I
u "»
-
I,
DIE
FRIEDENS-WRRTE
Zeitschrift für zwischen-
staatliche Organisation
Herausgegeben
von
ALPRED M. FRIED
)(V. ]RHR<5RN<3
• *
BERUH - WIEM - LEIPZIG
1913
Fi
Jg. 15
LAW LIBRARY
APR 5 1963
FAbü'JY OF LAW
UNIVERSIYY OF TORONTO
MMMMMMMMMtMMfaU«
n. Spezial - Artikel.
Seite
Angell, Norman, Ein offener Brief an
die Kriegs- und Friedensgesellschaft
an der Universität Cambridge .... 54
Bellardi, Dr. W., Das Problem eines
internationalen Staatengerichtshofes . 44
Bourgeois, L6on, lieber das Haager
Werk 385
Bryan, William Jennings, Unsere aus-
wärtige Politik 448
Carnegie, Andrew, Ein Brief von ... 2
Dumas, Jacques, Miss P. H. Peckover.
Zum 27. Oktober 1913 387
Dumeril-Hallb erger, Edmond, Das
junge Frankreich 252
E i c k h o f f , Prof. Richard, Die XVIII. in-
terparlamentarische Konferenz (3. bis
5. September 1913) 337
Federn, Walther, Das Rüstungs-Elend in
Oesterreich-Ungarn 410
Fe r n a u , Hermann, Frankreichs Groß-
machtstellung und Kulturziele ... 10
— Zu den neuen Rüstungsvorlagen . . . 129
— Die französischen Sozialisten und die
Verständigung mit Deutschland .... 375
F i s h e r , Garret, Ueber die F-Strahlen . . 424
Francke, Pastor, Berliner Konferenz pa-
zifistischer Pastoren 419
Friedrichs, Elsbeth, Der XX. Welt-
friedenskongreß im Haag (18. bis
23. August) , 328
— Ein heimgegangener Friedensfreund . . , 420
G ä d k e , Richard, Abrüstung ! 47
— Die Politik Deutschlands während des
Balkankrieges 83
— Die Irrtümer des Militarismus 126
— Zwischen Deutschland und Frankreich' 211
— Die Furcht der Franzosen . . . ... . .. 250
— Die Sünden Bulgariens 306
— Der Irrtum der Rüstungswut 379
G o t h e i n , Georg, Wettrüsten und
Rüstungsverständigung 123
Grosch, Dr. G.. Der Deutsche Bund als
Vorbild der Staatenorganisation .... 8
— Die gesellschaftlichen Verbände der
Menschheit 143
Grote, cand. phil. Adolf, Die angebliche
und die wahre Höhe der deutschen
Rüstungslasten 169
Has kell, Henry S., Brief aus den Ver-
einigten Staaten 94
— Brief aus den Vereinigten Staaten ... 137
— Brief aus den Vereinigten Staaten . . . 176
— Die XIX. Lake Mohouk-Konferenz (4.
bis 16. Mai) 222
— Brief aus den Vereinigten Staaten . . . 256
Seite
Has kell, Henry S., Brief aus den Ver-
einigten Staaten ,311
— Brief aus den Vereinigten Staaten . . . 388
— Brief aus den Vereinigten Staaten . . . 422
— Brief aus den Vereinigten Staaten . . 461
Herve, Gust., Ueber die Ursachen zum
Kriege 377
Jong van Beek en Donk, de, Brief
aus den Niederlanden 220
Kammerer, Dr. Paul, Kampf und Hilfe
in der untermenschlichen Lebewelt . . 372
Koetschke, H., Die deutsch- französi-
sche Journalistenkonferenz in Gent . . 386
Kor ff , Professor Baron S. A., Brief aus
Rußland . . 459
Lamszts, Wilhelm, Vom Anarchismus
zum Gesetz. (Die Diagnose eines euro-
päischen Krieges.) 58
Lange, Chr. L., Albert Gobat 137
L i s z t , Dr. Eduard Ritter von, Kanonen-
futter 50
L o c h n e r , Louis P., Ein internationaler
Studentenkongreß 96
Mead, Edwin D., Deutschland, England
und die Vereinigten Staaten 403
Meider, Egon, Zweiter Kongreß des 1 Ver-
bandes der internationalen Studenten-
vereine an deutschen Hochschulen . . 217
Mühsam, Erich, Paul Scheerbart . . . 57
Müller-Lyer, F., Friedensbewegung
und Schule 368
O j s e r k i s , Iro, Pazifisten der antiken
Welt r . ...... . . 13
Perris, Georg Herbert, Die Internatio-
nalität des Waffenhandels 340
P e r s i u s , L., Verständigung in der
Flottenrüstung -, 245
— Das' bedenkliche Treiben des deutschen
Flottenvereins 407
— Patriotismus 'und Dividendenhunger . 446
Pilot y, Prof. Robert, Friedens- und
Kriegshysterie 171
Pleiier, Ernst Frhr. v., Dr. HeinrichT
Lammasch 174
Politisi', Prof. N., Der 70. Geburtstag
..Prof. Renaults 172
Ritter, Prof. Dl-., Goethe über den Krieg 101
Sandstedt, Knut, Brief aus Schweden 423
Schmid, Dr. Karl Fr., Maupassant, ein
Vorkämpfer der Friedensbewegung . 259
Schücking, Prof. Walther, Kultur und
Krieg. Vortrag, gehalten am 6. Okto-
ber 1913 am II. Verbandstag des Ver-
bandes für internationale Verständi-
gung zu Nürnberg 382
IV
Seite
Seber, Dr. Max, Geburtenrückgang und
Internationalismus 100
Seufert, Dr. O., Das' Christentum und
der Kampf gegen den. Krieg. Eine Ent-
gegnung 98
Seufert-Wieber, Dr., Tolstoi und
die Idee des universalen Friedens . . 254
Siemering, C. L., „Deutschland in
Waffen" 175
— Daten aus dem Leben der Baronin
von Suttner 207
Strupp, Dr. Karl, Eine Lanze für die
Rechtsnatur des Völkerrechts .... 97
Südekum, Dr. Albsrt, Kriegsindustrie 163
Suttner, Bertha von, Gerhart Haupt-
manns Festspiel 242
Umfrid, O., Die fromm© Diplomatie. 85
— Mobilmachung der Kirchen gegen den
Krieg 208
— Der deutsche, der englische und der
humane Gedanke in der Welt .... 301
— Die Unlösbarkeit der Abrüstungsfrage
in der Zeit der zwischenstaatlichen
Anarchie 343
Wagner, L., Das internationale Friedens-
seminar und die Ferienkurse für Aus-
länder in Kaiserslautern. Ein Beitrag
zur „Erziehung zum Frieden" . . . . 413
Wehberg, Dr. Hans, Ein Handbuch des
Völkerrechts 3
— Die Zukunft der Haager Friedenskon-
ferenzen 139
— Die Zukunft der Haager Friedenskon-
ferenzen (Schluß) 178
— Bryans Friedensvorschlag 248
— In wessen Namen wird im Haager Frie-
denspalaste Recht gesprochen werden? 286
— Minister Asser, ein Bahnbrecher der
Völkerverständigung 305
— Offener Brief an Seine Exzellenz den
Generalleutnant z. D. von Reichenau
in Düsseldorf 310
— Geheimrat von Bar, ein Bahnbrecher
des Völkerrechts 342
W s, C, Korrespondenz aus Eng-
land 6
Westphal, Dr. A., Hauptversammlung
der deutschen Friedensgesellschaft in
Mannheim 215
White, Andrew D., Zur Vorgeschichte
des Haager Friedenspalastes 281
Krise ;....:.:.... 1
Die Bewegung in den Vereinig-
ten Staaten zugunsten der
schiedlichen Erledigung des
Panamakanalstreites mit
Großbritannien 5
Konservative N eu j ahrs f reude 7
Die gefundene Formel 41
Ueber uns die Sintflut 81
Der Fall Maurenbrech'er 87
Seite
Das kleine Heer. Von einem Offizier 90
Die englisch-deutsche Flotten-
formel. Von besonderer Seite ... 92
Kider len-Wae c ht er. Von J. S. . . . 93
Im Namen Europas 121
Das Weltfeier jähr im Flotten-
bau 131
Kundgebungen gegen die
Rüstungen. 133
Ein offizieller Vorstoß gegen
die Kriegshetzer in der
Presse 136
Die Ueberwindung des Balkan-
konfliktes : 161
Die Jubilare des 21. Mai 172
Die moderne Frieden sbewegung
und die österreichische
Schule. Von einem Schulmann . . . 182
Kaiser Wilhelm und der Welt-
frieden 201
An Baronin Bertha von Suttner.
Zu ihrem 70. Geburtstage 201
Der Carthage- und Monoubafall
vor dem Haager Schiedshof. 21 1
Offizielle Kundgebung für die
Veranstaltung der Feier des
ersten Fr iedens j ahr hun-
der t s zwischen Großbritan-
nien und den Vereinigten
Staaten 225
Der „dritte" Balkankrieg . . . 241
Vom XX. We lt f r i e dens k ongr e ß . 255
BriefausJapan 257
Eine Rundfrage über das Haager
Werk 288
Die Aufgaben des XX. Weltfrie-
denskongresses 301
Die vitale Frage. Zur Montreal-Rede
des Lordkanzlers Haldane 320
Rund um den Friedenskongreß. 324
Die Einweihung des Haager
Fried enspalastes 335
Völkerschlachtdenkmal .... 361
Der zweite Verbandstag des Ver-
bandes für internationale
Verständigung zu Nürnberg. 363
Ein französischer Sozialist
über die Ursachen zum
Kriege..... 377
Verständigung ohne „Preisgabe
der Idee" 401
Erlauschtes, Erlebtes, Erdach-
tes in Frankreich. Ernste Be-
trachtungen von einem patriotischen
deutschen Studenten 417
Der Balkankrieg als pazifisti-
sches Dokument 441
Knistern im Gebälk 449
Die Fr iedens- Warte und die
Wissenschaft 452
B. Randglossen zur Zeitgeschichte.
Von Bertha v. Suttner.
Brief aus Amerika Seits 17
Das neue System. — Der angesagte Krieg.
— Das Handschreiben Kaiser Franz Jo3efs. —
Das pazifistische Gift. — Das letzte Auf-
flackern. — Italienische Schule. — Was heißt
vermitteln? — Human und militärisch. —
Schämen muß man sich, Zeitgenosse zu sein.
— König Alfonso. — Die Vermilitarisierung
Oesterreichs. — Zwangstaufen. — Das englisch-
deutsche Marineabkommen Seite 62
Alle Wirren noch, unentwirrt. — Die Suffra-
gettes. — Der Ueberrüstungswahnsinn in
Deutschland und Frankreich. — Was geht auf
dem balkanischen Kriegstheater vor? — Durch-
sickernde Greuelberichte. — Erinnerungsfeiern
für 1813. — Ein Doppelmanifest der deutschen
und französischen Sozialisten. — William
Jennings Bryan und seine letzte Friedensrede.
— Ein Sacrilegium. — Internationale Abord-
nung, eine Anregung. — Woodrow Wilson,
Ehrenpräsident der amerikanischen Frie-
densgesellschaft Seite 104
Der Kampf zwischen Krieg xmd Frieden.
— Das neu auftauchende Gebilde „Europa".
— Die Friedenspolizei. — Die einigen Groß-
mächte. — Neuer Ausbruch des Rüstungs-
wahnsinns. — Bethmanns Rede. — Die Milliarde
als Deckung. — Churchills Vorschlag, ein Jahr
zu pausieren. — Sasonows Sieg über die Pan-
slavisten. — Skutari oder den Tod. — Der
König von Griechenland ermordet. — Parla-
mentseröffnung in China Seite 146
Skutari geräumt. Der europäische Frie-
denswille. — Die Wirkung der Blockade. —
Europäische Föderation als Ziel. — Sir Max
Wächters Aufruf. — Resolution der Elsässischen
Zweiten Kammer. — Wie die Fäden hin und
her laufen. — Blicke in das Lager der Kriegs-
freimdn. — Lied an das Maschinengewehr. — Die
Aussichten unseres nächsten Krieges. — Wil-
sons und Bryans Friedensaktion. — Das Buch
des deutschen Kronprinzen. — Eine neue Ka-
nonenfabrik. — Albanien Seite 185
Das Ende des Balkankrieges. — Streit
zwischen den verbündeten Siegern. — Gene-
ralstabsoberst Redl, Spionage und Kontrespio-
nage. — Ein Augenzeuge über die Beschießung
von Skutari. — Japan stimmt dem Wilson-
Bryanschen Weltfriedensplan bei. — Das
Schwert des 1 Brennus. — Die Hochzeit ssäste
am Berliner Hof. — Georg V. über seinen Vater.
— Vorgeführte Gefechte. — Titanic und Ne-
vada. — Satan in der Luft. — Berner Kon-
ferenz und andere verheißungsvolle Zeichen.
Seite 226
Der dritte Balkankrieg. — Der Versuch des
Zaren, dem Kriege vorzubeugen. — Eine neue
Verhetzungsparole. — Rumänien mobilisiert. —
Das europäische Gleichgewicht. — Scheide-
mann über das neue deutsche Wehrgesetz. —
Ein General über das Wehrgesetz. — Kaiser Wil-
helms Regierungsjubiläum. — Pazifistische
Worte des Kaisers. — Interpellation im eng-
lischen Unterhause. — Der Aufruf König Kon-
stantins an sein Volk Seite 260
Ende des Beuteaufteilungskrieges. — Ein
neues Schlagwort: Gleichgewicht; die Politik
der Balancierstange. — Der Bukarester Friede.
— Vergleichende Berechnung der Verlustziffern.
— Weitere Probleme und Gefahren. — Greuel-
taten, gegenseitige Anklagen. Eine Depesche
König Konstantins. — Barbarisierung der Luft.
— Der Prozeß Krupp. — Die Sanktion der
internationalen Polizei. — Politische Hygiene.
Seite 312
Das Ende des Balkankrieges. — Die Zu-
kunft im Lichte der Tagesbefehle. — Adrianopel
wieder türkisch. — Die Einweihung- des Frie-
denspalastes. — Telegramm des Zaren. — Die
Katastrophen auf den Uebungsplätzen. — Die
F-Strahlen des Italieners Uliva. — Die Cholera.
— König Konstantin lobt die deutsche Kriegs-
kunst. — China und Japan. — Nationalisti-
sches Harakiri. — Zuversicht trotz alledem.
Seite 345
Der Balkan und kein Ende. — Triumph
des Maschinengewehrs. — Aus dem Motiven-
bericht der italienischen Regierung. — Euro-
päischer Staatenbund. — Heeresverstärkung in
Oesterreich. — Die chinesische Republik. —
Vorbereiteter Bürgerkrieg in Irland. — Präsi-
dent Poincarre in Madrid. — Das Gleichgewicht
im Mittelmeer. — Die Vollendung des Panama-
kanals Seite 390
Das österreichisch-ungarische Ultimatum
an Serbien. — Unausgesetzte Rüstungen. —
Winston Churchills Vorschlag. — Das Echo in
Washington. — Der Parlamentsschreck. — Von
den Kriegsindustrien. — Fortgesetzte Balkan-
wirren. — Italien und Griechenland. — Der
Brand des Volturno. — Verbotene Luftzonen.
— Ein abscheulicher Lügenartikel gegen
d^Estournelles. — Der Bodenreformplan von
Lloyd George. — Ritualmordprozeß in Kiew.
Seite 425
Die Unruh der Welt. — Gehäufte Vor-
schläge zum Einhalt der Rüstungen. — Die
Neue Freie Presse gegen die Rüstungspolitik.
— Der enthüllte militärische Geheimvertrag.
— Die Sensationsaffäre von Zabern. — Sturz
des französischen Ministeriums. — Die italieni-
sche Thronrede. — Deutsche Instruktoren in
der türkischen Armee. — Die Botschaft Wil-
sons Seite 463
C. Rus der Zeit.
I. Völkerrecht.
Ein neuer Schiedsfall zwischen England
und Amerika. — Verschiedene Mitteilungen
zur Schiedsentwicklung. — Die „Amerikanische
Gesellschaft für die richterliche Beilegung in-
ternationaler Schwierigkeiten" . . . Seite 20
Interparlamentarische Union . . Seite 65
Vorbereitung der III. Hager Konferenz.
Seite 108
Vom Haager Schiedshof. — Die organisatori-
sche Bedeutung der Haager Konferenzen. Von
v. L. — Zwischenstaatliche Exekution. Von
C. L. Siemering . Seite 148
Die Schiedsgerichtsbarkeit in der portu-
giesischen Verfassung. — Bryans Aktion zur
Sicherung des Weltfriedens .... Seite 188
Das alte und das neue Haager Schiedsab-
kommen. — „Dasi Werk vom Haag". — Be-
sitzergreifung von Ada Kaleh . . . Seite 230
Die Bryans chen Verträge. — Das inter-
nationale Wechselrechtsabkommen im deut-
schen Reichstag Seite 264
Haager Schiedshof Seite 316
Die Haager Völkerrechtsakademie. — Das
Institut de Droit international . . . Seite 347
Verlängerung von Schiedsverträgen.
Seite 392
Vorbereitung der dritten Haager Kon-
ferenz Seite 466
VI
II. Rüs tu ngs prob lern.
Deutschlands Militärausgaben für 19.13. —
Austriaca Seite 21
(Kein Geld für Kulturnotwendigkeiten. —
Friedrich Naumann über den Zusammenhang
zwischen Küstungsfrage und Schiedsgerichts-
barkeit Seite 66
Die Rüstungsbeschränkung in den Ver-
einigten Staa-ten. — Gemeinsame Kundgebung
der deutschen und französischen Sozialdemo-
kratie gegen die Rüstungen Seite 108
Von den unsichtbaren Rüstungslasten. —
Der gemeinsame deutsch-französische Aufruf
Seite 189
Die deutsche Heeres vorläge. — Gegen die
Rüstungsindustrie. — Die Friedensindustrie
Seite 264
Von der Kriegsindustrie .... Seite 348
Neue "Wehrvorlage in Deutschland. — Neue
Rüstungslasten für Oesterreich-Ungarn. — Vom
Rüstungsgeschäft. — Glückliches Land!
Seite 393
Unterirdische Arbeit. — Das Flottenfeier-
jahr. — Rüstungsgroßmacht und soziales Elend.
— Die russischen Rüstungen. — Vom inter-
nationalen Rüstungsgeschäft . . . Seite 428
Unterirdische Arbeit. — "Wiener Protestver-
sammlung gegen das internationale "Wettrüsten
Seite 467
III. Verschiedenes.
v. Kiderlen-Wächter f. — Eine pazifisti-
sche Rede im österreichischen Reichsrat. —
Kaiser Friedrich gegen den Krieg. — Die Gieße-
ner Burschenschaft. — Deutsche Intelligenz-
träger gegen den Krieg. — „Warum baut man
im Haag einen Friede nspalast?" — Ein Fasttag
für (den Frieden. — Die .,Vermehruner der inter-
nationalen Reibungsflächen". Von Dr. J. Mez.
— Die Vertreibung der Türken aus 1 Europa. —
Kurze Mitteilungen Seite 22
Die Greuel des Balkankrieges. — Deutsch-
land und England. — Elsaß-Lothringen im
deutschen Reichstag. — Zunahme der inter-
nationalen Korrespondenz Seite 67
Norman Angells Propaganda in deutschen
Studentenkreisen. — Des „ausländischen'"' Par
zifisten Heimkehr. — Militärische Kriegshoff-
nungen. — Ein Künstler gegen den Krieg. —
Kurze Mitteilungen Seite 109
W r ie man Kriege „macht". — Die „Brücke"
und der Internationalismus. Von Dr. J. M. —
Richard Dehmel und die internationale Kultur-
bewegung. Von Dr. Walther Berendsohn. —
Pazifistische Kundgebung des Fürsten Albert
von Monako. — Ein deutscher Feldherr über
den Krieg. — Nach Maurenbrecher Horneffer.
Von J. M Seite 149
Gibt es in Oesterreich eine Kriegspartei?
— Deutschland und Frankreich. — Ein gefähr-
licher Zwischenfall und seine vernunftgemäße
Erledigung. — „Du sollst nicht töten!" oder
Anpreisung einer ungesetzlichen Handlung. —
Kurze Mitteilungen Seite 191
Der Tag von Bern. — Bryans Friedensplan.
— Die Schönheiten des Krieges. — Von der
Sensationspresse. — Der heutige Stand der
Friedenssache. — Vom 8. national-französischen
Friedenskongreß. — "Was ist ein Pazifist?
Seite 231
Parlamentarierzusammenkünfte in der Ver-
gangenheit. — Die Adresse der englischen
Kirchen an den Kaiser. — Das wahre Antlitz
des Krieges. — Die pazifistische Durchdrin-
gung. — Kurze Mitteilungen .... Seite 266
Das Elend des Balkankrieges. — Festgaben
zur Einweihung des Haager Friedenspalastes.
— Oesterreichische Kommission für die Vorbe-
reitung der dritten Friedenskonferenz. — Fie
18. Interparlamentarische Konferenz. — Der
„ewige Friede". — Kurze Mitteilungen Seite 316
„Der schlimmste Feind". — Billige Reise-
erfahrungen. — Ein Ausland- Pflichtjahr für
die deutsche wie französische Jugend. — All-
deutsche Philosophie. — Seltsame Fr ; eden ( -
freunde Seite 35 )
Die österreichische Industrie gegen die aus-
wärtige Politik der Regierung. — Das Elend in
Galizien. — Reichtums Vermehrung und dennoch
Rückgang der Lebenshaltung. — Zum Kapitel:
Wissenschaft und Pazifismus. — Das ungeheure
Hazardspiel. — Die französische Jugend gegen
den Revanchekrieg Seite 394
Offizielle Gedankengänge über die Leipziger
Schlachtenfeier. — Die bulgarischen Verluste:
44 892 Tote. 104 586 Verwundete. — Der Be-
richt über die Balka.ngreuel. — Vom Nachrich-
tenschwindel. — Kriegs eindrücke. — Der Ge-
burtenrückgang. — Die Gefahr für die Zu-
kunft Deutschlands . Seite 431
Lamprecht gegen Keim Seite 469
D. Aus der Bewegung.
Felix Moscheies' 80. Geburtstag. — Richard
Feldhaus' 600. Friedensvortrag. — Drei Tote:
(Albert K. Smiley. Graf Leonid Kamarowsky.
John Lund). — Revolution des Zentralvorstan-
des des Verbandes für internationale Verstän-
digung : Seite 27
Kongreß- Kalendarium. — Den Beer Poortu-
gacl f. Von Dr. Hans Wehberg. — Die Ent-
wicklung der internationalen Studenten vereine
in Deutschland. — Zwei neue Zeitschriften. —
Eine Denkschrift über die Reform der Frie-
denskongresse. — Todesfälle. — Kurze Mit-
teilungen Seite 69
Kalendarium der pazifistischen Veranstal-
tungen. — Von der Feldhaustournee. — Studien-
reise nach den Vereinigten Staaten , Seite 112
Kongreß- Kalendarium. — Interparlamentari-
sche Union. — Endgültige Tagesordnung für
den 20. Weltfriedenskongreß. — Die Mülhause-
ner Versammlungen. — Der zweite Weltkongreß
der internationalen Verbände. — Professor
Emanuel v. Ulimann f. — Der 21. Mai 1913.
— Kurze Nachrichten Seite 153
Der 70. Geburtstag der Baronin Suttner. —
Kalendarium der pazifistischen Veranstaltun-
gen. — Generalversammlung der russischen
Friedensgesellschaft Seite 194
Kalendarium der pazifistischen Veransta 1 -
tungen. — Lord Avebury f. — Ein internatio-
nales pazifistisches Seminar Seite 235
, Der XXI. Weltfriedenskongreß in Wien.
— Kalendarium der pazifistischen Veranstal-
VII
tungen. — Der 70. Geburtstag der Baronin
Suttner. — Friedensges ellschaft in Mülhausen
i. E Seite 269
Zu Monetas achtzigstem Geburtstag. — Ka-
lendarium der pazifistischen Bewegung. — Die
Gewinner des Seabury- Preises von 1913. —
Kleine Mitteilungen Seite 351
Charles Richet und Edoardo Girctti. — Das
Auslandpflichtjahr betreffend . . . Seite 134
Der Friedenspreis der Nobelstiftung 1913. —
Baron Carl Carlsson Bonde f. — Aus Holland
Seite 469
E. Pazifistische Chronik.
Seite 19, 65, 107, 147, 188, 229, 263, 315, 317, 39% 428, 465.
F. Literatur und Presse.
Seite
I. Anzeigen.
Der Koloß von Brüs s el ...... 92
Eine neue japanische Friedens-
zeitschrift 30
Eine Norman - Angell - Zeit-
schrift . . . .*., ......... . 396
„Das Werk vom Haag" 470
Zu Weihnachtsgeschenken . . . 470
II. Besprechungen.
Andre ws, The Promotion öf Peace , . . . 195
A n g e 1 1, Peace Theories and the Balkan War 32
Angell, Die falsche Rechnung 73
Bernthardi, Unsere Zukunft 31
Böhme, Friedensbewegung und Lebens-
erziehung 113
Cellini, Benvenuto, Das Leben des . . 195
Classic s, the, of International
Law 115
van Daehne van Varick, Bijdrage tot
de Geschiedenis der Oostersche Kwestie 319
Darby, The Claim of „the new Pacifism" 114
Diederich, Krieg. Ein Buch der Not . 32
Emerson, Ueber den Krieg 436
D'E s t o ur n eil e s de Constant, Les
Etats-Unis DAmerique 271
Friedenskongreß, V. Deutscher 236
Für den Frieden 74
Gießwein, Alexander, Der Friede Christi 156
Goethe, Aus meinem Leben 195
„G r o t i u s" International jaarbock voor
1913 ... 272
Heim, Um der Gerechtigkeit willen . . 236
Hüttenhein, Die Handelsschiffe der
Kriegführenden 33
Jahrbuch des Völkerrechts . . 437
Jerusalem, Einleitung in die Philosophie 274
Johnson, The „coastwise exemption".
Nation against it 113
Die Kaisernummer der New York
Times , 271
Key, Die junge Generation
Kohl er, Moderne Rechtsprobleme . . . 236
Lammasch, Die Rechtskraft internatio-
naler Schiedssprüche 196
Lamprecht, Die Nation und die Frie-
densbewegung 436
Landmann, Weltstaat und Weltfrieden . . 318
Lange, Chr. L., Annuaire de l'Union In-
terparlementaire . . . t ..^._ . t .j . . . . 318
Seite
Lange, Hendr. J. de, Oorlog en Arbi-
trage . . . . ,.„ . .,. . . . I#1 . ..... 33
Laukhard, Sein Leben und seine Schick-
sale, von ihm selbst beschrieben 195
Lim an, Der Kaiser • • • ... 272
v. L i s z t , Das Völkerrecht 30
Loreburn, Capture at sea 318
M e a d , Lucia, Swords and Ploughshares or
the supplanting of the System of War
by the System of Law , 114
Meyer, Das Weltscheckrecht. , 318
Meyer, Das Weltwechselrecht ....... 318
Moritz, Karl Philipp, Anton Reiser . . 195
N e u r a t h , Die Kriegswirtschaftslehre als
Sonderdisziplin 195
Nippo ld, Der deutsche Chauvinismus . . 317
Nippold, Vorfragen des Völkerrechts . 319
Nithack- Stahn, Barbareien . . ... . . 274
Nithack-Stahn, Kirche und Krieg ,..274
Oppenheim, The Panama Canal Conflict
between great Britain and the United
States of America 74
Oppenheim, International law .... 319
Peace Year-Book, The 1913 ... 33
Pinon, France et Allemagne 1870—1913 273
Platters, Thomas und Felix, Lebens-
beschreibungen 195
v. Puttkammer, Die Mißerfolge in der
Polenpolitik 196
R o o t , The Obligations of the United States
as to Panama Canal Tolls ...... .. 113
Rosenberg, A Bekenapra az iskoläknak 236
Rousseau's Bekenntnisse ,. 195
S i e p e r , Deutschland und England in ihren
wirtschaftlichen, politischen und kultu-
rellen Beziehungen - 275
Sombart, Krieg und Kapitalismus ... 73
Sozialdemokratische Flug-
schriften . . 33
S t r a u s s , The American Spirit 272
Sturm, Die Einteilung des Rechts und die
Abtrennung des internationalen Privat-
rechts sowie des Friedensrechts, eine
rechtspsychologische Abhandlung .... 74
S v e n s 1 k e , Harald, Antwort auf Sven
Hedins Warnungsruf . . . 156
vta
U m f r i d , Europa den Europäern ....
Uni on inte rpar lernen taire . . .
Wertheiraer, Graf Julius Andrassy . .
White, Sieben große Staatsmänner im
Kampfe der Menschheit gegen Unver-
nunft
Seite
435
114
196
72
Ilt Eingegangene Druckschriften,
Zeitschriften - Rundschau, Fach-
presse, Ar t i k e 1 (Rundschau und
B i b 1 i o g-r a p h i e).
Seite 33, 74, 115, 156, 197, 237, 275, 352,
396, 438, 471.
Q. Mitteilungen der Friedensgesellschaften.
Deutsche Friedensgesell sc ha f t :
Ortsgruppe Cöln .... Seite 119
Frankfurter Friedens verein Seite 200
Oesterreichisch'e Friedensgesell-
schaft Seite 39, 80, 119, 160, 200, 239,
279, 320, 360, 400, 472.
Pfarrer O. TJmfrid . Seite 200, 239, 279.
*355
Januar 1913.
Krise.
Es geht etwas vor in Europa, das sich,
wohl zu unterscheiden scheint von den son-
stigen diplomatischen Krisen. Es handelt
sich nicht bloß um die Entwirrung eines
augenblicklich gegebenen Konfliktes, um die
Herstellung des gewohnten, durch einen
Krieg in Schwankung geratenen Gleichge
wichts. Die gegenwärtige Krise scheint viel-
mehr nur der Auftakt zu einer viel größeren
zu werden, die sich nicht heute noch morgen
beruhigen wird. Es ist so, als ob jetzt die
Entscheidung über die Stellung Europas in
der Welt fallen solle. Unsere Diplomaten
haben jahrzehntelang vom „kranken Mann
am Bosporus" gesprochen und haben dabei
ganz übersehen, daß ganz Europa dieser
kranke Mann ist. Krank an der internatio-
nalen Anarchie, zerfressen vom Chauvi-
nismus und Militarismus, die an den Lebens-
säften aller Nationen dieses unglücklichen
Erdteils nagen. Bei allen Krankheiten gibt
es ein Stadium der Krise, wo es sich zeigt,
ob der Organismus stärker ist als die ihn
bedrohenden Kräfte, oder ob diese die Ober-
hand erlangen. Zwischen Gesundung oder
Vernichtung schwankt dann die "Wage.
"Wir Pazifisten sind Optimisten. Wir
glauben an die gesunde Logik: der Dinge,
die wir erkannt haben, und deren Walten
uns berechtigt, an die schließliche Gesun-
dung dieses Erdteils zu glauben, dessen Be-
wohner trotz all der traurigen Perioden, die
sie bereits durchlaufen haben, und unter
deren Einflüssen sie noch leiden, der Mensch-
heit die Kultur gegeben haben. Wir sind
nicht Optimisten aus Bequemlichkeit oder
aus Kurzsichtigkeit, sondern aus der Er-
kenntnis der Zusammenhänge heraus, auf
Grund unseres unerschütterlichen Glaubens
an eine Entwicklung der Menschheit. Die
Gegner lassen sich vom Lärm des Tages
betören und sprechen triumphierend vom
„Bankrott des Pazifismus''. Sie sehen die
Zusammenhänge nicht und nehmen die
Krummlinie einer Episode für eine nach ab-
wärts gerichtete Kurve. Nicht, daß sie
meinen, Recht zu haben, betrübt uns, sondern
daß sie dabei triumphieren erfüllt uns mit
Schmerz. Die Resignation auf das Menschen-
tum, die darin liegt, ist das Entsetzliche.
Die Episode der Wirren und Greuel, die
wir jetzt durchleben, kann die Richtlinie
der Entwicklung erschüttern, aber nicht ab-
lenken. Das Gesetz, das das Weltall be-
herrscht, beherrscht auch die Menschheit;
sonst hätte sie den Aufstieg vom Kannibalen
zu Kant und Goethe nicht zurücklegen
können.
Europa hat das blutige Gemetzel auf
der Balkanhalbinsel über sich, ergehen lassen
müssen, die Werte schaffende Menschheit
hat das schädigende Gebaren jener Träumer,
die an eine befruchtende Wirkung der Ge-
walt glauben, jener Spekulanten, die auf
Strandgut hoffen, ertragen müssen. Noch
sind Kräfte am Werke, die sich nicht
scheuen, eine Uebertragung des Krieges auf
Europa zu versuchen. Aber auch die
Gegenkräfte sind am Werke. Im Momente
der ärgsten Gefahr zeigte sich Europa
wieder einmal als Organismus, als Gemein-
schaft. Die Botschafterreunion in London
ist mehr als eine zwanglose Diplomaten-
sitzung. Sie ist die schüchterne Andeutung
einer großen Entwicklung. Dort denkt,
spricht und handelt der Wille zum Leben
des unglücklichen Erdteils, sein Wille zum
Aufbau, zur Höherentwicklung, zur Kultur.
Dort festigt sich der neue Organismus unter
den Krampfanfällen, die der Ansturm der
Kräfte der Vernichtung des Rückfalles in die
Tierheit verursachen. Wieder sehen wir, wie
ganz ungewollt von den daran beteiligten
Menschen aus jener Handlung eine anders-
geartete, höhere Wirkung ausgeht; wieder
der Beweis für die „Radioaktivität der ge-
DIE FRIEDENS-^VABTE
[©
sellschaftlichen Arbeit''. Wo Menschen sich
zu gemeinsamer Arbeit vereinigen, ergibt
sich immer etwas Höheres aus dieser Hand-
lung; etwas, das gar nicht in ihrer Ab-
sicht lag. Ich habe diese Erkenntnis noch
immer und überall bestätigt gefunden. Jeder
kann, wenn er will, die gleiche Erfahrung
machen. In ihr liegt ein gut Stück unseres
Optimismus verankert. Erkennen wir doch
daraus, daßj es nicht nötig ist, erst die
Macht zu erringen, um einer Idee zum Durchr
bruch zu verhelfen, daß vielmehr auch aus
den Handlungen der Gregner ungewollte fort-
schrittliche Werte hervorgehen müssen. Die
Logik der Dinge!
Die Botschaf terreunion wird den Willen
Europas durchsetzen, jenes Europas, das man
nur als geographischen Begriff gelten lassen
will, und das dennoch schon eine politische
Realität geworden ist. Denn was einen
Willen hat und demgemäß handelt, ist.
„Gogito ergo sum" lautet der Beweis des
Cartesius für die Existenz des Individuums.
Auch Europa denkt und handelt ; es ist
daher.
Aber es ist noch nicht fertig. Es wird
auch noch nicht fertig sein an dem Tage,
an dem die Balkanerschütterung vorläufig
ausgeglichen und die inmitten dieses Erd-
teils mobilisierten Heere wieder zu ihren
Arbeitsstätten entlassen sein werden. Die
Kräfte des Rückschrittes sind dann noch
nicht überwunden, und man wird auf neuen
Alarm gefaßt sein müssen. Es wird eine
lange Krise sein, die wir durchleben müssen,
die wir ja auch schon seit langem durchleben.
Aber da sie immer zugespitzter wird, immer
entscheidender, hat es den Anschein, als ob
wir ihrer Endphase nahekommen. Eis ist
daher eine ereignisschwere, wichtige Zeit.
Weniger wichtig durch die Umwälzungen
auf der Landkarte und die glitzernden Er-
oberungen der einzelnen Kabinette, als durch
die Betätigung Europas als Organismus, die
Schulung des Gesamtwillens und des Ge-
samthandelns dieses alten Erdteils und die
dadurch bewirkte Herausentwicklung seiner
vollwertigen Lebensorgane.
Lassen wir uns daher durch Rückschläge
nicht beirren. Wir wohnen dem Geburtsakt
einer neuen Zeit bei und dürfen die Wehen
nicht als Symptome des Unterganges an-
sehen. Es wird eine höhere Menschheits-
organisation geboren ; eine Gemeinschaft, die
über den Kleinlichkeiten der Nationen steht,
und die berufen ist, die Aufgaben, die der
isolierte Staat nur zum geringsten Teile
lösen konnte, voll zu erfüllen. Schwierige
Arbeit harrt derer, die dieser neuen Zeit
vorarbeiten. Seien wir dabei des Dichter-
wortes eingedenk, das da lautet:
„Nur in schweren Prüfungsstunden
Sproßt die Palme, die den Sieger krönt.''
A. H. F.
Ein Brief von Rndrew Carnegie.
Die englische Ausgabe von
Alfred H. Frieds Buch „Der
Kaiser und der Weltfriede", die vor
einiger Zeit bei Hodder & Stoughton
in London erschien, wurde von den
englischen Verlegern an Andrew
Carnegie gesandt. Dieser, um seine
Meinung über das Buch befragt,
richtete an das Verlagshaus folgendes
Schreiben, das bis jetzt nicht ver-
öffentlicht wurde, es aber wohl ver-
dient, in Deutschland bekannt zu
werden, zumal es für englische
Leser bestimmt war :
„Es gereicht mir zum großen Vergnügen,
infolge Ihrer Aufforderung Herrn Frieds An-
sicht zu bestätigen über einen der hervor-
ragendsten Herrscher der Welt, den Deut-
schen Kaiser, der in so ausgezeichneter Weise
für den internationalen Frieden eintritt. Das
habe ich seit langem gewußt. Seinem Ein-
fluß ist es auch zu danken, daß das Duell
in der deutschen Armee und Flotte von
1200 Fällen im Jahre auf zwölf hinabgegangen
ist. Auch die Mäßigkeit hat in dem Kaiser
den stärksten Anwalt. Er ist in der Tat
ein Mustermonarch.
Das gegenwärtige Anwachsen der Rüstun-
gen rührt aus Englands Inangriffnahme
des Dreadnought-Types her. Nach Hirst ist
es klar, daß England die erste Macht war,
die diesen ersten verhängnisvollen Schritt
tat, und völlig verdient es das Urteil, das
ihm zuteil geworden. Die Einführung der
Dreadnoughts ließ in gewissem Grade die
Hunderte von Kriegsschiffen, die England
hatte, veraltet erscheinen. Als Deutschland
mit dem Bau von Dreadnoughts begann, hatte
es keine große Flotte, die dadurch wirkungs-
los wurde. Dies gab ihm in gewissem Grade
einen gleichen Status mit England.
Andererseits muß man anerkennen,
daß Deutschlands so sehr über seine Be-
dürfnisse hinausgehende Betätigung im
Kriegsschiffbau England unvermeidlich
zwingt, zu folgen, da seine Existenz von der
Vorherrschaft zur See abhängt, damit es
seine Nahrungszufuhr sichere. So beharren
die beiden Nationen in einem verderblichen
Wettbewerb, der wiederum andere Nationen
in größerem oder kleinerem Maße zwingt,
dasselbe zu tun.
Zugunsten Deutschlands ist noch zu
sagen, daß es bereitwilligst seinen Wunsch
ausdrückte, in den Schiedsvertrag mit
Amerika einzutreten, dem sich auch Frank-
<§s
reich und England anschlössen. Wenn diese
vier Mächte durch ein solches Abkommen
verbunden sein werden, ist nur ein Schritt
nötig, um den anderen Nationen der Welt
anzudeuten, daß sie, die übereinkommen, alle
internationalen Streitigkeiten schiedlich zu
lösen, mit Mißfallen jede andere Nation be-
trachten würden, die den Weltfrieden brechen
wollte.
Wir sind der festen Ueberzeugung, daß
die Zeit nicht so entfernt ist, wo sich diese
Mächte wieder einander nähern und den
Weltfrieden durch gegenseitige Abkommen
sichern werden. Kommt dieser Tag, dann
glaube ich, daß Deutschland unter der Führung
seines friedlich gesinnten Kaisers so handeln
wird, wie es neulich handelte, und seinen
lebhaften Wunsch zum Ausdruck bringen
wird, sich mit seinen Schwesternationen zu
vereinigen.
Das scheinbar unlösbare Problem unserer
Tage ist folgendes. Es gibt keinen Herrscher
noch klugen Staatsmann in der Welt, der
nicht wüßte, daß der Friede das größte
Interesse für sein Land bedeutet. Dem-
entsprechend gibt es keinen, der nicht die
Herrschaft des Friedens wünschen würde.
Die erste Frage ist nun: Wie ist das zu
sichern, was jede Nation für das Beste hält
und wirklich von Herzen wünscht, nämlich
der Friede mit ihren Nachbarn ?
Wenn jede Nation, wie sie es neulich an-
läßlich der Londoner Konferenz*) tat, ihre
zwei hervorragendsten und fähigsten Männer
ernennen würde, damit diese zusammentreten
mit der Aufgabe, ihre gemeinsame Aktion mit
ihren gemeinsamen nationalen Wünschen in
Einklang zu setzen, so würde, glaube ich, ein
Ergebnis erreicht werden, wie es einstimmig
auf der Londoner Konferenz erreicht wurde.
Unlösbar ist das Problem nur, weil die Staats-
männer der verschiedenen Länder sich gegen-
seitig als ständige Feinde betrachten, statt aus-
zuführen, was sie alle fühlen, daß nämlich der
internationale Friede das Beste für alle ist.
In einer solchen Konferenz würden die
Schwierigkeiten verschwinden; sollte sie aber
doch scheitern, so hätten wir wenigstens die
Befriedigung, daß wir die Bahn des Giftes
kennen, welches die Adern der Nationen noch
immer füllt. „Wir hassen nur, was wir nicht
kennen." Wenn Deutschland, England, Ame-
rika, Rußland, Frankreich, Oesterreich, Italien
nur wüßten, wie aufrichtig alle den Frieden
wollen, würde alles gut sein und eine mit dieser
Erkenntnis übereinstimmende Aktion würde
unternommen werden. Es ist das gegenseitige
Mißtrauen, ein Mißtrauen, das auf keiner festen
Grundlage beruht, das die Kulturvölker heute
vom internationalen Frieden abhält.
Ich glaube, daß dieses Mißtrauen nicht
andauern kann."
*) Gemeint ist die Londoner Seerechts-
konferenz.
= DIE FRI EDENS -^X*\RXE
Ein Handbuch des Völkerrechts.
Von Dr. Hans Wehberg, Düsseldorf.
Die deutsche Völkerrechtswissenschaft er-
lebt gegenwärtig unzweifelhaft eine besondere
Blütezeit. Im Jahre 1912 ist ein „Jahrbuch
fjür den internationalen Rechts-
verkehr" von Rechtsanwalt Dr. Wertheimer
begründet worden, und Anfang 1913 erscheint
ein noch viel großartiger angelegtes „Jahr-
buch des Volk er rechts" (herausge-
geben von Professor Niemeyer und Dr. Strupp),
so daß wir auf dem Gebiete des internationalen
privaten wie öffentlichen Rechts fortan wert-
volle Nachschlagwerke in Form von Jahr-
büchern besitzen. Die Erörterung der tief-
greifenden Probleme der Haager Konferenzen
ist durch die Sammlung „Das Werk vom
Haag" in besonders weitschauender Weise
begonnen worden. Auch wurde kürzlich eine
„Deutsche Vereinigung für inter-
nationales Recht" auf Anregung Nie-
meyers begründet. Nun beginnt zu alledem
ein großartiges „Handbuchdes Völker-
rechts"*) zu erscheinen, das ein Meister-
werk der systematischen Bearbeitung des ge-
samten Völkerrechts sein wird. Da ist in der
Tat die Behauptung von einer Renaissance der
deutschen Völkerrechtswissenschaft begründet.
Im Gegensatze zu den anderen großen
Staaten, die auf völkerrechtlichem Gebiete eine
besondere Rolle spielen, haben wir in Deutsch-
land nur sehr wenige systematische Werke
über das gesamte Gebiet des Völkerrechts.
Nur v. Liszt und v. Ulimanns Bücher ge-
hören zu den größer angelegten Werken dieser
Art. Das Buch von Albert Zorn ist recht
knapp gehalten, und das Werk von Quaritsch
verfolgt keine eigentlich wissenschaftlichen
Zwecke. Es kann daher nicht bestritten wer-
den, daß der Gedanke, ein „Handbuch des
Völkerrechts" zu begründen, ein vortrefflicher
war. Wir Pazifisten müssen es besonders
freudig begrüßen, wenn die wertvollen Prob-
leme des Völkerrechts weiten Kreisen bekannt
gemacht werden.
An die Lektüre der ersten Lieferung des
Handbuches und des darin abgedruckten Vor-
bemerkes von Stier-Somlo bin ich nicht ohne
eine gewisse Furcht gegangen, wir können
in diesem Handbuche ein Werk erleben, das
in aller und jeder Beziehung, so auch in der
Tendenz, dem 1885 — 1889 erschienenen „Hand-
buche des Völkerrechts" von Holtzendorff
gliche. Bereits Professor Schücking hat in
seiner „Organisation der Welt" (S. 65) darauf
hingewiesen, „in welch unglaublich reaktio-
närer und verständnisloser Weise in dem
Holtzendorffschen Buche die Probleme der
internationalen Organisation behandelt worden
sind", und daß „z. B. ein gewisser Professor
Lueder aus Erlangen die geistvolle Betrach-
tung anstellt, das Aufhören der Kriege sei
nicht das richtige Kulturideal, weil es der
*) Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart.
DIE FRIEDENS -WARTE
1©
göttlichen Weltordnung widerspräche." Heute,
wo das Interesse an völkerrechtlichen Din-
gen so ungemein gewachsen ist, müßte eine
antipazifistische Tendenz eines von so kom-
petenter Seite herausgegebenen Werkes noch
größeres Unheil anrichten.
Aber es ist im Gegegensatze zu dem Werke
von Holtzendorff festzustellen, daß der dies-
malige Herausgeber Stier-Somlo, wie man
das ja von einer Persönlichkeit mit so weitem
Blicke nicht anders erwarten konnte, in ganz
hervorragender Weise den modernen pazi-
fistischen Tendenzen gerecht geworden ist.
In der Vorbemerkung redet er gleich von den
„großen Bestrebungen des Pazifismus"; er
weist bei der Charakterisierung der modernen
Entwicklung vor allem auf die Haager
Friedenskonferenzen und die Schiedsgerichts-
fälle hin, und er hat — dies ist das größte
Verdienst — von den vierzehn Kapiteln seines
Handbuches nicht weniger als zwei ausschließ-
lich den Haager Friedenskonferenzen und der
internationalen Schiedsgerichtsbarkeit \ ge-
widmet. Diese große Berücksichtigung des
Schieds- und Friedensgedankens erhebt das
Werk über alle bisher vorhandenen Lehrbücher
des Völkerrechts. In der Tat haben die
neueren Lehrbücher von Oppenheim, Liszt,
v. Ulimann u. a., wie hoch bedeutsam diese
Publikationen auch sind, die welthistorische
Bedeutung der Haager Konferenzen nicht ge-
nügend berücksichtigt. Daß hier der Angel-
punkt aller weiteren Entwicklung zu suchen
ist, tritt in keinem jener anderen Werke mit
ausreichender Deutlichkeit hervor. Man be-
denke, daß Stier-Somlos Werk vor der bahn-
brechenden Arbeit Schückings über den
„Staatenverband der Haager Konferenzen" er-
schienen ist, und man wird diese Eigenart da-
her ganz besonders schätzen müssen.
Sehr wichtig ist, daß die beiden Kapitel
über die Schieds- und Friedensbewegung von
so hervorragenden Männern wie Lammasch
und Zorn geschrieben werden. Gerade die
maßvolle Art der beiden Verfasser wird unsere
Ideen außerordentlich propagieren. Auch die
übrigen Mitarbeiter an dem Handbuche sind
als durchaus fortschrittlich bekannt: Heilborn,
Frhr. v. Dungern, Schönborn, Fleischmann,
Huber, Hold v. Ferneck, Zitelmann, Kohler
und Stier-Somlo selbst. Has Handbuch soll
in drei bis vier Bänden erscheinen und etwa
1914 fertig sein. Der erste Band umfaßt die
„Grundbegriffe und Geschichte des Völker-
rechts" von Professor Heilborn. Eine
ausführliche Erörterung dieser ersten vortreff-
lichen Lieferung gehört nicht in diesen Zu-
sammenhang. Es muß hier genügen, auf
einige allgemeine Gesichtspunkte hinzuweisen.
Außerordentlich erfreulich ist bei der
Heilbornschen Darstellung die fortwährende
Berücksichtigung der neuesten Völkerrechts-
entwicklung, insbesondere des Schiedsgerichts-
wesens, der Haager Friedenskonferenzen, des
zentralamerikanischen Gerichtshofes usw.
Zahlreiche Hinweise auf alle diese neuesten
Errungenschaften finden sich in seiner Dar-
stellung, und die Würdigung ist in allen Fällen
sehr gerecht und fortschrittlich. Auf S. 15
sagt er: „Dem völkerrechtlichen Schiedsver-
fahren steht vermutlich eine große Zukunft
bevor." Wie ausgezeichnet findet sich auf
Seite 23 die Bemerkung: „Zwischen dem
Völkerrecht und dem Krieg besteht in der Tat
ein Widerspruch, welcher nicht vertuscht wer-
den soll. Als Ordnung des staatlichen Ver-
kehrs und Zusammenlebens will und muß das
Völkerrecht das von ihm anerkannte subjektive
Recht schützen, ihm, nicht aber der Macht
zum Siege zu verhelfen. Die Tendenz des
Völkerrechts muß deshalb auf Beseitigung, zu-
nächst auf allmähliche Verminderung der
Kriege gerichtet sein."
Freilich wäre vielleicht ein noch ausführ-
licheres Eingehen auf den Zusammenhang
zwischen Völkerrecht und Friedensbewegung
wünschenswert gewesen. Heilborn will, wie
er ausdrücklich bemerkt, das Problem des
ewigen Friedens nicht erörtern. Aber die
Frage, in welchem Zusammenhang Völker-
recht und Pazifismus stehen, ist doch zu
grundlegend und neuerdings zu oft auf-
geworfen worden, als daß man bei der Er-
örterung der Grundbegriffe des Völkerrechts
dieses Problem so gut wie ganz beiseite lassen
könnte. Heilborn gibt, wie aus den obigen
Bemerkungen hervorgeht, den innigen Zu-
sammenhang zwischen beiden, der vor allem
durch Schücking betont worden ist, ohne
weiteres zu. Aber andere, z. B. Giese (Lite-
rarisches Zentralblatt vom 21. IX. 1912), be-
haupten, beide hätten nicht den geringsten
Zusammenhang. Namentlich deshalb wäre
eine Erörterung dieses Problems wünschens-
wert gewesen. Es ist aber wahrscheinlich,
daß dies erst in der von Zorn in Aussicht
gestellten Abhandlung geschehen soll, da ja
die Haager Friedenskonferenzen in dem denk-
bar größten Zusammenhange mit dem Pazi-
fismus stehen und bei dem Ueberblick über
die Verhandlungen dieser Konferenzen eine
Stellungnahme zur Friedensbewegung not-
wendig sein wird.
Sehr schade ist, daß Heilborn Schückings
Werk nicht mehr benutzen konnte. Er leugnet,
daß wir eine organisierte Gemeinschaft haben
und beschränkt sich in der Hauptsache auf
die Widerlegung der v. Lisztschen Anschau-
ungen über diese Frage.
Im übrigen Ist die Heilbornsche Dar-
stellung eine ausgezeichnete Einleitung für das
ganze Werk. Sie ist sehr übersichtlich an-
geordnet und benutzt eine sehr reichhaltige
deutsche, französische, englische, italienische,
holländische usw. Literatur.
Nach alledem dürfen wir ein Werk von der
Tendenz und der Anlage des Stier- Somloschen
Buches mit großer Freude begrüßen. Wel-
chen Fortschritt hat doch unsere Idee inj den
letzten 25 Jahren gemacht, daß sie so weite
<§:
DIE FRIEDEN5-^\*\RXE
Kreise ergriffen hat! Die Friedensbewegung
ist nicht mehr auf die Vertretung durch einige
Außenseiter angewiesen, sondern die Wissen-
schaft des Völkerrechts selbst hat den Kampf
aufgenommen und trägt das Banner des Fort-
schritts voran. Von diesem fast einheitüchen
Auftreten der deutschen Völkerrechtswissen-
schaft und dem Emporblühen des „Verbandes
für internationale Verständigung" wird sich
in der Hauptsache die Weiterentwicklung der
durch die deutsche Friedensgesellschaft zuerst
angeregten Friedensbewegung in Deutschland
vollziehen. In den nächsten Jahren müssen
die Regierungsbeamten, Richter, Staatsanwälte
sowie alle Intellektuellen außer den Chau-
vinisten gewonnen werden. Wir Jüngeren
werden noch den Sieg der großen Idee er-
leben, das Eintreten des offiziellen Deutsch-
lands für den Pazifismus. Wer die Richtung
unserer Zeit begriffen hat, dem muß der
Sieg unserer Sache gewiß sein.
Die Bewegung in den Vereinigt.
Staaten zugunsten der schied-
ikhen Erledigung des Panama-
Kanal-Streits mit Großbritannien.
Am 16. August vorigen Jahres nahm der
amerikanische Senat mit 48 gegen 18 Stimmen
eine Bill an, worin unter anderem bestimmt
wurde, daß die amerikanische Küstenschiffahrt
den Panamakanal gebührenfrei wird benutzen
können. Darin erblickte England eine Ver-
letzung des Hay-Pauncefote-Vertrages vom
18. November 1901, wonach der Kanal allen
Nationen auf gleicher Grundlage offen sein
soll. (Siehe über den Streit die Ausführungen
in der „Friedens- Warte" 1912, S. 341 u. f.)
Das Verlangen Großbritanniens, den Streit-
fall vor das Haager Schiedsgericht zu bringen,
wurde merkwürdigerweise von amerikanischer
Seite dahin erwidert, daß es sich um eine
„innere Angelegenheit" der Vereinigten Staaten
handle, der Fall daher nicht arbirabel sei.
Eine gewisse Presse in Europa erblickte darin
triumphierend eine Niederlage der Schieds-
gerichtsbarkeit !
Nunmehr hat sich aber in den Ver-
einigten Staaten eine Bewegung zugunsten
der schiedlichen Lösung jenes Streitfalles ent-
wickelt, von der in der europäischen, nament-
lich aber in der deutschen, Presse nur sehr
spärlich Notiz genommen wird, trotzdem sie
von hoher Bedeutung ist.
An die Spitze dieser Bewegung hat sich
Präsident Taft selbst gestellt, der am
4. Januar, bei einem ihm von der Gesellschaft
„International Peace Forum" im
Hotel Waldorf-Astoria gegebenen Bankett,
eine Rede zugunsten der schiedlichen Erledi-
gung der Panamafrage hielt.
„Wenn die Zeit kommt," so sagte er,
„unterliegt es keinem Zweifel, was ich bezüg-
lich einer Unterwerfung der Frage zur Ent-
scheidung vor einem unparteiischen Tribunal
tun werde. Ich bin bereit, mit Eng-
land zur Schiedsgerichtsbarkeit
zu gehen, sobald wir zu dem • strittigen
Punkt gelangen . . . Ich würde mich schämen,
mit England nicht zur Schiedsgerichtsbarkeit
bereit zu sein, über den Inhalt des Vertrages,
wenn wir den genauen Streitpunkt erreicht haben
werden, in dem wir differieren. Man sagt, ich
solle das nicht tun, weil wir verlieren würden.
Das ist unser Kanal, und England würde wegen
dieses Streites keinen Krieg führen. Warum
daher nachgeben, wenn es unwahrscheinlich ist,
daß wir ein befriedigendes Schiedsurteil er-
reichen. Aber ohne Eier zu zerbrechen, kann
man keine Omelette machen. Man muß manch-
mal gefaßt sein, besiegt zu werden. Eine
sichere Sache wird unter Gentlemen nicht als
eine ehrenvolle Wette angesehen." Nach Taft
sprach der Bankier M. Henry Clews, der
ebenfalls die Schiedsgerichtsbarkeit für die
Kanalfrage forderte, obwohl er sagen mußte:
„Wir sind im Unrecht und werden wahr-
scheinlich eine Niederlage erleben, wenn die
Sache nach dem Haag kommt, um dort ent-
schieden zu werden." Später soll sich Präsident
Taft geäußert haben, daß er es vorziehen
würde, den Fall einem aus Engländern und
Amerikanern zusammengesetzten Sondertribu-
nal zu unterbreiten, statt dem Haager Hof,
im Hinblick darauf, daß ganz Europa an der
Entscheidung interessiert ist, und das Ueber-
gewicht des europäischen Einflusses einer un-
parteiischen Entscheidung Abbruch täte. Diese
Anschauung, die nach Lage der Sache absolut
keinen Vorwurf gegen die Haager Institution
enthält, sahen sich einige deutsche Zeitungen
bemüßigt, unter der Ueberschrift „Präsident
Taft gegen das Haager Schiedsgericht" zu
veröffentlichen.
Diese Erklärung des Präsidenten ist nicht
die einzige Aktion zugunsten der schiedlichen
Erledigung des Streitfalles in den Vereinigten
Staaten.
Am 22. November trat Elihu Root bei
einem Handelskammer-Bankett in New York
gegen die Kanalbill auf und sagte, daß diese
Amerika in die Lage eines treubrüchigen
Kaufmannes bringe.
Josef H. Choate, der Hauptdelegierte
der Vereinigten Staaten auf der IL Haager
Konferenz und Charles Francis Adams,
der bekannte Historiker, protestierten, am
14. Dezember bei einer Sitzung der New-
Yorker genealogischen und biographischen Ge-
sellschaft, der auch der großbritannische Ge-
sandte, James Bryce, beiwohnte, gegen die
Haltung des Senats in dieser Frage.
Die New York World veröffentlicht
in ihrer Nummer vom 18. Dezember eine
Enquete, die sie telegraphisch bei den Präsi-
denten der amerikanischen Universitäten und
DIEFßlEDEN5-^^DTE
3
Kollegien unternommen hatte, in der in über-
wältigender Weise die schiedliche Erledigung
des Panama-Falles verlangt wird. Als eine
„ewige Schande" wird es da bezeichnet, wenn
die Panamabill nicht zurückgezogen wird;
„eine nichtswürdige Politik ist es, einen Ver-
trag zu verletzen," sagt Starr Jordan. „Die
Vertragsbestimmungen müssen heilig ge-
hlalten werden" telegraphiert Blurton aus
Northampton. „Unbegreiflich," „ehrlos" sind
die Worte, die in fast jeder Antwort vor-
kommen, und alle fordern Rücknahme der
Bill oder Schiedsentscheidung. In seiner Ant-
wort an die „World" sagte Nicholas Mur-
ray BiUtler, daß Amerika durch die Ab-
lehnung der schiedsrichterlichen Erledigung
des Streitfalles „dauernd entehrt" sein
Werde. „Wir erkauften das Recht zur Er-
bauung des Kanals durch ein Pfand," sagte
er, „und dieses Pfand war die Verpflichtung,
die Schiffe aller Staaten gleichmäßig zu be-
handeln. Nun sind welche unter uns, die jetzt
dieses Pfand gewaltsam zurückweisen, und so
in ein er An g el ege nh ei t des natio-
nalen und internationalen Ver-
kehrs eine ehrlose Handlung be-
gehen wollen, die sie in ihren
Privatangelegenheiten keinen
Augenblick in Erwägung ziehen
würden."
Auf der Jahresversammlung der „ A meri-
can Society o f Judicial Settlement
K>f international Dispute s", die am
20. Dezember in Washington tagte, brauchte
Präsident P. W h e e 1 e r von New York scharfe
Worte gegen diejenigen, die sich weigern, den
Streitfall dem Schiedsgericht zu unterbreiten.
Er sagte am Schluß seiner denkwürdigen Aus-
führungen, „es würde tausendmal besser sein,
der Panamakanal wäre nie gebaut worden,
lals daß die Vereinigten Staaten
ihre verpfändete Treue brechen
und die Stellung einer Nation ein-
nehmen, die dringlichst darauf be-
stand, daß Großbritannien Fragen
der Schiedsgerichtsbarkeit unter-
breite, die die Vereinigten Staaten
nicht einmal direkt berührten, nun
aber, wo sie selbst angerufen wer-
den, dem Haager Hofe eine Frage
dieser Art zu unterbreiten, es ver-
weigern." F.
Korrespondenz aus England.
Zur Jahreswende blickt man natürlicher-
weise zurück auf die Ereignisse des vergan-
genen Jahres, insofern dieselben die Bezie-
hungen zwischen England und Deutschland
beeinflußt haben. Mit großer Freude be-
stätigen wir in England, daß zu Anfang 1913
diese Beziehungen sich außerordentlich ver-
bessert haben, so daß man sagen kann, daß
bei den jüngsten Verhandlungen der beiden
Regierungen zur Aufrechterhaltung des euro-
päischen Friedens das intime Verhältnis der
beiden verwandten Nationen zueinander herz-
licher war, wie schon lange nicht. Und doch
haben auf englischer Seite viele Umstände,
wie z. B. die letzten öffentlichen Reden Chur-
chills und Lord Roberts, dahin gewirkt, daß
deutsche Chauvinisten sich noch immer schroff
gegen eine engere Annäherung stellen.
Wer hier die deutsche auswärtige Politik
gegenüber England verfolgt hat, muß freudig
zugeben, daß Kaiser Wilhelm, wenn auch nicht
öffentlich, hierin eine leitende Rolle gespielt
hat. Denn wie freundlich auch das deutsche
Volk — die Sozialdemokraten sowie auch viele
der bürgerlichen Parteien — dem Inselreich
gesinnt ist, so liegt doch die Leitung der aus-
wärtigen Politik schließlich in Allerhöchsten
Händen, was auch immer die Alldeutschen
dazu sagen mögen. Die Wahl geeigneter Per-
sönlichkeiten, wie die des so früh verstorbenen
Grafen Marschall und des jetzigen Botschafters
Fürst Lichnowsky, hat in England allgemein
Beifall gefunden, und dürfen englische und
deutsche Pazifisten sich besonders freuen, daß
ihre Bestrebungen von den deutschen Bot-
schaftern in London sowie von dem englischen
Auswärtigen Amt unterstützt worden sind. Als
Resultat kam dann Ende Oktober die Ver-
ständigungskonferenz in London zustande, die,
obwohl nicht offiziös, doch etwas beigetragen
hat zu der jetzigen besseren Stimmung zwischen
England und Deutschland. Ueber die Kon-
ferenz selbst hat die Friedens-Warte ausführ-
lich Bericht erstattet. Der Gedanke, eine
Konferenz abzuhalten, wurde schon im No-
vember 1911 von dem National Peace Council
aufgeworfen, und dann im Laufe des Jahres
1912 von dem Kirchlichen Komitee energisch,
von der British German Friedenship Society
aber nur zögernd unterstützt. Dennoch sind
wir jetzt alle einstimmig der Ansicht, daß
das Zusammenkommen angesehener Männer
Deutschlands und Englands ihre öffentlichen
Auseinandersetzungen und vielleicht ganz be-
sonders die geselligen Veranstaltungen, bei
denen die Delegierten sich persönlich kennen
lernten, der Sache der Verständigung be-
deutend geholfen hat. Ein privates Zu-
sammensein der führenden Persönlich-
keiten dürfte besonders erwähnt werden. Auf
Einladung des Vorsitzenden des National
Peace Council, Mr. Gordon Harvey, liberales
Mitglied, und des Oberst Williams, konserva-
tives Mitglied des englischen Unterhauses,
kamen einige Teilnehmer der Konferenz bei
einem Privat-Diner mit englischen Parlamen-
tariern im House of Commons zusammen. Von
dieser Festlichkeit ist natürlich wenig an die
Oeffentlichkeit gedrungen, aber es ist bekannt,
daß von englischen Staatsmännern, die Minister
Lloyd George und Lewis Harcourt,
der ehemalige konservative Minister Bal-
four, der jetzige Führer der Konservativen,
Bonar Law, und der Führer der Sozialister
@=
DIE FRIEDEN5-^^RXE
Ramsay Macdonald, anwesend waren.
Wir vernehmen ferner, daß unser Minister des
Auswärtigen Amtes, Sir E. G r e y , mit einem
bekannten deutschen Teilnehmer eine Unter-
redung hatte. Ein Bericht über die Konferenz
ist wohl auch in allerhöchste Kreise in Deutsch-
land gedrungen!
Und wie steht es nun um unsere weitere
Arbeit zum Legen der Vorurteile hüben und
drüben? Das Komitee der Konferenz führt
zurzeit seine Arbeit fort, da wir aus Deutsch-
land erfahren, daß das entsprechende deutsche
Komitee im laufenden Jahre eine zweite, ähn-
liche Konferenz wahrscheinlich in Berlin ein-
berufen wird, und ist es zweckmäßig, daß die-
selbe Organisation, die mit den Regierungs-
kreisen in enger Fühlung steht, bis dahin be-
stehen bleibt.
Einstweilen aber gibt es für jeden in Eng-
land lebenden Deutschen sowie für alle eng-
lischen Freunde Deutschlands noch viel zu
tun. Und hier muß man besonders die Arbeit
zum Verständnis Deutschlands und deutscher
Verhältnisse sowie zur Annäherung der beiden
Völker betonen, die von Deutschen, wie dem
an der Universität Cambridge tätigen Prof.
Dr. Karl B r e u 1 und dem deutschen Konsul
in Manchester, Hauptmann d. R. S c h 1 a g i n t-
weit, geleistet wird. Dasselbe kann leider
von vielen in England lebenden Deutschen
nicht gesagt werden, die oft englischer sind
wie die Engländer!
Was englische Pazifisten vor allem zu be-
kämpfen haben, ist der von englischen Chau-
vinisten geschürte Militarismus. Denn wir
haben in England auch unsere Bernhardi —
den greisen Feldmarschall Lord Roberts —
und andere Militärs und Junker, die von
der Furcht vor Deutschland beseelt sind!
Arme, blinde Menschen 1 Sie sollten doch ein-
mal die große Friedensbewegung in Deutsch-
land studieren und sich unter das deutsche
Volk begeben, statt immer nur den Worten der
deutschen Chauvinisten zu lauschen. Sogar
einer der bekanntesten Schriftsteller, der sonst
vernünftige Frederic Harrison, der in seinem
Alter überall nur die sogenannte deutsche Ge-
fahr erblickt, gibt im Neujahrshefte der „Eng-
lish Review" dem englischen Volke eine noch-
malige Warnung und unterstützt Lord Roberts
und die englischen Militärs a. D<. in der Pro-
paganda zur Einführung der allgemeinen Wehr-
pflicht als einziges Mittel, die „deutsche Gefahr"
zu legen. Ueber diesen letzten Punkt möchte
ich, mit Erlaubnis der Redaktion, später ein-
mal zurückkommen. C. W . . .s.
London, 5. Januar 1913.
Konservative Meujahrsfreude.
Randglossen zu einem Artikel
des Herrn Dr. Adolf Grabowsky, Berlin.
Die neubegründete „Wochenschrift für
konservativen Fortschritt" (eine eigentüm-
liche contradictio in adjecto), die den Titel
„Das neue Deutschland" führt, befaßt sich
an der Spitze ihrer Nummer vom. 11. Jan.
mit der Broschüre „D er Weg zum Welt-
friede n", die den Herausgeber dieser Blätter
zum Verfasser hat. Wir sind gewiß weit ent-
fernt davon, die Berechtigung einer konser-
vativen Weltanschauung nicht anzuerkennen,
wenn wir auch einer anderen Welt-
anschauung zugewandt sind und für
diese arbeiten. Die Berechtigung des
Konservatismus soll jedoch in dieser
Welt der Gegensätze und Rundungen
nicht bestritten werden. Ebenso können wir
verstehen, daß das Programm des Pazifismus
tnit dieser Weltauffassung nicht harmoniert
und demgemäß von ihr bekämpft werden muß.
Gerade deshalb fordern aber wir von unseren
politischen Antipoden dieselbe Erkenntnis, die
gleiche Gerechtigkeit und Anerkennung, ein
über dem Parteigesichtspunkt stehendes Ver-
stehen unseres Wirkens.
In dem erwähnten Artikel vermissen wir
jedoch diese Objektivität. Der Verfasser
freut sich über den „Bankerott des Pazi-
fismus", der ihm in jener Broschüre
zum Ausdruck zu kommen scheint. Er sieht
nicht, daß es eigentlich der Bankerott seiner
Auffassung des Pazifismus ist, die er sich un-
gerechtfertigterweise gebildet hat.
Daß er den Herausgeber dieser Blätter
gleich in der ersten Zeile als „Friedens-
apostel" anspricht, beweist zwar seine völlige
Unkenjntnis über den Pazifismus, es sei ihm aber
verziehen, da es schwer ist, sich von solchen
Klischees zu emanzipieren. Daß er es aber
als „Heiterkeit" empfindet, weil in der der Bro-
schüre beigegebenen Chronik auch „sämtliche
kriegerischen Konflikte, ebenso auch alle mili-
tärischen Rüstungen" angeführt werden, läßt
erkennen, daß er nicht vorurteilslos der Sache
gegenübertrat; denn bei etwas weniger guter
Laune hätte er erkennen können, daß in jener
Chronik nicht nur die Masse der auf die
Völkerverständigung hinzielenden Daten an-
geführt worden ist, sondern — und zwar zum
besseren Verständnis des Geschehens — auch
alle Aeußerungen des noch lebenden alten
Geistes in der Politik. Die „Heiterkeit", die
den Beurteiler darob befiel, entspringt nicht
der Ueberlegenheit oder einer überragenden
Sachkenntnis. Dann heißt es:
„Fried zieht die Bilanz für 1912 und
hält für das Hauptergebnis des abgelaufenen
jahres, daß der den Pazifisten so lieb-
gewordene und schöne Gedanke von der
Beseitigung des Krieges durch die Schieds-
gerichtsbarkeit nun endgültig fallen ge-
lassen oder wenigstens auf das richtige Maß
zurückgeführt werden müsse. Schieds-
gerichte seien nur bei Rechtsstreitigkeiten
wirksam. Wo bleibt der Traum vom
Haag ?"
Diese Darstellung ist unrichtig. Nicht die
■richtige Klassifizierung des Schiedswesen be-
DIE FRIEDENS- V&DTE
■3
zeichnete ich als das Hauptergebnis dieses
Jahres, sondern (S. 6) das Werk der anglo-
deutschen Verständigung.
Die richtige Klassifizierung der Schieds-
gerichtsbarkeit habe ich aber auch nicht erst im
Jahre 1912 angeregt, sondern schon vor zehn
Jahren und habe sie seither mit wachsendem
Erfolg in meinen Schriften vertreten. Die
Mehrheit der denkenden Pazifisten ist dieser
Ansicht; sie brauchen sie nicht erst jetzt zu
entdecken. Ich schrieb lediglich, daß „Viele"
von uns den ihnen liebgewordenen Gedanken
Hunmehr endgültig fallen lassen müssen.
„Viele" sind aber nicht „alle".
Damit habe ich aber keineswegs die
Schiedsgerichtsbarkeit verworfen, wie der Ver-
fasser jenes Artikels glaubt und glauben
machen will. Ich habe sie nur richtig ein-
geordnet, indem ich sagte: „Ihre (der Schieds-
gerichtsbarkeit) Rolle wird um so größer sein,
je höher das internationale Recht
entwickelt sein wird in der Mensch-
heit. Die Schiedsgerichtsbarkeit wird die
Krönung der Weltorganisation sein, aber
nicht ihr Fundament." Damit ist die
Antwort auf die naive Frage „Wo bleibt der
Traum vom Haag?" gegeben; denn im Haag
ist es ja, wo das internationale Recht immer
weiterentwickelt wird.
Ich habe immer daran festgehalten, daß
wir der gewaltlosen Streitschlichtung zu-
steuern müssen, die gegeben ist a) durch
diplomatische Verhandlungen, b) durch die
Schiedsgerichtsbarkeit, c) durch die ordent-
liche Staatengerichtsbarkeit. Diese Dreiteilung
ist angepaßt den Erfordernissen der Praxis,
für Interessen-, Macht- und Rechtsfragen. Der
Umstand allein, daß unsere Gegner glauben,
wir predigen die Schiedsgerichtsbarkeit als
Allheilmittel, veranlaßte sie, unsere Bestre-
bungen für utopisch zu halten. Wir betrachten
sie aber nur als eine für besondere Fälle be-
stimmte Art der mannigfaltigen pazifistischen
Streitschlichtungsmethoden. Nicht wir haben
unsere Ansicht geändert, die Gegner sollen an-
fangen, die ihre über uns zu revidieren.
Es ist auch nicht richtig, wenn in jenem
Artikel gefolgert wird, daß Schiedsgerichte
nur bei untergeordneten Streitigkeiten
möglich seien. Ein Blick auf die Schiedsfälle
der letzten Jahre beweist das Gegenteil. Rechts-
fragen sind im heutigen Völkerleben nicht
immer untergeordnete Streitigkeiten.
Im übrigen geht der Verfasser, wie alle
Gegner des Pazifismus, von dem grundlegen-
den Irrtum aus, als wollten wir den Krieg
aus den politischen Verhältnissen, so wie
diese heute sind, beseitigen, was uns
natürlich nie einfällt. Wir wollen nicht das
Symptom des Uebels beseitigen, sondern dessen
Ursachen. Darum treten wir für eine Ver-
änderung dieser heutigen politischen Verhält-
nisse ein, für eine Umwandlung der Politik
der Gewalt in eine Politik der Verständigung
durch starke Infiltration mit der internatio-
nalen Rechtsidee, für eine Organisation der
heute zum Teil noch anarchischen Staaten-
geselischaft. Und in Verbindung mit diesem
Grundproblem unserer Bewegung bewegt sich
die Forderung einer nach diesen Grundsätzen
handelnden „modernen Diplomatie", was
Dr. Grabowski als unsern „allerletzten Ret-
tungsanker" bezeichnet. Es ist unser Funda-
ment 1 Wir betreiben eben nur die Prophy-
laxis des Krieges, die Hygiene des internatio-
nalen Lebens, was uns vernünftiger erscheint
als die Doktor Eisenbart-Kuren der Blut- und
Eisen-Apostel. Noch einmal sei's gesagt: Man
vergleiche uns nicht mit einer Feuerwehr,
die berufen ist, einen Brand zu löschen,
wenn er schon ausgebrochen ist, son-
dern mit einer Agentur für Imprägnie-
rungsmittel, deren Anwendung den Aus-
bruch des Brandes verhindern kann.
So aufgefaßt, wird es den Gegnern vielleicht
doch möglich sein, unsere Bewegung etwas
objektiver zu beurteilen. Sie würden sich nur
selbst ehren, wenn sie zu einer solchen Beur-
teilung kommen würden. Unseren Glauben
an den Erfolg brauchen sie ja nicht zu teilen,
nur als Dummköpfe und Narren sollen sie
aufhören, uns hinzustellen, denn es könnte
ihnen passieren, daß die öffentliche Meinung
diese Vorwürfe auf ihre Urheber zurückwirft.
A. H. F.
Der Deutsche Bund als Vorbild
der Staatenorganisation.
Von Dr. phil., jur. et sc. pol. G. Grosch.
Für die Realisation der Staatenorgani-
sation, welch letztere sich juristisch als
völkerrechtlicher Staatenbund darstellen wird,
kann der frühere Deutsche Bund ein Vor-
bild abgeben. Mutatis mutandis kann die
Friedensorganisation des Erdballs so kon-
stituiert werden wie seinerzeit der Deutsche
Bund. Darum soll auf seine hauptsächlichsten
Institutionen, soweit sie für die eben er-
wähnte Verwirklichung eines Zusammen-
schlusses der Staaten in Betracht kommen,
einmal die Aufmerksamkeit gelenkt werden.
Der Zweck des genannten Bundes war
— gemäß der deutschen Bundes-Akte vom
8. Juni 1815 — die Erhaltung der äußeren
und inneren Sicherheit Deutschlands und der
Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der
einzelnen deutschen Staaten. Die Mitglieder
des Bundes versprachen, sowohl ganz Deutsch-
land, als jeden einzelnen Bundesstaat gegen
einen Angriff in Schutz zu nehmen; sie ga-
rantierten sich gegenseitig ihre sämtlichen
unter dem Bunde begriffenen Besitzungen.
Deshalb machten sie sich verbindlich, ein-
ander unter keinerlei Vorwand zu bekriegen,
noch ihre Streitigkeiten mit Gewalt — d. i.
durch Krieg — zu verfolgen, sondern bei
der Bundesversammlung anzubringen.
8
@=
DIE FR! EDENS -^O^RXE
Die Bundesversammlung war zusammen-
gesetzt aus Delegierten der Staaten. Ihr
lag bei einem entstehenden Zwist zwischen
den Mitgliedstaaten ob, die Vermittlung
durch einen Ausschuß zu versuchen. Schlug
dieser Versuch fehl, und wurde demnach eine
richterliche Entscheidung not-
wendig, so sollte diese durch eine wohl-
geordnete Austrägal-Instanz bewirkt werden,
deren Ausspruch die streitenden Teile sich
sofort zu unterwerfen hatten.
Das Austrälverfahren war durch eine be-
sondere Ordnung vom 16. Januar 1817 geregelt.
Der inkriminierte Staat — wenn von dessen
Seite gezögert wurde, hatte es die Bundes-
versammlung zu tun — mußte drei Mit-
glieder benennen, die an dem entstandenen
Zwist unbeteiligt waren. Der beschwerde-
führende Staat wählte aus den dreien sich
einen aus, und dessen höchstes Gericht ver-
handelte und entschied den Streit „im Namen
und anstatt der Bundesversammlung, sowie
vermöge derselben Auftrags". Es wurde das
Urteil gefällt und publiziert; es war damit
rechtskräftig und konnte, wenn nötig, von
Bundes wegen exequiert werden.
Damit war der Krieg als rohes
Zwangsmittel aus den gegenseitigen
Beziehungen der Bundesstaaten eliminiert.
Nur als Rechtsschutzmittel blieb der
Krieg auch weiter anerkannt. „In einem
Falle war der innere Krieg nicht zu ver-
meiden : nämlich wenn ein Bundesstaat in
Erfüllung seiner durch den völkerrechtlichen
Grundvertrag übernommenen Bundespflichten
säumig und zu ihrer Einhaltung anders als mit
den Waffen nicht herbeizubringen war; denn
das schließliche völkerrechtliche Exekutions-
mittel ist der Krieg." Hierfür war eine Exe-
kutionsordnung — vom 3. August 1820 — auf-
gestellt, so daß der Zwang innerhalb der
Schranken des Rechts gehandhabt wurde.
Schon St. Pierre hat für die „Union
de l'Europe", die er vorschlägt, auf das
damalige Deutsche Reich exemplifiziert, das
ja nicht viel fester organisiert war als der
spätere Deutsche Bund. Er führt etwa aus:
Durch die kaiserliche Acht würden die Ver-
wegensten abgehalten, Krieg mit den übrigen
zu beginnen, weil sie sonst fürchten müßten,
depossediert zu werden; und geschähe es
doch, so sei daran schuld die Verbindung mit
auswärtigen Souveränen, die sie gegen die
Gefahr der Acht deckten. Wenn nun diese
Glieder des deutschen Reichskörpers keine
Nachbarn hätten, die sich in die Angelegen-
heiten jener einmischten, würde es niemals Krieg
zwischen ihnen geben; wenn also diese Ver-
einigung, anstatt sich auf Deutschland allein
zu beschränken, alle Souveräne, alle Staaten
Europas umfaßte, würde es keinen Krieg
mehr geben, weder im Deutschen Reich noch
im übrigen Europa.
Das „tertium comparationis" ist nicht
— wie etwa ein Gegner einwerfen könnte — ,
daß das frühere Deutsche Reich sich auf-
gelöst habe und der Deutsche Bund ge-
sprengt worden sei, daß also einer even-
tuellen Friedensorganisation der Staaten das
gleiche Schicksal drohe; jenes sind po-
litische Bewegungen gewesen, die ja ihren
Abschluß in dem neuen Deutschen Reiche,
einem durchaus festen staatlichen Gefüge,
gefunden haben. Nein, wenn wir vergleichs-
weise auf das alte Deutsche Reich und den
Deutschen Bund hingewiesen haben, so
wollten wir damit nur 'sagen, daß ähnliche
Institutionen, wie die künftige Friedens-
organisation der Staaten, bereits bestanden
haben.
Einen weiteren Einwurf, den man noch
machen könnte, lehnen wir gleichfalls ab ; näm-
lich den, daß es sich bei unseren Beispielen
um Zugehörige zu demselben Volke gehandelt
habe. Dem können wir ruhig das Argument
entgegensetzen, daß der Verkehr in der heu-
tigen Staatenwelt viel intensiver, der Austausch
der Kulturerrungenschaften viel leichter, das
Herüber- und Hinüberfluten von einem Staate
zum andern — nicht nur etwa bloß der Waren,
sondern ebenso der Personen und Geistes-
produkte — viel häufiger geschieht als in dem
früheren Deutschen Reiche. Diesen Inter-
nationalismus können die erpichtesten
Rassenfanatiker nicht mehr leugnen, denn er
ist tagtäglich geradezu mit Händen zu greifen.
Die gegenseitige Annäherung der Völker voll-
zieht sich unaufhaltsam, und der Menschheit
einend Band wird sich um die heutigen Staaten
sicherlich ebenso fest schließen wie früher das
Bewußtsein der Volksgemeinschaft um die
Territorien des Deutschen Bundes.
Der Fortschritt der Menschheit besteht
darin, daß das Unvollkommene durch immer
Vollendeteres abgelöst, daß das weniger Gute
durch Besseres ersetzt, daß nach schwäch-
lichem Vorbild ein starkes, ragendes Monument
gestaltet wird. So kann der Deutsche Bund
als vorbildlich für die Friedensorganisation der
Staaten angesehen werden; indes, diese wird
jenen weit übertreffen. Schon der Umstand,
daß es sich um die Organisation der Mensch-
heit und nicht bloß um einen, wenn auch noch
so bedeutsamen Bruchteil von ihr handelt, er-
hellt zur Genüge, welcher Fortschritt mit der
Biefriedigung der heutigen Staa-
te n w e 1 1 erreicht wird.
Mit Nachdruck ist darauf hinzuweisen, daß
die rechtliche Ausgestaltung der Staaten-
gemeinschaft schon längst in Angriff ge-
nommen wurde. Das Völkerrecht, das zwischen-
staatliche Recht, ist schon Jahrhunderte alt;
und gerade in unserer Zeit ist ein neuer Auf-
schwung zu konstatieren: die Haager Frie-
denskonferenzen, der durch dieselben konsti-
tuierte Schiedshof, all das sind herrliche An-
sätze, gesunde Keime, die auf reiche Früchte
hoffen lassen.
Gewiß, die Gegner jubeln, daß nicht mit
einem Schlage schon alles erreicht worden ist.
DIE FßlEDENS-^^BTE
3
daß immer noch der Krieg als roher Zwang
wütet, daß immer wieder Rückfälle eintreten.
Diese kleinlichen Geister stellen sich wie blind
gegen die Erwägung, daß der Aufstieg der
Menschheit ein gar langsamer und mühsamer,
von Rückfällen bedrohter gewesen ist. Aber
gerade wer diesen ehrlich ins Auge faßt, der
ist voller Genugtuung darüber, daß schon so
Großes erreicht worden ist, Größeres bereits
in die Wege geleitet wird. Wir befinden uns in
einer neuen Phase der Menschheitsgeschichte;
wir gehen einem neuen, einem Völkerfrühling
entgegen.
Frankreichs Großmachtsstellung
und Kulturziele.
Von Herrn. Fernau, Paris.
Frankreich ist heute unbestreitbar die
friedliebendste Großmacht in Europa ge-
worden. Allerdings dürfen wir unsere Vogesen-
nachbarn nicht mit den Wissenschaften und
Beobachtungsfähigkeiten der „führenden"
Tagespresse beurteilen, wenn wir ehrlich fest-
stellen wollen, inwieweit die französische
Nation seit etwa 40 Jahren ihre „glorreiche"
napoleonische Tradition verleugnet. Alles zielt
heute bei den Franzosen auf eine neue Kultur
hin, die keinen Platz mehr hat für Waffenruhm
und nationalen Eigensinn und in direktem
Gegensatz zu jener „Großmachtpolitik" steht,
von der seit Bismarck in Europa so viel ge-
redet wird und die wie eine beständige Be-
diohung des Friedens über den Völkern Eu-
ropas hängt.
Für den denkenden Menschen gibt es nicht
leicht einen sinnloseren Begriff als er in
Worten wie Großmachtpolitik, Großmacht-
stellung usw. usw. zum Ausdruck kommt. Ver-
geblich bemühe ich mich seit Jahren, hinter
das Geheimnis dieser und ähnlicher Worte
unserer Diplomatensprache zu kommen. Ich
bin ganz unfähig, zu verstehen, inwieweit die
Großmachtpolitik zum menschlichen Glücke
unentbehrlich ist. Mein Respekt vor den
Diplomaten und Zeitungsschreibern, die seit
Jahrzehnten mit dieser Ware so lärmend beim
Volke hausieren gehen, ist darob nicht sonder-
lich gewachsen. Sie sind mir verdächtig
und auch ein bißchen lächerlich die Leute,
die mit einem Auge immer in China herum-
schielen, mit dem anderen „unsere Interessen-
sphären" in Marokko und am Bosporus beob-
achten, die beständig von der Bedrohung
„unseres Einflusses", „unserer Machtstellung"
und anderer kostbarer Dinge reden, und deren
Weisheit letzter Schluß immer derselbe ist:
Wir müssen rüsten und wieder rüsten, zu
Wasser und zu Lande, auf, unter und über
der Erde, damit wir unsere Großmacht-
stellung erhalten, damit man uns nicht „ein-
kreise", nicht erdrücke, sondern „im Konzert
der Großmächte" respektiere, usw. usw.
Aber damit, daß uns Pazifisten die Groß-
machtpolitiker und Diplomaten allenthalben
verdächtig und lächerlich zu werden beginnen,
ist es nicht getan. Es gilt zu beweisen, daß
sie überflüssig und schädlich in der moderne»
Welt sind, daß wir, die Bürger der Kultur-
nationen, fähig und wülens sind, unsere Ge-
schäfte fortan ohne diplomatische Vermittlung
zu machen. Es gilt dem Volke klarzumachen,
daß die „hohe" Diplomatie eine Gefahr für
den Frieden und Fortschritt der Menschheit
bildet. Wir müssen den Großmachtpolitikern
und allen, die ihrer Art sind, endlich ein neues,
vornehmeres und ehrlicheres Kulturideal ent-
gegensetzen, eine KuUtur, in der man nicht
mehr so balkenbrechend lügt, sondern in der
man die geheimen Ursachen der sogenannten
Großmachtpolitik beim richtigen Namen nennt,
auf die Gefahr hin, einige patriotische Emp-
findlichkeiten zu verletzen. Wenn es uns
nicht gelingt, den Diplomaten den Wind aus
den Segeln zu nehmen, ihren Einfluß beständig
zu schwächen und sie so allmählich überflüssig
in der modernen Welt zu machen, dann werden
wir noch auf lange hinaus ohnmächtig bleiben.
Da ist nun Frankreich, das bekanntlich
auch überall seinen „großen Stein im Welt-
schachbrett" hat. Prinzipiell sollte eine Re-
publik mit dem hohlen Phrasengewirr der
Diplomatie aufräumen und eine ehrlichere
Sprache reden, als sie bisher in der inter-
nationalen Politik geführt wurde. Aber die
Zeiten, wo wir nur noch sprechen werden, um
verstanden zu werden, jenes goldene Zeitalter,
wo die Bildung der Massen gebieterisch
fordern wird, daß nur noch diejenigen reden
und schreiben, die wirklich etwas zu sagen
haben, ist trotz der republikanischen Etikette
selbst in Frankreich noch nicht angebrochen.
Auch in Frankreich regiert man noch mit
hohlen Worten. Ganz ebenso wie anderswo
redet man auch in Frankreich noch von der
„nationalen Ehre", von der Schönheit und Not-
wendigkeit der kolonialen Expansion, der
„friedlichen" Durchdringung Marokkos und
ähnlichen Kinkerlitzchen mehr. Drei Viertel
aller Leute, die täglich ihre Zeitung lesen, ver-
stehen trotzdem nichts von dieser „hohen Po-
litik", mit der man nichtsdestoweniger über
das Wohl und Wehe, über Krieg und Frieden
der Bürger entscheidet. Das letzte Viertel
verhält sich dieser diplomatisch-finanziellen
Metaphysik der Neuzeit gegenüber zwar miß-
trauisch, aber es weiß trotz aller Aufklärung
noch immer nicht recht, welche ureinfachen
Dinge die Sprache der Diplomaten im Grunde
verdeckt; sehr viele ahnen dunkel, daß es
sich dabei um Geschäfte handelt, die nicht
ihre Geschäfte sind, daß man ihre Haut ver-
pfändet, um die Dividenden einer Bank zu
erhöhen usw., aber . . sie sind in der Minder-
zahl. Ihre Proteste verhallen. Und darum
regieren heute die Könige der Finanz in
Frankreich mit einer Art moderner Metaphysik,
die als Basis die Glaubhaftmachung von der
10
<5S
DIE FRIEDENS-^VÄBXE
Notwendigkeit einer starken Großmachtpolitik
hat und die sich im übrigen mit den demo-
kratischen Prinzipien der Republik ganz ge-
schickt abzufinden weiß. In der Monarchie
regiert man noch mit der Glaubhaftmachung
der göttlichen. Autorität, in der weltlichen Re-
publik dagegen mit dem latenten Respekt der
Volksmassen vor den Weisheiten der „geheimen
Diplomatie". Die Mittel sind verschieden, das
Ergebnis dasselbe: Dienstbarmachung des
Volkswillens für die (rein materiellen) Ge-
schäfte einer Dynastie, eines Banktrusts usw.,
Bearbeitung der Volksmeinung nötigenfalls bis
zur Kriegsbegeisterung. — Und doch besteht
zwischen dem Respekt vor dem Uebernatür-
lichen (Diplomatie der Monarchie) und dem
Respekt vor dem bloß Unverständlichen (Di-
plomatie der Republik) jener kleine Abstand
um den uns die Franzosen in der Kultur vor-
aus sind. Der Respekt vor der von Gott ein-
gesetzten Monarchie ist nämlich viel schwerer
durch die freie Kritik zerstörbar als jener
andere. Und deshalb sehen wir, daß sich seit
einiger Zeit in Frankreich eine Kritik gegen
das Vorhandensein der Diplomatie breit macht,
die den Regierenden ernstlich unangenehm zu
werden beginnt. Frankreichs Bürger werden
nämlich mit Hilfe ihrer demokratischen Er-
ziehung von Tag zu Tag respektloser und neu-
gieriger in Sachen der „hohen Politik". Sie
nehmen nicht alles mehr für „bare Münze",
was man ihnen bietet. Zudem erlaubt ihnen
ihre Staatsverfassung schon heute Rechen-
schaft zu fordern über die kulturelle, prinzipielle
und soziale Notwendigkeit ihres diplomatischen
Apparates. Oder, um es anders auszudrücken :
Die französische Demokratie ist im Begriff,
eine gründliche Umwertung der Werte auf
diesem Gebiete vorzunehmen.
Diese Umwertung wird erst dort möglich,
wo alles das, was wir in Deutschland noch
als erstrebenswertes nationales Ideal, als natio-
nale Kraft, Pflicht, Würde usw. verehren, in
Dekadenz gerät. Wenn wir die französische
Demokratie mit der deutschen Monarchie ver-
gleichen, ist Frankreich in der Tat ganz und
gar dekadent, das heißt viele „Staatsbürger-
tugenden", die nur noch im Gewissenszwang
und in der Dummgläubigkeit der Massen ihren
Halt finden, sind in der Freiheit der Demo-
kratie schon längst verschwunden. Ueberall
sind dergestalt heute in Frankreich die
Breschen und Brücken zu einer ehrlicheren
Kultur geschlagen. — Am deutlichsten läßt
sich diese Dekadenz des alten Frankreich wohl
am Militarismus feststellen. Nicht nur, daß
die nicht wachsende Bevölkerung dem Mili-
tarismus heute bereits eine numerische Kräfte-
zunahme verbietet, nicht nur, daß die Zahl
der Deserteure (trotz der fehlenden Soldaten-
mißhandlungen) in Frankreich zehnmal größer
ist als in Deutschland, daß der französische
Offizier ganz im Gegensatz zu seinem deutschen
Kollegen wenig Kriegsbegeisterung zeigt und
daß die immer lauter zur Herrschaft drängende
Arbeiterklasse immer klarer die Zwecklosigkeit
des heutigen Militarismus nachweist, nein, auch
die Lehrerschaft ist heute bereits in Frank-
reich deutlich antimilitaristisch, das heißt pa-
zifistisch gesinnt*). — Es ist eine für uns
erfreuliche Tatsache, daß die überwiegende
Mehrheit der französischen Lehrer der Jugend
heute bereits die Ideale des Pazifismus lehrt,
denn eben damit wird auf die wirksamste Weise
der Boden vorbereitet, auf dem in Frankreich
eine neue Kultur erblühen kann. Wenn die
Leute ä la Millerand seit einiger Zeit so viel
Bemühungen um die Wiederbelebung der
nationalen und militaristischen Tradition an-
stellen, wenn sich Frankreichs Regierung seit
etwa zwei Jahren so krampfhaft bemüht, diesem
Gassenjungen der europäischen Kultur einen
neuen Flitter um die kriegsdrohende Stirn zu
winden, so sind eben diese Bemühungen für
jeden Einsichtigen ein Beweis, daß Frank-
reichs Militarismus (ich meine hier den Mili-
tarismus als aggressive Kraft, auch als Kaste
und Karriere für Raufbolde; daneben gibt es
noch einen Militarismus der guten Art, den
auch der Pazifist in Kauf nehmen kann) in
unaufhaltsamer Dekadenz begriffen ist. Würde
man sonst die Volksbegeisterung für Militär-
paraden und Ruhmfassaden schon allenthalben
künstlich beleben müssen?
Wie also wird jene Kultur aussehen, die sich
allem Anschein nach ganz ebenso aus dem gegen-
wärtigen dekadenten Frankreich zu entwickeln
beginnt, wie sich die bürgerliche Demokratie
von heute aus der Greisenhaftigkeit und Sitten-
verlotterung der französischen Monarchie am
Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt hat?
Ich habe es oben bereits anzudeuten ver-
sucht: Die militaristische Dekadenz unserer
Nachbarn muß die Republik zu einer allmäh-
lichen Verzichtleistung auf Großmachtpolitik,
Außendiplomatie usw. usw. führen. Marokko
war die letzte Tat dieser dekadenten Außen-
politik. Man weiß heute in Frankreich, für
wen man eigentlich Marokko „erobert" hat.
Und wohi niemals hat ein Volk die Erwerbung
einer Kolonie gleichgültiger aufgenommen, als
die Franzosen 1911 ihr Marokko. — Fortan
wird sich Frankreich in Sachen der Weltpolitik
immer mehr seinem schweizerischen Vorbilde
nähern. Und als gute Pazifisten können wir
die Franzosen zu dieser Entwicklung und Ab-
kehr von der Hohlheit der Großmachtpolitik
nur beglückwünschen. Denn jene Nationen,
die keine Großmachtpolitik treiben, die nicht
bis an die Zähne bewaffnet stehen, um ihre
„Interessensphären" und Expansionsmähren
gewaltsam zu verteidigen, jene Völker, die die
Kultur erst innen suchen, ehe sie sich unter-
fangen, sie nach außen zu tragen, haben sich
bisher im kommerziellen Wettstreit (und auf
diesen allein kommt es in der modernen Welt
noch an) mindestens ebenso wacker gehalten
**) Siehe hierzu meinen Aufsatz : „Die fran-
zösischen Lehrer und der Pazifismus" in „Das
freie Wort", zweites Novemberheft 1912.
11
DIE FBIEDENS-^ÖJZTE
'3
als die sogenannten Großmächte. Die
Schweizer zum Beispiel sind ohne Kolonien,
Großmachtpolitik und anderen Djiplomaten-
unsinn glücklicher, vaterlandsstolzer und fried-
liebender als die Bürger jener Nationen, deren
angeblich „große Ziele" sich für den einzelnen
nur immer durch eine fortwährende Erhöhung
der Steuern fühlbar machen. Was kümmert
den Schweizer (den Norweger, Schweden,
Holländer, Belgier usw.) die Marokkoaffäre,
die Balkankrise und die sonstigen Hinterländer
der Diplomaterei? Er ist frei von Befürch-
tungen. Er kann den zwecklosen Kämpfen
der Großmachtfritzen mit glücklicher Ver-
achtung zusehen. Und dabei entwickeln sich
seine Industrien ebenso gut, seine Reichtümer
nehmen ebenso schnell zu, ja seine Finanzen
sind sogar in besserer Ordnung als die der
Großmächte. Die Bürger dieser Länder sind
ein für allemal frei vom Alpdruck der Groß-
machtpolitik, frei vom Alpdruck der Kriegs-
möglichkeit. Ihr unaufhaltsamer Fortschritt
in Industrie und Handel, insonderheit die Zu-
nahme ihrer Exporttätigkeit, sollte doch nach-
gerade auch den Blindesten beweisen, daß
man in unserer Zeit keiner Armeen und Flotten
bedarf, um der Vorzüglichkeit seiner Produkte
auf dem Weltmarkte zum Siege zu verhelfen.
Wählen wir ein noch krasseres Beispiel für
die Zwecklosigkeit der großmächtigen Kriegs-
rüstungen: Eben jetzt beklagen sich die Fran-
zosen sehr lebhaft über die „deutsche Inva-
sion", das heißt über den ständig zunehmenden
Import deutscher Erzeugnisse. Und Gott weiß,
daß man in Frankreich die „camelote alle-
mande" nicht liebt. Wenn nun die deutsche
Industrie die französische Konkurrenz im
eigenen Lande trotz der hohen französischen
Zollmauern für gewisse Artikel schlägt, welcher
Esel möchte uns dann wohl beweisen, daß
wir einer schlagfertigen Armee bedürfen als
Voraussetzung und Garantie für die friedlichen
Siege der deutschen Industrie in Frankreich?
Wie, die Franzosen könnten (wenn keine
deutsche Armee bereit stände) die deutsche
Einfuhr einfach durch prohibitive Zölle ver-
nichten ? Und ihr eigener Export nach Deutsch-
land? Und die im Hintergrund lauernde Re-
volte der Volksmassen gegen die dadurch be-
dingte Preissteigerung? Unsere Armee ist, wie
gesagt, überflüssig zum Schutze unseres Ex-
ports nach Frankreich. Das gleiche läßt sich
auch für andere Länder nachweisen, wo
„unsere Interessensphären" und Absatzgebiete
angeblich in Gefahr sind.
Wir stolzen Bürger der Großmächte, die
wir mit hohlen Phrasen und diplomatischer
Verlogenheit unser Leben und unseren Geist
vergiften in dem kindlichen Glauben, daß die
Diplomaten einem Bedürfnis entsprechen und
an unserem Glücke arbeiten, wir sollten die
schweizerische Anspruchslosigkeit in Sachen
der Großmachtpolitik als das höhere Glück,
das heißt als die gesündere Kultur beneiden.
An der Schweiz und einigen anderen Klein- m
Staaten seilen wir sehr deutlich, daß sich die
Lebenskraft, Gesundheit und Entwickiungs-
freudigkeit der Nationen in Wirklichkeit an
ganz anderen Dingen mißt als an Kolonial-
politik und hochtönendem Geschwätz über
Großmachtstellung, nationale Wehrkraft und
dergleichen. — Ich begehe wahrscheinlich eine
Ketzerei wider den heiligen Geist des Patrio-
tismus, aber ich sage es offen: Für die Groß-
machtstellung Deutschlands bin ich (als guter
Deutscher, wenn ich bitten darf) nicht ein-
mal bereit, meinen kleinen Finger zu opfern,
denn mein kleiner Finger dient mir zum Ab-
stäuben der Asche, wenn ich Zigaretten rauche
und ist mir darum dienlicher als Deutschlands
Großmachtstellung.
Ich komme auf mein Thema zurück : Auch
Frankreich beginnt zu begreifen, was hier
eigentlich Kultur ist: nämlich das Fallenlassen
jenes kostspieligen, verlogenen und gefähr-
lichen „Bluffs", den wir Großmachtpolitik
nennen. Die wahre Republik, die ehrlich auf
das Allgemeinwohl bedachte Demokratie
braucht weder stehende Heere noch diploma-
tische Schwere um ihre Lebenskraft zu be-
weisen und ihr Ideal zu verwirklichen. — Das
so überaus fragwürdige und gefährliche Ding,
das wir zum Beispiel heute noch „nationale
Ehre" nennen, wird in einer nahen Zukunft
jeden kriegerischen Eigensinn verlieren müssen.
In dem Maße nämlich, als der einzelne Bürger
zum Verständnis dessen erwacht, was die Dy-
nastien oder Finanzmenschen eigentlich natio-
nale Ehre nennen, in dem Maße auch, als die
Beziehungen der Menschen immer inter-
nationaler werden und die Staatsgrenzen immer
stärker im Handel und Wandel der Zeit ver-
wischen, wird es allmählich unmöglich, sich
dieses Dinges als einer Kriegsursache oder als
Kriterium der menschlichen Glückseligkeit zu
bedienen. Die Republik wird darum auf-
hören müssen, mit den im neunzehnten Jahr-
hundert geschaffenen Dreipfennigsweisheiten
der Diplomaten noch länger beim Volke hau-
sieren zu gehen. Heute besteht im franzö-
sischen Volke bereits ein instinktiver Wille
zum Frieden und zur Einfachheit der guten
Nachbarschaft, den nur noch die „führende"
Presse zu leugnen wagt und den alle jene
Chauvinisten totschweigen, die mit Patriotismus
und Armeelieferungen ihr Geld verdienen.
