der wichtigsten Ereignisse in der
gegenwärtigen Krise war der Sieg Sasonows
über die russische Kriegspartei. Und seine
abgegebene Erklärung: „Rassenverschieden-
heit bedeutet noch nicht Rassengegensatz"
wird hoffentlich, weil von so hörbarer Stelle
und in so entscheidender Stunde gesprochen,
in das allgemeine Verständnis dringen und
die fatalistisch-resignierte Idee verscheuchen,
daß es ja zwischen den Slawen und Deut-
schen, zwischen den Gelben und Weißen usw.
doch einmal „zur Auseinandersetzung kommen
muß". In der Tat ja: Auseinandersetzung
tut not. wo Streit und Mißtrauen herrschen,
aber eine ganz andere als mit Kolbenschlägen.
MB
Letzter Akt; (hoffentlich) letzter Auftritt.
Die Bühne stellt eine felsige Gegend vor;
ferner Kanonendonner.
Eine Stimme : Skutari oder den Tod !
Zweite Stimme : Wie wär's um 20 Mil-
lionen ?
Erste Stimme: Na, . . darüber ließe sich
diskutieren . . .
MB
Der König von Griechenland ist ermordet
worden, mitten in seiner Siegesfreude. Seine
letzten Worte beinahe waren ein Ausdruck
der Genugtuung, daß ein Deutscher Dread-
nought ihm Salutschüsse darbringen werde.
Und da fiel der Schuß aus Mörderhand. Ein
Blatt meldete das Verbrechen mit den Worten :
,,, Etwas Häßliches ist auf den Krieg gefallen".
Häßlich — ja; traurig — gewiß; unentschuld-
bar — sicherlich; aber der obige Satz klingt
doch wie: „Etwas Nasses ist auf die See
gefallen".
In China ist das Parlament fcröffnet worden.
Was beginnt da für eine Aera in dem Reich
der Mitte, das uns als das Urbild tausend-
jährigen Stillstands galt? Als ob es Stillstand
überhaupt gäbe!
PAZIFISTISCHE CHRONIK
11. März. Die teilweise Demobilisierung
der österreichisch - russischen Grenze wird
durch ein identisches Communique' beider Staaten mit-
geteilt.
12. März. Fürst Lichnowsky, der deutsche
Botschafter in London, sprach im Verständi-
gungssinne bei einem Festmahl der Vereinigten
Londoner Handelskammern.
12. März. Grosse Friedensversammlung
in Mülhausen unter Teilnahme aller Parteien.
Gegen die Revanche- Chauvinisten, gegen den
Krieg, für Lösung der Völkerstreitigkeiten auf fried-
lichem Wege.
14./ 15. März. Sitzung des Rats des Berner
internationalen Friedensbureaus in Bern.
Erlass eines internationalen Aufrufs gegen die
Rüstungen.
Mitte März. Der Verband der Deutschen
Friedensgesellschaft richtet on den Reichs-
kanzler eine Eingabe, worin darauf hingewiesen
wird, dass die neuerlich enorme Belastung
durch die neuen Rüstungsforderungen nicht zu
dem erwarteten Ziel eines dauernden Friedens fuhren
werde.
Mitte März. Der Prinz von Wales tritt eine
Studienreise nach Deutschland an.
15. März. Die Trustees der Carnegie-
stiftung treten in einem öffentlichen Aufruf für
die schiedliche Erledigung des anglo-ameri-
kanischen Panamakanal-Streites ein.
18. März. Sitzung des Interparlamentari-
schen Rats in Brüssel.
19. März. Der Ordensrat des Grand-Orient
von Frankreich erlässt ein Manifest gegen die
Rüstungen und für den Frieden.
23. — 30. März. 350 französische Kaufleute
bestechen Berlin und die Leipziger Messe.
24. März. Der Parteitag der franz. Sozial-
demokratie verwirft in einer Resolution die drei-
jährige Dienstzeit und tritt für die deutsch-franz.
Verständigung ein.
26. März. Lord Churchill macht im Unter-
hause bei Einbringung des Flottenetats den Vor-
schlag, dass Deutschland und England ein
Jahr lang überhaupt keine Schiffe bauen.
26. März. Erstürmung Adrianopels aus
Gründen des militärischen Prestiges. Sir
Edward Greg bezeichnet es im Unterhause als
„unnützes Gemetzel".
27. März. Deutsch-italienisches Abkommen
über Arbeiter Versicherung.
28. März. Veröffentlichung der grossen Heeres-
vorlage in Deutschland. Vermehrung um
4000 Offiziere, 15 000 Unteroffiziere,
116 965 Mann, 27 000 Pferde. Ausbau der
Festungen und der Luftflotte. 900 Millionen
Mark einmalige, 190 Millionen Mark neue
dauernde Ausgaben.
29. März. Beginn einer internationalen
Flottendemonstration gegen Montenegro.
Uebemahme des Kommandos durch den englischen
Admiral.
30. März. Auf dem in Montpellier tagenden
Mutualistenkongress hält Eürst Albert von
Monaco eine pazifistische Rede.
30. März. Erneute grosse Friedensver-
sammlung in Mülhausen im Elsass, an der
Fortschrittler, Zentrumsleute und Sozialisten sich ge-
meinsam beteiligten. Gegen die Rüstungen,
gegen den Krieg, für internationale Ver-
ständigung.
31. März. In dem franco-italienischen
Streitfalle über die „Carthage" '- „Manouba" '-
147
DIE FßlEDENS-^^BTE =
:3
Affäre findet vor dem Haag er Hof die erste Ver-
handlung statt.
Anfangs April. Prinz Heinrich von
Preussen in London.
4. April. In München starb Prof. Ritter
Emanuel v. Ullmann, der erste Vorsitzende des
Verbandes für internationale Verständigung.
6. April. Die Berliner Sozialdemokratie pro-
testiert in 61 Volksversammlungen gegen die
neue Wehrvorlage.
8. April. In Peking tritt das chinesische
Parlament zum erstenmal zusammen.
10. April. Ein Komitee von schweizer Politikern
beruft für den 20. April nach Bern eine Konferenz
deutscher und französischer Parlamentarier
ein zwecks Anbahnung eines besseren Ver-
ständnisses beider Völker.
10. April. „Im Namen der internationalen
Flotte, welche die Grossmächte von Europa
vertritt", verkündet der englische Admiral Cecil
Burney, als „Kommandierender der inter-
nationalen Flotte'', die über die albanische Küste
verhängte Blockade.
10. April. Im elsass-lothringischen Land-
tag protestierten mehrere Abgeordnete gegen den
Chauvinismus in Deutschland und Frank-
reich und gegen den Gedanken an einen Krieg.
DAUS DER ZEITO
Völkerrecht.
Vom Haager Schiedshof. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Der Verwaltungsrat des ständigen Schieds-
hofs veröffentlicht soeben seinen 12. Jahres-
bericht über die Arbeiten des Hofes und die
Punktion der Verwaltung während des Jahres
1912. Der Bericht, der den Kegierungen erst
am 26. März 1913 überreicht, wurde, ist in den
Takten bis zu diesem Tage berichtigt.
Daraus ergibt sich zunächst die betrübende
Tatsache, daß die Haager Abkommen von 1907,
die von 44 Staaten unterzeichnet wurden, bis-
lang nur von 24 Staaten ratifiziert worden
sind. Von europäischen Staaten haben bisher
Italien und sämtliche Balkanstaaten, mit Aus-
nahme Bumäniens, nicht ratifiziert. Im Jahre
1912 sind drei Schiedsfälle entschieden bzw.
anhängig gemacht worden. Es sind dies der
Canevaro-Fall zwischen Italien und Peru,
der Indemnitätsstreit zwischen der Türkei
und B u ß 1 a n d , die Streitfälle über die Auf-
bringung dreier Schiffe („Cartage", „Manouba"
und „Tavignano") zwischen Italien und
Frankreich.
Das Budget für 1913 ist mit 58 149 Fl. be-
ziffert worden, während die Ausgaben für 1912,
die im Voranschlag mit 36 350 Fl. angenommen
wurden, nur 28 217,50 Fl. betrugen. Diese
Summe wurde nach dem vom Weltpostverein
angewandten Schlüssel durch die Vertragsstaaten
gedeckt. Danach hatte Deutschland, Oester-
reich-Ungarn, Frankreich, Großbritannien,
148
Italien, Bußland, die Türkei, die Vereinigten
Staaten, China und Japan je 1482,25 Fl. zu
bezahlen. Spanien 1185,80 Fl. Die anderen
Staaten je 889,35 FL, 296,45 bzw. 177,87. Nur
Montenegro hat den geringen Betrag von
59,29 Fl. zu leisten. Die Erhöhung des Budgets
für 1913 rührt von dem neu eingestellten Posten
von 16 501 Fl. als Beitrag für die Verwaltung
und Instandhaltung des Ende August zu be-
ziehenden neuen Friedenspalastes her. Diese
Summe bezieht sich nur auf die vier letzten
Monate des Jahres 1913. Sie wird künftig das
Dreifache, d. i. 49 504 Fl. betragen.
Die organisatorische Bedeutung
der Haager Konferenzen.
Vor der Internationalen Vereini-
gung für vergleichende Rechts-
wissenschaft und Volkswirt-
schaftslehre sprach am 15. März im preußi-
schen Herrenhaus Professor Dr. Walther
Schücking aus Marburg über „die or-
ganisatorische Bedeutung der
Haager Konferenze n". — Gerade der
unbefriedigende Zustand des Wettrüstens ver-
anlaßt die Frage, was denn durch die Haager
Friedenskonferenzen bisher erreicht ist. Die
Antwort darauf hat bis jetzt sehr verschieden
gelautet. Der Bedner ist im Einklang mit
einigen hervorragenden Autoren des Auslands
seit Jahren bestrebt, die organisatorische Be-
deutung des Haager Werkes in das rechte
Licht zu stellen. Durch das Schiedsgerichts-
abkommen ist ein neuer Staatenverband ge-
gründet, dessen Zweck die Aufrechterhaltung
des allgemeinen Friedens ist. Also ist dieser
Staatenverband auch ein politischer und be-
deutet den Ansatz zu einem losen Weltstaaten-
bund. Die zweite Haager Konferenz hat sich
bemüht, die Justiz Organisation dieses Staaten-
verbandes weiter fortzubilden. Die Tatsache,
daß in Zukunft vor dem internationalen Prisen-
hof der Privatmann seine Bechte gegen einen
fremden Staat wird einklagen können, beweist
den rapiden Entwicklungsprozeß des Völker-
rechts und die Fortschritte der internationalen
Organisation. Die dritte Haager Konferenz
wird das Projekt der Cour de justice arbitrale
von 1907 wieder aufnehmen und daraus einen
wirklich ständigen Gerichtshof mit verschie-
denen Kammern machen müssen. Für gewisse
Kategorien von unpolitischen Streitigkeiten muß
dieses Gericht obligatorisch werden, außerdem
muß es zuständig gemacht werden für Privat-
rechtsansprüche gegen fremde Staaten und die
Auslegung der Normen des neuen Weltrechts
(Internationales Privatrecht, Weltwechselrecht,
Weltscheckrecht usw.). Ein anderes höchst
wichtiges Postulat ist die Sicherung der Pe-
riodizität der Konferenzen und die Annahme
eines Statuts für den Haager Staatenverband. —
Jedenfalls wandelt sich die bisher anarchische
Staatengesellschaft trotz aller Hemmungen all-
mählich in die eine organisierte um und neue
<§•
= DIE FRI EDENS -^\*M2XE
Probleme, wie internationale Besitzgarantie,
Exekutive, Weltparlainent und Umwandlung der
einzelstaatlichen Heere in Quoten einer Bundes-
armee werden dann zu lösen sein.
In der vom Vorsitzenden Geh. Justizrat
Dr. Felix Meyer geleiteten Diskussion be-
zweifelte Professor Dr. Carl Koehne, daß die
modernen wirtschaftlichen und handelspoli-
tischen Tendenzen (Neo-Merkantilismus) der
Entwicklung eines Weltstaatenbundes günstig
seien. Dem widersprach außer dem Vor-
tragenden, namentlich Geh. Justizrat Dove, der
darauf hinwies, daß selbst die schärfste Schutz-
zollpolitik eines Landes keineswegs mit dessen
Isolierung gleichbedeutend sei. Professor Dr.
Neubecker meinte, daß die Theorien des Redners
in ihren letzten Konsecmenzen an den nicht
voraussehbaren Entwicklungsmöglichkeiten der
einzelnen Völker scheitern müßten. Hiergegen
wendete der Vortragende sich in seinem Schluß-
worte, in dem er betonte, daß auch nach seiner
Lehre dem wechselnden Expansionsbedürfnisse
der Nationen keine ewig feststehenden
Schranken gezogen werden sollen, daß sich in
Zukunft aber der Besitzwechsel nicht mehr im
Wego der Eroberung, sondern in der friedlichen
Form des Kaufes oder Tausches vollziehen
werde. v. L.
Zwischenstaatliche Epekution. :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Artikel 19 der ,, Verfassung des Deutschen
Reiches" lautet :
„Wenn Bundesglieder ihre verfassungs-
mäßigen Bundespflichten nicht erfüllen,
können sie dazu im Wege der Exekution
angehalten werden. Diese Exekution ist
vom Bundesrate zu beschließen und vom
Kaiser zu vollstrecken."
In seinem Kommentar hierzu bemerkt Ge-
heimrat Zorn: „Die Mittel der Exekution
sind in der Reichsverfassung nicht bezeichnet.
Zuvor werden friedliche Mittel anzuwenden
sein, insbesondere durch Vermittlung des
Bundesrats. Weiter wird an militärisches
Einschreiten gedacht werden müssen. . .
Die Exekution kann bis zur Sequestration des
betreffenden Landes und seiner Regierungs-
gewalt ausgedehnt werden." (Der letzte Satz
war in der Verfassung des Norddeutschen
Bundes wörtlich enthalten.)
Man sieht also: es handelt sich hier,
trotz „militärischen Einschreitens", nicht
um Krieg, der ja zwischen Bundes gliedern
logischerweise ausgeschlossen ist, sondern um
die gewaltsame Durchsetzung des verletzten und
auf andere Weise nicht wiederherstellbaren Ver-
tragsrechtes. Man hört nun vielfach die An-
sicht, daß eine solche Exekution prinzipiell
eben nur zwischen Bundesgliedern denk-
bar ist, zwischenstaatlich aber nicht verwend-
bar sein könne. Interessant ist die Wahr-
nehmung, daß wir auch diese Entwicklungs-
stufe heilte bereits überwunden haben. Am
25. März las man in den Tagesblättern eine
aus Berlin datierte Meldung- folgenden Inhalts :
„Aus Rom wird gemeldet, falls Monte-
negro den Willen Oesterreichs und den der
anderen Großmächte nicht respektieren
wollte, so würde die Londoner Botschafter-
konferenz die Erteilung eines Exekutions-
mandates an Oesterreich-Ungam
und Italien beantragen. Auf Grund eines
solchen europäischen Mandates würde sich
Italien an der militärischen Aktion Oester-
reichs beteiligen."
Und diese Nachricht wird bekräftigt durch
eine Auslassung der „N o r d d. A 11g. Z t g." ,
des offiziösen deutschen Regierung*-
organs, vom 31. März, worin angedeutet wird,
daß es nötigenfalls zu einer ,,E xekutiou"
seitens der europäischen Mächte kommen
könnte, falls König Nikolaus auf seinem
Widerstände beharrt. Das Organ des
Reichskanzlers schreibt unter anderem :
„Wir möchten uns auch an dieser Stelle der
in der bedeutungsvollen Rede Sir Edward
Greys vom 25. d. M. ausgedrückten Er-
wartung anschließen, daß die Fortdauer der
Bestürmung Skutaris von Montenegro als
zweckloses Gemetzel erkannt und
baldigst eingestellt werde. Es wurde damit
der Anwendung von Maßregeln vor-
gebeugt, die keine Großmacht herbeiführen
will, die aber bei anhaltender Auf-
lehnung gegen den Willen Eu-
ropas unvermeidlich werden könnten".
Also ein unumwundenes, in ernst mahnen-
dem Tone gehaltenes, offiziöses Bekenntnis zu
eben jener „Exekution", wie sie in Ar-
tikel 19 der Deutschen Reichsver-
fassung vom IG. April 1871 bereits vor-
gesehen ist. Ob es nun im Falle Monte-
negros zu einer solchen zwischenstaatlichen
Exekution kommt oder nicht — man wird sich
das prinzipielle Zugeständnis ihrer
Möglichkeit und eventuellen Unausweich-
lichkeit mit unverlierbaren Lettern ins Ge-
dächtnis schreiben müssen für den Fall, daß
später wieder einmal ein Ueberschlauer mit der
Behauptung sich vorwagen könnte, eine der-
artige Exekution sei grundsätzlich mir zwischen
Gliedern ein und derselben Staaten-
gemeinschaft denkbar.
C. L. Siemering.
Verschiedenes.
Wie man Kriege „macht". :: :: :; [s :: :: ::
Der entsetzliche Balkankrieg mit seinen
nach! Zehntausenden zählenden Menschen-
opfern und seinen in die Milliarden gehen-
den Verlusten an Wohlstand und Gütern
geht seinem Ende zu. Beinahe hätte er das
alte Europa in Brand gesetzt, und wenn
dies auch glücklicherweise noch verhütet
149
DIE FBIEDENS -^/ADTE
=©
wurde, so hat er doch durch die Störung
des Handels und Verkehrs auf unserem Erd-
teil hinreichend Kulturarbeit vernichtet
und Not und Elend in ausreichendem Maße
erzeugt, Der Balkankrieg wird aber in
der Zukunft von den Geschichtsschreibern
und den Völkerpsychologen fein säuberlich
zugestutzt werden als die naturnotwendige
Entladung geheimer Kräfte, die folgerich-
tige Entwicklung historischer Gesetze und
schließlich auch als ein ,, Element der gött-
lichen Weltordnung".
Für die künftige Betrachtung dieses
Krieges sei mir gestattet, hier einen mir
nicht unwichtig erscheinenden Beitrag hin-
zuzufügen, der wohl geeignet sein dürfte,
zum Nachdenken über die „geheiligte" In-
stitution des Krieges anzuregen.
In der Budgetkommission des deutschen
Reichstages machte am 3. April der Staats-
sekretär von Jagow über die Entstehung
des Balkankrieges vertrauliche Mitteilun-
gen, aus deren offiziösen Veröffentlichungen
besonders folgender Satz von Interesse ist:
„Der Staatssekretär ging auf die Frage
ein, ob die europäische Diplomatie durch
den Ausbruch des Krieges überrascht wor-
den sei. Tatsächlich habe in den Haupt-
städten der Balkanstaaten noch1 bis in
die letzten Tage vor dem Aus-
bruch des Krieges die Stimmung
geschwankt, und der Kriegsbeginn sei
gegen die Absicht der anderen Ver-
bündeten durch' den frühzeitigen
Losbruch Montenegros erfolgt."
Aus diesen Mitteilungen geht hervor,
daß, wenn auch nicht die Wahrscheinlich-
keit, so doch immerhin eine gewisse Mög-
lichkeit vorhanden gewesen wäre, den
Kriegsausbruch zu verhindern, wenn die
eilige Aktion des Königs von Montenegro
nicht vorgegriffen hätte.
Warum hat aber der König von
Montenegro so voreilig gehan-
delt?
Hierüber wird mir von einer Seite, die
mit den Verhältnissen vertraut sein körnte,
eine Mitteilung (gemacht, die man nicht ver-
schweigen kann, wenn man auch zugeben
muß, daß der vollgültige Beweis dafür
nicht erbracht werden kann, für die jedoch
die Wahrscheinlichkeit spricht.
Im Herbst des vorigen Jahres soll der
König von Montenegro in Paris den Ver-
such gemacht haben, eine Anleihe aufzu-
bringen, die ihm jedoch von der Pariser
Finanzwelt verweigert wurde. Ein Pariser
Finanzmann, der so von dem Geldbedarf
des Königs unterrichtet war, setzte sich
hierauf mit einem Wiener Bank-
haus, dessen Name mir genannt
wurde, in Verbindung. Dieses
Bankhaus soll dem König ein
Darlehen Von 5 Millionen Kronen
(einem Familienmitgliede des Königs außer-
dem noch einen etwas geringeren Betrag)
unter der Bedingung angeboten
haben, daß er sofort losschlage.
Am 8. Oktober hat der König
von Montenegro der Türkei den
Krieg erklärt!
Für die Wahrscheinlichkeit dieser
Mitteilung sprechen zwei Tatsachen.
Erstens: Das betreffende Bankhaus soll
zu Beginn des Balkankrieges so glücklich'
operiert und durch den Kriegsausbruch, der
im übrigen zu einer allgemeinen Börsen-
deroute geführt hat, so ungeheuer viel ver-
dient haben, daß dies weiteren Kreisen
auffiel.
Zweitens: Es soll ja nunmehr auch
die Einstellung des Krieges seitens des
Königs von Montenegro durch ein Mil-
lionendarlehen erkauft werden.
Sapienti sat!
Die „Brücke" und der Internationalismus. :: ::
Ende März fand in München die 1. Jahres-
versammlung der „Brücke", Internationalen
Instituts für Organisierung der geistigen Ar-
beit, statt. Ein besonderes Gepräge verlieh der
Tagung die Anwesenheit zahlreicher Geistes-
arbeiter des deutschen Sprachgebiets sowie die
Teilnahme des Prinzregenten Ludwig, des
Kultusministers und anderer Vertreter der
bayerischen Eegierung an der öffentlichen Fest-
sitzung. Geheimrat Prof. Wilhelm O s t w a 1 d
hielt einen Vortrag über „Brücke und Inter-
nationalismus", in dem er zunächst in weit-
ausholenden kulturgeschichtlichen Betrach-
tungen die Entwicklung des Organisationsge-
dankens überhaupt darlegte, dessen Grundziel
es ist, jede individuelle Leistung zum Besten
der Gesamtheit am zweckmäßigsten zur Gel-
tung zu bringen.
Weiter führte er nach Zeitungsmeldungen
aus : Bezüglich der geistigen Arbeit befinden
wir uns eben in der Periode des höheren In-
dividualismus und es treten die ersten Zeichen
der folgenden Periode, der organischen Bindung
ein. Die Brücke hat die Aufgabe, diese zur-
zeit höchste Kulturform für die geistige Arbeit
herbeizuführen, welche durch das bewußte Zu-
sammenwirken hoch entwickelter Individuen i
spezialisierter Betätigung gekennzeichnet ist
Das, was hierbei systematisiert und dadurch
erledigt wird, sind die primitivsten, wenigst
geistigen Anteile, so daß die notwendige
Gleichmachuner und Bindung nicht ein Hinder-
150
<§=
DIE FRIEDENS -WARTE
nie, sondern eine erhebliche Erleichterung und
Förderung für die höhere Geistesarbeit be-
wirkt. Damit werden die landläufigen Ein-
wände gegen die Brückenarbeit widerlegt. Wenn
wir sehen, wie jeder Forscher, ehe er an seine
eigentliche Aufgabe heranzugehen vermag, eine
Reihe kleiner und kleinlicher Vorarbeiten zu
machen hat, die ebensogut jeder Durchschnitts-
mensch machen könnte, so muß man nach dem
Grundsatz, daß keine Energie vergeudet werden
soll, auf Abhilfe sinnen. Die Gesamtheit der
Geistesschätze der Welt wächst immer gewal-
tiger an. Die Steigerung des Bewußtseins von
dem Besitz dieser den Nationen gemeinschaft-
lichen Kulturgüter und von der Gefahr, sie
verlieren zu können, sollte und müßte ein
mächtiges Friedenshand unter den Völkern be-
deuten! In der Anwendung auf die staat-
lichen Verhältnisse führen diese Betrachtungen
zur Erörterung des Internationalismus. Die
gegenwärtige politische Organisation der Welt
stellt einen teilweise noch primitiven Indivi-
dualismus dar, der durch internationale Bin-
dungen abgelöst zu werden beginnt. Das Zu-
sammentreten der deutschen Einzelstaaten, die
früher einander bekämpft hatten, zum Deut-
schen Reich, stellt einen typischen Fall solcher
Vorgänge dar. Es wird nachgewiesen, daß z. B.
die europäischen Kontinentalstaaten im Eisen-
bahnverband, die Kulturstaaten der ganzen Welt
im Weltpostverein bereits überstaatliche Organe
geschaffen haben, welche als die Vorstufen
engerer Verbände aufzufassen sind. Die Ver-
einigten Staaten von Europa und der ganzen
Welt existieren also bereits, sie sind längst
keine Utopie mehr. Hier hat die Brücke in
die begonnene Kulturorganisation einzugreifen,
da die geistigen Werte von absolut internatio-
naler Beschaffenheit sind. Dadurch wird sie
an ihrem Teil dazu beitragen, die Aufgabe des
dauernden Friedens, für dessen Erhaltung durch
militärische Rüstungen Europa so ungeheure
Opfer bringt, durch Mehrung der gemeinsamen
Kulturgüter zu lösen. Schon jetzt hat die ge-
meinsame Kulturarbeit der Nationen in solchem
Sinne gewirkt und ein geringer Bruchteil der
Aufwendungen für die militärische Friedens-
sicherung würde genügen, um sehr erhebliche
Leistungen auf diesem Boden zu ermöglichen,
auf welchem niemals Gefahren für den Frieden,
sondern nur eine Förderung entstehen kann
usw. Dr J. M.
Richard Dehmel und die internationale Kulturbewegung.
Der Verband internationaler Studentenver-
eine hat eine Rundfrage erlassen: Was kann
der Student für die internationale Kultur-
bewegung tun? Unter den Antworten hat die
von Richard Dehmel in studentischen Kreisen
weithin Beachtung gefunden und ist vielfach,
sicherlich gegen die Absicht des Dichters,
während der Ausländerstreitigkeiten der letzten
Zeit zu Hilfe gerufen worden. Sie lautet:
„Was der deutsche Student für die
internationale Kultur tun kann, ist
genau das, was jeder junge Mann
von geistigem Weitblick dafür tun
sollte: Ein Mann werden, der es in
seinem Berufskreis als vornehmste
Bildungspflicht betrachtet, sei-
nem Volk Respekt und Sympathie
bei den übrigen Völkern zu ver-
schaffen. Alles andere ist kosmo-
politische Phrase, ob mit oder ohne
Vereinsmeiere i."
Der ethischen Forderung Dehmels kann
man sicherlich durchaus zustimmen: Bildung
ist in erster Linie etwas Nationales. Aber
auch schon in dem ersten Teil seiner Ant-
wort ist ein starkes Mißverständnis der
Frage. Nicht um internationale Kultur, sondern
um internationale Kulturbewegung handelte es
sich. Diese Kulturbewegung „inter nationes",
diese Kulturbeziehungen von Volk zu Volk
enthalten als einen Bestandteil eben die von
Deutschland ausgehende Kultur, die sich
Achtung und Teilnahme im Ausland erwerben
will. Aber es ist doch eine kiasse Einseitig-
keit, wenn man die Gefühle, die man für
seine Kultur vom Ausland verlangt, nicht auch
den fremden Kulturen entgegenbringt. Zur
Bildung gehört sicherlich auch Achtung und
Verständnis für fremde Eigenart. Die vom
Ausland zu uns strömenden Einflüsse sind ein
anderer Bestandteil der internationalen Kultur-
bewegung.
Enthält der erste Teil der Dehmel- Antwort
nur ein Mißverständnis und eine Einseitigkeit,
so zeugt der letzte Satz von einer unglaub-
lichen Unkenntnis des modernen Inter-
nationalismus, der gegenwärtigen netzartig ver-
dichteten und verflochtenen Beziehungen von
Volk zu Volk. Weiß denn Dehmel nichts von
der stetig wachsenden Verflechtung aller
Völker in die Erdwirtschaft, von den Tausenden
und aber Tausenden von Organisationen auf
allen Gebieten, die über die Grenzen hinaus
Volk mit Volk verbinden? Weiß er nichts da-
von, daß unsere auswärtige Politik nur noch
ein Viertel Macht-, dagegen Dreiviertel Wirt-
schafts- und Kulturpolitik ist? Ein Mann von
„geistigem Weitblick", der für das soziale Ge-
schehen, für die Geschichte seiner Zeit, die
Augen offen hat, darf diese gewaltige Ent-
wicklung des Internationalismus nicht über-
sehen.
Es war eben töricht, einen Lyriker nach
solchen Dingen zu fragen*). Bei den Fragenden
*) Dehmel stand einmal unseren Ideen
sehr sympatisch gegenüber. Es sei auf seinen
an den Herausgeber dieses Blattes gerichteten,
in der Fr.-W. 1900, S. 101 abgedruckten Brief
hingewiesen, worin er von der „großen kul-
turellen Idee der friedensrecht-
lichen Bestrebungen" spricht, und er
jene als „Trampeltiere" bezeichnet, die den-
jenigen Beifall spenden, die sich „auf die be-
kannte schiefe Ebene der unabänderlichen
Naturgesetze" begeben.
Anrnkg, der Red.
151
DIE FRIEDENS -WARTE.
3
liegt die Schuld. Wir werden Dehmel, der uns
aus leidenscliaftlich subjektivem Erleben her-
aus so wundervolle Dichtungen geschenkt hat,
gern nachsehen, daß er für das große soziale
Geschehen kein Verständnis besitzt. Aber sein
Urteil muß aufs schärfste zurückgewiesen
werden, weil es nicht vereinzelt dasteht, weil
immer wieder Menschen mit durchaus und ein-
seitig persönlicher Weltanschauung sich Ur-
teile anmaßen über soziale Fragen, die ganz
außerhalb ihrer Vorstellungswelt liegen, für sie
ein völlig verschlossenes unbetretbares Land
sind.
Und doch gibt es vielleicht auch für
Dehmel einen Weg dorthin. Vor Jahresfrist
ist mir mal die Satzung des Vereins lyrischer
Dichter (Statut des Kartells lyrischer Au-
toren!!) in die Hände gefallen. Da stand
Dehmels Name an zweiter Stelle unterschrieben.
Wenn es sich also um seine eigenen Angelegen-
heiten handelt, verachtet er die Vereinsmeierei
nicht so sehr. Da nun in diesen Tagen wieder-
um eine Vereinbarung abgeschlossen ist zum
Schutz von Kunstwerken, so daß nun auch in
Kußland Dehmels Werke nur mit seiner Ein-
willigung und Gewinnbeteiligung übersetzt und
vertrieben werden können, so wäre hier doch
ein Weg, auf dem selbst ein lyri-
scher Dichter Verständnis für die
rechtliche Ordnung und für die Or-
ganisation der Kultur bezieh ungen
zwischen den Völkern bekommen
könnte.
Dr. phil. W a 1 1 e r A. Berendsohn,
Hamburg.
Pazifistische Kundgebung des
Fürsten fllbert von Monako.
Gelegentlich der Tagung des Mutualisten-
kongresses zu Montpellier hielt am 30. März
Fürst Albert von Monako eine Kede, in der
er darauf hinwies, daß Kuhm, Ansehen und
Gedeihen mehr von einer Milderung der Sitten
als von der Anwendung von Gewalt abhingen.
Der Fürst rühmte dann den Gedanken des
Schiedsgerichts und der gegenseitigen Hilfe,
deren Macht immer mehr die Lösung sozialer
Probleme erleichtern werde. Alle Mutualisten
verurteilten die Anwendung von Gewalt bei
Regelung internationaler Angelegenheiten. Die
internationale gegenseitige Hilfe werde bei den
Menschen aller Länder die Wahrheit zur Gel-
tung bringen, daß kriegerisches Gebaren
draußen, politische Feindseligkeiten im Innern
und der Triumph der Gewalt nirgends
die Fragen lösten, von denen der
menschliche Fortschritt abhänge.
Denn der Krieg und seine Vergeltung brächten
keine Lösung. Der Fürst schloß: „Die Stunde
ist gekommen, ohne Furcht einen so schwie-
rigen Gegenstand ins Auge zu fassen, da alle
menschliche Tätigkeit unter der zerstörenden
Wirkung kriegerischer Drohungen leidet und
da die durch die gesundesten Kräfte der Nation
mühsam erworbenen Hilfsmittel in einen Ab-
grund gestürzt werden sollen. Vielleicht wird
eines Tages das Prinzip der gegenseitigen Hilfe
sich gegenüber den Gefahren des internationalen
Lebens mächtig zur Geltung bringen."
Mtl
Ein deutscher Feldherr über den Krieg. ::
Die Briefe des Fürsten Schwarzenberg, des
Besiegers Napoleons, an seine Frau sind jetzt
veröffentlicht worden. In einem Feuilleton,
das Richard Charmatz in der Neuen
Freien Presse darüber schrieb, sind vom pazi-
fistischen Gesichtspunkt folgende Stellen von
Interesse :
„Der Fürst dachte hoch von dem Beruf
des Soldaten und wollte dessen Würde von
allen Flecken reinhalten. Der Kampf sollte von
jeder Entartung frei bleiben und das Gefühl
nicht unterdrücken. Die Ritterlichkeit, die dem
Feldmarschall reinen Adel verlieh, die sein
Wesen durchtränkte, durfte im Kampfe nicht
abhanden kommen. Mit Stolz erwähnte Fürst
Schwarzenberg einmal während des Feldzuges
im Jahre 1812, daß in einem Orte, den seine
Soldaten im Feindesland verlassen hatten, die
Hühner und Gänse frei herumliefen. Das er-
füllte ihn mit Vergnügen. Den Krieg als
solchen beklagte er tief. Treitschke berichtet
in seiner „Deutschen Geschichte", daß in dem
Geschlecht, das die erschütternden Greuel der
napoleonischen Kämpfe mitansah, ein unaus-
löschlicher Abscheu vor dem Kriege, ein un-
versiegliches Friedensbedürfnis erwacht war.
Schwarzenberg, der auf vielen Schlachtfeldern
die Verwüstungen und Schrecknisse kummer-
voll beobachten konnte, gestand nach dem
grauenvollen Rückzuge von Hohenlinden : „I c h
kann den Anblick allen Unheils
kaum aushalten!" Später bemerkte er :
„Der Krieg ist doch ein häßliches
Ding; welch schreckliche Bilder
sich täglich darstellen! Jammer,
Elend, Leiden, Laster aller Art, Hohnlächeln
dem Unglück, menschliche Grausamkeiten; das
Herz des rechtlichen Menschen empört sich
zehnmal des Tages. Nichts kann diese Emp-
findungen erlöschen." Noch verzagter urteilte
er in einem anderen Briefe: „Ich wiederhole
es abermals, ich bin nicht dazu gemacht, in
dem Metier glücklich zu sein. Krönt der Er-
folg mein Unternehmen, so habe ich einen
grimmigen Graus dabei ; über Blut und
Leichen gehe der Pfad zu meinem
Glück nimmermehr. Man sage nur, es
sei Schwäche, ich leugne es nicht, aber es ist
nun einmal so, der Krieg ekelt mich ob
der unzähligen Leiden, die er unter allen er-
sinnlichen Formen über die Menschen ver-
breitet."
Mach Maurenbrecher Hornefferl :: :: ::
Merkwürdig — gerade die Führer der fuei-
geistigen Bewegung, die doch freies und! fort-
152
(2S
= DIE Fßl EDENS -WABXE
schrittliches Denken fördern und pflegen will,
im Gegensatz zum Pazifismus !
In dem soeben erschienenen Heft 1 des
neuen 5. Jahrganges der „Tat", sozial-religiöse
Monatsschrift für deutsche Kultur, schreibt
Ernst Hornef fer in einem Aufsatz über „R e -
ligion und Nation": „Auf friedlichem
Wege sehen sie (die Friedensfreunde) die Völker
ihre Gegensätze ausgleichen und sich in einer
höheren allumspannenden Ordnung zusammen-
schließen. Dies halte ich für eine bedenkliche
Utopie. . . . Von selbst, auf friedlichem Wege,
durch Verträge, durch freundliche Aussöhnung
entstehen niemals höhere Organisations-
formen, die immer auf der Bändigung und
Ueberwältigung ursprünglicher Gegensätze be-
ruhen" usw. Sollte Horneffer wirklich die
Kulturgeschichte und die Geschichte mensch-
licher Zivilisation so wenig kennen, daß er
solche Behauptung' aufzustellen wagt? Dann
lieber „hands off" von diesem Probleme !
J. M.
AUS DER BEWEGUNG
Kongreß-Kalendarium. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: *•
1. — 3. Mai: IV. amerikanischer National-
friedenskongreß in St. Louis.
11. Mai: Verständigungskonferenz deutscher
und französischer Parlamentarier in Bern.
11. — 12. Mai : VIIL französischer National-
friedenskongreß in Paris.
11. — 13. Mai: II. Verbandstag des Verbandes
der Internationalen Studentenvereine Deutsch-
lands in Leipzig.
14.— 16. Mai: XIX. Lake - Mohonk - Kon-
ferenz.
10. — 13. Juni : IX. englischer National-
friedenskongreß in Leeds.
15. — 19. Juni : II. Weltkongreß der inter-
nationalen Vereinigungen zu Brüssel.
19.— 21. August: VIIL Deutscher Espe-
rantokongreß in Stuttgart.
18. — 23. August: XX. Weltfriedenskongreß
im H a a g.
29. August: Einweihung des Friedens-
palastes im Haag.
29. Aug. bis 13. Sept.: VIII. Weltkongreß
der Studenten verbände (Corda Fratres) in
1 1 h a o a , New York.
29. — 31. August: IX. Internationaler Espe-
rantokongreß in Bern.
3. — 6. September: XVIII. Interparlamenta-
rische Konferenz im Haag.
22. September: XXVIII. Konferenz der Int.
Law Association in Madrid.
Interparlamentarische Union. :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Der interparlamentarische Rat trat Diens-
tag, den 18. März, im Palais de la Nation in
Brüssel zusammen.
Anwesend waren die Herren : E i c k h o f f
und Hauptmann (Deutschland), Freiherr
E. v. P leuer und Ritter von Roszkowski
(Oesterreich), Houzeau de Lehaie und
von Sadeleer (Belgien), Moltesen und
Borgbjerg (Dänemark), d'Estournelles
de Consta nt und de la Batut (Frank-
reich), Lord Weardale und Agg Gardner
(Großbritannien), Horst und Michelet
(Norwegen), T y d e m a n und van der Does
de Willebois (Niederlande), Graf von
Pen ha Garcia (Portugal), Efremoff
(Rußland), Wawrinsky (Schweden). Gobat
(Schweiz), BustanyEffendi und Nessimi
B e y (Türkei), Lange, Generalsekretär.
Bei Eröffnung der Sitzung gedachte Alters-
präsident Houzeau de Lehaie ehrend des
inehrjährigen Präsidenten der Union. Beer-
n a e r t , der ihr unschätzbare Dienste ge-
leistet hat.
Auf Vorschlag des Freiherrn v. P 1 e n e r
wurde Lord Weardale, Präsident der eng-
lischen Gruppe, zum Präsidenten des Rats an
Stelle Beernaerts unter allgemeiner Zustimmung
gewählt, Lord Weardale dankte und er-
innerte dabei an die Verdienste, die sein Vor-
gänger der Union geleistet hat. Er versprach,
den größten Teil seiner Zeit dem pazifistischen
Werk, dessen Verwirklichung die Union be-
zweckt, zu widmen.
Dann ging der Rat zu seiner Tages-
ordnung über.
Die Konferenz von 1913 wird im Haag
zusammentreten. Sie wird am 3. September
eröffnet werden. Die Tagesordnung der
Konferenz wurde wie folgt festgesetzt :
1. Behandlung der Meerengen und neutraler
Kanäle. Berichterstatter Graf von P e n h a
Garcia (Portugal).
2. Erklärung einer dauernden Neutralität.
Berichterstatter Muncli, ehemaliger
Minister (Dänemark).
3.. Bechte und Pflichten neutraler Mächte.
Berichterstatter van H outen, ehe-
maliger Minister (Niederlande).
1. Kriegsanleihen. Berichterstatter Graf
Goblet d'Alviella, belgischer Se-
nator.
5. Vereinheitlichung des internationalen
Briefportos. Berichterstatter E i c k h o f f ,
Präsident der deutschen Gruppe.
6. Mitwirkung der Union und ihrer Gruppen
an internationalen Werken. Bericht-
erstatter Louis Fraack, belgischer
Deputierter.
Es ist anzunehmen, daß noch eine oder
zwei Spezial-Studienkommissionen ihre Berichte
der Konferenz von 1913 unterbreiten werden.
Auf Vorschlag des Exekutiv-Komitees,, dem
zurzeit folgende Mitglieder angehören: Lord
Weardale, Houzeau de Lehaie und
T y d e m a n , hat der Rat einstimmig folgende
Resolution, die sich auf die internationale Lage
bezieht, angenommen:
„Der am 18. März 1913 in Brüssel tagende
Rat der interparlamentarischen Union stellt
153
DIE FRIEDENS -^M^DTE
■3
fest, daß es der Uebereinstimmung der Groß-
mächte gelungen ist, den Balkankrieg
örtlich zu begrenzen, und daß dank
dieser Uebereinstimmung mehrere durch den
Krieg entstandene Probleme durch die von den
Haager Konferenzen ins Leben gerufenen
freundschaftlichen und juristischen Mittel, auf
die die Union nicht müde wurde hinzuweisen,
gelöst werden.
Der Rat nimmt mit der gleichen Genug-
tuung die Erklärungen der Marineminister von
Deutschland und England betreffend die
Seerüstungen zur Kenntnis ; er sieht in
diesen Erklärungen, ohne deren Tragweite zu
überschätzen, eine Anerkennung jener Prin-
zipien, für die die Union so oft eingetreten ist,
und den ersten Schritt auf dem Weg der
Rüstungsbeschränkung.
Der Rat bedauert dagegen um so mehr, daß,
abgesehen von dieser Ausnahme, die Mächte
in ihrem verderblichen Wettbewerb beharren.
Er ist davon überzeugt, daß die Rüstungs-
beschränkungen, weit davon entfernt, die
Interessen der nationalen Verteidigung, deren
Rechtmäßigkeit von der Union niemals be-
stritten wurde, zu schädigen, diesen im Gegen-
teil viel nützlicher sein könnten, als dieses
Ueberbieten ;
daß andererseits die Erhöhungen der mili-
tärischen Lasten unberechenbare Eolgen im
sozialen und wirtschaftlichen Leben der
Nationen hervorrufen werden.
Der Rat hofft, daß die Mächte nicht zu
spät von den wiederholten Aufrufen der Union
Kenntnis nehmen werden. Er ladet die natio-
nalen Gruppen ein, den bei der letzten Kon-
ferenz in Genf angenommenen Resolutionen
Eolge zu geben, und sich energisch zu be-
mühen, damit diese Resolutionen
nicht leere Worte bleiben.
Er ermächtigt das Interparlamentarische
Bureau, die vorliegende Resolution den Re-
gierungen bekannt zu geben."
Während der Sitzung hat Bustany
E f f e n d i , Präsident der türkischen Gruppe,
die Erage aufgeworfen, welchem Schicksal die
türkische Bevölkerung der Balkanhalbinsel ent-
gegengeht. Er gab der Hoffnung Ausdruck,
daß man diesen Völkerschaften eine sich auf
die Prinzipien der Nationalitätenautonomie
stützende Regierung, hauptsächlich im Hin-
blick auf die Religion, bewilligen wird, und
bat seine Kollegen im Rat, diese Vorschläge
bei ihren Regierungen zu unterstützen.
Die Idee Bustany Effendis wurde so-
wohl vom Präsidenten des Rats als auch vom
Ereiherrn v. P 1 e n e r unterstützt und von dem
ganzen Rat sympathisch aufgenommen.
Die Interparlamentarische Union wird am
2. Weltkongreß der internationalen Verbände,
der im Juni in Gent zusammentreten wird, teil-
nehmen. Sie wird durch die zwei belgischen
Mitglieder des Rats, Houzeau deLehaie
und Sadeleer und vom Generalsekretär ver-
treten sein. Es werden sich auch andere Mit-
glieder der Union dieser Vertretung anschließen
können.
Am Schluß dieser Beratungen nahm . der
Rat, auf Vorschlag des Baron d'Estour-
nelles de Constant, folgenden An-
trag an:
„Der Rat der Interparlamentarischen Union
legt besonderen Wert darauf, sich den zwischen
Großbritannien und den Vereinigten Staaten Von
Amerika veranstalteten Kundgebungen anzu-
schließen, die zur Feier des Vertrages von
Gent stattfinden werden, der von beiden früher
so kriegerischen, jetzt aber durch eine allu
Prüfungen seit hundert Jahren überdauernde
Freundschaft verbundenen Staaten, treu inne-
gehalten wurde.
Der Rat ist der Ansicht, daß dieses große
Beispiel politischer Klugheit gar nicht oft
genug der Betrachtung und Bewunderung der
zivilisierten Welt empfohlen werden kann."
Endgültige Tagesordnung für
den W. Weltfriedenskongreß.
In der Sitzung des Rates des Seiner
Friedensbureaus vom 15. März wurde für den
Ende August im Haag abzuhaltenden XX. Welt-
friedenskongreß folgende Tagesordnung fest-
gesetzt :
1. Bericht des Bureaus über die Ereignisse
des Jahres, sofern sie sich auf Krieg und
Frieden beziehen. Berichterstatter: A. Gobat.
2. Internationales Recht.
a. Kodifikation des öffentlich-internatio-
nalen Rechts. Berichterstatter : L a
Fontaine und Emil Arnaud.
b. Sanktionen auf dem Gebiete des inter-
nationalen Rechts. Berichterstatter :
Van.Vollenhoven.
3. Die Presse im Dienste des Pazifismus.
Berichterstatter : Lucien Le Foyer und
Alfred H. Fried.
4. Die Handelseifersucht und die internatio-
nalen Beziehungen. Berichterstatter : Yves
G u y o t und Norman Angell.
5. Beschränkung und allmähliche und pro-
portioneile Verminderung der Rüstungen. Be-
richterstatter : Prof. L. Q u i d d e.
6. Festsetzung von Sitz und Zeit des
XXI. Kongresses.
MB
Die Mülhauser Versammlungen. :: :: :: :: :: :: ::
Zwei Friedenskundgebungen ganz gewaltiger
Art haben im Laufe des März in der elsässi-
schen Stadt Mülhausen stattgefunden. Die
eine am 15. März stattgehabte, der 1400 Per-
sonen beiwohnten, richtete sich vornehmlich
gegen den Gedanken eines Revanchekriegs.
Alle Parteien waren bei der Veranstaltung ver-
treten und einstimmig wurde folgende Reso-
lution gefaßt:
„Die Versammlung richtet an das aus
dem allgemeinen Stimmrecht hervorgegangene
Parlament von Elsaß-Lothringen das Er-
154
<§s
= DIE Fßl EDENS -VSAQTE
suchen, sich mit aller Entschiedenheit gegen
■den Gedanken eines Krieges zwischen Frank-
reich und Deutschland zu wenden und dem
Wunsche Ausdruck zu geben, daß alle zwischen
beiden Völkern schwebenden Streitigkeiten in
der Gegenwart wie in der Zukunft auf fried-
lichem Wege gelöst werden mögen."
Die zweite Versammlung fand am 30. März
statt. Der Fortschrittsverein und der sozial-
demokratische Kreisverein waren die Ver-
anstalter, während das Zentrum dabei nicht
beteiligt war. In der großen Markthalle waren
vier Rednertribünen aufgestellt, auf dem die
Fortschrittler D r u m m und Pfarrer S c h e e r ,
wie die Sozialisten Emmel und Wicky zu über
2000 Personen sprachen. Diese zweite Ver-
sammlung galt einem Protest gegen die
Rüstungsvorlage. Die zum Schluß einstimmig
angenommene Resolution hatte folgenden
Wortlaut :
„Die heutige Massenversammlung von Be-
wohnern Mülhausens und der Umgebung er-
hebt nachdrücklich Einspruch gegen die neuen
Opfer an Gut und Blut, die durch die an-
gekündigte deutsche Militärvorlage mit ihrer
Rückwirkung auf Frankreich vom Volke ver-
langt werden. Die Versammlung sieht in
diesen wachsenden Rüstungen die schwerste
Gefahr für den Frieden, dessen Erhaltung die
beiden Kulturnationen diesseits und jenseits der
Vogescn sich zum obersten Ziele setzen müssen.
Die Versammelten fordern daher die Ver-
treter Elsaß-Lothringens im Deutschen Reichs-
tag auf, im Interesse beider Völker und nicht
zuletzt im Interesse Elsaß-Lothringens, das
alle Kriegs treiberei verdammt, die neuen
Rüstungsforderungen im vollen Umfang glatt
abzulehnen.
Zugleich richtet die Versammlung an Par-
lament und Regierung des Deutschen Reiches
das Ersuchen, mit den Mächten der Triple-
Entente in Verhandlungen einzutreten behufs
Einschränkung der Rüstungen. Internationale
Streitfragen sind durch das Mittel der Schieds-
gerichte auszutragen."
Der zweite Weltkongreß der internationalen Verbände.
Das Zentralamt der Union der internatio-
nalen Verbände in Brüssel erläßt die Ein-
ladung für den zweiten Weltkongreß, der vom
lo. bis 19. Juni d. J. in Brüssel und Gent
stattfinden wird. Der erste Kongreß dieser
Art hat bekanntlich im Mai 1910 in Brüssel
.stattgefunden. Damals ließen sich bereits 132
internationale Verbände vertreten. Als eines der
wichtigen Ergebnisse jenes Kongresses ist die
Schaffung der Union der internationalen Ver-
bände zu betrachten, die es sich zur Aufgabe
stellt, zwischen den ihr angeschlossenen Ver-
bänden ständige Verbindung aufrecht zu er-
lialten und so zum Zentrum des gesamten Inter-
nationalismus zu werden.
Der Kongreß von 1913 wird die 1910 be-
gonnene Arbeit fortsetzen. Das reichhaltige
Programm ist in sechs Sektionen geteilt. Sb
umfaßt :
Erste Sektion : Korporation. Gemeinsam«
Unternehmungen.
Zweite Sektion: Reglementierung. Gesetz-
gebung.
Dritte Sektion : Vereinheitlichung der Ein-
heits-Systeme.
Vierte Sektion: Organisation der Verbände
und der Kongresse.
Fünfte Sektion: Dokumentation und Ver-
öffentlichungen. Ausstellungen und
Unterricht.
Sechste Sektion: Wissenschaftliche und
technische Sprache.
Die Bedingungen für die Teilnahme au
jenem wichtigen Kongreß, wie die vorläufigen
Drucksachen sind durch das Office de l'Union
des Associations Internationale in Brüssel.
3bis Ruo de la Regence zu beziehen.
MB
Professor Emanuel Ritter v. Ulimann t- '■'■ '■'■
Der „Verband für internationale Verständi-
gung" hat einen schweren Verlust erlitten.
Sein erster Vorsitzender, der bekannte Völker-
rechtsgelehrte Professor Emanuel Ritter
v. Ullmann ist am 4. April in München
verstorben.
Alle jene, die ihn noch im vorigen Ok-
tober in Heidelberg als Leiter des ersten Vesr-
bandstages des Verbandes für internationale
Verständigung am Werk gesehen haben, werden
diese Nachricht mit besonderem Schmerz ver-
nommen haben. Nicht minder jene Zahlreichen,
die in ihm einen Vertreter des modernen Völker-
rechts in Deutschland verehrten.
Sein „Lehrbuch des Völkerrechts", das im
Rahmen des von Jellinek, Laband und Pilotv
herausgegebene Sammelwerk „Das öffentlichst
Recht der Gegenwart" zuerst 1898, dann 1908
erschien, ist eines der Hauptquellenwerke der
neuen Völkerrechtsliteratur. Das achte Kapitel
jenes Monumentalwerkes, das über „Die inter-
nationalen Streitigkeiten und deren Erledigung.
das rechtliche Verfahren, usw." handelt, wird
jeder Pazifist mit Zustimmung lind Interesse
lesen.
Prof. v. Ulimann wurde 1841 zu Pe-
trowitz in Böhmen geboren; er blieb auch nach
seiner 1899 erfolgten Uebersiedelung seinen:
ganzen Wesen nach Oesterreicher. Und auf
dem Hietzinger Friedhof bei Wien hat er seine
letzte Ruhestätte gefunden. Bevor er nach
München ging, dozierte er an den Universitäten
von Prag und Innsbruck. In Heidelberg, wo wir
ihn zum letztenmal wirken sahen, verbrachte
er seine Studentenjahre.
(USB
Der 21. Mai 1913. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
An diesem Tage werden vier in der pazi-
fistischen Bewegung hervorragend tätige Männer
ihr Geburtstagsjubiläum feiern können.
Dr. Ch. Albert Gobat in Bern uml
Prof essor Louis Renault in Paris werde»
155
DIE FRIEDENS -WARTE
■3
an diesem Tage 70, Professor Heinrich Lam-
masch in Wien 60 und Professor Otfried
X i p p o 1 d in Frankfurt a. M. 50 Jahre alt.
Die Friedens-Warte wird in ihrer nächsten
Nummer der Jubilarc gedenken.
MS
Kurze Machrichten. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
A n n a B. Eckstein, die unermüdliche Agi-
m torin ist unter den Ueberanstrengungen, die
.sie sich zugemutet hat, schwer erkrankt.
Ein Gelenkrheumatismus, der sich infolge einer
Erkältung einstellte, zwingt unsere ausge-
zeichnete (Mitarbeiterin, das Bett zu hüten und
für einige Zeit der Arbeit zu entsagen. Die
>Yünsche für eine baldige Besserung, die ihr
von allen Seiten zufliegen, seien ihr auch von
der „Friedens-Warte" und deren Anhängern
dargebracht.
Von schwerem Unheil ist unser hervor-
ragender Mitkämpfer Otto Umfrid. der Vize-
präsident der Deutschen Friedens-Gesellschaft,
betroffen worden. Vor einigen Jahren er-
blindete er auf einem Auge. Seit zwei Jahren
führt er einen verzweifelten Kampf um das
ebenfalls erkrankte andere Auge. Nunmehr ist
ihm die traurige Gewißheit zuteil geworden,
daß auch dieses verloren ist. Er ist ge-
zwungen, sein Amt aufzugeben und sich pensio-
nieren zu lassen. Urufrid erträgt sein Geschick
mit Größe. „Mein Schicksal hoffe ich kraft
meiner Lebensanschauung tragen zu können",
schreibt er uns. Seine Arbeit für die Friedens-
sache wird er nicht einstellen. Noch in diesem
Sommer erscheint ein größeres Werk von ihm,
das den Titel „Europa den Europäern" trägt
und seine pazifistischen Anschauungen syste-
matisch zusammenfassend zur Darstellung
bringen wird.
Es wird Pflicht aller Pazifisten sein, ihrem
von so schwerem Unglück betroffenen Mit-
kämpfer, der seit zwanzig Jahren die dornen-
volle Arbeit eines Friedensagitators in Deutsch-
land mit bewundernswertem Elan und Geschick
leistet, wenigstens die arg bedrohte materielle
Seite seines Lebens und des Lebens seiner
Familie nach Kräften zu erleichtern.
LITERATUR U PRESSE
Künftig erscheinende Schriften. :: :: :: :: :: :: ::
Im Verlag von H. Kirsch in Wien er-
scheint demnächst :
Der Friede Christi. Christentum und
Friedensbewegung. Von Alexander Giess-
wein, päpstlicher Hausprälat und Dom-
kapitular. Preis 20 Heller. Das kleine Schrift-
chen trägt am Titelblatt die Worte des
Augustinus : „Es ist ruhmreicher, den Krieg
mit den Worten zu töten, als Menschen mit
dem Schwerte." In der Einleitung sagt der Ver-
fasser folgendes :
„Seitdem ich mich eingehender mit dem
Wesen und Ziele der Friedensbewegung befasse
— und dies ist besonders der Fall, seitdem
ich die ehrende Würde des Vorsitzenden der
ungarischen Friedensgesellschaft bekleide —
haben mich zwei Dinge unangenehm, ja fast
schmerzlich berührt. Diese Dinge sind: erstens,
daß manche Pazifisten oder Friedensfreunde-
die Stellung des Christentums im allgemeinen
und das Wirken der Kirche für die Friedens-
sache oft ganz falsch beurteilen, und zweitens,,
daß das christliche Volk und dessen geistige-
Führer der Friedensbewegung, die doch so sehr
im christlichen Gedanken wurzelt, ganz ferne-
stehen und oft mit einer geringschätzenden
Gleichgültigkeit entgegenkommen. Dieser Um-
stand erweckte in mir zuerst den Gedanken,
die hier obwaltenden Mißverständnisse zu
klären."
Im Verlag von Teichmann & Co. er-
scheint in autorisierter Uebersetzung : Harald.,
S v e n s k e , Antwort auf Sven Hedins War-
nungsruf. Die Uebersetzung besorgt Dr. F..
Joel in Leipzig.
Eingegangene Druckschriften. :; :: :; :: :: :::
(Besprechung vorbehalten.)
The American Journal o f Inter-
national Law. A Quarterly. New York..
1913. Januar.
Aus dem Inhalt : Chandler P. Ander-
son, The final Outcome of the fisheries Ar--
bitration. — John Holladay Latane,.
The Panama Canal Act and the british Protest.
— Mil. B. Vesnitch, Cardinal Alberoni's
Scheine for Keducing the turkish Empire. —
The final settlement of the North Atlantic
Coast Fisheries Controversy. — Elihu Boot
before Latin America. — The Case of Bussia
v. Turkey at the Hague Court. — Effects
of war upon Treaties. — Peace between Italy
and Turkey. — The Chinese society and Journal
of int. Law. — The American Institut of Int..
Law. — usw. usw.
Hierzu : Supplement-Nummer. Entluiltendl
Dokumente, u. a. die Abkommen der IV. Zentral-
amerikanischen Konferenz vom 5. Jan. 1912..
La Vie Internationale. Brüssel 1913.
Tome III. Fascicule 9. Aus dem Inhaltt:
C h. Ed. Guillaume, Les Systemes de me—
stires et POrganisation internationale des Sy-
steme metrique. — Les rnigrations Immunes. —
usw. usw.
— Fascicule 10. Denys P. Meyer, La
Concentration des Organismes Internationaux:
Publics.
Bulletin o f the P a n American
Union. Washington 1913. Januar. Entente ■
cordial on South America. — New Years Gree-
ting from Andrew Carnegie. — Fifth Central
American Conference. — International Congress
of Students. — usw. usw.
— Februar. Aus dem Inhalt: The pan-ameri-
can Society of the United States. — Hand-
book on the Panama Canal. — Addresses 61 '
Secretary of State Knox. — usw. usw.
Auf dem Wege
zum Weltfrieden. Dritter Jahresbericht (1912'
bis 1913) der Deutschen Friedensgeseilschaft.
Ortsgruppe Königsberg i. Pr. 8 °. 26 S.
Bonne, Georg,
Im Kampf um die Ideale. Die Geschichte eines
Suchenden. Ein Gegenwartsroman. Gekürzte
154
@=
DIE FRIEDEN5-WAPXE
"Volksausgabe. 4.-7. Tausend. 8 °. München
1913. Ernst Reinhardt. 372 S. gbd.
Brücke, Die,
Erste Jahresversammlung 28. u. 29. März
1913. 4 S.
Brücke, Die,
Mitgliederliste 1913. O 3. 15. 8 °. München 1913.
Die Brücke. 48 S.
Ferienkurse für A u s 1 ,11 n d e r.
8 °. Kaiserslautern 1913. (Ludwig Wagner,
Kaiserslautern.) 21 S.
Goldscheid, Rudolf,
Monismus und Politik. Vortrag gehalten auf
der Magdeburger Tagung des Deutschen
Monistenbundes im Herbst 1912. 8 °. München
1913. Ernst Reinhardt. 30 S.
Kammerer, Paul,
Sind wir Sklaven der Vergangenheit oder Werk-,
meister der Zukunft? Anpassung, Vererbung,
Rassenhygiene in dualistischer und monisti-
scher Betrachtungsweise. Vortrag im österr.
Monistenbund gehalten am 29. Nov. 1912.
8°. Wien-Leipzig 1913. Mit 8 Abbildungen.
Anzengruber Verlag. 34 S. 50 h.
L o e 1 e , Kurt,
Das billige Buch. Ein Ratgeber für Bücher-
käufer. 8°. Leipzig 1912. Hermann Zieger.
52 S. 30 Pfg.
Rudolph, Hermann^
Die vier Wege zur Theosophie und die Hinder-
nisse auf dem Pfade zur Selbsterkenntnis.
Zur Verbrüderung der Religionen und Völker.
Zwei Vorträge. 8°. Leipzig 1913. Verlag der
Tlieosophischen Kultur. Gl S. kart.
Trine, Ralph Waldo,
Vom köstlichsten Gewinn. Einzig berechtigte
Uebersetzung aus dem Englischen von Dr.
Max C h r i s 1 1 i e b. Obl. 8 ». Stuttgart
1913. J. Engelhorns Nachf. 101 S.. Lwdbd.
2 M..
Vecchio, Dr. Giorgio del,
lieber einige Grundgedanken der Politik
Rousseaus. 8 °. Berlin. 1912. Dr. Walther
Rothschild. Sonderabd ruck aus dem Archiv
für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie.
Bd. VI. Heft 1. IG S.
V i s c h e r , Dr. Adolf,
An der ^ serbischen Front. Erlebnisse eines
Arztes' auf dein " serbisch-türkischen Kriegs-
scha upiatz 19.12. 8/?. Basel. 153 S. Lwdbd.
. A 1 v a r e. z ,. Alexander, . .-;
La. Conference des .Juristen de. Rio. de, Janeiro
et.: la . Codificatiori, du. Droit -International
• Americain. Gr^. 8U. . Paris 19.13, ..A. Pedone
Extrait.. de . ..la . .,, Revue; ; Generale . . de Droit
■ international- public'!, i 47 S.
.Anhuaire . . . ■ , . • ,• «
du Mouvement paeif ist.c ,pou.r l'aunee 19i3
publie par le Bureau international de. la
Paix ä .Bern: 8°. .355 g. Bureau de da Paix.
Kostenlos. ...'. ..-.-.....
•Bibliographie . "..".*
tfimestrielle- de Droit • international Legisla-
tion compuroe, Diplomatie, Gqionisatiön, ■ Po-
litiquö et Droit etrangers. Compi-enant töus
les Öuvrages püblies en franc-ais' avee l'indi-
cation des matieres etudiecs ainsi que les
Theses et articles de Revües; 1. Annie 1913.
No. 1. 8o. Paris 1913. IG S. Paris XIII.
28 Rue C'orvisant. .. .••.::-
P r u d h o m m e a u x , J-,
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Union In t e rpar lern e ntai r e
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Herz der Friedensbewegung an. — K. W.
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Charles Richet, Pierre Loti et la Tur-
quie agonissante. — T h. Ruyssen, Les
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la Paix. — usw. usw.
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droit de guerre. — Stephan Mariger,
Oui et non? —
The Arbitratpr (London). März. British
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Farmer favour Peace. —
Conference. — usw. usw.
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Mr. Asquith Assurances.
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— Paints of Lord
Roberts Speech at Wolverhampton. — usw.
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Concord '(London). März. FelixMoschc-
1 e s , The London Conference. Farce or
Tragedy? — Hubert Ord, An Inter-
national League for the Reduction of ar-
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Council (London). März.
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The Mexican Situation. — The fourtb Ameri-
can Peace Congress (1. — 4. May). — David
Starr Jordan, The Navy and Staa.tes-
manship. — Edwin D. Mead, The United
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The Cosmopolitan Student (Madison,
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of Cosmopolitanism on the Native. —
Adolph von Hemert E n g e r t , Con-
stantinopel During the War. — Friedrich
Denken, The modern German Student. —
G. W. N a s m y t h , The Student Movement
abroad. —
WjestnikMira (Friedens-Bote). (St. Peters-
burg.) März. Semenoff, Bemerkungen
eines Pazifisten. — David Starr Jordan,
Der Preis des Blutes. — Wadim. Teles-
n i m , Friedensidee u. Aviatik. — Maxim
K owalewski, Der Feldzug unserer höch-
sten Kammer gegen den Pazifismus. —
Austro-russische Korrespondenz (historische
Dokumente). — (In russischer Sprache.) —
II Popolo Pacifista (Bonefro). Februar.
Giuseppe Barone, Un oratore pacifista
neH'antica Grecia. — usw. usw.
„ V r e d e d o o r R e c h t" ('s-Gravenhage). März.
Bertha von Suttner in dem Haag. — H. von
der Mandere, De Arbitrage mzake Timor.
— H. vander Mandere, „Das Werk vom
Haag". — Chr. N. , De jacht naar den af-
grond. — Van der Vies, Comte Angelo
de Gubernatis. — usw. usw.
Fredsfanan (Stockholm). März. Victor
V i 1 1 n e r , Apropä Fredsmonument pä kölen.
— Fred och Neutralitet. Ur statsminister
Staaffs stora. — Henning Melander, An
158
@=
DIE FRIEDENS -,\*\ETE
Experirnental Kulturfcrupp. — ■ Fredrik Rajers
Omvändelse fran Militarist tili fredsväu. —
usw. usw.
Fredsbladet (Kopenhagen). März. Niels
Petersen, Freds vennerne og Faestnings-
agitatorerne. — N. P. , Tyskland og Frank-
rig. — usw. usw.
Artikel-Rundschau. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: .: :: :: ::
Das Emporschnellen der Rüstungen hat
natürlich in der Presse eine eingehende Er-
örterung hervorgerufen. Wiederholt hat die
„Frankfurter Zeitung" dazu Stellung
genommen. In ihrem Leitartikel vom 13. März
wird auf diesen „Rüstungswahnsinn" hinge-
wiesen, „bei dem jedes Gefühl für Maß und
Ziel verloren geht". In der Nummer
vom 18. März, spricht George Bernard
Shaw in der ihm eigenen sarkastischen Art
über „Die auswärtige Politik Englands und die
Rüstungsfrage", wobei er vorschlägt, daß Eng-
land mit Deutschland und Frankreich einen
Dreibund schließen, derart, daß es sich auf die
Seite Deutschlands stelle, wenn dieses von
Frankreich, auf die Seite Frankreichs, wenn
dieses von Deutschland angegriffen werden
sollte. Den Krieg nennt Shaw darin einen
„grenzenlosen Unfug". In der Nummer
vom 23. März ist ein Artikel des Pariser Pro-
fessors Charles Seignobos enthalten, der
„Ein kostspieliges Gespenst" (Le fantome
coüteux) betitelt ist. Er vergleicht die Opfer,
die die heutige Menschheit dem Kriegsgespenst
darbringt, mit den Opfern, die im Mittelalter
das Höllengespenst — die Furcht vor der
Hölle — erforderte. Jahrhunderte hindurch
liaben die Menschen den Kirchen und Klöstern
Vermögen dargebracht, nur damit sie von der
Hölle verschont blieben. „Wenn man die Aus-
gaben vergleicht, so bezahlen wir viel mehr
für das Kriegsgespenst als unsere Vorfahren
für das Höllengespenst." In derselben Nummer
ein Artikel Friedrich Payers über
„Rüstungen", der sich eingehend mit der
Wehrvorlage befaßt und an ihr Kritik übt. Im
Leitartikel vom 4. April finden wir eine ein-
gehende, uns Pazifisten nicht unbekannte Dar-
Stellung des Kampfes gegen die Rüstungen
seit dem Zarenmanifest A-on 1899, die in der
Forderung gipfelt, daß die Vereinig-
ten Staaten die Initiative zu
einer Rüstungskonferenz ergreifen
mögen.
Das „Berliner Tageblatt" hat in
mehreren Artikeln an der Rüstungs vorläge
Kritik geübt. In einem „Steigende Mi-
litärlasten — sinkendeKinderzahl"
betitelten Artikel vom 1. April wird der
Zusammenhang der Geburtenabnahme mit
den großen Rüstungslasten nachgewiesen.
Dr. Heinz. Potthoff spricht in der Nummer
vom 3. April von „Deutschlands Mobilmachung".
Es heißt dort ganz richtig: „Was uns jetzt
zugemutet wird, ist keine Friedensmaßregel
mehr, sondern einfach eine Mobil-
machung!" In einem „Wo bleiben die Milli-
arden"?" betitelten Artikel vom 3. April wird
der Nachweis erbracht, daß das für die
Rüstungen ausgegebene Geld keineswegs immer
im Lande bleibt, wie die Rüstungsanhanger be-
haupten. Um die Arbeitskräfte zu ersetzen, die
durch die Hecresverniehrung dem Lande ent-
zogen werden* wird man künftig 200 000 aus-
ländische Arbeiter mehr als bisher heranziehen
müssen, die allein jährlich 40 Millionen aus
dem Lande tragen werden. — In der Nummer
vom 5. April stellt Major a.D. E. Moraht
ein anschauliches „Programm der Erspar-
nisse" dar.
Friedrich Naumann gibt in der
„Hilfe" vom 3. April einen bemerkenswerten
Hinweis über „Die volkswirtschaftlichen Folgen
der Milliarde", wobei er die volkswirtschaft-
lichen Wirkungen dieser großen Arbeits- und
Lieferungsvergebungen ins Auge faßt. „Es ge-
nügt nicht, über die Aufbringungsmethode zu
streiten, da die Verwendungsmethode volkswirt-
schaftlich mindestens so wichtig ist." In den
Nummern der „Hilfe" vom 13. und 20. März
behandelt Reichstagsabgeordneter Georg Go-
thein „Die Wehrvorlage und ihre Deckung".
In „Der Fortschritt" (Hannover) 25. März
äußert sich Prof. L. v. B a r -Göttingen „Zur
großen Wehrvorlage". G o t h e i n sieht, daß
sich „das Volk in Waffen" in Wirklichkeit „zu
einem Staat im Staat ausgewachsen" habe,
L. v. Bar weist auf die imponderablen Wir-
kungen der Rüstungen hin, auf den gegen-
seitigen, schwer zu tilgenden Haß, den sie her-
vorrufen, auf die Meinung, die sie erzeugen,
daß der Krieg als die höchste menschliche
Leistung zu betraöhten sei, auf die notwendige
Bildung von Kriegsparteien, die sie im Gefolge
haben.
(Bibliographie.) I. Friedens-
bewegung im allgemeinen: Elsbeth
Friedrichs, „Die große Armee". „Ethische
Rundschau" März. * Ellen Key, Le Pro-
bleme de la Paix. „Les Documents du Progres."
III. * Ueber Krieg und Volkstum. „Der Reichs-
bote." 19. III. * W i 1 h. H e i 1 e , Das Friedens-
manifest der Sozialdemokratie. „Die Hilfe."
6. III. * Richard C harmatz, Der Sieger
von Leipzig. „Frankf. Ztg." 28. III. * Alf red
H. Fried, Kurze Aufklärung über Wesen und
Ziel des Pazifismus. „Der Herold" (Berlin).
6. IV.
II. Die internationale Politik:
Dr. W. A. B ehren dsohn, Studienfahrten
deutscher Studenten ins Ausland. „Akademische
Rundschau" (Leipzig). III. * Das europäische
Problem in französischer Beleuchtung. I., IL
u, III. „Köln. Ztg." 3., 4. 5. u. 6. IV. * Sir
Charles Bruce, Eine Brücke zwischen der
Tripelentente und dem Dreibund. „Deutsche
Revue." IV. * Dr. Robert P et seh, Engl.
Kultur im Spiegel des In- und Auslandes.
„Frankf. Ztg." 30. III. * Ludwig Thoma,
Von Giftmischern. „März." .29. III. * W. H.
de Beaufort, Die Großmächte und der
Friede. „Deutsche Revue/' III. * Ludwig
Q u e s s e 1 , Verständigung und Imperialismus.
„Sozialist. Monatshefte." 27. HL * Alfred
H. Fried, Le probleme autrichien. „Les Do-
cuments du Progres.". III.
IV. Internationales: Leopold
Katsclier, Neue Weltvereinigungen. ^Ethi-
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Internationalismus und deutscher Studenten-
verein. „Das Neue Leben" (Köln), 15. IL
V. Wirtschaftliches: Die Stellung
Deutschlands und seine Verbündeten im europä-
159
DIE FRIEDENS -VAQTE
=§>
ischen Rüstungswettkähipf. „Köln. Ztg." 16. III.
♦ Was ein europäischer Krieg1 kosten
würde. „Frank. Kurier." 31. III. * Geh. -Rat
Dr. Schwarz , 30 Jahre Rüstungslasten der
europ. Großmächte. ,*Der Tag." 12. III. *
L. Raschdau, Wer trägt die Schuld an den
wüsten Rüstungen? „Der Tag." 9. III. * Prof.
Dr. A. F ick- Zürich, Nonnann Angell: „Die
falsche Rechnung". 23. III. * G. Ledebour,
Ein fadenscheiniger Rüsfrungsvorwand. „Die
Neue Zeit." 28. III. * Leon Hardt, Der
Weg zur finanziellen Kriegsbereitschaft.
„Wissenschaftliche Beilage der Braunschweiger
Neuesten Nachrichten." 6. IV. * Fried r i c h
Depken, Was bringt ein Krieg ein ? „Bremer
Nachrichten." 4. III.
S MITTEILUNGEN DEBS
FRIEDENS6ESEUSCHAFTEN
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Schriftleitung, sondern die betreffende Friederisgesellsehaft.)
Oesterrekhische Friedensgesellschaft.
Bureau : Wien I, Spiegelgasse 4.
, XXI. Hauptversammlung..
Am 28. März d. J. fand im Saale des
Wissenschaftlichen Klubs unsere XXI. Haupt-
versammlung statt. Baronin Suttner, die
den Vorsitz führte, begrüßte die erschienenen
Mitglieder und erstattete hierauf den Jahres-
bericht. Sie besprach unsere Tätigkeit im ver-
flossenen Jahre und gedachte der wichtigsten
Ereignisse auf dem Gebiete der internationalen
Friedensbewegung.;
Revisor Rudolf v. Harrer verlas nun den
Revisionsbericht, aus dem hervorging, daß unser
Verein einen Saldo von 4743,74 Kr. für das
Jahr 1913 aufzuweisen hat.
Darauf wurde zu den Wahlen für den
Vorstand geschritten, die folgendes Resultat
ergaben: Johannes C. Barolin, Schriftsteller,
Alexander Dorn R. v. Marwalt, Gemeinderat,
k. k. Kommerz. -Rat, Hans Dupal, k. k. Ko.m-
merzialrat, Dr. Rudolf Fassel, Hof- und ■ Ge-
richtsadvokat, Balduin Groller, Schriftsteller,
Di*. Ludwig Karell, kais. Rat, Schriftsteller,
Leopold Ratscher, Schriftsteller, Benedikt
Kosian, Cafetier, Prof. Dr. Josef Longo, Leiter
des : Landeserziehungsheimes in Mödling bei
Wien, Ludwig Mayer v. Tenneburg, Ar-
tur Müller, Schriftsteller, Gräfin Hedwig
Pötting, Stiftsdame, Heinrich Prechtler, k- u.
k. Hof Schauspieler, Dr. Oswald Richter, Uni-
versitätsprofessor, Dr. Fritz Ruziczka, k. k.
Bezirksrichter, Karl Schleck, k. k. Ober-
rechnungsrat, Emil Stoerk, Beamter der Donau-
Dampfschiffahrts-Gesellschaft, Baronin Berta v.
Suttner, Dr. Heinrich Graf Taaffe, Herrschafts-
besitzer, Dr. Alfons Witz-Oberlm, k. k. Ober-
kirchenrat. Zu Revisoren wurden gewählt: Al-
fred Petterseh, Oberbeamter der Koemanosea-
A.-G., Dr. Hugo Novak, k. k.~'Notariatskandidat.
Vorstandsmitglied Kommerzialrat Hans
Dupal sprach der Präsidentin für ihre auf-
opferungsvolle und unermüdliche Tätigkeit den
Dank aus, dem die Versammelten durch Er-
heben von den Sitzen freudig zustimmten.
Nach Schluß der Hauptversammlung er-
stattete das neugewählte Vorstandsmitglied,
Oberrechnungsrat Karl Schleck ein Referat
über die Organisation der Friedensgesellschaften
und daran knüpfte sich eine Diskussion, die
Vorstandsmitglied A r t h u r M aller leitete.
(HR
Vortrags z y k 1 u s.
Den Vortragszyklen von 1911 und 1912
reiht sich der Zyklus von heuer in würdiger
Weise an. Es fanden bereits fünf Vorträge im
Hörsaale 50 der Wiener Universität statt, die
überaus gut besucht waren und den Vor-
tragenden reichen Beifall eintrugen. Am ersten
Abend sprach der altkatholische Pfarrer A d a 1 -
b e r t Schindelar über „Die sittlich-reli-
giöse Berechtigung der Friedensbewegung", am
19. 3. Vorstandsmitglied A. 31 ü 1 1 e r über „Die
pazifistischen Tendenzen am Ausgange des
Mittelalters'' mit besonderer Berücksichtigung
seines Stückes „Paracelsus und der Träumer".
Am 2. 4. hielt der Referent der Carnegie-
Stiftung Dr. PauLStiassny einen technisch-
finanz wissenschaftlichen Vortrag „Der öster-
reichische Staatsbankrott von 1812", am
9. 4. sprach unser Vorstandsmitglied Univ.-Prof.
Dr. 0. Richter über „Ein Spaziergang durch
die Kruppschen Werke" und am 16. 4. Alfred
11. Fried über Norman Angells Buch „Die
große Täuschung". Der letzte Vortrag findet
am 23. d. M. statt und wird unsere Präsidentin
über „Pazifismus in Amerika" sprechen.
RS»?
Vortragsabend Roberto Bracco.
Den Bemühungen unseres Mitgliedes Hein-
rich Gl ücks mann ist es gelungen, den be-
kannten italienischen Dramatiker zu gewinnen,
einen Vortragsabend zugunsten unserer Gesell-
schaft zu veranstalten. Wir werden in der
nächsten Nummer über den Verlauf des Abends
berichten. . ■ ";
Rga
' Vortrag Prof es s o r Batek.
Unser tätkräftiges Mitglied Professor
Di*. A. Batek in Prag hielt im verflossenen
Monat \vieder einige seiner vortrefflichen Vor-
träge für die Verbreitung unserer Bewegung
und veröffentlichte in einigen böhmischen
Zeitungen eine Reihe von Friedensartikeln.
II a u p t. v e r s a m m 1 u n g de r O r tsgruppe
Li nz.
Die Linzer Ortsgruppe hielt am 29. März
ihre Hauptversammlung im Kaufmännischen
Vereinshaüse ab. Obmann. Fabrikant Carl
F ran ck führte den Vorsitz und begrüßte die
erschienenen Mitglieder, Schriftführer Konsul
Clemens: ,K an t seh erstattete den Rechen-
schaftsbericht, Kassierer Direktor K all i na
den Kassenbericht, Schuldirektor Bro'sch
den Revisionsbericht. Nachdem noch zahlreiche
Anfragen, und Anregungen seitens der erschie-
nenen. Mitglieder vorgebracht und auch zum
Teil erledigt wurden, schloß . der Obmann die
Versammlung.
Verantwortlicher Redakteur: Carl Appold, Berlin W. 60.
Druck: Paaa * GarUb G.m.b.H., Berlin W .57.
Im Selbstverlag des Herausgebers Alfred H. Fried, Wien IX/2.
Verantwortl. Redakteur für Oesteirelch-Üngarn : Vihz ena Jerabek in Wien
160
Mai 1913.
Die Ueberwindung des Balkankonflikts.
Nicht als ob wir, mit der Menge gehend,
über den ,, Frieden" jubeln wollten, der uns
erhalten blieb. Dieser Zustand isi von jenem,
den w i r „Frieden" nennen, noch weit ent-
fernt. Aber daß allen Schwarzsehern zum
Trotz, allen Kraftmeiern der Politik zum
Mißvergnügen der Krieg vermieden wurde,
der uns als unausweichlich geschildert
wurde, berechtigt uns, zu triumphieren. Wir
haben wieder einmal bewiesen, daß unsere
Weltanschauung richtig orientiert ist, daß
wir die Zusammenhänge erkennen und zu
berechnen verstehen. Und wir können nun-
mehr mit um so größerem Nachdruck for-
dern, daß man unserer Lehre Beachtung
schenkt.
In den Novembertagen, als das Gemetzel
am Balkan eben hegann, stand an dieser
Stelle zu lesen:
„Große Gegensätze stehen sich jetzt
gegenüber. Gegensätze, die man seit Jahr-
zehnten als zur friedlichen Ueberbrückung
ungeeignet bezeichnet hat. Nun wird es
sich zeigen, ob Europa wirklich noch im-
stande ist, Krieg zu führen, oder ob es
die Kriegsidee nur infolge einer gewissen
Besessenheit pflegt. Jetzt, wo die Regie-
rungen den Tatsachen näherstehen, werden
sie darüber nachdenken müssen, ob die Inter-
essen, (die sie am Balkan zu besitzen ver-
meinen, wirklich so groß sind, daß man um
ihretwegen das Schwert ziehen kann, und
ob das Risiko nicht am Ende doch außer
Verhältnis zu den erträumten Erfolgen
steht. Solange den Regierungen die Be-
sonnenheit bewahrt bleibt, unterliegt es für
mich keinem Zweifel, daß man einen mageren
Vergleich dem riskanten Kriegsverfahren
vorziehen wird. Und das wird ein ungeheuer
wichtiges Ereignis sein. Wenn Europa, ge-
zwungen sein wird, die gefährlichste Frage,
die es auf diesem Erdteil gibt, friedlich zu
lösen — wenn auch unter Krisen und
Aengsten — , dann wird es damit aufs neue
bewiesen haben, daß ein Krieg auf diesem
Erdteil überhaupt nicht mehr nötig ist, denn
es gibt keine schwerere, konfliktreichere
Frage als die des nahen Ostens. Vielleicht
werden sich dann aus der Erkenntnis der
zwingenden Tatsachen Schlüsse ziehen lassen,
die diesem schwergeprüften Erdteil zum
Heile gereichen können.
Die Pazifisten der gesamten Welt wer-
den daher die Entwicklung der politischen
Dinge in der nächsten Zeit mit großer Span-
nung verfolgen. Wir stehen vor einer
großen Entscheidungsstunde. Es wird sich
zeigen, ob jene zwingenden Tatsachen, die
den Pazifismus gezeitigt haben, schon so
stark sind, Europa vor dem Zusammenbruch
zu retten, oder ob die Kräfte der Dumm-
heit und der Vernichtung zum Untergange
der alten Welt zutreiben: ob gemeinsam mit
dem Padischah am Bosporus auch die Herr-
schaft Europas in der Welt ihr Ende finden
soll. Wir sind hoffnungsfroh genug, an
einen Sieg der Kulturkräfte zu glauben."
Wir sind in unserer Hoffnung nicht
getäuscht worden.
Nun gilt es, diesen Sieg der Kultur-
kräfte auszunützen, die Erkenntnis, daß die
zwingenden Tatsachen sich heute schon
stärker erweisen, als die so unerschütterlich
scheinenden Kräfte der Dummheit und der
Vernichtung, gilt es zu verwerten. Die
Balkanliquidation ist ohne europäischen
Krieg vorübergegangen. Welche Krisis auf
diesem Erdteil kann man sich noch vor-
stellen, die danach nur durch Blut gelöst
werden könnte. Die pazifistisch beeinflußten
und pazifistisch wirkenden Kräfte, die in
dieser Krisis den europäischen Zusammen-
prall vermieden haben, leisteten mehr als
die gerade gegebene Arbeit. Sie schafften
Zukunftswerte von höchster Bedeutung. Der
vermiedene Krieg von 1913 hat für alle
künftigen europäischen Konflikte das Kriegs-
ventil verrammelt.
161
DIE FßlE DENS -^ößTE
3
Freilich, die Apostel des Ewigen Krieges,
die nicht die Zusammenhänge erkennen,
klammern sich an Einzelheiten, an Zufällig-
keiten, denen es zu danken wäre, daß in
Europa kein Schuß gefallen sei. Sie ver-
gessen ganz, mit welcher Zähigkeit sie fin-
den Krieg eintraten. Es waren starke
Gruppen am Werke, die den Zusammenprall
wollten, die den Krieg um des Krieges willen
herbeizuführen suchten. Die österreichische
Kriegspartei hatte ja ihren „kleinen Krieg'1
schon in der Tasche. Seit Monaten standen
die Truppen kriegsbereit an der Grenze.
Sie waren zu weiteren Operationen schon
eingeschifft worden. Der Belagerungszu-
stand war bereits über einige slawische
Länder der Monarchie verhängt, für einige
andere schon angekündigt. Der Waren trans-
port auf gewissen Bahnen war eingestellt,
um die Strecken für den strategischen Auf-
marsch freizuhalten. Der Ruf „Los von Eu-
ropa", das die kriegerische Entfaltung zu
hemmen drohte» wurde jubelnd ausgestoßen,
nicht ahnend wie sehr damit der Rückfall
in -das Asiaten tum gekennzeichnet wurde.
Die „Politik der Freien Hand" hatte man
sieh erobert, um ja nicht geniert zu werden
bei der Inszenierung des Weltenbrandes.
Der Vorwand, man könne nicht mehr länger
warten, da man sonst die militärische Si-
tuation verschlechtern würde, jener beliebte
Vorwand der Kriegsparteien, wurde mit
ernster Miene kolportiert, während der
Vater jenes widerwärtigen Gedankens eigent-
lich nur die Furcht vor den Friedenskräften
war. Man fürchtete, daß man, wenn man
nur einige Tage Zeit gewährt, zu spät
kommen könnte mit dem Kriege; man
fürchtete, daß es so kommen würde, wie
schon einmal vor vier Jahren, als man den
gezückten Degen wieder in die Scheide zu
stecken gezwungen war. Die Furcht vor
der Möglichkeit eines kriegslosen Aus-
gleiches1 steckte den Kriegsenthusiasten in
den Gliedern und trieb sie zur überstürzten
Eile ah. „Endlich haben wir es er-
reicht", soll : der österreichische Kriegs-
minister triumphierend ausgerufen haben, als
er: am 29. April nach einer Konferenz mit
dem Minister des Aeußeren, das Ministerium
am Wiener Ballplatz verließ. Ein Wort,
daß man sich merken muß, wenn man uns
künftig wieder von der Sicherung des Frie-
dens durch die Rüstungen sprechen will.
Und die Wiener Redakteure, die am selben
Tage, im Pressebureau desselben Minis te-
riüinfe die of f izäelle Ankündigung entgegen-
nahmen, daß Oesterreich-Ungarn entschlossen
162:
sei, ohne Mandat seitens der Mächte, allein
vorzugehen, sollen diese Mitteilung nach
einem Bericht in der Pariser „Daily Mail"
vom 30. April mit Freudenschreien ( ! ) be-
grüßt haben. Einige der Journalisten waren
über diese Mitteilung so entzückt, daß sie
ohne Hut aus dem Ministerium liefen, um
die große Nachricht rasch -est ihrer Redak-
tion zu verkünden. Auch das soll man sich
merken, für den Fall, wo sich diese selben
Herren auf Pressekongressen als die Wahrer
des europäischen Friedens selbst beräuchern
werden.
Und doch ist es anders gekommen.
Europa wollte diesen Krieg nicht, weil es
kein Kriegsduett auf diesem Erdteil mehr
geben kann, weil jede Gewaltanwendung so-
fort die beiden großen Staatengruppen enga-
giert und dieser Streit um Albanien, um
die Zugehörigkeit eines elenden albanischen
Nestes zu diesem oder jenem Lande wahr-
lich eines solchen Kräfte auf wandes, eines
solchen Risikos nicht wert war. Es würde
den Rahmen dieses Artikels weit über-
schreiten wollte man hier untersuchen, wieso
es1 schließlich doch zur Vermeidung des
Krieges gekommen ist, wie jene pazifisti-
schen Kräfte gegenüber der Entschlossen-
heit zum Kriege wirkten, wie sie manö-
vrierten und warum sie es taten. Begnügen
wir uns heute, den Sieg der Friedenskräfte
über die bereits zum Schlag ausholenden
Kriegskräfte festzustellen. Es ist das wich-
tigste an der Sache, und es war wahrlich
keine leichte Arbeit.
Man hat es den Kriegsgegnern in Eu-
ropa wahrlich nicht leicht gemacht. Die-
jenigen, die den Krieg um jeden Preis wollten,
hatten eine Bearbeitung der öffentlichen
Meinung inszeniert, die man als muster-
gültig hinstellen kann. Welche Lügen
wurden da verbreitet und am Leben gehalten.
Man denke nur an den famosen Fall des
österreichischen Konsuls Prohaska, der von
wütenden Serben angeblich getötet worden
war und der heute noch lebt. Man denke
an den Pater Palitsch, den Montenegriner
angeblich ermordet hatten, weil er seinen
Glauben nicht wechseln wollte, was sich
nach einer eingehenden Untersuchung als
unwahr erwies. Man denke an die letzte
Lügenkomödie mit der Proklamierung Essad
Paschas zum König von Albanien, was einen
unverzüglichen Einmarsch österreichischer
Truppen in Albanien zur Folge hätte haben
sollen. Als» man dies aber in Gemeinschaft
mit italienischen Truppen nicht mehr für
nützlich hielt, wurde die ganze Geschichte
I
1
€S
= DIE FRIEDENS ->M&IZFE
als eine Erfindung dargetan. Wie dieses
Lügengewebe aber die Massen aufpeitschte
und die Ansicht verbreitete, man hätte sich
alle diese erdichtete Unbill wirklich gefallen
lassen und sei nun gezwungen, sie mit Blut
abzuwaschen, davon kann sich nur der einen
Begriff machen, der in jenen Tagen der
fanatischen Erregung das arme betörte Volk
zu beobachten Gelegenheit hatte.
Europa hat sich gefunden, um eine inter-
nationale Polizei zur Durchführung seines
Willens auszusenden. Es müßte sich nun-
mehr finden, um auch eine Sicherheitswache
zu errichten, um jenem Gesindel den Garaus
zu machen, das durch Alarmierung der
öffentlichen Meinung mit lügenhaften Be-
richten zum Kriege treibt. Die Brandstifter
sind nicht so schlimm wie jene Paniken-
Macher, für die wahrlich kein Galgen hoch
genug wäre. Man müßte die Geschichte des
Kriegsalarms vom Winter 1912/13 schreiben,
sie aktenmäßig darstellen, damit man sie
geeignetenfalls jenen Diplomaten vorhalten
könnte, die noch immer von der Phrase leben,
es seien heute nicht mehr die Kabinette,
sondern die Völker, die die Kriege machen.
Jawohl die Völker ; aber erst dann, wenn
die Regierungen bei der Verhetzung der
Massen so untätig zuschauen, wie die rus-
sische Polizei bei den Judenpogroms, oder
wie die bestellten Wächter der Ordnung bei
den jüngsten Deutschenhetzen in Nancy.
Noch eines Faktors sei hier gedacht,
dem es nicht in letzter Linie zu danken
ist, daß der Krieg vermieden wurde : D e s
Kaisers Franz Josef. Die Kriegs-
enthusiasten in seinem Lande grollen ihm
darob, und es fehlt sogar nicht an
hochverräterischen Aeußerungen solcher
Leute, die sonst stets mit ihrer Loyalität
prahlen. In ihrer Perfidie schieben jene
Blutgierigen die Kriegsabneigung des Kai-
sers seinem hohen Alter zu. Sie wollen
gleichzeitig damit andeuten, daß es eben
greisenhaft sei, den Krieg zu verabscheuen,
wie sie uns weibisches Wesen und Feig-
heit als Motive unseres Kampfes gegen den
Kriegswahn unterschieben. Dieser Vorwurf
zerfällt in sich, denn der greise Kaiser
würde selbstverständlich auch durch den
blutigsten Krieg nicht aus seiner Ruhe und
Behaglichkeit gestört werden. Wenn Kaiser
Franz Josef dem ungestümen Drängen der
Kriegsanhänger widerstand, so War es nicht
greisenhafte Schwäche, sondern die hohe Weis-
heit eines erfahrenen Mannes, die ihn er-
kennen ließ, daß jeder Ausgleich besser ist
als der chancenreichste Krieg, daß, solange
die Möglichkeit eines Ausgleiches gegeben
ist, der Wunsch nach kriegerischer Betäti-
gung frivol sei und zurückgedrängt wer-
den müsse. Man braucht kein Monarchist
zu sein, um anzuerkennen, daß sich Kaiser
Franz Josef durch seine kluge retardierende
Haltung vor seinem Volke, vor der Mensch-
heit und vor der Weltgeschichte ein hohes
Verdienst erworben hat, um dessenwillen ihm
der Dank aller vernünftig denkenden Men-
schen in Europa gebührt. A. HF.
Kriegsindustrie.
Von Dr. Albert Südekum,
Mitglied des Deutschen Reichstags.
Der Militarismus hat eine Bataille ver-
loren. Jetzt ist Unruhe die erste Bürger-
pflicht. Unruhe im Sinne von schärfstem und
lautestem Protest aller Menschen- und Frie-
densfreunde gegen die spekulative Erregung
und Verwertung eines wahnsinnigen und ge-
fährlichen Rüstungstreibens, dessen Zeugen
und Leidtragende wir zurzeit sind. Anklage
müssen wir erheben gegen die Rüstungstreiber.
Es genügt nicht mehr, mit sozusagen wissen-
schaftlichem Gleichmut die Tatsache wider-
spruchslos hinzunehmen, daß es in der Kriegs-
industrie sehr menschlich hergeht, sondern
jeder, dem das Wohl der Völker etwas gilt,
der die Reinheit unseres öffentlichen Lebens
als einen Teil dieses Wohles erkennt, hat die
persönliche Pflicht, sich mit der furchtbaren
Tatsache auseinanderzusetzen, daß die euro-
päische Kultur von einem Konzern bedenken-
loser Geschäftemacher dauernd in ihren Grund
festen bedroht wird; hat sich ferner mit der
Tatsache auseinanderzusetzen, daß diese Rüs-
tungskapitalisten den höchsten gesellschaft-
lichen Rang einnehmen, mit Ehren und Aus-
zeichnungen überhäuft werden. Die Pflicht
einer solchen persönlichen Auseinandersetzung
liegt gleichmäßig den bewußten und organi-
sierten Friedensfreunden, wie den ehrlichen
Vertretern des Militarismus und den Verherr-
lichern der sogenannten kriegerischen Tugen-
den ob. In erster ,Linie gehen die Dinge
auch die Offiziere an, die so gern für
sich die Eigenschaften besonderer Empfind-
lichkeit in Ehrensachen in Anspruch nehmen.
Darauf ist mit erhöhtem Nachruck hinzuwei-
sen, weil gerade in den letzten Wochen in
einigen von deutschen Offizieren gern ge-
lesenen Blättern geschrieben stand, wie immer
sich auch die Sache mit der Rüstungsindustrie
und ihren internationalen Spekulationen ver-
halten möge: die Offiziere berühre das
ganz und gar nicht, denn sie hätten
einfach ihren Dienst zu tun und die
ihnen in die Hand gedrückte Waffe auf
Kommando zu gebrauchen. Eine Ansicht,
die den Offizier zum Automaten erniedrigt!
Das gerade Gegenteil ist richtig: ?,wer Pech
m
DIE FRIEDEN5~>fc/!&arE
®
anfaßt, besudelt sich". Ein Offizier, der auf
seine Ehre hält, muß mit dafür sorgen, daß
nicht das Kriegswesen der Völker schamlosem
Handel als Vorwand dient. Jedermanns guter
Wille kann mißbraucht werden. Wer dem
Betrüger als reiner Tor zum Opfer fällt, ist
für den Ausgang moralisch nicht verantwort-
lich. Wer aber willfährig einem Betrüger seine
Hilfe leistet, ist dem Betrüger gleich zu
achten. Auch die fahrlässige Unterstützung be-
trügerischer Handlungen kann einen Makel auf
die Ehre eines Menschen werfen. Die Offiziere
der europäischen Armeen haben in den letzten
Wochen Gelegenheit gehabt, sich darüber zu
unterrichten, mit welcher ungeheuerlichen
Dreistigkeit die Interessenten der
Kriegsindustrie die gepriesenen Gefühle
der Vaterlandsliebe und der Opferfreudigkeit
der Völker auszunützen verstehen ; sie erfahren,
daß auch ihre eigene Gesinnung und Tätigkeit
in diesen [Berechnungen eine Rolle spielen.
Wenn sie Augen und Ohren gegen diese Tat-
sache bewußt und absichtlich verschließen,
wenn sie nicht wenigstens auf Reinlichkeit
in den Angelegenheiten der Völkerrüst ungern
drängen, dann machen sie sich zu Mitschuldi-
gen gefährlicher und zum Teil auch verbreche-
rischer Handlungen und müssen sich danach
weiterhin einschätzen lassen.
Man wird gewiß nicht behaupten können,
es sei bisher ein Geheimnis gewesen, daß die
großen Rüstungsfirmen und die Vereinigungen
von solchen (Firmen seit langer Zeit ihren
starken Einfluß spielen ließen, um die Völker
der Erde zu immer neuen, den Frieden ge-
fährdenden Rüstungen zu veranlassen, daß sie
auch verstanden haben, sich kräftige Helfer
zu sichern. Eine Menge von Zeitungen steht,
wie alle Welt weiß, direkt im Dienste solcher
Firmen und läßt keine Gelegenheit vorüber-
gehen, um Mißtrauen zwischen den Völkern
zu säen und mit dem Anschein patriotischer
Besorgnis dadurch die Geschäfte ihrer Auf-
trag- und Geldgeber zu fördern; andere Zei-
tungen, die nicht direkt der Kriegsindustrie
verschrieben sind, hängen doch mit ihr über
dem Umweg des Bankkapitals in irgendeiner
Weise zusammen, wagen zu mindestens nicht,
wider den Stachel zu löken. Sogenannte „Sach-
verständige" (zum großen Teil abgelegte Offi-
ziere) bemühen sich unausgesetzt, die alte Un-
richtigkeit weiter zu verbreiten, daß man den
Frieden nur sichern könne, wenn man zum
Kriege rüste. Die Schullesebücher triefen von
„Patriotismus", und ihre Verfasser suchen sich
in der Verherrlichung des Krieges und kriege-
rischer Gesinnung zu überbieten. Auch der
offizielle Religionsbetrieb hat sich ganz und
gar in den Dienst dieser Strömung gestellt
und weiß die Predigt der „Religion der Liebe"
äußerlich geschickt, wenn auch mit erheb-
lichen inneren Schwierigkeiten, der Verherr-
lichung des Völkerhasses und des organisier-
ten Massenmords anzupassen; gewaltige Or-
ganisationen mit Hunderttausenden von Mit-
gliedern, wie die Kriegervereine, die Veteranen-
vereine, die Wehrvereine, die Jugendwehren,
die Flottenvereine, bearbeiten mit unermüd-
licher Ausdauer Hirn und Herzen weiter
Volkskreise immer in demselben Sinne, immer
mit derselben Phraseologie nach dem Erfah-
rungssatze: „steter Tropfen höhlt den Stein".
Und über dem allen schwebt der Segen der
staatlichen Regierungen, die in „gottgewollter
Abhängigkeit" die Agitation der Rüstungs-
interessenten erst fördern, um dann das so
gewonnene Material zu neuer Aufmunterung
des Geschäfts zu verwenden.
Diese großen Grundzüge eines wahrhaft
verderblichen Systems waren, wie gesagt, seit
langem bekannt. Nicht nur in Deutschland
und O esterreich, auch in England und Frank-
reich hatten aufmerksame Beobachter des
öffentlichen Lebens längst das weitmaschige
Gewebe vor aller Augen ausgebreitet, oft-
mals auch die Erörterung durch kleine anek-
dotenhafte Einzelheiten gewürzt. Aber eine
rechte durchschlagende Wirkung war bisher
doch nicht zu erzeilen gewesen. Es fehlte
der solide Hebel eines unanfecht-
baren Beweismaterials, um den
schwer lastenden Stein in« Rollen zu bringen.
Dieser Hebel ist jetzt durch eine Fülle
von Enthüllungen geliefert worden, die
wie ein prasselnder Regen über die Rüstungs-
interessenten in Deutschland und anderen
Staaten niedergegangen sind. Parlamente und
Presse waren einige Tage hindurch voll von
diesen Dingen, und die öffentliche Erörterung
beschäftigte sich eine kleine Weile damit.
Da sich aber jetzt schon wieder das Schweigen
tiefen Vergessens darüber zu breiten beginnt,
wollen wir hier zur Auffrischung wenigstens
das wichtigste noch einmal kurz zusammen-
stellen.
Zuerst sei behandelt, was unzweifelhaft
das meiste Aufsehen erregte, nämlich die
Affäre Krupp, deren Aufdeckung an den
Namen des Reichstagsabgeordneten Dr. Lieb-
knecht anknüpft.
Die überragende Stellung der Firma
Krupp in der internationalen Rüstungs-
industrie ist bekannt. Krupp gehört so-
zusagen mit zum deutschen Heere und ist
enger mit ihm verwachsen, als etwa Schneider
in Creusot mit dem französischen. Das
Deutsche Reich unterhält ein paar eigene Ka-
nonenfabriken, die aber nur für leichteres
Material eingerichtet sind und bei weitem
nicht den ganzen Bedarf decken. Alle schwe-
reren Kaliber, namentlich auch die gewalti-
gen Schiffs- und Positionsgeschütze sowie
einen großen Teil der Feldartilleriebewaffnung
besorgt Krupp. Konkurrenz gegen ihn gab
es bis vor ein paar Jahren überhaupt nicht
und gibt es jetzt nur in ganz beschränktem
Umfange. Die Rheinische Metallwarenfabrik
von Heinrich Ehrhardt hat sie jahrelang ver-
sucht und sich dabei verblutet, obschon ihre
Konstruktionen als ausgezeichnet gerühmt wor-
I
164
E DIE FRIEDENS -^M^BXE
den sind, und obschon sie mit dem Rohr-
rücklaufgeschütz den Kruppschen Ingenieuren
um Jahre voraus war. Wir haben also heute
ein beinahe vollständiges Kanonenmonopol
Krupps in Deutschland.
Krupps Beziehungen zu Deutschland waren
nicht immer so eng. Es hat eine Zeit gegeben,
wo der eigentliche Schöpfer des gewaltigen
Militärbetriebs, Alfred Krupp, nachdem er
schon Preußen mit Hinterlader-Gußstahl-
kanonen ausgestattet hatte, an anderer Stelle
Relais zu legen versuchte. Ein Zusammen-
stoß zwischen Preußen-Deutschland auf der
einen Seite und Frankreich auf der anderen,
galt nach 1866, namentlich in den Kreisen
der großdeutschen Politiker, für unvermeid-
lich. So betrachtete auch Alfred Krupp die
Sache. Da er aber an die Ueberlegenheit
der napoleonischen Armee glaubte und als
vorsichtiger Geschäftsmann mit der Möglich-
keit einer Einverleibung des Rheinlands nach
Frankreich rechnete, so bot er 1868 in einem
berühmt gewordenen Briefe seine schätzbaren
Dienste — dem Feinde seines Vaterlands an.
Eine kleine, wenn auch unangenehme Ent-
gleisung, die indessen große Geister nicht ge-
nieren kann.
Es versteht sich, daß die Firma Krupp die
ihr mit Recht oder Unrecht zugefallene Mo-
nopolstellung weidlich auszunützen trachtete.
Sie legte sich dabei so wenig Zurückhaltung
auf, daß es endlich zu einem offenen Skandal
kam, den der Reichstagsabgeordnete Erz-
berger in der Sitzung des deutschen Reichstags
vom 23. April 1913 rückschauend wie folgt
schilderte: „Der Vorgänger des jetzigen
Kriegsministers, Herr von Einem, hat am
27. März 1905 ausdrücklich zugegeben und
durch amtliche Zahlen bewiesen, daß, solange
eine bestimmte Firma (Krupp) allein das
Monopol in der Lieferung von Kanonen und
Geschossen hatte, von der Heeresverwaltung
mindestens 60— 8Q0/0 mehr bezahlt werden
mußten, als von dem Moment ab, wo
eine andere Firma in die Konkurrenz ein-
getreten ist."
Aber die Firma überteuerte nicht nur das
Reich, sie lieferte nicht nur, was ihr auch
kaum hätte verboten werden können, ihre
Waffen und Munitionen an das Ausland und
dorthin — was schon bedenklich ist — zu
niedrigerem, weil durch die Konkurrenz be-
stimmtem, Preise, nein, Angestellte von ihr
unterhielten auch in Deutschland einen förm-
lichen Geheimdienst, den erst Lieb-
knechts Material aufgedeckt hat. In dem Pro-
tokoll der Reichstagssitzung vom 18. April
1913 heißt es darüber: „Der Vorstand der
Gußstahlfabrik Friedrich Krupp- Essen a. Ruhr
unterhielt in Berlin bis vor wenigen Wochen
einen Agenten namens Brandt, einen früheren
Feuerwerker, der die Aufgabe hatte, sich an
die Kanzleibeamten der Behörden, der Armee
und der Marine heranzumachen, sie zu be-
stechen, um auf diese Weise Kenntnis von
geheimen Schriftstücken zu erhalten, deren
Inhalt die Firma interessierte. Was sie inter-
essiert, sind besonders Absichten der Behör-
den in Bewaffnungsfragen, Angaben über Kon-
struktionen der Behörden sowie der Konkur-
renz, Ergebnisse von Versuchen, namentlich
aber die Preise, welche andere Werke for-
dern oder die ihnen bewilligt werden. Herrn
Brandt sind zu diesem Zwecke große Mittel
zur Verfügung gestellt. Die berühmte
Firma nützt ihre Geldmacht syste-
matisch dazu aus, um höhere und
niedere preußische Beamte zum
Verrat militä r i scher Geheimnisse
zu verleiten. Dieser Zustand besteht seit
Jahren. In den Geheimschränken eines Herrn
von Dewitz-Essen, eines hohen Beamten der
Firma Krupp, liegen — oder lagen — diese
Geheimberichte säuberlich aufgestapelt. Das,
was ich Ihnen eben hier gesagt habe, beruht
nicht auf einer bloßen Mitteilung, die mir von
irgendeiner Seite gemacht worden ist. Ich
darf Ihnen sagen, daß ich selbstverständlich
von dem, was mir mitgeteilt wurde, dem
Herrn Kriegsminister Kenntnis gegeben habe.
Ich bin besonders darauf aufmerksam gemacht
worden, daß eine Bekanntgabe dieser Dinge
zu einem frühen Zeitpunkt leicht dazu führen
könnte, daß die Firma bei ihrer ungeheuren
Geldmacht in der Lage sein würde, alle
Beweisstüc k.e und auch unbequeme
Personen irgendwohin aus der
Welt zu schaffen. Der Herr Kriegs-
minister hat in dieser Angelegenheit seine
volle Schuldigkeit getan. Er hat eingegriffen,
und zwar nicht nur gegen Militärpersonen,
sondern auch gegen Zivilpersonen. Gegen
sechs oder sieben Personen — ich will im
Moment die Namen nicht preisgeben —
schwebt die Voruntersuchung, wenn sie nicht
bereits geschlossen ist. Es ist mit anerken-
nenswerter Energie eingegriffen worden. Die
Betreffenden sind in Untersuchungshaft ge-
nommen worden. Hochgestellte Leute! Es ist
also kein Vorwurf gegen die Militärverwal-
tung zu erheben. Die Untersuchung ist im
wesentlichen abgeschlossen und hat bis auf
das Tüpfelchen über dem i dasjenige bestä-
tigt, was ich Ihnen hier vorgetragen habe."
Zerschmetternd wirkte diese Enthüllung.
Mit einigen mühsam gestammelten Worten
suchte der preußische Kriegsminister vergeb-
lich den fatalen Eindruck moralischen Zu-
sammenbruchs dieser großen Hilfsinstitution
des deutschen Heeres zu verwischen. Selbst
die unverfrorensten publizistischen Helfers-
helfer von Krupp verloren für ein paar Tage
die Haltung. Ein allgemeines Mißtrauen er-
wachte im Volke, dem man die ungeheuer-
lichste Vermehrung der Rüstungen und eine
wahrhaft erschöpfende Steuerleistung gerade
jetzt angesonnen hat.
Dann trat der Generaldirektor von Krupp,
ein Geheimrat Hugenberg, in der Kölnischen
Zeitung mit einer wortreichen, entrüstungs-
165
DIE FRIEDENS -^MkDTE =
[©
schwangeren, aber inhaltsleeren Erklärung vor
die Oeffentlichkeit. Sein Manöver lag zu nahe,
als daß er es hätte nicht machen sollen:
„Racheakt eines entlassenen Beamten", „nur
untergeordnete Personen in die Sache ver-
wickelt", „Zentralinstanz völlig unbeteiligt"
usw. Das fällt natürlich für verständige Leser
platt zu Boden und kann keine größere Be-
achtung beanspruchen, wie etwa das Gerede
eines Angeklagten über den „großen Unbe-
kannten" vor den Schranken des Gerichts.
Anders ist es schon mit der Bemerkung des
Herrn Hugenberg, „Geheimberichte
seien das tägliche Brot seiner In-
dustrie". Selbstverständlich: es gibt Ge-
heimberichte und Geheimberichte. Für die
Firma Krupp ist es jedenfalls sehr schmerz-
lich, daß die ihr nahestehenden Firmen in
der Industrie nicht an die Harmlosigkeit der
von ihr bezogenen Geheimberichte glauben.
Der seit 1911 in Deutschland bestehende Ver-
ein gegen das Bestechungsunwesen hat am
3. Mai 1913 die unter Nr. 294 in seiner Mit-
gliederliste aufgeführte Firma „Friedrich
Krupp, Aktiengesellschaft, iStahlgußfabrik in
Essen" einstimmig aus dem Verein aus-
geschlossen; und ebenso einstimmig be-
schloß der Verein, die gerichtliche Verfolgung
zu veranlassen, da die Krupp-Affäre dies ge-
bieterisch erheische. Ueberdies beweisen Na-
men und gesellschaftliche Stellung der in
Untersuchungshaft genommenen Angestellten
der Firma Krupp, daß es sich nicht, wie
Herr Hugenberg behauptet, um eine unter-
geordnete Affäre und um Mißgriffe eines Sub-
alternen gehandelt hat. Auch die von ver-
schiedenen Interessenten jetzt prompt hervor-
geholte Berufung auf die großen Freun-
de der Firma und der an ihrer Spitze
stehenden Familie wird in Deutschland den
Fortgang des Prozesses nicht aufzuhalten ver-
mögen. Soweit sind wir hoffentlich denn doch
noch nicht russifiziert, so tief hat das Krebs-
übel kapitalistischer Unmoral das Gefüge des
Staates wohl noch nicht zerfressen können,
daß die Justiz vor Verbrechern Halt machen
sollte, bloß weil hohe Herrschaften bisher im
Hause der Genießer des mit anfechtbaren
Mitteln erworbenen Reichtums gesellig ver-
kehrten.
Soweit sind wir noch nicht. Aber daß
wir wirklich schon tief im Schlamm sitzen,
beweist eine Mitteilung des „Vorwärts" vom
5. Mai 1913. Danach hat die Firma Krupp
den zur Abnahme von Kriegsmaterial nach
Essen kommandierten Offizieren die
Kosten für einen verhältnismäßig üppigen
Lebensunterhalt während ihres Aufenthalts
in Essen bezahlt und dafür nur rein
fiktive Beträge in Gegenrechnung gestellt.
In und außerhalb Deutschlands hätte man
so etwas vor der einwandsfreien Beweisfüh-
rung für unmöglich gehalten! Daß
deutsche Offiziere sich ihren Wein und
ihren Braten, ihre Zigarren und ihr Klosett-
papier von der Firma bezahlen lassen,
deren Erzeugnisse sie für die Heeresverwal-
tung prüfen und abnehmen sollen, ist eine
geradezu revolutionierende Neuig-
keit.
Aber man sollte die damit Gekennzeich-
neten nicht allzu heftig schmähen, denn die
Verführung ist wirklich groß. Auf den
Kruppschen Werken, übrigens auch bei den
großen Elektrizitätsfirmen, bei den Werften,
den Waffen- und Munitionsfabriken, laufen
zu Dutzenden die inaktiven Generäle, Ad-
miräle, Geheimen und Wirklichen Geheimen
Räte herum, die sich nicht schämen, Riesen-
gehälter und Tantiemen einzustecken, und
sich daneben noch die Pensionen aus den
Steuergroschen der Armen und Aermsten
zahlen zu lassen. Die Verbindung der höch-
sten militärischen und zivilen Bureaukratie
mit der Großfinanz und den von ihr kon-
trollierten industriellen Werken ist in Deutsch-
land in den letzten Jahren so umfassend und
so intim geworden, daß dem weitgehendsten
Korruptionsverdacht Tür und Tor
geöffnet ist. Diese Seite unseres öffentlichen
Lebens bedarf dringend der eingehenden
Untersuchung.
Während diese Zeilen schon im Satz
waren, verlautete in offiziösen Blättern, die
Versorgung von Abnahme-Offizieren und Ab-
nahme-Beamten durch Krupp in der oben ge-
schilderten Weise sei neuerdings abgeschafft
worden; nur (!) auf den Schießplätzen gebe
die Firma den Vertrauensmännern des Reichs
noch Naturalverpflegung. Diese Mitteilung ist
nur zum Teil wahr: die nach Essen Kom-
mandierten erhalten jetzt bares Geld von
Krupp. Uebrigens wird allgemein behauptet,
daß die zeitweüig nach Essen kommenden
Offiziere und Beamten — bis zu den höchsten
hinauf — nur Scheinrechnungen in
dem der Firma Krupp gehörenden Hotel be-
zahlen.
Verlassen wir nunmehr die Firma Krupp,
über die sich noch mancherlei sagen ließe,
um zunächst einige andere Blüten der Kriegs-
industrie zu betrachten. Da lenkt vor allem
der „M ar ine- Ver s tän d ig ung sko n -
zern" die Aufmerksamkeit auf sich. Die
geschäftstüchtigen Großlieferanten von
Schiffsbaumaterial haben schon seit Jahren,
um die Ausnützung der „Konjunktur" recht
gründlich besorgen zu können, im geheimen
ihren Zusammenschluß vollzogen. Die Ge-
schäftsstelle ihres Konzerns befindet sich in
Dortmund, Kronprinzenstraße 36. „Ver-
traulicher" Leiter dieses Bureaus ist Direktor
G u t h e i 1 , früher einer der Direktoren der
Union, Eisen- und Stahlwerke in Dortmund,
dann, nachdem1 diese Gesellschaft in die
Deutsch -Luxemburgische Bergwerks- und
Hüttenaktiengesellschaft aufgegangen war,
eine Zeitlang einer der Leiter ihrer Abteilung
C., die die sämtlichen in Dortmund und Um-
kreis gelegenen Werke der Deutsch-Luxem-
166
(§;
= DIE FRIEDEN5->MM2XE
burgischen Gesellschaft umfaßt. Das Ge-
schäftsverfahren dieses Marineverständi-
gungskonzerns ist praktisch und sinnreich.
Wenn eine Werft, z. B. die Kieler oder Wil-
helmshavener Reichswerft, Schiffsbaumaterial
braucht und sich an verschiedene Lieferanten
mit der Frage nach Preis und Bedingungen
wendet, dann erhält sie nicht sofort und
direkt Antwort, sondern die Anfragen gehen
zunächst an das Bureau in Dortmund. Die
Geschäftsstelle unterrichtet dann alle ihm
angeschlossenen Werke, welche Meldungen
eingegangen sind ; die befragten Werke
unterhandeln dann entweder direkt oder
über die Geschäftsstelle miteinander, wie sie
ihre Angebote gestalten und welche Preis-
forderungen sie stellen sollen. Jedes Werk
ist verpflichtet, von jedem Auftrag, den es
erhält, 10 o/o abzugeben, und zwar nicht vom
Gewinne, sondern vom Rechnungsbetrag ; also
schlägt es natürlich mindestens diesen Be-
trag zunächst auf den angebotenen Preis
auf. Die anderen Werke folgen ihm darin
und reichen nunmehr ihre Offerten ein. Auch
•die Auftragserteilung sowie die Ausführung
und Ablieferung werden immer rechtzeitig
an das Bureau in Dortmund gemeldet. Die
von dem ausführenden Werke abzuliefern-
den 10 o/o von dem Rechnungswert gehen zum
Teil (Vio) an die Geschäftsstelle für ihre
Bemühungen und Unkosten; die übrü
9/io werden an jene Werke
ebenfalls Offerten eingereicht
bei der Auftragserteilung leer
sind. Da es sich bei den Schiffsmaterial-
lieferungen um Aufträge im Werte von vielen
Millionen handelt, so kann man sich un-
gefähr vorstellen, welche Beträge der Reichs-
kasse auf diese einfache, allerdings die Ecken
einer bedenklichen Moral streifende Manier
entnommen werden.
Wieder ein anderes Bild. Vor einiger
Zeit brachte die „Friedens-Warte" den Nach-
weis, daß an der englischen Kriegsindustrie
die Creme der Aristokratie beteiligt sei. In
Deutschland ist das ganz genau so. Nur
daß darüber hinaus auch noch eine inter-
nationale Vereinigung von aristo-
kratischem! Kapital im Rüstungs-
geschäft gebräuchlich ist, die in England
meines Wissens bisher fehlt. Deutschland
bezieht die Panzerplatten für seine Kriegs-
marine außer von Krupp nur noch von der
Dillinger Hütte, einem Werke, das zum
größten Teil den Erben des verstorbenen
Herrn von Stumm gehört. Formell ist die
Dillinger Hütte eine Aktiengesellschaft nach
deutschem Recht. Ein Teil der Aktien ist
in französischen Händen. Die Geschäfts-
sprache in der Generalversammlung ist, wie
der frühere Regierungsrat im Reichsamt des
Innern Rudolf Martin zuerst in seinem1 Jahr-
buch der Millionäre mitgeteilt hat, und wie
dann auch im Reichstag unwidersprochen
wiederholt wurde, die französische, oder war
jem
verteilt, die
haben, aber
ausgegangen
es bis vor wenigen Jahren. h Mehrere Fran-
zosen", so sagt Martin, „sitzen im Auf-
sichtsrat, verdienen ungeheuer viel Geld an
der deutschen Panzerplattenfabrikation, an
der Verteidigung von Metz und Straßburg,
an der Vergrößerung der deutschen Flotte,
an der deutschen Küstenbefestigung und er-
halten genauen Einblick in unsere ganze
Verteidigung. Es sind dies die französischen
Herren Rene de Bobet in Paris und Eugen IV.
Comte von Waldner - Freundstein, vormals
französischer Botschaftssekretär und fran-
zösischer Leutnant der Reserve, dessen Sohn
Eduard französischer Leutnant der Reserve
des 10. Regiments Jäger zu Pferde ist,
Chateau de Levy, Departement Allier und in
Paris. Sollen diese Herren nicht auch eine
Kleinigkeit von dem in Deutschland ver-
dienten Gelde zur deutschen Kriegssteuer
beitragen ?"
Es wäre in der Tat unglaublich, wenn die
französischen Reserveoffiziere, die im Auf-
sichtsrat dieses Werkes sitzen, ihre bei den
Beratungen gewonnenen Kenntnisse der Fabri-
kationsmethoden, der Preise, der Lieferungs-
bedingungen, namentlich auch der Lieferungs-
termine nicht sofort der französischen Marine-
verwaltung mitteilen würden. Vom Stand-
punkte ihres spezifisch französischen Patriotis-
mus' aus wären sie dazu durchaus verpflichtet.
Das müßte doch gerade ein alter Offizier wie
der Königlich preußische Generalleutnant von
Schubert, Exzellenz, der Schwiegersohn des
verstorbenen Stumm, Vorsitzender dieses Auf-
sichtsrats, am besten wissen, oder am schnell-
sten einsehen! Dieser Herr, der bis vor
wenigen Jahren deutscher Reichstagsabgeord-
neter war und sich auch jetzt wieder um das
Mandat eines preußischen Landtagsabgeord-
neten bewirbt, hat indessen, soviel bekannt
geworden ist, nichts getan, um der unglaub-
lichen Situation ein Ende zu bereiten.
Das Zusammenwirken des Kapitals ver-
schiedener nationaler Herkunft ist in dem
internationalen Waffenkonzern bis
zur direkten Gewinnabgleichung getrieben.
Zwischen der Oesterreichischen Waffenfabrik-
Gesellschaft, den Deutschen Waffen- und
Munitionsfabriken in Berlin-Karlsruhe, der
Waffenfabrik Mauser in Oberndorf a. Neckar
und der Fabrique Nationale d'Armes de
Guerre in Herstal in Belgien bestehen Ver-
träge, wonach (§1) „Waffengeschäfte, welche
sich auf Lieferung von neu herzustellenden
Repetiergewehren oder Karabinern für Ruß-
land, Japan, China und Abessinien beziehen, zu
gemeinschaftlichem Nutzen durch-
geführt und die annähernden Gewinne nach
einer bestimmten jSkala unter die Gruppen
verteilt werden." Im §3 heißt es: „Die
den beiden Gruppen angehörenden. Fabriken
werden sich gegenseitig jede mögliche Unter-
stützung gewähren, damit jede Fabrik aufs
rascheste und billigste zu fabrizieren vermag.
Zu dem Zwecke sollen auch die Zeichttun-
167
DIEFBIEDENS-\>v*M2TE
:§>
gen und Dimensionstabellen der verlangten
und zu erzeugenden Modelle gratis, die er-
forderlichen Lehrgeräte und Kaliber zum
Selbstkostenpreise, resp. insoweit sie entbehr-
lich sind, leihweise gratis gegenseitig
überlassen werden." In § 4: „Der Preis
für die zu liefernden. Waffen ist jeweils von den
beiden Gruppen einverständlich fest-
zusetzen u»nd zu offerieren." In § 6: „Be-
hufs Verwirklichung der im § 1 ausgesproche-
nen Grundabsichten vorliegender Vereinbarun-
gen wird eine gemeinschaftliche
Kasse gebildet, in welche jede Fabrik, welche
unter die vorliegende Abmachung fallende
Gewehre bzw. Karabiner fabriziert, anliefert
und fakturiert, eine Abgabe im Betrage von
15 Francs pro Waffe einzuzahlen hat".
Was will es besagen, daß man diese
internationale Kapitalversippung im Waffen-
geschäft mit dem Einwand als harmlos hin-
stellen will, es handle sich dabei um Mutter-
und Tochtergesellschaften? Wird damit nicht
selbst das [zugegeben, worum sich die Dis-
kussion eigentlich dreht?
Es hat offenbar nicht an den deutschen,
österreichischen und belgischen Firmen ge-
legen, daß sich das Abkommen auf sie be-
schränken mußte. Wenigstens hat die von
Jaures herausgegebene „H uraanite" dar-
auf hingewiesen, daß vor Jahren ein viel um-
fassenderes Kartell geplant war, in das auch
die englischen und französischen Rüstungs-
fabriken einbezogen werden sollten; die Be-
sprechungen führten indessen, namentlich
wegen der Reibereien zwischen Krupp und
Schneider in Creusot über die serbischen und
bulgarischen Rüstungslieferungen nicht zum
Abschluß.
Das ist eigentlich zu bedauern. Denn der
internationale Wa^entrust würde sich doch
so schön an den Internationalen Pul-
vertrust anschließen, der schon längst be-
steht. Das Genie des kürzlich verstorbenen
Geheimen Kommerzienrats Heidemann-
Köln hat den Pulvertrust zustande gebracht
und die Sprengmittelwerke der ganzen Welt
in geschäftliche (Beziehungen zueinander ge-
setzt. Ein schwieriges, aber auch ein gewinn-
reiches Unternehmen, das seinen Machern
jahraus, jahrein Riesenprofite abwirft. Die
Aktien der besten Sprengmittelwerke werden
überhaupt gar nicht an den Börsen gehan-
delt, es gilt vielmehr in der kapitalistischen
Welt als ein besonderer Glücksfall, wenn
einmal jemand für nicht allzu viel Geld in
den Besitz einer - „freigewordenen" Aktie
gelangt.
Das (Schlimmste von allem, was bisher
enthüllt worden ist, ist zweifellos ein schon
vor mehreren Jahren veröffentlichter, damals
aber leider ziemlich unbeachtet gebliebener
Brief der Deutschen Waffen- und
Munitionsfabriken Aktiengesell-
schaft; Berlin-Karlsruhe, gerichtet an eine
Adresse in Paris. Er lautet:
„Wir drahteten Ihnen soeben: ,Bitten
unseren heutigen Brief in Paris abwarten'.
Grund dieser Depesche war, daß wir die
Aufnahme eines Artikels in einer der ge-
lesensten französischen Zeitungen, möglichst
im Figaro, durchsetzen möchten, welcher
folgenden Inhalt haben soll:
„Die französische Heeresverwaltung hat
sich entschlossen, die Neubewaffnung der
Armee mit Maschinengewehren erheblich zu
beschleunigen und die doppelte Anzahl als
zuerst beabsichtigt, zu bestellen."
Wir bitten Sie alles aufzubieten, um die
Aufnahme eines derartigen Artikels zu er-
reichen. Hochachtungsvoll
Deutsche Munitions- und Waffenfabriken*"
Unterzeichnet haben dieses Schreiben die
beiden Generaldirektoren der Deutschen Waf-
fen- und Munitionsfabriken, Königlich preußi-
scher Geheimer Baurat Paul von Gon-
tard und M. Kosegarten. In den Akten
der Firma ist es in der Geheimregistratur
unter Nr. 8236, 1907 verzeichnet. Die Firma
hat behauptet, und der preußische Kriegs-
minister hat im Reichstag diese Entschuldi-
gung weitergegeben, sie habe den Artikel in
eine französische Zeitung zu lancieren ver-
sucht, nur |um Anhaltspunkte für zu jener
Zeit geplante französische Maßnahmen
zu gewinnen ; der Gedanke, auf die deutsche
Heeresverwaltung Einfluß zu gewinnen, habe ihr
ferngelegen. Wie wenig Glauben diesen Behaup-
tungen beigemessen wird, belege ich wiederum
durch einige Sätze aus einer Rede des Reichs-
tagsabgeordneten Erz berger in der Sitzung
vom 23. April 1913. Da sagte er: „Dieser
Brief stammt aus dem Jahre 1907. Im Jahre
1907 war man in den militärischen Kreisen
der ganzen Welt noch lange nicht so von
der Vorzüglichkeit des Maschinengewehrs
durchdrungen wie heute, wo man es als un-
entbehrliche Waffe hinstellt. 1907 hat ' man
in vielen Kreisen auch des deutschen Heeres
die Maschinengewehre noch als Waffen nur
gegen Herero und Hottentotten gekennzeich-
net; ganz klein, minimal war die Anschaffung
von Maschinengewehren auf diesem Gebiete.
Frankreich fing dann an, mehr Maschinen-
gewehre auch in den Dienst seines europäischen
Heeres zu stellen. Wenn ich mir diese
Situation vor Augen halte, dann
gewinnt der Brief der Deutschen
Waffen- und Munitionsfabriken
ein ganz anderes Gesicht, als wenn
wir ihn aus diesem Zusammenhange heraus-
reißen. Wie oft hat man uns hier im Reichs-
tage gesagt, wenn wir 40 Millionen Mark für
Maschinengewehre in den Jahren 1908, 1909
und 1910 — also gleich nach diesem
Briefl — ausgegeben haben: wir brauchen
diese Maschinengewehre, wir brauchen diese
Neubeschaffung — wir haben sie auch be-
willigt — , weil Frankreich uns soundso
viel auf dem Gebiete der Maschinengewehr-
beschaffung voran ist. Dann gewinnt der Brief
168
<g=
DIE FRIEDEN5-^^\RTE
der Deutschen Munitions- und Waffenfabrik
ein ganz anderes Interesse und es ist ein
ganz anderes Material, als man bisher an-
nehmen konnte.'' (Um der Gerechtigkeit willen
sei darauf hingewiesen, daß kurz vor der
Drucklegung dieser Zeilen ein Artikel in der
„Frankfurter Zeitung" erschien, worin die Re-
daktion mitteilte, die D. W.- u. M.-Fabriken
hätten ihr durch Vorlage von Aktenmaterial
wahrscheinlich gemacht, daß der 1907 in den
„Figaro" zu lancierende Artikel in der Tat
nicht auf die deutsche Militärverwaltung
wirken sollte; aber selbst die sehr gutmütige
Redaktion der „Frkf. Ztg." meint, dadurch
werde nur wenig entschuldigt, und ich füge
hinzu, daß mir das Veröffentlichte zur
Stützung der Behauptung nicht auszureichen
scheint.)
Wenn übrigens etwas geeignet wäre, diesen
Gipfel gefährlicher und anstößiger Geschäfte-
macherei zu übergipfeln, so die Nachricht,
daß der eine Unterzeichner des Schreibens,
Herr von Gohtard, zu einer Zeit, als der
Brief schon öffentlich bekannt geworden war,
zum Mitglied des preußischen
Herrenhauses berufen worden ist.
Man hat nichts davon vernommen, daß die
edlen und erlauchten Mitglieder der preußi-
schen Herrenkammer an der Handlung ihres
Kollegen Anstoß genommen hätten. So
tief sitzt der Byzantinismus diesen edlen
Herren in den Knochen, daß sie, die sonst
vor der schärfsten Opposition gegen Re-
gierungsmaßnahmen nicht zurückscheuen,
wenn es ihr Vorteil erheischt, offenbar schon
beim bloßen Gedanken einer mehr gesell-
schaftlichen Fronde gegen den König, der
Herrn von Gontard berief, in die Knie ge-
knickt sind. Uns fehlt, offen gestanden, das
Verständnis für diese Feinheiten aristo-
kratischer Ehrenauffassung.
Seit Jahren lastet der furchtbare Druck
beständiger Kriegsgefahr auf den Völkern
Europas. Die Hunderttausende und Millio-
nen, die im schwersten Lebenskampf, oft
vergeblich, um ein bißchen Daseinsfreude,
um einen Strahl der Glückssonne ringen,
brechen unter den Lasten beinahe zusammen,
die auf ihren Schultern liegen. Mit der Kul-
turentwicklung geht es bei uns nicht mehr
vorwärts. Körperlich zerfällt das Volk in
den Elendsquartieren unserer Großstädte
und Industriesiedelungen so unvermeidlich, wie
es dort sittlich und geistig zurrüttet werden
muß. Es ist ein herzzerbrechender Anblick,
soviel köstliches Menschenmaterial tag-
täglich zugrunde gerichtet zu sehen. Wenn
das ein unabänderliches Schicksal wäre,
schwer zu tragen wäre es auch dann. Aber
da man die schmutzigen Finger sieht, die
hinter den Kulissen Weltgeschichte agieren,
da statt eines unabänderlichen Schicksals ein
dreister Schwindel die Drähte zieht, so packt
uns ein herzhafter Zorn, und aus tiefer Ent-
rüstung über das Treiben gewissenloser
Menschen löst sich der feste Wüle, an der
notwendigen Aenderung solcher Zustände
nach Kräften mitzuwirken.
Die angebliche und
die wahre Höhe
der deutschen Rüstungslasten.
Von cand. phil. Adolf Grote.
Von allen Preßorganen sämtlicher die
neue Wehrvorlage billigenden deutschen
Parteirichtungen wird jetzt natürlich mit be-
sonderem Eifer jene Behauptung wieder-
holt, mit welcher zumal die Alldeutschen
immer ihre Rüstungsmehrforderungen zu be-
gründen gesucht haben: die Behauptung
nämlich, die deutsche Volkswirtschaft könne
die neue Mehrbelastung an Militärsteuern
doch ganz gut ertragen, weil die Rüstungs-
ausgaben Deutschlands, auf den Kopf der
Bevölkerung berechnet, kleiner seien als
die entsprechend berechneten anderer Groß-
mächte, wie z. B. Frankreichs und Englands.
Daher ist die Erinnerung an den Beweis
sehr angebracht, den Dr. Johann Plenge
(Prof. a. d. Univ. Leipzig) seinerzeit („Die
Finanzen der Großmächte", Zeitschr. f. d.
ges. Staatswissenschaften 64 [1908] : 713—75)
dafür geliefert hat, daß diese Angabe eine
offizielle Verfälschung des wahren Sach-
verhalts ist, uml durch Verschleierung der
tatsächlichen Höhe der deutschen Rüstungs-
ausgaben die Durchsetzung immer neuer
Militärausgaben möglich zu machen.
Denn natürlich ist die Kopfziffer der
deutschen Rüstungsausgaben — von „kleinen"
Fehlern der offiziellen Budget vergleichung,
die z. B. nie darauf aufmerksam macht, daß
im deutschen Heeresetat die Ausgabe für
die Kolonialtruppen fehlt, während im fran-
zösischen der Posten für die doch Friedens-
zwecken dienende Gendarmerie erscheint,
sehen wir einmal ab — als solche kleiner
als die entsprechende Ziffer für England und
Frankreich, allein eine ganz triviale Erwägung
zeigt doch sogleich, daß daraus keineswegs
die geringere Rüstungsbelastung Deutsch-
lands im Vergleich zu den beiden anderen
Ländern zu folgern ist. Denn wenn Staaten,
so führt Plenge in Sperrdruck aus, „mit
stark verschiedener Bevölkerung
in internationaler Großmachts-
konkurrenz stehen, muß selbst bei
überlegener Rüstung des an Be-
völkerung reichsten Staates die
Kopfziffer der Rüstungsausgaben
notwendig geringer sein, als bei
dem' an Zahl geringeren Nach-
barn": so, und nicht anders, liegt das Ver-
hältnis zwischen Deutschland .mit seinen
64 Millionen einerseits und Frankreich
(39 Mill.) und England (45 Mill.) anderer-
169
DIE FßlEDENS-WABTE
§>
seits. Die geringere Höhe der militärischen
Belastungsziffer ist sogar im Gegenteil ein
Beweis für die größere Schwere, mit der
die Rüstungsausgaben auf Deutschland ruhen :
weil nämlich Deutschland seiner höheren
Geburtenziffer (30 Geb. jährl. auf 1000 Einw.)
entsprechend relativ viel mehr Kinder zu er-
nähren und zu erziehen hat als Frankreich
(19 Geb.) und England (25 Geb.). Alle Er-
ziehungskosten aber sind volkswirtschaftlich
zunächst unproduktiv und müssen daher jede
steuerliche Belastung, ihrerHöhe entsprechend,
doppelt empfinden lassen. Noch drückender
aber wird diese Belastung für Deutschland
durch den Umstand, daß in ihm, dem erst
in den letzten Jahrzehnten reich gewordenen
Lande, das Volksvermögen ganz anders
verteilt ist als in Frankreich und in Eng-
land: in diesen beiden Ländern konnte bei
ihrem Jahrhunderte alten Handel die Zahl
der mittleren Vermögen viel größer werden,
d. h. das Nationalvermögen konnte sich viel
günstiger verteilen als bei uns, wo sich der
größte Teil des in dem plötzlichen wirtschaft-
lichen Aufschwung nach 1870 gewonnenen
Reichtums zu einer verhältnismäßig kleinen
Zahl großer und sehr großer Vermögen zu-
sammengeballt hat. Und was außer diesen
beiden erschwerenden Umständen des un-
günstigen Altersaufbaus und der ungünstigen
Vermögensverteilung die Militärlast für die
deutsche Volkswirtschaft nun noch schlimmer
gestaltet, ist vor allem die ungerechtere Art
ihrer Verteilung, welche die Hauptlast der-
selben in der Form von indirekten, von
Verbrauchs steuern, auf die Schultern
der minderbesitzenden Klassen wälzt: kamen
doch, ' wie Plenge (S. 724) berechnet, im'
Jahr 1906: auf jede Mark direkter Steuern
indirekte Steuern
in England . •. . . 1,47 M.,
in Frankreich . . . 2,61 ,,
in Deutschland . . 2,94 „I
Zu dieser durch überwiegende Konsum-
steuern bewirkten Erschwerung des Daseins-
kampfes unserer niederen und mittleren
Klassen kommt aber noch die durch
Schutzzölle auf Getreide hervorgerufene
Verteuerung des Brotes hinzu, welche
jedes Jahr 800 Millionen aus den
Taschen der arbeitenden Bevölkerung in
die der adligen Großgrundbesitzer fließen
läßt und die natürlich eine noch größere
Verteuerung der gesamten Lebenshaltung
zur Folge haben muß. Wieviel schlechter
daher die arbeitende Bevölkerung bei uns
unter einer solchen brutalen Wirtschafts-
politik gestellt ist als die in Frankreich und
England, das lehren die Untersuchungen von
Lujo Brentano („Die deutschen Getreide-
zölle", 1911), von Paul Mombert („Die Be-
lastung des Arbeiterbudgets durch die Korn-
zölle", 1904), von Wilh. Gerloff („Ver-
brauch und Verbrauchsbelastung kleiner und
mittlerer Einkommen in Deutschland", 1907),
von Karl v. Tyszka („Die Lebenshaltung der
arbeitenden Klassen i. d. bedeut. Industrie-
staaten", 1912) und anderen eindringlich
genug. Schließlich wird natürlich, wenn es
sich um einen Vergleich der Rüstungsbudgets
Englands und Deutschlands handelt, meist
verschwiegen, daß Deutschland einen zahlen-
mäßig zwar schwer ausdrückbaren, aber
nichtsdestoweniger vorhandenen riesigen
Posten für Rüstungszwecke mehr ausgibt
als1 England : dieser Posten besteht
in der Tatsache der allgemeinen
We hrpficht. Es ist ein großer Unter-
schied, ob man, wie in England, aus mehr
oder minder zweifelhaften und volkswirtschaft-
lich wenig wertvollen Individuen ein Söldner-
heer bildet, oder ob man, wie bei uns, gerade
den wirtschaftlich tüchtigsten jungen Leuten
zwei Jahre ihrer Ausbildungszeit und später
noch soundso viel Wochen und Monate an
Uebungen fortnimmt, was, ganz abgesehen
von dem direkten Lohnausfall, eine ständige
Störung des ganzen beruflichen Lebens be-
deutet. Und zuletzt ist noch zu berück-
sichtigen, daß Frankreich und England nicht
so viele wirtschaftliche Betriebe vom Staat
entzogen sind wie uns deren Reingewinn,
wie z. B. der der Eisenbahnen, welcher
ca. 900 Mill. im Jahre beträgt, sofort wieder
für Rüstungsausgaben verloren geht, so daß
auch hier ein zahlenmäßig nicht leicht fest-
stellbarer aber darum1 nicht minder großer
Verlust für die deutsche Volkswirtschaft
entsteht. —
Also erst unter Berücksichtigung dieser
Faktoren der Bevölkerungszahl, des Altersauf-
baus, der Vermögensverteilung, der Art der
steuerlichen Belastung und des Betriebs-
entzuges, soweit es sich um England handelt,
auch unter Berücksichtigung des Umstandes,
daß dieses Land keine allgemeine Wehrpflicht
hat: erst unter Berücksichtigung aller dieser
Faktoren wird ein Vergleich der europäischen
Militärbudgets Anspruch auf wissenschaftliche
Richtigkeit erheben können, und wie sehr sich
schon dann das Bild zuungunsten Deutsch-
lands verschiebt, haben wir gesehen.
Danach läßt sich nun leicht entscheiden,
daß, wenn Deutschland obendrein auch noch
die schnellste Steigerung seiner Rüstungsaus-
gaben, verglichen mit der im gleichen Zeit-
raum vollzogenen Rüstungssteigerung anderer
Länder zeigt, an der Tatsache nicht mehr anders
als aus völliger Unkenntnis oder in der Absicht
lügnerischer Entstellung zu rütteln ist: daß
dieLastderRüstungenaufDeutsch-
land schwerer ruht als auf allen
anderen Ländern. Und tatsächlich ist
das denn auch der Fäll : die Rüstungsausgaben
vom Jahre 1906 standen nach Plenges genauer
Berechnung zu denen von 1875 und zu denen
von 1893 in folgendem Verhältnis:
Setzt man die Rüstungsausgaben voi
- 1875 = 100, so waren sie im Jahre 1906 ge
stiegen auf:
170
@=
DIE FRIEDENS-^VARTE
Heer Flotte
215.8 555,4 in Deutschland
135.9 243,3 in Frankreich
172,5 311,4 in England
Setzt man die Rüstungsausgaben von
1893 = 100, so waren sie im Jahre 1906 ge-
stiegen auf:
Heer Flotte
132,0 329,2 in Deutschland
111,4 127,2 in Frankreich
155,9 237,6 in England.
Wer wagt angesichts dieser Ziffern noch
der Folgerung zu widersprechen, die Plenge
(Sl. 714, im Orig. gesp.) aus ihnen zieht :
„Deutschland hat seit 1893 unter den
europäischen Großmächten die stärkste Stei-
gerung der Ausgaben für Rüstungszwecke
aufzuweisen"!? Ist es da so unberechtigt,
wenn man Deutschland das klassische Land
des Militarismus nennt? Ist da die Erregung
in England und Frankreich über das an-
dauernde Weiterrüsten Deutschlands, das sich
zu der jetzigen Milliardenvorlage gesteigert hat,
so ganz unbegreiflich ? Ist es da wirklich Vater-
landsverrat und ehrlose Gesinnung, in diesem
wahnwitzigen Rekordrüsten Deutschlands kein
Heil für sein Vaterland zu sehen? —
Was der Pazifismus seit Jahrzehnten ge-
predigt hat, daß die Rüstungsausgaben der
großen Kulturländer eine unnatürliche und auf
die Dauer unerträgliche Last für ihre kul-
turelle Weiterentwicklung darstellen, das be-
stätigt Plenges scharfsinniger Hinweis darauf,
daß erst ein Vergleich der Bevölkerungs-
zunahme mit der Rüstungszunahme eines Lan-
des ein völlig zutreffendes Bild der Sachlage
ergibt und er schließt diesen Hinweis mit den
— wiederum im Original gesperrten — Worten
(S. 766):
„Es ist erschreckend, daß in den
dreigroßenKulturländern [Deutschi.,
Frankr., Engl.] die Rüstungsausgaben
erheblich schneller gewachsen
sind als die Bevölkerung und man
sieht nicht ohne Ueberraschung,
daß in Deutschland, dem Lande der
stärksten Bevölkerungszunahme,
der gesamte Rüstungsauf wand der
wachsenden Bevölkerung verhält-
nismäßig am meisten vorangeeilt
is t." Möge daher jeder Reichstagsabgeordnete,
der die neue Milliardenvorlage zu bewilligen
entschlossen ist, sich überlegen, ob er seinem
Vaterlande damit wirklich einen Dienst erweist :
ob er damit wirklich dessen kultureller Fort-
entwicklung und der Erhaltung des Welt-
friedens nützt. Die gesamte Wehrvereins- und
sonstige gleichgesinnte Presse möge sich doch
bemühen, die von Plenge beigebrachten Nach-
weise und Zahlen zu widerlegen I Es ist dies
aber eben nur unter Preisgabe der wissenschaft-
lichen Wahrheit möglich: die klare Sachlage
ist, wie wir nochmals zusammenfassen, die:
unter den drei großen Kultur-
staaten ist es- Deutschland, das im
europäischen Wettrüsten seit 1870
stets die erste Stelle eingenommen
und dadurch direkt oder indirekt
Frankreich und England gezwun-
gen hat, entsprechend mitzurüsten.
Es leidet unter seiner Rüstungs-
last, die schon an sich die absolut
größte im Vergleich mit der Eng-
lands und Frankreichs ist, doppelt
und dreifach schwer, weil es dabei
eine große Kinderzahl zu erhalten
hat, weil es untereinerungünstigen
Vermögensverteilung und unter
dem Entzug vieler Betriebe leidet,
die in den beiden anderen Ländern
Privateigentumsind, undweildiese
seine ganze Rüstungslast oben-
drein am ungerechtesten durch
überwiegend indirekte Besteue-
rung auf den minderbemittelten
Klassen ruht.
Friedens- und Kriegshysterie.
Von Prof. Robert Pilot y, Würzburg.
Gedanken über Krieg und Frieden haben
mit allen Gedanken über menschliches Tun
und Lassen das Gemeinsame, daß sie als Ur-
teile der reinen (theoretischen) oder der
praktischen Vernunft erwogen werden können.
Diese beiden Sphären des Denkens werden
aber gerade in diesem Gebiete nur selten
scharf geschieden. Aus der Vermischung aber
ergeben sich mitunter psychopathische
Erscheinungen, die sich als Friedens- und
Kriegshysterie diagnostizieren lassen.
Eine wunderliche Verirrung, der man
nicht selten begegnet, ist es, wenn der
Friedenshysteriker gegen die gesamte ge-
rüstete Staatenwelt und ihre Führer sich in
veitstanzartigen Schimpfsalven entlädt und
statt sanfter Töne oder vernünftig-logischer
Darlegungen, durch die man Seelen und
Geister gewinnen könnte, ein. förmliches
Kriegsgeschrei für den Frieden erhebt. Er
glaubt sich vom Boden der Theorie völlig ge-
löst, lebt in dem Wahne, den archimedischen
Gedankenpunkt gefunden zu haben, von dem
aus er mit beleidigenden Stinkbomben um
sich schleudert, die Empfindungen der Vater-
landsliebe und Völkerehre" auszurotten ver-
sucht und ganze Berufsgruppen, Verfassungs-
formen und Staatseinrichtungen als Satans-
werke verketzert. Man muß mit kühlem Blut
solche Nervenentladungen auf ihr Substrat
untersuchen und findet dann gewöhnlich mehr
Aufwand wohlerworbener Dialektik als Ge-
dankenreichtum, eine krasse Rednereitel-
keit und eine Kriegslust, die sich zwar the-
orethisch noch am Ziel des Friedens fest-
nagelt, dabei aber mit Armen und Beinen
wie besessen in der Luft herumschlägt, heraus-
fordert ohne Neigung, Satisfaktion zu geben.
Diese pathologische Art von Friedens-
bewegung glaubt wirklich die Friedens-
171
DIE FßlEDENS-^MkDTE
3
erhalterin zu sein, während sie tatsächlich
auf der Hetzerseite steht, indem sie ruhig
denkende Leute aufregt, kriegsgeneigte
Schichten reizt und durch das Gesetz des
Widerspruchs in ihrer kriegerischen Rich-
tung vorandrängt.
Es ist nicht nötig, Namen als Beispiele
zu nennen und ihnen dadurch zur ersehnten
Berühmtheit als Friedenshelden zu ver-
helfen; wer kein Anfänger in der Feder-
psychologie ist, der kennt den Typus ohne-
hin schon, und das genügt.
Die Selbsttäuschung, in der ein solcher
Pseudoapostel lebt, wurzelt darin, daß er den
Kriegshetzer für seinen grimmigsten Feind
hält, während er in der Tat dessen unfrei-
williger Kopist ist. Auch der Kriegshysteriker
ist ein Nervenschwächling, der mit dem Krieg-
führenden nichts gemein hat, dem aber die
Vorstellungswelt der Kriegsgreuel eine Art
unentbehrlichen Giftgenusses geworden ist.
Ihm ist die Welt ohne Krieg eine unerträg-
liche Idee, er muß ihre öde Leere mit den
verderbensprühenden Explosivstoffen seiner
subjektiven Phantasie füllen, um sich anfangs
nur quartalweise, allmählich aber ständig
im Rausch seiner tapferen Selbstbespiegelung
kl übernatürlichen Dimensionen als der Held
aller vergangenen und künftigen Kriege zu fühlen.
Sonderbari Nur im Worte unterscheiden
sich die beiden, ihr Wappenschild und ihre
Figur sind die gleichen. Das Ganze ist
nicht Tatsache, sondern Nervensache, und es
darf nicht wundernehmen, wenn man beide im
Gefechte plötzlich die Rollen tauschen sieht,
oder wenn gar ein Virtuose der Sensation
es fertigbringt, beide Rollen in seiner Per-
son zu vereinigen. Aber sie sind beide nicht
so unschuldig, wie sie exaltiert sind. Denn
wenn sie auf ihren Postamenten agieren,
dann ist es eine Kunst, zwischen ihnen hin-
durchzukommen, ohne eine Beschmutzung
angehängt zu erhalten.
Es wäre aber auch unbillig, ihnen die
Schuld an ihrem unnormalen Seelenzustand
ausschließlich zuzuschieben. Wer möchte
von sich behaupten können, daß er im Leben
nie in dem einen oder anderen dieser beiden
Exaltationszustände sich befunden hätte ?
Zeiten und Umstände reißen mitunter auch
die Festesten mit sich fort. Aber es kann
nichts schaen, rechtdzeitig und stetig
in der Abwehr der suggestiven Schwin-
gungen, welche von diesen Polen ausgehen,
sich zu üben.
Die Jubilare des 21. Mai.
i.
Der 70. Geburtstag Prof. Renaults. <
Von Prof. N, P o 1 i t i s , Paris.
Unter den großen Berühmtheiten unserer
Zeit verkörpert Prof. Renault die inter-
nationale Idee in ihrem vornehmsten und er-
habensten Sinne. Keiner hat soviel wie er
zum Fortschritt des Rechts und zur Förde-
rung der Gerechtigkeit in den Beziehungen
zwischen den Völkern beigetragen.
Seit dreißig Jahren Lehrer des Völker-
rechts, hat er Tausende von Schülern aller
Nationalitäten herangebildet. Alle Inter-
nationalisten, die meisten Diplomaten, die
Elite der Verwaltungs-, Militär- und Marine-
Beamten in Frankreich, zahlreiche Rechts-
gelehrte und Staatsmänner im Auslande, sind
stolz darauf, ihn zum1 Lehrer gehabt zu haben.
Es gibt fast kein Land, in das seine wohl-
tätige Lehre nicht gedrungen ist. Der Beweis
dafür wurde durch das unvergeßliche Fest
erbracht, das vor sechs Jahren anläßlich
seines 25jährigen Jubiläums als Völkerrechts-
professor an der Pariser Universität statt-
fand.
Seit einem Vierteljahrhundert ist es ihm
als Rat des französischen auswärtigen Amtes
gelungen, die Diplomatie nach und nach zur
Gesetzmäßigkeit zu erziehen. Vor einigen
Jahren noch hatten die Staatskanzleien dafür
nicht viel übrig. Sie haben es auch heute
noch nicht genügend. Aber es ist schon sehr
viel, daß sie damit anfangen.
Als Delegierter der meisten internatio-
nalen Konferenzen seit Ende des XIX. Jahr-
hunderts, hat er alle Kräfte seiner Vernunft
und seines Wissens daran gesetzt, um die
Zahl der internationalen Gesetze zu ver-
mehren und ihre Qualität zu verbessern.
Er hat unzählige Male als Schiedsrichter
fungiert und dabei Urteilssprüche gefällt,
die den künftigen Rechtsgelehrten und
Schiedsrichtern gleichzeitig als Entschei-
dungen höchster Gerechtigkeit wie als Muster-
beispiele dienen können. Er setzte sich auch
für die Umgestaltung der Schiedsgerichts-
barkeit ein, die, vor kurzem noch ein ein-
faches diplomatisches Auskunftsmittel, dahin
strebt, eine wirkliche Rechtsinstitution zu
werden. Der früheren Ansicht des Schieds-
richters, der sich als der geborene Verteidiger
seines Landes ansah, setzte Prof. Renault
seine höhere Auffassung des Richters ent-
gegen, der im* Namen des Rechtes und der
Billigkeit sein Urteil fällt, ohne die Interessen
irgendeiner der Parteien zu den seinen zu
machen. Seine Unparteilichkeit machte
manchmal jene erstaunen, die in der alten
Praxis erzogen waren, aber sein gutes Bei-
spiel hat den Beifall der größten Skeptiker
gefunden, so daß er schließlich eine Be-
wegung ins Leben rief, die nach und nach
alle zivilisierten Länder ergreift.
Den einmal angeschlagenen Weg fort-
zusetzen, wurde Professor Renault nicht
nur durch seine angeborenen Talente und
seinen unermüdlichen Fleiß ermöglicht,
sondern auch weil er sich der Schwierigkeit
seiner Aufgabe genau bewußt war. Seine ge-
sammelten Erfahrungen über Menschen und
Dinge überzeugten ihn, daß mehr noch als
172
@s
DIE FRIEDEN5 -WARTE
jeder andere menschliche Fortschritt, der
Weg zum internationalen Fortschritt ein dor-
nenvoller und mühseliger sei. Man benötigt
Mut, Geduld und vor allen Dingen viel Klug-
heit, um ihn bis ans Ende zu gehen.
Daher das kluge Mißtrauen des Gelehrten
gegen absolute Doktrinen, die, weil sie sich
allzusehr von der Wirklichkeit entfernen, Ge-
fahr laufen, die Ueberzeugung zu erschüttern
und dem Geist eine falsche Richtung geben.
Daher der große Sinn für Versöhnlichkeit
des offiziellen Ratgebers und Vertragsbevoll-
mächtigten, der stets bereit ist, die ver-
schiedensten Meinungen gelten zu lassen,
sie ohne Vorurteil zu prüfen, ihnen — nö-
tigenfalls — das notwendige Verständnis ent-
gegenzubringen, um wünschenswerte Ueber-
einstimmung zu ermöglichen. Daher endlich
die Sorge des Richters, der berufen wird,
leidenschaftliche Konflikte zu lösen, die
Schärfe des Rechts durch die Empfindlich-
keit schonende Konzessionen zu mildern, um
die Beziehungen harmonischer zu gestalten.
Die Ideologen sind vielleicht versucht,
diese Klugheit für Lauheit anzusehen, die
den Fortschritt aufhält oder verlangsamt. In
Wirklichkeit ist aber diese Klugheit die
sicherste Gewähr des Fortschritts in einer
aus Nationen verschiedener Rasse, Zivili-
sation und Gebräuche gebildeten Gesell-
schaft. Die Dauer eines zu errichtenden
Baues hängt vor allem von dem Umfang und
der Solidität ihrer Fundamente ab ; die an
ihrer Legung arbeiten, verdienen daher die
Dankbarkeit der Menschheit.
Von diesem Geiste durchdrungen, ver-
urteilt Prof. Renault die gefährlichen Ueber-
treibungen einzelner Pazifisten : so die vor-
eilige Kodifikation des Völkerrechts, weil die
Sitten der Völker ohne eine eingehende De-
t eilarbeit zweckmäßig nicht textlich fest-
gelegt werden könnten; so das integrale und
obligatorische Schiedsgericht, weil diese Ein-
richtung, deren Anwendung durch die Do-
mäne des Rechts selbst geboten erscheint,
kein Zweck, sondern ein Mittel ist; so
die Abrüstung, weil, so wünschenswert diese
Maßnahme auch sei, sie nur die Folge einer
auf Recht gegründeten internationalen Or-
ganisation sein könnte; so endlich und haupt-
sächlich den Antipatriotismus, weil durch die
Konstruierung eines Widerspruches zwischen
der internationalen Idee und der des Vater-
landes, von der ersten alle jene entfernt
werden, die am Vaterlande mit ganzer Seele
hängen. Da der Internationalismus auf der
Achtung vor der Freiheit und der Würde
jedes Staates beruht, so ist derjenige un-
würdig, sich internationaler Bürger zu nennen,
der damit beginnt, seinem eigenen Lande
diese Achtung zu versagen.
Viel mehr aber als alle Worte predigt
das Beispiel Prof. Renaults selbst diese
Wahrheit: indem er Frankreich diente, hat
er am' besten allen anderen Nationen s:e-
dient, und seine Hingebung an dieses Land
war immer um so größer, als er wußte, daß
im letzten Grunde auch die anderen Völker
daran teilhaben würden.
Das ist sicher nicht das geringste seiner
Verdienste, die ihm die Verehrung der ganzen
Welt einbrachten. Seine Rüstigkeit läßt uns
hoffen, daß er noch lange Jahre seine
ausgezeichnete Tätigkeit zugunsten der
Wissenschaft und der Menschheit wird weiter
entfalten können. Dies ist — zu seinem
70. Geburtstag — der herzliche Wunsch
aller, die das Höchste darin erblicken, Be-
ziehungen der Gerechtigkeit und des Friedens
zwischen den Nationen sich entwickeln zu
sehen.
IL
Albert Gobat.
1843 - 21. Mai — 1913
Von Chr. L. Lange,
Generalsekretär der Interparlamentarischen Union
in Brüssel.
Es wird allen, die ihn kennen, unglaub-
lich scheinen, daß Albert Gobat jetzt
die „Jahre des Staubes" erreicht: es ist an
ihm so wenig Verstaubtes; er hat so gar
nicht das Gepräge des alternden Mannes.
Seine rüstige Gestalt, sein kräftig gebauter
Körper, der nichts Schwerfälliges an sich hat,
sein noch schwarzes Haar, das von der Stirn
wie eine \Flamme emporstrebt — das alles
widerspricht dem Zeugnis seines Geburts-
scheines. Es läßt uns auch hoffen, daß Gobat
zu der schon stattlichen Reihe von Friedens-
freunden gehören wird, die uns bis an die
achtziger und neunziger Jahre erhalten geblie-
ben sind, wie die abgeschiedenen Passy,
Hodgson, Pratt, Cremer und Beernaert
oder die uns noch erhaltenen Labiche und
Houzeau de Lehaie.
Albert Gobat hatte schon eine rege öffent-
liche Tätigkeit hinter sich, als er im Jahre
1891, 48 Jahre alt, sich der Friedensbewe-
gung anschloß. Als ganz junger Advokat
hatte er sich in seiner Heimat, dem berni-
schen Jura, besonders der Entwicklung des
Unterrichtswesens gewidmet. Noch nicht 40
Jahre alt, war er in den Großen Rat des
Kantons Bern gewählt worden, und übernahm
gleichzeitig auch hier die Leitung des Unter-
richtsdepartements. Schwere Kämpfe hatte er
hier zu bestehen wider eingewurzelten Konser-
vatismus und faule Trägheit. Aber der Wider-
stand steigerte nur seine rücksichtslose Energie
und er konnte, als er nach fünf undzwanzig Jah-
ren die Leitung des Unterrichtswesens nieder-
legte, stolz auf die Ergebnisse seines Wirkens
sein. Die Berner Universität hat während
dieser Jahre ihren hohen wissenschaftlichen
Ruf, namentlich auf dem medizinischen Ge-
biete, erworben, und die Primärschule hat
namhafte Fortschritte gemacht, besonders
173
DIE FßlEDENS-^VAQTE
=3
durch die große Reform von 1894, die Gobats
persönliches Werk war. Mittlerweile war er
auch in den Dienst des öffentlichen Lebens
der Schweizer Konföderation getreten: als
Nationalrat hat er im Jahre 1891- der dritten
interparlamentarischen Konferenz in Rom bei-
gewohnt.
Gobat trat in die Bewegung ein, als die
Friedensfreunde darangingen, sich internatio-
nal zu organisieren. "Es war ganz natürlich,
daß sie dann mit Begeisterung und Dank-
barkeit seine bewährte organisatorische und
administrative Begabung in Anspruch nahm,
und er hat sich auch unbegrenzt zu ihrer
Verfügung gestellt. Er war schon 1891 als
Mitglied des ständiger Komitees des Friedens-
bureauS Elie Ducommun bei Seite getreten
und blieb in dieser Stellung bis 1899. Im
Jahre 1892 hat die 4. Interparlamentarische
Konferenz, die zu Bern unter dem Präsidium
Gobats' tagte, beschlossen, der Interparla-
mentarischen Union eine festere Organi-
sation zu geben. Gobat unternahm die Auf-
gabe, diese Organisation zu schaffen und zu
leiten, und siebzehn Jahre hindurch hat er
hier als Ehrensekretär außerordentliches ge-
leistet, an Arbeit, an Initiative, an Kampf.
Das Nobelkomitee hat ihm 1902, als einem
der vier ersten, den Friedenspreis zuerkannt.
Wir können hier nicht im einzelnen der
Wirksamkeit Gobats im interparlamenta-
rischen Amt, in den jährlichen Konferenzen,
als Leiter der Monatsschrift „La Conference
interparlementaire" nachgehen. Das hieße die
Geschichte der Union selbst während dieser
Jahre schreiben.
Beim Tode Elie Ducommuns, 1906, über-
nahm Gobat auch die Leitung des Friedens-
bureaus, und als 1912 das Bureau sich mit
Hilfe der Carnegie-Stiftung reorganisierte,
trat er als Direktor des Instituts an dessen
Spitze und widmet ihm jetzt seine ganze
Arbeitskraft. Von hier aus führt er seinen
freudigen Kampf weiter für die Ideen, die
ihm! Herzenssache sind.
Gobat ist eben sein ganzes Leben ein
Kämpfer gewesen. Der Kampf ist sein
Element; der Widerstand ist ihm eine Not-
wendigkeit und ein Bedürfnis; man könnte
versucht sein zu sagen, daß, wenn der Wider-
stand nicht da wäre, so würde er ihn
schaffen, um desto frischer kämpfen zu
können, mit der rücksichtslosen und rück-
sichtsfreien Energie, die seiner ganzen Per-
sönlichkeit ihr ganzes Gepräge verleiht. Er
leistet glücklicherweise ein kräftiges De-
menti der albernen Lehre, daß pazifistische
Anschauung die Freude des Kämpfens aus-
schließt.
Alle Friedensfreunde werden Albert Gobat
zum siebzigsten Jahre ihren Dank und ihre
Grüße darbieten, in dem Wunsche, daß er
noch lange Jahre seine Tätigkeit fortsetzen
möge.
CSS?
III,
Dr. Heinrich Lammasch.
Zu seinem 60. Geburtstage.
Von E. Frhr. v. Plener.
Der Name Heinrich Lammasch's ist heute
in der ganzen internationalen Welt anerkannt
und hochgeachtet. Er hat als Schiedsrichter
im1 Haag in schwierigen und wichtigen Fällen
die Entscheidung zur Zufriedenheit beider
Streitteile gefällt und damit die Autorität
des neuen Schiedsgerichtshofs vor der ganzen
Welt gehoben. Namentlich in dem letzten
unter seinem Vorsitz abgehaltenen Schieds-
verfahren über die seit fast zwei Jahrhun-
derten zwischen England und den. Ver-
einigten Staaten schwebende Kontro-
verse der Neufundlandfischerei hat er
einen Scharfsinn und eine so gründliche
Beherrschung des höchst verwickelten
und umfangreichen Materials entwickelt, die
ihm1 unter den internationalen Juristen einen
ersten Rang zuweisen. Er ist seiner Anlage
und seiner Denkweise nach der richtige
Schiedsrichter. Nach einer von vielen ge-
teilten Auffassung ist der Schiedsrichter na-
mentlich in internationalen Dingen kein
Richter im1 eigentlichen Sinne des Wortes.
Das Schiedsgericht wird zusammengesetzt
durch die freie Wahl der Streitteile, welche
mit Recht auch1 nationale Schiedsrichter im
Kollegium! haben wollen, und der Schieds-
spruch ist kein Urteil im formalistischen
Sinne des Zivilprozesses, es muß mit einer
gewissen aequitas gefällt werden, es han-
delt sich nicht bloß um die formelle Unter-
werfung des Falles unter einen Rechtssatz,
das Schiedsverfahren soll eine ausgleichende
Gerechtigkeit schaffen. Das ist's, was die
anrufenden Teile wollen, und das ist es,
was nach unseren heutigen Auffassungen den
souveränen Staaten die Anrufung von
Schiedsgerichten ermöglicht, während die
Unterwerfung des1 souveränen Staats unter
einen berufsrichterlich zusammengesetzten Ge-
richtshof noch lange große Schwierigkeiten
bieten wird. Und jene ausgleichende Funktion
des Schiedsrichters verstand Lammasch in der
richtigen Weise auszuüben, hier kann das
oft mißbrauchte Wort vom ,, guten Richter"
angewendet werden, eine billige Entschei-
dung, die einen versöhnenden Abschluß
bringt, und in wichtigen Fällen, wenn auch
formell nicht zugestanden, tatsächlich einen
politischen Charakter an sich trägt.
Aber nicht bloß als Vorsitzender des
Schiedsgerichtshofes hat sich Lammasch um
die Sache der schiedsgerichtlichen Aus-
tragung internationaler Streitfragen große
Verdienste erworben, als einer der Delegierten
unserer Monarchie auf beiden Haager Kon-
ferenzen hat er dem1 Gedanken obligatorischer
Schiedsgerichte für bestimmte Fälle seine
besten Argumente geliefert, wenn ihm auch
174
<§=
DIE FRI EDENS -^ÄßTE
durch die Instruktionen seiner Regierung die
Hände etwas gebunden waren.
Als Mitglied des Institut de droit inter-
national entwickelte Lammasch eine eifrige
Tätigkeit, und noch in dessen letzter Jahres-
versammlung ist er der amerikanischen Ten-
denz nach Einsetzung eines ständigen kleinen
internationalen Tribunals für geringere ju-
ridische Fälle entgegengekommen, hat aber
dabei nachdrücklich die Tätigkeit des großen
.Schiedsgerichtshofs für politische und wich-
tigere Fälle gewahrt.
In der allerjüngsten Zeit hat er die
völkerrechtliche Literatur durch ein in den Ver-
öffentlichungen des Nobel-Instituts erschie-
nenes größeres Werk über ,,D ie Rechts-
kraft internationaler Schieds-
sprüche"*) bereichert. Er gibt darin an
der Hand der bisherigen Schiedsgerichts-
praxis eine ausgezeichnete Darstellung über
die Art der Fälle, welche sich für schieds-
richterliche Austragung eignen, macht mit
der ihm eigenen weisen Vorsicht Vorbehalte
gegen die Zulässigkeit von Klagen von
Privatpersonen gegen einen Staat, weil er
überhaupt von dem internationalen Hof nur
die Streitigkeiten zwischen Staat und Staat
als derzeit möglich entscheiden lassen will.
Eingehend behandelt er das Verhältnis inter-
nationaler Schiedssprüche zu den Erkennt-
nissen der nationalen Gerichte und kommt
zu dem Schluß, daß der Spruch eines „iso-
lierten" (d. i. eines nur ad hoc eingesetzten)
Schiedsgerichts, im1 Falle als er gegen das
Erkenntnis des nationalen Gerichts ausfällt,
den unterliegenden Staat zur Schadloshal-
tung verpflichte, daß derselbe ferner keine
für die Zukunft bindende präjudizielle Kraft
für die nationalen Gerichte habe, wohl aber
könne sich für die betreffende Regierung die
Pflicht ergeben, eine Gesetzesänderung im
Sinne des Schiedsspruchs durchzuführen.
Hat ein „institutionelles" (d. i. ein auf Grund
eines allgemeinen Schiedsgerichtsvertrages
berufenes) Schiedsgericht für eine Vertrags-
norm' eine bestimmte Auslegung festgestellt,
so ist der Schiedsspruch für beide Teüe
gültig. Für die Durchführung internationaler
Schiedssprüche will Lammasch keine gewalt-
samen Exekutionsmittel, er vertraut auf die
fortschreitende Zivilisation und den guten
Glauben der Kulturstaaten, um die Voll-
streckung in loyaler Weise zu sichern.
Wir Oesterreicher verehren in Lammasch
den ausgezeichneten Rechtslehrer, der eine
Zierde unserer ersten Universität ist. An der
Verfassung des neuen Strafgesetzentwurfs
hat er hervorragenden, maßgebenden Anteil
genommen, und sein darüber im Namen der
juridischen Kommission des Herrenhauses
erstatteter Bericht ist ein Meisterwerk klarer
Darstellung, die von dem Geist echter Hu-
manität getragen wird. Wir alle wünschen
dem1 hochverehrten Manne noch eine lange
Kristia nia 19 13.
Reihe von Jahren der Kraft und Leistungs-
fähigkeit, die er sicher mit bedeutendster
Tätigkeit ausfüllen wird, zur Ehre seines
Namens und zur dankbaren Anerkennung
seines Vaterlandes.
„Deutschland in Waffen."
Von C. L. Siemering, Königsberg i. Pr.
Ein junger Mann hat ein Buch veröffent-
licht, zu dem er zwei Artikel beisteuerte; der
Rest stammt von Schlachtenmalern bzw. akti-
ven Offizieren zu Lande und zur See. Das
Buch ist „Seiner Majestät dem Kaiser und
König ehrfurchtsvoll gewidmet" — demselben
Kaiser, der den Ausspruch getan hat: „Ich
wünschte, der europäische Friede läge in
meiner Hand; ich wollte schon dafür sorgen,
daß er nicht gestört würde."
In seinem „Wo rt zum Geleit" schreibt
der junge Mann : „ ... Nur so, auf das gute
Schwert gestützt, können wir den Platz an
der Sonne erhalten, der uns zusteht, aber
nicht freiwillig eingeräumt wird". Der Kaiser
dagegen sagte im Jahre 1895, als er etwa im
Alter des jungen Mannes stand, bei Eröffnung
des Nordostseekanals, „ . . . Die gepanzerte
Macht, die versammelt ist im Kieler Hafen,
soll zu gleicher Zeit ein Sinnbild des Friedens
sein, des Zusammenwirkens aller euro-
päischen Kulturvölker zur Hochhaltung der
europäischen Kulturmission." Außer-
dem: der junge Mann verwechselt wieder ein-
mal „Krieg" und „Sieg"; er vergißt, daß
für den Besiegten oder im Rüstungswettkampf
Unterliegenden die erträumten Vorteile sich
ins bittere Gegenteil verkehren müssen.
Weiter lesen wir: „Diesen kriegerischen,
treuen und stolzen Sinn müssen wir pflegen
und unseren Nachkommen als heiliges Erbe
überliefern." Dagegen hören wir in der
Bremer Rede des Kaisers vom 22. März
1905 folgendes.
„Das Weltreich, das ich mir geträumt
habe, soll darin bestehen, daß vor allem
das neuerschaffene Deutsche Reich von
allen Seiten das absoluteste Vertrauen als
eines ruhigen, ehrlichen, friedlichen Nach-
barn genießen soll, und daß, wenn man
dereinst von einem deutschen Weltreich . . .
reden sollte, es nicht auf Eroberun-
gen begründet sein solle durch das Schwert,
sondern durch gegenseitiges Vertrauen der
nach gleichen Zielen strebenden
Nationen."
Das „internationale Weltbürgertum*),
*) Es sei hier auch an jene Worte erinnert,
die der Kaiser am 21. Juni 1904 in Cuxhaven
sprach: „Jedem objektiven Beobachter der Vor-
gänge auf unserem Erdenkreise muß sich die
eine Beobachtung aufdrängen, daß allmählich die
Solidarität unter den Völkern der Kulturländer
unstreitig Fortschritte macht auf verschiedenen
Gebieten. Und diese Gebiete erweitern sich.
175
DIE FRIEDENS -WARTE
:3
meint der junge Mann, sei „un deutsch".
Nun, es gab eine Zeit, da der deutsche
Gedanke als unpreußisch galt, so daß seine
Vertreter — wie Jahn und Reuter — in
Festungskasematten schmachten mußten. Und
was das „Friedenswiegenlied der
Utopisten" anlangt, so galt auch einmal
die Abschaffung der Inquisition, der Leib-
eigenschaft, Tortur, Hexenverbrennung, des
Harakiri oder der indischen Witwenverbren-
nung als utopisch und gotteslästerlich. —
Gleichwie heute Sachsen und Bayern nicht
in „trägen Schlaf" versunken sind, seit
sie Mitglieder des Deutschen Reiches wurden;
wie dieses reichlich wach geblieben ist, ob-
wohl es dem Dreibund beitrat und zeit-
weise — beim Boxeraufstand in China oder
in den Balkanwirren — mit allen Kultur-
staaten gemeinsam operiert, so besteht in
Wahrheit auch nicht der leiseste Grund zu
der Befürchtung, daß es irgendwie sich selbst
verlieren würde, wenn es, im wohlverstandenein
eigensten Interesse, sich dauernd einem
Staatenbunde von fünf oder sechs Großmäch-
ten angliedern wollte — ein Weg, der durch
die beiden Haager Konferenzen bereits in sehr
ausgedehnter Weise beschritten worden ist.
„Dem hitzigen Gelderwerb", meint der
junge Mann, „wird in diesen schlimmen Frie-
denszeiten „alles geopfert"." Er scheint nichts
von der seit Jahren bestehenden Teuerung
zu wissen, die mehrfache — allerdings recht
anzulängliche — Besoldungserhöhungen nötig
machte; er kennt wohl auch kaum die von
Novicow vor etwa zehn Jahren mitgeteilte
Statistik, wonach 40% des deutschen Vol-
kes ein Durchschnittseinkommen von 276 Mark
jährlich haben, und daß unter den fortge-
schrittensten Gesellschaftsgruppen Westeuro-
pas von 1000 Personen 900 im Elend, 90
in halbwegs geordneten Verhält-
nissen und nur 10 im Reichtum le-
ben. Wie kommt man also zu der Behaup-
tung, daß der Luxus die Nationen verdorben
hat, wenn die im Luxus lebenden Personen
stets nur eine völlig unerhebliche Minderheit
bildeten? Eine wahrhaft teuflische Ironie
liegt in der Ansicht, daß die in Not und
Elend Lebenden von Zeit zu Zeit sich massa-
krieren müssen, um durch den Luxus, den
sie niemals besessen haben, nicht verweich-
licht zu werden.
Den Schlüssel zu all* diesen Tiraden und
Fanfaren bietet uns der zweite Beitrag:
„Regiment der Gardes du Corps, Standarten-
Diese Solidarität geht unmerklich, aber un-
widerstehlich in das Programm der Staats-
lenker über, wie in die Gedanken der sich
selbst regierenden freien Bürger. Diese Soli-
darität wird genährt in verschiedener Weise,
sei es in ernster politischer Beratung, sei es
auf Kongressen, sei es in Wettkampf und
Spiel Dieser Solidarität verdankt
es der Kaufmann, der Industrielle, der Ackerer,
wenn er in ruhiger Arbeit sich fortschreitend
entwickeln kann." Red. d. Fr.-W.
176
eskadron". Dort heißt es am Schlüsse, nach
Schilderung einer Reiterattacke im Manöver:
„Und doch noch eines erscheint dem echten
Reitersmann schöner: wenn alles dies dasselbe
ist, aber am Ende des schnellen Laufes uns
der Feind entgegenreitet, und der Kampf,
für den wir geübt und erzogen sind,
einsetzt; der Kampf auf Leben und Tod."
Abgesehen davon, daß hier die alte An-
schauungsweise von dem jeweiligen Nachbar-
volke, mit dem wir die Handelsgüter aus-
tauschen, als einem „Feinde" nachwirkt —
wofür man in den Reden unseres Kaisers
kaum ein Analogon finden dürfte — : hier zeigt
sich der Militarismus als Selbstzweck in
seiner unverblümten Schöne. Wir sind „da-
für geübt und erzogen", also hegen
wir natürlicherweise den Wunsch, das Vater-
land nicht etwa nur im Falle eines Angriffs
zu verteidigen, sondern, daß dieser Ernstfall,
der uns Lebensbetätigung bedeutet, recht
bald eintreten und, falls er zu lange auszu-
bleiben droht, künstlich herbeigeführt werden
möge, damit der „Reitergeist" endlich Befrie-
digung und Daseinszweck erhalte . . .
Auch aus den Artikeln der hohen Mili-
tärs und aus den Bilde r - Reproduktionen
des äußerlich prächtigen Buches tönt es von
Säbelgerassel, Torpedoexplosion, Fahnenrau-
schen, Maschinengewehrfeuer und „Treue bis
in den Tod". Der Pariser „E x c e 1 s i o r"
aber schreibt sorgenvoll: „Noch hat er (der
Autor) nichts von der Friedensliebe gezeigt,
der sein Vater so aufrichtig ergeben ist."
Denn es handelt sich um jenen jungen Mann,
der nach menschlicher Voraussicht einmal
Deutscher Kaiser sein wird. Und dieser
Umstand wird in der Tat auch jeden Deut-
schen nachdenklich stimmen.
Brief aus denVereinigtenStaaten.
Von Henry S. H a s k e 1 1 , New York.
Am 10. April fand in New York City die
7. jährliche Versammlung der „Intercollegiate
Civic League" statt. Zweihundert Vertreter
verschiedener Universitäten des Landes waren
anwesend. Bei Begrüßung der Versammlung
sagte Prof. Nicholas Murray Butler,
Präsident der Columbia-Universität, unter anderem:
„Ich betrachte die jetzige leichtsinnige
Auffassung führender Männer in bezug auf
Vertragsverpflichtungen als eine sehr wichtige
und beunruhigende Frage.
Wir rnüssen uns selbst zu einem Volke
erziehen, das seine äußeren Verpflichtungen
in ganz derselben Weise erfüllt, wie ein Mann
von Charakter seine persönlichen Verbindlich-
keiten seinen Mitmenschen gegenüber. Wir
müssen mit jeder Schönfärberei unserer ge-
brochenen internationalen Versprechen auf-
hören. Sophistische Argumente, wirtschaft-
licher Profit oder politischer Gewinn dürfen
niemals einem Land mehr erlauben als
e
DIE FRIEDEN5-^VARXE
einem ehrlich denkenden Menschen in Er-
füllung seiner Versprechen gegen andere ge-
statten würden.
Ein anderes großes internationales Problem
ist die Frage, wie wir die ungeheuerlichen
Ausgaben aller Nationen für Kriegszwecke
hemmen können. Tatsächlich gibt jedes Land
in Europa mehr dafür aus, als es selbst tragen
kann. Welcher Wahnsinn darin liegt, wurde
am besten vom Lord der Admiralität in Eng-
land, W ins ton Churchill, der mehr als
jeder andere unserer Zeit von Kriegsausgaben
weiß, in einer Parlamentsrede bewiesen. Er
sagte, daß Großbritannien durch seine Flot-
tenausgaben die lächerliche Stellung eines
Geschäftsinstitutes einnehme, das jährlich
Hunderte von Millionen für eine gewisse Art
von Gütern ausgibt und andere Millionen für
die Erfindung solcher Güter, die eben jene
zerstört oder nutzlos macht. Er fragt uns, wie
lange diese Politik von einem vernünftigen
Mann verteidigt werden kann; und die Ant-
Avort darauf ist, daß sie nicht für einen ein-
.zigen Augenblick einen Verteidiger finden könne."
Bei einem am 11. April abgehaltenen
Diner der „Navy League", das in der Ab-
sicht stattfand, zur Anschaffung einer größe-
ren Flotte zu ermutigen, gab der anwesende
Staatssekretär Bryan im eigenen Namen fol-
gende Erklärung ab : „Währ end Sie eine
Erhöhung der Kriegsschiffe wol-
len, werde ich die kommenden vier
Jahre nur dafür arbeiten, daß
Kriegsschiffe nicht notwendig werden."
MB
Amerikanische Zeitungen haben sich mit
den von Dr. Liebknecht erhobenen An-
schuldigungen gegen die europäischen Waf fen-
und Munitionsfabriken in hervorragender
Weise beschäftigt. Die „New York Evening
Post" vom 24. April veröffentlicht ein Inter-
view mit dem Sekretär der New Yorker Frie-
densgesellschaft, Prof. Samuel T. Dutton,
der der Meinung Ausdruck gab, daß eine
Nachforschung bei uns zeigen würde, wie
sehr alle Einflüsse, die für die Entwicklung
einer großen Armee und einer mächtigen
Flotte wirken, größtenteils künstlich sind, und
daß letzten Endes die Munitionsfabriken für
die häufigen Kriegsalarme zwischen diesem Land
imd andern Ländern verantwortlich zu machen sind.
NR
Während der letzten Woche herrschte im
westlichen Teil unseres Landes und in Japan
große Aufregung wegen des beabsichtigten
Fremdengesetzes der gesetzgebenden Körper-
schaft von Kalifornien. Das Gesetz schlägt
vor, einem Fremden das Recht auf Grund-
besitz für länger als ein Jahr zu verweigern,
sofern er nicht die Absicht bekundet hat, ein
Bürger der Vereinigten Staaten zu werden.
Weil die Frage der Erlangung des Bürger-
rechts durch Japaner in den Vereinigten
Staaten durch den Obersten Gerichtshof noch
nicht erledigt wurde, hält das amerikanische
Volk im allgemeinen die Japaner für nicht
wahlfähig. Es wird in Kalifornien zugegeben,
daß das Anti-Fremdengesetz gegen die Japaner
gerichtet ist. In Anbetracht dessen, daß die
Vereinigten Staaten einen Vertrag mit Japan
geschlossen haben, der diesem Land verschie-
dene Privilegien bewilligt, die durch dieses
Fremdengesetz gegenstandlos werden, hat die
Situation zwei empfindliche Punkte gezeitigt.
Erstens, die Frage des Rechtes der Staaten
und zweitens die Vertragsbeziehungen zwischen
Japan und den Vereinigten Staaten. Die
Staatenrechtsfrage ist durch das Gesetz ge-
klärt. Die Konstitution der Vereinigten Staaten
verfügt, daß internationale Verträge als ober-
stes Gesetz des Landes zu gelten haben, und
daher jedem Staatengesetz vorgehen. In ver-
schiedenen Entscheidungen hat der oberste
Gerichtshof der Vereinigten Staaten dieses
Prinzip aufgestellt. Wenn Kalifornien ein Ge-
setz annimmt, welches im Gegensatz zu irgend-
einem Vertrag zwischen den Vereinigten
Staaten und einer anderen Nation steht, muß
dieses Gesetz vom Obersten Gerichtshof für
null und nichtig erkannt werden. Trotzdem
herrscht große Erregung über diese Frage
und unglücklicherweise auch ein schlechtes
Verhältnis zwischen einer gewissen kleinen
Anzahl von Bewohnern der Pacific-Küste und
einer entsprechend kleinen Anzahl von Bürgern
Japans. Die letzteren scheinen Vorteil aus der
Situation zu ziehen, indem sie der Regierung
von Tokio Schwierigkeiten bereiten. Es ist
aber ebenso möglich, daß die Agitatoren des
Fremdengesetzes in Kalifornien die Absicht
haben, der neuen Verwaltung in Washington
Verlegenheiten zu bereiten. Die Progressiv-
Partei, unter dem Namen „Bull Moose Party"
bekannt, kontrolliert die kalifornische Gesetz-
gebung. So wird erzählt, daß der ehemalige
Präsident Roosevelt dem Gouverneur von
Kalifornien, Hiram Johnson, telegraphisch
seinen Rat gesandt habe.
Bei Beginn dieser Agitation schien Präsi-
dent Wilson abgeneigt, in dieser Sache bei
der kalifornischen Staats-Gesetzgebung zu
vermitteln. Als sich aber zeigte, daß die An-
gelegenheit in Japan sehr ernst aufgefaßt
wurde, und daß internationale Komplikationen
eintreten könnten, versuchte Präsident Wil-
son durch Mitteilungen, die er an den Gouver-
neur Johnson von Kalifornien sandte, seinen
moralischen Einfluß zu einer Milderung der
vorgeschlagenen 'Maßregeln geltend zu machen.
Bis jetzt scheint dieser moralische Einfluß
wenig Erfolg gehabt zu haben. Präsident
Wilson hat aber vom Gouverneur John-
son die Versicherung erhalten, daß kein end-
gültiger Beschluß in dieser Sache gefaßt wer-
den würde, bis Staatssekretär Bryan Kali-
fornien besucht und seine Ansichten über das
Fremdengesetz ausgedrückt hätte. Der Staats-
sekretär befindet sich nun auf dem Wege nach
Kalifornien.
177
DIEFBIEDEN5->i^ßrE
;§>
Die Zukunft der Haager
Friedenskonferenzen.
Von Dr. Hans Wehberg in Düsseldorf.
(Schluß.)
7. Endlich — und damit will ich die
Vorschlagsliste schließen — wäre sehr zu er-
wägen, ob nicht die Regierungen fortan die
nationalen Gesellschaften, die für den Frieden
eintreten, z. B. eine so hervorragende Vereini-
gung wie den „Verband vfür internationale Ver-
ständigung", in reichem Maße unterstützen
wollen. Da eine große Anzahl Regierungen
bereits heute der interparlamentarischen Union
jährlich einen Betrag überweisen läßt, so ist
dieser Gedanke nicht so weltfremd, wie er
auf den ersten Blick erscheinen könnte. Fallen
denn nicht die Ziele der Friedensbewegung
und der gesunden Friedenspolitik der Re-
gierungen völlig zusammen ? Gewiß muß man
zugeben, daß bei einzelnen Gesellschaften
noch utopistische Forderungen auftreten; aber
gerade dadurch, daß die Regierungen mit den
Friedensgesellschaften Hand in Hand arbeiten,
wird es am leichtesten möglich sein, von den
Friedensgesellschaften eine wirklich maßvolle
Unterstützung bei der Aufklärung der öffent-
lichen Meinung zu erhalten.
Wenn auch einzelne der zuletzt genannten
Vorschläge auf rein nationaler Grundlage ver-
wirklicht werden können, so scheint es nichts-
destoweniger gut, gemeinsam diese Fragen
zu überlegen.
Wir sahen also, daß von den genannten
Vorschlägen noch kein einziger von den
Haager Friedenskonferenzen energisch ange-
faßt worden ist. Die Konferenzen haben sich
auf die Schiedsgerichts- und Rüstungsfrage
beschränkt, phne einmal von Grund aus zu
überlegen, wie in planvoller, allmählicher
Arbeit eine Besserung der internationalen Ver-
hältnisse herbeigeführt werden kann.
Nun ist ja allerdings das Verhalten der
Haager Konferenzen sehr wohl dadurch zu
verstehen, daß auf dem Programme der ersten
Haager Konferenz lediglich die Abrüstungs-
und Schiedsgerichtsfrage stand. Man hat
eben später nicht versucht, eine systematische
Friedenspolitik zu betreiben.
Da erhebt sich denn die Frage, ob we-
nigstens auf dem Gebiete der Rüstungsfrage
und der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit
die Haager Konferenzen systematisch und
planvoll vorgegangen sind, oder ob die Ver-
handlungen und Beschlüsse in dieser Hinsicht
zu scharfer Kritik Anlaß geben.
Betrachten wir zunächst einmal die B e -
handlung der Rüstung s frage auf
der ersten Haager Friedenskon-
ferenz, so war diese einer günstigen Lösung
der Frage so unvorteühaft wie eben möglich.
Was nämlich den Vorschlag betreffend einen
Stillstand der Friedenspräsenzstärke der Land-
armee auf fünf Jahre anlangt, so war hier
der allerschwierigste und ungeeignetste Weg
beschritten worden, um die Frage einer
Lösung zuzuführen. Als ich kürzlich einmal
die verschiedenen Vorschläge zusammenstellte ,
die bisher in der Weltliteratur zur Rüstungs-
frage gemacht worden sind, habe ich nicht
weniger als 35 gefunden. Höchstwahrschein-
lich sind aber noch mehr Wege gezeigt
worden; denn ich habe nur einen kleinen Teil
der Literatur durchgesehen. Der russische
Antrag auf der ersten Haager Friedenskon-
ferenz war nun von diesen 35 Möglichkeiten
der am wenigsten empfehlenswerte, und es
war unter diesen Umständen ganz natürlich,
daß die Haager Friedenskonferenz zu keinem
Resultate gelangte. Das war in diesem Falle
ein besonderes Unglück. Denn die Welt
wurde dadurch in den schweren Irrtum ver-
setzt, als sei die Rüstungsfrage unlösbar.
Warum wurde gleich zu Anfang so Schwieriges
unternommen? Waren nicht zahlreiche Vor-
schläge gemacht worden, die viel eher zu
einem Ziele hätten führen können?
Was die Frage der Festsetzung des
Flottenbudgets auf die Dauer von drei Jahren
anlangt, so trat hier klar zutage, daß man
seine Beschlüsse voreilig faßte. Was soll man
denn dazu sagen, daß die erste Haager Frie-
denskonferenz den russischen Antrag über das
Flottenbudget mit Gründen ablehnte, die auf
der zweiten Haager Friedenskonferenz von
Männern wie Renault, Lammasch und
Scott für unhaltbar erklärt und heute von
der gesamten Wissenschaft als falsch er-
wiesen worden sind? Vergegenwärtigen wir
uns doch einmal diese Tatsache! Nach Er-
öffnung der Diskussion über den zuletzt er-
wähnten Antrag äußerten 1899 die Vertreter
von England, Frankreich, den Vereinigten
Staaten und Portugal Bedenken, und erklärten,
die große Schwierigkeit liege hier beim Par-
lamente und in seiner gesetzlichen Zuständig-
keit auf dem Budgetgebiete; es gehe nicht
an, daß sich die Regierungen bezüglich der
Budgeterhöhungen bänden, wenn das Parla-
ment darüber noch zu sprechen habe. Freilich
waren damals schon hervorragende Männer
wie van Ka rnebeek und v. B i 1 1 e der
Meinung, daß die Ansicht der Mehrheit unzu-
treffend sei. Trotzdem wurde der Antrag aus
konstitutionellen Gründen abgelehnt und den
Regierungen lediglich ein neues Studium der
Frage empfohlen. Nun vergleiche man hiermit
die Verhandlungen über die konstitutionellen
Schwierigkeiten bei der obligatorischen
Schiedsgerichtsbarkeit auf der zweiten Haager
Friedenskonferenz. Gerade die Vertreter Eng-
lands, Frankreichs, der Vereinigten Staaten
und Portugals wiesen damals die konstitu-
tionellen Bedenken als irrtümlich zurück;..
Später hat der deutsche Delegierte Zorn in
seiner Schrift „Das Deutsche Reich und die
internationale Schiedsgerichtsbarkeit" (1911, S.
27) mit aller Deutlichkeit erklärt: „Wenn ein.
178
<§=
DIE FRIEDEN5 -WARTE
Staat internationale Rechtspflichten vertrags-
mäßig übernimmt, so) sind dadurch alle Organe
des Staates in gleicher Weise gebunden, auch
die Parlamente. Das ist die einfache logische
Konsequenz aus dem Begriff des interna-
nationalen Rechts."
Waren also die Gründe, mit denen der
Vorschlag über die Festsetzung des Flotten-
budgets auf der ersten Haager Friedenskon-
ferenz abgelehnt wurde, durchaus lunrichtig,
so waren die Verhandlungen über die Be-
schränkung bzw. den Stillstand der Kriegs-
mittel ebenso verwirrt. Ich betone nur, mit
wie unzureichenden Gründen der Vorschlag
über die Verpflichtung der Staaten, keine
Selbstladegewehre in einer bestimmten Zeit
einzuführen, abgelehnt worden ist. Eine
eigentliche Diskussion fand überhaupt nicht
statt. Das ist um so bedauernswerter, als dieser
Antrag ganz zweifellos praktisch durchführ-
bar war und die Militärs, statt die Frage vom
internationalen Gesichtspunkte aufzufassen, le-
diglich den engen nationalen Standpunkt aus-
schlaggebend sein ließen. Das war nament-
lich bei dem sonst tüchtigen deutschen
Obersten Groß v. Schwarzhoff der Fall,
einer sehr sympathischen Soldatengestalt, der
aber im letzten Grunde nur zu einer völligen
Verwirrung der Fragen beigetragen hat. Was
nämlich insbesondere die Frage der Selbst-
ladegewehre betrifft, so sind diese bis zum
heutigen Tage von keiner Regierung einge-
führt worden, obwohl in fast allen Kriegs-
ministerien bereits sehr brauchbare Modelle
hierfür vorhanden sind. Wenn also auch ein
förmliches Abkommen über die Nichtein-
führung der Selbstladegewehre nicht besteht,
so erfolgt doch praktisch von keiner Regierung
die Anschaffung eines solchen wegen der zu
gewaltigen Kosten. Man lese, was der
preußische General der Artillerie v. Deines
am 16. März im „Tag" (Berlin) hierüber
schreibt : „Alles spricht dafür, daß Frankreich
eines Tages mit einem automatisch arbeiten-
den Gewehr hervortreten wird. Daß auch alle
übrigen Staaten sich ein neues Gewehrmodell
gesichert haben, um nicht überrascht zu
werden, jst anzunehmen. Indessen: wer zu-
erst mit der neuen Waffe auf dem Plane er-
scheint, fürchtet, daß die anderen von ihm
lernen und ihn wieder überholen. Jeder scheut
die enormen Kosten, die die Neubewaffnung
eines (Millionenheeres hervorrufen muß. Mit
großer Wahrscheinlichkeit wird es also vor-
läufig bei den bisherigen Gewehrsystemen
bleiben, und damit können wir ganz
zufrieden sein,." Wäre also wirklich
durch das Verbot der Einführung eines Selbst-
ladegewehres die nationale Verteidigung in
unzulässiger Weise beschränkt worden? Ganz
gewiß nicht! Im Gegenteil wäre durch ein
förmliches Abkommen lediglich verboten
worden, was zu tun bisher kein Staat über-
nommen hat, und zwar obwohl fast 14 Jahre
seit der ersten Friedenskonferenz vergangen
sind). Ferner aber wäre dadurch eine
A,tmosphäre des Vertrauens an Stelle der
heutigen Nervosität geschaffen worden.
Ebenso ist die erste Haager Frie-
denskonferenz auf demGebieteder
internationalen Schiedsgerichts-
barkeit nicht in klarer Weise vorgegangen;.
Sie schuf einen ständigen Schiedsgerichtshof
und setzte in Artikel 15 des Haager „Ab-
kommens zur friedlichen Erledigung interna-
tionaler (Streitigkeiten" fest, daß die Streitig-
keiten „sur la base du respect du droit" ent-
schieden werden sollten. Diese Worte sollten,
wie Beernaert (Protokolle II, S. 332) auf
der zweiten Haager Friedenskonferenz er-
klärte, in Gegensatz zu der vermittelnden Ent-
scheidung nach Billigkeit stehen. Man schuf
also auf der ersten Haager Konferenz ein
Zwitterding, das weder ein Gerichtshof noch
ein Schiedsgerichtshof ist. Die internationale
Gerichtsbarkeit verlangt ein fest organisiertes
Gericht, das den Streit nach strengem Rechte
entscheidet. Die internationale Schiedsge-
richtsbarkeit (erfordert von den Parteien von
Fall zu Fall frei gewählte Schiedsrichter, die
den Prozeß nach Billigkeit entscheiden. (VgL
mein kürzlich erschienenes Buch „Das Pror
blem eines internationalen Staatengerichts-
hofes", 1912, in dem ich die Unterschiede
zwischen internationaler Gerichtsbarkeit undj
Schiedsgerichtsbarkeit sowie die zahlreichen
Zwischenstufen darzustellen versucht habe.)
Nun paßt aber der Haager Schiedsgerichthof
nicht in den Rahmen der internationalen
Schiedisgerichtsbarkeit, weil die Parteien bei
der Wahl der Schiedsrichter nicht völlig frei,
sondern an die auf der Liste des Haager
Hofes stehenden Personen gebunden sind,
ferner, weil der Schiedsgerichtshof nach
strengem Rechte anstatt nach Billigkeit ent-
scheiden soll. Andererseits ist der Schieds-
gerichtshof im Haag auch kein wirklicher Ge-
richtshof, weil seine Zusammensetzung in ge-
wissen Grenzen von dem Willen der jeweiligen
Parteien abhängig ist. Der Haager Schieds-
gerichtshof war also in keiner Weise logisch
aufgebaut und hatte nur insofern eine Be-
deutung, als er den Uebergang von der inter-
nationalen Schiedsgerichtsbarkeit zur interna-
tionalen Gerichtsbarkeit erleichterte. In dieser
Hinsicht war freilich die Errichtung des
Haager Schiedshofes, wenn sie auch vom dog-
matischen Standpunkte aus strenge Kritik ver-
dient, von geradezu welthistorischer Bedeu-
tung. Aber man mußte pich dabei vollkommen
klar bleiben, daß der Haager Schiedshof
durchaus nicht für humer das Ideal eines
Weltgerichtshofes bleiben, sondern nur eine
Uebergangsstufe darstellen konnte. Nun be-
fand sich aber die ÜMehrzahl der Mitglieder
der ersten Haager Friedenskonferenz durch-
aus im Unklaren über die wahre Natur ihrer
größten Schöpfung. Dadurch ist eine große
Verwirrung entstanden, und die große Rede
Beernaerts gegen den amerikanischen
179
DIEFßlEDEN5-v^&DTE
•§>
„Cour de la justice arbitrale" auf der zweiten
Friedenskonferenz ist nur zu verstehen, wenn
man sich vergegenwärtigt, daß Beernaert
u. a. in dem irrigen Glauben waren, der
Haager Schiedshof wäre für immer das große
Ideal eines Weltgerichtshofes. Da man auch
auf der zweiten Haager Friedenskonferenz
diesen ^Irrtümern nicht ganz auf den Grund
ging, (blieben die Aeußerungen eines Beer-
naert von großer [Wirkung und konnten nicht
so widerlegt (werden, wie das bei klarer Er-
kenntnis der wahren Verhältnisse möglich ge-
wesen wäre.
Ein zweiter höchst wichtiger Punkt, über
den sich die erste Haager Friedens-
konferenz [bei der Schaffung des „Ab-
klojmmens zur friedlichen Erledigung inter-
nationaler Streitigkeiten" ganz unklar war una
überhaupt keine Rechenschaft abgegeben hat,
ist die Frage nach der Rechtsnatur
des von ihr geschaffenen Staaten-
verbandes. Handelte es sich bei der Er-
richtung der internationalen Justizorganisation
irm eine (Union in Analogie der völkerrecht-
lichen Zweckverbände, etwa des Weltpostver-
vereins, oder um den von Jahrhunderten er-
träumten Weltstaatenbund? Auf die seltsame
und geradezu auffällige Tatsache, daß die
erste Haager Friedenskonferenz ihrer
Schöpfung gar keinen Namen gegeben hat, ist
zuerst von Schücking in seinem bereits'
erwähnten und fundamentalen Standard Work
„Der Staatenverband der Haager Konfe-
renzen" (S. 72) hingewiesen worden.
'Schücking hat dort auch ganz über-
zeugend nachgewiesen, daß der Staatenver-
band der Haager (Konferenzen ein Weltstaaten-
bund ist. Es ist weiter von höchstem Inter-
esse, aus diesem Buche zu erkennen, eine
wie viel sicherere Grundlage man zur Weiterent-
wicklung der Haag er Konferenzen hat, wenn
man sich über diesen Punkt klar ist. Bevor
man nicht weiß, wie die Ergebnisse der ersten
und der zweiten Haager Friedenskonferenz
rechtlich zu konstruieren sind, so lange wird
man nicht in gerader und kürzester Linie,
sondern nur auf großem Umwege zu dem
stolzen Ziele der Weltorganisation gelangen.
Denn die Namensbenennung des Haager
Staatenverbandes ist ja nicht lediglich eine
bedeutungslose Formel, sondern würde an-
djeuten, idaß sich die (Mitglieder der ersten
Haager Friedenskonferenz über den recht-
lichen Aufbau ihrer großen Schöpfung völlig
im Klaren gewesen sind.
Die erste Haager Friedenskonferenz ist
sich sowohl über die rechtliche Konstruktion
des (Haager ständigen Schiedshofes wie des
von ihr geschaffenen Staatenverbandes in
keiner Weise klar gewesen, ja sie hat nicht
einmal den Versuch gemacht, zu einer solchen
(Klarheit zu gelangen. Desgleichen hat sie
das Rüstungsproblem nicht in der richtigen
Weise angefaßt.
Was die zweite Haager Friedens-
konferenz anlangt, so hat sie mit großem
Verständnis an der Einsetzung eines inter-
nationalen Prisenhofes gearbeitet, und ich
möchte, soweit sich die Konferenz mit dieser
Aufgabe befaßt hat, an ihr keine Kritik üben.
Anders aber steht es mit dem Probleme eines
Weltschiedsvertrages und eines
„Cour de la justice arbitrale", an
die die Konferenz allzu wenig vorbereitet
herantrat. Eine spätere Zeit wird einmal fest-
stellen, an welchen Kleinigkeiten und Miß-
verständnissen diese Pläne scheiterten.
Bei der Beratung der obligato-
rischen Schiedsgerichtsbarkeit
war man sich über zahlreiche Grundfragen
vor allem deswegen nicht klar, weil niemand
vorher das Problem so gründlich bearbeitet
hatte, als es dies verdient hätte. Viele wollten
die Ehren- und Interessenklauseln fallen lassen.
Von deutscher Seite wurden mit der größten
Hartnäckigkeit Behauptungen aufgestellt, die
von der gesamten maßgebenden deutschen
und ausländischen Wissenschaft mit durch-
schlagenden Gründen widerlegt worden sind,.
Die deutschen Delegierten mit Ausnahme
Zorns sahen in dem Weltschiedsvertrage
lediglich ein juristisches Instrument, während
er doch in Wirklichkeit ein Friedensinstru-
ment sein sollte. Aber alle diese Meinungs-
verschiedenheiten (waren doch nur möglich,
weil man sich über den ganzen Zweck der
Haager Friedenskonferenzen und des 1899 ge-
schaffenen Staatenverbandes im Unklaren
war. Die deutschen Delegierten übersahen
Vollkommen, daß' sie 1899 an der Errichtung
eines Staatenverbandes zur Förderung des
Weltfriedens mitgearbeitet hatten und eine
Vervollkommnung dieses Verbandes doch
selbstverständlich nur aiuf der Grundlage eines
mondialen Vertrages, nicht aber einzelner par-
tieller Verträge möglich war.
Bei den Verhandlungen über den „Cour
de la justice arbitrale" rächte es sich
ebenfalls sehr, daß man über zahlreiche Grund-
fragen im Unklaren war. Man lese nur die
Rede Barbosas in der fünften Sitzung des
Gornite" d' examen B der ersten Unterkom-
mission der ersten Kommission. (Protokolle
II, S. 658—660). In dieser Rede ist ungefähr
jeder Satz unrichtig. Die Konferenz war sich
ebenso wie Barbosaim höchsten Maße dar-
über unklar, ob nun der „Cour de la justice
arbitrale" ein Gerichtshof oder ein Schieds-
gerichtshof sein würde. Es wurden vier ver-
schiedene Meinungen geäußert. Scott
nannte den Cour eine „Institution judiciaire",
Lammasch und v. Martens eine „Insti-
tution arbitrale", Renault erklärte, die Cour
de la justice arbitrale „nähere sich einer in-
istitutiön judiciaire". Fry führte sogar aus,
Schiedsgerichtsbarkeit und Gerichtsbarkeit
seien im internationalen Rechte dasselbe.
(Protokolle II, S. 658 ff.). Unter diesen
Umständen hatte B e 1 d i m a n (Protokolle
180
<2=
DIE FRI EDENS ->\^ETE
II, S. 660) vollkommen Recht, wenn er
erklärte: „qu'il existe des divergences,
non seulement de forme, mais aussi de
. f ond entre les opinions de MM. Scott
et iLammasch et meme Celles des auteurs
du projet." Trotzdem aber hat man auf der
zweiten Friedenskonferenz gar nicht den Ver-
such gemacht, diese fundamentalen Wider-
sprüche aufzuklären. Diese rührten nämlich
ganz gewiß nur daher, daß man sich über
die Definition eines internationalen Gerichts-
hofes und eines internationalen Schiedsgerichts-
hofes nicht klar war. Die zweite Haager
'Konferenz hat fortwährend nationale und inter-
nationale Gerichtsbarkeit durcheinanderge-
worfen. Sie hat nicht erkannt, daß es im
internationalen Rechte eine Gerichtsbarkeit in
dem nationalen Sinne, die von einer über-
geordneten Behörde eingesetzt ist, überhaupt
nicht gibt. Denn hätten wir diesen Gerichts-
hof, dann besäßen wir auch einen Weltbundes-
staat, .und dann wären die Grundlagen, auf
denen wir heute das Völkerrecht aufbauen,
Vernichtet. Gerichtsbarkeit muß daher im
internationalen Rechte etwas ganz anders sein
als vim nationalen Völkerleben. (Eine aus-
führlichere Darlegung erübrigt sich hier. Ich
verweise auf mein bereits genanntes Buch:
Das Problem eines Staatengerichtshofes.)
Auch bei der Frage der Zusammensetzung
des „Cour de la justice arbitrale" war man
über Jiöchst wichtige Fragen im Unklaren.
Vor allem deshalb ist auch das ganze Projekt
zuletzt an dem vollkommen berechtigten
Widerspruche der Klein- und Mittelstaaten ge-
scheitert.
So erkennen wir also, daß die Haager
(Konferenzen die von ihnen erörterten Ideen
durchaus nicht systematisch und planvoll an-
gefaßt haben. Dazu wäre nötig gewesen, daß
man sich erst über alle Grundbegriffe klar
geworden wäre und dann überlegt hätte,
welche Pläne zuerst realisierbar seien.
Insgesamt also haben sich die Haager
Friedenskonferenzen noch nicht als ein Zentral-
punkt für die internationale Friedenspolitik
bewährt. Sie haben von den zahlreichen
Wegen zur internationalen Organisation nur
zwei beschritten, d. h. nur die Fragen der
Schiedsgerichtsbarkeit und der Rüstungsver-
ständigung einer Prüfung unterzogen, sind da-
bei aber nicht auf den Kern der ganzen Sache
eingegangen. Dadurch ist bei Diplomaten so-
wohl als auch in weiten Volkskreisen der
Glaube entstanden, als seien die Haager Kon-
ferenzen in der Hauptsache nur zur Förderung
der Schiedsgerichtsbarkeit ins Leben gerufen
worden. Das aber muß umsomehr zur Unter-
grabung des Ansehens dieser Konferenzen bei-
tragen, als zweifellos die Schiedsgerichtsbar-
keit allein nicht imstande ist, die friedliche
Organisation der Staatengemeinschaft herbei-
zuführen.
So ist denn, nachdem die Abrüstungs-
frage fast begraben worden ist, das ursprüng-
liche Ziel der Haager Konferenzen fast ganz
aus dem Auge verloren worden. Daß das
leuchtende (Ideal (aller Haager Konferenzen
nur lauten kann: „Allmähliche, aber syste-
matische Entwicklung einer internationalen
Friedens politik", haben viele noch gar nicht
erkannt*).
Meines Erachtens aber wird eine Besse-
rung in diesen Verhältnissen nicht eher ein-
treten, als bis man klar erkannt haben wird,
daß vor allem einmal erst das ganze Problem
der internationalen Friedenspolitik mit real-
politischem [Scharfsinn bearbeitet werden muß,
ehe man an die Ausarbeitung von inter-
nationalen Verträgen geht.
Als der Bau des Friedenspalastes im Haag
begonnen wurde, da sind nicht eines Tages
unversehens einige Baumeister zusammen-
'gekommen, um Stein auf Stein zu türmen,
sondern vorher war ein ganz detaillierter Ent-
wurf ausgearbeitet worden, und die Arbeiter
kannten genau die Bedeutung jedes einzelnen
Steines innerhalb des Ganzen. Als aber die
Haager Friedenskonferenzen ins Leben ge-
rufen wurden, da wußte man wohl ungefähr,
was 1899 und was 1907 geschaffen werden
sollte; aber von der Bedeutung dieser Pläne
innerhalb des großen Zieles der friedlichen
Staatenorganisation hatte man keine Ahnung.
Dies war freilich so lange verzeihlich, als
man überhaupt noch nicht fest entschlossen
war, die Haager Konferenzen zu einer regel-
mäßigen Institution des Staatenlebens zu
machen. Nachdem dies aber 1907 geschehen
ist, (muß man nicht nur die Aufgaben jeder
Friedenskonferenz für sich betrachten, sondern
darüber hinaus feststellen, welche Rolle die
Beschlüsse der einzelnen Konferenz innerhalb
der gesamten Haager Konferenzen einnehmen,.
Bevor also die nächsten Haager Friedens-
konferenzen zusammentreten, müßten einmal
folgende Fragen beantwortet werden:
1. Sind die Haager Konferenzen ledig-
lich da, um die (Schiedsgerichtsbarkeit (und
das Kriegsrecht) fortzubilden, oder sind sie
nicht vielmehr der Zentralpunkt für die inter-
nationale Staatsorganisation? Obwohl es gar
nicht zweifelhaft sein kann, wie diese Frage
zu beantworten ist, so sollte sie doch mit der
nötigen /Klarheit und Entschiedenheit beant-
wortet werden, damit alle Staaten die richtige
Auffassung von dem Wesen des Häager
Werkes erhalten. Die Schückingsche
Lehre ist hier entscheidend.
2. Wie kann diese internationale Friedens-
politik am besten betrieben werden? Welches
sind die wichtigsten Programmpunkte dieser
Politik? Was ist zunächst und was erst später
realisierbar ?
*) Für diese Erkenntnis bedeutet
Schückings groß ange^gtes Meisterwerk
eine welthistorische Tat, die dem ruhmvollen
Eintreten Zorns auf der ersten Friedenskonfe-
zenz für den Schiedshof gleichkommt.
181
DIE FßlEDEN5-Vi/ADTE
=G)
Man wird mir nun einwenden wollen:
Das hat man ja bereits erkannt und zu diesem
Zwecke hat die zweite Friedenskonferenz be-
fürwortet, es solle etwa zwei Jahre vor dem
Zusammentritt der nächsten Konferenz ein
Ausschuß eingesetzt werden, der die für die
Konferenz wichtigen Programmpunkte fest-
legen solle. Darauf ist aber zu erwidern:
Dieser Ausschuß soll ja nur die dritte Kon-
ferenz vorbereiten, nicht aber eine Grundlage
geschaffen für die gesamte Zukunft der
Haager Friedenskonferenzen, die unauslösch-
lich mit einer planvollen, systematischen, sich
auf viele Jahrzehnte erstreckenden Friedens-
politik der Staaten verbunden ist. Man be-
achte auch die Ergebnisse der von dem In-
stitut de droit international zur Vorbereitung
der dritten Friedenskonferenz eingesetzten
Kommission (Confer. Revue de droit inter-
national et de 16gislation compar^e, 1911, S.
587 ff.), die auch die dritte Friedenskonferenz
nur als eine isolierte Versammlung zur
Stärkung des Kriegs- und Friedensrechts, nicht
aber als Glied einer großen Reihe von Kon-
ferenzen zur allmählichen friedlichen Orga-
nisation der Staatengemeinschaft ansieht.
Die planvolle Vorbereitung einer inter-
nationalen Friedenspolitik kann auch unmög-
lich in so kurzer Zeit, wie es zwei Jahre sind,
vor pich gehen. Müssen doch meines Er-
achtens, um für die Staatengemeinschaft Richt-
linien (für die zukünftige Entwicklung der
Friedenspolitik zu schaffen, die bedeutendsten
Politiker, Völkerrechtsjuristen und Pazifisten
erst um ihre Meinung gefragt werden. Dazu
aber sind Jahre erforderlich.
Die dritte Haager Friedenskonferenz
könnte deswegen keine größere und würdigere
Tat vollbringen, indem sie einen ständigen
Ausschuß damit beauftragte, ein großes Pro-
gramm für die internationale Friedenspolitik
der Mächte auszuarbeiten. Ein solcher Aus-
schuß könnte sehr vorteilhaft als eine Ab-
teilung (des „Bureau g^neral international per-
manent" begründet, aber es kann auch der
Verwaltungsrat des Haager Schiedshofs mit
der Aufgabe betraut werden. Dieser Ausschuß
hätte die Aufgabe, durch berühmte Juristen,
die sich durch praktischen Blick ausgezeichnet
haben, [ durch Männer wie A s s e r ,
Lammasch, Renault usw. zahlreiche
Grundfragen der internationalen Organisation,
z. B. die Konstruktion des Haager Schieds-
hofes, das Wesen der Gerichtsbarkeit im Völker-
recht, das Wesen des von der ersten Friedens-
konferenz geschaffenen Staatenverbandes, das
iPrinzip der Gleichheit der Staaten, die Zu-
sammensetzung eines internationalen Gerichts-
hofes usw. feststellen zu lassen. Dadurch
wäre fortan eine Grundlage für eine gesunde
Weiterarbeit geschaffen. Sodann müßte der
Ausschuß alle Möglichkeiten erwägen, die zur
Stärkung der friedlichen Tendenzen der
Staatengemeinschaft beitragen, und die prak-
tische Durchführbarkeit der einzelnen Mittel
prüfen. Bezüglich der Frage, ob die Spionage
beseitigt werden könne, wären nicht nur Mi-
litärs, sondern auch sonst angesehene Männer
des öffentlichen Lebens zu befragen. Auf diese
Weise würde mehr und mehr festgestellt
werden, welche Hindernisse der Realisierung
der einzelnen Vorschläge im Wege stehen.
Diese Hindernisse müßten dann besonders
daraufhin geprüft werden, ob sie stichhaltig
sind. Denn das wäre der große Unterschied
dieser Methode von dem bisherigen Vorgehen.
Die Einwendungen gegen einen Plan würden
nicht direkt von den Staaten, sondern von
(Privatpersonen vorgebracht, und es brauchte
sich vorläufig keine Regierung auf irgendeine
Meinung festzulegen. Wenn aber auf den
Haager Konferenzen ein Staat mit aller
Energie seine Gründe gegen einen Vorschlag
eröffnet, dann fällt es dieser Regierung sehr
schwer, zu bekennen, daß sie sich geirrt habe,
und sie verbleibt bei ihrer Opposition, selbst
wenn ihre Einwendungen fast einstimmig und
überzeugend widerlegt worden sind.
Ueber die große Bedeutung der Haager
Friedenskonferenzen (gibt es heute nur eine
Stimme. So haben meines Erachtens jene
Konferenzen die hohe Aufgabe, ein neues Zeit-
alter leinzuleiten, in dem alle Kräfte in der
Welt, die sich heute befehden, der allergrößten
Idee, nämlich der Fortentwicklung des
Menschengeschlechtes, dienstbar gemacht
werden sollen. Dieses Ziel ist so wunderbar
und von solcher Schönheit, daß diejenigen,
die die Erreichung dieses Ideales herbeiführen
sollen, eine ungeheure Verantwortung vor der
Geschichte und den Völkern trifft. Sie haben
daher die heilige Pflicht, alles zu tun, was
die Menschheit am schnellsten und kürzesten
zu jenem Ziele führen kann, müssen freilich
dabei beachten, daß eine zu große Hast uns
nur noch mehr von dem letzten Ende des
steilen Weges entfernen kann.
Die moderne Friedensbewegung
und die österreichische Schule.
Von einem Schulmann.
Die Frage: „Fördert die Schule den
Völkerhaß ?" beantwortet der „Friedens-
Katechismus" mit einem wohlbegründeten
„Ja". Er sagt darüber: „Der Unterricht
unserer Schulen pflanzt in die jungen Ge-
müter der Kinder die grausamsten Schlach-
ten- und Schreckensbilder einer sogenannten
Weltgeschichte ein." Wenn der Lehrer
seinen Schülern im stolzen Ton die Helden-
taten und mutigen Handlungen des Heeres
schildert, empfängt die Jugend die Anregung,
militärische! Begabung und Vorzüge höher
zu werten als die friedensfördernden Fähig-
keiten der menschlichen Persönlichkeit. Die
Betonung des kriegerischen Standpunktes
hat zur Folge, daß dem Verständnis der
182
@=
DIE FRI EDENS -N^ADTE
heranwachsenden Generation das bedeu-
tendste Problem unseres Jahrhunderts, die
Friedensbewegung, verschlossen und ihr durch
Ignorierung dieser Kulturfrage die Möglich-
keit entzogen wird, sich für die einstige
Unterstützung des Pazifismus vorzu-
bereiten1).
Wenn man bereits in der Schule für
den Krieg Propaganda macht, hängt dies
mit der politischen Auffassung der Militär-
staaten zusammen. Sie erkennen nicht die
durch die technischen Umwälzungen vor sich
gehende zwischenstaatliche Weltorganisation
und geben sich der irrigen Annahme hin,
daß Konflikte, die früher nur mit den Waffen
ausgefochten wurden, auch heute nicht ohne
Gewaltanwendung beigelegt werden können.
Sie haben stets das Ideal der zwischenstaat-
lichen Anarchie vor Augen und werden durch
das Uebersehen des sich vollziehenden Zu-
sammenschlusses der Nationen zu einer
großen Einheit genötigt, in ihren Territorien
das Denken der Allgemeinheit an ihre Prin-
zipien zu gewöhnen.
Auf der Mittelschul-Enquete2) im k. und
k. Ministerium für Kultur und Unterricht
sagte Oberst Piskaöek, es sei wünschens-
wert, „mit der militärischen Erziehung der
Schuljugend und der weiten Volksschichten
noch vor dem Eintritt in das wehrpflichtige
Alter zu beginnen". Er verlangte im Namen
der österreichischen Militärverwaltung, man
sollte den Turnunterricht „mit teilweise
militärischem Einschlag an den Volks-
schulen einführen, den militärischen Sinn be-
ziehungsweise die Vorliebe für den militä-
rischen Beruf erwecken". Zu diesem1 Zwecke
schlug er vor, daß man an den öster-
reichischen Mittelschulen, gewerblichen, kom-
merziellen, land- und forstwissenschaftlichen
Lehranstalten das Kapselschießen und das
scharfe Schießen mit dem Repetiergewehr
übe. Ueber den Zweck seiner Vorschläge
sprach sich Oberst Piskaöek folgenderweise
aus1: „Durch Verwirklichung der erwähnten
Anträge würden nicht allein der Wehrmacht,
sondern auch der gesamten Jugend un-
berechenbare Vorteile erwachsen."
Leider hat der Oberst verabsäumt, diese
„unberechenbaren Vorteile" für die heran-
wachsende Generation zu erklären. Was
hat das1 Schießen am Gymnasium zu tun,
das) den Schüler geistig ausbilden und ihm
eine klare Einsicht in das menschliche Leben
verschaffen soll. Die Mittelschule hat die
Aufgabe, die jungen, unerfahrenen Menschen
für die Hochschule oder den künftigen prak-
*j Man vergleiche die Verhältnisse in den
Vereinigten Staaten in der Besprechung der
Schrift von Mrs. Fern Andrews in der
Literaturrubrik der vorliegenden Nummer.
2) Die Mittelschulenquete im k. k. Mini-
sterium für Kultus und Unterricht. Wien, 21.
bis 25. Jänner 1908. Herausgegeben vom Mini-
sterium des Innern. S. 536.
tischen Beruf vorzubereiten. Sie hat nichts
mit einer Rekrutenausbildung zu tun und
verfehlt ihre programmatischen Grundsätze
vollends, wenn man an ihr das regelrechte
Schießen wie am Exerzierplatz übt. Trotz-
dem behauptet der Erlaß des Ministers für
Kultus und Unterricht vom 8. Mai 1910,
z. IQ 847, betreffend die körperliche Er-
ziehung an den Mittelschulen, S. 2: Die
Schießübungen seien von unleugbarer Be-
deutung für die Erziehung und müssen daher
für freiwillig sich meldende Schüler der beiden
obersten Klassen unter Beobachtung der
nötigen Vorsichtsmaßregeln an den Mittel-
schulen für die männliche Jugend eingeführt
werden. In einer zweiten Verordnung zeigt
esl sich aber, daß die Pflege der Schieß-
übungen als ein Mittel betrachtet wird, auf
dem1 unschuldigsten, naivsten Wege den mili-
tärischen Stolz und Großdünkel groß-
zuziehen3). Man empfiehlt, Wettschießen zu
veranstalten. „Eine solche Veranstaltung",
heißt es auf Seite 4 des Erlasses vom
16. Oktober 1910, „hebt die Lust für das
Schießwesen und vermag den Wetteifer unter
der Jugend anzuregen." Bessere Schützen
bekommen die Auszeichnung, den Leitern des
Schießunterrichtes als Gehilfen zu dienen.
Dadurch soll man jedermann offenbaren, wie
„besonders gute Erfolge im Schießen" ge-
würdigt werden. Selbstverständlich wird auf
diese Weise bewirkt, daß die „Gehilfen" den
jüngeren oder nicht so geschickten Kame-
raden gegenüber in jeder Beziehung als Vor-
bild dienen können und den Wetteifer für
das Schießwesen unter ihren Schulkollegen
stets rege erhalten4).
In der Verordnung wird gesagt : „Jeder
Schüler hätte in einem Uebungsjahre 100
Schüsse abzugeben." Ob man mit einer so
geringen Anzahl von Schüssen die Treff-
sicherheit erlangt, erscheint in mehr als einer
Hinsicht fraglich. Außerdem wird man be-
deutende Fehler im Schießen anstellen, wenn
man nicht kontinuierlich sich damit befaßt.
Jedem militärischen Fachmann muß es auf-
fallen, daß man wenige Fortschritte auf dem
Gebiete dieser Kunst erwarten darf, wenn
für den Schieß Unterricht nur die Sams-
tagnachmittage in Aussicht genommen wer-
den5). Nach dem Wortlaut des Erlasses
vom 16. Oktober 1910, Z. 28 968, scheint
man gar nicht die Absicht gehabt zu haben,
aus Schülern gewandte Schützen zu bilden.
Man verfolgt in Wirklichkeit die einseitig-
sten patriotischen Zwecke, wie aus folgen-
den Bemerkungen hervorgeht: „Bei der Vor-
nahme des Schießunterrichts in den Pausen,
dann bei Ausflügen usw. wird sich viel-
3) Erlaß des Ministers für Kultus und Unter-
richt vom 16. Oktober 1910, Z. 28, 968, be-
treffend die Einführung von Schießübungen an
Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten.
4) Ebenda.
5) Das verlangt der Erlaß vom 16. Okt. 1910.
183
DIE FßlEDENS-^&ßTE =
leicht Gelegenheit ergeben, den Schülern
mancherlei Kenntnisse zu vermitteln. Diese
hätten zu umfassen: Allgemeines über die
Wehrmacht und die Organisation derselben,
Bedeutung in volkserzieherischer Richtung
und ihres bildenden Einflusses, Kartenlesen
(Spezialkarte des Aufenthaltsortes), Er-
zählung von kriegsgeschicht-
lichen Episoden, hauptsächlich solcher,
bei welchen sich das betreffende Hausregi-
ment beziehungsweise Leute aus der engeren
Heimat ausgezeichnet haben usw."
Danach wird dem Lehrer direkt vor-
geschrieben, alle militärischen Ereignisse zu
verschweigen, bei denen Oesterreich nicht
rühmlich abschnitt. Man glaubt, durch eine
patriotisch gefärbte geschichtliche Dar-
stellung Stimmung für den Militarismus zu
machen. Es wird dem Historiker die Wei-
sung erteilt, in der Weltgeschichte nichts
anderes als den Schauplatz von Schlachten,
natürlich nicht verlorenen, sondern ge-
wonnenen, zu erblicken. Für ihn gilt der
vornehmlichste Gesichtspunkt : „Jede sich
darbietende Gelegenheit wäre zu benützen,
um bei den jungen Leuten durch Besichti-
gung von Geschützen, Maschinengewehren,,
Feldtelegraphen, Feldküchen, Gewehr- und
Munitionsfabriken usw. das Interesse an
militärichen Einrichtungen wachzurufen."
Von einer Berücksichtigung der Friedens-
bewegung ist hier keine Spur vorhanden.
Ihre Bedeutung wird gar nicht berührt. Daß
sie sich gegen die gewaltigen militärischen
Opfer und die wahnsinnigen Rüstungen wen-
det, darf die Schuljugend nicht wissen. Im
Gegenteil, das Ministerium für öffentliche Ar-
beiten gibt in dem Erlaß vom 10. Jan. 1913
für alle politischen Landesstellen, mit Ausnahme
von Galizien und Niederösterreich, sowie für
die Direktionen der in Betracht kommenden
gewerblichen Zentralanstalten d:em Gedanken
Ausdruck, : „Die wachsende Bedeutung un-
serer in aufsteigender Entwicklung begriffe-
nen Kriegs- und Handelsmarine im Zu-
sammenhang mit der Rückwirkung ihres
Aufschwunges auf die Belebung wichtiger
heimischer Industrie- und Gewerbezweige er-
fordern, daß dem Marinewesen im Unterricht
der gewerblichen Lehranstalten künftighin
erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet wird."
Es wird daher dem Lehrkörper der Gewerbe-
schulen zur (Pflicht gemacht, die Jugend ,,über
den gesamtstaatlichen und volkswirt-
schaftlichen Wert der unausgesetzten
Kräftigung und Ausgestaltung unserer Kriegs-
und Handelsflotte im1 allgemeinen, nament-
lich aber in ihrer Besprechung zur hei-
mischen gewerblichen Produktion aufzuklären
und ihr Interesse für das Seeleben zu wecken
und zu fördern." Hier unterläuft dem Mi-
nisterium für öffentliche Arbeiten ein grober
P'ehler, indem' es von einem großen Nutzen
der ^Flottenrüstungen für die Allgemeinheit
spricht und dabei den großen Gegensatz
zwischen den gewaltigen Ausgaben für den
Militarismus und den winzigen Geldopfern
für humane, kulturelle Bedürfnisse im Jahres-
budget verschweigt. Gegen eine Vermehrung
der Handelsschiffe hat niemand etwas ein-
zuwenden, aber zu bekämpfen ist die Mei-'
nung, nach der die Befruchtung der In-
dustrie, Arbeitsmöglichkeiten für den Pro-
letarier usw. bei dem Bau von Riesenschiffen
die Nachteile überwiegen, die ein ungeheurer
Kostenaufwand für die Kriegsmarine zur Ge-
nüge beleuchtet.
Man klagt in Oesterreich, daß der Unter-
richt in der höheren und minderen Schule
reformbedürftig ist. Das Eindringen militäri-
scher Ansichten in das Klassenzimmer hat
eine ungünstige Begleiterscheinung gebracht.
Davon kann man sich besonders im geschicht-
lichen Unterricht überzeugen, der das Schwer-
gewicht auf die Darstellung von Schlachten
und Feldzügen legt und geistige, wirtschaft-
liche Bewegungen nicht erklärt. Bezüglich
der Mittelschulen sagte der frühere Minister
für Kultus und Unterricht, Dr. M a r c h e t ,
im Jahre 1908: „Der Unterricht in Geschichte
ist in dem Sinne zu modernisieren, daß neben
der politischen mehr als bisher die Wirt-
schafts- und Kulturgeschichte berücksichtigt
und daß auch der Geographie in den oberen
Klassen die gebührende Stellung eingeräumt
wird." Es wurde wohl in der letzten Klasse
der Mittelschule die „Bürgerkunde" im An-
schlüsse an die österreichische Vaterlands-
kunde eingeführt, aber eine Reformierung des
geschichtlichen Lehrgegenstandes ist damit
nicht erfolgt. Ein sehr wichtiger Fortschritt
muß allerdings anerkannt werden, daß in dem
neuen Lehrplan für die Mittelschulen verlangt
wird, man möge die Kriegsgeschichte i:i den
oberen Klassen auf ein Mindestmaß beschrän-
ken. Es zeigen sich die Mängel der Vergan-
genheit in verjüngter Gestalt, wenn man von
dem Germanisten verlangt, er möge den
Schülern einen „Ueberblick über den Ent-
wicklungsgang der deutschen Literatur bis
nahe an die Gegenwart" geben. Somit soll
die gegenwärtige Zeit weder von dem Histo-
riker noch Literaturhistoriker an den Mittel-
schulen besprochen werden. Nehmen wir den
Fall an, am Gymnasium kommt man am Ende
der 8. Klasse in der Geschichte nicht weiter
als bis zum Jahre 1848, so hat die Schul-
jugend nach Absolvierung der Mittelschul-
studien keine Ahnung von den geistigen Strö-
mungen der Jetztzeit. Bekanntlich trat am
18. Mai des Jahres 1899 eine Friedenskonfe-
renz im Haag zusammen, die von fast allen
Kulturstaaten der Erde besucht wurde und
den Zweck verfolgte, den unaufhörlichen
Rüstungen ein Ende zu setzen. Dieser Tag
sollte als ein denkwürdiges Ereignis in den
österreichischen Schulen gefeiert werden, das
eine neue Epoche der Weltgeschichte ein-
leitete. Wie kann ein Gymnasiast Kenntnis
von der friedlichen Organisierung der Welt
184
<3S
DIE TRI EDENS -WARTE
erlangen, wenn ihn der Lehrer nicht darüber
aufklärt. In keiner einzigen Verordnung wird
die Friedensidee erwähnt.6) Das ist ein großer
Nachteil für junge Leute, die man nach der
Maturitätsprüfung in soziale Berufe oder an
die Hochschule sendet, ohne ihr Verständnis
für das große Werk des sich des Sieges be-
wußten Friedensgedankens wachgerüttelt zu
haben.
Es muß als eine feststehende Tatsache
angesehen werden, daß sowohl an den öster-
reichischen Volks- als Mittelschulen unter den
gegenwärtigen Verhältnissen nicht die gering-
sten Ansätze zu einer pazifistischen Erziehung
vorhanden sind. Der Friedenswille bedarf von
seiten des Lehrers der ,Stärkung, wenn er
Erfolge im politischen Leben bewirken soll.
Auf die Unterstützung der Friedensbewegung
durch die nationalen Bildner kommt es be-
sonders an, denn sie vermögen die inter-
nationalen Beziehungen zwischen den Kultur-
völkern zu erfassen und die Menschheit zur
bewußten Mitarbeit an der Ausgestaltung der
Friedensorganisation heranzuziehen. Die klare
Einsicht in die Entwicklung der Weltföderation
wird durch die Rückständigkeiten in der Schul-
gesetzgebung verschlossen. Sie werden ver-
schwinden, je intensiver an ihrer Beseitigung
die Friedensfreunde arbeiten. E. K..
Z2 RANDGLOSSEM U
ZVÜ ZEITGESCHICHTE
Von ßertba v. äuttaer.
Wien, den 7. Mai 1913.
Das Haar, an dem wieder einmal der
Frieden unseres Weltteils hing, ist nicht ab-
gerissen. Schon war Oesterreich-Ungarn be-
reit, sich vom europäischen Konzert loszutren-
nen und selbständig in Montenegro einzumar-
schieren, um die Räumung Skutaris zu er-
zwingen. Da kam die erlösende Nachricht:
König Nikita fügte sich dem Willen der Mächte.
Schon war der Becher geschüttelt — die
eisernen Würfel fielen nicht. Es muß doch
schon ein starker Friedenswille in der Welt
vorwalten, daß trotz all der Gefahren und
Verwicklungen, Drohungen und Zwischenfälle
der Krieg abermals vermieden worden ist.
Dieser Wille hat sich auch deutlich in man-
chen Aeußerungen ausgedrückt, die während
der Krise gefallen sind. So sagte ein engli-
scher Diplomat zu einem Vertreter des Reuter-
schen Bureaus am 29. April :
„Das Publikum darf nicht außer acht
lassen, daß die Hauptaufgabe, ja die Kar-
dinalaufgabe der Botschafterreunion darin be-
6) Das beweist der Inhalt aller Verord-
nungen, die in dem Werke: „Die Mittelschulen",
Samm'ung von Verordnungen, herausgegeben
von Halma und Schilling (Wien, 191 1), er-
wähnt werden.
steht, den europäischen Frieden zu erhalten
und daß die verschiedenen durch den Balkan-
krieg entstandenen Fragen nur zweiten
Ranges sind. An diese wichtigste Tat-
sache muß man sich erinnern, und man wird
die Fragen, die sich täglich aufwerfen, nach
ihrem richtigen Verhältnis werten." Ebenso
sprach Sir Edward Grey; und ebenso hieß
es in einer offiziellen russischen Kundgebung:
die Aufrechterhaltung des europäischen Frie-
dens sei die wichtigste Aufgabe; alle Me-
thoden, den Willen der Mächte durchzusetzen,
seien von diesem Standpunkt zu beurteilen.
mh
Trotz allen Gespötts und Aergers überBot-
schafterreunion, über erfolglose Fiottendemon-
stration, hat sich doch die Wirkung der
internationalen Verständigung und der ge-
waltlosen internationalen Polizeiaktion durch-
gesetzt. Die verhöhnte Blokade hatte zur
Folge, daß Montenegro die Zufuhr von Lebens-
mitteln abgeschnitten war, und der Hunger
allein genügt hätte, zur Nachgiebigkeit zu
zwingen und nun geschieht auch noch, daß
eine internationale Truppe in Sku-
tari einmarschieren und in ihre Hände die
Stadt übergeben wird. Dieses neue Gebilde :
„Europa", das sich aus dem Willen, von einer
Conflagration verschont zu bleiben, sozusagen
automatisch herausgebildet hat, ein Europa,
das einen Gesamtwillen besitzt und eine ver-
einte bewaffnete Macht, um diesen Willen
durchzusetzen, — das muß nun von einem
neuen, noch höheren Willen beseelt werden,
nämlich, seine Einigkeit zu stabilisieren und
damit den so mühsam erhaltenen Frieden für
die Zukunft zu sichern.
na
Die europäische Föderation — dieses alte
Postulat der Friedensbewegung — reift heran.
Die Symptome mehren sich. Viele Fäden
spinnen sich von den beiden Mächtegruppen
hinüber und herüber. Als Forderung, wie ge-
sagt, ist die Sache alt: Pandolfi erhob sie
auf dem Friedenskongreß von 1891 in Rom
und veröffentlichte eine Artikelserie darüber
in der Revue „Die Waffen nieder"; Emile
Arnaud taufte sein Blatt: Les Etats unis
d'Europe; Novicow veröffentlichte sein klassi-
sches Buch „La Föderation de l'Europe", und
die letzte Nummer der Friedens-Warte enthielt
die Formel : „Dreibund und Dreiverband zur
Sechsunion". Nun hat Sir Max Wächter, der
lange Zeit für eine europäische Zollunion plä-
diert und seinen Plan persönlich fast allen
Staatsoberhäuptern unseres Erdteils vorgetra-
gen hat, eine neue Aktion in Angriff genom-
men. Im ersten Maiheft der Fortnightly Re-
view veröffentlicht er einen bemerkenswerten
Artikel über die politische Lage, über die
Rüstungskosten und über die Mittel zur Er-
reichung des Weltfriedens. Als solches emp-
fiehlt er die Gründung einer ,, European
Federation League" und fordert alle m1' t seintn
185
DIE FRIEDENS -^ADTE
Ausführungen sympathisierenden Leser auf,
sich ihm anzuschließen. Zu diesem Zweck hat
er ein provisorisches Bureau eröffnet: 39, St.
James Street Piccadilly, London; Sekretär
Sir Francis Temple. Dieser Schritt Sir Max
Wächters gehört auch in die Serie der Forde-
rungen; doch zugleich mehrt sich auch die
Serie der Zeichen des — noch embryonalen,
aber schon lebenspulsierenden — Werde-
prozesses der europäischen Union. Dazu ge-
hören auch die deutsch-französischen Annähe-
rungsaktionen, so die Berner Konferenz (11.
bis 13. Mai), der beiderseitigen Parlamentarier
und die wiederholten Kundgebungen der
elsässischen Politiker. Erst heute, 7. Mai, hat
die Zweite Kammer des elsässischen Land-
tags einstimmig einen Antrag angenom-
men, den Statthalter zu ersuchen, die Ver-
treter Elsaß-Lothringens im Bundesrate zu
instruieren, daß sie sich mit Entschiedenheit
gegen den Gedanken eines Krieges zwischen
Frankreich und Deutschland wenden und auf
die Annäherung der beiden Staaten hinarbei-
ten. — Die Sozialisten aller Länder fassen
solche Resolutionen schon lange, aber man
glaubt, darüber mit der Behauptung hinweg-
gehen zu können, daß dahinter andere Partei-
zwecke verborgen sind; wird man aber die
gleichen Kundgebungen der anderen Parteien
auch so überhören können?
Ein Stückchen Dreibund wird in diesen
Tagen beim Dreiverband einen Besuch ab-
statten: eine Anzahl ilatieni scher Deputierter
begibt sich nach Petersburg und soll dort
in offiziellen Kreisen gefeiert werden — alles
Fäden, die von einem Ende des Kontinents
zum anderen laufen; die Weberschiffchen sind
aus pazifistischem Holz, und der Stoff, der
da gewebt wird, der wird eben heißen:
Föderation von Europa. Wird das zarte Ge-
webe, das wir entstehen sehen, noch einmal
von gepanzerten Fäusten zerstört werden ?
Ich hoffe: nein. Aber wenn auch — die Ar-
beit würde wieder und immer wieder auf-
genommen werden, bis sie vollendet ist.
Blicken wir einmal in das andere Lager.
Nämlich derer, die den Krieg lieben, die ihn
herbeisehnen, die ihn gegen die Angriffe des
Pazifismus glühend verteidigen. Auch Ide-
alisten in ihrer Art. An solche wendet sich
Norman Angell vergebens — denn was
frommt der Beweis, daß dabei kein Profit ist.
Darüber sind sie erhaben, sie wollen gar
nichts gewinnen durch den Krieg, sie beten
ihn einfach an, sein Bild (nicht seine Wirk-
lichkeit — die erfassen sie nicht) füllt sie
mit Wonne. Hier als Beispiel ein Gedicht
aus der Danzerschen Armeezeitung. Der
Herausgeber findet es genial. Daß es als
Gedicht schön und talentvoll ist, das finde
ich auch.
Lied ans Maschinengewehr.
Hast tausend Kugeln in deinem Leib
Und Pulver viele Pfund.
Heil dir, du eisenschwang'res Weib,
Jetzt schlägt die erlösende Stund'.
Gib deine Kinder her!
Du treu' Maschingewehr!
Spei' wie eine Kröte
Dein zischend Gift!
Und wen's trifft,
Den töte!
Und wer dir dient, muß niederknien
Als wie vor Gottes Thron.
Ins Feld trag' ich am Arm dich hin,
Als wärst mein lieber Sohn.
Du bist mir nicht zu schwer,
Du treu' Maschingewehr!
Ich spiel' auf deiner Flöte
Ein Lied, das pfeift und gellt.
Und wem's nicht gefällt,
Den töte!
Ihr klugen Pferdchen, flink getrabt!
Mit euren schlanken Hufen.
Wir haben lange Fried' gehabt,
Der Kaiser hat gerufen!
Vorwärts zu Sieg und Ehr',
Du treu' Maschingewehr I
Ich knie bei dir und bete:
Gott schütze Oesterreich !
Und wer's bedroht mit Schelmenstreich,
Den töte!
Frömmigkeit klingt in dem Liede auch
an. Daß doch diese Dauer- und Wonne-
töter gar so gern denjenigen anrufen, von
dem sie doch glauben, daß er sagte: Du
sollst nicht töten.
Die genannte Armeezeitung lese ich
übrigens mit Eifer. Es ist für uns Pazifisten
so interessant und nützlich, zu wissen, was
die Kriegerischen sagen, wenn sie unter sich
sind, und zu erfahren, was sie denken, fühlen
und planen. Hier der Anfang eines Leit-
artikels (13. März).
Die Aussichten unseres nächsten Krieges.
Der Friede ist wieder einmal gerettet. Wir
demobilisieren. Die Kurse steigen und der
Tanz um das goldene Kalb kann wieder lustig
anheben. Niemand aber zweifelt, daß der jetzt
bejubelte Friede zu den kostspieligsten Errungen-
schaften gehören wird. Die Gegensätze, die
sich seit dem Oktober des vergangenen Jahres
aufgetürmt haben, bestehen ungeschwächt weiter
und nur zu bald wird — so Gott will —
für uns Soldaten die jetzt zum zweitenmal ver-
säumte Gelegenheit (1908, 1913) wiederkehren.
Lassen wir alle Sentimentalitäten und getäuschten
Hoffnungen beiseite und bereiten wir uns
zielbewußt für die dritte Gelegen-
heit vor.
Ist das nicht eine Mahnung für die Frie-
denspartei, zielbewußt dafür zu arbeiten,
daß die 1908 und 1913 glücklich überstande-
nen Gefahren sich nicht wiederholen können?
An einer anderen Stelle leistet sich das Blatt
folgende sozialphilosophische Betrachtung :
„Ein langer Friede ist eine große Gefahr für
den modernen Fortschritt, für Propagierung
186
<§=
DIE FRIEDENS -WARTE
großer Gesichtspunkte; hingegen treten
Nörgeleien, beengte einseitige Auffassung,
Voreingenommenheit, ja Idiosynkrasie wieder
in ihr volles Recht." Gewiß, inmitten von
platzenden Granaten, brennenden Dörfern und
dergleichen ist kein Raum für Nörgeleien,
und gegenüber von meilenweiten Leichen-
feldern und 25 000 Cholerafällen schwindet
die beengte einseitige Auffassung; und dann,
wenn man seine Zeit nur mit Kunst, Wissen-
schaft, Reisen, Handel, Arbeit ausfüllt,
statt mit Bohren des Bajonetts in fremde
Eingeweide — wo bleibt da der „moderne
Fortschritt ?"
MB
Hocherfreulich war die aus den Ver-
einigten Staaten kommende Nachricht, daß
Bryan, im Einverständnis mit Präsident Wil-
son, dem diplomatischen Korps einen Frie-
densplan entwickelt hat, der die Grundlage
zu Vertragsverhandlungen abgeben soll. Die
genaueren Einzelheiten dieser Aktion waren
in den ersten Depeschen noch nicht bekannt-
gegeben; aber man sieht, daß es der neuen
Regierung Ernst ist, das Vertragswerk Tafts
— vielleicht mit einigen neuen Modalitäten —
wieder aufzunehmen und die edle Führer-
rolle in der Friedensbewegung durchzuführen,
für die kein Land so geeignet ist wie Amerika.
Alle Erfahrungen, die ich dort gesammelt
habe, bekräftigen mich in dieser Zuversicht.
MB
Nach dem Erfreulichen wieder etwas
Trauriges. Wir Friedenskämpfer werden ja
so heftig zwischen Himmelhochjauchzen und
Zutodebetrübtsein hingeworfen, wie nur je
„eine Seele, die liebt". Das Betrübende ist
— das Buch des deutschen Kronprinzen. Es
wird, wie man zu sagen pflegt, „viel böses
Blut machen". Denn es zeigt den künf-
tigen Träger der deutschen Kaiserkrone, der
einst über Krieg und Frieden zu entscheiden
haben wird, als Bekenner von der Un-
vermeidlichkeiti des Krieges, und wenn er
auch zugibt, daß „der Riesenbrand, wenn
einmal entfacht, nicht mehr so rasch er-
stickt werden kann und daß die Berufenen
sich ihrer Ungeheuern Verantwortung voll be-
wußt sein müssen" — so zeigt er sich als
Bewunderer des Krieges, als offener Gegner
der modernen Friedensbestrebungen, die er
als Utopie und. als „undeutsch" betrachtet.
„Gewiß soll und kann die diplomatische Ge-
schicklichkeit wohl eine Zeitlang die Kon-
flikte hintanhalten; aber wie der Blitz ein
Spannungsausgleich zweier verschiedener Luft-
schichten ist, so wird das Schwert bis zum
Untergang der Welt immer des letzten Endes
ausschlaggebender Faktor sein und bleiben."
Das ist apodiktisch. Im Artikel über die
Gardes du Corps heißt es:
„Wer solche Attacken mitgeritten hatte,
für den gibt es nichts Schöneres auf der
Welt, und doch: noch eines erscheint dem
echten Reitersmann schön: wenn alles dies
dasselbe ist, aber am Ende des Schnell-
laufes uns der Feind entgegenreitet und der
Kampf, für den wir geübt und erzogen sind,
einsetzt, der Kampf auf Leben und Tod.
Wie oft bei solchen Attacken hat mein Ohr
den sehnsüchtigen Ruf eines daherjagenden
Kameraden aufgefangen : „Donnerwetter,
wenn das doch ernst wäre." Reitergeist !
Alle, die rechte Soldaten sind, müssen füh-
len und wissen: Dulce et decorum est pro
patria mori."
Nun ja: „Reitergeist". Aber ein Kaiser
ist doch berufen, über andere als über Kavalle-
risten zu herrschen — es gibt daneben auch
noch Gelehrte, Dichter, Bürger, Bauern, Ar-
beiter, Frauen — denen der entgegenreitende
Feind nicht so wünschenswert erscheint. Das
ist es eben: „geübt und erzogen" sind die
rechten Soldaten darnach; — ist es da nicht
natürlich, daß sie den Kampf wünschen? Aber
Leben und Wissenschaft, Erfahrungen und
Denken üben und erziehen doch noch zu ganz
anderen Dingen, als zur schneidigen Reiterei.