Die verjüngte französische Demokratie
wird im zwanzigsten Jahrhundert auf den
Blödsinn der Großmachtpolitik, auf den Wort-
schwall der Diplomaten und auf die Fiktion
von der „biologischen" Feindseligkeit der
Rassen verzichten; sie wird als erste Groß-
macht ihren „Feinden" die versöhnende Hand
bieten zur gemeinsamen Weiterarbeit an den
Schicksalen der Menschheit.
An uns ist es, den herrschenden deutschen
Imperialismus so zu schwächen, daß er diese
versöhnende Hand annehmen muß. Das ist
keine leichte Aufgabe. Sehr viele Aktienkurse
werden nämlich mit diesem Händedruck herab-
12
<§=
= DIE FRIEDENS -WARTE
gedrückt, sehr gewinnbringende Operationen
der Großbanken usw. auf immer unmöglich
gemacht werden. Es gehört viel vornehme
Selbstüberwindung dazu, mit 2 o/ Dividenden
zufrieden zu sein, wo man früher 10 °/o ver-
teilte. Und darum wird es bei dieser Umwer-
tung der nationalen Ehre und Heere hüben und
drüben genug Leute geben, die in einer solchen
Friedenserklärung eine neue Kränkung der
nationalen Integrität und Autonomie, eine Fäl-
schung der „biologisch-historischen Mission"
der Völker, eine Bedrohung der deutschen
Kultur und dergleichen herausrechnen werden.
Aus allen diesen Gründen gehört es zu
den vornehmsten Aufgaben der deutschen Pa-
zifisten der Gegenwart, die deutsche De-
mokratie vorzubereiten. Denn die Verwirk-
lichung der deutschen Demokratie wäre heute
eine der sichersten Friedensgarantien in
Europa. Erst mit der deutschen Demokratie
und . . Republik wird nämlich erst jene Ver-
brüderung der feindlichen Nachbarn von heute
möglich, deren ,, diplomatische Spannung"
Europa seit 40 Jahren zerteilt und beunruhigt:
A bon entendeur, salut . .
Pazifisten der antiken Welt.
Von Iro Ojserkis, Wien.
Es mag wohl paradox erscheinen, in der
antiken Welt, in welcher Götzenkulte mit ihren
grauenhaften Menschenopfern, Schaukämpfe
mit reißenden Tieren, die Blutrache, die
Sklaverei als Institution, großzügige Kriegs-
unternehmungen heimisch waren, in jener Ge-
sellschaft, welche Vergehen gegen die be-
stehende Ordnung mit Kreuzigung, Steinigung
und anderer körperlicher Verstümmelung ahn-
dete, Spuren einer Friedenspropaganda oder
auch nur eines vereinzelt aufflackernden,
ernsten Sehnens nach dauernder Eintracht und
Freundschaft unter Staaten und Nationen
suchen zu wollen. Und doch verlohnt es sich,
auf diese Frage näher einzugehen, zumal wir
auch eine sympathische Kehrseite des Alter-
tums kennen. Diese Periode der Menschheits-
geschichte war nämlich reich an ideellen Re-
gungen des Geistes und Herzens, sie brachte
Männer hervor, welche theoretisch und nach
Möglichkeit auch praktisch die umfassendste
Menschenliebe, wahrhaft demokratische Frei-
heit, weitherzige soziale Gerechtigkeit, Vor-
urteilslosigkeit im Verkehre von Individuen
und Nationen mutig verfochten. Wir können
in der Antike Fälle leicht nachweisen, wo die
Kriege ihre zureichende Begründung hatten,
wo echter Patriotismus dem Bürger das
Schwert in die Hand zwang, als rohe Gewalt
von außen dessen Haus- und Gemeinwesen
überfiel und sich darin selbstherrlich festzu-
setzen suchte. Man denke beispielsweise an
die kleinen semitischen Völker, die gegen die
mächtigen, eroberungssüchtigen Assyrer und
Babylonier sich ihrer Haut fortwährend er-
wehren mußten — man beachte, wie die galli-
schen Stämme dem genialen Cäsar verzweifel-
ten Widerstand leisteten, als er sich anschickte,
auf den Trümmern ihrer Bauerngehöfte und
ihrer respektablen Kultur die römische Herr-
schaft zu etablieren, — man vergegenwärtige
sich schließlich, was aus den zahllosen Stadt-
staaten Griechenlands geworden wäre, wenn
sie sich nicht aufgerafft und zusammenge-
schlossen hätten, um die persische Invasion
zurückzuschlagen, die der hellenischen Frei-
heit, dem hellenischen Genius den Garaus zu
machen drohte. Und noch ein wichtiger Um-
stand soll nicht übersehen werden, daß nämlich
die antike Kriegführung im Vergleich mit der
modernen — wenn auch bloß wegen der
ganz primitiven Waffentechnik — einfacher
und, fast möchte man sagen, humaner war.
1. Nach diesen Vorbemerkungen wollen
wir nun der Besprechung der einschlägigen
antiken Literatur uns zuwenden. Da tritt uns
zunächst die grandiose, Ehrfurcht einflößende
Persönlichkeit des jüdischen Propheten Jesaias
entgegen. Dieser gottbegeisterte Seher wird
nicht müde, im Hinblick auf die eifrigen Ex-
pansionsbestrebungen der assyrischen Könige
Tiglath-Pilesar IL, Salmanassar IV., Sargon
und Sanherib, die insbesondere gegen Israel,
Juda und Aegypten gerichtet waren, sein Ideal
der Universaltheokratie, d. h. eines Reiches,
das alle Nationen der Erde, regeneriert und
ausgesöhnt, unter Führung von Jahve um-
fassen sollte, zu propagieren. Mit überwälti-
genden Worten verkündet er im Kapitel 2, 4-5
diesen politischen Umschwung, der von Jeru-
salem ausgehen soll: „Und er (Jahve) wird
zwischen den Heiden richten und vielen Völ-
kern Recht sprechen, und sie werden ihre
Schwerter zu Karsten umschmieden und ihre
Spieße zu Winzermessern. Kein Volk wird
mehr gegen das andere das Schwert erheben
und nicht mehr werden sie den Krieg er-
lernen." Und Kap. 57,19 sagt Jesaias: „Ich
will Frucht den Lippen schaffen, die da pre-
digen: Friede, Friede, beides denen in der
Ferne und denen in der Nähe — spricht der
Herr und will sie heilen." Bevor aber diese
selige Zeit erblüht, meint dieser überzeugte
Volksmann und mannhafte Streiter für Recht
und Wahrheit, müsse ein furchtbares Straf-
gericht über die Laster der Reichen und Mäch-
tigen aller Völker gehalten werden, wodurch
die Herzen geläutert und zur Betätigung von
wahrem Gottesglauben, Gerechtigkeit und
Frieden bekehrt werden. Sogar wilde Tiere
werden in diesen Weltfrieden einbezogen, denn
nach Jesaias 11, 5 würden selbe in jener Zeit
der allgemeinen göttlichen Erkenntnis ihre
Schädlichkeit ablegen und sich unter den Men-
schen harmlos herumtreiben. Mag man in dem
Entwürfe dieses Zukunftsbildes lediglich einen
poetisch-utopischen Erguß eines Schwärmers
erblicken, so bleibt dennoch die Tatsache be-
stehen, daß die erhabene Idee der Völkerver-
söhnung und Abrüstung, allerdings in reli-
13
DIE FRIEDENS -^&DTE
3
giösem Gewände gefaßt, schon vor über 2500
Jahren gedacht, klar ausgesprochen und der
Nachwelt im Buche der Bücher überliefert
wurde. Wenn wir uns vollends vor Augen
führen, daß im Jahre des Heils 1912 die öster-
reichische Armeeverwaltung an der Frontseite
ihres neuen Heimes das nur allzu prosaische,
aufreizende Motto „Si vis pacem, para bellum"
anbringen läßt, so werden wir des grellen
Kontrastes erst recht gewahr und die ange-
führten Jesaiasstellen in kulturhistorischer
Hinsicht nach Gebühr zu würdigen veranlaßt.
* * *
2. Im Neuen Testamente, der Haupt-
quelle des Christentums, findet sich nicht
die geringste Spur von einer Stellungnahme
gegen die Institution des Krieges. Wohl ist
das Verbot „Du sollst nicht töten" daselbst
mehrmals hervorgekehrt, doch ist ohne
Zweifel nur der Einzelmord gemeint. Zu einer
Verdammung des Massenmordes vermochten
sich die Verfasser der Evangelien, so sehr
sie von der Notwendigkeit der Eintracht, der
Nächstenliebe und des gerechten Lebens-
wandels durchdrungen waren, nicht empor-
zuschwingen. Im Gegenteil, in richtiger Vor-
aussicht kommender Dinge prophezeien sie
wiederholt Kriege, Völkerrevolutionen, Greuel
der Verwüstung, Hungersnot und Erdbeben
(vgl. Lukas 21, 9—15, Markus 13, 7—26, und
mehrere andere Stellen). In Matthäus 10,34
meint Jesus, er sei nicht gekommen, um
Frieden zu bringen, sondern das Schwert,
und Lukas 12,49, er sei gekommen, um Feuer
und Spaltung auf die Erde zu werfen. Be-
zeichnend ist die Stelle des Lukasevan-
geliums 3, 14, wo Johannes den Kriegs-
leuten auf ihre Frage, wie sie denn in wür-
diger Weise Buße tun sollten, erwidert, sie
mögen niemanden beunruhigen, von nie-
mandem erpressen und sich mit ihrem Solde
begnügen. Nach dem Zusammenhang der
Rede, wo der Evangelist die Massen, die zur
Entgegennahme der Taufe herbeiströmten,
wegen ihrer Sünden eine Otternbrut schilt
und ihnen als „würdige 'Frucht der Buße"
Altruismus predigt („wer zwei Röcke hat,
teile mit dem, der keinen hat, und ebenso
tue der, der Speisen hat", Luk. 3, 7 f.)
hätten wir etwa folgenden energischen Pro-
test erwartet : „Lasset von Eurem schänd-
lichen Mordhandwerk, denn Ihr könnet nicht
selig werden, solange Ihr Waffen gegen Euere
Mitmenschen führt." In der Epistel an die
Hebräer, Kap. 11, werden im Namen des
Glaubens vollbrachte Kriegstaten aus dem
Alten Testament angeführt. Auch sonst ge-
fällt sich das Neue Testament in kriegerischen
Bildern, z. B. in seiner zweiten Epistel,
Kap. 2, 3 — 6, ermahnt Paulus den Timotheus,
für die Lehre Christi wacker zu streiten,
denn „wer in Kriegsdienst geht, der ver-
flicht sich nicht in Geschäfte der Nahrung,
damit er dem, der ihn zum Dienst geworben
hat, gefalle", und „auch einer, der den Ring-
kampf mitmacht, wird nicht bekränzt, er
kämpfe denn ordnungsmäßig", vgl. dazu
Luk. 14,31 — 34, Paul, an die Epheser 6,
11 — 17. In den Evangelien wird zwar der
Friede häufig erwähnt, so in der orientalischen
Grußformel „Friede dem Hausei", „der Gott
des Friedens sei mit Euch!", „Gnade Euch
und Friede von Gott" — wir lesen Paulus an
die Kolosser 3, 15, „der Friede Christi führe
das Wort in Euerem Hause", Petrus Ep. I,
5, 14, „Friede Euch allen, die in Christus
sind" — wir hören Paulus Ep. an die Phi-
lipper 4, 7 von einem Frieden Gottes, der
höher sei als alle Vernunft, und Paulus an die
Epheser 2, 14 von einer Identifizierung Christi
mit dem Frieden („er ist unser Friede") —
der Friede wird mit unter die zu erstrebenden
Früchte des Geistes gezählt (Paul, an die
Galater 5, 19 f.), jedoch bezieht sich immer
die Friedfertigkeit lediglich auf diejenigen,
„die den Herrn anrufen von reinem Herzen"
(2. Timotheus 2, 22), also auf Gesinnungs-
genossen, auf Mitglieder der christlichen
Glaubensgemeinde. Allgemeiner äußert sieh
Paulus an die Römer 12, 17 — 20, „Wo mög-
lich, so viel an Euch ist, Frieden halten
mit allen Menschen, nicht Euch selbst Recht
schaffen, Geliebte", auch Ep. an die He-
bräer 12,14 heißt es: „Jaget nach der«
Frieden gegen jedermann." Gemeint ist
natürlich hier wie überall im Neuen Testa-
mente der Friede im privaten Leben.
Diese Haltung der ersten Verkünder des
Christentums ist eine natürliche Konsequenz
ihrer Anschauungen über Zweck und Inhalt
des menschlichen Lebens im allgemeinen und
über die individuelle Freiheit im besonderen.
Ihr Gedankengang ist im wesentlichen fol-
gender: Eitel und nutzlos ist das gewöhn-
liche Streben der Menschen nach irdischen
Gütern, all ihr Sinnen und Trachten soll
vielmehr auf die Erlangung „eines Schatzes,
der nicht eingeht", der Seligkeit im Himmel
konzentriert sein, die Sorge um die tät-
lichen Lebensbedürfnisse kann ganz getrost
Gott überlassen werden, die Lust des Fleisches
und der Augen wie auch das Großtun des
Geldes — wie Johannes Ep. I, 2, 16 sagt —
müssen gemieden werden, den Lehrern, den
Besitzenden, den Herren, insbesondere aber
jeder Obrigkeit als Vertreterin Gottes auf
Erden, die überall dazu eingesetzt ist, um
die Bösen zu schrecken und zu strafen, hin-
gegen die Guten zu loben, gebührt be-
dingungslose Unterwürfigkeit und blinder
Gehorsam, um des Zorngerichtes, des Ge-
wissens und des Herrn willen" (vgl. Paulus
Ep. an die Römer 13, 7, „Gebet jedem, was
er zu fordern hat, Steuer dem Steuer, Zoll
dem Zoll, Furcht dem Furcht, Ehre dem
Ehre gebührt", ebenso Petrus Ep. I, 2,
13 — 15). Da jede Opposition als Auflehnung
gegen die göttliche Ordnung angesehen wird,
so dürfen wir mit Recht schließen, daß eine
schwere Sünde begeht, wer beispielsweise
14
<s=
DIE FRIEDENS -WARTE
sogar aus edlen Motiven, wie Menschenliebe
oder Schonung fremden Gutes, sich weigert,
auf seines Fürsten Befehl in den Krieg zu
ziehen. Es ist klar, daß das unermüdliche
Hoffen auf eine bequeme, gemeinsame Selig-
keit im Jenseits, wie auch der sklavische
Autoritätsglaube, da sie einmal als Grund-
sätze im privaten und öffentlichen Leben
gelehrt und betätigt wurden, den Gesichts-
kreis so beengten und für das Aufkommen
der Idee eines Weltfriedens, der Idee einer
wirklichen Verbrüderung aller Menschen ohne
die Schranken der Geburt, der Konfession,
des Landes und der Rasse keinen Raum
ließen. Angesichts dessen mußte auch die
von den Evangelisten häufig gepredigte Nach-
sicht mit menschlichen Schwächen, Barm-
herzigkeit, Gerechtigkeit, vornehmlich aber
die in allen Tonarten gepriesene Nächsten-
liebe (vgl. z. B. die erste Epistel des Jo-
hannes, besonders den ehrungsvollen Hym-
nus auf die Liebe, Paulus Ep. I an die Ko-
rinther, Kap. 13,1 — 11) verblassen und zu
einer bloß auf die Glaubensgenossenschaft
beschränkten Anhänglichkeit und Solidari-
tät erstarren.
Daß auch heute die Offiziösen der
Christenheit, namentlich der katholischen
Kirche, an der alten Anschauung über die
Friedensfrage festhalten, weiß jedermann.
Wer etwa im Zweifel sein sollte, den möchte
ich auf eine charakteristische Aeußerung des
Fürsten Zdenko Lobkowitz, des Präsidenten
der katholischen Union für Oesterreich, in
der Nummer 420 der streng katholischen
,, Reichspost" am 11. September v. J. er-
schienen, aufmerksam machen. Seiner Mei-
nung nach wird der Völkerfriede nach mensch-
lichen, materiellen Gesichtspunkten allein
und ohne Stütze der göttlichen Autorität
nicht begründet werden können; nur die ka-
tholische Kirche, die frei sei von Einflüssen
einer materiellen Macht wie von Opportuni-
tätsrücksichten und Sonderinteressen, habe
die Kraft und den Beruf, die Individuen und
Nationen aus der Wildnis und dem Elend
unserer sozialen und politischen Verhältnisse
zur geistigen Wiedergeburt und zur Ver-
brüderung im Sinne eines gemeinsamen
Strebens und Vervollkommnung zu führen.
Offenbar will uns der hochmögende Herr
glauben machen, daß die Aktionäre der ka-
tholischen Banco di Roma, darunter Kirchen-
fürsten, keine materiellen Interessen ver-
folgten, als sie den berüchtigten italienischen
Spaziergang nach Lybien mit inszenierten.
Nach derselben Logik hätte die „Reichspost"
samt ihren Hintermännern ausschließlich das
Seelenheil der katholischen Albaner im Auge,
da sie seit Wochen deren vielfache Leiden
registriert und Oesterreich mit einem ganzen
Arsenal von schwachbeinigen Argumenten
(vgl. die poetische Regung vom 20. Nov. v.J.,
,,vor unserer Südostgrenze rast die serbische
Bora durch die Schluchten, tollt über die
karstigen Gebirge und wühlt die albanische
Adria in ihren Tiefen auf") zu einer Inter-
vention mit den Waffen zu überreden sucht.
3. Ist die Untersuchung im Neuen Testa-
mente negativ ausgefallen, so dürfen wir mit
um so größerer Zuversicht an den Buddhis-
mus herantreten. Diese im 6. Jahrhundert
vor Christi entstandene schwermütige Re-
ligion mit ihrer Abneigung gegen alles Ueber-
natürliche und Außerweltliche, wie auch
gegen Gebete und Opfer, mit ihrer Aus-
schaltung jeder Autorität, mit ihrer größten
Toleranz und edlen, durchgebildeten Moral
bekundete eine hohe, geradezu rührende Re-
spektierung des Lebens in jedem Wesen. So
meint der erhabene Religionsstifter Buddha,
wer ein Tieropfer bringen wolle, der greife
nach drei unheilbringenden Schwertern, und
zwar nach den auf die Tiertötung abzielenden
Gedanken, Worten und Handlungen, durch
welche er sich selbst zugrunde richte. Wollte
jemand in die buddhistische Religions-
gemeinde aufgenommen werden, so mußte
er sich verpflichten, das erste Gebot ein-
zuhalten, das da lautete: „Man soll kein
lebendes Wesen töten noch töten lassen, noch
die Tötung durch andere billigen, sondern
man soll sich enthalten, allen Geschöpfen
ein Leid anzutun, sowohl denen, die stark
sind, als auch jenen, die sich in der Welt
ängstigen" (Dhammika Sutta 19). Mit
dieser Vorschrift hängt auch die Sitte des
sogenannten Regenzeithaltens (alljährlich von
Juni bis Oktober) zusammen, während welcher
Buddha und seine Jünger in Hallen, Hütten
und Hainen Aufenthalt nahmen und daselbst
den Volksmassen predigten, da sie bei einer
Fortsetzung ihrer Wanderschaft die Keime
von Pflanzen und Insekten auf dem auf-
geweichten Boden vertreten und dadurch eine
schwere Sünde auf sich laden hätten müssen.
Ueberhaupt durfte kein Blut, ausgenommen
das eigene, vergossen werden, deshalb ver-
pönten die Buddhisten die Hinrichtungen,
die Jagd und den Krieg. Interessant ist, daß
König Asoka Priyadärsin (im 3. Jahrhundert
vor Christi), der den Buddhismus zur Staats-
religion erhob und für die Fixierung der
reinen Lehre in eigens hergestellten buddhi-
stischen Schriften wie für die Ausbreitung
dieses Glaubens weit über Indiens Grenze«
hinaus außerordentliches leistete, auf einer
Inschrift die Grausamkeiten tief bedauert,
welche er früher bei der Eroberung des
Landes Kaiinga begangen hatte. In einem
Edikte erzählt von sich derselbe Monarch,
er habe an vier griechische Könige Gesandte
geschickt und nicht durch das Schwert, son-
dern durch die Religion einen Sieg errunge».
Ebenso vernehmen wir, daß diese „Wonne
der Götter" — wie Asoka genannt wird —
in Nachbarländern Krankenhäuser für
Menschen und Tiere errichten, Arzneikräuter
DIE FRIEDENS -WARTE
■3
und fruchttragende Bäume pflanzen und
Brunnen an den Straßen graben ließ. Von
den Lehrsprüchen (Dhammapada) Buddhas
verdient der 201. hervorgehoben zu werden:
„Haß ist des Sieges Kind, weil Besiegte fühlen
Des Unglücks schmerzlichen Druck.
Wer weder Sieger sein noch Besiegter will, dem
Wird Glück und Ruhe zuteil."
Die ganze Religion ist von einem Geiste
der Sanftmut, der gegenseitigen Wertschätzung,
der opferwilligen Entsagung und beschaulichen
Weisheit durchdrungen; im Mittelpunkte steht
die uneingeschränkt und fortwährend zu be-
tätigende Nächstenliebe (-Metta). Durch Ver-
brüderung aller Menschen soll nach Buddhas
Ideal ein Reich der Gerechtigkeit und des
Lichtes geschaffen, ein Zustand der absoluten
Leidlosigkeit (Nirvana) und Vollkommenheit
auf Erden herbeigeführt werden. Kein Wun-
der, daß der Buddhismus, der als einzige von
allen großen Religionen ohne Anwendung von
Gewalt umählige Bekenner gewann, die natio-
nalen Schranken durchbrochen, die grausamen
und rohen Völker Zentral- und Ostasiens zur
Mäßigkeit und Selbstbeherrschung erzogen
und in ihnen die Abneigung gegen andere
Rassen beinahe ausgelöscht hat. —
4. Von den griechischen Philosophen-
schulen kommt für unsere Zwecke die
kynische und stoische in Betracht. Die griechi-
sche Denkweise konnte sich bei der herakli-
tischen Lehre vom Kriege als dem Vater und
König aller Dinge (frg. 53) auf die Dauer
nicht beruhigen, sie erreichte vielmehr später
in der Ethik eine Höhe, die sogar uns Mo-
dernen ob ihrer Erhabenheit imponieren
muß. Die ersten K y n i k e r des 5. und 4. Jahr-
hunderts v. Chr., jene volkstümlichen Prediger
der Bedürfnislosigkeit und Selbstgenügsam-
keit, drangen allerdings zu einer Friedens-
propaganda noch nicht vor; schätzten sie doch
trotz der Mißachtung von herkömmlicher
Kultur und Sitte die Jagd, die Palästra und
den Krieg als Mittel zur Abhärtung der Seele
und des Körpers (Diogenes Laertius VI, 30
und 31). Allein einen anziehenden Punkt
in ihrem Denken bildet der Kosmopolitismus.
Antisthenes, das Haupt der kynischen Schule,
empfand die Ungerechtigkeiten im Leben der
Nationen, den Gegensatz der Unfreien zu den
Freien und der Eingeborenen zu den Fremden
— und Diogenes von Sinope hat als erster in
der Weltgeschichte den Ausspruch getan, er
sei Weltbürger. Ueberhaupt müßten die Ky-
niker, da sie absolute Illusionslosigkeit als
letzten Zweck des Daseins erklärten, die ein-
seitige Verehrung eines Menschen in der Liebe
nicht minder wie die einseitige Wertschätzung
eines bestimmten Volkes oder Landes im
Patriotismus nur als Wahn und Einbildung,
TScpo; ansehen und bekämpfen.
Präziser äußerten sich über den Kosmo-
politismus die Stoiker, die das Reifste
und Höchste, was das sittliche Leben des
Altertums hervorgebracht hat, in ihrer Ethik
lehrten. Nach stoischer Anschauung gehören
alle Menschen als gleiche Vernunftwesen, zu-
mal es in Wirklichkeit nur e i n Recht gibt,
einer umfassenden Rechts- und Lebens-
gemeinschaft in einem Weltstaate an, wel-
cher keine Schranken der Nationalität oder
des historischen Staates kennt. Der Wert-
unterschied von Hellenen und Barbaren, die
Privilegien der Geburt und des Standes sind
überwunden und lediglich die Vernunft gilt
als Gradmesser des Unterschiedes unter den
Menschen. Aus der Idee des Vernunftreiches
ergibt sich den Stoikern das Postulat der um-
fassenden Gerechtigkeit und allgemeinen Men-
schenliebe, in die auch die Sklaven einbe-
zogen werden sollten. Eine direkte Stellung-
nahme gegen den Krieg als solchen würden wir
bei den drei Säulen der Stoa Zenon, Kleanthes
und Chrysippos vergebens suchen. Immerhin
aber ist ein Ausspruch Senecas, des edel-
gesinnten Stoikers und Erziehers des Kaisers
Nero, beachtenswert, wonach ein nie gestörter
Friede ohne Zweifel mehr glückbringend sei
als ein durch vieles Blutvergießen wieder her-
gestellter (Epist. IV, 66, 40). Im fortge-
schrittenen Kosmopolitismus des letzteren tritt
die Menschenliebe und das Mitleid stärker
hervor als bei den •Altstoikern.
Eine genauere Betrachtung verdient der
wandernde Sittenprediger und Sophist des
ersten nachchristlichen Jahrhunderts, Dio
von Prusa, genannt Chrysostomos, der in
seiner Moral an die altkynische und stoische
Lehre anknüpfte. Seine Reden, und zwar 38.,
39., 40., 41., 48., sind eigentlich salbungs-
volle Friedenspredigten. Der Verfasser hat
sich da zur Pflicht gemacht, mit würdevollem
Ernst für Eintracht und Frieden einzutreten,
so oft es sich um die Regelung der Grenz-
und Rangstreitigkeiten benachbarter Städte
oder um Ausgleichung sozialer Gegensätze im
Innern einer Gemeinde handelte. So verherr-
licht er in oratio 38, 11 die Eintracht, fy^voia,
da sie einen göttlichen Ursprung habe und
die Freundschaft, Versöhnung und Verwandt-
schaft umfasse, in oratio 39 feiert er die Ein-
tracht als höchstes Gut. Jeder Friede, heißt
es or. 40, 26, ist besser als ein Krieg und
jede Freundschaft wenigstens in den Augen
der Vernünftigen weit wertvoller und nützlicher
als die Feindschaft sowohl für ein einzelnes
Haus als auch für eine ganze Stadt. Es gibt
nichts Schöneres und Göttlicheres über die
Freundschaft und Eintracht im gegenseitigen
Verhältnisse von Männern und Städten (oratio
41,13). Die Brüderlichkeit, dSeXcpd-njc, gilt ihm
als höchste Wonne (or. 38, 16). Er bedauert
aufrichtig, daß nicht alle Menschen für die
Eintracht Sinn haben, sondern daß manche die
Zwietracht vorziehen, deren Bestandteile und
Förderungsmittel Kriege und Kämpfe sind,
welche unter Staaten und Völkern wie die
Krankheiten im Körper wüten.
©:
DIE FRIEDENS -WARTE
Sehr treffend räsoniert Dio über den
Krieg, or. 38, 16 — 21 : Manche haben den
Krieg dem Frieden vorgezogen, nicht weil sie
ihn für das Bessere, Angenehmere oder Ge-
rechtere hielten, sondern die einen wollten
einen Königsthron, die anderen die Freiheit,
wieder andere Länderbesitz oder die Seeherr-
schaft erringen. Doch wenn man ohne ge-
nügenden Grund zu den Waffen greife, was
sei dies anderes als heller Wahnsinn und ein
Rennen ins Verderben ? Bei natürlichen Uebeln
wie Seuche oder Erdbeben murren die Men-
schen wider die Götter, halten dieselben für
ungerecht und menschenfeindlich, selbst wenn
diese Strafen durch ihre Sünden vollkommen
gerechtfertigt erscheinen. DenKriegaber,
der nicht weniger Unheil anrichtet
als ein Erdbeben, wählen wir selbst
und machen dessen Urhebern
keinen Vorwurf, wir halten sie so-
gar für Volksfreunde, hören recht
gerneihrenRedenzu,befolgenihre
Ratschläge und üben für das von
jenen angerichtete Uebel keinerlei
Vergeltung — wir müßten sonst folge-
richtig mit einem Kriege gegen sie, die Urheber,
uns revanchieren — , vielmehr zollen wir
ihnen noch Dank, Ehre und Lob,
so daß sie arge Toren wären, wenn sie die-
jenigen schonten, die ihnen für das Böse noch
erkenntlich sind.
Um seiner Friedenspropaganda wirk-
sameren Nachdruck zu verleihen, zieht Dio
Chrysostomos Analogien aus der elementaren
und animalischen Welt heran (or. 40, 35 f. und
or. 48,14—16): Himmel, Sterne und die Ele-
mente überhaupt kennen kerne Zwietracht, sie
werden durch Gesetzmäßigkeit, gegenseitige
Liebe und Eintracht zusammengehalten. Die
Vögel bauen ihre Nester nahe beieinander,
ohne über das Futter in Streit zu geraten; die
Ameisen aus benachbarten Haufen, die sich
aus derselben Tenne Körner holen, gehen sich
höflich aus dem Wege, ja sie helfen einander
oft bei ihrer Arbeit; mehrere Bienenschwärme
sammeln auf derselben Wiese Honig und ge-
raten trotzdem in keinen Streit untereinander;
Rinder und Rosse, Schafe und Ziegen ver-
mischen sich friedlich auf der Weide, so daß
aus zwei Herden anscheinend eine wird. Nur
der dumme und verdorbene Mensch ist der
einzige Friedenstörer, er scheint in bezug auf
Verträglichkeit und Zusammenhalten schlechter
als die Tiere zu sein. Mit Bitterkeit meint er
or. 38,17 an die Nikodemier: „Wir Men-
schen hassen die wilden Tiere hauptsächlich
deswegen, weil wir uns mit ihnen in einem
nie beizulegenden Kriege befinden, aber viele
verfahren gegen die Menschen
genau so wie gegen wilde Tiere und
haben ihre Freude an dem Kampfe
gegen stammverwandte Wesen."
Bei drei Persönlichkeiten verschiedener
Rassen und Kulturen des Altertums — Jesaias,
Buddha, Dio Chrysostomos — haben wir in
unseren Ausführungen eine schwärmerische
Begeisterung für dauernden politischen Frieden
und eine starke Opposition gegen den Krieg
vorgefunden. Wiewohl jene Männer von kon-
kreten Vorschlägen zur Sicherung des Welt-
friedens, von der Idee der allgemeinen Ab-
rüstung und des internationalen Schiedsgerichts
noch weit entfernt waren, können wir ihnen
dennoch unsere vollste Anerkennung und Be-
wunderung nicht versagen. Die Tatsache, daß
die Pazifisten schon im grauen Altertum be-
achtenswerte Ansätze zu ihren Bestrebungen
nachweisen können, muß ihnen die Friedens-
idee in einem viel höheren Glänze strahlen
lassen und zugleich lichte Ausblicke in die
Zukunft eröffnen, die trotz des allgemeinen
Rüstungsfiebers und des greuelvollen Balkan-
krieges ihnen gehört. —
U RANDGLOSSEN U
ZUR ZEITGESCHICHTE
Von Bertha v. Suttner.
AnBorddesSt. Paul, 15. Dez. 1912.
Dies ist der letzte Bericht meiner Amerika-
fahrt. Gestern haben wir uns in New York
eingeschifft, und nun geht es wieder dem
heimatlichen Kontinente zu, der eben von
alein möglichen Kriegserschütterungen heim-
gesucht ist. Zwar lauteten die letzten Nach-
richten etwas beruhigend; aber wie werde ich
die Zustände drüben finden? Jetzt werde ich
ein paar Tage zwischen Wasser und Himmel
dahinschaukeln, ohne Kunde von den das Fest-
land bewegenden politischen Ereignissen, und
diese Ruhefrist will ich benutzen, um die Er-
lebnisse und Eindrücke zu schildern, die sich
seit meinem vorigen Bericht aus Amerika dem
Gedächtnisse eingeprägt haben.
Ich war geblieben bei dem großen Frauen-
stimmrechts-Konvent in Philadelphia, an dem
die Bevölkerung so lebhaften Anteil nahm,
daß der Opernsaal zu klein war, das Publi-
kum zu fassen, so daß auf offener Straße
vor verschiedenen Gruppen Vorträge gehalten
wurden. Am 25. November abends Schluß-
versammlung im ausverkauften Opernhaus.
Rednerinnen: Frau Catt (über Mädchenhandel
— „white slavery"), Jane Adams und ich. —
Am folgenden Tage gab mir der „Political
Club" ein Diner mit darauffolgendem Vortrag
im großen Drexelsaal. Oskar Strauß, der ehe-
malige Botschafter in Konstantinopel, präsi-
diert und spricht über den Balkankrieg. Dieser
ist auch mein Thema, denn seit dieser Krieg
ausgebrochen ist, spreche ich nicht mehr in
abstraktem Sinne von der Friedenssache, son-
dern Von der aktuellen Lage. Ich trete der
Auffassung entgegen, die sich eines großen
Teiles des amerikanischen Publikums bemäch-
tigt hat, daß .dieser Krieg zur Befreiung der
17
DIE FßlEDENS-WADTE
ii i
Christen im Balkan notwendig war und durch
die Verdrängung der Türken aus Europa viel-
leicht günstige Folgen nach sich ziehen wird.
Kein Krieg ist notwendig heutzutage, be-
haupte ich, und keiner kann günstige Folgen
bringen. Die Verquickung der Schlächtereien
mit religiösen Fragen ist Anachronismus,
Heuchelei und Blasphemie.
Von Philadelphia fuhren wir wieder nach
Winchester bei Bioston, in das herrliche Heim
E. Ginns, wo der „Thanksgiving day" ge-
feiert wurde. Es ist dies einer der größten
Feiertage der Vereinigten Staaten — die Er-
innerung an eine große rettende Ernte. Da
wird überall in den Familien gefestet und ein
Truthahn verzehrt. In Boston hatte ich noch
drei Vorträge zu absolvieren: im Centuryclub,
in Dr. Everett Hale's Kirche und in Fordhall,
vor einem Arbeiterpublikum.
Nun ging es nach Buffalo. Wieder eine
riesengroße, reiche Stadt, mit Prachtanlagen
und -bauten und über einer halben Million Ein-
wohner. Die Metropolen wimmeln nur so in
den Vereinigten Staaten; die meisten sind
jüngsten Ursprungs und wachsen, wachsen . . .
Was wird das erst in den nächsten 50 Jahren
werden? In Buffalo sprach ich in dem
schönsten Frauenklub, den ich noch je ge-
sehen — ein Palais.
Auch in Pittsburg hielt ich mich auf. Das
ist die Stahl- und Eisenstadt, die rechte Krösus-
stadt. Hier hat Carnegie sein Vermögen er-
worben und hier steht auch die Carnegie-Hall,
ein Volksheim in großem Stil. Ich war Gast
im Hause eines andern Industriekönigs, namens
Kennedy. Zur Charakteristik des amerikani-
schen Mädchenerziehungs-Systems möchte ich
erwähnen, daß die jungen Töchter Kennedys
nicht etwa auf „moderne" Vergnügungen oder
Phantasie-Handarbeiten ihre Interessen be-
schränkten, sondern daß sie das Gefängnis-
wesen studierten, unter Leitung die Gefäng-
nisse besuchten, um an der Reform des Straf-
wesens mitzuarbeiten. Irgend etwas zur Hebung
der menschlichen Gesellschaft zu leisten:
das ist in der amerikanischen Welt sozusagen
Anstandspf licht bei vornehm und gering, jung
und alt, Mann und Frau.
In Baltimore waren wir im Hause der Ge-
schwister Marburg aufgenommen. Auch ein
mit den reichsten Kunstschätzen gefüllter Palast.
Leider war einer der Brüder Marburg, der
ein hervorragender Pazifist ist, da er ja die
Gesellschaft für „Judicial settlement of inter-
national disputes" gründete und leitet, von
B|altimore abwesend, weil er vor wenigen
Tagen nach Brüssel abreisen mußte, um dort
seinen Posten als neuernannter Gesandter der
Vereinigten Staaten anzutreten. Wenn solche
Diplomaten Schule machen . -
In Washington habe ich einen schönen,
bedeutenden Tag erlebt. Dr. James Brown
Scott, den ich vom Haag her kenne, wo er
einer der hervorragendsten amerikanischen
18
Delegierten an der zweiten Konferenz war.
früherer Solicitor des Staatendepartements und
jetzt oberster Leiter der Carnegiestiftung, hat
mir die Honneurs dieses Tages gemacht.
Einen tätigeren, überzeugteren Friedensarbeiter
als diesen prächtigen Menschen gibt es nicht.
Was desto wertvoller ist, als er seine Karriere
im andern Lager begonnen hat. Er kennt
den patriotisch - martialischen Begeisterungs-
„frisson" und hat als Freiwilliger den spa-
nisch-amerikanischen Krieg mitgemacht. Der
Krieg selber mit seinen Greueln und das
Studium des Völkerrechts und der Friedens-
bewegung hat ihn bekehrt, und seine warm/
Blegeisterungsfähigkeit betätigt sich jetzt irr,
Dienste der internationalen Justiz. Sehr Inter-
essantes hat er mir von einer vor kurzem nach
Rom unternommenen Reise erzählt, wo er mit
dem Papst und dem Kardinal Mery del Val
Fühlung nahm wegen einer gegen den Krieg
gerichteten Enzyklika.
Bei einer Automobilrundfahrt durch die
Stiadt unter sonnigem Himmel, habe ich wieder
den Eindruck gewonnen, daß Washington mit
'seinen weitgestreckten Plätzen, mit seinem
Kapitol, seinem Obelisk, seinem Bibliotheks-
gebäude den Charakter der Großartigkeit, der
Erhabenheit an sich trägt; — diesmal kam
auch noch der neuerbaute Palast der „Pan-
american Union" hinzu, der mit seinen herr-
lichen Sälen, seinen Symbolen und Inschriften
an sich einen Tempel des Begriffes Pax dar-
stellt.
Abends wurde mir ein Bankett gegeben,
bei dem Mr. Scott präsidierte. Hundertfünfzig
geladene Gäste, darunter viele Vertreter des
diplomatischen Korps, wohnten dem prunk-
vollen Feste bei. Ich fühle mich bei der-
gleichen immer etwas beschämt und muß mir
innerlich wiederholen: die Sache, die Sache
wird gefeiert 1
Mein letzter Aufenthalt in den Vereinigten
Staaten war — eine Woche lang — in New
York, wo ich neun Vorträge gehalten habe,
darunter in der Columbia-Universität, im deut-
schen Friedensverein (dessen Vorsitzender,
Professor E. Richard mit Eifer und Geschick
für unsere Sache tätig ist. Auch sein eben
erschienenes Buch „Kulturgeschichte Deutsch-
lands" ist von pazifistischem Geist durch-
weht); ferner im Opernhaus von Brookline,
in mehreren Mädchenschulen, im PoliticalClub,
in der New - Yorker Friedensgesellschaft und
bei den mir gebotenen Banketten. Das eine, von
Mrs. Eimer Black veranstaltete, vereinte 350
Damen der Gesellschaft, unter ihnen die Präsi-
dentinnen von 26 Frauenklubs, die Gattinnen
des Gouverneurs von New York-City, und des
Gouverneurs von New York-States, mit offi-
ziellen Grüßen von Stadt und Staat; von Mrs.
Taft war ein Telegramm eingelangt. Auf dem
zweiten Bankett — im Hotel Astor — präsi-
diert von Andrew Carnegie, wurden bedeut-
same politische Reden gehalten. Nach N. Mur-
rey Butler, dem Präsidenten der Columbia-
<2=
= DIE FRI EDENS -^W&RXE
Universität, der in meisterhafter Weise über
die kriegerischen Ereignisse des Tages, ge-
sehen im Lichte der pazifistischen Doktrin,
Betrachtungen anstellte, betrat Josef Choate
die Tribüne. Der greise Rechtsgelehrte und
Diplomat (er ist geboren 1832), der Botschafter
in London war und auf der IL Haager
Konferenz an der Spitze der amerikanischen
Delegation stand, hat dort die Errichtung
eines ständigen Schiedshofes vertreten und
sich erfolgreich für die Periodizität der Haager
Konferenzen eingesetzt. Hier, in seiner Ban-
kettrede polemisierte er mit allem Freimut
gegen die Haltung der Regierung in der
Panama-Zoll-Angelegenheit und verteidigte den
klaren Sinn des Vertrages — bei dessen Ab-
schluß er mitgearbeitet hatte — wonach Gleich-
berechtigung für die Schiffe aller Nationen
und Rekurs an das Schiedsgericht bei etwa
auftauchenden Schwierigkeiten unzweideutig
stipuliert war
Am 14. Dezember nahm ich von Amerika
Abschied und segle nun dem alten Weltteil
zu, voll der großartigsten und neuartigsten
Eindrücke. Ich behalte mir vor, darüber so-
viel als mir möglich ist, meinen Landsleuten
mitzuteilen, um so für mein Teilchen beizu-
tragen, etwas von dem Unverständnis und der
Verkennung zu verscheuchen, die noch in
Europa der neuen Welt gegenüber vorherrscht.
Was werde ich nun auf unserm Kontinent
finden, Krieg oder Frieden? . . .
Wien, 12. Januar 1913.
Nun bin ich auf dem Schauplatz der euro-
päischen Wirrnisse zurückgekehrt und kann
das Glossieren der Tagesereignisse wieder
aufnehmen. Auf die bange Frage: „Finde ich
Krieg oder Frieden," fand ich die Antwort
— kein Krieg, Gott sei Dank, aber noch lange
keinen Frieden, Gott sei's geklagt! Aber die
Signatur des Tages ist die höchste Potenz der
Unsicherheit. Nicht nur nicht voller Geigen,
sondern voller Damoklesschwerter hängt der
Himmel. Und das nennen die Leute „Frieden",
den. sie mittels Gleichgewichtbalancierungen,
Drohungen, Bluffs und dergleichen Methoden
zu erhalten sich bemühen. Die Haare, an
denen jene Schwerter über den Häuptern der
armen Völker baumeln, ändern mit jedem Tag
ihre Namen. Heute heißen sie Adrianopel
und Silistria. Wie werden sie morgen heißen?
Etwas Gutes hat diese hohe Politik. Sie ver-
schaft uns sehr genaue geographische Kennt-
nisse. Wer hätte vor Jahresfrist noch sagen
können, ob „Durazzo" der Name eines Bri-
ganten, eines Tenors oder eines Berges sei?
Heute weiß jedes Kind in Oesterreich, daß es
ein Adriahafen ist, dessen Verbleiben in serbi-
schen Händen nicht zu dulden sei, koste es
auch einen Weltbrand.
Und doch, und doch: — das pazifistische
Bedürfnis der Welt, das Durchdringen des
Völkersolidaritätsprinzips hat sich in diesen
kriegerischen Tagen doch durchgerungen und
der Ungeduld der verschiedenen europäischen
Kriegsparteien zum Trotz, ein friedensver-
mittelndes Europa — wenn auch erst als
Schattenriß — entstehen lassen. Dreibund und
Tripleentente und Türkei und Balkanstaaten
haben sich in London um einen größeren
Tisch gesetzt. „Friedenskonferenz" ist zwar
ein viel zu hochklingender Name für diese
Zeiterscheinung, aber als solche ist sie sym-
ptomatisch. Das Bedürfnis, Kriege nicht fort-
zusetzen und nicht fortsetzen zu lassen, macht
sich schon bei allen Teilen geltend; aber so
lange das mit den alten Formeln und nach den
alten Methoden versucht wird, kann der
Friede, „den wir meinen", nicht erlangt
werden. Sie sitzen nebeneinander — das ist
schon viel — aber sie arbeiten noch gegen-
einander. Sie vertreten Interessen, die sie so
gern vital nennen, obwohl ihre Verfechtung
so letal ist — aber es sind widerstreitende
winzige Interesselchen. Das große, gemein-
same Interesse — die Ruhe und das Leben
sämtlicher beteiligter Nationen auf sichere
Basis zu stellen — ist noch nicht aufgefaßt.
Es fehlt die „Vision" davon. Wir armen Pazi-
fisten, die man ja so gern Visionäre nennt,
wir haben sie. Mit dieser Bezeichnung glaubt
man etwas Geringschätziges zu sagen, als ob
die Fähigkeit, mit dem geistigen Auge die
Konturen eines zukünftigen Bildes zu sehen,
nicht die Grundlage jedes schöpferischen Wir-
kens wäre — sei der Visionär nun Künstler,
Ingenieur oder Politiker. Aber nicht etwa nur
wir zünftigen Pazifisten malen uns den Grund-
riß des kommenden organisierten kriegslosen
Zeitalters aus — das Bild lebt schon in den
Massen des arbeitenden Volkes, das hat der
große Tag von Basel bewiesen, es schwebt
einer Anzahl hochmögender Politiker vor, das
zeigt sich in den verschiedenen offiziellen Ver-
ständigungs- und Versöhnungsaktionen in
Europa; es hat sich in Universitätskreisen,
in staatsmännischen Kreisen — bis zum Staats-
oberhaupt hinauf — zu einer Weltanschauung
und zu einem politischen Programm verdichtet ;
das habe ich in Amerika erfahren.
PAZIFISTISCHE CHRONIK
15. Dez. Die Generalföderation der französischen
Arbeiter veranstaltet als Demonstration gegen
den Krieg einen 24stündigen Generalstreik
16. Dezember. Ein aufklärendes Communique
des öst.-ung. Ministeriums des Aeussern stellt die
Affäre des Konsuls Prochaska in Prizrend als
harmlos dar. Beruhigung der geängstigten öffent-
lichen Meinung.
16. Dezember. Erste Sitzung der Friedens-
konferenz in London. Sir Edward Greg
Ehrenvorsitzender, eröffnet mit einer Ansprache.
DIE FRIEDEN5-^/AQTE
G>
17. Dezember. Im österreichischen Abgeordneten-
haus beginnen die Tschechen eine Obstruktion gegen
das Kriegsleistungsgesetz. Der Abg. Fresl spricht
18 Stunden.
18. Dezember. In der italienischen Kammer er-
klärt der Marquis di San Giuliano, dass der
Dreibund für ganz Europa eine Bürgschaft des
Friedens ist.
19. Dezember. Die Londoner Botschafter-
konferenz empfiehlt die Autonomie Albaniens. Da-
durch Beseitigung der akuten austro-serbischen
Kriegsgefahr.
21. Dezember. In der französischen Kammer
sagt der radikale Deputierte Fr ancois Delon de: In
Europa gibt es einen Mann, dessen Friedens-
liebe eine feste Bürgschaft für die Aufrecht-
erhaltung des Friedens bildet: Das ist der
Deutsche Kaiser.
29. Dezember. Der russische Kriegsminister
Suchomlinow in Berlin und Dresden.
30. Dezember. Im österreichischen Herrenhaus
tritt Frhrr. v. Plener für eine Politik der Ver-
ständigung Oesterreich-Ungarns Serbiengegen-
über ein.
4. Januar. Präsident Taft erklärt bei
einer Versammlung des „International Peace
Forum", die Panama-Abgaben- Angelegenheit
mit England vor ein Schiedsgericht zu
bringen.
DAUS DER ZEITCI
Völkerrecht.
Ein neuer Schiedsfall zwischen England und Amerika.
In einem New Yorker Briefe der „Kreuz-
zeitung" (3. Januar) wird Mitteilung gemacht
von einer weiteren schiedlichen Entscheidung
in der Sache der Robbenfrage. Es gibt in bezug
darauf, heißt es in dem Berichte, mehrere
Fragen, die noch einer weiteren schiedsgericht-
lichen Entscheidung bedürfen. 5 ,Es handelt sich
z. B. um die Zulässigkeit des „Robbenschlages",
der neuerdings in Alaska verboten ist. Man weiß
nicht recht, ob der schnelle Rückgang der
Robbenherden mehr der Jagd auf dem Lande
oder der auf dem Meere zuzuschreiben ist. Auch
die Neufundländer Fischereifrage ist noch nicht
ganz erledigt. Es soll darüber ein Tribunal ent-
scheiden, das im nächsten Frühjahr zusammen-
treten wird. Die erste Sitzung soll in Washing-
ton stattfinden. Sir Charles Fitzpatrick,
der Oberrichter von Kanada und britisches Mit-
glied des Schiedsgerichts im Haag für die Ent-
scheidung über die Streitigkeiten bezüglich der
Ausübung der Fischerei an der nordatlanti-
schen Küste vom Jahre 1910, wird England
vertreten, während die Vereinigten Staaten mit
ihrer Vertretung Chandler Anderson,
Rechtsberater des Staatsdepartements, beauf-
tragt haben. Diese beiden Juristen haben sich
über ein drittes Mitglied zu verständigen,
welches als unparteiisches fungiert und weder
dem britischen noch dem amerikanischen Staats-
verbande angehören darf. Man soll sich über
den „dritten Mann" schon einig sein, hält seinen
Namen aber noch geheim."
Verschiedene Mitteilungen zur Schiedsentwickiung.
Die Schiedsgerichtsklausel in internatio-
nalen Verträgen macht weitere Fortschritte.
Jetzt enthält auch das spanisch -fran-
zösische Marrokkoabkommen ebenso
wie vorher das deutsch - französische die
Schiedsklausel.
Die Tavignano-Affaire zwischen
Italien und Frankreich ist dem Haager Schieds-
höfe übergeben worden, um Ende März gleich-
zeitig mit dem Manouba- und Carthagekon-
flikte entschieden zu werden. Bekanntlich hatte
man den Fall zuerst einer internationalen Unter-
suchungskommission überwiesen. Doch ist auf
Grund des Berichtes dieser Kommission eine
direkte Einigung zwischen den Parteien nicht
erfolgt.
Dem letzten Berichte von Darby an die
International law association ist zu entnehmen,
daß man 1911 den zentralamerikani-
schen Gerichtshof von Cartago nach
San Jose verlegt hat. Carnegie soll für die
Errichtung eines neuen Palastes für den
Gerichtshof 400 000 M. gestiftet haben. Wahr-
scheinlich, weil der Palast des Schiedshofes in
Cartago vor drei Jahren durch Erdbeben zer-
stört wurde.
Staatsrat Dr. C h. Schanz er, Deputierter,
ist von der italienischen Regierung an Stelle
von Guarnaschelli zum Mitglied des Haager
Hofes ernannt worden.
Die „amerikanische Gesellschaft für die richterliche
Beilegung internationaler Streitigkeiten" :: :: :: :: :
hielt am 21. Dezember v. J. in Washington
ihre diesjährige Jahresversammlung ab, bei der
Joseph H. Choate zum Präsidenten, der
frühere Präsident der Harvard- Universität, Dr.
Charles Eliot, zum Vizepräsidenten der Ge-
sellschaft ernannt wurden. James Brown
Scott übernahm die Funktion des Sekretärs.
Nach den kurzen vorliegenden Berichten
handelt es sich wiederum um einen hervor-
ragenden Kongreß, auf dem der erleuchtete Zeit-
geist voll zum Ausdruck kam. Prof. Paul S.
Reinsch trat in einer Rede für die Verant-
wortlichkeit eines Staates für die den Bürgern
eines anderen Staates auf seinem Gebiet zu-
gefügte Rechtsverletzungen ein. Mac Far-
land, Prof. Henry Wade Rogers u. a.
sprachen über die Errichtung eines internatio-
nalen Staatengerichtshofes. Es wird sich Ge-
legenheit bieten, auf die bedeutsamen Verhand-
lungen noch zurückzukommen.
Ml
20
^■■MM*^^ -
= DIE FRIEDENS -WARTE
Rüstungsproblem.
Deutschlands Militärausgaben für 1913. :: :: :: :: ::
Die Ausgaben für militärische Zwecke im
Deutschen Reich stellen sich für das Jahr 1913
folgendermaßen dar :
Auswärtiges Amt:
Auslandszulagen für Militärbe-
vollniächtigte usw 212 220 M.
Geheime Ausgaben 1 000 000 „
Reichsamt des Innern:
Unterstützung vonPamilien der
zu Uebungen eingezogenen
Mannschaften 3 909 000 „
Verwaltung des Reichsheeres . . 637 761687 „
Reichsmilitärgericht 536 247 „
Marineverwaltung 197 051989 *
Reichsschatzamt :
Dispositionsfonds des Kaisers . 1 500 000 „
Unterstützungen, Erziehungs-
beiträge, Pensionszuschüsse . 1 556 000 „
Rayonsentschädigungsraten für
Beschränkung d. Grundeigen-
tums in der Umgebung von
Festungen 1013 674 „
Lagerung von Baumaterialien
zu militärischen Zwecken . 50 000 „
Beihilfen an hilfsbed. Kriegs-
teilnehmer 31000 000 „
Einmalige Rayonenentschädi-
gungen usw 3 343 825 „
Reichskolonialamt 2 918 767 „
Reichsschuldverzinsung .... 150000000 „
Allgem. Pensionsfonds .... 138000000 „
Allgem. Finanzverwaltung :
Quoten an Bayern 102 803 282 n
Reichsamt des Innern :
7.Ratef.d Kaiser- Wilhelm-Kanal 56 000 000 „
Reichsheer, einmalige Ausgaben 138 545 232 n
Garnisonbauten, Festungen . . 22 286 006 „
Marineverwaltung, einm. Ausgab. 219 239 971 „
Reichskolonialamt, einm. Ausgab. 24 508 718 „
AUgem. Finanz Verwaltung:
Einmalige Ausgabe: Quote an
Bayern 17 340 748 „
Vervollständigung d.Eisenbahn-
netzes zu Zwecken der Landes-
verteidigung 2 838 270 „
Abbürdung der Vorausbeschaf-
fungen der Heeresverwaltung 106 106 878 „
Außerordentl. Etat:
Festungsbauten 12 700 000 „
Marineverwaltung . . . . . 51 150 000 „
Summa 1 910 672 514 M.
Diesen Ausgaben für militärische Zwecke
stehen folgende Einnahmen aus militaristischen
Quellen gegenüber:
Verwaltung des Reichsheeres:
Einnahmen aus den Militär-
eisenbahnen, Grundstückver-
käufen usw * . 29 826 403 M.
Reichsmilitärgericht 394 „
Marineverwaltung 1 103 822 „
Reichskolonialamt 1 568 757 „
Reichsschuld :
Zinsen von der Reichsanleihe
an Togo 248 330 „
Zinsen von der Reichsanleihe
an Südwestafrika 1 413 239 „
Verzinsung der chines. Kriegs-
entschädigung 10 564 197 „
Verzinsung der chines. Kriegs-
entschädigung außerord. Etat 1 688 334 „
Erlös vom Verkauf von Festungs -
grundstucken . . . . . . 3 176 352 .
Summa 49 589 878 M.
Ausgaben 1910 672 514 M.
Einnahmen . . . . . . 49 589 878 „
Endsumme der Ausgaben 1 861 082 636 M.
Hierzu macht der „Vorwärts" (1. Dezember
1912) folgende höchst beachtenswerte Be-
merkung :
„Trotz Abzugs dieser Einnahmen in Höhe
von 49,5 Millionen gelangen wir also zu dem
ungeheuerlichen Endresultat, daß die mili-
tärischen und weltpolitischen Ausgaben des
Etatsjahres 1913 nicht weniger als 18 6 1
Millionen betragen, während die ge-
samten Einnahmen des Etats -
jahres 1913 sich nur auf 1820 Mil-
lionen beziffern. Wir geben also für
unseren Militarismus in seinen verschiedensten
Erscheinungsformen noch 41 Millionen
mehr aus, als sämtliche Nettoein-
nahmen aus den Zöllen, Steuern, Gebühren
und Betriebsüberschüssen des Deutschen
Reiches ausmachen!
Daß das Deutsche Reich 1913 überhaupt
noch Mittel für andere als militaristische
Zwecke übrig hat, dankt es erstens seiner An-
leihe von 33 Millionen und zweitens dem Zu-
schuß von 187 Millionen, der von dem Ueber-
schuß des Jahres 1911 auf das Jahr 1913 ver-
rechnet wird. Fehlten diese 220 Mil-
lionen Zuschuß, so würde das Deut-
sche Reich aus seinen Einnahmen,
aus den Erträgnissen des Jahres
1913 nicht einmal seine Militär -
ausgaben decken können! "
MB
Austriaca. :: :: :: :: :: :: :: :: " :: :: :: :: :: :: :: :i
Eine lehrreiche AufsteUung zeigt, wie in
wenigen Jahren Oesterreich, zwar nicht auf dem
Gebiete der wirtschaftlichen, kulturellen, sozial-
politischen Entwicklung, wohl aber in bezug auf
Militärausgaben den Vorsprung größerer und
reicherer Mächte einzuholen versucht hat. 1909,
mit der Annexion Bosniens und der daraus
entstandenen Gefahr des Serbenkrieges, begann
es. Hunderte Millionen wurden ausgegeben, die
„Lücken" in der Rüstung zu stopfen. Da bekam
DIE FRIEDENS -^ADTE
■3
jedes Regiment zwei Maschinengewehre, Feld-
telegraph, Feldtelephone, Signalapparate wurden
eingeführt. Die Artillerie bekam Haubitzen.
Dann kam die Flotte. 312 Millionen
Kronen wurden bewilligt, vier Dreadnoughts
gebaut. Darauf das Programm des Kriegs-
ministers Schönaich : 100 Millionen ein-
malige, 100 Millionen Jahresaus-
ausgaben bewilligt. Noch schneller stiegen
die Bewilligungen für die Landwehr. Zu-
letzt wieder die außerordentlichen
Rü s tungs kredi t e für Artillerie,
Festungen, Kriegsschiffbau.
Die Krise, die die Sorge um den serbischen
Hafen an der Adria hervorgerufen, läßt sich
schon jetzt in Zahlen bewerten:
Nach authentischen Quellen setzen sich die
bisherigen Auslagen, die Oesterreich-Ungarn aus
Anlaß der politischen Krise hatte, wie folgt
zusammen: Nicht der bedeutendste Posten sind
die Kosten der Erhaltung des um 130000 Mann
erhöhten Friedens Standes, das sind 7,2 Mil-
lionen Kronen monatlich. Dazu kom-
men dann Ausgaben vorübergehenden Wertes,
wie für Arbeitslöhne, Beschaffung von Trag-
tieren und Pferden (die nach der Krise wieder
verkauft werden müssen), und vor allem die
hohen Kosten der Transporte der Mannschaft.
All dies zusammen kommt einer Ausgabe von
etwa 100 Millionen Kronen bis Ende
Dezember 1912 gleich. Außerdem sind aber
auch Ausgaben für Investitionen erforderlich
geworden, wie Beschaffung von Winterklei-
dung, von Maschinengewehren,
Aero planen, Feldküchen, techni-
schen Mitteln usw. im Umfang von etwa
150 Millionen Kronen. Der Kriegsminister
erhielt weiter im voraus zur beschleunigten
Durchführung der Reorganisation der
Artillerie, die für 1914 und 1915 fällig
gewesenen Raten des 125 -Milli onen- Kre -
d i t s in der Höhe von 84 Millionen Kro-
n e n und wurde außerdem ermächtigt, weitere
125 Millionen, die ihm erst nach dem Jahre
1915 zugedacht waren, nach Bedarf flüssig
zu machen.
Schon hat aber der M a r i n e k o m m a n -
dant mit seinem Rücktritt gedroht, wenn die
20 Jahre alten Schiffe der Monarchenklasse nicht
durch Dreadnoughts ersetzt werden
sollen, was wieder einige hundert Millio-
nen ausmachen wird.
Zu den Geldbewilligungen die Steige-
rung der persönlichen Leistungen.
Das neue Wehrgesetz erhöhte den Re-
knitenstand um die Hälfte. Zehntausende
werden statt zu acht Wochen Ersatz-
reserveaus bildung auf zwei bis drei
Jahre eingestellt. Die Zahl der Waffen-
iibungen und ihre Dauer wurde vermehrt.
Und eben erledigte der Reichsrat das Kriegs-
leistungsgesetz, das schon zu Beginn
einer Mobilmachung die Militärbehörde zum
Herrn über Besitz und Person der Untertanen
macht, Koalitionsrecht, Freizügigkeit. Vereins-
recht, alle modernen Rechte zugunsten des
Militarismus kassiert. Dafür hat der Staat
kein Geld für Schulen und Spitäler.
Die Sozialversicherung ist noch immer nicht
fertig. Staatsarbeiter, Staatsbeamte schlecht be-
zahlt.
Vor kurzem erschien der Jahresbericht des
Wiener Wärmestubenvereins. Vom
15. November 1911 bis 5. März 1912
suchten 1218 000 Personen, darunter 209 500
Frauen und 597 000 Kinder, die Wärmestuben
auf. 98 857 waren obdachlos ; 810 auf den Tag.
Auf den Tag kamen fast 5000 Kinder, die stun-
denlang vor den Stuben warteten, um dann eine
Suppe mit Brot als Mittagessen zu erhalten. 715
Kinder, allnächtlich im Durchschnitt 6,
mußten, ohne ein Nachtquartier, in
den Wärmestuben übernachten: in
einer Ecke auf nassen Lumpen, die die Eltern
hingebreitet hatten, angekleidet und in Schuhen,
während diese, mit andern auf den
Bänken sitzend, die Nacht verbringen.
Für jedes Nachtquartier mit Frühstück
zahlt die Gemeinde dem Verein —
20 Heller! Für das tägliche Essen von
5000 Kindern und über 4300 Erwachsenen aber
zahlt die Stadt Wien gar 6000 Kronen zu :
einen halben Heller für jede Portion! — Wäre
es bei solch jammervollen Zuständen, so schreibt
die „Leipziger Volksztg.", der wir teilweise
diese Daten entnehmen, eine vermessene Läste-
rung der göttlichen Ordnung und der Groß-
machtpflichten Oesterreichs, wollte man
fordern, daß etwa die Kosten eines einzigen
Bataillons oder einer Dreadnoughtbatterie ge-
spart und zur Beseitigung des Jammers dieser
Unglücklichen verwandt würden ?
Verschiedenes.
v. Kiderlen-Wächter f :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
In politisch bewegter Zeit ist der Staats-
sekretär des Auswärtigen Amtes durch den Tod
von seiner Arbeit abberufen worden. Vor vier
Jahren wurde Herr von Kiderlen-Wächter, der
als der Mann der starken Tonart galt, nach der
Wilhelmstraße berufen. Viel Hoffnungen setzten
die Pazifisten nicht auf ihn. Aber er hat sie
angenehm enttäuscht. Die Macht der Tat-
sachen, der Friedenswille Europas scheint auch
hier den erzieherischen Einfluß auf die Per-
sönlichkeit nicht verfehlt zu haben. Kiderlen
war zwar der Mann von Agadir, er war aber
auch der Mann vom 4. November 1911, an
welchem Tage der schwere Marokko-Konflikt
kriegslos erledigt wurde. Das Gespräcn, das
er im Sommer 1912 mit einem französischen
Journalisten hatte, berührte uns ganz eigen-
tümlich. Er soll von der Notwendigkeit einer
Organisation Europas gesprochen haben, f ,von
dem Widerwillen, den die Kriege hervorrufen.
Der „Mann von Agadir" bewegte sich in pazi-
fistischen Gedankengängen.
M9
22
€H
DIE FRIEDENS -WARTE
Eine Pazifistenrede im Oesterreichischen Reichsrat.
In der 129. Sitzung des österreichischen
Abgeordnetenhauses am 19. Dezember 1912 hielt
der liberale Abgeordnete Dr. O f n e r eine Rede
gegen das Gesetz über die Kriegsleistungen, das
zur Debatte stand. Dabei sagte er nach dem
stenographischen Protokoll nachstehende, in
der gesamten Tagespresse todgeschwiegenen
Worte :
„Bevor ich auf die weiteren Punkte über-
gehe, erlaube ich mir, eine allgemeine Be-
merkung einzulegen. Ich bin ein über-
zeugter, ein leidenschaftlicher
Vertreter des Friedensgedankens,
ein leidenschaftlicher Vertreter des Grundsatzes,
daß Streitigkeiten von Staaten ähnlich wie die
von den Staatsbürgern, wenn nicht durch Ueber-
einkommen, so vor einem Schieds-
gerichte auszutragen sind. Diese meine Hal-
tung hat mit Aengstlichkeit und Todesfurcht
nichts zu tun. Ich bin ein alter Mann und habe
den Tod jeden Tag und jede Stunde zu er-
warten; ich schaue ihm gelassen, ruhig ins
Auge. Allein, ich bekenne, ich schaue dem
Tode ruhig für mich entgegen und fürchte ihn
auch nicht für alte Menschen, so wie ich es
bin. Aber ich bin allerdings immer bestürzt,
wenn der Tod ein junges, frisches Leben for-
dert, und mich erfaßt ein unsägliches Grauen,
wenn ich andieMenschenschlächterei
denke, die ein jeder moderne Krieg im Gefolge
hat, an eine Menschenschlächterei, welche
Hunderttausende solch junger, frischer, hoff-
nungsvoller Menschenblüten knickt und eine
viel größere Menge anderer Menschen um ihr
Lebensglück betrügt, nicht gerechnet die Mil-
liarden an Volksvermögen, welche ein solcher
Krieg verschlingt. Allein wir Freunde
des Friedens sind darum nicht weniger um
die Kraft und um das Ansehen unseres Staates
besorgt als andere. Wir finden nur die Kraft
und das Ansehen des Staates anderswo: wir
finden sie in der Kultur, in dem Cha-
rakter, in der Arbeitskraft des Volkes, und wir
glauben, daß das Ansehen des Staates durch
diese Faktoren viel mehr gesichert ist, als
durch einen siegreichen Krieg. Ich gebrauche
auch absichtlich das Wort „Ansehen" und
nicht das Wort „Ehre", denn Ehre ist ein
Schlagwort, und Schlagwörter sind immer ge-
fährlich; Schlagwörter sind empfindlich und
aufreizend, und namentlich das Schlagwort
„Ehre" hat schon ganze Hekatomben von
Menschenopfern gefordert. Ansehen ist
mehr als Ehre, aber es ist nüchterner,
konkreter, es hat größeren Wirklichkeitsgehalt,
und wir wissen wohl, daß man das Ansehen
behalten kann, wenn man auch auf gewisse
eingebildete Ehrenpunkte verzichtet."
MB
Kaiser Friedrich gegen den Krieg. :: :: :: :: :: :: :: :.
Aus dem Nachlaß des Schweizer Pfarrers
Frederic G o d e t , der jetzt durch die von
dessen Sohn Philipp Godet veröffentlichte
Biographie (Neuchatel 1913) bekannt wird,
werden bisher unbekannte Briefe
Kaiser Friedrichs bekannt, die die-
ser an den ehedem in preußischen Diensten
stehenden Pfarrer gerichtet hatte. In
einem aus dem Hauptquartier in Ver-
sailles geschriebenen Briefe äußerte sich
der damalige Kronprinz über den Krieg. Da
heißt es :
„Ich beuge mich vor diesem Gott, der uns
bis hieher geführt und beschützt hat und der
über der Wohlfahrt unseres endlich geeinigten
Deutschlands wachen wird, und der
schon so viele edle Patrioten in diesen blutigen
Gemetzel geopfert hat. Möge er uns endlich
den Frieden gewähren, auf den alle Welt hofft !
.... Ich versichere Sie, daß ich ein wahres
Grausen vor dem Krieg empfinde
und daß meine heißen Gebet« sich an Gott
wenden, damit das der letzte sei, dem ich bei-
zuwohnen gezwungen sei. Sind wir wirk-
lich im 19. Jahrhundert, wo Kultur
und Moral ihren Gipfel erreichen?
Und die Heiden, die wir möchten teilnehmen
sehen an den Segnungen unserer Aera, was
müssen sie von zwei Völkern
denken, die sich morden und da-
bei erklären, daß ihre Sache allein
den Titel heilig und gerecht ver-
dient? Man muß eigentlich die Augen vor
den Barbaren senken, die nicht mehr und nicht
weniger machen, als wir. Aber was tun? Ist
man einmal provoziert, so muß man sich wohl
verteidigen, bis man die Garantie eines sichern
Friedens hat. . . . Was mich betrifft, so ist
mein Verlangen, unser großes deutsches Vater-
land die Segnungen eines sichern und frucht-
baren Friedens genießen zu lassen. Ich habe
nie daran gedacht, mir einen Namen
durch Blutvergießen und Leichen-
haufen zu machen, und wenn auch die
von meinen tapfern Truppen erfochtenen Siege
in der. Geschichte einen Platz haben werden,
so werde ich doch nie den drücken-
den Gedanken (cauchemar) los werden,
daß ichsovieleLebeninder Jugend-
blüte habe opfern müssen. Gott
schenke mir eines Tages die Möglichkeit und
die Fähigkeit, den Frieden wieder herzu-
stellen . . ."
Ein andermal schreibt er: „Glauben Sie
mir, mitten im Auf und Ab des Krieges kann
einen Menschen, der wie ich den Krieg
verabscheut und doch pflichtgemäß daran
teilnehmen muß, nichts mehr stärken, als ein
Zeichen der Freundschaft und Liebe zu emp-
fangen . . . ."
MB
Die Gießener Burschenschaft. :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Zu einer Vortragsangelegenheit der Gießener
Freien Studentenschaft hat die Gießener
Burschenschaft Stellung genommen. Die auf
diese Angelegenheit bezugnehmende Erklärung,
die der Vertreter der drei Gießener Burschen-
schaften Alemania, Frankonia und Germania
23
DIE FBIEDENS-^AQTE
3
im allgemeinen Studentenausschuß abgegeben
bat, lautet :
„Am 4. Dezember 1912 fand im Hotel
Schütz ein von dem Präsidium der Gießener
Freien Studentenschaft veranstalteter Licht-
bildervortrag des Vertreters der internationalen
Friedensgesellschaft E. Feldhaus-Basel statt
über: Der Krieg, wie er ist. (Unter Berück-
sichtigung der neuesten großen Kriege, auch
des türkisch-italienischen und des Balkan-
krieges.)
In dieser Angelegenheit haben die drei
Gießener Burschenschaften im Studentenaus-
schuß, als der Vertretung der gesamten Gießener
Studentenschaft, folgendes zu erklären: Wenn
es auch der Freien Studentenschaft überlassen
bleiben (muß, was sie in ihren vielen Abteilungen
treiben will, so muß andererseits die Gießener
Burschenschaft in der Ankündigung und Ab-
haltung dieses Vortrages im gegenwärtigen
Zeitpunkt, in dem unser Vaterland jederzeit in
einen Weltkrieg verwickelt werden kann, und
vielleicht um sein Sein oder Nichtsein gekämpft
werden muß, ein trauriges Zeichen mangelnden
nationalen Verständnisses sehen. Sie glaubt
im Namen aller national gesinnten Studenten
der Gießener Universität zu handeln, wenn sie
hierüber ihr tiefstes Bedauern ausdrückt."
Die in dieser Erklärung geäußerte Ansicht
über die Friedensbewegung beruht auf einem
bedauerlichen Irrtum. Die Friedensidee ist
nicht antinational. Sie bekämpft nicht den
Krieg an sich, sondern jene Ursachen, die
„unser Vaterland jederzeit in einen Weltkrieg
verwickeln" können. Sie will die internationale
Unsicherheit beseitigen, jenen unerträglichen
Zustand, der es mit sich bringt, daß die
Nationen ihres Besitzes nicht froh werden
können und jederzeit bereit sein müssen, um
für ihr ,,Sein oder Nichtsein" zu kämpfen. Sie
will, daß dieses Sein einer jeden garantiert wird.
Danach entwickelt die Friedensbewegung, deren
Bedeutung für die Nation heute von den bedeu-
tendsten Gelehrten anerkannt wird (es sei nur
z. B. an Geheimrat Lamprecht erinnert,
der in diesen Blättern, Jahrg. 1910 S. 41
und Folge*) in einem „Die Nation und die
Friedensbewegung" betitelten Artikel die Be-
deutung der Friedensbewegung vom nationalen
Standpunkt dargelegt hat), ein hohes Maß
nationalen Empfindens.
Dessen sind sich auch weite Kreise der
deutschen Burschenschaft schon klar geworden.
Hervorragende Burschenschafter, wie Prof.
Rieh. Eickhoff, Geh.-Rat Sturm, Dr. Hans Weh-
berg gehören zu den Vorkämpfern der Friedens-
idee, Burschenschaftliche Zeitungen haben noch
vor kurzem Artikel zugunsten der Friedens-
bewegung veröffentlicht, und in der „Burschen-
schaftliche Bücherei" ist eine Broschüre über
die „Internationale Schiedsgerichtsbarkeit" er-
schienen.
*) Abzüge dieses Artikels stehen Inter-
essenten kostenlos zur Verfügung.
Es ist daher dieser Protest unbegreiflich.
Ihn rückgängig zu machen, wäre eine schöne
Handlung und sicherlich eine vom nationalen
Standpunkt erfreuliche.
Deutsche Intelligenzträger gegen den Krieg. :: :: ::
Bei der Zuerteilung des Nobelpreises für
Dichtkunst hat Ger hart Hauptmann am
10. Dezember 1912 in Stockholm eine Rede
gehalten, in der er die pazifistische Bedeutung
aller Nobelpreise hervorhob. Er sagte u. a. :
„Und nun ]trinke ich darauf, daß das der Stif-
tung zugrunde liegende Ideal seiner Verwirk-
lichung immer näher geführt werde ; ich
meine das Ideal des Weltfriedens,
das ja die letzten Ideale der Wissenschaft und
der Kunst in sich schließt. Die dem Kriege
dienende Kunst und Wissenschaft ist nicht die
letzte und echte, die letzte und echte
ist die, die der Friede gebiert und
die den Frieden gebiert. Und ich trinke
auf den großen, letzten und rein ideellen Nobel-
preis, den die Menschheit sich dann zusprechen
wird ; wenn die rohe Gewalt unter den
Völkern eine ebenso verfehmte
Sache geworden sein wird, als es
die rohe Gewalt unter den mensch-
lichen Individuen der zivilisierten
Gesellschaft bereits geworden is t."
Kurz vorher hatte der Dichter im „Zeit-
geist" vom 11. November einen „Duldsamkeit'
betitelten Artikel veröffentlicht, aus dem wir
nachstehende Stelle hier festhalten wollen:
„Wahre Religion hat nichts mit Unter-
jochung und mit Götzen zu tun, sie ist
synonym mit dem Worte Frieden.
Nicht die Könige, sondern die Pfaffen, die
Schöpfer der Götzen, haben die Welt unterjocht.
Um der Götzen der Pfaffen willen ist das meiste
Blut geflossen. Wo aber Blut um religiöse
Dinge fließt, so fließt es immer nur um der
Götzen willen.
Götzendienst ist die ärgste und furchtbarste
Greuel. In der Reihe der Unterjochungen ist
diese besonders grausig, die der schlechte
Künstler durch sein schlechtes, angebetetes
Werk erfährt. Er besitzt sein Werk und wird
noch mehr durch sein Werk besessen. Also
wird der Pfaff ein Besessener.
Unter diesen Besessenen lebt, statt des
ewigen Friedens, der ewige Krieg.
Wer von diesem ewigen Kriege erzählen will,
der versinkt in Blut. Man spricht davon, daß
im rohen Heidentum nicht selten Menschen
den Götzen geopfert wurden. Zweifellos war
es der Fall. Die Menschenopfer der alten
Aegypter, Babylonier, Juden, der alten Kar-
thager, Inder und Germanen sind bekannt. Man
glaubt, in diese Epochen wie in Zeiten über-
wundener Barbarei zurückblicken zu können.
Aber diese Opfer sind sehr gering, im Vergleich
zu denen, die man indirekt den Götzen dar-
brachte. Was sind nioht in grausamsten Götzen-
kriegen bis noch zuletzt im Dreißisjährigen
24
@=
= DIEFRIEDEN5-^\*M2XE
Krieg für unzählbare Menschenmassen geopfert
worden. Wir haben einstweilen nicht den ge-
ringsten Grund, mit hochmütiger Genugtuung
auf die Zeiten vor Christi Geburt herab-
zublicken."
Als ,, Neujahrswunsch für 1913" schreibt
Herbert Eulenberg:
„Kein größerer Fluch könnte
uns Menschen treffen. als wenn
wir in unserem schönen zwanzigsten Jahr-
hundert um irgendwelcher veralteter natio-
naler Vorurteile willen in einen allge-
meinen europäischen Krieg ge-
rieten. Endlich sind wir Menschheit zur Ver-
nunft gekommen und haben eingesehen, daß
ein jeder Krieg für die Völker, die
ihn führen, nur Schaden mit sich
b ringt. Und nun sollen wir den Weg zur
Gesundung des großen Menschenkörpers, den
wir seit wenigen Jahrzehnten zu unserer aller
Heil beschritten haben, verlassen und uns einem
barbarischen Krieg als der schädlichsten Völker-
krankheit sinnlos ausliefern! Ich würde mich
dagegen wehren bis aufs äußerste. Niemals
würde ich in meinem ganzen Leben gegen Fran-
zosen und Russen zusammen nur halb so viel
Zorn und Wut aufbringen können, wie ich
gegen einen jeden Friedensgegner
empfinde."
Der derzeitige Rektor der Wiener Uni-
versität, der weltbekannte Gelehrte, Hofrat Prof.
Dr. Anton Weichselbaum, schreibt in
einer Enquete der „Zeit" (25. Dez.):
„Ich hatte weder zu Beginn noch während
des Verlaufes des Balkankrieges Sympathien
für den einen oder den anderen der krieg-
führenden Staaten, da ich grundsätz-
lich ein Gegner der Austragung von
Volke rkonflikten durch Waffen-
gewalt bin; letztere Ansicht ist durch die
Erfahrungen während des Balkankrieges nur
noch mehr befestigt worden, weshalb ich auch
die Frage, welche der kriegführenden Na-
tionen auf mich den besten, beziehungsweise
den schlechtesten Eindruck gemacht hat, nicht
zu beantworten brauche."
Dieselbe Enquete („Zeit", 1. Jan. 1913)
beantwortet Prof. Max Dessoir in Berlin
in folgender Weise:
„Meine Neigung gehört weder der Türkei
noch den Staaten des Balkanbundes. Mein
Urteil über den Krieg als die wirtschaft-
lich schädlichste und menschlich
beklagenswerteste Form des Völ-
kerkampfes hat sich nicht geändert."
„Warum baut man im Haag einen Friedenspalast?"
Diese Frage, von deren Beantwortung man
sich ein recht lustiges Ergebnis zu versprechen
schien, hat der „Berliner Lokal-Anzeiger" einer
Anzahl Persönlichkeiten in der Welt vorgelegt,
und deren Erwiderungen als Weihnachtsgabe
seinen Lesern präsentiert. Diese Anfrage wurde
nicht den geistigen Urhebern des Haager
Schiedshofes, etwa den Mitgliedern des berühm-
ten „Coinite d'Examen" der I. Haager Konferenz,
dem Professor Zorn, Leon Bourgeois.
Staatsminister A s s e r , Staatsminister Des-
camps, Andrew D. White, Baron
d'Estournelles de Constant und an-
deren an dem Haager Werk beteiligten Männern
vorgelegt, die ja die beste Auskunft hätten
bieten können, sondern einer Reihe der Sache
ziemlich fernstehender Männer. Die ganze
Fragestellung läßt darauf schlie-
ßen, daß man es auf eine richtige
„Verulkung" abgesehen hatte, nicht
minder auch die Auswahl der Personen, die man
zu Begutachtern einer völkerrechtlichen Ein-
richtung machen wollte. Unter den Beant-
wortern befinden sich die Humoristen Oskar
Blumenthal, Johannes Trojan, Ju-
lius Bauer, Jerome K. Jerome, „der
berühmte französische Karrikaturist" Char-
les Leandre, „der geistreiche Chefredak-
teur des römischen Witzblattes /JTravaso', Carlo
Montanti, „der bekannte römische Satiriker"
Dr. Gustav Nesti, „der lustige Mailänder
Aesthet" Luigi Bottazzi, dann „der be-
kannte holländische Gynäkologe, dessen schlag-
fertiger Witz seinen deutschen Kollegen von
manchen Kongressen bekannt sein dürfte", Dr.
T r e u b usw.
Man merkt die Absicht und man wird
verstimmt, auch wenn man dann unter der
Masse der antwortenden Sachunverständigen,
der Generale, Maler, Chirurgen, Bakteriologen.
Vertreter einer Telegraphenagentur ( !) usw. auch
eine Handvoll Pazifisten findet, wie Bajer, Gobat,
Avebury (von deutschen Pazifisten nur Dr. Ed.
Loewenthal !). Sieht man doch, daß es sich
darum handelte, die Verunglimpfung eines der
größten Kulturwerke der Geschichte den 500 000
Lesern des „Lokalanzeigers" als Festbraten vor-
zusetzen. Ein solches Gebaren ist traurig!
Ein Fasttag für den Frieden. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :
Eine recht interessante Friedenskundgebung
haben die Chassidim (eine jüdische Sekte) von
Lemberg gewählt. Als in den Zeitungen die
Nachricht erschienen war, daß die Friedens-
verhandlungen zwischen der Türkei und den
Balkanstaaten am Freitag, den 13. in London
eröffnet werden sollen, haben die Rabbiner
sämtlicher chassidischer Bethäuser von Lem-
berg am Donnerstag beim Morgengottesdienst den
Freitag als Fasttag proklamiert. Tat-
sächlich haben zahlreiche Juden in Lemberg an
jenem Freitag gefastet und in den Bethäusern
S pe z ialgebe t e um das Zustande-
kommen des Friedens, von welchem
auch die Ruhe in Europa abhängt, verrichtet.
Dieser Friedensfasttag der galizischen Juden-
sekte ist ein schönes Gegenstück zu der Ein-
richtung des „Friedenssonntag" in den anglika-
nischen Kirchen.
DIE FßlEDENS-^ADTE
3
Die„Vermehrung der internationalen Reibungsfläche n",
Ein neues Schlagwort ist wieder einmal
aufgetaucht, das eine große Verwirrung an-
zurichten geeignet ist. Die Vermehrung der
internationalen Beziehungen zwischen den
Völkern der Erde, der regere Handelsaustausch,
der ständig wachsende Weltverkehr, kurzum
die zunehmende Internationalisierung der Welt,-
so argumentiert man neuerdings, habe keines-
wegs die Wirkung gehabt, daß die Völker ein-
ander innerlich nähergebracht worden sind,
sondern ganz im Gegenteil: es hat nur eine
„Vermehrung der internationalen
Reibungsflächen" stattgefunden, d. h. die
Zahl der Gegenstände, um die die Nationen
streiten können, ist durch die moderne welt-
wirtschaftliche Entwicklung nur vergrößert wor-
den! Zum Belege solcher Behauptungen führt
man mit Vorliebe die „deutsch-englische
Spannung" an, die überhaupt erst durch den
„Kampf der beiden Nationen um die Vormacht-
stellung auf dem Weltmarkte" und die Mannig-
faltigkeit ihrer divergierenden Interessen in
wirtschaftlicher Beziehung entstanden sei. Die
Zunahme gegenseitiger Handels- und Verkehrs-
beziehungen erhöhe daher nur die Kriegs-
gefahr zwischen den Nationen, statt sie zu ver-
ringern.
Friedrich Naumann hat diesem Gedanken
auf dem Mannheimer Parteitage der Fortschritt-
lichen Volkspartei Ausdruck gegeben, zahlreiche
Zeitungen haben ihn wiedergegeben und neuer-
dings ist er auch in einer nationalökonomischen
Vorlesung einer süddeutschen Universität aus-
gesprochen worden.
Wenn dieser Gedankengang richtig wäre,
hätte er vielleicht nicht solche Verbreitung ge-
funden. Denn gerade in Fragen, die den Pazifis-
mus berühren, beliebt man häufig, sich in etwas
unklaren Gedankengängen zu bewegen, gerade,
als ob es darauf ankäme, nur ja keine Ent-
wicklungstendenzen in der Richtung zum Frie-
den oder zum Internationalismus aufkommen
zu lassen.
Es wäre schon ein wenig bitter für
die Pazifisten, wenn durch ihr ganzes Ein-
treten für internationale Organisation, für den
Internationalismus auf allen Gebieten des Lebens
nichts anderes erreicht würde, als jene verhäng-
nisvolle (oder erwünschte?) „Vermehrung der
internationalen Reibungsflächen", die nur den
Frieden gefährdet statt ihn zu fördern. Die so
sprechen, glauben offenbar, daß die Entwicklung
auf halbem Wege stehen bleibe. Sie übersehen,
daß in der ganzen Geschichte der Menschheits-
und Kulturentwicklung gerade die „Vermehrung
der Reibungs flächen" unter den Menschen es
war, die sie die Gemeinsamkeit ihrer Interessen
erst recht erkennen ließ, die sie zum Zusammen-
schluß überhaupt erst veranlaßt hat. Beseiti-
gung von Reibungsflächen ist von jeher, viel-
leicht sogar der einzige und hauptsächliche An-
trieb zur Organisation gewesen; alle Kultur
läßt sich darauf zurückführen! Auf jeden Fall
scheint mir wenigstens das neue Schlagwort
von der Vermehrung der internationalen.
Reibungsflächen ein verhängnisvoller Trugs chuß
zu sein, dem nicht entschieden genug entgegen-
getreten werden kann. Dr. J. Mez.
Die Vertreibung der Türken aus Europa. :: :: :;
H. W. Vor allem Podebrad hat zuerst
in klarer Weise die Vertreibung der Türken aus
Europa gefordert. Der von ihm befürwortete
christliche Fürstenbund hatte u. a. die Ver-
drängung des Islams aus Europa zum Zweck.
Nach Schücking war ja überhaupt das Vor-
drängen der Türken vor allem durch den Zerfall
der Christenheit veranlaßt worden. Deshalb
wollte man deren Einheit dadurch wiederher-
stellen, daß man ihr ein großes Ziel, näm-
lich den Kampf gegen die Türken, gab. „Einst,'"
so heißt es in Podebrads Buche, „war die
Christenheit blühend, mächtig und über weite
Länder verbreitet. Nicht weniger als 117 große
Königreiche gehörten ihr an, ja selbst das Grab
des Erlösers lag in ihrem Gebiete. Niemand
würde gewagt haben, ihr offen die Stirne zu
bieten. Längst aber hat sich das geändert.
Sind doch von jenen 117 Reichen kaum 16
übriggeblieben, seit Mohammed sein Volk zum
Unglauben verführte. Haben ia doch in aller-
letzter Zeit die Türken Griechenland erobert,
Konstantinopel erstürmt." Mit Recht betont
Schücking (Die Organisation der Welt,
S. 34), wieviel Wahres an diesen Worten sei
und auch heute noch die türkische Unkultur
ihren Bestand in Europa lediglich der Uneinig-
keit der Mächte verdanke.
Da somit der Gedanke der Vertreibung der
Türken aus Europa, auch in Anbetracht der
überragenden Bedeutung des Christentums, sehr
nahe lag, so ist es verständlich, daß er sich
noch bei anderen Schriftstellern findet, bei
Campanella de la Noue und insbesondere
S u 1 1 y, dessen christliche Republik vor allem
die Vertreibung der Türken aus Europa bewirken
sollte. Nach dem Projekte des Abbe de
Saint Pierre sollte dagegen der neue Bund
nicht gegen die Türken vorgehen, sondern mit
ihnen ein Bündnis zu schließen suchen.
Am allereingehendsten hat von den früheren
Schriftstellern jenen Plan der Kardinal
Alberoni behandelt und schon der Titel
seines Buches kündet besonders deutlich da,s
Ziel, auf das er hinaus will: „Vorschlag, das
türkische Reich unter der christlichen
Potentaten Botmäßigkeit zu bringen." (1736.)
Es ist interessant, daß Alberoni kürzlich
gerade einen bekannten und hervorragenden Di-
plomaten eines der Staaten des Balkanbundes
zum Geschichtsschreiber gefunden hat. In seiner
bereits auf S. 344 und 355 dieser Zeitschrift
(1912) warm empfohlenen Schrift „Le Cardinal
Alberoni Pacifiste" gibt uns V e s n i t c h, der
ausgezeichnete serbische Gesandte in Paris,
einen sehr guten Ueberblick über Alberoni»
Plan einer Eroberung und Aufteilung der Türkei.
Alberoni hatte genau bestimmt, wie die
II
I
26
<§=
DIE FRI EDENS -'^ÄRTE
Armee zusammengesetzt sein und welches Land
jeder bekommen sollte. Der deutsche Kaiser
sollte ganz Bosnien, Serbien, Mazedonien und
die Walachei erhalten, Frankreich Tunis,
Spanien Algier, Portugal Tripolis, England
Smyrna und Kreta, Preußen die Inseln Negro-
ponte, Sardinien, Cypern usw. Schließlich sollte
der Herzog von Holstein-Gottorp Kaiser von
Konstantinopel werden und die noch übrig blei-
benden asiatischen Besitzungen der Türkei be-
herrschen.
Neben diesen Plänen einer Vertreibung der
Türken aus Europa geht eine andere Ideen-
reihe, die lediglich darnach strebt, den Türken
das Heilige Land zu entreißen. Dubois hat
diesen Plan zuerst in großen Zügen entworfen.
Er ist auch bis heute in christlich gesinnten
Kreisen nicht eingeschlafen. Trotzdem muß es
wundernehmen, daß im Jahre 1911 der hol-
ländische Völkerrechtsjurist Jonkheer van
Daehne van Varick in seiner Schrift
,,La revolution et la question d' Orient" diese
Idee wieder aufgenommen hat. Die in glänzen-
dem Stile geschriebene Schrift sagt, die euro-
päischen christlichen Mächte müssen wieder ein
großes Ziel haben, und dieses besteht in der
Wiedereroberung des Heiligen Landes. Unter
Bezugnahme auf die Kreuzzüge predigt er einen
Kreuzzug gegen die Türken. Man mag über
dieses Buch (besprochen auf S. 268 der Frie-
denswarte, 1911) denken, wie man will. Es
wird nicht zu leugnen sein, daß der Verfasser
die nahende Revolution auf dem Balkan richtig
vorausgesehen hat.
Auch das ist eigenartig, daß van Daehne
in seinem Buche auf die syrische Frage hin-
weist und daß dieses Problem ebenfalls nach
Erscheinen seiner Schrift aktuell geworden ist.
Namentlich Br e y s i g hat im „Tag" ganz offen
gefordert, Deutschland solle sich Syriens be-
mächtigen. Ebenso will van Daehne in
seinem Buche, daß ein hohenzollernscher Prinz
über Syrien herrsche.
So liegt diesen eigenartigen Gedanken-
gängen, wie wenig sie auch zum Teil mit der
pazifistischen Weltanschauung übereinstimmen,
doch mancher interessante Gedanke zugrunde.
Kleine Mitteilungen. :: :: :: :: :: :: ::
Unser Mitarbeiter Dr. Hans Wehberg in
Düsseldorf hat einen schweren Verlust er-
litten. Am 16. Dezember starb sein Vater, Dr.
med. Heinrich Wehberg, im 58. Lebens-
jahr. Was Wehberg damit verloren hat, geht
am besten aus einer Stelle eines Briefes hervor,
den er an den Herausgeber richtete. Sie lautet:
,,Ich verdanke meinem Vater außerordentlich
viel. Er war eine Persönlichkeit von seltener
Größe der Gesinnung. Seine Erziehung war
immerfort darauf gerichtet, daß man für das
Wohl der Menschheit wirken müsse. Männer,
die nur dem Gelderwerbe und ihrem Wohlsein
lebten, nannte er Nullen. In der Geschichte der
deutschen Bodenreformbewegung hat mein
Vater eine Rolle gespielt und ist in seinen
Schriften auch wiederholt für die Friedens-
bewegung eingetreten." Das Beileid all der
vielen, die Hans Wehberg in diesen Blättern
schätzen gelernt haben, ist ihm gewiß. — Die
schwedische Schriftstellerin Lotte von
Kram er, die vor kurzem starb, testierte eine
Million Kronen, die teilweise der Förderung
der Friedensbewegung zugute kommen soll.
— Die Feier zum 80. Geburtstag Geh. Rat Prof.
W i 1 h. Försters fand am 30. Dezember in
den Räumen des Bürgersaales des Berliner Rat-
hauses statt, wo der Gefeierte selbst einen Vor-
trag über ,,Die Erinnerungswelt der Mensch-
heit" hielt. Darauf folgte die Feier, die durch
einen von Ludwig Fulda gedichteten Prolog
eingeleitet wurde. — Professor Richett
feierte anfangs Januar im intimen Kreise sein
25 jähriges Jubiläum als Inhaber des Lehr-
stuhles für Psychologie an der Pariser medi-
zinischen Fakultät. — In der Dezember-
nummer des „Advocat of Peace" wird die ver-
nünftige Forderung aufgestellt, daß das erste
Schiff, das bei der Eröffnung durclrden Panama-
kanal fahren soll, kein Kriegsschiff,
sondern ein Handelsschiff sein soll.
— Der bisherige Sekretär der „Ame-
rican Society f o r Judicial S e 1 1 1 e -
in e n t o f International Dispute s", Mr.
Theodore M.a rburg aus Baltimore
wurde als Gesandter der Vereinig-
ten Staaten nach Brüssel versetzt.
— Die deutsche Abteilung der von Sir Ernest
Cassel in London ins Leben gerufenen König
Eduard VII. Britisch-Deutsche-Stiftung hat in
Hamburg eine Bibliothek für englische
Kultur gegründet, die dem dortigen Seminar
für englische Sprache und Kultur angegliedert
werden soll.
AUS DEB BEWEGUNG
Felipe Moscheies' 80. Geburtstag. :: :: :: :: ::
Am 8. Februar 1833 wurde zu London
Felix Moscheies geboren. Es bietet sich die
Gelegenheit, einen der unentwegtesten und
ausgezeichneten .Werber für die Sache des
Pazifismus in würdiger Weise zu ehren.
Wer die Weltfriedenskongresse der
letzten zwanzig Jahre besucht hat, wird
den kleinen Mann mit dem lächelnden Blick,
das von einem weißen Bart zart umrahmte
Antlitz in Erinnerung haben, der, immer ein
Witzwort auf den Lippen, stets auf dem
Posten stand, wenn es galt, mit Nachdruck
für etwas einzutreten. Wer gar das Glück
hatte, Moscheies näher zu kennen, mit ihm
zu plaudern, aus dem Schatz seiner Er-
fahrungen und Menschenkenntnis ihn er-
zählen zu hören, oder mit ihm durch sein
malerisches Künstlerheim in Chelsea zu wan-
27
DIE FRIEDENS -^/ADTE
G)
dem, der wird für sein ganzes Leben die
Erinnerung an diesen prachtvollen Edel-
menschen als kostbares Wertstück in sich
tragen.
Daß Felix Moscheies, der einst die
Suttner in die Friedensbewegung einführte,
wie man in ihrer launigen Schilderung in
ihren Memoiren nachlesen kann, schon
80 Jahre alt wird, wird viele wundern, die
sich erinnern, wie frisch und tapfer er mit-
arbeitet, wie jugendstark er im „Concord"
die Feder führt. Aber es ist Tatsache, daß
er nunmehr in die Reihen unserer Pa-
triarchen tritt. Möge er — nun der Doyen
der Bewegung in Europa — 'diese ehr-
würdige Rolle noch lange Jahre innehaben.
Wir brauchen ihn.
Was Moscheies gearbeitet hat, wie er
sich entwickelte, wie er mit der Feder, mit
dem Pinsel und mit dein ,,verda stelo" im
Knopfloch für uns wirkte, lese man im
„Handbuch der Friedensbewegung", II. Teil,
Seite 381, nach. Die Eingeweihten der Be-
wegung werden dies aber nicht nötig haben.
Sie senden nach dem „Grelix-Heim" in
London ihren innigsten Dank, ihren herz-
lichsten Glückwunsch. Vivu!
MB
Richard Feldhaus 600. Friedensvertrag. :: :: ::
Richard Feldhaus ist eine der mar-
kantesten Erscheinungen in der deutschen
Friedensbewegung. Seit 20 Jahren, seitdem
er den Roman „Die Waffen nieder" der
Baronin Suttner gelesen, tritt er standhaft
für die Friedensbewegung ein. Ein zweiter
Peter von Amiens, reiste er von Stadt zu
Stadt — oft weit über die Grenzen Deutsch-
lands hinaus — , um den Kreuzzug gegen
den Krieg zu predigen. So hat er vor
Tausenden und Tausenden seiner Hörer die
Friedensidee gepredigt, das Denken an-
geregt und den pazifistischen Gedanken zur
Ausbreitung gebracht. Er wurde geradezu
der Quellfinder für die Deutsche Friedens-
gesellschaft, der er einen großen Teil ihrer
Mitglieder zugeführt hat. Die Centrale der
Deutschen Friedensgesellschaft ließ es sich
daher auch nicht nehmen, den 600. Vortrag,
den Feldhaus demnächst halten wird, unter
ihr Protektorat zu stellen und ihn mit
einer kleinen Festfeier zu verbinden. Die-
ser Vortrag wird am 13. Februar d. J. im
Bürgermuseum in Stuttgart stattfinden. Das
Vortragsprogramm für diesen Jubiläums-
abend lautet: „Die Lehren des Bal-
kankriegs"; erläutert durch viele Licht-
bilder. — Rezitationen von Schriften der
Suttner und aus L a m s z u s. Wir be-
glückwünschen Feldhaus aus Anlaß seines
Jubiläums zu seiner Arbeit und zu seinen
Erfolgen. Möge er sich an dem stolzen Be-
wußtsein erfreuen, als einer der deutschen
Friedensarbeiter der ersten Stunde an dem
großen Werke der Menschheitserweck ung
erfolgreich mitgearbeitet zu haben.
MB
Drei Tote. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ;: :: :: ::
Albert K. Smiley. — Graf Leonid
Kamarowsky. — John L u n d.
In den letzten Wochen hat die Friedens-
bewegung wieder schwere Verluste erlitten. Drei
hervorragende Kämpen sind heimgegangen.
Am 2. Dezember starb in Redlands in Kali-
fornien Albert K. Smiley, der Begründer
und Führer der Lake-Mohonk-Konferenzen, die
sich bereits eines Weltrufes erfreuen. Smiley
war am 17. März 1828 in Vassalboro im Staate
Maine geboren; er hat demnach ein Alter von
84 Jahren erreicht. Er war ein hervorragender
Pädagoge und Gründer verschiedener der
höheren Bildung dienender Institute. Viel tat
er für die Erhaltung der Indianer in seinem
Vaterlande. Im Jahre 1869 siedelte er sich
am Lake Mohonk im Staate New York an.
wo er ein umfangreiches, inmitten herrlicher
Parkanlagen gelegenes Sommerhotel errichtete.
Es wurde dort nicht jeder Gast aufgenommen.
Die Enthaltsamkeit von alkoholischen Ge-
tränken war eine Bedingung. Im Jahre 189.')
berief er nach diesem Landsitz zum ersten
Male eine große Anzahl hervorragender Männer
und Frauen der Vereinigten Staaten zu einer
Erörterung über die Frage des internationalen
Schiedsgerichts. Diese Konferenz war von
solchem Erfolge begleitet, daß sie fortab jähr-
lich abgehalten wurde. Im Mai 1912 fand die
XVIII. Lake-Mohonk-Konferenz statt, wie sie
allgemein bezeichnet werden. Smiley hat dafür
gesorgt, daß diese Konferenzen mit seinem Ab-
leben nicht verschwinden werden.
Graf Leonid Kamarowsky, der An-
fang Januar jn Moskau Btarb, war ein bekannter
Völkerrechtsgelehrter und hervorragender Ver-
treter des Friedensgedankens. Er wurde am
15. März 1816 in Kasan geboren. Jahrelang
bereiste er Rußland und hielt dort öffentliche
Vorträge über die „Entwicklung und Organisa-
tion des Friedens in der modernen Gesell-
schaft", das „Problem der Abrüstung", die
„Humanisierung des Krieges", über den Ersatz
des Krieges durch ein Rechtsverfahren, und
über „Die Fortschritte der Schiedsgerichtsbar-
keit". Im Jahre 1873 war er Mitbegründer des
„Institut de Droit international". Seit Jahr-
zehnten wirkte er als Lehrer des Völkerrechts
an der Universität Moskau. Er wurde von der
russischen Regierung als eines ihrer Mitglieder
in den Haager Schiedshof gewählt und nahm
an der im Jahre 1909 begründeten Moskauer
Friedensgesellschaft die Vizepräsidentenstelle
an. Aus zahlreichen Briefen, die Kamarowsky
im Laufe der Jahre an den Herausgeber dieser
2i
@s
DIE FßlEDEN5-^^ßTE
Blätter gerichtet hat, geht hervor, welch hin-
gebungsvoller Freund des Fortschritts durch
den Weltfrieden der Menschheit mit ihm zu
Grabe getragen wurde. K. hat viele völker-
rechtlichen Schriften verfaßt, von denen sein
Buch über „Das internationale Tribunal" einen
Ehrenplatz in der Völkerrechtswissenschaft ein-
nimmt, auf die es von maßgebendem Einfluß
war. Sein letztes — 1905 erschienenes Werk
— galt dem „Problem der internationalen Orga-
nisation".
Mit großem Schmerze vernahm man von
dem am 8. Jan. 1913 in seiner Vaterstadt
Bergen erfolgten Hinscheiden John Lunds,
des hervorragenden norwegischen Politikers, des
großen und standhaften Verfechters der
Friedenssache. Er wurde am 9. Okt. 1812
geboren. Fünfzehn Jahre lang war er Vertreter
seiner Vaterstadt im Storthing, davon 7 Jahre
als Präsident des Lagthing und einige Jahre
lang als Präsident der Eisenbahnkommission.
Er hat seit 1890 an allen interparlamentarischen
Konferenzen (mit Ausnahme der von 1897 und
1912) teilgenommen und war auf diesen Kon-
ferenzen bis 1900, während er Mitglied des
Storthing war und außerdem 1904 in St. Louis,
Wortführer der norwegischen Delegation. L.
war das erste Mitglied der interparlamenta-
rischen Union, das über die Verhandlungen
der interparlamentarischen Konferenzen (von
1890 bis einschließlich 1900) seinem Parlament
offiziellen Bericht erstattete. Er war Organi-
sator der interparlamentarischen Konferenz von
1899 zu Christiania und deren Präsident. Seiner
Initiative ist es zu danken, daß das Storthing
als erste offizielle Körperschaft das Berner
interparlamentarische Amt durch einen jähr-
lichen Geldbetrag unterstützte. Zur interparla-
mentarischen Konferenz in St. Louis wurde L.
als einer der Vertreter der interparlamenta-
rischen Gruppe des Storthing gewählt und er-
hielt gleichzeitig vom Nobelinstitut in Christia-
nia den Auftrag zum Studium der amerika-
nischen Friedensbewegung. Er schrieb eine Reihe
politischer Artikel in norwegischen und aus-
ländischen Zeitungen, und veröffentlichte die
aus Anlaß der zu Christiania (1899) statt-
gehabten Interparlamentarischen Konferenz
veröffentlichte Festschrift. Lund war Ehren-
mitglied des Interparlamentarischen Rats und
Vizepräsident der Nobelkommission des nor-
wegischen Storthings. In der Rede, die er an
dem im Jahre 1909 Moneta zu Ehren ge-
gebenen Nobelbankett hielt, brachte er die
Grundzüge zum Ausdruck, die ihn bei der Ver-
leihung der Nobelpreise leiteten. Im Oktober
vorigen Jahres feierte er — schon kränkelnd —
seinen 70. Geburtstag. In diesen Blättern wurde
aus diesem Anlaß auf seine großen Verdienste
hingewiesen. Sein Vaterland hat einen aus-
gezeichneten Bürger, die Menschheit einen be-
wunderungswürdigen Menschen, die Friedens-
bewegung einen ihrer unermüdlichen Vorkämpfer
verloren.
Resolution des Ceniralvorstandes des Ver-
bandes für internationale Verständigung.
Angesichts der erfreulichen Tatsache, daß
sich in der gegenwärtigen kritischen Zeit die
Mächte der Triple-Entente mit denen des Drei-
bunds zu gemeinsamer Arbeit für die Erhaltung
des europäischen Friedens zusammengefunden
haben, spricht der Verband für internationale
Verständigung die Hoffnung aus, daß diese ge-
meinsamen Bemühungen erfolgreich sein werden,
indem auf einer europäischen Staatenkonferenz
auch widerstreitende Interessen einzelner Mächte
einen Ausgleich finden, der der Natur der Dinge
entspricht und dadurch die notwendigen Garan-
tien für die künftige politische Gestaltung der
Verhältnisse auf dem Balkan in sich birgt. Wir
sind überzeugt, daß diese Zusammenarbeit auch
die zukünftigen Beziehungen der europäischen
Mächte zueinander, insbesondere von Deutsch-
land und den Westmächten, auf das glück-
lichste beeinflussen wird.
von Ullmann. Nippold. Schücking.
Pilot y. Maier.
LITERATUR UPBESSE
Der Koloß von Brüssel.
Das Buch, das ich als Koloß von Brüssel
bezeichne, kann in viel höherem Maße den An-
spruch erheben, als Weltwunder zu gelten, als
im Altertum der Koloß von Rhodos. Warum
Koloß? Es umfaßt im Lexikonformat wohlge-
zählte 2652 Seiten und wiegt gebunden über
viereinhalb Kilo, i Aber nicht nur in seinen
Dimensionen ist es ein Koloß, es kündet auch
durch seinen Inhalt etwas Kolossales. Ich
spreche von dem neuen Band des „A n n u a i r e
de la vie internationale" (1910 bis
1911)*), der soben verausgabt wurde, jenem
Brennspiegel des internationalen Lebens der
Gegenwart, dem Heiligen Buch der Weltorgani-
nation, dem beweiskräftigen Dokument der
wachsenden Gemeinschaftsarbeit der Mensch-
heit. Ein Buch, das wir Pazifisten gegen den
Ansturm der Chauvinisten, der Gewaltanbeter,
der Utopisten vom ewigen Krieg als unein-
nehmbares Bollwerk werden benützen können,
in dessen Zeichen die Lehre von der sich
organisierenden Welt unfehlbar siegen muß.
Das „Annuaire" stellt sich als eine Samm-
lung beschreibender und dokumentierter Einzel-
abhandlungen über 510 gegenwärtig be-
stehender internationaler Organi-
sationen dar. Dabei enthält es auf seinen
*) „Annuaire de la vie inter-
nationale. Unions, Associations Instituts,
Commissions, Bureaux, Offices, Conferences,
Congres, Expositions, Publications. Publie pour
l'Union des Associations Internationales avec
le concours de la Fondation Carnegie pour
la paix internationale et de l'institut inter-
national de la, Paix. Second Serie. Volume II.
1910—1911. Lex. 8°. Bruxelles 1913. Office
central des Associations Internationales, rue de
la regence 3 bis 2652 SS. Hbfrzbd. 40 Fr.
29
DIE FRIEDENS -^/APTE
3
2652 Seiten nicht etwa die vollständige Beschrei-
bung jener Organisationen, sondern nur die Er-
gänzungen über die bereits in dem vorher-
gehenden, 1550 Seiten umfassenden Band ent-
haltenen Daten, nebst jenen, allerdings sehr
zahlreichen Organisationen, die in dem vor-
liegenden Band neu aufgenommen wurden. Es
ist ein Beweis des ungeheuren Wachstums der
internationalen Betätigung, die das kolossale
Buch augenfällig dartut.
Vom Jahre 1909, dem Jahre der vorletzten
Ausgabe des Annuaire, hat sich die Gesamt-
zahl der internationalen Organisationen bis
Februar 1912 (dem Datum des letzten Redak-
tionsanschlusses) von 300 auf 510 vermehrt. Die
Zahl der internationalen Kongresse ist in dem
vorliegenden Buch von 1840—1912 auf 2615 fest-
gestellt worden, wobei erinnert werden muß,
daß eine endgültige Feststellung für die Ver-
gangenheit überaus schwierig ist und die Er-
weiterung der Zahl durch neue Entdeckungen
als sicher angenommen werden kann. Wie sehr
aber die Gemeinschaftsarbeit der Menschheit
auf internationalen Kongressen in steter Zu-
nahme begriffen ist, ergibt sich aus einer dem
Bande beigegebenen statistischen Tabelle. Da-
nach haben an internationalen Kongressen
stattgefunden :
Von 1840—1849 9
„ 1850—1859 20
„ 1860—1869 77
„ 1870—1879 169
„ 1880—1889 309
,, 1890—1899 510
„ 1900—1909 1070
In den Jahren 1910: 181, 1911: 131, 1912: 109.
Nach dieser Tabelle hat sich die inter-
nationale Gemeinschaftsarbeit im ersten Jahr-
zehnt unseres Jahrhunderts gegenüber dem vor-
hergehenden mehr als verdoppelt, dem
vorvorigen gegenüber mehr als verdrei-
facht. Wenn man die Zunahme des zweiten
Jahrzehnts unseres Jahrhunderts nach dem
Durchschnitt der drei ersten Jahre (d. i. 140
per Jahr) berechnet, ergibt sich für diesen
Zeitraum mindestens eine Verdreifachung gegen-
über dem Jahrzehnt 1890 — 1899 und eine Ver-
fünffachung der Zahl der Kongresse gegenüber
dem Abschnitt 1880—1889. Fürwahr, diese
Zahlen bilden einen erlösenden Beweis. Sie
zeigen, wie die Organisation über die Anarchie
siegt, wie trotz der kriegerischen Wirren des
Tages das Friedensprinzip, das in gemeinsamer
Arbeit der Menschheit im Dienste der Kultur
liegt, sich zusehends fortentwickelt. Darum sind
wir berechtigt, den Koloß von Brüssel als eines
der heiligen Bücher der Menschheit zu be-
zeichnen.
Vor mir liegt die erste Ausgabe dieses
Annuaire aus dem Jahre 1905. Ein kleines,
bequem in die Brusttasche zu steckendes Bänd-
chen von 156 Seiten. Vielleicht ist es nicht
uninteressant, daran zu erinnern, was der Her-
ausgeber dieses ersten Bandes vor acht Jahren
in der Einleitung gesagt hat. „Diese Arbeit",
so heißt es dort, „ist nur ein Versuch. Man
kann darin nur die Skizze eines Gemäldes
sehen, das erst auszuführen ist. Es ist un-
möglich, zu Anfang mehr zu tun. Der Heraus-
geber war als Quelle nur auf einige Zeitungen
und auf die Gefälligkeit einzelner Personen an-
gewiesen, die bereit waren, auf seine Anfragen
zu antworten. Unter diesen Umständen konnte
das Werk, dasi er jetzt der Öffentlichkeit vor-
legt, nur unvollständig sein, es soll nur als
der Plan zu einem künftigen Ge-
bäude betrachtet werden. Doch ge-
stattet dieser Plan gewissermaßen anzudeuten,
was der vollendete Bau sein wird. Mit der
Zeit wird dieses Annuaire ein sicherer und voll-
ständiger Eührer des internationalen Lebens
werden."
Das 1905 Angekündigte ist jetzt zur Tat
geworden. Das Annuaire ist von 156 Klein-
Oktav-Seiten zu 2652 Seiten Lexikon-Format an-
gewachsen. Zu seiner Herstellung sind in
einem Jahre mehr als 3000 Briefe ver-
sandt worden und mehr als 4000 Nach-
schlagungen notwendig gewesen. Das Gebäude
steht da, das der Plan vor acht Jahren an-
zeigte. Diese ungeheure Leistung ist den beiden
ausgezeichneten Männern zu danken, die seife
1908 das Werk aus den kleinen Verhältnissen,
unter denen es 1 ins Leben gerufen wurde, über-
nahmen, um es auszugestalten, dem bel-
gischen Senator Henri Lafontaine und
Paul Otlet, dem Pfadfinder der neuen
Wissenschaft des Internationalismus. Es ist
aber auch der Carnegiestiftung zu danken, die
diese beiden Männer bei ihrer Arbeit unter-
stützt hat.
Jetzt handelt es sich nur darum, dieses
Monumentalwerk bekanntzumachen. Die Mensch-
heit muß aus ihm erfahren, was sie
in ihrer Mehrheit noch nicht weiß; die füh-
renden Männer vor allen Dingen, die Minister»
Diplomaten, Parlamentarier müssen es erfahren,
daß die Welt sich organisiert. Und deshalb
wünschen wir, daß die Verbreitung dieses
Buches in einer so nachhaltigen Weise durch-
geführt werden möge, wie 'seine Herstellung
sachgemäß zustandegebracht worden ist. Vor
allen Dingen wünschen wir, daß man i n
Deutschland dieses Buch in umfassender
Weise kennen lerne. Dieses Buch, das uns die
internationalisierte Welt zeigt, kann um-
wälzend wirken, es muß, wenn es erst ver-
breitet ist, das Denken und Handeln der Zeit-
genossen beeinflussen. Ein Ziel, das mit aller
Kraft zu erstreben ist. F.
Eine neue japanische Friedenszeitschrift.
Vor uns liegt in gefälligem Oktav-Format
die im Dezember 1912 ausgegebene erste Nummer
der „The Japan Peace Movement", des monat-
lichen Organs der „Japanischen Friedensgesell-
schaft" und der „Amerikanischen Friedensgesell-
schaft von Japan", das an Stelle der früheren
Zeitschrift „Heiwa" getreten ist und seinen
Titel nach der Zeitschrift des Berner Bureaus
gebildet hat. Nach 6 Seiten englischen Textee
folgen 24 Seiten japanischer Text. Das Vorwort
rührt vom Grafen Okuma her, es finden
sich dann noch Artikel von Baron Y. Schi-
busawa, Dr. Charles W. Eliot. T. Ko-
shida, R. Watanabeu. a. Wir wünschen
unserem ostasiatischen Bruderorgan besten
Erfolg.
Besprechungen. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
V. Liszt, Das Völkerrecht, systematisch
dargestellt, neunte Auflage, Berlin 1913,
O. Härinsr, 565 S.
30
<£
DIE FRIEDENS -WARTE
Die Auflagen des Lisztschen Werkes folgen
einander überaus schnell, der beste Beweis
für die große und verdiente Popularität des
Buches. Die Vorzüge des Werkes bestehen be-
kanntlich in der guten Systematik, der klaren
Sprache, der Vollständigkeit der Literatur-
nachweise und vielem anderen. Wir Pazifisten
dürfen dem Werke noch seine fortschrittliche
Gesinnung nachrühmen, die in dem vorliegen-
den Bande besonders hervortritt.
Wir lesen in dem Vorworte zu unserer größ-
ten Freude : „Gerade vom nationalen Standpunkte
aus kann man es nur auf das dringendste
wünschen, daß das Deutsche Reich der unver-
meidlichen Entwicklung sich nicht entgegen-
stemme, sondern daß es an ihre Spitze trete
und die Friedenspolitik, die es seit Jahrzehnten
unter schwierigen Verhältnissen verfolgt hat,
auch in der Mitarbeit an der Weiterbildung
des Völkerrechts betätige. Aufgabe der deut-
schen Vertreter der Völkerrechtswissenschaft
ist es, eine schöne und dankbare Aufgabe, die
Reichsregierung, soweit sie diesen Weg geht,
mit allen Kräften zu unterstützen. Die ent-
gegengesetzte Haltung, die in einzelnen und
hoffentlich vereinzelt bleibenden deutschen
Schriften zum Ausdruck gekommen ist, liegt
nach meiner festbegründeten Ueberzeugung
nicht im Interesse des deutschen Volkes."
Im einzelnen wäre freilich mancherlei zu
bemerken. Z. B. hat die verschiedenartige
Interpretation des Artikels 23h der Anlage
zum Landkriegsabkommen gar keine Feststel-
lung gefunden. Die neuesten pazifistischen
Tendenzen und vor allem die moderne Schieds-
gerichtsbewegung verdienten eine noch ein-
gehendere Berücksichtigung. Leider ist ja wohl
Schückings Werk zu spät erschienen, um noch
verwertet zu werden. Mir scheint ein ganz
neues Kapitel nötig, worin die Ergebnisse der
Haager Konferenzen und ihr Verhältnis zu dem
modernen Pazifismus dargestellt wird.
Wir wünschen dem Lisztschen Werke, das
der deutschen Völkerrechtswissenschaft zur
höchsten Ehre gereicht, eine immer größere
Verbreitung. W e h b e r g.
Bernhardi, Friedrich v.,
Unsere Zukunft. Ein Mahnwort an das deut-
sche Volk. 6. und 7. Tausend. 8°. Stuttgart
und Berlin 1912. J. G. Ootta. 154 S.
Der Verfasser von „Deutschland und der
nächste Krieg", beschert uns wieder ein inter-
essantes Buch, das uns wertvolle Aufschlüsse
über die politische Denkmethode gewisser
Kreise liefert. Um diesen Ozean von Irrtum
zu widerlegen, müßte man ein ganzes Buch
schreiben, eine Bibliothek. Man hat sie eigent-
lich schon geschrieben ; denn v. Bernhardi bringt
keinen Gedanken vor, der nicht schon wider-
legt wäre. Mit erfreulicher Offenheit tritt er
der Friedensbewegung entgegen: „Diesen Be-
strebungen muß der Boden unter den Füßen
entzogen werden", meint er S. 56. Wie wollen
Sie das nur machen, Herr General? Sie meinen,
die Friedensbewegung ist eine Erfindung. Das
ist sie nicht. Sie ist ein Produkt der Tat-
sachen, die die Welt beherrschen. Ich wüßte
ein Mittel, die Friedensbewegung zu beseitigen.
Es gibt nur das eine : Zerschlaget alle Maschinen,
zerstört alle Eisenbahnlinien, zerschneidet alle
Telegraphen- und Telephondrähte, alle Kabel,
verbietet jede technische Erfindung — und der
Friedensbewegung ist „der Boden entzogen".
Kann man das nicht, dann wird sie bestehen
bleiben und unaufhörlich und ungeheuer
wachsen.
In dem Kapitel „Die soziale und politische
Bedeutung des Krieges" wird der Krieg als
biologische Notwendigkeit dargestellt. Wir
wissen, daß der Krieg eine verkehrte Auslese
zeitigt und die Völker degeneriert. Der Ver-
fasser geht von der falschen Prämisse aus.
daß, weil der „Kampf der Vater aller Dinge
ist, der Krieg unentbehrlich sei. Wie oft haben
wir es bewiesen, daß der Krieg nur eine und
die unrichtigste Form des Kampfes ist, daß wir
kämpfen, ohne gelegentlich in einem halben
Jahrhundert Menschenknochen zu zertrümmern,
und daß schließlich der Kampf auch nicht der
Vater aller Dinge ist, sondern in ebenso
hohem Grade auch die gegenseitige Hilfe.
Der Kampf ist nur dann lebenspendend, wenn
er sich gegen die Umwelt, aber nicht, wenn
er sich gegen die eigene Art wendet.
Sehr neu und ein bißchen gewagt erscheint
mir die Erklärung des Verfassers, warum „die
Friedensbewegung einen so bedeutenden Ein-
fluß gewinnen konnte, wie sie ihn heute tat-
sächlich erreicht hat". Warum? General
v. Bernhardi sagt es uns : „Diese Tatsache
erklärt sich zum Teil dadurch, daß hinter
ihr sehr bedeutende Privatinter-
essen stehen, die teilweise mit
einem gewaltigen Kapital ar-
beite n." (! ) Die Eingeweihten, die so oft
über den 50-Pfennig-Pazifizismus, wie wir ia
ßelbstironie unsere finanziell so arme Bewegung
genannt haben, klagten, werden sich eines
Lächelns nicht erwehren können. Das wagt man
einer Bewegung gegenüber zu behaupten, die
gegen einen Feind ankämpft, dem jährlich
20 Milliarden zur Verfügung stehen, also das
Zehntausendfache, das die Carnegie-
stiftung jährlich zu vergeben hat. Darüber ist
wahrlich kein Wort weiter zu verlieren.
Interessant ist es auch, daß der Verfasser
die große Ausdehnung der Friedensbewegung
in den Vereinigten Staaten begreiflich findet.
Das Selbstbewußtsein, das die ruhmvoll er-
fochtene Unabhängigkeit den Amerikanern
gibt, die fehlende Voraussetzung einar Ueber-
völkerungsgefahr, die reichen Naturschätze des
Landes, die Möglichkeit der Muskelstärkung im
Kampfe gegen eine noch nicht überall unter-
worfene Natur, dies alles läßt es ihm natürlich
erscheinen, „daß die Bevölkerung dieses Landes
der Friedensbewegung im allgemeinen sym-
pathisch gegenübersteht . . ." Dann heißt es:
„ W ie anders steht Deutschland da!"
— Wir brauchen die Darlegungen hier weiter
gar nicht zu verfolgen. Es genügt uns, den
Verfasser hier auf einen Grundirrtum auf-
merksam zu machen : Es gibt wohl eine Friedens-
bewegung in Deutschland, aber keine deutsche
Friedensbewegung. Hätten wir in Deutschland
eine isolierte Friedensbewegung, dann wäre sie
sicherlich ein Verbrechen am deutschen Volke.
Die Gegner der Friedensbewegung übersehea
aber immer, daß die Friedensbewegung inter-
national ist, und daß sie nur als solche ins
Auge gefaßt werden darf. Dann ergibt sich ein
ganz anderes Bild. Dann ist das gut, waa
unter der falschen Voraussetzung schlecht er-
DIE FßlEDEN5-^\^DTE
3
scheint. Wenn z. B. die Friedensbewegung den
kriegerischen Geist hemmt, so wäre dies ein
Verbrechen, wenn das nur für Deutschland zu-
träfe, aber eine Wohltat — eine Wohltat für
Deutschland — , wenn dies in der ganzen Welt
der Fall ist; denn dann fallen jene Voraus-
setzungen, aus denen der Verfasser die Not-
wendigkeit der steten Kriegsbereitschaft des
Reiches herleitet. Und ein unparteiischer Ueber-
blick muß dem Pazifistengegner sagen, daß —
abgesehen von den Ländern des Ostens — die
Friedensbewegung in allen Ländern höher ent-
wickelt ist als in Deutschland. Das ist beweis-
bar! Und statt die Friedensbewegung zu ver-
dammen, sollte man sie gerade vom Stand-
punkte des Patriotismus hoch halten.
Der Verfasser kennt' den modernen Pazifis-
mus nicht, denn er weist seine Unhaltbarkeit
durch eine Kritik der Schiedsgerichtsbarkeit
nach. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist nicht das
Allheilmittel ; das sagen wir oft genug. Sie
ist ein Friedensmittel unter hundert anderen.
Aber — wie eingangs erwähnt — man müßte
die Bücher alle noch einmal schreiben, die wir
schon geschrieben haben, um den General zu
widerlegen. Wozu? Er wird die Weltent Wick-
lung nicht ändern. Und wenn er uns das ein
Jahrhundert alte Wort entgegenruft : „Das letzte
Heil, das Höchste liegt im Schwerte", so
können wir ihm nur ein neueres Wort entgegen-
stellen, das da lautet: „Der Friede ist die
Funktion der Kultur". A. H. F.
Mfet
Angell, Norman,
Peace Theories and the Balkan War. 8 °.
London 1912. Horace Marshall & Son. 141 S.
Cloth.
Der Verfasser der „Großen Täuschung"
benutzt den Balkankrieg als Demonstrations-
objekt für die Darlegung der pazifistischen
Theorie. Das vorliegende Buch ist eine Streit-
schrift gegen jene, die den Ausbruch des
Balkankrieges als einen Zusammenbruch aller
pazifistischen Lehre bezeichneten, und die sich
veranlaßt sahen, zu behaupten, daß der Krieg
doch ein gutes Mittel sei.
Norman Angell legt dem gegenüber dar,
daß es keinem vernünftigen Pazifisten ein-
gefallen ist, den Krieg als unmöglich hin-
austeilen. Die Täuschung liegt nicht in der
Unwahrscheinlichkeit des Krieges, sondern in
seinen Vorteilen. Der Krieg ist nichtig, und
die Gewalt ist kein Mittel. Das beweist eben
der Balkankrieg. Die Türken sind es, die seit
400 Jahren das Gewaltsystem auf der Balkan-
insel praktizierten, und die jetzt die Nichtig-
keit dieses Systems kennen lernen. Der Krieg
der Balkanvölker ist nur eine Auflehnung gegen
dieses System. Die Auflehnung gegen die Ge-
walt ist nicht Krieg in dem Sinne, in dem
die Pazifisten wirken. Der Gendarm, der den
Räuber mit denselben Mitteln unschädlich
macht, wie der Räuber vorher den friedlichen
Wanderer, wird durch diese Handlung nicht
zum Räuber. Die Balkanvölker würden anti-
pazifistisch handeln, wenn sie den Spieß um-
kehren und nun ihrerseits ein System der Ver-
gewaltigung und Ausbeutung den Türken gegen-
über geltend machen wollten. Die Eroberung
war das ökonomische Prinzip der Türken, und
dieses sehen wir jetzt auf dem Balkan zu-
sammenbrechen.
Das vorliegende Buch Angells ist nicht
weniger interessant und wichtig wie sein großes,
in der ganzen Welt bekannt gewordenes Werk.
Von besonderer Wichtigkeit sind seine Aus-
führungen in dem Schlußkapitel, „Was müßten
wir tun?" betitelt. Guter Wille allein genügt
nicht. Gesunde Ideen breiten sich nicht von
selbst aus. Sie müssen von Menschen aus-
gebreitet werden. Die öffentliche Meinung
muß umgewandelt werden, denn die Regierungen
sind nur die Verkörperung der allgemeinen
öffentlichen Meinung. Eine ständige Organi-
sation der Propaganda muß diesen Wandel in
einem halben Menschenalter hervorbringen
können, eine Revolution des Geistes, die größer
sein wird, als' die der Reformation. „Eine der-
artige Organisation hat kaum begonnen. Dio
Friedensgesellschaften haben hervorragende
Dienste geleistet und leisten sie noch, aber,
um die große Masse zu erreichen, müßten
Instrumente von viel größerer Wirkungskraft in
Anwendung kommen." Angell führt dann sein
Programm aus. An hundert Punkten gleich-
zeitig muß das Werk angefaßt werden. Als
eines dieser Mittel bezeichnet der Verfasser die
Errichtung von Lehrstühlen für die inter-
nationale Staatskunst an allen Universitäten.
„W ährend wi r", so führt er glänzend aus,
„Lehrstühle zur Erforschung des
Wesens der Insekten - Verwandt-
schaften besitzen, haben wir keine
zur Erforschung des Wesens der
Beziehungen der Menschen in ihren
politischen Gruppierungen." Er will
die englische Flotten-Liga und den deutschen
Flottenverein zu Friedensorganisationen um-
wandeln, indem er sie veranlaßt sehen will,
statt die Erhöhung der Schiffs zahl, des Schiff s-
umfanges und der betreffenden Armierung zu
erstreben, festzustellen, wie, warum und wann
und unter welchen Bedingungen diese Waffen
verwendet werden sollen. Er verlangt, daß die
politischen Parteien Englands und Deutschlands
in London und Berlin wechselseitige Vertreter
unterhalten sollen, damit sie sich gegenseitig
von ihren Illusionen befreien. „Unsere Staats-
kunst", so schließt das hervorragende Buch,
„ist noch immer auf eine Art politischen
Kannibalismus begründet, auf der Idee, daß
Nationen sich durch die Eroberung und Be-
herrschung anderer entwickeln können. So
lange das unsere Auffassung von den Be-
ziehungen der menschlichen Gruppen bildet,
werden wir immer vor der Gefahr von Zu-
sammenstößen stehen, und unsere Vergesell-
schaftungs- und Kooperationsentwürfe werden
immer zusammenbrechen."
Diederich, Franz,
Krieg. Ein Buch der Not. Dem Willen
zum Frieden gewidmet. 8 °. Dresden 1912. Mit
acht Bildern von Goya, Klinger, Bock-
1 i n und Wereschtschagin. Verlag von
Kaden & Comp. 101 S.
Ein aus der Zeit heraus geborener Auf-
schrei gegen das Verbrechen des Krieges.
Anthologie der besten Gedichte gegen den Krieg.
Mit guten Bildern geschmückt. Ein Propaganda-
buch bester Art für die breiten Massen.
32
©_-
DIE FRIEDENS -MXZTE
Hüttenhein, Dr. Erich.
Die Handelsschiff© der Kriegführenden. Eine
völkerrechtliche Kriegsstudie. 8 °. Breslau 1912.
J. U. Kerns, Verlag. (Sonderabdruck aus : Zeit-
schrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht.)
72 S.
Der Verfasser behandelt zwar ein kriegs-
rechtliches Thema, jedoch im Geiste des
modernen Völkerrechts. Das geht aus dem
Schlußwort hervor, wo er das Völkerrecht gegen
seine Existenzverleugner in Schutz nimmt, es
aus dem Rechtsbewußtsein des modernen Staa-
tes und mit Nippold aus der „Solidarität der
heutigen internationalen Interessen" herleitet.
Die Richtung auf eine Verwirklichung einer
fest gegliederten und geordneten internationalen
Menschengemeinschaft erscheint ihm unver-
kennbar.
Lange, Hendrik Jan de.
Vorlog en Arbitrage. Proefschrift ter Verkrij-
gung van den Grad van Doctor in de Rechts-
wetenschap aan de Rijksuniversiteit te Leiden.
Gr. 8<>. : S-Gravenhaage 1912. Mouton & Co.
112 S.
Das Anwachsen der pazifistischen Bewegung
ist auch erkennbar aus den zahlreichen
Dissertationen, die auf Grundlage des Pazifis-
mus geschrieben werden. Die vorliegende, in
holländischer Sprache geschriebene Schrift
nimmt ihr Material aus der modernen Völker-
rechtsliteratur und der pazifistischen Literatur.
Wir werden darauf gelegentlich noch zurück-
kommen.
Sozialdemokratische Flug-
schriften.
Nr. 14. Die Greuel des Krieges. — Nr. 15.
Krieg dem Kriege. Gr. 8°. Berlin 1912. Ver-
lag: Buchhandlung des Vorwärts. Je 16 S.
mit Umschlag ä 10 Pf.
In Nr. 14 werden die Greuel des Balkan-
krieges nach den Berichten der Kriegskorre-
spondenten zusammengestellt, in Nr. 15 findet
sich ein Bericht des Baseler Kongresses vom
24. und 25. Nov. 1912, Text der Eriedenspredigt
des Pfarrer Täschler, die Reden bei der Kund-
gebung im Münster, das internationale Friedens-
manifest. Gute und billige Propagandaschriften.
The Peace Year-Book. 1913. Edited
by Carl. Heath. 8 °. London 1913. The Na-
tional Peace Council. 283 S. 1 Sh.
Dieser treffliche „Gotha" der Friedens-
bewegung erweist sich auch in seiner dies-
jährigen Ausgabe als ein unentbehrliches Hilfs-
mittel für jeden, der in der Propaganda steht,
und für alle die, die sich über den Umfang
des Pazifismus unterrichten wollen.
Eingegangene Druckschriften. :: :: :; :: :: :: :: ::
(Besprechung vorbehalten.)
La Vie Internationale. Revue men-
suelle des Idees, des faits et des organismes
internationaux. Tome IL 1912. Fascient 1.
Aus dem Inhalt : Oliveira Lima, La
Formation de PAmerique latine et la conception
internationale de ses fondateurs. — Albert
Counson, Les Meteques. — G. Lecointe,
La Conference internationale de l'Heure de Paris
et l'Unification de l'Heure. — Calendrier des
Reunions internationales, usw.
Bulletin of the Pan-American
Union. (Washington) November.
Aus dem Inhalt: The fifth international
Congress of Chambers of Commerce, usw.
d'E stournelles de Constant, Baron
Paul Henri Benjamin,
Auszug aus der Rede bei der Eröffnung des
Kongresses des Verbandes für internationale
Verständigung in Heidelberg, am 5. Oktober
1912. Deutsche autorisierte Uebersetzung. 8 °.
7 Seiten. Ohne Ort und Jahreszahl. (Zu be-
ziehen durch Professor Wilhelm Paszkowski,
Berlin NW., Bauhofstraße 7.)
Fried, Alfred H.,
Handbuch der Friedensbewegung. Zweiter Teil.
Geschichte, Umfang und Organisation der
Friedensbewegung. Zweite, gänzlich umge-
arbeitete und erweiterte Auflage. 8 °. Berlin
und Leipzig. 1913. Verlag der „Friedens-
Warte". 492 S. M. 5.
Fried, Alfred H,
Der Weg zum Weltfrieden im Jahre 1912.
Pazifistische Chronik. 8 °. Berlin, Wien und
Leipzig. Verlag der „Friedens-Warte". 31 S.
50 Pf.
Friedrich, Karl,
Vergeude keine Lebenskraft. Zweite vermehrte
Auflage. 8 °. München. Ernst Reinhardt. 105 S.
Ge rs i n , K.,
Altserbien und die albanesische Frage. 8 °.
Wien 1912. Anzengruber- Verlag, Brüder Su-
schitzky. 55 S. i
Macara, Sir Charles W.,
Internationale Industrie und internationaler
Handel. Referat, vorgelegt der deutsch-eng-
lischen Konferenz in London. 30. Oktober bis
1. November 1912. Fol. O. Ort u. Jahreszahl.
(Zu beziehen durch C. W. Macara, 33 York-
street, Manchester.)
O s t w a 1 d , Wilhelm,
Der Monismus als Kulturziel. Vorgetragen im
österr. Monistenbund in Wien (Großer Sofien-
saal) am 29. März 1912. (Schriften des
Monistenbundes in Oesterreich, Heft 2.) 8 °.
Wien u. Leipzig. Anzengruber- Verlag, Brüder
Suschitzky. 39 S. 50 Pf.
Thomas, Pfarrer Frank,
Der Friede und die Friedensbewegung. Predigt,
gehalten in der „Victoria Hall" in Genf am
22. September 1912 bei Gelegenheit der inter-
parlamentarischen Friedenskonferenz und des
XIX. Weltfriedenskongresses. 8 °. Frankfurt
am Main 1912. Druck von Gebrüder Knauer.
16 S.
Veröffentlichungen des Ver-
bandes für internationale Ver-
ständigung:
Heft 1. Butler, Nicolas Murray,
Der internationale Geist. 13 S.
Heft 2. Nippold, Prof. Dr. Otfried,
Die auswärtige Politik und die öffentliche
Meinung. 16 S.
Heft 3. Schücking, Walther,
Die wichtigste Aufgabe des Völkerrechts. 12 S.
Heft 4. Rode, Prof. Dr. Martin.
3S
DIE FßlEDENS-'MfißTE =
3
Der Beitrag der christlichen Kirchen zur
internationalen Verständigung. 17 S.
Jedes Heft in 8°. Stuttgart 1912. Druck
yon W. Kohlhammer. Preis 50 Pf. Kostenlos
für Mitglieder des Verbandes. (Frankfurt a. M.,
Liebfrauenstr. 22.)
Les Prix Nobel en 1911. 8". Stock-
holm 1912. 80, 14, 12 und 19 S. mit Porträts
und Tafeln. (Zu beziehen durch das Nobel-
institut in Stockholm.)
Le Groupe francais de l'Arbi-
irage International et l'Union ln-
terparlamentaire (mars 1912). Kl. 8°.
Paris 1912. Oh. Delagrave. 58 S.
Butler, Dr. Nicholas Murray,
L'esprit international. Discours d'ouverture pro-
nonce le 16 mai 1912 ä la Conference de Lake
Mohonk pour l'Arbitrage international. Trad.
de M. Jacques Dumas. Kl. 8 °. Paris 1912.
Ch. Delagrave. 21 S.
Conciliation Internationale.
Bulletin trimestriel No. 2.
L'Assemblee Generale du 30 mars 1912. Pro-
gramme du Comite de Defense des Interets
nationaux. Programme, Statuts et liste des
membres de la Conciliation internationale. —
Jarousse de Sillac, „L'Organisation de la
Societe des Etats." Kl. 8°. Paris 1912. Ch.
Delagrave. 142 S.
— Bulletin trimestriel No. 3.
L'amitie franco-americaine. La Keception de
M. Robert Bacon an Senat. Un Discours
de M. J. Jaures ä la Chambre des Deputes.
Un article de M. Fred6ric Masson. —
Le Comite f ranco-amerique ; avec une intro-
duction de M. d'Estournelles de Con-
stant. Kl. 8°. Paris 1912. Mit Abbildungen.
Ch. Delagrave. 82 S.
Almanach de la Paix pour 1913.
Publie par l'Association de la Paix par le Droit.
Priface de Charles Richet. 8°. Paris.
Plön Nourrit & Cie. 72 S. Mit Illustrationen.
25 Cts.
Hagerup, M. F.,
Discours tenu ä la Seance solennelle d'ouverture
de la XXVe Session de l'Institut de Droit inter-
national ä l'Institut Nobel norvegien, Christia-
nia, le 24 aoüt 1912. 8°. Stockholm 1912.
10 S. (Zu beziehen durch das Nobel-Institut
in Stockholm.)
Maday, Dr. Andre de,
Sociologie de la Paix. Introduction ä la Philo-
sophie du Droit international. 8 °. Paris 1913.
Giard & Briere. 13. S. 1,50 Fr.
Butler, Nicholas Murray,
The Service of the University. Stenogr. Rep.
of an address delivered on the occasion of the
dedication of the State Education Building at
Albany N. Y., Oct. 16 1912. 8°. Repr. from
the „Editorial Review" Dec. 1912. (Educa-
tional Review Publishing Co., New York.) 10 S.
„International Conciliation":
Nr. 57 (Aug. 1912). Neil, Charles Patrick.
The Interest of the Wage-Earner in the
Present status of the Peace Movement. An
address delivered at the Lake Mohonk Con-
ference an International Arbitration, May 17,
1912. 14 S.
Nr. 58 (Sept. 1912). Giddings, Franklin H.
The Relation of Social Theory to public
Policy. 14 S.
Nr. 59 (Okt. 1912). Stratton, George M.
The double Standard in Regard to fighling.
14 S.
Nr. 60 (Nov. 1912). As to two Battle-
s h i p s. Contributions to the Debats upon
the Naval, Appropriation Bill by Hon. F i n 1 y
William Ken t. 14 S.
Nr. 61 (Dez. 1912). Lochner, Louis P.
The Cosmopolitan Club Movement. 14 S.
Nr. 62 (Jan. 1913). Root, Elihu.
The Spirit of Self-Governement. An Address
delivered at the 144th Anniversary Banquet of
the Chamber of Commerce of the State of
New York, November 21, 1912. 14 S.
Jedes Heft : 8 °. (Zu beziehen kostenlos von
„American Association for International Con-
ciliation" Sub-Staiion 84 (407 West 117 th
Street) New York City.
Monthly Bulletin of Books, Pam-
phlets and Magazine Articles dealing with inter-
national Relations. Nov. 1912 und Dez. 1912. 8».
New York. 8 bzw. 10 einseitig bedruckte S.
(Zu beziehen durch die „American Association
for Int. Conciliation". Sub-Station 84 (407 West
117th Street) New York City.
„Judicial Settlement of Inter-
national Disputes":
Nr. 10 (Nov. 192). Scott, James Brown,
The Court of Arbitral Justice. Approved by
the Second Hague Peace Conference (1907)
and Recomended by the Institute of Inter-
national Law (1912). 16 °. Baltimore, U. S. A.
(Zu beziehen kostenlos durch Tunstall
Smith, The Preston, B a 1 1 i m o r e, U. S. A.)
Stockton, Charles H.,
Panama Canal Tolls. Reprinted. (U. S. Naval
Institute, Annapolis M. D.) 6 S.
W a y 1 e n , Hector.
Conscripts of Peace. An Address delivered by
Request in Connection with several Edinburgh
Churches. 8°. Edinburgh 1912. (Zu beziehen
durch: F. W. Nish. 17 St. Ann's Square. Man-
chester.) 2 Pence. 15 S.
D u d a n , Alessander.
La politica antiitaliana in Austria-Ungheria.
8 °. Roma 1912. (Estratto dalla „Rassegna
Contemporanea" anno V. no. 11) 56 S.
La guerra nella caricatura. Dis-
segni di S c a r 1 a t i n i. Kl. 4 ° oblong. Milano
1912. Societä anonima editrice „Avanti".
V i s s e r , S. J.,
Over Socialisme. Een drietal Studies. 8 °.
S'Gravenhage 1913. Martinus Nijhoff. 186 S.
Wicksell, Anna ■B.,
Avrustningssträvandet och Fredsarbetet. Nägra
ord om Svenska fredsförbundes uppgifter.
Kl. 8 °. Stockholm. Albert Bonniers Förlag.
(Svenska fredsförbundes Skriftserie No. I.) 12 S.
Hellner, Jon.,
Obligatorisk Skiljedoni i toister mellan Stater.
Föredrag vid Svenska fredsförbundets konsti-
tuerande den 30. Jan. 1911. Kl. 8° Stock-«
holm. Albert Bonniers Förlag. (Svenska Freds-
förbundets Skriftserie No. IL) 13 S.
34
<£
DIE Fßl EDENS -^/AQJE
Brisman, Sven, i
Ar Världsfreden en Utopie? En fromställning
ar Kriget ur historisk och ekonomisk Synpunkt.
Kl. 8 °. Lund. (Zu beziehen durch : Svenska
Fredsförbundets Skriftseries Expedition, Lund.)
23 S.
H u h t a 1 a , Kyösti,
Opetuksesta kristillisessä Hengessä. (Finnisch:
zu deutsch: ,Ueber den Unterricht im christ-
lichen Geiste. 8 °. Tampereella 1912. Verlag
des Finnischen Friedenvereins. 18 S.
CSS?
Zeitschriften -Rundschau. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
H. W. Die erste Nummer der neu begrün-
deten „M itteilungen des Verbandes
für internationale Verständigung"
macht einen sehr guten Eindruck. Die Aufsätze
sind durchweg praktischer Natur. Außer einem
Berichte über die erste Tagung des Verbandes
in Heidelberg finden wir darin zwei Aufsätze
zur deutsch-englischen Verständigung und zwei
Artikel über Probleme des Weltverkehrsrechts.
In dem Berichte der Tagung des Verbandes
wird u. a. der Behauptung der Zeitschrift
„Die Friedensbewegung" entgegengetreten, daß
d'Estournelles in Heidelberg die elsaß-lothrin-
gische Frage habe anrühren wollen. Es wird
festgestellt, daß dies gar nicht von dem Redner
beabsichtigt war und daß erfahrungsgemäß der-
artige Debatten, wenn sie stattfinden, für die
Erhaltung und Pflege internationaler Beziehun-
gen nur schädlich sind. Das habe ich bereits
in meinem Berichte über den Weltfriedens-
kongreß hervorgehoben, und ich hoffe, daß man
sich auch in den Kreisen der deutschen
Friedensgesellschaft dieser Ansicht nicht ver-
schließen wird. Eine deutsch-französische Liga
auf der Basis der Autonomie von Elsaß-Loth-
ringen innerhalb der deutschen Bundesstaaten
wird meiner festen Ueberzeugung nach mehr
schaden als nützen. Wir sind in Deutschland
noch lange nicht so stark, wie der Wehrverein
usw., als daß wir einen solchen Kampf aufs
große Ganze wagen könnten. Wir müssen erst
Schritt für Schritt eine größere Anzahl An-
hänger um uns sammeln, bis die Zeit gekommen
ist, wo möglicherweise eine solche Liga, an
der sich dann notwendigerweise gleich die
ersten Namen Deutschlands beteiligen müßten,
Aussicht auf Erfolg hat. Mehrmann er-
blickt in seinem Aufsatze „Das Konzert der
Mächte" in dem neuesten Zusammengehen der
deutschen und englischen Diplomatie eine Art
Wiederherstellung des Mächtekonzerts, zu-
mal Frankreich dem nicht entgegenarbeite.
Müller- Meiningen wünscht eine größere
Fühlungnahme der einzelnen Parlamente auf
Spezialkonferenzen, neben der Zusammenkunft
aller Parlamentarier auf der Interparlamenta-
rischen Union. F i t g e r weist auf das eng-
lische Recht hin, wonach während eines
deutsch-englischen Krieges die zwischen Deut-
schen und Engländern geschlossenen Seever-
sicherungsverträge nichtig sind, und beantragt
internationale Regelung dieser Frage, die übri-
gens auf Antrag der deutschen Vereinigung
für internationales Recht auf die Tagesordnung
der nächsten Tagung der „International law
association" gesetzt ist. Von Fred Harsley
wird die internationale Ueberwachung des
Ozeans behandelt.
Im Dezemberheft des „Völkerfriede" er-
örtert Umfrid „die europäische Bedeutung
der Balkankrise" in sehr realpolitischer Weise.
K o 1 b wünscht einen größeren Ausbau der
Friedenspresse. Dieser Wunsch erscheint über-
flüssig. Denn die Friedenspresse ist bereits
überall in ausreichender Weise vertreten. Darin
hat K o 1 b aber recht, daß der Friedensgedanke
vermittels der Presse in weitere Kreise getragen
werden muß. Dies würde aber am besten da-
durch geschehen, daß in den großen Tages-
zeitungen, auch den gegnerischen, aufklärende
Artikel erscheinen, da die Fachpresse in der
Hauptsache immer nur von den eigentlichen
Pazifisten gelesen wird.
Im Dezemberhefte der Zeitschrift „D e r
Friede" findet sich eine Kritik der Nicht-
verteilung des Nobelfriedenspreises. Wir lesen
dort, daß die Herren in Christiania der Sache
ein wenig fern ständen. Wenn man allerdings
erwägt, daß das Institut de droit international
schon vor Jahren des Preises für würdig er-
achtet wurde, die Interparlamentarische Union
aber bis heute noch nicht, daß ferner Roosevelt
den Preis erhielt, der an pazifistischen Leistun-
gen hinter hunderten der heutigen Pazifisten
zurücksteht, so muß man sagen, daß sich das
Nobelkomitee zu der Meinung der meisten
Friedensfreunde in Widerspruch gesetzt hat.
In der niederländischen Kammer hat kürz-
lich der Minister des Auswärtigen die Erklärung
abgegeben, daß er voraussichtlich
nicht in der Lage sei, dem nächsten
Weltfriedenskongreß eine Subven-
tion zu gewähren. Zur Begründung
führte er aus: Bei der Erörterung
der Aktualitäten habe man über
Elsaß-Lothringen so gesprochen,
daß die deutschen Delegierten fort-
gelaufen seien, und bei der Behand-
lung der Marokkofrage habe Frank-
reich sich geweigert, an der Bera-
tungteilzunehmen, bis schließlich
der Kongreß in einem Chaos ge-
endet habe. Gegenüber dieser irrtümlichen
Behauptung haben die holländischen Delegierten
zum Genfer Kongresse eine Richtigstellung im
„Het Vaderland" veröffentlicht. Diese letztere
finden wir auch im Dezemberheft von „Vreede
door Recht". Auf jeden Fall ist es von
Wert, festzustellen, wie sehr die Be-
handlung der Aktualitäten dem Ansehen der
Weltfriedenskongresse bereits geschadet hat.
Fachpresse. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Völkerfriede (Eßlingen). Dez. O. U., Die
europäische Bedeutung der Balkankrisis. —
Dr. G. G r o s c h , Völkerfrühling. — Karl
K o 1 b , Aufgabe der Friedenspresse. — usw.
Mitteilungen des Verbandes für
internationale Verständigung
(Würzbnrg). No. 1. Bericht über die erste
Tagung des Verbandes für internationale Ver-
ständigung. — Dr. Karl Mehrmann, Das
Konzert der Mächte. — E. Fitzner, Not-
wendigkeit internationalen Rechts im Seever-
sicherungswesen für Kriegszeiten. — Fred.
Harsley, Lehren der Titanic-Katastrophe.
— Dr. Müller-Meiningen, Parlament
und internationale Verständigung. —
35
DIE FRIEDENS- V&DTE
3
Der Friede (Bern). Dez. H. S., Gottfried
Schuster f. — G. C., Die Friedensdemonstra-
tion des internationalen Sozialistenkongresses
in Basel. — K. Rüd, Einige Gedanken über
den sozialistischen Friedenskongreß. — Der
Friedens-Nobelpreis. — usw.
DieFriedensbewegung (Bern). No. 23/24.
Kundgebungen gegen den Balkankrieg. — Die
Satzungen des internationalen Friedensbureaus
in Bern. — Deutsch-englische Verständigungs-
Konferenz in London. — Ein Sieg der Türkei
vor dem Haager Schiedshöfe. — Manifest der
Internationalen zur gegenwärtigen Lage. —
— usw.
The Arbitrator (London). Dez. The Bal-
kan Situation. — The Hague and British
Policy in the Balkans. — Mrs. Bradlaugh-
Bonner, Amongst the Scottish Women
Liberais. — Successful Anglo-German Con-
ference in London. — The Kaiser and Peace.
— usw. usw.
— Jan. The Powers and the Balkans.
— Canada and the Navy. — David
Starr Jordan, The Panama Canal and its
Economies. — The Panama Canal and Foreign
Shipping (Reply of Sir Eduard G r e y to Pre-
sident Taft). — Sovereignity over the air
(Important Lecture by Sir Erle Richards).
— usw.
C o n c o r d (London). Nov. Felix Mosche-
les, The Ordeal. — J. F. Green, The
Balkan War. — J. A. Farrer, Conscription
in New Zealand. — Carl Heath, The Anglo-
German Understanding Conference. — An
historic Gongress. — usw. usw.
— Dez. G. H. Perris, The Work of Man. —
Felix Moscheies, A rising Force. —
Charles Weiß, Some personal Impressions
of the Anti-War Demonstration at Basel. —
Herald ofPeace (London). Jan. „The Time
is short." — Aberdeen University Peace So-
ciety. — Autumnal Meeting of the Peace
Society. —
Advocate of Peace (Washington). Dez.
What the Peace Movement is. — The inherent
Weakness of Militarism. — The Anglo-German
Understanding Conference. — Gertrude B.
Magill, To the Baroness von Suttner. —
Churches should be Leaders in the Peace
Movement. — Edwin D. Mead, More Sol-
diers or more Reason 1 — James L. Tryon,
The international Boycott a dangerous Wea-
pon. — Evans Darby, The Peru of the
Air. — Charles E. Jefferson, Armed
Peace — the Bürden and Folly of Europe.
— John Brunner, The Cost of Mili-
tarism. — usw.
The Cosmopolitan Student (Madison,
Wis.). Nov. (Michigan-Nummer). C. P. Wang,
Rare Tales from Chinese Lore. — James B.
A n g e 1 1 , The Situation in the Balkan. —
Dr. R. V. Drechsler, The American In-
stituts. —
— Dez. George W. Nasmyth's aus
Heidelberg 18. IX. 1912 datierten Bericht
über die Entwicklung der Corda-Fratres-Be-
wegung in Europa.
The Messenger of Peace (Richmond,
Ind.). Nov. Inez P. Burton, The Oppor-
tunity and the Duty of the Schools in the
int. Peace Movement. — J. G. Alexander,
The Geneva Peace Congress. — usw.
La Paix par le Droit (Paris). No. 22.
Charles Richet, Une Visile an Quai
d'Orsay. — Francis Delaisi, La Crise
europeenne (deuxieme article). — J. Prud-
hommeaux, La Guerre ne paie plus. —
Charles Richet, Ce que coüterait une
guerre europeenne. — usw. usw.
— Nr. 23. Frederic Passy, Ceux qu'il
faut honorer. — La Paix europeenne par la
„Neutralisation" de rAlsace-Lorraine. — Lu-
den Le Foyer, Le devoir de l'Europe. —
usw. usw. —
— No. 24. Francis Delaisi, Les financier
et la guerre balkanique. usw.
Bulletin de la Li gue des Catholiques
francais pourlaPaix (Brignais). No. 21.
A. Vanderpol, La Creation d'une Union
pour l'Etude du Droit des Gens d'apres les
principes Chretiens. — F. D u v a 1 , Les Appli-
cations pratiques de la Doctrine de l'Eglise
sur la guerre au Moyen-Age. — usw.
Etat-Unis d'Europe (Bern). Dez. La
Guerre des Balkans et le Pacifisme. — Emile
Arnaud, Arbitrage et amiable Composition.
— usw.
La Paix (Genf). W. Kohl, La Folie de la
guerre. — Louis Gionoli, L'Artiste et la
guerre. — usw.
Fredsfanan (Stockholm). Nov. Eduard
Wawrinsky, August Beernaert. — usw. —
— Dez. (Julnummer). Krieg : Södes-Fred i Nord.
— Marie Dehn, Fran Genevekongressen. —
Dr. N. A. Nilsson, Världens f örenade Sta-
ter. — Carl Sundblad, Krigsprof eterna
och världskriget.
Fredsbladet (Kopenhagen). Dr. Niels
Petersen, Krig og Fred. — Nobelsfreds-
pris. —
Artikel - Rundschau.
Von Carl Ludwig Siemering.
Immer wieder muß man die Greuel
des Balkankrieges ungescheut an den
Pranger stellen, „denn sie zeigen, was es in
Wahrheit ist mit dem Kriege!" so schrieb
Richard Gädke im letzten dieser Hefte.
Also denn:
Dr. D i 1 1 o n , der Wiener Spezialkorre-
spondent des Londoner „Daily Tele-
graph", erhielt am 9. Dezember aus Kon-
stantinopel und Bukarest Nachrichten von un-
menschlichen Metzeleien, die die christlichen ( !)
Soldaten in der Umgebung Salonikis unter
der unbewaffneten mohammedanischen Bevöl-
kerung angerichtet hatten. — Die „Südslaw.
Korrespondenz" meldet aus Belgrad entsetz-
liche Einzelheiten über das Vorgehen der Trup-
pen und Freischärler des Generals Janko-
witsch, wodurch eine „künstliche Ent-
völkerung Albaniens" stattfinde. Ein
furchtbares Morden raffte Tausende und aber
Tausende von Albanesen hinweg; die Untaten
an Frauen und Kindern spotten der blutigsten
Phantasie. — Nach einer Mitteilung der Berliner
türkischen Botschaft aus den Weihnachts-
36
<§=
DIE FRIEDENS-^^RXE
_ an haben griechische Banden, die
in" das rnuselmanische Dorf Kolonjati bei
Janina einrückten, trotz der guten Aufnahme
durch die Einwohner diese unerbittlich nieder-
gemetzelt, die Männer obendrein noch verstüm-
melt und verbrannt. — Sehr erfreulich wirkt
die durch die Balkanwirren erfolgte deutsch-
englische Annäherung, die von dem
deutschen Botschafter in London, Fürst Lieh-
n o w s k y , am 30. November öffentlich bestä-
tigt und im Anschluß daran von der „Daily
News" unterstrichen wurde: Beide Länder
hätten die beste Gelegenheit, jeden Appell an
die Gewalt zu entmutigen; solange ihre Verbin-
dung bestehe, seien die Aussichten auf eine
friedliche Lösung außerordentlich gefördert.
Auch der „Daily Telegraph" schreibt er-
freut: „. . . Plötzlich kommt die Entdeckung,
die in beiden Hauptstädten zugleich gemacht
wird, daß die nämlichen Ziele loyal, wenn auch
unabhängig voneinander, verfolgt werden."
Umso haßlicher wirkt es da,, wenn die ,,L e i p z.
N. N." vom 8. Dez. „Die Gefahr von der andern
Seite" in der kanadischen Flottenvorlage er-
blicken: „England glaubt erst noch mit diesem
kolonialen Zuwachs für seine Flotte rechnen zu
müssen, ehe es stark genug zu sein meint." —
Auch andere Chauvinisten halten ihre Zeit an-
scheinend für gekommen ; sie warnen vor „un-
angebrachter Vertrauensseligkeit" und weisen,
wie Herr Keim im „Tag" vom 22. Dezember, auf
die Annahme des Infanterie-Kadergesetzes in der
französischen Kammer hin. Die Folgerung
aber, daß demnach auch deutsche Mehr-
rüstungen anderwärts erklärlichen Argwohn her-
vorrufen müssen, wird natürlich nicht gezogen ;
wenn vielmehr ein deutscher Autor, wie der be-
kannte Kapitän zur See a. D. Persius, Mitte
Dezember in der „Ostsee-Zeitung" und der „Kö-
nigsb. Hartungschen Zeitung" energisch gegen
die weitere übertriebene Agitation zur Vermeh-
rung unseres Schiffsbestandes Front macht, da
eine solche Agitation nicht den Frieden sichere,
sondern das Risiko vermehre, dann fallen die
Herren vom Flotten- und Wehrverein sofort
über ihn her und lassen kein gutes Haar an ihm !
In der Weihnachtsbotschaf t der „N o r d d. A 11g.
Z t g." wurden ja auch bereits' für das Frühjahr
„weitere Ausgaben für den Bedarf des Heeres"
angekündigt, „wie sie angesichts der Weltlage
nicht vermeidbar sein werden." Eben dadurch
wird dann die Weltlage wieder bedrohlicher
werden; man wird anderwärts, und schließlich
auch in Deutschland, abermals rüsten müssen
— kurzum der ewige, fehlerhafte Zirkel !
Die eben erwähnte „K önigsb. Härtung-
sohe Zeitung" kommt unter ihrem neuen
Chef Paul Listowsky den pazifistischen
Bestrebungen in besonders liebenswürdiger
Weise entgegen. Sie brachte am 7. Dezember
einen Leitartikel von Georg K o s s a k , dem
stellvertr. Vorsitzenden der rührigen Königsber-
ger Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesell-
schaft: „Soll ein Kaufmann Pazifist
sein?" Ferner am 15. Dezember einen klugen
Leitartikel „Der Friedenssonntag" aus
der Feder des Chefredakteurs selbst, den bereits
genannten Persius- Aufsatz und — von kleine-
ren Berichten und Notizen abgesehen — am
1. Januar eine stark pazifistisch gefärbte „Neu-
jahrsbetrachtung" von Ludwig Fulda. Die
Ortsgruppe veröffentlichte in diesem altange-
sehenen Organ (wie auch an anderer Stelle)
mehrfach große Inserate, u. a. einen Aufruf an
die Geistlichen und ein Expose: „Der ewige
Krieg — eine große Täuschung!"
Der so plötzlich verstorbene, deutsche
Staatssekretär von Kiderlen- W aechter
machte uns erst kürzlich wegen seiner Stellung-
nahme zum Rüstungsproblem zu schaffen.,' Die
führenden Berliner Organe, u. a. das „Tagebl." v.
29. Dez., führen zu seinen Ehren mit Recht an,
daß die deutsche Politik in "der Balkanfrage
bisher keine unbesonnene, draufgängerische, son-
dern eine abwägende, ausgleichende war. —
Eine geniale Entdeckung hat am 9. Dezember die
freikonservative Berliner „Post" gemacht: daß
nämlich die englische Flotte auf einen Winter-
krieg in nördlichen Gewässern nicht eingerichtet
sei, da ihre Schiffe in der großen Mehrzahl
keine Heizungsanlagen enthielten.
Selbst die„Deutsche Tages ztg." verulkt
ihre Gesinnungskollegin ob dieser nationalisti-
schen Narretei recht kräftig; dann sollte mau
doch, so meint sie, den ersten Frosttag dieses
Winters benutzen, um die britische Flotte mit
ihren steifgefroreneu. Admiralen, Offizieren und
Matrosen zu vernichten. Probatum estl — An-
gesichts der in England rege gewordenen Pro-
pagierung der allgemeinen Wehrpflicht
durch Lord Roberts und die „Times" weist
ein Artikel des „Hamb. Fremdenbl." vom
24. Dezember u. a. darauf hin, welche Wirkung
auf den Arbeitsmarkt eine Herausnahme von
100 000 oder gar 250 000 arbeitsfähigen Männern
haben müßte. — In Heft 52 der „Garten-
laube" spricht sich Freiherr v. d. Goltz
gegen den immer mehr umi sich greifenden un-
kriegerischen Sinn unserer Zeit aus, worin er
eine schwere Gefahr erblickt. Diese Befürch-
tung erscheint um so müßiger, als, die wirtschaft-
liche und soziale Entwicklung bekanntlich in
allen Ländern, also nicht nur; in Deutschland,
die gleichen kriegsfeindlichen Erscheinun-
gen zeitigt. — Redakteur J. Scherek- Berlin
bringt Ende Dezember in mehreren Blättern,
z. B. in der „Bresl. Ztg.", einen Artikel „K am p f
und Krieg", der in der Vermischung beider
Begriffe das Menschenmögliche leistet: es wird
vom „Krieg" in der nationalliberalen Partei
gesprochen, vom „Krieg", den das Zentrum
predige, und schließlich heißt es : dann: „Krieg
und (I) Kampf werden nie aufhören." Wann
werden endlich einmal, in den Köpfen der Intel-
lektuellen, diese Verwechselungen aufhören?!
. . . Franz Wedekind offeriert im „Berl.
Tagebl." vom 25. Dezember unter dem Strich
6 Spalten „Weihnachtsgedanken", worin er zum
Schluß in gutgemeinter, aber recht dilettan-
tischer Weise für ein „W el t pari amen t"
eintritt als einen „in Permanenz erklärten Frie-
denskongreß, der im Gegensatz zu den bis-
herigen, aus Dilettanten (!) und notorischen
Händelsuchern ( ! !) zusammengesetzten Friedens-
kongressen über alle Machtmittel der Welt ver-
fügte." Von der Notwendigkeit schrittweisen
Vorgehens und der Existenz einer Interparla-
mentar. Union scheint der Autor überhaupt
nichts zu wissen, schreibt aber, trotzdem öffent-
lich über eine Bewegung, deren Elemente er
37
DIEFBIEDENS-Vi^DTE =
G>
nicht beherrsclit. Der Generalsekretär der ge-
nannten Union, Chr. L. Lange- Brüssel, gibt
in seinem Artikel „Europa" („Frankf. Ztg."
vom 25. Dezember) sozusagen die richtige Ant-
wort auf Wedekinds Tiraden; er sieht eine
„Revolte des Hungers und der Indignation"
herannahen, falls immer noch weiter gerüstet
und mit dem Kriegsfeuer gespielt wird.
Günther v. Vielrogge (Oberstleutnant
.a. D. C a r 1 v. Wartenberg) war wegen seines
Artikels „Das zu oft verwaiste Regi-
ment" (im Aprilheft des „Türmer") von der
„Deutsch. Tagesztg." und den „Leipz. N. N."
scharf angegriffen worden. Er wehrt sich gegen
diese Verunglimpfungen in einer schneidig ge-
schriebenen kleinen Broschüre: „Das zu oft
verwaiste Reg. und die reaktionäre Presse" (Ver-
lag Nationale Kanzlei, Leipzig-St., Naunhofer-
str. 33), worin er auf Seite 16 einen „Fürsten-
spiegel" mitteilt, der der „Deutsch. Tages-
ztg." entstammt und an Unverblümtheit wahr-
lich nichts zu wünschen übrig läßt. Schwere
Vorwürfe werden auch gegen das preußische
Kriegsministerium und das preußische
Militärkabinett erhoben.
In einer Besprechung des Erich Marcks-
schen Buches „Männer und Zeiten" in der
„Frankf. Zeitung" vom 29. Dezember nimmt
der Referent, der Präsident des Ober-Konsisto-
riums in Elsaß-Lothringen, Dr. Friedrich
Curtius, in interessanter Weise Stellung zu
des Verfassers Ansichten vom Kriege. Es
heißt da, anschließend an dem von Marcks
zitierten Satze: „Der Krieg ist der große Schöp-
fer auch innerlicher Neubildung in Staat, Ge-
sellschaft, Wirtschaft, in aller Kultur", fol-
gendermaßen: „Ich kann mich nicht überzeugen,
daß diese Kombination politischer und wirt-
schaftlicher Bestrebungen mit dem Ziele des
Weltkrieges dem deutschen Geiste gemäß sei.
Für die Engländer, die ihre Kriege mit bezahl-
ten Söldnern führen, ist der* Krieg, im Grunde
genommen, ein Geschäft, wenn auch ein grau-
siges, die Entscheidung über Krieg und Frieden
eine Geldfrage. Ihre Kriege im 18. Jahrhundert
werden von Marcks als Handelskriege gewürdigt
und auch ihre Teilnahme an der Erhebung
Europas gegen Napoleon war nicht, wie auf
dem Kontinent von Spanien bis Rußland, ein
Kampf um nationale Selbständigkeit, sondern
um die Wiedereröffnung der Welt für den eng-
lischen Handel. Man begreift deshalb, daß
in demjenigen Teile der englischen Nation, dem
der Erwerb alles ist, die deutsche Konkurrenz
den Gedanken einer gewaltsamen Entscheidung
entstehen läßt. Daß, auch reingeschäft-
lich betrachtet, dieser Gedanke
eine große Täuschung ist, hat ein
berühmtes Buch nachgewiesen. Aber
dem deutschen Geiste ist diese Verbindung
von Patriotismus und Geschäft unnatürlich. Ge-
wiß streben wir nach Raum für die Erzeug-
nisse deutscher Arbeit und für deutsche Men-
schen. Wie wir aber im Privatleben den un-
lautern Wettbewerb verurteilen, so im inter-
nationalen Geschäft den Wettbewerb durch
Kanonen und Panzerschiffe. . . . Marcks sagt,
38
daß die imperialen Bestrebungen von der alten,
durchaus nationalen Grundlage herkommen, in-
dem „die Nationen über die Ränder ihrer
heimatlichen Formen übergeströmt sind in die
Welt hinein." Das ist gewiß richtig. Wenn
dem aber so ist, so handelt es sich um eine
wirtschaftliche Erscheinung, aus der der Po-
litik die Aufgabe erwächst, die unvermeid-
lichen Kollisionen zu überwinden.
Es ist geradezu ein Verzicht auf die Lösung
der höchsten politischen Aufgaben, ein Ver-
zicht im Grunde auf die Superiorität
des Geistes über die Natur, wenn man
die Entwicklung dieser Dinge in der resignier-
ten Erwartung eines Welthandelskrieges an-
sieht. Die „rücksichtslose Machtpolitik" ist
ethisch und politisch noch eher zu entschul-
digen, wenn sie im Ernste ein Weltreich plant,
das der gequälten Menschheit nach Zeiten uner-
hörter Drangsale den ewigen Frieden verschafft.
So feierten die römischen Dichter die Herr-
schaft des Augustus, als einen solchen Versuch
hat auch Napoleon gelegentlich das letzte Ziel
seiner Politik vor dem Gewissen der Mensch-
heit verteidigt. Wenn man aber den Weltkrieg
ohne Ziel und Ende kommen sieht, so ist das
der Bankrott der Politik, eine ent-
schlossene Rückkehr zur Barbarei.
Im Blick auf eine solche Perspektive erscheinen
die Welteroberer, Alexander und Napoleon, wie
fromme Idealisten." — In der „Welt am Montag"
vom 16. Dezember weist Helmut v. Gerlach
den „Bankerott des Friedens" nach. Ihm
scheint es, daß die alte Friedensidee „Pleite
gemacht". „Neue Wege gilt es zu wandeln".
Es dünkt uns, daß nur die Idee, die sich Herr v.
Gerlach von der Friedensidee gemacht hat,
„bankerott" ist. Die „neuen Wege", die er
sieht, haben andere schon längst gebahnt. Ihm
sind sie noch neu; einer, der mit einem Ha-
pag-Luxusdampfer nach New York fährt und sich
einredet, Amerika entdeckt zu haben. — Drol-
lig ist es, wenn die Aestheten, am drolligsten
gar, wenn die Kabarett-Spaßmacher sich über
die Wissenschaft des Pazifismus äußern. In
einem „Deutsche Dichtung, Deutsche
Wirklichkeit" betitelten Artikel in der
„Neuen Straß burger Zeitung" vom 23.
Dezember kommt uns Freiherr Ernst von
Wol zogen in politischem Kostüm. Man
höre: „Als ich in der Zeitung las, daß heuer
kein Nobelpreis für Friedensbestrebungen ver-
liehen werden könne, da habe ich dreimal
Hurra geschrien. Mag das nun geschehen
sein, weil in der ganzen' zivilisierten Welt wirk-
lich kein ehrwürdiger Faselhans zu
finden war, oder weil die Preisrichter das Fein-
gefühl besaßen, sich in einer Zeit, wo die ganze
Welt dem Heldenmut von vier verkannten
kleinen Völkerschaften die verdienten Ehren-
bezeugungen erweist, sich mit der Belohnung
billiger Salbadereien nicht lächerlich zu machen,
gleichviel — das blanke Schwert ist den müßi-
gen Wortmachern über den Mund gefahren,
und das dünkt mich erfreulich.' Wir haben in
Deutschland gegenwärtig nicht den geringsten
Grund, mit dem Säbel zu rasseln, und ein
Triumph der Unvernunft wäre es, wenn ganz
Europa wirklich darum bluten müßte, weil
österreichische Handelsinteressen den sieg-
reichen Serben keinen Adriahafen gönnen. Aber
gut ist es auf alle Fälle, daß wir wie-
der einmal einen gerechten Krieg
©=
= DIE FRI EDENS -WARTE
in der Nähe erleben und der Gefahr ins
Auge sehen mußten. Nicht die schlechteste
Folge wäre es, wenn auch die deutsche Dich-
tung sich von dieser Nähe des Schreckens
ein wenig am Ohr gezupft fühlen und sich
dadurch an ihre höheren Pflichten erinnern
lassen wollte. Sie ist schon soweit gekommen,
die Bekrittelung und Bewitzelung alles Helden-
tums als Beweis überlegenen Geistes ebenso
anzustaunen, wie die Flucht aus dem Reich-
tum der Gegenwart in die armseligsten Winkel
der Vergangenheit. In den vier Jahrzehnten
des Friedens ist auch die Dichtung fast ganz
zurreinenLuxuskunstgeworden, und
sie hat in der gedeihlichen Bruthitze ästheti-
scher Ueberkultur ungemein viel gelernt." Ja,
schon zur Hebung der deutschen Dichtkunst,
sollte man losschießen, stechen, brennen.! Herr
v. Wolzogen braucht Kabarettstimmung im
Lande. Hurra! — Auch die allezeit „übernatio-
nalen" „Dresdener Nachrichten" leisten
sich in ihrer Nummer vom 15. Dezember aus
Anlaß der NichtVerteilung des Nobelpreises
einen Artikel, den sie „Das Fiasko der Friedens-
idee" betiteln. — Wahrscheinlich, um allen
ihren Lesern gerecht zu werden, schreibt die
„Leipziger Illustrierte Zeitung" in einen „Friede
auf Erden" betitelten Weihnachtsartikel u. a.
den Satz : „Daß der Krieg immer ein unheilvolles
Uebel ist, kann getrost zugegeben werden,
nichtsdestoweniger ist er von jeher ein Element
fortschrittlicher Kulturentwicklung . . . ge-
wesen." Aber: Ein „Uebel" ist schlecht,
ein „Element fortschrittlicher Kulturentwick-
lung" ist gut. Ist der Krieg nun gut oder
schlecht? Heraus mit der Sprache! Solch
zweideutiges Gestammel ist unklar.
Mi
Artikel. :: :: :: :: :: n :: n :: :: s :: :: :: :: :: ::
(Bibliographie.) I. Friedens-
bewegung im allgemeinen: Anna
B. Eckstein, Auf zur vorbeugenden Tat!
„Die Frau der Gegenwart." (Breslau.) 15. X.
* Walther Nithack Stahn, Die Stel-
lung des evangel. Geistlichen zum Kriegs-
problem. „Allgemeiner Beobachter." (Ham-
burg.) 1. XII. * Kurdv. Strantz, Weiteres
zum Fall Lamszus. „Allgemeiner Beobachter."
1. XII. * R. P., Wilhelm Förster; z. Beginn
seines neunten Lebensjahrzehntes. „Eth. Kul-
tur." 1. I. * Miyaoka, Das Exekutiv-
Komitee der Carnegiestiftung für den inter-
nationalen Frieden. (In Japan. Sprache), „The
Taiyo." (Tokio.) Nr. 16. * Pfarrer Täsch-
ler, Völkerfrieden. Morgenpredigt im Münster
zu Basel, am Tag der Friedenskundgebung des
internationalen Sozialistenkongresses. „Schwei-
zerisches Protestantenblatt." (Basel.) Nr. 48.
* Paul Kampffmeyer, Der sozialistische
Friedensgedanke; ein Stück Verfassung. „Soz.
Monatshefte." 12. XII. * P. Rühlmann,
Normann Angell, Die große Täuschung. (Re-
ferat.) „Deutsche Literaturzeitung." (Berlin.)
Nr. 51/52. * Hermann vom Rath,
Friedenspolitik. „Der Tag." 14. XII. * Der
Friedenssonntag. „Königsberger Hartung'sche
Zeitung." 15. XII. * Der Friedenspreis. „Köl-
nische Zeitung." 14. XII. * Nieder mit dem
Krieg! (Von ein. Offizier der serb. Armee.)
„Vorwärts." 18. XII. * Les Commercants et la
Paix. ITne Enquete. „Journal dAUemagne."
(Berlin.) 5. XII. * Dr. Wilh. Stapel -
Dresden, Zur Rechtfertigung des Krieges. „Die
Grenzboten." 18. XII. * Eugen Wölbe,
Schule und Weltfrieden. „Voss. Ztg." 29. XII.
* Dr. Müller-Meiningen, Parlament und
internationale Verständigung. „Neue Badische
Landeszeitung." (Mannheim.) 1. I. * Max
Maurenbrecher, Die Demokratie und der
Krieg. „Das freie Wort." Nr. 19. * Grete
Meisel-Heß, Die Frau im Kriege. „Ueber
Land und Meer." Nr. 13.
IL Die internationale Politik:
Dr. Elsbeth Friedrichs, Pan- Amerika
als Ausdruck einer neuen Kultiurepoche. „Der
Volkserzieher." Nr. 20. * Dr. Er ns t S ieper,
Die deutsch-englische Verständigung. „Die kri-
tische Tribüne." (München-Pasing.) Nr. 18. *
Karl Leuthner, Das Balkanproblem und
Oesterreich-Ungarn. „Soz. Monatshefte." Nr. 23.
* Zwei Mitarbeiter an der deutsch-englischen
Verständigung. „Neue Preußische (f) Zeitung."
4. I. 13. * Charles Tuchmann, Zur
deutsch-englischen Verständigung. „Vossische
Zeitung." 5. I. * Professor Otfried
N i p p o 1 d , Der Wert der deutsch-englischen
Verständigungskonferenz. „Karlsruher Zeitung."
13. XII, und „Neue Badische Landeszeitung."
28. XII. * Prof. Richard Eickhoff,
England und Deutschland. „Der Tag." 13. XII.
* Ernst Schultze, Der Kultureinfluß Eng-
lands auf Deutschland. „Dresdener Anzeiger."
22. u. 29. XII. * W. v. Massow, Die Er-
neuerung des Dreibunds. „Die Grenzboten."
18. XII.
III. Völkerrecht: L. Krause, Die
Eisenbahnen im Kriege und die Haager Friedens-
konferenz. „Die Wage." (Wien.) 24. XII. *
Karl Schrader, Eine Lehre des Balkan-
krieges. Ein neuer Weg zum Ausgleich inter-
nationaler Streitigkeiten. „Berliner Tageblatt."
«5. 1.
IV. Internationales: Louis P.
L o c h n e r , Ueber internationale Studenten-
vereine. „Hochschulnachrichten." (München.)
Nr. 2.
V. Wirtschaftliches: John R.
Loewenherz, Krieg und Währung. „Ber-
liner Tageblatt." 22. XII. * Francis W.
H i r s t , Englands auswärtige und Handels-
politik. „Frankfurter Zeitung." 1. I. * Prof.
Charles Richet, Die Kosten eines europä-
ischen Krieges. „Dokumente des Fort-
schritts." 11.
SMITTEILVN6EN DEß:
FRIEDENSGESEUSCHAFTEN
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Schriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
Oesterrekhische Friedensgesellschaft.
Bureau: Wien I, Spiegelgasse 4.
Rückkehr unserer Präsidentin
aus Amerika. Nach halbjährigem Aufent-
halte in Amerika ist Baronin v. Suttner am
39
DIE FßlEDEN5-\^DTE
;©
23. v. M. wieder in Wien eingetroffen und wurde
am Westbahnhofe von den versammelten Vor-
standsmitgliedern unserer Gesellschaft sowie
gleichfalls anwesenden intimen Freunden der
Baronin herzlichst empfangen. Dr. v. Dorn rich-
tete an die Heimgekehrte Worte der herz-
lichsten Begrüßung. Baronin v. Suttner wird am
17. d. M. im Beethovensaale über ihre Er-
lebnisse in Amerika einen Vortrag halten, über
dessen Verlauf wir in der nächsten Nummer
berichten werden.
Resolution. Der Vorstand beschloß in
seiner Sitzung vom 18. v* M. bezüglich des
im Abgeordnetenhause gestellten Antrages, „die
Regierung ist aufzufordern, ihren verfassungs-
mäßigen Einfluß auf die gemeinsame Regierung
in dem Sinne auszuüben, daß Oesterreich-
Ungarn sich bereit erklärt, im Falle, daß
Serbien eine angemessene Genugtuung für die
Verletzung des österreichisch-ungarischen Kon-
sulates in Prizrend verweigern sollte, die Streit-
sache der Entscheidung des ständigen Schieds-
gerichtes zu unterbreiten", dem Antragsteller,
Herrn Abgeordneten Leuthner, sowie jenen
Herren Abgeordneten, welche für seinen An-
trag gestimmt haben, für die Vertretung der
Prinzipien der Staatenschiedsgerichtsbarkeit
den wärmsten Dank auszusprechen.
Hierbei hat der Vorstand mit Befremden
und Bedauern konstatiert, daß berufene Ver-
treter dieser Prinzipien, Mitglieder der inter-
parlamentarischen Union, nicht die Initiative
zu diesem Antrage ergriffen, ja, sogar gegen
denselben gestimmt haben. Diese Haltung hat
nicht verfehlt, unter allen Friedensfreunden
peinliches Aufsehen zu erregen. Um so mehr,
als Oesterreich-Ungarn doch eine Signatar-
imacht der Haager Konvention ist, und ein
offizieller Vertreter Oesterreich-Ungarns am
Haager Schiedshöfe, Herrenhausmitglied Herr
Hofrat Lammasch, wiederholt öffentlich er-
klärte, daß die Angelegenheit Prochaska geeignet
wäre, vor das Haager Schiedsgericht gebracht
zu werden.
Der Vorstand der Oesterreichischen Frie-
densgesellschaft hat daher beschlossen, seine
Mitglieder zu ersuchen, die Abgeordneten ihres
Bezirkes gelegentlich der Erstattung des
Rechenschaftsberichtes über die Gründe ihres
Verhaltens gegenüber dem Antrage Leuthner zu
interpellieren.
Aktionskomitee. Oberrecbnungsrat
Schleck, ein tatkräftiges Mitglied unseres
Aktionskomitees, veröffentlichte in der „Staats-
Beamten-Zeitung", sowie in der „Rechnungs-
B eamten-Zeitung", Aufsätze, zur Förderung un-
serer Bestrebungen. Seinen Bemühungen ist es
auch zu danken, daß die genannten Blätter
als Beilage einen Aufruf der Friedensgesell-
schaft brachten, in dem die k. k. Staats-
beamten aufgefordert werden, sich unserer Ge
Seilschaft anzuschließen.
CfcäS»
Friedenspropaganda in Böhme
Ein eifriger Förderer unserer Sache, Professo:
Dr. A. Batek in Prag, sendet uns ein Schreiben
über seine pazifistische Tätigkeit, aus dem wir
einige interessante Stellen hier folgen lassen:
„Da in Prag läßt sich doch viel mehr
machen als in Pilsen. Dort unter der Obhut
der Skodawerke wachsen nur dem Flotten verein
die Früchte. Da ich auch andere als pazifistische
Vorträge halte, so habe ich in diesem Monat schon
an sieben Stellen vorgetragen. Natürlich lasse
ich auch bei Behandlung rein wissenschaft-
licher und kultureller Vorträge überall die
pazifistische Tendenz durchleuchten.
Hier ist auch eine Fabrik, welche für ihre
Arbeiter allgemein belehrende Vorträge ver-
anstaltet. Da habe ich schon dreimal
vorgetragen. Immer sind gegen 150 Arbeiter
anwesend. Im Dezember habe ich dort über
allmenschliche Ideen vorgetragen, wo ich natür-
lich in erster Reihe die pazifistischen Be-
strebungen hervortreten ließ.
Schade, daß ich mit der Schule und auch
wissenschaftlich zu viel beschäftigt bin. Sonst
möchte ich einen böhmischen Friedensverein
gründen. Aber dazu habe ich viel zu wenig
Zeit. Jetzt will ich mir aber ein Skioptikon
kaufen und meine eigenen Diapositive an-
schaffen. Dadurch hoffe ich, meine Vorträge
anziehender zu gestalten."
■MB
Wie uns die Ortsgruppenleitung aus Marien-
bad mitteilt, hat die dortige Bezirkshauptmann-
schaft ebenfalls die Affichierung unseres
Plakates verboten.
In Brunn hat sich bereits eine böhmische
Friedensvereinigung für Mähren gebildet.
Dem Gründungskomitee gehören Abgeordnete,
hohe Geistliche, Advokaten, Schuldirektoren
und höhere Staatsbeamte an. Am 15. Dezember
v. J. war die Gründungsversammlung, welche
ungemein gut besucht war, an welcher sich
ein Vortrag von Frau Henriette Wurm anschloß.
Die neue Vereinigung beabsichtigt, an den
Landesschulrat in Brunn ein Gesuch um Ein-
führung des Friedenstages in den Schulen zu
richten, und hat vor, sich mit dem Brünner
Deutschen Frauenklub in Verbindung zu setzen,
damit dieser auch an die deutsche Sektion des
Landesschulrates die gleiche Petition überreicht.
Die Proponentin der Vereinigung ist uns als
warme Friedensförderin bekannt und hat im
vorigen Monate in Prag zwei große Vorträge
gehalten.
CMS»
Wiener akademischer Friedens-
verein. Am 3. Januar d. J. veranstaltete der
Wiener akadem. Friedensverein einen Vortrags-
abend. Prof. Dr. R. Broda (Paris) sprach im
Hörsaal 50 der Universität über das Thema:
„Inwieweit bestätigt der Balkankrieg die Lehren
der Friedensbewegung", er erntete für seine
Ausführungen von den überaus zahlreich er-
schienenen Zuhörern reichen Beifall.
*
Verantwortlicher Redakteur: Carl Appold, Berlin W. 50. — Im Selbstverlag des Herausgebers Alfred H. Fried, Wien IX/2.
Druck: PassA Garleb G.m.b.H., BerünW.67. — Verantwortl. Redakteur für Oesterreich-Ungarn : Vinzen a Jerabek inWieD.
40
Februar 1913.
Die gefundene Formel.
„Eines schönen Tages wird man an die
Regierung mit der Frage herantreten, was
sie denn getan habe, um diese angeblich,
so schwere Formel zu finden. Welch merk-
würdige Stellungnahme, zu behaupten, eine
Formel sei schwierig, und es dabei bewenden
zu lassen! Welch neuer Beweis für die Un-
tauglichkeit unserer heutigen Diplomatie!
Wenn die Menschheit diesen Standpunkt
immer eingenommen hätte, so hätten wir
uns von der Kultur des Pfahlbauers noch
nicht erhoben. Auch die Formeln für die
Heilung der Diphtherie und für das lenk-
bare Luftschiff waren schwierig zu finden,
und nur, weil man nach ihnen gesucht hat,
ist man zur endlichen Lösung dieser Pro-
bleme gelangt. Die Formeln zur Heilung des
Krebses und der Tuberkulose sind sicher-
lich noch schwieriger als die Formeln zur
Verminderung der Rüstungen. Nach den
ersteren sucht man aber mit allen der
Wissenschaft zur Verfügung stehenden
Kräften, bei der Suche nach der letzteren
begnügt man sich im günstigsten Falle mit
dem Gutachten eines Obersten vom General-
stab." So schrieben wir an dieser Stelle
im April 1909, als im englischen wie im
deutschen Parlament das Problem zur Be-
schränkung der Seerüstungen fast gleich-
zeitig erörtert, und die Suche nach der
„Formel" von Seiten der Reichsregierung
als eine ziemlich vergebliche Arbeit be-
zeichnet wurde. Die Wege der Entwick-
lung sind manchmal kraus. Wer ihnen aber
beharrlich folgt, nähert sich doch dem Ziel.
Am 7. Februar 1913 drang die Nachricht
in die Welt, daß die deutsche Reichsregie-
rung sich mit England über die Entwick-
lung des Flottenbaues beider Länder auf
eine Formel geeinigt habe. Eine Nachricht
von so ungeheurer Wichtigkeit, daß für
einen Augenblick all der widerwärtige
Wahnsinn in Vergessenheit geriet, der im
Südost des Erdteils die Völker um das bren-
nende und zertrümmerte Adrianopel streiten
läßt und Leichenhaufen über Leichenhaufen
türmt. Auch hier ist eine Bresche ge-
schossen, ein Fortschritt bei der Belagerung
eines Systems erzielt worden, das seit Jahr-
zehnten sich, gegen die Uebergabe sträubt.
Das System des Wettrüstens — es ist noch
nicht überwunden — aber eine Erschütterung
hat es erhalten, die vom Standpunkt der
Vernunft auf das freudigste zu begrüßen
ist. Jahrzehnte hindurch haben wir Pazi-
fisten gegen die Bollwerke der Rüstungs-
routine Sturm gelaufen, haben wir die Wälle
der Vorurteile und des Hasses zu über-
winden versucht, haben wir mit den Waffen
der Vernunft und des trockenen Kalküls die
schönen Phrasen der Rüstungsfanatiker be-
kämpft. Jahrzehnte hindurch haben wir
unsere Arbeit jenen Kräften entgegen-
gestellt, die darauf ausgingen, zwei Völker,
die gemeinsam den Weltkern bedeuten, zu
spalten, und zur gegenseitigen Vernichtung
anzuspornen. Den Kriegshetzern, den Ver-
nichtungsgläubigen, den Gewaltaposteln und
den Propheten eines unbedingt notwendigen
und unumgänglichen Krieges sind wir zu
Leibe gerückt. Immer dichter schlössen sich
die Kreise der von uns aufgestellten Ver-
ständigungsarmee, immer enger wurden die
Maschen jenes Netzes, das wir um beide
Staaten legten, um sie vor einem gewalt-
samen Auseinanderfall zu hindern. Der haß-
erfüllten Sprache berufsmäßiger Hetzer
setzten wir den Zwang zur gegenseitigen
Erörterung entgegen, zur Aussprache, zum
Gedankenaustausch; lauter Mittel, die die
Eignung besitzen, zur Explosion bereitetes
D37namit in feuchten Zustand zu versetzen.
Den Krieg, den kulturmordenden Weltkrieg,
gelang es uns so, hinauszuschieben und,
nach menschlicher Voraussicht, überhaupt
zu bannen. Nun haben wir einen weiteren
41
DIEFßlEDEN5-^/AQTE
Q)
Triumph zu verzeichnen. Von den Festungs-
mauern der Eoutine weht die weiße Fahne
mit der Formel 10:16. Nirgends so sehr,
wie in dem Kampfe der Friedensidee gegen
die Weltunvernunft, hat der Satz Berech-
tigung, den Frederic Passy in einer
entscheidenden Stunde der pazifistischen
Geschichte gesprochen : „Man soll nie-
mals „niemals" sagen."
Die Formel ist gefunden. Zwar nicht
die Formel der Abrüstung, aber die Formel
für die Beschränkung des Wettbewerbes
der Rüstungen. Damit ist aber nicht nur
der Anfang gemacht, sondern gerade das
Unheilvolle im modernen Rüstungswesen ins
Herz getroffen worden. Denn nicht die
Rüstungen an sich sind das Verderbliche,
sondern das in seiner Wirkung zwecklose
U eberbieten, das die Kräfte erhöht, ohne
sie zu verschieben. Jenes U eberbieten, das
den Völkern die größten Lasten auferlegt,
ohne einen anderen Grund als den der Un-
fähigkeit zu einer vernünftigen Verein-
barung. Es ist ein Anfang gemacht, der
auf die Entwicklung der europäischen Psyche
von segensreichstem Einfluß sein muß, denn
bisher haben sich die Anhänger des Wett-
rüstens mit Gewalt der Zumutung ver-
schlossen, daß über jenes Problem über-
haupt diskutiert werden dürfte; mit patrio-
tischer Entrüstung jeden des Verrats ge-
ziehen, der darauf hinwies, daß eine Dis-
kussion von Volk zu Volk allein imstande
wäre, dem Uebel an den Leib zu gehen.
„Die Rüstungen sind unsere eigene Ange-
legenheit, in die wir niemanden etwas drein-
zureden gestatten", war die ständige ver-
bohrte Widerlegung aller unserer Versuche.
Vergeblich war unser Bemühen, darauf hin-
zuweisen, daß jede Rüstung eines Staates 1
einen Eingriff in die Angelegenheiten des
andern bedeute, daß daher die gemeinsame
Erörterung eine ganz selbstverständliche
Forderung der Vernunft sei. Die Gegner
gingen so weit, daß z. B. die „Hamburger
Nachrichten", als im Jahre 1906 im eng-
lischen Unterhause die Anregung zur
internationalen Besprechung des Rüstungs-
problems gegeben wurde, nicht vor der
Behauptung zurückschreckten, die Eng-
länder wollen den Deutschen das Maß ihrer
Rüstungen „vorschreiben", wie es einst
Napoleon Preußen nach dem Frieden von
Tilsit getan. Um der Wahrheit die Ehre
zu geben muß betont werden, daß man
sogar in konservativen und sonst stark
national gesinnten Kreisen die Unhaltbar-
keit der Rüstungsargumente, wie sie das
Gros der Fanatiker vorbrachte, seit einiger
Zeit erkannt hat. Schon lange vor
der zweiten Haager Konferenz hat Ge-
heimrat von Hollstein zu einer Ver-
ständigung mit England geraten, und sogar
die „Kreuz z ei tun g" hat in ihrem Oster-
artikel von 1909 der Hoffnung Ausdruck
gegeben, der Reichskanzler werde doch eines
Tages und „hoffentlich recht bald die Formel
finden", die eine Verhandlungsbasis mit Eng-
land biete. Und der konservative Erbprinz
von und zu Hohenlohe - Langen-
bürg brachte im März 1909 im deutschen
Reichstag die Ansicht zum Ausdruck, daß
ein Vorschlag Englands über die Abrüstung
zur See „wenn er an uns herantritt, nicht
in schroffer Weise zurückzuweisen ist". Er
meinte, man müsse einen solchen Vorschlag
reiflich prüfen und fügte hinzu: „Ich glaube,
man muß die geschichtliche Entwicklung
abwarten. Es hat sich schon manches in
der Welt vollzogen, was vor 20, 30 oder
50 Jahren als unmöglich galt, und wer weiß,
ob nicht dereinst die Tatsachen zu jenem
Ergebnis führen werden, das wir jetzt durch
einen Vertrag vergeblich zu erreichen be-
strebt sind." Im März 1911 trat auch der
konservative Graf von Kanitz für eine
Flottenverständigung mit England ein, in
dem er sich mit den Grundsätzen des Mi-
nisters Grey einverstanden erklärte, der
kurz vorher gesagt hatte: „Die Bürde der
Rüstung ist eine größere Gefahr als der
Krieg selbst; sie bedeutet ein Verbluten in
Friedenszeiten."
* * *
In dem Entwicklungsgang zu einer
anglo-deutschen Rüstungsverständigung sind
drei Perioden deutlich zu unter-
scheiden. Zuerst das vollständige Still-
schweigen deutscherseits gegenüber den eng-
lischen Anregungen. Schon im März 1899
ließ die englische Regierung durch den da-
maligen ersten Lord der Admiralität, G o -
sehen, erklären, daß sie nichts sehnlicher
wünsche, als ihre Marineausgaben be-
schränken zu können, und daß sie bereit sei.
ihr Bauprogramm zu vermindern, wenn an-
dere Nationen sich mit ihr darüber verstän-
digen wollten. Noch im Juli 1903 bestätigte
der damals allmächtige Minister Cham-
ber 1 a i n diese Erklärung Lord Goschens,
die er für die Regierung noch immer bin-
dend erklärte. Diese Anregungen fanden in
Deutschland keinerlei Beachtung; ja sie
wurden in der Oeffentlichkeit kaum bekannt.
Die zweite Periode kennzeichnet sich
durch eine energische Zurückweisung derj
42
es
DIE FRIEDENS -WARTE
englischen Vorschläge von deutscher Seite.
Sie setzt um das Jahr 1906 ein, als England
sich bemühte, das Problem der Rüstungs-
beschränkungen auf der zweiten Haager
Konferenz zur Erörterung zu bringen. Die
Debatten im englischen Unterhause im
Frühjahr 1906 und im Oberhause im Mai
desselben Jahres, so wie die übrigen Maß-
nahmen der englischen Regierung zu jener
Zeit (interparlamentarische Konferenz zu
London) lösten in der öffentlichen Meinung
Deutschlands bis weit in die liberalen Kreise
hinein eine heftige Opposition aus. Man
vermutete in dem englischen Vorgehen einen
„Trick" gegen Deutschland und betrachtete
von diesem Gesichtspunkt aus die ganze
zweite Haager Konferenz als eine Falle, in
die das Reich gelockt werden sollte. Ja man
ging so weit, die Möglichkeit einer Erörte-
rung des Rüstungsproblems auf der Kon-
ferenz als eine Kriegsgefahr anzusehen. In
offener Reichstagssitzung im April 1907
entrang sich dem Abgeordneten Basser-
mann der Stoßseufzer: „Wenn wir die
Haager Konferenz glücklich überstanden
haben, dann werden hoffentlich wieder fried-
liche Zeiten kommen", und der Kriegs-
minister hielt es für angebracht, dem Ab-
geordneten Lieber mann von Sonnen-
berg zuzustimmen, der für jene eng-
lischen Verständigungsversuche nur ein
schußbereites ,,sie mögen kommen!"
übrig hatte. Fürst B ü 1 o w erklärte dam als,
daß Deutschland an einer Besprechung des
Rüstungsproblems auf der Haager Konferenz
nicht teilnehmen werde. So wurde die Be-
ratung des Problems im Haag vereitelt. Die
englische Regierung begnügte sich dort, auf
die Notwendigkeit einer Lösung hinzuweisen,
und neuerdings ihre Bereitwilligkeit zu
einem Abkommen zu erklären.
* * *
Aber unmittelbar nach der zweiten
Haager Konferenz begann die dritte Periode,
die sich durch den Beginn einer wechsel-
seitigen Erörterung der Rüstungsfrage .
kennzeichnet. Englische Staatsmänner un-
terließen es nicht, darauf hinzuweisen, daß
es so nicht weitergehen könne. Lord A s -
q u i t h erklärte noch 1908, daß er ?,ine Hand
ergreifen würde, die in guter Absicht und
Treue entgegengestreckt wird, und im März
1909 entwickelte sich im deutschon Reichs-
tag an zwei Tagen eine hochbedeutende De-
batte, in der die Vertreter verschiedener Par-
teien den "Wunsch nach einer Verständigung
mit England zum Ausdruck brachten und
in der die Regierung zugab, daß „unverbind-
liche" Gespräche mit den englischen Staats-
männern bereits gepflogen wurden. In den
Jahren 1910 und 1911 nahm die wechsel-
seitige Erörterung des Rüstungsproblems an
Kraft zu, und in der Reichstagssitzung vom
10. Dezember 1910 konnte der Reichskanzler
Bethmann H oll weg gegenüber den
Wünschen mehrerer Parteivertreter erklären,
daß mit der englischen Regierung „pour-
parlers" schweben. Schließlich kam es am
31. März 1911 im deutschen Reichstag, nach
einer zweitägigen Debatte über die Rüstung. -
Verständigung, zur einstimmigen An-
nahme einer Resolution, die dahin
ging: „Der Reichstag wolle beschließen, den
Reichskanzler zu ersuchen, die Bereitwillig-
keit zu erklären, in gemeinsame Verhand-
lungen mit anderen Großmächten einzu-
treten, sobald von einer Großmacht Vor-
schläge über eine gleichzeitige und gleich-
mäßige Begrenzung der Rüstungsausgaben
gemacht werden sollten." Die Marokkover-
stimmung konnte die Entwickelung der
gegenseitigen Erörterungen nicht hemmen.
Nach Agadir kam Lord H a 1 d a n e nach
Berlin und Freiherr von Marschall
wurde nach London versetzt. Ende Oktober
1912 fand in London die von beiden Regie-
rungen gebildete anglo-deutsche Verständi-
gungskonferenz statt, und am 7. Februar
1913 erklärte nun der Staatssekretär des
deutschen Reichsmarineamtes in der Budget-
kommission des Reichstages, daß er eine
Verständigung mit England über die Größe
der Flotte im Verhältnis von 10: 16 für
die nächsten Jahre für annehmbar halte.
Damit beginnt die vierte Periode der anglo-
deutschen Verständigung, die der praktischen
Friedenssicherung und endlichen Durch-
führung eines vernünftigen Ebenmißes der
staatlichen Schutzeinrichtungen. Die Zeit
scheint nahe zu sein, wo die land-
läufigen Einwände gegen das allgemeine
Verlangen nach Regelung des Rüstungs-
wesens in sich zusammenfallen werden und
so der Weg frei gemacht werden wird
zur wahren Befreiung der Völker von
ihrer eigenen Tyrannei. Diese werden
alsdann entdecken, wie sie Edward Grey
in seiner oben erwähnten denkwürdigen
Unterhausrede vom 12. März 1911 sd
richtig gesagt hat, „daß während der
Zeit, in der sie sich in der Knechtschaft
dieser ungeheuerlichen Ausgaben befanden,
die Gefängnistür von der Innen-
seite verschlossen war."
Die pazifistische Bewegung kann mit
Stolz darauf hinweisen, daß sie es war, die
43
DIE FßlEDENS-^ADTE
3
jenen "Wandel der öffentlichen Meinung her-
beigeführt hat, durch den es erst möglich
wurde, aus der Zeit des brutalen Hasses,
der gegenseitigen Vernichtungsgier heraus,
in eine Aera der Vernunftherrschaft hinüber-
zuführen. Ihr scheint diese Aenderung in
den Beziehungen der beiden Staaten zugleich
ein "Wendepunkt für die Entwicklung ganz
Europas zu werden. Die schlichten Zahle q
10:16 werden weltgeschichtliche Bedeutung
erlangen. Wenn sie, was zu erhoffen ist,
eine Sicherung dafür bieten werden, daß die
beiden Völker, die wir den Kern der "Welt
genannt haben, statt zu gegenseitiger Ver-
nichtung, zur Gemeinsamkeit und höheren
Festigung gelangen können, so wird sich
das Rad der Weltgeschichte künftig nach
einer ganz anderen Richtung drehen, und
die Aengste und Verwirrungen, unter denen
der schwergeprüfte Erdteil in den letzten
Jahren zu leiden hatte, werden bald einer
Vergangenheit angehören, die einer glück-
licheren Zukunft nur Grauen und Abscheu
einflößen wird. Wir Pazifisten, die wir uns
den Ruhmestitel nicht werden rauben lassen,
der Entwicklung dieser glückverheißenden
Wendung zugesteuert zu haben, werden mit
erneuten Kräften dahin arbeiten, daß diese
Zukunft bald eine Gegenwart werde.
A. H. F.
Das Problem eines inter-
nationalen Staatengerichtshofes,
Von Assessor Dr. W. Bellardi, Hannover.
Als zweiter Band der großzügig angeleg-
ten Sammlung „Das Werk vom Haag" ist
im Sommer des verflossenen Jahres unter
dem obenstehenden Titel ein neues Buch
von Dr. Hans Wehberg erschienen
(München und Leipzig 1Q12, Verlag von
Duncker & Humblot).
Man darf es a priori als einen besonders
günstigen Umstand betrachten, daß gerade
W e h b e r g die Bearbeitung dieser schwie-
rigen Materie, die für den erhofften bal-
digen Fortschritt in der Entwicklung der
internationalen Rechtsgemeinschaft von so
außerordentlich praktischer Bedeutung ist, in
die Hand genommen hat. Zweifellos war
Wehberg der berufene Mann hierzu. Hat
er doch bei seiner unermüdlichen und tief-
gehenden Beschäftigung mit allen Fragen
des Völkerrechts und der Friedensbewegung
sich bereits seit Jahren mit besonderem Inter-
esse dem Probleme der internationalen
Gerichtsbarkeit zugewandt. In einer Reihe
von Aufsätzen in Tageszeitungen und Fach-
zeitschriften sowie an mehreren Stellen seines
Kommentars zu dem Haager „Abkommen
betreffend die friedliche Erledigung inter-
nationaler Streitigkeiten" vom 18. Oktober
1907 (Tübingen 1911, Verlag von J. C.B.Mohr)
hat Wehberg seine Gedanken hierüber
zum Teil schon veröffentlicht. Diese Ge-
danken, wesentlich erweitert und in gründ-
licher, wissenschaftlicher Weise vertieft,
finden wir nun in diesem zweiten Bande des
„Werkes vom Haag" in übersichtlicher Zu-
sammenfassung niedergelegt.
Wehbergs Arbeit rechtfertigt die
darauf gesetzten Hoffnungen in reichstem
Maße. Ich möchte wünschen, daß sie nicht
nur weit verbreitet, sondern auch ernsthaft
studiert würde von allen, deren Gesichts-
und Gedankenkreis über den Horizont des
eigen-persönlichen und nationalen Lebens
hinausgreifend auch die Anteilnahme an dem
Gesamtleben der in Kulturstaaten organi-
sierten Menschheit umfaßt. Besonders aber
sollten alle diejenigen an dieser kostbaren
Quelle trinken, in deren Hand es zum wesent-
lichen Teile gegeben ist, über Tempo und
Grad des Fortschritts im Wachstum der
Völker-Rechtsgemeinschaft zu entscheiden.
Hiermit könnte ich eigentlich schon mit
dem, was ich zu Wehbergs Werk öffent-
lich zu sagen hätte, abschließen : !man lese das
Buch und denke darüber ! Zum mindesten er-
scheint es mir überflüssig, neben dieser drin-
genden Empfehlung darauf hinzuweisen, daß
Wehbergs Arbeit in hohem Maße von
selbständigem 1 Geist und Scharfsinn zeugt
und sich in gleicher Weise durch klare, über-
sichtliche Anlage und fesselnde, gewandte
Darstellung wie durch die außerordentliche
Fülle des verarbeiteten deutschen und fremd-
sprachigen Akten- und Literaturmaterials
auszeichnet. Hiervon wird sich jeder, der das
Werk liest, ohnehin bald überzeugen. Und
andere dürfte diese Feststellung schwerlich
viel interessieren.
Vielleicht aber wird erst eine kurze Dar-
legung des näheren Inhalts den einen oder
anderen zur Lektüre des Buches anregen.
Deshalb mag ein Eingehen hierauf an dieser
Stelle berechtigt sein.