Vielleicht wird auch der Kronprinz noch um
sich blicken, vielleicht wird er von seines
Vaters ernsteml Friedenswillen und helläugigen
Weltinteresse etwas abgewinnen ; — hoffen wir,
daß „Donnerwetter!" nicht sein letztes Wort
ist. —
MB
In Ungarn wird eine neue Kanonenfabrik
errichtet. Wieder investierte Millionen und
wieder soundso viel Leute, die daran inter-
essiert sind, daß genügende Bestellungen ein-
laufen, mit anderen Worten, daß kein Mangel
an Kriegsgefahren eintrete. Wie die Gefahr
der mangelnden Gefahr beschworen wird, wie
die internationale Waffenindustrie das Schüren
nationaler Furcht- oder Trutzgefühle betreibt,
um den Absatz der vertrusteten Mordware zu
sichern, das hat der Abgeordnete Liebknecht
dokumentarisch aufgedeckt. In Pazifisten-
kreisen wurde schon längst auf das Bestehen
des über alle Landesgrenzen verzweigten
Kriegssyndikats hingewiesen ; David Starr Jor-
dans Buch über das „heimliche Reich" (da-
mit meint er die zu Kriegszwecken anleihe-
gebenden Banken) zeigt den finanziellen Unter-
grund des ganzen Rüstungsrummels, aber
natürlich dringen die Lehren und Warnungen
der Friedensliteratur nicht so weit in die
Oeffentlichkeit, wie solche im Parlament vor-
gebrachte sensationelle Enthüllungen. Zwar
wird man versuchen, darüber hinwegzu —
schweigen, aber die Masken sind doch
schon gelockert worden. Und schließlich
müssen sie fallen.
Aus Albanien wird nun ein autonomer
Staat gemacht. Und Werkmeister dabei —
nach Oesterreich-Ungarns und Italiens Plan
— soll wieder „Europa" sein. Da hat es
wieder ein schönes Stück vereinter Arbeit vor
187-
DIE FRIEDENS -^VAQTE =
;§>
sich. Die Hauptarbeit wird ihm aber noch
seine eigene Sicherung, seine eigene Erlösung
sein. Nein, es darf nicht mehr in zwei Grup-
pen auseinanderfallen. ,
PAZIFISTISCHE CHRONIK
10. April. Boykott- Beschluß 8 der serbischen
Handels- und Gewerbekammern gegen öster-
reichisch-ungarische Waren.
IL April. Freundschaftskundgebung zivi-
schen Deutschen und Engländern auf dem Oster-
bankett der Londoner City in Anwesenheit des
deutschen Botschafters.
12. April. Der deutsche Reichstag berät
über die Deckungsvorlagen für die neue
Heer es Vermehrung.
15. April. Die deutsche Friedensgesell-
scha'ft und die ständige Vertretung der französi-
schen Friedensgesellschaften erlassen gemeinsam
einen Protest gegen das Wettrüsten.
15. April. Zwischenfall xon Nancy. Misshand-
lung einiger Deutscher.
18. April. Abg. Liebknecht macht im Deut-
schen Reichstag mehrere Mitteilungen über die
Machenschaften der Rüstungs-Industrie und
der Armeelieferanten.
19. April. Erledigung des deutsch- franzö-
sischen Zwischenfalles über den Handel von
Nancy durch Massregelung der schuldtragenden fran-
zösischen Beamten.
21. April. Staatssekretär Bryan unterbreitet
der zuständigen Kommission des amerikanischen Kon-
gresses einen neuen Plan zur Sicherung des
Weltfriedens.
21. April. Der Balkanbund nimmt die
Vermittlung der Grossmächte an. Waffen-
stillstand.
22. April. Die zweite elsass-lothringische
Rammer protestiert gegen die Wehrvorlage
im Reichstag.
23. April. Auf dem Bankett der auswär-
tigen Presse hielt Premier-Minister Asquith
eine Rede, in der er ausführte, „es gebe auf der Welt
keine Macht, die mehr als die Presse geeignet sei,
eine internationale Verständigung herbeizu-
führen".
23. April. Uebergabe von Skutari. Ernste
Krieg sab sichten Oesterreich-Ungarns.
29. April. Staatssekretär Bryan unterbreitet
seine Weltfriedenspläne dem Washingtoner diplo-
matischen Korps.
29. April. In London findet die IL Jahres-
versammlung der „Vereinigung der Kirchen
Grossbritanniens und Deutschlands zur För-
derung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen
beiden Ländern" statt. Bischof Carpenter p> äsidiert.
1. Mai. Die tschechische Sozialdemokratie Böh-
mens demonstriert in 265 Versammlungen
gegen den Krieg.
1. Mai. Friedliche Wendung in der Sku-
tarifrage.
188
2. Mai. Sämtliche Parteien der zweiten Kam-
mer des elsass-lothringischen Landtags haben
einen Antrag eingebracht, der sich gegen den Ge-
danken eines deutsch- französischen Krieges
richtet.
4. Mai. Die in Strassburg vereinigte Delegierten-
Versammlung der elsässischen Fortschritts-
partei tritt für die franco-deutsche Verstän-
digung ein.
5. Mai. König Nikila erklärt, Skutari zu räumen.
Beseitigung der Kriegsgefahr.
5. Mai. Eine Abordnung der englischen Frei-
maurer-Logen kommt zum Besuch der alt-
preussischen Landeslogen nach Beilin.
6. Mai. Die tschechischen Parteien des
österreichischen Reichsrais protestieren gegen
das Eingreifen Oesterreich-Ungarns in die
Entwicklung der Verhältnisse am Balkan.
6. Mai, Die Wiener freiheitlichen Abge-
ordneten protestieren gegen eine von Europa
sich loslösende Politik der österr. -Ungar.
Monarchie.
6. Mai. Der Haager Schiedshof entscheidet
in dem „Garthage" und „Manouba" streit zwi-
schen Frankreich'und Italien zugunsten Italiens.
OZXV/S DES* ZEITQ
Völkerrecht.
Die Schiedsgerichtsbarkeit in der
portugiesischen Verfassung.
Bekanntlich haben Brasilien und Vene-
zuela das Schiedsprinzip in ihre Verfassung
aufgenommen, wonach diese Staaten es sich
zur Pflicht machen, ehe sie zu den Waffen
greifen, eine rechtliche Entscheidung anzurufen.
Neuerdings hat Portugal dieses Prinzip in
seine Verfassung vom 21. August 1911 auf-
genommen. Dort heißt es in Absatz 71 : ,,Dio
portugiesische Bepublik . . . betrachtet das
Schiedsgericht als das beste Mittel zur Ent-
scheidung internationaler Fragen."
Mfe
Bryans Aktion zur Sicherung des Weltfriedens. :: :
i Daß der neue amerikanische Staatssekretär
daran gehen werde, die Begierungen zu einer
gemeinsamen Sicherung des Weltfriedens und
zur Verminderung der Büstungslasten anzuregen,
stand für jene außer Zweifel, denen die bis-
herige pazifistische Betätigung Bryans nicht
unbekannt war. So trat der neue Staats-
sekretär der Vereinigten Staaten, wie aus dem
Ende April nach Europa gelangten kurzen Nach-
richten ersichtlich wurde, bereits wenige
Wochen nach seinem Amtsantritt mit einem de-
taillierten Plan vor die Oeffentlichkeit.
Zwar ist der Plan in seinen Einzelheiten
noch nicht bekanntgegeben, sondern nur dessen
allgemeine Grundzüge. Er geht von den Taft-
schen Schiedsverträgen aus, die der frühere
Präsident mit England und Frankreich zum
Abschlüsse brachte, die jedoch, wie bekannt
GE
= DIE FRIEDEN5-WARXE
vom Senat in einem wichtigen Punkte verändert
wurden, aus welchem Grunde eine Ratifikation
jener Verträge bislang nicht erfolgte. Bryan
suchte zunächst die Klippe zu beseitigen, an
denen die Taftschen Schiedsverträge gescheitert
sind; nämlich an der Eifersucht des Senats,
der von Fall zu Fall die Ueberweisung eines
Streitfalles vor die Schiedsgerichtsbarkeit zu
entscheiden sich vorbehielt. Bryan begann da-
mit, die Mitglieder des Senats zu Mitarbeitern
an dem Plane zu machen, dessen große Grund-
züge er am 23. April der auswärtigen Kom-
mission des Senats in einer zweistündigen Kon-
ferenz vortrug. Als Ergebnis dieser Konferenz
wird berichtet, daß die Kommission den Plan
allgemein gebilligt habe.
Die Grundlage des Bryanschen Systems be-
steht darin, daß alle internationalen Streitig-
keiten, auch solche, die Lebensinteressen und
die nationale Ehre berühren, einem internatio-
nalen Untersuchungshof unterbreitet werden
müssen. Die streitenden Mächte seien an das
Ergebnis der Untersuchung nicht gebunden. Sie
haben sie blos abzuwarten. Doch dürfen sie
während der Untersuchung keinerlei militärische
Vorbereitungen treffen. Der Gedanke geht an-
scheinend von der Absicht aus, die im Haag
geschaffenen Untersuchungskommissionen obli-
gatorisch zu machen und durch deren Funktion
die für die Aufrechterhaltung des Friedens so
gefährliche Erregung der öffentlichen Meinung
hintanzuhalten.
Erst nachdem der Plan auch von dem Prä-
sidenten Wilson gebilligt sein wird, sollten seine
Einzelheiten bekanntgegeben werden, worauf es
dann möglich sein wird, in nähere Erörterungen
einzugehen.
Bryans Plan bewegt sich in einer Pachtung,
auf die ich in meiner Schrift „Die Grundlagen des
revolutionären Pazifismus" bereits hingewiesen
habe. Die „Immunisierung der Masse" (S. 51)
gegen die Einflüsse jener Faktoren, die zum
Kriege treiben, erschien mir darin als das wich-
tigste, und als das hervorragendste Mittel dazu
erschienen mir „Einrichtungen . . ., deren Zweck
es ist, die gesunde Vernunft, selbst im Falle
der intensivsten Aufpeitschung der Massen,
nicht erlöschen zu lassen, dem Konflikt eine
dilatorische Behandlung zu sichern." (S. 55).
Ich wies darin auf die Haager Untersuchungs-
kommissionen hin, auf ihren Erfolg in der
Hüllen- Af faire und. sagte dann: „Aufgabe des
Pazifismus ist es, die Einrichtung dieser Unterr
suchungskommissionen auszubauen, sie nament-
lich obligatorisch, permanent und mobil zu
machen." Wenn sich, wie anzunehmen ist, die
Bryansche Aktion in dieser Pachtung bewegen
wird, dürfte sie von einem wohltuenden Ein-
fluß auf die internationale Politik sein. Auch
wenn sich zunächst nicht alle Staaten zu einem
solchen Vertrage bequemen werden, die Bei-
spiele, die die Praxis derjenigen Staaten liefern
wird, die dem Abkommen zustimmen, dürften
in wenigen Jahren auch die zunächst ablehnen-
den Regierungen in jene Bahn bringen. Welche
Aufregungen wären Europa erspart geblieben,
wie viel Millionen von Nationalvermögen wären
vor der Vergeudung gerettet worden, wenn
während der gegenwärtigen Balkankrise eine
Institution, wie sie Bryan plant, schon bestanden
hätte. A. H. F.
MB
Rüstungsproblem,
Von den unsichtbaren Rüstungslasten. :: :: :: :: :: ::
Das Gefühl der Unerträglichkeit der
Rüstungs vorlagen fängt jetzt auch an, in Krei-
sen hervorzutreten, die man zu den „patrio-
tischen" zu rechnen gewöhnt ist. Man fängt
dort an nachzudenken und kommt darauf, daß
diese Lasten mit jenen Summen nicht erschöpft
sind, die auf den Budget der Kriegs- und Marine-
ministerien verrechnet stehen. Wir Pazifisten
haben immer auf die von uns als indirekt
bezeichneten Ausgaben hingewiesen. Nunmehr
veröffentlicht der Zentrumsabgeordnete Dr.
Heim soeben eine „Um der Gerechtigkeit
willen!" betitelte Schrift, die er im Auftrag
der Bayerischen Bauernvereine veröffentlicht
hat. Ueber den bevorstehenden Inhalt dieser
Schrift entnehmen wir der „Frankf. Zeitung'1
(15. 4.) folgendes :
Dr. Heim hat durch die Obmänner seiner
Organisation eine Rundfrage veranstaltet, um
zu ermitteln, wie viel Familien in deren Ge-
meinden 4 Söhne und darüber zum Militär ge-
stellt haben. Es ist also bei weitem nicht
die volle Höhe der Blutsteuer festgestellt, die
Familien mit 3 Söhnen sind bereits nicht mit-
gezählt. Um so stärker wirkt das Resultat.
Aus den 7276 Gemeinden des rechtsrheinischen
Bayerns sind 1086 brauchbare Antworten ein-
gegangen. Sie berichten von 1843 Familien,
die in den letzten zwei Dezennien 8302 Sol-
daten gestellt haben; darunter sind 1165 Fa-
milien mit je 4 Soldaten, 488 mit je 5, 142 mit
je 6, der Rest gar mit einer Zahl von 7, 8 und
9 Soldaten. Was das für einzelne Gemeinden
bedeutet, dafür ein paar Beispiele: In einer
Gemeinde von 155 Einwohnern haben seit 15
Jahren 22 Mann aktiv gedient, in einer anderen
mit 172 Einwohnern gab es seit 1900 25 Sol-
daten; aus einer Gemeinde mit 260 Einwohnern
(Wernanz in Unterfranken) müssen im Mo-
bilisierungsfalle 35 Mann einrücken, aus einer
anderen mit 550 Einwohnern (Waldberg) über
50 Mann, aus einer dritten, Nordheim mit 904
Einwohnern, gar 180 Mann — 1870/71 waren es
42! Da hat man einmal andere Ziffern als! die
offiziösen zur Illustration der Heeresver-
mehrung; man scheut sich, auszumalen, wie
es in solchen Gemeinden beim Ausbruch eines
Krieges aussehen würde! Und die Wirkungen
im Frieden? Aus den Angaben der Obmänner
ergibt sich, daß in Bayern ein Soldat während
der zweijährigen Dienstzeit durchschnittlich
329 M. an Geld und Naturalien von Hause
geschickt erhielt, das bedeutet also einen Jahres-
zuschuß von 150 M., ohne den der Soldat nicht
auskommen kann. Ob ein Zuschuß in solcher
189
DIEFBIEDENS-^MÖßTE
[6)
Höhe tatsächlich absolut nötig ist, darüber wird
man schwerlich etwas aussagen können; aber
mit den Klagen des Reichskanzlers über Luxus
\ind Wohlleben wird man auch nicht aus-
kommen. Tatsache ist, daß nach der Heim-
schen Enquete bei den bayerischen Bauern der
Zuschuß in dieser Höhe als Regel anzusehen ist.
Und Tatsache ist ferner, daß es in sehr vielen
Fällen damit noch nicht getan ist: denn bei
dem Dienstbotenmangel auf dem Lande muß
der Bauer für jeden Sohn einen Knecht
einstellen, der weniger leistet, mehr Verpfle-
gung beansprucht und 300 bis 400 M. Barent-
lohnung fordert. Jeder Sohn in der Kaserne
kostet also den Bauern mindestens jährlich
500 M., bei der zweijährigen Dienstzeit 1000
Mark, und wenn die neue Heeresvorlage dem
flachen Lande, wie Dr. Heim annimmt, jähr-
lich mindestens 40000 Mann entzieht, so be-
deutet das eine neue Extralast von jährlich
20 Millionen M.
Aber erst die Zuschriften, die der Statistik
beigegeben sind, lassen erkennen, was diese
Lasten für die Bauerngemeinden bedeuten. Fa-
milien, die mit kräftigen Söhnen mehr als mit
Geldgütern gesegnet sind, gehen mit jedem
Sohn, der wieder zum Militär einrücken muß,
wirtschaftlich zurück. Hunderte und hunderte
von Familien sind durch die Opfer, die sie für
ihre Söhne beim Militär bringen mußten, ins
Abhausen gekommen; aus manchem Bauern ist
ein Knecht, aus manchen Eigenbesitzern arme
Logisleute geworden; unter den Familien, die
vier und mehr Söhne beim Militär hatten, ist
eine große Zahl von solchen, die trotz Fleiß
und Sparsamkeit an der Blutsteuer zugrunde
gegangen sind. Nur wenige charakteristische
Zuschriften seien hier wiedergegeben. Da
schreibt ein Obmann aus Oberbayern, der fünf
Söhne beim Militär hat: „Jch hätte schon
längst ein paar in die Schule geschickt, aber
ich brauchte die ganze Zeit nur alles Geld
für das Militär." Ein anderer Obmann schreibt:
.,. . . daß diesem Bauern für Zeitverlust, Aus-
gaben für fremde Arbeitskräfte, Reserveübungen
usw. ein Schaden von 3000 bis 6060 M. er-
wächst. Da sind gleich in unserer Gemeinde
zwei Bauern, die sich noch dazu in sehr miß-
lichen Verhältnissen befinden, die werden sich
von solchen Schlägen nicht mehr erholen." Ein
Bericht aus Schwalm lautet: „Fünf Söhne, zehn
Kinder, zehn Tagwerk, Anwesen verschuldet,
verkauft." Ein Taglöhner und Bauer aus Unter-
franken hatte fünf Tagwerk, stellte vier Sol-
daten und schreibt: „Das ohnehin geringe Ver-
mögen ist durch die Militärpflicht aufge-
braucht worden." Und so geht es immer weiter.
Am schlimmsten aber ist es dann, wenn Witwen
diese Lasten tragen sollen oder wenn der Sohn,
als der einzige Ernährer einer ganzen Familie
nach dem Wegsterben des Vaters trotz aller
Vorstellungen vom Militär nicht freigegeben
wird. Eine Witwe in Oberbayern hat fünf
Söhne beim Militär gehabt, zweimal zwei zu
gleicher Zeit, Ausgaben 1500 M., „für die Witwe
ist das eine fast unerschwingliche Last",
schreibt der Obmann. Eine andere Witwe hatte
fünf Söhne beim Militär, jeder erhielt minde-
stens 100 M., „was die Mutter als Taglöhnerin,
Verdingerin, Gräberrichterin verdiente, mußte
sie größtenteils ihren Söhnen opfern". So klagt
es aus all den Zuschriften. Da ist der Vater
gestorben, der älteste Sohn von den sechs Kin-
dern hat das Anwesen übernommen, aber nach-
dem er eine Weile zurückgestellt worden ist,
bekommt er doch die Einberuf ungsorder und
muß einrücken, während das Anwesen verfällt.
Da hat ein Sohn die Hufschmiede, aber er
muß zum Militär und eine unerfahrene Frau,
die Mutter, muß inzwischen mit einem Ge-
sellen die Schmiede führen. Da hat der Sohn
die alten Eltern allein zu ernähren, aber es
hilft ihm alles nichts. „Die Fälle, wo ganze
Familien daran wirtschaftlich zugrunde ge-
gangen sind, sind nicht selten," resümiert Dr.
Heim. Und seufzend fügt er im Hinblick auf
die jetzt geplante furchtbare Heeresvermehrung
hinzu: „Wie wird das erst in Zukunft werden!"
MB
Der gemeinsame deutsch-französische
Rufruf gegen das Wettrüsten.
Die deutsche Friedensgesellschait und die
ständige Vertretung der französischen Friedensr
gesellschaften haben einen gemeinsamen Protest
gegen das Wettrüsten verfaßt, der an ungeiähr
1000 deutsche und französische Zeitungen ver-
sandt und in ca. 100 deutschen und franzö-
sischen Städten (dort in beiden Sprachen) afi'i-
chiert wurde.
Das wichtige Dokument sei hier im Wort-
laut wiedergegeben :
Aufruf!
'Das Internationale Friedensbureau in Bern
hat sich mit einem Aufruf an die Regierungen,
die Parlamente und die Völker gewendet, um
die unheilvolle Steigerung des Rüstungswett-
kampfes, die gegenwärtig die ganze Welt be-
droht, abzuwenden.
Die Entscheidung liegt bei Deutschland und
Frankreich. Deshalb wenden wir deutsche und
französische Friedensfreunde uns gemeinsam an
unsere Landsleute.
Enorm ist seit Jahrzehnten die Steigerung
der Rüstungslasten. Die fünf Mächte, die heute
im Dreibund und im Zweibund gruppiert sind,
hatten im Jahre 1896/97, zur Zeit, da der Zwei-
bund abgeschlossen wurde, Militärr und Marine-
budgets in der Höhe von reichlich £1/2 Mil-
liarden Mark, fast gleichmäßig auf beide Mächte-
gruppen verteilt, Schuldzinsen und andere
Nebenetats nicht gerechnet. Heute, nach 16
Jahren, ist diese Rüstungslast auf nahezu fünf
Milliarden jährlich angewachsen; die Verteilung
auf Dreibund und Zweibund ist die gleiche
geblieben.
Die weitere Rüstungs Vermehrung, die heute
den Völkern zugemutet wird, ist so ungeheuer-
lich wie noch niemals irgendeine zuvor. Noch
niemals ist es aber auch so einleuchtend ge-
190
<§=
= DIE FRI EDENS -^^ÄRTE
wesen, daß diese riesigen Anstrengungen ihren
Zweck vollkommen verfehlen.
Der Zweck der Rüstungen soll sein, den
Frieden zu sichern. Jedes Land sieht diese
Sicherung in der Steigung seiner eigenen Wehr-
kraft und fühlt sich gleichzeitig durch fremde
Rüstungen bedroht. Niemand aber kann be-
streiten, daß das Wachstum der Rüstungen eines
jedes Landes durch die Maßnahmen aller
übrigen Länder ausgeglichen wird. Wie in der
Vergangenheit, so heute und künftig! Deutsch-
land und Frankreich sollen jetzt vorangehen.
Rußland, Oesterreich-Ungarn und Italien werden
umnittelbar folgen. Dann wird das Rüstungs-
fieber auf die anderen Mächte, die heute noch,
scheinbar unbeteiligt, zur Seite stehen, über-
greifen. '
Und das Ergebnis dieser ungeheuren An-
strengungen? Für den Zweck, um den es sich
allein handeln kann, für eine Verschiebung im
militärischen Kräfteverhältnis, wird nichts, aber
auch gar nichts gewonnen werden. Nur zweier-
lei wird sicher erreicht werden — die Mächte
haben es am 29. Juli 1899 im Haag einstimmig
und feierlich erklärt: eine Schädigung des ma-
teriellen und des jnoralischen Wohles der Völker.
Dank der enormen Steigerung der Rüstungen
werden die Steuern noch schwerer auf den
Völkern lasten; die Schaffenskraft ige Jugend
wird noch mehr für den Dienst im Heer und
in der Marine beansprucht werden, alles auf
Kosten der Mittel und Kräfte, die nötig wären
für die Werke friedlicher Kultur und für das
wirtschaftliche Gedeihen der Massen. Und da-
zu werden Verstimmung, Mißtrauen und Er-
bitterung der Völker untereinander oder auch
— der Völker gegen ihre Regierungen gefährlich
anwachsen.
In dieser verantwortungsvollen Stunde glau-
ben wir unsere Pflicht als wahre Patrioten zu
erfüllen, indem wir an die gesunde Vernunft
der Regierungen, der Parlamente und der Völker
appellieren.
Wir stellen nur eine Frage:
Ist es nicht ein Gebot des gesunden
Menschenverstandes, sich dahin zu verständigen,
daß man gleichzeitig und gleichmäßig auf Maß-
nahmen, die einen so furchtbaren Druck er-
zeugen und die noch dazu sofort durch Gegen-
maßnahmen unwirksam gemacht werden, ver-
zichtet?
Jeder Vernünftige erkennt: So können die
Dinge auf die Dauer nicht weitergehen! Jeder
empfindet heute mehr als je die Sinn- und
Nutzlosigkeit dieses Rüstungswettkampfes. Und
doch ergeben sich Millionen unserer Mitbürger
darein, wie in ein unabwendbares Fatum. Ist
das würdig politischer mündiger Nationen?
Wäre es nicht geboten, jetzt, ehe weitere
Milliarden geopfert sind, dem Rüstungswett-
kampf eine Grenze zu setzen?
Eine einzelne Regierung, ein einzelnes Par-
lament, ein einziges Volk kann nicht voran-
gehen. Aber für ein gleichzeitiges und gemein-
sames Vorgehen gibt es bei gutem Willen
Wege der Verständigung. Neutrale Mächte
können, wenn dadurch das Einvernehmen er-
leichtert wird, die Vermittlung übernehmen.
Wenn die Regierungen und Parlamente sich
nicht entschließen, diesen Weg zu gehen, so
wird man zu spät erkennen,, wie berechtigt
unsere Mahnung war.
Die Stunde der Entscheidung ist gekommen.
Der Vorstand der Deutschen Friedensgesellschaft
Dr. Adolf Richter, Vorsitzender.
La Delegation Permanente
des Societes Francaises de la Paix
Prof. Charles Rieh et, President.
Verschiedenes.
Gibt es in Oesterreich eine Kriegspartei? :: ::
Der deutsche Reichstagsabgeordnete
Prof. Dr. Hitze, eines der hervorragend-
sten Mitglieder der Zentrumspartei, sprach
am 13. April in einer Sitzung des "Wahlkreis-
komitees der Zentrumspartei des Wahlkreises
Gladbach über: „Die neue Wehr- und
Deckungsvorlage im Reichstage." Dabei
sagte er folgendes:
„In Oesterreich war es vor allem der
ehzrwürdige Kaiser Franz Josef, welcher
sich für den Frieden einsetzte. Allbekannt
ist aber, daß in Oesterreich eine
starke Kriegspartei und an ihrer
Spitze der Thronfolger, der Erz-
herzog Franz Ferdinand, den
Entscheidungskampf zwischen
Oesterreich und Rußland unaus-
bleiblich erachtete und deshalb
je eher desto lieber den Schlag
führen wollte. Mehr als ein General ist
unzufrieden ob der Verzögerung zurückge-
treten. Ich kann aus persönlichen Unter-
haltungen mit einflußreichen Oesterreicherü
nur bestätigen, daß auch in den weiten
Kreisen des Volkes diese Ueberzeugung von
der Notwendigkeit des Krieges vorherrscht.
Die Lage war um so mehr eine gespannte,
als die russische Armee schlagbereit an der
Grenze stand und Oesterreich gleicherweise
seine Reserven zurückhielt. Erst in den
letzten Monaten ist es Dank der persönlichen
Initiative des Kaisers von Oesterreich ge-
lungen, eine Demobilisierung seitens Ruß-
lands zu erreichen."
Was „die weiten Kreise des Volkes" an-
belangt, bei denen die Ueberzeugung von der
„Notwendigkeit des Krieges" vorherrscht,
hat sich der Herr Professor täuschen lassen.
Es ist eine verschwindende Minderheit, die
sich von den Phrasen einer gewissen Hetz-
presse fortreißen läßt und mit ihrer
191
DIE FßlEDENS-^MÖ&TE
3
„Kriegsbegeisterung" kokettiert. Welches
die Leute sind, die zu einem Kriege drängen,
geht aus einem ,, offenen Brief* hervor, den
der Generaldirektor der Prager Eisenindu-
striegesellschaft, also einer an der Kriegs-
industrie stark interessierten Unternehmung,
Herr Kestranek, Mitte April an den
Minister ,Berchtold richtete und in der
.Wiener „Zeit" veröffentlichte. Darin wird
der Minister „scharf" gemacht und zum
Kriege gehetzt. Das wertvolle Dokument,
das anläßlich der Enthüllungen über die pro-
vokatorische | Tätigkeit der patriotischen
Büstungshändler übersehen wurde, sei hier
in seinen Hauptpunkten festgehalten:
„Die Zukunft wird uns die traurigen
Folgen dieser Entäußerung jeden
Selbstbewußtseins zeigen, und der
Verlust des Prestiges unseres Reiches
muß naturgemäß auch eine Einbuße der
Autorität des Staates im Innern
mit sich bringen. Opfer von Milliarden, tiefe
Schädigung des Wirtschaftslebens der Mon-
archie, Einbuße an Ansehen nach außen und
innen, Verlust an Freunden und Gewinn an
Gegnern, eine neue, kräftebindende sla-
wische Irredenta im Süden, das werden die
Früchte einer schwächlichen, den un-
abwendbaren Notwendigkeiten
ängstlich ausweichenden, ein be-
stimmtes Ziel vermissenden Politik sein.
Der Hinweis jener, die zur Ent-
schuldigung dieser Politik des Ball-
platzes glauben machen möchten, daß hö-
here Faktoren aus natürlichen
Gründen einer tatkräftigen Po-
litik abhold sind, ist unzulässig,
denn der Minister des Aeußeren ist der ver-
antwortliche Faktor, der die Kraft und den
Mut zum Handeln besitzen muß. Nur
mutlose und überzeugungs-
schwache Führer, die nicht die Kraft
besitzen, Verantwortungen zu übernehmen,
schieben unverantwortliche Faktoren vor.
Entweder man will den Frieden um jeden
Preis, dann konnte man sich Milliarden er-
sparen und sich Freunde gewinnen. Oder
aber man verfolgt ein bestimmtes Ziel,
dann muß man die Kraft und den
Mut besitzen, seinen Willen, sei
es auch mit Waffengewalt, durch-
zusetzen. Nicht noch einmal soll das
Wort erklingen: „Oesterreich wußte nie, was
es wollte, und wollte nie, was es wußte!"
Wenn man weiß, daß in Oesterreich die
Anschauung verbreitet ist, die kriegerischen
Allüren einer gewissen Gruppe sind nur
durch den ernsten Friedenswillen des greisen
Kaisers gezügelt worden, so wird man mit
Erstaunen sehen, daß ein Waffen-
fabrikant auch revolutionär wer
den kann, wenn man ihm sein Ge
schäft stört!
Deutschland und Frankreich. :: :: ::
Wenn diese Zeilen vor die Augen der Leser
kommen, wird die Berner Konferenz deutscher
und französischer Parlamentarier bereits statt-
gefunden haben und das Ergebnis dieser hoch-
wichtigen Zusammenkunft wird bekannt ge-
worden sein. Aus technischen Gründen kann
erst in der nächsten Nummer der Friedens,-
Warte auf die Einzelheiten dieses wichtigen
Ereignisses eingegangen werden. Wir begnügen
uns heute damit, die Befriedigung darüber zum
Ausdruck zu bringen, daß eine solche Zu-
sammenkunft überhaupt möglich wurde. Sie
ist das sichtbare Ergebnis der seit einem
Viertel Jahrhundert in den beiden Ländern un-
ausgesetzt wirkenden pazifistischen Arbeit. Es
wäre töricht, an diesen ersten Versuch einer
deutsch-französischen Verständigung von Par-
lament zu Parlament zu große Hoffnungen zu
knüpfen. Es geht aber auch nicht an, die
Tragweite dieses Versuches und die Möglich-
keiten für die Zukunft zu gering einzuschätzen.
Haben wir doch in dem letzten Jahrzehnt wäh-
rend des deutsch-englischen Antagonismus' ge-
nügend Gelegenheit gehabt, den Wert solcher
auf Verständigung gerichteter Zusammenkünfte
kennen zu lernen. Die Berner Konferenz wird
schon ein großer Erfolg sein, wenn sie ihre
Wiederholung beschließt, was außer Zweifel zu
liegen scheint. Ein noch größerer, wenn ein
ständiges franko -deutsches Parlamentskomitee
ins Leben gerufen werden soll, das von Zeit
zu Zeit, bestimmt aber im Augenblicke gewisser
Spannungen zusammentreten und gemeinsame
Kundgebungen wird erlassen können.
Der Balkankrieg hat die Lage Europas ver-
schoben. Die Militärs in allen Ländern waren
die ersten dabei, dies zu begreifen und ihre
Schlüsse daraus zu ziehen. Ein allgemeines
Weiterrüsten war das Ergebnis jener Gedanken-
richtung. Die Verschiebung hat sich aber auch
in anderer Weise und in dieser recht erfreulich
geltend gemacht. Sie hat die Notwendigkeit
erwiesen, daß die durch so viele Antagonismen
getrennten großen Kulturvölker dieses Erdteils
notwendig näher zusammenrücken müssen. Die
Vertreter des europäischen Kulturgedankens
haben deshalb die heilige Pflicht, diese Ten-
denz des Kulturzusammenschlusses zu beschleu-
nigen, an seiner Vollendung mitzuarbeiten.
Deutschland und England gehören ebenso wie
Deutschland und Frankreich zusammen, um das
große Menschheitsziel des durch die Vernunft
gesicherten Friedens zu verwirklichen.
Der Augenblick für eine deutsch-franzö-
sische Verständigung ist daher günstig und
bietet Hoffnungen auf ein in absehbarer Zeit
erreichbares Ergebnis. Es sind nicht nur die
:
192
<§:
DIE FRIEDEN5->fc/AR.TE
Parlamentarier, die hier die Arbeit beginnen.
Auch andere Volkskreise in Deutschland und
Frankreich sind am Werke. Eine deutsch-
französische Liga, deren Anfänge bis an
die denkwürdigen Sitzungen des Luzerner Frie-
denskongresses von 1905 zurückreichen, ist in
Bildung begriffen und wird in allernächster Zeit
mit ihrem Aufruf in beiden Ländern vor die
Oeffentlichkeit treten. Aus dieser Liga her-
aus werden fruchtbare Anregungen entstehen,
die zur Förderung des Verständigungswerkes
der beiden Nationen beitragen werden. Es ist
das Beste zu hoffen für die nächste Zukunft.
MB
Ein gefährlicher Zwischenfall und
seine vernunftgemäße Erledigung.
Das Preßbureau des Wiener Auswärtigen
Amtes hat mitten in der größten Erregung
zwischen Oesterreich- Ungarn und Serbien über
die Tötung des Franziskaners Palitsch eine
grauenhafte Schilderung verbreitet, Worin dessen
Tod folgendermaßen geschildert worden war:
Am 7. März vereinigte sich in und um
Djakowa herum die Soldateska mit fana-
tischen orthodoxen Geistlichen, um die Be-
völkerung gewaltsam zum Uebertritt vom ka-
tholischen zum orthodoxen Glauben zu zwingen.
Etwa dreihundert Personen, Männer, Frauen
und Kinder, unter ihnen Pater Angelus Pa-
litsch, wurden mit Stricken gefesselt
und unter Todesdrohungen zum Uebertritt
aufgefordert.
Als letzter kam Pater Angelus an die Eeihe.
Und er war der einzige, der die Stärke besaß,
sich ruhig und würdevoll zu weigern, seinen
Glauben zu verlassen.
Als Pater Angelus auf dreimalige Aufforde-
rung und trotz des Flehens der zwangsweise
übergetretenen Katholiken bei seiner Wei-
gerung beharrte, spielte sich eine entsetzliche
Szene ab, die man im 20. Jahrhundert in
Europa nie und nimmer für möglich gehalten
hätte.
Auf einen Wink der orthodoxen Priester
fielen die Soldaten üben den Fran-
ziskaner her, rissen ihm das geist-
liche Gewand vom Körper und be-
gannen mit den Gewehrkolben auf
ihn einzuschlagen.
Pater Angelus stürzte mit mehreren
Knochen- und Rippenbrüchen zu
Boden, die orthodoxen Geistlichen geboten den
Soldaten Einhalt und fragten den Schwer-
verletzten, ob er nunmehr übertreten wolle.
Und abermals schüttelte er das Haupt und
sagte ruhig: „Nein, ich verlasse meinen Glau-
ben nicht und breche nicht mein Gelübde."
Pater Angelus erhielt nun wieder zahl-
lose Kolbenschläge, bis ihm schließlich
ein Soldat mit einem Bajonettstich
die Lunge durchbohrte und so dem
Leben des Unglücklichen ein Ende bereitete.
Diese offizielle Mitteilung gab einer ge-
wissen österreichischen Presse, die sich an Ent-
rüstung nicht genug tun konnte, Anlaß, den
sofortigen Krieg gegen Serbien zu fordern.
Wenige Wochen später konnten die Wiener
Blätter folgende amtliche Depesche ver-
öffentlichen :
Belgrad, 12. April. (Aus amtlicher ser-
bischer Quelle.) Heute fand in Djakowa die
Obduzierung des Franziskanermönches Pa-
litsch statt. Die Obduzierung wurde von zwei
montenegrinischen Aerzten und einem ser-
bischen Arzt in Anwesenheit der Kon-
suln vorgenommen. Es wurde fest-
gestellt, daß Palitsch auf weite Distanz
durch mehrere Gewehrschüsse ge-
tötetwurde. SpurenyonBajonett-
stichen wurden nicht gefunden.
Die ganze Greuelschilderung war nur zum
Zwecke der Verhetzung erlogen.
„Du sollst nicht töten I" als Anpreisung
einer ungesetzlichen Handlung.
Der ,, Arbeiter-Zeitung" (5. Mai) entnehmen
wir folgende kennzeichnende Mitteilung:
Im Juli des vorigen Jahres gab es irgend-
wo in Böhmen eine Versammlung junger
Leute, die vor der Assentierung standen. Da
erhob sich der Arbeiter Josef Jirout und
ermahnte die ijungen Menschen, als Soldaten
niemals die Mordwaffe gegen Streikende zu
richten, sondern immer an das fünfte Gebot
zu denken: „Du sollst nicht töten!"
Josef Jirout wurde angeklagt und bekam wegen
Aufforderung von Militärpersonen zum Un-
gehorsam drei Monate schweren Ker-
kers. Die jungen Leute freilich, zu denen
der Bibelgläubige gesprochen hatte, waren noch
gar keine Militärpersonen. Also konnte auch
keine Verleitung von Militärpersonen zum Un-
gehorsam angenommen werden. Der Oberste
Gerichtshof hatte sich mit der ganzen An-
gelegenheit nochmals zu beschäftigen, hob das
erste Urteil wirklich auf, erkannte aber in der
Aeußerung des Eedners eine Anpreisung
ungesetzlicher Handlungen und be-
strafte den Josef Jirout mit sechs Wochen
Arrest. Das fünfte Gebot ist also eine An-
preisung ungesetzlicher Handlungen. Wer zur
Befolgung eines göttlichen Gebotes auffordert,
begibt sich in die Gefahr, dafür sechs Wochen
im Arrest sitzen zu müssen.
MB
Kurze Mitteilungen. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
An der Albert-Ludwigs- Universität zu Frei-
burg i. B. hat sich am 3. Mai unter dem Vor-
sitz von Herrn Dr. John M e z ein „Internatio-
naler Studentenverein" nach dem Vorbild von
Berlin, Leipzig, Göttingen, Bonn und Heidel-
berg konstituiert. Bei der Gründungs Versamm-
lung sprach Herr Dr. George W. Nasmyth,
der Präsident des Zentralkomitees der Inter-
nationalen Studenten - Federation „ C o r d a
Fratres", welcher der neue Verein bei-
193
DIE PßlEDENS-^öüTE
©
getreten ist. — Die sechste in der Reihe jener
internat. frmr. Zusammenkünfte, die bisher in
der „Schlucht", Basel, Baden-Baden, Paris und
Luxemburg abgehalten wurden, findet unter
dem Schutze des Gr. -Ostens der Niederlande
vom 23. bis zum 25. August im Haag statt.
Die genannte Großbehörde wird den Anlaß zu
einer großen Friedensmanifestation der Weltfrei-
maurerei benützen, die der Feier der Eröffnimg
des Friedenspalastes und der Enthüllung des
Friedensdenkmals präludieren soll. — P. H.
Eijkrnan, der bekannte holländische Vorkämpfer
für den Internationalismus ist durch den am
14. April erfolgten Tod seiner Gattin in Trauer
versetzt worden. — Ende April starb in London
in dem hohen Alter von 85 Jahren John West-
lake, der Doyen der Völkerrechtswissenschaft
und einer ihrer ruhmreichen Vertreter. Von
1900 — 1906 war er Schiedsrichter in der Haager
Liste. Seinen Cambridger Lehrstuhl gab er
1908 auf. Ihm folgte L. Oppenheim. Erst
kürzlich ist in der Carnegie Ausgabe der Klas-
siker des Völkerrechts die von ilim besorgte Neu-
Ausgabe von Ayala erschienen. — Mitte April
starb in Amsterdam E. N. Rahusen im Alter von
87 Jahren. Er war Präsident der Inter-
parlamentarischen Konferenz von 1897 und im
Jahre 1899 einer der Niederländischen De-
legierten auf der I. Haager Konferenz. Seit
1891 war er Mitglied der ersten Kammer der
Generalstaaten, wo er oft für die Schieds-
gerichtsbarkeit eintrat. — Die Republik China
hat sich Anfangs dieses Jahres an die Trustees
der Carnegie-Stiftung mit dem Ersuchen ge-
wandt, ihr einen Ratgeber zu bezeichnen.
Diesem Verlangen wurde stattgegeben und
Frank Johnson Goodnow, Professor für Ver-
waltungsrecht an der Columbia P Universität,
empfohlen. Dieser verließ Ende April seine
Heimat, um sich für drei Jahre nach Peking
zu begeben, wo er an der Ausarbeitung einer
Verfassung arbeiten wird.
AUS DER BEWEGUNG
Der 70. Geburtstag der Baronin Suttner. :: ::
Am 9. Juni wird Bertha von
Suttner 70 Jahre alt. Die Friedens-
arbeiter der ganzen Welt werden an diesem.
Tage der großen Vorkämpferin und Mit-
kämpferin in Verehrung und Freundschaft
gedenken. Mit der ihrem Wesen eigenen Be-
scheidenheit hat sie sich jede persönliche
Ehrung seitens ihrer Freunde entschieden
verbeten. Wer die Absicht hat ihr an ihrem
70. Geburtstag eine Freude zu erweisen, der
möge ihrem Wunsche gemäß die öster-
reichische Friedensgesellschaft, die die zu
Feiernde ins Leben gerufen hat, durch einen
Beitrag unterstützen. Es wurde zu diesem
Zwecke ein besonderer „Suttner-Fonds" er-
richtet, dessen Erträgnis der Propaganda der
österreichischen Friedensgesellschaft zugute
kommen soll. Man richtet die Beiträge unter
der Bezeichnung „Suttner-Stiftung" an die
„Wechselstube der k. k. priv. allgemeinen
Verkehrsbank vormals Anton Czjzek", Wien
(Post-Scheck-Konto Wien 53 897).
Die „Friedens-Warte" wird in ihrer
Juni-Nummer versuchen, der großen Ver-
dienste der Jubilarin durch einen Festarti-
kel gerecht zu werden.
Kalendarium der pazifistischen Veranstaltungen. ::
25. Mai: VI. Deutscher Friedenskongreß
in Mannheim.
29. Mai: Sitzung des Exekutiv Rates des
europäischen Bureaus der Carnegiestiftung in
Paris.
7. — 8. Juni: Erster belgischer National-
friedenskongreß in Brüssel.
10. — 13. Juni: IX. englischer National-
friedenskongreß in L e e d s.
15. — 19. Juni: II. Weltkongreß der inter-
nationalen Vereinigungen zu Brüssel.
22. — 29. Juni: Internationaler Theoso-
phischer Friedenskongreß in Visingkö,
Schweden.
4. — 30. August: Abhaltung eines inter-
nationalen Friedens- Seminars in Kaisers-
lautern.
19.— 21. August: VIII. Deutscher Espe-
rantokongreß in Stuttgart.
18.— 23. August: XX. Weltfriedenskongreß
im Haag.
23. — 25. August: Internationaler Friedens-
kongreß der Freimaurer im Haag.
29. August: Einweihung des Friedens-
palastes im Haag.
29. Aug. bis 13. Sept.: VIII. Weltkongreß
der Studentenverbände (Corda Fratres) in
1 1 h a c a , New York.
29.— 31. August: IX. Internationaler Espe-
rantokongreß in Bern.
1. — 5. September: Internationale Studenten-
vereinigung im Haag.
3. — 6. September: XVIII. Interparlamenta-
rische Konferenz im Haag.
1. Oktober: XXVIII. Konferenz der Int.
Law Association in Madrid.
Generalversammlung der
russischen Friedensgesellschaft.
Am 25. März fand in St. Petersburg, wie
alljährlich, die Generalversammlung der russi-
schen FriedensgeselLschaft statt.
Präsident Maxim Kowalewsky sprach
über die politischen Verhältnisse und führte
aus, daß die Schiedsgerichtsbarkeit der beste
Weg zur Austragung internationaler Konflikte
sei. Generalsekretär E. Semenoff berichtete
über die Tätigkeit der Gesellschaft im abge-
194
<§:
= DIE FRIEDENS-^^ARTE
laufenen Jahr und über die Ereignisse dieses
Jahres, indem er die Meinung zum Ausdruck
brachte, daß der Pazifismus mehr als je dazu
berufen sei, die beste auf Recht, Gesetz und
Gerechtigkeit beruhende Organisation der inter-
nationalen Beziehungen izu suchen und zu finden.
Verwaltungsrat Michel Fedoroff, Mitglied
des Komitees, sprach über die durch einen Krieg
der sechs Großmächte entstehenden wirtschafte
liehen Probleme. Dieser wirklich ausgezeich-
nete Vortrag wird demnächst als Propaganda-
broschüre erscheinen.
Es folgte dann die Wahl des Komitees. Ge-
wählt wurden : Maxim Kowalewsky, Prä-
sident, W. Philophoff und Frau, Dr. A.
Chabanoff, Vize-Präsidenten, E. Seme-
noff, Generalsekretär, G. Sarkissoff,
Vize-Sekretär; die anderen Mitglieder des Ko-
mitees wurden wiedergewählt.
LITERATUR U PRESSE
Besprechungen. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Erlebnis und Bekenntnis. Eine Sammlung von
Selbstbiographien. Bis jetzt erschienen
6 Bände.
P 1 a 1 1 e r's , Thomas und Felix,
Lehensbeschreibungen. Herausgegeben von
Otto Fischer. „Erlebnis und Bekenntnis".
Bd. I. 8 °. München 1913. 480 S. Martin Mö-
rickes Verlag. Pppbd. 3 M.
Goethe,
Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit.
Ungekürzte Ausgabe. „Erlebnis und Be-
kenntnis". Bd. IL 8°. München 1913 mit
Bildnissen. 768 S. Martin Mörickes Ver-
lag. Pppbd. 3 M.
Moritz, Karl Philipp,
Anton Reiser. Ein autobiographischer Roman.
Herausgegeben von Heinrich Schnabel.
„Erlebnis und Bekenntnis". Bd. III. 8°.
München 1913. Mit dem Bildnis von Moritz.
488 SS. Martin Mörickes Verlag. Pppbd. 3 M.
Laukhard, Magister,
Sein Leben und seine Schicksale, von ihm selbst
beschrieben. Herausgegeben von Heinrich
Schnabel. „Erlebnis und Bekenntnis".'
Bd. IV. 8 °. München 1913, mit dem Bildnis
Lauckhards. 475 S. Martin Mörickes Verlag.
Pppbd. 3 M.
R o u s s e a u's
Bekenntnisse. Gekürzt und herausgegeben von
Dr. Otto Fischer. „Erlebnis und Be-
kenntnis". Bd. V. 8°. München 1913, mit
dem Bildnis Rousseaus. 492 S. Martin Mö-
rickes Verlag. Pppbd. 3 M.
C e 1 1 i n i , Benvenuto,
Das Leben des. Von ihm selbst geschrieben.
Uebersetzt von Heinrich Conrad. „Be-
kenntnis und Erlebnis". Bd. VI. 8°. Mün-
chen 1913, mit 4 Kunstbeilagen. 677 S. Mar-
tin Mörickes Verlag. Pppbd. 3 M.
Diese ausgezeichnete Memoiren-Sammlung
stellt sich die Aufgabe, kulturgeschichtliche Do-
kumente durch die Selbstdarstellung von Er-
lebnissen zu liefern. Männer, die etwas erlebt
und zu sagen hatten, schildern, indem sie ihr
eigenes Leben erzählen, auch ihre Zeit. Der
Leser erhält so eine plastische Darstellung ver-
schiedener Jahrhunderte. Für den Pazifismus
von besonderem Interesse sind die Schicksale
des Magister Laukhard, der uns den Koalitions-
feldzug gegen Frankreich in abschreckender
Deutlichkeit vor Augen führt.
Andrews, Fannie Fern,
The Promotion of Peace. I. Suggestions for
the Observance of Peace Day (May 18) in
Schools. II. Agencies and Associations for
Peace. United State Bureau of Education.
Bulletin 1913. No. 12. Whole Number 519.
8°. Washington. Governement Printing Of-
fice 1913. 66 S. Kostenlos durch die „Ame-
rican School Peace League".
Diese von dem amerikanischen Unterrichts-
ministerium veröffentlichte Anleitung zur Feier
des Friedenstages in den Schulen ist für unsere
mitteleurpoäischen Begriffe eines der wunder-
barsten Dokumente. In Oesterreich z. B. bemüht
sich die oberste Unterrichtsbehörde die Schulen
möglichst zu militarisieren*). Man ist dahin-
gekommen, in den Mittelschulen den Schieß-
Unterricht einzuführen. In Deutschland wird
in den Schulen von Amts wegen der kriegerische
Geist gefördert. Zu einer Förderung der Frie-
densidee hat man sich da nirgends noch aufge-
schwungen. Und hier haben wir eine offizielle
Denkschrift in Händen, die in der Washingtoner
Regierungsdruckerei angefertigt ist und die den
Lehrern und Schulleitern eine Anleitung in die
Hand gibt, nach der sie den Schülern die Frie-
densidee begreiflich machen können. Wie pa-
zifistisch diese Anleitung gehalten ist, geht
daraus hervor, daß sie von einer führenden
Pazifistin bearbeitet wurde.
Wir finden neben wertvollen und orientie-
renden Uebersichten über die Entwicklung der
Friedensbewegung noch nachstehende Artikel
in jener Schrift: Die Feier des Friedenstages
von Ferdinand Buisson; Die Eröffnung
des Friedenspalastes von A. P. C. Karne-
beck; Bei den Lehrern der Vereinigten Staa-
ten von Baronin Bertha v. Suttner; Die
Cosmopolitan-Clubs von Louis P. Lochner
usw. Im Anhang findet man geeignete Friedens-
Gedichte, Zitate und eine ausführliche Biblio-
graphie.
Neurath, Otto,
Die Kriegswirtschaftslehre als Sonderdisziplin.
Abdruck aus : Weltwirtschaftliches Archiv.
I. Bd. Heft 2. Jena im April 1913. 8 °. 7 S.
Nicht im Handel.
Neurath bemüht sich, die Notwendigkeit
eines neuen Wissenszweiges zu betonen. Den
Einfluß des Kriegsfalles auf die Wirtschaft dar-
zulegen halten wir für äußerst wichtig. Wir
sind nämlich der Ueberzeugung, daß solche For-
schungen nur neue Argumente g&gen den Krieg
und gegen den bewaffneten Frieden bringen
müssen, wenn sie objektiv angestellt werden.
Neurath scheint nicht dieser Ansicht zu sein.
Er ploemisiert gegen Norman Angell,
dem er Tendenz zum Vorwurf macht und dessen
Thesen ihm als „übertrieben formuliert" er-
scheinen, wodurch sie „grotesk und skuril"
wirken. Er macht der Friedensbewegung, die
außer Norman Angell doch auch einen Bloch
hervorgebracht hat, ziemlich unberechtigt den
*) Siehe den Artikel in dieser Nummer.
195
DIEFßlEDEN5-N\Ä>ßTE =
G)
Vorwurf, daß sie sich „bisher auf ökonomischem
Gebiet sehr steril gezeigt hat". Die durch
die Carnegie-Stiftung angeregten wirtschaft-
lichen Einzeluntersuchungen will Neurath
nicht auf das Konto der Friedensbewegung
stellen, „weil sie", wie er ausführt, „inhalt-
lich kein Ausfluß der Friedensbe-
wegung sin d", da laut Statut die Division
of Economics and History völlig objektive Ar-
beiten über die ökonomischen und historischen
Ursachen und Wirkungen der Kriege zu unter-
stützen hat, daher Ergebnisse nicht ausge-
schlossen sind, welche die Friedensbewegung
nicht zu unterstützen geeignet erscheinen. Bei
einzelnen Arbeiten mag das ja der Fall sein;
aber das Gesamtergebnis wird unzweifelhaft zu-
gunsten der Friedensbewegung ausfallen, in dem
Sinne zu wirken die Carnegie-Stiftung begründet
wurde.
Wertheimer, Eduard von,
Graf Julius Andrässy. Sein Leben und seine
Zeit. Nach ungedruckten Quellen. II. Bd.
Bis zur geheimen Konvention vom 15. Ja-
nuar 1877. XX und 420 S. III.; Bd. Letzte
Lebensjahre. — Charakteristik Andrässys.
XV und 373 S. 2 Bde. Gr. 8 o. Stuttgart 1913.
Deutsche Verlagsanstalt. Hfrz.
Auf das Erscheinen des I. Bandes dieses
biographischen Werkes ist bereits in der Ja-
nuar-Nummer des Jahrgangs 1911 der Friedens-
Warte hingewiesen worden. Die beiden letzt
erschienenen Biände bieten vom pazifistischen
Gesichtspunkt eine reichere Ausbeute. Behan-
deln sie doch die wichtigen Ereignisse des rus-
sisch-türkischen Krieges, des Berliner Kongresses
und der Okkupation Bosniens und der Herzego-
wina. Gerade jetzt, wo die Balkan-Politik der
österreichisch-ungarischen Monarchie im Mittel-
punkt des europäischen Interesses steht, bieten
diese beiden Bände mannigfache orientierende
Anhaltspunkte über die Vorgeschichte und Ten-
denzen dieser Politik. Freilich aber auch über
ihre Irrungen. In das Treiben der alten und altern-
den Diplomatie wie der führenden Militärkreise
gewahrt auch diese Lebensbeschreibung eines
führenden europäischen Staatsmannes ähnliche
interessante Einblick© wie die Memoiren des
Fürsten Hohenlohe. Viel Kriegsgeschrei und
Kriegsgläubigkeit tritt 'daraus hervor und man
erkennt, wie über die Köpfe der Völker hinweg
mit deren Köpfen gespielt wird.
Ein Beispiel hierfür: Andrässy hielt den
Einmarsch in Bosnien zum Zwecke der Okku-
pation, wofür bekanntlich der Monarchie am
Berliner Kongreß das Mandat erteilt wurde,
für einen Spaziergang. Er glaubte, man werde
die österreichisch-ungarischen Truppen mit
offenen Armen empfangen. Er machte aber
die Rechnung, ohne das Ruhmesbedürfnis der
hohen Militärs zu berücksichtigen. Die Okku-
pation gestaltete sich zu einem recht blutigen
Feldzug. Andrässy äußerte sich darüber zu
dem deutschen Botschafter in Wien wie folgt:
„Anstatt, daß man getrachtet hätte, rechtzeitig
mit geringeren, aber kampfbereiten Truppen da-
zustehen, mit denen aller Wahrscheinlichkeit
nach eine friedliche Besetzung erzielt werden
konnte, verzögerten sich die Vorbereitungen für
den Einmarsch bis zu dem Moment, wo er ohne
Gefährdung der ganzen Unternehmung nicht
mehr hinausgeschoben werden durfte. Das war
allerdings nach dem Geschmack Philippovics und
vieler Offiziere, die keine friedliche Ok-
kupation wünschten, wo keine Lor-
beeren zu holen waren, sondern sich
nach de m Krieg in großem Stil sehn-
ten, mit all dem, was damit in Zu-
sammenhang zu stehen pflegt. Man
darf auch annehmen, daß er über die blutige
Wendung, die die Dinge in Bosnien nahmen, gar
nicht ungehalten war. Jetzt bot sich Gelegen-
heit zur Auszeichnung auf dem Felde der Ehre."
So also stellen sich die Kriege hinter den
Kulissen dar, die man auf der Weltbühne als
ein Element der göttlichen Weltordnung dra-
piert. Solche lehrreichen Blicke in das tech-
nische Gebiet der Weltgeschichte bietet das
Werk Wertheimers in Fülle.
Lammasch, Heinrich,
Die Rechtskraft internationaler Schiedssprüche.
4°. Kristiania, München und Leipzig 1913.
Publications de l'Institut Nobel Norvegien.
Tome II. Fase. 2. 227 S. Duncker & Humblot.
Dieses neue Werk des hervorragenden
Rechtsgelehrten zerfällt in vier Haupsttücke.
1. Der Inhalt der Schiedssprüche. IL Die
Wirkungen des Schiedsspruches. III. Rechts-
mittel gegen den Schiedsspruch. V. Die Aus-
führung des Schiedsspruches. An anderer Stelle
dieser Nummer ist. auf die Bedeutung dieses
Werkes von berufener Seite hingewiesen worden.
In einer der nächsten Nummern dieser Blätter
werden wir noch ausführlich auf diese wichtige
Veröffentlichung zurückkommen.
Pütt kämm er, v.,
Die Mißerfolge in der Pblenpolitik. 8°. Berlin
1913. Verlag von Karl Curtius.
Dieses Büchlein ist eine sehr willkommene
Gabe. Der den Friedensfreunden wohlbekannte
Baron v. Puttkamer ist lange Jahre im Kreise
Mogilno als Landrat tätig gewesen und ist da-
her wie kein anderer dazu berufen, auf Grund
eingehender Sachkenntnis ein beachtenswertes
Urteil über die Polenfrage abzugeben. Frei
von aller Schönfärberei sucht er doch der pol-
nischen Eigenart gerecht zu werden. Es ist
ihm in der vorliegenden Schrift vorzüglich ge-
lungen, den Nachweis zu erbringen, daß die an
sich fügsame und leichtlebige polnische Nation
sich längst in das Zusammenleben mit den Deut-
schen gefunden hätte, wenn sie nicht durch die
verkehrte Polenpolitik daran gehindert worden
wäre. Die Unterdrückung der Polen, wie sie
sich in Enteignungsgesetzen u. a. Ausnahme-
verordnungen äußert, ist nicht nur unchristlich
und ungerecht, sie ist auch im Interesse des
Staates durchaus verkehrt. Daß die Preußen
ihre Polen schlechter behandeln als die Rus-
sen die ihrigen, daß der deutsche Name im Aus-
land verlästert wird um der rückständigen
Zwangsmäßregeln willen, mit denen die Polen
drangsaliert werden, daß Beamte, Rechtsanwälte
und Aerzte, die von Regierungs wegen in die
Ostmarken versetzt oder mit besonderen Zulagen
dorthin gelockt werden, die Landessprache viel-
fach gar nicht verstehen, daß durch die künst-
liche Parzellierung des Großgrundbesitzes die
Lebensmittelpreise direkt verteuert werden, daß
der Schutz der Ostgrenze durch ein unzufrie-
denes Polenvolk erschwert wird, das alles mag
in der Broschüre Puttkamers selbst nachge-
lesen werden. Wir Friedensfreunde können
diesen tapferen Protest eines unserer mutigsten
Mitkämpfer nur dankbar begrüßen, wissen wir
doch "aus Erfahrung, wieviel eine gerechte Be-
196
<§E
DIE FßlEDENS-X^ÄBXE
handlung der nationalen Minderheiten zu dem
internationalen Vertrauen beitragt, das wir als
Voraussetzung für die Annäherung der Völker
betrachten müssen. O. U.
BUB
Eingegangene Druckschriften. :; :: :; :: :: ::
(Besprechung vorbehalten.)
Zeitschrift für Völkerrecht und
Bundesstaatsrecht. Herausgeg. vou Prof.
Dr. Josef Kohler, Berlin , und Prof. Dr.
L. Oppenheim, Cambridge. II. Bd. 5. u.
(5. Heft. Breslau 1913. J. ü. Kerns Verlag.
Aus dem Inhalt: W. Kaufmann, Das
Panamakanalgesetz der Vereinigten Staaten vom
24. Aug. 1912 und das Völkerrecht. — Depeschen-
wechsel zwischen Großbritannien und den Ver-
einigten Staaten zum amerikanischen Panama-
kanalgesetz. — Dr. KavlStrupp, Ein russisch-
türkischer Streitfall vor dem Haager Schieds-
gericht. — usw. usw.
La Vie Internationale. Tome III.
Fascicule 11. Brüssel 1913. Offlee central des
Associations Internationales.
Aus dem Inhalt : Institut International de
Chine. — Relations eeonomiques anglo-allemandes.
— Conference centrale amoricaine. — Conference
de la Paix. — usw. usw.
Bulletin of the Pan-American
Union. "Washington 1913. März.
Aus dem Inhalt: International Congress of
Students. — Secretary Knox' Farewell to the
Governing Board. — Special Missions Welcome
President Wilson.
Gießwein, Dr. Alexander,
Der Friede Christi. Christentum und Friedens-
bewegung. 16°. Wien 1913. 40 S. Preis: 20 Heller.
Lamprecht, Prof. Dr. Karl,
Rine Gefahr für die Geisteswissenschaften. Sonder-
abdruck aus „Die Zukunft", Nr. 27, 1913. 8°.
Berlin 1913. 12 S. Verlag der Zukunft.
S t r u p p , Dr. Karl,
lOin russisch-türkischer Streitfall vor dein Haager
Schiedsgericht. Sonderabdruck aus: Zeitschrift
für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht. Bd. IL
8°. Breslau 1913.
S v e n s k e , Harald,
Antwort auf Sven Hedins Warnungsruf ! Heraus-
gegeben von der schwedischen Friedens- und
Schiedsgerichtsvereinigung in Stockholm (Frie-
densschriften Nr. 9). Ins Deutsche übertragen
von Dr. F. Joel. 8°. Leipzig 1913. 73 S. Kom-
missions-Verlag von Teichmann & Co. 75 Pf.
Associated Councils, The,
of Churches in the British and German empires
for fostering friendly Relations between the two
peoples. British Council. Second Annual Re-
port for the year 1912. 8°. (London 1913.)
142 S. Verlag der Gesellschaft. Adi-esse des
Sekretärs: W. H. Dickinson, 41 Parliament Street,
London SW.
C ap en, Samuel B.,
Foreign Missions and World Peace. Address al
Portland, Maine. Oct. 10. 1912 World Peace
Foundation Pamphlets Series. Oct. 1912 No. 7.
Part. III. 8°. Boston 1913. 23 S. World Peace
Foundation. 29 A Beacon Street. Kostenlos.
D e m i n g , William C,
The Opportuuity and Duty of the Press in Re-
lation to World Peace. international Con-
ciliation. May 1913. No. 66. 8°. New York
1913. Am. Association for Int. Conciliation.
Sub-Station84 (107 West 117 th Street) Kostenlos.
Hob s o n, J. A.,
The German Panic. With an Introduction by the
right Hon- the EarlLoreburne. 3°. Lon-
don 1913. 30 S. Cobden-Club. 1 Penn.v.
Lange, Christian L.,
The Interparlamentary Union. International Con-
ciliation. April 1913. No. 65. 8°. New York
1913. 14 S. Am. Association for Int. Conciliation.
Sub-Station84 (407 West 1 17 th Street). Kostenlos.
Liverpool Peace Society,
Annual Meeting and Report. 1913. 8°. (Liver-
pool 1913). 19 S. Liverpool Peace Society.
Kostenlos.
Conseil Inte rpar lerne ntaire.
Proces Verbaux. III. Seanco du 18. mars 1913.
Palais de la Nation. Bruxelles. 8°. Bruxelles
1913. 35 S. Verlag der Intevp. Union. Kostenlos.
Fachpresse. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: '■'■ :'
V ö 1 k er 1" r i e d e (Eßlingen). Mai. O. U., Die
Geschlossenheit der europäischen Diplomatie. —
Noch ein Wort zur Lage in Elsaß-Lothringen.
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Friedensbewegung. — Pi of. W i 1 h. F ö r s t e r ,
Spionage, Geheimfonds, Totalisatoren. — usw.
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Der Friede (Bern). April. G.-C, Gegenwart
und Zukunft — Hermann Cohn, Die
Friedensidee im Alten Testament. • — W. Kohl,
Rüstungen und kein Ende! — usw. usw.
Die Friedensbewegung (Bern). April,
Manifestationen gegen die neuen Wettrüstungen.
— Statistik und amtliche Mitteilungen. — Atis
allen Ländern. — usw. usw.
Korrespondenz des Verbandes für
internationale Verständigung (Würz-
burg u. München). II. Jahrg , Nr. 2. Prof.
R. P i 1 o t y , Emanuel Ritter v. UUmann f. —
W. Kloß, Das alte und das neue Haager
Schiedsabkommen. — Prof R. Piloty, Zur
Psychologie des Chauvinismus.
Vaterland und Welt (Göttingen). Nr. 7
Dr. G. W. Nasmyth, Der Internationale
Studentenbund „Corda Fratres". — Cv. Schwe-
rin, Nobiles Academici, Heidelberg. — usw. usw.
Die Eiche (Bern). Nr. 2. D. Dryander,
Deutschland und England. — F. Siegmund-
Schultze, Friede und Mission. — D.
Spiecker, Das Privateigentum im Seekrieg.
— O. Um f r i d , Der deutsch-englische Flotten-
wettbewerb. — A. Erkelenz, Arbeiteraus-
tausch zwischen Deutschland und Großbritannien.
— T h. Mann, Der christliche Studentenwelt-
bund und der Friede unter den Nationen. —
K. Bornhausen, Die Verwertung der kirch-
lichen Beziehungen zwischen Deutschland und
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deutsch-englischen Beziehungen. — usw. usw.
La Paix par le Droit (Paris). 10. April.
Th. Ruyssen, Le Paeifümc en Alsace-
Lorraine. — Jacques Dumas, „Aux ecoutes
de la France qui vient". — Contre Paccroissement
de la duröe du Service. — J Prudhommeaux,
La justice internationale ä bon marche. — usw.
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— 25. April. Dr. Hans Wehberg, Les vingt
premieres annees du mouvemetit paeifiste en
197
DIE FBIEDENS -^ößTE
®
Allemagne. — Ch. R., Pierpont Morgan et l'id6e
de Paix. — La Conference de jBerne pour le
rapprochement franco- allem and. — usw. usw.
Etats Unis d'Europe (Bern). April. La
Conference interparlementaire franco-allemande.
— usw. usw.
The Arbitrator (London). Mai. Armour-
Plate Patriotism. — Private Property at Sea. —
Mr. James Bryce on World Unity. — Lord
Rosebery on the press and "War. — Farmers
ruined by Conscription. — usw. usw.
C o n c o r d (London). April. Felix Mosche-
les, «Et voilä comme on ecrit 1'histoire!" —
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Panama Canal Dispute. — Teignmouth
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Council (London). April.
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The Advocate of Peace (Washington).
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Fear of War — Charles L. Coon, What
the Schools can do for Peace. — James
L. T r y o n , Sulgrave Manor, a Shrine of British-
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No more Battleship needed.
The Cosmopolitan Student (Madison,
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Trend of the Times. — J. H. Vogel, Japan
seeks only Peace. — W. N. Fenninger,
Broadening our Vision. — W. O. Thompson,
The Signiflcance of the Cosmopolitan Club. —
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Esperanto. — James A. Barr, Congresses,
Societies and Conventions for 1915. — usw. usw.
— April. (University of Chicago -Numb er).
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litan? — Bohemian Corda Fratres. — Handbuch
der Friedensbewegung. — usw.
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American Peace Society of Japan. Annual Report.
In japanischer Sprache: Dr. V. I r e -
1 a n d , Bewaffneter Friede und Lebensmittel-
teuerung. — H. Miyamoto, Die Balkan-Frage.
— Die neuerliche Betätigung der Friedenskräfte
in Europa und Amerika. — usw. usw.
„Vreede doorRecht" (Haag). April. C. A. J.
Hartzfeld, Prof. van Vollenhovens politic-
plan niet geschikt voor dezen tijd. — Van der
V i e s , Felix Moscheies. — H. J. de Lange,
Mit buitenlandsche Orgaanen der Vredes-
beweging — usw. usw.
Fredsfanan (Stockholm). April. G ö s t a
Seilesberg, Förverkligar en hundraärig
Fred? — Thomas Thrap, Krigets Logik. —
usw. usw.
Fredsbladet (Kopenhagen). April. Niels
Petersen, Freds vennerne hjemlige Virkefelt.
— 0. Th. Zahle, Militaervaesenet og de sociale
Udgifter. — Olaf Forchhammer, Freds-
politik eller Faestningspolitik ? — Niels
Petersen, Voldgiftstraktaterne og Interessen-
faellenskabet mellem Landene. — usw. usw.
Artikel-Rundschau. :: :: :: :; ;: :: :: :; :: :: :: :; ::
Im „März" vom 29. März spricht Lud-
wig Thoma von den „Giftmischern". Gemeint
ist damit die unentwegte Hetzpresse. Man wäre
versucht, denganzenArtikel abzudrucken.
Hier nur einige Stellen daraus: „Geben wir der
chauvinistischen Presse, was der Presse ist.
Schmälern wir nicht ihr Verdienst! Sie hat es
erreicht, hüben und drüben, daß alle Fäden zer-
rissen sind, daß jedes Wort, jede Gebärde miß-
verstanden wird, daß Gerechtigkeit, Humanität,
Friedensliebe als schwächliche Anwandlungen
von jedem schreienden Stubenhocker verhöhnt
werden dürfen. Lassen wir der gelben Presse
diese Ehre ! Es ist die Kleinarbeit von 365 Tagen
im Jahre, Mosaik, zusammengesetzt aus Ge-
meinheiten, Entstellungen, Lügen. Es ist die
Arbeit nicht von mächtigen Geistern, sondern
von kleinlichen Leuten, die niedrigen Instinkten
schmeicheln, verbrecherischen Begierden dienen
und trotzdem durch Phrasen, durch nichts
anderes als Phrasen die Ehrlichen und Ver-
ständigen zum Schweigen zwingen. Keiner von
diesen Leuten hätte die Gabe, das Volk fort-
zureißen, vielleicht jeder von ihnen erregt Un-
willen und Verachtung bei den Näherstehenden,
und doch haben sie es vermocht, durch Wieder-
holen und Wiederholen, daß leere Worte und
Lügen zu unantastbaren Wahrheiten geworden
sind, und doch haben sie Tropfen für Tropfen
der öffentlichen Meinung Gift eingeflößt, bis
diese in krankhafter Ueberreizung die Kraft zum
Widerstände verloren hat."
Und weiter: „Auch in Deutschland wirkt
die immer wieder verkündete Botschaft von
dem unvermeidlichen Kriege lähmend und ver-
derblich. Die gefaßte und. ruhigere Art des
Volkes läßt wohl solche Frechheiten, wie sie
die Rotzlöffel, die Herren Camelots du Roi und
andere, verüben dürfen, nicht zu, aber wir
pfeifen leider auch die Propheten
nicht aus, welche im Lande herum-
reise nundvond er „taten armen Zeit"
faselieren."
Erfreulich ist es, daß die Reichsregierung
jetzt häufiger als früher das gemeingefährliche
Treiben jener Presse brandmarkt. So findet sich
in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung"
vom 22. April folgende offiziöse Erklärung :
„Wir finden in einem deutschen Blatte, in der
„Post", aus Anlaß der* Nancy er Vorgänge be-
schimpfende Ausfälle gegen da« französische
Volk im ganzen. Derartige Machwerke ver-
stoßen gegen echten Patriotismus und waliro
deutsche Gesittung. Sie liefern dem Auslände.
zu Unrecht verallgemeinert, den Vorwand, eigene
chauvinistische Treibereien mit deutschen Maß-
losigkeiten gleicher Art zu entschuldigen. Tm
Interesse des Ansehens und der Würde des
deutschen Namens, den sie kompromittieren,
muß eine derartige Sprache, als eines hoch-
stehenden Volkes unwürdig, ener-
gisch zurückgewiesen werden." Bravo
so! Da wir gerade von der Presse sprechen,
sei eines in der „Frankfurter Zeitung"
vom 17. 4. enthaltenen Artikels gedacht, der
von dem Haager Korrespondenten ienes Blattes
herrührt und „Erbauliches vom Friedensbau"
betitelt ist, Da wird der Bauleitung des Haager
Friedenspalastes der Vorwurf gemacht, daß sin ,
einen Aufenthaltsraum für die Presse vergessen
habe. Dann lesen wir mit starrem Entsetzen
folgenden Satz: „Wir sind so dreist, zu fragen,
obes nicht die Presse der ganzen
W e 1 1 w a r , d i e d e n F r i e d. e n s g e d a n k e n
ge hegt und gefördert h a t , die erst
jene Stimmung hervorgebracht' "hat,
198
(g=
DIE FBlEDEN5->fcÄRXE
aus der die I'riedeaskojif erunzcu
und die Idee des Friedenspalastes
gewachsen sind.'' Diese Frage ist so haar-
sträubend naiv, daß wir sie in der „Friedens-
Warte" und vor einem pazifistisch eingeweihten
Publikum wahrlich nicht zu beantworten brauchen.
Aber doch können wir uns nicht enthalten, dem
naiven Fragesteller zu sagen, daß der Satz die
Tatsachen gerade auf den Kopf stellt. Das
Gegenteil ist richtig. Es gibt in der großen
Menschheitsgeschichte keine Kulturerschemung.
die in ihren Anfängen von der Tresse derartig
mißverstanden, verlacht, verhöhnt und bekämpft
wurde wie das Haager Werk. Mit einer Aus-
nahme von vielleicht einem Dutzend Zeitungen
am ganzen Erdenrund hat es die gesamte Tresse
der Welt jene Stimmung zu bekämpfen unter-
nommen, aus der die Friedenskonferenzen und
die Idee des Friedenspalastes hervorgewachsen
sind Das kann ich beweisen. Aus der Zeit der
I. Haager Konferenz bewahre ich eine ganze
Kiste von Zeitungsausschnitten, die ich später
einem Museum überantworten werde; und auch
aus den späteren Perioden kann ich mit Belegen
über die Haltung der Fresse dienen. Das recht-
fertigt allerdings nicht den Felder der Haager
Bauleitung. Sie müßte auf die Presse, die sich
ja mittlerweile zu ändern anfängt, volle Rück-
sicht nehmen. — „Die schimpfenden Pazifisten"
betitelt „Das neue Deutschland" einen Artikel
(20. 4.), worin Berendsohns Angriff gegen
D e h m e 1 aus der letzten Nummer der
„Friedens- Warte" einer Kritik unterzogen wird.
Dehmel habe in der bekämpften Aeußerung nur
dem Ausdruck gegeben, „was heute stärker
und stärker Gemeingeist der wirklich Gebildeten
wird. Diese stehen heute längst nicht mehr
beim „Berliner Tageblatt" und der „Friedens-
Warte", sondern sind auf dem Marsch nach
ganz anderen Zielen." Die Anhänger der Frie-
densbewegung werden sich ob dieses versteckten
Vorwurfs der Unbildung wohl zu trösten wissen.
Artikel. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
(Bibliographie.) I. Friedens-
bewegung im allgemeinen: Auf der
Toteninsel Adrianopels. „Berliner Tageblatt".
17. IV. * j>ie Lehren des Balkankrieges und
die Friedensbewegung. „Aachener Allgemeine
Zeitung". 17. IV. * Hugo Schulz, Der Mi-
litarismus in der Sackgasse. „Die Neue Zeit".
18. IV. * Dr. Se ufert, Ist die augenblick-
lich inszenierte bewaffnete Intervention der ver-
einigten Großmächte ein Beweis für oder gegen
die Wirksamkeit der internationalen Friedens-
.idee? „Süchteiner Volkszeitung". 4. IV. *
Maßvolle und maßlose Chauvinisten. „Dresde-
ner Volkszeitung". 23. IV. * Dr. M. Kro-
nenberg, Krieg und Kultur. „Frankfurter
Zeitung". 20. IV. * Dr. Paul Kammerer,
Allgemeine Symbiose und Kampf ums Dasein
als gleichberechtigte Triebkräfte der Evolution.
(Sonderabdruck aus „Archiv für Bässen- und
Gesellschafts-Biologie". 5. Heft, 1909.) * Ders.
Gegenseitige Hilfe und erbliche Belastung.
„Pester Lloyd", 31. I. * J. Z an g will, Der
Kriegsteufel. „Neue Freie Presse". 21. TV. *
Prof. Dr. Robert Piloty, Zur Psychologie
des Chauvinismus. „Neckar-Zeitung" (Heil-
bronn). 26. TV. * Kurt Eisner, Weltkrieg
A.-G. „Vorwärts". 28. IV. *EdwinD. Mead,
what is the Peace Movement? „The Indepen-
dent". 24. IV. * Alfred H. Fried, Im
Xaanen Europas. „Der Herold". (Berlin.) 1. V.
* A 1 f r e d H. Fried, Friedensbewegung. „Das
Monistische Jahrhundert". 19. IV. * Prof. Dr.
\V i 1 h e Im F o e r s t e r , zur Verständigung
über den Fortschritt der Menschheit. „Doku-
mente des Fortschritts". IV. * Prof. Dr. Lud-
wig Stein, Die Ueberwindung des Kosmo-
politismus durch die Nationalidee. „Nord und
Süd". V. * Sir Max Wa echt er, England,
Germany and the Peace of Europe. „The Fort-
nightly Review". V.
II. Die internationale Politik:
Dr. Freiherr von Mackay, Deutschland,
das europäische Reich der Mitte. „Export"
^Berlin). 24. IV. * H. v. Kupffer, ,Das
deutsche Gespenst in England. „Berliner Lo-
kal-Anzeiger". 20. IV. * Friedrich Our-
t i u s , Nowicows Buch über Elsaß-Lothringen.
„Frankfurter Zeitung". 13. IV. * Le Conflit
franco-allemand. „Revue" (Paris). 1. IV. *
Rene Schickele, „Stimmung" in Frank-
reich. „Berliner Zeitung am Mittag". 17. IV.
* F. Schotthoefer, Französischer Chauvi-
nismus. „Frankfurter Zeitung". 18. IV. *
„Z. IV" in Luneville. Der Bericht von Kapitän
Grund. „Frankfurter Zeitung". 18. IV. * (Hei-
melt) Eine Lanze für die Diplomatie. „Weser-
Zeitung". 6. IV. * Norman Angell, Einige
Worte zur deutsch-englischen Verständigung.
„Fortschrittliche Volkszeitung". (Freiburg i. B.)
14. IV. * E. Gagliardi, Italien und Monte-
negro. „Der Tag" (illustrierter). 24. IV. * Ge-
orges Bourdon, Entre la france et l'Al-
lemagne. „Revue" (Paris). 15. TV. * Albert
B e n c k e , Panslawismus, Kriegsentschädigung
und andere Dinge. „Handel und Industrie"
(München). 19. IV. * K a r 1 E u g e n S c h m i d t,
Deutsch-französische Kriegslust. „Neue Ham-
burger Zeitung". 30. IV. * Neue Anregungen für
internationale Verständigungen. „Weser-Zei-
tung". 27. IV. * Martin Spahn, Oester-
reichs Balkanpolitik. „Der Tag" (illustrierter).
30. IV. * L. Wagner, In eigener Sache. Die
Ferienkurse für Ausländer und die Franzosen.
„Kaiser lauterer Stadtanzeiger". 24. IV. *
Karl Leuthner, Die Wiener Politik. „So-
cialistische Monatshefte". 24. IV.
III. Völkerrecht: Kurt Wol z en-
do rff, „Das Werk vom Haag". „Frankfurter
Zeitung". 20. IV. *Dr. Karl Str upp, Lehren
des Luneviller Zwischenfalls für eine völker-
rechtliche Regelung der Luftschiffahrt. „Frank-
furter Zeitung". 3. V.
IV. Internationales: Dr. Albert
Grobat, Die Achtung vor den internationalen
Verträgen. „Ethische Kultur". 1. V.
V. Wirtschaftliches: Konteradmiral
z. D. Stiege, Wettrüsten. „Kölnische Zei-
tung". 18. IV. * Die falsche Rechnung. „Pester
Lloyd". 22. IV. * Nationalismus und Geschäft.
„Frankfurter Zeitung". 19. TV. * Die Wehrkraft
Deutschlands im Vergleich mit der der anderen
europäischen Großmächte. „Militär-Wochen-
blatt". 19. IV. * Prof. R, Broda, Paix ou
Guerre. Le Probleme des Armements. „Les
Documents du Progres. IV. * Das Kartell des
Mordkapitals. Die Internationale der Kriegs-
hetzer. „Arbeiterzeitung". 30. IV. * Kriegs-
industrie und Kriegshetze. „Frankfurter Zei-
tung". 1. V. * Der Skandal in der Rüstungs-
industrie. „Frankfurter Zeitung". 3. V.
199
DIE FRIEDENS« VADfTC =
IMITTEILVNdEN DEBS
FRIEDENSGESELLSCHAFTIN
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Schriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
3
Pfarrer ümfrid,
Stuttgart, Birkenwaldstr. 26,
nimmt vom 20. Oktober an junge Engländerinnen,
Französinnen, Belgierinnen, Holländerinnen oder junge
Mädchen aus den skandinavischen Ländern in sein
Haus. Herrliche Lage. Gute Verpflegung. Alle
Bildungsgelegenheiten in der Stadt. Unentgeltlicher
Unterricht in der deutschen Sprache. Originelle
Methode mit vorzüglichen Erfolgen. Preis monatlich
120 M. Anmeldungen während des Sommers erwünscht.
Frankfurter Friedensverein.
Frankfurt a. M., Gr. Gallusstraße 18.
Der kürzlich verstorbene Herr AdolfMar-
b u v g, der von 1893—1902 Vorstandsmitglied und
bis zu seinem Ableben ein tatkräftiger Förderer
des „Frankfurter Friedens Vereins" gewesen ist, hat
in seinem Testament diesem ein Vermächtnis von
3000 M. ausgesetzt. Es ist dieses neben der
„Franz Wirthschen Stiftung" die zweite größere
Zuwendung, welche der Friedensverein zu Frank-
furt a. M. erhalten hat.
Oesterreichische Friedensgesellschaft.
Bureau: Wien I, Spiegelgasse 4.
Ihre k. u. k. Hoheit Frau Erzherzogin Maria
Theresia ließ unserer Präsidentin den Betrag von
100 K. als Spende für die Oesterreichische Friedens-
gesellschaft übermitteln.
MB
Den Schluß des 3. volkstümlichen Vortrags-
zyklus bildete der am 23. v. M. abgehaltene Vor-
trag der Frau Baronin v. Suttner, welche über
„Pazifismus in Amerika" sprach. Der Saal war
bis auf das letzte Plätzchen gefüllt und die Vor-
tragende wurde wiederholt durch stürmischen
Beifall unterbrochen.
m
F r i e d e n s t a g. Am 18. Mai findet im Fest-
saale der Wiener Universität ein vom Akademi-
schen Friedensverein veranstalteter Friedenstag
statt, bei welchem der Rektor der Universität,
Hofrat Dr. Weichselbaum, Baronin Suttner, Alfred
H. Fried und Univ.-Prof. Dr. O. Richter sprechen
werden.
An den Minister des Aeußeren, Exz. Graf
Berchtold, richtete unser Vorstand nachfolgendes
Schreiben:
Euer Exzellenz ! Mit ungeteilter Freude und
hoher Genugtuung wird die gesamte Kulturwelt
von einem abermaligen und verbesserten Vor-
schlage Kunde erhalten, welchen der Präsident
der Vereinigten Staaten von Amerika, Woodrow
Wilson, und der Staatssekretär des Auswärtigen,
W. J. Bryan, in diesen Tagen zur Vervollkomm-
nung der internationalen schiedsgerichtlichen Ver-
tragsorganisation im diplomatischen Korps zu
Washington entwickelt hat.
Die Regierung der nordamerikanischen Union,
wo ja Staatsmänner und Bevölkerung im gleichen
Maße von der Notwendigkeit überzeugt sind, zu
einem internationalen Abkommen über Schieds-
gerichtsbarkeit und Abrüstungsstillstand zu ge-
langen, erstrebt neuerdings diese Uebereinkunft
der Staaten.
Diese hochherzige Initiative der Bundes-
regierung muß gerade in der jetzigen Zeit um so
mehr die ernsteste Beachtung aller Kabinette
hervorrufen, als sich ja nur zu deutlich erwies,
wie sehr Kriege, trotz stärkster Rüstung, nicht
vermieden werden konnten, wie sehr die Furcht
vor einem noch so stark gerüsteten Staat weit
schwächere Staaten keineswegs zur Vermeidung
kriegerischer Handlungen vermochte und wie bei-
nahe unmöglich es geworden ist, in dem inter-
nationalen Wettrüsten zu einem, den wirtschaft-
lichen und finanziellen Kräften der Staaten an-
gepaßten Ruhepunkt zu gelangen.
Es liegt daher im ureigensten Interesse
jedes europäischen Staates, ob groß oder klein,
ob es sich um Land- oder Seemacht handelt, daß
seine Regierung der Einladung der nordamerika-
nischen Regierung bereitwilligst Folge leiste und
die Hand zum Abschluß des erwähnten inter-
nationalen Abkommens darreiche.
Wir bitten somit Euer Exzellenz, im wohl-
erwogenen Interesse unserer Monarchie, sowohl
selbst dem Rufe der Regierung der Vereinigten
Staaten zu einer eventuellen Konferenz über ein
solches Abkommen Folge zu leisten und sich für
den Abschluß eines solchen Abkommens auszu-
sprechen sowie auch auf geeignetem Wege die
Regierungen anderer Staaten zu einem gleichen
Vorgehen einzuladen.
Genehmigen usw. usw.
IMS
Friedensvortrag. Bei der am 6. v. M.
in Hotzenplotz stattgefundenen Vollversammlung
des Vereins der Lehrer und Schulfreunde wurde
der Lichtbilderzyklus .Du sollst nicht töten!"
vorgeführt. Die Regleitworte von Th. Hermann
sprach Frl. Stephanie Beier in ausgezeichneter
Weise.
Die Nummer 9 der Fachzeitschrift der Rech-
nungsbeamten bringt abermals einen trefflichen
Artikel: „Die österreichische Staatsbeamtenschaft
und die Friedensbewegung", welchen unser Vor-
standsmitglied Karl Schleck zum Verfasser hat.
ras*
Zur Nachahmung empfohlen: Unser Mitglied
Schriftsteller E. Lehr forderte anläßlich der Ver-
mählung seiner Tochter alle Verwandte und
Freunde seiner Familie auf, statt des üblichen
Glückwunschtelegramms den hierfür entfallenden
Betrag der Oesterreichischen Friedensgesellschaft
zuzuwenden. Dieser gewiß sehr treffliche Ge-
danke ist auf guten Boden gefallen und bis heute
sind schon über 20 K. als Spenden im Sinne des
Anregers eingelaufen.
um
7i u mj 70. G e b u r t s t a g e unserer
Präsidentin: Photogravüren in Ansichts-
kartenformat mit dem neuesten Bilde der Frau
Blaronin von Suttner sind in drei Aufnahmen
ei*schienen und durch unser Bureau, per Stück
20 Heller (6 Stück. 1 K. franko), zu beziehen.
Verantwortlicher Redakteur: Carl Appol<l, Berlin W. 60. — Im Selbstverlag des Herausgebers Alfred H. Fried, Wien IX/2.
Druck: Pass * Garlab G.m.b.H., Berlin W.B7. — Verantwortl. Redakteur für Oesterreich-Ün
Ungarn : Vinzens Jerabak in Wien
200
Juni 1913.
Kaiser Wilhelm und der Weltfrieden.
Zum Regierungsjubiläum des Kaisers.
Das Vierteljahrhundert der Regierung
Kaiser Wilhelms II. ist für uns Jüngere auch
ein persönliches Erlebnis. .Wir waren da-
mals jung mit dem „jungen Kaiser" in jenem
denkwürdigen Dreikaiser jähr von 1888 und
linden uns nun mit ihm zusammen in der
Würde des grau werdenden Scheitels. Was
damals Hoffnung und Befürchtung war, ist
mittlerweile Erlebnis geworden. Enttäu-
schungen und Erfüllungen, aber auch man-
che ungeahnte Entwicklungen sind einge-
troffen, und mancher gärende Most jener
Zeit hat sich mittlerweile zum reinen Wein
gewandelt. Ruhiger als wir es damals zu
hoffen gewagt hätten, gedenken wir jener
Zeit, wo die Fin-de-siecle-Periode begann und
alles anders zu werden schien im öffent-
liche n Leben, in der Politik, in der Wissen-
schaft, in der Literatur und in der Kunst.
Als alles voll Ahnungen dem kommenden
Neuen entgegensah, das den Stempel des
neuen Jahrhunderts tragen sollte.
Manches hat sich in diesen 25 Jahren
erfüllt, nur jene Befürchtung eines baldigen
Krieges nicht, die damals Deutschland und
ganz Europa bedrückte, als der junge Sol-
datenkaiser von seinem Potsdamer Regiment
weg den Thron bestieg. Der Friede der da-
mals 17 Jahre lang gewährt hatte, hat nun
schon die stattliche Reihe von 42 Jahren
aufzuweisen und auch Kaiser Wilhelm II.
hat ihn gewahrt. Diese Wilhelminische
Friedensperiode wird als eines der größten
Ereignisse der Zeitgeschichte bezeichnet wer-
den müssen. Denn daß ein junger Herrscher,
ein Soldat vom Kopf bis zum Fuße, der
oberste Kriegsherr eines der mächtigsten
Militärstaaten, 25 Jahre ohne Krieg regieren
konnte, ist nach dem bisherigen Verlauf der
Geschichte etwas ganz Neues, etwas, das von
einer inneren Umwälzung des internationa-
len Lebens beredtes Zeugnis gibt. Es gibt
in der europäischen Geschichte keinen Herr-
scher eines Großstaates, der eine Regierung
von solcher Dauer aufzuweisen hätte, die
nie durch einen Krieg befleckt wurde. J)ie
Worte, die Anatole France vor einigen
Jahren über den Kaiser in einer Pariser
Versammlung gesagt hat, drängen sich hier
auf. Er sprach von dem unbestreitbaren
Friedenswillen des französischen Volkes und
führte weiter aus: „Eine Schwalbe macht
noch keinen Sommer und eine Nation macht
noch nicht den Frieden in der Welt. Zweifel-
los ; aber sehen wir denn die Friedenszeichen
allein in Frankreich? Schauen wir nach
Deutschland. Es ist ein militärisches Land
mit einer herrlichen Armee. Die unsere ist
ebenso; ebenso die jeder anderen Nation.
Aber Deutschland hat etwas mehr. Es hat
einen Soldatenkaiser, einen großen Soldaten,
einen vollkommenen Durch-und-Durch-Solda-
ten. Der Kaiser ist der Abgott der Soldaten,
er ist der Hohenzollern-Soldat, der Lohen-
grin-Soldat, er hat Seele und Schnurrbart
eines Soldaten . . . Durch seine Stellung und
seinen Charakter war er dazu bestimmt,
Krieg zu führen. Er hat Musikstücke ge-
schrieben, Bilder gemalt, er hat Segelsport
getrieben, Bildhauerei studiert, Theologie,
kurz alles mögliche getan, nur nicht
Krieg geführt. Warum ? Weil sich an-
scheinend etwas geändert hat in Deutsch-
land sowohl, wie im übrigen Europa."
Und so ist es auch. Die Anfänge eines
neuen Europa machten sich geltend, eine
neue Art im zwischenstaatlichen Verkehr,
eine neue Richtung in der Regelung der
Völkerbeziehungen. Es ist sicher nicht bloßer
Zufall, daß das Jahr, in dem der Kaiser
seine Regierung antrat, auch den Anfang der
neuen Periode der Friedensbewegung be-
zeichnet, jener Periode, mit der die Bewegung
anfing sich zu organisieren. Tm Oktober
201
DIE FßiEDEN5->MMlTE
•©
jenes Jahres wurde in Paris die interparla-
mentarische Union begründet und wenige
Wochen später dort die neue Serie der Welt-
friedenskongresse in Angriff genommen. Im
selbe n Jahre entwickelte sich zwischen der
amerikanischen Union und England wie
Frankreich die Bewegung um die Herstel-
lung wechselseitiger Schiedsverträge. Da-
mals hatte Bertha von Suttner ihren Ro-
man „Die Waffen nieder!" in der Feder,
der im darauffolgenden Jahr erschien und
die Friedensbewegung in Deutschland und
Oesterreich ins Leben rief. Es hatte sich
etwas geändert in Europa, und so groß das
Verdienst ist, das dem Kaiser nicht geschmä-
lert werden soll, das Verdienst, ohne Krieg,
ein Viertel Jahrhundert regiert zu haben, in
dieser Zeit der heftigsten Gegensätze und
Konflikte, so darf doch nicht außer acht ge-
lassen werden, daß an dieser kriegslosen Zeit
auch die anderen Staaten beteiligt waren.
Denn, wenn der Beste nicht in Frieden leben
kann, wenn es dem bösen Nachbar nicht ge-
fällt, so darf dem Nachbar das Verdienst
nicht geschmälert werden, wenn Deutsch-
land doch im Frieden leben konnte.
Kaiser Wilhelm ist keineswegs ein Pa-
zifist im Sinne unserer Weltanschauung. Er
vertritt noch zu nachdrucksvoll die Theorie
der Friedens-„Erhaltung" und die Politik
des scharf geschliffenen Schwertes wie des
trocken gehaltenen Pulvers. Unter seiner
Regierung haben sich die Ausgaben für Mi-
litärzwecke mehr als verdoppelt. Aber wir
sind weit entfernt, ihm persönlich daraus
einen Vorwurf zu machen. Der Mensch kann
über seine Umwelt nicht mit einem Sprunge
hinaus, am allerwenigsten ein Kaiser. Wer,
wie er, aufgewachsen ist in den alten Theo-
rien der Gewaltherrschaft und wer unter
diesem Gesichtspunkt die Verantwortung für
Millionen übernommen hat, wird sich nicht
auf einmal unbedingt und ohne Umschweife
einer neuen Theorie anschließen können.
Noch weniger, wenn weite Kreise des Vol-
kes noch im Banne jener alten Theorien
stehen. Aber weit entfernt, das Friedens-
verdienst des Kaisers zu schmälern, wird
es bei näherer Betrachtung der Dinge gerade
durch die Erkennung seiner Abhängigkeit
von Erziehung und Umwelt erhöht. Ist des-
halb Kaiser Wilhelm kein Pazifist — die
revoltierenden Uebernationalen haben ihm
einmal dieses Beiwort höhnend angehängt — ,
so hat er dennoch Beweise dafür geliefert,
daß er die pazifistische Tendenz des Zeit-
alters erfaßt hat, so hat er Großes getan,
wenn er infolge ihrer Erkenntnis sich nicht
von den ererbten Anschauungen beeinflussen
ließ, sich dem Zeitgeiste entgegenzustellen.
Er hätte die Macht dazu gehabt, es zu tun,
er hätte Hunderttausende im Volke ge-
funden, die ihm Beifall zugejubelt haben
würden. Und doch ließ er sich nicht auf
die gefährliche Bahn bringen.
Die Erkenntnis der pazifistischen Ten-
denz der Zeit tritt immer und immer wieder
in des Kaisers Reden hervor, wenn er von
dem notwendigen, organisatorischen Zu-
sammenschluß Europas, von der Solidari-
tät der Kulturwelt spricht. Und wie oft
hat er davon gesprochen! Gewiß; er hat
auch kriegerische Reden gehalten. Wenn er
vor seinen Soldaten stand, konnte er, wie
kürzlich ein französischer Schriftsteller tref-
fend ausführte, nicht gut von Obstbaum-
zucht reden. Seine kriegerischen Reden
stießen zwar sehr oft auf Widerspruch bei
uns, aber, wenn wir alle Zusammenhänge ins
Auge fassen, waren sie doch zu verstehen.
In keinem Falle dürfen wir über sie des
Kaisers so oft zum Ausdruck gebrachte
Aeußerungen über die Notwendigkeit einer
internationalen Organisation, über die So-
lidarität der Völker und über die europä-
ische Kulturgemeinschaft vergessen. In
ihnen liegt der Schlüssel für die Wilhel-
minische Friedensperiode und ein wahrlich
recht erfreulicher Ausblick für die Zukunft.
Schon 1891 hat der Kaiser in jener Widmung
an den Generalpostmeister Stephan Worte
festgelegt, die sich wie ein Programm an-
hören: „Die Welt am Ende des 19. Jahr-
hunderts steht unter dem Zeichen des Ver-
kehrs. Er durchbricht die Schranken, welche
die Völker trennen und knüpft zwischen
den Nationen neue Beziehungen an." Ver-
gessen wir nicht, daß das Lehrgebäude des
modernen Pazifismus auf dieser hier aus-
gedrückten Erkenntnis beruht. Bei der Er-
öffnung des Nord-Ostseekanals, der 1895
unter großem, kriegerischem Gepränge aller
Nationen stattfand, wies der Kaiser auf das
„Zusammenwirken aller europäischen Kul-
turvölker zur Hochhaltung und Aufrechtr
erhaltung der europäischen Kulturmission"
hin. Damals äußerte er auch sein Bekennt-
nis zum Frieden, indem er sagte: „Im Frie-
den nur kann der Welthandel sich ent-
wickeln, im Frieden nur kann er gedeihen,
und Frieden werden und wollen wir
aufrechterhalten..." Noch im selben
Jahre rief der Kaiser durch das bekannte
Knackfußbild die Völker Europas „zur
Wahrung ihrer heiligsten Güter" auf. Im
Jahre 1896, in Görlitz, als der russische
202
@=
£ DIE Fßl EDENS -VSASTE
Zar bei ihm zu Gaste weilte, hören wir
wieder das Bekenntnis von der Solidarität
Europas. „In völliger Uebereinstimmung
mit mir," so heißt es in jenem Trinkspruch
auf den Zaren, „geht sein Streben dahin, die
gesamten Völker des europäischen "Welt-
teiles zusammenzuführen, um sie
auf der Grundlage gemeinsamer
Interessen zu sammeln, zum Schutze
unserer heiligsten Güter." Etwas wie eine
Zustimmung zu dem damals vielleicht schon
geplanten, zwei Jahre später veröffentlich-
ten Aufruf des Zaren, der zur Haager Kon-
ferenz führte, könnte man aus jenen Worten
herauslesen. Am deutlichsten aber finden
wir des Kaisers Anschauungen in jener Cux-
havener Kode aus dem Jahre 1904 ausge-
drückt, deren wichtigste Stelle folgenden
Wortlaut hat: „Ich glaube, daß jedem ob-
jektiven Beobachter der Vorgänge auf
unserem Erdenkreise die eine Beobachtung
sich aufdrängen muß, daß allmählich
dieSolidaritätunterden Völkern
der Kulturländer unstreitig
Fortschritte macht auf verschie-
denen Gebieten. Und diese Gebiete er-
weitern sich. Diese Solidarität geht
unmerklich, aber unwidersteh-
lich in das Programm sowohl der
Staatslenker über, wie in die Ge-
danken der sich selbst regierenden freien
Bürger. Diese Solidarität wird genährt und
gepflegt auf verschiedene Weise, sei es in
ernster politischer Beratung, sei es auf Kon-
gressen, sei es im Wettkampf und Spiel . . .
Dieser Solidarität verdankt es
der Kaufmann, der Industrie 11 e ,
der Ackerer, wenn er in ruhiger
Arbeit sich fortschreitend ent-
wickeln kann. Denn er hat auf die
Zukunft Vertrauen, und das ist die Haupt-
sache." Aus diesen Worten spricht pazi-
fistischer Geist. Anderes sagen wir auf
unseren Kongressen und in unseren Schrif-
ten auch nicht.
Uebereinstimmend berichten auch ver-
schiedene Persönlichkeiten, die Gelegenheit
hatten, mit dem Kaiser zu sprechen, daß
er mit ihnen über den organisatorischen Zu-
sammenschluß der europäischen Staaten
gesprochen habe. So der bekannte fran-
zösische Mutualist Mabilleau, so Sir
Max Wächter, der französische Mi-
nister P i ch o n , Baron d'Estournelles
und andere. Der Letztgenannte berichtete
darüber im Juni 1909 im „Temps" : „Der
Kaiser ist seiner ursprünglichen
Idee eines Zusammenschlusses
aller Kultur Staaten zur höheren
Entwickelung eines jeden von
ihnen sehr treu geblieben." Kurz
vorher, im Jahre 1907, soll der Kaiser zu
dem damaligen französischen Militärata-
che die bezeichnenden Worte gesagt haben :
„Europa ist viel zu klein, um ge-
teilt zu sein."
Unzählig sind die Äußerungen, die hier
zitiert werden könnten, aus denen die Tat-
sache sich ergibt, daß der Kaiser den großen
Gedanken der Weltorganisation — nicht wie
er früher erträumt wurde, sondern wie ihn
die moderne Friedenstechnik heute zurecht-
legt — vollkommen erfaßt hat und billigt.
Und vielleicht hat Andrew Carnegie nicht
so unrecht, wenn er immer und immer wieder
der Meinung Ausdruck gibt, daß Kaiser Wil-
helm der Mann sei, den Krieg abzuschaffen
aus den Beziehungen der Kulturwelt.
Kaiser Wilhelm hat aber nicht nur den
Frieden gepriesen, nicht nur den Gedanken
einer internationalen Organisation erörtert,
er hat sich auch, trotz mancher entgegen-
gesetzter militärischer Rede, in weihe-
vollen Worten gegen den Krieg, insbesondere
gegen die Eroberung ausgesprochen. Man
vergesse nicht, was er in seiner berühmten
Bremer Rede von 1905 gesagt hat: „Das
Weltreich, das ich mir erträumt habe, soll
darin bestehen, daß vor allem das neuer-
schaffene Deutsche Reich von allen Seiten
das absoluteste Vertrauen als eines ruhigen
und friedlichen Nachbars genießen soll
und daß, wenn man dereinst von
einem deutschen Weltreich oder
einer Hohenzol lern -Weltherr-
schaft in der Geschichte reden
sollte, sie nicht auf Eroberungen
begründet sein solle durch das
Schwert, sondern durch gegen-
seitiges Vertrauen der nach glei-
ohenZielenstrebendenNationen,
kurz ausgedrückt, wie ein großer Dichter
sagt: Außenhin begrenzt, im Innern un-
begrenzt."
Daß der Kaiser den Kampf gegen den
Krieg billigt, geht aus einer Aeußerung
hervor, die er dem Maler Wereschtschagin
gegenüber nach Besichtigung seiner be-
rühmten Schlachtenbilder getan hat. „Da-
mit, lieber Meister", so äußerte er sich,
„kämpfen sie gegen den Krieg
wirksamer an, als irgendwelche
Friedenskongresse." Ein Wort, das
sich die Pazifisten bei ihrer Aktion, wo-
bei sie so oft den Vorwurf der Vaterlands-
losigkeit und wohl auch der Verständnis-
203
DIE FßlEDENS->k4MJTE =
3
losigkeit einheimsen müssen, sich als gut
wirkende Waffe merken sollten. Daß der
Kaiser auch ein Anhänger der Schieds-
gerichtsbarkeit ist, beweist eine Depesche,
die er nach Abschluß des deutsch-amerika-
nischen Schiedsvertrags im November 1904
an den Präsidenten Roosevelt richtete, wo
er jenen Vertrag als „ein starkes
Glied" bezeichnete, „um Amerika und
Deutschland in friedlichen Beziehungen
zum besten der Zivilisation zu
verknüpfen".
Man kann die Friedenstätigkeit des
Kaisers nicht würdigen, ohne nicht auch
auf sein überaus eifriges Bestreben, inter-
nationale Verständigung anzubahnen, hin-
zuweisen. Seine Versuche, Verständigung
von Volk zu Volk anzubahnen und so die
Grundlagen des bornierten Völkerhasses an
ihrer Wurzel auszurotten, füllen seine
ganze Regierung aus. Nicht nur durch seine
Reisen an die verschiedenen Höfe übte er die
Praxis der internationalen Verständigung,
sondern auch durch seine regen Beziehungen
zu hervorragenden Persönlichkeiten frem-
der Staaten. Wieviele ausgezeichnete und
modern denkende Franzosen, Engländer,
Amerikaner hat er zu sich gezogen, wie
hat er durch Höfliohkeitsakte, durch Bei-
leids- und Beifallsbezeugungen und durch
sonstige Kundgebungen günstigen Einfluß
auf die Verständigung der Völker genommen.
Daß unter seiner Regierung die Einrichtung
des Professorenaustausches zustande ge-
kommen ist, ist kein Zufall, liegt vielmehr
in der ganzen Richtung seiner inter-
nationalen Politik.
Wir können hier das Bild Kaiser Wil-
helms als Erkenner der Verständigungs-
und Organisationstendenz unserer Zeit nicht
vollständig ausführen, glauben aber, es
wenigstens so skizziert zu haben, daß die
Friedenstendenz seiner Politik deutlich1 zum
Ausdruck kommt. Der Pazifismus hat von
Seiten des Kaisers noch keine direkte An-
eiferung erfahren, aber indirekt und unab-
hängig von ihm hat der Kaiser im modern-
pazifistischen Sinne gewirkt. Er steht noch
auf der Höhe des Lebens, und es ist noch
viel von ihm zu erwarten.; Wenn er im
ersten Viertel Jahrhundert seiner Regierung
seinen Ruhm darein gesetzt hat, keine
Kriege zu fuhren, als Friedenskaiser in
die Geschichte einzugehen, so ist es nicht
ausgeschlossen, daß er in den kommenden
Jahren daran mitarbeiten wird, den Frie-
den Europas auf festere Grundlagen zu
stellen, ihn nicht so sehr von den Bajo-
204
netten als auch von Rechtsinstitutionen ab-
hängig zu machen und den ,, Zweckverband
Europa", der heute bereits besteht, für alle
sichtbar auszubauen und zu erhöhen. Der
Deutsche Kaiser, der 25 Jahre, trotz der
oftmals heftigsten internationalen Kon-
flikte, trotz der von gewissenlosen Hetzern
oftmals gefährlich erregten öffentlichen
Meinung keine Kriege geführt, den Frieden
mit Kraft und Ehren zu behaupten ver-
standen hat, der wird vielleicht der Mann
sein, den Europa braucht, damit es sich
zusammenschließen und ein Friedenshört
der ganzen Erde werden könne.
„Wer wäre berufener," so schrieb ich
im Jahre 1905 an dieser Stelle nach der
bereits erwähnten Bremer Kaiser-Rede,
„diesem Wirrwarr ein Ende zu machen,
diesen Wahn zu beseitigen, die Menschheit
zum Bewußtsein zu rufen, als jener Fürst,
der dauernd die europäische Welt bereist
und ihre Kulturhöhe kennen lernt, der auf
dem völkerverbindenden Meere zu Hause
ist, die internationale Solidarität der Kul-
turwelt verkündet hat, und der von dem
Wert des Friedens überzeugt ist wie keiner.
Ein Weltreich wäre zu gründen, wie keines
noch gegründet worden, ein Weltreich, das
Dauer verspricht für ewige Zeiten, das
demjenigen, der es gründet, den hell-
strahlendsten Ruhm in der Geschichte ver-
heißt, und der das Volk, dem er ent-
sprossen, zu dem führenden machen würde:
Das Weltreich der auf Vernunft
und Recht begründeten Vereini-
gung der Kulturwelt." A. H. F.
Rn Baronin Bertha von Suttner.
Zu ihrem 70. Geburtstag am 9. Juni 1913.
HochverehrteFrau Baronin !
Sie haben Ihre traute Arbeitsstätte ver-
lassen und sich an die Ufer des Wörther
Sees begeben, um sich den Huldigungen zu
entziehen, die Ihrer harren. Sie wollten
Ansprachen, Adressen, Festreden entgehen,
um, wie Sie sagen, Ihren Verehrern An-
strengungen zu ersparen, obwohl diese Hul-
digungen sicherlich nur eine Freude für diese
gewesen wären. Auch mir gaben Sie solchen
Rat. In Ihrem Abschiedsbrief schrieben Sie
mir: „Wenn Sie nicht schon einen Artikel
über mich für die Friedens- Warte geschrie-
ben haben, so möchte ich Ihnen aus Freund-
schaft diese Mühe ersparen. Sie könnten
sagen, ich hätte gebeten, daß in dem Blatte,
©^
DIE FRI EDENS -^övÄETE
wo ich sozusagen zu Hause bin, kein Hul-
digungsartikel stehen möge ; — Interessantes
gibt es da auch nicht zu erzählen, die Leser
kennen mich ja alle ohnehin schon genau."
Sie werden es mir, Ihrem alten Mit-
arbeiter, gewiß verzeihen, wenn ich dies-
mal ungehorsam bin und in diesen Blättern,
die unser gemeinsames Arbeitsfeld bilden,
dieses für die gesamte Friedensbewegung so
wichtigen Tages gedenke. Für Ihre Person
mögen Ihnen diese Huldigungen ein Greuel
sein; aber vergessen Sie nicht, — Sie sind
ja ein Stück der Bewegung selbst, und als
deren wichtiger Teil müssen Sie es sich ge-
fallen lassen, daß auch die Friedens-Warte
ihre Suttner-Feier hat.
In allen Ländern der alten und der
neuen Welt wird man in diesen Tagen Ihrer
gedenken, in allen Sprachen wird über Sie
gesprochen und geschrieben werden. Das
Schürzenband, meine verehrte Frau Baronin,
an dem Ihre Gesinnungsgenossen hängen, ist
ja viel größer, als der General, der neulich
verächtlich davon sprach, sich vorzustellen
vermag. Es reicht ein paarmal um den
Aequator. Und hier in diesen Blättern,
in denen Sie seit ihrem Bestände
die Zeitereignisse von der ,Warte
einer höheren Weltanschauung aus
glossieren, gerade hier sollte nichts gesagt,
Ihr Name nicht genannt werden, an jenem
wichtigen Lebensabschnitt, den Sie eben er-
reichten? Ich würde es als Redakteur nicht
verantworten können, wenn ich schon als
[Freund Ihrem Wunsch willfahren wollte.
Gewiß, ich kann den Lesern dieser Blätter
nichts Neues über Sie mehr sagen. Wie
sich Ihr Leben abspielte, haben Sie selbst
niedergelegt in jenem kostbaren Dokument
unserer Bewegung, das ihre Memoiren bil-
det, und wer heute noch nichts davon weiß,
wird es bequem und in würdiger Ausführ-
lichkeit dort nachlesen können. Obwohl ich
abnehme, daß es unter den Lesern dieser
Blätter wenige geben wird, denen diese
Daten nicht schon bekannt sind.
Wenn ich Ihnen in der Friedens-Warte
meine Huldigung und die der hinter dieser
Zeitschrift stehenden Gleichgesinnten dajr-
Ibringe, so denke ich mir dies besser in Form
einer Bilanz über die letzten 24 Jahre, die
aeit dem Tage verflossen sind, an welchem
Sie nach Veröffentlichung Ihres Romans
„Die Waffen nieder!" in die Bewegung ge-
treten sind. Ich denke mir, eine Rückschau
über den Wandel der Friedensidee seit 1889
wird am besten dazu dienen, das Verdienst
Ihres Schaffens in das richtige Licht zu
setzen.
Es ist noch nicht ganz ein Viertel Jahr-
hundert her, seit Sie mit jenem Ruf „Die
Waffen nieder 1" in Deutschland und Oester-
reich unsere Bewegung entfesselten. Wahr-
lich ein kurzer Zeitraum in der Menschheits-
geschichte. Und doch wie verändert hat
sich seitdem die Welt! Der Friedensge-
danke war im Westen Europas damals ein
schwaches Pflänzchen, trotzdem er dort
schon eine Geschichte hatte. Bei uns in
den deutschsprachigen Ländern, war er so
gut wie unbekannt. Keiner wagte sich zu
jener soviel verspotteten Idee zu bekennen,
keiner an sie zu glauben, oder gar die Hoff-
nung zu hegen, sie in absehbarer Zeit
zur Anerkennung zu bringen. Die militä-
rische Phrase herrschte und Moltkes heute
längst überwundener Satz vom Kriege, der
ein „Element der göttlichen Weltordnung"
sei, hatte noch volle ,Währung.
Da kam Ihr Buch. Die Septenats-
Wahlen im Reiche hatten eben einen starken
Kriegsalarm entfacht und den Glauben an
einen baldigen Krieg zwischen Deutschland
und Frankreich befestigt Boulanger stand
im vollsten Glänze. Hüben und drüben tri-
umphierte der Chauvinismus. Da schlug es
wie ein Blitz ein in die Geister. „Die Waf-
fen nieder!" Ein Mahnwort, wie es wuch-
tiger und zeitgemäßer selten gesprochen
wurde. Es zeigte sich, daß nicht alle von
dem tollen Taumel des Kriegsenthusiasmus
ergriffen waren, daß es Menschen gab, die
ruhiger Ueberlegung zugänglich und ent-
schlossen waren, durch mühevolle Arbeit
immer mehr solcher Menschen zur Besonnen-
heit zu bekehren. Mit Ihrem Buche, mit
Ihrem Schlachtrufe der Geister, erstand die
Friedensbewegung in Deutschland und
Oesterreich; begann der Pazifismus seine
Rolle zu spielen, die dadurch in der Welt
um so größer war, als die Mitarbeit der An-
gehörigen jener hauptsächlichsten Militär-
staaten Europas die Reihen der bisherigen
Anhänger, deren Macht und Kredit verstär-
ken konnten.
Das war die Periode des Hohns, der
uns überschüttete. Unsere Gegner bewarfen
uns mit den Brotkügelchen ihres Witzes,
und die Organisationen, die wir schufen,
waren klein und ohnmächtig. Heute sind
wir erfreulicherweise bereits eine „Gefahr".
Das heißt, eine Gefahr in den Augen der-
jenigen, die sich in ihrer veralteten Welt-
anschauung des Hasses und des blutigen
Streites, die in ihrer Verehrung der Gewalt
205
DIE fbiedens-^öüte: =
3
sich bedroht und erschüttert sehen. Nicht
mehr mit (Witzen suchen Sie uns abzutun,
sondern mit den Verzweiflungswaffen der
Verleumdung. Die Kriegsanhänger sind
noch nicht tot, wie Sir Edward Grey kürz-
lich in seinem Telegramm an die Londoner
Peace Society so richtig ausführte, aber die
Kräfte, die für den Frieden wirken, sind
bereits überlegener. Und das ist der große
[Wandel in den Verhältnissen, den wir hier
an Ihrem 70. Geburtstag triumphierend re-
gistrieren können. Die Friedensidee ist
heute eine politische Macht geworden. Dar-
über sind sich vielleicht sogar noch viele
Pazifisten nicht klar, die sich nicht abge-
wöhnen können, diesen großen Menschheits-
prozeß vom Vereinsgesichtspunkt ins Äuge
zu fassen. Die da glauben, die Größe und
die Aktion der Friedensgesellschaften sei
ausschlaggebend für den großen Kampf um
die Abschaffung des Krieges aus der Ge-
meinschaft der Kulturstaaten. ,
Das ist ein bedauerlicher Irrtum, der
das Urteil beschränkt. Unsere Freunde
selbst müssen sehen lernen, damit sie zu er-
kennen vermögen, wie die Friedensidee
eigentlich wirkt. Alle unsere private Tätig-
keit ist nicht imstande, direkt das Ziel her-
beizuführen. Alle unsere Vereine, unsere
Zeitschriften, unsere Bücher, Broschüren,
Vorträge, unsere persönlichen Werbungen,
kurzum alles, was man sich unter dem or-
ganisierten Pazifismus vorstellt, wird immer
nur ein Mittel sein, eine richtunggebende
Leistung, nicht die zielsetzende. Wenn man
sich erst darüber klar wird, fällt aller
Pessimismus zusammen, alles Klagen über
die Geringfügigkeit unserer Mittel, über die
nur nach einigen Tausenden zählenden Mit-
glieder unserer Gesellschaften, jener Pessi-
mismus, der manchen unter uns überkommt,
wenn er die Zahlen vergleicht mit den im
Oberwasser der offizielle n Gunst schwim-
jmenden Gesellschaften der gegnerischen
Sichtung.
Aber noch nie hat die Masse den Fort-
schritt gemacht. Wäre dieser von den
Viele n abhängig, welcher Fortschritt hätte
sich je durchsetzen können, da wir die Vielen
immer auf der Seite des Bestehenden, nie
des Werdenden sahen. Und wir können zu-
frieden sein mit der uns zufallenden Auf-
gäbe, die Eichtung zu geben, lediglich die
Lenkstange zu bewegen und nicht die Vor-
wärtsstoßende Kraft der Maschine. Wir
nützen diese Kraft, Wenn wir die Eichtung'
weisen. Niemals konnte die Friedensbewe-
■gung hoff en< direkt wi wifketi. j Sie ömßite
sich darauf beschränken, das Denken anzu-
regen und zu lenken und so unbemerkt den
Zeitgeist zu beeinflussen, die öffentliche
[Meinung zu durchdringen und schließlich
die Machthaber sich zu Willen zu machen.
Ohne daß diese etwas davon merkten, ist es
geschehen. Das ist der große Erfolg unserer
Arbeit, Frau Baronin, Ihrer Arbeit: Daß
die Idee durch Endosmose auch
in die Köpfe derjenigen einge-
drungenist,diegarnichtsvonihr
wissen wollten und ihr nun doch
dienstbar sind. Die unbewußten Pa-
zifisten sind unsere wichtigsten Helfer ge-
worden, jene, die sich dagegen wehren, unsere
Ideen zu teilen und dennoch gezwungen shui,
unter dem Drucke der von uns bearbeiteten
öffentlichen Meinung, unter dem Zwange
der von uns aufgerüttelten Denkapparäte
pazifistisch zu handeln.
Das ist nun, verehrte Frau Baronin, der
große Unterschied der Welt von heute und
der von 1889. Der Krieg ist noch nicht ab-
geschafft, aber im Bewußtsein der Zeit ist
er verurteilt und es braucht nur noch we-
niger Jahre, das Heranwachsen noch einer
Generation, das Absterben der ältesten Eou-
tiniers, die noch zu sehr in den Ideen der
alten Zeit stecken, um das Ziel in Wirk-
lichkeit zu erreichen.
Es ist nicht möglich, hier die heutige
Breite der Bewegung und aller ihrer be-
wußten und unbewußten Hilfsströmungen
auch nur anzudeuten, zu zeigen, wie sich
der Pazifismus zur mächtigsten Bewegung
der Menschheit entfaltet hat. Wir hier in
diesem Blatte können diese Wandlung am
besten verfolgen. Einstens war es uns hier
möglich, alle pazifistischen Vorgänge zu re-
gistrieren und sie festzuhalten als Zeichen
unseres Fortschrittes. Ich war stolz dar-
auf, in der „Friedens- Warte" so eine Art
Tagebuch der Friedensbewegung all-
monatlich liefern zu können. Und wie arm-
selig erscheinen mir jetzt diese 40 Seiten,
wenn sich die Dokumente der pazifistischen
Entwicklung auf meinem Schreibtisch auf-
türmen. Es ist mir manchmal, als ob ich
den Ehein in einem Wasserschaff auffangen
wollte. Und das ist keine Uebertreibung.
i Wer mit den Augen des Pazifisten, das heißt
mit Augen, die durch Verfolgung eines be-
stimmten Zieles für alle darauf bezug-
; habenden Ereignisse besonders eingestellt
sind, die Zeitungen Verfolgt, wird zugeben
i müssen, daß es heute in der Welt überhaupt
(keine andere Frage gibt, mit der man sich
;• beläßt, \al« mjt -der wn der Ueberwindung
•206
es
= DIE FRIEDENS-^^AKTE
des Kriegs und der Sicherung des Friedens
nach, einer vernünftigeren Methode. Ob die
Leute dies nun als Pazifismus erkennen oder
nichts ist einerlei. Die Menschen am Be-
ginn des 20. Jahrhunderte stehen unzweifel-
haft unter dem Banne jenes Biesenprozesses,
der um die Ersetzung der alten Methode
des Völkerstreites durch die neue geführt
wird.
Sehen wir die Dinge so an, erkennen
wir, daß dies alles, was die Oeffentlichkeit
heute bringt, Friedensbewegung ist oder
Kampf gegen sie, sehen wir, daß unsere Be-
wegung keine Vereinsangelegenheit mehr,
sondern ein geschichtlicher Prozeß geworden
ist, ein .Welt- und Menschheitsereignis,
so können wir dessen zufrieden sein. Mehr
konnte in diesen 24 Jahren, seitdem Sie an
diesem großen Werke arbeiten, nicht er-
reicht werden.
Und an Ihrem 70. Geburtstag, meine
hochverehrte Frau Baronin, mußte dies hier
ausgedrückt werden. Mußte gesagt werden,
was heute unter Friedensbewegung zu ver-
stehen ist, mußte der wahre Umfang dieser
Bewegung festgestellt werden. Denn zu dem
Kampfe für diese Entwicklung riefen Sie.
Sie waren es, die in unseren Ländern auf
steinigem Boden den ersten Samen ausge-
streut haben, Ihnen gebührt die Ehre.
Möge die Lebenskraft der Bewegung
sich auf Ihre Person übertragen und Ihnen
die Freude zuteil werden, noch einige Jahr-
zehnte, wie es den Passys, den Pratts, den
Beernaerts und so vielen anderen unserer
Mitkämpfer vergönnt war, den Aufstieg des
Pazifismus weiter zu verfolgen. Die Küste
von Neuland liegt vor unseren Augen ; möge
es Ihnen auch vergönnt sein, den Boden der
neuen, der versittlichten Welt zu betreten.
Dies wünscht Ihnen Dir getreuer
Alfred H. Fried.
Daten aus dem Leben der
Baronin von 5uttner.
Zusammengestellt von C. L. Siemering.
1843, 9. Juni1: in Prag geboren, als Gräfin
Kinsky.
1856, im Sommer : erste Reise, nach Wies-
baden. Im Herbst: Uebersiedlung von
Brunn nach Wien.
1859 : wieder in Wiesbaden.
1864, im Sommer : in Homburg v. d. Höhe.
Bekanntschaft mit der Fürstin von Min-
grelin („Dedopali,"). Prinz Heraclius von
Georgien.
1865: Kunstnoviziat (Gesangsstudium) in
Baden-Baden.
1867: in Paris weitere Gesangsstudien.
1868, in Biaden - Baden : Bekanntschaft mit
König Wilhelm.' von Preußen.
1872, in Wiesbaden: Verlobung mit Prinz
Wittgenstein; sein Tod auf der Ueber-
fahrt nach Amerika.
1873 : Erzieherin im Hause Suttnerin Wien.
Heimlich verlobt mit Artur Gundaccar
v. Suttner.
1876, in Paris : Zusammentreffen mit Alfred
Nobel; am 12. Juni in Wien ; heim-
liche Trauung mit Artur Gundaccar;
„Hochzeitsflucht" nach dem Kaukasus,
zur „Dedopali".
1876—1885: im Kaukasus (Kutais, Tiflis,
Zugdidi). Daseinskampf. Erfolgreiche
Schriftstellerei beider Gatten. „Inven-
tarium einer Seele" und Belletristik.
1885, im Mai: Heimkehr nach Schloß Har-
mannsdorf, dem Stammsitz der Familie
Suttner. Schriftstellerkongreß in Bterlin;
Bodenstedt.
1886: „Schriftstellerroman" und „Maschinen-
zeitalter". Im Winter in Paris: zweites
Zusammentreffen mit Nobel.
1889 : erscheint der Roman „D ie Waffen
nieder!" Ein Welterfolg. Zahlreich©
Uebersetzungen.
1890/91, im Winter in Venedig : Bekanntschaft
mit Felix Moscheies.
1891 : Gründung der österreichischen
Friedensgesellschaft. — Frie-
denskongreß in Rom.
1892: Monatsschrift „Die Waffen nieder!" (bis
1899). — Vortrag in Berlin. — Welt-
friedenskongreß in Bern. — Besuch bei
Alfred Nobel in Zürich. — Entstehung
der deutschen Friedensgesellschaft.
1893, in Wien : Zusammentreffen mit Weresch-
tschagin.
1894: Kongresse in Antwerpen und Haag. —
Roman „Vor dem Gewitter." „Es Lö-
wos", eine Monographie.
1895: Roman „Einsam und arm." — Grün-
dung der ungarischen Friedensgesell-
schaft.
1896: Weltfriedenskongreß und Interparla-
mentarische Konferenz in Budapest; Ge-
neral Stefan Türr; der russische Konsul
Basily. — 12. Dezember: Alfred
Nobel f; sein Testament.
1897 : „SchachderQual — ein Phantasie-
stück." Uebersetzung des englischen
Werkes „Marmaduke, Emperor of
Europe." Audienz bei Kaiser Franz Jo-
seph. Hamburger Friedenskongreß.
1898, 28. August: Zarenmanifest, mit
veranlaßt durch den Roman „D. W- N.I"
— Begegnung mit W. T. Stead; Unter-
redung mit Minister Murawjew.
1899, 18. Mai : Eröffnung der I. Haager
Kon f e r e n z. Der „Salon Suttner" im
Haag. Die Btaronin als einzige Dame
Wl
DIE FßlEDEN5-^^\DJE
zur Eröffnungssitzung zugelassen. Be-
kanntschaft mit v. Bloch, d'Estournelles,
. Richet, White, Zorn, Novicow, Bour-
geois, Nigra, General den Beer-Poortu-
gael u. v. a. — Interparl. Konferenz in
Christiania. Begegnung mit Björnson.
— Der Transvaalkrieg.
1900: „Die Haager Friedenskonferenz, Tage-
Ibuchblätter." — „Krieg und Frieden",
ein Vortrag. — Weltfriedenskongreß und
Ausstellung in Paris; Freundschaft mit
Miß Williams. — Roman „M arthas
Kinder" (als Fortsetzung von „D.
W. N.!").
1901, 12. Juni: Silberne Hochzeit.
1902: Eröffnung des Luzerner Kriegs- und
Friedensmuseums. — Friedenskongreß in
Monaco; Fürst Albert als Pazifist. — Er-
krankung und Tod (10. Dezbr.) des
Barons; Feuerbestattung in Gotha.
1903 — 1906: viermal als Gast des Fürsten
Albert in Monaco. — 1903: Eröffnung
des Friedensinstituts dortselbst.
1904: Frauenkongreß in Berlin. — „Briefe
an einen Toten." — Weltfriedenskongreß
in Boston, Vorträge in Amerika.
1905: Vortragsreise durch 28 deutsche Städte.
— Friedenskongreß in Luzern. — Zuer-
kennung des Nobelpreises.
1906: Nobelpreis-Vortrag in Christiania; an-
schließend eine Vortragstourn^e durch
Schweden und Dänemark, unter reichsten
Ehrungen. — Gast bei der Interparla-
mentarischen Konferenz in London. —
Friedenskonferenz in Mailand.
1907: Teilnahme an der IL Haager Kon-
ferenz und am Münchener Friedens-
Kongreß. — „Stimmen und Gestalten",
gesammelte Aufsätze.
1908 : Weltfriedenskongreß in London. Besuch
bei Carnegie auf Schloß Skibo. Jnter-
parl. Konferenz in Berlin. — Die umfang-
reichen „Memoiren" erscheinen.
1909: „Rüstung und Ueberrüstung" (ein Pro-
test) — Uebersetzung von Richets „Die
Vergangenheit des Krieges und die Zu-
kunft des Friedens"; Volksausgabe 1912.
1910: Englische Ausgabe der „Memoiren". —
Im Dezember : Vorträge in Budapest.
1911 : Stimmen zum 18. Mai gesammelt („Neue
Freie Presse"). — Roman „D e r
Menscheit Hochgedanken." —
November : Vortrag in Bukarest.
1912: „Die Blarbarisierung der Luft." — Von
Juni bis Dezember: große Vor-
tragstournee durch die Vereinigten
Staaten. — „Aus der Werkstatt des Pa-
zifismus."
1913: Vorträge in Dresden, Berlin, Breslau,
— Am 9. Juni : 70. Geburtstag.
Mobilmachung der Kirchen
gegen den Krieg.
Von O. Umfrid, Vizepräsident der Deutschen
Friedensgesellschaft, Stuttgart.
Es' war im Monat März, als Nithack-
Stahn, der berühmte Dichter des Christus-
dramas und desi „Neuen Reichs", der wirk-
same Kanzelredner von der „Kaiser- Wil-
helm - Gedächtniskirche" in Berlin, sich an
mich wandte mit der Aufforderung, in dieser
„letzten bösen Zeit", die wir durchleben,
mit einem Aufruf an die evangelischen Geist-
lichen Deutschlands heranzutreten, worin sie
gebeten werden sollten, der Verständigung
der Völker anstatt der fortwährenden gegen-
seitigen Bedrohung das Wort zu reden und
ihre Pflicht als Prediger des Friedens durch
Beschwörung des Kriegsgespenstes, das uns
schon so lange ängstigt, zu tun. Ich kam
diesem) Appell um so lieber nach, als ich
mir längst gesagt hatte, es handelt sich für
die Kirche nicht nur um1 eine Pflichterfüllung
gegenüber den von ihr belehrten Völkern,
sondern auch um eine Selbsterhaltungspflicht..
Versagt die Kirche — davon war ich längst
überzeugt — auch in dieser weltbewegenden
Frage gerade so, wie sie in der sozialen
Frage versagt hat, so gräbt sie damit ihr
eigenes Grab. Freilich war meine Hoffnung
auf guten Erfolg sehr gering. Ich fühlte
mich durch die schmerzlichen Enttäuschungen,
die ich in einer fast 20jährigen Tätigkeit
im Dienst der Völkerversöhnung zu machen
gehabt habe, durch die Zurückweisung, die
ich besonders in Kreisen der Kollegen er-
fahren habe — hat doch einer derselben die
Friedensbewegung geradezu antichristlicher
Tendenzen geziehen — , derartig nieder-
geschlagen und gelähmt, daß ich kaum
den freudigen Ton finden konnte, der
zur Aufrüttelung der Geister hätte dienen
können. Zwar hatte der frühere, von mir
verfaßte Aufruf, den ich mit Professor Rade
und Lic. Weber zusammen unterzeichnete,
der Deutschen Friedensgesellschaft wenig-
stens 100 geistliche Mitglieder eingebracht,
nachdem er an 1000 Pfarrer verschickt wor-
den war. Allein die Zeiten schienen seither
eher schlimmer geworden zu sein, die Un-
gerechtigkeit der italienischen Expedition
nach Tripolis sowie die Greuel des Balkan-
krieges hatten sich wie ein Mehltau auf die
hoffnungsvolle Blüte der Friedensbewegung
gelegt, und das deutsche Volk, das eben be-
reit war, eine Milliardenrüstungsforderung
zu bewilligen, schien bis hinein in die
Kreise seiner geistigen Führer wenig geneigt,
auf das Friedensevangelium zu hören. So
mag man denn meinem Entwurf zu einem
Aufruf, der sich hauptsächlich mit der
theoretischen Bekämpfung naheliegender Ein-
wendungen befaßte, eine gewisse Gemüts-
schwere nachgefühlt haben. Ich selbst hatte
208
@=
DIE FRI EDENS -V^ETE
den Eindruck, zwar überzeugend, aber nicht
packend genug geschrieben zu haben. Als
Nithack-Stahn meinen Vorschlag zu Ge-
sicht bekam, mag ihn ein ähnliches Gefühl
beschlichen haben. Er verfaßte daher einen
Parallelentwurf, der weniger theoretisch ge-
faßt, aber praktisch um so wirksamer war,
und insbesondere kräftige Willensimpulse
zu finden wußte. Als wir die Entwürfe einem
berühmten Dozenten, den wir gern zur
Mitunterschrift gewonnen hätten, vorlegten,
bekannte er sich theoretisch zu mir, aber
praktisch zu Nithack-Stahn, weigerte sich
aber, sowohl den einen wie den anderen Auf-
ruf zu unterzeichnen, da er der Meinung
war, das' Deutsche Reich sei verpflichtet,
sich auf einen Angriff von selten ider
direktionslosen Slavenvölker gefaßt zu
machen; die Friedensbewegung zeichne zwar
das Ziel, auf das die Weltentwicklung hinaus-
komme, richtig, könne aber vorläufig nicht
wohl als Richtlinie für das praktische Ver-
halten dienen. Da wir also diesen Bundes-
genossen weder auf theoretischem' noch auf
praktischem Wege gewinnen konnten, so ent-
schloß ich mich, den Nithaqk-Stahn'schen
Entwurf als den offenbar wirksameren zu
akzeptieren und ihn nur mit einem vertrau-
lichen, warm gehaltenen Begleitschreiben an
die Kollegen zu verbinden.
Der Erfolg hat alle Erwartungen über-
troffen. Wir haben den Aufruf in 3400
Exemplaren versandt, darauf kamen in den
ersten sechs Wochen 340 Unter-
schriften*), also genau 10 o/o, an meine
Adresse. Wir hatten bestimmt, daß der
Aufruf erst dann veröffentlicht werden sollte,
wenn mindestens 50 Unterschriften ein-
gelaufen sein würden. Schon dann hätten
wir es gewagt, ihn der Presse zu übergeben.
Und nun sind wir selbst überrascht
über das starke Echo, das der Aufruf ge-
funden hat. Aber ich muß der Reihe nach
erzählen. Ehe wir an die Versendung gingen,
mußten wenigstens 7 Mitarbeiter gewonnen
sein. Es gelang uns, Professor Weinel
von Jena, Pfarrer Böhme von Kunitz, Pfarrer
Francke, Berlin, Pfarrer Wagner, Neuheng-
stett, Pfarrer Lic. Wielandt, Niedereggenen,
zur Mitunterschrift zu bewegen. Dann wur-
den zunächst) 3000 Pfarrer nach dem Hammel-
sprungsystem1 gleichsam herausgeknobelt, an
die der Aufruf durch das Sekretariat der
Deutschen Friedensgesellschaft versandt
wurde. Dabei wurde, um das gleich zu An-
fang zu betonen, nicht der leiseste Unter-
schied zwischen positiven und liberalen Geist-
lichen gemacht. Es ist also eitel Phantasie,
wenn die konservativen Blätter sich ein-
lüden, die Aktion als ,, Machwerk links-
liberaler Pfarrer stigmatisieren zu dürfen".
Wie fern sich der Aufruf von aller kirch-
lichen Parteitendenz hält, das mögen die
Leser selbst beurteilen. Hier der Wortlaut:
*) Einstweilen sind es 395 geworden.
An die Geistlichen und theolo-
gischen Hochschullehrer
der evangelischen deutschen
Landeskirchen.
Werte Herren und Amtsgenossen!
Das Jahr 1913, das uns Deutschen eine
große Volkserhebung zurückruft, bringt uns
zugleich neue und beispiellose Kriegsrüstungen.
Um den Völkerfrieden zu erhalten, so sagt
man uns, muß immer angespannter gerüstet
werden. Aber die Tatsachen zeigen, daß, da
alle Kulturstaaten das gleiche tun, die Kriegs-
gefahr so nicht vermindert wird, weil gerade
die immer drückendere Last des bewaffneten
Friedens, verschärft durch Haß und Miß-
trauen der Völker untereinander, zur blutigen
Entscheidung drängen kann, die wiederum nicht
das Ende, sondern den Anfang erneuten Wett-
rüstens bedeuten würde.
Als Christen, die wir sein wollen, fühlen
wir uns vor Gott und unserem Gewissen ver-
pflichtet, aus diesem Dilemma des Krieges
ohne Ende den Ausweg zu suchen, der
menschenmöglich und gottgewollt ist: Friede
auf Erden! Verständigung der Völker über
eine Rechtsgemeinschaft, die das Unrecht des
Krieges durch den Rechtsspruch ersetzt und
den Völkern d i e Ethik zumutet, die zwischen
den Einzelmenschen selbstverständlich ist.
Nicht, daß wir materielle Opfer für hohe
sittliche Güter scheuten, wie es das Bestehen
eines selbständigen Volksganzen ist. Im Gegen-
teil, auch uns ist das Leben der Güter höchstes
nicht. Aber wir sind überzeugt, daß der Krieg
seine Opfer an Menschenblut keineswegs
rechtfertigt, weil sein angeblicher Zweck, der
Frieden und das Recht, durch seinen Aus-
gang nicht verbürgt wird. Wir fordern von den
Völkern christlicher Kultur das sittliche
Opfer, daß sie unter Zurückstellung kriege-
rischen Ehrgeizes und der Gelüste gewalt-
samer Eroberung einen internationalen Rechts-
zustand herbeiführen, der das Gewaltmittel der
Waffen ausschaltet.
Mit diesen Forderungen, die den Ur-
gedanken des Evangeliums entsprechen, sollten
diejenigen voranstehen, die auf Katheder und
Kanzel die Religion des Gekreuzigten ver-
künden. Es ist schmerzlich zu bedauern, daß
bisher nur ein verschwindender Teil der deut-
schen evangelischen Theologen den Völker-
frieden öffentlich vertritt, daß wir diese prak-
tische Gefolgschaft Jesu Christi der kirchen-
fremden Sozialdemokratie überlassen.
Nicht allein das Ansehen unserer Kirchen,
auch die Lebenskraft unseres Glaubens ver-
langt diesen Beweis des Geistes ohne Men-
schenfurcht und der Kraft der Menschenliebe.
Wir Unterzeichner richten an alle unsere
Berufsgenossen die dringende Bitte, daß sie
es als einen wichtigen Teil ihrer Mission an-
sehen, in Wort und Schrift die Bruderschaft
aller Menschen und Völker zu verkündigen!
Dieser unser gemeinsamer Entschluß sei
uns die schönste Jahrhundertfeier des letzten
europäischen Völkerkrieges, dies eine deutsche
Volkserhebung unter der Losung: „Gott mit uns!"
Im April 1913.
Als die ersten 150 Unterschriften bei-
sammen waren, schickten wir jedem der
Unterzeichner vier weitere Exemplare des
Aufrufs mit der Bitte, damit neue Unter-
209
DIE FRIEDENS -,MMiTE
1®
Schriften, zu werben. Der Erfolg war durch-
aus befriedigend: in wenigen Wochen waren
gegen 200 neue Namen gesammelt. Dabei
ergab sich ein besonders erfreuliches Bild
der Stimmung innerhalb des geist-
lichen Standes. Zwar haben nicht alle
ohne jede Bedingung unterzeichnet; einige
bemängelten den Satz, in dem gesagt ist,
daß wir die praktische Gefolgschaft Jesu
nicht der Sozialdemokratie überlassen dürfen.
Vier ängstliche Gemüter zogen sogar ihre
Unterschrift nachträglich wieder zurück. Es
fehlte auch nicht an beleidigenden Ausfällen
gegen die Friedensbewegung: einer der
Kollegen meinte mich vor dem verfehlten
Weg, den ich eingeschlagen habe, in väter-
licher Weise warnen zu müssen. Einige
andere verweigerten ihre Unterschrift mit der
Begründung, daß unser Unternehmen nahezu
ein Verbrechen Sei, das an Hoch- oder Vater-
landsverrat streife, andere meinten, es dürfe
jedenfalls nicht der Schein entstehen, als ob
wir etwas gegen die so hochnötige und durch-
aus berechtigte deutsche Müitärvorlage
sagen wollten; einer leistete sich sogar den
billigen Witz, Berta von Suttner durch uns
auffordern zu lassen, sie solle doch bei der
französischen Regierung auf Abschaffung
der Fremdenlegion hinwirken. Aber die
große Mehrzahl gab ihre Unterschrift willig
und bedingungslos, viele verbanden damit
den Ausdruck begeisterter Zustimmung.
Einer schrieb : „Gott Lob, endlich einmal
das rechte Wort." Ein anderer meinte, er
habe jahrelang auf eine derartige Kund-
gebung gewartet; wieder andere erklärten,
es sei einfach eine Ehrenpflicht der christ-
lichen Kirche, endlich einmal der Völker-
verhetzung entgegenzutreten. Einer verlas
den Aufruf am Pfingstfest auf der Kanzel
und schloß mit den Worten: „Hie stehe
ich, ich kann nicht anders; Gott helfe mir!
.Nithack-Stahn selbst schrieb mir: „Es
ist eine Lust zu leben, wenn der träge
Stein so ins Rollen kommt, und die Dämonen
des Stumpfsinns und Wider sinns erwachen."
Eine besonders erfreuliche Tatsache war es,
daß auch einige politisch konservativ
denkende Pfarrer in dieser Sache ihren Or-
ganen die Gefolgschaft kündigten und offen
für die Friedenssache Partei nahmen.
Auch außerhalb der Geistlichkeit ist
durch unsere Kundgebung viel Staub auf-
gewirbelt worden — eine Tatsache, die
unserer Friedensarbeit nur zugute komimen
kann. Während die liberalen Blätter unseren
Aufruf mit Zustimmung abdruckten und
unseren Verteidigungsreden gern ihre Spalten
öffneten, so hat uns dagegen die konser-
vative und nationalistische Presse mit einer
zum Teil unerhörten Heftigkeit begeifert.
„Eine deplacierte Kundgebung" hat man'
unseren Aufruf genannt, „ein beschämendes
Zeichen der Zeit, einen Mangel an nationaler
Würde", und wie die schönen Klischees alle
heißen, hat man darin ' gefunden. Der
„Reichsbote" hat unter heuchlerischem!
Augenverdrehen den frommen Wunsch ge-
äußert, daß der Aufruf keine 50 Unter-
schriften finden möge und hat von Miß-
deutungen des Evangeliums geredet, das wir
in den Dienst unserer rührseligen und kraft-
losen Friedensmacherei stellen wollen, und
dergl. mehr. Geradezu schäumende Wut-
ausbrüche sind in den agrarischen „Neuen
hessischen Blättern", in der „Neuen Tages-
zeitung", in der „Deutschen Reichspost", in
der „Rundschau", in den „Hamburger Neu-
esten Nachrichten", wie in der „Magdeburger
Zeitung" gestanden. Derartige Ausfälle
können uns selbstverständlich auf unserem
Weg nicht irre machen, sie beweisen nur,
daß der Hieb, der den Nationalisten appli-
ziert wurde, gut getroffen hat. Zugleich
zeigen sie, wie nötig es ist, endlich einmal
dieser Hetzpresse die Heuchelmaske der
Vaterlandsliebe und der gepachteten Christ-
lichkeit vom Gesicht zu reißen.
Interessant ist es nun, zu sehen, in
welcher Art sich die Menge der gewonnenen
Unterschriften gliedern läßt. Zunächst ist
es sehr erfreulich, daß nicht nur einfache
Pfarrer, sondern auch höhere kirchliche Be-
amte unterzeichnet haben. Ich zähle zwei Kon-
sistorialpräsidenten, fünf Dekane, dann aber,
was besonders wichtig und wertvoll ist : es haben
auch Professoren der Theologie unterzeich-
net, ihre Namen sind, abgesehen von
Weinel, der schon zu den ersten Miturhebern
des Aufrufs gehört, folgende:
Professor Dr. Baldensperger, Gießen,
Privatdozent Lic. Bornhausen, Marburg, Pro-
fessor Dr. Nowak, Straßburg, Professor
Dr. Thieme, Leipzig, Professor Dr. Wendt,
Jena, Professor Dr. Frommel, Heidelberg,
Professor Glaue, Jena, Professor Dr. Gre-
gory, Leipzig, Professor Dr. Lobstein, Straß-
burg i. E., Professor Dr. Niebergall, Heidel-
berg, Professor D. Rade, Marburg.
Nun mag die Friedensschwalbe, die den
Sommer kündet, fliegen. Die Hoffnung, daß
diesen bedeutenden Männern Tausende von
Schülern folgen werden, ist von heute an un-
ausrottbar. Daran wird nichts geändert
durch das Gekrächze der nationalistischen
Raben, die noch den alten Kaiserberg um1-
flattern. Von großem Interesse ist es aber
endlich, zu sehen; wie sich die Unterschriften
nach den Ländern verteilen Dabei steht
Elsaß-Lothringen mit 108 Unterschriften an
der Spitze. Ein in die Augen fallender Be-
weis dafür, wie das so viel verkannte und
verregierte elsaß-lothringische Volk mit
seinen geistigen Führern keineswegs ge-
willt ist, fernerhin als Festungsglacis oder
als Kampfplatz zwischen Deutschland und
Frankreich zu dienen, wie es vielmehr immer
deutlicher die Aufgabe erkennt, eine Völker-
brücke zwischen den beiden Nationen zu
werden. Es folgt Preußen mit 99 Unter-
210
@=
= DIE FRI EDENS -WAJZTE
Schriften, wobei sich die Namen in folgender
Weise auf die einzelnen Provinzen verteilen:
Brandenburg 10, Hannover 30, Hessen-Nassau
1 1 , Ostpreußen 9, Pommern 5, Rheinprovinz 1 0,
Sachsen 9, Schlesien 6, Schleswig-Holstein 6,
Westfalen 1, Westpreußen 3. Dann Baden
mit 47 Stimmen. Es ist beachtenswert, daß
gerade dieses Land, das nächst dem' Elsaß
einem feindlichen Ansturm am meisten aus-
gesetzt wäre, und dessen geistige Führer in
letzter Zeit durch einen vielbesprochenen
Vortrag von Lic. Wielandt besonders ener-
gisch auf die Beschäftigung mit der Friedens-
frage hingedrängt wurden, eine solch zahl-
reiche Beteiligung aufzuweisen hat. Hierauf
21 in Württemberg, 16 in Hessen, 15 in
Bayern, im Königreich Sachsen 13, in Sachsen-
Weimar 6, in Braunschweig, Bremen, Ham-
burg je 5, in Sachsen-Coburg-Gotha 4, in
Oldenburg und MeCklenburg-Strelitz 2, in
Anhalt, Lippe-Detmold, Reuß j. L., Sachsen-
Meiningen und Schaumburg-Lippe je 1.
Wir können zufrieden sein; Die evan-
gelischen Landeskirchen sind in weitem! Um-
fang gegen den Krieg mobilisiert worden ; wir
werden die begonnene Arbeit fortsetzen, bis
die Friedenssache in der ganzen, deutsch-
evangelischen Christenheit zu einer alle Ge-
müter bewegenden Angelegenheit wird; wir
Werden sogar versuchen, eine Parallelaktion
unter den katholischen Geistlichen zu be-
ginnen, und endlich werden wir die Zeit
heraufdämmern sehen, da das sich auf sich
selbst besinnende Christentum dem Krieg
den Krieg erklärt.
Zwischen Deutschland und
Frankreich.
Von Richard Gädke,
früher Oberst und Regimentskommandeur, Berlin.
Der größte und gefährlichste Gegensatz
innerhalb der europäischen Staätenwelt ist
noch immer der zwischen Deutschland und
Frankreich. Es hat gewiß Zeiten gegeben,
in denen das Wachstum der deutschen Flotte
oder koloniale Eifersüchteleien zwischen
Deutschland und England zu bedenklichen
Krisen für den Frieden führte; auch zwischen
Oesterreich und Rußland besteht im nahen
Osten eine Nebenbuhlerschaft, die mitunter
drohende Formen angenommen hat. So war
andererseits die Lage zwischen Italien und
seinem Dreibundgenossen Oesterreich mehr-
fach zugespitzt und nicht immer ohne die
Möglichkeit eines kriegerischen Zusammen-
stoßes. Der Fall von Faschoda, der um eines
Haares Breite zum Waffengange zwischen
England und Frankreich geführt hätte, ist
in unser aller Gedächtnis. Aber das sind
letzten Endes' Gewitter, die aus örtlichen
Spannungen der politischen Luft sich ge-
legentlich zusammenballen^ und selbst sie
werden von der Gegnerschaft zwischen
Deustchland und Frankreich in schärfster
Weise beeinflußt. Der feste Punkt in der
Erscheinungen Flucht ist ausschließlich dieser
große Gegensatz, der von den Folgen, des
Krieges von 1870/71, genauer gesagt, schon
von denen des Jahres 1866, seinen Ausgang
nimmt. Wie zwei Fechter stehen sich beide
Länder seitdem1 gegenüber, jedes aufmerksam
den anderen beobachtend, jedes mit besorg-
tem Eifer spähend, ob das andere nicht eine
schärfere Waffe in seine Hand nehme, seine
Rüstung verstärke, seinen Arm zu vernich-
tendem Schlage erhebe. Keiner traut dem
anderen, jeder ist auf heimtückischen oder
auch brutalen Angriff gefaßt, sobald er sich
nur auf der kleinsten Schwäche ertappen läßt.
Das Mißtrauen dieser beiden Länder, die
trotz alledem im lebhaftesten Austausche
aller materiellen Güter stehen, sich vielleicht
in stärkerem Maße noch gegenseitig auf
allen Gebieten der Kultur beeinflussen, scheint
fast unbesiegbar, nachdem es einer Zeit von
42 Jahren nicht geglückt ist, es zu bannen.
Um sie erst gruppieren sich die anderen
Gegnerschaften Europas; sie sind die Mittel-
punkte und alles in allem doch die treibende
Kraft der beiden großen Mächtegruppie-
rungen, von deren friedlichem Nebeneinander-
leben oder feindlichem' Zusammenstoße das
Schicksal unseres Weltteils abhängt. Ge-
länge es, den dauernden Gegensatz, die bei-
nahe angstvolle Spannung zwischen Frank-
reich und Deutschland auszugleichen, so
wäre damit zugleich auf absehbare Zeit die
Gefahr eines großen Krieges innerhalb
Europas beseitigt, die Möglichkeit einer fried-
lichen Konsolidierung, ja einer organischen
Verbrüderung seiner Staatenwelt sehr nahe
gerückt. Es wäre der zweifellos größte
Triumph, den der Friedensgedanke praktisch
überhaupt feiern könnte.
Leider Gottes bewegt sich die Politik
beider Staaten in einem circulus vitiosus,
der so klar zu überschauen scheint, und
aus dem sie praktisch doch auf keine Weise
hinausgelangen. Um sich gegen die bösen
Anschläge des anderen zu sichern, ver-
stärken sie unaufhörlich ihre Rüstung, und
aus dieser Rüstung entsteht wieder unauf-
hörlich neues Mißtrauen und neue Reizbar-
keit. Die Militärs, die aufrichtig urri die
Sicherheit ihres Landes besorgt sind, die ihrer
Wachsamkeit und Stärke anvertraut ist,
durchkreuzen alle Bemühungen der Staats-
kunst, ein freundlicheres Verhältnis zwischen
beiden Ländern herzustellen . Leider Gottes
halten sie sich verbunden, um! ihren. Forde-
rungen nach neuen Machtmitteln leichter
Gehör zu schaffen, die chauvinistischen In-
stinkte der Völker immer von neuem auf-
zurütteln, den Ehrgeiz und den. Argwohn der
maßgebenden Schichten immer wieder an-
zustacheln. Ihnen zur Seite, als apokalyp-
tische Dämonen, stehen die großen Inter-
211
DIE FßlEDENS-^ÖÜTE
3
essen, der Waffenindustrie, des Eisens, des
Schiffbaues, gewiß nicht auf den Krieg
selbst erpicht, uml so mehr aber auf immer
größere Kriegsrüstung, vielleicht auch auf
Kriegsdrohung. Eine internationale Ver-
brüderung zur Verhetzung der Völker, die
eiserne Internationale, weit verdamimens-
werter als' die goldene oder gar die rote, für
die doch der Frieden eine Lebensbedingung
ist ! Allerlei atavistische Vorstellungen über
die Natur und (die Bestimmung des Menschen-
geschlechtes kommen hinzu, dem Kriegs-
gedanken immer neue Nahrung zu ver-
schaffen. Wenn (Heraklit den Streit den Vater
aller Dinge genannt und darin den Satz vom
Kampf ums Dasein aufgestellt hat, so saugen
die Rüstungsfanatiker auch aus dieser Blüte
wissenschaftlicher Erkenntnis verderben-
schwangeres Gift. Sie stellen fest, daß die
Staaten nur durch den Krieg zu erhalten
und zu erweitern sind, während die Völker
in Luxus1 und Wohlleben verkommen. Solche
Weisheit durfte der erste Diener des Deut-
schen Reiches den Volksboten künden, als
er die neue riesige Vorlage zur Vermehrung
des deutschen Heeres einbrachte.
Man darf aussprechen, ohne sich einer
Verdächtigung schuldig zu machen, daß es
gerade die Regierungen und die einfluß-
reichsten, die gebildetsten Schichten der
Völker sind, die an der Rüstungspolitik fest-
halten, während die Massen auf beiden Seiten
der Vogesen die Opfertragenden sind und nur
durch die suggestive Wirkung des Mißtrauens
zur Uebernahme der immer schwerer drücken-
den Last vermocht werden.
Kein Zweifel, daß diesmal der erneute
Anlauf von Deutschland ausgegangen ist; so
lange die Geheimschränke der Regierung sich
nicht öffnen, wird es sehr schwer sein, die Vor-;
gänge hinter den Kulissen, den Anteü der
äußeren Politik und die Wirkung innerstaat-
licher Verhältnisse völlig klarzulegen, die
letzten Endes zu dieser gewaltigen Wehr-
vorlage geführt haben — alles in allem' die
größte, die überhaupt je eingebracht worden
ist. Denn die von 1893 war wenigstens zu:
gleicher Zeit mit der Verkürzung der Dienst-
zeit von drei auf zwei Jahre für die Masse
der Dienstpflichtigen verknüpft. Die Be-
gründung, die Militärverwaltung und Reichs-
kanzler der Gesetzesvorlage mit auf den Weg
gegeben haben, war mehr als' kümmerlich
und in keiner Weise durchschlagend. Nur
die geringe Bedeutung des Parlamentes in
Deutschland macht es erklärlich, daß ihre'
Annahme von vornherein so gut wie sicher
war. Gewiß hat Agadir, und in höherem^
Maße noch der Balkankrieg, wie ein schwerer
Alpdruck auf unserem Wirtschaftsleben ge-;
lastet, und die kriegerischen Besorgnisse
der hinter uns liegenden acht Monate haben
zu ihrem Teile beigetragen, weitere Kreisle
des deutschen Volkes in i einer vermehrten
Anziehung der Rüstungsschraube eine Asse-
kuranzprämie gegen den Krieg sehen zu
lassen. Denn gar nicht genug kann es be-
tont, nicht oft genug wiederholt werden, daß
die große Masse des deutschen Volkes fried-
liebend bis in das Mark ihrer Knochen ist
und jeden Gedanken an einen Angriffskrieg
weit von sich weist, gegen wen es auch seL
Ganz besonders aber ist die alte National-
feindschaft gegen Frankreich längst dahin-
gestorben, und die Prahlereien und Hetzreden
wichtigtuender Wehrvereinsgenerale — sie
täuschen sich durch diese Tätigkeit den
Glauben vor, daß ihr dienstlich brachgelegtes
Leben noch einen Zweck und Inhalt habe —
beweisen ebensowenig wie gelegentlich rohe
Ausfälle und Schimpfreden alldeutscher Jour-
nalisten. Sie bedeuten auch genau so wenig,
wie Lümmeleien eines gut gekleideten Pöbels
gegen harmlose deutsche Reisende in den
französischen Grenzprovinzen. Kein Volk
kann schließlich die Verantwortung für die
Ausschreitungen jener minderwertigen Ele-
mente übernehmen, die es überall gibt.
Immerhin hat die deutsche Rüstungs-.
vorläge in Frankreich zweifellos eine chauvi-
nistische Strömung begünstigt, die bereits
durch die unsanfte Form unseres Vorgehens
während der Marokko-Krisis angebahnt war.
Man muß aber gerecht sein und zugeben, daß
man sich dort in der Tat durch die plötzlich
einsetzende, ungewöhnlich große Verstärkung
unseres Friedensheeres beunruhigt sehen
konnte. Niemand, der mit einiger Un-
befangenheit und Billigkeit sich auch in die
Seele unserer Nachbarn hineinzusetzen ver-,
steht, kann dieses Moment übersehen oder
ableugnen. Selbst wenn man noch nicht eine
unmittelbare Kriegsvorbereitung in ihr sah,
war man vom französischen Standpunkte aus
wohl berechtigt, von dieser abermaligen Ver-
schiebung des militärischen Gleichgewichts
eine wesentliche Verschlechterung der eigenen
Weltstellung zu befürchten. Wir dürfen
nicht vergessen, daß das Mißverhältnis der
organisierten Heereskraft Frankreich schon
einmal verhängnisvoll geworden ist.
i Insofern darf man sich also nicht wun-
dern, wenn unsere Nachbarn krampfhafte An-.
strengungen machen, die Ebenbürtigkeit mit
dem deutschen Heere so lange als möglich
und so weit als möglich aufrechtzuerhalten;
Aber man darf auch hinzufügen, daß das»
Mittel, das sie zu diesem Zweck in An-;
wendung gebracht haben, verfehlt ist, weil'
es nach dem tatsächlichen Verhältnis der
beiderseitigen Volkskraft verfehlt sein muß
und seinen Zweck dauernd nicht erfüllen
kann. Hier beginnt der schwere Irrtum der
französischen Staatslenker, hier hat ihr
Augenmaß für das1 Mögliche versagt. Die
Verlängerung der Dienstzeit bei der Fahne
von zwei auf drei Jahre wird im Lande selbst^
wie sich mehr und mehr herausstellt, keinesr-
wegs mit Begeisterung aufgenommen, ja sie
begegnet offenbar einem stetig wachsenden1
I
212
<§;
DIE rRIEDEN5-^VARTE
Widerstände, der sich bis zur Feindseligkeit
steigert und in den verschiedensten Gegen-
den des Landes sich sogar in Soldaten-
Meutereien Luft gemacht hat. Man sollte
diese Aufsässigkeiten, die im Norden und
Süden, im Osten, Westen und in der Mitte
gespielt haben, gerade bei dem unzweifel-
haften Patriotismus und der hohen, fügsamen
Opferwilligkeit des französischen Volkes
nicht übersehen. Sie beweisen, daß man
•dort im Begriffe steht, die militärische und
die finanzielle Kraft des Landes noch weit
mehr anzuspannen, als dies in Deutschland
geschieht, ja daß man sie um des politischen
Prestiges willen zu überspannen ge-
neigt ist. Gerade die einsichtigsten Staats-
männer Frankreichs setzen sich diesem Be-
ginnen mit einem Mute entgegen, den erst
eine spätere Zeit zu würdigen wissen wird.
Die Verlängerung der Dienstzeit, verbunden
mit einer Höhe der Aushebung, die auch
nach unseren neuen Bestimmungen die
deutsche Aushebung noch wesent-
lich hinter sich läßt, bedeutet eine
auffallende Vernachlässigung der wirtschaft-
lichen und kulturellen Verhältnisse.
Es zeigt sich, daß ein Volk von kaum
40 Millionen Einwohnern auf die Dauer mit
einem noch stetig sich vermehrenden Volke
von 67 Millionen auf militärischem Gebiete
den Wettlauf nicht durchführen kann. Hier
handelt es sich um ein unentrinnbares Natur-
gesetz. Selbst unter den heutigen Verhält-
nissen hat jedes Volk genug getan, das seine
ganze Volkskraft für die Landesverteidigung
nutzbar gemacht hat. Niemand vermag über
seine natürliche Größe zu wachsen, indem
er sich Ziegelsteine unter die Sohlen schnallt.
Die Torheit eines solchen Versuchs würde uns
sofort klar werden, wenn etwa Belgien oder
Holland oder die Schweiz versuchen wollten,
mit dem Deutschen Reiche an Mächtigkeit
der militärischen Rüstungen zu wetteifern.
Und doch wäre dieses Unterfangen nur quan-
titativ, aber nicht qualitativ von dem ver-
zweifelten Wettrüsten Frankreichs unter-
schieden.
Alle Mängel der französischen Heeres-
organisation rühren daher, daß man an
Kriegsstärke dem deutschen Heere möglichst
nicht nachstehen wollte. So schuf man eine
Wehrmacht, die an Zahl der Friedenst-
stämme die des deutschen Heeres teils er-
reichte, teils sogar überstieg, und im
schlimmsten Falle nur wenig dahinter zurück-
blieb. So stellte man Mindertaugliche zum
Waffendienst ein, schuf außerdem den so-
genannten „Hilfsdienst", der eine scheinbare
Erhöhung der Mannschaftsstärke ergab, nahm
zu gleicher Zeit eine erschreckend hohe
Krankenzahl und Sterblichkeit mit in den
Kauf und steigerte von Jahr zu Jahr die
Menge derer, die sich der Gestellung oder
doch den Uebungen des Beurlaubtenstandes
entzogen. Frankreich hat sich ein Kleid an-
gezogen, das ihm um die Glieder schlottert,
das für seinen körperlichen Umfang viel zu
weit ist. Die Zahl der Kompagnien jst
größer noch als die des deutschen Heeres,
aber ihr Mannschaftsstand ist ein so ge-
ringer, daß die Ausbildung dadurch erschwert,
die Kriegsbereitschaft wesentlich herab-
gesetzt wird.
Lebten wir in Zeiten, die das Heil nicht
mehr hauptsächlich in der Gewalt der
Rüstungen erblickten, so wäre das einzige ver-
nünftige Heilmittel das, daß Frankreich die
Zahl seiner Truppeneinheiten verminderte,
ihre Stärke und Schlagfähigkeit aber erhöhte.
Ehrgeiz und Argwohn haben es leider dahin
nicht kommen lassen. Man hat vielmehr
zu dem verzweifelten Mittel einer Verlänge-
rung der Dienstzeit gegriffen, nicht etwa aus
Notwendigkeiten der Ausbildung (abgesehen
von der Reiterei), sondern um die blutleeren
Stämme aufzufüllen, ihnen mehr Masse und
Gewicht zu geben. Wie aber, wenn nun auch
Deutschland wieder zur dreijährigen Dienst-
zeit überginge und damit in der Tat das Frie-
densheer auf beinahe vollen Kriegsfuß setzen,
es auf eine Gesamtstärke von elfhundert-
tausend (1100 000) bringen würde? Diese
Frage aufwerfen, heißt bereits den Irrsinn
dieses Wettlaufes brandmarken.
Dieser Weg führt notwendigerweise an
seinem Zeitpunkte oder in seiner Ziellosigkeit
zum Ruin beider Völker, oder er treibt einem
gewaltsamen Ausbruche zu, wie eine Flasche
mit Kohlensäure platzen muß, wenn der
Ueberdruck die Widerstandskraft der Wan-
dungen übersteigt.
Daß die deutsche Rüstungsvorlage in
diesem Augenblicke weder durch die Gefahren
der Lage noch durch militärische Notwendig-
keiten genügend begründet war, wird von
mir immer wieder betont werden. Aber in
Frankreich kann man sich kaum mit gutem
Gewissen darauf berufen, weil man auf diesem
Wege seinerseits bereits ein gutes Stück
vorangegangen war und sich nun zu einer
noch gewaltigeren Ausbeutung der Volks-
kraft anschickt.
Die Aufgabe der Friedensfreunde kann
es nur sein, auf die maßlose Torheit dieses»
zwecklosen Wettlaufens immer wieder hin-
zuweisen. Nicht augenblickliche Erfolge
kann der Pazifismus erringen, aber er hat
auch keinen Grund, sich durch scheinbare
Mißerfolge entmutigen zu lassen. Den Geist
der maßgebenden Kreise gilt es allmählich
mit anderer Sinnesart zu erfüllen, ihn von der
Nutzlosigkeit und der Kulturfeindlichkeit der
öden Gewaltpolitik zu überzeugen und zu-
gleich den unwirtschaftlichen Druck, unter
dem alle Völker leiden, zu einem Sturmbock
zu benutzen gegen die Herrschaft eines un-
gezügelten Militarismus. Daß die besten
Kräfte beider Nationen sich vereinen, um
verjährten Haß und altes Mißtrauen aus der
Welt zu schaffen und dadurch den Boden
213
DIE FRIEDENS -^VADTE =
=9
für Abrüstung und Schiedsgerichtsverträge
zu bereiten, das ist unsere nächste Aufgabe.
Man sollte interparlamentarische Konferenzen
möglichst alle Jahre erneuern und dabei die
Mittel und Wege freundschaftlich besprechen,
die schließlich z.u einer Verminderung der
Rüstungslast führen können. Denn zwischen
Frankreich und Deutschland ist für alle
Weiterblickenden der Wettlauf längst ent-
schieden, an dem gegenseitigen Kräftever-
hältnis beider Völker kann gar nichts mehr ge-
ändert werden. Und darum sind alle diese
Rüstungsvorlagen zwecklos und sinnlos.
H. W.
Der Carthage- und Manoubafall
vor dem Haager Schiedshöfe.
Von den Streitigkeiten, die im vorigen
Jahre durch Frankreich und Italien dem1
Haager Schiedshöfe überwiesen worden sind,
hat der Haager Hof selbst nur zwei Kon-
flikte durch Urteile vom1 6. Mai 1913 ent-
schieden, und zwar den Carthage- und Ma-
noubafall. Dagegen sind die Zwischenfälle
wegen des französischen Dampfers Tavignano
und zweier tunesischer Fischerboote durch
diplomatische Verhandlungen zwischen den
Parteien beigelegt worden. Italien hat sich
verpflichtet, wegen dieser beiden letzteren
Fälle eine Entschädigung von 5000 Franken
an die verletzten Privatpersonen, zu zahlen.
Es ist dies nicht das erstemal, daß ein bereits
dem Schiedsgericht überwiesener Konflikt
nachträglich doch noch durch direkte Ver-
handlungen aus der Welt geschafft wurde.
Wie der Carthage- und Manoubafall
entstanden sind, ist wohl noch in Erinne-
rung. Beide Dampfer wurden im Januar
1912 von den Italienern festgehalten und in
den Hafen von Cagliari gebracht, von wo
erst nach mehreren Tagen die Freilassung
erfolgte. Die Carthage war beschlagnahmt
worden, weil sie ein Flugfahrzeug an Bord
hatte, von dem die Italiener glaubten, es sei
für die Türken bestimmt ; die Manouba führte
29 Türken bei sich, die angeblich zur otto-
manischen Armee gehörten. Die Fest-
haltung der beiden Postdampfer rief damals
in Frankreich eine große Erregung hervor,
und die französische Regierung forderte von
der italienischen mit Entschiedenheit Ge-
nugtuung. Schließlich wurde der Konflikt
am 6. März 1912 dem Haager Hofe zur Ent-
scheidung überwiesen. Die Regierungen
einigten sich auf folgende fünf Schiedsrichter :
T. den schwedischen früheren Minister
Hammarskjöld als Vorsitzenden, 2. den vor-
tragenden Rat im russischen Auswärtigen
Amt Baron von Taube, 3. den Direktor im
deutschen Auswärtigen Amt Kriege, 4. den
französischen Rechtsgelehrten Renault und
5. den italienischen früheren Staatsminister
Fusinato. Alle Richter hatten bereits früher
an Schiedsgerichten vor dem Haager Hofe
teilgenommen, Renault sogar dreimal und
Hammarskjöld zweimal. Man merkt hieraus,
wie die Tendenz dahin geht, nur erfahrene
Männer, wie sie in der Regel nur ein stän-
diges Tribunal aufzuweisen hat, zu Richtern
zu ernennen. Ebenso sehr drängt auch die
Entwicklung nach einer ständigen Rechts-
anwaltschaft. Hat doch Fromageot, Advo-
kat am Pariser Appellhofe, der zusammen
mit Hesse Frankreichs Interessen vertrat, in
etwa ein Drittel aller Streitigkeiten des
Haager HofeS als Verteidiger fungiert. Auf
italienischer Seite traten als Anwälte der
Gesandte Ricci-Busatti und der Professor
an der Universität Rom, Anzilotti, auL
Hammarskjöld selbst hob in der Eröffnungs-
rede die Tendenz nach einem ständigen Tri-
bunale hervor; er machte darauf aufmerk-
sam, daß jetzt mehrere Streitigkeiten auf
einmal dem Tribunale überwiesen worden
seien.
Für die verletzten Privatpersonen ver-
langte Frankreich vor dem Schiedsgerichte
685 339,93 Franken. Außerdem beantragte
es in beiden Fällen, Italien zu verurteilen,
je einen Frank für die Verletzung der fran-
zösischen Flagge und je 100 000 Franken
als Entschädigung für den politischen und
moralischen Schaden zu zahlen, den das
Völkerrecht durch die Nichtbeachtung der
völkerrechtlichen Verträge seiten Italiens
erlitten hatte. Italien beantragte Abweisung
der Klage und beanspruchte widerklagend
2112,70 Franken als1 Ersatz für die durch
die erforderlich gewordene Festhaltung der
Schiffe entstandenen Kosten; ferner stellte
es den Antrag, Frankreich zur Zahlung einer
Buße von 100 000 Franken dafür zu ver-
urteilen, daß es die Rückgabe der Türken
verlangt und somit gegen die Grundsätze
des Völkerrechts verstoßen habe. Die
Summen von 100 000 Franken sollten ge-
mäß dem Antrage der Parteien vom Schieds-
gerichte an eine im! Dienste des Völkerrechts
stehende Körperschaft überwiesen werden.
Sowohl über den Carthage- wie den
Manoubastreit hat der Haager Hof in einem
besonderen Urteil entschieden. Dies ist
eigenartig, weil die Entscheidungen in vielen
Punkten fast wörtlich übereinstimmen. Nicht
verständlich ist, daß sich die Schiedsrichter
wiederum der schwerfälligen französischen
Urteilsformel bedient haben, anstatt dem
Beispiel Lardys zu folgen und einen klaren
Stil zu schreiben. Der internationale Prozeß
Soll sich die Vorzüge, nicht aber die Fehler der
nationalen Prozesse zu eigen machen. In
einer sehr wertvollen Schrift, „Opmerkingen
over den vorm onzer vonnissen en wetten"
(Haag, 1913), hat sich noch kürzlich Baron
W. C. Snouckaert van Schauburg für die
deutsche Urteilsforrn ausgesprochen.
Im Carthagestreit erklärte das Schieds-
gericht das italienische Vorgehen für un-
214
<s=
= DIE FRI EDENS ->M3kR.TE
gerechtfertigt, da ein begründeter Verdacht,
daß das Schiff Konterbande bei sich führte,
nicht vorgelegen habe. Italien wurde ver-
urteilt, an Frankreich 160 000 Franken inner-
halb drei Monaten vom Tage der Verkündung
des Urteils ab zu zahlen. Im1 Manoubastreite
ging das Schiedsgericht davon aus, daß die
verschiedenen Operationen für sich getrennt
beurteilt werden müßten. Es stellte fest,
Italien habe den Postdampfer nicht ohne
weiteres nach Cagliari bringen dürfen, son-
dern habe den Kapitän sofort, nicht erst im1
Hafen von Cagliari, auffordern müssen, die
türischen Passagiere auszuliefern. Im übrigen
sei aber Italien, nachdem1 der Kommandant
im Hafen von Cagliari die Herausgabe der
Türken verweigert habe, zur Festhaltung des
Dampfers berechtigt gewesen. Italien wurde
daher lediglich zur Zahlung von 4000 Franken
Entschädigung verurteilt, indem Italien seine
durch die berechtigte Festhaltung der Ma-
nouba entstandenen Kosten in Rechnung ge-
stellt wurden . Zur Feststellung der Ent-
schädigungen hatte vor zwei beauftragten
Mitgliedern des Schiedsgerichts eine Beweis-
aufnahme stattgefunden. Dies ist, von dem
schwedisch-norwegischen Falle abgesehen, der
einzige Fall einer Beweisaufnahme vor dem
Haager Hofe.
Betreffs der Bußforderungen sprach sich
das Schiedsgericht mit Recht dahin aus: Für
den Fall, daß eine Regierung ihre völker-
rechtlichen Pflichten nicht erfülle, sei be-
reits die Feststellung dieser Tatsache in
einem Schiedssprüche eine hinreichende
Sanktion. Die Einführung einer anderen Ge-
nugtuung in das Völkerrecht erscheine über-
flüssig und überschreite die Grenzen der
internationalen Schiedsgerichtsbarkeit.
Gegenwärtig sind alle dem Haager Hofe
überwiesenen Fälle erledigt. 13 Streitfälle
sind im ganzen im bisherigen Gebäude des
Schiedshofes, Prinsegracht 71, entschieden
worden. Im September siedelt das inter-
nationale Bureau nach dem von Carnegie ge-
stifteten Friedenspalaste über. Anläßlich
dieses besonderen Ereignisses wird in we-
nigen Wochen als Band 3 der von Schücking
herausgegebenen Sammlung „Das Werk
vom Haag" (Duncker & Humblot, Leipzig)
eine Darlegung sämtlicher bisher im Haag
erledigter Streitfälle herausgegeben werden.
Hervorragende Männer der Wissenschaft, wie
v. Bar, Fleischmann, Kohler, v. Martitz,
Meurer, Niemeyer, Nippold, Scott, Strupp,
Zitelmann und Zorn, haben ihre Mitwirkung
zugesagt bzw. bereits ihre Beiträge dem1
Herausgeber eingesandt. Somit dürfte der
neue Band der bekannten Sammlung eine
hervorragende wissenschaftliche Tat be-
deuten.
Hauptversammlung der
Deutschen Friedensgesellschaft
in Mannheim.
Von Dr. A. W e s t p h a 1 ,
Sekretär der Deutschen Fiiedensgesellschafi, Stuttgart.
In Anwesenheit von 41 Ortsgruppenver-
tretern 'tagte am 24. und 25. Mai die diesjährige
Hauptversammlung der Deutschen Friedens-
gesellschaft in Mannheim unter Vorsitz von
Dr. Richter- Pforzheim, der leider wieder
die Abwesenheit unseres treuen Friedens-
dieners und 2. Vorsitzenden, Stadtpfarrer U m -
f r i d — aus demselben Grunde, wie auf der
Berliner Tagung 1912 — in seiner einleitenden
Biegrüßungsansprache feststellen mußte. In
warmherzigen Worten beklagte Dr. Richter
das harte Geschick U m f r i d s , und die Dele-
giertensitzung gab ihrem schmerzlichen Mit-
fühlen vor Eintritt in die Tagesordnung tele-
graphisch Ausdruck. — Aus dem vom
Kassierer P. A 1 b e r erstatteten Kassenbericht,
der mit ca. 13V2 tausend Mark balanziert,
erhellt, daß der Zufluß neuer Geldmittel in
absehbarer Zeit bereits notwendig werden
müßte, namentlich infolge der, besonders im
1. Jahre der Erstellung des Stuttgarter Sekre-
tariats relativ hoch gewordenen Kosten für
dasselbe. Die Herausgabe des vergrößerten
„Völkerfriedens" in ca. 8500 Exemplaren be-
lastet gleichfalls nicht unerheblich die Zentral-
kasse. Aus der Versammlung wurde daher
der Wunsch rege, die Geschäftsleitung möge
der Carnegie-Stiftung die unterstrichene Bitte
um eine baldige Entscheidung bezüglich
höherer Unterstützung, wie solche anderen
Organisationen zufließt, vortragen. —
Der Jahresbericht des unterzeichneten
Sekretärs läßt im allgemeinen ein Wachsen
der Arbeit der Geschäftsleitung, der Sekre-
tariatstätigkeit und erfreulicherweise auch der
Deutschen Friedensgesellschaft erkennen: Der
Zuwachs beträgt ca. 400 Mitglieder, und an
13 Orten wurden neue Ortsgruppen gegründet
oder die dortigen Einzelmitglieder zu Orts-
gruppen zusammengeschlossen; namentlich in
Rheinland-Westfalen — wo ein vorläufig noch
loser Landesverband ins Leben trat — , sodann
in Elsaß-Lothringen, der bayr. Pfalz, in
Hessen, Ostpreußen und Württemberg. Die
Gesamtzahlen sind jetzt 8500 Mitglieder, 95
Ortsgruppen. Größere erfolgreiche Vortrags-
reisen in Deutschland in Friedensvereinen,
Frauenvereinen, Gewerbevereinen, Studenten-
vereinen, Pressevereinen u. a. unternahmen
unser französischer Gesinnungsfreund Prof. E.
R i q u i e z , Norman A n g e 1 1 , Rieh. Feld-
haus, Prof. Q u i d d e und der Unterzeichnete.
Einzelvorträge fanden zahlreich statt. Die
revidierte Satzung nebst Programm wurde neu
gedruskt, ca. 10 000 neue Flugblätter wurden
ausgegeben. Verhältnismäßig groß, viele
215
DIE FßlEDENS-^ABXE =
hundert Exemplare, war "die Nachfrage nach
alter wie nach der 1912/13 zahlreich er-
schienenen neuen pazifistischen Literatur, die
in einigen, ihrer Eigenart wie ihrem Inhalts-
reichtum nach wertvollen Büchern und Bro-
schüren besonderer Erwähnung bedarf: „Die
falsche Rechnung" v. N. Angell, „Krieg"
von F. Diederichs, „Handbuch der
Friedensbewegung II" von A. H. Fried,
„Die Vergangenheit des Krieges" von Ch»
Rieh et, „Für den Frieden" vom Sim-
plicissimus- Verlag. Die Broschüre
„Friedensbewegung und Lebenserziehung'* von
E. Böhme und die Hefte „Internationale
Organisation" von Goldscheid, Starr-
jordan, Fried und B, v. Suttner. Die
Berner „Friedensbewegung" wird in Deutsch-
land in ca. 800 Exemplaren monatlich ver-
breitet. Die Weltpetition fand, wie bislang,
alle mögliche Unterstützung. An der deutsch-
englischen wie deutsch-französischen An-
näherungsarbeit war die D. F. G. im Verein
mit den anderen Verständigungsorganisationen
lebhaft beteiligt, so an der Londoner Kon-
ferenz Oktober/November 1912 und an der
deutsch-französischen und der Berner Liga-
gründung. Seit dem Balkankriegausbruch und
namentlich, seitdem die neue Rüstungskrank-
heit grassiert, wurden von Wehrverein,
Regierung und real, wenn auch nicht reell (?)
interessierten Gruppen aus Handel und In-
dustrie, besonders viele Versuche unter-
nommen, auf die öffentliche Meinung
zu wirken. In den Monaten Februar-März-
April 1913 wurden daher 14 verschiedene No-
tizen, Korrespondenzblittardkel, Resolutionen,
Eingaben an den Reichskanzler betr. Milliarden-
steuer, Aufruf „An die evangelischen
Geistlichen und Hochschullehrer", „An das
deutsche und französische Volk", „Gegen die
Rüstungen" u. a. m. durch die Presse bzw.
öffentliches Plakatieren Hunderttausenden be-
kannt gegeben. Auch die Reichstagsabge-
ordneten wurden mehrfach apostrophiert. Vor-
nehmlich die beiden Aufrufe lösten viele
hundert Zustimmungs- und Mitarbeitser-
klärungen aus, so der an die Geistlichen rund
390 Unterschriften. Im ganzen also ein leid-
lich erfreuliches Bild der Vorwärtsbewegung.
Die Hauptbesprechungspunkte der Dele-
giertensitzungen waren infolge eingelaufener
Anträge : Technische Organisationsfragen, betr.
Publikationen usw., Erhöhung des Völker-
friede-Abonnements auf 60 Pf. jährlich,
Stellungnahme zu den die Jugendgehirne
militarisier enden Jugendorgarrsationsn "(Pfad-
finder, sowie einzelne Jungdeutschlandgruppen
u. a. m.), zum Wehrverein, und infolge der
in den internen zwei Sitzungen unter viel Zu-
stimmung gehaltenen Vorträge: „Was können
und sollen die Frauen für die Friedenssache
tun" von Frl. Springer, „Pazifistische
Jugenderziehung" von A. v. Härder,
„Stellungnahme zur politischen Lage" von Dr.
Reis.
Den Niederschlag der Beratungen bildeten
die nachfolgenden Resolutionen:
Erklärung.
Die Deutsche Friedensgesellschaft
fühlt sich verpflichtet, ihre Stimme gegen
die unverantwortlichen Treibereien des
Wehrvereins zu erheben. Wenn in einem
Militär s'taat wie Deutschland noch eine
besondere Gesellschaft zur Stärkung der
Wehrkraft gegründet wird, so kann das
Ergebnis nur sein, eine ungesunde und im
höchsten Grade gefährliche Aufstachelung
der Massen zu blindem Kriegsenthusiasmus,
zu Mißtrauen und Haß gegenüber dem
Auslande, mit dem im Frieden zu leben
wir allen Anlaß haben. Der Wehrverein
hat es an skrupelloser, hetzerischer Agi-
tation nicht fehlen lassen. Seine Taktik
geht dahin, im Bunde mit den Rüstungs-
interessenten jede Wehrvorlage für völlig
ungenügend zu erklären; seine Presse
konnte es wagen, den preußischen Kriegs-
minister wegen seiner Schlaffheit in
Rüstungsfragen unter öffentliche Anklage
zu stellen. Er hat es so erreicht, die Re-
gierung über ihre eigenen ursprünglichen
Anschauungen hinaus zu neuen Forde-
rungen von unerhörter Höhe zu treiben,
und er rühmt sich dieses seines Erfolges.
Um solchen Erfolg zu erreichen, hat er
Ziffern der Statistik tendenziös mißbraucht
und gefährliche Leidenschaften in. den
Massen aufpeitschen müssen; er hat den
Eindruck geweckt, als ob unsere Rü-
stungen nicht nur das deutsche Volk
schützen und den Frieden sichern sollten,
sondern das Ausland und den Frieden be-
drohten. Damit wird unsere Stellung in
der Welt nicht gestärkt, sondern ge-
schwächt und Deutschland verleumdet,
denn das deutsche Volk will aufrichtig
den Frieden. Der Vorsitzende des deut-
schen Wehrvereins,, General Keim, hat sich
dahin verstiegen, die Bemühungen um
Verständigung unter den Völkern zu ver-
höhnen und zu fordern, wir müßten hassen
lernen. Jawohl, hassen sollen wir das ge-
wissenlose Treiben verblendeter Hetzer.
Aber lieben sollen wir die große Kultur-
gemeinschaft der ganzen Menschheit.
Nicht dem Völkerhaß, dem Völkerfrieden
gehört die Zukunft.
Die Hauptversammlung der Deutschen
Friedensgesellschaft begrüßt in dem wenn
auch unverbindlich ausgesprochenen Ein-
vernehmen Deutschlands und Englands
über das Kraft Verhältnis ihrer Schlacht-
flotten den ersten bescheidenen, aber hoff-
nungsvollen Anfang für eine internationale
Verständigung in Rüstungsfragen.
216
<§=
£ DIE FRI EDENS -WARTE
Die Hauptversammlung der Deutschen
Friedensgesellschaft begrüßt das Ergeb-
nis der Berner Verständigungskonferenz
auf das wärmste und setzt sich von ihrer
Seite dafür ein, daß auf der dort ge-
schaffenen Grundlage weitergearbeitet
werde. Danach soll neben internationaler
Verständigung überhaupt speziell auf ein
dauerndes Einvernehmen zwischen Deutsch-
land und Frankreich hingearbeitet wer-
den, damit durch eine derartige Ver-
ständigung der beiden führenden Militär-
mächte Europas' eine allseitige allmähliche
Herabsetzung der drückenden Rüstungen
sich bewerkstelligen lasse.
Die Hauptversammlung der Deutschen
Friedensgesellschaft begrüßt durchaus sym-
pathisch alle Bestrebungen, die auf Pflege
der körperlichen Tüchtigkeit der Jugend
gerichtet sind, sie verurteilt aber ebenso
entschieden die vielfach getriebene, päda-
gogisch äußerst bedenkliche Kriegsspielerei
in Gruppen des Jungdeutschland-Bundes,
der Pfadfinder-Vereine des Wehrkraftver-
eins und sogar konfessioneller Jugend-
vereine, gegen die sich auch schon mili-
i tärische Autoritäten mit Nachdruck aus-
gesprochen haben. Die Kriegsspielerei ist
geeignet, die Jugend militaristisch-chau^
vinistisch zu verhetzen und zugleich den
( Gegensatz politischer Parteien in sie hinein-
zutragen.
* * *
Die Versammlung beschließt, den Kon-
greß des nächsten Jahres in Königsberg
.' zu halten, und bittet, die Geschäftsleitung,
falls Mittel verfügbar werden, einen
größeren Betrag zur Gewährung von Reise-
1 beihilfen zur Verfügung zu stellen.
* * *
Zu der am 24. Mai, abends, abgehaltenen
gut besuchten öffentlichen Propaganda- Ver-
sammlung, der Rechtsanwalt v. Härder-
Mannheim als Ortsgruppenvorsitzender präsi-
dierte, sprach Lic. Wielandt über „Ist der
Krieg christlich oder nicht?" und resümierte
aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Ver-
nunftschluß und Gefühlswertung die Ver-
werflichkeit, Schändlichkeit und Unchristlich-
keit des Kriegssystems. Ferner sprach Prof.
Quidde über „Milliardensteuer und Ab-
rüstung" und wies vornehmlich nach, wie un-
gerechtfertigt und schwach die Regierung be-
gründen könne, und wie kleine, aber an Einfluß
große Kreise es vermögen, die Quantität der
Rüstungen zu vermehren, aber die Rüstungs-
relationen zu den andern Mächten nicht zu
ändern und die Schwierigkeiten der Völker-
verständigung dadurch nur zu vergrößern.
Bleiden Referaten folgte starker Beifall. —
Den nächsten Kongreß 'wird wohl Königsberg
halten. A. Westphal.
Zweiter Kongreß des
Verbandes der Internationalen
Studentenvereine an deutschen
Hochschulen.
Von Egon Meider,
Erstem Schriftführer des „Wiener Akademischen
Friedensvereins".
Die in* Vorjahre auf der ersten Tagung
zu Göttingen gelegten Saaten, haben längst
zu sprießen begonnen und fangen bereits1
an, herrliche Früchte zu tragen. Beseelt
vom Geiste regster Kraftentfaltung zur Ver-
wirklichung ihrer vornehmsten Ziele : Er-
weckung gegenseitigen Verständnisses für
deutsche und fremdländische Kultur bei hei-
mischen und ausländischen Studierenden und
Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen
zwischen Studenten aller Nationen, fand vom
14. bis 17. Mai die zweite Tagung des Ver-
bandes der Internationalen Studentenvereine
an deutschen Hochschulen in der alten
Goethestadt Leipzig statt, zu welcher 75 Dele-
gierte, die 23 Nationen angehören, in Ver-
tretung der sieben Internationalen Studenten-
vereine Deutschlands erschienen waren.
Ein Begrüßungsabend im „Hotel Deut-
sches Haus" eröffnete die Tagung. Stud.
jur. Juriaan von der Heyde-Schreuder
(Südafrika) begrüßte als 1. Vorsitzender
des Leipziger Vereins die Ehrengäste und
Kongreßteilnehmer und feierte sodann
Deutschland als Treffpunkt aller strebsamen
jungen Männer aus allen Ländern der Erde.
„Es scheine," führte er aus, „als ob sich mit
immer größeren Zügen ein gewaltiger Geist
durch die Welt unwillkürlich hindurchziehe,
der danach strebe, die verschiedenen Na-
tionen in stets engeren Zusammenhang zu
bringen. Diesen Geist richtig zu führen, —
das ist der Zweck des Verbandes und seiner
Bestrebungen. Und über allen Nationen
steht die Menschheit. . . ." Hierauf wurde
ein Schreiben des Ehrenprotektors des Leip-
ziger Vereins, Geheimrats Prof. Lamprecht,
verlesen, in welchem er bedauert, durch
Krankheit am Erscheinen verhindert zu sein,
im Geiste aber an der Tagung teilnehme.
Dann nahm Prof. Schmidt, Direktor der
Vereinigten staatswissenschaftlichen Semi-
nare der Universität Leipzig, das Wort und
überbrachte zunächst die besten Wünsche
des Rektors, dessen größtes Interesse die
Verbandstagung erwecke. Auch er, Redner,
bringe den ^Bestrebungen das größte Interesse
entgegen. Er sei durch seine Zugehörigkeit
zu O esterreich und im Hinblicke auf die Nähe
Preußens1 von seiner Heimat ehemals zu
einem gewissen Kosmopolitismus gelangt,
der, eine Art Reinigungsprozeß durch-
machend, älter und geläuterter geworden sei
und sich dann in einen Patriotismus für das
217
DIE FBIEDENS -WAETE
&
gesamte deutsche Vaterland verwandelt und
zum Schlüsse in einen Internationalismus ge-
klärt habe. Jetzt aber gehe eine starke chau-
vinistische Welle über das deutsche Volk,
in welcher eine große Gefahr für seine Zu-
kunft liege. Längst aber sei schon ein Bau
aufgeführt worden, um die Nationen zu ver-
einen : die Rechts- und Verwaltungsgemein-
schaften, die jetzt die Welt regieren. Diese
Organisationen beruhen auf internationalem
Privat- und Verwaltungsrecht, einem mäch-
tigen Bau, aufgeführt durch gemeinsame
Tätigkeit sämtlicher Hochschulen der Erde.
Parallel laufen die Kulturinteressen, welche
zu durchdringen und zu vertiefen Aufgabe der
internationalen Studentenvereine sei, und die
darin gipfle, ein besseres Kennenlernen der
Studenten der verschiedenen Nationen zu er-
möglichen und ein chauvinistisches Ab-
schließen derselben zu verhüten. Ein vor-
zügliches Mittel, der Eigenart einer anderen
Nation näherzukommen, läge im Erlernen
ihrer Sprache und im Aufsuchen dieser Nation
in ihrem eigenen Lande. In der Veranstal-
tung derartiger Studienreisen ins Ausland sei
die Wiener Universität vorbildlich geworden.
Schließlich sprach Prof Schmidt den Wunsch
aus, daß die Beratungen und die Arbeit des
Kongresses vom1 besten Erfolg gekrönt sein
mögen.
Stürmisch begrüßt, ergriff hierauf Geheim-
rat Prof. Ostwald das Wort. Er feierte
vom praktisch-idealistischen Standpunkte aus
die Entwicklung der Menschheit : aus dem
chaotischen Urbrei habe sich zunächst der
primitive Urmensch als Individualmensch ent-
wickelt. Durch Zusammenschluß dieser pri-
mären Individuen komme es zu einer primi-
tiven Vergesellschaftung, die sich nach
vielfachen Läuterungsprozessen zum Natio-
nalismus verdichte, der wiederum eine Ver-
gesellschaftung, diesmal aber im höheren
Sinne, suche. Diese neue Associationisforrri
aber heiße Organisation. Solche Organi-
sationsformen stellten die internationalen Ver-
waltungsgemeinschaften und die wissenschaft-
lichen Organisationen, an ihrer Spitze das
Institut „Die Brücke", dar. Ostwald feierte
sodann den Gedanken des Internationalismus
als des allerwichtigsten Kulturfaktors, nannte
die Wissenschaft einen internationalen Be-
griff und die Wissenschaftler Repräsentanten
des Internationalismus. Dann erteilte der
Vorsitzende dem Präsidenten des Weltbundes
„Corda Fratres", Dr. G. W. Nasmyth, das
Wort, der von seiner Propagandareise nach
den skandinavischen und russischen Universi-
tätsstädten berichtete . Nach ihm referierten
die Vertreter der internationalen Studenten-
vereine Berlin, Bonn., Freiburg, Heidelberg,
Leipzig, Göttingen und München über die
Anzahl ihrer Mitglieder, die sich insgesamt
auf mehr als 500 stellt, ihre Veranstaltungen
auf wissenschaftlichem und geselligem Ge-
biet, ihre Vorträge und Exkursionen.
Der nächste Morgen vereinigte zu früher
Stunde die Kongreßteilnehmer zur vor-
bereitenden Arbeit für die eigentliche Tagung.
Das Bureau konstituierte sich wie folgt :
1 . Vorsitzender : Paul Baumgarten-
Göttingen, 2. Vorsitzender: Edgar Herzog-
Leipzig, 1. Schriftführer: Meid er- Wien,
2. Schriftführer : Smirnoff- Berlin, Nord-
mey er -Leipzig und N e u fei d- Berlin,
Kassenrevisoren : Dr. Brunner- München,
B er gm ann- Leipzig. Am Nachmittag und
während der beiden folgenden Tage fanden
Sitzungen der verschiedenen Ausschüsse sowie
des Plenums statt. Auf Vorschlag der be-
züglichen Kommissionen wurde eine Ge-
schäftsordnung für die Verbandstage, ein
gemeinsames Vereinsabzeichen und ein Pro-
pagandaprogramm beschlossen, ferner nähere
Maßregeln festgelegt, um die ehemaligen
Vereinsmitglieder (Altmitglieder) dem Ver-
bände zu erhalten und in Fühlung mit ihnen
zu bleiben; das weitere Erscheinen der unter
der trefflichen Leitung des bisherigen Ver-
bandspräsidenten Paul Baumgarten-
Göttingen stehenden Monatsschrift „Vater-
land und Welt", von der bisher bereits vier
Nummern herausgekommen sind, wurde ge-
sichert und gleichzeitig bestimmt, daß diese
Zeitschrift als Organ des Verbandes zu
gelten habe, um das Zusammengehörigkeits-
gefühl der einzelnen Vereine und ihrer Mit-
glieder zu stärken. Zum Zwecke der Pro-
paganda aber habe wie bisher zu Beginn eines
jeden Semesters ein Heft : „Zur internatio-
nalen Kulturbewegung", herausgegeben vom
Leipziger Verein unter Führung seines Vor-
sitzenden, Edgar Herzog, zu erscheinen.
Es wurde das Detailprogramm der im Sommer
stattfindenden Studienfahrt nach Amerika
zum Kongreß der „Corda Fratres" be-
sprochen. Die mittelbare Führung dieser
Reiste hat das „Amt für Studienreisen ins
Ausland" der Deutschen freien Studenten-
schaft übernommen. Der Kongreß beschloß
auch, zur Erleichterung des brieflichen Ver-
kehrs der Mitglieder eine Liste sämtlicher
Vereinsmitglieder jährlich erscheinen zu
lassen.
Die Tätigkeit des Verbandes als der
Zentrale der Organisation wurde einer Neu-
regelung unterworfen. Man wollte der Ueber-
lastung eines einzigen Vereins, der als Vor-
ort bisher die gesamten Verbandsagenden zu
führen hatte, steuern und gleichzeitig ver-
hüten, daß die Zentrale mit jedem Jahre an
einen anderen Ort wandere und so eine ge-
wisse Inkontinuität Platz greife; man, griff
also zu einem! System der Dezentralisation der
Verbandsarbeit: München wurde als stän-
dige Adresse und Auskunftsstelle über
Studienfragen und Angelegenheiten des täg-
lichen Lebens für Studierende des In- und
Auslandes des Verbandes der Internationalen
Studentenvereine erklärt und ebendorthin die
Drucksachenzentrale verlegt; der Zweck der
218
<§s
DIE FR!EDEN5-^M&DTE
letzteren liegt darin, daß sämtliche Veröffent-
lichungen der einzelnen Vereine — die im von
der „Brücke" propagierten Weltformat zu
erscheinen haben — , nach dieser Zentrale
gesandt und erst von ihr versandt werden
sollen, um so einen Austausch der Erfah-
rungen und Arbeitsmethoden herbeizuführen.
Alle Publikationen haben im Monographie-
system zu erscheinen. Leipzig erhält die
Preßzentrale, Berlin das Verbandsarchiv,
während das1 Mitgliederarchiv vom Münchener
Verein geführt wird. Der Heidelberger Verein
wurde beauftragt, eine Monographie ,,Ueber
die Nutzbarkeit der Münchener , Brücke' für
die internationalen Studentenvereine" zu ver-
fassen, die im Weltformate erscheinen und
der Zeitschrift „Vaterland und Welt" an-
geheftet werden soll. Um die Bewegung
durch Zusammenschluß mit anderen inter-
nationalen Bestrebungen zu fördern, wurde
der Beitritt zur „Union des Associations
Internationales" in Brüssel erklärt. Schließ-
lich wurde die Einrichtung wissenschaftlicher
Abende nach Muster der „Garton Foundation"
beschlossen. Dr. Langdon D a w i e s , der
eifrige Mitarbeiter Norman Angells, hielt zur
Orientierung der Kongreßteilnehmer über das
Wesen dieser Stiftung einen längeren Vor-
trag und führte im Verlaufe desselben als
Grundgedanken dieser Bestrebungen folgen-
des an: „Daß der Krieg gottlos sei, wird
nicht von uns behauptet, da eine solche Be-
hauptung nicht zu unseren Bestrebungen ge-
hört. Daß der Krieg eine Täuschung oder
eine Unmöglichkeit sei, sagen wir auch nicht,
denn wir sind keine Idealisten. Wir suchen
nicht den Beweis dafür zu erbringen, daß
die Finanziers die Friedensstifter der Zukunft
seien und daß dies ein Segen sei; wohl aber
behaupten wir, daß das Kreditwesen mit
seinem Produkt, der Finanz, uns unmittelbar
die Wirkungen der nationalen und internatio-
nalen Politiken erkennen läßt und daß dies
ein nützliches Moment für das richtige
Studium von Ursache und Wirkung in der
Volkswirtschaft darstellt. . . . Die Gartonsche
Stiftung besteht darin, mittels Druckschrif-
ten, Vorlesungen, Organisationen usw. die
Erforschung der wirtschaftlichen und philo-
sophischen Faktoren der gegenseitigen Be-
ziehungen der zivilisierten Nationen zu för-
dern. Im Zusammenhang damit entwickeln
sich gegenwärtig in verschiedenen Teilen Eng-
lands zwei Hauptgruppen von Vereinigungen :
die War and Peace Societies oder Study
Circles zum Zwecke der Heranbildung der
Mitglieder im Sinne der Lehre zum Ein-
greifen bei Diskussionen, Vorträgen, po-
litischen Reden oder dgl. Die zweite Gruppe
richtet sich an weitere Kreise, indem' zur Mit-
gliedschaft _ alle jene zugelassen werden, die
sich für internationale Beziehungen inter-
essieren; sie lädt Redner aller möglichen
Ansichten zu ihren Diskussionen ein. . . .
Study Circles der ersten Art bestehen auch
an verschiedenen deutschen Universitäten,
deren Entstehung durch Norman Angells
Ausschreibung eines Preises für jede Vereini-
gung in Anerkennung des besten im Laufe
des nächsten Jahres abgefaßten Aufsatzes
ein weiterer Sporn verliehen ist. Diese Grün-
dungen gehen auf die Initiative der internatio-
nalen Studentenvereine zurück. Der Lohn
ihrer Tatkraft und Hingabe bei der Schöpfung
des Unternehmens wird sich voraussichtlich
in Gestalt einer Preiskrönung einstellen,
was aber weit we rtvoller ist, der
Verein wird das Bewußtseinhaben,
daß er bei der Einführung einer
der höchsten Bestrebungen des
zwanzigsten Jahrhunderts für die
Wohlfahrt der Menschheit an
erster Stelle stand. ... Das Prinzip,
das wir entwickeln — Sie in Deutschland und
wir in England — , erstreckt sich über die
ganze Welt. Wir gehen ja nicht darauf aus,
etwas zu vernichten, was die Menschen
schätzen, wir arbeiten nicht im Dienste eines
Teiles der Menschheit zum Nachteile des
anderen; wir wirken lediglich durch das
volle Medium der Wissenschaft, um auf festem
Grund und Boden das Zusammenwirken, die
Sicherstellung und den Frieden unter den
Völkern aufzubauen. . . ." Im Sinne dieser
englischen Anregung wurde festgelegt, daß
jeder Verein, der wissenschaftliche Abende
auf Grund der Lehren Norman Angells ver-
anstaltet und fünf Arbeiten aus dem Kreise
seiner Mitglieder über Themen aus Angells
Buch: „Die große Täuschung" bis 31. De-
zember 1913 einliefert, als Preis für die beste
dieser Arbeiten 100 M. zur Verfügung er-
hält. Als Preisrichter ist möglichst ein Pro-
fessor der Nationalökonomie der Universität
der betreffenden Vereinsstadt zu gewinnen.
Zur Anleitung und Hilfe bei Veranstaltung
dieser wissenschaftlichen Abende ist die
Herausgabe eines Büchleins in Aussicht ge-
nommen.
Die Neuwahlen in den Vorstand des Ver-
bandes ergaben als Resultat : Vorsitzender
cand. phil et hist. Edgar Herzog für den
Vorort Leipzig, Beisitzer: für Berlin: med.
A 1 p e r n und phil. Paranype, für Bonn :
jur. V i r m i c h , für Freiburg : Dr. phil. M e g,
für Göttingen : phil. Löwenstein, für
Heidelberg : med. Dierksen, für München :
jur. L emm er.
Zum Ort der nächsten Tagung wurde
München bestimmt.
Nach einer Reihe von Besichtigungen
und geselligen Veranstaltungen folgte eine
Studienfahrt nach Weimar, die alle, die
an ihr teilnahmen, in eine weihevolle Stim-
mung versetzte. Sie wird uns stets un-
vergessen bleiben.
219
DIE FBIEDENS -WASTE =
\3
Brief aus den Miederlanden.
Von Dr. de J o n g van Beek en Donk,
Ministerialrat des niederländischen Justiz-
ministeriums, Haag.
(Der nächste Friedenskongreß. — Die Küsten-
verteidigungsvorlage. — Die Friedensfeier vom
22. Mai.) '
Ein Brief aus den Niederlanden muß
sich in dieser Zeit notwendigerweise auf den
nächsten Weltfriedenskongreß beziehen, der
vom 18. bis1 zum 23. August im Haag statt-
finden wird und der im Jahre 1913, in dem
so viele internationale Kongresse in Holland
tagen werden, ohne Zweifel im Interesse des
niederländischen Volkes eine erste Stelle
einnehmen wird.
Wir holländischen Pazifisten fühlen nicht
nur immer mehr, an welchem bevorzugten
Platz wir in der Friedensbewegung stehen,
sondern zugleich, welche schwere Pflichten
auf uns ruhen. Bei uns gibt es keine mili-
tärische Partei, die den Krieg nicht als ein
Uebel empfinden würde. Die Einwohner
unseres kleinen Staates wissen ja zu gut, daß
die beste Gewähr für die Erhaltung unserer
Unabhängigkeit in der Verbesserung der
internationalen Rechtsorganisation und in der
allmählichen Entwicklung des internationalen
Gerechtigkeitsgedankens liegt. Wir sind da-
her nicht, wie unsere Freunde in anderen
Ländern, der Gefahr ausgesetzt, als anti-
patriotisch gescholten zu werden, wenn wir
unsere Landsleute anregen,, sich der Be-
wegung für internationales Recht und für
internationale Gerechtigkeit anzuschließen.
Aber außerdem hat der holländische
Pazifist auch unter denen der anderen kleinen
Staaten eine besondere Stellung inne. Wir
genießen den großen Vorzug, in unserer Mitte
die Friedenskonferenzen und schon zwölf
Sitzungen des Haager Schiedshofes gehabt
zu haben. Wir haben den Vorzug, daß sich
hier im Haag der Friedenspalast erhebt, der
der Sitz der künftigen Friedenskonferenzen
und der künftigen Zusammenkünfte des inter-
nationalen Schiedshofes sein wird. Also
haben wir, wie die holländische Rednerin
in der vor einigen Tagen unter Vorsitz der
Mrs. May Wright Sewall mit großem
Erfolg stattgehabten öffentlichen Versamm-
lung des Internationalen Frauenbundes be-
merkte, in unserem Lande als Tatsachen ge-
sehen, was das Resultat der riesenhaften
Friedenspropaganda in allen Ländern zu-
sammen gewesen ist. Die niederländische
Bevölkerung ist jedesmal Zeuge des Heran-
wachsens der internationalen Rechtsorgani-
sation; sie hat die Gelegenheit, selbst zu
sehen und ganz nahe zu beobachten, daß die
Pazifisten nicht nur hohe Ideale anstreben,
sondern auch schon viel erreicht haben. Ist
es nun ein Wunder, daß die Friedenspropa-
ganda bei uns' so fruchtbaren Boden findet ?
Weil die Propaganda in unserem Lande
so erleichtert wird, ist es für uns eine um)
so größere Pflicht, alle unsere Kräfte an-
zuspannen, wenn wir in einer bestimmten
Weise in der internationalen Friedensorgani-
sation tätig sein können, wie jetzt bei der
Vorbereitung des XX. Weltfriedenskon-
gresses.
Selbstverständlich war es unsere erste
Pflicht, dafür zu sorgen, daß der Kongreß
von offizieller Seite die Sympathiebeweise
empfange, die er mit Recht beanspruchen
kann. In dieser Hinsicht haben wir zweifel-
los Erfolg gehabt. Der Prinz-Gemahl hat
das1 Protektorat des Kongresses — ein Sym-
pathiebeweis des königlichen Hauses — an-
genommen. Der Ministerpräsident Heems-
kerk ist Vorsitzender des Ehren-Komitees,
dem unter anderen noch angehören: die
Vorsitzenden der ersten und der zweiten
Kammer der Volksvertretung, der Vize-
präsident des Staatsrates, die Mitglieder des
internationalen Schiedshofes, die Ehren-Vor-
sitzenden der ersten und der zweiten Frie-
denskonferenz, de Beaufort und van
Tets, die Delegierten der Friedenskonfe-
renzen Asser und van Karnebeck,
die ,, Kommissarien der Koningin" der Pro-
vinzen von Nord- und Süd-Holland, die
Bürgermeister vom Haag, von Amsterdam',
Rotterdam und Delft, dem Geburtsort von
Grotius, die höchste protestantische, ka-
tholische und israelitische Geistlichkeit, der
Vorsitzende der niederländischen Handels-
bank u. a. iri. Obwohl die vielen nachteiligen.
Gerüchte über den Genfer Weltfriedens-
kongreß, die in viel größerem Maße, als es
gerechtfertigt erschien, verbreitet worden
sind, zur Folge hatten, daß 'dem Kongreß eine
finanzielle Unterstützung seitens der Regie-
rung verweigert wurde, und wir uns infolge-
dessen fragen mußten, ob die Würde der
Friedensbewegung es unter diesen Umständen
überhaupt noch gestatte, den Kongreß in
Holland abzuhalten, haben alle einfluß-
reichen Persönlichkeiten durch ihren bereit-
willigen Beitritt zum Ehren-Komitee geholfen,
diese Zweifel zu überwinden. Der vereinzel-
ten Anschauung des Ministers des Aus-
wärtigen Amtes über die Bedeutung des
Kongresses durfte, allen diesen offiziellen
Anerkennungen gegenüber, kein zu großes
Gewicht beigelegt werden.
Es sei hier noch besonders erwähnt, daß
die drei größten Gemeinden unseres Landes,
Amsterdam, Rotterdam und Haag, wie auch
Delft den Kongreß offiziell zu empfangen
hoffen, und daß die Regierung so wohl-
wollend gewesen ist, den „Ridderzaal", in der
die zweite Konferenz ihre Versammlung ab-
hielt, für die Eröffnungssitzung zur Ver-
fügung zu stellen. Als gemeinschaftliche
Ausflüge, die zur Förderung der gegenseitigen
Bekanntschaft auf jeder internationalen Zu-
sammenkunft notwendig sind, werden ge-
220
<§:
= DIE FRI EDENS -WABXE
plant: ein Besuch im alten, dem Haag nahe
gelegenen Städtchen Delft, woran sich eine
Huldigung für Grotius anschließen wird,
eine Dampfschiffahrt durch den Rotterdamer
Hafen und eine solche von Alkmaar nach
Amsterdam, durch die charakteristischen
holländischen ,,Zaanstreek" mit ihren zahl-
losen alten Mühlen.
Wenn wir also erwarten dürfen, daß es
an Ehrenbezeugungen und geselligen Ver-
anstaltungen nicht fehlen wird, so drängt
sich die Frage auf, welches die große und
tiefe Bedeutung dieses XX. Weltfriedens-
kongresses sein wird ?
Außer der nicht gering zu achtenden.
Gelegenheit zur persönlichen Bekanntschaft
der Pazifisten der ganzen Welt muß der
Weltfriedenskongreß meiner Ansicht nach,
drei Forderungen erfüllen :
1. Der Kongreß muß einen großen pro-
pagandistischen Einfluß haben;
2. er muß zu einer Vertiefung des Stu-
diums jener Probleme beitragen, die, will
die Friedensbewegung ihr Ziel erreichen, eine
Lösung erfordern;
3. er muß ein gewisses Aktionsprogramm
festsetzen, nach welchem sich die Pazifisten
der gesamten Welt in nächster Zukunft zu
richten haben werden.
Was nun den propagandistischen Einfluß
betrifft, der von dem1 Kongresse ausgehen
muß, ebenso wie die Förderung der auf den
Frieden bezughabenden Probleme, so kann
man dem XX. Weltfriedenskongreß nur mit
Vertrauen entgegensehen.
Es ist uns gelungen, ein Preßkomitee
zu bilden, woran, neben Journalisten, einige
der fremden Sprachen mächtige Damen und
Herren teilnehmen werden, die in die zu
behandelnden Probleme eingedrungen sind,
wodurch wir imstande zu sein hoffen, jeden
Tag eine verläßliche, sachliche Uebersicht
an die Auslandspresse senden zu können. Und
unzweifelhaft werden die in der Märzversamm-
lung von der Internationalen Kommission des
Berner Bureaus gefaßten Beschlüsse — daß
nur jene Aktualitäten behandelt werden
sollen, die die Internationale Kommission zur
Ausführung zu bringen hat, daß die Kom-
missionen zwei Tage vor der Eröffnungs-
sitzung zu einer gründlichen Besprechung
der zuvor gedruckten und an die Teilnehmer
gesandten Berichte zusammenkommen, und
daß nur eine kleine Anzahl Vorlagen zur
Besprechung gebracht werden sollen — zur
Folge haben, daß diese Uebersicht der De-
batten in der Tat einen rein propagan-
distischen Anstrich tragen wird. Hierzu
kommt noch zum Schlüsse, daß die Bericht-
erstatter ohne Ausnahme Männer von so
großer Bedeutung sind, daß in der Tat er-
wartet werden kann, daß deren Berichte nicht
wenig zur Lösung der vielen schwierigen
Probleme beitragen werden. Wenn man weiß,
daß niemand andere wie La Fontaine,
Arnaud, Prof. de Maday, Prof. van
Vollenhoven, Fried, Le Foyer, Yves
Guyot, Norman Angell und Prof.
Q u i d d e die Berichterstatter sein werden,
wird man dies ohne weiteres zugeben müssen.
Schade, daß man noch nicht bestimmt
sagen kann, ob auch in Beziehung auf den
dritten Punkt ein günstiger Einfluß vom
XX. Weltfriedenskongreß ausgehen wird.
Doch ist es, glaube ich, die allererste Be-
dingung unserer Bewegung, daß mehr Kraft-
konzentration Platz haben muß als bis jetzt
der Fall ist, wozu der Weltfriedenskongreß
an allererster Stelle mitwirken kann.
Ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm
muß von dem folgenden Weltfriedens-Kon-
gresse ausgehen, auf daß die Ratschläge und
Beschlüsse nicht nur theoretisch von ^großer
Bedeutung bleiben, sondern auch sofort prak-
tische Ausführungen zur Folge haben.
Zum Schlüsse noch einige Mitteilungen,
die nicht mit dem Kongresse in Verbindung
stehen.
Eine der letzten Taten der scheidenden
zweiten niederländischen Kammer der Gene-
ralstaaten war die Annahme eines Gesetz-
entwurfes, wobei die Ausgabe von 12 Millio-
nen Gulden zur Verbesserung der Küsten-
verteidigung bewilligt wurde, hauptsächlich,
um unsere Neutralität im Falle eines See-
krieges ungehindert durchzuführen.
Die Beratung war besonders dadurch
interessant, weil der Kriegsminister C o 1 y n
die Erklärung abgab, daß, falls die großen
Staaten zu einer Entwaffnung schreiten
würden, er der erste wäre, diesem1 Beispiel
zu folgen, wodurch also der Kriegsminister
vollkommen von dem Standpunkte, der durch
viele militärische Autoritäten noch immer
verteidigt wird, abging, daß nämlich Kriege
für den Fortschritt der Menschheit not-
wendig seien.
Eine besonders pazifistische Rede hielt
der frühere Minister des Auswärtigen Amtes,
de Beaufort, der diese Ausgaben für über-
flüssig hielt, da, seiner Ansicht nach, ein
großer europäischer Krieg nicht mehr mög-
lich sei. Als Beweis dafür führte dieser
Staatsmann den guten Ablauf der Balkan-
krisis an, worin doch so viele Gelegen-
heiten für das1 Ausbrechen eines Krieges, falls
dieser gewünscht wurde, gegeben waren.
Der Führer der Sozialdemokraten,
Troelstra, wies wiederum auf die großen
Wohltaten hin, die mit dem für militärische
Ausgaben bestimmten Gelde dem Volke er-
wiesen werden könnten, und glaubte seiner-
seits auch nicht, daß ein großer Staat es
wagen würde, sich an die Unabhängigkeit
eines kleinen Kulturstaates zu vergreifen, da
die Kultur eines kleinen Volkes für den
Fortschritt der Menschheit nicht zu missen
wäre.
221
DIEFßlEDENS-^fc/^JirE
!§>
Verschiedene bekannte, den Regierungs-
parteien angehörende Pazifisten, unter denen
sich auch der 2. Vorsitzende von dem
Bunde „Vrede door Recht", Herr Dr. Van
Asch van Wyck, befand, stimmten für
den Entwurf. Obschon ich persönlich die
mehr optimistischen Auffassungen der Herren
de Beaufort und Troelstra teile, so
glaube ich doch wohl, daß man diese Frie-i
densanhänger wegen ihrer Abstimmung nicht
streng beurteilen darf. Man kann sehr wohl
ein überzeugter Pazifist sein, und doch damit
rechnen, daß bei den so oft drohenden inter-
nationalen Verwicklungen ein kleiner Staat
in die Notwendigkeit versetzt ist, für eine
Verstärkung seiner Verteidigungsmittel Sorge
zu tragen. Es wäre bloß zu wünschen, daß
diese Parlamentsmitglieder sich einmal die
Frage stellten, ob es nicht vernünftiger sei,
wenn der kleine Staat jährlich zugleich mijt
den Millionen für militärische Zwecke einige
tausend Gulden zur Förderung der Friedens-
bewegung aussetzen würde, die, wenn ein-
mal ihr Ziel erreicht ist, jährlich Millionen
retten wird.
Der 22. Mai war bei vielen Pazijfisten
vollkommen dem Frieden gewidmet. Des
Morgens fand eine dicht besuchte allgemeine
Jahresversammlung des Bundes „Vrede door
Recht" statt, worauf unter anderem1 be-
schlossen wurde :
a) an die Niederländische Regierung ein
Gesuch zu richten, mit allen Kräften fördern
zu wollen, daß sobald als möglich die Inter-
nationale Kommission zur Vorbereitung der
dritten Friedenskonferenz ins Leben ge-
rufen werde;
b) ein genaues und unparteiisches Stu-
dium des Problems, eine internationale Po-
lizeimacht zu errichten;
c) jedes Jahr einen nationalen Friedens-
kongreß zu organisieren.
Mittags fand die Debatte zwischen
Prof. van Vollenhoven und Prof. Struycken
über die internationale Polizei statt, die sehr
großem Interesse begegnete.
Des Abends fand gelegentlich der Zu-
sammenkunft des Internationalen Frauen-
bundes unter der begeisternden Leitung von
Mrs. May Wright Sewall eine große
öffentliche Versammlung, die sich mit Friede
und Schiedsgericht befaßte, statt, die ein
außergewöhnlich großes Interesse fand. Als
Sprecherinnen traten auf: Mrs. May Wright
Sewall (Amerika) selber, Frau von Hainisch
(Oesterreich), Frau Ella Anker (Norwegen),
Mrs. Courtice (Kanada), Frau Zipernowsky
(Ungarn), Mlle. L. La Fontaine (Belgien)
und Mevrouw de Jong van Beek en Donk
(Holland).
){\){. Lake-Mohonk-Konferenz.
Von Henry S. Haskell, New York.
Die XIX. Jahreskonferenz für inter-
nationale Schiedsgerichtsbarkeit wurde am
Mohonksee am 14. Mai eröffnet. In den ver-
gangenen Jahren war es gebräuchlich, daß nur
ein Präsident allen in den drei Tagen abge-
haltenen Sitzungen vorstehe. Dieses Jahr wurde
iür jede einzelne Sitzung je ein hervorragender
Präsident gewählt. Es waren dies:
Rev. Dr. Lyman Abbott, New York,
Herausgeber des ,, Outlook",
I. Allen Baker, London, Parlaments-
mitglied,
James Brown Scott, Washington, Se-
kretär der Carnegie-Stiftung,
Dr. Charles W. Eliot, Cambridge, Prä-
sident der Harvard-Universität,
Hon. Charlemagne Tower, Philadelphia,
früherer Botschafter in Deutschland,
Dr. James M. Taylor, Poughkeepsie,
Präsident des Vassar College.
Bei Eröffnung der Konferenz gab Lyman
Abbott einen kurzen Ueberblick über die
früheren Konferenzen, dabei an eine im Jahre
1895 getane Aeußerung des verstorbenen
Albert Keith Smiley erinnernd: „Dies ist
eine Konferenz für internationale Schieds-
gerichtsbarkeit; keine gegen die Greuel des
Krieges oder für den Frieden um jeden Preis."
Er bezog sich auf das Drama Mrs. Trasks)
,,In The Vanguard" und sagte: „Wenn einem
einzelnen Soldaten das Recht zugesprochen
wird, alle ihm zur Verfügung stehenden
Kräfte zu benützen, um ein Mädchen vor
einem beschimpfenden Kuß zu bewahren,
dann kann es nicht als Unrecht angesehen
werden, wenn das bulgarische Volk seiner-*
seits alle Kräfte aufbietet, um eine Ent-
führung seiner Frauen und Töchter aus ihrem
Heim in türkische Harems zu verhindern."
Dr. Abbott trat nachdrücklich ein für
internationale Gerechtigkeit und internatio-
nales Gewissen, durch welche erst der inter-
nationale Frieden gezeitigt werden würde.
Dr. James Brown Scott sprach über
die künftigen Fortschritte der Konferenz.
„Unser Werk", sagte er, „wird jetzt eine all-
gemeine öffentliche Meinung wecken, die
die schiedsgerichtliche Schlichtung aller
internationalen Differenzen fordern wird, um
die schon geschaffene Maschinerie der
Schiedsgerichtsbarkeit wirksam und prak-
tisch am Werke zu sehen. Die Praxis des
Schiedshofes soll vom Kompromiß zur richter-
lichen Aktion entwickelt werden.
Ansprachen über die nahende Jahrhun-
dertfeier des anglo-amerikanischen Friedens
wurden von H. S. Perris, englischem Se-
kretär des Komitees,' und von Andrew
B. H u m ph r e y , amerikanischem Sekretär
des Komitees, gehalten. Perris lenkte in
einer schwungvollen und logisch gegliederten
222
<5G
DIE FRI EDENS ->fc*XRTg
Rede die Aufmerksamkeit der ganzen Welt
auf das, was dieses Jahrhundert des Friedens
lehrt, auf die über fast viertausend Meilen
unbefestigte Grenze zwischen Kanada und
den Vereinigten Staaten und auf verschiedene
Arten von Streitigkeiten, die durch das
Schiedsgericht erledigt wurden.
Prof. James M. Callahan schilderte
die Geschichte der Schiedsgerichtsbarkeit
zwischen Großbritannien und den Vereinigten
Staaten im verflossenen Jahrhundert.
Edward Ginn, Boston, erörterte die
Mittel, um den Zweck und den Einfluß der
internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und
das Zusammenwirken derjenigen wachsen zu
lassen, die nach dieser Richtung arbeiten.
Um die Erzwingung der Schiedsurteile zu
ermöglichen, schlug er vor, daß jede Nation
ein Zehntel ihrer Militär- und Flottenmacht
dem Hof zur Verfügung stellen sollte. Die
Verfügung über die restlichen neun Zehntel
soll jeder einzelnen Nation vorbehalten
bleiben, bis diese sie freiwillig vermindern
oder ganz streichen würden.
Am Nachmittag des 14. Mai fand eine
einfache,, aber würdige Feier zur Erinnerung
an den verstorbenen Albert Keith S m i 1 e y
statt, der die Lake Mohonk-Konferenzen ins
Leben gerufen hat. Dr. Eimer Brown
sprach über Smileys edles Werk zugunsten
der amerikanischen Indianer. Dr. Lyman
Abbott schilderte S m i 1 e y als einen
Idealisten und Tatmenschen.. Bei einer spä-
teren Sitzung wurden diesbezügliche Sym-
pathie-Resolutionen angenommen.
Der Abendsitzung vom 14. Mai präsi-
dierte J. Allen Bake r. Er erstattete einen
begeisterten und sehr interessanten Bericht
über die Beratungen des britisch-ameri-
kanischen Komitees für die Feier des ersten
Jahrhunderts des Friedens, und fügte noch
hinzu, daß auch das anglo-deutsche Freund-
schaftskomitee sehr viel getan habe, um herz-
liche Beziehungen zwischen England und
Deutschland anzubahnen.
"Prälat Dr. Alexander G i e ß w e i n von
Budapest sprach über „Christentum in der
Friedensbewegung" und überbrachte die
Grüsse der ungarischen Friedensgesellschaft,
deren Präsident er ist.
H enri Bourassa, Führer der fran-
zösischen canadischen Nationalistenpartei, Mit-
glied der Quebeker gesetzgebenden Körper-
schaft und Herausgeber des „Le Devoir" in
Montreal, spielte auf den Mangel an inter-
nationalem Einfluß an, den Canada vormals
infolge seiner besonderen geographischen
Lage besaß. Er führte aus, daß in Zukunft
Canada einen wichtigen Anteil an den ameri-
kanischen Angelegenheiten der Welt über-
haupt nehmen würde, und daß es der Sache
des internationalen Schiedsgerichtes helfen
wolle. Ferner begründete Bourassa,
warum Canada keine Schiffe für die britische
Flotte liefern wolle.
William R. Shepherd, Historiker an
der Columbia- Universität, behandelte in einem
außerordentlich interessanten Bericht, der die
Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten
und den Republiken Latein-Amerikas be-
leuchtete, die unter dem Namen „Monroe
Doktrin" bekannte Politik. Er hält die
„Monroe Doktrin" nicht für die Schieds-
gerichtsbarkeit geeignet.
Norman A n g e 1 1 , (Ralph Lane), Paris,
Verfasser von „Die große Täuschung" (die
falsche Rechnung) skizzierte einige praktische
Methoden, um die öffentliche Meinung richtig
zu informieren. Darunter befanden sich:
eigene Leitfaden für die Schulen; systema-
tischen Unterricht in Mittelschulen und an
Universitäten, mit Schaffung von Lehrstühlen
für die Wissenschaft der internationalen Be-
ziehungen.
Bei der Morgensitzung des 15. Mai prä-
siderte Dr. James Brown Scott. Er gab ein
klares und überzeugendes Resume der Grund-
sätze, die bei der dritten Haager Konferenz
befolgt werden sollten.
William C. Dennis, vom Washingtoner
Barreau legte allen dringlich nahe, ihren Ein-
fluß bei der Regierung dahin geltend zu
machen, daß sie die dritte Haager Konferenz
vorbereiten helfe. Zwei Gegenstände sollten
vor allem in Erwägung gezogen werden:
1. Die Regulierung des Krieges mit be-
sonderem Bezug auf die Vorbereitungen zum
Krieg, Beschränkung der Rüstungen und Ge-
setze für die Kriegsführung.
2. Ersatz des Krieges durch richterliches
Verfahren, durch Hinweis auf den Zweck des
Schiedsgerichtes und durch Verbesserung des
Systems und des Verfahrens der Schiedsge-
richtsbarkeit.
Er glaubt, daß durch die Ausnahme des
Privateigentums von der Seebeute ein Einfluß
gegen den Krieg wegfalle, indem dadurch die
Furcht vor einem wirtschaftlichen Verlust im
Kriegsfall beseitigt werden würde.
Hon. Jackson H. Ralston L. L. D., be-
zeichnete den Krieg als ein Verbrechen, ein
Uebel, einen Wahnsinn. Jene, die Verbrechen
begehen wollen, werden kein Strafgesetz er-
finden, und Herrschern, die Kriegsmache be-
treiben, sollte es nicht gestattet werden, Anti-
Kriegsverträge für andere Nationen zu bilden.
Die Rechte der Neutralen müßten den Rechten
der Kämpfenden vorgehen. Blockaden sind
ungerecht, denn sie schädigen die Rechte der
Neutralen.
„Die Kodifikation der Regeln und Ge-
bräuche im Seekrieg" hieß der Titel des
Berichtes von^Prof. Dr. Arnos. S. Hershey,
von der Indiana State Universität. """
Arthur K. Kuhn vom New- Yorker
Barreau erläuterte den Entwurf für einen inter-
nationalen Staatengerichtshof, der nicht als
ein Ersatz für den bestehenden Haager Hof
zu gelten habe, sondern als ein neues und
223
DIE FRIEDENS -^ÄDTE =
3
ergänzendes Organ, das mit internationaler
Sanktion die friedliche Schlichtung von Streitig-
keiten zwischen Nationen durchzuführen haben
wird.
Der Hof für Schiedsgerichtsbarkeit hätte,
einmal ins Leben gerufen, obligatorische Ge-
richtsbarkeit über eine beschränkte Anzahl von
Gegenständen, über die man sich noch
schlüssig werden würde, auszuüben.
Ein Aufruf für die Freiheit der Luft, zum
Verbot der Verwendung der Luftschiffe im
Krieg wurde von Edwin D. Mead, Bbston,
Direktor der World Peace Foundation, einge-
bracht. Mead wandte sich dann in einer
sehr logischen Rede gegen die Gelddarlehen
der Neutralen an die Kriegführenden, was
durch ein internationales Uebereinkommen ver-
boten werden sollte.
Bei Eröffnung der Abendsitzung vom
15. Mai sprach Dr. Charles W. ETio t über
„Wie die Ursachen des Krieges auszurotten
wären." Er führte sehr beredt aus, daß ein
internationales Uebereüikommen abge-
schlossen werden müsse zur Beschränkung
der Rüstungen und zur Errichtung eines inter-
nationalen Staaten-Gerichtshofes, der durch
internationale Macht unterstützt werden
sollte. Die Erziehung der Massen, öffent-
liche Arbeiten für Erhaltung und Vorbeuw
gungsmaßregeln würden, wenn auch langsam,
folgen. Der Fortschritt des Völkerrechts,
und einer wirtschaftlichen und industriellen
Gesetzgebung, die Annahme und ehrliche
Durchführung der Politik der „Offenen Tür"
und die Vermehrung der Gelegenheiten zum
gegenseitigen Kennenlernen wie des guten
Willens zwischen den Völkern sind Mittel,
durch welche Kriege unmöglich gemacht wer-
den können,. '
Heinrich York-Steiner, Wien, be-j
faßte sich mit der amerikanischen Einwände^
rung, indem1 er mit Nachdruck auf den Ver-
lust an Menschenleben in den Bergwerken,
und Faktoreien der Vereinigten Staaten hin-«
wies1 und gerechte Gesetze zum1 Schutze der
Arbeiter verlangte.
Hon. P. P. Claxton, Unterrichts-
minister der Vereinigten Staaten, schlug
vor, daß ein Buch, betreffend die Ur-
sachen, die Kosten und die Ergebnisse des!
Krieges' und des bewaffneten Friedens in den
Lehrplan der Volks1- und Mittelschulen auf-i
genommen werde. Es sei auch eine Aende-
rung in der Lehrmethode für Geschichte und
Geographie notwendig. Junge Schüler sollten
über die wahre Auffassung der Bürgerpflich-
ten, Ehre und des' Patriotismus belehrt wer-
den. „Gerechtigkeit als Grundlage des inter-,
nationalen Friedens" war der Inhalt eines,
Referates von Felix Adl er , Professor für
soziale und politische Ethik an der Columbia-
Universität. Dr. Adler gab der Meinung
Ausdruck, daß sentimentale und wirtschaft-
liche Einflüsse nicht imstande wären,, die
öffentliche Meinung zu erwecken, daß aber
ein Appell an die Gerechtigkeit zwischen allen
Nationen die beste Methode sei^ den Welt-
frieden zu sichern. Ami Schlüsse der Rede
Dr. Adlers bemerkte der Präsident
Dr. Eliot: „ES ist mehr Hoffnung zu setzen
auf internationale Gerechtigkeit als auf ge-
sunde Wirtschaftsverhältnisse."
Der Gegenstand der Beratung vom
16. Mai war: „Panamazölle und internatio-
nale Schiedsgerichtsbarkeit.". Der Präsi-
dierende, Hon. Charlemagne Tower, gab
eine klare Darstellung der Geschichte aller
diesen Gegenstand behandelnden Schieds-
verträge. Am Schlüsse sagte er: „Es ist
hier nicht die Frage, ob wir ein gutes oder
schlechtes Geschäft machen, aber es ist für
das amerikanische Volk von größter Wich-
tigkeit, daß die Regierung der Vereinigten
Staaten ihren Verpflichtungen, nachkommt
und ihre internationalen Verbindlichkeiten
loyal austrägt."
Thomas Raeburn White aus Phila-
delphia gab einen Ueberblick aller gegen die
schiedsgerichtliche Austragung der Panama-
Zollfrage gerichteten Argumente und wider-
legte sie durch bewundernswürdig logische
und unerschütterliche Gegenbeweise.
Der Bevollmächtigte für Panama-Handel
und Zölle der Vereinigten Staaten, Emory
R. Johnson, sprach über den vorgeschla-
genen Widerruf der Zollbefreiungsklausel und
der wirtschaftlichen Auffassung dieser Frage.
Indem er die Befreiung als tatsächliche und
unmittelbare Unterstützung der Küstenschiff-
fahrt ansah, brachte er verschiedene zwin-
gende Argumente zugunsten des Widerrufs
der Befreiungsklausel auf rein wirtschaft-
licher Grundlage.
Hon. Joseph R. Knowland, Mitglied
des Kongresses von Kalifornien, verteidigte
die Zollbefreiungsklausel als innerhalb der
Vertragsrechte der Vereinigten Staaten
liegend und als wirtschaftlich gerechtfertigt.
Er befürwortete aber trotzdem die schieds-
gerichtliche Austragung dieser Frage wegen
ihres Zusammenhanges mit dem Hay-Paunce-
fote-V ertrag.
Der Herausgeber der New York World,
Don C. S e i t z , richtete einen geharnischten
Angriff gegen jene Personen, die zur Zeit,
als die Vereinigten Staaten die Panamakanal-
Zone erwarben, an der Regierung waren. Er
beklagte sich darüber, daß der kolumbischen
Republik schweres Unrecht zugefügt wurde
und verlangte, daß dies gutgemacht werde.
Bei der nun folgenden Debatte erklärten
Dr. Lyman Abbott und ehester, Admiral
der Flotte der Vereinigten Staaten, daß die
Regierung der Vereinigten Staaten nichts ge-
tan habe, um die Panamarevolte hervor-
zurufen, und daß eine Verletzung der Ver-
tragsrechte nicht erfolgt sei.
Edwin D. Mead lenkte die Aufmerksam-
keit auf die öffentliche Darlegung Joseph
H. Choates, um allen am Hay-Paunce-
224
<£
= DIE FRIEDENS-^M^RXE
fote Vertrag Interessierten klarzumachen,
daß alle Nationen, inklusive der Vereinigten
Staaten, den Kanal zu gleichen Bedingungen
benützen können. Dr. Ernst Richard,
Lektor an der Columbia-Universität, führte
aus, daß kein Grund vorhanden wäre, zu
glauben, daß der Haager Schiedshof den Fall
nicht absolut unparteiisch behandeln würde,
wenn ihm die Zollfrage unterbreitet werden
sollte.
Die Abendsitzung vom 16. Mai unter
dem Vorsitz von Dr. James M. Taylor
war den Komiteeberichten, der Annahme einer
Resolution und einem interessanten Referat
über „Vertragsverpflichtungen und Schutz der
Ausländerrechte durch die Vereinigten
Staaten" von George Crafton Wilson, Pro-
fessor für Völkerrecht an der Harvard-Uni-
versitätj gewidmet.
Das Komitee für Handelsorganisationen
unterbreitete seine Beschlüsse, die von der
Konferenz gebilligt wurden.
„Daß eine wirksame Zentrale für die
Verbreitung von Informationen betreffend
die durch den Krieg gefährdeten wirtschaft-
lichen Interessen geschaffen werde.
Daß die Regierung der Vereinigten
Staaten aufgefordert werde, ihren schwer-
wiegenden Einfluß ' dahin geltend zu
machen, um ein internationales Ueberein-
kommen zu sichern, das Geldanleihen oder
""Waffenlieferungen durch Nationen irgend
eines Landes an eine kriegführende Macht
verbietet."
Die durch die Konferenz angenommene
P 1 a t f o r m hat folgenden Wortlaut :
"1. Der Staatssekretär der Vereinigten
Staaten möge die Nationen, die an der
zweiten Haager Konferenz teilnahmen, auf-
fordern, unverzüglich das von dieser
empfohlene internationale Vorbereitungs-
Komitee zu bilden mit der Aufgabe, ein
Programm für die dritte Haager Konferenz
zu entwerfen, den Staaten zu unterbreiten,
und einen Organisationsplan für die Kon-
ferenz selbst auszuarbeiten.
2. Der Staatssekretär möge dafür Sorge
tragen, daß dem internationalen Vorbe-
reitungskomitee ehestens eine Aufstellung
der Fragen, die die Vereinigten Staaten
auf der dritten Haager Konferenz erörtert
haben möchten mit einer Liste der von den
Vereinigten Staaten zu jedem Gegenstande
gemachten Vorschläge zugeht.
3. Die dritte Haager Konferenz möge
die Frage eines allgemeinen Schiedsvertra-
ges wieder erwägen, wie dieser in Ueberein-
stimmung mit den Grundsätzen der obliga-
torischen Schiedsgerichtsbarkeit einstimmig
durch die zweite Haager Konferenz ange-
nommen wurde, wodurch der Schieds-
gerichtsbarkeit Streitigkeiten juristischer
Natur ohne Einschränkung unterbreitet wer-
den, oder solche, die sich auf die Auslegung
und Anwendung internationaler Verträge
beziehen, ebenso auf andere Konflikte, die
für eine schiedliche Regelung zugänglich
erscheinen.
4. Der im Prinzip von der zweiten
Konferenz angenommene Staatengerichtshof
möge errichtet werden, um Streitigkeiten
rechtlicher Natur auszutragen, ohne daß
der ständige Schiedshof dadurch beein-
trächtigt werde.
5. Die Frage der Freigabe des zur
See erbeuteten feindlichen Privateigentumes
möge auf der dritten Haager Konferenz
neuerdings erörtert werden.
6. Im allgemeinen möge die dritte
Haager Konferenz größeren Nachdruck
auf Maßregeln legen, durch welche der
Friede aufrechterhalten oder, wenn einmal
gestört, wiederhergestellt wird, als auf
Kriegsreglementierung.
Im ganzen kann die Konferenz als sehr
erfolgreich angesehen werden. Der Verlust
des verstorbenen Albert Keith S m i 1 e y
wurde von allen Anwesenden tief empfunden.
Der freie Gedanken- und Ideenaustausch war
ebenso herzlich wie in früheren Jahren. Der
Gastgeber, Daniel Smiley, führte aus, daß
dieselben hohen Ideale, dieselbe gute Kame-
radschaftlichkeit und Herzlichkeit und das-
dasselbe tiefe Eindringen in die Probleme
jetzt wie vormals die Lake Mohonk-Konfe-
renz beseelen.
Offizielle Kundgebung
für die Veranstaltung der Feier
des ersten Friedensjahrhunderts
zwischen Großbritannien und den
Vereinigten Staaten.
New York, 10. Mai 1913.
Die Vertreter von Großbritannien, von
Neufundland, der Vereinigten Staaten, von
Kanada, von Australien und des Gemeinde-
rats von Gent, die über eine würdige Feier
des' hundertjährigen Bestandes des den letz-
ten Krieg zwischen Großbritannien und
Amerika beendenden Vertrages zu Gent be-
ratschlagten, beschlossen, alle zivili-
siertenVölker z urTeilnahme auf-
zufordern, damit diese Feier in jeder
Weise würdig der Bedeutung dieses Jahr-
hunderts des Friedens sei.
Wir fordern letzten Endes auch deshalb
zur Teilnahme auf, damit die öffentliche Mei-
nung klar und deutlich darüber informiert
werde, daß die Zeit zur Schlichtung selbst
sehr ernster internationaler Streitigkeiten und
Rivalitäten ohne Blutvergießen und ohne
Kriegsgreuel gekommen sei. Wenn es auch
225
DfE FBIEDENS-^/ABTE =
■EE©
unvernünftig wäre, die Möglichkeit künf-
tiger Konflikte und Mißverständnisse zu be-
streiten, so müssen wir doch erkennen, daß
diese zumi großen Teil durch die moderne
Wissenschaft, die eine Aussprache ermög-
licht und Verbindungen erleichtert, aus-
geschieden wurden. Deshalb hoffen wir, daß
die weitere Entwicklung der Wissenschaft
und Künste, des Handels, der Industrie und
der Finanz, des1 gegenseitigen Verstehensl
auch verschiedensprachliche Völker zu-
sammenführen wird.
Großbritannien legte Kolonien an, und
die Vereinigten Staaten haben ihrer Bevölke-
rung mannigfache und mächtige Elemente
verschiedener Nationalitäten zugezogen. Des-
halb ist die hundertjährige Friedensfeier
zwischen Großbritannien und seiner Dominien
einerseits und den Vereinigten Staaten
andererseits von Interesse für alle
jene Länder, wohin Großbritanniens
Söhne gegangen sind, ebenso wie sie jede
Nation angehen, durch welche die heutige
Bevölkerung der Vereinigten Staaten gebildet
wird. Diese Feier soll nicht nur ein Jahr-
hundert von außergewöhnlicher Bedeutung
und Wichtigkeit bezeichnen, sondern soll
auch die Aufmerksamkeit lenken auf ein Bei-
spiel und ein Ideal, das1, wie wir hoffen,
in den kommenden Jahren fortgesetzt werden
soll. Was1. Nationen tun konnten,
werden Nationen tun können.
Wir bitten ehrfürchtig den Sekretär des1
Auswärtigen Amtes Seiner Majestät und den
Staatssekretär der Vereinigten Staaten, diese
Einladung offiziell den Regierungen der Welt
zu übermitteln, damit sowohl durch die Teil-
nahme der Regierungen als auch durch die
Zusammenarbeit der Gutgesinnten in jedem
Lande diese Feier nicht nur dazu dienen soll,
das erste Jahrhundert des Friedens zwischen
den englisch sprechenden Völkern zu be-
gehen, sondern auch dazu, eine neue Aera des
Friedens und des guten Willens zwischen
den Nationen der ganzen Welt ein-
zuleiten. ,
n RANDGLOSSEN U
ZUQ ZEITGESCHICHTE
Von Bertha v. Suttner.
Wien, 4. Juni 1913.
Der Krieg zwischen den Balkanstaaten
und der Türkei ist zu Ende. Noch zögerten
einige der Beteiligten, den Präliminarfrieden
zu unterzeichnen und versuchten allerlei Ver-
schleppungen, aber Sir Edward Grey — der
Wortführer Europas — machte dem ein ener-
gisches Ende. Es ist doch eine schöne, ver-
heißungsvolle Neuerscheinung, daß jetzt die
Feldzüge nicht von den Kriegführenden auf
dem Kriegsschauplatz beendet werden, son-
dern durch die Verhandlungen, man könnte
beinahe sagen durch die Befehle von aus-
wärtigen, am grünen Konferenztisch ver-
tretenen Mächten. Noch ein Schritt mehr,
und die Mächte werden den Ausbruch des
Krieges verhindern, nicht nur sein Ende und
seine Resultate dekretieren.
Jetzt müßte verhindert werden, daß die
siegreichen Verbündeten untereinander, wegen
Teilung der Beute (das Wort „Beute" drückt
so richtig den raubtierischen Charakter aller
Eroberungskriege aus) sich an die Kehle
fahren. Lehrreich wäre das zwar und würde
zeigen, wie Krieg immer wieder Krieg er-
zeugt und wie hinfällig die Phrasen von
„Christenbefreiung", „Jochabschütteln" usw.
sich erweisen, wenn einmal Habgier, Haß und
Mordwut losgelassen sind. Uebrigens wird
der Streit, mit Hilfe Europas, vielleicht doch
ohne serbisch-bulgarischen oder griechisch-
bulgarischen Krieg geschlichtet werden. Für
Differenzen über Gebiets- und Vertragsfragen
gibt es ja schon ein Tribunal. Alle Blätter-
stimmen sollten darauf hinweisen, statt
immer die Sensationsnachrichten der gegen-
seitigen Forderungen und Drohungen zu ver-
breiten, wodurch sie die Haß- und Miß-
trauensstimmung nur verschärfen. Die
Balkandelegierten in London haben auch Ver-
wahrung gegen solche übertriebene Mel-
dungen eingelegt, und sie erklärten, „daß die
schwebenden Fragen, wenn sie auch delikater
und schwieriger Natur seien, keineswegs zu
Feindseligkeiten führen werden, denn die
Verbündeten seien fest entschlossen, diese
Fragen einer freundschaftlichen Lösung zu-
zuführen. Ein Krieg zwischen ihnen wäre ein
wahnwitziges Verbrechen, eine Eventualität, an
die nur eine verschwindende Zahl von Chauvi-
nisten denken können — die Regierungen
aller Balkanstaaten rechnen mit dem
Haager Schiedsgericht als ihre letzte
Zuflucht." Das ist vernünftig gesprochen.
Die Frage ist nur, ob sich die Chauvinisten
wirklich als „verschwindend" und nicht als
überhandnehmende Kriegspartei erweisen.
Ein Oberst des österreichischen General-
stabs, Redl war sei Name, erschießt sich,
wird in aller Stille begraben, und offiziell
wird der Fall durch eine Nervenkrankheit
des überarbeiteten Offiziers erklärt. Die
Täuschung dauert aber kaum' 24 Stunden.
Gerede und Gerüchte fliegen durch die Stadt,
Interpellationen fallen im Parlament, und die
Wahrheit kommt — behördlich bestätigt —
an den Tag : Oberst Redl war ein Spion,
sein Verbrechen wurde entdeckt, und eine
Feme hat ihm die Pistole zum Selbstgericht
226
<£
DIE FRIEDEN5-^5^RXE
in die Hand gedrückt. Die Sensation ist eine
ungeheure. Alle Blätterspalten und alle
Stadtgespräche ergehen sich in Entsetzen
über den Einzelfall und in, Betrachtungen über
die Spionage imi allgemeinen. „Die Folgen
sind gar nicht auszudenken," heißt es, ,,wenn
der Mann, der an der Spitze der Kundschafts-
abteilung des' Kriegsministeriums gestanden,
wo die vertraulichsten Angelegenheiten zu
führen sind, zum! Verräter im Dienste eines
fremden Staates1 wird, mit dem wir im letzten
Winter so ernste Auseinandersetzungen
hatten. . ." — „Was hier aufgedeckt wird, ist
so fürchterlich," schreibt ein Blatt, „daß die
ganze Bevölkerung mit lähmendem Entsetzen
erfüllt ist. Der Mann, der das weiß, was im
Kriege vielleicht über Sieg und Niederlage
entscheidet, verrät es dem Feinde . . er war
bereit, Hunderttausende österreichischer und
deutscher Soldaten in die Falle zu locken, sie
und die Sache, der sie dienen, der Vernich-
tung entgegenzuführen." Diese Sprache
zeugt von dem abergläubischen
Gruseln und zitternden Respekt, mit wel-
chem das1 Volk die Mysterien der Kriegs-
kanzleien betrachtet — als wäre das höchste
Wohl und Wehe des Staates, die Sicherheit
der Bevölkerung, Glück oder Untergang, von
den verschiedenen ausgeheckten Marsch-
plänen, Truppenverschiebungen, Mobili-
sierungs- und Bewaffnungs-Details und son-
stigen „Reservat"-Angelegenheiten abhängig,
die den Gegenstand der militärischen Geheim-
tuerei einerseits und der militärischen Aus-
kundschaf tung andererseits abgeben. Nein,
ihr Völker, nicht davon hängt euer Wohl ab,
ob der eigene Aufmarschpunkt verheimlicht
und der gegnerische ausspioniert worden, son-
dern davon, daß der Aufmarsch überhaupt
v er hütet wird. Wir hatten ernste Aus-
einandersetzungen mit dem fremden Staat,
allerdings; — aber diejenige Auseinander-
setzung, die darin bestand, daß Prinz Hohen-
lohe mit einer Friedensmission des Kaisers
nach Petersburg reiste, und der .Befehl, den
der Zar erteilte, die Truppen von der Grenze
zurückzuziehen, das war eine wichtige und
segensreiche Transaktion, ganz unabhängig
von den Praktiken der Spionage und Konter-
spionage. Selbst vom militärischen Stand-
punkte aus1 sollte man doch schon zur Ueber-
zeugung gelangt sein, daß Siege und Nieder-
lagen von Zufällen und Verwicklungen ab-
hängen und daher nicht jahrelang vorher in
den Generalstabskanzleien als gehütete Ge-
heimnisse gebraut werden können. Daß der
Krieg ein Anachronismus geworden ist, das
behaupten wir Pazifisten, und es wird von
den Gegnern bestritten; aber daß innerhalb
des modernen Krieges und nach den Gesetzen
seiner eigenen Struktur die ganze Heimlich-
keit und das ganze Spionagesystem zum
Anachronismus geworden ist, das müßten
doch die militärischen Fachleute selber zu-
geben. Zudem ist es eine Gemeinheit. Und
da, wo der Verrat auftritt, stellt sich die
Infamie ein. Redl hat infam gehandelt, und
daß er nebstbei ein ausschweifender, laster-
hafter Mensch war, kann als Erklärung, nicht
aber als Milderung gelten. Was er getan,
war der Gipfel der Ehrlosigkeit — daß der
aber „Hunderttausende der Vernichtung ent-
gegenführen wollte", das trifft nicht zu — er
wird wohl selber gewußt haben, daß seine so
gut bezahlte Mitteilung keine solche ver-
hängnisvollen Folgen haben kann. Der
macht sich jenes Riesenverbrechens schuldig,
Hunderttausende in Tod und Verderben zu
jagen, der zum Kriege hetzt, der einen Krieg
entfesselt — nicht aber der, der einen so-
genannten „Kriegsplan" verkauft, ein Ding,
das' sich vor einem Feldzug ebensowenig
entwerfen läßt, als etwa ein Schachspielplan
vor der Partie. Ehrlos ist der Verräter, aber
nicht grausam1.