Und zwar möchte ich der knappen Mit-
teilung des wesentlichen Inhalts die einzige
eigentlich „kritische" Bemerkung, die ich für
meine Person zu machen hätte, hier gleich
vorausschicken, ohne jedoch eine Polemik
in einer Frage eröffnen zu wollen, die von
der Mehrzahl der völkerrechtlichen und pazi-
fistischen Schriftsteller bereits im Sinne der
W e h b e r g sehen Auffassung beantwortet
worden ist — wobei ich die Richtigkeit dieser
Antwort vom praktischen Standpunkte der
Rücksichtnahme auf die heutigen wirk-
lichen Verhältnisse des politischen Lebens
und auf die Gebote der Taktik ohne weiteres
anerkenne.
Es handelt sich um die Frage, ob für die
Organisation der völkerrechtlichen Recht-
sprechung die Schaffung einer Exekutions-
44
<£
= DIE FRIEDENS-^^RXE
instanz entbehrlich ist oder ob sie vielmehr
notwendig, zum mindesten wünschenswert ist.
W e h b e r g meint, es bestehe „keinerlei
Bedürfnis für eine Exekutionsgewalt im
Völkerrechte, so daß das Ideal eines inter-
nationalen Gerichtshofes einen Zwangs-
apparat nicht erfordere" (S. 105, ähnlich
S. 115, 122 und 129). Der angeblich erbrachte
Beweis (S. 122) für diesen Satz könnte meines)
Erachtens höchstens in dem Hinweise Weh-
bergs darauf erblickt werden, daß bisher
„alle die zahlreichen Schiedssprüche frei-
willig befolgt worden sind" (S. 105, vgL
auch S. 90). Indessen, ist diese erfreuliche
Tatsache allein ein logisch zwingender Be-
weis.? Mir scheint es doch mehr die frohe
Zuversicht des für das hohe Ideal des Frie-
dens begeisterten Optimisten zu sein, die aus
den folgenden Worten spricht : „Es heißt
an den großen Aufgaben der Menschheit
verzweifeln und die offenkundigen Tatsachen,
die für eine immer stärkere Entwicklung
in dieser Richtung sprechen, verleugnen,
wollte man annehmen, die Zukunft der
Staaten würde nicht ausnahmslos durch das
Recht geregelt werden, auch ohne daß eine
Zwangsgewalt besteht" (Seite 105). Daß Weh-
berg nicht abgeneigt ist, zugunsten einer
immer stärkeren Durchdringung der Völker-
rechtswissenschaft mit pazifistischen Gedanken
und Zielen von der Richtlinie streng logischer
Beweisführung gelegentlich — und zwar wohl
bewußt — abzuweichen, geht übrigens sehr
deutlich aus seinen eigenen tatfrohen schönen
Worten hervor: „Den Fortschritt der neuen
Völkerorganisation nach außen kundzutun,
daran müssen alle mitarbeiten, die der Meinung
sind, daß die wahre Wissenschaft des Völker-
rechts nicht lediglich den Zweck hat,
juristische Begriffe fein säuberlich zu defi-
nieren, sondern daß sie mit aller Kraft und
der ganzen Begeisterung der wahren Jünger
des Völkerrechts an der Verbesserung der
internationalen Anarchie mitarbeiten muß,
daß sie sich den großen Fragen des wahren
Lebens (nicht der Studierstube) mit dem
ganzen Eifer widmen muß, den uns die Pazi-
fisten immerfort gezeigt haben" (Seite 118 ff.).
Und so ist denn Wehberg in seinem
innersten Gelehrtenherzen doch wohl nicht so
ganz von der völligen und dauernden Belang-
losigkeit einer Exekutionsinstanz im Völker-
recht überzeugt, als es den Anschein hat.
Denn sonst würde ihm nicht auf Seite 152
die Bemerkung von „dem zurzeit uto-
pistischen Gedanken einer Exekutionsgewalt"
entschlüpft sein. Auch die Ausführungen auf
Seite 90 lassen die uneingeschränkte Be-
hauptung von der Entbehrlichkeit einer
Zwangsinstanz in etwas getrübtem Licht er-
scheinen.
Wehberg verlangt von denjenigen, „die
sich gar nicht von den innerstaatlichen An-
schauungen loslösen können und unter einem
Gerichtshofe auch im internationalen Völker-
leben nur eine mit Zwangsgewalt ausgestattete
Behörde verstehen", den Beweis dafür, daß
„internationale Gerichtsbarkeit mit der natio-
nalen Gerichtsbarkeit wesensgleich ist, und
man daher als begriffliches Merkmal der
internationalen Gerichtsbarkeit einen Zwangs-
apparat fordern darf" (Seite 105 ff.). Die Be-
weislast dürfte wohl dem zufallen, der die
Wesensungleichheit behauptet. W e h b e r g
tritt den Beweis hierfür auch an, indem er
bemerkt, „die Gerichtsbarkeit im nationalen
Rechte werde durch ein über den Privaten
stehendes Rechtssubjekt, nämlich den Staat,
eingesetzt, wohingegen jede Rechtsprechung
im Völkerrecht begrifflich auf dem freien
Willen der Staaten beruhe" (Seite 114 ff.). Das
trifft gewiß zu. Aber das Wesen der Gerichts-
barkeit wird doch nicht durch den Hinweis
auf die einsetzende Stelle, von welchem der
Gerichtshof seine Machtbefugnisse ableitet,
erfaßt. Vielmehr ist es die Art der über-
tragenen funktionären Machtbefugnisse selbst,
die das Wesen der Gerichtsbarkeit ausmacht,
und das ist: die Handhabung des
„Rechts". Und dazu gehört wiederum
dreierlei: erstens das Vorhandensein objektiver
Regeln, zweitens die spruchrichterliche Sub-
sumierung von Tatbeständen unter diese
Regeln, und endlich die — nötigenfalls ge-
waltsame — Durchführung der Entscheidung.
Damit ist zugleich gesagt, daß dem objektiven
Rechtsbegriffe der mit Zwangsgewalt aus-
gestattete Befehl zur Seite stehen muß. Es
gehört begrifflich zum „Rechte", daß es jeden
widerstrebenden Willen der eigenen Autorität
unterwerfen kann. Anderenfalls ist eine
Rechtshandhabung, die nicht dem gelegent-
lichen Versagen ausgesetzt sein will, undenk-
bar. So gut nun jene drei Elemente der
nationalen Gerichtsbarkeit eignen, müssen sie
auch der völkerrechtlichen Rechtspflege inne-
wohnen. Denn es ist nicht abzusehen, inwie-
fern die Grundlage jeder Rechtssprechung,
nämlich die objektive Norm, im nationalen
und internationalen Rechte qualitativ ver-
schieden sein soll. Ohne die Möglichkeit des
Zwanges ist eine Garantie für die Ausgleichung
sozialer Kollisionen, d. h. für die Erledigung
von Rechtsstreitigkeiten, hüben wie drüben
nicht gegeben. Begrifflich ist also auch
im Völkerrecht eine wirkliche und vollständige
Gerichtsbarkeit ohne Zwangsgewalt m. E. un-
möglich, eine Exekutionsinstanz mithin nicht
„entbehrlich". Erst dann, wenn wir einen mit
Exekutiv-Befugnissen und -Machtmitteln aus-
gestatteten internationalen Staatengerichtshof
haben, werden wir wirklich unbeanstandet
sagen dürfen: es gibt ein Völker - R e c h t.
Ein zwischenstaatliches Recht, dessen Bedeu-
tung als Külturerscheinung dem Privatrecht
und dem inneren Staatsrecht gleichwertig wäre,
gibt es heute noch nicht. Regel und Rechts-
findung — beide allerdings vorläufig noch in
beschränktem Umfange — sind da, aber es
fehlt die Krone des Baues: die Sanktion des
45
DIE FßlEDENS-^ADTE
3
Zwanges. Sie wird — abgesehen von indirekten
Beugungseinflüssen — heute noch ersetzt
durch die Sanktion der Moral, durch die
Achtung vor dem Rechte, die niemals ein
integrierender Bestandteil des objektiven
Rechtes selbst sein kann.
Praktisch freilich ist eine internatio-
nale • Gerichtsbarkeit ohne Zwangsgewalt
immerhin möglich, wie die bisherige Er-
fahrung zeigt. Es fragt sich nur, ob man
auch sagen darf: „Es bestehe keinerlei Be-
dürfnis für eine Exekutionsgewalt im Völker-
rechte." Ich meinesteils bejahe die Bedürfnis-
frage, mag sie auch zurzeit nicht dringlich
sein, unbedingt. Ich halte die Einsetzung
einer internationalen Zwangsgewalt für höchst
wünschenswert, nicht nur weil die theoretische
Logik es gebietet, sondern auch darum, weü
ich darin einen außerordentlich bedeutsamen
Fortschritt in der zwischenstaatlichen Organi-
sation erblicken würde. Man vergegenwärtige
sich, welches Ansehen ein mit Exekutivbefug-
nissen ausgestatteter höchster Gerichtshof der
gesamten Kulturwelt genießen müßte, eine
Institution, die zwar aus dem freien Willen
der Einzelstaäten hervorgegangen wäre, deren
Aufhebung öder Beschränkung aber nur unter
Zustimmung sämtlicher Gründer zulässig sein
dürfte. Schon die bloße Existenz einer wahr-
haften Staaten Justiz würde den Ausbruch
mancher Zwistigkeiten zwischen den Staaten
verhindern. Vom Weltbundesstaate wären wir
dann freilich nur noch einen Schritt entfernt;
Hoffentlich kommen wir so weit, — um, dann
den letzten Schritt auch noch zu tun!
Können ? ! " ' N i c h t s ist Unmöglich dem,
der will. Wenn doch nur die Steuerleute 1 der
Staätsschiffe wollten!' Sollten sich nicht
einmal über kurz oder lang gleichzeitig in
verschiedenen Staaten starke Männer finden,
die das, was die weitaus überwiegende Mehr :
heit der Menschen ersehnt, die dauernde Siche-
rung des Friedens zwischen den Völkern, kraft-
voll verwirklichen ?
, : , Und die Exekutivgewalt des Staaten-
gerichtshofes ? Worin soll die bestehen ? Wie
soll sie gehandhabt werden? Ein Problem für
sich, desseri nähere Erörterung nicht hierher
gehört, ; Aber ich möchte doch darauf hin-
weisen, tlaß eine scharfe persönliche Verant-
wortlichkeit der einzelnen Minister der Staaten
wohl die wichtigste Garantie für die Befolgung
der Entscheidungen des Staatengerichtshofes
bilden müßte. D je Schaffung einer großen
internationalen Polizeimacht — ein vorläufig
noch zu fern liegendes Problem. Dahin
kommen wir vielleicht einmal, wenn es ge^
hingen ist, auf der Grundlage eines mit
Zwangsgewalt ausgestatteten Staatengerichts-
hofes die Fragen der Rüstungsbeschränkung
und .des : Fortfalls der Ehren- und Lebens-
klausel in den Schiedsverträgen zu lösen. Den
ziemlich konservativen Ausführungen W ehr
b.er.g.s .über „Ehre..- und.; Lebensinteressen"
.46
der Staaten (Seite 89) vermag ich übrigens
keineswegs zuzustimmen.
Nun, das alles hat wohl noch gute Weile.
Arbeiten wir weiter, diesen erstrebenswerten
Rechts zustand unter Wahrung der
historischen kontinuierlichen Entwicklung, so
bald und so vollkommen, wie es uns mög-
lich ist, herbeizuführen. Den nächsten bedeut*
samen Schritt auf diesem Wege stellt jeden-
falls die Einrichtung eines ständigen inter-
nationalen Gerichtshofes — überhaupt und
vorläufig abgesehen von einer Zwangsinstanz
— dar. Für diesen Schritt durch Dornen und
Gestrüpp freie Bahn und helles Licht ge-
schaffen zu haben, ist das große Verdienst,
das W e h b e r g sich mit seinem Werke :
„Das Problem eines internationalen Staaten-
gerichtshofes" erworben hat.
Der Grundgedanke des Buches ist die
Gegenüberstellung und scharfe Abgrenzung
der bloßen Schiedsgerichtsbarkeit einerseits
und der Gerichtsbarkeit auf der anderen Seite.
Die erstere will „schwebende Konflikte fried-
lich lösen, ohne Rücksicht, ob dadurch gleich-
zeitig die Ursache, der vorhandenen Differenzen
beseitigt wird", die zweite „denkt viel weiter
und versucht, nicht nur gegenwärtige Kon-
flikte zu beseitigen, sondern auch zukünftigen
Streitigkeiten dadurch vorzubeugen, daß durch
allmähliche Fortbildung des Völkerrechts auf
dem Wege internationalen Rechtsspruches die
Rechtslage sichergestellt wird" (Seite 7).
Wehberg weist nun im einzelnen nach,
daß alle durch Sprüche herbeigeführte Streit-
erledigung zwischen den . Staaten, bisher den
Charakter der Schiedssprechung gehabt hat,
und daß diese neben ihren anderweiten
Mängeln für die Fortbildung des Völkerrechts
so gut wie nichts geleistet hat. W.ehberg
berichtet dann genau über den ständigen
Haager Schiedshof vom Jahre 1899 (Seite 138
bis 151) und über das Projekt der zweiten
Haager Konferenz vom Jahre 1907, die „Cour
de la justice arbitrale" (Seite 154 f., 169 bis
192). Hieran schließt sich ein fesselndes Inter-
mezzo: ein kurzer Kommentar zu dem .Ent-
würfe dieser „Cour arbitrale" (Seite 193 bis
231). Es ergibt sich aus. all diesen Betrach-
tungen, daß sämtliche Versuche, eine wirk-
liche zwischenstaatliche Gerichtsbarkeit zu
schaffen, auf halbem Wege stecken ge-
blieben sind. .
Neben diese umfangreiche historische
Masse des Buches tritt als zweiter und wich-
tigerer Bestandteil das konstruktive Element:
Wehbergs . eigene Ansichten, über einen
internationalen Staatengerichtshof. Nicht eine
Verdrängung. des jetzt bestehenden S eh i eds -
hof.es, der zur Beilegung hochpolitischer
Konflikte auf Grund, von Billigkeitserwägungen
durchaus zweckdienlich erscheint, wünscht
Weh her g, sondern als Ergänzung, dieser
Institution einen zur .Beurteilung, der zahl-
reichen mehr oder weniger , juristischen Streit-
fragen berufenen Gerichtshof, durch
<§^
DIE FRI EDENS -WABXE
dessen rein rechtliche Entscheidungen an-
gesichts des noch vorhandenen Mangels leiten-
der Rechtsgedanken eine klare Fortbildung
des materiellen Völkerrechts am vorteil-
haftesten bewirkt werden kann (vgl. Seite 142,
auch Seite 8 f.). Daß die Urteilsfindung nach
objektiven Rechtsregeln der Billigkeit nicht
widersprechen darf, versteht sich dabei wohl
von selbst. W e h b e r g stellt folgende Grund-
forderungen für einen internationalen Gerichts-
hof auf: 1. Keine Diplomaten, sondern Be-
rufsrichter; 2. Ausschluß der nationalen
Richter; 3. Ausschluß der Wahl der Mit-
glieder durch die streitenden Parteien und
überhaupt durch die Staaten; 4. wirkliche
Ständigkeit des Gerichtshofes; 5. direktes
Klagerecht und 6. Schaffung einer Revisions-
instanz (Seite 153, näheres im 4. Kapitel,
Seite 53 — 95). Eingehend werden auch die
technischen Vorteile eines ständigen Gerichts-
hofes, dauerndes Zusammenarbeiten der
Richter, sowie größere Schnelligkeit und
Billigkeit der Prozeßerledigung, dargelegt
(Seite 96—103). Bei der Frage der Bildung
und Zusammensetzung des Staatengerichts-
hofes spricht Wehberg sich unter Ver-
werfung des Rotationssystems für das Prinzip
der Gleichheit der Staaten aus (Seite 69 — 84).
Näher auf all die interessanten Einzel-
heiten einzugehen, verbietet sich mir durch
den zur Verfügung stehenden Raum.
In einem schwungvollen Schlußkapitel
behandelt W e h b e r g die Aussichten auf
Errichtung eines internationalen Gerichtshofes
(Seite 232 — 238). Die Auspizien sind günstig.
„Es wird hier wieder einmal zutage treten,
daß sich alle großen Ideen, durch die Jahr-
hunderte zum Lichte durchringen und die
Menschheit nur Ausdauer zeigen muß, um
ihre höchsten Ziele zu erreichen."
Abrüstung!
Von Richard Gädke,
früherer Oberst und Regimentskommandeur.
Selbst bei der unterwürfigen und ge-
duldigen Bevölkerung Japans beginnt das
U ebermaß eines chauvinistischen Militaris-
mus Widerstand hervorzurufen. Die neuesten
Pläne der bisher allmächtigen Militärpartei
sind, vorläufig wenigstens, gescheitert ; aller-
dings nur, weil sich kein Finanzminister fand,
der die materiellen Unterlagen für eine große
Vermehrung der Streitkräfte schaffen konnte.
Das Volk ist am Ende seiner steuerlichen
Leistungsfähigkeit angelangt.
Das Beispiel Japans ist der lehrreichste
Beweis dafür, daß siegreiche Kriege an sich
keinen materiellen Aufschwung zur Folge
haben. Die Regierung mußte einen Frieden
schließen, der bei weitem nicht ihren ur-
sprünglichen Zielen entsprach, weil schon
damals die Mittel des Landes erschöpft waren.
Wie von den Kriegen der Jahre 1866 und
1870 die Rüstungsepidemie in Europa da-
tiert, so hat der Feldzug der Jahre 1904 und
1905 ähnliche Folgen für den fernen Osten
gehabt. Japan hat sein Heer um ein Drittel
seiner ursprünglichen Stärke, vermehrt und
die Flotte um gewaltige neue Einheiten ver-
stärkt; Rußlands sibirische Truppen haben
sich zu einem großen Heere entwickelt, und
China sucht tastend noch und zögernd, aber
mit immer wachsender Energie seinen natio-
nalen Bestand durch die Auf Stellung moderner
Streitermassen zu sichern.
Die Ausführungen Norman Angells
in seiner „großen Täuschung" sind gerade
durch die Entwicklung der Dinge in Ostasien
bewahrheitet; wer kann behaupten, daß das
japanische Volk glücklicher geworden sei
durch seinen siegreichen Krieg ? Im Gegen-
teil, die Unzufriedenheit der Massen steigt
von Jahr zu Jahr, so daß sogar das hoch-
mütige Regiment der Samurai nicht mehr
daran vorbeigehen kann. Wenn eine Krieger-
kaste in einem Lande zur unumschränkten
Herrschaft gelangt, so verarmt eben die
Masse des Volkes. Ob in der oder jener
Form: sie sinkt herab zu Heloten des
Staates. Das Verhältnis wird genau um-
gekehrt wie es sein sollte. Nicht der Staat
ist mehr des einzelnen , wegen da, sondern
der einzelne schuftet nur noch für den ge-
fräßigen Dämon Staat — er hungert und
dürstet und plagt sich, damit ein Schemen
den Schein der Größe gewinne.
Was nützt es dem japanischen Kuli, daß
jetzt Korea dem Reiche einverleibt ist, daß
der fruchtbarste Teil der chinesischen
Mandschurei dem Einflüsse der Regierung
in Tokio unterliegt ? Kann er sich seitdem
besser kleiden, besser nähren ? Wohnt er
bequemer, zieht er seine Kinder leichter auf?
Zahlt er weniger Steuern ? Nein, in jeder
Beziehung hat er sich verschlechtert; mehr
und mehr wird er einer kleinen Oberschicht
tributär, die den Staat militärisch und ad-
ministrativ vertritt — und ausbeutet.
Wird es anders auf der Balkanhalbinsel
sein? Werden, diese merkwürdigen Kreuzes-
und Kulturträger, deren erste Segnungen
blutiger Mord und brutaler Raub sind, dem
neugewonnenen Volke wirklich eine erhöhte
Glückseligkeit bringen ? Die Mohammedaner
flüchten verzweifelnd in hellen Scharen,; die
Albanesen wehren sich mit Händen und
Füßen gegen die Wohltaten der Serben,
Montenegriner und Griechen, die " Juden
klagen über die rohere Herrschaft der -Sieger,
und die Christen werden erst später; ihre
Freude erleben an erhöhten Steuern, und
schwererer Wehrpflicht. ti ->; •;:,
Ich gebe ohne weiteres zu*: daß jn -dem
gegenwärtigen Zustande der Welt große mili-
tärische Rüstungen schließlich noch das
sicherste Mittel sind, den Frieden ; zu fx-
halten.. Die Türkei : hat es an ihrem: Leibe
verspürt, was es bedeutet "-— w e h r 1 o; s'-.zu
sein. Die. Kulturaufgaben eines: Staates hat
>7
DIE FBIEDEN5-^/ADTE
e>
sie freilich schlecht genug erfüllt; aber, ob
wohl Griechenland und Serbien, ob die inittel-
amerikanischen Republiken, ob Mexiko und
Haiti ein besonderes Recht haben, stolzer als
sie zu sein ? Hat man nicht künstlich von
außen her die Fäulnisfermente in ihren Leib
getragen, weil an den Grenzen gierige Erben
lauerten ?
Darum müssen wir unverzagt immer von
neuem daran arbeiten, die große Räuber-
familie, die die Staaten der Erde gegenwärtig
bilden, wo jeder die Hand gegen den anderen
hebt, umzugestalten in ein von sittlichen
Idealen erfülltes Gemeinwesen, das in fried-
licher Kulturarbeit zusammenlebt und das
Recht an die Stelle der rohen Gewalt setzt.
Ein Ziel gewiß, zu dem nur ein schmaler,
steiler und rauher Weg führt ! Aber er muß
beschritten werden, wenn das Wort Mensch-
lichkeit nicht ein Ausdruck namenloser
Heuchelei sein soll. Wir werden dem Ideale
nur sehr langsam näherkommen und es nach
der Dürftigkeit irdischen Wesens nur in un-
vollkommener Gestalt verwirklichen. Die
jetzt Lebenden mögen nicht einmal die
Grenzen jenes großen Friedensreiches schauen
— und doch kommen wir ihm langsam näher.
Schiedsgerichtsverträge und Schiedsgerichts-
höfe bilden einen Anfang — wie oft sie
auch verspottet werden mögen. Wirksamer
noch ist die Organisation jener beiden großen
europäischen Verteidigungsbünde, die bisher
den Ausbruch des stets befürchteten großen
Weltenbrandes verhütet haben. Die Pfade
menschlicher Entwicklung sind niemals
gerade verlaufend.
Insoweit also kann auch die Rüstungswut
ein Mittel zum Ziele sein. Die Furcht aller vor
allen ist ein wirksamer Hebel der Friedens-
tendenz — um so mehr, als heutzutage von
unglücklichen Kriegen niemand mehr zu
fürchten hat als die herrschenden Gewalten
und insbesondere die Monarchien. Der Glaube
an das Gottesgnadentum ist nur wenig ver-
treten unter diesem ungläubigen Geschlecht,
das über schwach und morsch gewordenes)
gleichmütig hinwegschreitet und sich nur der
Gewalt beugt.
Aber wenn ich die Rüstungen an sich
nicht verwerfe, so muß ich um so schärfer
mich wenden gegen ihre kostspielige Form
und ihre der Despotie dienende Ausgestal-
tung. In Wahrheit besitzen wir kein für die
Verteidigung bestimmtes Volksheer — Ver-
teidigung, um jedes Mißverständnis aus-
zuschließen, im politischen, nicht im stra-
tegischen Sinne gemeint — . Vom Volke
stammen nur die unerschöpflichen Massen
her; der Geist aber, der dem Heere ein-
gepflanzt wird, ist noch immer der Geist
der alten Söldnerscharen, die nur ein Werk-
zeug m der Hand des Fürsten bildeten, von
ihm allein abhingen und mit dem Volke nur
durch seine Person zusammenhingen. Und
daher war dieses Heer und ist es noch die
wirksamste Waffe zur Errichtung un-
umschränkter Fürstenmacht. Gilt doch jetzt
noch der Gedanke in manchen Ländern als
ein sträflicher, daß das Heer in erster Linie
dem Vaterlande diene und in Wahrheit nichts
anderes darstellen dürfe als die organisierte
Wehrkraft des Landes, als das' Volk in
Waffen.
Damit es sich als eine besondere Kaste
fühle, wird die Dienstzeit länger ausgedehnt,
als, rem militärisch betrachtet, erforderlich
ist. Wir würden schon viel gewinnen, wenn
der Soldat nicht länger dienen brauchte, als
zu seiner Ausbildung nötig ist. Esi ist nicht
richtig, daß Disziplin und Zusammenhang
nur durch ein mehrjähriges Zusammenleben
in der Kaserne gewonnen werden. Welch
Vorteil in jeder Beziehung wäre es, wenn wir
erst so weit wären, diese Zeit um die Hälfte
zu kürzen. Man könnte das noch nicht Ab-
rüstung nennen; aber man würde die Kosten
ganz erheblich vermindern, würde dem
Kastengeiste Abbruch tun und an seiner
Stelle die Auffassung hochbringen, daß der
Soldat auch während seiner Dienstzeit unter
den Gesetzen und nicht außerhalb der Ge-
setze stehe. Man würde die Auswüchse
des Militarismus leichter bekämpfen können,,
die eine Gefahr ebenso für den Frieden wie
für die Freiheit bilden.
Wenn man sich zu Lande noch auf lange
Zeit mit bescheidenen Fortschritten wird
begnügen müssen, weil die Verteidigung des
Vaterlandes, so lange die Anarchie der
Staatenwelt dauert, in der Tat eine harte
aber unumgängliche Notwendigkeit bleibt, so
walten die gleichen Rücksichten nicht für
die Seerüstungen ob. Die Flotten sind
ihrer Natur nach Angrif f s waffen, sie
decken nicht die Grenzen des eigenen Landes,
sie tragen den Krieg nach außerhalb, sind
bestimmt zur Beherrschung der Meere, die
von Gottes wegen allen gehören, zum fried-
lichen Austausch der Güter dieser Welt.
„Seine Flotten streckt der Brite gierig wie
Polypenarme aus und das Reich der freien
Amphitrite möcht' er schließen wie sein eigen
Haus." — Nur, daß andere Völker schon
längst in der gleichen Verdammnis sind:
Nordamerikaner (siehe Panamakanal), Fran-
zosen, Italiener, Japaner und Deutsche, sie
hegen alle den gleichen geheimen Wunsch
im verschwiegenen Busen. Leidet nicht auf
dem Meere der Handel der Neutralen in der
schwersten Weise durch jeden Kriegszustand,
wird er nicht in der empfindlichsten, gelegent-
lich fast piratenhaften Weise gehindert durch
die Flotten der Kriegführenden ?
Die Freiheit der Meere ist noch viel wich-
tiger als die Beschränkung der Rüstungen
zu Lande. Und doch hat gerade hier der
Gedanke der Seegeltung am festesten Besitz
ergriffen von den Gehirnen; er findet den
stärksten Rückhalt bei den oberen Schichten
fast aller Staaten, besonders bei den in-
48
<§;
DIE FRIEDEN5-^\*M2XE
dustriellen und Handel treibenden Klassen.
Und gerade hier liegen die größten Gefahren
vor, daß aus dem uferlosen Wettrüsten wie
mit Naturgewalt, selbst ohne den eigent-
lichen Vorsatz der Betroffenen, der Krieg
entstehe wie ein Gewitter aus geballten
Wolkenmassen.
Kann man auf dem Lande schon viel
gewinnen, wenn man zu einer Beschränkung
der Dienstzeit gelangt, zur See muß man
zu radikaleren Mitteln greifen. Vertrags-
mäßige Beschränkungen der Flottenstärken
sind nur sehr schwer in bindende und kon-
trollierbare Formen zu gießen — wenn sie
nicht gleich so weit gehen, jedem Einzel-
staat die Möglichkeit zu nehmen, für sich
allein überhaupt gefährlich zu werden.
Weder darf Deutschland mehr für seinen
Handel und seine jungen Kolonien besorgt
sein, noch darf England fürchten, daß eine
deutsche Flotte ein Millionenheer gewapp-
neter Krieger an seine Küsten ausspeien
könne. Das erreicht man nicht dadurch, daß
man eine Steigerung über die gegenwärtige
Stärke hinaus vertragsmäßig ausschließt;
denn in ihrer furchtbaren Macht ist die
englische Flotte zurzeit an sich gefährlich,
und niemand dürfte es Deutschland ver-
argen, wenn es versucht, die Gefahr für sich
selbst nach Kräften zu vermindern. Aber
für andere Staaten ist wiederum die deutsche
Flotte in ihrer gewaltigen Entwicklung eine
gefährliche Drohung. Und wenn wir zurzeit
sicher nicht daran denken, sie zur Unter-
drückung und Eroberung zu verwenden :
können wir selbst etwa für die Zukunft
stehen, für die Geistesrichtung unserer Nach-
kommen ? Jede große Machtentfaltung ge-
biert letzten Endes den Wunsch, sie an-
zuwenden, und führt unwillkürlich zu einer
Verwischung der Grenzen von Recht und
Unrecht, sie verführt leicht auch den billiger
Denkenden zur Gewalt und zum Uebermut.
Das gilt für Nordamerikaner und Japaner und
Italiener ebenso wie für alle anderen.
Will man also hier zum Ziele kommen,
so muß man gleich tabula rasa machen.
Freilich wird es nicht so gehen, daß man
jede bewaffnete Seemacht schlechthin ver-
bietet ; das weite Weltmeer bedarf der Polizei,
um sicher zu bleiben. Auch dürfen die kleinen
Staaten nicht mit wenigen Schiffen die tat-
sächliche Herrschaft gewinnen, oder empor-
strebende Völker die Herrschaft der weißen
Rasse bedrohen.
Man wird daher den großen Militär-
staaten nicht verwehren dürfen, eine gewisse
Zahl von Kampfesschiffen zu halten, die die
Meeresstraßen schützen und die Verbin-
dungen mit fernen Küsten und mit den
Kolonien sichern. Aber unbedingte Not-
wendigkeit ist es, daß diese Flotten nur so
groß sind, daß sie keine Gefahr mehr für
die anderen bedeuten, und andererseits im
Verein mit anderen Staaten doch wieder stark
genug, um' kriegerische Pläne feindlicher
Flotten im Keime vereiteln zu können.
Mit anderen Worten : Die Flotten dürfen
nichts weiter sein als eine Polizeimacht, um
die Freiheit des Meeres und des Handels zu
schützen, aber keine Kriegsmacht, um sie
bedrohen oder an ferne Küsten den Er-
oberungskrieg tragen zu können.
Natürlich ist hierzu eine internationale
Verständigung erforderlich; sie sollte aber
mit diesem weitgesteckten Ziele, das den
gegenseitigen Argwohn ausschließt, leichter
sein, als wenn man ihr einen engeren
Rahmen zieht. Ich denke mir die Sache so,
daß die acht Weltmächte (Deutschland, Eng-
land, Frankreich, Italien, Japan, Oesterreich-
Ungarn, Rußland, Vereinigte Staaten) zu-
nächst auf zehn Jahre ein Abkommen treffen,
wonach jede von ihnen sich verpflichtet, in
diesem Zeitraum nur eine sehr kleine Zahl
von Schlachtschiffen und geschützten Kreuzern
neu auf Stapel zu legen. Es ist klar, daß
die Zahl nicht eine gleiche bei allen Mächten
sein darf, sondern ungefähr nach dem Maß-
stabe abgestuft werden müßte, der gegen-
wärtig zwischen ihnen herrscht. Würde z. B.
die englische Flotte nur etwa ein Drittel
oder ein Viertel ihrer bisherigen jähr-
lichen Neubauten in jenem Zeiträume ver-
geben, so ist gar kein Grund mehr vor-
handen, warum 1 sich Deutschland nicht zu
dem gleichen Maßstabe verpflichten sollte.
Eine sich allmählich so wesentlich ver-
ringernde englische Flotte könnte keine Ge-
fahr mehr für uns bilden; ihre nach wie vor
bestehende Ueberlegenheit aber würde an-
dererseits dem Inseireiche die Angst vor
einer deutschen Invasion benehmen.
Allerdings müßten die gleichen Mächte
sich verpflichten, die Entstehung anderer
Flotten, z. B. in China oder Südamerika,
nötigenfalls mit Gewalt zu verhindern.
Schreien würden über ein solches Ab-
kommen nur die Panzerplattenfabrikanten,
die Schiffswerften und die Kanonenkönige,
die ganze andere Welt aber würde erleich-
tert aufatmen. Die Kontrolle über die Durch-
führung einer so einschneidenden Maßregel
wäre nicht schwer durchzuführen; damit
nicht aus den geschützten Kreuzern durch
eine Umgehung des Vertrages allmählich
Schlachtschiffe werden (wie vor einigen
Jahren aus den Panzerkreuzern), müßte deren
größter Tonnengehalt ebenfalls vereinbart
werden, im übrigen könnte der Wettkampf
zwischen den einzelnen Staaten über die Güte
und Kampfeskraft ihres Materials ohne
großen Schaden weitergehen.
Selbst mit einem Viertel seiner gegen-
wärtigen Schiffszahl würde England seine
Verbindung mit den Kolonien noch immer
aufrechterhalten können, so lange die anderen
Vertragsstaaten sich ebenso schwächen.
Allerdings wäre die Einstimmigkeit aller acht
49
DIE FBIEDEN5-N&/ABTE E
G>
Mächte unbedingt erforderlich; und wenn nur
eine sich versagte, fiele der Plan ins Wasser.
Das wäre eine Aufgabe für die euro-
päische Diplomatie, bei deren Lösung sie ihren
durch den Balkankrieg und den berühmten
„Status quo ante" etwas ramponierten Ruf
wieder herstellen könnte.
Wäre ein solcher Vertrag nur einmal
erst auf zehn Jahre geschlossen, und während
dieses Zeitraumes auch gehalten worden,
dann würde die den Dingen einwohnende
Vernunft dafür sorgen, daß er immer wieder
verlängert würde und sich so allmählich ein
erträglicher Zustand teilweiser Abrüstung
herausbildete.
Kanonenfutter.
Von Dr. Eduard Ritter von Liszt,
k. k. Bezirksrichter und Universitätsdozent in Wien-Graz.
Vor einigen Jahren ist aus der Feder der
bekannten Schriftstellerin El Neccar in Brüssel
ein Büchlein unter dem Titel „La repopulation
de la France"*) erschienen. Dieser Titel sagt
uns schon genugsam, welcher der Inhalt der
Schrift ist. Verfasserin macht am Schlüsse
ihrer Ausführungen eine Reihe gut gemeinter
Vorschläge, welche aber, selbst wenn sie durch-
führbar wären, noch lange nicht den von
El Neccar und Anderen erwünschten Erfolg
verbürgen würden.
An dieses Schriftchen wurde ich erinnert
durch das vor wenigen Monaten erschienene
Buch des Marseiller Advokaten Dr. du
Moriez über die kriminelle Abtreibung**).
Nicht als ob ich die beiden Arbeiten ,auf die-
selbe Stufe stellen wollte. Das Buch du .Moriez'
ist nicht nur bedeutend größer, sondern gründ-
licher und dabei vor allem wissenschaftlich.
Doch sein Titel erzählt uns, daß es gleich-
falls vom Standpunkte der re- bzw. depopu-
lation de la France geschrieben sei, und die
Frage der Abtreibung ist ja eine der da ein-
schlägigen Spezialfragen.
Freilich meinen zahlreiche Schriftsteller,
daß die Abtreibung das Wachsen der Be-
völkerung gar nicht ernstlich gefährde, daß
daher ihre Unterdrückung auf die repopulation
nicht den gewünschten Einfluß üben würde.
Ob — abgesehen natürlich vom Stand-
punkte der Kriegsführung aus — große Ver-
mehrung der Bevölkerungsziffern wünschens-
wert sei, darüber ist übrigens bekanntlich noch
lange nicht das letzte Wort gesprochen.
Es ist hier nicht der Platz, diese Fragen
zu erörtern. Immerhin möchte ich folgendes
feststellen: Die Stätte des notorisch leb-
haftesten Blühensl der Fruchtabtreibung ist
*) Brüssel — Leipzig, Olympia- Verlag, 1909.
**) S. du Moriez, Docteur en droit —
L'avortement, ses consequences au point
de vue de la depopulation de la France. —
Paris, Marchai & Bülard, 1912. 308 Seiten. Preis
7,50 Francs.
- New York. Die Bevölkerungsziffern von
Groß - New York nach den letzten Volks-
zählungen sind:
im' Jahre 1900 3 437 202,
im Jahre 1910 4 766883*).
Das Buch du Moriez' ist, wie es in seinem
Titel heißt, „une etude historique, philo-
sophique, sociale, me'dicale, legale et de droit
compar6". Und die Studie ist eine fleißige
Arbeit. Leider kann ich an dieser Stelle nicht
den Vorzügen des Buches gerecht werden,
sondern muß jene Punkte hervorheben, mit
denen ich nicht einverstanden sein kann. Und
da muß ich sagen : Die Arbeit du Moriez*
geht von falschen Voraussetzungen aus, hat
eine falsche Tendenz und gelangt folglich auch
zu einem unrichtigen Ergebnis.
Da meiner Arbeit „Die kriminelle Frucht-
abtreibung"**) von du Moriez wiederholt ein-
gehende — und, wie ich gerne hervorhebe,
persönlich anerkennende (vgl. S. 91) — Auf-
merksamkeit gewidmet ist, sei es mir gestattet,
vorerst die obersten Leitsätze dieses meines
Buches hier wiederzugeben. Ich spreche mich
dafür aus, die Fruchtabtreibung sei straflos
zu lassen, wenn sie: 1. vor einem gewissen,
eng zu bemessenden Termin nach der Kon-
zeption, 2. im Einverständnis mit allen Be-
rechtigten, 3. von sachverständiger und der
Behörde verantwortlicher Seite vorgenommen
wird. Sonst ist die Vornahme zu bestrafen;
um so strenger, je entwickelter die Frucht,
je größer also die Gefahr war, daß das Kind
noch außerhalb des Mutterleibes leben und
Schmerzen erleiden könnte. Nicht nur die
Tötung, sondern auch die Gefährdung der
Gesundheit des Kindes soll strafbar sein;
letztere strenger als erstere. Die Abtreibung
aus medizinischer Indikation bleibt in meiner
Arbeit durchwegs außer Betracht.
Die Forderung eines eng begrenzten Ter-
mins für die Straffreiheit begründe ich (S. 88)
mit der Bedachtnahme auf jene Rücksicht,
welche dem menschlichen Leben als solchem
gebührt. In weiterer Ausführung zu dieser
Stelle schlage ich Seite 385 zur Grenzziehung
jenen Zeitpunkt vor, in welchem der Embryo
menschliche Form annimmt. Schon daraus
ist zu ersehen, daß du Moriez sehr irrt, wenn
er (S. 91) gegen mich meint: „les arguments,
qu'il donne, s'ils 6taient valables, les seraient,
en majorite^ pour toute la dur£e de la
"*) Laut Mitteilung des „Arbeiterwille" (Graz)
vom 15. Juni 1912 soll die Ziffer für das Jahr
1912 gar 6 474 568 sein. Ich muß diesem Blatte
die Verantwortung für die Richtigkeit der Zahl
überlassen. Mir erschiene die Zunahme über-
trieben groß. Vielleicht sind übrigens einige
neue Vororte mitgezählt. Jedenfalls könnte eine
so gewaltige Zunahme binnen zwei Jahren un-
möglich nur aus der Zahl der Geburten resul-
tieren.
**) Die kriminelle Fruchtabtreibung. Zürich,
bei Grell Füssli. XLII und 567 Seiten. 1. Band
1910, 2. Band 1911.
50
(g)
grossesse: or il reeonnait qü'il n'en est point
ainsi."
DIE FRIEDENS -WARTE
Ueberhaupt liebt du Moriez es, mir
Inkonsequenz vorzuwerfen. Er tut dies
an noch einer Stelle — S. 164 —
seiner Dissertation. Ich sage in meiner
oben erwähnten Arbeit Seite 38: „Will
der Mann sein Recht auf Erhaltung der von
ihm erzeugten Frucht nicht ausüben, sträubt
er sich im Einverständnis mit der Schwangeren
gegen die „Vaterfreuden", so darf niemand
sie ihm aufnötigen, ihn „zu seinem Glück
zwingen"; gerade so wenig, als man ihn zur
Erzeugung des Kindes zu zwingen be-
rechtigt gewesen wäre." Und Seite 42/43 führe
ich aus, daß der Staat, wenn er das wahre
(natürliche) Recht zum Verbot jeder Ab-
treibung wegen seines Populationsinteresses
hätte, ebenso auch das Recht zur Bestrafung
der Anwendung empfängnisverhütender Mittel
nicht nur, sondern auch der Ablegung von
Keuschheitsgelübden usw. haben müßte; ja,
daß er seine „Untertanen" direkt zur Pro-
duktion von Kindern — oder im Falle der
Unmöglichkeit dazu zur Zahlung einer Ersatz-
steuer — - zwingen dürfte, du Moriez hält dies
für einen inneren Widerspruch und meint
Seite 104: „C'est ainsi qu' Eduard von Liszt
parait avoir oublie" qu'il a £crit, ä propos du
pere . . ." Denn der Staat könne doch, wenn
es ihm so gefällt, auf einen Teil seiner Rechte
verzichten. Und dann meint er: „De tels
arguments n'ont, semble-t-il, pas besoin d'£tre
r£fut6s." Ich möchte du Moriez ersuchen, die
beiden Stellen noch einmal ruhig zu lesen.
Er wird finden, daß sie sich sehr wohl ver-
tragen. Nicht darum handelt es sich ja, ob
der Staat auf sein Recht bezüglich der anti-
konzeptionellen Mittel usw. verzichtet,
sondern darum, daß er dieses Recht nicht
hat. Ueber seine letztzitierte Bemerkung aber
möge du Moriez Seite 100 meines Buches
nachsehen, wo zu lesen steht, daß der, der
Gründe für oder gegen eine Ansicht hat,
sie auch angeben können muß. Dort ist
auch die Rede von jener Wendung, „die stets
beim Mangel an Beweisen auftaucht und mit
der oft selbst krasser Unsinn*) verteidigt zu
werden pflegt: „. . . n'a pas besoin d'6tre
d£montr£"" (oder bei du Moriez : „ . . . d'etre
r£fut£"). Nein, wer Gründe zur Verteidigung
eines ihn interessierenden Satzes hat, der
drückt sich nicht mit einer Redensart um ihre
Angabe herum. Im Gegenteil 1 Er freut sich,
sie anführen zu können, und läßt sich diese
Freude nicht entgehen, wo es nur irgend mög-
lich ist.
Aehnlich ergeht es du Moriez Seite 114
mit seiner Polemik gegen meine Ansicht (§10),
es sei ein größeres Glück, nicht geboren zu
sein, als ein elendes Leben zu führen, und
daß selbst die den Lebenden etwa erfreuenden
*) Dieses Wort beziehe ich hier selbstver-
ständlich nicht auf du Moriez.
commoda vom nicht Lebenden nicht entbehrt
werden. Hier scheint übrigens du Moriez
ebenso wie an anderen Stellen den Sinn meiner
Worte zum Teil mißverstanden zu haben.
Doch fassen wir den Ausgangspunkt seiner
Ausführungen ins Auge. Zwar meint er Seite
108: „Le veVitable sujet actif du droit sanc-
tionne 1 par la prohibition de l'avortement est
le petit ötre que ce crime ddtruit. Seule cette
th^orie justifie la p6nalite* en tout cas, en
tout temps, en tout lieu." Ein Satz, der viel
zu weit geht. Aber in Wahrheit ist dieser
gar nicht der Leitsatz der Ausführungen des
Verfassers. Als solchen erkennen wir vielmehr
das auf Seite 7 als Motto ersichtliche Zitat:
„Par son intecöndite' la France perd chaque
jour une bataille. Mar£chal de Moltke."
Mit diesem Zitat zeichnet sich die du
Moriezsche Arbeit selbst als Tendenzschrift.
Und darin haben wir den Schlüssel gefunden,
weshalb er und ich uns nicht verstehen können :
Ich trachtete, eine Lösung der schwierigen
und blutig ernsten Frage im Sinne wahren
Rechts zu finden, unbeirrt durch vorgefaßte
Meinungen oder gar Tendenzen; du Moriez
hingegen setzt eine Tendenz an die Spitze,
und der Zweck seiner Arbeit ist, diese Ten-
denz durch seine Ausführungen zu stützen.
Zumindest für Frankreich war das aller-
dings für die Wissenschaft nicht notwendig.
Dort ist ohnedies diese Tendenz die alles be-
herrschende. Hauptsächlich sie hat ja wohl
auch dahin geführt, daß im Jahre 1912 für
Frankreich die recherche de la paternite all-
gemein eingeführt wurde. Können doch auch
unehelich geborene Knaben Soldaten wer-
den, auch unehelich geborene Mädchen künf-
tighin künftige Soldaten mehr oder minder
unehelich gebären.*)
Die Frage nach dem Recht glaube ich
— und der Großteü der wissenschaftlichen
Kritik hat mir darin beigestimmt — in meiner
Arbeit nicht ohne Gründlichkeit untersucht
zu haben. Diese Arbeit enthält auch anti-
zipativ die volle Widerlegung der Einwände
du Moriez'. Es sei mir deshalb gestattet,
*) Kürzlich haben (laut „Die Zeit", Wien,
12. Januar 1913) zwei Gelehrte an Hand eines
großen statistischen Materials den ziffern-
mäßigen Nachweis dafür zu erbringen versucht,
daß — unehelich geborene Kinder im Ver-
gleich zu ehelich geborenen Kindern nicht
minderwertig sind. Ob dieser Nachweis von
weiteren Kreisen für notwendig gehalten wurde,
weiß ich nicht. Meines Erachtens kann kein
normal denkender Mensch glauben, daß die Be-
zahlung gesetzlicher Trauungsgebühren auf die
folgenden physiologischen Vorgänge einen Ein-
fluß übe. Eher schiene mir die heutzutage
immer wachsende Hinausschiebung des Heirats-
alters in Verbindung mit anderen Momenten
(vgl. auch Schopenhauer, Metaphysik der
Geschlechtsliebe, IV, 44, über „Liebeskinder")
eine gegenteilige Präsumption zu begründen.
Der Einfluß schädigender sozialer und hygieni-
scher Momente gehört auf ein anderes Konto.
51
DIE FRIEDENS -^M!MiTE =
G)
im folgenden nur mehr den Standpunkt
du Moriez' auf seine Richtigkeit hin zw
prüfen.
Ich las in einer der vielen, vielen Arbeiten
über Fruchtabtreibung, es sei ein erstrebens-
wertes Ziel für einen Staat, „anderen Staaten
seine Kultur aufzuprägen". Egozentrismus
in etwas größerem Maß Stabe I Mir scheint
eher das eines Kulturstaates würdig, was
die „Neue Freie Presse" vom 12. 8. 1912 als
erstrebenswert bezeichnete: „Dann wird
jeder Staat den natürlichen Trieben seiner
eigenen Entwicklung folgen."
Erscheint mir die Kultur meines Vater-
landes im Vergleich zur Kultur anderer
Länder als die höhere, so werde ich
wünschen, daß auch andere Länder ihrer teil-
haftig werden. Aber dies durch Verbreitung
von Unglück und Elend bewirkt sehen zu
wollen, wäre wohl aufgelegter Widersinn.
Freilich, es gibt nur selten ein Unglück,
aus dem niemand Nutzen zieht. Auch ein
Krieg kann „nützlich" sein, z. B. zur Ver-
besserung der Handelsbilanz eines Staates.
Woher aber das Recht käme, Tausende von
Menschen für solchen Nutzen der anderen zu
opfern, ihr Glück und Leben zu vernichten,
ist eine andere Frage. Sie erinnert an ein
schon öfters behandeltes Thema : Gewagte
wissenschaftliche Versuche an lebenden
Menschen zum Nutzen für andere. Nur daß
solche Versuche ganz unvergleichbar harm-
loser sind. Aber wie sagt Schopen-
hauer? „Mancher Mensch wäre imstande,
einen anderen totzuschlagen, bloß um mit
dessen Fette sich die Stiefel zu schmieren"
(„Ueber das Fundament der Moral", 2. Auf-
lage, 1860, S. 198). Und nach so mancher
jüngst gelesenen Zeitungsäußerung wäre ich
nicht einmal besonders verwundert, der Aus-
führung zu begegnen: Blut ist ein vorzüg-
liches Düngemittel; es ist deshalb im Inter-
esse der Landwirtschaft und des natio-
nalen Wohlstandes, für möglichst viele und
große Schlachtfelder zu sorgen.
Noch ist ja nicht aller Nächte Morgen
angebrochen.
In aller Gedächtnis sind noch die letzten
großen Kriege.
Aus dem serbisch-türkischen Feldzuge
meldete das „Neue Wiener Abendblatt" vom
23. 10. 1912: „Die Verluste der Serben sind
außerordentlich groß, werden aber noch von
den türkischen übertroffen." Der „Arbeiter-
wille" (Graz) vom' 10. 11. 1912 teüte mit,
daß die Schlacht bei Lüle Burgas 55 000
Tote und Verwundete, nämlich 15 000 bei
den Bulgaren, 40 000 bei den Türken kostete.
Dem „Grazer Tagblatt" vom 20. 11. 1912
zufolge hatte bis zu diesem Tage Bulgarien
Verluste von 40 000 Mann, die vor dem 1
Feinde blieben, und 60000 Verwundeten, die
in den Spitälern lagen. Dasselbe Blatt mel-
dete am' 10. 12. 1912: „Aus Sofia wird ge-
drahtet : Nach den den Ministerien vorliegen-
den Verlustlisten der /vier Oberkommandos
sind bis 1. Dezember 143 000 Mann der ver-
bündeten Balkanheere gefallen."
Im „Neuen Wiener Abendblatt" vom
29. 10. 1912 aber stand zu lesen: ;„Heute
werden sechsi Waggons Petroleum nach
Kumanowa abgesandt, damit dort die Un-
menge von Toten verbrannt werden kann,
die schon in Verwesung übergehen und die
Atmosphäre verpesten."
Dies sind nur einige Proben aus der täg-
lichen Zeitungslektüre. Laut „Vierteljahrs-
hefte für Truppenführung und Heereskunde"
(V/1, Berlin 1908) sind die Verluste durch
die Waffen im! japanisch-russischen Kriege
1904/05: Gesamtverluste 130 500 Russen,
146 200 Japaner. Auf einzelne Schlachten und
die Belagerung von Port Arthur treffen fol-
gende Ziffern :
Ort
Datum
Zahl der
Kämpfer
Kintschou
25.-26. 6. 04
Wafangou
14.— 15. 6. 04
Liaojan
29. 8.-5. 9. 04
Port Arthur
Bade6.04— 2.1.0Ö
Sandepu
26.-29. 1. 05
Mukden
22. 2.— 11. 3. 05
Russen :
Japaner:
Russen:
Japaner:
Russen:
Japaner:
Russen:
Japaner:
Russen:
Japaner :
Russen:
Japaner:
Tote und
Verwundete
13000
900
40000
4300
36000
2600
36000
1200
210000
45000
145000
16000
62000
30000
100000
55000
90000
10400
65000
7000
310000
70000
300000
40000
%
7
7
91»
21
11
48,5
55
11,5
11
22,6
14
Einzelne Truppenteile aber hatten noch
viel höhere perzentuelle Verluste. So die
japanische Brigade Nambu an einem ein-
zigen Schlachttage bei Mukden 90 o/o ihrer
Leute.
Nach vielen Tausenden zählen außerdem
die Opfer der Seuchen. „Es ist eine be-
kannte Tatsache, daß im Kriege die Ver-
luste, welche durch Infektionskrankheiten
bedingt sind, diejenigen durch Waffen weit
übertreffen", konstatiert*) Professor Doktor
R. Kraus irni „Neuen Wiener Tagblatt"
vom 1.1. 1913. Bis Mitte Januar 1913 soll das
bulgarische Heer auf dem Kriegsschau-
platze mehr als 20 000 Mann durch Cholera
verloren haben.
Dazu rechne man das ganze unsagbare
Elend der von Haus und Scholle unschuldig
Verjagten, die sich — ebenso wie die
martervoll hinsiechenden Verwundeten und
Kranken — umsonst fragen, womit sie dies
Los wohl verdient haben. „Ueberall ver-
härmte, verweinte Gesichter", wie es so ein-
fach und erschütternd in einem Berichte des
Graz er „Arbeiterwille" vom 19. 11. 1912
heißt.
Bei solchen Berichten denke man jener
Autoren — man sehe ihre Namen in meinem
*) In den Feldzügen 1870/71 und 1904/5
war übrigens laut „Vierteljahrshefte für Truppen-
führung und Heereskunde" (V/1, Berlin 1908,
S. 166) das Verhältnis umgekehrt.
52
@=
DIE FßlEDEN5-^ARTE
oben erwähnten Buche § 18 nach — , die
die Strafbarkeit der Fruchtabtreibung in
der Gefährdung des Nachwuchses, in der Ge-
fährdung des „ planmäßigen Kulturlebens"
sehen wollen.
Kulturleben ! Wie sagte doch der „Ar-
beiterwille" (Graz, 2. 11. 1912) so richtig:
..Der moderne Krieg versetzt die von ihm
Betroffenen in einen Massenwahnsinn, für
dessen Furchtbarkeit man vergebens nach
einem Vergleich sucht. Ein normales Ge-
hirn kann es unmöglich mit der Vernunft
vereinbarlich finden, wenn Hunderttausende
von Menschen einander gegenüberstehen,
von dem einzigen Bestreben erfüllt, ein-
ander hinzumorden. Kann man von Vernunft
und menschlicher Kultur noch sprechen, wenn
Tag für Tag Berichte über die Abschlach-
tung Tausender von Menschen einlaufen,
ohne daß die gesamte Menschheit vor Ent-
setzen aufschreit ? Kann von menschlicher
Kultur die Rede sein, wenn die friedliche
Bevölkerung großer Städte und zahlloser
Dörfer, die notdürftigsten Habseligkeiten mit-
schleppend, in hastender Flucht die heimat-
liche Scholle verlassen muß, um den Schrecken
des Krieges zu erteilen; wenn Ungezählte,
vor namenlosem Elend flüchtend, einem
dunklen Schicksal entgegengehen, von dem
nur das eine sicher ist, daß es nicht minder
namenloses Elend in seinem Schöße birgt ?"
Aber nein ! Von menschlicher Kultur wird
zwar allenthalben viel und laut ge — sprochen;
doch es fällt der Menschheit gar nicht ein,
vor Entsetzen aufzuschreien, wenn sie alle
die Kriegsgreuel hört.
Wenn bei einer Revolte, wie gewöhn-
lich (siehe schon die: „dames de la halle"),
Weiber sich am rohesten benehmen, gegen
die Wache oder das Militär Steine werfen
usw., und der Kommandant endlich not-
gedrungen seiner Mannschaft den Befehl zum
Vorgehen mit der Waffe gibt, dann ist das!
Geschrei der „Kulturwelt" groß über den
Frevel, daß „sogar schwache Frauen nicht
geschont" wurden. Ob wohl der schuldlos
vor die Kanonen gezwungene Mann gegen
Schrapnells weniger schwach ist?
Und noch in Kriegszeiten melden die
Zeitungen von „grauenhaften Unglücks-
fällen", wenn irgendwo infolge eines Auto-
Unfalles oder dergleichen zwei oder drei
Menschen verletzt werden, während z. B. am
16. 11. 1912 eine ganze Reihe von Blättern
mit förmlich behaglichem Hohne meldeten,
daß bei einer wenig „erfolgreichen tür-
kischen Beschießung eines bulgarischen
Lagers auch „eine Anzahl Bulgaren getötet
worden" seien.
Aber nicht nur das. Wie sorgten ihrer-
seits die Staaten für ihre Kinder, die sie
vor die feindlichen Geschosse zwangen ? Wie
stand es mit der Fürsorge für die gewiß
nicht durch ihre Schuld und mit ihrem freien
Willen Verwundeten ?
Ueber die Schlacht bei Lüle Burgas z. B.
schrieb der Berichterstatter des „ Daily
Telegraph" am Tage nach dieser: „Man
begab sich in eine der grössten Schlachten
der Neuzeit unter diesen Verhältnissen mit
frevelhafter Außerachtlassung der Folgen.
Die Opfer wurden zur Schlachtbank geführt,
ohne daß man die geringsten Vorbereitungen
zur Rettung der Verwundeten gemacht hatte.
Es gab nicht eine Feldverbandstation, nicht
ein Feldspital wurde errichtet, und die we-
nigen Aerzte an der Front waren aller not-
wendigen Dinge entblößt und mußten zu-
sehen, ohne einen Finger rühren zu können,
wie Tausende der Verwundeten dem' Tode
geweiht wurden, die sonst hätten gerettet
werden können."
Das „Grazer Tagblatt" vom 22. 11. 1912
veröffentlichte eine Zuschrift, der ich fol-
gende Stelle entnehme : „Wiederholt und
nachdrücklich muß ich betonen, daß die
Verwundeten in einem geradezu bejammerns-
werten Zustande eintreffen .... Auch merkt
man, daß die bulgarischen Offiziere die ihnen
unterstellten Mannschaften, wie aus den Be-
richten und Aeußerungen der gewiß nicht
feigen verwundeten Soldaten hervorgeht,
häufig in der schonungslosesten Weise auf-
opfern, um nur für ihren Teil irgendeinen
Augenblickserfolg melden zu können, der
dann später preisgegeben werden muß."
Kulturleben ! In anderer Beziehung frei-
lich sorgten die kriegführenden Staaten schon
für das, was die Ordnung verlangt.
Betreffs der Zurückgebliebenen meldete
der Korrespondent des „Grazer Tagblatt"
diesem zum 20. 11. 1912: „Die Mütter dürfen
jetzt, wo ihr 17 jähriger Sohn, die Gattinnen
und Kinder, denen der bereits altersschwach
werdende fünfzigjährige Vater entrissen und
auf die Schlachtbank geführt wird, öffentlich
keine Tränen vergießen, da in diesem Falle
Geldstrafe oder 25 Stockprügel drohen."
Ist gegen alles das nicht das Zucht-
haus ein ruhiges Elysium ? Und ist ein
solches „planmäßiges Kulturleben" — man
entsinne sich, daß speziell dieser Krieg
unter marktschreierischer Berufung auf christ-
liche Kultur eröffnet wurde — es wirklich
wert, auch nur durch eine einzige Geburt
gefördert zu werden ?
Und nun knüpfen wir wieder bei . du
Moriez an : Um dieses schöne Resultat zu
erreichen, sollen Menschen verpflichtet sein,
Kinder zur Welt zu bringen. Wer es nicht
tut, der zeigt nach Montier („De l'avor-
tement criminel", 1894, S. 17) „une pro-
fondeur d'immoralite et une absence de con-
science, qui eronne et d^courage". Ich frage
im Gegenteil: Ist nicht der Gedanke, der
fühlenden Menschen die Idee zumuten will,
zur besseren Ermöglichung solcher Massen-
greuel schuldlose Wesen nicht nur her-
zugeben, sondern sogar erst in die Welt zu
setzen und das Glück ihrer Familie zu opfern,
53
DIE FRIEDENS -WARTE
3
von einer geradezu unfaßbaren Ruchlosig-
keit? Man wird gewiß in späteren Zeiten auf
solche Anschauungen und unsere heutige
„Sittlichkeit" ebenso verständnislos herunter-
schauen, wie wir auf die Weisheit der Hexen-
verfolger.
Dieses Wort „unsere" bezieht sich selbst-
verständlich nicht auf Oesterreich und
Deutschland und jene anderen Staaten,
die sich infolge des energischen Willens ihrer
Herrscher mit ihren militärischen Macht-
mitteln als feste Bollwerke des Friedens er-
wiesen haben.
Was für eine unfaßbare Konsequenz darin
liegt, je nach Bedarf die Elternliebe zu ver-
herrlichen und dann wieder Zumutungen wie
die obigen an eben jene verherrlichten Eltern
zu stellen, darüber sind wohl besondere Aus-
führungen überflüssig.
Aber die Idee! Die Idee des großen,
mächtigen Vaterlandes! höre ich einwenden.
Der Begriff des Einzelnen tritt zurück hinter
den Begriff der Gesamtheit. Was! will das
Glück des Einzelnen gegenüber dem Ruhme
des Vaterlandes !
Gewiß, diese Idee hat ihren Zauber. Wobei
ich übrigens die Begriffe „Glück" und „Ruhm"
nach ihrem inneren Gehalt nicht miteinander
vergleichen und ebensowenig die Beziehungen
vonEinzelmensch, Gesellschaft und Staat zu-
einander untersuchen will, du Moriez leugnet
(S. 103) den Unterschied zwischen Staat und
Gesellschaft. Ich verweise diesbezüglich auf
§ 18 meiner Arbeit. Jedenfalls geht es nicht
an, in einem von Menschen gebildeten Staate
eben diese Menschen nur als Mittel für die
Zwecke dies Staates zu betrachten.
Andrerseits sollte man beim Aufschwünge
vom Egoismus nicht auf dem halben Wege
stehen bleiben.
Wer nur das Interesse seines armseligen
„Ich" als entscheidend ansieht, den nennen
wir verächtlich einen Egoisten. Wer einen
Schritt nach oben macht, aber doch noch
immer das Wohl seiner Familie dem der All-
gemeinheit ungebührlich vorsetzt, dem legen
wir Nepotismus zur Last. (Die Sorge bloß
um die Mitglieder der alten Stammes verbände
erscheint uns heute als überlebt.) Wer noch
höher steigt, aber bei der Sorge um seine
engste Heimat stehen bleibt, für den haben
wir das Spottwort „L okalpatr io t". Mit
ähnlichen Gefühlen betrachten wir den, der
etwa im großen Reiche nur für die Provinz
fühlt, die ihn geboren hat. Auch wer nur
den einen Weltteil gelten lassen will, der ihn
hervorbrachte, würde uns als in seinen Be-
griffen beengt erscheinen. Aber ausgerechnet
der, der neben seinem Vaterland jedes andere
Land und dessen Bewohner verachtet, soll
das richtige und allein ehrenwerte Empfinden
haben . . .
Ich wäre wohl der letzte, der die Liebe
zum Vaterhaus, zur Heimat, zum Vaterland
herabsetzen wollte. Das Vaterland groß und
glücklich zu machen, ist die Lebensarbeit der
Tüchtigsten wert. Aber ich sehe nicht ein,
weshalb meine Liebe zu den Mitmenschen
(unter „Vaterland" ist doch sicher nicht nur
eine Bodenfläche mit totem Zugehör zu ver-
stehen), mein Mitleid mit den Leidenden, an
den Grenzen meines Vaterlandes haltmachen
und nicht zur Allgemeinheit fortschreiten
sollten. Sie lassen sich das einfach nicht ge-
bieten. Fühle ich warm für meine Mitmenschen
i m Vaterlande, so können mir jene nicht
gleichgültig sein, die außerhalb desselben
leben.
Ist es ein Beweis von Kultur oder von
Brutalität, lärmende Freudenfeste zu ver-
anstalten zur Feier des Ereignisses, daß auf
Seite der Gegner Tausende von schuldlosen
blühenden Menschen — zum Teil unter
schweren Qualen — getötet, zu siechen
Krüppeln gemacht, ihre Angehörigen in
Jammer und Elend gestürzt wurden? Und
ist es nicht eine doppelte Blasphemie, mit dem
Rufe „für Gott" das Schwert zu ziehen?
Nach diesen Betrachtungen ist es gewiß
entbehrlich, noch davon zu sprechen, daß
auch dem Einzelmenschen eine gewisse Frei-
heitssphäre zustehen muß (vgl. darüber S. 43
meiner „Kriminellen Fruchtabtreibung") und
daß die Begründung der du Moriezschen An-
sichten durch den Satz: „si vis pacem, para
bellum" doch wohl eine von recht weit her-
geholte wäre. Abgesehen davon, daß die
großen Rüstungen an sich allein (siehe
oben) den Frieden gar nicht sichern,
wie Alfred H. Fried („Der Weg
zum Weltfrieden 1912", S. o) gezeigt hat.
Abgesehen ferner davon, daß die Beurteilung
von Taten wie Tötung und Abtreibung seitens
der Kulturwelt unmöglich nach der geogra-
phischen Lage des Begehungsortes grund-
sätzlich verschieden sein kann.
Der dritte Teil von du Moriez' Buch 1 be-
handelt l'avortement thörapeutique. Da meiner
oben mehrfach erwähnten Arbeit noch be-
sondere Ausführungen über dieses Spezial-
thema folgen sollen, so darf ich wohl die
Stellungnahme zu du Moriez' darauf bezüg-
lichen Ansichten bis zu ihrer Herausgabe
verschieben.
Ein offener Brief an die Kriegs-
und Friedensgesellschaft an der
Universität Cambridge*).
Von Norman Angell, London.
Sämtliche Fragen über den Einfluß, den
militärische Macht zugunsten sozialer und wirt-
*) Studenten an der Universität Cambridge
haben die „Cambridge University War and
Peace Society" begründet, mit dem Zweck,
„die überraschenden volkswirtschaftlichen Tat-
sachen zu erforschen, auf die Normann Angell
in seinem Buch ,Die große Täuschung* auf-
merksam gemacht hat".
54
«s:
DIE PRI EDENS -VS/WTE
schaftlicher Vorteile ausüben konnte, über das
Ausmaß, in welchem die allgemeine Wohl-
fahrt einer Gruppe durch militärische Be-
herrschung einer anderen gefördert werden
kann, oder darüber, wieweit das Ineinander-
greifen von Interessen gebietenden Nutzen und
•die Wirksamkeit einer solchen Herrschaft ver-
hindert, alle diese Fragen verlangen infolge
der Entwicklung innerhalb der letzten dreißig
bis vierzig Jahre eine Neubeantwortung.
Die gegenwärtige politische und volkswirt-
schaftliche Literatur verwendet nicht nur auf
internationalen Verhältnissen, die zu bestehen
aufgehört haben, beruhende Ausdrücke, son-
dern die solcher Literatur zugrunde liegenden
Gedanken verkennen wichtige Tatsachen, die
sich in unserer Zeit entwickelt haben. Wenn
man eine moderne Durchschnittsbehandlung
einer Frage der Weltpolitik — sei es in einem
Leitartikel der „Times" oder einem Aufsatz
in der Quaxterly Review, oder in einem Buch
über diesen Gegenstand, deren Wert irgend-
wie anerkannt ist, mit entsprechenden Ab-
handlungen aus dem achtzehnten Jahrhundert
vergleicht, so wird man finden, daß die Aus-
drücke und die Grundgedanken beider voll-
ständig gleich sind; daraus ergibt sich,
selbstverständlich, daß der moderne Verfasser
annimmt die Tatsachen, welche der Frage
zugrunde liegen, hätten sich nicht verändert.
Und doch haben sie sich so verändert, daß
allgemein anerkante Grundsätze des achtzehn-
ten Jahrhundert im zwanzigsten Jahrhundert
Unsinn sind.
Man greife zum Beispiel folgende allge-
mein herrschende Ansichten heraus :
1. Daß ein erobertes Land den Reichtum
des siegreichen Volkes vermehrt; daß
dieses es „besitzt", so wie eine Person
oder eine Vereinigung ein Grundstück
besitzt ;
2. daß ein Volk sich durch seine Militär-
macht anderen Völkern gegenüber wirt-
schaftliche Vorteile zusichern könne;
3. daß Völker volkswirtschaftliche Ein-
heiten sind — „konkurrierende Geschäf ts-
firmen' T wie sie ein bedeutender militä-
rischer Gewährsmann unlängst nannte;
und. beweise ihre Richtigkeit durch folgende
Tatsachen :
1. Daß das Vermögen in einem eroberten
Lande immer in Händen der Einwohner bleibt ;
besondere Steuern oder Tribut ist eine Erfin-
dung der Römerzeit und des Mittelalters unet
bei unseren heutigen Verwaltungsmethoden
immer schwieriger anzuwenden und immer
weniger erträglich;
2. daß die wirtschaftlichen Verhältnisse
in den kleinen Staaten (z. B. Schweden,
Holland, Belgien, Schweiz) gerade so gut sind,
wie in den Staaten, die eine große Militärmacht
besitzen (z. B. Rußland, Deutschland, Oester-
reich). Daß die meisten großen Staaten mit
Ländern Handel treiben, die sie politisch nicht
beherrschen. England treibt doppelt so viel
Handel mit fremden Ländern^ als mit seinen
Kolonien (die es nicht beherrscht^; die un-
geneure Ausdehnung des deutschen Handels
besonders in Rußland., den Vereinigten Staaten
und Süd-Amerika ist nicht der deutschen Mi-
litärmacht zu verdanken.
3. Die großen industrietreibenden Völker
sind keine wirtschaftlichen Einheiten ; der inter-
nationale Handel bewegt sich nicht zwischen
Verbänden, die als; „England", „Deutschland'*
usw. bekannt sind, sondern er ist ein ver-
wickelter Vorgang, der sich unendlich auf ein-
zelne Individuen aufteilt. Ein Eisenindustrieller
in Birmingham verkauft seine Maschinen an
einen brasilianischen Kaffeepflanzer, der sie
deshalb kaufen kann weil er seinen Kaffee
an einen Kaufmann in Havre verkauft; der
seinerseits verkauft ihn in eine westfälische
Stadt, die Eisenschienen für Sibirien erzeugt;
diese werden dort gekauft, weil sibirische
Bauern für den Bedarf in Lancashire Weizen
bauen, wo wiederum Baumwollwaren für indi-
sche Kuli erzeugt werden, die für australische
Schaffarmer Tee pflanzen; diese können ihn
kaufen, da sie Wolle an einen Kaufmann in
Bradford verkaufen, der sie verarbeitet, weil
er sein Petroleum bei den Automobilbesitzern
in Berlin an den Mann bringt. Wie kann
ein derartiger Vorgang, der für den modernen
internationalen Handel typisch ist, als Kon-
kurrenz feindlicher Verbände wie England,
Frankreich, Brasilien und Rußland aufge-
faßt werden?
Während aber das durch dieses Beispiel
angedeutete gegenseitige Abhängigkeitsverhält-
nis seit einem Jahrhundert ein Gemeinplatz
der theoretischen Volkswirtschaftslehre ist,
greift es erst seit kurzem wesentlich in die inter-
nationale Staatskunst ein.
Vor vierzig Jahren konnten es alle Staats-
männer, außer denen von England vielleicht,
ungestraft außer acht lassen. Zur Zeit des
Deutsch-Französischen Krieges genügte sich
Deutschland selbst. Bismarck wünschte Frank-
reich als Faktor aus der europäischen Volks-
wirtschaft verschwunden zu sehen. Wäre sein
Wunsch in Erfüllung gegangen, so hätte das
damalige Deutschland kaum gelitten: aber
den wirtschaftlichen Aufschwung des modernen
Deutschland hätte er unmöglich gemacht. Dem)
dieser Aufschwung ist in großem Ausmaße
der Entwicklung von Ländern wie Rußland
und Süd- Amerika zu verdanken; diese Ent-
wicklung wurde größtenteils durch franzö-
sisches Geld erreicht, weil Frankreich, da es
nicht für eine sich vermehrende Bevölkerung
zu sorgen hat, Geld für auswärtige Anlagen
frei hat, während man es anderswo für die
Erziehung der Kinder und ihre Ausstattung
im Leben braucht. Aber geradeso wie die
Politik der deutschen Staatsmänner, wäre sie
in Erfüllung gegangen, für die Wohlfahrt des
eigenen Landes verderblich gewesen wäre,
so mußten die französischen Staatsmänner ihre
Bestrebungen durch die Macht von Tatsachen,
DIE FRIEDENS -^MfißTE
[§>
die sie richtig einzuschätzen versäumten, zu-
nichte gemacnt sehen. Die französische Politik
suchte nach dem Kriege Rußland zu stärken,
um ein Gegengewicht gegen Deutschlands Ein-
fluß zu schaffen, und begünstigte daher die
Anlage französischen Geldes in Rußland. Dies
hatte aber folgendes Ergebnis : der deutsche
Handel stieg dort von 15 auf 45'%. Deutsch-
land beherrscht Rußland kommerziell dank des
französischen Geldes.
Dieselben Tatsachen hatten vor kurzem
unmittelbaren Einfluß aui ünglands auswärtige
Politik. Sie bestimmten wahrscheinlich die
Handlungsweise derjenigen Macht, mit der es
im Sommer 1911 zufällig in Gegensätze ge-
riet. Daß die Abhängigkeit der deutschen
Industrie von der allgemeinen finanziellen
Sicherheit Europas, der Umstand nämlich, daß
große Störungen im Kreditwesen sie bis auf
ihre Grundlagen erschüttern würden, Deutsch-
lands Politik im 1 August 1911 sehr stark be-
stimmten, ist gewiß ; daß sie der entscheidende
Faktor war, ist wahrscheinlich, ■ — weil die
durch die Störung bedrohten Interessen un-
geheuer wichtiger waren, als die, welche durch
sie gefördert werden sollten. Auch hier ist
wichtig zu bemerken, daß die deutschen Staats-
männer die tatsächliche Lage nicht von selbst
erkannt hätten; es brauchte die unmittelbare
Vermittlung von Führern der deutschen Fi-
nanz, damit der deutsche Minister des Aus-
wärtigen das Ausmaß der bedrohten Inter-
essen voll würdigen konnte.
Die Bedeutung einer derartigen Tatsache
liegt nicht darin, daß die Politik irgendeines
Ministers oder eines Landes versagte, sondern
daß die Mißverständnisse, die nicht nur einem
Lande, sondern ganz Europa eine schwere Last
auferlegten, nur durch diese Unwissenheit
entstanden sind; daß eine endgültige Lösung
der wichtigsten und dringlichsten Probleme
unserer Zeit oder auch bloß ein Schritt zur
Besserung dieser allgemeinen Verhältnisse
nicht möglich ist, solange man in Europa die
einschlägigen Tatsachen nicht besser kennt
als bisher.
So wird zum Beispiel allgemein zuge-
geben, daß eine große Gefahr eines
Zwistes zwischen England und Deutschland
besteht, der nicht auf einem tatsächlichen
Interessenwiderstreit zurückgeht, sondern auf
allgemeines Mißtrauen und Mißverständnis,
auf gegenseitige Unkenntnis dessen, was eines
oder das andere der beiden Länder zu unter-
nehmen vorhat, wobei ein jedes dem anderen
Absichten zuschreibt, deren Ausführung selbst
bei oberflächlicher Prüfung töricht oder nutz-
los wäre.
Was für Quellen stehen jemandem zu Ge-
bote, der die Verhältnisse von Volk zu Volk
zum Zwecke wissenschaftlicher Darstellung und
richtigen Erklärung der durch sie bedingten
Folgen — etwa ähnlich wie der vorhin ange-
deuteten — studieren will.
Gegenwärtig wird ein systematisches Stu-
dium dieser Entwicklungsstufe der internatio-
nalen Verhältnisse nicht betrieben. Ein Stu-
dium dieser Art kann am besten durch ein
Zusammenarbeiten in Vereinigungen, wie die
C. U. W. and P. S. bewirkt werden. Ein der-
artiger Verein sollte Leute von möglichst ver-
schiedenen Ansichten umfassen, — geradeso-
viel solche, die sich besonders für die Kriegs-
kunst interessieren als solche, deren Interesse
mehr der Einfluß dieser Dinge auf den Fort-
schritt der menschlichen Gesellschaft bean-
sprucht. Wenn der Verein eine gewisse Zahl
von Feinden der Friedensbewegung umfaßt,
so ist es um so besser. Sie werden durch ihre
Fragestellung die Forschungen der übrigen
anregen, während sie ihrerseits für ein besseres
Verständnis von Tatsachen, die selbst vom
rein militärischen Standpunkt nicht mehr
länger vernachlässigt werden können, gewiß
Nutzen ziehen werden. Denn für einen Sol-
daten ist es nicht nur wichtig zu wissen, in-
wieweit ein Staat seine Zwecke durch Militär-
macht erreichen kann, sondern die angedeu-
teten Probleme stehen in engem Verhältnis
zu den Einzelheiten der Ausnützung der Militär-
macht als Mittel zum Zweck und bilden so
einen wichtigen Teil seiner Studien der Kriegs-
führung.
Die Aufmerksamkeit könnte vorerst
etwa auf folgende eng umgrenzte Punkte
gelenkt werden :
1. Inwieweit sind der moderne Besitz
und Handel durch die Entwicklung des
Kreditwesens und die dadurch bedingte
gegenseitige Abhängigkeit der volkswirt-
schaftlichen Mittelpunkte durch militärische
Eroberungen nicht antastbar ?
2. In welchem Ausmaße hindert die
größere Kompliziertheit des modernen in-
dustriellen Lebens die Anwendung des Heeres-
mechanismus oder macht ihn überhaupt un-
möglich ? (z. B. könnten Staaten wie Deutsch-
land ihre industrielle Bevölkerung eine
längere Zeit nach einer allgemeinen Mobili-
sierung, der Unterbrechung der Verkehrs-
mittel und der Unordnung im Kreditwesen
ernähren ?)
3. In welchem Ausmaße bedingen diese
Faktoren die Nutzlosigkeit der Anwendung
der Militärmacht zu handelspolitischen
Zwecken; und was lehrt der Wohlstand der
kleineren Staaten für das Verhältnis der
Militärmacht und des militärischen Ansehens
zu wirtschaftlichen Vorteilen ?
4. Inwieweit hat die Entwicklung einer
billigen Presse und anderer Propaganda- und
Agitationsmittel der lokalen Selbstverwaltung
so große Kraft gegeben, daß militärischer
Zwang auf anderen als wirtschaftlichen Ge-
bieten unmöglich wurde ? (z. B. welche
Lehren sind aus der Verleihung einer Ver-
fassung an Elsaß-Lothringen und dem un-
längst erfolgten Zusammenbruch des ko-
lonialen Steuersystems Frankreichs zu
ziehen).
<EF=E
E DIE FRI EDENS -^&RXE
Es ist zu hoffen, daß derartige Krieg-
und Friedensgesellschaften dereinst durch
allgemeinen Gedankenaustausch mit ähn-
lichen Vereinen im Ausland Hervorragendes
leisten werden. Wenn die Bewegung stark
genug geworden ist, so daß eine Berech-
tigung dazu gegeben erscheint, werden Ab-
stimmungen unter Studenten an verschie-
denen Orten vorgenommen werden, um zu
sehen, wie weit einzelne der erwähnten Folge-
rungen von der öffentlichen Meinung gut-
geheißen werden.
Was aber auch immer unsere Folge-
rungen sein mögen, die Tatsachen verdienen
mehr Studium, als man ihnen für gewöhnlich
widmet. Solche Studien zu mißbilligen, heißt
behaupten, daß in einem der schwierigsten
Probleme unserer Zivilisation Unkenntnis
und Vorurteile bessere Führer sind, als Er-
kenntnis und Wissen.
Paul Scheerbart.
Von Erich Mühsam, München.
Für jenen wahren Humor, der ohne Bitter-
keit und ohne Kalauerei lediglich aus dem
heiteren Beschauen der Dinge entsteht, ist
unserer Zeit der Sinn abhanden gekommen.
Der größte deutsche Humorist, Jean Paul,
wird heutzutage langweilig und ungenießbar
gefunden, und der einzige lebende deutsche
Humorist, Paul (Scheerbart, der im Januar
50 Jahre alt geworden ist und bisher etwa
30 köstliche Bände veröffentlicht hat, ist der
.großen Mehrzahl seiner selbst literarisch inter-
essierten Zeitgenossen völlig unbekannt.
Ich möchte den Dichter an dieser Stelle
-als den lachenden Verkünder der Selbstver-
ständlichkeit des Friedens unter den Völkern
vorstellen. Das ist ein Moment in seinen
Werken, das immer wiederkehrt, in immer
neuer Form und neuem Zusammenhang, aber
immer nur als Komponente einer in sich
völlig geschlossenen, sehr großzügigen und
eigenartigen Weltanschauung.
Scheerbarts Philosophie ist kurz diese:
Alles Irdische, Diesseitige, Abgegrenzte ist un-
geheuer nichtig, unwesentlich und gleich-
gültig gegenüber der Herrlichkeit der kos-
mischen Welt. Wer sich Bürger des unend-
lichen Alls weiß, der ist mit seiner Phan-
tasie viel zu sehr beschäftigt, um die Dinge
der Erde anders als mit lustiger Ueberlegen-
heit zu betrachten. Die unendlichen Möglich-
keiten, die in der außerirdischen Welt liegen,
sind die der Menschen würdigste Gedstes-
besebäftigung. Die kleinen Angelegenheiten
unserer Körper, der Beziehungen der Men-
schen zueinander und unserer Erhaltungsinter-
essen verlohnen nicht der Feierlichkeit, mit
•der sie gewöhnlich behandelt werden.
Scheerbart geht denn auch in seinen
meisten Büchern auf Streifzüge in die Regio-
nen des unbekannten Weltalls. Mit dem wunder-
vollen unbekümmerten Humor, der ihn aus-
zeichnet, schildert er die Lebewesen fremder
Gestirne, und indem er z. B. die Einrich-
tungen auf dem Jupiter beschreibt, verulkt er
zugleich die Kümmerlichkeiten der Erdbe-
wohner. Lächerlich ist ihm 1 in seiner phan-
tastischen Seelenstimmung jede Erotik, un-
sagbar verächtlich aber und dumm kommt ihm
die Methode der Menschen vor, sich mit
Mordwaffen einander gegenüberzustellen und
sich gegenseitig abzuschlachten, abzuschießen
und mit allem möglichen Aufwand von satani-
scher Erfindungskraft hinzumorden.
Ganz ergreifend kommt diese Ansicht in
seinem Roman „Die große 'Revolution" (Insel-
verlag) zum Ausdruck, der unter Mondbe-
wohnern spielt. Die Mondleute studieren mit
ungeheuren Fernrohren das Leben und Ge-
schehen auf den übrigen Weltkörpern. Ihre
ganz besondere Aufmerksamkeit wenden sie
den Menschen auf der Erde zu. Aber die
widerwärtige Erscheinung, daß die Menschen
immer und immer wieder mordend gegen-
einander vorrücken, steigert bei den geistig
vorgeschrittenen ,'Mondbewohnern die Ver-
achtung gegen die Erdleute, und e9 entsteht
eine Bewegung, die den Boykott der Erde
anstrebt, den Plan nämlich, den großen Stern
Erde völlig zu ignorieren und die Fernrohr-
studien fernerhin nur auf die gesitteten übrigen
Sterne zu konzentrieren. Dagegen sträuben
sich aber die konservativeren Mondgeister, und
so ist die geistige Revolution auf dem Monde
ausgebrochen. Die äußert sich natürlich nicht
in Mord und Totschlag, sondern in Beratungen
und Uebereinkommen. Endlich soll eine
Wette entscheiden. Die Beobachtung der Erde
soll noch 2000 Jahre fortgesetzt werden:
Führen die Menschen dann immer noch
Kriege, dann sollen die Neuerer recht be-
halten, dann muß man an der Bildungs- und
Entwicklungsmöglichkeit der Erdbewohner ver-
zweifeln. Als dann die 2000 Jahre herum
sind, ist große Spannung bei den Mondleuten.
Sie suchen mit ihren Fernrohren die Erdober-
fläche ab, und schon glaubt die Erdpartei
die Wette gewonnen zu haben, und auch die
Weltpartei will sich schon freuen, weil der
Friede auf Erden nun herbeigekommen scheint,
da sieht man plötzlich von zwei Seiten Heere
mit Kanonen und allen möglichen Waffen
aufmarschieren. TJ)ie Erdpartei des Mondes
erklärt sich besiegt. Man sieht ein, *daB an
den Menschen Hopfen und Malz verloren ist
una wendet fortab alle Aufmerksamkeit dem
großen Weltall und den Gestirnen zu, auf
denen die Unvernunft der Erdbewohner keine
Stätte hat.
Hinweise auf die Absurdität des Krieges
finden sich bei Scheerbart fast in allen Werken,
und neuerdings hat er eine eigene, sehr ori-
ginelle Bekämpfung der Massenmorderei er-
funden, zu der ihm seine schrankenlose Phan-
tasie gute Dienste leistet. Er macht das in
der Form von Ratschlägen an die Krieg-
DIEFßlEDENS-^AQTE
[6>
führenden, wie sie am schnellsten und sicher-
sten möglichst viele Menschen auf einmal um-
bringen können. Mit scheinbarem Ernst und
mit einer Sachlichkeit, daß man Tränen lachen
kann, setzt er die vortreffliche Eignung der
Luftschiffe auseinander, um von dort aus mit
Sprengstoffen ganze Heere mit einem Schlage
bis auf den letzten Mann zu vernichten und
die kriegführenden Länder mit den billigsten
Mitteln so vollständig zu verwüsten, daß der
Friede für lange Zeit wieder gesichert sein
muß. Im Jahre 1909 veröffentlichte Scheer-
bart eine Broschüre (bei Oesterheld), deren
Verbreitung unter denen, die im Kriege einen
grotesken Wahnsinn erblicken, gar nicht ge-
nug empfohlen werden kann. Darin plädiert
der Dichter für die völlige Abschaffung der
Heere und Flotten, da die Flugtechnik bei
geeigneter Vervollkommnung durchaus 1 allein
imstande sein wird, jede ausdenkbare Vernich-
tungsarbeit zu verrichten. Der Titel des
Schriftchens heißt: „Die Entwicklung des
Luftmilitarismus und die Auflösung der euro-
päischen Landheere, Festungen und Seeflotten.
Eine Flugschrift". Der biedere Ernst, mit
dem Scheerbart da seine mörderischen Vor-
schläge macht, ist der gelungenste Hohn auf
die ganze unsinnige Kriegsstimmungsmachered,
die uns Zeitgenossen des zwanzigsten Jahr-
hunderts immer noch in die Ohren tutet.
Ich habe mit diesem kurzen Hinweis auf
das Wirken Paul Scheerbarts zweierlei er-
reichen wollen: einmal wollte ich die Ver-
breitung künstlerisch .außerordentlich wert-
voller Bücher, die kein Mensch zu kennen
scheint, fördern (ich empfehle nicht nur die
erwähnten Schriften Scheerbarts, sondern alle
seine Bücher, in denen wahre Schätze des
Humors gespeichert sind). Zweitens wollte ich
dem Dichter selbst nützen, der dank der In-
dolenz seiner Mitmenschen heute noch 'in
quälender Not lebt, die ihn nur ein immer
wacher Humor und das Bewußtsein von der
Unendlichkeit des W r eltalls heiter lachend er-
tragen läßt.
Vom Anarchismus zum Gesetz!
(Die Diagnose eines europäischen Krieges.)
Von Wilhelm Lamszus.
Die Welt ist heute noch sehr mangelhaft
organisiert. So lange es noch Räubervölker
auf der Erde gibt, so lange es noch nach
den Grundsätzen des Anarchismus regierte
Staaten gibt — und zwar in unserer nächsten
Nähe — • so lange noch Kulturnationen ,es
nicht für unwürdig erachten, mit Rußland,
diesem schwer gestraften Land der Anarchisten
von Gottes Gnaden, Bündnisse abzuschließen,
sind wir in jedem Augenblick vom Krieg
bedroht.
Was also, wenn nun dieser unheilvolle
Krieg, den wir so weit wie möglich! wünschen,
trotz aller friedensliebenden Elogen, trotz aller
menschenbrüderlichen Demonstrationen, trotz
aller diplomatischen Entspannungen dennoch
eines Tages auf die Bühne tritt? Wenn es der
Weltgeschichte so gefällt, vor Blut und Eisen
Reverenz zu machen — was sollen wir dann
tun? Das Ideal der unentwegten Menschen-
liebe krampfhaft schwingen? Mit kategori-
schem Imperativ und allgemeinem Menschen-
tum statt mit Granaten unsere Kanonen laden,
und nachdem wir überzeugend nachgewiesen
haben, daß dieser neue Krieg menschliche
Maße übersteigt, den duldenden, den schönen
Philosophentod erleiden und in Entsagung
untergehn ?
Man hat mein „Menschenschlachthaus"
ein Produkt der Angst genannt. Ich gebe
gerne zu: Mein „Held", der da im Schreckens-
sturm zusammenbricht, das ist kein herz-
erfrischend anmutendes Bild. Und ich gebe
weiter zu: Ein Geschlecht, das einem Krieg
nicht mehr gewachsen ist, das ist dem Unter-
gang geweiht. Ich stelle mich ganz auf die
Seite derer, die da sagen: Und wäre dieser
Krieg noch zehnmal schrecklicher als er ist,
und wäre er das leibhaftige Inferno, wir
dürfen nicht vor ihm zusammenbrechen. Es
hilft nichts, reichen unsere Kräfte nicht, so
gibt es keine heiligere Pflicht, als sie zu
stärken, bis sie eben reichen. Denn wehrhaft
im Kampf ums Dasein müssen wir bleiben
um jeden Preis. Darum Abhärtung und
Rassenhebung! Ein starkes mannhaftes Ge-
schlecht, das ist die Sehnsucht jedes Patrioten
und ist die Hoffnung jedes echten Menschen-
freundes. Wer hätte wohl Lust zu einem Volk,
das so verfeinert und veredelt war, daß ihm
im Baßgesang der freiheitjauchzendeu Ge-
schütze die Nerven zerrissen? Wir müßten
nicht selber Draufgängerblut in den Adern
haben, um alle jene, die rückhaltlos für eine
gute Sache einzutreten wagen, die sich mit
Lust um einer großen Sache willen ver-
schwenden, anders als mit Wohlgefallen zu
betrachten. So ist es ja auch gar nicht wahr:
Ich habe nicht das Sterben an , sich, ich habe
nicht die physische Angst der Kreatur vor
Tod und Untergang gemalt — das wäre ein
unwürdiger Streich — ich hab', was wohl das
bitterste auf Erden ist, das hoffnungslose, leere
Sterben gemalt, das nicht mehr weiß, wozu es
stirbt. Ich hab den neuen Menschen in den neuen
Krieg marschieren lassen, den neuen Men-
schen, der nicht mehr glaubt, daß dieser Krieg-
notwendig war, den Menschen, der da fühlt r
daß seinem Vaterlande mehr gedient und mehr
geholfen war, wenn diese Hunderttausende
von Menschenleben nicht vergeudet würden.
Der allerdings, der kriegsungläubige Mensch,
muß in dem Blutgewitter seelisch ' zugrunde
gehen. Ist dieser Mensch Phantom, oder ist
er historisch wahr? Das ist die] große Frage
an das Schicksal, die wir dem Vaterland©
schuldig sind.
Diplomaten und ihre Auftraggeber, die von
Berufs wegen das europäische Gleichgewicht
58
<§=
DIE FRIEDEN5 -WARTE
zu überwachen haben, glauben noch immer
unverrückt an jenen bildschönen Menschen-
typus, der uns allen aus farbenprächtigen
Kriegsnovellen des vergangenen Jahrhunderts
und aus archaisierenden Geschichtslektionen
der Schule blendend hell herüberstrahlt, an
jene eichenlaubgeschmückten hurrarufenden
Heldensöhne, die nichts weiter tun, als zeit-
lebens darauf brennen, ihren begeisterten
Atem im Donner der Kanonen auszuhauchen.
Nun haben wir aber soeben das' größte
und vernichtendste Debacle erlebt, das die
diplomatische Mathematik seit langem zu ver-
zeichnen hat, und eine gehörige Skepsis gegen
die Richtigkeit der europäischen Schicksals-
rechnungen hat das europäische Gemüt er-
faßt. Wie, wenn auch diese nationale Völker-
psychologie, die den nächsten Krieg ent-
scheiden soll, auf Fehlern und auf Irrtümern
basiert, wenn auch hier, vom öffentlichen
Auge unbemerkt und ungesehen, Wandlungen
im stillen sich vollzogen haben, die zum Ver-
hängnis würden ? Wie, wenn auch dieser
völkisch leuchtende Idealmensch, der die
nächsten Völkerschlachten schlagen soll, im
Laufe der Zeiten zu emem historischen
Schatten abgeblaßt, zu einer konventionellen
Phrase zusammengeschrumpft wäre ? Zu
einer Phrase, die in dem nächsten Krieg zu-
sammenbräche ? Es bräche vieles, vieles
mit zusammen.
Soviel ist sicher, und nur politisch völlig
Erblindete tappen glückselig daran vorbei:
Die vier Jahrzehnte intensivster industrieller
Entwicklung, die nun seit dem letzten mittel-
europäischen Ringkampf verflossen sind,
haben nicht nur einen neuen fremdartigen
Krieg erzeugt, sie haben auch eine neue,
wesensandere Menschheit geschaffen, eine
Menschheit, die von neuen Idealen beseelt,
von neuen Impulsen getrieben wird. Das
heutige Geschlecht ist nicht mehr das Ge-
schlecht des 30 jährigen Krieges und auch
nicht das von 1870/71. Die Volksseele, nicht
nur die deutsche, sondern ebenso sehr die
französische und die englische, hat sich ge-
waltig differenziert. Und wie sich diese neue
Menschheitsseele in einem großen histo-
rischen Augenblick auswirken würde, das
weiß kein Mensch. Was dann geschehen
würde, wenn sich das Schicksal blind er-
erfüllen sollte, daß Europa über Nacht in
Brand geriete, weiß kein Gelehrter und kein
Diplomat, das weiß auch kein Kriegswissen-
schaftler — und dieser wahrscheinlich am
wenigsten, weil er von allen jenen der Volks-
seele am abgeklärtesten und am abstraktesten
gegenübersteht. Wie soll man sagen können,
wie Menschen mit eigenem Fühlen und
Denken in ihrer letzten Stunde sich be-
nehmen werden, wenn man gewohnt ist, in
ihnen kaum mehr als Exerziermaschinen zu
erblicken. Jede strategische Rechnung hat
als Grundlage die Zahl der Gewehre und Ge-
schütze. Mit. Menschen operiert sie wie mit
Nummern. Der Mensch ist weiter nichts als
ein mechanischer Kräftekomplex, der in die
Rechnung als ein äußerst gering innervie-
render Faktor eingesetzt wird.
Allerdings, daß das Menschenmaterial
weicher und biegsamer geworden ist als
früher, und daß es daher fraglich ist, ob
die Heere der Zukunft noch die großen Ver-
luste ertragen werden — von dieser formalen
Seite her haben die akademischen Strategen
das Problem 1 zu lösen versucht und — haben
das Fragezeichen stehen lassen.
Aber es gibt neben dieser formalen Seite
noch eine andere, bedeutungsschwerere, die
historisch-psychologische, die bisher kaum
gesehen, geschweige denn untersucht worden
ist. Man scheint ihr ängstlich aus dem Wege
zu gehen. Selbst der Staatsrat Bloch hat in
seiner glänzenden Theorie eines zukünftigen
Krieges die Psychologie des modernen euro-
päischen Soldaten nur flüchtig gestreift. Und
doch liegt hier — die Geschichte der ver-
gangenen Kriege lehrt es immer wieder —
der Schwerpunkt des Problems. Nicht die
Stückzahl der Geschütze und der Menschen,
die ältere oder modernere Konstruktion der
Waffen entscheidet letzthin, sondern der
Geist, der diese Waffen führt. Das haben
uns die deutschen Befreiungskriege, das
haben uns die Heere der französischen Re-
volution gezeigt, das hat uns die Welt-
geschichte soeben erst wieder am 1 Balkan blut-
triefend vorgeführt.
,, Krieg ist," sagt Byron, „wenn ihn das
Recht nicht heilig macht, bloß Hirnzerschmet-
tern und Luftröhrenschneiden." Und bei dieser
problematischen Beschäftigung des Hirnzer-
schmetterns und Luftröhrenschneidens würde
jedem normalen Menschen, der nicht als Lust-
mörder geboren wurde, bald der Appetit ver-
gehen, wenn ihn nicht jene seelische Hoch-
spannung ergriffe, die von jeher alle sieg-
reichen Völker über Blut und Leichen an das
verheißungsvolle Ziel getragen hat : Jene große
elementare Begeisterung, die dereinst aus
preußischen Monatskrümpern die besten Feld-
soldaten prägte, die aus zusammengelaufenen
Menschenhaufen unwiderstehliche Heere schuf.
Das starke „heilige Gefühl des Rechts", das
war die suggestive Kraft, das war das seelische
Aequivalent, das verbrauchte physische Kräfte
immer von neuem regenerierte. Muskeln und
Nerven wurden abgenutzt bis zur Erschöpfung^,
aber Schwung und Begeisterung rissen den
müden Leib empor und offenbarten grenzenlos
das uralte Geheimnis der Suggestion: Die
Macht der aufgewachten stürmenden Seele
über den zagenden todbangenden Leib. Sug-
gestionen ballten die Volkskräfte zu eherner
Leidenschaft zusammen und machten sich "Luft
in welthistorischen Explosionen.
Wie ist nun aber die seelische Verfassung
des europäischen Bürgers, der morgen in den
Krieg marschieren soll ? Wo ist das seelische
Aequivalent, das ihn regenerieren soll? Wo
5.9
DIE FßlEDEN5-^*\DTE
=§>
ist das heilige Gefühl des Rechts, das seine
skeptisch angehauchten Nerven entflammen
soll? Ein Blick in die Oktober- und November-
zeitungen aller Landesfarben vom preußischsten
Blau bis zum vaterlandslosesten Rot zeigt uns,
daß man weit weniger verklärt und rosenrot
den Krieg ansieht als in vergangenen Tagen.
Mit unheimlicher Kraft der Anschauung zogen
die Schreckensbilder des Balkankrieges vor
unseren Augen vorüber, klassische Darstellun-
gen wahrheitsgetreuer Schlachtenschilderung.
Und gerade die großen konservativen Zeitun-
gen, die sich das Vergnügen teurer Spezial-
korrespondenten leisten konnten, malten uns
die angeschossenen Menschen, die Tag und
Nacht im strömenden Regen ihre Wunden
wuschen, malten uns die Cholerakranken, die
in Krämpfen sich wanden, bis sie im Schmutz
krepieren mußten, so lebenswahr, so natura-
listisch körperhaft, daß wir den röchelnden
Atem zu vernehmen meinten und Grauen und
Empörung uns übermannten.
Man sollte all diesen sonst so kriegs-
lustigen Blättern, die uns so systematisch
zum Kriegsabscheu zu erziehen suchten, der
Reihe nach den Hochverratsprozeß machen,
das wäre nicht mehr als konsequent.
Und doch war dieser Balkankrieg mit
schien teilweise 30% Verlusten an Menschen-
material nur ein Kinderspiel. Weil sie nicht
mit ihren Maschinen umzugehen wußten,
kehrten sie wieder zum Handbetrieb zurück.
Was will nun dieser schlecht organisierte
Kleinbetrieb gegen jene europäische Groß-
schlächterei bedeuten, die mit technisch voll-
kommenen Spezialisten, die mit Dynamos und
Akkumulatoren arbeitet.
In diesem rasselnden Jahrhundert der
Maschinen gibt es auch auf dem Markt des
Sterbens weiter nichts als eine neue Branche
mehr: die Leichenindustrie.
Pas alles aber geht glatt in die
historische Entwicklung auf. Maschinen-
gewehre und ingeniöse Sprengvorrichtungen
gehören allerdings ins Zeitalter der Ma-
schinen. Man kann sie nicht verbieten und
aus purer Menschenfreundlichkeit und Poesie
zu Pike und Muskete retirieren. Die tech-
nische Entwicklung geht weiter ihren Gang
und erzeugt mit jedem Tage einen groß-
zügigeren, produktiveren, ergiebigeren Krieg.
Aber — nun kommt der erste Widerspruch
— der unmenschlichere, barbarischere Krieg
findet mit jedem Tage einen mensch-
licheren Menschen, denn, was den
Bürger des 20. Jahrhunderts vor dem des
19. auszeichnet, ist das größere Kultur-
bewußtsein. Wir brauchen nicht die Zahl
der Analphabeten von heute und vor 40 Jah-
ren zu vergleichen, wir brauchen nicht die
wachsende Zahl und Einrichtung der Schulen,
den ungeheuren Aufschwung des Presse-
wesens zu verfolgen, (wir brauchen keine
Kulturstatistiken zu studieren. Wir brauchen
nur einen Blick in jene weitverzweigten Volks-
60
Veranstaltungen zu werfen, in jene Volks-
konzerte und -theatervorstellungen, Volks-
bibliotheken und literarische Abende, die
Arbeiter aus eigenen Mitteln sich schufen.
Kunst und Kultur sind nicht mehr Dinge,
die man an großen Festtagen aus dem Glas-
schrank nimmt, um sie zum dankbaren Ob-
jekt schwungvoller Tischreden zu machen.
Humanität ist nicht wie früher ein holder,
ferner, nie erreichter Traum. Ach nein, Fata
morgana sieht nur der, der noch verloren
in der Wüste irrt. Die das Land der Mensch-
heit fanden, haben auch den Boden der
Wirklichkeit gefunden. Urnen ward Hu-
manität zu einem leidenschaftlichen, realen
Trieb. Er hat sich als der größte, unstill-
barste aller Triebe erwiesen. Nicht nur, daß
er die Siechenhäuser und Spitäler baute, daß
er mit Hygiene und Gesetz das bürgerliche
Leben schützte, sogar den Keim im Mutter-
leib mit Zuchthausstrafen schützt — er hat
weit Größeres vollbracht. Aus Millionen
Köpfen schuf er eine Menschheitsseele, aus
Millionen ,Sonderinteressen einen großen
Menschheitswillen. Volksstämme, die sich
dereinst zerfleischten, verbanden sich zu
Völkern, und Nationen, die sich demnächst
zerfleischen sollen, schicken sich an, zu
einem großen Brudervolk zu werden. Man
hat dereinst die deutschen Burschenschaftler,
die sich zu leidenschaftlich nach der deut-
schen Einheit sehnten, als Landesfeinde auf
die Festungen geschickt. Die deutsche
Einheit ist trotzdem gekommen. So wird auch
die Kultureinheit der Völker kommen trotz
allen offiziellen Rückwärtsblasens. Vom Ur-
menschen, der da den Gegner schlug, wo er
ihn fand, sind wir zu immer größeren und
festeren Kulturverbänden emporgestiegen und
werden weiter steigen. Wer das zu leugnen
wagt, der leugnet, daß es je Geschichte gab.