Ueber die Beschießung von Skutari er-
zählt ein Augenzeuge :
Die Stunden vergehen und Tage und
Wochen; Schuß kracht auf Schuß herein in
die armselig schwachen Häuser und zerfetzt
Menschen und Vieh, Habe und Hausrat.
Sie flüchten in Keller und leben, Höhlen-
menschen gleich, in dumpfen Löchern, über
deren Wände das Wasser herabrinnt, glücklich,
Schutz gefunden zu haben: aber als hätte er
es geahnt, beginnt der Feind statt der „kleinen"
Pulvergranaten Melinitgeschosse in die Stadt zu
werfen.
Da hilft kein Keller mehr, keine Ver-
schanzung: Häuser verschwinden vom Erdboden,
durch drei Stockwerke schlägt das Geschoß in
den Boden und reißt Dächer und Mauern, Balken
und Steine zu einem Trümmerhaufen zusammen.
Besonders nachts lieben sie es, Melinit-
granaten zu schleudern, weil mehr Leute auf
einem Fleck beisammen liegen; sie fällt in ein
Zimmer, wo — nach Albanesenart — zehn
Menschen zusammengedrängt schlafen, und am
nächsten Tage findet man ihre Arme und Beine
in den umliegenden Straßen und ihre Eingeweide
auf den Dächern
Man sollte glauben, das könne nicht
mehr überboten werden ; es kommt aber noch
ärger. Es wird erzählt, daß, der Feind
etwas Neues erfunden hat: die regelmäßigen
„Halbstundenschüsse". Alle dreißig Mi-
nuten, genau, wenn der Zeiger die Stunde
zeigt, kommt eine Melinitgranate daher-
gesaust . . . man weiß, daß zur festgesetzten
Sekunde jeder in seiner Beschäftigung innehält
und des zischenden Todes harrt, aufatmend,
wenn der platzende Stahl den Nachbar trifft.
Das täglich von 7 Uhr früh bis spät am
Abend, durch sechs Wochen. Die Bevölke-
rung floh in die Kathedrale — aber auch die
wurde beschossen. Dann heißt eS weiter:
„Nun begann das Versteckenspiel zwischen
dem Volk und seinen Peinigern. Matratzen auf
dem Kopf, Kinder an der Hand, so zogen sie
winselnd durch die Straßen aus den beschossenen
227
DIE FRIEDENS-WABTE
■3
Quartieren und solche, die im Augenblick
weniger bedroht sind. Wie die gefangenen
Ratten fuhren sie ... ."
Genug! Solche Berichte lesen die Leute.
Niemand wird dadurch aufgeschreckt, die
Bürger gehen weiter ihren Geschäften nach,
politisieren im Kaffeehaus über die Chancen
der Belagerer und Belagerten, und die Mi-
litärs studieren weiter Festungstaktik. Nichts
dringt in die Herzen, nichts streift die Ge-
müter. Haben denn alle die Leute — es
sind ja viele gute und gescheite darunter —
nur mehr Steinherzen und Hornhautgehirne,
wenn der Begriff „Krieg" sie immunisiert ?
Nur wir Pazifisten sind erschüttert und
empört — die andern lassen das alles von
sich abgleiten. Sie schämen sich nicht, sie
kränken sich nicht, sie ärgern sich nicht.
Aber uns nennen sie die Sanftmütigen, die
Geduldigen, die „Sich-alles-gefallen-lassen-
den". Umgekehrt ist es: wir sind die Zorn-
mütigen, uns reißt die Geduld, in leiden-
schaftlichem Schmerz, in siedender Ent-
rüstung rufen wir hinaus : „So darf es nicht
weitergehen."
Und es wird nicht so weitergehen.
Stetig mehren und häufen sich die Zeichen,
daß es anders wird. Da ist eine ganz kurze
Depesche aus Washington, 2. Juni: Der
japanische Botschafter Chinda hat den Staats-
sekretär Bryan davon in Kenntnis gesetzt,
daß die japanische Regierung im Prinzip den
von den Vereinigten Staaten vorgeschla-
genen Weltfriedensplan annehme. Diese
Nachricht ist von ungeheuerer Tragweite.
Und noch eine wichtige positive Aktion
Woodrow Wilsons. Er hat befohlen, daßi,
während Verhandlungen (über die Einwande-
rungsfrage) mit Japan im Gange sind, keiner-
lei Bewegungen und Dislokationen der Flotte
vorgenommen werden dürfen. Bisher liebte
man es, bei schwebenden Streitfragen das
Rasseln der Waffen bis in die Verhandlungs-
säle hörbar zu machen. Man nennt das
„seinen Ansprüchen Nachdruck geben".
Oder es hieß auch, „das Schwert in die Wag-
schale legen". Na, es gibt ja eigentlich kein
Schwert mehr, und Melinitgranaten, Seeminen
und fliegende Zeppelins werden sich doch
nicht mehr so recht zur Abwägung inter-
nationaler Rechtsfragen eignen. Dieser Be-
fehl Wilsons, die militärischen Drohungs-
manöver während eines zwischenstaatlichen
Prozesses aufzuheben, entspricht schon ganz
dem Sinne jenes Weltfriedensprojektes, das
er allen Staaten unterbreiten will und das
zuallererst von jener Nation angenomjmen
worden ist, die immer als der zukünftige
Kriegsgegner Amerikas bezeichnet zu wer-
den pflegt. Man konnte ja gar nicht von'
dem Blühen des amerikanischen Pazifismus
reden, ohne daß unsere Gegner schmunzelnd
einwarfen : „Was ist aber mit Japan ? Der
Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und
Japan ist ja doch unvermeidlich." Wirk-
lich ? Nun, legen wir ihn getrost zu den
zahlreichen anderen unvermeidlichen und nie-
mals ausgebrochenen Kriegen.
Zur Hochzeit der Kaisertochter sind der
König von England und der Zar nach Berlin
gekommen. Dazu bemerkten die Blätter aus-
nahmslos, daß dies keine politische Be-
deutung habe, weil es sich nur um ein Fa-
milienfest handle, und fügten ebenso aus-
nahmslos im selben Atem hinzu, daß^ die
Zusammenkunft doch ein hochpolitisches
Friedensanzeichen sei. Tatsache ist, daß
solcher Freundschaftsverkehr zwischen den
Kriegsherrn ganz unmöglich ohne Ein-
fluß auf ihre Entscheidungen über Krieg oder
Frieden sein kann. Auch werden sie sicherlich
— gerade jetzt nach Beendigung der gefähr-
lichen Balkankrise — über das Thema mit-
einander gesprochen haben. Der König von
England nahm die Gelegenheit wahr, um auf
der englischen Botschaft an eine Deputation
der 'englischen Kolonie folgende Worte zu
sagen: „Indem Sie gute Beziehungen mit1
dem Volke, das diese Ihre Adoptivheimat
bewohnt, pflegen, tragen Sie dazu bei, den,
Weltfrieden zu sichern, dessen Erhaltung
mein sehr ernster Wunsch ist, wie es der
Hauptzweck und das Ziel des Lebens meines
teuren Vaters war." Das sind feierliche Und
pietätvoll gesprochene Worte: „Hauptzweck
und Lebensziel." Die neunmal weisen deut-
schen Realpolitiker und fleißigen Zei-
tungsleser werden wohl verschmitzt dazu
lächeln, denn die Ansicht, daß Eduard VII. ein
abgefeimter Feind und „Einkreiser" Deutsch-
lands war, ist dort zur eingewurzelten fixen
Idee geworden. Uns Pazifisten, die wir die
Entwicklungsgeschichte der englisch-fran-
zösischen Entente kennen, und wissen, welche
Schritte Eduard VII. unternommen hat, wir
wissen auch, daß er den von seinem1 Volke
ihm verliehenen Titel „Edward the peace-
maker" ebenso verdiente, als er stolz darauf
war; uns sagte Georg V. nichts Neues; doch
ist uns erfreulich, zu hören, daß er für sich
selbst auch die Gesinnung in Anspruch
nimmt, die er an seinem Vater rühmt.
Aber warum mußte wieder (oh, daß doch
unter veränderten Bedingungen und Zeiten
die Gewohnheiten der alten Zeit immer wieder
routinemäßig abgehaspelt werden!), warum
mußte der Kaiser dem Zaren zur Unterhal-
tung eine militärische Uebung mit einem
„heftigen Gefecht" zeigen ? Gegen wen
würden denn diese Soldaten fechten müssen,
wenn das Spiel Ernst wird ? Gegen den ge-
ehrten Gast. Ich besprach diesen Vorfall
228
es
= DIE FRIEDENS-^^ßTE
mit einem Gesinnungsgenossen : „ Sagen Sie
mir nur, was' denken denn die Fürsten bei
einem solchen Schauspiel unter solchen Um-
ständen ?" Die Antwort, die ich erhielt, war
vortrefflich und erklärt alles: Nichts
denken sie."
Vor einem Jahr ungefähr ging die ,, Ti-
tanic" unter, von einem elementaren Ding,
einem Eisberg, getroffen. Nearer to thee,
my God" spielten die todesmutigen Musi,L
kanten. Am letzten 24. Mai geriet der
amerikanische Passagierdampfer „Nevada"
bei der Ausfahrt aus dem Hafen von Smyrna
in die Linie der Torpedominen. Der Vorder-
teil des Schiffes stieß auf eine Mine, eine
Minute später auf eine zweite, und zwei Mi-
nuten darauf auf eine dritte. Es erfolgte
eine Explosion. Der Dampfer sank sofort.
Dreihundert Opfer. Diese Minen werden
von Menschen gelegt — für Menschen. . . .
Oh, „näher zu dir, Satan". —
Von einer Probefahrt des Luftschiffes
L. Z. XVI wurde aus Friedrichshafen ge-
schrieben: „Die Fahrt war insofern be-
merkenswert, als vom Oberdeck aus mit
einem Maschinengewehr scharf geschossen
wurde. Es wurden im1 ganzen 500 Schüsse
abgefeuert, wobei es sich zeigte, daß die ganze
Anordnung ihrem1 Zwecke vortrefflich ent-
spreche und sicheres Arbeiten mit dem Ma-
schinengewehr zulasse." . . Satan in der
Luft. —
Andererseits aber auch wieder die frohen,
verheißungsvollen Begebenheiten: die deutsch-
französische Parlamentarierzusammenkunft in
Bern; die Schaffung einer neuen deutsch-
französischen Liga; die sich ausbreitende und
befestigende Versöhnung zwischen Deutsch-
land und England; die Mission Carnegies
beim Deutschen Kaiser, und vor allem der
überhandnehmende Begriff „Europa", das ist
ein klares Ziel. Hartnäckig muß es gefordert
werden. Wie einst das „Carthaginem esse de-
lendam", muß jetzt immer wieder wiederholt
werden: Europa ist zu föderieren.
PAZIFISTISCHE CHRONIK
Anfang Mai. Eine Anzahl pazifistisch gesinnter
evangelischer Theologen Deutschlands erlässt einen
Aufruf an ihre Amtsgenossen, sich der Friedens-
sache anzuschliessen.
5. Mai. König Nikolaus von Montenegro hat
den Mächten mitgeteilt, dass er zur bedingungslosen
Räumung Skutaris bereit sei. Beseitigung der
Kriegsgefahr.
7. Mai. Der König von Spanien trifft in
Paris ein.
9. Mai. In London tagt eine Kommission zur
Vorberatung eines internationalen Scheckrechts.
10. Mai. In New York wird in Gegenwart des-
deutschen Botschafters und des deutschen General-
konsuls ein Denkmal für Karl Schurz enthüllt.
10. — 12. Mai. In Paris tagt der VLLT. national-
französische Friedenskongress.
11. Mai. Die deutsch - französische Ver-
ständigungskonferenz in Bern verläuft bei nur
eintägiger Dauer programmässig. Sie schloss mit einer
Resolution zugunsten der Friedensidee, der Ab-
rüstung und der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit.
14. Mai. Der Staatssekretär des Auswärtigen
Amtes v. Jagow ist in Wien eingetroffen und
hatte eine längere Unterredung mit dem Grafen
Berchlold.
14. Mai. Bei einem Bankett erklärte Bryan in
Washington, dass während seiner Amtsführung von
der amerikanischen Union kein Krieg geführt
werden würde.
14. Mai. Die internationalen Truppen unter
dem Kommando des englischen Admirals Burney
sind in Skutari eingezogen.
Mitte Mai. Aus Anlass der beabsichtigten Wi eder-
einführung der dreijährigen Dienstzeit in
Frankreich kommt es an verschiedenen Orten zu anti-
militaristischen Kundgebungen der Truppen.
Mitte Mai. Die britischen Delegierten zur
Konferenz über die Feier des hundertjährigen
Friedens zwischen England und Amerika loerden in
Amerika mit grossem Enthusiasmus empfangen.
Mitte Mai. Lord Morley in besonderer Mission
in Berlin.
16. Mai. Die „American Association for
int. Conciliation" bringt eine Gratulations-
adresse zum Regierungsj ubiläum des deut-
schen Kaisers zur Absendung.
18. Mai. Der Friedenstag wird in Europa
und Amerika von den iriedensgesellschaften festlich
begangen.
19. Mai. Kaiser Wilhelm begnadigt die in
deutscher Gefangenschaft befindlichen englischen
Spione Brandqn, Trench und Stewart.
20. Mai. Im Londoner Mansion House wird die
Jahresversammlung der ^Peace- Society" eröffnet.
Der Lord May or hält eine Ansprache. Begrüssungs-
telegramm Sir Edward Gregs.
21. Mai. Zur Teilnähme an den Vermählungs-
feierlichkeiten am kaiserlichen Hofe trafen der König
und die Königin von England in Berlin ein.
22. Mai. Italien stimmt als erste Regierung
dem Bryanschen Friedensvorschlag zu.
22. Mai. Zur Teilnahme an den Hochzeitsfeier-
lichkeiten im Kaiserhause trifft der russische Zar in
Berlin ein.
23. Mai. König Georg von England emp-
fängt in Berlin die englische Kolonie und fordert sie
auf, dabei zu helfen, den Weltfrieden zu sichern.
229
DIE FRIEDENS -WAEETE
st
25. Mai. In Mannheim tagt die General-
versammlung der deutschen Friedensgesell-
schaft.
.;. ' 27. Mai. Im österreichischen Reichsrat
findet die Tätigkeit des Chefs des literarischen
Bureaus im Auswärtigen Amt schärfste Ver-
urteilung wegen der Irreführung der öffent-
lichen Meinung durch aufhetzende Nachrichten.
28. Mai. Lord Avebury in London f.
28. Mai. In Berlin wird eine deutsch-
schwedische Vereinigung begründet.
30. Mai. Der Präliminar frieden der Balkan-
staaten mit der Türkei wird in London unter-
zeichnet.
30. Mai. Prinz Heinrich telegraphiert an den
englischen königlichen Automobilklub: „Lasst uns
zusammen für Frieden und Freundschaft
icirken."
30. Mai. Deulsch-englisches Pressebänkett
in London in Anwesenheit des deutschen Botschafters
Fürst v. Lichnowsky.
2. Juni. Japan erklärt sich grundsätzlich dazu
einverstanden, den Vorschlag Bryans anzunehmen.
4. Juni. In Paris tritt die internationale
Finanzkonferenz zur Regelung der durch den
Balkänkrieg geschaffenen Finanzfragen zu-
sammen.
9. Juni. Beriha von Suttner begeht ihren
70. Geburtstag.
PAUS DEB ZEITO
Völkerrecht.
Das alte und das neue Haager Schiedsabkommen.
In Nr. 2 des Jahrgangs 2 der „Korrespon-
denz des Verbandes für internationale Ver-
ständigung" polemisiert W. Klohs dagegen, „daß
sich die Friedenswarte in ihrer Februarnummer
für berechtigt hält, zu behaupten, es sei ein
Irrtum, zu sagen, das Abkommen zur fried-
lichen Erledigung internationaler Streitigkeiten
yon 1907 habe dasselbe Abkommen . von 1899
hinfällig gemacht." Der ausgezeichnete Ver-
fasser bekämpft diese Ansicht mit Gründen, die
sich kurz dahin zusammenfassen lassen : „Hätten
die Verfasser der Konvention von 1907 beab-
sichtigt, falls keine Ratifikation erfolgt, die
Konvention in Kraft zu lassen, so würden sie
das ausdrücklich gesagt haben." Diese Deduk-
tion ist irrtümlich. Die erste Haager Friedens-
konferenz hat die Geltung des Friedens-
abkommens nicht auf eine bestimmte Zeit be-
schränkt, sondern den Staaten nur die Möglich-
keit der Kündigung vorbehalten. Deshalb
brauchte die zweite Konferenz gar nicht die
Fortdauer des 1899 geschlossenen Abkommens
zu beschließen. Im Gegenteil : Ein solcher Be-
schluß hätte nur die bereits vorhandene Rechts-
lage ausdrücklich festgestellt. Daß in anderen
Abkommen die ausdrückliche Fortdauer im Falle
der Nichtratifikation der veränderten Konven-
tion vereinbart worden ist, ist rechtlich ganz
ohne Bedeutung. Es handelt sich offenbar um
Ungleichheiten in der Redaktion.
Es ist somit klar, daß die alte Konvention
bestehen bleibt, bis sie entweder gekündigt
oder ausdrücklich aufgehoben wird. Das Ab-
kommen von 1899 ergibt dies ohne jeden
Zweifel. Von ihm muß die juristische Betrach-
tung ausgehen. Eine Untersuchung, die ledig-
lich den Text des zum Teile gar nicht ratifi-
zierten Abkommens von 1907 zur Grundlage
nimmt, schwebt offenbar in der Luft.
Die Richtigkeit dieser Darlegungen ergibt
sich u. a. daraus, daß diejenigen Staaten, die
nur die alte, aber nicht die neue Konvention
Unterzeichnet haben, trotzdem im Verwaltungs-
rate des Schiedshofes vertreten sind und an
den Kosten des Bureaus repartieren.
Das „Werk vom Haag". :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ;:
Das „Werk vom Haag" wird als Band III
zur Einweihung des Friedenspalastes im Haag
eine Festgabe herausbringen, die den Anteil
der reichsdeutschen Völkerrechtswissenschaft an
diesem Ereignis bekunden soll.
In der Einleitung wird Prof. Zorn seine
Erinnerungen an das Zustandekommen des
ständigen Schiedshofes von 1899 wiedergeben.
Im übrigen wird sich die Festgabe auf die
bisherige Judikatur dieses Gerichtshofes be-
ziehen, indem alle zwölf dort durchgeführten
Prozesse auf einem einheitlichen Schema, unter
eingehender juristischer Würdigung des Urteils,
dargestellt werden sollen.
Mitarbeiter sind außer Prof. Zorn, die
Professoren von Bar, Kohler, v. Martitz,
Meurer, Niemeyer, Nippold, Fleisch-
mann, ferner Dr. Strupp und Prof. Zitel-
m a n n. Dem Herausgeber, Prof. Schücking,
ist es auch gelungen, James Brown Scott,
der als ehemaliger Schüler Jellineks und
Heidelberger Doktor jur. auch der deutschen
Rechtswissenschaft angehört, dafür zu ge-
winnen. Zu den ständigen Mitarbeitern des
Sammelwerkes gehören heute auch : v. Mar-
titz, Berlin, Strisower, Wien, Huber,
Zürich, Strupp, Frankfurt a. M.
Die „Besitzergreifung" von flda Kaleh. :: :: :: ::
Die Regierung von Oesterreich-Ungarn hat
die Welt Mitte Mai durch eine Handlung über-
rascht, die wohl nicht in ihrer Wirkung, wohl
aber in der dabei angewandten Methode jeden
Vertreter des internationalen Rechtsgedankens
mit Betrübnis erfüllen muß. Die kleine, in der
Donau bei Orszova gelegene Insel Ada Kaleh
gehörte wenigstens nominell der Türkei. Durch
den Berliner Vertrag bekam Oesterreich-Ungarn
das Besetzungsrecht. Im (übrigen aber wurde die
nur 1000 Einwohner ■zählende Insel von einem
türkischen Beamten verwaltet. Oesterreich-
2§0
€E
= DIE FRIEDEN5->M&RXE
Ungarn annektierte nun in diesen Tagen ganz
plötzlich dieses Stückchen Land. Die Türkei
verliert wohl nichts daran, und Europa wird?
dadurch nicht erschüttert. Aber ein Gewalt-
akt bleibt diese Handlung dennoch. Er ist um
so bedauerlicher, als die Annexion nach den
gegenwärtigen Verhältnissen sicherlich in einer
dem Kechtsbewußtsein mehr entsprechenden
Weise hätte durchgeführt werden können.
Diese bereits in Bosnien und in Tripolis geübte
Methode schlägt dem Zeitgeist ins Gesicht,
denn jede Regierung, der das Wohl ihres Landes
am Herzen liegt, müßte es vermeiden, der-
artige Verfahren einzuschlagen, auch selbst
wenn es sich nur um einen Ziegelstein handelt.
Verschiedenes.
Der Tag von Bern. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Der Tag von Bern hat die Erwartungen,
die wir in der vorhergehenden Nummer der
Friedens-Warte zum Ausdruck brachten, nicht
getäuscht. Die von 34 Mitgliedern des Deut-
schen Reichstags und von 124 Mitgliedern der
französischen Deputiertenkammer und des Senats
beschickte Konferenz einigte sich auf eine ge-
meinsame Resolution, die ohne Debatte und
unter großem Beifall zur Annahme gelangte.
Sie hat folgenden Wortlaut:
„Die erste Konferenz der deutschen und
französischen Parlamentarier, versammelt zu
Bern am 11. Mai 1913, wendet sich mit aller
Entschlossenheit gegen die verwerflichen chau-
vinistischen Hetzereien jeder Art und gegen die
sträflichen Treibereien, die auf beiden Seiten
der Grenze den gesunden Sinn und die Liebe
der Bevölkerung zum Vaterlande irre zu führen
drohen. Sie weiß und verkündet, daß die beiden
Völker in ihrer ungeheuren Mehrheit
den Frieden wollen, diese oberste Be-
dingung jedes Fortschrittes. Sie verpflichtet
sich, unermüdlich daran zu arbeiten, daß Miß-
verständnisse zerstreut und Konflikte vermieden
werden, und sie dankt von Herzen der vom
Volke gewählten Vertretung Elsaß-Lothringens,
daß sie durch ihre hochherzigen Erklärungen
die Annäherung beider Länder zu einer werk-
tätigen Gemeinschaft der Zivilisation erleich-
tert hat.
Sie lädt ihre Mitglieder ein, mit aller Kraft
auf die Regierungen der Großmächte zu wirken,
daß sie eine Beschränkung der Aus-
gaben fürHeerundFlotte herbeiführen.
Die Konferenz tritt warm ein für den von dem
Staatssekretär der Vereinigten Staaten B r y a n
in der Schiedsgerichtsfrage gemachten Vor-
schlag. Sie fordert demgemäß, daß Konflikte,
die zwischen den beiden Staaten entstehen
könnten und die auf diplomatischem Wege nicht
zu schlichten sein sollten, dem H a a g e r
Schiedsgericht unterbreitet werden. Sie
zählt auf ihre Mitglieder, daß sie in diesem
Sinne eine takräftige und nachhaltige Wirk-
samkeit entfalten werden. Sie ist überzeugt,
daß eine Annäherung zwischen Deutschland und
Frankreich, die Verständigung zwischen den
großen Mächtegruppen erleichtern und damit
die Grundlage für einen dauernden Frieden
schaffen werde.
Sie beschließt, daß ihr Präsidium sich als
ständiges Komitee konstituiert mit dem
Recht beiderseitiger Kooptation. Sie gibt dem
Komitee zugleich den Auftrag, neue Konferenzen
periodisch oder je nach den Umständen unver-
züglich einzuberufen."
Das ständige Komitee, das eingesetzt wurde,
besteht deutscherseits aus den Reichstagsabge-
ordneten Haase, Haußmann und Rick-
1 i n , französischerseits aus den Senatoren
d'Estournelles de Constant, Gaston
Meunier und dem Deputierten
Jaures.
Ueber die große Bedeutung dieses Ereig-
nisses hier ,ein Wort zu1 verlieren, erscheint über-
flüssig. Nur darauf sei hingewiesen, daß die
Wichtigkeit des Vorganges nicht nur darin lag,
daß sich deutsche und französische Volks-
vertreter zu gemeinsamer Arbeit zusammen-
fanden, sondern auch darin, daß, für Deutsch-
land wenigstens, zum erstenmal Bürgerliche und
Sozialdemokraten bei einer Friedensaktion ver-
eint wirkten.
Aber noch eine andere franco-deutsche
Verständigung trat anläßlich jener Berner Zu-
sammenkunft zutage. Die deutsche und die
französische Chauvinistenpresse war wieder
einmal eines Sinnes. Sie triumphierte in
beiden Ländern über die angebliche Ergebnis-
losigkeit der Zusammenarbeit und stellte dort
die Franzosen, hier die Deutschen als Verräter
an ihren respektiven Vaterländern hin.
Man hat die verhältnismäßig geringe Be-
teiligung der deutschen Abgeordneten bemän-
gelt. Aber die Masse macht es nicht in solchen
Dingen. Mit nur 9 Mitgliedern des englischen
Unterhauses kam Randal Cremer 1888 zur
franco-englischen Zusammenkunft nach Paris,
aus der die Interparlamentarische Union her-
vorgegangen ist. • Mit 90 französischen Depu-
tierten (Kammer und Senat weisen über 1000
Abgeordnete auf!) ging d'Estournelles 1903 zu
jener Parlamentsentrevue nach London, aus der
die „Entente cordiale" entstand. Das in Bern
eingesetzte Reis wird trotz der numerisch ge-
ringen Beteiligung der Deutschen dennoch die
schönsten Früchte tragen.
Aus diesem Grunde ist es vielleicht ange-
bracht, authentische Daten über die Vor-
geschichte der Berner Zusammenkunft hier fest-
zuhalten, um späterer Legendenbildung vorzu-
beugen. Der Plan stammt von dem deutschen
Reichstagsabgeordneten Dr. Ludwig Frank
in Mannheim, der ihn am 13. März in einer
Versammlung der sozialdemokratischen Partei
in Mannheim zum erstenmal vorbrachte. Nach
dem Bericht der Mannheimer „Volksstimme"
vom 14. März sagte Frank damals:
231
DIE FßlEDENS-^MS&TE =
S>
„In Wahrheit haben beide Völker, abge-
sehen von den direkt interessierten Waffen-
fabrikanten oder den Offizieren, den dringenden
Wunsch, den Rüstungen Einhalt zu gebieten.
Aber die französischen Politiker berufen sich
auf die deutschen Maßregeln und die deutschen
Politiker auf die französischen Vorbereitungen.
Die Sozialisten sind in den Parlamenten beider
Länder nur Minderheiten. Sollte es aber nicht
möglich sein, eine Aussprache aller derjenigen
deutschen und französischen Abgeordneten
herbeizuführen, die überzeugt sind, daß unter
der Flagge des Nationalismus hüben (und drüben
eine in ihren Wirkungen antinationale Politik
getrieben wird 1 Auf neutralem Boden,
in Brüssel oder in Genf, müßte diese
deuts ch -f ranz ösis che Konferenz
tagen. Die zu lösende Aufgabe liegt offen
zutage, usw."
Hierauf interessierte Dr. Frank seine fran-
zösischen Gesinnungsgenossen für den Plan, die
ihn vollständig billigten. Nachdem dies er-
reicht war, wandte er sich an ihm persönlich
bekannte Politiker in der Schweiz, mit dem
Ersuchen, sich der Idee anzunehmen. In ihrer
Nummer vom 4. April nahm sich das Züricher
„Volksrecht" im Leitartikel des Frankschen
Planes an, der dann durch die Mitwirkung des
Schweizer Nationalrats Grimm zur Ausführung
gebracht wurde.
Bryans Friedensplan. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Das Friedensprojekt des gegenwärtigen
amerikanischen Staatssekretärs (siehe Fr.-W.
Nr. 5, S. 188) ist bereits von einer ganzen Anzahl
von Regierungen zustimmend beantwortet worden.
Italien, Großbritannien, Frankreich, Brasilien,
Schweden, Norwegen, Peru, Rußland und Japan
haben sich grundsätzlich bereit erklärt, den
vorgeschlagenen Vertrag zu unterzeichnen. Von
ganz besonderer Bedeutung ist die Zustimmung
Japans, das sich, wie bekannt, mit der Union
in einem argen Konflikt befindet. Diese Zu-
stimmungen sind von allergrößter Bedeutung,
denn, wenn es sich auch vorläufig nur um Ver-
träge der Staaten mit der amerikanischen Union
handelt, so hat Bryan recht, wenn er in einer
kürzlich in New York gehaltenen Rede die
großen Perspektiven dieser Vertrags Schlüsse her-
vorhob. Er sagte nämlich:
„Diejenigen, welche an den Erfolg des
Projektes glauben, hegen die Hoffnung, daß,
wenn es von den Vereinigten Staaten und
einigen anderen Nationen angenommen wäre,
es auch bei den übrigen Nationen unter-
einander durchgeführt werden würde, bis'
schließlich alle Nationen auf der
Erde durch Abkommen miteinander verknüpft
wären."
Bryan ist übrigens in seiner staatlichen
Stellung seinen pazifistischen Grundsätzen
durchweg treu geblieben. Bei einem den bri-
tischen Friedensfeier-Delegierten zu Ehren ge-
gebenen Bankett sagte er: „Als ich das Amt
des Staatssekretärs annahm, war ich mir klar,
es nicht übernommen zu haben, wenn während
meiner Amtszeit ein Krieg hätte stattfinden
können. Ich glaube, daß während meiner
Sekretärschaft kein Krieg sein wird und wir
überhaupt den letzten großen Krieg gesehen
haben." Auf dem Bankett der Carnegiestiftung
sagte er: „Wir wissen, daß es keinen Streit-
fall geben kann, der nicht besser durch die Ver-
nunft als durch Krieg erledigt werden könnte."
Den vereinigten Flottenenthusiasten gab Bryan
aber die Erklärung ab, daß er alles daran setzen
werde, daß in den Vereinigten Staaten neue
Kriegsschiffe nicht mehr gebaut werden.
Dieser Mann wird den europäischen Kanz-
leien gar bald als ein Ruhestörer erscheinen.
Die Schönheiten des Krieges. :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Im „Tag" vom 1. Juni berichtet O. von
Gottberg über seine Eindrücke auf einer
„Fahrt durch Montenegro". Aus den Schilde-
rungen greifen wir eine Stelle heraus, die wert
ist festgehalten zu werden als Dokument gegen
jene idealen Träumer, die uns so oft noch vom
„frischen, fröhlichen Krieg" faseln Man höre:
„Die Scheu vor dem letzten Sturm durch
das letzte Hindernis wird hier begreiflich. In
den Verhauen am weiten Hange hängen hie
und da noch die unter glühender Sonne au
Mumien erstarrten Leichen Verstrickter. Mon-
tenegriner blieben beim Sturm, Türken auf der
Flucht nach einem Vorstoß in den Netzen
hängen. Wie von den Fäden eines
Spinngewebes sind Hals, Arme und
die oft in der L|uft schwebenden
Füße umsponnen. In der Luft zap-
pelnd, mögen die Unglücklichen unter Schüs-
sen verendet sein. Die Uniformen sind von
Kugeln zerfetzt. Aus den schwarzen Gesichtern
grinsen grausig weiß die Zähne."
— — Stahlbad der Völker! Ele-
ment der göttlichen Weltordnung!!
Von der Sensationspresse. :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
In der „Frankf. Ztg." lesen wir:
Der Abgeordnete Marcel Sembat stellt in
der „Humanite" fest, daß die chauvinistischen
und nationalistischen Blätter alles Mögliche ge-
tan haben, um die Niederlage, die die elsaß-
lothringische Regierung mit ihren geplanten
Ausnahmemaßregeln im Reichstag erlitten hat,
ihren Lesern zu verheimlichen. Er schreibt :
Für die Ankündigung der Ausnahmemaß-
regeln welcher Aufwand von Entrüstung! De-
peschen auf der ersten Seite, fette Ueber-
schriften, flammende Artikel! Dagegen für das
Scheitern der geplanten Maßregeln, für die
Niederlage ihrer Urheber nur kleine Schrift auf
der dritten oder, vierten Seite, nur kurze Tele-
gramme, keine fetten Titel, keine Kommentarel
232
g>~
DIE FRI EDENS ->fcÄBXE
Die Haltung des Reichstags hat eben durch
die Rechnung der französischen Chauvinisten
und Nationalisten, die von den Ausnahmemaß-
regeln eine Verschärfung der deutsch-franzö-
sischen Beziehungen erwarteten und erhofften,
einen dicken Strich gemacht. Sollten die Herren
in Straßburg oder Berlin, die für den Plan ver-
antwortlich sind, für die aus dieser Tatsache
sich ergebende Lehre kein Verständnis haben?
Der heutige Stand der Friedenssache. :: S :: :: :: ::
Ein Telegramm, das Sir Edward Grey an
der Vorsitzenden der Jahresversammlung der
Londoner Peace Society richtete, enthält fol-
gende Mitteilung:
„Sie können in meinem Namen erklären,
daß zwar noch verschiedene Kräfte
inderRichtungdes Krieges wirken,
die noch nicht tot sind. Andererseits
bin ich jedoch froh, sagen zu können, daß be-
deutend stärkere Kräfte am Werke
sind, die für die Erhaltung und
Kräftigung der Friedenssache ein-
trete n."
Darin ist in der Tat der heutige Stand der
Friedens sache in Europa glücklich gekenn-
zeichnet. Die Gegenkräfte leben noch, aber
die Friedenskräfte überwiegen bereits.
Vom 8. national-französischen Friedenskongreß. :: ::
Ueber diesen hervorragenden Kongreß, der
zu Pfingsten in Paris unter dem Vorsitz von
Charles Richet tagte, haben die deut-
schen Zeitungen durch eine Depesche berichtet,
in der nichts anderes enthalten war, als daß
sich Leon Bourgeois für die dreijährige
Dienstzeit ausgesprochen habe. Man
müßte meinen, daß in den drei Tagen der Ver-
handlungen doch noch andere Dinge von all-
gemeinem Interesse zur Sprache gekommen
wären. Aber die patriotische Berichterstattung
will es nun einmal, daß das deutsche Volk
glauben solle, auf diesem Friedenskongreß wäre
wirklich nichts anderes vorgekommen als jene
Aeußerung, womit ein sonst als hervorragender
Pazifist bekannter Staatsmann sich zur mili-
taristischen Weltanschauung bekehrt habe. Daß
Leon Bourgeois diese Aeußerung nicht in jenem
brutalen, sondern in einem ganz anderen Sinne
getan hat, möge aus der nachfolgenden Ueber-
setzung jenes an den Pariser Friedenskongreß
gerichteten Briefes ersehen werden, der mit
der Absicht hier wiedergegeben wird, um von
jenen Methoden der völkerverhetzenden und
fälschenden Berichterstattung wieder einmal
wenigstens ein Zipfelchen zu lüften. Der Brief
hat folgenden Wortlaut:
„Mein Herr Präsident! Ich habe Ihnen mein
Bedauern darüber ausgedrückt, den Sitzungen
des achten nationalen Friedenskongresses nicht
beiwohnen zu können und bitte Sie hiermit,
Ihren Kollegen meine* Entschuldigungen zu über-
mitteln und die Wünsche zum Ausdruck zu
bringen, die ich hege, auf daß Ihre Arbeiten in
dieser besonders schwierigen Stunde von Er-
folg gekrönt seien.
Wenn ich von den Schwierigkeiten der
Stunde spreche, brauchen jene jedoch, die fest
an die Souveränität des Rechtes glauben und
für den Triumph der Gerechtigkeit zwischen
den Nationen kämpfen, durch die gegenwärtig
Europa durchziehende Krise keineswegs ent-
mutigt zu sein.
Bei allen menschlichen Dingen muß man
das Vorübergehende vom Dauernden trennen.
Und auch in der gegenwärtigen Krise muß
unterschieden werden, das, was von alten Ur-
sachen herrührt, deren grausame Folgen sich
zur gegebenen Stunde verhängnisvoll einstellen
können und das was hingegen den Hoffnungen
der modernen Gesellschaft entspricht und ais-
ein glückliches Zeichen für ihre Zukunft aus-
gelegt werden kann.
Ein Ereignis berührt uns in erster Linie
schmerzhaft und könnte zunächst Verwirrung
in die Geister bringen. Die in diesem Augen-
blick dem Deutschen Reichstag vorliegenden
Gesetzentwürfe werden in ungeheurem Verhält-
nis die Rüstungen Deutschlands vermehren und
notwendigerweise von Seiten Frankreichs eine
außerordentliche Anstrengung und Opfer nach
sich ziehen, zu denen wir uns nachdrücklichst
und ohne Verzug entschließen müssen.
Das neue Militärgesetz will ich hier nicht
erörtern. Doch will ich sagen, daß, wenn nach
einer loyalen Beratung in den Kammern der
dreijährige Dienst, wie ich glaube, als unent-
behrlich zur Sicherung unseres Vaterlandes er-
kannt werden wird, ich in Erinnerung an die
Niederlagen von 1870 nicht zögern werde, da-
für zu stimmen. Keiner bedauert mehr als
ich diesen Rüstungswahn, in den Europa ver-
fallen ist, und ich vergesse nicht, daß ich im
Jahre 1899 auf der ersten Haager Konferenz
der Redakteur und Verteidiger jenes Wunsches
gewesen bin, der auf eine Beschränkung der
auf der Welt lastenden Rüstungen hinwies.
Ebenso vergesse ich nicht, was ich im Jahre
1907 nach Schluß der zweiten Haager Konferenz
gesagt habe: ,Für uns entschlossene Anhänger
der Schiedsgerichtsbarkeit und des Friedens ist
die Abrüstung eine Folge und keine Vorberei-
tung. Damit die Abrüstung möglich werde, ist
erst notwendig, daß jeder sein Recht für ge-
sichert erachtet. Demnach ist zuerst die Rechts-
sicherheit zu organisieren. Nur hinter diesem!
Schutzdamm werden die Nationen abrüsten
können.
Das Recht ist der Schutz der Schwachen.
Es hieße die Sache des Friedens entwaffnen
und diejenigen, die die Herrschaft des Rechtes
vorbereiten, schwächen. Wer unter uns dächte
daran, unser Vaterland zu schwächen, von dem
Sie mit mir in Reims auf Ihrem VI. nationalen
Kongreß gesagt haben, ,daß es in der Zukunft
das bleiben müsse, was es so oft in der Ge-
schichte gewesen, die Hüterin der Freiheit und
der Soldat des Rechts.'
233
DIE FßlEDEN5-^6-<kßTE
=9
Seien wir friedlich und seien wir stark und
finden wir uns darein, zu warten. Gerade aus
diesem Uebermaß der Lasten, die Europa be-
drücken, wird früher, als man es glaubt, die
unwiderstehliche Bewegung hervorgehen, die
«ine Politik der Klugheit, der gegenseitigen Ach-
tung und der wirklichen Sicherheit notwendig
machen wird."
Der Brief Bourgeois' ist noch viel länger.
Wir haben hier nur jene Stelle wiedergegeben,
die sich mit den Rüstungen befaßt, um die
Tendenz der verbreiteten Nachricht in das rich-
tige Licht zu setzen.
ms
Was ist ein Pazifist? :: :: :: :: :: :: :: » :: :: :: ::
(Diese Frage wirft unser englisches Bruder-
organ „The Arbitrator" in seiner Nummer von*
Juni auf. Den Anlaß hierzu bot eine Biogra-
phie Lloyd Georges, deren Verfasser die auch
bei uns in Deutschland zur Uebung gewordene
Methode befolgt, bei Anführung all der auf den
Frieden hinzielenden Taten und Aeußerungen
des englischen Schatzkanzlers entschuldigend
sich dagegen zu verwahren, daß dieser nicht
etwa ein „Pazifist" sei. Der „Arbitrator" bemerkt
dazu ganz richtig, daß der Biograph „Pazi-
fist" gleichbedeutend mit „Non-resistant" hält,
das heißt mit jener Weltanschauung der Quäker,
der auch Tolstoi zustimmte, daß man dem Uebel
nicht widerstehen dürfe. Es ist der alte, auf
Denkfaulheit beruhende Glaube, daß die Pazi-
fisten Leute seien, die den sogenannten „Frieden
um jeden Preis" fordern und in der Politik den
Grundsatz aufgestellt wissen wollen, daß man
seine linke Backe hinhalten müßte, wenn man
einen Schlag auf die rechte bekommt. Dos ist
natürlich Fälschung. Und sehr richtig fügt
.„The Arbitrator" hinzu: „Ein Pazifist ist nicht
notwendigerweise ein Non-resistant, die Be-
zeichnung gebührt vielmehr jedem,
der gegen einen ungerechtfertigten
Krieg ist, und der dafür eintritt,
daß internationale Streitigkeiten
durch Vernunftschlüsse besser als
durch das Schwert entschieden
werden."
MB
Die amerikanische Friedensadresse an Kaiser Wilhelm.
Auf Anregung Carnegies hat die amerika-
nische Gruppe der „International Conciliati">n"
zum Regierungs Jubiläum des Kaisers eine
Adresse herstellen lassen, die dem Kaiser für
seine Friedenstätigkeit in dem abgelaufenen
Vierteljahrhundert seiner Regierung dankt. Die
Adresse, die von der Kunstfirma Tiffany & Co.
prachtvoll auf Pergament ausgeführt ist, wurde
durch Vermittlung des deutschen Botschafters
in Washington, Grafen Bernstorf f, nach Berlin
übermittelt. Sie hat folgenden Wortlaut:
„An Seine Majestät den Deutschen Kaiser.
Im Namen von Organisationen und Körper-
schaften, welche das Bestreben amerikanischer
Bürger ohne Rücksicht auf Wohnsitz, Glaubens-
234
bekenntnis oder Rassenzugehörigkeit repräsen-
tieren, die Sache der Zivilisation zu fördern,
erlauben wir uns, Eurer Majestät unseren Glück-
wunsch auszusprechen zu einer Regierung, die
in unzähligen Punkten bemerkenswert ist, in
keinem Punkte aber bemerkenswerter, als in der
Aufrechterhaltung eines 25 jährigen, ungestörten
Friedens zwischen Deutschland und den übrigen
Nationen der Welt. Die unvergeßlichen Worte,
die Eure Majestät kurz vor der Thronbestei-»
gung aussprachen: „Der Frieden meines Landes
ist mir heilig" waren ebenso überlegt, wie sie
aus dem Herzen kamen. Heilig sind in der Tat
die Friedensliebe, die Zucht und der Wohlstand
des deutschen Volkes. Mehr als einmal ist es
in den verflossenen 25 Jahren das erhabene
Vorrecht Eurer Majestät gewesen, nicht nur
friedfertige Zurückhaltung zu üben, sondern sie
auch in anderen zu erwecken. Wir möchten
Eurer Kaiserlichen Majestät, unseren Dank dafür
aussprechen, was Eure Majestät getan haben,
um Krieg zu vermeiden und den Anbruch des
Tages herbeizuführen, an dem Friede auf Erden
für alle, die guten Willens sind, herrschen wird.
Abgesehen von der Erhaltung des inter-
nationalen Friedens, wissen wir, daß jeder Re-
gierungszweig sich der sympathischen Mit-
wirkung Eurer Majestät erfreut hat und sich
deren noch erfreut. Die bemerkenswerten Er-
rungenschaften auf dem Gebiete des Handels
und der produzierenden Industrien des deut-
schen Reiches sowie die Entwicklung des Acker-
baues und der Landwirtschaft sind nicht zum
wenigsten den verständnisvollen und unermüd-
lichen Bemühungen Eurer Majestät zuzu-
schreiben. Unter der Regierung Eurer Majestät
hat sich die wirtschaftliche Lage der breiten
Massen des deutschen Volkes ständig gebessert.
Deren Bildung ist zur Zeit umfangreicher und
für den Kampf ums Dasein nützlicher denn je
zuvor. Die Gesetze zum Schutz der öffentlichen
Wohlfahrt, die Pensions- und Altersversiche-i
rungsgesetze, die Schutzmaßregeln für die im
Arbeits betrieb Verletzten und Arbeitsunfähigen
sind samt und sonders größtenteils (der kräftigen
Förderung und Gutheißung Eurer Majestät zu
verdanken.
Die Zunahme der Bevölkerung und der sich
steigernde Wohlstand Deutschlands infolge der
sich stetig bessernden Lebensbedingungen und
Arbeitsverhältnisse zollen den Bemühungen
Eurer Majestät um die Wohlfahrt des deutschen
Volkes eindrucksvollste Anerkennung.
Diejenigen von uns, die sich in der Entwick-
lung der einzelnen Industrien, des Handels,
der Erziehung, der Wissenschaft und der
schönen Künste in unserem Lande betätigen,
die ferner, soweit es in ihrer Macht Hegt, die
Verbrüderung der Menschheit fördern, be-
trachten es als eine Pflicht, Eurer Majestät
ihre einmütige Anerkennung für das leuchtende
Beispiel auszusprechen, das die 25 jährige Re-
gierungszeit Eurer Majestät gibt.
... Wir beglückwünschen Eure Majestät zu dem
bemerkenswerten Fortschritt, der in Deutsch-
<§=
= DIE FßlEDEN5->XÄßTE
land auf jedem Gebiet menschlichen Strebens
unter Eurer Majestät friedliebender, segen-
bringender und kulturverbreitenden Eegierung
zu verzeichnen ist. Möge sie noch lange unge-
stört andauern."
Unterzeichnet ist diese Glückwunschadresse
von 400 der hervorragendsten Persönlichkeiten
der Vereinigten Staaten.
Im Zusammenhang damit dürfte auch die
für den 17. Juni anberaumte Anwesenheit
Carnegies in Berlin stehen.
AUS DER BEWEGVN6
Kalendarium der pazifistischen Veranstaltungen. :: ::
15. — 19. Juni: II. "Weltkongreß der inter-
nationalen Vereinigungen zu Brüssel.
22. — 29. Juni: Internationaler Theoso-
phischer Friedenskongreß in Visingkö,
Schweden.
4. — 30. August: Abhaltung eines inter-
nationalen Friedens -Seminars in Kaisers-
lautern.
19.— 21. August: VIII. Deutscher Espe-
rantokongreß in Stuttgart.
18.— 23. August: XX. Weltfriedenskongreß
im Haag.
23. — 25. August: Internationaler Friedens-
kongreß der Freimaurer im Haag.
29. August: Einweihung des Friedens-
palastes im Haag.
29. Aug. bis 13. Sept.: VIII. Weltkongreß
der Studentenverbände (Corda Fratres) in
Ithaca, New York.
29.— 31. August: IX. Internationaler Espe-
rantokongreß in Bern.
1. — 5. September: Internationale Studenten-
vereinigung im Haag.
3.-6. September: XVIII. Interparlamenta-
rische Konferenz im Haag.
1. Oktober: XXVIII. Konferenz der Int.
Law Association in Madrid.
4.-6. Oktober: Zweiter Verbandstag des
„Verbandes für internationale Verständigung"
in Nürnberg.
10. — 13. Dezember: Konferenz der deutsch-
französischen Verständigungs- Vereinigung „Pour
mieux se connaitre" in Gent.
Der zweite Verbandstag des Verbandes
für internationale Verständigung.
Der Frankfurter Verband für internationale
Verständigung versendet soeben die Einladung
zu seinem zweiten Verbandstag, der vom
4. bis 6. Oktober dieses Jahres in Nürnberg
stattfinden wird.
In dem vorläufigen Programm werden
Referate folgender Persönlichkeiten in Aussicht
gestellt:
1. Herr Geheimrat Professor Dr. L. von
Bar, Göttingen.
2. Herr Handelsredakteur , Leo Benario,
Frankfurt a. M„
3. Herr Baron D'Estournelles de Constant,
französischer Senator, Paris,
4. Herr Geheimrat Professor Dr. K. Th.
von Eheberg, Erlangen,
5. Herr Professor Dr. Adolf Friedländer.
Hohemark bei Frankfurt a. M.
6. Herr Konrad Haußmann, M. d. E., Stutt-
gart,
7. Herr Hofrat Professor Dr. Lammasch.
M. d. H, Wien,
8. Herr Bankdirektor a. D. Hermann Maier,
Frankfurt a. M.,
9. Herr Professor Dr. Christian Meurer,
Würzburg,
10. Herr Professor Dr. Otfried Nippold,
Oberursel a. T.,
11. Herr Professor Dr. Walter Schücking,
Marburg a. d. L.,
12. Herr Geheimrat Professor Dr. Philipp
Zorn, Kronsyndikus, »M. d. H, Bonn.
Außerdem wird mitgeteilt, daß die fran-
zösischen, englischen und amerikanischen Ver-
bände für internationale Verständigung auf der
Nürnberger Tagung durch hervorragende Persön-
lichkeiten vertreten sein werden. Den Kongreß-
teilnehmern werden zahlreiche Begünstigungen
zuteil werden. Auch festliche Empfänge sind
vorgesehen. Ein Ortsausschuß, an dem hervor-
ragende Personen Nürnbergs beteiligt sind, hat
sich bereits gebildet. Das endgültige Programm
wird noch später mitgeteilt werden.
Lord Rvebury f. :: :: :: :: :; :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Wieder hat die Friedenssache einen
schweren Verlust erlitten. Ende Mai ist in
London Lord Avebury (früher Sir John Lub-
bock), der hervorragende Naturforscher, im
79. Lebensjahre gestorben. Er diente der
Friedenssache seit mehr als einem Menschen-
alter. Mit Randal Cremer zusammen trat er im
Unterhause für die Schiedsgerichtsbarkeit ein.
Und während des deutsch-englischen Mißver-
ständnisses war er einer der Führer in dem
Kampfe für die Versöhnung der beiden Völker.
Er verwarf in allen seinen Schriften den Krieg
als unwürdig unserer Kultur und als eine ver-
brecherische Vergeudung. Die Teilnehmer an
dem Besuche deutscher Journalisten in England
werden sich seiner Persönlichkeit mit Freuden
erinnern. Eines seiner der Friedensidee ge-
widmeten Bücher trägt den Titel „Peace and
Happiness". Noch auf der letzten anglo-deut-
schen Verständigungskonferenz in London im
Oktober vorigen Jahres wirkte Lord Avebury
führend mit.
Ein internationales pazifistisches Seminar. :: :.- :: :.-
In Verbindung mit den vom. 4. bis
30. August d, J. in Kaiserslautern zum achten
Male stattfindenden Ferienkursen für Aus-
länder, die unter der Leitung des ausgezeich-
neten Pädagogen Wagner stehen (Anfrage:
•Ferienkurse für Ausländer, Kaiserslautern, Hack-
>235
DIE FßlEDENS-^VAßXE =
3
steaße 22, Rheinpfalz), wird in diesem Jahr
ein Friedens seminar abgehalten. Dieses stellt
sich die Aufgabe, mit den Gründen und Zielen
(der internationalen Friedensbewegung und mit
den Mitteln und Einrichtungen bekanntzu-
machen, durch die man zu einer friedlichen
internationalen Verständigung gelangen kann.
Da der größte Teil der Kursteilnehmer von
Berufs wegen an der Jugenderziehung be-
teiligt ist, so ist zu hoffen, daß sich unter
Mitwirkung führender Persönlichkeiten auf dem
Gebiete der Friedensbewegung und durch gegen-
seitige Aussprachen eine Einigung auf gemein-
same Grundsätze und Eichtlinien ermöglichen
läßt, nach denen durch eine planmäßige Jugend-
erziehung in den verschiedenen Kulturländern
einer friedlichen internationalen Verständigung
wirksam vorgearbeitet werden kann. Der Be-
such dieses Instituts ist jedermann frei ge-
stellt, die Vorträge sind öffentlich und un-
entgeltlich.
I. Vorträge:
1. Frau Baronin Berta von Suttner
aus Wien: Die Friedensbewegung in
Amerika.
2. Miß Anna Eckstein aus Boston : Die
Friedenssicherung, warum und wie eie
durchführbar ist.
3. A. H. Fried aus Wien: Die Grundr
probleme des Pazifismus.
4. Nationalrat Dr. Gobat aus Bern: Die
Organisation der Internationalen Frie-
Idensbewegung.
5. Professor Dr. Quid de aus München:
Die geschichtliche Begründung der Frie-
densidee.
6. Stadtpfarrer ümfrid aus Stuttgart:
Moral und Politik.
7. Pfarrer Wagner aus Neuhengstetfe-
Calw: Die Kirche und die Friedensr
bewegung.
8. Wagner (Kaiserslautern) : Erziehung
zum Frieden.
Außerdem haben Herr Professor
Ruyssen an der Universität Borr
deaux und Herr Dr. Westphal aus
Stuttgart, Sekretär der Deutschen Frie-
densgesellschaft, ihre Mitwirkung zu-
gesagt.
II. Aussprachen, die sich an die Vor-
träge anschließen.
III. Ausstellung der wichtigsten litera-
rischen Erzeugnisse auf dem Gebiete der
Friedensbewegung und der Verbände für
1 internationale Verständigung.
LITERATUR U PQESSE
Besprechungen. :: :: :: :: :: :: n :: :: :: :: :: :: :: :: v. ::
Friedenskongreß, V. Deutscher,
Am 26. und 27. Oktober 1912 in Berlin. Inhalt:
Bericht über den Kongreß. — Vortrag von
A. H. Fried über: Der Balkankrieg und die
Friedensbewegung. — Vortrag von Pfarrer
W. Nithack-Stahn über : Ist der
234
Kampf gegen den Krieg eine ideale oder wirt-
schaftliche Notwendigkeit? — Vortrag von
Prof. Quidde über : „Rüstungswettkampf
oder Rüstungsstillstand. — Vortrag von
Justizrat D. H e i 1 b e r g über : Inter-
nationales Leben und internationale Spannung
in ihrem Gegensatz. — Vortrag von Geheimrat
Prof. Dr. Förster über: Moral und Staats-
raison. 8 °. Stuttgart. (1913). Verlag der
Deutschen Friedensgesellschaft. 61 S.
In dieser Broschüre sind die Beratungen
und öffentlichen Vorträge festgelegt, die Ende
Oktober in Berlin stattfanden. Sie geben ein
gutes Bild über den Stand der Bewegung und
über die aktuellen Fragen, die der Krisen winter
dieses Jahres aufgeworfen hat.
Heim, Dr, Georg,
Um der Gerechtigkeit willen! Im Auftrage
der Zentralstelle der bayr. Bauernvereine in
Regensburg. 8°. Regensburg 1913. 30 S.
Auf den Inhalt dieser bemerkenswerten
Schrift ist bereits in Na 5 der F.-W. (S. 189)
hingewiesen worden. Der Zentrumsabgeordnete
Dr. Heim hat damit einen wichtigen Beitrag zur
Beratung der Militärlasten und ihres Druckes
auf die deutsche Bevölkerung gegeben. Heim
führt im besonderen aus, wie die doch
so rüstungsfreundlichen landwirtschaftlichen
Kreise Deutschlands unter der Militärpflicht
und der Rüstungslast zu leiden haben. „So
trägt der Militarismus dazu bei, die Quelle nach
und nach zu verschütten, aus der er allein den
gesunden Zufluß bekommt. Der Schaden, den
die deutsche Landwirtschaft Jahr für Iahr da-
durch erleidet, kann überhaupt nicht in Mark
und Pfennig geschätzt werden." Wenn solche
Kritik von dieser Seite kommt, so kann man
ermessen, daß die Rüstungsfreudigkeit im
deutschen Volke nicht mehr in jenem Maße
vorhanden ist, wie man es gern glauben machen
möchte.
K ohler, Josef,
Moderne Rechtsprobleme. 2. durchgearbeitete
Auflage. 8«. Leipzig. 1913. B. G. Teubner.
(Aus Natur und Geisteswelt." 128. Bändchen.)
98 S. Lwdbd.
Wir haben auf diese bemerkenswerte Schrift
schon beim Erscheinen der 1. Auflage hingd-
wiesen. Das Kapitel über den Frieden ist nicht
geändert worden. Nur der Titel wurde ver-
bessert. Er heißt nicht mehr „Ewiger Friede",
sondern „Weltfrieden."
Rosenberg, Auguste,
A. Bekenapra az iskolaknak. 8 °. Budapest.
1913. 58 S.
Zu deutsch : „Den Schulen am Friedens-
tage." Auguste Rosenberg hat nach dem Muster
der vom amerikanischen Unterichtsministerium
herausgegebenen Anleitung zur Feier des
18. Mai eine solche Anleitung für die
ungarischen Schulen zusammengestellt. Der
Inhalt stellt sich folgendermaßen dar:
Als Einleitung: Die Verordnung des Graf
Albert Apponyi, Kultus- und Unterrichts-
ministers, die Schulfeier des Friedens (.ages be-
treffend. Wiederholung der Verordnung durch
Graf Johann Zichy, Kultus- und Unter-
richtsmin:s'Ler, ferner Rundschreiben d sselben,
von den Aufsichtsbehörden der Schulen Bericht-
erstattung fordernd über die Art und Weise
der Abhaltung der Feier des Friedenstages.
— Graf Albert Apponyi: Ueber die päda-
1
<§G
DIE FRIEDEN5-^^*M2XE
gogische Bedeutung des Friedenstages. Die
Organe und Institutionen der Friedensbewegung.
— Dr. Wilhelm Lers, Staatssekretär :
Friedensidee und Pädagogie. — Dr. Alex.
Gießwein, Landtagsabgeordneter : Der
18- Mai. — Prof. Franz Kemeny: Was
kann 'jedermann für den Frieden tun. — Flora
v. Perczel- Kozma: Der Christus der
Anden. — Frau Dr. Julius Farkas: Ueber
den Frieden den Kindern. — Auguste
Rosenberg: Die Erziehung zum guten Willen
und zur Nachsicht gegen einander.
Einteilung des Lehrstoffes : Nach Mrs.
Fern-Andrews Fr. v. Markos: Den
Kindern über die Bedeutung der Haager
Friedenskonferenz. — Fr. Karl Ziper-
n o w s k y : Einige Entgegnungen. — Passende
Gedichte zur Feier des Friedens-
tages. — Ungarische Frie den s li t e -
ratur. — Krieg oder Frieden?
MB
Eingegangene Druckschriften. :; :: :; :: ::
(Besprechung vorbehalten.)
The American Journal of Inter-
national Law. A Quarterly. New York.
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Aus dem Inhalt : Eugene Wambaugh,
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tectorate. — William Cullen Dennis,
The Necessity for an international code of
Arbitral Procedura. — Hans Wehberg, Re-
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Treaties. — President Wilson and Latin
America. — William Jennings Bryan, Secre-
tary of State. — The Passing of Dollar Di-
plomacy. — The Japanese Review of Inter- -
national Law. — John Basset Moore, the new
Connsellor for the Departement of State. —
usw. usw.
Hierzu Supplement-Nummer, enthaltend Do-
kumente.
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Union. Washington 1913. April.
Aus dem Inhalt: Dinner in honor of Secre-
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International South American Postal Bureau.
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Albaniens Golgatha. Anklageakten gegen die
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1913. Josef Roller & Co. 32 S. 20 Heller.
Biermer-Gießen, Prof. Dr.,
Die finanzielle Mobilmachung. Vorträge. Aus
dem Nachlaß herausgegeben von Prof. Dr.
Lief mann-Frei bürg i. B. 8°. Gießen 1913
Emil Roth. 55 S. 1,50 M.
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Quousque tandem . . . Rede an die Nationen
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237
DIE FRIEDENS -WARTE
3
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Derselbe,
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Auteurs. Nouveaux Temoignages. 8°. Paris
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Derselbe,
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ausgabe). 13. V. * Eine Michelei. „Düssel-
dorfer Zeitung." 11. V. * E. Oberfohren,
Frauenbewegung und Antimilitarismus. „Neue
Preußische (Kreuz-) Zeitung" (Abendausgabe).
28. V.
238
<ö=
= DIE FRI EDENS -^MÄRXE
II. Die internationale Politik:
Paul Acker, L 'Exaltation du souvenir en
Allemagne et chez nous. „La semaine litteraire."
4. V. * Deutschnational — und doch, friedens-
freundlich. „Deutsches Volksblatt." (Wien.) 22.
III. * Ludwig Frank, M. d. R, Bern.
„März." 17. V. * Prof. Dr. Ludwig
Q u i d d e , Die Berner Verständigungskonferenz.
„Frankfurter Zeitung." 14. V. * GeorgKorn,
Der Friedenstag von Bern. „Zeit am Montag."
13. V. * Die Berner Konferenz. „Vorwärts."
12. V. * Deutschland und Frankreich in Bern.
„Vorwärts." 13. V. * Oesterreichische Kata-
strophenpolitik. „Frankfurter Zeitung." 15. V.
* Dr. Ludwig Haas- Karlsruhe, M. d. R.,
Die Berner Verständigung. „Berliner Tageblatt."
15. V. * Deutschland und Frankreich. „Vossische
Zeitung." 13. V. * T h. Rothstein (London),
Die deutsch-englische Annäherung. „Die Neue
Zeit." 9. V. * Arthur Eloesser, Deutsch-
land und Frankreich (Georges Bourdon:
L'Enigme allemande.) „Vossische Zeitung." 30.
V. * Die Männer um den Kaiser. (Frederic
William Wile: Men arround the Kaiser.)
„Vossische Zeitung." 30. V. * Prof. Richard
E ickhoff, Frankreich und Deutschland.
„Fränkischer Kurier." 23. V. * Anton von
M ö r 1 , Gedanken zur modernen Machtpolitik.
„Oesterreichische Rundschau." (Wien.) 15. V.
* Dr. Freiherr v. Mackay, Deutschland
und England, die fremdwerdenden Gegner.
„Magdeburgische Zeitung." 23. V. * Wie können
sich Deutschland und Frankreich versöhnen?
Eine Enquete des „Neuen Wiener Journals."
„Neues Wiener Journal." 11 V. * Prof. Dr.
T h. Fuchs, Wie können sich Deutschland
und Frankreich versöhnen? „Neues Wiener
Journal." 24. V.
III. Völkerrecht: E. Gagliardi, Der
Schiedsrichterspruch vom Haag. „Der Tag"
(illustrierter). 28. V. * Heinrich Lammasch.
„Kölnische Volkszeitung" (Abendausgabe). 21.
V. * Prof. Philipp Zorn, Heinrich Lam-
masch. „Der Tag" (illustrierter). 20. V. * P r o f .
Dr. Hans Sperl, Luftschiffahrt und Juris-
prudenz. „Urania." (Wien) 31. V. * Dr. Gustav
Streseman n, Normann Angells falsche
Rechnung. „Posener Zeitung." 4 und 6. V. *
Alfred H. Fried, The f inding of the naval
formula. „The Socialist Review." (Manchester).
May.
IV. Internationales: Prof. Dr.
Ludwig Stein, Weltbürgertum, nationale
Willensbestimmung und internationale Ver-
ständigung. (Vortrag, gehalten auf dem 2.
Kongreß des Internationalen Studentenver-
bandes in Leipzig, 16. V.) „Leipziger Neueste
Nachrichten." 17. V. * Karl Rathgen, Das
Institut Colonial International in London.
„Deutsche Kolonialzeitung" (Berlin). 17. V. *
Das Weltwechselrecht. „Berliner Tageblatt"
(Abendausgabe). 30. V. * Dr. Paul von
Salvisberg, Studentenschaft und inter-
nationale Verständigung. „Hochschul-Nach-
richten" (München). April. * Prof. Dr. Lud-
wig Stein, Die Fortschritte der inter-
nationalen Verständigung unter der Regierungs-
zeit des Kaisers. „Nord und Süd." VI.
V. Wirtschaftliches: L. Persius,
Bestrebungen für Rüstungsverminderung. „Ber-
liner Tageblatt." 28. V. * (A 1 f r e d H. F r i e d.)
Wie man Kriege macht-*. „General-Anzeiger"
(Reutlingen). 14. V.
2MITTEILVN6EN DEBS
FRIEDENSGESElLSOiAFTEN
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Schriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
Wer für seine Töchter oder andere junge Mädchen
Gelegenheit zu Studien in einer Pension in Deutsch-
land sucht, wird darauf aufmerksam gemacht, daß
diese Aufnahme finden können in der Familie unseres
Freundes Pfarrer 0. Umfrid, Stuttgart, der
jedem Pazifisten bekannt ist. — Das Pensionat wird
am 20. Oktober eröffnet werden. Lektionen in
deutscher Sprache und anderen Disziplinen. Handels-,
Kunst-, Musik- und Frauenarbeitsschulen in der
Stadt. Ausgezeichnetes Klima, herrliche Spaziergänge.
Angenehmes Familienleben.
Referenzen:
Frau Geheimrat Kromayer, Sternwartstr. 14, Straßburg.
Miß Anna B. Eckstein, Langestr. 7, Coburg.
Herr Geheimrat Professor Dr. Förster, Ahornallee 8,
Charlottenburg.
Herr Professor Dr. Quidde, Gedonstr. 4, München.
Herr Dr. Ad. Richter, Pforzheim.
Herr Direktor Wagner, Kaiserslautern.
Frau Baronin Bertha v. Suttner, 7 Zedlitzgasse, Wien I.
Herr Alfred H. Fried, 5 Widerhofergasse, Wien l£.
Oesterreichische Friedensgesellschaft,
Bureau: Wien I, Spiegelgasse 4.
Huldigung für Baronin v. Suttner
Anläßlich des 70. Geburtstages unserer
Präsidentin versammelte sich am Vorabende der
Vorstand der Oesterreichischen Friedensgesell-
schaft zu einer Festsitzung, bei welcher Vize-
präsident Balduin Groller folgende An-
sprache hielt :
Ich eröffne heute die Sitzung, welche eine
Festsitzung sein soll. Wie Sie aus der Ein-
ladung entnehmen, ist der Hauptzweck der
heutigen Tagesordnung der 70. Geburtstag
unserer Präsidentin.
Wir haben uns dem Wunsch unserer Präsi-
dentin zu fügen, die sich jede persönliche
Ehrung verbeten hat, und wir sind es gewohnt,
Disziplin zu halten. Ihr Wunsch war uns
Befehl, und vor dem überlegenen Geiste uud
starken Wollen unserer Führerin hat es bisher
immer ein Einschwenken gegeben.
Wir haben Disziplin gehalten im vollen
Bewußtsein, daß wir ihr die Führung unserer
Sache mit ruhigem Gewissen überlassen können.
Wenn auch jede persönliche Ehrung ausge-
schlossen sein muß, so war es doch für uns,
ich muß sagen, eine selbstverständliche Pflicht,
daß wir am Vorabende ihres 70. Geburtstages
uns zusammenfinden, um wenigstens unserem
Fühlen für unsere große Führerin Ausdruck zu
geben. Die Frau, die tapfere Frau, die allen
Gehässigkeiten, die einer Welt von Streitig-
keiten und hohnvollen Anschuldigungen tapfer
die Stirne geboten hat, sie hat die Flucht er-
griffen, da sie vermutete, daß die Liebe sie
rühmen, die Begeisterung sie verherrlichen will.
Da ist diese junge Dame errötet und hat die
Flucht ergriffen. Ich meine aber, daß wir diesen
Anlaß nicht vorübergehen lassen dürfen, um
in dieser Sitzung das eine zu tun, daß wir pro-
tokollarisch feststellen, daß wir erfüllt sind
von dein Gedanken, daß diese providentielle
239
DIE FBIEDENS -^ÄßTE =
=©
Frau für die Sache des Friedens mehr geleistet
hat, als irgendeiner unter uns, und ich glaube
nicht die Gefühle der Versammlung zu verletzen,
daß sie, sie ganz allein die ganze Last der Ver-
antwortung getragen hat und daß alle Erfolge
auf ihre Rechnung zu setzen sind, und so meine
ich auch, daß die Gefühle Aller Ausdruck finden
mögen, durch Unterzeichnung des heutigen
Protokolles.
Möge ihr, der vielgeprüften und glorreichen
Frau, ein heiterer und warmer Abendsonnen-
schein des Lebens beschieden seinl
Ich glaube, mit diesen Worten schließen
zu können.
Feier des Weltfriedenstages
in Wien.
Die Oesterreichische Friedensgesellschaft
veranstaltete gemeinsam mit dem Wiener
Akademischen Friedensverein, zur Feier des
Weltfriedenstages, am 18. Mai eine Festver-
sammlung in der Universität. Der Besuch war
ein ungemein starker, und man sah in der Ver-
sammlung viele Universitätsprofessoren. Die
Anwesenden wurden durch Prof. O. Richter
begrüßt. Er verlas die eingelangten Briefe und
Telegramme, darunter das Entschuldigungs-
schreiben des Unterrichtsministers, und ersuchte
den Rektor, Hofrat Di*. Weichselbaum, den
Ehrenvorsitz zu übernehmen. Lebhaft akkla-
miert, bestieg Hofrat Dr. Weichselbaum das
Podium und hielt folgende Ansprache: „Es ge-
reicht mir zur besonderen Freude, Sie heute
als Hausherr in diesen Räumen begrüßen zu
dürfen, um öffentlich zu dokumentieren, daß
der derzeitige Rektor der Wiener Universität
mit seiner ganzen Sympathie auf Ihrer Seite
steht. Diese Gefühle müssen für den Rektor
einer Universität selbstverständlich sein, ist
doch die Universität das Zentrum geistiger
Bildung, und berufen, die Kultur eines Landes
zu fördern. Die Universität hat also alle
Ursache, zu wünschen, daß der Friede
zwischen den Staaten erhalten bleibe, denn nur
in friedlichen Zeiten läßt sich Kulturarbeit
leisten. Besonders in dem gegenwärtigen Zeit-
punkte ist es unsere Pflicht, unsere Ideale
mit aller Mannhaftigkeit zu vertreten. Wir
alle haben es mit Schaudern erlebt, wie dieser
letzte Krieg mit Phrasen begonnen wurde. Es
hieß, man müsse die Brüder befreien, von dem
Joche der Unterdrückung. Dieser Befreiungs-
krieg ist nun ausgeartet in ein Hinschlachten
von Wehrlosen, von Frauen und Kindern, und
schließlich sehen wir, wie jene sich bekriegen,
die sich befreien wollten. Wir sehen, wie dieser
mit Phrasen begonnene Krieg zu einer Furie
wurde. Und wenn man versucht, dieser Furie
ein Mäntelchen von Humanität umzulegen, so
ist das nichts anderes, als bewußtes Pharisäer-
tum. (Stürmischer Beifall.). Jeder wahre
Menschheitsfreund muß das Bedürfnis in sich
fühlen, den Kriegen entgegenzutreten. Daß
die Zahl dieser Menschheitsfreunde, welche
gegen den Krieg kämpfen, immer größer und
größer werde, daß jene Menschheitsfreunde an
Ansehen, Kraft und Macht gewinnen, ist der
aufrichtige, treue und sehnliche Wunsch des
derzeitigen Rektors der Wiener Universität.
(Stürmischer Beifall.)." Mit Enthusiasmus be-
grüßt, ergriff Baronin von Suttner das Wort
und sprach über die Bedeutung des Welt-
friedenstages. Als die Rednerin den Wahl-
spruch eines amerikanischen Studenten Vereines
zitierte : „Zuerst die Menschheit und dann erst
die Nation", ertönte minutenlanger Beifall.
Hierauf sprach Alfred H. Fried über die Auf-
gaben der 3. Haager Konferenz und Prof. Dr.
O. Richter über die Entwicklung und Bedeutung
der Organisation des Menschengeschlechts.
Prof. Dr. Richter brachte die vom Berner
Bureau vorgeschlagene Resolution zur Ab-
stimmung, welche einstimmig angenommen
wurde, ebenso nachfolgendes, an Se. Majestät
gerichtetes Telegramm :
„Die vom Wiener Akademischen Friedens-
verein an der Universität zur Feier des
18. Mai, dem Gedenktage der Eröffnung der
ersten Haager Friedenskonferenz, einberufene
Protestversammlung wagt es, Euer Majestät
den Ausdruck ihrer glühendsten Dankgefühle
zu Füßen zu legen. Stets bereit, für das
Wohl des Vaterlandes unser Leben hinzu-
geben, erkennen wir doch in der Wahrung des
Völkerfriedens eines der höchsten zu er-
strebenden Ziele, und mit Bewunderung
konnten wir sehen, daß in der letzten be-
wegten Zeit, da die Wirren im Balkan ganz
Europa in die Gefahr eines Weltbrandes hätte
stürzen können, ds der Weisheit und Festig-
keit unseres erhabenen Monarchen gelungen
ist, dieses Unglück von der Mitwelt abzu-
wenden. Dafür wird Euer Majestät aus
Millionen dankbaren Herzen Preis und Segen
dargebracht.
In Brunn wurde anläßlich des Weltfriedens-
tages eine von der „Jednota mirova" veran-
staltete Festversammlung abgehalten, bei
welcher die Präsidentin, Frau J. Wurm, über
die „Bedeutung der Haager Konferenzen",
Lehrer Prazak über „Friedenserziehung in der
Famile und Schule" sprachen, und die Berner
Resolution zur einstimmigen Annahme gelangte.
An das österreichische Parlament wurde ein
Protest gegen das Wettrüsten und den Miß-
brauch der Aviatik im Kriege abgesendet.
Spenden für den Propaganda-Fonds sind
uns von nachfolgenden Vereinen zugekommen:
„Einigkeit", Wien 200 Kr.; „Zukunft", Wien
100 Kr.; „Freundschaft", Wien 50 Kr.; „Hu-
manitas", Wien 25 Kr. ; „Caritas", Prag 25 Kr.
Zur Nachahmung empfohlen : Außer den be-
reits avisierten 20 Kr., welche unserer Gesell-
schaft aus Anlaß der Vermählung der Tochter
unseres Mitgliedes, Herrn E. Lehr, zugegangen
sind, können wir weitere 20 Kr. verzeichnen,
so daß aus diesem Anlaß unserer Propaganda-
kasse 40 Kr. zuflössen.
Bei der am 1. d. Mts. abgehalten«
XXVII. Hauptversammlung des Allgem. n.
Volks bildungsvereins in Scheibbs war unse:
Gesellschaft durch Herrn Lehrer Ro
Schramm vertreten.
Verantwortlicher Redakteur: Carl A pp o 1 d , Berlin W. 50. — Im Selbstverlag des Herausgebers Alfred H. Fried, Wien IX/2.
Druck: Paus* Garleb G.m.b.H., BerßnW.57. - Ver»ntwortl. Redakteur für Oesterreich-Üngarn : Vinrens Jerabek in Wien
240
Juli 1913.
Der „dritte" Balkankrieg.
Man nennt ihn den „dritten". Es ist
aber noch immer derselbe, der im Oktober
vorigen Jahres begonnen hat. Nur die durch-
sichtige Bemäntelung, mit der man ihn zu An-
fang umgeben, ist mittlerweile verschlissen
und läßt die nackte Wahrheit erkennen.
Solche lediglich, die an jene Bemäntelung
glaubten, meinen jetzt einen neuen Krieg
vor sich.- zu haben. Aber das ist nicht wahr.
„Ein Kreuzzug war's, es war ein heiliger
Krieg." Als eine kulturhistorische Not-
wendigkeit bezeichnete man ihn, als den
Kampf des Kreuzes gegen den Halbmond;
als einen historischen Prozeß, der sich seit
Jahrhunderten vollzieht, und die Befreiung
der unterdrückten Slawenvölker vom
Türken joch zum Ziel hat. Und merkwürdig!
Nachdem der Halbmond beseitigt und die
Befreiung der „Unterdrückten" durchge-
führt war, fingen die Kreuz träger unter-
einander an, sich zu zerfleischen, kämpften
die Befreier um die Befreiten. Und damit
trat die Ursache zutage. Alle Rechtfertigun-
gen waren Phrase. Landraub war das ein-
zige Motiv, die „Kilometritis" der einzige
Antrieb zu jenem Kriege. Wenn es ihnen
bloß um die Befreiung zu tun gewesen wäre,
dann wäre die Autonomie für Mazedonien,
dem jetzigen Zankapfel, der beste Ausweg
gewesen. Aber diesen Ausweg wollte man
nicht, weil man eben an die Befreiung der
Unterdrückten gar nicht dachte, weil man
nur neue Ausbeutegelegenheiten über neue
Gebiete suchte. Die Muse der Geschichte,
die so oft aufgelegt ist zu ironischen
Scherzen, könnte es mit Leichtigkeit jetzt
herbeiführen, daß die Kreuzträger, die von
ihnen noch übergelassenen Regimenter des
Halbmondes zur Hilfe aufrufen in dem
Kampfe gegen ihre früheren Bundes-
genossen. Ethische Bedenken wurden jene
edlen Regierungen von diesem Schritt sicher-
lich nicht abhalten.
Man hat sich daran gewöhnt, uns Pa-
zifisten im Hinblick auf diese Balkanmisere
zu bedauern. Sogar der vernünftige Hugo
Ganz fängt in der neuesten Nummer von
„Das freie Wort" einen Artikel mit dem
Satz an: „Der Pazifismus hat jetzt böse
Tage, und vielleicht schlechtere stehen ihm
noch bevor". Es ist schrecklichj dies immer
wieder hören zu müssen. Als ob wir die
Kriege für unmöglich erklärt hätten. Welch
seltsamer Gedankengang! Nur dann wären
es „böse Tage" für uns, wenn wir mit
Emphase erklärt hätten, es gibt keinen
Krieg mehr, und wir uns so in unserer Vor-
aussagung getäuscht hätten. Ich möchte nur
wissen, welche Rolle diejenigen uns zu-
weisen, die uns eine solche Auffassung zu-
muten. Wenn wir der Ansicht wären, daß
es keine Kriege mehr geben kann, so wäre
unsere Aktion doch vollständig überflüssig.
Eben weil wir der Ansicht sind, daß die
heutigen Zustände noch zum Krieg führen
können, nur deshalb agieren wir. Wir sind
also gar nicht „zu bedauern", wenn das Ver-
brechen sich vollzieht, sondern diejenigen
sind es, die uns nie und nimmer begreifen,
können. Dieser Krieg am Balkan mit seinen
verschiedenen Phasen rechtfertigt wie selten
einer unsere Aktion. Schon zu Beginn haben
wir ihn als die ;,Propaganda der Tat" be-
zeichnet, und wir sind froh, feststellen zu
können, daß sich seit dem Herbst vorigen
Jahres, als Folge jener Propaganda, unsere
Reihen in ganz ungewöhnlichem Maße ver-
mehrt haben. Dieser Krieg hat für die
Friedenspropaganda den Wert eines anato-
mischen Präparates, an dem die Krankheit
in ihren hervorstechendsten Erscheinungen
studiert werden kann; die Krankheit, die
wir bekämpfen, deren Vorbeugung wir
durchführen wollen.
An diesem Kriege sind die letzten Phra-
sen der Kriegsverherrlicher gescheitert.
241
DIEFßlEDENS-^MiTE
19
Die Leute, die das Gemetzel im. Hin-
blick auf die „vitalen" Interessen der
Balkanstaaten zu rechtfertigen suchten,
haben in ihrer Beweisführung schmählich
Schiffbruch gelitten. Dieser Krieg hat ge-
zeigt, daß durch die Gewalt eine Lösung!
nicht herbeizuführen ist und durch die
Gewalt keines Landes Interessen gefördert
werden können. Es wäre auch den. Balkan-
staaten gar nicht eingefallen, Krieg zu
führen, wenn nicht die große Zwiespältig-
keit in den politischen Kombinationen der
europäischen Mächte ihnen Gelegenheit ge-
boten hätte, ihre Raubtierinstinkte zur
Entfaltung zu bringen. Gar kein sittlich
zu rechtfertigender Anlaß, gar kein ge-
schichtlich oder wirtschaftlich zu begrün-
dender Prozeß liegt dem Balkanmord zu-
grunde, sondern lediglich nur die Explosion
von atavistischen Instinkten; die ermöglicht
wurde durch die Gegensätzlichkeit der euro-
päischen Kabinette.
Die _,, Sittlichkeit" dieses Krieges wird
am drastischsten dargetan durch die Haltung
Rumäniens. Man betrachte diese einmal
im Lichte der militaristischen Phrase. Ru-
mänien hatte gar keine Ambitionen auf dem
Balkan. Es hatte nichts zu befreien, nichts
zu fordern, kein Lebensinteresse war be-
rührt, seine Ehre nicht tangiert. Das einzige
Motiv seiner Kriegführung war eine sich
bietende günstige Gelegenheit zum Raub.
Die Grenzen des Nachbarlandes waren eben
einen Moment lang nicht bewacht, und da
forderte es die Sittlichkeit des modernen
Raubstaates, über diese Grenze hinwegzu-
gehen und alles einzusacken, was sich gerade
bietet. Im Jargon unserer offiziösen Ge-
schichtsschreibung heißt es dann „^Element
der göttlichen Weltordnung", „Natur-
gesetz", „Stahlbad der Völker" usw. Wir
bezeichnen es anders. Jetzt werden wir die
Haltung verstehen, die Herr Beldiman, der
Vertreter Rumäniens auf den Haager Kon-
ferenzen, eingenommen hat. Er lehnte rund-
weg alles ab und war immer ein Bundes-,
genösse der Verneiner. Die Folgen 'dieser
Politik wird das arme, von den .Bojaren
ausgesogene Volk tragen müssen, denn es
ist ja natürlich, daß sich derartige Unzu-
verlässigkeit rächt. Die heute Ueberfallenen
und auch die nicht Überfallenen Nachbarn
dieses klassischen Landes werden sich in
der Zukunft zu schützen wissen. Da aber
nach unserer Formel jeder Schutz eine Be-
drohung ist, wird das arme Land neue
Millionen aufbringen müssen, um damit die
Treulosigkeit und die Unklugheit seiner
Staatsmänner zu bezahlen.
Für Europa sind die Entwicklungs-
phasen dieses Hexenzaubers am Balkan ein
ernstes Warnzeichen. Er zeigt wie ohn-
mächtig jene Staaten sind, die alljährlich
zehn Milliarden für die Stärkung ihrer
Wehrmacht ausgeben, und welche Gefahren
trotz aller Rüstungen aus dieser Ohnmacht
hervorgehen. Die Zwergstaaten am Balkan
können mit Europa keinen Krieg wagen,
aber sie vermögen es doch, die reichen
Riesenmächte an der Nase herum zu führen*.
Dank der europäischen Uneinigkeit sind die
Mächte zur Schwäche verurteilt, sind die
Liliputstaaten stark. Europa kann lernen
aus diesem Blutexzeß, und vielleicht hat
dieser traurige Krieg denn doch das gute,
daß der erwartete Mann der Initiative den
Boden genügend vorbereitet findet, um den
Erdteil zur Einigung zu führen. Vielleicht
wird aus dem Blutgeruch am Balkan Europa
sich zusammenfinden und die Kultur des
Erdteils dadurch gerettet werden. Uns Pa-
zifisten fällt in jedem Falle die hohe Auf-
gabe zu, in dieser Zeit der Verirrung und
Finsternis stets deutlich vernehmbar den
richtigen Weg zu weisen und vor jenem
zu warnen, der zum Abgrund führt. Wenn
wir unaufhörlich dieser Aufgabe eingedenk
sind, werden wir sie auch erfüllen. Wir
sind jetzt die wichtigsten Menschen auf
diesem Erdteil, wichtiger als alle die Ka-
binette mit ihrem geschäftigen Gehabe. Die
alte Diplomatie liegt deutlich wahrnehmbar
in den letzten Zügen ihres schon viel zu
lange währenden Daseins, die neue Diplo-
matie, die Diplomatie des Rechtes und der
Vernunft, wir Pazifisten, müssen uns
jede Minute bereithalten, ihr Erbe anzu-
treten. Aus dem großen Bankerott der
Kultur, der im Südosten Europas vor sich
geht, ersteht unsere Zeit.
______ A. H. F.
Gerhart Hauptmanns Festspiel.
Von Bertha von Suttner, Wien.
Als ich im vorigen Februar in Breslau
war, wurden mir die noch unvollendeten Jahr-
hundert-Ausstellungsräume gezeigt. Die groß-
artige Kuppelrotunde stand schon unter Dach.
Mein Führer erzählte: Hier wird von Rein-
hardt ein Festspiel vorgeführt werden, das
Gerhart Hauptmann für diesen Anlaß schreibt.
Er fügte hinzu, daß der Dichter sich lange
gesträubt, endlich aber doch eingewilligt
habe.
Die Frau unseres Justizrats Heilberg
stand neben mir. „Sie werden sehen," sagte
ich zu jhr, „an dem Stücke werden wir Freude
242
DIE FRI EDENS -^fc/ARXE
erleben; Hauptmann wird sicher den Friedens-
gedanken in seine Dichtung verweben."
Wir Pazifisten sind durch das1 Festspiel
nicht enttäuscht worden; desto enttäuschter
aber waren 230000 Veteranen und ein von
Reitergeist beseelter Prinz. Was nun folgte,
ist allgemein bekannt, denn es hat ungeheuerin
Lärm gemacht. Das1 Stück wurde abgesetzt und
Proteste erhoben sich von allen Seiten — teils:
gegen das Stück, teils gegen die Absetzung.
Zu den zahllosen lobenden und tadelnden
Kritiken, die über die Dichtung erschienen
sind, soll in diesen Blättern keine neue hin-
zugefügt werden; nicht vom literarisch-dra-
matischen Standpunkt soll sie betrachtet
werden, sondern im1 Hinblick auf jene Zeit-
erscheinung, die gerade uns am höchsten
interessiert, nämlich den Kampf zwischen
kriegerischer und pazifistischer Weltanschau-
ung, in welchem1 Kampfe die Festspiel-An-
gelegenheit eine hitzige Episode darstellt.
Hauptmann hat den Frieden verherrlicht : das1
war sein Hauptverbrechen. Doch das wurde
von den Gegnern nicht hervorgehoben. Sie
machten dem Autor den negativen Vorwurf,
daß er keine Verherrlichung des Krieges
brachte, keine patriotisch-begeisterten Töne
anschlug, daß er statt der vaterländischen
Helden die französische Revolution und den
französischen Imperator in den Vordergrund
stellte, daß er den damals regierenden
Preußenkönig gar nicht vorführte, und daß
nirgends das in militärischen Poesien
obligate Hurra ! und Hei ! ertönt. Zudem! wird
die Marionettenform als' eine Profanierung,
die absichtlich derben Knüttelverse als dich-
terisches Manko, das ganze Stück als eine
dem Wunsch des Bestellers widersprechende,
verpfuschte Lieferung hingestellt. Aber das,
worüber die entrüsteten Gegner schimpften,
ist nicht das, was sie eigentlich aufgebracht
hat — nämlich die von hohem dichterischen
Schwung getragenen Hymnen auf die Welt-
friedensidee. Davon schweigt die feindliche
Kritik. Aber das ist es, was den Ultrapatrioten
besonders hassenswert und sogar gefährlich
erscheint. Das mußte verboten werden.
Das ist es1 jedoch, was die Anhänger
der neuen Weltanschauung, was die Vorwärts-
blicker unter den Zeitgenossen, aus dieser Dich-
tung hervorholen müssen, ium ihre Zukunftshoff-
nungen daran zu stärken, um sich daran zu
freuen, daß ein kühner Dichtergeist seherisch
die Wege weist, auf denen die emporstrebende
Menschheit aus den Kämpfen der Vergangen-
heit — deren Größe ja nicht geleugnet
wird — zu höheren und größeren Zukunfts-
zielen aufsteigt :
Athene Deutschland spricht (während
eine leise Sphärenmusik durchsichtiger Klänge
ertönt) :
Welch reine Töne, neue Klänge höre ich nun,
Da sich aus blut'ger Nacht der neue Tag erhebt.
Hoch hinaus
mich weitend in des lichten Aethers andres!
Bad.
Und alldurchdringend, mich durchdringend
allzugleich,
erkenn' ich meines Daseins, meiner Waffen
Sinn :
Die Tat des Friedens ist es, nicht die Tat
des Kriegs,
Die Wohltat ist es! Nimmermehr die Missetat !
Was andres aber ist des Krieges nackter Mord.
So ruf ich euch denn auf, ihr eines anderen
Krieges
Krieger I Ihr, nicht todbringend, Leben,
Schaffende.
Des heiligen Werkzeugs goldne Waffe
schenkt' ich euch,
die volle Frucht aus steinigem Grund zu
schöpfen, und
ich machte euch zu Ringern mit dem
Wahn. Ich hob
des blinden Hasses Binde euch vom Auge los.
Ich machte euch, zu Liebenden. Ich wies
euch an,
Pfade zu treten mit des Friedens lieblichen,
bekränzten Füßen. Breite Straßen lehrt' ich
1 euch
auswerfen für der Liebe Bruderschritt...
Nach und nach müssen aus bedeutenden
Schriften erst die beschwingten Worte und
Sätze herausgesucht und hinausgestreut
werden. Solcher Worte findet sich eine große
Zahl in diesem' Festspiel. „Die breiten
Straßen für der Liebe Bruderschritt" — das
dürfte noch oft zitiert werden. Und für die
Zukunftskriege, für die Pazifisten sich wapp-
nen müssen, welch' prächtiges Regiment:
,,Die Krieger mit dem Wahn."
Die folgenden Verse, die Hauptmann einer
Prophetin in den Mund legt, die geben
unseren Schmerzen über die Gegenwart und
unseren Erwartungen für die Zukunft gar be-
redten Ausdruck.
„Europa, du, deml Christengotte Untertan!
Du, seit der Griechengötter Flucht mit Nacht
bedeckt.
In deines Schicksale Abgrund blick' ich tief
hinein,
und fernerhin vorsehend deiner Zukunft Weg.
Du zucktest oft und zuckst auch jetzt in Blut
und Schmerzen auf, geich einer Kreißenden,
denn immer ist das Kind noch nicht geboren,
das'
du seit zweitausend Jahren schon geboren
wähnst,
Europa, du noch immer Schwangere mit der
Frucht
des Zeus — — — — — — — —
Noch immer bist du nicht entbunden und
die Last
des ungebornen Gottessohnes trägst du noch.
Noch nicht geboren ist Europas Friedensfürst
Allein, ich sehe dämmern fern des Friedens
Tag.
DIE FBIEDENS -^MMiTE
19
So sehr die giftige Pestilenz auch heute noch
und finstrer Wahnsinn toben in Europas Blut.
Finsterer Wahnsinn, : jawohl — wir nennen
es Rüstungswahnsinn. Und wahrlich, in
Blut und Schmerz zuckt das unselige Europa.
Aber Hauptmann, vorwärtsblickend,
sieht das zukünftige Deutschland als eine
Lichtgestalt „hodh überm finstern Wahn des
Krieges', hoch überm! Taumel blutigen Sieges".
Sehr oft kehren in dem Festspiel solche Ver-
dammungen des1 Krieges wieder, so z. B., als
die historischen Marionetten vorgeführt
werden :
Ihr lacht ? Euch wird das Lachen vergehen,
bekommt ihr erst ihre Taten zu sehen.
Sie erscheinen steif, doch sind sie beweglich,
und ganz unsäglich unverträglich.
Ihr werdet euren Augen nicht trauen, wie sie
einander erschießen,
erstechen und über die Köpfe hauen,
Sich würgen, morden und massakrieren. —
Begreiflicherweise kann eine derartige
Sprache nicht solchen gefallen, die von dem
Festspiel die Erwartung hegten, daß es die
Kriege, zu deren Erinnerung die ganze Jahr-
hundertfeier stattfindet, nicht rückhaltlos be-
singt und belobt. Und nun wurde dem Dich-
ter der Vorwurf gemacht, daß, wenn er schon
die ihm1 gestellte Aufgabe nicht lösen kann,
weil sie seinen Gesinnungen widerstrebt, er
sie nicht zurückgewiesen habe.
Anfänglich zögerte er auch. Da aber
— so denke ich mir den innern Vorgang —
stieg in ihm! der Gedanke auf, daß hier eine
einzig große Gelegenheit geboten war, den.
neuen Geist, der nicht nur ihn, sondern
schon einen bedeutenden Teil der Mitwelt er-
füllt, weihevollen, eindringlichen Ausdruck zu
geben, und empfand nun das Unternehmen
des gegebenen Auftrages beinahe als Pflicht.
Was war von ihm' verlangt worden ? Daß
er in einem auf Massenwirkung berechneten
Schaustück den Freiheitsgeist besinge, der
vor hundert Jahren die deutsche Nation aus
Schmach und Knechtschaft aufrüttelte und
sie zur Abschüttelung eines verhaßten Joches
begeisterte. Das konnte er tun und tat es
auch. Er brauchte darum nicht den Krieg als
solchen zu verherrlichen und zur Nachahmung
für die Zukunft hinzustellen. Denn die Zu-
kunft birgt ganz andere Notwendigkeiten und
andere Ideale. Diese Ideale herauf-
zubeschwören, ihre kommenden Siege vor-
herzusagen, hatte er ein Recht, eine stolze
Freudenbotschaft konnte er damit seinem
Vaterlande und der Mitwelt bringen. Er
brauchte nur die ganze Wahrheit offenbaren,
die Wahrheit seiner Ueberzeugung und die
der Geschichte. Auf dieser Basis — der
Treue zu sich selbst und dem' Respekt der
Tatsachen — ist man sicher, ein Werk zu
schaffen, das wohl manche ärgern kann, das
aber niemand beschuldigen darf, ein Verrat
an der übernommenen Aufgabe zu sein. Mit
seinem Gewissen im reinen, baute nun der
Dichter das Gerüst seines Festspiels auf. Zu-
erst die Ereignisse, die das Erwachen des
Geistes der deutschen Freiheitskriege be-
dingten; dann; die ehrerbietige Würdigung der
von diesem Geiste inspirierten Opfertaten;
zuletzt die Wandlung und Verklärung der
diesen Geist personifizierenden Deutschland-
Athene. Diese drei Phasen folgen einander
in logischer Klarheit. Zuerst die französische
Revolution mit ihrem rasenden Pöbel, gefolgt
vom Siegeslauf Napoleons, den der Trommler
Mors begleitet; dann die Erhebung Deutsch-
lands mit ihren geistigen und kriegerischen
Helden, ihren Freiherrn von Stein, Seharn-
horst, Fichte, Jahn, Blücher — und die
hochaufgerichtete Gestalt Athene-Deutsch-
land spricht :
Ihr habt mich gewappnet, das ist gut !
Erhoben zur Priesterin und Göttin.
Ich grüß' euch unterm Goldhut,
Ihr hochgesinnten, mit hohem Sinne:
junge Männer, Jünglinge, Knaben,
die mich geweckt und gewappnet haben,
Leuchtende Jugend, unversiegliche Kraft,
Jünger der Kunst und Wissenschaft,
Denker, Dichter, süßtönige Sänger.
Des neuen Lebens Ursächer und Anfänger:
Tretet heran, Jungmann an Jungmann,
Daß ich einen jeden von. euch zu Sieg oder
Tod weihen kann.
Euren lorbeerumrankten Gedanken entstiegen,
Muß ich eure Nacken zum Opfer umbiegen.
Ihr habt mir gegeben das neue Leben,
ich muß euch dafür dem Tod hingeben;
ich gebiete euch dafür dreierlei :
Macht Deutschland von der Fremdherrschaft
frei!
Sorget, daß Deutschland einig sei!
Und seid selber frei, seid selber frei.
Zuletzt kommt die dritte Phase. Die
Kriege sind vorbei. Athene-Deutschland steht
auf der höchsten Bühne. Ihr Helm, Schild
und Speer verbreiten immer stärker allgemeines
Licht. Hinter ihr wird die Fassade eines
gothischen Doms sichtbar. In der Orchestra
erscheint ein schön gegliederter Zug, der alles
umfaßt, was der Friede an Tätigkeiten und
Segnungen enthält. Mit Bannern, Fahnen und
bekränzten Werkzeugen schreitet der Hand-
werker neben dem Landmann, der Adlige
neben dem Bürger. Schöne Frauen tragen
Fruchtkörbe, Getreidegarben usw. Gekrönt
wird der Zug durch große Männer aller Zeit-
alter; in porträtähnlichen Erscheinungen sieht
man Künstler, Dichter, Forscher, Philosophen,
Musiker !und Erfinder. Auch einige Herrscher,
die sich um die echte Kultur ihrer Völker
verdient gemacht haben. Bekränzte Namens-
tafeln werden hinter den auszuzeichnenden Per-
sönlichkeiten getragen. Und wieder spricht
die Göttin:
Dort wo ich bin und wo ihr zuströmt, ist
das Licht,
wir nie Getrennten, stets Geeinten, wissen
nichts
244
@i
DIE FßlEDENS-^^AßTE
TOn Krieg. Und also wohnt der Friede unter
uns.
Uns trennen Sprachen, trennen Strom und
Meer nicht.
Nicht trennen Götter, noch der unbekannte
Gott
die, denen aller Menschen Heil am
Herzen liegt-
Die Apotheose des Festspiels bildet also
der Völkerfrieden; daß dieser nicht etwa schon
unwidersprochen ist, das zeigt die letzte Szene.
Blücher tritt auf, damit symbolisiert der
Dichter jene Militär- und Kriegsparteien, jene
artikelschreibenden und redehaltenden Gene-
rale, die heute noch weiter den Friedensge-
danken bekämpfen.
Blücher (der säbelklirrend die Treppe
heraufkommt) :
Was war das für ein Friedensbimmelbammeln ?
Ich lebe noch! Wir jeh'n nich' nach
Jedsemane !
Trompete! Vorwärts! Blast zum Sammeln.
Aber der Direktor legt auch diese Puppe
in die Kiste:
Du wackerer Graukopf lieg an deinem Ort.
Was leben bleiben soll, das sei dein Wort.
Ich schenk es Deutschland, brenn es in sein
Herz —
nicht deine Kriegslust, aber — dein
„Vorwärts".
„Vorwärts", ist also das Schlußwort des
Festspiels, und ist zugleich sein Leitwort.
Der Dichter hat, um der Feier gerecht zu
werden, jene Episode der vaterländischen Ge-
schichte gepriesen, der die Feier galt — aber
indem1 er der Vergangenheit diesen Tribut
zollte, wies er auf die Zukunft hin, in welcher
er sein Deutschland voranschreiten, sehen
will : vorwärts, höhenwärts, glückwärts.
Verständigung
in der Flottenrüstung.
Von L. P e r s i u s ,
Kapitän zur See a. D.
Der britische Marineminister Mr. Chur-
chill schnitt mit seltenem Freimut gelegent-
lich seiner Etatsrede am1 26. März d. J. die
schwierige Frage einer Flottenbauverständi-
gung an. Jeder, der den Kulturfortschritt
der Menschheit höher bewertet als seine
eigenen egoistischen Interessen, wird dem
englischen Staatsmann dafür dankbar sein.
Mr. Churchill gab der Hoffnung auf Milde-
rung der Sklaverei, unter der er die Rüstungen
verstand, Ausdruck. Er führte aus, daß
durch die unselige Konkurrenz im' Kriegs-
schiffsbau ungezählte Millionen alljährlich
vergeudet würden, ohne einen wirklichen Ge-
winn in der relativen Flottenstärke zu zei-
tigen, und er scheute sich nicht, ganz all-
gemein den Rüstungswettbewerb als eine ver-
schwenderische, nichtige und sinnlose Tor-
heit zu charakterisieren.
Auf die besonderen Vorschläge Mr. Chur-
chill® zur Herabminderung der Rüstungs-
lasten einzugehen, erübrigt sich. Sie sind
noch in frischer Erinnerung. Jedenfalls bleibt
festzustellen, daß Großbritannien durch den
Mund seines ersten Lords der Admiralität
zu erkennen gab, daß es bereit sei, Schritte
für eine Einschränkung der Flottenbauten
zu tun, falls sich ihm die anderen Seemächte
anschließen würden.
Daß das englische Volk in seiner großen
Mehrheit einer Flottenbaubeschränkung sym-
pathisch gegenübersteht, darf angenommen
werden. Der helläugige Engländer mit seinem
praktischen Sinn hat längst erkannt, wie
zwecklos ein Wettrüsten ist, das an dem'
relativen Stärkeverhältnis nichts zu ändern
vermag. Frankreich ist jetzt mit dem Wieder-
aufbau seiner Flotte beschäftigt. Der rast-
losen Energie Boue de Lapeyreres, Del-
casses sowie des neuen Marinerninisters
Baudin verdankt es auf diesem Wege be-
merkenswerte Fortschritte. Diese Männer
können sich zugleich rühmen, die Schöpfer
des im vergangenen Jahre angenommenen
Flottengesetzes zu sein. Man könnte also
annehmen, es bestehe augenblicklich wenig
Aussicht, in Frankreich einer Flottenbau-
verständigung näherzutreten. Die fran-
zösische Nation, die man jedoch mit Recht
als eine in der Front der Kultur schreitende
hochschätzt, die sich stets interessiert zeigte,
wenn es sich um Fragen des Allgemeinwohl-
seins der gesamten Menschheit handelte,
wird sich nicht ausschließen, wenn das
Problem1 der Milderung der Rüstungs-
sklaverei zur Lösung steht. Wie stark die
Anhängerschaft des Gedankens der Ver-
ständigung in Frankreich ist, bewies die Zahl
der Besucher der Berner Konferenz am
12. Mai. Hundert französische Parlamentarier
nahmen teil, dagegen nur 30 deutsche !
Nirgends stoßen Pläne für die Einleitung
einer Rüstungsbeschränkung auf so starken
Widerstand als in Deutschland. Wohl hat
der Deutsche Kaiser unzählige Male be-
wiesen, daß für ihn der Friedensgedanke das
Leitmotiv aller Handlungen sei. Aber neben
der Regierung wissen in Deutschland un-
verantwortliche, unheilvolle Kräfte über-
großen Einfluß auf die ständige Rüstungs-
stärkung hin geltend zu machen. Jedoch sollte
die Macht dieser Kräfte im Ausland nicht
überschätzt werden. Immer mehr wird sich
auch die breite Masse des Volks bewußt,
welchen Irrlehren sie bisher Gehör schenkte,
und sie wird in Bälde erkennen lernen, wieviel
segensreicher die Politik ist, welche die Re-
gierung zu führen im Sinne hat, zu welcher
ihr bisher nur die nötige Kraft fehlte, weil
es ihr an Unterstützung mangelte, d. h. die
Politik, die darauf ausgeht, sich mit den
anderen Staaten in. Rüstungsfragen zu ver-
ständigen. Wenn, es eines Beweises be-
dürfte, daß sich die deutsche Regierung von
245
DIE FRIEDENS -WARTE =
=9
Jahr zu Jahr immer mehr Rüstungsbeschrän-
kungstendenzen, geneigt zeigt, so wird er
durch die Reden der Reichskanzler während
der letzten Zeit erbracht. Am 31. März 1909
erklärte Fürst Bülow im Reichstag bei Be-
sprechung der deutsch-englischen Verständi-
gung: „Wir halten fest an der Anschauung,
daß Verhandlungen über Einschränkung der
Rüstungen keinerlei Erfolg versprechen." Am
30. März 1911 sagte Herr v. Bethmann Hollweg
in Beantwortung einer Anfrage bezüglich der
internationalen Verständigung über allgemeine
Einschränkung der Rüstungen : „Wer die
Frage der allgemeinen Abrüstung einmal sach-
lich und ernsthaft durchdenkt, der muß zu
der Ueberzeugung kommen, daß sie unlösbar
ist, solange die Menschen Menschen und die
Staaten Staaten sind." Jedoch knüpfte er
an diese schroffe Absage schon damals ein-
lenkend das Geständnis, daß, um England
entgegenzukommen, dem dortigen Ersuchen,
Nachrichten über die gegenseitigen Schiffs-
bauten auszutauschen, in der Zukunft ^ ent-
sprochen werden solle! Und am1 7. April
dieses Jahres äußerte er gelegentlich der Ein-
bringung der Heeresvorlage, als er das Ver-
hältnis zu England und im besonderen den
Vorschlag des Mr. Churchill zu einem Feier-
jahr des Flottenbaues berührte: „Wir werden
abwarten, ob die englische Regierung mit
konkreten Vorschlägen an uns , herantritt.
Aber die Tatsache, daß der Gedanke — r einer
Rüstungsversfcändigung — ausgesprochen
worden ist, bedeutet schon einen großen Fort-
schritt !"
Es kann nicht in Abrede . gestellt wer-
den, daß sich die Anschauungen der verant-
wortlichen Leiter unserer Regierung gegen-
über einer Rüstungsverständigung gründlich
geändert haben. Was heißt es. anders1, wenn
Herr v. Bethmann von einem großen Fort-
schritt spricht, als daß das Ziel dieser Be-
strebung eine Rüstungsverständigung be-
deutet, die noch vor vier Jahren als eine
Utopie galt 1
Bei den drei größten Seemächten be-
steht somit der mehr oder minder nachdrück-
lich zum1 Ausdruck gebrachte Wille für eine
Verständigung. Freilich wurde bisher von
keiner Seite ein positiver Vorschlag gemacht,
wie eine Herabminderung zu bewerkstelligen
sei, sieht man von dem Mr. Churchills ab.
Der deutsche Reichskanzler meinte;: nachdem
er die Schwierigkeit dieses Vorschlages er-
örtert hatte: „Wir werden daher abwarten,
ob die englische Regierung mit konkreten
Vorschlägen an uns herantritt." Der Wille
ist also vorhanden, aber es fehlt an der
Initiative, ihm! feste Gestalt zu geben. Es
wäre ja eigentlich Pflicht der .Regierungen,
den von ihnen im» Prinzip als wünschenswert
erkannten Gedanken in die Tat' umzusetzen
und mit Energie daranzugehen, eine Formel
zu finden, welche die Verständigung in
Rüstungsfragen ermöglicht. :Das Problem zu
lösen, trauen sie sich scheinbar nicht zu.
Wollte man sich also auf ihre Arbeit ver-
lassen, so könnten alle Hoffnungen auf eine
Verminderung der Rüstungslasten begraben
werden.
Sollten sich nicht in den drei am
meisten interessierten Ländern Fachleute
finden, die sich dein Studium der delikaten
Frage widmen: Welche Formel läßt sich
für die Einleitung der Rüstungsbeschränkung,
empfehlen? Vielleicht erlebt Mr. Churchill
die Genugtuung, daß sein Vorschlag als an-
nehmbar bezeichnet wird! Je mehr man übe:
ihn nachdenkt, um! so mehr wird man sich
darüber klar, daß er eine der besten Lö-
sungen, wenigstens für ein Provisorium, be
deutet. Sämlicthe Einwendungen, die seiner-
zeit gemacht wurden, halten sachlicher Ueber-
legung nicht stand. Es wird beabsichtigt,
alle Seemächte zu bewegen, zunächst in die
Budgets für ein Jahr keine neuen, also ersten
Raten für Großkampfschiffe einzustellen. Die
Budgets werden den Volksvertretungen vor-
gelegt. Es ist undenkbar, daß sich ein Be-
trag von vielen Millionen etwa den Augen der
Oeffentlichkeit entziehen könnte. Ebenso-
wenig wie daß irgendwo der Kiel zu einem
Großkampfschiff gestreckt werden könnte,
ohne daß es allgemein bekannt würde. Die
Kontrolle wäre also einfach. Die von allen.
Regierungen angenommene Bestimmung hätte
z. B. zu lauten: „Wir verpflichten uns, wäh-
rend der Zeit vom 1. April 1915 bis zum
1. April 1916 den Bau keines Schlachtschiffes,
d. h. keines Schiffes über 10 000 t Deplace-
ment, in Angriff zu nehmen." Man wendet ein,
die Industrie werde zu schwer geschädigt.
Aber muß auch nicht jetzt die Privatindustrie
damit rechnen, einmal während eines Jahres
keine Neubestellung von der Marine zu er-
halten ? Blohm und Voß bauten bisher regel-
mäßig unsere Schlachtkreuzer. Der vor-
jährige Auftrag ging an die Schichau-Werft,
der diesjährige an die Kaiserliche Werft in
Wilhelmshaven. Die Firma Blohm und Voß
hatte sich besonders auf den Bau des Typs
eingerichtet und brachte die besten Kriegs-
schiffsmodelle heraus, die wir besitzen. Nun
ist sie ohne Beschäftigung für die Kriegs-
marine. Wird sie deshalb zugrunde gehen ?
Ganz gewiß nicht. Bei vorausschauender,
tüchtiger Geschäftsführung wird sie auch die
Kriegsschiffsbauaufträge entbehren können.
Heißt es doch jetzt zuweilen von seilen der
Privatwerften : „An ihnen verdienen wir
nichts." Im Geschäftsbericht der Vulcan-
Werke. in Hamburg und Stettin wird als
Grund des beträchtlichen Fallens der Divi-
dende (von 11 o/o auf 6 o/o) das demorali-
sierende Preisniveau für Schiffsneubauten an-
geführt, und es verlautet, daß sich das be-
sonders auf die Schiffe für unsere Kriegs-
marine bezieht. Die Schiffsbau-, Panzer-
platten- und ; Geschützfirmen werden also
leicht den geringen ; Ausfall verschmerze«.
:
246
es
DIE FRI EDENS -VX^DTE
Was bedeuten z. B. in Deutschland im Jahre
1915 die ersten Raten für Großkampfschiffe?
Ein Linienschiff und ein Panzerkreuzer
kommen in Frage, somit im Maximum
12 Millionen Mark. Und diese Summe ent-
fällt doch noch längst nicht auf die Werften
allein ! In England stellt sich naturgemäß
•die Summe nicht unbeträchtlich höher, weil
die Bauten nicht in drei, sondern in zwei
Raten bewilligt werden, und alljährlich zu
etwa fünf Großkampfschiffen die Kiele ge-
streckt werden. Dahingegen verteilt sich die
eventuelle Beschäftigung im Regierungsdienst
aber auch auf weit mehr Werften als in Deutsch-
land und Frankreich. Aehnlich wie in Deutsch-
land liegen die Verhältnisse in Frankreich.
Dort kommen auch nur zwei erste Raten
in Betracht, da das Flottengesetz alljährlich
zwei Neubauten von Schlachtschiffen vorsieht.
Wie wenig berechtigt der Einwand, aus Rück-
sicht auf die Industrie verbiete sich eine
Einschränkung der Flottenrüstungen, ganz
abgesehen von der in ihr liegenden naiven
Skrupellosigkeit ist, geht aus der Entwicklung
der Flotte der Vereinigten Staaten hervor.
Vor acht bis zehn Jahren herrschte dort
eine rege Kriegsschiffsbautätigkeit. 1904
z. B. liefen sieben Linienschiffe und fünf
Panzerkreuzer von Stapel. Das war während
der Amtsperiode des flottenbegeisterten
Präsidenten Roosevelt. In den letzten Jahren
bauten die Vereinigten Staaten alljährlich nur
je ein einziges Schiff. Man hörte trotzdem
nichts von dem Zusammenbruch der Werften 1
Weiter wurde eingewendet, England
hätte, weil es zu einem andern Termin als
wir seine Schiffe auf Stapel lege, und weil
es schneller baue, einen Vorteil. England
stellt jetzt in 24 bis 30 Monaten Großkampf-
schiffe her, wir in 30 bis 36. Das war so und
wird voraussichtlich so bleiben. Der einfache
Menschenverstand wird also den Einwand
nicht begreifen. Wenn während zwölf Mo-
naten kein Schiff auf die Helling gelegt wer-
den darf, so ändern Kielstreckungstermine
und Bauzeiten nichts an der Situation.
Auf den etwa erhobenen Einwurf, es könne
nicht untersagt oder verhindert werden, Ma-
terialansammlungen für den Bau vorzubereiten,
so ist zu erwidern, daß das jetzt auch dicht
vor Beginn des neuen Etatsjahres geschieht.
Viel ausmachen tut dergleichen nicht, und
schließlich kann das von allen Staaten gleich-
mäßig geschehen. Ferner wurde der Einwand
laut, auf britischen Werften würden manche
Kriegsschiffe für fremde Regierungen erbaut,
die im JMobilmachungsfaLle von der englischen
Regierung in Beschlag gelegt würden. Aber
auch in Deutschland werden verschiedene
große und kleine Kriegsschiffe im1 Auftrage
fremder Staaten hergestellt ! Zudem, alles
dies berührt doch nicht das Flottenbaufeierr
jähr. Endlich heißt es, England ruft jetzt,
da seine Werften überlastet sind, nach einer
Pause. Das ist unrichtig. Mr. Churchill
stellte vollkommen frei, wann das Feierjahr
eingeschoben werden sollte. Er schlug es
keineswegs sofort vor. Also wird auch
dieser Einwand hinfällig. Für Deutschland
wie für Frankreich werden zwölf Ferienmonate
im Kriegsschiffsbau sogar in technischer Be-
ziehung gewisse Vorteile haben. Die fran-
zösischen Werften sind überlastet, und für
uns wäre es zu begrüßen, wenn nach der
gar zu hastigen Schiffsbautätigkeit der letz-
ten Zeit einige Ruhe einträte und Muße zur
Klärung gewisser konstruktiver Fragen ge-
wonnen würde. Heut bauen wir noch
Schlachtkreuzer. England gab den Typ auf,
Frankreich hat ihn stets für nicht existenz-
berechtigt gehalten; die Vereinigten Staaten
ebenso. Ernstes Studium während eines
Jahres wird für die glückliche Fortentwick-
lung unserer Schiffsbauten von Bedeutung
sein, wird z. B. die Frage der Opportunität
des Schlachtkreuzerbaues klären.
Man erkennt, daß an dem Vorschlag
Churchills, betrachtet man ihn namentlich
als einen Versuch, einen Uebergang, herzlich
wenig auszusetzen ist. Keineswegs braucht
man sich aber auf ihn zu versteifen. Es gibt
zahllose Wege, eine auf gegenseitige Ab-
machung beruhende Rüstungseinschränkung
zu ermöglichen. Ich erwähne nur Fest-
setzung der Deplacementsgrenze, bis zu
welcher zunächst die Großkampfschiffe ge-
baut werden dürfen, Festsetzung der Zahl
der großen Geschütze an Bord und ebenfalls
der Grenze des Kalibers. Zweifelsohne
lassen sich manche brauchbare Formeln
finden. Wenn man bisher von unüberwind-
lichen Hindernissen, denen ein all-
gemeines Abkommen über eine Flotten-
einschränkung begegnen würde, sprach, so
lag das daran, daß der Frage kein fach-
männisches Studium gewidmet wurde. Es
wäre zu begrüßen, wenn nun ein Wandel
einträte. Augenblicklich ist die Zeit für
einen Schritt vorwärts in der Flottenrüstungs-
beschränkungsfrage günstig. Frankreich und
Deutschland haben sich zu einer gewaltigen
Verstärkung ihrer Landstreitkräfte ent-
schlossen, welche viele Hunderte von Millio-
nen den Schultern der Steuerzahler aufbürdet.
In beiden Ländern wird daher ein Ausweg,
die Rüstungskosten an einer anderen Stelle
herabzumindern, willkommen geheißen wer-
den. Großbritannien hat freilich durch den
Mund Churchills erklärt, daß es leichter als
alle fremden Staaten die nötigen Mittel für
die Landesverteidigung aufbringen könnte,
aber es hat dennoch durch den Appell der
„Stärke des in der Front Schreitenden", der in
dem Vorschlag des Flottenfeierjahrs gipfelt,
bekundet, daß ihm eine Verminderung der
Flottenlasten nicht unangenehm1 wäre; oder
will man etwa annehmen, daß. der englische
Staatsmann lediglich im Interesse anderer
Länder sprach ?!
247
DIE FßlEDENS-^ADTE =
■3
Der Lösung des Flottenbaueinschrän-
kungsproblem's winkt, so muß man hoffen,
ein seltener Preis, ein bezüglicher, für alle
Seemächte bindender Beschluß auf der näch-
sten Haager Konferenz. Die Regierung, die
den Mut findet, mit brauchbaren konkreten
Vorschlägen für eine Rüstungsbeschränkung
hervorzutreten, wird sich den Dank der ge-
samten Kulturwelt sichern.
Bryans Friedensvorschlag.
Nachdem das1 Taftsche Projekt eines un-
beschränkten Schiedsvertrages in der Sitzung
des1 amerikanischen Senats vom 7. März 1912
gescheitert ist, hat der jetzige Staatssekretär
des Nachfolgers Tafts die Idee wieder auf-
genommen und mit überraschender Schnellig-
keit den Mächten seinein neuen 'Plan unter-
breitet. Bryan ist von jeher ein überzeugter
Anhänger der modernen Friedensbewegung
gewesen, und da der amerikanische Senat
gegen den jetzigen Vorschlag kaumi Be-
denken erheben wird, so hängt die Verwirk-
lichung der Idee in der Hauptsache von der
Stellungnahme der fremden Regierungen ab.
Vergegenwärtigt man sich, daß bereits
nach wenigen Wochen die italienische, fran-
zösische, englische, russische, japanische usw.
Regierung dem Bryanschen Plane zugestimmt
haben, so erkennt man die zukünftige Be-
deutung jener Anregung. Wie wird sich, so
müssen wir vor allem fragen, die deutsche
Regierung zu dem Plane verhalten ? Es liegt
auf der Hand, daß unser Auswärtiges Amt
den Vorschlag prüfen wird, zumal es bereits
eine genaue Abschrift des Wortlautes jenes
Entwurfs eingefordert hat. Eine freundliche
Aufnahme jener Anregung dürfte schon des-
wegen vorteilhaft sein, weil sonst im Aus-
lande der Gedanke entstehen könnte,/
Deutschland leiste den Friedensideen, die in
der ganzen Welt begeisterte Zustimmung
finden, hartnäckigen Widerstand.
Der Bryansche Vorschlag gehört zu den-
jenigen Entwürfen des neuen Völkerrechts,
die eine friedliche Erledigung aller Strei-
tigkeiten ermöglichen wollen, selbst der-
jenigen, die die Ehre und die Lebensinter-
essen der Parteien berühren. Zwei Wege
hat man in neuerer Zeit zur Erreichung dieses
Zieles; einzuschlagen versucht. Einmal
haben eine Reihe von Staaten vorbehaltslose
Schiedsverträge miteinander geschlossen,
durch die alle Streitigkeiten dem Haager
Ständigen Schiedshöfe überwiesen werden.
In diesem' Zusammenhange sind zu nennen
die Verträge 1. zwischen Italien und Däne-
mark, 2. zwischen Italien und Holland,
3. zwischen Holland und Dänemark, 4. zwischen
Dänemark und Portugal, 5. zwischen Italien
und Argentinien, 6. zwischen den zentral-
amerikanischen Staaten. Wie man erkennt,
handelt es sich hier um1 Parteien, zwischen
24 8
denen ein Krieg kaum1 entstehen kann. Trotz-
dem müssen Bedenken geäußert werden, ol
es bereits heute zulässig ist, Lebensinter-
essenfragen der Schiedsgerichtsbarkeit zi
unterwerfen, und namentlich Geheimrat
Zorn hat in seiner Rektoratsrede „Di
Deutsche Reich und die internationale
Schiedsgerichtsbarkeit" (1911) sowie in seiner
Rede auf der Genfer interparlamentarische!
Konferenz von 1912 diese Frage verneint. Mit
großer Folgerichtigkeit hat er dargetan, dal
ein Staat seine Lebensinteressen einer
Schiedsgerichte nicht unterwerfen könne, un(
daß daher selbst in den Verträgen, in denen
man die Interessenklausel gestrichen habe,
der Vorbehalt der Lebensinteressen ent-
halten sei.
Die Bedeutung der amerikanischen Vor-
schläge liegt nun darin, daß sie zwar eben-
falls die friedliche Erledigung aller Streitig-
keiten sichern wollen, aber ein anderes Mittel
als die Schiedsgerichtsbarkeit wählen. In dem
Taftschen Projekte kam dies freilich nicht
zum klaren Ausdruck, und es ist mir bekannt,
daß hervorragende amerikanische Juristen,
die der Schiedsgerichtsbarkeit sehr freund-
lich gegenüberstehen, erklärt haben, es sei
ein Mischmasch von Schiedsgerichtsbarkeit
und diplomatischer Streiterledigung. Ganz
gewiß ist dieser Tadel nicht unberechtigt
gewesen. Bedeutete auch nach meiner Ueber-
zeugung der Vorschlag eines englisch-
amerikanischen Schiedsvertrages einen Fort-
schritt, so war doch der Plan in vielen Einzel-
heiten anfechtbar. Die Bryansche Idee hat
ganz gewiß den Vorzug größerer Klarheit.
Hier tritt die Schiedsgerichtsbarkeit als
Mittel der friedlichen Streiterledigung gänzlich
zurück, und die Idee lautet einfach: Alle
Streitfragen, auch soweit sie die Ehre oder
Lebensinteressen berühren, sollen, wenn die
diplomatische Erledigung erfolglos blieb, einer
Untersuchungskommission überwiesen wer-
den. Diese Kommission, die aus Angehörigen
der Streitteile oder auch zum' Teil aus neu-
tralen Staatsangehörigen zusammengesetzt
ist, soll die Tatfragen unparteiisch und ge-
wissenhaft aufklären.
Was wäre nun mit der Einsetzung einer
solchen Kommission erreicht ? Zunächst sei
darauf hingewiesen, daß der Bericht der
Kommission für die Streitteile nicht bindend
ist und es jeder Partei freisteht, ob sie nicht
einen anderen Standpunkt vertreten und
diesen möglicherweise mit Waffengewalt
durchführen will. Aber die Urheber des'
Planes rechnen damit, daß durch die Ueber-
weisung des Streites an die Kommission viel
Zeit vergeht, innerhalb derer sich die Er-
regung der Parteien abkühlt und sich Ge-
legenheit zur friedlichen Lösung bietet.
Schon ein Vorfall aus der jüngsten Zeit
liefert den Beweis, daß wir es hier nicht mit
etwas Neuem1 zu tun haben. Als im vorigen
Jahre das französische Schiff Tavignano von
<g==
DIE FRIEDEN5-^^4\ßXE
den Italienern unter dem Verdachte des
Konterbandetransportes weggenommen wurde,
setzten Italien und Frankreich eine Unter-
suchungskommission ein, die feststellen sollte,
ob das Schiff innerhalb oder außerhalb der
Territorialgewässer aufgegriffen wurde. Frank-
reich und Italien ernannten je zwei Schiffs-
offiziere zu Kommissaren, die unter Vorsitz
eines englischen Kapitäns in Malta zusammen-
traten und eine Feststellung des Tatbestandes
trafen. Inzwischen hatte sich die Erregung
der beteiligten Kreise über den Vorfall ge-
legt, und man kam überein, den Fall dem
Haager Schiedshöfe zur Entscheidung vor-
zulegen. Später einigten sich jedoch die
beiden Mächte diplomatisch, indem sich
die italienische Regierung verpflichtete,
5000 Franken Entschädigung an die Besitzer
der Fischerboote zu zahlen. In einer viel
schwierigeren Angelegenheit haben die Staaten
1904 von den Untersuchungskommissionen
Gebrauch gemacht. Als nämlich während
des Russisch-Japanischen Krieges englische
Fischerboote von russischen Kriegsschiffen
beschossen wurden, entstand in England eine
ungeheure Erregung; "doch übergaben Eng-
land und Rußland diesen sogenannten Huller
Fall schon bald einer Untersuchungskom-
mission, deren Bericht die Billigung der Par-
teien fand. Aus der jüngsten Zeit ist noch
der Fall Prochaska und die Affäre Palics
zu erwähnen, zu deren friedlicher Erledigung
der Bericht von Untersuchungskommissionen
viel beigetragen hat. Die Einrichtung der
Untersuchungskommissionen ist auf der ersten
Haager Friedenskonferenz in das allgemeine
Völkerrecht eingeführt worden, und zwar auf
Vorschlag des russischen Völkerrechtslehrers
v. Martens:. Dieser hat sich sowohl 1899
wie 1907 vergebens bemüht, diese Kommissio-
nen obligatorisch zu gestalten. Man war auf
beiden Konferenzen äußerst vorsichtig und
nahm in den Artikel 9 des Haager „Ab-
kommens betr. die friedliche Erledigung
internationaler Streitigkeiten" eine sehr be-
schränkte Bestimmung folgenden Inhalts auf :
„Bei internationalen Streitigkeiten, die weder
die Ehre noch wesentliche Interessen be-
rühren und einer verschiedenen Würdigung
von Tatsachen entspringen, erachten die Ver-
tragsmächte es für nützlich und wünschens-
wert (es heißt nicht: sie verpflichten sich,),
daß die Parteien, die sich auf diplomatischem
Wege nicht haben einigen können, soweit es
die Umstände gestatten ( ! ), eine internatio-
nale Untersuchungskommission einsetzen
mit dem Auftrage, die Lösung dieser Streitig-
keiten zu erleichtern, indem sie durch eine
unparteiische und gewissenhafte Prüfung die
Tatfragen aufklären." Statt dieser mehrere
Einschränkungen enthaltenden Bestimmung,
die trotz der Ehren- und Umstandsklausel
nicht einmal eine juristische Verpflichtung,
sondern nur einen Wunsch enthält, will nun-
mehr Bryan , die obligatorischen
Untersuchungskommissionen in
das Völkerrecht einführen.
Die Einwände, die man gegen, die Schieds-
gerichtsbarkeit vorbringt, sind den Unter-
suchungskommissionen gegenüber nicht stich-
haltig. Denn die Staaten behalten ja durch
den Bericht der Kommission vollkommen
freie Hand. Nur insofern wird man eine
rechtliche Bindung feststellen müssen, als
fortan eine Kriegserklärung nicht möglich
sein würde, bevor die Untersuchungskom-
mission ihren Bericht abgegeben hätte. Vom
militärischen Standpunkte aus wäre zu er-
wägen, ob man der anderen Vertragspartei
gegenüber darauf verzichten kann, den Zeit-
punkt des Losschiagens selbst zu bestimmen.
Ueber diese Frage werden die Ansichten
naturgemäß auseinandergehen. Aber die
Gegner mögen bedenken, daß alle völker-
rechtlichen Verträge auf einer gegenseitigen
Bindung beruhen; man beschränkt sich auf
der einen /Seite, uml auf der anderen Seite Vor-
teile zu erlangen. Wenn es tatsächlich mög-
lich wäre, daß durch die Annahme des Bryan-
schen Vorschlages der Weltfriede auf eine
festere Grundlage gestellt würde, dann könnte
keine Regierung vor der Geschichte und den
Völkern die Verantwortung auf sich nehmen,
diesen Plan durch eine Ablehnung zu Fall zu
bringen. Welche Hindernisse auch immer
für Deutschland bestehen mögen, einen
solchen Vertrag mit europäischen Staaten
zu schließen, so fallen doch wohl alle Be-
denken gegenüber Nordamerika, dessen eigen-
tümliche Lage Deutschland den Abschluß
eines solchen Vertrages gestattet.
Wir haben es in den letzten Jahren
wiederholt erlebt, wie angesichts einer
schweren Krisis behauptet wurde, jetzt sei
ein Krieg die einzige Lösung. Wie mancher-
lei Streitigkeiten sind kürzlich diplomatisch
beigelegt worden, nachdem der Krieg in eine
sehr bedrohliche Nähe gerückt war und
Millionen Kapitalien verloren, waren. Daß bei
gutem Willen der Parteien eine Verständi-
gung immer möglich ist, erscheint daher
nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen.
Trifft dies aber zu, dann sollten die Völker
durch die Annahme des Bryanschen Vor-
schlages ein Sicherheitsventil schaffen, damit
nicht durch die augenblickliche Erregung
der Parteien Kriege geführt werden, die
hätten vermieden werden können.
Es ist übrigens eigenartig, festzustellen,
wie schnell |die Entwicklung des ^1899 im Haag
Geschaffenen vor sich geht. Auf der ersten
Haagfer Konferenz wurden sowohl die Unter-
suchungskommissionen wie die Vermittlung
recht zaghaft in den Weltvertrag auf-
genommen, und heute schon beginnen diese
Institute an Bedeutung über Erwarten zu-
zunehmen. Während der jüngsten Balkan-
wirren hat die Vermittlungs aktion der
Mächte in ganz erstaunlicher Weise funktio^
niert. Man braucht nicht direkt anzunehmen,
249
DIE FRIEDENS ->MMiTE =
S>
daß nun auch jeder gefährliche Streit durch
dieses Mittel aus der Welt geschafft wird,
aber man darf doch betonen, welche Vor-
teile die Vermittlung heute schon bietet.
Bemerkenswert ist zudem die Tatsache,
daß während der zahlreichen Krisen der
letzten Jahre verhältnismäßig wenige Streit-
fälle vermittelst der Schiedsgerichtsbarkeit
erledigt worden sind. Fast alle wichtigeren
Konflikte fanden ihre gütliche Beilegung
durch die diplomatischen Verhandlungen der
Mächte. Dies spricht besonders für die Auf-
fassung, daß der Krieg keineswegs, wie noch
vereinzelt angenommen wird, durch die
Schiedsgerichtsbarkeit überwunden werden
wird, sondern durch internationale Verständi-
gungen. Der immer größere Zusammen-
schluß der Staaten in kultureller und wirt-
schaftlicher Beziehung, das dadurch herbei-
geführte Risiko eines Krieges, ist der stärkste
Faktor, der die Staaten zu dieser Ver-
ständigungspolitik treibt.
Darum ist auch der Bryansche Plan so
ausgezeichnet, weil er letzten Endes auf der
Erwägung beruht, daß die Schiesdgerichts-
barkeit allein zur Erledigung der Streitfragen
nicht geeignet ist, und man gut tut, auf
alle mögliche Weise die diplomatische Ver-
ständigung zu erleichtern. Das vermögen
nun die Untersuchungskommissionen gewiß
recht gut.
Von Tag zu Tag wird die Abhängigkeit
der Staaten und demgemäß das Bestreben,
sich zu verständigen, an Bedeutung zunehmen.
Während jetzt noch bei jedem Streite im
Hintergrunde mit dem Schwerte gedroht wird,
dürfte bald schon ein ruhigeres Verhandeln
durch die Diplomaten stattfinden. Die
Diplomatie, unterstützt durch die Unter-
suchungskommissionen, wird eine immer wich-
tigere Aufgabe zu erfüllen und letzten Endes
sämtliche politischen Streitigkeiten bei-
zulegen haben. Geht diese Entwicklung
schnell voran, dann wird rnan auch theoretisch
gar nicht mehr den Versuch machen, po-
litische Konflikte dem Haager Schieds-
hof anzuvertrauen. Die Schiedsgerichtsbar-
keit wird nur noch für die rein rechtlichen
Streitigkeiten verwandt werden, aber an Be-
deutung zunehmen, je zahlreicher diese Art
von Streitfällen mit der immer stärkeren Or-
ganisation der Welt werden. Das, was wir
heute Schiedsgerichtsbarkeit nennen, wird an
Bedeutung abnehmen, und neben sie die Ge-
richtsbarkeit treten. Dr. H. W.
Die Furcht der Franzosen.
Von Richard Gädke, Berlin-Steglitz,
früher Oberst und Regimentskommandeur.
Die neue deutsche Wehrvorlage ist gewiß
unzureichend begründet worden. Man kann
sich kaum eines Lächelns erwehren, wenn man
sich jetzt daran erinnert, daß die Entstehung
einer neuen Großmacht auf dem Balkan einer
jener Vorwände war, die der deutschen Volks-
vertretung das schwer verdauliche Gericht
schmackhaft machen sollten. Jetzt, wo
der blutige Krieg zwischen den zärtlichen
Brüdern in vollem Gange ist, wird
selbst ein deutscher Reichskanzler nicht
mehr leugnen, daß noch ein weiter Weg
uns' von dem1 Augenblicke trennt, wo
Rumänen und Griechen, Serben und Bul-
garen in einem großen, einheitlich geleitete
Bundesstaate vereinigt sein werden. Vor-
läufig lieben sie sich gegenseitig zum
„Fressen", und es wäre eine ungewöhnlich
unfruchtbare und ungewandte Staatskunj
Oesterreichs, wenn es nicht in dieser Un-
einigkeit die Mittel fände, einen ausschlag-
gebenden Einfluß auf dem Balkan auszuüben.
Mit dem ganzen Schwergewicht seiner großen
Macht liegt es dem Balkan viel näher als
Rußland; wohlwollend und entschieden zu
gleicher Zeit, würde es1 sicher sein können,
von dorther keinen Flankenangriff besorgen
zu müssen.
Zu den sonstigen Gründen der deutschen
Wehrvorlage hat, soweit die Reichsregierung
es überhaupt für nötig befunden hat, den
Schleier des Geheimnisses ihrer Motive ein
wenig zu lüften, anscheinend die Besorgnis
gehört, daß Rußland im Kriegsfälle zu
einem sofortigen Angriff entschlossen und
auch weit mehr bereit gewesen sei, als die
Militärverwaltung bis dahin angenommen.
Allerdings gibt es Kenner der Verhältnisse,
die alle vorbereitenden Maßnahmen der
Russen aus der umgekehrten Furcht vor
einem1 Ueberfall durch Oesterreich und
Deutschland erklären. Daß man auch bei
uns in den Grenzgegenden sehr wachsam1 und
auf das äußerste gefaßt gewesen ist, kann als
publici juris hingestellt werden. Und so
kommt es also, daß die gegenseitige Furcht
die Völker zu neuen und immer neuen
Rüstungen treibt, die schließlich weder an
dem Kräfteverhältnis noch an dem Verhält-
nis der gegenseitigen Kriegsbereitschaft das
mindeste, aber auch nur das aller-
mindeste ändern. Ein furchtbarer circulus
vitiosus, der der Einsicht der Staatslenker
unserer Zeit nicht das beste Zeugnis ausstellt.
Auch die große französische Heeres-
vorlage, die Wiedereinführung der dreijährigen
Dienstzeit, wird in erster Linie mit der Furcht
vor einem1 plötzlichen Ueberfalle durch
Deutschland, ohne vorherige Kriegserklärung,
vor der Welt und dein eigenen Parlamente
erklärt. Und dieses Schreckgespenst muß
dazu herhalten, einem hochgebildeten, ge-
werbsfleißigen, in allen Künsten des Friedens
hervorragenden Volke die Uebernahme einer
geradezu ungeheuren Last aufzuzwingen.
Denn das1 eine muß immer und immer wieder
mit aller Entschiedenheit betont werden, daß
im Verhältnis zur Volkskraft die militärische
2'C
@~E
= DIE FRI EDENS ->M&R.TE
Bürde Frankreichs weitaus schwerer und
drückender ist als die Deutschlands. Frank-
reich stellt einen größeren Prozentsatz Dienst-
pflichtiger ein, geht erheblich über die bei
uns festgehaltenen Grenzen der Tauglichkeit
hinaus, zieht die Leute durchschnittlich zu
längerer Dienstzeit ein und zahlt auf den Kopf
der Bevölkerung eine größere Prämie für
diese Versicherung gegen den Krieg. Man
muß, wenn man gerecht sein will, dies immer
wieder betonen, wie man auf der anderen
Seite zugeben muß, daß es' sich in seiner
Stellung als Großmacht durch das Wachs-
tum der deutschen Bevölkerung, durch die
absolut genommen größere Stärke des
deutschen Heeres und wohl auch gelegent-
lich durch die deutsche auswärtige Politik
bedroht glaubt!
Ob man freilich auch den Glauben an.
einen plötzlichen Vormarsch der deutschen
Grenztruppen zur Ueberflutung der nächst-
gelegenen Gebiete und zur nachhaltigen Stö-
rung der französischen Mobilmachung allen
Ernstes teilt, ob insbesondere die einsich-
tigen französischen Generale von ihm erfüllt
sind, ist mehr als zweifelhaft. Wahrschein-
licher ist es, daß man dieses wirksamste
Propagandamittel anwendet, um die drei-
jährige oder mindestens die dreißigmonatige
Dienstzeit gegenüber dem Widerstreben be-
trächtlicher Teile des französischen Volkes
durchzudrücken. Denn diese Verlängerung
der Dienstzeit ist dort drüben nicht po-
pulär, trotzdem die große Mehrzahl der
Pariser Blätter die Oeffentlichkeit darüber
hinwegzutäuschen sucht.
Gegenüber der größeren Kriegsbereit-
schaft aller seiner Truppen, besonders aber
der Grenztruppen, die Deutschland durch
die neue Wehrvorlage erhält, haben die
Franzosen freilich kein anderes Aequivalent
als die Verlängerung der Dienstzeit. Sie
haben sich eben derartig zahlreiche Stämme
an Friedenstruppen geschaffen, wie sie ihrer
Bevölkerung nicht mehr entsprechen. Und
darum sind diese Stämme selbst an der
Grenze gegenwärtig lange nicht so stark, wie
die deutschen es nach dem nun bewilligten
Gesetze sein werden; im Innern sind sie zum
Teil kümmerliche Skelette. Dazu kommt,
daß ein Teil ihres Heeres für den Be-
ginn eines Krieges nicht verfügbar ist, weil
sie zahlreiche, auch national-französische
Truppen in Algier und Tunis, und wahrschein-
lich noch auf lange Zeit in Marokko gefesselt
haben. Gegenüber der konzentrierten Kraft
Deutschlands, das freilich nach zwei Seiten
Front machen muß, befindet sich die Heer-
macht Frankreichs, seiner aktiveren äußeren
Politik entsprechend, in einem gewissen Zu-
stande der Zersplitterung.
Aber diese relative Schwäche ist bei
weitem nicht so groß, die überlegene Stärke
der deutschen Grenztruppen auch nicht an-
nähernd eine derartige, daß sie die deutsche
Heeresleitung zu dem Wagnis eines Ein-
bruches immobiler Truppenteile indasNachbar-
land verleiten könnte. Das müssen die Fran-
zosen ebenso gut wie wir übersehen, und
die von der Regierung vorgeschützte Furcht
vor einer attaque brusquee als Hirngespinst
oder Bluff erkennen können. Denn trotz
ihrer großen Friedensstärke sind alle diese
Truppenteile keineswegs unmittelbar kriegs-
bereit; es fehlen den Bataillonen immer noch
etwa je dreihundert Mann und die Bespannung
ihrer zahlreichen Fahrzeuge; noch weniger
bereit sind die Batterien und der Heerestroß.
Die Franzosen selbst aber haben die Nach-
teile eines übereilten Vorwerfens nicht kriegs-
bereiter Truppenteile im Jahre 1870 am eige-
nen Leibe so schwer gefühlt, daß sie mit
Fug und Recht nicht glauben dürften, die
vorsichtige deutsche Heeresleitung werde sich
so leichthin zu einem ähnlichen Fehler ent-
schließen. Und zu welchem greifbaren
Zwecke ? Nur, um sich das Vergnügen zu
machen, Nancy und Luneville einige Tage
hindurch besetzen zu können ? Um sich dann
einen Tag) Später an den starken französischen
Grenzbefestigungen zu stoßen? Eine gewalt-
same Wegnahme der Sperrforts wird aber
immer mindestens drei Tage Zeit erfordern
(wahrscheinlich länger), ein Zeitraum, der
lang genug ist, um jeden denkbaren Vor-
sprung der deutschen Kriegsbereitschaft aus-
zugleichen.
Man darf mit großer Sicherheit an-
nehmen, daß die deutsche Heeresleitung nur
mit völlig versammelter Macht in Frankreich
einrücken, also erst ihre mobilisierten Streit-
massen aus dem Innern Deutschlands heran-
führen wird. Schließlich bleibt also von der
großen Furcht der Franzosen nur die eine
Realität zurück, daß Deutschland einen
Krieg gegen Frankreich mit höchster Wahr-
scheinlichkeit angriffsweise führen würde.
Die Theorie aber von der Ueberlegenheit der
Offensive ist auch dem französischen Offizier-
korps' derart in Fleisch und Blut über-
gegangen, daß man dort drüben die gleiche
Absicht vermuten muß. Und das ist der
Grund ihrer jetzt geplanten großen Ver-?
Stärkung des Friedensheeres : auch sie
wollen so rasch als möglich zum Angriff
übergehen, die deutsche Grenze überschreiten
und möglichst zahlreiche Kräfte des Geg-
ners auf sich ziehen, um ihren Verbündeten,
den Russen, gleichfalls den Angriff möglichst
zu erleichtern.
Und so sehen wir, daß alle Welt un-
aufhörlich versichert, nur für den Frieden
und nur für die Verteidigung zu rüsten,, wäh-
rend tatsächlich alle Welt sich für den An-
griffskrieg immer stärker und stärker wapp-
net. Nicht vor dem Angriff der Nachbarn
will man sich schützen, sondern seinerseits
so bereit sein, daß man so rasch als möglich
zur Invasion des feindlichen Gebietes
schreiten kann. Dem eigenen Volke aber
251
DIE FRIEDENS -WAGTE
3
schildert man alle militärischen Vorberei-
tungen des Gegners in den furchtbarsten und
düstersten Farben, um es möglichst opfer-
willig zu machen. Die Angaben der Fran-
zosen über die deutsche Heeresstärke sind
durchweg weit übertrieben. Sie sind alle in
der gleichen Verdammnis, Monarchien und
Republiken, Autokratien und Demokratien!
Inzwischen feiert der Friedensgedanke,
allen Hemmnissen zum Trotz., praktische
Triumphe. Zum wirklichen Siege, zum ent-
scheidenden aber wird er erst dann gelangen,
wenn sich die Einsicht überall verbreitet
hat und feste Ueberzeugung geworden ist,
daß dieses ganze rastlose, ziellose, uferlose
Wettrüsten letzten Endes keinen Nutzen,
keine Aenderung der Kräfteverhältnisse
bringt, sondern nur eine zwecklose und sinn-
lose Vergeudung wertvoller Kräfte, kostbaren
Nationalgutes darstellt; wenn endlich das
gegenseitige Mißtrauen beseitigt wird, das
eben in diesem Wettrüsten seine kräftigste
Stütze findet und seinerseits wieder die Ur-
sache neuen Wettrüstens wird. Aus diesem
Grunde mag einmal in der Friedens-Warte
eine kurze strategische Betrachtung Platz
finden, die wenigstens auf einem Gebiete
unseren Nachbarn beweisen soll, wie un-
begründet ihre Furcht vor der Absicht eines
deutschen Ueberfalles ist. Nach der Struk-
tur des Deutschen Reiches, nach der Sinnes-
art des deutschen Volkes könnte keine Re-
gierung einen so frevelhaften Friedens- und
Rechtsbruch wagen.
Das junge Frankreich.
Von Edmond Dumdril-Hallberger,
Prof. an der Ecole Superieure zu Ancenis.
Nantes, Mai 1913.
Bis zu welchem Grade zwei Nachbarvölker,
die in unmittelbarer Berührung und be-
ständigem Ideenaustausch stehen, ihre inneren
Zustände gegenseitig ignorieren können, ist
recht erstaunlich. Wir Pazifisten wissen
schon lange, wie sorgfältig die „Großmacht-
presse" den einfältigen Lesern die Binde
auf den Augen hält — wenn sie ihnen nicht
noch dazu allerlei Märchen über das Aus-
land erzählt ; und doch fallen mir trotz meiner
Blasiertheit die Arme vor Entrüstung, wenn
ich einen Artikel lese, wie den aus dem
,, Türmer" — einer sonst wohlinformierten
Zeitschrift — vom Mai 1913. Unter dem
Titel „Das junge Frankreich" will
Herr Dr. M. Ritzenthaler über Gemüt und
Geist der jungen französischen. Generationen
berichten, und gelangt — vermutlich durch
seine unzuverlässigen Quellen irregeführt —
zu den seltsamsten und für die Franzosen
— darf ich sagen — oft lächerlichsten Ent-
deckungen.
Betrachten wir einzelne Punkte seines
Aufsatzes : Eine Renaissance des Idealismus
mit Bourtroux und Bergson will ich zuerst
gar nicht bestreiten. Daß aber diese neue
Metaphysik die Jugend zum Katholizismus
geführt habe, diese Folgerung gebe ich gar
nicht zu. Unsere philosophischen Fakul-
täten sind immer diejenigen, wo man am
freiesten denkt über soziale und religiöse
Fragen, und wo die Ideen am weitesten vor-
gerückt sind. Der Versuch einiger Jüng-
linge, die Kirche mit einem gewissen
Sozialismus zu vereinigen, ist an der Intoleranz
der Kirche selbst gescheitert.
Wenn heutzutage eine Kirche an gei-
stigem Einfluß — ich sage nicht an regel-
mäßigen Mitgliedern — zunimmt, so ist es
der Protestantismus, der die nach einem
Ideal dürstenden jungen Männer in seinen
Gedankenkreis annimmt. Und eben unsere
kalvinistische Kirche folgt dem Bibelspruch
„Frieden auf Erden", sie hält das jährliche
Friedensfest, und alle Sonntage betet sie
nach der Liturgie nicht nur für die Republik,
sondern für die Regierungen aller Völker,
damit Gott sie aufkläre. Davon spricht
Herr Dr. R. gar nicht. Aber weiter.
„Das junge Frankreich", heißt es, „findet
an dem Parlamentarismus und an. den po-
litischen Sitten wenig zu loben." Allgemein
betrachtet, ist der Satz richtig; daß aber
dieser sogenannte „Bankerott des Parla-
mentarismus" im jungen Volke die Sehn-
sucht nach einer „starken zentralen Autori-
tät" erweckt habe — ist wenigstens un-
richtig. (Die meisten glauben, in der Re-
form des Wahlrechts das Heilmittel gefunden
zu haben.) Aber die Wahl des Herrn
Poincare ist diesem „Schrei nach Autorität"
keineswegs zuzuschreiben, sondern vielmehr
dem Vertrauen, das er eben durch seine
Rolle als Friedens-Stifter und
-Erhalter während des Balkankonfliktes
einzuflößen wußte: seine Wahl ist von fast
allen Republikanern in diesem Sinne ge-
deutet worden.
Was endlich die sogenannte „Wieder-
geburt des Patriotismus" anbelangt, ist die
Frage gar nicht so einfach, wie Herr
Dr. R. es glaubt. Patriotismus ist immer bei
uns vorhanden gewesen und brauchte daher
gar nicht wiederbelebt zu werden. Aber unter
dem Einfluß der sozialen Ideen ist er
immer reiner, d. h. friedlicher und auf-
geklärter, den anderen Völkern wohlwollen-
der geworden. Das war aber den reaktio-
nären nationalistischen Kreisen und den
Armeelieferanten nicht gerade recht. Des-
halb haben sie die ungeheure Macht einiger
Zeitungen sowie den Verfall der radikal-
sozialistischen Partei benutzt, um einen ge-
fährlichen, ganz künstlichen, ihren Inter-
essen dienenden Chauvinismus zu verbreiten.
Alles wurde längst vorbereitet. „Agadir" bot
eine günstige Gelegenheit; dann kamen die
DIE Fßl EDENS ->\^RXE
Sammlung für die Luftflotte, die Zapfen-
streiche. Daneben eine Agitation durch Ar-
tikel über Elsaß-Lothringen, dumme Theater-
stücke und Lieder usw. Und nun. gipfelt
endlich alles in der Müitärvorlage des „Ser-
vice de Trois Ans", der für sich seltsamer-
weise nur die antirepublikanische Presse,
einige furchtsame Radikale1) und — das
Ministerium hat. Massenproteste haben sich
in allen Parteien erhoben; so sind auch die
aufrührerischen Bewegungen in einigen Ka-
sernen zu deuten: die Soldaten gehorchten
nicht antimilitaristischen Agitatoren, sondern
dem allgemeinen Gefühl, die Verlängerung
■der Dienstzeit sei nur ein willkürliches,
ganz unnützes Werk der Reaktion..2).
Herr Dr. R. aber zitiert die „trefflich
und aufreizend redigierte Zeitschrift" „Les
Marches de l'Est", von der ich nie etwas
gehört habe, er spricht von der „großen
Gruppe junger Franzosen, mit Barres an der
Spitze", von der „Liga der jungen Freunde
des Elsaß" ( ? ) ; er wiederholt den dummen
Ausdruck der Jingopresse „Frankreich hat
seinen Stolz wiedergefunden" — das genügt,
um einzusehen, aus welchen meist trüben
Quellen er seinen Artikel geschöpft hat. Er
hat wahrscheinlich auch die Enquete benutzt,
•die ein reaktionäres Blatt über die Jugend
neulich machte,, und die vielen „Helden"
Anlaß gab, den Krieg auf dem Papier ge-
fahrlos zu führen.
Um ein richtiges Urteil zu fällen, hätte
Herr Dr. R. auch die Widerlegungen dieser
tendenziösen antirepublikanischen Enquete
benutzen müssen, und auch manche Zei-
tungen, wie z. B. „La Petite Republique"
(radikal), „Les Droits de l'Homme" (jung-
radikal), „L'Humanite" (sozialistisch), alle
großen republikanischen Blätter der „Pro-
vince", Zeitschriften wie „La Grande Revue",
„Le Courrier Europeen" usw., lesen müssen.
Dann wäre er über das gesamte junge Frank-
reich, d.h. das arbeitende, und nicht nur über
die Camelots du Roy und die Pariser Spieß-
bürgersöhne, etwas unterrichtet gewesen.
Dann hätte er auch wahrscheinlich komische
Aeußerungen weggelassen, wie folgende:
„Ohne Zweifel ist der klassische Boheme
des Quartier Latin im Absterben begriffen,
und mit ihm la petite femme, die Enkelin
der Grisette. Der junge Franzose zieht sich
früh die Richtlinien, die ihn zum Ziele führen.
Sein Leben wird diszipliniert, die anar-
chischen, regellosen Epochen vermieden. Um
nicht der Versuchung einer gefährlichen
Liaison anheimzufallen, verheiratet er sich
jung. Es gibt heute Franzosen, die schon
*) Der Zentralvorstand ihrer Partei ist da-
gegen!
2) Das Ministerium hat nie Gründe angeben
können.
mit 25 Jahren einen Hausstand gründen;
einige, die sogar Kinder haben."
Gewiß, das gibt es ! Aber leider sehr
selten, und eben nicht in Paris, noch unter
den jungen, meistens reichen „Fils ä papa"
der reaktionären nationalistischen Partei. Die-
jenigen, die früh heiraten, sind entweder Ar-
beiter oder Intellektuelle aus den Hoch-
schulen — aber jedenfalls keine Chauvi-
nisten. Wer Kind und Frau hat, der haßt
Krieg und Kasernenleben !
Und noch diese Sätze dazu,: „Der junge
Franzose fürchtet den Krieg nicht mehr und
verabscheut ihn nicht" — „Studenten mel-
den sich als Freiwillige für die Durchdringung
Marokkos3)" — «Der Kokottenroman und
die Boudoirpsychologite fesseln die jungen
Franzosen weniger" — „Ist der junge Fran-
zose ins Ausland gegangen, so steht er den
Fremden alsdann doppelt fremd und feindselig
gegenüber" (1); und jetzt die Perle: „Die
jungen Franzosen sind heute katholisch wie
sie Franzosen sind." — Man sollte den deut-
schen Lesern nicht zumuten, solchen Be-
hauptungen Glauben zu schenken !
Die Tendenz dieses Aufsatzes erscheint
aber am klarsten in folgenden Sätzen: „Das
heutige Frankreich verzichtet auf humani-
täre Ideen, es betrachtet ruhigen Auges ( ! )
die Möglichkeit eines Krieges" — Deutsch-
land gibt sich einer gefährlichen Täuschung
über das junge Frankreich hin." — „Ja, mein
lieber Michel," sollte der Verfasser hinzu-
fügen, „du bist immer zu leichtgläubig und
gutmütig, du gibst dich dem gefahrvollen
Idealismus des Friedens und des Rechts hin,
der schon in Frankreich als ein überwundener
Standpunkt betrachtet wird. — Also, lieber
Michel, baue Luft- und Seeflotten, schaffe
neue Regimenter herbei und — habe viel
Kinder — wie die jungen Pariser Franzosen."
Aber Herr Dr. R. hat sich schon klar
genug ausgedrückt. . . . Jeder Franzose wird
seinen Artikel für eine Tendenzschrift halten.
Ich leugne nicht, daß in gewissen antirepu-
blikanischen Kreisen eine nationalistische Be-
wegung entstanden ist; die Ansteckung wird
aber immer noch sehr beschränkt bleiben, wenn
Deutschland vernünftig bleibt,
statt mit neuen Rüstungen immer
zu drohen. — Aber reisen Sie nur durch
französische Provinzen, Herr Doktor, lesen
Sie echt republikanische Zeitungen — lernen
Sie unsere arbeitende Jugend in den Schulen
und Hochschulen, in den Fabriken und auf
dem Lande kennen — , so werden Sie noch be-
haupten können, sie habe gewiß „einen neuen
Drang zur Tat", aber Sie werden auch ge-
stehen, dieser Drang steht nicht nach
3) Die „Marokkoaffäre" ist überhaupt gar
nicht populär. Sie hat Millionen verschlungen,
und der beste Grund, den ihre Verteidiger an-
zuführen wissen, ist folgender: „Wir mußten
Marokko besetzen, sonst hätte ein anderer Staat
— wie z. B. Deutschland — es getan."
25 3
DIE FRIEDEN5-WADTE
3
kriegerischem1 Ruhm, sondern entweder nach
raschem Erwerb oder nach technischer und
sozialer Verbesserung in Eintracht mit den
anderen Völkern. Diese Jugend hat jdie
Berner Konferenz mit Freude begrüßt, und
eine deutsch-französische Annäherung, die
der ewigen el saß -lothringischen Frage und
dem1 ewigen Wettrüsten ein Ende macht, er-
scheint ihr als das wünschenswerteste aller
Ziele.
Tolstoi und die Idee des
universalen Friedens.
Von
Dr. Seufert-Wieber, Süchteln (Rheinl.)
Das' Unausgebranntsein der Seele ent-
scheidet letzten Endes über Aufnahme-
befähigung wie Realisationskraft ideeller
Werte. Unter diesem1 Gesichtswinkel be-
trachtet, eröffnen sich damit der russischen
Menschheit als der jüngsten und seelisch
reichsten volklichen Gemeinschaft unermeß-
liche Perspektiven für die Inanspruchnahme
der ethisch-religiösen Hegemonie und aller
auf ihr sich gründenden und in ursächlichem
Kontakte stehenden materiell-ökonomischen
Momente innerhalb der Grenzen des Welt-
geschehens. Zwar hat das russische Volks-
tum den tiefgreifenden Zwiespalt von, Materie
und transzendentalem Sein, von Eigenver-
mögen und ethischer Notwendigkeit, von
dumpf - ahnendem Hinleben und freier re-
ligiöser Erkenntnis noch nicht zu überwinden
vermocht, doch liegt in der spezifischen
rassenpsychologischen Veranlagung die
sicherste Gewähr des Heraustretens aus
diesem historisch-zufällig gewordenen Du-
alismus in die restlose Vereinigung der tief-
sten nationalen, Urelemente und des voll-
endeten kulturellen Bewußt Werdens1 als der
Voraussetzung eines umfassen-
den Friedens.
Als mystische Unterströmung formlos
dunkler Gefühlsqualitäten begegnet uns der
Gedanke eines Volksgottesträgertums, der
Grundlage einer auch in ihren Folgerungen
rechtlich bestimmten, friedlichen Gemein-
schaft — ein Gedanke, dessen verzerrt grobe
Nachbildung der russische Autokratismus in
der Heranbildung des panslavischen Ge-
dankens bewußt zur Stärkung seiner Position
durch die Einbeziehung volklicher Empfin-
dungen festlegte — als immanente Idee des
Slaventums überhaupt, wohingegen er frei
schöpferisch sich zum1 erstenmal bei Leo
Tolstoi in gewaltiger Konzentration kundgab.
Es ist eine grundsätzliche Verkennung,
die Betonung des universalen Friedens bei
Tolstoi als zufällige, aus individueller Nei-
gung hervorgerufene Teilerscheinung seiner
Weltauffassung begreifen zu wollen, einer
Teilerscheinung, die gegebenenfalls ohne
erhebliche Schädigung des Systems sub-
trahiert werden könne, da diese Idee nichts
weniger als bloßer integrierender Bestand-
teil, vielmehr das a priori geforderte, alle
Sphären durchsetzende, einigende und be-
lebende Motiv repräsentiert.
Die Frage eines weltumfassenden Frie-
dens, die von Tolstoi nur im Zusammenhang
mit sämtlichen prinzipiellen Kulturfragen an-
erkannt wird, insofern nämlich der Zustand
zwischenstaatlicher Anarchie lediglich die
„zynische Entblößung" der inneren geistigen
Korruption darstellt, ohne deren Beseitigung
auch sie nicht fallen wird, gelangt auch ohne
die Einbeziehung eben dieser scheinbar
indifferenten, abseits gelegenen Faktoren nie
zu einer verläßlichen, nicht auf Interesse ge-
gründeten befriedigenden Lösung.
Das ist die gleiche Anschauung, zu der
sich auch Alexander Herzen zum! Schlüsse
seines Lebens bekannte, mit dem Unter-
schiede, daß sich ihm mit der Erkenntnis der
Verflachung von Christentum und Revolution
jede Aussicht verschlossen erweist und er
angesichts dessen die Frage aufwirft :
,,Mit welch' einem1 vulkanischen Ausbruche
menschlicher Persönlichkeit soll denn die
Pöbelkultur zerbrochen werden ? Wo ist
jener mächtige Gedanke, jener leidenschaft-
liche Glaube, jene heiße Hoffnung? Seht
um euch, was vermag die Völker zu er-
heben ?" Freilich gehörte schon die bewußt
konzentrierte Universalität eines Tolstoi
dazu, diese letzte Verzweiflung, dieses Un-
möglichgemachtsehen jeder inneren Regene-
ration zu überwinden und eine Grundlage zu
schaffen, die, im1 inneren. Selbst wurzelnd,
imstande ist, eine Objektivationsmöglich-
keit in Betracht kommen zu lassen.
Der Ausgangspunkt Tolstoischer Be-
trachtungsweise ist die unwiderlegliche,
historisch gewonnene Erkenntnis der in allen
Staatsformen hervorragend ausgebildeten Ver-
einigung von Wahrheit und Freiheit einer-
seits, Lüge, politischer Willkür und Gewalt
andererseits, die Erkenntnis des klaffenden
Zwiespaltes, der zwischen Christentum und
praktisch-tätigem! Leben, zwischen dem so-
zialen, christlich sein wollenden Kulturstande
unserer Tage und seiner unchristlichen, ja
antichristlichen Tendenz sich kundgibt. Ihm
gegenüber stellt er die nicht nur persönliche,
sondern auch zugleich soziale Realität des
Christentums der Evangelien als Lebens-
grundlage hin, die das Individuum1 wie seine
Kollektivformen in gleichem Maße umfängt.
Es ist ein leichtes, nach wohlbekannter Art
das Tolstoische System eben in Hinsicht des
universalen Friedens nach seinen „Ueber-
treibungen, Verschrobenheiten und Halbwahr-
heiten" richten zu wollen, ihm1 die Fähig-
keit des kritischen Urteils und der ruhigen
Analyse bis zu einem gewissen Grade ab-
zusprechen, aber was will daS besagen ? Ver-
gessen wir nicht, daß der Grund seines Han-
254
es
DIE Fßl EDENS ->VARXE
delns ein im1 höchsten Grade uneigennütziger
und reiner ist, daß er es war, der es
an der Zeit fand, das Christentum1, als
einer ernsten Sache, auch ernstzunehmen,
in allen seinen praktischen Folgerungen
ernstzunehmen; sollte er trotzalledem
aber verlieren, so dürfte es größer
sein, mit ihm zu verlieren, als wider ihn
zu gewinnen. Spricht aber nicht etwa die
tödliche Verlegenheit, die unsere Zeit an-
gesichts der quälendsten Fragen der christ-
lichen Menschheit ergreift, der Fragen nach
Verhältnis des Evangeliums zur Gesell-
schaft, der Kirche zum Staate, der Religion
zur reaktionären Politik und zum Kriege,
sehr zu seinen Gunsten? Oder warum sonst
denn glaubt man diesen Fragen aus dem
Wege gehen zu müssen, indem man kluger-
weise den einen oder den anderen der beiden
Faktoren theoretisch negiert, ohne je-
doch den Mut zu finden, auch nur die simpel-
sten praktischen Konsequenzen zu ziehen,
von denen die eine zu einem gründlichen
Antitheologismus, die andere unmittelbar zu
M. A. Bakunin und einem nicht minder gründ-
lichen Nihilismus führen würde.
Was die Realisationsmöglichkeit eines
auf ethisch-religiöser wie Volkswirt sohaftlich-
gesunder Basis ruhenden Weltfriedens an-
langt, so unterliegt es Tolstoi, für den die
Geschichte der Individuen wie auch gleich-
artiger Gruppen derselben fortschreiten-
des Bewußtwerden darstellt, keinem
Zweifel, daß bei dem! unbedingten und un-
aufhaltsamen Aufwärtsschreiten von niederen
Ideenstufen zu höheren und höchsten, von
überlebten und fremd gewordenen Ideen-
gruppen zu jugendlichen, zukünftigen, die
uns veranlassen, unsere Lebensformen zu
ändern, die Ideen der Aufhebung aller Ge-
walttätigkeit und einer allgemeinen Verbin-
dung der Menschheit, eines universalen Frie-
dens die nächste Staffel des Menschheits-
Bewußtwerdens repräsentieren werden.
Daß die überlebte Idee des anarchischen
Staatenverhältnisses nur nach hartem Kampfe
der höheren Idee weichen wird, erweist sich
als die naturgemäße Art der Evolution,
wohingegen aber das um des Vorteiles willen
bewußte Aufrechterhalten einer bereits im
Menschheitsbewußtsein überlebten Idee
— hier der durch den Begriff des Patriotismus
gestützten Idee der zwischenstaatlichen
Anarchie — als im! höchsten Maße unsittlich
und verwerflich bezeichnet wird. Eben dieses
geschieht aber im Gebiete des Staatswesens
in Hinsicht der Idee des Patriotismus, auf
welcher sich jede Staatsform gründet, ob-
wohl diese überlebte Idee sich gegenüber
dem ganzen Ideenkomplex, der in unserer
Zeit bereits ins Bewußtsein der Welt ein-
dringt, in schroffstem Widerspruche steht.
Nur unter diesem Gesichtswinkel gesehen,
leugnet Tolstoi die Berechtigung des pa-
triotischen Gefühls, das zu seiner- Zeit
zweifellos eine höchste Idee bedeutete, wo-
hingegen es heute, bei den mannigfachsten
Verwirklichungen internationaler Beziehungen
und dem steigenden Bewußtwerden der Mög-
lichkeit und Notwendigkeit gegenseitiger
rechtlich begründeter freundschaftlicher Ver-
hältnisse nur ein retardierendes Moment dar-
stellt, das überwunden werden muß.
Das Eintreten der großen Volksschich-
ten in die höhere Idee der Völkerverbrüde-
rung hat demzufolge mit dem Erwachen aus
der Hypnose des begrenzten nationalen Ge-
dankens zu beginnen, dem eine Erziehung
zu eben jenen höheren Ideen, die schon lange
ins Leben getreten sind und uns schon von
allen Seiten umgeben, zu folgen hat.
Das Schein-Christentum unserer Tage,
das ohne sittliche Empörung und ohne Wider-
stand die Existenz eines „christlichen"
Heeres hinnimmt und die Bezeichnung eines
Krieges als einer gerechten, gottgewollten
Sache aufgriff, ist ihm das nächste, nicht
weniger bedeutende Motiv der Verzögerung
in der Verwirklichung des umfassenden Frie-
dens. Ihm gegenüber stellt er sein ,, Reich
Gottes auf Erden", das eine solche Form des
Zusammenlebens begründen soll, in der
Zwietracht, Gewalt und Betrug durch zwang-
lose Eintracht, Rechtlichkeit und Wahrheit
ersetzt werden. Vielleicht ist bis dahin noch
ein weiter Weg, ein Weg, der die Nationen
vielleicht durch die vollendete Gottlosigkeit
hindurchführt; aber bedenken wir, daß der
große Russe mit wahrhaft diktatorischem
Seherblick eigenen Raum- und Zeitverhält-
nissen vorausgeeilt ist, und seine utopistische
Weltauffassung einen tieferen Gehalt um-
schließt, als es unsere selbstbewußten Ver-
treter einer ellenweisen, mikroskopisch be-
grenzten Tatsachenkasuistik sich träumen
lassen.
Vom ^QC. Weltfriedenskongreß.
Das Programm des im Haag stattfinden-
den XX. Weltfriedenskongresses wird so-
eben bekannt gegeben. Der eigentliche Kon-
greß beginnt am) 20. August und währt bis
zum 23. August. Am 18. und 19. August
tagen die vorbereitenden Kommissionen. Die
Sitzungen werden in dem von der nieder-
ländischen Regierung zur Verfügung gestell-
ten altehrwürdigen Ridderzaal stattfinden, in
dem bekanntlich die IL Haager Konferenz
tagte.
Das Protektorat des Kongresses hat, wie
bereits mitgeteilt wurde, S. K. H. Prinz
Heinrich der Niederlande über-
nommen.
Das Programlm:
Montag, den 18. August :
9—121/2 Uhr und 2—5 Uhr: Sitzung der
Kommissionen. 6 Uhr : Bankett,
veranstaltet vom Direktionskomitee der
255
DIE FRIEDENS -WARTE
3
niederländischen Friedensgesellschaft zu
Ehren des Organisationskomitees des
Kongresses und der Kommission des
Internationalen Friedensbureaus.
Dienstag, den 19. August:
Von 9—1 Uhr: Sitzung der Kom-
missionen. Von 2 — 5 Uhr: Sitzung
derjenigen Kommissionen, welche ihre
Arbeiten noch nicht beendet haben wer-
den. 2 Uhr nachm. : Abfahrt nach
Rotterdam. Besichtigung des Hafens zu
Schiff. Hierauf Empfang durch die Ge-
meindebehörden. 5 Uhr: Rückkehr nach
t dem Haag. Abends 81/2 Uhr: Offizieller
1 Empfang durch die Gemeindebehörden
der Stadt.
Mittwoch, den 20. August:
9V2 Uhr: Eröffnung des Kongresses
im „R i d d er z a al". 21/2 Uhr nach-
mittags : Erste Plenarsitzung des
Kongresses. 4 Uhr : Abfahrt nach Schloß
Oud-Wassenaar, wo den Kongreßteil-
nehmern Erfrischungen angeboten werden.
Donnerstag, den 21. August:
Von 9—1 Uhr und 2—51/2 Uhr: Zweite
und dritte Plenarsitzung des
Kongresses.
Abends Empfang in Scheveningen,
veranstaltet durch die Direktion des Kur-
hauses.
Freitag, den 22. August:
9 — 1 Uhr: Vierte Plenarsitzung.
Nachmittags von 2 — 4 Uhr : Hauptver-
sammlung der Delegierten der Friedens-
gesellschaften. 4 Uhr: Fahrt nach Delft.
Besuch des Grabes von Hugo Grotius.
Empfang durch die Gemeindebehörden.
Mittagessen in einem ländlichen Restau-
rant in der Umgebung von Delft (auf
eigene Rechnung der Kongressisten).
Samstag, den 23. August:
Von 8 — 11 1/4 Uhr: Schlußsitzung des
Kongresses. 1 1 1/2 Uhr : Abfahrt nach
Alkmaar mit Sonderzug. Lunch in der
Stadt und per Schiff bis Amsterdam,
durch eine der interessantesten Gegenden
Hollands. Voraussichtlich in Amster-
dam offizieller Empfang in der Schiffahrt-
ausstellung durch die Gemeindebehörden.
Spazierfahrt durch die Stadt. Abschieds-
bankett oder möglicherweise Rückfahrt
nach dem Haag und Bankett in Scheve-
ningen.
Bezüglich der Teilnahme sei
bemerkt, daß jedem Mitgliedeiner
F r ie d e ns ge sei lschaf t dazu das
Recht zusteht. Interessenten, die
noch nicht Mitglieder einer Frie-
densgesellschaft sind, können sich
zu diesemZweck jederzeit bei einer
solchen einschreiben lassen. (Für
Deutschland: Sekretariat der Deutschen Frie-
densgesellschaft, Stuttgart, Neckarstr. 69 A;
für Oesterreich: Sekretariat der Oester-
reichischen Friedensgesellschaft, Wien I,
Spiegelgasse 4, oder bei irgendeiner Orts-
gruppe dieser Gesellschaften.)
Diejenigen Kongressisten, die an den Aus-
flügen nach Delft, Alkmaar und Amsterdam
teilnehmen wollen, haben dies bis 8. August
an das „Sekretariat der Organi-
sationsausschüsse des Friedens-
kongresses im Haag (Holland)"
mitzuteilen.
Das Beratungsprogramm des
Kongresses ist in Nr. 9 der ,, Friedens-
Warte", S. 154, mitgeteilt worden.
Brief aus den Vereinigten Staaten.
Von Henry ,S. Haskell, New York.
Des Kaisers Regierungsjubiläuni
und Amerika. — Der japanisch-
amerikanische Streitfall. — Nor-
mann Angell in den Vereinigten
Staaten. — Die amerikanischen Uni-
versitäten und die internationale
Verständigung. — Die Flotte als
Schutzmann. — Dr. Lauro Müllers
Ankunft in den Vereinigten Staaten.
23. Juni 1913.
Großem Interesse begegnete in unserem
Lande die Feier des fünfundzwanzigjährigen
Jubiläums der friedlichen Regierung des
Kaisers Wilhelm1 II. Die „New York Times"
huldigten auf vollen fünf Seiten dem Kaiser
als der am stärksten für den Frieden wirken-
den Kraft und führten die Meinungen der be-
deutendsten Autoritäten von Italien, Groß-
britannien, Deutschland und Amerika an.
Am 16. Juni überreichten dem Kaiser in Berlin
Andrew Carnegie, Robert S. Broo-
kings und J. S. Schmidlapp eine
Adresse, die von den prominentesten und ein-
flußreichsten, für den internationalen Frieden
wirkenden Amerikanern unterzeichnet ist.
In einem Briefe an die „New York Times"
beleuchtet Edwin D. Mead das ungeheure
Verdienst des Kaisers um Deutschland, um
die allgemeine Zivilisation, und besonders um
den Weltfrieden. Mead tritt für feine baldige
Bildung einer Triple-Friedens-Liga zwischen
Deutschland, Großbritannien und den Ver-
einigten Staaten ein.
Die zwischen Japan und den Ver-
einigten Staaten stattfindenden diplo-
matischen Verhandlungen sind nach wie vor
darauf gerichtet, zu einer gegenseitig befriedi-
genden Lösung der durch das kalifornische
Fremdengesetz entstandenen Frage zu ge-
langen. Der Meinungsaustausch zwischen
Tokio und Washington wurde zwar nicht
veröffentlicht, und es ist bloß bekannt, daß
von beiden Seiten alle Bemühungen darauf
gerichtet sind, zu einer ehrlichen Verständi-
gung zu gelangen. Chauvinistische Tendenzen
sind sowohl in Japan als auch in unseren
westlichen Staaten bemerkt worden, doch sind
256
e
= DIE FRI EDENS ->M&BTE
diese von geringer Wichtigkeit und haben
wenig Einfluß.
Am 14. Juni teilte der japanische Bot-
schafter in Washington, ViscountChinda,
dem Staatssekretär offiziell mit, daßi Japan
bereit sei, die Schiedsverträge mit den Ver-
einigten Staaten, die am 24. August 1913
ablaufen, auf weitere fünf Jahre zu erneuern.
Bei dieser Gelegenheit wird es von Interesse
sein, darauf hinzuweisen, daß eine gewisse
Opposition im1 Senat von Washington anläß-
lich der Erneuerung der Schiedsverträge
zwischen Großbritannien und Japan sich be-
merkbar machte. Man hält aber die Gegner
dieser Erneuerung für eine Minorität, die
wohl gewillt sei, der Verlängerung zu-
zustimmen, sobald die schwebenden Fragen,
die sich auf die Panamakanalzölle und das
kalifornische Fremdengesetz beziehen, von
der Schiedsgerichtsbarkeit ausgeschlossen
werden. Es1 wird allgemein geglaubt, daß die
Schiedsverträge erneuert werden, sobald eine
letzte Abstimmung erfolgt.
Norman Angell von Paris und Lon-
don, Verfasser des wichtigen Buches „Die
falsche Rechnung" (Die große Täuschung),
war einen Monat in Amerika und hielt eine
große Anzahl von Vorträgen über die wirt-
schaftliche Bedeutungslosigkeit des Krieges.
Als Präs. Nicholas Murray Butler
Norman An gell in das Broadway Taber-
nacle, New York, einführte, sprach er über
Angell S Wirken, wie folgt: ,,Wir sind
jetzt belehrt und es ist un9 gleichzeitig ge-
zeigt worden, [wie wir andere belehren können,
daß der Krieg nicht bloß moralischen Mut-
willen, sondern auch wirtschaftliche Ver-
wüstung bedeutet; daß die Vorteile, die er
angeblich bringt, nicht zu finden sind, wenn
jedes Für und Wider richtig erwogen wird.
Diejenigen, die vertrauensvoll einer neuen
Aera der internationalen Beziehungen ent-
gegensehen, freuen sich darüber." Rev.
Dr. J. Howard M e 1 i s h , Pfarrer der Holy
Trinity Episcopal -Kirche in Brooklyn, N. Y.,
hielt am1 16. Juni eine Predigt über die Frie-
densbewegung, wozu er durch die Schrift
Norman Angell s angeregt worden war.
Melish sagte unter anderem: ,,Die Zeit
ist nicht mehr so fern, da die Nationen, der
Welt nicht nur dem! Schiedsgericht zustimmen,
sondern auch einen allgemeinen Vorschlag
zur Abrüstung in Erwägung ziehen werden.
In Europa und auch in unserem Lande empört
sich die Volksstimme gegen die ungeheure
Verwüstung von Leben und Werten durch
den Krieg. Der Fortschritt verlangt seine
Abschaffung."
Daß die amerikanischen Universitäten
ein großes Interesse an der Verbesserung der
internationalen, Beziehungen nehmen, beweist
ein an der Yale Law School ami 16. Juni
gehaltener Vortrag des Samuel J. Eider
über „Fortschritte der internationalen Ver-
ständigung". Nach einer Uebersicht der Ge-
schichte der internationalen Schiedsgerichts-
barkeit führt El der aus: „Die neuen Ver-
träge für allgemeine Schiedsgerichtsbarkeit
zwischen Großbritannien und Frankreich, die
vom1 Schiedsgericht „Ehrenfragen" und,, vitale
Interessen" ausschließen, erwecken die Frage,
weshalb die Fragen nationaler Ehre nicht
schiedsgerichtlich entschieden werden können.
Die Ehre ist nicht mehr eine Kraftfrage der
Männer. Weshalb sollte sie es noch zwischen
Nationen sein ? Der Vorschlag des Präsiden-
ten Taft, die zeitraubenden Ausnahmen aus-
zuscheiden und alle Differenzen einem!
Schiedsgericht zu unterbreiten und die bereit-
willige Aufnahme, die er diesseits und jen-
seits des Ozeans fand, beweisen aufs neue
die Uebereinstimmung der Nationen."
Bei einem1 Festessen in Washington er-
klärte der Marinesekretär Daniels, daß er
die Flotte bloß zum Schutz, nicht aber zur
Eroberung brauche. Der einzige Gebrauch,
den man von der Flotte machen könne, sei
derselbe, den das Publikum vom Schutzmann
mache; sie würde nie zu Drohungszwecken
vergrößert werden. Bei der gleichen Ge-
legenheit sagte der Staatssekretär B r y a n :
„Ich freue mich, Daniels: an der Spitze
eines Departements zu haben, dessen Auf-
gabe der Schutz ist, den wir aber, wie ich;
hoffe, nicht benötigen werden. Ich denke,
es ist richtig, einige Schiffe und eine kleine
Armee zu besitzen, aber ich möchte nicht an
deren Spitze einen Mann haben, der nicht nur
vorbereitet ist, sondern auch danach dürstet,
seine Geschütze an lebenden Zielscheiben zu
erproben."
In den Vereinigten Staaten wird die
Ankunft des Ministers des Auswärtigen
von Brasilien, Dr. Lauro Müller, als ein
wichtiges Ereignis betrachtet. Der Besuch
Dr. Müllers gilt als Gegenbesuch zu jenem1,
den der ehemalige Staatssekretär El i h u
Root imi Jahre 1906, gelegentlich seiner
südamerikanischen Besuchsfahrt, Brasüien
machte. Offiziell und nichtoffiziell wird Herr
Dr. Müller sehr herzlich begrüßt, und es
wird angenommen, daß sein Besuch die so-
zialen und wirtschaftlichen Bande zwischen
Brasilien und den Vereinigten Staaten be-
festigen wird.
Brief aus Japan.
Tokio, 26. Mai 1913.
Am 25. Mai veranstaltete die japanische
Friedensgesellschaft zur Feier der Ein-
weihung der Ortsgruppe Yokohama in der
Volksschule zu Honono (Yokohama) eine
Versammlung, der Bürgermeister G. Ara-
k a w a präsidierte. Baron Sakatani sprach
über „Die amerikanisch-japanischen Be-
ziehungen und der Pazifismus", während Graf
Okuma die Notwendigkeit eines ernstlichen
Wirkens der Friedensgesellschaften mit Hin-
257
DIE FßlEDEN5-,MMirE
;§>
blick auf die gegenwärtige internationale
Lage betonte. Nach der Versammlung fand
ein Bankett im Bankers - Club in Yokohama
statt, bei welchem1 Graf Okuma unter
anderem sagte : „Die kalifornische Frage,
die jetzt den Streitpunkt zwischen den Ver-
einigten Staaten und Japan bildet, bedeutet
den Amerikanern bloß ein lokales' Problem.
Was aber auch dagegen gesagt werden mag,
die Amerikaner haben im Grund ihres' Her-
zens eine unerschütterliche Anschauung über
Recht und Gerechtigkeit, wie sie dies in den
letzten 50 Jahren ihres Verkehrs mit der
japanischen Nation bewiesen haben. Sie be-
sitzen auch den erhabenen Geist der alten
Puritaner. Deshalb erwarte ich, daß die
kalifornische Frage in einer friedlichen
Weise gelöst werde. Ich hoffe, daß. die Be-
wohner Yokohamas, die die Vorläufer der
japanischen Zivilisation sind, immer danach
streben werden, den Weltfrieden zu sichern."
Bei der arn 5. Mai stattgefundenen Ver-
sammlung des Exekutiv-Komitees der japani-
schen Friedensgesellschaft teilte Baron
Sakatani mit, daß unter anderen promi-
nenten Persönlichkeiten J. N a r u s e , Präsi-
dent der „Womens University", Tokio,
Dr. Jokichi Takamine und Dr. J. B o e d a
Mitglieder der Gesellschaft geworden sind.
Gleichzeitig mit dem Vorschlag, eine Orts-
gruppe in Yokohama zu gründen, die, wie
oben erwähnt, tatsächlich schon erfolgte,
hat die Friedensgesellschaft beschlossen,
eine Anzahl Briefe zu drucken' und an gewisse
in Betracht kommende Persönlichkeiten zu-
sammen mit einem Exemplar der letzten
Nummer des Organs der Friedensgesellschaft
mit der Bitte zu senden, Mitglieder der Ge-
sellschaft zu werden. *
Zwischen der Harvard - Universität in den
Vereinigten Staaten und der Imperial - Uni-
versität in Tokio wurde vereinbart, daß in
den kommenden fünf Jahren jährlich je ein
japanischer Vortragender an die Harvard-Uni-
versität zur Abhaltung von Vorträgen über
japanische Gegenstände gesandt werde.
Dr. Seiji Anezaki, Professor für Lite-
ratur an der Universität von Tokio, ist als
erster gewählt worden und wird Tokio im
August verlassen, um sich nach den Ver-
einigten Staaten zu begeben. Wie oben er-
wähnt, wird er über japanische Literatur
und über das Leben in Japan sprechen. Die
Kosten für diese fünf Jahre wurden mit
50000 Yen veranschlagt, die zur Hälfte von
der amerikanischen, zur Hälfte von der
japanischen Universität getragen werden
sollen.
Dr. Anezaki wurde im Jahre 1873 in
Kyoto geboren und hat die Universitäten, von
Tokio, Berlin und Leipzig besucht. Er be-
reiste Indien und unternahm im Jahre 1907
eine Weltreise. Anezaki ist Verfasser
mehrerer Bücher, die religiöse und ethische
Probleme behandeln.
Die japanische und amerikanische Frie-
densgesellschaft feierten gemeinsam den
Friedenstag durch eine öffentliche, in der
Y. M. C. A. Hall Kanda, Tokio, am! Sams-
tag, den 18. Mai, abgehaltene Versamm-
lung. Schon vor Beginn der Veranstaltung
hatten sich die hervorragendsten Persönlich-
keiten eingefunden. Die außerordentlich
zahlreich erschienenen Teilnehmer (weit über
800) besetzten nicht nur jedes Plätzchen im
Saale selbst, sondern auch die Galerien.
Gilbert Bowle s, Sekretär der
amerikanischen Friedensgesellschaft, präsi-
dierte und führte in seiner Eröffnungsrede
aus, daß es in allen zivilisierten Ländern
Brauch geworden sei, den 18. Mai deshalb
als Friedenstag zu feiern, weil an diesem
Tage die erste Haager Konferenz eröffnet
wurde. Für die Japaner aber habe dieser
Tag noch eine ganz andere Bedeutung, da
sich am1 18. Mai 1906 die japanische Frie-
densgesellschaft organisierte.
T. Miyaoka, einer der Präsidenten
der japanischen Friedensgesellschaft, ver-
suchte, mit Bezug auf die kalifornische
Frage, den Unterschied zwischen Staaten-
bund und Bundesstaat klarzulegen. Es sei
für den Japaner schwer zu begreifen, daß
der Präsident der Vereinigten Staaten nicht
die Macht besitze, seine Wünsche durch-
zusetzen. Aber es müsse daran erinnert wer-
den, daß der Gouverneur von Kalifornien
nicht von Washington aus ernannt, sondern
vom kalifornischen Volk selbst gewählt
werde, wodurch die Schwierigkeiten leicht er-
klärlich sind.
Baron Sakatani, Vizepräsident der
japanischen Friedensgesellschaft, sagte unter
anderem: „Die japanische und die amerika-
nische Friedensgesellschaft in Japan wirken
mit der amerikanischen Friedensgesellschaft
in Washington, die starke Gruppen, in den
führenden Städten hat, zusammen, was ohne
Zweifel einen Einfluß auf das amerikanische
Volk haben wird. Eine solche internationale
Kooperation setzt aber nicht Antipatriotismus
voraus. In allen Kulturländern haben die
Völker jetzt großen Anteil an der Regierung.
Die für den Frieden Arbeitenden sollten be-
strebt sein, die großen Fragen über den«
Krieg, internationale Verständigung, religiöse
Verschiedenheiten und wirtschaftliche Kämpfe
zu studieren. Was die religiöse Frage be-
trifft, hat Japan als einziger Staat die
„Association Concordia" zum Spezialstudium
der religiösen Ideen des Ostens und des
Westens ins Leben gerufen, die mit der Auf-
gabe betraut wurde, eine Grundlage für eine
klare Verständigung zu suchen. Was die
wirtschaftlichen Fragen anbelangt, so habe
ich an der Fortsetzung der Spezialforschung,
die im Sommer des Jahres 1911 bei der in
Bern abgehaltenen Wirtschaftlichen Kon-
ferenz in kurzen Umrissen festgelegt wurde,
teilgenommen. Die Tatsachen, daß solche
258
@=
E DIE Fßl EDENS ->k*M2TE
Organisationen am1 Werke sind, werden viel
•dazu beitragen, Kriege zu verhüten."
Graf O k uma , Präsident der japanischen
Friedensgesellschaft, sprach von den drei
Beweggründen, die die Japaner vor einem
halben Jahrhundert zu der fremdenfeindlichen
Agitation veranlaßt haben. Rassenvorurteil,
wirtschaftliche Interessen und Parteien-
Antagonismus. Wir finden, heute dieselben
Kräfte am Werk in der antijapanischen Agi-
tation in Kalifornien. Die Erinnerung an
diese Tatsache ermöglicht den Japanern ein
Verständnis für die Lage. Es müsse genügend
Zeit zur vollkommenen Verständigung ge-
lassen werden, und es ist dann Grund genug
zu glauben, daß eine zufriedenstellende Lö-
sung als gesichert angesehen werden kann.
Vor kurzem beschlossen japanische
Pazifisten, Amerika zu besuchen. Die Teil-
nehmer: S. Ebara, Mitglied des Hauses
der Pairs, Vizepräsident der japanischen
Friedensgesellschaft, A. H a 1 1 o r i , ehe-
maliges1 Mitglied des Parlamentes, und
K. Yamamoto, Sekretär der Tokioer
Y. M. C. A., einer der Gründer der iGe-
sellschaft, schifften sich nach San Fran-
cisco ein und beabsichtigen, einige Monate
in Amerika zu bleiben. Während Ebara
Vertreter der konstitutionellen Partei ist,
vertritt Hattori die nationalistische. Alle
aber vertreten die japanische Friedensgesell-
schaft, der sie helfen wollen, die schwebende
japanisch-amerikanische Frage in einer be-
befriedigenden Weise zu lösen. Sie haben; die
Absicht, zunächst die Angelegenheiten der
Pacific-Küste zu studieren, und dann Washing-
ton, New York und andere Zentren zu be-
suchen. M. Y.
Maupassant, ein Vorkämpfer
der Friedensbewegung.
Von Dr. Karl Fr. Schmid, München.
Im Jahre 1889 veröffentlichte Bertha
von Suttner ihr berühmtes Buch ,,Die Waffen
nieder", welches den direkten Anstoß zur
Friedensbewegung bildete.
Um diese Zeit waren schon alle Novellen
Maupassants erschienen, welche man unter
dem Namen „Kriegsnovellen" zusammen-
fassen kann, und auch jenes wundersame Buch
voll intimster, persönlichster Gedanken,
„Sur l'Eau", in dem der Dichter unter
anderem auch seine Ansichten über den
Krieg unverhüllt und rückhaltlos ausspricht.
Maupassant kennt den Krieg aus per-
sönlicher Erfahrung. Er hat ihn als Frei-
williger im1 Alter von zwanzig Jahren mit-
gemacht, und aus den Briefen an seine Mutter
kann man ersehen, daß es ihm nicht immer
zum besten ging.
Es widerspräche dem Kunstideal des
Dichters ganz und gar, wenn er in seinen
erzählenden Werken seine persönlichen An-
sichten offenbaren wollte. Denn absolute
Objektivität („Impersonnalite") ist ihm das
Höchste. Trotzdem gehen wir nicht fehl,
wenn wir manche Aeußerung aus dem Munde
eines seiner Helden als seine eigene Ansicht
ansehen. Denn die späteren persönlichen Be-
kenntnisse geben die Bestätigung.
So ist schon in dem berüchtigten ,,Boule
de Suif", der ersten Novelle dieses Genres,
welche der Dichter 1880 veröffentlichte, die
gute Madame Follenoie sehr schlecht auf
das Militär und den Krieg zu sprechen. Sie
sagt unter anderem: „ . . . Diese Militärs,
die sind doch zu gar nichts nütze. Muß
das arme Volk sie ernähren, bloß damit sie
das Morden lernen ? — ... Wenn es Leute
gibt, die so viele Entdeckungen machen, um
nützlich zu sein, müssen sich dann andere
wieder so plagen, um Schaden zu stiften? Ist
es denn nicht was Scheußliches, Menschen
umzubringen, ob's nun Preußen oder Eng-
länder, Polen oder Franzosen sind ? — Wenn
man sich an jemand rächt, der einem Unrecht
getan hat, so ist das schlecht, denn man
wird verurteilt. Aber wenn man unsere
Jungen mit dem Gewehr wegschießt wie das
liebe Wild, so ist das wohl etwas Gutes, weil
man den mit Orden schmückt, der die meisten
hinüberbefördert ? Nein, sehen Sie, das werde
ich niemals verstehen."
So und ähnlich spricht die brave Bäuerin
weiter, die schweren Herzens für die Heeres-
kosten mitzahlt und selbst zwei Söhne bei
den Soldaten hat. Auch einer ihrer Mit-
reisenden denkt darüber nach, wieviel besser
und gewinnbringender es wäre, all diese Sol-
datenkraft zu gewerblichen Arbeiten zu ver-
wenden. !
In viel höherem1 Maße als diese ein-
zelnen Gespräche, denen sich noch Beispiele
aus ,,La Mere Sauvage" anfügen ließen, sind
es die Geschehnisse in den Kriegsnovellen
selbst, welche unseren Abscheu gegen den
Krieg wachrufen müssen. Gewiß ist Mau-
passant objektiv und stellt die Tatsachen
scheinbar persönlich unberührt in seinen Ge-
fühlen hin. Aber diese Tatsachen selbst,
dieses wilde Erwachen der wildesten Instinkte
im Menschen sind das Ungeheuerliche, Ent-
setzliche. Der gutmütig scheinende Pere Milon
mordet in gemeinster Weise meuchlerisch
18 Ulanen und glaubt eine Heldentat begangen
zu haben (Pere Milon). Die Mutter Sauvage
verbrennt aufs grausamste vier brave ein-
fache Soldaten, die ihr nur lieb und gut ent-
gegengekommen sind (Mere Sauvage). Der
Marquis! d'Eyrik, genannt Mlle. Fifi, läßt
seiner Zerstörungssucht und Grausamkeit
bei jeder Gelegenheit freien Lauf und wird
von einem1 patriotischen Freudenmädchen mit
dem Messer erstochen (Mlle. Fifi). Die
schöne Irma steckt den gesamten preußischen
Stab in Rouen mit Syphilis an und rühmt
sich ihrer patriotischen Tat (Le Lit 29). In
259
DIE FßlEDENS-^MÖßTE
=s»
den „Idees du Colonel" werden von einem
französischen Detachement zwölf versprengte
Ulanen unter den rohesten Witzen zusammen-
geschossen. „Das gibt Witwen", lacht der
eine. Und die Erklärung für alles? Keine.
Der Krieg macht die niedrigsten Instinkte
der Rache und desi Hasses frei und stempelt
ihre Ausübung zu Heldentaten. Das wäre etwa
das moralische Resümee aus Maupassants
Kriegsnovellen.
In den Jahren 1880 — 84 waren alle diese
Novellen erschienen. Aber ein Jahr vor
Suttners berühmtem Buch wurden jene
wundervollen, einzig dastehenden Tagebuch-
blätter Maupassants voll intimster Ge-
danken und reichster persönlicher An-
schauungen veröffentlicht, die in dem bei
uns leider fast unbekannten Band „Sur l'Eau"
vereinigt sind. Darin enthüllt sich der
Dichter als fanatischer Gegner des Krieges,
bekämpft ihn mit der ganzen elementaren
Kraft seiner Intelligenz und Schärfe seiner
Worte, verdammt ihn als unwürdige, un-
menschliche Barbarei und wütet dagegen in
fast maßlosen, bei ihm ganz ungewohnten
Ausbrüchen.
So spricht er gelegentlich der Besichtigung
eines Kriegsschiffes zwar seine unverhohlene
Bewunderung darüber aus, klagt aber auch,
daß es „zugleich sowohl das ganze Genie
wie die ganze Ohnmacht und unverbesserliche
Barbarei jener so tätigen und so schwachen
Rasse zeige, welche ihre Kräfte benützt, um'
Maschinen zu ihrer eigenen Zerstörung zu
schaffen". Er spricht davon, wieviel besser
es war, steinerne Kathedralen zu erbauen, als
solche Stahlhäuser, solche Tempel des Todes.
In dieser Tonart, mit unverminderter
Schärfe geht es weiter. Der Dichter ereifert
sich, daß wir mit unserer Zivilisation, unserer
hohen Kultur noch Schulen haben, wo man
lernt ,,zu töten, aus großen Entfernungen,
mit vollendeten Mitteln, möglichst viel Men-
schen zugleich, arme Teufel, unschuldige Fa-
milienväter, ohne richterliches Urteil". Er
empört sich gegen diese Last alter, hassens-
werter Bräuche, verdammen swert er Vor-
urteile, ererbter wilder Ideen. Den Glauben
Victor Hugos an die Erkenntnis des Volkes
bezüglich der wahren Natur des Krieges
hält er für einen poetischen Traum und be-
klagt die steigende Wertschätzung des
Krieges. In den schärfsten Ausdrücken
wendet er sich gegen das, was Moltke zur
Verteidigung des Krieges vorbringt, der
„die Menschen verhindere, in dem1 häßlichsten
Materialismus zu verfallen".
„Also", sagt er, „sich in Trupps von
400 000 Mann vereinigen, Tag und Nacht
rastlos marschieren, über nichts denken und
sinnen, nichts lernen, nichts lesen, niemand
nützen, vor Schmutz verfaulen, im Kote
schlafen, wie das liebe Tier in fortgesetztem
Stumpfsinn dahinleben, Städte plündern,
Dörfer niederbrennen, die Bevölkerung
ruinieren, dann mit einem anderen Haufen von
Menschenfleisch zusammentreffen, sich darauf
stürzen, Seen von Blut und Ebenen von zer-
stampftem Fleisch mit kotiger, geröteter
Erde vermischt zu errichten, Berge »von
Leichen zu häufen, mit abgeschossenen
Armen oder Beinen und zerquetschtem Hirne
— ohne daß jemand davon Nutzen hat — auf
einem Ackerwinkel zu verrecken, während die
armen Eltern, Frau und Kind vor Hunger
sterben: das heißt man nicht in den scheuß-
lichsten Materialismus verfallen." —
Er führt die Arbeit unserer Gelehrten,.
Wohltäter usw. an. „Der Krieg bricht aus.
In einemi halben Jahr haben die Generale
die Anstrengungen, die Geduld- und Geistes-
arbeit von 20 Jahren vernichtet."
Und immer neue Anklagen häuft er gegen
den Krieg, immer stärker malt er seine
Schrecken, immer wieder und immer
stärker wendet er sich gegen das Wort Molt-
kes vom Verfall in den Materialismus. Er
fragt an, ob Griechenland durch seine Kriege
oder durch seine Kunst und Wissenschaft
groß und für uns1 vorbildlich war, ob die
Einfälle der Barbaren Rom gerettet und re-
generiert haben, ob Napoleon die große in-
tellektuelle Bewegung des 18. Jahrhunderts
weitergeführt hätte usw. Wie man sieht,
ist Maupassant durchdrungen von der Er-
kenntnis, daß der Krieg eine unwürdige, un-
menschliche Barbarei sei. Aber er zieht
daraus keine Folgerungen, seinem' Pessi-
mismus fehlt die Hoffnung. Eine Frau erst
rief die Scharen zum Kampfe und sammelte
sie unter der Fahne der Hoffnung zum Kriege
gegen den Krieg und für den Frieden ! Eine
deutsche Dichterin suchte in die Tat um-
setzen, was dem' französischen Dichter noch
ein Jahr vorher als Utopie erschienen war 1
n RANDGLOSSEN Et
ZXJÜ ZEITGESCHICHTE
, Von Bertha v. Suttner.
Wien, 6. Juli 1913.
Im Oktober 1912 fand in der Kathedrale
von Sofia ein feierliches Hochamt statt. Zar
Ferdinand hatte eben zum Feldzug des Krieges
gegen den Halbmond angerufen, um die
christlichen Brüder vom Türkenjoche zu be-
freien; der Pope segnete die Waffen und ließ
ein Gebet zum Himmel steigen, daß Bul-
garien, Serbien, Montenegro und Griechenland
siegen mögen. Dem lieben Gott wurde da eine
genaue Geographielektion gegeben. Eine Art
fähnchenbesteckte Landkarte des Balkans
wurde ihm geboten, damit er sich bei Er-
teilung seines Beistandes ja nicht irre, da-
mit er von dem Regen seiner Huld ja nichts
über die Grenzen verspritzen lasse. Oh, es
war ein frommer, ein zivilisatorischer, ein
260
€=
DIE FRIEDENS-^M&BXE
edler Krieg! — — Elender Phrasenschwall:
ein Beutezug war's, weiter nichts. Das zeigt
sich heute klar, da die siegenden Brüder sich
um der Beute willen zerfleischen.
Es ist also geschehen. Der dritte Balkan-
krieg ist nun ausgebrochen; es wird wieder
gemordet, gesengt, verwüstet, massakriert, ge-
schändet, gehaßt, getobt, und dem Zeitungs-
leser wird's als Weltgeschichte serviert. Noch
ehe eine Kriegserklärung erlassen, stießen
die an den Grenzen aufgehäuften Truppen an-
einander (solches Gegenüberstellen bewaff-
neter Massen ist ja bekanntlich nur Vorsichts-
maßregel: si vis pacem); die Grenzen wurden
überschritten, die Felder rasch mit Leichen
bedeckt — aber Krieg war's noch nicht, es
sollte für diesen Zustand eine neue „völker-
rechtliche" Bezeichnung gefunden werden.
Die Verantwortung für den Friedensbruch
wälzt einer auf den andern — keiner hat an-
gefangen — der andere war's, oder wenn
man's doch selber war, so hatte der andere
„provoziert".
MB
Mit tiefstem1 Schmerz muß es uns er-
füllen, daß nun wieder dieses namenlose und
verbrecherische Unglück losgebrochen ist.
Würden diese sich überstürzenden Nachrich-
ten von fünftägigen Schlachten, von 600 000
Mann, die sich auf dem kleinen Raum be-
kämpfen und schon 20 000 Tote zu melden
haben, nicht mit unsäglicher Trauer und Ekel
füllen, so könnten wir eigentlich triumphieren
und sagen : seht, das sind die Früchte des
Krieges: neue Kriege; seht, das ist die Ent-
larvung all der Heucheleien, die ad absurdum-
Führung der ganzen Mord- und Raubpolitik.
Wer hat recht ? Ihr, die ihr behauptet, daß
heute Kriege noch Ruhm, Ehre, Gewinn
bringen können, oder wir, die wir den „mo-
dernen" Krieg als Anachronismus, den Krieg
überhaupt als Hölle erkennen ? Und nun sind
die Gefahren eines Weltbrandes wieder da.
Sollte auch dieser, durch die berühmte „Lo-
kalisierungs"-Formel abgewendet werden, un-
ausbleiblich sind die wirtschaftlichen Schäden,
die Handelsstockungen und die Seuchen.
Jetzt in der Sonnenhitze die Tausende von
Kadavern, denen ebenso mörderische Mi-
asmen entsteigen, als den Kanonen mörde-
rische Geschosse — nur daß sie noch weiter,
über jede Grenze hinweg, ihren Wirkungs-
radius haben. Aber auch die Gefahr einer
Verbreitung des Krieges selber ist wieder
nahegerückt. Die seit Monaten mühsam
zurückgehaltenen Kriegsparteien werden jetzt
wieder hervortreten : „Endlich ist unser Tag
gekommen."
MR
Knapp vor Ausbruch der überstürzten,
ohne vorherigen Abbruch der diplomatischen
Beziehungen losgelassenen Feindseligkeiten
trat Zar Nikolaus hervor und telegraphierte
an die Könige von Serbien und Bulgarien,
sie mögen ihren Streit vor sein Schiedsgericht
bringen (warum nicht vor den Haag ?, das
wäre besser gewesen), und in seiner De-
pesche zitterte etwas von dem Pathos, das
in seinem Manifest von 1898 lag: ein hef-
tiger Wille, drohendes Unglück abzuwenden.
Und er suchte — von aller üblichen offiziellen
Winkelzügigkeit und Reserve frei — starke
Akzente: „Der Bruderkrieg wäre ein Ver-
brechen, wäre ein Ruin der slawischen Sache",
und dabei gab er seinem' Appell den Nach-
druck einer leisen Drohung — er wies auf
seine Macht hin, den Friedensbrecher zu
strafen. Man atmete auf, durch diesen Schritt
würde vielleicht der Krieg vermieden werden.
Alle hätten (auch die Balkanvölker) dem
Zaren dankbar sein, ihn unterstützen sollen.
Esi kam anders. Graf Tisza erklärte: Die
Balkanvölker dürften sich nicht von Ruß-
land beeinflussen lassen ; sie müßten auf
ihrem1 Rechte, Krieg zu führen, bestehen. —
Frieden dürften sie schließen, wann sie woll-
ten, aber nur nach eigenen Interessen und
nach eigener Entschließung. Oesterreich
würde nicht dulden, daß im Namen der sla-
wischen Idee die Handlungsfreiheit der Bul-
garen oder der Serben eingeschränkt würde.
Ein oder zwei Tage dauerte noch das
Schwanken; die Friedensparteien schlugen
Demobilisierung vor, und es zeigte sich Ge-
neigtheit, die vier Ministerpräsidenten nach
Petersburg zu entsenden. Aber die Kriegs-
parteien waren flinker. Sie warteten nicht
erst die Entscheidung ab — und ohne Kriegs-
erklärung drangen die bereitstehenden
Truppen über die Grenze, und die vollzogene
Tatsache des Krieges war gegeben. — „Der
Zar hat sich blamiert", hörte man von vielen
Seiten sagen. Als ob, wenn einer etwas Er-
sprießliches vorschlägt, nicht diejenigen sich
blamierten, die den Vorschlag unbeachtet
lassen. Freilich, dann heißt es, der Vorschlag
war nicht edel gemeint. Und zu dieser Stunde
— ich mache darauf aufmerksam — ist hierzu-
lande die Parole ausgegeben: „Rußland und
Frankreich wollen die Serben unterstützen." Das
famose Einkreisungsmärchen, das zur englisch-
deutschen Verhetzung so gute Dienste ge-
tan, das wird jetzt der neuen Situation an-
gepaßt : „Die Triple-Entente will den Drei-
bund einkreisen." Die Leute fangen schon
an, es zu glauben und zu wiederholen. Täg-
lich kehrt dies in verschiedenen Varianten
in der offiziösen Presse wieder (die Melodie
ist wahrscheinlich vom1 ministeriellen Bureau
ausgegeben), und die öffentliche Kanne-
gießerei gipfelt in der Weisheit: „Rußland
ist der Feind — der Krieg mit Rußland ist
unvermeidlich." Die ganze Schuld des neuen
Balkankrieges1 wird auf Rußland geschoben.
Und nun geschah das Allerunerwartetste :
Rumänien erklärte, daß es seine Neutralität
261
DIE FBIEDENS -^^^ßTE
■3
aufgeben wolle und mobilisiert. Es will sich
in Bulgarien etwas holen. Wie — dieser treue,
stillschweigende Alliierte des Dreibundes
schwenkt ab ? Daß Rumänien es mit den
Dreibundmächten hielt, davon hat es auf
der Haager Konferenz Beweise gegeben: So
oft England oder Rußland irgend etwas kriegs-
hemmendes — Rüstungseinschränkung,
Schiedsgerichtshof, Untersuchungskommissio-
nen usw. — vorschlugen und Deutschland
samt Oesterreich dagegen protestierte, pro-
testierte Rumäniens! Vertreter, Dr. Beldimann,
am allerlebhaftesten mit. Wenn die große
Auseinandersetzung zwischen den zwei Mächte-
gruppen kommen würde, dann würde der Drei-
bund — so glaubte er fest — auf die Mit-
wrikung Rumäniens rechnen können. Und
jetzt ? . . . . Ach, daß doch endlich einmal
dieses Gespenst der (gar nicht existierenden)
Feindschaft der beiden Gruppen aus der Welt
geschafft würde. Beide haben das gemein-
same größtmögliche Interesse: die Ver-
meidung eines europäischen Brandes — also
ist ihre Verschmelzung in einen. Sechsbund
die vitalste Notwendigkeit. Das ist die
Forderung, die nicht hartnäckig genug von
allen, außer den kriegs wollenden Parteien er-
hoben werden muß.
Damit verschwände auch jenes andere
Gespenst: das „Gleichgewicht". Eigentlich
werden ja jetzt alle Kriegsvorbereitungen,
Kriegsdrohungen, alle politischen Berech-
nungen und diplomatischen Schachzüge immer
nur um jenes Gleichgewichtes willen gemacht.
Was war die Ursache der Riesenwehrvorlage,
die eben jetzt in Deutschland bewilligt worden
ist? Das durch den Balkankrieg gestörte
Gleichgewicht — die Kräfte waren verschoben,
ein neuer Balkanbund gebildet .... Und siehe,
im Augenblick, wo die Vorlage erledigt wurde,
ist der Balkanbund auseinandergefallen.
Bei der dritten Lesung des Wehrgesetzes
sagte der Sozialdemokrat Scheidemann : ,,Wir
protestieren, wie unsere Gesinnungsgenossen
aller Länder gegen das Gesetz und gegen den
Geist, aus dem es geboren ist. Was ist denn
erreicht mit der Vorlage ? Alle Welt rüstet
seit dem Augenblick; alle Welt wird von uns
gezwungen, zu rüsten, und wir sind schwächer
geworden als die anderen. Wenn Sie diese
Vorlage ablehnen, wird es keine vierund-
zwanzig Stunden dauern und Frankreich ver-
zichtet auf den dreijährigen Dienst. Das
Volk will die Versöhnung mit Frankreich.
Esf liebt den Frieden wie Frankreich." —
Solche Worte unterschreiben wir Pazifisten
alle. „Ihr seid also Sozialdemokraten?" ruft
man uns zu>. — Das folgt nicht daraus. Wenn
ein — sagen wir — ein Okkultist gelegentlich
bemerkt, daß 2x2 = 4 ist, so werden Sie ihm
wohl zustimmen. Sind Sie darum ein
Okkultist?
Ein Militär denkt über die Erledigung der
Wehrvorlage anders als Scheidemann. So
schreibt ein General a. D. in einem Artikel
über die Bewilligung der Heeresverstär-
kungen : „Das ist fürwahr eine stattliche
Leistung des deutschen Volkes ! Willig unter-
zogen sich seine Vertreter dem Gebot, der
veränderten europäischen Lage Rechnung zu
tragen. Ihrer Pflicht gemäß erwirkten sie
zwar Ersparnisse (Vio Pfennig von 10 000
Mark. B. S.). Es mindern aber die Ab-
striche nicht das Wesen der Vorlage, und
wohlzufrieden kann die Heeresverwaltung mit
ihrem Schlachtenerfolg sein. Mit ihr das
Volk, indem ihm eine Garantie ( ! ) ge-
schaffen ist, daß die imponierende Kraft-
erhöhung seiner Armee neidende Völker in
ihren friedensfeindlichen Bestrebungen ein-
schränken wird. Schwer, sehr schwer sind
aber die Opfer, die das Volk für das wieder-
erlangte Gefühl seiner Sicherheit bringen
muß." „Sicherheit" ist gut.
Kaiser Wilhelm hat sein 25jähriges Re-
gierungsjubiläum gefeiert. Andrew Carnegie
überbrachte ihm' zu dieser Gelegenheit im
Namen der amerikanischen Friedensvereine
eine von 400 hervorragenden Männern unter-
schriebene Adresse und beglückwünschte den
Monarchen, daß er durch ein Vierteljahr-
hundert den Frieden erhalten habe. „Ich
hoffe," antwortete Wilhelm IL, „daß es mir
noch weitere 25 Jahre gelingen wird." Ueber-
haupt hat er anläßlich dieses Jubiläums man-
ches erhabene Friedenswort geäußert. So
heißt es in dem vom Reichsanzeiger ver-
öffentlichten kaiserlichen Erlaß :
„Ich danke Gott, daß ich mit Befriedi-
gung zurückblicken darf auf die vergange-
nen 25 Jahre ernsten Schaffens, auf die
großen Errungenschaften, welche sie dem
Vaterlande gebracht haben. Daß dies unter
den befruchtenden Strahlen der
Friedenssonne geschehen ist,
deren Kraft jedes am' Horizont
auftauchende Gewölk siegreich
zerstreute, macht mich beson-
ders glücklich. Ein Herzens-
wunschist mir damit inErfüllung
gegangen."
Auch bei einem weniger feierlichen An-
laß kam Kaiser Wilhelm auf die Friedens-
idee zurück. Bei dem Festessen des Regatta-
vereins in Brunsbüttelkoog hielt er eine Rede,
in der er die glänzende Entwicklung des
deutschen Rudersports während seiner Re-
gierungszeit hervorhob. Er sei stolz darauf,
denn der Rudersport erziehe eine tüchtige
Jugend und tüchtige Männer. Will der Ruder-
sport weiterhin eine solche Entwicklung neh-
men, so sei das nur möglich, wenn
der Friede auch' weiter wie bis he r
während seiner Regierungszeit er-
haltenbleibe.
262
g=
DIE FRIEDENS-^J^RTE
Ganz richtig. Alles braucht den Frieden,
um1 sich glänzend entwickeln zu können : jede
Kunst, jede Industrie, jede Wissenschaft,
jedes1 häusliche Glück. Ausgenommen na-
türlich die Kanonenindustrie und Verwandtes.
Der Gedanke liegt nahe, daß bei solchen Ge-
sinnungen der Kaiser zu dem Entschluß ge-
langt, den Frieden fernerhin nicht nur zu
erhalten, sondern zu sichern; zu sichern auch
über seine Regierungszeit hinaus. Möge er
sich in Herbeiführung der europäischen Föde-
ration an die Spitze stellen. Er hat die Macht
dazu. Und das Herz dazu.
Im englischen Unterhause kam eine
Rede desi Grafen Gleichen zur Sprache,
der Brigadegeneral und Kommandeur von
Belfast ist. Er habe gelegentlich eines Ban-
ketts beim1 Lord-Mayor von Belfast geäußert,
daß Leute wie Keir Hardie, Andrew Carnegie
und andere Friedenshelden an Gehirn-
erweichung litten. Er habe mit Vergnügen
gehört, daß die Regierung im Begriffe sei,
ein Institut für Geistesschwache zu errich-
ten, und hoffe, daß die genannten Herren,
darin Aufnahme finden werden. Als Soldat
müsse er beklagen, daß man gegenwärtig
nicht mehr vom Krieg spreche. — Mr. Swift
Mac Reil stellte die Anfrage, ob es erlaubt
sei, daß ein Offizier in der Oeffentl'ich-
keit derartige Reden halte. Der Fall ist
interessant. Erstens, weil darüber inter-
pelliert wurde, zweitens, weil der betreffende
englische General ein Deutscher ist, ein
Sohn des Prinzen Victor Hohenlohe- Langen-
burg — und als Soldat bedauerte, nicht mehr
vom Krieg — einem Kriege gegen Deutsch-
land — sprechen zu hören; drittens, weil
der Vertreter des Kriegsministeriums dem
Interpellanten antwortete, daß Graf Gleichen
erklärte, daß seine Worte in der Presse nicht
ganz richtig wiedergegeben waren, und zu-
gleich, daß er für jede unbewußt getane Be-
leidigung Abbitte geleistet habe. — So weit
sind wir auf dem Festlande nicht. Pazifisten
werden nicht in Schutz genommen, wenn ein
hoher Militär sie öffentlich angreift. Uebrigens
finde ich, daß ein Kriegsanhänger zu solchem
Angriff ein gutes Recht hat.
König Konstantin hat an seine Griechen
einen Aufruf erlassen: „Ich rufe mein Volk
zu neuem Kampfe !" — Dann werden die
Sünden Bulgariens aufgezählt, und zum
Schlüsse heißt es : „Auch dieser Kampf wird
von Gott gesegnet, wie der erste, und diesen
Segen flehe ich heute auf uns herab." Die
geographische Lektion wird durch neue Ver-
haltungsmaßregeln für den Segenspender
modifiziert. O Blasphemie !
PAZIFISTISCHE CHRONIK
30. Mai. Der kanadische Senat verwirft die
Flott enge schenk vorläge.
31. Mai. In London gelangt der Vorfrieden
zwischen der Türkei und den Balkanmächten
zur Unterzeichnung.
Juni. Der Zar fordert die Könige von Bulgarien
und Serbien auf, ihre Streitigkeiten seiner Schied s-
entscheidung zu überlassen.
2. Juni. Das italienische Königspaar zum
Besuch des Deutschen Kaisers in Kiel.
6. Juni. Im französischen Parlament bringt Jaures
einen Antrag auf Einführung der Miliz ein.
I.Juni. König Georg von England warnt die
Vertreter der Balkanstaaten vor einem Krieg,
den er als „ein Verbrechen gegen die Humanität"
bezeichnet.
7. — 8. Juni. In Brüssel tagt der erste belgische
National- Fr iedenskongress.
8. Juni. Die „New York Times" veröffentlichen
eine Sondernummer zu Ehren des Regierungs-
jubiläums des Kaisers, worin dieser von Staats-
männern und Schriftstellern als Friedensfürst ge-
feiert icird.
10.— 13. Juni. In Leeds tagt der neunte eng-
lische National- Fr iedenskongr es s.
11. Juni. In London wird eine deutsch- englische
Ausstellung eröffnet. Eröffnungsansprache des
Lord Mayors.
13. Juni Deutsche Journalisten werden im
englischen Parlament empfangen.
15. — 19. Juni. In Brüssel findet der II. Welt-
kongress der internationalen Vereinigungen
statt.
16. Juni. Kaiser Wilhelm feiert das 25jährige
Jubiläum seines Regierungsantrittes. Alle
Zeitungsartikel und Festreden betonen sein Friedens-
werk.
16. Juni. Andrew Carnegieüberreichtim Berliner
Königlichen Schloss dem Kaiser die Adresse der
amerikanischen Friedensgesellschaften aus
Anlass seiner 25 jährigen kriegslosen Regierung.
17. Juni. Eine Deputation des englischen
kirchlichen Komitees zur anglo- deutschen Ver-
ständigung unter der Führung des Bischofs Boyd
Carpenter überreicht dem Kaiser eine Huldigungs-
adresse.
18. Juni. Der Senat der Universität Leiden
ernennt aus Anlass der bevorstehenden Eröffnung des
Friedenspalastes im Haag vier Ehrendoktoren
der Staatswissenschaften.
18. Juni. In der französischen Kammer fordert
der Sozialist Fournier die Regierung auf, mit den
anderen Staaten die Errichtung eines inter-
nationalen Parlaments zu vereinbaren.
18. Juni. Andrew Carnegie stiftet für das
Organ des deutschen kirchlichen Komitees für anglo-
deutsche Verständigung 100 000 M.
19. Juni. In seinem Dankerlass aus Anlass
der Jubiläumsfeier sagt der Kaiser: „Dass dies
unter den befruchtenden Strahlen der
263
DIE FßlEDENS->fc/2vßrE
3
Friedenssonne geschehen ist, deren Kraft jedes am
Horizont auftauchende Gewölk siegreich zerstreut,
macht mich besonders glücklich. Ein Herzens-
wunsch ist mir damit in Er füllung gegangen."
19. Juni. Kadettenführer Miljukow weist in
der Duma auf den Einfluss der pazifistischen
Ideen hin, die Europa vor einem Krieg bewahrten.
. 22. Juni. In Visingsö in Schweden tritt ein
internationaler Theosophischer Friedenskongress
zusammen.
24. Juni. Präsident Poincare' in London.
25. Juni. Ratifikation des internationalen
Wechselrechtsabkommens im deutschen Reichs-
tag. Staatssekretär v. Jagow: „Die internationale
Verständigung und Annäherung wird dadurch
gefördert."
25. Juni. Der Chef des russischen General-
stabes kündigt in der Duma eine bedeutende Ver-
stärkung der russischen Wehrkraft an.
27. Juni. Bei dem Jahresfest des Deutschen
Hospitals in Dalston pries der Chef der englischen
Konservativen, Bonnar Law, in einer überaus herz-
lichen Rede die Qualitäten Kaiser Wilhelms.
28. Juni. Die Schiedsverträge der Ver-
einigten Staaten mit Japan, Schweden und
Portugal, die demnächst abgelaufen wären, werden
in Washington verlängert.
30. Juni. Die Wehrvorlage und der Wehrbeitrag
im deutschen Reichstag angenommen.
DAV5 DER ZEITO
Völkerrecht.
Die Bryanschen Verträge. :: :: :: :: :: :: :; :: :: :•
Unter dem 23. Juni wird uns aus New
York berichtet, daß bis zu jenem Zeitpunkt
achtzehn Staaten den Vertrags plan
im Prinzip angenommen haben. Es
seien dies in der Reihe der eingegangenen Zu-
stimmungen : Italien, Oesterreich-Un-
garn, Brasilien, Schweden, Nor-
wegen, Peru, Großbritannien,
Niederlande, Rußland, Frankreich,
Deutschland, Bolivien, Argen-
tinien, China, San Domingo, Däne-
mark, Haiti und Spanien. Staats-
sekretär Bryan hofft, in nächster Zeit den
ersten abgeschlossenen Vertrag dem Senat vor-
legen zu können.
Ueber die Ausgestaltung der in jenem Ver-
trag vorgesehenen Untersuchungskommission
hat der Staatssekretär kürzlich folgendes ver-
lauten lassen: Danach soll jede Untersuchungs-
kommission aus fünf Mitgliedern bestehen. Je
eine wählt die beiden im Streit befindlichen
Staaten, zwei andere werden von zwei Regie-
rungen anderer Länder ernannt, die einen
solchen Friedensvertrag mit den Vereinigten
Staaten eingegangen sind. Das fünfte Mitglied
wird durch ein Uebereinkommen dieser beiden
fremden Regierungen gewählt.
Die Kommissionen sind als ständjg gedacht.
Sie sollen nicht erst im Falle eines ent-
stehenden Streites, sondern sofort nach Unter-
zeichnung des 'Friedensvertrages gebildet
werden. Für jeden abgeschlossenen Vertrag,
eine besondere Kommission.
Das internationale Wechselrechtsabkommen
im deutschen Reichstag.
Das im vorigen Jahre im Haag abgehaltene
Wechselrechtsabkommen wurde am 25. Juni dem
Deutschen Reichstag zur Ratifikation vorgelegt.
Staatssekretär von Jagow, der das Ab-
kommen vorlegte, führte aus, daß es bereits
von 26 Staaten ratifiziert sei. In richtiger Er-
kenntnis des organisatorischen Wertes solcher
Abkommen wies er darauf hin, daß es auch
in politischer Beziehung von Wert sei und da-
durch die gegenseitige Verständigung und An-
näherung gefördert werde.
Auch die anderen Redner hoben diese Be-
deutung hervor. So sagte der fortschrittliche
Abgeordnete Dove:
„Ich freue mich, daß dieser Saal, der s o
lange vom Waffenlärm widerhallte,
heute eine friedliche Einigung auf
dem Weltrechtsgebiete erlebt. Die
neue Wechselordnung ist eingroßes
Weltfriedensinstrument. Die Auf-
rechterhaltung der Rechtseinheit kann nur
durch eine einheitliche Rechtsprechung ge-
schehen. Die Frage der internationalen Ge-
richtshöfe ist aber nicht einfach. Wir
müssen auf immer weiteren Ge-
bietenzueinemeinheitlichenRecht
kommen. Leider besteht in dem Abkommen
mit England noch eine Lücke, aber auch das
Seerecht ist erst nach und nach international
vervollständigt worden. Wir können
hoffen, daß die Organisation des
friedlichen V ö lk er verk e hr s immer
weitere Fortschritte machen wird,
und daß wir bei Wahrung unserer
staatlichen Individualität doch
die gemeinsamenZiele der Mensch-
heit fördern!"
Verschiedene Redner hoben die Verdienste
hervor, die der niederländische Staatsminister
A s s e r um das Zustandekommen der Wechsel-
rechts-Konvention hat und drückten diesem
ihren Dank aus.
Die Verhandlung ist als Zustimmung
Deutschlands zur Fortentwicklung der Inter-
nationalen Organisation von hoher Bedeutung.
Rüstungsproblem.
Die deutsche Heeresvorlage. :: :: :: :: :: :
Nun ist die Kiesenforderung glück-
lieb, unter Dach. Der Deutsche Reichstag
hat mit großer Mehrheit die Milliardei
wie die neuen Regimenter bewilligt. —
264
<£
DIE FRI EDENS -WARTE.
Man könnte jetzt schon daran zweifeln,
ob diese Biesenanstrengung noch begründet
ist, hat man ihre Notwendigkeit doch mit
■dem Erstehen eines neuen politischen Macht-
faktors im Südosten Europas erklärt. Diese
Begründung zerfällt nun, nachdem die Mit-
glieder des Balkanbundes übereinander her-
fallen, sich selbst zerfleischen und einander
die Beute streitig machen. "Wir haben aber
nie daran geglaubt, daß jene ungeheure
[Forderung ihren Grund in dieser frag-
würdigen Neukonstellation iam Balkan haben
konnte. Das war ein schöner Vorwand,
aber nicht das Motiv. Bereits im Leit-
artikel der Märznummer haben wir auf die
Ursachen jener Rüstungsanspannung hin-
gewiesen und angedeutet, daß damit ein
Aequivalent gesucht wird für den durch
Aehrenthal erschütterten und seitdem zu-
sammengestürzten Berliner Vertrag. Es
scheint jedoch, daß jene Riesenrüstungen
noch einen anderen, viel ernsteren Grund
haben. Es sieht so aus, als ob sie die
Kombination des Dreibundes er-
setzen sollten, oder als ob die Reichs-
regierung das Vertrauen zu ihren Bundes-
genossen, namentlich zu Oesterreich-Ungarn,
verloren hätte, das mit seinem neuesten
säbelrasselnden Kurs ihr nicht mehr für
alle Fälle Gewähr zu bieten scheint. Frank-
reich irrt sich, wenn es glaubt, die neuen
Rüstungen seien gegen es gerichtet. Das
Motiv und die Wirkung scheinen in ganz
anderer Richtung zu liegen.
Und was mit dieser Kraftanstrengung
wohl erreicht ist?
Frankreich spannt alle seine Kräfte an,
um sie zu paralysieren. Und Rußland? In
der Reichsduma verkündete der Chef des
Generalstabes am 29. Juni folgendes:
„Das Militärressort hat bereits eine
Gesetzesvorlage betreffend eine bedeu-
tende Verstärkung der russi-
schen Wehrkraft und die Formierung
neuer Truppenteile bei der Infanterie, Ka-
vallerie und den anderen Waffengattungen
sowie eine Reorganisation der Feldartillerie
im Sinne der Vermehrung der Anzahl der
■Geschütze in der Feldartillerie der Armee-
korps ausgearbeitet. Alle diese Maßregeln
legten dem Vaterlande große Opfer an
Leuten und Geld auf. Das Militär-
ressort ist der Reichs duma dankbar für die
Bewilligung des diesjährigen Kontingents,
das die Mittel gegeben hat, um zu Neu-
formierungen zu schreiten. Künftighin sind
jedoch noch weitere große Mittel
erforderlich. Das Kriegsministerium
hofft, daß die Reichsduma dem Kriegs-
ressort durch Verstärkung der Armee zu
einem Bestände verhelfen wird, der es er-
möglicht, die Gesamtmacht zur Verteidi-
gung des Vaterlandes und zum Schutze
der Friedensinteressen zu entfalten, wenn
ein machtvolles Wort des Kaisers die Armee
auf das Feld der Ehren rufen sollte."
Also!
Das ist die Schraube ohne Ende! Das
ist der Wahnsinn! Hier werden Milliarden
geopfert, um die deutsche Wehrmacht zu
stärken, und im Westen und Osten wird
die Wirkung dieser Opfer sofort durch ent-
sprechende Neurüstungen wieder paraly-
siert. Hier kann man das bekannte Wort
anwenden: Wer über gewisse Dinge
den Verstand nicht verliert, der
hat keinen zu verlieren.
Die große Militärvorlage ist freilich
bewilligt worden ; schon heute aber erscheint
die Frage berechtigt: In wieviel Mo-
naten oder Wochen kommt die neue?
F.
C£»
Gegen die Rüstungsindustrie. :: :: :; :: :: :: :: :: ::
Der vierte englische Friedenskongreß, der
vom 9. bis 12. Juni in Leeds abgehalten wurde,
nahm folgende Resolution an:
„Diese Konferenz lenkt die Aufmerksam-
keit auf die gewaltigen finanziellen
Interessen, die hinter dem Milita-
rismus und den Kriegsvorberei-
tungen stehen, ferner auf die Skru-
pellosigkeit, mit der die Rüstungs-
fabrikanten Verdacht und Miß-
trauen zwischen freundschaft-
lichen Völkern nähren, um ihre
Profite zu erhöhen, und erklärt,
daß der Fortbestand dieser Sach-
lage den Frieden Europas ernsthaft
g efährde t."
Sehr scharf wurde auf dem Kongreß die
Agitation zur Einführung der allgemeinen Wehr-
pflicht in England bekämpft. Bemerkenswert
war die außerordentlich scharfe Abrechnung
von G-. H. P e r r i s mit den Praktiken des
internationalen Rüstungskapitals, ferner ein von
dem Redakteur des Ekonomist F. W. H i r s t
eingesandter Aufsatz, worin er die Kriegs-
anleihen als unmoralisch branrl markte
und deren internationales Verbot be-
fürwortete.
NB
Die Friedens-Industrie.:: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
In der „Frankfurter Zeitung" vom 14. Mai
(Nr. 132) wird als beste Maßnahme zur Be-
kämpfung der der Kriegsindustrie dienenden
Presse die Schaffung einer Friedens-Industrie
hingestellt, „die ebenso viel Geld einbringt wie
die Kriegsindustrie." Es heißt weiter: „Aber
265
DIE FBIEDEN5 -'MAßTE
;§>
das würde jedenfalls ein. schweres Werk sein,
denn die schönsten und edelsten Dinge dieser
Welt haben sich von jeher dadurch ausge-
zeichnet, daß sie wenig einträglich sind."
Daß es an der geringen Einträglichkeit der
Friedens-Industrie liegt, wenn sich starke Zweige
der Industrie auf die Herstellung von Kriegs-
material legen, erscheint mir nicht richtig.
Schließlich dient ja die vorwiegende Betätigung
vier Industrie dem Bedarf des Friedens und
nur ein kleiner Bruchteil hat sich sozusagen
für den Kriegsbedarf spezialisiert. Ein Beweis,
daß die Friedens-Industrie nicht uneinträglich
ist. Unendlich aber würde sich die Friedens-
Industrie heben, wenn die Milliarden, die
heute für die Rüstungen ausgegeben werden,
für Kulturzwecke frei werden möchten. Noch
lange haben die Völker ihren Bedarf an Kultur-
einrichtungen nicht gedeckt. Man würde dann
viel mehr landwirtschaftliche Maschinen, Eisen-
l>ahnen, Brücken, Kanalisationsbauten, Loko-
motiven, Werkzeugmaschinen und Werkzeuge be-
nötigen als heute, und die Kriegsindustrien
würden ihr Kapital und ihre Arbeitskräfte mit
erhöhtem Gewinn für diese produktiven Auf-
gaben einsetzen können.
Das schwierigste ist nicht, die Friedens-
Industrie ertragreich zu machen, sondern es
scheint mir das Hindernis darin zu liegen, den
Beginn des Wandels herbeizuführen. Der Kriegs-
bedarf ist organisiert. Der Auftraggeber ist in
einer einzigen Institution vorhanden, und seine
Geldmittel sind unbeschränkt. Es ist bequemer,
diesem klar zum Ausdruck kommenden Bedarf
das Angebot gegenüberzustellen, als sich in
einen wieder aufregenden Wettbewerb um die
Bedürfnisse der vieltausendköpfigen Auftrag-
geber der Friedens-Industrie einzulassen. Hier
ist nicht der Sperling, sondern die Taube schon
in der Hand. Auf dem Dache sitzt allerdings
auch eine Taube, man hält sie aber für einen
Sperling.
Aus diesem fehlerhaften Zirkel kann uns
nur die Initiative des Staates herausreißen, in-
dem die Kriegsindustrie allmählich
verstaatlicht wird. Die Interessenten
werden in einer entsprechenden Uebergangszeit
anfangen müssen, sich um die Friedensbedürf-
nisse der Bevölkerung umzusehen. Sie werden,
wenn von den großen Autraggebern nichts
mehr zu erwarten ist, Pflüge und ähnliche
Nützlichkeiten bauen. Den Bedarf dazu werden
sie durch ihre Presse anstacheln lassen, wenn
er sich nicht in befriedigender Weise selbst
äußert. Die Kriegshetzer von heute werden
dann Bahnbau - Notwendigkeiten entdecken,
gegen nachlässige Stadtverwaltungen mobil
machen, die nicht genügend hygienische Vor-
sorge treffen, durch Erfindung neuer Werk-
zeuge die verschiedenen Gewerbe zur Verbess-
rung ihrer Produkte anspornen, für den Bau
von Tuberkulose- und Genesungsheimen plä-
dieren und für ähnliche nützliche Dinge.
Durch eine derartige Verstaatlichung wird
aber dem internationalen Rüstungswettbewerb
sein verderblichster Ansporn genommen werden,
und die Möglichkeit eines Rüstungsistillstandes
auf internationaler Grundlage wird sich ein-
stellen. Durch die alsdann freiwerdenden Milli-
onen wird die Friedens-Industrie blühen und
erhöhten Aufschwung nehmen. Und ihre heu-
tigen Agenten werden sogar die interessiertesten
Agitatoren für eine weitere Beschränkung der
Rüstungsausgaben werden. Sie werden alsdann
erkennen, daß der Friede doch das einträg-
lichste Geschäft ist.
So wird es kommen. Aber der Staat muß
anfangen. Der Wandel muß durch die Macht
des Staates erzwungen werden. Auch die In-
dustrie wird reiten können, wenn sie erst im
Sattel sitzt.
Verschiedenes.
ParlamentarierzusammenkQnfte in der Vergangenheit.
Der zwischen deutschen und französischen
Parlamentariern in Bern unternommene Ver-
such, die Verständigung beider Staaten zu
fördern, hat bereits Präzedenzfälle aufzuweisen.
An diese zu erinnern erscheint um so wich-
tiger, als dadurch die gegen die Berner Zu-
sammenkunft erhobenen Einwände neuerdings
an Gewicht verlieren. Zwei Fälle, auf die in
der vorhergehenden Nummer nur kurz hinge-
wiesen wurde, zeigen deutlich, daß es sich bei
derartigen Unternehmungen nicht um die Masse
der Teilnehmer, sondern um den Geist, der
die Erschienenen beseelt, handelt, und in erster
Linie darum, überhaupt einen Anfang zu
(machen, einen Anstoß nach einer bestimmten
Richtung zu geben.
So sei an jene berühmte Zusammenkunft
französischer und englischer Deputierter er-
innert, die am 31. Oktober 1888 im Pariser
Grand Hotel stattfand.
Frederic Passy hatte in der franzö-
sischen Deputiertenkammer wiederholt den Ver-
such gemacht, die französische Regierung für
den Abschluß eines Schiedsvertrages mit Eng-
land zu interessieren. Randal Cremer, der be-
kannte Arbeiterführer des englischen Parlaments,
der schon vorher die Initiative für eine Par-
lamentsaktion zugunsten eines anglo - ameri-
kanischen Schiedsvertrages unternommen hatte,
Wandte sich an Passy mit dem Vorschlage,
zur rascheren Förderung eines englisch-franzö-
sischen Schiedsabkommens eine Zusammenkunft
englischer und französischer Parlamentarier zu
bewirken. Er rechnete, wie Frederic Passy be-
richtet, auf die Teilnahme von 150 bis 200
seiner englischen Kollegen. ■ Passy erwiderte
ihm, daß er die Idee für ausgezeichnet halte
tund daß, wenn nur ein halbes Dutzend eng-
lischer Parlamentarier erscheinen würden, ,,die
Tatsache einer solchen Entente der Vertreter
zweier Nationen ein Ereignis von höchster Trag-
weite wäre." Cremer kam nach Paris, nahm
Fühlung mit verschiedenen Politikern,, deren Zu-
stimmung er fand, und auch der Minis ter-
266
<£
DIE FRI EDENS ->\*XRXE
Präsident G-oblet ermutigte ihn zu seinem Vor-
haben.
An dem oben erwähnten 31. Oktober 1888
fand jene Parlamentarier-Zusammenkunft statt,
an der statt der erhofften 200 nur 9 englische
Deputierte erschienen waren, denen nur 25 fran-
zösische Abgeordnete gegenüberstanden. Die
Sitzung war nur von kurzer Dauer. Sie währte
eine Stunde und zeitigte eine Anzahl Reso-
lutionen, durch deren eine beschlossen
wurde, für das folgende Weltausstellungsjahr
eine neue Zusammenkunft einzuberufen, zu der
die schiedsgerichtsfreundlichen Parlamentarier
giuch der anderen Parlamente zuzuziehen sind.
Es wurde ein Komitee eingesetzt, das diese Zu-
sammenkunft vorzubereiten hatte. Damit war
die interparlamentarische Union
begründet. Aus jener schlecht besuchten,
von den Zeitgenossen nur kaum beachteten
Vereinigung entwickelte sich jene Körperschaft,
die heute in 21 Parlamenten 3640 Mitglieder
umfaßt, deren großer Einfluß auf die Ent-
wicklung der internationalen Beziehungen des
Völkerrechts und namentlich des Haager Werkes
von der ganzen Kulturwelt anerkannt wird.
Man sieht, es ist nicht die Masse not-
wendig, um große Folgen zu zeitigen.
Und noch auf eine andere Parlaments-
entrevue sei hier hingewiesen^ Sie fand zwischen
dem 21. und 25. Juli 1903 in London statt.
Das Commercial Committee des englischen
Unterhauses war nach Paris gekommen, um die
französischen Parlamentarier zu einer in London
abzuhaltenden gemeinsamen Sitzung einzuladen.
Der Zweck war die Besprechung einer gemein-
samen Aktion zur Herstellung eines ständigen
Schiedsgerichtsvertrages zwischen England und
Frankreich.
Neunzig Mitglieder des französischen Par-
laments leisteten jener Einladung Folge. Also
iange nicht so viel als französische Parlamen-
tarier in Bern anwesend waren. Das Ergebnis
jenes denkwürdigen Parlamentsbesuches war
•nicht nur der Schiedsvertrag, der noch im selben
Jahre zwischen England und Frankreich unter-
zeichnet wurde, sondern auch die Entente cor-
diale, die die politischen Verhältnisse Europas
in entscheidender Weise beeinflußte.
Die Adresse der englischen Kirchen an den Kaiser.
Eine Deputation, an deren Spitze der
Bischof Boyd Carpenter sich befand,
überreichte am 16. Juni dem Kaiser aus An-
laß seines Regierungs Jubiläums eine Adresse,
deren Wortlaut hier festgehalten werden soll.
„An Seine Majestät den Deutschen Kaiser.
Untertänige Adresse des Britischen Aus-
schusses der Vereinigten Ausschüsse von
Kirchen im Britischen und Deutschen Reich
zur Förderung freundschaftlicher Beziehungen
zwischen beiden Völkern. Eure Majestät wolle
uns gestatten, als den Vertretern des Aus-
schusses Eurer Majestät unsere respektvollsten
und herzlichsten Glückwünsche zum 25. Jahres-
tage von Eurer Majestät Besteigung des Kaiser-
lichen Thrones von Deutschland darzubringen.
Die Periode, während welcher Eure Majestät
negiert haben, ist gekennzeichnet durch einen
außerge wohnlichen Fortschritt in der mate-
riellen, moralischen und intellektuellen Wohl-
fahrt des deutschen und unseres eigenen Volkes
und an diesen Segnungen haben auch andere
Nationen teilgenommen. Ein solcher Fort-
schritt ist nur möglich, wenn die Völker frei
sind von den Besorgnissen und Störungen des
Krieges, und wir erkennen es mit Dankbarkeit
an, daß die Erhaltung des europäischen Frie-
dens nächst Gott in nicht geringem Maße auf
den früh gebildeten und unermüdlich fest-
gehaltenen Entschluß Eurer Majestät zurück-
zuführen ist, die Segnungen des Friedens zu
fördern und zu erhalten. — Als Vertreter einer
•Nation, die mit der deutschen Nation durch
'Bande des Bluts, der Freundschaft und des
wechselseitigen Interesses verbunden ist,
heißen wir das Prosperieren der von Eurer Ma-
jestät beherrschten Länder willkommen, und
,obscbon wir erkennen, daß es zwischen zwei
sich ausdehnenden Nationalitäten nicht an
einem gesunden Wettbewerb fehlen kann, sind
wir doch überzeugt, daß eine solche Rivalität
eine freundschaftliche sein kann, und wir
blicken mit Vertrauen nach vorwärts, da wir
uns erinnern, daß unter Eurer Majestät Leitung
während aller dieser Jahre wechselseitiger
kommerzieller Aktivität es keinen Bruch der
Freundschaft zwischen den beiden großen Völ-
kern gegeben hat. Wir danken Gott für dies
Zeichen seiner Vorsehung, wie wir überzeugt
sind, daß eine herzliche Kooperation zwischen
Deutschland und Großbritannien von dem
größten Nutzen für den allgemeinen Fortschritt
der Menschheit ist, und daß jede Behinderung
dieser vereinten Bestrebungen der christlichen
Zivilisation eine schwere Schädigung zufügen
würde. Als Mitglieder einer Vereinigung Christ-
licher Kirchen halten wir die Förderung einer
internationalen Brüderschaft für einen wesent-
lichen Teil unserer Pflicht gegenüber unserem
Herrn und Meister Jesus Christus, und unsere
Genossen in beiden Reichen streben dem-
gemäß danach, ihrem Volk das Gefühl für die
Verantwortlichkeit einzuprägen, die auf ihnen
mihen würde, wenn sie gestatten würden, daß
irgendwelche unwürdigen Empfindungen die
freundschaftlichen Beziehungen unterbrechen,
die zwischen den beiden Nationen besteht.
Wir sind sicher, daß sowohl Eure Majestät
wie Eurer Majestät Ratgeber mit uns in diesem
Wunsche sympathisieren, und wir beten, daß
Gott Eure Majestät lange erhalten möge, um
die große Aufgabe weiterzuführen, den Frieden
der Welt zu suchen, der mit dem Fortschritt
der Zivilisation und der Ausbreitung unseres
gemeinsamen Glaubens fest verbunden ist."
Der Kaiser hat auf die Ansprache des eng-
lischen Bischofs mit folgenden Worten geant-
wortet :
267
DIE FßlEDEN5->i*£ßTE
3
„Es gewährt mir ein großes Vergnügen,
Ihre Deputation zu empfangen und ich kann
Innen nur die Versicherung geben, daß ich
fortfahren werde, mein Bestes zu tun, u m d e n
Frieden zu erhalten und die freund-
lichen Beziehungen zu fördern, die
"zwischen den beiden Nationen bestehen."
«5»
Das wahre Antlitz des Krieges. :: :: :: :: :: :: :: ::
Der deutsche Arzt Dr. von Oettinger,
Üer den Balkankrieg als Chef-Chirurg des ser-
bischen Roten Kreuzes mitgemacht hat, ver-
öffentlicht unter obigem Titel in der „Ber-
liner Illustrierten Zeitung" einige Erlebnisse aus
dem Balkankrieg, die seiner eigenen Darstellung
nach dazu dienen sollen, „den leichtsinnigen
.Hetzern" . . . das Kriegselend vor Augen zu
führen." Eingangs sagt der Verfasser, der durch-
aus kein Pazifist ist, sondern den Krieg als
„ein unabwendbares Uebel" glaubt bezeichnen
zu müssen:
„Es hat zu jeder Zeit Verherrlicher des
Krieges gegeben, und zwar nicht nur unter
denen, die in Kriegszeiten im Trüben zu fischen
gedenken, sondern auch Dichter und Denker
haben sich begeistert über die segensreichen
Wirkungen des Krieges ausgesprochen. Mag
man darüber rechten und streiten, sicher ist,
daß das eigentliche Wesen des Krieges, das
(Grauen und die Scheußlichkeit nur in jenem
haften bleiben, der die Kriegsleiden des Kampfes
kennen lernen, sie beobachten mußte. Weder
der Kulturfortschritt der Nationen, noch die
vervollkommnete Technik der Waffen haben
an der Grausamkeit des Krieges
irgend etwas geändert. Im Gegen-
teil! Wenn in früheren Jahrhunderten „die
Bestie im Menschen" noch die Genugtuung
hatte, Aug' in Auge mit dem Feinde zu ringen,
ihn — sei es mit Kolben oder Zähnen — zu
vernichten, so kommt das heutzutage nur noch
selten vor." Er schildert dann die Grausam-
izeit der sogenannten „humanen" Geschosse, und
fährt fort : Besonders grausam ist der Festungs-
krieg, wenn gestürmt werden soll. Die Militär-
ingenieure haben die Verteidigung selbst einer
'offenen Stadt heute auf eine so hohe Stufe
gebracht, daß ein Ort, der sich verproviantieren
kann (zum Beispiel Skutari, das am See liegt),
fast als uneinnehmbar gelten kann. Der An-
greifer bedient sich der großen Belagerungs-
geschütze, die aber im allgemeinen nicht viel
Unheil anrichten. In großen Laufgräben ver-
bucht er sich dem Orte zu nähern, ihn im
Kreise einzuschließen, ihn, wenn möglich, von
der Wasserzufuhr abzuschneiden. Der Vertei-
diger aber benutzt als Annäherungshindernis
den berüchtigten Stacheldraht, der
in jeder Form, als Wolfsgrube oder als Fall-
draht, wirksam wird. Letzterer wird nur 15
bis 20 Zentimeter hoch im Grase ausgespannt,
und anstürmende Kolonnen pras-
seln hin als wäre der Blitz in sie
gefahren. Dabei sind die Drähte kaum zu
finden. Das schwierigste Hindernis aber sind
die Gewirre von Stacheldraht, aus denen selbst
ein gesunder Mann sich kaum zu befreien ver-
mag. Um solche Hindernisse hinwegzuräumen,
wurden in der Mandschurei Sturmkolonnen aus-
gelost. Mit großen Eisenscheren versehen
— ohne Waffe — mußten sie, — tot-
geweiht, — vorausstürmen, alles durch-
schneiden und forträumen, damit über ihre
Leichen hinweg vorgedrungen werden
konnte."
RS)
Die pazifistische Durchdringung. :: :: :: :: :: :: :: ::
Am 19. April hielt der Führer der Kadetten-
partei, Miljukow in der russischen Duma
eine große Rede zur auswärtigen Politik in der
er u. a. folgendes sagte:
„Es zeigte sich also in ganz Europa eine
ungewöhnliche Tendenz zur Friedensliebe,
welche auch noch bis jetzt anhält, wie aus
dem Allerhöchsten Reskript an den Minister
des Aeußeren hervorgeht. Offenbar haben
die Ideen des Pazifismus in Europa
Erfolg. Vor zehn Jahren wäre Eu-
ropa aus dieser Balkankrisis kaum
so friedfertig hervorgegangen, wie
j e t z t." ,
»st
Kurze Mitteilungen. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
In die Redaktion der „Zeitschrift für Völ-
kerrecht und Bundesstaatsrecht" ist Dr. Hans
Wehberg neben den Professoren Kohler und
Oppenheim eingetreten und hat die Schrift-
leitung übernommen. — Baron d'Estournelles
'de Constant hat einen schweren Verlust er-
litten. Am 11. Juni verschied in Paris sein
25 jähriger Sohn. — Am 30. Juni starb in
Philadelphia Alfred H. Love im 83. Lebensjahr.