Es hilft hier nichts, wir stehen an der Wiege
eines neuen Menschen. Der morgen in den
Krieg marschieren soll, ist nicht mehr der
von 1870/71. Was ist das für ein Mensch?
Wenn man ihn schmähen will und de-
nunzieren, so nennt man ihn den internatio-
nalen Menschen und macht drei fff hinter
ihm. Das hindert aber nicht, daß man am
Sonntag, wenn man sich die Augen aus-
gewaschen hat, dann selber in die Kirche
geht und eben diesen selben internationalen
Menschenbruder von der Kanzel herab nach
allen Regeln der Homiletik sich warm ans
Christenherze legen läßt. Denn was macht
das Uebermenschentum des Nazareners aus ?
Daß er das Gleichnis von Alljuda predigte ?
Daß er nach möglichst vielen Legionen und
Kohorten schrie ? Daß er nur jene Seiner
Liebe würdig fand, die schwarz-weiß-rot irrt
Kleide gingen ? Weswegen ward er eigent-
lich ans Kreuz geschlagen ? Das mögen
unsere frommen Patrioten sich von ihren
kundigen Pastoren auseinandersetzen lassen
Ach, dieser verbrecherische menschenbrüder-
<§=
= DIE FRIEDENS -WARTE
liehe Trieb, dieser hochverräterische Trieb
des Menschen zum 1 Menschen, den haben ihm
mit nichten Aufrührer und Verschwörer in
die Brust geblasen, der ist auf keinem un-
erlaubten polizeiwidrigen Weg zu ihm ge-
kommen, ist nicht einmal Propheten- und
Messiaswerk: Ach nein, im hellsten Licht
der Sonne hat es angefangen, und Eisen-
bahnen, Telegraphen, Dampf und Elektrizi-
tät, das sind die Hochverräter, die die Landes-
grenzen überwunden haben. Sie haben das
dumpfe landesfarbene Empfinden zum größe-
ren und philosophischen Menschheitsbewußt-
sein geweitet und geklärt. Kirnst und Wissen-
schaft haben das menschliche Gewissen ge-
schärft und haben jenen verruchten wider-
lichen Chauvinismus, der einst mit blöder
Geringschätzung auf alles niedersah. was
andere Farben trug, für alle Zeit zum lächer-
lichen Firlefanz gemacht. Sie haben auch
den Rassenhaß, das Erbe aus der Tierheit
Tagen, endgültig in die Rumpelkammer der
Kultur gestellt.
Es ist eine neue Menschheit, die
morgen in den Krieg marschieren soll. Wenn
wir die Seele dieser Menschheit analysieren
wollen, brauchen wir nicht auf internatio-
nale Kongresse und Demonstrationsversamm-
lungen zu gehen — was wir hier schreiben,
predigen wir nicht von der Zinne irgendeiner
Partei, sondern wir schreiben nur das Leben
ab und — eigenhändige Dokumente untadel-
hafter deutscher Männer. In jenem berühm-
ten Sonderheft von „Nord und Süd", wo
Prinzen und Professoren, Fürsten und Grafen,
Bürgermeister und Minister sich für die
deutsch-englische Verständigung aussprechen,
hat vor allem der Prinz Heinrich zu Schön-
aich-Carolath die Volksseele am sichersten
und überzeugendsten gezeichnet :
„Die gesunden, einsichtsvollen, beachtens-
werten, maßgebenden und führenden Elemente
beider großen Kulturvölker wollen den Frieden,
die Verständigung, die Entente und. wenn mög-
lich : die Entente cordiale! Alle diese
Elemente halten einen Konflikt,
einen Krieg — - man sollte so ein Wort
gar nicht aussprechen, weil es sich einfach nicht
einmal denken läßt — für einen Wahn-
sinn, für eine Tollheit, unter welcher
jede von beiden Nationen empfindlich leiden
würde, ganz gleichgültig, welche Sieger oder
Besiegte wäre. Und während der Zeit, wo beide
Nationen, die so unendlich vieles Gemeinsames
haben, deren Eigenarten, Stimmungen, Gefühle,
Anschauungen auf den verschiedensten Gebieten
die gleichen sind, sich zerfleischen, sich Wunden
schlagen würden, die nur langsam heilen, sich
nur schwer schließen, wohl aber eine dauernde
Verbitterung und heiße, leidenschaftliche Gegner-
schaft zeitigen würden, in derselben Zeit könnten
ftuf anderen Weltplätzen große Interessen ver-
loren gehen und geschädigt werden, die den
kämpfenden Parteien unendlich wertvoll wären."
Das ist die Sehnsucht der neuen Mensch-
heit, auf eine psychologische Formel ge-
bracht : Entente cordiale. Was aber dem
deutschen Prinzen noch als ein frommer
Wunsch erscheint, das sieht der Attorney-
General und Minister des vereinigten König-
reichs England, Sir Rufus D. lsaa.es, in deut-
licheren Konturen :
„Nur mit Genugtuungkann man
feststellen, daß die Beziehungen
zwischen den Arbeiterklassen
beider Länder stetig intimer wer-
den. Denn in dieser engeren In-
timität liegt eine starke Schutz-
wehr gegen das Andauern der Vor-
urteile und Mißverständnisse."
Intim und herzlich! Wer Augen hat zu
sehen, sieht, daß das die Wahrheit ist. Man
mag die Wahrheit mit Entzücken oder mit
Erschrecken sehen, nur leugnen läßt sie sich
nicht mehr. Wenn sich in Frankreich 98 000
Volksschullehrer öffentlich und feierlich zum
Pazifismus bekennen, wenn auf demselben klas-
sischen Boden der „gloire" Bürgermeistern
großer Städte die Polizeigewalt entzogen wer-
den muß, weil sie sich weigern, dem allzu
ungestümen Friedensdrang des Volkes Einhalt
zu gebieten — wer will es leugnen, daß da
neue Kräfte, neue Phänomene in das, mensch-
liche Bewußtsein treten, daß da ein wesens-
anderer Mensch geworden ist. Das ist das
heute noch verborgen wirkende historische
Gesetz, das sich mit jedem Tage mehr reali-
siert : Die Eins werdung der mensch-
lichen Kultur, der Einheitsakt des
menschlichen Erkennens, der sich
mit apodiktischer Gewißheit über
Raum und Zeit vollzieht, bewirkt
die Einswerdungdes zur Kultur er-
wachten Menschen. Diese Identi-
fizierung der Kultur aber trägt in
sich die Tendenz, den uralten,
mystisch verschleierten Kampf
ums Mein und Dein, den ominösen
Eigentums- und Land er st reit der
Menschheit, der einst in blinden
Katastrophen sich entlud und
unter ungeheurer Menschen- und
Materialvergeudung vor sich ging,
nicht nur im kleinen, sondern auch
im großen immer mehr den klar er-
kannten, ökonomischen, kultur-
politischen Gesetzen unterzuord-
n e n. Kulturvölker gehören innerlich zusam-
men: Das ist die nächst sichtbare historische
Etappe. Reißt man sie voneinander los und
jagt sie entwerteter Gefühlsanachronismen
wegen widereinander, so hat man sie der offe-
nen Verzweiflung überantwortet. Wehe dem
Kriege, der sich in der Menschheitsseele ver-
spekuliert! Wehe dem Kriege, der mit einer
anachronistischen Psychologie gerechnet hat!
Der Einsatz dieses Krieges ist das europäische
Kultursystem. Der Einsatz geht verloren,
wenn der Krieg verloren geht; das ist, was ich
mit meinem „Menschenschlachthaus" sagen
wollte.
Es sind ja nun in unseren Tagen sonder-
bare Heilige erstanden, die schelten rectit-
61
DIE FRIEDENS -^kßTE
=6>
schlaffen die Menschheit aus, daß sie es nicht
mehr für den höchsten aller irdischen Genüsse
hält, sich gegenseitig die Gurgel abzuschnei-
den. Was soll aus einer so erschlafften und
degenerierten Menschheit werden ? Es ist nur
schade, daß es den Völkern bisher an Zeit
gebrach, sich so wie diese imannstollen Aesthe-
ten zu verweichlichen und zu entnerven. Arbei-
tende Menschen haben nicht nötig, das er-
schlaffte Blut mit einer Eisenkur sich perio-
disch aufzufrischen; wohl aber wäre jenen
misanthropischen Skribenten etwas mehr Re-
spekt vonnöten, Respekt vor jenen, die all-
jährlich auf dem Schlachtfelde der Arbeit
fallen, Respekt vor jenen, die im Schatten
atmen und im Dunkel sterben, damit wir
Glücklichen die Sonne sehen. Steigt doch
hinunter in die Bergwerke und geht hinaus aufs
Meer in Sturm und Not, sehet dem stillen
Forscher zu, der Tag und Nacht um die Er-
kenntnis ringt und seinen letzten Atemzug; der
Wahrheit weiht —
Das Heldentum der Arbeit blüht herr-
licher als je. Aber die Sehnsucht dieser ar-
beitenden Menschheit ist 4 nicht wie einst das
Hirnzerschmettern und Luftröhrenschneiden.
Die Sehnsucht dieser Menschheit heißt : Ge-
sittung! vom Tier zum Menschen, vom Anar-
chismus' zum Gesetz. Wer ist's, der diesen
Weg nicht finden kann ? ,, Gleich wie
wir nun", so sagt Immanuel Kant, „die
Anhänglichkeit der Wilden an
ihre gesetzlose Freiheit, sich
lieber unaufhörlich zu balgen, als
sich einem gesetzlichen Zwange
zu unterwerfen, mit tiefer Ver-
achtung ansehen, so sollte man
denken, müßten gesittete Völker
(jedes für sich zu einem Staat ver-
einigt) eilen, aus einem so ver-
worfenen Zustande je eher desto
lieber herauszukommen. Statt
dessen aber setzt vielmehr jeder
Staat seineMajestät gerade darin,
gar keinem äußeren gesetzlichen
Zwange unterworfen zu sein."
Das ist nun zwar der internationale Anar-
chismus: reinster Form, den, als den höch-
sten aller Zustände, zu preisen, auch heute
noch als sehr verdienstvoll gilt." Es ist
nicht eben viel, womit sich unsere politische
Vernunft begnügt. Denn diese vielgepriesene
„politische Vernunft" findet sich schon in
jedem Ameisenhaufen sinnreich und muster-
gültig realisiert. Im Ameisenstaat haben wir
nach innen den vollständigen sozialen Aus-
gleich, nach außen hin aber den unerbitt-
lichsten und konsequentesten, den ganz auf
sich gestellten Nationalismus. So hätten wir
denn glücklich das Niveau der Ameisen er-
klommen, und unsere politische Erkenntnis
wäre die eines Insektenhirns. Insektenethik,
das wäre der Weisheit letzter Schluß. Wahr-
lich, man könnte stolz auf dieses Mensch sein
werden, werm nicht die Weltgeschichte über
62
ihre Totengräber, die es zu allen Zeiten gab,
zu allen Zeiten auch zur Tagesordnung über-
ginge. Organisation heißt das Gesetz der
Welt. Männer des Lebens: Kaufherren, In-
dustriefürsten haben das Gesetz erkannt und
schließen sich, wenn Freund und Feind der
sinnlos preisdrückenden Konkurrenz zu er-
liegen drohen, zu weltumspannenden Kar-
tellen, zu internationalen Trusts zusammen.
Die Völker, die in kriegerischer Konkurrenz
sich aufzureiben drohen, fangen an, den Weg
zum kriegerischen Trust zu suchen. Wo sind
die großen Staatsmänner, die Carnegie und
Rockefeller der Politik, die die erwachte
Menschheit zum weltumspannenden Kultur-
kartell zu führen wissen ? Verzückte Schwär-
mer, untergehende Romantiker, die nicht
zur Wirklichkeit genesen können, schauen
sehnend nach rückwärts, wo die gestorbenen
Ideale mit dem gestorbenen Tag zur Rüste
gehen. Das gibt dem' neuen Menschen seine
aufbauende Kraft, daß er nach vorwärts
schaut ! Der wird der Mann der kommenden
Epoche werden, der, was sich aus dem
Morgendämmer der Geschichte hebt, zu
klarer Form, zu menschbeglückender Gestalt
zusammenfassen kann. Wer Bismarcks große
Kunst zur Wirklichkeit uns preist und selbst
nichts Besseres versteht, als mit dem alten
Handwerkszeug nach alten Schätzen graben,
der ist ein schlechter Jünger der Vergangen-
heit. Vorwärts mit neuen, jungen Augen in
die neue Zeit ! Das, und nichts anderes heißt
uns realpolitisch denken. Das und nichts
anderes kann unserm Vaterlande dienlich sein.
I
n RANDGLOSSEN U
EUB ZEITGESCHICHTE
Von Bert ha von Suttner.
Wien, 4. Februar 1913.
Seit dem Ausbruch des Balkankrieges
ändert sich die politische Situation mit jedem
Tag, mit jeder Stunde. Und jede neue Va-
riation wird von der Presse mit Folgerungen,
Betrachtungen, Kombinationen und Prophe-
zeihungen begleitet, die einander aufheben und
widersprechen, die von den Ereignissen Lügen
gestraft werden, und die untereinander einen
Wirbeltanz aufführen, wie die Vorstellungen
eines wilden Traumes. Und das kommt daher :
Wie im traumbefangenen Gehirn das ordnende
Bewußtsein fehlt, so fehlt im politischen Han-
deln und Denken von heute das feste Prinzip,
die sichere Zielrichtung. Die allgemeine Mei-
nung unter den „maßgebenden" und „unter-
richteten Kreisen" und die Denk- und Stil-
gewohnheiten der Zeitungen stehen einerseits
noch im Banne der kriegerischen Weltan-
schauung, sind aber andrerseits doch schon
beeinflußt von dem Friedenswillen und der
Friedensnotwendigkeit der modernen Weh.
<§:
DIE FRI EDENS -^J^RXE
Vor hundert Jahren, selbst vor fünfzig Jahren,
hätte es zu solchen Verdrehungen und Win-
dungen, solchen Irrnissen und Wirrnissen in
den offiziellen Schritten und den offiziösen
Kommentaren nicht kommen können; —
da waren der Krieg, die Gewalten, das Er-
obemngsrecht noch die unbestrittene Grund-
lage des Staatenlebens. Das ist heute —
außer in den Augen der verschiedenen Kriegs-
parteien — nicht mehr der Fall. Wir Pazi-
fisten werden von den täglich veränderten,
toll wirbelnden Ereignissen nicht zum Schwan-
ken und zum Selbstwidersprechen gebracht;
weil auch wir auf einer festen Grundlage —
der Grundlage der Prinzipien — stehen, auf
denen unsere Ueberzeugungen ruhen. Wir
sind Zeugen, wie diese Prinzipien sich stö-
rend in das alte System einfiltrieren und
können daraus die erneute Sicherheit schöpfen,
daß ein neues System im Werden ist.
mb
Den Verhandlungen, Botschafter-Reunio-
nen, Delegierten-Konferenzen, Pourparlers und
selbst Dejeuners ist es nicht gelungen, den
eingegangenen Waffenstillstand in einen tat-
sächlichen Friedensschluß zu verwandeln, son-
dern infolge einer temperamentvollen Mini-
sterratsttzung in Sofia wurde ein neuer Krieg
daraus, angesagt zur üblichen Theaterstunde
— 7 Uhr abends — des 3. Februar. Dann
sollte es wieder ans „Lokalisieren" gehen.
Nur um Gotteswillen keinen europäischen
Krieg! Sie alle hoffen, wünschen, beten, daß
es zu keinem Brand komme — als ob der
von Gott weiß wo entzündet werden könnte,
— während sie es doch alle selber in der
eigenen Hand haben, ihn zu entzünden oder
nicht.
Kaiser Franz Josef hat durch einen Spezial-
gesandten ein Handschreiben an Zar Nikolaus
geschickt. Niemand weiß, was drin steht, aber
die ganze europäische Presse kommentiert —
und wahrscheinlich mit Recht — , daß dies
eine Anbahnung zu freundschaftlicher Be-
ziehung zwischen den beiden Kaiserreichen und
daher zur Verminderung der Konfliktsgefahr
führen wird. Desto besser, wenn dies der
Fall ist. Sowohl der Kaiser von Oesterreich,
wie der Einberuf er der Haager Konferenz,
sind dem Kriege abhold und wenn die beiden
direkt miteinander verhandeln (nicht durch
ihre Ministerräte), so wird es sein, um Ge-
fahren zu bahnen, nicht zu schüren. Aber
so erfreulich diese Tatsache im konkreten
Fall auch wäre, sie würde doch wieder zeigen,
auf wie unsicherem Boden Glück und Leben
der Völker stehen, wenn dies davon abhängen
soll, ob zwei Mächtige freundlich lächeln
oder die Brauen zusammenziehen.
Immerhin, freuen wir uns, wenn das pazi-
fistische Gift, vor welchem gewisse Vortrags-
und Tägliche-Rundschau-Generale ihre Zeit-
genossen so eifrig warnen, auch in die Re-
gionen der Mächtigen dringt. Ich glaube,,
die drei gegenwärtigen europäischen Kaiser
würden für ihr Leben gern einen gesicherten
Frieden einsetzen. Aber als Kriegsherren
sind sie einigermaßen die Gefangenen ihrer
Kriegsheere. Sie können nichts tun, was dem
Prestige, was der Unentbehrlichkeit des Mili-
tärs zuwider wäre. Und doch, wenn sie es
wagten, welche Ruhmestat in den Augen künf-
tiger Historiker!
MB
Unterdessen aber hat der wiedererwachte
militärische Geist erschreckende Dimensionen
angenommen. Als ob es keine organisierte
Friedensbewegung, keine interparlamentarische
Union, keinen Haag gäbe, wird wieder das
Eroberungsrecht proklamiert; wieder die Er-
werbung von Landfetzen und Steinhaufen als
das höchste Staatsinteresse gepriesen und mit
der Geste ,,La Bourse ou la vie" rücksichtslos
durchgesetzt; wieder gehört „mit Gottes
Hilfe" das Hinmorden von Hunderttausenden
zu den kulturfördernden Glanzaktionen. Wir
müßten verzweifeln, wenn wir nicht wüßten,
daß dies nur das letzte Aufflackern einer
zum Erlöschen bestimmten Flamme ist.
Der plötzliche Regierungswechsel in de*
armen Türkei hat den Friedensschluß, der
durch die Nachgiebigkeit der abgesetzten Re-
gierung schon gesichert war, wieder fraglich
gemacht. Und nun zeigte sich — ganz uner-
warteterweise — die neue Regierung auch
nachgiebig. Bulgarien hat aber deren neue
Antwort auf die Note der Mächte gar nicht
abgewartet, sondern den Waffenstülstand flugs
gekündigt. Mit diesem Nichtabwarten hat
Italien Schule gemacht. Vermutlich hat der
temperamentvolle Ministerrat in Sofia noch
andere Pläne. Es ist ja auch schon ver-
kündet: Erhöhung der Kriegsentschädigung,
die Türkei muß doch die Kosten der durch
ihre „Hartnäckigkeit" (sie mag nun einmal
nicht ganz tot sein, die Eigensinnige) ver-
schuldeten Verlängerung des Krieges zahlen.
Ferner wäre der Einmarsch in Konstantinopel
auch nicht übel . . .
MB
Wie hat sich nun eigentlich die Vermkt-
lungsaktion der Mächte erwiesen? Vermitteln
heißt doch, mit gleicher Gerechtigkeit für
beide Parteien, von beiden gleichwertige Kon-
zessionen zu erreichen. Madame de Stael sagt
irgendwo: Die Menschen haben den Drang,
dem Stärkeren zu Hilfe zu eilen. Scheint
es nicht, daß auch die Mächte diesem Dränge
gefolgt sind?
MB
Bulgarien hat eine Neuerung eingefühlt:
es dürfen keine Verlustlisten eingeschickt
werden. Eine militärische Zeitschrift bemerkte
<*3
DIE FßlEDEN5-^&DTE
;©
hierzu: „Vom humanen Standpunkt mag diese
Maßregel hart erscheinen, vom rein militäri-
schen Standpunkt ist sie jedoch nützlich, sie
vermeidet Gärung in der Bevölkerung und
Demoralisierung unter den Truppen." Ganz
richtig. Zugegeben. Aber ist damit nicht
wieder einmal der Gegensatz zwischen human
und militärisch unterstrichen ?
A propos von Humanität: Jetzt sickern
nach und nach die Berichte über die Massa-
kers heraus, die auf dem Balkan verübt
worden sind: Frauen und Kinder, die mit
Petroleum begossen und angezündet werden;
Leute, die man mit Bajonetten in die Flam-
men jagt — und anderes mehr. Es ist zum
Aufschreien. Schämen muß man sich, Zeit-
genosse zu sein. Freilich, chauvinistische Blät-
ter benutzen dies, um zu beweisen, was die
jeweiligen Massakreure für Bestien sind und
daß ihr ganzer Stamm ausgerottet werden
müsse. Serbenfeindliche Blätter in Oester-
reich z. B. schwelgen in solchen Berichten,
wenn sie von Serben handeln und folgern
daraus, daß sie immer recht hatten, gegen
Serbien zu hetzen. Sie vergessen, daß „Atro-
citäten" in jedem Kriege vorkommen und von
allen Nationen ausgeübt worden sind. Haben
im Jahre 1900 die Europäer in China (um
von hunderten nur ein Beispiel anzuführen)
nicht die Chinesen an den Zöpfen zusammen-
gebunden und 1 mit den Bajonetten ins Wasser
gejagt? Im Kriege sind die rohen Instinkte
der Rohen losgelassen — und deren gibt
es doch unter den Massen immer. Und bei
den Nichtrohen kann ein Mordrausch, ein
Rachewahnsinn, eine Verzweiflungswut aus-
brechen. O, über diese Höllenzustände, die
unsere über jeden Humanitätsdusel erhabenen
„Realpolitiker" sich nicht entschließen kön-
nen, aus der Welt zu schaffen !
In Spanien hat sich etwas Sonderbares ab-
gespielt. König Alfons hat Sozialdemokraten
und Republikaner in sein Palais berufen, um
sich über ihre Ansichten berichten zu lassen.
Und allerlei liberale Maßregeln wurden ein-
geführt. Hat wieder einmal ein spanischer
König sich sagen lassen: „Geben Sie Ge-
dankenfreiheit, Sire" ? Und wird, zum Unter-
schied von Philipp, Alfonso auf seine ver-
schiedenen Posas hören ?
Die seit der Balkankrise eingetretene Ver-
mihtarisierung in Oesterreich ist erschreckend.
Djas neue Militärleistungsgesetz hat die Alters-
grenze der Pflichtigen von 42 auf 50 Jahre
.ausgedehnt, und dem Militärkommando sind
eine ganze Reihe von neuen Verfügungsrech-
ten über die bürgerliche Bevölkerung und
deren Besitz eingeräumt; neue, enorme Mili-
färfcrderungen sind angekündigt und schon
wird im Abgeordnetenhause ein neuer Finanz-
plan mit erhöhten Steuern durchberaten. Die
„Grenzsoldaten" werden noch immer nicht zu-
rückgerufen, es werden sogar noch immer mit
aller Plötzlichkeit Reserven an die Grenze be-
ordert und täglich betragen die Kosten dieser
Bereithaltung zwei Millionen Kronen. Und
was das Schlimmste ist: in Offizierskreisen
wird der kommende Ausbruch des Krieges
als unvermeidlich, als bald bevorstehend und
als wünschenswert proklamiert. Gewisse Blät-
ter schüren die kriegerische Stimmung und in
den vornehmen Gesellschaftsschichten wird
diese Gesinnung als patriotische Pflicht ge-
hegt. Wären nicht auch andere Kräfte und
Einflüsse am Werk: schon längst hätte man
„losgeschlagen". Unser Land ist dasjenige,
in welchem die pazifistische Propaganda am
notwendigsten wäre, leider aber gegen die
größten Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Die verschiedensten Meldungen von Sie-
gen und Niederlagen kommen wieder aus den
Balkanländern herüber — Adrianopel brennt,
Heere flüchten . . . kurz, was des Jammers
mehr ist und was man so Weltgeschichte
nennt. Man weiß nicht, was von den D«*
peschen und Berichten wahr ist, was nicht.
Soll man z. B. glauben, was der Korrespon-
dent der Humanite mitteilt, daß die Ver-
bündeten — so zwischen durch den Metzeleien,
Schändungen und Plünderungen — an der
türkischen Bevölkerung auch Zwangs-
taufen vornehmen ? Warum nicht ? Der
finsterste mittelalterliche Geist ist ja dort
drüben wieder erwacht.
Während ich diese Chronik zur Post
schicken will (8. Februar), kommt die Kunde
von dem vorgeschlagenen deutsch-englischen
Marineabkommen. Das eröffnet ganz neue
Perspektiven. Es ist die Betretung einer an-
deren Bahn. Eine vom Pazifismus längst
vorgezeichnete, von der „Realpolitik" aber
bislang hartnäckig zurückgewiesene Bahn. Wir
können uns des Ereignisses in tiefer Ergrif-
fenheit freuen. Viel wird zwar von gegneri-
scher Seite getan werden, um den Weg durch
Verdächtigungen und mit sonstigen Hinder-
nissen zu verrammeln — aber die Massen
derer, die erst an eine Sache glauben und sie
unterstützen, wenn sie einmal von offizieller
Seite vorgeschlagen ist, werden nun mit uns
sein und nach und nach die Argumente selber
entdecken, die sie so lange nicht hören wollten.
Europa, das furchtbar gärende, steht vor
zwei Alternativen: vor dem tiefsten Unheil,
dem Weltbrand, oder dem höchsten Heil, die
Einigung. Durch den Schritt der Marineämter
von Deutschland und England haben sich die
Zeichen gemehrt, daß das Heil obsiegen will.
«4
@=
= DIE FRI EDENS -WARTE
PAZIFISTISCHE CHRONIK
Anfangs Januar. Die Berliner Handels-
kammer richtet an eine Reihe englischer Han-
delskammern ein Schreiben, worin sie anerkennt,
dass die aufklärende Arbeit in England und
Deutschland das Gefühl der Kulturgemein-
schaft gefestigt habe.
13. Januar. In Heidelberg tritt ein inter-
nationaler Studentenverein zum erstenmalin die
Oeffentlichkeit.
13. Januar. Der Präsident des deutsch-englischen
Verständigung skomitees, Dr. v. Holleben, in Char-
lottenburg f.
Mitte Januar. In Paris werden zwischen
deutschen und französischen Pazifisten Vor-
besprechungen über die Bildung einer deutsch-
französischen Liga gepflogen.
Mitte Januar. In Paris tagen die seitens der
Interparlamentarischen Union eingesetzten
Ausschüsse für die Neutralisierung der Meerengen
und für Neutralitätserklärung.
16. Januar. Im deutschen Reichstag sagt der
Abg. Dr. Hägy, die Elsass-Lothringer wünschen
die endgültige Sicherung des Weltfriedens.
Der Krieg von 1870 sollte der letzte sein.
21. Januar. Senator Root tritt im ameri-
kanischen Senat für die schiedliche Erledigung
des Panamastreites ein.
27. Januar. Festrede des deutschen Botschafters
Fürst v. Dichnowsky in London zur Geburtslags-
feier des Kaisers. Hertorhebung der Gemeinschaft
der deutschen und englischen Politik zur Er-
haltung des europäischen Friedens.
30. Januar. Vortrag des Prof. Schultze-Gäver-
nitz in Berlin über die deutsch englischen Beziehungen.
Feststellung der Ergebnislosigkeit eines Krieges
für beide Teile, der Notwendigkeit einer Wirt-
schaftsverständigung und einer Flotten-Kon-
tingentierung. „Der Abrüstungigedanke insofern
als ein gesunder und für uns annehmbarer Gedanke
anzuerkennen.
30. Januar. Abbruch der Friedensverhandlungen
zwischen der Türkei und dem Balkanbund. Kündigung
des Waffenstillstandes.
1. Februar. Normann Angell tritt eine auf
14 Tage berechnete Vortragstournee durch Deutsch-
land an.
1. Februar. In Frankfurt a. M. wird nach einem
Vortrage Normann Angells eine Ortsgruppe des
„Verbandes für int. Verständigung" begründ ..
1. Februar. Zehnte Jahresversammlung der ame-
rikanischen Handelskammer in Berlin. Aus-
tauschpro fessnr Sloane bespricht die Sünden der
Presse gegenüber dem Werke der Völker-
verständigung.
2. Februar. Prof. Ruyssen aus Bordeaux
spricht neben Prof. Piloty in einer vom Verband für
int. Verständigung einberufenen Versammlung in
Strassburg über ^Die geistigen Faktoren der
Annäherung".
3. Februar. Wiederbeginn des Bal,kankriegis.
5. Februar. Kaiser Wilhelms Rede in Kö-
nigsberg: „An Stelle kriegerischer Taten ist das
segensreiche Friedensieerk getreten . . . Nicht
kriegerische Taten . . . sichern im letzten
Ende das Schicksal und die Zukunft einet
Volkes, sondern allein die sittliche Kraft."
7. Februar. In der Budgetkommission des
Reichstages erklärt. Staatsekretär der Marine,
r. Tirpitz, dass er eine Verständigung mit
England über die Grösse der Flotte im Ver-
hältnis von 10 zu 16 für die nächsten Jahre
für annehmbar halte.
DAUS DEB ZEITQ
Völkerrecht.
Interparlamentarische Union. :: :: :: :: :: " :: :: :: :: ::
Mitte Januar vereinigten sich zwei von
der Interparlamentarischen Union eingesetzte
Studienkommissionen. Die eine, die
sich mit der Neutralisierung der Meerengen
und Kanäle befaßte, die andere, der es oblag,
Gesichtspunkte über Neutralitätserklärungen
festzustellen.
Der ersteren Kommission präsidierte Lord
Weardale. Berichterstatter war Graf
de Penha Garcia (Portugal). Es nahmen
ferner daran teil: Grieg (Norwegen), Ko-
w a 1 e w s k i (Rußland), Manch ( Dänemark)
und Baron d'E stournelles de Con-
sta n t (Frankreich). Der Berichterstatter
unterbreitete eine Zusammenfassung der all-
gemeinen Diskussion, die sich anläßlich
zweier früherer Vereinigungen der Kommission
in den Jahren 1911 und 1912 entwickelt hatte.
Diese Zusammenfassung wurde neuerlich ei*-
örtert und im wesentlichen gebilligt. Im Hin-
blick auf die Tatsache, daß gerade mehrere
Probleme, die der Kommission zuerteilt sind,
gegenwärtig auf der Tagesordnung der inter-
nationalen Politik stehen, so die Frage der
Dardanellen und der Panamakanal- Abgaben, be-
schloß die Kommission, sich darauf zu be-
schränken, der nächsten Interparlamen-
tarischen Konferenz, die sich im kommenden,
September im Haag vereinigen wird, einen Vor-
bericht zu unterbreiten. Dieser Bericht wird
die Grundsätze anführen, die nach Ansicht der
Kommission die Materie regeln sollen. Erst
nach einer Erörterung dieser Grundsätze durch
die Konferenz selbst wird die Kommission an
die Pvedigierung eines Vertragsentwurfes schrei-
ten, der den Regierungen unterbreitet 'werden
kann.
An der Kommission für Neutralitäts-
erklärungen, die von Houzeau de Lehaie
präsidiert wurde, und bei der M u n c h als
Berichterstatter fungierte, nahmen teil : Fer-
dinand iDreyfus (Frankreich), von
Palmstjerna (Schweden) und'G r i e g (Nor-
wegen). Der Generalsekretär der Union, Herr
Lange, wohnte beiden Kommissionssitzungen
65
DIE FBIEDENS-^&BTE =
■3
bei. Der Berichterstatter dieser zweiten Kom-
mission unterbreitete einen internationalen
Vertragsentwurf, der das Verfahren festsetzt,
nach welchem ein Staat, der den Wunsch hat,-
jedem bewaffneten Konflikt fern zu bleiben,
sich für ständig neutral erklären könnte. Der
Entwurf setzt die Pflicht der anderen Staaten
zur Beachtung dieser Neutralität fest, indem
er jedoch dem neutralen Staat das Recht läßt,
unter Umständen durch G-ewalt jeden Angriff
auf seine Neutralität zurückzuweisen. Er sieht
für den Fall des Vertragsbruches gemeinsame
Maßnahmen der Vertragsstaaten und, im Fall
der Meinungsverschiedenheiten über die Aus-
legung und Anwendung des Abkommens, die
Anrufung des Haager Hofes vor.
Alle diese Entwürfe werden der nächsten
Interparlamentarischen Konferenz vorgelegt
worden.
Die Mitglieder der beiden Kommissionen
wurden während ihres Pariser Aufenthaltes
vom Senatspräsidenten Diibost und von dem
damaligen Ministerpräsidenten Poincare
empfangen. Während der Unterhaltung mit den
Kommissionsmitgliedern drückte der letztere
diesen das große Interesse aus, das er
für ihre Arbeiten und für die Ge-
samttätigkeit der Union hege.
ftttt
Rüstungsproblem.
Kein Geld für Kulturnotwendigkeiten! :: :: ::
Das Telephon ist ein Verkehrsmittel,
auf dessen Erfindung unsere Zeit mit Recht
besonders stolz ist. Es ist heute für Hun-
derttausende in jedem Lande das unentbehr-
lichste Verkehrsmittel geworden. Ein Ge-
schäfts-, Zeit'ungs-, Industriebetrieb, die
öffentliche Sicherheit und Gesundheits-
pflege können das Telephon heute nicht eine
Stunde mehr entbehren. Da das Telephon-
wesen in den meisten Staaten der freien
Konkurrenz entzogen ist, und zum Monopol
gemacht wurde, ist es selbstverständlich, daß
jeder Staat im Interesse des öffentlichen
Wohlstandes dafür sorgt, daß dieses un-
geheure Bedürfnis ohne die geringste Hem-
mung befriedigt wird.
Demgegenüber wird es von internatio-
nalem Interesse sein, zu erfahren, daß man
in Oesterreich in der Regel jahre-
lang warten muß, bis man einen
Telephonanschluß gelegt erhält
Der Staat, der Milliarden für Rüstungen aus-
gibt, vermag seit vielen Jahren die geringen
Mittel nicht flüssig zu machen, um dem
Telephonbedürfnis z. B. in Wien zu ge-
nügen. In der gesamten zivilisierten Welt
kann ein Interessent innerhalb 24 Stunden
einen Telephonanschluß eingerichtet be-
kommen, in Oesterreich, wo man Dread-
66
noughts auf Vorrat baut, muß man* jahrelang
auf einen Anschluß warten, wenn es einem
nicht gelingt, von einem glücklichen, Be-
sitzer eines Telephons dieses geg&a. hohe
Entschädigung abzukaufen. Ein Blick
in die kleinen Anzeigen der Wiener Tages-
presse liefert Dokumente für diesen Zwi-
schenhandel mit Telephonanschlüssen und
für diese Verkehrsschande. Zur Bekämpfung
dieser unerhörten Unterlassungen hat sich
in Wien ein Verein gegründet, der soeben
folgende Feststellungen in der Tagespresse
veröffentlicht :
„In Wien sind 1500 Außenleitungen
schon länge reZeit fertiggestellt.
Diese Stationen können nur deshalb
nicht montiert werden, weil in dem
staatlichen Telephongroßbetrieb absolut
kein Apparat vorhanden ist. Wenn er-
wogen wird, daß ein Apparat kaum hundert
Kronen kostet, demnach die Anschaffung der
Apparate für 1500 Einzelanschlüsse eine
Ausgabe von nur 150000 Kronen ver-
ursachen würde und daß dagegen für diese
1500 Anschlüsse allein schon in einem
Jahre 375 000 KronenAbonnements-
gebühren eingenommen werden
könnten, so wird dadurch klar, welch
großen Schaden die geschilderte Unter-
lassung nicht nur den Anmeldern, die seit
Jahren der von ihnen angemeldeten Tele-
phone harren, sondern auch dem Telephonärar
Verursacht. Zu weiteren 1500 gleichfalls
schon seit Jahren angemeldeten Tele-
phonen sind noch nicht einmal die Lei-
tungen gelegt worden."
Es ist wahrhaftig haarsträubend,
wenn man sieht, wie bagatellenmäßig und
rücksichtslos in einem Staate, der mit so
ungeheurem Nachdruck für sein Prestige
und seine Großmachtstellung eintritt, Be-
dürfnisse der Allgemeinheit behandelt
werden, wenn diese nicht auch in Militär-
forderungen bestehen. —
Man hat einfach kein Geld für solche
unwichtigen Dinge!
'tust
Friedrich Naumann über den Zusammenhang zwischen
Rüstungsfrage und Schiedsgerichtsbarkeit.
Nach einem mir zugehenden Berichte soll
Naumann am 13. Januar in einem Vortrage
über „Liberalismus und Weltpolitik" seine
Ueberzeugung von der nahenden Weltorgani-
sation ausgesprochen, dabei aber auch folgendes
geäußert haben:
„Wonach soll ein Schiedsgericht das
Urteil fällen? Nach Billigkeit? Darunter rer-
steht jeder etwas anderes. Nach „Recht"? Wo
aber liegt z. B. das Recht in der Frage, ob
@s
DIE FRIEDENS -WARTE
Adrianopel der Türkei oder dem Balkanbunde
gebührt? Dieses „Recht" ist eben vielfacli
heutzutage gleichzeitig eine Frage der in
den Rüstungen angedeuteten, symbolisierten
Machtstärke der sich um irgendein Recht
streitenden Regierungen. Ergo mündet
auch das Schiedsproblem letzten
Endes wieder in die Frage: auf
welcher Seite liegt die größere
Machtanhäufung, woraus folgt, daß die
Rüstungen keineswegs fortgeworfenes Geld
sind."
Hat, Naumann diese oder ähnliche Worte
wirklich gesagt, dann haben wir ein Schul-
beispiel dafür, wie politische Kreise über das
Schiedsgerichtsproblem unterrichtet sind.
Der große Fehler, den Naumann hier macht,
besteht darin, das Schiedsgerichtsproblem als
ein Allheilmittel zur friedlichen Erledigung von
Streitigkeiten zu betrachten. Nach meiner
festen Ueberzeugung, die ich am ausführlich-
sten in Nr. 1 des „American' Journal of inter-
national law" (1913, Nr. 1) begründet habe,
kann nach dem heutigen Stande des Völker-
rechts die Schiedsgerichtsbarkeit für solche
Fragen nicht in Betracht kommen, die Lebens-
interessen der Völker berühren. Das folgt
aus der juristischen Konstruktion der Schieds-
gerichtsbarkeit. Mit dem Schiedsverträge unter-
werfen sich die Parteien jedem, auch dem
ungünstigsten Spruche des Schiedsgerichts.
Gehen also die Parteien nach dem Haag, dann
erklären sie feierlich: Wir werden jedes Urteil,
wenn es formell rechtmäßig ergangen, erfüllen,
selbst wenn einer von uns mit jedem An-
sprüche abgewiesen werden sollte. Kann sich
aber ein Staat in einer Lebensfrage hierzu ver-
pflichten? Eine Lebensfrage ist eine solche
Frage, die die Existenz des Staates angeht.
Bei solchen Fragen ist also begrifflich die
Existenz des Staates gefährdet, wenn nicht
mindestens ein Teil seiner Forderungen erfüllt
wird. Seine Existenzi kann nun ein Staat selbst
zugunsten der Völkerrechtsgemeinschaft nicht
aufs Spiel setzen. Also darf er nur dann seine
Forderung vor ein Schiedsgericht bringen, wenn
mindestens ein Teil dieser Forderungen vom
Schiedsgerichte als recht anerkannt würde. Da
er sich aber durch den Schiedsvertrag von
vornherein auch mit der evtl. völligen Ab-
weisung seiner Forderungen einverstanden er-
klären muß, so ergibt sich die Unmöglichkeit
einer schiedsrichterlichen Erledigung von
T^ebensfragen.
Lebensfragen können und sollen diplo-
matisch beigelegt werden. Für schiedsrichter-
liche Erledigung sind sie noch nicht geeignet.
Daß in der Zeit der noch nicht vollendeten
Organisation der Welt die Machtmittel, die ein
Staat einwerfen kann, bei der diplomatischen
Lösung der Frage eine Rolle spielen, mag
richtig sein. Für das Schiedsgerichtsproblem
aber haben die Rüstungen gar keine Be-
deutung.
Es ist somit ein völliges Mißverstehen
der wahren Ziele der Schiedsgerichtsbarkeit,
wenn Naumann meint, das Schiedsproblem
münde in die Frage, auf welcher Seite die
größere Machtanhäufung sei. Glaubt Naumann
etwa, ein einziger Schiedsrichter im Haag
habe bei der Lösung irgendeiner Frage die
Machtmittel der Staaten gegeneinander ab-
gewogen ?
Vielleicht ist doch die Mahnung' am
Platze, daß sich unsere Politiker mehr- als
bisher mit völkerrechtlichen Dingen befassen.
Ob Naumann wohl je die beiden Bände des
„Werks vom Haag" gelesen hat? Wir haben
längst die Hoffnung aufgegeben, daß sich
Keim und Genossen einmal das Problem der
Schiedsgerichtsbarkeit klar machen. Von un-
seren berufenen Politikern aber dürfen wir etwas
größere Kenntnisse auf dem Gebiete der Schieds-
gerichtsbarkeit voraussetzen. Dr. H W.
Verschiedenes.
Die Greuel des Balkankrieges. :: :: :: :: :: :: :: S :: ::
Dieses unerschöpfliche Thema ist neuer-
dings sogar Gegenstand der Debatte in einigen
Parlamenten gewesen. Der „P o s t" werden am
6. Januar aus Saloniki Einzelheiten mit-
geteilt, die geradezu entsetzliche Szenen dar-
stellen: Plünderung, Blutbad, Vergewaltigung
von Mädchen und Frauen durch bulgarisch«
Banden . . . Im Dorfe Pedro wo wurde ein
junges Mädchen vor den Augen seiner Mutter
vergewaltigt; diese ergreift eine Flinte und
schießt, darauf werden zahlreiche Frauen und
Mädchen in das Cafe des Dorfes eingeschlossen,
das Gebäude wird angezündet, und alle kommen
in den Flammen um. In einem anderen Dorf©
wurden alle Bewohner, Männer, Frauen und
Kinder, durch die Banden niedergemetzelt.
Dem türkischen Dorfe Eschekli ging es
ebenso; 13 junge Mädchen begrub man
dort lebendig, nachdem man sie ver-
gewaltigt hatte.
Man könnte die Beispiele leicht durch Be-
richte aus deutschen, österreichischen, englischen,
ja, selbst amerikanischen Zeitungen vermehren;
so teilt z. B. die „V o s s i s c h e Z t g." vom
23. Januar weitere Greuel aus Dedeagatsch,
Kavalla, Drama und anderen Orten mit,
so daß man also keineswegs von unzulässiger
Verallgemeinerung sprechen kann. Diese Dinge
bleiben ein unauslöschlicher Schandfleck für
die Zivilisation des 20. Jahrhunderts und zeigen
wieder so recht deutlich die „veredelnde Wir-
kung" der Kriegsinstitution. Die „D eutsch-
asiatische Korres p." vom 12. Januar
teilte den Text einer an den deutschen Kaiser
gerichteten Bittschrift aus Kon-
stantinopel mit, worin es heißt: „. . . Die-
ses Schlachten nimmt (trotz des Waffen-
stillstandes) einen so großen Umfang an, daß
auch die ruhigsten Gemüter ein Entsetzen
ergreift . . . Wir erleben die völlige Aus-
*7
DIE FßlEDEN5->\^ßTE
3
rottting aller Mohammedaner in
Mazedonien." Die „Nordd. Allg. Ztg."
vom 12. Januar muß notgedrungen diese Greuel-
taten zugestehen, beruft sich aber auf einen
Armeebefehl des bulgarischen Generals Sa wo w
vom 17. Dezember, der schärfste Maßregeln
gegen solche A^erfehlungen androht und die-
selben mit nachdrücklichen Worten brand-
markt. Nur daß leider von gutgemeinten Worten
die schuldlos Hingemarterten nicht wieder
lebendig werden ! Bedauerlich bleibt es auch
— Worauf in der „B r e s 1. Z t g." vom 25. Januar
Dr. Paul Hamburger hinweist — , daß in der
Antwort, die der Regierungsvertreter am
24. Januar im Reichstag auf die Ledeboursche
Anfrage erteilte, kein Wort des Bedauerns für
diese. „Uebergriffe" (welch' zarter, schonender
Ausdruck !) vorkam. Was ist denn geschehen,
um diesen Banden und teilweise auch regulären
Truppen das Handwerk zu legen? Hat man
die Metzeleien nicht stillschweigend oder sogar
wohlwollend geduldet? Man mußte wohl, weil
man eben den Krieg duldete. O. Seh w.
Deulschland-Efigland. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ;: :; :: ::
Die Berliner Handelskammer
richtete anfangs Januar an eine Reihe eng-
lischer Handelskammern das nachstehende
Schreiben :
„Bei Beginn des vorigen Jahres haben
Sie uns in einem Schreiben von einem Beschluß
Ihrer Kammer Kenntnis gegeben, es möge dahin
gewirkt werden, daß die Beziehungen zwischen
Großbritannien und Deutschland sich möglichst
freundschaftlich gestalteten. Ein Jahr ist
seitdem vergangen, das an politischen Be-
unruhigungen reich war und manche Störungen
des Weltfriedens mit sich gebracht hat, die wir
im Interesse der Humanität und der wirtschaft-
lichen Entwicklung lebhaft bedauert haben.
Wenn nach Zeiten der bangen Sorge beim Jahres-
wechsel gehofft werden darf, daß den großen
Völkern Europas neue unabsehbare Verwick-
lungen erspart bleiben möchten, so ist das in
erster Reihe dem festen Willen zu verdanken,
der in den maßgebenden Staaten die Re-
gierungen mit der weit überwiegenden Mehr-
heit der Bevölkerung zu dem Streben vereint
hat, es dürfte der Kriegszerrüttung kein weiterer
Spielraum gewährt werden. Wir begrüßen dies
Gefühl der gemeinsamen, kulturellen Aufgabe,
das die Völker Europas in wachsendem Maße
durchdringt. Nichts hat u. E. stärker
zu seiner Festigung beigetragen
als die aufklärende Arbeit, die
den Gegensatz- zwischen dem deut-
schen und englischen Volke aus-
zugleichen bemüht war. Deshalb
wollen wir den Jahresbeginn nicht vorüber-
gehen lassen, ohne Ihnen zum, Ausdruck zu
bringen, wie sehr es uns erfreut, daß Ihre
Bemühungen Erfolg und die Anschauungen,
denen Sie im vorigen Januar Ausdruck ver-
liehen, weite Geltung gefunden haben. Damit
Verbinden wir die Versicherung, daß allen
einsichtigen Gewerbetreibenden unseres Bezirks
keine politische Hoffnung näher
am Herzen liegt, als die, es möge gelingen,
das Einvernehmen zwischen unseren beiden
Länderen so nahe und sicher wie) mög-
lich zu begründen."
An des Kaisers Geburtstag hielt der neue
deutsche Botschafter in London, Fürst
Lichnowsky, anläßlich der von der deut-
schen Kolonie im Hotel Cecil veranstalteten
Festfeier eine Rede, in der er auf die Ge-
meinschaft der englischen Und deutschen Politik
in der Bemühung um Erhaltung des europä-
ischen Friedens hinwies. Er schließt mit folgen-
den verheißungsvollen Worten :
„Wenn Deutschland und Großbritannien
sich verstehen und sich vertragen, und w e n n
sie entschlossen sind, die un-
gestörte Arbeit bürgerlicher Ent-
wicklung zu erhalten, so meine ich,
daß wir mit Vertrauen allen Weoh-
selfällen der Zukunft entgegen-
sehen können."
Professor v. S c h u 1 1 z e - G a e v e r n i t z
aus Freiburg hielt am 30. Januar im Verein
der Kaufleute und Industriellen in Berlin einen
Vortrag über die deutsch-englischen Be-
ziehungen, aus dem wir hier einige bemerkens-
werte Gesichtspunkte festhalten wollen. Der
Vortragende wies klipp und klar auf die Er-
gebnislosigkeit eines Krieges zwischen
England und Deutschland für beide Teile
hin und bemerkte hierzu :
„Daher seien denn auch in England schon
ernsthafte Stimmen zu hören, die auf eine
wirkliche Wirtsc hafts Verständi-
gung zwischen beiden Ländertn als auf die
vernünftigste Lösung des Problems hinweisen.
Allerdings dürfte ein solches Bündnis auf
unserer Seite nicht den Charakter der Ab-
hängigkeit haben, es müßte vielmehr ein
Friedensbündnis auf kriegsstarker Basis sein.
Deutschland könne die maritimen Ver-
teidigungsmöglichkeiten nicht entbehren.
Eine feste Flottenkontingen-
tierung auf beiden Seiten würde
die Gewähr für ein friedliches
Verhältnis bieten. Insofern sei der
Abrüstungsgedanke als ein ge-
sunder und für uns annehmbarer
Gedanke anzuerkennen. Es sei nur natür-
lich, daß die beiden stärksten Großmächte
sich zusammentun, um bestimmend in die Welt-
politik einzugreifen. Namhafte englische Schrift-
steller und Politiker wirkten auch schon in
diesem Sinne, und zwar nicht ohne Erfolg."
tust
Elsaß-Lothringen im Deutschen Reichstage :: :: ::
Bei der Erörterung des Etats des Reichs-
amts des Innern in der Reichstagssitzumg vom
16. Januar kam der Elsässer Dr. H ä g y auf
die elsaß-lothringische Angelegenheit zu
sprechen. Er sagte nach dem stenographischen
Sitzungsbericht folgendes :
OS
<s=
DIE FRI EDENS -^V&BXE
„Wenn unsere Freunde in dem Bestreben,
mit Frankreich freundnachbarliche Beziehungen
anzubahnen, französischen Boden betreten, so
tun sie dasselbe, was Deutsche in England tun.
Man kann es ihnen, nicht verargen, wenn sie
die auf zweihundertjähriger Tradition be-
ruhenden familiären und gesellschaftlichen Be-
ziehungen zu Frankreich aufrechterhalten. Die
Elsaß-Lothringer möchten damit lediglich die
endgültige Sicherung des Welt-
friedens fördern. Meine Freunde als
überzeugte Pazifisten, denen der
Friede über alles teuer ist, bedauern auf das
lebhafteste, daß die sogenannte elsaß-loth-
ringische Frage immer wieder als bedrohliches
Gespenst am politischen Himmel auftaucht.
Der Krieg von 1870 sollte der letzte
sein, der auf dem Boden unseres Heimat-
landes in den Gefilden geführt worden ist,
die mit dem Blute zweier Völker getränkt sind,
die dazu geschaffen sind, in fried-
lichem Wetteifer an den Werken
der Kultur, des Fortschritts und
der Zivilisation mitzuarbeiten.
Alle den Frieden störenden Tendenzen, alle
Revanchegelüste stoßen bei uns auf die
schroffste Abwehr."
Zunahme der internationalen Korrespondenz. :: ::
Nach einer Feststellung des Direktors der
britischen Postverwaltung, Sir Alexander
King, betrug die Anzahl der von Groß-
Britannien nach anderen Ländern versandten
Briefe im Jahre 1887 49 714 000 und im Jahre
1911 167 000 000. Davon entfielen:
im Jahre 1887 im Jahre 1911
auf Frankreich . 9 600 000 16 000 000
* Deutschland . 8 000 000 16 000 000
„ Italien ... 1 900 000 3 800 000
&\JS DEß BEWEGUNG
Kongreß-Kalendarium. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
1. — 3. Mai : IV. amerikanischer National-
friedenskongreß in St. Louis.
11. — 12. Mai : VIII. französischer National-
friedenskongreß in Paris.
14.— 16. Mai: XIX. Lake - Mohonk - Kon-
ferenz.
Mitte Mai: IL Verbandstag des Verbandes
der Internationalen Studentenvereine Deutsch-
lands in Leipzig.
10. — 13. Juni: IX. englischer National-
friedenskongreß in Leeds.
29. Aug. bis 13. Sept.: VIII. Weltkongreß
der Studentenverbände (Corda Fratres) in
Ithaca, New York.
August : XX. Weltfriedenskongreß im Haag.
September: XVIII. Interparlamentarische
Konferenz im Haag.
Den Beer Poortugael f. :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Der im 81. Lebensjahre am 30. Januar
1912 im Haag* verstorbene Generalleutnant
den Beer Poortugael war eine in vielfacher
Hinsicht hochinteressante Persönlichkeit. Als
Offizier machte er namentlich dadurch eine
glänzende Karriere, daß er das moderne Kriegs-
recht außerordentlich beherrschte und deshalb
früh in den Generalstab berufen wurde. 1879
war er auch ein halbes Jahr Kriegsminister.
1874 wurde er Sekretär der holländischen Ge-
sandtschaft zur Brüsseler Konferenz über die
Gesetze und Gebräuche des Landkrieges. Er
dürfte der letzte Teilnehmer dieser denk-
würdigen Versammlung sein. Am meisten be-
kannt wurde den Beer Poortugael durch sein
großartiges Auftreten auf der ersten Haager
Konferenz zugunsten des russischen Rüstungs-
vorschlages. Seine Worte, daß die Staaten
sich durch die großen Rüstungen mehr und
mehr ruinierten, erregten Aufsehen, und sogar
Bertha v. Suttner schrieb darüber in ihre Tage-
buchblätter: „Merkwürdige Worte jedenfalls im
Munde eines Generals !" Auf der zweiten Haager
Konferenz arbeitete er lediglich in den kriegs-
rechtlichen Kommissionen mit. Auch auf der
Genfer Konferenz von 1906 vertrat er Holland
als erster Bevollmächtigter. Man hat vielfach
über den friedensfreundlichen General sich
lustig zu machen gesucht. Aber eine spätere
Zeit wird seinem großen Streben noch
Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wie fort-
schrittlich den Beer Poortugael war, geht dar-
aus hervor, daß er mir gegenüber wiederholt
sein Bedauern über die vorsichtige Haltung
Assers in der Frage der obligatorischen Schieds-
gerichtsbarkeit auf der zweiten Haager Kon-
ferenz aussprach.
Das letzte Werk Poortugaels „Le droit des
gens en marche vers la paix" war in keiner
Weise hervorstechend. Wissenschaftlich hoch
stehen dagegen die zahlreichen kriegsrecht-
lichen Werke sowie seine Aufsätze in den
Tageszeitungen. Ganz ausgezeichnet ist sein
Artikel über die zweite Haager Konferenz in
„Onze Eeuw". Die schöne Begeisterung, die
den Beer Poortugael beseelte, sein hoher
Idealismus treten in diesem Werke deutlich
hervor. Wegen seiner wissenschaftlichen Be-
deutung wurde Poortugael Mitglied und später
Ehrenmitglied des Instituts für Völkerrecht.
Er war der einzige, der vor 1899 jemals in
diesem Institute einen ständigen Schiedshof
befürwortete.
Als ich ihn im vorigen Jahre um einen
Aufsatz für die „Friedens-Warte" bat, schrieb
den Beer Poortugael: „Ich bin ein schlechter
Journalist. Ich kann nur schreiben, wenn
mich ein Gegenstand direkt überwältigt hat.
Ich nehme nur die Feder zur Hand, wenn eine
innere Kraft mich begeistert und antreibt.
Aber von dem Augenblicke an, wo ich be-
ginne, treibt es mich vorwärts, und keine
Pause entsteht mehr. Darum ist solch eine
Arbeit ein Teil meiner selbst, meines Herzens
69
DIEFßlEDENS-^&RTE
: 3
und meiner Seele. Da ich nun gerade mein
letztes Buch „Le droit des gens en marche
vers la paix" vollendet habe, so habe ich alle
Gedanken hineingelegt, und ich habe jetzt
nichts Neues zu sagen. Aber ich fühle viel
zu sehr Sympathie für Herrn Fried und seinem
Werke, als daß ich die Bitte, einen Aufsatz
für ihn zu schreiben, zurückweisen könnte.
Sobald es mir möglich ist, werde ich Ihnen
den Aufsatz schicken." Sechs Tage später
sandte Poortugael bereits den Aufsatz, der
unter dem Titel „Dardanellenstreitigkeiten" im
Junihefte 1912 der „Friedens-Warte" er-
schienen ist. Dr. Hans Wehberg.
Die Entwicklung der internationalen
Studentenvereine in Deutschland.
Erst im Jahre 1911 wurde die „Cos-
mopolitan-Club-Bewegung", die in Amerika so
großen Umfang angenommen hat, durch die
Gründung des ersten internationalen Studenten-
vereins an der Berliner Universität nach
Deutschland übertragen. Heute bestehen bereits
neben Berlin an den Universitäten in Bonn,
Göttingen, Heidelberg, Leipzig
und München solche Vereine. An anderen
Universitäten Deutschlands und Oesterreichs
(Freiburg, Innsbruck) sind solche in Vor-
bereitung. Die Vereine sind in einem „Ver-
band der internationalen Studentenvereine an
deutschen Hochschulen" organisiert, der im
vorigen Jahre seinen ersten Verbandstag in
Göttingen abhielt und in diesem Jahre den
zweiten in Leipzig abhalten wird. Die deut-
schen internationalen Studentenvereine werden
auch an der im Sommer dieses Jahres in
Ithaca im Staate New York ins Auge gefaßten
VIII. internationalen Konferenz der Studenten-
vereine beteiligt sein. Der „Verband" gibt
soeben die erste Nummer seiner Zeitschrift
„Vaterland und Welt" heraus, sowie das Mit-
gliederverzeichnis für das Wintersemester
1912/13, das Zeugnis gibt für die rege Be-
teiligung der Studenten wie für die fördernde
Teilnahme der Professoren. Ebenso veröffent-
lichte der „Verband" einen „Offenen Brief
Norman Angells an den Verband für inter-
nationale Verständigung und den Verband der
internationalen Studentenvereine an deutschen
Hochschulen" als Broschüre, die viel wert-
volles Propagandamaterial enthält. Als eine
der Veranstaltungen des Verbandes ist die Rund-
reise zu bezeichnen, die soeben (zwischen dem
1. bis 14. Februar) Norman Angell durch
Deutschland unternommen hat. Die jüngste
Ortsgruppe bildet der am 16. Dezember in
Heidelberg begründete internationale Studenten-
verein, der sich in Anlehnung an eine aus dem
18. Jahrhundert stammende Gründung „Nobiles
Academici" bezeichnet.
Die Vereine entwickeln an allen Uni-
versitäten eine reiche Tätigkeit. Es liegt in
ihrem Programme, mit geselligen Ver-
anstaltungen, die die Angehörigen der ver-
schiedensten Nationen vereinen, den großen
Kulturzweck, der ihnen zugrunde liegt, zu
verbinden. Alle Mitteilungen und das zur
Gründung ähnlicher Vereine nötige Material
erhält man durch den ersten Vorsitzenden
des Heidelberger Verbandes, Dr. George
Nasmyth in Heidelberg, Anlage 26.
HS)
Zwei neue Zeitschriften. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Nichts vermag besser den Fortschritt der
Friedensbewegung in Deutschland zu kenn-
zeichnen als die Entwicklung der Friedens-
Fachpresse. Neulich konnten wir die „Mit-
teilungen des Verbandes für internationale Ver-
ständigung" als neues Fachorgan anzeigen,
heute sind wir in der angenehmen Lage, gleich
zwei neue, gesinnungsverwandte Zeitschriften
zu begrüßen. Die eine trägt den viel-
sagenden Titel „Vaterland und Welt":
Sie ist das Organ des Verbandes der Inter-
nationalen Studentenvereine an deutschen Hoch-
schulen, jenes jüngsten Zweiges der großen Ver-
ständigungsbewegung, die damit ihren Einzug
in die deutschen Hochschulen vollzog. Der
Herausgeber ist Paul Baumgarten, einer
der Organisatoren des Göttinger Verbandstages
der internationalen Studentenvereine Deutsch-
lands, der im August v. J. stattfand. Der Heraus-
geber entwickelt in seinem Geleitwort den Plan,
„Vaterland und Welt" zu einer wissenschaft-
lichen Zeitschrift mit Abhandlungen aus den
Gebieten des Völkerrechts, der Völkerwirtschaft,
der Völkerpolitik, der Weltkultur, der Geschichte
des modernen Internationalismus usw. zu ent-
wickeln.
Die andere Zeitschrift betitelt sich „D i e
Eiche" mit dem Untertitel : „ Vierteljahres-
schrift zur Pflege freundschaftlicher Be-
ziehungen zwischen Großbritannien und
Deutschland." Sie ist das Organ des „Kirch-
lichen Komitees zur Pflege freundschaftlicher
Beziehungen zwischen Großbritannien und
Deutschland". Herausgeber ist der durch sein
Wirken als Sekretär jenes Komitees wohU
bekannte Pastor F. S iegmund- S c hult ze
in Berlin. Die neue Zeitschrift ist ein Beweis
für die erfreuliche Mitarbeit der kirchlichen
Kreise für den Völkerfrieden, die lange auf sich
warten ließ, nunmehr aber großzügig und in
voller Erkenntnis ihrer hohen Pflicht in den
Dienst der Völkerverständigung getreten ist.
Eine Denkschrift über die Reform
der Friedenskongresse.
Die niederländischen Delegierten auf dem
letzten Weltfriedenskongreß in Genf haben ihre
dort gemachten Erfahrungen in einer Denk-
schrift niedergelegt und daran Vorschläge über
die künftige Umwandlung der Kongreßorgani-
sation geknüpft. Die niederländische Friedens-
gesellschaft „Vreede door Recht" im Haag
bringt diesen Bericht in einer 16 Folioseiten
umfassenden Denkschrift zur allgemeinen
Kenntnis. Die von niederländischer Seite an
70
<g=
DIE FRIEDENS-WARTE
der Kongreßorganisation geübte Kritik ist um
so bemerkenswerter, als, wie bekannt, der dies-
jährige Weltfriedenskongreß im Haag ab-
gehalten werden soll.
Der Bericht beginnt mit einer Kritik der
in dieser Zeitschrift bereits zur Genüge gekenn-
zeichneten Vorgänge in Genf, von denen erzählt
wird, daß sie auch auf die niederländische
Regierung einen derartig ungünstigen Eindruck
gemacht haben, daß die Möglichkeit der Ab-
haltung des nächsten Kongresses im Haag eine
Zeitlang in Frage gestellt war. Der Bericht
richtet sich zunächst gegen die Art der Be-
handlung der sogenannten „Aktualitäten" und
den großen Raum, der ihnen auf den Welt-
friedenskongressen eingeräumt wird. Bekannt-
lich ging es in Genf so weit, daß sich der
Kongreß fast ausschließlich mit unfruchtbaren
Debatten über die Aktualitätsfragen befaßte,
so daß für die fruchtbare Arbeit gar keine
Zeit mehr übrigblieb. Es wird der Vorschlag
gemacht, daß der alljährlich erstattete Be-
richt über die Ereignisse des Jahres seines
persönlichen Charakters entkleidet und auf
Grund eines von der gesamten Kommission des
Berner Bureaus gelieferten Materials dem Kon-
gresse vorgelegt werde. Der Arbeit in den
Kommissionen soll ein größeres Gewicht bei-
gelegt werden, so daß sich dort die Haupt-
diskussionen abzuspielen hätten. Die Plenar-
sitzungen sollen verringert und nur für die
Darlegung der Ergebnisse der in den Kom-
missionen geleisteten Arbeit verwendet werden.
Die Ueberlastung des Programms wird mit
Recht getadelt und als wünschenswert be-
zeichnet, sich mit der Behandlung von zwei
oder drei wichtigen Punkten zu bescheiden.
Die darüber gemachten Vorschläge gehen dar-
auf hinaus, die amerikanische Kongreßmethode
mit vorher bestimmten Berichterstattern, ohne
Gelegenheitsdiskussion, und mit einer ein-
zigen, am Schluß zu fassenden Platform
einzuführen. Auch sehr vernünftige Vorschläge
über das Stimmrecht werden unterbreitet. Das
jetzt herrschende Reglement, wonach derjenige
die meisten Stimmen hat, der am meisten
bezahlt, erscheint in der Tat unhaltbar. Der
Bericht ist außerdem reich an wichtigen klei-
neren Vorschlägen, die im höchsten Maße be-
herzigenswert erscheinen, und die beherzigt
werden müssen, wenn die Weltfriedenskongresse
nicht beeinträchtigt werden sollen.
Es ist zu hoffen, daß die Reorganisation
des Kongreßwesens den hervorragendsten Be-
ratungspunkt der nächsten Sitzung der Berner
Kommission bilden wird. Für jeden, die Be-
wegung mit Aufmerksamkeit verfolgenden
Pazifisten ist es klar, daß der Pazifismus heute
weit über seinen ursprünglichen Umfang hinaus-
gewachsen ist. Wenn die Weltfriedenskongresse
als Versammlungen der pazifistischen Gesamt-
bewegung fernerhin werden gelten wollen, muß
die bisherige Methode und auch die bisherige
Zusammensetzung vollständig umgewandelt wer-
den. Das gleiche gilt auch für das Berner
Bureau selbst. Wenn dieses tatsächlich die
Herzkammer der Weltfriedensbewegung sein
will, muß es seine Organisation vollständig
ändern. Aber nicht in dem Sinne der jetzt
vorges chlagenen Statutenänderungen, die dar-
auf hinauslaufen, die Kommission des Bureaus
völlig auszuschalten und die Leitung in die
Hände des ständigen Berner Komitees zu legen.
Diese Absicht liegt gerade in der umgekehrten
Richtung, die die Entwicklung der Friedens-
bewegung eingeschlagen hat. Statt den Ge-
schäftskreis des Bureaus jener Entwicklung
entsprechend zu erweitern, soll er noch mehr
verengert werden. Was eine Weltzentrale sein
soll, würde dadurch lediglich zu einer lokalen
Friedensorganisation hinabgedrückt werden.
Noch ist zu hoffen, daß diese Gefahr beseitigt
werden kann.
MEt
Todesfälle. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: « '•'■ ~ - ~
Am 13. Januar starb zu Charlottenburg
der Präsident des deutsch-englischen Ver-
ständigungs-Komitees, kaiserlicher Botschafter
a. D. Wirkl. Geh.-Rat Dr. von Holleben.
Eduard de Neufville, der Vizepräsident jenes
Komitees, widmet dem Verstorbenen folgenden
Nachruf: „Von der Gründung des Deutsch-
Englischen Verständigungs-Komitees an dessen
Präsident, hat der Verewigte sein lebhaftes
Interesse und das reiche Maß seiner Er-
fahrungen in den Dienst jener, dem Frieden
zwischen den beiden großen Kulturnationen
dienenden, Bestrebungen gestellt. Leider hin-
derte ihn bereits im verflossenen Herbst sein
Gesundheitszustand an der Deutsch-Englischen
Verständigungs-Konferenz in London, an der
auch unser Komitee beteiligt war, teilzunehmen."
— Ende Januar starb in Madrid der frühere
Ministerpräsident Don Segismundo Moret,
der Mitglied des Haager Hofes, des Inter-
parlamentarischen Rats wie des europäischen
Rats der Carnegiestiftung war. Noch im Mai
vorigen Jahres nahm er an der Sitzung der
Carnegiestiftung in Paris teil.
MM
Kurze Mitteilungen.' :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: - " " .'.'• ?
Am 14. Februar feierte Ed. Ginn, der
Gründer der „Weltfriedensstiftung", in Aegypten,
wohin er sich zur Erholung begeben hat,
seinen 70. Geburtstag. — Die ständige
Delegation der französischen
Friedensgesellschaften ließ das von
der Wiener Polizei verbotene Plakat (siehe
„Fr.-W." 1912, Seite 463) ins Französische
übersetzen und in 3000 Exemplaren in Paris
und in der Provinz öffentlich anschlagen. —
Das in Berlin erscheinende „Journal d'Alle-
magne" setzt seine segensreiche Verständigungs-
arbeit zwischen Deutschland und Frankreich
fort. Es veranstaltet jetzt eine Rundreise
französischer Kaufleute nach
Berlin und Leipzig, die in der Zeit
vom 1. bis 8. März stattfinden wird. — Nach
einem Vortrage Norman Angells wurde am
71
DIEFBIEDEN5-v^\BTE
3
1. Februar in Frankfurt a. M. eine Frankfurter
Ortsgruppe des Verbandes für internationale
Verständigung begründet, deren Vorstand fol-
gendermaßen gebildet wurde: Erster Vor-
sitzender Prof. Freudenthal, zweiter Vor-
sitzender Geheimrat H u p e r t z , Schriftführer
Dr. S t r u p p , Beisitzer Prof. Dr. R ö ß 1 e r ,
Bankdirektor Meier, Oberlandesgerichtsrat
Höhne, Prof. Nippold. — In Leipzig ist
ein französisches Handelsbureau gegründet
worden, dessen Aufgabe es sein soll, den
französischen Export nach
Deutschland zu fördern. — Prinz
Heinrich der Niederlande hat das
Protektorat über den XX. Weltfriedenskongreß
übernommen.
LITERATUR U PRESSE
White, Andrew Dickson.
Sieben große Staatsmänner im Kampfe der
Menschheit gegen Unvernunft. Autorisierte
Uebersetzung aus dem Englischen von Dr.
Karl und Paul Kupelwieser und Alban Voigt.
Gr. 8 0. München 1913. Ernst Reinhardt.
411 S.
Andrew D. White ist den Pazifisten als
hervorragender Mitarbeiter an der ersten Haager
Konferenz und durch seine ausgezeichneten
Lebenserinnerungen*), sowie durch seine Mit-
arbeit an der Entwicklung des internationalen
Rechts und der Völkerverständigung kein Un-
bekannter mehr. Lange war er diplomatischer
Vertreter seines Vaterlandes in Berlin, wo er
mit den hervorragendsten Persönlichkeiten
regen Verkehr unterhielt. Er ist von Beruf
Historiker. In Ithaca im Staate New York
wirkt er als Präsident der Cornell-Universität
im Dienste der Wissenschaft.
Das vorliegende Buch ist eine moderne
Kulturgeschichte in Gestalt von Lebens-
beschreibungen hervorragender Männer, die den
„Kampf gegen Unvernunft" geführt haben.
Dieser Kampf ist das eigentliche Kriterium
des großen Mannes. In der Ueberwindung der
Zeit, ihrer Vorurteile und Verknöcherungen liegt
ja die Größe der Bahnbrecher. Die sieben großen
Männer, die White zum Ausgangspunkt seiner
kulturgeschichtlichen Darstellung nahm, sind:
Sarpi, Grotius, Thomasius, Turgot, Stein,
Gavour, Bisrnarck. Für die Leser dieser Zeit-
schrift wird namentlich die Schilderung des
großen Niederländers von Interesse sein, dem
runder des modernen Völkerrechts, für den
White schon in seinen Lebens er innerungen eine
große Vorliebe bekundet. In aller Erinnerung
der Teilnehmer an der ersten Haager Konferenz
ist noch die schöne Feier, die Andrew D. White
am 4. Juli 1899 am Grabe des Grotius in
Delft veranstaltete, seine Rede, die er dabei hielt,
und die feierliche Niederlegung eines Silber-
kranzes auf dem Grabe namens der Delegation
der Vereinigten Staaten in Gegenwart der
Haager Delegierten.
Den Zustand der völkerrechtlichen Be-
*) Siehe: Fr.-W. 1905, S. 207 den Aufsatz
„Andrew D. White über die I. Haager Kon-
ferenz".
griffe, den Hugo Grotius vorfand, schildert
White in anschaulicher Weise. Man muß
den Wahnwitz erkennen, dem sich die Staa-
ten um die Wende des 16. und 17. Jahr-
hunderts über den Besitzanspruch der offenen
Meere hingaben, um die Bedeutung von Grotius'
völkerrechtlichem Erstlingswerk „mare li-
berum" ganz zu verstehen. England z. B. be-
anspruchte das Besitzrecht über alle Meere,
die es vom Festlande trennten, und es hielt
sich allein berechtigt, dort zu fischen und
Schiffahrt zu treiben. Andere bedurften dazu
der Erlaubnis Englands. Aehnliche Ansprüche
stellten Spanien und Portugal, stellten Venedig,
Genua und Pisa. Da erschien das Buch des
Grotius und erklärte alle diese Ansprüche für
nichtig. Von englischer Seite wurde ein
holländischer „Gelehrter" veranlaßt, Grotius zu
widerlegen. Wie er dies tat, schildert
White in anschaulicher Weise. Seiden, dies
ist der Name des Opponenten, begann damit,
sich auf die Bibel zu stützen. Er zitierte
z. B. einen Vers der Genesis, wonach Gott zu
Adam gesagt habe: „Die Fische des Meeres
sollen dein Eigentum sein", und folgerte daraus,
daß, da die Fische die Nutznießung des Meeres
sind, ein Eigentumsrecht an diesen von
Gott den Menschen gegeben sei. Der Be-
kämpfer des Grotius folgerte also ungefähr,
daß das Besitzrecht am Meere „ein Element
der göttlichen Weltordnung" sei.
Interessant ist es, wie White die Wir-
kung des großen Werkes des Grotius, seiner
„libri tres de jure belli ac pacis", schildert;
wie es allmählich in die Köpfe der Menschen
Eingang fand und ihre Ideen revolutionierte,
trotzdem es anfänglich, wie jede große Idee,
großer Gleichgültigkeit begegnete. Gustav
Adolf führte das Buch, das 1625 erschienen
war, auf seinen Feldzügen mit sich. Aus
seinen Ansprachen an die Soldaten, worin er
sie vor Grausamkeiten warnte, ist der Ein-
fluß des Buches auf den schwedischen König
erkennbar. Die Milde, die Kardinal Richelieu
bei der Einnahme von La Rochelle walten ließ,
die drei Jahre nach dem Erscheinen jenes
Buches erfolgte, ist auf dessen Einfluß zurück-
zuführen. White schildert anschaulich das
„Erstaunen der Welt", die ein fürchterliches
Blutbad, erwartet hatte, und führt einen glaub-
würdigen Beweis zugunsten des Einflusses des
Grotiusschen Werkes auf den fanatischen und
grausamen Kardinal. „Selbst wenn der Kar-
dinal das Buch", so schreibt er auf S. 61,
„nur ebenso wie Nikolaus II. von Rußland
das epochemachende Werk Johann von Blochs
gegen den Krieg, das ist lediglich durch
Berichterstattung, Besprechungen, Diskussionen,
kennen gelernt hätte, würde er seinen Haupt-
inhalt erfahren haben müssen."
Im Westfälischen Friedens traktat findet
White „allgültige Prinzipien" verwirklicht,
denen Grotius zum erstenmal Ausdruck ge-
geben hatte. So die Idee der Staatengleich-
heit, der Milde und der Vorstellung einer
ewigen Gerechtigkeit.
Von hoher aktueller Bedeutung angesichts
der Balkangreuel ist die Schilderung Whites
von der ungezügelten Kriegsführung der Zeit,
die Grotius zu seinem Werke inspirierte.
„Eine Kriegserklärung schien einen Freibrief
zu geben für jede Art von Verbrechen", schreibt
Grotius selbst. Wie recht haben jene, die da
72
C£
DIE FRIEDEN5-WAB.TE
behaupten, daß der Balkankrieg im Geiste des
dreißigjährigen Krieges geführt wird. Von
erschütternder Wirkung ist in den Dar-
legungen Whites die Schilderung der Einfluß-
nahme der Kirche und des Papsttums gegen
die Versuche einer Milderung der Kriegssitten
und einer Einschränkung der Kriege. Nicht
nur das Kapitel über Grotius, alle Dar-
stellungen dieses Buches bilden so eine heftige
Anklage gegen die kulturhemmende Wirk-
samkeit des Klerikalismus. Im Verlaufe des
Essays schildert dann White den Einfluß der
Arbeit des Grotius auf die Völkerrechts-
vorkämpfer des 17. und 18. Jahrhunderts. Ein
Eingehen hierauf verbietet sich durch die
Raumverhältnisse. Ebenso ein Eingehen auf
jene ausgezeichneten Darstellungen, die nicht
direkt die Friedensidee berühren. Aber jeder
Pazifist wird sie mit ungeteiltem Interesse
lesen. Es war ein verdienstvolles Unternehmen,
dieses klassische Werk der deutschen Lesewelt
zu vermitteln, bei der es sich bald einen
dauernden Platz erringen wird. Man wird das
Buch Whites unter den großen Aufklärungs-
schriften der Gegenwart nicht übersehen dürfen.
A. H. F.
Sombart, Werner.
Krieg und Kapitalismus. Gr. 8 °. München und
Leipzig 1913. Duncker & Humblot. VIII.
232 S. 6 M.
Vom pazifistischen Gesichtspunkt bietet
das vorliegende Buch gar keine Ausbeute. Es
ist eine interessante kulturgeschichtliche Studie
mit wertvollen Belägen über die Entwicklung
des modernen Heerwesens. Der Verfasser ver-
sucht, die marxistische Lehre, wonach der
Krieg eine Folge der kapitalistischen Wirt-
schaftsform ist, umzudrehen und darzulegen,
daß die kapitalistische Wirtschaftsform eine
Folge des Krieges sei. Im Heerwesen wurde
der Uebergang vom Handwerk (Einzelkämpfer)
zum organisierten Betriebe (Armeebildung) zu-
erst vollzogen. Der Krieg hat das staatliche
.Schuldenwesen und damit den Kredit- und
Börsenverkehr geschaffen, er hat das Wirt-
schaftsleben „kommerzialisiert". Der Krieg
hat die Technik erzogen, zuerst einen Massen-
bedarf hervorgerufen und dessen Befriedigung
ermöglicht, eine kapitalistische Industrie hervor-
gerufen. Das ist kulturhistorisch sehr inter-
essant, man muß sich nur hüten, die Fol-
gerung, die der Autor daraus zieht, zu ver-
allgemeinern. Er spricht nämlich von dem
,. doppelten Gesicht des Krieges: hier zerstört
er und dort baut er auf". Das kann gefährlich
werden — und zweifellos wird das Sombartsche
Buch diese Gefahr zeitigen — , wenn man diese
Lehre auf die Zukunft übertragen will. Sombart
erklärt ausdrücklich (S. 15), daß er seine Be-
hauptungen „nur für diese frühkapitalistische
Epoche" aufstelle, daß er nur für die „Pubertäts-
jahre" des modernen Kapitalismus „die über-
ragende Bedeutung des Militarismus" be-
haupte. Zukunftswissen im Ostwaldsehen Sinne
ist aus diesem Buche nicht zu ziehen. Schon
aus dem Grunde nicht, als alle diese günstigen
Einwirkungen des Krieges auf die Kultur-
entwicklung schließlich von jedem anderen
Uebel nachgewiesen werden können; ebensogut
auch von Wasser- und Feuergefahren, von Pest
und Cholera,, kurz von dem naturfeindlichen
Wesen aller Naturgewalten. Ist doch der
Kampf gegen diese das wirklich kultur-
erzeugende Element, das die Menschheit von
der Tierheit emanzipierte. Jede Nutzanwendung
dieses Buches, das schließlich auf die alte Volks-
weisheit hinausläuft, wonach kein Unglück so
groß wäre, daß nicht auch ein Glück dabei
sei, zugunsten der Kulturkraft des Krieges an
sich, insbesondere aber für die Gegenwart oder
die Zukunft, wäre ein Irrtum.
Der Verfasser hat es zwar unterlassen, im
Buche selbst ein Werturteil zu fällen, das
geeignet wäre, den Vorwurf gegen ihn zu er-
heben, daß er diese irrige Ausnutzung seiner
Arbeit unterstütze. Leider hat er im Vorwort
diese Neutralität nicht bewahrt; denn dort
spricht er von der großen Bedeutung, „die der
Krieg für unser Kulturleben gehabt hat, hat
und haben wird, solange Männer das
Schicksal der Völker bestimmen werden". Er
überspringt damit die Grenze, die er sich in
seinem Buche selbst gesetzt hat, und schließt
von den Verhältnissen vom 13. bis zum Ende
des 18. Jahrhunderts auf unsere vöUig veränderte
Gegenwart und Zukunft. Gerade die Unhaltbar-
keit dieser Methode hat Norman Angell in
seinem epochemachenden Werk glänzend wider-
legt. A. H. F.
Angell, Normann,
Die Falsche Rechnung. Was bringt ein Krieg
ein? 8°. Berlin. Vita, Deutsches Verlagshaus.
266 S. Lwdbd. 1,25 M.
Diese neue Volksausgabe des klassischen
Werkes von Normann Angell befriedigt uns
leider nicht in dem Maße, wie wir es im Inter-
esse der Sache gewünscht hätten. Zunächst
müssen wir den Titel als ungeeignet zurück-
weisen. Es geht nicht an, den Titel eines
Werkes, das sich bereits Weltruhm errungen,
nach Gutdünken zu ändern. Uns kommt das
so vor, als wollte man dem Darwinschen Werke
„Die Entstehung der Arten" nun plötzlich den
Titel geben: „Wo kommt der Mensch her?
Stammt er vom Affen ab?" Die Bezeichnung
„Die große Täuschung" klingt uns auch viel
würdiger, als die etwas trivial klingende Frage,
ob der Krieg etwas „einbringt". Gerade im
Interesse der großzügigen Propaganda, die mit
dem Buche gemacht wird, hätte man sich die
Titeländerung hundertmal überlegen sollen.
In der neuen Ausgabe sind einige Kapitel
des Buches ganz weggelassen worden. Hingegen
sind allerdings vier Kapitel neu hinzugekommen.
Ob es sich am Ende nur um Aenderung der
Ueberschriften handelt, konnte nicht festgestellt
werden. Gerne hätten wir auf der ersten Seite
(im Vorwort) den von uns schon früher be-
mängelten Satz vermißt: „Man sieht, der Ver-
fasser ist kein Pazifist." Das ist eine direkte
Irreführung, die Normann Angell selbst schon
unzählige Male widerlegt hat. In seinem
neuesten Buche „Peace Theories and Balkan
War" nennt er sich selbst auf jeder
Seite einen Pazifisten. Was soll denn
diese Wortspielerei auch besagen. Es ist rich-
tig, daß gewisse Methoden des Pazifismus dem
Zeitgeiste nicht mehr entsprechen und bei
der Werbung von neuen Anhängern die Ver-
wechselung des Pazifismus mit diesen Methoden
oft hinderlich ist. Als Konzession für die
Taktik ist diese Verleugnung wohl zu begreifen
73
DIE FRIEDENS -^&QTE
[©
und auch zu entschuldigen. Aber im wissen-
schaftlichen Kampfe kann man derartiger Aus-
hilfemittelchen wohl entbehren. Pazifismus ist
eine Kollektivbezeichnung für alle Be-
strebungen, die an Stelle der heutigen Staaten-
beziehungen eine vernünftige Ordnung setzen
wollen. Diese Bestrebungen sind verschieden;
ihr Ziel ist das gleiche. Auch dem Schluß-
kapitel, das der Volksausgabe neu hinzugefügt
ist, können wir nicht so ohne weiteres bei-
pflichten. Dieses scheint uns fast „in usum
germanorum" geschrieben zu sein. Wir finden
darin einige Behauptungen, die uns so vor-
kommen, als seien sie bestimmt, der in Deutsch-
land vorherrschenden Geistesrichtung Kon-
zessionen zu machen. Vom „Fehlschlagen" der
Haager Konferenzen zu reden, ist ein bißchen
stark, ebenso die Behauptung, daß das große
Wachstum der Rüstungen von der ersten Haager
Konferenz ab datiert; eine Da tum bestimm ung,
die so aussieht, als sollte damit dem Haager
Werk Abbruch getan werden. Der Ausfall gegen
Friedensyersammlungen, Petitionsunterzeich-
nungen und sogar gegen, die. anglo-deutschen
Verständigungsbestrebungen erscheint uns völlig
unangebracht. Man mag über den Wert einzelner
dieser Handlungen denken wie man wolle,
wenn man den Schlußeffekt will, darf man
auch über solche Methoden nicht verächtlich
urteilen, die vielleicht diesen Nutzeffekt nicht
in direktester Linie herbeiführen. Es geht eben
nicht an, das gesamte Friedensproblem auf einem
einzigen Argument aufzubauen. Der Grund
könnte dadurch ins Wanken kommen, auf dem
man das Haus aufbaut. Evolution der Ideen,
nicht Revolution führt uns zum Siege.
Im "übrigen ist es nicht notwendig, zu be-
tonen, welch ungeheueren Wert wir dem großen
Werke Norrnann Angells beilegen, und wie wir
es als Rüstzeug im Kämpf gegen den Krieg-
schätzen. Eben weil dies der Fall ist, suchen
wir es durch die hier vorgebrachten Mängel
immer vollkommener zu gestalten. Auf den
Gesamtinhält werden wir noch ausführlich
zurückkommen.
Wir - verlangen für die nächsten Auflagen
Rückkehr zum alten Titel und Fortlassung-
aller zu Mißverständnissen führenden Seiten-
hiebe auf den Pazifismus.
Oppenh eim, L. ...
The Panama Canal Conflict betwen great
Britain and the United States of America.
A. Study. 8°. Cambridge 1913. Universitv
. Press. 57 S. Cloth.
Der hervorragende Völkerrechtsgelehrte be-
faßt, sich in der vorliegenden Schrift mit der
gegenwärtig . interessantesten völkerrechtlichen
Frage. Er tritt für die schiedlich^ Erledigung
des Streitfalles ein, obwohl er bezweifelt, ob
dieser nach dem . Wortlaut des anglo-amerika-
nischen Schiedsvertrages von 1908 der Schieds-
gerichtsbarkeit unterworfen werden mußte, da
darin Streitfälle, die die Interessen Dritter
berühren — was hier .zutrifft — :, von dem
Obligatorium ausgenommen sind. Doch bet-
trachtet er diesen Umstand als. geringfügig,
•denn -es handelt sich nicht darum, ob die
Vereinigten Staaten vertragsmäßig verpflichtet
.seien, den. Streit ;gchiedlich erledigen zu lassen,
sondern darum, daß eine ihrem ganzen Wesen
nach für die- schiedliche ^Erledigung geeignete
Sache unter keinen Umständen dieser Lösung
entzogen werden darf. Das Ansehen der
Schiedsgerichtsbarkeit steht für ein ganzes
Menschenalter auf dem Spiele.
Die interessante Schrift ist geeignet, über
das Wesen des Panama- Streitfalles aufzuklären.
Ueber dieselbe Frage hat auch Prof. Kauf-
mann (Berlin) in der Revue de Droit int.
geschrieben. Sein Aufsatz wird auch in der
Zeitschrift für Völkerrecht erscheinen und noch
in diesen Blättern besprochen werden.
Für den Frieden! 8°. München. Simpli-
zissimus-Verlag. 104 S.
Verkleinerte Wiedergabe satyrischer Bilder
aus dem Simplizissimus mit antikriegerischer
Tendenz. Manches gehässige Bild gegen Eng-
land hätten wir in dieser Sammlung, die dem
Frieden dienen soll, gern vermißt.
Sturm, August, Dr.
Die Einteilung des Rechts und die Abtrennung
des internationalen Privatrechts sowie des
Friedensrechts, eine rechtspsychologische Ab-
handlung. Gr. 8°. Berlin, Franz Vahlen, 1912.
152 S. Preis 4 M.
Sturm ist unter den alten Burschen-
schaftern, die für die Friedensbewegung ein-
treten, einer der eifrigsten. Seit 1910 hat er
bereits fünf Werke geschrieben, die schwere
wissenschaftliche Betrachtungen zugunsten un-
serer Bewegung enthalten. Es kann auf die
Dauer nicht ohne Einfluß sein, wenn ein an-
gesehener Mann mit solcher Hartnäckigkeit
und in Werken, die von sehr guten Verlegern
verbreitet werden, für unsere Idee eintritt.
Sturm befürwortet auch in diesem Buche vor
allem einen Gerichtshof für alle international-
rechtlichen Fragen im Haag, ferner die Er-
richtung von Völkerrechtslehrstühlen. Das
Buch ist im Verhältnis zu seinen umfang-
reicheren Werken recht verständlich ge-
schrieben.
Eingegangene Druckschriften. :::::; " " :::::: ::
(Besprechung vorbehalten.)
La Vie Internationale. Revue 'sen-
suelle des Idees, des faits et das. organismes
internationaux. Tome IL. 1912. Fascicule 7.
Aus dem Inhalt: Ernest Röthlis-
berger, Le Droit des Auteurs et des Artistes
et les Unions Internationales. — Dr. John
M e z , Le Cheque postal international et les
resultats des virements postaux en Autriche,
en Hongrie, en Suisse et en Allemagne. . —
Notices, faits, documents.
' Periodisches Bulletin des Inter-
nationalen Socialistischen Bureaus. 3. Jahrg.
Nr. 9, mit 2 Supplementen. Folio. Brüssel. 1913.
(Zu beziehen durch: Camille. Huysmans, Maison
du Peuple, nie - Joseph Stevens Nr. 17,) In
deutschem, französischem und englischem Text.
Spezialnummer „Gegen den Krieg". Akten
und Vorgänge des Baseler Kongresses,.
An gell, Norman,
Offener Brief an den Verband für internationale
■ Verständigung und den Verband der inter-
: nationalen Studenten -Vereine an deutschen
74
@:
= DIE FRIEDENS -VJC&TE
Hochschulen. 8°. Göttingen. 12 S. (Zu be-
ziehen durch Paul Baumgarten, Göttingen,
Bühlstr. 15.)
Bührer, K. W.,
Raumnot und Weltformat. 8°. München 1912.
Die Brücke. F. d. Buchhandel: Fr. Seybolds
Buchhdlg. in Ansbach. 32 S. 60 Pf.
Bührer, K. W.,
Weltarchiv der Brücke. Abteilung Kleingraphik.
89. München 1912. Die Brücke. 15 S. 60 Pf.
Feldhaus, Richard,
Gedanken über den Frieden. 100 Aussprüche
führender Geister. Für die Friedensfreunde
zur Ermutigung, Erbauung und Erstarkung
ihrer Ideen, für alle Kriegsanhänger zur Be-
lehrung. Kl. 8 0. o. O. u. J. 15 S. (Zu be-
ziehen durch Rieh. Feldhaus, Bottminger
Mühle b. Basel.)
Hoensbroech, Graf von,
14 Jahre Jesuit. Persönliches und Grundsätz-
liches. Volksausgabe. 2 Bde. gr. 8°. Leipzig
1912. Breitkopf & Härtel. VIII u. 182, IV
u. 196 S. ä Bd. 1 M.
J a e c k h , Dr. Ernst,
Deutschland im Orient nach dem Balkankrieg.
8°. München 1913. Martin Mörikes Verlag.
158 S. 2 M.
Klopp, Onno,
Politische Geschichte Europas seit der Völker-
wanderung. Vorträge. 2 Bde. gr. 8°. Mainz
1913. XII u. 460 und VII u. 413 S. Verlag
• Kirchheim & Co. Eleg. Lwdbde. 15 M.
(Lehr, E.,)
Drei Andachten. 1. Gebet eines Leidenden für
die Genesung wahnsinniger Mordpatrioten-
horden und der europäischen, in ethischer
Beziehung geisteskranken Diplomaten. 2. Bitt-
gottesdienst für den Triumpf (sie!) der
menschenschändenden Kriegsbestie, welche
nebst Stumpfsina und Massenelend, Krüppel,
Witwen und Waisen schafft. 3. Tägliches
Gebet des allzeitigen Friedensfürsten und die
aus der tiefreligiös-inhaltsreichen, Herz und
' Gemüt belebenden Gottesandacht sich er-
gebenden Morallehre. 8°. Wien „im XX. Jahr-
hundert", 16 S. u. „Nachklänge", 4 S. (Zu
beziehen durch den Verfasser: JE. Lehr, Wien
II/l, Roten Sterngasse 20.)
• M a n d 1 , Leopold,
Oesterreich-Ungarn und Serbien nach dem
"r Balkankriege. Materialien zum Verständnis
der Beziehungen Serbiens zu Oesterreich-
Ungarn. 80. Wien 1912. Moritz Perles. 60 S.
Markus,
Die Volksherrschaft im Gottesstaat, der Staat
der Zukunft. In Form einer Erzählung ge-
schildert. 8°. Berlin 1913. Politik -Verlags-
anstalt. 153 S.
N e u r a t h , Dr. Otto,
Die finanziellen und wirtschaftlichen Rück-
wirkungen des modernen Krieges. Vortrag
fehalten in der 60. Monatsversammlung des
ndustriellen-Klub am 14. Nov. 1912. Obl.-8°.
Wien 1912. Verlag des Industriellen - Klub
(Wien III, Heuinarkt 12). 20 S.
Os twald, Wilhelm, . ..'....'
Sekundäre Weltformate. 8°. München 1912. Die
Brücke. , F. d. Büchhdl. : , Fr. Seybold's Buch-
handlung, Ansbach. 12 S. 30 Pf.
Wehberg, Dr. med. Heinrich,
Beiträge zur Entwicklung und Begründung des
Sozialismus. 8°. Hagen i. W. 1898. Hermann
Riesel & Co. 64 S. 1,50 M.
Zur Erinnerung an Dr. med. Heinrich
Wehberg. (1855—1912.) Seinen Freunden
und Verehrern gewidmet, o. O. u. J. (Zu be-
ziehen durch Dr. Hans Wehberg, Düsseldorf,
Jülicherstr. 86.) 12 S.
Union Interparlementaire.
Oommission des Declarations de Neutralite
permanente. II. Proces verbal de la Seance
du 21. sept. 1912. 8°. S. 25—34. (Zu beziehen
durch das Interparl. Amt in Brüssel.)
Union Interparlementaire.
Proces verbaux de la Commission des Detroits
et des canaux maritimes. IL Seance du
17. sept. 1912. 8°. S. 41—56. (Zu beziehen
durch das Interparl. Amt in Brüssel.)
„International C onciliati on."
No. 63 (Februar 1913). William Howard
Taft, The Time to test our faith in Arbi-
tration. — Arnos S. Hershey, Should the
Panama Canal Tolls Controversy be arbi-
trato? 22 S.
Jedes Heft: 8°. (Zu beziehen kostenlos
von „American Association for International
Conciliation" Sub-Station 84 (407 West 117 th
Street) New York City,.
Maryland Quaterly.
No. 12 (Nov. 1912). S. C. Mitchell, The
Phases of Progress toward Peace. 8 °., Balti-
more, U. S. A. 1912. Maryland Peace Society,
1925 Park Avenue. 17 S.
Pause and Consider. Letter and Edi-
torials reprinted from the „Japan Times". 8 °.
Dezember 1012. (Tokio.) 27 S.
B a j e r , Fred.,
Dansk Interparlamentarisk Gruppes Aarborg II.
8 o. Kjöbenhavn. 1913. J. H. Schultz.
Zeitschriften -Rundschau. :: :: :: :: :: :: :: :: :: j; *
H. W. Im Januarheft des „Advocate of
Seace" wird die Nichterteilung des Friedens-
robelpreises einer scharfen Kritik unterzogen.
In, keinem Jahre, so heißt es dort, hätten die
Friedensfreunde so sehr für den Frieden ge-
wirkt, wie gerade in der letzten unheilvollen
Zeit des italienisch-türkischen und des Balkan-
krieges. Interessant ist die Aufzählung der-
jenigen Männer, die nach Ansicht der Redaktion
den Nobelpreis verdient hätten. Unter den
Amerikanern Taft, Carnegie, Ginn, Bartholdt,
Butler, David Starr Jordan und Senator Elihu
Rbot, unter den Deutschen Quidde, unter den
Engländern Lord Weardale, Dr. Darby und
Alexander. Ich möchte dazu bemerken, daß
meines Erachtens für Deutschland unter den
eigentlichen Pazifisten Umfrid des Preises am
meisten würdig ist. Er hat wie kein anderer
unermüdlich für die Sache agitiert,; Unter den
Völkerrechtslehrern nenne- ich in erster Linie
v. Bar, der schon zu einer Zeit, als .andere
Universitätsprofessoren noch spöttisch über
uns : lächelten, .der Friedensidee mit .größtem
Verständnis begegnet ist. Bei Umfrid und
v, Bar würde es sich nicht lediglich um eine
Krönung erfolgreicher Bemühungen für - den
75
DIE FBIEDEN5-^ÄßTE =
3
Frieden handeln, sondern mehr noch um die
Anerkennung großer und seltener, im Laufe
eines ganzen Lebens bewiesenen Treue zu der
Idee des Fortschrittes der Menschheit und des
Völkerfriedens. Wenn wirklich der Nobelpreis
im Sinne seines Stifters verteilt werden soll,
dann darf nimmermehr lediglich auf die guten
Erfolge irgendeiner Persönlichkeit im Dienste
unserer Sache gesehen werden, sondern mehr
noch auf die -edle Gesinnung, aus der heraus
jene Taten entstanden sind. Von diesem Stand-
punkte aus aber soll man möglichst zurück-
greifen auf diejenigen, die bereits zu einer Zeit,
als man die Friedensidee noch verlachte, dieser
ihre ganze Kraft, ihren ganzen Glauben ge-
weiht haben. Nächst v. Bar ist Zorn der am
meisten verdiente Anwärter auf den Friedens-
preis.
In demselben Hefte schreibt Mead einige
Erinnerungen über die ersten Lake Mohonk-
Konferenzen im Hinblick auf den Tod ihres
Stifters Smiley. Auf der ersten Lake Mohonk-
Konferenz im Jahre 1895 waren nur 56 Per-
sonen anwesend, aber bereits im folgenden
Jahre schon 286. Mead weist ferner darauf
hin, welch großes Verdienst sich die drei ersten
Lake Mohonk - Konferenzen durch die Befür-
wortung eines ständigen Tribunals erworben
haben. Trueblood hat damals die Diskussion
des Problems angeregt, und Dr. Haie hat die
Idee mit großartiger Beredsamkeit vertreten.
Wie auf der Interparlamentarischen Versamm-
lung von 1894, so herrschte auch auf den ersten
Kongressen zu Lake Mohonk noch viel Skepti-
zismus gegenüber der Realisierung dieses Pro-
jektes. Der Grundgedanke der Lake Mohonk-
Konferenzen ist allzeit gewesen: nicht auf die
Schrecken des Krieges einzugehen, sondern die
Mittel zu -erörtern, durch die er überwunden
werden kann, insbesondere die Schiedsgerichts-
barkeit.
„Advocate of peace" schreibt ferner über
die amerikanische Reise der (Baronin jSuttner u. a.
folgendes : „Eines ihrer letzten Auftreten war iD
Washington, wo ihr zu Ehren ein Bankett ver-
anstaltet wurde. Dieses Fest vereinigte viele
Mitglieder des diplomatischen Korps, Senatoren,
Kongreßmänner und andere hervorragende Per-
sönlichkeiten sowohl aus Regierungs- als aus
Gesellschaftskreisen. Es war ein Tribut, wie
Washington selten darbringt irgendeinem großen
Staatsmann oder einem Gast aus königlichem
Geblüt. — Die ganze Tournee war großartig.
Die Baronin hat tiefen Eindruck gemacht, wo
immer ihrer Botschaft gelauscht wurde. Ihre
fühlbare Aufrichtigkeit, die Tiefe ihrer Emp-
findung, hervorgegangen aus ihrem langen Kon-
takt mit dem europäischen Militarismus, ver-
liehen ihren Ausführungen große Ueberzeugungs-
kraft. Ihre Mahnung an unser Land, es möge
seiner hohen Mission treu bleiben und die
Führerschaft zur Weltverbrüderung fortsetzen,
erinnerte an die Aeußerungen und Warnungen
mancher großer biblischer Propheten."
In Nr. 1 der „Korrespondenz des Verbandes
für internationale Verständigung" wendet sich
Piloty gegen einen Artikel des Vizepräsidenten
des Deutschen Reichstages Paasche, der kürz-
lich an dem Ausdrucke Kiderlen- Waechters von
der „herzlichen Intimität" der deutsch -eng-
lischen Beziehungen gesprochen hatte. Er
weist nach, wie billig es ist, den Beifall der
großen Menge bei Anklagen gegen England zu
finden, und als wie töricht gleichzeitig ein
Artikel bezeichnet werden muß, der im gegen-
wärtigen Augenblicke das deutsch - englische
Problem losgelöst von den Balkanwirren er-
örtert. Mit Recht meint er, es sei wenig real-
politisch, in diesem Augenblicke einen solchen
Artikel wie den Paasches zu schreiben.
In demselben Hefte gibt Strupp in zwei
Aufsätzen einen guten Ueberblick über den
spanisch-französischen Marokkovertrag und den
Frieden von Lausanne. Am Schlüsse des ersten
Aufsatzes sagt er: „Daß die Schiedsgerichts-
idee in dem Vertrag offene Anerkennung er-
fährt, daß beide Staaten sich verpflichten,
Streitigkeiten bei seiner Anwendung oder Aus-
legung dem Haager Schiedsgericht zu unter-
breiten, muß jeden Anhänger jenes groß-
artigsten Völkerrechtsinstitutes, muß jeden
Freund internationaler Verständigung und des
Friedens mit hoher Freude erfüllen. In drei
der bedeutendsten, politischen Verträge der
letzten sieben Jahre die ausdrückliche Unter-
werfung unter die internationale Schieds-
gerichtsbarkeit! Darf man da noch ernsthaft
daran zweifeln, daß die Gewalt jener Idee auch
die Staaten in ihren Bann gerissen hat?"
In einem weiteren Aufsatze derselben Korre-
spondenz verlangt W. Klohs eine schnellere
Ratifikation des Schiedsabkommens, die ja be-
reits der jüngste Weltfriedenskongreß und die
Interparlamentarische Versammlung befürwortet
haben. In diesem Aufsatz befindet sich ein
Irrtum, der nicht unwidersprochen bleiben
kann. Verfasser sagt nämlich, durch das Ab-
kommen von 1907 sei das Abkommen von 1899
auch für diejenigen Staaten hinfällig geworden,
die das erstere noch nicht ratifiziert haben.