Er begründete 1866 die „Universal Peace Union"
und gab seit 36 Jahren den „Peacemaker" her-
aus. — Im Rahmen der Jenaer Ferienkurse,
die vom 4. bis 16. August zum 25. Mal ab-
gehalten werden, wird am 6. August Anna
B. Eckstein über „Der Sinn des Lebens und die
Friedenssicherung" sprechen. — Der Senat
der Universität Leiden hat aus Anlaß der be-
vorstehenden Eröffnung des Haager Schieds-
palastes vier Ehrendoktoren der Staats-
wissenschaft ernannt. Es sind dies : Staats-
minister Prof. Asser, Haag, Prof. Renault,
Paris, Senator Elihu Root, Washington, und
Alfred H. Fried, Wien — David Starr Jordan,
der Präsident der Leland Stanford-Universität
in Kalifornien, hat auf ein Jahr Urlaub ge-
nommen, den er im Dienste der Friedens-
propaganda in Europa zu verbringen beabsichtigt.
Er wird zunächst in England einige Vorträge
halten und dann die Balkanstaaten besuchen, um
sich an Ort und Stelle über die Folgen des
Krieges zu unterrichten. — Im Haag hat sich
unter dem Vorsitz des Ihr. Mr. A. Van Daehne
von Varick ein Komitee gebildet, das es sich zur
Aufgabe stellt, William Stead im Frie-
denspalast ein Denkmal zu errichten.
268
<2=
DIE FBIEDEN5-WAPTE
AVS DER BEWEGVN6
Der JC^CI. Weltfriedenskongreß in Wien. :: :: ::
Im nächsten Jahre wird ein Vierteljahr-
hundert seit dem Beginn der neuen Serie der
Weltfriedenskongresse vergangen sein. In dieser
Zeit werden 20 dieser Kongresse in fast allen
Ländern Europas getagt haben, mit Ausnahme
von Oesterreich. In der ungarischen Hauptstadt
fand der Kongreß bekanntlich im Jahre 1896
eine noch in aller Teilnehmer Erinnerung be-
findliche glänzende Aufnahme. Im nächsten
Jahre wird auch ein Jahrhundert vergangen
sein, seitdem in Wien der große Fürsten- und
Diplomatenkongreß zusammentrat, der die
Grundlage zum heutigen Europa legte. Aus
diesen Gründen wird dem im August im Haag
stattfindenden XX. Weltfriedenskongreß die
Einladung überreicht werden, den XXI. W e 1 1-
f r i e d ensk o n gr e ß im Herbst des
nächsten Jahres in Wien abzu-
halten.
na
Kalendarium der pazifistischen Veranstaltungen. :: ::
4. — 30. August: Abhaltung eines interr
nationalen Friedens -Seminars in Kaisers-
lautern.
19.-21. August: VIII. Deutscher Espe-
rantokongreß in Stuttgart.
20.— 23. August: XX. Weltfriedenskongreß
im Haag.
23. — 25. August: Internationaler Friedens-
kongreß der Freimaurer im Haag.
28. August: Einweihung des Friedens-
palastes im Haag.
29. — 31. August: IX. Internationaler Espe-
rantokongreß in Bern.
29. Aug. bis 13. Sept.: VIII. Weltkongreß
der Studentenverbände (Corda Fratres) in
Ithaca, New York.
1. — 5. September: Internationale Studenten-
vereinigung im Haag.
3. — 6. September: XVIII. Interparlamenta-
rische Konferenz im Haag.
10. — 13. September: Konferenz der deutsch-
französischen Verständigungs-Vereinigung „Pour
mieux se connaitre" in Gent.
1. Oktober: XXVIII. Konferenz der Int.
Law Association in Madrid.
4. — 6. Oktober: Zweiter Verbandstag des
„Verbandes für internationale Verständigung"
in Nürnberg.
MB
Der 70. Geburtstag der Baronin Suttner. :: :: :: ::
Auf besonderen Wunsch der Baronin unter-
blieb jede offizielle Feier ihres 70. Geburts-
tages. Sie hatte sich auch durch ihre Abreise
jeder Ueberrumpelung entzogen. Der Vorstand
der österreichischen Friedensge-
sellschaft trat jedoch am 7. Juni zu einer
Festsitzung zusammen, bei der Vizepräsident Bal-
duin Groller eine Ansprache hielt, deren Wortlaut
'bereits in der vorhergehenden Nummer der
„Friedens-Warte" (S. 239) zum Abdruck ge-
bracht wurde. Die deutsche Friedensgesellschaft
übersandte eine kunstvoll ausgestattete Adresse
folgenden Inhalts :
„Stuttgart, im Mai 1913.
Hochverehrte Frau Baronin!
An dem Ehrentage, der Ihnen mit
Ihrem 70. Geburtsfeste aufzieht, stellt sich
unter den viel tausenden dankbarer Zeit-
genossen auch die Geschäftsleitung der Deut-
schen Friedensgesellschaft bei Ihnen ein,
jurn Urnen ihre volle Anerkennung für Ihr
selbstloses Wirken im Dienst der uns allen
heiligen Sache auszudrücken. Sie haben nicht
nur in Ihren weltberühmten Schriften „Die
Waffen nieder!", „Schach der Qual", „Der
Menschheit Hochgedanken" u. a. m. der
Friedensidee . beredten und hinreißenden Aus-
druck verliehen und dadurch eine Welt von
Kräften für den Kampf um die Zukunft der
Menschheit aufgerufen, Sie haben nicht nur
auf den internationalen Kongressen von einer
weithin sichtbaren Warte herab Ihre geist-
vollen und lebenssprühenden Ideen einer be-
geisterten Zuhörerschaft kundgetan, Sie
haben auch durch eine hingebende Klein-
arbeit den wissenschaftlichen Pazifismus
Imitbegründet und das Arsenal der Friedens-
freunde mit tausend geistigen Waffen ge-
füllt. So sind Sie zu der Blannerträgerin
unserer Bewegung geworden, die uns bis in
die spätesten Zeiten in der Gloriole der Ver-
klärung — ein Gegenstück zu der den na-
tionalen Gedanken vertretenden Jungfrau von
Orleans — voranleuchten wird. Und wie
die Schülers che Jeanne d'Arc im Blick auf
ihre Fahne sagen konnte: „Ich. darf sie
zeigen, denn ich trug sie treu," so mögen
auch Sie im Gedanken an Lore erfolgreiche
Tätigkeit das Friedensbanner in geweihten
Händen halten, des endlichen Siegs der von
Ihnen vertretenen heiligen Sache gewiß !
Möge, nachdem sich die kriegerischen
Wetterwolken verzogen haben, das Licht der
Friedenssonne Ihren Lebensabend verklären.
Den Dank der Millionen, die Sie von der
blutigen Geißel des Krieges erretten halfen,
wird Ihnen die Nachwelt nicht schuldig
bleiben.
In herzlicher Verehrung
der Vorstand der Deutschen
Friedensgesellschaft.
Dr. Adolf Richter, m. p.
Stadtpfarrer .Umfrid, m. p.
In Stuttgart, Hamburg, Frankfurt a. M.
veranstalteten die dortigen Friedensgesell-
schaften öffentliche Suttnerfeiern. Der Prager
(Stadtrat übersandte eine künstlerisch ausge-
führte Bronzeplakette mit einer ehrenden In-
schrift. Bertha von Suttner ist in Prag ge-
boren. Es ist anerkennenswert, daß der tsche-
chische Stadtrat von Prag soviel Objektivität
269
DIE FRIEDENS -^kßTE =
besitzt, die große Tochter der Stadt zu ehren,
obwohl sie eine deutsche Frau ist. Die deutsche
Stadtverwaltung von Wien hat sich leider nicht
einmal zu einer Begrüßungsdepesche aufge-
schwungen.
Das Begleitschreiben zur Ehrenplakette hat
folgenden Wortlaut:
„Präsidium
des Stadt- und Magistratsrates
der königl. Hauptstadt Prag.
Hochgeborne Frau!
Der Gemeinderat der königl. Hauptstadt
Prag hat aus Anlaß der seltenen Feier des
70. Geburtsfestes Ihr. Hochgeboren in seiner
Sitzung vom 23. Mai 1913, eingedenk der lang-
jahrigen, eifrigen und unermüdlichen Bestre-
bungen hingebend zur Erhaltung eines dauern-
den Weltfriedens und eines friedlichen Zu-
sammenlebens unter allen Nationen der Welt,
einstimmig beschlossen, Ihnen die Ehren- und
Verdienstplakette der königl. Hauptstadt Prag
zu verleihen, als bescheidenen Beweis der
höchsten aufrichtigsten Anerkennung Ihrer . be-
sonderen verdienstvollen Bestrebungen und
Ihres, einem edlen Ziele geweihten Lebens.
Es gereicht mir .zur besonderen Ehre und
ist mir eine angenehme Pflicht, Sie, hoch-
geborne Frau, von diesem einstimmigen Be-
schluß des Stadtrates der königl. Hauptstadt
Prag in Kenntnis zu setzen und erlaube ich mir
gleichzeitig, Sie im Namen des Präsidiums des
Stadtrates, sowie im eigenen Namen auf das
allerherzlichste zu beglückwünschen.
Mit dem innigen Wunsche, es möge Ihnen
durch eine lange Reihe von Jahren bei voller
Geistes- und Körperfrische noch vergönnt sein,
für die erhabene Idee des Weltfriedens bis zu
dem endlichen Siege dieses Ringens, welcher
von der Menschheit so sehnsüchtig erwartet
wird, zu wirken, schließe ich gleichzeitig die
Plaquette bei und bin
hochgeborne Frau stets ganz ergebener
Gros,
Bürgermeister der königl. Hauptstadt
Prag.
Prag, den 23. Mai 1913."
Der Baronin zu Ehren wurde eine Samm-
lung für eine Suttnerstiftung eingeleitet, deren
Erträgnis die Baronin für die Oesterreichische
Friedensgesellschaft bestimmte. Die Sammlung
ergab bis jetzt den ansehnlichen Betrag von
ca. 30 000 Kr.
Unmöglich ist es, die nach vielen hunderten
zählenden Depeschen und Gratulations-
schreiben anzuführen, die aus allen Ländern
.und aus allen Kreisen herrührten. Daß aber
auch Mitglieder des österreichischen Kaiser-
hauses unter den Gratulanten sich befanden,
soll hervorgehoben »werden. ,
Die Presse aller Länder — ganz abgesehen
(von der pazifistischen Fachpresse, — befaßte sich
in ausführlichen Artikeln mit der Jubilarin.
(Näheres darüber unten in der „Artikel-Biblio-
graphie".) Viele brachten auch ihr Porträt. So
gestaltete sich das Suttnerjubiläum zu einer
Weltfriedens feier, bei der die große Verehrung
und der internationale Ruhm der großen Frau,
aber auch der Umfang und die Bedeutung des
Pazifismus deutlich zum Ausdruck gelangte.
Friedensgesellschaft in Mülhausen i. E. :: :: :: :: ::
Auf elsässischen Boden beginnt der Pa-
zifismus mächtig in die Höhe zu schießen. Die
(Bewohner der Reichslande sind sich ihrer Lage
bewußt geworden, haben erkannt, daß ein Krieg
sie in erster Linie treffen müßte, die Arbeit
für die Friedenssicherung ihr wichtigster Be-
ruf sei. Aus diesen Erwägungen heraus traten
dort jene erfreulichen Kundgebungen in Er-
scheinung, die wir in den letzten Monaten hier
verzeichnen konnten; so wird jetzt wieder die
Gründung einer neuen Friedensgesellschaft in
Mülhausen gemeldet, die ihren Anschluß an
die Deutsche Friedensgesellschaft gesucht hat
und an deren Spitze der bekannte elsä-ssische
Industrielle v. Schlumberger getreten ist.
Dieser eröffnete auch die konstituierende Sitzung
mit einer Ansprache, in der er auf die im' Früh-
ling abgehaltene imposante Friedenskundgebung
der drei politischen Organisationen Mülhausens
sowie auf die einstimmig gefaßte Resolution
des elsaß-lothringischen Landtags zugunsten
des Friedens hinwies. Wenn auch die edlen
Bestrebungen der Friedensfreunde von mancher
Seite noch als Utopien angesehen, so führte
(der Redner aus, und der Krieg als eine Natur-
notwendigkeit hingestellt werde, so mache der
Pazifismus doch zusehends Fortschritte. Be-
sonders in Elsaß-Lothringen finde die Friedens-
idee großen Anklang, da unser Land kein
Festungsglacis sein, sondern die natürliche
Brücke zwischen den beiden großen Kultur-
völkern diesseits und jenseits der Vogesen bilden
wolle, die es schon zu französischer Zeit war.
Für eine ruhige friedliche Entwicklung unserer
Verhältnisse und gegen alle Chauvinisten und
Kriegshetzer müsse das Losungswort der zu
gründenden Friedensgesellschaft sein, schloß
der Redner seine, mit großem Beifall auf-
genommenen Ausführungen.
Einige Tage nach der Gründung der Ge-
sellschaft, der gleich 86 Mitglieder beitraten,
•würde ein Aufruf erlassen. Darin wird zu-
nächst auf das Bestehen von Friedensgesell-
schaften in Straßburg und Colmar hingewiesen,
und dann werden die Gedanken und Ziele der
Friedensbewegung dargelegt: „Steigende Kultur
und gemeinsame Interessen der Völker unter-
stützen die Forderung, daß die Beziehungen der
Völker und Nationen durch dieselbe Moral und
dasselbe Recht geregelt werden, wie die Be-
ziehungen zwischen den einzelnen und daß sie
mit der übergeordneten Idee der Menschheit
in Einklang gehalten werden. Die wirtschaft-
liche Entwicklung selbst weise in diese Rich-
tung und lasse den Krieg mehr und mehr auch
I
270
(§:
5 DIE FRIEDEN5->M^BXE
als einen ökonomischen Irrtum erscheinen.
Pflicht aller Friedensfreunde sei es, gegen den
Chauvinismus als die seelische Voraussetzung
des Krieges anzukämpfen. Zum Schluß sagt der
Aufruf: „Allein neben unseren Pflichten gegen-
über der Menschheit haben wir noch besondere
Aufgaben zu erfüllen gegenüber unserem Heimat-
land. Das Elsaß ist immer ein Grenzland ge-
wesen und hat als solches mehr als andere
Länder unter den Schrecken des Krieges und
den Vergewaltigungen, die er im Gefolge hat,
zu leiden gehabt. Wir wollen deshalb auch im
(Namen des Elsaß unsere Stimme erheben, in-
mitten der stets wachsenden Frie-
densbewegung unseres Zeitalters.
In Verbindung mit allen, denen das große
Ideal des Friedens und des Rechtes am Herzen
liegt, im Anschluß an die Deutsche Friedens-
gesellschaft, wollen wir an der Lösung der
schwebenden Fragen so arbeiten, daß da-
durch der Jahrhunderte alte Hader
zwischen zwei großen Völkern auf-
gehoben, ungerechteVorurteile be-
seitigt werden und zugleich unser
Recht gewahrt bleibe auf eine ruhige
und friedliche Entwicklung, die uns vorge-
zeichnet ist 'durch die Ehrenpflicht, die jedes
sich selbst achtende Volk hat, die besonderen
aus seiner ganzen Geschichte sich ergebenden
Ueberlieferungen festzuhalten und weiter-
zubilden."
LITERATUR V.PBESSE
Besprechungen. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Die Kaisernummer der New York
Times.
In ihrer Magazine Beilage zur Nr. vom
8, Juni widmet die New York Times dem Kaiser
aus Anlaß seines Regierungsjubiläums fünf
Seiten ihres Großfolioformates. Neben einem
Porträt des Kaisers befinden sich auf
der ersten Seite Aeußerungen des Königs
von Italien, der früheren Präsidenten
Roosevelt und Taft, des Herzogs
von A r g y 1 1 , des deutschen Botschafters
Graf Bernstorff und des englischen
Parlamentariers Sir Gilbert Parker.
Die weitere Nummer enthält: Hugo Mün-
sterberg, Die Psychologie des Kaisers. —
Lord Blyth, Der Kaiser als Zentralfaktor
der deutschen Friedenspolitik. — Arthur
von Gwinner, Deutschlands wirtschaft-
licher Fortschritt. — Alfred H. Fried, Der
Kaiser und der Weltfriede. — Andrew Car-
negie, Kaiser Wilhelm als Friedensfürst und
schließlich ein Beitrag Nicholas Muray
Butlers über des Kaisers Bedeutung.
D'Estournelles de Constant,
Les Etats-Unis d'Amerique. 8°. Paris 1913.
Armand Colin. IX und 536 S. 5 Fr.
Die Vereinigten Staaten sind eine pazi-
fistische Vormacht geworden. Ihre Regierung
hat es unternommen, die Arbeit der Pazifisten,
die in Europa noch immer scheel angesehen
wird, in die politische Praxis einzuführen. Dieser
Umstand macht das demokratische Reich jen-
seits des Ozeans für alle diejenigen interessant,
die in Europa für die Herrschaft der Vernunft
eintreten. Wenn nun einer der Führer dieser
Bewegung in Europa zu schildern unternimmt,
was er auf seinen wiederholten Reisen nach
jenem wunderbaren Lande erlebt und gesehen
hat, so trägt ein solches Buch die Garantien in
sich, für alle Friedenskämpfer ein Ereignis zu
bilden. Es ist aber weit gefehlt anzunehmen,
daß uns D'Estournelles eine pazifistische Schrift
über die Vereinigten Staaten vorlegt. Nein,
durchaus nicht. Er läßt den Pazifismus kluger-
weise ganz beiseite und schildert die Energie,
die Jugend, den Willen und das Kulturbewußt-
sein jener demokratischen Staatenorganisation;
er schildert den Aufschwung der Wirtschaft,
des Handels, der sozialen Einrichtungen und
die Hemmnislosigkeit aller fortschrittlichen Ge-
danken, die den Bewohnern jenes glücklichen
Landes innewohnt.
D'Estournelles Buch ist ein Führer durch
den amerikanischen Geist und unentbehrlich für
jeden, der Amerika verstehen und der Ent-
wicklung Europas Richtung geben will. Das
Buch ist ün zwei Teile geteilt. Der erste»
schildert das Land, der zweite seine Probleme.
Dieser zweite Teil ist von ganz besonderem
Interesse, da er uns das Wesen jener starken
Organisation erklärt. Einen ganz besonderen
Raum widmet d'Estournelles den amerikanischen
Erziehungsmethoden; diese im weitesten Um-
fang genommen. Er schildert uns die Rolle der
Frau und gibt uns darin wichtige Aufschlüsse.
In einem besonderen Kapitel behandelt er den
angeblich unvermeidlichen Krieg zwischen den
Vereinigten Staaten und Japan und schildert die
Haltlosigkeit dieser Annahme und die Hohlheit
des Schlagwortes von der Meerbeherrschung.
D'Estournelles Methode ist voll geistreicher
Pointen, voll sarkastischer Vergleiche und voll
aussichtsvoller Hoffnungen. Ein Beispiel seiner
Bemerkungen: Er spricüt von dem Widerstand
Enfants in seiner im März 1892 erfolgten De-
mission. „Wahrscheinlich hat er sich unerträg-
lich gemacht," so folgert d'Estournelles „wie
jeder, der seine Arbeit jenseits seiner Zeit auf-
pflanzt und sie gegen die Ungeduld seiner Zeit-
genossen verteidigt." An einer anderen Stelle:
„Uns in Frankreich leitet die Verwaltung, in
Amerika ist es der öffentliche Geist, der die
Verwaltung leitet." Er spricht von dem
Frischen-Luft-Fanatismus der Amerikaner, von
dem produktiven Wert der Muße und des Aus-
ruhens, von dem Sportbedürfnis. Dann sagt
er: „Ich glaube zu träumen. Die Zeit ist nicht
so fern, wo das Wort Spaziergang bei uns den
Verdacht der Faulheit und der Zeitvergeudung
erweckte. Das Spazierengehen war nicht gut
gelitten. Zu den verächtlichen Redensarten ge-
hören in erster Linie die Worte „Ich habe
keine Zeit, spazieren zu gehen" oder „er soll
spazieren gehen." Der „Donnerstagsspazier-
gang", der uns im Lyzeum auferlegt war, wurde
von uns als Zwangsarbeit aufgefaßt. Challemel-
Lacourt, mein Londoner Gesandter, dem ich
vor 30 Jahren attachiert war, sagte mir eines
Tages, als ich mit Engländern vom Spaziergang
zurückkehrte: „In Ihrem Alter bin ich noch
nie spazieren gegangen." An solchen Einfällen
und Bemerkungen ist das Buch überreich. Wer
es durchliest wird nicht nur ein Vergnügen
haben, sondern sich auch bereichern. Wir
271
DIE FBIEDENS -^MMiTE =
®
hoffen, noch ausführlicher darauf zurückzu-
kommen.
Liman, Dr. Paul,
Der Kaiser. Ein Charakterbild Kaiser Wil-
helms II. Neue umgearbeitete und stark
vermehrte Ausgabe. 8°. Leipzig. 0. J. Theod.
Thomas. 435 S.
Es handelt sich um eine Neuauflage anläß-
lich des Kaiserjubiläums. Der alldeutsche
Wortführer ist mit dem Kaiser nicht zufrieden.
Die Bilanz seiner bisherigen Regierung erscheint
ihm wenig imponierend. ,,Wir sind Epigonen
geblieben" meint er, „und — am Maße unserer
Väter gemessen ein kleines Geschlecht." Was
soll man zu solcher Romantik sagen? Wir
Elieger, wir drahtlos Sprechenden, wir
Bakterienjäger — ein kleines Geschlecht
gegenüber dem Oellampenfortschritt unserer
Väter? Allerdings Liman macht die Inventur:
„Helgoland, Kiautschou, der chinesische
Feldzug und die Karolinen, Algeciras, Agadir
und die Dünste des Kongo — ." Nicht der Rede
wert. Er will Europa erobert haben, Amerika
in einen preußischen Landratsbezirk verwandelt
sehen, und da dem nicht so ist, spricht er vom
„Grabe mancher deutschen Hoffnung". Es ist
unerhört! Weinend ruft er aus: „Unter
Kaiser Wilhelm des Zweiten Regierung wurde
kein Krieg geführt, hingen die Waffen im
Tempel der Göttin — ." Er tadelt den Kaiser
über die Auffassung seines Amtes, die er roman-
tisch nennt, weil: — „Niemals der große
Irrtum" von ihm gewichen ist, „das letzte
Ziel einer starken Nation in der Erhaltung des
Friedens zu suchen, niemals der Irrtum, daß
die großen Fragen der Zeit durch versöhnende
Worte gelöst werden können.*' Der Irrtum
also !
Herr Liman will die Wahrheit und die
Größe der Nation durch Schießen und Stechen
begründen. Schade, daß er ein Nachgeborener
ist. Für derlei Ideale hat unsere Zeit kein
Verständnis mehr.
„G r o t i u s."
International jaarbock voor 1913 onder Re-
daktie van : M. J. van der Fier, Jhr.
Dr. B. de Jong van Beek en Donk,
Henry van der Mandere, Jacob ter
Meulen. 8°. Haag 1913. Mar tinus Nij hoff.
434 S. Lwbd.
Dieses Buch ist ein Zeichen de« mächtig
aufstrebenden Pazifismus in den Niederlanden.
Es gibt einen Ueberblick über die starke
Entwicklung des Internationalismus auf hollän-
dischem Boden. Der Wettbewerb, der sich
zwischen Holland und Belgien um die Führung
auf dem Gebiete der internationalen Praxis und
der internationalen Wissenschaft entwickelt, ist
von höchstem Interesse und kann vom Stand-
punkt der Friedensidee nur mit Beifall be-
grüßt werden. Das vorliegende Jahrbuch scheint
eine Aktion in diesem Wettkampf zu sein. Die
Belgier haben vor ihren niederländischen Mit-
bewerbern den Vorteil, daß sie in einer Welt-
sprache schreiben, und. es wäxe zu wünschen,
daß sich die Niederländer diesen Vorteil nicht
entgehen lassen sollten. So wäre es freudig zu
begrüßen, wenn das Jahrbuch „Grotius" künftig
ganz in französischer Sprache erscheinen würde,
was bis jetzt nur bei einem Artikel der Fall ist.
Aus den Beiträgen sind hervorzuheben: eine
Biographie Den Beer Poortugaels von Henry
van der Mandere. Ferner die Artikel: De Ont-
wikkeling der Staatengemeenschap von Jacob
ter Meulen, De pers als Vredesapostel von Dr.
A. Kuyper, Nederlandsch Internati onaal-Rechte-
lijk Jaaroverzicht tot Maart 1913 von Prof.
Dr. W. J. M. van Eysinga, und L'Unification
du droit relatif ä ,1a, lettre de change von
C. Asser.
Oscar S. Straus.
The American Spirit. New York, the Centurv
Co., 1913.
Oscar S. Straus ist ein vielseitiger Mann.
Er hat als ein Hauptkämpfer in den Reihen der
republikanischen Partei an der Seite seines
Freundes Roosevelt wiederholt segensreich in die
amerikanische Politik eingegriffen. Er war
unter dem Präsidenten Roosevelt Handels-
minister, hat mehrmals sein Vaterland als Bot-
schafter in Konstantinopel vertreten und ist
auch mit ernsten und interessanten Werken,
wie „The Origin of republican form of govern-
ment in the United States" und „Roger Williams
the Pioneer of religious liberty", in die Oeffent-
lichkeit getreten. Jetzt liegt uns ein neues
Buch vor, in welchem die Erfährungen und das
Bekenntnis des berühmten Amerikaners schön
zusammengefaßt sind. Wie Roosevelt sich in
seinen mannigfachen Schriften die Welt mit
dem bekannt zu machen gemüht hat, was
Amerikanismus ist, so lehrt uns auch Straus
in den Essays, aus denen sich sein Buch zu-
sammensetzt, was amerikanischer Geist ist.
Nach seiner Auffassung ist der amerikanische
Geist gerade das Gegenteil von dem, was sich
die großen Massen Europas am liebsten darunter
vorstellen. Er hat manches Wort geprägt, um
diesen Geist zu charakterisieren: „The man
above the dollar". Ein anderes Wort von ihm
lautet : „We are a commercial nation, but not
commercialized people". Oder „the American
spirit in peace and war; is a Ispirit K>f liberty and
humanity". Ein Geist amerikanischen Selbst-
bewußtseins, dabei voll patriarchalischer An-
hänglichkeit an die Tradition, voll Achtung für
die vielen in Amerika nebeneinander bestehen-
den Religionen und dem Grundsatze „freie
Kirche im freien Staate" zugetan, geht durch
dieses Buch. Doch auch ein echter Pazifist,
der jederzeit in der amerikanischen Oeffent-
lichkeit für sein Bekenntnis eine Lanze zu
brechen den Mut hat, spricht hier zu uns.
Eines der interessantesten Kapitel des Buches
ist das „Humanitarian Diplomacy" betitelte. Es
kann europäischen Lesern nicht schaden, zu-
weilen daran erinnert zu werden, daß die Diplo-
matie, bekanntlich eines der kostspieligsten
Instrumente des Staatslebens, eigentlich nicht
zu dem ausschließlichen Zwecke da sei, den
Staat äußerlich zu repräsentieren, sondern noch
mehr dazu, der Menschlichkeit im Leben der
Völker zum ' Siege zu verhelfen. Und so führt
denn Straus aus, inwieweit die diplomatische
Kunst der Amerikaner wiederholt aufgerufen
ward, solche Siege der Menschlichkeit herbei-
zuführen. Wie oft ist es geschehen, daß die
zünftige Diplomatenkunst Europas die angeb-
liche Einmischung Amerikas unbequem fand.
Es sei nur daran erinnert, wie vor einigen
Jahren Roosevelt zum Entsetzen Rumäniens
dieses ermahnte, daß das Königreich es nicht
zum Scheine allein im Berliner Vertrag über-
nommen haben sollte, allen seinen Untertanen
I
272
<§=
= DIE FRI EDENS -^kÄRXE
und demgemäß auch den Juden gleiche Rechte
jsu geben. Auch den Machthaberh in Wien war
die Unionsdiplomatie gerade nicht bequem, als
sie sich nach der fehlgeschlagenen ungarischen
Revolution des alten Kossuth angenommen
hatte.
Der Verfasser ist sehr amerikanisch gesinnt,
aber, ein scharfer Gegner aller Xenophobie, hebt
er gerade den segensreichen Einfluß, den die
Fremden in Amerika geübt haben, hervor. Mit
Roosevelt sagt er: Der Amerikanismus ist eine
Frage geistiger Ueberzeugungen und Vorsätze,
nicht aber des Glaubens oder des Geburtsortes.
In dem Kapitel „the Peace of nations and
peace within nations" legt er dar, daß die
Voraussetzung für den äußeren Frieden der
innere Friede sei, daß Bürgerkrieg auch den
Völkerkrieg leicht zur Folge habe. Er rühmt
Roosevelt als des Nobelpreises würdig, preist
ihn als den Mann, der in dem größten 'Industrie-
kampf moderner Zeiten — dem amerikanischen
Kohlenstrike — als Schiedsrichter erfolgreich
aufgetreten sei und auch folgerichtig den ihm
gewordenen Nobelpreis der Förderung des Frie-
dens in der Industriewelt gewidmet habe. Er
bezeichnet den kommerziellen Geist als die
sicherste Friedensgarantie, und es scheint ihm
veraltet anzunehmen, daß unser eigenes Land
desto stärker und mächtiger sei, je schwächer
und ärmer die anderen Länder seien .... im
Gegenteil, Reichtum und Fortschritt anderer
Länder sei eine Quelle von Reichtum und Fort-
schritt des eigenen Landes. Reichtum und
Glück der Nationen beruhen auf Faktoren, die
gleichzeitig i n t e r national und intra national
sind. Es könne auch, meint er, nicht die Be-
schränkung der Rüstungen allein eine bessere
Zeit für internationale Beziehungen herbei-
führen, sondern man müsse die internationale
Moral überhaupt heben .... man müsse den
internationalen Opportunismus durch die inter-
nationale Moral substituieren. Er hält die
Doktrin eines Drago für im Interesse der inter-
nationalen Moral gelegen. Warum sollte es, sagt
er, einer Nation erlaubt sein, Krieg zu führen,
um eine Schuld einzutreiben? Derselbe Staat,
der den Krieg eröffnet, wird doch seinen Unter-
tanen nicht erlauben, daß einer von dem anderen
Schulden vor der Mündung der Kanonen oder
mit Schwert und Pistole eintreibt.
Wir wollen nicht das an vierhundert Seiten
starke Buch von Straus abschreiben und be-
gnügen uns, dem Leser eine Idee von dem reichen
Inhalt beizubringen, indem wir noch auf einige
Essays besonders verweisen. Einer derselben
betitelt sich „American commercial diplomacy",
ein anderer „Growth of american prestige". Der
einstige Handelsminister verbreitet sich über
„Our commercial age", „Commerce and inter-
national relations", „Commerce and labor".
Sehr lehrreich sind auch die Kapitel über die
Vereinigten Staaten und Rußland, über die Reli-
gionsfreiheit in den Vereinigten-Staaten, über
Amerika und den Geist des amerikanischen
Judentums, über Roosevelt usw. S. Münz.
Re ne Pi no n ,
France et Allemagne 1870—1913. Paris, Perrin
et Co., Libraires-Editeurs, 1913.
Rene Pinon, ein bekannter Mitarbeiter der
„Revue des deux mondes" und des „Temps'",
übt an einer Stelle des uns vorliegenden Werkes
Kritik an gewissen deutschen Professoren, die
mit Gelehrsamkeit und Pedanterie auch natio-
nalen Chauvinismus verbinden. Aber er selbst
erscheint uns ein wenig wie solch' ein ins Fran-
zösische übersetzter Professorentypus. Große
Gründlichkeit, dabei einige Pedanterie und viel
Nationalismus. Einer Generation angehörig, die
das Jahr 1870 nur vom Hörensagen und aus den
Blättern der Geschichte kennt, ist er doch voll
von dem Gedanken, daß kein Franzose jemals'
„die Verstümmelung des Vaterlandes" vergessen
dürfe. Pinon verfällt also in den Fehler der-
jenigen, die er rügt. Wenn man Reiche und
Vermögen auf ihre Grundlagen prüfen wollte,
so würde einer solchen Revision kein Staat,
und wäre er auch der kleinste, und auch kein
Vermögen, und wäre es auch das geringfügigste,
standhalten. Pinon schreibt, als ob Frankreich
in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung,
selbstverständlich Elsaß-Lothringen inbegriffen,
so alt wäre wie das Menschengeschlecht ....
als ob Frankreich, das große heilige Frankreich,
niemals Länder geraubt hätte und Länderraub
erst von Bismarck her datierte. Dem guten Ein-
vernehmen zwischen Deutschland und Frank-
reich können Bücher, die auf „patriotischen"
Voreingenommenheiten basieren, wenig nützen.
Aber ein Buch von Pinon enthält immerhin so
viel ernstes Material, daß man keineswegs
darüber wie über ein erstbestes chauvinistisches
Machwerk sprechen kann. Das ist vielmehr
ein vortrefflich fundiertes Buch, dessen Ver-
fasser eine ausgezeichnete Kenntnis insbesondere
der europäischen Kolonialpolitik der letzten
vierzig Jahre verrät. Man wird ihm auch
manchmal beistimmen können, wenn er Kritik
an der Marokkopolitik Deutschlands übt. Sein
Buch ist reich dokumentiert, und keiner, der
die neueste Geschichte verfolgt, wird es missen
können. Der Verfasser ist auch ein lebendiger
Beweis dessen, daß Deutschland heute in Frank-
reich ganz anders gekannt ist als vor Ausbruch
des großen Krieges, an dessen Entstehen die
völlige Unwissenheit der Franzosen über
deutsche Verhältnisse Mitschuld trug. Auch
diejenigen aber, die das von Pinon zusammen-
gebrachte Material dankbar anerkennen, wer-
den sich schwer entschließen, sich zu der daraus
in seinem letzten Kapitel gezogenen Konklusion
zu bekennen. Dem, was man Pazifismus nennt,
erklärt Pinon von seinem französischen Stand-
punkte aus den Krieg, wiewohl er andererseits
an einer Stelle die Zeitungen und Parteien
tadelt, die einander in nationalistisch patrio-
tischen Tiraden überbieten. Manche Mitteilung,
die er zur Erhärtung seiner Thesen anführt,
muß mit Vorsicht aufgenommen werden. Sollte
Kaiser Wilhelm wirklich während des letzten
Marokkokonflikts gesagt haben: „Ich kenne nur
zwei Menschen in Deutschland, die nicht für den
Krieg sind. Dies sind der Reichskanzler und
ich?" Wir. hatten bis jetzt in dem Wahne ge-
lebt, der größere Teil des deutschen Volkes
wäre gegen einen Krieg mit Frankreich einge-
nommen.' Um in Ziffern zu sprechen: Die
4 000 000 sozialistischen Stimmen haben laut
genug gegen jeden Krieg protestiert, und noch
mehr .bürgerliche Stimmen würden sich wohl
gegen einen Krieg erklären. Nun, Pinon ist ge-
recht genug, in dem Kaiser nicht nur einen
Friedensfürsten, sondern auch einen Freund
Frankreichs zu erkennen. Aber den Mut, es
dem Kaiser in der Voraussetzung eines freund-
lichen Empfanges zu ermöglichen, daß er
Parisbesuche, bringt Pinon so wenig wie irgend-
273
DIE FBIEDENS -WAETE
3
einer seiner Landsleute auf. Er fürchtet, wie
die meisten seiner Kompatrioten, daß, wenn
Frankreich in die ihm entgegengestreckte
deutsche Freundeshand einschlagen' würde, dies
als eine Anerkennung des Frankfurter Friedens
ausgelegt würde. Auch die kolonialen Not-
wendigkeiten Deutschlands, eine Folge seiner
überhandnehmenden Industrie, legt Pinon gern
als deutsche Eroberungssucht aus. Wenn die
Deutschen den Franzosen Chauvinismus vor-
werfen, so meint Pinon, daß dieser nunmehr
eine von den Tatsachen überholte Legende sei.
Im Gegenteil, sagt er, wir Franzosen lieben es,
uns anzuschwärzen. Darauf muß man ant-
worten: Auch in Deutschland ist die Zahl der
Chauvinisten verhältnismäßig klein, .... auch
in Deutschland gibt es Leute genug, die
Deutschland eher verkleinern. Dem gründlichen
Pinon ist es passiert, daß er den Vizepräsidenten
des deutschen Reichstags Dr. Paasche als einen
Zentrumsabgeordneten deklariert hat. In Wirk-
lichkeit ist Paasche nationalliberal und kaum
jener Chauvinist, als; der er- von Pinon en passant
hingestellt wird. Wir vermögen es auch nicht
anzuerkennen, daß sich erst in den letzten Jahr-
zehnten die Politik des Egoismus und der Ge-
walttätigkeit in Deutschland entwickelt habe.
Nach unserer Kenntnis Bismarcks war er doch
gerade kein Vertreter des evangelischen Grund-
satzes, daß man, auf die eine Backe geschlagen,
auch noch die andere hinhalten soll. Pinöns
Buch hat den Vorzug, nicht selten den Leser
zum Widerspruch herauszufordern. Der Ver-
fasser beleuchtet mit seltener Sachkenntnis die
Beziehungen zwischen Deutschland und Frank-
reich während der letzten vierzig Jahre, die
zeitweilig gefährlichen Zusammenstöße zwischen
den beiden Regierungen und die Richtungen der
beiderseitigen Diplomatie, die im gegebenen
Moment die Gefahr abzuwehren verstanden habe.
Der Deutsche wird aus diesem Buche, das er
nicht ohne Widerspruch lesen wird, doch vieles
lernen. S. 'M.
Nithack-Stahn, Walther,
Barbareien. Gedanken zur Gegenwart. 8°. Ber-
lin 1913. Karl Curtius. 52 SS. M. 1.—.
Nithack-Stahn geht von dem hochgestei-
gerten Kulturbewußtsein der Gegenwart aus.
Von der hohen Warte aus, auf der er steht, sieht
er mit scharfem Blick die Rückständigkeiten,
die als Residuen einer früheren Epoche un-
organisch in unsere Zeit hereinragten und die,
wenn sie ein Recht aufs Dasein behaupten, not-
wendig zu sittlichen Konflikten führen müssen.
Ein falscher, absolutistischer Staatsbegriff hat
die Kriegsgreuel, ein längst überwundener Ehr-
begriff den Duellunfug, eine verkehrte Anschau-
ung vom Kampf ums Dasein, die Tierquälerei
bei den Jagden zur Folge. Die Unfähigkeit,
die soziale Frage zu lösen, zeitigt die Wider-
lichkeiten der Massenwohltätigkeit und die
Impotenz, sich in den Ernst des alles gleich-
machenden Todes hineinzudenken, erzeugt die
protzenhafte Selbstüberhebung der Reichen,
selbst an den Gräbern. Uns interessiert vor
allem der erste Abschnitt: Das Gewaltrecht
unter den Völkern. In glänzendem Stil und
mit überwältigender Logik geißelt der Verfasser
den Versuch, zweierlei Moral anzuwenden, die
eine für die Völker, die andere für die Indi-
viduen. Mit scharfen Strichen zeichnet er die
Unchristlichkeit, ja die Untermenschlichkeit des
Krieges, um seine Aufhebung im Namen des
Rechts zu verlangen. Wohl kennt auch er den
Begriff des Polizeikrieges und zu meiner Freude
sehe ich, daß er an diesem Punkt mit mir
voll übereinzustimmen scheint. So sagt er
Seite 22 wörtlich: „Gewiß wird es unter den
Staaten in unabsehbarer Zeit ein Organ der
internationalen Ordnungsgewalt geben müssen,
so wie wir im Staate, trotz Tolstoi, ein Polizei-
heer nicht entbehren können. Aber darum
handelt es sich, ob das einzelne Volk sich
sein Recht mit dem Schwerte nehmen soll,
oder ob die Kulturstaaten sich zu einem Rechts-
verbande zusammenschließen, der ihre Sache,
auch die des Schwächeren gegen den Stärkeren,
mit allen und vor allen vertritt, im äußersten
Notfalle den allgemeinen Kulturwillen mit Ge-
walt erzwingt, aber durch sein Vorhandensein
die Bürgschaft bietet, daß es nur selten zu
diesem Aeußersten kommt." — Möge der Pro-
test gegen die Ungeheuerlichkeiten, die unserer
Kultur noch anhaften, von denen gehört werden,
an deren Adressen er gerichtet ist.
O. Umfrid.
Nithack-Stahn, Walther,
Kirche und Krieg. 8°. Halle a. S. (1913.)
J. Frickes Verlag (J. Nithack-Stahn). 31 SS.
50 Pf.
Das sollte wie der Hammerschlag wirken,
mit dem Luther seine Thesen an der Schloß-
kirche zu Wittenberg anschlug, aufweckend, wie
der Schall der Posaune, erschütternd, wie der
rollende Donner. Hier redet nicht nur ein
Meister in der Stilistik, sondern ein von der
Wahrheit wie von einem Gott gepackter Pro-
phet. Eine flammende Anklage schleudert er
den lauen Kirchenmännern ins Gesicht, die
über den oft so kleinlichen Dogmen und Sitten-
streitereien die Pflicht der Friedens predigt ver-
säumen, die, von nationaler Engherzigkeit um-
wunden, es vergessen, die Völker zur Bruder-
schaft zu rufen. Den Geist des Urchristentums
hat Nithack-Stahn wie kaum ein anderer er-
faßt, und er weiß, daß es ein Geist des Frie-
dens ist, und daß der Glaube an die Zukunft
der Menschheit zugleich der Glaube an den
Sieg des Pazifismus ist. Der Aufruf an die
Geistlichen hat uns 395 Unterschriften gebracht,
aber die schönste Frucht, die er zeitigte, ist
diese Schrift unseres großen Mitkämpfers, die
aus dem Zorn über die Mattherzigkeit und ab-
lehnende Haltung der Tausende heraus geboren
ist, die sich bis jetzt dem Sonnenstrahl der
Wahrheit noch verschlossen haben. Mir aber
fiel beim Lesen dieser Schrift die Strophe ein:
„Die Wahrheit ist unser, schon fliehet die
Nacht; drum kämpfet, bis siegend der Morgen
erwacht !" O. U m f r i d.
Jerusalem, Wilhelm,
Einleitung in die Philosophie. 5. u. 6. Auf-
lage. 7. bis 9. Tausend. Gr. 8°. Wien und
Leipzig 1913. Wilhelm Braumüller. 402 S,
Die Neuauflage dieses ausgezeichneten
Lehrbuches hat auch die Probleme der Ethik
und Soziologie mitaufgenommen. Erfreulicher-
weise wird bei dieser Gelegenheit auch der
Friedensbewegung Erwähnung getan. Jeru-
salem ist es gelungen, in einigen kurzen
Strichen, den Organisationsgedanken des mo-
dernen Pazifismus klarzulegen, was entschieden
dazu beitragen wird, viele falsche Urteile zu
zerstreuen und eine Anzahl denkender Leser
für das Friedensproblem zu interessieren
374
@E
= DIE FRlEDEN5->Js^ßTE
Sieper, Ernst,
Deutschland, und England in ihren wirtschaft-
lichen, politischen und kulturellen Be-
ziehungen. Verhandlungen der deutsch-eng-
lischen Verstäadigungskonferenz. Gr. 8°.
München und Berlin. 1913. R. Oldenbourg.
166 S. Br. 2,50 M.
Diese gesammelten Berichte der anglo-deut-
schen Verständigungskonferenz vom Oktober
vorigen Jahres sind von höchstem Propaganda-
wert. Wenn man solche Reden von einem unserer
Friedenskongresse liest, werden sie uns gewiß
gefallen, aber wir werden dabei das Gefühl
nicht los, das uns unsere lächelnden und lächer-
lichen Gegner eingeflößt haben, daß wir
mit' solchen vernünftigen Reden den Leuten
doch nicht imponieren. Wir sind nun einmal
Friedenskongreßler ! Wenn es auch Zeit ist,
diese unangebrachte Bescheidenheit abzulegen,
so können wir doch nicht umhin, festzustellen,
daß diese Reden, wenn sie von den ersten Per-
sönlichkeiten zweier Länder, von Diplomaten,
führenden Industriellen und Presseleuten ge-
halten werden, und wenn sie doch keine andere
Anschauung enthalten als just die unsere, eine
bedeutend höhere Wirkung ausüben müssen.
Es ist schade, daß diese Verhandlungen ver-
hältnismäßig wenig bekannt geworden sind. Es
ist vielleicht das Beste, das seit langem gegen
den Wahnsinn der Völkerverhetzung und gegen
die Theorien der Blut- und Eisen-Apostel vor-
gebracht wurde. Ernst Sieper hat sich mit
Herausgabe dieser Verhandlungen ein großes
Verdienst erworben, und wir wünschen der Ver-
öffentlichung die weiteste Verbreitung.
MI
Eingegangene Druckschriften. :; :: :; :: :: :: :: :: ::
(Besprechung vorbehalten.)
Weltwirtschaftliches Archiv. Zeit-
schrift für allgemeine und spezielle Weltwirt-
schaftslehre, herausgegeben von Prof. Dr.
Bernhard Harms in Kiel. 1. Band,
Heft 2. April. Gr. 8°. Jena 1913. Gustav
Fischer.
Aus dem Inhalt : Ernst Ober-
fohren, Jean Bodin und seine Schule. —
Direktor Dr. Peter Stubmann, Panama-
kanal und Weltwirtschaft. — Prof. Dr.
HermannLevy, Weltwirtschaft und terri-
toriale Machtpolitik. — usw.
Zeitschrift für Völkerrecht und
Bundesstaatsrecht. Hrsgb. von Prof.
Dr. Josef Kohl er in Berlin und Prof.
Dr. L. Oppenheim, Cambridge. VII. Band.
1. Heft. (Mit einem Beiheft: Ernst Frei-
herr von Teubern, Die Meistbegünsti-
gungsklausel in den internationalen Handels-
verträgen.) Gr. 8°. Breslau 1913. J. U.
Kerns Verlag. (Max Müller.)
Aus dem Inhalt : Josef Kohler, Die
Lehren des Canevarof alles. — Hermann
Häeberlin, Die Geschichte der Monroe-
Doktrin von dem Panamakongreß bis zu der
Präsidentenschaft Grants. — Urteile des
Haager Schiedshofes vom 6. Mai 1913:
1. Fall Carthage. 2. Fall Manouba. — usw.
Bulletin of the Pan-American
U n i o n. Washington. Mai.
Aus dem Inhalt .-Charles Lyon
Chandler, The Pan Americanism of
Henry Clay. — Pan american educational
matters. — usw.
Revue generale de Droit Internatio-
nal Public. (Paris,) März/April. Ke-
b e d g y , Les iles de la mer Egee oecupees
par les Italiens. — Norwege, Russie et Suede.
La Question du Spitsberg, Conference de
Christiana du 15 au 26 janvier 1912, projet
de Convention. — Congres universel de la
paix, session de Geneve (1912) resolutions et
voeux. — usw.
La Vie Internationale. Revue men-
suelle des idees, des faits et des organismes
internationaux. Tome III. 1913. Numero 5.
Fascicule 13. Lex. 8°. Bruxelles. Office
Central des Associations Internationales.
Aus dem Inhalt : Irving Fisher,
Le Sionisme. — L'Organisation Internationale
de la Mesure du temps. — La Deutsche
Bank et les affaires internationales. — Cour
permanente d'Arbitrage. — usw.
— Fascicule 12.
Aus dem Inhalt : Irving Fisher,
De la necessite d'une Conference internatio-
nale sur le Coüt de la vie. — Le Service
International des Echanges. — Unification
internationale du Calendrier. — usw.
B ehrend, Dr. Felix
Student und Studentenschaft. Sozialpädago-
gische Betrachtungen über akademische Lern-
freiheit. 8°. Leipzig 1913. Sonderabdruck
aus der „akademischen Rundschau", Zeit-
schrift für das gesamte Hochschulwesen und
die akademischen Berufsstände. Verlag von
K. F. Koehler. 38. S.
Broda, Prof. Dr. R., (Paris)
Das Problem des Proportionalwahlrechts in
Oesterreich. Zusammengestellt auf Grund der
Erfahrungen Belgiens, dargestellt von Emile
Vandervelde (Brüssel) und derjenigen Finn-
lands, dargestellt von Arvid Neovius (Hel-
singfors.) 8°. o. O. o. J. ' o. V. 15 S.
D e p k e n , Friedrich,
Vom modernen Geist im deutschen Studenten-
tum. Eine Studie. 8°. Leipzig 1913. K. F.
Koehler. 38 S.
Flügge, C. A.,
Suchet der Stadt Bestes. Sonderabdruck des
Kapitels : Wohnungsnot und Bodenreform aus
Gegenwartsnöte. Kl. 8°. Kassel (1913). J. G.
Oncken Nachf., G. m. b. H. 21 S. 15 Pf.
Flügge, C. A.,
Wege zur Lösung sozialer Fragen. 8°. Neu-
ruppin (1913). F. W. Bergemann, G. m. b. II.
23 S. 15 Pf.
G ä d k e , Richard, fr. Oberst,
Die neuen Wehrvorlagen. Referat, erstattet
1913 auf dem 5. Parteitage der Demokra-
tischen Vereinigung zu Magdeburg. 8°. Ber-
lin-Schöneberg 1913. Demokratische Verlags-
anstalt. 18 S. 15 Pf. .
Geschichtskalender, deutscher für
" 1913. Fünftes Heft. Mai. 8°. Leipzig 1913.
Felix Meiner, S. 301 bis 367.
Goldscheid, Rudolf,
Frauenfrage und Menschenökönomie. Gr. 8°.
Berlin-Friedenau, 1913. Schriften des preu-
ßischen Landesvereics für Frauenstimmrecht.
M. Ludwigs. 32 S,
27S
DIE FRIEDENS -WARTE =
Goethes Briefe,
Ausgewählt und in chronologischer Folge mit
Anmerkungen herausgegeben von Eduard von
der Hellen. 8U. Stuttgart und Berlin (1913).
I. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger.
6 Bände.
Jaures, Jean.
Die neue Armee. Gr. 8°. Jena 1913. Eugen
Diederichs. 492 S. Brosch. 7 M., gebd.
8,50 M.
Jong van B e e k en Denk, Dr. B. de,
Die Fortbildung der Schiedsgerichtsbarkeit im
Berichtsjahre. Sonderabdruck aus „Jahrbuch
des Völkerrechts". (Nicht im Buchhandel.)
8°. München und Leipzig (1913). Duncker &
Humblot.
Landmann, Dr. Max,
Weltstaat und Weltfrieden. Eine Streitschrift
gegen Staaten- Anarchie imd Krieg. 8°.
Leipzig 1913. Bruno V olger Verlagsbuchhand-
lung 39 S. ;
Lutz, G.,
Die Verhütung des Krieges, eine sittliche For-
derung unseres Jahrhunderts an seine Zeit-
genossen. Gedächtnisrede an der Haager Ge-
denkfeier des Schweizerischen Friedens Vereins
am 18. Mai 1913 in Luzern. Kl. 8°. Luzern
(1913). Verlag des Schweizerischen Friedens-
vereins. 16 S.
Prodinger, Dr. Karl,
Die Schulgemeinde in der Volksschule. 1. Be-
trachtungen und Erfahrungen. 2. Die Schul-
gemcinde-Ordnung für die Volksschulklasse
Vi— VII in Stuttgart-Gaisburg von Fritz Her-
rigel. 16°. Pola 1913. Druck von Josef Kren-
potio, Pola, Piazza Garli 1. 35 S.
Rosa Colin,
Im Balkankrieg. 8°. München 1913. Martin
Mörikes Verlag. Mit zahlreichen Abbildungen.
124 S. brosch. 2,50 M., Pappbd. 3,50 M.
Schoenborn, Dr. Walther,
Staatensukzessionen. Gr. 8°. Berlin, Stuttgart,
Leipzig. 1913. (Handbuch des Völkerrechts.
Zweiter Band. Der Staat als Subjekt des
Völkerrechts. Staatensukzessionen. Gesandt-
scharts- und Konsularrecht. Staatsgebiet und
Staatsverträge 2. Abt.). Verlag von W. Kohl-
hammer in Stuttgart. 122 S. Br. 4,50 M.
Schriften der Deutschen Gesell-
schaft, für Soziologie. I. Serie:
Verhandlungen der Deutschen Soziolcgentage.
II. Band: Verhandlungen des Zweiten Deut-
schen Soziologentages vom 20. — 22. Oktober
1912 in Berlin. Reden und Vorträge von
Alfred Weber, Paul Bart h, F er di -
nand Schmid, Ludo Moritz Hart-
mann, Franz Oppenlieimer, Ro-
bert Michels und Debatten. Gr. 8°.
Tübingen 1913 I. C. B. Mohr. (Paul Siebeck.)
VIII u. 192 S.
Schücking, Prof. Dr. Walther,
Neue Ziele der staatlichen Entwicklung. Eine
politische Studie. Gr. 8°. Marburg i. H.
1913 N. G. Elwertsche Verlagsbuchhandlung.
98 S.
Stein, Professor Dr. Ludwig,
Weltbürgertum, Nationalstaat und inter-
nationale Verständigung. Sonderabdruck aus
„Nord und Süd." Lex. 8°. Breslau III (1913).
Verlag der Schlesischen Buchdruckerei von
S. Schottländer A.-G. 23 S. 50 Pf.
V e c c h i o , Prof. Giorgio Del,
Die Tatsache des Krieges und der Friedens
gedanke. Nebst zwei Anhängen. Nach der
zweiten Auflage aus dem Italienischen über-
setzt von Richard Pubanz. Mit einem Vor-
wort von Professor Dr. Otfried Nippold.
Leipzig 1913. Natur- und Kulturphik
sophische Bibliothek. Band VIII. Johar
Ambrosius Barth. 100 S. Brosch. 3,— M.,
gebd. 3,80 M.
Veröffentlichungen des Verbandes
für internationale Verstän-
digung: Heft 5. D'Estournelles de
Constant, Frankreich und Deutschland.
6 S.
— Heft 6. Piloty, Prof. Dr. Robert
Formen internationaler Verständigung 18
— Heft 7. Spahn, Prof. Dr. Martii
Der Friedensgedanke in der Entwicklung d<
deutschen Volkes zur Nation. 19 S.
— Heft 8. Lamprecht, Prof. Dr. Karl,
über auswärtige Kulturpolitik. 14 S.
Jedes Heft in 8°. Stuttgart 1913. Druck
von W. Kohlhammer. Preis 50 Pf. Kostenlos
für Mitglieder des Verbandes. (Frankfurt
a. M.)
Bibliographie trimestrielle de Droit inter-
national, Legislation comparee, Diplomatie,
Colonisation, Politique et Droit Etrangers.
Oomprenant tous les ouvrages publies en fran-
cais avec 1'indication precise des .matieres
etudiees ainsi que les Theses et Articles de
Revues. lere Annee 1913. No. 2. 8°. Paris
1913. 32 S. Paris XHIe. 28 rue Gorvisant
B o u r d o n , Georges,
L'Enigme allemande. Une Enquete chez les
Allemands. Ce qu'ils pensent — Ce qu'ils
veulent — Ce qu'ils peuvent. 8 . Paris 1913.
Plon-Nourrit & Cie. 471 S.
Bulletin periodique du Bureau socialiste
International. (In frz., deutscher u. engl.
Sprache. )Nr. 10. 4. Jahrgang. Brüssel. Folio.
(Camille Huysmans, Maison du peuple, rue
Joseph Stevens Nr. 17.) 88 S.
Congres Universel de la Paix XlXme.
tenfu ä Geneve jdu 22 au 28 septembre 1912.
Bulletin officiel. Gr. 8°. Publie par les soins
du Bureau International de la Paix ä Berne.
382 S. 3 Frcs.
Institut International de la Paix.
Fondation Albert Ier, Prince de Monaco.
Statuts Provisoires. 4°. Paris. 14 S.
Stameschkine, Constantin,
Armistice Temporaire des Etats europeens. 8°.
Paris 1913. Eugene Figuiere & Cie. 31 S.
1,— Frcs.
La Verite sur le desaecord Serboi-
Bulgare. Gr. 8°. Genf 1913. AI. N. Z.
Popovitsch, 27 Quai du Mont Blanc. 63 S.
Monthly Bulletin of books, pamphlets
and Magazine articles dealing with inter-
national relations. 8°. New York City May
1913. Assoc'ation for International Con-
iciliation. Sub-Station 84, 8 S. Kostenlos.
National Peace Congreß, Ninth, Leeds,
1913. June lOth— 13th Resolutions adopted
by Congreß, together with Report and Ba-
276
<g
DIE Fßl EDENS ->X*\RXE
lance Sheet of tihe National Peace Council.
16». London 1913. Offices of the National
Peace Council, 167 St. Stephens House,
Victoria Embankment, Westminster. 38 S.
Profit and patriotism reprinted from
the „Economist", London, April 26, 1913 and
Moneymakingand war, reprinted from
the „Evening Post", New York, April 21,
1913. 8°. New York City. 1913. Inter-
national Conciliation. opecial Bulletin. May.
American Association for International Con-
ciliation. Sub Station 84 (407 West 117 th
Street) 14 S. Kostenlos.
Eeinsch, Prof. Paul S.,
American Love of Peace and European Skep-
ticism. 8° New York City 1913. Inter-
national Conciliation. July Nr. 68. Ameri-
can Association for International Concilia-
tion. Sub Station 84. (407 West 117 th
Street) 14 S. Kostenlos.
Year Book for 1912.
Carnegie Endowment for International Peace.
Cr. 8°. Washington D. C. 2, Jackson place.
(1913.) 165 S. cloth.
Fachpresse. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Völkerfriede. (Eßlingen.) Juni. O. U.
Die Friedensfreunde als Bittsteller. — Unser
Aufruf an die Geistlichen und theologischen
Hochschullehrer der evangelischen deutschen
Landeskirchen. — Leopold Katscher,
Unsere Suttner. — G. Bovet, Die Berner
Konferenz. — usw.
Korrespondenz des Verbandes für
internationale Verständigung.
(Würzburg). Nr. 3. Juni. K. G a 1 s t e r ,
Vizeadmiral, England zu Deutschland. —
Kombinationen. — Prof. Dr. O. Nippold,
Lehren aus der Berner Verständigungskonfe-
renz. — Walther Schücking, Die
Union der internationalen Gesellschaften. —
T h. Rohleder, Ethische Gedanken über
die Idee der Verständigung. — usw.
Vaterland und Welt. (Göttingen). Juni.
Paul Baumgarten, Ithaca. — usw.
Die Friedensbewegung (Bern). Juni.
Alfred H. Fried, Bertha von Suttner. —
Norman Angell, Der Kampf um den
Welthandel und die internationalen Bezie-
hungen. — Dr. C. van Vollenhoven,,
Ueber den Vollzug des internationalen Eechtes
durch eine internationale Polizei. — Dr.
HansWehberg, Die neueste Entscheidung
des Haager Schiedshofes. — Dr. Max
Kolben, Neue amerikanische Befriedungs-
pläne. — usw.
Der Friede (Bern). Juni. Die Waffen
nieder ! An Bertha von Suttner. — Carl
Ludwig Siemering, Baronin Bertha
von Suttner. (Zum 70. Geburtstag, 9. Juni
1913.) — K. W. Schultheß, Glossen zur
I. deutsch-franz. Parlamentarierkonferenz zu
Bern, 11. Mai 1913. — Der Kronprinz über
„Deutschland in Waffen". — usw.
La Paix par le Droit (Paris). Nr. 11.
Charles Riebet, L' Anarchie militaire et
le Pacifisme. — Vllle Congres des Societes
francaises de la Paix. — usw.
— 25. Mai. D'E s t o u rne 1 1 e a de C o n -
s t a n t , La Conference de Berne. Discours
ä la seance du Groupe parlementaire de 1' Arbi-
trage. — Jacques Dumas, L' Arbitrage
franco-italien. — M. E. R i q u i e z , Ma troi-
sieme tournee de Conferences en Allemagne.
— Th. Ruysen, La Conference de Berne
et l'Alsace-Lorraine. — usw.
Les Etats-Unis d'E u r o p e (Bern). Mai/
Juni. Emile Arnaud, La troisieme Con-
ference de la Paix. — usw.
La Paix par la Raison (Paris). Juni.
Nr. 2.
The Arbitrator (London). Juni. Mr.
Bryans Proposalis. — Death of Lord Avebury.
Franc o-German Entente Conference at Berne.
— usw.
Concord (London). Juni. Peace Day 1913.
— Ninth National Peace Congres. — J. A.
Farrer, Patriotism and Mammon. — usw.
Herald of Peace (London). Juni. Annual
Report of the Peace Society, 1912 — 1913. —
Third Hague Conference. — usw.
Monthly Circular of the National Peace
Council. (June).
Advocate of Peace (Washington). Juni.
Japans Faith in the United States. — Fourth
American Peace Congress. — The Bryan Com-
mission Plan. — Richard Bartholdt,
The Whole Program of the Peace Mowement.
— Charles W. Fairbanks, The Read
to a High Destiny. — Philip van Ness
M y e r s , Disarmament a Moral Issue. —
Wiliam J. Hüll, The Peace Palace and
William Penn. — usw.
The Cosmopolitan Student (Madison
wisc). Mai. Prof. Elizabeth Mac-
lean, The Peace Movement. — Young
Bing Li, Education in China. — L. J.
Vondracek, Spreading the Propaganda of
Peace. — G. de Grassi, The f ounding of
Corda Fratres. First Attempt to found an.
International federation of Students. — usw.
The Messenger of Peace (Richmond).
Mai.
Pax. The monthly Organ of the Peace Society
of New South Wales. (Sidney.) April. Third
Hague Conference. — Dr. Quidde and the
War. — Protest of the Austrian Peace Society.
— usw.
La Fiorita. (Mailand.) Juni. Rosalia
Gwis Adami, Berta de Suttner. — Ada
Crespi, La Lezione Milanese per Berta
de Suttner. Le tristi sorprese della guerra.
— usw.
Guerra alla Guerra! (Mailand. ) April-
Mai. Resooonto ufficiale del XIX. Con-
gresso Universale della Pace (Ginevra, 23 — 28
settembre 1912.) — Torti e colpe dell' organo
deir Unione Lombarda. — Come sono giu-
dicati. — E. Giretti e il Sindaco di Torino.
— usw.
„Vre de door Reöht." (Haag.) Juni. XXe.
Wereldcongres voor den Vrede. — E. J. B e -
linfante, Bijeenkomst van den Internatio-
nalen Vrouwenraad (De Vrede — avond). —
M. J. A. Moltzer, Vergadering van Moderne
Theologen. — Bertha von Suttnei\ — Stead.-
Hulde. — usw.
277
DIE FRIEDENS -^ÄBTE
Freds-Bladet. (Kopenhagen. ) Juni. Jens
Thau, Kolding og Omegn. — Bertha von
Suttner. — usw.
Nemzetközi 6 1 e t. (Budapest. ) Nr: 5 und
Nr. 6.
Artikel.
(Bibliographie.) I. Friedens-
bewegung im allgemeinen: Prof.
Wilhelm Ostwald, Patriotismus und
Internationalismus. ,. Monistische Sonntags-
predigten." 14. VI. * Bertha v. Suttner,
Der Mensch muß menschlich werden. „Ber-
liner Morgen- Zeitung." 10. VI. * Robert
Scheu, Neue Wege des Pazifismus. ,,März."
14. VI. * Bei Andrew Carnegie. Eine Unter-
redung. „Vossische Zeitung." 17. VI. * Re-
verend Dr. Dic'kie, Andrew Carnegie. „Ber-
liner Tageblatt." 15. VI. * ElsbethFried-
r i ch s - Schwetzingen, Die pazifistischen Auf-
gaben der Frau. „Friedensfragen." Beilage der
Frau der Gegenwart (der Frau im Osten).
15. VI. * Die Idee des Völkerfriedens und das
deutsche Bürgertum. „Die Gewerkschaft." (Ber-
lin.) 6. VI. * Dr. von Oett Ingen, Das
wahre Antlitz des Krieges. „Berliner Zeitung
a,m Mittag." 5. VI. * OttoPetersilka,
Der XVIII. Weltfriedenstag am 18. Mai 1913.
„Evangelischer Hausfreund." (Wien.) 15. V. *
O. Umfrid, Offener Brief an den deutschen
Kronprinzen. „Das freie Wort." VI. * Alfred
H. Fried, Aus der Friedensbewegung. ,,Das
monistische Jahrhundert." 21. VI. * Bertha
v. Suttner über den Fall Redl. „Neues
Wiener Journal." 14. VI. * Kenneth
Morris, Theosophie und der internationale
Friede. „Der Theosophische Pfad." VI. *
Montague A. Mach eil, Ein internatio-
naler theosophischer Friedenskongreß in seiner
Stellung und Bedeutung in der Weltgeschichte.
..Der Theosophische Pfad" VI. * Iverson
L. Harris j r., Die Bedeutung des inter-
nationalen Theosophischen Friedenskongresses.
..Der Theosophische Pfad." VI. * G-race
Knoohe, Der Friedensfaden in Katherine
Tingleys internationalem Wirken. ..Der Theo-
sophische Pfad." VI. * Bertav. Suttner,
Die Friedensfrage und die Franen. ,, Neues
Wiener Journal." 8. VI. * Fritz Decker,
Der Zauber des Krieges. „Der Beobachter."
(Stuttgart.) 25. VI. * Dr. Hugo Ganz,
Pazifismus und Zarismus, „Das freie Wort." VI.
(Aus Anlaß des 70. Geburtstages von
Bertha v. Suttner erschienen*):)
Bertha v. Suttner-Feier. „Hamburger Frem-
denblatt." 11. VI. * 70. Geburtstag von
Bertha v. Suttner. „Hamburgischer Korrespon-
dent." 11. VI. * Bertha v. Suttner. Zum
70. Geburtstag. „Nene Badische Landes-
Zeitung." 8. VI. * Wie es Bertha v. Suttner
mit ihrem Hauptwerke erging. (Zu ihrem
70. Geburtstage — 9. Juni.) „Allgemeine Zei-
tung.« (Chemnitz.) 10. VI. * Bertha v. Sutt-
ner. (Zum 70. Geburtstag am 9. Juni.) „Neueste
Nachrichten für Residenz und Stadt." (Braun-
schwehg. ) 10. VI. * Die Friedensbertha als
*) Soweit der Redaktion zu Gesicht ge-
kommen. Siehe auch unter „Fachpresse".
Siebzigerin. „Braunschweigische Landeszei-
tung." (Brauns oh weig.) 8. VI. * Dr. Hans
W a n t o c h , Bertha v. Suttner, zu ihrem 70. Ge-
burtstag, 9. Juni. „Volks-Zeitung." (Morgen-
ausgabe, Berlin.) 8. VI. * Bertha v. Suttner.
„Deutsche Warte." (Berlin.) 8. VI. * Bertha
v. Suttner. „Deutsche Nachrichten." (Berlin.)
8. VI. * Bertha v. Suttner. (Zum 70. Ge-
burtstag am 9. Juni.) „Pilsner Tageblatt."
(Pilsen.) 8. VI. * 70. Geburtstag der Baronin
Suttner. „Berliner Zeitung am Mittag." 7. VI.
* Adele Schreiber, Die Vorkiämpf erin
des Völkerfriedens. (Zum 70. Geburtstage
Bertha v. Suttner, 9. Juni 1913.) „Der Ge-
sellige." (Graudenz:. ) 8. VT. * Dieselbe,
Die Vork&mpferin des Völkerfriedens. „Ham-
burger Fremdenblatt." 8. VI. * Bertha
v. Suttner, Zu ihrem 70. Geburtstag „Magde-
bürgische Zeitung." 9. VI. * Bertha! v. Suttner.
„Berliner Börsen-Courier." 8. VI. * Bertha
v. Suttner. „Frankfurter Zeitung." 9. VI. *
Wie es Bertha V. Suttner mit ihrem Hauptwerke
erging. „General- Anzeiger für Düsseldorf."
8. VI. * Bertha v. Suttner. „Kleine Presse."
(Frankfurt a. M. ) 7. VI. * Balduin
Groller, Bertha V. Suttner. „Neues Wiener
Journal." 8. VI. * Baronin Bertha v. Suttner.
„Arbeiterzeitung." 7. VI. * Ezard
Nidden, Bertha v. Suttners siebzigster Ge-
burtstag. „Kunstwart." VII. * Bertha
v. Suttner, Zu meinem 70. Geburtstag.
„Neue Freie Presse." 8. VI. * Theodor
Tagger, Bertha v. Suttner. Zum 70. Ge-
burtstag am 9. Juni. „Berliner Tageblatt."
8. VI. * Bertha v. Suttner. Zum siebzigsten
Geburtstag. „Fremden-Blatt." (Wien.) 8. VI. *
Baronin Bertha v. Suttner, „Volksstimme."
(Frankfurt a. M.) 10. VI. * Bertha v. Suttner.
„Königsberger Allgemeine Zeitung." 12. VI. *
Bertha Baronin Suttner. „Dr. Bloch's Wochen-
schrift." (Wien.) VI. * Hans Lands-
berg, Krieg und Frieden, Zum 70. Geburtstag
von Bertha v. Suttner. „Berliner Lokal- An-
zeiger" (Morgenausgabe). 7. VI. * Dr. Hans
Wehberg, Bertha v. Suttner. geb. 9. Juni
1843. „Weser - Zeitung." 10. VI. * Dr.
Alexander v. Dorn, Bertha von Suttner.
„Oesterreichische Rundschau." 15. VI. * Leo-
pold Katscher, Bertha v. Suttner, Gedenk-
blatt zum 9. Juni 1913. „Berliner Tageblatt."
9. VI. * Ders. , Eine Philosophin des Mit-
leids. (Zum 9. Juni 1913.) „Vossische Zeitung."
(Morgenausgabe.) 8. VI. * Ders1., Bertha
v. Suttner, Zu ihrem 70. Geburtstag. ,.Mün-
ehener Neuste Nachrichten." 9. VI. * Ders.,
Zum 70. Geburtstage Bertha v. Suttners.
„Ethische Rundschau." VI. * Ders.. Bertha
v. Suttner. „Kölnische Volks -Z ei tnw." (Mor-
senausgabe. ) 9. VI. * Ders.. Die Friedens-
Bertha. Zum 70. Geburtstag. 9. Juni. ..Branden-
burger Anzeiger." (Brandenburg a. H.) 9. VI. *
Leopold ine Kulka, Bertha von Suttner.
„Die Wage." (Wien.1» 14. VI. * B. Münz,
Berta v. Suttner. „Wiener Abendpost." 7. VI.
* Alfred H. Fried. Bertha. V. Suttner.
„Neue Freie Presse." 9. VT. * Ders., „Die
Suttner." Zu ihrem 70. Geburtstag. „Pester
Lloyd " (Budapest. » 8. VT. * Bertha v. Suttner.
„Die Zeit." 8. VI. * Em. Boyer Edl.
v. Berghof, Baronin Bertha v. Suttners
70. Geburtstag. „Salonblatt." (Dresden.1) VI.
(Nr. 23. ) * Carl Ludwig Siemering,
Baronin Bertha von Suttner. (Zum' 70. Geburts-
278
DIE FBIEDENS-^ÄBTE
tag, 9. Juni 1913.'» „Ethische Kultur." 15. VI.
* Ders., Baronin Bertha y. Suttner. „Bres-
lauer Zeitung..'' 8. VI. * Ders., Baronin
Bertha v. Suttner. „Saale-Zeitung'" (Halle.)
9. VI. * Ders., Baronin Bertha v. Suttner.
„Tüsiter Allg. .Zeitung." 8. VI. * Ders.,
Baronin Bertha v. Suttner. „Neue Züricher
Zeitung." 9. VI. * Ders., Baronin Bertha
v. Suttner. „Aargauer Tageblatt." 8. VI. *
Ders., Baronin Bertha von Suttner. „Thur-
gauer Zeitung." Sonntagsblatt. {Frauenfeld.) 8.
und 15. Vi. * Bertha v. Suttner. „The West-
minster Gazette." 9. VI. * A Septuagenarian
Pacifist. Baroneß von Suttner Talks of her
Plans. „Daily News and Leader." 9. VI. *
Baroneß v. Suttners 7Üth Birthday. „Daily
News and Leader." 9. VI.
II. Die internationale Politik:
Sup. a. D. Wolf gang Dreising, Der
Kurs des Friedens. Ein' Rückblick auf die
fünfundzwanzigjährige Regierungszeit Kaiser
Wilhelms II. „Der Reichsbote." (Berlin.)
14. VI. * Prof. Dr. 0. N i p p o 1 d , Lehren
aus der Berner Verstandigungskonferenz. „Der
neue Albbote." (Ehingen.) 23. VI. * Charles
Bonne f on, U-uillaume II et la Erance, „Le
Figaro." (Paris.) 17. VI. * Dr. Erhr.
v. Maokay, Das slawische Problem. „Die
Gülden kam rr i er . " (Verlag Kaffee Hag, Bremen.»
VI. * Hermann Eernau, Bern und die
Boulevards. „Ethische Kultur." 1. VI, *
O. Umfrid, Im Tabernakel der Weltge-
schichte. „Der Beobachter." (Stuttgart. )
17. VI. * Alfred H. Er ied, Kaiser Wil-
helm und der Weltfrieden. „Der Herold."
(Berlin.) 29. VI. * Kontreadmiral z. D.
G 1 a t z e 1 , Die Ziele der deutsch-englischen
Verständigungsbestrebungen. „Deutsche Revue."
(Stuttgart.) VII.
III. Völkerrecht: Dr. Otto Loe-
ning, Zur Frage eines internationalen
Schiedsgerichtes für Ansprüche gegen fremde
Staaten. „Recht und Wirtschaft." (Berlin.)
Juli.
IV. Internationales; Alfred
H. Fried. Die internationale Verwaltung und
die Ansätze zu einer internationalen Gesetz-
gebung. „Dokumente des Fortschritts." VI. *
Franz Kemeny, Derzeitiger Stand des
internationalen Unterrichtswesens. „Zeitschrift
.für das Realschulwesen." VII.
V. Wirtschaftliches: Hermann
Schnell, Wird der Volkswohlstand durch
Kriege gefördert? Eine Entgegnung auf das
Buch Norman Angells „Die falsche Rechnung".
„Süddeutsche Monatshefte." Vi. * Waffen an
den Feind. „Der Kunstwart." VI. * Die
volks- und staatswirtschaftliche Bilanz der
Rüstungen. „Die Hilfe." 12. VI.
smitteiiv/ngen debs
friedensgesellschaften
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Schriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
Wer für seine Töchter oder andere junge Mädchen
Gelegenheit zu Studien in einer Pension in Deutsch-
land sucht, wird darauf aufmerksam gemacht, daß
diese Rufnahme finden können in der Familie unseres
Freundes Pfarrer 0. Umfrid, Stuttgart, der
jedem Pazifisten bekannt ist. — Das Pensionat Wird
am 20. Oktober eröffnet werden. Lektionen in
deutscher Sprache und anderen Disziplinen. Handels-,
Kunst-, Musik- und Frauenarbeitsschulen in der
Stadt. Ausgezeichnetes Klima, herrliche Spaziergänge.
Angenehmes Familienleben.
Referenzen:
Frau Gehe im rat Kromayer, SternWartstr. 14, Straßburg.
Miß Anna B. Eckstein, Langestr. 7, Coburg.
Herr Geheimrat Professor Dr. Förster, Ahornallee 8,
Charlottenburg.
Herr Professor Dr. Quidde, Gedonstr. 4, München.
Herr Dr. Ad. Richter, Pforzheim.
Herr Direktor Wagner, Kaiserslautern.
Frau Baronin Bertha v. Suttner, 7 Zedlitzgasse, Wien I.
Herr Alfred H. Fried, 5 Widerhofergasse, Wien l£.
Oesterreichische Friedensgesellschaft.
Bureau: .Wien I, Spiegelgasse 4.
Bertha von Suttner-Stiftung.
Eine Reihe hervorragender Persönlichkeiten
aus politischen, gesellschaftlichen und Ge-
lehrtenkreisen Wiens hat sich zusammengetan,
um eine Stiftung ins Leben zu rufen, die den
Zweck haben soll, unserer Gesellschaft eine
weitere ausgebreitete Tätigkeit im Sinne der
Gründerin zu ermöglichen.
Die bis jetzt gezeichneten Betrage beziffern
sich auf 28 213 K. 67 h. Die erste Liste der
Spende befindet sich unten. Die Sammlung
ist noch nicht angeschlossen, weitere Spenden
werden von der Verkehrsbank in Wien (I. Stock-
imeisenplatz 2 entgegengenommen.
Vorstandsmitglied Emil Stoerk f. Im
verflossenen Monate ist unser verdienstvolles
Vorstandsmitglied, Herr Emil Stoerk, Ober-
beamter der D. D. G., verschieden. Stoerk war
ein überzeugter Pazifist, ein warmer Verteidiger
unserer Sache für die er bei jeder Gelegenheit
eintrat. Wir werden ihm ein ehrendes An-
denken bewahren.
Kooptation. Die Herren Dr. Alfred
H. F r i e d und Rudolf Goldscheid wurden
in den Vorstand unserer Gesellschaft kooptiert.
Schule und Friedensbewegung.
In Amstetten fand am 4. Juni die Bezirks-
lehrerkonferenz statt, die von etwa 100 Lehr-
personen besucht war. Hierbei machte unser
langjähriges Mitglied Lehrer Demal auf unsere
Bewegung aufmerksam und führte aus, „daß
die Lehrer sich eigentlich selbst schaden, wenn
sie gegen die übertriebenen Rüstungen nicht
ankämpfen, denn es wird durch diese
nicht nur der wirtschaftliche Wohlstand
des Volkes geschädigt, die hohen Kriegs-
ausgaben sind auch schuld, daß die Forderungen
279
DIE FRIEDENS -^M&ETE =
3
der Lehrerschaft nicht erfüllt werden." Bei
dieser Konferenz wurde unsere Broschüre „Ich
bin im Volk ein schlichter Lehrer" jedem Be-
sucher eingehändigt.
Unser Mitglied Lehrer Goß in Langen-
dörflas veröffentlichte in der Tachau-Planer
Zeitung einen Leitartikel:' „Die Ueberwindung
des Balkankonfliktes", worin er auf die Schäden
hinweist, die ein ausgebrochener Krieg für das
ganze Reich gebracht hätte.
Der Friedensverein „Jednota mirova" in
Brunn hat an die Parlamente von Bulgarien
und Serbien Bittschriften abgesendet des In-
halts, es möge von jedem neuerlichen Blut-
vergießen abgesehen werden.
vza
„Die Waffen nieder" im Lesebuch.
Im k. k. Schulbücherverlage ist
ein Lesebuch erschienen, das vom
Schulrat K. Fiedler zusammenge-
stellt wurde und unter andern auch
einen Abschnitt aus dem Roman
Bertha von Suttner „Die Waffen
nieder" bringt. Es ist jener AJb-
schnitt, welcher folgendermaßen
beginnt: „Es gibt noch Schauer-
licheres als ein Schlachtfeld wäh-
renddes Krieges. Das isteinsolches
nach einer Schlacht..." Dem Lese-
stücke, das 97 Zeilen umfaßt, ist
auch das Bildnis der Baronin
Suttner beigefügt.
£S*
Liste I der für die Suttner-Stif-
t u n g gezeichneten Beträge (in chronologischer
Reihenfolge) :
Se. kais. und königl. Hoheit Erzherzog
Ludwig Salvator 1000,— K.; Max Stern, Wien,
50,— K.; Gräfin Hedwig Pötting, Wien, 20,—
Kronen; Baronin Marie v. Ebner-Eschenbach,
Wien, 50,— K.; FML. d. R. Moriz Fraenzel,
Wien, 50, — K. j Baronin Marie Bock v. Greissau,
Graz, 20,— K. ; A. von Guggenthall, Graz,
10,— K.; Bertha Bacher, Wien, 50,— K.;
S. Schön, Wien, 10, — K. ; Alexander v. Schrei-
ber, Wien, 50, — K. ; kais. Rat Dr. Ludwig
Kareil, Wien, 10,— K. ; R.-Abg. Max Friedmann,
Wien, 50,— K.; Norbert Benedikt, Wien, 100 —
Kronen; Marianne Hainisch, Wien, 20, — K. ;
Marie v. Ebner-Ebenthall, Triest, 50,— K.; Hof-
rat Prof. Dr. Heinrich Lammasch, Wien, 10, — K. :
Baron Adolf Odelga, Wien, 50,— K.; Adolf
Engländer, Prag, 20,— K.; C. F. 5000,— K.;
Hofrat Prof. Anton Weichselbaum, Wien, 20, —
Kronen; Stefan v. Auspitz, Wien, 50, — K. ;
Max Ritter von Gutmann 2000, — K.; Leo
Schreiber, Wien, 2,— K. ; Kommerzialrat Max
Anhauch, Czernowitz, 50, — K. ; Exz. Paula, v.
Hoff mann, Wien, 20, — K. ; Baronin Anna Odelga,
Wien, 50,— K. ; M. u. J. Mandl, Wien, 10 —
Kronen; Dr. Heinrich Graf Taaffe, Wien, 50, —
Kronen; Johanna Neumann-Buska, Wien, 25, —
Kronen; Ella u. Theodor Auspitz, Wien, 100, —
Kronen; Geh. Kommerzienrat Georg Arnhold,
Dresden, 1000, — K. ; E. Böhm, Kunitz b. Jena,
6, — K. ; Marie G. Goilav, Botosani, Rumänien,
20,— K.; Stefanie Gräfin Teleky, Wien, 100,—
Kronen; Hans von Czjzek, Wien, 300, — K. ; Mary
v. Wolter, Judendorf bei Graz, 6, — K. ; Dr.
Julius Ofner, Wien, 20, — K. ; Georg Jeiteles,
Wien, 50— K.; Dr. Karl Goldmark, Wien,
30,— K.; Hof rat V. Ritter von Jagiö, Wien.
20,— K,; Julie v. Wellenau, Baden, 10,— K. ;
Alfred Graf von Bothmer, Wiesbaden, 10, — K. ;
Anna Eckstein, Coburg, 25, — K. ; Emil Stern,
Brunn, 50, — K. ; Dr. Peter Ros egger, Graz,
5,— K.; Dr. Alfred H. Fried, Wien, 50,— K. ;
Dr. Bernhard Lederer, Wien, 10, — K. ; Luise.
Kuffler, Wien, 10,— K.; Dr. M., Wien, 2,— K.;
Oskar Schwonder, Königsberg i. Pr., 7, — K. ;
Walter Kloß, Zoppot, 10,— K.; Valerie Gräfin
Orssich, Oroslavje, 10, — K. ; Dr. Karl Wischek,
Freiwaldau, 10, — K. ; Otto Bondy, Prag, 50, —
Kronen; Friedrich Böhler, Wien, 100, — K. ;
Baron u. Baronin Speth, Graz, 50, — K. ; Wilhelm
R. v. Gutmann, Wien, 500, — K. ; Dr. Siegmund
Münz, Wien, 10, — K. ; Baron Karl Puttkammer,
Berlin, 10, — K. ; Geza Schönberg, Wien, 10,—
Kronen; Justizrat Dr. Heilberg, Breslau, 100, —
Mark; Jacques Houssa, Varennes, 10, — Frcs. ;
Johann Maurizio, Krakau, 10, — K. ; Justa Kotz
de Dobrss, Villa Kaladey, Böhmen, 25, — K. ;
Hofrat Adolf Lieben, Wien, 100, — K. ; Baron
Alfred Liebig, Wien, 50,— K. ; Jakob Wolff,
Hamburg, 50, — M. ; Nadine Gräfin Kolowrat,
Dianaberg, 5, — K. ; Erlaucht Carl Graf Kuef-
stein, Wien, 100,— K.; Dr. Adolf Richter.
Pforzheim, 50, — M. ; Jon. C. Hoos, Trautens-
lof, Haag, 2, — K. ; Felix Moscheies, London,
1, — Pfund Sterling; Siegfried Trebitsch, Wien,
30, — K. ; Minna Prohaska, Wien, 2, — K. ;
Benedikt Kosian, Wien, 50, — K. ; Baronin
Friederike Basso, Krumpendorf, 10, — K. ;
August Ludowici, Genf, 100, — Frcs. ; Georg
Kossak, Königsberg i. Pr., 5, — M. ; N. N.,
London, 1,— Pfund Sterling; Nithack-Stahn,
Berlin, 5,— K. ; Ing. A. Freißler, Wien, 50,—
Kronen ; Dr Alois Birnbacher, Graz, 10, — K. ;
Fredrik Bajer, Kopenhagen, 10, — K. ; Leon
Bollack, Paris, 100,— K. ; Elisabeth Fränkel.
Hildesheim, 20, — M. ; Leopold Katscher, Wien,
20,— K. ; Geheimrat Prof. Dr. Wilhelm Ostwald,
Leipzig, 50, — M. ; Emma v. Castella, geb.
Gräfin Zierotin, Littentschitz, 15, — K. ; Prof.
Dr. Oswald Richter, Wien, 2,— K. ; Justine
Wittgenstein, Karlsbad, 50, — K. ; J. Lang,
Luzern, 10, — K. ; Prof. Dr. Leo Strisower, Wien,
50, — K. ; Kommerzialrat Hans Dupal, Wien,
25,— K.; Direktor Rudolf Roth, Linz, 25,— K.
Die Sammlung ist noch nicht abgeschlossen
Spenden übernimmt die Wechselstube de
Allgem. Verkehrs bank, Wien L, Stock
Eisenplatz Nr. 2.
n.
er
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Verantwortlicher Redakteur: CarlAppold, Berlin W. 60. — Im Selbstverlag des Herausgebers Alfred H. Fried, Wien ES/8.
Druck: PmtGirltb G.m.b.H., Berlin W.67. — Verantwortl. Redakteur für Oesterreich-Ungarn : Vimens Jerabek in Wien
280
August 1913.
Die vorliegende Mummer ist in Vertretung des in den Ferien Weilenden Herausgebers von
Dr. Hans Wchberg in Düsseldorf redigiert worden.
Zur Vorgeschichte des Haager Friedenspalastes.
Von A n d r e w D. W h i t e in Ithäca N. Y.,
früherem amerikanischen Botschafter in Berlin, amerikanischem Delegierten zur 1. Haager Friedenskonferenz.
My dear Mr. Fried!
Your letter of June eighteenth is duly
received and I note in it your statement
that Professor Von Martens informed
you a few years ago that it was I who
(to use his own words) ,,made the decisive
step which induced Mr. Carnegie to
erect the Palace of Peace at the Hague".
The facts regarding which you enquire
are as follows.
Shortly after the close of the First
Hague Conference in 1899 Professor Von
Martens, one of my Russian colleagues
in that body, made me a visit at the
American Embassy in Berlin, and, during
our conversations, we discussed the de-
sirability of a building at the Hague Which
should be both! a Palace of Justice for
International Tribunals and a place of
meeting for future Conferences. In the
course of our talk1 he said : „Your American
millionaires are doing wonderful things,
why could you not approach' some of th'em
on the subject of erec'ting such' a building ?"
My answer was that many of our rieh' men
were very munificent and publiö spirited
in American matters but that I EneW of
but one among them whöse life and ex-
perience were such as to sh'ow him the
value of such a creation, — Mr. Andrew
Carnegie, — and I finished by saying,
,,Mr. Carnegie lookö at the World in
a large way and it would at any rate be
worth while to discuss the matter with1
him." The result was that I wrote him
at once.
Mein lieber Herr Fried!
Ich habe Ihren Brief vom 19. Juni
empfangen, worin Sie mir mitteilen, daß
Prof. v. Martens Ihnen vor einigen
Jahren sagte, ich sei es gewesen, der —
um seine eigenen Worte zu gebrauchen —
,,den entscheidenden Schritt tat, um Car-
negie zur Errichtung eines Friedenspalastes
im Haag zu veranlassen".
Die von Ihnen gewünschten, sich darauf
beziehenden Tatsachen sind folgende:
Sehr bald nach' Schluß der ersten
Haager Konferenz im Jahre 1899 besuchte
mich Prof. v. Martens, einer meiner
russischen Kollegen, in der amerikanischen
Botschaft in Berlin, und während unseres
Gespräches erörterten wir, wie wünschens-
wert die Errichtung eines Gebäudes im
Haag wäre, das als Justizpalast für
internationale Schiedsgerichte und zugleich
als Versammlungsort für Künftige Konfe-
renzen dienen sollte. Im Laufe unserer
Unterhaltung sagte v. Martens: „Ihre
amerikanischen Millionäre sind die Schöpfer
so ausgezeichneter Werke; könnten Sie
nicht einen von Ihnen veranlassen, ein
solches Gebäude zu errichten ?" Ich ant-
wortete, daß viele unserer reichen Männer
sehr freigebig und gemeinsinnig in ameri-
kanischen Angelegenheiten seien, daß ich
aber nur einen einzigen kenne, der den
Wert einer solchen Schöpfung erfassen
könnte : Andrew Carnegie, und ich
schloß mit den Worten: „Carnegie sieht
die Welt mit so ungewöhnlichen Augen an,
daß es in jedem Fall der Mühe Wert wäre,
diese Angelegenheit mit ihm zu be-
sprechen." Bald nach dieser Unterredung
schrieb ich ihm.
281
DIE FRIEDENS -WARTE
=e>
The answer came speedily and was
a very shrewd specimen of the Soeratic
Method, — asking questions and suggesting
objections. This resu.lt Was at first rather
discouraging, and the correspondence, as
continued f'rom Alassio in Italy, wherc
I settled down for a year or two after
leaving Berlin, only grew more and more
Socratic. Yet one thing in Mr. Car-
negie'® letters gave me hope : he evi-
deritly divined meanings and possibilities
in the work1 already done at the Hague,
which a number of the most influential
journalists and reviewers of the world at
th'at time did not see. There had follo-
wed the First Hague Conference much
disappointment and söme reaction, and
therefore I was encouraged to find in his
letters that he saW into what had been
done there and recognized the value of
it. He developed gradually a neW phäse
of interest in it, and, to my great satis-
faction, spoke tentatively of giving a
great Library of International LaW to sohle
suitable Organization at the Hague for the
use of Conferences and courts which might
be established there.
In answering his first letters it was
not difficult for me to shbW1 that such'
a library wöuld logically follow the est-
ablishment of the Peace Tribunal and the
erection of a Peace Palace, trat that the
first thing Was to make the World under-
stand that the International Tribunal had
already been actually established, and I
argued that this could be done most simply
and efficiently by erecting and throwing
open to the World a great International
Court House and Palace of Justice. Such
an edifice, I insisted, Would convey to
the mind of the average thinking man
through'out the world tangible evidence
that such a tribunal already existed, and
would so influence public1 opinion that
whenever there shbuld afterward arisc
threatening questions, the governments and
peoples would naturally say to parties
inclined toWard a warlik'e Solution: „Why
not try first the Hague International
Court? A large body of judges of the
high'est standing in the various nations' is
already provided and from these you can
make your choiee. There is also an inter-
national Court House standing Wide open
for you. There also aWaits your con-
Venience at this moment a great Committee
composed of all the representatives of
foreign poW'ers now residing at the Hague,
Die Antwort kam sehr bald und war
ein kluger Beweis der „sokratischen" Me-
thode, Fragen zu stellen und Einwände
zu machen. Dieses Ergebnis War zuerst
entmutigend, und die Korrespondenz, die
ich von Alesso (Italien), wohin ich mich
nach meinem Berliner Aufenthalt für ein
oder zwei Jahre begab, führte, wurde
immer mehr und mehr „sokratisch". Nur
ein einziger Punkt in Carnegies Briefen
ließ mich hoffen : er erkannte die Bedeutung
des im Haag bereits geschaffenen Werkes,
die von einer großen Anzahl einflußreicher
Journalisten und hervorragender Persön-
lichkeiten zu jener Zeit noch' nicht zu-
gegeben wurde. Eine gewisse Reaktion und
Enttäuschung folgten der ersten Haager
Konferenz, und deshalb war ich1 erfreut,
durch Carnegies Briefe zu erfahren, daß
er den Wert der dort geleisteten Arbeit
anerkannte. Er entwickelte nach und nach
ein großes Interesse dafür und sprach zu
meiner großen Befriedigung davon, eine
umfangreiche Völkerreehtsbiblioth'ek zum
Gebrauche der Haager Konferenzen und
Schiedsgerichtshöfe irgendeiner in Frage
kommenden Haager Organisation zu stiften.
Bei Beantwortung seines ersten Briefes
fiel es mir nicht schwer, ihm vor Augen zu
fuhren, daß einer solchen Bibliothek logi-
scherweise die Errichtung eines Friedens-
tribunals und eines Friedenspalastes
folgen Würden, daß es aber vor allem
darauf ankäme, die Welt davon zu unter-
richten, daß ein internationaler Schieds-
gerichtshof bereits bestände, und ich folgerte,
daß dies am einfachsten und wirksamsten
durch die Errichtung eines großen inter-
nationalen Gerichtshofes und eines Justiz-
palastes geschehen könne. Ein solches Ge-
bäude müßte, führte ich' aus, auch' den
Durchschnittsmenschen der ganzen Welt
einen deutlichen Beweis davon geben, daß
ein solcher Gerichtshof schon vorhanden
sei, und diese Tatsache würde die öffent-
liche Meinung so weit beeinflussen, daß
die Regierungen und die Völker beim Auf-
tauchen drohender Fragen der zu einem
Krieg neigenden Partei ohne Zweifel sagen
würden: „Weshalb nicht zuerst den inter-
nationalen Haager Schiedshof anrufen?
Zahlreiche Richter der höchsten Stände, der
verschiedensten Nationen stehen zur Ver-
fügung, und ihr könnt eure Wahl treffen.
Es gibt auch leinen internationalen Gerichts-
hof, der seine Tore für euch öffnet. Sobald
ihr Wollt, wartet auf euch ein aus allen
Vertretern der fremden, jetzt im Haag resi-
282
e
DIE FRJ EDENS -VwÄRTE
with the Netherlands Minister of Foreign
Affairs as its Chairman, for the purpose
of taking all preliminary and auxiliary
steps toward bringing together these judges
and getting tliemi at Work' in your Palace o{f
Justice. Why not try this peaceful means
before you plunge us into War ?"
I insisted that while there was an
admirable purpose to be served by the
Peace Palace as a home for International
Conferences and Courts, its most immediate
practicäl and tangible use was as an
,, outward and visible sign" to the whble
World that füll provision had been made
for the International Tribunal and that
such a Tribunal could be called together
at any moment.
This was so clear to me that Mr.
(J a r n eg i e ' s Socratic Method began to
rasp my nerves, and the resultat was
that I wrote, ere long, a letter which'
I supposed would close the ■correspondence.
But to tmy great satisfaction it Was speedily
answered by a message saying: ,,Come to
Skibo and we will talk it over."
This invitation I accepted at the
earliest moment possible and the result
was a most delightful week. Every mor-
ning was ushered in by the piper sounding
old Seotch battle songs under our Windows,
as he made liis three rounds about the
Castle Walls, and the duties of every day
then opened nobly by anthems from the
organ in the great Hall of the Castle.
Guests of distinction from various parts
of the World took up discussions of cUrrent
political and social questions at breakfast
and then followed exeursions among the
hüls of Sutherlandshire or along the shores
of the Northern Ocean or up the streams
or througli the forests — all combining
to make each day a beautiful dream.
But soon this began to alarm me.
There was nothing more of the Socratic
Method. The Hague Palace of Peace and
all the questions which I had cöme to
discuss seemed as entirely forgotten as the
Ghost of Banquo or the Battle of Bannock-
burn. Delightful days succeeded, but no
mention was made of the question which'
had brought me, and, af'ter nearly a week
of this, there came what seemed a bit of
comedy. One morning Mr. Carnegie
dierenden Mächte gebildetes großes Ko-
mitee mit dem' niederländischen Minister
des Aeußeren als Präsident, um alle Präli-
minarien und Hilfsschritte zu unternehmen,
und um diese Richter in euren Justizpalast
ans Werk zu rufen. Weshalb wollt ihr
nicht eine friedliche Verständigung suchen,
ehe ihr uns in Krieg verwickelt?"
Während es mir gewiß ausgezeichnet
erschien, den Friedenspalast als' Heim der
internationalen Konferenzen und Höfe
dienen zu lassen, sah ich' doch seinen prak-
tischsten und deutlichsten Wert darin, daß
er als „äußerliches und sichtbares Zeichen"
der ganzen Welt davon Kunde gebe, daß
alle Vorkehrungen für einen internatio-
nalen Gerichtshof getroffen seien, und daß
ein solcher jeden Augenblick einberufen
werden könne.
Dies erschien mir so klar, daß Car-
negies „sokratische" Methode mich zu
irritieren begann, und ich schrieb ihm einen
Brief, der, wie ich annahm, unsere Korre-
spondenz beendigen Würde. Zu meiner
großen Befriedigung aber wurde dieser bald
durch eine Einladung beantwortet, die
lautete: ,, Kommen Sie nach Skibo und Wir
wollen darüber sprechen."
Ich folgte dieser Einladung, so bald
ich konnte, und das Ergebnis war eine
entzückende Woche. Jeflen Morgen wurden
wir durch alte schottische Schlachtlieder,
die der Pfeifer unter unseren Fenstern bei
einer dreimaligen Runde um die Schloß-
mauern erklingen ließ, geweckt. Eine in
der großen „Hall" des Schlosses auf der
Orgel gespielte Hymne eröffnete wirksam
und edel den Tag. Vornehme Gäste aus
allen Teilen der Welt unterhielten sich1
beim Frühstück' über allgemeine politische
und soziale Fragen; Ausflüge in die Graf-
schaft Sutherland, an die Gestade des
nördlichen Ozeans, Fahrten auf dem Stiom
oder Spaziergänge durch die Wälder ver-
wandelten jeden Tag in einen schönen
Traum.
Aber dies begann mich bald zu be-
unruhigen. Von der „sokratischen" Me-
thode war nichts mehr zu verspüren. Der
Haager Friedenspalast und alle Fragen,
deretwegen ich hergekommen war, schienen
vergessen wie Banquos Geist oder die
Schlacht bei Bannockburn. Herrliche Tage
folgten zwar; aber aller jener Fragen, die
mich1 eigentlich hergeführt hatten, wurde
nicht Erwähnung getan, und, fast nach
einer Woche, kam etwas, das wie eine
233
DIE FRIEDENS -^ÖÄTE
invited me to go fishing with1 him in the
trout lakes among the hüls. I had never
caught a trout sinee one proud day, forty
years before, in the North .Woods of New
YorK: but now a great hope arose within
nie, — now' I sheuld häve the philanthropist
all to myself; what excellent cönditions
for diplomatic angling; whb cöuld teil
•what new h'elp for the world I might bring
home with1 me?
Cettainly it „loo'ked like business".
We were arrayed in Scotch caps, cloaks
and tippets, given a brave show of fishing
tackle, and af'ter a short drive we stood|
by the side of a boat in one of the trout
lakes. But, alas, a colossal Highlander
solemnly conducted Mr. Carnegie to one
end of the boat, myself to the other, and,
to my intense disappointment, took the
oars and seated himself between us1. He
then gave me to understand that the very
first requirement of Scotch trout fishing
is s i 1 e n c e. The Situation was1 now
desperate indeed: it Was my last day in
that Paradise, and I had made my prepa-
rations for departure early next mörning.
The mountain scenery now lost its
charm': I soon lost#interest in fishing and
gave myself up to reflections as cheerless
as the rock'y hillsides. Th'us the day slowly
passed, — not a word exchänged, —
Mr. Carnegie catching a few fish, I
catching none, and my hopes of the great
Palace of Peace fading into the misty sky
above us. The return ride was devoted to the
philosophy of fishing. Dinner came, with
discussions of literary and scientific
questions, and the evening followed with'
noble music. All for which1 I had come
appeared lost, — when, suddenly, our host
quietly took his seat beside me.
There followed the „still, small voice",
and straightway, with1 a method no longer
shrewdly Socratie, but nobly Piatonic,
there Was unfolded to me a view of the
whole subjeet which we had for many
months been discussing together. The
original idea of a Library of International
Law had developed into something far
grander. The Peace Palace of the Hague
began to reappear and in a new glory —
as a pledge and sign of a better future
for the world, and then came from him
the words which assured his great gif't
kleine Komödie aussah. Eines Morgens
lud mich Carnegie ein, mit ihm1 auf
Forellenfang zu gehen. Nur einmal, vor
40 Jahren, hatte ich eine Forelle gefangen,
sonst noch1 nie. Aber nun erfüllte mich
eine große Hoffnung, nun würde ich den
Philantropen ganz für mich haben. Welch
ausgezeichnete Bedingungen für ein diplo-
matisches ,, Angeln"! Wer könnte wissen,
welch neue Hilfe für die Welt ich' mit
mir nach Hause bringen Würde ?
Natürlich sah' es wie eine „Arbeit"
aus. Wir trugen schottische Kappen, Mäntel
und Halskragen, und nach einer kurzen
Fahrt standen wir bei einem Boot in einem
der Forellenteiche. Aber ach, ein großer
Hochländer führte feierlich Carnegie
zu einem Ende des Bootes, mich zum ande-
ren, und zu meiner heftigen Enttäuschung
ergriff er die Ruder und setzte sich
zwischen uns. Er gab mir dann zu ver-
stehen, «daß die erste Bedingung einer
schottischen Forellenfischerei Schweigen
sei. Die Situation erschien mir nun in der
Tat verzweifelt: es war mein letzter Tag
in diesem Eiland, und ich hatte schon Reise-
vorbereitungen für den nächsten Morgen
getroffen.
Die Berge hatten jetzt keinen Reiz
mehr. Ich' verlor das Interesse am Fischen,
und meine Gedanken wurden bald so trost-
los wie die felsigen Hügelabhänge. So ver-
ging langsam der Tag, kein Wort wurde
gewechselt ; Carnegie fing einige Fische,
ich gar keine, und meine Hoffnungen für
den großen Friedenspalast welkten unter
dem nebligen Himmel über uns. Die Rück-
fahrt war nur der Philosophie des Fischens
gewidmet. Das „Dinner" kam mit Unter-
haltungen über Literatur, wissenschaft-
liche Fragen, und am Abend folgte edle
Musik. Alles das, weshalb ich hergekom-
men war, schien verloren, als plötzlich
unser Gastgeber sich zu mir setzte.
Es folgte die „ruhige, zarte Stimme",
und bald — jetzt nicht mehr klug „sckra-
tisch", sondern edel platonisch — wurde
mir ein Plan für die seit Monaten von uns
erörterten Fragen mitgeteilt. Die ursprüng-
liche Idee einer Völkerrechtsbibliothek
wurde erweitert, der Friedenspalast im
Haag erschien in einer neuen Pracht als
Bürgschaft und Zeichen einer besseren
Weltzukünf t, und dann sprach Carnegie
jene Worte, die den Nationen seine große
Spende sicherte, die Schöpfung eines Sym-
bols für den Wunsch einer Welt nach
284
Sg:
DIE FRIEDEN5->Waj2rE
to the nations, — the creation of a center
and symbol of a world's desire for peace
and goodwill to men.
Such, my dear and honored friend,
is the whöle story as I remember it, and
I remain
Most sincerely and respectfully yours
Andrew D. White.
Ithaca, July 8, 1913.
P. S. I may, perhaps, add to the
above that as regards a Library of Inter-
national Law to be placed in the Peace
Palace for the use of the International
Tribunals, Conferences and individuals
concerned, I had the honor a few years
since, with the permission of Mr. Car-
negie, to present to the „Institute for
Research" which' he has founded at
Washington, a plan for Publishing a new
edition of „The Great Classics of Inter-
national Law", both in the original text
and in English. The plan was adopted,
with the result that the series has been
begun with a splendid edition of the De
Jure Belli ac Pacis of Grotius, and
continued with the treatises of Ayala,
Gentilis, Suarez and other great instruc-
tors of the world in the Law of Nations.
No doubt there will gradually aceu-
mulate about these a large collection of
the main works in more recent years on
the subjects concerned. Perhaps, too, some
one will appear who will be wise enough
te secure immortality by endowing it
largely and fitly, — providing funds to
purchase the books and to engage a
librarian to select and guard them.
Best of all, I am sure that you and
other lovers of peace throughöut the world
will have faith with me that, as the
culmination and main glory of the Library,
there will be added to it, as time goes on,
a series of decisionsi by future Hague Tribu-
nals, which shall develop, ever more and
more worthily, the science and practice of
International LaW and thus become the
harbinger of new blessings to mankind.
A. D. W.
Frieden und Wohlwollen zwischen den
Menschen.
Dies ist, mein lieber und verehrter
Freund, die ganze Geschichte, wie ich sie
noch in Erinnerung habe, und ich verbleibe
Ihr Ihnen aufrichtig ergebener
Andrew D. White.
Ithaca, 8. Juli 1913.
P. S. Ich möchte zu dem vorher Ge-
sagten noch etwas über die Völkerreehts-
bibliothek, die in dem Friedenspalast
zum Gebrauch der internationalen Schieds-
gerichte, Konferenzen und Einzelpersonen
untergebracht werden sollte, hinzufügen.
Vor einigen Jahren hatte ich die Ehre,
dem von C a r n e g i e in Washington begrün-
deten „Institute for Research" mit seiner
Zustimmung einen Plan zur Veröffent-
lichung einer neuen Ausgabe der „Großen
Klassiker des Völkerrechts" sowohl im
Originaltext als auch1 im englischen zu
unterbreiten. Der Plan wurde angenommen,
und es erschien eine prachtvolle Ausgabe
von Grotius „De JureBelliacPacis",
der dann die Abhandlungen von Ayala,
Gentilis, Suarez und anderen großen welt-
berühmten Vertretern des Völkerrechts
folgten.
Es ist kein Zweifel, daß sich nach
und nach eine große Sammlung ausgezeich-
neter Werke darüber anhäufen wird. Viel-
leicht wird sich1 auch irgend jemand finden,
der weise genug ist, sich Unsterblichkeit
durch eine große Stiftung zu sichern, durch
welche er einen Fonds schafft, um Bücher
zu kaufen und einen Bibliothekar zu ge-
winnen, der sie wählt und Verwahrt.
Als Höchstes aber — davon bin ich
überzeugt — werden Sie und alle Friedens-
anhänger der Welt wünschen, daß der
Bibliothek! als Krönung und vornehmste
Errungenschaft mit der Zeit eine Anzahl
von Entscheidungen der künftigen Haager
Schiedsgerichte einverleibt werden, die
immer mehr die Wissenschaft und Praxis
des Völkerrechts zu einem neuen Segen
für das Menschengeschlecht entwickeln
werden. A, D. iW.
285
DIE FRIEDENS -^MiTE
3
In wessen Hamen
wird im Haager Friedenspalaste
Recht gesprochen werden?
Von Dr. Hans Wehberg in Düsseldorf.
Es ist nicht lediglich ein Streit um Worte,
wenn Schücking in seinem hervorragen-
den Werke „Der Staaten verband der Haager
Konferenzen" (1912, Seite 41 ff.) die Frage
untersucht, ob der Haager ständige Schieds-
hof seine Urteile im Namen der jeweiligen
Parteien oder im Namen der Staatengemein-
schaft fällt. Denn ganz abgesehen von dem
wissenschaftlichen Interesse, das dieser Streit
verdient, ist es von erheblichem1 praktischen
Werte, ob das Schiedsgericht im Namen der
gesamten zivilisierten Staaten Recht spricht.
Im einzelnen hat Schücking die ver-
schiedenen Konsequenzen angedeutet, zu
denen diese oder jene Ansicht führt. Hier
sei nur auf die viel höhere moralische Macht
hingewiesen, die ein über allen Staaten
thronender Gerichtshof besitzt.
In zahlreichen bisherigen Schriften, ins-
besondere meinem „Kommentar zu dem
Haager Abkommen betr. die friedliche Er-
ledigung internationaler Streitigkeiten" (191 1 ),
habe ich mit der herrschenden Meinung die
Ansicht vertreten, der Haager Hof sei ledig-
lich eine Liste von Richtern. Schücking
hat sich an der genannten Stelle gegen den
von Zorn, Meurer, v. Uli mann und
mir vertretenen Standpunkt ausgesprochen.
Ich möchte daher heute, ein Jahr nach Er-
scheinen des Schücking sehen Werkes, die
Frage nochmals prüfen.
Schon die Verhandlungen der ersten
Haager Friedenskonferenz bieten einen An-
haltspunkt für die Beantwortung dieses Pro-
blems. Auf der ganzen ersten Haager Frie-
denskonferenz war eine der Hauptfragen die
Schaffung eines ständigen Schiedsgerichts-
hofes. Man wollte — dies war die Ansicht
der meisten Mitglieder der Konferenz wie
der ganzen Welt — nicht lediglich eine
Richterliste ins Leben rufen, vielmehr ein,
wirkliches ständiges Schiedsgericht. Man
vergegenwärtige sich nur, was es denn eigent-
lich für einen Zweck gehabt hätte, wenn "die
meisten Staaten lediglich eine Liste mit
einem Bureau hätten schaffen wollen. Hatte
man denn wirklich solchen Mangel an
Schiedsrichtern, daß man deswegen eine be-
sondere Liste im Haag auflegen mußte, und
war die Zahl der Schiedsgerichte so groß,
daß sich ihretwegen die Schaffung eines be-
sonderen Bureaus lohnte ? Nein, der Kern-
punkt, worauf es den Hauptmitarbeitern der
Konferenz wie schon früher der Interparla-
mentarischen Union ankam, war die Schaffung
eines weithin sichtbaren Welttribunals. Dies
ergibt sich einmal aus den Worten, mit
denen Pauncefote, der englische Dele-
gierte, die Verhandlungen über den Schieds-
gerichtshof am 26. Mai 1899 einleitete. Er
betonte die Notwendigkeit der Schaffung
eines ständigen Tribunals, das die Sache der
Schiedsgerichtsbarkeit vorwärts treiben und
ihr einen mächtigen Antrieb geben würde.
Dabei wies er gerade auf das Descampsche
Projekt von 1895 hin. „Wie notwendig dieses
Tribunal ist," so betonte er etwa, „ist
mit ebensoviel Beredsamkeit wie Kraft und
Klarheit von unserem hervorragenden Kollegen
Descamps in seinem interessanten „Essai
sur l'arbitrage" gezeigt worden, von dem
sich ein Auszug in den von der nieder-
ländischen Regierung uns überreichten
Dokumenten befindet." (Prot. IV, S. 4.) Was
für ein Tribunal aber die große interparla-
mentarische Versammlung von 1895 sowie
Descamps befürwortet haben, ist all-
gemein bekannt. Dieses Schiedsgericht also
sollte die erste Haager Konferenz beschließen:
Ein freies Tribunal im Schöße unabhängiger
Staaten. Wie erklärt sich anders der deutsche
Widerstand gegen die Annahme des Hofes,
wenn nicht eben durch die Erwägung, daß
Deutschland kein Welttribunal wollte ? Bei
den Verhandlungen mußte Zorn immer
wieder betonen, es gebe keinen ständigen
Schiedshof, sondern nur eine Liste I Die
anderen Mitglieder gingen wiederholt von
dem entgegengesetzten Standpunkte aus, so
daß es Zorn im Namen der deutschen Re-
gierung für nötig hielt, seine abweichende
Ansicht zu Protokoll zu geben. Das konnte
aber nicht hindern, daß Descamps in
seinem Berichte über das Friedensabkommen
die Institution mit Worten verherrlichte, die
nur zu verstehen sind, wenn Descamps
die Errichtung eines wirklichen Welttribunals
annahm. „Die Errichtung eines ständigen
Schiedshofes entspricht der tiefsten Sehn-
sucht der zivilisierten Völker, den realen
Fortschritten in den Beziehungen der
Staaten. . . Diese große Einrichtung kann
ein mächtiges Hilfsmittel sein für die Siche-
rung des Rechtsgefühls der Welt." Diese
Worte sind gar nicht begreiflich, wenn man
sich vorstellt, daß Descamps hier ledig-
lich darauf anspielt, es sei eine Auswahl von
Richtern und ein Bureau geschaffen worden.
Nein, die Tatsache,, daß fortan ein Richter-
k o 1 1 e g i u m im Name(n der Staaten fungiert,
ist offenbar allein entscheidend. Denn was
anders ist, wie Descamps sagt, von den
Völkern ersehnt worden ?
Aber noch ein anderer Punkt weist darauf
hin, daß der Haager Schiedshof in seiner
Gesamtheit nicht lediglich eine Richterliste,
sondern ein wirkliches Gericht darstellt.
Man mache sich doch einmal klar, wie sonst
die Worte „Cour permanent d'arbitrage" zu
erklären wären. Entweder sind diese Worte
ein barer Nonsens, denn eine Richterliste
ist eben etwas anderes wie ein Tribunal,
oder wir haben es wirklich mit einem stän-
2 86
<§s
= DIE Fßl EDENS ->\*\BXE
digen Schiedsgerichte, das freilich lose or-
ganisiert ist, zu tun.
Darauf deutet auch die Ueberschrift der
von dem Haager Schiedshöfe gefällten Ur-
teile deutlich hin, auf denen ausnahmslos
zu lesen ist: „Cour permanente d'arbitrage."
Jedes Schiedsgericht ist eben ein für den
Einzelfall zusammengetretener Teil des ge-
samten Gerichtes. Oder was soll sonst die
Ueberschrift bedeuten ? Der Unterschied er-
gibt sich klar, wenn man ein im internatio-
nalen Bureau des Haager Schiedshofes ge-
fälltes Urteil eines besonderen Schieds-i
gerichtes zur Hand nimmt. So steht z. B.
über der Entscheidung des russisch-türkischen
Schiedsgerichts vom 11. November 1912:
„Urteil des Schiedsgerichts vom . . ., zu-
sammengetreten auf Grund des Schieds-
vertrages — ". Wie kann man, muß man
fragen, überhaupt von zwölf Urteilen des
Haager Schiedshofes reden, wenn man den
Hof lediglich als eine Liste von Richtern
.auffaßt ? Dann ist doch jedes Urteil die
Entscheidung eines besonderen Tribunals,
das im1 Namen ganz verschiedener Staaten
gesprochen hat. Der Sachlage wird man
nur gerecht, wenn man davon ausgeht,
daß alle einzelnen Tribunale Kammern eines
einheitlichen Weltgerichtshofes sind.
Durch die Worte „Cour permanente
d'arbitrage" über jedem1 Urteile wird also
meines Erachtens schon völlig deutlich her-
vorgehoben, in wessen Namen die Urteile I
des Haager Schiedshofes gefällt werden.
Denn ist, wie jene Ueberschrift sagt, das
einzelne Schiedsgericht nur ein Teil de9
Schiedshofes, so urteilt es im Namen derer,
die den Schiedshof als solchen eingesetzt
haben, nämlich der Signatarstaaten der
zweiten Haager Friedenskonferenz. Es ist
deshalb kein so dringendes Bedürfnis, wie
dies Schücking (a. a. O. S. 44) vorschlägt,
über die Schiedssprüche die Worte zu setzen:
„Im Namen der Staatengemeinschaft." Auch
in Deutschland werden keineswegs alle Ur-
teile, rein äußerlich, im Namen des Kaisers
oder des Reiches gesprochen. So erläßt das
Reichsmilitärgericht nach § 13 seiner Ge-
schäftsordnung vom 13. März 1909 seine
Entscheidungen unter der Ueberschrift: „Das
Reichsmilitärgericht". Und auch das Reichs-
patentamt, zwar kein Gericht, aber immer-
hin eine verwaltungsgerichtliche Reichs-
behörde, schreibt über seine Urteile eben-
falls nicht „Im Namen des Reiches", sondern
„Im Namen des Patentamts". (Patentgesetz
§ 15.) So genügt meines Erachtens die
Ueberschrift „Ständiger Schiedshof" voll-
kommen, um anzudeuten, daß die Urteile im
Namen der Staatengemeinschaft gesprochen
werden. Hervorgehoben sei noch, daß sich
in vielen Recueil des actes et protocoles du
tribunal d'arbitrage eine wörtliche Abschrift
des Urteils nicht findet, sondern nur der
Wortlaut dessen, was der Generalsekretär
in der Schlußsitzung verliest. Da nun hier-
bei die Worte „Ständiger Schiedshof" ebenso-
wenig hinzugefügt werden wie bei der Ver-
kündigung der Urteile in der preußischen
Gerichtspraxis die Worte „Im Namen des
Königs", so ist aus dem1 Protokolle ider
Schlußsitzung nicht zu entnehmen, welche
Ueberschrift die Urteile tragen. Aber die
Ausfertigungen der Entscheidungen enthalten
alle zunächst die erwähnten Worte.
Dies sind die entscheidenden Punkte, die
mich von der Richtigkeit der Schücking-
schen Auffassung vollkommen überzeugt
haben. Dagegen möchte ich aus der Tat-
sache, daß die Schiedsrichter bei Ausübung
ihrer Funktionen exterritorial sind, keine
weiteren Folgerungen ziehen. Ichgaube nicht,
daß Schücking die bisherige Praxis der
Schiedsgerichtsbarkeit für sich hat, wenn er
meint, früher sei es regelmäßig anders ge-
wesen.
Je mehr ich über das hier behandelte
Problem nachdenke, um so richtiger erscheint
mir die Schücking sehe Auffassung von
der Stellung des Haager Schiedshofes. Be-
reits hat nun ein hervorragender deutscher
Gelehrter die Darstellung Schückings für zu-
treffend erklärt. In seiner vor wenigen Tagen
in Heft 2 der „Zeitschrift für Völkerrecht"
erschienenen Arbeit, „Die Stellung des Haager
Schiedshofes", spricht K o h 1 e r von der
„altgeschichtlichen Betrachtung, die davon
ausging, daß internationale Schiedsgerichte
nur speziell mit den zwei Staaten, die sie
ernannten, zu tun hätten, und zu einer un-
richtigen Auffassung des Schiedshofes führe".
Der Haager Hof ist auch noch Kohl er
ein Organ des Weltverbandes, dessen Be-
deutung nicht etwa bloß ist, im einzelnen
Falle zu entscheiden, sondern durch seine
Entscheidung die Friedenszwecke der Kultur-
welt zu erfüllen. Es ist ein wahres Gericht,
das freilich nur unter Mitwirkung der Parteien
zusammentritt. K o h 1 e r führt für diese
Auffassung noch einen weiteren Grund an,
nämlich den, daß das Schiedsgericht seine
Zuständigkeit selbständig bestimmen könne.
(Artikel 73 des Haager Abkommens.) "Darin
stimme ich Kohl er nicht zu. Denn die
Anwendung des Artikels 73 erfolgt nur, wenn
die Parteien dies wünschen. Sie haben ge-
mäß Artikel 51 das Recht, eine abweichende
Vereinbarung zu treffen. Daher beruht auch
die Zuständigkeitserklärung des Artikels 73
auf wesentlich schiedsrichterlicher Grundlage.
Ausdrücklich oder stillschweigend erklären
sich die Parteien damit einverstanden, daß
das Schiedsgericht selbst seine Kompetenz
bestimme.
Wie wenig sich die Staaten darüber klar
sind, daß wir im Haag nicht nur eine Richter-
liste, sondern auch einen ständigen Schieds-
hof haben, geht daraus hervor, daß viele
Kompromisse und ständige Schiedsverträge
falsch formuliert sind. Nur in vier von
287
DIE FßlEDENS-^fc^BTE
neun dem! Haager Schiedshöfe (im Gegen-
satze zu den besonderen Schiedsgerichten)
überwiesenen Fällen ist das Kompromiß im
wesentlichen richtig redigiert, indem' es
heißt: „Der Streitfall soll dem1 Haager
Schiedshöfe unterbreitet werden." (So un-
gefähr im1 Venezuela-, Maskat, Canevaro-
und Carthagefalle.) Dagegen lauten die
übrigen Kompromisse etwa: „Der Streitfall
soll einem Schiedsgerichte überwiesen wer-
den, dessen Mitglieder aus der Liste des
Haager ständigen Schiedshofes gewählt
werden."
Dagegen sind die ständigen. Schieds-
verträge meist richtig abgefaßt. Dort heißt
es in der Regel : „Streitigkeiten sollen dem1
Haager ständigen Schiedshöfe überwiesen
werden." (So insbesondere das Modell des
französisch-englischen Schiedsvertrages, dem
mindestens 54 Verträge nachgebildet sind.)
Mir ist überhaupt nur ein von S t r u p p
(Archiv des öffentlichen Rechts, 1913, S. 588)
erwähntes Beispiel, nämlich Artikel 1 des
russisch-brasilianischen Schiedsvertrages, be-
kannt, wo der Wortlaut nicht ganz zweifels-f
frei ist. Dort heißt es nämlich: „ Richter,
die außerhalb der Liste des Schiedshofes ge-
wählt werden*"
Ebensowenig wie die , Staaten haben die
Schiedsrichter selbst die Schiedsgerichte zu-
treffend als Kammern oder Zusammenkünfte
des Haager Schiedsgerichtshofes bezeichnet.
Entweder heißt es in dem Urteile lediglich :
„Der Streitfall wurde einem Schiedsgerichte
übergeben" (so in den Entscheidungen des
japanischen, des Maskat-, des Casablanca-
und Neufundlandstreites), während es heißen
müßte: „Der Fall wurde dem Haager Hofe
überwiesen." In den Urteilen bezüglich des
Orinoko-, Carthage- und Manoubafalles steht :
„Die Sache wurde einem Schiedsgerichte
übergeben, dessen Mitglieder aus der Liste
des Haager Hofes gewählt werden sollten."
Das Savarkar- und Canevarourteil sprechen
lediglich davon, daß die Konflikte „der
Schiedsgerichtsbarkeit" übergeben wurden.
Relativ am richtigsten sagen die Entschei-
dungen in den zwei ersten Prozessen, daß
„einem1 in Gemäßheit des Haager Abkommens
zusammengesetzten Tribunale" der Streitfall
überwiesen sei.
Außer Kohl er haben sich bisher
in der Literatur Lammasch, Meurer und
S t r u p p zu der Schücking sehen An-
sicht geäußert. Sie erblicken nach wie voi
in dem Haager Hofe lediglich eine Liste.
Lammasch sagt auf S. 221 seines Buches
„Die Rechtskraft internationaler Schieds-
sprüche" (1913), der Haager Hof sei nur
zu dem1 Zwecke errichtet worden, um den
Staaten die Auswahl der Richter und ins-
besondere die Stellung des Obmannes zu er-
leichtern. Das ist, wie oben bereits aus-
geführt, nicht zutreffend. Und wenn es
heißt : „Dans le but de faciliter le recours!
immediat ä l'arbitrage", so ist eben dieses
Ziel doch schon nach dem Wortlaute des Ab-
kommeis erheblich weiter gesteckt als ledig-
lich die Auswahl der Richter zu erleichtern.
Die Anrufung der gesamten Schiedssprechung
soll den Staaten bequemer gemacht werden,
indem ein Zentralorgan im Haag geschaffen
wird. Im1 übrigen ist nicht lediglich der
Wortlaut des Abkommens, sondern auch der
Descampsche Bericht zur Auslegung heran-
zuziehen. Bleibt dieser doch nach den
Worten eines berühmten Gelehrten für alle
Zeiten die wichtigste Quelle der Auslegung.
Aus den Ausführungen von Lammasch
ergibt sich deutlich, daß er den von
Schücking betonten Unterschied zwischen
der Rechtsprechung im Namen und im Auf-
trage der Staatengemeinschaft nicht be-
achtet hat.
Wenn S t r u p p (Archiv des öffentlichen
Rechts, 1913, S. 588) sagt, „Mitglied des
ständigen Schiedsgerichtshofes im Haag be-
deutet nicht, daß der einzelne wirklich Schieds-
richter Sei, sondern einzig und allein, daß das
einzelne Mitglied eine spes hat", so mache
ich darauf aufmerksam, daß sich bei der Er-
öffnung des Haager Friedenspalastes die
sogenannten „Listenmänner" in corpore als
„Haager Schiedshof" versammeln werden, um
an der Zeremonie teilzunehmen. Nicht nur
hier erscheinen die Listenmänner als wirk-
liche Mitglieder eines Schiedsgerichtshofes.
Auch sonst werden sie stets als „Mitglieder
des Haager Schiedsgerichtshofes" bezeichnet.
Um1 die Ansichten hervorragender Völker-
rechtsgelehrter über diese Frage festzustellen,
habe ich unter den im folgenden abgedruck-
ten Rundfragen auch eine Antwort über dieses
Problem erbeten. Der Aufsatz ist zu einer
Zeit geschrieben, als das Rundschreiben noch
nicht versandt war.
Eine Rundfrage über das Haager Werk.
Als gegen Ende des vorigen Jahrhunderts
anläßlich des Manifestes des Zaren über die
Einberufung der ersten Haager Friedens-
konferenz eine Anzahl hervorragender Per-
sönlichkeiten über den Plan des russischen
Kaisers und die Friedensidee befragt wurden,
war das Ergebnis nicht viel mehr als eine
allgemeine Verspottung. Wie man heute, in
dem Jahre der Einweihung des Friedens-
palastes, in Deutschland über die Idee einer
Völkerverständigung denkt, das zeigt ar
besten die große Sympathie und die An-
hängerschar, deren sich der „Verband für
internationale Verständigung" erfreut. Es
gibt daher heute schon eine machtvolle
Strömung zugunsten einer Besserung der Be-
ziehungen der Völker und einer allmählichen
juristischen Organisation der Welt. Eine
288
SS
= DIE FRI EDENS -^ÄKTE
Enquete über diese Probleme würde daher
heute ganz anders ausfallen.
Weil aber die Friedensidee von Jahr zu
Jahr eine immer größere Macht ausübt,
werden ihre Probleme in der Oeffentlich-
keit heute so oft diskutiert, daß man wohl
über die Stärke der Friedens- und der Kriegs-
apostel im wesentlichen orientiert ist. Auch
die Hetzer spielen heute noch eine große
Rolle, wie die neueste ausgezeichnete Publi-
kation des Verbandes für internationale Ver-
ständigung: „D er deutsche Cha,u vinis-
m u s" beweist. Aber führende Persönlichkeiten
der Admiralität, des Handels und der In-
dustrie, ja sogar aktive deutsche Studenten-
korporationen, die bisher von dem alldeutschen
Verbände in Beschlag genommen wurden,
sind Mitglieder des Verbandes für inter-
nationale Verständigung geworden. Dies
deutet scharf die Entwicklung an. Warum
also eine Rundfrage an die breite Oeffent-
lichkeit richten, deren Ergebnis doch mehr
oder weniger von der zufälligen Wahl der zu
Befragenden abhängig sein würde ! Besser
erschien es, denen, die sich aus Beruf und
Neigung mit den Problemen der Haager
Friedenskonferenzen befassen, einige grund-
legende Fragen aus diesem Gebiete vor-
zulegen. Einmal kommen hierdurch nur
wirklich Sachkundige zu Worte. Dann aber
wird es auch ermöglicht, ein wirklich objek-
tives Bild von den Ideen unserer Zeit über
das Haager Werk zu geben, weil man diesen
begrenzten Kreis von Fachgelehrten und
Diplomaten ziemlich vollständig befragen
kann und das Ergebnis nunmehr nicht mehr
vom Zufall abhängt.
Wir haben uns daher an vierzig an-
gesehene Völkerrechtslehrer und Diplomaten
gewandt und ihnen insgesamt sieben Fragen
vorgelegt. Fast alle haben eine Antwort
eingesandt, und meist über sämtliche Punkte.
Ihre Ansichten haben geäußert :
1. Geheimrat v. B a r, Professor in Göttingen,
Mitglied des Haager Schiedsgerichts-
hofes und des Instituts für internatio-
nales Recht.
2. Früherer holländischer Minister des
Auswärtigen de Beaufort, erster
holländischer Delegierter zur zweiten
Haager Friedenskonferenz.
3. Professor Frhr. v. Dungern in Czer-
nowitz.
4. Professor Ebers in Münster i. W.
5. Professor Erich in Helsingfors.
6. Professor Jhr. vanEysingain Leyden.
7. Professor Fleischmann in Königs-
berg i. Pr.
8. Professor G i e s e in Posen.
9. Staatsminister Gram, Gouverneur in
Upsala, Mitglied des Haager Schieds-
gerichtshofes und des Instituts für inter-
nationales Recht.
10. Exzellenz Hagerup, norwegischer Ge-
sandter in Kopenhagen, erster Delegierter
zur zweiten Haager Friedenskonferenz,
Mitglied des Haager Schiedsgerichts-
hofes des Instituts für internationales
Recht.
11. Professor Heilborn in Breslau.
12. Professor Frhr. Hold v. Ferneck
in Wien, Delegierter zur Londoner See-
kriegsrechtskonferenz.
13. Professor Max Huber in Zürich, Dele-
gierter zur zweiten Haager Friedens-
konferenz.
14. Ministerialrat Jhr. de Jong van
Beek en Donk im Haag.
15. Professor Wilhelm Kaufmann in
Berlin, Associe" des Instituts für inter-
nationales Recht.
16. Geheimrat Kohl er in Berlin.
17. Excellenz L a b a n d , Professor in Straß-
burg.
18. Professor La Fontaine, Senator in
Brüssel, Direktor des „Office Central des
associations internationales."
19. Hofrat Lammasch, Professor in Wien,
Mitglied des Haager Schiedsgerichts-
hofes und des Instituts für internatio-
nales Recht, Delegierter zu beiden Haager
Friedenskonferenzen.
20. Professor de Louter in Utrecht,
Associe des Instituts für internationales
Recht.
21. Amerikanischer Gesandter Marburg in
Brüssel.
22. Geheimrat M e u r e r , Professor in Würz-
burg, Associe des Instituts für internatio-
nales Recht.
23. Professor Neubecker in Berlin.
24. Professor Nippold in Oberursel am
Taunus.
25. Schweizerischer Gesandter O d i e r in
St. Petersburg, Delegierter zur ersten
Haager Friedenskonferenz.
26. Professor Oppenheim in Cambridge,
Mitglied des Instituts für internatio-
nales Recht.
27. Excellenz Staatsminister Frhr. von
P 1 e n e r in Wien, Präsident des Ober-
rechnungshofes, Mitglied des Haager
Schiedsgerichtshofes und Associe des In-
stituts für internationales Recht.
28. Professor P o 1 i t i s in Paris, Associe des
Instituts für internationales Recht.
29. Professor Rehm in Straßburg.
30. Professor S c h o e n in Göttingen.
31. Privatdozent Schoenborn in Heidel-
berg.
32. Professor Schücking in Marburg,
Associe des Instituts für internationales
Recht.
33. Dr. Karl Strupp in Frankfurt am
Main.
34. Professor van Vollenhoven in
Leyden.
Man erkennt ohne weiteres, daß es sich
hier durchaus nicht nur um pazifistisch ge-
sinnte Persönlichkeiten handelt. Uns lag
daran, ein objektives Büd von den Ansichten
der maßgebenden Kreise über das Haager
289
DIE FRIEDENS -^ÖJiTE
®
Werk zu geben. Das war aber nur möglich,
wenn Männer jeder Richtung zu Worte
kamen. So haben wir sogar unseren, größten
Gegner, Frhrn. v. Stengel in München,
um seine Meinung gebeten. Er hat aber
geschrieben, er sähe den Zweck dieser Rund-
frage nicht ein. Bevor nunmehr die Fragen
und Antworten wiedergegeben werden, sei
darauf hingewiesen, daß bezüglich der dritten
Frage bei den Gegnern der Schücking-
schen Ansicht nicht überall zwischen der
Entscheidung ,,im Auftrage" und ,, im Namen"
der Staatengemeinschaft unterschieden wird.
Das ist wesentlich. Auch Schücking hat
nie behauptet, der Haager Hof urteile im!
Auftrage der Staatengemeinschaft. (Vgl. z.B.
La b an ds' Antwort.) Dr. H. W.
I. War die Errichtung des Haager Schiedsgerichtshofes im jähre 1899 von ent-
scheidender Bedeutung für die Entwicklung des Völkerrechts; und hat sich der Haager
Schiedsgerichtshof bewährt?
v. Bar: Der Haager Schiedshof hat sich
meiner Ansicht nach bewährt. Seine Tätig-
keit fördert auch die Entwicklung des Völker-
rechts. Aber letztere wird auch in Zukunft
wie bisher in der Haupts ache durch die
Wissenschaft bewirkt werden.
de Beaufort: Sie war gewiß von entscheiden-
der Bedeutung.
Frhr. v. Dungern: Die Errichtung eines
internationalen Schiedsgerichtshofs in der
gegenwärtigen Form hat fraglos die Erledigung
solcher internationalen Streitfragen, wegen
welcher die Parteien einen Krieg nicht
wünschen, erleichtert. Sie bedeutet einen Ver-
such der Unifikation des völkerrechtlichen
Schiedsverfahrens. Darin liegt ein bedeutsamer
Fortschritt in der Entwicklung des Völkerrechts.
Ebers: Jal Unbedingt.
Erich: Jal ,
Jhr. van Eysinga: Ohne jeden Zweifel!
Fleischmann: Sollte es nicht vermessen sein,
auf eine Frage zu antworten, ob die Errichtung
des Haager Schiedshofes im Jahre 1899 von
entscheidender Bedeutung für die Entwicklung
des Völkerrechts gewesen ist? Ich glaube
heute nicht mehr. Seitdem sich der Schieds-
hof in seiner bescheidenen Organisation be-
reits als ein Mittel bewährt hat, den Keim
für manchen Völkerzwist auszurotten, selbst in
politisch heiklen Fragen, wie sie Casablanca
und Maskat boten, darf man — an dem Maße
des Fortschritts gemessen, mit dem die Jahr-
hunderte zuvor das Völkerrecht an Bescheiden-
heit gewöhnt haben — diese Frage wohl be-
jahen. Aber man muß die Früchte reifen
lassen. Man öffne erst noch weiter und reich-
licher die Archive, in denen, wie Freiherr v.
Marschall auf i\er zweiten Friedenskonferenz er-
klärte, gar mancher Streitfall der Entscheidung
harrt. (Ich nehme an, daß auch der bald
100 jährige Fall Neutral-Moresnet dazu gehört.)
So lasse man das Werkzeug, wie es zurzeit
vorhanden ist, daran erst seine Fähigkeit weiter
erproben.
Giese : Zweifellos : Ja !
Gram: Die Errichtung des Haager ständigen
Schiedshofes im Jahre 1899 war keine revo-
lutionäre Maßregel und sollte es auch nicht
sein. Die darauf bezüglichen Bestimmungen
sind maßvoll und vorsichtig abgefaßt worden.
Die Bedeutung dieses Ereignisses besteht
darin, daß es einen weisen Fortschritt auf dem
richtigen Wege darstellt. Zudem wirkt das Vor-
handensein eines solchen Gerichtshofes — selbst
wenn er noch nicht so oft abgerufen worden ist,
wie die Anhänger der Völkerverständigung er-
290
warten konnten — stark auf das öffentliche
Gewissen in allen zivilisierten Staaten.
Wenn man also die bisherigen segensvollen
Wirkungen der Schaffung des Haager Hofes
nicht übertreiben darf, so läßt sich doch wohl
sagen, daß sich diese Einrichtung bewährt hat.
Hagerup: Ich habe diese Frage auf meiner
Rede in der Genfer Interparlamentarischen Ver-
sammlung beantwortet.
Heilborn: Ich glaube, daß sich der Haager
Schiedshof bewährt hat, halte es aber nicht
für möglich, bereits heute ein Urteil darüber
abzugeben, ob die Errichtung von entscheidender
Bedeutung für die Entwicklung des Völkerrechts
gewesen ist. Das kann man meines Eraehtens
erst sagen, wenn seine Anrufung regelmäßige
Praxis geworden ist und wenn seine Entschei-
dungen einen dauernden Einfluß auf die Rechts-
entwicklung haben ausüben können.
Frhr. Hold v. Ferneck: Daß die Errichtung
des Haager Schiedshofes von entscheidender Be-
deutung für die Entwicklung des Völkerrechts
gewesen ist, glaube ich nicht annehmen zu
dürfen, da ja eine Verpflichtung, den Schieds-
hof anzurufen, nicht geschaffen wurde. Da-
gegen ist nicht zu bestreiten, daß sich der
Schiedshof aufs beste bewährt hat.
Huber: Die Errichtung des Haager Schieds-
hofes hat unzweifelhaft einen entscheidenden
Einfluß auf das Schiedsgerichtswesen und über-
haupt auf das Eindringen der Justizidee in
Völkerrecht und Politik gehabt. Die Institution
hat sich auch bewährt.
de Jong: Ohne Zweifel hat die Errichtung
des Haager Schiedsgerichtshofes im Jahre 1899
nicht nur eine außerordentliche Bedeutung für
den Völkerfrieden gehabt, sondern diese Tat
war auch von ungemeinem Einflüsse für die
Entwicklung des Völkerrechts. Auch wenn
vielleicht der Haager Schiedsgerichtshof in ge-
wissen Fällen mehr einen vermittelnden Spruch
als eine strengjuristische Entscheidung gefällt
hat, so ist doch andererseits zu bedenken, daß
erst die Errichtung des Haager Schiedsgerichts-
hofes im Jahre 1899 die bevorstehende Schaf-
fung eines wahrhaften permanenten Gerichts-
hofes im Jahre 1915 ermöglicht hat.
Kaufmann: Ich habe die Errichtung des
Haager Schiedshofes im Jahre 1899 als ein
für die Entwicklung des Völkerrechts prinzipiell
bedeutsames Ereignis mit Freude begrüßt. Die
Anfänge waren naturgemäß besonders schwierig,
aber schon so bemerkenswert, daß man von
der Zukunft Größeres erhoffen kann,
Kohler: Ja!
<§£
DIE Fßl EDENS ->\ÄRTE
Laband: Das Haager Schiedsgericht ist un-
zweifelhaft eine wichtige und. interessante Er-
scheinung in der Geschichte des Völkerrechts,
aber von entscheidender Bedeutung 'für
die Entwicklung des Völkerrechts ist es bisher
noch nicht geworden. Es besteht aber die Aus-
sicht, daß es sie durch die Entscheidung zahl-
reicher kasuistischer Fragen allmählich er-
langen wird.
La Fontaine: Ich bin davon überzeugt, daß
die Schaffung des Haager Schiedshofes, obgleich
seine Form augenscheinlich unvollkommen ist,
als ein Ereignis ersten Ranges bezeichnet werden
muß, einmal vom Standpunkte der Entwicklung
des Völkerrechts, ganz besonders aber im Hin-
blick darauf, daß der Schiedshof dem Ge-
wissen der Menschheit als Wahrzeichen für die
juristische Organisation der Staaten voran-
leuchtet. Ganz gewiß wird fortan die Idee,
daß das Recht an die Stelle der Gewalt treten
muß, die Staatenbeziehungen von Tag zu Tag
mehr beeinflussen und sich zum Siege durch-
ringen.
Lammasch: Beide Fragen bejahe ich mit
vollster Entschiedenheit.
de Louter: Zweifellos hat die Errichtung
des Haager Schiedsgerichtshofes eine entschei-
dende Bedeutung, weil sie der erste Schritt zur
Einheit der völkerrechtlichen Entscheidungen
gewesen ist.
Marburg: Die Einsetzung eines ständigen
Schiedsgerichtshofes im Haag war nicht nur
deshalb von allergrößter Bedeutung, weil sie
gleichsam ein Werkzeug für die Schiedsgerichts-
barkeit schaffte, sondern auch, weil sie die
Menschen ermutigte, öfters daran zu denken,
daß es möglich ist, an die Stelle des Krieges
ein Schiedsgericht zu setzen.
Meurer: Ja!
Neubecker : Ich stehe nicht an, beide Fragen
zu bejahen.
Nippold: Ja!
Odier: Ich glaube, daß die Konferenz von
18D9 ein bedeutsames Werk geschaffen hat. Sie
setzte den Beitritt einer großen Anzahl von
Staaten zu j2em Prinzipe der Schiedsgerichts-
barkeit als einer geeigneten Lösung von Staaten-
streitigkeiten durch. Sie hat also einen großen
Fortschritt des Völkerrechts verwirklicht, und
der Haager Hof hat bereits wertvolle Arbeit ge-
leistet.
Oppenheim: Ganz gewiß!
Frhr. v. Plener: Der Haager Schiedsgerichts-
hof hat sich unzweifelhaf t " bewährt. Die Zahl
der ihm unterbreiteten Fälle ist zwar nicht
groß, einige darunter waren aber von erheblicher
politischer Bedeutung, wie z. B. die Neufund-
landfrage.
Politis: Unzweifelhaft bedeutet der Haager
ständige Schiedshof einen großen Fortschritt
im Völkerrecht und stellt den ersten Schritt
dar auf dem Wege zur Organisation der inter-
nationalen Rechtsprechung.
Rehm: Sie war von entscheidender Bedeu-
tung, denn sie hat den Gedanken allgemeiner
Schiedsabkommen zwischen Staaten gefördert.
Der Schiedshof hat sich bewährt.
Schoen: Die Errichtung des Haager Schieds-
hofes ist zweifellos eine der wichtigsten Mark-
steine in der Geschichte des Völkerrechts. Sie
hat dem in der Völkerrechtsgemeinschaft sich
dauernd weiteren Boden erobernden Gedanken,
daß allein die Erhaltung des Friedens allen zum
Vorteile gereicht und zu erstreben sei, geeig-
neten Ausdruck verliehen. Nicht unrichtig da-
tieren einige von ihr eine neue Aera in der
Geschichte des Völkerrechts. Daß der Schieds-
hof sich bewährt und segensreich gewirkt hat,
steht außer Zweifel. Ob er von steigendem
Einflüsse auf die Entwicklung des Völkerrechts
sein wird, wird davon abhängen, inwieweit er
sich in seinen Entscheidungen durch Rechts-
grundsätze leiten lassen und seinen Urteilen
entsprechende Begründungen beigeben wird.
Schoenborn : Ja !
Schücking: Seit das Völkerrecht als eine
besondere Rechtsdisziplin existiert, ist meines
Erachtens kein Ereignis zu verzeichnen, daß
für die Fortbildung dieser Materie und damit
für die Ausdehnung der Herrschaft des Rechts
auf der Erde fruchtbringender gewesen wäre,
wie die Errichtung des Schiedsgerichtshofes
durch die erste Haager Konferenz von 1899.
Dieser Gerichtshof hat sich jedenfalls für die
Erledigung von Rechtsstreitigkeiten unter den
Staaten trefflich bewährt, und zwar, wie die
Casablanca-Affäre beweist, auch für die Er-
ledigung solcher Rechtsfragen, die durch die
Erregung der öffentlichen Meinung hüben und
drüben schon eine politische Affäre geworden
sind. i
Strupp: Beide Fragen dürfen meines Er-
achtens unbedingt bejaht werden. Ich trage
keine Bedenken, das Jahr 1899, wie es v. Liszt
und Schücking getan haben, als den Beginn
eines neuen Abschnittes der Weltgeschichte zu
bezeichnen. Fälle, wie der Casablanca-, der
Neufundland-, der „Carthage"- und „Manuba"-
Fall, die in früheren Zeiten höchst wahrschein-
lich zu ernsten Konflikten geführt haben
würden, zeigen aufs deutlichste, daß sich der
Schiedsgerichtshof bewährt hat.
van Vollenhoven : Die Errichtung des
Schiedshofes war von entscheidender Bedeutung.
Auch hat sich der Haager Hof bewährt.
li. Ist es wünschenswert, daß auf der dritten Haager Friedenskonferenz neben dem
Haager Hofe ein Schiedshof mit dauernd im Haag tagenden Richtern (Cour de la
justice arbitrale) zustande kommt?
v. Bar: Dieser Ansicht bin ich nioht.
Ich halte es für richtiger — namentlich wenn
durch Schiedssprüche Kriege vermieden werden
sollen — , das Schiedsgericht jedes Mal für den
einzelnen Fall zu bilden, aber einerseits die
Zahl der eingetragenen Mitglieder durch be-
währte Persönlichkeiten zu verstärken, die nicht
Diplomaten oder halbdiplomatische Beamte,
vielmehr ausschließlich Rechtskundige sind, so-
dann, um Verzögerungen und andere Schwierig-
keiten zu vermeiden, dem Bureau des Haager
Schiedshofs eine andere Organisation und weiter-
gehende Befugnisse zu geben. Die Richter
müßten sämtlich auf Lebenszeit ernannt werden.
Frhr. v. Dungern : Eine solche Umgestaltung
wäre eine Vervollkommnung des Verfahrens ; da-
mit also ein weiterer Fortschritt im prak-
tischen Ausbau des Schiedsgedankens. Doch
291
DIE FBlEDENS-^i^ßTE
:&
fürchte ich, daß diese Umgestaltung1 den Wir-
kungskreis gerade des Haager internationalen
Tribunals kaum vergrößern würde; wenigstens
was die Bedeutung der ihm unterbreiteten
Fragen betrifft.
Ebers: Ja, ich glaube aber nicht, daß sich
dieser Gedanke schon jetzt bez. auf der
3. Konferenz verwirklichen läßt.
Erich: Unbedingt I
Jhr. van Eysinga: Lieber eine kleine
ständige „Delegation" aus dem Haager Hof.
Um den bekannten Schwierigkeitein anläßlich
der Zusammenstellung vorzubeugen, müßte diese
„Delegation" auf dem Grundsatz fußen, daß
keiner der Streitteile in ihr vertreten sein darf.
Einer der „juges suppleants" hätte dann
Sitzung zu nehmen für den Fall, daß ein
Richter Angehöriger einer der Streitteile wäre.
Fleischmann : Das Werk vom Haag, und
darunter auch das Schiedsverfahren, ist auch
ein politisches Mittel. Und die politische Welt
steht ihm noch vielfach skeptisch gegenüber.
Darum rate ich zu vorsichtigem Schritte in
der Errichtung eines Schiedshofes mit dauernd
tagenden Richtern. Die Einrichtung will durch
die Sachlage gerufen, nicht aufgedrängt sein,
um in der politischen Luft eine volle Wirk-
samkeit zu entfalten.
Giese : Die Errichtung eines solchen Schieds-
hofes würde für die Entwicklung des Völker-
rechts sehr förderlich sein, aber ich glaube
kaum, daß sich dieselbe praktisch rechtfertigen
läßt, da die Anzahl der diesem Schiedshof vor-
gelegten Streitfälle zu gering sein würde.
Gram: Hoffentlich wird eine nahe Zukunft
den weiteren Fortschritt der Prinzipien erleben,
die die Grundlage der gegenwärtigen Recht-
sprechung bilden, und zwar entsprechend dem
durch die zweite Haager Friedenskonferenz
ausgesprochenen Wunsche durch die Schaffung
einer Cour de la justice arbitrale.
Hagerup: Ich habe mich in meiner Rede
auf der Interparlamentarischen Versammlung
zugunsten einer Cour de la justice arbitrale
ausgesprochen.
Heilborn: Ich halte es für wünschenswert,
sofern dem Gerichtshof zivilrechtliche Klagen
gegen fremde Staaten zur Aburteilung über-
wiesen werden. Als Gerichtshof zur Ent-
scheidung von Staatenstreitigkeiten völkerrecht-
licher Natur könnte er — einstweilen — die
Neigung zur Anrufung des Schiedsgerichts be-
denklich abschwächen.
Frhr. Hold v. Ferneck: Die Errichtung der
Cour de justice arbitrale neben der Cour
permanente d'arbitrage böte wohl manche
Vorteile. Doch werden sich die Regierungen
in wichtigen Streitfällen sicherlich lieber an
die Cour permanente wenden, da sie begreif-
licherweise Wert darauf legen, die Streitig-
keiten durch Richter ihrer Wahl und ihres
Vertrauens entscheiden zu lassen.
Hnber: Die Häufigkeit der schiedsrichter-
lichen Entscheidung von Staatenstreitigkeiten
ist weniger bedingt durch die größere oder
geringere Leichtigkeit der Bildung bzw. An-
rufung des Gerichtes, als durch die Geneigt-
heit der Staaten zur Betretung des Rechts-
weges überhaupt. Diese letztere würde wohl
eher vermindert — wenigstens in Fällen von
größerer Bedeutung — , wenn die Parteien keinen
Einfluß auf die Besetzung des Gerichts im
Einzelfalle hätten. Die Analogie zum Bundes-
staat in bezug auf zwischenstaatliche Gerichts-
barkeit ist unzutreffend.
de Jong: Es ist wünschenswert, daß im
Jahre 1915 ein wahrhaft permanenter Gerichts-
hof errichtet wird, vorausgesetzt, daß — wie
auch Professor L. Oppenheim (Cambridge) in
„Die Zukunft des Völkerrechts" fordert — da-
neben der jetzige Haager Schiedsgerichtshof
bestehen bleibt. Die Regierungen sollen also
berechtigt bleiben, ihre Meinungsverschieden-
heiten einem Ausspruche des bestehenden
Schiedsgeriohtshofes zu unterwerfen, in welchem
Falle sie die Richter selbst wählen, und im Kom-
promiß bestimmen können, daß sie nicht aus-
schließlich eine Rechts entscheidung verlan-
gen. Die Zusammensetzung dieses permanenten
Gerichtshofes, der. nur in Wirkung treten soll,
falls beide Parteien diesen Hof bevorzugen,
kann 1915 nicht mehr diese Schwierigkeiten
bieten, welche im Jahre 1907 die Verwirklichung
der prinzipiell, angenommenen Idee verhindert
haben.
Kaufmann: Auch die Bildung eines stän-
digen Schiedsgerichtshofes (Cour de justice
arbitrale) im Haag, dessen Zusammensetzung
allerdings noch ein schwieriges Problem ab-
gibt, schiene mir wünschenswert. Namentlich,
wenn gleichzeitig wenigstens für gewisse Ma-
terien die Schiedssprechung nicht bloß obli-
gatorisch gemacht, sondern auch in Ermangelung
abweichender Vereinbarung der Parteien diesem
ständigen Schiedsgerichtshof überwiesen würde.
Es hätte dies zu geschehen für eine Reihe
gewissermaßen alltäglicherer Streitigkeiten
zwischen Staaten und — für gewisse inter-
nationalrechtliche Streitigkeiten von Privaten.
Für letztere könnte er möglicherweise, ähnlich
dem Internationalen Prisenhofe, nur als Re-
kursinstanz über den nationalen Gerichten zu-
ständig gemacht werden. Ihm könnte ferner
die mit Recht neuerdings vielfach verlangte
internationale Schiedsgerichtsbarkeit für Strei-
tigkeiten von Privaten mit fremden Staaten
zugewiesen werden.
Aber daneben wäre der bisherige sog. stän-
dige Schiedshof aufrechtzuerhalten.
Kohler : Ja !
Laband : Neben dem Haager Schiedshof
noch einen dauernd tagenden Gerichtshof zu
errichten, scheint mir nicht nur überflüssig,
sondern geradezu schädlich zu sein. Selbst die
Umwandlung des Haager Gerichtshofes in einen
dauernd tagenden halte ich für sehr bedenklich,
da es ihm an der genügenden Beschäftigung
fehlen würde.
La Fontaine: Das ist nicht nur wünschens-
wert, sondern eine unbedingte Notwendigkeit.
Nur ständige Richter können eine Kontinuität
in der Rechtsprechung gewährleisten und an
der Bildung des Völkerrechts wirksam mit-
arbeiten. Die Schiedsrichter werden den Streit
stets durch einen Vergleich beizulegen suchen.
Zudem gibt es eine Reihe von Streitigkeiten
zwischen Privatpersonen und fremden Staaten,
die man einem internationalen Gerichtshofe
anvertrauen muß.
Lammasch : Neben dem bisherigen
Schiedsgerichtshofe halte ich die Einsetzung
der Cour de la. justice arbitrale für sehr
wünschenswert.
de Louter: Er ist unbedingt wünschenswert,
und zwar entweder neben oder anstatt des
I Haager Hofes.
292
m
DIE FRI EDENS ->M&BXE
Marburg: Ein wirklicher internationaler Ge-
richtshof mit einer Körperschaft von ständigen
Richtern, die vor allen Dingen hervorragende
Rechtsgelehrte sein müßten, ist wohl aß Er-
gänzung, nicht aber als Ersatz für den gegen-
wärtigen Hof wünschenswert. Für einen solchen
ergänzenden Hof sprechen folgende Gründe:
a) Der Wechsel der Persönlichkeiten beim
jetzigen Hof wirkt auf den Zusammenhang seiner
Entscheidungen und die daraus sich ergebende
Entwicklung des Völkerrechts nicht günstig ein.
b) Bei den Verfahren des jetzt bestehenden
Hofes nimmt das Prinzip der Schiedsgerichts-
barkeit, nämlich das Verlangen, eine Schwierig-
keit durch Vergleich aus der Welt zu schaffen,
einen breiten Raum ein. Kompromisse bilden
aber notwendigerweise wichtige Grundzüge eines
solchen Prinzipes. Eine große Nation, die recht
zu haben glaubt — und die vornehmsten Völker
müssen, wenn sie Klage führen, fühlen, daß
sie im Rechte sind — , wird mehr oder minder
abgeneigt sein, ein Gericht anzurufen, durch
das ihre wichtigsten Interessen gefährdet
werden könnten. Wenn sie dagegen zu einer
Entscheidung Vertrauen hat, die im Zusammen-
hange steht mit dem Geist des Gesetzes, so-
weit dieses Gesetz überhaupt entwickelt ist,
dann wird sie eher bereit sein, die Anwendung
von Gewalt aufzugeben, um zu ihrem Rechte zu
gelangen.
c) Beleidigter Stolz ist häufig die Ursache
internationaler Streitigkeiten. Der Stolz einer
Nation ist aber gerettet, wenn sie zustimmt,
einen Streit einem internationalen Gerichtshof
zu unterbreiten, und die Errichtung eines Hofes,
der nur nach dem Rechte urteilt, wird somit
die dadurch entstehenden Kriegsmöglichkeiten
aus der Welt schaffen.
d) Das Vorhandensein eines Hofes mit
ständigen Richtern wird die Schwierigkeiten
bei der Richterwahl beseitigen. Heute müssen
für jeden Streit neue Richter gewählt werden.
Auf diesem Wege wird auch eine Verringerung
der sehr hohen Ausgaben, die der jetzigen Ein-
richtung des Schiedsgerichtes anhaften, er-
möglicht werden.
e) Ebenso wie der bestehende permanente
internationale Schiedsgerichtshof die Aufmerk-
samkeit der Menschen auf die wachsende Mög-
lichkeit, Streitigkeiten krieglos zu schlichten,
lenkt, so würde ein internationaler Gerichtshof
die Menschen auf die Entwicklung des Völker-
rechts aufmerksam machen. Bei einem solchen
Hof würden wir wahrscheinlich während eines
einzigen Zeitalters Zeuge rascherer Entwick-
lung des Völkerrechts sein, als dies in vergange-
nen Jahrhunderten der Fall war. Ein Bei-
spiel der Art, wo die Errichtung eines Ge-
richtshofes das Verständnis für das Völker-
recht erhöht hat, ist die Tatsache, daß
der Vorschlag des Prisenhofes zu der Londoner
Seekriegskonferenz von 1908/9 führte, die das
Seekriegsrecht kodifizierte.
Meurer: Ja!
Neubecker: Jal
Nippold: Ich wünsche einen wirklichen stän-
digen Schiedsgerichtshof, aber nicht in der
Form der Cour de la justice arbitrale. Der
jetzige Haager Hof muß zu einem solchen aus-
gebaut werden.
Odier: Ich halte es für besser, wenn man
erst noch mehrere Jahre Erfahrungen mit der
gegenwärtigen Organisation sammelt und wartet,
bis sich die Anwendung derselben verallge-
meinert hat. Das ist wünschenswerter, als be-
reits jetzt einen wirklich ständigen Schiedshof
zu schaffen, der möglicherweise nur von einer
unzureichenden Anzahl von Staaten ange-
nommen würde.
Oppenheim: Ja!
Frhr. v. Plener: Das Projekt eines kleinen
permanenten aus Berufsrichtern bestehenden
internationalen Gerichtshofes wird voraussicht-
lich von amerikanischer Seite wieder aufge-
nommen werden. Die Schwierigkeiten, die das
Projekt bisher fand, sind noch nicht beseitigt.
Einmal ist es die Ernennung der Richter durch
die verschiedenen Staaten, bezüglich deren noch
kein neuer annehmbarer Vorschlag vorliegt.
Dann kommt die Gerichtsautonomie der einzel-
nen Staaten, welche sich überhaupt nicht leicht
herbeilassen werden, in Ausdehnung der Be-
stimmungen über den Prisenhof, einen Appell
gegen ihre nationalen Gerichte an einen inter-
nationalen Gerichtshof gelten zu lassen. Doch
ist es denkbar, daß, unter gewissen Vorbe-
halten, für internationales Privatrecht nament-
lich in jenen Partien, die vertragsmäßig ge-
regelt sind oder es werden können, wie Wechsel-
Scheck-, Teile des See- und Versicherungs-
rechtes, eine internationale Gerichtsbarkeit für
Streitigkeiten von Privatpersonen unterein-
ander anerkannt werde. Mehr als zweifelhaft
erscheint es jedoch, ob die Staaten die Er-
hebung von Rechtsansprüchen von Privatper-
sonen gegen sie vor einem internationalen Ge-
richtshof zugeben werden. Dagegen könnten
wohl Streitigkeiten von Staaten untereinander,
namentlich über Auslegung hichtpolitischer Ver-
träge und über andere juridischen Fragen unter
gewissen Vorbehalten an ein internationales Ge-
richt gewiesen werden, doch müßte es den Staaten
immer freistehen, statt des internationalen Ge-
richtshofs den Weg freier schiedsgerichtlicher
Austragung durch den Haager Schiedshof zu wählen.
Politis: Ich glaube, daß die Schaffung der
Cour de justice arbitrale neben dem jetzigen
Schiedshöfe äußerst wünschenswert ist und
von der dritten Friedenskonferenz verwirk-
licht werden müßte.
Rehm : Ja !
Schoen : Ob von der Errichtung eines solchen
Schiedshofes neben dem Haager Schiedshof
große und sichere Vorteile für die Praxis zu
erwarten sind, scheint zweifelhaft. Daß ein
nicht für den Einzelfall von den Parteien zu-
sammengesetzter Gerichtshof der Entwicklung
des internationalen Rechts mehr dienen wird
als der Haager Schiedsgerichtshof ist klar: er
wird der internationalen Rechtsprechung eine
Kontinuität sichern ; der Umstand, daß er nur
nach Rechtsgrundsätzen urteilt, wird das An-
sehen des Völkerrechts heben. Allein liegt es nicht
sehr nahe, daß die Staaten, wenn sie zwischen
ihm und dem Haager Schiedsgerichtshof in
jedem Falle wählen können, in allen wichtigen
Fällen sich für letzteren entscheiden werden,
auf dessen Zusammensetzung sie in concreto
Einfluß haben?
Schücking: Darin würde ich einen wesent-
lichen Fortschritt erblicken, nicht nur für die
Staatengerichtsbarkeit, sondern mehr noch als
Symptom der sich anbahnenden Organisation
der Kulturwelt.
Strupp: Ja!
van Vollenhoven : Für sehr wünschenswert !
293
DIE FBIEDEN5-^<M2TE
III. Ist bereits der jetzige Haager Schiedshof; wie Schücking behauptet, ein Organ des
Staatenverbandes, ein Weltgerichtshof, oder lediglich eine Liste von Richtern? Urteilt
also der Haaqer Hof im Namen des Staatenverbandes oder der jeweiligen Parteien?
v. Bar: Bis jetzt urteilt der Schiedshof
nur kraft Vereinbarung der Parteien, also im
Namen der Parteien. Er würde als im Namen
eines Staatenverbandes jedenfalls nur dann ur-
teilend angesehen werden können, wenn er auf
einseitiges Anrufen einer Partei seine Zu-
ständigkeit souverän feststellen und auch bei
Untätigkeit oder Widerspruch der beklagten
Partei zusammentreten und das Verfahren ein-
leiten könnte.
de Beaufort: Der Haager Hof urteilt im
Namen der Parteien.
Frkr. v. Dungern: Die Anerkennung der
Autorität des Haager Schiedsgerichtshofs be-
schränkt sich, scheint mir, bisher auf An-
erkennung eines in den Grundzügen geregelten
Verfahrens. Die bisherigen Anrufungen des
Schiedsgerichtshofes haben den Charakter von
bedingten Kompromissen. Ich vermag aus
keinem der bisher ergangenen Urteile heraus-
zulesen, daß Parteien oder Richter dabei
glaubten, ein Organ der Staatengesamtheit
handle im Haager Schiedsgerichtshof als Ent-
scheidungsbehörde dieser Gesamtheit für Fragen
des Völkerrechts. Ich glaube auch nicht, daß
eine solche Aufgabe objektiv erfüllt werden
kann, solange die subjektive Absicht fehlt.
Ebers: Der jetzige Haager Hof ist meines
Erachtens noch nicht ein Weltgerichtshof, so
daß er schon im Namen des Staatenverbandes
urteilt, kann und wird dies aber hoffentlich
noch werden.
Erich: Die Ausdrücke und Bestimmungen
des Abkommens scheinen mir in dieser Hin-
sicht nicht ganz unzweideutig zu sein. Jeden-
falls hat der Schiedshof materiell die Be-
deutung eines Weltgerichtshofs, ihr entspricht
auch die moralische Verantwortung der Richter.
Jhr. van Eysinga: Der Haager Hof urteilt
jetzt schon im Namen des Staatenverbandes,
der gerade in seinem Organ zum Ausdruck
kommt.
Giese: Ich kann keinen Staaten verband im
Schückingschen Sinne und folglich
auch kein Organ eines solchen Verbandes
anerkennen.
Hagerup: Ein Eingehen auf die Schücking-
schen Ansichten, die teilweise konstruktiv-
juristischer Natur sind, setzt eine Auseinander-
setzung über die Begriffe Organ und Orga-
nisation voraus, die bekanntlich sehr umstritten
sind.
Heilborn: Der jetzige Haager Schiedshof
ist meines Erachtens „lediglich eine Liste von
Richtern" :. Er urteilt „im Namen der je-
weiligen Parteien".
Frhr. Hold v. Ferneck: Der Lehre
Schückings, daß der Haager Schiedshof ein
Organ des Staatenverbandes ist, stehe ich
skeptisch gegenüber. Wenn man schon glaubt,
die Frage auf werfen zu müssen, in wessen
„Namen" er urteilt, so meine ich, daß er namens
der Parteien urteilt, die ihn aus eigenem Ent-
schluß anrufen und die Richter selbst wählen.
Huber: Diese Frage hat rein akademische
Bedeutung; die Institution als solche ist ein —
allerdings zum selbständigen Handeln nicht be-
rufenes — Organ, oder richtiger eine Anstalt,
jeweiligen
des von den partizipierenden Staaten gebildeten
Verbandes ; das in concreto funktionierende Ge-
richt steht zu den Parteien aber in gleichem
Verhältnis wie ein außerhalb des Friedensab-
kommens gebildetes.
Kaufmann: Dieser jetzige ständige Haager
Schiedshof ist meines Erachtens mehr als eine
bloße Liste von Richtern. Er ist ein allerdings
nur leise angedeutetes Organ der in den Werken
der Haager Friedenskonferenzen zum recht-
lichen Ausdruck gebrachten Völkergemeinschaft.
Sollte darauf durch eine Formel im Eingang
der Urteile der aus ihm gebildeten konkreten
Schiedsgerichte hingewiesen werden, so würde
ich die Formel „Im Dienste der Völkergemein-
schaft" der Formel „Im Namen des Staaten-
verbandes" vorziehen.
Kohler: Die Schückingsche Ansicht ist, wie
ich in der „Zeitschrift für Völkerrecht" (1913,
Nr. 2) ausgeführt habe, auch die meinige.
Laband: Von einem „Staatenverband" der
zivilisierten Staaten sind wir noch weit ent-
fernt ; das ist vorläufig noch ein Zukunftstraum ;
der Haager Schiedsgerichts hof kann daher auch
kein „Organ" desselben sein; er urteilt wie
jedes Schiedsgericht im Auftrage der Parteien.
Die „Schiedsgerichte" der Arbeiterversicherung
sind keine Schiedsgerichte, wenn sie auch so
heißen, sondern Behörden.
La Fontaine: Ich glaube nicht, daß man die
Frage so bejahend beantworten kann, wie dies
Schücking tut. Aber ganz gewiß bilden
der Haager Hof und die Friedenskonferenzen
die Grundlagen einer einheitlichen Zusammen-
fassung der Staatengesellschaft. Auf diesen
Fundamenten wird sich die Weltföderation ent-
wickeln.
Lammasch: Meines Erachtens ist der bis-
herige Schiedsgerichtshof kein Weltgerichts-
hof und fungiert nur im Namen der jeweiligen
Parteien.
Marburg: Der gegenwärtige Haager Hof be-
steht einfach aus einer Anzahl von Richtern, aus
denen auf Verlangen jene gewählt werden, die
einen Schiedsgerichtshof bilden sollen. So kam
es vor, daß einer oder mehrere Richter bei ver-
schiedenen durch den Hof durchgeführten Ent-
scheidungen mitwirkten. Dies war aber nur
eine Anerkennung der großen Verdienste
einzelner Persönlichkeiten; bei Errichtung des
Hofes ist dies nicht vorgesehen worden. Der
Hof richtet im Namen der Streitenden und
nicht im Namen der Gesellschaft der Nationen.
Meurer: Der Haager Hof ist kein Organ
des Staatenverbandes und urteilt im Namen
der Parteien. Diese Ansicht habe ich bereits
in der Deutschen Juristenzeitung 1912, Nr. 18,
S. 1151, ausgesprochen.
Nippold: Der Haager Hof ist ein Organ
der Staatengemeinschaft, das auch in _ deren
Namen, nicht nur im Namen der Parteien, in
Funktion tritt.
Odier : Ich lege wenig Wert auf Definitionen.
Die Tatsachen erscheinen mir wichtiger. Es
ist eine Tatsache, daß alle Völker die Mög-
lichkeit haben, schnell ein Schiedsgericht zu
bilden, um die zwischen ihnen entstandenen
Streitfragen zu lösen. Die Völker, die der
294
££
DIE Fßl EDENS -VSAQTE.
Haager Konvention beigetreten sind, finden im
Haag die Schiedsgerichtsjustiz. Also kann der
Haager Hof sehr wohl betrachtet werden als
ein Welttribunal für die Schiedssprechung.
Dieser Schiedshof wird unmittelbar durch
die Streitteile in Bewegung gesetzt und urteilt
auf Grund der amtlichen Befugnisse, die ihm
durch einen internationalen Vertrag eingeräumt
sind. i
Oppenheim: Diese Frage ist nicht so präzis
gestellt, daß man sie mit „Ja" oder „Nein"
beantworten kann. Der Haager Schiedshof ist
weder ein Weltgericht, noch lediglich eine Liste,
noch ein Gericht; er ist eine Institution, be-
stehend aus 1. dem ständigen Verwaltungsrat,
2. dem internationalen Bureau, und 3. der Liste
derjenigen, welche als Schiedsrichter gewählt
werden können. Diese Institution ist
ein Organ der Staatengemein-
schaft; die Urteile des für jeden Fall ge-
bildeten Gerichts ergehen aber nicht im
Namen der Staatengemeinschaft, sondern im
Namen der jeweiligen Parteien.
Frhr. v. Plener: Der Haager Hof ist kein
Organ des Staaten Verbandes im eigentlichen
Sinne des Wortes, wohl aber eine nützliche
international anerkannte Institution, welche es
den Staaten ermöglicht, durch freie Wahl von
Schiedsrichtern aus der das allgemeine Ver-
trauen besitzenden Liste einen Schiedshof zu-
sammenstellen, um einzelne Streitfälle beizu-
legen.
Politis: Die Ansicht Schückings ist über-
trieben. Der gegenwärtige Hof ist mehr das
Embryo eines internationalen Gerichts als ein
wirklicher Gerichtshof.
Rohm: Er ist nur eine Liste und urteilt
im Namen der Parteien.
Schoen: Den Schiedshof halte ich für ein
Organ des Staatenverbandes. Er urteilt im
Namen dieses.
Schücking: Wenn bei der Einweihung des
Friedenspalastes das eingeladene Plenum des
Gerichtshofes in corpore seinen Einzug hält
in das neue Gebäude, wie kann man dann
noch behaupten, dieser Gerichtshof sei eine
Liste? Mag das. einzelne Schiedsgericht auch
seinen Auftrag von den Parteien erhalten, es
urteilt darum doch im Namen d. h. als Organ
des Staatenverbandes.
Strupp: Es handelt sich nur um eine Liste.
Die Urteile ergehen im Namen der jeweiligen
Parteien. (Vgl. meine Besprechung des
Schückingschen Werkes im Archiv des öffent-
lichen Rechts XXX, S. 588.)
van Vollenhoven: Der Schiedshof ist ein
Organ des Staatenverbandes. Er urteilt iui
Namen dieses Verbandes.
IV. Ist die Ansicht Schückings, daß durch das Haager Friedensabkemmen von 1899
ein Weltstaatenbund oder doch wenigstens der Keim zu einem solchen geschaffen
worden ist, zutreffend? Ist das Werk vom Haag ein politisches?
v. Bar: Ein Weltstaatenbund ist meiner
Ansicht nach durch das Haager Abkommen
nicht geschaffen: ein Staatenbund schließt
meines Erachtens, so lange er existiert, die
Möglichkeit eines Krieges unter den Mitglieds-
staaten aus. — Die weitere Frage bin ich zu
beantworten außerstande.
de Beaufort: Ja! Es ist ein Keim da, wenn
auch nur ein sehr kleiner.
Frhr. v. Dungern: Internationale Ueber-
einkünfte haben, wie die Geschichte zeigt, stets
politische Voraussetzungen, aber nicht not-
wendig politische Folgen! Ein Weltstaatenbund
müßte politisch gegründet und gesichert sein,
ehe er rechtliche Wirkungen haben könnte.
Die judikatorische Wirksamkeit des Haager
Schiedsgerichtshofes als Wirkung und damit
als Beweis für die Existenz eines Weltstaaten-
bundes aufzufassen seheint mir sehr opti-
mistisch, solange eine solche Organisation nicht
anderweit sichtbar ist und die politischen Vor-
aussetzungen für ihren Bestand offenbar noch
fehlen.
Ebers : Vorläufig ist erst der Keim zu einem
Weltstaatenbund da.
Erich: „Der Weltstaatenbund" ist meines
Erachtens bis auf weiteres ein Ausdruck ohne
reellen Inhalt, dagegen dürfte man wohl von
dem Keim zu einem solchen sprechen können.
Uebrigens muß ich den Ausführungen
Nippolds (Vorfragen des Völkerrechts) in
manchen Punkten zustimmen.
Jhr. van Eysinga: Der Staatenverband ist
nicht einem der bekannten „Staatenbünde"
gleichzustellen, gerade weil das politische Ele-
ment, ohne den ein „ Staaten buad" nicht
möglich ist, ihm fehlt.
Giese : Nein !
Heilborn: Die erste Frage beantworte ich
mit „Nein". Daß politische Gesichtspunkte für
die Staaten, welche das Werk vom Haag
schufen, auch maßgebend waren, nehme ich
als selbstverständlich an; das Gegenteil wäre
meines Erachtens ein Verbrechen. Das hat
aber damit nichts zu tun, daß die geschaffenen
Vereinbarungen rechtsnormativer Natur sind.
Frhr. Hold v. Ferneck: In der Absicht der
Regierungen, welche das Haager Friedens-
abkommen von 1899 getroffen haben, lag es
gewiß nicht, einen „Weltstaatenbund" zu
schaffen. Ob im. Abkommen der Keim zu
einem solchen Bund liegt, läßt sich gegen-
wärtig wohl nicht annähernd sagen.. Daß die
Errichtung des Schiedshofes politische Be-
deutung hat, dürfte kaum zu bestreiten sein.
Huber: Weder haben die Vertrags Staaten
von 1899 und 1907 die Absicht gehabt, einen
politischen Staatenbund zu bilden, noch recht-
fertigt die rechtliche Struktur und tatsäch-
liche Wirksamkeit der Haager Verträge eine
solche Konstruktion. Das Haager Werk ist
nur mittelbar politisch und kann auch nur als
solches sich als universelle Institution ent-
wickeln.
de Jong: Wenn auch juristisch der Welt-
staatenbund noch nicht besteht, ideell ist er
schon da. Es wird die Aufgabe der dritten
Friedenskonferenz sein, durch die Vorschrift,
daß die nächsten Friedenskonferenzen von Rechts
wegen periodisch tagen sollen, diesen Welt-
staatenbund, der alsdann außer dem inter-
nationalen Bureau des Arbitragehofes auch den
Gerichtshof und das permanente Vorbereitungs-
komitee als ständige Organe erhalten wird,
auch juristisch zu begründen.
295
DIE FßlEDEN5-^&DTE =
■®
Kaufmann: In dem bisherigen Haager Werk
sehe ich nicht einen Haager Weltstaatenbund,
oder einen Keim, eines solchen, wenigstens
nicht, wenn durch diese Bezeichnung eine weit-
gehende Wesensidentität mit den historischen
Staatenbünden behauptet werden soll. Dafür
sind der Analogien zu wenige und die Ver-
schiedenheiten zu tiefgreifend.
Auch glaube ich nicht, daß die Weiterent-
wicklung der Haager Völkergemeinschaft in
analogen Bahnen, wie bei jenen Staatenbünden,
verlaufen wird,
i Als politisch erachte ich das Haager Werk.
Doch bliebe die Vorfrage, ob ich und andere
dabei den Begriff des Politischen und dessen
Abgrenzung vom Nicht-Politischen in gleicher
Weise auffassen. Eine Auseinandersetzung dar-
über würde aber an dieser Stelle zu weit
führen.
Kohler: Ja! Das Haager Werk ist politisch
und rechtsgestaltend.
Laband: Nein. Ein Weltstaatenbund ist
nicht möglich, so lange es unter den Groß-
staaten eine schwere Kollision der Inter-
essen gibt. Eine friedliche — schiedsrichter-
liche — Entscheidung von Rechtsfragen ist
dazu nicht genügend, wenn auch von Wichtig-
keit und erstrebenswert.
La Fontaine: Wenn auch der Weltstaaten-
bund durch das Haager Abkommen von 1899
nicht ausdrücklich festgelegt worden ist, so ist
er doch in Wirklichkeit in ihm enthalten. Das
zustandegekommene Werk ist einmal ein
völkerrechtliches, es trägt aber auch einen po-
litischen Charakter — das Wort „politisch"
in einem wissenschaftlichen Sinne verstanden — ,
da es die Tendenz hat, die Weltorganisation
weiterzubilden.
Lammasch: Den Keim eines Weltstaaten-
bundes finde ich in den Friedensakten von
1899 und 1907 nicht.
de Louter: Die erstere Ansicht scheint mir
nicht zutreffend. Die zweite Frage ist selbst-
verständlich zu bejahen.
Marburg: Die Gesellschaft der Nationen ist
eine Tatsache. Bis jetzt ist sie noch wenig
organisiert, aber diese Organisation erhielt eine
bemerkenswerte Anerkennung durch die erste
und zweite Haager Konferenz. Abgesehen von
den mehr als 300 internationalen Organisationen,
deren Mittelpunkt das „Bureau des associations
internationales" in Brüssel bildet, wird die Tat-
sache einer Organisation der Nationen am deut-
lichsten durch die 40 internationalen Kon-
ventionen bewiesen, bei welchen die Staaten
selbst Signatare sind.
Meurer: Nein!
Neubecker: Den Keim eines Weltstaaten-
bundes wird man bereits trotz allem und allem
erkennen können.
Nippold: Nein!
Odier: Es ist meines Erachtens noch zu
früh, um von einem Weltstaatenbund als einem
Resultate von 1899 zu sprechen. Aber dieses
Werk hat gewiß eine politische Bedeutung, da
es den Zweck hat, mehr und mehr an Stelle der
ratio belli die Entscheidung durch das Recht
zu setzen.
Oppenheim: Die Ansicht Schückings ist ein
Phantasiegebilde ; das Schiedsabkommen hat gar
nichts mit einem Weltstaatenbund zu tun und
enthält gewiß auch keinen Keim eines solchen!
Die Frage „Ist das Werk vom Haag ein poli-
tisches?" ist mir ganz unverständlich, solange
ich nicht weiß, welche Bedeutung Sie dem Wort
„politisch" beilegen.
Politis: Ich glaube, daß das Haager Werk
keinen politischen Charakter trägt.
Rehm: Der Keim ist geschaffen. Das Werk
ist politisch, denn es hat den Verständigungs-
gedanken gefördert.
Schoen : Daß ein Weltstaatenbund geschaffen
ist, glaube ich nicht: dem Wesen des Staaten-
bundes widerspricht es, daß der Krieg zwischen
den Bundesgliedern etwas Erlaubtes ist. Auch
kann man nicht annehmen, daß ein Weltstaaten-
bund entstanden ist, ohne daß der Wille der
Staaten bewußt auf die Gründung eines solchen
gerichtet war.
Schoenborn: Ich glaube mit Schücking, daß
1899 zum mindesten der Keim zu einem Welt-
staatenbunde geschaffen worden ist.
Schücking: Meines Erachtens wird sich sehr
bald die Erkenntnis durchgesetzt haben, daß
im Haag ein Weltverband der Kulturstaaten
mit politischem Einschlag (weil geschaffen zur
Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens) begründet
worden ist. Ob man darin mit mir einen Welt-
staatenbund sehen wird, ist natürlich zunächsst
davon abhängig, wie man den Staatenbund als
solchen definieren will. In diesem Punkte gehen
die Anschauungen aber weit auseinander. Wer
zum Staatenbund eine Beschränkung der Souve-
ränität fordert, wird den Weltverband natürlich
nicht als Staatenbund ansehen. Doch begreife ich
nicht, wie man dem Haager Weltverband den
Charakter als Weltstaatenbund darum bestreiten
kann, daß hier keine gemeinsame Verteidigung;
nach außen verfolgt wird. Wollte man an
diesem Kriterium unbedingt festhalten, dann
wäre es überhaupt schlechterdings unmöglich,
einen Weltstaatenbund jemals zu begründen.
Und doch hat schon Martens diesen Begriff
auf die zu verwirklichende politische Orga-
nisation der Kulturwelt angewandt.
Strupp: Es handelt sich um eine Orga-
nisation sui generis. Der Verband der am
Haager Friedensabkommen beteiligten Staaten
hat zweifellos ein politisches Werk geschaffen.
van Vollenhoven: Er ist geschaffen, aber
nicht zum klaren Ausdruck gebracht worden.
V. Wird die Schiedsgerichtsbarkeit im Laufe der Zeit mit dem Erstarken der inter-
nationalen Organisation eine solche Bedeutung einnehmen, daß ihr regelmäßig auch
Ehren- und Lebensinteressenfragen überwiesen werden?
v. Bar: Die Entwicklung könnte meines Er-
achtens dahin erstarken, daß man für Ehr e n -
fragen eine Ausnahmeklausel für erforderlich
nicht mehr halten würde. Bei Differenzen
über wirkliche oder vermeintliche Lebens-
interessen werden machtvolle Staaten einem
Schiedssprüche, da sie dessen Inhalt nicht vor-
hersehen können, sich nicht unterwerfen. Da-
gegen könnte ein von hoher und als unparteiisch
anerkannter Autorität abgegebenes Gut-
a c h t e n in solchen Fällen oft einen friedlichen
Ausgleich herbeiführen.
296
DIE FRI EDENS -WARTE
de ßeaufort: Ich hoffe es!
Frhr. v. Dungern: Ja — wenn auch kaum
in viel stärkerem Maße als Lebens- und Ehren-
fragen der Völker zunehmend in die Abhängig-
keit internationaler ökonomischer Interessen ge-
raten. Jedenfalls scheint es mir zweifellos,
daß die Weltwirtschaft zunehmend inter-
nationales Recht und friedliche Durchführung
solchen Rechts verlangt.
Ebers: Ja, aber noch nicht so bald!
Erich: Meiner Ueberzeugung nach werden
ihr in einer nicht entfernten Zukunft auch
manche als Ehren- und Interessenfragen zu
bezeichnende Fragen überwiesen werden. Die
Errichtung der Cour de justice arbitrale dürfte
der Entwicklung in dieser Richtung "Vorschub
leisten, ihre Existenz gewissermaßen einen
moralischen Zwang auf die Regierungen aus-
üben.
Jlir. van Eysinga: Ja, soweit es keine
„unsettled" Teile der Erde mehr gibt, wie z. B.
den Balkan, und verausgesetzt, daß die Schieds-
gerichtsbarkeit immer erst in zweiter Linie
kommt, also erst, wenn der diplomatische Weg
versagt hat ; für viele Interessenfragen ist ja die
diplomatische Lösung, so wie 1904 zwischen
Frankreich und Großbritannien und 1911
zwischen Frankreich und Deutschland, die beste.
Giese: Nein! Das ist praktisch völlig un-
durchführbar. Mit welchen Mitteln soll das
im konkreten Falle durchgesetzt werden?
Heilborn: Ja, wenn man ausschließlich auf
Staaten abstellt, welche ihrer geographischen
Lage halber einen Krieg miteinander nicht
führen können, wie Portugal und die Schweiz.
Im übrigen wird es immer Völker geben, welche
nach der Maxime handeln: „nichtswürdig ist
die Nation, die nicht alles setzt an ihre Ehre."
Frhr. Hold v. Ferneck: Ob es jemals dazu
kommen wird, daß die Staaten über ihre Ehre
und ihre Lebensinteressen Schiedsrichter ur-
teilen lassen, ist eine Frage, welche die Wissen-
schaft heute nicht beantworten kann. Ich
glaube nicht, daß sich eine internationale
Organisation willkürlich schaffen läßt.
Vielleicht ergibt sich einmal, in ferner Zu-
kunft, eine auch das politische Gebiet er-
fassende Solidarität der Interessen der Staaten.
Dann wird sich die Organisation wohl von
selbst herausbilden. Ich halte es für müßig,
sich heute darüber den Kopf zu zerbrechen.
Huber : Wenn die Rechtsidee im Völkerleben
weitere Fortschritte macht und namentlich das
Gewissen der öffentlichen Meinung in inter-
nationalen Angelegenheiten geschärft wird, wird
die sogenannte Interessen- und Ehrenklausel
in den Verträgen nur da angerufen, wo wirk-
liche Lebensinteressen des Staates auf dem
Spiele sind. Aber eine bedingungslose generelle
Unterwerfung unter eine Gerichtsbarkeit ist für
einen unabhängigen Staat weder rechtlich noch
politisch möglich.
de Jong: Mit dem Erstarken der internato-
nalen Organisation, und dem dadurch wachsen-
den gegenseitigen internationalen Zutrauen,
werden Ehrenfragen selten oder nie vorkommen.
Jede „Interessenfrage" ist immer auch einer
Rechtsentscheidung fähig, wie ich auseinander-
gesetzt habe in „Die Fortbildung der inter-
nationalen Schiedsgerichtsbarkeit" („Jahrbuch
des Völkerrechts 1913). Wo es also keine reinen
Interessenfragen gibt, wird in Zukunft, bei der
fortschreitenden Entwicklung des interna-
tionalen Rechtsempfindens, jede Meinungsver-
schiedenheit, die nicht auf diplomatischem
Wege gelöst werden kann, der Schiedsgerichts-
barkeit unterworfen werden.
Kaufmann: Für die friedliche Entwicklung
der internationalen Beziehungen der Völker ist
insbesondere erforderlich, entsprechend der Ent-
wicklung und den Bedürfnissen der weltwirt-
schaftlichen, Weltverkehrs- und weltsozialen
Verhältnisse die Völkerrechtsordnung aus-
zubauen und zu vertiefen, wobei dieselbe
nicht mehr vor den Staaten als geschlossenes
Ganzes halt machen kann, sondern immer
häufiger und vielfältiger mit ihren Regelungen
in dieselben hinein unmittelbar auf die Ver-
hältnisse der Individuen und auf funktionelle
Betätigungen von Staatsorganen usw. sich er-
strecken muß.
In organisatorischer Hinsicht halte ich für
die friedliche Entwicklung die Ausbildung und
Kräftigung der internationalen Schiedsgerichts-
barkeit hochwichtig. Aber auch mancherlei
andere Verfahrensweisen, Organisierungen und
Organbildungen werden dem Zwecke dienstbar
femacht werden können und müssen, die großen
nteressenkonflikte, welche von Zeit zu Zeit
im Leben der Völker auftauchen, je länger
je mehr in friedlichem Wege zu einem ge-
rechten, auch der Entwicklung Rechnung tra-
genden Ausgleich zu bringen. Ob dafür immer
gerade ein Verfahren vor einem internationalen
Schiedsgericht sich als am geeignetsten er-
weisen wird, erscheint mir problematisch.
Kohler: Ja!
Laband: Man kann nicht sagen, daß dies
ausgeschlossen ist. Aber ich halte es für lange
Zeit noch für unwahrscheinlich.
La Fontaine: Meiner Ansicht nach können
alle Fragen der Ehre (soweit solche überhaupt
bestehen) und der Lebensinteressen dem Urteil
von Schiedsrichtern urterworfen werden, und
zwar unter ähnlichen Bedingungen wie die
zwischen Privatpersonen entstehenden Streitig-
keiten. Ich bin also überzeugt, daß die An-
rufung der Schiedsrichter sich auf diese Fragen
ebenso wie auf alle anderen erstrecken wird.
Lammasch : Regelmäßig ja! Gewisse
Ausnahmen werden aber wohl stets bleiben.
de Louter: Nein!
Marburg: Der Haager Hof hat sich mit
politischen und rechtlichen Streitigkeiten be-
schäftigt. Er ist berechtigt, sich mit jeder
Frage zu befassen, die ihm die Streitteile unter-
breiten.
Meurer: Nein. Die Fragen der Selbster-
haltung nie. In Fragen der Ehre kann man
sich zwar vor dem Urteilspruch der Gerechtig-
keit beugen. Aber man schädigt nur den
Friedensgedanken, wenn man in aufdringlicher
Weise schlechthin jeden Ausweg versperren
will. Das sind besonders heikle Fragen, die
keine allgemeine Lösung vertragen und besser
frei von Obligationen bleiben.
Neubecker: Das scheint mir das Ziel der
Entwicklung zu sein.
Nippold: Regelmäßig wohl kaum, aber dies
ist auch nicht nötig, da wir neben der Schieds-
sprechung noch die Vermittlung und die Unter-
suchungskommissionen haben.
Odier: Ich bin davon überzeugt, daß sich
im Laufe der Jahre das Tätigkeitsfeld des
Haager Hofes immer mehr ausbreiten, und daß
er ganz von selbst Fragen der Ehre und der
297
DIE FRIEDENS -^&DTE =
:§>
Lebensinteressen, der Völker an sich ziehen wird.
Neuere Schiedsverträge sind in diesem Sinne
abgefaßt.
Oppenheim: Ehrenfragen gewiß; ob aber
auch Vitale Interessenfragen, das kann niemand
voraussehen.
Frhr. V. Plener: Die Ehren- und Lebens.-
interessenklausel wird in absehbarer Zeit noch
immer Vorbehalten werden.
Politis : Ja, aber in einem langen Zeiträume.
Rehm: Nein!
Schoen : Ich glaube nicht, daß in absehbbarer
Zeit, die mächtigeren Staaten sich dazu ver-
stehen werden, regelmäßig Ehren- und Lebens-
interessenfragen der Schiedsgerichtsbarkeit zu
überweisen. Die großen Daseinsfragen der
Völker Werden wie in der Vergangenheit, so
auch in der Zukunft regelmäßig mitt dem Schwert
entschieden wexden!
Schoenborn: Für absehbare Zeit kann ich
diese Erage nicht bejahen.
Schücking: Die Vernunft wird auch die
Völker lehren, daß die Ehre ein inneres Gut
ist, daß dem Volk doch im Unrecht von
außen ebensowenig genommen werden kann,
wie dem Individuum. Damit werden die
„Ehrenfragen" ihre Bedeutung verlieren Später
wird die Schiedsgerichtsbarkeit auch Inter-
essenfragen vortrefflich entscheiden können.
Die brennende Frage ist heute für uns nur die,
wie vermeiden wir bei solchen Fragen den Krieg
durch andere Institutionen, solange die Völker
für solche Ausdehnung der Schiedsgerichtsbar-
keit noch nicht reif sind?
Strupp: In dieser Richtung darf man nur
Wünsche und Hoffnungen hegen, die aber "keines-
falls utopistisch sind, nachdem die Geschichte
der Schiedsgerichtsbarkeit zeigt, wie häufig
Ehren- und Lebensinteressenfragen schieds-
richterlich erledigt wurden.
van Vollenhoven : Rechtsstreitigkeiten
können und müssen schiedsrichterlich erledigt
werden. Bei Interessenstreitigkeiten soll man
entweder eine freundliche Vermittlung er-
streben oder den Streitfall eine Zeitlang ruhen
lassen, aber niemals die Entscheidung des
Schwertes anrufen.
VI. Ist das Zustandekommen eines beschränkten Weltschiedsvertrages auf der nächsten
Haager Konferenz wünschenswert? Kann dieser Vertrag ohne die Ehren- und Lebens-
interessenklausel geschlossen werden?
v. Bar: Die hier gestellte erste Frage
möchte ich verneinen. Sie läßt aich meines
Erachtens bejahend nur beantworten, wenn man
einen ständigen internationalen Schiedshof mit
einer Organisation, wie sie die Gerichte der
einzelnen Staaten besitzen, für wünschenswert
erklärt. Uebrigens würde ein Weltschiedsver-
trag, der dem Schiedsverfahren nur eine stark
beschränkte Zahl von Streitsachen zuweisen
würde, nicht gerade ein Ziel sein, das die Auf-
wendung großer Mühe lohnen würde.
Frhr. v. Dungern : ad Frage 1 : ja, weil die
formelle Ausgestaltung des internationalen
Schiedsverfahrens dahin drängt.
ad Frage 2: Die Klausel wäre, wenn fort-
gelassen, selbstverständlich, weil vor der Hand
kein aufrichtiger Staatsvertreter die Verant-
wortung auf sich nehmen könnte, eine Unter-
werfung seines Volkes in Ehren- und Existenz-
fragen zu verbürgen. Die Formulierung
praktisch undurchführbarer Rechtssätze ist, wie
die Geschichte lehrt, der Entwicklung der
Schiedsidee eher hinderlich als förderlich ge-
wesen. (
Ebers: Ohne diese Klausel dürfte gegen-
wärtig ein Weltschiedsvertrag, so wünschens-
wert er ist, kaum möglich sein.
Erich: Zunächst nicht ohne Klausel, aber
mit einem Verzeichnis unbedingt arbitraler
Streitfragen, welches allmählich, auf Grund der
Erfahrung, erweitert werden könnte.
Jhr. van Eysinga: Vorläufig ist vielleicht
von einer von allen Staaten sehr intensiv be-
triebenen Schiedsgerichtsbarkeitspolitik, die zu
einer sehr großen Zahl allgemeiner Arbitrage-
verträge zwischen je zwei Staaten führt, am
meisten zu erwarten. Jedenfalls erscheint auf
der nächsten Friedenskonferenz ein Weltschieds-
vertrag ohne die Ehren- und Lebensinteressen-
klausel ausgeschlossen.
Fleischmann: Den Ausbau des Systems der
Schiedsverträge, namentlich durch einen be-
schränkten Weltschiedsvertrag mit der Ehren-
klausel, halte ich für erstrebenswert.
Giese: Ein solcher Vertrag erscheint mir
für heute verfrüht, für späteir diskutabel, aber
nie ohne die Ehren- und Interessenklausel.
Heilborn: Das bisher geschaffene Schieds
recht scheint mir einstweilen ausreichend (vor-
behaltlich Verbesserungen im einzelnen).
Meines Erachtens kommt es jetzt vor allem
darauf an, materielles Recht zu schaffen. So-
weit hierüber Vereinbarungen vorliegen, werden
die Staaten auch geneigt sein, Streitigkeiten
über das vereinbarte Recht schiedsrichter-
licher Entscheidung zu unterbreiten.
Frhr. Hold v. Ferneck: Ich hielte es
für wünschenswert und auch für erreich-
bar, daß die Staaten auf der nächsten
Haager Friedenskonferenz einen Weltschieds-
vertrag abschließen, jedoch beschränkt auf
Differenzen juristischer Art und mit Aus-
schluß der Streitigkeiten, welche die Ehre
und die Lebensinteressen der Beteiligten
tangieren.
de Jong: Ein beschränkter Weltschiedsver-
trag (als Muster diene der Schiedsvertrag Däne-
mark-Frankreich vom 9. August 1911) würde
schon einen sehr großen Fortschritt bedeuten,
sogar wenn die Ehren- und Lebensinteressen-
klausel einstweilen darin enthalten wäre und
einige der vorzüglichen "Eigenschaften des
dänisch-französischen Vertrages nicht mit über-
nommen wurden.
Kaufmann: Ich halte einen obligatorischen
Weltschiedsvertrag für wünschenswert, in
welchem die allmählicher Erweiterung fähige
Liste der Rechtsmaterien und der Kategorien
von Rechtsverhältnissen festgelegt würde, auf
die er sich beziehen soll. Bei solcher Be-
schränkung würde ich die Aufnahme einer
Ehren- und Lebensinteressenklausel nicht für
angezeigt erachten.
Würden sich einige Staaten einem solchen
Weltschiedsvertrage widersetzen, so fände ich
298
<2=
m DIE PRIEDEN5->VAD.TE
es erwünscht, daß die übrigen mit dem guten
Beispiel vorangingen und zunächst allein unter
sich diesen Weltschiedsvertrag schlössen.
Kohler: Ein Weltschiedsvertrag ist wün-
schenswert.
Laband : Nein !
La Fontaine: Ich meine, daß das 1907 for-
mulierte Projekt eines Weltschiedsvertrages auf
der nächsten Friedenskonferenz durch die
Staaten angenommen werden müßte. Der Vor-
behalt der Ehre und der Lebensinteressen
müßte selbstverständlich aus dem zu schließen-
den Vertrage verschwinden, da er mit dem
obligatorischen Charakter des Vertrages in
Widerspruch stehen würde.
Lammasch: Ich halte den allgemeinen
Schiedsgerichtsvertrag nach dem Vorbilde der
Beschlüsse des Comite d'examen von 1907 für
wünschenswert und möglich.
de Louter: Das Zustandekommen eines
Weltschiedsvertrages für Rechtsfragen ist
wünschenswert.
Marburg: Allgemeine Schiedsverträge, die
alle Fragen, auch Ehrenfragen und vitale Inter-
essen, einschließen, sind äußerst wünschens-
wert zwischen Kulturmächten. Rückständige
Mächte daran teilnehmen zu lassen würde be-
deutungslos sein und die Sache beeinträchtigen,
weil diesen entweder die Absicht oder die
Fähigkeit fehlt, Verträge durchzuführen.
Meurer: Ich halte einen Weltschiedsvertrag
nach dem Muster des deutsch-englischen
Schiedsvertrages für sehr wünschenswert ; ohne
die dortigen Klauseln halte ich aber die Ver-
wirklichung nicht für möglich. Man sollte
doch endlich einmal das Mißtrauen gegen diese
Klauseln überwinden und dem Bekenntnis zur
Friedensidee vertrauen.
Neubecker: Der Abschluß eines Weltschieds-
vertrages erscheint mir wünschenswert.
Nippold: Ja, mit Klausel!
Odier: Ich glaube nicht an die gegenwärtige
Möglichkeit eines begrenzten und noch weniger
an die eines unbegrenzten Weltschiedsvertrages.
Oppenheim: Ja, aber mit der Ehren- und
Lebensinteressenklausel !
Frhr. v. Plener: In einem allgemeinen
Schiedsgerichtsvertrag können und sollten eine
Anzahl von Gegenständen aufgebaut werden, be-
züglich deren man auf die Erhebung des Ehren-
und Lebensinteressenvorbehalts verzichtet.
Politis : Ein ständiger Weltschiedsvertrag er-
scheint mir wünschenswert und möglich, aber
zunächst — und auf lange Zeit hinaus — muß
man die Fragen der Ehre und der Lebens-
interessen beiseite lassen.
Rehm : Ich halte ihn für wünschenswert.
Der Vertrag kann nur mit der Klausel ge-
schlossen werden.
Schoen: Das Zustandekommen eines solchen
Vertrages wäre wünschenswert. Jedoch er-
scheint sein Abschluß ohne Ausscheidung der
Ehren- und Lebensinteressenfragen zunächst
ausgeschlossen.
Schoenborn: Wenn es bei der Weigerung der
Vereinigten Staaten bleibt, die Panamakanal-
gebührenfrage einem Schiedsgerichte zu unter-
breiten, so verspreche ich mir von einem be-
schränkten Weltschiedsvertrage nicht viel.
Schücking: Ich bin entschieden für einen
Weltschiedsvertrag für Rechtsstreitigkeiten,
einstweilen mit der Ehrenklausel. Letztere
würde meines Erachtens genügen.
Strupp: Das Zustandekommen des Welt-
schiedsvertrages ist wünschenswert. Ich glaube
aber kaum, daß sich die Staaten jetzt dazu
entschließen werden, die Ehren- und Interessen-
klausel aufzugeben. Wohl aber sind freiwillig
schon mehrere die Ehre berührende Fälle
Schiedsgerichten unterworfen worden. Erst
müssen die Völker erzogen werden.
VII. Ist ein recht baldiger Zusammentritt der dritten Haager Konferenz wünschens-
wert, eventuell wann?
v. Bar: Den Zusammentritt einer erneuten
Friedenskonferenz halte ich für wünschenswert
nur, wenn diese genügend, und zwar unter
Mitwirkung öffentlicher Kritik vorbereitet ist
und daher eine Anzahl wichtiger Fragen
als spruchreif oder baldiger Beantwortung
zugänglich und bedürftig sich herausgestellt
haben. — Hiernach und in Anbetracht der inter-
nationalen Ereignisse der letzten Jahre könnte
meines Erachtens der Zusammentritt einer
dritten Friedenskonferenz schon im Jahre 1914
als verfrüht sich erweisen.
de Beaufort: Ohne gute und tüchtige Vor-
bereitung darf die Haager Friedenskonferenz
nicht zusammentreten. Es ist schwer zu sagen,
wie lange Zeit diese Vorbereitung in Anspruch
nimmt.
Frhr. v. Dungern: Der Kredit der Friedens-
konferenzen würde, glaube ich, leiden, wenn
die Konferenzidee wieder auftauchte, ehe die
türkischen Verwicklungen ein wenig vergessen
sind, da gerade dieser imminentewte inter-
nationale Konfliktsherd augenblicklich einer
Konferenz für den allgemeinen Völkerfrieden
unmöglich unterbreitet werden könnte. Da-
gegen scheint es mir durchaus im Bereich des
Möglichen, eine spezielle Friedenskonferenz für
Regelung der Verhältnisse der Türkei im Haag
stattfinden zu lassen und ihr den Charakter
eines Weltkongresses zu geben. Es bedarf
hierzu vielleicht nur einer geschickten An-
regung.
Ebers: Nach den Ereignissen auf dem Bal-
kan würde meines Erachtens ein Hinausschieben
zur Klärung mancher Fragen nur beitragen
können.
Jhr. van Eysinga: Ja, vorausgesetzt, daß
sie gut vorbereitet ist, was vor 1915 kaum
möglich erscheint, und daß auch das Prisenhof-
abkommen und die Londoner Seerechtsdekla-
ration einstweilen in Kraft getreten sein werden,
oder wenigstens plausible Abänderungsvor-
schläge der letzteren vorliegen.
Fleischmann : Der Zeitpunkt der neuen
Friedenskonferenz sollte in erster Linie nach
dem Maße der gehörigen Vorbereitung bestimmt
werden.
Giese: Dies ist eine Frage des praktischen
Bedürfnisses. So wünschenswert eine Weiter-
bildung des Völkerrechts und eine Fortführung
der Haager Arbeiten ist, so dringend ist vor
einer zu umfassenden und zu raschen Kodi-
fikation völkerrechtlicher Fragen zu warnen.
DIE FßlEDENS-WABTE
■a
Hagerup: Hierüber habe ich mich bereits
früher geäußert: „Ich glaube nicht daran, daß
die Zusammenberufung der nächsten Friedens-
konferenz so schnell erfolgen wird. Angesichts
der jüngsten Ereignisse, nämlich des italienisch-
türkischen Krieges, der Haltung Englands
gegenüber dem Prisenhofe und der Londonejr
eklaration und der Haltung des Senats gegen-
über den Schiedsverträgen in den Vereinigten
Staaten, kann man ohne Zweifel voraussehen,
daß die Mächte zögern werden, sich nach dem
Haag zu begeben." (Annuaire de l'Institut de
droit international, 1912.)
Heilborn: Darüber habe ich kein Urteil,
weil ich weder den Stand der Vorarbeiten
kenne noch weiß, wie stark die friedliche Ge-
sinnung der führenden Mächte augenblicklich
ist. Eine Macht, die damit rechnet, im nächsten
Monat überfallen zu werden, wird nichts kon-
zedieren. Zur Fortführung des Haager Werkes
gehört meines Erachtens wechselseitiges Ver-
trauen. Es ist mir sehr zweifelhaft, ob die
frische Erinnerung an das gewaltige Bingen
in den Jahren 1912/13, an die heroische Be-
reitwilligkeit tausender, ihr Leben für die
große allgemeine Sache zu opfern — der dritten
Friedenskonferenz in nächster Zeit einen wir-
kungs- und stimmungsvollen Hintergrund bieten
wird.
Frhr. Hold v. Ferneck: Meiner Ansicht nach
könnte die dritte Friedenskonferenz schon bald,
etwa im Jahre 1915, zusammentreten, vor allem,
um einige Materien des Völkerrechtes zu kodi-
fizieren. Ein Erfolg wäre allerdings nur zu
erwarten, wenn die Arbeiten entsprechend vor-
bereitet würden und für eine praktische Arbeits-
methode gesorgt würde. (Bildung kleiner Aus-
schüsse.)
Huber: Eine Konferenz ist nur wünschbar,
wenn Aussicht besteht, daß positive Besultate
erreichbar sind, und zwar nicht nur unter-
zeichnete, sondern auch allgemein ratifizierte
Verträge. Das Fehlen so vieler Ratifikationen
zu den Verträgen von 1907 und 1909 ist eine
wenig ermutigende Erscheinung.
de Jong: Alle, die das Völkerrecht und den
Völkerfrieden fördern wollen, müssen in nächster
Zeit dahin streben: 1. daß die internationale Vor-
bereitungskommission noch im Jahre 1913 oder
spätestens in der ersten Hälfte des Jahres 1914
zusammengestellt, und 2. die dritte Friedens-
konferenz im Jahre 1915 abgehalten wird.
Kaufmann: Die periodische Wiederholung
der Haager Friedenskonferenzen in nicht zu
langen Zwischenräumen muß angestrebt werden.
Die dritte sollte bald fällig sein. Immerhin,
ob sie ein Jahr früher oder später stattfindet,
ist nicht so wichtig. Wichtiger wäre, daß sie
gründlich vorbereitet würde mit einem nicht
zu umfassenden Programm, das aber auch wirk-
lich durchgeführt würde.
Kohler : Ja 1
Laband: Dies hängt davon ab, ob sich die
Großmächte auf ein bestimmtes Programm
einigen; ohne dieses ist die Friedenskonferenz
zwecklos und nicht ungefährlich.
La Fontaine: Ganz gewiß! Möglichst 1915r
spätestens 1916. Die Arbeit aller Pazifisten
und der fortschrittlich gesinnten Männer aller
Parteien müßte sich vereinigen, um den pünkt-
lichen Zusammentritt zu sichern.
Lammasch: Ja: 1915, allerspätestens 1916.
de Louter: Ich bin unbedingt für einen
baldigen Zusammentritt.
Marburg: Es ist von größter Wichtigkeit,
daß die nächste Haager Konferenz, wie durch
die vorangegangenen Konferenzen bestimmt
wurde, im Jahre 1915 stattfindet, wie es das
Prinzip periodischer Zusammenkünfte mit sich
bringt. 1
Meurer: Ich bin für einen recht baldigen
Zusammentritt, aber doch erst nach gründlicher
Vorbereitung.
Neubecker: Bei großen Entwicklungen
kommt's nicht auf Tag und Stunde an.
Nippold: Nein, sie wäre nicht nur politisch
verfrüht, sondern auch ungenügend vorbereitet.
Odier: Ich glaube, daß man gut tun würde,
die Zusammenberufung der dritten Haager
Konferenz zu verschieben, bis sich Europa ein
wenig von den Balkankriegen erholt hat.
Oppenheim: Ja, 1915.
Frhr. v. Plener: Ein baldiger Zusammen-
tritt ist wünschenswert, aber ebensosehr eine
sorgfältige Vorbereitung der einzelnen Pro-
grammpunkte.
Politis: Ich wünsche die baldige Zusammen-
kunft der dritten Konferenz, aber es erscheint
mir richtig, daß man sich erst vollständig über
ein Programm einigt, dessen Ausarbeitung etwa
zwei Jahre beanspruchen würde. Deshalb halte
ich es nicht für nützlich, wenn die dritte
Konferenz vor dem Sommer 1915 zusammentritt.
Rehm: Ja!
Schoen: Eine gedeihliche Tätigkeit der
dritten Konferenz ist nur zu erwarten,
wenn sich sichere Urteile über die Re-
sultate der vorangegangenen Haager und
der Londoner Konferenz gebildet haben,
was zurzeit noch nicht der Fall sein
dürfte. Auch ist weitere Voraussetzung für eine
gedeihliche Tätigkeit der Konferenz, daß sie
eingehender vorbereitet wird, als dieses bei den
früheren Konferenzen der Fall gewesen ist. Es
dürfte daher noch einige Jahre bis zum Zu-
sammentritt einer neuen Konferenz zu warten
sein; einen Zeitraum von 10 Jahren sollte man
zwischen den einzelnen Konferenzen doch ver-
streichen lassen.
Schücking: Spätestens 1915.
Strupp: Keinesfalls vor 1920 wünschenswert.
Die Ergebnisse von 1907 sind noch viel zu wenig
wissenschaftlich verarbeitet, und vor allem
müssen erst die Konventionen der zweiten
Haager Akte ratifiziert werden. Ueberhasten
kann dem ganzen Kodifikationswert nur
schaden.
van Vollenhoven: Man befolge die Schluß-
akte der zweiten Haager Friedenskonferenz.
(1899 — 1907 — 1915).
300
€=
DIE FRIEDEN5->M&BTE
Der deutsche; der englische und
der humane Qedanke in der Welt.
Von O. Umfrid,
Vizepräsident der Deutschen Friedensgesellschaft.
Selten hat mir ein Buch eine schmerz-
lichere Enttäuschung bereitet, als die Schrift
Rohrbachs „Der deutsche Gedanke in der
Welt". Mit großem Interesse, wenn auch
nicht unter voller Zustimmung, hatte ich das
größere Werk dieses Autors „Deutschland
unter den Weltvölkern" gelesen und hatte
mich besonders der Uebereinstimmung ge-
freut, die sich zwischen mir und Rohrbach
bezüglich der deutschen Expansionspolitik
ergab. Unabhängig voneinander waren wir
beide auf den Gedanken gekommen, daß ein
Ausgreifen des deutschen Imperialismus zu
Zwecken kriegerischer Landerwerbungen nicht
nur nutzlos, sondern geradezu lebensgefähr-
lich für unser Staatswesen sein müßte. Da-
gegen hatten wir beide den Ausweg gefunden,
eine Regelung der deutschen Auswanderung
und friedliche Ansiedlung deutscher Kolo-
nisten in überseeischen Ländern zu empfehlen.
Demgegenüber kann ich das neue Buch
Rohrbachs nur als einen schweren Rückfall
in den Nationalismus betrachten. Das Buch
ist nicht nur voll von einer fast abstoßenden
Ueberschätzung des heutigen deutschen
Volkstums, das doch so schwere sittliche
Schäden aufweist, es enthält auch eine Pro-
klamierung jenes einseitig nationalistischen
Standpunktes, den ich immer und überall, wo
er mir begegnet, bekämpfe. Wenn unter dem
deutschen Gedanken in der Welt nichts
anderes verstanden wird, als die räumliche
Ausbreitung und Einflußverstärkung der heu-
tigen deutschen Rasse mit all ihren Fehlem,
so ergibt sich daraus eine bedauerliche Ent-
leerung des Begriffs vom deutschen Wesen.
So wie Rohrbach die Sache darstellt, könnte
man fast versucht sein, statt vom deutschen
Gedanken in der Welt vielmehr von der deut-
schen Gedankenlosigkeit oder Ideenarmut in
der Welt zu reden. Fast naiv schreibt Rohr-
bach bei einem Vergleich zwischen der deut-
schen und englischen Weltmachtstellung:
„Jedem großen Volke ist es ein natürliches Be-
dürfnis, alles Geschehen unter dem Gesichts-
punkt des eigenen nationalen Interesses anzu-
schauen und alle Vorkommnisse in der Welt
als nationale Angelegenheiten zu behandeln."
Aber das ist ja gerade die Verdrehtheit,
gegen die wirklich fortschrittlich gesinnte
Männer nicht scharf genug protestieren
können. Das ist diese nationale Kirchturms-
politik, die das Weltgeschehen unter einem1
viel zu engen und darum falschen Gesichts-
winkel betrachtet und die ebenso verkehrt
ist, ob sie von der Wilhelmstraße oder von
Downing-Street ausgeht. Die Nation als
solche ist, wenn sie sich gegen die Zusammen-
fassung mit dem Weltganzen sperrt, nicht als
Gut, sondern als Uebel, nicht als Lebens-
förderung, sondern als Lebenshemmnis zu
betrachten. Der Egoismus ist überall vom
Uebel, auch wenn er sich zur Völkerselbst-
sucht ausweitet und sich mit dem Mäntel-
chen des Staatswohls umkleidet. Etwas ganz
anderes wäre es, wenn Rohrbach den deut-
schen Gedanken nicht bloß formell gefaßt,
sondern inhaltlich bestimmt hätte, wenn er
etwa gesagt hätte: Die deutsche Eigenart,
die ein Recht hat, sich in der Welt durch-
zusetzen, besteht in unserer Gedankentiefe,
und diese unsere Eigenart ist der Beachtung
und der Liebe ebenso wert, wie die Anmut
und Eleganz der Franzosen, wie die Trag-
kraft der Russen, wie die Gewandtheit der
Engländer, Kulturgedanken in praktische Me-
thoden umzusetzen. Rade hat in der „Christ-
lichen Welt" mit Recht darauf hingewiesen,
daß Rohrbach gut daran getan hätte, den
deutschen Geist als den Schöpfer der Re-
formation zu schildern und zu zeigen, wie der
deutsche Gedanke durch Aufklärung und
Pietismus hindurch zu unserer klassischen
Periode und zu den modernen Kulturideen
fortgeschritten ist, und wie insbesondere unsere
Philosophie als Extrakt des deutschen Geistes
angesehen werden muß. Wird das über-
sehen, so scheint es so, als ob man in
Deutschland nichts als militärischen Drill
und bureaukratische Regierungsmanieren
lernen könnte. Würde das Gehirn der Welt,
das in Deutschland tatsächlich vorhanden ist,
einmal den Gedanken der Weltorganisation
vollziehen, so würde, das ist meine feste
Ueberzeugung, der Nationalismus überwun-
den, und die Idee der Solidarität würde die
nötigen Formen sich schaffen. So wie die
Dinge heute liegen, ist die Unfähigkeit der
Deutschen, über die nationalistischen Grenz-
pfähle hinauszusehen, mit eine Hauptursache
der internationalen Spannung und der schein-
bar unüberbrückbaren Kluft, die sich zwischen
den Völkern auftut. Solange der Natio-
nalismus Trumpf ist, muß auch das Miß-
trauen, das die Völker auseinanderhält, so
unberechtigt es ist, bestehen bleiben. Wenn
die bedeutendsten Männer einer Nation noch
wie Rohrbach dem Gedanken Ausdruck
geben, daß die wirtschaftliche Prosperität der
einen Nation von der anderen notwendig als
Benachteiligung empfunden werden müsse, so
ist es kein Wunder, wenn die Konkurrenten
auf dem Weltmarkt sich mit den Argus-
augen der Eifersucht beobachten. Daß Rohr-
bach auch seinerseits davon nicht frei ist,
das beweist der eine Satz : „Es gibt nichts
in der Welt, das unsere Gegner dazu be-
wegen könnte, uns zu schonen, als unsere
Stärke." Das ist natürlich durchaus falsch.
Man mag das Gewicht moralischer Erwä-
gungen in der Staatskunst so niedrig als
möglich einschätzen; ein gewisses Verant-
wortlichkeitsgefühl, das die Staaten hindert,
übereinander herzufallen, wird doch auch bei
301
DIE FRIEDENS -^kßTE
§>
unseren Realpolitikern als Erbe einer besse-
ren Vergangenheit noch nicht ganz aus-
gestorben sein. Aber selbst vorausgesetzt,
die Ethik in der Politik wäre auf den Null-
punkt herabgesunken, so müßte doch schon
die nüchterne Erwägung unsere Gegner von
einem1 Angriff, selbst auf ein schwächeres
Deutschland, abhalten, daß ein vernichtetes
Deutschland alle Kaufkraft auf dem' Welt-
markt verlöre, und daß unsere Nachbarn
also mit einer Zertrümmerung unserer Volks-
kraft sich ins eigene Fleisch schneiden würden.
Es liegt mir ferne, den ganzen. Gedanken-
gang der Rohrbachschen Schrift hier wieder-
zugeben; ich müßte sonst zeigen, wie er
selbstverständlich immer noch die Re-
vanchelust der Franzosen als einen schwer-
wiegenden Faktor in seine Rechnung ein-
stellt, wie er die panslawistischen Aspiratio-
nen nicht vergißt, und wie er andererseits
ein viel zu großes1 Gewicht auf die Erhaltung
der Türkei legt, die er sogar so hoch ein-
schätzt, daß er meint, eine Zertrümmerung
ihres europäischen Besitzstandes müsse für
Deutschland und O esterreich den Kriegsfall
bedeuten. Wohl aber muß ich zu zeigen
versuchen, wie schroff der deutsch-englische
Gegensatz von Rohrbach aufgefaßt wird, und
wie unfähig er ist, die Entwicklung des bri-
tischen Imperiums mit Augen neidloser Ob-
jektivität zu beobachten. Eduard VII. — das
ist etwa sein Gedankengang — sah, daß
die deutsche Expansion in wirtschaftlicher
wie in politischer Beziehung den englischen
Weltherrschaftsplänen gefährlich werden
mußte. Daher sein Bestreben, den deutschen
Wettbewerb durch seine Einkreisungsbewe-
wegungen so gut wie möglich auszuschalten.
Fast in der Weise Hergeletts und Lookouts
wird die r.eine Moritat von den schwarzen,
Plänen des1 gekrönten Handlungsreisenden der
englischen Politik entworfen. Er hat nicht
nur Spanien durch eine dynastische Heirat
dazu bewogen, den englischen Kriegsschiffen
im! Bedarfsfall die Häfen zu öffnen, wie denn
auch Portugal längst in Abhängigkeit von
England geraten ist. Er hat nicht nur die
Italiener, die schon durch die monte-
negrinische Heirat ihre Fühler auf die Ost-
küste der Adria hinüberstreckten, durch den
albanischen Köder kirre gemacht, er hat den
Russen zuerst die japanische Kur ( ! ) ver-
ordnet, um1 sie dadurch willig zu machen,
ein Abkommen bezüglich einer Abgrenzung
der asiatischen Interessensphären und einer
Teilung) der Türkei zu treffen; er hat mit den
Russen zusammen den schwarzen Plan eines
mazedonischen Aufstandes entworfen, um da-
durch den Stein der orientalischen Frage ins
Rollen zu bringen, ja, er hat in Gemeinschaft
mit seinen skrupellosen Staatsmännern den
ungeheuren Plan eines englischen Weltreichs,
von Afrika bis Australien, geschmiedet, eines
Weltreichs, dessen Schlußstein die den Per-
sischen Golf umlagernden Ländermassen zu
bilden hätten, ein Meisterstück welt-
umspannender Diplomatie, die ihre Fäden
durch das Projekt einer deutschen Bagdad-
bahn sich nicht zerreißen lassen konnte.
Rohrbach verschmäht es nicht, in diesem
Zusammenhang allerlei sensationelle Kleinig-
keiten beizubringen, so die berühmt gewor-
dene, aber verfängliche Frage des Eng-
länders Wilcock, ob der zwischen Euphrath
und Tigris neu zu erbauende Königskanal
wohl den Namen des Kaisers von Deutsch-
land oder des Kaisers von Indien tragen
werde, sowie die Rede Curtsons, des Vize-
königs von Indien, daß jene Gegenden am
Persischen Meerbusen von indischen und
ägyptischen Bauern, d. h. von englischen
Untertanen, zu besiedeln sein dürften. Ich
will dieses Riesenprojekt englischer Welt-
politik zunächst dahingestellt sein lassen; wo-
gegen ich aber energisch protestieren muß,
das ist die systematische Züchtung des Miß-
trauens gegen England, die sich Rohrbach
angelegen sein läßt. Er verschmäht es dabei
nicht, olle Kamellen zu wiederholen, wie die
Geschichte des Admirals Monk, der im
17. Jahrhundert ( ! ) die Zerstörung der
holländischen Kriegsflotte verlangte, weil
die holländische Handelskonkurrenz den Eng-
ländern gefährlich werden könnte, oder wie
den Ausspruch des jüngeren Pitt, der ein Jahr-
hundert später, zur Zeit des Hubertusburger
Friedens ( 1 ), erklärte : „Frankreich ist uns
hauptsächlich als See- und Handelsmacht ge-
fährlich. Was' wir in dieser Hinsicht ge-
winnen, ist uns vor allem wertvoll durch
den Schaden, den Frankreich dadurch er-
leidet." In Ewigkeit unverzeihlich ist es
natürlich auch, daß Lord Palmerstone im
Jahre 1861 ( ! ) sagen konnte, die Deutschen
sollen den Acker pflügen und Luftschlösser
bauen, aber sich nicht einfallen lassen, die
See zu befahren, und daß die Saturday-Re-
view zu einer Zeit höchster Spannung be-
haupten konnte: Wenn der deutsche Handel
vernichtet würde, so wäre kein Engländer,
der dadurch nicht reicher würde. Unvergeß-
lich für Rohrbach ist natürlich auch die in
Champagnerstimmung erfolgte Drohung des
Admirals Lee, daß die englische Flotte den
Angriff auf die deutschen Küsten so rasch
müßte unternehmen können, daß man in
Deutschland die ersten Schüsse hören würde,
ehe man die Kriegserklärung zu lesen be-
käme. Daß es natürlich auch in England
Leute gibt, mit denen man Riegel wände ein-
schlagen könnte, Leute, mit deren Verstand
das Mundwerk durchzugehen pflegt, soll
nicht . geleugnet werden. Aber so wenig wir
die Herren Keim, Reichenau, Reventlow und
Hasse als die maßgebenden Träger deut-
scher Politik betrachten dürfen, ebensowenig
dürfen wir die Schreier an der Themse mit
den verantwortlichen Leitern des britischen
Staatsschiffes verwechseln. Der Merkan-
tilismus aber, der noch Staatsmänner wie
302
DIE Fßl EDENS ->MMJTg
Monk und Pitt leiten konnte, ist in Eng-
land längst überwunden. Ein Norman Angell
spricht nur aus, was in England bereits Ge-
meingut der allgemeinen Ueberzeugung ge-
worden ist, daß der Handelsvorteil Deutsch-
lands nicht als Handelsnachteil in England
empfunden werden darf, daß vielmehr durch
das Wohl des einen auch das Wohl desi
andern gefördert wird.
Selbst davor schreckt Rohrbach nicht
zurück, die Legende von den Ueberfalls-
gelüsten, von denen der Geist der englischen
Staatsmänner im Sommer 1911 erfüllt ge-
wesen sei, zu wiederholen. Die feierlichsten
Versicherungen der Lenker der englischen
Politik, daß kein Ueberfall auf Deutschland
geplant gewesen sei, und daß man niemals1
den Franzosen versprochen habe, ihnen irgend-
welche Hilfstruppen auf das Festland zu
schicken, vermögen nicht, Rohrbach eines!
Irrtums zu überweisen. Er bleibt dabei:
Der Ueberfall war geplant, die Hilfstruppen
waren zugesagt. Was er dafür beibringt,
ist nichts, als die Tatsache von der Schlag-
fertigkeit der englischen Flotte, womit na-
türlich gar nichts anderes bewiesen wird, als
dasselbe, was durch die gleichzeitige Schjag-
fertigkeit der deutschen Flotte ins helle
Licht gesetzt wird, nämlich daß die Kriegs-
gefahr vom Sommer 191 1 allerdings akut ge-
wesen ist. Die Akten darüber sind noch
nicht geschlossen, wahrscheinlich tragen beide
streitenden Teile die gleiche Schuld. Daß
aber in dem berüchtigten Sommer in der eng-
lischen Politik und in der öffentlichen Mei-
nung des Landes eine sehr energische Wen-
dung zugunsten des Friedens erfolgte, ob-
wohl die Gelegenheit für England vielleicht
äußerst günstig gewesen wäre, sich der
Nebenbuhlerin, wie sie in der deutschen
Kriegsmarine dem seegewaltigen Albion er-
standen war, zu entledigen, das mag in der
kleinen, aber sachverständigen Broschüre von
Adolf Bürk: ,,Die Wahrheit über die deutsch-
englische Krisis im Sommer 1911" nach-
gelesen werden. Wenn aber Rohrbach er-
klärt, daß nur Sozialdemokraten, utopistische
Pazifisten und unverbesserliche Anglophilen
sich der Tatsache englischer Feindselig-
keit gegen Deutschland verschließen können,
so ist darauf zu erwidern, daß Rohrbach sich
als schlechter Prophet erwiesen hat, da er
nichts von der notorischen Annäherung
zwischen Deutschland und England voraus-
gesehen hat, die wir „utopistischen Pazifisten"
kommen sahen und vorbereiten halfen, eine
Annäherung, die in der Aufrechterhaltung
des Friedens während des Balkankonflikts
ihie Feuerprobe bestanden hat. Es soll nicht
geleugnet werden, daß trotz alledem immer
noch ein Stein des Anstoßes besteht, der die
Engländer hindert, sich in unsere Arme zu
werfen, das ist aber nicht unsere Handels-,
sondern unsere Kriegsflotte, durch welche der
eigene Handel nicht geschützt wird, während
der fremde Handel, ob mit Recht oder Un-
recht, sich tatsächlich davon bedroht fühlt.
Die nationalistische Meinung, daß wir durch
die Aufbietung aller Kräfte für die Rüstung
uns den Frieden oder im Fall des Kriegs-
ausbruchs den Sieg versichern können, wird
selbst dann nicht wahr, wenn ein Rohrbach
für dieselbe eintritt. Wir sollten, meint
er, nicht an Millionen knickern, wenn es
sich um den Schutz für Milliarden handelt,
aber wer bürgt uns dafür, daß der Zukunfts-
krieg mit einem Siege Deutschlands endigt ?
Ziehen wir aber den Kürzeren bei 'dem blu-
tigen Würfelspiel, so verlieren wir nicht nur
die Millionen, sondern auch die Milliarden,
und dann werden wir uns vielleicht zu spät
darauf besinnen, daß es verfehlt war, den
deutschen Gedanken mit Waffengewalt in der
Welt ausbreiten zu wollen.
Wenn man die Weltlage unter dem Ge-
sichtspunkt eines Ziels der Weltgeschichte
betrachtet, so ist es für den höchsten Zweck
des menschlichen Daseins vollständig gleich-
gültig, ob die Welt (d. h. die über-
seeischen Gebiete) englisch oder deutsch
wird. Wir würden wirklich keinen Vorteil
darin sehen, wenn die vom Union Yack über-
wehten Gebiete plötzlich von dem preußischen
Adler beschattet würden. Nicht das ist die
Frage, ob der deutsche oder der englische
Gedanke in der Welt siegen soll, sondern
darum handelt sichs, ob der humane Ge-
danke seinen Siegeslauf vollenden kann, und
das ist unter dem englischen Banner ebenso
leicht möglich, wie unter dem deutschen.
Möchte es unser Volk doch endlich einmal
lernen, energisch wirtschaftlich und natio-
nalökonomisch zu denken! Möchte es sich
klarmachen, daß die politischen Aspirationen
zum großen Teil einer Art von sentimentalen
Erwägungen entspringen und daß mit aller
politischen Machtentfaltung kein realer Ge-
winn zu erzielen ist, der nicht ebensogut
durch vernünftig geregelte Handels-
beziehungen erreicht werden könnte. Auch
Naumann hat dieses Grundgesetz lange Zeit
nicht erkannt. So hat er einmal schreiben
können: „Um den Suezkanal muß noch scharf
geschossen werden; dann werden wir auf De-
peschen von Alexandria und Kairo warten,
wie man im Jahre 1870 auf die Telegramme
aus den Vogesen aufpaßte." Ich habe darauf
erwidert : „Ich sehe nicht ein, welchen Vor-
teil es' uns bringen sollte, wenn wir den
Engländern den Suezkanal nehmen würden.
Lassen wir es ruhig beim alten, dann wer-!
den wir die Vorteile der englischen Kultur
mitgenießen. Wenn früher ein Mensch nach
Aegypten reiste, war er seines Lebens nicht
sicher; seitdem die englische Kultur dort
ihre Herrschaft aufgerichtet hat, kann der
Reisende ruhig unter den Pyramiden spazieren
gehen und am Fuß der Obelisken seinen
Kaffee trinken." Es ist richtig, daß' der Lehre
Norman Angells, die den Besitz der Lände-
MD3
DIE FRIEDENS -WAETE =
reien für irrelevant erklärt, durch die Eng-
länder selbst widersprochen zu werden
scheint. Warum, so könnte einer fragen,
besetzen sie immer neue Länderstrecken,
warum legen sie so großen Wert darauf, in
der Gegend von Bagdad die Verbindungs-,
brücke zwischen ihrem afrikanischen und
indischen Besitz herzustellen, warum sehen
sie nicht ruhig zu, daß die deutsche Kultur-
macht durch die Vollendung ihrer Bagdad-
bahn bis zum Persischen Meerbusen einen
Keil zwischen Afrika und Indien hinein-
treibe, d^er ihnen doch in Wirklichkeit so
wenig Schaden bringen könnte, wie eine
deutsche Kolonie in London den dortigen
englischen Handel schädigt ? Norman An-
gell würde wahrscheinlich die Antwort geben :
„Das ist ein Stück Atavismus, an dem wir
alle miteinander kranken, daß wir glauben,
unser Wohlsein zu fördern, wenn wir eine
möglichst große Kilometerzahl besitzen."
Eins möchte ich auch hier denn doch er-
wähnen: Der Boden ist die Grundlage aller
Güter der Erde, wer ihn besitzt, ist sicherer,
immer neue Quellendes Reichtums erschließen
zu können, als' derjenige, der auf die Gunst
des Besitzers angewiesen ist. Aber über-
schätzen dürfen wir diese Tatsache nicht.
Wenn es unserer Diplomatie gelingt, die
Engländer von der Verschließung der offenen
Tür für alle Zeiten abzuhalten, so kann uns
die Farbe der Flagge, die über den einzelnen
Ländern weht, relativ gleichgültig sein. Wenn
nur in allen Ländern, wo europäische Kultur-
nationen sich einbohren, auch wirklich hu-
mane Grundsätze durchgeführt werden; wenn
es nur überall gelingt, Kulturbedürfnisse zu
wecken, den Reichtum der Erde zu er-
schließen, dem Handel neue Bahnen zu öffnen
und die einzelnen Länder zu lebendigen Glie-
dern der großen Kulturgemeinschaft zu
machen , so können wir zufrieden sein. Es
ist aber grundverkehrt, die deutsche Volks-
seele mit Neid gegen den reicheren Nachbar
zu erfüllen. Es1 hat noch allezeit große,
mittelgroße und kleine Machtzentren in der
Welt gegeben, und wenn, wir kein Riesenreich,
wie England, Rußland oder Amerika werden
können, so sollten wir uns mit der Stellung
eines Großstaates, dessen Weltbeziehungen
immerhin fruchtbar werden können, begnügen.
Unser Beruf kann niemals darin bestehen,
die Welt zu erobern, wohl aber darin, sie
mit unserer Gedankentiefe zu durchdringen,
mit unseren technischen Errungenschaften zu
bereichern. Das Ziel aber, das uns mit allen
Kulturnationen gleichermaßen gestellt ist,
scheint von Rade richtig formuliert zu sein,
wenn er gegen Rohrbach sagt: „Das ist
schließlich die Herrlichkeit deutscher Nation,
daß mit ihrer Hilfe eine wirkliche Kulturwelt,
ein Kosmos der Humanität, ein Reich Gottes
geschaffen werde." Die Nation als solche
ist nichts, die Menschlichkeit aber, der die
Nation zu dienen hat, ist alles.
304
Die Hufgaben des
JQC. Weltfriedenskongresses.
Wenn die Bedeutung eines Kongresses
nach der Zahl der von ihm gefaßten Reso-
lutionen beurteilt werden darf, so würde der
Genfer Weltfriedenskongreß ein gewaltiges
Ereignis bedeuten. In dem Jahrbuch von
1913 der Interparlamentarischen Union be-
finden sich am Schlüsse die Ergebnisse von
sieben großen internationalen Konferenzen des
vergangenen Jahres, und die Beschlüsse der
anderen sechs Konferenzen zusammengenom-
men nehmen kaum so viel Seiten in An-
spruch wie die Resolutionen des letzten Welt-
friedenskongresses. Gegenüber diesem um-
fangreichen Resultate steht die Tatsache, daß
kein anderer Kongreß in der Presse eine so
ungünstige Beurteilung erfahren hat, sogar in
führenden Kreisen der Pazifisten. Der Kon-
greß hat das jüngste Weltgericht über alle
Regierungen und Völker spielen wollen und
sich dabei im Tone wiederholt vergriffen.
Es war vielleicht für die zukünftigen
Weltfriedenskongresse ein Glück, daß die
Fehler in der Organisation dieser Versamm-
lungen so scharf wie noch nie zur Geltung
gelangten und dadurch alle Einsichtigen zu
einer Reform angetrieben wurden. In zahl-
reichen Artikeln haben nach der Versamm-
lung führende Persönlichkeiten unserer Be-
wegung Reformpläne dargetan, und es muß
mit ganz besonderer Hoffnung erfüllen, daß
der Kongreß dieses Jahres inmitten eines
Landes stattfindet, dessen Delegierte sich in
Genf einstimmig gegen die bisherige Arbeits-
methode der Versammlungen ausgesprochen
haben. Man hat zudem in Holland ungemein
fleißig gearbeitet, Denkschriften versandt und
hervorragende Persönlichkeiten für die dies-
jährige Tagung gewonnen. Die Führer des
Kongresses werden also gewiß diese neue
Zusammenkunft zu einem Höhepunkte in der
Geschichte der Friedensbewegung gestalten
können, wenn nur alle Teilnehmer ebenfalls
ihr Bestes tun. Es kommt nicht darauf an,
daß viele Beschlüsse gefaßt werden, sondern
daß einzelne Probleme recht gründlich und
in ruhiger Form behandelt werden. Die
hohe Politik lasse man ganz aus dem Spiele.
Daß man politische Probleme überhaupt er-
örtert, hängt wohl noch mit der früher,
gänzlich verfehlten Anschauung zusammen, es
könne die Welt mit einem Schlage zu einem
Reiche des Friedens gemacht werden. Wenn
dies möglich wäre, wenn also jede Re-
gierung in diesem Augenblicke mit ihrer gan-
zen früheren Politik brechen könnte, . ja,
dann wären jene Anklagen auf dem Genfer
Kongresse vielleicht berechtigt. Aber die
Staaten sind selbst nur das Produkt einer
allmählichen Entwicklung; sie sind von
anderen Regierungen abhängig, die ebenfalls
noch eine Politik alten Stils betreiben, und
jg=^
= DIE FRIEDEN5-^AßTE
wie sollte da mit einem Schlage alles anders
werden können I Es bedarf vielmehr eines
allmählichen Wandlung in den Anschau-
ungen der Regierungen und der Völker, und
je ruhiger und klarer wir unsere Meinung
vertreten, umso eher werden wir die Gegner
auf unsere Seite ziehen. Die nimmer ruhende,
heilige Begeisterung, die das große Ideal allen
deutlich sichtbar zeigt, erweckt Bewunderung
und Nacheiferung; aber der Hohn, die Ver-
achtung und der Fanatismus muten an wie
aus einer anderen Welt, stoßen ab und be-
gegnen keinem Verständnis.
Das alles soll nicht heißen, als ob man
nicht besonders grobe Rechtsbrüche wie die
Kriegserklärung Italiens an die Türkei als
solche bezeichnen dürfe. Gewiß hat ja
auch die Interparlamentarische Union den
hohen Mut besessen, die Wahrheit über
diesen Punkt zu sagen. Aber es ist etwas
anderes, diese eine feststehende Tatsache zu
dokumentieren, als noch zahlreiche andere
Punkte, die heiß umstritten sind, zum Gegen-
stande einer Anklage zu machen. Nachdem
der Genfer Kongreß zu viel des Guten in
dieser Richtung getan hat, werden die
nächsten Weltfriedenskongresse am besten
fahren, wenn sie jede Kritik einer Regierung
peinlichst vermeiden. Es gilt zunächst ein-
mal wieder die Geltung zu erringen, die den
Kongressen gebührt und die man sich in
einzelnen Kreisen durch die Ereignisse der
letzten Jahre verscherzt hat.
Was die einzelnen Punkte des diesjährigen
Weltfriedenskongresses angeht, so möchte ich
zunächst auf den im 9, Hefte des Jahres 1912
von de Jong van Beek en Donk ge-
schriebenen Aufsatz über „Völkerrechts-
kodifikation und Genfer Weltfriedens-
kongreß" verweisen. Darin Wurde treffend
vorgeschlagen, die Versammlung möge sich
darauf beschränken, die Regelung der wich-
tigsten Punkte — Autonomie, territoriale Inte-
grität und vielleicht auch noch ein paar
andere — in das pazifistische Programm auf-
zunehmen, aber nicht über die sämtlichen
Einzelheiten Arnauds zu beraten.
Zu den interessantesten Punkten der dies-
jährigen Verhandlungen dürfte das Pro-
blem einer internationalen Poli-
zeimacht gehören, worüber der bekannte
Professor an der Universität JLeyden van
Vollenhoven referieren wird. Damit in
Zusammenhang steht ein Bericht des Pro-
fessors de M a d a y von der Universität Neu-
chatel über die ökonomischen Sanktionen im
internationalen Recht.
Die Konferenz muß sich wohl bewußt
sein, daß die Vorschläge nach Schaffung
einer internationalen Exekutive noch in vielen
Kreisen als völlig utopistisch angesehen wer-
den. Selbst Männer, die den Friedensbestre-
bungen im Grunde höchst sympathisch gegen-
überstehen, glauben doch mit Entschieden-
heit gegen derartige Forderungen Front
machen zu müssen. Aber viele dieser
Gegner urteilen ohne genügende Kenntnisse
des Problems. Noch keiner von ihnen hat
in ausführlicher monographischer Darstellung
die Einwendungen van Vollen hovens
widerlegt. Was sie vorgebracht haben, ist
oft nichts als die Aeußerung eines noch nicht
klar durchdachten Gefühles. Es ist ja ge-
wiß zweifelhaft, ob eine internationale Exe-
kutive auf dem organischen Wege der Völker-
rechtsentwicklung liegt. Aber gerade des-
wegen soll man einmal rein wissenschaftlich
die Gründe dafür und dawider prüfen. Man
soll nicht mit allgemeinen Redensarten einen
Vorschlag zu Fall bringen, der ja gewiß
vielleicht gefährlich sein, aber möglicherweise
auch unsagbares Glück für die Völker be-
deuten kann. Gerade die jüngsten Balkan-
ereignisse, wie das gemeinsame Vorgehen
gegen Montenegro und der Plan einer Flotten-
demonstration der europäischen Großmächte
gegen die Türkei, zeigen mit Deutlichkeit,
daß anscheinend eine gewisse Tendenz der
Entwicklung dahin geht, daß die Staaten-
gemeinschaft in krassen Fällen widerspen-
stige Regierungen zum Gehorsam zwingt.
Wie dem auch sein mag, das Problem
mußte einmal aufgerollt und erklärt werden,
und es ist ein großes Verdienst van Vollen-
hovens, dies gietan zu haben. Das eine
scheint mir freilich gewiß : Es wird unmög-
lich sein, die Frage auf einem Kongresse
zur Entscheidung zu bringen. Man sollte
bei diesem ungeheuer schwierigen
Probleme davon absehen, sofort
eine weitgehende Resolution zu
fassen und die Errichtung einer
internationalen Polizeimacht zu
befürworten, sondern sich mit
einer vorsichtigen Erklärung etwa
dahingehend begnügen: Die Konferenz
sei der Meinung, daß insbesondere nach den
jüngsten Ereignissen die Schaffung einer inter-
nationalen Exekutive einer eingehenden Prü-
fung bedürfe, und bitte die Vertreter des
Völkerrechts, an der Klärung der Frage zu
arbeiten.
Von den übrigen Programmpunkten
haben außer dem Berichte über „die Presse
im Dienste des Friedens" besonders die Vor-
träge Normann Angells über „Han-
delskonkurrenz und interna-
tionale Beziehungen" und Quid des
über „Rüstungstillstand" eine beson-
dere Bedeutung. Norman Angell erfreut
sich einer gewissen Berühmtheit und sein Vor-
trag wird dem Kongresse eine besondere Be-
deutung verleihen. Von Q u i d d e werden wir
hoffentlich auf dem Kongresse oder doch
bald darauf das Buch über die Rüstungsfrage
sehen, das er uns versprochen hat.
Wir wünschen dem Kongresse in der
gastlichen Hauptstadt der Niederlande einen
schönen Und seiner Bedeutung entsprechen-
den Verlauf.
305
DIEFBIEDEN5-VVADTE =
MinisterRsserf ;ein Bahnbrecher
der Völkerverständigung.
Mit dem am 29. Juli im Haag verstorbenen
holländischen Staatsminister Asser ist einer
der schärfsten Denker auf völkerrechtlichem
und international-privatrechtlichem Gebiete da-
hingegangen, ein hochstrebender, ideal ge-
sinnter Mann, der sich von kleinen Anfängen
zu höchstem Ruhme emporgearbeitet und
immerfort seine ganze Kraft der Menschheit
dienstbar gemacht hat. Er ging vom Handels-
rechte aus und erkannte, wie sehr die Mensch-
heit statt der vielen nationalen Rechte ein
Weltrecht nötig hatte. Von den Tagen an,
wo er als 24jähriger Professor an der Uni-
versität Amsterdam dozierte, verließ ihn nie
der Glaube an die Vereinheitlichung der ver-
schiedenen Rechtssysteme, und er kämpfte
heiß für die Verwirklichung dieses Gedankens.
Ihn zeichnete besonders aus, daß er trotz
seiner idealen Gesinnung niemals Utopien
nachlief. Er dachte niemals daran, mit einem
Schlage dieses Weltrecht herbeizaubern zu
können und ging deshalb lediglich darauf
hinaus, den Grundstein zu legen. Und dies
ist ihm in vollstem Maße gelungen. Die vier
Konferenzen, die in den letzten zwanzig Jahren
im Haag über internationales Privatrecht ab-
gehalten wurden, sind Assers Werk.. Er hat
ihre Organisation in die Hände genommen
und sie erfolgreich durchgeführt. Kein
Wunder, daß er in Anerkennung dieser Ver-
dienste auf allen diesen Staaten Versammlungen
ebenso wie auf den Konferenzen für das Welt-
wechselrecht zum Vorsitzenden ernannt wurde.
Ein hervorragender Delegierter zur zweiten
Haager Friedenskonferenz erklärte mir einmal,
wenn man auf den Konferenzen für inter-
nationales Privatrecht nicht mehr weiter ge-
konnt habe, dann habe man Asser in die
Kommission geholt, und der habe den Knoten
schnell durchhauen. Assers Werk über inter-
nationales Privatrecht ist auch in fremde
Sprachen übersetzt worden.
Nicht minder bedeutsam war die Rolle
des holländischen Staatsministers auf völker-
rechtlichem Gebiete. Bereits im Jahre 1869
begründete er zusammen mit seinen Freunden
Westlake und Rolin-Jaequemyns die Revue de
droit international et de 16gislation comparee,
die heute noch besteht und lange Zeit die
einzige völkerrechtliche Zeitschrift blieb, ferner
das berühmte Institut für Völkerrecht. Schon
bald wurde man in den Kreisen der hollän-
dischen Regierung auf ihn aufmerksam, be-
rief ihn in den Staatsrat und delegierte ihn
auf zahlreiche Konferenzen, so in die K©n-
ferenz zur Vereinheitlichung des Eisenbahn-
frachtverkehrs, zum, ßchutze der unterseeischen
Kabel, zur Neutralisierung des Suezkanals und
zur Regelung der Kongofrage. Besonderen
Ruhm hat sich Asser durch seine Verdienste
auf den Haager Friedenskonferenzen er-
worben. Hier spielte er eine entscheidende
Rolle, und namentlich in dem Schiedsgerichts-
ausschusse der ersten Haager Konferenz hat
er segens voll gewirkt. Als der deutsche Dele-
gierte Zorn im Juni 1899 den ständigen
Schiedshof ablehnte, da stand Asser als erster
auf und bat Zorn, in seiner Schlußfolgerung
weniger bestimmt zu sein und in einer so wich-
tigen Frage doch noch einmal an seine Re-
gierung zu berichten. Bekanntlich fuhr dann
Zorn noch einmal nach Berlin und erreichte
auch, daß die deutsche Regierung der Er-
richtung des Haager Schiedshofes zustimmte.
Interessant ist auch, daß Asser 1899 im Gegen-
satze zu der deutschen Delegation mit Ent-
schiedenheit dafür eintrat, die Vermittlung
obligatorisch zu gestalten.
Auch auf der zweiten Haager Konferenz
spielte Asser eine bedeutsame Rolle. Mit
seinem klaren Blicke sah er vollkommen vor-
aus, daß der Weltschiedsvertrag infolge des
Widerstandes Deutschlands und Oesterreichs
nicht zustande kommen würde, und er sagte
mir einmal, es sei doch zwecklos gewesen,
daß der Präsident der Kommission, der frühere
französische Ministerpräsident Bourgeois, die
Konferenz vier Monate in dieser Frage auf-
gehalten habe. Asser war eben trotz seiner
idealen Gesinnung vollkommen Realpolitiker.
Der Friedensbewegung als solcher stand
Asser sympathisch gegenüber, obwohl er sich
in keiner Weise direkt an ihr beteiligte. Er
war zwar Mitglied der holländischen Friedens-
gesellschaft und des internationalen Friedens-
instituts in Monako (jetzt in Paris)*), auch hat
er den Nobelpreis zusammen mit Fried und
anläßlich der Einweihung des Friedenspalastes
den Ehrendoktor der Universität Leyden eben-
falls1 zusammen mit Fried erhalten. Aber
seine pazifistische Gesinnung Ist doch wenig
hervorgetreten. Daß er aber ganz auf Seiten
dieser Bewegung stand, mag man daraus er-
sehen, daß er mir einmal mit großer Be-
wunderung von dem Friedensaposter Stead
und mit großem Unwillen über das bekannte
Buch v. Stengels ,, Weltstaat und Friedens-
problem" sprach.**)
Mit dem 75jährigen Asser scheidet ein
selten begabter Mann von wahrhaft idealer
Gesinnung dahin, der in der Geschichte des
internationalen Rechts als einer der Aller-
größten fortleben wird.