Da also die Balkanstaaten, außer Rumänien
sowie Italien, das Schiedsabkommen von 1907
nicht ratifiziert haben, so seien sie an das
Schiedsabkommen nicht gebunden, weder in
der alten, noch in der neuen Form. Das ist
unrichtig. Das Abkommen von 1899 gilt nach
den Bestimmungen für Serbien, Bulgarien,
Griechenland usw. so lange fort, bis sie es
gekündigt haben. Daß dies auch die Ansicht
der Regierungen ist, ergibt sich daraus, daß
alle Staaten finanziell zu dem Bureau des
Haager Schiedshofes beitragen, im Verwaltungs-
rate vertreten sind usw. Damit erledigt sich
die weitere Behauptung von selbst, wonach
gerade diejenigen Staaten in den letzten Jahren
Krieg geführt hätten, die das Schiedsabkommen
nicht ratifiziert hätten. Daß der Artikel 48
für jene Staaten, die das neue Abkommen nicht
ratifiziert haben, nicht gilt, ist allerdings zu-
treffend. Dieser Artikel ist aber praktisch nicht
von Bedeutung. Er kann insbesondere ein
direktes Klagerecht nicht ersetzen, weil der
Kompromiß, die entscheidende Schwierigkeit,
bestehen bleibt.
Fachpresse. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: '•'• « " « ::
Völkerfriede (Eßlingen). Jan. 0. U., 1813
bis 1913. — Vaterländische Geschichte. —
Rieh. Feld haus, Der internationale
Sozialistenkongreß in Basel und der Krieg.
— O. Graewe, Chauvinistischer Haß gegen
die Friedensbewegung. — A. We s t p h a 1 ,
Jahresversammlung des Landesvereins Würt-
temberg der Deutschen Friedensgesellschaft.
— usw.
76
<£
DIE FRIEDENS -WARTE
— Febr. U. M., Bela-st ungsproben. — R. Wie-
la ndt, Friedensbestrebungen und Männlich-
keit. — Aufruf der deutsch-iranz. Liga. — usw.
Korrespondenz: des Verbandes für
internationale Verständigung
(Würzburg). Nr. 1. Prof. Rob. Piloty,
Deutsche Realpolitik. — Dr. Karl Strupp,
Der spanisch-französische Marokkovertrag. —
— D r. K a r 1 St r u p p , Der Friede von
Lausanne. — W. Kloh s, Die Ratifikation der
Haager Schiedsabkomrnen. — usw.
Die Eiche. Vierteljahresschrift zur Pflege
freundschaftlicher Beziehungen zwischen
Großbritannien und Deutschland. (Berlin.)
Nr. 1. Lordbischof von Hereford,
Die Aufgabe der christlichen Kirche im
öffentlichen Leben. — Rev. J. H. Rush-
brooke, Die Bewegung unter den britischen
christlichen Kirchen zur Pflege freundschaft-
licher Beziehungen zwischen Deutschland
und Großbritannien. — Direktor D.
Spiecker, Die deutsch - englische Ver-
ständigungskonferenz in London. — L i c.
Bornhausen, Die Freundschaftsbeziehun-
gen zwischen deutschem und amerikanischem
Protestantismus. — T li. Kondah, Chronik
der deutsch-englischen Beziehungen während
der letzten Monate. — usw.
V a t eiiand und Welt. Organ des Ver-
bandes der Internationalen Studentenvereine
an deutschen Hochschulen. (Göttingen.) Nr. 1.
Zum Geleite. — Paul Baumgarten, Nor-
man Angell. — usw.
Der Friede (Bern). Dr. Bucher-Heller,
Sylvesterabend auf den Gurten bei Bern. —
Nietstew, Balkanphilosophie im neutralen
Lager. — C. L. Siemering, Eine pazi-
fistische Frauenzeitschrift. — usw.
Die Friedensbewegung (Bern). Nr. 1 .
Pierre C 1 c r g e t , Die armenische Frage.
— Dr. Hans Wehberg, Völkerorgani-
sation. — - Albert Fürst v. M onaco, Schieds-
gerichtswesen und Gegenseitigkeit. — usw.
idvocate of Peace (Washington). .Jan.
The Panama Tolls and Arbitration. — No
Nebel Prize in 1912. — Baroness von Suttners
Lecture Tour. — The fourth American Natio-
nal Peace Congress. — The Death of Albert
K. Smiley. — Charles E. Beals, The
Baroness von Suttners Tour. — Evergett
P. Wheeler. The Nation should be true
to its plighted faith in the Matter of the
Panama Tolls. — Edwin D. Mead, The
first Mohonk Conference on International
Arbitration. — George M. S tratton.
The double Standard in Regard to Fighting.
— usw.
The Oosmopoiitaa Student (Madison).
Jan. John R. Hart, The Presidents annual
Message. — Extracts frorn the General Secre-
tary Report. — usw.
M o n t h 1 y Circular of the National
Peace Council (London). Jan.
La Paix par le Droit (Paris). No. 1.
Frederic Passy, Ceux qu'il faut honorer •
Garibaldi. — Oh. R i c h e t , l'Alsace Lorraine
obstacle ä l'expansion allemande. — Jules
L. P u e c h , Coup d'oeil sur 1912. — usw.
E t a t s - Unis d'Europe (Bern). Jan.
Emile Arnaud, Le Devoir des Puissances.
— L. de M o n 1 1 u c , The right man in the
right place. — Guerre et Finances, — - usw,
II P o p o 1 o Pacifista (Bonefro). Jan.
Marturino de Sanctis, La Spedizione
a Tripoli e il diritto internazionale». — I ferro-
vieri d'Italia contro la guerra. — usw.
La Luce del Pensiero (Neapel). Jan.
Domenico Maggiore, Per il migliora-
mento economica degl' Insegnanti. — Fran-
cesco Berlinghieri, II parallelismo
dinamo-eivile delle nazioni. — Paul Ada m.
La supremazia del lavoro. — Alfredo B. Nobel
o Mme. Berta de Suttner. — usw.
Fredsfanan (Stockholm). Jan. E m i 1
Larsson, Vär rätta Fiats. — K. P. Ar-
n o 1 d s o n , Krighändelserna och freds-
strävandena. — Erik Palmstjerna,
Imperialismen — en fara för Freden. — usw.
Fredsbladet (Kopenhagen). Niels Peter-
sen, Det gamle og det nye Aar. — N. P..
Anna B. Eckstein. — Fru Dikka Möller.
— usw.
„Vrede door Recht" (Haag). Jan. W. H.
de Beaufort, De Oorlog en de Vredes-
confei'enties. — H. A. L o r e n t z , De inter-
nationale Wetenschap bevordert den Vrede.
— D. Josephus Jitta, Het internationale
Recht en de Vredesbeweging. — H. P. S t aa 1,
Kunnen militares voostanders der Vi-edes-
beweging zijn? — J. de Waal, De invloed
van het Roode Kruis op de Vredesbeweging.
— A. J. vanLoghumSlaterus, Vredes-
beweging en Godsdienst. — J. M. Maury,
De Katoliken en de Vredesbeweging. —
F. M. W i b a u t , Proletariaat en Vredes-
beweging. — H. J. Kieweit de Jonge,
Para pacein. — Johanna W. A. Naaber,
Vrouwenbeweging en Vredesbeweging. —
Chr. Nuijs, De Pers en de Vredesbeweging.
— Westerman, Internationalisme en
Bankwezen. — F. P. t e r M e u 1 e n . De
Kunst en het Pacifisme. — A. Pieters.
Het reizen en de Vredesbeweging. — M u 1 i e r,
Sport en Vrede. — H. J. Romeijn, De
Vredesbeweging en de Cooperatie. — A. J. E.
A. B i k , Het Tentoonstellingswesen en de
Vrede. — J. J. van B a 1 e n - K 1 a a r .
Vrouwenkiesrecht en de Vredesbeweging. —
S. K. Bakker, De Christensocialist tege-
nover oorlog en Vrede. — usw.
Lud s kose (Warschau). No. 3 u. 4. In pol-
nischer Sprache : Pazifismus bei Skarga und
Krasinski. — Resolutionen der polnischen
Gesellschaft der Friedensfreunde. — Der Welt-
friedenskongreß. — usw.
Nemzetközi elet (Budapest). 1 1 . evf.
A NIX. nemzetközi bekekongresszus. — usw.
Artikel - Rundschau.
Von Carl Ludwig Siemering.
Am 28. Januar meldete der Pariser
„Temps" aus London, die finanzielle Lage
Bulgariens stehe nicht zum testen, und ge-
bieterisch zeige sich die Notwendigkeit, die
Leute zur Aussaat auf die Felder zurück-
zusenden, wenn eine furchtbare wirt-
schaftliche Krisis vermieden werden
solle. Großer Joh. von Bloch — das alles hast
du vorausgesagt ! In einer Note der offiziösen
Petersburger ,,R o s s i j a" vom 26. Januar heißt
es, die russische Regierung verfolge, ebenso wie
gana Europa, einmütig das Ziel, diesem Krieg
ein Ende zu machen. Ein ähnlicher Gedanke
wird in der Wochenrundschau der „Nord d.
77
DIE FRIEDEN5-^/ADTE
3
Allg. Ztg." vom 2. Februar ausgesprochen,
und nach einem Privattelegramm der „Münch.
N. N." aus Wien vom 11. Januar hat Zar
Nikolaus sich entrüstet über die Kriegs-
treibereien russischer Blätter ausgesprochen ;
sein Entschluß, den Krieg zu vermeiden, sei
nicht wankend zu machen. Leider sind auch
unsern Nationalistenblättern solche Kriegs-
treibereien nicht fremd. In einer Zuschrift an
die Königsberger ,,0stpr. Zeitg." vom
21. Dezember wird kurz und bündig verlangt,
man solle „rechnen, wieviel Feindesland (!)
zur Arrondierung unserer Grenzen nötig sei",
und später heißt es : „Wie würde ein frischer,
freier Krieg hier aufräumen ; von den
Hundertzehn im Reichstage würden nicht viele
übrig bleiben!" — Die „L e i p z. N. N." wenden
sich am Neujahrstage gegen „jenen seltsamen
politischen Altruismus, an dem wir, die Epi-
gonen Bismarcks, leiden", und in der „Kreuz-
zeitung" vom 1. Januar wünscht Theodor
Sc hiemann, das neue Jahr möge der Welt
aus dem faulen Frieden, in dem sie lebt,
zu einem gesunden Frieden verhelfen. Ganz
unsere Meinung — nur daß wir und Th. Seh.
unter diesen Worten ganz etwas Verschiedenes
verstehen! In Nr. 18 der „Nati o nal- Z t g."
wendet sich J. H. Zimmermann, M. d. R.,
gegen die „unnütze Kriegsfurcht" und legt ein-
gehend dar, eine deutsch-russische Verständi-
gung wäre „kein Ding der Unmöglichkeit, zumal
jetzt, da die Erinnerung an die glorreiche
Waffenbrüderschaft vor 100 Jahren wieder
lebendig wird." (Vgl. auch die York- Feier
von Tauroggen und Tilsit, am 31. Dezember.)
Der geistvolle Franzose Andre Tardieu darf
in der „V ossischen Zt g." vom 13. Januar,
die den Weltkrieg für einen Wahnsinn erklärt,
seinen Unglauben an einen europäischen Krieg
bekennen, und ein zweiter berühmter Franzose,
Jean Richepin, erklärte am 5. Januar dem
Vertreter des „Berl. Tagebl.", G. Hochstetter:
„Keinen Krieg darf uns die Zukunft bescheren
— die , Ve reinigung aller Staaten
Europas' die muß sie uns bringen." Diese
Hoffnung wird zum mindesten nicht enttäuscht
durch die am 17. Januar erfolgte Wahl
Poincares zum Präsidenten der französischen
Republik. Das „W iener Fremdenb 1." hebt
bei Besprechung der Wahl seine Verdienste als
eifriger Förderer des Friedens hervor.
Alle Bestrebungen, die darauf abzielten, die
Solidarität der Mächte zu festigen und auch
in Zeiten der Gefahr einen Weg zur Verständi-
gung offen zu halten, hätten an ihm eine
kräftige Stütze gefunden. — „Petit
Parisien" sagt: „Die Bedeutung der Wahl
läßt sich in den Worten ausdrücken: Demo-
kratischer Fortschritt und vernünftige Ent-
wicklung einer Politik der Ehre und des
Friedens", und die „Frankf. Ztg." vom
18. Januar erinnert an die freundlichen Worte,
die Poincare am 16. Juni 1912 mit Bezug auf
den Marokkovertrag gesprochen habe, der „uns
gestatten wird, zwischen der großen benach-
barten Nation und Frankreich in aufrichtig
friedlichem Geiste Beziehungen der Höflichkeit
und Freimütigkeit zu unterhalten, die durch
die gegenseitige Beachtung ihrer Interessen
und ihrer Würde beseelt sind".
*
Eine neue Heeresverstärkung steh t
bevor ; der „Berl. Lokal-Anz." behauptete
am 22. Januar in einem sensationellen Artikel
„Die Forderungen der Armee", daß alle diplo
matischen Künste den Ausbruch eines Welt-
krieges aufhalten, aber niemals verhindern
könnten" — ein Standpunkt, würdig der
„Rhein.-Westfäl. Ztg." oder der „P o s t", die
am 24. Januar jene Stellen angreift, „die von
einem unglaublichen Frieden sw ahne
befangen sind". Natürlich fehlt auch wiederum
nicht der gute, alte Generalmajor a. D. Keim,
der im „Tag" vom 8. Januar („Wehrfragen und
Auswärtiges") für Deutschland „eine Art von
Gewaltmenschen" reklamiert oder „wenigstens
einen Mann, der auch vor Lösung gewaltiger
Aufgaben nicht zurückschreckt ..." — Das
Zentrum wird auch hierbei wieder im Reichs-
tage den Ausschlag geben. Zwar findet die
„Köln. Volks ztg." vom 24. Januar sehr
kräftige Worte gegen den wankelmütigen Kriegs -
minister, der seine eigenen Darlegungen von
1912 ganz munter desavouiere, und stellt den
Grundsatz auf: „Ohne Deckung keine neue
Militärvorlage", aber sicher wird die katholische
„Kölner Korresp." vom 28. Januar recht
behalten, die die Taktik des Zentrums gleich-
sam als Schwank in 4 Akten wie folgt schil-
dert: I. Akt: Entrüstete Ablehnung der Vor-
lage ; II. Akt : Einlenkung angesichts der
kritischen Lage, aber : mangelnde Deckung !
III. Akt: Wir dürfen der Regierung die not-
wendigen Mittel nicht vorenthalten. Aber: die
oberen Hunderttausend, nicht die Volksmassen,
sollen die neuen Lasten aufbringen; IV. Akt:
Glatte Annahme des Gesetzes und Ver-
teilung der Lasten auf Reich und Arm; ein
paar kleine Abstriche als Blendwerk für die
Wähler. — Echte Zentrumsdiplomatie !
„Giornale d'Italia" vom 7. Januar
kommt auf des neuen Staatssekretärs Jagow
Verhalten bei der Annexion von Tripolis zurück
und erklärt es als Jagows Verdienst, wenn die
Reichsregierung Marschall abberief, dem Frei-
herrn v. d. Goltz „den Maulkorb anlegte" (!)
und die italienfeindliche Presse zum Schweigen
brachte (!!). Es geht doch nichts über eine
schöne Unverfrorenheit! — Die alldeutsche
„Tägl. Rundschau" zieht in einer Zu-
schrift vom 8. Januar gegen die „nationale
Knochenerweichung" zu Felde, die vom
„Illustr. Briefmarken-Journal" dadurch erzielt
werde, daß es von „unberechtigter Deutsch-
tümelei" spricht, wenn man die Frage, ob
„deutsche oder lateinische Buchstaben", zu
einer Frage des Deutschtums machen
wolle. Die Rundschau spricht u. a. von der
„Dreistigkeit des internationalen Geschäftes"
und bringt damit einen häßlichen Gassenton
in die Debatte. — Im Pariser „Theater Rejane"
wurde unlängst ein Stück „A Isace" auf-
geführt, das, wie die ,,B. Z." vom 9. Januar
aus Paris erfährt, eine zurechtgestutzte
Deutschenhetze betreibt. — Einem anderen
Hetzer, dem Reichstagsabg. Wetterle, wird
von der „Nordd. Allg. Ztg." (18. Januar)
bescheinigt, daß er „ein frevles Spiel mit dem
Frieden zweier Nationen" treibe. — Ein Auf-
satz im „Hamb. Fremdenbl." vom
23. Januar, betitelt „Britischer Imperialismus",
kommt zu dem Schlüsse, daß sich für Eng-
land immer unabwendbarer die Notwendigkeit
ergebe, „nicht nur einen Ausgleich der Inter-
78
<Ö=
DIE FRIEDENS -WARTE
essen zur Vermeidung kriegerischer Konflikte,
sondern eine ehrliche Verständigung mit stamm-
verwandten Völkern zu suchen". — Im „Tag"
vom 23. Januar tritt Professor Dr. Wygod-
z i n s k i - Bonn („Europäische Menschen-
ökonomie") dafür ein, daß die verschiedenen
europäischen Organisationen für Arbeits-
nachweis sich zu einer gemeinsamen Be-
kämpfung der überseeischen Auswanderung zu-
sammenfinden, gemäß einem Vorschlag der
„Deutschen Arbeiterzentrale". — Die „Leipz.
N. N." vom 26. Januar haben einen „sozial-
demokratisch organisierten (ungenannten)
Arbeiter" entdeckt, der, indem er persönliche
Erfahrungen verallgemeinert, den Parteiführern
anrät, sie möchten aufhören, „mit fremden
Völkerschaften zu liebäugeln". Dieser Muster-
„ Sozialist" paßt vortrefflich in das Milieu der
„Leipz. N. N." ! — Im „B e r 1. Lokal-An z."
vom 23. Januar erörtert Dorothee
Goebeler das Thema „Die Frauen und der
Krieg" ; sie meint, Säbel und Gewehr gehörten
in die Hände unserer Jungen — nicht als
blutiges Werkzeug des Krieges, sondern „als
die Waffe, die in des Mannes Händen einmal
dem Schutz des Friedens dienen soll".
Was für eine Art von „Frieden" hier gemeint
ist, wird dem Kundigen sofort klar. Die beste
indirekte Widerlegung findet die Autorin in
„Kinderlan d", Monatsbeilage (Februar) zu
,,Eth. Kultur", worin ein kleiner Artikel „Friede
auf Erden" die Frage aufwirft: „Gibt es gar
keine anderen Mittel, Kinder glücklich zu
machen, als ihnen Vernichtungswerkzeuge zu
schenken? . . . Ist das die sogenannte „auf-
bauende Kultur" ?
In der in München erscheinenden Zeit-
schrift „Kain" (Herausgeber: Erich Müh-
sam) finden wir einige Artikel, die sich mit
dem Friedensproblem befassen. In Nr. 8 vom
November 1912 „Für den Frieden" richtet der
Herausgeber in bitterem Ernst scharfe Mahn-
worte an die Gesellschaft zur Verhütung eines
Weltkrieges. In Nr. 10 vom Januar 1913 „Das
Weltparlament" entwickelt er ein dilettantisches
Projekt zur Kriegsvermeidung, zeigt sich aber
auch hier als ein folgerichtiger Kriegshasser.
„Eine Diskussion über die Berechtigung des
Krieges ist unmöglich. Wir Friedensfreunde
wissen, daß der Krieg so entsetzlich ist, daß
er nicht mehr sein darf." — In der „Christ-
lichen Welt (Nr. 4) bespricht Friedrich
C u r t i u s „Das Werk vom Haag" in äußerst
sympathischer Weise. Er schließt seinen Auf-
satz mit den Worten: „Der Fortschritt poli-
tischer Kultur, den die Entwicklung des Völker-
rechts vollziehen soll, an dem wir auch als
Menschen und Christen interessiert sind, be-
steht gerade darin, daß die Staaten dahin ge-
führt werden, nicht einer höheren Gewalt, son-
dern einer Idee zu huldigen." — In einem
Artikel „Ueber den Einfluß des Balkankrieges
auf die Frequenz der Volkshochschule" weist
Dr. Oscar Stillich („D ie Volkshoch -
schul e", Heft 1) die bemerkenswerte Tat-
sache nach, daß der Besuch der Berliner Volks-
hochschulen im letzten Quartal 1912 bedeutend
zurückgegangen ist. Die Humboldt-Akademie
allein hat in jenem Quartal 1200 Hörer weniger
gehabt als im gleichen Abschnitt des Vor-
jahres. Die Schuld wird der politischen Un-
sicherheit zugeschrieben und dabei der Aus-
spruch eines Kaufmanns zitiert, der sagte: „Ich
werde doch jetzt nicht Vorlesungen hören, wo
ich nicht weiß, ob morgen der Krieg auf uns
übergreift." — In der Wiener „Wage", die
von dem fortschrittlichen Reichsratsabgeord-
neten E. V. Zenker redigiert wird, findet
ein Artikel Platz, der „ein Arbeitsfeld für die
Pazifisten" vorschlägt. Der Verfasser jenes
Artikels rät uns, „aus dem Gespinst unserer
Theorie, die ja doch nimmermehr Wirklichkeit
werden kann", uns zu entwirren und — — na
sagen wir, für die Herstellung der bereits im
Jahre 1864 hergestellten Genfer Konvention
einzutreten, von deren Errichtung ihm nichts
bekannt zu sein scheint, ebensowenig wie von
der erwiesenen Unmöglichkeit, den Krieg zu
humanisieren. — Die sonderbaren Ausführungen
Dr. Maurenbrechers über „Die Demo-
kratie und der Krieg", die im ersten Januarheft
des „F reien Worte s" erschienen, sucht
der Herausgeber der „Friedens-Warte'' im ersten
Februarheft jener Zeitschrift zu widerlegen.
Artikel. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
(Bibliographie.) I. Friedens-
bewegung im allgemeinen: Carl
H ü 1 1 e r , Weltbürgertum und Vaterlandsliebe.
„Die Leuchte." (Lennep.) Nr. 2. * Ein Brief
von Andrew Carnegie. „Münch. Neueste Nach-
richten." 22. I., „Neue Badische Landeszeitung."
23. I., „Metzer Ztg." 23. L, „Braunschweig.
Landesztg." 23. I. * Dr. Hans Wehberg, Die
Friedensbewegung im Jahre 1912. „Eth. Kultur"
IL * Nationale, berufliche und gemeinnützige
Bestrebungen und ihre Förderung durch die
deutschen Hochschulen, durch Studierende und
Studierte. „Hochschul-Nachrichten." (München.)
Nr. 2. * Alfred H. Fried, Die Demokratie
und der Krieg. „Das Freie Wort." Nr. 21. *
Prof. Martin Spahn, Der Friedens-
gedanke in der Entwickhing des deutschen
Volkes. „Deutsche Revue." II. * D. J. von
F e r e n c z y , Krieg dem Kriege. „Nord und
Süd." IL * Dr. C. J a e c k h , Weitere Zeug-
nisse für die Balkangreuel. „Frankfurter Ztg."
23. I. * Friedrich v. Vincenz, Was ein
Schlachtfeld erzählt. „Frankfurter Ztg." 1. IL
* (Jordan), Der Friedensgedanke. „Deutsch-
Oesterreichische Lehrerzeitung." 15. I. * Karl
Leuthner, Der Krieg als eine moralische
Anstalt betrachtet. „Soc. Monatshefte." 16. I.
* Leop. Katscher, Eine tatkräftige Frie-
densfreundin (Anna B. Eckstein). „Berliner
Tageblatt." 10. I. * (Prof. L. Quidde), Ein
Vorschlag zum Frieden. „Frankfurter Ztg."
28. I. * Georg K o s s a k , Aus dem Arsenal
der Friedensbewegung. „Kgsbg. Hartungsche
Zeitung." 26. I. * Die Katholiken und der
internationale Friedensgedanke. „Badischer Be-
obachter." 12. 1. * „Hart am Weltkrieg." „Mün-
chener Neueste Nachrichten." 23. I. * Doro-
thee Goebeler, Die Frauen und der Krieg.
„Berliner Lokal- Anzeiger." 23. I. * Friedrich
Braumann,- Der Antimilitarismus. ,,Der
Tag." 22. I. * Emil Tanderveide, Wieso
ist die internationale Arbeiterpartei die einzige
unbeugsame Friedenspartei? „Dokumente des
Fortschritts." I. * (0. Umfrid), Hyper-
nationalismus oder Chauvinismus in akademi-
schen Kreisen. „Der Beobachter-." 28. I. *
Pfarrer Wagner (Neuhengstett), Kirche und
Friedensbewegung. „Der Beobachter." 27., 28.
79
DIE FßlEDENS-^VAßTE
3
u. 31. XII., 2., 3., 4. u. 7. I. * : Edwin I>.
M ead, Peace Prizes. „Boston Dailv Advertiser."
19. XII.
II. Die internationale Politik:
Lord Cour tone y of Penwith, Nationen
und Nachbarn. „Nord und Süd." II. * G. H.
Perris, Mehr Licht über die Agadirkri'sis.
„Nord und Süd." IL *' Prof. Dr. Ernst S i e p e r.
Die deutsch-englische Verständigungskonferenz,
II. u. III. „Nord und Süd." IL * Ders., Die
deutsch-englische Verständigungskonferenz. „Der
Vortrupp." Nr. 2 u. 3. * H. lemau, Zur
Geschichte der Demokratie in Frankreich. „Das
monistische Jahrhundert." Nr. 20 u. 21. *
Ders., Diplomatie und Wirklichkeit. „Janus."
(München.) Heft 8. * Ernst Bassermann,
Der deutsche diplomatische Dienst und seine
Reform. „Königsberger Allgemeine Ztg." 17. L,
„Dortmunder Zeitung." 17. I. * Neue Doku-
mente zur politischen Geschichte. „Berliner
Tageblatt," 2. IL * A 1 f r e d H. F r i e d , Sturm-
zentrum, Oesterreich. „Dokumente des Fort-
schritts." I. * A. Thardieu, Ist ein europä-
ischer Krieg zu befürchten? „März." 11. I.
III. Volk e rrec h t : D r. KarlStrupp,
Der Friede zu Lausanne. „Allgemeine Zeitung."
25. I. * W. K 1 o h s, Die Ratifikation des Haager
Abkommens vom 18. X. „Weser-Zeitung." 22. L,
„General-Anzeiger." (Mannheim.) 21. I.
V. Wirtschaftliches: Dr. Franz
Lederlmann, Der Krieg als Kultur- und
Wirtschaftsereignis. „Nord und Süd." IL *
Vom Krieg und Kapitalismus, L „Dresdener
Volkszeitung." 7. I. * A r k a d i A w e r -
tschenko, Rüstungs Wahnsinn. „Der Frei-
denker." (München.) 15. I. * Heinrich
Dove, Die weltwirtschaftlichen Beziehungen
als Element der Kriegs- und Friedenspolitik.
„Neue badische Landes-Zeitung." 17. L, „Neue
Straßburger Zeitung." 21. L, „Berliner Börsen-
Courier." 17. I.
SMITTEILV/NGEN DEBS
FRIEDENSGESELLSCHÄFTEN
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Sohriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
Oesterreichische Friedensgesellschaft.
Bureau: Wien I, Spiegelgasse 4.
Vortrag Baronin Suttner. Zu-
gunsten unserer Gesellschaft hielt Baronin
von Suttner am 27. v. M. im Beethovensaale
einen Vortrag über „Erlebnisse und Eindrücke
aus Amerika". Dem Vortrag, der über zwei
Stunden währte, lauschte ein überaus zahl-
reiches Publikum, welches der Baronin zum
Schlüsse stürmisch zujubelte.
Einer Einladung des Prager Journalisten-
vereins „Concordia" folgend, sprach Baronin
Suttner am 6. d. M. in Prag, femer am 10.
in Dresden, schließlich am 17. und 19. in der
..Urania" in Berlin.
In der am 14. v. M. abgehaltenen Vor-
standssitzung wurde folgende Resolution be-
schlossen :
„Die vom ehemaligen rumänischen Minister-
präsidenten Karp an die „Neue Freie Presse"
gerichtete, im Morgenblatt des 14. v. M. ver-
öffentlichte Depesche, des Inhaltes, „daß die
rumänisch-bulgarische Streitfrage nicht anders
als durch das Schwert gelöst werden könne,
daß jede andere Methode mehr Zeit, mehr Geld
und mehr Menschen kosten würde und daß,
wenn man Rumänien helfen will, dies nicht
auf friedlichem Wege geschehen könne", ver-
anlaßt die österreichische Friedensgesellschaft
zu nachstehender Erklärung:
Die Behauptung, daß es Konflikte gibt, die
nur durch Anwendung von Gewalt zu schlichten
seien, und daß diese schon aus Sparsamkeits-
und Hunianitätsrücksichten jeder friedlichen
Methode vorzuziehen sind, kann in einem Zeit-
alter nicht mehr als Dogma hingestellt werden, in
dem die Tendenz (die ja das Kriterium der
fortschreitenden Kultur ist), das Recht an Stelle
der Gewalt zu setzen, in offiziellen Einrich-
tungen, Haager Tribunal, Schiedsverträge, Inter-
parlamentarische Union, Vermittlung usw.,
schon begonnen hat, feste Formen anzunehmen.
In der 1899 im Haag von 26 Staaten unter-
zeichneten Konvention heißt es in Titel I, daß
„die S i g n a t a r mächte sich ver-
pflichten, alle ihre Bemühungen
anzuwenden, um die Schlichtung-
internationaler Streitigkeiten
durch friedliche Mittel herbei-
zuführe n." Siehe ferner Titel III : Ueber
internationale Unter such ungskom-
missio n e n.
Eine Ignorierung dieser Errungenschaften,
denen wir tatsächlich schon die Verhütung von
Kriegen zu danken haben, ist nicht mehr am
Platze, besonders nicht, wenn die Gefahr vor-
liegt, wegen territorialer Ansprüche einzelner
Länder den ganzen Erdteil in Brand zu setzen.
Es soll hier nicht versucht werden, die
Berechtigung der schon im Gang befindlichen
Bewegung zur rechtlichen Organisation der
täglich durch weitverzweigte Interessengemein-
schaft solidarischer werdenden AVeit durch
Argumente zu stützen. Schon zeigt sich in
Umrissen ein einig wollendes und handelndes
Europa. Auch soll nicht versucht werden, die
offenbar noch sehr stark vertretene kriegerische
Weltanschauung kritisch zu widerlegen ; die
gegenwärtige Erklärung bedeutet nur die Er-
füllung der jedem für allgemeine hohe Zwecke
kämpfenden Vereine zufallenden Pflicht, jeder-
zeit und namentlich in schicksalsschweren
Stunden, den eigenen Standpunkt zu vertreten,
und die schon erreichten . und noch zu er-
reichenden Ziele der Mitwelt ins Gedächtnis
zu rufen."
Diese Resolution wurde an die Tagespresse
in Oesterreich, sowie auch ins Ausland ge-
sendet und wurde von vielen Journalen ver-
öffentlicht. Auf Veranlassung der „Mirova
Jednota" in Brunn wurde die Resolution auch
in mehreren tschechischen Zeitungen zum Ab-
drucke gebracht.
M
Vortragszyklus. Wie alljährlich wird
auch heuer ein acht Abende umfassender Vor-
tragszyklus in der Wiener Universität ab-
gehalten werden. Das Programm hiefür werden
wir in der nächsten Nummer veröffentlichen.
Verntwortlicher Redakteur: Carl A ppold, Berlin W. 50. — Im Selbstverlag des Herausgebers Alfred H. Fried, Wien IX/2.
Druck: Pass& Garleb G.m.b.H., Berlin W 57. — Verantwortl. Rnriaktaur ffir Oasterrßicb Unsrarn • Vi nzenn Jerahnk inWiw.
80
März 1913.
lieber uns die Sintflut.
Fast hat es den Anschein, als ob es nun
bald z.u Ende gehen müsse mit dem Irrtum des
Ueberrüstens. Die neue Rüstungswelle, die
über Europa eben hereinbricht, läßt näm-
lich keine andere auf Vernunft begründete
Annahme zu. Mit Ausnahme von Deutsch-
land und England scheinen alle anderen
Staaten an der Grenze ihrer Leistungsfähig-
keit angelangt zu sein. Deutschland hat mit
der bloßen Ankündigung der geplanten
Heer es Vermehrung den Ton angegeben,
Frankreich, Rußland, Oesterreich-Ungarn
haben sofort Maßnahmen ergriffen, um dem
Beispiel zu folgen. Italien wird nicht lange
auf sich warten lassen, und wer weiß, ob
diese neueste Phase des Rüstungswahnsinns
nicht auch den Anhängern einer allgemeinen
Wehrpflicht in England zum Erfolg ver-
helfen wird. Vorläufig zeigt sich dort das
Rüstungsfieber in Form eines Luftflotten-
paroxysmus. Aber nicht nur die Großmächte
wurden von der Rüstungspanik erfaßt; die
Kleinstaaten können sich ihrer auch nicht
mehr erwehren, wie das Beispiel Belgiens
zeigt, das bereits eine neue Heeresverstär-
kung angekündigt hat. Die Balkanstaaten
werden nach erfolgtem Friedensschluß nicht
umhin können, ebenfalls ihren Rüstungs-
panzer zu verstärken, und so sehen wir denn
das ganze alte Europa von einem ungeheuren
Verfolgungswahn getrieben, die schiefe
Ebene in einem immer beschleunigteren Lauf
hinunterrasen.
[Was ist die Ursache dieser erneuten
Flut, die alles übertrifft, was die jetzige
Generation nach dieser Richtung schon er-
lebt hat. Deutschland, das mit der Ankün-
digung der Erhöhung seiner Heeresmacht
zuerst hervorgetreten ist, wird deshalb als
der Urheber der neuen Rüstungen angesehen.
t Was meinem Ermessen nach nicht richtig
ist. Erstens bedingt die ."Widersinnigkeit
des modernen Rüstungswesens, daß es keinen
einzelnen Urheber dafür gibt, sondern die
Gesamtheit der im .Wettbewerb befindlichen
Staaten sich gegenseitig schiebt. .Wenn
Deutschland in diesem Augenblick der sicht-
bar schiebende Staat ist, so unterliegt es
keinem Zweifel, daß auch auf das Reich
Kräfte eingewirkt haben, die es in seinen
Handlungen bestimmten, die nur nicht so
offen erkennbar sind. Die „Norddeutsche
Allgemeine Zeitung", die in ihrer Nummer
vom 1. März e^nen offiziösen Kommentar zu
der noch ausstehenden Heeresvorlage gibt,
führt den „Umschwung der Verhältnisse im
Südosten Europas" als Grund an. Das dürfte
auch sicherlich der zunächstliegende Beweg-
grund sein, aber beileibe nicht der letzte
Grund dieser europäischen Krankheit. Ohne
bis auf diesen selbst zurückzugehen — es
würde uns dies hier zu weit führen, den un-
geheuren Komplex der europäischen Sünden
klarzulegen — , können wir doch die Ursache
über jenen „Umschwung der Verhältnisse im
Südosten Europas" hinaus verfolgen. Und da
führt uns der gerade Weg zu jenem verhäng-
nisvollen Schritt des Grafen Aehrenthal, der
durch die Umtaufe des Besitzes Oesterreich-
Ungarns an Bosnien und der Herzegowina
ein Steinchen aus dem Berliner Vertrag löste,
der 30 Jahre lang die Ordnung auf dem Bal-
kan — wenn auch mehr schlecht als recht —
aufrecht erhielt, wodurch das ganze darauf
errichtete Gebäude ins Wanken geriet. Diese
Titeländerung führte zur Selbständig-
machung Bulgariens, zu demRaub von Tripolis
und zuletzt zu jener Auflehnung der Balkan-
staaten, die noch nicht abgeschlossen ist.
Diese Veränderung des bisherigen Zustandes
am Balkan hat die latenten Gegensätze
zwischen den europäischen Staaten akut zu-
gespitzt und der Niederschlag der Erregun-
gen und Aengste zeigt sich — nicht erst
jetzt, sondern schon seit 1908 — in einer er-
neuten krampfhaften Anspannung der
Rüstungen.
Wir Pazifisten sollten nicht unter-
81
DIE FRIEDENS -WARTE
=9
lassen, auf den Ausgangspunkt der neuen
Milliardenopfer, die Europa jetzt bringen
muß, immer wieder hinzuweisen, um der
Oeffentlichkeit den hohen materiellen Wert
der internationalen Verträge deutlich vor
Augen zu führen. JVir sollten es nicht unter-
lassen, allen, die an der neuen Bürde schwer
zu tragen haben werden, in Mark und Pfenni-
gen vorzurechnen, wie wertvoll der
Berliner Vertrag gewesen ist, und
wie sehr es im Interesse der ganzen europäi-
schen Menschheit gelegen hätte, ihn nicht
nur zu erhalten, sondern ihn auch ehrlich
durchzuführen (was bekanntlich durch eine
kurzsichtige Politik der europäischen Mächte
verhindert wurde) und welch große materielle
Bedeutung daher eine Politik der Verständi-
gung und der festbegründeten Verträge be-
sitzt. Vielleicht wird sich dann doch in
weiteren Kreisen die Erkenntnis durch-
ringen, daß es nicht heißen darf ,,si vis
pacem para bellum", sondern vielmehr ,,si
vis pacem para pactum".
Selbstverständlich ist — wie bereits er-
wähnt — die Verletzung des Berliner Ver-
trages nur die unmittelbare, nicht die mittel-
bare Ursache des krankhaften Rüstungs-
wettstreites, dem vielleicht noch weiter
zurückliegende Ursachen und weitere Trieb-
kräfte der Gegenwart und Vergangenheit zu-
grunde liegen. Aber immerhin ist es wichtig,
darauf hinzuweisen, daß nicht einzelne
Staaten die Alleinschuldigen sind, sondern
die Gesamtheit der führenden Mächte und
ihr gesellschaftswidriges Verhalten. Jeder
Staat ist Bedroher und Bedrohter der an-
deren und wird in seinen Handlungen von
diesen ebenso beeinflußt, wie er die anderen
beeinflußt, 4 Wird man sich dessen klar, so
reinigt man nicht nur die politische Atmo-
sphäre von Gegensätzlichkeiten und Haß-
empfindungen, die das Uebel, das man be-
kämpfen will, nur noch mejhr verschärfen,
man lenkt auch die öffentliche Aufmerksam-
keit gerade auf jenen wichtigen Punkt hin,
bei dem eingesetzt werden muß, wenn man
zu einer Erlösung von jenem unerträglichen
Uebel kommen will. Indem man den Dolus
der Gesamtheit nachweist, zeigt man, daß
nur eine Aktion der Gesamtheit die ersehnte
Aenderung des Zustandes herbeiführen kann.
Indem man zeigt, wie die Staaten bei ihren
Rüstungen voneinander abhängig sind,
nimmt man dem einzigen Mittel, das eine
Aenderung herbeiführen kann, nämlich dem
Mittel des zwischenstaatlichen Vertrages,
den herbsten Stachel ; weil der Vorwurf, daß
jeder. Staat seine Rüstungen unabhängig
von den anderen nach seinen eigenen Bedürf-
nissen bestimmt, und es deshalb mit seinem
Souveränitätsbegriff • nicht vereinbaren
könne, sich durch einen Vertrag darüber in
eine Abhängigkeit gegenüber den anderen
zu begeben, damit in sich selbst zusammen-
fällt. Der schrankenlose Rüstungswetthe-
werb beruht auf der gegenseitigen Abhängig-
keit der Staaten voneinander; es ist die ver-
tragslose Abhängigkeit. Die Befreiung von
diesem Zustande wird nur erreicht werden
durch die vertragsgemäße Abhängigkeit.
Die Möglichkeiten eines Rüstungsab-
kommens können ja heute nicht mehr so
leicht von der Hand gewiesen werden, wie
es noch vor einiger Zeit geschah. Seitdem
die englische und deutsche Regierung an
die Erörterung eines gegenseitigen Rüstungs-
verhältnisses geschritten sind, fängt der
Gedanke an, auch jenen Kreisen diskutier-
bar zu erscheinen, die ihn bisher ablehnten.
Und neuerdings dürfte die Verabredung
Oesterreich-Ungarns und Rußlands bezüg-
lich der Demobilisierung der galizischen
Grenze, wobei genau das Verhältnis der Kom-
pagniestärke bestimmt und auch sonstige
Einzelheiten verabredet werden sollen, als
ein Fortschritt der Idee einer vertragsmäßi-
gen Rüstungsentlastung gelten.
,^Wie die Dinge heute liegen, hat es sogar
den Anschein, daß das Problem der vertrags-
mäßigen Rüstungsbeschränkung auf der
nächsten Haager Konferenz diskutabel er-
scheinen wird. Nicht daß wir uns der Hoff-
nung hingeben, es könnte dort schon zu einer
Lösung kommen ; doch weisen die gegen 1907
veränderten Verhältnisse darauf hin, daß
man eine Erörterung nicht mehr fürchten
wird, und mit dieser wenigstens zu dem An-
fang einer Lösung kommen könnte. Es ist
anzunehmen, daß sich diesmal die Reichs-
regierung einer solchen Erörterung nicht
widersetzen wird.
Denn es unterliegt ja keinem Zweifel,
daß das Problem in den letzten Jahren —
sagen wir: „exklusiver" geworden ist
(populär war es ja schon lange). Es sind
heute nicht nur die breiten Volksklassen,
die dafür eintreten, sondern auch die höheren
der Regierung nahestehenden Gesellschafts-
schichten haben dafür Verständnis bekom-
men, und werden immer mehr darauf hin-
gewiesen werden, sich mit dem Problem zu
befassen. Namentlich in Deutschland und
Frankreich, wo jetzt auch die besitzenden
Klassen in fühlbare Mitleidenschaft gezogen
werden. In Deutschland durch den freudigst
zu begrüßenden Gedanken einer Vermögens-
82
<§=
3 DIE FRIEDENS WABTE
abgäbe, in Frankreich durch die ausnahms-
los allen Bevölkerungsklassen auferlegte
Last der dreijährigen Dienstzeit. Das sind
Tatsachen, die eine allmähliche Umkehr als
wahrscheinlich erscheinen lassen.
Freilich; eine gründliche Wandlung
steht noch weit im Felde, was uns nicht hin-
dern soll, auch den guten Willen, die sicht-
bar wahrzunehmenden Anfänge einer Aende-
rung als Fortschritt freudigst zu begrüßen.
Wir Pazifisten haben uns über die 'Schwierig-
keiten des Problems niemals einer Täuschung
hingegeben, und haben stets die Lehre ver-
kündet, daß die Rüstungen die Symptome
der internationalen Anarchie sind, die mit
der allmählichen Beseitigung ihrer Ursachen
allmählich zurückgehen werden. Aber wir
täuschen uns auch darüber nicht, daß der
heutige Stand des Büstungsunwesens in den
Verhältnissen nicht mehr völlig begründet
erscheint, daß die Ursachen für jenen Grad
der Kräfteanspannung, den wir beklagen,
in dem Maße gar nicht mehr gegeben sind,
und hier nur das Gesetz der geistigen Träg-
heit noch nachwirkt. Es bedarf einer Auf-
rüttelung der Geister, um die Erkenntnis
herbeizuführen, daß wir — obwohl wir die
volle zwischenstaatliche Organisation noch
nicht erreicht haben — die völlige Anarchie
doch auch schon überwunden haben, und aus
den entwickelteren internationalen Verhält-
nissen auch bereits Vorteile ziehen könnten.
Diese Aufrüttelung der Geister wird sich
um so eher vollziehen, als es gelingt, die
hohen Vorteile klarzumachen, die in einer
Entlastung der .Wirtschaft durch Ermäßi-
gung des Rüstungswettbewerbs liegt, ohne
daß die einzelnen Staaten dabei Gefahr
laufen, ihre Sicherheit nur um einen Grad
zu vermindern.
Um nun zu den ersten Etappen einer
Verminderung des Uebels zu gelangen, wird
vor allen Dingen eine psychische Umwand-
lung der heute in der hohen Politik markt-
gängigen Grundsätze vonnöten sein. Wie
die Gesellschaft im Innern des Staates heute
ohne soziales Empfinden ihrer Aufgabe nicht
mehr gerecht werden kann, so kann auch
die Staatengesellschaft ohne dieses soziale
Empfinden nicht auskommen. Deutschland,
und im beschränkten Sinne auch England,
haben hier ein nobile officium zu erfüllen.
Diese an Menschen und Gütern reichsten
Staaten werden, wenn es zu einem europäi-
schen Vertrags Verhältnis kommen soll, ihren
unbegrenzten Egoismus in eine wohlverstan-
dene Rücksichtnahme auf das ärmere Europa
ummodeln müssen. Ich meine damit nicht,
daß Deutschland etwa aus Liebenswürdig-
keit anderen Staaten einen Vorsprung ge-
währen soll, sondern nur, daß es sich bereit
zu erklären hätte, nicht seine ganze Macht
als Triebkraft des Wettbewerbes in die Wag-
schale zu werfen, unter der Voraussetzung,
daß die anderen Staaten sich zu Aequiva*
lenten verpflichten. Ich nannte dies an
anderer Stelle „Umtausch eigener Macht in
fremde Pflichten". Wenn Deutschland, in-
folge seines Menschenreichtums und seiner
hohen wirtschaftlichen Entwicklung den
heutigen Rüstungswettbewerb auch leichter
ertragen kann als Frankreich, Oesterreich-
Ungarn, Russland, so kann es, ohne seine
Sicherheit nur im geringsten zu gefährden,
durch eine weise Selbsteinschränkung doch
nur Vorteile einheimsen. Es kann nur ge-
winnen, wenn es seine Nachbarn nicht zum
Weißbluten bringt. Es kann nur gestärkt
werden, wenn sein Bundesgenosse Oester-
reich-Ungarn nicht zu Rüstungen gezwungen
[wird, die das wenig begüterte Land so
schwächen, daß seine Bündniskraft trotz er-
höhter Rüstung leiden muß; es kann nur
gestärkt werden, wenn Frankreich durch die
Aufbietung des letzten Mannes nicht in einen
gefährlichen Chauvinismus hineingetrieben
wird.
Deutschland ist nicht der Urheber des
Wettrüstens, es ist aber, dank seiner wirt-
schaftlichen und numerischen Ueberlegenbeit
seiner Bevölkerung, in der Lage, eine ver-
tragsmäßige Verminderung des verderb-
lichen Wettlaufes zu inaugurieren. Damit
obliegt ihm eine hohe Pflicht und eine
schwere Verantwortung vor der Geschichte.
Denn so viel steht fest: es kann nicht mehr
so weiter gehen. Und wenn nicht bald dem
verderblichen Spiel blinder Gewalten durch
Verstandeseingriffe Einhalt getan wird,
dann können wir uns nicht einmal mehr
den frivolen Trost eines „Nach uns die Sint-
flut" leisten, sondern müssen sehenden Auges
die Sintflut über uns hereinbrechen lassen.
A. H. F.
Die Politik Deutschlands
während des Balkankrieges.
Von Richard Gädke,
früher Oberst und Regimentskommandeur.
Unleugbar war die politische Lage zu
Beginn des Balkankrieges für Deutschland
eine sehr schwierige. Wenn dem Scharfblick
der Diplomatie das Bündnis der Balkanstaaten
und ihre Kriegsrüstungen vielleicht nicht
entgangen waren, so . war man doch
jedenfalls durch den raschen Ausbruch
83
DIE FßlEDEN5-^&BTE
m
des Gewitters; erheblich überrumpelt
worden und hatte die türkischen Staats-
männer in den eigenen Irrtum mit hineinge-
zogen. Die Drohung der Großmächte, daß
sie eine Veränderung des Status quo nicht zu-
geben würden, verfiel alsbald dem Fluche der
Lächerlichkeit. Die Kleinstaaten wußten ganz
genau, daß die scheinbare Einigkeit Europas
in die Brüche gehen würde, sobald man
nach ihren gewaltigen und ungeahnten An-
fangserfolgen von irgendeiner Seite den Ver-
such machen würde, ihnen die Früchte ihres
Sieges zu rauben. Sie hatten jedenfalls vor-
her von der russischen Staatsleitung ent-
sprechende Versicherungen erhalten.
Niemals seit dem Ende des Deutsch-Fran-
zösischen Krieges, selbst nicht zur Zeit der
Marokkbwirren, ist die Gefahr eines allge-
meinen Brandes so nahe gewesen wie im ver-
gangenen Winter. Wenn sie augenblicklich
zwar noch nicht ganz geschwunden aber doch
ganz erheblich gemildert ist, so wird kein Ein-
sichtiger sich der Erkenntnis verschließen
dürfen, daß die friedliebende, zurückhaltende
und doch feste und kräftige Politik Deutsch-
lands einen großen und dankenswerten An-
teil an diesem Erfolge zu beanspruchen hat.
Wir dürfen daraus das tröstliche Be-
wußtsein schöpfen, daß selbst unter den
heutigen zwischenstaatlichen Verhältnissen eine
entschlossene Friedenspolitik durch eine ge-
schickte und vor allen Dingen gewissenhafte
Diplomatie zu entscheidenden Erfolgen ge-
führt werden kann.
Die deutsche Staatskunst, die diesmal den
Charakter angenehm verleugnete, den sie
zwanzig Jahre hindurch nicht immer zur Meh-
rung ihres Ansehens zur Schau getragen hatte,
mußte nicht nur mit dem Gegensatze des
Dreiverbandes zum Dreibunde rechnen und
ganz besonders die hart und feindlich gegen-
überstehenden Tendenzen Oesterreichs und
Rußlands! berücksichtigen, sondern ihre Sorge
gleichzeitig auf das Verhältnis Italiens zur
Donaumonarchie richten.
Daß es sowohl in Oesterreich wie in
Rußland eme sehr starke Kriegspartei gab
und wohl noch gibt, die den Augenblick zur
großen Abrechnung gekommen glaubte, liegt
für jeden aufmerksamen Beobachter klar zu-
tage. Ebenso auch, daß die Durchführunjg
der österreichischen Ansprüche Serbien ge-
genüber, wenn sie in vollem Maße versucht
werden sollte, unbedingt zum Kriege mit Ruß-
land führen mußte. Daß Oesterreich hier-
bei mit Sicherheit auf den Beistand Deutsch-
lands rechnen konnte, ist nicht minder klar,
und wird bis weit in die Reihen unserer so-
zialdemokratischen Partei hinein vollkommen
begriffen und gewürdigt. Man darf sogar
sagen, daß bei ihr sonst kein Krieg populär
wäre, wohl aber ein solcher gegen die Despotie
des Zarenreiches.
Die Unterredungen in Baltischport
zwischen dem deutschen und dem russischen
Kaiser hatten zwar zu einem durchschlagenden
diplomatischen Erfolge nicht geführt, aber sie
hatten doch das Verhältnis zwischen beiden
Reichen derart gebessert, daß Deutschland
gegenwärtig die Rolle eines wirksamen Ver-
mittlers zwischen Oesterreich und Rußland
übernehmen konnte. Wenn es keinen Zweifel
daran gelassen hat, daß man es im Notfälle
unbedingt an Oesterreichs Seite sehen würde,
so ist es doch zu gleicher Zeit bemüht ge-
wesen, einen billigen Ausgleich zwischen den
Standpunkten der beiden auf dem 1 Balkan in
erster Linie interessierten Großmächte zu
finden. Dadurch gelang es, die weit über ein
erträgliches Maß gesteckten Ziele Serbiens,
die ganz offenbar mit einem österreichisch-
russischen Kriege rechneten, so weit zurückzu-
schrauben, als sich mit dem Interesse seines
mächtigen Nachbars noch gerade vertrug, und
die politische Unabhängigkeit Albaniens,
grundsätzlich wenigstens, zu retten. Für den-
jenigen, der an dem Sejbstbestimmungsrecht
der Völker und an der Einschränkung des
rohen Eroberrechtes als an einer Grundforde-
rung der Kultur festhält, ein hoch erfreuli-
ches Ergebnis I
Man wird es auch als ein Verdienst
Deutschlands in Anspruch nehmen dürfen,
wenn selbst das heikle Verlangen Bulgariens
in den Besitz Adrianopels zu gelangen, die
Einigkeit Europas nicht störte. Daß der ge-
meinsame Rat aller Großmächte in Konstan-
tinopel, in die Abtretung der Festung zu wil-
ligen, dem tatsächlichen Kräfteverhältnis und
dem Besten der Türkei entsprochen hat,
scheint der weitere Verlauf des Krieges zu
beweisen. Dieser Einigkeit und dem ver-
ständigen Eingreifen in den rumänisch-bul-
garischen Gegensatz ist es auch zu danken,
daß der Wiederausbruch der Feindseligkeiten
auf dem Balkan bisher keine bedenklichen
Folgen für den allgemeinen Frieden gehabt hat
und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr
haben wird.
Indessen ist die allgemeine Entspannung
der Lage nicht nur dem günstigen Einflüsse
der deutschen — stillen und unauffälligen, aber
um so sympathischeren — Vermittlung zwischen
Oesterreich-Ungarn und Rußland zuzu-
schreiben, sondern in vielleicht noch höherem
Maße der heilsamen Revidierung seines eige-
nen Verhältnisses zu England. Glücklicher-
weise ging dieses nicht in jeder Be-
ziehung konform mit den Wünschen seines
Dreiverbands-Genossen Rußland. An der Er-
haltung der asiatischen Türkei hatte es un-
bedingt ein Interesse und mußte schon mit
Rücksicht auf die Stimmung der moslemischen
Welt einen großen Krieg zu vermeiden wün-
schen. Hat es doch wesentlich nur die Furcht
vor dem raschen Wachstum der deutschen
Flottenmacht und dem militärischen Ueber-
gewicht Deutschlands an die Seite Rußlands
und Frankreichs geführt. Ein höchst erfreu-
liches Ereignis ist es, daß Deutschland sich
@=
S DIE FRIEDENS -WARTE
mit dem augenblicklichen Verhältnis zwischen
der englischen und deutschen Flotte einver-
standen erklärte und damit wenigstens für
die nächste Zeit dem weiteren Anwachsen der
Seerüstungen einen Riegel vorschob. Ein
Beweis, daß man zu Rüstungsbeschränkungen,
sei es durch ausdrückliche oder stillschwei-
gende Abmachungen bei beiderseitigem, gutem
Willen sehr wohl gelangen kann. Gewiß
wurden diese gegenseitigen Erklärungen der
Marineminister nur darurch möglich, daß sich
in den letzten Monaten des Mißtrauen Eng-
lands in die Absichten Deutschlands wesent-
lich abgeschwächt hat.
Die Aufgabe unserer Staatsmänner war es
nicht nur, in den Gegensatz zwischen Drei-
bund und „entente" vermittelnd einzugreifen,
sondern gleichzeitig auch innerhalb des Drei-
bundes die nicht unbeträchtlichen Gegensätze
zwischen Oesterreich und Italien in der Adria
und in Albanien auszugleichen. Daß ihm dies
gelungen ist, und daß der Dreibund heute
innerlich fester denn je dasteht, ist auch vom
pazifistischen Standpunkte aus ein Verdienst,
das man der deutschen Staatskunst nicht
schmälern soll. Der Dreibund kann seinem
Wesen nach niemals eine Angriffswaffe wer-
den; je größer das gegenseitige Verständnis
seiner Mitglieder, um so größer die Gewähr
für den Frieden.
Wenn man bis hierher die deutsche Po-
litik des letzten Winters uneingeschränkt loben
konnte, so scheint es leider, als ob ein Teil
der Früchte dieses Verhaltens durch die neue
Heeresvorlage wieder verloren gehen sollte.
Wenn man die Aeußerungen der deutschen
wie der französischen Presse aufmerksam ver-
folgt, wird man sich nur schwer eines un-
behaglichen Gefühls und der Furcht erwehren
können, daß diese unerwartete und gewaltige
Anspannung der militärischen Kräfte des Kai-
serreiches einen Sturm von Chauvinismus und
wachsender Feindseligkeit zwischen beiden Völ-
kern zu entfesseln droht.
Die Gründe, die die deutsche Regierung
gerade in diesem verhängnisvollen Augenblick
zur Ankündigung einer großen Heeresverstär-
kung bewogen haben, sind bisher nicht völlig
durchsichtig. Man sagt, es sei die Verschie-
bung der Kräfte auf dem Balkan. Aber ist
es unbedingt sicher, daß sie zuungunsten des
Dreibundes stattgefunden ? Und wäre es dann
nicht immer in erster Linie die Sache Oester-
reichs, sich dagegen zu wappnen? Andere
wieder meinen, die hohe Kriegsgefahr der
letzten beiden Jahre sei der wahre Beweg-
grund für die steigende Mächtigkeit des Pan-
zers, den wir um den Leib der Germania
legen wollen. Als ob nicht gerade die Ge-
schichte dieser letzten Jahre bewiesen hätte,
wie man schwierige Fragen auch ohne Krieg
lösen kann! Gewiß, die starke Prüfung aller
Staaten mag dazu beigetragen haben, sie alle
friedlich zu stimmen, weil der Ausgang eines
kriegerischen Abenteuers zu ungewiß ist, die
Gefahren eines Waffenganges unabsehbar sind.
Aber liegt darin ein Grund, diese Rüstung
abermals zu steigern und das bestehende
Kräfteverhältnis gewaltsam zu stören? Ge-
wiß hat Frankreich seine Volkskraft relativ
stärker angespannt als Deutschland; aber das
hindert nicht, daß absolut genommen dieses
schon jetzt ein beträchtliches Uebergewicht
gewonnen hatte.
Ohne Zweifel wird der Vorgang der deut-
schen Heeresleitung eine neue Epidemie des
Wettrüstens zu Lande hervorrufen, nachdem
der Wetteifer zur See sich eben erst ein
wenig beruhigt hat. Das Bedauerlichste aber
ist, daß dadurch die Erfolge einer fried-
liebenden und geschickten Politik mindestens
zum Teil wieder gefährdet werden.
Die fromme Diplomatie.
Von O. Umfri d.
Die Rede, welche der italienische Mi-
nister des Aueßern San Giuliano in der
römischen Kammer hielt, ist wirklich erbaulich
zu lesen; man fühlt sich versucht, den Hut
abzunehmen, und den Bravo, der in Libyen
seine Taschen füllte, zu grüßen: „Guten
Morgen, Ehrenmann." Die italienische Di-
plomatie ist fromm wie eine Riesenschlange,
nachdem sie sich sattgefressen hat. Was in
Nordafrika geschehen ist, das wirft man zu
den Akten; es handelte sich übrigens dort
um eine geschichtliche Notwendigkeit, die nur
die Friedensfreunde mit ihrer Gefühlspolitik
wieder einmal nicht verstanden haben. Wie-
so — geschichtliche Notwendigkeit? Nun, das
Gleichgewicht in Nordafrika mußte doch her-
gestellt werden, so gut wie das Gleichgewicht
in der Adria herzustellen war und das Gleich-
gewicht im Mittelmeer aufrechterhalten wer-
den muß. Wie ist denn das Gleichgewicht
in der Adria hergestellt worden? Offenbar
dadurch, daß man sich darauf besann, aus
einem unehrlichen zu einem ehrlichen Bundes-
genossen der Donaumonarchie sich zu mau-
sern; mfolgedessen hat man nichts mehr von
Oesterreich zu fürchten, und nun findet man
auf einmal, daß das Gleichgewicht in der
Adria hergestellt sei. Wie soll aber das Gleich-
gewicht im Mittelmeer aufrechterhalten
werden ? Wahrscheinlich dadurch, daß die
vereinigten österreichisch - italienischen Ge-
schwader die französische Kriegsflotte be-
drohen und daß die Kriegsschiffe Rußlands,
mit dem man übrigens vortrefflich zu stehen vor-
gibt, nach wie vor am Auslaufen durch die Dar-
danellen gellindert werden sollen. Wie wurde
aber das Gleichgewicht in Nordafrika her-
gestellt? Dadurch, daß, nachdem Frankreich,
Spanien und England den Löwenanteil ge-
raubt hatten, Italien auch seinen Anteil, die
berühmte libysche Sandbüchse, einsteckte.
Andere Leute hatten eigentlich, ehrlich ge-
standen, vor dem tripolitanischen Abenteuer
gar nichts von der Störung des Gleichge-
85'
DfE FRIEDENS -WARTE
19
wichts in Nordafrika gemerkt; erst der hei-
lige Giuliano war auf diesen Einfall gekommen,
daß dort etwas nicht in Ordnung sei. Wie
aber, wenn eines Tags Großgriechenland auf
die Idee käme, daß es jenseits des Mittel-
meers sehr wichtige Interessen (Lebens-
interessen nennt man das in der Sprache der
Diplomatie) zu vertreten habe und daß das
dortige Gleichgewicht zu seinen Ungunsten
gestört sei; wenn es also eine Kriegsflotte
mit einer Expedition für die nordafrikanische
Küste ausrüstete? Ach, das wäre natürlich
etwas ganz anderes und nicht zu vergleichen
mt der geschichtbildenden Tat San Giulianos.
Es ist aber wirklich reizend zu sehen,
welche Liebenswürdigkeit, welche bezaubernde
Bonhommie dieser Staatsmann der Türkei ge-
genüber an den Tag legt, nachdem er sein
Schäfchen ins Trockene gebracht hat. Er
hat zwar der Türkei Libyen genommen, er
hat den Balkanstaaten erlaubt, die europäischen
Besitzungen des osmanischen Reiches unter
sich zu teilen ; aber nun sagt er dem be-
raubten Wanderer, dem er das Hemd über
den Kopf gezogen hat: Soyons amisl „Wir
haben", sagt er wörtlich, „das Vertrauen, daß
die Türkei in der wirtschaftlichen Tätigkeit
Italiens einen Faktor des Fortschritts erblicken
wird, welcher ihr keinen Verdacht einflößen
wird, als ob wir zu ihrem Schaden territoriale
Absichten hegten. Wenn die Türkei in loya-
ler Weise den Vertrag von Lausanne erfüllt . . .
findet sie in Italien einen zuverlässigen
Freund." Es geschehen noch Wunder und
Zeichen, der italienische Wolf liegt neben dem
halbzerfleischten Lamm und hilft ihm sogar
durch „greifbare Beweise seiner Freundschaft",
daß ihm ferner die Wolle nicht mehr ge-
schoren werde. Italien setzt sich für die Un-
verletzbarkeit des osmanischen Besitzes in
Asien ein : „Die Integrität der asiatischen Tür-
kei", sagt San Giuliano, „die Entwicklung der
Wohlfahrt und die Verbesserung der Lebens-
bedingungen ihrer Völkerschaften, bilden für
Italien ein Interesse erster Ordnung." Wie
edel und großherzig ist das gedacht — wenn
nur nicht der Pferdefuß macchiavellistischer
Diplomatenschlauheit gar zu deutlich heraus-
schaute. Was wird San Giuliano tun, wenn
nun wider alle diplomatische Erwartung in
absehbarer Zeit die asiatische Türkei auch
zerfällt ; und wenn dann gewisse andere Mächte
zugreifen, und die Adler niederstoßen auf das
Aas ? Wahrscheinlich wird er dann das Gleich-
gewicht des Mittelmeers für gestört angesehen
und seinerseits auch zugreifen, um sich ein
Stück der Beute zu sichern. Aber bis dahin
ist er ein zuverlässiger Freund der Türkei.
Es ist aber wirklich lehrreich, sich nicht
nur die Geschichte von der Eroberung Libyens,
sondern auch die Geschichte des Balkan-
konflikts von San Giuliano erzählen zu lassen.
„Hundert Jahre lang", sagte er, „hat man
die Formel des Status quo auf die Zustände
des Türkenreiches angewandt"; natürlich,
wie er glauben machen will, aus reiner Für-
sorge für die Bewohner des nahen Orients,
in Wahrheit nur, weil die europäischen Kabi-
nette mit größter Eifersucht einander be-
wachten, daß doch ja keines dem andern
zuvorkomme und sich um ein Beutestück be-
reichere, das dem anderen ebenso sehr in die
Augen geleuchtet hätte. Aber das „lange und
treue" ( ! ) Festhalten an dieser Formel hat
— nach San Giuliano — für die Türkei die
Wirkung gehabt, den Verlust ihrer euro-
päischen Provinzen bis zu dem Tage zu ver-
zögern, wo die Balkan völker reif waren, die
Erbschaft anzutreten." Wie reif sie waren,
davon können dieAlbanesen mit ihren Frauen
und Kindern erzählen; aber die „lange Auf-
rechterhaltung der provisorischen Formel
vom Status quo hat heute die Anwendung der
definitiven Formel : der Balkan den Balkan-
völkern, ermöglicht." Schade, daß die euro-
päischen Großmächte nicht schon länger
auf diese definitive Formel gekommen sind;
sie hätten, wenn sie die durch den Berliner
Vertrag den Mazedoniern vor 34 Jahren zu-
gewilligte Selbstverwaltung durchgeführt
hätten, den „reifen" Balkanvölkern viel Blut-
vergießen erspart. San Giuliano sieht in der
Formel : der Balkan den Balkanvölkern, eine
endgültige Lösung des Problems, die den
Frieden für die Balkanhalbinsel und für
Europa auf viele Jahre sichert. Aber was ist
das für ein Frieden, der immer nur auf viele
Jahre, statt auf die Dauer gesichert wird, und
der nur durch den wahnsinnigsten Zer-
störungsaufwand aufrechterhalten werden
kann ! Welche Gefahren diesem Frieden
drohen, das hat der italienische Minister
des Auswärtigen in einer etwas dunklen und
doch sehr bezeichnenden Stelle seiner Rede
angedeutet; ich meine die Stelle, in der er
von! Mittelmeer handelt. Es ist zwar eine
sehr vernünftige Ansicht, die er in den
Worten ausspricht : „Niemand hat das Recht,
das Mittelmeer ein mare nostrum zu nennen.
Es ist und muß die freie Bahn der Nationen
bleiben, wo keine Nation die Herrschaft haben
kann und darf, aber alle daran Anteil haben
dürfen." Was soll es dann aber heißen, daß
San Giuliano dennoch erklärt : „Wenn durch
die Macht der Ereignisse und gegen unseren
Willen und gegen den aller Großmächte
früher oder später erhebliche territoriale Ver-
änderungen im Mittelmeer eintreten sollten,
könnte ItaÜen dabei kein müßiger Zuschauer
bleiben, sondern müßte verlangen, daß seine
Stellung als Mittelmeergroßmacht von jeder-
mann gebührend berücksichtigt werde." Wer
sollte nun aber diese territoriale Veränderung
herbeiführen, wenn die Großmächte darin
einig sind, sie zu verhindern ? Sollte das
etwa die unpersönliche Macht der Geschichte
tun, von der San Giuliano so große Stücke
hält, daß er erklärt, die europäische Diplo-
matie könne sich nicht an die Stelle der
großen, bestimmenden Kräfte der Geschichte
86
= DIE FRIEDEN5-^ABT£
setzen, man müsse vielmehr diesen letzteren
häufig die endgültige Lösimg der größten po-
litischen Probleme überlassen ? Wir Laien
hatten geglaubt, daß die Diplomatie Ge-
schichte mache, hatte uns doch Naumann erst
beim Ausbruch des tripolitanischen Krieges
bemerkt, Italien gehe nach Tripolis, weil es
ein Geschichtsvolk sein wolle. Wir hatten
also angenommen, es liege in der Hand der
Diplomatie, über Krieg und Frieden zu ent-
scheiden^ und waren auch durch den Aus-
bruch des Balkankrieges, dessen diplo-
matische Vorbereitung wir mit Händen greifen
konnten, keines anderen belehrt worden.
Nun aber will uns San Giuliano weis machen,
daß gewisse geheimnisvolle Mächte in der
Weltgeschichte walten, welche die Diplo-
matie zwingen könnten, halb widerwillig ein-
zugreifen. Setzen wir den Fall, auch die
asiatische Türkei zerfällt oder eine zusammen-
geleimte europäische Großmacht, deren Namen
ich nicht nennen will, geht aus dem Leim,
so würden auch dadurch nicht von selbst
territoriale Veränderungen am Mittelmeer ent-
stehen, wohl aber könnten solche Verände-
rungen durch das gewaltsame Eingreifen der
gesunden Großmächte in die Sphären der
kranken Mitglieder der europäischen Staaten-
familie herbeigeführt werden. San Giuliano
würde djann versuchen, uns glauben zu machen,
daß sich hier einfach geschichtliche Notwendig-
keiten vollziehen, deren Zwang sich auch in
einem sonst ganz schuldlosen Staat fühlbar
machen würde.
Auf diese Weise, wie San Giuliano sich
die Zukunft unseres Weltteils denkt, werden
wir nie zu einem dauernden Frieden kommen.
Denn absterbende Völker wird es immer wieder
geben, und wenn dann die aufstrebenden Na-
tionen berechtigt sein sollen, sich gewaltsam
in das zur Liquidation kommende Erbe zu
teilen, so werden wir immer und immer wieder
den Krieg haben. Es gibt keinen anderen
Weg, als den so oft beschriebenen, wonach
auch in Fällen des Zusammenbruchs einer
geschichtlichen Macht, abgesehen von dem
dann in Kraft tretenden Selbstbestimmungs-
recht der Völker, der herrenlos werdende
Boden nur von solchen besetzt werden darf,
die nachweislich einem zu eng beisammen woh-
nenden Volke angehören. Das allein ist der
W r eg des Rechts und des Friedens. Um aber
doch auch dem italienischen Minister gerecht
zu werden, so will ich gern zugestehen, daß
eine Stelle seiner Rede mir nicht übel ge-
fallen hat, es sind dies die klassischen Aus-
führungen über das Verhältnis der Territorien
auf dem Balkan. Die „Wunsche und Inter-
essen der Bevölkerung", sagt er in diesem
Zusammenhang, „müssen versöhnt und in ge-
wissen Fällen dem höchsten Ziel der Zivili-
sation und des Friedens untergeordnet werden ;
in einer Krisis^ wo so viele entgegengesetzte
Interessen im Spiel sind, kann keine große
oder kleine; Macht verlangen, daß alle, ihre
Wünsche vollständig befriedigt werden. Es
ist vielmehr notwendig, daß jede einige Opfer
bringt, und daß die auseinandergehenden In-
teressen durch eine Reihe gegenseitiger Trans-
aktionen ausgeglichen werden.'' Wenn die
Diplomatie stets nach diesen Grundsätzen ge-
handelt hätte, so hätte sie manchen Kriegs-
ausbruch verhindert.
Der Fall Maurenbrecher.
Der bekannte Sozialdemokrat Dr. M a x
Maurenbrecher trat anfangs Januar im
„Freien Wort" (erstes Januarheft 1913) in
einem „Die Demokratie und der Krieg" be-
titelten Artikel, ausgehend von einer Be-
sprechimg der Schrift von Wilhelm Lamszus,
dafür ein,
„daß für Staaten und Staatsformen, die noch nicht
zur Vollendung gekommen sind, die den natür-
lichen Grad ihrer Ausreifung noch nicht erreicht
haben, der Krieg und auch der Er-
oberungskrieg eine unbedingte Not'
wendigkeit ist. . . . Der Krieg ist nicht nur
Schrecken und Tod. Er ist oft genug auch die
Ermöglichung einer höheren Organisationsform der
Menschheit und ist damit gut und liegt
in der Linie des menschlichen Fort-
schrittes. Und wenn dem so ist, so
muß er gewollt werden! So muß man
auch innerhalb der nachchristlichen Kulturperiode
der Menschheit den Willen und die Entschluß-
fähigkeit in der Jugend erziehen, unter Um-
ständen auch das eigene Leben wegwerfen zu
können um der weltgeschichtli c h, e n Zu-
kunft willen, die eben durch einen
solchen Krieg möglich gemacht wer-
den soll."
Im weiteren Verlauf des Artikels billigt
der Autor nicht nur den Verteidigungskrieg,
was man immerhin gelten lassen kann, son-
dern auch den Präventivkrieg, indem er
sagt :
„Es muß vorbehalten werden, daß der Staats-
mann unter Umständen die feineren Zusammenhänge
des Werdens und der Möglichkeit der Zukunft weit
umfassender überschaut als der Bauer oder Ar
beiter, der rein aus seiner täglichen Arbeit heraus
von geographischen und wirtschaftlichen Zusam
menhängen nur wenig weiß. Der Staatsmann kann
unter Umständen den Fall des notwendigen Ver-
teidigungskrieges schon damit gekommen sehen,
daß eine Verschiebung im Weltverkehr oder in den
Machtverhältnissen der andern Staaten eintritt, die
die Wirtschaftserhaltung der Zukunft für die eigene
Nation aufs schwerste gefährdet. Soll dann die
Demokratie erklären, daß sie in einen solchen
Krieg nicht mitziehen wolle, weil der Boden des
Vaterlandes in körperlichem und handgreiflichem
Sinne noch nicht verletzt ist? Muß dann nicht
unter Umständen gerade vom demokratischen
Standpunkte aus ein Krieg als notwendig
gewollt werden, auch wenn er äußerlich
als Angriffskrieg oder als Krieg um
ganz fernliegende Objekte er-
scheint?"
Diesen Standpunkt habe ich im ersten
Februarheft des Freien Worts in einein Ar-
tikel zu widerlegen versucht, indem ich u. .a.'
37;
DIE FRiEDENS-^AßTE
3
darin sagte, daß Maurenbrecher Sieg und
Krieg verwechsle, daß der Krieg wohl
höhere Organisationsformen ermöglicht, aber
in viel höherem Maße solche zerstört oder
gehemmt habe. Dann sagte ich weiter:
„Maurenbrecher verkennt das gesamte Frie-
densproblem und hat mit allen Bekämpfern dieses
Problems das gemeinsam, daß er die Lösungen,
die das Problem bietet, auf die heute noch vor-
herrschenden anarchischen Verhältnisse der Staaten
überträgt. So kommt er zu einer Dissonanz, und
er hält die Unvollkommenheiten des Augenblicks
für eine Unvollkommenheit des Systems. Er sieht
keinen Ausweg, weil er von dem Gesichtspunkt
ausgeht, daß man sich gegen eine beabsichtigte
Unterjochung nicht anders als durch Krieg wehren
könne, daß ebenso eine Befreiung aus einem be-
reits auferlegten Joche nicht anders als durch
Krieg möglich sei. Er setzt dem Extrem des „Frie-
dens um jeden Preis" das Extrem gegenüber, daß
der Krieg gut ist, „in der Linie des Fortschritts"
liegt und daher gewollt werden muß.
Welcher Irrtum I Die moderne Friedensidee
bekämpft nicht den Krieg als solchen, der ihr nur
ein Symptom ist, sondern dessen Ursachen, die
in der Anarchie der Verhältnisse der Staaten
liegen. Aus der Wandlung dieser Anarchie in
eine Organisation wird sich ein veränderter Char
rakter der Konflikte ergeben, so daß diese als-
dann durch Vernunftmaßnahmen lösbar sein wer-
den. In der Organisation werden wir jene „höhere
Organisationsform der Menschheit" erreichen, die
wirklich der Menschheit, und nicht, wie es beim
kriegerischen Verfahren der Fall ist, der sieg-
reichen Nation auf Kosten der Menschheit zuteil
wird. Diese Staatenorganisation ist die Lebens-
form der Demokratie; zu ihr führt die Demokratie
hin. Die Organisation wird den daran beteiligten
Staaten eine höhere Stärke geben, als die raffi-
niertesten Kriegsmaschinen sie erteilen können. Es
wird dann ein dominierender Faktor in der Welt
bestehen, der Einfluß nehmen wird auf die Hal-
tung der noch auf niedriger Kultur stehenden
Staaten. Diese Organisation wird kulturfördernd
wirken auf die noch außenstehenden, und die in
ihr verwirklichten Vorteile werden zwingend auf
das Gebaren der andern Staaten Einfluß neh-
men. Es ist möglich, daß zum Beispiel der rus-
sische Absolutismus überwunden werden kann durch
den moralischen Einfluß einer daneben bestehenden
organisierten Gemeinschaft hochstehender Demo-
kratien, mit denen Rußland wird leben müssen.
Das Werk der Befreiung wird dann sicherer voll-
bracht werden als durch >die Roulette des Krieges,
wo rouge, aber auch noir, fallen kann.
Eines aber wird auch aus den organisierten
Demokratien nicht ausgeschlossen sein, wenigstens
solange sie in der Welt mit nichtorganisierten
Staaten werden rechnen müssen; die Anwendung
der Gewalt zur Aufrechterhaltung ihrer Unab-
hängigkeit, zum Schutze gegen Unkultur oder zur
Durchführung der Kultur in der Welt. Man er-
schrecke nicht und sage nicht: das wäre ja der
Krieg. Wer so spricht, verkennt das Wesen der
Gewalt. Nur im anarchischen Zustand ist die Ger
walt gefährlich ; organisierte Gewalt ist
Recht. Nicht jede Gewaltanwendung seitens des
Staates ist Krieg. Wenn der Landstreicher einen
Wanderer und der Gendarm den flüchtenden Land-
streicher töten, so sind dies die gleichen Handlungen,
aber mit ungleichem Effekt; der erstere wandte
anarchische Gewalt an, der letztere organisierte.
Der erstere ist ein Verbrecher, der letztere ein
Exekutivorgan des Rechts. So wird die Gewalt
anwendung, die Staaten im Dienste des
Rechts vornehmen, sich wohl unterscheiden von
einer Gewaltanwendung, die heute an Stelle
des Rechtes tritt, die allein Krieg ist. Weder
in ihrer Vorbereitung noch in ihren Folgen wird
eine organisierte Gewaltanwendung, die der Ausr
fluß eines internationalen Rechtes sein wird, mit
dem heutigen Kriege zu vergleichen sein. Ganz ab-
gesehen davon, daß es eine organisierte Staaten-
gesellschaft nur sehr selten nötig haben wird, wirk-
lich Gewalt anzuwenden; es wird ihr noch mehr
als es im staatlichen Leben der Fall ist, genügen,
ihre organisierte Gewalt anzudeuten, um dem
Rechte zum Durchbruch zu verhelfen."
Hierauf antwortete Dr. Max Mauren-
b r e c h e r im zweiten Februarheft des Freien
Wort in einem „Realistische Friedensbewe-
gung" überschrieben en Artikel, in dem er
voransetzte, daß er „nicht um Worte streiten*'
und zu zeigen versuchen will, „daß der Gegen-
satz in der Sache durchaus nicht so groß
ist, wie es den Worten nach vielleicht den
Anschein hat". Er führt dann wörtlich; fol-
gendes aus :
Fried sagt freilich: ja, das ist kein Krieg!
Krieg nenne ich nur Gewaltanwendung zwischen
Staaten, die noch im anarchischen Zustand zu-
einander stehen; das andere ist nicht Krieg, son-
dern Gewaltanwendung, die im Dienste des Rechts
steht, die einem Rechtssatz zur Autorität ver-
helfen will. Aber das ist eine reine Frage der
Definition. Und über Definitionen soll man nicht
streiten. Jeder hat das Recht, die Worte so zu
gebrauchen, wie sie seinem Sprachgefühl ent-
sprechen; er muß nur deutlich sagen, was er unter
diesen Worten versteht, und dann ist kein An-
einandervorbei-Reden mehr möglich. Das hat Fried
getan, und darum hänge ich mich nicht an das
Wort Krieg, sondern gehe auf die Sache selbst.
Auch der nächsthöhere Organismus, den wir
gemeinsam über unseren heutigen Nationalstaaten
erstreben, hat Waffen nötig; und er hat Menschen
nötig, die einerseits sich das Recht zusprechen,
mit gutem Gewissen diese Waffen zu führen, und
die anderseits dazu bereit sind, um der Idee des
Rechtes willen ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Das
heißt: auch in der Periode der völkerrechtlichen
Organisierung wird es als unsittlich abgelehnt wer-
den, wenn einer lehrt: mein Leben ist mein höch-
stes Gut. Das aber war es, was ich gegen Lamszus
sagte. Ferner: auch in dieser Periode wird die
demokratische Partei in den Parlamenten der
Einzelstaaten es nicht ablehnen dürfen, Geld für
Bewaffnungszwecke und Organisationen für Aus
bildung in der Technik des Waffengebrauchs zu
schaffen. Das aber war es, was, wie ich erinnerte,
bereits im Parteiprogramme der sozialdemokrati-
schen Partei Deutschlands steht : „Erziehung zur all-
gemeinen Wehrhaftigkeit", das ist ohne Geld und
ohne militärische Organisationen nicht möglich.
Also, so schloß ich, darf auch die Demokratie
sich nicht darauf versteifen, daß alle Ausgaben
für militärische Zwecke unsittlich, nutzlos und un-
produktiv seien.
Das gilt für die Zukunft, wenn wir jene höhere
Rechtsinstitution einmal erreicht haben werden.
Aber in der Gegenwart haben wir sie noch nicht.
Und das ist es, worin allein der Unterschied
zwischen uns aufkeimen konnte. Fried wirft mir
M
<§]
= DIE FRIEDENS -^MÄttTE
vor. ich hätte die Lösungen, die das Friedens
problem bietet, auf die heute noch vorherrschenden
anarchischen Verhältnisse der Staaten übertragen;
ich hätte die Unvollkommenheiten des Augenblicks
für eine Unvollkommenheit des Systems gehalten.
Zugegeben; aber diese Unvollkommenheiten sind
doch heute noch da. Fried sagt ja selbst, daß die
anarchischen Zustände unter den Staaten heute
noch vorherrschen. Also ist auch die Gefahr tat-
sächlich da, daß sie sich gegen uns kehren, wenn
wir durch Erziehung und parlamentarische Ab-
stimmung die Fähigkeit, uns zu schützen, in uns
selber ersticken.
In Frieds Beispiel vom Landstreicher ge-
sprochen: wenn ich weiß, da ist ein Landstreicher,
der mich totschlagen will, aber dahinter steht
ein Gendarmi, der ihn noch vorher totschießen
wird, so kann ich ruhig meinen Weg gehen.
Das Problem des Schutzes und der Durchsetzung
der Rechtsautorität ist dadurch gelöst, daß ein
besonderes Organ von der Gesamtheit geschaffen
wurde, das diese Durchsetzung berufsmäßig be-
treibt. Wenn ich aber eine Stunde von der Eisen-
bahn fort wohne und mein Heimweg führt mich
nachts durch einen Wald, in dem sicherlich kein
Schutzmann, wohl aber manchmal Gesindel ist,
dann ist es Pflicht und Recht, daß ich mir selbst
den Revolver beschaffe, um gegebenenfalls die
bedrohte Rechtsautorität und mit ihr mein Leben
selber schützen zu können. Wenn das aber nach
Frieds eigenen Worten unser heutiger Zustand ist,
so ist daraus auch für den Staat zu folgern,
daß er, solange jene überstaatliche Rechtssicher-
heit fehlt, mit der Möglichkeit rechnen muß, für
das eigene Recht und das eigene Leben auch ein-
mal in den Krieg ziehen zu müssen, wenn es kein
billigeres Mittel mehr gibt, das uns helfen könnte.
Und darum dürfen wir uns, solange jene überstaat-
liche Rechtsgarantie fehlt, dieses Mittel nicht selbst
durch Erziehung oder Politik zerstören.
Soweit ich Frieds Gedanken kenne, wird er
darauf antworten, daß das auch nicht seine Ab-
sicht pei; er würde als Reichstagsabgeordneteri
vielmehr bereit sein, jede militärische Forderung
der Regierung, deren Notwendigkeit nachgewiesen
ist, auch zu bewilligen — unbeschadet seiner pazi-
fistischen Agitation. Wenn dem so ist, so ist es
gut; denn dann besteht zwischen uns überhaupt
kein Streit.
Das Friedensproblem, wie ich es sehe, liegt
nicht darin, den Krieg ohne jede Bedingung und
Ausnahme als unsittlich zu verdammen und ihn
durch antimilitaristische Schlagwort-Propaganda
zu diskreditieren. Es liegt vielmehr darin, die
Form zu suchen, wie man die Organisation der
Bewaffnung immer mehr auf größere Einheiten
ausdehnen und damit militärische Reibungen im
Innern dieser Einheiten beseitigen könne. Noch vor
fünfzig Jahren hatten wir eine sächsische, eine
preußische, eine bayrische usw. Armee und mußten
sie haben. Heute sind das alles nur noch Armee-
korps einer höheren Einheit, und es ist unvorstell-
bar, daß diese einzelnen Anneekorps noch einmal
gegeneinander gehen könnten. Wir erstreben nun
einen Zustand, daß auch die deutsche, die deutsch-
österreichische, die italienische, holländische, bel-
gische, französische Armee nur noch Teile,
Armeekorps einer noch höheren Einheit, der mittel-
und westeuropäischen Handels- und Verteidigungs-
gemeinschaft der Staaten, seien. Das wird wahr-
scheinlich eine enorme Erleichterung der mili-
tärischen Lasten für jeden einzelnen Staat sein,
schon deshalb, weil nicht mehr jede Einzelarmee,
sondern nur noch die Gesamtarmee eine strate-
gische Einheit zu sein braucht, und weil die Einzel-
staaten sich differenzieren können (Meerflotte,
Luftflotte, Artillerie, Infanterie usw.). Aber es wird
vor allem eine ungeheure kulturelle Errungenschaft
sein, wenn der Krieg, wie er jetzt schon aus dem
Verkehr der einzelnen Provinzen und Landesteile
untereinander verbannt ist, dann aus dem Innern
von Mittel- und Westeuropa überhaupt verbannt,
und höchstens noch an die Grenzen dieses Gebiets
gelegt sein wird."
Ich glaube selbst, daß der Unterschied
zwischen mir und Maurenbrecher nicht so
groß ist, wie es nach seinem ersten Artikel
den Anschein hat. Maurenbrecher scheint sich
schließlich gegen etwas wehren zo wollen,
dessen Bekämpfung uns Pazifisten als etwas
Selbstverständliches scheinen muß, näm-
lich gegen jene Tendenzen, die man kollektiv
als „Antimilitarismus" bezeichnet. Ich habe
in allen meinen Schriften darauf hingewiesen,
und damit weiß ich mich mit der gesamten
pazifistischen Bewegung eins, daß die Be-
kämpfung des Krieges durch Bekämpfung
der Armee ein am verkehrten Ende eingesetz-
tes Beginnen sei. Die Rüstungen sind mir
immer nur ein Symptom jener Erscheinung
gewesen, die wir nur durch Bekämpfung der
Ursachen zu beseitigen imstande sein werden.
Wir Pazifisten wissen ganz genau, daß wir
den Frieden nicht mit der Abrüstung be-
ginnen können, am allerwenigsten mit der
Abrüstung eines einzelnen Volkes, das etwa
mit dem guten Beispiel vorangehen solle.
Aber wenn ich auch im Grundsatz mit
Maurenbrecher übereinzustimmen glaube, so
gehen wir in der Methode, die er anwendet,
sehr weit auseinander. Diese darf sich näm-
lich nicht darauf beschränken, dem augen-
blicklichen Bedürfnis Genüge zu tun, son-
dern muß in jedem Augenblick die Zukunfts-
werte ins Auge fassen, die sie zu fordern hat.
Ich würde daher, wie Maurenbrecher ganz
richtig voraussetzt, als Reichstagsabgeord-
neter die Rüstungsforderungen der Regierung,
deren Forderungen nachgewiesen
sind ( ! ), auch bewilligen, würde aber diesen
Nachweis unter keinen Umständen als er-
bracht sehen, wenn die Regierung nicht be-
wiesen haben wird, daß sie offen und ehrlich
vorher den Versuch gemacht hat, mit den
anderen Regierungen zu einem 1 Abkommen
auf Einschränkung der Rüstungen zu ge-
langen. Ich finde nämlich die Unvollkommen-
heiten des Augenblicks nicht so sehr in den
wirklichen internationalen Verhältnissen be-
gründet, als in den Anschauungen und Ab-
sichten gewisser Kreise, die sich bemühen,
diese Unvollkommenheiten mit aller Gewalt
zu verstärken und künstlich aufrechtzuerhal-
ten, um dadurch aus der Not eine für sie
ersprießliche Tugend zu machen, und die
bei ihrem! Treiben unterstützt werden von der
trägen Masse derjenigen, die über die Be-
dürfnisse des Tages nicht hinauszublicken
vermögen. Indem ich von ,,Unvollkommen-
39
DIE FßlEDENS-^MißTE
S>
heiten des Augenblicks" sprach, meinte ich
damit nicht, daß der heute vorherrschende
Zustand zwischen den Staaten gar keine Vor-
aussetzung für eine verständige Ordnung der
Dinge biete, sondern nur, daß er noch nicht
ganz jene Vollkommenheit erreicht hat, die
dazu nötig wäre, daß die internationale
Anarchie noch nicht vollständig überwunden
ist, aber wohl die internationale Organisation
schon bedeutend entwickelt erscheint. Der
Wille zur Vollendung jener großen Entwick-
lung seitens gewisser an der Macht befindlichen
Kreise, vielleicht auch deren Zuversicht,
scheint mir, zu fehlen, um hier die erlösende
Befreiung zu bringen. Und gerade deshalb
halte ich es für wichtig, die sich bietenden
großen Möglichkeiten immer wieder in den
Vordergrund zu stellen, und nicht, wie
Maurenbrecher das tut, mit pessimistischer
Abfindung mit dem Gegebenen sich zufrieden
zu geben und eine Anpassung an dieses Ge-
gebene zu empfehlen, womit nichts anderes
bewirkt wird, als daß die Hemmnisse jener
erlösenden Entwicklung nur gestärkt werden.
Ich werde immer wieder an jene mir .un-
vergeßlichen Worte Sir Edward Greys er-
innert, der von einem Erwachen der in der
Knechtschaft ihrer Rüstungen befindlichen
Völker sprach, die dann eines Tages erkennen
werden, daß die Gefängnistür von
innen verschlossen war.
Und deshalb finde ich es unangebracht,
einen Schriftsteller zu bekämpfen, weil er
den Krieg wahrheitsgetreu schildert, die Theorie
eines unter Umständen sittlichen Krieges
zu vertreten, während wir uns jetzt alle
halben Jahre vor eine Kriegsmöglichkeit ge-
stellt sehen, die sich: bei näherer Betrachtung
als frivol herausstellt; den Präventivkrieg
als nützlich hinzustellen, während wir wissen,
daß aus zahlreichen Kriegen, die einflußreiche
Diplomaten einmal als unabwendbar hin-
gestellt haben, nichts geworden ist, weil die
Zeit alle Verhältnisse verschiebt, und dann
etwas, Was früher als Gefahr erschien, nach kur-
zer Entwicklung sich ganz anders darstellt. Daß
der Krieg unter Umständen sittlich sein kann,
wissen wir. Aber nicht jeder Krieg, den man
uns heute als sittlich darstellen möchte, ist es
in Wirklichkeit. Und wir wissen, daß eis in
einer gefestigten Kulturgemeinschaft gar
nicht mehr nötig sein wird, mit jenem allein
sittlichen Krieg um die Existenz des Staates
zu rechnen, da diese durch die Gemeinschaft
fest begründet sein wird.
Maurenbrecher hindert aber die Ent-
wicklung dieser Kulturgemeinschaft, indem er
sich der pazifistischen Praxis mit seiner
Theorie entgegenstellt.
Wir gehen, mit Knüppeln bewaffnet, aus,
den Brandstifter zu suchen, der unsere Häuser
anzündet und uns nicht zur Rühe kommen
läßt. Und da tritt uns einer entgegen und
ruft: „Was wollt Ihr denn; das Feuer ist
eine der wohltuendsten Einrichtungen. Es
leuchtet, es erwärmt, es treibt die Maschinen."
Jawohl, Herr Dr. Maurenbrecher; das kann
uns aber nicht abhalten, den Brandstifter auf-
zuspüren und ihn unschädlich zu madhen.
A. H. F.
Das kleine Heer.
Von einem Offizier.
Der Beginn des allgemeinen Wettrüstens,
zuerst zu Land, dann auch zu Wasser, ist auf
den Deutsch-Französischen Krieg zurückzufüh-
ren. Der Vergeltungsgedanke ließ Frankreich
keine Opfer scheuen eine neue, große und mäch-
tige Armee zu schaffen. Dadurch fühlte sich
Deutschland naturgemäß bedroht und schritt
ebenfalls an den Ausbau seines Heeres. Auf
diese Weise war eine ausreichende Sicherheit
des neuen Reiches gegen Frankreich gewonnen,
Handel und Verkehr, Industrie und Gewerbe
konnten sich heben; und führten zu Deutsch-
lands heutiger Blüte.
Bald war aber das Absatzgebiet zu eng;,
die wirtschaftliche Entwicklung drängte zum
Meer. Kaiser Wilhelm II. erkannte die hohe
Bedeutung der Seegeltung für des Reiches öko-
nomische Entwicklung und arbeitete planmäßig
an der Vermehrung der deutschen Handels-
und Kriegsflotte. Besonders das rapide
Wachsen letzterer wurde begreiflicherweise gar
bald in England unliebsam wahrgenommen.
Bedrohte doch eine deutsche Kriegsflotte
zweifellos die britannische Alleinherrschaft zur
See und gefährdete dadurch Nelsons Erbe.
Durch das in den beiden letzten Dezenien
des 19. Jahrhunderts einsetzende politische
System der Allianzen wurden alle anderen
Staaten Europas, durch den Uebergang von
der kontinentalen zur universalen Volkswirt-
schaft auch die amerikanischen und asiatischen
Mächte, besonders die Vereinsstaaten und Ja-
pan, in den Kreis der für einen möglichen Zu-
kunftskrieg emsig Rüstenden gezogen. Auf
diese Weise erklärt sich der gegenwärtige
Stand der großen Kriegsbereitschaft und der
durch letztere verursachten hohen Kosten von
selbst. Gleichzeitig muß aber auch die Frage
aufgeworfen werden, ob dieser Zustand auf
die Länge der Zeit erträglich ist. Es kommen
diesbezüglich soziale, ökonomische,
politische und militärische Gesichts-
punkte in Betracht.
In sozialer Beziehung machen sich an-
haltende Kriegsvorbereitungen sowohl durch
Förderung körperlicher Ausbildung, wie durch
Festigung des Charakters wohltätig, durch Zu-
rückdrängung mancher wichtigen Kulturarbeit
aber ungünstig bemerkbar.
Noch deutlicher, und dem einfachen
Manne wahrnehmbarer, werden die öko-
nomischen Wirkungen. Ueberall dort, wo der
Friede nur durch stete Drohung mit Waffen-
gewalt • :• erhalten werden kann, ist man
berechtigt, von einem .. i a u I e n Fr i e den"
'90
@=
= DIE FRIEDEN5->VARTE
zu sprechen, und ein solcher kann wegen der
mit ihm verbundenen Unsicherheit niemals
günstig für die ökonomischen Interessen sein.
Der Umstand, daß von den Gesamtstaats-
einnahmen ein immer größerer Teil für Kriegs-
vorbereitungszwecke verwendet werden muß,
ist der Volkswirtschaft ebenfalls nicht förder-
lich. Allerdings darf man auch nicht aus
den Augen lassen, daß die für Rüstungszwecke
verausgabten Summen bestimmte Teile der
Volkswirtschaft, die heute schon recht ansehn-
liche Kriegsindustrie, um so intensiver
fördern, je mehr sie im Inlande konsumiert
werden. Des weiteren darf man auch nicht
vergessen, daß die ökonomischen Interessen
selbst durch einen erfolgreichen Krieg weit
mehr geschädigt werden, als durch einen noch
so kostspieligen Frieden. Diesbezüglich
können folgende Zahlen Anhaltspunkte bieten:
das Gesamtrüstungsbudget Oesterreich-Un-
garns (Heer, Flotte, beide Landwehren) be-
ziffert sich pro 1913 auf rund 0,6 Milliarden Kr.
Nach den jetzt so häufig in Fach- und Tages-
blättern anzutreffenden Untersuchungen über
Kriegskosten, kann man einen Durchschnitts-
wert von 10 Kronen pro Mann und Tag an-
setzen. Nehmen wir nun an, daß die Mo-
narchie 2 Millionen Soldaten mobilisieren
würde (tatsächlich könnte sie noch viel mehr
bereitstellen), so würden ihr in einem Jahre
10x2x365 = 7,3 Milliarden Kr., also das
7.3
0.6
= zwölffache an Kosten erwachsen.
Weil die Friedensrüstung beim Gegner
Furcht erzeugen und dadurch den Kriegsaus-
bruch verhindern soll, werden ihre Kosten oft
als „Versicherungsprämien" bezeich-
net. Das ist unrichtig; denn die Versicherung
bezweckt eine Ersatzleistung im Falle eingetre-
tenen Ungemachs, während die Friedensvor-
sorge den Kriegsausbruch, also das Ungemach
verhüten soll. Erstere ist somit eine Art Heil-
mittel und gehört, bildlich gesprochen, in das
Gebiet der inneren Medizin, während die
Friedensvorsorgen Präservative sind, somit
als vorbeugende Hygiene zu gelten
haben.
Wie sich diese vorbeugende Wirkung be-
währt, nimmt man erst im Momente einer
Friedensgefährdung wahr. Ist eine Spannung
eingetreten, so stocken nicht nur die Geschäfte,
sondern es beginnen auch überall die Arbeits-
kräfte zu mangeln, weil gerade die tüchtigsten
geistigen Und manuellen Arbeiter zum Kriegs-
dienst herangezogen werden. Im Momente,
wo die Volkswirtschaft den größten Personal-
bedarf hat, werden ihr somit durch das gegen-
wärtig praktizierte System die besten Kräfte
entzogen. Dieses gewichtige ökonomische Mo-
ment spricht nicht für das Massenaufgebot
zu Land und zu Wasser.
Fassen wir nun das politische Gebiet ins
Auge, so können wir schon aus den gewöhn-
lichsten Zeitungsberichten heraus erkennen,
daß in bezug auf Kriegsvorbereitungen in
allen Staaten ein Auktionswesen Platz gegriffen
hat, welches jeden Vorsprung des einen Staates
durch einen noch größeren Sprung des anderen
Staates zu überbieten trachtet, und welches
deshalb unmöglich zu einer politischen Klärung
führen kann.
An letzter Stelle wurde nicht ohne Ab-
sicht das militärische Moment gerückt. Es
ist ohne Zweifel das wichtigste, weil es so-
wohl alle anderen in sich faßt, wie auch,
weil die Wehrmacht in ihrer eigenen Sache
denn doch die Hauptperson ist.
Von ihrem Standpunkt ist zu bemerken,
daß sie wohl an der Ansicht, die Verteidigung
des Vaterlandes sei die erste, edelste und
wichtigste Pflicht eines jeden Staatsbürgers,
festhalten muß, damit aber nicht gesagt haben
will, es müsse jeder, der weder ein geistiger
noch ein körperlicher Krüppel ist, sofort bei
Mobilisierungsbeginn in die Uniform schlüp-
fen und das Gewehr schultern. Gegen diese
von Heeresgegenern als „M i 1 i t a r i s m u s"
bezeichnete Tendenz sprechen gewichtige
Gründe der Logik. Die Armee ist die Be-
schützerin des Erwerbslebens und deshalb in
dem Sinne posterior, daß ein Schützer nur
dann einen Sinn hat, wenn ein Schutzbedürf-
tiger vorhanden ist. Reiht man aber alle mehr
oder minder tauglichen Männer in die Wehr-
macht ein, so nimmt man die besten Arbeiter
dem Erwerbsleben wegen, und entzieht diesem,
dem Schutzbedürftigen, das belebende Blut:
Man könnte diesen Vorgang füglich auch mit
der Behandlung eines Fisches vergleichen, den
man an Land bringt, um ihn vor dem Er-
trinken zu bewahren.
Gegen „uferlose Rüstungen"
spricht vom militärischen Gesichtspunkt aus
auch noch die Tatsache, daß die Qualität der
bewaffneten Macht mit der Zunahme ihres Um-
fanges sinken muß. Je weniger Soldaten eine
bestimmte Bevölkerungsmenge zu stellen
hat, 10 o/o der Gesamtbevölkerung scheint
überhaupt das Maximum zu sein, desto
tüchtiger können diese in geistiger und
körperlicher Beziehung sein, und desto leichter
wird der Ersatz von Abgängen. Auch wird
eine Armee um so beweglicher, je kleiner sie
ist. Millionenheere nehmen gezwungenerweise
in jeder Beziehung minder leistungsfähige
Männer in ihre Reihen auf, und werden wegen
ihres Umfanges so unbeholfen, daß man sie,
einmal in Bewegung gesetzt, nicht mehr leiten.
verschieben und manöverieren kann, sondern
einfach auslaufen lassen muß.
Treten dann Verluste ein, so wird es
an geeignetem Ersatz fehlen, und dann geht das
Riesenheer an den Folgen der eigenen Fülle
zugrunde.
Nimmt man das Gesagte nochmals vor.
so erkennt man, daß die Friedensfreunde wohl
unrecht haben, wenn sie heute den ewigen
Frieden und die allgemeine Abrüstimg ver-
91
CHE FBIEDENS -WARTE.
3
langen*). Daß man aber doch bald zu einem
Wendepunkt in der Rüstungfrage gelangen
muß, soll die Menschheit mit ihren politischen,
sozialen und wirtschaftlichen Interessen nicht
dauernd geschädigt werden; und daß die bal-
dige Erreichung dieses Wendepunktes geradezu
im eigensten Interesse der Wehrmacht selbst
liegt.
Alle Komponenten vereinigen sich somit
zu der Resultierenden : Weg mit den
Riesenarmeen und Ersatz derselben durch
kleine Heere.
Von der theoretischen Erkenntnis bis zur
praktischen Umsetzung ist aber ein recht weiter
Weg. Das ganze Problem kann erst dann ins
Rollen gebracht werden, bis die Frage, wer
den ersten Schritt zu unternehmen habe,
gelöst ist.
Hier, wo der einzelne machtlos ist einzu-
greifen, müßte eine dankbare Aufgabe aller
wahren Friedensfreunde und deren Ver-
einigungen sein.
Vor allem wäre von diesen Organisationen
klarzustellen, wie sich die einzelnen Staaten
zur Abrüstungsfrage stellen, dann, welche An-
sichten sie hinsichtlich des , .kleinen Heeres"
hegen.
Das so gewonnene Material müßte nun
vorbereitet werden und als Resultat die von
jedem Staate zu tragende Rüstung zu Wasser
und zu Lande ergeben.
Die Einwirkung auf die einzelnen Staaten
sich der, zweifellos einen Eingriff in die Sou-
veränitätsrechte darstellenden, Rüstungsbe-
schränkung zu unterwerfen, wird allerdings
keine leichte Arbeit sein.
Aber wo ein klarer Wille ist, muß auch
ein gangbarer Weg sein.
Steter Tropfen höhlt den Stein!
Die englisch -deutsche
Flottenformel.
Von besonderer Seite.
Die Erklärung des Staatssekretärs v. T i r -
pitz, daß die Formel 16:10 als Stärkever-
hältnis der Schlachtschiffe Englands und
Deutschlands für die nächsten Jahre akzeptabel
sei, sagt zunächst nur, daß für einige Jahre,
wo nach Churchill England in Anbetracht des
noch bestehenden Gefechtswerts seiner Prae-
Dreadnoughts mit jener Ueberlegenheit
von 60 o/o in Dreadnoughts auszukommen
glaubt, Deutschland nicht die Absicht hat,
*) Es braucht in diesen Blättern wohl nicht
erst betont zu werden, wie sehr der gesch.
Herr Verfasser das Problem verkennt. Von
„ewigem Frieden" und „allgemeiner Abrüstung"
ist nur in den Witzblättern die R,ede, wenn sie
die Friedensbewegung in den Kreis ihrer Be-
trachtungen ziehen; aber nirgends im Pro-
gramm dieser Bewegung. Die Red. d. „F.-W.".
sein Flottengesetz vom letzten Jahre zu ändern.
Churchill betonte allerdings in seiner Flotten-
rede vom 18. März 1912, daß, wenn Deutsch-
land über sein damaliges Flottengesetz (1908)
hinausginge, England genötigt sein würde, für
jedes Schiff mehr „zwei" auf Stapel zu legen,
und daß mithin etwaige Mehrbauten das Ver-
hältnis zuungunsten Deutschlands ändern
würden. Dieser Fall ist eingetreten. Die Er-
regung und die englandfeindliche Stimmung,
die 1911 durch die Agitation von Kolonial-
und Flottenverein wegen der Marokkoange-
legenheit erzeugt wurden, führten im ver-
gangenen Jahre dazu, diese Feststellung
Churchills außer Acht zu lassen und durch
ein neues Flottengesetz vom Mai 1912 die Zahl
der Linienschiffe um drei zu erhöhen. In dem
britischen Bauplan wird sich dies in der Folge
aussprechen, da das Ministervvort in England
unantastbar sein dürfte. Aber auch wenn sich
hierdurch die Formel in I6V2 : 10 für die
nächsten Jahre ändert, wird dies ohne Einfluß
bleiben. Zweifellos strebt man in den Re-
gierungskreisen Deutschlands wie Englands
danach, aus dem Stadium der Feindseligkeit
zu einem modus vivendi zu kommen, da beide
Länder den Frieden wollen und das Phantom
vom unvermeidlichen Krieg lediglich ein
Aktionsmittel der Flottentreiber ist.
Churchill sagte noch in seiner Rede
vor Jahresfrist, daß England ebenso
wie der Erhöhung auch der „Ver-
minderung" der deutschen Schiffs-
zahl sofort proportional folgen
würde, und daß, wenn z. B. 1913 in
Deutschland durch Nichtbau „ein
weißes Blatt in das Buch des Miß-
verstehens eingeschaltet würde",
mit den nicht gebauten 3 deutschen
Schiffen 5 gewaltige englische
Ueberdreadnoughts weggewischt
werden würden und dies mehr sei,
alsnachseinerEr Wartung Deutsch-
land in der glänzendsten See-
schlacht zu erreich en hoffen könne.
Der Ersparnis von 6 bis 7 Millionen Pfund
Sterling (120 bis 140 Millionen Mark) stände
kein Nachteil durch Verringerung der Schiffs-
zahl gegenüber. Trotzdem durch das Zu-
sammengehen Deutschlands und Englands in
der jetzigen Orientkrisis den Elementen, die
die Völker gegeneinander hetzten, der Boden
entzogen worden ist, dürfte es in Deutschland
kaum möglich sein, dem Vorschlage Chur-
chills, ein Jahr im Dreadnoughtbau eine
Pause eintreten zu lassen, Folge zu geben,
denn der Lärm derer, die bisher für eine Be-
schleunigung der deutschen Flottenbauten ein-
traten, würde ganz gewaltig sein und 1 in Eng-
land indirekt Unterstützung finden. Denn dort
finden sich einerseits patriotische Politiker,
denen das Wachstum der deutschen Flotte
wegen seiner Wirkung auf die Vergrößerung
der britischen und wegen des Zusammen
schließens von Mutterland und Kolonien nicht
92
<£
DIE FRIEDEN5-^ÄR.TE
unerwünscht ist, und andererseits Leute der
Großindustrie und des dahinterstehenden
Großkapitals, die am Flottenbau Geld ver-
dienen wollen und denen jedes Nachlassen
sehr unangenehm ist. Es ist menschlich, daß
der Patriotismus wächst, wenn Eigennutz da-
zukommt, und daß gerade diese Art Leute
sehr aktiv ist und direkt und indirekt in den
Flottenvereinen, in den Parlamenten und in
der Presse einen Einfluß auszuüben sucht,
ohne daß das Publikum die Triebfedern ge-
wahr wird. Das Publikum weiß von den Par-
lamentariern usw. nicht, in welchen Be-
ziehungen sie als Aufsichtsräte oder sonst zu
den großen Schiffswerften oder sonstigen
Lieferanten stehen. Daß zwischen der
deutschen und englischen Agita-
tion für Vermehrung der Flotten-
bauten Beziehungen bestehen, er-
gibt sich aus dem Jahrbuch des britischen
Flottenvereins (Navy League Annual 1910 bis
1911), in dem auf Seite 216 der Herausgeber
Alan H. Burgoyne als Verfasser des Ar-
tikels „Die Entwicklung des englisch-deut-
schen Antagonismus" in einer Fußnote*)
bemerkt, daß er denArtikel mit ge-
ringen Aenderungen früher für den
Grafen Ernst von Reventlow ge-
schrieben habe und erauchin einem
Berliner Blatt veröffentlicht wor-
den s e i. — Graf E. Reventlow, der bekann-
teste deutsche Flottentreiber, Alan H. Bur-
goyne, eins der tätigsten Mitglieder des eng-
lischen Flottenvereins.
Kiderlen * Wächter.
Als ich in der Januarnummer der „Frie-
denswarte" den kurz gehaltenen Nachruf für
den verstorbenen Staatssekretär des Aus-
wärtigen Amtes, von Kiderlen-Wächter, las,
empfand ich ein Bedauern darüber, daß diesem
Manne auch hier, wie an so vielen Stellen, nur
eine geringe Anerkennung, ja ein leiser Tadel
nachgerufen wurde.
Es ist immer schwer, die Taten zeit-
genössischer großer Männer richtig zu be-
urteilen, weil einem der genügende Abstand
fehlt, um diese Taten in der Gesamtwirkung
und in ihrer Begründung richtig bewerten zu
können, und dies wird umso schwerer, je mehr
Menschen sich für urteilsberechtigt halten und
ihre Ansichten hinwerfen, ohne den Charakter
der handelnden Persönlichkeiten zu kennen.
Es gibt Menschen, die man aus böser Er-
fahrung heraus niedrig bewertet und deren
Beweggründen man bei jeder Handlung Nie-
drigkeit unterschiebt und andere, bei deren
scheinbar unverständlich falschen Handlungen
*) Diese Fußnote lautet: „This article was
written by the author for Graf Ernst v. Revent-
low and published in the Berlin .Zeitfragen'.
It has only been altered sufficiently to bring
it up-to-date."
man sofort nach einem versteckten guten Motiv
sucht. Bei jenem sagt man wohl: das ist ein
häßlicher Charakter, den man jeder Schand-
tat fähig hält, — bei diesem:- der hat eine
prächtige Gesinnung, der hat gewiß nichts
Falsches gewollt und seine guten Gründe ge-
habt.
Das soll auf Kiderlen angewandt heißen:
die Schwaben haben ihn näher gekannt und
seine Handlungsweise durch seinen Charakter-
besser beurteilen gelernt als die Welt da
draußen, die von ihrem jeweiligen Stand-
punkt aus kalt kritisiert und viel geschimpft
hat. Weil ich diesen Mann gekannt und ein
gutes Urteil über ihn gewonnen habe, möchte
ich, daß dieses Urteil auch jenseits der
Grenzen seiner engeren Heimat Raum ge-
wänne, und deshalb bitte ich noch nachträglich
um Aufnahme dieser verspäteten Zeilen in
Ihren Spalten.
Es liegt mir fern, über Politik zu philo-
sophieren oder ein Urteil über Richtigkeit oder
Unrichtigkeit des Verhaltens unserer Diplo-
matie in den auswärtigen Angelegenheiten zu
wagen, darüber denkt der eine so, der andere
das Gegenteil; nur weil an dieser Stelle von
dem 1 „Mann von Agadir" gesprochen wurde
als von einem Manne, an dessen pazifistischen
Grundsätzen man gezweifelt habe, möchte ich
meine Ansicht aussprechen: daß gerade
dieser Kiderlen -Wächter an seinem
führenden Posten Leiter einer
festen Friedenspolitik war und daß
seine Gesinnung gerade hier an
dieser Stelle Anerkennung ver-
diente.
Bei den Friedensfreunden hat der „Panter-
sprung" Mißfallen hervorgerufen, bei den
Kriegslustigen Aerger über die „Schlappheit
des späteren Rückzugs" ; hier wie dort ist er
falsch verstanden und falsch gedeutet worden,
und erst jetzt beginnt man ihn hie und da
als das darzustellen, was er wirklich war: das
repräsentative Auftreten einer mitinteressierten
Großmacht, die sich nicht an die Wand
drücken ließ.
Kiderlen hat nie Besitzergreifung von
Land angestrebt, darum hat in seiner Absicht
nie Waffengeklirr gelegen, und es kann von
einem beschämenden oder schlappen Rückzug
bei Marokko nicht die Rede sein. Seine dies-
bezüglichen leitenden Ideen hat er oft aus-
gesprochen und scheinen mir in den Worten
zu liegen, die er im Freundeskreis gesprochen :
„Die italienische Diplomatie und
der König haben sich durch die
Volksstimmung zum Krieg in Tri-
polis t reiben lassen, wir haben uns
mit Marokko eben nicht dazu
treiben lassen." Ein andermal äußerte
er in Bezug auf Hetzartikel in der Presse: „z u
dumm, wir werden uns doch nicht
so einer Sandbüchse (Marokko)
wegen in einen Krieg einlassen!"
Und ein andermal bekam eine hochgestellte
93
DIE FBIEDENS -^/ADTE =
3
.'Persönlichkeit von ihm zu hören: „Wir
können doch nicht, um einigen
Gardeleutnants ein Vergnügen zu
machen, Krieg anfangenl" Noch einen
Tag vor seinem Tode, als man ihm den Besuch
der nach London reisenden Friedensunter-
händler fernhalten wollte, erklärte er aufs aller-
energischste : „ich muß die Herren sehen, sie
sollen unter allen lUmständen an mein Bett
kommen, es hängt alles davon ab, daß sie
ihre Sache richtig machen."
Viele Aussprüche, welche von der ent-
schiedenen Friedensrichtung dieses Mannes
zeugen, sind bekannt geworden und sollten
auch Fernerstehenden ein wahres Bild seiner
Wirksamkeit geben, einer segensreichen Wirk-
samkeit, die leider nur zu kurz war, um zu
breiterer Anerkennung durchgedrungen zu sein.
Und so muß denn Deutschland in dem Tode
Kiderlen-Wächters tief das Erlöschen einer
Kraft betrauern, die in politisch hoch be-
deutungsvoller Zeit „noch so viel von sich er-
warten ließ," wie Kaiser Wilhelm sich in
seinem Beileidstelegramm ausdrückte. J. S.
Brief aus denVereinigien Staaten.
Von Henry S. Haskeil, New York.
Die Frage von internationaler Bedeutung",
die während des Januar die Oeffentlichkeit
in hervorragendster Weise beschäftigte, ist
der Gegensatz zwischen Großbritannien und
den Vereinigten Staaten über die Panama-
Kanal-Abgaben. Am 4. Januar hielt
Präsident Taft in New York darüber eine
Rede, worin er sich, für den Fall, daß es
auf diplomatischem Wege zu einer befriedi-
genden Beilegung nicht kommen sollte, un-
zweideutig für das Schiedsverfahren aus-
sprach. Von Interesse war dabei die Er-
klärung des Präsidenten, daß er für die
Schiedsgerichtslösung sei, obwohl die Wahr-
scheinlichkeit besteht, daß die amerikanisch^
Regierung vor dem Schiedshof verlieren
würde. Am) 6. Januar trat Präsident Taft
dann dafür ein, daß der Fall besser einem
Sondertribunal statt dem Haager Hof über-
antwortet werde.
Tausende von Zeitungen unseres Landes
haben die Frage in Leitartikeln erörtert, und
fast alle traten zugunsten einer Erledigung
ein, entweder durch Zurückziehung jener Be-
stimmung der Panama-Kanal-Akte, die die
Küstenschiffahrt der Vereinigten Staaten von
den Abgaben befreit, oder durch Ueberwei-
sung an ein Schiedsgericht. Professor Em'ory
R. Johnson, der Regierungs-Referent und
Sonder-Kommissionär für den Panama-Kanal-
Verkehr, veröffentlichte eine sorgfältige und
logische Erklärung, in der er bewies, daß
die Befreiung der Küstenschiffahrt der Ver-
einigten Staaten in Wirklichkeit nur eine
Subventionierung des Küstenhandels bedeute,
eine solche keineswegs wünschenswert noch
notwendig wäre und von den im Küsten-
handel Interessierten in der Tat auch nicht
verlangt werde.
Senator Elihu Root brachte nun am
14. Januar einen Gesetzentwurf ein zur Amen-
dierung der Panama-Kanal-Akte durch Besei-
tigung jener Bestimmungen, die die amerika-
nische Küstenschiffahrt von der Leistung
von Abgaben befreit. Am 21. Januar hielt
Senator Root vor dem Senat eine meisterhafte
Rede zugunsten seines Antrags. Die „New
York Tribüne" vom 1 22. Januar sagte ge-
legentlich der Besprechung dieser Rede fol-
gendes : „Arn 1 Schlüsse dieser Rede zeigte
sich deutlich, daß die Opposition gegen die
Zurückziehung jener Bestimmung, die Groß-
britannien anfocht, sich abzuschwächen be-
gann. Verschiedene Senatoren, die in der
letzten Kongreß-Session dafür gestimmt
hatten, zeigten sich geneigt, ihr Votum zu
ändern, so daß es jetzt nicht unmöglich ist,
daß der Senat entweder das Gesetz amendiert
oder zumindest zur schiedsgerichtlichen Aus-
legung der Bestimmungen des Hay-Paunce-
fote-Vertrages seine Einwilligung gibt."
Im „Outlook" vom 18. Januar wird ein
Brief des früheren Präsidenten Roosevelt
veröffentlicht, worin er die Ansicht vertritt,
daß es zwar unser Recht sei, unseren Küsten-
handel von den Kanal-Abgaben zu befreien^
insofern aber Großbritannien die Frage auf-
geworfen habe, es dennoch die Pflicht der
Vereinigten Staaten sei, sich auf den Schieds-
vertrag zu verlassen und die Frage der Aus-
legung des Hay-Pauncefote-Vertrages der
Schiedssprechung des Haager Hofes zu über-
weisen.
Am 20. Januar wurde die Antwort des
Staatssekretärs K n o x Sir Edward Grey
übermittelt. Die Antwort verteidigt das Recht
der Vereinigten Staaten, ihren Küstenhandel
von den Abgaben zu befreien, und beantwortet
die Punkte des englischen Protestes. Es
besteht zwar eine Meinungsverschieden-
heit im Lande über die Stichhaltigkeit der
vom Staatssekretär angeführten Gründe, doch
ist die Oeffentlichkeit in hohem Maße an der
Anregung interessiert, die am 1 Schlüsse der
Note gemacht wurde. Danach erklärte es der
Staatssekretär für wünschenswert, den
zwischen den Vereinigten Staaten und Groß-
britannien am 3. August 1911 abgeschlosse-
nen Schiedsvertrag in der vom Senat der
Vereinigten Staaten erfolgten Amendierung
zu ratifizieren und den Streit alsdann der
darin vorgesehenen Hohen gemischten Kom-
mission zu überweisen.
Ende Januar veröffentliche Robert
Underwood Johnson, der Heraus-
geber des „Century", eine Broschüre, die
Hunderte von Aeußerungen aus der Feder von
Redakteuren, Kollegspräsidenten, Geist-
lichen, Schriftstellern und Kaüfleuten ent-
hielt, die fast alle darin übereinstimmen,
daß die Ehre des Landes entweder eine so-
94
t§!
DIE FRI EDENS -^XÄRXE
fortige Zurücknahme der Befreiungsklausel
-oder die Unterwerfung der Angelegenheit
unter die Schiedsgerichtsbarkeit erfordere.
Das Volksempfinden des ganzen Landes
ist überwiegend zugunsten der Rück-
nahme der Klausel oder der schied-
lichen Erledigung. Die Angelegenheit
hängt jedoch vom Kongreß ab. Obwohl
die öffentliche Meinung einen starken Druck
auf die Mitglieder des Kongresses ausübt, ist
es jetzt noch unmöglich, vorauszusehen, ob
der Kongreß die bestrittene Bestimmung
zurücknehmen oder zur schiedlichen Erledi-
gung seine Zustimmung geben wird. Man
kann lediglich sagen, daß die Stimmung im
Kongreß von der landläufigen Ansicht ent-
sprechend beeinflußt wird.
Edwin D. Mead, der geschäftsfüh-
rende Direktor der Weltfriedens-Stiftung in
Boston, absolvierte eine drei Wochen wäh-
rende Friedens-Vortragstournee im 1 Westen,
wobei er mehr als 20 Versammlungen vor
der Studentenschaft größerer Universitäten,
vor hervorragenden Handelskorporationen und
politischen Organisationen abhielt. Die Ver-
sammlungen waren durchwegs stark besucht,
und überall wurde er mit Wärme und En-
thusiasmus begrüßt. Bei seiner Rückkehr
äußerte er sich in folgender Weise: ,,Die
Herzen des Volkes sind überall mit uns. Was
im 1 allgemeinen nottut, ist schlichtere Er-
ziehung, ein festumschriebenes Programm und
ein klarer Aufruf an das Volk für aktive
Unterstützung der Bewegung gegen das
System der ungeheuerlichen Rüstungen und
des gegenseitigen Mißtrauens, dessen die
meisten von Herzen überdrüssig sind." Die
Weltfriedensstiftung hat für die Zurück-
nahme der Befreiungsklausel entschieden
Stellung genommen und energisch diesem
Ziele entgegengearbeitet.
Am 12. Januar hielt die „New York Peace
Society" in der Academy of Music, Brook-
lyn, eine Massenversammlung ab, bei der Re-
solutionen zur Annahme gelangten, durch die
die Regierung der Vereinigten Staaten auf-
gefordert wurde, den Panama-Streit der
Schiedsgerichtsbarkeit zu unterbreiten, wenn
sich die diplomatischen Beilegungsmethoden
als erfolglos erweisen würden. Das Kongreß-
mitglied James L. Slayden von Texas
sprach dabei über „Das Panama-Kanal-Ge-
setz, eine Bedrohung des internationalen Frie-
dens", und der Direktor der Journalisten-
schule an der Kolumbia-Universität, Dr. T a 1 -
cott Williams, der über die „Offenen
Wasserwege der Welt" referierte, sagte, daß
die Zwiespältigkeit der Panama-Kanal-Ab-
gaben einen tötlichen Schlag für den Welt-
frieden bedeute, da sie aller Gerechtigkeit,
Billigkeit und Wohlanständigkeit wider-
spricht.
Am 24. Januar sprach in der New- Yorker
Carnegie-Hall der frühere Präsident der
Harvard-Universität, Dr. C h a r 1 e s!W.E 1 i o t,
in einer von der „New York Society" ver-
anstalteten Versammlung über „Die Förde-
rung des Friedens im Orient". Dr. Eliot
lenkte die Aufmerksamkeit auf die wunder-
baren Wandlungen, die sich im letzten halben
Jahrhundert im Orient vollzogen und er-
klärte den Gedanken an einen Krieg mit
Japan für den äußersten Widersinn. Er
sagt, Japan sei bis jetzt die einzige Nation
des Orients, die die Methoden der induk-
tiven Philosophie erfaßt, die die Grundlage
der westlichen Kultur bilden. Andrew Car-
negie, der jener Versammlung präsidierte,
gab seiner Ansicht Ausdruck, daß der Schutz
des Privateigentums zur See in Kriegszeiten
bald verwirklicht sein werde. Bei der Jahres-
versammlung der „New York Peace Society",
die am 30. Januar abgehalten wurde, hielt
Mr. Robert Underwood Johnson
einen wirkungsvollen Vortrag über das Thema
„Warum sollte die Befreiung der Küsten-
schiffahrt zurückgenommen werden ?" Am
Schluß jener Versammlung wurde eine Re-
solution angenommen, die die Rücknahme
der Befreiungsklausel oder die Ueberweisung
der Streitfrage an ein Schiedsgericht fordert.
Das jetzt dem Repräsentantenhaus vor-
liegende Miliz-Gesetz begegnet aus drei
Gründen einer beträchtlichen Opposition. Zu-
nächst wegen der Gefahr, die Regierung mit
einer ungeheueren und stets anwachsenden
Ausgabe zu belasten. Bislang war die
Miliz eine staatliche Organisation, und es
war ungesetzlich, sie außerhalb des Landes
dienstlich zu verwenden. Das vorliegende
Gesetz sieht die Bezahlung der Miliz durch
die Zentralregierung vor und bestimmt, daß
sie unter gewissen Umständen auch außer-
halb des Landes für den auswärtigen Dienst
Verwendung finden dürfe. Wird der Ent-
wurf Gesetz, so berechnet man, daß die
Raten, die im 1 ersten Jahr 9 234 729 $ be-
tragen würden, rasch zu 100 bis 200 Millionen
Dollars jährlich anwachsen könnten. Der
zweite Einwand ist in dem Widerwillen des
amerikanischen Volkes für jede Entwicklung
in der Richtung des Militarismus begründet.
Der dritte und vielleicht der ernsteste Ein-
wand vom nationalen Standpunkt liegt in
der Tatsache, daß die Miliz eine starke po-
litische Organisation werden könnte, die
Infolge der großen Zahl von Stimmen, über
die sie verfügt, einen gefährlichen Einfluß
auf die Regierung erlangen könnte. Am
14. Januar hielt die deutsch-amerikanische
Friedensgesellschaft zur Erörterung des Miliz-
Gesetzes eine öffentliche Versammlung ab,
bei der die bereits am 11. Dezember an-
genommene oppositionelle Resolution neuer-
dings bestätigt wurde. Der Präsident konnte
dabei berichten, daß im Einklang mit der
früheren Resolution die Aufmerksamkeit der
Oeffentlichkeit auf den gefährlichen Cha-
rakter der vorgeschlagenen Maßnahmen ge-
lenkt würde, so daß der Gesetzentwurf kaum
95
DIE FßlEDENS->^kDTE
;§>
über die Vorbereitungen hinaus gelangen
werde.
Der Präsident ist urgiert worden, die
neue Republik von China anzuerkennen, hat
dies aber bis jetzt nicht getan. Es scheint
die Absicht des Präsidenten wie des Staats-
departements zu sein, die Fortschritte der
neuen Republik mit sympathischem Interesse
zu verfolgen, es aber für unrichtig zu er-
achten, die gegenwärtige provisorische Re-
gierung von China, ehe ihre Stabilität sich
erwiesen haben wird, anzuerkennen.
Am 1 9. Januar hielt der frühere Gesandte
in Chile, Charles H. Sherill, in New
York einen Vortrag über die Monroe-Doctrine
und die Beziehungen unseres Landes mit den
südamerikanischen Republiken. Bezüglich
Mexikos spricht er sich scharf gegen eine
Intervention aus. Sollte diese durch
die Umstände geboten werden, so schlägt er
vor, daß Argentinien und Brasilien auf-
gefordert werden sollten, sich den Ver-
einigten Staaten dabei anzuschließen, um da-
durch bei den lateinischen Republiken
Amerikas jeden Gedanken zu verscheuchen,
als ob es den Vereinigten Staaten um Ge-
bietserwerb zu tun wäre.
Ein internationaler
Studentenkongreß.
Von Louis P. Lochner,
Madison, Wisconsin,
Sekretär der F£d£ration Internationale
des Etudiants.
Vom 26. August bis zum 16. September
dieses Jahres wird in Amerika der achte
internationale Studentenkongreß tagen. Er
wird von der F6d£ration Inter-
nationale des Etudiants „Cor da
Fratres" veranstaltet, jener Organisation,
die im Jahre 1898 in Italien gegründet, sich
jetzt über 14 Staaten erstreckt. Die Teilnahme
an dem Kongreß ist jedoch keineswegs auf
Vertreter der jetzt dem Corda Fratres-Bunde
angehörigen Studentenverbände beschränkt.
Eine jede Studentenvereinigung, die sich die
Förderung von Freundschaft und gegen-
seitiger Verständigung zwischen Studenten
verschiedener Länder zum Ziel setzt, ist ein-
geladen, sich zu beteiligen.
Der Zweck dieser Zusammenkunft geht
aus dem „Aufruf" hervor, der unlängst in
Tausenden von Exemplaren verteilt worden
ist, „damit der Geist der internationalen Ver-
ständigung und der Humanität gefördert
werde, und damit die Studenten der Welt
in eine weltumfassende Organisation sich
föderieren mögen' ' .
Die offiziellen Sitzungen sollen in
1 1 h a c a , New York, dem Sitz der Cornell-
Universität, stattfinden; jedoch soll sich der
Aufenthalt der Delegierten keineswegs auf
diese liebliche Musenstadt beschränken. Das
folgende Reiseprogramm ist ausgearbeitet
worden und soll so weit als möglich aus-
geführt werden:
26. Aug.: Ankunft in Boston.
27. — 30. Aug.: Besichtigung der Sehens-
würdigkeiten Bostons und der Harvard-
Universität zu Cambridge. Der be-
kannte Pazifist Edwin D. Mead aus
Boston steht an der Spitze des
Empfangskomitees.
31. Aug.: Kurzer Aufenthalt in New York.
(Längerer Aufenthalt am Ende der
Reise.)
1. Sept.: Dampfschiffahrt entlang des be-
rühmten Hudson- Flusses.
Abends: Empfang im Staatskapitol
zu Albany von Sr. Exzellenz dem Gou-
verneur von New York.
2. Sept.: Ausflug nach den Niagarafällen.
3. — 7. Sept.: Offizielle Sitzungen des Kon-
gresses in Ithaca, verbunden mit Aus-
flügen, Vorträgen, Diners u. dergl. m.
8. — 9. Sept.: Philadelphia. Besichtigung
der Sehenswürdigkeiten der Stadt sowie
der großen Pennsylvania-Universität.
10. — 12. Sept.: Ausflug nach Washington
mit großem Empfang der Pan- Amerika-
nischen Union in dem von Carnegie
gestifteten Pan-Amerikanischen Palast.
Auch ein Empfang im Weißen Hause
ist von dem zukünftigen Präsidenten
der Vereinigten Staaten, Herrn Prof.
Dr. Woodrow Wilson grundsätzlich zu-
' gesichert worden.
13. — 16. Sept. : New York. Besichtigung der
Stadt, Empfang von dem Bürgermeister
William Gaynor, Bankett von der
New- Yorker Friedensgesellschaft usw.
Die Vorbereitungen für den Kongreß sind
gegenwärtig in vollstem 1 Gange. Der „Auf-
ruf" ist an alle Kultusministerien, an die in
Washington stationierten ausländischen Ge-
sandten, an die Studentenzeitschriften aller zivi-
lisierten Länder, an Studentenkorps und
andere Studentenvereinigungen sowie an hun-
derte von einzelnen Studenten gesandt worden.
Das Ehrenkomitee, das dem Unternehmen sein
Wohlwollen und seine, Unterstützung zugesagt
hat, besteht u. a. aus dem Präsidenten
der Vereinigten Staaten, dem Gou-
verneur des Staates und dem Bür-
germeister der Stadt New York, dem
Generaldirektor der Panamerika-
nischen Union, den Präsidenten-
aller panamerikanischen Univer-
sitäten, an welchen sich gegenwärtig ein
internationaler Studentenverein befindet usw.
Eine stattliche finanzielle Subvention ist
den Leitern des Kongresses von der Car-
negie-Stiftung zugesprochen worden.
Und die Ginn- Stiftung zu Boston ermög-
licht es dem Vorsitzenden des Comite' Cen-
tral International, Herrn Dr. G. W~
Nasmyth, seinen Amtstermin in Europa
zu verbringen, wo er unter zahlreichen Stu-
96
<g=
DIE FRIEDENS-N^RTE
dentenverbindungen und ganz besonders in
dem Verband der Internationalen Studenten-
vereine an deutschen Hochschulen, der ja auch
dem Corda Fratres Bund gliedlich angehört,
Interesse für den Kongreß erweckt.
Erwähnt seien noch kurz die Ereignisse,
die für ein völliges Verständnis der Bedeutung
dieses Kongresses benötigt sind: Im Jahre
1909, auf Einladung des Zentral-Bureaus der
Föderation Internationale des
Etudiants „Corda Fat res", nahmen
drei Vertreter der nordamerikanischen Asso-
ciation of Cosmopolitan Clubs, die
sich nun auf dreißig Universitäten der Ver-
einigten Staaten und Canadas erstreckt, und
deren Wirksamkeit ich unlängst in diesen
Spalten erörtert*), an dem sechsten Kongreß
dieser F£d£ration im Haag teil. Sie
fanden eine solche Verwandtschaft der Zwecke
und Ideale der Cosmopolitan Clubs
und der Corda Fratres Konsulate vor,
daß sie begeistert für eine Vereinigung dieser
beiden großen Studenten verbände eintraten.
Man konnte sich jedoch auf amerikani-
scher Seite nicht sogleich einigen, wie eng
sich dieser Zweibund gestalten solle. Eine
zweite Delegation wurde also nach dem sie-
benten Kongreß, der in 1911 zu Rom statt-
fand, gesandt. Hier endlich wurde ein Pro-
gramm entworfen, das zunächst nur für das
gegenwärtige Biennium (1911 — 13) bindend ist,
das jedoch, wie ich hoffe, in Ithaca end-
gültig angenommen wird. Gemäß diesem
Programm bilden solche Vereinigungen wie
die Consulate der Corda Fratres,
die Clubs der Association of Cos-
mopolitan Clubs, die Unions des
Etudiants von Frankreich, die E a s t and
West Clubs von England, die internatio-
nalen Studenten vereine des Verbandes an
deutschen Hochschulen, die Ligade Estu-
d i a n t e s von Südamerika eine internationale
Studentenkonföderation unter der Leitung
eines Zentralkomitees, bestehend aus zwei
Vertretern jeder Gruppe. Durch Kongresse,
Korrespondenz, Erweisung von Gastfreund-
schaft und sonstige Beweise internationalen
Wohlwollens wollen diese Gruppen ihren ge-
gemeinsamen Zweck verfolgen, d. h., Freund-
schaft und gegenseitiges Verständnis zwischen
den Studenten der Welt zu fördern, ohne je-
doch bestimmte religiöse, politische oder öko-
nomische Grundsätze zu begünstigen oder zu
bekämpfen.
Es wäre sehr zu wünschen, daß
sich die Studenten Deutschlands
recht zahlreich an diesem Kon-
gresse beteiligen. Ganz abgesehen
davon, daß die Beziehungen, die sie
mit Komilitionen aller Länder bei Ge-
legenheit des Kongresses anknüpfen können,
von größtem Nutzen für die Zukunft sein
dürften, so ist eine starke deutsche Beteili-
*) Siehe Friedenswarte, Mai, 1912.
gung ganz besonders wegen der engen kul-
turellen Verbindungen, die zwischen Amerika
und Deutschland bestehen, wünschenswert.
Eine Reise deutscher Studenten würde das
Band, das hauptsächlich durch die Austausch-
professuren geknüpft ist, ganz bedeutend ver-
stärken.
Eine Lanze für die Rechtsnatur
des Völkerrechts.
Von Dr. K a r 1 S t r u p p , Frankfurt a. M.
Nachdem vor kaum Jahresfrist E. J.
B e k k e r gegen die Rechtsnatur des Völker-
rechts Sturm gelaufen ist, bekennt sich so-
eben Bellardi im neuesten Heft dieser Zeit-
schrift gelegentlich einer manch Beachtens-
wertes enthaltenden Besprechung von Weh-
bergs „Problem eines Staatengerichtshofs"
zu ähnlichen Auffassungen. Wenn ich an
dieser Stelle mit einigen wenigen Sätzen auf
die vielleicht umstrittenste Frage des Völker-
rechts, über die schon Ströme von Tinte ge-
flossen sind und wohl auch in Zukunft noch
fließen werden, eingehen möchte, so geschieht
dies einzig und allein deshalb, um jene Auf-
fassung nicht unwidersprochen zu lassen. Denn
es handelt nicht um Quisquilien. Die leider
gerade in Juristenkreisen noch immer er-
schreckend zahlreichen Gegner des Völker-
rechts pflegen sich ja mit Vorliebe hinter
dem Satz zu verschanzen, daß dem Völker-
recht keine Rechtsnatur zukomme, weil
zurzeit weder eine internationale Gerichts-
barkeit nach dem Muster der nationalen, noch
deren „notwendige" Ergänzung, eine Exe-
kutionsgewalt, vorhanden sei. Daher dann ein
mitleidiges Achselzucken über die „idealen
Schwärmer", die auch gegenüber den an-
geblich zahlreichen, in jedem einzelnen Fall
aber dick unterstrichenen Verstößen gegen
das angebliche Völkerrecht noch von seiner
Existenz fabelten.
Bei Licht betrachtet, sind diese Einwände,
gerade wie der Krieg im Verhältnis zur Frie-
densbewegung, in einer reichlich großen Zahl
von Fällen lediglich willkommenes Deck-
mäntelchen zur Verhüllung der eigenen Ig-
noranz. Mit jenen „Leugnern" des Völker-
rechts braucht man sich nicht auseinander-
zusetzen. Ueber sie kann man getrost zur
Tagesordnung übergehen. Wohl aber muß
man den anderen, die aus innerster, auf
Ueberlegung beruhender Ueberzeugung heraus
eine falsche Auffassung vom Wesen des
Völkerrechts, ja des Rechts überhaupt,
leitet, den Weg zu weisen sucht, der
es ihnen ermöglicht, ihre vorgefaßte Mei-
nung in einem anderen Lichte zu betrachten
und, wo möglich, zu korrigieren.
Gerade Wehberg ist es gewesen, der
sich in dem' von Bellardi zum Ausgangs-
punkt genommenen Buche mit Recht gegen
97
DIE FBIEDENS -^/ABTE =
£>
eine Gleichstellung der internationalen und der
nationalen Gerichtsbarkeit ausgesprochen hat.
Wenn Bellardi sich hiergegen wendet und
meint, die Beweislast für die mangelnde Gleich-
stellung müsse dem zufallen, der die Wesens-
gleichheit behaupte, so bewegt er sich damit
in Gedankengängen, die dem Naturrecht nicht
fremd gewesen sind. Dem ist es aber, bei
allen Verdiensten, die dessen Gläubigen sich un-,
zweifelhaft um die Fortbildung des Rechts
erworben haben, zu verdanken, wenn Staats-
und Völkerrecht bis auf die neueste Zeit in
falschen Bahnen sich bewegt haben und wenn
man erst vor wenigen Dezennien begonnen
hat, beide Rechtsinstitute in voller Erkenntnis
ihrer Eigenart von der ihnen anhaftenden
Schlacken des Privatrechts (man braucht nur
an die Staatservituten zu erinnern) zu befreien.
Aber gesetzt, man müsse wirklich beide
gleichstellen, so gibt es selbst im Staat, im
nationalen Recht, Institute, denen Bellardi
doch wohl kaum den Rechtscharakter ab-
streiten wird, und bei denen zweifellos eine
Zwangsgewalt fehlt. Ich meine das Staats- und
das Strafrecht.
Zu einer Kriegserklärung seitens des Deut-
schen Reiches, die ein gnädiges Geschick ver-
hüten möge, bedarf der Kaiser die Zustim-
mung des Bundesrats, sofern es sich um einen
Offensivkrieg handelt. Gesetzt den praktisch
unmöglichen Fall, es würde ohne jene Zu-
stimmung . der Krieg erklärt, gäbe es dann
irgendeinen staatlichen „Zwang" zur Annul-
lierung jener Erklärung? Und wie liegt es,
wenn ein Gesetzgeber ein Gesetz erläßt, das
mit einer Verfassungsbestimmung im Wider-
spruch steht ?
Ganz ebenso ist es aber im Strafrecht.
Wenn § 212 des Deutschen Strafgesetzbuchs
den Mord mit dem Tode bedroht, so ist der
Zwang, der hierin gegenüber dem einzelnen
zum Verbrechen Bereiten liegt, kein
rechtlich, sondern lediglich ein psycho-
logisch vermittelter. Man kann daher den
Satz aufstellen, daß der Zwang nicht als
Essentiale des Rechts übersetzt, wohl aber
im modernen Staat als Moment der strei-
tigen (Zivil-)Gerichtsbarkeit aufgefaßt werden
muß.
Ich sage: im modernen Staat. Denn
schon zu einer Zeit, als es noch keine Ge-
richtsbarkeit, noch weniger eine Exekutions-
gewalt gab, hat das Recht existiert. Die
Universalrechtsgeschichte, insbesondere die
Rechtsgeschichte der Inder und Germanen,
zeigt das auf tausend Blättern. Ist aber selbst
die Gerichtsbarkeit kein Essentiale des Rechts-
begriffs, so kann es ihr angeblicher Annex
noch viel weniger sein.
Und noch eins lehrt die Rechtsgeschichte
— was freilich die zivilistische Jurisprudenz
und Bellardi mit ihr nicht anerkennen werden
— daß nämlich der Zwang keineswegs einzige
Garantie des Rechts ist. Vielmehr war
und ist der nichtorganisierte Druck eine
viel stärkere Rechtsgarantie als aller vom
Staate geübter Zwang.
Ich habe eingangs betont, daß die
Sätze, die ich hier niedergelegt, lediglich um
des Zwecks willen geschrieben worden sind,
Leugnern des Völkerrechts, die ihre Ne-
gierungen auf wissenschaftlichen Erwägungen
aufbauen, Material zur Ueberlegung und Nach-
prüfung ihrer Auffassung an die Hand ztu
geben. Habe ich letzteres erreicht, so trägt
diese Abwehr ihren Lohn in sich.
Das Christentum
und der Kampf gegen den Krieg.
Von Dr. O. Se ufert.
Eine Entgegnung.
Die Januar- Nummer der Friedenswarte
enthält nebst anderen trefflichen Ausführungen
zwei Artikel, von denen man ernstlich be-
zweifeln muß, daß sie dem Zweck dienen,
den schließlich alle Veröffentlichungen der
pazifistischen Presse anstreben, nämlich der
Propaganda der Friedensbewegung.
Gemeint ist der Artikel von I r o O j s e r -
k i s und das Zitat von Gerh. Hauptmann.
Der erstere scheint dem Christentum
überhaupt jede Bedeutung für die Friedens-
idee absprechen zu wollen, das letztere stellt
eine Probe wüster Ausfälle gegen das Christen-
tum oder wenigstens die Diener der christlichen
Kirche dar, auf die nicht weiter eingegangen
werden, sondern deren Aufnahme nur — ge-
linde ausgedrückt — bedauert werden soll.
Die Friedenswarte scheint auf dem in
gewisser Beziehung löblichen Standpunkte zu
stehen, daß alle einschlägigen Erscheinungen
auf dem Gebiete der Presse, der Literatur, des
öffentlichen Lebens, soweit sie dem pazi-
fistischen Geiste dienen könnten oder (den.
Zweck) der Verbreitung dieser Idee zu fördern
geeignet sind, Aufnahme verdienen.
Aber, wenn solche Erscheinungen nur den
gegenteiligen Erfolg zu erzielen geeignet sind,
dürfte es füglich angebracht sein, oder er-
laubt sein, die Notwendigkeit oder Zweck-
mäßigkeit ihrer Aufnahme zu kritisieren.
Der Aufsatz von Iro Ojserkis, der sich
in förmlichen Gegensatz zu den reichen lite-
rarischen Erzeugnissen aus der pazifistischen
Literatur, die das Thema Pazifismus und
Christentum in einem diesem günstigen Lichte
behandeln, stellt, und ihm, speziell den Of-
fiziösen der Christenheit, eine sehr traurige
Rolle in der Frage zuspricht, andererseits da-
gegen dem Buddhismus mit einem senti-
mentalen Nimbus entgegenkommt, mag sich
gut ausmachen in einer monistischen Zeit-
schrift, wo auf anders Denkende keine Rück-
sicht genommen zu werden braucht, aber der
Pazifismus und seine Presse, die sich einer
Anzahl von Ausführungen und Gedanken aus
98
<§=
DIE TRI EDEN5 -WARTE
der christlichen Religion bedienen, würde eine
sehr inkonsequente Haltung und Auffassung
vton seinen Anhängern verlangen, wenn er
nun die Ausführungen von I. Ojserkis ernst
genommen wissen wollte.
(Wir wollen oder können nicht darauf
eingehen, daß der Verfasser des Artikels den
Geist des Christentums ignoriert oder spöt-
tisch abtut und fast nur den bildlichen Wort-
laut resp. Symbole als Gegenargumente ins
Feld führt, wir können in einigen Zeilen nicht
mit dem Verfasser uns auseinandersetzen über
die Wirkung der christlichen Weltauffassung,
die bestimmt war, eine Welt von Wollust und
Grausamkeit umzugestalten, und Kultur und
Milde an Stelle von Barbarei und Blut zu
setzen; wir dürfen hier nur kurz belehren,
daß das Christentum nicht einen Umsturz,
sondern eine allmähliche Umgestaltung zu be-
wirken berufen war, welcher Prozeß z. B. in
betreff der mit dem Krieg oft zusammen-
genannten Sklaverei sich im Laufe der Jahr-
hunderte vollzog und erst im letzten Jahr-
hundert seinen Abschluß fand, wenn über-
haupt der Verfasser jenes Artikels das
Christentum als dabei mitwirkenden Faktor
gelten zu lassen erlaubt.
Greift das Christentum auch nicht direkt
den Krieg an, — was wollten auch seine
kleinen Verkündiger gegen Weltreiche und
Machthaber? — seine Wertung des indivi-
duellen Menschen genügte allem schon, um
daraus das Unchristliche der „Menschen-
schlächterei" abzuleiten.
Nein, das Christentum mit seiner Achtung
des Individuums, seiner Fürsorge für die
Aermsten und Unglücklichsten zu einer Zeit,
wo für den Staatsabsolutismus der einzelne
eine Null war, darf noch ruhig als der
mächtigste Hort angesehen werden, der den
Kleinen und Schwachen in Schutz nimmt gegen
Gewalt und Machthaber, der in dem Men-
schen ein göttliches Ebenbild sieht, ihn nicht
als ein [Stück „Materie" abtut; mindestens
darf der naturalistische Monismus, der in dem
nichts als ein Stück belebten Stoffes oder eine
hochentwickelte Bestie sieht, nicht versuchen,
einen Vergleich auszuhalten, da hieraus nur
der Kampf aller gegen alle sich folgern ließe,
am allerwenigsten aber eine bindende Ver-
pflichtung zur Schonung des Nebenmenschen
bestände.
Ueberdies ist es gar nicht wahr, daß die
Offiziösen der Christenheit sich der Friedens-
frage absolut renitent gegenüber verhalten.
Eines unserer schönsten Zitate, über das wir
Pazifisten verfügen, ist doch das des Führers
der katholischen Christenheit, Leo XIII. :
„Nichts ist dringender, nichts ist not-
wendiger, als dem Kriege entgegenzuarbeiten.
Jedes Streben in dieser Richtung muß als
ein löbliches Wirken im Sinne der christlichen
Anschauung und zum allgemeinen Besten be-
trachtet werden"; und ein Blick auf Seite 117
(Nr. 11) des Völkerfriedens dürfte Verfasser
belehren, daß in Frankreich und Belgien usw.
mächtige kirchliche Faktoren pro pacifismo
am arbeiten sind, von den Ideen durch-
drungen, daß sie bei ihren Bestrebungen in
Uebereinstimmung mit dem Geist und den
Lehren des Evangeliums handeln, Bestre-
bungen, denen die Billigung des Papstes zu-
teil wird.
Der Vorwurf, den der Verfasser bedauer-
licherweise dem Christentum selbst zu machen
sich bemüht, trifft nicht die christliche Re-
ligion oder Kirche als solche — , sondern viel-
mehr Systeme, die sich in wechselseitigen Be-
ziehungen zwischen Staat und Kirche heraus-
gebildet haben, wie Nationalkirchentum, Par-
teien usw.
Und darin sieht es freilich in Deutsch-
land, Oesterreich, Rußland usw., trüb aus.
Wer z. B. die Verhältnisse in Deutschland be-
obachtet, muß zugestehen, daß auch das
kirchenfreundliche Zentrum sich zu einer ganz
gehörig national-enthusiastischen Partei ent-
wickelt, die unter religiösem Einfluß den quo
ad publicum et plebem einflußreichsten
Hinderungsgrund des Pazifismus, wenn auch
nicht aktiv, so doch durch sehr passives Ver-
halten, darstellt; desgleichen die entsch. Par-
teipresse. Hier müßte der Hebel eingesetzt
werden. (Vgl. darüber auch den Artikel von
M. Spahn im Januarheft des „Hochlands".)
Eine solche Tendenz, wie sie eben aus-
gesprochen, liegt aber der besprochenen Aus-
führung von I. 0. gar nicht zugrunde, viel-
mehr ist es ein Angriff gegen das Christen-
tum, der mit großer Kurzsichtigkeit seine Be-
hauptungen mit einigen krampfhaft zusammen-
gesuchten Stellen aus dem Neuen Testament
zu belegen sucht und dabei, da er nur Buch-
stabe nauslegung betreibt, zu Resultaten kommt,
über deren Widerspruch mit der üblichen
Auffassung man fast lächeln muß.
Aber, gesetzt auch der Fall, es verhielte
sich das Christentum zum Krieg passiv, oder
besser gesagt, I. O. hätte mehr Recht zu seinen
Behauptungen, als er in der Tat hat, so sind
doch in einer Zeit, da wir den Pazifismus mit
allen Schikanen zu schützen bestrebt, und in
allen Kreisen Propaganda zu machen gewillt
sind und von der pazifistischen Presse dazu
animiert werden — , solche Aeußerungen un-
klug, die geeignet sind, mit einem Schlage
Legionen von Anhängern abzuschrecken, weil
sie hinter solchen Machenschaften antichrist-
liche Tendenzen vermuten.
Und vorerst wird der Pazifismus mit einer
hauptsächlich aus Anhängern der christlichen
Weltanschauung bestehenden Gefolgschaft
rechnen müssen, wenrt er nicht auf eine Stär-
kung seiner Position verzichten will.
99
DIE FßlEDENS-^MGJZTE
[§>
Geburtenrückgang und
Internationalismus.
Von Dr. MaxSeber, Dresden.
Von den Rassentheoretikern wurde schon
ziemlich früh auf die unbestreitbare Tat-
sache hingewiesen, daß auch in Deutschland
die Geburtenziffer sich ständig verringert und
hierin eine große Gefahr für den Bestand der
Nation liegt. Diese Warnungsrufe blieben un-
beachtet, bis sich das Preußische Ministerium
des Innern entschloß, dieser Richtung der
Bevölkerungsbewegung ihr Augenmerk zu
schenken. Seitdem hallt es auch bei uns von
den Jammerrufen aus ihrer Ruhe aufgestör-
ter Patrioten, und Vorschläge aller Art zur
Eindämmung dieses Prozesses hagelt es nur
so. Trotzdem ist in allen Veröffentlichungen,
die sich mit dieser bedeutsamen Frage be-
fassen, ein gewisser elegischer Zug unver-
kennbar. Die Erfahrungen Frankreichs zeigen
doch wohl zur Genüge, wie gering die Aus-
sicht ist, daß diese rückläufige Art unserer
Menschenvermehrung bald wieder ins Gegen-
teil umschlägt.
Die vorliegenden statistischen Tatsachen
sind von einer so unerbittlichen Folgerichtig-
keit, daß man schon ein großer Optimist
sein muß, um an eine Besserung zu glauben.
1876—1885 entfielen auf 10000 Menschen
393 Geburten, 1910: 298, 1911: 286. Anstatt
2 700 000 Geburten hatten wir 1910 nur
1 980 000; 1911 : 1 924 000. Da nun die Städte
eine viel geringere Geburtenhäufigkeit auf-
zuweisen haben als dem 1 Landesdurchschnitt
entspricht, so ist es klar, daß die Tendenz
der Geburtenminderung ebenso unaufhaltsam
ist wie die Tendenz der Verstadtlichung.
Heute schon leben zwei Drittel des deutschen
Volkes in Städten, und immer noch strömen
die Scharen vom Lande ihnen zu; auch um-
klammern besonders die Großstädte, die ver-
hältnismäßig am wenigsten zur Volksver-
mehrung beitragen, immer größere Menschen-
massen. Zweifellos ist aber nicht das Leben
in den Städten selbst die Ursache der kleinen
Geburtenzahlen, sondern die dort den
breitesten Massen gewährte Gelegenheit der
Bildungsaneignung, wodurch die Einsicht in
die Ursachen ungünstiger ökonomischer Ver-
hältnisse bei jedem 1 einzelnen wächst und
der Wunsch wachgerufen wird, deren Wieder-
holung, d. h. eben mehr Kinder, zu ver-
meiden. Die praktischen Maßnahmen dazu
sind ja bald jedermann bekannt. Die mo-
dernen Bestrebungen, auch das platte Land
durch Volksbüchereien, Wanderredner usw.
am 1 kulturellen Leben zu beteüigen, befördern
schließlich auch dort die Rationalisierung des
Geschlechtslebens, so daß auch hier die Ge-
burtenziffer sinkt. Ein trübes Bild für
unsere Nationalisten der rohen Gewalt ! Der
vorher noch so heitere Firmament ihrer
Ideale, der nur von alldeutschen Phantasie-
gestalten, gewaltigen Recken und männer-
mordendem Schlachtgetümmel erfüllt war,
hat sich plötzlich umwölkt. Die so romantisch
empfindende echt deutsche Männerbrust sieht
sich plötzlich um ihre schönsten Träume von
Weltkrieg und Welteroberung geprellt und
von der Poesie des frischen, fröhlichen Kriegs
zur karbolduftenden Prosa des Wochenbetts
versetzt. Zwar ist die Geburtenzahl allein
für die Bevölkerungsbewegung eines Landes
noch nicht maßgebend; es muß vielmehr
auch die Sterblichkeitsziffer berücksichtigt
werden. Doch kann dem Beweisgrund nicht
entgegengesetzt werden, daß das Gebären
viel mehr eingeschränkt werden kann als das
Sterben. Wenn auch unsere Säuglingssterb-
lichkeit noch recht hoch ist im 1 Vergleich
mit den nordischen Staaten und die Tuber-
kulose bei uns doppelt so viele Menschen
dahinrafft als in England, so ist doch nicht
daran zu denken, daß durch das Sinken der
Sterblichkeitsziffer der Fall der Geburten
wettgemacht wird. Der Geburtenüberschuß
wird immer kleiner. 1908—1910 betrug er
noch 880 000; 1911 nur 740 000, woran aller-
dings die höhere Kindersterblichkeit im
heißen Sommer dieses Jahres mit Schuld hat.
Ganz besonders bedenklich stimmt aber nun
ein Vergleich der Geburtenbewegung in den
anderen Ländern. Selbst im europäischen
Rußland ist ja ein Rückgang zu verzeichnen,
der aber weit geringer als bei uns ist. Heute
schon übertrifft die Bevölkerungszahl des
Russenreichs die deutsche um 1 100 Millionen,
wenn auch das asiatische Rußland mit ein-
gerechnet wird. Um 1950 wird sie nach Wolf
aber schon 150 Mülionen betragen. Unsere
militärische Stellung wird dieser größten
Ostmacht gegenüber also ebenso hoffnungs-
los wie die Frankreichs zu uns. Was soll denn
da nun geschehen ? Gewiß gibt es Wege
genug, die einiges bessern können. Die Be-
kämpfung der Geschlechtskrankheiten ist
sicher aussichtsreich, wodurch die natürliche
Unfruchtbarkeit verringert würde. Alle wirt-
schaftlichen Maßnahmen aber werden nur
sehr geringen Erfolg haben, denn sie können
doch nur einen verschwindenden Teil der Auf-
wendungen ersetzen, die die Geburt und Er-
ziehung eines Kindes mit sich bringt. Soweit
die rein materielle Denkweise, vor allem
auch der oberen Schichten, als Schuldige an-
gesehen werden muß, läßt sich sicher auch
durch Beeinflussung der öffentlichen Mei-
nung etwas erreichen, doch wiederum' nur
in Verbindung mit einer allgemeinen Hebung
unseres Bildungsstandes, was keine Sache von
heute auf morgen ist. So sehen wir denn ganz
klar, daß es sich nur darum 1 handeln kann,
die Folgen dieses nicht mehr zu ändernden
Zustandes zu beseitigen, da dieser selbst
nicht mehr umzukrempeln ist und, vom
sozialen Gesichtspunkt aus betrachtet, es
auch nicht soll. Die Gefahr, die den Völkern
hoher Kultur infolge ihrer geringeren Ver-
100
<§=
DIE FRI EDENS -^&RXE
mehrung von den tieferstehenden Völkern
droht, kann nur durch eine Verständigung
der Kulturmächte gebannt werden. Sie
müssen sich zusammenschließen, um einen
derartigen etwaigen „Kulturkampf" bestehen
zu können. Je früher dies geschieht, desto
besser ist es. Jetzt, wo die Kulturnationen
die Welt beherrschen, haben sie die Macht,
ihren Willen den anderen Völkerschaften auf-
zuzwingen. Uebersteigen sie beizeiten die
Klüfte und Spalten, die zwischen ihnen
gähnen, so können sie die Militarisierung der
tiefersteh enden Menschenhorden verhindern,
sich und der ganzen Welt Frieden bringen.
Bleibt diese Verständigung jetzt aus, so wird
vielleicht erst die unmittelbare Gefahr eines
Weltkrieges zwischen Kultur- und Halb-
kulturstaaten jene zusammenschweißen und uns
dann wahrscheinlich vor einem ungeheuren
Weltbrand nicht mehr bewahren können. So
möge der Rückgang der Geburten den Kultur-
staaten ein Alarmzeichen sein, daß es hohe
Zeit ist, sich zu verständigen. Wir stehen
in Deutschland wieder vor ungeheuren Rü-
stungen. Die Gefahr des beschränkten
Gewalt-Nationalismus wird dadurch vielleicht
vielen deutlich, die bisher den Abgrund nicht
ahnten, vor dem wir stehen. In welch un-
geheure Zwickmühle führt uns doch dieses
Prinzip des Machtfanatismus: Man sieht
die Notwendigkeit sozialer Reformen ein und
muß doch die wirksamste Selbsthilfe, die
Beschränkung der Kinderzahl, bekämpfen;
man will den Familienvätern wirtschaftliche
Erleichterung zukommen lassen und belastet
sie doch wieder viel ärger durch die Rüstungs-
steuern; man sucht durch kolossale Rü-
stungen sein Volk in einen möglichst guten
Verteidigungszustand zu bringen und gefähr-
det es aber viel stärker, weil dadurch auch
die zurückgebliebenen Völker zu Rüstungen
gezwungen werden, deren größte Reserve
aber die hohe Geburtenziffer ist, die wir
nicht mehr erreichen können. Ein gefähr-
licher Wettbewerb! Wir arbeiten so wie
Wahnsinnige an unserem eigenen Unter-
gang! In Zukunft gibt es nur zwei ver-
nünftige Möglichkeiten: entweder benutzen
die Kulturmächte ihre Herrschaft zur syste-
matischen Ausrottung der Halbkulturvölker,
oder sie verständigen sich und schenken der
Welt Frieden. Mit kleinlichen Maßnahmen
ist nichts getan. Entweder morden wir Millio-
nen oder verständigen uns. Kann diese Wahl
noch Zweifel bringen ?
Goethe über den Krieg.
Von Prof. Dr. Ritter, Weimar.
Im Augenblick, in dem ich dies über
Goethes Urteil vom Kriege schreiben will,
dürfte es ganz eitel erscheinen, über den
Krieg als über ein überflüssiges Uebel zu
reden, um 1 so eitler, als* die letzten beiden
Jahre mit dem Tripolis- und Balkankriege
den Friedensmachern genug bewiesen haben
könnten, daß der Krieg zur Weltordnung,
zumal der menschlichen oder sozialen, ge-
hört, noch dazu um so mehr, weil der Tri-
poliskrieg gerade zu der Zeit ausbrach, als
die Friedensleute, geschwellt von Friedens-
hoffnungen, in Rom einen Kongreß zur Welt-
friedfertigkeit halten wollten, aber dann
wegen des Krieges; nicht halten konnten.
„Diese Erfahrung dürfe doch genügen !"
mögen die Kriegsanbeter triumphieren. Aber
weder diese, noch viele früheren Erfahrungen
genügen, zumal, wie schon Kant gesagt hat,
die Erfahrungen voll Widerspruchs sind,
auch nach der induktiven Logik nicht zu-
reichen, widerspruchslos allgemeine und für
die Praxis brauchbare Urteüe zu bilden.
Kurz, die Kriegsanbeter sind alle durchweg
schlechte Logiker und darum keine Denk-
politiker, sondern nur Gefühls- oder Stim-
mungspolitiker. Sie lieben es zwar und
rühmen sich damit, nicht Gefühlspolitiker zu
sein, sondern Realpolitiker; doch um diesen
Gegensatz will ich nicht streiten, sondern
um den Gegensatz Gefühls- und Denk-
politiker, zumal in diesem letzten Begriff
der Begriff Realpolitiker mitgedacht wird.
Fühlen ist subjektiv, Denken objektiv oder
real. Doch genug, da ich hier nicht Er-
kenntnistheorie zu lehren habe, sondern vom
Kriege in Goethes Auffassung reden will.
Bevor ich dazu schreite, darf ich wohl
ein Gleichnis zur Veranschaulichung der Un-
logik unserer Gegner, der Anbeter des
heidnischen Gottes Mars, hierher setzen.
Die Leser kennen, so setze ich voraus,
etwas von der Wettervorhersagung des Herrn
Falb und von dem 1 Widerspruch oder der
Kritik, mit der man sie leicht abtun zu
können glaubte. Es ging und geht diese Kritik
meist so vor sich: Wenn Herr Falb vorher-
gesagt hatte, z. B. daß am 10. Oktober
Sturm und Regen sein würden, weil dann,
wie gerade in diesem Jahre (1912) Neu-
mond in Erdnähe sein würde, so glaubte
jedermann, daß auch er den Sturm ,und
Regen bekommen müßte, nicht bloß die
südlichen Tropen, und erklärte, jede Vor-
hersage sei falsch, wenn es auch nur 10
oder gar nur 5 Küometer von ihm ent-
fernt geregnet hatte, ohne weiter an die
mancherlei Umstände zu denken, die zur Er-
zeugung des Regens zusammenwirken. „Ja
— irgendwo auf der Erde kann es ja ge-
regnet haben, nur bei mir nicht", das war
der Gedanke dieser Herren, die z. B. das
eine nicht bedachten, daß zur Erzeugung
von Regen zwei Luftströmungen gehören, eine
kalte und eine warme, deren jede schon nur
einen Teil der Erdoberfläche, nicht die
ganze einnehmen kann. „Schadet nichts!
Falb redet Hirngespinste", sagen die, die
nur ganz abstrakt nach dem Buchstaben ur-
teilen können, ähnlich wie der Klosterbruder
101
DIE FRIEDENS -V&BTE
;s>
Lessings sagt: „Schadet nichts! Der Jude
wird verbrannt."
Aehnlich abstrakt wie sie, nur gegenteilig,
dachte jene Waschfrau, zu der ihre Nach-
barin sagte: „Haben Sie schon gelesen, Frau
Müllern? Ostern soll die Welt untergehen."
„Ach! das geht mich nichts an," antwortete
die kluge Müllern, „denn ich reise zu Ostern
nach Stettin zu meiner Tochter." Wie jene
abstrakt nur an das Ganze denken, so denkt
diese abstrakt nur an den Teil, auf dem sie
gerade steht; beide könnten sich aber nicht
über das handgreiflich Einzelne erheben.
Ihnen gleichen Sie, meine Herren, die
nur das Einzelne des großen Ganzen der Ge-
schichte sehen, nicht die ganze Summe, die
Bäume wohl, nicht aber den Wald, auch nur
immer ein Merkmal abstrakt betrachten, nicht
alle in concreto, allenfalls nach voreiligem
Induktionsschluß urteilen, wo nicht gar den
Wunsch den Vater des Gedankens sein lassen,
so ähnlich auch, wie das Weib Emilie in
Shakespeares Othello. Diese meint nämlich,
daß man das Verbrecherische nur gesetzlich
zu sanktionieren brauche, damit es den Cha-
rakter, verbrecherisch zu sein, verliere. Aehn-
lich verfährt von Treitschke, der den Krieg
einfach „heiligt". „Bis an das Ende der Ge-
schichte werden die Waffen ihr Recht be-
halten", sagt er; „und darin liegt die
Heiligkeit des Krieges. Die Größe des
Krieges liegt gerade in jenen Zügen, welche
die flache Aufklärung ruchlos findet".
Armer Kant ! Wie bist du doch ein flacher
Aufklärer in Herrn v. Treitschkes Augen, der
du geglaubt hast, die Eliminierung des Krie-
ges aus dem Staatenleben zum letzten Schluß
deiner Weisheit machen zu müssen! Doch,
mein verehrtester Kant, du brauchst dich nicht
zu schämen, am wenigsten vor Herrn von
Treitschke, zumal du in Herrn Goethe einen
guten Eideshelfer deines Glaubens gefunden
hast, der gleich dir an verständige Menschen
appelliert hat. „Schon wieder Krieg!" sagt
er (Faust IL Akt. 4)*). „Der Kluge hört's
nicht gern."
Mephistopheles, hierin ein Eideshelfer des
Herrn von Treitschke, erwidert im Ethos des
„geistigen Tierreichs"**).
Krieg oder Frieden — — klug ist das Be-
mühen,
Aus jedem Umstand seinen Vorteil
ziehen.
Man paßt, man merkt auf jedes günstige Nu;
Gelegenheit ist da; nun, Fauste, greife zu."
Für den im Reiche der Vernunft lebenden
Faust sind das Rätselworte: „Mit solchem
Rätselkram verschone mich! Und kurz und
gut, was soll's? Erkläre dich."
*) In Bielschowskis Goethe-Biographie ist
dieser Akt nicht behandelt. Warum nicht? War
der Stoff heißes Eisen ?
**) Ausdruck Hegels.
Als dann Mephisto sich erklärt, indem
er von der Tiefe seines „geistigen Tierreichs"
Faust auf die Gelegenheit zu Landerwerb hin-
weist und mit der Lockung zu Herrschaft
und Genuß zu gewinnen sucht, erwidert Faust
aus der Gedankenhöhe seines geistigen Men-
schenreiches :
„Ein großer Irrtum! Wer befehlen soll,
Muß im Befehlen Seligkeit emp-
finden;
Ihm ist die Brust von hohem Willen voll,
So wird er stets der Allerhöchste sein,
Der Würdigste — ; Genießen macht ge-
mein."
Darauf fährt Mephisto fort, indem er mit
klugem Opportunismus ein typisches Bild, etwa
nach dem Vorbild des heiligen römischen
Reiches oder der französischen Revolution
oder, gleichsam als hätte er es vorausgeahnt,
von den Balkanwirren gegenwärtig (Okt.
1912) malt und den Egoismus als Anbeter
des Erfolges heranzieht.
„Die Tüchtigen, sie standen auf mit Kraft
Und sagten: „Herr ist, der uns Ruhe schafft.
Der Kaiser kann's nicht, will's nicht — laßt
uns wählen
Den neuen Kaiser, neu das Reich beseelen,
Indem er jeden sicherstellt,
In einer frisch ^geschaffnen Welt
Fried' und Gerechtigkeit vermählen."
Bei dieser Sophistik des Erfolges erhebt
sich Faust wiederum auf die Höhe wahr-
haftigen Urteilens und sagt:
„Das klingt sehr pfäffisch", denn Pfaffen
Sind überall die sophistischen Apologeten*) des
Erfolges, zumal sie ihren Lohn dabei dahin-
nehmen.
„Pfaffen waren's auch.
Sie sicherten den, wohlgenährten Bauch ;
Sie waren mehr als andere beteiligt,
Der Aufruhr schwoll, der Aufruhr ward ge-
heiligt,"
Mephisto ist zwar doppelzüngig, hinter-
listig, aber auch wahrhaftig, wenn's ihm
Spaß macht, besonders wenn er andere ver-
höhnen kann, nachdem sie ihm Gelegenheit
gegeben, Widerspruch zwischen hohen Intui-
tionen (Intuition mit Goethe) und nach-
folgenden Taten ins Licht zu stellen. In diesem
Sinne sagt er derb und geradezu auf Fäustens
Frage, was es gebe: „Nein! Aber gleich Herrn
Peter Squenz vom ganzen Praß die Quint-
essenz." Bei diesen Worten treten die drei
Gewaltigen auf, zu denen sich bald ein vierter
gesellt, die Typen des Krieges, deren Wesen
Goethe durch ihre Namen allegorisiert hat,
denn sie heißen Raufebold, Habebald, Halte-
fest und Eilebeute. Jeder schildert dann sein
Wesen selbst gerade so ungefähr, wie die
Königlein der Balkan-Halbinsel reden, die
viel Gerede von hohen Intentionen machen T
*) Goethes Gespräche mit Eckermann III,.
Seite 33, 215 und 230 ff.
102
@=
DIE FRIEDENS -WARTE
während sie doch nur raufen, haben und fest-
halten wollen; auf sie paßt das Wort, das
Goethe den Kaiser sprechen läßt:
„Sich selbst erhalten, ist der Selbstsucht Lehre,
Nicht Dankbarkeit und Neigung, Pflicht und
Ehre.
Bedenkt ihr nicht, wenn eure Rechnung voll,
Daß Nachbars Hausbrand euch verzehren
soll."
Das heißt in die Worte des Tages über-
setzt, daß ihr den Krieg nicht werdet lokali-
sieren können. Und so soll ein edler Serbe
gesagt haben? „Sind wir erst in Uesküb, so
wollen wir den sehen, der uns heraustreiben
kann."' Für Herren von dieser kaltnasigen
Gesinnung gilt das berühmte Wort Voltaires:
„Dans loutes les guerres il ne s'agit que de voler"
Dann stellt Goethe die Schlacht dar zwi-
schen dem Kaiser und dem Gegenkaiser; aus
dieser Darstellung ist merkwürdig das Boten-
paar; das sind nämlich Raben, d. h. Aas-
vögel, nicht Tauben, denn
„Die Taubenpost bedient den Frieden,
Dien Krieg befiehlt die Rabenpost."
Die Raben sind Mephistos Diener.
„Setzt euch ganz nah' zu meinen Ohren!
Wen ihr beschützt, ist nicht verloren,
Denn euer Rat ist folgerecht."
Ja — ganz folgerecht, doch die Folge-
richtigkeit ist vom Teufel, dagegen Erbarmen
von Gott^ d. h. logisch, die Inkonsequenz, die
Reihe schlechter Taten vor ihrem Schlüsse
abzubrechen, oder ethisch, die Güte, den
Sünder nicht zu verderben, zumal er will, daß
der Sünder lebe, nicht verderbe.
Der Leser wolle dies auf die Balkan völker
anwenden. Gewiß sind die Türken bisher arge
Uebeltäter gewesen, aber muß man sie nun,
da sie versprochen haben, sich zu bekehren,
d. h. die geforderten Reformen einzuführen,
vernichten? Vernichtet würden sie schließlich
werden, wenn auch nicht gerade heute schon,
wenn allen den Kleinen zugelassen würde, die
„Konsequenzen zu ziehen". Daß dies nicht ge-
schehen kann, dafür hat Rußland gesorgt.
Doch davon spreche ich besser zum Schlüsse,
da ich eigentlich von Goethe zu sprechen an-
gefangen habe.
Hier ist noch übrig, vom Urteil Goethes
über den Ausgang des Krieges zu sprechen.
Goethe ist überzeugt,, daß das Ende, sei es
glücklich oder unglücklich, nur vom Zufall,
d. h. nicht von des Menschen eigener Lenkung
abhängig ist. Allerdings; weiß er auch, daß
egoistisch der Sieger, zumal der Kaiser, den
Sieg sich nur allein, nicht dem Zufall, zu-
schreibt. Seine Botschaft lautet:
„Beruhigt sei das Reich, uns freudig zugetan!
Hat sich in unsem Kampf auch Gaukelei ge-
flochten,
Am Ende haben wir uns nur allein ge-
fochten.
Zufälle kommen ja den Streitenden zugut:
Vom Himmel fällt ein Stein, dem Feinde
regnet's Blut, (
Aus Felsenhöhlen tönt's von mächt'gen Wunder-
klängen,
Die tapfre Brust erhöhen, des Feindes Brust
verengen.
Der Ueberwund'ne fiel, zu stets erneutem
S po tt;
Der Sieger, wie er prangt, preist den ge-
w o g ' n e n Gott,
Und alles stimmt mit ein, er braucht nicht zu
befehlen,
Herr Gott, dich loben wir! Aus hunderttausend
Kehlen."
Also — der Götze, „Erfolg" genannt, wird
gepriesen sehr, doch eventus stultorum ma-
gister sagt Fabius Cunctator bei Livius, d.h. der
Ausgang oder Erfolg ist der Lehrer der Toren,
d. h. derer, die weder Eigenes denken noch
Fremdes nachdenken.
Faust, der dem Kaiser durch allerlei
Künste geholfen hat, erhält vom Kaiser ein
Lehen, das dem Wasser durch Dämme erst
abgewonnen werden soll. Das ist allegorisch
ein Gebiet, das nicht einfach nach alter Raub-
manier, z. B. wie der Türken, okkupiert,
sondern durch die Erwerbsmethode der neuen
humanen Zeit durch Arbeit geschaffen werden
muß. In diesem Sinn läßt auch Schiller seinen
Stauffacher sagen:
„Wir haben diesen Boden uns erschaffen
Durch unserer Hände Arbeit."
Diesen Gedanken spricht Goethe mehr-
mals aus; einmal sagt er durch Mephistos
Mund:
„Krieg, Handel und Priraterie,
Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
In seinem Sinne zu wirken greift Faust
zur Kolonisationsarbeit.
„Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
Verpestet alles schon Errungene;
Den faulen Pfuhl auch abzuziehen,
Das Letzte war' das Höchsterrungene.
Eröffne ich Räume vielen Millionen.
Nicht sicher zwar, doch tätig — frei zu
wohnen.
Grün das Gefilde, fruchtbar Mensch und
Herde.
Sogleich behaglich auf der neu'sten Erde,,
Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
Den aufgewälzt kühn-ems'ge Völkerschaft.
Im Innern hier ein paradiesisch Land,
Da rase draußen Flut bis auf zum Rand,
Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen.
Gemeindrang eilt, die Lücke einzuschließen.
Ja! Diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig'
, Jahr.
Solch' ein Gewimmel möcht' ich seh'n,
Auf freiem G rund mi t fr eiern Vo lk e
s t e h'n."
103
DIE FBIEDENS -WARTE
;§>
Der allgemeine Gedanke aus dieser Schil-
derung anschaulicher Tatsachen ist so klar, daß
es kaum nötig ist, ihn abstrakt auszusprechen,
zumal er schon mehrmals angedeutet ist, nur
eines zu bemerken kann ich nicht unterlassen,
selbst auf die Gefahr hin, Gesagtes zu wieder-
holen, daß nämlich Goethe die Gedanken der
Kriegsanbeter, explizierte wie unexplizierte, in
Trugschlüsse aufgelöst hat, zumal die Rado-
montaden des Herrn von Treitschke, der sich
mehr geeignet hätte, Hofhistoriograph bei
Soliman II. zu sein, als in der Stadt der
Intelligenz Professor und Lehrer der Ge-
schichte. Flache Aufklärung zu sagen von einer
Sache, die Kant vertreten hat! Doch die Ge-
schichte ist das Weltgericht. In dieser Eigen-
schaft sitzt sie gegenwärtig, d. h. da ich dies
schreibe, über Kant und Herrn von Treitschke
zu Gericht.
Kant hat bekannlich bei seinemt Streben
nach dem ewigen Frieden, wenig Hoff-
nung auf den schwachen guten Willen des
Menschen, dagegen desto mehr auf den
Mechanismus seiner Taten gesetzt; er hat da-
mit Herrn von Treitschke und allen seinen
Eideshelfern das Argument von der Schlechtig-
keit des Menschen gegen die Möglichkeit des
Friedens vorweg anerkannt und ihnen die
Arbeit mit diesem Argument aus der Debatte
eliminiert, so daß sie eigentlich ihre Aufmerk-
samkeit auf das richten müßten, was Kant
gelassen, ja eigentlich zur Grundlage seiner
Hoffnung gemacht hatte, den Mechanismus
der Geschichte*} ,in der Natur. Dieser Mecha-
nismus kommt jetzt zu dem Resultat das Kant
von ihm erwartet hat, in der Friedfertigung der
Balkanvölker nach dem vor einigen Tagen
erschienenen Manifest Rußlands, diesem
Meisterstück kluger Erwägung und mensch-
licher Hochgedanken. Es ist nicht jedermanns
Art, aus den Tatsachen der Geschichte die
Arbeit der menschlichen Vernunft zu er-
kennen, ganz besonders nicht derer, die man
Kleinmeister nennen kann, sondern es ist nur
Sache weniger; diese wenigen werden mir
zustimmen, daß der Schlußsatz dieses Mani-
festes in den beiden Grundsätzen für die Be-
handlung der Balkanwirren das enthält, was
die Türken leisten können und ihre Gegner
hoffen dürfen.
Der Mechanismus in der Geschichte wirkt
nicht überall auf der Erde gleichmäßig, denn
die Massen sind nicht überall gleichmäßig, aber
er wirkt und wirkt augenblicklich besonders
auf der Balkanhalbinsel im Interesse der
Humanität und des Friedens unter Rußlands
Führung.
Wird da nicht wiederum das Wort wahr,
daß die letzten die ersten sein werden? Ruß-
land ist zuletzt in den Weltzug der Kultur,
der von Griechenland über Italien durch Frank-
reich, Deutschland und Polen nach Rußland
mit Unterstützung aus Byzanz gegangen ist,
eingetreten und hilft mit seiner Masse die
Parallelkette dieses Zuges schließen, die von
Westen nach Osten der Donau entlang liegt.
Ihr Ziel ist Friedfertigung*).
*) Kants Traktat zum Ewigen Frieden.
n RANDGLOSSEN U
211/12 ZEITGESCHICHTE
Von Bi e r t h a v. S u 1 1 n e r.
Wien, 7. Februar 1913.
Es brodelt und kocht und gärt weiter
im europäischen Hexenkessel. Es schäumt
von Krieg und Kriegsvorbereitungen und tropft
von Frieden und Friedensverhandlungen. An
der österreichischen und russischen Grenze soll
abgerüstet, die Truppen sollen zurückgezogen
werden; aber wie langsam', zögernd, wider-
willig geschieht das! Nur Mobilisierungs-
orders werden rasch, rücksichts- und rück-
haltlos ausgeführt. Aber die Demobili-
sierung: welche Kautelen, welche Schwierig-
keiten, welche Geheimniskrämerei: nur nichts
Günstiges und Beruhigendes offiziell ver-
sprechen und verkünden. Freilich, es ist ja
alles unentwirrt : Der König von Montenegro
erklärt, er komme ohne Skutari nicht in
seine Berge zurück; Rumänien kann nicht
ohne Silistria sein; Bulgarien besteht auf
Kriegsentschädigung — Mediation wird ver-
langt und angenommen, aber unter dem Vor-
behalt, daß man sich vielleicht nicht danach
richten wird; Janina ist gefallen — darüber
der obligate Straßenjubel in Athen. Ein neuer
Staat — Albanien — ist in Triest konstruiert
worden, doch können dessen Abgrenzungen
noch zu hundert Verwicklungen Anlaß geben.
Wenn nicht bald ein neues strahlendes Prin-
zip alle diese Nebel verscheucht — was muß
es da noch für Zusammenstöße und Ver-
nichtungen geben !
MB
Auch die Suffragettes in London führen
Krieg. Man kennt ihre Taten. Die Öffent-
lichkeit fängt an, sich zu empören. Und mit
Recht. In einem) Leitartikel über diesen
Gegenstand fand ich folgenden Satz : „Soll
man den Frauen jetzt das Stimmrecht geben ?
Wäre das die einfachste Lösung der Frage ?
Es wäre die gefährlichste, die sich denken
ließe. Es wäre die Anerkennung der
Gewalttätigkeit als zulässiges
Instrument zur Durchsetzung po-
litischer Wünsche." O, über deine
Naivität, Zeitungsschreiber! Weißt du denn
nicht, daß diese deine Worte die geltende
Grundlage unserer großen heutigen diplo-
matischen und müitärischen Weltordnung
*) Ritter. Weltzug der Kultur. In Kritik,
Bd. XII, 1877.
104
@=
= DIE FRI EDENS -^M&RTE
ausdrücken : Gewalttätigkeit und Gewalt-
androhung als zulässiges Instrument zur
Durchsetzung politischer Wünsche ? —
Nein, das soll den Frauen nicht zu-
erkannt werden — im! Gegenteil, die Frauen
werden vielleicht berufen sein, diese Zu-
lässigkeit aufzuheben. Aber jedenfalls war
der Artikel schreib er blind gegen das Faktum
von der Allgemeingültigkeit des Prinzips, vor
dem 1 er warnt.
Der europäische Ueberrüstungswahnsmn
hat einen neuen Anfall — man könnte es
schon Paroxismus nennen — bekommen, auf
den niemand gefaßt sein konnte. Mitten in
einer Zeit, wo die ganze europäische Diplo-
matie angeblich damit beschäftigt ist, Schwie-
rigkeiten und Streitfragen zu schlichten, wo
es überall zwischen den Mächtegruppen „Ent-
spannungen", Annäherungen und dergleichen
gibt; wo durch die so hoch gestiegenen
Lasten der Militärausgaben und die gleich-
zeitig steigenden Steuern, Zölle und Lebens-
mittelpreise die Völker an den Rand der Ver-
zweiflung gebracht werden, mitten in diese Frie-
denssehnsucht und Friedensnotwendigkeit nebst
offizieller Friedensbeteuerung platzt plötz-
lich in Deutschland eine neue Milliardenforde-
rung für Heeresverstärkung aus, die in
Frankreich augenblicklich mit dem Antrag
auf Wiedereinführung der dreijährigen Dienst-
zeit beantwortet wird. Beiderseitig zur Siche-
rung des Friedens natürlich. Sie werden
nicht müde, diese Lügenphrase des si vis
pacem zu wiederholen. Nicht, daß sie den
Krieg wollen, aber die Macht Stellung
wollen sie. Die deutsche Vorlage war zwar
auch eine x\ntwort. Nämlich auf jenen Pariser
Zapfen streichlärmi, der in letzter Zeit alle
nationalistisch-chauvinistischen Elemente auf-
gerüttelt und zu neuen ,,ä Berlin"-Rufen
ermutigt hat. Vielleicht war aber auch dieser
Lärm eine Antwort, und zwar auf die Agadir-
geste. Und so lassen sich diese gegenseitigen
Drohungen in einer rückwärtsliegenden Kette
durch unendlich viele Glieder zerückverfolgen ;
soll diese Kette denn auch endlos in die
Zukunft verlängert werden ? Das geht ein-
fach nicht. Ein gewaltsames Ende muß da
kommen. Entweder Krieg oder Revolution
oder — was auch denkbar ist — ein Er-
wachen der Vernunft. Ein Fallen der
Schuppen von den Augen. . . .
Was inzwischen auf dem Balkan ge-
schehen, man weiß es nicht. Der moderne
Krieg hat den Kriegsberichterstatter aus-
geschaltet, also erfährt der Bürger heute
beinahe weniger als zu Fausts Zeiten, was da
vorgeht, wenn drunten in der Türkei die
Völker aufeinanderschlagen. Das belagerte
Adrianopel fällt nicht; vor den Tschataldscha-
linien geschieht nichts; die „Operationen"
werden durch Schneefall gehindert — es ist,
als wäre die ganze Landpartie wegen schlech-
ten Wetters abgesagt. Doch wer weiß, was
vorgeht ? Vielleicht haben auf beiden Seiten
die kriegsmüden Truppen erklärt: „Wir tun
nicht weiter." Soviel ist gewiß : Entscheiden-
des ist in dieser zweiten Abteilung des Bal-
kankrieges nicht eingetroffen, denn das wäre
sicher von der siegenden Partei hinaustele-
graphiert worden. Es wird sich immer mehr
und mehr bestätigen, was Bloch schon ge-
sagt hat, daß es in modernen Schlachten
überhaupt keine Entscheidung mehr gibt.
Nur eines sickert nach und nach vom
Kriegsschauplatz herüber. Nämlich die Be-
richte über die schon in der ersten Ab-
teilung des Feldzugs verübten haarsträuben-
den Greuel. Ganze Broschüren füllen sich
mit beglaubigten Beschreibungen von den
Grausamkeiten, die von serbischen Banden,
bulgarischen Komitatschis, albanesischen
Horden usw. an den Türken begangen wurden.
Europa schaudert wohl, greift aber nicht
helfend ein, denn es gibt ja noch keine
europäische Gendarmerie. Und die Leser
jener Berichte rufen empört: „Oh diese Ko-
mitatschis", „Oh diese Banden" — während
es einfach heißen sollte „Oh dieser Krieg!'"
Er allein ist der Schuldige.
In ganz Deutschland werden große Vor-
bereitungen zur hundertjährigen Erinnerungs-
feier der Befreiungskriege von 1813 getroffen.
Dabei dürfte leider viel chauvinistischer Geist
angefacht werden. Man wird hervorheben,
wie ruhmvoll, wie beglückend Kriege in ihren
Folgen sein können — Befreiung vom Na-
poleonischen Joch — , und vergißt, daß der
Bestand und die Glorifizierung des Krieges
der Boden ist, aus dem die Napoleone hervor-
wachsen können. Manche Stimmen erheben
sich auch, um 1 zu sagen : Die großen Rü-
stungsvermehrungen der letzten Zeit sind
vielleicht ein Zeichen, daß sich eine Wieder-
holung von 1813 vorbereitet, daß die ernste
Zeit eine ähnliche Abrechnung erfordert.
Allerdings, wieder lastet ein Joch auf uns
— nicht nur auf Deutschland und O ester-
reich, sondern auf der ganzen Welt. Der Unter-
drücker heißt nicht Napoleon, er heißt Krieg.
Den Befreiungskrieg gegen diesen Tyrannen
zu unternehmen, das wäre die richtige, unseres
Jahrhunderts würdige Feier des Jahres 1813.
Die Parteileitungen der französischen und
deutschen Sozialdemokratie haben gleich-
zeitig ein Manifest gebracht, wodurch dem
perfiden Doppelspiel der Chauvinisten und
Rüstungsinteressenten beider Länder ein
Ziel gesetzt ist, die sich bemühen, in Frank-
reich die Begünstigung des Militarismus
105
DIE FßlEDENS-^ADXE
3
durch die deutsche Sozialdemokratie, und in
Deutschland die Begünstigung des Mili-
tarismus durch die französischen Sozialisten
vorzuspiegeln. Jetzt aber hallt derselbe Ruf
gegen den Krieg, dieselbe Verurteilung des
bewaffneten Friedens in beiden Ländern wider.
Das Manifest erklärt, daß „die Volksmassen
mit überwältigender Mehrheit den Frieden
wollen und den Krieg verabscheuen". Das
ist wahr; warum! aber verkündet dies nicht die
Mehrheit der Volksvertreter in den Parla-
menten? Ferner wird die Forderung erhoben,
daß alle Streitigkeiten zwischen den Staaten
schiedsrichterlich geschlichtet werden. Das war
das erste Prinzip des „bürgerlichen Pazifis-
mus" — ein Prinzip, über das er schon hinaus
ist, indem 1 er Föderation der Staaten und
eine ständige internationale Justiz fordert.
Der Sozialismus macht sich immer mehr die
Prinzipien des einst von ihm so verhöhnten
„bürgerlichen" Pazifismus zu eigen. Es gibt
eben keinen „bürgerlichen" — sondern nur Pa-
zifismus überhaupt. Zeit wäre es, daß nicht
die Sozialisten allein den Mut aufbringen,
gegen die Geißel des Krieges und des be-
waffneten Friedens zu protestieren, sondern
daß in allen Ländern eine eigene Friedens-
partei gegründet werde. Eine Partei der
Weltorganisation — um 1 das matt klingende
Wort Frieden zu ersetzen.
Während meines Aufenthalts in Lincoln
(Nebraska) war ich Gast im Hause Bryan.
Leider war der interessante Hausherr ab-
wesend, auf einer Vortragstour. Er, der
schon öfter selber Kandidat für die Präsident-
schaft gewesen, diesmal aber abgelehnt hatte,
nominiert zu werden, bereiste das Land, um
für Woodrow Wilson zu agitieren. Er hätte
gewiß sehr hohe Chancen gehabt, gewählt
zu werden, denn aus allem, was ich in Lin-i
coln, seiner Vaterstadt, und auch an anderen
Orten von ihm erfuhr, deutete darauf hin,
daß er der höchstangesehenste Staatsmann
der Vereinigten Staaten ist. Vor einigen
Jahren bin ich ihm! in London begegnet, wäh-
rend der interparlamentarischen Konferenz,
und hörte ihn dort eine glänzende ipazi-
fistische Rede halten. Um so mehr bedauerte
ich seine Abwesenheit aus seinem Heim, doch
fand ich von seiten seiner kongenialen Frau
alle die Gesinnungen bestätigt, die in jener
Londoner Rede zum Ausdruck ge-
kommen waren. Daß William Jennings
Bryan in derselben Richtung weiter wirkt,
kann man aus folgender Nachricht entnehmen:
In Raleigh (Nordkarolina) erklärte er in
einer Rede über den Frieden, es sei ge-
bieterische Pflicht der Vereinigten Staaten,
nicht nur auf jede mögliche Weise mit den
Mächten der ganzen Welt für den Fortschritt
des Friedens zusammenzuwirken, sondern
auch in der Abrüstung ein glan-
z e n des Beispiel zu geben. Durch ihre
Lage und durch ihre Stellung unter den Na-
tionen seien die Vereinigten Staaten besonders
dazu geeignet, mutig diese Haltung ein-
zunehmen. Wenn man bedenkt, daß höchst-
wahrscheinlich Bryan Staatssekretär im
Kabinett Wilson, und nach Wilson vielleicht
Unionspräsident werden wird, so gewinnen
solche Worte doppelte Bedeutung.
Den Manen William T. Steads, des größ-
ten Friedenskämpfers unter den Publizisten,
ist empörende Unbill widerfahren. Die von
ihm gegründete „Review of Reviews", diese
Hochburg des Pazifismus, ist nun unter der
Redaktion seines Sohnes Alfred zum Organ
des jingoistischen Imperalismus geworden.
Tarifreform (das ist Aufhebung des Frei-
handels), Rüstungsvermehrung, Haß der
gegenwärtigen liberalen Regierung, Warnung
vor der deutschen Invasion — kurz, die ganze
Lyra — werden jetzt in unsres Steads Blatt
vertreten. Das Februarheft liegt vor mir.
„Der neue Schrecken" heißt das Titelblatt
und stellt einen über der britischen Flotte
schwebenden deutschen Zeppelin vor. Der
Leitartikel hierzu heißt: „Unser die See; des
Feindes die Luft." Welcher Feind ? Deutsch-
land. Frankreich baute zwar auch eine
Luftflotte; diese ist aber nicht gegen England
gerichtet, während die deutsche Luftmacht
„direkt gegen unser Land und gegen kein
anderes konstruiert wird". Der Artikel endet
mit einem Aufruf zur Sammlung von Geldern
zur Schaffung einer englischen Luftflotte.
Alfred Stead eröffnet die Liste mit einer
Spende von 50 £ und verlangt, daß, als wür-
diges Denkmal für seinen Vater und in Treue
zu seinen Idealen, ein Kriegsäroplan gebaut
werde, der — oh Blasphemie — den Namen
W. T. Stead führen soll. Es gibt im! Leben
des großen Publizisten eine Phase, die etwas
widerspruchsvoll ist, nämlich sein Eintreten
irrt Jahre 1885 für den Standard der eng-
lischen Flotte „zwei Kiele gegen einen".
Daran klammert sich nun sein Sohn — und
vergessen ist nun Steads ganzes Friedens-
werk: seine Haltung im Burenkrieg, seine
Unterstützung des Zarenmanifestes durch
Friedenskreuzzüge, seine Arbeit während der
zwei Haager Konferenzen, sein tätiger
Eifer bei allen deutsch-eng-
lischen Annäherungs-Aktionen;
auch vergessen, daß er als Träger einer Bot-
schaft an einen amerikanischen Friedens-
kongreß in den Fluten des Ozeans versank.
Ja, sicherlich, er hätte gegen die Gefahr eines
Luftangriffs von seiten Deutschlands ge-
kämpft, aber nicht durch Schaffung von
Gegenangriffswerkzeug, sondern durch die
Verständigung mit Deutschland und durch
Bekämpfung der Alarmmacher, der Invasions-
propheten — kurz, der Jingos irrt " eigenen
Lande*
EsSI?
106
<§=
DIE FRIEDENS -^\*\RXE
Ein Vorschlag. Er wurde mir suggeriert
von einem 1 Friedensfreund, den ich, wenn er
es erlaubt, zu nennen bereit bin. Nämlich:
eine internationale Abordnung von über-
zeugten Pazifisten in hervorragender Stellung
— Männer wie Elihu Root, Baron d'Estour-
nelles — etwa zehn an der Zahl, sollten
Europa bereisen und an den Höfen, bei den
Ministerien und mit öffentlichen Vor-
trägen für die Friedensorganisation der
Welt wirken. Die Kosten einer solchen Ex-
pedition (segensvoller als eine solche nach
dem.! Nord- oder Südpol) müßten natürlich
durch einen hierzu gespendeten oder ge-
sammelten Fonds aufgebracht werden. Doch
dies ist ja nur eine Andeutung der Grund-
idee, und will ich keine Details der Ausführung
bringen.
MEt
8. März.
Nachschrift: Präsident Wilson hat die
Ernennung zum Ehrenpräsidenten der
amerikanischen Friedens- und Schieds-
gerichtsgesellschaft angenommen. — Ex
occidente lux.
PAZIFISTISCHE CHRONIK
8. Februar. Prinz Gottfried zu Hohenlohe
überreicht dein Zaren ein Handschreiben des
Kaisers Franz Josef, das den Beginn einer freund-
schaftlichen Lösung der österr. -russischen Spannung
bedeutet.
10. und 11. Februar. Unter dem Vorsitz des
Geh. Rats Prof. Niemeyer tagt in Berlin eine inter-
nationale juristische Konferenz.
14. Februar. Biervorragende Amerikaner wider-
setzen sich der Idee einer Intervention der
Vereinigten Staaten in Mexiko und verlangen
Bildung einer gemischten Kommission von Gelehrten
und Staatsmännern der Vereinigten Staaten wie der
amerikanischen Republiken zwecks friedlicher Beilegung
der mexikanischen Wirren.
15. Februar. Der 1908 zwischen Frankreich und
denVereinigten Staaten abgeschlossene Schiedsvertrag
wird in Washington um fünf Jahre verlängert.
16. Februar. Die russische Duma nimmt ein
Gesetz zur Vermehrung der Rüstungen an und
drückt den Wunsch nach weiterer Vervollkommnung
der Landesverteidigung aus.
Mitte Februar. Der hervorragende französische
Pazifist Prof. Ruyssen in Bordeaux wird nach der
Rückkehr von seiner Vortragstournee aus Deutschland
von chauvinistischen Studenten attackiert.
Mitte Februar. Ankündigung einer neuen grossen
Heeresvermehrung in Deutschland. Eine Mil-
liarde einmalige Kosten. Aufbringung durch eine
Vermögensabgabe.
Mitte Februar. Angesichts der angekündigten
Heeresvermehrung in Deutschland werden in Frank-
reich neue Rüstungskredite in der Höhe von
500 Millionen und die Wiedereinführung der drei-
jährigen Dienstzeit angeJcündigt.
Mitte JBebruar. Im Wiener Deutschen Klub hält
der ehemalige Reichskommissar für Ostafrika, Dr. Karl
Peters, einen Vortrag über „die Zukunft Europas",
worin er für einen wirtschaftlichen und poli-
tischen Zusammenschluss Europas eintritt.
Mitte Februar. DieGrossmächte bieten Rumänien
und Bulgarien die Vermittlung auf Grund der
Haager Abmachungen an.
19. Februar. Nordböhmische Industrielle
richten an den österreichischen Handelsminister eine
Petition, toorin sie auf die durch die Kriegskrisis
geschaffene Notlagehinweisen, „die selbst im Kriegs-
jahr 1866 nicht so schlimm war".
20. Februar. In der belgischen Kammer
werden neue Vermehrungen des Heeres, Ausbau
der Festungen und Verlängerung der Dienstzeit an-
gekündigt.
20. Februar. Poincare tritt die Präsident-
schaft an.
21. Februar. Eine Deputation von Bürger-
meistern galizischer Städte bittet den öster-
reichischen Ministerpräsidenten um Abhilfe gegen
die durch die Mobilisierung und die Kriegs,
krise in Galizien herrschende Hungersnot.
22. Februar. Der italienische Minister des Aeusseren,
Marchese di San Giuliano, spricht im italienischen
Parlament über die Weltlage. Seit 43 Jahren keinen
Krieg zwischen europäischen Mächten. Bei allen
Regierungen starkes Gefühl der Verantwortlichkeit.
25. Februar. Das dänische Königspaar in
Berlin.
25. Februar. Das amerikanische Repräsentanten-
haus lehnt die Regierungsvorlage für den Bau
von zwei Schlachtschi ffen ab und bewilligt mit
194 gegen 133 nur eines.
27. Februar. In Rom starb im 73. Lebensjahr
Graf An gel o von Gubematis.
1. März. Die deutschen und die französischen
sozialdemokratischen Parteien erlassen gemein-
sam einen Protest gegen die neuen Rüstungs-
vermehrungen.
Anfang März. In Oesterreich-TJngarn icird
eine neue Heeresvermehrung von 50 000 Mann
angekündigt.
3. März. Bryan, der neue Staatssekretär der
Vereinigten Staaten, hielt in Raleigh (Nordcarolina)
eine bedeutende Friedensrede. Amerika müsse in
der Abrüstung ein glänzendes Beispiel geben,
um auf jede mögliche Weise für den Fortschritt des
Friedens zusammenzuwirken.
4. März. Der neue Präsident der Vereinigten
Staaten, Woodrow Wilson, tritt sein Amt an.
6. März. Präsident Woodrow Wilson über-
nimmt das Ehrenprotektorat des amerikanischen
Nationalrats für Frieden und Schiedsgericht-
Wilsons erste Handlung als Präsident.
107
DIE FBlEDENS-^ößTE
3
DAUS DER ZEITQ
Völkerrecht.
Vorbereitung der III. Haager Konferenz. ::
In England hat sich auf eine Anregung hin,
die der vorjährige National-Friedenskongreß ge-
geben hat, ein Komitee gebildet, das sich durch
eine Anzahl hervorragender Juristen, National-
ökonomen, Kaufleute und andere Berufsange-
hörige ergänzen will und sich die Aufgabe
stellt, der dritten Haager Konferenz
vorzuarbeiten. Der frühere Lordkanzler,
der Earl of Lorburne, hat den Vorsitz
übernommen. Außerdem haben nachstehende
Persönlichkeiten ihren Beitritt gemeldet: Lord
Avebury, Lady Byles, Noel Buxton,
Lord Courteney of Pennwith, W. H.
Dickinson, Gordon Harvey, F. W»
Hirst, Carl Heath, T. J. Lawrence,
Sir John Mac donell, Gr. H. Perris, Lord
Shaw of Dunfermline, Norman An-
gell und Sir George Paish.
Dieses von England gegebene Beispiel sollte
auch in Deutschland und Oesterreich-Ungarn
nachgeahmt werden. Vielleicht wird man es
hier als einen Widerspruch ansehen, zu einer
Zeit, wo vor Adrianopel und Skutari die Be-
lagerungsgeschütze reden und ganz Europa von
einer Woge des Militarismus beunruhigt wird,
von der dritten Haager Konferenz zu sprechen.
Bekämpfen wir mit dem stärksten
Nachdruck diese Anschauung. Jetzt
an das Haager Werk zu denken, ist
im höchsten Maße zeitgemäß. Der
Krieg da unten ist der Anachronismus; nicht
die Konferenz vom Haag.
Rüstungsproblem.
Die Rüstungsbeschränkung in den Vereinigten Staaten.
Wie im Vorjahre hat das Repräsentanten-
haus auch in diesem Jahre (25. Februar) statt
der von der Regierung geforderten zwei Schlacht-
schiffe mit 194 gegen 133 Stimmen nur eins
bewilligt. Die Flottenliga hat sogar für drei
Schiffe Stimmung gemacht, konnte aber gegen-
über der machtvoll organisierten pazifistischen
Propaganda nicht obsiegen.
O0Sf
Gemeinsame Kundgebung der deutschen und fran-
zösischen Sozialdemokratie gegen die Rüstungen.
Am 1. März erließen die Sozialdemokraten
Frankreichs und Deutschlands eine gemeinsame
Kundgebung. Diese war von den Parteivor-
ständen und den sozialistischen Abgeordneten
beider Länder unterzeichnet. Der Wortlaut sei
hier festgehalten:
„In Deutschland und in Frankreich bereiten
die Regierungen wiederum Gesetzentwürfe vor,
durch welche die ungeheuren militärischen
Lasten noch weiter gesteigert werden. In dieser
Stunde erachten es die französische und die
deutsche Sozialdemokratie als ihre Pflicht, eich
noch enger aneinanderzuschließen, um vereint
den Kampf zu führen gegen dieses an Wahnsinn
grenzende Treiben der regierenden Klassen.
Die französische und die deutsche Sozial-
demokratie erheben einmütig und einstimmig
Protest gegen die unaufhörlichen Rüstungen,
die die Völker erschöpfen, sie zur Vernach-
lässigung der wichtigsten Kulturaufgaben
zwingen, das gegenseitige Mißtrauen steigern,
und statt den Frieden zu sichern, Konflikte
heraufbeschwören, die zu einer Weltkatastrophe
führen mit Massenelend und Massenvernichtung
im Gefolge.
Die Sozialdemokratie beider Länder darf
sich mit Recht als Wortführerin des deutschen
wie des französischen Volkes betrachten, wenn
sie erklärt, daß die Volksmassen mit über-
wältigender Mehrheit den Frieden wollen und
den Krieg verabscheuen. Die herrschenden
Klassen hüben und drüben sind es, die die
nationalen Gegensätze, statt sie zu bekämpfen,
künstlich verschärfen, die gegenseitige Feind-
seligkeit schüren und dadurch die Völker von
ihren Kulturbestrebungen und ihrem Befreiungs-
kampf im Innern ablenken.
Um den Frieden, die Unabhängigkeit der
Völker und den Fortschritt der Demokratie auf
allen Gebieten in beiden Staaten zu sichern,
fordert die Sozialdemokratie, daß alle Streitig-
keiten zwischen den Völkern schiedsgerichtlich
geschlichtet werden; sie empfindet die Ent-
scheidungen auf dem Wege der Gewalt als
Barbarei und Schande für die Menschheit.
Sie fordert weiter die Beseitigung des ste-
henden Heeres, das eine stete Bedrohung der
Nationen bildet und an dessen Stelle die Ein-
führung einer Volkswehr auf demokratischer
Grundlage, die nur der Landesverteidigung zu
dienen hat.
Wenn aber trotz ihres entschlossenen
Widerstandes den Völkern neue militärische
Ausgaben auferlegt werden, so wird die Sozial-
demokratie beider Länder mit aller Energie da-
für kämpfen, daß die finanziellen Lasten auf
die Schultern der Wohlhabenden und Reichen
abgewälzt werden.
Die Sozialdemokratie in Deutschland und
in Frankreich hat schon in der Vergangenheit
durch ihre Haltung das perfide Doppelspiel der
Chauvinisten und Rüstungsinteressenten in
beiden Ländern entlarvt, die in Frankreich die
Begünstigung des Militarismus durch die deut-
sche Sozialdemokratie und in Deutschland die
Begünstigung des Militarismus durch die fran-
zösischen Sozialisten dem Volke vorspiegeln.