Dr. Hans Wehberg.
*) Nach einer Liste in „Friedenswarte",
1903, S. 37.
**) Die Worte Assers über Stengels Buch
waren von solcher Schärfe, daß ich sie im ein-
zelnen erst in späterer Zeit wiedergeben möchte.
306
<§=
DIE FRIEDEN5->M&DXE
Die Sünden Bulgariens.
Von Richard Gädke, Berlin-Steglitz,
früher Oberst und Regimentskommandeur.
Die gegenwärtige Lage Bulgariens ist
ein Schulbeispiel für die Folgen einer chauvi-
nistischen, imperialistischen Politik, die alles
auf die Schärfe des Schwertes stellt und den
internationalen Zusammenhang der Dinge
übersehen zu können glaubt. Vielleicht nie-
mals ward eine anfänglich überaus günstige
Lage derart verdorben und in ihr Gegenteil
verkehrt durch eine kurzsichtige Habgier, die
den Nachbarn nichts gönnte und mit einem
Schlage auf dem Wege brutalster Gewalt die
Vorherrschaft des eigenen Staates gewinnen
wollte. Hätten die Staatsmänner Bulgariens
auch nur ein mittleres Maß von Einsicht und
Vernunft besessen, so lag in der Tat ein
militär-politischer Bund der Balkanstaaten
nicht außerhalb des Bereichs der Möglichkeit.
Und damit konnte eine neue Großmacht ent-
stehen, die durch die Art ihrer Organisation
selbst eine Gewähr für den Frieden Europas
gewesen wäre. Es konnte ein dauerndes
Staatengebilde sich erheben, das eine der
größten Quellen aller Beunruhigung ver-
stopft hätte. Die gegenseitigen Eifersüchte-
leien der Großmächte gerade auf diesem vul-
kanischen Boden wurden beseitigt; der
Staatenbund wäre mächtig genug gewesen,
sich in voller Unabhängigkeit zwischen Oester-
reich und Rußland zu behaupten. Sogar
der Bestand der asiatischen Türkei konnte
gesichert, ihr Zeit und Möglichkeit für eine
grundlegende Erneuerung geboten werden.
Welche Aussichten! Welch Glück für den
dauernden Frieden Europas !
Wie hat sich das jetzt geändert ! Es ist
nur ein magerer Trost, wenn durch die Be-
mühungen der Diplomaten diesmal vielleicht
der allgemeine Frieden noch wird erhalten
werden, hauptsächlich darum, weil die Furcht
vor den Folgen eines großen Zusammen-
stoßes in friedlichem Sinne wirkt, und
weil beinahe alle maßgebenden Staaten
sich inmitten neuer gewaltiger Rüstungen be-
finden. Laßt sie erst vollendet sein, und ihr
werdet sehen, wie der Wetterwinkel am
Balkan und in Kleinasien seine unheilvollen
Wirkungen äußert, bereit alles, was gesittete
Männer im Laufe langer Jahre mit unend-
licher Mühe und Geduld aufbauen, mit einem
einzigen Sturmeshauche zu zerstören. Denn
es ist ja nicht der große Gegensatz zwischen
den beiden Teilstaaten des alten Reiches
Karls des Großen, von dem aus der ver-
heerende Kriegssturm ausgehen wird. Dazu
sind denn doch die Staatsmänner und die
Parlamente auf beiden Seiten der Vogesen
zu gewissenhaft und besonnen, die chauvi-
nistischen Schreier und kriegslüsternen Gene-
rale bei weitem nicht mächtig genug, um
so aus dem Handgelenke, ohne einen Grund,
der die Massen in ihren Tiefen aufregt, einen
Kriegsbrand zu entfesseln. Wo aber sind denn
die großen Interessengegensätze zwischen
Frankreich und Deutschland? In Afrika ist
die Kolonialfrage auf absehbare Zeit ge-
ordnet; Frankreich hat Marokko, auf das
sein moralisches Anrecht — sit venia verbo —
jedenfalls größer war als das unsrige; und
w i r haben die Fiebersümpfe am Kongo
als Lohn einer wenig umsichtigen, wenig
zielbewußten Politik. Ich sehe nirgends
Reibungsflächen, aus denen hier noch neue
Konflikte entstehen könnten. Um Elsaß -Loth-
ringen zurückzugewinnen, werden die
Franzosen schwerlich einen Krieg vom Zaune
brechen. Dies Symbol ist prächtig, um das
Volk zu militärischen Opfern willig zu machen,
aber es hat bei der lebenden Generation
längst nicht mehr die Wirkung, um es der
Rache wegen in einen gefährlichen Krieg zu
stürzen. Unsere angebliche Absicht aber
auf Belgien ist eine ausschweifende Phantasie,
von der sich nur besonders törichte Franzosen
umnebeln lassen. Frankreich und Deutschland
sind gewiß durch manche Erinnerung und
durch die schwere Demütigung von 1870
getrennt, aber ohne großen äußeren Anlaß
wird die Abneigung, die daraus hervor-
geht, schwerlich zu einem Kriege zwischen
beiden Völkern führen. Diesen äußeren An-
laß kann nur, soweit wir irgend die Lage zu
überblicken vermögen, die Entwicklung der
Dinge auf dem Balkan und in Kleinasien
I geben. Auch sie nicht einmal unmittelbar;
sondern weil hier die großen Interessengegen-
sätze zwischen den beiderseitigen Verbündeten
bestehen, die die beiden größten Militär-
staaten der Welt, Selbst widerwillig, in ihren
verderblichen Strudel zu ziehen vermögen.
Ein Balkanbund, besonders unter Ein-
schluß der Türkei, konnte diese Interessen-
gegensätze mildern, selbst beseitigen, weil er,
wie ich oben gesagt, ein lebensfähiges Gebilde
war, das den Appetit der Nachbaren in seine
Grenzen zurückwies. Der Zustand aber, wie
er höchstwahrscheinlich aus den Konferenzen
von Bukarest hervorgehen wird, ist voll der
größten Gefahren. Er kann höchstens ein
labiles aber kein stabiles Gleichgewicht er-
geben. Unmittelbar nach dem Friedens-
schlüsse werden die Rüstungen und die In-
triguen von neuem beginnen, und man wird ver-
suchen, die vorläufige Entscheidung durch
eine endgültige zu ersetzen. Nicht friedliches
Nebeneinanderleben von Staaten, die den Fort-
schritten der Kultur zustreben wollen, wird
die Folge sein, sondern gegenseitige Eifer-
sucht, vermehrte Gegensätze, Anziehung der
Rüstungsschraube, Ehrgeiz, der anstatt des
Glückes der Bürger die Machterweiterung"
durch das Schwert sucht ! Und in dieses gegen-
seitige Intriguenspiel werden Rußland und
Oesterreich, Italien und Frankreich, Deutsch-
land und England hineingezogen werden.
Denn die traurige Entwicklung der Dinge läßt
ihnen die Möglichkeit eigener Machter-
307
DJE FRIEDENS ^VADTE =
©
erweiterung und darum auch die böse Lust
danach. Wenn man dort noch immer im
trüben fischen kann, so ist es klar, daß nie-
mand dem anderen den fetten Bissen gönnt.
Man spricht von einem Gleichgewicht der
Balkanstaatenwelt, das sich aus dem neuen
Kriege ergeben solle und werde; aber gerade
dies Gleichgewicht ist ihrer aller Schwäche,
es eröffnet der Einmischung der Großmächte
freie Bahn, und hält die Wunde offen, die
sie sich jetzt gegenseitig schlagen.
Schon, daß Bulgarien mit zäher Hart-
näckigkeit auf den ungeteilten Besitz
von Adrianopel bestand, das ihm die Türken
bereits zur Hälfte abgetreten hatten, war ein
schwerer Fehler. Es brachte ungeheure neue
Opfer, sich der Festung zu bemächtigen,
Während die anderen Verbündeten leichte
Siege gewannen und ihre Heere reorgani-
sieren und vermehren konnten. Nur eine
außerordentliche Ueberschätzung der eigenen
Kraft kann die Staatsmänner und Generale
des Zaren Ferdinand zu dieser Verlängerung
des Krieges bewogen haben. Wenn die
Griechen sie in dieser kranken Staatskunst
bestärkt haben sollten, so mag es nicht ge-
rade machiavellistische Bosheit gewesen sein,
sondern mehr der Wunsch mit der Uebergabe
Adrianopels an Bulgarien für sich selbst
Saloniki und vielleicht Kawala zu sichern.
Jedenfalls stellte sich alsbald heraus, daß
die Bulgaren gerade noch Adrianopel, mehr
durch Aushungerung als durch Gewalt,
nehmen, aber 'weiter nicht vorzudringen ver-
mochten. Weder die Tschataldjastellung noch
die heißersehnte Halbinsel Gallipoli waren
sie imstande zu bezwingen, obwohl sie
durch zwei serbische Divisionen, gut 30 000
Mann, unterstützt waren. Wenn ihnen also
das politische Ziel vorgeschwebt hatte, festen
Fuß am Marmarameere und nahezu vor den
Toren von Konstantinopel zu fassen, Adria-
nopel aber in umgekehrter Entwicklung der
osmanischen Geschichte zur Hauptstadt von
Groß-pBulgarien zu machen, ehe ihnen in
einem späteren Feldzuge Konstantinopel als
reife Frucht in die Hand fiel, so mußten
sie dieser Sehnsucht entsagen. Schon hier
bewies ihnen das Schicksal, daß ihre Kraft
geringer war als ihr Wünschen und
Hoffen, daß der zweite Feldzug politisch
militärisch, finanziell, unnütze Opfer von ihrem
Volke gefordert und nahezu ein leichtfertiges
Verbrechen gewesen war.
Sie zogen leider keine Lehre daraus für
die Zukunft. Es ist fast ausnahmslos
eine schlechte Politik, die die verlorenen
Feldzüge im Gefolge hat. Weit inniger
noch, als wir gewöhnlich träumen, betäubt
von der blutigen Gewalt der Schlachten-
schläge, hängen Politik und Erfolg eines
Krieges, wie Ursache und Wirkung, mit-
einander zusammen. Die Bulgaren sind jetzt
weniger, als die Menschen meinen, mili-
tärisch von ihren früheren Verbündeten über-
wunden worden. Sie haben sich durch ihre
leichtfertige Politik selbst gemordet.
Dem Fehler, den sie den Türken gegen-
über begingen, fügten sie den zweiten, viel-
leicht noch schwereren hinzu, das mächtige
und festgefügte Rumänien zu reizen und
mittelbar auch Rußland zu verstimmen. Na-
türlich hat Rumänien ebenso wenig Anrecht
auf bulgarisches Land, als dieses auf die
Hadriansstadt und die Gestade der Marmara.
Ist aber einmal eine Prestige- und Erobe-
rungspolitik auf einer Stelle begonnen, so
frißt sie wie ein Krebsgeschwür weiter und
reizt die Begehrlichkeit der Nachbarn. Auch
für Rumänien handelte es sich nicht um
kulturelle Fragen, sondern um eine nackte
Vergrößerungspolitik, um jenen Ehrgeiz des
Staates, der mit dem Glücke der Menschen
wenig gemein hat, um die berühmte Politik
des Gleichgewichts, die in Wahrheit eine
Politik mißtrauischer Räuberbanden ist. Aber
da die Bulgaren glaubten, in Bukarest Türken
vor sich zu haben und nicht ebenso geriebene
und entschlossene Männer als sie selbst sind,
so zerronn in diesem Augenblick der schöne
Traum eines Balkanbundes, und der Krieg
aller gegen lalle ward entfesselt. Der thra-
zische Krieg, der immerhin einen wirklichen
Kulturfortschritt hätte anbahnen können,
wenn er ein gemeinsames Werk höher ge-
sitteter Völker gegen primitivere und un-
haltbar gewordene Zustände geblieben wäre,
ward nun ein Unternehmen sinnloser
Menschenschlächterei, und brachte den un-
glücklichen, den „befreiten" Völkerschaften
namenlose Leiden. Mehr wie in einem anderen
Kriege ward hier die Wut der verschiedenen
Nationalitäten zu Taten grausamster Nieder-
tracht gegeneinander entflammt, und an-
statt die Gesittung zu heben, ward die Bestie
im Menschen freigemacht. Es ist sehr
gleichgültig, wenn sie sich gegenseitig der
Metzeleien beschuldigen, und jeder die eigenen
Hände in Unschuld wäscht: sie sind alle in
der gleichen Verdammnis, und auf allen
Seiten sind zweifellos Taten geschehen, deren
viehische Wollust zum Himmel stinkt. Das
sind die Folgen des bulgarischen Großmachts-
dünkels I
Es wäre immer noch nicht so weit ge-
kommen, wenn man nicht zugleich die beiden
Verbündeten, Serbien und Griechenland, böse
vor den Kopf gestoßen hätte. Der
Beuteanteil, den ihnen Bulgarien zuge-
stehen wollte, konnte weder das eine noch
das andere zufrieden stellen. Nachdem
man einmal den Weg des Krieges betreten
hatte, durften hier nicht mehr formale Rechts-
gründe entscheiden, sondern Grundsätze der
Billigkeit und der Moral. Sie völlig
außer acht gelassen zu haben, darin bestand
der größte Frevel der bulgarischen Politik.
Besonders Serbien war unzweifelhaft benach-
teiligt. Nachdem Oesterreich-Ungarn ihm
den Ausgang zur Adria versperrt hatte, mußte
308
<5E
E DIE FRlEDEN5->\^ErE
es notgedrungen anderswo Ersatz suchen; es
durfte ihm jedenfalls nicht das nackte
Nationalitätsprinzip entgegengestellt werden,
das in diesen interessanten Gegenden so un-
klar und verworren wie nur möglich ist.
Nationalitäten sind hier erst im Entstehen
begriffen. Dazu kommt, daß gerade Serbien
weit mehr als die anderen Staaten des Balkan
in seiner Vereinzelung ein unfertiges Staats-
gebilde ist, wie einst Piemont, wie einst
Brandenburg-Preußen! Es muß entweder
untergehen oder sich ausdehnen! Die Politik
Oesterreichs ihm gegenüber ist voll der folgen-
schwersten Fehler, weil sie nicht weiß, was
sie will. Sie müßte Serbien verschlucken,
oder es zum Freunde gewinnen.
Ueberall unter den sogenannten Sachver-
ständigen Europas hat man die militärischen
Erfolge der Bulgaren überschätzt, die der
Griechen und Serben unterschätzt. Kein
Wunder, daß jene selbst der gleichen Meinung
waren. In Wahrheit aber hatten sie ein un-
fertiges Türkenheer mehr überrannt als eigent-
lich geschlagen; die fortifikatorisch nicht eben
großartige Stellung von Tschadtaldja hatten
sie nicht mehr zu stürmen vermocht. Anderer-
seits hatten die Serben sich bei Kumanowo
und bei Monastir ernsthaft und tüchtig ge-
schlagen, während die Griechen, die aller-
dings leichtere Arbeit vorfanden, mindestens
strategisch sehr gut geführt waren. Aber die
falsche Beurteilung der gegenseitigen Kraft-
verhältnisse durch die Bulgaren ist ein klassi-
sches Beispiel dafür, wie schwer es ist,
sich von dem wahrscheinlichen Ausgang eines
großen Krieges, von dem Werte feindlicher
Armeen vor dem Gottesgerichte der Schlacht
ein irgendwie zutreffendes Bild zu machen.
Der Ausgang eines jeden großen Krieges liegt
immer erst nachträglich in seiner Bedingt-
heit, in seinen Ursachen klar vor unsern Augen.
Vorher ist er das größte Hasardspiel; und
man mag eher hoffen, die Bank von Monako
zu sprengen, als in einem Kriege mit einem
der großen Militärstaaten Sieger zu bleiben.
Wenn unsere Diplomaten einige Fähigkeit in
ihrem Berufe und einige Gewissenhaftigkeit
besitzen, muß gerade diese Erfahrung sie
friedliebend stimmen und dem Gedanken der
Schiedsgerichte geneigt machen. Auch vor
einem Gerichtshofe mag das Recht nicht
immer zum Siege gelangen, aber niemals gibt
es dort ein Lotto, wie es das Schlachtfeld
ist; niemals die blutige Größe des Einsatzes!
Zu der Ueberschätzung ihres eigenen mili-
tärischen Wertes kam dann, wie es unter
solchen Umständen und bei einer an sich
kurzsichtigen und zugleich abenteuerlichen
Politik immer zugehen pflegt, der schwere
Fehler einer falschen Versammlung der
Hauptkräfte. Ihre Anhäufung an der serbi-
schen Südostgrenze mit der demonstrativen
Bedrohung von Belgrad war nur dann ge-
rechtfertigt, wenn man dort auf rasche Er-
folge hoffen konnte, ehe die verhältnismäßig
schwache Aufstellung in Mazedonien über-
wältigt wurde. Aber man rechnete freilich
auch hier auf den Sieg, weil man die Energie
der griechischen Heerführung bei weitem
zu gering, die Schwierigkeiten des Landes
und der Verpflegung bei weitem zu hoch
einschätzte. Man glaubte, die Serben durch
einen Flankenangriff von Süden her auf-
rollen zu können, ehe die griechische Ein-
wirkung zur Geltung käme. Dieser Fehler im
Kalkül ist nahezu unverzeihlich, weil die
Erfahrung des Winterfeldzuges für eine hohe
Entschlossenheit und Gewandtheit der griechi-
schen Heeresleitung zeugte. Auch die smarte
und rasche Art, wie man ihnen Saloniki vor
der Nase wegschnappte, hätte den hoch-
mütigen Bulgaren zu denken geben sollen.
Im ganzen genommen, ist der Feldzug
von ihnen schlecht eingeleitet und schlecht ge-
führt worden; hoffnungslos aber wurde er, als
die Rumänen eingriffen. Ohne sie wäre der
Kampf wahrscheinlich ohne endgültige Ent-
scheidung an den alten bulgarischen Grenzen
zum Stillstand gekommen, und die allge-
meine Erschöpfung hätte dem zwecklosen
Morden ein schließliches Ziel gesetzt. Nun
ist Bulgarien so gebeugt, wie wohl noch nie
ein Land nach glänzenden Siegen; noch nie
wohl ist einem meteorgleichen Aufstieg so
rascher Fall gefolgt! Des alten Aeschiylus
Erfahrung wird aufs neue bestätigt:
— „daß nicht zu hoch der Mensch das
Haupt erhebe I
Blühender Uebermut trägt schon die Aehre
Der Schuld, zu tränenreicher Ernte reif!"
Das arme, vielgeprüfte Volk, für das ein
Menschenopfer von angeblich 100 000 blühen-
den Leben einen ungeheuren Aderlaß be-
deutet (als ob Deutschland im Feldzuge von
1870 die Zahl von einer Million Männer ver-
loren hätte!), hat nur den einen Trost
und die eine Hoffnung, daß für die Groß-
mächte seine Erhaltung eine Notwendigkeit
bedeutet. Ein Großserbien an seiner Stelle
würde den sofortigen europäischen Krieg
zur Folge haben. Bulgarien wird also
verhältnismäßig gnädig davonkommen, mag
vielleicht sogar Adrianopel wieder gewinnen —
vielleicht! Aber der Traum von seiner Vor-
machtstellung auf dem Balkan ist ausgeträumt;
und diese Enttäuschung wird am besten Marke
des Landes zehren und es zu1 einer steten Quelle
der Besorgnis für Europa machen. Erstjetzt
wird die Lage auf dem Balkan wirklich bedroh-
lich, gerade weil an einen Balkan b und
nicht mehr zu denken ist. Und weil alles
von neuem in Frage gestellt ist! Wer kann
die Türken anklagen, nachdem die Bul-
garen mit so schlechtem Beispiel vorange-
gangen sind? Und wer schließlich die Bul-
garen verurteilen, da ja die Großmächte
Europas einig immer nur in der Negative,
in der Passivität waren. Der Ehrgeiz des
kleinen Landes ist durch die eine klare
309
DIE FßlEDEN5-^\ETE
Erkenntnis auf falsche Bahnen gelenkt
worden, daß es von den Großmächten
nichts zu fürchten habe, weil diese selbst so-
fort in den schwersten Zwist geraten wären,
wenn sich eine von ihnen zu einer positiven.
Tat entschlossen hätte. In dieser mangeln-
den Einheit des politischen Ziels liegt ein be-
unruhigendes Symptom für die nächste
Zukunft.
Offener Brief an Seine Ejccellenz
den Generalleutnant z. D.
von Reichenau in Düsseldorf.
Sehr geehrte Excellenz!
In einem am 27. Juli im „Tag" erschie-
nenen Leitartikel über „die qualitative Seite
der Heeresverstärkung" schreiben Sie einige
ausgezeichnete Worte über die Gefahren
eines heutigen Krieges : „Täuschen wir uns
nicht", so sagen Sie in Ihrem fachmännischen
Aufsatze, „über den Ernst der Lagel Mehr
wie der 30 jährige Krieg würde jetzt ein
Krieg von nur 30 Wochen die Kultur eines
Landes zurückwerfen, in dessen Grenzen der
Kampf sich abspielte, dessen Felder von den
Millionenheeren zerstampft, dessen industrielle
Produktion lahmgelegt, und dessen bewegliche
Werte vom Gegner in Anspruch genommen
würden. Je höher der Kulturwert eines
Landes gestiegen und je größer sein Besitz-
stand ist, desto schwerer lastet die Faust
des Krieges auf ihm, wenn es unterliegt."
Nun muß jeder Klardenkende zugeben,
daß die Besiegung Deutschlands in einem
Kriege, so w,enig wahrscheinlich sie sein
mag, doch immerhin nicht ganz ausge-
schlossen ist und daß daher der wahre
Patriot dahin streben muß, seinem Vater-
lande einen Krieg zu ersparen. Ist es uns
also möglich, wenn auch in langer ununter-
brochener Arbeit, dahin zu gelangen, daß
Kriege zum wenigsten seltener werden, dann
haben wir, wie auch .einmal Zorn betont
hat, unserem Lande einen unschätzbaren
Dienst erwiesen.
Die Schlußfolgerungen, die nun Eure
Excellenz aus dem bisherigen Resultate ziehen,
sind nun allein die, daß wir nach besten
Kräften gerüstet sein müssen. Sie bedauern
von diesem Standpunkt aus mit vollem Rechte,
daß wir so viele „Krüppel und solche unter
uns haben, deren seelische Schwungkraft
flügellahm geworden ist".
Gegen Ihre Forderung möglichst tüch-
tiger Wehrhaftmachung will ich mich an
dieser Stelle keinen Augenblick wenden. Man
kann ihr sogar mit gewissen Modifikationen
von pazifistischer Seite aus zustimmen Was
ich aber in Ihrem Aufsatze nicht für richtig
halten kann, ist dies:
Sie reden von der „Naturnotwendigkeit
des Krieges". Sie berufen sich dabei vielleicht
auf die Vergangenheit, die meines Erachtens
gar nichts beweist; denn die Menschheit
befindet sich in einer steten Entwicklung,
und Sklaverei, Hexenzauber und Inquisition
sind auch von uns überwunden worden. Aber
vor allem sollte Ihnen doch die Geschichte
der jüngsten Balkankriege gezeigt haben, daß
wirklich nicht alle Kriege notwendig sind.
Als Staatsmann des zu Boden geschmetterten
Bulgariens hätten gewiß auch Sie ein Nach-
geben für besser erachtet. Und die Ge-
schichte der deutsch-französischen Krisen in
den letzten Jahren beweist deutlich, wie viele
Kriege tatsächlich vermieden worden sind,
die — wären sie geführt worden — von ihnen
wohl als Naturnotwendigkeit bezeichnet wor-
den wären.
Immerhin läßt sich doch nicht eine so
heiß umstrittene Frage, ob der .Krieg eine
Naturnotwendigkeit ist, kurzerhand für immer
als bejaht hinstellen und nunmehr daraus die
Schlußfolgerung ziehen, die Pazifisten jagten
Utopien nach. Es handelt sich bei der
Frage von der Naturnotwendigkeit des Krieges
um ein höchst schwieriges und wissenschaft-
liches Problem, das viel zu {heilig ist, als
daß man darüber mit Leichtigkeit hinweg-
huschen könnte.
Wenn nun (wie zahlreiche angesehene
Männer, auch hohe Offiziere a. D., — denn
auch Admiräle und Generäle sind unter den
Führern der Pazifisten und im Verband für
internationale Verständigung — behaupten)
die Naturnotwendigkeit des Krieges keines-
wegs feststeht, dürfte es dann wohl richtig sein,
eine so hochwichtige Menschheitsfrage mit
einem Achselzucken beiseite zu schieben ?
Die Pazifisten erklären, daß der Krieg nur
ein Produkt der bisherigen Entwicklung ist
und mit der Organisation der Staaten, mit
der immer größeren Abhängigkeit der Völker
verschwinden wird und zwar umso schneller,
je mehr wir diese Organisation fördern. Das
ist freilich nicht das Werk einiger Monate
und Jahre, sondern erfordert jahrzehntelange
treue Arbeit und jene seelische Schwungkraft,
die nach Ihrer Meinung den Pazifisten fehlen
soll. Wie eigenartig, daß Sie die seelische
Schwungkraft nur dem zugestehen, der auf
Ihr Programm schwört!
Nein, Excellenz, die seelische Schwung-
kraft ist nicht nur bei denen, die im Feuer
der Schlachten für ein ihnen hohes Ideal
standhalten. Auch denen kommt sie zu, die
für die hohen und letzten Ziele der Mensch-
heit trotz des Unverstandes der Mitwelt ein-
treten, die für ihren Glauben und ihre Ueber-
zeugung ebenso tapfer den Tod erleiden
würden wie die Helden auf dem Schlacht-
felde.
Sie sagten schließlich, der Balkankrieg
habe gezeigt, daß alle Beschwörungen um des
lieben Friedens und der Menschlichkeit willen
sich als wirkungslos erwiesen. Diese Aus-
führungen zeigen, daß Ihnen unbekannt ist,
310
<§=
= DIE FRI EDENS ->fc/ÄBXE
was wir Pazifisten wollen. Wir können ja
gar nicht an einem Tage die bisherige Ent-
wicklung verändern und deshalb entmutigen
uns neue Kriege nicht, sondern es folgt
daraus für uns nur die Notwendigkeit, immer
eifriger an dem Ziele der großen juristischen
Organisation der Menschheit zu arbeiten. Wer
allerdings die Früchte seines Strebens in
wenigen Augenblicken erleben will, der soll
nicht zu uns kommen. Denn die gewaltige
Tat, die wir erstreben, erfordert zähen Ide-
alismus.
Wenn daher Eure Excellenz in Ihren
interessanten „Tag" - Artikeln von Voraus-
setzungen ausgehen wollten, die dem Wesen
der Friedensbewegung gerecht würden, so
dürfte das vielleicht im Interesse einer Klärung
der hochbedeutsamen Frage liegen.
Euer Excellenz sehr ergebener
Dr. jur. Hans Wehberg, (Düsseldorf).
Brief aus denVereinigtenStaaten.
Von Henry S. Haskeil, New York.
Die Republik Mexiko und die Ver-
einigten Staaten. — Der neue Frie-
densvorschlag des Staatssekretär. s
Bryan. — Die Vereinigten Staaten
und Nicaragua. — Der japanisch-
amerikanische Streitfall. — Robert
Bacons Besuch der südamerikani-
schen Republiken.
24. Juli 1913.
Die öffentliche Meinung* beschäftigten in
den letzten Wochen hauptsächlich die Be-
ziehungen zwischen der Republik Mexiko und
den Vereinigten Staaten. Es erscheint unmög-
lich, autoritative Informationen über die Er-
eignisse in Mexiko zu erhalten. Die empfange-
nen Nachrichten sind widersprechend. Soviel
scheint aber festzustehen, daß sich die mexi-
kanische Regierung in einer sehr prekären!
Situation befindet, und daß die Anhänger der
Verfassung, die \Gegner der jetzigen Re-
gierung sind, wahrscheinlich die Majorität
bilden. Die Regierung der Vereinigten Staaten
wurde dringend aufgefordert, die durch den
vorläufigen Präsidenten Huerta angeführte
Regierung anzuerkennen; es verlautet aber,
daß Präsident Wilson nicht nur dieser Auf-
forderung nicht nachkommen, sondern auch
veranlassen will, daß die Ausfuhr von Waffen
nach allen Teilen Mexikos verboten werde.
Eine Intervention durch die Vereinigten
Staaten ist nicht möglich. Ein Vorschlag,
der Beifall fand, ging dahin, die Vereinigten
Staaten möchten in Verbindung mit den
größeren Republiken Latein -Amerikas, wie Ar-
gentinien und Brasilien, in Mexiko intervenieren
und die Wahl eines neuen konstitutionellen
Präsidenten sichern. Die Verhältnisse in
Mexiko scheinen schlimmer zu werden, und
die Ausländer haben große materielle Ver-
luste und vereinzelt auch Menschenleben zu
beklagen. Die finanzielle Lage ist trostlos,
und es ist sicher, daß die Verantwortlichkeit
der Vereinigten Staaten irgendeine Aktion in
sehr kurzer Zeit notwendig machen wird. Der
amerikanische Gesandte Henry Lane Wilson
ist nach Washington zu einer Konferenz be-
rufen worden und wird diese Woche erwartet.
Präsident Wilson und Staatsrat ~John Bassett
Moore haben alle Phasen der Situation sorg-
fältig untersucht, und nach Ankunft des Ge-
sandten Wilson wird wahrscheinlich eine
Entscheidung über die zu verfolgende Politik
getroffen werden.
Staatssekretär Bryan teilt mit, daß von
den 39 Regierungen, denen sein Friedens-
plan vorlag, 20 geantwortet, ihr Interesse dafür
ausgedrückt und weitere Details verlangt
haben. Der Plan wurde etwas geändert, aber
der endgültige Vorschlag, dem Präsident
Wilson zustimmte und der den 39 Nationen
unterbreitet wurde, enthält die folgende Be-
stimmung: daß alle Streitfragen, ohne jede
Ausnahme, nach dem Versagen der diplo-
matischen Aktion einer internationalen Kom-
mission unterbreitet werden sollen, und daß
weder der Krieg erklärt noch die Feind-
seligkeiten eröffnet werden dürfen, bevor
diese Kommission ihren Bericht erstattet hat.
Es wird vorgeschlagen, ein Jahr für die Unter-
suchung einzuräumen. Diese internationale
Kommission soll aus fünf Mitgliedern ge-
bildet werden; jede Regierung soll einen
ihrer Staatsbürger und einen fremden Staats-
angehörigen wählen; alle fünf Mitglieder
sollen von beiden Regierungen anerkannt
werden.
Dieser Plan wird die Vereinigten Staaten
veranlassen, der Frage auf Aufrechterhaltung
des Status quo während der Untersuchungs-
zeit näherzutreten. Es wird versuchsweise
vorgeschlagen, alle Staaten, die diesen Ver-
trag abschließen, zu verpflichten, einer Er-
haltung des Status quo ihrer Flotte und ihrer
Armee während der Untersuchung bei-
zustimmen, es sei denn, daß die eine oder die
andere Partei von einer dritten Seite bedroht
werde. In diesem Falle müßte die sich be-
droht fühlende Partei der anderen vertrau-
liche Mitteilung davon machen, wodurch ihre
Verpflichtung, die Stärke ihrer Armee und
Flotte unverändert zu erhalten, aufhören
würde. Dadurch würde dann diese Verpflich-
tung auch für die andere Partei entfallen.
Es geschieht zum erstenmal, daß eine große
Nation den Vorschlag macht, Armee und
Flotte auch /vor einem drohenden Kriege
nicht zu erhöhen. Wenn dieser von den
großen Mächten angenommen wird, würde
dadurch der Anfang zu einer allgemeinen
Rüstungsbeschränkung gegeben sein.*)
Kurz vor Schluß der Präsidentschaft
Tafts wurde ein Vertrag zwischen den Ver-
einigten Staaten und Nicaragua abgeschlossen,
der aber durch den Senat noch nicht be-
stätigt worden ist. Es war eine der nicht er-
*) Der erste Vertrag dieser Art mit Salvador
ist bereits unterzeichnet worden. Fr. W.
311
CHE FRIEDENS -WAGTE
:3
ledigten Angelegenheiten, die der neue Präsident
übernahm. Nun wird mitgeteilt, daß Staats-
sekretär Bryan auf Veranlassung des Ge-
sandten Von Nicaragua einer wichtigen Aende-
rung, die die Regierung von Nicaragua unter
das Protektorat der Regierung der Vereinigten
Staaten stellt, beigestimmt habe. Wenn beide
Regierungen diesen Vertrag annehmen, wird
Nicaragua ohne Zustimmung der Vereinigten
Staaten einen Krieg nicht erklären, keine Ver-
träge mit fremden Regierungen abschließen
können, die darauf ausgehen, ihre Selbständig-
keit "zu tangieren, und keine öffentliche Schuld
kontrahieren, die über die gewöhnlichen,
durch die Einnahmen bestimmten Hilfsquellen
der Regierung hinausgeht. Es wird den Ver-
einigten Staaten das Recht zugestanden, zu
jeder Zeit Vorkehrungen zu treffen, um die
Selbständigkeit von Nicaragua zu bewahren
oder Leben und Werte zu beschützen, ferner
das Recht, einen Kanal durch Nicaragua zu
bauen Und eine 99jährige Pacht der Fonseca-
bai und der zwei Inseln im Caribean zu er-
halten, mit dem Vorrecht, diese Pacht, für
die 3 000 000 Dollars in Gold an Nicaragua
zu bezahlen wäre, zu erneuern.
Dieser Vorgeschlagene Vertrag wird gün-
stig beurteilt, und es ist wahrscheinlich, daß
ihn der Senat sanktioniert und er in Kraft
tritt. Die anderen Republiken Zentral-Amerikas
kritisieren diesen Vorschlag hauptsächlich in
bezug darauf, daß ähnliche Verträge mit
diesen Staaten abgeschlossen werden sollten.
Die Regierung der Vereinigten Staaten erklärte
aber offiziell, daß sie sich nicht bemühen
werde, ähnliche Verträge ins Leben zu rufen.
Wenn andere Republiken gleiche Verträge ein-
gehen wollen, müßten sie dielnitiative ergreifen.
Es wird angenommen, daß, sobald der Ver-
trag mit Nicaragua ratifiziert ist, der große
Vorteil; der diesem Staate dadurch gesichert
wird, auch andere Republiken Zentral-
Amerikas veranlassen dürfte, ähnliche Ver-
träge mit den Vereinigten Staaten ab-
zuschließen.
Sehr spärlich sind die Nachrichten über
den Fortschritt der Unterhandlungen zwischen
den Vereinigten Staaten und Japan in bezug
auf das Fremdengesetz in Kalifornien. Es
ist bekannt, daß am 16. Juli die zwei
japanischen Protestnoten beantwortet wurden.
Diese Antwort anerkennt die japanischen
Reklamationen nicht, daß der Vertrag zwischen
den Vereinigten Staaten und Japan nicht ein-
gehalten wurde, und versucht ferner, eine
schiedsgerichtliche Lösung dieser Sache als
nicht wünschenswert erscheinen zu lassen. Der
erste Eindruck in Japan war ein ungünstiger,
da es unverkennbar erschien, daß die Ant-
wort dahin führen würde, die Diskussion dieser
Frage ins unendliche zu verlängern. Das Ver-
halten der japanischen Regierung und einer
Anzahl prominenter japanischer Persönlich-
keiten, die nach den Vereinigten Staaten ge-
sandt wurden, um dort die Bedingungen zu
erforschen und (den Amerikanern eine ge-
nauere und bessere Kenntnis Japans zu ver-
mitteln, war freundschaftlich und versöhnlich.
Weil diese Frage nicht in kurzer Zeit er-
ledigt werden kann, scheint deshalb die Ge-
fahr einer Aenderung in den freundschjaft-
lichen Beziehungen zwischen den zwei Re-
gierungen ausgeschlossen. Es wird allgemein
erkannt, daß nur in einem kleinen Teil
Amerikas eine gewisse Bitterkeit gegen die
Japaner vorherrscht, daß aber die Majorität
Ohne Vorurteil und ohne bösen Willen ist.
Für den Herbst wird ein Besuch der
südamerikanischen Republiken durch Robert
B a c o n , ehemaligen Gesandten in Frank-
reich und früheren zweiten Staatssekretär, in
Aussicht gestellt, der im Rahmen der „Car-
negie Endowment for international peace"
zum Zwecke internationaler Verständigung er-
folgen soll. Die Reise wird Bacon nach Ar-
gentinien, Brasilien, Uruguay, Chile, Bolivien,
Peru, Ecuador, Venezuela und Panama führen.
n RANDGLOSSEN U
ZISB ZEITGESCHICHTE
Von Bertha v. Suttner.
August 1913.
Vier Wochen lang hat der Beuteauf-
teilungskrieg auf dem Balkan gewütet, dann
kam ein fünftägiger Waffenstillstand, schließ-
lich der Antrag zu dessen dreitägiger Verlänge-
rung. Es genügt also ein Entschluß, ein
Befehl, und das unvermeidliche Elementar-
ereignis „Krieg" hört auf. Gibt das nicht
zu denken ? Für acht Tage kann man „Die
Waffen nieder" dekretieren, damit unter-
dessen Zeit und Muße ist, am grünen
Tisch über Grenzdemarkationen zu ver-
handeln ? Warum versucht man nicht ein-
mal, ein solches Dekret für acht Monate, für
acht Jahre — für immer — zu erlassen, um
Zeit und Muße zu haben, durch Arbeit,
Studium und Tat das Leben der Menschheit
zu immer höherer Entfaltung zu bringen?
Das gegenseitige Morden, Dörferanzünden,
Augenausstechen, Brückensprengen, Leichen-
giftverbreiten ist doch wirklich keine sehr
zweckentsprechende Methode. Selbst auf den
Schlachtfeldern versagt sie schon und bringt
keine Entscheidung mehr. Früher galt doch
erobertes Gebiet als unbestreitbares Eigen-
tum : jetzt rücken die Sieger irgendwo hinein
und müssen auf Grund von Abmachungen
Unbeteiligter wieder hinausrücken. Die
Soldaten erkämpfen, die Diplomaten er-
feilschen die Verteilung des Erkämpften, und
schließlich kommen noch die Mächte und
„überprüfen" das Erfeilschte.
MB
Und nach welchem Grundsatz wird ge-
kämpft, verhandelt, geprüft ? Man sollte
glauben, es gäbe da nur einen: Gerechtig-
312
m
DIE FRIEDEN5-^fc*\RXE
keit. Das ist aber gerade das einzige Prin-
zip, das bislang niemals beachtet worden ist.
— Seit Urzeiten hieß es Gewalt und Macht.
Die Bemühung, an Stelle dieser beiden Recht
und Billigkeit zu setzen, die führt den Namen
Pazifismus, und es ist ihr ja schon gelungen,
sichtbare und wirksame Organe in die Er-
scheinung zu rufen. Das Haager Tribunal
steht da. Aber unfertig. Noch kann es von
den Liebhabern der Macht und der Gewalt
unbeachtet bleiben. In jüngster Zeit ist im
politischen Felde ein neuer Fetisch auf-
getaucht: Gleichgewicht. Schlagworte
sind wie Moden; sie verbreiten sich mit der-
selben Raschheit, sie erfreuen sich derselben
Beliebtheit und sie drängen sich mit der-
selben Tyrannei auf, wie — neue Hutformen
oder ein neuer Gesellschaftstanz. Das durch
den Balkankrieg verschobene Gleichgewicht
der europäischen Allianzen diente als Be-
gründung der deutschen Milliardenwehr-
vorlage und der darauf folgenden dreijährigen
Dienstzeit in Frankreich; das mangelnde
Gleichgewicht zwischen de# Balkanverbün-
deten zwang sie, sich zu zerzanken und sich
zu zerfleischen; Rumänien konnte kein Ueb er-
gewicht der Bulgaren dulden und rückte mit
500 000 Mann dagegen aus, war aber sofort
bereit, falls Bulgariens Gegner ein Ueber-
gewicht gewännen, auch gegen diese sich zu
kehren. Die patriotische Begeisterung der Ru-
mänen hätte sich heute in Haß gegen die Bul-
garen, Imorgen 'gegen! die Serben und Griechen
äußern müssen, je nach den Erfordernissen
des Gleichgewichts. Alle. Verhandlungen
über Grenzregulierungen berufen sich auf das
Gleichgewichtsbedürfnis. Der König von
Griechenland in seiner Proklamation, die
Delegierten auf der Bukarester Konferenz,
alle gebrauchen sie das Zauberwort. Sogar
im1 französischen Senat bei der Verhandlung
des Gesetzes über die dreijährige Dienst-
zeit führte General Pau unter allgemeinem
Beifall aus: ,,Es genügt nicht, stark zu
sein, wir müssen auch dem Gegner Respekt
vor unserer Kraft einflößen. Dazu ist not-
wendig, aus unserer militärischen Organi-
sation jedes dem Gleichgewicht der
Kräfte widersprechende Prinzip
auszuschalten. Anders handeln, hieße
den Gegner in Versuchung führen." Um
recht sicher zu ruhen — das hat man uns
schon lange gelehrt — , müssen die Staaten
sich auf Bajonette setzen; und um sich in
'dieser bequemen Stellung zu erhalten, müssen
sie — das ist die neueste Errungenschaft —
eine Balancierstange handhaben.
Der zweite Balkankrieg — nämlich der
Beuteverteilungskrieg zwischen den Siegern
des ersten — ist zu Ende. Am 7. August
verkündete die europäische Presse den
„Frieden von Bukarest" und jubelte, daß nun
die Welt von dem Alp dieses fürchterlichen
Krieges befreit ist, und die Gefahr einer
europäischen Konflagration nicht mehr droht.
Nicht dieser Krieg war ein Alp, sondern der
Krieg als Institution lastet schwer auf der
menschlichen Gesellschaft, und die Gefahr
eines europäischen Brandes ist so lange nicht
behoben, als die beiden Mächtegruppen sich
nicht zusammenschließen. Nicht der „Frieden
von Bukarest" bringt irgendwelche Bürg-
schaft oder Erlösung, wohl aber kann der
Verlauf des Balkankrieges dem übrigen
Europa den Anstoß geben, sich zu diesem
rettenden Zusammenschluß aufzuraffen. Auf
der kleinen Halbinsel standen sich eine Million
und zweimalhundertausend Soldaten gegen-
über und die addierten Ziffern der Toten —
ohne die Ermordeten und die Opfer der
Cholera und anderer Epidemien dazuzu-
rechnen — ergeben die Zahl 350 000. Die
finanziellen Kosten betragen fünf Milliarden.*)
Ich möchte den Mathematikern des Gleich-
gewichts raten, einmal statt der Balancier-
stange eine Wage und eine Rechentafel zur
Hand zu nehmen und folgende Abwägungen
und Berechnungen vorzunehmen: 1. Wie ver-
halten sich die gegebenen Verluste zu den durch
den ganzen Feldzug erreichten Gewinnen ?
2. Was hätten jene Länder mit den geopferten
Menschenkräften unter Anwendung der ge-
opferten Geldkraft an Kulturfortschritten er-
reichen können? 3. Wie hoch würden sich
die Verluste beziffern, wenn statt der kleinen
Balkanstaaten die europäischen Großmächte
miteinander Krieg führten ?
Uebrigens ist der ganze „Balkanfrieden"
ziemlich prekär. Er wurde aus purer Er-
schöpfung geschlossen. Bulgarien in seiner
Not, bedrängt von fünf Feinden, muß alle
diktierten Bedingungen annehmen, tut es aber
unter dem Vorbehalt, daß es auf eine Revision
der Mächte oder auf eine künftige Revanche
hofft. Versöhnung, Verbindung liegt da nicht
vor, sondern ein durch gegenseitiges Gemetzel
und gegenseitige Verleumdung gesäter unge-
heurer Haß. Zudem ist noch eine große
ungelöste Komplikation da: Die Totgeglaubten
Türken sind wieder in Adrianopel ein-
marschiert und die türkische Armee schwört,
daß sie freiwillig die heilige Stätte nicht
wieder hergeben wird. Und vom Stand-
punkte des Kriegsrechts hat sie ganz recht.
Jetzt kommt noch die Frage der ägäischen
Inseln dazu, und außerdem das unfertige neu-
geschaffene Albanien, über dessen Südab-
grenzung und Thronbesetzung man sich in
London noch wird die Köpfe zerbrechen
muß. Ueberhaupt, der Sonderbarkeiten und
der Nochniedagewesenheiten bietet die ganze
*) Diese Ziffern sind der Schätzung eines
Korrespondenten des „Corriere della sera" ent-
nommen, der sämtliche Balkanschlachtfelder
besucht hat. Die 500 000 Mann starke mobili-
sierte Armee Rumäniens ist nicht eingerechnet,
da sie ja nur einen widerstandslosen Spazier-
gang gemacht hat.
313
DIE FßlEDEN5-^AßrE
■3
Balkanwirrnis eine Fülle. Diese Spontangeburt
eines selbständigen Kulturstaates aus einem
blutrache-treibenden Bergvolke heraus; dann
dieses andere Novum und Unikum: der Ein-
marsch einer halben Million Bewaffneter ins
Nachbarland, wobei es zu keinem Schuß und
zu keinem Schwertstreich kommt, weil der
Ueberfallene gar keine Verteidigung versucht.
Die grausame Invasion (denn grausam ist es
doch, einem schon halbtot am Wege Liegen-
den fünfmalhunderttausend Pistolen an die
Brust zu setzen: „den Streifen Turtukaja bis
Baltschik oder das Leben") endet mit
einem Depeschenwechsel zwischen Zar Fer-
dinand und König) Carol, worin der
letztere von den langjährigen guten Be-
ziehungen spricht, die durch die letzten Er-
eignisse „ungetrübt geblieben sind". Man muß
sich an die Stirne greifen und fragen: Ist
das alles ein Kapitel Weltgeschichte oder ein
Operettentext ?
Die Rubrik „Greueltaten" ist in den letzten
Wochen dieses Krieges wieder ungeheuer ver-
mehrt und von den Angeschuldigten heftig
dementiert worden. Da bliebe immer noch
eine Masse gegenseitiger Verleumdungsgreuel
übrig. Aber die Kriegsgeschichte aller Zeiten
und aller Länder zeigt, daß Verwüstungen,
Verstümmelungen, Plünderungen, Mord-
brennereien usw. die unausbleiblichen Be-
gleiterscheinungen der Schlachten sind. Cest
la guerre. Da hilft kein Leugnen: Hier einige
Muster der gegenseitigen Anklagen: „Sofia,
21. Juli. Der Kjommandeur der zweiten Armee
meldet: Die Serben haben die Stadt Rado-
wischta in Brand gesteckt und die Bevölkerung
niedergemetzelt. Die bulgarischen Dörfer
(folgen sieben Namen) sind von den Griechen
zerstört worden. Ein Teil der Bevölkerung
ist mit den Bulgaren zurückgezogen. Alle
diejenigen, die nicht rechtzeitig flohen, sind
von den Griechen niedergemacht worden oder
verbrannt." — „Saloniki, 24. Juli. Von der
Bevölkerung von Doxato, angesichts der
mit vier Feldgeschützen herannahenden Bul-
garen, waren etwa 100 Einwohner zurückge-
blieben, die sich in ihren Häusern einschlössen.
Sie sahen sich den ärgsten Ausschreitungen
der bulgarischen Truppen preisgegeben.
Frauen, Kinder und Greise wurden schonungs-
los massakriert, die Frauen geschändet und
Säuglinge von den Soldaten auf die Bajonette
gespießt oder durchs Fenster auf die Straße
geworfen. Auch Offiziere beteiligten sich an
den Greueltaten sowie Zivilbeamte, darunter
der Friedensrichter Bassow und der Polizei-
chef Pristow." Dieser vom griechischen Preß-
bureau veröffentlichte Bericht scheint mir als
ein Muster der Verleumdungsmethode gelten
zu können; die bajonettgespießten Kinder
klingen mir doch zu unglaubwürdig und
mahnen an die Kriegsszenen mittelalterlicher
Holzschnitte. Dagegen kann doch der fol-
314
gende Bericht über das Ergebnis der Unter-
suchung des österreichischjungarischen und
italienischen Konsuls in Saloniki nicht als eine
tendenziöse Erfindung gelten: „19. Juli. Die
bulgarischen Truppen verließen Serres auf
die Meldung von der Niederlage der bul-
garischen Streitkräfte bei Lahara. Sie kehrten
dann aber auf die Höhen vor der Stadt zurück
und begannen, ohne jeden Anlaß, wohl
wissend, daß kein griechischer Soldat in
Serres anwesend war, die Stadt zu beschießen.
Mehrere Abteilungen mit Offizieren, auch viele
Komitatschis, drangen in die Stadt ein und be-
gannen mit Brandlegung und Gemetzel. Man
erkannte mehrere Offiziere. Ganz besonders
betätigte sich der Sekretär des Generals
Bulkow." Zum Schluß sei noch die Depesche
festgehalten, die der König von Griechenland
an das Ministerium des Aeußern nach Athen
gerichtet hat: „Das Hauptquartier der 6. Di-
vision meldet : Bulgarische Soldaten haben auf
Befehl ihres "Hauptmannes den Metropoliten
von Demir iHissar, zwei Priester und mehr
als hundert Notebein in den Hof der Schule
geführt und dort getötet. Bulgarische Sol-
daten haben zu gleicher Zeit zwei Mädchen
geschändet. Ein Mädchen, das Widerstand
leistete, wurde grausam ermordet. Protestieren
Sie in meinem Namen bei den Vertretern der
zivilisierten Mächte gegen diese Unholde in
Menschengestalt; protestieren Sie auch bei der
ganzen zivilisierten Welt und erklären Sie,
daß ich mich zu meinem Bedauern gezwungen
sehen werde, Rache zu üben, um den Un-
holden Schrecken einzuflößen und sie zur Be-
sinnung zu Dringen, bevor sie wieder ähnliche
Verbrechen begehen. Die Bulgaren über-
treffen alle Greuel der vergangenen barba-
rischen Zeiten und beweisen, daß sie kein
Recht mehr haben, sich unter die zivilisierten
Völker zu rechnen. König Konstantin."
Dieses Recht, Ew. Majestät, hat keines
der zeitgenössischen Völker, solange diese die
barbarische Institution des Krieges beibehalten,
solange man, um Unholden Schrecken ein-
zuflößen, sich gezwungen sieht, anzukündigen,
daß man selber — um Rache zu üben —
als Unhold auftreten will. Rache für Taten,
die vielleicht auch Rache waren, und die
auch wieder Rache hervorrufen wird, und so
ins Unendliche. Wo ist das erste und wo das
letzte Glied dieser unseligen Kette?
MB
Barbarisierung' der Luft. Eine Depesche
vom 29. Juli aus New York meldet, daß der
Flieger Masson über dem Hafen Guogmas
eine Bombe warf, wodurch das mexikanische
Kanonenboot „Tambioo" zerstört wurde. Die
Nachricht ist weder verblüffend, noch ist sie
bestätigt. Das Barbarische liegt in dem
Kommentar, den der fachmännische Mit-
arbeiter der „Presse" an die Mitteilung knüpft.
„Die Kriegsgeschichte hat ein wichtiges Er-
eignis zu verzeichnen," so beginnt der zwei
@s
DIE FQ1 EDENS -^SkRXE
Spalten lange Artikel. Nun wird in die Zu-
kunft geblickt: „In allen Armeen gibt es be-
reits ein ganzes Arsenal von Geschossen und
Abwurfsvorrichtungen, um der 'Gefechtstätig-
keit von Luftfahrzeugen, die bisher auf Nach-
richtendienst beschränkt war, ein neues "Ge-
biet zu eröffnen. In einem künftigen Kriege
werden die Luftfahrzeuge schwere, mit hoch-
explosiblen Präparaten gefüllte Bomben, Hand-
granaten und Brandgeschosse an Bord führen
una yder kriegerische Zerstörungs- uncf Ver-
nichtungsakt wird" noch ungeheurere Efschei-
nungsformen annehmen. Kriegshäfen und
Festungen, Munitionsmagazine werden das
Ziel feindlicher Aeroplanflüge sein." Und so
weiter — die Beschreibung der entsetzlichen
Wirkungen geht eine Zeitlang so fort und nun
kommt die Schlußfolgerung. Man erwartet
etwas wie den Vorschlag, daß die nächste
Haager Konferenz wieder das Verbot des
Bombenwerfens aus Luftfahrzeugen erneuern
solle, oder doch eine Betrachtung, daß dies
nicht so fortgehen könne . . . aber im sol-
datischen Denkapparat vollziehen sich die
Schlüsse in ganz anderer Weise: „Wir haben
heute kein besseres Abwehrmittel gegen
Bombenwurf aus Flugzeugen, als die Be-
kämpfung der feindlichen Aeroplane durch
eigene Flugmaschinen. Eine reichliche Do-
tierung der Flotten und Kriegshäfen mit Flug-
maschinen gibt die Möglichkeit, ähnliche Re-
sultate zu erzielen, wie der Amerikaner
Masson." Kurz, die Moral ist: „wir brauchen,
dringend und massenhaft, armierte Flieger".
Und schöne Damen veranstalten Blumentage
zugunsten unserer Luftflotte.
«SRJ
Der durch die Enthüllungen des Abge-
ordneten Liebknecht notwendig gewordene
Krupp-Prozeß ist geführt worden. Zuerst sollte
dies mit Ausschluß der Öffentlichkeit ge-
schehen. Der Prozeß wurde dennoch öffent-
lich, aber er wurde daneben geführt. Was
aufgedeckt werden sollte: die große inter-
nationale, mit Milliarden-Interessen die ganze
Welt umspannende Zusammenarbeit von
Waffenindustrie in hohen und höchsten
Kreisen, das hat sich im Gerichtssaal in das
Vergehen einiger subalterner Angestellter ver-
wandelt, die über belanglose Fabrikations-
details ein paar indiskrete Aufschlüsse gegeben
hätten. Die eigentliche, unheimliche Frage
von der Verbindung der Kriegsfurchtmache
mit der Kriegswerkzeugs-Industrie — die ist
gar nicht zur Sprache gekommen.
am
Die Lage auf dem Balkan (während ich
dieses schreibe) ist noch gar nicht geklärt.
Die Türken in Adrianopel bereiten den
„Mächten" eine arge Verlegenheit. Zur Durch-
setzung ihres Willens — nämlich, daß die
Londoner Abmachung respektiert werde —
haben sie keine Handhabe. Europa, das
embryonale Europa, dessen Herz man ja
schon schlagen sieht, in dessen Gehirn schon
ein Wüle erwacht ist — hat noch keine
Organe. Auf dem Programm des diesjährigen
Friedenskongresses steht ein Punkt, dessen
hohe Wichtigkeit durch die gegenwärtige Lage
deutlich illustriert wird : Die Sanktion
einer internationalen Polizei. Was
jeder Rechtsstaat braucht, um seine Urteils-
sprüche den Staatsangehörigen gegenüber
geltend zu machen: Die Gendarmerie im
Hintergrund; das wird auch die Rechtsge-
meinschaft der verbündeten Staaten brauchen.
Alles das kommt langsam, aber es kommt.
Die kranke Welt will genesen. Die Gesund-
heitsmittel sind entdeckt: Wasser, Luft und
Licht sind die Elemente der physischen —
Recht, Freiheit und Wohlwollen der poli-
tischen Hygiene.
PAZIFISTISCHE CHRONIK
13. Juli. In Paris veranstalten die Sozialisten
zum drittenmal eine Massenkundgebung gegen die
dreijährige Dienstzeit.
14. Juli. In seinem dritten Friedensvorschlag
befürwortet Staatssekretär Bryan während der Dauer
der Untersuchung völkerrechtlicher Streitigkeiten die
Erhaltung der Armee und Flotte beider Par-
teien auf dem Status quo. Die Verpflichtung soll
aber aufhören, wenn eine der beiden Parteien von
einer dritten Macht bedroht wird.
16. Juli. Der französische Ministerpräsident
Barthou tritt für den Bau eines Tunnels zwischen
England und Frankreich ein.
17. Juli. Oesterreich-Ungarn kündigt eine neuer-
liche Erhöhung des Rekrutenstandes an.
19. Juli. Die französische Deputiertenkammer
hat das Gesetz über dieWiedereinführung der
dreijährigen Dienstzeit angenommen.
21. Juli. Beim interv,ationalen Bergarbeiter-
kongress in Karlsbad schlägt Präsident Smillie von
der britischen Bergarbeiterkonföderation vor, bei einem
drohenden Kriege einen ausserordentlichen Kongress
einzuberufen, der über Massnahmen zur Kriegs-
abwendung beschliessen solle.
22. Juli. In einer in Birmingham gehaltenen
Bede führt Premierminister Asquith aus, dass die
Mächte ihr Möglichstes tun, um die Gegner zur Ab-
haltung einer Friedenskonferenz zu bewegen.
23. Juli. Lehrer Gustav Huhtala, Präsident
des finnländischen Friedensvereines, gestorben.
27. Juli. Der König von Spanien in London.
29. Juli. Staatsminister Asser im Haag gestorben.
30. Juli. Zusammentritt der Friedens-
konferenz der Balkanstaaten in Bukarest.
31. Juli. Beginn eines fünftägigen Waffenstill-
standes zwischen den Balkanstaaten.
31. Juli. In Gegenwart des Kaisers und des
Königs Haakon von Norwegen findet die feierliche
Enthüllung der vom Kaiser den Norwegern gestifteten
Frithjofstatue statt.
315
DIE FBIEDENS -^ÖJiTE
:3
Ende Juli. Deutsche Lehrer werden von der
Lehrervereinigung des Seine-Departements
eingeladen, einer Generalversammlung beizuwohnen^ wo
sie von ihren französischen Kollegen auf das lebhafteste
begrüsst werden. Der Präsident des französischen
Lehrer- Vereins hebt in seiner Begrüssungsrede hervor,
dass die Lehrer zu beiden Seiten der Grenze viel für
die Sache des Friedens tun und diesen fördern können.
Ende Juli. Auf dem Pariser Weltkongress für
freies Christentum sprechen deutsche, französische,
englische und amerikanische Geistliche zu-
gunsten des Weltfriedens.
1. August. Senator d'Estournelles de Constant
protestiert im französischen Senat gegen die Einführung
der dreijährigen Dienstzeit.
3. August. In Bregenz findet aus Anlass der
internationalen Zusammenkunft der Sozialisten der
Bodenseestaaten eine imposante Friedenskund-
gebung statt.
4. August. Der Waffenstillstand wird um drei
Tage verlängert.
7. August. Der Präliminarfrieden zwischen
den Balkanstaaten wird in Bukarest unterzeichnet.
8. August. In London tagt ein internatio-
naler medizinischer Kongress.
DAUS DER ZEITE!
Völkerrecht.
Haager Schiedshof. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Am 28. August siedelt das Bureau des
Haager ständigen Schiedshofes in den Friedens-
palast über. Bei der Feier, die in Gegenwart
der Königin von Holland, Carnegies, des Ver-
waltungsrats und der Mitglieder des Schieds-
hofes stattfindet, wird Jonkheer van Karne-
be e k , Vizepräsident der ersten Haager Kon-
ferenz und Vorsitzender der Carnegiefriedens-
palaststiftung, die Festrede halten und darauf
das Gebäude dem Vorsitzenden des Verwaltungs-
rats, dem holländischen Minister des Aus-
wärtigen, übergeben.
Fs ist wahrscheinlich, daß mehrere mit
den Balkandifferenzen zusammenhängende
Streitfälle im Haag entschieden werden. So
hat der Ausschuß der Pariser internationalen
Finanzkonferenz für die Entschädigungsforde-
rungen der Kriegführenden angeblich eine Ver-
ständigung zustande gebracht, daß die For-
derungen der Balkanstaaten für die von der
türkischen Regierung beschlagnahmten Schiffe,
(es kommen vor allem griechische in Betracht)
dem Haager Hofe unterbreitet werden sollen.
Nach einer neueren Meldung vom 3. August
haben Portugal einerseits und Frankreich, Eng-
land und Spanien andererseits die Entscheidung
der Reklamationen betreffs der Kongregations-
güter in Portugal dem Haager Hofe unterbreitet.
Es ist dies der zweite Streit um geistliche
Güter, der im Haag erledigt werden wird.
Portugal hat sich damit zum ersten Male an
den Haager Hof gewandt. Dagegen tritt Frank-
reich bereits zum siebenten Male und England
zum sechsten Male vor dem Haager Hof auf.
Bezüglich der kalifornischen Frage besteht
noch keine Hoffnung, daß sie schiedsrichterlich
erledigt wird. B r y a n hat in seiner letzten
Note an Japan erklärt, er könne auf eine
üeberweisung an das Haager Schiedsgericht
nicht eingehen. Uebrigens würde eine für Japan
günstige Entscheidung dieses Tribunals deshalb
(kaum durchführbar sein, weil die Regierung
in Washington die Einzelstaaten nicht zum
Gehorsam zwingen könne. Japan müsse sich
an die amerikanischen Gerichte wenden. Die
japanische Regierung ist naturgemäß von dieser
Antwort unbefriedigt.
Die Panamakanalfrage wird noch immer
durch die Diplomaten verhandelt.
Der frühere Generalsekretär des Bureaus des
Haager Schiedshofes, Baron Ruyssenaers,
der bei den vier ersten Prozessen des Schieds-
hofes fungierte, ist im Juli 1913 im Haag ge-
storben. Er war zuletzt Mitglied des Ver-
waltungsrates der Carnegiefriedenspalast-
stiftung.
Verschiedenes.
Das Elend des Balkankrieges. :: :: :: :: :: :: ::
In der „Kölnischen Zeitung" lasen wir kürz-
lich folgendes Inserat:
„Zirka 3000 künstliche Gliedmaßen
für eine kriegführende Regierung
sofort gesucht. Offerten von nur
leistungsfähigen Fabriken an Dr.
Richard Mauch in Köln."
Dazu bemerkt die Braunschweigische Landes-
zeitung mit Recht: Hinter diesen Zeilen steht
die schreckliche Phalanx von 3000 zerschossenen
Männern, und sie werden mit einer Geschäfts-
mäßigkeit veröffentlicht, als sollte die Lieferung
von Erbswurst und Speck vergeben werden. Da
wäre es doch schon besser, man „rüstete"
schon zu Friedenszeiten auch in künstlichen
Gliedmaßen.
Festgaben zurEinweihung des Haager Friedenspalastes.
Außer den beiden im Inseratenteile dieser
Nummer angezeigten Festschriften zur Ein-
weihung des Haager Friedenspalastes verdient
noch eine ausgezeichnete Denkschrift der hollän-
dischen Gesellschaft „Vreede door Recht" be-
sondere Erwähnung, die in mehreren Sprachen
bei Belinfante freres im Haag erscheinen soll,
[n ihr hat auch A s s e r die letzte Arbeit
seines Lebens veröffentlicht. Außerdem arbeiten
u. a. mit : deBeaufort, de Louter, Lam-
masch, Oppenheim, Stein, La Fon-
taine, Fried, Strupp, Wehberg, Eck-
stein, Heath, Lange, Bajer und Car-
negie. Sie wird auch eine Reihe Abbildungen
bringen. Wir weisen auf dieses hochinteressante
Werk hin.
RSSJ
316
£
5 DIE FRI EDENS -^ÄCTE
Oesterreichische Kommission für die Vor-
bereitung der dritten Friedenskonferenz.
In. Oesterreich ist nunmehr ebenfalls nach dem
Vorbilde Dänemarks, Frankreichs, Norwegens,
der Niederlande und Schwedens eine natio-
nale Kommission zur Vorbereitung der dritten
Friedenskonferenz gebildet worden. Sie besteht
aus Baron v. M a c c h i o , Sektiionschef im
Ministerium des Aeußeren, Professor Heinrich
L a m m a s c h , Ritter von Weil, Sektions-
chef im Ministerium des Aeußeren und Baron
Hold v. Feraeck. Die drei ersten waren
Delegierte der zweiten Haager Konferenz, der
letzte war Delegierter zur Londoner Seekriegs-
konferenz. Die Kommission soll durch die
Ernennung eines fünften Mitgliedes ergänzt
wferden. In der Festschrift der „Zeitschrift
für Völkerrecht" zur Einweihung des Friedens-
palastes wird N i p p o 1 d eine hochbedeutsame
Uebersicht über die Vorarbeiten zur dritten
Friedenskonferenz geben.
Die 18. Interparlamentarische Konferenz :: :: :: »: ::
findet vom 3. bis 5. September im Haag statt.
Auf der Tagesordnung stehen u. a. folgende
Themen: Rechte und Pflichtea der neutralen
Staaten bei Seekriegen: Abg. van Houten (frü-
herer niederländischer Minister des Innern) ;
Vereinheitlichung des internationalen Brief-
portos : Abg. Prof. Eickhoff ; Mitarbeit der
Union Interparlamentaire bei internationalen
Werken: Abg. Louis Franck (Belgien). Unter
den geselligen Veranstaltungen befindet sich
u. a. eine Besichtigung des Friedenspalastes
im Haag. Aus Deutschland werden teilnehmen :
die Abgeordneten Prof. Eickhoff, J. Fegter,
Prof. Neumann-Hofer, Dr. Struve, Hoff, der
Sekretär der deutschen Gruppe Geheimrat Jung-
heim, der frühere Abgeordnete Dr. Schepp und
viele andere.
Der „ewige" Friede. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Der erste Artikel des Londoner Präliminar-
Friedens vom 31. Mai zwischen der Türkei
und den Balkanstaaten, der diesem überaus
grausamen Krieg ein Ende setzt, hat folgenden
Wortlaut : '
„Von der Auswechslung der Ratifikatio-
nen des gegenwärtigen Vertrages an wird
Friede und Freundschaft bestehen zwischen
Sr. Majestät dem türkischen Sultan einer-
seits und Ihren Majestäten den verbündeten
Souveränen andererseits, sowie zwischen ihren
Erben und Nachfolgern, ihren Staaten und
Bevölkerungen auf ewige Zeite n."
„Auf ewige Zeiten." Diese Phrase hat die
Diplomatie ohne Erröten aufgenommen und
unterzeichnet, Das ist jenes Ideal des
„ewigen Friedens", das lauten Spott verdient.
Wo sitzen die Utopisten? —
HB
Kurze Mitteilungen. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Am 10. Juli starb in Tokio der hervor-
ragende japanische Diplomat Graf Hayashi, der
erste japanische Delegierte zur ersten Haager
Friedenskonferenz. — Am 23. Juli starb der
Präsident des finnländischen Friedensvereins
Lehrer Gustav Hnhtala. Er war rednerisch und
schriftstellerisch in hervorragendem Maße für
die Bewegung tätig gewesen. — Der bekannte
amerikanische Professor an der Wisconsin-Uni-
versität, Paul S. Reinsch, ist zum Gesandten in
China ernannt worden. — Anläßlich der dies-
jährigen Tagung des Völkerrechtsinstituts in
Oxford wurden zu Ehrendoktoren ernannt:
v. Bar (Göttingen), Clunet (Paris), Fusinato
(Rom), Nys (Brüssel), und Elihu Root (Washing-
ton). Auch Lammasch war die Ehre zugedacht.
Doch hinderte ihn leichte Krankheit am Er-
scheinen. |
LITERATUR U PRESSE
Besprechungen. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Der deutsche Chauvinismus. Von
Professor Dr. Otfried Njppold.
Stuttgart, W. Kohlhammer, 1913, 130 S.
Heft 9 der „Veröffentlichungen des Ver-
bandes für internationale Verständigung".
Preis 1 Mark, für Mitglieder des Verban-
des kostenlos.
Kurz vor Redaktionsschluß wird Uns
ein "Werk zugesandt, das infolge seines hoch
interessanten Themas und seiner besonders
überzeugenden Beweiskraft außerordent-
liches Aufsehen erregen wird. Nippold zeigt
an einer unendlichen Fülle von Beispielen,
wie stark und gefährlich der gewissenlose
Chauvinismus in Deutschland geworden ist,
und daß man rechtzeitig vorbeugen muß, soll
daraus kein schwerer Schaden entstehen. Die
große politische Gefahr, die von dieser Seite
dem .Weltfrieden droht, wird nachgewiesen
und an alle Einsichtigen die Mahnung ge-
richtet, diese Strömung zu bekämpfen.
Wenn so hochangesehene Blätter wie
die Kölnische Zeitung immerfort auf den
Chauvinismus im Auslande aufmerksam
machen, so zeigt ihnen das vorliegende Werk,
daß wir Deutsche vor allem den Balken im
eigenen Auge sehen sollen. Man wird fortan
erkennen, daß der Chauvinismus in allen
Ländern zu Hause ist und in allen Ländern
beseitigt werden muß.
Wer das vorliegende Werk zur Hand
nimimt, wird erstaunt sein, wie weit das ge-
wissenlose Treiben berufsmäßiger Hetzer in
Deutschland ausgeübt wird. Eine ganz neue
Seite des Hochverrats — denn was ist dieser
Chauvinismus anders! — wird hier aufge-
deckt. Alle Hüter der wahren Grundlagen
des modernen Staatswesens sollten dem
*) Die bibliographischen Notizen mußten aus
Raummangel zurückgestellt werden.
317
CHE FRIEDENS -WARTE
•§>
anarchistischen Treiben des Chauvinismus
machtvoll entgegentreten und dieses Gift am
Leibe der Völker ausrotten.
Die Aufmerksamkeit der Regierungen
wie der Völker wird sich daher bald diesem
,Werke, dessen nähere Besprechung vorbehal-
ten bleibt, zuwenden. Wir machen daher
alle dringend auf diese Neuerscheinung auf-
merksam !
Loreburn,
Capturo a t s e a , VI u. 179 S., London,
Methuen & Co.
J>ie Zahl derer, die in England für die
Beseitigung des Seebeuterechts eintreten, wird
immer größer. Namentlich die Arbeit von
Macdonell, des Londoner Professors, die
seinerzeit auch hier (1911, S. 155) kurz be-
sprochen, wurde, ist in dieser Hinsicht sehr
bemerkenswert. Auch die deutsch-englische
Verständigungskonferenz hat sich kürzlich mit
diesem Probleme nach einem interessanten Be-
richte Eickhoffs befaßt. Kein Wunder, daß
sogar die Carnegiefriedensstiftung einen fran-
zösischen Juristen, Staatsanwalt Dumas, da-
mit beauftragt hat, ein Werk über die öko-
nomischen Wirkungen des Seebeuterechts zu
schreiben, das demnächst erscheinen dürfte.
Das Werk Loreburns ist nun ein er-
neuter Verstoß von englischer Seite gegen das
alte Raubrecht der Seebeute. Verfasser, frü-
herer Lordkanzler, weist eingehend nach, daß
gerade England durch die Anwendung des See-
beuterechts besonders geschädigt werden würde.
Aber er geht noch weiter. Auch gegen die
Konterbande erklärt er sich und nimmt den
Antrag Englands auf der zweiten Haager Kon-
ferenz wieder auf, Waren der Konterbande
genau so zu behandeln wie anderes Privat-
eigentum. Sodann wendet er sich gegen die
Blockade, die er nur gestatten will, um eine
Landbelagerung zu unterstützen oder um die
seeseitige Versorgung von Truppen mit
Lebensmitteln und sonstigen Vorräten zu ver-
hindern. Auch mit der Beibehaltung der
Minen ist er keineswegs einverstanden, und
macht radikale Vorschläge, die nicht weit von
der Forderung des völligen Verbotes entfernt
sind.
Bas B!uch Loreburns verdient ernsteste
Beachtung und wird zweifellos die gute Position
derer stärken, die im Interesse der Humanität
und des modernen Zieles des Krieges einer
Abschaffung des Beuterechts zur See das Wort
reden. Es ist mit überzeugender Logik ge-
schrieben und hebt die realen Gesichtspunkte
scharf hervor. Es wird alle, die für die Un-
verletzlichkeit des Privateigentums im Seekriege
kämpfen, mit neuem Mute und neuer Begei-
sterung erfüllen.
Wir wünschen, daß das Buch bald ins
Deutsche übersetzt wird.
Lange,
Annuaire de l'Union Interparle-
mentaire, 3. annee, 1913, Misch & Thron,
XXVII u. 291 S., Preis 5 Fr.
Das Jahrbuch der Interparlamentarischen
Union ist in seiner Art mustergültig und legt
nicht nur ein treffliches Zeugnis ab von dem
Wachstum und den Arbeiten der Union, son-
dern auch von dem Fortschritte der Schieds-
gerichtsbarkeit und der internationalen Organi-
sation. Das Buch ist vorläufig noch das
einzige, woraus man sich z. B. über die na-
tionalen Komitees zur Vorbereitung der dritten
Haager Konferenz informieren kann. In der
Einleitung befinden sich zwei Beographieen von
Passy und Beernaert aus der Feder von
d'Estournelles und H o u z e a u d e
Lehaie, mit den Bildern der beiden Vor-
kämpfer geschmückt. Aus dem reichen In-
halt sei noch hervorgehoben: eine Uebersicht
über die Ratifikationen der Abkommen der
zweiten Haager Konferenzen, über die neuesten
Schiedsfälle und die Beschlüsse der neuesten
internationalen Völkerrechts- und Friedenskon-
ferenzen.
Dr. Max Landmann,
Weltstaat und Weltfrieden, Leipzig,
Bruno Volger, 39 S. Preis GO Pfg.
Die vorliegende Schrift erscheint verfehlt.
Der Verfasser befürwortet nichts weniger als
einen Weltbundesstaat, der durch einen Staats-
vertrag der Mächte eins zwei drei geschaffen
werden soll. Derartige Schriften schädigen nur
die Bewegung, weil sie eine unrichtige An-
schauung über das Wesen und die Methode
des Pazifismus verbreiten.
Felix Meyer,
Das Weltwechselrecht, Leipzig,
dchertsche Verlagsbuchhandlung, 1909,
nd VI u. 757 S., IL Band 434 S.
vv e u w
A. Deichertsch*
Band VI u.
29 M.
I.
Preis
Felix Meyer,
Das Weltscheckrecht, Berlin, Franz
Vahlen, 1913, I. Band X u. 5G8 S., II. Band
IV u. 426 S., Preis 31 M.
An den erstaunlichen Fortschritten, die
in neuester Zeit das Weltverkehrsrecht gemacht
hat, geht auch die Friedensbewegung nicht
teilnahmslos vorüber. Denn die großartigen
Kodifikationsbestrebungen auf diesem Gebiete
bringen die Völker außerordentlich näher und
beweisen, wie stark die gegenseitige Abhängig-
keit aller untereinander ist. So ist es auch
ganz berechtigt, daß gerade dem neuesten Ent-
würfe über ein internationales Wechselrecht von
seiten des Pazifismus ein ganz außerordent-
liches Verständnis entgegengebracht wird. Wir
finden denn auch sowohl in dem Jahr-
buch der Interparlamentarischen Union, wie
in dem holländischen Friedensjahrbuche „Gro-
tius" den Entwurf eines internationalen Wech-
selrechts besprochen. Zu denen, die seit Jahren
auf diesem Gebiete planmäßig gearbeitet, die
Aufmerksamkeit der Völker und Regierungen
geschärft, die Einzelheiten der Probleme selbst
vertieft haben, gehört in allererster Linie der
Kammergerichtsrat Felix Meyer in Berlin,
der Begründer und erste Vorsitzende der In-
ternationalen Vereinigung für vergleichende
Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre.
Man darf, wenn man seine Verdienste richtig-
würdigen will, nicht nur auf diese mehr als
2000 Druckseiten umfassenden Werke blicken,
sondern muß über die emsige Tätigkeit dieses
Gelehrten im Dienste der Propaganda seiner
Ideen informiert sein. In aller Herren Län-
der hat Meyer für ein Weltwechselrecht ge-
arbeitet. Wenn man die Geschichte des
Haager Wechselrechtsentwurfes schreibt, so
wird der Name Felix Meyer an erster
318
5 DIE FßlEDENS->WÄRTB
Stelle genannt werden müssen. Darum hat
denn auch der Vorsitzende der Wechselrechts-
konferenzen bei der Eröffnung der Verhand-
lungen Meyers Verdienste besonders gedacht
und man hätte billigerweise erwarten dürfen,
daß Meyer von der deutschen Ilegierung nach
dem Haag delegiert worden wäre.
Meyers Bücher sind sehr praktisch ange-
ordnet. In den ersten Bänden beider Ar-
beiten gibt er eine vergleichende Darstellung
des geltenden Rechts, um in den zweiten Bänden
seinen eigenen Entwurf niederzulegen. In der
Tat ist die Haager Konferenz dem Vorbilde
Meyers in allen entscheidenden Punkten ge-
folgt, und wo sie dies nicht getan hat, z. B.
in der Moratorienfrage, ist sie fehlgegangen.
Meyer wird voraussichtlich als drittes
Werk auf dem Wege zur Vereinheitlichung des
Privatrechts ein Buch über den Handelskauf
und die einheitliche Regelung desselben bei
allen Völkern schreiben. Auch dies wird ge-
wiß ein Meisterwerk werden.
Inzwischen ist Meyer bei der Vertiefung
des materiellen Rechta nicht stehen geblieben,
sondern hat auch bereits weitschauenden Blicks
einen Weltwechselgerichtshof befürwortet. (Vgl.
Deutsche Revue, Mai 1913.) Hier nähern sich
die Arbeitsgebiete Meyers mit denen der
Friedensbewegung und des Völkerrechts noch
viel mehr. Denn dieser Weltwechselgerichtshof
dürfte wahrscheinlich als eine Kammer des
Weltgerichts errichtet werden, das von uns
in erster Linie erstrebt wird. Die Schwierig-
keiten zur Schaffung eines solchen Tribunals
für die Erledigung der Streitigkeiten des
Wechselrechts sind nach Meyers Meinung
nicht unüberwindlich.
Wir lenken die Aufmerksamkeit aller für
die internationale Verständigung eintretenden
Kreise auf die gewaltige und tiefgründige Ge-
dankenarbeit, die Felix Meyer bereits seit
Jahrzehnten im Dienste der Völkerverständigung
und der Vereinheitlichung des Rechts leistet.
Nur zähe Ausdauer und helle Begeisterung
konnte ihn immer wieder dazu bringen, das
Verständnis für die großen von ihm vertretenen
Ideen zu wecken, die erst neuerdings weite
Kreise in ihren Bann gezogen haben.
Oppenheim,
International law, second edition, vol.
IL London, Longmans, Green and Co.,
1912, 711 S.
Das Oppenheimsche Werk ist wohl
die beste englische Darstellung des geltenden
Rechts. Der erste Band ist bereits früher
angezeigt worden. Auch in dem zweiten Bande
erkennen wir die fortschrittliche Gesinnung und
die Gründlichkeit des Verfassers, der nament-
lich in der Beherrschung der ausländischen
Literatur unübertrefflich ist. Gerade die Eng-
länder ignorieren bei ihren Arbeiten die Litera-
tur anderer Völker allzusehr.
Die schiedsrichterlichen Probleme hätte
Oppenheim vielleicht eingehender behandeln
können; dafür hätte sich die kriegsrechtliche
Darstellung kürzen lassen. Aber dem vor-
sichtig abwägenden Autor erschien es noch
nicht gut, mit der herrschenden Ansicht in
dieser Hinsicht zu brechen. Wir haben bereits
an dem v. L i s z t sehen Werke dasselbe aus-
gesetzt.
August van Daehne van Varick,
Bijdrage tot de Gcschiedenis der
Oostersche Kwestie, Dissertation,
Utrecht, 1869, 153 S.
Dieses Erstlingswerk des bekannten hollän-
dischen Völkerrechts Juristen verdient gerade in
den Tagen der Balkankriege wieder der Ver-
gessenheit entrissen zu werden. Der Autor
zeigt darin schon seine große Belesenheit und
seinen bestechenden Stil. Welch lange Zeit
liegt zwischen dem Erscheinen dieser Arbeit
und seiner neuesten Schrift „La revolution et la
question d'orient" (1911), in dem Daehne
die Vertreibung der Türken aus Europa und
die Wiedergewinnung des Heiligen Landes
predigt !
Otfried Nippold,
Vorfragen des Völkerrechts, Sepa-
ratabdruck aus „Jahrbuch des Oeffentlichcn
Recht", Band VII, 1913, S. 20 bis 48, Ver-
lag von J. C. B. Mohr in Tübingen.
Von Nippold etwas zu lesen, ist immer
von höchstem Interesse, besonders wenn es
sich um so wichtige Probleme wie in dem
vorliegenden Aufsatze handelt. N i p p o 1 d s
Stil ist in bezug auf Klarheit und Verständlich-
keit mustergültig und daher erklärt sich wohl
auch die außerordentliche Verbreitung, die
Nippolds Schriften auch in den Kreisen
der Nichtjuristen gefunden haben. Der vor-
liegende Aufsatz ist ein gekürzter Vorabdruck
aus Nippolds monumentalem Werke über
die dritte Haager Konferenz, das 1914 erschei-
nen soll. Nippold setzt sich zunächst mit
den Leugnern des Völkerrechts auseinander und
bekämpft deren Meinung sehr geschickt. „Die
Vertreter des Völkerrechts vor allem werden
sich auch durch die jüngsten Ereignisse nicht
in der Ueberzeugung irre machen lassen, daß
im Haag wirklich etwas Großes und Unver-
gängliches geschaffen worden ist, das nur
noch des weiteren Ausbaues harrt und dessen
Früchte daher erst allmählich reifen können.''
Mit schönen Worten weist er dann auf die
Pflicht der Völkerrechtswissenschaft hin,
Rechtsverletzungen im Staatenleben nicht zu
entschuldigen, sondern festzustellen. Die offene
Aussprache über das, was völkerrechtsgemäß
erlaubt sei, ist nach Nippolds Worten der
beste Weg, um die Leugner zum Schweigen
zu bringen. Außer den Leugnern des Völker-
rechts sind nach Nippold diejeniger auf einer
falschen Bahn, die sich der Erkenntnis ver-
schließen, daß man an der Fortbildung des
Völkerrechts mitarbeiten muß.
Nippold berührt nun in seinem wert-
vollen Aufsätze auch das Verhältnis der Volke r-
reehtswissenschaft zum Pazifismus, und meint,
man könne das ganze Problem der Fortbildung
des völkerrechtlichen Verfahrens auch erörtern,
ohne des Wortes Krieg auch nur Erwähnung
zu tun. An diesem Standpunkte hält Nippold
auch heute noch fest. „Die Aufgaben, die
die Völkerrechtswissenschaft zu lösen hat, und
diejenigen, die der Pazifismus lösen will, sind
keineswegs identisch. — Meine Bücher wollen
keine pazifistischen Propagandaschriften sein.
— Die Völkerrechtswissenschaft hat die Auf-
gabe, allen Erscheinungen des internationalen
Lebens nachzugehen und ihnen mit möglichster
Objektivität gerecht zu werden. Sie darf sich
319
DIE FBIEDENS -WAEETE
■9
weder auf den Standpunkt eines einseitigen
Nationalismus noch eines einseitigen Pazifis-
mus stellen, der alle Probleme des inter-
nationalen staatlichen Lebens lediglich vom
Standpunkte der Friedens er haltung aus lösen
will. — Dieser prinzipielle Standpunkt der
Völkerrechtswissenschaft mußte hier festge-
stellt werden, weil Wehberg kürzlich (Frie-
denswarte 1912, S. 326) den Satz* aufgestellt
hat, die deutsche Völkerrechtswissenschaft
werde pazifistisch sein oder sie werde nicht
sein." Ich glaube, daß Nippold und ich
im Grunde einig sind. Ich habe die Völker-
rechtswissenschaft keineswegs in den Dienst der
Friedenspropaganda stellen wollen. Mit dem
Worte pazifistisch deutete ich nur an, daß
das Völkerrecht nach Kräften dem hohen Ziele
zustreben soll, die zwischenstaatlichen Be-
ziehungen immer mehr rechtlich zu gestalten.
Der Krieg ist die Verneinung des Rechts, wie
noch kürzlich Piloty erklärt hat, und die
Völkerrechtswissenschaft, die nicht ihr ein und
alles darin setzt, den Krieg durch rechtliche
Methoden der Streiterledigung zu beseitigen,
würde ihre Aufgabe verkennen. Dabei bleibe
ich und befinde mich nicht nur im Einver-
ständnisse mit Schücking, sondern auch
mit anderen hochangesehenen Völkerrechts-
lehrem, die mir geschrieben haben, der pazi-
fistische Standpunkt sei der einzig richtige
im Völkerrecht.
Man kann gewiß aus taktischen Gründen
dem Pazifismus fernbleiben; aber diese tak-
tischen Gründe können für mich vom Stand-
punkte der Wissenschaft aus nicht maßgebend
sein. Faßt man den Pazifismus richtig auf,
dann ist er selbst eine Wissenschaft und unter-
scheidet sich eben als solche von der rein
einseitigen Friedenspropaganda. Ein Teil dieser
pazifistischen Wissenschaft bildet das Völker-
recht.
Nippold meint, daß der Pazifismus
schlecht abkommen würde, wenn man an ihn
denselben Maßstab wie an das Völkerrecht legen
wollte. Es ist aber doch zwischen Friedens-
propagandaschriften und der wissenschaftlichen
Literatur des Pazifismus eines Fried, Novieow
zu unterscheiden.
Nippold nimmt sodann Hu den Ausführungen
Schückings in seinem Werke „Der Staaten-
verband der Haager Konferenzen" Stellung
und lehnt es ab, in dem Haager Friedensab-
kommen den Keim eines Weltstaatenbundes zu
erblicken. Recht interessant ist, was Nip-
pold über die Frage sagt, ob die künftige
Entwicklung des Völkerrechts überhaupt auf
eine politische Organisation der Staatenwelt
hinausläuft. Er zweifelt daran und führt aus:
„Es wird vielleicht, wenn das Haager Werk
erstarkt, einmal gelingen, der internationalen
Rechtsordnung ein solches Ansehen und solche
Kraft zu verleihen, daß die Staaten der poli-
tischen Sonderbündnisse nicht mehr bedürfen
werden, daß sie aber ebensowenig das Bedürf-
nis empfinden werden, sich zu einer Staaten-
verbindung, wie es der Staatenbund ist, zu-
sammenzutun, sondern wo die souveränen
Staaten in einer freien Rechtsgemeinschaft
miteinander leben werden, die auf der Er-
kenntnis ihrer wahren solidarischen Interessen
beruht und die daher irgendwelche politischen
Verträge zwischen einzelnen oder allen unter
ihnen als entbehrlich erscheinen läßt." Dieses
Problem bedarf wohl in der Tat noch einer
sehr genauen Prüfung, und es ist höchst dankens-
wert, daß Nippold diese andere Alternative
so scharf betont. Vorläufig möchte ich mich
aber der Schückingschen Ansicht nach wie
vor anschließen.
Man sieht : Die Arbeit Nippolds ent-
hält eine Fülle interessanter Probleme und
läßt den Wert des späteren Hauptwerkes ahnen.
SMITTEIIA/NGEN DEBS
FRIEDENSGESEUSCHAFTEN
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Schriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
Mitteilungen der Oesterreichischen
Friedensgesellschaft,
Bureau: Wien L, Spiegelgasse 4.
XX. Weltfriedenskongreß im Haag.
Dieser Kongreß, der wie schon berichtet
vom 18. bis 23. August im Haag abgehalten
wird, verspricht einer der interessantesten zu
Werden, dafür bürgen die Namen der be-
deutendsten Pazifisten, die im Programm ver-
merkt sind.
Unsere Gesellschaft wird durch nach-
stehende Persönlichkeifen vertreten sein: Ba-
ronin Bertha v. Suttner, Dr. Alfred H. Fried,
Benedikt Kosian, Arthur Müller, Schriftsteller,
Dr. Heinrich Maschler, Kommerzialrat Josef
Weiß, Hofbuchhändler Hans Feiler (Karlsbad),
Frau Andrea Hofer-Proudfoot, Frau Dr. Paula
Müller- Schubert und Sekretär Gustav Schuster.
Spende. Anläßlich eines Gartenfestes
übersandte uns unser langjähriges Mitglied
Frau Revierförster Kubik ia Zebus (Böhmen)
eine Spende von 10 Kronen.
«**
Lehrertagin Gab Ion z.
Auf diesem Lehrertage tat ein Redner fol-
genden Ausspruch: „Die Lehrer haben viele
Mittel ; wehe, wenn sie sich den
Friedensbestrebungen hingeben;
wenn sie in der Schule bei der Besprechung der
Kriege nicht von Kampf und Mut und Sieg
lerzählen, sondern von zerfetzten Menschen-
leiibern und den Tränen der Mütter und
Waisen!"
Wir würden die Sache gar nicht so fürchter-
lich finden und bei genauerem Nachdenken
müßte sich der Redner selbst sagen, daß
eine allgemeine Antipathie gegen den Rüstungs-
wahnsinn eine Herabminderung der Kriegs-
fürsorgekosten bedeuten würde, was denn wieder
für andere Gebiete z. B. für die Gehaltsregulie-
rnng der Lehrerschaft von Vorteil sein könnte.
Der betreffende Herr l^ehrer dürfte keine
Ahnung haben, wie viele seiner Kolegen mit
uns eines Sinnes sind. Sollte er Aufklärungen
über die Friedensidee wünschen, wir würden
sie ihm kostenlos zusenden.
Verantwortlicher Redakteur: Carl Appold, Berlin W. 50. — Im Selbstverlag des Herausgebers Alfred H. Fried, Wien IX/2.
Druck: Paß & Garleb G. m. b. H.,'_ Berlin W. 57. — Verantwortl. Redakteur für Oesterreich- Ungarn: Vinzens Jorabek in Wien
320
September 1913.
Die vitale Frage.
Zur Montreal-Rede des Lord- Kanzlers Haidane.
In der Eröffnungsansprache, die N i -
colas Murray Butler, der bekannte
Präsident der Columbia-Universität, am
15. Mai 1912 als Vorsitzender der Lake
Mohonk-Konferenz gehalten hat*), sagte er
unter anderem :
Die wirklich vitale Frage ist die, ob
die Zeit jetzt gekommen ist, und wenn
nicht, was wir tun können, um ihr
Kommen zu beschleunigen, wo Rassen
und Nationen in der Lage sein werden,
aufzuhören mit dem gegenseitigen Be-
rauben und gegenseitigen Bedrücken und
miteinander leben als Mitglieder einer
zivilisierten Welt. Mit anderen Worten,
die vitale Frage ist die, wie weit die
Grundprinzipien der Moral,
die wir als Individuen so eifrig
bekennen, auch in unserer kor-
porativen Eigenschaft Besitz
von uns ergriffen habe n."
Mit dieser „vitalen Frage" hat sich
eingehend der englische Lordkanzler, V i s -
count Haidane, befaßt, als er Ende
August im Auftrage des Königs in Mon-
treal einen Kongreß amerikanischer und
kanadischer Juristen begrüßte.
Auf diese Rede, die mir eine der be-
deutendsten Dokumente unserer Zeit !zu sein
scheint, nicht nur, weil sie nachträglich
als eine offizielle Kundgebung der Regie-
rung Großbritanniens bezeichnet wurde,
sondern auch, weil sie im Geiste der
*) Die Rede erschien auch in deutscher
Sprache unter dem, Titel „Der internationale
Geist", Stuttgart 1912. W. Kohlhammer. Ver-
öffentlichungen des Verbandes für internationale
Verständigung. Heft 1.
pazifistischen Weltbewegung gesprochen
wurde, ist es notwendig, hier des näheren
einzugehen.
Viscount Haidane, der zu Ju-
risten sprach, ging von der Bedeutung der
Jurisprudenz für das Staatsleben aus. Er
betonte, wie sehr die Entwicklung der Ver-
einigten Staaten, Kanadas und Großbritan-
niens gerade von hervorragenden Juristen
beeinflußt wurde und wies anschließend
darauf hin, daß dennoch das Gesetz
nur den kleinsten Teil jenes Vorschriften-«
Systems bildet, das das Verhalten des
Staatsbürgers bedingt. In viel höherem
Grade ist dies das Sittlichkeitsbewußt-
sein des einzelnen. Von dieser Fest-
stellung gelangte Haidane zu dem Kern-
punkt seiner Ausführungen durch die von
ihm aufgeworfene Frage: „Wenn dies
innerhalb der Staaten so ist, könnte es
nicht auch zwischen den Staaten
so sein? Können nicht Staaten eine
Gruppe oder eine Gemeinschaft unter sich
bilden, innerhalb welcher die Gewohnheit,
gemeinsamen Idealen zuzustreben, so stark
anwachsen könnte, daß sich ein gemein-
samer Wille daraus entwickelt, so daß sich
durch die verbindende Macht dieser Ideale
eine zuverlässige Sanktion für ihre gegen-
seitigen Verpflichtungen bildet?"
Die günstigen Anzeichen, die zur Be-
jahung dieser Frage führen, setzte Hai-
dane im weiteren Verlauf seiner Rede aus-
einander. Er sagte:
„Die Welt ist anscheinend noch1 weit
entfernt von der Abschaffung der Rüstun-
gen und des Krieges. Doch sind Anzeichen
vorhanden, daß bei den besten Menschen
der besten Völker allmählich das
321
DIE FRIEDENS -^MMiTE
Verlangen nachläßt, in einer ledig-
lich, von egoistischen Forderungen erfüllten
Welt zu leben und bei jeder Gelegenheit
das Dictum „Alles eins1, ob Recht oder Un-
recht, es ist mein Vaterland", zu verkün-
den. Die Grausamkeiten des Krieges sind
gemildert worden, und wenn die Praxis
auch der Theorie nicht immer entspricht,
so begegnet der große Grundsatz, daß die
Staaten ihren Nachbarn gegenüber Pflich-
ten sowohl wie Rechte haben, keinerlei
ernstere Widerlegung. Dies aber ist
der Geist, der sich mit der Zeit
zu einer vollen internationalen
Sittlichkeit entwickeln dürfte."
Auf die verschiedenen europäischen
Gruppensysteme näher eingehend, wies Pal-
dane auf die letzten Ereignisse in Europa
hin. ,,Die Weise," fuhr er fort, „in der
die Großmächte zur Erhaltung des Friedens
zusammengewirkt haben, als ob sie eine
Gemeinschaft bildeten, deutet
auf die ethischen Möglichkeiten
des Gruppensystems hin, das des-
halb eines ernsten Studiums der Staats-
männer wie der Gelehrten wohl wert wäre.
Jene Sittlichkeit, die sich zwischen den
Völkern oder zwischen einer nur locker
verbundenen Gruppe entwickeln kann,
scheint mir eine Sanktion für
internationale Verpflichtungen
in Aussicht zu stellen, die, soweit
mir bekannt, bisher die Aufmerksamkeit in
Verbindung mit dem Völkerrecht nicht auf
sich gezogen hat."
Diese letzte Bemerkung läßt erkennen,
daß dem englischen Staatsmann, als
er jene Rede hielt, die Aeußerungen seines
großen amerikanischen Kollegen, des ehe-
maligen Staatssekretärs Eli hu Root,
nicht bekannt waren, der in seiner denk-
würdigen Rede vom Jahre 1908 über „Die
Sanktion des internationalen Rechts"*) die
gleiche Auffassung zum Ausdruck brachte.
Auch er führt den Gedanken aus, daß das
sittliche Verhalten der Bürger im Staate
nicht in erster Linie durch das Gesetz be-
wirkt wird. „Es ist ein Irrtum," heißt
es dort, „zu behaupten, daß die Sanktion,
welche den Gesetzen des Staates die Be-
folgung sichert, ausschließlich oder haupt-
sächlich in den Bußen oder Strafen besteht,
welche vom Gesetz selber für seine Ver-
*) Präsidial-Ansprache vor der Amerika-
nischen Gesellschaft für Völkerrecht. Deutsche
Uebersetzung. Berlin 1908. Verlag von Bern-
hard Sinnon Nf.
letzungen vorgesehen sind. Es sind nur
Ausnahmefälle, in denen die Menschen vor
dem Verbrechen zurückschrecken aus
Furcht vor Geld- oder Gefängnisstrafe. In
der großen Mehrzahl der Fälle scheuen
die Menschen ein kriminelles Verhalten,
weil sie in der Gemeinschaft, in der sie
leben, nicht die öffentliche Beurteilung oder
Schande erleiden wollen, welche auf eine
Nichtachtung der Grundsätze des von dieser
Gemeinschaft für ihre Mitglieder vorge-
schriebenen Verhaltens folgen würden."
Und auch Elihü Root gelangt von
dieser Erkenntnis zu Schlüssen für die
internationale Moral, indem er weiter aus-
führt: „Für die große Masse der Mensch-
heit empfangen die von der bürgerlichen
Gesellschaft geschaffenen Gesetze ihre
Wirksamkeit direkt durch die Macht der
öffentlichen Meinung, welche als die Sank-
tion für ihre Urteile die Verweigerung
alles dessen in der Hand hat, was die
Menschen im Leben erstreben. Und die
Regeln des Völkerrechts emp-
fangen ihre Wirksamkeit durch
ganz dieselbe Art von Sanktion,
die allerdings weniger sicherer und gebie-
terisch, aber in beständigem Wachstum
wirkungsvoller Kontrolle begriffen ist..."
Man sieht, hier ist der gleiche Ge-
danke ausgedrückt wie bei Haldane, und
es ist daher nicht uninteressant, die Be-
gründungen des Amerikaners weiter zu ver-
folgen : „Früher begnügte sich jede einzelne
Nation," so fährt er fort,, „mit ihrer eigenen
Meinung von sich1 selber und war gleich-
gültig gegen die Meinung der anderen. Ge-
trennt von allen anderen durch gegenseitige
Unkenntnis und Mißbeurteilung zog sie nur
die physische Macht der anderen Nationen
in Betracht. . . . Gegenwärtig jedoch' kann
man klar die Dauerwirkungen eines Ent-
wicklungsprozesses erkennen, welcher der
Isolierung der Nationen ein Ende macht.
Indem er jedes Land mit besserer Erkennt-
nis und besserem Verständnis von jedem
•anderen Lande durchdringt und durch die
ganze Welt die Kenntnis des Verhaltens
jeder Regierung als eine Grundlage für
Kritik und Urteil verbreitet, wird allmäh-
lich eine Gemeinschaft von Na-
tionen geschaffen, in Welcher Grundsätze
des Verhaltens aufgestellt werden und eine
weltweite öffentliche Meinung die Nationen
in Uebereinstimmung erhält oder Wegen
Mißachtung der festgestellten Grundsätze
verurteilt. ... Es gibt zurzeit kein zivi-
lisiertes Land, welches für diese gemein-
322
= DIE FRIEDENS-^M&RXE
same Meinung nicht empfänglich ist, kein
Land, welches gewillt ist, sich selber dem
üblen Ruf auszusetzen, daß es in brutaler
Weise auf seiner Macht besteht, anderen
Ländern die Wohltat von anerkannten
Hegeln redlichen Verhaltens streitig zu
machen. Die Ehrerbietung, welche dieser
allgemeinen internationalen öffentlichen
Meinung bezeugt wird, steht in geradem
Verhältnis zu der Größe und der Zivilisa-
tionsstufe einer Nation Nationale
Hochachtung für die inter-
nationale öffentliche Meinung
wird nicht lediglich von der Eigenliebe
eingegeben, auch nicht bloß von dem Ver-
langen nach Zustimmung und guter Mei-
nung der Menschheit. Zugrunde liegt dem
Verlangen nach Zustimmung und der Scheu
vor allgemeiner Verurteilung, bei den Na-
tionen wie bei den Personen, ein tiefes
Gefühl von Interesse, Welches zum
Teil auf der Erkenntnis beruht, daß die
Menschheit ihre Meinung durch Verhalten
unterstützt, und daß die Nichtübereinstim-
mung mit den Grundsätzen der Nationen
Verurteilung und Isolierung bedeutet; zum
anderen Teil auf der Erkenntnis, d a ß e s
bei dem Geben und Nehmen in
internationalen Angel egenhei-
tcn für jede Nation besser ist,
sich den Schutz des Rech'tes zu
sichern, indem man sich unterwirft,
statt seiner Wohltaten verlustig zu gehen,
indem man dasselbe ignoriert."
Man merkt die Uebereinstimmung.
Beide Staatsmänner gehen von der Tat-
sache aus, daß im Innern der Staaten nicht
die Gesetze, sondern in der Hauptsache das
Streben nach Achtung seitens der Staats-
genossen die Ordnung garantieren, und sie
kommen beide zu dem gleichen Schluß, daß
dieses Streben nach der Achtung der an-
deren, sich auch' auf die Beziehungen der
Staaten zu übertragen beginnt und so zur
Sanktion der zwischenstaat-
lichen Verpflichtungen Wird,
deren Gültigkeit von kurzsichtigen Juristen
und Staatsmännern wegen des fehlenden
körperlichen Zwanges sehr oft überhaupt
bestritten wurde. Was Haidane „Sitt-
lichkeit" im internationalen Verkehr und
Iloot „nationale Hochachtung für die
internationale öffentliche Meinung" nernt,
ist im Grunde genommen ein und dasselbe.
Diese hochbedeutsamen Aeußerungen
des englischen Lordkanzlers- gewinnen nur
noch an Bedeutung durch ihre Ueberein-
stimmung mit den Aeußerungen eines der
hervorragendsten amerikanischen Staats-
männer. „Durch zweier Zeugen Mund
wird allerwärts die Wahrheit kund," wie
das deutsche Sprichwort lautet. Wir kön-
nen die Skepsis, mit der, namentlich in
den deutschsprechenden Ländern, die Rede
Haldanes seitens der Presse begrüßt wurde,
nicht teilen. Gewiß, die Vorgänge der
letzten Zeit lassen diese Skepsis begreif-
lich erscheinen. Aber trotz der Vertrags-
brüche, der skrupellosen Annexionen, der
kriegerischen Ueberfälle ohne vorhergehende
Kriegserklärung, der schändlichen Kriegs-
greuel, von denen wir erfahren, weisen die
übereinstimmenden Aeußerungen der beiden
Staatsmänner dennoch auf die Entwicklung
zum Besseren hin.
Der Machiavellismus ist in der inter-
nationalen Politik noch lange nicht über-
wunden; aber daß er nicht mehr allein
herrscht, daß die Erkenntnis anfängt, sich
Bahn zu brechen, auch das moralische Han-
deln zeitige Vorteile, ist schon ein Erfolg.
Und die Symptome dieser aufdämmernden
Erkenntnis sind gar nicht zu übersehen ; die
Anzeichen mehren sich, daß die Staaten
bestrebt sind, ihren moralischen Kredit in
der Welt möglichst hochzuhalten. Man
braucht nur zu beobachten, wie die Balkan-
staaten bestrebt sind, die vorgekommenen
Greueltaten von sich abzuwälzen und den
anderen zuzuschreiben, wie sie sich die Ver-
antwortung für den zweiten Krieg einander
zuzuschieben suchen. Und waren sie nicht
bedacht dem ersten Krieg, der sich als
offener Raubkrieg darstellt, ein sittliches
Motiv zugrunde zu legen, wonach sie ihn
zur Befreiung ihrer angeblich bedrückten
Religions- und Stammesgenossen unter-
nahmen ? Sind das nicht Symptome dafür,
daß die internationale öffentliche Meinung
bereits als Wert empfunden wird. Ja,
selbst die bei unserer heutigen Diplomatie
übliche Heuchelei scheint nur, so traurig
sie an sich ist, ein Beweis für den Um-
schwung der Ideen zu sein. Ueberall suchen
die Verantwortlichen die „böse Tat" zu
rechtfertigen, und wenn dies nicht angeht,
doch zu verkleiden. Das ist verwerflich;
aber in dieser Verwerflichkeit liegt der Be-
ginn zu einem Wandel. Es beweist, daß
die Sittlichkeit bereits ein Faktor in der
Politik geworden ist, den man zwar zu
umgehen bereit ist, mit dem man aber, so-
lange es angeht, doch zu rechnen versucht.
Und !wenn die Völker erst reifer sein wer-
den, wird es ihnen nicht schwer fallen
nachzurechnen, wieviel ein gehaltener Ver-
323
DIE FRIEDENS -^ÖJiTE
3
trag- in Mark und Pfennigen wert ist, und
wie gut es ist, manchmal auf ,, Prestige"
und „Gloire" weniger Gewicht zu legen,
wie auf Vertragstreue und Verläßlichkeit,
kurz auf jene Sittlichkeit, die Haidane und
Root Platz greifen sehen in den internatio-
nalen Beziehungen.
Was für uns in Europa von hoher Be-
deutung erscheint, das ist, daß es gerade in
der angelsächsischen Welt Männer wie Hai-
dane, Root und Butler gibt, die den Wert der
internationalen Moral erkennen und ihn
offen darzulegen unternehmen. Europäi-
sche Reden gleichstehender Persönlichkeiten
lauten oft ganz anders1. Aber wenn wir
nach den Gründen forschen, finden wir die
Erklärung und sehen auch wiederum ein
Stück guter Hoffnung für den Fortschritt
der Menschheit darin. Die angelsächsische
Welt, weit über ein Viertel der gesamten
Menschheit, hat eben den Krieg bereits
überwunden. Ein Jährhundert des Friedens
liegt hinter ihr, eines Friedens, dessen
Bruch diesen Hunderten von Millionen
ebenso absurd erscheint wie ein
Friedensbruch zwischen den Staaten des
Deutschen Reiches den 65 Millionen dieses
Verbandes erscheinen würde. Und dieser
große Friedensherd erzeugt neue Kultur-
werte, neue Kulturgedanken. Das zeigen uns
die Reden dieser drei Angelsachsen, die
wir hier zusammen ins Auge gefaßt haben.
Die „Vitale Frage" Butlers hat ihre Be-
antwortung gefunden. In dieser Welt der
Gewalt haben dennoch die Grundprinzipien
der Moral auch in unserer internationalen
Gemeinschaft begonnen, von uns Besitz zu
ergreifen. Nicht allgemein noch', aber zu
einem großen Teil. Aber das ist eine Tat-
sache, die auch1 der Allgemeinheit zugute
kommen muß. Es kann in der Welt nichts
mehr geschehen, das seine Wirkung nicht
auf die Gesamtheit erstreckt. Dazu hat
die Isolierung der Staaten schön zu Jange
aufgehört. Das Mißtrauen eines einzelnen
Staates zwingt alle anderen zum Rüsten
und zum Ueberrüsten. Das Vertrauen, das
sich auf einem Teile der Erdoberfläche aus-
bildet, diese Enklave des Friedens auf nur
einem Teile des Globus, muß notwendiger-
weise auch auf die anderen Teile über-
schlagen. Die „Vitale Frage" der Mensch-
heit nach der Einführung der Sittlichkeit
des innerstaatlichen Verkehrs auf ihre
zwischenstaatlichen Beziehungen fängt an,
sich :zu lösein. iA. H. F.
Rund um den Friedenskongreß.
Fortschritte
Organisation. -
Mängel. — Die
tantismus. —
der Bewegung.
in der Kongrcß-
- Noch abzustellende
Gefahren des Dilet-
Die Spezialisierung
— Die Lake-Mohonk-
Konferenz als Beispiel. — Die kom-
menden internationalen Kongresse
der Conziliations-Bewegung. — Die
Presse über den Haager Kongreß. —
Die alldeutsche Methode.
Die Haager Tage zeigten ein erfreuliches
Bild des allgemeinen Aufstiegs, der wachsen-
den Bedeutung und Macht des Friedens-
gedankens in der Welt. Es ist dies eine
Feststellung, die an sich genügt, den
XX. Weltfriedenskongreß als ein bedeutendes
Ereignis erscheinen zu lassen. Es würde erst
kein näheres Eingehen auf die Arbeiten jener
Tagung und ihre Ergebnisse vonnöten sein.
Der außerordentlich starke Zustrom' von Teil-
nehmern — es waren fast tausend erschienen,
eine bisher nie erreichte Zahl — , die um-
fassende Internationalität des Kongresses, an
dem 24 verschiedene Völkerschaften vertreten
waren, die starke Beachtung, die er in der
Weltpresse fand, die Teilnahme der nieder-
ländischen Regierung, zahlreicher im Haag
beglaubigter diplomatischer Vertreter der
europäischen Länder, der Stadtbehörden
der Hauptstädte des Landes und — last not
least — der Vertreter der Wissenschaft, all
dies hat dazu beigetragen, diesen Erfolg zu
zeitigen. Die Friedenskongresse sollen ja
nicht, wie die ewig unbelehrbaren Gegner
glauben oder glauben machen wollen, den
Frieden unmittelbar einsetzen, ihn dekretieren,
sondern lediglich die öffentliche Meinung ein
wenig aufrütteln, die Geister schütteln und
das Denken anregen. Tausendfältige Samen-
körner sollen sie ausstreuen, um die Idee le-
bendig zu erhalten, ihr Dasein kundzugeben
und ihr Wachstum zu fördern. Dies alles1
ist in den Haager Augusttagen in Fülle be-
wirkt worden. Und darum können wir hier
mit Genugtuung von einem Erfolg des Kon-
gresses sprechen.
Auf die Einzelheiten der Beratungen wird
weiter unten von kundiger Feder besonders
hingewiesen werden.
Mir erübrigt es sich hier nur, über ein-
zelne Erscheinungen Betrachtungen an-
zuknüpfen und gewisse Vorgänge und Folge-
erscheinungen zweckdienlich zu besprechen.
Alljährlich nach unseren Kongressen wurde
an dieser Stelle auf die Mängel ihrer Organi-
sation hingewiesen und Klage geführt über
gewisse Uebelstände. Nicht ohne Genug-
tuung kann jetzt hier festgestellt werden,
daß der Haager Kongreß viele von den früher
gerügten Mängeln abgelegt hat und in bezug
auf Organisation einen Schritt zum Besseren
bedeutete. Die unsinnig große Tagesord-
nung der früheren Kongresse wurde etwas
gekürzt, die Zahl der Resolutionen vermin-
324
<ss
= DIE FRI EDENS -^d^AKTE
dert, der Redeschwall der Berufenen wie der
Unberufenen zum Nutzen der Gesamtarbeit
wohltuend eingeschränkt. Die Kommissionen,
die zum erstenmal vor dem Kongreß zu-
sammentraten,' konnten in Ruhe arbeiten und
den Vollversammlungen wohl ausgearbeitete
Vorschläge unterbreiten. Auch die vorherige
Drucklegung des' größten Teilesi der Berichte
kann als eine Förderung der Arbeit bezeichnet
werden.
Trotzdem ist es angebracht, weiter Kritik
zu üben; um so mehr, als man sieht, wie die
unausgesetzte Kritik dem Werke nützlich ist,
wenn man den Kritikern auch oftmals ihre
wohlgemeinte Arbeit recht übel nimmt. So
sagen wir es rund heraus : Der Haager Kongreß
bezeichnete in Bezug auf die Organisation
einen Fortschritt, bei weitem aber noch keine
Lösung des Problems. Noch immer arbeiten
die Kongresse nach Methoden, die in den An-
fängen der Bewegung angebracht gewesen
sein mochten, die aber heute, angesichts der
ungeheuren Entwicklung des Pazifismus, im
Hinblick auf das erhöhte Augenmerk, das
den Kongreßarbeiten seitens einer weiten
Oeffentlichkeit zuteil wird, grundlegend ge-
ändert werden müßten. Noch immer ist die
Tagesordnung mit Beratungsstoff überladen,
dessen Häufung verhindert, daß das Wich-
tige vom Unwichtigen geschieden wird, ja in
der Regel dahin führt, daß die wirklich wich-
tigen und zeitgemäßen Fragen von der Masse
des Minderwichtigen oder gar Unwichtigen in
den Hintergrund gedrängt werden. Das fran-
zösische Sprichwort : „Qui trop embrasse
mal etreint" trifft infolgedessen für unsere
Kongresse noch) immer zu. Noch immer wird
ein mir stets unfaßbar gebliebener Wert auf
die Formulierung recht zahlreicher Reso-
lutionen gelegt, wofür eine Menge Zeit für
Wortklaubereien und Haarspaltereien ver-
wendet wird, die wahrlich besser ausgenutzt
werden könnte. Man tut so, als ob mit den
Resolutionen Gesetze/ für alle Ewigkeiten fest-
gelegt werden' sollten, während diese im gün-
stigten Falle nur geschichtliche Belege für
die zurzeit geltenden Anschauungen innerhalb
der Bewegung bilden können.
Aber auch' direkte Schädigungen der Be-
wegung treten durch die Ueberladung der
Kongreß-Tagesordnung in Erscheinung. So
Avird namentlich durch die Behandlung von
Problemen, die gar nicht in die Kompetenz
des Kongresses fallen, jener Dilettantismus ge-
nährt, der den Gegnern eine bequeme Ge-
legenheit bietet,; ihren Spott auszugießen. Der
Friedenskongreß ist nicht nur kein euro-
päischer Areopag, wie wir es im Vor-
jahre, anläßlich seiner beunruhigenden Stel-
lungnahme zu innerpolitischen Angelegen-
heiten europäischer Staaten, hier zum Aus-
druck brachten, er bildet auch kein
wissenschaftliches Forum, das Gut-
achten abzugeben oder wissenschaftliche Pro-
bleme zu lösen berufen wäre. Er ist eben nicht
imstande, seine Teilnehmer zu wählen ; seine Be-
ratungen stehen allen offen, die guten Willens
sind und mit den elementaren Grundsätzen der
Friedenslehre übereinstimmen. Dies gibt ihnen
aber noch nicht das Recht und noch weniger
die Fähigkeit, in wissenschaftlichen Fachfragen
bestimmend mitzuwirken. Der Kongreß kann
Anregungen geben) und Wünsche formulieren,
die die Wissenschaft aufgreifen und weiter ver-
folgen vermag; er kann Tatsachen verkünder»
und seine Kritik daran üben; aber er ist nicht
berechtigt, selbst wissenschaftliche Probleme
in Angriff zu nehmen, zu bearbeiten oder zu
begutachten. Auch die von ihm einzusetzen-
den Fach-Ausschüsse (Kommissionen) können
da nicht fördernd einwirken, denn diesen Fach-
Ausschüssen fehlt es in der Regel an Fach-
leuten. Wir haben im vorigen Jahr eine so-
ziologische Kommission eingesetzt. Es fehlen
ihr nur die Soziologen. Wir besitzen eine
juristische Kommission, die sich vorwiegend
mit Völkerrechts-Fragen befaßt. Die Mit-
glieder dieser Kommission mögen ausgezeich-
nete Rechtsanwälte oder Notare sein; aber
zur Beurteilung von Völkerrechts-Fragen ge-
nügt dies noch nicht. So hätte der Kongreß
bald die bedeutende Arbeit von V ollen -
hoven unter den Tisch geworfen. Dazu war
er in keinem Falle befugt. Andererseits hat
er keine Autorität, das von A r n a u d vor-
gelegte Weltgesetzbuch zu beurteilen und mit
seinem Placet versehen in die Oeffentlichkeit
zu schicken.
Die Fachleute des Völkerrechtes1 haben
ihre eigenen Institute und Kongresse, wo der-
artige Fragen mit Nutzen studiert, erörtert
und begutachtet werden können. Warum
weisen die Friedenskongresse diese Fachpro-
bleme nicht dahin? — Dadurch könnte sofort
eine Erleichterung der überbürdeten Tages1-
ordnung erzielt werden.
Man darf eben nicht vergessen, daß die
Entwicklung des Pazifismus eine eingehende
Spezialisierung zur Folge hat. Aus dem Chaos
der Bewegung organisierten sich die Sonder-
fächer heraus. Nicht nur das pazifistisch
orientierte Völkerrecht hat seine eigenen Kon-
gresse, auch die in der Richtung der Friedens-
idee wirkende Soziologie hat ihre nationalen
und internationalen Veranstaltungen. In der
Menschenökonomie und Eugenik sehen wir
neue pazifistische Sonderfächer sich ent-
wickeln, die dem Kriege vom biologischen Ge-
sichtspunkt zu Leibe rücken. Neuerdings fin-
den wir auch die Theologen bereit, auf Sonder-
wegen der Friedensidee zu dienen. Die inter-
nationale katholische' Friedensorganisation, die
Kongresse für liberales Christentum, die be-
ginnende Organisation der deutschen Pastoren,
all das sind erfreuliche Anzeichen dieser neuen
Sonderbewegungen. Auch die Ausbildung
einer eigenen Wissenschaft des Internationalis-
mus mit ihren Kongressen und Einrichtungen
ist als pazifistische Sonderbewegung anzusehen.
Die besondere Organisierung der Frauen im
325
DIE FßlEDEN5-^ößTE
3
Dienste des Pazifismus ist geplant. Auf die
äitere Sonderbewegung der Parlamentarier, auf
die neue der Verständigungsverbände, die mit
bestimmt begrenztem Programm neue, bis-
her unzugängliche Kreise zu erreichen suchen,
braucht nur hingewiesen zu werden. Und
immer neue Sonderbewegungen sind voraus-
zusehen. Das Buch Norman Angells und
die' zu erwartenden Ergebnisse der von der
IL Abteilung der Carnegiestiftung angeregten
Studien werden sicherlich eine wirtschafts-
politische Sonderbewegung ins Leben rufen.
Reif zur Loslösung von der allgemeinen Be-
wegung sind die Bestrebungen zur pazifisti-
schen Erziehung der Jugend. Die Unterrichts-
kommission des Weltfriedenkongresses bildet
bereits einen kleinen Kongreß im Kongreß,
und es wäre nur mit Freude zu begrüßen, wenn
der erste pazifistisch-pädagogische Kongreß
recht bald ins Leben treten würde!.
Was hier festgestellt wird, weist nicht auf
Zersplitterung hin, ist kein Zeichen des Ver-
falls; es bedeutet vielmehr Entfaltung und
kennzeichnet einen ungeheuren Aufstieg der
Bewegung. Nur müssen die alten Organe der
Bewegung dieser Entwicklung Rechnung
tragen, sonst; verlieren sie ihre Bedeutung, ja,
sonst verkümmern sie. Der Weltfriedens-
Kongreß ist in erster Linie dazu berufen,
seine Methoden zu ändern, um angesichts der
immer zahlreicher werdenden Sonderkongresse
seine Stellung als zusammenfassende Ein-
richtung zu behaupten. Er darf sich nicht mehr
in Einzelfrageri verlieren; er muß trachten,
das Gesamtgebiet im Auge zu behalten. Aber
nicht etwa so, daß er sich in alles hinein-
mischt und schwierige Probleme breitspurig
von Nichtfachleuten erörtern läßt, oder in Er-
mangelung der Zeit über wichtige Fragen
eine ungeprüfte) und oberflächliche Resolution
in die Welt setzt. Vielmehr so, daß er für
die wichtigsten Probleme, und für möglichst
viele, alljährlich fachlich mit den
FragenvertrautePersöniichkeiten
beauftragt, über den Stand der ein-
zelnen Probleme kurze Vorträge
zu halten. Seine daran zu knüpfenden
Wunscne und Anregungen kann dann der Kon-
greß in einer einzigen Resolution zusammen-
fassen. Ich meine, daß das von der Lake-
Mohonk- Konf er enz gegebene Bei-
spiel einfach Nachahmung finden müßte.
Wenn der Weltfriedenskongreß, wie es dort
geschieht, nur Fachleute zu Worte kommen
läßt, die führenden Rechtsgelehrten, Diplo-
maten neuer Schule, führende Pazifisten,
Gelehrte der verschiedenen der Friedensidee
nahestehende Disziplinen, bekannte Jour-
nalisten, Verständigungs - Techniker usw.,
dann wird er in der Oeffentlichkeit
jene Beachtung finden, die ihm ge-
bührt und die der Bewegung nottut. Dann
wird er die ihm zufallende Aufgabe erfüllen.
Wir brauchen die 100 Resolutionen nicht mehr,
deren Wortlautfeststellung uns kostbare Zeit
raubt, ohne daß uns ein Nutzen daraus
erwächst, wir brauchen die langatmigen De-
batten nicht, bei denen jeder Outsider seine
Ideen ablagern kann, noch weniger die oft über-
eilten, noch öfter unzuständigen Beurteilungen.
Was uns auf den Kongressen nottut, ist eine
möglichst umfassende Aufrollung aller Vor-
gänge der Bewegung, Berichte über ihre Ent-
wicklung und Vertiefung. Wir sollen der
Außenwelt eine Parade der pazifistischen Ar-
beit vorführen und ihr den Umfang und die
Richtung dieser Arbeit erkennbar machen.*)
Tun wir das, dann werden wir das alte
Instrument der Weltfriedens-Kongresse den
neuen Anforderungen der höher entwickelten
Bewegung dienstbar machen. Tun wir das
nicht, werden andere Organisationen ins Leben
treten, die das Bedürfnis der Zeit besser er-
fassen. Schon haben die Organisationen der
„Conciliation internationale" mit ihren moder-
neren Arbeitsmethoden und ihrer politisch
klügeren Taktik die Friedensbewegung in ganz
neuen, bisher unerreichbaren Schichten zu An-
sehen gebracht. In den Hauptländern sind
diese Organisationen bereits durch nationale
Gruppen vertreten. Es unterliegt unbedingt
keinem Zweifel, daß diese nationalen Gruppen
über kurz oder lang zu internationalen Kon-
gressen zusammentreten werden, die nicht in
die Fehler der Weltfriedens-Kongresse ver-
fallen, sondern aus diesen Nutzen ziehen
werden. Sie werden sich, wie dies mit großem
Erfolg bereits der deutsche Zweig der Con-
ciliations-Bewegung, der „Verband für inter-
nationale Verständigung" auf seinen nationalen
Verbandstagen tut, die Methoden der Lake-
Mohonk-Konferenzen zu eigen machen, werden
nur berufene Fachleute zu Worte kommen
lassen und das müßige Resolutions-Geplänkel
vermeiden. Dann werden die wertvollen Ele-
mente der Bewegung sich ganz dieser Organi-
sation anschließen und die bereits eine Tra-
dition besitzenden älteren pazifistischen Ein-
richtungen, mit ihnen die Weltfriedens-Kon-
gresse, die im nächsten Jahre auf ein Viertel-
jahrhundert ihrer Arbeit zurückblicken können,
jede Bedeutung verlieren und ganz aufhören.
Vom allgemeinen Gesichtspunkt wird das
gewiß nicht zu bedauern sein; denn in erster
Linie steht der Fortschritt der Sache. Und
was diesem dient, muß uns willkommen sein.
Aber es fragt sich nur, ob es nicht möglich
*) Es sei bei dieser Gelegenheit auf jene
vertrauliche Denkschrift hingewiesen, die ein
von der „New York Peace Society" eingesetzter
Sonderausschuß über die Umwandlung der
Weltfriedenskongresse ausgearbeitet und unterm
4. Juni d. J. an die Mitglieder des Berner Bureaus
versandt hat. Hierin wird nachdrücklichst eine
Reform der Kongreßmethode gefordert und ge-
eignete, äußerst praktische Vorschläge dazu ge-
macht. Es wäre wünschenswert, wenn diese
Denkschrift gedruckt und, in die Hauptsprachen
übersetzt, weiteren Kreisen zugänglich gemacht
werden würde.
^26
<§=
DIE FRI EDENS -^MkRXE
ist, diesen energievergeudenden Wettkampf
zu ersparen und das alte Werkzeug, das
vielen von uns lieb geworden ist, an dem
die Arbeitskraft unserer besten Schaffenszeit
hängt, lebenstüchtig zu erhalten. Meiner An-
sicht nach ist das möglich. Nur rascher
W'andel tut not.
Nun noch ein Wort über die Presse. —
Die Zeiten sind vorüber, wo wir vor den
Redaktionstüren stehen und um Auf-
nahme von Mitteilungen über unsere Kongresse
betteln mußten. Die großen Zeitungen und
Telegraphen-Agenturen kommen heute von
selbst und berichten in ausführlicher Weise
über unsere Beratungen*), die sich dadurch
vor der ganzen Welt abspielen. Namentlich
die holländischen Zeitungen haben sich durch
die Sachlichkeit und Ausführlichkeit ihrer Be-
richte ein nicht genug anzuerkennendes Ver-
dienst erworben. Auch mit der Bericht-
erstattung in der großen Presse Deutschlands
können wir zufrieden sein. Daß die alldeutsche
Presse jedoch alles daran gesetzt hat, die
Kongreßarbeit zu verleumden, darf uns nicht
wundernehmen. Im Grunde genommen können
wir ihr dankbar dafür sein, daß sie uns nicht
totschweigt; denn auch die Gehässigkeit der
Gegner fördert uns, wie der Segler auch durch
den Wind nach vorwärts getrieben wird, der
gegen seine Fahrtrichtung bläst. Aber gerade
Vom nationalen Gesichtspunkt, den ja jene
Organe hochzuhalten glauben, ist die Perfidie
zu bedauern, mit der jene Presse Unsere Kultur-
arbeit zu behandeln sich herausnimmt. Daß
sie als Gegner dazu Stellung nimmt, würden
wir ihr nicht verargen; nur die Form, in der
diese Gegnerschaft zum Ausdruck kommt und
die dabei angewandten Methoden weisen wir
zurück. Man betrachte nur die Ueberschriften
jener Artikel, in denen die Leser solcher Blätter
über den Haager Kongreß unterrichtet
werden : ,,D ie Friedensfarce" (Deutsche
Tageszeitung, 21. August). — „Die Welt-
friedensbrüder im Haag" (Hamburger
Nachrichten, 22. August). — „H a a g e r
Friedensseuchelei" (Rheinisch - West-
fälische Zeitung, 23. August). — „D i e
Herren aus Wolkenkuckuckshei m"
(Rheinisch-Westfälische Zeitung, 24. August).
— „D ie Haager Propheten" (Hallesche
Zeitung, 23. August). — „Ein gefähr-
licher Unfug" (!) (Berliner Neueste Nach-
richten, 30. August) usw. Es genügen diese
Angaben. Daß diesen Titeln auch die Bericht-
erstattung bzw. die Kritik entspricht, braucht
wohl nicht erst erwähnt zu werden. Vom
national-sittlichen Standpunkt bedauernswert
ist es, daß jene „nationale" Presse durchweg
Lügen berichtet und Phantasien zum besten
gibt. Keine einzige dieser Zeitungen hatte
einen Berichterstatter im Haag. Sie „be-
*) Siehe die Artikel-Bibliographie der vor-
liegenden Nummer.
richten" dennoch so, als ob sie alles gehört
und gesehen hätten. Zum Teil halten sie sich
an einzelne Worte, die in irgendeinem Tele-
gramm verunstaltet wurden, und machen aus
einer Episode, die sich zum ganzen im Maß-
stab von 1 : 374 000 hält, das Ereignis des
Kongresses. Zum überwiegend größten Teil
dichten sie einfach und lassen den Kongreß
„die allgemeine Abrüstung" fordern oder
durch ein Schiedsgericht den Balkankrieg
erledigen oder — was noch immer als be-
liebtes Steckenpferd gilt — Elsaß-Lothringen
vom Reich abtrennen. Daß bei dieser triefen-
den Sachkenntnis der Weltfriedenskongreß,
die Haager Regierungskonferenzen, die Er-
öffnung des Friedenspalastes und die Inter-
parlamentarische Konferenz einfach durch-
einander geworfen werden, ist nur zu klar.
Um nur ein Beispiel der „Bericht-
erstattung" anzuführen, seien die Eingangssätze
eines Artikels1 des „Generalanzeiger für Bonn"
(30. August) hier zitiert. Diese lauten:
„Ein Gemisch aus allen Stilen, charakterlos
vom Dach bis zum Keller^ so steht der neue
„Friedenspalast" im Haag vor den
Blicken der verblüfften Beschauer. Auf dem
First weht die allem Geschmack ebenso hohn-
sprechende „Friedensfahne" (!!): die sieben
Regenbogenfarben mit einem weißen Streifen.
Im Festsaal aber verliest seine Weiherede ein
verhutzeltes, kleines Männchen, der Stifter Car-
negie, und diese Rede ist vom Anfang bis zum
Ende spießbürgerlich und taktlos."
Daß der „Berichterstatter" den Palast ge-
schmacklos findet, ist sein Recht. Nur soll
er uns nicht weißmachen wollen, daß er ihn
je gesehen hat und selbst zu den „Verblüfften"
gehörte. Ebensowenig, wie er die sagenhafte
Friedensfahne gesehen hat, deren geschildertes
„Wehen" deutlich anzeigt, wie sich der Bonner
„kleine Moritz" die Eröffnung eines Friedens-
palastes nun einmal vorstellt. Ebenso wie er
sich Carnegie vorstellt, der durchaus „ ver-
hutzelt" sein muß.
Was die guten Patrioten aber über jene
Rede Carnegies zusammengeschrieben haben,
in der Kaiser Wilhelm als der Hort des euro-
päischen Friedens bezeichnet wird, geht über
das Maß des Erlaubten. Was hätte die „Jour-
naille" dann erst geschrieben, wenn Carnegie
den Kaiser als Hemmnis des Weltfriedens be-
zeichnet hätte? Nach ihrer Entrüstung zu ur-
teilen, wäre ihnen das sogar lieber gewesen.
Wir möchten hier anführen, was ein so-
zialdemokratisches Blatt über die Stellung-
nahme jener „Nationalen" zu dem Haager
Friedenskongreß gesagt hat, weil dies ganz
unsere Auffassung wiedergibt. Wir können
dies umso eher tun, als die gesamte sozial-
demokratische Presse den Haager Kongreß
noch viel unglimpflicher behandelt hat, als
die alldeutsche. Doch das ist ein Kapitel für
sich, das uns hier zu weit führen würde.
Hier das' Zitat aus der „Schwäbischen Volks-
zeitung" (30. August):
327
DIE FBIEDEN5-^6JiTE
•9
„Mit einer Genugtuung, als gelte es den
höchsten Ruhm! der Menschheit zu verkünden,
wird darauf hingewiesen, daß es den humanen
Bestrebungen der Pazifisten nicht gelungen
ist, den Kriegen ein Ende zu bereiten. Jede
Schlacht und jedes Gemetzel, vom spanisch-
amerikanischen Krieg bis zu den jüngsten Bal-
kangräueln, wird mit Wohlbehagen hervor-
gezogen, als wäre der bisherige zweifellose
Mißerfolg der friedensfreundlichen Bestre-
bungen so etwas wie der Triumph einer guten
Sache. Und indem man die Tatsachen der
neueren und neuesten Kriegsgeschichte den
armen Pazifisten unbarmherzig um die Ohren
schlägt — » was glaubt man dadurch gewonnen
zu haben. Ist die Tatsache, daß ein
erstrebenswertes Ziel noch nicht
erreicht worden ist, etwa ein Be-
weis dafür, daß das Ziel überhaupt
nicht erstrebenswert ist? Und ist
der Mißerfolg einer Bewegung schon dadurch
bewiesen, daß sie in den ersten Jahren ihres
Wirkens noch keinen durchschlagenden Er-
folg zu verzeichnen hat?"
Das ist vollkommen richtig ! — Wenn jene
nationale Presse den Nachweis erbringen will,
daß alle pazifistische Arbeit notwendig er-
gebnislos ist, so müßte sie dies, wenn es ihr
nur darum zu tun wäre, nach psychologischen
Gesetzen mit Bedauern tun, so wie man mit
Bedauern erfährt, daß irgendein Fortschritt
auf Hemmnisse stößt; wie man die abstürzen-
den Aviatiker, die von den Elementen ver-
nichteten Zeppelin - Ballone, die erfrorenen
Nordpolforscher, die aufgefressenen Afrika-
reisenden bedauert. Aber über solche Wider-
lichkeiten triumphieren, zeigt, daß man gar
nicht zu hoffen wagt, daß sie überwunden
werden, zeigt, daß jene witzigen Triumphatoren
den Weltfrieden fürchten, der ihnen den
sicheren Garaus machen muß.
Diese Besudelungen dürfen uns jedoch
nicht erschrecken. Nur um mit einem Schein-
werfer die Straße zu beleuchten, die wir
wandern müssen, sind diese Glossen hier ge-
macht worden. Man muß eben hohe Stiefel
anziehen, wenn man für die Menschheitsent-
wicklung arbeitet. Der Boden ist schmutzig.
Den Gang der Welt halten jedoch die „Ge-
neralanzeiger" und „Neuesten Nachrichten"
nicht auf. A. H. F.
Der $(. Weltfriedenskongreß
im Haag.
(18. bis 23. August.)
Von Elsbeth Friedrichs, Locarno-Monti.
Das war einmal wieder eine Tagung, die
einen Aufschwung darstellte, der XX.
Weltfriedenskongreß, einen Aufschwung von
allen Seiten, einen Aufschwung, dem zum
Schluß auch noch die Wissenschaft Sanktion
und dadurch Dauer verliehen hat. Ja, der
XX. Weltfriedenskongreß hat zur Evidenz be-
wiesen, daß der Pazifismus, weit davon ent-
fernt, durch die kriegerischen Ausbrüche der
letzten Zeiten niedergeworfen zu sein, in seiner
Entwicklung und Ausbreitung bedeutend zu-
nimmt, daß er in seinen Erscheinungsformen;
deren dieser Kongreß eine war, seine unan-
fechtbare innere Wahrheit auch für alle noch
nicht Kundigen darzustellen imstande ist!
Dies sei eingangs dieses Berichtes gleich
allen Klein- und Schwachgläubigen versichert,
die, entmutigt durch die letzten Jahre die
pazifistischen Waffen niederlegen möchten und
zur Kapitulation geneigt sind. Also ein Er-
folg ist das Resultat des XX. Weltfriedens-
kongresses, ein Erfolg nach allen Richtungen
hin; und wir, die wir längst die Immanenz
des in der Friedensbewegung lebendigen Ge-
setzes erkannt und infolgedessen nie unsere
Arbeit aufgegeben haben, konnten es mit
Freude und Genugtuung fast in jeder Stunde
neu wahrnehmen, wie der Friedenswille die
weitesten Kreise umfaßt, in ihnen eine be-
wußte pazifistische Weltanschauung schafft
und die verschiedensten Stände und Gesell-
schaftsklassen antreibt, sich organisatorisch zu-
sammenzuschließen und sich einzuordnen in
die Arbeit. Das eben ist jenes selbsttätige
Walten des organisatorischen Prinzips, jene
immer schneller einhergehende Weltorgani-
sation, von der Alfred H. Fried schon
Jahrzehnte lang spricht. Jetzt wird er
nicht mehr tauben Ohren predigen,
die 950 Kongressisten, welche sich in
der letzten Augustwoche im Haag ver-
sammelt haben, werden das alle empfunden
haben, und sie werden das Evangelium weiter-
tragen von dem „Rittersal" der schönen hollän-
dischen Hauptstadt hinaus in die ganze Welt,
da sie ja aus aller Welt kamen.
Es ist imponierend, wie systematisch, wie
unermüdlich und hingebend die holländischen
Freunde vorgearbeitet haben. Jede Korpora-
tion, Sektion und Spezialgruppe bis herab zu
dem einzelnen Delegierten und dem einfachen
Teilnehmer, fand die seinen Arbeitsbedürf-
nissen entsprechende fertige Form vor bei
seinem Erscheinen. Eine Gastfreundschaft
und Noblesse war geboten durch die ver-
schiedensten hervorragenden holländischen
Städte, die allein schon geeignet war, ein
Hochgefühl zu erwecken; denn diese Gast-
freundschaft galt ja der Weltfriedensbewegung
und war ein Zeichen des pazifistischen Be-
kenntnisses Hollands.
Besonders wertvoll erwies sich die von den
Holländern geleistete vorbereitende Arbeit für
die Vorberatungen der Kommissionen einer
zum erstenmal geübten Praxis, diecjsich als
sehr zweckentsprechend gezeigt hat. Man
hatte längst vorher Sorge getragen, daß diese
einzelnen Kommissionen aus Spezialarbeitern
der verschiedensten Länder zusammengesetzt
waren, daß den Vorsitzenden jeder Kom-
mission die Anträge und Anregungen von
Seiten der einzelnen Teilnehmer vorschrifts-
328
<s=
= Die FRIEDEN5->kÄErE
mäßig formuliert vorher zugesandt worden
waren, so daß in jeder Kommission das Ar-
beitsmaterial wohlgeordnet vorlag und in vor-
her bestimmter Folge durchberaten werden
konnte.
Die Zahl dieser vorbereitenden Komitees
war sechs, jedes bestand aus etwa neun vor-
her angemeldeten Personen, und ihre Funk-
tionen bestanden in der durch Beratung vor-
zunehmenden Sichtung und Anordnung des
durch die Pazifisten aller Länder vorgelegten
Arbeitsstoffes (Anträge, Anregungen und Vor-
schläge usw.). Bei Eröffnung der Voll-
sitzungen lagen sowohl die gedruckten Be-
richte über die Tätigkeit der einzelnen Ko-
mitees, sowie die Resolutionen und Erklä-
rungen fertig für die Kongreßarbeit vor. Die
Arbeitsteilung war gegeben durch folgende
Einteilung: Kommission A (Aktualitäten). —
Kommission B (Internationales Recht). —
Kommission C (Propaganda). — Kom-
mission D (Rüstungen). — Kommission E
(Soziologie). — Kommission F (Erziehung).
Der schöne glänzende Rittersal im Haag,
den Holländern teuer durch eng mit dem
Volk verknüpfte Tradition, der Welt ein
Friedenshort durch Tagung der zweiten
Friedenskonferenz, war dem diesjährigen Kon-
greß für seine Verhandlungen bewilligt
worden. Er war am Mittwoch, dem Tage
der 9 Uhr 45 Minuten stattfindenden feier-
lichen Eröffnung, dicht gefüllt. Nachdem,
vom Orgelklang getragen, ein Frauenchor die
holländische Nationalhymne und einen Frie-
densgesang vorgetragen hatte, begrüßte der
Präsident der Niederländischen Friedensgesell-
schaft, Dr. de Pinto die Versammlung und
machte die Mitteilung, daß das Königshaus
leider durch verschiedene Gründe an der per-
sönlichen Anteilnahme verhindert sei, doch mit
seiner Sympathie die Tagung begleite, daß
die Regierung ihr Wohlwollen bekunde durch
Gewährung des Rittersales als Versamm-
lungsort und durch aktive Teilnahme
des Ministers des Inneren, Sr. Exzellenz
Heemskerk, ferner durch den Beschluß,
am nächsten Tage die Tore des Friedens-
palastes für die fremden Kongressisten noch
vor der offiziellen Eröffnung aufzutun.
Professor de L o u t e r (Dozent für inter-
nationales Recht an der Universität Utrecht),
welcher zum Präsidenten des Kongresses
gewählt wurde, wies in seiner Rede hin auf
den Charakter der internationalen Klassizität,
den Holland, das Vaterland des Hugo Grotius,
durch die dort tagenden großen und größten
Weltkongresse nach und nach erhalten habe.
Er gedachte mit tiefem Bedauern der Balkan-
konflikte, hob aber im trostreichen Gegensatz
dazu hervor, wie über diese hin und wieder
noch ausbrechenden ^Barbareien hinaus die
dauernd wachsende Völkereinigung gewaltig
fortschreite, besonders eifrig gefördert von den
Amerikanern, denen dafür die Glückwünsche
und der Dank der Welt gebühre. Als Auf-
gäben des Pazifismus bezeichnet der Redner
die Beförderung einer neuen Weltorganisation,
welche das internationale Recht kodifiziere,
die Frage der Sanktionen des Völkerrechts
studiere, die vom Richter ausgesprochenen
Urteile exekutiere (er bezeichnete diese Frage
als eines der schwierigsten Probleme), denn
nur der Friede, der im Recht seinen Grund
habe, sei von Wert, und dem internationalen
Recht habe selbst die Souveränität der
Staaten untergeordnet zu werden. . . . Der
Kongreß aber sei berufen, die öffentliche
Meinung zu beeinflussen, zu erziehen und da-
durch den Regierungen die besten Dienste
zu leisten. Was daraus entspringen müsse,
sei Brüderschaft unter den Völkern, sei ein
durch Internationalismus gereinigter Patriotis-
mus. . . .
Minister Heemskerk sprach im Namen
der Königin Wilhelmina den herzlichsten
Willkommensgruß aus. Er drückte seine An-
sicht dahin aus, daß schon das alte Römerwort
Jus suum cuique tribuere dem Völkerleben
seine Bahnen vorgezeichnet habe, daß man
dieses als Ideal aufzustellen und ihm nach-
zustreben habe, wenn man den Krieg be-
kriegen wolle, was aber die Notwendigkeit
der Kodifizierung des internationalen Rechts
nicht überflüssig mache. Diesem Ideal nach-
zustreben möge dem Kongreß in erfolg-
reicher Arbeit gelingen. Mit diesem Glück-
wunsch eröffnete der Minister den Kongreß.
Der folgende holländische Redner, Herr
Goemann Biorgesius, ehemaliger Mi-
nister des Innern, forderte zunächst die Ver-
sammlung auf, durch Erheben von den Sitzen
dem jüngst dahingeschiedenen Gesinnungs-
genossen Asser, ein kurzes trauerndes Ge-
denken zu widmen. Mit Genugtuung hob er
die ungeheuer große Beteiligung bei diesem
Kongresse hervor, als Zeichen eines gerade
durch die Kriege der letzten Zeit erhöhten
Eifers. Holland, das kleine Land, das nach
einem Ausspruche der verehrten Königin-
Mutter groß sein solle in allem, in dem ein
kleines Land groß sein kann, Holland kann
vorangehen in der pazifistischen Arbeit. . . .
Senator Lafontaine ergriff als Vor-
sitzender des Berner Bureaus das Wort zu
einer Huldigung an Holland, das seinen
ernsten Friedenswillen schon längst bewiesen
hat, zu einem Nachruf an die verstorbenen
großen Friedensförderer — Asser, Beernaert
— und zu einem hoffnungsvollen Ausblick auf
die Zukunft der Gerechtigkeit.
Dr. Gobat fordert zur Absendung eines
Huldigungstelegramms an das holländische
Königspaar auf und bringt die eingelaufenen
Begrüßungstelegramme der am Erscheinen
verhinderten führenden pazifistischen Persön-
lichkeiten zur Kenntnis. Es fehlen dieses Mal
nur wenige, und diese aus triftigen Gründen.
Frau Baronin von Suttner teilt mit,
329
DIE FRIEDENS -WAGTE
■3
daß die Öesterreichisch-ungarische Delegation
anläßlich des Geburtstages ihres Monarchen
ihm ein Glückwunsch- und Danktelegramm
gesandt habe für das, was er in letzter Zeit
zur Beförderung des Völkerfriedens getan
habe, ferner, daß der Kaiser sofort in herz-
licher Weise dankend geantwortet habe.
Das Rüstungsproblem.
Nach Eröffnung der um 2 Uhr desselben
Tages beginnenden ersten Plenarsitzung — auf
der Tagesordnung steht die Rüstungs-
frage — legt zunächst Professor
Dr. Q u i d d e sein Referat über Rüstungs-
beschränkung vor. Er geht ein auf die Ur-
sachen und Gründe — auch die angeblichen
— der letzten allgemeinen Rüstungssteige-
rungen und kann selbst als Deutscher nicht
in Abrede stellen, daß Deutschland im Wett-
kampf mit dem westlichen Nachbar den Aus-
gangspunkt geboten habe, indem das Gesetz
der dreijährigen Dienstzeit derselben zweifels-
ohne nicht angenommen worden wäre ohne
die deutsche Rüstungssteigerung. Daß die
deutsche Regierung den Balkanbund zum
Ausgangspunkt genommen habe, sei keine ein-
wandfreie Begründung gewesen, da ja der
Zerfall dieses Bundes ziemlich sicher hätte
vorausgesehen werden können. Die Parla-
mente und die Regierungen, diese verant-
wortlichen Gewalten, sie tragen die
schwere Schuld an der Konstellation. Sie
haben zwar schwache Versuche gemacht
nach einer besseren Richtung hin, aber diese
sind mißglückt aus Mangel an wahrem
ernsten Willen. Sie trifft die Schuld an
der sich steigernden internationalen Anarchie;
denn das Rüstungsproblem ist ein inter-
nationales Problem und erfordert die ge-
meinsame Arbeit der Regierungen und
Parlamente. Jetzt, nachdem Jahrzehnte ver-
flossen sind seit dem vorzüglichen Ausdruck
des bekannten Zarenmanifestes, jetzt
mahnen wir die Regierungen, Wort zu
halten, jetzt fordern wir Friedensfreunde
unsere gesetzgebenden und Gesetze beratenden
Körperschaften auf, Ernst zu machen mit den
Pflichterfüllungen, die sie sich auferlegt
haben, indem sie auf der ersten Haager Kon-
ferenz anerkannten, daß ein Rüstungsstillstand
im Interesse der Menschheit geboten sei;
Ernst zu machen, indem sie die Frage der
Rüstungsbeschränkung zu einem Hauptver-
handlungspunkt der Tagesordnung der dritten
Friedenskonferenz machen.
Die Resolution I wird mit allen Stimmen
angenommen.
Resolution I.
Die Notwendigkeit eines
Rüstungsstillstandes.
Der Kongreß, versammelt unter dem Ein-
druck einer Steigerung der Rüstungen, wie
sie die Welt noch niemals gesehen hat, er-
hebt Anklage, nicht so sehr gegen die be-
teiligten Regierungen und Parlamente, sondern
gegen den Zustand internationaler Anarchie,.
der immer wieder zu neuen Exzessen des-
wilden Rüstungswettkampfes führt;
er ruft denen, die solche Rüstungen für
notwendig halten, um den Frieden zu sichern,
in Erinnerung, daß die Rüstungen ihres-
eigenen Landes, von denen sie diese Wirkung
erhoffen, kurz, nachdem sie beschlossen sind,,
entwertet werden, oder vorher schon ent-
wertet sind durch Rüstungen andrer Länder,
in denen sie eine Bedrohung des Friedens-
erblicken;
er appelliert an das Empfinden, das sich
weiter Kreise in allen Völkern in steigendem
Maße gerade unter dem Eindruck dieser
letzten Rüstungen bemächtigt hat, daß es so
nicht weitergehen darf mit der unaufhör-
lichen sinn- und nutzlosen Steigerung der
Rüstungslasten, und er fordert, daß aus diesem
Empfinden nun endlich auch der klare und
entschiedene Wille sich entwickele, den Weg
internationaler Verständigung und Organi-
sation zu betreten, auf dem allein dem
Rüstungswettkampf Grenzen gesetzt werden
können ;
er fordert von den Regierungen, die schon
auf der ersten Haager Konferenz in einer
feierlich und einmütig beschlossenen Reso-
lution die Beschränkung der Rüstungen als
für das moralische und materielle Interesse
der Menschheit wünschenswert bezeichnet
haben, und die wiederholt das Studium der
Frage versprochen haben, daß sie endlich
Ernst machen mit ihrer Erklärung und ihrem
Versprechen, und daß sie nicht nur die Frage
des Rüstungsstillstandes als einen Haupt-Ver-
handlungsgegenstand auf die Tagesordnung
der dritten Haager Konferenz setzen, son-r
dem, um ihrer Beratung ernsthaften Charakter
zu geben, sie durch nationale Studienkommis-
sionen vorbereiten lassen.
Die Rüstungsindustrie.
Dr. Perris (London) erläutert dier
Resolution II und charakterisiert unter Vor-
legung von Erfahrungsmaterial erschrecken-
der Natur die Zustände auf dem Gebietq
der internationalen Rüstungsindustrie. Die
Waffenindustrie kennt keine Grenze, sie lernt
die Theorie vom Nationalismus, aber ihre
Praxis ist eine internationale; die Lieferanten
fragen nicht, wohin ihre Waffen gehen,
sondern nur, ob sie gute Geschäfte machen.
Und diese Leute werden von ihrem Lande
geehrt und belohnt, sie gelten als die
besten Patrioten, werden ausgezeich-
net und berühmt! Das ist eine Be-
leidigung der ganzqn Menschheit. . . .
Auch diese Resolution II gelangt einstimmig
zur Annahme.
Resolution II.
Der Kongreß lenkt die allgemeine Auf-
merksamkeit auf die vor aller Augen liegende
Tatsache, daß die Interessenten der Rüstungs-
Industrie sich in der gewissenlosesten Weise
der verwerflichsten Mittel bedienen, um die
Völker in immer weitere Steigerung der
Rüstungen hineinzutreiben. Ihr Einfluß auf
die Regierungen und die öffentliche Meinung
ist eine der größten Gefahren für die inter-
nationalen Beziehungen und für den Welt-
330
@=
DIE FRI EDENS -WAOT^
frieden. Patrioten, die sich für eine nationale
Sache zu begeistern glauben, sind oft genug
nur die genarrten unfreiwilligen Werkzeuge
für die Geldbeutel-Interessen dieser Rüstungs-
Industrie.
Modell eines Vertrages zur Beschränkung
der Rüstungen.
Professor Quidde hat einen Entwurf
zu einem allgemeinen Vertrage über Be-
schränkung der Rüstungen ausgearbeitet und
vorgelegt. Dieser äußerst übersichtlich und
klar disponierte, in 55 Artikeln niedergelegte
Entwurf wird erst dann seinem Werte nach
gewürdigt werden können, wenn er studiert
worden ist ; daß dieses geschehe, daß sein
Studium zum Ausgangspunkt für weitere Ar-
beiten in der Richtung diene, dies und nichts
anderes ist Wunsch und Absicht Professor
Uuiddes, und es konnte die sich an den Ent-
wurf knüpfende Diskussion nicht den Wert
einer eingehenden, die Frage auch nur im
mindesten gründlich erfassenden Beratung
haben, sondern es wurde eben aus Mangel
an Verständnis dessen, was Referent be-
absichtigt hatte, vielfach nebenbei geredet,
es wurden Dinge, wie Frauenstimmrecht u. a.,
gewaltsam mit dem Problem verquickt,
welche nichts zu tun hatten mit der fach-
gemäß zu behandelnden Frage. Trotzdem
wurde zum Schluß dieser Aussprache die
Resolution III angenommen.
Resolution III.
Vertrag über Beschränkung der
Rüstungen.
Der Kongreß empfiehlt den Mitgliedern
des Kongresses, den Friedensgesellschaften
und allen, die an der Frage interessiert sind,
das Studium des von Dr. Quidde vorgelegten
Entwurfes zu einem allgemeinen Vertrage
über Beschränkung der Rüstungen.
Er beauftragt die Kommission D des
Berner Bureaus, die Frage weiter zu be-
handeln und dem nächsten Kongreß einen
Bericht vorzulegen.
Die Internationale Polizei.
Auf der Tagesordnung der am Vormittag
des 21. August eröffneten Sitzung stand zu-
nächst die Frage über den Vollzug des
internationalen Rechtes durch eine inter-
nationale Polizei. Referent war Pro-
fessor v. Vollenhoven von der Uni-
versität Leiden. Bevor Referent das Wort
ergreift, wird ein Antrag der Kommission B
vorgelegt mit folgendem Wortlaut: Der
Kongreß ist der Meinung, daß die Organi-
sation einer internationalen Polizei weder not-
wendig noch angezeigt ist, um die Voll-
ziehung des internationalen Rechtes zu
sichern.
Das Referat des Redners sowohl wie die-
jenigen der anderen Hauptreferenten liegt
gedruckt vor und wird auf Wunsch von
Interessenten von verschiedenen Stellen aus
noch jetzt versandt, nachdem die „Friedens-
bewegung" schon im Monat Juli die Dar--
legungen veröffentlicht hat.
Professor v. Vollenhoven wendet sich
von seinem Standpunkt als Fachgelehrter
gegen die durch viele Friedensfreunde ver-
tretene irrige Meinung, daß der Friede her-
beizuführen sei durch Schiedsgerichte und
Abrüstung, während doch nur die Entwick-
lung des Völkerrechtes die Richtung sein
könne, in der die Erreichung des
Zieles liege. Die Sanktion des Völkerrechts!
sei ein Ziel, und das Sanktionsmittel sei die
internationale Polizei. ... v
Die sehr lebhafte Diskussion über diese
umstrittene Frage bewegte sich natürlich
nach entgegengesetzten Richtungen hin.
Während Vertreter verschiedener Nationen
— die englisch sprechenden scheinen beson-
ders diesen Standpunkt einzunehmen —
prinzipiell die internationale Polizei aus-
geschlossen sehen wollen und dem Moral-
und Rechtsbewußtsein der heutigen Welt
genug Kraft zutrauen, um Rechtsurteile aus-
zuführen, sprechen andere ebenso energisch,
für die Einführung dieser Exekutivgewalt.
Dr. A. H. Fried weist darauf hin, daß ja
diese Polizei tatsächlich in verschiedenen
Fällen (China, Kreta,, Skutari) erfolgreich
eingegriffen, sich also bewährt habe, daß
also eigentlich nur eine .Organisation (der
internationalen Polizei anzustreben sei. , . .
Schließlich gelangte folgende Resolution
zur Annahme :
„Der Kongreß beschließt, die interessante
und bedeutsame Frage der Sanktion durch!
eine internationale Polizei für die Tages-
ordnung der nächsten Kongresse beizu-
behalten."
Etwa 700 der anwesenden Delegierten
betraten noch vor der offiziellen Eröffnung
den Friedenspalast, und es wird der
Eindruck, den dieser Donnerstagnachmi^tag
machte, wohl den meisten der Besucher .un-
vergeßlich bleiben. Berichte über den
Friedenspalast wird es in diesem Monat in
Fülle geben. Man wird das herrliche Ge-
bäude beschreiben; die Wirkung aber des
erstmaligen Betretens durch diese 700
Friedensfreunde kann man nicht schildern,
das kann nur der einzelne von Mund zu
Mund tun.
Die Balkankriege.
Noch eine kurze Sitzung reihte sich, an
den Besuch in später Nachmittagsstunde an.
Professor Ruyssen als Vorsitzender
der Aktualitätenkommission legte die von
dieser vorbereitete, aus acht Punkten be-
stehende Resolution über den Balkankrieg
vor. Diese Resolution wird besprochen und
schließlich angenommen. Sie ist besonders
lehrreich, indem der aufmerksame Leser da-
durch unterrichtet wird über die lange
zurückreichende Kette von Ursachen und
Wirkungen, welche diese Kriege herauf-
beschworen haben. Hier der Wortlaut :
Tief bewegt durch die Ereignisse, die
sich seit einem Jahre auf der Balkanhalbinsel
331
DIE FRIEDENS -^ÖÜTE
m
zugetragen haben, und in der Ueberzeugung,
daß er der Ansicht des größten Teiles der
zivilisierten Welt Ausdruck verleiht, macht
der Kongreß es sich zur Pflicht, seine Mei-
nung über die verschiedenen Erscheinungen
beider Balkankriege darzulegen.
I . Ansprüche der Balkanvölker.
— Der Kongreß erkennt an, daß die Balkan-
völker im ottomanischen Reiche nicht unter
' einem gerechten Rechtszustand lebten, und daß
i ihre seit langer Zeit zum Ausdruck gebrachten
Wünsche eine entsprechende Würdigung ver-
dienten. Er meint jedoch, daß solche An-
sprüche durch weniger willkürliche, gewalt-
tätige zerstörende Mittel als den Krieg be-
friedigt werden konnten und bedauert, daß
. -die Großmächte, welche wertvolle wirtschaft-
liche Vorteile vom ottomanischen Reich für
sich zu erreichen wußten, es versäumt haben,
zum Vorteile der Balkanvölker die Mittel zu
gebrauchen, welche der Berliner Vertrag in
ihre Hände gelegt hatte.
II. Die Verantwortlichkeiten.
i — Wie groß auch die Schuld der Türkei
gegenüber ihren Untertanen sein mag, der
Kongreß kann nicht umhin, die erste Ver-
antwortung für den Balkankrieg den Groß-
mächten zuzuschreiben, da sie die Integrität
des ottomanischen Reiches gewährleistet, aber
später selbst verletzt haben: und zwar Oester-
reich-Ungarn in Bosnien-Herzegowina, Italien
•in Tripolis, und die vier anderen, Deutsch-
land, Frankreich, Großbritannien und Ruß-
land, indem sie die Integritätsverletzung zu-
gelassen und bestätigt haben.
III. Kriegserklärung. — Der Kon-
greß stellt fest, daß der erste und zweite
Balkankrieg ohne vorherige Kriegserklärungen
und ohne Ultimatum — welchem in be-
friedigender Weise hätte entsprochen werden
können — begonnen worden sind; daß keiner
•der Kriegführenden eine schiedsgerichtliche
Erledigung der Streitfragen vorgeschlagen hat
und daß die neutralen Staaten die ihnen durch
die Haager Konvention auferlegte Pflicht,
. ihre Vermittlung anzubieten, nicht ausgeübt
haben. Was insbesondere den zwischen den
Verbündeten ausgebrochenen Krieg anlangt,
so stellt der Kongreß mit Entrüstung fest,
daß die Klausel des zwischen ihnen abge-
schlossenen Vertrages — wonach im Falle
von Streitigkeiten untereinander bei Regelung
der Balkanfrage die Vermittlung des Schieds-
< Spruches Rußlands vorgesehen war — nicht
beobachtet worden ist und daß diese Ver-
letzung des Vertrages einen neuen Bruderkrieg
hervorgerufen hat.
IV. Kriegführung. — Der Kongreß
stellt mit tiefem Bedauern fest, daß beide
Kriege mit unerhörter Grausamkeit geführt
worden, daß nicht einmal die Kriegsgesetze
und -gebrauche immer beobachtet worden und
daß besonders Verwundete, Greise, Frauen
und Kinder beraubt, vergewaltigt, gemartert
und ermordet worden sind.
V. Friedensunterhandlungen. —
Der Kongreß bedauert, daß die europäische
Diplomatie unfähig war, dem Streite vorzu-
beugen oder ihn abzukürzen. Er weist auf
den jämmerlichen Mißerfolg der Londoner
Verhandlungen hin und schreibt diese Ohn-
macht der großen Staaten ihrer dauernden
Rivalität zu, insbesondere dem Ehrgeiz ge-
wisser Mächte, welche selbstsüchtige Zwecke
dabei verfolgten, anstatt in Uneigennützigkeil
sich zusammenzuschließen zur Wiederherstel-
lung des Gleichgewichts, der . Gerechtigkeit
und des Friedens.
VI. Der Vertrag von Bukarest.
— Indem der Kongreß den Grundsatz festhält,
daß die Völker über sich selbst bestimmen
sollen, spricht er sein Bedauern darüber aus,
daß die in Bukarest versammelten Bevoll-
mächtigten eine Befragung der beteiligten
Völker nicht zugelassen haben; er befürchtet,
daß dieser durch die Gewalt auferlegte Ver-
trag neue Streitigkeiten erzeugen wird, und
schließlich bedauert er, daß dem Vertrage
keine Klausel zur Schlichtung etwaiger neuer
Streitfragen durch den Haager Schiedsgerichts-
hof eingefügt worden ist.
VII. Die Frage Adrianopels. —
In Erwägung, daß das Los von Adrianopel
und Thrazien noch unsicher ist, spricht der
Kongreß den Wunsch aus, daß die Bevölke-
rung dieser Gegend über ihre endgültige
Zugehörigkeit befragt werde.
VIII. Die Frage Albaniens. — In
Erwägung, daß die albanische Frage noch
nicht genügend geklärt ist, um den Gegen-
stand bestimmter Beschlüsse zu bilden, über-
weist der Kongreß dem Berner Bureau die
Aufgabe, diese Frage mit Aufmerksamkeit zu
verfolgen und gegebenenfalls die durch seine
Kompetenz bedingten Maßnahmen zu treffen.
Deutsch-französische Liga.
Professor Quidde macht in der
ersten Freitagssitzung zuerst die Errich-
tung einer „Deutsch-französischen Liga" be-
kannt und gibt die nötigen Begründungen
und Erläuterungen zu ihrer Notwendigkeit.
Die hierzu vorgelegte Resolution wird an-
standslos angenommen.
Panamakanalfrage.
Es folgt die Panamakanalfrage, kurz dar-
gelegt durch Dr. G o b a t. Wir lernen wieder
einmal während der kurzen Diskussion über
das Problem, wie auch hier die Differenz
geschaffen ist durch den Widerstand der
Interessentengruppen, durch den Kapitalis-
mus. Die Resolution wird angenommen.
Kriegsanleihen.
Die Resolution gegen die Kriegsanleihen
wird diskutiert und nach einigen interessanten
Meinungsverschiedenheiten folgendermaßen
verändert angenommen :
„Mit Beziehung auf die Luzerner und
Münchener Kongreßbeschlüsse hinsichtlich der
Kriegsanleihen erklärt der Kongreß diese als
eine unglückliche Folge der internationalen
Anarchie und drückt sein lebhaftes Bedauern
aus über die dem Balkankrieg geleistete
Unterstützung seitens der internationalen
Finanz."
Die Einberufung der dritten Haager Konferenz.
Die nächste und mit großer Aufmerk-
samkeit behandelte Frage gehört in das
Gebiet des internationalen Rechtes, sie be-
trifft die Einberufung der dritten Haager
Konferenz und führt schließlich zur An-
nahme der Resolution:
332
e
DIE FRlEDEN5-,fc*VBTe
Der allgemeine Friedenskongreß erinnert
an seine früheren Beschlüsse über die Vor-
bereitung und Einberufung der dritten Frie-
denskonferenz.
Er verlangt von neuem, daß die Staaten
dem Wunsche genügen, den sie selbst im
Jahre 1902 einstimmig dahin geäußert haben,
daß eine dritte Friedenskonferenz in einem
Zeitpunkte einberufen werde, der dem seit
der vergangenen Konferenz verflossenen ent-
spricht, also im Jahre 1915.
Er erinnert daran, daß die Vertreter der
Staaten es selbst für notwendig erklärt haben,
die Arbeiten dieser neuen Friedenskonferenz
zeitig genug vorzubereiten, damit die Be-
ratungen der Konferenz sich mit der unerläß-
lichen Autorität und Schnelligkeit vollziehen.
Er fordert daher alle Regierungen der
Welt auf, sich über den Zeitpunkt für die
Einberufung der dritten Friedenskonferenz und
die sofortige Ernennung einer vorbereitenden
Kommission zu verständigen.
Er fordert die Regierungen auf, nach dem
Beispiel der Regierungen von Oesterreich-
Ungarn, Dänemark, Frankreich, Norwegen,
der Niederlande und Schweden sofort vor-
bereitende Kommissionen der einzelnen Staaten
einzusetzen.
Er wendet sich an die Regierung der
Niederlande, damit diese jetzt, da eine förm-
liche Einladung einer bestimmten Regierung
nicht mehr erforderlich ist, unter diesen ver-
schiedenen Gesichtspunkten bei den anderen,
auf der zweiten Friedenskonferenz vertretenen
Regierungen die erforderlichen Schritte tue.
Er ersucht angesichts der Haltung der
Regierung der Vereinigten Staaten bei Ein-
berufung der zweiten Friedenskonferenz diese
Regierung um energische Unterstützung der
auf die Intervention der Regierung der Nieder-
lande erfolgenden Schritte.
Er beauftragt endlich die Friedensgesell-
schaften der verschiedenen Länder, bei ihren
Regierungen darauf zu dringen, daß diese den
vorliegenden Beschluß, der ihnen durch das
internationale Friedensbureau überreicht
werden wird, in ernstlichste Erwägung
nehmen und fordert die Friedensgesellschaften
auf, bei den bei ihren Regierungen
akkreditierten Gesandtschaften der Niederlande
und der Vereinigten Staaten von Amerika
dringende Schritte zu tun.
Sonnabend der letzte Kongreßtag — und
noch immer waren Fragen, die zu den wich-
tigsten gehören, gar nicht einmal in Angriff
genommen worden. Es lag, wie gewöhn-
lich vor der letzten Sitzung, eine Ansamm-
lung zu erledigenden Materiales vor, deren
Ueberwindung unmöglich war. Natürlich litt
auch die Behandlung fast aller Punkte sehr
darunter, und man kann nicht von einer
Durcharbeit z. B. der Frage des Verhältnisses
zwischen Presse und Pazifismus reden, man
konnte keine Aussprache über diese hoch-
bedeutende, dringliche Angelegenheit herbei-
führen bei der knappen Zeit, die zu irgend-
einer Klarheit und Festigkeit und zu einer
Einheit der Ansichten und Auffassungen ge-
führt hätte.
Presse und Friedensbewegung.
Die Pressefrage kommt endlich auf die
Tagesordnung. Sie wird zunächst in einem
Referat behandelt. Mr. 1 e Foyer hält es
für das beste Mittel zur Verbreitung von
Friedensideen, wenn die Zeitschriften solche
Themata dauernd behandeln. Wir müssen
also mit allen Mitteln versuchen, dies herbei-
zuführen, daneben ist es notwendig, den Pa-
zifismus zu schützen vor lügenhaften und ent-
stellenden Zeitungs- und Zeitschriftenberichten.
Man muß Mittel und Wege suchen zu einer
organisatorischen Verbindung der Journal-Ge-
sellschaften und Presseagenturen mit dem
Pazifismus.
Die vorgelegte Resolution lautet:
Um Gebrauch von der Presse zur Förde-
rung des pazifistischen Gedankens zu machen,
wünscht der Kongreß :
I. Daß das Berner Bureau und die natio-
nalen Friedensgesellschaften eine dauernde
Verbindung anknüpfen mit den telegraphi-
schen Hauptagenturen und den führenden
großen Zeitungen.
II. Daß die nationalen Friedenszentralen
alle Informationen, über die sie verfügen,
austauschen und diesen Pressestellen vermitteln
sollen.
III. Daß die lokalen Friedensgruppen
sowie die einzelnen Friedensfreunde es sich
zur Aufgabe machen, alle falschen und ent-
stellenden Nachrichten aus ihrer Lokalpresse
zu sammeln, zu dementieren oder zu ver-
bessern.
Mr. le Foyer fügt noch den Vorschlag
hinzu, daß man die Namen aller friedens-
freundlichen Journalisten sammele und vor-
öffentliche.
Der zweite Referent über dasselbe Thema,
Herr Dr. Alfred H. Fried, hatte ebenso
wie Herr Professor von Vollenhoven, seine
Ausführungen schon vorher in der letzten
Nummer der „Friedensbewegung" vorö ff ent-
licht, auch liegt es im Separatdruck für Inter-
essenten vor. Er betont in kurzer Zusammen-
fassung dieser früheren Ausarbeitungen die
Aufgabe des Pazifismus, in unentwegter Ar-
beit und systematischer Einwirkung auf die
Vertreter der Presse, diese zu erziehen und
nach und nach zu heben und umzuwandeln.
Er verspricht sich sicheren Erfolg davon und
entnimmt diese seine optimistische Anschau-
ung seiner langjährigen Erfahrung und Be-
obachtung, denn auch die Entwicklung der
Presse als eines Teiles des allgemeinen fort-
schreitenden Kulturkomplexes gehe nach den-
selben Gesetzen vor sich, die dem Gesamt-
fortschritt zugrunde liegen. . . .
Es wird zur Resolution ein Amendement
vorgeschlagen, daß das Berner Bureau selbst
die Regelung des Verkehrs zwischen Pazifis-
mus und Journalistik rege in die Hand
nimmt.
Nach verschiedenen Meinungsäußerungen
und mehr oder minder positiven Vorschlägen
wird das Thema verlassen. Zwei freund-
333
D»E FRIEDENS -^ARXE
©
liehe Telegramme, eines vom Prinz-Gemahl
der Niederlande, das andere von Mr. Carnegie,
kommen zur Verlesung, und schließlich taucht
noch einmal das Thema der Friedensvor-
schläge des Präsidenten der V. S. A. Dr. Wil-
son auf. Noch stehen die Berichte über die
Arbeit einiger der Kommissionen aus.
Mr. Arnaud legt zu dem Thema Ko-
difikation . . . („composition amiable") noch
eine Resolution vor, die angenommen wird.
Und endlich erhalten noch einige Bericht-
erstatter das Wort zu ihrem Rapport über
die Arbeiten der Kommissionen.
Baron de Neufville teilt zunächst
sein Protokoll über die Sitzungen der Pro-
pagandakommission mit. Wer es aufmerksam
verfolgt hat, muß es beklagen, daß da eine
Fülle vielseitiger höchst wertvoller Vorschläge,
Anregungen, Ideen und fleißiger Ausarbei-
tungen zum Ausdruck gekommen ist, ohne
daß der Bewegung etwas davon zugute kommt,
da nichts davon mehr zur Beratung und Be-
arbeitung herausgegriffen werden kann.
Nicht besser ergeht es dem Biericht der
Erziehungskommission. Die zwölfte Stunde
will schlagen, und man schließt den Kongreß
mit dem Bewußtsein, kaum die Hälfte der
Arbeit erledigt zu haben.
Der Vorschlag, den nächsten Kon-
greß inWien abzuhalten, wird durch Akkla-
mation angenommen, und es bleibt nur noch
die gegenseitige Dankes- und Anerkennungs-
äußerung zwischen der Präsidentenschaft und
dem Kongreß.
Wenn schon die programmäßig ge-
übten Vollsitzungen sowie die Beratungen der
Kommissionen im allgemeinen einen höchst
befriedigenden Verlauf genommen haben, so
ist daneben und dazwischen von den ver-
schiedenen Gruppen und Spezialvereini-
gungen noch so viel Und so wertvolle Arbeit
geleistet worden, deren genaue Registrierung
und Aufzählung sich einer genauen Bericht-
erstattung entzieht, wie bisher wohl auf keinem
der vorhergegangenen Kongresse. Hervor-
gehoben seien besonders zwei wohlgelungene
neu in die Bewegung eingetretene Spezial-
vereinigungen, wenn beide auch wohl noch
nicht ihre offizielle Konstitutierung vor-
genommen haben. Es ist die „D eutsch-
französische Liga" mit den Vor-
sitzenden Herrn Professor L. Quidde für die
deutsche Gruppe und Mr. Gaston Mioch auf
französischer Seite. Seit der bekannten ersten
Berner Zusammenkunft im Monat Mai sind
die Vorarbeiten zur Sammlung von Mit-
gliedern für beide Abteilungen in beiden
Ländern, sowie andere notwendige organisa-
torische Arbeiten eifrigst betrieben worden,
nun hat man sich bei Gelegenheit des
Kongresses in privaten Sitzungen über die
weiteren Schritte verständigt und die kon-
stituierende Versammlung, die dem Kongresse
baldigst folgen soll, vorbereitet.
Ebenso ist eine katholisch- pazi-
fistische Vereinigung zustande-
gekommen. Vorläufig — wie es scheint —
wird diese Vereinigung als katholisch-pazi-
fistischer Spezialverein getrennt von der all-
gemeinen Friedensbewegung arbeiten, doch
ist eine gewisse Fühlung, ein gegenseitiges
Verhältnis zwischen beiden Bewegungen von
vornherein gewonnen worden, da man ja den
Kongreß benutzt hat, um die ersten Be-
ratungen zu pflegen und sich gleichsam im
Schöße desselben, im Geiste des Kongresses
gesammelt hat. Wir dürfen die neue Union
freudig begrüßen als Seitenstück zu den in
letzter Zeit lebhaft betriebenen organi-
satorischen Arbeiten in den Kreisen der
protestantischen Geistlichkeit.
Sondersitzungen sind noch manche ab-
gehalten worden — z. B. über die Frage
eines Weltparlamentes, über Presse-An-
gelegenheiten, über pazifistische Frauen-
organisationen u. a.
So sehen wir den Komplex dessen, was
wir Pazifismus nennen, sich innerlich mehr
und mehr ausgestalten und äußerlich immer
weiter um sich greifen über alle realen und
idealen Gebiete des Lebens, wir sehen eine
neue Weltanschauung emporwachsen, lang-
sam — wie es uns Mitlebenden erscheint,
langsam und sicher sich ausgestaltend und
die Menschheit durchdringend, eine Welt-
anschauung, die nichts von Krieg und Mili-
tarismus weiß und darum, ohne plötzlich
die Kriegsfackel ausblasen oder die Welt ent-
waffnen zu können, die sicherste Ueberwinderin
der Gewalt- und Kriegsherrschaft sein wird.
Die Weltfriedenskongresse sollen die
Etappen in ihrem Vormarsch sein; sie sind
berufen, die Bilanz der Jahresarbeit zu
ziehen, Vorgetanes zu prüfen, zu berich-
tigen und festzustellen und für die Weiter-
arbeit neue Bedingungen zu schaffen. Nach
allen diesen hier angedeuteten Richtungen
hin hat der XX. Weltfriedenskongreß seine
Aufgaben glänzend erfüllt. Das kann nie-
mand in Abrede stellen.
Der XX. Weltfriedenskongreß ist aber um
zweier pazifistischer Weltereignisse willen,
die zwar nicht Bestandteile seines Arbeits-
kreises sind, aber doch ursächlich in vieler
Beziehung mit ihm zusammenhängen, er ist
um zweier Ereignisse willen von ganz be-
sonderer Bedeutung geworden. Es sind dies
die Eröffnung des Friedenspalastes und die
feierliche Promotionsakte, die sich in der
Universität Leiden einige Tage nach Schluß
des Kongresses — am Vortage der Eröff-
nung des Friedenshauses — vollzog. Es
wurden der verstorbene Staatsminister
A s s e r , der Pariser Völkerrechtsgelehrte
Renault, der amerikanische Staatsmann
Elihu Root und Alfred H. Fried zu
Ehrendoktoren der Staatswissenschaften pro-
334
DIE FRI EDENS -^ABXE
moviert. Dr. Alfred H. Fried, der nun
akademisch anerkannte Vertreter des
wissenschaftlichen Pazifismus, hat in
seiner kurzen, aber charakteristischen Pro-
motionsrede in bescheidener persönlicher
Zurückhaltung diesen Sinn seiner Doktor-
würde h. c. hervorgehoben, er hat mit Freude
und Genugtuung der Friedensbewegung die
Ehre zugewiesen, und er hat damit nichts
weniger hervorgehoben, als den Eintritt einer
neuen Wissenschaft in die Menschheits-
geschichte.
So hat die Wissenschaft dem Pazi-
fismus seinen Charakter verliehen, es kann
danach die Verkennung des Pazifismus, die
mißverständliche Deutung und falsche Wer-
tung der Friedensbewegung von seiten der
Außenstehenden nicht mehr dauern, sondern
sie muß einer richtigen Einsicht Platz
machen, und dadurch sind die Bedingungen
gegeben zur Verbreitung unserer Welt-
anschauung.
Die Einweihung
des Haager Friedenspalastes.
Die Festwochen im Haag haben ihr Ende
erreicht. Die Teilnehmer am Friedenskongreß,
die sie einleiteten, die fremden Diplomaten
und Gelehrten, die zur Weihe des neuen
Friedenshauses eingeladen waren, sind zu ihren
Heimstätten zurückgekehrt, sofern sie es nicht
vorgezogen haben, am benachbarten Scheve-
ninger Strand die günstige Konjunktur des
spät eingetretenen Sommers auszunützen. Nun
steht der Millionenpalast am alten Scheve-
ninger Weg wieder vereinsamt da und wartet
der Aufgaben, die ihm zur Erledigung über-
geben werden sollen.
Rückblickend sei es jetzt gestattet, die Be-
deutung dieses wunderbaren Bauwerkes und
die zu seiner Eröffnung veranstalteten Fest-
lichkeiten ins' Auge zu fassen. Der Witz aller
Ewig-Lächelnden hat dieses schöne Haus in
argen Verruf gebracht. Er gefiel sich am
meisten darin, zwischen seiner Bestimmung und
dem Zeitpunkt seiner Eröffnung einen iro-
nischen Zufall zu konstruieren. Und so billig
solcher Witz auch ist, bei der großen Masse
jener, die die öffentliche Meinung bilden,
konnte er auf Zustimmung rechnen. Für mich
und für meine zahlreichen Gesinnungsgenossen
liegt etwas Tragisches in dieser Heiterkeit. Es
wäre so einfach, die Zusammenhänge zu be-
greifen; doch hat es den Anschein, als ob
man sich- dieser geringen Denkmühe gar nicht
unterziehen will. Ja noch mehr: als ob das
Problem, das hier zur Erörterung steht, die
geringste Anstrengung des Denkvermögens gar
nicht erst lohnen würde. Weil wir einen der
blutigsten, einen der widersinnigsten Kriege vor
unseren Toren erlebt haben, deshalb soll alles
Bestreben, künftigen Gemetzeln vorzubeugen,
nicht der Mühe lohnen?!
Wie seltsam denkt doch dieses zwanzigste
Jahrhundert. So trivial es auch ist, man muß
dennoch immer denselben Vergleich herbei-
ziehen; den Vergleich mit den Krebsinstituten,
mit den Schwindsuchtsheilstätten, den inter-
nationalen Tuberkulosekongressen und ähn-
lichen Einrichtungen, deren Errichtung und
Bestand man als einen Fortschritt der Zeit
begrüßt, trotzdem das Uebel, das dadurch be-
kämpft werden soll, noch vorhanden ist und
täglich an Umfang zunimmt. Kein Mensch
wird den Geheimen Rat Czerny in Heidelberg
einen Utopisten nennen, weil er dort ein In-
stitut zur Bekämpfung des Krebses errichtet
hat. Und Andrew Carnegie und wir alle, die
wir an einer vernünftigen Organisation der
international voneinander abhängigen Mesch-
heit arbeiten, werden wegen dieses Friedens-
palastes wörtlich oder in einem durch die
Zeilen blickenden Sinne als die Akteure einer
großen Farce hingestellt. Wir machen uns
nicht viel daraus, denn das Gelächter hält die
Entwicklung der Welt nicht auf. Dieses Ge-
lächter, das Kolumbus begrüßte, als er aus-
fuhr, die Neue Welt zu entdecken, das Fulton
und Stephenson und Friedrich Lißt, den
großen Eisenbahnökonomen, heimsuchte, hat
sich iru der Geschichte bereits das Bürgerrecht
erworben. Es' war auch da, als vor fünfzehn
Jahren diq erste Haager Konferenz ins Leben
trat, und konnte dennoch nicht verhindern, daß
diese Konferenz den ständigen Schiedshof
schuf, der bereits in vierzehn Fällen gewirkt
hat, wobei er in drei Fällen zweifellos Kriegen
vorbeugte. Das belächelte Werk entwickelte
sich trotzdem, und der jetzt neuerdings be-
lächelte Haager Friedenspalast ist nur eine
weitere Entwicklungsstufe dieses Werkes.
Die Unverständigen, die in der Meinung
leben, daß man gerade bei Regenwetter keinen
Regenschirm aufspannen dürfe, das heißt ins
Aktuelle übersetzt, in kriegerisch bewegter Zeit
an den Voraussetzungen des* gesicherten Frie-
dens nicht arbeiten dürfe, gelangen dadurch
in jene schiefe Denkrichtung, weil sie in ge-
nauer Sachunkenntnis glauben, daß mit dem
Palaste des ständigen Schiedshofes die Insti-
tution selbst erst ins Leben gerufen wurde.
Und das finden sie eben unzeitgemäß. Nun
bedeutet aber die Eröffnung des Hauses nicht
die Errichtung der Institution. Es handelt sich
vielmehr nur um die Uebersiedlung des seit
1901 bestehenden ständigen Schiedshofes aus
einem gemieteten Privathause in das ihm zur
Verfügung gestellte Palais. Ich kann nicht
begreifen, warum) man die Bauhandwerker im
Oktober vorigen Jahres hätte entlassen sollen
mit der Begründung, daß es unschicklich wäre,
jetzt an dem Friedenshause zu bauen, weil ajuf
dem Balkan,' die Kanonen losgegangen waren.
Ich kann noch weniger begreifen, warum man
den Sekretären des Schiedshofes hätte an-
empfehlen sollen, in der unwürdigen Privat-
wohnung zu verbleiben, nachdem der würdige
Palast fertiggestellt worden war, mit der Be-
335
DIE FßlEDENS-^ößTe
:m
gründung, daß diese Uebersiedlung unschick-
lich wäre, weil der Mord auf dem Balkan
gerade sein klägliches Ende erreicht habe.
Vielleicht würde ich den Einwand gelten
lassen, daß man von festlichen Veranstaltungen
in Rücksicht auf die Trauer hätte abstehen
sollen, in der sich durch den unseligen Balkan-
Krieg die Kulturelemente Europas befanden.
Man nimmt zwar nicht Anstand, die neuen
Kriegsschiffe mit großem, festlichem Pomp
vom Stapel' laufen zu lassen, man scheut sich
nicht, die Erinnerung an Schlachten, die hun-
dert und oft mehr Jahre hinter uns liegen,
mit dem größten Glänze zu begehen, und
deshalb würde ich auch jenen Einwand nicht
voll gelten lassen; denn warum soll die Kul-
turwelt sich nicht offen einer Einrichtung
freuen dürfen, die dazu bestimmt ist, Glück-
verheißendes wenigstens in Aussicht zu stellen.
Im übrigen waren ja die Feste nicht gar
so glänzend, wie man es sich in der Phan-
tasie vorstellen mag. Die wirkliche Eröffnungs-
feier hielt sich in ganz bescheidenen Grenzen.
Zunächst wurde der Raum nach Tunlichkeit
beschnitten und von den Millionen Kultur-
trägern der ganzen Welt, die Anteil genommen
haben an dieser Eröffnungsfeier, hatten nur
400 das Glück, eine Einladung zu erhalten.
Unter diesen waren sehr viele Personen, die
durch ihre Stellung am Hofe und im Staate
des einladenden Hollands zugezogen werden
mußten, die aber der Sache selbst ziemlich
gleichgültig gegenüberstanden. Die Zahl der
eigentlichen „Freudtragenden", die der Feier
beiwohnen durften, war demnach auf ein
Mindestmaß reduziert. Von uns Pazifisten, die
wir den Geist schufen, der jene Einrichtung
verwirklichte, der das Haus geweiht ist, waren
nur fünf in der glücklichen Lage, der Ein-
weihung beiwohnen zu dürfen. Die Feier be-
stand, wie der Telegraph bereits gemeldet hat,
lediglich aus zwei Reden zweier Diplomaten,
durch die der Besitztitel des „Immobiliums"
gewechselt wurde. Der Direktor der Stiftung
Carnegies, die den Bau ermöglichte, übergab
dem Präsidenten des Verwaltungsrates vom
Haager Schiedshof die Schlüssel. Dreimaliger
Chorgesang umgab diese Reden. Die Königin,
die mit dem Prinzgemahl, mit ihrer Mutter
und einem glänzenden Gefolge erschienen war,
hörte schweigend diesen Reden zu und verließ
schweigend das! Haus. Es war ein Schweigen,
das in1 diesem Falle nicht Gold, sondern eher
Blut und Eisen bedeutete. Im übrigen war
die ganze Feier eine höfische Parade im vollen
Glanz, „der goldgestickten Uniformen. Heines
Worte fielen mir dabei ein:
„Schwarze Röcke, seidne Strümpfe,
• Weiße, höfliche Manschetten,
Sanfte Reden, Embrassieren —
Ach, wenn sie nur Herzen hätten I"
Gelacht wurde dabei nicht, aber in ihrem
Innern mögen die elegant uniformierten
Herren über das Unternehmen, dem sie bei-
wohnten, trotz der ernsten Mienen, die sie
zur Schau trugen, ganz herzlich gelacht haben..
Doch was nützt es? Es gibt eine Radium-
wirkung der sozialen Geschehnisse. Es gibt
eine Potenzierung des Einzel wirkens. Von
einem Geiste, der den einzelnen Teilnehmern'
fremd ist, wurden sie zu einer Handlung ge-
zwungen, die ihnen gleichgültig war. Aber
indem sie mittaten, entstanden aus ihrer mul-
tiplizierten /Mitwirkung neue geistige Kräfte,,
die lebendig bleiben und weiter wirken. Das
konnte man bereits am darauffolgenden Tage
sehen. Die Leute, die es ehrlich meinen mit
diesem Friedenswerk, kamen in Scharen her-
bei, um die Büste eines der Ihrigen, die dem
Friedenspalast zum Geschenk gemacht wurde,,
zu enthüllen.' Es war die Bronzestatue Ran-
dal Cremers, jenes englischen Arbeiters,.
der einer der Führer der pazifistischen Be-
wegung wurde und der die, heute von allen
Regierungen unterstützte, Interparlementa-
rische Union schuf. Andrew Carnegie,,
der am Eröffnungstage mit dem großen Bande
jenes Ordens geschmückt, den die Königin ihm
verliehen hatte, schweigsam dasaß, nahm selbst
die Enthüllung der Büste vor. Er präsidierte
dieser denkwürdigen ersten Friedensversamm-
lung in jenem mißverstandenen Friedenshause,,
und neben ihm saßen hervorragende englische
Männer, die die Cremerbüste als Geschenk
überbracht hatten. Da war der englische
Minister ThomasBurt, jener frühere Berg-
arbeiter, da war Howard Evans, ein Ar-
beiter im Wollhemd, der als Kamerad Cremers
gewirkt, da war das Parlamentsmitglied
M a d d i s o n , der Nachfolger Cremers als
Sekretär der von ihm gegründeten „Arbitration
Society", da war Lord Weardale, der
Führer der; englischen Gruppe der Interparla-
mentarischen Union und nunmehr Präsident
ihres ausführenden) Rats, einer der geistigen
Mitschöpfer des ständigen Schiedshofes, da
war auch der amerikanische Gesandte im
Haag Mr* Bruce. Und diese Männer hielten
Reden, die von echtem pazifistischen Geiste
getragen waren. Die ersten Worte zur Ver-
dammung des Krieges hallten durch den
großen Saal des Schiedspalastes, und eine
nach Hunderten zählende Menge zollte diesen
Worten begeisterten Beifall. Bei dieser Ge-
legenheit hielt Carnegie auch jene Auf-
sehen erregende Rede, in der er neuerdings
Kaiser Wilhelm anrief, die in seinen Händen
liegende Macht zu benutzen und Europa den
organisierten Frieden zu geben. An jenem
Tage, nicht an dem der offiziellen
Eröffnung geweihten vorher-
gehenden, fand die Weihe des
Hauses statt; an jenem Tage brach der
Geist durch, den das ängstliche Zeremoniell
der Hofzeremonienmeister und der Diplomatie
durch goldstrotzende Uniformen und salbungs-
volle Chorgesänge ersetzen wollte. Und das
ist das Tröstliche an jenem Ereignisse vom
29. August. Der Geist des Jahrhunderts, der
noch von so vielen verlacht und verhöhnt wird. .
336
«F==
= DIE FRIEDENS-^^ÄRTE
er hat jenes Haus, gebaut, er hat, trotzdem
er etwas Immaterielles ist, Ziegel auf Ziegel
gesetzt, hat die luxuriöse Prachteinrichtung
des Interieurs! aus allen Zonen herbeigetragen,
hat die Regierungen und ihre Vertreter ge-
zwungen, an einem Werke teilzunehmen, das
sie niemals) ernstlich ins Auge zu fassen be-
absichtigten, und dieser Geist, der sich nicht
töten läßt, und nicht ausschließen, der am
29. August sich mit aller Gewalt manifestierte,
nachdem man ihm am 28. August feierlich
die Türe verschlossen hatte, dieser Geist wird
dafür Sorge tragen, daß das Werkzeug des
Friedens auch in seiner neuen Heimstätte zur
Anwendung kommt.
Da steht nun der Palast mit seinen beiden
in die Lüfte ragenden Türmen in der Nähe
des Meeres. Man wird versuchen, ihn zu ver-
gessen. Aberl es wird nicht gehen. So "wie es
Schandflecke gibtÄ die man nicht wegwaschen
kann, ist hier ein Ehrenfleck unserer Zeit ge-
schaffen worden, der unheimlich leuchten wird,
wie trübe sich auch die kommenden Ereig-
nisse gestalten mögen, und der nicht wegge-
wischt werden kann von allen jenen, die ihn
gern beseitigen möchten. So wird das neue
Gewand des Haager Schiedshofes dazu bei-
tragen, der Einrichtung zu dienen, ihr er-
höhtes Ansehen zu gewähren. Die Lächeln-
den und Witzelnden werden im Unrecht
bleiben. A. H. F.
Die 18. Interparlamentarische
Konferenz.
(3. bis 5. September 1913.)
Von
Professor Richard Eickhoff, Remscheid,
Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses.
Der freundlichen Aufforderung des
Herausgebers der „Friedens-Warte", ihren
Lesern einen kurzen, zusammenfassenden Be-
richt über die 18. Interparlamentarische
Konferenz zu erstatten, komme ich um so
lieber nach, als die Haager Konferenz, von
der ich soeben zurückkehre, sich ihren Vor-
gängerinnen würdig anreiht und ihr Verlauf
wie ihre Ergebnisse als durchaus erfreulich
bezeichnet werden dürfen.
Was ist denn die Hauptaufgabe der Inter-
parlamentarischen Union ? Sie will den Ge-
danken der Schiedsgerichtsbarkeit und aller
ihr verwandten Einrichtungen und Bestre-
bungen in immer erhöhtem Maße zur Durch-
führung bringen, und sie schafft daher un-
ermüdlich das Material herbei, das diesem
Zwecke zu dienen bestimmt ist. Dieser Auf-
gabe hat sich auch die 18. Konferenz der
Union gewidmet, und man wird anerkennen
müssen, daß sie einen tüchtigen Schritt vor-
wärts auf dem Wege getan hat, den diese
nun schon fast ein volles Vierteljahrhundert
verfolgt.
Unter den Gegenständen, die auf der
Tagesordnung der Konferenz standen, be-
fanden sich einige, die schon frühere Kon-
ferenzen beschäftigt hatten und dennoch auch
jetzt nicht endgültig verabschiedet werden
konnten, weil sie internationale Probleme auf-
werfen, die nicht von heute auf morgen ge-
löst werden können. Ich rechne dazu die
Frage der Rechtsverhältnisse der
interozeanischen Meerengen und
Kanäle, die der deutsche Abgeordnete
Dr. Pachnicke zuerst auf der 16. Kon-
ferenz in Brüssel (1910) behandelt hatte
und die dann einer Studienkommission über-
wiesen worden war, namens deren der portu-
giesische Graf von Penha Garcia jetzt
einen vorläufigen Bericht erstattete. Danach
hat die Kommission fünf Grundsätze auf-
gestellt, über die sich die Mächte, wie sie
hofft, leicht einigen könnten: es sind die
freie Durchfahrt und gleiche Behandlung für
alle Handelsschiffe, die Meerengen und See-
kanäle passieren; das Verbot der Blockade
derselben; das Verbot, sie durch Torpedos
oder selbsttätige Minen zu versperren; das
Verbot, bestimmte Leuchtfeuer auf großen
Seewegen selbst in Kriegszeiten aus-
zulöschen; endlich die Verpflichtung, in
allen Streitfragen, die aus der Auslegung
dieser Grundsätze entstehen, schiedsrichter-
liche Hilfe anzurufen. Die Kommission be-
antragt, sie bis zur nächsten Konferenz mit
der Ausarbeitung eines allgemeinen Ab-
kommens zu betrauen, in dem die genannten
Grundsätze zur Geltung kommen sollen;
erst dann will sie die andern Fragen be-
handeln, die zur Lösung des ganzen Pro-
blems gehören. Einstimmig nahm die Kon-
ferenz diesen Vorschlag an.
Zu den Fragen, die schon frühere Kon-
ferenzen beschäftigt hatten und dennoch auf
der Haager Konferenz keine Lösung fanden,
gehört auch die der dauernden Neu-
tralität. Volle 18 Redner ergriffen zu
dieser Frage das Wort: ein Beweis, welch
lebhaftem Interesse sie begegnet — na-
mentlich, wie nicht anders zu erwarten war,
bei den kleineren Staaten, die — wie Däne-t
mark, Norwegen und Schweden — schon
lange den Wunsch hegen, neutralisiert zu
werden. Der dänische Abgeordnete
Dr. M u n c h — seines Zeichens Minister
der nationalen Verteidigung! — erstattete
einen vortrefflichen Bericht. Aber in der
Diskussion wurde nicht mit Unrecht her-
vorgehoben, daß, der Begriff der „neutralite
permanente" noch nicht einmal feststehe;
denn die „dauernde Neutralität" hat bei-
spielsweise für einen Staat doch nur dann
Wert, wenn nicht nur er selbst sie erklärt,;
sondern auch die anderen Staaten sie an-
erkennen, wie das bei der Schweiz, Belgien,
Luxemburg und dem Kongostaat geschehen
ist. Da gerade diese Frage noch einer
weiteren Klärung bedurfte, so verwies die
337
DIE FßlEDENS-^ÖJiTE =
3
Konferenz mit Zustimmung des Bericht-
erstatters selber den ganzen Gegenstand
zur weiteren Prüfung an die sogen, zentrale
Kommission, und dem gleichen Schicksal
verfiel der Antrag des früheren hollän-
dischen Ministers van Houten über die
Rechte und Pflichten der neu-
tralen Staaten im Seekriege, der
eine Lücke des Haager Abkommens vom
18. Oktober 1907 auszufüllen bestimmt ist.
Nach der Auffassung des Antragstellers soll
nämlich diese Lücke darin bestehen, daß ein
neutraler Staat unter Umständen außerstande
sein kann, die im Artikel 25 dieses Ab-
kommens gegen die Bedrohung durch eine
Seemacht vorgesehenen Maßnahmen selber
zu ergreifen, und deshalb auf die Unter-
stützung einer anderen neutralen Macht an-
gewiesen ist. Auch diese Frage soll also
in der zentralen Kommission eingehend ge-
prüft und der nächsten Konferenz alsdann
darüber berichtet werden.
Man erinnert sich, welches Aufsehen der
neue schiedsgerichtliche Vor-
schlag des amerikanischenStaats-
sekretärsMr. Bryan vor einigen Monaten
nicht nur drüben, jenseits des Kanals, her-
vorrief. Dieser Vorschlag ist inzwischen allen
Mächten unterbreitet worden. Es war vor-
auszusehen, daß die amerikanische Gruppe
sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen
würde, ihn der Konferenz vorzulegen und
seine Empfehlung von ihr zu erbitten. Die
Herren RichardBartholdt und B u r t o n
unterzogen sich denn auch dieser Aufgabe
mit großem Eifer. Herr Bartholdt teilte
mit, daßi bereits 28 Staaten das Prinzip
dieses Vorschlages gebilligt hätten, mit dem
Staate Salvador auch schon ein förmlicher
Vertrag auf Grund der Bryanschen Vor-
schläge abgeschlossen worden sei. So stimmte
denn auch die Konferenz dem amerika-
nischen Antrage insoweit zu, als sie
das Prinzip dieser Vorschläge empfahl und
der von ihr eingesetzten Kommission für
internationale Schiedsgerichtsbarkeit anheim-
gab, die Frage der allgemeinen Anwendung
solcher Verträge eingehend zu prüfen. Es
mag indes schon an dieser Stelle angedeutet
werden, daß der Vertrag, der zwischen den
Vereinigten Staaten von Amerika und Sal-
vador abgeschlossen worden ist, insbesondere
Artikel 4, für Großmächte kaum durchführbar
erscheint. Der Vorschlag des Herrn Bryan sieht
vor dem Beginne der Feindseligkeiten die
Untersuchung des Streitfalles durch eine un-
parteiische internationale Untersuchungs-
kommission vor. Aber sollte es wirklich
möglich sein, einen Großstaat zu verpflichten;
während der Tagung dieser Kommission auf
jede Rüstung zu verzichten, „ä maintenir le
statusquo militaire et naval" ?
Die Frage der Kriegsanleihen ist
nicht von heute oder gestern, und auch die
Interparlamentarische Union hat sich schon
auf zwei Konferenzen — 1910 in Brüssel
und 1912 in Genf — mit ihr beschäftigt.
Aber während die alte Schule unter
Bluntschlis Führung sich für ein Verbot der
Kriegsanleihen aussprach, ist die neuere
Richtung weniger rigoros und hält es für
durchaus erlaubt, daß neutrale Staaten krieg-
führenden Mächten Gelddarlehen gewähren,
wie dies ja noch soeben im Balkankriege
so ausgiebig geschehen ist. Anderseits
haben schon jetzt einzelne Staaten durch
Gesetz solche Kriegsanleihen von ihrem
Markte ausgeschlossen. In jedem Falle ist
auch diese Frage sehr strittig, und man kann
deshalb dem belgischen Senator Graf
Gobi et d'Alviella, einem verdienten
Veteranen der Interparlamentarischen Union,
nur Dank dafür wissen, daß er diese Frage
aufs neue zur Erörterung gestellt hat. Die
Konferenz nahm nach einer anregenden De-
batte seinen Antrag denn auch mit über-
wiegender Mehrheit an, der auf ein inter-
nationales Abkommen oder, wenn dies nicht
zu erreichen ist, auf eine Aenderung der
Gesetzgebung in den einzelnen Staaten in
dem Sinne abzielt, daß der Geldmarkt neu-
traler Staaten den Kriegsanleihen ver-
schlossen bleibt.
Ich folge in meinem Berichte der Reihen-
folge der Tagesordnung, und so muß ich jetzt
ein Wort über die von mir selber behandelte
Frage des Weltpennyportos sagen.
Schon auf der 16. (Brüsseler) Konferenz
hatte der englische Abgeordnete Henniker
Heaton diese Frage auf die Tagesord-t
nung zu bringen versucht, ohne daß er
satzungsgemäß dazu berechtigt gewesen
wäre. Nachdem aber die Union im vorigen
Jahre in Genf das Gebiet ihrer Tätigkeit
durch eine entsprechende Satzungsänderung
erweitert hat, kann sie alle Probleme in den
Kreis ihrer Erörterungen ziehen, ,,die für
die Entwicklung der friedlichen Beziehungen
unter den Völkern von Bedeutung sind". Daß.
dazu in erster Reihe ein billiges Einheits-t
porto für den internationalen Briefverkehr
gehört, bedarf keiner weiteren Worte : es
gibt kaum eine populärere Forderung in allen
Kulturstaaten als diese. Ich nahm deshalb
die dankenswerte Anregung unseres bri-
tischen Kollegen aus dem Jahre 1910 im
Haag wieder auf und hatte die Genugtuung!,,
daß mein Antrag nach einer kurzen Emp-
fehlung durch Lord Weardale und den
kanadischen Senator Dandurand ein-
mütige Annahme fand. Insbesondere konnte
Herr Dandurand meine Argumente auf
Grund der Erfahrungen seines Heimatlandes
durchweg bestätigen.
Die bisher besprochenen Gegenstände
nahmen die Tagesordnung der drei Sitzun-
gen der beiden ersten Konferenztage ein;
aber auch der dritte und letzte Tag
brachte noch interessante Verhandlungen.
338
<§=
DIE FRI EDENS ->M&RTE
Zuerst wurde ein Antrag des belgischen
Abgeordneten Louis Franck (Antwerpen),
eines vorzüglichen Kenners des Seerechts,
beraten, der die Union zum Mittel-
punkte aller internationalen Be-
strebungen machen will. Was Herr
Franck bezweckt, geht aus seinem Berichte
und den mündlichen Erläuterungen, die in
seiner Vertretung Herr Mechelynck
dazu gab, klipp und klar hervor: es handelt
sich darum, die Interparlamentarische Union
zu einer Zentralstelle auszugestalten, von der
aus die Regierungen in wirksamerer Weise
als bisher auf alle Bestrebungen hingewiesen
werden könnten, die der internationalen Ver-
ständigung dienen. In der Debatte wurde
beispielsweise auf ein internationales Ab-
kommen über den Opiumhandel hingewiesen,
dessen Ratifizierung durch Vermittlung der
Union herbeigeführt werden könne. Der
Grundgedanke des Franckschen Antrages
läuft also — entsprechend der im vorigen
Jahre erfolgten Satzungsänderung — auf eine
Erweiterung des Tätigkeitsfeldes der Union
hinaus, die von ihren Führern schon länger
geplant war. Eben deshalb fand er auch
die Zustimmung der großen Mehrheit der
Konferenz. Denn daß die Union, ,,das
Parlament der Parlamente", am ehesten in
der Lage ist, auf die Regierungen ein-
zuwirken und so eine nützliche Vermittler-
rolle zu spielen, geht schon aus ihrer Zu-
sammensetzung und ihrem ganzen Charakter
hervor. Daß sich die Union dabei aber doch
vor einer Zersplitterung ihrer Kräfte hüten
muß, wurde von englischer Seite mit Recht
bemerkt.
Eine längere Erörterung knüpfte sich so-
dann an den Jahresbericht des
Generalsekretärs Dr. Lange, dessen
Verdienste um die Vorbereitung und Organi-
sation der Konferung wiederum allgemeine
Anerkennung fanden. Die Ratifikation
der wichtigsten Konventionen der
Haager Friedenskonferenz von
1907 und der Londoner Seerechts-
deklaration von 1909 ist bisher noch
von einer Anzahl von Staaten unterlassen
worden. Schon mehrfach hat die Union,
wie aus dem Jahresberichte des Herrn
Dr. Lange hervorgeht, die Regierungen zu
dieser Ratifikation aufgefordert, ohne die eine
Fortbildung des Völkerrechts unmöglich er-
scheint. Diesmal war es der Vorsitzende
der ungarischen Gruppe, Herr v. Berze-
v i c z y , der die Erneuerung der früheren
Beschlüsse — unter Hinweis auf die Zu-
stimmung der österreichisch-ungarischen Re-
gierung zur Regelung des Prisenrechts —
dringend empfahl und die Mächte zugleich
erneut aufgefordert wissen wollte, die Vor-
bereitungen zur dritten Haager
Konferenz unverzüglich in die Wege zu
leiten. In diesem Sinne wurde denn auch
ein einmütiger Beschluß gefaßt, und man
kann nur wünschen, daß die Regierungen
sich endlich zu einem Entschlüsse aufraffen
mögen. Auch die weitere Anregung des
Herrn v. Berzeviczy, alle geeigneten
Schritte zu tun, um den Wiedereintritt
der italienischen Gruppe in die Union
zu veranlassen, eine Anregung, der sich Freiherr
v. Plener und Herr Constantinesco
(Rumänien) anschlössen, fand allseitige Zu-
stimmung; es darf dazu bemerkt werden,
daß schon längere Zeit unverbindliche Ver-
handlungen über die Beseitigung des pein-
lichen Zwischenfalls in die Wege geleitet
worden sind. Es mag weiter erwähnt werden,
daß Herr Dr. Qu'idde (München) bei
diesem Gegenstande der Tagesordnung einen
in französischer und deutscher Sprache ge-
druckten „Entwurf zu einem inter-
nationalen Vertrage über Rü-
stungsstillstand" der Konferenz vor-
legte.
Eine aktuelle Frage war es endlich, die
den letzten Gegenstand der Tagesordnung
bildete, die — wie man zugeben wird —
an Mannigfaltigkeit nichts zu wünschen
übrigläßt. Von zwei Seiten, von rumänischer
durch Herrn D i s s e s c o, den jetzigen Justiz-
minister, und in seiner Vertretung durch den
Senator Lahovary, und von österreichischer
Seite durch Herrn Professor Ritter v. R o s z -
k o w s k i , war die heikle Frage der Bal-
kangreuel, der zahlreichen Verletzungen der
Haager Konvention vom 18. Oktober 1907
betr. die Gesetze und Gebräuche des Land-
krieges, zur Sprache gebracht worden. Zahl-
reiche Redner beteiligten sich an dieser De-
batte, deren Ergebnis ein einstimmig an-
genommener Antrag des Inhaltes war, daß
alle Fragen, die sich auf diese Rechtsver-
letzungen beziehen, insbesondere die Frage,
auf welchem Wege wirksame Maßnahmen
und Uebereinkommen über etwaige Ver-
letzungen des Völkerrechts getroffen werden
können, auf die Tagesordnung der nächsten
Haager Konferenz gesetzt werden möchten.
Hoffentlich wird diesem von allen Kultur-
freunden einmütig gehegten Wunsche Er-
füllung zuteil werden.
Ich habe im vorstehenden die Ergebnisse
der 18. Interparlamentarischen Konferenz,
soweit es der mir zustehende Raum ge-
stattete, den Lesern der „Friedens-Warte"
dargelegt. Aber wenn ich auch nur die
wichtigsten Gesichtspunkte hervorheben
konnte und manche recht interessante Er-
örterungen und Anregungen dabei aus-
schalten mußte, so hoffe ]ich doch, ein einiger-
maßen anschauliches Bild dieser Verhand-
lungen gegeben zu haben, die in der ersten
Septemberwoche im Haag gepflogen wurden.
Ich darf noch hinzufügen, daß das Interesse
der Konferenzmitglieder an den Verhand-
lungen ein ungeteiltes war, wie denn der
ehrwürdige „Groote Ridderzaal" von der ersten
bis zur letzten Sitzung so regelmäßig und so
339
DIE FBIEDENS -^ÖÜTE
3
gut besucht war, wie ich es kaum auf
einer der früheren Konferenzen bemerkt
habe. Dabei wetteiferten die Vertreter aller
Nationen miteinander : neben den Russen
waren die Türken, neben den Amerikanern
waren die Japaner vertreten; von den euro-
päischen Staaten fehlten — außer Italien —
nur die Vertreter der Bulgaren, Serben und
Griechen — aus naheliegenden Gründen.
Und so durfte man dem verehrten Präsi-
denten der Konferenz, Herrn Abgeordnetem
Tydeman, aus vollem Herzen zustimmen,
wenn er seiner Befriedigung über den schönen
Verlauf der Konferenz und ihre guten Er-
gebnisse Ausdruck gab, und er selbst hatte
den Dank wohl verdient, den ihm der
Vorsitzende der ungarischen Gruppe, Herr
v. Berzeviczy, namens aller Konferenz-
teilnehmer für seine vortreffliche Leitung der
Verhandlungen aussprach. In der Tat ist
im Haag wieder ein gut Stück Arbeit im
Dienste der erhabenen Gedanken geleistet
worden, deren Verwirklichung die Inter-
parlamentarische Union ihr Lebenswerk ge-
weiht hat: ,,Vrede door Recht", um mit
unseren niederländischen Freunden zu sprechen,
wird darum auch in Zukunft ihre Losung sein.
Die Internationalilät des
Waffenhandels.
Von Georg Herbert Perris (London).
Der bemerkenswerteste Zug des Waffen-
handels ist seine in das Ausland reichende
Entwicklung. Sehr selten überschreitet eine
mit Waffen handelnde Gesellschaft selbst die
Grenzen. So übernahm im letzten Jahre
die im Jahre 1887 registrierte französische
Hotchiß-Gesellschaft die Geschäfte der eng-
lischen Hotchiß-Gesellschaft. Gewöhnlich
aber bleibt, wie dies bei einer berühmten
Gelegenheit gesagt wurde, die britische Flagge
„aktiv". Das Bauen von fremden Kriegs-
schiffen in britischen Werften würde eine
Anomalie bedeuten, wenn der imperialistische
Patriotismus das wäre, was er zu sein vor-
gibt. Was soll mian aber von den Werften
der britischen Firmen auf dem Festlande
sagen, die nur zur Verteidigung unserer aus1-
ländischen „Rivalen" da sind ?
Wenn man von der Bergreihe Pozzuolis
nach der Bucht von Neapel hinunterschaut,
ist man erstaunt, daß diese liebliche Küste
durch rote Backstein-Gebäude und hohe
Schornsteine verunstaltet wird. Es ist das
Arsenal der britischen Armstrong-Pozzuoli-
Gesellschaft, die viertausend Arbeiter be-
schäftigt und die die hauptsächlichste Quelle
zur Flottenergänzung des zweiten Alliierten
Deutschlands bildet. Ebenso hat die An-
saldo-Armstrong-Gesellschaft von Genua zwei
Dreadnoughts und mehrere Kreuzer für
Italien und kleinere Schiffe für die Türkei
gebaut. Armstrongs haben auch Geschütz-
und Rüstungsfabriken in Japan, und sie sind,
zusammen mit Vickers und John Brown
& Co., Teilhaber der ,,Hispana"-Ges:ellschaft
für Schiffbau, das hauptsächlichste In-
strument für den Ehrgeiz König Alfonsos
und für die Verarmung des spanischen
Bauers. Vickers Ltd. tragen auch zur Er-
gänzung der italienischen Flotte bei durch
ihre Schwestergesellschaften Vickers - Terni
Ltd., Odero in Genua und Orlando in Livorno.
Eine der seltsamsten Episoden der fi-
nanziellen und wirtschaftlichen Geschichte
der letzten Zeit ist wohl die Wiedererrichtung
der russischen Flotte, zu der britische, fran-
zösische, deutsche, belgische und amerika-
nische Firmen beigetragen haben und heute
noch beitragen, eine Ausstellung des1 Inter-
nationalismus, in seiner Weise ebenso über-
zeugend, wie die Friedenskonferenzen im
Haag, die derselbe Zar einberief, um die
Rüstungen zu beschränken. Fünfzig Millio-
nen Pfund Sterling soll diese neue Flotte,
deren Autorisation vor einem Jahr von der
Duma erzwungen wurde, ungefähr kosten.
Das Kapital wurde hauptsächlich durch fran-
zösische und andere ausländische Institute
investiert; die Zinsen werden von den armen
russischen Bauern und Arbeitern gezahlt.
Es muß aber bedacht werden, daß der Pa-
triotismus in Rußland größer ist als in Eng-
land, d. h. er ist ultra-nationalistisch und
ultra-protektionistisch ; er ist ebenso ultra-
klerikal und hängt gewöhnlich mit dem
Geben und Nehmen von Bestechungs-
geldern zusammen. Das ist aber eine Sache
für sich. Die russische Regierung hat keine
unserer britischen Einwände über die Aus-
dehnung der Staatsgeschäfte für sich. Aber
je mehr Unternehmen die Regierung in ihrer
Gewalt hat, desto mehr Profitgelegenheit
hat die herrschende Bureaukratie. Deshalb
wurde beschlossen, daß, trotzdem aus-
ländisches Geld und ausländische Kennt-
nisse verwendet werden müssen, diese soviel
als möglich in den Dienst der „wachsenden
Schaffung einer nationalen Industrie für
Schiffbau" gestellt werden. So haben Vickers
Ltd. (die eben den Kontrakt schließen) nicht
die notwendigen Geschütze zu ergänzen,
sondern eine neue Fabrik in Form einer
Spezialgeseilschaft mit einem Kapital von
1 500 000 £ zu bauen. So sollen Schiffe nicht
aus dem Auslande importiert, sondern durch
russische Arbeiter, mit russischem Material,
unter ausländischer Führung erbaut werden.
Die ersten vier russischen Dreadnoughts
sind gerade in St. Petersburg unter der Auf-
sicht von John Brown & Co. fertiggestellt
worden. In Nikolajeff am Schwarzen Meer
wurden zwei andere Kriegsschiffe durch eine
franco-russische Gesellschaft erbaut, wäh-
rend andere in einer zum Teil der Vickers Ltd.
gehörigen iWerft, die auch zur Ergänzung
der Maschinerien zweier Schiffe der Osts'ee
dient, erbaut werden. Andere Maschinerien
340
e=
DIE FRIEDENS-^V&DXE
werden unter der Aufsicht von Blohm & Voß
von Hamburg ergänzt. Rußland erzeugt
nun seine meisten Panzerplatten selber,
aber die Aufträge dafür wurden in Amerika
und Frankreich erteilt. Bei schweren Ge-
schützen haben die Ausländer größere Vor-
teile, und Vickers und Armstrong erhalten
nun die wichtigsten Aufträge.
Die technische Beilage der „Times" vom
25. Juni 1913 bringt einen sehr bezeich-
nenden Artikel über diese Tatsachen. Früher
hielten es die Meister der Strategie für un-
angebracht, „daß- eine Nation ihr Kriegs-
geheimnis und ihr Kriegsmaterial preisgab".
Diese „Einrichtung eines Heimlichkeits-Prin-
2ips" wurde aufgegeben und „der gegen-
wärtige Wechsel der Ideen und Waren in
Kriegsmaterial zwischen den Nationen ist ein
bezeichnendes Produkt des modernen Han-
dels und der Diplomatie". Dies „wird mit
vollkommener Gleichgültigkeit betrachtet.
Es ist aber vielleicht das am meisten
paradoxe Moment unseres Zeitalters", näm-
lich, daß die Equipierung der Armeen und
Flotten immer einheitlicher wird; aber die
Oberhand „würde jener Nation zuteil werden,
die die Entwicklung der Verschiedenheiten der
bestehenden Typen in Betracht zieht" — eine
Folgerung, die den Kriegshändlern sehr
bequem ist.
Rußland ist ein reiches Land. Am
anderen Ende Europas liegt der kleine und
arme Staat Portugal, der verzweifelt um die
Erhaltung seiner neuen republikanischen In-
stitution kämpft. Mit jährlichen Einnahmen
von bloß 16 000 000 £ trägt er eine Schuld
von 180 000 000 £, so daß das Budget in
der Regel ein Defizit aufweist. Aber auch
die Regierung von Portugal wurde davon
überzeugt, daß sie eine neue Flotte brauche,
und daß nur britische Erbauer sie erretten
können. Damit übereinstimmend wurde ein
in der Zusammensetzung beinahe ganz bri-
tisches „Portugiesisches Flottenbau - Syn-
dikat" gebildet, das schon seinen Kontrakt
in der Höhe von 1 500 000 £ in der Tasche
hat. Dazu gehören die Firmen: John Brown,
Cammell, Laird, the Fairfield Co.,' Palmers
Thorneycrotts und die Coventry Ordnance
Co.*). Es gab Zeiten, da die Engländer für
Portugal geblutet haben; jetzt muß unser alter
Bundesgenosse für uns bleiben. So bezahlt
der Schwache für den Schutz des Starken.
Diese großen Unternehmungen regen ver-
schiedene große Fragen an. Von Zeit zu
Zeit tauchen leicht Fragen über Englands
Stellung am Mittelländischen Meer auf; und
öfter noch wird nach der Stärke der Land-
und See- Verteidigung des Weges nach Indien
gefragt. Die einzige Gefahr in dieser Rich-
tung wurde von den „patriotischen" bri-
tischen Kapitalisten ins Leben gerufen.
Nehmen wir einen Augenblick an, daß der
') „Economist", Mai 1913.
Krieg, den diese Patrioten so oft kommen
sehen, — der Kampf um Leben und Tod
zwischen der Tripel-Allianz und der Tripel-
Entente — ausgebrochen wäre. Die Arse-
nale und Werfte würden, wahrscheinlich be-
schlagnahmt und gegen uns angewendet
werden. Andrew Noble oder Vickers werden
dies zwar als absurd verwerfen. Wenn dem
aber nicht so ist, weshalb bauen sie Dread-
noughts für Italien? Gegen wen, wenn nicht
gegen England? Gegen unseren Freund
Frankreich? In Uebereinstimmung mit der
„patriotischen" Theorie würde dies einem
Bauen gegen England gleichkommen. Oder
gegen die Türkei? Aber dieselben Firmen
zeigen ihre Unparteilichkeit dadurch, daß sie
ihre italienischen Werften dazu benützen, der
Türkei Kriegsschiffe zu liefern, die diese nicht
benützen kann. Oder gegen Spanien? Zu
gleicher Zeit aber versorgen sie Spanien mit
einer Flotte, die es gewissermaßen gegen jene,
die sie für Italien bauten, benützen soll.
Dies klingt wie Wahnsinn; aber als Ge-
schäft ist es äußerst methodisch und gewinn-
bringend. Ihr überzeugt einen Staat, — zum
Beispiel Italien — daß er mehr große Schiffe
oder ein neues Feldgeschütz braucht. Der
nächste Nachbar — Frankreich zum Beispiel
— muß diesem Beispiel bald folgen; da-
durch häufen sich die Aufträge. Mittler-
weile ist ein anderer Nachbar — Spanien zum
Beispiel — leicht davon zu überzeugen, daß
seine afrikanischen Interessen in Gefahr sind
und daß der britische Dreadnought die ein-
zige Maßnahme zur Begegnung einer solchen
Gefahr ist. Nun wird dieses Aufdrängen
eines Geschäftes von Pozzuoli auf Ferrol
übertragen und die Runde beginnt von neuem.
Oder, um die Szene zu ändern, wird es euch,
in einem gegebenen Moment sehr leicht
fallen, Staatsmänner Japans davon zu über-
zeugen, daß eine moderne Flotte für ihre
Absichten in China und in der Mandschurei
notwendig ist. Seid ihr da nicht die Urheber
von Britanniens Macht und ist dies nicht das
„Britannien des fernen Ostens!?" Alles ge-
schieht, wie ihr es vorhergesagt habt. Nun
aber bietet Rußlands Demütigung eine gute
Beute für eure „Liebkosungen". Millionen
haben eine eigene Art, zwischen den Fingern
der Minister des Zaren zu verschwinden. Es
gab zahlreiche Flottenskandale in St. Peters-
burg, in welchen ausländische Agenten eine
eigentümliche Rolle spielten. Letzten Endes
aber, wird Rußland seine Flotte und Vickers
und Brown ihre Profite erhalten. Laßt
Deutschland seiner Ostseeküste gedenken!
Es denkt schon daran; und — die Krupps,
die Vulkan-Werke, die Deutsche Munitions-
und Waffen-Fabrik verzeichnen gute Ge-
schäfte. Nun sind aber sofort die Nobles
und Mulliners, die Roberts und Beresfords
alle aufs höchste erregt. England wieder-
hallt von anti-deutschem Sturmläuten und neue
Kontrakte werden an Vickers, Armstrong,
341
DIE FBIEDENS -^ÖÜTE
9
Brown und anderen Gesellschaften gegeben.
Parlament und Presse sprechen von einer po-
litischen Krise : dies alles ist aber nur
der Ausfluß einer unaufhörlichen
Propaganda der Kriegshändler.
Nun aber sind die hier erwähnten Fälle
weitaus der geringste Teil der jährlich durch-
geführten Aktionen. Mehr als die Hälfte eines
Jahrhunderts hat England Leben und Gut
daran gesetzt — wir geben dafür noch jetzt
viele tausend Pfund jährlich aus — um
Sklavenhändler in Afrika und Asien zu unter-
drücken und um die Angriffe der jetzt nicht
mit Bpgen und Pfeil sondern mit modernen
Waffen kämpfenden Eingeborenen zurück-
zuschlagen. Woher stammen diese Gewehre)?
Wer bewaffnet die Eingeborenen der indischen
Grenze, die Straßenräuber von Persien, die
erst kürzlich mehrere britische Offiziere
töteten; wer bewaffnet die Sklavenhändler vom
indischen Ozean und die Araber von Tri-
polis, die Somalis von Abessynien, die Albaner
und Kreter, die Revolutionäre von Süd-Ame-
rika und die unzählbaren Eingeborenen aus
dem Innern Afrikas? Birmingham wird nicht
das Geheimnis des Geschütz-Wettbewerbes an
der Küste von Marokko verraten. Aber wir
wissen, daß der britische Export von Feuer-
waffen und Munition (ohne dazu Panzerplatten
und anderes großes Material zu rechnen) im
Jahre 1911 auf 3 8451000 £ stieg und daß
dieser „patriotische" Handel im Wachsen be-
griffen ist. Wir können überzeugt sein, daß
dies verstärkte Rüstungen zur Folge haben
wird.
Geheimrat von Bar, ein
Bahnbrecher des Völkerrechts.
Von Dr. Hans' W eh b e r g.
Nur wenige Tage nach der diesjährigen
Sitzung des Instituts für internationales Recht,
an dem er mit glühender 'Liebe hing, ist
v. Bar dahingeschieden. Schon seit längeren
Jahren hatte er wiederholt Krankheiten zu über-
stehen gehabt; aber jedesmal, wenn das In-
stitut für internationales Recht von neuem zu-
sammentrat, erwachte die alte Begeisterung
wieder in ihm, und so fuhr er noch 1912
nach Christiania und in diesem Jahre wieder
nach Oxford. Als ich Ende Juli v. Bar um
einen Aufsatz für die Zeitschrift für Völker-
recht bat, schrieb er unter das Antwort-
schreiben mit großen Buchstaben die für ihn
charakteristischen Worte: „Nächste Woche
fahre ich nach Oxford zur Sitzung des
Instituts !" Es war seine größte Freude, an
den Arbeiten dieser gelehrten Körperschaft
teilzunehmen.
Es hatte wohl einen besonderen Grund,
daß v. Bar gerade dem Völkerrechtsinstitute
solche Anhänglichkeit entgegenbrachte. In den
Jahrzehnten, da er dort gewirkt, hatte er
reiches Verständnis! gefunden, und seine Aus-
führungen auf den Tagungen wie in den
schriftlichen Berichten waren stets in ver-
dienter Weise anerkannt worden. In den
Kreisen der internationalen Wissenschaft, die
in jener Institution verkörpert ist, würdigte
man das tiefe Wissen dieses Mannes auf dem
Gebiete des gesamten internationalen Rechts,
und er fühlte sich dort nicht, wie oftmals in
seinem Vaterlande, vereinsamt. Im offiziellen
Deutschland habe er, so klagte er mir ein-
mal bitter, wenig Verständnis gefunden; weil
er den Mut gehabt, eine eigene Ueberzeugung
zu haben, habe man ihn oftmals zurückgestellt.
Immerhin konnte v. Bar mit der Aner-
kennung zufrieden sein, die seine Werke auch
bei den deutschen Juristen gefunden haben.
Sein in zweiter Auflage erschienenes Hand-
buch des internationalen Privat- und
Strafrechts wird noch heute, obwohl es
über 20 Jahre alt ist, auf zahllosen Gerichts-
bibliotheken benutzt, und Sachkenner halten
es für das beste deutsche Buch auf diesem
Gebiete.
In den letzten Jahrzehnten seines Lebens
hat sich v. Bar mehr und mehr dem Völker-
rechte zugewandt und eine Fülle von klei-
neren Aufsätzen geschrieben. Irgend ein
größeres Buch hat er dagegen über diese
Probleme nie veröffentlicht. Trotzdem sind
seine Ausführungen zum großen Teile von
bleibendem Werte. Charakteristisch für ihn
war, daß er weniger für die Darstellung des
geltenden Rechts arbeitete, als für die
Schaffung eines besseren Rechtes eintrat. In
einem seiner letzten Aufsätze in dem „Archiv
für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie" unter-
suchte er,; welches die Grundlagen des Völker-
rechts sind bezw. sein sollen.
In Einzelfragen trat v. Bar namentlich
bei der Erörterung des Schiedsgerichts-
problems hervor. Er hatte Bedenken, ob
sich schwierigere Streitfragen jetzt oder in Zu-
kunft schiedsrichterlich erledigen ließen, und
schlug deswegen eine internationale Akademie
vor, die Gutachten über politische Konflikte
erstatten sollte. Auf kriegsrechtlichem Ge-
biete ist besonders! die Opposition v. Bars
gegen die' Ratifikation der Londoner See-
kriegserklärung bemerkenswert.
Aber wenn er auch in solchen Detailfragea
Schöpfungen, die sonst allgemein als Fort-
schritte bezeichnet wurden, schwer bekämpfte,,
so war er dennoch alles (eher als lediglich
ein Verneiner. In ihm waren die Eigenschaften
eines oft tüftlichen Kritikers und eines groß-
zügigen Idealisten, der die leitenden Grund-
züge nicht aus den Augen verliert, in treff-
licher Weise vereinigt. So entspricht seine
Stellung zur Friedensfrage genau seinem
Verhalten gegenüber sonstigen Problemen. In
Einzelheiten war er hier sehr kritisch und
hielt sich auch meist von der praktischen
Propaganda zurück. Im großen ganzen aber
ließ er immerfort eine große Sympathie für
die Friedensideen 'durchblicken, und er, der in»
342
= DIE Fßl EDENS ->WÄETE
den jüngeren Jahren bei den Interparlamen-
tarischen Versammlungen oftmals zugegen
war, wurde noch zu Anfang dieses Jahres der
erste Vorsitzende des Verbandes für inter-
nationale Verständigung.
v. Bar war Ehrendoktor zahlreicher Uni-
versitäten. Noch vor wenigen Tagen verlieh
ihm Oxford den Ehrendoktor. Auch war er
von Anfang, an Mitglied des Haager Schieds-
gerichtshofes. Sein größter Schüler ist Pro-
fessor Schücking in Marburg.
Die Erinnerung an v. Bar wird in der
deutschen und ausländischen Völkerrechts-
wissenschaft ewig leben, nicht nur wegen der
Tiefe seiner juristischen Werke, sondern wegen
des hohen Idealismus, mit dem er die Wissen-
schaft in den Dienst der großen Aufgaben
der Fortentwicklung der Menschheit stellte.
Er hat nie lediglich mit Begriffen operiert
und sich1 in seine Studierstube eingeschlossen,
sondern all seine Arbeit wuchs aus dem
tiefen Verstehen des Getriebes der Welt und
dem Wunsche, ihr vorwärts zu helfen.
DieUnlösbarkeitderRbrüstungs-
frage in der Zeit der zwischen-
staatlichen Anarchie.
Von O. Umfrid,
Vizepräsident der Deutschen Friedensgesellschaft.
Es hat eine Zeit jn der Friedensbewegung
gegeben, da man glaubte, mit der Abrüstung
anfangen zu können. Man hätte meinen
sollen, diese x*\nschauung sei längst über-
wunden. Tatsächlich hat sich auch im
neueren Pazifismus die Meinung durchgesetzt,
daß die Lösung der Schwierigkeiten, die
unsere internationale Lage so unerquick-
lich machen, nicht damit begonnen
werden dürfe, daß man das Symptom
der Krankheit, den Rüstungswettlauf, be-
seitigen könne, daß man mit anderen Worten
den Hausbau nicht mit dem Dach anfangen
dürfe. Und nun hat Professor Quidde auf
dem Haager Kongreß einen Vorschlag ge-
macht, der darauf hinauskommt, daß man
zwar nicht mit der Abrüstung, wohl aber mit
dem Rüstungsstillstand beginnen solle.
Es liegt mir durchaus fern, die großen
Verdienste Quiddes, speziell um die Klä-
rung des Rüstungsproblems, herabsetzen zu
wollen. Ich bin vielmehr geneigt, die un-
bestreitbaren Vorzüge des von ihm ausgear-
beiteten Entwurfs, so namentlich die Gründ-
lichkeit und Vielseitigkeit der Darstellung,
voll und ganz anzuerkennen. Der Entwurf
ist mit parlamenatrischem Geschick schon
so weit ausgeführt, daß ihn die Regierungen
zur Grundlage eines Rüstungs'stillstands-
vertrags machen könnten, so gut wie sie
seinerzeit den Descampschen Entwurf al's
Fundament ihres Schiedsgericht sabkommenjs
benutzt haben. Die Mächte könnten das
tun, wenn die Voraussetzungen vorhanden
wären, die als conditio sine qua non für jeden
Rüstungsstillstand betrachtet werden müssen.
Aber daß es an diesen Voraussetzungen
fehlt, das ist meine wissenschaftlich be-
gründete Ueberzeugung, aus der ich auch
Herrn Professor Quidde gegenüber kein
Hehl machen kann.
Ein Rüstungsstillstand auf Grundlage des
Quiddeschen Entwurfs ließe sich etwa er-
zielen, wenn heute ein Gleichmaß der
Rüstungen in allen Staaten erreicht wäre
und wenn die einzelnen Staatenlenker sich
sagen könnten : wir werden bei einem
etwaigen Kriegsausbruch keinerlei Risiko
laufen, von einem irgendwie stärker ge-
rüsteten Staat niedergezwungen zu werden.
So steht die Sache aber nicht : Die Hebel
der Rüstungsschraube befinden sich sozusagen
nie auf gleicher Höhe; da die einzelnen
Kriegsminister sich sagen, wir werden nur
dann mit Zuversicht auf Sieg hoffen dürfen,
wenn wir den andern überlegen sind, so hat
jeder das Bestreben, seinem prasumptiven
Gegner in Rüstungsfragen zuvorzukommen;
die eisernen Arme, welche die Rüstungs-
schraube bilden, stehen daher immer so. daß
bald der eine, bald der andere einen Vor-j
sprung auf seiner Seite hat. Solange aber
der eine Staat den andern im Vorsprung
sieht, kann er sich in der Zeit des latenten
Kriegszustandes, in dem wir uns befinden,
nicht auf einen Rüstungsstillstand einlassen,
wenn er nicht zum voraus eine etwaige
Niederlage in Rechnung nehmen will.
Es möge mir gestattet sein, von diesem
Standpunkt aus die Einzelheiten des Quidde-
schen Entwurfs zu kritisieren, soweit sie die
Kritik direkt herauszufordern scheinen.
Zu Artikel 1 möchte ich bemerken, daß
es schon sehr schwer halten dürfte, eine
Klarheit über die wirklichen normalen
Rüstungsausgaben zu schaffen, wenn man an-
nimmt, daß einzelne Länder, wie z. B. Ruß-
land, durch unglückliche Kriege sich ver-
anlaßt sehen, eine Reorganisation von Heer
und Marine vorzunehmen. Wer will dem
einzelnen Staat nachweisen, wieviel in
dieser Reorganisation außerordentliches Bud-
get ist, wieviel auf das Normalbudget zu setzen
wäre? Aber auch abgesehen davon, welche
schwerwiegenden Konsequenzen ergeben sich
aus der Tatsache, daß einzelne Länder
Kolonialtruppen unterhalten und daß es
ihnen freisteht, im Falle eines Kriegsaus-
bruchs dieselben unter Umständen eben doch
gegen den europäischen Feind zu verwenden,
nach dem Grundsatz, daß man eher eine
Kolonie verlieren als seine europäische
Stellung gefährden lassen dürfe!
Zu Artikel 2. Die Steigerung von 5 o/0 in
der einzelnen Waffengattung kann immerhin
ganz beträchtliche Machtverschiebungen mit
sich bringen. Man stelle sich vor, daß z. B.
343
D1E FßlEDENS->MM3TE
&
für irgendeine europäische Infanterie jähr-
lich 600 Millionen ausgegeben werden und
daß die kommandierenden Generale darauf
verfallen, für die einzelnen Kompagnien
Maschinengewehre anzuschaffen, so stehen
dafür bei 5 o/o 30 Millionen zur Verfügung.
Es ist selbstverständlich, daß eine derartige
Maßregel die entsprechenden Gegenmaß-
regeln in der benachbarten Nation hervor-
rufen müßte, daß also eine Rüstungssteige-
rung zwar nicht auf dem Gebiete der Gesamt-
ausgaben, aber innerhalb der einzelnen Budget-
posten ihren Fortgang nehmen würde.
Ganz besonders schwierig müßte sich das
von Quidde intendierte Abkommen durch
seinen dritten Artikel gestalten. Nehmen
wir an, irgendeine Marine soll nach einem
bestimmten Programm bis zum Jahre 1920
ausgebaut werden, so wird die gegnerische
Marineverwaltung sich selbstverständlich
sagen, daß durch die programmäßige Voll-
endung der feindlichen Kriegsflotte die eigene
Flotte bedroht werde, wenn nicht die nötigen
Gegenrüstungen durchgeführt werden. Stellen
wir uns vor, das erwähnte Programm be-
stimmt, daß im ersetn Biaujahr vier, im
zweiten fünf, im dritten sechs usw. Dread-
noughts gebaut werden sollen, so ergibt
sich daraus mit Naturnotwendigkeit, daß das
Normalbudget, das auf vier Panzerschiffe an-
gegeben sein mag, im zweiten und dritten
Baujahr überschritten wird, daß demnach der
sich bedroht fühlende Nachbarstaat sich be-
mühen wird, das nötige Gegengewicht in die
Wagschale zu werfen. Vielleicht an keinem
Punkte zeigt sich so deutlich wie an diesem,
daß ein Vertrag betreffend Rüstungsstillstand
nicht möglich ist, solange sich die Mächte
als feindselige Konkurrenten gegenüber-
stehen.
Wenn Quidde meint, ein Staat, der sich
zur Dislozierung einzelner Armee- und
Flottenteile entschließt, werde sich bereit
finden lassen, den Mitkontrahenten von
diesem Plan ein halbes Jahr vor der Aus-
führung desselben Kenntnis zu geben, so be-
wundere ich die politische Glaubenskraft, die
in diesem Gedanken niedergelegt ist, ich
muß aber bekennen, daß mir der Glaube an
diese Botschaft fehlt; hat sich doch in der
bisherigen Geschichte immer gezeigt, daßi
derartige Verschiebungen ganz plötzlich und
überraschend vorgenommen wurden. Und
niemand kann verkennen, daß dadurch tat-
sächliche Machtveränderungen sich vollziehen.
Es wird nicht nötig sein, zur Feststellung
dieser Tatsache ein Schiedsgericht an-
zurufen.
Wenn dann Quidde in Artikel 4 der Mei-
nung Ausdruck gibt, daß diejenigen Aus-
gaben, die ein Staat aufwenden müsse, um
sich gegen gewisse in den Vertrag nicht ein-
beschlossene Mächte zur Wehr zu setzen, dem
Normalbudget nicht zuzurechnen seien, so
zeigt sich aufs neue, daß er hier mit Zu-
ständen rechnet, die in Wirklichkeit nicht
durchsichtig genug sind, um beruhigend
wirken zu können. Stellen wir uns doch ein-
mal vor, es gelänge zwar, die europäischen
Staaten zu dem von Quidde vorgeschlagenen
Vertrag zu vereinigen, die russische Diplo-
matie reüssiere aber nicht in dem Bestreben,
Japan für den Rüstungsstillstand zu gewinnen,
so würde Rußland mit Recht erklären, es
müßte eine Mehrrüstung auf sich nehmen,
um das feindselige Inselreich im fernen Osten
im Schach zu halten. In derselben Zeit aber
ergäbe sich ein diplomatischer Konflikt
zwischen Rußland Und Deutschland, so ist
doch mit mathematischer Sicherheit anzu-
nehmen, daß Rußland die ursprünglich anti-
japanische Mehrrüstung in antideutschem
Sinn verwenden würde, und schon die leise
Möglichkeit einer derartigen Verwendung
würde der deutschen Staatskunst genügen,
eine militärische Mehrforderung an den Reichs-
tag z*ü bringen, womit offenbar der ganze
Vertrag über den Haufen geworfen wäre.
Ich kann nach alledem die Gutgläubigkeit
Quiddes nicht teilen, die er in Artikel 6 zum
Ausdruck bringt, wonach die Mächte sich
verpflichten, den Vertrag loyal zu halten.
Solange sie sich nun einmal auf dem Kriegs-
fuß gegeneinander befinden, werden sie eben-
sowenig wie die sich auf dem Kriegspfad
tummelnden Indianer darauf verzichten, von
den sittlich anfechtbaren Mitteln der List
und Hintergehung, der Spionage und be-
zahlten Verrats, Gebrauch zu machen. Man
kann von einem faulen Baum nicht gute
Früchte erwarten, und aus der unsittlichen
Grundlage des Kriegszustandes kann nicht das
Aehrenfeld der Loyalität und wahrhaft fried-
licher Gesinnung aufsprießen. Es ist nicht
die Verbohrtheit in irgendeine Theorie, die
mich hindert, den Quiddeschen Vorschlägen
zuzustimmen. Es ist einfach der Blick für
die Wirklichkeiten des Lebens, der mir zeigt,
daß die Frage der Abrüstung wie des
Rüstungsstillstandes, solange das internationale
Faustrecht gilt, unlösbar ist. Die Geschichte
der letzten Jahrzehnte dürfte unzweideutige Be-
lege dafür in sich schließen. Eugen Schlief
hat recht gehabt, wenn er nicht als Theo-
retiker, sondern als praktischer Kopf den
„Staatengrund vertrag" als Voraussetzung jeder
dauernden Annäherung der Völker betrachtete.
Erst wenn sich die Staaten ihren gegen-
wärtigen Besitzstand garantiert haben werden,
erst wenn sie aus Konkurrenten Associes ge-
worden sein werden, erst wenn die Brücke
zwischen Dreibund und Tripelentente ge-
schlagen sein wird, erst dann*) kann man an
*) Ich bin im allgemeinen ein Gegner der
Methode des „erst dann". Der Quiddesche
Entwurf sollte nach Absicht des Verfassers
keinen anderen Zweck haben, als die Erörterung
anzuregen. Umfrids Artikel ist also bereits eines
dieser gewollten Ergebnisse Quiddes. Es ist
gut, daß diese Anschauung Umfrids wieder ein-
344
= DIE Fßl EDENS ->M&KTE
die Frage des Rüstungsstillstandes und der
•Abrüstung mit Aussicht auf Erfolg heran-
treten.
0 RANDGLOSSEN B
Zl/ß ZEITGESCHICHTE
Von -Bertha v. Suttner.
Wien, 13. September 1913.
Der Friede — was man so Friede nennt —
ist in Bukarest unterzeichnet worden und
hat dem Beuteverteilungskrieg zwischen den
Balkanverbündeten ein Ende gemacht — was
man so ein Ende nennt. Nämlich Atemschöpfen
bis zum nächsten Krieg. Vielleicht werden
die Ereignisse die Dinge anders gestalten,
aber im Sinne der Friedensunterzeichner do-
miniert der Begriff: Revanche. Nicht etwa
im stillen: es wird gar kein Hehl daraus
gemacht. So hat König Ferdinand am Tage
nach dem Friedensschluß in einem Armee-
befehl folgendes gesagt :
Von allen Seiten bedrängt, mußten wir
den Bukarester Frieden unterzeichnen, da
unser Vaterland nicht imstande war, mit
seinen fünf Nachbarn zu kämpfen, ohne
Gefahr zu laufen, alles zu verlieren. Er-
schöpft und ermüdet, aber nicht besiegt,:
mußten wir unsere glorreichen Fahnen für
bessere Zeiten zusammenfalten. Möge Gott
euch alles lohnen, was ihr getan habt. Er-
zählt euren Kindern und Enkelkindern von der
Tapferkeit unseres Heeres und bereitet sie
vor, das ruhmvolle Werk zum Abschluß,
zu bringen, das ihr begonnen habt.
Wie es scheint, gibt es im Kriege immer
Sieger, aber niemals Besiegte; denn wenn
das von fünf Nachbarn wehrlos gemachte
Land von sich verkünden darf, daß es nicht
besiegt ist, wann tritt dann dieser Zustand
eigentlich ein ? Und wenn alles, was einj
Feldzug bringt — ob Gewinn oder Ver-
lust — , „glorreich" und „ruhmvoll" ist,
worauf sind die Gewinnenden so besonders
stolz ? Das Stechen, Hauen, Schießen, Plün-
dern, Brennen selber — auch wenn es seinen
Zweck nicht erreicht — gilt als das Be-
wundernswerte, als alles das Getane, ,,das
Gott lohnen möge".
Aber auch die tatsächlichen Sieger be-
trachten den Frieden nicht als definitiv, er-
achten das Erreichte nicht als befriedigend.
In dem nach dem Friedensschluß vom König
Konstantin erlassenen Tagesbefehl heißt es :
„Unser Werk ist jedoch nicht voll-
endet. Griechenland muß stark, sehr
stark werden. (Freuet euch, Krupp;
mal betont wird. Immerhin ist es aber auch
gut, dem vielleicht gar nicht mehr so fernen
Zeitpunkt vorzuarbeiten, wo diese Anschauungen
Allgemeingut sein werden. Das hat Quidde am
XX. Weltfriedenskongresse getan. A. H. F.
Armstrong, Creuzot !) Ich werde ohne
Unterlaß arbeiten, um dieses Ziel zu
erreichen. Bewahret den unumstößlichen
Entschluß unser Aller, Griechenland mili-
tärisch sehr stark, von seinen Freunden
geachtet, seinen Feinden furchtbar zu
machen."
O, dieser Ehrgeiz nach dem Furchtbar-
sein ! Lebt denn in unserer Zeit wirklich
noch das Tamerlan-Ideal ?
MB
Kaum hatte man aus Bukarest ver-
kündet, daß der Balkankrieg zu Ende sei,
so machte sich, unter Enver Bey, die tür-
kische Armee auf den Weg und nahm sich
Adrianopel zurück. Das mit Tausenden von
Blutopfern aufgepflanzte Kreuz wurde wieder
durch den Halbmond ersetzt. Darüber Jubel
in Konstantinopel, und die türkischen Heer-
führer wollen das ganze verlorene Gebiet
zurückerobern, ja sogar bis Sofia vordringen.
Die Bulgaren können sich nicht wehren, aber
die Türken können die Hunderttausende im
Felde stehende Soldaten nicht ernähren. Und
so kommt es zu direkten Friedensverhand-
lungen zwischen den beiden Gegnern. Sie
werden sich wahrscheinlich einigen, mög-
licherweise sogar ein Bündnis schließen. Das
wäre doch der allerironischste Abschluß des
mit so frommem Pomp unternommenen Kreuz-
zugs.
MB
Genug vom Balkan. Es gibt auch lichtere
Bilder in der Zeitgeschichte. Im Haag wurde
der Friedenspalast feierlich eröffnet. Alle
Glocken der Stadt läuteten dazu: die inter-
nationale Völkerjustiz ist in ein prunkvolles
Heim eingezogen. Sichtbar, greifbar steht
der stolze Bau nun da: Tempel, Symbol und
Arbeitsstätte. So ist der Genius des Frie-
dens wenigstens nicht mehr obdachlos. Die
Wirkung, die von diesem Monument aus-
strahlen wird, ist noch unberechenbar.
Andrew Carnegie hat der Welt ein Ge-
schenk gemacht, das ihm ein paar Millionen
gekostet hat, das aber, wenn es seine Be-
stimmung erfüllt, der Welt ungezählte
Milliarden ersparen wird. Daß rings im Heer
der Verständnislosen zu dem ganzen Bau,
zu der ganzen Zeremonie gelächelt wurde,
und auf den als Gegenargument gebrauchten
Kontrast des Balkankrieges und der
Rüstungssteigerungen hingewiesen wurde, das
verschlägt nichts. Es ist noch nichts
Neues und Großes in die Welt getretene
das nicht vom Hohngelächter der Toren be-
gleitet worden ist.
MSt
Der Zar hat folgendes Telegramm an
die Königin der Niederlande geschickt :
„Ich bitte Eure Majestät, meine herz-
lichsten Glückwünsche anläßlich der feier-
lichen Einweihung des Friedenspalastes
entgegenzunehmen. Ich hege die aufrichtig-
345-
DIE FßlEDEN5->VAQTE
3
sten Wünsche, daß dieses Gebäude, welches
bestimmt ist, den Gedanken des internatio-
nalen Schiedsspruches zu symbolisieren, zu
■dem Friedenswerke, das mir seit jeher
am Herzen gelegen ist, beitragen und
•ein neues Band zwischen den 'Nationen werden
möge, indem es ihnen als Mittelpunkt dient,;
wo die Streitigkeiten, die sie trennen,, ge-
schlichtet werden sollen. Nikolaus."
Dieses Telegramm ist eine rückhaltlose
GesinnungserkLärung, die sich genau mit dem
Manifest von 1898 deckt. „Und der Krieg
mit Japan," werden die ewigen Verneiner
fragen, „warum wurde der nicht durch einen
Haager Schiedsspruch verhütet ?" — Nun,
die Unterrichteten wissen, daß der Zar den
Krieg nicht wollte. Andere waren es, die
ihn herbeigeführt haben. Nikolaus war ent-
schlossen, den Streit im Haag schlichten zu
lassen. An einem gewissen Tage, nach-
mittags 2 Uhr, sollte der Minister des
Aeußern den nötigen Schritt ausführen, da
geschah es, daß am) Abend zuvor die Japaner*
ohne Kriegserklärung, Port Arthur beschossen
— und da war die Furie entfesselt.
In erschreckender Weise mehren sich
die Katastrophen, die in Friedenszeiten durch
Kriegsapparate verursacht werden. Auf dem
Steinfeld bei Wiener-Neustadt fand neuerlich
die Explosion eines Pulvermagazins statt, wo-
durch mehrere Menschen in Stücke zerrissen
wurden; im Hafen von Pola platzte beim
Probeschießen ein Schiffsgeschütz, das dem
Vizeadmiral Grafen Lanyus beide Bieine zer-
schmetterte; der Beklagenswerte starb nach
•unsäglichen Qualen; bei Helgoland end-
lich manöverierte über den Schlachtschiffen
ein Zeppelin. Er hat 2000 m hochsteigen
müssen, „um vor den Schüssen der Schiffe
sicher zu sein"; in dieser Höhe ergriff ihn
ein Sturm und schleuderte ihn ins Meer —
siebzehn Menschen in den Fluten begrabend.
Mit Tötungsübungen beschäftigt, wurden die
Betreffenden getötet. Alle diese Spreng-
mittel und Luftvehikel werden immer riesen-
hafter und gefährlicher; schließlich wird,
wenn das so fortgeht, die Kriegstechnik ihre
eigenen Maschinen und deren Bediener ver-
nichten, was ja im Grunde auf dem Manöver-
felde nicht tragischer als auf dem Schlacht-
felde ist. Wenn nun auch noch die vom
italienischen Ingenieur Uliva erfundenen
F-Strahlen, die drahtlos auf Distanz jeg-
liches Objekt vernichten, zu Uebungszwecken
probiert werden, so kann man damit zu-
fällig nicht nur ein Pulvermagazin, sondern
das ganze Steinfeld in die Luft fliegen lassen.
Die Vertreter der Staaten, die alle diese
Mordwerkzeuge eingestandenermaßen gegen-
einander konstruieren und probieren, können
dann wieder, krokodiltränengefüllten Auges,
Kondolenzdepeschen austauschen.
Kriege können lokalisiert werden. Zum
Glück (und zur Ehre der europäischen Re-
gierungen), dem Balkankriege ist es nicht
erlaubt worden, seine Flammen über die
Grenzen hinübergreifen zu lassen. Aber
gegen zweierlei Kriegsfolgen gibt es keine
Grenzabsperrung: finanzielle Schäden und
Seuchen. Die Depression im Handel, die
der Balkankrieg verursacht hat, hat sich bis
nach Argentinien fühlbar gemacht, und die
Cholera, das unheimliche Gespenst, ist auf
dem Wege zu uns. Sie hat unzählige Opfer
unter den Kriegführenden und unter dem
kampflos promenierenden Heere Rumäniens
gefordert, und jetzt zeigt sie sich schon in
Ungarn. Ob die fürchterliche Geißel an-
wächst und sich verbreitet — wer kann's
wissen ? Hoffen wir, daß die gesteigerte
hygienische und medizinische Kunst die
Seuche meistern wird. Wir wehren uns ja
so tapfer und so geschickt gegen alle er-
denklichen Uebel. Aber die Quelle des
Uebels zu verstopfen? ... Warum nicht
gar: Utopie.
MB
Etwas unsäglich Kindisches spielt sich
eben ab. Der König von Griechenland hat
aus der Hand seines Schwagers den Mar-
schallsstab erhalten. Darauf hielt er eine
Dankesrede und lobte die deutsche Kriegs-
kunst. Darob Beleidigung in Frankreich —
die griechische Armee hat ja doch fran-
zösische Instruktoren, also darf ein Grieche
(der übrigens ein Däne ist) die deutsche
Kriegsschule, in der er studiert hat, nicht
preisen. Noch dazu, wenn man eben einen
Besuch in Paris angesagt hat. Die natio-
nale Empfindlichkeit dreht sich hauptsäch-
lich um alles Soldatische. Diplomaten be-
mühen sich nun, die Worte des Königs zu
erklären, abzuschwächen, zu entschuldigen . . .
aber nun kommt hinzu, daß König Kon-
stantin eine Einladung angenommen hat,
die deutschen Manöver des kommenden
Jahres mitzumachen... Das sind doch gräß-
liche Verwicklungen.
CMS)
Und wie wird die Sache zwischen China
und Japan enden ? Auch dort drängt ein
akuter Nationalismus, der sich bis zum
Harakiri versteigt, zum Kriege. Japaner, die
in Nanking wohnen, sind in der chinesischen
Revolution getötet worden; dafür verlangt
die japanische chauvinistische Partei von
China eine demütigende Genugtuung — und
um das zögernde Ministerium des Aeußern
zu schneller Tat, womöglich zum Einmarsch
aufzustacheln, schlitzt sich einer im Mi-
nisterpalais den Bauch auf. Wirklich, es ist,
als ginge eine Woge von Kriegswahnsinn
über die Welt . . . Wird sich noch rechtzeitig
eine Flut des Friedenswillens erheben, die
jene unselige WToge verschlingt '?
346
ggf
= DIE FRIEDEN5->WACrE
Ja, trotzalledem, es wird. Denn mit
einem Fragezeichen will ich nicht schließen.
Dieser krumme Schnörkel paßt nicht in das
"Wappenschild von Fortschrittskämpfern. Ihr
Speer heißt Wagemut und ihr Panzer: Zu-
versicht.
PAZIFISTISCHE CHRONIK
4. August. In Oxford tagt die 28. Versammlung
■des Institut de Droit international.
6. August. Im englischen Unterhaus interpelliert
der Deputierte Barnes über die Vorbereitungen
zur III. Haager Friedenskonferenz.
7. August. Zwischen den Vereinigten Staaten
v,nd San Salvador toird der erste Vertrag nach den
Plänen Bryans abgeschlossen.
9. August. Die Schweiz nimmt den Bryan-
,chen Friedensplan im Prinzip an.
10. August. Der Friede zu Bukarest zwischen
den Balkanstaaten toird unterzeichnet. Es folgt ein
Tedeum.
12. August. Pessimistische Aeusserungen des eng-
lischen Schatzkanzlers Lloyd George über die Aus-
sichten einer Rüstungsverminderung. „Ehe
nicht vollkommene Vertändigung und vollständiges Zu-
sammenarbeiten unter den Ländern hergestellt ist, um
den Rüstungen Einhalt zu tun, sei keine Möglichkeit
vorhanden, diese einzuschränken."
18. — 23. August. 20. Weltfriedenskongress
im Haag.
22. August. Englische Studenten {Mitglieder
der War and Peace Society in Manchester) treffen in
Seidelberg ein.
23.-25. August. Freimaurerische internationale
Kundgebung für den Weltfrieden im Haag.
27. August. Aus Anlass der Eröffnung des
Friedenspalastes promoviert die Leydener Uni-
versität vier Ehrendoktoren.
28. August. Feierliche Einweihung des
Friedenspalastes im Haag in Anwesenheit der
Königin von Holland.
29. August. Bei der Enthüllung der Büste
Randall Cremers im Haager Frieäenspalasi appelliert
Andrew Carnegie an Kaiser Wilhelm, dass er
die Initiative einer Organisierung des Friedens ergreife.
29. August. 8. int. Studentenkongress Ithaca
(V. St. Am.).
Anfangs September. Die Carnegie-Stiftung
■entsendet eine internationale Kommission zum
Studium der Balkangreuel.
1. September. In Montreal hält der Lord-
Kanzler Viscount Haidane eine denkwürdige Rede
über die zunehmende Sittlichkeit in der inter-
nationalen Politik.
3.-5. September. Im Haag tagt die XV11I. In ter-
p ar l am ent arische Konferenz.
5. September. König Ko ns tantin von Griechen-
land trifft in Berlin ein.
U AUS DER SEITE!
Völkerrecht.
Die Haager Völkerrechtsakademie :: :: :: :: :: :: ::
soll nun im nächsten Jahr verwirklicht werden.
Die Vorlesungen werden in den Monaten August.
September und Oktober in den Räumen des
neuen Friedenspalastes stattfinden. Jedes Land
wird durch ein Mitglied in der Fakultät ver-
treten sein. Die Kurse werden sich auf zeit-
gemäße Fragen des Völkerrechts beschränken
und von hervorragenden Rechtsgelehrten abge-
halten werden. Auch praktische Uebungen sind
vorgesehen. Professor Renault, der hervor-
ragende französische Völkerrechts Jurist, hat be-
reits einen Cyklus von 30 Vorträgen über die
Schiedsgerichtsbarkeit angemeldet. Die fünf
europäischen Hauptsprachen, das Deutsche,
Französische, Englische, Spanische und Ita-
lienische sind als Unterrichtssprachen zuge-
lassen. Die Vorträge sollen nachträglich auch
im Druck erscheinen. Man rechnet, daß nicht
nur die europäischen Mächte, sondern auch die
Regierungen Asiens und Südamerikas Schüler
nach der neuen Universität senden werden.
Namentlich hofft man, daß die künftigen Diplo-
maten zur weiteren Ausbildung von ihren Re-
gierungen nach dem Haag geschickt werden
dürften. Die wissenschaftliche Leitung wird in
den Händen eines Kuratoriums liegen, das sich
aus den früheren Präsidenten des Instituts de
Droit international zusammensetzt. Im übrigen
wird das Unternehmen von der dritten (völker-
rechtlichen) Abteilung der Carnegiestiftung, als
deren Präsident James Brown Scott fungiert,
finanziert. Dieser Abteilung steht e,ine Dele-
gation von neun Mitgliedern des erwähnten In-
stituts de Droit international zur Seite, dem
u. a. die Professoren Lammasch, Renault
und Holland und der frühere norwegische
Ministerpräsident Hager up angehören.
Das Ins lebentreten dieser Ferienkurse, die
sich zweifelsohne gar bald zu einer ständigen
Völkerrechtsuniversität entwickeln werden, ist
als eine hervorragende Förderung des Welt-
friedensgedankens und der internationalen Or-
ganisation auf das freudigste zu begrüßen.
P0Sk
Das „Institut de Droit international'' t: :: :: :: :: ::
trat zu seiner 28. Tagung anfangs August in
Oxford unter dem Präsidium des! Professors T. E.
Holland zusammen. In der Hauptsache be-
faßte man sich mit der Durchberatung eines
Gesetzbuches für das internationale Seekriegs-
recht und mit dem Problem der Haager Ferien-
kurse für Völkerrecht, die dort einstimmig be-
schissen wurden. Die nächste Tagung des
Instituts wird im August 1914 in München
stattfinden. Dementsprechend wurde Professor
Harburger in München zum Präsidenten
für das laufende Jahr gewählt. Sir Tho-
mas Barclay wurde zum Vicepräsi-
denten, Professor Albertic R o 1 i n zum Ge-
347
DIE FßlEDEN5-^6^ßTE
neralsekretär ernannt. Aus Anlaß der Instituts-
tagung hat die Universität Oxford den Pro-
fessoren v. Bar; Clunet, Fusinato und
N y s das Ehrendoktorat verliehen. Diese
Ehrung sollte auch Professor Lammasch zu-
teil werden, der jedoch durch Krankheit am
Erscheinen verhindert war.
MR
Rüstungsproblem.
Von der Kriegsindustrie. :: :: :: :: i: :: :: « :: :: ::
Die „Neue Ereie Presse" teilt unterm
2. September folgendes mit:
„Wie in finanziellen Kreisen verlautet,
schweben Unterhandlungen, welche den Ab-
schluß einer chinesischen Anleihe von
1,2 Millionen Pfund in Oesterreich
bezwecken. Die chinesische Regierung unter-
handelt hinsichtlich dieser Anleihe mit der
Niederösterreichischen Eskompte - Gesellschaft.
Von dem Erlöse der Anleihe soll der
größere Teil zur Anschaffung von
drei Kreuzern für die chinesische
Kriegsmarine dienen. Die Verhand-
lungen sind weit vorgeschritten und dürften in
den nächsten Tagen zum Abschlüsse gelangen.
Direktor Kraßny hatte in dieser Angelegenheit
mit dem chinesischen Gesandten in Wien eine
Konferenz."
Der Londoner „Economist" (6. TX.) weist
darauf hin, daß die britische Admiralität
Flotten-Missionen sowohl nach Griechenland wie
nach der Türkei entsandt habe, die offenbar den
Zweck haben, die betreffenden Regierungen zu
neuen Flottenrüstungen anzuregen. „Daß unsere
liberale Regierung", so schreibt das genannte
Blatt, „sich offiziell dazu hergibt, diese elen-
den Länder anzureizen, das Wenige, das ihnen
an Kredit noch geblieben ist, für neue See-
rüstungen zu verausgaben, ist ein so äußerst
unnötiges Verbrechen, daß wir es nicht dem Ka-
binett in seiner Gesamtheit in die Schuhe
schieben. Es mag die Verirrung eines oder
zweier Mitglieder sein und nicht die überein-
stimmende Politik von 20 Ministern."
Der Balkan wird jetzt überschwemmt
werden von den Agenten der Kriegsmaterial-
Fabrikanten und der europäischen Banken.
Die neue militärische Konzentration im Süd-
osten Europas, gegen die man in Oesterreich und
in Deutschland die Milliarden bereit stellte,
wird von den internationalen Rüstungshändlern
erst geschaffen.
Mfe
Verschiedenes.
„Der schlimmste Feind." :: :: :: :: :: :: :: " :: » ::
Die Nr. 87 seiner „ Monistischen
Sonntagspredigten" widmet Wilhelm
O s t w a 1 d einige Betrachtungen über die Er-
gebnisse des Balkankrieges. Eine Stelle aus
diesen Betrachtungen wollen wir hier festhalten :
„Zunächst muß dasjenige bezeichnet wer-
den, was als schlimmstes Uebel diese ganze
348
Reihe von Zerstörung-, Mißhandlung, Krankheit
und Armut gebracht hat. Dieser schlimmste
Feind ist der Nationalismus. Wenn wir
gegenwärtig auf die Religionskriege zurück-
schauen, die vor vier Jahrhunderten die da-
maligen führenden Kulturländer zerfleischten
und unabsehbar blühende Gebiete zerstörten,
insbesondere aber unser armes Deutschland um
mindestens ein Jahrhundert in seiner Entwick-
lung zurückgeworfen hatten, so können wir uns
nicht vorstellen, wie die Menschen so aller
Vernunft bar sein konnten, daß sie diese un-
geheuren Zerstörungen um gewisser religiöser
Glaubenssätze willen über eich ergehen ließen,
deren Inhalt der allergrößten Zahl der dabei
Beteiligten und darunter Leidenden selbst voll-
ständig unbekannt und unverständlich war, da
er tatsächlich nur einige wenige Hunderte oder
vielleicht Tausende von Theologen interessierte.
Aber da diese Männer als die Verwalter der
höchsten und heiligsten Güter galten und ver-
standen hatten, sich eine vollständige Herr-
schaft über das Denken der großen Masse durch
jahrhundertelange Beeinflussung ihres Handelns-
und Fühlens zu sichern, so ließ sich diese Masse
auf die Schlachtbank treiben und lieh ihre
Hand für die Kulturzerstörende Tätigkeit der
Fanatiker auf beiden Seiten. In Mitteleuropa ist
es gegenwärtig vollkommen unmöglich ge-
worden, derartige Religionskämpfe von neuem
zu entfachen. Es würde sich jedermann achsel-
zuckend fragen, was denn daran liegt, ob beim
heiligen Abendmahl der Priester allein den
Wein zu trinken bekommt oder auch die Ge-
meindemitglieder ihres Anteils teilhaftig wer-
den, und was sonst die trennenden Faktoren der
verschiedenen Konfessionen gewesen sind.
Während wir- uns aber völlig erhaben fühlen
über jene inzwischen vertrockneten Quellen des
Kampfes und der gegenseitigen Zerstörung, sind
wir selbst noch zum allergrößten Teil einem
neuen geistigen Einfluß patho-
logischer Natur ausgesetzt, der unter dem
Namen des Nationalismus oder des
Nationalgefühls seit einem Jahrhundert in Eu-
ropa schweres Unheil anrichtet. So Schweres
wie vor vier Jahrhunderten das Religionsprinzip
allerdings nicht, weil denn doch unsere gesamte
Kultur viel zu hoch gestiegen, als daß ein der-
artiger wahnwitziger Fanatismus der Führenden
und eine derartige stumpfsinnige Opferbereit-
schaft der großen Massen möglich wäre, welche
beispielsweise die Scheußlichkeiten des Dreißig-
jährigen Krieges verschuldet hatten. Aber wenn
wir beobachten, daß der Nationalismus unserem
Nachbarstaate Oesterreich so gut wie voll-
ständig seine innere Entwicklung unterbunden
hat, daß die ungeheuren unverbrauchten Ener-
gien, die in den dortigen Völkern vorhanden
sind, nutzlos, ja zerstörend darauf verwendet
werden, um sich gegenseitig im Namen des
Nationalismus zu bekriegen, wenn wir uns ver-
geblich fragen, welche Kulturarbeit denn über-
haupt der nationale Gedanke in irgendeinem
<£
= DIE FRIEDENS-^fcÄBXE
Gebiet geleistet hat, so erkennen wir, daß wir
■tatsächlich hier vor den Wirkungen einer ähn-
lichen geistigen Epidemie stehen, wie sie vor
-Jahrhunderten unsere Kultur zum großen Teile
zerstört und unsägliches Unheil über die
Menschheit gebracht hat.
«■k
Billige Reiseerfahrungen. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
kann man nach den Empfehlungen des „Ober-
lausitzer Heimatkalenders" erwerben. Die
„Frankfurter Zeitung" berichtet folgendes :
„Ueber den Krieg als Bildungsmittel plau-
dert, dem „Simplizissimus" zufolge, in überaus
anregender und origineller Weise „ein alter
Kriegs veteran" im „Oberlausitzer Heimat-
kalender auf das Jahr des Herrn 1913, heraus-
gegeben im Auftrage bzw. mit Unterstützung der
hohen Herren-Stände des Markgraftums Ober-
lausitz beider Anteile":
„. . . . Ja, das war eine herrliche Zeit
anit ihren segensreichen Begleiterscheinungen.
Das tägliche Politisieren, Räsonieren und Nör-
geln hatte aufgehört; man dachte an seine
Lieben, die im Felde standen, und betete fromm
und inbrünstig für sie. Der Krieg lehrt nicht
nur beten, er begeistert uns für Ideale und
läßt uns ein fremdeslLand mit seinen
anderen Sitten und Ku 1 1 u r er f o Ige ri
kennen lernen. Kein Volk zieht so viel
Vorteil und Gewinn aus einem Kriege als das
deutsche, das den Gelehrten- wie den Arbeiter-
stand gleichmäßig unter die Waffen ruft und da-
-durch befähigt ist, Beobachtungen in
Feindesland zu machen, die wir in
der Heimat verwerten können."
„Der alte Kriegsveteran" findet es offenbar
au teuer, auf eigene Kosten in ein fremdes1 Land
au reisen, um dessen Sitten und Kulturerfolge
kennen zu lernen. Er würde es vorziehen, auf
Staatskosten, einfach in Folge eines „frisch-
fröhlichen Krieges" sich Europa anzusehen.
Sonderbare Früchte!
Ein Ausland - Pflichtjahr für die
«deutsche und französische Jugend.
Aus einem Aufruf :
„Pflanzt in die Herzen eurer Knaben schon
in zartem Alter die Ehrfurcht vor der Arbeit,
die Wertschätzung von allem, was Menschen-
hand und Geist zum Nutzen, zur Freude und
zum Segen für Menschen geschaffen haben, und
die Verachtung vor dem heute so viele Seelen
vergiftenden, einem vielgestaltigen Elend ins
Antlitz grinsenden leeren, hoffärtigen Prunk und
täuschenden Schein. — Laßt sie später im herr-
lichen Vaterlande durch Gebirg und Tal wan-
dern, daß sie an den Brüsten der Allmutter
Natur sich sattrinken mögen in der Geist und
Körper stählenden Milch eines ungekünstelten,
wahrhaft menschlichen Denkens und Empfin-
dens. — Dann endlich führt die gesund an Leib
und Seele Herangewachsenen (etwa 13jährigen,
da die meisten Knaben mit 14 Jahren ins Be-
rufsleben eintreten) dem Nachbar im Westen
mit den Worten zu: Nimm sie für ein Jahr,
gib ihnen einen Platz an deinen Herdstätten in
Dorf und Stadt. Sie wollen deine Jugend
kennen lernen und lieb gewinnen, und indem
deren Sprache, mit der sie sich daheim schon
etwas vertraut gemacht haben, in- Verkehr und
Schule ihnen immer geläufiger wird, wollen sie
zusammen von allem reden, was ihren von
Rassenhaß freien Sinn in gleicher Weise be-
wegt. Dafür schicke uns deine
gleichaltrigen Knaben zu, daß wir
Gleiches mit Gleichem vergelten können. —
Und das Bündnis, das unsere Kinder im Her-
zen, nicht auf Papierfetzen und ohne spitz-
findige Verklausulierungen, unter alljährlicher
Erneuerung durch die Nachwachsenden
schließen werden, wird dann mit der Selbst-
verständlichkeit eines sieghaften schöpferischen
Gedankens in dem Staate der zwiefach mündig
Gewordenen allen kulturmörderischen „Ideen"
den Garaus machen und zu einem Frie-
den zwischen Deutschland und
Frankreich und damit von Europa führen,
der nicht mehr auf Bajonetten balanciert.
Und so bitte ich euch denn, gleichgesinnte
Volksgenossen, mich in meinem Bemühen zur
Verwirklichung des hiermit der Oeffentlichkeit
unterbreiteten sozialpolitischen Plans nachhaltig
zu unterstützen. Fordert unablässig in Wort
und Schrift, in Versammlungen und in der
Presse, vornehmlich auch durch die Verbreitung
dieser meiner Flugschrift, das großzügig ge-
dachte, in seiner Ausführung klassisch-einfache,
gesetzlich festzulegende und staatlich zu
regelnde Ausland-Pflicht jähr für die
deutsch-französische Jugend. (Die französische
Flugschrift ist auch bereits von mir verfaßt.)
Zustimmungserklärungen aus allen Kreisen der
Bevölkerung sind mir sehr willkommen.
Schriftsteller Rein hold Schmidt,
Boilstädt b. Gotha (Allemagne)."
Dieser Gedanke ist wert, weiter verfolgt
zu werden. Wie wäre es, wenn man ihn durch
eine internationale Organisation der „Wander-
vögel-" und „Pfadfinder - Bewegung" verwirk-
lichen wollte.
Alldeutsche Philosophie. :: :: ::
In den „Alldeutschen Blättern" (30. Aug.)
polemisiert der „bekannte Rassengelehrte" K. F.
Wolff in einem „Vorbehalt der politischen
Rechte !" übers chriebenen Artikel gegen Nor-
man A n g e 1 1. Er ist diesem gegenüber der
Ansicht, daß sich der Krieg in der Gegenwart
doch „noch bezahlt" macht und eine Eroberung
„sich noch lohnen dürfte." Um diesen Beweis zu
erbringen, konstiuiert der „Rassengelehrte"
einen Gegensatz zwischen Menschenrechten und
politischem Rechte. Die Menschenrechte will
Wolff den Bewohnern der eroberten Länder ge-
wahrt erhalten, aber die politischen Rechte
sollen lediglich dem Eroberer gehören, denn sie
wurden nur durch Krieg erworben.
Wir wollen auf das Unsinnige dieser
Theorie nicht näher eingehen, sondern nur auf
349
DIE FßlEDENS-^ADTE
3
die von dein alldeutschen Gelehrten gezogenen
Folgeerscheinungen verweisen. Er führt aus :
„Die Eroberer handeln biologisch nur folge-
richtig, wenn sie die fremde Sprache zu ver-
drängen und das fremde Volkstum zu zer-
trümmern trachten. Darum keine Versöhnungs-
versuche, sondern kühles Herrenbewußtr
sein, möglichste Machtentfaltung und strenge
Vorbehaltung aller politischen Eechte!
Auch Mr. Angell wird zugeben müssen, daß
sich bei solchem Verfahren ein Krieg schon noch
bezahlt machen und eine Eroberung noch lohnen
dürfte. Nur muß das erobernde Volk menschen-
reich sein, (Das ist ja eine Aufforderung an Ruß-
land, in Deutschland einzufallen! F./W) damit
es den gewonnenen Landstrich mit seinen Leu-
ten überfluten kann. Menschenreiche Völker
aber sind auch die einzigen, die ein moralisches
Anrecht auf Eroberungen haben, denn es ist
unbillig, daß in dem einen Lande Uebervölke-
rung herrscht, während dicht daneben — und
noch dazu auf besserem Boden — eine wenig
zahlreiche Bevölkerung sich's bequem macht.
Mehr als unbillig hingegen, ja geradezu frevel-
haft ist es, wenn ein menschenarmes Volk sicn
fremder Länder bemächtigt, bloß in der Ab-
sicht, ihr Rekrutenmaterial, sei es nun weiß
oder farbig, für ehrgeizige Pläne( zu mißbrauchen.
Mr. Angell glaubt, daß man „in unserer
Zeit des Telegraphen, des Dampfschiffes, der
Verfassungen" Eroberungen zwar machen, aber
nicht behaupten könne. Was Telegraph und
Dampfschiff damit zu tun haben, ist nicht
recht verständlich; bezüglich der „Verfassun:
gen" jedoch gibt sich Mr. Angell landläufigen
Vorurteilen hin ; ein willenskräftiger Staatsmann
wird solche Vorurteile über Bord werfen. Ver-
fassung für die Sieger, aber nicht
für die Besiegten! Den Besiegten gebe
man Menschenrechte, aber keine Herrenrechte.
Das Menschentum wird mit uns geboren, das
Herrentum aber will auf Schlachtfeldern ver-
dient sein."
In diesem Stile geht es weiter. Bis in die
Einzelheiten werden die „Herrenrechte" des sieg-
reichen Volkes dargelegt.
Nur eins hat der große Gelehrte über-
sehen. Das Rezept ist nicht neu. Ein Volk
hat es schon einmal anzuwenden versucht. Es
waren die Türken, die ihr „kühles Herren-
bewußtsein", das sich die von ihnen Besiegten
nun doch nicht gefallen lassen wollten, mit
ihrem Zusammenbruch bezahlen mußten. Uns
deucht, Norman Angell hat doch recht.
MB
Seltsame Friedensfreunde. :: :: :: :: :: ::
Aus Anlaß der Eröffnung des Haager
Friedenspalastes hat die Zeitschrift „Nord
und Süd" eine besondere Holland-Nummer
(Septemberheft 1913) herausgegeben, für die so-
gar Andrew Carnegie einen viel beach-
teten Leitartikel über „das Problem des inter-
nationalen Friedens" gesehrieben hat. Im
Sinne des friedlichen Fortschrittes finden wir
in jener FriedensrNummer auch Beiträge voä
von Karnebeck, Professor v. Vollen-
h o v e n und Dr. de Jong van Beek e n
D o n k. Aber auch ein Artikel über
„Deutschlands nächste Aufgaben"'
ist in jener zu Ehren des Friedens palastes er-
schienenen Nummer aufgenommen, der uns gar
nicht gefällt und uns eher für das Blatt
des Wehrvereins geeignet er-1
scheint. Der Artikel ist „Georg Erdmann" ge-
zeichnet, soll jedoch von einem höheren Militär
herrühren. Der Verfasser verändert von seinem
Schreibtisch aus die Weltkarte, und es ist nicht
uninteressant, was er über das Verhältnis
Deutschlands zu Frankreich sagt, das heute alle
Vernünftigen und alle ehrlichen Friedensfreunde
zu einem günstigen Ausgleich bringen wollen.
Man liest auf Seite 312 jener Friedens-Fest-
nummer folgende „pazifistischen" Ausführungen c
„Daß Deutschland nicht so ohne
weiteres Frankreich angreifen kann, ver-
steht sich von selbst. Als erste Vorbedin-
gung gehört hierzu, daß Rußland als der
Verbündete Frankreichs wieder ernstlich in
Asien gefesselt ist. Und daß dies in nicht
zu ferner Zeit wieder geschehen wird,
und zwar durch China, ist nicht zu be-
zweifeln. Aus diesem Grunde hat Deutsch-
land China gegenüber eine möglichst
freundschaftliche Politik zu führen und ein
Verhältnis zu ihm herzus teilen, ähnlich demr
wie es zwischen England und Japan be-
besteht. Eine Veranlassung, den
Krieg herbeizuführen, nach der
Frankreich als der herausfordernde Teil er-r
scheint, dürfte bei der hohen Reiz-
barkeit des französischen Volkes
einer geschickten Diplomatie
wohl nicht schwer werden. (!)
Wie schade (!), daß Deutschland, ab-
gesehen von manchen anderen günstigen Ge-
legenheiten, den russisch-] spanischen Krieg
so unbenutzt. (!) hat vorübergehen
lassen !
Daran ist natürlich gar nicht zu denken,,
daß durch einen für Deutschland selbst gün-
stigen Krieg ein wirklicher Friede zwischen
diesem und Frankreich zu erreichen sein
würde. Das ist aber auch gar nicht die
Aufgabe ( !), die vielmehr nur darin besteht,.
Frankreich so zu schwächen, daß es
seine drohende Gefährlichkeit verliert und
Deutschland gestattet, seine eigenen Rüstun-
gen auf ein normales Maß zurückzuführen.
Um dies zu erreichen, wäre a 1 1 e s ,.
was früher zu Lothringen gehört
hat, nebst den noch im Besitz,
Frankreichs gebliebenen zum El-
saß gehörigen Teilen sowie überr
haupt das ganze Maasgebiet zu-r
rückzunehmen.
Desgleichen hätte Frankreich alle die
nördlichen Departements, die
früher zu Belgien gehört haben,
350
<£
DIE Fßl EDENS ->M^D.TE
au dieses abzutreten, wogegen wieder
Belgien seinen flämischen Gebietsteil mit
deutsch sprechender Bevölkerung an Holland
auszuliefern hätte.
Und Italien hätte seine West-
grenze bis ins Rhonetal nebst Sat-
voyen vorzuschieben und möglichst auch
Tunis zu annektieren."
Und das zu Ehren der Eröffnung des
Friedenspalastes ! !
Etwas Gefährlicheres gibt es nicht als diese
bramarbasierenden Redensarten, die keinerlei
Echo im deutschen Volke, aber jenseits
der Greuze Beachtung finden. Solche unver-
antwortlichen Schwätzereien veranlassen natür-
lich die französischen Chauvinisten für die An,
Spannung der Wehrkraft ihres Landes einzu-
treten. Dann kommen aber die Gesinnungs-
freunde des Artikelschreibers, weisen auf die
unerhörten Herausforderungen Erankreichs hin
und verlangen unvermindert neue Milliarden
für die Abwehr der französischen Rüstungen
oder, wie es der Artikelschreiber tut, den Prä-
ventivkrieg. Solche Leute kosten durch ihr
unverantwortliches Geschwätz dem deutschen
Volke Milliarden.
Daß sich aber eine Zeitschrift, die der
internationalen Verständigung dienen will, dazu
hergibt, solch blutigen Tiraden Raum
zu gewähren, noch dazu in einer Nummer, die
ganz besonders dem Friedensgedanken gewidmet
ist, erscheint im höchsten Maße bedenklich.
AV5 DEQ BEWEGVNG
Zu Monetas achtzigstem Geburtstag. :: ::
Am 20. September vollendet E r n e s t o
Teodore Moneta seinen achtzigsten Ge-
burtstag. Im Jahre 1833 in Mailand geboren,
nahm er schon als Kind regen Anteil an jener
politischen Bewegung, die zur Bildung der ita-
lienischen Einheit führte. Fünfzehnjährig nahm
er mit seiner ganzen Familie an dem Mailänder
Aufstand von 1848 teil. Im Jahre 1859 befand
er sich als Freiwilliger bei den von Garibaldi
kommandierten Alpenjägern, 1860 war er Gene-
ralstabsoffizier in der Armee Garibaldis und
machte als solcher den Feldzug in Süditalien
mit; von 1861 — 1867 finden wir ihn als Offi-
zier in der italienischen Armee. Von Mai 1867
bis Oktober 1896 war er Chefredakteur der
großen Mailänder Tageszeitung „Secolo". Im
Jahre 1897 gründete er die der Friedensidee
und dem Internationalismus gewidmete Revue
„La Vita internazionale", deren Direktor er seit
der Gründung ist. Im Jahre 1889 rief er noch
den Friedensalmanach „Giu il armi" ins Leben,
der jährlich erscheint (jetzt unter dem Titel
„Pro Pace") und sich eines stets wachsenden
Erfolges erfreut. Im Jahre 1878 gründete Mo-
neta die „Unione Lombarda", bis 1911 die er-
folgreichste und tätigste italienische Friedens-
gesellschaft, der er seit 1891 präsidiert. Er
ist der Gründer der italienischen Friedensgesell-
schaften zu Assi, Barzano, Borgolesia, Gallarate,
Missaglia, Perugia und Voghera; die Konferenz
der italienischen Friedensgesellschaften in Rom
von 1891 wurde von ihm organisiert. Als Dele-
gierter der „Unione Lombarda" war M. auf allen
Friedenskongressen, mit Ausnahme der in Chi-
cago, Paris (1900), Glasgow, Stockholm, Genf
und Haag abgehaltenen, und beteiligte sich im
reichsten Maße an deren Arbeiten. Im Jahre
1894 veranstaltete M. auf der Mailänder Aus-
stellung eine Propagandaausstellung im Sinne
der Friedensidee, und im Jahre 1896 gelang es
ihrn, nach der Schlacht von Adua eine mit
120 000 Unterschriften bedeckte Petition gegen
die Fortsetzung des Krieges, die von einer
großen Revanchepartei gefordert wurde, dem
Parlament zu unterbreiten und diese Forderung
durchzusetzen. Unzählig sind die Vorträge,
die M. seit dem Jahre 1889 in Italien über die
europäische Union und die Umwandlung der
stehenden Heere in Defensivheere gehalten hat.
M. bereitete auch den Mailänder Friedenskon-
greß von 1906 vor und präsidierte diesem. Auf
der Ausstellung in Mailand von 1906 organi-
sierte er abermals eine große Friedensaus-
stellung in eigenem Pavillon. Während der Tri-
poliskrise von 1911 — 1912 hat M., der schwer
erkrankt war, anscheinend Einflüsterungen
Folge gebend, die pazifistischen Grundsätze
nicht vertreten. Er veröffentlichte :
„Le Guerre, le Insurrezioni e la Pace nel
secolo XIX". Bis jetzt vier Bände erschienen.
1908—1910. — „L'Ideal de la Paix et la Patrie."
1912 — sowie zahlreiche Broschüren und Artikel
in den verschiedensten Zeitungen und Revuen.
Von 1892—1912 war Moneta Mitglied des
Rates des Berner Friedens bureaus. Er ist Mit-
glied des Internationalen Friedensinstituts und
des europäischen Rats der 1. Abth. der Carnegie-
stiftung. Im Jahre 1907 wurde ihm der Nobel-
preis verliehen.
Wenn auch die Haltung Monetas im Jahre
1911 von den Anliängern der Friedensidee nicht
gebilligt werden konnte, darf darüber nicht ver-
gessen werden, daß der Achtzigjährige ein
reiches der großen Sache gewidmetes Leben
hinter sich hat, und daß er zu den Arbeitern
der ersten Stunde gehörte. Er hat so viel zur
Förderung des Pazifismus geleistet, daß seine
von unglücklichen Zufällen bedingte Haltung
während der Tripoliskrise seine großen Ver-
dienste nicht verlöschen konnte.
Wir wünschen, daß er die Kraf t besitze,
noch weiter für das Friedenswerk tätig zu sein,
um die Erinnerung an 1911 ganz vergessen zu
machen und hoffen, daß er wieder den Weg
zu seinen alten Freunden und Mitarbeitern
finden wird. A. H. F.
«9
Kalendarium der pazifistischen Veranstaltungen. :: ::
23. — 26. September. Konferenz deutscher
und französischer Journalisten in Gent.
1. — 6. Oktober. 28. Konferenz der Int.
Law Association in Madrid.
351
PJE FßlEDENS-^/AßrE =
;©
4. — 6. Oktober. Zweiter Verbandstag des
^, "Verbandes für internationale Verständigung"
in Nürnberg.
Anfang Oktober. Friedenskongreß der
deutschen protestantischen Theologen in
Stuttgart.
MB
Die Gewinner des Seabury-Preises von 1913. :: :: ::
Bei der von der „American School Peace
League" veranstalteten Preis bewerbung fiel der
I. Preis für Normal-Schulkonkurrenten an Herrn
Siegfried Wagner von der Lehrerbildungs-
ansalt in Kaiserslautern, der II. Preis für Se~
kundar-Schulkonkurrenten an den Handels-
Akademiker Otto Petersilka in Wien. Die
übrigen Preise fielen sämtlich nach den Ver-
einigten Staaten.
iMO
Kleine Mitteilungen. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Geh. Rat Prof. Ostwald in Groß-Bothen in
Sachsen feierte am 2. Sept. seinen 60. Geburts-
tag. Der Gründer der Lehre von der Energie
hat so viel für die internationale Verständigung
und Organisation gewirkt, ist von seiner natur-
wissenschaftlichen Weltanschauung aus so nach-
drücklichst für den Friedensgedanken einge-
treten, daß er mit vollem Becht zu den Unseren
gezählt werden kann. Die Glückwünsche aller
Pazifisten und ihre Hoffnung, daß er noch lange
seine Kräfte in den Dienst unserer Sache wird
stellen können, sind ihm an seinem 60. Ge-
burtstag massenhaft zum Ausdruck gebracht
worden. — Dem Generalsekretär der Interparla-
mentarischen Union, Herrn Ch. L. Lange in
Brüssel, wurde das Portefeuille eines nor-
wegischen Ministers des Auswärtigen angeboten,
das er jedoch ablehnte.
LITERATUR VPBESSE
Die „Ethische Rundschau",
die Magnus Schwant je seit dem vorigen
Jahre als Monatsschrift in Berlin herausgibt,
widmet der Friedensbewegung eingehende Be-
achtung. Wir finden in fast jeder Nummer
der gut geleiteten und schön ausgestatteten
Zeitschrift Beiträge aus der Feder hervorragen-
der Pazifisten, die die Tagesfragen behandeln,
wie auch eine umfangreiche Berücksichtigung
der pazifistischen Literatur. In der Juli-
August-Nummer sind z. B. Beiträge von Feld-
haus, Katscher, Siemering, Umfrid und Wehberg
enthalten. Der Jahrgang kostet 5 M. Probe-
hefte stehen kostenlos durch den Herausgeber
(Berlin W 15, Düsseldorfer Straße 23) zur Ver-
fügung.
MB
eingegangene Druckschriften. :: :: :; :: :: :: :: :: ::
(Besprechung vorbehalten.)
Zeitschrift für Völkerrecht und
Bundesstaatsrecht. Herausgegeben von
Prof. Dr. Josef Kohler, Berlin, Prof. Dr.
L. Oppenheim, Cambridge, und Dr. Hans
W e h b e r g , Düsseldorf. VII. Band. 2. Heft.
Breslau 1913. J. N. Kerns Verlag.
Aus dem Inhalt : Prof. Kohler, Die
Stellung des Haager Schiedshofes. —
Gustav Kraemer, Das Recht der Küsten-
zonen in bezug auf die Fischerei. — Dr. H an 3
.Wehberg, Die Schiedsgerichtsklausel in
deutschen Handelsverträgen. — usw. usw.
Revue Generale de Droit Inter-
national Public. (Paris.) Mai - Juin
1913. No. 3.
Aus dem Inhalt : Prof. C. de Boeck,
La sentence arbitrale de la Cour permanente
de la Haye dans l'af faire Canevaro (3. mai
1912.) — Prof. C. Dupuis, L'Institut de
Droit international. Session de Christiania
(aoüt 1912). — Allemagne et France. — usw.
La Vie Internationale. Revue men-
suelle des idees, des faits et des organismes
internationaux. Tome III. 1913. Numero 6.
Fascicule 14. Lex. 8°. Bruxelles. Office
Central des Associations Internationales.
Aus dem Inhalt : H. La Fontaine
et P. Otlet, La deuxieme Session du
Congres mondiaL — Centenaire de la Paix
anglo - americaine. — Internationalisation
et militarisme. « — usw.
— Tome IV. 1913. No. 1. Fascicule 15 de la
collection.
Aus dem Inhalt: David Starr
Jordan, Ce qu l'Amerique peut enseigner
ä l'Europe. — George Sarton, LTiistoire
de la Science et l'Organisation Internationale,
usw.
Bulletin of thePanAmerican Union.
Washington. Juni.
Aus dem Inhalt: Fifth Pan-American
Conference. — Visit to United States of Rra-
zilian Minister of Foreign Affairs. —
Mr. Carnegie and the Governing Board. —
Lake Mohonk Conference on International
Arbitration. — usw.
— Juli.
Aus dem Inhalt: Mission of Dr. Lauro
S. Müller to the U. S. — Notable Speeches
by Members of governing board. — Inter-
national Students Conference. — usw.
Annuaire de l'Union Interparle-
mentaire. Troisieme annee 1913. Publie
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Misch & Thron. 291 S. Lwbd.
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The cost of peace under arms. 8°. Boston
1913. (World Peace Foundation, Pamphlet
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352
@=
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Schneider & Cie.) Edition de la Revue „La
Paix par le Droit", Obl.-8°, Nimes. 30 Cen-
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Eighth international Congress of
Students. 29 August — 20 September.
Programm and Information, obl. 8°. Ithaca,
N. J. Cornell Cosmopolitan Club, 301 Bryant
Avenue. 35 S. Kostenlos.
Essays towards peace, by John M. R o-
b e r t s o n , Prof. Ed. Westermarck,
Norman Angell, and S. H. Swinuy.
With intrcduction by Hypatia Bradlaugh
Bonner. Kl. 8°. London, o. J. Watts & Co.
91 S. Sixpence.
Euchs, Hof rat Prof. Th.,
Aphorismen zur Abrüstungsfrage. 8°. Wien
und Leipzig 1913. Kaiserl. und Königl.
Hof-Buchdruckerei und Hof-Verlags-Buch-
handlung Carl Fromme. 15 S.
Gerber, Max,
Demokratie und Militarismus. Betrachtungen
über die Voraussetzungen Schweiz. Militär-
politik. 8°. Zürich 1913. Sozialpolit. Zeit-
fragen der Schweiz in Verbindung mit
anderen herausgegeben von Paul Pflüger,
Zürich. Verlag der Buchhandlung des
Schweizerischen Grütlivereins. 94 S. brosch.
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Geschichtskalender, Deutscher, für
1913. Sechstes Heft. Juni. 8°. Leipzig 1913.
Felix Meiner. S. 369—476.
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The international Library. 8°. o. O. 1910.
o. V. 15 S.
Ginn, Edwin,
An International School of Peace. An adress
delivered at the international Peace Con-
greß at Luceme September 1905. 8°. o. O.
o. J. o. V. 7 S.
Ginn, Edwin,
Organizing the Peace work. 8°. Boston 1913.
World Peace Foundation. Pamphlet Series.
July, Vol. III. No. 7. Part. I. Published
monthly by the World Pea-ce Foundation.
40 Mt. Vernon street. 10 S. Kostenlos.
G o bat , A., *
Rapport sur les Evenements de l'annee inter-
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Publications du Bureau International de la
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G o b a t , Albert,
La Conference interparlementaire Franco-Alle-
mande de Berne. Gr. 8°. Bern 1913. Publi-
cations du Bureau International de la Paix,
Berne. 36 S.
G o b a t , Dir. Albert,
Ucber die internationalen Friedensbostrebungan.
= DIE FRlEDENS-^ö^ttTE
Gr. 8°. Breslau III, 1913. Sander-Druck aus
der schweizerischen Sondernummer von „Nord
und Süd". Augustheft. Verlag der Schle-
sischen Buchdruckerei v. S. Schottlaender,
A.-G. 6. S.
H i r s t , Francis W.,
Loans for war. The gladiatorial Press. A Paper
read ad the Ninth National Peace Congress,
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July. (|Zu beziehen durch die „American
Association for Int. Conciliation". Sub
Station 84. 407 West 117 th Street.)
Kostenlos.
PeaceCongress. International Theosophical,
Inaugurated by Katherine Tingley, Leader
and official Head of the Universal Brother-
hood and Theosophical Society throughout
the World to be held at Visingsö, Lake
Vettern, Sweden. June 22 to 29, 1913. Kl. 4°.
London E. C. (1913.) Theosophical Book
Co., 18 Bartletts Buildings. 111 S.
V i e s , A. B. van der,
Bijdrage tot de Geschiedenis van de Vrede-
Conferenties en Het Vrede - Paleis. 8°.
Amsterdamsche Boek- en Steendrukkerij Voor-
heen Eilermann, Harms & Co. 1913. 42 S.
broscn.
I n t e r ja i t a S c i i g o. No. 2, 3, 4, 5, 6.
Herausgeber B. J. Klingenberg, Christiania.
Dahls Gate 18.
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bourg auf dem Platze de la Concorde in Paris.
„Die Christliche Welt" 7. VIII. * Dir. Albert
G-obat, Ueber die internationalen Friedens-
bestrebungeii. „Nord und Süd" (Schweizerische
Sondernummer). VIII. * Leopold Kat-
scher, Haus, Schule und Friedensethik.
„Ethische Kultur". 1. VIII. * E. Vogtherr,
Das Freidenkertum und der Krieg. „Der Frei-
denker". (München und Zürich.) 1. VIII. *
Dr. Elise Dosen heimer, Militarismus hier
und dort. ,jDie Frauenbewegung." 1. VIII.
* Walter J. Renshaw, Internationaler
Friede. „Der theosophische Pfad." (Nürn-
berg.) VII. * Dr. Hans Wehberg, Staats-
minister Asiser. „Berliner Tageblatt." 3. VIII.
* Mr. Bryans Peace Plan. „The Independent."
24. VII. * Andrew Carnegie, Das Problem
des internationalen Friedens. ^Nord und Süd."
(Holländische Sondernummer.) September. *
Ders., Das Genie und die Masse. „Breslauer
Generalanzeiger." 24. VIII. * Ders., Das
Genie und die Masse, „Neues Tageblatt" (Stutt-
gart.) 27. VIII. * Sil Va'ra, Andrew Car-
357
DIE FRIEDENS -^ÖJZTE
m
negie. „Neue Freie Presse". VIII. * Carnegie
über den Weltfrieden. „Brandenburger An-
zeiger". 30. VIII. * Carnegie für den Welt-
frieden. „Die Zeit" (Wien). 29. VIII. * Car-
negie über den Kaiser und den Weltfrieden.
„Bremer Nachrichten". 30. VIII. * Eine Frie,-
densrede Carnegies. „Frankfurter Zeitung". 30.
VIII. * Eine Friedensrede Carnegies. „Gene-
ral-Anz. f. Stettin u. Prov. Pommern" (Stettin).
29. VIII. * Hermann vom Eath, D'Estour-
nelles de Constant. „Der Tag" (illustrierter).
14. VIII. * Emma Kraft, Bertha von Sutt-
ner. „Otava", Juli. * Dr. Wilhelm Ohr,
Erinnerungen an Ludwig von Bar. „Berliner
BörsenrCourier". 29. VIII. * Van Käme-
beek, Die Eröffnung des Friedenspalastes im
Haag. „Nord und Süd". (Holländische Sonder-
nummer). September. * Walther Nithack-
Stahn, Der Friedenspalast. „Hannoverscher
Courier". 21. VIII. * Ders., Der Friedens -
palast. „Erfurter Allgemeiner Anzeiger". 16.
VIII. * Ders., Der Friedenspalast. „Chem-
nitzer Tageblatt". 23. VIII. * Prof. E. Eick-
hoff, Zur Einweihung des Haager Friedens.-
palastes'. „Neue Straßburger Zeitung". 28. VIII.
* Ders., Zur Einweihung des Haager Frie-
denspalastes. „Berliner BörsenrCourier". 26.
VIII. * Ders., Zur Einweihung des Haager
Friedenspalastes. „Breslauer Morgenzeitung".
27. VIII. * Ders.', Zur Einweihung des Frie-
denspalastes. „Danziger Zeitung". 26. VIII. *
Ders., Zur Einweihung des Haager Friedens -
pala-stes. „Wiesbadener Tageblatt". 25. VIII.
* Ders., Zur Einweihung des' Haager Friedens-
palastes. „Neuer Görlitzer Anzeiger". (Görlitz).
26. VIII. * Ders., Zur Einweihung des Haager
Friedenspalastes. „Königsberger Hartungsche
Zeitung". 26. VIII. * Ders., Zur Einweihung
des Haager Friedenspalastes. „Fränkischer Ku-
rier". 26. VIII. * Dt; Hans Wehberg, Zur
Einweihung des Haager Friedenspalastes. „Köl-
nische Zeitung". 28. VIII. * Dr. Alfred H.
Fried, Die Bedeutung des Haager Friedens-
oalastes. „Neue Freie Presse". 22. VIII. *
Dr. Theodor Wenzelburger, Der neue
Friedenspalast. „Vossische Zeitung". 19. VIII.
* Der Friedenspalast im Haag. „Schwarzwälder
Bote" (Oberndorf a. N.). 24. VIII. * Der Frie-
denspalast im Haag. „Kölnische Volks-Zeitung".
28. VIII. * Der Weltfriede. „Berliner Tage-
blatt". 29. VIII. * Hofra,t Prof. Dr. Heinrich
Lammasch, Zur Eröffnung des ' Friedens-
palastes im Haag. „Neue Freie Presse". 26. VIII.
* Hofrat Di-, v. Lentner, Idee und Wirkr
lichkeit. Zur Eröffnung des Haager Friedens-
palastes. „Neue Tiroler Stimmen" (Innsbruck).
29. VIII. * Die feierliche Einweihung dos
Friedenspalastes. „Vossische Zeitung". 31. VIII.
* Die. Einweihung des Friedenspalastes. „Frank-
furter Zeitung". 29. VIII. * Zur Einweihung des
Haager Friedenspalastes. Eine Rede Carnegies.
„ Kleine Presse" (Frankfurt a. M.). 28. VIII.
* Friedenspalast und Friedenswerk. „Echo der
Cegenwart" (Aachen). 29. VIII. * Der Friedens-
palast. „Leipziger Volkszeitung". 29. VIII. *
Theoretische und praktische Friedensarbeit.
..Hamburgischer Korrespondent". 30. VIII. *
Zur Einweihung des Friedenspalastes im Haag,
„Bergisch -Märkische Zeitung" (Elberfeld). 27.
VIII. * Der Friedenspalast. „Leipziger Neueste
Nachrichten". 29. VIII. * Des Palais de la
Paix. ..De Nieuwe Courant" (Haag). 27. VIII.
* Friedensbürgen. „Chemnitzer Tageblatt". 27.
VIII. * Dr. Alf red H. Fried, Der 20. Welt-
friedenskongreß im Haag. „Berliner Tageblatt".
26. VIII. * Dr. jur. Ludwig Weyringer,
An die Haager Friedenskonferenz. „Wiesbadener
Zeitung". 28. VIII. * Ders., Ein Wort an die
Haager Friedenskonferenz. „Dresdener An-
zeiger". 25. VIII. * Ders., Ein Wort an die
Haager Friedenskonferenz. „Barmer Zeitung".
25. VIII. * Der s., Ein Wort an die Haager
Friedenskonferenz. „Dortmunder Zeitung". 24.
VIII. * Ders., Ein Wort an die Haager
Friedenskonferenz. Neues Tagblatt" (Stutt-
gart). 25. VIII. * Ders., Ein Wort an die
Haager Friedenskonferenz. „Leipziger Tage-
blatt". 23. VIII. * 20. Weltfriedenskongreß.
„Hamburger Fremdenblatt". 17. VIII. * Der
20. Weltfriedenskongreß. „Kölnische Zeitung".
26. VIII. * Die Haager Propheten. „Hallesche
Zeitung". 23. VIII. * Prof. Richard Eick-
hoff, Die 18. Interparlamentarische Konferenz.
„Der Tag" (illustrierter). 2. IX. * Johannes
T i e d j e , Die große Täuschung Mr. Carnegies.
„Königsberger Hartungsche Zeitung". 21. VIII.
* B. de Jong van Beek en Donk, Dir
Friedensbewegung in den Niederlanden. „Nord
und Süd". (Holländische Sondernummer). Sep-
tember. * Eine Friedensbewegung in Japan. „Do-
kumente des Fortschritts. VIII. * Wilhelm
O s t w a 1 d , Balkanfriede. „Monistische Sonn-
tagspredigten". 23. VIII. (Nr. 87). * Die Fest-
tage der Friedensbewegung. „Pester Lloyd". 23.
VIII. * Die Kraft des Friedens. „Die Zeit".
(Wien). 16. VIII. * „Ich schütze den Kauf-
mann". „Berliner Tageblatt". 11. VIII. * Die
Rüstungspatrioten an der Arbeit. „Zeit am
Montag". (Berlin). 25. VIII. * Karl Bleib-
treu, Chauvinismus. „Leipziger Tageblatt".
19. yill. * Dr. Gustav Stresemann,
Lehren der Gegenwart. „General-Anzeiger"
(Mannheim). 8. VIII. * Ders., Lehren der
Gegenwart. „Hannoverscher Kurier". 8. VIII.
* Ders., Lehren der Gegenwart. „Königs-
berger Allgemeine Zeitung". 8. VIII. * Ders..
Lehren der Gegenwart. „Hamburgischer Korre-
spondent". 8. VIII. * Ders., Lehren der
Gegenwart. „Magdeburgische Zeitung". 8.
VIII. * Ders., Lehren der (!e-
genwart. „Leipziger Tageblatt". 8. VIII. *
Ders., Lehren der Gegenwart. „Aachener All-
gemeine Zeitung". 8. VIII. * Ders., Lehren
der Gegenwart. „General-Anzeiger für Frank-
furt" (Frankfurt a. M.). 9. VIII. * Weltfrie-
densschwärmereien. „Bautzener Nachrichten"'.
26. VIII. * Die Friedenslämmer in der Sack
gasse. „Rheinisch-Westfälische Zeitung". 31.
VIII. * v. Pfister, Der Wahn vom ewigen
Frieden. „Deutsche Tageszeitung". 9. VIII. *
Die Weltfriedensbrüder im Haag. „Hamburger
Nachrichten". 22. VIII. * Haager Friedens-
seuchelei. „Rheinisch -Westfälische Zeitung".
23. VIII. * Die Friedensfarce. „Deutsche
Tageszeitung". 21. VIII. * Der Homunkulus
aus dem Haa^r. „Berliner Neueste Nachrichten".
25. VIII. * Die Herren aus Wölkenkuckucks-
heim. „Rheinisch-Westfälische Zeitung". 24.
VIII. * Die stummen Hunde des Friedens.
„Arbeiter-Zeitung" (Wien). 26. VIII. * Frie-
densbewegung und Presse. „München -Axigs-
burger Abendzeitung". (München). 23. VIII. *
Julian Grande, Die Friedensbewegung und
die englische Presse. „Posener Tageblatt". 22.
VIII. * Dr. Siegbert Feucht wanger,
Der Krieg und das Mitleid. „Frankfurter Zei-
358
DIE FRI EDENS ->fc*\RXE
tuiig". 20. VII. * In den. Krankenhäusern Bel-
grads. „Frankfurter Zeitung". 21. VIII. * Um
Adrianopel. „Harnburger Nachrichten". 14.
VIII. * Eine Geschichte des Grauens. „Vossi-
sche Zeitung". 27. VIII. * Dr. W. von üet-
tingen, Die chirurgische Bilanz des Krieges.
„Berliner Zeitung am Mittag". 16. VIII. *
Theodor HeuU, Der deutsche Chauvinis-
mus. „März". 23. VIII. * Verständigungs-
Konferenz französischer und deutscher Jour-
nalisten. „Pariser Presse". 29. VII. * J.
Schiller, Zur 2. Tagung des Verbandes für
internationale Verständigung. „Fränkischer Ku-
rier". 15., 16., 17. und 18. VIII. * Prof. Hans
Delbrück, Völkerverhetzung. „Der Tag "
(illustrierter). 14. VIII. * Dr. Hans Weh-
berg, Die rheinische Kriegsindustrie und die
Zukunft der Friedensbestrebungen.. „Das Mo-
nistische Jahrhundert". 30. VIII. * Carl
Ludwig Siemering, Immanuel Kant als
Philosoph des Weltfriedens. „Ethische Rund-
schau". Februar. * Dr. Ludwig Hammer-
schlag, Die Wege zur Friedensbewegung.
„Ethische Rundschau". Februar. * Talcott
Williams, Teaching Journalism in a Great
City. „The Independent". 7. VIII. * Edwin
D. Mead, Th© Contribution of religions Radi-
cals to Liberty. „The Christian Register" (Bos-
ton). 10. VII. * Ders., Wood 's Military Camps
for College Men denounced. „The New York Tir
mes". 20. VII. * The Palace of Peace. „The Ti-
mes". 28. VIII. * To day at The Hague. „The
Times". 28. VIII. * World Peace Congress.
„The Daily Citisen". 19. VIII. * Armaments
and Peace. „The Times". 19. VIII. * Pacifists
and Peace. „The Times". 25. VIII. * Le Paci-
fisme et la presse. „Le Patriote". (Brüssel).
10. VIII. * Dr. Alfred H. Fried, Le role
de la Presse. „Journal d'Allemagne". 7. IX.
* Ders., Vom Haager Weltfriedenskon-
greß. „Pester Lloyd". 27. VIII. * Otto
Riemasch, Der letzte Krieg. „Berliner Lo-
kal-Anzeiger". 9. VIII. * Prof. Richard
Eickhoff, Die 18. Interparlamentarische
Konferenz (Schluß). „Der Tag" (illustrierter).
3. IX. * Dr. Hans Wehberg, Der Haager
Weltfriedenskongreß. „Weser-Zeitung" (Bre-
men). 31. VIII. * Dr. Albert Gobat,
Ueber die internationalen Friedensbestrebungen.
„Nord und Süd". VIII.
II. Die internationale Politik:
Der Wert des Dreibundes. „Plutus" (Char-
lottenburg). 21. VI. * David Starr Jor-
dan, The higher Politics. „The Independent."
VII. * Herrn. Fernau, Ein Wort zur
franko-deutschen Verständigung. „Ethische
Kultur." 15. VII. * Dr. Ludwig Haas,
Die Berner Konferenz. „Dokumente des Fort-
schritts." VII. * Edwin D. Mead, Ger-
many, England and the United States. „Boston
Herald." 22. VI. * Francis Trippel,
Wilhelm II. als Friedensfürst. „Weser-Zei-
tung." 4. VIII. * Zwischen Frankreich und
Deutschland. „Frankfurter Zeitung". 8. VIII. *
Deutschland und das Konzertl der Großmächte.
„Die Post" (Berlin). 20. VIII. * Krieg ohne
Frieden? „Dresdener Volkszeitung". 9. VIII. *
Die blamierte Gewalt. ,,Die Zeit" (Wien).
21. VIII. * Vor zwölf Jahren. Der Gedanke
eines Dreibundes Deutschland-England-Japan.
„Berliner Tageblatt". 20. VIII. * Ein sozial-
politisches Uebereinkommen zwischen Deutsch-
land und Qesterreich. „Berliner Tageblatt".
19. VIII. * Grausamkeiten und Abwanderungen.
„Weser -Zeitung". 29. VIII. * Oesterreich-
Ungarn und Europa. „Danzer's Armee-Zei-
tung". 14. VIII. * Was soll Oesterreich tun?
„Berliner Tageblatt". 9. VIII. * Ernst R. v.
Dombrowski, Neu - Oesterreich. „Die
Wage". (Wien). 16. VIII. * Nithack-
S talin, Europa den Europäern. „Berliner
Tageblatt". 21. VIII. * Freundlichere- inter-
nationale Lage. „Apoldaer Tageblatt". 29. VIII.
* Arthur Ponsoby, Das europäische Kon-
zert. „Zeitschrift für Sozialwissenschaft".
VIII. * Rene Lauret, Guillaume II.
et la France. „Les Marches de l'Est". (Pa-
ris). VII. * Georges Renard, France
et Allemagne. „La Revue". 1. VIII. * H. W.
B o y n t o n , Kaiser Wilhelm als Peacemaker.
„The New York Times". 15. VI. * AI van
F. Sanborn, Why France is arming. „The
Independent". 31. VII. * The Balcan Policy
and the peril of Armaments. „The Econo-
mist". 16. VIII. * Edwin D: Mead, Walker
calls aiHalt. „Boston Daily Advertiser". 5. VII.
III. Völkerrecht: Theorie und Praxis
im Staatenverkehr. „Frankfurter Zeitung."
13. VII. * Völkerrechtliche Rundschau. „Rund-
schau des auswärtigen Dienstes". 15. VIII.
* Die Regelung des Seekriegsrechts. „Mün-
chener Neuesten Nachrichten". 30. VIII. *
Prof. Heinrich Pohl, Internationale
Schiedsgerichtsbarkeit. „Das neue Deutsch-
land". (Berlin). 9. VIII.
IV. Internationales: Professor
Dr. Grosse, Das internationale Zeitamt in
Paris. „Der Tag." (illustrierter) 18. VII. *
Dr. Emil Frey, Die Entwicklung der /vier
internationalen Bureaus in Bern. „Nord und
Süd." (Schweizerische Sondernummer.) VIII.
* Zur Abänderung des internationalen Ueber-
einkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr.
„Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahn-
verwaltungen". (Berlin). 27. VIII. * Inter-
nationale Polizei. „Posener Neueste Nach-
richten". 23. VIII. * Internationale Polizei.
„Kasseler Tageblatt". 23. VIII. * Internationale
Verständigung. „Der Weckruf". (Innsbruck).
15. VIII. * The Growth of Internationalist.
„The Times". 29. VIII.
V. Wirtschaftliches: The financal
outlook and war requirements. „The Econo-
mist." VII. * Geh. Justizrat Heinrich
D o v e , Die Bedeutung der Vereinheitlichung
des Wechselrechts. „Königsberger Hartungsche
Zeitung". 3. VIII. * Was kostet der Welt-
frieden? „Neue Hamburger Zeitung". 27. VIII.
* Was brachte der Krieg? — Was wird der
Frieden bringen? „Leipziger Tageblatt".
8. VIII. * E. Marscher, Norman Angell
als Nationalökonom. „Danzer's Armee-Zeitung".
14. VIII. * Dr. Gustav Stresemann, Nor-
man Angells falsche Rechnung. „Deutsche
Industrie". (Berlin). Mai. * Finanzielle
Kriegsbereitschaft und Kriegsführung. „Frank-
furter Zeitung". 10. VIII. * Dr. Fritz
R o e d e r , Staatsmonopol der Rüstungs-
industrie? „Das neue Deutschland". 16. VIII.
* H e n r. Fürth, Bevölkerungsproblem, Wehr-
vorlage und Wirtschaftspolitik. „Das freie
Wort". Erstes Augustheft. * Friedrich
v. Bernhardi, Militärische und wirtschaft-
liche Zukunftssorgen. „Der Tag" (illustrierter).
17., 19. und 26. VIII. * Prepare for Peace. „The
Eeonomist". 6. IX.
359
DIE FßlEDENS-^ÖJiTE =
SMITTEILV/N6EN DEB5
FRIEDENSGESEUSCHAFTEN
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Souriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
Mitteilungen der Oesterreichischen
Friedensgesellschaft,
Bureau: Wien I., Spiegelgasse 4.
Auf eine Widmungsdepesche, die die im
Haag anwesenden österreichisch-ungarischen
Mitglieder des XX. Friedens-Kongresses am
18. August an Sr. Majestät Kaiser Franz Josef,
dem Beschützer des Friedens, abgesandt haben,
lief folgend© Antwort ein, die in der Eröffnungs-
sitzung verlesen und mit stürmischem Beifall
aufgenommen wurde:
Seine k. u. k. apostolische Majestät danken
herzlichst den österreichischen und ungarischen
Mitgliedern der vorbereitenden Kommission des
Friedenskongresses im Haag für die darge-
brachten Glückwünsche. Im allerhöchsten Auf-
trage Freiherr v. Schießl.
Die Friedensfahne. Aus dem All-
gemeinen Tiroler Anzeiger entnehmen wir die
Nachricht, daß unser Mitglied K. E. Hirt am
Tage der Einweihung des Friedenspalastes im
Haag, auf seinem Hause die weiße Fahne des
Friedens hießte. Ferner hat Herr K. E. Hirt
in den „Innsbrucker Nachrichten" einen langen
Artikel „Carnegie und sein Friedenspalast"
veröffentlicht.
Ein Friedenslesebuch. Die Schrift-
stellerinnen J. Wurm und Paula Moudra in
Brunn haben ein reich illustriertes pazifistisches
Lesebuch herausgegeben. Dieses umfaßt zwei
Teile, und zwar einen für die Jugend, der Bei-
träge von den Professoren Masaryk, Drtina und
Batek usw. enthält, während der andere Ueber-
setzungen aus fremden pazifistischen Werken
bringt.
MB
Nachtrag zum Weltfriedens-
kongreß. Außer den im vorigen Heft ange-
führten Persönlichkeiten, die unsere Gesellschaft
beim Kongreß im Haag vertraten, ist noch
nachzutragen: Schriftsteller Johannes C. Ba-
rolin, ferner für die Ortsgruppe Marienbad Re-
dakteur Moroder und als Vertreter der Orts-
gruppe Linz Ingenieur Eduard Binder und
Fachlehrer Hans Langoth.
MB
Fortsetzung der .Liste I der für die Suttner-
Stiftung gezeichneten Beträge (in chrono-
logischer Reihenfolge) :
Prof. R. Meyer, Magdeburg, 30,— M. ; Dr. Fritz
Hochsinger, Wien, 10, — K. ; Prof. Dr. Rudolf
Kobatsch, Wien, 10, — K. ; Prof. Dr. Charles
Richet, Paris, 125, — Frcs. ;Pro f. Oppen-
heim, Cambridge, 1, — Pfund Sterling;
Dr. Alfonso Witz - Oberlin, Wien, 25,— K. ;
C. Bojko, Wien, 10,— K. ; Präsident Carl
Morawetz, Wien, 1000— K.; E. Th. Mo-
e>
neta, Mailand, 100,— L. ; F. Aist,
Wien, 2,— K. ; Dr. Hans Wehberg, Düssel-
dorf, 15,— K. ; Emilie Broome, Stockholm,
15, — K. ; Herr und Frau Prof. Carl Zipernovsky^
Budapest, 100, — K. ; Geheimrat Prof. Dr. Fried-
rich Prym, Würzburg, 100,— K. ; Les Amis de
la Paix, Havre, 5,— Frcs. ; Societe la la jeunesse
italienne pour la Paix, Mailand, 25, — L. ; Exz.
Baronin Bertha Call, Wien, 10,— K. ; Dr. Albert
Nußbaum, Abbazia, 10, — K. ; Dr. Ludwig
Quidde, München, 50, — K. ; Wilhelmine Enenkl.
Wien, 5, — K. ; Otto Ogris, Meiselding, 3, — K. ;
Rudolf Goldscheid-Golm, Wien. 50, — K. ;
A. Merignhac, Toulouse, 10,— Frcs.; Ellen Key,
Alvastra, 25, — K. ; Amalie Saxl, Geiersberg,
3, — K. ; Ignaz Graf Attems, Graz, 200, — K. ;
Dr. Rudolf Fassel, Wien, 30,— K. ; Marie Stona,
Strzebowitz, 100,— K. ; Marie Gräfin Hoyos,
Wien, 30,— K. ; Elisabeth Hielle-Dittrich,
Schönlinde, 50, — K. ; Dr. Julius Blum, Wien,
20,— K. ; Eduard de Neufviile, Frankfurt a, M.,
50,— K.; Dr. Kurt Arnhold, Dresden, 20,— K.;
Dr. Heinrich Arnhold, Dresden, 100, — K. ;
Adolf Arnhold, Dresden, 100,— K. ; Sophie Gold-
schmidt, Ischl, 5, — K. ; N. Schweiger, Schlad-
ming, 10, — K. ; Ludwig u. Marie Pohlner, Wien,
10, — K. ; Ludwig Mayer R. v. Tenneburg, Wien,
10, — K. ; Anselm Heinzel, Dittersbach, 5, — K. ;
Carl Fiedler, Gestütthof, 100,— K. ; Axel v.
Fielitz, München, 20,— M. ; Hofrat Prof. Dr.
Ernst Mach, München, 10, — K. ; Josef Richter,
Gablonz, 20, — K. ; Carl Dittrich, Schönlinde,
200— K.; A. Vanderpol, Lyon, 10— Frcs.;
Ortsgruppe Danzig der Deutschen Friedens-
gesellschaft 116, — M. ; Dr. Alexander Dorn
R. v. Marwalt, Wien, 20, — K. ; „Ein Baustein",
10 000,— K.; Eduard R. v. Merkl, Prag, 1,— K. ;
Baronin Jella Oppenheimer, Wien, 50,— K. ;
World Peace Foundation, Boston, 100, —
Dollars ; Fürst Albert von Monaco, Paris,
200,— Frcs. ; Anna Mann, Karlsbad, 20,—
Kronen ; Jules Lippert, Baden-Baden, 5, — M. ;
Emanuela Gräfin Khuen-Belasi, Grusbach, 20, —
Kronen; Societe de la Paix de St. Petersbourg,
25, — K. ; Baron und Baronin Haebler, Schi.
Gutenbüchel, 100, — K. ; Ein Veilchenbüschel,
1, — K. ; Baronin Adele Schleimte, Riva, 2, —
Kronen ; Dr. Flora Barolin, Wien, 10, — K. ;
Johannes C. Barolin, Wien, 10, — K. ; Nagel
& Wortmann, Wien, {10, — K. ; Durchlaucht Fürst
Kinsky, Chotzen, 500, — K. ; Prof. Steinmeyr,
Braunschweig, 15,— K. ; E. Smith, Philadelphia.
2,— Doli.; B. Groller, Wien, 15,— K. ; Th. v.
Redlich-Wezek, Wien, 200,— K. ; Ortsgruppe
Magdeburg d. D. F. G., 20,— M. ; Societa la
Place, Como, 20, — Frcs. ; Frau J. Malcolm
Forbes, Milton Hill, 100,— Doli.; Frau Owen-
Wister, Philadelphia, 2, — Doli. ; Gottlieb Kraus,
Wien, 1, — K. ; Dotation Carnegie pour la Paix,
Paris, 500, — Frcs. ; Hans Feller, Karlsbad,
10,— K. ; J. N. Köpke, Buxtehude 6,— Kr. ; Dr.
H. Löwner, Wien, 4, — K. ; Rieh. Feldhaus,
Basel, 8, — K. ; Frau Kommerzienrat Muscate,
Dirschau, 20,— M. ; Chr. L. Lange, Brüssel,
10, — Frcs. ; A. Wagner, Neuhengstett, 25, — K. ;
Friedensverein Warschau 15, — K.
Die Sammlung ist noch nicht abgeschlossen.
Spenden übernimmt die Wechselstube der
Allgem. Verkehrsbank, Wien L, Stock im
Eisenplatz Nr. 2.
Verantwortl. Redakteur: Carl Appold, Berlin W. 50. — Im Selbstverlag des Herausgebers Dr. Alfred H. Fried, Wien IX/2.
Druck: Paß ii Garleb G.m.b.H., Berlin W. 67. — Verantwortl. Redakteur für Oesterreicb Ungarn : Vinzens Jerabek in Wien
360
Oktober 1913.
Völkerschlachtdenkmal.
Auf der Ebene von Leipzig wird heute
das Denkmal eingeweiht zur Erinnerung an
die vor hundert Jahren dort geschlagene
Völkerschlacht, durch die Napoleon nieder-
gerungen und Deutsehland befreit wurde.
Wir sind im Grunde keine Freunde von
Schlachtenerinnerungen. Sie sollen dazu
dienen, den kriegerischen Geist zu erhalten,
und durch das Gedenken an die Taten der
Väter die lebende Generation zur Nach-
eiferung anzuspornen. Solche Feiern um-
nebeln nur zu oft den gesunden Sinn der
Massen und erzeugen jene Stimmungen, bei
denen die Vernunft ausgeschaltet, und die
Fähigkeit für die ruhige Beurteilung der
Dinge wenigstens zeitweise verloren geht.
Wir haben beinahe zuviel der Kriegs- und
Schlachtenerinnerungen, und die Gefahr be-
steht, daß wir vor lauter Rückblicke den
Blick voraus, den Blick für die Größe der
Gegenwart verlieren.
Wir sollen allerdings niemals unsere
Geschichte vergessen, und der schweren
Zeiten gedenken, der es bedurfte, die Völker
zur Nation, die Kleinstaaterei zum mäch-
tigen Großstaat zu entwickeln. Wir sollen
der Taten unserer Väter und ihrer Leiden
gedenken. Aber doch nur immer in dem
Sinne der Pietät ; nicht in blinder Verehrung
der Vergangenheit. Wir können uns nie-
mals mehr zur Vergangenheit zurück-
entwickeln, und dürfen nie den Fehler be-
gehen, in Notwendigkeiten, die einstens ernst
und heilig waren, Vorbilder für unserer Zu-
kunft zu suchen. Die Zeit von 1813 liegt
zwar nur ein Jahrhundert hinter uns; wir
alle, die wir heute im Mannesalter stehen,
haben Menschen gekannt, die sie noch er-
lebt haben, oder deren Jugend wenigstens
unter dem Eindruck jener Zeit gestanden
hat. Und dennoch liegt diese Zeit von
unserem Leben so fern ab wie die Zeit der
Kreuzzüge, wie die der Kämpfe zwischen
Sparta und Athen. Die Menschen sind andere,
die heute leben. Ihr Denken ist weiter, ihr
Leben reicher, ihr Schaffen mächtiger, ihre
Einrichtungen sind unvergleichlich groß-
artiger. Die Schlacht bei Leipzig hat die
Deutschen von der Fremdherrschaft befreit.
Aber seitdem haben sie sich, und nicht nur
sie, alle Kulturvölker der Erde, vom Geist
der Scholle befreit durch die Maschine ; sind
sie Weltarbeiter und dadurch Weltbürger
geworden.
Trotzig ragt das Schlachtendenkmal bei
Leipzig in die Lüfte, ein Riesenstein stillen
Gedenkens an Kampf und Tod und fürchter-
lichem Ringen der Vergangenheit. Aber
auf was blickt dieses Denkmal ? Auf tausend
Schlote, die zu den Friedensmaschinen ge-
hören, die Arbeitswerte schaffen; auf eine
von Dampf und Elektrizität bewegte freie
Menschheit. Ueber ihm kreuzen die Luft-
schiffe, fliegt der Gedanke drahtlos um
die Welt. Maschinen, die dem modernen
Menschen Allgegenwart auf dem Erdball
ermöglichen, die ihn zum Herrn der
Erde gemacht haben, wirken ringsherum,
und das Vaterland von einst, um das zu
Füßen jenes Denkmals gerungen wurde, ist
zwar viel größer, aber durch die Technik,
die es umsponnen, auch unendlich kleiner
geworden. Denn näher stehen sich heute die
Menschen aller Länder als damals.
Wir sind keine Freunde von Schlachten-
feiern. Weil sie über den Rausch des Sieges
das Fürchterliche der Blutarbeit vergessen
machen der es bedurfte, um zum Siege zu
gelangen. Einer, der gegen den Vorwurf
der ,Friedensduselei'' sicher ist, Treitsehke.
der große Lobpreiser des Krieges, gibt uns
eine Schilderung der Tage von Leipzig, die
sich alle jene vor Augen halten mögen, die
in dem Gedenktag nur eine Kriegsverherr-
lichung erblicken wollen. „Ein ganzes Heer,
an hunderttausend Mann, lag tot oder ver-.
361
DIE FßlEDENS-^ADTE
3
wundet. Was vermochte die Kunst der
Aerzte, was die menschliche Aufopferung
des edlen Ostfriesen R e i 1 gegen solches
U ebermaß des Jammers? . . . Tagelang
blieben die Leichen der preußischen Krieger
im Hofe der Bürgerschule am Wall un-
beerdigt, von Raben und Hunden benagt;
in den Konzertsälen des Gewandhauses lagen
Tote, Wunde, Kranke auf faulem Stroh bei-
sammen, ein verpestender Brodem erfüllte
den scheußlichen Pferch, ein Strom von
zähem Kot sickerte langsam die Treppe hin-
ab. Wenn die Leichenwagen durch die
Straßen fuhren, dann geschah es wohl, daß
ein Toter der Kürze halber aus dem dritten
Stockwerk hinabgeworfen wurde, oder die
begleitenden Soldaten bemerkten unter den
starren Körpern auf den Wagen einen, der
sich noch regte, und machten mit einem
Kolbenschlage mitleidig dem Greuel ein
Ende. Draußen auf dem Schlachtfelde
hielten die Aasgeier ihren Schmaus; es
währte lange, bis die entflohenen Bauern
in die verwüsteten Dörfer heimkehrten und
die Leichen in großen Massengräbern ver-
scharrten . . . Dem Geschlechte, das solches
gesehen, blieb für immer ein unauslösch-
licher Abscheu vor dem Kriege, ein tiefes,
für minder heimgesuchte Zeiten fast un-
verständliches Friedensbedürfnis."*) Diese
dunklen Bilder des Krieges werden bei
den Schlachtenfeiern nicht hervorgezogen,
und es besteht die Gefahr, daß gerade da-
durch der Friedenswille immer unverständ-
licher wird.
Aber die Feier der Völkerschlacht sollte
nicht bloß eine Verherrlichung des Krieges
und der kriegerischen Tat sein, nicht bloß
ein Gedenken der Vergangenheit. Sie kann
auch eine ernste Feier des Friedens werden,
und den Blick öffnen für die Zukunft. Be-
siegelte sie doch das Schicksal eines Mannes,
der als der größte Anarchist der neueren
Geschichte gilt, eines Mannes, der den Krieg
um des Krieges willen getrieben hat. Er
führte jene Kriege, die die Friedensbewegung
meint, wenn sie die Geister mobil macht
zum Kampfe: den Raubkrieg, den Ver-
gewaltigungskrieg. Nicht um sein Volk zu
verteidigen zog er aus, sondern um andere
zu unterjochen, um Länder zu rauben und
den friedlichen Bürgern die Frucht ihrer
Arbeit wegzunehmen. Die Kriegsidee jenes
Mannes kommt zum Ausdruck in seiner Pro-
klamation vom 27. März 1796, die er vor
dem italienischen Feldzug als Obergeneral
*) Deutsche Geschichte. I. S. 509.
an seine Soldaten erließ. ,,lhr seid nackt
und schlecht genährt" rief er ihnen zu. „Die
Regierung schuldet Euch viel, aber sie kann
Euch nichts geben. Ich will Euch in die
fruchtbarsten Ebenen der Welt führen.
Reiche Provinzen, große Städte werden in
Eure Gewalt fallen. Ihr werdet dort Ehre,
Ruhm und Reichtümer finden. Soldaten der
Armee von Italien, sollte es Euch an Mut
und Beharrlichkeit fehlen?" Das ist das
Programm eines Räuberhauptmanns, und das
ist der Geist, unter dem Europa anderthalb
Jahrzehnte zu leiden hatte. Der Geist des
Konquistadors, der mit den Staaten des alten
Europas verfuhr, wie ein Pizzaro und ein
Kortez mit den Wilden in der neu entdeckten
Welt. Und dieser Geist ist es, den die
Friedensbewegung bekämpft; in den drei
Tagen bei Leipzig wurde er niedergerungen.
Die Schlacht, deren Feier man jetzt begeht,
war daher eine Auflehnung der Ordnung
gegen die Anarchie, ein Polizeiakt der Völker
gegen den Verbrecher. In diesem Sinne
können auch wir, die Verfechter des Ge-
dankens einer Weltordnung, den Gedenktag
mitfeiern ; denn niemals haben wir uns gegen
jene Kriege gewandt, die im Dienste und zur
Wiederherstellung der Ordnung geführt
wurden. Wir können die Tage von Leipzig
mitfeiern, weil sie den Sieg der Ordnung
herbeigeführt haben durch die Kooperation
der Völker. Deutsche, Oesterre icher, und
unter diesen viele Nichtdeutsche, Russen
und Schweden haben zusammengewirkt, und
dieser internationalen Verständigung ist es
erst gelungen, was den einzelnen nicht ge-
lang, den Bedroher der alten Ordnung zu
überwinden.
Ein ernster Malmruf soll daher dieses
Schlachtendenkmal auf der Leipziger Ebene
sein für alle jene, die fernerhin den Ver-
such machen sollten, den bewaffneten Raub
über die Grenzen ihrer Länder zu tragen.
Den Expansionspolitikern, die von Welt-
herrschaft träumen in unserer Zeit der
internationalen gegenseitigen Abhängigkeit,
der unendlich verwickelten internationalen
Solidarität der Interessen, den Anarchisten,
die das Recht der Völker und ihren Besitz
mißachten, jenen soll als ernste Drohung
das bei Leipzig besiegelte Schicksal Na-
poleons dienen.
Wir wissen uns in dieser Wertung des
Ereignisses eins mit Kaiser Wilhelm, der
in seiner Bremer Rede vom 22. März 190f)
die Nutzanwendung, die er aus dem Auf-
treten Napoleons gezogen, in deutlicher
Weise zum Ausdruck brachte. Diese Rede
362
E
DIE Fßl EDENS -n^QXE
wird aktuell an dem Tage, wo man daran
geht, die Jahrhundertfeier zu Leipzig zu
begehen. „Ich habe mir gelobt auf Grund
meiner Erfahrungen aus der Geschichte", so
sprach der Kaiser zu dem Bürgermeister
von Bremen, „niemals nach einer öden
Weltherrschaft zu streben. Denn was
ist aus den großen sogenannten Weltreichen
geworden? Alexander der Große, Napo-
leon der Erste, alle die großen Kriegs-
hclden. im Blute haben sie geschwommen und
unterjochte Völker zurückgelassen, die beim
ersten Augenblick wieder aufgestanden sind
und die Reiche zum Verfalle gebracht haben.
Das Weltreich, das ich mir geträumt habe,
soll darin bestehen, daß vor allem das neu-
erschaffene Deutsche Reich von allen Seiten
das absoluteste Vertrauen als eines ruhigen,
ehrlichen, friedlichen Nachbarn genießen
soll, und daß, wenn man dereinst vielleicht
von einem deutschen Weltreich oder einer
Hohenzollern- Weltherrschaft in der be-
schichte reden sollte, sie nicht auf Er-
oberung begründet sein sollte durch das
Schwert, sondern durch gegenseitiges
Vertrauen der nach gleichen
Zielen strebenden Nationen, kurz
ausgedrückt, wie ein großer Dichter sagt:
„Außenhin begrenzt, im Innern unbegrenzt."
In diesem Sinne wollen auch wir
der Leipziger Schlacht gedenken und des
Jahrhunderts, das uns von ihr trennt;
und über das Gedenken wollen wir den
Blick nicht von der Zukunft lassen.
Froh wollen wir der Tatsache sein,
daß im selben Jahre, in dem das
Völker sohl acht denkmal in Leipzig er-
richtet wurde, das in die Vergangenheit
weist, auch im Haag der Palast des Friedens
als ein Völker rechts denkmal errichtet
wurde, das in die frohe Zukunft zeigt; in
eine Zukunft, wo der Ruhm der Staaten
darin bestehen wird, daß ihre Eroberungen
nach des Kaisers Worten begründet sein
werden „durch das gegenseitige Vertrauen
der nach gleichen Zielen strebenden Na-
tionen". So ehren wir die Helden von da-
mals und das Andenken der Toten, die im
Kampfe gegen den Schwerteroberer gefallen
sind, und ehren damit gleichzeitig das
Streben derjenigen, die am Werke sind, das
Zeitalter der Verständigung zwischen den
Völkern herbeizuführen. A. H. F.
Zweiter Verbandstag
des Verbandes für internationale
Verständigung,
A. H. F. Die Eindrücke, die ich ge-
rade vor Jahresfrist an dieser Stelle über den
Heidelberger Verbandstag zum Ausdruck
brachte, haben sich in Nürnberg, wo vom 4. bis
6. Oktober die zweite Tagung des Verbandes
stattfand, nur vertieft. Es konnte ein neuer
Aufstieg festgestellt werden. Der Verband,
dessen Anregung von diesen Blättern ausge-
gangen ist, eine Tatsache, die den Heraus-
geber mit Stolz erfüllt, hat sich bereits einen
festen Platz im öffentlichen Leben Deutsch-
lands errungen. Er beginnt ein Faktor zu
werden, mit dem gerechnet werden muß. Daß
diese Erkenntnis durchgreift, bewies nicht nur
die große Beteiligung an der Tagung, sondern
auch die offizielle Ehrung, die ihr seitens der
Behörden zuteil wurde. Den Ehrenvorsitz des
Ortsausschusses führte der Regierungspräsi-
dent von Ansbach, Exellenz Dr. von B 1 a u 1 ,
der den Verbandstag in der Eröffnungssitzung
auch im Namen des bayrischen Staatsministe-
riums begrüßte. Der Präsident der kgl. Bank,
Exellenz Staatsrat von Blurkhard, führte
den Vorsitz des Ortskomitees, dem eine große
Anzahl hervorragender Persönlichkeiten Nürn-
bergs, darunter auch der Bürgermeister der
großen Handelsstadt, Dr. Bräutigam, an-
gehörten.
Von den ungefähr 350 Teilnehmern des
Verbandstages seien genannt:
P h. J. Baker, Cambridge. — Redakteur
L. Benario, Frankfurt a. M. — Kommer-
zienrat Berthold Bing, Nürnberg. — Direk-
tor des Germanischen Nationalmuseums Dr.
G. von Bezold, Nürnberg. — Präsident
Dr. Friedrich Curtius, Straßburg i. E. —
Prof. Dr. Hans Dorn, Nürnberg. — • Prof.
Freiherr von Dungern, Czernowitz. — Hof-
rat Prof. Dr. Adolf Friedländer, Hohe
Mark b. Oberursel a. T. — Prof. G. S. Fül-
ler ton, New York. — Exz. Vizeadmiral
Galster, Kiel. — Rektor der Universität
Erlangen, Prof. Dr. Geiger. — Privatdozent
Dr. K. A. G e r 1 a c h , Leipzig. — Pro-
fessor Dr. Friedr. G i e s e , Posen. — Reichs-
tagsabgeordneter G. Gothein, Breslau. -
Prof. Dr. Harms, Kiel. — Reichstagsabge-
ordneter Konrad Haußmann, Stuttgart. -
Prof. Dr. H. Hollatz, Frankfurt a. M.
Kammergerichtsreferendar Dr. Kurt I m b e r g ,
Berlin. — - Hof rat Prof. Dr. Heinrich Lam-
masch, Wien. — Bänkdirektor Hermann
Maier, Frankfurt a. M'. — Prof. Dr. Christ.
Meurer, Würzburg. — Dr. John Mi e z ,
Freiburg i. Breisg. — Oberlandesgerichtspräsi-
dent Theodor von Müller, Nürnberg. —
— Landtagsmitglied Oskar M u s e r. — Prof.
Paul Natorp, Marburg. — Prof. Dr. O.
Nippold, Oberursel. — Dr. Wilhelm Ohr,
363-
DIE FRIEDENS -^AQTE
D
München. — Reichstagsabgeordneter D.
Pachnicke, Bühl-Immenstadt. — Prof. Dr.
Robert Piloty, Würzburg. — Dr. Otto
Prange, Berlin. — Prof. Dr. H. Rehm,
Straßburg i. E. — Prof. Dr. Heinrich R ö ß -
ler, Frankfurt a. M. — Hofrat Prof. Dr. Gu-
stav von Roszkowski, Lemberg. —
Jacques von Schlumberger, Gebweiler
i. E. — Prof. Dr. Walther Schücking, Mar-
burg a. L. — Prof. Heinrich Sieveking,
Zürich. — Generalkonsul Carl Simon,
Mannheim. — Reichstagsabgeordneter M.
Sir, Wernberg. — Reichstagsabgeordneter
Sivkovich, Lübtheen i. M. — Hofrat Dr.
Soergel, München. — F. Stehelin,
Sennheim. — Dr. Strupp, Frankfurt a. M.
— Reichstagsabgeordneter Dr. August Tren-
d e 1 , Regensburg. — Landtagsmitglied Stadt-
rat G. Wolf, Straßbürg i. E.
Als alte Bekannte von den Friedenskon-
gressen begrüßten wir: Geh. Kommerzienrat
F. A r n h o 1 d und Frau, Dresden. — Dr.
Arnhold, Dresden. — Anna B. Eckstein, Co-
burg. — Rechtsanwalt A. von Härder,
Mannheim. — Dr. Ml. H ö 1 1 z e 1 , Stuttgart.
— M. W. Hohenemser und Frau, Frankfurt
a. M. — Universitätskanzler David Starr
Jordan, Californien. — Senator H. La Fon-
taine u. Frau, Brüssel. — Gymnasialdirektor
Prof. Dr. W. M a r t e n s , Konstanz. — Gaston
M o c h , Paris. — Bankier Hermann Müller,
Nürnberg. — Eduard de Neufville,
Frankfurt a. M. — Prof. Vittore P r e s t i n i ,
Rom. — Dr. Ludwig Q ü i d d e und Frau,
München. — Pfarrer Theoder Rohleder,
Haßfelden. — Prof. Dr. Th. R u y s s e n , Bor-
deaux. — Ludwig Wagner, Kaiserslautern.
Eine besondere Stellung nahm wie im
Vorjahre Baron d'Esto urnelies de
Constant ein, der die Gelegenheit des Ver-
bandstages wieder benützte, um für die end-
liche franco-deutsche Verständigung machtvoll
einzutreten.
Einem Begrüßungsabend am 4. Oktober
folgte am Morgen des 5. zunächst die or-
dentliche Mitgliederversammlung des Verban-
des, bei der den in diesem Jahre verstorbenen
beiden ersten Vorsitzenden, Prof. v. Ulimann,
Prof. v. Bar, Nachrufe gehalten wurden. Pro-
fessor C u r t i u s aus Straßbürg wurde hierauf
zum ersten Vorsitzenden gewählt. In den Aus-
schuß wurden außer drei Herren des Nürn-
berger Ortskomitees die Professoren Lam-
masch und Rehm gewählt. Man entschied
sich dafür, die nächstjährige Tagung in Eise-
nach abzuhalten und diese hauptsächlich der
Frage der Erziehung zu widmen.
In der darauf folgenden öffentlichen Ver-
sammlung hielt der neugewählte Präsident,
Professor C u r t i u s , eine Begrüßungs-
ansprache, die zum Teil auch eine Programm-
rede war. Es ist wichtig, daraus folgenden
Satz festzuhalten: „Es ist ein altes, sehr viel
zitiertes, nicht selten auch mißbrauchtes
Wort: si vis pacem para bellum. Wir sind
der Meinung, daß diese Maxime doch nicht
alles enthält, was über Krieg und Frieden zu
sagen ist. Es ist eine halbe Wahrheit, welche
der Ergänzung bedarf. Und diese lautet : s i
vis pacem, para pacem." Das ist nun
gerade kein neuer Grundsatz; wir hören ihn
und predigen ihn seit einem Vierteljahrhundert.
Etwas entschiedener versuchte darauf
Professor N i p p o 1 d in einer offiziellen
Programmrede den Unterschied der Auf-
gaben des Verbandes und der sonstigen
Friedensbewegung darzulegen. „Es fehlte,"
so führte er aus1, „bis vor kurzem an einer
großen Organisation, welche die schweben-
den Fragen im internationalen Sinne zu
lösen und dem Volke näher bringen konnte.
Mit Utopien und Friedensphan-
tasien habe der Verband nichts zu
tun, er predige nicht Idealismus, son-
dern Vernunft, nicht Gefühls-, sondern nüch-
terne Verstandespolitik. Sein Stand-
punkt sei der, den die überwiegende Mehr-
heit des deutschen Volkes auch einnimmt.
Der Verband nimmt die politischen Dinge
wie sie wirklich sind; andere nationale Ver-
bände sollen nicht bekämpft werden. Zu
mißbilligen sei der Nationalismus, der in
Chauvinismus ausartet. Auf der anderen
Seite erkenne der Verband das ideali-
stische Wirken der Friedens-
gesellschaften an, die viel Gutes ge-
wirkt haben. Der Verband habe, um ein
Bild zu gebrauchen, weder mit dem po-
litischen Alkoholismus der Alldeutschen noch
mit der Abstinenz der Pazifizisten
etwas gemein, sondern er bewege sich auf
temperenzlerischer Grundlage. Der Verband
wolle nur die Verständigung zwischen den
Völkern herbeiführen und nicht den
Frieden ä tout prix."
Soweit hier die positiven Aufgaben des
Verbandes ausgeführt werden, kann man
diesen nur zustimmen. Durch Phantastereien
und Idealismus, durch Gefühlsmethoden und
Forderung des „Friedens um jeden Preis" nützt
man der Sache in Deutschland nichts. Der
Verband, der sich von solchen Sachen frei-
hält, wird dadurch gute Dienste leisten.
Es ist aber unrichtig, die Sache so hin-
zustellen, als ob bislang, d. h. bis der Ver-
band ins Leben trat, und jetzt außerhalb
des Verbandes, nur Utopien und Phantasien
betrieben werden, als ob die Friedensgesell-
schaften nur „idealistisch" wirkten und ge-
dankenlos einen „Frieden um jeden Preis"
fordern würden. Die gesamte maßgebende
pazifistische Literatur beweist, daß diese Dar-
stellung der Wirklichkeit nicht entspricht.
Der Verband bedarf aber zu seiner
Rechtfertigung solcher Mittel gar nicht. Er
hat es nicht nötig, alle andern Friedens-
kämpfer und alle seine Vorkämpfer als
Dummköpfe hinzustellen, um seine eigene
Klugheit zu beweisen. Die Ideen, die der
Verband vertritt, sind nun einmal nicht neu;
364
<£
= DIE FRIEDENS -WARTE
er wurde selbst aus diesen Ideen heraus
geboren, die der Pazifismus lange vor ihm
in Deutschland verbreitete. Seine Aufgabe
wäre es nur, die alten und gesunden
Ideen mit neuen Mitteln unter
neuen Formen zu vertreten. Er hat den
mehr kleinbürgerlichen Charakter der bis-
herigen Friedensorganisationen durch die
Großzügigkeit einer Vereinigung von Gelehr-
ten und Politikern zu ersetzen. Darin — in
der veränderten Form, nicht im Wesen —
liegt seine Rechtfertigung, seine Stärke und
Bedeutung.
Die Friedensbewegung hat sich zu einer
Wissenschaft durchgerungen und die Politik
real beeinflußt. Doch ist das nicht all-
gemein bekannt, und viele scheuen sich, an
dieser Bewegung mitzuarbeiten, aus Furcht
vor der Karikatur, die sie sich fälschlich
selbst davon gemacht haben. Diesen — ver-
zeihlichen — Irrtum auszunützen, zum Wohle
der guten Sache auszunützen, aber nicht, ihn
zu vertiefen, ist Aufgabe des .Verbandes,
war die Absicht, die seiner Errichtung zu-
grunde lag.
Schon vor zehn Jahren habe ich an dieser
Stelle*) auf jene Erscheinung hingewiesen;
auf die in Deutschland erwachende Zu-
neigung der Intelligenz für die pazifistische
Idee und deren Abneigung gegen die Formen
ihrer Vertretung. Ich habe diese Erscheinung
schon damals zu erklären versucht, und es
dünkt mich, daß) die von mir damals auf-
gestellte „N ageltheorie" dem Wesen
der Sache näher kommt, als der Nippoldsche
Vergleich mit Abstinenzlern und Temperenz-
lern, der, was die sogenannten Pazifisten an-
belangt, vollständig unrichtig ist und höch-
stens auf die verschwindend kleine und gar
nicht ins Gewicht fallende, in Deutschland
überhaupt nicht vorhandene Gruppe der
Tolstoianer und Quäcker zuträfe.
Meine „Nageltheorie" entwickelte ich
hier im Jahre 1903 in folgender Weise:
,, . . . Es ergibt sich, daß die Neo-
Pazifisten in ihrer Idee und in ihren Ab-
sichten vollständig mit dem bisherigen
Pazifismus zusammenhängen, ob sie dies
zugeben wollen oder nicht, ob ihnen dies
bewußt wird oder nicht. Ihr zugespitztes
Programm ist nichts weiter als eine An-
passung der Idee an die Wirklichkeit zum
Zwecke der leichteren Umwandlung der
Idee in die Tat. Es sei mir ein Vergleich
aus der Mechanik gestattet. Wenn man
ein rundgewalztes Stück Eisen von etwa
15 cm Länge in eine feste Mauer schlagen
will, wird die Mauer den härtesten Wider-
stand leisten. Das Stückchen Eisen wird
sich verbiegen und wohl gar abbrechen.
Der kluge Mensch hat daher für solche
*) Man lose meine Aufsätze: ,.Neo-Paci-
fisten (Friedens-Warte 1903, SS. 85 u. f.)
und „PacifistcnuudNeo-Pacifisten"
(ebd. SS. 101 u. f.).
Fälle die Einrichtung getroffen, das Stück-
chen Eisen an dessen unterem Ende zu-
zuspitzen. Er hat damit den Nagel er-
funden, den er mit Leichtigkeit in die
Mauer einführen kann. Die kleine Spitze
findet weniger Widerstand, und das
stärkere Eisenstäbchen dringt bequem
nach Maßgabe des Raumes ein, den die
konische Spitze in der Wand leicht er-
zeugt hat. Diese Nageltheorie läßt
sich auf alle menschlichen Ideen an-
wenden, die es in die Wirklichkeit ein-
zuführen gilt. Sie müssen ihr Programm
ganz fein zuspitzen, um Halt zu gewinnen;
das ferner folgende umfangreiche Massiv
der Idee folgt dann bequem den Bahnen,
die die feine Spitze geöffnet hat. So
geht es auch mit der Friedensbewegung,
und die Neo-Pazifisten spielen nur die
Rolle der diese Idee in die Wirklichkeit
bequem einführenden Spitzen. Freilich,
wenn die Spitze eines Nagels denken
könnte, würde sie ebenfalls ihren Zu-
sammenhang mit dem übrigen Nagel ver-
leugnen !"
Diese Theorie scheint mir auch heute
nach zehn Jahren noch richtig zu sein. Sie
kann dem „Verband" zu seiner Rechtferti-
gung dienen, ohne daß dessen Vorkämpfer
und Mitkämpfer vor den Kopf gestoßen werden.
Der Programmrede Prof. N i p p o 1 d s
folgte ein Vortrag des Reichstagsabgeordneten
G o t h e i n über „W eltpolitik und Welt-
wdr t s c haft", worin dieser nach inter-
essanten statistischen Darlegungen über die
deutsche Wirtschaftspolitik abschließend sagte :
Die Weltpolitik muß die Politik der Ver-
ständigung zur Erleichterung und Sicherung
des Verkehrs, zur Hebung der Kultur sein, eine
Politik der internationalen Verträge und
Schiedsgerichte, die allerdings noch aus-
gebaut werden müsse, durch Aufstellung von
unparteiischen Schiedsrichtern, da die Diplo-
matie doch immer durch die Vertretung von
Landes-ßonderinteressen gebunden ist. Der
Aushau der internationalen See- und Kriegs-
rechte, die Einführung eines einheitlichen
Wechsel- und Scheckrechtes, die Regelung des
Luftverkehrs, des Post- und Telegraphen-
rechts, ein internationaler Arbeiterschutz, sind
große Aufgaben für den Verband. Nur auf
dem Wege der friedlichen Verständigung ist
ein Fortschritt möglich, nicht aber auf dem
Wege des Krieges.
In der zweiten öffentlichen Versammlung
sprachen zunächst Hofrat Professor Lam-
masch über „Die Fortbildung der inter-
nationalen Schiedsgerichtsbarkeit" und Pro-
fessor Dr. Christian M eurer über das
Thema „Der internationale Gerichtshof für
Forderungen von Privatpersonen gegen aus-
ländische Staaten". Beide Vorträge sind vom
pazifistischen Gesichtspunkt so wichtig, daß
uns eine durch die Raumverhältnisse ge-
botene, nur skizzierte Wiedergabe unange-
365
DIE FRIEDENS -WARTE =
■6)
bracht erscheint. Es wird verwiesen auf die
demnächst zu erwartende Drucklegung der
Arbeiten.
Nicht minder wichtig und interessant
waren die Darlegungen des Hofrats Prof.
Dr. Friedländer aus Hohe Mark bei
Frankfurt, der über „Die Bedeutung der,
Suggestion im Völkerleben" sprach. Der Vor-
trag ist im vollen Umfang abgedruckt in der
„Frankfurter Zeitung" Vom 8. Oktober
(1. Morgenblatt). Eine Stelle sei hier aber
besonders wiedergegeben: „Der ewige Welt-
friede mag eine Chimäre sein, die früher viel
geschmähten und auch heute von manchen
Seiten stark angefeindeten Pazifisten können
auf große Erfolge hinweisen, ihre Ideen haben
Wurzel gefaßt und schöne Blüten gezeitigt.
Und was vor Jahrtausenden, was vor Jahr-
hunderten notwendig erschien, braucht es
nicht heute zu sein. Heute ist die Erde
kleiner, die Macht der Massen, der öffent-
lichen Meinung größer geworden; wie Faust-
recht, Kabinettsjustiz verschwunden sind, so
erscheinen auch Kabinettskriege unmöglich.
Größer und nicht viel weniger gefährlich ist
die überschäumende nationale Sug-
gestion (in ihrer Erscheinungsform inter-
national) "geworden. Große Teile verschic
dener Nationen hassen sich und trauen ein-
ander jede Gewalttat zu — ohne sich zu
kennen. Der Haß macht aber ebenso blind
wie die Liebe, nur ist letztere national und
international betrachtet weit weniger ge-
fährlich."
Diesen Ausführungen folgten noch zwei
interessante Vorträge mit wirtschaftlicher
Tendenz. Es sprachen der frühere Direktor
der Deutschen Bank in Frankfurt a. M.,
Hermann M a i e r , über „Die Einwirkung
politischer Krisen auf die Finanzlage", und
der Redakteur Leo B e n a r i o aus Frank-
furt a. M. über „Die Einwirkung politischer
Krisen auf die Wirtschaftslage". —
Seinen Höhepunkt erreichte der Nürn-
berger Verbandstag mit einer am Abend des
6. Oktober im großen Saale des Kultur- und
Industrievereins abgehaltenen dritten öffent-
lichen Versammlung. Nach einem bedeuten-
den Vortrag Prof. Walther Schückings
über „Kultur und Krieg", den wir an anderer
Stelle vollinhaltlich zum Abdruck bringen,
kam in zwei Vorträgen des Senators
cl'Estournelles aus Paris und des deut-
schen Reichstagsabgeordneten K o n r a d
Haussmann das Thema Deutschland und
Frankreich zur Sprache.
Nach einigen einleitenden Worten, an
die Leiter des „Verbandes für internatio-
nale Verständigung" gerichtet, sagte Baron
d'Estournelles ungefähr folgendes :
„Verehrte Anwesende!
Franzosen und Deutsche, wir sind Han-
delnde und nicht Zuschauer in dem Trauer-
spiel, welches sich in Europa abspielt. Wollen
wir ruhig die Entwicklung abwarten, welche
unsere beiderseitige Untätigkeit vorbereitet ?
Wenn dem so wäre, so laßt uns offen
unsere Abdankung erklären. Es wäre Selbst-
mord! Wenn dem aber nicht so ist, so ist
es auf beiden Seiten an der Zeit, zu wissen,
was wir wollen und uns zu beeilen, dem-
entsprechend zu handeln.
Versäumen wir keine Zeit mehr damit,
das widerspruchsvolle Regime zu unter-
suchen, in welchem wir beiderseits leben,
durch welches Rüstung auf Rüstung und
Lasten auf Lasten gehäuft werden.
Wir leben in einer Atmosphäre, welche
mit Argwohn geschwängert ist, voll von
gegenseitigen Vorwürfen und einer gehässigen
Ueberreizung der Gefühle, welche jeden Tag
gefährliche Zwischenfälle hervorrufen können.
Unser beiderseitiger Handel wird hier-
durch nicht nur in seiner Entwicklung,
sondern selbst in seinen Plänen aufgehalten.
Die Unsicherheit sowie die Feindseligkeit
bei eintretenden Krisen lasten schwer auf
unserer Tätigkeit. Nur unsere Konkurrenten
ziehen hieraus Nutzen, da sie sich hierdurch
mit Riesenschritten in der alten und in der
neuen Welt entwickeln können, während wir
ihnen das Feld überlassen müssen.
Hierdurch sind unsere nationalen Hilfs-
quellen bedroht in dem Augenblicke, in
welchem wir dieselben vervielfältigen müß-
ten, um den neuen Ausgaben nachzukommen,
welche dringend durch unsere ökonomischen
Einrichtungen, durch unsere Kolonien,
unsere auswärtige Entwicklung, durch soziale
Reformen, durch die Pflichten für Er-
ziehung, Unterstützungen, Gesundheitspflege
und überhaupt durch nötigen Fortschritt auf
allen Gebieten von uns verlangt werden.
Das ist aber nicht alles!
Dies Regime darf nicht länger dauern,
da es mit jedem Tag unerträglicher wird
und einen allgemeinen Abscheu hervor-
bringt und ein unwiderstehliches Bedürfnis
erzeugt, damit zu Ende zu kommen.
Wir werden bald soweit sein, fest-
zustellen, daßi wir nun darüber einig
sind, daß ein Ende damit gemacht werden
muß. Aber w i e soll das geschehen ? Viel-
leicht durch einen Krieg ?
Das wäre die schrecklichste Verschlimme-
rung der Lage, die nur eintreten könnte,
weil wir nicht die Weisheit besessen haben,
beizeiten gemeinschaftlich die Mittel zu
suchen, um eine Lösung durch den Frieden
zu finden !
Das ist der Weg, den wir mit ge-
schlossenen Augen wandeln. Unglück auf
diejenigen, welche die Gefahr sehen und
schweigen. Die Geschichte wird ihnen dies
Verbrechen nicht verzeihen.
Die beiden Länder können sich einen
Krieg nicht erklären, den sie nicht wollen.
Sie können nicht daran verzweifeln, den
Frieden aufrechtzuerhalten, nachdem eine
366
<§=
DIE FRI EDENS -WAPXE
40jährige Erfahrung- bewiesen hat, daß. der
Friede möglich ist.
Sie können nicht daran verzweifeln,
eine deutsch-französische Annäherung herbei-
zuführen, bevor sie auf beiden Seiten alles
Mögliche getan haben, um dieselbe vor-
zubereiten.
Die Erfahrung der letzten Jahre hat trotz
Widersprüchen und traurigen Vorfällen be-
wiesen, daß keinerlei Grund zur Entmutigung
vorliegt. Sie hat trotz allem bewiesen, daß
ein deutsch - französisches Einverständnis
möglich war.
Im Jahre 1905 war Frankreich allein und
in voller militärischer Umgestaltung be-
griffen. Rußland war erschöpft durch den
Krieg und die darauf folgende Revolution.
England war kaum mit Frankreich aus-
gesöhnt. Welche gute Gelegenheit wäre
dies für Deutschland zum Kriege gewesen,
wenn es kriegerisch gesinnt wäre! Deutsch-
land hat aber diese Gelegenheit nicht er-
griffen.
Der Vorfall von Casablanca bot
wieder eine solche Gelegenheit. Deutsch-
land hat denselben aber durch ein Schieds-
gericht erledigt.
Der Vorfall von Agadir wurde durch
den Vertrag vom 4. November 1912 erledigt,
welcher ohne Zweifel beiden Regierungen
Opfer auferlegte, aber beiden Ländern keinen
Tropfen Blut kostete!
Was soll man zu den Balkankriegen
sagen, aus welchen die Skeptiker Schlüsse
für sich ziehen wollen, während sie doch
Frankreich und Deutschland Gelegenheit ge-
boten haben, Hand in Hand zu arbeiten und
auf diese Weise einen scheinbar unvermeid-
lichen Zusammenstoß, aller europäischen
Mächte vorgebeugt haben.
Welcher Fortschritt !
Dieselben beiden Mächte, welche man
vor noch zehn Jahren als die Gefahr be-
trachtete, sind die Beschwörer der-
selben geworden.
Der Brand wurde bekämpft und ein-
geschränkt gerade von den beiden Mäch-
ten, welche man beargwöhnte, denselben
unterhalten oder anzünden zu wollen !
Wenn diese gelegentliche deutsch-
französische Entente sich verwirklichen
könnte, weshalb soll dann eine allgemeine
und dauernde Entente unmöglich sein, da-
mit sie der ganzen Weltlage ihren Stempel auf-
drücke ?
Man führt mir den Abgrund vor, der die
zwei Länder trenne. Ich habe ihn leider nur
zu sehr ausmessen können!
Er konnte die Diplomatie beider Länder
auseinander bringen, aber er kann die beiden
Völker nicht verhindern, sich einander zu
nähern, wenn sie es wollen.
Wenn sie es wollen!
Das ist die Frage!
Wollen wir Deutsche und Franzosen mit
dem gegenwärtigen Regime, unter dem wir
beide gleichmäßig leiden, zu Ende kommen?
Ja oder Nein?
Wollen wir es?
Wollt ihr es?
Wir sind zwei freie Nationen, zwei Demo-
kratien, was man auch sagen möge, unter zwei
ganz verschiedenen Regierungsformen.
Wir haben das Recht, über unsere Zukunft
zu entscheiden. Wollen wir, ja oder nein, die
deutsch-französische Annäherung ?
Sicherlich ja!
Dann höre der eine auf zu war-
ten, bis ihm der andere alle Zuge-
ständnisse gemacht hat.
Bereite sich jeder von uns vor, nicht nur
Zugeständnisse zu verlangen, sondern auch
solche zu bewilligen!
Was sollen das für Zugeständnisse sein?
Ich habe es hundertmal gesagt. Sie
sollen sich ergeben, nicht aus beiderseitiger ab-
soluter Intransigenz, sondern aus erleuchteter
und spontaner Einwilligung seitens beider
Teile.
Auf dieser Grundlage wird die Verständi-
gung dauernd, ehrenhaft und für alle annehm-
bar sein.
Ich bin überzeugt davon, daß dies in
Frankreich dem allgemeinen Gefühle ent-
spricht.
Eine aufrichtige Bemühung zur Versöh-
nung seitens Deutschlands wird mehr auf die
Herzen der Franzosen wirken, wie alle Armeen
der Welt.
Wir wollen uns den Frieden weder aufer-
legen lassen, noch denselben auferlegen. Wir
werden mit Freude den uns gezeigten guten
Willen in gleicher Weise beantworten.
Was Deutschland betrifft, so untersuchen
Sie Ihr Gewissen, Ihr Interesse, Ihre Pflicht als
Patrioten und als freie Männer und suchen
Sie danach, uns alle Zugeständnisse zu machen,
welche Ihnen möglich sind, um sich uns zu
nähern.
Aber beeilen wir uns!
In wenigen Jahren vielleicht kann es zu
spät sein.
Die gegenwärtige Lage darf nicht länger
bestehen.
Der Augenblick kommt, wo wir wählen
müssen zwischen Revolution, Anarchie oder
Ordnung, Glück, Fortschritt, oder, anders aus-
gedrückt, zwischen dem europäischen Krieg
oder den Vereinigten Staaten von Europa.
Mögen unsere beiden großen Nationen
ihre Mission erfüllen, welche darin besteht,
allen den Weg des Heils zu ebnen!"
Ein Beifall, der das übliche Maß über-
schritt, krönte diese Rede.
Die Antwort erteilte unter jubelnder Zu-
stimmung der Anwesenden Konrad Hauß-
mann:
„Ich will auf die Worte des Barons
d'Estournelles de Constant eine offene Ant-
367
DIE FRIEDENS -VVAQTE
=§>
wort geben", sagte er. „Ich bin bereit zu
dieser Antwort, denn sie ist nicht der Ausdruck
einer Aufwallung des Augenblicks, sondern das
Ergebnis ernster Beobachtung und Erwägung
während all der letzten Jahre. Ja, auch wir
Deutschen, wir wollen den Frieden, wir wollen
die Verständigung mit Frankreich; ja, auch
wir wollen handeln, ehe es zu spät ist! Wir
wollen uns ans Werk machen mit den Franzo-
sen, wir wollen guten Willen mit gutem Wil-
len erwidern. Auch wir wünschen lebhaft,
daß die Deutschen ihren Anteil an den gegen-
seitig notwendigen Konzessionen übernehmen."
Haußmann sprach noch weiter über dies
Thema. Zum Schlüsse reichten sich beide
Redner unter dem Jubel der Hörer die Hände
mit dem Versprechen, sich noch oft zusammen-
finden zu wollen im Dienste der franco-deut-
schen Verständigung.
Friedensbewegung und Schule.
Von F. Müller-Lyer, München.
In jeder Geschichtsperiode stehen die
einzelnen Kulturerscheinungen in innigem Zu-
sammenhang; Wirtschaft, Familie, staatliche
und zwischenstaatliche Organisation, Re-
ligion, Wissenschaft, Philosophie, Moral,
Recht und Kunst, sie befinden sich alle bis»
zu einem gewissen Grad zueinander im Ver-
hältnis der Abhängigkeit und der Wechsel-
wirkung, weil sie stets mehr oder weniger
aneinander angepaßt sind. So bildet denn
jede vollentwickelte Kultur gleichsam ein 'Ge-
webe, in denn jeder (einzelne 'Faden den andern
stützt und hält und wieder in jedem andern
verfestigt und verfilzt ist; und wollte man
auch nur einen einzigen Faden ändern, so
müßte man das ganze Gewebe umweben.
Kurz, jeder Veränderung einer Einzelheit
stellt sich das ganze System mit all seinen
inneren organischen Widerständen entgegen.
Dieser enge und zähe Zusammenhang
der einzelnen Kulturfunktionen ist offenbar
dem Fortschritt ungünstig. Denn wenn es
auch1 nicht schwer ist, eine einzelne Ein-
richtung zu verbessern, so ist es aber fast
unmöglich, die gesamte Kultur plötzlich so-
zusagen umzuwehen und umzukrempeln. —
Wenn daher ein Fortschrittsfreund und ein
Fortschrittsgegner miteinander diskutieren, so
wird sich zwar der pegner von einer einzelnen
Verbesserung vielleicht überzeugen lassen, er
wird aber dann nachweisen, daß diese Ver-
besserung mit anderen bestehenden Ein-
richtungen nicht in Einklang zu bringen ist
und deshalb als verfehlt verworfen werden
muß. — Bedenkt man außerdem noch, daß
der Mensch von Natur ein durch und durch
konservatives Wesen ist, so wird es einem
fast unerklärlich, wie denn jemals ein Kul-
turfortschritt überhaupt hat stattfinden
können.
Ziehen wir nun zur Beantwortung dieser
Frage die Kulturgeschichte zu Rate, so sehen
wir, daß von allen soziologischen Funktionen
die Wirtschaft es ist, die den Menschen am
ersten noch zum Fortschreiten verlocken
kann. Denn ein wirtschaftlicher Fortschritt
bedeutet im allgemeinen eine Verbesserung
der materiellen Lage, und überall, wo dieser
Ton das Ohr des Durchschnittsmenschen
trifft, der Zauber des Besitzes, des klingen-
den Geldes oder auch nur der Wunsch rege
wird, aus der Enge und Not in ein reicheres
Leben hinauszukommen, da wird die an-
geborene Neophobie überwunden und die Bahn
des Fortschritts wird willig eingeschlagen.
So vollzieht sich denn in der Tat regel-
mäßig der Fortschritt zunächst und zuerst
auf dem Gebiet der Wirtschaft. Sobald aber
entscheidende oder erhebliche wirtschaftliche
Fortschritte gemacht worden sind, so ist das
ganze Kulturgewebe auseinandergerissen; das
Gleichgewicht des Kultursystems ist gestört,
und es tritt jetzt eine sogenannte „kritische"
Geschichtsperiode ein, wo alles in Unordnung
ist und wo nun eine Neuordnung aller
menschlichen Dinge Platz greifen muß.
Diese Neuordnung besteht dann darin, daß
alle soziologischen Funktionen : Familien- und
Staatsverfassung, Religion und Kunst, Er-
ziehung, Erbfolge, Recht, Moral usw. der
neuen Wirtschaft angepaßt, d. h. auf das
höhere Niveau der neuen Wirtschaft hinauf-
gehoben werden. Ist dieser Anpassungs-
und Umbildungsvorgang abgelaufen, so ist
die kritische Periode zu Ende, und eine
„stabile" Periode beginnt, d. h. eine neue
Kulturstufe ist erstiegen worden, die nun
langsam in den Einzelheiten wieder aus-
gebaut wird.
Daß wir uns gegenwärtig nicht in einer
stabilen, sondern in einer kritischen Periode
befinden, darüber wird wohl kein Wort zu
verlieren sein. Durch die Erfindung der großen
Arbeitsmaschinen, durch die Verwertung der
Kohle und des Dampfes, durch die hoch-
kapitalistische Organisation und den Welt-
handel ist unsere Wirtschaft zu neuen, höhe-
ren \Formen der Arbeitsvergesellschaftung
fortgeschritten, von denen man früher keine
Ahnung hatte. Und wir sind nun Zuschauer
des soziologisch fesselnden Prozesses, durch
den alle anderen Kultureinrichtungen dieser
veränderten Wirtschaftslage sich langsam, aber
unwiderstehlich anpassen, anpassen müssen.. —
So ist z. B. die Volkswirtschaft in Welt-
wirtschaft übergegangen, und parallel dazu
muß nun auch die nationale Organi-
sation in die internationale über-
gehen. Der Pazifismus ist daher in unserer
Zeit nicht, wie seine Gegner meinen, eine
wohlgemeinte Utopie, sondern eine sozio-
logische Notwendigkeit.
Aber die Entwicklung zum Pazifismus
wird auch hier wieder gehemmt durch Zu-
sammenhänge mit andern Kulturerscheinungen,
368
@]
DIE FRI EDENS -^*M2XE
von denen eine der wichtigsten die E r -
ziehung ist. Solange die Schule den
Kindern noch den alten, kriegerischen Geist
einhaucht, solange der Geschichtsunterricht
von fast nichts anderem, zu erzählen weiß, als
von siegreichen Monarchen, glorreichen
Kriegen und Schlachten, von heimtückischen
Erbfeinden und dergleichen, solange die Schule
noch vom Chauvinismus beherrscht wird, kann
die Friedensbewegung über ihre Gegner
schwerlich triumphieren. Denn wo die Ge-
müter nationalistisch überhitzt sind, da ver-
dampfen alle Vernunftgründe in nichts, und
sogar der Appell an den sonst so allmächtigen
„Nervus rerum" (Norman Angell) verhallt un-
gehört oder doch erfolglos.
Gerade aber in der Erziehung ist in den
letzten Jahren eher eine Verschlimmerung als
eine Verbesserung eingetreten; die rückläufige
Bewegung, die sich augenblicklich abspielt (wie
immer am Vorabend sehr großer Fortschritte),
hat auch die Schule ergriffen. Namentlich hat
in Deutschland das Erziehungssystem einen
starken militärischen Einschlag erhalten. —
Vor mir liegt eine kleine Abhandlung (Juli-
heft der „Freien Schulgemeinde" 1913), die
von Gustav Wyneken und Hans Reichenbach
verfaßt ist und diese neue Bewegung mit
aufmerksamem Blick Und feinem pädago-
gischen Verständnis verfolgt. Sie ist be-
titelt: „Die Militarisierung der deutschen
Jugend". Darin wird geschildert, wie im
Jahre 1911 der Jungdeutschlandbund ge-
gründet wurde, dem sich dann rasch zahl-
reiche Vereinigungen (Bund deutscher Jugend-
vereine, Akademischer Sportbund, Wehrkraft-
vereine, Pfadfinderbund usw.) anschlössen,
die die Jugend nach dem Vorbild der Armee
zu organisieren und den Knaben vater-
ländischen Geist, d. h. besonders auch den
Haß gegen andere Nationen und die Lust
am Kriege beizubringen bestrebt sind. Diese
Bewegung wurde von den Regierungen stark
gefördert und hat große Erfolge. So zählt
z. Bl der 1910 gegründete bayerische Wehr-
kraftverein heute 28 Ortsgruppen mit über
3000 Knaben, die von 322 Führern geleitet
werden, wovon 236 Offiziere sind. — Wenn
nun auch das Streben nach körperlicher Er-
tüchtigung der Jugend zu loben ist, so ist
es aber nicht die moralische Tendenz, die
damit verbunden wird. Ueber diese Tendenz
des Wehrkraft Vereins schreibt z. B;. Grat
Böthmer, einer der Führer des Vereins
(Jugend und Wehrkraft, S. 31) : „Wir müssen
aber, wollen wir nicht untergehen, an der alten
Forderung festhalten, daß der erste Gedanke
eines Jungen dem Vaterlande, sein erster Zorn
dem Feinde gehört, der es so oft bedroht
und verwüstet hat . . . Die lange Friedens-
zeit an sich, zunehmende Wohlhabenheit
wirken erschlaffend und verwässernd, einen
ganz gefährlichen Einfluß, der Gott sei Dank
auf die gesund und natürlich denkenden
Massen des Volkes weniger wirkt als auf einen
Teil der „Gebildeten", üben die internationalen
Friedensapostel aus; wie überempfindsame
Damen schildern sie nur die Scheußlichkeiten
der Schlächterei, nicht die gewaltige ideale
Kraft, die im Heldentod des höchsten wie
des einfachsten Mannes sich äußert; sie
machen uns wehrlos dadurch, daß sie die an
sich weichere Generation verhindern, dem
Kriege fest in die Augen zu schauen, der
kommen wird und muß und der furchtbarer
sein wird als alle seine Vorgänger."
Der Geist des 'militärischen Nationalismus
wird besonders vom Pfadfinderbund , vom
Kartell der deutschen Jugendwehren und dem
bayerischen Wehrkraftverein gepflegt. Die
politischen Bestrebungen dieser Vereine und
des Jungdeutschlandbundes im allgemeinen
faßt Wyneken treffend in folgende Sätze zu-
sammen :
1. Er macht Stimmung für jede Ver-
stärkung des Heeres und der Flotte.
2. Er macht Stimmung für eine kriege-
rische Auseinandersetzung Deutschlands
mit anderen Mächten und sucht die
Bestrebungen für internationale Ver-
ständigung verächtlich zu machen.
3. Er arbeitet der politischen Aktivierung
des Volkes, seiner Erziehung zur Be-
teiligung am politischen Geschehen und
zur Mitverantwortlichkeit dafür ent-
gegen, im Sinne eines militärischen Ab-
solutismus und völkischen Servilis-
mus.
„Seine »Vaterlandsliebe' erschöpft sich"
'sagt Wyneken) „in der "Vorstellung des
Kampfes gegen Nachbarvölker, des Helden-
todes in diesem Kampfe und der in unermüd-
lichen Hochrufen betätigten Anhänglichkeit
an das Herrscherhaus." Und diese Ge-
danken kehren immerfort wieder in den
von den Vereinen gesungenen und auch meist
selbstgedichteten Liedern, die, auch rein
literarisch genommen, eine betrübende Ge-
schmacklosigkeit und Unkultur verraten und
an poetischem Gehalt noch weit hinter den
Soldatenliedern zurückstehen. —
In diesem Geist soll also jetzt die
deutsche Jugend erzogen werden; und wie
empfänglich die deutsche Jugend für solche
Lehren ist, das kann man sich leicht vor-
stellen. So erzählt z. B. H. Reichenbach:
„Als die Jungen bei einer Moorkultur gerade
ein Stück Sumpfland umgruben, sagte einer
davon : ,Bei jedem' Erdkloß;, den wir mit dem
Spaten zerstießen, dachten wir, es wäre ein
Franzos', dem wir den Kopf zerschlugen".
Daß die neue Art der „Jugendkultur" so
rasche Erfolge hat, erklärt sich eben nicht
bloß daraus, daß die Bewegung von oben her
eine so kräftige Förderung findet, sondern
noch mehr dadurch, daß sie sich, an In-
stinkte wendet, die in jedem Menschen von
der Natur angelegt sind, die zwar durch die
Kultur vermindert oder veredelt werden,
aber gerade deshalb natürlich in der Jugend
369
DIE FßlEDEN5-^&DTE
;©
noch besonders stark in Tätigkeit sind. Die
beiden wichtigsten der hier in Betracht
kommenden Naturinstinkte kann man als
Fremdenhaß und als Kampftrieb be-
zeichnen.
Haß und Verachtung der Fremden und
des Fremden finden sich bei fast allen Völkern
der Erde, und sie sind um so stärker aus-f
geprägt, je tiefer ein Volk auf der Leiter der
Kultur steht. Ein jedes Volk hält sich für
das vorzüglichste, die anderen Völker dagegen
für minderwertig. Nach der Ansicht der
Eskimos z. B. mißlang dem Großen Geist sein
erster Versuch, einen Menschen zu machen,
vollständig, so daß daraus ein Europäer
wurde; erst der zweite Versuch gelang, und
nun brachte er einen Eskimo fertig. Die
armseligen Australneger halten die Weißen
für Arbeitssklaven, sich selbst aber für
Gentlemen, die sich keiner Arbeit unter-
ziehen dürfen, weil sie dafür zu vornehm sind.
Die Tschippewäh-Indianer haben das Wort :
„Dumm wie ein Weißer",, und Westermarck
hat in seinem Buch über die Entwicklung
der Moralbegriffe eine lange Liste ähn-
licher Aussprüche gesammelt, die zeigen, wie
sehr die Naturvölker von ihrer eigenen Herr-
lichkeit und Ueberlegenheit überzeugt sind.
Dieser Instinkt erhält sich auch auf viel
höheren Kulturstufen. Die Chinesen halten
sich für das Reich der Mitte, die Juden
für das auserwählte Volk, die Germanen-
schwärmer haben entdeckt, daß, alle Kultur
auf Erden von der nordischen Rasse her-
rührt, eine „Theorie", die schon Fritz Reuter
in die Worte zusammengefaßt hat : „Im
Anfang schuf Gott Möcklenbörg."
Der Ursprung dieses Naturinstinkts ist
leicht zu verstehen. Denn die Natur schuf
den Menschen als ein Herdenwesen, d. h. als
ein Individuum, das sich mit seiner Herde
oder Horde solidarisch verbunden fühlt, was
aber nur möglich ist, wenn es fremde Herden
mehr oder weniger verabscheut. Daher sind
alle Herdentiere den fremden Herden feindlich.
Eine Ameise, von einem Haufen in einen
andern versetzt, wird dort sofort in Stücke
zerrissen, selbst wenn sie von derselben Art
ist, und ähnlich verhält es sich mit den
Hunden, Rindern, Affen und fast allen rich-
tigen Herdentieren. — Für die Höherentwick-
lung der Kultur ist dieser Naturtrieb jedoch
ein Hemmnis; und daher vermindert er sich
bei wachsender Kultur. Je mehr die Völker
miteinander in Verkehr treten, je mehr sie
sich davon überzeugen, daß „hinterm Berge
auch noch Leute wohnen", um so deutlicher
wird ihnen, daß sie zwar nicht gleich sind,
aber in einem Verhältnis wechselseitiger
Ueberlegenheit zueinander stehen. Beim Kind
aber ist jener Trieb noch in ungehemmter
Kraft; ein richtiger amerikanischer Junge wird
z. B, bei jeder Gelegenheit die Behauptung
aufstellen: „American boys are the best"; und
wenn dem Kind solche Weisheit von Erwach-
senen, ja sogar von seinen Lehrern auch noch
bekräftigt wird, so erwacht das primitive
Herdentier im Kindergemüt wieder zu vollem
Leben. —
Der zweite Naturtrieb, den die neuchauvi-
nistische Bewegung zu ihren Zwecken miß-
braucht, ist der Kampf trieb. Ursprünglich
ist der Mensch bekanntlich ein Raubtier. Von
der Natur auf das Fleisch seiner Mitgeschöpfe
angewiesen, war er ungezählte Jahrtausende
lang ein Jäger, dessen wichtigste Beschäfti-
gung die Erlegung anderer Tiere war, und
auch das Fleisch seiner eigenen Rasse ver-
schmähte er nicht; auf einer gewissen Kultur-
stufe war der Kannibalismus bei allen
Völkern, wie Andr£e nachgewiesen, eine ganz
universelle Erscheinung. Je mehr die Kultur
fortschritt, um so wichtiger aber wurde das
Zusammenwirken der Menschen, und die ver-
gesellschaftete Arbeit wurde immer mehr die
Erzeugerin aller Werte, die das Leben ver-
schönern und veredeln und die Mutter aller
hohen Kultur. — Aber das Kind ist noch
ganz Natur. Im Knaben sehen wir — gemäß
dem biogenetischen Grundgesetz Häckels —
den Jagd- und Kampftrieb noch voll aus-
gebildet. Knaben jagen und haschen nach
allem, was da kreucht und fleucht, nach
Schmetterlingen, Vögeln und Fischen, ihre
Neck- und Rauflust ist wie bei allen Un-
gebildeten, Unkultivierten so groß, daß ihre
Lieblingsspiele Kampfspiele sind.
Kampftrieb, Rassendünkel, Fremdenhaß
sind also dem Menschen eingeborene Natur-
instinkte, kulturwidrige Triebe des Wilden, die
durch Erziehung und höhere Gesittung um-
gebildet werden müssen. Gerade diese In-
stinkte aber erleichtern in hohem Grade die
jetzt beabsichtigte Militarisierung der Jugend.
Das Kind, dessen rohe Naturinstinkte noch
nicht veredelt und vergeistigt sind, bietet da-
für ein nur allzugünstiges Objekt dar.
Nun ist von den Regierungen und Par-
lamenten, die ihre Unfähigkeit, der inter-
nationalen Anarchie zu steuern, durch das
denkbar gedankenloseste System — das Wett-
rüsten! — genugsam dargelegt haben, für die
Schule der Zukunft in absehbarer Zeit leider
kaum ein Verständnis oder eine Besserung
zu erwarten. Entscheidende Fortschritte
können vorläufig hier nur durch private Ini-
tative erstrebt werden. Ich möchte daher die
Pazifisten und Kulturfreunde, denen es ja nicht
gleichgültig sein kann, daß ihre Kinder nach
rückwärts, zur Unkultur erzogen werden, auf
die Freie Schul gemeinde Gustav Wynekens
aufmerksam machen.
In der Wyneken-Schule sind alle wich-
tigsten Forderungen, die von unsern großen
Schulreformern und pädagogischen Denkern
aufgestellt worden sind, harmonisch vereinigt.
Tener großartige Dichtertraum von der „pä-
dagogischen Provinz!", den uns Goethe im
Wilhelm Meister auseinandergesetzt hat, hier
ist er Wirklichkeit geworden. Die Schule liegt
370
@=
= DIE FRIEDEN5-WARXE
fern von der Großstadt auf dem Lande, wo
die Schüler in innigem Verkehr mit der Natur
aufwachsen. Körperliche Uebungen, Wande-
rungen und Sport sorgen für die Kraft und
Gesundheit des Schülers und zugleich dafür,
daß jene atavistischen Kampftriebe, die die
Jungdeutschen zur alten Wildheit reaktivieren
wollen, kultiviert, d. h. vom Willen zu
schaden befreit und durch die Vernunft ge-
regelt und beherrscht werden. Denn nicht
zum Kampf ums Dasein, wie das öde Schlag-
wort lautet, soll nach Wyneken der Mensch
erzogen werden, sondern zum Zusammenwirken
mit seinesgleichen, nicht zur Zerstörung, son-
dern zum Bau an dem großen Werke der
Kultur. — Der Unterricht findet statt nicht
auf Grundlage der Autorität und des blinden
Gehorchens, durch die jetzt Lehrer und
Schüler in zwei feindliche Lager gespalten
werden, sondern nach dem Prinzip der Selb-
ständigkeit und der „Selbsttätigkeit". An die
Stelle der Dressur und des Drills, des Ar>
hörens und papageienartigen Aufsagens ist die
eigene Anschauung und die eigene Tätigkeit
getreten, sowie der freie kameradschaftliche
Verkehr zwischen Lehrern und Schülern.
Ganz besondere Pflege wird in der Neu-
schule der Ausbildung des Charakters ge-
widmet, die in unserer Kultur leider so ent-
setzlich vernachlässigt wird, daß man, wie ich
glaube, sagen muß : für die Charaktererzie-
hung ist sogar bei den Wildvölkern, bei den
Eskimos und Indianern besser gesorgt als bei
unsern „Kultur"völkern (vgl. die Kriminal-
statistik, besonders die Zahl der jugendlichen
Verbrecher). Was schon Aristoteles wußte, in
der Wynekenschule ist es zur Tat geworden :
nicht durch Moralpredigten oder gar durch
religiöse Dogmen erzieht man den Charakter,
sondern gerade wie man das Schwimmen nur
im Wasser lernt, durch die Sittlichkeit der
Tat, durch die frühzeitige Gewöhnung, durch
die praktische Ausübung einer gerechten und
edlen Handlungsweise, die dann so in Fleisch
und Blut übergeht, zur Uebung und Gewohn-
heit wird, daß der Mensch gar nicht mehr
anders als anständig handeln kann. Daher
müssen Kinder sozial auf erzogen werden ;
durch wohlgeleiteten Umgang erziehen sie sich
selber und schleifen sich jene sozialen Un-
tugenden ab, deren allgemeine Verbreitung
gegenwärtig das Leben vielfach so häßlich
macht. Daher ist in der Wynekenschule das
Prinzip der Selbstregierung der Schüler
in der glücklichsten Weise durchgeführt
worden. Die Charaktererziehung wird außer-
dem noch gefördert durch die besondere
Pflege, die bei Wyneken die sogenannten Ge-
sinnungsfächer finden. Der geistlose, rein
äußerliche Geschichtsunterricht (Jahreszahlen)
ist durch die soziologische Betrachtungsweise
vergeistigt. Die Bürgerkunde üben sich die
Schüler in ihrer „Freien Schulgemeinde"
praktisch selber ein. Die schönen Künste,
besonders auch die Musik, werden nicht spiele-
risch, sondern mit tiefem Ernst betrieben, so
daß sie ihre veredelnde Macht voll ent-
wickeln können. An die Stelle des über-
wundenen Dogmenglaubens setzt Wyneken
eine Religion des Herzens, die die Kinder
zu Kulturträgern erzieht, zu Gliedern eines
großen Ganzen, einer wahren Kulturgemein-
schaft, und anstatt des blöden und rohen
Chauvinismus (der, wie schon der hl.
Augustinus wußte, nichts anderes ist, als der
Haß gegen andere Völker) lehrt er jenen
edlen „Kulturpatriotismus", der sich zwar mit
Begeisterung dem eigenen Volk hingibt, zu-
gleich aber in den andern Völkern gleich-
berechtigte Organe der zum höchsten stre-
benden Kulturmenschheit erkennt.
Trotz so hoher Anforderungen ist aber
Wyneken keineswegs der Anschauung, daß
die Jugend bloß als eine Zeit der Vorbereitung
betrachtet werden darf, sondern zugleich als
ein vollwertiger Abschnitt des Lebens, worin
der der Jugend so eigene Frohmut sich aus-
leben und auswirken kann. —
Alle diese Grundsätze hat Wyneken zu
einem harmonischen System vereinigt und in
verschiedenen, höchst wertvollen Schriften dar-
gelegt, so in den Wickersdorfer Jahrbüchern,
ferner in der jetzt im drtiten Jahrgang er-
scheinenden Zeitschrift „Die Freie Schul-
gemeinde", besonders aber kürzlich in einem
in außerordentlich schöner Sprache geschrie-
benen Buch: „Schule und Jugendkultur".
(Jena, Diederichs, 1913.)
Aber nicht nur in Worten, auch in Werken
hat Wyneken seine pädagogischen Ideen
durchzuführen gestrebt. Zunächst gründete er
unter großen Opfern und Anstrengungen die
„Freie Schulgemeinde" in Wickersdorf (in
Thüringen), und wie gut es ihm gelungen ist,
in jener Anstalt seine Absichten zu verwirk-
lichen, mag folgende Stelle zeigen, die aus
der Feder eines Wickersdorfer Studenten her-
rührt, und deren Inhalt für den Geist der
Wyneken-Schule bezeichnend ist: „Wenn ein
Abiturient der Freien Schulgemeinde Wickers-
dorf" (heißt es darin) „die Hochschule be-
zieht, so wird ihm mit voller Schärfe fühlbar
werden, was wir meinen, wenn wir der Hoch-
schule das Prädikat einer Kulturstätte ab-
sprechen. Wie ist er gewohnt zu leben? Er
hat bisher mit älteren und jüngeren zusammen
ein geregeltes Dasein geführt, hat mit ihnen
gearbeitet, Gymnastik und Sport getrieben, ist
mit ihnen im großen, lichten Speisesaal zu
Tisch gegangen, jede Mahlzeit ein kleines
Fest voll Regel und Rhythmus. Er ist mit
seinen Kameraden gewandert, hat mit ihnen
musiziert und Theater gespielt, hat mit
wachem Sinn teilgenommen an regelmäßigen
Vorlesungen und Musikabenden in größerer
oder kleinerer Gemeinschaft. Er ist gewohnt,
im engeren Kreis der selbstgewählten Kamerad-
schaft wie im Schülerausschuß und in der
alle umfassenden Schulgemeinde als ein freier,
371
DIE FRIEDENS -^/ABTE
G)
nur durch Satzungen und Sitte gebundener
Mensch mit eigener Verantwortlichkeit in
Rechten und Pflichten mitzusorgen durch Rat
und Tat für seine Kameraden, wie für das
Wohl des Ganzen. — Wo findet er auf der
Universität dergleichen?" —
Um einer großen Organisation einen
solchen Geist einzuhauchen, dazu bedarf es
einer genialen Persönlichkeit. Nur wer selbst
begeistert ist, kann andere begeistern, mit-
reißen. Eine solche Persönlichkeit ist
Wyneken. Keine Entbehrung war ihm zu
hart, keine Verfolgung seiner verständnislosen
Feinde (woran es ihm ebenso wenig fehlt wie
seinem großen Vorgänger Pestalozzi) war ihm
zu bitter, unentwegt hat er an seinem hohen
Ziel festgehalten. Mit der Ritterlichkeit des
Idealisten und zäher Energie verbindet er ein
fast kindlich naives Verständnis für die Jugend
und eine geniale pädagogische Begabung, mit
ihr umzugehen. Von ihm dürfen wir daher
wohl hoffen, daß es ihm gelingen wird, die
Menschheitsschule der Zukunft zu errichten,
die dann wie eine Akropolis höchster Kultur
in die Lande hinausleuchtet, als ein Vorbild,
dem überall in der Kulturmenschheit nach-
gestrebt werden kann.
Nun ist Wyneken mit einer Neugründung
beschäftigt, in der er in noch höherem Maße
das Ideal einer Kulturschule verwirklichen
will. Bereits ist ein von vielen fortschritt-
lichen und bedeutenden Männern unterzeich-
neter Aufruf an die Oeffentlichkeit ergangen.
Aber die pekuniären Mittel sind noch zu ge-
ring, um das Projekt Wirklichkeit werden zu
lassen. Ich glaube, daß alle Pazifisten und
alle, denen der Fortschritt der Kultur am
Herzen liegt, nichts Besseres tun können, als
diese neue Schule mit gründen zu helfen. Be-
sonders die Besitzenden unter den Kultur-
freunden dürften hier ein herrliches Gebiet für
die wahrhaft nutzbringende Verwendung ihrer
Reichtümer finden. Millionen sind zusammen-
geflossen, als es galt, Zeppelin zu [unterstützen ;
welche tatkräftige Hilfe hat Richard Wagner
gefunden ! Und diese Opferwilligkeit ge-
reicht den edlen Helfern gewiß zu hohem
Ruhme. Aber so groß die Werke jener
Männer waren, die Verwirklichung des
Wynekenschen Gedankens ist ungleich wich-
tiger für das Volk sowohl als für den Fort-
schritt der Kultur und für das Glück der
Menschheit. Denn die Schule Wynekens ist
der Zukunftstypus der eines Kulturvolkes
würdigen Jugendkultur, die früher oder später
unser jetzt noch so tief stehendes Schulwesen
zu ersetzen berufen ist. Und erst dann werden
wir ein wirkliches Kulturvolk sein, wenn wir
eine Schule besitzen, die fähig ist, aus dem
kindlichen Rohmaterial den Kulturmenschen
zu formen.
Kampf und Hilfe in der
untermenschlichen Lebewelt.
Von Dr. Paul Kammerer,
Privatdozent an der Universität Wien.
Seit Darwin ist es üblich geworden,
den Kampf ums Dasein als „Vater aller
Dinge" anzusprechen, ihn als Triebkraft des
Fortschritts anzusehen, die durch ihn be-
wirkte natürliche Auslese als ein-
zigen Entwicklungsfaktor anzuerkennen.
Doch verknüpft sich diese Auslegung zu
Unrecht mit dem Namen Darwins : rein
extensiv genommen, beansprucht allerdings
in Darwins Werken die Darstellung des
Kampfprinzips den breitesten Raum; doch
auch intensiv erfaßt, sind dafür die wenigen
Seiten, die Darwin in seinem Buch über die
Abstammung des Menschen dem Prinzip der
gegenseitigen Hilfe gewidmet hat,
um so entscheidender. Manches spricht
dafür, daß Darwin im Begriffe war, diesem
Antagonisten des Daseinskampfes eingehen-
des Studium zu schenken, an dessen Voll-
endung er durch den Tod gehindert wurde,
der ja stets dafür sorgt, daß Menschenwerk
Stückwerk bleibe. — Darwin hat also jeden-
falls bereits klar erkannt, daß von jedem
einzelnen Lebewesen zu jedem einzelnen
anderen nicht nur feindliche, sondern auch
freundliche Beziehungen geschlungen sind ;
und weiter ließ er die Höherentwicklung
nicht etwa bloßj vom1 Ueberleben des Passend-
sten, sondern ebenso von aktiver und
passiver Anpassung der Lebenden
untereinander und an ihre leblose Umgebung
abhängen.
Neben dem Hilfe- und Anpassungs-
moment bestand und besteht aber der Krieg
aller gegen alle in seiner Eigenschaft als
indirekte Triebkraft fortschreitender Ent-
wicklung zu Recht. — Fast wie Ueberfluß
erscheint an vorliegender Stelle der nur
nebenher gemachte Hinweis, daß jener Krieg
jedes einzelnen gegen jeden anderen selbst-
verständlich nicht, wie es oft geschieht und
worauf sich die sogenannten ,, sozialen Dar-
winisten" gern berufen, dem politischen
Krieg gleichgesetzt werden darf. Dieser
ist höchstens ein Spezialfall von jenem (ob-
schon er oft nicht positive, sondern negative
Auslese, Ueberleben nicht des Tüchtigsten,
sondern des Schlechtesten, bewirkt); noch
dazu ein Spezialfall, der sich in der Gesamt-
natur äußerst selten ereignet — außer beim
Menschen nur noch bei staatenbildenden In-
sekten. Von einer friedlich weidenden Rinder-
herde wird gewiß niemand behaupten, sie
führe soeben politischen Krieg: dennoch
steht sie mitten im Daseinskampf, weil jedes
Mitglied der Herde jedem anderen das Futter
schmälert.
372
<£
DIE FRIEDEN5-^*\RXE
Mit Rücksicht auf Ausnahmecharak-
ter und verheerende Wirkung kann man
den politischen Krieg als Unnatur und
verderbliches Laster bezeichnen, gleich Al-
koholismus oder ausgesucht scheußlicher
Sexualverirrung, — Phänomene, die eben-
falls in der „Kultur" der sozialen Haut-
flügler und Termiten wiederkehren : falls
man gelten läßt, daß es „Unnatur" über-
haupt gibt; denn schließlich ist alles, was
Natur gebiert, eben deshalb auch natürlich.
Daß der Einsiedlerkrebs seinen weichen
Hinterleib in leere Schneckenschalen steckt,
statt ihn nach Urvätersitte frei zu tragen
oder gleich den Schnecken ein arteigenes
Gehäuse abzusondern, könnte mit demselben
Recht als unnatürlich bezeichnet werden wie
etwa die Sodomie oder die Gewohnheit,
narkotischen Genußmitteln zu fröhnen : ja
jedes Abweichen über die Grenzwerte der
„normalen" Variationsbreite, jede sprung-
hafte Variation erscheint zunächst na-
turnotwendig (wenigstens im engen Be-
trachtungskreise des Menschen an seinem
Mitmenschen) als Unnatur. Unnatur in
diesem Sinne und im höchsten Grade, aber
nicht adaptiver, sondern destruktiver Be-
schaffenheit, keine Anpassung, sondern
pathologische Variation der In-
stinkte, ist ganz gewiß der politische
Krieg, der denn auch letzten Endes mit
Schädigung des Angreifers und selbst des
Siegers ausgehen muß. — —
Ich erwähnte soeben den Einsiedler-
krebs und seinen Trieb, den ungepanzerten
Hinterleib durch ein Schneckenhaus zu
schützen; wenn der Krebs von dessen Ihnen-
räumen Besitz ergreift, haben oft schon
andere Lebewesen, wie Seeanemonen, stock-
bildende Polypen, Schwämme, Algen u. dgl.,
dessen Außenflächen besetzt. Dann ent-
wickelt sich zwischen diesen festsitzenden
Organismen und dem unrechtmäßigen In-
haber des Gehäuses ein wechselseitiges
Trutzbündnis im Daseinskampf, sog. Sym-
biose: für alle jene an die Unterlage ge-
fesselten Geschöpfe ist es von großem Vor-
teil, wenn der Krebs die ihnen fehlende
Ortsbewegung in seine eigene Regie über-
nimmt, sie in immer neues Atem- und Nähr-
medium trägt; und der Krebs seinerseits er-
fährt durch den botanischen oder zoologischen
Garten auf seinem Wohnhaus gelungene
Maskierung oder andere wirksame Unter-
stützung — so in Gestalt brennender Nessel-
batterien der Polypen und Seeanemonen, und
in Gestalt von Erweiterungsbauten zum Ge-
häuse, die von gewissen Seeanemonen und
Schwämmen geleistet werden und dem heran-
wachsenden Krebs zeitweise oder für immer
den lästigen und gefährlichen Umzug in
größ-ere Gehäuse ersparen.
Solche „Symbiosen" — zwischen
Tier und Tier, Tier und Pflanze,
Pflanze und Pflanze*) — hat uns die
Natur in beträchtlicher Zahl gleichsam als
Schulbeispiele vor Augen geführt, als Pa-.
radigmen, die im Kleinen und Faßlichen
dieselben Regelmäßigkeiten gegenseitiger
Hilfe aufweisen, wie sie im Großen und
schwer Ueb erblickbaren die gesamte Lebe-
welt beherrschen. So gibt es (um nur
noch ein Exempel anzuführen) eine Menge
Tierarten, auf oder sogar in deren Körper
sich einfache, blattgrünhältige Pflänzchen,
die Algen, niedergelassen haben, wie z. B.
in den Zellen des inneren Keimblattes bei
unserem gemeinen grünen Süßwasserpolypen.
Der Hauptvorteil herüber und hinüber be-
steht hier im zweckmäßigen Gasaus-
tausch: wenn das Tier atmet, verbrennt
es den Kohlenstoff seiner Gewebe mit dem
eingeatmeten Sauerstoff zu Kohlendioxyd',
das, von den in ihm lebenden Algenzellen
gierig aufgenommen, neuerdings in Kohlen-
und Sauerstoff gespalten wird. Ersteren
verwendet nun die Alge zum Bau ihres
eigenen Leibes, letzteren gibt sie großenteils
den tierischen Zellen zurück, die davon
abermals ihren Respirationsbedarf bestreiten.
Das ist, nur auf engerem Räume zusammen-
gedrängt, dasselbe Wechselverhältnis zwischen
Sauerstoffproduzenten und Kohlensäure-
konsumenten einerseits, Sauerstoffabnehmern
und Kohlensäurespendern andererseits, wie es
sich in der gesamten Vegetationsdecke der
Erde und der sie besiedelnden Tierwelt
abspielt. Nur mußt hier die Atmosphäre
(Atemluft oder lufthaltiges Wasser) als ver-
mittelndes Medium benutzt werden, der
inneren Gewebsatmung eine äußere Atmung
(Luftaufnahme durch Lungen, Kiemen, Spalt-
öffnungen usw.) vorangehen, während im be-
schriebenen Symbiosefalle sich all das ganz
oder fast ganz auf die Innenwelt des Or-
ganismus beschränkt. Er kann der äußeren
Atmung und daher besonderer Atmungs-
organe so gut wie völlig entbehren und
empfängt seine Lebensluft aus erster Quelle
gleich an Ort und Stelle: in den atembedürf-
tigen Zellen. selber. Der ökonomische Nutzen
der engeren Symbiose gegenüber der fernen
Wechselwirkung ist ungefähr vergleichbar
demjenigen Nutzen, wenn Kohle und Eisen
im selben Lande gewonnen werden, statt
erst langwieriger Transporte zu bedürfen,
um eine (dann entsprechend verteuerte)
Industrie zu ermöglichen.
Ein analoger Kreislauf, der je nach Nähe
der austauschenden Partner in gradweisen
Abstufungen größer oder kleiner, langsamer
oder rascher ausfällt, läßt sich ebenso für
*) Ausführliche Zusammenstellung der meisten,
bis 1910 beschriebenen Fälle bei Kammerer,
„Genossenschaften von Lebewesen auf Grund
gegenseitiger Vorteile", 120 Seiten, 8 Bilder-
tafeln; Stuttgart, bei Strecker & Schröder, 1913.
— Daselbst weitere Literatur.
373
DIE FRIEDENS -WAGTE =
3
die Wanderung des Stickstoffes, des wichtig-
sten Gewebebildners, nachweisen, und ebenso
für jedwedes Element, woraus die lebende
Substanz sich aufbaut. Die Symbiosen sind
also nicht, wie man früher wohl glaubte,
sporadische Seltenheiten, vereinzelte Schau-
stücke im1 Kuriositätenkabinett der Natur,
sondern sie sind nichts weiter als aus-
nehmend lehrreiche Sonderfälle und in
diesem Sinne allerdings Prunkobjekte von
Gesetzmäßigkeiten, die den ganzen be-
lebten Planeten umfassen — - sie sind gleich-
sam Monogramme der allgewaltigen P a n -
symbiose, die Groß und Klein, Hoch
und Niedrig zu nutz- und friedvoller mutueller
Anpassung zwingt ! —
Werfen wir noch einen Blick auf diel
Tier - Algensymbiosen oder, was prinzipiell
dasselbe, auf die als „Flechten" be-
kannten Pilz -Algen Symbiosen : bei vielen
Arten muß die Genossenschaft von Gene-
ration zu Generation erneut werden — jeder
von den das Doppelwesen (oder Mehrfach-
wesen) konstituierenden Organismen vermehrt
sich auf eigene Faust und verbringt seine
früheste Jugend noch ohne den Teilhaber.
Große Häufigkeit des Vorkommens nebst
manch anderer biologischen Erleichterung
fügen es in überragender Mehrzahl der Fälle,
daß sich die Partner bald wieder begegnen
und den Rest ihres Lebens, dessen größere
und bessere Hälfte, miteinander verkettet zu-
bringen. Zahlreiche andere Arten jedoch be-
dürfen nicht mehr der Neuinfektion
mit dem symbiotischen Organismus: bei-
spielsweise wandern die Algen des grünen
Polypen bei Tageslicht aus der Innenschicht
des Körpers in die sich innerhalb seiner
Außenschicht bildenden Eier ein; und wenn
die Eier abgeschnürt, abgelegt werden, so
hat der junge Polyp, der aus ihnen hervor-
gehen wird, bereits einen Vorrat von sauer-
stoffspendenden Algen für sein ganzes Leben
und mittelbar das aller seiner Nachfahren
mitbekommen.
Weiter ist die Frage zu erörtern, wie eine
Symbiose, die sich gegenwärtig, unabhängig
von der Außenwelt einrichtet und auto-
matisch erneuert, ursprünglich zustande-
gekommen sein mag. Die Eigenschaft, sich
mit einem völlig fremdartigen Lebewesen so
zu vereinigen, daß beide fortan wie ein ein-
ziges funktionieren, ist offenbar jeder be-
liebigen anderen, körperlichen oder psy-
chischen Eigenschaft gleichwertig zu er-
achten : sie bildet ein Charakteristik
kum der Art ebensogut, wie z. B. die
Fangarmzahl, bestimmte Größe, Form usw.
des Süßwasserpolypen. Nun sollen die Art-
merkmale laut den „Neu-Darwinianern" und
„soziologischen Selektionisten", die vorgeb-
lich unter Darwins Flagge segeln, als feste
Anlagen i,m Keimstoff von jeher
gegeben sein; in jedem Individuum ent-
falten sie sich aus ihren Anlagen aufs neue,
ohne in umgekehrter Richtung vom Körper
des Individuums her beeinflußt werden zu
können. Veränderung jener starren Eigen-
schaf tsanlagen oder Erbeinheiten sei nur
durch Vermischung der Keimstoffe bei der
Kreuzung sowie durch Auslese des Taug-
lichsten bei der Zuchtwahl möglich.
Wie stellen sich zu diesem neo-
darwinistischen Dogma die erblichen
Vergesellschaftungen heterogener
Lebewesen ? Kann die Pflanzenzelle, die am
Körper des Polypen seine grüne Färbung
entfaltet, in dessen Keimplasma auch schon
„vom Schöpfungstage an" enthalten gewesen
sein ? Eine dahinzielende Behauptung würde
dem gesunden Verstände geradeswegs ins
Gesicht schlagen : die Vereinigung von Polyp
und Alge, von Tier und Pflanze muß ganz
im Gegenteil ein Erzeugnis verhältnismäßig
später Epoche sein — kann keine von Be-
ginn angeborene, sondern muß eine er-
worbene Eigenschaft, eine direkte An-
passung sein. Auf dem Wege zu ihrer
Vollendung, zur intrazellulären Durchdrin-
gung zweier fremder Lebensformen bezeich-
nen jene vorhin skizzierten Arten freund-
nachbarlichen Zusammenlebens nur ebenso-
viele Uebergangsstationen von primitiver zu
stets vollkommenerer Zweckmäßigkeit und
Innigkeit : zuerst das gemeinsame Wachsen
im gleichen Milieu, aber noch durch das
Lebensmedium (Luft oder Wasser) mehr oder
weniger weit getrennt; dann das Wachsen
neben-, auf- und ineinander; das Ineinander-
wachsen zwischen den Geweben und endlich
in den gewebebildenden Elementarbausteinen,
den Zellen selbst . . . Die Anpassung ge-
langt zum Gipfel, indem die Partner zu guter
Letzt nicht bloß den Instinkt, die Neigung
zur Erneuerung der Freundschaft in jeder
folgenden Generation vererben, sondern indem
sie gleich den Freund selber erben: der
Transport grüner Algenzellen in die Eizelle
des Polypen gewährt uns, obschon es sich
eigentlich dabei nur um das Uebertreten
eines Fremdkörpers, vergleichbar dem eines
künstlich beigebrachten Farbstoffes, handelt,
sicher wenigstens ein anschauliches Bild
davon, wie frisch erworbene Anlagenstoffe
einer neuen körperlichen Eigenschaft in den
Keim übertragen werden mögen.
Noch könnte man einwenden: der Trieb,
sich mit anderen Lebewesen zu verbünden,
sei vielleicht als präformierte Anlage seit
je Eigentum der lebenden Substanz, des kei-
menden Stoffes gewesen, und sie sei dann
durch Zuchtwahl, also ohne Vererbung er-
worbener Eigenschaften, gesteigert und zu
ihren jeweiligen besonderen Ausdrucksformen
differenziert worden. Dieses Einwurfs mußte
gedacht werden, weil er tatsächlich fort-
während gegen erbliche Anpassungen jeder
Art erhoben wird; in Wirklichkeit ist er
heute bereits zum Anachronismus ge-
worden, weil (von Gegnern der Vererbung er-
374
<§]
= DIE FRIEDENS -^VARTE
worbener Eigenschaften!) unwiderleglich ex-
perimentell nachgewiesen ist, daß die Zucht-
! wähl nur herausarbeiten kann, was
schon besteht; nur reiner isolieren, von un-
zweckmäßigen Beimengungen befreien, was
in vollem Umfange schon vorhanden ist —
aber daßi sie niemals Neues zu schaffen
oder etwas aus dem Alten in neue Höhen
zu steigern vermag. Sie gleicht dem
geologischen Hammer, der eine Versteine-
rung aus umgebendem Gestein nur heraus-
klopft (und sie in ungeschickter Hand auch
leicht zertrümmert), aber nicht dem Meißel
des Bildhauers, der eine Statue aus rohem
Marmorblock durch schöpferische Linien-
führung erst erzeugen muß. Zuchtwahl kann
also am Zustandekommen der Symbiose nur
insofern beteiligt sein, als sie innerhalb
einer Art diejenigen Individuen begünstigte,
die sich rechtzeitig eines Bundesgenossen
versichert hatten; so daß schließlich nur
mehr symbiotisch lebende, den Symbiose-
trieb ihren Nachkommen weitergebende In-
dividuen im Daseinsstreite übrig blieben.
Die erstmalige Entstehung der
Symbiose und des dazu führenden Instinktes
aber bleibt durch Zuchtwahlwirkungen voll-
kommen unerklärt. — So ist denn nur
die andere, erste Annahme übrig, daß es
die Einflüsse der Umgebung sind,
die den Lebewesen ihre Hilfsinstinkte auf-
prägten, und daß' sodann diese erworbenen
Gewohnheiten samt ihren formgebenden
Folgeerscheinungen erheblich fixiert wurden.
Vielleicht darf ich ein andermal den
ebenfalls leicht zu führenden Nachweis er-
bringen, daß ebenso, wie die Symbiose wei-
testen Sinnes (die allgemeine gegenseitige
Entwicklungshilfe) ohne Vererubng er-
worbener Eigenschaften nicht verständlich
würde; so auch umgekehrt diese Vererbung
ohne Symbiose engsten Sinnes (das Zusammen-
leben und Zusammenwirken der Teile in
EinzelindividuumJ und ihre gegenseitige Beein-
flussung durch innere Sekretion) nicht
erklärbar wäre. Gestalten sich aber Anpassungs-
erbe und erbliche Symbiose in ihrer Kumulation
als wechselseitige Entwicklungshilfe zur
machtvollsten Triebkraft des Fortschritts im
Pflanzen- und Tierreich, so 'sollte die Mensch-
heit ihrer (ebenfalls auf Darwin zurück-
gehenden) Einordnung in die Lebensreiche
eingedenk bleiben und sich rechtzeitig dessen
bewußt werden, daß immer für sie gilt,
was für die übrige Natur bindend ist : wenn
der Daseinskampf beansprucht,
VaterallerDingegenannt, — so darf
die Daseins hilfe mit mindestens
demselben Rechte fordern, als
Mutter aller Dinge gerühmt zu
■werden!
Die französischen Sozialisten
und die Verständigung mit
Deutschland.
Von Herrn. Fernau, Paris.
Das Hemmnis, das seit 42 Jahren nicht
nur eine Annäherung Frankreichs und
Deutschlands verhindert, sondern das auch
die Riesenrüstungen verursacht und so recht
eigentlich die gesamte europäische Politik
vergiftet, heißt Elsaß-Lothringen. In den
Augen der meisten Zeitgenossen ist dieses
Hemmnis zur Verständigung und Gesundung
Europas so groß und unüberwindlich, daß
sie am liebsten überhaupt nicht davon
sprechen. Ja> viele glauben auch heute
noch (42 Jahre nach 1871), daß» es einen
Krieg bedeuten würde, wenn beide Länder
eine ernsthafte Diskussion über Elsaß.-Loth-
ringen eröffnen wollten. Also haben beide
Nationen es vorgezogen, über Elsaß'-Loth-
ringen zu schweigen und finster und miß-
trauisch auf die Verteidigung resp. die Zu-
rücknahme des Zankapfels zuzurüsten.
Und diese peinliche Zurückhaltung und
Rücksichtnahme wird nicht etwa nur von
den Diplomaten und Großmachtpolitikern
geübt. Nein, bis in die Kongresse der Pa-
zifisten und Sozialisten hinein wurde bisher
die Diskussion über das heikle elsaß-loth-
ringische Problem sorgfältig umgangen. Als
zum Beispiel die erste deutsch-französische
Verständigungskonferenz der Parlaments-
mitglieder in Bern in ihre Resolution den
Satz aufgenommen hatte: ,,Die Konferenz
dankt von Herzen der vom Volke gewählten
Vertretung Elsaß-Lothringens, daß sie durch
ihre hochherzigen Erklärungen die Annähe-
rung beider Länder zu einer werktätigen Ge-
meinschaft der Zivilisation erleichtert hat",
da erklärte sofort der Abgeordnete Thalamas
(und mit ihm ein halbes Dutzend seiner
Parteigenossen), daß in dieser — doch ge-
wiß harmlosen — Erklärung eine stillschwei-
gende Anerkennung des 1871 von Deutsch-
land vollführten Gewaltaktes liege, und daß
er eine solche Erklärung nie unterzeichnen
werde. — Dieser Vorfall zeigt uns, wie über-
aus empfindlich man in Frankreich selbst
noch in jenen Kreisen ist, in denen es1 durch-
aus nicht am guten Willen zur Verständigung
mit Deutschland fehlt (Herr Thalamas ge-
hört zum äußersten linken Flügel der radikal
sozialistischen Partei Frankreichs).
Wenn wir nun diese besondere Empfind-
lichkeit des französischen Volkes in Sachen
Elsaß-Lothringens berücksichtigen, dann wird
uns sofort klar, daß eine Diskussion über
dieses Problem ohne Gefahr einer argen
Verschnupfung in Frankreich nicht von
Deutschland begonnen werden kann. An-
dererseits aber muß mit dieser Dis-
kussion endlich begonnen werden, wenn wir
375
DIE FRIEDENS-VAQTE =
=§>
nicht in alle Ewigkeit hinein in der po-
litischen Spannung mit Frankreich fortleben,
das heißt, dem bewaffneten Frieden immer
ungeheurere Opfer bringen wollen.
Aus diesen Gründen werden wir es daher
als Deutsche dankbar begrüßen, wenn die
französischen Sozialisten heute endlich das
von Gambetta diktierte Stillschweigen über
die elsaß-lothringische Frage brechen und
freimütig ihre Landsleute zu einer fried-
fertigen Lösung dieses folgeschweren Pro-
blems auffordern.
Zwei bedeutungsvolle Bücher haben diese
Frage neuerdings in Frankreich zur Dis-
kussion gestellt. Sie sind beide von nam-
haften Sozialisten verfaßt. Sie wollen beide
dasselbe: die Verständigung mit Deutsch-
land; aber sie wollen es auf zwei verschie-
denen Wegen. Das eine hat den bekannten
Antimilitaristen Gustave Herv£ zum .Ver-
fasser und ist soeben unter dem Titel „El-
saß-Lothringen und die deutsch-französische
Verständigung" in deutscher Uebersetzung
im Verlage von Duncker & Humblot in Mün-
chen erschienen. Das zweite stammt von
dem Pariser Abgeordneten Marcel Sembat
und führt den ironischen Titel: „Faites un
Roi, sinon faites la Paix".
Herve" stellt zunächst fest, daß seine
bisherige Art, den Krieg zu bekämpfen (die
Insurrektion und der Generalstreik der Pro-
letarier als Antwort auf eine Kriegserklä-
rung) schon deshalb Fiasko gemacht hat,
weil die deutschen Sozialisten diese hals-
brecherische Taktik, die ihnen auf mehreren
Kongressen zur Annahme vorgeschlagen
wurde, nicht angenommen haben. Um also
den Krieg auf andere Art unmöglich zu
machen, fordert er die Verständigung mit
Deutschland. Diese Verständigung ist seiner
Meinung nach nur möglich, wenn man sich
mit Deutschland vorerst über Elsaßi-Loth-
ringen s o einigt, daß diese Einigung der
französischen Nationaleigenliebe und Empfind-
lichkeit einige Befriedigung gibt. Eine
deutsch-französische Verständigung ist also
nur denkbar, wenn man zunächst den
Zankapfel, Elsaß-Lothringen, beseitigt; da-
gegen werden alle Verständigungsversuche,
die ohne Rücksicht auf Elsaß-Lothringen an-
gestrebt werden, immer wieder an dem
1870/71 gekränkten Nationalhochmut des
französischen Volkes scheitern.
Ganz anders Marcel Sembat : Wir haben
schon zu lange geschwiegen und geschmollt,
sagt er seinen Landsleuten. Die Fragte ist,
ob Deutschland überhaupt noch ein Interesse
daran hat, sich mit uns zu verständigen. Ich
glaube nicht. Je mehr die Zeit fortschreitet,
um so mächtiger wird Deutschland, um so
weniger braucht es unsere Freundschaft.
Wollt ihr euch mit ihm verständigen, dann
stellt keine Bedingungen; verzichtet auf jede
Forderung an Deutschland (zum Beispiel
wird die Autonomie für Elsaß-Lothringen,
die Herv6 als deutsche Konzession an den
französischen Nationalhochmut fordert, den
Reichslanden von der deutschen Regierung
ganz von selbst gegeben werden, sobald ein-
mal eine Annäherung an Frankreich erfolgt
ist). Wie, ihr trotzt ? Ihr rüstet ? Die Re-
publik darf nicht trotzen und rüsten. Es
gibt nur zwei Wege: Entweder ihr versöhnt
euch bedingungslos mit Deutschland und
rüstet ab, oder ihr trotzt und rüstet weiter,
und in diesem Falle ist eure Republik ein
Widersinn. In diesem Falle macht einen
König, denn ihr wollt augenscheinlich den
Krieg. Und einen erfolgreichen Krieg könnte
nur ein König führen. Die Republik da-
gegen ist die Versöhnung mit Deutschland
und der Frieden. Wählt !"
* „, *
Das Bedeutungsvolle dieser beiden Bücher
liegt, wie gesagt, zunächst darin, daß einige
französische Sozialisten jetzt, nach vierzig-
jährigem Schweigen, endlich den Mut finden,
mit solchen für den entzündlichen fran-
zösischen Volkscharakter höchst „gefähr-
lichen" Thesen vor ihre Landsleute zu
treten, dann aber auch in zwei anderen Tat-
sachen :
Erstens fordern beide Bücher zur Neu-
bildung des „Linksblockes" auf und schlagen
als Hauptprogrammpunkt dieses neuen Re-
gierungsblocks die Verständigung mit
Deutschland vor.
Zweitens wird uns mit diesen Büchern
der Beweis geliefert, daß die französischen
Sozialisten ihre marxistischen Dogmen in
Sachen des Krieges allmählich fallen lassen.
Zu diesen beiden Punkten sind einige
Kommentare unerläßlich :
1. Der neue Block aller Linksparteien
ist im Keime bereits auf der Berner Kon-
ferenz gebildet worden. Radikale und So-
zialisten fanden sich hier mit den gleichen
Idealen und Forderungen auf einem gemein-
samen Terrain zusammen, und die Anwesen-
heit von vier ehemaligen französischen Mi-
nistern und wahrscheinlichen Ministern von
morgen (Augagneur, Couyba, Boncour,
Raynaud) ist in diesem Sinne sehr viel-
versprechend. — Ein solcher Regierungs-
block bestand in Frankreich schon (als Folge
der Dreyfusaffäre) von 1899 bis 1905 unter
der Führung von Waldeck - Rousseau und
Combes. Er hatte damals ein antiklerikales
Kampfprogramm, und Frankreich verdankt
ihm mehrere durchgreifende Reformen
(Trennung von Kirche und Staat, Verbot
der Unterrichtstätigkeit für religiöse Orden,
Herabsetzung der Dienstzeit von drei auf
zwei Jahre usw.). Leider aber wurde dieser
Block auf Betreiben der deutschen Marxisten
hin aufgelöst, denn der internationale 'So-
zialistenkongreß von Amsterdam hatte die
vom berühmten Dresdener Kongreß
kommende Parole ausgegeben : Keine Kom-
promisse mit bürgerlichen Parteien. — Heute-
376
<^r
= DIE FRIEDEN5-^M&BXE
beginnen die französischen Sozialisten end-
lich einzusehen, daß= die Auflösung dieses
Blocks einem Parteidogma zuliebe ein
schwerer taktischer Fehler war. Wenn näm-
lich die nationalistische Reaktion seit einiger
Zeit wieder in Frankreich zu triumphieren
beginnt (Wiedereinführung der Militärfackel-
züge, der dreijährigen Dienstzeit, Ueber-
schwemmung der Theater mit hurrapatrioti-
schen Rührstücken, Hetzereien gegen den
deutschen Import, Vorfälle in Nancy usw.),
dann ist dies eine wesentliche Folge der
Auflösung resp. Kräftezersplitterung des
Linksblockes. Von den Sozialisten zu Fall
gebracht, kann dieser Block nur wieder von
•den Sozialisten neu gebildet werden. Und
deshalb fordern Herve und Sembat (und mit
ihnen Jaures) ihre Parteigenossen für die
nächsten Wahlen (Mai 1914) auf, sich mit den
bürgerlichen Linksparteien zu verständigen,
um die Reaktion zu Fall zu bringen, die
politische Herrschaft zu gewinnen und . . .
die Verständigung mit Deutschland an-
zustreben.
2) Das marxistische Dogma in Sachen
des Krieges lautet bekanntlich so: Der
Krieg ist eine notwendige Folge der kapi-
talistischen Wirtschaft und kann nur mit
dieser enden ; solange der Kapitalismus re-
giert, solange wird es Kriege geben, und
solange hat es keinen Zweck, gegen den
Krieg anzukämpfen. — Inwieweit heute die
französischen Sozialisten von diesem Dogma
abgekommen sind, darüber gebe ich Gustave
Herve selbst das Wort. Aus dem Auszug
<les Herveschen Buches, den die Friedens-
Warte in dieser Nummer veröffentlicht, wird
der Leser ersehen, wie Herve gegen jene
Parteigenossen polemisiert, die auch heute
noch unentwegt an ihrem marxistischen
Dogma festhalten. Und es ist kein als
Reformist bekannter Sozialist, der so von
den Ursachen des Krieges spricht. Sondern
es ist der Mann, der in Frankreich den
äußersten linken Flügel der sozialistischen
Partei befehligt. Zeichen der Zeit: Der So-
zialismus beginnt auf seine doktrinäre Eigen-
brödelei zu verzichten; er will endlich auch
in der internationalen Politik praktische Ar-
beit leisten. Da, wo er vor einigen Jahren
noch hartnäckig nur die Abschaffung der
kapitalistischen Wirtschaft forderte, fordert
er heute bereits die Verständigung zweier
Kulturvölker auf dem Boden der gegen-
wärtigen politischen Zustände. Der So-
zialismus verzichtet auf seine metaphysischen
Dogmen. Er will nicht länger unfruchtbar
bleiben.
Mit der Uebersetzung des Herveschen
Buches ins Deutsche wünschte ich meinen
Landsleuten im allgemeinen und meinen so-
zialistischen Landsleuten im besonderen vor
Augen zu führen, welche hoffnungsvollen
Strömungen uns heute von der anderen Seite
der Vogesen her entgegenkommen, um das
große Versöhnungswerk zu ermöglichen. Frei-
lich haben auch hier wieder die Franzosen
den ungeheuren Vorzug vor uns, daß sie
sich nur unter sich zu verständigen
brauchen, um in ihrer Demokratie die po-
litische Macht zu erlangen und ihr Programm
durchzusetzen. Es besteht kein Zweifel, daß,
wenn sich die Linksparteien auf ein solches
Programm hin einigen, die Wähler dieses
Programm des neuen Blocks mit großer
Mehrheit gutheißen werden. Von der fran-
zösischen Seite wären dann alle Hindernisse
zu einer freundschaftlichen Diskussion mit
Deutschland aus dem Wege geräumt.
Zu dieser Diskussion aber gehören zwei.
Die Frage ist, ob wir auch in Deutschland
endlich jenen großen Linksblock werden
bilden wollen und können, von dem man
schon seit Jahren redet, und der bisher leider
auf der einen Seite an der Lendenlahmheit
des deutschen Liberalismus und andererseits
an der Dogmatik des Sozialismus gescheitert
ist. Dieser Block würde auch in Deutschland
die Mehrheit der Wähler für sich haben.
Und wie die Dinge liegen, gibt es kein
anderes Mittel, um die deutsche Regierung
zu jenen Konzessionen (die Autonomie für
Elsaß-Lothringen usw.) zu zwingen, auf
Grund deren allein eine Verständigung mit
unseren Nachbarn möglich wird. Wenn das
Herv^sche Buch in deutscher Uebersetzung
imstande wäre, dieses Hauptproblem der
heutigen internationalen Politik allen liberalen
und sozialistischen Parteiführern Deutsch-
lands recht eindringlich vor Augen zu führen,
dann wird es nicht umsonst geschrieben und
übersetzt worden sein.
Ein französischer Sozialist
über die Ursachen zum Kriege.
Wir haben heute das Vergnügen, mit
Genehmigung der Herren Verleger einen Aus-
zug aus dem Gustave Herveschen Buche
,,1'Alsace-Lorraine" zu veröffentlichen, das von
unserem Mitarbeiter Herrn. Fernau ins
Deutsche übersetzt und soeben in Mün-
chen*) erschienen ist. — Als erster fran-
zösischer Sozialist hat Gustave Herve das
elsaß-lothringische Problem auf dem letzten
nationalen Kongreß der französischen So-
zialisten in Brest zur Diskussion gestellt. Von
diesem Kongreß berichtend, bespricht Herve"
die Einwände, die man gegen seine Ver-
ständigungsvorschläge vorgebracht hat, und
schreibt :
*) Gustave Herve, „Elsaß-Lothringen und die
deutsch-französische Verständigung", aus dem
Französischen übersetzt und mit einem Vorwort
versehen von Herrn. Fernau. Verlag Duncker
& Humblot, München. In eleganter Ausstattung
3 Mark.
377
DIEFßlEDEN5-^/ADTE 5
;§>
Man darf tausend gegen eins wetten,
daß, wenn diese Frage (der deutsch-fran-
zösischen Verständigung) auf dem nächsten
Kongreß der französischen Sozialisten dis-
kutiert werden wird, dieser sich weder durch
die Einwände Mistrals, noch durch die von
Bracke oder Pressens6 aufhalten lassen wird.
Diese alte Leier, daß die Kriege das Er-
gebnis des kapitalistischen Regimes sind, daß
sie so lange dauern werden als dieses, hat
die sozialistische Partei, leider, schon lange
vor dem Kongreß^ in Brest hören müssen.
Gewiß sind die wirtschaftlichen Kon-
flikte Und Interessengegensätze in Europa
und in den Kolonien — ungerechnet die
chauvinistischen Herausforderungen der von
den Kanonenhändlern und Panzerplatten-
lieferanten bestochenen kapitalistischen
Presse — am Ursprung aller Kriege. Aber
wie kann man wagen, wenn man die großen
Nationalitätenkriege betrachtet, die das
ganze 19. Jahrhundert mit Blut befleckt
haben, sowie die nationalen Kriege, die so-
eben vor unseren Augen den Balkan ver-
wüstet haben — um vielleicht morgen auch
Zentraleuropa zu verwüsten — , wie kann
man es wagen, sage ich, auf einem
sozialistischen Kongresse diese
grobe Auslegung des historischen
Materialismus von Marx zu ent-
wickeln, die nichts als eine gro-
teske Verzerrung des Marxismus
ist? Denn die Albernheit ist in der so-
zialistischen Partei doch hoffentlich noch
nicht bis zu jenem Grade entwickelt, wo
man uns glauben machen könnte, daß' man
sich im Balkan einzig und allein für die ser-
bischen Schweine geschlagen hat oder um
den Kanonen- und Geschützhändlern Ver-
gnügen zu machen. Es ist unmöglich, daß
sie so blind ist, um nicht zu begreifen,
welche tief populären und sentimentalen
Gefühle beim Ausbruch der nationalen Leiden-
schaften in Serbien, Bulgarien, Griechen-
land und bis in das Liliputkönigreich des
Brigantenkönigs von Montenegro hinein eine
Rolle gespielt haben.
Armer Marxismus. Wenn man ihn durch
solche Argumente verteidigt sieht, wird man
schließlich noch von ihm abgeschreckt. Die
politische Oekonomie ist ein schönes Ding,
aber unter einer Bedingung: sie darf in uns
nicht alle psychologischen Beobachtungs-
gaben töten.
Die ökonomischen Interessenverschieden-
heiten sind eine augenscheinliche Ursache von
Konflikten. Wer leugnet es ?
Aber wie kann man so kurzsichtig oder
blind sein, um nicht zu sehen, daß man sich
nicht hauptsächlich für Interessenfragen
schlägt, sondern für Gefühlsfragen ? An der
Seite der Verbrechen gegen das Eigentum
gibt es im Leben der Völker, wie im Leben
der Individuen, auch die Verbrechen aus
Leidenschaft, die weitaus häufigsten.
Man schlägt sich selten um Geldfragen;
die Geldgeschäfte können unter Nationen
leicht durch Verträge geregelt werden. Dies
ist wieder einmal durch das deutsch-fran-
zösische Abkommen über Marokko und den
Kongo bewiesen worden. Was schwieriger
zu regeln ist, das sind die Fragen des Hoch-
muts, der Eitelkeit, der Eigenliebe und Ge-
fühle.
Die Angelegenheit Elsaß-Lothringens ist
eine dieser Fragen.
Sie hat in Frankreich eine so lebhaft
schmerzliche Erinnerung gelassen, daß
42 Jahre später, wo fast niemand mehr bei
uns kaltblütig von einer bewaffneten Re-
vanche zu sprechen wagt, jede Regierung, die
mit dieser Erinnerung zu spielen wüßte, fähig
wäre, das Land in die schlimmsten Aben-
teuer zu stürzen.
Ich bin nicht ganz sicher, daß, wenn die
sozialistische Partei zusammen mit der All-
gemeinen Arbeitskonföderation das Volk zu
einer Straßenmanifestation aufriefe, wo es
einige Fußtritte und Säbelhiebe zu ris-
kieren gäbe, ich bin nicht sicher, sage ich,
ob wir in ganz Paris mehr als 10 000 wären,
um diese immerhin minderwertige Gefahr
zu laufen.
Aber ich bin sicher, mit ganzer Sicher-
heit sicher, daß, wenn wir die sentimentale
Saite anschlagen, wenn wir geschickt den
Groll und die Wunden der Eigenliebe aus-
zubeuten wissen, die durch die Annexion
Elsaß-Lothringens und durch die Ungerech-
tigkeit dieses Attentats verursacht wurden,
wir würden allein in Paris 50 000 Männer
finden, bereit, ihr Leben zu riskieren, um
diese nationale Demütigung zu rächen.
Ich pflichte nicht bei.
Ich stelle fest.
Wie ich auch feststelle, daß der Marxis-
mus zu beklagen wäre, wenn er uns mit
Genossen Bracke zu dem Glauben verpflich-
tete, daß es ketzerisch und der gesamten
kolonialen Auffassung der internationalen
Sozialistenpartei zuwiderlaufend ist, eine
Lösung des elsaßrlothringischen Problems' ins
Auge zu fassen, die als Basis1 den Austausch
Elsaß-Lothringens gegen ein großes Stück
des französischen Kolonialreichs hat.
Ohne Zweifel empfindet man einigen
Widerwillen, nicht nur als Sozialist, sondern
schon als einfacher Republikaner, jener Re-
gierung, der man vorwirft, Elsaß-Lothringen
1871 wie ein Stück Vieh behandelt zu haben,
als Entgelt für die Befreiung der annek-
tierten Provinzen afrikanische oder asiatische
Bevölkerungen anzubieten, die man selbst
schlimmer als Vieh behandelt hat. Und wir
sind einige in der Partei, die gelegentlich
des letzten gegen die Marokkaner verübten
Raubzuges mehr getan haben als nur Reden
gehalten, um ihre Ausraubung zu verhindern,
378
Q==
DIE FRI EDENS -^V&RXE
denn wir haben Monate und Jahre dafür im
Gefängnis gesessen.*)
Wir fühlen ebenso wie irgend jemand
für die europäischen Eroberer die Pflicht,
die Eingeborenen mit Menschlichkeit zu be-
handeln, die Pflicht der Sozialisten, sie zu
beschützen, gegen die Auswüchse der kapi-
talistischen Kolonisation zu protestieren,
ihnen nach Maßgabe ihrer Fähigkeit ohne
Schaden für sich und die Menschheit, die
Autonomie zu bewilligen, die England allen
seinen Kolonien europäischen Ursprungs be-
willigt hat. Aber nicht wahr, wir erheben
nicht den Anspruch, daß die uns regierende
Kapitalistenklasse von heut auf morgen auf
ihre Kolonien verzichte, unter dem Vorwande,
daß es den Menschenrechten zuwiderläuft,
selbst minderwertigere Völker zu unter-
jochen ? Wo also ist vom sozialistischen und
menschlichen Standpunkt aus das Uebel, an
Deutschland, so wie man es in der Marokko-
affäre getan hat, ein weiteres Stück Kolonial-
besitz abzugeben, wenn dies ein Mittel ist,
den verderblichen Rüstungswahnsinn in
Europa durch eine deutsch-französische Ver-
ständigung zu mildern ? Welches Unrecht
würde man den Eingeborenen der ab-
getretenen Gebiete tun ? Ob die Kapitalisten,
Beamten und sonstigen Heuschrecken, die
auf ihrem Rücken leben, deutscher oder
französischer Nationalität sind, was kann das'
wohl den Kongonegern oder den Hovas von
Madagaskar ausmachen ? Es handelt sich
nicht darum, Bevölkerungen der Er-
oberung preiszugeben, es handelt sich
darum, schon eroberte Länder, in denen die
blutige Eroberung eine vollendete Tatsache
ist, abzutreten. Was kann wohl die koloniale
Doktrin der sozialistischen Partei, der deut-
schen oder der französischen, damit zu tun
haben ?
Die Einwände des Herrn von Pressense
sind noch erstaunlicher.
Man wendet ein, daß, wenn die fran-
zösische Regierung, von uns aufgefordert,
mit dem deutschen Kaiser zu verhandeln,
ihm offiziell eine Annäherung auf der von
den elsaß-lothringischen Sozialisten und von
der Mülhauser Versammlung (wo die Ver-
treter aller elsaß4othringischen Parteien
sprächen), vorgeschlagenen Basis .anböte, dies
*) Nach dem Gemetzel von Casablanca (1907)
veröffentlichte Gustave Herve eine Reihe von
Aufsätzen, auf Grund deren er wegen „Schmä-
hung" der französischen Armee zu einem Jahr
Gefängnis verurteilt wurde. Im Januar 1912
erntete er weitere drei Monate Gefängnis für
einen Artikel, betitelt: „Attila in Marokko", der
als beleidigend für die französische Armee an-
gesehen wurde. Mehrere seiner Mitarbeiter
wurden ebenfalls zu längeren Gefängnisstrafen
verurteilt für Aufsätze, die sie gegen die „marok-
kanische Räuberei" veröffentlicht hatten.
(Der Uebersetzer.)
im Falle einer Weigerung der Berliner Re-
gierung einen Krieg bedeuten würde.
Aber wer hat denn jemals die ab-
geschmackte, wahnsinnige und verbreche-
rische Idee gehabt, dem deutschen Kaiser
ein Ultimatum zu stellen ?
Als wenn es keine diskreten diplo-
matischen Mittel gäbe, Verhandlungen über
heiklige Dinge einzuleiten, ohne den Frieden
zu gefährden. Ist es denn so kühn, zu
glauben, daßi eine solche Unterhaltung
zwischen Berlin und Paris sich durch Ver-
mittlung eines Dritten einleiten ließe?
Gustave Herve.
Der Irrtum der Rüstungswut.
Von Richard Gädke, Berlin-Steglitz,
früher Oberst und Regimentskommandeur.
Damit müssen wir uns leider abfinden,
daß in allen Großmächten starke Teile
gerade der besitzenden Klassen einem aus-
gesprochenen Imperialismus .verfallen sind.
Der Gedanke beherrscht sie, daß eine Aus-
breitung des eigenen Volkstums', eine Ver-
größerung seines Landbesitzes ein großes
Glück nicht nur ideeller, sondern materieller
Art sei, daß es letzten Endes ein Glück für
die Welt sei. Denn man kann nicht gerade
sagen, daßi dasjenige, was der heranwachsen-
den Jugend aller Völker als Patriotismus ge-
lehrt wird, an einem Uebermaß) von Be-
scheidenheit kranke. Engländer, Franzosen,
Deutsche halten sich sämtlich für das aus-
erwählte Volk Gottes, und sogar die Russen
träumen davon, daßi am slawischen Wesen
die Welt noch werde genesen. Einen Vor-
geschmack davon haben wir in Mazedonien,
Thrazien und Albanien bekommen.
Mit unheimlicher Gewalt hat sich der
Gedanke in die Köpfe eines großen Teils
der gebildeten Jugend festgesetzt, daß
Macht und Ruhm und Größe des Staates
mit dem Glück und der Wohlfahrt des Volkes
gleichbedeutend sei. Zum Teil ist es frei-
lich auch Gedankenlosigkeit, Im übrigen
entbehrt der Satz für diejenigen Schichten,
die die Träger des Staatsgedankens — aber
auch die Nutznießer des Staates — sind,
nicht einer gewissen Wahrheit.
Eine Vergrößerung des Staatsgebietes,
eine Ausdehnung seines. Herrschaftsbereiches,
eine Erweiterung seiner Machtstellung und
seines Einflusses setzen sich für die
herrschenden Kreise des Staates' allerdings
leicht in sehr materielle Vorteile um,
Beamte und Offiziere finden zahlreiche neue
und gutbezahlte Stellen, die bewaffnete Macht
wird vermehrt, der Bau von Kriegsschiffen
beschäftigt die Werften, die Waffenrüstungen
steigern Einkommen und Kapitalbesitz
einiger Industriemagnaten ins Ungemessene*),
*) Das Einkommen des Hauses Krupp er-
reicht zum mindesten das des deutschen Kaisers.
379
DIE FßlEDENS-v^DTE =
3
die Grundbesitzer können ihre nachgeborenen
Söhne versorgen, ihr Getreide und ihre Pferde
zu guten Preisen dem Staate verkaufen, und
Handeltreibende ergattern die Gelegenheit
zu vorteilhaften Geschäften. Der Krieg
sogar bringt manchen Leuten reichlichen
Gewinn, und noch ein unglücklicher Krieg
ist für viele Kreise eine Fundgrube, aus der
ihnen Gold entgegenlacht. Das Ungeheuer-
liche, daß. solcher Gewinn mit dem Blute,
dem Siechtum, dem Elend Tausender von
Volksgenossen erkauft werden muß, pflegt
gemeiniglich die Gewissen nicht allzusehr
zu belasten. Das Mitleid mit dem Elend der
anderen bleibt meist ein recht platonisches,
solange dieses Elend sich nicht in gefähr-
liches Mißvergnügen, in drohendes Murren
ufnsetzt.
Daß die breiten Massen, bis weit in den
Mittelstand hinauf, daß also die überwiegende
Mehrheit des Volkes vom bewaffneten Frieden
keinen Vorteil, noch weniger aber vom
Kriege selbst hat, braucht in diesen Blättern
nicht auseinandergesetzt zu werden. Nor-
man Angell hat das so beweiskräftig dar-
gelegt, daß jedes Wort mehr Verschwendung
wäre. Die breiten Schichten merken nur
den wachsenden Steuerdruck, die Verteuerung
der Lebensbedürfnisse, den Wettbewerb
fremder Arbeitskräfte, durch die die feiernden
Hände der dienenden Jugend ersetzt werden
müssen, das immer reichlicher fließende
Blutopfer.
Es ändert an der Sachlage nichts, daß
die offizielle Heuchelei in sämtlichen Staaten
jeden Gedanken an Eroberungsgelüste mit
Empörung abweist und die ungeheuren
Rüstungen durch die feste Absicht be-
gründet, mit ihrer Hilfe den Frieden be-
wahren zu wollen. Alle versichern, sich nur
um der Verteidigung willen zu waffnen, sie
wollen nur bereit sein, den Angriff des
bösen Nachbars auf die heimischen Penaten
abzuwehren.
Aber die im stillen arbeitenden Kräfte
sind in Wirklichkeit entgegengesetzter Art.
Man braucht nur das Treiben deutscher Im-
perialisten zu verfolgen, um die wahren Be-
weggründe dieses Wettrüstens zu erfahren.
„Der Expansionstrieb Deutschlands ist noch
lange nicht befriedigt," so heißt es dort;
„unsere Grenzen werden uns zu eng, wir
müssen unser Volkstum auf eine breitere
Basis stellen", oder gar: „Das deutsche Volk
sehnt sich nach einem Kriege." Das ist
eine kleine Blütenlese der Redensarten, die
man in alldeutschen, in konservativen Zei-
tungen lesen kann. Paul Rohrbach,
gewiß ein Alldeutscher, aber ein besonnener
und gemäßigter Mann, schreibt in einem
Aufsatz über Wilhelms IL auswärtige Po-
litik als Leitmotiv den Satz : „Bereit
sein ist alles1." Er führt dann weiter aus, daß
wir unserer Flotte die Möglichkeit einer deut-
schen Weltpolitik verdanken, und er weist
die Frage, ob Deutschland denn überhaupt
Weltpolitik treiben müsse,# als undiskutabel
rundweg ab. Indem er' sich mit dem
Vorwurfe beschäftigt, der dem Kaiser je
länger je öfter gemacht werde, daß er zu
unentschlossen sei, im gegebenen
Augenblicke die diplomatischen
Mittel der Politik mit den kriege-
rischen zu vertauschen, gibt er un-
umwunden zu, „daß seit dreißig
Jahren Deutschland allein unter
den großen Nationen keine
nennenswerten auswärtigen Fort-
schritte gemacht hat". Und er
schließt endlich eine Art Verteidigung des
Kaisers wegen dieser angeblichen Unter-
lassungen mit dem bemerkenswerten, in der
Urschrift gesperrt gedruckten Bekennt-
nisse: „Daß noch in keinem ein-
zigen Augenblick die Voraus-
setzung, die für die Herbeifüh-
rung einer Waffen-Entscheidung
die erstrebenswerteste is;t, näm-
lich das möglichst günstige
Verhältnis zwischen den eigenen
Kräften und denen der verbün-
deten Gegner, auf unserer Seite
erreicht gewesen ist. Bei der
Flotte werden die Dinge vielleicht im
nächsten Jahre so stehen, und dann
wird man wohl auch die Befesti-
gungen an und in der Nordsee und den
Umbau des Nordostseekanals soweit geför-
dert haben, daß diese Werke in Funktion
treten können. Welchen Sinn aber sollte
es haben, eine Krisis herbeizuführen,
bevor man bereit war?" Endlich
schließt er: „Wer uns vom Orient ver-
drängen will, der fordert uns auf Tod und
Leben heraus, und der Entscheidung wer-
den sich weder der Kaiser noch die Nation
entziehen dürfen."
Man kann nicht gut offenherziger und
bestimmter reden, in Tönen, die unsere
Wettbewerber als ernste Warnung werden
verstehen müssen.
Aber freilich : Verfahren sie nicht alle
nach dem gleichen Rezepte '? Unwiderlegbar
ist die eine Behauptung Rohrbachs, daß die
Expansionspolitik der Wettbewerber Deutsch-
lands in den letzten vierzig Jahren eine un-
vergleichlich! größere — und vor allen
Dingen durchaus nicht unblutige war. Man
sehe das gewaltige afrikanische Kolonialreich
an, das Frankreich mit großer Tatkraft und
größeren Opfern gezimmert hat. In Ma-
rokko allein unterhält es zur Stunde etwa
70000 Mann Truppen. Werfen wir unsere
Blicke auf England, auf seine Erwerbung
Aegyptens und Südafrikas, auf den Ausbau
seines weltumspannenden Imperiums! Das
gleiche Bild, wenn wir uns nach Rußland
wenden, nach Japan, nach dem jungen Riesen
in Nordamerika. Selbst das verhältnismäßig
arme und schwächere Italien hat, von bei-
360
<£
DIE FRI EDENS -NVARTE
nahe einmütiger nationaler Leidenschaft ge-
trieben, die Eroberung eines großen Stückes
von Nordafrika begonnen und läßt die
Augen begehrlich nach Albanien und zu den
Inseln an der kleinasiatischen Küste
schweifen. Endlich hat auch Belgien, das
kleine, neutralisierte Land, ein unermeß-
liches Herrschaftsgebiet im tropischen Afrika
in seine Gewalt gebracht.
Bereit sein, ist alles!
Dieses Motto beherrscht zurzeit die ge-
samte europäische Staatenwelt. Nicht nur
in Deutschland lauert die herrschende
Schicht auf die Schicksalsstunde, die andern
alle suchen die zukunftkündenden Zeichen
am Sternenhimmel ebenso zu deuten.
Und in dieser Erwartung hat das all-
gemeine Wettrüsten mit erneuter Wut, mit
verbissener, finsterer Entschlossenheit ein-
gesetzt. England baut Schiffe auf Schiffe,
um sich die Herrschaft auf den Wogen des
Ozeans für alle Zeiten zu sichern. ,,Rule
Brittania, rule the wawes !" Frankreich
macht Anstrengungen auf Anstrengungen, um
dem Nachbar militärisch gewachsen zu
bleiben, dessen Bevölkerungsüberschuß und
dessen überquellende Energie ihm schlaf-
lose Nächte ob seiner eigenen nationalen
Zukunft bereitet. Niemand wird leugnen
wollen, daß seine Leistungen, daß seine
nationale Opferwilligkeit bewunderungs-
würdig sind, wie sehr sie den Fortschritt der
Kultur hemmen mögen. Vorbildlich geradezu
ist die Bereitwilligkeit der besitzenden
Klassen, ihren eigenen Söhnen die gleichen
Lasten, das heißt die gleiche Dienstzeit, auf-
zuerlegen, wie den Söhnen der Armen. Ich
muß gestehen, ich schäme mich des deut-
schen Bürgertums, dessen Patriotismus
darin besteht, auf anderer Leute Kosten be-
willigungsfreudig zu sein. Auch Rußland
rüstet, auch Oesterreich rüstet, auch Italien
rüstet, Belgien rüstet, die Balkanstaaten
rüsten — wer rüstet nicht ? .
Bereit sein, ist alles!
Bisher haben sie alle noch nicht ,,das
günstige Verhältnis zwischen den eigenen
Kräften und denen der verbündeten Gegner"
erreicht, Das, und das allein, hat uns den
Frieden erhalten. Wann aber werden sie es
erreichen ?
Diese Frage kennzeichnet den großen
Irrtum dieser Rüstungswut. Deutschland
glaubt im Handel um Marokko, mehr noch
bei den gefährlichen Verwicklungen auf dem
Balkan, zu bemerken, daß seine Rüstung
Lücken hat ; es wirkt auf Oesterreich]
mäßigend ein, dessen Rüstung größere
Lücken vielleicht noch aufwies. Aber zu-
gleich bringt es vor seinen Reichstag die
größte Militärvorlage, die je ein Parlament
in Deutschland beschäftigt hat, und bringt
sie spielend durch. Es ist nicht zu kühn,
zu behaupten, daß einer freiheitlichen Re-
gierung bei einem Entgegenkommen in der
Beschränkung der Kommandogewalt und
einigen anderen militärischen Zugeständ-
nissen sogar ein Teil der Sozialdemokraten
die Rüstungskredite bewilligt hätte. Und
nun scheint es einen Augenblick, als sei
Deutschland allen kriegerischen Stürmen ge-
wachsen, stehe unangreifbar und drohend zu-
gleich da.
Aber wieder einmal vergaß man, daß alle
militärische Stärke etwas Verhältnismäßiges
ist. Man kann mit 200 000 Mann jedem
möglichen Gegner gewachsen, mit einer
Million Soldaten noch sehr schwach sein.
Bevor die neue Wehrvorlage Gesetz wurde,
war Deutschland dem französischen Frie-
densheere um 60 000 bis 70 000 Mann über-
legen; vom 15. November d. J. ab wird es
kaum mehr gleich stark sein. Auch an
Kriegsstärke hat es wenig gewonnen, da die
Franzosen dem P'eldheere jetzt vierzehn
Jahrgänge gegen zwölf deutsche Jahrgänge
zuführen, und da Deutschland die große
Zahl seiner Reservisten und Landwehrleute
organisatorisch nicht genügend verwertet,
unter den augenblicklichen Verhältnissen
nicht verwerten kann.
Wo also bleibt der Sinn, der Zweck,
der Nutzen dieser Rüstungswut ? Sind wir
jetzt bereit, das Kriegsglück zu versuchen '?
Und drückt unseren noch immer ärmeren
Steuerzahler das gewaltig erhöhte Kriegs-
budget auf die Dauer nicht stärker als den
französischen ?
Was aber ist die Folge der falschen
Rechnung ? Schon kündet der Wehrverein
für das Jahr 1916 neue erhebliche Forde-
rungen an, die in ihrer Gesamtheit die so-
eben Gesetz gewordene Vorlage erreichen
werden. Aber auch der Flottenverein be-
weist durch kräftige Opposition, daß er
noch lebe. Und dann, werden wir
dann die endgültige Ueb erleg enheit ge-
wonnen haben, so daß unsere Nebenbuhler
„uff" schreien und den Wettlauf aufgeben ?
Wer vermag das zu glauben ? Ist es
nicht wahrscheinlicher, entspricht es nicht
mehr der gegenwärtigen Lage der Dinge, daß
sie eher zum Schwerte greifen und die
blutige Entscheidung erzwingen werden, ehe
sie sich im Frieden für endgültig überwunden
erklären ?
Unter solchen Auspizien wäre jeder
Versuch mit Dank zu begrüßen, der
diesem sinnlosen Wettrüsten Einhalt ge-
bietet. Aber ebenso sicher ist es, daß er
nicht unternommen werden wird. Der Geist
und die Moral der herrschenden Klassen
sind noch nicht so entwickelt, ihr .Vorteil steht
solcher Abmachung feindlich entgegen. Das
Waffenkapital der ganzen Welt, unter dem
Deckmantel des Patriotismus international
verbrüdert, würde seinen ganzen Einfluß auf-
bieten, die Lösung zu verhindern, die der ge-
sunden Vernunft entspricht.
381
DiEFRIEDENS-^AßTE =
3
Ich stimme Herrn Stadtpfarrer Umlfrid
zu, wenn er das Problem der Abrüstungsfrage
unter den gegenwärtigen anar-
chischen Zuständen der Staaten-
welt für schwer lösbar hält. Man ver-
sucht damit ein Symptom zu kurieren,
anstatt der Krankheit selbst zu Leibe
zu gehen. Ich selber habe alle denk-
baren Modalitäten der Abrüstung durch-
dacht und bin schließlich zu dem pessi-
mistischen Schlüsse gekommen, daß, sie sämt-
lich ohne jede Ausnahme umgangen werden
können, und daß ihre Durchführung kaum
zu überwachen wäre.
Aber gibt es denn keine andern Mittel,
dem Gedanken des Völkerfriedens allmählich
näherzukommen ?
Kultur und Krieg.
Vortrag, gehalten am 6. Oktober 1918 am
zweiten Verbandstag des „Verbandes für inter-
nationale Verständigung" in Nürnberg von
Professor Walt her Schücking, Marburg.
Man hat sich in Deutschland gewöhnt, die
Epoche des wirtschaftlichen Aufschwungs von
dem letzten Kriege an zu datieren. Zeitlich
mag das richtig sein, aber das Nacheinander
zweier Ereignisse bedeutet bekanntlich noch
nicht ein Jnfolgeeinander. Die enorme Ent-
wicklung von Handel und Industrie, die wir
allerdings in dem letzten Menschenalter haben
vor sich gehen sehen, hat ihre Parallele in
anderen Ländern, die keinen siegreichen Krieg
geführt haben. England, weit entfernt durch
das Aufblühen Deutschlands verloren zu haben,
wie unsere Chauvinisten behaupten, hat in dem
gleichen Zeitalter ebenfalls einen glänzenden
Aufschwung seiner wirtschaftlichen Verhält-
nisse erlebt, ebenso andere Staaten wie z. B.
das gewerbfleißige Belgien. Die Gründe da-
für liegen tiefer, als unsere Nationalisten es
wissen wollten. Die Fortschritte in der natur-
wissenschaftlichen Erkenntnis 'haben alle
Kräfte der Erde in ungeahnter Weise in den
Dienst des Menschen gestellt, d. h. durch die
Errungenschäften der Technik ist es möglich
geworden, die Produktion ins Ungemessene zu
steigern, und damit mußte natürlich der Wohl-
stand des Volkes sich entsprechend steigern.
Deshalb sollen wir uns hüten, die wirtschaft-
lichen Resultate des Krieges von 1870/71 zu
überschätzen und schon unter diesem Gesichts-
punkt den Krieg als Kulturbringer zu preisen.
Fördert der Krieg wirklich die Kultur,
wie es seine Anhänger behaupten ? Die Ant-
wort darauf mag eine persönliche Erinnerung
geben.
Vor wenig Wochen war ich in Oxford.
Wir wanderten von einem Kolleg zum andern
und bewunderten die unsagbar schöne Pracht
jener halb schloß-, halb klosterartigen Ge-
bäude mit ihren verschwiegenen Kreuzgängen,,
mit den weiten Binnenhöfen, deren Wände ein
Epheu von vielen Jahrhunderten deckt, mit
den alten Parks und ihren ehrwürdigen.
Bäumen und Alleen. Wir sahen die Biblio-
theken dieser Studienhäuser mit ihren Schätzen
des Mittelalters, alten Pergamenten und bunten
Miniaturen, wir sahen an den Wänden die Oel-
bilder der größten Gelehrten aller Jahrhun-
hunderte, und wir waren alle ganz bezau-
bert von soviel Schönheit und Glanz. Da
faßte ich mir ein Herz und fragte einen der
hervorragenden Engländer, in deren Gesell-
schaft wir waren, woher nur all dieser Reich-
tum komme, einer Zeit entstammend, in der
England noch nicht die Länder und die
Meere fremder Erdteile beherrschte. Der von
mir Gefragte war Sir Thomas Barclay, ein
Friedensfreund, der mit unserem verehrten
Gast Baron d'Estournelles de Constant Eng-
land und Frankreich versöhnt und die Entente
cordiale zustande gebracht hat. Und was
gab er mir zur Antwort: „Hier ist nur nichts
zerstört worden. Seit 1066 hat England keinen
Feind in seinen Grenzen gesehen." Da dachte
ich an meine deutsche Heimat, an den 30 jäh-
rigen Krieg, die Raubkriege Ludwigs XIV.
in der Pfalz, den spanischen Erbfolgekrieg,
den siebenjährigen Krieg, die napoleomscben
Feldzüge, die Freiheitskriege und all die
Kulturgüter, die uns der Krieg und immer
wieder der Krieg gekostet hat. Wieviel schö-
ner und herrlicher würde es in unserm deut-
schen Vaterlande aussehen, wenn bei uns noch
all die Dome, Burgen und Schlösser, all die
Patrizierhäuser mit ihrem alten Hausrat, all
die Bauernhäuser mit Erzeugnissen boden-
ständiger Volkskunst zu finden wären, die die
Fackel des Krieges verzehrt hat! Wir brauch-
ten nicht in die paar Museen der Großstädte
zu gehen, wo die Fülle der Stapelware uns
müde macht, wir brauchten nicht Reisen zu
machen, um entlegene Täler aufzusuchen, die
von der Furie des Krieges verschont ge-
blieben, wir brauchten nur um uns zu schauen
und die Augen aufzumachen, wo wir uns gerade
befänden. Und was das Schlimmste ist, es
sind ja nicht nur die Kulturdenkmäler ver-
gangener Zeit an sich, die bei uns tausendfach
vom Kriege vernichtet, es ist die einzigartige
Stimmung, die von ihnen ausgeht. Ob Sie
das englische Parlamentsgebäude in West-
minster betreten und im Unterhause den Ver-
handlungen beiwohnen, während die Sonne
durch die bunten Scheiben lacht, die "die nor-
manischen Herrscher mit ihren Wappen und
französischen Wappensprüchen dort eingefügt,
ob wir in Warwichi Castle auf dem Bowling
green stehen und das Schloß bewundern, das
mit all seinen Mauern, Wehrgängen, Türmen
und Zinnen im edelsten Tudor-Stil vor uns
aufragt, ob wir nach Stratford pilgern, von
wo der Schwan des Avon seinen Flug genom-
men, und sehen die Stube, in der ein Shake-
speare geboren, und das reizvolle Fachwerk-
382
@=
DIE FRI EDENS -WAPXE
haus, in dem er die Lateinschule besucht, über-
all stoßen wir in England auf die Traditionen
einer ununterbrochenen Kultur von langen
Jahrhunderten. Und wer kann uns sagen, wie-
viel erzieherische Wirkungen von solchen Ein-
drücken ausgehen! Jeder einzelne erscheint
als Glied der Kette, die von der Vergangen-
heit ununterbrochen zu uns heraufreicht und
uns wieder mit der Zukunft verknüpft, ge-
meinsame Erinnerungen einen das Volk,
Heiligtümer der Vergangenheit geben unserem
Volke seine Geschichte, und wenn das durch
die moderne wirtschaftliche Entwicklung von
der Heimat Boden entwurzelte Volk, zusam-
mengepfercht in modernen Großstädten viel-
fach traditionslos geworden ist, nun so
müssen wir ihm eben in aufbauender Arbeit
von Geschlecht zu Geschlecht die neue Hei-
mat lieb und reizvoll machen. Die deutsche
Erde wohnlich machen auch für den Aerm-
sten und Niedrigsten unserer Brüder, d. h.
Kulturarbeit leisten, und nicht Kriege führen
und Schlachten schlagen, mag es nun auf dem
fremden oder schlimmer noch auf dem eigenen
Boden sein. Wohl sind gelegentlich durch den
Krieg mächtige Reiche gegründet, von denen
die Zivilisation ihren Ausgang genommen, aber
bind nicht ebenso viele Reiche mihdestjens durch
den Krieg zerstört worden? Und sind wirk-
lich nur diejenigen im Kriege überrannt wor-
den, die innen faul und morsch gewesen, wie
jetzt die europäische Türkei? Gerade die
Geschichte der Türkei beweist das Gegenteil.
Es waren keine Kulturwerte der Mongolen,
die Tschingis-Khan bis vor die Tore Breslaus
führte, es waren keine Fähigkeiten zur Kultur,
die den Türken den Balkan für Jahrhunderte
in die Hand spielten, die das große Serben-
reich zerstörten in der Schlacht auf dem
Amselfelde, so daß die Südslawen heute müh-
sam dort anfangen müssen, wo sie einst vor
Jahrhunderten aufgehört, um unter dem Joch
der Türken zu schmachten, die die Kultur nur
gehemmt haben. Ist es umgekehrt nicht ewig
schade, um die Vernichtung der einzigartigen
Kultur der Araber in Spanien? Fürwahr, es
ist unmöglich, den Krieg als den großen Kul-
turbringer hinzustellen und die Blüte der
Völker davon abhängig zu machen, daß ihre
Angehörigen von Zeit zu Zeit zu Tausenden
einander hinschlachten.
Auch für die Kultur der Einzelpersönlich-
keit leistet der Krieg nicht das, was man ihm
zuschreibt. Gewiß kann es seinen erziehlichen
Wert haben, wenn der einzelne genötigt wird,
sein Leben einzusetzen für seine Volks-
genossen, aber der Krieg zwingt ihn, den
Seinen zu nützen, indem er die andern schä-
digt. Wer durch einen wohlgezielten Torpedo-
schuß einen Riesenpanzer mit Tausenden von
Menschen in die Luft sprengt, der hat sich am
besten verdient gemacht um Volk und Staat.
Kann man wirklich behaupten, daß solche
Arbeit veredelnd wirkt auf den Soldaten ? Muß
nicht gerade die Liebe zum Vaterlande und der
Ehrgeiz, dem Vaterlande zu dienen, im Kriege
Haß und Mordlust gegen den Feind auslösen ?
Auch der Arzt und die Krankenschwester
setzen oft ihr Leben ein für ihre Volks-
genossen, aber sie bringen nur Hilfe und brin-
gen niemandem den Tod. Und nicht nur die
Schlachtfelder haben ihre Invaliden, sondern
alle Stätten der Arbeit. Wer hinabsteigt in
die dunklen Schächte der Erde, um durch die
Gewinnung von Kohlen für Gewerbefleiß»und
Wohlstand seiner Mitbürger die nötigen Be-
dingungen zu schaffen, der wagt auch, wie die
Erfahrung lehrt, immer wieder sein Leben,
und seine stille, unsichtbare Arbeit da unten,
die ihn oft siech macht in den Jahren der Kraft,
bringt nur Segen und kein Verderben. Wir
haben allen Grund, ein hohes Lied zu singen
von der Arbeit, wie es der Dichter tut mit den
Worten :
Ehre jedem Tropfen Schweiß,
Der in Hütten fällt und Mühlen;
Ehre jeder nassen Stirn
Hinterm Pfluge, doch auch dessen,
Der mit Schädel und mit Hirn
Hungernd pflügt, sei nicht vergessen.
Aber zu behaupten, daß die grausige
Arbeit des Schlachtfeldes, die nur im Ver-
nichten blühender Leben besteht, die beste und
edelste sei, und daß die Völker den Krieg zu
ihrer Erziehung brauchten, das geht zu weit.
Ich habe vorhin von den Denkmälern alter
Kultur in England gesprochen. Auch hier
auf dem Boden des alten Nürnberg schauen
wir um uns überall solche Denkmäler, wie sie
herrlicher keine andere Stadt in Deutschland
besitzt. Bei dem Anblick des Sebaldusgrabes
von Peter Vischer oder des Sakramentshäus-
chens von Ulrich Krafft kann man sich wirk-
lich fragen, ob wir uns überhaupt eine höhere
Kultur denken können, als diejenige, die hier
in Nürnberg schon einmal geblüht hat. Ich
habe mir diese Frage selbst vorgelegt, aber ich
habe sie kühnen Mutes bejaht, als ich die
Folterwerkzeuge hier auf der Burg gesehen.
Da bin ich zu der Einsicht gekommen, was
hilft all die künstlerische und wissenschaftliche
Kultur, die hier in Nürnberg schon einmal ge-
wesen ist, so lange die ;Menschen gegenein-
ander so grausam gewütet haben. Der wahre
Fortschritt in der Kultur ist der Fortschritt in
der Humanität. Und vom Standpunkt der Hu-
manität aus müssen wir die Einrichtung des
Krieges verurteilen. Denken Sie einmal an die
Schlacht bei Königgrätz, wo auf der einen
österreichischen Seite 40 000 Sterbende und
Verwundete durcheinander lagen. Es gibt
keine Phantasie, die furchtbar und genial
genug wäre, um dieses Massenelend sich wirk-
lich vorstellen zu können.
Mag man also behaupten, daß der Krieg
heute noch zuweilen notwendig sei, wo es gilt,
das Vaterland zu verteidigen, würden wir ja alle
ohne Unterschied des Alters und der Partei die
Flinte auf den Rücken nehmen, man soll aber
nicht behaupten, daß der Krieg in sich etwas
38 3
DIE FRIEDENS -WACHTE
S)
Gutes sei. Der Fortschritt der Kultur liegt in
dem Fortschritt der Humanität und der Geist
der Menschlichkeit verhüllt schluchzend sein
Haupt, wenn die Fackel des Krieges entzündet
ward.
Darum versündigen sich diejenigen, fre-
velnd an der Menschheit im allgemeinen und
an unserm Volk im besonderen, die immer
wieder behaupten, die Zeit sei gekommen, wo
unsef Volk wieder einen Krieg brauche, um
einmal aus dem Jagen nach Erwerb und Ge-
nuß herauszukommen und edlere Empfindun-
gen des Herzens zu spüren. Das kann nur je-
mand sagen, der die Dinge von oben betrachtet
und die wirkliche Lage des Volkes gar nicht
kennt. Es mag ja wirklich Kreise geben, die
sich zu sehr dem Genuß ihres Reichtums zuge-
wandt haben, obgleich erfahrungsgemäß z. B.
unsere Großindustriellen höchst arbeitsame
Leute sind, die große Mehrzahl unseres Volkes
ringt heute noch hart um seine Existenz. Die
Mehrzahl der preußischen Staatsbürger hat
weniger wie 900 Mark Einkommen. Ist da
wirklich schon die Gefahr, daß unser Volk in
einem Genußleben verkommt und haben wir
nicht vielmehr allen Grund, unserm Kaiser
dafür dankbar zu sein, daß er sich redlich und
erfolgreich bemüht hat, von unserm Volke die
furchtbare wirtschaftliche Not abzuwenden,
die erfahrungsgemäß mit jedem Kriege
für die Mehrzahl der Bevölkerung verbunden
ist? Wer also glaubt, daß es in unserem
Volke Schichten gibt, denen es zu gut geht,
der sollte für eine andersartige Verteilung von
Besitz und Einkommen durch innere Reformen
eintreten, nicht aber für den Krieg als Volks-
erzieher, der eine entsetzliche Krisis im Wirt-
schaftsleben mit sich bringen und gerade die
Aermsten des Volkes in Hunger und Elend
stürzen würde. Zum Glück hat sich ja unsere
Regierung bisher durch das Treiben dieser
Kriegshetzer, die manchmal wahrscheinlich
nicht sowohl aus Verblendung, sondern aus
kapitalistischer Gewinnsucht handeln, nicht im
geringsten beeinflussen lassen. An ihrem ehr-
lichen Willen zum Frieden dürfen wir nicht
zweifeln. Aber da die Regierungen der Kultur-
staaten einander nicht trauen, werden die
Rüstungen zum Schutze des Friedens von Jahr
zu Jahr gesteigert. In den letzten 30 Jahren
haben sechs europäische Großmächte 134 Mil-
liarden Mark für militärische Zwecke ausgege-
ben. Rechnet man alle hierher gehörigen
Ausgaben, wie z. BL auch die Militärpensionen,
die Lohnverluste der unter den Waffen be-
findlichen Truppen usw. zusammen, so ergibt
sich allein für das Deutsche Reich eine Jahres-
last von etwa 4 Milliarden Mark. Das ist
eine unermeßliche Summe, und was das
Schlimmste ist, wenn die Dinge so weiter
gehen wie bisher, so wird auch diese Summe
noch von Jahr zu Jahr weiter gesteigert werden.
Man pflegt zu sagen, das Geld bleibt im Lande,
aber es liegt doch klar zutage, daß diese Aus-
gaben im volkswirtschaftlichen Sinne unpro-
384
duktiv sind. Volkswirtschaf tüch betrachtet, liegt
doch ein ungeheurer Unterschied darin, ob der
Staat für 60 Millionen Mark eine neue Eisen-
bahnlinie baut, die eine entsprechende Ver-
zinsung bringt, ob er dafür meüenweite Moore
und Oedländereien in lachende Fluren ver-
wandelt, oder ob 60 Millionen für die Erbau-
ung und Armierung eines Riesenpanzers aus-
gegeben werden, der nach einer Anzahl Jahre
schon wieder zum alten Eisen geworfen werden
muß. Gewiß, wir wollen die positiven Werte,
die unserm Volke die militärische Erziehung
schon auf rein körperlichem Gebiete gibt, nicht
verkennen, aber damit ist doch nicht gesagt,
daß dieser Unfug des Wettrüstens zu Lande,
zu Wasser und in der Luft immer so weiter
gehen müsse. Die Anhänger dieses Systems,
zum Teil pekuniär daran interessiert, recht-
fertigen es mit der Erwägung, daß wir trotz-
dem immer reicher würden und die Lebens-
haltung aller Schichten sich bessere. Gewiß
sind das Tatsachen, die sich nicht bestreiten
lassen. Aber ich habe schon vorhin gesagt,
der wahre Fortschritt der Kultur zeigt sich in
dem Fortschritt der Humanität — und vom
Standpunkt der Humanität aus betrachtet, wie
viel wäre da noch' zu tun. Wir haben in
Deutschland eine Säuglingssterblichkeit von
etwa 350 000 Kindern jährlich; es gibt Arbei-
terviertel in (Berlin N., wo bloß infolge der
ungünstigen sozialen Verhältnisse 42 Prozent
aller Kinder und Säuglinge sterben; es: ster-
ben in Deutschland jährlich etwa 35 000 Wöch-
nerinnen, weil z. BL im Regierungsbezirk Gum-
binnen beinahe bei der Hälfte der Geburten
aus Armut sogar die Hebamme fehlt; ein
großer Teil unserer Volksschulkinder leidet
an Unterernährung, es wohnen in Berlin mehr
als 600 000 Menschen in Wohnungen, in denen
mehr als fünf Personen auf ein heizbares Zim-
mer kommen. Während der ganze Krieg von
1870/71 uns nur 40000 Menschenleben ge-
kostet hat, gehen uns jährlich mehrere 100 000
Menschenleben verloren, weil der Zustand des
bewaffneten Friedens all die Mittel verschlingt,
mit denen sie erhalten werden könnten. Wir
rühmen uns unserer Arbeiterversicherung, aber
das Deutsche Reich gibt für diese Versiche-
rung weniger aus, wie für einen einzigen Rie-
senpanzer. Nicht ohne Grund hat man von
der Witwenversicherung, die jetzt der Arbeiter-
Versicherung eingefügt ist, gesagt, daß es
eigentlich nur eine Attrappe sei. Denn nur
die invalide Witwe des Arbeiters bekommt
eine Rente, nicht diejenige, die noch selbst
schaffen kann, mag auch ihre Tätigkeit vollauf
daheim durch die Erziehung und Ver-
pflegung der Kinder in Anspruch genom-
men sein. Vom Standpunkt der Huma-
nität aus müssen wir aber doch die Forderung
aufstellen, daß jeder Mensch zunächst ein-
mal auch eine menschenwürdige Existenz
führe. Bekanntlich lebt der Mensch aber nicht
von Brot allein, wir müssen auch unseren
Volksgenossen über die bloße leibliche Er-
@;
DIE FRIEDENS-^M&RXE
nährung hinaus Anteil verschaffen an den
höheren Kulturgütern dieses Lebens. Um nur
eines zu nennen, die dramatische Kunst muß
eine Sache des Volkes werden, wie sie es
einst war in Athen. Dort baute der Staat die
Theater und veranstaltete die Festspiele, jeder
Bürger hatte freien Zutritt und erhielt noch
eine Summe Geldes, um sich Erfrischungen
zu kaufen, damit ihm im Theater nicht das
Gefühl von Hunger und Durst den Kunst-
genuß störe. Wenn wir so unsere Kunst
demokratisieren könnten, dann würden wir
unsere Kultur befruchten, dann könnten uns
Dichter erstehen wie Aeschylus, wie Euri-
pides, wie Sophokles. Denn das Volk will
eine große und edle Kunst. Es gibt nur zwei
Dinge, die gut sind, auf der Welt, sagt
W. v. Humboldt, Gott und das Volk.
Also, wer sein Volk lieb hat, der soll ein-
treten für jene große Kulturbewegung, die
jetzt durch die Lande geht : das Streben nach
internationaler Verständigung. Es handelt
sich hier nicht um eine Utopie. Der Krieg
bricht nicht aus, wie die Cholera und die
Pest, den Krieg machen wir Menschen, und
wenn wir Menschen eines Sinnes sind, dann
brauchen wir weder den Krieg noch die Un-
sicherheit des bewaffneten Waffenstillstandes
von heute. Schon dämmert am Horizont das
Morgenrot einer neuen Zeit; schon haben die
englischen und die deutschen Staatsmänner
erklärt, daß man in bezug auf die Zahl der
Riesenpanzer ein bestimmtes Verhältnis wahren
wolle. Das ist ein schöner Anfang zu neuen
Zielen. Es kommt nur darauf an, daß end-
lich die Völker guten Willens sind. Vor unsern
Kindern und Enkeln sind wir dafür verant-
wortlich, daß wir Deutsche zu diesem großen
Werk der internationalen Verständigung recht-
zeitig unseren Beitrag leisten.
Drum jeder fleh', daß es gescheh',
Wie's einst geschieht, trotz alledem,
Daß rings der Mensch die Bruderhand
Dem Menschen reicht, trotz alledem.
Über das Haager Werk.*)
Von L6on Bourgeois, Paris,
französischer Senator, ehemaliger Minister-
präsident, Mitglied des Haager Hofes.
Es ist eine ganz neue Welt, deren Werden
man empfindet. Es sind die Organe einer'
neuen Menschheit, die allmählich Gestalt an-
nehmen. Wohl weiß ich, daß zur Stunde, in
der ich spreche, die Gegner unserer Arbeit
glauben, sich das Recht beimessen zu können,
von dem Scheitern einer Einrichtung zu reden,
an deren Ausbildung wir, mein sehr verehrter
*) Autorisierte Wiedergabe einer Stelle in
einer Rede, die Leon Bourgeois im Sept. d. J.
auf dem Genter Kongreß des ständigen Komitees
für Sozialversicherungen usw. hielt.
Herr Präsident,*) vor sechs Jahren zusammen
gearbeitet haben; jener großen Einrichtung
der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, die
durch die Haager Abkommen geschaffen wurde..
Vor einigen Tagen eröffnete man im Haag
den Friedenspalast, was der Kleinpresse beider
Welten Gelegenheit gab, billige Scherze über
das tragische Zusammentreffen zu machen, das.
die Tore jenes der Rechtssouveränität gewid-
meten Gebäudes zur selben Stunde sich öffnen
ließ, wo im Osten Europas die entsetzlichen
Blutkonflikte sich abspielten.
Meine Herren, denken Sie an Bastiats-
Wort: „Es gibt Dinge, die man sieht, und
solche, die man nicht sieht." Nein, das Haager
Werk hat keine Niederlage erlitten. Es ge-
nügt, an die großen Dienste zu erinnern, die
der Schiedshof der Welt bereits geleistet hat,
indem er großen Staaten, wie Rußland und
England, wie Frankreich und Deutschland, wie
die Vereinigten Staaten und Japan, es ermög-
lichte, dank der Intervention unparteiischer und
unabhängiger Schiedsrichter, solche diploma-
tische Konflikte zu vermeiden, aus denen sofort
der Krieg hätte hervorgehen können.
Es wäre auch leicht, einfach zu sagen, daß
jedes Menschenwerk unvollkommen ist, und
daß man nicht hoffen kann, in wenigen Jahren
jene Revolution vollzogen zu sehen, die, größer
als alle Revolutionen, die bisher die Welt er-
schüttert haben, das Reich der Ordnung und.
der Gerechtigkeit an Stelle der Gewalt setzen
wird. Aber ist es nicht notwendig, bei aller
Traurigkeit der Ereignisse, die den Orient und
Europa mit Blut befleckten, und den Skep-
tikern, den Gleichgültigen und Egoisten den
Anlaß geben, wieder einmal den Bankrott
des Menschheitsbewußtseins zu verkünden, die
schmerzliche Empfindung gegenüber zu stel-
len, die diese Ereignisse in der öffentlichen
Meinung erweckten, und auch die energischen
Aktionen, die jene öffentliche Meinung, als ein
Ausdruck eines neuen Zustandes des Welt-
gewissens, unentwelt im Sinne der Gerechtig-
keit und des Friedens auf die Haltung der
direkt oder indirekt in den Konflikt inter-
essierten Regierungen ausübte?
Ich werde mich wohl in acht nehmen, liier
nur die geringste politische Anspielung zu
machen; aber es handelt sich um die einfache
Anführung eines massenpsychologischen Fak-
tums, wenn man feststellt, daß es gerade die
europäische öffentliche Meinung, die Meinung],
der Männer der Arbeit und des Handels, die
der Gesamtheit der tätigen Masse war, die die
Ausbreitung des Krieges verhinderte. Ich
will mich nicht darum kümmern, ob geheime
Wünsche, uneingestandene Hoffnungen be-
standen. Nichts derartiges vermochte Gestalt
anzunehmen, und vielleicht zum erstenmal hat
sich das Konzert der Großmächte vereinigt,
nicht um unter sich irgendeine Verteilung von
Eroberungen vorzunehmen, sondern um in dem
entbrannten Kampfe ihre wechselseitige Un-
*) Van der Heuvel.
385-
DIE FßlEDENS-^VAQTE
3
Interessiertheit zu sichern, ihren Willen zur
Begrenzung des Schlachtfeldes durchzuführen,
den Abbruch der Feindseligkeiten vorzuberei-
ten und nach Möglichkeit für ein Rechtsgleich-
gewicht zwischen den kämpfenden Staaten zu
wirken.
Empfinden wir nicht, meine Herren, die
Auflehnung, die in allen Geistern das
Schreckensschauspiel dieses letzten Krieges
und besonders des brudermörderischen Kamp-
fes hervorbrachte, der ihn abschloß ? Heute
gibt es niemanden unter uns, der sich nicht
die Frage vorgelegt hat, ob derartige Dinge
wirklich noch in unsere Zeit hineingehören, und
ob der gemeinsame Wille der Völker nicht
schon auf jenen lasten sollte, die verantwort-
lich sind für die Verhinderung solcher Rück-
fälle.
Eine ganz einfache Beobachtung erlaubt
uns, diesen täglich zunehmenden Einfluß der
öffentlichen Meinung auf die Richtung der
internationalen Politik im Sinne der Verständi-
gung und des Friedens zu ermessen : sogar die
Erhöhung der Rüstungen wird der öffentlichen
Meinung als eine durch den Willen zum Frie-
den bedingte Notwendigkeit dargestellt. Das
ist paradox, aber zum Teil wahr. Wenn wir
darauf bestehen, dann wird "man uns klipp
und klar beweisen, daß auch die Rüstungen
eine internationale Organisation
der sozialen Fürsorge bedeuten. Aber
diese ist fürchterlich kostspielig, und jeder
wird sich fragen, ob es nicht viel sparsamer
und 'viel klüger wäre, sie durch eine Organi-
sation zu ersetzen, die ebenso international
und ebenso fürsorgend wäre, wo aber das
den Frieden erzeugende Gleichgewicht in der
Definition der beiderseitigen Rechte und nicht
in der wechselseitigen Berechnung ihrer dro-
henden Streitkräfte gesucht werden würde.
Fast ebenso sprach' noch gestern der
Schatzkanzler von England: „Jeder ist da-
von überzeugt, daß es so nicht weiter geht."
Die Lasten können nicht immer größer werden,
ohne daß in einem gegebenen Moment der
Zahlende, der schließlich in allen Dingen das
letzte Wort hat, erklärt, daß er nicht mehr
imstande sei, die Bürde weiter zu tragen.
Die deutsch -französische
Journalistenkonferenz in Gent.
Von H. Kötschke, Berlin.
Muß das immer so fortgehen mit der un-
gemütlichen Stimmung zwischen Deutschland
und Frankreich, daß die Presse immer neuen
Stoff zu gegenseitiger Verärgerung sucht und
findet ? Es war doch schon einmal viel
besser. Vor zehn und fünfzehn und zwanzig
Jahren herrschte auf beiden Seiten ein viel
gemütlicherer Zustand als heute. Der Ma-
rokkostreit hat dann alles verdorben. Seit
der Tangerfahrt des Kaisers und dann durch
386
Agadir gleicht Frankreich einem auf-
gescheuchten Bienenschwarm. Aber über
Marokko hat man sich ja nun glücklich
längst geeinigt. In der Heeresvermehrung
ist man auf beiden Seiten nun wohl auch
auf lange Zeit gesättigt. Da mußt doch
wieder einmal ein anderer Ton sich Bahn
brechen.
Das war die Erkenntnis, die den Schreiber
dieser Zeilen auf einer Reise im Juli in
Paris mit einer Reihe französischer Jour-
nalisten Fühlung nehmen ließ. Er fand hier
auch überraschend viel Verständnis. Selbst
Jules Hedemann vom Matin war nicht ab-
geneigt, die Hand zu ergreifen, und der
deutsche Botschafter sagte: ,,W,as ich tun
kann, das soll geschehen." Für den
Augenblick hielt man die Stimmung in Paris
zwar durch' die Heeresvorlage für erregt. Aber
das würde sich ja in etlichen Monaten legen.
Eine Gruppe von Pariser Schriftstellern,
die sich schon immer mit der Einführung
deutscher Literatur in Frankreich beschäf-
tigt hatte, war sogar schon tätig gewesen
und hatte unter Führung des Herrn Grand
Carteret eine Gesellschaft gegründet : pour
mieux se connaitre. Man hatte das ganz
richtige Gefühl: Lernt euch nur gegenseitig
erst besser kennen, dann werdet ihr euch
auch besser verstehen, und das1 Mißtrauen
und der Haß werden schwinden. Dieser
Gesellschaft hatte sich auch schon eine
Reihe namhafter Deutscher angeschlossen.
Wir nennen darunter: Gerhart und Carl
Hauptmann, Hermann Sudermann, Hugo
v. Hoffmannstal, Richard Dehmel, Manuel
Schnitzer, Felix v. Weingartner, Richard
Strauß, Eugen Diederichs, v. Tepper-Laski,
v. Gwinner, Prof. Lamprecht, Prof. Reicher-
Frankfurt a. M. usw.
Diese Gesellschaft hielt im September
ihre Generalversammlung ab. Man wählte
dazu Gent, den Weltausstellungsplatz'. Die
Belgier sollten auch in die deutsch- fran-
zösische Annäherung hineingezogen werden.
Leider war die Zeit zu kurz, um die deutsche
Presse für diese Konferenz vollständig
heranzuziehen. Immerhin zeigte man all-
gemein großes Interesse an der Sache. Man
sagte sich: Wir sind vor etlichen Jahren
mit der englischen Presse in engere Be-
ziehungen getreten. Wir haben uns da gegen-
seitig besucht, einander kennen und schätzen
gelernt. Manches Mißtrauen und Vorurteil
ist durch persönliche Bekanntschaft über-
wunden worden. Für das jetzige bessere
Verhältnis zwischen Deutschland und Eng-
land sind diese Journalistenbesuche sicher-
lich nicht umsonst gewesen. Dasselbe mit
den Franzosen zu versuchen, wird sich schon
auch lohnen. So fuhr ich im Auftrag des
Vereins Berliner Presse und des Provinzial-
verbandes Berlin-Brandenburg des Reichs-
verbandes der deutschen Presse nach' Gent.
Gottfried Stoffers-Düsseldorf war da im
©=
DIE FRI EDENS -^ARTE
Namen des Gesamtvorstandes der deutschen
Presse. Verschiedene andere journalistische
Verbände hatten schriftlich ihre schönste
Sympathie für die Sache ausgesprochen.
Daneben waren die großen Zeitungen wie das
Berliner Tageblatt, die Vossische Zeitung,
die Münchener Neuesten Nachrichten usw.
durch ihre Pariser oder Brüsseler Korrespon-
denten vertreten.
Eine starke Vertretung war an sich auch
von Frankreich nicht da. Es war ja das
ganze eben nur eine Art Vorbesprechung, we-
nigstens für die Vertreter der Presse. Aber
•eine größere Anzahl Zeitungen hatte schrift-
lich ihre Zustimmung mit den Bestrebungen
ausgedrückt. So vor allem der Radical,
l'Aurore, die Clemencau seinerzeit ge-
gründet hatte, le Journal, eine der bedeu-
tendsten französischen Zeitungen, Paris-Jour-
nal, l'Humanite, und nicht zu vergessen le
Figaro. Der Direktor dieses Blattes, Georges
Bourdon, hat bekanntlich jetzt ein aus-
gezeichnetes Buch geschrieben, l'Enigme
Allemand, das deutsche Rätsel, Verlag von
der Librairie Plön in Paris. In diesem
Buche gibt er die Eindrücke und Unter-
redungen wieder, die er auf einer Reise durch
Deutschland gesammelt hat. Er findet da
zu seinem Erstaunen, daßi das deutsche Volk
viel friedlicher gesinnt ist, als er angenommen
hatte. Seine Beobachtungen sind sehr be-
langreich. Vor allem steht auch die Provinz-
presse hinter der Sache. Von Bedeutung
war auch ein Brief, den das angesehene
Mitglied des Institut de France, Bonet-
Mauvy, nach Gent gerichtet, und in dem er
erklärt hatte, daß, wenn Elsaß-Lothringen
eine Autonomie erhalten würde wie die
andern deutschen Bundesstaaten, die Wünsche
des französischen Volkes im ganzen befrie-
digt wären.
Die Verhandlungen in Gent drehten sich
erstens um die Festsetzung gewisser Grund-
linien, die für die deutsch-französische An-
näherung maßgebend sein sollten. Die
elsaß-lothringische Frage wurde natürlich
völlig ausgeschaltet. An praktischen Auf-
gaben wurde beschlossen die Errichtung
zweier Bureaus in Berlin und Paris zur Be-
kämpfung von gegenseitigen Mißverständ-
nissen und mißgünstigen Artikeln in der
Presse. Ferner die Herausgabe 'einer deutsch-
französischen Zeitschrift, die den lite-
rarischen und Kulturaustausch zwischen
beiden Ländern fördern soll. Dann wurde
über einen weiteren Treffpunkt für eine
stärkere Heranziehung der Journalisten beider
Länder gesprochen. Da lag nun bereits eine
Einladung der Stadt Leipzig vor, die für ihre
Buchgewerbeausstellung im nächsten Jahre
die französischen Journalisten gerne in ihren
Mauern versammelt hätte. Aber die Fran-
zosen waren der Ansicht, zunächst lieber noch
eine Versammlung auf neutralem Boden ab-
zuhalten. Die Franzosen müssen erst lang-
sam an den Gedanken, sich mit ihren deut-
schen Kollegen anzufreunden, gewöhnt wer-
den. So wurde denn auf eine Anregung der
belgischen Kollegen beschlossen, im näch-
sten Frühjahr in Brüssel in großem Maß-
stabe die deutsche und französische Presse
zu einem Kongreß einzuladen. Für den
Herbst, wo in Leipzig der internationale
Pressekongreß ist, soll dann eine Studien-
reise der französischen Journalisten durch
verschiedene deutsche Städte vorbereitet
werden, die in Leipzig enden soll.
Man hielt dann in Gent noch Vorträge
über den Gedankenaustausch zwischen den
beiden Ländern in den letzten Jahrzehnten,
aus denen man ersah, wie man in Frankreich
unsrer Kulturentwicklung viel mehr folgt,
als wir das im allgemeinen annehmen. Im
ganzen ist zu hoffen, daß die in Gent ein-
geleitete Annäherung der deutschen und
französischen Journalisten nicht ohne Frucht
für die Beziehungen beider Länder bleiben
wird.
Miß P. H. Peckover.
Von Jacques Dumas, Versailles.
(Zum 27. Oktober 1913.)
Ist es wirklich möglich, daß Miß
P. ,H. Pek'over, deren Herzensjugend der
Zeit immer trotzte, ihr achtzigstes Lebens-
jahr erreicht hat ? Die Vertreter des Fort-
schritts besitzen das seltene Privilegium, die
Jahre mit Leichtigkeit zu ertragen. Es gibt
für sie kein Greisentum, und keiner von
ihnen, der die gewöhnlichen Lebensgrenzen
überschritt, lernte Reue oder Entmutigung
kennen. Der Glaube erhält und vermehrt
ihre Kräfte und beweist uns, wie sehr die
Seele den Körper mit aller jener Kraft be-
herrscht, die der Geist über die Materie aus-
übt. Wer hätte gewagt, an der Jugend des
90jährigen Frederic Passy zu zweifeln ?
Wer zweifelte an jener von Lemonnier,
Hodgson Pratt, Dudley Field,
Tolstoi, Jules Simon, Castelar,
als sie schon längst das1 Alter der Patriarchen
zählten ? Wer zweifelt an der Jugend
F. Bajers, Moscheies, MonetaS
oder der Baronin v. S u 1 1 n e r ? Wer würde
endlich an derjenigen der Miß. P.
H. Peckover zweifeln ?
Unter allen Persönlichkeiten, die dank
ihrer moralischen Autorität, ihrer intellek-
tuellen Tätigkeit, ihrer sozialen Stellung
der internationalen Sache dienen konnten,
gibt es wohl keine, die uneigennütziger,
treuer und ausdauernder war als Miß
P. H. Peckover. Freilich war ihre Stellung
nicht eine derartige, daß die Oeffentlich-
keit sich darüber Rechenschaft geben konnte,
denn ihre christliche Bescheidenheit hat
mehr noch als ihre weibliche Zurückhaltung-
SS?
DIE FRIEDEN5-VVAQTE
:3
sie veranlaßt, ihre Wohltaten zu verbergen,
und jene, die ihr am meisten zu Dank ver-
pflichtet waren, wußten oft nicht, aus welcher
Quelle ihnen Hilfe kam. Ihre linke Hand
durfte nie wissen, was ihre rechte gab, und
die Schatten des Schweigens erschienen ihr
nie dicht genug, um ihre Hochherzigkeit zu
verhüllen. Ohne Zweifel waren die Leser
des „Herald of Peace" schon daran gewöhnt,
jährlich einen hohen Betrag von ihr ge-
zeichnet zu finden, und viele europäische
Vereine, deren Werke sie durch Unter-
stützung förderte, fühlten sich verpflichtet,
ihren Namen zu veröffentlichen; aber wie
vielen anderen mag sie Stillschweigen zur
Pflicht gemacht haben, weil sie daran fest-
hielt, sich menschlichem Dank zu ent-
ziehen für das, was sie in Gottes Namen
gab.
Es hieße einer solchen Bescheidenheit
Unrecht tun, wollte man hier selbst auS
Anlaß ihres achtzigsten Geburtstages1 ihre
Biographie oder ihr Lob veröffentlichen. Wir
erlauben uns eine solche Indiskretion nicht.
Aber wir hoffen, sie nicht zu kränken, wenn
wir unsere Ehrfurcht und die herzlichsten
Glückwünsche von „La Paix par le Droit"
ausdrücken, der sie seit ihrer Gründung die
aufopferungsvollste Freundin war, ja ich
möchte sogar der Schutzengel sagen. Zur
Zeit, als wir diese Verbindung gründeten,
glaubten sehr wenige an ihre Zukunft. Wir
waren bloß Schüler, und die Jugend wiegt leicht.
Miß P. H. Peckover hat nie an unserem
Glauben, nie an unserem Erfolg gezweifelt;
und nur dank ihrer treuen Freundschaft, ihrer
klugen Ratschläge, ihrer Weitsichtigkeit
konnten wir unsere ersten fruchtbaren Er-
gebnisse verzeichnen. Sie war es, die seit
1887 die meisten von uns in jenen Umgebun-
gen akkreditierte, wo wir unsere Aufgabe
zu erfüllen hofften, und unser höchster Ehr-
geiz ging dahin, ihr Vertrauen zu recht-
fertigen. Der Dankbarkeit, die wir ihr hier
zollen, könnten sich viele Gesellschaften
aus Italien, Deutschland, aus den skan-
dinavischen Ländern anschließen. Wieviel
Herzen lernten sie lieben, von Kopenhagen
bis Frankfurt a. M., von Mailand bis Pa-
lermo! Wieviel Freunde konnten in der
stillen Stadt Wisbech, wo ihr Bruder, Lord
Peckover, ihre drei Schwestern und sie selbst
sich eines Rufes großer , Hochherzigkeit,/
christlicher Liebe und Klugheit erfreuen, ihre
Gastfreundschaft genießen, in ihrer Schule
lernen, sich an ihrem Beispiel erbauen, sich
an ihrem strahlenden Glauben erwärmen und
durch ihr ebenso einfaches als einfluß-
reiches Sprechen, in religiösen oder sozialen
Vereinen das dreifache Geheimnis eines
nützlichen, eines glücklichen und eines
ewigen Lebens erfahren ?
Brief aus denVereinigtenStaaten.
Von Henry S. Haskeil, New York.
Die Republik Mexiko und die Ver-
einigten Staaten. — Die Annahme
des Bryanschen F ri e d en s planes.
— Der Vertrag zwischen den Ver-
einigten Staaten und Nicaragua.
— Die japanisch-kalifornische
Streitfrage. — Die Montrealrede
Viscount Haidane s. — Der achte
internationale Studenten-Kon-
greß.
N e w Y o r k, den 22. September 1913.
Seit meinem Schreiben vom 24. Juli
sind in den Beziehungen zwischen den
Vereinigten Staaten und Mexiko
keine wesentlichen Aenderungen eingetreten,
aber die Situation ist im großen ganzen er-
mutigend. Der Gesandte in Mexiko, Henry
Lane Wilson, erstattete in der letzten
Juliwoche einen Bericht beim Präsidenten,,
der deutlich erkennen ließ, daß seine An-
sichten mit jenen der Regierung der Ver-
einigten Staaten nicht übereinstimmten.
Seine Demission, die er einige Zeit vorher
gab, wurde deshalb angenommen. Da ein
neuer Gesandter ohne Anerkennung der
gegenwärtigen provisorischen Regierung von
Mexiko nicht ernannt werden kann, be-
stimmte Präsident Wilson den früheren
Gouverneur des Staates Minnesota, John
Lind, zum Rat der amerikanischen Ge-
sandtschaft in Mexiko. Lind kam am
12. August mit dem Auftrag nach Mexiko,
die provisorische Regierung zur Annahme fol-
gender vom Präsidenten Wilson ge-
machten Vorschläge in freundlicher Weise
zu veranlassen :
Erstens : Schaffung eines Ueberein-
kommens, das zum Einstellen der Feind-
seligkeiten in Mexiko und zu einem end-
gültigen Waffenstillstand führen sollte.
Zweitens: Vorkehrungen für eine freie
und sehr bald vorzunehmende Präsidenten-
wahl.
Drittens : keine Kandidatur Huertas für
die Präsidentschaft.
Viertens : Alle Parteien müßten sich be-
reit erklären, das Ergebnis anzuerkennen.
Lind wurde in Mexiko gut empfangen
und hatte schon mehrere private Be-
sprechungen mit dem mexikanischen Minister
des Auswärtigen. Er übergab auch der
provisorischen Regierung Mexikos die vom»
Präsidenten Wilson für sie bestimmte
Botschaft, die durch eine nach Washington
gerichtete erwidert wurde, durch welche
Präsident Huerta die Vorschläge Wilsons!
zwar verwarf, aber in einer Weise, die
weitere Verhandlungen ermöglichte. Am
27. August berichtete Präsident Wilson
dem Kongreß über die mexikanische Krise,
indem er die bis dahin geführten Verhand-
388
©:
DIE FRIEDEN5-WABXE
lungen beschrieb, und die künftige Po-
litik, die die Unterstützung des ganzen
Landes findet, skizzierte. Alle einfluß-
reichen Persönlichkeiten sprechen sich gegen
jede bewaffnete Intervention aus.
Im Oktober soll in Mexiko eine Präsi-
dentenwahl stattfinden. Eine Kandidatur des
Generals H u e r t a im Rahmen der mexi-
kanischen Konstitution wird nicht für mög-
lich gehalten. In einem am 21. September
ausgegebenen Bericht betont Präsident
H u e r t a , daß die provisorische Regierung
weder einen offiziellen Kandidaten auf-
stellen, noch irgendeinen anderen bevorzugen,
und daß sie die absolute Neutralität be-
wahren würde. Es erscheint unmöglich, die
Ereignisse des kommenden Monats vorher-
zusehen. Wenn aber eine unparteiische und
ehrliche Wahl in Mexiko vor sich gehen
wird, dann ist eine Klärung der jetzt so ver-
wickelten Situation wohl denkbar. Allem
Anschein nach haben die Gegner der jetzigen
provisorischen Regierung wenig Erfolg, und
in den letzten Wochen haben sie sogar
an Boden verloren.
Vier Monate nach Veröffentlichung des
Bryanschen Friedensplanes, der für
friedliche Schlichtung internationaler Strei-
tigkeiten durch internationale Kommissionen
eintritt, wurde der erste Vertrag zwischen
Staatssekretär B r y a n und Don Frederico
Mejia, Minister der Republik Salvador, am
7. August geschlossen, dem ähnliche Ver-
träge mit der Republik von Guatemala und
der Republik Panama folgten, die der Senat
der Vereinigten Staaten noch ratifizieren
muß. Die Tatsache, daß der erste Vertrag
zwischen einer der größten und einer der
kleinsten Nationen abgeschlossen wurde, wird
als Beispiel eines ehrlichen Wollens an-
gesehen, internationale Streitigkeiten durch
friedvolle Schlichtung zu erledigen.
Der ins Auge gefaßte Vertrag zwischen
Nicaragua und den Vereinigten
Staaten, der diesen eine große Vorsorge
durch das Protektorat überNicaragua auferlegt,
wurde vom Senat der Vereinigten Staaten
eben wegen dieser Protektoratsklausel ver-
worfen. Zuerst hatte dieser Vorschlag über-
all Zustimmung gefunden, dann sah man aber
ein, daß dieser Präzedenzfall sehr viel Un-
annehmlichkeiten mit sich bringen könnte.
Zweierlei kann nun erfolgen. Entweder der
Vertrag wird ohne die Protektoratsklausel
wieder vorgelegt oder er wird zu einem ge-
eigneteren Augenblick einer späteren Senats-
Session unterbreitet.
Die japanisch-kalifornische
Frage kam auch in den letzten Wochen
einer Lösung nicht näher. Es wurde ein
neuer wirtschaftlicher Vertrag zwischen den
Vereinigten Staaten und Japan vorgeschlagen,
der alle durch den gegenwärtigen Streitfall
entstandenen Fragen lösen sollte. Dieser
Plan würde die Zustimmung der Vereinigten
Staaten finden, aber das Auswärtige Amt
in Japan will die durch den gegenwärtigen
Vertrag gebotenen Vorteile nicht verlieren,
und ist dementsprechend auch nicht ge-
neigt, diesen Vorschlag anzunehmen.
Der Besuch Viscount Haidan es.
Lord Großkanzler von Großbritannien, in
den Vereinigten Staaten und Kanada in der
letzten Augustwoche begegnete großem
Interesse. In seiner am 1. September in der
American Bar Association in Montreal.
Kanada, gehaltenen Rede überbrachte Lord
Haidane die Grüße Königs Georg V. und
trat ein für die Entwicklung einer inter-
nationalen ,, Sittlichkeit" zwischen den Na-
tionen in ihren Beziehungen zueinander, und
für die Schlichtung internationaler Streit-
fälle in demselben Geist und in derselben
Weise, wie solche Fälle zwischen Individuen
geschlichtet werden.
Der in der Cornell-Universität, Ithaca.
New York, vom 29. August bis zum 3. Sep-
tember abgehaltene achte internatio-
nale Studenten kongreß war außer-
ordentlich erfolgreich. Mehr als zwei-
hundert Delegierte von Nationen aller Welt-
teile waren erschienen, die dann die größeren
Städte der östlichen Staaten besuchten. In
Washington wurden sie vom Präsidenten der
Vereinigten Staaten, in New - York - City vom
Bürgermeister empfangen. Am 18. Sep-
tember gab die New-Yorker Friedensgesell-
schaft zu Ehren der auswärtigen Delegierten
ein Schlußbankett im Hotel Astor in
New York, dem Prof. William M. S 1 o a n e
von der Columbia Universität präsidierte.
Unter anderem sprach auch der Heraus-
geber des ,,Independent", Hamilton Holt,
der ausführte: „Es gibt vier große Pro-
bleme von vitalem Interesse. Das erste ist
das wirtschaftliche Problem — die gerechte
Verteilung von Besitztum. Das zweite ist
das Frauenproblem — die neue Stellung
der Frau oder die Stellungnahme der neuen
Frau zum Heim, zur Politik und zu ähn-
lichen Fragen. Das dritte ist das — wohl
am schwersten zu lösende — Rassenproblem.
Das vierte ist das Problem des internatio-
nalen Friedens. Alle diese Probleme müssen
durch einen Appell an die Gerechtigkeit
ihrer Lösung zugeführt werden. Die Frie-
densbewegung ist eine Bewegung, um den
Krieg durch das Gesetz zu ersetzen, keine
Bewegung gegen den Krieg, sondern eine
für das Gesetz ; aufbauend, nicht zerstörend.
Das Völkerrecht befindet sich heute auf der
gleichen Stufe, wie sich das Privatrecht im
zehnten Jahrhundert befand. Die wert-
vollsten Menschen der Vereinigten Staaten
sind Anhänger der Friedensbewegung. Die
letzten vier Staatssekretäre, Hay, Root,
Knox und Bryan, haben ihr Bestes für
das Friedenswerk geleistet."
Dr. M e z aus München referierte über
die Rüstungsfrage in folgenden Worten:
389
DIE FßlEDEN5-\>/AQTE
'3
Die menschliche Rasse bricht unter der
schweren Bürde der Rüstungen zusammen.
In Deutschland werden durch die Rüstungs-
kosten die so notwendigen sozialen Reformen
vernachlässigt, und dasselbe gilt für Frank-
reich, England, Italien und Oesterreich. Das
alles geht aber auch Sie, die Vereinigten}
Staaten, an. Je mehr Geld wir in Deutschland
für Rüstungszwecke ausgeben, desto we-
niger können wir von euch Amerikanern
kaufen. Ich glaube sicher, daß wir von den
Vereinigten Staaten ein besseres und er-
höhtes Menschentum zu erwarten haben."
n RANDGLOSSEN n
£UR ZEITGESCHICHTE
Von Baronin Bertha v. Süttner.
Schloß Stockern, Oktober 1913.
Immer noch muß man vom Balkan reden.
Die Friedensschlüsse und Kriegsausbrüche
wechseln dort in rascher Folge miteinander ab ;
es wird mobilisiert, demobilisiert und wieder
mobilisiert; nachdem Verbündete sich verfein-
det haben, verbünden sich Feinde — man
muß nur die zwischen Türken und Bulgaren
gewechselten Freundschaftsversicherungen le-
sen — ; trotz der verschiedenen eingetretenen
offiziellen Kriegseinstellungen wird ununter-
brochen weiter gekämpft, geplündert und ge-
sengt; nebstbei kommt es zu einem richtigen
Albanesenaufstand und Griechen und Türken
rüsten gegeneinander, um über ein paar ziem-
lich bedeutungslose Differenzen einen neuen
Feldzug zu inszenieren. Wenn einmal die Ge-
schichte dieser Balkanereignisse wahrheitsge-
treu geschrieben würde, so müßte sich daraus
mit Sonnenklarheit die ganze Absurdität erge-
ben, die dem Begriffe „Krieg" in unserer Ge-
genwart anhaftet. Dreifach absurd, wenn man
ihn in Gedanken in unser Westeuropa und in
die Zukunft versetzt.
Den serbischen Truppen ist es schnell ge-
lungen, die von ihren Bergen herabgestiegenen
albanesischen Rebellen zu vernichten. Creuzot-
sche Kanonen und das Maschinengewehr
haben sich bewährt. Zum ersten Male wurde
das Maschinengewehr von den Franzosen in
Madagaskar erprobt. Der General beschrieb
die Wirkung dieser Waffe mit folgenden Wor-
ten: „Die Geschosse klatschen in die Reihen,
das Blut spritzt auf, das Fleisch fliegt in
Stücken herum und auf dem Kampfplatz bleibt
eine breiige, formlose Masse/' Wahrlich: ein
befriedigender Nutzeffekt — wie der mili-
tärisch-technische Ausdruck lautet.
Bei der letzten Eröffnung des italienischen
Parlaments brachte die italienische Regierung
in ihrem Motivenbericht u. a. folgendes vor:
„Die Tatsache, daß es infolge des einträch-
tigen Willens der Großmächte gelang, große
Konflikte zu verhüten, ist ein Argument, das zur
Hoffnung berechtigt, daß eine lange Periode
des Friedens für Europa beginnt" (wir lebten
schon in einer solchen langen Periode, als
der lybische Feldzug sie unterbrach!). „In-
des der Friede, der das höchste Interesse der
Völker ist" (dies ist eine Konzession an den
pazifistischen Gedanken. Es gibt aber Kreise,
deren höchstes Interesse der Krieg ist, das
wird freilich nur in Armeezeitungen und Wehr-
vereinsversammlung verkündet, und nicht
in Regierungskreisen), „ist nicht sicher, wenn
man nicht ein dauerhaftes Gleichgewicht der
Kräfte" — (d£cid£ment; „Gleichgewicht" ist
jetzt das beliebteste Schlagwort) „zwischen
den verschiedenen Mächten aufrechterhält,
und wenn somit nicht auch unsere Streitkräfte
zu Wasser und zu Land (da haben wir's wieder,
das verlogene para bellum-Argument) in dem
Verhältnis aufrechterhalten werden, das seiner
politischen Lage, sowie der Bedeutung der
großen Interessen, welche es wahren muß, ent-
spricht." — Welche Interessen ? Das sollte doch
einmal genau präzisiert werden. Das Publikum
gibt sich mit dem so vagen Begriff „Inter-
essen" zufrieden, besonders wenn er durch
den Zusatz „vital" verstärkt wird. Man fragt
nicht nach der substantiellen Begründung —
die am ehesten in den Kreisen der Waffen-
industrien und ihrer Aktionäre gefunden wer-
den könnten, oder unter den Schachspielern
des Machtprestiges. Was für Interessen aber
durch die Rüstungsanspannung geschädigt
werden, darnach fragt man schon gar nicht
und daß das höchste Interesse der Völker
der Frieden sei, wie einen Augenblick früher
zugegeben wurde, das ist schon ganz vergesse'},
und mit keinem Wort wird darauf hingedeutet,
daß es ja schon eine Bewegung, schon Insti-
tutionen gibt, die für die Sicherung des Dauer-
friedens ins Leben getreten sind und des
Ausbaues und der Anwendung harren. Solches
wird mit keinem Wort erwähnt, es wird ab-
sichtlich totgeschwiegen. Dies muß von seiten
Italiens besonders wundernehmen, wenn man
bedenkt, wie vor dem lybischen Feldzug
dieses Land in der Pflege des Pazifismus vor-
geschritten war; wie mehr als zwei Drittel
der Kammern der interparlamentarischen
Union angehörten; wie der italienische Sekre-
tär dieser Union (Marchese Pandolfi) die Idee
eines europäischen Staatenbündnisses anregte.
Wenn auch nicht als erster: schon
Victor Hugo hat die „Etats unis d'Europe"
gefordert, und Lemonier hat seine Zeit-
schrift so betitelt. Schlief war auch ein
Verkünder des Staatenbundes, Novicow
schrieb seine „Föderation de l'Europe", und
heute ist es Sir Max Wächter, der diese.
Ideen verficht. Man sollte glauben, daß der
Moment zur Verwirklichung gekommen sei.
„Europa" ist schon mehr als ein geo-
graphischer Begriff, es ist — man könnte
390
@=
DIE FRIEDENS -WARTE
sagen — eine latente Persönlichkeit ge-
worden. Es handelt und verhandelt, es wird
angerufen, es verkündet laut, daß die Ver-
hütung eines europäischen Krieges siein
höchstes Ziel sei und richtet danach seine
Konferenzbeschlüsse; es' steckt Grenzen ab,
es entsendet Schiffe und Truppen — nur
eins fehlt ihm noch: die Existenz. Es be-
steht ja noch — im politischen Sinne — aus
gegnerischen Gruppen, die sich gegenseitig
zu balancieren und zu imponieren trachten,
wobei jede sich selber dem wirtschaftlichen
Ruin entgegentreibt. „Ein geeinigtes, ver-
bündetes Europa", dies hat fortan das1 Lo-
sungswort des geklärten Pazifismus! zu
sein. Das kann man nicht oft genug wieder-
holen.
Unser gemeinsamer Ministerrat in Oester-
reich hat uns nun auch eine Heeresver-
stärkung im Preise von nahezu einer Milliarde
beschert. Daß man vier neue Ueber-Dread-
noughts bauen will, läßt man uns schon
wissen. In dem Ministerrate sitzen auch
zwei Finanzminister, die durch mehrere Stun-
den bemüht sind, Abstriche zu machen, was
ihnen ebenso sicher gelingt, als es den im
selben Rate sitzenden Generalen gelingt,
die prinzipielle Zustimmung für die un-
erläßliche Notwendigkeit der Verstärkungen zu
erlangen. Die Sache spielt sich immer in den-
selben Gleisen ab, und die vorbereitenden
Zeitungsartikel und offiziellen Mitteilungen
benutzen frisch drauf los die ältesten
Klischees. Z. B. ,,Das Bestreben der Heeres-
leitung, die Armee so zu heben, wie dies
nach den Kraftanstrengungen der euro-
päischen Staaten im letzten Jahre an-
gemessen erscheint, wird mit dem begreif-
lichen Bestreben der beiden Finanzminister,
mit der entsprechenden Schonung der finan-
ziellen Leistungsfähigkeit der Steuerzahler
vorzugehen, in Einklang gebracht werden
müssen."
Statt der geforderten 40 000 Mann neuer
Rekruten begnügt man sich schonend mit
31 300 Mann, und für die Zahlung der nö-
tigen Summen (nahezu eine Milliarde) wird
eine Verlangsamung der Fristen gewährt.
So ist der schöne Einklang erreicht. Bis
endlich die Saiten reißen. Die beiden ^be-
greiflichen Bestrebungen" können nicht fort-
während befriedigt werden, denn die finan-
zielle Leistungskraft (vielleicht auch die
Lammesgeduld) der Steuerzahler hat Grenzen ;
die militärische Mehrforderungskraft hat
keine.
Der japanischen Kriegspartei ist es nicht
gelungen, den Konflikt mit China zur ge-
wünschten Verschärfung zu bringen. Durch
kluges Nachgeben hat China den Bruch ver-
hütet. Inzwischen hat sich das Reich der
Mitte einen Präsidenten gewählt, und die
Mächte erkennen die Republik an. Da ist
ein gar großes demokratisches Gemeinwesen
ins Leben getreten, das auf die weitere
historische Entwicklung unseres1 Planeten
noch gewaltigen Einfluß üben wird. Die
einen werden prophezeien: „Wird nicht von
Dauer sein." Andere werden besonders un-
heimlich ausrufen : „Gelbe Gefahr !" Warum
soll gerade „gelb" gefährlicher sein ? Als
ob wir hier nicht jahrtausendelang unter
den weißen Gefahren gelitten hätten und
noch leiden! Während das chinesische
Volk eigentlich jahrtausendelang ein fried-
liches Volk gewesen ist; — wenn es „Krieg
erlernt", so wird es dies nur Europa zu ver-
danken haben. Und man muß bedenken:
China richtet sich nach dem Muster der
Vereinigten Staaten Nordamerikas, zu welchen
es mit Bewunderung und Freundschaft auf-
blickt. Seit vielen Jahren sind die Söhne
der ersten Familien aus China nach den
amerikanischen Universitäten gewandert und
haben von dort die Kenntnis der Ein-
richtungen und der Ideale der amerika-
nischen Demokratie in ihr Land zurück-
gebracht.
MB
Ein ganz merkwürdiges Phänomen spielt
sich jetzt in Irland ab: der von Sir E. Carson
organisierte Widerstand gegen die Erfüllung
des alten irischen Traums: Homerule. Ein
regelmäßiger Rebellenkrieg wurde da ange-
kündigt und die Rüstung dazu unter dem
Enthusiasmus der Bevölkerung durchgeführt.
Ulster will von Homerule nichts wissen; es
will weiter von England regiert werden. Auf-
lehnung gegen die Regierung und gegen eine
zum Gesetz gewordene Institution; noch dazu
bewaffnete Auflehnung; dagegen gibt's doch
nur eine alte bewährte Methode: hinein-
schießen. Man nennt das, „das Land von den
Rebellen säubern", öder „den Aufstand unter-
drücken", oder kurzweg „Pazifikation". Die
englische Regierung scheint anders vorgehen
zu wollen, nämlich zu gestatten, daß von den
acht Grafschaften Ulsters, die drei oder vier,
wo die Unionisten überwiegen, sich vom Ho-
merule ausschließen. Churchill schlägt auch
vor, die Aktivierung des neuen Gesetzes bis
zu den nächsten Neuwahlen zu verzögern.
Kurz, vor dem Bürgerkrieg schreckt die Re-
gierung zurück — sie scheint etwas wie Re-
spekt vor dem Volkswillen zu hegen. Das
ist auch etwas Neues.
-
Präsident Poincare hat dem König von
Spanien einen Besuch abgestattet, und dabei
wurde bei den üblichen Toasten auf „die
freundschaftlichen Beziehungen der beiden
Nachbarvölker" besondere gegenseitige Be-
wunderung der beiderseitigen Armeen und
Flotten ausgedrückt. Natürlich wird in der
391
DIE FRIEDENS -^VADTE
®
politischen Welt sofort eine Verstärkung des
Dreiverbandes gewittert, und daraus geschlos-
sen, daß die Heeresverstärkungen des Drei-
bundes vielleicht schon in Voraussicht dieser
Eventualität beschlossen worden sind. Das gibt
wieder eine Verschiebung des famosen Gleich-
gewichts. Die Mittelmeerpolitik wird immer
bedrohlicher, und kann nicht anders beschwo-
ren werden, als durch Dreadnoughts und
Ueberdreadnoughts und Ueber-Ueberdread-
tioughts — bis es endlich den F-Strahlen ge-
lingt, mittels sowohl in Triest als in Marseille
und in Gibraltar abgedrückter Knöpfe die sämt-
lichen Mittelmeerflotten in die Luft springen
zu machen. Das wird auch ein gewisses
Gleichgewicht herstellen. Gegen alle diese ge-
fährlichen Spielereien gibt es auch nur das
eine Mittel: die Einigung Europas.
■MB
Da ist im Weißen Hause in diesen Tagen
in ganz anderem Sinne ein solcher Wunder-
knopf abgedrückt worden. Die Beschreibung
davon liest sich wie ein Kapitel aus einem
phantastischen Zukunftsroman — phantasti-
scher noch als Kellermanns , .Tunnel'". „Es
herrschte feierliche Stille, als Präsident Wil-
son punkt 2 Uhr auf den Knopf der elektri-
schen Leitung drückte, die die 6400 Kilo-
meter lange Strecke von Washington bis zur
Barriere von Garhboa verbindet. 40 000
Gramm Dynamit waren notwendig, um die
Barriere zu sprengen." (O, Alfred Nobel, so
träumtest du stets die Verwendung deiner Er-
findung!) „Am Orte selbst war die Wirkung
cles Druckes eine kolossale. Zuerst eine ge-
waltige Detonation, die auf hundert Meilen
her vernehmbar war. Eine riesige Staubwolke
erfüllte die Luft, so daß im weiten Umkreise
das Tageslicht verfinstert war. Das Erdreich
geriet ins Schwanken und die Wassermassen
drangen ein. Erst langsam, dann' immer stärker
ergoß sich die Flut in das Kanalbett. Das
Werk war vollendet. . . . Die Kunde davon
wurde telegraphisch ins Weiße Haus gemeldet
und verbreitete sich wie ein Lauffeuer über
das ganze Land — Salutschüsse erdröhnten,
alle Glocken läuteten . . ."
Ein Siegeswerk ist es, der menschliche
Genius — I ein Friedenswerk, das ungeheure
Perspektiven des Weltverkehres, der Welt-
einigung eröffnet. Das war ein Augenblick,
um in die Knie zu sinken : „nearer, ph my
God to theen" — — -
PAZIFISTISCHE CHRONIK
25. September. Tagung des Internationalen
Kongresses für Luftrecht in Frankfurt a. M.
27. September. Deutsch-französischer Journalisten-
kongress in Gent.
30. September. Unterzeichnung des Friedens-
vertrages zwischen der Türkei und Bulgarien.
392
Ende September. Eine Versammlung der Vor-
stände der elsässischen Ortsgruppen der deutschen
Friedensgesellschaft beschlieskt in Colmar die
Gründung eines Landesverbandes und die Ab-
haltung französischer und deutscher Vorträge
zur Förderung der Friedensidee.
Ende September. Ein deutsch-französischer
Ausschuss mit Ernst Haeckel und Maurice
Maeterlinck an der Spitze tritt für den Ausbau
einer deutsch- französischen Unterrichts-
anstalt ein.
Ende September . Tagung der Internationalen
Arbeiterschutzkonferenz in Bern.
Ende September. König Konstantin von
Griechenland trifft in Paris ein.
1. Oktober. Tagung des Kongresses für inter-
nationales Recht in Madrid.
4. — 6. Oktober. Tagung des Verbandes für
Internationale Verständigung in Nürnberg.
6. Oktober. Gründung der deutsch-französischen
Liga zu Nürnberg.
6. Oktober. Besuch des Präsidenten der
französischen Bepublik, Poincare", in Madrid.
7. Oktober. In München findet eine Kund-
gebung des Verbandes für internationale Ver-
ständigungstatt, in welcher Baron d' Estournelles
de Constant den Gedanken der deutsch-fran-
zösischen Verständigung entwickelt.
9. Oktober. Im Rahmen des Verbandes für
Internationale Verständigung tritt in Frank-
furt a. M. Baron d' Estournelles de Constant
! für eine deutsch-französische Annäherung ein.
DAUS DER ZEITB
Völkerrecht.
Verlängerung von Schiedsverträgen. :: :: :: :: :: :: ::
Der Schweizer Bundesrat unterbreitete im
Juli ci. J. der Bundesversammlung die neuen,
mit Spanien und Portugal abgeschlossenen
Schiedsverträge zur Genehmigung. Der neue Ver-
trag mit Spanien ersetzt den am 9. Juli 1912
abgelaufenen Schiedsvertrag vom 14. Mai 1907;
während der alte Vertrag ein Obligatorium nicht
kannte, ist im neuen Vertrag nach dem Muster
des Schiedsvertrags mit Belgien ein fakultatives
Obligatorium des Schiedsgerichte vorgesehen für
jene besonders umschriebenen Streitfälle, die
nach der Ansicht eines jeden der vertrag-
schließenden Staaten weder die Ehre noch die
Unabhängigkeit oder die Souveränität des
andern Landes berühren. Der neue Vertrag gilt
auf zehn Jahre ; im Falle er nicht sechs Mo-
nate vor Ablauf dieser zehn Jahre gekündigt
wird, gilt er stillschweigend weiter, mit fünf-
jähriger Kündigungsfrist. — Der neue Vertrag
mit Portugal ist lediglich eine Verlängerung auf
zehn Jahre des am 23. Oktober 1913 ablaufenden
Schiedsvertrags vom 18. Juli 1905, der keinerlei
Obligatorium des Schiedsgerichts vorsieht.
<§=
DIE Fßl EDENS -WARTE
Rüstungsproblem.
Eine neue Wehrvorlage in Deutschland. :: :: ::
Auf dem alldeutschen Parteitag, der im
September in Breslau stattfand, hat der bekannte
Kriegs-Barde, Generalmajor a. D. Keim , seine
Unzufriedenheit mit der Milliardenvorlage dieses
Sommers ausgedrückt und die nächste Wehr-
vorlage an die Wand gemalt. Er sagte in seiner
Rede:
„Mit unter dem Druck der öffentlichen Mei-
nung, wobei der Wehrverein, unterstützt vom
Altdeutschen Verband, die Hauptarbeit leistete,
ist es endlich gelungen, nach zwei durchaus
ungünstigen (!) Wehrvorlagen eine dritte in
diesem Sommer durchzusetzen. So erfreulich das
an sich auch ist, würde es eine schwere und
schädliche Selbsttäuschung bedeuten, wenn diese
Auffassung Fuß fassen sollte, als ob die
letzte Wehrvorlage den Abschluß
unserer Rüstungepolitik bedeutete.
Es kommt bei dieser Frage nämlich in erster
Linie in Betracht, welche militärischen Gegen-
maßregeln unsere voraussichtlichen Feinde ge-
troffen haben und noch zu treffen bestrebt sindH"
Ob sich der rüstungsfreundliche General-
major schon einmal die Frage vorgelegt hat,
welche Rüstungen getroffen werden müßten, die
,,die voraussichtlichen Feinde" nicht zu Gegen-
maßregeln veranlassen werden ?
Daß aber die Alldeutschen diese Rüstungen
nicht zur Erhaltung des Friedens brauchen, son-
dern für den Krieg, geht aus einer anderen auf
jenem Parteitage gehaltenen Rede, der des Ver-
bandsvorsitzenden Bechteanwalt Claß, in
größter Deutlichkeit hervor. Dieser Herr sagte
in seiner Programmrede über die politische Lage
folgendes :
„Um den Preis der Entsagung können wir
die Freundschaft der ganzen Welt genießen.
Aber wir wollen und dürfen nicht entsagen!
Schon heute hört man in allen Schichten unseres
Volkes, zumeist aber im gebildeten Mittelstande,
die Frage : wofür die ungeheuren Opfer
für Flotte und Heer, wenn wir nichts
wollen und nichts erreichen? Diese
Frage kann die Regierung eigentlich nicht miß-
verstehen. Unsere Flotte ist so stark, daß Eng-
land sich vor ihr hüten muß; unser Heer wird
jetzt wieder auf die Höhe seiner Leistungsfähig-
keit gebracht. Und da sollen wir eine Politik'
der Entsagung betreiben ? DerHungernach
Land drückt unserer Zeit den Stempel auf; er
will und muß befriedigt werden."
Das ist offenbarer Anarchismus und so
staatsgefährlich wie dieser.
Neue Rüstungslasten für Oesterreich-Ungarn. :: ::
Nachdem Deutschland eine besondere Mil-
liarde für Rüstungskosten auf sich genommen
hat, glaubt die Regierung Oesterreich -Ungarns,
diesem viel ärmeren Lande ein gleiches hohes
Opfer zumuten zu dürfen. Der gemeinsame
Ministerrat hat beschlossen, den demnäcnst zu-
sammentretenden Delegationen eine einmalige-
Forderung von
926 Millionen
vorzulegen.
E6 werden in Anspruch genommen:
Für 4 Ueber-Dreadnoughts .... 280 Millionen
„ kleine Kriegsschiffe 146 „
„ die Kosten der Mobilisierung 350 „
„ die Vermehrung des Rekru-
tenbudgets um 90 000 Mann . 150 „
Eine Umbewaffnung der Artillerie, die eben-
falls einige hundert Millionen erfordern wird,
steht bevor.
Wohin das führen soll in einem Lande,
dessen Handelsbilanz passiv ist, dessen Wirt-
schaft darniederliegt und dessen Bevölkerung
zum übergrößten Teil in Armut lebt, weiß nie-
mand. Anscheinend auch nicht der öster-
reichische Finanzminister v. Z a 1 e s k i , der
unmittelbar nach jenem gemeinsamen Ministerrat
„krankheitshalber" seine Demission gab. Man
weiß nicht: Ist der Minister krank oder der
Staat?
Der ungarische Staatsmann Franz Kos-
8 u t h hat sich über diese militärischen Neufordef
rungen kürzlich in folgender Weise geäußert:
„In der Frage der Mehrforderungen auf
militärischem Gebiete der Kriegsverwaltung ist
mein Standpunkt der, daß, da bekanntlich die
volkswirtschaftliche Lage Ungarns auf einer
solchen Stufe steht, auf der es bereits schwer
geworden ist, den bisherigen militärischen An-
forderungen Genüge zu leisten, eine weitere Er-
höhung des Standes der Armee zu keinem guten
Ziele führen kann, da das Land nicht in
der Lage ist, diese neueren Lasten
an Geld- und Blutopfern zu leiste n."
es?
Vom Rüstungsgeschäft. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Die Niederösterreichische Eskomptegesell-
schaft verhandelt wegen Uebernahme einer
neuen chinesischen Schatzscheinanleihe von
2 Millionen Pfund. Vor einigen Monaten hat
die Bank 1,2 Millionen Pfund chinesische Schatz-
scheine übernommen und sich damals die Option
auf weitere 2 Millionen Pfund Schatzscheine-
für die erste Oktoberhälfte vorbehalten. Falls
die Verhandlungen, die gegenwärtig noch in
der Schwebe sind, zu einem Ergebnisse führen,
sollen für den Erlös der Schatz-
scheine 12 Torpedobootzerstörer
in Oesterreich-Ungarn angeschafft
werden.
Glückliches Land! :: :: :: :: :: :: :: :: :: - :: :: :: ** :: :r
Aus Buenos-Aires wird unter dem 30. Sep-
tember gemeldet: Der Staatsvoranschlag für
1914 stellt die Gesamtsumme der Einnahmen auf
451 449 000, die der Ausgaben auf 451 439 222
Papierpiaster fest. Das Budget des Kriegs -
ministeriums ist um 2 150 000 Piaster
niedriger, das Unterrichtsbudget um
6 139 531 Piaster höher als im Jahr 1913.
393
DIE FRIEDENS -^ARTE
:3
Verschiedenes.
Die österreichische Industrie gegen
die auswärtige Politik der Regierung.
Auf dem XXVI. ordentlichen Verbandstiag
des Zentralverbandes der Industriellen Oester-
reichs, der am 14. September d. J. in Aussig
abgehalten wurde, gelangte eine Resolution zur
Annahme, die sich gegen die Schädigung der In-
dustrie seitens der auswärtigen Politik der
Monarchie wandte.
Das Herrenhausmitglied Ginzkey brachte
«inen Antrag ein, den er nach dem steno-
graphischen Protokoll folgendermaßen be-
gründete :
„Meine sehr verehrten Herren! Wir alle
stehen unter dem Eindrucke der tiefen wirt-
schaftlichen Depression, unter der wir schon
eine so geraume Zeit zu leiden haben. In
erster Linie ist von dieser Depression die In-
dustrie betroffen. Die Motive für diese De-
pression sind leicht zu finden. Sie liegen un-
bedingt in der verfehlten Führung
unserer auswärtigen Politik. Dem
Ausdruck zu geben, ist der Zweck meines An-
trages. Mit dem unglückseligen Falle des
Konsuls Prochazka beginnend, reihte sieh Fehler
an Fehler, bis man es sogar fertig gebracht
hat, eine, wenn auch — Gott sei Dank! —
nur vorübergehende Verstimmung mit Italien
durch die Triester Erlässe hervorzurufen. Es
fällt einem wirklich mit Bangen das englische
Wort ein:
What is going to be next?
Ich werde mir erlauben, Ihnen eine Re-
solution zur Annahme zu empfehlen, die ich im
Verein mit mehreren meiner Freunde aus-
gearbeitet habe. Die Resolution lautet :
„Bei dem Abschluß einer Periode kriege-
rischer Ereignisse, welche an Lebensinter-
essen der Monarchie rührten, hält sich die
österreichische Industrie für berechtigt, ja
aus Gründen der Selbsterhaltung für ver-
pflichtet, mit allem Ernst auszusprechen, daß
sie die Richtung unserer auswärtigen Politik
für verfehlt erachtet. Statt daß die aus-
wärtige Politik als Instrument der wirtschaft-
lichen Expansion gewirkt hätte, führte sie
zu dem geraden Gegenteil: zur' Verdrängung
unseres Handels auf altgewohnten und durch
Jahrhunderte mit Opfern, aber auch mit Er-
folg gepflegten Märkten, zum Verschwinden
politischer Freundschaften, die wir zu unserm
sichern und wertvollsten Besitzstande ge-
rechnet haben.
Die österreichische Industrie weiß sehr
wohl, daß die Erhaltung bestehender und die
. Erwerbung neuer Absatzgebiete ein Werk ist,'
das. vor allem sie selbst zu besorgen hat;
j sie darf aber verlangen, daß ihre Wege
nicht durch staatliche Gewalten
durchkreuzt und daß die Kanäle, auf
welchen sie den Ueberschuß ihrer Produktion
394
auswärtigen Märkten zuführt, nicht schwan-
kenden Meinungen und einer vermeint-
lichen Prestigepolitikzuliebe ge-
sperrt werden.
Der Verbandstag des Zentralverbandes der
Industriellen Oesterreichs erhebt daher
namens der österreichischen Industrie die
Forderung, daß der auswärtigen Politik eine
Richtung gegeben werde, welche diesen
Grundsätzen entspricht. Diese Forderung ist
eine um so dringendere, als die Monarchie
angesichts der innerwirtschaftlichen Verhält-
nisse mehr als jemals auf Wiederherstellung
der Aktivität ihrer Handelsbilanz und in dei
Folge auf die systematische Entwicklung zui
Ausfuhrstaate angewiesen ist."
Meine Herren! Ich erlaube mir, Ihnen
diese Resolution zur Annahme zu empfehlen.
(Lebhafter Beifall.).
Die Annahme erfolgte mit Stimmeneinheit.
Das Elend in Galizien. :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Das durch den Balkankrieg und die doppelte
Mobilisierung der Monarchie hervorgerufene
Elend macht sich in entsetzlicher Weise in Ga-
lizien geltend. Ein Beweis, wie sehr jetzt jeder
geführte Krieg auch die nicht direkt darin ver-
wickelten Länder in Mitleidenschaft zieht. E.s
gibt keinen fremden Krieg mehr. Das Elend
Galiziens ist so groß, daß die österreichische
Regierung eine Staatshüfe von 100 Millionen
Kronen zu gewähren sich entschließen mußte.
Ueber die grauenhaften Zustände ist uns das
nachstehende Schreiben eines Studenten zu-
gegangen :
„Goethe sagt im „Totentanz": Der Türmer
schaut zu Mitten der Nacht hinab auf die in
Reihen liegenden Gräber ...
Diese Worte sind für das unglückliche Ga-
lizien wie geschaffen. Ganz Galizien ist ein
Friedhof. Aber ein eigentümlicher Friedhof, weil
die Menschen noch leben.
Man kämpfte auf dem Balkan, aber in Ga-
lizien sind Tausende von Existenzen zugrunde
gegangen.
Der größere Teil der 8 Millionen Einwohner
ist am Bettelstab. Der gequälte Bauer bricht
zusammen. Der Kaufmarin und der Industrielle
ächzen, weil die schrecklichen Tage des Krieges
auf dem Balkan ihnen alles geraubt haben. Der
erste Schuß des jungen Prinzen von Montenegro
hat ihn niedergeschlagen. — Risum teneatis
amici, man sagt: Den Beamten geht es noch gut.
Die grausamsten Taten des barbarischen
Siegers in der ganzen Welt haben nie so viel
Schaden gebracht wie der Krieg auf dem Balkan.
Jetzt fragen wir den blutigen Ares: „Quo
usque tandem abutere ?"
MS)
@=
DIE Fßl EDENS -^VARXE
Reichtumvermehrung und dennoch
Rückgang der Lebenshaltung.
In einem sehr beachtenswerten „Friede auf
Erden I" betitelten Artikel der in Hannover er-
scheinenden „Deutschen Volkszeitung" äußert
sich Oskar v. Voigt auch über den Einfluß
der Rüstungen auf das Wirtschaftsleben. Er
schreibt:
„Leider befinden wir uns in puncto Rüstungen
noch nicht auf einer Bahn, die zu diesem
Ziele (der Verminderung. Red.) hinführt. Für
unsere Zwecke war vor allen Dingen der
vernünftige Vorschlag Englands zu hören
und zu beachten, der die Rüstungen be-
schränken will. Aber wir haben eine recht ab-
weisende Antwort gegeben: die ungeheure Ver-
mehrung unserer Heeresmacht. Auf diesem
Wege entfernen wir uns von unserm Ziele. —
Oder, so paradox es klingen mag, wir nähern
uns ihm. Nur in einer Weise, die wir nicht
wollen: Wir rüsten uns bankrott, das Rüstungs-
gebäude bricht zusammen und die Friedens-
bewegung tritt die Erbschaft an. Nun weiß ich
wohl, daß der Gedanke des Rüstungsbankrotts
von den Gegnern verlacht wird. Mit scheinbar
richtiger Begründung wird entgegnet, daß
Deutschland trotz der Rüstungen von Jahr zu
Jahr reicher wird; die Statistik liefere den Be-
weis. Wenn aber bei der herrschenden und noch
zunehmenden Teuerung alles, was Wert hat,
einfach jedes Jahr um soundso viel Prozent
höher angesetzt wird, so ist leicht auf dem Pa-
pier eine Vermögensvermehrung festzustellen.
Sieht man aber nach der Lebenshaltung, z. B.
nach dem Verbrauch von Fleisch, so ändert
sich das Bild. Bezeichnend sind auch die Be-
richte der Konsumvereine, die hervorheben, daß
der Verkauf von Surrogaten (wie Margarine)
stetig zunimmt, der Verbrauch der echten Er-
zeugnisse (wie Butter) ebenso stetig zurück-
geht. Also vielleicht mehr Geld, aber sicher
weniger Kaufkraft, und die ist bei der Fest-
stellung des Vermögens maßgebend."
Zum Kapitel Wissenschaft und Pazifism«.1 :: :: ::] ::
In Hofrat Professor Lammaschs neuester
•Veröffentlichung „Die Lehre von der Schieds-
gerichtsbarkeit in ihrem ganzen Umfange", auf
die in dieser Zeitschrift noch näher eingegangen
werden wird, lesen wir auf Seite 36: „Nie-
mals hätte die Idee des Schiedsgerichtes1
zwischen den Staaten jene Triebkraft und jenen
Schwung erlangt, der zu den Haager Konferenzen
von 1899 und 1907, zur Errichtung des inter-
nationalen Schiedsgerichtshofes, zu jener Aus-
breitung schiedsgerichtlicher Tätigkeit geführt
hat, die wir in den letzten zwei Jahrzehnten
sehen, wenn sie auf die Lösung von Konflikten
auf dem Gebiete des Verwaltungsrechtes be-
schränkt geblieben wäre. Dazu bedurfte
sie stärker wirkender Impulse.
Solche sind in dem Eindringen der
Friedensbewegung, der pazifisti-
schen Idee, in weite Kreise der Be-
völkerung und schließlich auch in
der Wissenschaft des Völkerrechts
g ele g e n."
Das ungeheure Hasardspiel. :: :: :: :: :: :: :: : :: ::
In der „Frankfurter Zeitung" vom 19. Au-
gust bespricht der Pariser fs. -Korrespondent
jenes Blattes ein bei Plön in Paris erschienenes
Buch von Germain B a p s t über ,,L a B a -
taille de St. Priva t." Wir entnehmen der
Besprechung einige Stellen, die an sich inter-
essant sind, aber auch das Augenmerk auf das
Buch lenken. „Germain Bapst", so heißt es
dort, „schildert die Vorgänge auf der deutschen
Seite ganz kurz und beschreibt die Verwirrung
im französischen Heere mit aller Offenheit und
Ausführlichkeit. Er |sieht davon ab, die Schrecken
der Schlacht zu schildern. Aber abgesehen von
allem, bleibt das Buch außerordentlich lehrreich.
Wenn man es aus der Hand legt, fragt man
sich : Wie können die Nationen ihre
Schicksale noch von so ungewissen
Dingen abhängig machen wie einer
Schlacht? Das Glück, der Zufall spielen
eine ungeheure Rolle. Weder Uebermacht noch
Heldenmut und Feldherrngeschick allein ent-
scheiden. Alles wirkt zusammen und durch-
einander, am Ende ist nur der der Sieger, der,
wie Prinz Friedrich Karl sagt, am Abend sich
selbst für den Sieger hält."
Und zum Schluß sagt der Verfasser:
„Der Wüle zum Sieg ist der entscheidende
Faktor, predigen heute alle Gelehrten des Kriegs.
Auch Bapst zieht diesen Schluß. Ich weiß nicht,
ob das wirklich zutrifft. Die Bulgaren haben
damit die Türken niedergekriegt, aber nicht die
Serben und Griechen. Im Jahre 1870 war die
französische Armee nur zu siegesgewiß. Der
Krieg bleibt trotz der peinlichsten Vorbereitung,
welche die Gegenwart erfunden hat, ein un-
geheures Hasardspiel. Der Zufall nistet
sich schon in die Vorbereitung ein. Ein unfähiger
Oberbefehl macht die Vorteile der Uebermacht
zunichte. Im Gewühle der Schlacht herrscht
der Zufall noch mehr. Ich meine, die große
Lehre, die man aus einem Schlachtengemälde
wie dem von Bapst ziehen sollte, sind nicht
strategische und taktische Lektionen. Das ist
noch immer das, was die Hasard-
spieler mit einem „System" ver-
suchen. Die große Lehre scheint mir zu sein,
daß der Krieg immer eine riskierte Sache bleibt,
der man am klügsten aus dem Weg geht, eolango
man nicht unabweisbar dazu gedrängt wird. Der
Kultus des Kriegs bei einer Nation ist keine
Garantie für den Erfolg. Aber er schadet, weil
er die Lösungen des Friedens für internationale
Konflikte unbeliebt macht, und zuletzt liegt doch
nur in diesen Lösungen die Dauer."
395
DSEFßlEDENS-^AQTE
=6>i
Die französische fugend gegen den Revanchekrieg.
Der am 25. September in Paris stattgehabte
Kongreß der französischen Laien-Jugend nahm
nach einem Vortrage Herves einstimmig folgende
Resolution an:
„Der Kongreß der Laienjugend weist jeden
Gedanken des Revanchekrieges von eich, nimmt
sich den pazifistischen Geist der Berner Zu-
sammenkunft zum Vorbilde und ladet die Sozia-
listen und Radikalsozialisten Frankreichs und
Deutschlands oder noch allgemeiner alle recht-
schaffenen Leute beider Länder ein, an dem
großen Werk der französisch-deutschen Versöh-
nung durch freundschaftliche Regelung der
elsässisch-lothringischen Frage mitzuarbeiten."
LITERATUR U PRESSE
Eine Norman-Rngell-Zeitschrift.
Unter dem Titel „War and Peace" gibt
William S. Searle in London eine neue
pazifistische Zeitschrift heraus, die es sich zur Auf-
gabe stellt, die Lehre Norman Angells zu ver-
breiten und zu vertiefen. Die neue Zeitschrift
wird unter der Führung der Garton-Foun.da.tion
veröffentlicht und wird Norman Angell selbst zum
Mitarbeiter haben. Außer von ihm sind bis jetzt
Beiträge angekündigt von The Hon. Lady Barlow,
G. K. Chesterton, G. P. Gooch, Prof. J. W. Graham,
Canon Grane, Carl Heath, F. W. Hirst, Prof.
L. T. Hobhouse, Prof. Starr Jordan, The Rt. Hon.
Lord Loreburn, F. Maddison, Alfred Noyes, Alfred
Ollivant, H. S. Perris, Arthur Ponsonby, M.P.,
J. E. Raphael, The Rt. Hon. Russell Rea, P.C.,
M.P., Stephen Reynolds, The Hon. Rollo Russell,
H. G. Wood. .
Eingegangene Druckschriften. :: :: :; :: :: :: :: :: ::
(Besprechung vorbehalten.)
Revue Generale de Droit Inter-
national Public (Paris). Juli — August
1913. Nr. 4.
Aus dem Inhalt : A. S. Hershey, La
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le mouvement paeifique. • — usw. usw.
The American Journal of Inter-
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Aus dem Inhalt : Eli hu Root, Francis
Lieber. — BlewettLee, Souvereignit of the
air. — Edwin M. Borchard, Basic Ele-
ments of diplomatic protection of Citizens
abroad. < — George B. Davis, The prisoner
of war. — Thomas Willing Balch, The
Hudsonian Sea, is a great open Sea — The
Nineteenth Lake Mohonk Conference on Inter-
national Arbitration. ■ — Mr. Bryans proposed
commissions of inquiry. — The visit of Hon.
Robert Bacon to South America. — usw.
Hierzu Supplement-Nummer, enthaltend Do-
kumente. —
Bulletin of the Pan-American:
Union. Washington. August.
Aus dem Inhalt: Hon. Robert Bacons tour
of 'South America. — Eighth International Cotn-
gress of Students. — Honor to Mr. Carnegie
in Paris. — usw.
Abiturienten, An die,
mit Beitragen von Prof. Dr. Oswald
Richter, Dr. Gust. Wyneken. Gr. 8°.
Wien 1913. Der moderne Student. Flug-
schriften. Erstes Heft. Herausgegeben vom
akad. Komitee für Schulreform. Hugo Heller &
Cie. 15 S. 30 Pf. '
Bar, Prof. Dr. L. von,
Gutachten über die Frage der Einrichtung eines
ständigen internationalen Gerichtshofes für
Klagen von Privatpersonen gegen fremde
Staaten. 8°. Oberursel o. J. Druck von
Jakob Abt. 12 S.
Berendsohn, Walter A.,
The international student movement and the
German student Body. Gr. 8°. o. O. o. J.
„Corda Fratres". Federation internationale
des Etudiants. Eighth international congress
of Students. Cornell Cosmopolitan Club.
Cornell Universitv, Ithaca, N. Y. U. St. A.
August 29 — September 3, 1913. 12 S.
JEickhoff, Prof. Dr.,
Die Interparlamentarische Union 1912. Sonder-
abdruck (nicht im Buchhandel) aus „Jahr-
buch des Völkerrechts". Gr. 8°. München
und Leipzig. O. J. Duncker & liumblot. Von
S. 1291—1303.
Fried, Dr. Alfred H.,
Die Friedensbewegung im Berichtsjahre 1912.
Sonderabdruck (nicht im Buchhandel) aus
„Jahrbuch des Völkerrechts". Gr. 8°. Mün-
chen und Leipzig (1913). Duncker & Humblot.
Von S. 1303—1312.
Fried, Dr. Alfred H.,
Die panamerikanische Bewegung. Sonder-
abdruck (nicht im Buchhandel) aus „Jahr-
buch des Völkerrechts". Gr. 8°. München
und Leipzig (1913). Duncker & Humblot.
Von S. 1419—1426.
Gold'ß c h eid, Rudolf,
Monismus und Politik. Vortrag, gehalten auf
der Magdeburger Tagung des Deutschen Mo-
nistenbundes im Herbst 1912. Gr. 8°. Wien-
Leipzig, o. J. Schriften des Monistenbundes
in Oesterreich, Heft 4. Anzengruber- Verlag
Brüder Suschitzky. 30 S.
H e i n , Erich,
Geheime Gesellschaften in alter und neuer
Zeit, ihre Organisation, ihre Zwecke und
Ziele. Mit besonderer Berücksichtigung der
Freimaurer- und Odd-Fellow-Logen, des Dru-
iden- und Illuminaten-Ordens. Gr. 8°. Leip-
zig 1913. Raimund Gerhard. 12 S. M. 3.—.
Hoffmann, Geza von,
Sammlung von Vererbungsdaten durch „Field
workers" in den [Vereinigten Staaten von Nordi-
396
@=
E DIEFRIEDEN5-^M£kB.TE
amerika. 4°. Psychiatrisch. - neurologische
Wochenschrift, XIV. Jahrgang, Nr. 9. 31. Mai
1913. Carl MarhoM, Verlagsbuchhandlung in
Halle a. S. 4 S.
Hoffmann, Geza von,
Das erste staatliche Amt für Rassenhygiene.
Gr. 8°. Sonderabdruck aus ,, Dokumente des
Fortschritts". Berlin. Georg Reimer. Von
S. 415—417.
Honig, Bertholid,
Individuum und Staat und aller Ethik innerster
Kern. Gr. 8°. Neuschloß bei Hohenwant.
1912. .0 V. 24 &
Jahrbuch
der Internationalen Handels-Union 1913/14. Gr.
8°; o. O. o. J. Herausgegeben von der Inter-
nationalen Handels - Union, Berlin W. 15,
Düsseldorfer Straße 14. li8 S.
J a h r e s r e c h n u n g von 1912.
Verzeichnis dier bei der Freimaurergeschäfts-
stelle eingelangten Gaben von 1910 bis 31. Juli
1913. (Deutsch, englisch, französisch). 8°
o. O. o. J. o. V. 37 S.
„Kunst und Leben 1914."
Ein Kalender mit 53 Originalzeichnungen und
Originalholzschnitten deutscher Künstler und
Versen und Sprüchen deutscher Dichter und
Denker. Verlag Fritz Heyder, Berlin- Zehlen-
dorf.
M a n d e r e, H. van der,
Die Opiumkonferenz im Haag und die Opium-
konvention vom 23. Januar 1912. Separat-
abdruck (nicht im Buchhandel) aus „Jahr-
buch des Völkerrechts". Gr. 8°. München
und Leipzig, o. J. Bericht über Kongresse
und Konferenzen. Verlag von Duncker &
Humblot.' Von S. 1239—1257.
M a n d e r e , Henri van der,
Die Niederlande. (Literatur.) Sonderabdruck
(nicht im Buchhandel) aus „Jahrbuch des
Völkerrechts". Gr. 8°. München und Leip-
zig, o. J. Berichte über die völkerrechtliche
Entwicklung der einzelnen Staaten 1911/12.
Verlag von Duncker & Humblot. Von S.
1112—1123.
M a r t i t z , Prof. Ferdinand von,
Völkerrecht. Sonderabdruck (im Buchhandel
nicht erhältlich) aus „Systematische Rechts-
wissenschaft". 2. verbesserte Auflage. Gr.
8°. Leipzig-Berlin 1913. Die Kultur der Ge-
genwart. B. G. Teubner. Von S. 470 — 550.
Müller-Lyer, F.,
Phasen der Liebe. Eine Soziologie des Ver-
hältnisses der Geschlechter. Gr. 8°. München
1913. Verlag Albert Langen. 254 S. Geh.
M. 3,50, geb. M. 5,—.
Ostwald, Wilhelm,
Fastschrift aus Anlaß seines 60. Geburtstages
(2. September 1913). Mit Ostwalds Porträt
und mit Beiträgen von Prof. Dr. Rudolf
Wegs c h ne id er , Geh. Rat und Prof.
Dr. Ernst Ha ecke 1, Prof. Dr. Fried-
rich Jodl, Univ. -Do z. Dr. Paul
Kammerer, Geh. Rat Dr. Wilhelm
Einer, Rudolf Goldscheid. Heraus-
gegeben vom Monistenbund in Oesterreich.
Gr. 8°. Wien-Leipzig 1913. Anzengruber-
Verlag Brüder Suschitzky. 87 S.
Schücking, Prof. Dr. Walt hei-,
Neue Ziele der staatlichen Entwicklung. *2.
und 3. erweiterte Auflage. Gr. 8°. Marburg
i. H. 1913. N. G. Elwertsohe Verlagsbuch-
handlung. 110 S. Brosch. M. 1, — .
Weltfriedens, Sicherung des,
durch Etablierung eines internationalen Exe-
kutivorgans. 8°. Separatabdruck aus dem
„Militär-Kameradschaftsblatt" Nr. 32. 33, 34,
Jahrgang 1913. 19 S.
Wilson Woodrow, &
Die neue Freiheit. Ein Aufruf zur Befreiung
der edlen Kräfte eines Volkes. Mit einer
Einleitung von Hans Winand. 2. Auflage.
Gr. 8°. München 1914. Georg Müller.
225 S.
American School Peace League.
Salt Lake City, Utah. July 1913. Gr. 8°.
Headquarters Hotel Utah. 19 S.
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Traites de Paix conclus Civec les Päys-Bas
depuis 1576 — 1815. Publie ä l'occasibn de
l'ouverture solenelle du „Palais de la Paix"
En vente aux prix marques chez Van Stocknms
Antiquariaat. 4°. La Haye 1913. (15 Prinse-
gracht). 40 S.
Lambert, Henri,
Pax Oeconomica. Gr. 8°. Paris 1913. Publi-
cation de Ma Ligue du Libre - Echange. Au
Siege de la Ligue, Bureaux du Journal des
Economistes, 108 Boulevard Saint-Germain.
15 S. -
Union Interparlementaire.
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diction internationale et de la Mediation
entre Etats. Avec annexes. 8°. o. O. 1913.
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Verite, La,
sur le desaccord Serbo-Bulgare. Mit Beiträgen
von Pachitch, Drachkovitsch, usw. usw. Gr.
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Zoellner S. A. 63 S.
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I
398
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DIE Fßl EDENS -^VARTE
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Schultz Forlagsboghandei. 21 S.
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Hakan Ohlssons Boktryckeri. 26 S.
Malmgreen, Rob.,
Kriget och Privategendomen. 8°. Lund 1913.
Svenska Fredsförbundets Skriftserie IV.
Hakan Ohlssons Boktryckeri. 28 S.
Nilsson, J. O.,
Sotilas ja Kuolema. („Soldat und Tod').
Finnische Uebersetzung von Johann A. Mä-
kinen. Kl. 8°. Tampereella 1913. Tampereen
Sanomain Kustannus;- Osakeyhtiön Kirjapai-
nossa. 32 S.
Nilsson, J. E.,
Balkanfrägan i dess vigtigare skeden. 8°. Lund
1913. Svenska Fredsförbundets Skriftserie
V. Hakan Ohlssons Bocktryckeri. 52 S.
V e c c h i o , Prof. J. del,
El (Fenomeno de la Guerra y la idea de la
Paz. Kl. 8°. Madrid 1912. Manueles Reus.
Volumen VIII. Hijos de Reus. 171 S. geb.
Wehberg, Dr. Hans,
Vorbereitung der dritten Haager Friedenskon-
ferenz. Sonderabdruck (nicht im Buchhandel)
aus „Jahrbuch des Völkerrechts". 8°. Mün-
chen nmd Leipzig. Diunöker & Humblot. Von
S. 1386—1395.
Xax^Xo'Jxa, Ituavvrj; Z.
A^EÖve; A.aaiov T0U 1'JoXep.ou. Tofxo; Trpiu-co;: laropta tou
A'xaiou tou lioXe{i.O'j xat Aixouov tou xoxa Er^pav ÜoXe(j.ou.
Ev Aü/jvat; Turcot; u7tO'jpY£io'j a-paTtMmxcuv 1912. Gr. 8°.
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„Frankfurter Zeitung." 8. X. * Prof. Dr.
Ludwig Stein, Wilhelm Ostwald als Phi-
losoph. „Nord und Süd." Okt. * Dr. Alfred
H. Fried, Die Nürnberger Tagung des Ver-
bandes für internationale Verständigung. „Pester
Lloyd." 11. X. * D e r s. , Mesothorium und
Kriegsrüstungen. „Der Morgen" (Wien). 29. IX.
II. Die internationale Politik:
Hermann von R a t h , Die Sittlichkeit in
der Politik. „Der Tag" (illustrierter). 18. IX.
* Dr. George W. Nasmyth, Auswärtige
Kulturpolitik und die deutschen Universitäten.
„Akademische Rundschau" (Leipzig). VIII. *
Die Zukunft des Dreibundes ,., Vossische
Zeitung." 16. IX. * Berengar, Neuorientie-
rungen? „Das freie Wort." Okt. * D r. C h.
W. Eliot, Amerikas Dankesschuld an
Deutschland. „Nord und Süd." Okt. * Prof.
Hugo Münsterberg, Deutschland und
Amerika. „Nord und Süd." Okt. * Sir
Francis Trippel, Wilhelm II. als Friedens-
fürst. „Nord und Süd." Okt. * Prof. Karl
Lamprecht, Der Kaiser. Aus einer
Charakteristik des deutschen Kaisers.
„Vossische Zeitung." 5. X. * Ein deutsch-
französischer Journalistenkongreß. „Münchener
Neueste Nachrichten." 1. X. * Der Genter
deutsch - französische Verständigungsversuch.
„Schwäbischer Merkur" (Stuttgart). 30. IX.
* Um sich besser kennen zu lernen. „Kölnische
Zeitung." 3. X. * Prof. l>r. Martin Faß-
b ender, Gallophobie? Zugleich eine Antwort
an Herrn Prof. Aulard, Paris. .,\)cv Tag"
(illustrierter). .23. IX. * F. S c h o 1 1 Ix", i' er .
Der Glaube an den Krieg. „Frankfurter
Zeitung." 13. IX. * Die Bresche von Luxem-
burg. „Frankfurter Zeitung." I. X. * Leon
Bazalgette, Europa. , , Frankfurter Zeitung. "
5. X. * Balkan Anai'chy and Bulgarian Bosses.
„The Economist." 4. X. * Herbert Adams
Gibbons, After the Treaty of Buoharest.
„The Intependent." 18. IX.
III. Völkerrecht: Das Institut für
Völkerrecht. „Frankfurter Zeitung." 10. IX.
* P r o f . HeinrichGeffken, Das „Luxem-
burger Loch" im Lichte des Völkerrechts.
„Magdeburgische Zeitung." 4. X. * D e r s. ,
Das „luxemburgische Loch" im Lichte des
Völkerrechts. „Neue Vogtl. Zeitung" (flauen).
4. X. * Prof. Rieh. Eickhoff, Die Ent-
wicklung des internationalen Rechts. „Der
Tag" (illustrierter). 24. und 26. IX.
V. Wirtschaftliches: Albert
Thomas, Die dreijährige Dienstzeit und die
französische Volkswirtschaft. „Mä.rz." 27. IX.
* Max S'chippel, Abrüstung, Miliz und
Heeresreformen. „Sozialistische Monatshefte."
13. IX. * Bewaffnete Handelsschiffe in Frieden
und Krieg, „Vossische Zeitung." 24. IX. *
Generalmajor a. D. Karl Bahn, Die Ent-
wicklung der Luftfahrzeuge zum Kriegsmittel.
„Internationale Monatsschrift für Wissenschaft,
Kunst und Technik." Okt. * Deutschlands
Reichtum. „Frankfurter Zeitung." 2. X
SMITTEIL\/N6EN DEBS
FRIEOENSßESEUSCHAFTEM
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nioht die
Schriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
Mitteilungen der Oesterreichischen
Friedensgesellschaft,
Bnreau: Wien I, Spiegelgasse 4.
Friedenslotterie.
Unserer Gesellschaft wurde abermals die Ab-
haltung einer Lotterie bewilligt, deren Reinerträgnis
zur Stärkung des Propagandafonds dienen soll.
Wir werden in der nächsten Nummer über die
weiteren Einzelheiten berichten.
MB
Schule und Friedensbewegung.
Am 27. v. M. wurde in Plan (Böhmen) eine
Bezirkslehrerversammlung abgehalten, bei der unser
Mitglied Lehrer Franz Würl einen Vortrag über
„Schule und Friedensbewegung" hielt. Er be-
leuchtete die Kulturschädlichkeit $ des 1 Krieges,
zeigte dessen oft nichtige Ursachen und wies
zahlenmäßig nach, wie die Volkswohlfahrt unter
der Last des bewaffneten Friedens leide. Ferner
gab er eine kurze Uebersicht über die Organisation
der Friedensbewegung und forderte die Ver-
sammelten auf, in der Schule sowie im Volke für
den Frieden zu wirken. Dem Redner wurde für
seinen gediegenen Vortrag reicher Beifall zuteil.
Verantwortl. Redakteur: Carl Appold, Berlin "W. 50. — [m Selbstverlag des Herausgebers Dr. AHred H. Fried, Wien IX/2.
Druck: Paß & Garleb G.m.b.H., Berlin "W. 57. — Verantwortl. Redakteur für Oesterreicti-TJngarn : Vinzens Jerabek iu Wien
400
November 1913.
Verständigung ohne „Preisgabe der Idee".
Zwei deutsche Fürstenhäuser, die durch
die Entscheidung des Krieges fast ein
halbes Jahrhundert lang in Feindseligkeit
lebten, haben sich ausgesöhnt. .Was vor
wenigen Monaten noch für unmöglich ge-
halten wurde, konnte sich erfüllen. Der
Weifenherzog konnte den seinem Hause seit
27 Jahren vorenthaltenen Thron besteigen,
ohne vorerst jene Bedingungen erfüllt zu
haben, die man die Jahrzehnte hindurch als
Voraussetzung für die Uebernahme der Re-
gierung im Herzogtum Braunschweig be-
zeichnet hat. Per direkte Verzicht auf
Hannover erfolgte nicht. Die Zeit, die über
die Ereignisse von 1866 hingegangen ist, hat
es ermöglicht, daß der Bestand der Dinge
durch einen ihnen anscheinend entgegen-
stehenden Grundsatz nicht mehr erschüttert
werden kann.
Das ist ein Ereignis von hoher Trag-
weite für die Technik des Weltfriedens.
Zeigt es doch, daß alte, unversöhnlich
scheinende Gegensätze auch in der Politik
auf friedlichem Wege auszugleichen sind,
wenn man sich dazu entschließt, sich über
Formen hinwegzusetzen, die äußerlich noch ,
drohend erscheinen, durch das Wirken der
Zeit aber ihres Inhalts beraubt wurden.
Solche Formen können oftmals nicht aufge-
geben oder nur gewandelt werden, weil sich
in ihnen Grundsätze, Ueberlieferungen, Ehr-
begriffe und ähnliche Unwägbarkeiten ver-
dichten, die mit dem Sein von ganzen
Generationen auf das innigste verwachsen
sind. Sie sind es, die gerade bei ernsten Kon-
flikten der Aussöhnung und Verständigung
unüberwindlich scheinende Hindernisse ent-
gegenstellen. In dem Konflikte zwischen
Weifen und Hohenzollera hat es sich ge-
zeigt, daß man zur Verständigung gelangen
kann, indem man über jene Hindernisse ein-
fach hinwegschreitet und ihre völlige Er-
ledigung weiter dem Wirken der Zeit über-
läßt.
Der konservative Politiker Prof. Del-
brück, der seine Weltanschauung auf ge-
schichtlicher Erkenntnis aufbaut, hat für die
Unterlassung eines formellen Verzichtes auf
Hannover seitens des jungen! Welfenherzogs
eine Rechtfertigung gefunden. Er bezeich-
net es als unmöglich, daß der Sohn den
„mystischen Begriff des angeborenen
Königsrechts", der den Großvater be-
reits erfüllt hatte und dem der Vater
das Martyrium seines Lebens dargebracht
hat, einfach verleugnen konnte. Die Rück-
sicht auf die treue Anhängerschaft in Han-
nover, die für den jungen Herzog eine Ehren-
pflicht gewesen sei, die Rücksicht auf
Männer, denen das Opfer, das die histori-
sche Entwicklung ihnen auferlegt hat,
unendlich schwer geworden ist, und von
denen noch heute viele unter uns leben, dies
alles läßt er als ausreichende Erklärung für
die Unterlassung des formellen Verzichts
gelten. „Der Erbe" — so schreibt Delbrück
in den „Preußischen Jahrbüchern" — , „dem
all dieser Idealismus gewidmet war, kann
wohl auf die praktische Verwirklichung der
Restaurationspläne verzichten, aber die
Preisgabe der Idee kann ihm nicht zu-
gemutet .werden." Sollte in dieser die
Schwerkraft der Unwägbarkeiten richtig
einschätzenden Rechtfertigung laicht auch
ein Schlüssel für die Ueberwindung zwischen-
staatlicher Gegensätze, nicht ein Weg auch1
für die fernere Gestaltung des deutsch-fran-
zösischen Verhältnisses zu finden sein? Sollte
nicht, was den Fürsten recht war, den
beiden großen Völkern billig1 sein können?
Wie wäre es, wenn Deutschland von Frank-
reich „die Preisgabe der Idee" nicht mehr
fordern und beide Staaten entschlossen da-
nach trachten würden, nach' dem Muster von
Weifen und Hohenzollern über das direkte
Hindernis hinweg zu einem vernünftigen
Verhältnis zu gelangen, das ihnen in wirt-
schaftlicher und kultureller Beziehung" un-
401
DIEFßlEDENS-^ARTE =
3
eingeschränkte Zusammenarbeit gestatten
würde.
Man Iweüde mir nicht ein, daß eine
solche, die Zusammenarbeit ermöglichende
Aussöhnung undurchführbar ist, so lange
bei den Franzosen gerade jene nicht preis-
zugebende „Idee" darauf hinausgeht,
deutsche Gebietsteile, die ehedem fran-
zösisch ;waren, ihrem Staate wieder einzu-
fügen, und so lange der Gedanke an eine
gewaltsame Wiederherstellung des früheren
Standes der J)jjige jenseits1 der Vogesen
nicht erloschen ist. So liegen ja die Dinge
doch nicht mehr. Frankreich als Ganzes ge-
nommen, nicht als ein unter besonderen po-
litischen Einflüssen stehendes Segment,
Frankreich nicht nach den Bewegungen be-
urteilt, die gerade der Tag mit sich bringt,
sondern, zusammenfassend betrachtet, niach
seiner 42 Jahre hindurch beobachteten Wäh-
rung des Friedens, hat, ebenso wie Dielbrück
es richtig von demj Weifenprinzen voraus-
setzt, „auf die praktische Verwirklichung
der Restaurationspläne" seit langem ver-
zichtet. Nicht auf die Idee; wohl aber auf
ihre Verwirklichung durch die Gewalt. Wer
die letzten zehn bis fünfzehn Jahre des fran-
zösischen öffentlichen Lebens in Presse, Li-
teratur und im Parlament verfolgt hat, wird
dies nicht bestreiten können. Von jedem
ernsthaften französischen Politiker wird es
unumwunden ausgesprochen, daß man an
eine kriegerische Lösung des Konfliktes
nicht mehr denkt, nicht denken kann; weil
man mittlerweile erkannt hat, daß ein Krieg
im modernen Europa, selbst wenn er sieg-
reich wäre, in solchem! Konflikte keine
Lösung, höchstens eine Verschiebung brin-
gen würde. Diese Anschauung haben 42
Jahre deutsch-französischer Geschichte und
letzten Endes die Entwicklung der Dinge
in Elsaß-Lothringen selbst bestätigt.
Wenn die Haltung Frankreichs Deutsch-
land gegenüber noch immer gegnerisch ist,
wean der Rüstungswettbewerb zwischen
beiden Staaten auf der französischen Seite
den Anschein erweckt, als rechnete man
dort doch noch mit einer gewaltsamen
Restauration, so liegt dieser Anschauung
eine Verkennung der wirklichen Ursachen
zugrunde. Die Gegnerschaft zwischen den
beiden Völkern ist nämlich geblieben und
nährt sich dauernd aus den wechselseitigen
gegnerischen Handlungen, während die Ur-
sache der Gegnerschaft schon längst durch
den Einfluß der Zeit stark verblaßt ist.
Wie das Licht mancher Sterne Jahrtausende
braucht, bis es unseren Planeten erreicht,
402
so daß es vorkommen kann, daß unser Auge
das glänzende Funkeln ferner Welten erst
wahrnimmt, wenn diese schon längst er-
loschen sein mögen, so wirkt die längst in
ihrer Wirklichkeit abgeschwächte Ursache
jener Gegnerschaft noch immer auf das
heutige deutsch-französische Verhältnis ein,
wo durch den unversöhnlichen Schein und
nicht mehr durch das reale Sein der Dingo
das Schicksal zweier Völker bestimmt wird.
Jahrzehntelang hat man sich auf bei-
den Seiten der Vogesen die Köpfe darüber
zerbrochen, wie es möglich wäre, die
trennende Kernfrage zwischen den beiden
Völkern zu lösen, um zu einer Arbeitsge-
meinschaft zu gelangen. Schon vor zwan-
zig Jahren habe ich meiner Schrift über
„Elsaß-Lothringen und der Krieg" ein Wort
Renans als Motto vorangesetzt, das da
lautet: „Wie viele Fragen der Geschichte
des armen, Menschengeschlechts wollen da-
durch gelöst sein, daß man sie nicht löst.
Nach Verlauf von etlichen Jahren ist man
ganz überrascht, daß die Frage gar nicht
mehr vorhanden ist." Meine Ueberzeugung
Ivon der Richtigkeit dieses Satzes hat sich
in den Jahrzehnten nicht geändert. Sie ist
durch die Entwicklung, die die Dinge
zwischen Frankreich und Deutschland ge-
nommen haben, nur gestärkt worden. Sie
hat sich in der Weifenfrage neuerdings als
wahr erwiesen. Die trennende Frage steht
Zwar noch immer zwischen Deutschland und
Frankreich, aber die Zeit hat sichtlich ihr
Wesen geändert, und wahrscheinlich wäre
sie überhaupt schon ganz verschwunden,
wenn man nicht auf beiden Seiten den
Fehler begangen hätte, sie — jeder Staat)
in seiner Art — „lösen" zu wollen. Das
• Programm der Zukunft muß darin be-
stehen, jenen Fehler zu vermeiden. Man
muß aufhören, dem konkreten Streit direkt
zu Leibe gehen' zu wollen. Solange dies
nicht geschieht, kommen wir aus dem fehler^
haften Zirkel nicht heraus. Es ist nicht
möglich, über einen Konflikt hinwegzu-
kommen, solange die feindselige Gegner-
schaft besteht, die aus jenem Konflikt
hervorgegangen ist, und solange diese
Gegnerschaft aus den täglichen Rei-
bereien heraus sich fortwährend er-
neuert. Der konkrete Konflikt wird sich
ganz von selbst lösen, wenn man über ihn
hinweg zu der oben bereits angedeuteten
Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und
kulturellem Gebiete gelangt. Die Atmo-
sphäre der Verständigung, die aus solcher
Gemeinschaft entstehen muß, wird selbst-
<§:
DIE FRI EDENS -^^ÄßJE
tätig zu jener seit Jahrzehnten vergeblich,
gesuchten Lösung führen. In der An-
bahnung dieser Zusammenarbeit soll für
Frankreich kein Verzicht, für Deutschland
kein Zurückweichen enthalten sein. Aber
es wäre unklug, nicht die Hoffnung ausi-
zusprechen, daß eine Lösung sich dann auf!
ganz andere ,Weise wird vollziehen können,
als man sie sich heute im Stadium der
akuten Gegensätzlichkeit vorzustellen ver-
mag. Höchstwahrscheinlich werden sich im!
Laufe einer solchen Kulturgemeinschaft
ganz neue Begriffe einstellen, und nicht
mehr um den Besitz, der Provinzen wird es
sich dann handeln, sondern um ein ganz
neues Verhältnis, in dem das historisch Gen
Wordene mit dem historisch Gewesenen sich
ausgleichen wird. So wie Alfred Wolf, der
treu zum Reiche haltende Elsässer, kürz-
lich in der „Hilfe" anerkennend die Gefühle-
der Dankbarkeit hervorhob, die die Elsaßr
Lothringer ihrem alten Vaterlande gegen-
über hegen und mit riecht betonte, „es wäre
schlimm, wenn es anders wäre", so wird
man alsdann anch anfangen, die Gefühle
der Anhänglichkeit Frankreichs den Pro-
vinzen gegenüber als etwas Selbstverständ-
liches zu betrachten, wenn die Art ihrer
Aeußerung den feindlichen Stachel verloren
haben wird, ,der Ihr heute noch anhängt.
Es werden sich Wechselbeziehungen ent-
wickeln, die aus dem Hindernis das bisher
längst aber vergeblich erwünschte Verbinr
dungsmittel machen werden. Es muß so
kommen, weil es ja zum Teile schon so ist.
Die beiden .Völker sind ja heute schon durch
Elsaß-Lothringen verbunden. Sie kommen
nicht darüber hinweg, sie können nicht da-
von los. Es handelt sich gar nicht mehr
um die Befreiung der beiden Provinzen,
sondern um die Befreiung der beiden
Staaten, die sich unter der Diktatur dieser*
Provinzen befinden. Es handelt sich darum,
Deutschland und Frankreich, die heute die
Vasallen von Elsaß - Lothringen sind, frei-
zumachen, von dieser Hörigkeit und Zwangs-
verbindung, die Ketten, die sie heute an-
einander schmieden, zu einem freien Bunti,
umzugestalten.
Dies kann geschehen, wenn die heil-
same Lehre erfaßt wird, die die Lösung
des Weifenkonfliktes bietet. Daß es mög-
lich war, alten Zwiespalt zu überbrücken
ohne Gewalt und durch Verzicht auf ein
Beharren auf Bedingungen, die so lange die
Verständigung verhindert haben, läßt uns
hoffen, daß auch für Frankreich und
.Deutschland die Stunde schlagen wird, die
die lange Trennung zum Heile beider
Länder, zum Heile ganz Europas über-
winden wird. Und wir können das Heran-
nahen dieser Stunde beschleunigen, wenn
wir es aufgeben wollen, von einer Lösung
des konkreten Konfliktes zur Verständi-
gung zu gelangen, vielmehr den Weg ein-
schlagen, der durch eine vorhergehende Ver-
ständigung zur allmählichen Beseitigung des
ursprünglichen Streitgegenstandes führen
wird. Und eine solche vorhergehende Ver-
ständigung ist möglich, wenn man sich zu-
nächst auf ein kulturelles Zusammenwirken
beschränkt und auf beiden Seiten Rück-
sicht nimmt auf begreifliche Gefühle, deren'
Preisgabe oder Revision man sich hütet zur
Voraussetzung zu machen. A. H. F.
Deutschland; England und die
Vereinigten Staaten.
Von Edwin D. Mead,
Direktor der ,, World Peace Foundation"
in Boston (Mass.).
Am 15, Juni feierten Deutschland und die
ganze Welt das 25 jährige Regierungsjubiläum
des deutschen Kaisers. Ueberall, und nir-
gends mehr als in Amerika, wurde seiner
großen Verdienste um Deutschland, um die
Zivilisation im allgemeinen und hauptsächlich
seiner Verdienste um den Weltfrieden gedacht.
„Die geschichtliche Wahrheit fordert die Fest-
stellung", schrieb kürzlich der frühere Prä-
sident Taft, daß im Hinblick auf die wichtige
Stellung, die der Kaiser zwischen den Nationen
einnimmt, er im letzten Vierteljahrhundert die
einzige und mächtigste Kraft zur Erhaltung des
Friedens war." „Der einzige Mensch außer-
halb unseres Landes", sagte Roosevelt, „der
mich beim' Abschluß des Friedens von Ports-
mouth unterstützte, war Seine Majestät Wil-
helm II. Von keiner anderen Nation erhielt
ich irgendeine! Hilfe, nur der Kaiser half mir
persönlich und durch seinen Gesandten in
St. Petersburg, Rußland zu veranlassen, die
vollzogene Tatsache anzuerkennen und zu einer
Verständigung mit Japan zu gelangen."
Der Kaiser wird allgemein als der „War
Lord" angesehen, aber es ist Tatsache, daß
keine andere große Nation so ehrlich den
Frieden hielt, als Deutschland, nicht nur
während der letzten 25 Jahre, sondern wäh-
rend mehr als 40 Jahren; seit dem deutsch-
französischen Krieg. Es wird ihm oft eine
zu große Armee und eine zu starke Ent-
faltung seiner Flotte zum Vorwurf gemacht,
und doch gibt es kein Land in Europa, das
durch seine Lage und seine Verbindungen mit
den großen angrenzenden Mächten mehr Be-
rechtigung für; seine großen Rüstungen hätte.
Während dieser ganzen Zeit haben seine Rü-
stungen nur der Verteidigung gedient. Die
403
DIE FßlEDEN5-^/ARTE
3
anderen Großmächte hatten in der Zwischen-
zeit Krieg geführt, Großbritannien und die
Vereinigten Staaten furchtbare und blutige
Kriege im Transvaal und in den Philippinen.
Deutschland allein hielt, ausgenommen die un-
bedeutenden Zusammenstöße mit den Ein-
geborenen in Westafrika, den Frieden auf-
recht. Daran muß erinnert werden, zu
Deutschlands und' seines Kaisers Ruhm.
Eine gewisse Verstimmung herrschte
längere Zeit zwischen Deutschland und Eng-
land, für die nicht hauptsächlich Deutschland
verantwortlich gemacht werden kann. Glück-
licherweise scheint diese Verstimmung zurzeit
im Schwinden begriffen. Staatsmänner und
Männer der Volkswirtschaft kamen beider-
seits überein, daß eine Feindseligkeit sinnlos
und wertlos sei, daß ein Krieg furchtbar wäre,
und daß der Wohlstand des einen Landes
das Gedeihen des anderen fördert. Die Ver-
einigten Staaten sind im Begriff, die Feier
des hundertjährigen Friedens mit Groß-
britannien festlich zu begehen. Zwischen ihnen
und Deutschland herrschte stets Frieden.
Dies ist] jetzt eine günstige Zeit, die Wirkung
auf den Weltfrieden durch ein gemeinsames
Zusammengehen dieser drei großen teuto-
nischen Völker ins Auge zu fassen, wenn sie
darin übereinkommen, die Führerschaft, die
durch die Interessen der Zivilisation in diesem
wichtigen Augenblick verlangt wird, zu über-
nehmen.
Gleich nach Erstehen der amerikanischen
Republik veröffentlichte Immanuel Kant, der
größte deutsche und gegenwärtigste Philo-
soph, sein berühmtes Traktat über „den ewigen
Frieden". Dies war gewissermaßen die be-
merkenswerteste Prophezeiung und das aus-
gezeichnetste Programm, das je in bezug auf
eine organisierte und friedliche Welt gemacht
wurde. Es wurde im Jahre 1795 veröffent-
licht, während der Regierung Washingtons,
während der französischen Revolution, und
einige Jahre nach der amerikanischen Revolu-
tion, deren Erfolg Kant eine so große Be-
friedigung gewährte und deren Prinzipien seine
Sympathie hatten. In seinem Traktat identi-
fiziert er kühn die Sache des Friedens mit
der Sache der Selbstregierung, und er scheint
die neue amerikanische Republik im Auge zu
haben, wenn er schreibt: „Denn wenn das
Glück es so fügt, daß ein mächtiges und auf-
geklärtes Volk sich zu einer Republik, die ihrer
Natur nach' zum ewigen Frieden geneigt sein
muß, bilden kann, so gibt diese einen Mittel-
punkt der föderativen Vereinigung für andere
Staaten ab, um sich an sie anzuschließen und
so den Freiheitszustand der Staaten, gemäß
der Idee des Völkerrechts, zu sichern, und
sich durch mehrere Verbindungen dieser Art
nach und nach immer weiter auszubreiten."
Wie er der Ansicht war, daß die erste Be-
dingung für einen allgemeinen Frieden in
dem Vorherrschen von Selbstregierungen in
der Welt sei; es schien ihm dazu der Weg
in der Öffentlichkeit der Politik zu liegen.
Deshalb tadelte er die geheimen Verträge
ebenso scharf, wie die Fried enspartei in Frank-
reich es mit so großem Recht in diesem Jahr
getan hat.
Immanuel Kant war nicht der einzige aus-
gezeichnete Deutsche, dessen Sympathien wir
uns während unserer Revolution erfreuten.
Die Bewunderung Friedrichs für Washington
ist bekannt. Hessische Soldaten waren gemie-
tet, um gegen uns zu kämpfen, — das war die
Zeit der Söldnerheere — aber Steuben und
De Kalb kamen uns freiwillig zu Hilfe und
leisteten uns hervorragende Dienste. Wenn
einem allgemeinen Frieden Selbstregierungen
vorangehen müssen,! dann war es angebracht,
daß die Amerikaner sich bei der Einweihung
des Steubendenkmales im Jahre 1911 durch
Richard Bartholdt,' dem Vorkämpfer des Frie-
dens, dem Präsidenten der amerikanischen
interparlamentarischen Gruppe, vertreten
ließen.
Wenn wir an die Deutschen denken, deren
Sympathien mit uns waren, und die mit uns
für unsere Unabhängigkeit kämpften, dürfen
wir auch nicht vergessen, daß unsere
Landkarte eine ganze Reihe Städte besitzt,
wie Chatham, Pittsfield, Foxboro, Gonway,
Grafton, Wilkes, Barre, deren Namen Denk-
mäler für große englische Männer bilden, die
mit uns, ebenso tapfer im Parlament gefochten
haben, als unsere Väter bei Bunker Hill und
Trenton kämpften:
Das germanische Element war schon zur
Zeit der Revolution sehr groß in den Vereinig-
ten Staaten. Es wurde dann immer größer
und war eine Zeitlang das zweitgrößte Element
unserer Bevölkerung.' Wenn Professor Fausts
Statistik richtig ist („The German Element
in the Uni,ted States", S. 27), dann waren von
unserer Gesamtbevölkerung (67 000 000) im
Jahre 1900 20 000 000 Engländer, 18000 000
Deutsche, 14 000 000 Schotten und Irländer,
der Rest andere nationale Stämme. Da bei der
letzten Zählung die Zahl größer war, ist eine
wesentliche Aenderung in den Zahlen der
deutschen und) englischen Abkömmlinge nicht
anzunehmen. Es wird manchen überraschen,
zu erfahren,' daß die Anzahl der Amerikaner,
deren Ursprung im englischen Mutterland
liegt, nicht viel größer ist als jener, die aus
dem deutschen „Vaterland" stammen. Es
eibt Staaten, wie Wisconsin, wo zwei Drittel
der Bevölkerung deutschen Ursprungs sind,
und große Städte, wie Milwaukee, St. Louis,
Chicago, in denen mehr Deutsche als Eng-
länder wohnen. New York selbst ist die fünft-
größte deutsche Stadt der Welt. Drei Fünf-
tel unserer Gesamtbevölkerung, und zwar die
am meisten ins Gewicht fallenden, sind eng-
lisch und deutsch. Die Vereinigten Staaten
sind daher im wesentlichen eine teutonische
Nation.
Was Deutsch-Amerikaner in unserem Bür-
gerkrieg auf politischen, literarischen, journa-
404
<§=
= DIE FRIEDENS-^M&RXE
listischen, musikalischen, erzieherischen Gebie-
ten unseres amerikanischen Lebens geleistet
haben, ist so bedeutend, daß es töricht wäre,
einzelne Deutsche lobend zu erwähnen. Doch
sind uns gerade jetzt durch wirkungsvolle Ge-
dächtnisfeiern zwei ausgezeichnete Namen
nachdrücklich in Erinnerung gebracht worden.
Im April widmete Senator Root seine Präsiden-
tenrede auf der Jahresversammlung unserer
American Society of international Law den
bahnbrechenden Diensten von Francis Lieber,
dessen berühmtes Gesetzbuch zur Kriegs-
reglementierung, das auf Veranlassung un-
serer Regierung während unseres Bürgerkrie-
ges vorbereitet und an einem Apriltag im Jahre
1863 verkündet wurde, gerade 50 Jahre vor
Senator Roots Erinnerungsrede. Dieses hu-
mane und immerhin revolutionäre Gesetzbuch
war zu jener Zeit epochemachend; und es
war so vollkommen, daß, als ein Zeitalter spä-
ter, die erste Haager Konferenz sich mit dieser
Frage beschäftigte, die von ihr angenommenen
Kriegsgesetze nicht viel mehr als eine Wieder-
holung und Ergänzung des denkwürdigen Ge-
setzbuches von Lieber waren. Während seiner
Studentenjahre in Berlin wurde Lieber wegen
seiner Freiheitsgesänge ins Gefängnis ge-
worfen; er focht wie Byron für die Freiheit
der Griechen, und für die Freiheit kam er nach
Amerika, wo er in Boston seine berühmte
Laufbahn begann, die identifiziert werden kann
mit dem South Carolina College und mit dem
Columbia College in New York, wo er auch
sein berühmtes „Code of war for the Go-
vernment and the Armies of the United States
in the Field" vorbereitete.
Im Mai, wurde in New York, Morningside
Heights, zu gleicher Zeit, als diese Stadt die
britische Delegation zur Erinnerungsfeier des
hundertjährigen Friedens bewillkommnete,
nicht weit von der Columbia Universität, die
mit L i e b e r s Gesetzbuch so unvergleichlich
zusammenhängt, ein Denkmal für Karl
Schurz enthüllt, der gleich Lieber seine Frei-
heitsliebe mit) dem Gefängnis gebüßt hat, der
Freiheit wegen nach den Vereinigten Staaten
gekommen war und hier seine Laufbahn als
Journalist, Soldat und Staatsmann begann, eine
Laufbahn, die den stolzesten Besitz der letz-
ten Generation bildet. Er trat für die höchsten
Ideale in unserem öffentlichen Leben ein.
„Wir müssen die Sterne herunterholen wol-
len," antwortete er auf die Frage, warum er
um Ideale kämpfe, die so entfernt wie die
Sterne wären. Er liebte die Freiheit und die
Menschen und diesen beiden Leidenschaften
wurde bei der Gedächtnisfeier gedacht. Dem
höchsten deutschen Idealismus immer ergeben,
forderte er auch vom amerikanischen Bürger
das Höchste, und er hielt es für die vornehm-
ste Pflicht, seines zweiten Vaterlandes, allen
anderen Nationen voranzugehen auf dem
Wege zur internationalen Gerechtigkeit und
zum Frieden als Ersatz des veralteten Kriegs-
systems. Auf der im Jahre 1896 in Washing-
ton abgehaltenen Konferenz für Schiedsge-
richtsbarkeit war er es, der am beredtsten und
eindrucksvollsten sprach. „Als amerikanischer
Bürger," sagte er, „kann mich diese edle Frie-
densmission meines Landes nur mit Stolz er-
füllen; und ich muß gestehen, daß es mir
wie ein Angriff auf die Würde dieser Re-
publik erscheint, wenn ich höre, daß Ameri-
kaner diese Friedensmission als von unter-
geordnetem Interesse für die Vereinigten Staa-
ten zurückweisen und für den Schutz dieses
Landes oder für die Vorbereitung zu kriege-
rischen Aktionen eine Durchdringung des Vol-
kes mit kriegerischem Geist verlangen."
Die Verpflichtungen unserer Studenten-
schaft gegenüber den Universitäten in
Deutschland sind unberechenbar. Der erste
Amerikaner, der eine deutsche Universität
besuchte, war Benjamin Franklin,
der dazu durch die genaue Uebereinstim-
mung zwischen den Gründern der Republik,
die beständig und mit Nachdruck das Kriegs-
system anklagten, veranlaßt wurde. Im Jahre
1766 wohnte Franklin einer Versammlung
der königlichen Gesellschaft für Wissenschaft
von Göttingen, der damals erst seit einem
Zeitalter bestehenden Universität, bei, und'
nach Göttingen kam, ein halbes Jahrhundert
später, die erste berühmte Gruppe amerika-
nischer Studenten, als Avantgarde der großen,
nach Tausenden zählenden Armee amerika-
nischer Studenten, die in dem darauf folgen-
den Jahrhundert Göttingen, Leipzig, Berlin
und andere deutsche Universitäten besuch-
ten. Edward Everett, George Ticknor, George
Bancroft und Joseph Qogswell bildeten jene
hervorragende erste amerikanische Gruppe in
Göttingen (die beiden ersten im Jahre 1815 .
und Bancroft war der erste Amerikaner,
der an einer deutschen Universität einen
akademischen Grad erhielt. Durch ein merk-
würdiges Zusammentreffen wurde dieser
erste an einer deutschen Universität gra-
duierte Amerikaner ein halbes Jahrhundert
später der erste amerikanische Botschafter
des neuen Deutschen Reiches. In manchen
Jahren des letzten Jahrhunderts gab es nahezu
tausend amerikanische Studenten an allen
deutschen Universitäten zusammen, beinahe
fünfhundert in Berlin allein, und die Tau-
sende von amerikanischen Gelehrten, die jetzt
an unseren Hochschulen und Universitäten
Lehrstühle innehaben, deren Kultur und
Erziehung größtenteils in Deutschland er-
worben sind und die das deutsche Volk lieben,
sind, zusammen mit unserer großen deut-
schen Bevölkerung, eine mächtige Bürg-
schaft dafür, daß zwischen diesen großen
Nationen letzten Endes immer Verständi-
gung und guter Wille herrschen werden.
In der gegenwärtigen bemerkenswerten
internationalen Studentenbewegung, die zu
der Gründung der Cosmopolitan Clubs an
dreißig amerikanischen Universitäten und zu
zahlreichen ähnlichen Organisationen in ande-
405
DIE FRIEDENS -^/AQTE 5
:3
ren Ländern führte, ist es eine bezeich-
nende und wohltuende Tatsache, daßi die
neuen internationalen Clubs an vielen deut-
schen Universitäten auf amerikanische Ini-
tiative zurückzuführen sind. Der zwischen
Deutschland und den Vereinigten Staaten
eingeführte Professorenaustausch trägt noch
mehr dazu bei, Brüderlichkeit und gegen-
seitige Achtung in der Studentenschaft zu
fördern. Aus dieser Bewegung "heraus ent-
stand das Amerika-Institut in Berlin, das1
mit seiner ausgezeichneten Bibliothek dazu
dient, deutschen Gelehrten und Studenten
Kenntnis des1 Lebens, der Geschichte und
der Institutionen in den Vereinigten Staaten
zu geben. Es wäre wünschenswert,
daß ein solches deutsches In-
stitut in New York, vor allem aber
in London, begründet werde. Woran
es in England heute hauptsächlich mangelt,
das ist jenes geschlossene Zusammengehen
mit Deutschland, das zwischen deutschen und
amerikanischen Gelehrten besteht. Viele
Studenten der schottischen Universitäten
haben im letzten halben Jahrhundert zur
Vollendung ihrer Erziehung Deutschland be-
sucht, dagegen sind von englischen Uni-
versitäten bedauerlicherweise nur wenige
nach Deutschland gekommen. Im Jahre
1909 wohnte ich der Feier des 5O0jährigen
Bestandes der Leipziger Universität, an der
ich selbst studiert habe, bei, und äußerte
zu einer Gruppe schottischer Professoren, die |
an derselben Universität studiert hatten,
mein Bedauern über die damals herr-
schende Verstimmung zwischen Deutschland
und Großbritannien. „Sagen Sie nicht Groß-
britannien", erwiderten diese, „sagen Sie
England. Es gibt keinen denkenden Men-
schen nördlich des1 Tweed, der dieses Fühlen
teilte. Wir Schotten halten es einfach für
eine Anwandlung englischer Beschränktheit."
Dies erhellte mir sofort die periodischen
Paniken im vereinigten Königreich wegen
einer deutschen „Invasion".
Ich möchte, daß aus Anlaß der vor
nahezu hundert Jahren begonnenen großen
Wanderung amerikanischer Studenten nach
Deutschland, in Berlin ein deutsch-amerika-
nisches Gedächtnis-Institut gegründet werde,
um den sozialen und intellektuellen Bedürf-
nissen der großen Anzahl von Amerikanern
zu begegnen. Ein Sammelort für Deutsche
und Amerikaner sollte es werden, ein Mittel-
punkt für internationale Aufklärung, mit einer
Bibliothek und mit Konferenzräumen, die die
Namen von Bancroft, Everett und der be-
rühmten Pioniere tragen müßten. In erster
Linie sollte eine Halle vorhanden sein, die den
Namen Immanuel Kants führen würde. Das
Gebäude müßte den Namen Andrew D. White
führen, zu Ehren des großen Gelehrten,
unseres internationalen Nestors, der jahrelang
so viel zu den freundschaftlichen Beziehungen
zwischen Deutschland und Amerika beige-
tragen, der Amerika und der Welt so aus-
gezeichnete Dienste als amerikanischer Ge-
sandter in Berlin geleistet hat, und der diesen
ehrenvollen Posten verließ, um unsere ameri-
kanische Delegation bei der ersten Haager
Konferenz zu leiten.
Nichts ist zwingender und nichts könnte
bei dem gegenwärtigen internationalen Zeit-
punkt segensvoller und wirksamer sein, als
gute Verständigung und das geschlos-
senste Zusammenwirken zwischen
diesen drei großen teutonischen
Nationen: Deutschland, Großbri-
tannien und den Vereinigten Staa-
ten. Dieses Zusammenwirken liegt besonders
in der Macht der Bevölkerung der Vereinigten
Staaten, deren Wurzeln fast gleichmäßig
ebenso im Mutterlande wie im „Vaterland"
verankert sind. Die Vereinigten Staaten sind
auf keinen Fall nur Neu-England oder Neu-
Deutschland. Sie sind ebenso Neu-Irland,
Neu-Frankreich, Neu-Italien, Neu-Rußland.
New York mit seinen Millionen Juden sicher-
lich auch Neu-Jerusalem; in internationalen
Dingen sind alle Rassen in allen Ländern
zusammen verantwortlich. In den Vereinigten
Staaten fällt die hauptsächlichste Verantwort-
lichkeit auf die vorherrschenden, das ist auf
die großen teutonischen Elemente der Nation.
Dies ist die Stunde der Tat. Diese drei
durch alle Umstände ihrer Geschichte und
ihres Charakters zur Führerschaft berufenen
Nationen tragen heute als die drei größten
Flottenmächte am meisten zum wahnsinnigen,
die Nationen bedrohenden und entkräftenden
Wettbewerb bei. Wir begrüßen es, daß diese
Verstimmung zwischen Großbritannien und
Deutschland während der letzten Jahre im
Schwinden ist, und wir freuen uns der auf-
richtigen Worte und ernsten Mahnungen, wie
sie in der neulichen Ansprache des ersten
Lords der britischen Admiralität an Deutsch-
land gerichtet waren. Die augenblickliche
große Verstärkung der deutschen Armee in-
folge der Stärkezunahme der östlich gelegenen
Länder und der fortwährenden Agitation ihrer
Militärparteien bedeutet eine neue Bürde für
das belastete Volk, eine Quelle der Schwäche
mehr denn der Stärke, und ein der ganzen
Welt durch den Ansporn zu ähnlichen Ver-
stärkungen zugefügtes Uebel. Ebenso wie
Deutschland mit England zu einer Verständi-
gung über den Flottenbau kommen konnte,
könnte es mit Frankreich ein Uebereinkommen
in bezug auf eine entsprechende Rüstungs-
verminderung treffen. Die Vereinigten Staaten
müssen nicht warten und sollten auch nicht
auf eine deutsche und britische Aktion zur
Beschränkung der Rüstungen warten; wir
freuen uns an dem Kraftwort unseres Staats-
sekretärs, der unserem Volke, als dem
sichersten, als vornehmste Aufgabe die Pflicht
auferlegte, jenes Werk zu vollbringen, auf
das die Welt wartet.
406
<3r
= DIE FRI EDENS -^J^RXE
Zur Ersetzung des Kriegssystems und des
bewaffneten Friedens durch internationale
Verständigung ist kein Schritt wichtiger als
der einer gemeinsamen Bürgschaft der Na-
tionen in bezug auf die Unantastbarkeit des
Meeres während eines Krieges; und es ist
eine bezeichnende Tatsache, daß der erste ge-
schichtliche Vertrag, der dies zwischen zwei
Staaten verbürgte, zwischen den Vereinigten
Staaten und Preußen unter Friedrich dem
Großen im Jahre 1785 abgeschlossen wurde.
Deutschland vertrat diesen Standpunkt zu-
sammen mit den Vereinigten Staaten auf der
zweiten Haager Konferenz; und es ist Hoff-
nung vorhanden, daß auf der dritten Konferenz
Großbritannien sich diesen beiden anschließen
wird. Nichts könnte mehr dazu beitragen
der anglo-deutschen Verstimmung entgegen-
zuwirken, als ein solches Zusammengehen.
Es ist jetzt ein bedeutsamer und viel-
sagender Augenblick in dem Leben der drei
teutonischen Nationen erschienen. Deutsch-
land feiert die hundertjährige Wiederkehr des
Sieges bei Leipzig, der es von Napoleon be-
freite und ihm seine vollständige Freiheit
wiedergab. Großbritannien und die Ver-
einigten Staaten feiern nächstes Jahr den Be-
stand des hundertjährigen Friedens. Das
neue Leben Deutschlands, das vor hundert
Jahren mit Männern wie Fichte und Stein be-
gann, war hauptsächlich durch die großartige
Wiederaufbauung seines: Erziehungs- und Un-
terrichtswesens ausgezeichnet, wofür Deutsch-
lands große Fortschritte und seine Macht spre-
chen. Diese drei Nationen könnten gemeinsam
aus Anlaß der hundertjährigen Gedenkfeiern
eine groß ei neue Zeit des internationalen Ent-
gegenkommens und der internationalen Er-
ziehung einleiten, eine geregelte und friedens-
volle Aera für das Menschengeschlecht.
Als Wilhelm IL im Jahre 1888 Kaiser von
Deutschland wurde, versicherte er, daß der
Frieden seines Landes ihm heilig sei. „Als
ich den Thron bestieg," sagte er dann in
Breslau vor ungefähr sechs Jahern, „schwur
ich, daßj ich mein möglichstes tun werde, um
Bajonette und, Kanonen schweigen zu lassen."
Und die 25 Jahre seiner Regierung beweisen,
wie treu er diese Versicherung gehalten
hat. „Ich wünschte," sagte er in Düssel-
dorf im Jahre 1891, „daß der Friede Europas
in meine Hände gelegt werde. Ich würde
sicherlich Sorge tragen, daß er nie wieder ge-
brochen wird." Im selben Jahre sprach
er im gleichen Sinne in der Guildhall
in London. Anläßlich des Empfanges, der
ihm dort im Jahre 1907 bereitet wurde,
betonte er im Anschluß an seine bei
dem früheren Empfang gehaltene Rede
wieder seinen sehnlichsten Wunsch: „Ich
sagte damals an diesem Orte, daß ich über
alles danach strebe, den Frieden aufrecht
zu erhalten. Ich hoffe, daß die Geschichte
mir Gerechtigkeit darin wird widerfahren
lassen, daß ich diesem Streben immer ge-
dient habe. Die hauptsächlichste Stütze und
Bürgschaft für den Weltfrieden ist die Auf-
rechterhaltung guter Beziehungen zwischen
unsern Ländern, und ich werde diese ferner-
hin so gut und freundschaftlich gestalten,
als dies in meinen Kräften liegt. Die
deutsche Nation hegt den gleichen Wunsch."
Der stolzeste Titel des Königs, der im
gleichen Jahre (1907) in England regierte, war
„the Peacemaker". Am 23. Mai des laufenden
Jahres sagte sein Sohn in Berlin in seiner
Rede an die britische Kolonie in der deutschen
Hauptstadt: „Die Erhaltung des Weltfriedens
ist mein heißester Wunsch, und dies war auch
das einzige Ziel und der Lebenszweck meines
teuern Vaters."
Dies ist auch sicherlich heute der eifrigste
Wunsch des Präsidenten der Vereinigten
Staaten, wie es das größte Streben seines
Vorgängers war. Das Hauptbedürfnis und
die wichtigste Forderung der ganzen großen
Welt geht heute dahin, daß diese drei führen-
den teutonischen Nationen sich in einer groß-
zügigeren Politik als es je in der Vergangenheit
sich ereignete, vereinen sollen zum Zwecke
eines dauernden Friedens und einer besseren
Organisation der Welt.
Das bedenkliche Treiben des
deutschen Flottenvereins.
Von L. Persius, Kapitän zur See, Berlin.
In seiner letzten Kundgebung schildert
das Präsidium des Deutschen Flottenvereins
die angebliche dringende Not an Panzer-
kreuzern, und fordert die durch zwingende
Umstände ( ? ) gebotene Beschleunigung des
Baues von Ersatzschiffen. Ferner wird die
vermehrte Indiensthaltung von kleinen Kreu-
zern, die Bereitstellung der Mannschaften
und die Indiensthaltungskosten hierfür für
nötig erachtet. Am Schluß heißt es : „Daß
alle diese Gesichtspunkte der Marineverwal-
tung nicht fremd sind, kann ohne weiteres1
angenommen werden. Möchte die Arbeit des
Flottenvereins dazu beitragen, ihr die Wege
zu einer entsprechenden Vorlage zu ebnen.
Die deutsche Volksvertretung hat, als sie im
vergangenen Sommer trotz der erheblichen
Schwierigkeiten auf Grund der vom Kriegs-
minister immer wieder betonten Notwendig-
keit die bereits gestrichenen drei Kavallerie-
regimenter bewilligte, den Beweis geliefert,
daß sie überzeugender Begründung nicht un-
zugänglich ist. Dieser Vorgang müßte den
Marineminister daher veranlassen, einen Zu-
stand abzustellen, der angesichts der rüstig
voranschreitenden Bauten der möglichen
Gegner ( ? ) unsere Flotte immer mehr ins
Hintertreffen bringt." Diese Kundgebung
ist ein typischer Beweis für die Art, wie der
Flottenverein der Reichsmarineamtsverwal-
tung die Wege ebnet ! Es wird stets in
407
DIE FRIEDEN5-WABTE
;§>■
Abrede gestellt, daß der Staatssekretär
irgendwelchen Einfluß auf den Flottenverein
ausübe. Es braucht nicht daran erinnert
zu werden, daß der Präsident des Vereins,
der Großadmiral v. Köster, und der ge-
schält sführ ende Vorsitzende und zugleich der
Leiter des Pressewesens, also der Verfasser
der Kundgebungen und Mitteilungen, zumeist
der Admiral Weber ist, der seinerzeit
— 1908 — , als der dem Reichsmarineamt
wegen seiner freimütigen Kritik unbequeme
General Keim gestürzt wurde, auf Ver-
wenden des Staatssekretärs den Posten beim
Flottenverein erhielt. Betrachtet man die
Kundgebung genauer, so stellt sie eine Aus-
lese von Irreleitungen der öffentlichen Mei-
nung dar. Im letzten Satz z. B. wird von
den „rüstig voranschreitenden Bauten der
möglichen Gegner" gesprochen, die unsere
Flotte immer mehr ins Hintertreffen bringen.
Wohlverstanden, die deutsche Flotte !, die
nächst der englischen die weitaus stärkste
heute ist! Deutschland hat jetzt 17 fertige
Dreadnoughts, Frankreich hat 2, die Ver-
einigten Staaten haben 8, Rußland keinen,
Oesterreich 2 und Italien 2. Da es sich
in der Kundgebung des Flottenvereins dies-
mal nur um Kreuzer handelt, enthält
die Aeußerung aber eine direkt den Tat-
sachen ins Gesicht schlagende Behauptung.
Die englische Flotte ist einer der mög-
lichen Gegner, und sie ist die einzige, die
den Kreuzerbau im größeren Stil, wie wir
es tun, betreibt. Schlachtkreuzer und ge-
schützte Kreuzer wurden bisher nur in
Deutschland und England gebaut. Frank-
reich z. B. hat seit 1905 überhaupt keinen
Kreuzer, weder Schlacht- noch geschütz-
ten, auf Stapel gelegt. Seine Kreuzer-
streitkräfte sind sämtlich veraltet. Das
gleiche gilt von der nordamerikanischen
Flotte. Die italienische und österreichische
Flotte verfügen nur über ganz unbedeutende
Kreuzerkräfte.
Man ist an Skrupellosigkeiten gewöhnt,
wenn es sich um Flottenrüstungsagitation
handelt. Betont nicht die Regierung stets,
wir ba\jen unsere Seemacht nach unserem
eigenen Bedürfnis aus, ohne irgendwie eine
andere Flotte als Gegner ins Auge zu
fassen ! Wie reimt sich diese im Reichs-
tag unzählige Male vorgebrachte Phrase mit
dem Schlußsatz der Flottenvereinskund-
gebung ? Natürlich ist es nur eine Phrase.
Welches sind unsere Bedürfnisse ? Unsere
Flotte steht am zweiten Platz. Wäre die
englische nicht vorhanden, so würden unsere
eigenen Bedürfnisse den weiteren Schiff-
bau schon längst nicht mehr erfordern.
Früher hieß es, unsere Flotte muß unsere
Handelsschiffahrt und unsere Kolonien zu
schützen imstande sein. Als die Erkenntnis
aufdämmerte, daß wir das gegenüber der
seegewaltigsten Flotte doch nicht könnten,
erfand ein genialer Herr am Leipziger Platz
40S
den Risikogedanken, ,. unsere Flotte soll so
stark sein, daß auch der seemächtigste
Gegner sie nicht anzugreifen wagt." Er ist
ein wunderbarer Kautschukbegriff. Aber
unser Volk ließ sich von ihm hypnotisieren.
Anfänglich las man im offiziösen Nautikus,
wir erstreben eine Flotte, die es mit der
französischen aufnehmen kann. Nun ist diese
Stärke längst erreicht, ja weit überholt. Die
französische Flotte ist knapp halb so kampf-
kräftig als die unsere, zieht man alle Schiffs-
gattungen an Quantität und Qualität in Be-
tracht. Im vergangenen Jahre meinte der
Staatssekretär des Reichsmarineamts, ein
Verhältnis von 10 zu 16 der deutschen und
englischen Schlachtschiffe wäre „akzeptabel ".
Wenn wir diese Stärke erreicht haben werden,
wird der Flottenverein sagen : Sicherer ist, wir
sind ebenso stark wie England. Erst dann
dürfen wir ruhig schlafen. Also wird er sich
gemüßigt fühlen, „der entsprechenden Vor-
lage den Weg zu ebnen". Sein Pflichtgefühl
wird ihm das vorschreiben. Alle die An-
gestellten des Flottenvereins tun ja notabene
ihren Dienst nur aus ideellen Rücksichten !
Man braucht die Perspektive, die die
Agitation des Flottenvereins gewährt, nicht
weiter auszuspinnen. Würde die deutsche
Flotte der englischen an Stärke gleich-
gekommen sein, so müßte weiter agitiert
werden, damit jeder Kombination die Spitze
geboten werden könne, usw. Nun, es wird
dafür gesorgt werden, daß die Bäume des
Flottenvereins nicht allzu hoch wachsen.
Zwei Möglichkeiten bestehen. Denkbar wäre
es, daß dem Steuerzahler der Geduldsfaden
reißt, d. h., unser gutmütig, allzu gläubiges
Volk erkennt, wohin es vom Flottenverein
geleitet wird, und daß es dem Verein die
Gefolgschaft aufkündigt. Leider ist hierzu
freilich geringe Aussicht vorhanden. Ein
dickmaschiges Netz der Ortsgruppen des
Flottenvereins ist über ganz Deutschland
geworfen. Die Vorstände spielen an ihren
Orten eine beträchtliche Rolle, auch z. B.
im Wahlkampf. — Die Vorteile einer solchen
Betätigung brauchen nicht näher erläutert zu
werden ! — Sie werden ferner für unermüd-
liche Werbearbeit belohnt. Vielfache Ver-
günstigungen gewährt die Mitgliedschaft.
Anregende Vortragsabende, fast stets mit
Tanz und ähnlichen Belustigungen, sorgen
für die Unterhaltung. Man ist geschäfts-
kundig im Flottenverein ! Der simple Vor-
trag würde wenige herbeilocken, aber um
so mehr Lichtbilder, Konzerte u. a. m. Und
der Verkauf von Postkarten, Kalendern, Ab-
zeichen bringt Geld in die Vereinskasse.
Ehrendiplome werden als Orden auf der Brust
getragen. Können auch nur wenige
richtige Orden abfallen, so genügt auch
schon solch eine Talmidekoration im engeren
Kreise. Wie stolz wird das Abzeichen an
der Vereinsmütze gezeigt. Das Präsidium
kennt die kleinen Schwächen des Deutscht iri
<s=
DIE FRIEDENS -^ARXE
und rechriet gern mit ihnen; bringt sich das
doch reichlich ein. Für die Lehrer, die be-
sonders geeignet erscheinen, schon in der
Jugend die nötige Flottenbegeisterung zu
verbreiten, wird besonders gesorgt. Für sie
werden kostenlose Sommerfahrten zur
Wasserkante arrangiert. Gewaltige Scharen
-von Schülern schafft ferner der Verein teil-
weise auf seine Kosten alljährlich nach
den Kriegshäfen Kiel und Wilhelmshafen, wo
ihnen die Marine die Matrosenkasernen als
Quartier zur Verfügung stellt, die Besichti-
gung der Schiffe unter sachkundiger Leitung
von Offizieren ermöglicht usw. Matrosen-
kapellen holen die Ausflügler vom Bahnhof
ab, kurz, die Marine gewährt jede Unter-
stützung. Die „Mitteilungen" des
Vereins sind weiter ein vorzügliches Mittel,
um, man kann sagen, fast die gesamte Presse
Deutschlands1 in Bann zu schlagen. In
Tausenden und aber Tausenden von Exem-
plaren gehen sie kostenlos an die Zei-
tungen. Nicht einmal die Herkunft braucht
genannt zu werden. Es finden sich in der
Presse zahllose Artikel über Marineangelegen-
heiten, die doch sämtlich immer die gleiche
Tendenz verfolgen, Stimmung für gesteiger-
ten Schiffbau zu machen. Wer kann es
einem Blatt nicht nachfühlen, daß es gern
einen Leitartikel oder dergleichen veröffent-
licht, der ihm gratis zur Verfügung gestellt
wird.
So bearbeitet der Flottenverein syste-
matisch das Volk, predigt immer erneut von
der bedrohlichen Gefahr, die durch die ge-
waltigen Rüstungen der anderen Flotten ent-
steht und ermahnt, einzutreten für den be-
schleunigten Kriegsschiffbau. Daß die ein-
schlägigen Industrien dankbar die Bestre-
bungen des Vereins anerkennen und nicht
nur mit Worten, sondern mit Taten unter-
stützen, bedarf nicht der Erwähnung.
Es dünkt ein unmögliches Unterfangen,
gegen das verhängnisvolle Treiben des
Flottenvereins aufzukommen. Verhängnis-
voll, weil es eine ausgesprochene Spitze
gegen England zeigt. Nur durch den Hin-
weis auf die noch allein stärkere Flotte,
die englische, läßt sich ja eine Agitation für
die Vermehrung unseres Schiffsparks be-
gründen. Verschiedentlich wurde mir von
Reichstagsabgeordneten eingeräumt, es sei
fast ausgeschlossen, gegen irgendeine Forde-
rung der Marineverwaltung Front zu machen.
,,Wir können es unserer Wähler wegen nicht
unternehmen. Sie glauben nicht, welche
Macht der Flottenverein darstellt, wie ver-
hetzend er auf unsere Beziehungen zu Eng-
land wirkt."
Hiermit kommen wir zur andern Möglich-
keit — wie dem Flottenwettrüsten und den
Treibereien des Flottenvereins ein Ende ge-
steckt werden könnte. Kurz gesagt, durch eine
kriegerische Entladung. Nämlich dann, wenn
England einsieht, daß die Begehrlichkeit des
deutschen Volkes, richtiger gesagt jener lär-
menden und fanatisierenden Minorität, die
durch den Flottenverein dargestellt wird, die
aber das gesamte Volk in Marinefragen zu
beherrschen scheint, unbegrenzt ist, d. h..
wenn es merkt, daß die Rüstungsschraube ad
infinitum von Deutschland gedreht wird. Es
stehen heute nicht wenige Leute bei uns auf
dem Standpunkt : „Besser ein Ende mit
Schrecken." So kann es nicht weitergehen.
Die Teuerung wird unerträglich, die Steuer-
schraube denkt nicht daran, stillzustehen.
Abgesehen von Oesterreich, lebt man nirgends
kostspieliger als in Deutschland. Der
Deutsche, wenn er ein billiges Dasein haben
will, geht nach Frankreich oder England.
Man sagt, jede Rüstung sei wohlfeiler
als ein Krieg. Heut, im Zeichen der Millio-
nenheere und der Dreadnoughts, trifft das
nicht mehr zu. Man erinnere sich der Summe,
die allein die deutsche Flotte während des
letzten Jahrzehnts gekostet hat, ganz ab-
gesehen von dem Verlust an Menschenkraft,
die, durch sie absorbiert, dem Lande ent-
zogen wurde, usw. Es sind unter Hinzu-
rechnung der Kosten des Baues und der
Erweiterung des Kaiser-Wilhelm-Kanals — er
wäre der Handelsschiffahrt wegen nie be-
willigt worden — , der Pensionen, des Flotten-
stützpunkts! in Kiautschou usw. fünf Milliarden
viel zu niedrig gegriffen. In der Tat scheint
es also, daß eine blutige Auseinandersetzung!
billiger kommen würde als das endlose Wett-
rüsten. Selbstverständlich leugnen der Flotten-
verein und seine Anhänger es ab, zu einem
Krieg zu drängen. Man wird ihnen auch im
gewissen Grade Glauben schenken dürfen,
daß ihnen ein solches Resultat ihrer Hetze-
reien unerwünscht wäre. So klug sind die
Präsidialmitglieder auch, daß sie wissen, daß
Deutschland in einem Krieg gegen England
nichts gewinnen kann und nur ärmer werden
wird. Und weiter wissen sie, daß die Existenz
des Flottenvereins dann zugleich ernstlich
bedroht wäre, denn es würde auch dem Un-
mündigsten die Erkenntnis kommen, zu
welchem unheilvollen Ende die Agitation des
Vereins geführt hat, wer die Schuld an der
Vernichtung unserer Kriegs- und Kauffahrtei-
flotte, an der Zerstörung unserer Handels-
beziehungen u. a. m. trägt.
Liest man jetzt wieder die Veröffent-
lichungen der die Bestrebungen des Vereins
unterstützenden Presse über den erneuerten
Vorschlag des englischen Marineministers
Churchill zu einem Feierjahr im Flottenbau,
so kann kaum in Abrede gestellt werden, daß
hier eine Sprache geführt wird, die mehr als
provozierend genannt werden muß. Es wird
die Grenze überschritten, die das gewöhn-
liche Anstandsgefühl vorschreibt. Mit Hohn
und Spott wird Churchill Übergossen. Man
scheut sich nicht, ihn des Betrugs zu zeihen,
schilt ihn einen Toren und ähnliches mehr.
Man ma°- über den ersten Lord der britischen
409
DIE FBIEDENS-^ADTE
=6)
Admiralität denken, wie man will. Es gibt
wohl aber sonst keine Presse, die sich heraus-
nähme, in einem so unqualifizierbaren Ton
über einen der höchsten Regierungsbeamten
einer fremden Macht zu sprechen. Man mag
über die Rede verschiedener Ansicht sein.
Liest man sie im Urtext, so kann man sich
der Ueberzeugung nicht verschließen, daß
es Churchill bitter ernst ist mit seinem
Wunsch, dem Unverstand des Rüstungs-
wettbewerbs zu steuern. Keineswegs, daß
man glauben brauchte, er hätte aus selbst-
losen Gründen gehandelt. Er will seine Po-
sition auf innerpolitischem Gebiet verbessern,
will England die Möglichkeit geben, durch
Ersparnisse an der Flotte auf sozialem Boden
endlich etwas zu leisten. Aber, sollten wir
uns fragen, wollen wir denn nicht auch Geld
sparen ? Haben wir keinerlei Aufgaben auf
sozialpolitischem Gebiet mehr zu erfüllen ?
Es tut nicht nötig, die lange Liste her-
zuzählen, die bei uns der Abarbeitung be-
darf. Rein realpolitisch sollte gerade dem
Churchillschen Vorschlag nähergetreten wer-
den. Es ist ein Geschäft, wie jedes andere.
Aber ein weit gewinnbringenderes, als'
mancher ahnt. Die Perspektive auf eine
endliche allgemeine Rüstungsbeschränkung
eröffnet sich. Hat man erst beim Flotten-
bau den Anfang gemacht, sah ein, daß dem
ersten Feierjahr ohne Schaden weitere folgen
können, so wird auch eine Formel gefunden
werden, um die übermäßigen Ziffern der
Heere herabzudrücken.
Zum Schlußi. Man unterschätzt vielfach
den Einflußi und die Macht, die natio-
nalistische Vereine, wie der Flottenverein, in
Deutschland ausüben. Er hat jetzt 322 000
Mitglieder, die sich auf 3786 Ortsgruppen
verteilen. Fast eine Million ist die Gesamt-!
gefolgschaft, rechnet man die angeschlosse-
nen Vereine hinzu. Die „Flotte", das Organ
des Vereins", erscheint allmonatlich in 360 000
Exemplaren. Das Einkommen des Vereins
betrug im vergangenen Jahre rund 445 000 M.
Das verzinslich angelegte Vermögen beträgt
etwa eine halbe Million. Diese Zahlen
geben einen Begriff von dem Einfluß und der
Kraft der Agitation des Flottenvereins. Der
Hinweis auf seine den Frieden gefährdenden
Machinationen soll dazu dienen, allen denen,
die in einem Zusammengehen Englands und
Deutschlands die wichtigste Bedingung für
den Frieden Europas sehen, die Augen zu
öffnen und sie zu bewegen, an ihrem Teil)
mitzuarbeiten, das unheilvolle Wirken des
Flottenvereins und seine zügellose Agitation
zu unterbinden.*)
*) Was hier vom Flottenverein gesagt wurde,
gilt in analoger Weise vom Wehrverein. Er sucht
den Zwiespalt Deutschland-Frankreich für seine
selbstischen Zwecke auszubeuten. Der Ver-
fasser gibt keine praktischen Winke, wie dem
verderblichen Treiben dieser Vereine gesteuert
werden kann. Jeder, der in seiner Zeitung
Das Rüstungs- Elend in
Oesterreich- Ungarn.
Unter der1 Ueberschrift „Wehrreform und
Finanznot" bringt; „Der österreichische Volks-
wirt" (Wien,, 1913. 11. X.) aus der Feder des
Herausgebers, Dr. Walter Federn, einen
Artikel, der vom pazifistischen Gesichtspunkt
im höchsten Grade beachtenswert ist, weshalb
wir ihn,; mit Einwilligung des Verfassers, hier
zum größten Teil wiedergeben.
Der Artikel weist zunächst auf den wirt
schaftlichen Aufschwung Italiens hin, das ebe
einen Krieg) geführt hat und fährt dann fort:
„Oesterreich-Ungarn hat keinen Krieg ge
führt, aber sein Volkswohlstand, der sich
wenige Jahre hindurch — allerdings zum
großen Teile nur scheinbar — kräftig gehoben
hat, ist erschüttert, alle Wirtschaftszweige
leiden unter einer Produktions- und Absatz-
krise. Industrie' und Handel können nur mit
den größten Opfern Kredit finden, die Bau-
tätigkeit ist durch Kreditmangel nahezu voll-
ständig unterbunden, unsere 4 o/o igen Renten
stehen nur wenig höher als 80 o/o, weit tiefer
als die Renten der Türkei, die seit zwei Jahren
in Kriege verwickelt ist, die dem Reiche nach
dem afrikanischen fast den ganzen europä-
ischen Besitz, zu rauben schienen, tiefer als die
serbische, verzinst sich kaum niedriger als die
Rente Bulgariens, das nach einjährigem Kriege
fast die ganzen Früchte seiner anfänglichen
Siege eingebüßt hat und wir müssen nun schon
zum dritten Male seit einem Jahre, angesichts
der Schwierigkeiten Rente anzubringen, kurz-
fristige Schatzscheinoperationen zu einem Zins-
fuße vornehmen, den irgendeiner anderen
Großmacht zuzumuten nicht möglich wäre.
Diesmal ist es Ungarn, das diese Zinssätze
bewilligen muß, vielleicht wird in wenigen
Monaten Oesterreich, so wie im Dezember
vorigen Jahres ähnliche Opfer bringen müssen,
wenn es seinen Geldbedarf zu decken streben
wird."
Der Verfasser untersucht alsdann, wie dies
alles gekommen ist und gibt darüber folgende
Aufschlüsse :
Die Müitärlasten Oesterreich- Ungarns
waren lange verhältnismäßig gering im Ver-
gleiche zu den Aufwendungen anderer Groß-
mächte, nicht nach dem Willen der Militär-
verwaltung, sondern infolge der Verfassungs-
kämpfe in Ungarn und der Schwierigkeiten der
:t
!
völkerverhetzende oder das Wettrüsten auf-
stachelnde Artikel findet, besonders, wenn sie
den „Mitteilungen" der Vereine entstammen,
sollte dem Verlag seines Blattes mitteilen,
daß er das Abonnement aufgeben würde, falls
sich dergleichen Auslassungen nochmals darin
vorfänden. Die Sorge vor dem verminderten
Absatz ist das beste Mittel, Zeitungsverlegei
zu veranlassen, ihren Redakteuren größere Vor-
sicht anzuempfehlen!
Der Herausgeber.
410
@s
DIE FR! EDENS -\>v£M2.TE
parlamentarischen Verhältnisse in Oesterreich.
Auch damals waren aber die Lasten im Ver-
hältnis zur Tragfähigkeit der österreichisch-
ungarischen Volkswirtschaft nicht gering und
seither sind sie ganz außerordentlich ge-
stiegen. Die rapide Steigerung begann im
Jahre 1907. Damals betrug das Budget des
Kriegsministeriums noch 415 Millionen
Kronen, pro 1912 war es auf 562 Millio-
nen Kronen angewachsen, pro 1913 waren
584 Millionen Kronen präliminiert,
allerdings einschließlich der außerordent-
lichen Heeres- und Marinekredite; aber diese
sind eine regelmäßig wiederkehrende Erschei-
nung geworden und niemand kann diese An-
forderungen mehr als einmalige ansehen.
Tatsächlich ausgegeben wurden in diesem
Jahre mehr als 1 Milliarde Kronen,
da ja die mit 435 Millionen Kronen offiziös
angegebenen Auslagen für die Bereitschaft
während des Balkankrieges hinzukommen.
Nach dem Wehrgesetz vom Jahre 1911
wachsen die ordentlichen Ausgaben von Jahr
zu Jahr, so daß sie allein im Jahre 1915 um
71 Millionen Kronen höher sein werden als im
Jahre 1911, wo sie 459 Millionen Kronen be-
tragen haben. Zu diesen Erfordernissen kom-
men die der Landwehr und Honved mit etwa
120 Millionen Kronen jährlich, so daß wir
schon jetzt mit über 700 Millionen
jährlich belastet sind und nach Errei-
chung des Maximums der durch die letzte Wehr-
reform bewirkten Ausgaben auf nahezu
800 Millionen' Kronen jährlich kommen
werden. Aber schon hat die Kriegsverwaltung
einen neuen Heeres- und Flottenplan aufge-
stellt, über den im gemeinsamen Ministerrat,
wie mitgeteilt wird, eine Einigung erzielt wor-
den ist, dessen Kosten man noch nicht kennt,
der aber jedenfalls die laufenden Ausgaben
wieder um etliche Dutzend Millionen Kronen
erhöhen und uns außerordentliche Ausgaben
von etlichen hundert Millionen Kronen be-
scheren wird. Bevor dieser Aufwand erledigt
ist, wird die Kriegsverwaltung vermutlich mit
einem neuen Programm kommen, d. h. sie
wird damit kommen, wenn sie noch kommen
kann. Denn daran ist sehr zu zweifeln. Viel
wahrscheinlicher ist es, daß man schon mit
dem jetzigen Programm die Volkswirtschaft und
die Staatsfinanzen zerstört und damit die mili-
tärische Schlagkraft in nicht gut zu machen-
der Weise geschwächt haben wird. Und das
mögen diejenigen bedenken, die unbekümmert
um alle Not des Staates und der Bevölkerung
im maßlosen Rüstungsaufwande mit den an-
deren Großmächten wetteifern wollen."
Den Vergleich mit anderen Großmächten
namentlich mit Deutschland, weist der Artikel
zurück. Er legt die viel höhere wirtschaft-
liche Entwicklung Deutschlands dar und
kommt zu dem Schluß :
„Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
Oesterreich - Ungarns ist weder mit der
Deutschlands noch' überhaupt mit der irgend-
einer der europäischen Großstaaten zu ver-
gleichen.
Die volkswirtschaftlichen Er-
trägnisse fließen nur aus der Pro-
duktion, was man davon für unpro-
duktive Zwecke zu konsumieren
vermag, kann also nur im Verhält-
nis zur Produktionsmenge und zum
Produktionswerte gesetzt werden.
Oder wird es unseren Rüstungsschwärmern
lieber sein,; wenn wir die Steuerlasten verglei-
chen? Mit der einmaligen Milliardenabgabe
— so drückend sie auch empfunden wird ■ —
sind Deutschlands Steuerträger noch immer
ungleich weniger belastet als die unseren. Oder
mit den Aufwendungen des Staates für kul-
turelle, für volkswirtschaftliche Zwecke? Sie
halten ebensowenig einen Vergleich aus.
Aber lassen wir die Vergleiche mit an-
deren Ländern, denn man könnte uns er-
widern, wenn wir ein armes Land sind, so
sind damit unsere Grenzen nicht weniger be-
droht und wir müssen vorkehren, was nötig
ist, um uns nach Möglichkeit zu schützen.
Die Frage ist nur, ob wir es können. Wissen
die Finanzminister vielleicht neue Steuern, die
sie unserer Bevölkerung auferlegen können,
wo das ganze Steuerbukett, um das seit Jahren
im Reichsrate gekämpft wird, schon für andere
Zwecke bestimmt ist, oder sehen sie die Mög-
lichkeit, neue Anleihen für militärische Er-
fordernisse aufzunehmen ? Für eine Milli-
arde hat Oesterreich-Ungarn kurzfristige
Schatzscheine in Umlauf gesetzt, die inner-
halb dreier Jahre zur Rückzahlung fällig wer-
den ; mindestens 250 Millionen Kronen
ist der laufende Anleihebedarf für produk-
tive Zwecke, so sehr man das Budget auch
zu drosseln sucht, für Eisenbahninvestitionen
und ähnliche Ausgaben, die zum größten Teile
aus den laufenden Einnahmen bestritten
* werden sollten, die wir aber nicht aus den
Steuereingängen und anderen staatlichen Ein-
nahmen bedecken können. Glauben die
Finanzminister, daß sie in den nächsten Jahren
auch nur diese Anleihen zu halbwegs annehm-
baren Kursen unterbringen können ? Ist es
nicht genug, daß unsere Renten tiefer stehen
als die aller anderen europäischen Staaten,
daß Ungarn für die Schatzscheine, die es so-
eben ausgegeben hat, 1% °/o Zinsen zahlt, nicht
genug, daß Länder und Städte ihre dringend-
sten Kapitalsbedürfnisse nicht aufbringen
können, daß die Bautätigkeit im Reiche voll-
ständig ins' Stocken geraten ist, weil auf dem
Kapitalmarkte keine Abnehmer für Pfand-
briefe vorhanden sind, weil keine Hypotheken
gewährt werden können ? Wo wollen die
Finanzminister die Hunderte Millionen für
Kasernen, Geschütze' und Dreadnoughts über-
haupt aufnehmen? Sollen unsere Renten von
80 o/o auf 70 und 60 °/o fallen ? Wollen sie noch
Schatzscheine emittieren, genügt es nicht, daß
wir seit drei Jahren fast ein Fünftel unserer
Budgets in schwebenden Schuldverpflich-
411
DIE FRIEDEN5-Vk/AQTE
3
tungen laufen haben? Und denken sie nicht
daran, daß, wenn so weiter gewirtschaftet wird,
es auch geschehen kann,, daß solche kurz-
fristige Schuldverpflichtungen in einem Augen-
blick fällig werden können, wo wir auch zu
noch viel drückenderen Bedingungen das Geld
zur Einlösung oder vielmehr zur Erneuerung
nicht mehr aufbringen können ? Ist eine
solche Finanz Wirtschaft über-
haupt noch zu verantworten? Da
glauben die Finanzminister, weiß Gott, was
geleistet zu haben, wenn sie von den Militär-
forderungen den achten Teil herabdrücken,
wenn sie die Hinausschiebung der Ausführung
der Pläne der Militärverwaltung um ein hal-
bes Jahr und der Erreichung des Maximaltrup-
penkontingents um ein paar Jahre erwirken.
Ist keiner unter ihnen, der den Mut fände, zu
erklären, daß Oesterreich-Ungarn
diese neuen Lasten einfach nicht
mehr ertragen kann, daß. wir einer
Katastrophe entgegentreiben? Ist
nicht einer da, der lieber seinen Namen als
verantwortlichen Verwalters der Staatsfinanzen
rettet denn sein Portefeuille?
. Nicht das erstemal geschieht es in der
Geschichte der Monarchie, daß die maß-
losen Forderungen der Kriegsver-
waltung das Land wir tschaft lic h,
finanziell und militärisch an den
Abgrund getrieben haben. Man
denke an die Zeit vor 1859, die damit geendigt
hat, daß zum Abbruch des italienischen
Krieges in jenem Jahre auch der Umstand bei-
trug, daß es dem Finanzminister einfach nicht
mehr möglich war, Geld zur Führung des
Krieges aufzubringen. Weiß unsere Militär-
verwaltung nicht, daß die finanzielle Kriegs-
bereitschaft nicht minder wichtig ist als die
militärische ? Hat' sie vergessen, was sich im
Dezember vorigen Jahres abspielte, als man
noch an eine aktive Politik dachte und etwa
<S00 Millionen Kronen aufnehmen wollte und
von den Finanzinstituten die Antwort erhielt,
daß dies unmöglich sei? Erinnert man
sich nicht, daß man damals auch die 250 Millio-
nen Kronen, auf die die beiden Finanzverwal-
tungen schließlich ihre Forderungen herab-
geschraubt hatten, im Inland nicht auf-
zubringen vermochte und zu 7 o/o ins Ausland
gehen mußte, glücklich jenseits des Ozeans
das Geld zu finden ?
Die Geschichte der fünfziger Jahre ist für
die Gegenwart sehr lehrreich. Nach dem
Jahre 1848 begann in Oesterreich trotz Re-
aktion, Absolutismus und Militärdiktatur eine
Zeit der Wiedergeburt. Ungeheure Aufwen-
dungen wurden gemacht, um das erschütterte
Reich wieder zu heben. Das abgefallene
Ungarn wurde an das Gesamtreich geschmie-
det. Für kulturelle Bedürfnisse wurde vieles
geleistet, der Hebung der Volkswirtschaft galt
die Sorge tüchtiger Ressortchefs. Die Bauern-
befreiung wurde mit großen Opfern durch-
geführt, große Investitionen zur Hebung der
Produktion vorgenommen, die Grundlagen des
Eisenbahnnetzes mit für die damalige Zeit
enormen Kosten gelegt, und schließlich so-
gar die Währung reguliert. So verschwindend
gering die aufgewendeten Ziffern jener Zeit
sind, im' Verhältnis zu den heutigen, so enorm
waren die Lasten, die -der Staatsschatz für die
damaligen Verhältnisse auf sich nahm. Und
sie wären nicht vergebens gewesen, wenn man
der Volkswirtschaft Zeit gelassen hätte, die
Früchte der reichen Aussaat einzuheimsen.
Aber das ließ die Militärverwal-
tung nicht zu, die damals wie heute
Wünsche und Ziele der Zivilverwaltung igno-
rierte und gegen alle Bedenken ihre For-
derungen durchsetzte. Denn auch damals
glaubte man imperialistische Politik treiben
zu dürfen, ohne sich um die Tragfähigkeit
der Volkswirtschaft} zu kümmern. Und das
hielten die Finanzen und die Volks-
wirtschaft nicht aus. Das Land, das
mit der Sammlung seiner Kräfte eben erst be-
gonnen hatte, brach unter den mili-
tärischen Lasten zusammen. Hätte
man der Volkswirtschaft Zeit . gelassen, bis
die großen Kapitaisa uf Wendungen produktiv
geworden wären,, Ertrag geliefert hätten, hätte
man die Last geteilt, erst die Volkswirtschaft
leistungsfähig gemacht und ihr nachher Opfer
für die militärische Bereitschaft zugemutet,
die Katastrophe des Jahres 1859 hätte nicht
eintreten müssen, der ganze Verlauf der
österreichischen Geschichte wäre
vielleicht ein anderer gewesen.
Und heute liegen die Dinge ähnlich. Zwar
die Regierung kann sich nicht den Vorwurf
machen, im letzten Dezennium zur Entfaltung
der produktiven Kräfte des Reiches großc
Kapitalien investiert zu haben. Das einzige,
was sie bauen wollte, die Wasserstraßen,
konnte sie nicht bauen und der Aufwand wäre
auch verfehlt und zweckwidrig gewesen, das-
selbe Geld für wirklich produktive Zwecke
verwendet, hätte ganz andere und raschere
Früchte getragen. Regierung und Parlament
-^ sie teilen die Verantwortung — haben in
diesen Jahren nur die Beamtenschaft korrum-
piert und idas Budget zerrüttet. Und auch da-
für findet sich die Analogie in den fünfziger
Jahren in der unerhörten militärischen Korrup-
tion, dem Militärlieferungsschwindel usw. Aber
die Volkswirtschaft selbst war in den letzten
Jahren von einem ungeheuren, in Oesterreich-
Ungarn bis dahin nicht erlebten Schaffens-
drange erfüllt. Sie hat sich ausgedehnt, die
produktiven Energien entfaltet und ungeheure
Kapitalsinvestitionen zu diesem Zwecke ge-
macht, die ebenso wie in den fünfziger Jahren
erst nach1 Verlauf etlicher Jahre ihre Früchte
tragen konnten. Schlimme Verfehlungen und
Uebertreibungen sind dabei unterlaufen, aber
trotzdem hätte man die Früchte nach etlichen
Jahren einheimsen können. Aber auch
diesmal ließ es die Militärverwal-
tung nicht zu. Zu der ungeheuren Kapi-
412
<£
DIE FR! EDENS -WARTE
talsinanspruchnahme für Investitionen der
Volkswirtschaft gesellte sie ihre nicht minder
großen Ansprüche an den Kapitalmarkt für
die enorme Vermehrung der laufenden und
sogenannten einmaligen, aber immer wieder-
kehrenden Ausgaben und überdies für die
zweimalige Mobilisierung innerhalb fünf
Jahren. Das vertrug der Kapitalmarkt nicht.
Er ist zusammengebrochen und die Folgen
sind eben unsere gegenwärtige Kapi-
talsnot, die Unmöglichkeit, Ren-
ten anzubringen, Pfandbriefe zu
begeben, Kredite für Produktion und Han-
del zu erlangen, die Produktions-, Absatz- und
Kreditkrise, die Insolvenzen, die Not der Be-
völkerung, die ungeheure Auswanderung
derer, die nicht mehr Brot zu Hause finden
können.
Wir sind kein militärisches Fachblatt.
Wir haben nicht zu beurteilen, ob das, was die
Kriegsverwaltung verlangt, wirklich notwen-
dig ist. Gewiß, je größer das Heer, desto
größer seine Erfolgchancen. Wir wollen nicht
dabei verweilen, daß die Vermehrung der
Quantität mit einer Verringerung der Quali-
tät verbunden ist, daß, wie kürzlich unwider-
sprochen dargelegt wurde, schon jetzt, um
die nötige Zahl an Rekruten aufzubringen,
die Anforderungen in bezug auf Größe, Ge-
hör- und Gesichtssinn herabgesetzt werden
mußten. Wir haben auch heute nicht zu be-
urteilen, ob die politische Situation so ist,
daß sie uns zu einem verstärkten Grenzschutz
zwingt. Aber wir haben die finanziellen und
ökonomischen Möglichkeiten für diesen Auf-
wand zu prüfen, da es die Heeresverwaltung
selbst nicht tut und die Finanzverwaltungen
ihrer Kenntnis der Unmöglichkeit, diesen Auf-
wand ohne wirtschaftliche und finanzielle Kata-
strophe zu leisten, nicht in einem Veto Aus-
druck verleihen. Und diese Prüfung sagt,
daß, was! die Militärverwaltung erreichen will,
heute nicht möglich ist. Wir
können diese Lasten nicht tragen.
Der Kapitalmarkt — wenn man schon die
anderen Zeichen der Wirtschaftskrise nicht
sehen will — sagt es jedermann deutlich,
daß wir nicht alljährlich für Hunderte von
Millionen Anleihen aufnehmen können. Man
lasse der Volkswirtschaft, dem Kapitalmarkte
fünf Jahre Zeit, sich von den Folgen der
durch die Leiter unserer auswärtigen Politik
und unsere Kriegsverwaltung verursachten
Wirtschaftskrise zu erholen. Man lasse der
Bevölkerung Zeit, neue Ersparnisse zu bilden,
frische Konsumkraft zu erwerben, damit die
Tausende der jetzt ganz oder teilweise still-
stehenden Betriebe wieder arbeiten, Güter und
Einkommen schaffen können. Dann wird die
Steuerkraft wieder gehoben sein, dann wird
wieder Geld für die Anleihen da sein und,
wenn nötig, verlange man dann von der Be-
völkerung neue militärische Opfer. Heute geht
es nicht.
Die Vorlagen, die die Kriegsverwaltung
jetzt ausarbeitet, werden in etlichen Monaten
den Parlamenten vorgelegt werden, man wird
an ihren Patriotismus appellieren. Aber
ihren Patriotismus! werden die Ab-
geordneten beweisen, wenn sie
diese Vorlagen ablehnen, nicht,
wennsie sie annehmen. Sie haben nicht
zu befürchten, daß man ihnen einst vorwerfen
wird, daß sie für die Bedürfnisse der Wehr-
macht kein Verständnis gezeigt haben.
Nehmen sie die Vorlagen an, dann weiden sie
mit der Kriegsverwaltung und mit den Finanz-
verwaltungen dafür die Verantwortung teilen,
daß dieser Stjaat finanziell und
wirtschaftlich und damit auch
militärisch dem Ruin zugeführt
wird. Im Interesse unserer Wehrmacht
müssen diese Vorlagen abgelehnt werden."
— Soweit der Artikel des hervorragenden
Wirtschaftspolitikers. Es fehlt der pazi-
fistische Schluß : Internationale Ver-
einbarung zur Verminderung des
Rüstungs Wettbewerbes. Das natio-
nale Uebel, an dem nicht nur Oesterreich-
Ungarn leidet, kann nur durch inter-
nationale Methoden beseitigt wer-
den. Die verschiedenen, an die Donau-
monarchie im Laufe der letzten Jahre heran-
getretenen Anregungen auf Vereinbarungen
über die Ermäßigung der Rüstungslasten sind
von dieser im Verein mit dem Deutschen
Reich dauernd abgelehnt worden. Hier
liegt der Fehler!
Das internationale Friedens -
seminar und die Ferienkurse
für Ausländer in Kaiserslautern,
Ein Beitrag zur „Erziehung zum Frieden"
von Ludwig Wagner in Kaiserslautern.
Der Hauptgrund, den die Widersacher
der Friedensbewegung gegen diese ins Feld
führen, ist die Behauptung, daß trotz aller
vorübergehenden Erfolge, die etwa die Pazi-
fisten mit ihren Bestrebungen aufzuweisen
haben, der Krieg die ultima ratio sei und nach
der Gesetzmäßigkeit des historischen Welt-
geschehens auch bleiben müsse. Diese An-
schauung, daß der Krieg niemals ganz aus
dem Leben der Völker verschwinden werde,
ist aber auch in den Reihen derer zu finden,
die sich für den Gedanken internationaler
Verständigung einsetzen. Die politischen
Ereignisse der letzten Jahre scheinen diesem
Standpunkte recht zu geben. Fast allen Maß-
nahmen, mit denen sich seit Jahrzehnten die
Friedensorganisationen an die Erwachsenen
wenden, blieb bisher ein allgemein durch-
greifender und dauernder Erfolg versagt.
Wenn es auch unbedingt feststeht, daß die
großen Massen des Volkes friedliebend sind
und in normaler geistiger Verfassung den
413
DIE FRIEDENS -WAQTE
3
Krieg verabscheuen, so ist es doch eine ebenso
feststehende Tatsache, daß es sehr kleinen
Minderheiten, die am Kriegshandwerk und an
der Kriegshetze ein starkes persönliches
Interesse haben, zur gegebenen Zeit oft
sehr leicht gelingt, weite Volkskreise durch
planmäßige Anwendung nie versagender
Suggestionsmittel aus der Ruhe ihres Da-
seins1 und ihrer politischen Betrachtungs-
weise herauszureißen und sie in den Strudel
nationalistischer Aufregung und Kritik-
losigkeit hineinzuziehen. Diese zielbewußte,
zur nationalistischen Hypnose sich steigernde
Massensuggestion wird mit Recht als das
Haupthindernis für das Vordringen des Frie-
densgedankens angesehen. Wenn es freilich
eine ausgemachte Sache wäre, daß diese
Suggestibilität des Volkes für Fremdenhaß
und Kriegsbegeisterung eine im Wesen der
Volksseele begründete, unausrottbare Eigen-
schaft derselben sei, wenn es nicht mögjich
werden sollte, in der Völksseele einen Damm
aufzurichten, an dem; sich die erregten Wogen
nationalistischer Hochflut brechen müssen,
so müßte man tatsächlich den Glauben an eine
in der Zukunft liegende, vollständige Aus-
schaltung des' Krieges aus dem Völkerleben
aufgeben. Bevor man sich aber diese für
den human denkenden Menschen so grau-
same Verzichtleistung auferlegt, lohnt es sich
doch, den Ursachen dieser Suggestibilität
der Volksmassen nachzugehen uind, wenn man
sie gefunden hat, zu überlegen, ob und wie
sie zu beseitigen seien. Wie Professor
Dr. Friedländer auf der Nürnberger Tagung
ausführte, gibt es eine zweifache Suggestion,
eine wesenseigene und eine wesensfremde.
Letzterer gelingt es in der Regel nicht so
leicht, ihren Einfluß auszuüben, weil sie in
dem zu Suggerierenden, zumal wenn er guten
und starken Willens ist, löft kräftige Hemmun-
gen und Widerstände zu überwinden hat.
Die wesenseigene Suggestion dagegen findet in
ihrem Opfer oft schon eine Fülle von Apperzep-
tionen, eine für die Beeinflussung vorbereitete
und wohlgeneigte Seele. Diese wesens-
eigene Suggestibilität braucht gar nicht an-
geboren zu sein, sie kann auch anerzogen sein,
und dies ist bei der nationalistischen
Suggestibilität der Fall. Denn es gibt heute
noch große Völker, die absolut friedliebend
sind und nationalistischer Suggestion den
stärksten Widerstand entgegenstellen. Auch
unsere Kulturvölker wissen auf Grund ihrer
Lebenserfahrungen, daß ihnen Glück und
Wohlergehen nur im Frieden erblühen. Wenn
sie trotzdem immer wieder der natio-
nalistischen Suggestion erliegen, so ist dies
dem Umstand zuzuschreiben, daß die Volks-
seele von Kindheit an durch die Schul- und
Hauserziehung mit zahllosen Fäden natio-
nalistischer Denkweise umsponnen wird, in
die sich später eine derartige Suggestion mit
Leichtigkeit verankern kann. Dieser von
Kindheit an gesponnenen Fäden können sich
414
die Völker trotz gegenteiliger Erkenntnisse
und Erfahrungen nie mehr ganz entledigen.
Denn die in der Jugend gewonnenen Ein-
drücke und Willensimpulse sind die für das
ganze Leben nachhaltigsten. So wird die
ganze Gesinnungs-, Willens- und Charakter
bildung des Volkes von Jugend auf durch die
staatlich organisierte Schulerziehung darauf
eingestellt, den Nationalismus mit all seinen
Aeußerungen und Ausstrahlungen als die
höchste Tugend des Volkes betrachten und
wertschätzen zu lernen. Dem A-B-C-Schützen
sowohl wie dem Primaner wird es in Fleisch
nud Blut eingeimpft, daß der höchste Ruhm
der ist, für das Vaterland zu sterben. Durch
die ganze Art des Schulbetriebs, durch den
kriegerischen Geist der historischen Unter-
weisungen, durch die von eitlem nationalem
Ehrgeiz gefärbten Belehrungen über andere
Länder und Völker wird das Volk von Gene-
ration zu Generation in einen von Nationalis-
mus und Militarismus durchtränkten gei-
stigen Habitus gesteckt, aus dem es auch im
späteren Leben nie mehr ganz herauskommt.
Hier liegt, wie ich bereits an anderen Stellen
dargetan habe, der Angelpunkt, in dem die
Friedensbewegung einzusetzen hat, wenn es
ihr nicht bloß um vorübergehende Erfolge
zu tun ist, sondern wenn sie ihre große Zu-
kunftsaufgabe erfüllen will, nämlich die Ge-
sinnungs- und Willensrichtung der Völker im
Sinne des Friedensgedankens von Grund aus
umzugestalten. Die Verwirklichung des Frie-
densgedankens ist im letzten Grunde eine
Sache der Erziehung. Der Friedensgedanke
muß aufs engste verknüpft werden mit dem
Gedanken der Erziehung des Men-
schengeschlechtes, wie er unsern
großen Geistesheroen Herder, Lessing, Goethe,
Schiller, Wilh. von Humboldt und vielen
anderen Führer war im Leben und im Wirken.
Nur durch die Erziehung, durch eine plan-
mäßige, wohlüberlegte Einwirkung auf die
Jugend im Geiste der Versöhnlichkeit und
der gegenseitigen internationalen Wert-
schätzung wird es möglich werden, die wesens-
eigene nationalistische. Suggestion in eine
wesensfremde umzuwandeln und so in der
Volksseele selbst einen Damm gegen die wech-
selnden Stimmungen, gegen die die niedrigen
Instinkte aufpeitschenden Verhetzungen auf-
zurichten. Durch die Erziehung muß das
verkehrte Werturteil vom Tod für das Vater-
land dahin umgewertet werden, daß es wert-
voller ist, für das Vaterland zu leben,
statt zu sterben, daß sich der echte Patriotis-
mus in dem guten Willen zeigt, an der Lösung
und Verwirklichung der vaterländischen Kul-
turaufgaben nach Kräften mitzuarbeiten. Die
Erziehung muß die Erkenntnis vermitteln,
daß Heldentum nicht bloß in der Schlacht
zu finden ist, sondern daß sich Gelegenheit
zu echtem Heldentum auch im kleinsten Wir-
kungskreise täglich darbietet; die Erziehung
muß in die Jugend eine Vaterlandsliebe ein-
g>~
= DIE FRIEDEN5-^ARXE
pflanzen, die sich jederzeit bewußt ist, daß das
eigene Vaterland allein noch nicht die Welt
bedeutet, sondern in seinem Gedeihen von
den anderen Ländern der Erde abhängig' ist,
daß die Voraussetzungen für seine Wohlfahrt
um so mehr gegeben sind, je mehr es ihm
gelingt, im friedlichen Wettstreit mit den
anderen Nationen um die Erzeugung der
höchsten Kulturwerte sich die Achtung und
Wertschätzung in der Welt zu erringen, und
je mehr Freundschaftsbande es mit
anderen Völkern verbindet. Diesen Weg,
der durch die Jugenderziehung hindurchführt,
hat uns Goethe schon gewiesen, wenn er
sagt, daß mit Erwachsenen in solch großen
Dingen nie viel anzufangen ist. „Fangt
mit der Jugend an, und es wird gehen!"
Ein Blick in die Organisation des heu-
tigen Erziehungswesens zeigt, daß die Um-
formung desselben im Sinne des Friedens-
gedankens keine leichte Arbeit ist, sondern
unendlich viel Geduld und Ausdauer erfor-
dert; denn Voraussetzung für ein Gelingen
ist doch, daßi die Erzieher erst selbst einmal
den Friedensgedanken als einen sie in ihrer
Berufsarbeit verpflichtenden Imperativ an-
erkennen. Daher gilt es vor allem, diejenigen
für den Friedensgedanken zu gewinnen und
zu begeistern, die in erster Linie zur Er-
ziehung der Jugend berufen sind: Lehrer,
Lehrerinnen, Professoren, Geistliche, Ge-
lehrte. Eine weitere Vorbedingung für diese
Umbildung ist, daß sie nicht einseitig in
einem Lande einsetzt, sondern gleichzeitig
in den benachbarten Kulturländern nach ge-
meinsamen Grundsätzen und Richtlinien sich
vollzieht. Zu diesem Zwecke müssen sich
die am Erziehungsgeschäfte in den ver-
schiedenen Kulturländern Beteiligten selbst
persönlich nähertreten, sich gegenseitig
kennen und verstehen lernen. Um dies zu
ermöglichen, könnte man verschiedene Wege
einschlagen. Man könnte z. B. von Zeit zu
Zeit internationale Kongresse für alle an der
Jugenderziehung beteiligten Personen ver-
anstalten. Dafür scheint mir aber jetzt die
Zeit noch nicht gekommen zu sein. Denn,
abgesehen davon, daß sich eine derartige
Zusammenkunft doch immer auf eine ver-
hältnismäßig kurze Zeit von einigen Tagen
beschränken müßte und infolgedessen zu
wenig Zeit für ein persönliches Sichnäher-
treten übrigließe, so würden solche Kon-
gresse in der Hauptsache doch nur von solchen
Personen besucht werden, die bereits dem
Friedensgedanken mehr oder weniger näher-
gekommen sind. Die große Mehrheit der
Lehrpersonen würde aber immer noch in Unr-
kenntnis oder Teilnahmslosigkeit an der pä-
dagogischen Friedensbewegung abseits stehen.
Gerade diese Mehrheit aber gilt es zu ge-
winnen. Da der Friedensgedanke allein sie
nicht zusammenbringen würde, so muß. man
nach anderen Gelegenheiten suchen, die zug-
kräftig genug sind, um regelmäßig eine
größere Anzahl von Lehrern und Erziehern
aus allen Ländern auf möglichst lange Zeit
zu gemeinsamer Arbeit und Beratung zu-
sammenzuführen. Eine derartige Gelegen-
heit glaube ich durch unsere „Ferienkurse
für Ausländer" geschaffen zu haben, die in
diesem Sommer zum achten Male stattgefun-
den haben. Sie verdanken ihre Entstehung
hauptsächlich der Beobachtung, daß in den
meisten Kulturländern sich in den Kreisen
der Schulmänner immer mehr die Strömung
die Oberhand verschafft, die fremde Sprache
und Kultur, Land und Leute, Sitten und Ein-
richtungen in dem betreffenden Lande selbst
an Ort und Stelle kennen zu lernen. Alles,
was diesem Zwecke dient, muß daher in dem
Programm solcher Kurse im Vordergründe
stehen, was nicht ausschließt, daß alle der-
artigen Darbietungen vom Gedanken und der
Absicht internationaler Verständigung ge-
tragen werden. Im Gegenteil ! Durch die
Tatsache, daß. die Kursteilnehmer wenigstens
vier Wochen, viele sogar sechs und neun
Wochen lang zusammengehalten werden, ist
außerordentlich viel Gelegenheit zu gegen-
seitigem Gedankenaustausch gegeben, der es
ermöglicht, bestehende Vorurteile zu zer-
streuen und sich gegenseitig kennen und
schätzen zu lernen. Im Gegensatze zu man-
chen anderen derartigen Einrichtungen, die
meistens ausschließlich wissenschaftliche
Unterweisungen an einheimische Lehrer zum
Zwecke haben, oder die sich nur an aus-
ländische Neuphilologen wenden, vereinigen
unsere Kurse von Anfang an Lehrer, Lehre-
rinnen, Professoren und Schüler höherer Lehr-
anstalten aus allen Kulturländern, und daher
wirken an ihnen auch Lehrer und Professoren
aller Schulgattungen, von Volks-, Mittel- und
Hochschulen. Da mit den Ferienkursen auch
solche in französischer und englischer Sprache
verbunden sind, so stellt sich jährlich auch
eine größere Anzahl deutscher Lehrer und
Schüler bei denselben ein, so daß, sich die
verschiedenen Nationen durch gegenseitigen
Sprachaustausch näher kommen. So stellten
sich also unsere Ferienkurse von Anfang an
durch Förderung des persönlichen Verkehrs
und Gedankenaustausches an Diskussions-,
Familien- und Unterhaltungsabenden, auf ge-
meinsamen Spaziergängen und Ausflügen in
den Dienst des! internationalen Verständi-
gungsgedankensL : .Es ist doch leicht ein-
zusehen, daß auf diese Weise in einer Reihe
von Jahren in den verschiedenen Ländern
ein Stab von Erziehern gewonnen wird, die
als Pioniere des1 Friedensgedankens in diesem
versöhnlichen Geiste auf die ihnen anver-
traute Jugend und damit auf ihr Volk ein-i
wirken und so der internationalen Verständi-
gung immer mehr den Boden bereiten. Da
die Kurse jährlich im Durchschnitt von
200 Teilnehmern — die deutschen nicht ein-
gerechnet — besucht werden, so wird in zehn
Jahren eine Zahl erreicht, die in ihrem Ein-
415
DIE FRIEDENS -WARTE =
■3
fluß auf die Ausbreitung des Verständigungs-
gedankens gewiß nicht zu unterschätzen ist.
Aus einer Fülle ganz spontaner Kundgebun-
gen unserer Kursteilnehmer durften wir die
Ueberzeugung gewinnen, daß man unserem
Bemühen, dem Verständigungsgedanken
immer mehr Anwälte und Verkündiger zu
verschaffen, Verständnis und guten Willen
entgegenbringt. Selbst Skeptiker und hart-
gesottene Nationalisten haben uns den Be-
weis geliefert, daß sie durch ihren hiesigen
Aufenthalt allmählich zu einer besseren Ein-
sicht gekommen sind.
Diese günstigen Erfahrungen ermutigten
die Kursleitung, das1 Ziel weiter zu stecken
und sich nicht bloß damit zu begnügen, die
Kursteilnehmer einander persönlich näher zu
bringen und sie für eine internationale Ver-
ständigung ziu erwärmen. Wer planmäßig und
zielbewußt für den Friedensgedanken arbeiten
und gegen alle Angriffe, von welcher Seite
sie auch kommen, gerüstet sein will, der muß
den Friedensgedanken auch wissenschaftlich
erfaßt und ihn nach allen Seiten betrachtet
haben, nach seinen historischen, ethischen,
sozialen, nationalen, wirtschaftlichen, völker-
rechtlichen Stützpunkten. Diese allseitige Auf-
klärung über den Friedensgedanken soll unser
internationales Friedensseminar bieten, das
wir organisch mit unseren Ferienkursen ver-
bunden haben und das im letzten Sommer ium
erstenmal in Tätigkeit trat, wenn wir auch
schon in den vorhergehenden Jahren stets
einige rein pazifistische Vorträge aufs Pro-
gramm gesetzt hatten. Hervorragende Ver-
treter und Führer der Friedensbewegung
hatten wir für solche Vorträge gewonnen.
Leider wurden einige Redner durch den Um-
stand, daß der Haager Kongreß in die zweite
Hälfte des August fiel, verhindert zukommen.
Trotzdem boten die übrigen pazifistischen
Vorträge eine solche Fülle von Anregungen,
daß die Zeit kaum ausreichte, den dargebote-
nen Stoff zu verarbeiten. Bemerkt sei noch,
daß die meisten dieser Vorträge öffentlich
und daher für jedermann zugänglich waren.
Schon zu dem ersten Vortrage hatte sich eine
große Zuhörerschaft, rund 600 Personen, ein-
gefunden und dem Redner, Richard Feld-
haus, gelang es) auch durch seine inter^
essanten und fesselnden Ausführungen über
das Thema „Der Balkankrieg und die Frie-
densbewegung", erläutert durch viele Licht-
bilder, die Hörer für den Friedensgedanken
zu erwärmen und sie in atemlosem Lauschen
bis zum Schlüsse festzuhalten. Die wirt-
schaftliche Seite der Friedensbewegung be-
handelte der englische Professor Ernst Breul
in seinen Vorträgen „Das Geld im täglichen
Gebrauch" und „Die Friedensrolle des1
Kredits". Der Kursleiter nahm Veranlassung,
das in diesem Jahre aktuelle Thema „Die
vaterländische Dichtung von 1813" vom Frie-
densgedanken aus zu beleuchten und in dessen
pädagogische Grundlagen durch den Vortrag
„Erziehung zum Frieden" einzuführen. Ueber
„die Organisation der internationalen Frie
densbewegung" erstattete der Direktor de
Berner Bureaus, Nationalrat Dr. Gobat, einen
klar und übersichtlich aufgebauten Bericht.
Den Höhepunkt erreichten unsere Kurse
durch den Vortrag unserer hochverehrten
Führerin, der Frau Baronin von Suttner, über
„Die Friedensbewegung in Amerika". Das
war nicht bloß, ein sensationelles Ereignis
für unsere Kurse, sondern für ganz Kaisers-
lautern, ja für die Pfalz. Denn auch von
auswärts trafen mit den Zügen zahl-
reiche Hörer ein und halfen Saal und Galerien
der mehrere Tausend Menschen fassenden
Fruchthalle füllen. Wer schon einmal das
Glück hatte, dieser geistreichen Frau zuhören
zu dürfen, wird sich keinen Augenblick
im Zweifel darüber sein, wie sehr es ihr auch
bei dieser Gelegenheit gelungen ist, ihre
Hörer unwiderstehlich in den Bannkreis ihrer
Ideen zu ziehen und sie nicht bloß für ihre
große Persönlichkeit, sondern auch für die
große Sache, die sie vertritt, zu begeistern.
Mit dem Anhören der Vorträge sollte es-
aber nicht sein Bewenden haben. Friedens-
seminar heißen wir unsere Einrichtung^
und zwar deshalb, weil sie den Teilnehmern
Gelegenheit geben soll, selbsttätig zu den
verschiedenen Problemen der Friedensbewe-
gung Stellung zu nehmen, sich zu üben, den
Friedensgedanken gegen vorgebrachte Ein-
wände zu verteidigen und durch eigene Ar-
beit immer tiefer in denselben einzudringen.
Zu diesem Zwecke wurden besondere Dis-
kussionsstunden angesetzt, in denen die in
den Vorträgen gehörten Gedanken und An-
schauungen zur Aussprache gestellt wurden.
Eingeleitet wurden diese Aussprachen stets-
durch einige kurze Referate, die von den
Kursteilnehmern gern übernommen wurden.
Bei Verteilung derselben wurde darauf ge-
gesehen, daß die verschiedenen Nationali-
täten und auch diejenigen Teilnehmer, die
dem Friedensgedanken noch gleichgültig oder
ablehend gegenüberstanden, zu Worte kamen-
Zur Vorbereitung steht den Berichterstattern
eine reiche Literatur zur Verfügung; denn
mit dem Friedensseminar ist eine ständige
Ausstellung und möglichst vollständige
Sammlung der Friedensliteratur verbunden.
Hier liegen auch die Weltpetitionsbogen von
Miß Eckstein auf, die zudem auch während
jedes öffentlichen Vortrages zur Verteilung
kamen.
Wenn noch irgendwo Zweifel bestehen
sollten, ob wir mit unserer Einrichtung den
erwünschten Erfolg erzielen, so werden sie
durch das Verhalten unserer Gegner be
seitigt, die ihrem Groll über die von dem.
Friedensseminar ausgeübte Wirksamkeit
durch scharfe, öffentliche Angriffe und Ver-
dächtigungen, sogar in der Berliner Kreuz-
zeitung, Luft machten. Gerade dieses1 auf-
geregte Gebaren unserer nationalistischen.
416
(§s
DIE FRIEDENS -WARTE
Widersacher beweist uns, daß wir auf dem
rechten Wege sind. Auch der zahlreiche
Besuch der diesjährigen Kurse ist ein Beleg
dafür, daß der Anschluß eines Friedens-
seminars an die Ferienkurse diesen selbst
nur" förderlich sein kann. Wenn auch diesmal
die französischen Gymnasiasten infolge der
hochgradigen Erregung, die im letzten Winter
die Nachbarvölker ergriffen hatte, sich in
geringerer Zahl einfanden, so haben wir doch
auch einen Fortschritt im Besuch zu ver-
zeichnen, insofern auch weiter abliegende
Länder zum erstenmal vertreten waren. Die
Hauptzahl stellte immer noch Frankreich,
dann folgte England, Belgien, Rußjland,
Ungarn. Vertreten waren außerdem Griechen-
land. Norwegen, Indien, Aegypten, Algerien,
Tunis und zum erstenmal auch Amerika. Frei-
lich bedarf eine derartige Einrichtung, wenn
sie Bestand haben und weiter entwicklungs-
fähig sein soll, auch der nötigen Geldmittel.
Bis jetzt konnte sie nur durch die größten
persönlichen Opfer gehalten werden. Der
Leitgedanke unserer Ferienkurse und unseres
Friedensseminars soll auch fernerhin sein und
bleiben: Durch Erziehung zum
Frieden!
Erlauschtes, Erlebtes, Erdachtes
in Frankreich,
Ernste Betrachtungen
von einem patriotischen deutschen
Studente n*).
Der Liebenswürdigkeit des Herrn Pro-
fessor Dumeril-Ancenis verdankte ich meine
Einladung in eine französische Familie West-
frankreichs. Ich fühle mich bewogen, Herrn
Dumeril, der ein geschätzter Mitarbeiter der
,, Friedenswarte" ist, auch an dieser Stelle
meinen wärmsten Dank für seine Freundlich-
keit auszusprechen. Hatte ich mich doch schon
lange danach gesehnt, eigene Erfahrungen in
dem Nachbarreiche zu sammeln, um so ein
objektives, ungetrübtes Bild des französischen
Volkes zu erhalten und die ganze Tiefe seiner
Seele nach Möglichkeit kennen zu lernen.
Einiges mitzuteilen, von dem, was ich in
zweieinhalbmonatlichen Aufenthalte in Frank-
reich in stetem Verkehr und in enger Vertraut-
heit mit der französischen Volksseele schaute,
erlauschte und erlebte, und die Gedanken, die
mich gar oft in fremden Landen bestürmten,
*) Der Verfasser, dessen Name der Re-
daktion bekannt ist, schreibt dieser: „Ich
stehe auf streng konservativem
Standpunkte, was mich aber nicht hindert,
unbedingt für die Friedensbewegung zu arbeiten,
soviel in meinen schwachen Kräften liegt, d a
ich ihre Daseinsberechtigung, ja
kategorische Forderung während
meines Aufenthalts in Frankreich
erkannt hab e."
jedermann offen kund zu tun, soll in nach-
folgenden Ausführungen meine Aufgabe sein.
Ich lebte die ganze Zeit in einer einfachen,
schlichten Handwerkerfamilie, wurde ganz wie
zur Familie gerechnet, und man machte mir
gegenüber nie aus seinen Gedanken ein Hehl.
Ich lernte viele, viele kennen, in Stadt und
Land, vom einfachen Arbeiter bis zum Führer
des Volkes, verkehrte in vertrauter Weise viel
in Familien und gewann dabei viele liebe
Freunde, so daß ich im Laufe der Zeit ein
ziemlich klares Bild des Franzosen von heute
gewonnen habe.
Vor allem muß ich die große Gast-
freundschaft und Liebenswürdigkeit des
französischen Volkes loben. Ich war ein
wildfremder Mensch, selbst für meine Wirts-
leute, der nur auf Empfehlungen eingeladen
war und noch dazu dem feindlichen Nachbar-
volke angehörte. Trotzdem nahm man mich
mit einer Herzlichkeit auf, die mich in Staunen
setzte. Bald wurde ich ganz zur Familie ge-
rechnet. Ich besuchte mit meinen freundlichen
Wirtsleuten deren Verwandte, Bekannte und
Freunde, und überall, wohin ich kam, fand
ich gastfreundliches, herzlichstes Entgegen-
kommen, obwohl ich der Nation der „Prussiens
qui fönt la guerre" angehörte. Es waren meist
einfache Landleute, mit denen ich näher ver-
kehrte, Landleute, denen die Finessen der
diplomatischen Redewendungen meist fern
waren, so daß ich stets die offene Wahrheit,
ihr wahres Fühlen und Denken kennen lernte.
Die guten Leute überboten sich förmlich in
Freundlichkeit. Gerade, wenn man hörte, daß
ich Deutscher sei, wurde ich um so aus-
gesuchter behandelt, mußte ich unbedingt
ihren Wein trinken und mit ihnen anstoßen,
und mehr als einmal tönte mir dabei der Ruf
entgegen: „Vive l'AUemagne! Auf Ihr fernes
Vaterland!" Die Bewirtung war geradezu
großartig. Gerichte über Gerichte wurden auf-
getragen, selbst bei einfachen Leuten, und
alles nur, weil ich ein Deutscher war.
Als ich einst durch den Mund eines
Schülers des Gymnasium von Nantes dem
dortigen Direktor den Wunsch ausgesprochen
hatte, einmal den Unterrichtsbetrieb anzusehen,
wurde mir dieses sofort auf bereitwilligste ge-
währt. Der Direktor führte mich persönlich
von Klasse zu Klasse, und ich wohnte dem
deutschen Unterricht in verschiedenen Klassen
bei, ich, ein deutscher Student, der ich noch
dazu nicht einmal Philologe bin. Jeder Pro-
fessor der deutschen Sprache sprach ohne
weiteres Deutsch mit mir, sobald er vernahm,
daß ich Deutscher sei. —
Bald war ich ein gern gesehener Gast
und Vertrauter in mehreren Familien des
Ortes. Wie oft saßen wir des Abends in
traulichem Familienkreise und erzählten uns
von dem Großen und Schönen beider
Nationen, und abwechselnd erklangen deutsche
und französische Lieder. Namentlich wollte
417
DIE FRIEDEN5-^/AQTE
■3
man deutschnationale Lieder immer wieder
hören.
Und dabei machte ich aus meiner patrio-
tischen Gesinnung nie ein Hehl. Im Gegenteil,
ich sprach stets mit Liebe und Achtung von
meinem deutschen Vaterlande und erklärte
stets, daß ich Deutscher tmd überzeugter Mo-
narchist mit Herz und Seele sei.
Wie natürlich kam die Rede immer wieder
auf das Politische. Und da mußte ich bald
eine große Ueberraschung erleben. Das fran-
zösische Volk, so wie ich es im Westen kennen
gelernt habe, ist vollkommen friedlich gesinnt.
Sein sehnlichster Wunsch ist, einen dauernden
Frieden zu genießen. Der Revanchegedanke
ist tot, man sehnt sich nach Frieden. Man
hat mir bisweilen gesagt: „Wir wollen Elsaß-
Lothringen gar nicht wieder haben." Im
Laufe der Unterhaltung wurde ich dann stets
gefragt : „Weshalb sind die Deutschen nur ein
so kriegerisches Volk und sinnen stets dar-
auf, u ns zu bekriegen ? Wie schön wäre es
doch, wenn sie uns in Ruhe ließen und wir
friedlich nebeneinder leben könnten!" Die
guten Leute waren stets aufs höchste erstaunt,
wenn ich ihnen dann auseinandersetzte, daß
das deutsche Volk nicht im entferntesten an
Krieg denke, nichts aufrichtiger als den
Frieden wünsche und seinerseits gleichfalls
glaube, daß das französische Volk unserer
Tage beständig an eine kriegerische
Schwächung Deutschlands denke: „Ja, aber
unsere Zeitungen!" sagte man mir dann oft.
Ja, die Zeitungen, darin liegt leider
gerade der wunde Punkt. Anstatt das Volk
aufzuklären, hetzen sie es nur auf, und im
Osten der Republik ist ihnen dieses bereits
nur zu gut gelungen. Volksaufklärung
tut daher bitter not. Und es ist so leicht, das
französische Volk aufzuklären, wenn man es
nur in geeigneter Weise anfängt. Ich habe
mich überall stets bemüht, aufklärend zu
wirken und ihnen ihre falschen Meinungen
zu nehmen, was mir stets gelungen ist. Ja,
ich habe selbst denen, mit denen ich näher
verkehrte, durch meine Schilderungen auf-
richtige Bewunderung für Deutschland ein-
geflößt. Einem Brief, den ich eben aus Frank-
reich erhalte, entnehme ich folgende Stelle:
„Ich gestehe, daß ich vordem, wenn ich
auch nicht Deutschland haßte, so doch keines-
wegs es liebte. Sie haben meine Gefühle
ganz geändert, indem Sie es mir so dar-
stellten, wie es wirklich ist. Und von ganzem
Herzen sage ich daher jetzt: Es lebe Frank-
reich! Es lebe Deutschland!"
Wenn schon der einzelne, landfremde
solche Erfolge aufweisen kann, um wieviel
mehr müßte da planmäßige, aufklärende Ar-
beit von berufener Seite wirken können. Es
ist ein dankbares Gebiet, hier Volksauf-
klärungsarbeit zu leisten: „Die Saat ist reif.
Frischauf, ihr Schnitter, zaudert nicht!"
Beide Völker wünschen heute in ihrer
großen Gesamtheit ernsthaft den Frieden, ver-
stehen sich aber nicht, weil man sich absolut
nicht kennt. Man rüstet, weil man sich
fürchtet, man fürchtet sich, weil man rüstet.
Das ist der beständige Kreislauf. Auf beiden
Seiten sagt man, wir sind bereit; möge das
Nachbarvolk die dargebotene Friedenshand an-
nehmen. Aber niemand will den Anfang
machen, und hierin liegt die ungeheure Ge-
fahr, die jedem ernsthaften Mann zu denken
geben muß. Der Deutsche muß aufhören, in
jedem Franzosen den revanchelustigen Drauf-
gänger zu sehen, der Franzose in dem Deut-
schen den finstern Kriegsmann, den Stören-
fried Europas, der beständig an Ueberfall und
Zerstückelung Frankreichs denkt. Möchte man
auch endlich einsehen in Frankreich, daß
Kaiser Wilhelm ein Friedens kaiser ist.
Denn unser Kaiser ist jenseits des Rheins der
gefürchtetste Mann. Man hält ihn meist für
den größten Feind des Weltfriedens, für den
gewaltigen Organisator des feindlichen
Deutschland, der beständig und unermüdlich
seine gewaltige, eisengepanzerte Armee ver-
mehrt und übt, um mit ihr dereinst den ge-
waltigsten Weltbrand zu erregen, den die Welt
je gesehen hat. Oft hat man mir gesagt :
„Ein dauernder Frieden ist nicht möglich,
solange Kaiser Wilhelm lebt."
Wieviel Aufklärungsarbeit gibt es da auf
beiden Seiten zu leisten. Vor allem müßte
man der chauvinistischen Presse den Krieg
bis aufs Messer erklären. Dann müßte in
Theaterstücken und Büchern alles vermieden
werden, was das Nachbarvolk in seinen Ge-
fühlen verletzen könnte. Ich denke hier vor
allem an die französischen Theaterstücke, in
denen die deutsche Armee und deutsches
Wesen und deutsche Sitten lächerlich gemacht
werden. In Deutschland müßte man aufhören,
Bücher zu verfassen, wie z. B. : „Das Ende
Frankreichs", die unendlich zur Verschlechte-
rung der Beziehungen beitragen.
Möchten doch die Völker endlich ein-
sehen, daß es neben den Sonderinteressen
der einzelnen Nationen Interessen gibt, die
allen Staaten gemeinsam sind, und daß man
daher am besten durch internationale Gemein-
schaftsarbeit fährt. Schon die wirtschaftlichen
Interessen drängen gebieterisch darauf hin.
Deutschland bezieht aus Frankreich eine
Menge Luxusartikel; Frankreich vollends ist
vollständig in wirtschaftlicher Beziehung von
Deutschland abhängig. Seine Hochöfen an
der Ostgrenze sind auf deutsche Kohlen an-
gewiesen; die wichtigsten Maschinen der fran-
zösischen Schiffswerften stammen aus Düssel-
dorf, sämtliche elektrischen Apparate der
Kriegsschiffe aus Berlin. Alle roten Hosen-
stoffe der französischen Armee stammen aus
einer Fabrik in Ludwigshafen. Die Gläser
der Feldstecher kommen aus Jena, die Kon-
serven der französischen Feldküche sind gleich-
falls deutsches Fabrikat (Knorr-Konserven).
Auch der Stoff zu den Ballons wird aus
Deutschland bezogen. Neuerdings werden die
418
@=
= DIE FRIEDEN5-^k*M2XE
modernen, großen Handelsschiffe in Stettin
gebaut. Eine gewaltige Anzahl von Ma-
schinen, Lokomotiven u. a. m., werden gleich-
falls in Deutschland hergestellt.
Es muß aber im Interesse aller wahren
Kultur nach Möglichkeit erwünscht und er-
strebt werden, daß dieser gesteigerte Handels-
verkehr die (Völker auch innerlich näher
bringt. Leider ist das nicht der Fall!
Wieviel würden wir voneinander lernen,
wenn wir Deutschen und die Fran-
zosen alle Vorurteile, allen nationalen Hoch-
mut fahren lassen würden. Wir sind ja von
Natur bestimmt, uns zu ergänzen. Wieviel das
französische Volk von uns Deutschen, dem
Volke der modernen Technik, methodischen
Bildung und Disziplin, und von deutscher Ge-
mütstiefe lernen könnte, brauche ich nicht erst
zu sagen. Aber auch wir könnten gar viel
von den Franzosen lernen. Sind sie doch das
Volk der Gastfreundschaft und Ritterlichkeit,
glühenden Freiheitsverlangens, Herzenswärme
und Schwärmerei, mit edlem Sinn für Adel
und Schönheit — , das Erbe der alten Trou-
badours.
Möchte dereinst eintreten, was schon jetzt
von einsichtsvollen Geistern hüben und drüben
ersehnt wird: ein ungetrübtes Nachbarver-
hältnis, ein aufrichtiger Freundschaftsbund
zwischen den beiden großen Staaten.
Berliner Konferenz pazifistischer
Pastoren.
Von Pastor F r a n c k e , Berlin.
Für den 15. Oktober war anläßlich der
Jubiläumstagung des Deutschen Protestanten-
vereins in Berlin eine Konferenz pazifistischer
Pastoren dahin einberufen worden. Die Ein-
ladung hatte sich an Theologen im Kirchen-
und Schulamt ohne Unterschied der Richtung
gewendet. Da sie aber von drei Mitgliedern
des liberalen Protestantenvereins ausgegangen
und in den Rahmen der Protestantenvereins^
tagung nachträglich eingefügt worden war,
so war es begreiflich, daß die Konferenz
Beschickung ausschließlich aus liberalen
Pfarrerkreisen erfuhr und daß auch diese nur
durch solche Interessenten vertreten waren,
die als Protestantenvereinsmitglieder die Jubi-
läumstagung in Berlin mitzumachen in der
Lage waren. Angesichts dieser doppelt ge-
siebten Auswahl war die Bteteiligung eine über-
raschend gute und der Verlauf der Verhand-
lungen dürfte trotz der sehr ungünstigen Be-
gleitumstände, die die Konferenz einengten^
bei den Teilnehmern den Eindruck hinter-
lassen haben, daß die Weltfriedens«
frage bei den evangelischen
Pfarrern en marche ist und daß der
Prozentsatz mindestens der liberalen Theo-
logen, die sich dafür interessieren, zusehends
wächst. Eingeengt war die Konferenz nicht
nur durch den völlig unzulänglichen Raum,
der ihr zur Verfügung stand, sondern vor
allem durch die erdrückende Konkurrenz
zweier gleichzeitig tagenden Versammlungen,
die um 4 Uhr bereits begonnen hatten und
um 6V2 'Uhr immer noch nicht zu Ende waren.
Da um 8 Uhr abends' jedermann wieder zu
den großen Volksversammlungen eilte, so
blieb der pazifistischen Konferenz knapp die
Zeit von 6V2 bis 7z/± Uhr; und in diesen
fünfviertel Stunden hörte sie das feinsinnige
Referat des bekannten Wortführers der pazi-
fistischen Pastoren, des Pfarrers Nithack-
Stahn von der Kaiser Wilhelm-Gedächtnis-
kirche, sowie eine Diskussion von etwa 6 bis
8 Debatterednern, die sich äußerst lebhaft
und interessant gestaltete. NithaCk-
Stahn hatte in seinem Referat ausgeführt:
Es sei eine Gewissenspflicht der Theologen,
die Gewaltanwendung bei Völkerstreitigkeiten
lals etwas dem Geiste Jesu .Christi Wider-
streitendes zu erkennen. Wer den Krieg
als Element der göttlichen Welt-
ordnung ansieht, der kennt die
Weltordnung nicht, die der Vatergott
Jesu durch ihn, den Sohn, geoffenbart hat.
L'nd wer die von den Pazifisten gezeigten
Möglichkeiten, den Krieg abzuschaffen, nicht
würdigen mag, weil er grundsätzlich miß-
trauisch ist, der hat eigentlich keinen Glau-
ben. Er glaubt nicht an das Kommen des
Reiches Gottes. Es ist sehr billig, die Pazi-
fisten als Utopisten zu verspotten; also haben
sie auch getan den ,, Schwärmern" früherer
Zeiten, die die Nachwelt beschämt als Prophe-
ten anerkennen mußte. Es wäre sehr be-
dauerlich, wenn gerade wieder die Geistlich-
keit, das Priestertum und die Schriftgelehr-
samkeit unserer Tage das Prophetische be-
kämpfen wollte, was von den nichtgeistlichen
Bannerträgern der pazifistischen Bewegung in
unsere Zeit hineingetragen worden ist.
Die sich anschließende Debatte konzen-
trierte sich bald auf 2 Punkte: Wie will die
Kirche das Vertrauen der Arbeiterschaft
wiedergewinnen, wenn sie sich in der Be-
mühung um Weltfrieden und Völkerverständi-
gung von der Sozialdemokratie beschämen
läßt ? ! Unerläßlich sei es, daß sie neben der
Predigt vom Frieden auch den Willen zum
Frieden und die Tat zum Frieden treibt, und
zwar nicht nur zum Frieden der Seelen, son-
dern zum Frieden der Welt. Denn auch den
will die iBibel und verheißt die Bibel. —
Sodann wurde psychologisch erörtert, ob
Kriegsverherrlichung und Tapferkeitsruhm
dem Gerechtigkeitsgefühl entspricht. Minde-
stens nicht dem christlichen! wurde von der
einen Seite gesagt. Denn es ist kern sonder-
liches Verdienst und erfordert nur geringe
Selbstbeherrschung, in der tosenden Feld-
schlacht physische Tapferkeit zu beweisen,
und aufsteigende Angst und Zaghaftigkeit zu
unterdrücken. Woher sonst die kriegerische
Ueberlegenheit ethisch tiefstehender Völ-
419
DIE FRIEDENS -^/ARTE
■3
ker? — Es war sehr interessant, daß
als dem von der anderen Seite ent-
gegengehalten wurde, auch die Pazifisten
dürften die im Kriege bewiesene Virtus,
die Männlichkeit, nicht gering einschätzen, —
sei sie doch die Seele der großen Zeit vor
100 Jahren, sowie auch der Großtaten unserer
Väter von 1866 und 1870 gewesen! — seitens
eines Oberlehrers, eines früheren Theologen,
erwidert wurde: ihm sei von seinem Vater,
einem Berufssoldaten und Feldzugsteilnehmer,
bezeugt worden, daß von persönlicher Tapfer-
keit in der Feldschlacht nur in ganz seltenen
Ausnahmefällen die Rede sein könne. Das,
was die Massen fortreißt, sei nicht Tapfer-
keit, sondern Nervenaufregung ; dieselbe könne
auch in ihr Gegenteil, in allgemeine De-
pression, umschlagen und habe dann jene un-
begreifliche Massenfurcht, die Panik, im Ge-
folge. — Sehr schade, daß dieser interessante
Beitrag aus persönlicher Erfahrung nur noch
von Wenigen gehört wurde. Die Versammlung
hatte sich angesichts der bevorstehenden fünf
großen Volksversammlungen desselben Abends
schon sehr gelichtet und mußte von dem
Leiter, Pfarrer Böhme aus Kunitz bei Jena
gegen 3/±8 Uhr geschlossen werden. Sie war
von ca. 20 Theologen und zahlreichen Gästen
besucht gewesen, unter den ersteren befand
sich bezeichnenderweise ein Delegierter des
evangelisch-protestantischen Kirchenblattes für
Elsaß-Lothringen.
Irgend eine Beschlußfassung oder Herbei-
führung eines engeren Zusammenschlusses der
pazifistischen Pastoren konnte unter diesen
Verhältnissen nicht erfolgen; doch ist gewiß,
daß, wenn bei ähnlichen Anlässen bald weitere
Zusammenkünfte der friedensfreundlichen
Theologen folgen, dem Pazifismus aus diesen
Kreisen eine starke und einflußreiche Hilfe
erwachsen wird. Die Stimmung war eine aus-
gezeichnete.
Als besonders bedeutsam muß noch nach-
getragen werden, daß diese für den Pazifismus
günstige Stimmung sich wiederholt auch bei
den anderen Versammlungen der Protestanten-
vereinstagung geltend machte. Den preußi-
schen liberalen Pfarrern mag es noch über-
raschend gekommen sein, wie gleich der erste
Hauptredner, der Baseler Theologie-Professor
P. W. Schmidt in seinem Referat warme
pazifistische Töne anschlug. Aber dem freien
Sohn der Schweiz war das so selbstverständ-
lich, daß sich die Preußischen Kollegen bald
sehr ernst gefragt haben mögen, ob Militär-
schwärmerei und Kriegsbegeisterung mit
echtem Liberalismus nicht ebenso schwer ver-
einbar sei, wie mit echtem protestantischen
Christentum. Jedenfalls erfuhr Pfarrer Fre-
de r k i n g aus Charlottenburg in einer nur
von Pfarrern besuchten, stark frequentierten
Versammlung eine Ablehnung, als er
die 400 Unterzeichner des Friedensaufrufs des
Dilettantismus bezichtigte und andeutete, sie
seien zu wenig politisch-geschichtlich orientiert,
um öffentlich aufzutreten. Unter dem Beifall
der Versammlung konnte der Vertreter dieses
Berichts erwidern, daß Pfarrer Frederking
in der Geschichte der Vergangenheit gewiß
sehr gut zuhause wäre, daß er aber für die
Mächte der Gegenwart offenbar keinen Blick
habe.
Mit Spannung darf man erwarten, ob
nach dieser Kundgebung von liberal - theo-
logischer Seite auch die orthodoxen Pfarrer-
kreise sich bewogen fühlen werden, zum Welt-
friedensproblem Stellung zu nehmen. Hoffen
wir, daß ein edler Wetteifer entbrennt, auf
diesem Gebiet sich von den erkannten Grund-
sätzen des wahren Christentums vorwärts
treiben zu lassen.
Ein Heimgegangener
Friedensfreund.
Von Elsbeth Friedrichs, Schwetzingen.
Wir haben schon wiederholt die be-
trübende und unbegreifliche Erscheinung er-
lebt, daß Söhne unserer überzeugtesten und ver-
dientesten Mitarbeiter, Führer, denen die pazi-
fistische Mission Evangelium und Leitstern
des Lebens war, daß die Söhne dieser Ge-
treuen entgegengesetzte Wege wandelten, ja,
sich bestrebten, den Tempel niederzureißen,
den ihre Väter aufbauten. So der Frankfurter
Franz Wirth, so der englische William Stead
und andere. Wir haben alle Ursache, dar-
über zu trauern, wenn wir uns sagen, was
kann ein Sohn erst vollbringen, dessen Vater
das Fundament eines Baues schon errichtet
hat, eines Baues, an dem Generationen ar-
beiten müssen. Was so eine Aufeinanderfolge
von Vätern und Söhnen und wieder Söhnen
für die stetige, ununterbrochene Förderung
großer Kulturaufgaben vermag, das haben
wir ja vereinzelt schon beobachtet auf dem
Gebiete der Wissenschaft und auf dem der
Kunst — man denke an die glänzende Reihe
der Meister „Bach", wo der Genius der Musik
eine lange Ahnenreihe durchwandelte und den
größten, Sebastian, jenen gewaltigen Kunst-
bau vollenden ließ, dessen Grundstein Jahr-
hunderte vorher von einem Vorvater Bach
gelegt worden war. Wir haben das auch schon
auf dem Gebiete der ethischen Kultur erlebt.
Es gibt große, weltumfassende, menschen-
beglückende Bewegungen, zu deren Förderung
immer wieder der Sohn das Werkzeug aus
der Hand des Vaters erhielt. Nun, das sind
hervorragende Erscheinungen in der Kultur-
geschichte. Sie kommen nicht allzu oft. Aber
was man zu erwarten dürfen glaubt, das ist
doch eine treue Anhänglichkeit der Söhne
an die Ideale, denen der Vater sein Leben
weihte, mit denen er das Geistes- und Ge-
mütsleben seiner Kinder nährte.
Eine solche treue Anhänglichkeit hat ein
in diesen Wochen Geschiedener seinem großen
420
@
DIE FRIEDEN5->MM2.TE
Vater zeitlebens bewahrt. Es ist der älteste
Sohn des Königsberger Philosophen Julius
R u p p. Uns ist dieser Mann durch Hin-
weise in der pazifistischen Presse sowie
namentlich durch das von Oskar Schwonder
herausgegebene Büchlein „Von der ersten
deutschen Friedensgesellschaft zu Königsberg"
bekannt geworden. Er war einer jener
Größten, die nicht nur ihrer Zeit um Jahr-
hunderte voraus sind, sondern, die frei von
jeglichen Banden ihrer oder irgendeiner Zeit
die reine, ewige Idee erkennen und ihr nach-
streben, ob es auch Gut und Blut koste. So
war es auch ganz selbstverständlich, daß ein
solcher Mann zu den Pazifisten zählte, daß
er ein Pazifist war, der nicht fragt, ob die
Sache auch opportun ist, sondern der mitten
in der Zeit schwerer Reaktion zur Tat
schreitet, in seiner Vaterstadt Königsberg
einen Friedensverein — den ersten deutschen
überhaupt — gründet, öffentlich leitet und
eine Friedenszeitung herausgibt. Dies wurde
ihm bald darauf in brutalster Weise durch
Polizeigewalt zerstört; doch der Mann setzte
natürlich dessenungeachtet seine Friedens-
arbeit fort, wie und wo immer die Gelegen-
heit dazu sich bot. Er verstummte keinen
Augenblick als Prediger des pazifistischen
Evangeliums. Er verkündete es — als der
einzige im Deutschen Reich — von der Kanzel
und von der Rednertribüne herab, er ver-
breitete es in weiteren Privat- und Schüler-
kreisen und stritt dafür in zahlreichen seiner
Schriften.
Als dieser Held im Jahre 1884 auf der
Bahre lag, da reichten sejine beiden Söhne,
Theobald und Julius, über seiner Leiche
einander die Hand in stummem Gelübde, auf
allen Wegen, die der edle Streiter beschritten
hatte, weiter zu klimmein, nach dem Maß
ihrer Kraft seine Arbeit fortzusetzen. Sie
haben ihren Schwur gehalten, sie beide waren
getreu, der älteste, Theobald, getreu bis in
den Tod. Er verschied vor wenigen Wochen
als Vorsteher der „Ruppschen Gemeinde" zu
Königsberg, 70 Jahre alt, und die Gemeinde
steht voll Dankes und voll Trauer nun vor der
Urne, die seine Asche birgt.
Auch die Königsberger Friedensbewe-
gung nimmt an dieser Trauer teil. Auch sie
hat einen der ihren verloren, zwar nicht einen
aktiven Arbeiter, aber einen festbewußten
Vertreter und steten Förderer der Idee. Theo-
bald Rupp besaß nicht die hohe Geisteskraft
seines Vaters, er konnte nicht, wie jener, fast
das ganze geistige Lebensgebiet tätig um-
fassen; aber er besaß den heiligen, felsen-
festen ethischen Willen. Im Privatleben das
reine Menschentum selbst zu erreichen und
zu pflegen, in der Politik Gerechtigkeit und
Offenheit und in der Religion Freiheit und
Fortschritt zu fördern, dem hat er nachge-
strebt, und sein größter, ihn immer wieder
tief darniederdrückender Schmerz war die
Beobachtung der Rückfälle der verschiedenen
Kreise nach jedem zeitweiligen Aufschwung.
Was war Theobald Rupp der Friedens-
bewegung? Wie hat er sie aufgefaßt, wie ihr
gedient? Das ist schwer in Worte zu fassen.
Unzählige Steine bilden einen Bau. So in
diesem Falle. Man sieht es ja den Steinen
nicht an, zu welchem Gebäude sie bestimmt
sind. In der Seele des Verstorbenen lebte
ein unzerstörbarer Glaube an den Sieg der
Idee des Völkerfriedens — er war ihm ja
schon vom Vater eingepflanzt worden — und
diesem Glauben gab er als Politiker stets
ruhig und fest Ausdruck, wenn ein Anlaß
dazu war. So geschah es z. B. in jener Zeit,
nach dem von Eugen Richter verkündeten
„Ruck nach links" innerhalb der Freisinnigen
Volkspartei. Da verließ Theobald Rupp die
Fortschrittliche Volkspartei um ihrer veränder-
ten Haltung willen in Militär- und Marinefragen.
Es gelang ihm nicht, dieselbe zu bekämpfen,
und so wandte er der Partei den Rücken und
gesellte sich der Freisinnigen Volkspartei zu.
Das ist wohl eine pazifistische Tat angesichts
der zahlreichen Friedensfreunde innerhalb
rüstungsfreundlicher Parteien, welche nicht
daran denken, auch nur ein Wort gegen diese
Haltung zu verlieren. Durch Rupps ganze sehr
lebhafte, politische Tätigkeit zieht sich sicht-
lich ein Biestreben, durch vornehme Gesin-
nung das gesamte politische Leben zu adeln.
Er wurde beredt, wenn es sich darum handelte,
dem Gegner gerecht zu werden, einerlei, ob
dies eine gegnerische Partei innerhalb des
Vaterlandes oder eine andere Nation war,
stets trat er furchtlos dem Bestreben entgegen,
den Gegner zu verdächtigen, schlechte Motive
seiner Handlungen von vornherein anzu-
nehmen, und sicherlich! er legte mit solchem
Tun die Hand an die Wurzel eines der ge-
fährlichsten Uebel in der Politik.
So gibt es Menschen, die, ihr Leben
lang politisch tätig, doch keine einzige propa-
gandistische Tat direkt für die Friedens-
bewegung leisten und doch der Bewegung
mehr sind als gewisse pazifistische Eiferer,
denen beim ersten Hahnenschrei patriotischen
Aufbrausens in ihrem Vaterlande die Ver-
leugnung ihrer bisherigen Ideale so schnell
vom Munde geht. Solchem Wahn hätte
Theobald Rupp nie verfallen können. Er
glaubte an den einstigen Frieden, den kon-
fessionellen, den ethischen unter den Men-
schen, den inner- und außerpolitischen unter
den Völkern und Parteien, an diejenige Einig-
keit, die (dem Volke wie dem Individuum das
volle Recht der Eigenart vorbehält, und für
diesen Zustand wirkte er auf allen Gebieten.
Gerechtigkeit, Offenheit, Fortschritt! In
Flammenschrift standen diese für das Leben
der menschlichen Gemeinschaft zu erstreben-
den Zustände stetig vor der Seele des Ver-
storbenen.
Theobald Rupp hat sich niemals intensiv
mit pazifistischen Problemen befaßt, er ver-
421
DIE FßlEDEN5-\X/ARTE
i<5)
mied es daher, sich in längerer Rede zu
solchen zu äußern. Seine Zugehörigkeit aber
zur organisierten Friedensbewegung war ihm
etwas Selbstverständliches, und so finden wir
auch wieder in der letzten Organisation pazi-
fistischer Art, der „Deutsch-französischen
Liga", seinen Namen auf der Mitgliederliste.
Er hat es beklagt, daß in Königsberg, wo
der erste Friedensverein getagt hat, nachher
die Bewegung gänzlich schlief. Dann, sobald
innerhalb seiner Gemeinde vom Prediger der-
selben die Einführung eines Friedenssonn-
tages begonnen wurde,- hat er freudig mit
seinem Blruder, dem damaligen Vorsteher,
diesen Plan unterstützt und noch mehr unter-
stützt, als sich daraus eine Gesellschaft zur
Verbreitung des Friedenssonntages im ganzen
Deutschen Reiche entwickelte. Er hat diese
Bewegung auf die Tagesordnung der General-
versammlungen gesetzt, den Berichten über
die Fortschritte mit freudiger Anteilnahme
zugestimmt und die Arbeiten auch ständig
von seiten der Gemeinde mit Geldmitteln ge-
fördert. Als diese Friedenssonntagpropaganda
dann weiter hinaustrat über den Rahmen der#
Gemeinde und sich zu einer Königsberger
Friedensgruppe entwickelte, da war er wieder
der Ersten einer, die an dieser pazifistischen
Vereinigung teilnahmen.
Wir haben also ein volles Recht, den
Geschiedenen zu den Unseren zu zählen und
durch diesen U eberblick über seine pazi-
fistische Gesinnungsfreudigkeit ihm auch
bei uns ein warmes Andenken zu sichern.
Brief aus denVereinigten Staaten.
Von Henry S. Haskell, New York.
Die japanisch -kal if ornisch e Streit-
frage. — Die Vereinigten Staaten
und Kolumbien. — Präsident Wil-
son und die Panamakanalzoll-
frage. — Die internationale Unter-
suchungskommission der Balkan-
greuel. — Die Republik Mexiko
und die Vereinigten Staaten.
New York, den 23. Oktober 1913.
Während der letzten Monate wurde keine
der zwischen den Vereinigten Staaten und
den anderen Regierungen schwebenden
Fragen endgültig erledigt, ja man kann nicht
einmal sagen, daß große Fortschritte zu
ihrer Erledigung erzielt wurden. Gegen Ende
des Sommers! ließi die Haltung der japanischen
Regierung darauf schließen, daß Japan einem
neuen wirtschaftlichen Vertrag nicht geneigt
sei. Als aber am 30. September eine neue
Note über die kalifornische Frage nach
Washington gesandt wurde, verlautete es, daß,
Japan seine Haltung ändere. Der Inhalt
dieser Note wurde nicht veröffentlicht, aber
es gilt als sicher, daß sie einen neuen wirt-
schaftlichen Vertrag, der alle Schwierigkeiten
lösen würde, begünstigt. Es ist zweifellos.
daß ein beide Regierungen befriedigender
Vertrag alle Streitfragen einer Lösung zu-
führen würde, aber es; wird gewiß' sehr schwie-
rig sein, einen zu finden, der Japan befrie-
digt, und der dem Senat der Vereinigten
Staaten, der erst jeden Vertrag ratifizieren
muß, annehmbar erscheint.
Wahrscheinlich ist es, daß eine hin-
reichende Anzahl von Senatoren so weit von
der Staatsrechtstheorie durchdrungen sind, daß
es unmöglich sein dürfte, die Senats-Rati-
fikation für einen Vertrag zu erhalten, der
den Einzelstaaten das Recht zur beliebigen
Gesetzgebung in bezug auf die Frage des
Landerwerbes durch P'remde verweigern
würde. Die Streitfrage ist demnach einer
befriedigenden Lösung nicht näher gekommen.
Die zwischen den Vereinigten Staaten
und Kolumbien schwebenden Fragen be-
schäftigten wieder die Zeitungen. Nach einer
am 29. September mit dem kolumbischen
Gesandten bei den Vereinigten Staaten statt-
gefundenen Konferenz teilte der Staats-
sekretär William J. Bryan mit. daß ein
einen vollen Erfolg verheißender Fortschritt
zu einer direkten Abmachung zu verzeich-
nen sei. Die Oktobernummer der ,.Worlds
Work" veröffentlichte einen ernsten Artikel
von Earl Harding, der 1909 und 1910 längere
Zeit in Panama verbrachte und dort die die
Panamasezession betreffenden Tatsachen stu-
dierte. In diesem Artikel schlägt Harding
den Erwerb weiterer Gebiete von der Repu-
blik Panama vor, wie die Rückgabe aller
jener Territorien an Kolumbien südlich
einer Grenze, die festgesetzt werden soll als
die südlichste Grenze eines Landstriches, der
von den Vereinigten Staaten zur eigenen Ver-
waltung des Panamakanals gebraucht wird.
Dieser Plan hat viel für sich, und man hofft,
daß beide Regierungen ihn ernstlich in Er-
wägung ziehen werden.
Es verlautet aus autoritativer (Quelle, daß
Präsident Wilson den Widerruf der Klausel
begünstige, die eine Zollbefreiung aller im
Küstenhandel der Vereinigten Staaten
engagierten und den Panamakanal passieren-
den Schiffe vorsieht. Am 17. Oktober teilte
Adamson, Mitglied des Repräsentantenhauses,
Vorsitzender der parlamentarischen Kom-
mission für zwischenstaatlichen und aus-
wärtigen Handel und Urheber der Panama-
kanalakte, mit, daß er in der Dezember-
sitzung des Kongresses eine Resolution ein-
bringen werde, die die Verfügung der Pa-
namakanalakte, den amerikanischen Schiffen
freie Durchfahrt zu gewähren, so lange auf-
heben sollte, bis es erwiesen ist, daß der
Kanal sich selbst erhält. Diese Methode
zur Beseitigung der Schwierigkeiten ist wohl
nur ein Kompromiß, doch könnte sie immer-
hin eine Zeitlang die Schlichtung der Frage
bedeuten, die aber nicht aufhören würde zu
bestehen, solange die Klausel, gegen die
422
@=
= DIE FRIEDENS -WARTE
Großbritannien Einwendung erhoben hat,
nicht widerrufen ist. ^
Professor Samuel T. Dutton von der
Columbia-Universität, Mitglied der durch
die Carnegiestiftung ins Leben gerufenen
internationalen Kommission zur Unter-
suchung der Ursachen und Wirkungen
der letzten Balkankriege, kehrte am 13. Ok-
tober zurück. Professor Dutton teilte mit,
daß er bis zur Veröffentlichung des Be-
richtes der Kommission nichts Endgültiges
über das Resultat sagen könne. Er deutete
aber an, daß die Erzählungen über Greuel-
taten, die von allen Seiten lanciert wurden,
in der Tat begründet sind, aber keinen An-
spruch auf unbedingte Richtigkeit erheben
können. Der Bericht der Balkankommission
wird wahrscheinlich gegen Ende des Jahres
veröffentlicht werden, und ein unparteiisches
Referat über den Befund der Kommission
wird der Welt ein Bild aller Vorfälle geben,
von denen es schwer fällt, zu glauben, daß
sie sich tatsächlich im zwanzigsten Jahr-
hundert ereigneten.
Die mexikanischen Zustände haben schon
chaotischen Charakter angenommen. Die
willkürliche Annahme der Präsidentschaft
durch den provisorischen Präsidenten Huerta,
die Vertagung des Parlamentes und die Er-
mordung des Senators Dominquenz, die von
manchen Huerta zugeschrieben wird, haben
eine Situation geschaffen, die eine baldige
Schlichtung der mexikanischen Ereignisse
nicht wahrscheinlich erscheinen lassen. Trotz-
dem die mexikanische Konstitution vorsieht,
daß ein provisorischer Präsident nicht für die
Präsidentschaft bei den nächsten Wahlen kan-
didieren darf, verlautet, daß der provisorische
Präsident Huerta auf irgendeine Weise die Er-
nennung und die Wahl annehmen würde,
wenn sie auf ihn fällt. In Anbetracht dessen,
daß seine eigenen Militär- und Zivil-Beamten
die Wahlen leiten, ist es ganz gut möglich,
daß er diese so vor sich gehen läßt, daß
entweder er selbst oder einer seiner Freunde,
der seine Politik gutheißt, gewählt wird.
Präsident Wilson ließ durch eine formelle
an die provisorische Regierung gerichtete
Note erklären, daß es den Vereinigten
Staaten durch die oben erwähnten Un-
gerechtigkeiten unmöglich gemacht werde,
die für den 26. Oktober geplanten Wahlen
ernst zu nehmen, es sei denn, daß nicht nur
ein Präsident und Vize-Präsident, sondern
auch Senatoren und Abgeordnete gewählt
werden würden. Die Situation ist so kri-
tisch geworden, daßi drei europäische Re-
gierungen es für notwendig erachtet haben,
Kriegsschiffe zum Schutze der Interessen
ihrer Untertanen hinzusenden.
Trotz der chaotischen Zustände in
Mexiko und einiger ausländischer Kritiken
über Präsident Wilsons Politik wird doch
die eingeschlagene Politik vom Lande selbst
nicht verurteilt, und die Presse ist einig in
Anerkennung der Haltung unseres Staaten-
departements. Eine Intervention oder eine
Vermittlung werden nicht ernstlich erwogen,
es sei denn, daß, es als letztes Mittel und
nur in Verbindung mit anderen interessierten
Regierungen in Betracht käme.
Brief aus Schweden.
Die Feier des hundertjährigen
Friedens in Schweden und Nor-
wegen.
Von Knut Sandstedt, Stockholm.
Stockholm, 3. Okt. 1913.
Die Friedensfreunde der beiden skan-
dinavischen Länder, Schweden und Nor-
wegen, bereiten sich vor, im Jahre 1914 das
Andenken eines hundertjährigen Friedens zu
feiern. Nachdem Schweden im Jahre 1809
Finnland an Rußland abgetreten hat, wurde
der berühmte französische Marschall' Jean
Bernadotte für den alten und kinderlosen
König Carl XIII. zum Thronfolger gewählt.
Nach dem Kriege gegen Napoleon im Jahre
1814 erhielt der Thronfolger, der später den
Thron unter dem Namen Carl XIV. Johann
bestieg, die Einwilligung der verbündeten
Mächte als Ersatz für das verlorene Finn-
land, Norwegen mit Schweden vereinen zu
dürfen. Dies geschah auch 1814 nach einem
kurzen und wenig blutigen Krieg mit Däne-
mark und Norwegen. Seit jener Zeit haben
die beiden Länder, Schweden und Nor-
wegen, sich eines ununterbrochenen Frie-
dens erfreuen können, und zwar nicht nur
untereinander, sondern auch mit allen
anderen Nationen. Und obwohl die Union
zwischen Schweden und Norwegen im Jahre
1905 aufgelöst wurde, wurde auch bei dieser
Gelegenheit der Frieden im Norden erhalten,
und die skandinavischen Völker gaben der
ganzen Welt das nachahmenswerte Beispiel,
durch friedliche Unterhandlungen das schwere
Problem zu lösen, das so leicht einen Krieg
hätte hervorrufen können. Anläßlich dieses
Ereignisses hat ein schwedischer Staats-
mann geäußert, daß, „wo Ruhe und Be-
sinnung herrscht, es keinen Platz für den
Krieg gebe", und die Wahrheit dieser Aeuße-
rung ist von den skandinavischen Völkern
bestätigt worden.
Das Andenken dieses hundertjährigen
Friedens wollen die schwedischen und nor-
wegischen Friedensfreunde in der Weise
feiern, daß sie ein Denkmal an der Grenze
zwischen Schweden und Norwegen ganz nahe
der Eisenbahnstation Charlottenberg errich-
ten lassen. Um die Mittel zur Errichtung
dieses Denkmals zu erhalten, wurden in
Schweden und Norwegen Komitees gebildet,
die Aufrufe und Sammellisten verbreitet und
auf diese Weise schon 19 000 Kronen ein-
genommen haben. Von den eingereichten
Entwürfen zum Friedensdenkmal ist der-
423
DIE FRIEDENS -^&DTE =
3
jenige des Architekten Lars Lehming, dessen
Ausführung 24 000 Kronen kosten dürfte,
angenommen worden.
Das Denkmal besteht aus zwei vier-
eckigen Pfeilern, die aus demselben Grund
hervorgehen, ebenso wie die beiden Völker
derselben Wurzel entsprießen. Oben laufen
die Pfeiler zusammen, und darauf stützt
sich eine aus zwei männlichen Figuren be-
stehende Gruppe, die, eine Garbe um-
schließend, einander die Hände reichen.
Das Denkmal dürfte 20 m hoch werden.
Der Sockel soll folgende, anläßlich einer
Studentenversammlung von König Oskar I.
gesprochenen Worte tragen : ,,H iernach
ist ein Krieg zwischen skandina-
vischen Brüdern unmöglic h." Ferner
soll auf dem Denkmal noch der Satz an-
gebracht werden: „Schwedische und
norwegische Friedensfreunde er-
richteten diesen Stein zum An-
denken an einen 1 00 jährigen Frie-
den." Die Einweihung des Denkmals soll
am 14. August 1914 erfolgen. Wir hoffen,
daß die Friedensfreunde der ganzen Welt
ihre Sympathien und ihr Interesse den
schwedischen und norwegischen Friedens-
anhängern, die sich so energisch um die
Feier des 100jährigen Friedens bemüht
haben, nicht versagen und recht zahlreich
nächstes Jahr an dieser seltenen Feier teil-
nehmen werden.
Ueber die F-Strahlen.
Von Garret Fisher, London.
Kann die Wissenschaft, die so viel getan
hat, um den Krieg immer kostspieliger und
immer zerstörender zu gestalten, ihm ein Ende
bereiten ?
Es ist durchaus denkbar, daß die neue
Form von Strahlung, die Signor Ulivi entdeckt
und F-Strahlen getauft hat, in dieser Richtung
einen großen Schritt bedeuten wird, wenn es
sich herausstellt, daß sich seine Biehauptung
bewahrheitet, durch diese Strahlen Spreng-
stoffe auf Distanz entzünden zu können. In
diesem Fall wird er ein größerer Wohltäter
der Menschheit sein als sein Landsmann Mar-
coni. So groß sich kürzlich die Macht der
drahtlosen Telegraphie erwiesen hat, um
Menschenleben auf der See zu retten, eine um
so größere Wohltat für die Menschheit würde
eine Erfindung sein, die den Krieg so gut wie
unmöglich machen würde, oder doch die
Außerdienststellung all der teuern Vernich-
tungswerkzeuge herbeiführte, für die jetzt jede
Großmacht Hunderte von Millionen jährlich
ausgibt.
Die F-Strahlen sollen eine neue Form
jener strahligen Kraft sein, die von dem Punkte
aus, wo sie erzeugt wird, nach allen Rich-
tungen mittels Wellen durch den Aether (der
nicht nur den sogenannten leeren Raum, son-
dern alle Zwischenräume der festen Körper
füllt) projiziert wird. Der augenfälligste Typus
dieser Kraft zeigt sich in dem Licht und
der Wärme, die uns die Sonne spendet. Dieser
Typus ist uns von alters her bekannt, weil
unsere Augen und unsere Körper dafür
empfindlich sind. Aber wir wissen jetzt, daß
Licht- und Wärmestrahlen nur einer kleinen
Serie von Aetherwellen entsprechen, und daß
es eine Unzahl anedrer Strahlenvarianten gibt,
welche verschiedene Wirkungen haben. Die
drahtlose Telegraphie ist das Ergebnis einer
speziellen Art von Strahlen, die viel länger
sind als die Sonnenstrahlen, und die nur
durch das „elektrische Auge" (den sogenann-
ten „Empfänger") wahrgenommen werden
können. Die Röntgen- oder X-Strahlen sind
sicherlich wieder eine andere Art von Aether-
wellen, ebenso die von den Radiumsalzen
emittierten Gammastrahlen. Die Wellen der
drahtlosen Telegraphie haben eine Länge von
vielen Meilen, jene des Lichtes sind nur fün-
zig Tausendstel Zoll lang. Es liegt kein Grund
vor, die Existenz anderer Strahlen zu be-
zweifeln, die zwischen diesen beiden Ex-
tremen liegen und imstande sind, bisher un-
geahnte Wirkungen hervorzubringen, wenn sie
auf Empfänger stoßen, die auf ihre Pulsie-
rungen gestimmt sind.
Wir alle können uns daran erinnern, mit
welchem Sturm ungläubigen Spottes die erste
Nachricht von Röntgens Entdeckung auf-
genommen wurde. Eines lebendigen Men-
schen Skelett sollte photographiert werden
können? Zu lächerlich! Heute sind wir
weiser geworden und sind bereit, fast jede
Wirkung der verschiedenen Strahlungen für
möglich zu halten, wenn sie uns in plau-
sibler Weise dargestellt wird. Die F-Strahlen
seien fähig, so heißt es, Sprengstoffe von
weitem zum explodieren zu bringen. Wenn
das wahr ist, so hat das Kriegführen ein
Ende. Denn dieses ist heutzutage einzig auf
Sprengstoffe gestellt. Das moderne Heer
mit all seiner komplizierten Organisation und
seinem Material, hat einfach die Aufgabe, die
größtmögliche Anzahl von Geschossen nach
einem gegebenen Ziel feuern zu können. Das
Schlachtschiff ist ein Riesen-Kanonengefährt.
Nun denn, wenn die F-Strahlen wirklich das
leisten, was ihr Entdecker behauptet, so muß
die ganze Taktik und Strategik des 20. Jahr-
hunderts über Bord geworfen werden. Mar-
conis erste öffentliche Vorführung fand in
einem Vortragssaal statt, wo zwischen Ab-
sender und Empfänger eine Entfernung von
etwa fünfzig Fuß lag. Und jetzt erstrecken
sich die drahtlosen Wellen über Tausende von
Meilen. Es ist ganz klar, daß, wenn die
F-Strahlen im gleichen Verhältnis entwickelt
werden, sämtliche Kordit- und Ekrasitbomben,
alle Granaten und Schrapnells, kurz, der
ganze Apparat der Fernschlächterei auf-
424
@=
gegeben werden muß, da ja alle Munitions-
wagen und -magazine längst in die Luft
fliegen werden, ehe die Heere oder Flotten
einander begegnen können.
Die einzig gültige Erprobung derF-Strah-
lung wäre natürlich das Experiment, das unter
gleichen Bedingungen auch von anderen Ex-
perimentatoren mit den gleichen Ergebnissen
wiederholt werden könnte. Aber einstweilen
kann man die a priori-Möglichkeiten betrach-
ten. Diese sind nicht sehr ermutigend. Es
bietet keine theoretische Schwierigkeit, einen
Munitionsvorrat mittels eines Marconi-Appa-
rates in die Luft zu sprengen, vorausgesetzt,
daß man in das Magazin einen passenden
Zünder einführt, auf den die drahtlose Welle
einwirkt. Aber von den F-Strahlen heißt es,
daß sie auf jeglichen Sprengstoff direkt
einwirken. Soviel wir wissen, gibt es nur drei
Arten, einen Sprengstoff zu entzünden: ent-
weder durch Hitze (wie beim Schießpulver),
durch Stoß (wie beim Dynamit) oder durch
chemische Zersetzung (wie bei der Explosion
der „Libert6"). Daher müssen die F-Strah-
len imstande sein, entweder den Sprengstoff,
auf den sie fallen, bis zu einer Temperatur
von mindestens 400 Grad Fahrenheit zu er-
hitzen, oder (da der Schlag ausgeschlossen
ist) irgendeine chemische Veränderung zu ver-
ursachen, die die spontane Verbrennung des
Nitroglyzerins herbeiführt, welches die Basis
aller modernen Sprengstoffe abgibt. Die zur
Erzielung der erstgenannten Wirkung erforder-
liche Kraft wäre so unberechenbar ungeheuer,
daß man diese Möglichkeit füglich ausschalten
kann; bleibt nun die Frage, ob die F-Strahlen
imstande sind, in so labilen Stoffen, wie z. B.
Pikrinsäure, eine spontane Veränderung her-
vorzubringen. Was uns das Radium über die
verwickelten Eigenschaften des sogenannten
Atoms gelehrt hat, sollte den modernen Phy-
siker bestimmen, nicht allzu dogmatisch jene
Möglichkeit abzusprechen. Kein wissenschaft-
licher Grund verbietet uns, zu hoffen, daß
Signor Uliva seine Kritiker besiegen wird.
Und was wird dann mit dem Krieg geschehen ?
Wird das Aufgeben von Geschützen und
Panzerplatten und allem, was drum und dran
hängt, einfach eine Rückkehr zur blanken
Waffe und zu der mittelalterlichen Artillerie
von Bogen und Pfeil, Katapulten und Wurf-
spießen bedeuten ? Oder wird es den Pazi-
fisten die Gelegenheit geben, der Kriegsfurie
sein „Halt" zuzurufen? Wer kann es wissen?
Der Mensch ist noch ein raufendes Tier. Aber
möglicherweise kann der Schreck vor einem
solchen Rückfall in finstere Zeiten ihm die
Augen für die Tatsache öffnen, daß der Krieg
zwischen zivilisierten Völkern ein wesentlicher
Anachronismus ist.
(Daily Mail, 30. Okt.)
= DIE FRIEDENS -WARTE
n RANDGLOSSEN XX
ZVU ZEITGESCHICHTE
Von Bertha v. Suttner.
Wien, den 7. November 1913.
Wieder einmal knapp am Abgrund vor-
bei! In der zweiten Hälfte Oktober (heute
ist es beinahe schon vergessen, so rasch werden
alte Sensationen von neuen abgelöst) wurde
ganz plötzlich von Oesterreich-Ungarn an Ser-
bien ein Ultimatum erlassen, des Inhalts, daß
binnen zehn Tagen von sämtlichen Positionen,
die Serbien jenseits seiner Grenzen in Albanien
besetzt hielt, die Truppen zurückzuziehen seien.
Widrigenfalls — nun, man weiß ja, was ge-
schieht, oder was1 doch angedroht wird, wenn
solch peremptorischem Befehl Widerstand ge-
leistet wird. Es ist die alte Geste der an
die Brust gesetzten Pistole. Nur daß, wenn
Staaten — und nicht Straßenräuber — diese
Geste machen, die Pistole mehrere hundert-
tausend Läufe hat. Dazu werden ja auch haupt-
sächlich die Heere und Flotten neuerdings
zu immer größeren Dimensionen angeschwellt:
als Drohinstrument, als begleitendes Orchester
zum Text des stolzen Großstaatliedes: „Ich
will". Oesterreich-Ungarn singt dieses Lied
gar so gern allein, und nicht im europäischen
Chor. Serbien hat nachgegeben. Schön —
aber wie, wenn dies nicht der Fall gewesen
wäre ? Dieser Eventualität verschloß sich auch
der Leitartikler der Neuen Freien Presse nicht,
der unterm 22. Oktober schrieb : „Vor einigen
Tagen war die Monarchie von einem Kriege
nicht viel weiter entfernt, als das Hemd von
der Haut. Eine Welle der Volksleidenschaften
in Belgrad, eine .«plötzliche Auflehnung der
militärischen Gewalten und die Kanonen
hätten zu sprechen begonnen." Aber noch
andere Chancen zum Losgehen der Kanonen
hätte es gegeben. Ein so kleiner Staat wie
der serbische kann natürlich den Befehlen
eines so großen wie Oesterreich-Ungarn sich
nicht widersetzen; aber was hätte z.B. Ruß-
land gehindert, wenn es Krieg gewollt hätte,
zu erklären, daß es sich an die Seite Serbiens
stellt? Immer deutlicher und immer dringen-
der zeigt es sich, daß nur eine Einigung des
gesamten West- und Mitteleuropa die Zustände
Osteuropas regeln und den Weltteil vor einem
Universalbrand schützen kann.
Unterdessen wird aber allenthalben mit
dem fieberhaften Eifer und unter größten
Opfern in einer Weise gearbeitet und vor-
bereitet („bereit sein ist alles!"), nicht, als
wollte man den Brand verhüten, sondern als
müsse man ihn gewärtigen und so verheerend
wie möglich gestalten. Geld, Geld, Geld muß
her! Und an allen Ecken und Enden Schatz-
scheinemissionen, Steuererzwingungen, Zoll-
erhöhungen, und vor allem: Schulden, Schul-
den, Schulden! Der nationalökonomische
425
DIEFRIEDEN5-v\^RTE =
3
Grundsatz, daß Reichtum nur durch Arbeit,
durch Gütererzeugung geschaffen werden
kann, daß aber alles erpreßte, aus einer Tasche
in die andere eskamotierte, und namentlich
alles geborgte Geld nicht reicher, sondern nur
ärmer macht, dieser Grundsatz wird ganz; ver-
gessen, und die Staaten verschaffen sich munter
drauf los Millionen und Milliarden zu dem
Zwecke — einer staune — , Güter zerstören
zu können. Und dies, obwohl rings — eben
als Folge dieser kriegerischen Politik — die
Kurse fallen, die Geschäfte stocken, die Preise
steigen, die Arbeitslosigkeit überhand nimmt.
Alles dies klingt verzweifelt, aber es läßt sich
hoffen, daß der Exzeß dieser Mißlage eben
zum Entschlüsse führen wird, ihr abzuhelfen.
Denn es handelt sich dabei nicht um einen
unabwendbaren Verlauf von Naturgewalten,
sondern um eine willkürlich eingeschlagene
Richtung, die zu verlassen den meisten un-
möglich scheint, was jedoch auf Jrrtum beruht.
Denn der Ausweg ist leicht einzuschlagen, er
heißt: Verständigung.
Was Winston Churchill angeboten hat:
Ein Uebereinkommen zu einem Pausejahr im
Schlachtschiffbau, ist ein Schrittchen in dieser
Richtung. Auf dem europäischen Festland hat
dieser Ruf kein günstiges Echo geweckt. Auch
nicht in ganz England. Die navy-league hat
lebhaft protestiert und sogar die Gelegenheit
benützt, um statt zwei — sechs neue Dread-
noughts zu fordern. Einzig im amerikanischen
Repräsentantenhause wurde am 31. Oktober
von Hensley (Missouri) eine Resolution ein-
gebracht, in welcher die Zustimmung zu einer
Abrüstung im Umfange des Churchillschen
Vorschlages verlangt wird. Der Sprecher
sagte, er hege den Wunsch, daß die Reso-
lution angenommen werde. Er fügte hinzu,
daß Deutschland als Popanz benutzt worden
ist, um bei den letzten Marinedebatten die
Amerikaner zu schrecken. Ach ja, wir kennen
dieses Spiel mit dem kreditbewilligungsfördern-
den Popanz. Bei uns heißt er der Russ', der
Serb'; in Deutschland der Franzos'; in Italien
der Austriaco ; in Frankreich Le Teuton; in
England Germany; kurz, es hat dieser „Ab-
geordnetenschreck" noch mehr verschiedene
Gesichter, als das in den steirischen Bergen
hausende, Bauernschreck genannte, Untier.
Die Geschäfte stocken, sagte ich vorhin.
Nicht alle. Ein Blick in den Bericht eines
Finanzblattes kann für uns Pazifisten unge-
heuer lehrreich sein. Folgender Auszug aus
einem Artikel des Wiener „Mercur" (Nr. 1727)
wirft so manche Streiflichter auf die inter-
nationale Kriegsindustrie :
Die Skodawerke sind seit ihrer Re-
konstruktion in einer glänzenden Entwicklung
begriffen. Bekanntlich haben sie nicht gleich
nach ihrer Umwandlung in eine Aktiengesell-
schaft (1899) die Hoffnungen ihrer Gründer
erfüllt. Nur für die erste Geschäftsperiode
426
1899/1900 wurde eine Dividende von 6 Prozent
bezahlt, dann folgten fünf dividendenlose Jahre.
Eine Beihe ungünstiger Umstände wirkten zu-
sammen, Um die Kinderkrankheiten dieses
großen Unternehmens besonders: gefährlich er-
scheinen zu lassen. Bei der Reform des öster-
reichischen Artillerie wesens machten die Skoda-
werke große Anstrengungen, um die von ihnen
konstruierte Feldgeschütztype durchzusetzen.
Die Konstruktionen, die Schießproben ver-
schlangen enorme Summen, und schließlich
blieb 'man doch bfei dem System der Bronze-
kanonen, die im Arsenal hergestellt wurden.
Die Teilbestellungen für die Ausrüstung dieser
Kanonen sowie die Bestellungen von Haubitzen
stellten keine ausreichende Entschädigung für
diese enormen Ausgaben dar. Erst die Re-
organisation der österreichischen
Marine — die Schaffung neuer und
größerer Schlachtschiffe schon vor
der Aera der Dreadnoughts — führte die Ge-
nesung der Skodawerke herbei. Jahr für
Jahr waren sie damit beschäftigt, Armaturen
für die Kriegsschiffe {Panzertürme mit Ge-
schossen) herzustellen und die Dimensionen
dieser Geschütze und damit die Höhe dieser
Aufträge wurden immer größer, bis sie den
Dreadnoughttypus erreichten. Eür diese Ar-
maturen hatten die Skodawerke ein faktisches
Monopol, und an der Ausführung derselben
wuchsen sie empor, so daß sie auch bei Auslands-
bestellungen immer konkurrenzfähiger wurden.
Die Schiffsgeschütze haben die Skodawerke groß
gemacht; darüber haben sie freilich auch die
Erzeugung von Festlandsgeschützen nicht ver-
nachlässigt und insbesondere den Export auf
diesem Gebiete kultiviert. 'Es ist augenschein-
lich nicht nur die Eskomptierung der Dread-
noughtgewinne, welche die Skodaaktien, wieder
zum Favorit des Publikums gemacht hat, son-
dern die Entwicklung der Firma von einem
Landes- zu einem Weltunternehmen, das seine
geographische Sphäre immer weiter ausdehnt
und beginnt, neben Krupp und Schneider ge-
nannt zu werden.
Die Expansionstendenz der Skodawerke, ihre
Entwicklung "zur Weltindustrie kommt nicht
nur darin zum Ausdruck, daß sie sich in immer
größerem Maße an Lieferungen für fremde
Staaten beteiligen, so haben sie zum Beispiel
im vergangenen Jahre für die holländischem
Seefestungen Aufträge gehabt und vor wenigen
Wochen eine Lieferung auf Geschütze im Werte
von zirka 5 Millionen Kronen von der Türkei
erhalten. Viel charakteristischer ist die Art,
in welcher sie sich gegebenenfalls Lieferungen
sichern. So haben sie im vorigen Jahre zwei-
mal Bestellungen für China dadurch erhalten,
daß entweder die Banken ihres Konzerns oder
sie selbst auch die Beschaffung des für die
Lieferungen erf orderlichen Kredits übernahmen,
in Form der Uebernahme von chinesischen
Staatsscheinen, die in kurzer Zeit in London
plaziert werden konnten. Wie es scheint, haben
die Skodawerke die Absicht, gleich der Poldi-
hütte irgendeine dauernde Beziehung zu der
chinesischen Republik herzustellen. Die Nach-
richt von einer größeren chinesischen Anleihe,
welche die Skoda werke gemeinsam mit Krupp
übernehmen sollte, wurde zwar dementiert, aber
daß diese Nachricht überhaupt verbreitet und
geglaubt werden konnte, beweist deutlich, daß
eine intime Beziehung- der Skodawerke einerseits
©=
DIE FR! EDENS -^ARTE
zu Krupp, andererseits zu China durchaus auf
dem Gebiete der Wahrscheinlichkeit liegt.
Der Artikel fährt fort, indem er über
die Zusammenarbeit der Skodawerke mit
Krupp und mit der neuen Kanonenfabrik in
Raab ziffernmäßige Auskunft gibt. Die Ge-
winne werden verteilt und in späteren Jahren
werden die Skodawerke ein Drittel ihrer Ge-
schützbestellungen an die ungarische Fabrik
abgeben müssen. Mit folgenden Worten
schließt der Aufsatz: „Die Zunahme des
Armeebedarfs mag dies Vohl ausgleichen, und
es ist auch möglich, daß der ungarische Staat
als Eigentümer der ungarischen Kanonenfabrik
sich lebhafter für den Ersatz der Bronze- durch
Stahlkanonen einsetzen wird." — Lebhafter
einsetzen ? Also denn : patriotische Brust töne,
und Popanz, herbei! die Staatsnotwendigkeit
ist fertig und — die Aktien steigen.
MB
Von der balkanischen Großschlächterei
fliegen noch immer Massakernachrichten in
die Welt. Ueberhaupt, wie es auf dieser un-
glücklichen Halbinsel noch von Streit, Haß,
Rache, Verwirrung und Gefahr brodelt, ist
unsagbar. Das einzige Gute, was man bis-
her Kriegen noch nachsagen konnte: daß.
sie in verworrene Situationen Entscheidungen
und Klärung bringen, hat sich durch diesen
Balkankrieg auch als nichtig erwiesen.
Nichts ist entwirrt. Die Friedensverhandlun-
gen zwischen Türkei und Griechenland
,, schweben" noch, und um solch unbedeutender
Fragen wegen, wie Kirchengüter und
„Wakufs"-Frage, die doch nach dem Haager
Schiedsgerichte schreien. Das schlimmste
aber ist dies: Kaum ist die Angelegenheit
des österreichischen Ultimatums an Serbien
aus der Welt geschafft, so ist Italien in einer
Sonderaktion, der sich Oesterreich-Ungarn
anschloß, mit einer die Grenzregulierung
Südalbaniens betreffenden Forderung gegen
Griechenland aufgetreten. Die Antwort
Griechenlands ist nicht ganz befriedigend aus-
gefallen: Die Sache schwebt.
MB
Auf hoher See geriet ein Schiff in Brand.
Drahtlos durchschwirrten die Hilferufe des
Volturno den Aether, und von allen Rich-
tungen eilten rettende Schiffe herbei. Hun-
derte der Passagiere wurden gerettet; viele
sind zwar zugrunde gegangen, aber ohne
Marconi — und ohne hilfsbeflissene Näch-
stenliebe — wären alle verloren gewesen.
Das sind die Lichtbilder, die, zukunfts-
erhellend, uns zeigen, was Ziel und Zweck
der technischen Wunder sein soll und sein
kann, die der menschliche Genius vollbringt :
im Dienst des Lebens sich zu entfalten —
und nicht des Tötens.
Aus Paris wird gemeldet : Der angekün-
digte Erlaß über die verbotenen Luftzonen
wird in kürzester Zeit erscheinen. Wie
offiziös verlautet, wird in einem Umkreis von
zehn Kilometern oberhalb aller Befestigungs-
werke sowie oberhalb aller Uebungs platze
des Landheeres und der Kriegsflotte das
Ueberfliegen derselben verboten werden.
Was für ein Polizeiposten wird denn in
1000 Metern Höhe aufgestellt sein, um die
Uebertreter des Verbots aufzuhalten ? Die
Schildbürgerei solcher Verbote ist beinähe
spaßhaft. Aber etwas sehr Richtiges liegt
ihnen doch zugrunde. Die Beherrschung der
Luft und Festungen und Uebungsplätze
und dergleichen passen nicht zueinander.
Eines von beiden : — das Fliegen oder das
Kriegführen — wird vor dem andern schließ-
lich weichen müssen.
Die sich mehrenden Bestrebungen zu
einer deutsch-französischen Annäherung sind
der „Journaille" — wie Fried die kriegs-
hetzerischen Preßleute nennt — ein Dorn
im Auge. Einen wahren Rekord dieser
Richtung fand ich in einem Artikel des Dres-
dener Anzeigers. Es wird darin eine „Frie-
densschalmei" des Temps besprochen: „In
einer Zeit (so kommentiert der deutsche Jour-
nalist), wo der neue Geist des Chauvinismus
in Frankreich die Gemüter stärker denn je
beherrscht, wo die Wiedereinführung der
dreijährigen Dienstzeit lediglich mit dem
Blick auf uns begründet worden ist, muß
eine solche einlenkende Sprache ohne wei-
teres überraschen. Als ein starkes Moment
für diese Tatsache fällt ins Gewicht, daß
die französische Armee während der näch-
sten sechs Monate, eben dank der ein-
schneidenden Umwälzungen, in einem Zu-
stande sich befindet, der eine kriegerische
Verwicklung unerwünscht macht. Ist aber
dieses Halbjahr erst vorüber, dann wird auch
im „Temps" eine ganz andere Sprache wieder
angeschlagen werden. . . . Merkwürdig genug,
daß es gerade ein Vorkämpfer einer deutsch-
französischen Annäherung war, der bekannte
Baron d'Estournelles, dem auf der jüngsten
Nürnberger Tagung des Verbandes für inter-
nationale Verständigung Vieles verratende
Worte entschlüpften. Er trat für eine En-
tente zwischen beiden Mächten ein und ließ
seine Worte in folgenden Sätzen ausklingen :
, Mögen Sie in Deutschland gewissenhaft und
unabhängig die Lage prüfen und uns das
Maß: der Zugeständnisse machen, das man
machen kann ; aber beeilen Sie sich ! In
wenigen Jahren ist es vielleicht schon zu
spät.' Vielleicht, so fügen wir hinzu, ist
es schon in einem halben Jahre zu spät,
wenn der Zustand der Desorganisation der
französischen Linientruppen überwunden ist.
Zugleich erinnern wir uns, daß der eben ge-
nannte Senator es war, der in dem Augen-
blick, als in Frankreich das1 Gesetz der drei-
jährigen Dienstzeit zur Erörterung stand,
mit der äußersten Energie auf die
427
DIE FRIEDENS -WAGTE
3
Verstärkung der Zahl und Offen-
sivkraft der französischen Wehr-
macht hingewirkt und dabei in
denkbar schärfsten Ausdrücken
in Chauvinismus gearbeitet hat."
Das ist die allerunver schäm-
teste Umkehrung der Tatsachen!
Wir kennen die tapfere Rede, mit der
d'Estournelles das „Dreijahr - Gesetz" im
Senat bekämpft hat, sich dabei stür-
mischen Unterbrechungen aussetzend, und den
Haß der ganzen Kriegspartei inner- und
außerhalb des Landes auf sein Haupt ladend.
Es gibt eine Redensart : „Dieser Mensch lügt
wie ein roter Hund." Wer diesen fernliegenden
Vergleich erfunden hat, der kannte die Jour-
naille nicht.
In der Chronik der Zeitgeschichte kann
man an der von Lloyd George in Angriff
genommennen Bodenreformkampagne nicht
vorübergehen. Hier bereitet sich vielleicht
die größte Wandlung in der wirtschaftlichen
Entwicklung der menschlichen Gesellschaft
vor.
Der Ritualmord-Prozeß in Kiew. Ganz
im Geiste mittelalterlicher Hexenprozesse ge-
führt, ist er eine Schande für Rußland.
Doch nein, nicht für Rußland, denn auch dort
erheben sich heftige Proteste, sondern nur für
die „schwarzen Hundert", für die „echt
russischen Männer". Und ist nur Rußland
reaktionär ? Gibt es brutalen Antisemitis-
mus nur dort ? Der Dreyfußprozeß wurde
mit derselben judenverfolgenden Absichtlich-
keit geleitet und unter ganz ähnlichen Be-
gleiterscheinungen. Das fürchterliche ist nur
die allerdings in Rußland mehr als anderswo
liegende Pogromgefahr. Im österreichischen
Parlament wurde über den Prozeß und über
die drohenden Pogrome interpelliert. „Gibt
es denn da kein Forum ?" fragte der Inter-
pellant. Nein, leider, das gibt es noch nicht;
aber die Vision davon ist in der pazifistischen
Weltanschauung schon aufgestiegen. Sie
wird sich verwirklichen, wie alles, was zu-
gleich heiß' ersehnt und klar begriffen ist,
sich verwirklichen muß.
Anfang Oktober. Auf dem englischen Kirch en-
kongress in Southampton wird die anglo-
deutsche Verständigung in nachdruckvollster
Weise vertreten.
Anfang Oktober. In London wird mit der Ver-
öffentlichung eines neuen Friedensorgans, „War and
Peace" betitelt, begonnen, das sich die Vertretung der
Norman Angell'schen Ideen zur Aufgabe macht.
15. Oktober. Abhaltung einer Konferenz pazi-
fistischer Pastoren in Berlin anlässlich der Jubi-
läumstagung des Deutschen Protestanienvereins.
18. Oktober. In seiner Bede in Manchester
wiederholt Lord Churchill seinen bereits im
März gemachten Vorschlag zur Einführung eines
Flotten-Feierjahres zwischen Gross-Britan-
nien und Deutschland.
21. Oktober. Die Leipziger Stadtvertretung
beschliesst, die Gruft der in der Schlacht bei Leipzig
gefallenen französischen Soldaten fortan am 18. Ok-
tober zu schmücken.
21. Oktober. Der russische Minister des Aeussem ,
Sasanow, in Berlin.
25. und 26. Oktober. Kaiser Wilhelm zum
Besuch des Thronfolgers Erzherzog Franz
Ferdinand in Konopischt und des Kaisers Franz
Josef in Schönbrunn.
31. Oktober. Im amerikanischen Repräsen-
tantenhaus tritt Hensley (Missouri) für den
Vorschlag Lord Churchills ein. Der Sprecher
Clark bezeichnet die gegenwärtige Bivalität im Fiotten-
bau als „Gipfel des Idiotismus".
Ende Oktober. In Berlin findet eine gemein-
same Tagung der britischen und der deut-
schen König-Eduard-Stiftung statt.
Ende Oktober. Li Paris tagt eine Internatio-
nale Kommission für die Vereinheitlichung
der Zeit.
Anfang November. König Ferdinand von
Bulgarien in Wien.
AUS DER ZEITO
Rüstungsproblem.
unterirdische Arbeit. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Es wird uns geschrieben :
Der Krupp-Prozeß wirft ein eigentüm-
liches Licht auf die unterirdische Arbeit,
die der von Krupp angestellte frühere Ober-
feuerwerker Brandt im Interesse der Firma
geleistet hat, und zeigt, daß jene auch dort
stattfindet, wo man sie bisher nicht ver-
mutete. Auch bei der Verhetzung der Völker
spielt unterirdische Arbeit zweifellos heu-
tigen Tages eine große Bolle. Es ist auf-
fallend, daß den Rüstungsforderungen in
neuerer Zeit fast ausnahmslos eine ten-
denziöse Verhetzung vorangeht. In Eng-
land, in Frankreich, in Deutschland, über-
all entstanden zur gegebenen Zeit Zeitungs-
artikel und Broschüren, die Mißtrauen und
Mißstimmung zwischen den Völkern ent-
fachten. Der Verdacht liegt nahe, daß diese
Ait Preßtätigkeit von den Kreisen unter-
stützt wird, die für Erweiterung der
Rüstung sind, gleichgültig, ob' sie ein pa-
triotisches oder sonstiges Interesse dafür
haben. Zu den Broschüren, die neben
428
(ÖS
DIE FRI EDENS -^VARTE
manchem Wiahren grobe Entstellungen und
skrupellose, hetzende Behauptungen ent-
halten, die, wie ein kritischer Leser sofort
erkennen muß, lediglich auf! Mutmaßungen
beruhen, gehört u. a. die Broschüre „Eng-
lands "Weltherrschaft und die deutsche
Luxusflotte von Lookout" — 1912 — . Hinter
dem Pseudonym des Verfassers haben viele
zunächst irgendeinen hohen See - Offizier
oder einen hohen Staatsbeamten vermutet,
der die Sache aus bester Quelle wissen
mußte. Tatsächlich' hat jedoch der Schrift-
steller Adolf Stein die Broschüre ver-
faßt. Bald nach dem Erscheinen derselben
wurde ihm durch eine mehrtägige Ein-
schiffung auf dem deutschen Linienschiff
, .Kaiser iWilhelm IL", dem, Flaggschiff des
Konteradmirals Lans, jetzigem Vize-Admiral
imd Geschwaderchef, Gelegenheit gegeben,
den Betrieb auf einem Linienschiff und auf
dem unter Lans formierten Lehrgeschwader
kennen zu lernen. Bei dem geheimen Cha-
rakter, den die Uebungen des Lehrge-
schwaders wegen des Einblicks in die Taktik
haben — es dient nämlich zur schulmäßigen
Ausbildung der Torpedo- und Unterseeboote
— bedeutete die Einladung des Schrift-
stellers Stein ein besonderes Vertrauen.
Man. könnte sie auch als eine besondere
Anerkennung auffassen, und die Marine täte
daher gut, in Zukunft derartige Schrift-
steller nicht an Bord zu nehmen. Was
sollen diese überhaupt an Bord? Es wäre
zu weitgehend, eine Vermutung auszu-
sprechen, welcher Protektion oder Für-
sprache der Schriftsteller Adolf Stein seinen
Aufenthalt auf dem Geschwader verdankt.
Es ist betreffs der von ihm verfaßten
Sensationsbroschüre bekanntgeworden, daß
Stein, als ihm die Verlagsanstalt die Arbeit
anbot, zunächst ablehnte, sich aber der Be-
arbeitung unterzog, als ihm das Material
voii der Verlagsanstalt zur Verfügung ge-
stellt wurde. Auf wessen Veranlassung hat
nun Adolf Stein geschrieben? War es der
Flottenverein, war es die Großindustrie?
Das Flottenfeierjahr. :: :: :: :: :: » :: :: :: :: :: ::
Wie schon einmal am 26. März dieses
Jahres ist der englische Marineminister. Lorcl
Churchill, am 18. Oktober in Manchester
.auf seinen alten Plan zur Anbahnung eines Feier-
jahres im Flottenbau zurückgekommen.
Er sagte dabei wörtlich:
„Der Vorschlag, den ich im Namen der
Regierung vortrage, ist ganz einfach: Wir
werden im nächsten Jahr — abseits von den
kanadischen Schiffen oder ihren Aequivalenten,
abseits von allem, was durch irgendwelche
Vorgänge im Mittelmeer erforderlich werden
könnte — vier, Deutschland zwei große
Schiffe auf den Kiel legen. Jetzt sagen
wir zu Deutschland: Wenn du den
Baubeginn deiner beiden Schiffe
um zwölf Monate vertagen willst,
werden wir getreulich den Bau-
beginn unserer vier Schiffe für
genau die gleiche Periode vertage n."
Im weiteren Verlauf seiner Rede bemerkte
Lord Churchill noch:
Deutschland würde bei der Pause sechs,
wir fast zwölfMill. (Pfund !) s p a r e n. D i e
relativeStärkebeiderLänder würde
absolut unverändert bleiben. Ein völ-
liger Stillstand für ein ganzes Jahr ist unmöglich,
wenn nicht andere Mächte überredet werden,
ebenso zu handeln. Aber wenn Deutschland und
England die Initiative ergriffen, den anderen
europäischen Mächten voranzugehen, wäre da
nicht eine große Aussicht auf Erfolg? Wenn
Oesterreich und Italien nicht bauten, so würde
eine Verpflichtung dazu auch für England und
Frankreich wegfallen. Die Tatsache, daß der
Dreibund keine Schiffe baute, würde den Vor-
schlag ohne die geringste Risikogefahr mög-
lich machen. Und würde ein solches Ereignis
nicht seine Wirkung auf den Schiffsbau Ame-
rikas und Japans ausüben? Durch eine solche
Politik würden viele Millionen für den
FortschrittderMenschheit frei wer-
den, und selbst, wenn sie erfolglos bliebe,
würde sie auf Europa einen wohltätigen Ein-
druck machen, der später sicher Früchte tragen
würde."
Churchill schloß: „Ich mache diesen Vor-
schlag für 1914 oder, wenn dies zu nahe er-
scheint, für 1915. Ich bin für Gegen-
gründe, die große Waffenfirmen in
England und anderen Ländern
zweifellos erheben werden, völlig
unzugänglich; sie müssen Diener
sein, nicht Herren! Manche werden mich
wegen meines Vorschlages tadeln. Aber mögen
sie spotten! Ich bin überzeugt, daß es
fürdieWoh'lfahrtunddieFortdauer
unserer Zivilisation und des Auf-
baues der europäischen Gesell-
schaft notwendig ist, daß Rüstungs-
fragen offen erörtert werden, nicht allein von
den Diplomaten und Regierungen, sondern auch
von den Parlamenten und Völkern."
In einer gewissen deutschen Presse wurde
gegen diesen vernünftigen Vorschlag natürlich
Bedenken geltend gemacht. Kapitän z. See a. D.,
L. Persius, schreibt darüber im „Zwickauer
Tageblatt" :
„Diese „Bedenken" stammten durchgängig
aus interessierten Kreisen. Sie zeichneten sich
gleicherweise durch einen gereizten Ton aus,
wie durch die Schwäche ihrer Argumente. Di"
schlagende Antwort lautete, daß unsere Privat-
werften eingestandenermaßen an Kriegsschiff-
bauten, dank der kaufmännischen Qualifikation
429
DIE FBlEDENS-^ös^DTE
!§>
unseres Reichsmarineamtes, herzlich wenig ver-
dienten, ja in einem bekannt gewordenen Fall
— Vulkan — zugesetzt hätten. Außerdem sei
es übertrieben, von einem nahen Bankrott zu
sprechen, wenn einmal zwei Werften während
zwölf Monaten bei den Bestellungen unserer
Regierung leer ausgingen. Das Flottengesetz
sieht im nächsten Etatsjahr 1914 — 1915 nur
zwei Schlachtschiffsneubauten vor. Es han-
delt sich außerdem nur um die ersten Raten,
also überhaupt um einen Yacht überwältigend
großen Betrag. Aber ganz abgesehen davon,
wäre es schließlich doch in hohem Grade un-
moralisch, ein ganzes 60 Millionenvolk bluten
zu. lassen, weil sonst zwei Werftbetriebe viel-
leicht in einem Jahr geringere Dividende zahlen
müßten.
Auch der Hinweis, eine Kontrolle über den
Bau von Großkampfschiffen sei ausgeschlossen,
ist unberechtigt. Es handelt sich um „Ueber-
dreadnoughts". Man wird keinem Schulbuben
weiß machen können, daß die Kielstreckung
eines solchen Riesenschiffes sich irgendwo ver-
heimlichen ließe. Und ferner, wenn im Marine-
etat keine ersten Raten eingestellt und bewilligt
werden, sind eben die Mittel zum Beginn des
Baues nicht vorhanden. Die Behauptung,
Schiffsbauraten könnten unter einem anderen
Titel in den Etat eingeschmuggelt werden —
auch dies wurde allen Ernstes entgegnet — ist
geradezu grotesk. Endlich ist der Einspruch,
eine Umgehung des Abkommens sei durch Ueber-
nahme fremder Bestellungen angängig, hinfällig,
denn diese Verhältnisse haben mit dem Feierjahr
nichts zu tun, sie bestehen jetzt ebenso wie
später. Zudem ist anzunehmen, daß sich die
kleineren Seemächte, um die es sich handelt,
selbstverständlich dem Vorgehen der großen
anschließen werden: sie werden froh sein, von
der Pause im Flottenwettrüsten auch ihrerseits
profitieren zu können."
Rüstungs-Großmacht und soziales Elend. :: ::
In Oesterreich ist seit ungefähr fünf Jahren
ein Gesetzentwurf für die Sozialversicherung
nach reichsdeutschem Muster im vorberaten-
den Ausschuß ausgearbeitet worden. Warum
dieser aber noch nicht Gesetz geworden ist,
erfährt man aus dem vom Abgeordneten S e i t z
auf dem Wiener Parteitag der österreichischen
Sozialdemokratie (1. und 2. Nov.) erstatteten
Bericht der Reichsratsfraktion. Da
heißt es :
„Schwere Arbeit erfordern seit 1907 die
Verhandlungen über die Sozialversicherung.
Es ist uns seinerzeit gelungen, das Ministerium
Beck zur Vorlage des Gesetzes zu zwingen.
aber die Beratung zeigt den echt öster-
reichischen Jammer. Die Beratungen im Aus-
schuß sind eigentlich zu Ende. Obwohl es
seihon jeder Mensch als selbstverständlich be-
trachtet, daß der Versicherte seine Beiträge zu
leisten hat und daß ein Staatszuschuß zu jeder
Rente gewährt wird, damit Krüppel und Greise zu
einer ausreichenden Rente kommen, stößt das
Gesetz in Oesterreich plötzlich auf die
schwersten Hindernisse. Es hat sich heraus-
gestellt, daß in weiten Gebieten des Staates der
Bevölkerung nicht zugemutet werden kann,
einen Beitrag von monatlich einer Krone zu
zahlen. Die Ruthenen haben erklärt, sie müssen
gegen die Sozialversicherung sein, weil ihre
Kleinhäusler nicht imstande sind, für sich und
ihre Arbeiter auch nur den geringsten Beitrag
zu entrichten. Wer da weiß, daß man dort
um Grundsteuern von je drei K r o n e b
tausende Pfändungen vornehmen muß,
und wer die Lebenslage dieses Volkes kennt,
wird zugeben: es ist leider tatsächlich unmög-
lich, diesen Schichten die Zahlung von Prämien
zuzumuten."
Diese Feststellungen sollten diejenigen zur
Kenntnis nehmen, die immer davon reden, daß
die Bevölkerung die Rüstungslasten leicht
trägt und daß unter der Last dieser Rüstungen
die Kulturaufgaben nicht leiden. Auf welchem
Tierzustande muß eine Bevölkerung leben, der
es nicht möglich ist, 1 Krone (d. /i. ßo Pfg.)
monatlich für die Versorgung des erwerbsun-
fähigen Alters auszugeben. Und dieses so ver-
elendete Volk muß Dreadnoughts für 70 Mill.
bauen und zu seinem Schutze jährlich nahezu
eine Milliarde ausgeben ! Zu s e i n e m Schutze ! !
Die russischen Rüstungen. :: :: :: :: :: :: u :: ::
In der Rüstungskette folgt nun auch Ruß-
land dem durch die Rüstungen der anderen
Länder gegebenen Antrieb.
Das Ausgabenbudget Rußlands erhöht sich
1914 um 310 Mill. Rubel (um 560 Mill. Rubel
mehr als noch 1912). Davon entfällt für 1914
ein Drittel, d. i. 105 M(ill. Rubel für Militär-
ausgaben, die jetzt beinahe 1 Milliarde Rubel
erreichen.
Die Ausgaben der letzten 8 Jahre stellen
sich nach der Frankf. Ztg. wie folgt:
(in Mill
Rbl.)
1908
1909
1910
1911
1912
1913
1914
Gewöhnliche Ausgaben
Kriegs-
Ministerium
Marine-
Ministerium
462,50
488,90
484,90
497,80
503,—
550,90
599,14
Außerordent-
liche Ausgaben
für beide
Ministerien
93.50 56,20 612,20
96,20 65,— 650,10
112,70 50,— 647,60
120,90 50,60 669,30
165,70 70— 738,70
228,23 90,11 869,24
250,40 125.42 974,96
soll auch die Dienstzeit ver-
Aus Petersbm-g wird dar-
„Die Regierung beabsichtigt,
gleich nach Beginn der Tagungen in die ge-
setzgeberischen Körperschaften eine Vorlage
einzubringen, derzuf olge die aktive
Dienstzeit für die Mannschaften der Armee
und Flotte um 3 Monate, und zwar vom
1. Januar bis 1. April verlängert werden
soll. Bereits in diesem Jahre werden auf be-
Gleichzeitig
längert werden.
über berichtet :
430
@=
DIE FRIEDEN5 -WARTE
sondere Verfügung die Mannschaften, die sonst
im Oktober zur Reserve entlassen werden, bis
zum 1. Januar 1914 unter der Fahne gehalten.
Die Regierung begründet diese entscheidende
Maßnahme dadurch, daß sämtliche
Staaten Westeuropas ebenfalls zur
Verstärkung ihres aktiven Armee-
bestandes geschritten sind. Da der
Beschluß, die Dienstleistung zu verlängern, erst
cefaßt wurde, nachdem der Haushaltentwurf
für 1914 der Reichsduma schon übermittelt
worden war, dürften Kriegs- und Marine-
ministerium großer Ergänzungskredite
benötigen."
Es wird uns nicht wundernehmen, wenn
diese .Maßnahme von den anderen Staaten
J^uropas baldigst nachgeahmt wird. Wo bleibt
dann der Vorteil für Rußland?
Vom internationalen Rüstungsgeschäft. :: :: :: :]
Ueber das bei zwei österreichischen Banken
aufgenommene Darlehen der chinesischen Re-
gierung, für das diese Kriegsschiffe geliefert
erhält (Siehe Fr. -W. S. 393), berichtet die
X. Fr. Presse (19. 10.) weiter:
„Wie bereits gemeldet wurde, haben die
Niederösterreichische Eskomptegesellschaft und
die Bodenkreditanstalt eine chinesische An-
leihe von 2 Millionen Pfund abgeschlossen,
deren Erlös zum großen Teile dahin verwendet
werden soll, daß die Cantiere Navale
Triestino einen großen Kreuzer baut, die
Skoda- Werke die Armierung desselben be-
sorgen. Es ist dies die dritte Anleihe, welche
China mit der gleichen Bankengruppe verein-
bart. Vor zwei Jahren haben die Skoda-Werke
den Abschluß der ersten Anleihe mit China an-
geregt, und bei diesem Anlasse hat zum ersten-
mal in Oesterreich die Methode praktische Wirk-
samkeit erlangt, in Verbindung mit der Deckung
der Kreditbedürfnisse eines fremden Lajides
durch österreichische Finanzinstitute zugleich
industrielle Bestellungen aus dem Auslande
nach Oesterreich zu ziehen. Aus der gestern
abgeschlossenen Anleihe erhalten die Skoda-
Werke Bestellungen für China in der Höhe
von 12 Millionen Kronen. Im heurigen Jahre
haben die Skoda-Werke durch die Erlöse der
letzten zwei Anleihen Aufträge von mehr als
24 Millionen Kronen erzielt.*) Der größte Teil
des Geldes, welches für diese Lieferungen be-
stimmt ist, erliegt aus den Anleihen bei den
hiesigen Bankinstituten, so daß die Valuta der
Anleihe nur zum geringen Teile nach
China remittiert wurde, sondern hier
geblieben und zu industriellen Bestellungen ver-
wendet worden ist."
Im Zusammenhang damit wird eine weitere
Mitteilung der N. Fr. Presse (vom 27. 10.) von
Interesse sein :
*) Siehe die Mitteilung über das Gedeihen
der Skoda-Werke auf S. 425 der vorliegendem
Nummer.
,,In Triest hat gestern unter dem Vorsitze
des Herrn Callisto Cosulich eine außerordent-
liche Generalversammlung des Cantiere Na-
vale Triestino stattgefunden, in welcher
beschlossen wurde, das Gesellschaftskapital
durch Ausgabe von 15 000 Aktien mit je 200 Kr.
Nominale von 6 Moll, auf 9 Mill. Kr. zu erhöhen.
Aus dem Erlöse der Kapitalserhöhung wird die
beabsichtigte Ausgestaltung der
Werfte (!) bestritten werden."
MB
Verschiedenes.
Offizielle Gedankengänge über
die Leipziger Schlachtenfeier.
Bei dem Galadiner, das der König von
Sachsen aus Anlaß der Feier zur Enthüllung
des Völkerschlachtdenkmals am 18. Oktober
seinen fürstlichen Gästen im Gewandhaus zu
Leipzig gab, fielen uns einige Wendungen auf,
die sich von den sonst bei solchen Gelegen-
heiten üblichen Reden verblümt abhoben. Der
König hob den Gegensatz zwischen der Zeit
der Völkerschlacht und der Jetzzeit hervor,
wo die Nachkommen der Kämpfer der großen
Völkerschlacht von nah und fern zu einem
Fest des Friedens zusammenströmen.
„Nicht nur," sagte der König, ,,was Deutsch-
land, Oesterreich - Ungarn, Rußland und
Schweden im Jahre 1813 gewesen sind,
vor allem, was die Völker der Völkerschlacht
von Leipzig heute geworden sind, wie
Gottes Segen sichtbarlich auf den Fürsten-
häusern dieser Völker geruht, ist uns angesichts
dieser glänzenden Versammlung von Monarchen
und Fürsten, dieser glänzenden Versammlung
von hohen und höchsten militärischen Führern,
dieser glänzenden Versammlung von Vertretern
des deutschen Volkes zum freudigen Bewußt-
sein gekommen."
Der König schloß: „Wie im Jahre 1813
die Völker von Deutschland, Oesterreich-Un-
garn, Rußland und Schweden in Wehr und
Waffen gestanden, so haben sich auch heute
Vertreter dieser Völker im Schmucke von Wehr
und Waffen unseren bewundernden Blicken ge-
zeigt. Nicht im Kampf und im Schlacht-
getümmel jedoch stehen heute die Völker der
Völkerschlacht von Leipzig vor unserem
geistigen Auge, vielmehr in friedlichem
Wettbewerb, den ernsten Aufgaben
der Kultur und Zivilisation zu
dienen, deren Lösung uns allen ge-
meinschaftlich obliegt. Und so darf
ich Sie begrüßen in der Erinnerung an eine
Zeit der Kämpfe und Kriege bei einem Feste
des Friede ns."
Die bulgarischen Verluste. :: :: :: n :: :: :: :: :.- ::
44 892 Tote, 104 586 Verwundete.
Das bulgarische Kriegsministerium ver-
öffentlicht nachstehende Bilanz des Menschen-
verbrauchs Bulgariens in beiden Kriegen.
431
DIE FßlEDEN5-^/AQTE
3
Im ersten Krieg:
Getötet: Verwundet: Vermißt:
Offiziere 313 915 2
Mannschaften 29 711 52 550 3 193
Im zweiten Krieg:
Offiziere 266 816 69
Mannschaften 14 602 50 305 4 500
Danach getötet : 44 892, verwundet : 104 586.
Die 7764 Vermißten werden wohl auch nicht
mehr zu den Lebenden zu zählen sein. Auch
muß angenommen werden, daß in jenen Zahlen
diejenigen nicht eingerechnet sind, die an
Krankheiten verstarben, auch jene Verwundeten
nicht, die in einem späteren Zeitpunkt ihren
Verwundungen erlegen sind.
Bulgarien hatte vor dem Kriege eine männ-
liche Bevölkerung von 2 206 691 aller Alters-
klassen, so daß jeder 41. Einwohner männlichen
Geschlechts — die Kinder mit eingerechnet
— getötet wurde. Um die Verluste richtig
einzuschätzen, muß man bedenken, (daß die
Engländer in dem drei Jahre wälixenden Trans-
vaalkriege nur ca. 21 000 Mann verloren haben.
Für die anderen Balkanstaaten gibt es
noch keine authentische Verlustliste.
Der Bericht über die Balkangreuel, ::
den die Mitglieder der von der Carnegie-Stiftung
entsandten Kommission erstatten werden,
dürfte Anfang Dezember erscheinen. Seiner
Veröffentlichung, die gleichzeitig in mehreren
Sprachen bewirkt wird, sieht man mit be-
rechtigter Spannung entgegen.
Die Kommission setzte sich zusammen aus
dem Amerikaner Prof. Du t ton, der in der
Friedensbewegung bereits bekannt ist — er ist
Mitglied des Berner Bureaus — , aus dem Russen
Paul Milukoff, Mitglied der Duma, dem
Franzosen G o d a r t , Wirtschaftspolitiker
seines Zeichens, und dem Engländer
C. H. Brailsford, Mitherausgeber der
„Nation", Die deutschen und die öster-
reichischen Mitglieder der Kommission sind,
wie erinnerlich, vor Beginn der Reise zurück-
getreten.
Aus Mitteilungen, die Prof. Dutton an die
Oeffentlichkeit gelangen ließ, geht hervor, daß
die Kommission, entgegen den Zeitungsnach-
richten, überall in höflichster Weise empfangen
wurde und ihre Aufgabe erfolgreich ausführen
konnte. Ueber die Einzelheiten der Ergebnisse
soll vor der vollen Veröffentlichung nichts mit-
geteilt werden. Doch soviel glaubte Prof.
Dutton sagen zu können, daß all die von
Zeitungskorrespondenten und Tou-
risten geschilderten Greueltaten
nicht die Hälfteder Leidenund Zer-
störungen wiedergeben, die sich
zugetragen haben. Als Zweck der Kom-
mission gibt Dutton die Förderung der Friedens^
sache an, um die Nationen durch die Aufdeckung
der Kriegsfolgen und der Vernichtung, die er
verursachte, zurückhaltender zu machen, wenn
wieder ein Krieg drohen sollte. Es ist anzu-
nehmen, daß manche einflußreiche Personen am
Balkan einsehen werden, daß der Krieg nicht
das beste Mittel zur Erledigung von Grenz-
streitigkeiten ist.
C£»
Vom Nachrichtenschwindel. •■ :: ::
Anbei drei Depeschen, die deutlich er-
kennen lassen, mit welcher Frivolität die
Oeffentlichkeit in Unruhe versetzt wird :
Newyork, 4. November.
Die „Associated Preß" meldet aus
Mexiko: Der amerikanische Geschäftsträger
hat dem Präsidenten Huerta ein
Ultimatum zugestellt. Huerta müsse
sofort die Präsidentschaft niederlegen und
dafür weder den Kriegs minister Blanquet
noch irgendein anderes Mitglied seines Ka-
binetts als Nachfolger hinterlassen.
London, 4. November.
Das Reuters che Bureau meldet aus
Washington: Staatssekretär Bryan setzt der
Meldung von der Absendung eines Ultimatums
an General Huerta ein formelles De-
menti entgegen. Bryan erklärt es für
bedauerlich, daß die Presse in den Vereinigten
Staaten derartigen Gerüchten Glauben ge-
schenkt habe. Solche irrtümliche Meldun-
gen könnten ernste Folgen nach sich ziehen.
Berlin, 5."November.
Wie die „B. Z." mitteilt, hat die ameri-
kanische Botschaft in Berlin ein längeres
Telegramm vom Staatsdepartement in
Washington erhalten, in dem die Gerüchte
von der Ueberreichung eines Ultimatums an
Mexiko in den all er schärfsten Aus-
drücken als vollkommen unbe-
gründet bezeichnet werden und
zugleich das Bedauern darüber
ausgesprochen wird, daß der-
artige Nachrichte n, denen sofort
die Haltlosigkeit anzumerkensei,
im großen Publikum Glauben fän-
den. Derartige Nachrichten seien nur ge-
eignet, die amerikanischen Interessen zu
schädigen.
Trotz der Dementis hat die falsche Nach-
richt ihre Wirkung ausgeübt. Die Börsen wur-
den erschüttert, Handel und Wandel gestört.
Gewinn hatte allein die Sensationspresse, die
sofort ihre kriegerischen Leitartikler ins Treffen
führte und die „militärischen Sachverständigen"
zu Worte kommen ließ.
Wo bleibt die im Dienste des Friedens
wirkende Nachrichtenagentur, wo, ^die Inter-
nationale Konvention gegen die verbrecherische
Verbreitung falscher Nachrichten?
Kriegs-Eindrücke. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :
„Ich muß von einem jungen Griechen er-
zählen" — so schreibt Felix Moscheies aus dem
holländischen Städtchen VoLendam, wo er nach
Beendigungr des Haager Kongresses Aufenthalt
432
@=
DIE FRIEDENS -WARTE
]jaJiin, um zu malen — „mit dem icli mich hier
befreundet habe. Sein Name ist Georg- Papa-
«oglus, und er ist Künstler. Er ist hierher-
gekommen, um die Last grausamer Erfahrungen
abzuschütteln und sich von den physischen
und moralischen Prüfungen zu erholen, die
ihn im letzten Balkankriege heimgesucht haben.
Kurz vor dem Beginn des Feldzuges zum
aktiven Dienst einberufen, hat er an vielen
Gefechten teilgenommen und kann als Augen-
zeuge von den Schrecken des Krieges reden.
.Ich fühle mich noch ganz verschüchtert,'
sagte er, ,ganz unwürdig, in geistesgesunder
Gesellschaft mich zu bewegen, wenn ich doch
erst gestern ein Wahnsinniger unter Wahn-
sinnigen war, einer aus dem Haufen wilder
Bestien, die einander zerfleischen. Ein Ba-
jonett-Angriff ist anbefohlen. Eine Stellung
muß dem Feinde um jeden Preis entrissen
werden. Keine Zeit für Wenn und Aber, für
Vierstand und Barmherzigkeit. Es gibt kein
Zögern im Feuer. Töten oder getötet werden:
das ist der Gedanke, der alles übrige beherrscht.
Das Rote Kreuz!? Darauf können wir nicht
warten. Ueber die gefallenen, zerstochenen
Leiber von Freund und Feind erklettern wir
die Anhöhen und kümmern uns nicht, was für
Tote öder Lebende wir unter unseren Fersen
zermalmen. Man muß ein wildes Tier sein !
Das ist die einzige Chance, seine Mutter wieder-
zusehen!
Ich habe die Mutter nicht wiedergesehen!
In Rodostos wars, daß sie niedergeschossen
wurde, als sie, mit einem Haufen erschreckter
Flüchtlinge, versuchte, aus der brennenden
Stfcdt zu entkommen, die von den Bulgaren
und Türken genommein und wiedergenommen
worden war. Das war im zweiten Kriege, als
der exasperierte Türke, nachdem er ein zweites
Mal getrieben, mit Feuer und Schwert zerstörte,
was von der Stadt und ihren 45 000 Einwohnern
übriggeblieben war.
Ihr Grab? Nein, das werde icli nimmer
finden. Tausende dieser von Panik ergriffenen
Menschen wurden zusammen erschlagen und be-
graben in Gräben und improvisierten Fried-
höfen.'
Ich wollte meinen trauernden Freund nicht
weiter reden lassen, aber nach einer Pause
nahm er seine trübe Geschichte wieder auf
und erzählte, wie sein Onkel — Zarikonstantes
war sein Name — ein reicher und geachteter
Bürger von Malzara, ein Greis von dreiund-
achtzig Jahren, von den Säbeln der bulgarischen
Kavallerie niedergemäht wurde.
Wieder wollte ich ihn unterbrechen, aber
er selber schauderte davor zurück, mir die
Details von den ekelhaften, unaussprechlichen
Folterformen mitzuteilen, die dort an manchen
würdigen Priestern und Schullehrern verübt
worden. ,Man muß ein wildes Tier sein,'
wiederholte er — ,der Krieg macht einen dazu.'
Mein Freund mag wohl schweigen, denn
die gewissen Stubenteufel, die Apologeten der
'Barbarei, werden ihm doch sagen, daß trotz
alledem der Krieg die schönsten Eigenschaften
des Mannes wachruft und fördert, und daß eine
Rasse ohne Bajonette bald degenerieren müßte
und verurteilt wäre, von dem ruhmreichen
Wilden ausgerottet zu werden, der in Massen-
mord schwelgt."
MB
Der Geburtenrückgang. :: :: :: ::
Dean ausgezeichneten Plugblatt der „Wies-
badener Friedensgesellschaft", betitelt „Die
wirtschaftliche Bedeutung der deutschen
Friedensbewegung", entnehmen wir nach-
stehende, den Geburtenrückgang in Deutsch-
land betreffende Daten :
„Seit 1876, also zeitlich zusammenfallend
mit dem Einsetzen der deutschen Schutzzoll-
politik, nimmt der Prozentsatz der Geburten
ständig ab. 1876 gab es in Deutschland 42,6
Geburten jährlich auf das Tausend der Be-
völkerung, heute ist diese Zahl bereits auf ca.
28 gesunken. Trotzdem gab es bis zum Jahre
1906 einen ständig wachsenden Ueberschuß der
Geburten über die Todesfälle, weil die Fort-
schritte in der Hygiene das Sterbealter her-
auf rückte. Seit 1906 aber geht der
Ueberschuß der Geburten über die
Todesfälle rapid zurück. 1906 be-
trug dieser Ueberschuß pro 100U
Menschen 14,9. Im Jahre 1912 aber
waren es nur noch etwas über 10.
Das will besagen, daß in 6 Jahren
der Ueberschuß der Geburten über
die Sterbefälle um rund ein Drittel
gesunken is t."
Schuld an dieser Erscheinung- ist die Er-
schöpfung des Volkes durch die Militärlasten,
die die Lebensmittel verteuern, immer mehr
Frauen zum Erwerb zwingen und so die Vor-
aussetzung jener Zustände schaffen, die die
Familiengründung und die Kinderaufziehung
hindern. Schon erhebt sich drohend die pro-
letarische Forderung eines Gebärstreiks.
Wir nähern uns offenbar jenen Zuständen, die
Goldscheid (Friedensbewegung und Men-
schenökonomie) andeutet, wenn er sagt, daß
der Militarismus es schließlich wird „sein
müssen, der zum Schutz der nationalen Kraft
die schrittweise Rüstungseinschränkung befür-
wortet, eben weil die Rüstungs Versicherung nur
auf Kosten der sozialpolitischen, der sozial-
hygienischen, der wirtschaftlichen Versicherung
sich ausdehnen kann und umgekehrt."
ms
Die Gefahr für die Zukunft Deutschlands. ::
Eine ernste Mahnung erläßt Hans Del-
brück in seinen „Preußischen Jahrbüchern".
Bei der Erörterung der Veröffentlichung des
bekannten Kronprinzenbriefes in den „Leip-
ziger Neuesten Nachrichte n", die er
bei dieser Gelegenheit als „das böseste
aller alldeutschen Hetzblätter" be-
zeichnet, sagt der bekannte konservative Poli-
tiker: „Die Gefahr für die Zukunft Deutsch-
lands liegt nicht in der Sozialdemokratie und
433
DIE FßlEDENS-^VACTE
[@
nicht im Zentrum, sondern bei den All-
deutschen."
Das haben wir schon längst behauptet.
Wir fragen : Wo bleibt der Reichsverband gegen
die gemeingefährlichen Bestrebungen der All-
deutschen? —
AVS DEB BEWEGUNG
Charles Richet und Edoardo Giretti. " '■: '■: :: ::
Charles Richet, unser hervorragender fran-
zösischer Mitherausgeber, wird mit dem Nobel-
preis für Medizin ausgezeichnet. Richet gilt
seit langem als Kapazität auf dem Gebiete
der Physiologie. Er bekam erst kürzlich auf
dem Londoner Aerztekongreß den „Preis von
Moskau" zuerkannt. Auch ist er Ehrendoktor
der Universität Leipzig. Richet, der 63 Jahre
alt ist, wirkt seit 1872 in der Friedensbewegung.
Er ist Präsident der „Societe francaise de
lArbitrage entre nations" und des ständigen
Rats der französischen Friedensgesellschaften.
Ebenso gehört er dem Berner int. Friedens-
bureau, dem Internationalen Friedensinstitut
und dem europäischen Rat der ersten Abteilung
der Carnegie-Stiftung als Mitglied an. Sein
epochemachendes Buch „Le Passe de la guerre
et l'avenir de la Paix" ist von Bertha von Suttner
ins Deutsche übersetzt worden. (Volksausgabe
1 M. bei Heinrich Minden, Dresden.) Auch als
Dichter ist Richet für die Friedensbewegung
eingetreten, so in seinen Fabeln, deren eine
„Die Geier" (auch deutsch übersetzt), zu den
wirksamsten Propagandastücken der pazifisti-
schen Literatur gehört. Richet, der auch als
Redner und Verfasser zahlreicher Artikel her-
vorgetreten ist, und fast alle Friedenskongresse
besucht hat, gehört der entschiedenen Richtung
des Pazifismus an, der keine Konzessionen zu-
läßt. Sein „Deshonorons la guerre," das er
bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den
Vordergrund stellt, kennzeichnet seine An-
schauung. Als Persönlichkeit ist Richet eine
der liebenswürdigsten und erfreulichsten Er-
scheinungen. Sein feinsinniges hochkultiviertes
Wesen, sein vornehmer, immer konzilianter
Redestil läßt ihn als den geborenen Diplomaten
der Bewegung erscheinen. Der Nobelpreis für
Medizin, der ihn als Gelehrten von Weltruf
ehrt, wird seine Autorität im Kampfe gegen
die Weltgeißel noch erhöhen. —
Edoardo Giretti, Mitglied des Berner int.
Friedensbureaus, unser ausgezeichneter Kollege
und Mitarbeiter, ist bei den jüngsten italieni-
schen Wahlen ins Parlament gewählt worden.
Giretti ist der hervorragendste und konsequen-
teste Pazifist Italiens, der auch während der
Tripolis- Affäre das Banner des Pazifismus hoch-
hielt. Dies wurde ihm als Vaterlandsverrat aus-
gelegt und bildete das Hauptargument seiner
Gegner im Wahlkampf, die ihn unter anderem
beschuldigten, daß er auf dem Genfer Friedens-
kongreß gegen Italien gesprochen hätte. Daß
er diesen böswilligen Anschuldigungen zum
Trotz doch gesiegt hat, ist ein Beweis seiner
starken Persönlichkeit, die jedem, der mit ihm
in Berührung kommt, Achtung und Vertrauen
einflößt. Giretti, der an den meisten Friedens-
kongressen teilgenommen hat, ist hervorragen-
der Wirtschaftspolitiker, Freihändler (Ehren-
mitglied des Londoner Cobdenklubs) und neben
seiner Berufstätigkeit als Seidenindustrieller,
angesehener Publizist.
MB
Das Rusland-Pflichtjahr betreffend. ::
Die verehrliche Schriftleitung der „Friedens-
Warte" hat bei der im Septemberheft erfolgten
teüweisen Veröffentlichung meines Aufrufe, der
die Herbeiführung eines Ausland-Pflicht-
jahres für die deutsche und französische
Jugend bezweckt, darauf hingewiesen, daß dieser
Gedanke vielleicht durch eine internationale Or-
ganisation der „Wandervögel"- und „Pf adf inder" -
Bewegung sich verwirklichen ließe. Ich möchte
hierzu bemerken, daß ich selbst allerdings es
für durchaus wünschenswert halte, daß alsbald
nach aller Möglichkeit neben den Kreisen der
friedensfreundlich gesinnten Erwachsenen auch
die auf den kameradschaftlichen Zusammenschluß
aller gleichdenkenden Elemente begründeten
Jugend-Verbände diesseits und jenseits
der Vogesen mit meiner Idee vertraut gemacht
und für sie gewonnen werden. Denn wie der
im Leben Herangereifte Empfänglichkeit für
Pläne und Projekte eines mehr als alltäglichen
Geschehens nur dann haben kann, wenn ihm
die geistige Frische jugendlicher Spannkraft
nicht ganz verloren gegangen ist, so müssen
gleicherweise Regungen der Jugendseele von
einem bestimmten Grade der Stärke und Aus-
dehnung an auf Grund der Wechselwirkung ver-
wandter Kräfte ihren Einfluß auf die Volksseele
ausüben. Wir sind ja nicht nur berechtigt, zu
sagen: Wer die Jugend hat, dem gehört die Zu-
kunft; wir können auch das andere behaupten,
daß die in der Jugend entfachten und lebendig
gewordenen Ideale ihre segensreichen Kreise
sehr wohl über diese hinauszuziehen vermögen,
so daß sie also eine Wiedergeburt des ganzen
Volkes in neuem Geiste zu bewirken imstande
ist. Das lehrt uns eindringlich die Zeit vor
hundert Jahren. Fichte, Schleiermacher und
andere edle Männer haben durch ihre Einwirkung
auf die deutsche gebüdete Jugend im Sinne einer
Erstarkung aller sittlichen Kräfte und damit
einer geistigen Erhebung überhaupt jene mit
voller Absichtlichkeit zu dem „Sauerteig" machen
wollen, der das Lebensbrot deutschen Seins und
Wirkens durchdringen sollte und auch tatsäch-
lich durchdrungen hat.
Und so kann die erst einmal errungene
freudige Zustimmung eines großen, jedenfalls
wertvollen Teiles der Jugend beider Länder zu
dem Gedanken eines Ausland-Pflichtjahres ganz
gewiß die Brücke werden, die länderverbindend
auch die bedenklicheren Naturen der „älteren
Jahrgänge" den Weg zur Einigung finden läßt.
Rein hold Schmidt,
434
<3= =
LITEBATV/RV.PBESSE
O. Umfrid, Europa den Europäern. Po-
litische Ketzereien. Gr. 8°. Eßlingen
a. N. 208 S. Wilh. Langguth. 2,50 M.
Die geistigen .Werte, die Umfrid in
seiner nun schon mehr als lVs Jahrzehnte
umfassenden pazifistischen Aktion hervor-
gebracht hat, bilden einen unschätzbaren Be-
sitzstand der modernen Kultur. Noch ist
der Tag nicht gekommen, wo er von den
breiten Schichten entdeckt wurde. Nur ein
kleiner, aber auserlesener Kreis kennt seine
Schriften. Es unterliegt jedoch keinem
Zweifel, daß dieser Tag kommen wird, daß
man dann seinen verborgensten Veröffent-
lichungen nachspüren, alles zusammenstellen,
neu herausgeben, mit Kommentaren und
biographischen Daten versehen, einem be-
gierig gewordenen Publikum vorsetzen
wird. Dieser Tag wird kommen. Es wird
diesem Europa-Deutschen nicht anders
gehen, wie es Friedrich Liszt, Schopenhauer,
Wagner gegangen ist. Und dann wird unser
Volk stolz sein auf diesen Mann.
Wir, die wir das erkennen und voraus-
sehen, haben die Pflicht, diesem Tag vorzuar-
beiten, sein Kommen zu beschleunigen und
dem großen Pfadfinder einer vernünftigen
Weltordnung schon jetzt etwas von dem Dank
zuteil werden zu lassen, ehe sich an ihm
das Pionier-Schicksal mit seinem grau-
samen „Zu spät" erfüllt.
Ich habe mir, um Umfrids neuestes
Buch um so richtiger genießen zu können,
aus meinem Bücherschrank seine erste Ver-
öffentlichung hervorgeholt, das „Friede auf
Erden!" betitelte Buch, das mir vor nun-
mehr 17 Jahren auf den Schreibtisch flog.
Mit Genuß habe ich mich der erneuten Lek-
türe dieser Schrift hingegeben, in der schon
alle jene Gedankengänge freigelegt sind,
deren Erweiterung und Vertiefung Umfrid
die ertragreichsten Jahre seines Lebens1 ge-
widmet hat. Wenn man diese Schrift von
1897 durchliest, kommt man aus den Ueber-
raschungen nicht heraus. Wie vieles hat
Umfrid damals schon klar erkannt, was
heute erst von der pazifistischen Bewegung
begriffen wird. Er hat darin die Lehren
Schliefs zu einer Zeit vertreten, wo noch
wenige sie verstanden. Er hat 1897 schon
die Friedfertigung des Balkans empfohlen,
um das Blutbad zu vermeiden, dessen Zeugen
wir gestern waren, und das er kommen sah.
Er hat schon in jenem Buch die großen
Probleme des Pazifismus klargelegt, so die
Stellung zum Patriotismus und zur Nation,
= DIE Fßl EDENS -N^ADJE
den franko-deutschen Gegensatz, und vieles
andere. Wir sehen aus jener Schrift schon
jenen realpolitischen Pazifismus hervor-
leuchten, der heute die Intelligenz Deutsch-
lands erobert hat. Wenn Umfrid 1897
sagte: „In Wahrheit ist es patriotischer,
das Wohl der eigenen Nation zu suchen mit
fortwährender Rücksicht auf das Recht der
anderen Völker. ... In Wahrheit ist es viel
patriotischer, ein Völkerbündnis anzu-
streben . . ., weil allein auf diese Weise
demi internationalen Faustrecht samt den un-
geheuren Opfern, die es uns auferlegt, so-
wie den ungeheuren Gefahren, die es mit sich
bringt, ein Ende gemacht werden kann . . .",
wer sieht darin nicht den deutschen Urtext
zu dem als modern ausgegebenen altpazifisti-
sehen Wahlspruch: „Pro patria pro orbis
eoncordiam."
Das neue Buch Umfrids zeigt uns seine
Friedenslehre nunmehr vertieft, ausgebaut
und — worauf es vor allen Dingen an-
kommt — durchgelebt in den IV2 Jahr-
zehnten des Kampfes und des Aufstiegs.
„Europa den Europäern!" ist der Titel. Ein
schlechter Titel, der vermuten läßt, irgend-
einer der pilzartig in die Höhe schießenden
Weltleid-Doktoren priese ein neues Mittel
an. Dieser Titel verschleiert den Inhalt.
Und Umfrid, der dies zu fühlen schien, hat
seiner Erklärung einen ganzen einleitenden
Artikel gewidmet, und erläuternd sagt er
darin: „Wenn wir nun das Losungswort er-
heben, ,Europa den Europäern!', so geschieht
es weniger in demi Sinn, als ob eine ernst-
liche Gefahr bestünde, daßj unsere Gaue von
mongolischen Horden überschwemmt würden
und daß wir der Unterjochung durch
die gelbe Rasse entgegengingen, als vielmehr
in dem Gedanken daran, daß wir in eine
Art neuer Sklaverei versinken und, mit den
Ketten des Militarismus gebunden, das freie
Atmen verlernen können." Das heißt, wir
kommen vor lauter Schutzversuchen vor ein-
ander nicht zum Genuß des Besitzes unserer
Länder. Lösen wir den Bann, und durch Be-
freiung von unserer gegenwärtigen Angst
vor Beraubung erobern wir dieses Europa
für uns Europäer.
Das meint der Titel, aber er besagt es
nicht. Sonst ist allerdings an dem Buche
nichts auszusetzen.
Der erste Teil, „Hochpolitisches" über-
schrieben, enthält jene Darstellung der Po-
litik, die wir dem posthumen ,Werke
Treitschkes als Forderung der herannahen-
den Zeit gegenüberstellen können. Nicht
Interessen-, sondern Realpolitik, nicht po-
435
DIE FRIEDENS -^&ßTE
G>
Husche Moral, sondern moralische Politik,
nicht politische Expansion, sondern Re-
gulierung der Auswanderung, nicht Isolie-
rung, sondern Föderation, nicht Wettrüsten,
sondern Uebereinkunft, nicht Krieg, sondern
Vernunft und Kultur, nicht Rassenfanatis-
mus, sondern Zusammengehörigkeitsbewußt-
sein, nicht Belastung, sondern Entlastung.
Das sind die Kapitelüberschriften des ersten
Teils. Sie bilden ein Programm und zeigen
auch, auf welchen .Wegen Umfrid die pa-
zifistischen Probleme zu lösen sucht. Da
ist nichts zu finden von der Forderung
eines „Friedens um jeden Preis", nichts von
sittlicher [Entrüstung. Das ist durchweg1
Wirklichkeits-Idealismus. Im zweiten und
dritten Teil des Buches werden wirtschaft-
liche Probleme und gewisse Modefragen der
Politik beleuchtet.
Man muß Umfrids Buch lesen. Und
zwar empfiehlt es sich, es bald zu tun, ehe
es zur Mode geworden ist und die Masse es
im Munde führen wird. Das kann gar bald
sein, denn die europäische Politik treibt
Zuständen zu, wo man nach Vernunftmitteln
verzweifelt Umschau halten wird, und man
Umfrids Buch entdecken und mit Elan ver-
treiben wird. Es leben Ideen darin, die nie-
mals sterben können, weil sie von der Ver-
nunft gezeugt sind. Möge Umfrids Europa-
Deutschtum die Gefahren des Altdeutsch-
tums überwinden helfen. Die Kraft dazu
hat es. A. H. F.
Lamprecht, Geh.-Rat Prof. Karl,
Die Nation und die Friedensbewegung. 8°.
Berlin 1914. 12 S. Verlag der ,,Friedens-
Warte". „Internationale Organisation".
Heft 7. 30 Pfg.
Ein vor einiger Zeit in der „Friedens-Warte"
veröffentlichter Artikel des weltbekannten
Historikers gelangt hier in BrosehürenfOrm zur
Ausgabe. Lamprecht, der als geistiger Führer
der deutschen Nation in den am nationalsten
gesinnten Kreisen anerkannt ist, nimmt hier
Stellung zu dem in Deutschland noch immer
so heiß umstrittene Problem: die Vereinbar-
keit nationaler Gesinnung mit der Anhänger-
schaft an die Friedensbewegung. Viele glauben,
daß hier etwas Unvereinbares sich zeige. So
oft wir Anhänger der Friedensbewegung diese
Anschauung auch bestritten, den vaterländischen
Grundzug unserer Bestrebungen dargelegt haben,
gelang es uns doch nicht, in erwünschter
Breite auf die national gerichteten Parteien
einzuwirken, aus dem einfachen Grunde, weil
es noch immer bei den meisten Menschen Grund-
satz ist, den andern Teil nicht erst anzuhören.
Nun kommt aber ein Mann, den jene Kreise
anhören mußten, und der sagt ihnen, daß es
von vornherein naheliegt, „in dem Pazifis-
mus eine Erscheinung höchster po-
litischer Kulturblüte der euro-
päischen Welt zu s eh e n." Er erläutert
436
ihnen auch den „neuen Patriotismus". Er de-
finiert ihn folgendermaßen:
„Der alte Patriotismus hatte ein Moment
des Exklusiven : hat doch ursprünglich jede
Nation, die etwas auf sich gab, nur die ihr
Angehörigen als volle Menschen, die anderen
günstigenfalls noch als Barbaren betrachtet.
Und noch unsere Nationallieder leben und weben
zum großen Teile in dem Momente der Aus-
schließlichkeit, des partikularen Stolzes. Aber
eben dieses Moment ließ sich nun nicht mehr
im alten Sinne halten. Ständige und weit-
hin sich verbreitende Erfahrung entdeckte, daß
die anderen sozusagen auch etwas seien; der
internationale Schätzungswinkel verschob sich
zu eigenen Ungunsten, und übrig blieb nur
die Vorstellung, daß, bei allen Vorzügen der
andern in dieser oder jener Richtung, doch
auch dem eigenen Volke in einigen Richtungen
ein Vorzug gebühre. Auf diese Weise
bildete sich die neue Basis des mo-
dernen Patriotismus: die Vorstellung
von der spezifischen Veranlagung der Nationen,
von ihrer arbeitsteiligen Bestimmung im Kreise-
der aufsteigenden Menschheit. Nun liegt es
aber auf der Hand, daß diese Vorstellung wieder-
um, eben indem sie das eigene Wesen als
durch fremdes ergänzungsfähig er-
kannte, als Grundlage einer solchen praktisch
durchgeführten Ergänzungsfähigkeit Ruhe,
Friede, Einheit letzter Interessen fordern mußte.
Und so trafen neuer Kosmopolitis-
mus und neuer Patriotismus in dem.
Gedanken der internationalen
Friedensbewegung zusammen."
Die Broschüre schließt mit den nachfol-
genden Worten:
„U nd sogiltes auch für Deutsch-
land,andenVersuehen zur Wahrung
und Mehrung internationalen Frie-
dens teilzunehmen. Die Nation hat dar-
auf ein Recht, denn ihre großen Denker, vom
Schöpfer des kategorischen Imperativs an, haben
sich dem Friedensgedanken vielfach geneigt ge-
zeigt. Es wird ihr Vorteil sein, denn
es muß für jedes große Volk gewünscht werden,
daß es seinen vollen Anteil nehme an den
unvermeintlichen Fortschritten im Bereiche des
allgemein Menschlichen. Es ist ihr not-
wendig auch im Interesse der Völker : denn
das Ganze eines neuen Friedensideals der
Menschheit verspricht nur dann einmal, in den
Grenzen der Unvollkommenheit, die allem
Sterblichen gezogen sind, zur Wirklichkeit zn
werden, wenn in ihm die Ingredienzien der
Auffassung aller großen Nationen in
gerechter Weise gemischt und vertreten sind."
Die organisierte Friedensbewegung wird die
Broschüre als willkommenes Propaganda-Werk-
zeug begrüßen. Eine große Auflage ist an-
gefertigt worden. Man verbreite sie!
Emerson, Ralph Waldo,
Ueber den Krieg. Deutsch von Sophie v. Harbou
8°. Berlin 1914. Verlag der „Friedens-Warte".
27 S. „Internationale Organisation" Heft
30 Pfg.
Der vorliegende Essay des in Deutschland
immer mehr zur Ansehung gelangenden Ameri-
kaners Emerson erscheint zum erstenmal in
deutscher Uebersetzung. Die Arbeit ist nicht
neuesten Datums. Sie entstand, als ein im
m
DIE FRIEDEN5 -WARTE
Jahre 1838 in der „American Peace Society"
zu Boston gehaltener Vortrag, der 1849 in
englischem Texte zum erstenmal zum Abdruck
gelangte.
Seitdem hat sich in der Friedens bewegung
vieles geändert. Doch könnte die Schrift Emer-
sons heute geschrieben sein. Es ist eine Ver-
urteilung des Krieges, deren Grundlagen un-
wandelbar geblieben sind, und eine optimistische1
Verkündigung, die um so mehr an Wert gewinnt,
als wir heute die Erfüllung sehen, die die
sechs Jahrzehnte gebracht haben, deren Ab-
lauf zwischen der Zeit der Abfassung und
unserer Gegenwart liegt.
Hier eine Stelle aus der bedeutsamen
Schrift: „Wir lassen uns immer wieder durch
den äußeren Schein entmutigen, ohne zu be-
denken, daß dessen Bedeutung einzig und allein
in unserem eigenen Gemüt wurzelt. Letzten
Grundes sind doch Gedanken das Fundament
dieses ganzen unheilschwangeren Kriegs-
gebäudes, und Gedanken sind es auch
nur, die es einstmals stürzen wer-
den. Jedes Volk und jeder einzelne tritt nach
außen hin solcher Art in die Erscheinung, wie
es seinem moralischen oder intellektuellen Zu-
stand entspricht. Man achte nur einmal dar-
auf, wie jede Wahrheit und jeder Irrtum, ja.
jeder menschliche Gedanke sich allmählich
materialisiert, d. h. sich in Gesellschaften,
Häuser, Städte, Sprachen, Gebräuche, Zeitungen
umsetzt."
Und weiter: „Furchtsame Gemüter werden
den Friedensgedanken nicht seiner Verwirk-
lichung näher bringen, Feiglinge vermögen ihn
nicht zu verteidigen, noch zu fördern. Was
großes geschieht, kann nur von wirklicher Größe
vollbracht werden. Der Mannesmut, der sich
bisher im Krieg betätigt hat, muß der Sache
des Friedens dienstbar gemacht werden, wenn
anders der Krieg seinen Reiz für diet Menschen
verlieren und der Friede ihnen anziehend wer-
den soll."
„Die Sache des Friedens ist nichts für
Memmen! Wahrt und verteidigt man den
Frieden um der Furchtsamen und um derer
willen, denen Wohlleben über alles geht, so
ist es ein Pseudofriede und ein unwürdiger
Friede. Dann, wahrlich, ist der Krieg besser,
auch wird solcher dann nicht lange auf sich
warten lassen. Soll der Friede von
Dauer sein, so muß er von tapferen
Menschen getragen werden, von
Menschen, dieumnichts schlechter
sind, als Helden, die willens sind,
ihr Leben in der Hand zu tragenund
es jederzeit für ihre Ideale zu
wagen, — die aber eins vor dem Helden
voraus haben, daß sie niemals nach eines
anderen Leben trachten, — Menschen, die dank
ihrer intellektuellen Einsicht oder ihrer sitt-
lichen Höhe, ihres eigenen inneren Wertes so
gewiß sind, daß sie weder ihr Eigentum, noch
ihr Leben für ein so großes Gut halten, als daß
sie es um den Preis eines solchen Hochverrats
ihrer Grundsätze retten möchten, wie ein Ab-
schlachten von Menschen es bedeutet."
Man sieht, daß auch die Verbreitung dieser
Schrift ganz dazu angetan ist, dem pazifistischen
Gedanken in Deutschland neue Anhänger zu
werben. Der Verlag bittet, die Veröffentlichung
umfangreich zu verbreiten.
Jahrbuch des Völkerrechts. In Ver-
bindung mit Staatsminister A s s e r (Haag),
Prof. v. Bar (Göttingen), Dr. Barrios
(London), Gesandter Itibere da Cunha
(Berlin), Prof. F i o r e (Neapel), Prof.
Fleischmann (Königsberg), Gesandter
Hagerup (Kopenhagen), Prof. Huber
(Zürich), Prof. Kohler (Berlin), Prof. von
Kor ff (Helsingfors), Prof. Lammasch
(Wien), Prof. v. Liszt (Berlin), Prof. von
Martitz (Berlin), Prof. M eurer (Würz-
burg), Prof. N y s (Brüssel), Prof. Okamatsu
(Kyoto), Prof. Marques de O 1 i v a r t (Madrid),
Prof. Oppenheim (Cambridge), Prof.
Renault (Paris), Prof. Sä Vianna
(Rio de Janeiro), Prof. Schücking
(Marburg), Gesandter Prof. v. Streit (Wien),
Prof. Wilson (Harvard University), Prof.
Zorn (Bonn), herausgegeben von Th. N i e -
m e y e r und K. S t r u p p. I. Band. Lex. 8°.
München und Leipzig. 1913. VIII und 1556
Seiten. 38— M.
Der erste Band dieses Völkerrechtsjahr-
buches ist schon durch seinen Umfang ein
hervorragendes Dokument. Ein Beweis dafür,
welchen Aufschwung die Wissenschaft des
Völkerrechts in Deutschland in wenigen Jahren
genommen hat. Es war erst gestern, daß man
hier noch dem Völkerrecht den Rechtscharakter
absprach, und heute noch gibt es an keiner
deutschen Universität einen ausschließlich
dieser Wissenschaft gewidmeten Lehrstuhl.
Und da kommt dieses Jahrbach mit seinem
Riesenumfang, der uns die hohe Bedeutung des
Völkerrechts, seine eindringliche Verzweigung
mit allen Gebieten des öffentlichen Lebens clar-
tut und das Interesse klarlegt, das dafür in
Deutschland wie in der ganzen Welt vorhanden
ist. Ein Buch der Mahnung für die Verächter;
eine kraftvolle Forderung nach Anerkennung
und Raumgewährung an den Pflegestätten deut-
schen Geistes.
Von den beiden Herausgebern war Prof.
Niemeyer unter den deutschen Völkerrechts-
gelehrten der erste, der die Anregungen des Pa-
zifismus verstand und ihre Bedeutung erkannte ;
der ihn der wissenschaftlichen Völkerrechts-
pflege, um seine eigenen Worte zu gebrauchen,
als „Faktor der Entwicklung" zu respektieren
empfahl. Das war 1905. Als er 1907 das
Rektorat der Christian-Albrecht-Universität in
Kiel antrat, hielt er eine Rede über „Inter-
nationales Recht und nationale Interessen", wo-
rin zum erstenmal seitens eines deutschen Ge-
lehrten die hohe Bedeutung der internationalen
Organisation und die richtige Wertung des In-
ternationalismus zum Ausdruck gebracht
wurden. Dr. Strupp, der andere Herausgeber,
ist einer aus dem immer größer werdenden
Kreise der Jungen, die unter dem Eindruck der
erwachenden Renaissance der Völkerrechts-
wissenschaft ihre Studien vollendeten und sich
von Anfang an die Förderung des pazifistisch
orientierten Völkerrechts zur Lebensaufgabe, ge-
macht haben. Er hat uns bereits durch seine
„Urkunden zur Geschichte des Völkerrechts"
ein unentbehrliches Rüstzeug gegeben; ein
Quellenwerk, das große Hoffnungen für seinen
Herausgeber erweckte, die durch den jetzt vor-
437
DIE FRIEDENS -^ÄETE
■®
liegenden Band des „Jahrbuches" sich sicher-
lich nicht als Täuschungen darstellen.
Das „Jahrbuch" zerfällt in fünf Teile. Der
erste Teil enthält die völkerrechtlichen „Ur-
kunden" zur Zeitgeschichte. Die Fülle der in-
ternationalen Begebenheiten und die Menge der
durch sie aufgeworfenen Bechtsbeziehungen ist
erdrückend. Sie Jahr für Jahr zu sammeln und
bequem zum Gebrauch zu stellen, ist eine der
Hauptaufgaben des Jahrbuches. Nicht minder
wichtig erscheint uns jedoch auch der darin
enthaltene dokumentarische Beweis einer inter-
national lebenden Menschheit. Im zweiten Teil
bietet uns das Jahrbuch Abhandlungen über
die wichtigsten Vorgänge und Fragen des
Jahres, Berichte über die völkerrechtlichen
Vorgänge in den einzelnen Staaten und über
die wichtigsten Kongresse und Konferenzen
von internationaler Bedeutung. Die Bericht-
erstattung ist durchweg Fachleuten übertragen.
Ebenso bietet der vierte Teil fachmännische
Abhandlungen über völkerrechtliche internatio-
nale Probleme, Einrichtungen oder über deren
Vorbereitung. Der dritte Teil liefert den
wichtigen und sonst so schwer erhältlichen
Nachweis über Unterzeichnung, Batifikation,
Kündigung und Erlöschen von Staatsverträgen,
während uns der fünfte Teil eine umfassende,
Bibliographie und das Sachregister liefert.
Diese Inhaltsangabe enthebt uns davon, das
Jahrbuch zu empfehlen. Es geht daraus her-
vor, daß es eine wichtige Aufgabe erfüllt. Man
wird es künftig nicht entbehren können. So
dringend wird man es benötigen, daß die Her-
ausgeber es sich überlegen sollten, ob es nicht
ratsam wäre, die Veröffentlichung in zwei Halb-
jahresbänden vorzunehmen, wie dies bei den
Geschichtskalendern mit großem Erfolg ge-
schieht. A. H. F.
Eingegangene Druckschriften. :: :: :; :: :: :: :: :: ::
(Besprechung vorbehalten.)
Zeitschrift für Völkerrecht und
Bundesstaatsrecht. Herausgegeben von
Prof. Dr. Josef Kohler, Berlin, Prof. Dr.
L. Oppenheim, Cambridge, und Dr. Hans
Wehberg, Düsseldorf. VII. Band. 3. und
4. Heft. Festnummer zur Eröffnung des Haager
Friedenspalastes. Breslau 1913. J. U. Kerns
Verlag (Max Müller).
Aus dem Inhalt : Josef Kohl er, Der
Friedenstempel. — Prof. Heinrich Lam-
masch, Zur Eröffnung des Friedenspalastes
im Haag. — Henri van der Mandere,
Uebersicht über die Prozesse des Haager stän-
digen Schiedsgerichtshofes. — Prof. Freiherr
v. Düngern, Die historische Entwicklung des
Schiedsgedankens. — Kurt Eduard I m -
berg, Die Schiedsgerichtsverträge der Ver-
einigten Staaten von Nordamerika bis zur ersten
Haager Friedenskonferenz. — Prof. Nippold,
Der gegenwärtige Stand der Vorarbeiten für
die dritte Haager Friedenskonferenz. — Prof.
Dr. Bafael Erich, Das Problem einer in-
ternationalen Polizeimacht. — Prof. Dr. Max
Fleischmann, Emanuel von Ulimann. —
Geh Bat Prof. Dr. Emanuel v. Ulimann.
Prisenangelegenheiten. — Prof. Dr. Max
Huber, Die kriegsrechtlichen Verträge und
d ie Kriegsraison. — Prof. Walther
Schücking, Der Stand des völkerrecht-
lichen Unterrichts in Deutschland. — usw.
438
L'a Vie Internationale. Revue men-
suelle des idees, des Faits et des Organismen
internationaux. Tome IV 1913. Numeros t- — 3.
Fascicule 16. Lex 8° Bruxelles. Office central
des Associations Internationales.
Aus dem Inhalt : Prof. Wilhelm Ost-
wald, Theorie des Unites. — usw.
Bulletin ofthePanAmerican Union.
Washington. September.
Aus dem Inhalt: The Panama-Pacific Inter-
national Exposition. — Peace plan of secrelary
Bryan. — Exchange of students. — 'Resolution
on international arbitration. — Eighth Inter-
national Goneress of .students. — usw.
A ppel t , 0.,
Ein europäischer Staatenbund? Zeitgemäße Be-
trachtung und Erörterung. 8°. Leipzig 1913.
Otto Hillmann. 51 S. Brosch. 1 M.
FlUr, F. und Kahn, Architekt Ph.,
Wie jede Familie im Eigenhause billiger als
zur Miete wohnen kann. Mit 160 Abbildungen.
9. Auflage. 8°. Wiesbaden, o. J. Heimkultur-
verlag Westdeutsche Verlagsgesellscliaft m.
b. H. 148 S.
Forel, Prof. A.,
Die sexuelle Frage. 1
kürzte Volks-Ausgabe
bis
Gr.
20.
Tausend. Ge-
'. München 1913
Ernst Reinhardt." 299 S. 2,80 M.
Geschichtskalender, Deutscher,
Leip-
. Leipzig 1914.
166 S. Gebcl.
Dr.
2 M.
für 1913. Neuntes Heft. September. 8°.
zig 1913. Felix Meiner. S. 113—169.
Hammer, "Walter.
Nietzsche als Erzieher.
Hugo Völlrath Verlag.
H e r v e , Gustave,
Elsaß-Lothringen und die deutsch-französische
Verständigung. Aus dem französischen über-
setzt und mit einem, Vorwort versehen von
Hermann Fernau. 8°. München und Leipzig
165 S.
der
bis
Gr.
Vereinigten
zur ersten
8°. Sonder-
1913. Duncker & Humblot.
I m b e r g , Kurt Eduard,
Die Schiedsgerichtsverträge
Staaten von Nordamerika
Haager Friedenskonferenz,
abdruck aus : Zeitschrift für Völkerrecht und
Bundesstaatenrecht. Von S. 272 — 285.
Kinkel, Walter,
Vom Sein und von der Seele. Gedanken eines
Idealisten. Zweite vermehrte Auflage mit
Buchschmuck von Ida Blell. Kl. 8°. Gießen
1914. Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker)
148 S. Gebd. 2,40 M.
Krabbe, Prof. Dr. H.,
Rechtssouveränität.
8°. Groningen 1906.
Die Lehre der
Staatslehre,
ters. 254 S.
Lübeck,
Wie wirkt die
Beitrag zur
J. B.'Wol
Friedrich,
Luftschiffahrt
auf die Kultur-
entwicklung der Nationen. Entworfen nacu
einer Welttragödie „Geist der Kultur und Ar-
beit". 8°. Kiel 1913. Friedrich Lübeck Co.
Verlag. 30 S.
Ludowici, August,
Das genetische Prinzip. Versuch einer Lebens-
lehre. Gr. 8°. München 1913. F. Brück
mann A.-G. 299 S.
Mandere, Henri van der,
Uebersicht über die Prozesse des Haager stän-
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@s
DIE FRIEDENS -WARTE
druck aus: Zeitschrift für Völkerrecht und
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M a u r e n b r e c li e r , 11 uida,
Wachstum und Schöpfung. Neue Eltern-
gesinnung und Kinderführung. Gr. 8°.
München 1914. Ernst Reinhardt'. 151 S. 2 M.
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Ernst Siegfried Mittler & Sohn. G40 S. geb.
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Die Gleichstellung der Geschlechter. Dritte
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stimmrecht. Ernst Reinhardt. 284 S. 1,25 M.
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Die Schwächen des ökonomischen Individualis-
mus. Mit einer Einleitung über die Gesell-
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Wege zur Kulturbeherrschung. Schriften aus
dem Euphoristenorden Heft 2. Ernst Piein-
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Vierzig ständige Schiedsverträge als Ergänzung
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West 117 th street). 14 'S. Kostenlos.
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Churchills Feier jähr im Flottenbau. „Zeit am
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„Ethische Kultur." 15. X. * Financial Reform
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11. X. * The Monster Ship in Peace and War.
„The Economist." 1. XL
Verantwortl. Redakteur: Carl Appold, Berlin W. 50. — Im Selbstverlag des Herausgebers Dr. Alfred H. Fried, "Wien IX/2
Druck: Paß St Gar leb ö. m. b. H., Berlin W. 57. — Verantwortl. Redakteur für Oesterreich- Ungarn : Vinzens Jerabek in Wi«n
440
Dezember 1913.
Der Balkankrieg als pazifistisches Dokument.
Die Geschichte dieses letzten Balkan-
krieges, namentlich die seiner diplomatischen
Vorbereitung wie seiner Nachwirkung, müßte
im Auftrage einer pazifistischen Organisation
geschrieben werden. Ein besseres Dokument
^egen den Krieg dürfte sich sobald nicht fin-
den. Alle Rechtfertigungen jenes Krieges
durch die unbedingten Kriegsanhänger sind
schon heute, wo der Schleier seiner Vor-
geschichte erst ganz wenig gelüftet ist, zu
Schanden geworden. Was wurde uns nicht
alles von dem geschichtlichen Entwicklungs-
gang erzählt, der den endgültigen Zerfall der
Türkei bedingte; und doch wissen wir jetzt,
daß dieser angeblich historisch notwendig ge-
wordene Krieg ursprünglich gar nicht gegen
die Türkei unternommen werden sollte, son-
dern als ein Vorstoß Rußlands gegen Oester-
reich-Ungarn geplant war, und daß die Türkei
sogar Bundesgenosse bei jenem Unternehmen
hätte sein sollen. Es ist dann anders gekommen.
Die Einzelheiten über die Wendung fehlen
uns noch. Doch steht fest, daß es in der
Hand des Königs von Montenegro gelegen
hat, dem vorhandenen Kriegswillen der Ver-
bündeten die Richtung zu geben. Wir sahen
sogar, wie der geschlagene Bundesgenosse der
Balkanstaaten, der den Krieg pathetisch als
einen Kreuzzug bezeichnet hatte, nach dem
Gemetzel die Bundesgenossenschaft des Halb-
monds anstrebte. Und als kürzlich ein wäh-
rend des Feldzuges der Selim Moschee in Adria-
nopel geraubtes Reliquienstück unter feier-
lichem Gepränge zurückerstattet wurde,
war als Zeichen der Ehrerbietung und Freund-
schaft ein bulgarischer General in jene Stadt
gesandt worden, ohne deren Besitz König
Ferdinand einige Monate vorher glaubte, nicht
auskommen zu können und zu deren Erobe-
rung er Täusende von Menschenleben hinge-
opfert hat.
Ja, die Geschichte dieses Balkankrieges
als pazifistisches Dokument muß geschrieben
werden. Es muß dargelegt werden, welch
fragwürdige Arbeit die Diplomatie in diesem
helleuchtenden 20. Jahrhundert sich noch zu
leisten wagt. Wahrhaftig, die Gepflogenheiten
der Stadtstaaten zur Zeit der italienischen Re-
naissance haben sich in mancher Beziehung
auch in unserem Zeitalter noch nicht geän^
dert. Es wird zwar nicht mehr mit Gift und
Dolch operiert, aber mit derselben Nieder-
tracht, die zur Benützung jener Mittel führte.
In unserer unzulänglichen Terminologie spre-
chen wir immer noch von Gesamtheiten in
der Politik, von „Rußland", „Oesterreich-
Ungarn", „Serbien" oder „Bulgarien", wäh-
rend wir i n Wirklichkeit nur von einzelnen Per-
sonen sprechen sollten, die sich unter diesen
pompösen Aushängeschildern verbergen. Der
Krieg, den uns seine Anhänger gerne als
eine Naturgewalt darstellen, zum mindesten
aber als eine Explosion des Volkswillens, ist
doch nichts weiter als das Privatunternehmen
einiger Weniger. Was Jean Paul vor mehr
als hundert Jahren geschrieben, trifft heute
noch zu: „Das Unglück der Erde" — so
schreibt der hervorragende Schriftsteller — ■
„war bisher, daß zwei den Krieg beschlossen
und Millionen ihn ausführten, indes es besser
gewesen wäre, daß Millionen ihn beschlossen
hätten und zwei gestritten." Nur daß man
die Zahl der Arrangeure etwas erhöhen könnte;
es müssen nicht gerade zwei, es können auch
fünf oder sechs sein. Der Bälkankrieg ist
entschieden nicht von „Rußland" gemacht
worden, wie man gedankenlos immer behaup-
tet, sondern von einem oder zwei russischen
Diplomaten, die sich mit einer Handvoll
Balkandiplomaten in Verbindung gesetzt hat-
ten und bei genauer Kenntnis des Terrains
ganz allein ihre Minen legten, die nachher auf
Rechnung einer ganzen Nation in die Luft
flogen. Das Forschen nach den Krankheitsi-
erregern, wie es die moderne Medizin hand-
habt, muß auch auf das Kriegsübel über-
tragen werden, und wenn es> gelungen sein
wird, die Krankheitserreger auch hier in Rein-
kultur darzustellen, wird die Ueberwindung
des Uebels leichter sein. Erbringen wir erst
den Nachweis, daß solch ein mörderischer
Krieg nicht eine historische Entwicklungs-
notwendigkeit, kein Naturereignis, keine so:
ziale Explosion, sondern einfach das Arran-
gement einiger Herren ist, deren Namen,
Adresse und Hausnummer man kennt, die
man im schwarzen Rock und weißen Hemd-
kragen herumlaufen sehen kann, dann wird
441
DIE FRIEDENS ->&*<&DXE
©
die Mystik des Krieges und mit ihr selbst
der Krieg überwunden sein. Die Geschichte
dieses Bialkanverbrechens, getreulich darge-
stellt, könnte dies bewirken.
Sie könnte uns zeigen, wie unter jener
verderblichen Mystik der moderne Macchia-
vellismus, der viel verderblicher ist als der
alte, an Grausamkeit zunimmt. Der höchste
Beamte einer großen Kulturnation hat kürz-
lich jenseits des Ozeans von der zunehmenden
Sittlichkeit in der Politik gesprochen. Eine
Tatsache, die nicht bestritten werden soll, er-
freulicherweise nicht mehr bestritten werden
kann. Aber nicht auf dem ganzen Erdball
ist diese Zunahme der politischen Sittlichkeit
zu bemerken. Es gibt noch dunkle Zonen, wo
solches Licht nicht eindringt. Dies beweist
uns folgender Vorgang. Im Februar 1912 hat
König Ferdinand von Biulgarien mit
Serbien einen Geheimvertrag geschlossen, des-
sen hauptsächlichster Inhalt folgendes fest-
stellt :
Falls Oesterreich-Ungarn Serbien an-
greift, so ist Bulgarien verpflichtet, unver-
züglich Oesterreich-Ungarn den Krieg zu er-
klären und mindestens 200000 Kombattan-
ten nach Serbien zu dirigieren, die, vereint
mit der serbischen Armee, teils offensiv,
teils defensiv gegen Oesterreich-Ungarn
vorgehen werden.
Die gleiche Verpflichtung obliegt Bul-
- garien gegen Serbien, falls Oesterreich-
Ungarn, unter welchem Vorwande auch
immer, im Einverständnis oder ohne Zu-
stimmung der Türkei mit seinen Truppen
in den Sandschak Novibazar einbricht, so
daß Serbien deshalb Oesterreich-Ungarn
den Krieg erklärt, oder, um seine Inter-
essen zu schützen, seine Truppen nach dem
Sandschak dirigiert und dadurch einen be-
waffneten Konflikt zwischen sich und Oester-
reich-Ungarn herbeiführt.
Am 2. Juni 1912 finden wir den König von
Bulgarien mit der Königin und den beiden
Prinzen in Wien, wo ihm zu Ehren im Schlosse
zu Schönbrunn eine Galatafel stattfand. Kaiser
Franz Josef brachte einen Trinkspruch aus,
aus dem folgende Stelle neu in Erinnerung
gebracht werden soll: „Meine wärmsten
Wünsche begleiten die friedliche Entwicklung
•Bulgariens, das dank! der hohen Weisheit Eurer
Majestät ein Element der Ordnung und der
Ruhe auf dem Balkan bildet. Glücklich, die
Anwesenheit Eurer Majestäten und König-
lichen Hoheiten unter uns als neues
Unterpfand der ausgezeichneten
Beziehungen ansehen zu können, die
zwischen unseren Staaten bestehen, erhebe ich
mein Glas zu Ehren Eurer Majestäten und der
ganzen Königlichen Familie."
Aus der Erwiderung des also begrüßten
Königs, der sich einige Monate vorher zum
Kriege gegen den Herrscher verpflichtet hatte,
dessen Gast er jetzt war, sei folgende Stelle
festgehalten: „Mit besonderer Genugtuung er-
fülle ich heute diese Pflicht und nehme gleich-
zeitig Gelegenheit, die wahren Gefühle
zu bezeigen, die ich für Eure Ma-
jestät hege, deren erhabene Person sich
in einer langen historischen Regierung den
höchsten Anspruch auf Bewunderung und
Achtung ganz Europas erworben hat. Ebenso
glücklich wie Sie, Sire, in diesem denkwürdi-
gen Augenblick ein Unterpfand mehr
für die ausgezeichneten Bieziehun-
gen zu sehen, die zwischen unseren
beiden Staaten bestehen, erhebe ich
mein Glas zu Ehren Eurer Majestät und der
ganzen Kaiserlichen Familie."
Und zwei Wochen nach diesem Gastmahl
— am 19. Juni — unterzeichnet ein General
dieses treuen Königs die geheime Mili-
tärkonvention mit Serbien, deren dritter
Artikel folgenden Wortlaut hat:
„Wenn Oesterreich-Ungarn Serbien an-
greift, so hat Bulgarien ihm unver-
züglich den Krieg zu erklären und
wenigstens 200 000 Mann nach Ser-
bien zu werfen und angriffsweise oder in
Verteidigung mit dem serbischen Heere,
gegen Oesterreich-Ungarn zu
kämpfen. Dieselbe Pflicht obliegt Bul-
garien Serbien gegenüber, wenn Oesterreich-
Ungarn, unter welchem Vorwande immer, in
Uebereinstimmung mit der Türkei oder ohne
sie seine Truppen in den Sandschak Novibazar
einmarschieren läßt und infolgedessen Ser-
bien ihm den Krieg erklärt, oder falls Serbien
in Verteidigung seiner Interessen seine eigenen
Truppen nach dem Sandschak Novibazar ein-
marschieren läßt und dadurch den Krieg mit
Oesterreich-Ungarn heraufbeschwört."
So sieht nun die Sittlichkeit in der Po-
litik des europäischen Ostens aus. Die Sitt-
lichkeit jener Institution, die ihr Recht von
Gott herleitet. Das ist aber noch nicht der
ganze Tiefstand der Vorgänge. Als jene Ge-
heimverträge durch den „Matin" veröffent-
licht wurden, befand sich der treue König
gerade in Wien, wo auch die Delegationen
tagten, die von dem Grafen Berchtold Rechen-
schaft über seine Orientpolitik forderten. Die
maßgebende österreichische Presse, die ihre
Informationen von der Regierung erhält, be-
eilte sich, sowohl den König wie den durch
jene Veröffentlichungen kompromittierten
österreichisch - ungarischen Auslandsnrinister
in Schutz zu nehmen. Nein, so hallte es aus
den Zeitungen heraus, König Ferdinand hat
nicht unkorrekt gehandelt, hat nicht einen
Vertrag gegen Oesterreich geschlossen, um
sich einige Monate später unter dem Dache
des Kaisers als dessen dankbarer Freund auf-
zuspielen. Nein! Damals im Juni 1912 hätte
der treue König dem Kaiser vom Inhalt jenes
Vertrages Kenntnis gegeben und erklärt,
daß er nie daran denke, ihn zu
halten. Er ist aber ein Ehrenmann! —
,Und über jene Leute, die ob jener Er-
klärung etwas erschreckt waren, rümpften all-
442
@=
DIE FRIEDENS -WARTE
deutsche Organe verächtlich die Nase, als
•über Phantasten, die nicht begreifen kön-
nen, daß in der Politik Gefühlswerte keine
Bedeutung hätten.
Man sieht, es ist notwendig, daß die
Bilanz und die Entstehungsgeschichte des
Balkan Verbrechens geschrieben wird. Wir, die
wir das traurige Schicksal haben, unter der
drückenden Atmosphäre jener Verwesungs-
philosophie zu leben, wir haben die traurige
Pflicht, den kommenden Geschlechtern we-
nigstens zu beweisen, daß nicht alles verwest,
verrottet und korrupt war in dem Europa
am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.
Zu den Lehren dieses Krieges gehören
ja auch erfreuliche Tatsachen. So, daß es
gelang, den Krieg zu lokalisieren und den
erwarteten Zusammenstoß der europäischen
Großmächte zu verhindern. Ferner, daß es ge-
lang, den anglo-deutschen Konflikt zu über-
winden und eine größere Stetigkeit in die
europäischen Verhältnisse hineinzubringen. Die
wichtigste Forderung ist es aber jetzt, den
Zwiespalt zwischen den beiden Bündnisgruppie-
rungen zu überbrücken* da er allein jene Si-
tuation schafft, die es den Privatunternehmern
der Verhetzung ermöglicht, Kriegsgefahren zu
zeitigen und sogar Kriege zum Ausbruch zu
bringen. Der Balkankrieg ist noch nicht zu
Ende. Seine direkte Aktion ist lediglich ein-
gestellt worden. Jeder Friedensvertrag, der
da unten unterzeichnet wurde, ist eine gleis-
nerische Lüge und mit dem geheimen Vor-
behalt geschlossen worden, ihn bei nächster
Gelegenheit zu brechen. Europa, das sich so
trefflich zu schützen weiß, wenn die Pest oder
die Cholera an seiner äußersten Peripherie
pochen, es hätte die Macht, auch den Balkan
politisch zu sanieren, wenn es nur erst da
wäre; wenn über unhaltbare mystische Vor-
eingenommenheit hinweg jene Sonderbünde,
die so grotesk dem Frieden dienen wollen
und uns vor lauter Kriegsgefahr das Atmen
rauben, sich endlich zum europäischen Frie-
<lensbunde gestalten wollten. A. H. F.
Unsere auswärtige Politik.
Von William Jennings Bryan,
Staatssekretär der Vereinigten Staaten.
.Zur Veröffentlichung in der „Friedens- Warte"
vom Verfasser ausdrücklich bewilligt.
Krieg ist mehr Sache des Gefühls als
Sache des Verstandes. Er kann gar nichts
schlichten, das nicht auf. eine bessere Art gelöst
werden könnte. Die Völker haben ebenso-
wenig Grund, ihre Differenzen auf dem
Schlachtfelde auszutragen, als Menschen
Grund hätten, solche durch physische Kraft
beizulegen. Wenn es aber etwas wie einen
Gerechtigkeitssinn gibt — und wir können
nicht daran zweifeln, wenn wir nicht ein Chaos
annehmen wollen — , dann wird durch diese
Gewaltsamkeit bloß die endgültige Lösung auf-
gehalten, die mit dem zunehmenden Interesse
kommen muß. Da die Nationen in ihrer Größe
und in ihrer Kraft voneinander abweichen, so
kann ein Krieg natürlicherweise ebensowenig
eine gerechte Lösung bedeuten, als ein Kampf
zwischen zwei Individuen über das Recht des
einen entscheidet.
Persönliche Streitigkeiten sind durch die
Errichtung von Gerichtshöfen viel seltener ge-
worden, und die Gerichtshöfe haben an Be-
deutung gewonnen, als der Mensch gelernt
hat, sich zu beherrschen. Wir fangen an, die
Worte der Heiligen Schrift zu verstehen, die da
lauten: „Der Sanftmütige ist besser als der
Zornige, und besser der, der seinen Geist be-
herrscht, als der, der eine Stadt bezwingt."
Der Sieg über den bösen Trieb im eigenen
Innern ist der allergrößte Sieg.
Die Zunahme der schiedsgerichtlichen
Austragung von Streitigkeiten zwischen den
Staaten hält Schritt mit dem zunehmenden
Einfluß der Gerichtshöfe ; und mit der wachsen-
den Intelligenz, die Hand in Hand geht mit
einer Entwicklung der Gesinnung, neigen die
herrschenden Kräfte in den Nationen zu einer
friedlichen Lösung der. internationalen Pro-
bleme. Es war ein Schritt nach vorwärts, als
an Stelle des sofortigen Niederschießens das
Duell trat, das Zeit zur Ueberlegung und zur
Vermittlung durch die Freunde ließ ; aber auch
der Standpunkt des Duells ist überwunden,
weil physischer Kampf das All gemeingewissen
verletzt.
Die U n t er suchung von S t r ei tig-
k e i t e n.
Der von Präsident Wilson vor kurzem
gemachte Vorschlag bezieht sich auf Unterr
suchungen in allen Fällen und ist ein Schritt
auf dem Wege, Gewalt durch Recht zu er-
setzen, wenn er auch jedem Streitteil offen
läßt, nach Abschluß der Untersuchung ganz
unabhängig zu handeln. Das ist ein großer
Schritt zum Frieden, weil er den Gefühlen Zeit
läßt, ihre Leidenschaftlichkeit zu verlieren, und
den Freunden des Friedens zum vermitteln
Gelegenheit gibt. Der Tag wird zweifellos
kommen, da alle Fragen friedlich durch ein
Schiedsgericht gelöst werden, da er aber noch
nicht da ist, sind wir mit unserem Vorschlag,
alle Streitfragen, welcher Art diese auch seien,
untersuchen zu lassen, im Recht.
Erstens werden wir danach trachten, Ge-
rechtigkeit als nationale Politik einzusetzen,
zweitens sind wir bereit, jede Klage, die er-
hoben wird, zur Kenntnis zu nehmen, sie zu
untersuchen und der Welt unsere Gründe mit-
zuteilen. Weil wir Gerechtigkeitssinn und das
Verlangen nach Recht haben und weil wir
sowohl auf diesen Sinn als auf dieses Ver-
langen stolz sind, werden wir furchtlos unsere
guten Absichten klarlegen.
Vor einigen Monaten erst haben die Ver-
einigten Staaten im allgemeinen und Washing-
ton im besonderen die britischen Friedens-
443
DIE FßlEDENS-^ADTE
®
delegierten bewillkommt, die hierher kamen,
um die Feier des hundertjährigen Friedens
zwischen den englisch sprechenden Nationen
vorzubereiten. Dieser Besuch erneuerte die
Gewißheit des freundschaftlichen Zusammen-
gehens dieser beiden durch eine gemeinsame
Muttersprache verbundenen Staaten. Aber die-
selbe Gelegenheit diente auch als Beweis, daß
die gleiche Freundschaft und der gleiche ge-
meinsame Fortschritt des Friedens sich nicht
nur auf die englisch sprechenden Nationen be-
schränken, sondern auch andere mit ein-
schließen. Es wird von manchen Seiten als be-
sonders bezeichnend angesehen, daß Groß-
britannien und die Vereinigten Staaten so lange
den Frieden aufrecht erhalten konnten und
ebenso bezeichnend, daß so viele verschiedene
Nationalitäten den Frieden durch mehrere Ge-
nerationen gewahrt haben trotz der so wider-
sprechenden ethnologischen und Rassengegen-
sätze, die innerhalb der Grenzen unseres Lan-
des aufeinanderstoßen. Es erscheint aber we-
niger seltsam, wenn wir das Verhältnis unter-
suchen: wenn wir uns vor Augen halten, daß
die friedliche Invasion der Völker aller Religio-
nen, Rassen und Gewohnheiten in den Ver-
einigten Staaten nur dazu erfolgte, um gemein-
sam ihre Lage zu verbessern, unter Umstän-
den, die allen Gleichheit und freien Spielraum
versprach.
Ersatz des Krieges durch Recht.
Die Vereinigten Staaten hegen für alle
Nationen die freundschaftlichsten Gefühle.
Wenn wir die letzten Vorfälle betrachten
— die sich vor kürzerer oder längerer Zeit
ereigneten — , finden wir nicht eine einzige
Gelegenheit, keine noch so gewichtige Tat-
fcache, wo die Vereinigten Staaten den Wunsch
gezeigt hätten, zu den Waffen zu greifen,
um sich Genugtuung zu verschaffen. Wir
müssen der Welt höhere Ideale geben, als
die des Krieges. Wir müssen den Geist des
Krieges durch den Geist des Friedens er-
setzen. Der Weltfrieden ist unser Ziel. Es
gibt keine Sache, die nicht durch das Recht
besser gelöst werden könnte, als durch den
Krieg. Ich erwarte nicht nur, daß die Ver-
einigten Staaten während meiner Amtszeit
keinen Krieg führen, sondern auch, daß unser
Volk während meines ganzen Lebens nicht
mehr in einen Krieg verwickelt wird.
Der Krieg liegt im Interesse einiger
weniger, nicht im Interesse aller. Die Welt
erfährt soeben, daß hinter dem Kriegs-
furor, hinter der Aufstachelung der Völker-
leidenschaften, das Interesse für Panzer-
platten, Kriegsschiffe, Munitionslieferungen
jener Personen und Institute steht, deren
Geschäft es ist, diese Kriegsschiffe zu
bauen, die notwendigen Panzerplatten zu
liefern und mächtige Vernichtungswerkzeuge
zu erfinden. Es wurde sogar ausfindig ge-
macht, daß Bewohner eines Landes Summen
dafür ausgeben, um in einem anderen Lande
gegen ihr eigenes aufzuhetzen. Mit änderet!
Worten, es gibt Leute, die den Krieg um
ihres eigenen persönlichen Vorteils willen
geschäftlich ausbeuten, ohne die Wir-
kungen und den Verlust, den die Mensch-
heit durch ihre verächtliche Propaganda er-
leidet, zu ermessen. Weil die Völker im
allgemeinen jetzt anfangen einzusehen, wie
belanglos manchmal die Ursachen sind, die
zu einem vernichtenden Kriege führen
können, gehen sie allen Ursachen, die Kriege
entfesseln können, aus dem Weg. Zu-
nehmende Intelligenz ist ein Schutz, weil sie
eine für den Frieden wirkende Kraft ist.
Gleichzeitig ist auch eine wachsende An-
näherung zwischen den Regierungen und
den Völkern zu beobachten. Durch ein ge-
schlosseneres Zusammengehen der regierten
Völker und der Regierenden hatte und wird
noch eine große Masse des Volkes Ge-
legenheit haben, zu erfahren, daß ein bewaff-
neter Kampf keinen Nutzen bringen kann,
und daß jene, die die Steuern bezahlen und
dann noch ihr eigenes Blut vergießen, nur
zum Vorteil solcher arbeiten, die einen per-
sönlichen Nutzen daraus ziehen.
Es wurde schon oft, auch von unseren
größten Philosophen, gesagt, daß an den
Frieden glauben, ,den Frieden erhalten be
deutet, gleichviel, ob es sich um eine Person,
eine Gruppe oder ein Volk handelt. Ebenso
kann man sagen, daß: die Vorbereitungen
zum Kriege einem solchen günstig sind, und
daß jene Nationen, die am meisten Zeit,
Kraft und Mittel für die Kriegsbereitschaft
ausgeben, auch jene sind, die am ehesten
zu einem Kriege neigen.
Ist es aber nicht gerade so leicht, diese
Unterschiede vom Standpunkt des Friedens
statt von dem des Krieges ins Auge zu
fassen. Und Krieg bedeutet bloß die eine,
am wenigsten wirksamste Art der Lösung,
weil im Kriege die Völker von ihren nie-
drigsten Instinkten beherrscht sind, die
jenen, in Zeiten der Gewalt zur Erwägung
des Rechtes beider Teile so notwendigen,
Sinn für Humanität und Gerechtigkeit zer-
stören. Andererseits können aber zur Ver-
meidung des Krieges verschiedene einem ge-
gebenen Fall mehr oder minder angepaßte
Methoden für die Lösung aller möglichen
Streitfragen gefunden werden. Das Ergeb-
nis wird immer die gewünschte Entscheidung
bringen.
Die trivialen Ursachen des Krieges.
Allgemein gesprochen, ist die Welt heute
mehr dem Frieden geneigt, als sie zu irgend-
einer anderen Zeit gewesen ist. Wir müssen
auch bedenken, daß. individuelle und natio-
nale Probleme sich vervielfacht haben und
stärker geworden sind, und daß zu keiner
anderen Zeit so viele Fragen für das Wohl
der ganzen Welt zu lösen waren, wie jetzt.
Die Geschichte wird uns beweisen, daß viele
444
<§s
= DIE FRIEDEN5-^fc*\RXE
unserer bittersten Kriege aus trivialen Ur-
sachen entstanden sind. Hätten wir uns1
nicht einem idealen Zustand der internatio-
nalen Ruhe genähert, dann würde die
Welt mehr als1 je Kriege führen. Wie die
Sachen heute stehen, ist die Wahrscheinlich-
keit für einen ernsten Krieg nicht groß, das!
heißt, er würde jene nicht befriedigen, die
die Führung eines Krieges für vorteilhaft
erachten. Europäische Nationen und die Ver-
einigten Staaten haben bei vielen Gelegen-
heiten des! letzten Jahrzehnts das Schieds-
gericht angerufen; vor einiger Zeit erst er-
ledigte eine Spezialkommission in fünfzehn
Tagen die Streitfrage zwischen Italien und
Frankreich, die durch die Beschlagnahme
einiger französischer Schiffe seitens Italiens
entstanden war, eine Ursache, die der kriege-
rischen Presse wohl ein Schlachtfeld wert
gewesen wäre. Die freundschaftliche und zu-
friedenstellende Schlichtung erforderte we-
niger Zeit, als das Stellen eines Ultimatums
und die notwendigen Schritte vor einer
Kriegserklärung- gebraucht hätten.
Der Panamakanal, durch den wir bald
den Isthmus trennen werden, wird uns1 mit der
westlichen Küste Süd-Amerikas verbinden, d. i.
mit einem Teil jenes Festlandes1, das, obwohl
geographisch nahe, von New York aus seit un-
denklichen Zeiten praktisch unerreichbar war.
Ob wir nun wollen oder nicht, wir müssen NaclH
barn werden, und es liegt in unserem beider-
seitigen Vorteil, dieser Nachbarschaft gerecht
zu werden. Wir können die nützlichen Er-
gebnisse, die aus gegenseitiger Hilfeleistung
erstehen, auf das Höchstmaß bringen. Wir
sind uns dann näher als wir den Ländern sind,
die jenseits der Ozeane liegen. Alle Länder
der nördlichen Küste Süd-Amerikas werden
uns dann näher sein als Europa.
Unsere Politik Latein-Amerika
gegenüber.
Die Republiken Latein-Amerikas gehen
erst ihrer größten Entwicklung entgegen, weil
sie sich bis jetzt nur teilweise entwickeln konn-
ten. Ihre wirklichen und voraussichtlichen
Hilfsmittel sind derart, daß sie die Mensch-
heit veranlassen könnten, ihre Kräfte für deren
beste und nützlichste Verwertung einzusetzen.
Sie erhoffen für sich jenen Unternehmungs-
geist und jene Tätigkeit, die während der letz-
ten Jahrzehnte die Vereinigten Staaten aus
einer Kolonie zu einer Weltmacht entwickelt
haben. Wir besitzen Kapital im Ueberfluß und
es ist nur logisch, daß unsere Nachbarn von
uns jenen Beistand in Anspruch nehmen wer-
den, der ihnen berechtigterweise geleistet wer-
den kann. Wir besitzen konstruktive Fähig-
keiten und die notwendige Erfahrung. Diese
Erfahrung und dieses Kapital können erfolg-
reich zu beiderseitigem Nutzen verwendet
werden.
Es ist trotzdem sicher, daß die Politik
unserer Verwaltung unseren lateinischen Nach-
barn und anderen Ländern gegenüber von
einigen Stellen mißverstanden wird. Dennoch
hat der Präsident seine Meinung darüber in
seinen Reden skizziert und durch Tatsachen er-
läutert. Amerikanische Unternehmungen soll-
ten jede Unterstützung genießen, und er ist be-
reit, diese Unterstützung zu gewähren; da er
aber weiß, daß der geschäftliche Verkelir
seinen Wert und seine Beständigkeit durch
gegenseitigen Vorteil erhält, will er darauf
dringen, daß amerikanische Geschäftsleute in
jedes Land, wo sie Geschäfte zu machen
hoffen, die höchsten Begriffe von Ehre und
Redlichkeit mitbringen sollen. Jeder erwor-
bene Dollar müßte die Vergütung sein für
einen im Werte eines Dollars geleisteten
Dienst. , \ . \ -j
Eine Unterrichts-Kampagne.
All dies kann nur nach einer syste-
matischen Unterrichtskampagne getan werden.
Daß einer den anderen verstehe, ist eine abso-
lute Notwendigkeit, und das zunehmende In-
teresse für die spanische Sprache in den Ver-
einigten Staaten wie die Bereitwilligkeit, mit
der unsere südlichen Nachbarn Kenntnisse des
Englischen erwerben, sind gute Vorboten einer
engeren Freundschaft. Von da bis zu einem
geistigen Austausch zwischen den amerikani-
schen Republiken ist nur ein Schritt. Das in-
tellektuelle Leben aller Länder würde durch
die Kenntnis und den Vergleich der Anschau-
ungen angeregt werden. Jede Anstrengung
müßte gemacht werden, um einen Gedanken-
austausch zu beschleunigen und eine Beauf-
sichtigung der (Unterrichtsmethoden in die
Wege zu leiten. Ein Teil des immer größer
werdenden Stroms der Reisenden, der die alte
Welt befruchtete, würde nach Süd-Amerika
abgelenkt werden. Auf diese Weise sind wir
zu unserer Grundbehauptung zurückgekehrt,
nämlich, daß wir miteinander gut auskommen
müssen. Das vBewußtsein dieser Zusammen-
gehörigkeit — dieser Verwandtschaft, denn
eine solche ist es — ist der erste Schritt zu
freundschaftlichen Beziehungen zwischen den
Nationen.
Der W i 1 s o n - Bi r y a n - P 1 a n.
Vor kurzem hatte ich die Ehre, im Namen
des Präsidenten einen den Weltfrieden betref-
fenden Vorschlag den Mitgliedern des im Staa-
tendepartement versammelten diplomatischen
Korps zu unterbreiten. Dieser Vorschlag be-
fürwortet, die Schiedsgerichtsbarkeit
durch eine Klausel zu ergänzen, die die Unter-
suchung aller Streitfragen, welcher Art diese
auch seien, vorsieht. Dieses Abkommen be-
deutet eine Erweiterung der bestehenden
Schiedsverträge und solcher, die noch be-
schlossen werden sollen. Es betrifft die durch
jene Verträge bislang offen gelassene Lücke,
nämlich die von der Schiedsgerichtsbarkeit aus-
geschlossenen Fragen. Bei dem vorgeschlage-
nen Abkommen wird keine einzige Frage von
der Untersuchung ausgenommen, wenn auch
445
DIE FRIEDENS -^w^fZTE =
;©
jeder Nation die größte Freiheit bei Beurtei-
lung des Falles eingeräumt wird. Wenn der
Grundsatz der Untersuchung angenommen
wird, und einzelne Vorschläge des Planes,
gegen die Einwände möglicherweise erhoben
werden sollten, richtiggestellt sind, bleibt
nichts anderes zu tun übrig, als die Lösung der
Untersuchungsmethode.
Der Entwurf des Abkommens, den ich den
Vertretern der ausländischen Nationen unter-
breitet habe, ist folgender:
Die Vertragsteile willigen ein, daß Streit-
fragen, welcher Art diese auch seien, nach Ver-
sagen diplomatischer Bemühungen zum Zweck
einer Untersuchung und Erstattung eines Be-
richtes einer internationalen Kommission (über
deren Zusammensetzung man übereinkommen
müsse) unterbreitet werden sollen, und erklären
sich bereit, keinen Krieg zu beginnen und keine
Feindseligkeiten zu eröffnen, solange die Unter-
suchung nicht abgeschlossen und der Bericht
nicht erstattet ist.
Die Untersuchung soll auf Initiative der
Kommission als eine laufende Sache, ohne die
Formalität eines Ansuchens von irgendeiner
Partei, vorgenommen werden. Der Bericht müßte
binnen (die Zeit wäre zu bestimmen), vom Datum
der Untersuchung des Streitfalles an gerechnet,
vollendet sein, aber die Streitteile behalten sich
das Recht vor, unabhängig von dem Befund, nach
erfolgter Berichterstattung zu handeln.
Der Plan und seine Aufnahme.
Die wichtigsten Punkte des Ueberein-
kommens, das der Präsident mit Zustimmung
des Senats mit anderen Nationen einzugehen
bereit ist, sind im obigen Entwurf genannt.
Die Tatsache, daß sich der Entwurf nicht
in Details' verlieren will, kann am besten
dadurch erklärt werden, daß Details unter-
geordnete Bedeutung haben und zwischen
zwei abschließenden Staaten in verschiedenen
Fällen verschieden sein können. Die den
ausländischen Diplomaten überreichte Aus-
fertigung enthält bloß. den hauptsächlichsten
Vorschlag, das heißt, daß der Präsident der
Vereinigten Staaten bereit ist, Abkommen
mit ausländischen Ländern zu schließen, die
auch andere "Methoden zur Schlichtung et-
waiger Streitigkeiten vorsehen, und die haupt-
sächlich jene Fragen betreffen, die nicht in
einem gewöhnlichen Schiedsvertrag ein-
bezogen sind. Schiedsverträge nehmen immer
gewisse Fragen von der schiedsgerichtlichen
Austragung aus, und wenn sie es nicht tun,
so kann trotzdem eine Lücke in der Tat-*
sache gefunden werden, daß die Schieds-
gerichtsbarkeit nicht obligatorisch ist und,
zumeist, nicht obligatorisch gemacht werden
kann. Es wurde vorgeschlagen, diesen Plan
als eine Klausel den künftigen Schieds-
verträgen einzuverleiben, damit den Ein-
wendungen, die gegen dieses Abkommen, das
auch Fragen nationaler Ehre einschließt, da-
durch begegnet wird. Aber sei es als Separat-,
sei es als allgemeines Abkommen über Schieds-
gericht und Untersuchung, — diese Klausel
wird immer einen wohltätigen Einfluß aus-
üben. Während dieser Artikel verfaßt wird,
haben schon 26 Nationen den Vorschlag des
Präsidenten Wilson wohlwollend in Erwlägung
gezogen.
Ueber die Zeit, in der der Bericht er-
stattet werden muß, müßte man sich noch
schlüssig werden, aber jede, wenn auch noch
so kurze Zeit läßt eine Möglichkeit zur Unter-
suchung und zur Beratung, und es ist zu
hoffen, daß die festgesetzte Zeit genügen
wird, um eine kriegslose Schlichtung zu sichern.
Zum Schluß möchte ich sagen, daß, alles
in allem genommen, die den Weltfrieden und
das* Gedeihen verheißenden Bedingungen nie-
mals günstiger waren als jetzt, und indem ich
dies behaupte, beziehe ich mich hauptsäch-
lich auf jene Kriege, die sich zwischen zwei
großen Mächten ereignen könnten, die früher
oder später anderer Mächte Krieg ver-
anlassen würden. Das würde Hunderte an
Millionen, das Leben von Hunderten und Tau-
senden Menschen kosten, und an Zeit Mo-
nate, vielleicht Jahre beanspruchen. Die
Hauptsache ist, uns einander davon zu über-
zeugen, daß wir zur Schlichtung der Streit-
fälle an Stelle des Krieges das Recht setzen
wollen, weil, „wo ein Wille ist, auch ein
Weg ist."
Patriotismus
und Dividendenhunger.
Von L. P e r s i u s ,
Kapitän zur See a. D., Berlin.
Die Firma Krupp schüttet dieses Jahr
eine Dividende von 14% aus. 1909/10 be-
trug die Dividende 8%, 1910/11 10% und
1911/12 12 o/o. Man sieht, das Waffengeschäft
steht in steigender Blüte, und auch für die
Zukunft . brauchen die Aktionäre keine Sorge
zu haben. Fast in allen Ländern ist die
Rüstungsschraube in Bewegung, die für sie
arbeitet. Deutschland ging voran mit seinem
Milliardenopfer, von dem ein recht beträcht-
licher Prozentsatz in die Taschen der Militär-
lieferanten wandern wird. Frankreich mußte
folgen. Die Kosten seiner Heeresvermehrung
betragen auch etwa eine Milliarde. Aber in
Deutschland ist man nun keineswegs zu-
frieden. Schon stellt der Wehrverein mit
Emphase — Nachrichten vom 20. November
— fest, daß das deutsche Heer auch nach
Durchführung der letzten Vorlage dem fran-
zösischen beträchtlich unterlegen sei, und es
werden verschiedene Vermehrungen und Ver-
besserungen gefordert. Die Zeitschrift des
deutschen Wehrvereins, „Die Wehr", sagte
wörtlich in ihrer September- Nummer 1913:
„Die französische Armee hatte bisher eine
Kopf stärke von rund 620 000 Mann, denen
wir rund 670000 Mann gegenüberstellten."
Nach den neuen Berechnungen des Wehr-
446
@=
= DIE FRIEDEN5-WARXE
Vereins wird im Oktober 1915 — nach Durch-
führung der beiderseitigen Vermehrungen —
die Stärke des deutschen Heeres 823300
Mann, die des französischen 898000 Mann
betragen. Also gibt der Wehrverein zu, daß
das Resultat des deutschen Milliardenopfers
uns eine relative Verschlechterung unserer
militärischen Stärke gegenüber der französi-
schen Armee brachte!
Hervorragende Staatsmänner haben ver-
schiedentlich öffentlich in Zeitschriften u. a.
ausgesprochen, daß es keiner französischen
Regierung je gelungen wäre, das Gesetz über
die dreijährige Dienstzeit in Frankreich durch-
zudrücken, wenn nicht Deutschland durch
die Riesen Verstärkung seines Heeres den An-
laß gegeben und den Weg freigemacht hätte.
Hierüber besteht ja auch unter objektiv
Urteilenden keine Meinungsverschiedenheit.
Früher standen wir also sicherer da. Jetzt,
nach Erlegung einer Milliarde, die aufzu-
bringen unendlich böses Blut machte, finden
wir uns in schlechterer Position. Wer hat
den Vorteil von den beiderseitigen Müliarden-
spenden? Die Rüstungsinteressenten, auf
deren Betreiben ja auch nur die Heeres-
vermehrungen hüben und drüben vor-
genommen wurden.
Das Vorgehen Deutschlands und Frank-
reichs findet naturgemäß ein Echo. Auch
Oesterreichs und Italiens Rüstungsfirmen
wollen am Gewinn Beteüigung haben. Ob
ihnen das zurzeit gelingen wird, da die
Staatsfinanzen alles andere als glänzend sind,
ist freilich fraglich. Sie werden sich aller
Wahrscheinlichkeit nach etwas gedulden
müssen! Es verlautet, daß die österreichisch-
ungarische Heeresvermehrung sich in engen
Grenzen halten wird, und die Flottenbau-
pläne der Doppelmonarchie wie auch die
Italiens sind äußerst beschränkt. Der Ersatz
der österreichischen „Monarch"-Klasse wird
vorläufig noch nicht vom Marinekomman-
danten gefordert werden — so besagt eine
offiziöse Versicherung — , und der italienische
Marineminister verlangt nur eine sehr be-
scheidene Summe, um einen Dreadnought
auf Stapel legen zu können. Dahingegen
wird das britische nächste Flottenbudget eine
abermalige Steigerung aufweisen. Es wird
sich nach Ankündigung Mr. Churchills zum
erstenmal über eine Müliarde erheben. Das
diesjährige belief sich bereits auf 944,7 Mill.
Mark. — "Rußlands Marineetat endlich betrug
1912355 Mill., 1913 497,4 und der nächstjährige
soll um 120 Millionen anschwellen. Kurz,
die Aussichten für die Waffenfabrikanten,
die Rüstungslieferanten und die Erbauer von
Kriegsschiffen sind rosig, und mit den stei-
genden Dividenden wächst ihr Patriotismus,
der sie heißt, nach weiterer Rüstung zu rufen.'
Als wahrer Vaterlandsfreund gilt zumeist
nur, wer Heer und Flotte nie stark genug
haben kann, wer unentwegt die Aufstellung
neuer Armeekorps und den Bau weiterer
Dreadnoughts fordert. Man geht nicht fehl,
wenn man annimmt, daß die Kreise, welche
„patriotisches Fühlen" in Erbpacht erklärt
haben, mehr oder minder sämtlich an der
Waffenfabrikation und an Armee- und
Marinelieferungen interessiert sind.
Der Biegriff „patriotisches Fühlen" ist
nicht einfach zu definieren. Die nationalisti-
schen Kreise in Deutschland wünschen jetzt
eine Verstärkung der Seerüstung, d. h. die
Kreise, die dem Flottenverein nahestehen.
Der Konkurrenzneid zwischen Wehr- und
Flottenverein hindert eine Verständigung über
die Ziele und über eine entsprechend ab-
wechselnd einsetzende Agitation. 1912 wurde
freilich erst die letzte Flottennovelle geboren,
die ein drittes aktives Geschwader zu acht
Linienschiffen usw. brachte. Aber die große
neue Heeres Vermehrung reizt direkt, nun
auch für die Marine einen gehörigen Macht-
zuwachs zu fordern. Vornehmlich ist es neuer-
dings der bedrohliche Ausbau der russischen
Seemacht in der Ostsee — es werden eine
größere Anzahl von Schlacht- und geschützten
Kreuzern gebaut — , der zur Begründung der
Propaganda für den forcierten Bau von
Schlachtkreuzern usw. herhalten muß. Ab-
gesehen von den verschiedenen Torpedobooten
und Zerstörern, die auf deutschen Werften
für die russische Regierung hergestellt werden,
befinden sich bei Schichau in Elbing zwei
geschützte Kreuzer von je 4500 t Deplace-
ment für Rechnung der russischen Regierung
im Bau. Schichau hat zu gleicher Zeit einen
Schlachtkreuzer — Ersatz „Kaiserin Augusta"
— für die deutsche Marine in Arbeit. Die
Aktionäre der Firma ziehen also Nutzen von
Freund und Feind, von den Kreuzerbauten
Deutschlands und Rußlands. Und russische
und deutsche Steuerzahler füllen ihre Taschen.
Einen Spion steckt man ins Zuchthaus, vor-
ausgesetzt, daß man seiner habhaft wird.
Sein unheilvolles Treiben könnte dem Lande
vielleicht Nachteil bringen. Russische Kreuzer
und Torpedoboote werden, falls es zum Krieg
kommt, bestimmt zu unserm Schaden ein-
gesetzt werden. Es sei die Frage gestattet:
Verträgt es sich mit „patriotischem Fühlen",
wenn man dem voraussichtlichen Gegner
Waffen gegen das eigene Land in die Hand
gibt?
Und den gleichen Fall erleben wir an
unsern Parsevals. England gelang es bisher
nicht, in der Luftfahrt vorwärts zu kommen.
Die Konstruktionen der im eigenen Lande
erbauten Luftschiffe, wie Alpha, Beta usw.,
waren so fehlerhaft, daß man ein Fiasko
nach dem andern erlebte. Nun wurde ein
Parseval angekauft. Er befriedigte ungemein,
und jetzt werden schon drei neue Luftschiffe
nach dem Parseval-Modell hergestellt. In
England ist man in großer Sorge vor der
deutschen Ueberlegenheit in der Luft. Aber
deutsche Firmen verkaufen ihre Erzeugnisse
an den voraussichtlichen Gegner. Parsevals
447
DIE FBIEDENS -WARTE
G)
gingen n. b. auch nach Rußland, Japan usw.
Verträgt sich ein solcher Verkauf mit „patri-
otischem Fühlen" ? So selbstverständlich die
Antwort hierauf lauten wird „nein", ebenso
selbstverständlich wird die Entschuldigung
lauten : „Es geschieht doch aber überall auf
der Welt." Und in der Tat, solange der
Brauch nicht öffentlich verurteilt, so-
lange er nicht allgemein als unmoralisch an
den Pranger gestellt wurde, darf man keiner
Firma im einzelnen einen Vorwurf machen.
Verkaufen wir nicht Kriegsmaterial an das
Ausland, so tut es ein anderer. Wir würden
nur der Konkurrenz in die Hände arbeiten.
In Anklagezustand sind die Völker in ihrer
Gesamtheit zu versetzen, die solche Unmoral
dulden.
Die Privatwerften jedes Landes, n. b.,
soweit sie {Bjesteller finden, arbeiten für die
eigene Marine ebenso wie für Freund und
Feind. Man freut sich, wenn sie Aufträge
fremder Regierungen erhalten. Man unter-
stützt alle Bestrebungen, die darauf abzielen,
ihnen solche zu sichern. Die Marineverwal-
tungen selbst bemühen sich in dieser Hinsicht.
Es werden Reklamefahrten von Kriegsschiffen
nach fernen Ländern veranstaltet. So jetzt die
Reise der beiden deutschen Dreadnoughts
nach Südamerika. — Soweit es sich um
exotische Staaten handelt, mit denen man nie
in einen kriegerischen Konflikt verwickelt
wird, mag es hingehen, wenn es auch besser
unterbliebe. Wozu die Hand auch nur zum
Bau von Miniatur-Flotten leihen? Selbst
solche tragen zum Rüstungswettbewerb bei.
Aber etwas ganz anderes ist es, wenn es sich
um Lieferungen für die voraussichtlichen
Gegner handelt. Und dennoch kennt man in
dieser Beziehung nirgends den geringsten
Skrupel. Warum? Allerorten sehen wir in
den Parlamenten, in den Präsidien nationa-
listischer Vereine, unter den in der Presse
arbeitenden, in Rüstungsfragen maßgebenden
Generalen und Admiralen solche, die an der
Waffenfabrikation interessiert sind. Mit
größter Ungeniertheit widmen sie sich der
Verhetzungsarbeit der Völker, agitieren für
Rüstungsstärkung, und fallen über jeden her,
der ihnen entgegentritt. Das ist besonders in
Deutschland der Fall, wo Achtung vor poli-
tischer Gesinnung ein unbekannter Bjegriff
ist, wo sich selbst z. B. das Regierungsblatt
nicht von dem Versuch freihält, Kritiker
durch persönliche Verunglimpfung in der
Öffentlichkeit zu diskreditieren. Nur die,
welche ständig für Heeres- und Flotten-
vermehrung eintreten, sind die wahren Vater-
landsfreunde, denen es ihr Pflichtgefühl vor-
schreibt, anzukämpfen gegen den Unverstand
derer, die sich etwa vermessen, darauf hin-
zuweisen, wie sinnlos das Wettrüsten ist, das
an dem relativen Stärkeverhältnis nichts
ändert. Jede andere Ansicht wird von ihnen
als vaterlandslos gekennzeichnet. Sie be-
herrschen die Öffentlichkeit und die Volks-
vertretung. Die Rüstungsfirmen mit ihren
gewaltigen Gewinnen und ihrer Gefolgschaft
haben auch die Presse fast vollkommen in
ihrer Gewalt. Ueberall, ob in Staatsbetrieben
oder im Parlament, macht sich ihr Einfluß
geltend.
Eine diese Verhältnisse in England
charakterisierende Flugschrift erschien vor
kurzem in Manchester unter dem Titel „the
war trust exposed". Es werden die britischen
Rüstungsfirmen aufgezählt, ihre Aktionäre,
ihre Angestellten, und es wird bemerkt,
welche von ihnen im Parlament sitzen. Der
Ring der Harved united steel Co. wird be-
leuchtet, zu dem englische, nordamerika-
nische, französische, italienische und deutsche
Firmen gehören. Die Machtstellung der
Waffenfirmen den Regierungen gegenüber
wird geschildert. Verschiedentlich herrscht
volle Monopolisierung. So wurde z. B. bis-
her kein Zerstörer und kein Torpedoboot
auf einer englischen Staatswerft erbaut.
— Das ist in Deutschland der gleiche Fall.
Krupp, Germania-Werft in Kiel, Vulkan in
Stettin und Schichau in Elbing bauen alle
deutschen Torpedofahrzeuge. — An ver-
schiedenen Beispielen, so bei der Konstruktion
der Luftschiffe und Flugzeuge, wird gezeigt,
wie die Regierung der privaten Tätigkeit das
ganze Feld überläßt, und es wird eine Ueber-
sicht gegeben, wieviel Prozent des Marine-
budgets an die Privatwerften und wieviel
an die staatlichen Werften fallen. Die
Tabelle zeigt eine beträchtliche Steigerung
des Anteils der Privatwerften. So belief sich
z. B, derselbe 1900 auf 69,1 o/0 und 1912 auf
89,5 °/o. Die Macht der Rüstungsinteressenten
wird gewürdigt. Wenn einmal der Fall ein-
trat, daß die Herrschaften nicht genug ver-
dienten, so wurde die navy league in Be-
wegung gesetzt. Ihres Geschreis — es war
vor einigen Jahren — „we want eight
and we won't wait — wir wollen acht
Schlachtschiffe und wir wollen nicht warten —
wird man sich noch erinnern. Mc. Kenna
wurde auf die Knie gezwungen. Die Be-
stellung für acht Linienschiffe, vier Kreuzer,
dreißig Zerstörer ging in einem Jahr an die
Privatwerften. Das Parlament bewilligte
natürlich diese exorbitante Forderung, weil
die Regierung erklärte, sie hätte sicheren
Grund zur Annahme, daß Deutschland die
Ausführung seines Flottengesetzes heimlich
beschleunige. Dies Gerücht war von clen
Interessierten in die Welt gesetzt. Als es
sich später als unwahr herausstellte, war es
zu spät, um die Massenschiffbauaufträge
rückgängig zu machen. Die Privatwerften
hatten die Kiele schleunigst gestreckt, und
die Aktionäre lachten sich ins Fäustchen.
Welches die Leute sind, die hinter dem „war
trust" stehen, erfährt man ebenfalls aus der
erwähnten Broschüre. Es finden sich dort
recht bekannte Namen von Earls, Lords.
Marquis usw. Sie sind zugleich mit den
448
<2)
DIE FRIEDENS -WARTE
Firmen genannt, für die sie sich inter-
essieren. Wie ungeniert diese Herren für
ihren Beutel eintreten, dafür ein Beispiel:
Laut Bericht des Unterhauses vom Jahre
1912, Band 35, Seite 987, verbreitete sich
der Admiral Lord Beresford des längeren
über die Notwendigkeit der Einführung eines
automatischen Gewehrs für das Heer. Er
sagte u. a. : „Also was uns jetzt vor allemi
nottut, ist ein modernes Gewehr." Es
fehlte nur noch, daß er hinzugefügt hätte :
„und das erhält man am besten bei Andrew
and Co.". Der edle Lord ist nämlich Prä-
sident der Gesellschaft von Henry Andrew,
Ltd. Sheffield, einer Fabrik, die in Stahl
für Gewehre, Schwerter usw. arbeitet, und
speziell die Konstruktion des empfohlenen
neuen automatischen Gewehrs betreibt.
In dem Präsidium des englischen Flotten-
vereins sitzen vier Herren, die Miteigentümer
von italienischen Panzerplatten- und Ge-
schützfabriken, einer österr. - ungarischen
Torpedowerkstatt — in Fiume — und von
russischen Werften sind. In der Jahres-
übersicht des Flottenvereins findet sich der
Passus : „Großbritannien ist nicht nur von
der rapiden Entwicklung deutscher See-
geltung abhängig, sondern es muß auch mit
dem Fortschritt der Flotten seiner Drei-
bundsgenossen rechnen." Man darf an-
nehmen, daß diese Worte den vier Präsidial-
mitgliedern aus dem Herzen gesprochen sind.
Auf die Frage: „Wie läßt sich die Macht
des „war trust" brechen ?" wird geant-
wortet : indem zunächst in allen Ländern die
an der Rüstungsfabrikation Interessierten an
den Pranger gestellt werden, also besonders
auch die nationalistischen Vereine, in erster
Linie die navy league, ferner die Direktoren
und Aktionäre von Rüstungsfirmen, die diese
Vereine unterstützen, im einzelnen z. B. der
Protektor der Luftverteidigungsgesellschaft,
Admiral Freemantle, der als Präsident der
Deperdussin Aeroplan Co. die Herrschaft
Englands in der Luft gesichert sehen will !
Dann wird die Verstaatlichung jeder Waffen-
fabrikation gefordert.
Die Verstaatlichung der Geschütz-,
Panzerplatten-, Geschoß- und Pulverfabri-
kation und die der Werften, kurz aller Be-
triebe, in denen Kriegsmaterial angefertigt
wird, zeigt in der Tat den besten Weg, wie
dem unmoralischen Handel mit Waffen an
den voraussichtlichen Gegner ein Ende ge-
setzt werden kann. Weiter aber wird die
Verstaatlichung der Waffenindustrie bald
ein Abflauen des Rüstungswettbewerbs her-
vorrufen. Wenn keine Dividenden mehr den
Pseudo-Patriotismus wachhalten, werden die
Rufe nach Verstärkung von Heer und Flotte
bald verstummen. Die nicht mehr durch die
an der Waffenindustrie Interessierten unter-
stützten Vereine und Zeitungen werden dem
Siechtum verfallen. Und dann werden auch
die Volksvertreter endlich sich nicht länger
der Stimme der Vernunft verschließen, "da
sie nicht mehr durch die öffentliche Meinung
beeinflußt werden, die militärischen Forde-
rungen der Regierungen zu bewilligen. Und
sie werden bereit sein zu internationalen
Verhandlungen, die die Beschränkung der
Rüstungen im Auge haben.
Besteht in Europa Aussicht für baldige
Verwirklichung dieser Gedanken ? Nur über-
großer Optimismus könnte die Frage be-
jahen. Es wird riesenhafter Anstrengungen
bedürfen, ehe die Erkenntnis von dem Pseudo-
Patriotismus der an den Rüstungen Inter-
essierten in der breiten Masse Platz greift,
ehe sie einsieht, daß ihr nur durch den Divi-
dendenhunger einer skrupellosen, lächer-
lichen Minorität enorme Steuerlasten auf-
gebürdet werden, die zur Folge eine schier
fabelhafte Verteuerung des gesamten Lebens
haben.
In den Vereinigten Staaten sind Bestre-
bungen auf Verstaatlichung der Panzer-
plattenfabrikation im Gange. Große Schwie-
rigkeiten türmen sich auf. Vielleicht ist
trotzdem Wilson, der schon mancherlei
vollbrachte, der Mann, um auch sie zu über-
winden. Auch sonst regt es sich in den
Staaten in besagter Richtung. So wurde
eine recht verständige Bestimmung er-
lassen : Kein Marineoffizier darf nach seiner
Verabschiedung eine Stellung in Privat-
betrieben annehmen, die für die Flotte ar-
beiten. Es liegt auf der Hand, daß frühere
Offiziere ihre Beziehungen zu aktiven Kame-
raden vielleicht nicht immer unter Wahrung
des Interesses des Fiskus ausnutzen. Auch
in Deutschland bricht sich jetzt diese An-
sicht Bahn. Hauptmann Stavenhagen schrieb
in der „Zukunft", daß der jetzige Zustand
bei uns unhaltbar sei. -Der Gesetzgeber
müsse einschreiten. Es müsse verboten
werden, daß inaktive Offiziere in der
Rüstungsindustrie beschäftigt würden. Ein
solchest Verbot wäre allerdings schon ge-
eignet, dem Rüstungswettbewerb etwas das
Wasser abzugraben. Gar zu viele inaktive
Offiziere werden jetzt durch ihr Inter-
esse an den Dividenden der Waffen-
firmen verleitet, als Vorkämpfer für ver-
stärkte Rüstungen aufzutreten. Immer-
hin bedeuten dergleichen Maßnahmen nur
das Auslaufen eines Tropfens aus dem Meer
der jetzt in Flor stehenden Unmoral. Nur
die Verstaatlichung der Waffenindustrie kann
den für das Wohl der Völker verhängnis-
vollen Patriotismus und Dividendenhunger
beseitigen.
Knistern im Gebälk.
Die Rüstungen wachsen zwar in allen
Ländern unausgesetzt weiter, aber es zeigt
sich doch, daß immer mehr und mehr die
in verantwortlichen Stellen befindlichen
449
DIE FßlEDEN5-^/ACTE
&
Männer öffentlich und mit Nachdruck gegen
dieses Ueberwuchern Stellung nehmen.
Eine ganze Blütenlese offizieller Reden
gegen das Wettrüsten haben wir diesmal zu
verzeichnen. In erster Reihe steht wieder
England, wo nicht weniger als vier ver-
antwortliche Staatsmänner zu Worte kamen,
einer sogar mehrere Male. Am 8. November
war es' der Lord-Schatzkanzler Lloyd George,
der in einer Rede, die er in M i d d 1 e s -
borough hielt, sägte, „es würde besser für
Deutschland, England, Frankreich und Ruß-
land sein, wenn sie ihre Ausgaben
für die Rüstungen in die Nordsee
werfen würden, als daß sie sie für die
fürchterlichen Maschinen und Werkzeuge zur
Menschenschlächterei verwenden. Ein Land
allein könne das' nicht tun, aber alle zu-
sammen könnten es, besonders', wenn sie
sich von gewissen Zeitungen frei machen
würden. Wenn dieses Geld für soziale
Reformen verwendet würde, so würde ein
neues' England erstehen."
Der Marineminister Churchill, der noch
im Oktober seinen Vorschlag auf Herstellung
eines' Feierjahres im Flottenbau wiederholt
hatte, benutzte das Lord-Mayors-Bankett
(10. Nov.), um weitere große Auslagen für
die Rüstungen zu Wasser und in der Luft
anzukündigen. Es' war keine Inkonsequenz
in seinen Worten, denn er berief sich auf
die steigenden Rüstungen der anderen Mächte,
die die englische Regierung veranlaßten, die
Wehrauslagen neuerdings zu steigern. Das
ist die natürliche Folge seines Feierjahr-
Vors'chlages, der bislang nicht angenommen
wurde. Es1 ist nicht unwichtig, die Worte
des englischen Marineministers, der die Ver-
geudung des Volksvermögens durch1 den
Rüstungswettbewerb wie kein anderer in ähn-
licher Stellung beklagt, hier festzuhalten :
„Sie dürfen jedoch nicht annehmen," so
führte er aus, „daß gegenwärtig ein Nach-
lassen unserer Bemühungen möglich ist,
noch dürfen Sie glauben, daß eine Ver-
minderung der Last, die wir tragen, und
die jedes' andere Land außer dem unsrigen
erdrücken würde, in unmittelbarer Zukunft
wahrscheinlich ist. Die Stärke und die un-
gebrochene Entwicklung der deutschen Marine
und der Umstand, daß viele große und
kleine Mächte auf der ganzen Welt gleich-
zeitig große moderne Kriegsschiffe bauen,
werden zweifellos' von uns Ausgaben und An-
strengungen verlangen, die größer sind,
a 1 s' w i r sie u n s jemals zuvor in
Friedenszeiten auferlegt haben. Näch-
stes Jahr wird es meine Pflicht sein, falls
ich noch weiterhin für dieses wichtige Amt
verantwortlich bin, dem Parlament Vor-
anschläge zu unterbreiten, die wesent-
lich höher sind als die ungeheure Summe,
die ursprünglich im gegenwärtigen Jahre be-
willigt wurde. Die Regierung wird
gern- jede günstige Gelegenheit
ergreifen, um den Wettbewerb in
Marine- und Heeresrüstungen zu
vermindern, die unheilvoll und
ein Vorwurf für das moderne
Europa sind. Was aber notwendig ist,
muß getan werden (Beifall), und wir werden
keinen Augenblick zögern, uns frank und frei
um Bewilligung von Mannschaften und
Geld an das Parlament zu wenden."
Einige Tage später, am 15. November,
sprach Churchill in einer großen liberalen
Massenversammlung über „D ie Rüstungs-
sklaverei". Er nahm Bezug auf eine Be-
merkung des Vorsitzenden jener Versamm-
lung, des1 Abgeordneten, P e r cy AI den, der
dem Marineminister besten Erfolg wünschte
zu seinen Bemühungen, mit Deutschland zu
einem Uebereinkommen über die Rüstungen
zu gelangen. Churchill sagte : „W a s
könnte ein bißchen mehr guter
Wille tun. Es ist unmöglich, die direk-
ten und indirekten Lasten zu berechnen, die
gegenwärtig auf Europa liegen. In den letz-
ten fünf Jahren, seitdem wir die Verantwort-
lichkeit der Regierung tragen, haben Frank-
reich, Deutschland und Rußland allein ihre
Jahresausgabe für Rüstungen um 70 Millionen
Pfund jährlich erhöht. Davon wurde ein
großer Teil für die Flotten ausgegeben, so
daß wir natürlich auch eine große Summe
daransetzen mußten. Die Frage ist die: Ist
einer von uns sicherer durch diese un-
geheuren Opfer, die wir ein jeder allen auf-
erlegt haben ? Fühlen Sie nicht zuweilen,
daß dies alles nur eine Laune ist, daß wir
durch die Stärke eines' Papierblattes von
einem Zustand des Weltbewußtseins, des
Weltvertrauens, von einer Welt internatio-
naler Freundschaft getrennt sind, die all diese
beklagenswerten Vorbereitungen überflüssig
machen oder imstande sein würde, eine un-
geheure Ermäßigung herbeizuführen ? Wenn
ich an den heutigen Zustand Europas denke,
mit all seinen immer offenherziger unter-
einander vermischten Nationen, mit all seinen
die höchste Freundschaft für die anderen
Staaten bekundenden Regierungen, mit all
seinen durch Blut und Interessen mit den
Häuptern aller andern Mächte verbundenen
Souveränen, mit all seinen die äußerste
Korrektheit bekundenden auswärtigen Aem-
tern, und doch diese alle in der Sklaverei der
Rüstungen gefangen sehe, auf einem in der
Geschichte noch nie dagewesenen Maß-
stabe, der weit überragt, was in den wil-
desten und barbarischsten Zeitaltern sich er-
eignet hat, so kann ich mir nicht helfen,
immer wieder an die Geschichte jenes spa-
nischen Gefangenen erinnert zu werden, der
zwanzig Jahre in einem Kerker schmachtete,
bis er eines Tages zufällig an die Tür seiner
Zelle stieß, die all die Zeit unverschlossen
war, so daßi er frei hinausgehen konnte. Und
das Empfinden überkommt mich, um wieviel
besser wir die Welt machen könnten, wenn
450
<S)
DIE Fßl EDENS -^/ARTE
alle Völker und Klassen zusammen wirken
würden. Was die Regierung anbelangt,
wird kein Schritt unversucht bleiben, der nur
irgendeine Aussicht auf Ermäßigung des er-
drückenden Rüstungswettbewerbs bieten
könnte."
Am' 18. November war es der Lordkanzler
Haidane, der anläßlich eines Bankettes, das
den Delegierten der Seesicherheits-Kon-
ferenz zu Ehren veranstaltet wurde, auf die
große Frage zu sprechen kam. „Ich glaube,
die Zeit wird kommen," sagte der Lord-
kanzler, „wo man sich wundern wird, daß wir
mit so viel Aufwand eine so große Aufmerk-
samkeit dem Schutze vor unserer gegen-
seitigen Furcht widmen, statt uns den
großen gemeinsamen Aufgaben, die die
Menschheit besser machen als sie in der
Vergangenheit war, zu widmen. Ich bin nicht
einer derjenigen, die glauben, daß diese Tage
bald kommen werden, aber einer jener, die
glauben, daßi jeder nach dieser Richtung
unternommene Schritt, daß jede die Nationen
zu gemeinsamen Wirken zusammenbringende
Gelegenheit doch ein Schritt nach vorwärts
in der Entwicklung jenes großen Traumes
ist, der die Völker eines Tages in engere Ver-
bindung bringen wird, als wir es in der Ver-
gangenheit jemals gekannt haben."
Auf dem Kongreß der nationalliberalen
Föderation, der am 27. November in Leeds
stattfand, und der sich in der Hauptsache mit
der Einschränkung der Rüstungen befaßte,
sprach Premierminister Asquith. Er wies
auf die ungeheure Vermehrung der Rüstungen
hin und sagte: Die britische Reg'ierung be-
klage diese in der gianzen Welt zutage tretende
riesige A blenkung von Nationalver-
mögen in unproduktive Kanäle.
Ein englisches Kabinett, das aus Leicht-
fertigkeit oder im Geiste ruhmsüchtigen
Wetteifers1 oder rücksichtsloser Herausforde-
rung die Ausgaben für die Rüstungen um
nur ein einziges Pfund erhöhte, würde ein
Verbrechen an der Nation begehen. Die Re-
gierung könne sich dieses Vorwurfs nicht
schuldig bekennen. Sie habe eine ernste Auf-
gabe zu erfüllen, und in ihrer Ausführung sei
es ihre Pflicht, ein wachsames Auge zu haben
auf das, was die übrigen Nationen täten, und
ununterbrochen die weltumfassenden Inter-
essen zu verfolgen, über die sie zu wachen
habe."
Asquith fuhr fort : „Sie mögen fragen,
wie lange dieser Zustand dauern wird. Ich
habe letzthin auf dem Guildhall-Bankett eine
Mahnung und einen Appell sowohl an die
Staatsmänner als an die Geschäftsleute der
Welt gerichtet. Sie mögen sagen, meine
Worte seien gut, aber wie stehe es mit den
Taten ? Meine Antwort ist — und ich bin
weder Schönredner noch sentimental: Kein
wirklicher Erfolg kann erreicht
werden ohne die Zusammenarbeit
der Großmächte der Welt, herbei-
geführt durch das Verlangen ihrer
Völker. Ich für meine Person glaube, daß
die ständig wachsende Belastung durch neue
Steuern und die zunehmende Schuldenlast
den Erfolg haben werden, das herbeizuführen,
was die Philanthropen und Idealisten vergeb-
lich versucht haben, zu erreichen. Wir werden
begierig jede Gelegenheit ergreifen, welche
wir entdecken oder schaffen können, um die
Lasten allgemein zu erleichtern, die die besten
Hoffnungen und das beste Streben der
Menschheit beschweren."
Nicht nur aus' England allein sind solche
Aeußerungen zu melden. Auch im amerika-
nischen Repräsentantenhause trat
man für die Flottenverminderung ein. In der
Sitzung des Repräsentantenhauses vom
31. Oktober wurde eine Resolution vor-
geschlagen, die Churchills Vorschlag für ein
Flottenfeierjahr befürwortete. Die Bedeu-
tung der Debatte liegt in der Tatsache, daß
sich die Häupter der beiden Parteien,
Mr. Mann, der Leiter der republikanischen
Minderheit, und der Speaker Clark, der den
Präsidentensitz zur Unterstützung der Re-
solution verließ, und der Führer der demo-
kratischen Mehrheit ist, sich gleichmäßig
energisch dafür einsetzten. Der Sprecher
Clark bezeichnete dabei die Methode der
großen Rüstungen als „das idiotischste
Vorgehen, das die Menschheit kennt."
Der Sekretär der Flotte, Mr. Daniels, sprach
sich ebenfalls zugunsten des Churchillschen
Vorschlages aus. Auch in der Sitzung vom
30. November, über die uns erst e*ine ganz
kurze telegraphische Meldung vorliegt, gab
Marinesekretär Daniels bei Unterbreitung
des Flottenvoranschlages der Hoffnung Aus-
druck, daß die Vereinigten Staaten
die Initiative ergreifen werden,
um unter den Mächten eine dau-
ernde, gegen das UebermaB in "den
Marinerüstungen gerichtete Po-
litik zu begründen.
Endlich haben wir auch aus Deutsch-
land zwei offizielle Aeußerungen
gegen die Rüstungen zu verzeichnen.
Die eine kommt von dem Ministerpräsidenten
von Hertling, der in der Sitzung der baye-
rischen Kammer vom 29. November auf
die Haltung Bayerns bei der Beratung der
großen Wehrvorlage im Bundesrat zu sprechen
kam. Bayern habe sich einer Notwendigkeit
gegenübergesehen, von einem besonders
eifrigen Willen könne nicht die Rede sein.
Der Ministerpräsident schloß mit den denk-
würdigen Worten: „In diesen Rüstun-
gen muß Ruhe eintreten auf Jahre
hinaus, denn das deutsche Volk
ist nicht mehr imstande, weiter
solche Lasten auf sich zu nehme n.'u
Die andere Aeußerung finden wir im Par-
lament des Hamburger Senats, wo "bei
der Beratung der Universitätsvorlage der
Senatskommissar, Senator Heidmann, fol-
451
DIE FRIEDENS -NVADTE =
3
gendes' sagte: ,,Die neue Universität soll
ein Werkzeug des Friedens werden, ein Werk-
zeug des Friedens, indem es bestimmt ist,
den Kampf gegen den Haß der Völker unter-
einander zu führen. Sind wir hierin erfolg-
reich, und gelingt es uns, mit den Führern
anderer Nationen, die dasselbe Ziel wie wir
verfolgen, die Völker zu überzeugen, daß ihre
wirtschaftlichen und kulturellen Interessen
auch durch einen siegreichen Krieg nicht ge-
fördert, sondern geschädigt werden, — daß
jeder, welcher Nation er auch angehöre, der
neue Werte schafft, allen Völkern nützt, —
daß ein Krieg unter den Großmächten, wie
er uns monatelang jetzt gedroht hat, die
Weltkultur um ein Menschenalter oder länger
zurückdrängen würde, gelingt uns dieses, so
magderZeitpunkt kommen, andern
man daran denken kann, die immer
wachsenden schweren Belastun-
gen aller Völker durch die enor-
men Rüstungen einzuschränken
und einen Teil der Gelder, die hier-
für ausgegeben werden, für kul-
turelle Zwecke zu benutzen."
Wer nach all diesen Aeußerungen — und
sie können ja nicht einmal Anspruch machen
auf Vollständigkeit — die richtigen Schlüsse zu
ziehen versteht, der wird zugeben müssen,
daß das Werk der internationalen Kritik und
der internationalen Opposition gegen das
Rüstungswesen bei den Regierungen selbst
schon seine Anhänger gefunden hat. Das
Knistern im Gebälk ist schon zu deutlich
wahrnehmbar, um nicht den beglückenden
Schluß d,araus' ziehen zu können, daß das
Rüstungsgebäude in seinen Grundfesten er-
schüttert ist.
Die Friedens-Warte und die
Wissenschaft.
Ein kleines Jubiläum. Die „Friedens-
Warte" beendigt mit der vorliegenden Nummer
ihren fünfzehnten Jahrgang. Aus
diesem Anlaß hat sich der Herausgeber kürz-
lich mit einem Teil der Bezieher — soweit diese
dem Verlage dem Namen nach bekannt sind —
in Verbindung gesetzt, um ihre Meinung und
ihre Vorschläge bezüglich einer eventuellen
Ausgestaltung des Blattes entgegenzunehmen.
Bei dieser Gelegenheit suchte er auch weiter
mit den betreffenden Kreisen in Fühlung zu
treten, sie um ihr Urteil über die „Friedens-
Warte" zu befragen, und zu erfahren, wie weit
ihr Interesse an den darin erörterten Problemen
geht. Das Ergebnis dieser Umfrage hat nach
Zahl und Inhalt das Erwartete weit über-
troffen. Es sind gegen elf hundert Antwort-
schreiben eingetroffen. Manche kurz die Fra-
gen beantwortend, die meisten aber ausführ-
lich darauf eingehend. An eine Veröffent-
lichung des Gesamtergebnisses ist bei dem
großen Umfang nicht zu denken. Man mußte
sich auf eine Auswahl beschränken. Um diese
zu erleichtern, entschloß sich der Herausgeber,
wenigstens die Antworten einer bestimmten
Klasse vollzählig, wenn auch im Inhalt nur
auf das wesentlichste gekürzt, zu veröffent-
lichen. Die Wahl fiel auf die Vertreter der
Wissenschaft. Später sollen dann, falls der
Raum es gestattet, andere Klassen (Parlamen-
tarier, Mittelschullehrer, Schriftsteller, Jour-
nalisten, Diplomaten, Bibliotheken, aka-
demische Vereinigungen usw.) daran kommen.
Die im nachstehenden wiedergegebenen
Aeußerungen von ungefähr 100 Gelehrten be-
ziehen sich lediglich auf die Wertschätzung der
„Friedens-Warte" und der darin vertretenen
Idee. Es ist für die Schriftleitung ganz be-
sonders erfreulich, unter den Antwortenden
eine stattliche Reihe von Gegnern
oder Skeptikern zu sehen, die trotzdem
ihr Interesse für das Blatt und ihre Achtung
vor der Idee bekunden. Gerade daraus ist
erkennbar, daß die in einem halben Menschen-
alter in der „Friedens-Warte" geleistete Arbeit
nicht ohne Einfluß auf die Entwicklung des
Zeitgeistes geblieben ist.
Dr. Augustin Alvarez, Professor
des Völkerrechts in Buenos Aires:
„Je trouve ce Journal excessivement in-
teressant . . ."
Prof. H. G. Atkins, Professor für
deutsche Sprache, London:
„Sehr nützlich und interessant."
Dr. Aladär B'allagi, Professor für
neue Geschichte an der Universität in Buda-
pest:
Interesse: „Ja, ein außerordentliches so-
gar, da meiner Ansicht nach die Zeitschrift
nicht nur notwendig, sondern für Berufspoli-
tiker wie für Studierende ungemein lehr-
reich ist."
Geheimer Hofrat Dr. Karl Ritter von
Biirkmeyer, Professor für Straf recht und
Rechtsphilosophie, München:
„. . . lese hie und da einzelne Artikel mit
großem Interesse, und lege schon Wert darauf,
mich über den Inhalt der einzelnen Hefte so
bequem orientieren zu können."
Georg JBrandes, Schriftsteller, K o -
p en hagen:
„. . . lese sie mit Vergnügen . . . Jch halte
die Zeitschrift für wohlgeschrieben und gesund
in ihrer Denkart."
Geh. Justizrat Dr. Siegfried Brie, Pro-
fessor für Staats- und Rechtswissenschaft an
der Universität Bjreslau:
„Sie entspricht sehr ihrem Zwecke."
Reg.-Rat Dr. Karl B! rock hausen, Pro-
fessor an der Universität Wien:
„. . . großes Interesse . . ." „. . . erstaunt und
erfreut über den reichen Inhalt."
Dr. Johannes Blurchard, Professor für
Rechtswissenschaft an der Akademie in
Posen:
452
<£
= DIE FRI EDENS -^VARXE
,,. . . vielfach mit Interesse die ganze Num-
mer gelesen . . . halte die Friedens-Warte für
geeignet, Verständnis für die großen Fragen
der Zukunft im Verhältnis der Kulturvölker zu-
einander zu wecken und zu vermehren."
Dr. Georg Cohn, Professor für deut-
sches Privatrecht an der Universität Zürich:
Urteil? „Höchst anerkennend."
Geh. Regierungsrat Hans Delbrück,
Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher",
Professor für neuere Geschichte an der Uni-
versität Berlin:
(Interesse?) „Ja." — (Urteil) „Wenig
günstig."
Avv. Giulio D i e n a , Prof essore Ordinario
nella R. Universitä di Torino:
„La Friedens-Warte ha per me molto
interesse . . . Stimo che questo giornalc puö
servitare un azione molto benefica per la pace
e sopra tutto per la giustizia internazionale."
Emil Doernenburg, Professor der
deutschen Literatur an der Ohio-University
Athens, Ohio, V. St. A.
„Ein vorzügliches Blatt, dem ich nur
einen schärferen Ton wünsche."
Dr. A. Drews, Professor für Philo-
sophie, Karlsruhe :
„Ist ausgezeichnet redigiert, so daß ich
nichts daran zu ändern wüßte."
Dr. Anton Dyroff, Professor für
Staatsrecht an der Universität München:
„Die Friedens^Warte ist vorzüglich ge-
leitet und unterrichtet musterhaft' über alles,
was mit internationaler Organisation und Frie-
densbewegung zusammenhängt.
Dr. Otto Ottovic Eichelmann, Pro-
fessor für Völkerrecht an der Universität
Ki j e w:
„. . . gleichfalls werden zwei Bibliotheken
auf die interessante Zeitschrift auf mein Gut-
achten abonnieren. Ich treibe Völkerrechts-
wissenschaft schon 40 Jahre, gehöre also wohl
zu den ältesten unter den gegenwärtigen Zeit-
genossen und habe sozusagen persönlich den
gewaltigsten Zuwachs der Disziplin und der
Wissenschaft auf diesem Gebiete mitgemacht.
Empfangen Sie meinen besten und herzlichsten
Dank für die vielen schönen Anregungen, die
wir Ihnen schuldig sind."
A. Eleutheropulos, Professor für
Philosophie an der Universität Zürich:
„...ein gutes Organ für den Zweck, die
pazifistische Idee zu verbreiten."
Dr. D. van Embden, Professor für
Oekonomie, Amsterdam:
„Sehr viel (Interesse) . . . Sie ist wissen-
schaftlich, in Form gemäßigt, von großem
Nutzen."
Dr. Karel E n g 1 i § , Professor für Volks-
wirtschaft, Sozialpolitik und Statistik an der
k. k. böhmischen Technischen Hochschule in
Brunn:
„Die Zeitschrift liegt in meiner volkswirt-
schaftlichen und staatswissenschaftlichen Lese-
halle auf, die mit der Seminarbibliothek
meiner Lehrkanzel verbunden und daher auch
den Hörern zugänglich ist. In meinen Vor-
lesungen lasse ich keine Gelegenheit unbenutzt,
um im Geiste der Warte zu wirken."
Prof. Rafael Waldemar Erich,
Professor für Staats- und Völkerrecht an der
Universität Helsingfors:
„. . . mit dem Inhalt im allgemeinen sehr
zufrieden bin und den Bestrebungen derselben
ein lebhaftes Interesse entgegenbringe."
Dr. Arthur Esche Professor an der
Technischen Hochschule in Dresden:
„. . . interessiert mich, weil ich mich gern
über alle beachtlichen Bewegungen in der
Welt, vor allem in unserem Volke, unterrichte
und finde, daß wir auch von andern ernst
gerichteten Menschen, die andere Ansichten
vertreten, lernen können." %
Dr. Max Fleischmann, Professor für
Völkerrecht an der Universität Königs-
berg:
(Interesse ?) „. . . ein besonders großes."
Dr. Heinrich Fried jung, Histo-
riker, Wien:
,,. . . lese jede Nummer mit vielem Inter-
esse. Aus zahlreichen Artikeln habe ich Be-
lehrung geschöpft . . . Sie ist ein ernstes, treff-
lich geleitetes Organ, was ich um so unbe-
fangener konstatieren kann, als ich den Be-
strebungen zur Herstellung des ewigen Frie-
dens, so sympathisch sie mir auch sind, leider
nicht Erfolg verheißen kann."
Dr. H. Geffcken, Professor des öffent-
lichen Rechts a. d. Handelshochschule, Köln-
Marienburg :
„Ich lese zwar nicht sämtliche darin er-
scheinenden Aufsätze, schon aus Zeitmangel
nicht, aber ich halte mich immer über den
hauptsächlichsten Inhalt Ihrer Zeitschrift unter-
richtet . . . Ich bemerke dazu ausdrücklich, daß
ich als Völkerrechtslehrer nicht unbedingter
Anhänger der Friedensbewegung, selbst in dem
gemäßigten Sinne Ihrer Zeitschrift bin, son-
dern da die auch von mir selbstverständlich
gewünschte Vermeidung des Krieges einzig
und allein von einer allmählichen Verstärkung
der zwischenstaatlichen Interessengemeinschaft
und von einem immer wachsenden Steigen
des gegenseitigen Risikos eines Krieges ab-
hängt, ich davon die Fortsetzung des Friedens
erwarte."
„Diese wissenschaftlich gewonnene Ueber-
zeugung aber hindert mich nicht, wie ich
wiederholen will, die dankenswerten Bestre-
bungen der gemäßigten Friedensfreunde wohl-
wollend zu verfolgen ..."
Dr. W- G e r 1 o f f , Universitätsprofessor,
Innsbruck:
„Ist sehr verdienstlich."
Dr. Friedrich Giese, Professor für
öffentliches Recht an der Akademie in
Pos en:
„Ich bin ein entschiedener Gegner des
sogenannten Pazifismus, weil ich darin eine
ernste Gefahr für die Sicherheit unseres Staats-
453
DIEFßlEDEN5-^&QTE =
■3
wesens erblicke. Aber ich erkenne gern an,
daß mir die Friedens-Warte insofern von
Interesse ist, als sie eine gute Materialsamm-
lung enthält und einen vortrefflichen Einblick
in Wesen und Wirken des Pazifismus gewährt.
Auch wer den Pazifismus völlig ablehnt und
Scharf bekämpft, wird daher gut tun, die
,Friedens-Warte' nicht unbeachtet zu lassen."
Heinrich Giesecke, Frankfurt
a. Main:
„Eine Reihe von Artikeln aus dem über-
reichen Inhalt der Hefte ist für mich immer
von Interesse." <
Dr. H. B. Greven, Professor für poli-
tische Oekonomie, Leiden:
„Lese jede Nummer. — Vortrefflich."
Regierungsrat Dr. Joseph G r u n t z e 1 ,
Professor für politische Oekonomie an der Uni-
versität Wien: ,
„Die Zeitschrift ist in jeder Hinsicht aus-
gezeichnet. Obzwar ich nicht selbst Pazifist
bin, so begrüße ich doch diese Bewegung und
halte sie auch für segensreich, weil sie auf inter-
nationalem Gebiete die Gegensätze mildert,
Mißverständnisse zerstreuen hilft und den zeit-
weise überschäumenden Nationalismus zügelt."
Geheimrat Dr. tGü t erb o ck, Professor
der Rechte, Königsberg:
„Wenn ich auch kein Anhänger des Pazi-
fismus bin, interessiert mich doch die Bewe-
gung und daher auch Ihre Friedens-Warte."
Sr. Exzellenz Wirklicher Geheimer Rat
Prof. Ernst Haeckel, Jena:
„Als überzeugter Pazifist und Mitglied
mehrerer Friedensgesellschaften wünsche ich
Ihren philantropischen Bestrebungen besten
Erfolg 1"
Bernhard Harms, Professor für
Nationalökonomie an der Universität Kiel:
„Ich würde großen Wert darauf legen,
. . ., um so mehr, als ich sie (die „Friedens-
Warte") im hiesigen Staatswissenschaftlichen
Institut auslege, und ihr damit ein verhält-
nismäßig großer Leserkreis! gesichert wird."
Dr. Karl R. Held mann, Professor
für mittlere und neuere Geschichte an der Uni-
versität Halle a. S.
„Ihr Mentoramt im Dienste der internatio-
nalen Verständigung gegenüber der internatio-
nalen Barbarei des Chauvinismus, der sich
national gebärdet und am schlechtesten dem
Deutschen zu Gesicht steht, halte ich für kul-
turell überaus wichtig, ohne mich mit ihren
Ideen und Vorschlägen im einzelnen identifi-
zieren zu wollen."
Dr. Robert Hoeniger, Professor für
Geschichte an der Universität Bierlin:
„Die Friedens-Warte habe ich regelmäßig
erhalten und von dem Inhalt stets Kenntnis ge-
nommen. Ich verhehle nicht, daß ich den Be-
strebungen der Friedens-Warte zum Teil mit
ernsten Bedenken gegenüberstehe."
Dr. Friedrich H offmann, Professor
der Staatswissenschaften an der Universität
Kiel:
„Der Inhalt interessiert mich sehr, da
ich so Einblick gewinne in eine eigenartige
und anscheinend Umfang gewinnende Kultur-
bewegung."
Dr. Alexander Freiherr Hold von
F e r n e c k , Professor für Völkerrecht an der
Universität Wien:
„. . . lese sie stets mit Aufmerksamkeit und
Interesse — ohne freilich allen Ausführungen
zustimmen zu können."
Prof. Mr. D. Josephus Jitta, Amster-
dam: !
„...gebe Ihnen gerne die Versicherung,
daß, wenn auch meine Arbeit sich bis jetzt
mehr auf dem Gebiete des internationalen
Privatrechtes befunden hat, ich auf die weitere
Zusendung dieser Zeitschrift Wert lege. Meine
zukünftige Arbeit, als Mitglied des Kronrates,
an der Stelle des verstorbenen hochverehrten
Staatsministers Asser, wird mich wohl auch
mit dem öffentlichen internationalen Recht in
Verbindung bringen, und es mir vielleicht mög-
lich machen, dem Zwecke Ihrer Zeitschrift
mehr dienstlich zu sein als durch die einfache
gelegentliche Lesung."
Wilhelm Kaufmann, Professor für
Völkerrecht an der Universität B! e r 1 i n :
„Sie hat sich Verdienste erworben im
Kampfe für die Förderung der Friedensidee."
Dr. Carl Kindermann, Professor für
Volkswirtschaft, Stuttgart:
„Ich halte die Richtung für wertvoll, wenn
ich mich auch nicht völlig mit ihr identifizieren
kann."
Dr. Walter Kinkel, Professor für Philo-
sophie an der Universität Gießen:
„...das allergrößte Interesse..." „Ich
habe die verschiedenen Aufsätze immer mit
Freude gelesen, verfolge auch die Chronik und
Besprechungen mit Aufmerksamkeit. Beson-
ders haben mich die kurzen Bemerkungen zur
Zeitgeschichte aus der Feder der Frau Baronin
von Suttner immer sehr angeregt."
Dr. W. Kolbe, Professor für alte Ge-
schichte an der Universität Rostock: ,
„Als Historiker lese ich Ihre Zeitschrift
mit großem Interesse, aber — das darf ich
nicht unterdrücken — häufig mit starker Oppo-
sition."
Dr. A. S. Freiherr von Korff, o. ö.
Professor der Rechte an der Universität zu
H eis ingf o r s:
„Vorzügliche Monatsschrift."
Dr. H. Krabbe, Professor für Staats-
und Völkerrecht an der Universität Leiden:
„. . . viel Interesse. — Die Friedens-Warte
ist durch die Hervorhebung von Tatsachen und
den daraus entnommenen Prinzipien eine Zeit-
schrift von ausgezeichnetem Wert."
J. Kräuterkraft, Professor an der
Universität Turin:
„Ein sehr großes Interesse; ich kann sie
fast gar nicht mehr entbehren. — Sie ist bis
jetzt eine der besten pazifistischen Zeitschrif-
ten, die uns am besten über sämtliche Fragen
454
<£
DIE FRI EDENS -^J^AßTE
der Friedensbewegung und üter manche wich-
tige Völkerrechtsfrage unterrichtet. Auch
äußerst interessant und wichtig sind die Rand-
glossen zur Zeitgeschichte von Bertha von
Suttner."
Dr. Oskar Kraus, Professor der Philo-
sophie an der Deutschen Universität in Prag:
„Ich lese manche mich besonders inter-
essierende Artikel, nicht alle. Was ich gelesen
habe, hat meine volle Zustimmung. — ■ Aber
ihre Ziele billige ich nicht nur, sondern ver-
urteile alle Propaganda, die in dem Krieg mehr
sehen will als ein unter Umständen notwen-
diges Uebel, und die nicht alles daran setzt,
um ihn durch minder verderbliche Institutionen
zu ersetzen. Da Ihre Zeitschrift ihr möglichstes
tut, um dem „bellum omnium civitatum contra
omnes civitates" ein analoges Ende zu setzen,
wie es der Staat dem „bellum omnium contra
omnes" bereitet, so wünsche ich Ihrer Frie-
dens-Warte nichts anderes als größtmöglichste
Verbreitung und besten Erfolg."
Edward B. Krehbiel, Professor für
Geschichte, Stanford University, Cal.,
V. St. A.:
„I find the periodical very usefid in
helping me to keep abreast with current
häppenings and with the literature of the
peace movement."
Prof. Heinr. Kretschmayr, Privat-
dozent für Geschichte des Mittelalters und der
neueren Zeit an der Universität Wien:
„. . . anerkennend, wenn auch oft nicht zu-
stimmend."
Dr. Karl Kumpmann, Privatdozent für
Staatswissenschaften an der Universität
Bonn:
„. . . großes (Interesse)." „Sie ist das beste
Blatt der ganzen Friedensbewegung. In ihrer
Vielseitigkeit, ihrem Ernst und ihrer Mäßigung
ist sie mir ungemein sympathisch. Ich gestehe,
daß die Friedens-Warte meine Ansichten über
das Problem „Krieg und Frieden" allgemach
erheblich gemodelt hat — und nicht im Sinne
des Militarismus, wenn ich freilich die Hoff-
nungsfreudigkeit vieler Ihrer Artikel nicht zu
teilen vermag. Die weiteste Verbreitung der
Friedenswarte in den Kreisen der Gebildeten
scheint mir ein höchst verdienstliches Werk."
Hof rat Prof. Lammasch, Mitglied des
Herrenhauses, Professor an der Universität
Wien:
„Die Friedens-Warte ist für jeden, der
sich für eine der allerwichtigsten Fragen der
Menschheit interessiert, unentbehrlich gewor-
den. Sie bringt die Korrektur zahlreicher
falscher Nachrichten und Urteile, die von den
am Kriege Interessierten in die Welt gesetzt
werden. Mag man vielleicht nicht mit allem,
was sie bringt, einverstanden sein (welchem
Buch, welcher Zeitschrift gegenüber könnte
man das?!), so wird doch jeder nicht völlig
Voreingenommene aus ihr reiche Belehrung
schöpfen."
Geheimrat Prof. Lamprecht an der
Universität Leipzig:
„Natürlich bin ich nach wie vor ein
Freund der „Friedens- Warte", und nicht bloß
dies, auch, soviel ich vermag, stets Weiter-
verbreiter ihres Inhalts . . ."
Dr. Robert L i e f m a n n , Professor für
Volkswirtschaft, F r e i b u r g i. B r. :
„Lese vieles daraus regelmäßig mit
großem Interesse . . . und glaube, daß, auch
wenn ein augenblicklicher Erfolg Ihrer Be-
strebungen nicht zu konstatieren ist, die Zeit-
schrift doch eine sehr nützliche Arbeit leistet.''
Geh. Hof rat Dr. Karl von Lilienthal,
Professor für Strafrecht an der Universität
H eidelb erg:
„Ich interessiere mich sehr für das, wie
ich meine, gut und umsichtig redigierte Blatt."
Dr. E. L i 1 j e q u i s t , Professor für Philo-
sophie an der Universität L u n d (Schweden) :
„Ich würde es für glücklich halten, wenn
sich die Friedensbewegung meines eigenen
Landes (Schweden) der allgemeinen Haltung
der „Friedens-Warte" auch nur annäherte."
Dr. Jacques Loeb, Professor für Bio-
logie am Rockefeller-Institute, New York:
„I think the paper is exceljent."
Geh. Justizrat Dr. Edgar L o e n i n g , Pro-
fessor der Rechtswissenschaft an der Universi-
tät Halle:
„Ich lese die Zeitschrift regelmäßig mit
großem Interesse. Wenn ich den Bestrebungen
der Friedens-Warte auch nicht in allen Be-
ziehungen mich anschließen kann, so halte ich
es doch für sehr verdienstlich, für ein Ideal zu
kämpfen, dessen Verwirklichung allerdings
m. E. nicht zu erreichen ist. Diesen Kampf
aber führt die Friedens-Warte in rein sach-
licher und vornehmer Weise."
Oberfinanzrat Prof. Dr. Hermann Losch,
Stuttgart:
„Ich habe schon manche bemerkenswerten
Ausführungen in ihr gefunden. — ... stehe sehr
vielen Aeußerungen der sog. Friedensbewe-
gung skeptisch, manchen mehr als skeptisch
gegenüber, billige aber die Grundtendenz."
J. de Louter, Professor des Völker-
rechts an der Universität Utrecht:
„Großes Interesse ... Ich bewundere die
tiefe Ueberzeugung und unermüdliche Aus-
dauer im siegesbewußten Kampf für die Frie-
densbewegung."
Geh. Regierungsrat Dr. von Luschan,
Professor für Ethnographie und Anthropologie
an der Universität Berlin:
„Ich stehe prinzipiell auf einem anderen
Standpunkte und kann an das para pacem noch
nicht recht glauben. Einstweilen glaube ich
noch immer, daß der Friede, d. h. natürlich
ein ehrenvoller Friede nur durch Rüstungen
erhalten werden kann. Aber ich habe mich
niemals für unfehlbar gehalten und lese jede
einzelne Nummer der Friedenswarte mit
großem Interesse."
455
DIE FRIEDENS -WARTE
©
Ernest Mahaim, Professor für Völ-
kerrecht an der Universität von Liege:
„. . . daß ich die „Friedens-Warte" mit ge-
spanntem. Interesse lese."
Dr. Alexander Marki, Professor für
mittelalterl. und neuere Geschichte an der Uni-
versität Klausenburg (Ungarn) :
„Ich begeistere mich für den Weltfrieden
und bin dankbar, daß diese Idee durch Ihre
Zeitschrift so energisch und geistreich ver-
teidigt und fortgepflanzt wird. Ich halte sie für
unentbehrlich für die Sache des Friedens."
Geh. Oberregierungsrat J. von Mar-
ti t z , Professor an der Universität Berlin:
„Die Friedens-Warte enthält viel wert-
volles Material für das geltende Völkerrecht,
für seine Weiterentwicklung und für seine
wissenschaftliche Kultur."
Dr. Arnold O. Meyer, Professor für
mittlere und neuere Geschichte an der Uni-
versität Rostock:
„Die Zeitschrift hat für mich Interesse . . .
bewahre sie schon aus historischem und völ-
kerrechtlichem Interesse auf. Ich habe vieles
mit Zustimmung gelesen, halte aber die Grund-
stimmung der Friedens-Warte für zu opti-
mistisch ,„. . . finde das Blatt gut redigiert und
ausgestattet."
Exizellenz Geheimrat Prof. Robert
Meyer, Professor für politische Oekonomie
an der Universität Wien:
„Ich pflege, wenn es meine Zeit erlaubt,
die Nummern ganz oder teilweise zu lesen
und habe schon manchen Artikel gefunden,
der mich lebhaft interessierte."
Robert Michels, Professor für poli-
tische Oekonomie, Turin:
„Ich lese die Friedenswarte stets, manch-
mal mit Widerspruch, häufiger noch mit Bei-
fall."
Prof. Marshall Montgomery, Lektor
an der Universität Gießen:
„Die Friedens-Warte scheint mir im all-
gemeinen einen sehr vernünftigen Standpunkt
zu vertreten und eine wirkliche Kulturarbeit zu
leisten."
Geheimer Regierungsrat Prof. Dr. Ing.
Muthesius, Nikolassee:
„Ich finde die Friedens-Warte sehr gut
und lese sie mit Interesse."
Dr. Paul Natorp, Professor für Philo-
sophie an der Universität Marburg:
„. . . lese sie jedesmal mit großem Inter-
esse, da ich als Mitglied des Verbandes für
internationale Verständigung für die Sache,
die sie vertritt, alles übrig habe, sie für eine
der allerwichtigsten in unserem nationalen
Leben halte. Ich interessiere mich besonders
auch für ihre erzieherische Seite, und suche
nach Wegen wirksamer Beeinflussung unserer
gerade in dieser Sache so vielfach irregeleiteten
Jugend. Wenn nach dieser Seite auch die
Friedens- Warte noch mehr bringen könnte,
wäre es sehr dankenswert, aber ich weiß zur
Genüge, daß an solchen, die darüber Förder-
liches zu sagen wissen, es sehr fehlt."
Dr. Neumeyer, Professor für Rechts-
wissenschaft an der Universität München:
„Ich stehe Ihren Bestrebungen mit vollem
Respekt gegenüber, bemühe mich auch, Ihre
Gedankengänge zu verstehen, sehe mich aber
freilich in wesentlichen Punkten nicht in der
Lage, sie mir zu eigen zu machen."
Generalmajor H. L. van Oordt, Völker-
rechtsgelehrter, Breda:
„Mein großes Interesse für den Inhalt der
Friedens-Warte basiert in dem Satze: „Audia-
tur et älterem partem."
Dr. Robert Petsch, Professor für
deutsche Sprache an der Universität Liver-
pool:
„...sehr viel Interesse... Um so gün-
stiger, je mehr sie den realen Verhältnissen
gerecht wird und sich von Utopismus fern-
hält."
Dr. Alexander Alexandrovic P i 1 e n c o ,
Professor für Völkerrecht an der Universität
St. Petersburg:
,,. . . ist für mich von Nutzen."
Robert P i 1 o t y , Professor für Rechts-
und Staatswissenschaft an der Universität
Wü r zbu rg:
„Ich halte die Zeitschrift für «einen wesent-
lichen Kulturfaktor, dessen Einfluß auf die
Gestaltung der politischen Verhältnisse im
ganzen ein förderlicher ist."
Prof. P o 1 i t i s , Professor für Völkerrecht
an der Sorbonne, Paris:
„La Friedens-Warte est ä mon avis, un
des peViodiques les plus utiles."
M. Popoviliev, Professor des Völker-
rechts und Internationalen Privatrechts an der
Universität Sofia:
„Die Zeitschrift ist sehr interessant, be-
achtenswert und nützlich als Milderungsmittel
gegen den Chauvinismus und für die An-
näherung der Völker."
Dr. Felix Rachfahl, Professor für
mittelalterliche und neuere Geschichte an der
Universität Kiel:
„. . . daß ich den Inhalt Ihres Blattes
immer mit größtem Interesse verfolgt habe,
wenngleich ich von Ihrem Standpunkt vielfach
abweiche." ;
Dr. theoLog. M. Rade, Herausgeber der
„Christlichen Welt", Marburg i. H.:
„Ich finde Ihr Blatt sehr gut . . ."
Dr. H. Rauchberg, Professor für Sta-
tistüc an der Universität Prag:
„. . . daß ich mich für Ihre Zeitschrift leb-
haft interessiere."
Lord Reay, Professor an der Univer-
sität London:
„Die Zeitschrift hat für mich Interesse."
Dr. jur. et phil. Hans Reichel, Pro-
fessor für Rechtswissenschaft an der Univer-
sität Zürich:
„Ich lese die Friedens-Warte regelmäßig.
Ohne in allem mit ihr einverstanden zu sein,
456
©:
DIE FRIEDENS -WARTE
nehme ich die in ihr vertretenen Anschauungen
stets mit großem Ernst in Erwägung. Für
meine rechtsphilosophischen Studien ist mir
die Bedachtnahme auf die Friedensfrage un-
erläßlich. Auch in meiner Vorlesung nehme
ich auf sie oftmals Bezug. Die von mir mit-
herausgegebene Zeitschrift „Recht und Wirt-
schaft" hat wiederholt Referate über inter-
essante Aufsätze der Friedens-Warte ge-
bracht . . ."
Sr. Exzellenz Dr. von Rennenkampf,
Professor für Staatsrecht an der Universität
Odessa:
Interesse? „Ja, unbedingt. — Die Rich-
tung der Zeitschrift ist meiner Meinung nach
höchst sympathisch."
Dr. Karl Ludwig Reuters kiöld,
Professor des Völkerrechts an der Universität
U psala:
„Um die Entwicklung der Friedensbewe-
gung, die allerdings als eine Bewegung der
besseren juristischen Ausgestaltung der Welt-
verhältnisse große Bedeutung hat, folgen zu
können, scheint mir Ihre Zeitschrift notwendig
zu sein."
Prof. Dr. Gustav Ritter von Rosz-
kowski, k. k. Hofrat, ehem. Mitglied des
Reichsrats, Professor an der Universität
L e mb erg:
,,. . . orientiert vorzüglich in der gegen-
wärtigen Friedensbewegung. Ich lese die
Friedens-Warte mit größtem Interesse."
A. Sartorius Freiherr von Wal-
tershausen, Professor für National- und
Finanzwissenschaft an der Universität Straß-
burg:
„Viele wertvolle Artikel, auch für die-
jenigen, welche den prinzipiellen Standpunkt
nicht oder nur bedingt teilen."
Dr. August Sauer, Professor für
deutsche Philologie an der Universität Prag:
(Interesse): „Sehr großes... Ein ausge-
zeichnetes Organ."
Prof. Dr. Schiemann, Direktor des
Seminars für osteuropäische Geschichte an der
Universität Berlin und Mitarbeiter der
„Kreuzzeitung" :
„Die Friedenswarte, die sehr gut orien-
tierend finde, lese ich regelmäßig . . ."
Dr. Paul Schoen, Professor für öffent-
liches Recht an der Universität Göttingen:
„Ich habe die mir zugegangenen Num-
mern meist ganz oder teilweise gelesen, denn
wenngleich ich durchaus nicht die in ihr ver-
tretenen Ansichten immer teilen kann, haben
mich viele Nummern doch sehr interessiert,
und scheint sie mir besonders geeignet, ihre
Leser über die Friedensbewegung dauernd auf
dem laufenden zu halten."
Dr. A. W. Schüddekopf, Professor
für deutsche Sprache und Literatur an der Uni-
versität L e e d s (England) :
„Lese die Friedenswarte regelmäßig mit
dem größten Interesse . . . Ein vorzügliches
und wertvolles Blatt, das der internationalen
Friedensbewegung große Dienste leistet."
Geh. Justizrat Joh. Friedrich Ritter von
Schulte, Professor für Rechts- und Staats-
wissenschaft an der Universität Bonn:
„Sehr großes (Interesse), lese sie nicht
bloß genau, sondern suche auch andere dafür
einzunehmen. — Ich teile zwar nicht alle darin
ausgedrückten Ansichten, kann aber sagen,
daß ich mit der Tendenz harmoniere und mich
über viele Aufsätze gefreut habe."
Dr. Jakob S i e b er , Professor für Völker-
recht an der Universität Bern:
„Ich lese die Friedens-Warte stets mit
dem größten Interesse und möchte sie nicht
missen. — Die Friedenswarte gibt m. E. mit
ihren kurzen und prägnanten Artikeln ein sehr
gutes Bild von den gegenwärtigen Friedens-
bestrebungen. Ich kann ihre eifrige Pro-
paganda nur billigen, wenn ich gleich den
Optimismus ihrer Mitarbeiter nicht ganz teile."
Dr. Ernst Sieper, Professor für engl.
Philologie an der Universität München:
„Was den ausgezeichneten Inhalt der
Zeitschrift anbetrifft, so habe ich kaum
Wünsche namhaft zu machen."
S. R. Steinmetz, Professor für Eth-
nologie an der Universität Amsterdam:
,,. . . entschiedenes Interesse."
Geh.-Rat Carl Freiherr von Stengel,
Universitätsprofessor, München:
„Ich bin sehr dankbar für Zusendung der
Friedens- Warte, die ich stets mit Interesse
lese."
Dr. Stier-Somlo, Professor für Völ-
kerrecht an der Universität C ö 1 n :
„. . . erregt stets mein lebhaftestes Inter-
esse . . . Ich möchte in unseren literarischen
politischen Strömungen die Note, die die Frie-
denswarte anschlägt, auch nicht vermissen.
Der im allgemeinen ausgezeichnete Inhalt
überhebt mich der Notwendigkeit einer Kritik."
Dr. C. A. Verryn Stuart, Professor
für Völkerrecht an der Universität Gro-
ningen:
,,. . . daß ich Ihre bedeutungsvolle Zeit-
schrift immer mit Interesse durchsehe."
Dr. Lehel von Szigethy, Professor der
Nationalökonomie an der Universität K e c s -
kernet:
„...teile die Intentionen des Blattes ...
denke, daß die Agitation Früchte tragen wird."
Prof. Dr. Michael Freiherr von Taube,
Unterstaatssekretär im k. russ. Unterrichts-
ministerium, Exzellenz, St. Petersburg:
„. . . sehr großes Interesse. — Sie entspricht
vollkommen ihren Zwecken und ermöglicht
stets eine vorzügliche ' Orientierung auf dem
Gebiete der Friedensbewegung."
Dr. Richard Thoma, Professor für
Staats- und Verwaltungsrecht an der Univer-
sität Heidelberg:
„Wiewohl ich den Grundanschauungen
des Autorenkreises der Friedenswarte ferne
457
DIE FRIEDENS-^^BTE =
&
stehe, hat mir deren Lektüre wiederholt wert-
volle Kenntnisse und Anregungen vermittelt."
Dr. Lucien Paul Thomas, Professor
für Französisch an der Universität Gießen:
„J'admire profond^ment le süperbe effort
de la Friedens- Warte, son but desinteress£, son
haut id£al; je voudrais que les Champions d'une
campagne aussi noble ne se laissent pas de-
courager par les eV6nements souvent d£ceVants
qui pourraient les troubler mais qu'ils pro-
fitent plustöt dans un sens pratique des dou-
loureuses exp^riences."
Dr. Adolf Unzer, Professor für neuere
Geschichte, Wiesbaden:
(Interesse?) „Ja. Ihr Streben ist sehr
lobenswert, aber den Krieg kann man ebenso-
wenig beseitigen, wie Streitigkeiten unter
Privatpersonen ; größtmöglichste Einschrän-
kung muß das Ziel sein."
Geheimer Regierungsrat Dr. Goswin
Uphues, Professor für Philosophie an der
Universität Halle a. S. :
„. . . vorzüglich redigierte Zeitschrift, mit
deren Inhalt ich ganz einverstanden bin . . .
Mit den Kurzen Aufklärungen auf S. 3 u. 4 des
Umschlags bin ich ganz besonders einverstan-
den. Auch mit den Artikeln, die ich sorgfältig
lese."
Dr. Richard Wähle, Professor für Philo-
sophie an der Universität Wien:
„Sie ist vorzüglich orientierend und gewiß
wirkungsvoll ..."
Dr. K. W i c h m a n n , Professor an der
Universität Birmingham:
„Die Friedens-Warte arbeitet an ihrer
schweren Aufgabe mit Geschick und ist eine
lebendige Kraft im Streben der Menschheit
nach einem ihrer edelsten Ziele geworden."
Dr.. Hellmuth Wolf f, Direktor des Sta-
tistischen Amtes der Stadt H a 1 1 e a. S., Privat-
dozent der Staatswissenschaften.
„. . . manchen mir wertvollen Aufsatz in
den bisherigen Heften gefunden."
Ihr Interesse an der Friedens-Warte
bekundeten ferner durch Zuschrift:
Dr. Adolf Günther, Privatdozent für
Staatswissenschaften an der Universität Bi e r -
lin. — Dr. O. Nagy von Eötteveny,
Professor des Völkerrechts an der königl. ung.
rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultäjt
zu Kassa, Ungarn. — Dr. Karl B r e u 1 ,
Professor für Germanistik an der Universität
Cambridge. — Dr. Gilbert Water-
house, Lektor für Englisch an der Univer-
sität Leipzig. — Dr. R. deRidder Remy,
Professor des Völkerrechts an der Universität
Gent. — Dr. K. Florian, Professor für
politische Oekonomie und Finanzrecht an der
rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät
E p e r j e s (Ungarn). — Dr. Naum Reiches-
b e r g , Professor für Statistik und National-
ökonomie an der Universität Bern. — Se. Ex-
zellenz Dr. Eugen von Böhm-Bawerk,
Wirklicher Geheimer Rat und Professor für
politische Oekonomie an der Universität
Wien. — Dr. P. Johs. Jörgensen, Pro-
fessor für Rechtsgeschichte und Völkerrecht
an der Universität Kopenhagen. — Dr.
Alfred Vierkandt, Professor für Ethnologie
und Völkerkunde an der Universität Bier lin.
— Dr. A. Struycken, Professor für öffent-
liches Verwaltungs- und Völkerrecht an der
Universität Amsterdam. — Dr. Adolf
S töhr, Professor für Philosophie an der Uni-
versität Wien. — Dr. J. Platter, Professor
für Nationalökonomie und Statistik an der
Universität Zürich. — Dr. Ferdinand
ßaumgarten, Professor für Handels- und
Wechselrecht an der Universität Budapest.
— Dr. Andor Kovats, Professor der Rechte
an der Universität Kecskemet (Ungarn).
— Dr. Johannes N i e d n e r , Geheimer Justiz-
rat, Professor für Völkerrecht an der Univer-
sität Jena und Oberverwaltungsgerichtsrat. —
Prof. Dr. Ribbert, Bonn. — Dr. Felix
K r u e g e r , Professor für Philosophie an der
Universität Halle a. S. — Geh. Justizrat
Dr. Franz von Liszt, Professor der Rechte
an der Universität Bl e r 1 i n , Mitglied des
Reichstags. — Geh. Rat Dr. Max Sering,
Professor für Staatswissenschaften an der Uni-
versität Berlin. — Dr. Georg von Mayr,
Unterstaatssekretär z. D., Professor für Sta-
tistik, Finanzwissenschaft und National-
ökonomie an der Universität München. — ■
Geh. Regierungsrat Dr. Max Lehmann,
Professor für mittlere und neuere Geschichte
an der Universität Göttingen. — Dr. Wil-
liam Stern, Professor für Psychologie an
der Universität Breslau. — Dr. Waldemar
Zimmermann, Professor für Staatswissen-
schaften an der Universität Berlin. — Se.
Exzellenz Wirkl. Geheimer Rat Dr. Gustav
von Schmoller, Professor für Staats-
wissenschaften an der Universität Bier lin. —
Dr. Gustav Fred Steffen, Professor für
Nationalökonomie und Soziologie an der Uni-
versität Göteborg, Mitglied des Reichs-
tags. — Geh. Rat Dr. Otto Mayer, Professor
für Verwaltungs- und Staatsrecht an der Uni-
versität Leipzig. — Dr.- Jakob Schnei-
der, Professor für neuere Geschichte an der
Universität Basel. — Dr. Hans Gm e lin,
Professor für Staatsrecht an der Universität
Gießen. — Prof. Dr. Christ. Eckert, Stu-
diendirektor der Handelshochschule und der
Hochschule für kommunale und soziale Ver-
waltung in C ö 1 n. — Dr. Arthur S p i e t h o f ,
Professor für politische Oekonomie an der
Deutschen Universität in Prag. — Dr. F. M.
P o w i c k e , Professor für neuere Geschichte
an der königl. Universität Belfast (Irland).
— Dr. Franz Freiherr Myrbach von Rhein-
f eld, Professor für politische Oekonomie an
der Universität Innsbruck. — Dr. jur.
Kurt Pereis, Professor des öffentlichen
Rechts, Hamburg. — Hof rat Prof. Johann
Loserth, Professor für Geschichte an der
Universität Graz. — Geh. Regierungsrat
Alois Brandl, Professor für englische
458
@=
DIE FRIEDENS -WARTE
Philologie an der Universität Bi e r 1 in. — Prof.
H. Rehm, Professor für Staats- und Verwal-
tungsrecht an der Universität Straßburg.
— Prof. Dr. Ignaz Jastrow, Professor
der Staatswissenschaften an der Universität
BI e r 1 i n. — Professor Ferdinand Toen-
nies, Professor für Philosophie an der Uni-
versität Kiel. — Dr. Hugo Spitzer, Pro-
fessor für Philosophie an der Universität
Graz. — Dr. Leonard Nelson, Pro-
fessor für Philosophie an der Universität Göt-
tingen. — Dr. Schmöle, Professor für
Nationalökonomie an der Universität Mün-
ster i. W. — S. J. Fockema Andreae,
Professor für Rechtsgeschichte an der Uni-
versität Leiden. — F. Le Biourgeois,
Dozent für Französisch an der Handelshoch-
schule und der Verwaltungshochschule in
Co In.
Brief aus Rußland.
Von
Professor Baron S. A. Korff, Helsingfors.
Die Balkanfrage. — Das Mongolei-
Uebereinkommen mit China. — Die
europäische Politik und die Reise
des russischen Ministerpräsi-
denten. — Die Duma. — Drahtlose
telegraphische Verbindung auf
der Ostsee.
Helsingfors, den 1. Dezember 1913.
Nach, der großen Erregung des letzten
Sommers1 hat das Interesse, das Rußland und
die russische öffentliche Meinung den Bal-
kanfragen entgegenbrachte, wesentlich nach-
gelassen. Dies ist aus zweierlei Gründen
leicht erklärlich : Erstens durch die Ent-
täuschung, die die brudermörderischen Strei-
tigkeiten der Balkanslawen in Rußland her-
vorriefen. Nach den entscheidenden und
tapferen Siegen der Alliierten gegen die
Türkei im letzten Frühjahr hatte die russische
öffentliche Meinung wohl alle Ursache, zu-
frieden zu sein. Es herrschte auch eine
echte Begeisterung in den verschiedenen
Teilen der russischen Gesellschaft, die er-
freut war, ihre slawischen Brüder siegreich
und einig untereinander zu sehen. Andere
dachten (sehr mit Unrecht, wie wir jetzt
sehen), daß dies nun das endliche Aus-
treiben der Türkei aus Europa bedeuten
würde, was1 das alte Ziel Rußlands, freie
Hand in der Dardanellenfrage zu erhalten,
zur Folge haben würde. Die Ereignisse des
zweiten Krieges machten alle diese Hoffnun-
gen zunichte und töteten die Begeisterung,
hauptsächlich als die Presse mit der Ver-
öffentlichung jener schrecklichen Grausam-
keiten begann, die die kriegerischen Nationen
verübten. Zweitens1 wurde nach und nach
im russischen Volke das Gefühl wach, daß die
russische Regierung aus irgendeinem Grunde
nicht bereit war, aktiven Anteil an der Schlich-
tung der Balkanunruhen zu nehmen. Dies
dämpfte sehr den Eifer der Chauvinisten,
die für eine aktive und militärische Aktion
eintraten, während sie andererseits jene ent-
täuschten, die ehrlich eine Hilfe Rußlands
für Bulgarien und eine größere Einfluß-
nahme auf dessen Feinde wünschten. Dies
waren die vielen Faktoren, die die frühere
Begeisterung geringer und das Interesse des
Landes an der Balkansituation schwächer
werden ließen. Infolgedessen verliefen die
Ereignisse der Herbstmonate fast unbeachtet.
Sogar jene Organe der russischen Presse, die
früher so chauvinistisch waren, blieben gleich-
gültig; trotz der Tatsache, daß vieles sich
ereignete, das unter anderen Umständen
großem Interesse begegnet wäre. So war
die Presse z. B. gleichgültig gegen die öster-
reichische Politik und hauptsächlich gegen
die unzweifelhafte Annäherung Bulgariens
an Oesterreich-Ungarn; nur einige wenig
bedeutende offizielle Interviews drückten die
offizielle Unzufriedenheit über die seitens Bul-
gariens eingeschlagene Richtung aus. Das
war aber unbillig, da Rußland seinen ehe-
maligen Freund, als dieser am meisten Hilfe
benötigte, im Stiche ließ. Es wäre jetzt zu
spät, über ,, Bulgariens Undankbarkeit" zu
sprechen, die Rußland tatsächlich verdient
hat. Bulgariens Annäherung an Oesterreich
ist bloß eine natürliche Folge der im Sommer
vorgekommenen Ereignisse, und die russische
Regierung hat keinerlei Recht, Bulgarien Un-
dankbarkeit vorzuwerfen. Dieser einfache
Beweis ist so klar, daß er allein die Gleich-
gültigkeit erklären kann, die sogar den offi-
ziellen Interviews (die leider alle anonym
erfolgten) von der Tagespresse entgegen-
gebracht wurde; tatsächlich waren keine
Kommentare notwendig. All dem schließt
sich noch die wachsende allgemeine Un-
zufriedenheit der öffentlichen Meinung mit
der Politik der Regierung an.
Mitte November wurde ein offizielles
„Communique" veröffentlicht, das sich auf
das in Peking am 23. Oktober unterzeichnete
Abkommen bezog. Es betraf die mongolische
Frage. Ein ganzes Jahr war notwendig, um
China zu bestimmen, dem im Herbst 1912
zwischen Rußland und den mongolischen
Piinzen erzielten Einverständnis zuzustimmen;
nun ist dies endgültig erledigt. Beide ver-
einbarenden Mächte, Rußland und China, er-
kennen offiziell die Souveränität Chinas über
die äußere Mongolei an. Es muß hier darauf
hingewiesen werden, daß Rußland eine sehr
genaue Unterscheidungslinie zwischen den
als1 die innere und äußere Mongolei bezeich-
neten asiatischen Territorien zieht; der Ok-
tobervertrag betrifft nur die letzteren.
Andererseits verspricht China, die Autonomie
Mongoliens anzuerkennen; die Mongolen und
ihre Fürsten erhalten dadurch das Recht, ihre
eigenen Angelegenheiten ohne auswärtige
Einmischung zu erledigen. Ueberdies ver-
459
DIE FRIEDENS -^^PTE
;©
sprach! China Rußland, weder militärische
Kräfte noch zivile Beamte in die Mongolei
zu senden oder dort zu haben, sich in keiner
Weise in die mongolischen Angelegenheiten
zu mischen, und in Zukunft alle Versuche
einer chinesischen Kolonisation auf mongoli-
schen Gebieten zu verhindern. Als Ausnahme
dieser Regel ist es China erlaubt, einen dau-
ernden Vertreter in Urga und zeitweise, zu
notwendigen Unterhandlungen mit mongoli-
schen Behörden, auch an anderen Plätzen Ver-
treter zu ernennen. Das Verbot der chi-
nesischen Kolonisation ist eine sehr wich-
tige Maßregel, wenn wir in Erwägung
ziehen, daßi es! früher die beste und wirk-
samste Methode war, chinesischen Einfluß
unter den Mongolen zu verbreiten. Diese
Bewegung war nicht nur politisch, sondern
auch kulturell, und ihre Gefahr scheint in
St. Petersburg richtig eingeschätzt worden
zu sein. Hinter dem chinesischen Kolonisten
kam nicht nur der chinesische Beamte, kamen
auch chinesische Kultur und Zivilisation, die
in der Mongolei sehr verbreitet waren. Durch
dieses Uebereinkommen verpflichtet sich auch
Rußland, keine Truppen in die Mongolei zu
senden, ausgenommen die militärische Be-
deckung der Konsulate. Weitere Details
würden später durch neue Abkommen, so-
bald sie durch die Lage bedingt sein sollten,
getroffen werden. Der Vertrag sieht auch
vor, daß in künftigen wichtigen Verhandlungen
zwischen Rußland und China mongolische
Autoritäten daran teilnehmen sollen. Dies
ist eine wichtige Klausel, die den Mongolen
die Möglichkeit gibt, etwaige Wünsche zu
äußern. Es erübrigt sich, noch abzuwarten,
wie nützlich und wertvoll dieses Ueberein-
kommen für beide Teile, Rußland und die
Mongolei, sein wird. Während der letzten
Monate schien mehr Unzufriedenheit mit
dieser Politik als mit der früheren zu
herrschen, was aber kaum ernstliche Kon-
sequenzen zur Folge haben wird. Ende No-
vember kam eine Spezial-Kommission nach
Rußland, um die schwebenden Fragen zu er-
ledigen, und es' ist unzweifelhaft, daß eine
rasche Verständigung darüber erzielt werden
wird. Die Abordnung wurde in St. Peters-
burg herzlich empfangen.
Große Erregung verursachten vor einiger
Zeit die in Berlin vom russischen Minister-
präsidenten gehaltenen Reden, die zwei wich-
tige Fragen betrafen : die auswärtige und
die innere Politik Rußlands. Ueber die aus-
wärtige Lage ist nicht viel zu sagen. In aus-
wärtigen Angelegenheiten gibt es gegen-
wärtig keine beunruhigenden Fragen, und
über die wichtigsten Dinge ist eine klare
Ueber ein Stimmung in Paris, Berlin, Wien
und London erzielt worden. Das Konzert der
Großmächte ist intakt, ' und Rußland hat
keine Forderungen zu stellen. Kokokzew hat
viele politische Unterhandlungen in Paris und
Berlin gehabt und hat mit Leichtigkeit alle
schwebenden, den Balkan, die Türkei und
Armenien betreffenden Fragen erledigen
können. Eine ganz andere Rolle spielte aber
der zweite Teil seiner Reden, die er mit Ver-
tretern der Presse hatte. Es war tatsächlich
ungewöhnlich, daß der russische Minister-
präsident sich Fremden gegenüber über
russische Angelegenheiten beklagte und ihnen
erzählte, daß die Duma und die Presse im
Lande nicht sehr ins Gewicht fallen. Man
mag über die Richtigkeit der Erklärung des
Ministerpräsidenten im Zweifel sein; die
Presse und die Duma haben unter den gegen-
wärtigen Bedingungen in der Tat nicht viel
zu sagen; aber daß ihre Stimme gar keine
Wirkung in dem Lande hat, ist sicherlich ein
Irrtum. Dies wird am besten durch den Sturm
der Entrüstung bewiesen, der durch die Reden
entfacht wurde, die allgemein sowohl von den
Konservativen wie von den Liberalen ver-
urteilt werden.
Bei der Duma kann man deutlich einen
Mangel an Entscheidung wahrnehmen. Das
wird durch die Schwäche des Zentrums ver-
ursacht. Die Parteien sind so geteilt, daß die
kleine Zentrumsgruppe die wichtigsten 'Ent-
scheidungen in ihren Händen hält und jeder-
zeit die Wagschale auf die eine oder andere
Seite neigen kann. Die Konservativen und
Reaktionäre auf der einen, die Opposition auf
der anderen Seite, sind hoffnungslos durch
einen unüberbrückbaren Abgrund getrennt;
nichts kann sie vereinen. In der Mitte das
Zentrum, das von rechts nach links und von
links' nach rechts schwankt. Es' ist sehr
schwer zu sagen, wie die Dinge schließlich
enden werden. Eines ist jedoch sicher: die
öffentliche Meinung neigt immer stärker der
Richtung verfassungsmäßiger Reformen zu.
Dies macht die Zehtrumsgruppe geneigter,
mit der Opposition zu stimmen und zu han-
deln. Das' Endresultat davon ist, daßi die
Regierung nicht mehr über eine sichere Mehr-
heit in der Duma verfügt und diese geneigter
ist, dem Ministerium zu opponieren.
Wir müssen noch auf ein sehr wichtiges
Vorgehen seitens der Marinebehörden hin-
weisen, die sich auf die drahtlosen tele-
graphischen Nachrichten in der Ostsee be-
zieht. Bis in die jüngste Zeit widersetzten
sich diese Tiehörden dem Vorhaben, daß
Nachrichten von oder zu einem Privats'chiff
gesandt werden dürften. Nun wird erklärt, daß
alle Unfallbotschaften, betreffend Schiffbruch,
Feuer usw., von jeder russischen Küstenstation
übernommen und überall hin, wo es notwedig
sei, weitergegeben werden sollten. Das
gibt den Dampfschiffgesellschaften das' Recht,
an Bord ihrer Schiffe Telegraphenstationen
zu errichten und diesen dadurch die Mög-
lichkeit, im Bedarfsfalle mit der Küste zu ver-
kehren. Wenn man die wichtige Rolle in
Betracht zieht, die telegraphische Nachrichten
bei den letzten Schiffskatastrophen gespie'lt
haben und die wachsende große Sicherheit,
4 60
<§=
DIE FRI EDENS -^ARXE
die sie den Seereisenden gewähren, dann
muß man diese Maßregel der russischen Be-
hörden als eine willkommene begrüßen. Die
Dampfschiffgesellschaften werden sich gewiß
so schnell als möglich dieses Privilegium
zunutze machen und drahtlose Telegraphen-
stationen an Bord ihrer Schiffe einführen.
Privater Nachrichtendienst ist noch nicht
erlaubt; aber es wird gewiß nicht lange
dauern, bis die Küstentelegraphenstationen
auch diese annehmen werden, weil Rußland
schon eingewilligt hat, solche durch ihre
Stationen am Schwarzen Meere zu befördern.
Private drahtlose Telegraphenküstenstationen
sind in Rußland aus Gründen strategischer
Natur nicht erlaubt.
Brief aus denVereinigten Staaten.
Von Henry S. Haskeil, New York.
Die Republik Mexiko und die Ver-
einigten Staaten. — Robert B.acons
Reise nach Süd-Amerika. — La-
tein-amerikanischer Kongreß in
Worcester. — Winston Churchills
Vorschlag eines Feier jahrs im
Flotten bau. — Japan und die Ver-
einigten Staaten. — Die internatio-
nale Kommission zum Studium der
Blalkangreuel.
New York, den 24. Nov. 1913.
Die Beziehungen zwischen der Regierung
der Vereinigten Staaten mit anderen Regie-
rungen haben in dem letzten Monat keine
wesentliche Veränderung erfahren. Die ge-
spannten Beziehungen mit Mexiko werden
selbstverständlich als gefährlich betrachtet.
Die Presse beginnt die Politik des Präsidenten
Wilson zu kritisieren, aber diese Kritiken sind
in der Regel gemäßigt und vorsichtig. Ein-
flußreiche Persönlichkeiten, die über die
Fortschritte der Ereignisse genau informiert
sind, halten es für notwendig, anzunehmen, daß
Präsident Wilson, in bezug auf die Situation
in Mexiko wertvolle Kenntnisse besitzt, die
der Oeffentlichkeit unbekannt sind. Im all-
gemeinen scheint das Volk Präsident Wilson
gutgläubig zu unterstützen.
Die Entwicklung der Verhältnisse in
Mexiko, wie der Wahlen, die sicherlich
eine vom provisorischen Präsidenten Huerta
überwachte Farce war, und die Organi-
sation des neu erwählten Parlaments, die
andauernden und wichtigen Siege der auf-
rührerischen Anhänger der Verfassung
unter General Carranza, und der Versuch an-
derer Regierungen, auf Mexiko einen Druck
auszuüben, haben bloß dazu beigetragen, die
Situation kritischer zu gestalten und haben es
nicht ermöglicht, irgendeine der schwebenden
wichtigen Fragen zu erledigen. Das am
meisten ermutigende Moment in dieser Si-
tuation ist, daß die auswärtigen Aemter der
europäischen Regierungen mit dem Staats-
departement der Vereinigten Staaten in bezug
auf die mexikanische Frage einig zu sein
scheinen.
Eine bewaffnete Intervention der Ver-
einigten Staaten in Mexiko fängt an, ein wenig
in Erwägung gezogen zu werden. Sie wird aber
nur als ein letzter unwillkommener Ausweg
angesehen, dem sich einflußreiche Kreise er-
bittert widersetzen. Es ist wahrscheinlich, daß
Präsident Wilson jede Art feindseliger Inter-
vention vermeiden wird, sofern er nicht durch
die Aufforderung europäischer Regierungen,
die Vereinigten Staaten mögen sofort eine
Aktion einleiten, um die chaotischen Verhält-
nisse Mexikos in Ordnung zu bringen, zur
Unternehmung kriegerischer Aktionen gezwun-
gen werden sollte.
Es wurde angenommen, daß die Wich-
tigkeit der O elf eider von Zentral -Amerika
und der Wettbewerb der bedeutenden, Oel
produzierenden Industrien der Vereinigten
Staaten, Deutschlands und Englands einen
ernstlichen Einfluß auf die Beilegung der
Schwierigkeiten in Mexiko haben könnte. Eine
sorgfältige Prüfung dieser Annahmen zeigte
aber, daß, soweit sich dies auf die in Rede
stehenden Regierungen bezieht, den sich aus
der Oelindustrie ergebenden wirtschaftlichen
Fragen keine Bedeutung beigemessen wird.
Es ist ganz gut möglich, daß die an derj Oel-
industrie interessierten Persönlichkeiten all
ihren persönlichen Einfluß aufbieten werden,
aber es erscheint nicht wahrscheinlich, daß
dieser Einfluß auch nur die kleinste Wir-
kung auf die Politik der verschiedenen Re-
gierungen ausüben könnte.
Im Auftrage der Carnegie Endowment
for international peace besucht der ehemalige
Staatssekretär Robert Blacon die Republiken
Süd-Amerikas. Die Reise erfolgt, um die
Völker der latein-amerikanischen Republiken
mit den wirklichen Idealen der Regierungs-
theorie der Vereinigten Staaten bekannt zu
machen, und etwaig vorhandenes Mißtrauen
oder bestehenden Argwohn zu zerstreuen.
Bacon wurde sehr herzlich empfangen und
sein Besuch begegnete großem Interesse. Er
erklärte sorgfältig die Arbeitsmethoden der
Vereinigungen für internationale Verständi-
gung und fand begeisterte Männer der
Oeffentlichkeit, die bereit und willig waren,
die Organisation ähnlicher Gesellschaften
in Brasilien, Argentinien und Peru zu unter-
nehmen.
Ein wichtiger latein-amerikanischer Kon-
greß wurde letzte Woche in der Clark-Univer-
sität, Worcester, Mass., abgehalten, wo eine
Frage von großer Wichtigkeit, die der Monrce-
Doktrin und ihre Anwendung auf Fragen der
Gegenwart, erörtert wurde. Hon. Charles
461
DIE FRIEDENS- V&QTE =
3
H. Sh!er rill, früher Gesandter der Ver-
einigten Staaten in Argentinien, verteidigte die
Fortsetzung der Doktrin, wonach Amerika
nicht ein Feld für europäische Kolonisation
sein solle, und erklärte es für angebracht, daß
es unter den jetzigen Umständen wünschens-
wert wäre, daß die Vereinigten Staaten nicht
mehr allein die Lasten der Verteidigung dieser
Doktrin tragen, sondern auch amerikanische
Republiken auffordern sollten, sich den Ver-
einigten Staaten zur Aufrechterhaltung dieser
Politik anzuschließen. Professor Philipp M.
Brown von der Princeton Universität, frü-
herer amerikanischer Gesandter in Honduras,
befürwortete eine Union der kleinen Repu-
bliken Zentral-Amerikas.
W. D. Boyce machte einen interessanten
Vorschlag. Die Panamakanalzone sollte 'als
Freistadt und Freihafen erklärt werden, wo
weder Ein- noch Ausfuhrgebühren erhoben
werden sollten. Solch ein Freihafen, der
durch internationale Verträge geschützt und
neutralisiert werden müßte, so daß kein Wech-
sel der Regierung oder der Politik und keine
Aktion einer ausländischen Regierung etwas
daran ändern könnte, würde ein Weltzentrum
für einen freien Warenaustausch werden und
dadurch sehr bedeutende internationale Han-
delsbeziehungen anbahnen und eine der
ganzen Welt zugute kommende Handels-
erleichterung bewirken. Earl Harding,
vom Redaktionsstab der New York World,
erklärte dem Kongreß die Ursachen der noch
unerledigten Streitfrage zwischen den Ver-
einigten Staaten und der Regierung von Ko-
lumbien. Er befürwortete, daß das seitens
Kolumbien während der Panamarevolution er-
littene Unrecht, wenn möglich, durch diplo-
matische Vereinbarungen, eventuell durch
Schiedsgerichtsbarkeit, gutgemacht werden
sollte.
* *
*
(Bedeutendes Interesse brachte der Kon-
greß dem vom ersten Lord der britischen
Admiralität Winston Churchill Deutsch-
land gemachten Vorschlag, für eine bestimmte
Zeit das Bauen von Kriegsschiffen einzustellen.
Der Marine-Sekretär der Vereinigten Staaten,
Joseph us Daniels, trat dafür ein, daß
alle Kulturnationen eine Vereinbarung ein-
gehen sollten, die das Bauen von Kriegs-
schiffen für eine bestimmte Zeit verbietet. In
einem Interview vom 26. Oktober sagte
Daniels: „Ich glaube, daß eine solche Ver-
einbarung früher oder später aus wirtschaft-
lichen Rücksichten gemacht werden muß. Die
Hysterie der Flottenvorbereitungen wird eine
zu große Bürde der Völker. Wir geben jähr-
lich ungefähr 140 000 000 Dollars für unsere
Flotte und einen gleichen Betrag für unser
Heer aus. Das ist aber nur eine Kleinigkeit
gegen die Summen, die die europäischen Groß-
mächte und Japan für neue Schiffe, die alle
früher gebauten verdrängen und veraltet er-
scheinen lassen, ausgeben. Die Welt steht
heute vor der Anomalie, ihre Flotte durch das
beständige Anwachsen weniger zureichend zu
machen. Denn wenn neue Schiffe mit ihrer
mächtigeren Bewaffnung fertiggestellt sind,
dann werden die kleineren Schlachtschiffe, ab-
gesehen von der Küstenverteidigung, wertlos.
Wenn nicht bald eine Vereinbarung getroffen
wird, dann wird jeder Bürger — bildlich ge-
sprochen ' — einen Soldaten auf seinem Rücken
tragen." Im Senat und im Repräsentanten-
hause wurden Resolutionen befürwortet, die
den Präsidenten der Vereinigten Staaten auf-
forderten, seine guten Dienste für das Zu-
standekommen einer Vereinbarung zwischen
den Nationen der Welt einzusetzen, zugunsten
einer Periode der Untätigkeit im Kriegsschiff-
bau. Champ Clark, der Speaker des Re-
präsentantenhauses, sprach sich ebenfalls zu-
gunsten einer solchen, der nächsten Kongreß-
sitzung vorzulegenden Resolution aus*).
Die diplomatische Situation zwischen
Japan und den Vereinigten Staaten hat keiner-
lei Veränderung erfahren. Am 11. November
hielt Dr. HamiltonWright Mabie einen
Vortrag in New York über den Frieden im
fernen Osten. Dr. Mabie lobte sehr den Fleiß,
die Loyalität, die fortschrittliche Gesinnung
der Japaner, und beschrieb die wunderbare
Raschheit ihrer Entwicklung während der ver-
gangenen fünfzig Jahre. Als ein Beispiel dafür
sei die Universität von Tokyo genannt, an
der jährlich 6000 Studenten inskribiert sind,
trotzdem sie erst vor 42 Jahren begründet
wurde. Dr. Mabie erklärte, daß Japan ein
Gefühl der Zuneigung und der Bewunderung
für die Vereinigten Staaten habe, und daß die,
die Japan für kriegslustig halten, die tatsäch-
lichen Verhältnisse nicht kennen.
Am 14. November hielt der frühere Prä-
sident William H. Taft in der National
Geographical Society in Washington eine Rede,
worin er das Verhalten des kalifornischen
Staates gegen die japanische Einwanderung
einer strengen Kritik unterzog. Er führte unter
anderem aus : „Die einzige Gefahr eines Krie-
ges wird durch das Unrecht gegeben, das wir
den Japanern zufügten. Wir haben als Ehren-
männer einen Vertrag hinsichtlich der Ein-
wanderung ihrer Arbeiter in dieses Land mit
ihnen abgeschlossen, durch den wir diese ihrer
Aufsicht überließen, unter der Voraussetzung,
daß die Einwanderung nicht zunehmen würde,
Sie haben diese Vereinbarung gehalten."
Sehr viel Interesse fand das Werk der
Untersuchungskommission, die im August zum
Studium der Greuel nach dem Balkan gesandt
*) Nachschrift der Redaktion: Wie ein Tele-
gramm meldet, nahm das Repräsentantenhaus
am 8. Dezember den Antrag über das Flotten-
feierjahr mit 317 gegen 11 Stimmen an.
462
@=
= DIE FRIEDENS -WARTE
wurde. Die internationale Kommission ist dar-
angegangen, ihren Bericht abzufassen und her-
auszugeben. Er wird aber kaum vor Anfang
des nächsten Jahres veröffentlicht und ver-
breitet werden können. Der Bericht wird dann
in deutscher, französischer oder englischer
Sprache, kostenlos, auf Wunsch, versandt
werden.
n RANDGLOSSEN XX
ZVÜ ZEITGESCHICHTE
Von Bert ha v. Suttner.
Wien, den 6. Dezember 1913.
„Die Unruh der Welt" ithe world's
unrest), das ist ein Satz, der gegenwärtig
in der englischen Publizistik geläufig als
Spitzmarke für die Betrachtungen über die
Ereignisse des Tages gebraucht wird. Und
wahrlich mit Recht: Stillstand und volle
Ruhe hat es zwar niemals gegeben; aber
ein solches Gären und Brodeln, eine solche
Unsicherheit, eine solche Ueberstürzung von
Gefahren, Drohungen, Konflikten und Krisen,
wie die jüngste Zeit sie aufweist, das' hat
noch keiner von uns erlebt. Wenn das so
weiter kracht und wirbelt und aufblitzt, was
soll da kommen? Die Antwort wäre einfach:
„Was kommen muß:, ist Zusammenbruch,
Weltkrieg, Anarchie ..." Aber diese Ant-
wort stützt sich! nur auf eine Kate-
gorie der gegenwärtigen Unruhphänomene,
und zwar die lautesten, sichtbarsten, zornig-
sten. Sie zieht nicht die stillen Kräfte und
leisen Mächte in Rechnung, die, im Lichte
aufdämmernder Erkenntnis und erwachen-
den Gewissens an der Arbeit sind, mit
rettenden Ideen und erlösenden Taten das
Unheil abzuwehren.
MS
Nehmen wir aus der Fülle der weltbeun-
ruhigenden Erscheinungen z. B. diese heraus:
den Rüstungswahnsinn. Er tobt weiter —
aber die stillschweigende Konvention, daß
man in politischen Kreisen nicht dagegen
reden darf, und der allgemeine Glaube, daß
man nichts dagegen tun kann, die werden
immer häufiger durchbrochen. Es seien
hier einige Anzeichen aus der letzten Zeit
notiert. Daß. es1 nicht die ersten sind,
wissen wir ja; wir haben doch das Manifest
des1 Zaren und so viele andere abgeschlagene
Versuche und Anträge nicht vergessen.
Aber um das Immer-wieder-Auftauchen han-
delt es sich. Und um das Auftauchen unter
neuen Gesichtspunkten, neuen Umständen,
neuen Notwendigkeiten. Und auch um die Be-
gleitmusik, welche die Tatsachen zu dem Texte
abgaben. Der Vorschlag Churchills, ein
Ferienjahr im Flottenbau eintreten zu lassen,
wurde schon in der vorigen ,, Friedens-Warte"
besprochen; seither sind folgende offizielle
Aeußerungen zu verzeichnen :
Lloyd George in seiner Rede vom
8. November in Middleton sagte: ,,Es wäre
besser für England, Deutschland, Frankreich
und Rußland, wenn sie die Ausgaben für die
Rüstungen ins Meer würfen, als' sie für Ma-
schinen zu Menschenschlächtereien zu ge-
brauchen. Ein Land allein kann das nicht
tun, aber alle zusammen können es. Be-
sonders wenn sie sich von gewissen Zeitungen
freimachen würden."
Bei einer Versammlung der liberalen
Partei in Leeds, deren Hauptresolution die
Einschränkung der Rüstungen verlangte:
sagte Premierminister A s q u i t h : ,,Ich be-
dauere ebenso sehr wie jeder der An-
wesenden, daß ein so großer Teil des1
nationalen Wohlstandes auf der ganzen Welt
in unproduktive Kanäle geleitet wird. Wenn
Sie mich fragen, ob das so weitergehen soll,
muß ich zur Antwort geben, daß ohne Ko-
operation der Großmächte — angereizt
durch die Forderungen ihrer Völ-
ker — keine Aussicht auf Besserung vor-
handen ist. Ich selbst und meine Kollegen
würden sicherlich gern jede Gelegenheit er-
greifen, die Last, die schwer auf den besten
Hoffnungen und edelsten Aspirationen der
Menschen lastet, zu erleichtern."
Mit diesen Worten wird dem organisierten
Pazifismus ein Placet gegeben, der ja darauf
hinarbeitet, daß die Forderung der Völ-
ker die Regierungen zur Koopera-
tion drängt.
Am 30. November machte der Marine-
sekretär Daniels dem Kongreß zu Washington
seine Vorschläge. In der Einleitung seiner
Rede drückte er die Hoffnung aus, daß die
Vereinigten Staaten die Initiative ergreifen
werden, um unter den Mächten eine dauernde,
gegen das Uebermaß in den Marinerüstungen
gerichtete Politik zu begründen.
Von so vielen Seiten her (und zwar von
Marineministern selber) dieser Ruf nach Ver-
ständigung zur Einschränkung! Wie lange
noch taube Ohren?
Die Auflehnung gegen die Rüstungen
dringt schon an Stellen, wo man sonst nicht
gewohnt war, sie zu finden. In ihrem Leit-
artikel vom 4. Dezember bespricht die Neue
freie Presse den Sturz des Ministeriums Bar-
thou, das wegen der Rentenfrage, also wegen
eines finanziellen Tiefstandes des sonst so
übermütig reichen Frankreichs erfolgt ist. In
dem Leitartikel wird dieses Ergebnis der all-
gemeinen Rüstungspolitik zugeschrieben, „die
das Mark der Völker aussaugt, die zur wirt-
schaftlichen Arbeit nötigen Säfte verbraucht,
den Mangel an Kapital hervorruft, die Lebens-
verhältnisse verschlechtert und Not über die
Erde verbreitet." Und weiter: „Es scheint^
daß die Fluten bis zu jenem Strich am Pegel
gestiegen sind, wo ein Zerreißen der schützen-
den Dämme droht, und die Besorgnis auf-
463
DIE FBIEDENS -^VADTE
;©
blitzt, ob die Rüstungen nicht mit Verwüstun-
gen enden werden." Erst jetzt blitzt diese
Besorgnis auf, fünfzehn Jahre nach Johann
von Blochs dröhnendem Alarmruf? Und
weiter: „Die Rüstungspolitik ist überall vor
einer sich auftürmenden Mauer angelangt. Die
Völker werden durch die Bedrängnis der Ver-
suchung zugänglich, sich entweder . gegen die
Kriegsminister aufzulehnen, oder verzweifelt
durch Blut und Eisen aus dem jetzigen Wirr-
sal herauszustürzen." Zum Glück führen noch
andere Wege aus dem Wirrsal hinaus: näm-
lich Vernunft und edler Wille.
Der „Matin" veröffentlichte einen Ge-
Geheimvertrag, der im Juni 1912 zwischen
dem serbischen und bulgarischen Generalstab
abgeschlossen wurde. Darüber durch zwei
Tage wilde Sensation in der österreichischen
Presse, weil in dieser Militärkonvention vor-
gesehen war, daß sich die beiden Kontra-
henten gegen etwaige Angriff e unserer Mon-
archie oder im Falle ihres Einmarsches1 in
den Sandschak sich gegenseitig Schutz leisten
und Oesterreich Krieg erklären würden. Wie
eine geplatzte Biombe wurde diese Nachricht
aufgenommen. „Geplanter Dolchstoß in den
Rücken der Monarchie." — „Komplotte gegen
den Frieden Europas." — „Also nicht gegen
die Türkei, sondern gegen uns haben sich die
Balkanstaaten verbündet!" — „Und Rußland
war davon verständigt — also eine regel-
rechte Verschwörung, Oesterreich mit Krieg
zu überziehen." König Ferdinand weilte eben
in Wien. Als entlarvter Verräter wurde er
bezeichnet, den man sofort ausweisen müsse.
Doch da geschah, daß der Kaiser den bul-
garischen Zaren in Schönbrunn mit aller Aus-
zeichnung empfing, ihm auf dem Treppen-
absatz entgegenging und nach einer halb-
stündigen Unterhaltung wieder zum Treppen-
absatz hinausbegleitete. Da verstummte mit
einem Schlage das antibulgarische Gezeter
und es hieß : Die Veröffentlichung ist von der
russophilen Partei Bulgariens ausgegangen,
die damit Bulgarien vor Oesterreich-Ungarn
zu kompromittieren sucht. Uebrigens habe die
hiesige Regierung bereits längere Zeit vor Aus-
bruch des Balkankrieges genaue Kenntnis von
diesen Verträgen gehabt, und hat sich doch
nicht von ihrer bulgarenfreundlichen Politik
abbringen lassen, weil sie „gewisse Versiche-
rungen darüber hatte, daß diese Verträge nie
erfüllt werden würden". Verträge mit Rück-
versicherungen, daß sie niemals erfüllt wer-
den — das ist auch so ein hübsches Gericht
aus der diplomatisch-militärischen Geheim-
kocherei! Nun wurde der publizistische Bul-
garengroll gedämpft und die vorhandene Er-
regung ganz auf das intrigierende Rußland ge-
lenkt, das mit Hilfe seiner beiden Verbünde-
ten den Balkanbund zum Verderben Oester-
reichs schmieden wollte. Es ist, als wäre die
Welt von lauter Uebeltätern erfüllt und alle
Regierungskunst und -Weisheit nur auf das
Durchblicken und Durchkreuzen der nachbar-
lichen Uebeltaten beschränkt. Diese Wendung
kam aber auch wieder den eben in den Dele-
gationen verhandelten Militärforderungen (und
den Panzerplattenfabriken) zugute, weil es doch
zeigte, wie gut man getan hatte, gegen die
Nachbarn zu mobilisieren und wie notwendig
es ist, gegen die weiteren Eventualitäten
weiter zu rüsten.
Die ganze Enthüllungssensation war aber
schnell von der Bildfläche verschwunden, weil
eine neue größere Sensation auftauchte : Z a -
b e r n , Militärgroteske in vier Aufzügen. Es
hätte auch eine Tragödie werden können. Die
ganze Affäre warf übrigens wieder ein grelles
Licht auf den immer heftigeren Widerspruch
zwischen dem sporrenklirrenden Degen-durch-
den-Leib-rennendenReitergeist und der -mo-
dernen Zeit. Kaiser Wilhelm hat sich zum
Glück zu rechter Stunde modern gezeigt. Wie
übrigens das Kriegsgericht entscheiden wird,
ist auch noch abzuwarten. Möglicherweise
wird der General beförderungsweise versetzt,
der Oberst leise gerügt, der junge „Führer
wie wir sie brauchen" etwas unzarter am Ohr
gebeutelt, am härtesten aber die ausplaudern-
den Rekruten gestraft.
Mit
Der Ministersturz in Frankreich ist etwas
mehr als eine gewöhnliche Krise — es ist
auch ein Symptom der tiefgehenden Unrast,
von der das Land geschüttelt ist. „Nieder
mit der dreijährigen Dienstzeit!" rufen die
einen in der Kammer. „Es lebe Frankreich!"
rufen die andern zurück. Radikale und Re-
aktionäre stehen sich erbittert und kampf-
bereit gegenüber. Wird da wieder eine große
Revolution vorbereitet ? Nein, so sehr wieder-
holt sich die Geschichte nicht. Ganz neue
Elemente sind jetzt in Tätigkeit gekommen.
Wäre doch ein Leon Bourgeois an der Spitze
der Republik I, ....
Der König von Italien hat eine Thron-
rede gehalten, welcher man bei uns vorge-
worfen hat, daß sie ohne Wärme vom Drei-
bund gesprochen und dabei Oesterreich-
Ungarn gar nicht erwähnte. Warum sollen
denn Alliierte, die zwischen einander Grenz-
forts bauen, miteinander warm sein? Der
König sagte, der Dreibund und die Triple-
entente sicherten durch ihr Gleichgewicht den
Frieden. Wie sicher dieser Gleichgewichts-
frieden bei all den Verschiebungen ist, das
haben wir im letzten Jahr gesehen. Ueber-
haupt, wie kann man sich nur immer wieder
freuen, daß der bestehende Zustand der Zwei-
Mächte-Gruppen, der zu all den Rüstungen
und Befürchtungen und Aufregungen Anlaß
gibt, weiter besteht. Die Notwendigkeit der
Neugestaltung — nicht Verschiebung — der
464
<§;
DIE FRIEDEN5-^ADXE
beiden "Dreibünde drängt sich doch immer
eklatanter auf. Dann fiele auch die Frage
weg, an welche Gruppe der etwaige wieder-
hergestellte Balkanbund sich anschlösse.
MB
Die Türkei, die totgesagte, richtet sich
wieder eine neue Flotte und ein neues Heer
auf. Sie bestellt sich deutsche Instruktoren.
Rußland protestiert dagegen. Bulgarien
schickt seine übriggebliebenen Jünglinge in
deutsche Kadettenschulen, auf daß sie sich
vorbereiten mögen, das Verlorene zurück-
zugewinnen. Das wilde Albanien hat einen
König erhalten, der sich eine Armee zu-
sammenstellen wird. Die griechische Insel-
frage schwebt noch. . . Sind das alles Ge-
fahren ? Ah, bah ! Man braucht ja nur
Dreadnoughts zu bauen — da gibt es nichts
zu fürchten mehr.
Wenn man nach all dieser europäischen
kriegerischen Unrast von der Botschaft ver-
nimmt, die Präsident Wilson am 2. Dezember
an den Kongreß gerichtet hat, so klingt das
wie ein Geläute aus einem weltfernen Stern.
,"Unser Vaterland lebt glücklicherweise mit
aller Welt in Frieden. Es mehren sich allent-
halben die erfreulichen Kundgebungen, welche
ein Erstarken der Freundschaft und des Ge-
fühles1 der Interessengemeinschaft unter den
Völkern zum Ausdruck bringen, so daß wir
ein Zeitalter des gefestigten Frie-
dens und desgutenEinvernehmens
voraussehen können. Mit jedem Jahr-
zehnt zeigen die Völker größere Bereitwillig-
keit, in feierlichen Verträgen zur Erhaltung
des Friedens, zu fortschreitender Offenheit
und billigem Entgegenkommen sich zu ver-
pflichten. Bisher waren es die Vereinigten
Staaten, welche bei solchen Verhandlungen
an der Spitze marschierten. Sie werden auch,
wie ich ernstlich hoffe und bestimmt glaube,
einen neuen Beweis' ihres aufrichtigen Fest-
haltens an den Gedanken der internationalen
Freundschaft gelegentlich der Ratifikation
mehrerer Schiedsgerichtsverträge geben, die
ihrer Erneuerung durch den Senat harren." —
,,Das Zeitalter des gefestigten Friedens" :
Woodrow Wilson sieht es kommen. Und er
arbeitet dafür.
PAZIFISTISCHE CHRONIK
27. Oktober. Es gelingt zum ersten Male
eine zusammenhängende drahtlos gesprochene
Mitteilung von Europa nach Amerika hin-
überzugehen. {Zwischen Hannover und Nero Jersey
auf 6500 Kilometer).
27. Okiober. Der Staatssekretär der Vereinigten
Staaten, Bryan, billigt die Erklärung des Marine-
sekretärs Daniels, dass die Vereinigten Staaten
bereit wären, ihre Schiffsbauten auf ein Jahr
zu suspendieren, wenn andere Staaten dem
Vorschlag Churchills folgen ivollten.
31. Oktober. Im amerikanischen Repräsentanten-
haus befürworten der Speaker Clark und der Ver-
treter Mann den Churchill sehen Vorschlag für
ein Flotten- Ferien- Jahr.
Anfang November. In Paris beginnt eine
Monatsschrift zu erscheinen, die sich „Die Ver-
söhnung" betitelt und sich den franco- deutschen
Ausgleich zur Aufgabe macht.
Anfang November. Die Leitung der Deutschen
Friedensgesellschaft befürwortet in einer Ein-
gabe an den Reichskanzler eine Zustimmung
Deutschlands zu den Bryan' sehen Schieds-
vertrag-Vor schlagen.
8. November. Lloyd George sagt in Middles-
burg: Es wäre besser für Deutschland, England,
Frankreich, Rusdand, wenn sie ihre Ausgaben für
die Rüstungen in die Nordsee werfen ivürden,
als sie für die fürchterlichen Maschinen und Werk-
zeuge zur Menschenschlächterei zu verwenden.
10. November. Am Lord- Mayor- Bankett teilt
Marineminister Churchill mit, dass die Entwicklung
der deutschen Flotte und anderer kleinerer Marinen
von England Ausgaben verlangen werden, die
grösser sind, als sie das Land sich je in
Friedenszeiten auferlegt habe.
12. November. In London wird eine int. Kon-
ferenz für die Sicherheit auf dem Meere er-
öffnet.
13. November. Der Friede zioischen Griechen-
land und der Türkei in Athen unterzeichnet.
14. November. Tagungeines int. statistischen
Kongresses in Brüssel.
14. November. Die in Brüssel tagende int.
Konferenz für Handelsstatistik beschliesst die
Gründung eines internationalen Bureaus in Brüssel.
15. November. Marineminister Churchill spricht
in einer grossen liberalen Massenversammlung in
London über die Floitenrüstungen. „Wieviel Gutes
könnte in der Rüstungsfrage ein bisschen
guter Wille tun! Nur eine Kleinigkeit trennt
uns von dem Zustand eines weltweiten Ver-
trauens, internationalen Friedens und all-
gemeinen guten Willens, der all diese be-
dauernswerten Vorbereitungen unnötig machen
oder wenigstens stark einschränken würde.
Um wieviel besser könnten toir die Welt gestalten,
wenn alle Nationen tatsächlich den Versuch machen
ivollten".
15. November. Entsendung einer int. diplo-
matischen Kommission zum Zweck der Fest-
setzung der russisch-persischen und persisch-türkischen
Grenze.
15. November. Baron Carlsson Bonde, Präsi-
dent des XVIII. Weltfriedenskongresses, Mitglied des
Berner Bureaus zu Stockholm f.
Mitte November. Der österr.-ungar. Thronfolger
Franz Ferdinand am Londoner Hofe.
Mitte November. Der russische Ministerpräsident
Kokotozew in Berlin.
17. November. In Bern tagt eine int. Kon-
ferenz für Wel tnatur ■schütz.
18. November. Int. Zollkonferenz in Paris.
465
DIE FBIEDENS-^^ADTE =
©
22. November. König Alfons von Spanien
in Wien.
27. November. In der Volkshalle des Wiener
Rathauses findet eine von der österr. Friedens -
gesellschaft einberufene Massen- Protest- Ver -
Sammlung gegen die Zunahme der Rüstungen
statt.
29. November. Die Deutsche Vereinigung
für internationales Recht veranstaltet in Berlin
ihre erste Konferenz. (Thema: Einfluss des See-
krieges auf die Rechtsverhältnisse Privater.)
29. November. Der bayrische Ministerpräsident,
Freiherr von Her Hing, sagt im bayrischen Landtag:
„In diesen Rüstungen muss Ruhe eintreten
auf Jahre hinaus, denn das deutsche Volk
ist nicht mehr imstande, weiter solche Lasten
auf sich zu nehmen."
30. November. Im amerikanischen Kongress
gibt der Marinesekretär Daniels der Hoffnung
Ausdruck, dass die Vereinigten Staaten die Initiative
zu einer Politik des Ebenmasses in den See-
rüstungen ergreifen werden.
Ende November. Auf der Jahreskonferenz der
National Liberal Federation in Leeds wird
eine Resolution gegen die von Churchill an-
gekündigte Vermehrung der Rüstungen an-
genommen.
2. Dezember. In seiner Jahresbotschaft an den
Kongress betont Präsident Wilson, dass wir ein
Zeitalter des gefestigten Friedens voraussehen
können. 31 Nationen hätten sich zu Verhandlungen
über die Bryan'schen Schiedsverträge bereit erklärt.
8. Dezember. Das amerikanische Repräsentanten-
haus nimmt einen Antrag zugunsten des Chur-
chillschen Vorschlages über das Flotten feier -
Jahr mit 317 gegen 11 Stimmen an.
10. Dezember. Der Friedenspreis der \Nobel-
stiftungfäUtHenriLa Fontaine undElihu Root zu.
□ AUS DER 3EITD
Völkerrecht.
Vorbereitung der IM. Haager Konferenz. :: ::
In der Sitzung der ungarischen Delegation
vom 21. November interpellierte der Delegierte
Exzellenz Albert v. Berzeviczy den Mi-
nister des Aeußeren über die nächste Haager
Konferenz, die seinen Informationen nach von
der Eatifikation der Londoner Seerechtsdekla-
ration durch England abhängen soll. Er fragt
über den Stand der Angelegenheit. Die Ant-
wort des Regierungsvertreters lautete folgender-
maßen:
„Bekanntlich begegnet die am 26. Februar
1909 in London zwischen den großen Seemäch-
ten geschlossene Seekriegs rechtsdekla-
ration dem Widerstände der englischen Han-
dels- und Schiffahrtskreise, welche befürch-
ten, daß einzelne Bestimmungen derselben im
Kriegsfälle eine den neutralen Handel lahm-
legende Interpretation erfahren werden. Die
britische Kegierung teilt, wie sich aus den pax-
lamentarischen Verhandlungen über die Naval
Prize Bill ergibt, diese Bedenken insoweit mit,
als sie glaubt, daß die befürchtete Interpre-
tation der Vertragsbestimmungen mit dem Wort-
laute und Geiste der Deklaration nicht im
Einklänge wäre. Da sie aber im Hinblick auf
die entstandenen Zweifel Gewicht darauf legtr
daß ihre Auffassung über den Inhalt der frag-
lichen Stipulationen auch seitens der anderen
Vertragsmächte in bindender Weise anerkannt
werde, hat sie die Ratifizierung der
Deklaration von dem Zustandeko m-
men einer Vereinbarung der Sig-
natar Staaten über die ihrem Stand-
punkte entsprechende Interpre-
tation der in Frage stehenden Ab-
machungen abhängig gemacht.
Zwecks Herstellung dieses Einvernehmens
ist die britische Regierung im November 1911
an die Vertragsrnächte herangetreten, und wir
haben uns, da unsere Auffassung über die gegen-
ständlichen Fragen sich im wesentlichen mit
jener der englischen Regierung deckt, damit
einverstanden erklärt, daß anläßlich d er-
Ratifizierung der Deklaration von
den Vertragsstaaten eine einver-
nehmliche, inhaltlich über ein sti m-
mende Erklärung über die Aus-
legung der zweifelhaften Vertrags-
bestimmungenabgeg ebenwerde. Der
Inhalt dieser Erklärung steht heute noch nicht
fest, da die Verhandlungen der englischen Re-
gierung mit einzelnen der Signatarstaaten noch
nicht abgeschlossen sind. Im Ministerium des
Aeußeren wurde bisher keine Kommission zur
Beratung der Vorschläge eingesetzt, welche
seitens der gemeinsamen Regierung der inter-
nationalen Vorbereitungskommission der
dritten Haager Friedenskonferenz
vorzulegen sein werden. Es wurden vielmehr
seitens des Ministeriums des Aeußeren bisher
nur zwei Fachreferenten mit der Auf-
gabe betraut, der internationalen Vorbereitungs-
kommission unsererseits eventuell zu präsen-
tierende Programmpunkte zu studieren. Die
Arbeiten dieser Fachreferenten sind noch nicht
abgeschlossen. Erst nach Fertigstellung ihrer
Elaborate wird seitens des Ministeriums des
Aeußeren eine Kommission eingesetzt werden,
welcher es obliegen wird, auf Grundlage der von
den zwei Referenten vorgelegten Arbeiten die
der internationalen Vorbereitungskommission
von uns vorzulegenden Vorschläge festzustellen.
In diese Kommission wird selbstredend nach
Herstellung des Einvernehmens mit der ungari-
schen Regierung auch ein ungarischer Fach-
mann einberufen werden." —
Für die holländische Studienkommission zur
Vorbereitung der dritten Haager Konferenz
werden die Professoren de L outer (Utrecht)
und van Vollenhoven (Leiden) als Mit-
glieder ernannt.
466
@=
DIE FRI EDENS -^VARXE
Rüstungsproblem,
unterirdische Rrbeit. :: :: :: :: ::
Bezugnehmend auf den Artikel „Unter-
irdische Arbeit" im Novemberheft der ,, Frie-
den s-Warte" wird uns von einer anderen Seite
geschrieben :
„Adolf Stein gehört neben dem Grafen
Reventlow, dem General v. Bernhardi und
dem Admiral Breusing zu den Schriftstellern,
deren Tätigkeit einen geradezu verwüstenden
Einfluß auf unsere Beziehungen zu England
und Frankreich ausübt. Seine Artikel er-
scheinen hauptsächlich in der „Täglichen
Rundschau". Hier schreibt er z. B. unter
„A." Ueber den Grund, warum er die Ar-
beiten nie mit seinem Namen unterzeichnet,
laufen unkontrollierbare Gerüchte um. Seine
außerordentlich engen Beziehungen zum
Reichsmarineamt sind längst aufgefallen. Er
bezieht manches Material von dort, und er-
freut sich zahlreicher Aufträge, wenn es gilt,
irgendeiner unbequemen Kritik, die an der
Tätigkeit der Marineverwaltung geübt wird,
zu begegnen oder die öffentliche Stimmung
Neuforderungen geneigt zu machen.
Daß Stein auf dem Geschwader des Ad-
mirals Lans als dessen Gast weilte und in die
geheimsten Dinge eingeweiht wurde, räumt
er im übrigen öffentlich ein. Unter dem
Pseudonym „Gerd Fritz Leberecht", das er
meist bei Buchausgaben beliebt, berichtet er
in einem soeben erschienenen Werklein für
die reifere Jugend von |seinen Fahrten auf dem
Geschwader des Admirals Lans, auf Torpedo-
und Unterseebooten und auf dem Marine-
luftschiff „L. I". Das Büchlein dient, wenn
auch versteckt, dem Zweck, zum Krieg gegen
England zu hetzen. Es zeichnet sich im
übrigen, ebenso wie ein früheres unter dem
gleichen Pseudonym — Leberecht — heraus-
gegebenes Buch über Luftfahrten, durch seine
grotesk unfachmännische Darstellung aus.
Das beste an den Büchern ist der Preis. Er
ist so hoch,, daß er hoffentlich vom Ankauf
abhält, zu dem allerdings durch einen ge-
radezu großartig abgefaßten Rezensions-
waschzettel eindringlichst aufgefordert wird.
In diesem wird so ungefähr zum Ausdruck
gebracht, daß alle bisherigen Flottenbücher
keines Blickes mehr gewürdigt werden dürf-
ten, seitdem Leberecht erschien. Selbst das
berühmte „Buch von der deutschen Flotte"
von Admiral Werner müsse nun verschwinden.
Es gehört schon etwas dazu, das Wernersche
Buch, das so wunderbar poetisch und doch
naturgetreu bis ins einzelnste geschrieben ist,
das noch nie übertroffen wurde und kaum
übertroffen werden kann, in einem Atem mit
einem Erzeugnis Leberechts zu nennen.
Daß der Verfasser von „Lookout" Stein
ist, war hier bekannt. Erst wurde — von
wem ? — die Mär verbreitet, Kontreadmiral
v. Hintze, der jetzige Gesandte in Mexiko,
hätte das Buch verfaßt. Jeder halbwegs
Sachverständige erkannte sofort, daß das
nicht möglich sei, weil ein Seeoffizier sich nie
die vielen fachmännischen Unstimmigkeiten,
wie sie im „Lookout" enthalten sind, zu-
schulden kommen lassen könnte, abgesehen
davon, daß hoffentlich kein deutscher See-
offizier es jemals fertigbringen würde, ein
solches, die Interessen des Vaterlandes
schädigendes Werk in die Welt zu setzen.
Wenn ich mich recht erinnere, wurde dieses
alles seinerzeit im „Berliner Tageblatt" aus-
gesprochen.
Die „Friedens-Warte" fragt, auf wessen
Veranlassung hat A. Stein „Lookout" ge-
schrieben, war es der Flottenverein, war es
die Großindustrie '?" Da der Herr beim
Reichsmarineamt ständig aus und ein geht, ist
wohl noch ein anderer Schluß möglich !
Zu begrüßen ist, daß die „Friedens-
Warte" darauf hinweist : „Darf die Marine-
verwaltung z. B. die Einladung des Ad-
mirals Lans auf sein Geschwader, die
an Stein erging, gutheißen ?" Kennt
man den Herrn ' Stein so genau, daß
man ihn ohne Sorge in alle möglichen Ge-
heimnisse, die sonst vor der Oeffentlichkeit
ängstlich versteckt werden, einweihen kann ?
Wer ist Herr Stein, was tat er bisher ? Hat
man sich darüber je in der Marine unter-
richtet ? Ist man endlich sicher, daß Stein
zu unterscheiden weiß, was er von dem Ge-
sehenen erzählen darf und was nicht, damit
damit aus seinen Kenntnissen der Marine
kein Schaden erwächst ?
Es findet sich hoffentlich ein mutiger
Reichstagsabgeordneter, der Auskunft über
alle diese Fragen vom Staatssekretär fordert.
Aber es bleibt immerhin bedauerlich, daß
hohe Seeoffiziere sich so intim zu einem
Schriftsteller stellen, der die Hetze gegen.
England ausgesprochen auf seine Fahne
schrieb. Es heißt, deutsche Seeoffiziere ver-
abscheuten einen Krieg 'gegen Großbritannien.
Sie wären die besten Freunde der Engländer.
Ist* das der Fall* so dürfen sie einen Herrn, wie
Stein, nicht in seinem bösen Treiben unter-
stützen."
Wiener Protestversammlung gegen
das internationale Wettrüsten.
In der von den Stadtbehörden in entgegen-
kommendster Weise zur Verfügung gestellten
großen Volkshalle des Wiener Rathauses fand
am 27. November eine von 1500 Personen be-
suchte große Protestversammlung gegen den
internationalen Rüstungswettbewerb statt, in
der verschiedene Redner zu Worte kamen.
Gemeinderat Dr. v o n I> o r n , der auch
Mitglied des Vorstandes der Friedensgesell-
schaft ist, sprach als erster Redner zu dem
Hauptthema. „Vor allem anderen," sagte er ein-
leitend, „soll folgendes festgestellt werden:
Wir wollen nicht, daß Oesterreich allein ab-
rüstet; wir wollen auch nicht, daß es durch
467
DIE FRIEDENS -^&RTE
=9
verminderte Wehrkraft seine staatliche Exi-
stenz aufs Spiel setze. Wir wollen nur, daß dem
verderblichen Wahnwitz des internationalen
Wettrüstens endlich ein Ende gemacht werde
und daß Oesterreich alles tue, was in seinen
Kräften steht, um dieses Ziel zu erreichen. Von
England gehe das stärkste Streben auf Besse-
rung der Verhältnisse aus. Aber auch in dem
sonst so militärfrommen Frankreich setze der
Budgetausschuß den großen Anlehensf orderun-
gen der Regierung ernsten Widerstand ent-
gegen."
Die Beferentin der Reichsorganisation der
Hausfrauen Oesterreichs, Frau Helene Gra-
nitsch, kennzeichnete die große wirtschaft-
liche Bedeutung des Balkans für die Monarchie
und schloß mit den Worten: „Nicht Rüstun-
gen bis an die Zähne brauchen wir, die das
Volksvermögen verschlingen, nicht nationalen
Bürgerkampf, nicht Klassenkampf und Klassen-
haß sollen fürder unsere Kräfte lähmen; wir
brauchen friedliche, fleißige Kulturarbeit in
Stadt und Land, die sich nicht als Gegner be-
fehden dürfen; wir brauchen Arbeil an der Er-
ziehung des Volkes, an der Wirtschaft des
Volkes, die konkurrenzfähig bleiben muß in
der Weltwirtschaft, Arbeit an der sittlichen
und geistigen Weiterbildung des Volkes, eine
Arbeit, an der Männer und Frauen Anteil
haben müssen, Männer und Frauen zu dieser
Arbeit — gerüstet um die Wette!"
Beichsratsabgeordneter Professor M a -
ü'aryk sprach über das Budgetäre des öster-
reichischen Militarismus. Die ganze Aufmerk-
samkeit der Begierenden sei auf das Heer statt
auf die anderen Zweige der Volkswohlfahrt
gerichtet.
Im Verlaufe der nun folgenden Rede des
Lehrers Neumann, der über das Kin-
der- und Lehrerelend sprach, kam es
zu stürmischen Demonstrationen, als der
Begierungsvertreter den Redner, der sich in
scharfen Ausdrücken gegen die Anschaffung von
Mordinstrumenten wendete. zur Mäßigung
mahnte.
Revident Schidl, Obmann des Ver-
eins der Staatsbeamten, begründete das vitale
Interesse der Staatsbeamtenschaft an der Er-
haltung des Friedens.
Baronin Suttiier, lebhaft begrüßt,
führte im Schlußworte aus, daß die Büstungs-
überbietung als universelle Erscheinung vom
internationalen Standpunkte betrachtet werden
müsse. Es ist ein Wahnsinn, und wohin führt
es? Zum wirtschaftlichen Zusammenbruch ! Das
is*t keine Prophezeiung, sondern ein
Rechenexempel; die Rüstungsf orderungen
liaben keine Grenzen. Die Rüstung in jedem
Lande folgt den äußeren Einwirkungen. Es
gibt einen Weg ins Freie; den können
auch nicht die einzelnen einschlagen, sie sind
aneinandergeseilt ; nur durch Verständigung
kann der Knoten entzweigeschnitten werden.
Der Weg zur Verständigung ist bereits ange-
bahnt worden. Die Annäherung, die von Eng-
land vorgeschlagen wurde, schaffe eine andere
Atmosphäre. Rednerin forderte die Pazifisten
zum engen Zusammenschlüsse auf. um din
öffentliche Meinung zugunsten des Friedens-
werkes zu verstärken, und es wird, wenn die
Idee der Friedensfreunde die Welt durchdringt,
eine neue Welt kommen, die jetzt schon heran-
dämmert.
Zum Schluß wurde nachstehende Resolution
angenommen :
„Schon die Einberufung der ersten
Haager Konferenz wurde veranlaßt durch die
von autoritativer Seite erfolgte Feststellung
der Tatsache, daß die durch die Kriegsrüstun-
gen hervorgerufenen finanziellen Lasten eine
steigende Richtung verfolgen und die Volks-
wirtschaft in ihrer Wurzel treffen, wodurch
die geistigen und physischen Kräfte der
Völker, die Arbeit und das Kapital, zum
großen Teil von ihrer natürlichen Bestim-
mung abgelenkt und in unproduktiver Weise
aufgezehrt werden, und diese Feststellung
gewinnt durch die leider noch immer stetig
vermehrten militärischen Auslagen eine von
Jahr zu Jahr erhöhte Bedeutung.
Um so gewissenhaftere Beachtung von
Seiten* der verantwortlichen Faktoren verdient
daher die eben damals zum Ausdruck ge-
brächte Mahnung: Diesen unaufhörlichen
Büstungen ein Ziel zu setzen und die Mittel
zu suchen, dem Unheil vorzubeugen, das die
ganze Welt bedroht, das sei die höchste
Pflicht, die sich allen Staaten aufzwinge.
Da nun durch die bestehende Verkettung
der internationalen Beziehungen es jedem
einzelnen Staate unmöglich gemacht wird,
sich dem unglückseligen Wettrüsten zu ent-
ziehen, so ergibt sich daraus die Notwendig-
keit, eine Vereinbarung zu erzielen, wie sie;
von mehreren höchst bedeutungsvollen Seiten
bereits in verschiedener Weise angeregt wurde,
und das Bestreben nach der Verwirklichung
einer solchen muß sich um so stärker gel-
tend machen, je schwächer die wirtschaft-
liche Kraft eines Staates ist und je drücken-
der er daher die auferlegten Lasten emp-
findet.
Es muß daher als eine dringende Pflicht
der österreichischen Regierung bezeichnet
werden, alle Anstrengungen zu machen, damit
ehestens, eine solche für alle Völker segens-
reiche Vereinbarung zustande komme, insbe-
sondere aber alle diesbezüglichen Anregun-
gen, die von anderer Seite ausgehen, eifrigst
aufzugreifen, mit allen zur Verfügung stehen-
den Mitteln zu unterstützen und deren prak-
tische Durchführung zu fördern.
Die Versammlung fordert und erwartet, daß
die Volksvertreter im Parlament und in den
Delegationen allen ihnen zu Gebote stehendem
Einfluß aufwenden, um die Regierung zur
Erfüllung- dieser Pflichten zu veranlassen."
468
<§=
= DIE FRI EDENS -^/ÄRXE
Verschiedenes.
Lamprecht gegen Keim. :: :: :: :: '■: '■ '•'• - '•' :: «
General Keim hat im Braunschweiger
Wehrverein eine Versammlung abgehalten.
Er ist dabei gegen die pazifistischen Geistlichen
aufgetreten, indem er ausführte:
„Jetzt soll es nach den evangeli-
schen Geistlichen unchristlich sein,
den Krieg als ein Gesetz in
der W e 1 1 o r d n u n g anzuerkennen.
Da muß der Wehrverein ein deutliches Wort
sprechen. Was diese Geistlichen unserem
Volke vorreden, das ist die Erziehung
zur Feigheit. In dieser Friedens-
bewegung liegt eine große Gefahr
für das deutsche Volk."
Wir möchten dem Herrn General mit einem
Zitat aus Geheimrat Professor Karl
Lamprechts kürzlich erschienener Schrift :
„Die Nation und die Friedensbewegung"*) ant-
worten. Da heißt es auf Seite 11 :
„Ruhige Erwägungen der eben angestell-
ten Art werden auch den Vor würfen, die
Friedensbewegung entmännliche
und bedrohe die kriegerische
Tüchtigkeit der Nation, nur hei-
teres Lächeln entgegensetzen leh-
ren. Welch groteske Vorstellung zunächst,
daß nur der Krieg mit blanker Waffe zum
Planne bilde! So kann nur denken,
wer nichts von der zähen Energie
weiß, zu der heute Wirtschaftsleben und Be-
rufstätigkeit jeder, auch geistiger Art er-
ziehen: eine Energie, die momentanen Sehiach-
tenmut tausendfach überragen kann. Und spe-
zifische kriegerische Tüchtigkeit, und das
heißt doch wohl Stärke an Ertragung von
Strapazen und körperliche Spannkraft? Sie
lassen sich auch in langen Friedensjahren
so erhalten und stählen, daß sie im Falle
letzter Not nicht versagen; und niemand wird
einer Zeit des Sports und der Spiele vorwerfen
wollen, daß sie die damit gestellten Aufgaben
vernachlässige."
Herr General! Die besten national gesinn-
ten Männer tetehen auf unserer Seite!
AVS DER BEWEGUNG
Der Friedenspreis der Nobelstiftung 1915. :: :: :: ::
Mit größtem Beifall wird in der ganzen
pazifistischen Welt die diesjährige Ent-
scheidung des norwegischen Nobelkomitees
begrüßt werden. Es wurden in diesem
Jahre, da im vorigen Jahre eine Verteilung
nicht erfolgte, zwei Preise zugesprochen, von
denen je einer an Henri La Fontaine
in Brüssel und Senator Elihu Root in
Washington fiel.
Es ist kaum nötig, in diesen Blättern
die Bedeutung dieser beiden Männer aus-
*) Berlin. Verlag der „Friedens-Warte".
30 Pfg.
drücklich hervorzuheben. Wer nur einen ganz
oberflächlichen Einblick in die Verhältnisse hat,
kennt nicht nur die Namen, sondern auch
das Wirken der diesjährigen Nobel-Laureaten.
Mit ihnen wurde aber nicht nur ihre Arbeit,
sondern auch die Richtung ausgezeichnet, die
sie verkörpern. La Fontaine steht als Prä-
sident des Berner Internationalen Friedens-
bureaus an der Spitze der ureigentlichen pazi-
fistischen Bewegung, während ElihuRoot
der des modernen Friedensdiplomaten ist, wie
er noch nicht zahlreich bemerkt wird, der
aber bereits anfängt, sich bemerkbar zu machen.
Zwei Arbeiter sind es, die ihr ganzes Leben
für die große Sache des Völkerfriedens ein-
gesetzt haben und ohne Winkelzüge und ängst-
liche Konzessionen sich stets als Pazifisten
gaben. Es wird ihnen hoffentlich noch lange
gegönnt sein, ihre Arbeit fortzusetzen. La Fon-
taine zählt 59, Elihu Root 68 Jahre.
Henri La Fontaine steht seit 1889
in der Bewegung. Seine wissenschaftlichen Ar-
beiten auf dem Gebiete des Schiedswesens
haben den Haager Konferenzen vorgearbeitet.
Seine Leistungen auf dem Gebiete der Biblio-
graphie sind ein Kulturwerk von Weltbedeu-
tung und seine neuerliche Leistung durch die
Gründung des „Office Central des Association»
internationales" bildet die reale Grundlage für
die zu erstrebende Weltorganisation. Er hat
unaufhörlich und ohne materiellen Gewinn und
ohne Rücksicht auf seine Gesundheit ge-
1 arbeitet.
Elihu Root hat nicht nur die Ideen
einer Friedensdiplomatie in seinen Reden und
Schriften dargelegt, die Psychologie des Welt-
rechts erfunden, er hat sich während seiner
diplomatischen Dienstzeit unter Roosevelt
auch als Friedensdiplomat betätigt. Er war
der erste Staatssekretär der Vereinigten Staaten,
der während seiner Dienstzeit das Land ver-
ließ, um bei den südamerikanischen Staaten
für ein harmonisches Zusammenwirken Pan-
amerikas hinzuarbeiten. Er hat allein
23 Schiedsverträge der Vereinigten Staaten mit
anderen Regierungen zustande gebracht und
eine hervorragende Kampagne zugunsten der
Taftschen Anregung über vorbehaltlose Schieds-
verträge, wie zugunsten der schiedlichen Er-
ledigung des Panamakanalstreites mit England
geführt. In meinem „Handbuch" nannte ich
Root „das Haupt der Friedens idee in den Ver-
einigten Staaten und vielleicht die prominen-
teste pazifistische Persönlichkeit der Welt".
Der Glückwunsch der „Friedens-Wartt"
und ihrer Mitarbeiter sei den beiden großen
Friedenskämpfern an dieser Stelle dargebracht.
A. IL F.
Baron Carl Carlsson Bonde t '•' "• '•'■
Unter tragischen Umständen ist am 15. No-
vember auf seinem Schlosse Ericsberg in
Schweden Baron Carl Carlsson Bonde g -
storben. Der Verstorbene war Präsident des
469
DIE FBIEDEN5->VADTE
:3
schwedischen Keichstages und der schwedi-
schen Gruppe der interparlamentarischen Union.
Er gehörte dem Berner Friedens bureau an, dem
interparlamentarischen Bat und dem europäi-
schen Hat der I. Abteilung der Carnegiestif-
tung. Dem denkwürdigen XVIII. Weltfriedens-
kongreß in Stockholm präsidierte er. Bonde
war ©ine hocherfreuliche Erscheinung" in der
Friedensbewegung. Als ernster Politiker, dem
sein Vaterland hohe Aemter zuwies, als Mit-
glied einer der ersten Familien des Landes ge-
lang es ihm, der Friedensidee einflußreiche
Kreise zu gewinnen. Auf den internationalen
Kongressen und Versammlungen war er infolge
seines liebenswürdigen Wesens eine gern ge-
sehene und beliebte Erscheinung. Zuletzt
sahen wir ihn im Frühjahr 1912 in Paris, wo
damals aus Anlaß des 90. Geburtstages Fred.
Passys die Sitzung des Berner Friedensbureaus
stattfand. Bonde starb plötzlich, nachdem ihm
der Tod seiner seit längerer Zeit kränklich ge-
wesenen Gattin gemeldet worden war. Er war
63 Jahre alt. Die internationale Friedens-
bewegung wird ihm ein ehrendes Andenken be-
wahren.
Aus Holland. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :; :: :: ::
Die anfangs Dezember stattgehabten De-
batten in der zweiten Kammer über das Budget
des Aeußern waren zum größten Teil der Frie-
densbewegung und der kommenden dritten
Friedenskonferenz gewidmet. Zunächst trat der
frühere Minister de Beaufort für die Frie-
densbewegung ein, die, wie er ausführte, die
moralische Unterstützung der Regierung
brauche, weil sie eine große Zahl offener und
versteckter Feinde habe, wie das von N i p -
pöld kürzlich veröffentlichtes Schriftchen über
den „Deutschen Chauvinismus" zur Genüge be-
weise. In der Antwort, die der gegenwärtige
Minister des Aeußern, Loudon, erteilte,
machte er die Mitteilung, daß Holland bereits
einen im Sinne des Bryanschen Vorschlages ge-
haltenen Vertragsentwurf für einen Schieds-
vertrag nach Amerika gesandt habe. Der Mi-
nister gab der Hoffnung Ausdruck, daß dieser
Vertrag als Modell für die anderen Staaten
dienen werde. Er erklärte weiter, daß er es sich
angelegen sein lasse, den Zusammentritt der
internationalen Vorbereitungskommission für
die dritte Haager Konferenz zu beschleunigen,
obwohl einige Schwierigkeiten vorhanden seien,
die- sich namentlich aus der Art der Zusammen-
setzung dieser Kommission ergeben. Die Frie-
densbewegung erscheine ihm höchst wertvoll,
und er sei bereit, sie zu fördern, wenn nötig
auch durch finanzielle Unterstützung. Auch
das Verhältnis der Sozialdemokratie zur so-
genannten bürgerlichen Friedensbewegung wurde
berührt, das Wesen einer modernen Diplomatie
erörtert und vielfach Schriften und Aeußerun-
gen hervorragender Pazifisten, so d'Estournelles,
La Fontaines, Heilbergs, Mrs. Andrews' dabei
zitiert. B. d. J. v. B. e. D.
UTE8ATURU PRESSE
Zu Weihnachtsgeschenken
seien nachstehend verzeichnete Bücher emp-
fohlen:
An gell, Norman: Die falsche Ilech-
nung. Mk. 1,25. — Diederich, Franz : Krieg,
ein Buch der Not. Dem Willen zum Frieden
gewidmet. Mk. 1, — . — Fried, Alfred IL:
Handbuch der Friedensbewegung. 2 Bände,
gbd. Mk. 10. — Derselbe: Der kranke Krieg,
Mk. 1,—. — „Die F ri ed e ns - War t e",
Jahrgang 1913. Gebd. Mk. 7,—. — Hill, David
J. : Völkerorganisation und der moderne Staat.
— Jaures, Jean: Die neue Armee. ^~ Key,
Ellen: Die neue Generation. — Lamszus,
Wilhelm: Das Menschenschlachthaus. Mk. 1, — .
— Lynkeus: Das Individuum und die Be-
wertung menschlicher Existenzen. — Müller-
L y e r : Der Sinn des Lebens. — Internatio-
nale Organisation, Heft 1 bis 8. (Hai-
dane: Deutschland und Großbritannien.
— G o 1 d s c h e i d : Friedensbewegung- und Men-
schenökonomie. — Fried: Panamerikanische
Bewegung. — Jordan: Krieg und Mannheit. —
Suttner: Barbarisierung der Luft. — Lamp-
recht: Die Nation und die Friedensbewegung.
— Emerson: Ueber den Krieg.) Jedes Heft
30 Pfg. — R i c h e t , Charles : Vergangenheit
des Krieges, Zukunft des Friedens. Mk. 1,—. —
Schücking, Walther : Der Staatenverband
der Haager Konferenzen. — Suttner , Bertha
von: Der Menschheit Hochgedanken. Mk. 4,—.
— Umfrid, Otto: Europa den Europäern. —
W e h'b.e r g , Hans : Das Problem eines inter-
nationalen Staatengerichtshofes. — White,
A. D. : Sieben große Staatsmänner im Kampfe
der Menschheit gegen Unvernunft.
USA
Das Werk vom Haag".'
Die Arbeiten von Schücking über den
„Staatenverband der Haager Konferenzen" und
von W e h b e r g über „Das Problem eines int.
Staatengerichtshofs" (Band 1 und 2 der Samm-
lung „Das Werk vom Haag") werden 1914 in
englischer Uebersetzung bei der Cla-
rendon Press in Oxford erscheinen. Die Festgabe
über die Entscheidungen des Haager Hofes in
derselben Sammlung hat sich verzögert, doch
wird der erste Band dieser Abteilung i n
wenigen Wo c h e n herauskommen.
■■: us» :
Eingegangene Druckschriften. :: :: :; :: » - :: " "
(Besprechung vorbehalten.)
Geschichtskalender, Deutscher, für 1913.
Zehntes Heft. Oktober. 8°. Leipzig 1913.
Felix Meiner. S. 171—247.
Hartmann, Eduard von,
Philosophie des Unbewußten. Nach der elften
erweiterten Auflage bearbeitet von Wilhelm
von Schnehen. Mit einem Geleitwort von Jo-
hannes Volkelt. Erster Teü: Phänomenologie
des Unbewußten. Zweiter Teil: Metaphysik
des Unbewußten. Gr. 8°. Leipzig o. J. Alfred
Kröner. XI u. 200 S. u. IV u. 251 S. Je
1,20 M.
MB
470
<§=
= DIE FRIEDENS -WARTE
Fachpresse. :: :: :: :: :: :: :: :: '•■ "• '•'■ '•'• » "• •'•
Die Friedensbewegung. (Bern.) Novem-
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nationale Verständigung und die Friedensgesell-
schaften. — Th. Baty, 28. Kongreß der
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Der Friede. (Bern.) November. (Gr. — 0.),
Was ist Hauptsache? — Aus einer Feld-
predigt, gehalten vor dem Infanterie-Regiment
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15. XL * Jules Lippert, Die Frmrei. und
die Friedensbewegung. , JJer Herold."- (Berlin.)
16. XL * Alexander Giesen, Chauvi-
nistische Tendenzen in der Jugenderziehung.
„Frankfurter Zeitung.'4 30. XI. * Professor Dr1.
Otfried Nippold, Ziele der internationalen
Verständigung. (I und IL) ,;März." 8. und
15. XL * Internationale Verständigungs-
politik. „Deutsche Revue." (Stuttgart.) XL
* Oesterreich und der Nobel - Preis. „Neues
Wiener Journal." 18. XI. * Nicholas
Murray Butler, The Carnegie Endow-
ment for International Peace. „The Inde-
pendent." 27. XI. * Edwin D. Mead, The
Scholar and the united World. „The Boston
Herald."- 5. XI. # Ders., Push the Slayden
Resolution. „Boston Daily Advertiser."- 10. XL
* Dr. Alfred H. Fried, Zweiter Verbandstag
des Verbandes für internationale Verständigung
zu Nürnberg. ,JJokumente des Fortschritts."
Nr. 11.
IL Die internationale Politik:
Ernst Basser mann, Die Weltlage. „Kieler
Neueste Nachrichten." 21. XI. # Gedanken
47!
DIE FRIEDENS -^k^QTE 5
•9
eines Altelsässers. „Straßburger Post." 18. XI.
* Dr. Paul Rohrbach, Deutsch-englische
Auseinandersetzung. „Fränkischer Courier."
(Nürnberg.) 3. XI. # Prof. Archibald Cary
Coolidge, Die Vereinigten Staaten und
Deutschland. „Der Zeitgeist" Beiblatt zum „Ber-
liner Tageblatt." 17. XL * Oesterreich-Ungarn
auf dem Scheidewege. „Deutscher Kurier."
(Berlin.) 20. XI. # Leon Boll, L'Opinion
francaise et les rapports franco-allemands. „Jour-
nal d'Alsace - Lorraine." (Straßburg.) 28. XL
* Hamilton W. Mabie, Americans and
the far Last, „The Outlook." (New York.) 2. VIII.
* J. Ingram Bry an, The Situation in Japan.
„The Outlook." 2. VIII. » Francis G. Pea-
b o d y , California and Japan. „The Outlook."
2. VIII. # Alfred H. Fried, L'entente sans
„L'abandon prealable de l'idee". „Journal
dAlsace Lorraine." (Straßburg i. E.) 23. XL
* Alfred Wolf, Elsaß-Lothringen und die
deutsch-französische Verständigung. „Die Hilfe."
30. X. » Ernst Jäckh, Die deutsch-englische
Verständigung. „Die Hilfe." 13. XL » Dr. Ju-
lius Ulimann, Die Botschaft des Präsidenten
Wilson. „Neue Freie Presse." ö. XII. '
III. Völkerrecht: Prof. Otfried
N i p p o 1 d , Zur Völkerrechtsliteratur. „Frank-
furter Zeitung." 23. XL » Einfluß eines Krieges
auf Privatverträge. „Hamburger Nachrichten."
30. XL ■'.■» Edwin D. Mead, Mahan at his
worst. „Boston Daily Advertiser." 3. XL #
Professor Dr. Bingham, Die Gefahren der
Monroedoktrin. „Berliner Tageblatt." 22. XL
IV. Internationales: Dr. Heinrich
Herner, Die internationale Schiffsvermessung
im Verhältnis zu ihrer volkswirtschaftlichen Be-
deutung. „Weltwirtschaftliches Archiv." Oktober.
* Prof. Dr. Hermann L e v y , Der Ausländer,
ein Beitrag zur Soziologie des internationalen
Menschen -Austausches. „Weltwirtschaftliches
Archiv." Oktober. * Geheimer Justizrat Dr.
Felix Meyer, Die Einheit im Wechselrecht.
„Dokumente des Fortschritts." 11. Heft. »
Dr. Max Röscher, Ueber das Wesen und die
Bedingungen des internationalen Nachrichtenver-
kehrs. „Weltwirtschaftliches Archiv." Oktober.
V. Wirtschaftliches: Prof. L u j o
Brentano, Zum Krupp-Prozeß. „Berliner
Tageblatt," 12. XL * Friedrich Nau-
mann, Internationale Ueberblicke. „Die Hilfe."
13. XL * Neue Gefahren des Wettrüstens. „Die
Tribüne." 6. XL * Richard Gädke,
Rüstungswahnsinn — Rüstungsschwindel. „Die
Zeit am Montag." 24. XL # Eine Anklage
gegen den Finanzminister. „Neues Wiener Jour-
nal." 26. XL * Prof. Dr. Eugen von Phi-
lippovich, Das Problem der Auswanderung
in Oesterreich. „Frankfurter Zeitung." 20. XL
* Geh. Regierungsrat Prof. Dr. P a a s c h e , Der
deutsch - österreichische Wirtschaftsverband.
„Kleine Presse." ((Frankfurt a. M.) 22. XL *
Die Kriegsindustrien. „Mercur." (Wien.) Nr.
1726 und 1727. # Englands proposal to Ger-
many for a naval Holiday. „The Independent."
30. X. » M y s o n , Das bißchen guter Wille.
„Plutus." (Charlottenburg.) 22. XL * Champ
Clark, The Disarmament of the Nations —
America should lead the way. The British pro-
posal for a naval Holiday appi'oved. „The
Independent," 30. X.
SMITTEIlt/NGEN DEBS
FMEDENSGESEUSOUUFTffi
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Schriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
Mitteilungen der Oesterreichischen
Friedensgesellschaft,
Bureau: Wien I, Spiegelgasse 4.
Kooptation.
Herr Dr. Paul Kämmerer, Univ.-Privat-Do-
zent, wurde in den Vorstand unserer Gesell-
schaft kooptiert.
Vortragszyklus.
Für den am 5. Jänner k. J. beginnenden
und in einem Saale der Wiener Universi-
tät stattfindenden Vortragszyklus haben wir
bereits folgende Redner gewonnen: Professor
Dr. Otto Freiherr v. Düngern (Czexnowitz) ;
Dr. Alfred H. Fried ; Prälat Dr. Alexander Gieß-
wein (Budapest); Rudolf Goldscheid; Prof. Dr.
Hollatz (Leipzig); Prof. Dr. Paul Kammerer;
Privat>Dozent Dr. Hans Kelsen; Pfarrer W.
Nithack-Stahn (Berlin); Prof. Dr. Paszkowski
(Berlin).
Spenden.
Herr Carl Buddeus, unser langjähriges
Mitglied, hat unserem Propagandafonds den Be-
trag von 100 Kronen zugewiesen. — Frau
Amalie Kubik, Revierförstersgattin in
Fröhlichsdorf, hat uns neuerlich, als Ergebnis
einer Sammlung im Freundeskreise. 5 Kr. zu-
gehen lassen.
HÜ
Vorlesung Wilhelm Klitsch.
Donnerstag, den 14. Januar 1914, veran-
staltet Wilhelm Klitsch, Schauspieler am Deut-
schen Volkstheater, zugunsten unserer Gesell-
schaft einen Leseabend im Großen Musikver-
einssaal. Aus dem Programm sei erwähnt :
Gerhard Hauptmanns Jahrhundert-Festspiel und
Werke des mit dem Nobelpreis ausgezeichneten
indischen Dichters Rabindranath Tagore. Po-
puläre Preise. Vormerkungen werden in unse-
rem Bureau, Wien I, Spiegelgasse 4 (3 bis
7 Uhr) entgegengenommen.
AnsichtskartenmitdemBildnisder
Baronin Suttner.
Anläßlich der kommenden Weihnachtsfeier-
tage machen wir unsere Mitglieder auf ,,Der
Menschheit Hochgedanken", Roman von Berta.
v. Suttner, aufmerksam. Das Buch eignet sich
nicht nur vorzüglich zu einem Festgeschenk,
es dient auch zur Verbreitung unserer Ideen.
Es kostet broschürt 4,80 Kr., gebunden 6 Kr.
Ferner „Die Waffen nieder", Volksausgabe, in
Leinwand gebunden, 1,20 Kr. Für Neujahremp-
fehlen wir Ansichtskarten mit dem Bildnis
der Baronin Suttner (12 Stück 1 Krone). Alles
durch unser Bureau zu beziehen.
ppold , Berlin W. 50. — Im Selbstverlag des Herausgebers Dr. Alfred H. Fried, Wien IX/2
Paß tt Gar leb G. m. b. H., Berlin W. 67. — Yerantwortl. Redakteur für Oesterreich-Ungarn: ViniensJerabekin Wien
Verantwortl. Redakteur: Carl A
Druck
472
JX
1903
F7
Jg.15
Die Friedens-Warte
PLEASE DO NOT REMOVE
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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
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