Die gemeinsame Bekämpfung des Chauvinismus,
hüben und drüben, das gemeinsame Eintreten
für ein friedliches und freundschaftliches Zu-
sammengehen muß dieser dreisten Irreführung
der Völker ein Ende bereiten.
Derselbe Ruf gegen den Krieg, dieselbe
Verurteilung des bewaffneten Friedens hallt in
beiden Ländern wider. Unter der Fahne der
Internationale, die die Freiheit und Unabhängig-
keit jeder Nation zur Voraussetzung hat, werden
die deutschen und französischen Sozialisten mit
108
@5
E DIE Fßi EDENS -WABTE
steigender Kraft den Kampf fortführen gegen
den unersättlichen Militarismus, gegen den
lä-nderverwüstenden Krieg, für den dauernden
Völkerfrieden."
Verschiedenes,
Norman Angeiis Propaganda
in deutschen Studentenkreisen.
Bekanntlich hat kürzlich die Göttinger
Studentenschaft in einer großen Versammlung
gegen Norman Angells Propaganda in deutschen
.Studentenkreisen protestiert. Da auch ein be-
kannter Führer der deutschen Burschenschaft,
der Bonner Alemanne Assessor Stahl,
gegen Angell sprach, so hat die deutsche
Burschenschaft hier ebenso gegen die Friedens-
iclee Partei ergriffen, wie kürzlich in Gießen.
Ich kann nun, ohne mich hier auf Details
einzulassen, erklären, daß diese Vorgänge in
letztem Ende nur dazu beitragen werden, der
seit Jahren in burschenschaftlichen Kreisen für
die Friedensbewegung betriebene Propaganda
neue Anknüpfungspunkte zu geben. Z. B. war
der Protest der Gießener Biirschenschaft und
ein darauf folgender Briefwechsel meinerseits
mit der Gießener Burschenschaft der Anlaß,
daß sich ein Mitglied der Gießener und Berliner
Burschenschaft bereit erklärten, in den näch-
sten Semestern Vorträge über die
Friedensbewegung in d e n B u r s c h e n -
kränzchen zu halten. Wenn es mir ge-
lingt, einige wenige jüngere Burschenschafter
für die Friedensidee zu begeistern, so ist damit
ein gewaltiger Schritt vorwärts getan. Denn
niemand, der die Verhältnisse kennt, darf dar-
über im Zweifel sein, daß die Durchdringung
der Korporationen mit pazifistischem Geiste
praktisch bedeutsamer ist, als die Propaganda
in freistudentischen Kreisen.
Auf einen Punkt möchte ich aber hier auf-
merksam machen, nämlich die große Gefahr,
die in der Propaganda, der Friedensidee auf
den deutschen Universitäten durch Ausländer
liegt. Man vergegenwärtige sich die gewaltige
Bedeutung, die die Ausländerfrage auf allen
Universitäten einnimmt, und prüfe jetzt, ob es
richtig ist, wenn gerade Ausländer, mögen sie
noch so verdient sein, die Propaganda unserer
Idee auf den Universitäten in die Hand nehmen,
und dadurch veranlassen, daß die Auslän-
derfrage mit der Friedensfrage
verquickt wird. Nicht nur aus meiner
Korrespondenz mit der Gießener Burschen-
schaft, auch aus anderen Quellen bin ich darüber
genug orientiert, um sagen zu können: Wenn wir
die Friedens idee s o propagieren, werden wir den
chauvinisti sehen Geist nur stärken. Niemand,
der nicht selbst Korporationsstudent gewesen
ist, macht sich einen Begriff von den geradezu
ersehreckenden Vorurteilen, die gegenüber der
Friedens idee in den Korporationen herrschen.
Die internationalen Studentenvereine sind
sehr wertvoll ; aber gerade in den Korporationen
werden sie unmöglich die Friedensidee mit Er-
folg verbreiten können. Wir müssen vielmehr
versuchen, langsam einzelne Mitglieder der Kor-
porationen dafür zu gewinnen, daß sie ihrer-
seits unsere Idee verbreiten.
Uebrigens hat kürzlich ein Artikel der Zeit-
schrift des „Allgemeinen deutschen Burschen-
bundes", eines ganz kleinen Bundes, gegen den
Verband für internationale Verständigung Stel-
lung genommen. Aber die Tatsache, daß der
Begründer dieses Verbandes, Geheimer Sanitäts-
rat Dr. Küster (Berlin) durchaus auf pazi-
fistischem Boden steht (vgl. seinen Aufsatz in
Nr. 8 des Jahrgangs 1912 der Fr.-W.), sollte
diesen Gegnern zu denken geben.
Dr. Hans Wehberg.
Zu diesen Ausführungen erscheinen uns
einige Bemerkungen nicht unangebracht.
Die „Ausländer", die an deutschen Univer-
sitäten und in anderen Versammlungen in letzter
Zeit über das Friedensproblem gesprochen
haben, sind nicht als Emissäre anzusehen, die
von anderen Nationen nach Deutschland ge-
sandt wurden, um gerade die Deutschen zur
Friedensidee zu bekehren. Es sind dies viel-
mehr durchwegs Männer, die in ihrer Heimat
in großzügiger Weise und unter Einsetzung ihrer
ganzen Lebenstätigkeit für die Friedensidee be-
reits gearbeitet haben, die dort für die Völker-
verständigung und Aufklärung so wirken, wie
die deutschen Pazifisten dies in Deutschland
tun. Wenn sie nun nach Deutschland kommen,
so taten sie es nicht aus dem Bestreben, jetzt
ihre Propaganda auf Deutschland auszudehnen.
Sie wissen ganz genau, daß dies nicht ihres
Amtes ist. Sie kamen lediglich von deut-
schen Anhängern der Friedensidee
g e iui f e n , die ihren Landsleuten zeigen wollen,
daß es auch jenseits der Grenzpfähle gleich-
strebende Gesinnungsgenossen gibt. Die Aus-
länder sind da mehr Objekte der Friedens-
propaganda, denn Subjekte. Wenn die deutschen
Pazifisten solche angesehene Pazifisten des Aus-
landes nach Deutschland rufen, so ist es nur
ihr gutes Eecht; denn die Gegenpropaganda
täuscht das Volk, indem es ihm immer nur
von jenen ausländischen Agitatoren erzählt,
die chauvinistisch, kriegerisch und antideutsch
wirken.
In dieser Täuschung liegt aber eine große
Gefahr. Es soll nun den Deutschen gezeigt
werden, daß nicht alle Ausländer Hetzer und
Kriegsschürer sind, ebenso wie die Franzosen
und Engländer und Amerikaner stets mit
größtem Wohlwollen deutschen Pazifisten in
ihren Ländern das Wort erteilen, damit auch
ihre Landsleute von dem einseitigen Vorurteil
über die Deutschen geheilt werden. Die Ab-
lehnung von Männern wie Norman Angell,
Kuyssen und Riquiez durch einzelne nationale
Gruppen und Zeitungen ist nur unter voller
Vei-kennung der eigentlichen patriotischen Ten-
denz des Auftretens dieser Männer in Deutsch-
land möglich gewesen, das' vom nationalen Ge-
sichtspunkte nicht anders beurteilt werden darf,
10t
DIE FBlEDENS-^ößTE
3
wie das durch das Austauschwesen geförderte
Auftreten ausländischer Gelehrter an deutschen
Universitäten.
Was die Aufgabe der Internationalen Stu-
dentenvereinigungen anbelangt, so liegt es diesen
fern, direkte Friedenspropaganda zu treiben.
Sie wollen lediglich da« Verständnis der in
Deutschland studierenden Ausländer für das
Deutschtum, das der Deutschen für die Aus-
länder erwecken. Und dieses Verständnis ist
notwendig, denn mit grundsätzlicher Fremden-
feindlichkeit, die heute nicht einmal mehr in
Korea oder Tibet Anklang findet, kann ein
Kulturvolk im Wettbewerb der Weltwirtschaft,
der Weltwissenschaft und der Weltpolitik
nicht mehr bestehen. Diese Vereinigungen
sollten daher von jedem guten und weitschauen-
den Deutschen als dem Vaterlande nützliche
Unternehmungen ebenso unterstützt werden, wie
die großen Friedensvorkämpfer des Auslandes als
Schätzer des Deutschtums und seiner Bedeu-
timg freudig begrüßt werden sollten. Fr.-W.
Des „ausländischen" Pazifisten Heimkehr. ::
Als kennzeichnend für den falschen Stand-
punkt, den die deutschen Nationalisten aus-
ländischen Pazifisten gegenüber einnehmen,
können die Angriffe dienen, die unserem fran-
zösischen Kollegen, Prof. R u y s s e ■ n , nach
seiner Rückkehr aus Deutschland von Seiten
französischer Nationalisten zuteil wurden.
Unser Mitarbeiter, Herr Edmond D u -
meril-Hallberger, schreibt uns darüber:
„Den Lesern der Friedens- Warte ist es nicht
unbekannt, daß Prof. Ruyssen aus Bordeaux
mit Prof. P i 1 o t y in Elsaß-Lothringen mehrere
Vorträge gehalten hat. Die Redner konnten
sich überall, in Kolmar, in Mühlhausen, in
Straßburg, eines sehr bedeutenden Erfolges er-
freuen, indem die Bevölkerung Elsaß-Loth-
ringens noch einmal bewies, daß sie auf die
Macht des Rechts allein rechnet, um ihre Lage
allmählich zu verbessern.
Dies ist aber den französischen nationali-
stischen Agitatoren nicht gerade recht, da sie
die armen Elsässer stets zu Zwecken der
inneren Politik brauchen. Daher wurde Herr
Prof. Ruyssen in ihren Zeitungen aufs hef-
tigste angegriffen — trotz des Beifalls, den er
sogar bei dem französischen „ J o u r n a 1 d'A 1 -
s a c e" gefunden hatte ! — In einem Artikel über
„le scandale Ruyssen", drückt sich das Jingo-
blatt „l'Action Francaise" folgendermaßen aus:
„Herr Ruyssen, obgleich er nur ein , Halbfran-
zose' (!) ist, war der Repräsentant Frankreichs
in diesem rührenden Bund (mit Herrn Prof.
Piloty). Der Spaß aber schien den Elsässem
eher seltsam.: sie fanden es wunderbar, daß
ein Franzose, ein Universitätsprofessor, sich mit
einem deutschen Professor zeigte (I) und mit
ihm gemeinschaftlich daran arbeitete, den Pazi-
fismus der unglücklichen Bevölkerung zu pre-
digen": .. usw. (Nummer vom 12. Februar.)
Nicht nur. daß Herr Ruyssen öffentlich
angegriffen wurde, diese Blätter verlangten vom
Ministerium (!) eine Bestrafung, und da sie
natürlich wohl wußten, daß dieselbe ausbleiben
würde, so schickten sie einen Aufruf an die
royalistischen Studenten der Universität Bor-
deaux, damit sie ihrem wiederkehrenden Do-
zenten einen „feierlichen" Empfang vorbe-
reiteten. Diese ergriffen natürlich mit Freude
die Gelegenheit, etwas Spektakel zu machen,
und die öffentliche Vorlesung des Herrn Ruyssen
am 10. Februar konnte nicht stattfinden Man
pfiff, man schrie „Sie sind kein Patriot!" usw.
Der Dekan erschien vergebens und mußte die
Polizei holen. Mehrere Führer der Bewegung
wurden arretiert. Andere erwarteten den Pro-
fessor vor dem Tore des Gebäudes, um ihn auf
der Straße weiter zu beschimpfen.
Hoffentlich wird die akademische Behörde
energisch einschreiten, falls solche Angriffe sich
wiederholen. — Die deutschen Friedensfreunde
aber sollen dem Mann doppelt dankbar sein,
der an der Annäherung Frankreichs und
Deutschlands auf dem Boden des Rechts ar-
beitet und dabei wegen seiner edlen Friedens-
liebe von den in jedem Land tobenden Nationa-
listen verfolgt wird.
Mögen sie auch daraus wohl einsehen, was
wir Friedens freunde von den Roya listen zu er-
warten haben j" ,
Sollten diese Ausschreitungen von Chau-
vinisten unsere deutschen Studenten nicht stutzig
machen, und sie nicht doch zu einer Revision
über die Friedensverträge von Ausländern in
Deutschland veranlassen? So deutschfeindlich
scheinen doch jene Leute nicht zu sein, die
von französischen Jingos ausgepfiffen werden.
Militärische Kriegshoffnungen. :: :: :: :
In amtlichen militärischen Erlassen in
Oesterreich-Ungarn kamen in letzter Zeit die
Hinweise auf einen künftigen Krieg, die Hoff-
nungen auf einen solchen in unzweideutiger
Weise zum Ausdruck. An einem Schlachten-
gedenktage des Regiments „Belgier" entbot der
Kriegsminister dem Regiment seinen Gruß und
fügte hinzu: „Möge der Geist, der aus solchen
Traditionen sprießt, das brave Regiment auch
dann beseelen, wenn die Befehle Sr. Majestät
die Möglichkeit bieten werden, zum er-
erbten Lorbeer frischgrünenden zu
pflücke n." Die Rede, mit der Marinekom-
mandant Montecucculi am 16. Februar
seinen Abgang ankündigte, enthält ebenfalls
solche Andeutungen. „Unsere ganze Flotte,"
so heißt es da, „steht im Dienst und kann
binnen kurzem berufensein, dem
Feinde zu zeigen, daß sie die langen
Friedensjahre nicht unbenutzt verstreichen ließ."
Dann weiter: „Vor kurzem habe ich Ihnen mit-
geteilt, daß ich die volle Ueberzeugung habe,
die Flotte werde unter ihren bewährten Führern
unserer Flagge neuen Lorbeer bringen.
Mir wird es leider nicht m e h r . v e r -
110
<§s
DIE FRIEDEN5-WAETE
g 6 ri nt s e i n , A n t e i 1 d a r a n zunehme n."
Wenn- Monarchen oder Staatsmänner vom Kriege
reden, vergessen sie nie hinzuzufügen: „Was
Gott verhüten möge."
Ein Künstler gegen den Krieg. :: :: :: :: :: ::
Der beka nnte Bildhauer Professor
Eberlein in Berlin veröffentlicht in allen
Zeitungen einen Aufruf gegen die Schädigung
der Kunstdenkmäler durch den Krieg. „Blut
und Tränen," meint er, „werden in jedem Krieg
fließen. Aber," so fährt er fort, „es gibt Schäden
in seinem Gefolge, die nicht unbedingt
mit seiner Natur verbunden und daher v e r -
meidbar sind. Auch den begeisterten Freund
des stolzen (?) Krieges wird Trauer ergreifen,
wenn große, herrliche, schöpferische Werke des
Künstlers und des Gelehrten in Flammen auf-
gehen, wie die Alexaiidrinische Bibliothek oder
das Heidelberger Schloß, wenn der Parthenon-
tempel oder das Grabmal des Hadrian zerschmet-
tert werden. Der Krieg atmet Kraft und Gewalt,
er ist männer mordend, weil er sein
muß ( ! !). Aber die Werke des schöpferischen
Geistes könnten und müßten allezeit auch im
Kriege, als heilig und der ganzen
Menschheit gehörig gelten, also unan-
tastbar sein. Hat doch die „Genfer Konvention"
unnötige Grausamkeiten und Kriegsgreuel bei
allen Kulturvölkern wider alles Erwarten bis
zu einem gewissen Grade beseitigt! Warum
soll nicht eine neue „Konvention" die uner-
setzlichen Werke von Kunst und Wissenschaft:
Denkmäler, künstlerische Bauwerke, Bilder-
galerien, Bibliotheken, Museen, wissenschaft-
liche Institute, für den Kriegsfall in ihren
mächtigen Schutz nehmen, zum Segen der Weltl
Fern von jeder Politik, lediglich als Sach-
walterin der adligsten Kultur, soll eine Vereini-
gung aller Freunde von Kunst und Wissenschaft
in allen Ländern, besonders in Deutschland und
Frankreich, als den A r oraussichtlichen Vor-
kämpfern eines etwaigen Zukunftskrieges, in
Wirksamkeit treten !"
Zunächst sei dem um unsere Kultur po
besorgten Professor gesagt, daß es eine der-
artige Abmachung bereits gibt.
Artikel 27 des Haager Abkommens zur „Ord-
nung der Gesetze und Gebräuche des Land-
krieges" sagt :
„Bei Belagerungen und Beschießungen
sollen alle erforderlichen Vorkehrungen ge-
troffen werden, um die dem Gottesdienste,
der Kunst, der Wissenschaft und
der Wohltätigkeit gewidmeten Gebäude, die
geschichtlichen Denkmäler, die
Hospitäler und Sammelplätze für Kranke und
Verwundete soviel als möglich (I) zu schonen,
. vorausgesetzt, daß sie nicht gleichzeitig zu
einem militärischen Zwecke Verwendung
finden."
Das Kulturbewußtsein unserer Künstler,
denen die Erhaltung der Steine über alles geht,
kann sich also beruhigen. Wenn sie bei diesem
entsetzlichen Kriege, wo Frauen, Greise und
Kinder in der rohesten Weise niedergemetzelt
wurden, die Berichterstattung von lebendig Be-
grabenen und Verbrannten, von Geschändeten
und Verstümmelten meldet, von Cholerakranken,
die mit den Leichen gleichzeitig aus dem fahren-
den Eisenbahnzuge auf den Bahndamm geworfen
wurden, von Tausenden, die von der Cholera
und dem Typhus hinweggerafft wurden, von
Zehntausenden, die zu Krüppeln geschossen
wurden oder unter entsetzlichen Qualen unter
der genialen Wirkung der Maschinengewehre ihr
Leben aushauchten, wenn sie da an nichts an-
deres zu denken haben, als an die Erhaltung*
der geschichtlichen Denkmäler, so zeigt dies nur,
wie weltfremd sie dem größten Problem unserer
Zeit gegenüberstehen, und wie sie vor lauter
Kunstinteresse das Interesse für die Menschheit
verloren haben Vielleicht liest Herr Professor
Eberlein Joseph Poppers (Lynkeus) Buch
über „Das Individtium und die Be-
wertung menschlicher Existenze n.'*
Kleine Mitteilungen. :: :'. ::
Gräfin Hedwig Pötting, Stiftsdame und Vor-
standsmitglied der österreichischen Friedens-
gesellschaft, feiert am 23. März ihren 60. Ge-
burtstag. Sie ist seit vielen Jahren mit der
Baronin Suttner auf das innigste befreundet
und deren Helferin und Beraterin. Sie hat den
Roman „Die Waffen nieder!" für die Jugend
bearbeitet und sich auch sonst schriftstellerisch
betätigt. Ihr überaus sympathisches Wesen,
ihre edle Hingabe für alles Gute und ihr freudig
bewegtes Vorwärtsempfinden haben einen großen
Kreis aufrichtiger Freunde um sie -geschart,,
die sie zu ihrem 60. Geburtstage alle auf das
herzlichste begrüßen werden. — E. T. Moneta
und Fred. Bajer mußten sich beide in den letzten
Wochen Operationen unterziehen, die von un-
seren greisen Freunden glücklich überstanden
wurden. — Geheimrat Prof. Kohler in • Berlin
geriet unter einen Autoomnibus, kam aber mit
geringen Verletzungen davon, von denen er sich
bereits wieder erholt hat. — Am 27. Februar
starb zu Rom im 73. Lebensjahre Graf Angelo
de Gubernatis. Auf dem Stockholmer Friedens-
kongreß des Jahres 1910 sahen wir ihn an der
Spitze der italienischen Delegation feurig für
unsere Ideen eintreten. Damals überbrachte er
die Einladung zu jener Kongreßtagung in
Rom, die aus bekannten Gründen vereitelt
wurde. Gubernatis sollte diesem Kongreß präsi-
dieren Er traf auch alle Vorbereitungen und
arrangierte gleichzeitig in der Engelsburg die
„Ausstellung des Friedens". Die Vereitelung
des Römischen Kongresses durch die Cholera
war ein glücklicher Zufall, der uns und den
Veranstaltern manche peinliche Szene erspart
hat. Die Haltung, die de Gubernatis mit einem
Teile seiner italienischen Gesinnungsgenossen
während des Tripoliskrieges einnahm, trennte
ihn von uns und veranlaßt« ihn auch, aus dem
111
DIE FRIEDENS -^/AßTE
3
Berner Bureau zu scheiden. Der Tod hat ihn
daran gehindert, die Annäherung mit den alten
Mitkämpfern wieder herbeizuführen. Wir werden
sein Andenken nichtsdestoweniger in Ehren
halten. Er war ein großer Gelehrter, der im
öffentlichen Leben seines Landes eine ange-
sehene Stellung einnahm. — In das holländische
Komitee zur Vorbereitung der dritten Haager
Friedengkonferenz ist an Stelle des verstorbenen
Generals den Beer Poortugael der Generalmajor
H. L. van Oordt gewählt worden, der die
Niederlande bereits auf der zweiten Haager
Konferenz als technischer Delegierter vertreten
hat. — In Meran starb Ende Februar der rhei-
nische Großindustrielle Gustav H. Mttller-Abeken,
der seinen Wohnsitz im Haag hatte und General-
konsul von Rumänien war. Er war einer der
ersten Industriellen, die dem Verbände für inter-
nationale Verständigung beitraten. Während der
Marokkokrise trat er dafür ein, daß die inter-
nationalen Verträge gehalten werden. — Der
frühere großbritannische Gesandte in Washing-
ton, James Bryce, ist an Stelle des Sir Edward
Fry zum Mitglied des Haager Hofes bestellt
worden. — Mr. Heiiry Lorenzo Yanes, der kürz-
lich zum Chef der lateinisch-amerikanischen
Abteilung des Staatsdepartements ernannt
wurde, ist vom Präsidenten Taft zum Schieds-
richter in dem Streit zwischen der Regierung
von Ecuador und der Guyaquil & Quito-Eisen-
bahn ernannt worden. Die Regierung von Ecua-
dor ernannte den Präsidenten des Senats, Dr.
Alfred o Baqurizo Moreno. — Dr. Karl
Peters, der frühere Reicliskommissar von
Deutsch-Ostafrika, hielt Ende Februar im Deut-
schen Klub in Wien einen Vortrag über „Die
Zukunft Europas", in dem er für einen födera-
tiven Zusammenschluß der europäischen Staaten
eintrat.
AVS DER BEWEGUNG
Kcmgreß-Kalendarium. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
14. März; Sitzung der Kommission des Int.
Friedens-Bureaus in B e r n.
18. März: Sitzung des Interparlamentari-
schen Rates in Brüssel.
1. — 3. Mai: IV. amerikanischer National-
friedenskongreß in St. Louis.
11.— 12. Mai: VIII. französischer National-
friedenskongreß in Paris.
14.— 16. Mai: XIX. Lake - Mohonk - Kon-
ferenz.
II. — 13. Mai: II. Verbandstag des Verbandes
der Internationalen Studentenvereine Deutsch-
lands in Leipzig.
10. — 13. Juni : IX. englischer National-
friedenskongreß in L e e d s.
19.— 21. August: VIII. Deutscher Espe-
rantokongreß in Stuttgart.
29. August: Einweihung des Friedens-
palastes im Haag.
August : XX. Weltfriedenskongreß im Haag.
29. Aug. bis 13. Sept.: VIII. Weltkongreß
der Studentenverbände (Corda Fratrea) in
Ithaca, New York.
29. — 31. August: IX. Internationaler Espe-
rantokongreß in B e r n.
22. September: XXVIII. Konferenz der Int.
Law Association in Madrid.
September: XVIII. Interparlamentarische
Konferenz im Haag.
m
Von der Feldhaus-Tournee. :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Am 4. Februar sprach Feld haus ge-
meinsam mit Professor Ruyssen aus Bordeaux
in Mühlhausen i. Eis. unter dem Vorsitz des
Landtagsabgeordneten Eduard Drumm über
„Der Krieg und die Zivilisation". Von dem
600. Jubiläumsvortrag von R„ Feldhaus ist zu
berichten, daß an diesem Abend der große Saal
des Bürgermuseums in Stuttgart bis auf den
letzten Platz gefüllt war. Die Ausführungen zu
dem Thema: „Die Lehren des Balkankrieges",
erläutert durch viele Lichtbilder vom Kriegs-
schauplatz, erweckten viel Interesse. Der
Redner war Gegenstand vieler Ovationen und
wurde zum Schluß durch Ueberreichung eines
Riesenlorbeerkranzes im Namen der Deutschen
Friedens-Gesellschaft ausgezeichnet.
Anfangs März sprach Feldhaus am Rhein:
In Köln vor 1400 Hörern) in Düsseldorf vor 900.
Sein Thema lautete da: „Rüstungswahn —
Staatsbankerott — Balkankrieg". Er sprach
außerdem noch in Basel und Darmstadt
vor überfüllten Sälen. Nach Ostern begibt er
sich zu einer neuen Tournee naoh dem Ober-
rhein.
MB
Studienreise nach den Vereinigten Staaten. :: :: ::
Anläßlich des vom Internationalen Stu-
denten-Bund, Corda. Fratres, einberufenen Stu-
denten-Kongresses in Ithaka (New
York) Anfang September veranstaltet die Deut-
sche Freie Studentenschaft in Verbindung mit
dem Verband Internationaler Studentenvereine,
dem Akademischen Freibund, der Deutschen
Akademischen Freischar und dem Deutschen
Bund abstinenter Studenten eine Studienreise
nach den Vereinigten Staaten, über die nach-
stehende Einzelheiten bekanntgegeben werden:
Ueberfahrt: Anfang August. Abfahrt
von Europa. Anfang August, und zwar von Liver-
pool mit einem amerikanischen Dampfer. Die
Teilnehmer können sich dann ohne große Sonder-
kosten einige Tage in England aufhalten und
gewöhnen sich auf dem Schiffe schon an ame-
rikanische Speise und Sprache. Der Dampfer
führt nur eine Klasse Fahrgäste. Während der
Ueberfahrt (etwa 10 Tage) werden einige ein-
führende Vorträge, teils deutsch, teils englisch
gehalten.
Aufenthalt: Während des offiziellen Auf-
enthalts (sechs Wochen) wird das Kongreß-
112
@=
DIE FRI EDENS -WAQXE
Komitee, zu dessen Ehrenmitgliedern unter
vielen bekannten Männern des öffentlichen und
des akademischen Lebens der Präsident der
Vereinigten Staaten, Woodrow W i 1 s o n,
gehört, für Besichtigungen und Führungen zur
Belehrung und Anregung, für gesellige Veran-
staltungen zur Erholung und Unterhaltung und
für mancherlei Vergünstigungen sorgen. Die
Deutsch- Amerikaner werden wohl den Studenten
aus der Heimat einen besonders freundlichen
Empfang bereiten. Die Reise wird sich auf die
östlichen und mittleren Staaten beschränken
und doch ein mannigfaches Bild vom „Land
der unbegrenzten Möglichkeiten" bieten. Das
Programm soll tunlichst auch für persönliche
Neigungen Bewegungsfreiheit lassen. — Zum
Besuch des Kongresses, zu dem Stu-
denten aus aller Welt zusammenströmen, sind
alle Reise teilnehmer berechtigt und verpflichtet;
studentische Vereinigungen können Vertreter
bezeichnen. Sein Zweck ist, „zwischen den Stu-
denten der ganzen Kulturwelt gegenseitiges Ver-
ständnis und Freundschaft zu fördern, ohne
bestimmte religiöse, politische oder ökonomische
Grundsätze zu begünstigen oder zu bekämpfen.
Rückfahrt : Die Teilnehmer können ihren
Aufenthalt beliebig ausdehnen und mit belie-
bigem Dampfer gleicher Art heimkehren.
Bedingungen: Einige Kenntnisse der eng-
lischen Sprache sind unbedingt erforderlich, des
Esperanto erwünscht. Gründliche Vorbereitung
auf die Reise wird dringend empfohlen. Das
(staatliche) Amerika-Institut, Berlin NW. 7,
Universitätsstraße 8, hat sich bereit erklärt,
Teilnehmern dabei durch mündliche und schrift-
liche Auskunft behilflich zu sein.
Die Kosten der offiziellen Reise von etwa
2V2 Monaten sollen 1000 M. (einschließlich der
Ozeanfahrten) bei mäßigen Ansprüchen nicht
überschreiten.
Die Teilnehmer zahl ist be-
schränkt. Teilnehmen kann jedes Mitglied
der Dozenten und Studentenschaft deutscher
Hochschulen (ausnahmsweise auch nicht mehr
studierende Akademiker). Schluß der Liste
spätestens am 15. Juni 1913. Auskunft erteilen
auch die Vertreter der angeschlossenen Stu-
dentengruppen. Anmeldungen (unter Einsendung
von 10 M. Beitrag - zu den Organisationskosten;
Akademiker 20 M.) nimmt nur entgegen
Das Amt für Studienreisen ins Aus-
land der Deutschen Freien Studen-
tenschaft
Dr. phil. Walter A. Berendsohn,
Hamburg, Behnstr. 15 (ab 1. April Haller-
platz 8).
LITERATUR U PRESSE
Böhme, Ernst.
Friedensbewegung und Lebenserziehung. 8 °.
Gautzsch bei Leipzig 1913. Felix Dietrich
(Kultur und Fortschritt Nr. 661/62). 31 S.
50 Pf.
Es ist erfreulich, daß sich auch in Deutsch-
land die Friedensliteratur mehrt, und es ist
hier von ganz besonderer Bedeutung, daß der
pazifistische Gedanke von Vertretern der ver-
schiedensten Berufsklassen für die Angehörigen
der verschiedenen Berufe erörtert wird. Pfarrer
Böhme in Künitz bei Jena hat uns schon vor
Jahren eine Schrift, ..Krieg und Christentum"
betitelt, beschert. In seiner vorliegenden Arbeit
legt er besonderes Gewicht auf die Volks-
erziehung im pazifistischen Sinne, wie sie in
Schule und Haus geübt werden soll. Was er
über die pazifistische Schularbeit, den
Friedenstag, die Schulfriedensliga schreibt, ver-
dient weiteste Beachtung in pädagogischen
Kreisen. Im ganzen empfiehlt sich die populär
gehaltene Schrift als eine gute Einführung in
die Friedenslehre.
(Johnson, R. U.)
The „coastwise Exemption". The Nation against
it. An appeal on behalf of the National Honor
and a sound Business Policy. Represeutative
Opinion of the Press, and of College Presi-
dents, Superintendents of Schools, Clergymen,
and other Influential Citizens. Gr. 8 °. New
York 1913. 48 S. Kostenlos durch R. U.
Johnson, Century Magazine, Union Square.
New York.
In dem in der vorliegenden Nummer ver-
öffentlichten „Brief aus den Vereinigten
Staaten" wird bereits auf diese Veröffentlichung
hingewiesen. Sie enthält die Meinungsäußerung-
einiger hundert hervorragender Bürger der Ver-
einigten Staaten über den zwischen der Union
und Großbritannien entbrannten Streit über die
Abgaben beim Panamakanal. Die Schrift trägt
das Motto „Repeal or Arbitrat e", was
soviel besagt, als daß das Gesetz, das der
amerikanischen Küstenschiffahrt eine Bevor-
zugung am Panamakanal einräumt, rückgängig
gemacht werden soll oder der Streit, der dar-
über mit England entbrannt ist, eine schieds-
gerichtliche Erledigung finden möge.
Hätten sich jene hunderte amerikanische
Bürger auf den Standpunkt „Right or wrong,
my country" gestellt, so wäre diese Veröffent-
lichung in der alldeutschen Presse mit unge-
heurem Hailoh begrüßt worden. Da sie aber
eine imposante Kundgebung des Willens zum
Recht der amerikanischen Bürger ist, „ein
Aufruf im Interesse der nationalen Ehre und
einer gesunden Politik", wie es im Titel heißt,
wird sie bei uns leider nur wenig Beachtung
finden.
Für den europäischen Pazifismus wird die
Schrift eine vortreffliche Waffe bilden, wenn
es sich darum handeln wird, den Kredit des
internationalen Rechtsgedankens gegen seine
Angreifer wieder einmal zu verteidigen.
A. H. F.
Root, Elihu.
The Obligations of the United States as to
Panama Canal Tolls. Speech in the Senate
of the United States; January 21, 1913. 8°.
Washington. Government Printing Office.
1913. 31 S.
Dies ist die klassische Rede, die Root zu 7
gunsten der Zurückziehung- jener Klausel in
113
D.E FRIEDENS -WABlTE =
■3
der Pananiakanal-Bill hielt, die der amerika-
nischen Küstenschiffahrt eine Bevorzugung
gegenüber den Schiffen der anderen Staaten
einräumt. Sie ist eine Mahnung zu internatio-
naler Wohlanständigkeit. „Herr Präsident",
so heißt eingangs eine Stelle, „die Meinung
der Kulturwelt ist etwas, das wir
nicht leichten Herzens gering-
schätzen dürfen." Die Achtung vor den
Anschauungen der Menschheit, heißt es weiter,
bildete einen der, für die Völker dieser Kolonien,
in der großen Erklärung der amerikanischen
Unabhängigkeit festgelegten Grundsätze. — Die
Rede enthält ferner eine fast vollständige Zu-
sammenstellung aller Aeußerungen der ameri-
kanischen Präsidenten und Staatsmänner zu-
gunsten der Schiedsgerichtsbarkeit und wirft
dann die Frage auf : „Herr Präsident,
sind wir Pharisäer? Sind wir unauf-
richtig und falsch gewesen? Haben
wir uns in all den langen Jahren
der Eesolutionen und Erklärungen,
der Vorschläge und Beschleunigun-
genzugunstenderSchiedsgerichts-
barkeit verstellt? Sind wir jetzt
entschlossen, zuzugeben, daß unser
Land, seine Kongresse und seine
Präsidenten alle schuldig sind der
falschen Vorspiegelung, des II u m -
bugs, des Zuni-Fenster-Hinaus-
redens, der schönen Worte zum
Zwecke der Beifallserregung, und
daß wir in dem Augenblick, wo wir
ein Interesse daran haben, be-
reit sind, alle Erklärungen, alle
Versprechungen und alle Grund-
sätze zu verleugnen? .... Herr
Präsident, hier gibt es nur eine
Alternative, die der Selbstachtung-
gerecht wird. Entweder wir schrei-
ten zur schiedsgerichtlichen Aus-
legung dieses Vertrages oder wir
müssen uns von der Stellung, die
wir errungen haben, zurückzieh en."
Das sind wichtige Worte in ernster Stunde,
die ihre Wirkung auch nicht verfehlt haben,
wie aus dem in dieser Nummer der „Fr.-W."
veröffentlichten „Brief aus den Vereinigten
Staaten" zu ersehen ist. Root hat sich bei
dieser Gelegenheit wieder als das erwiesen,
was er uns schon lange gilt : als der hervor-
ragendste pazifistisch wirkende Staatsmann.
Darby, Evans.
The Claim of „the new Pacifism." A Paper
read at the Autumnal Conference of the Peace
Society, Dundee, October 14th, 1912. 8 °.
London 1913. The Peace Society; 47, New
Broad Street. E. C. 12.
Die interessante Rede unseres ausgezeich-
neten Mitkämpfers wendet sich gegen die in
einer englischen Revue (und auch anderwärts)
verbreitete Meinung, die Theorien Norman An-
gells wenden sich von dem „älteren Pazifis-
mus", der versagt habe, ab und bilden eine neue
Lehre. Dem gegenüber betont Darby sehr
richtig: „Das einzige Neue in der Friedens-
bewegung ist eine neue Stimme, ein neuer
Akzent der Ueberzeugung, eine neue Beweis-
kraft und eine neue Beachtung seitens der
Oeffentlichkeit. (was wir auf das herzlichste
114
begrüßen); das heißt aber nicht, daß der .alte
Pazifismus versagt hat. .... Er mußte ver-
sagen, betonen die neuen Rufer, weil er sich
nicht auf das wirtschaftliche Moment be-
schränkte. Aber die wirtschaftliche Seite wurde
von den älteren Pazifisten niemals übersehen
oder vernachlässigt. Meine Vorgänger widmeten
ihr die größte Aufmerksamkeit, und ich habe
mehr darüber geschrieben und gesprochen als
über irgendein anderes Gebiet des Pazifismus,
eben weil es die nächstliegende, praktischste
und dringlichste Seite ist."
Die Ausführungen Darbys sind sehr be-
herzigenswert.
Mead, Lucia Arnes.
Swords and Ploughshares or the Supplanting
of the System of War by the System of
Law. With! a Foreword by Baroness von
Suttner. 8 °. New York and London 1912.
The Knickerbocker Press. XII u. 249 S. Mit
17 Abbildungen. Cloth.
Ihrem ausgezeichneten, vor «Jahren er-
schienenen „Pnmer of the Peace Movement"
ließ Lucia A. Mead jetzt eine etwas ausführ-
lichere Darstellung der Friedensbewegung
folgen, die in 15 Kapiteln den Leser in das
verwickelte Problem einfuhrt. Die Kapitelüber-
schriften werden die Methode der Darstellung
am besten erläutern: I. Kurze Skizze der Ge-
schichte des Pazifismus. — II. Nationale Ge-
fahren und nationale Verteidigung. — III. Inter-
dependenz. — IV. Die Macher des Militaris-
mus. — V. Die Flotte als „Versicherung". —
VI. Einige Irrtümer des Admiral Mahan. —
VII. Neutralisation. — VIII. Das Philippinen-
Problem. — IX. Zwei Hauptgeister. —
X. Unterricht in Patriotismus. — XL Unter-
richt in Internationalismus. — XII. Patriotische
Gesänge, Symbole und Gesellschaften. —
XIII. Die Fortschritte der Schiedsgerichtsbar-
keit. — XIV. Hoffnungsvolle neue Friedens-
wirkungen. — XV. Was erreicht wurde und
werden wird.
Union Interparlementaire.
Compte Rendu de la XVIIe Conference tenue
ä Geneve du 18 au 20 septembre 1912. Gr. 8 °.
Bruxelles. Misch a Thron. XI u. 372 S.
Toile. 5 Frcs.
Es ist erfreulich, daß der Gesamtbericht
über die Genfer Interparlamentarische Konfe-
renz bereits fünf Monate nach ihrer Abhaltung
gedruckt vorliegt. Man hat dadurch Gelegenheit,
auf die Details jener Beratungen näher einzu-
gehen, ehe sie noch durch die Zeitereignisse
überholt sind. Gerade sehr zu Paß kommt jetzt
der ausgezeichnete Bericht d'Estournelles'
über die Beschränkung der Rüstungen und die
ausführliche Wiedergabe der Debatte, die sich
daran geknüpft hat.
Der Bericht Professor Zorns über die
Schiedsgerichtsbarkeit, der Efremoffs über
die Organisation der Vermittlung, Beernaerts
letzte Tat, der Bericht über das Verbot des
Luftkrieges und zahlreiche andere Dokumente
sind für die wissenschaftliche Fortbildung des
Pazifismus von unschätzbarem "Wert. Das
General-Sekretariat der Union hat mit der are-
(§=
DIE FRIEDEN5 -WARTE
wissenhaften Redaktion und der raschen Ver-
öffentlichung dieses „Compte Rendu" wieder
einmal seine vortreffliche Organisation bewiesen.
Classics
L a w.
the, of International
Edited by James Scott: De Jure et Of ficiis
et Disciplina Militari Libri III by Baltha-
zar Ayala. Ed. by John Westlake.
2 vols. I. Reproduction of the first Edition,
with Introduction by John Westlake.
IL Translation of the Text, by John Paw-
1 e y Bäte, with Translators Note and Index
of Citations. 4°. Washington. Published by
the Carnegie Institution of Washington 1912.
I. Bd. XXIII u. 227 8., IL Bd. XII u. 250 S.
Oloth.
Im Rahmen der in der „Fr.-W." 1912,
8. 313 besprochenen Veröffentlichung der
„Klassiker des Völkerrechts" erfolgt jetzt die
Herausgabe eines anderes Vorläufers von Hugo
Grotius. Es ist das Werk des in Antwerpen
geborenen Ayala, eines Militärrichters in der
Armee des Alexander Farnese, Fürsten von
Parma, das im Jahre 1582 zuerst erschien.
Der erste Band enthält die photographische
Wiedergabe der ersten Ausgabe mit einer Ein-
leitung Westlakes; der zweite Band enthält
die englische Uebersetzung des lateinischen
Originals. In der Ausstattung schließt sich
die neue Veröffentlichung der des ersten
Werkes an.
Eingegangene Druckschriften. :; :: :; :: :: :: :: :: ::
(Besprechung vorbehalten.)
Weltwirtschaftliches Archiv.
Zeitschrift für allgemeine und spezielle Welt-
wirtschaftslehre. Herausgegeben von Prof. Dr.
Bernhard Harms. I. Bd., Heft 1. Jan.
1913. G-r. 8°. Verlag von Gustav Fischer in
Jena. 248, 92 u. 35 S.
Aus dem Inhalt : Dr. BernhardHarms,
Weltwirtschaft und Weltwirtschaftslehre. —
Prof. Dr. Ferd. Tönnies, Individuum und
Welt in der Neuzeit. — Prof. Dr. Karl
T h i e s s , Die Weltspur der Eisenbahnen. — Dr.
Felix Meyer, Das internationale Wechsel-
recht. — E. Fitger, Seeversicherung im Welt-
verkehr. — Prof. Dr. Rob. Liefmann, Die
int. Organisation des Frankfurter Metallhandels.
— Dr. G. R o c c a , Die int. Bedeutung des
italien. Lebensversicherungsmonopolgesetzes. —
Besprechungen, Chronik usw.
Revue Generale de Droit int.
Public. 1913. No. 1. Paris. A. Pedone.
Aus dem Inhalt : E. A u d i n e t , Le mono-
pole des assurances sur la Vie en Italie et le
Droit des etrangers. — A. Alvarez, La Con-
ference des junstes de Rio de Janeiro et la
Codification du droit international americain.
— P. Fauchille, La Fondation de lTnstitut
americain de Droit international. — G. Gram,
G. F. Hagerup, M. Kebedgy, T. J. La-
wrence, F. von Liszt, J. de Louter,
L\ Oppenheim et A. Pillet, LTnstitut
americain de droit international. — usw.
La Vie Internationale. Revue men-
sruelle des Idees, des fait? et des orgauisnaes
internationaux. Tome II. 1912. Fascicule 8.
Lex.-8°. Bruxelles. Office central des Asso-
ciations Internationales.
Aus dem Inhalt : Jean Lescure, Les
crises generale« et la Solidarite des Marches
economiques nationaux et internationaux. —
Prof. W. ,S c h ü c k i n g , La Mission essentielle
du Droit international. — Le Dedoublement des
Associations internationales. — usw.
Bulletin of the Pan-American
Union. 1912. Dec. Washington.
Aus dem Inhalt: The Panama-Canal Con-
ference at Atlanta. — Prize for Peace-essay. —
The pan-american Mass at Washington. — usw.
A n g e 1 1 , Norman,
Der Einfluß des Bankwesens auf die inter-
nationalen Beziehungen. Ein Vortrag, ge-
halten im Bankiers- Verein (Institute ot Ban-
kers) zu London. Gr. 8°. O. 0. u. o. J. und
Verlagsfirma. 34 S. (Gedruckt bei Wilhelm
& Brasch, Berlin SW. 48.)
F e r c h , Joh.,
Die Kaserne. Ein Roman aus dem Leben unter
den Fahnen. 1. bis 5. Tausend. Gr. 8 °. Wien
und Leipzig. 1913. Anzengruber Verlag. Brüder
Suschitzky. 288 S. 3 M. (3 Kr.)
Fliegenschmidt, Maximilian,
Deutschlands Orientpolitik im ersten Reicli^-
jahrzehnt 1870—1880. Teil I. Gr. 8°. Berlin
1913. Puttkammer & Mühlbrecht. 322 S.
Geschichtskalender, deutscher, für
1912. Zwölftes Heft. Dezember. 8°. Leipzig.
Felix Meiner. 1913. S. 339—399.
Gero, Dr. Ernst,
Die Beseitigung ausländischer Ehehindernisse in
Ungarn. Nach dem ungarischen Ehegesetze
und nach dem Haager Eherechtsabkommen.
Praktischer Wegweiser für Advokaten, Justiz-
und Administrationsbehörden, Heiratslustige,
insbesondere für bereits Geschiedene oder
Scheidung Beabsichtigende katholischer Kon-
fession. 8°. Budapest. 1913. Eherechts-Biblio-
thek. Budapest VII. Räkocz-Üt. 68. 32 S.
Kr. 1. —
Höflin, Emil Gotthold,
Eine Friedensbewegung des Ostens. 8°. St.
Imier. 1913. Abhandlungen des Internatio-
nalen Friedensbureaus (Bern). 11 S.
Rudolph, Hermann,
Die vier Wege zur Theosophie undj die Hinder-
nisse auf dem Pfade zur Selbsterkenntnis. Zur
Verbrüderung der Religionen und Völker. Zwei
Vorträge. 8 °. Leipzig. 1913. Verlag der Theo-
sophischen Kultur. 64 S. 1,20 M.
Schulz, Anna,
Gott und Mensch. Gemeinverständliche Betrach-
tungen über den tieferen Sinn der Bibel.
Gr. 8°. Stettin. 1912. Verlag Anna Schulz,
Gießereistr. 40 a. V und 378 S. Geb.
Seber, Dr. Max,
Neue Kulturperspektiven. Weltanschauuugs-
streit oder Menschheitskultur. 8°. Dresden.
1912. Carl Reißner. 94 S.
Spender, J. Alfred,
Die Grundlagen der britischen Politik. Ueber-
setzt von Alfred Rennebarth in London. 8 °.
Sonderdruck der ..Zeitschrift für Politik."
115
DIE FßlEDENS-WAQTE
=®
II. Bd., Heft 1. Berlin.
Nicht im Handel.
1913. S. 114—150.
Armements et Aviation.
Oompte rendu de la Conference de l'Union Inter-
parlementaire temie ä Geneve en 1912. Preface
de M. cl'Estournelles de Constant.
(„Conciliation internationale": Bulletin tri-
mestriel No. 4.) 8 o. Paris. 1912. 90 S.
La Conciliation allem and e.
Gongres jde Heidelberg. (5. bis 7. Oktober 1912.)
Introduction & Compte rendu par M. T h.
Ruyssen, Prof. ä la faculte des lettres de
l'universite de Bordeaux („Conciliation inter-
nationale": Bulletin trimestriel No. 1). 8°.
Paris. 1913. Oh. Delagrave. 70 S.
Novicow, J.,
L'Alsace-Lorraine obstacle ä l'expansion alle-
mande. Preface de M. le prof esseur C h. Ei-
chet. Avec un Portrait de l'Auteur. 8°.
Paris. Felix Allcan. 1913. 392 S. Fr. 3,50.
Union Interparlementaire.
Bapport du Secretaire general au Conseil Inter-
parlementaire pour lannee 1912. Avec deux
Annexes : I. Liste des Presidents et Secre-
taires des groupes. II. Programme du Bureau
pour 1913. Gr. 8». Uccle-Bruxelles. 1913.
Bureau Interparlementaire. 31 S.
P r o c e s - V e r b a 1
de PAssemblee generale du mercredi 25 sep-
tembre 1913*). Geneve (Salle des fetes de
l'universite). 8°. (Ber*ne 1913, Bureau int. de
la Paix.) 5 S.
Proces-Verbal
des Seances de la Commission du Bureau tenues
les 22 et 27 septembre 1912 ä Geneve. 8°.
(Berne 1913. Bureau int. de la' iPaix.) 17 S.
M e z , Dr. John,
Le cheque postal international et les resul-
tats des virements postaux en Autriche, en
Bongrie, en Suisse et en Allemagne.' Gr. 8 °.
Bruxelles 1913. Extrait de „La Vie Inter-
nationale" 1912. Fase. 7 t. IL S. 249—262..
Naruse, Jinzo,
The Concordia Movement. 8°. New York. „Am.
Association for Int. Conciliation", Sub-Sta^
tion 84 (407 West 117th Street). 14 S.
(kostenlos).
Monthly Bulletin
•of Books, Pamphlets and Magazine Articles
Dealing with int. Belations. January. 1913.
8 °. New York. „Association for int. Con-
ciliation", Sub-Station 84 (501 West, 117th
Street). 11 einseitig bedr. SS. (kostenlos).
Rep ort
of the Proceedings of the anglo-german Under-
standing Conference. London. 1912. 8 °.
London. The British Joint Committee, 167
St. Stephens House, Westminster SW. (1913).
15 S. (kostenlos).
Root, Senator
and Latin America. From the congressional Re-
cord for January 16, 1913. 8° New York
City. American Association for International
Conciliation, Substation 84 (407 West, 117th
Street). (International Conciliation; Special
Bulletin, Januar 1913.) 13 S. (kostenlos).
W ho makes war ?
An Editorial from the London Times of No-
vembre 26, 1912. 8 °. New York City. Ameri-
can Association for International Conciliation,
ßubstation 84 (407 West, 117th Street). (Inter-
national Conciliation; Special Bulletin, Febr.
1913.) 10 S. (kostenlos).
Year Book
of the American School Peace League 1911/9112.
8 °. (Boston 1913.) 104 S. Zu beziehen durch
Mrs. Fannie Fem Andrews, Boston, Mass.,
405 Marlborough Street.
Vollenhoven, C. van,
De Eendracht van het Land. 8 °. s'Graven-
hage 1913. Martinus Nighoff. 97 S. Preis
— 50 Fl.
Roszkowski, Gustav,
O Unii Interparlamentarnej. Gr. 8°. Krakow.
1911. Drukarna Universvtetu Jagiell. 37 8.
") Druckfehler ain Titel. Gemeint ist 1912.
Zeitschriften -Rundschau. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Seit Januar 1913 erscheint die holländische
Friedenszeitschrift „V rede door Recht"
in neuem Gewände. Das Format ist kleiner,
aber die Seitenzahl viel größer und der Inhalt
(reichhaltiger. In dieser Ausstattung darf man
die neue Bevue ohne Zweifel zu einer der
ersten Friedenszeitschriften der Welt rechnen.
Die anderen Kleinstaaten, insbesondere die
Schweiz, Schweden und Dänemark, verfügen
nicht über eine so inhaltsreiche Revue. Das
ist ja wohl nicht zum wenigsten auf das große
Interesse zurückzuführen, das man in Holland
der Friedensbewegung entgegenbringt. In der
Februarnummer finden wir einige vorzügliche
Berichte über neuere Schieds fälle. Dr. van
der Flier behandelt den russisch-türkischen
Streit vor dem Haager Hofe, van der Man-
dere die Timorangelegenheit. Mit diesem
letzteren Falle hat es folgende Bewandtnis.
Holland und Portugal sind kürzlich überein-
gekommen, den Grenzstreit betreffend die Insel
Timor schiedsrichterlich erledigen zu lassen,
und zwar soll der Streit dem schweizerischen
Bundesrat übergeben worden sein, van der
M andere fragt nach den Gründen der Igno-
rierung des Haager Schiedshofes, und unter-
sucht, ob die Kostspieligkeit, das langsame
Verfahren oder die Tatsache, daß der Haager
Schiedshof in dem Gebiete einer der Streit-
teile liegt, dieses Verhalten der Parteien recht-
fertigen können. Beide Parteien haben sich
in einem Schiedsverträge verpflichtet, alle
Rechtsfragen, über die eine Einigung nicht er-
zielt wurde, dem Haager Hofe anzuvertrauen.
Das hindert natürlich nicht, daß sie durch be-
sondere Vereinbarung den Streit anderswie
erledigen lassen, aber immerhin besteht nach
van der Manderes richtiger Meinung eine
moralische Verpflichtung, den Haager Hof nicht
zu umgehen. Es scheint übrigens nach den
neuesten Mitteilungen, als habe die holländische
Regierung infolge der Opposition in Holland die
Absicht, die Angelegenheit doch dem Haager
Hofe zu überweisen. Wahrscheinlich ist eine
offizielle Uebertragung des Schiedsrichteramtes
an den schweizerischen Bundesrat noch nicht
erfolgt. Nach einer Erklärung des Ministers
des Aeußeren van Swindere in der ersten
Kammer der Generalstaaten will man vielleicht
116
<E
= DIE FRIEDENS ->MößrE
ein einzelnes Mitglied des Haager Schiedshofes
mit der Erledigung des Streites beauftragen.
„Die Wissenschaft", so sagte der Minister, „hat
in der letzten Zeit festgestellt, daß ein Schieds-
gericht auch nur aus einer Person bestehen
kann, und wenn diese auf der Liste des Haager
Schiedshofes steht, so handelt es sich um die
Erledigung des Streites durch den Haager Hof."
Es ist aber nicht empfehlenswert, den Streit
durch eine Einzelperson entscheiden zu lassen.
Die Timorangelegenheit weist wieder mit
großem Nachdruck auf die Errichtung eines
ständigen Gerichtshofes hin. In diesem Sinne
ist auch ein Wort Tafts aus der letzten Zeit
zu verwerten. Dieser erklärte nämlich, wenn
der Panamastreit schiedsrichterlich erledigt
würde, dann solle er aber nicht dem Haager
Hofe, sondern von einer besonderen Kommission
entschieden werden.
Frau de Jong-Kluyver gibt in der-
selben Nummer einen vorzüglichen Ueberblick
über die Neuregelung der Vermittlung auf der
nächsten Haager Konferenz.
In Nr. 2 der „Friedensbewegung" ver-
öffentlicht der hervorragende amerikanische
Gesandte in Brüssel Theodor Marburg
einen Aufsatz über „die Gefahr der Rück-
ständigen". Er weist auf die ständige Be-
drohung des Friedens der Welt und die fort-
währende Gefährdung von Leben und Eigentum
der Bewohner in unzivilisierten und rück-
ständigen Staaten hin. Gerade in bezug auf
Mexiko ist sein Aufsatz von aktuellem Inter-
esse. Er schlägt ein Zusammengehen aller
zivilisierten Nationen vor, um gemeinsam die
Leitung in solchen Staaten zu übernehmen, die
sich als unfähig erwiesen haben, geordnete Zu-
stände zu schaffen. Er weist darauf hin, wie
gerade durch das Verhalten unzivilisierter
Staaten andere Mächte zu einer Expansions-
politik verleitet werden. Falls alle Mächte die
Verhältnisse solcher Staaten künftighin gemein-
sam ordnen, werden wohl auch noch Er-
oberungen vorkommen; aber diese werden nicht
kriegerischer, sondern moralischer Art sein.
Was Südamerika betrifft, so meint Marburg, die
Sicherung der Zustände in diesem Erdteile
müsse ausschlißlich den Vereinigten Staaten
zufallen, da die Monroedoktrin dies verlange.
Aber die Vereinigten Staaten würden dann
künftig als Mandatare der Mächte und mit
einem besonderen Rechtstitel die Ordnung der
Zustände in Südamerika sichern.
Fachpresse. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :; :: :: ;:
Völkerfriede (Stuttgart). März. O. U.,
Fanatismus. — Rieh. Gaeclke, Die neue
Wehrvorlage. — F. Stehelin, Die Lage
in Elsaß-Lothringen. — F. Siegmund-
Schultz, Die deutsch - englischen Bezie-
hungen. — usw.
Vaterland und Welt (Göttingen). Fe-
bruar. Prof. Troeltsch, Reiseeindrücke
in Amerika. — Prof. O. Nippold, Die
Organisation der int. Verständigung. —
Fried r. Depken, Veröffentlichungen des
Verbandes für internationale Verständigung.
— usw.
Der Friede (Bern). Februar. G. - C, Natio-
nale Verirr ungen. — Th. Schmidt, Selig
sind die Friedensfreunde. — K. W. Schult-
h e s s , Pazifistische Rundschau. — usw.
Die Friedensbewegung (Bern). Februar.
Pierre Clerget, Die Fragen der Meer-
engen. — Dr. Theodore Marburg, Die
Gefahr der Rückständigen. — usw.
La Paix par le Droit (Paris). No. 2.
Th. Ruyssen, Guerre ou Paix ? — Fre-
deric Passy, Ceux qu'il faut honorer :
Emile de Girardin. — Michel Breal et
Louis Havet, La Neutralisation de l'Al-
sace-Lorraine. — T h. Ruyssen, Le Reveil
des Nationalites. — usw.
— No. 3. Fred. Passy, Ceux qu'il faut
honorer : Les Oublies. — Charles Richet,
Agathon et la jeunesse francaise. — T h.
Ruyssen, La guerre jugee par 1' Armee. —
Jacques Dumas, La guerre des Balkans
est-elle une illusion?
The Arbitrator (London). Februar. Ger-
many and Holland. — David Starr Jor-
dan, Military Conscription. — Mr. Carnegies
New Year's Greeting. — The Panama Canal
Act and foreign Shipping: Reply of Secretary
Knox to Sir Edward Grey. — Gordon M.
S a v i 1 e , Brothers in Arms : The Pride of
a Race made Ready. — Heroism and Periis
of Peace.
Concord (London). Jan. -Febr. Felix Mo-
scheies, to my Friends ; a message. —
— Our Presidents eightieth birthday. — Military
Service in Australia. — J. A. Farrer, The
Vision of Senator Z. — ■ usw.
Monthly Circular (of the National Peace
Council, London). Februar.
Advocate of Peace (Washington). Fe-
bruary. The Battleships Program once more.
— The Anglo-American Centenary. — The
St. Louis Peace Congress. — Fannie Fern
Andrews, American School Peace League.
— William D. B. Ainey, An hundred
years of Peace. — Thomas H. Lewis,
The School Teacher as the Advance Agent
of Peace. — ■ Thomas Raeburn White,
The immediate Establishment of an inter-
national Court of Arbitrale Justice. — Rear-
Admiral ehester, The Panama Canal Bill.
The Messenger of Peace (Richmond,
Ind.). Jan. William C. Deming, The
Opportunity and Duty of the Press in Re-
lation to World Peace. — usw.
La Luce del Pensiero (Neapel). Februar.
M. Mastropaolo, II problema della Col-
tura e il Govere della Democrazia. — G. T i -
nivella, I diritti del sentimento. — usw.
(Le Messagerde lajPaix, Moskau). No. 1
u. 2. In russischer Sprache.
„V r e d e d o o r Recht" (Haag). Febr. Aan
het nederlandsche Volk. — Lieut.-Gen. Ihr.
J. C. C. den Beer Poortugael. — B. d. . J.,
Internationale feestelijke Studenten Bijen-
komst. — Dr. M. J. van der Hier.,
Het tweede Arbitrage-geding in 1912. —
H. van der M andere, Timor-aangelegen-
heid. — C. A. de Jong van Beek en
117
DIE FRIEDENS -WAETE
3
D ; onk, Nadere Regeling betreffende bemidde-
ling. — S. J. Visser, Difficiles Nugäe. —
Dr. A. B. van der Vies, De nederlandsche
Staatsbegrooting en het Internationalisme.
Het Vredesbudget.
Fredsfanan (Stockholm). No. 2. Till
svenska Volket. Fredens Sekelminne 1914.
— Erik Palmstierna, Fredsbetryggande
Faktorer.
Fredsbladet (Kopenhagen). No. 2. Niels
Petersen, Faestningsagitationen. — G.
K e m p , Verdensfredsadressen. — Niels
Petersen, Faestningsagitationen og Krigs-
minderne. — Tilnaermelsen mellem Tyskland
og England.
Nemzetközi elet (Internationales Leben,
Budapest). 1912. No. 12. Feltik a lakossay
nyugalmät! — Bekemogalmak hazänkban. — ■
Az ezidei Nobel-fele bekedij. — usw.
— 1913. No. 1. önzetlen hazafisäy. — usw.
The Japan Peace Movement (Tokio).
No. 2. Observance of Peace Sunday in Japan.
— Sidney L. Gulick, The economic
Theory of Peace. — Count Okuma,
Characteristics of the modern Peace Move-
ment. — usw.
Artikel-Rundschau, :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Mit schlecht verhehltem Aerger wird die
neue englisch-deutsche Verständigungs Zeitschrift
„Die Eiche" in der „K reuzzeitun g"
vom 23. II. und im „R e i c h s b o t e n"
vom 15. II. begrüßt. — In einem „Die
Rechnung gilt" überschriebenen Artikel be-
schäftigt sich das „Leipziger Tage-
blatt" (27. IL) mit den Lehren Norman An-
gells. Darin läßt der Verfasser die Richtigkeit
der Angelischen Behauptungen „dahingestellt"
sein, entschließt sich aber doch zu der Fest-
stellung: „Ganz zweifellos, daß die Kulturvölker
mehr und mehr dem Kriege als solchem ab-
geneigt werden. Auch das ist ja nur wieder zu
begreiflich, denn ebenso, wie im Leben der
Individuen die gewaltsame Lebensbetätigung
den Bahnen des Rechts weicht, so werden auch
im Leben der Kulturvölker die atavistischen
Triebe mehr und mehr überwunden, und die
Sonne des Handelns nach Recht und Pflicht
im Völkerrecht spendet ihr warmes Licht. Und
hier ist es eine ganz markante Erscheinung, daß
die germanischen Völker, also Engländer,
Deutsche und die in der Kultur so weiten Nord-
germanen am stärksten die Kultur des Pflicht-
bewußtseins pflegen." Es ist immerhin aus
diesen Betrachtungen die zum Ueberdenken an-
regende Einwirkung der Angellschen Arbeit zu
erkennen. Und mehr wollen wir überhaupt
nicht, als zum Denken anregen. — In einem
als „von besonderer Seite" herrührend bezeich-
neten, mit „Militaria" überschriebenen Artikel
des „Berliner Tageblat t", der offen-
sichtlich einen Militär zum Verfasser hat, ist
der bemerkenswerte Satz enthalten: „Wir
wollen die Hoffnung nicht aufgeben, daß bei
besserer politischer Leitung und im allgemeinen
europäischen Interesse wir und unsere zivi-
lisierten Nachbarn nicht immer die geradezu
ungeheuren militärischen Lasten werden tragen
müssen." — Friedrich Naumann hat auf
seinem Wege jenseits der pazifistischen Kultur-
arbeit in einem in der „Hilfe" (13. IL) er-
schienenen Artikel (Die Sterbenden von Adria-
nopel) wieder das angebliche Versagen der pazi-
fistischen Bestrebungen betont. Da lesen wir:
„Und Schiedsgericht? Wir haben es eben vor
uns gehabt, das Schiedsgericht von London!
Mehr kann ein Haager Gerichtshof auch nicht
tun. Die Mächte schlugen vor, Adrianopel
mitten durch zu teilen; sie aber sterben lieber,
als Adrianopel teilen zu lassen . . ." Sie denken
ja gar nicht daran. Die Sterbenden und die
Beschließenden sind nicht dieselben. Andere
haben beschlossen, daß andere „lieber" sterben
sollen. Und was hat das Schiedsgericht damit
zu tun ? Welche Verwechselungen ! Soll der
Räuber Prozeß führen, statt zu rauben? Da er
das nicht tun wird — weiß er doch, er müßte
unterliegen — gibt es deshalb kein Mittel,,
sich der Räuber zu erwehren? Und wer ist
denn in jenem Kriege der Räuber? Nicht der,
der Adrianopel nehmen will, sondern jener, der
sich darin versteckt hält. — Im „Zeitgeist"
vom 17. IL feiert Grete Meisel-Hess den
75. Geburtstag von Joseph Popper-Lyn-
k e u s , den Verfasser der Bücher „Das Recht
zu leben und die Pflicht zu sterben" und „Das
Individuum und die Bewertung menschlicher
Existenzen", zweier Schriften, die den Ideen-
schatz des Pazifismus unendlich bereicherten.
Die Verfasserin sagt zum Schluß ihres Auf-
satzes: „Ich wüßte niemanden, der den Wert
des Menschenlebens in einer bezwingenderen
Art analysiert und dargestellt hätte wie Popper.
Er ist der Mann, dem weitaus als erstem der
Friedensnobelpreis gebührt I Denn erst, wenn
dieses Bewußtsein vom Wert des menschlichen
Lebens, des Komplexes „Ich" so gewaltig wird,
daß keinerlei Einwände mehr dagegen stand-
halten können, erst dann wird es unmöglich
sein, daß Menschen gezwungen werden, für die
„Ideale" oder, besser gesagt, Interessen anderer,
welcher Art sie auch sein mögen, ihr Leben
hinzugeben oder aufs Spiel zu setzen. Für
dieses Bewußtsein hat Popper Worte gefunden
wie kein anderer. Das Nobelkomitee hat im ver-
gangenen Jahre den Friedenspreis nicht ver-
geben, weil es den Würdigen nicht fand. Hier war
und ist der Mann, den man vergebens suchte."
Artikel. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: n :: :: :
(Bibliographie.) I. Friedens-
bewegung im allgemeinen: Carl
Ludwig Siemering, Immanuel Kant als
Philosoph des Weltfriedens. „Ethische Rund-
schau." II. * M a x N o r d a u , Kriegsstimmung.
„Pester Lloyd." 23. II. * Georg' 'Gothein,
Der Kriegskeim. „Neckar-Zeitung (Heilbronn).
7. II. * H. Froelich, Die Völker und der
Krieg. „Der Weg." II. * Hermann Schu-
rig, Was ist der Krieg? „Die Grenzboten."
12. II. * Karl Witte, Die Abrüstungspläne
zur Zeit des zweiten Kaiserreiches. Sonntags-
beilage der „Voss. Ztg." 16. II. * Max Mau-
re n b r e c he r, Realistische Friedensbewegung."
„Das Freie Wort." Nr. 22. * Louis P. L o c h-
ncr, Ueber internationale Studentenvereine.
„Hochschul-Nachrichten (München). Nov. 1912.
IL Die internationale Politik:
Norman Angell. Einige Worte zur deutsch-
euglischen Verständigung. „Vossische Zeitung."
I
118
(g===
= DIE FRIEDENS -WARTE
1-1. IL * Axel Schmidt, Die deutsch-eng-
lische Annäherung und die englisch-russische
Entfremdung. ..Berliner Börsen-Courier." 19. II.
* Dr ,C u r t 1». a d lauer, Die Neutralisation
Albaniens. „Hamburger Nachrichten." IG. II. *
Modernisierung der Diplomatie. „Solothurner
Zeitung." 18. II. *
III. Völkerrecht: Die Genler Verhand-
lungen über das Verbot des Luftkrieges. „Neue
Preußische (f) Zeitung." 15. II. * Dr. Ad.
G r o t e , Das Problem eines internationalen
Staatengerichtshofes. „Burschenschaftl. Blätter."
(Berlin.) Nr. 9.
IV. Internationales: Prof. Dr. Josef
Kohler, Weltmarkenschutz. ,. Allgemeine
Zeitung-." (München.) 8. II. *' 'Nationalismus-
Internationalismus. „Internationaler Volks-
wirt." (Berlin.) 16. II.
V. Wirtschaftliches: Hermann
(i ottschalk, Krieg und Arbeit. „Die Neue
Hundschau." 11. * Norman Angell, Why
Germany builds. What the German said. „Daily
Mail." (Paris.) 20. II. * Die falsche Rechnung.
„Der Bote aus dem Riesengebirge." 22. II. *
Friedrich Depken, Norman Angells fal-
sche Rechnung. „Heidelberger Neueste Nach-
richten." 4. II. * Die internationale Abhängig-
keit der Volkswirtschaft. „Straßburger Post."
7. II. * Ernst Jäckh, Deutschland |5, Eng-
land 8. „Die Hilfe." 20. II. * Eine Schilderung,
wie es in Oesterreich ausschaut. „Arbeiter-
Zeitung." (Wien.) 20. II. * Hungersnot in
Galizien. „Die Zeit." 21. II. * Ri c h. Gaed k e,
Das deutsch-französische Wettrüsten. „Zeit."
(Wien.) 23. II.
rMITTEIll/NQENDEBS
FRIEDENSGESELLSCHAFTEN
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Schriftleitung, sondern die betreffende Friedensgesellschaft.)
Deutsche Friedensgesellschaft :
Ortsgruppe Cöln.
Resolution.
An 1100 im überfüllten Saal des Frän-
kischen Hofes versammelte Bürger Cölns
nehmen mit Bedauern Kenntnis von der
neuen Heeresvorlage, die nach allerdings noch
nicht offiziös beglaubigter Nachricht eine
laufende Mehrausgabe von 250 Millionen und
eine einmalige Ausgabe von einer Milliarde in
den Abgrund des Piüstungswahns schleudern wird;
protestieren gegen die nicht nur in Deutsch-
land, sondern in allen Ländern von den gleichen
Kreisen betriebenen Hetze, die unter dem Deck-
mantel einer nationalen Notwendigkeit immer
wieder die Rüstungsforderungen stellen, ihrer-
seits aber jeden Weg einer Verständigung
zwischen den Nationen durch ihre Hetzarbeit
ungangbar machen;
fordern die Regierung auf, neben den
Rüstungen das von der Friedensbewegung an-
geregte und von den Regierungen fortgesetzte
Werk der Haager Konferenzen energisch zu
fördern, das Seebeuterecht abzuschaffen, damit
einen Hauptgrund für die Flottenrüstung zu
beseitigen, den ständigen Staatengerichtshot im
Haag zu errichten, die von Nordamerika vor
zwei Jahren durch die Bennetbill angeregte
Studienkommission für die Möglichkeit der
Rüstungsbeschränkungen endlich einzusetzen,
kurz, die Vorbereitungen für eine friedliche
Erledigung aller Streitigkeiten zwischen den
Nationen ebenso als eine nationale und daher
kräftig zu fördernde Angelegenheit betreiben,
wie jetzt die Rüstungsvermehrungen;
verpflichten sich ihrerseits ein jeder an
seinem Teil mitzuarbeiten am Werk inter-
nationaler Verständigung.
Oesterreichische Friedensgesellschaft.
Bureau: .Wien I, Spiegelgasse 4.
Unser Vizepräsident, Dr. Alex. Ritter von
Dorn, feierte iu voller geistiger und körper-
licher Frische im vorigen Monate seinen 75. Ge-
burtstag. Unser Vorstand benützte diesen freu-
digen Anlaß, seinem treuen Gesinnungsgenossen
zu diesem Jubelfeste zu beglückwünschen.
MB
Aufruf!
In der jetzigen, so kriegsbewegten, kon-
iliktsschwangeren Zeit enthüllt sich uns mit
eindrucksvoller Klarheit das Zwiespältige in der
modernen Weltanschauung: mit der Tradition,
mit den althergebrachten Gebräuchen und Sitten
ringen die neuen zukunftsfrohen Ideen der Ver-
besserung des sozialen und internationalen
Lebens. Noch ist die Tradition herrschend,
noch glauben viele in gedankenloser Wieder-
holung des Ausspruches anderer an den Krieg
als etwas Gottgewolltes oder wenigstens als eine
unabwendbare Einrichtung der Natur gleich Un-
wettern, Erdbeben und Meeresstürmen; noch
erblicken viele in der kriegerischen Betätigung
den höchsten Ruhmestitel des Mannes, des
Herrentums, zugleich aber eine radikale Kur
gegen angebliche Uebervölkerung und Degenera-
tion, unter allen Umständen das einzig wirk-
same Mittel, um das Vaterland gegen äußere
„Feinde" zu schützen und zu sichern.
Aber seit langem schon erheben sich in
der Brust jedes Denkenden und Fühlenden
Zweifel an der Richtigkeit dieser Weltanschau-
ung und gerade jetzt mit doppelter Stärke: zu
laut sprechen die furchtbaren Greuel im Gefolge
jedes Krieges, so auch des jetzigen, zu unserem
Herzen — Greuel, welche trotz aller Milderungs-
versuche internationaler Vereinbarungen, dank
der im Kriege schrankenlos entfesselten, jeder
Kultur spottenden Urtriebe des Menschen immer
wieder zum Ausbruche kommen. Da sind aber
auch die wahnsinnig steigenden Rüstungskosten,
119
DIE FRIEDENS - , M&ßTE
s
: 3
welche in geradezu trostloser, wechselseitigem
Berufung auf den bösen Nachbar ins Unermeß-
liche wachsend, die produktive Tätigkeit in
jedem Lande immer schwerer belasten und es
immer weniger möglich machen, selbst die
dringendsten kulturellen und sozialen Bedürf-
nisse des Volkes auskömmlich zu befriedigen.
Und in die bangen Zweifel an der Richtig-
keit jener kriegerischen Weltanschauung mischt
sich die in vielen bereits dunkel geahnte und
sich immer allgemeiner durchdringende Er-
kenntnis von der Möglichkeit, internationale
Konflikte durch Kichterspruch auszutragen, wie
ja schon längst private Konflikte der Kultur-
menschen nicht, mehr durch rohe Gewalt,
sondern durch den Richter beseitigt werden.
Diese frohe Botschaft der völkerrechtlichen
und weltwirtschaftlichen Apostel der inter-
nationalen Organisation und des internationalen
Schiedsgerichtes muß gerade jetzt um so mehr
triumphieren, als wir nunmehr den klaren Be-
weis erhielten, daß Rüstungen und Ueber-
rüstungen uns doch nicht vor dem Kriege und
der Kriegsgefahr schützen, also ihrem so oft ver-
kündeten obersten Zwecke nicht gerecht werden,
im Gegenteil, wir müssen schaudernd erkennen,
daß wir uns auf einem ganz falschen Wege
befanden, der uns dem gewöhnlichen Ziele um
keinen Schritt näher brachte, sondern uns
immer weiter davon entfernte.
Der Samen für diese kostbare, des Menschen
einzig würdige Auffassung internationaler
Fragen, diese kostbare Einsicht reift in uns
allen, in manchen erst als zartes Pflänzchen,
in vielen schon als stattlicher Baum. Wir
wissen es jetzt: das Wohlergehen der Staaten
und ihrer Bewohner hängt entscheidend davon
ab, daß jene rechtliche und friedliche Auf-
fassung Allgemeingut werde. Sie ist ja im
Grunde nichts anderes, als der wahre Kern
des Christentums, ebenso wie jeder anderen
Religion und Ethik. Sie verheißt auch die so
lange gesuchte Lösung sozialer und politischer
Probleme, sie ist echter Humanismus, aber
ebenso echter Patriotismus, weil sie ja den
dauernden Bestand und die Wohlfahrt des
eigenen Vaterlandes zugleich mit der Wohlfahrt
aller Nachbarn wahrhaft sichert und nicht bloß
verspricht I
Zu dieser besseren und geläuterten Einsicht,
deren sich ja viele noch nicht bewußt sind,
müssen sich möglichst viele Volksgenossen in
allen Staaten der Welt öffentlich bekennen,
dann wird der Erfolg unser sein!
Wir richten daher an alle ehrlichen Freunde
unseres Volkes und der Menschheitsideale die
herzliche Bitte, sich in den Dienst der modernen
Kultur dadurch zu stellen, daß sie der äußeren
Organisation dieser Weltauffassung, der Oesterr.
Friedensgesellschaft, sich als tätiges Mitglied
anschließen. Wenn wir alle jene Männer und
Frauen in Oesterreich, welche im Herzen schon
längst unser sind, auch als Mitglieder begrüßen
können, dann haben wir schon das schwerste
überwunden, dann wird es endlich gelingen,
daß die Menschheit über ihre gefährlichsten
Feinde, über Unverstand und Elend, siegen kann.
Wien, im März 1913.
Vorstehender Aufruf wuz'de an zirka 12 000
Persönlichkeiten und zirka 300 politische und
Fachblätter versendet. (Die Neue Freie Presse
veröffentlichte ihn im Morgenblatte vom 2G. v. M.)
An unsere Mitglieder ergeht die
Bitte, uns Adressen von ihren Be-
kannten zu senden, an welche dieser
Aufruf event. zu schicken wäre.
Die beiden Vortragszyklen, welche wir im
Jahre 1911/12 veranstalteten, erfreuten sich so
großen Zuspruches und förderten unsere Be-
strebungen in so ausgezeichneter Weise, daß
wir auch heuer einen III. volkstümlichen
Vortragszyklus mit nachstehendem Pro-
gramm veranstalten.
12. d. M.: Pfarrer A. Schindelar: „Die
sittlich-religiöse Berechtigung der Friedens-
bewegung". 19. d. M. : Artur Müller: „Pazi-
fistische Tendenzen am Ausgange des Mittel-«
alters". 2. IV.: Dr. Paul Stiaßny, Referent
der Carnegiestiftung: „Der österreichische
Staatsbankrott von 1811". 9. IV.: Univ. -Prof.
Dr. Oswald Richter: „Ein Spaziergang durch
die Kruppschen Werke" (mit Demonstrationen).
16. IV.: Alfred H. Fried: Ueber Norman An-
gells Buch „Die große Täuschung". 23. IV.:
Baronin Berta von Suttner: „Pazifismus in
Amerika".
Die Vorträge finden bei freiem Eintritt
71/2 Uhr abends im Hörsaale 50 der k. k.
Universität (Philosophische Fakultät) statt.
Auf Anregung des Wiener Volksbildungs-
vereines hielt unser Vorstandsmitglied, Univ.-
Prof. Dr. O. Richter am 23. Februar einen
Vortrag unter dem Titel „Die Friedensbewegung
und ihr Erfolg" und am 2. d. M. „Der Kampf
ums Dasein".
MB
Vorträge: Unser Vorstandsmitglied,
Schriftsteller A. Müller, hielt am 25. Januar
im „Neuen Frauenklub" unter dem Titel „Der
Kampf gegen den Krieg" und am 7. d. M. in
der Ersten Organisation neutraler Guttempler
über „Abstinenz und Friedensbewegung"
Vorträge.
Friedensbew eg ung in Mähren.
Der neu geschaffene Friedensverein in Brunn
„Jednota mirovä pro Moravu" entwickelt eine
lebhafte Tätigkeit. Er hält fleißig Vorträge
und wurde auch eine Broschüre herausgegeben.
Die Gesellschaft zählt bereits 600 Mitglieder,
darunter sehr viele Lehrer und Lehrerinnen.
Verantwortlicher Redakteur: Carl Appold, Berlin W.60. — Im Selbstverlag des Herausgebers Alfred H. Fried, Wien IX/2
Druok: Pass&Gsr! «b G.m.b.H., Berlin W. 57. — VerantwortL Redakteur ftr Oesterreich-Üngarn : Vinzene Jerabek in Wien.
120
April 1913.
Im Namen Europas.
Seit meiner Kindheit heißt es: „Im
Frühjahr geht's los!" Seit mehr als vierzig
Jahren kartet die Menschheit von 1900
auf den von den Priestern des Militaris-
mus angekündigten europäischen Krieg nach
der Schneeschmelze, wie die Menschheit um
das Jahr 1000 auf den Weltuntergang. In
diesem Winter unseres Mißvergnügens, der
den Aufbruch jenes Geschwüres sah, auf
den die hohe Politik und mit ihr die niedere
öffentliche Meinung seit einem halben Jahr-
hundert mit Bangen wartete, glaubten die
Feuerschlucker Europas, daß die Zeit wirk-
lich schon gekommen sei, wo ihre Prophe-
zeiung in Erfüllung gehen müsse. Die Heere
zweier europäischer Großmächte standen
sich kriegsbereit hart an den Grenzen
gegenüber. Jeder Tage brachte neuen Zünd-
stoff, neue Verwicklungen, neue Befürch-
tungen ; aber die Millionen Gewehrläufe
blieben ungeschwärzt. Für die überkom-
mene politische Auffassung etwas ganz Un-
begreifliches. Statt den Versuch zu machen,
das Unbegreifliche zu ergründen, vertagte
man Hoffnung und Befürchtung auf das
Frühjahr, auf die Schneeschmelze. Das ist
an sich ein altfränkischer Gedanke. In
jenen Zeiten, wo kriegerische Auseinander-
setzungen noch mit einer gewissen Eleganz
ausgeführt werden konnten und mehr einer
mit .Nachdruck ausgeführten politischen
Demonstration glichen als einem Daseins-
ringen von Millionen, konnten Schnee imd
Winterkälte noch ihre Ausführung beein-
flussen. Die solches heute noch annehmen,
sind sich nicht klar geworden, was ein
moderner Krieg in Europa eigentlich be-
deuten würde. Der deutsche Reichskanzler
hat es am 7. April im Reichstag gesagt:
,, Von den Dimensionen eines Weltbrandes,
von -dem Elend und der Zerstörung, die er
über die Völker bringen würde, macht sich
kein Mensch eine Vorstellung. Alle bisherigen
Kriege werden wahrscheinlich ein Kinder-
spiel dagegen sein." Und da sollten Schnee
und Winterkälte eine aufschiebende Rolle
spielen, wenn solch ein Krieg notwendig
sein sollte, wenn er möglich wäre ? Dieser
Gedanke an einen auf das Frühjahr ver-
tagten Krieg ist nur ein unbeholfener Ver-
such, über das unbegriffene Neue mit
einem bequemen Gedankensprung hinweg-
zukommen.
Das unbegriffene Neue liegt eben darin,
daß der Krieg aufgehört hat, „eine Fort-
setzung der Politik nur mit anderen
Mitteln" zu sein, wie man es sich heute
noch nach Clausewitzschem Rezept ein-
zureden beliebt. Diese „anderen Mittel" der
Politik, die über jenen toten Punkt hin-
auswirken sollen, wo unsere Väter und
Großväter nur den Krieg als einzige Mög-
lichkeit erblickten, haben sich eben ge-
ändert. Das hat uns der Winter 1912/13
wieder auf das deutlichste bewiesen.
Dieses Neue ist in die Augen springend ;
man will es nur nicht sehen. Es klebt
noch zu viel historischer Staub in den
Augen unserer Zeitgenossen, der ihnen das
Sehen erschwert; ihr Blick ist noch zu
sehr getrübt durch zu viel Interessen, zu
viel Tradition, zu viel Routine. Und weil
man es nicht sehen will, will man auch
nichts davon hören und vermeidet selbst
die Benennung der neuen Dinge durch 1 neue
kennzeichnende Namen. Die sogenannte
Botschafterkonferenz in London war ja
doch etwas mehr, als der Name besagen
durfte. War ja doch jenes Zentralorgan eines
neuen Organismus, dem die Aufgabe ob-
lag, in der Stunde ernster Bedrohung einer
Gesamtheit und ihrem Willen Ausdruck
zu verleihen. Und dieser neue Organismus
ist ein Europa, das isich vom geographischen
Begriff zu einelm politischen gewandelt hat.
Man mag gegen diese Definition einwenden
was man wolle, die Tatsache ist unerschüt-
terlich. Freilich wer da glaubt, an diese
121
DIE FRIEDENS -WAGTE
3
Anfänge Forderungen stellen zu dürfen,
die nur das Vollkommene erfüllen kann,
der wird enttäuscht sein. Er wird aber
nicht das Recht haben, zu behaupten, daß
etwas deshalb nicht ist, weil es noch nicht
vollkommen ist. Nein, dieses politische
Europa ist, und die Einrichtung, die man
aus Angst, diese Tatsache zugeben zu
müssen, bloß als Botschafterkonferenz eti-
kettierte, ist ein wichtiges und wirkliches
Organ dieses neuen politischen Gebildes ge-
wesen. Ein Organ, das einen Gemeinsam-
keitswillen anscheinend heterogener Teile
erzeugte, das aus den noch widerstrebenden
Willensäußerungen eine Willenseinheit her-
auskristallisierte. Und kein ohnmächtiges
Organ war es mehr, bloß zu theoretischen
Aeußerungen geschaffen. Haben die ge-
schichtsverklebten Augen der Rückwärts-
gewandten, ihre allem beglückenden Neuen
abgewandten Ohren jenes Dokument nicht ge-
sehen noch von ihm gehört, das am 10. April
in der Adria verkündigt wurde? Jenes Do-
kument, das mit den Worten anhebt:
„Im Namen der internationalen
Flotte, welche die Großmächte
Europas vertritt", und das mit den
Worten schließt : „C e c i 1 Burney,
Vizeadmiral und Kommandier en-
der der internationalen Flotte."
„Internationale Flotte, welche die Groß-
mächte vertritt" ! Und zwischen diesen An-
fangs- und Endworten stand ein Wille
dekretiert, ein einheitlicher Wille, ein Be-
fehl im Namen Europas. Sieht man noch
immer nichts? Freilich, den Rückwärts-
gewandten wird dieses Sehen nicht leicht.
Aber für uns, die wir die Kausalität dieses
Dokuments kennen, die wir wissen, wie
sieh der darin ausgedrückte Gedanke, der
darin zutage tretende Wille, die darin ver-
körperte Aktion allmählich und natur-
notwendig aus den Einzelgeschehnissen des
letzten Menschenalters herausentwickelten,
für uns ist dieses Dokument ein hohes
Zeichen von erlösender Bedeutung, ein er-
neuter Lebensschrei des werdenden „Staaten-
trüstes unseres von den Rudimenten der
Vergangenheit noch immer überwucherten
alten Erdteils.
Mögen die Skeptiker, die Zweifler und
Spötter, die um die Vergangenheit sich
Aengstigenden noch so sehr den Wert dieses
Dokumentes herabzusetzen suchen, daß es
ist, können sie nicht bestreiten, .und da-
durch, daß es ist, daß es sein konnte, ist
es etwas Großes. Als wir auf unseren Kon-
gressen von einer aus den Flotten der
europäischen Mächte gebildeten internatio-
nalen Polizei sprachen, galten wir als die
Utopisten und Schwärmer. Als selbst ein
Carnegie diese Forderung aufstellte, ein
Roosevelt sie 1910 in Kristiania wieder-
holte, gab es nur ein Lächeln bei den P^wig-
gestrigen. Und doch sind in einem (schweren
Augenblicke diese Utopien Wirklichkeit ge-
worden, haben die Ereignisse ganz genau
den Weg genommen, den wir für sie theo-
retisch skizziert hatten. Dabei muß noch
betont werden, daß es sich nicht einmal
mehr um eine Ausnahmeerscheinung han-
delt. Denn wir hatten schon einmal eine
internationale Flotte, wir hatten schon ein
internationales Landheer und wissen, daß
der englische Weltadmiral nur der Nach-
folger des deutschen Weltfeldmarschalls ist.
Und gerade diese Wiederholung bestätigt
die Annahme, daß es sich hierbei um eine
Umwälzung der politischen Methoden han-
delt, die der alten Routine Hohn spricht.
Vergessen wir es nicht: Der gemeinsame
Wille Europas, — wenn es auch schwer ge-
wesen sein mag, ihn zu konzentrieren — die
gemeinsame Handlung Europas haben die
Staaten vor gegenseitiger Vernichtung be-
wahrt. Nur in dieser Gemeinsamkeit liegt
das Heil dieses Erdteils. Solange jeder
einzelne Staat nur seinen eigenen Frieden
zu wahren sucht, treibt er dem Ruin zu.
Ein teilweises Einbekenntnis hierzu liegt
in der Formierung der beiden Staaten-
gruppen, die wir in Europa haben. Nicht
aus Liebe, sondern aus der erkannten Ohn-
macht des Isoliertseins sind sie erstanden.
Eine Organisierung dieser Gruppen brächte
das Ziel näher. Was während des Balkan-
konfliktes vorübergehend notwendig und
möglich wurde, müßte zu einer dauernden
Einrichtung werden. Dann könnte Europa
wirklich zu einem Frieden kommen, der
von dem Zustand des bloß vermiedenen
Krieges grundsätzlich verschieden wäre.
Dann könnte Europa zu einer Lähmung des
Rüstungswettbewerbes, ja zu einer Ver-
minderung seines erdrückenden Panzers
kommen. Denn nur durch' gemeinsames Zu-
sammenwirken aller Nationen, zum min-
desten der größeren führenden, ist das
Rüstungsproblem zu lösen. Es ißt ein
inte r n ationales Problem und
kann nur international gelöst
w e r de n. Der Versuch, durch isolierte
nationale Handlungen mit ihm fertig zu
werden, führt zu jenen aller Vernunft Hohn
sprechenden Methoden des gegenseitigen
Ueberbietens ohne Ende.
122
@=
DIE FRIEDENS -WARTE
Im Namen Europas sprach ein Ad-
miral, im Namen Europas hätten nun auch
die Soziologen, die Sozialpolitiker, die Na-
tionalökonomen, die Hygieniker zu sprechen,
und 12 Milliarden jährlich würden zu drei
Vierteilen für die Wohlfahrt der Mensch-
heit frei ! Im Namen Europas ! A. H. F.
Wettrüsten
oder Rüstungsverständigung.
Von Georg Gothein, M.d. R.
Von jeher ist Macht ein relativer Be-
griff gewesen. Schon in der Bibel heißt es:
,,Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast
bewahrt, bleibt das Seine mit Frieden, wenn
aber ein stärkerer über ihn kommt, so nimmt
er ihm 1 seinen Harnisch, darauf er sich ver-
ließ, und teilt den Raub aus." Das gut
im Leben der Völker heut ebenso wie vor
zwei- oder dreitausend Jahren. Freilich ist
eins inzwischen wesentlich anders geworden.
Der Stärkere hat kein reales Interesse mehr,
den Schwächeren mit Krieg zu überziehen,
ihn zu unterjochen. Denn auch für den Sieg-
reichen lohnt der Gewinn nicht den Einsatz.
Selbst der glänzendste Sieg läßt den Sieger
stark geschwächt zurück, und die Beute
— der Erwerb von Land und Menschen —
macht ihn nicht reicher. Es ist das große
Verdienst Norman Angells, diese Wahr-
heit, die von objektiv die Dinge Betrachten-
den längst erkannt war, exakt nachgewiesen
zu haben. Auch als Deutscher kann man
nur wünschen, daß sein Buch trotz vielfach
schiefer Auffassung unserer Verhältnisse,
trotz nicht unbeträchtlicher historischer Irr-
tümer, die geeignet sind, deutsche Gefühle
zu verletzen, in allen Ländern ein Volksbuch
werde. Denn was bedeuten diese kleinen
Irrtümer gegen den Wert, den die Wider-
legung des schwersten Irrtums hat, unter
dem die Völker leiden. Wehrmacht ist
ein relativer Begriff; das fand seinen
Ausdruck, als die Formel von dem euro-
päischen Gleichgewicht erfunden
wurde, die in den letzten beiden Jahrzehnten
erneut und in noch weit kostspieligerer Weise
wieder aufgenommen worden ist als damals,
wo sie gegen die Eroberungszüge Lud-
wigs XIV. eine Notwendigkeit war. Und
jede Verschiebung des Schwerpunkts in dieser
künstlichen Konstruktion führt zu neuen
Rüstungen. Zwar erklärt jede einzelne
Macht, ihrerseits nicht an Eroberungen zu
denken, mit ihren Rüstungen nur den Frieden
sichern, einen Angriff erfolgreich zurück-
weisen zu wollen; lediglich die Versicherungs-
prämie für (Erhaltung des Friedens bedeuteten
ihre Rüstungen. Man ist sogar berechtigt,
diese Versicherungen bei der Mehrheit der
Staatsregierungen für durchaus ernst und
ehrlich zu halten. Denn wenn es auch in
allen Staaten Leute gibt, die den Krieg des
Krieges wegen wollen, die da singen: ,,Mein
Vaterland muß größer sein", die eine Er-
schlaffung der kriegerischen Tugenden eines
Volkes in langen Friedenszeiten befürchten,
so ist doch deren Zahl in England, Frank-
reich, Deutschland und Oesterreich-Ungarn
gering; man kann sagen, sie ist in einem
Lande um so geringer, je höher die Volks-
kultur ist. Italien hat leider durch das
Tripolisabenteuer bewiesen, daß es unter Um-
ständen den kriegslustigen Elementen ge-
lingt, das an sich friedliche Volk in einen
Eroberungskrieg hineinzureißen, und die
panslawistische Agitation in Rußland be-
schränkt sich zwar auf einen nur kleinen
Kreis des Volkes, aber es sind politisch recht
einflußreiche Kreise, die sie betreiben.
In Deutschland will außer
einigen politisierenden Militärs
und den nirgends ernst genomme-
nen Alldeutschen niemand den
Krieg; es ist recht bedauerlich, daß man
im Auslande den Aeußerungen von Männern
wie des Generals von Bernhardi Kurt von
Strantz, Hauptmann a. D. Pauli, Albrecht
Wirth, von Blättern wie dem „Deutschen
Armeeblatt", der ,,Allg. Evang. - Luther.
Kirchen-Ztg.", der Alldeutschen Blätter, der
„Deutschen Zeitung", „Deutschsoziale
Blätter", „Hammer", „Deutsche Hochwacht",
die eigentlich unter Ausschluß der Öffent-
lichkeit erscheinen, irgendwelche Bedeutung
beilegt. Schlimmer ist es schon, wenn die„Post",
„Tägl. Rundschau", „Rheinisch-Westfälische
Zeitung" und „Leipziger Neueste Nach-
richten" in eine gleiche Tonart verfallen.
Aber auch hinter diesen Blättern steht keine
irgendwie nennenswerte Partei. Und wenn
seinerzeit auch die „Konservative Korrespon^
denz" vor dem frivolen Wort nicht zurück-
geschreckt ist : „Ein Krieg wäre uns recht",
so wird man darin doch kaum mehr als eine
aus rasch vorübergehender Verstimmung
hervorgerufene Entgleisung sehen. Selbst
die konservativen Fraktionen wollen den
Frieden, sehen in den Rüstungen nur das In-
strument zu seiner Erhaltung, denken nicht
an eben Eroberungskrieg, auch nicht an einen
Krieg, der den Gegner so schwächt, daß er
dauernd ungefährlich ist.
Wenn also die Elemente, die Deutsch-
land in kriegerische Unternehmungen ver-
wickeln wollen, an sich keine politische Be-
deutung haben, so sind doch die, welche den
Frieden nur dann gewahrt glauben, wenn
Deutschland im' Verein mit seinen Ver-
bündeten stärker ist als Rußland und Frank-
reich zusammen, um so einflußreicher; nicht
nur gegenüber den maßgebenden Stellen,
sondern auch gegenüber jenen weiten Kreisen,
die das politische Denken sich von ihrer
Zeitung abnehmen lassen, dem politischen
123
DIE FBIEDENS -^AßTE
Philister, der sich aus Angst vor dem Krieg
in patriotischen Worten berauscht, sich bei
Neuwahlen stets auf die Seite derer schlägt,
die ihn mit Rüstungsvermehrungen am meisten
zu schützen bereit sind. Diese Kreise sind
der Suggestion durch die Rüstungsfanatiker
am 1 meisten ausgesetzt. Und gerade diese
suggestiven Naturen bilden sich ein, nüch-
terne Realpolitiker zu sein, sehen auf die,
welche eingedenk der Tatsache, daß Wehr-
macht ein relativer Begriff ist, daß die Ueber-
treibung der Wehrausgaben zur wirtschaft-
lichen und damit zur politischen Schwächung
führt, für eine internationale Verständigung
über deren Begrenzung eintreten, verächt-
lich herab. Sie sind ihnen entweder törichte
Idealisten oder verweichlichte Menschen,
wenn nicht gar Vaterlandsverräter. Freilich,
wenn diese „Realpolitiker", wie sie sich so
gern nennen, die noch vor zwei Jahren jede
Verständigung zwischen England und
Deutschland über ein Stärkeverhältnis der
beiderseitigen Flotten als unsinnig, un-
würdig, ja vaterlandsfeindlich brandmarkten,
heut die Worte des 1 deutschen Reichskanzlers
bei der Begründung der Wehrvorlage über
die den Frieden fördernde englische Politik
und über die Möglichkeit, zu einem fester
begrenzten Stärkeverhältnis als dem 1 der
Dreadnoughts, ja über Einschränkung des
Flottenbaues zu kommen, lesen, so werden
sie sich eingestehen müssen, daß diese hoch-
erfreuliche Besserung der deutsch-englischen
Beziehungen, die für den Frieden wie für
Deutschlands Machtstellung vom größten
Wert ist, eine — wenn auch erst sehr un-
zulängliche — Verständigung über Rüstungs-
begrenzungen zur Voraussetzung hatte. Ge-
wiß, die Welt ■ — und gerade auch die euro-
päische — ist heut nicht so weit in der
Kulturentwicklung, um sich der Hoffnung
hingeben zu können, den Frieden lediglich
durch internationale Verträge und ein Welt-
schiedsgericht zu sichern und darüber auf
jede Rüstung zu verzichten. Aber die ganze
Entwicklung seit 1871 beweist doch un-
zweifelhaft, daß die Völker, ja daß sogar die
Diplomatie von dem dringenden Wunsch be-
seelt sind, Mißverständnisse durch aufklärende
Verhandlungen aus der Welt zu schaffen,
entgegengesetzte Interessen durch billigen Aüs^
gleich zu verringern.
Selbst in so schweren politischen Lagen
wie der durch die Balkankrisis hervorgerufe-
nen, wo Volksleidenschaften, Rassen-, ma-
terielle und politische Gegensätze jede Ver-
ständigung so ungemein erschweren, ist es
bisher doch gelungen^ den Krieg zu lokali-
sieren, und wird es hoffentlich gelingen, auf
dejrt Balkan Zustände zu schaffen, die die
Gewähr einer längeren Dauer haben.
Es klingt paradox, daß die Heeres- und
Flottenrüstung der Großmächte heute gar
nicht mehr dem Kriege, sondern dem Frieden
dienen soll. Wenn dem aber- ! so ist, muß
man sich fragen: „Wird die Versiche-
rungsprämie (geg e n die Kriegs-
gefahr, die in der Rüstungausgabe
besteht) nicht zu groß? läßt sich
der damit erstrebte Zweck nicht
in einer Weise erreichen, die we-
niger am Mark des Volkes zehrt?"
Deutschlands Wehrausgaben beliefen sich
nach dem 1 vorläufigen Etat für 1913 ein-
schließlich der Militär- und Marinepensionen
auf 1578,8 Mill. M. ; rechnet man dazu noch
die Hälfte der Jahresausgaben der Reichs-
schuldenverwaltung mit 123 Mill. M., so
sind das bar 1711,8 Mill. M. Der Geh. Ober-
Finanzrat Schwarz hat die Wehrausgaben in
den Etats pro 1912/13 (also dem abgelaufenen
Jahr) festgestellt bei Deutschland auf 1570
Mill. M., England 1468 Mill. M., Frankreich
1237 Mill. M., Oesterreich-Ungarn 617 Mill.
Mark, Italien 529 und Rußland 1574 Mill. M.,
zusammen die der sechs europäischen Groß-
mächte auf rund 7 Milliarden M. — natürlich
ohne Verzinsung und Tilgung der zu Rüstungs-
zwecken aufgenommenen Schulden.
Die neuen deutschen Wehrvorlagen for-
dern rund 1 Milliarde für einmalige und
186 Mill. M. für dauernde Ausgaben; ver-
teilt man die ersteren auf zehn Jahre und
rechnet die Zinsen hinzu, die bei regel-
mäßiger Tilgung in dier Zwischenzeit dafür
aufgewandt werden müssen, so macht das
120 + 186 = 306 Mill. M. im Jahr, das
würden mit den bisherigen Ausgaben von
1711,8 Mill. M. zusammen 2017,8 Mill. M.
sein; dabei muß erwogen werden, daß die
Durchführung des letzten Flottengesetzes
noch zu beträchtlichen Mehrausgaben in den
nächsten Jahren führen wird.
Damit sind aber die Wehrlasten Deutsch-
lands noch keineswegs erschöpft. Nach dem
vorläufigen Etat für 1913 beziffert sich die
Zahl der in Heer und Flotte tätigen Mann-
schaften, Unteroffiziere, Offiziere, Sanitäts-
und Veterinäroffiziere und Beamten auf
783 000 Köpfe. Dazu sollen an Heeresver-
stärkung noch 136 000 Mann und ca. 1500
Beamte treten; die Durchführung des letzten
Flottengesetzes wird weitere ca. 15 000 Mann
erfordern, und schließlich müssen mindestens
65 000 Arbeitskräfte hinzugezählt werden, die
in Militär-: und Marinewerkstätten beschäf-
tigt werden. Rund 1 Million Männer im
besten, arbeitsfähigsten Alter werden damit
allein in Deutschland dauernd einer wirt-
schaftlich nutzbringenden Beschäftigung ent-
zogen ; dabei ist noch gar nicht berücksichtigt,
wieviel Arbeitskräfte in privaten Werkstätten
für Heeres- und Flottenzwecke beschäftigt
werden.
Rechnet man den Prödüktionswert einer
männlichen Arbeitskraft durchschnittlich zu
2000 M. jährlich, was mit Rücksicht auf die
rund 39 000 Offiziere und Sanitäts- usw. Offi-
ziere, auf die 20 000 Beamten und 126 000
Unteroffiziere sicher sehr niedrig gerechnet
124
@=
= DIE FRIEDEN5-^&DXE
ist, so ergibt sich ein weiterer Kostenbetrag
von 2000 Mill. M. im Jahre, der Deutschland
dadurch erwächst, daß ständig 1 Million
Männer einer wirtschaftlich nutzbringenden
Arbeit entzogen werden. I nsgesamt
werden dann seine Wehrlasten
4000 Millionen Mark p. a. über-
schreiten, also höher sein als 1871
die französische Kriegskosten-
entschädigung, deren gewaltiger
Betrag damals das Staunen der
W e 1 1 hervorrie f.
Wenn diese Kosten in den anderen Län-
dern auch etwas niedriger sein werden, so
doch verhältnismäßig nicht viel. Und diese
enormen Summen und Arbeitskräfte werden
ständig der Volkswirtschaft entzogen; es
tritt durch die Rüstungen zur Erhaltung des
Friedens jenes finanzielle und volkswirtschaft-
liche Weißbluten ein, das in seinen wirtschaft-
lichen Folgen auf die Dauer nicht viel weniger
verderblich ist als ein Menschen und Güter
verschlingender Krieg. Welche enorme Summe
sozialen Uebels ließe sich aus der Welt
schaffen, wenn auch nur die Hälfte der
Küstungskosten zun* Besserung des Loses der
weniger bemittelten Klassen Verwendung,
fände! Die Ausgaben der Kranken-, Un-
fall- und Invalidenversicherung Deutschlands
haben 1910 nur 804 Mill. M. betragen; nur
52 Mill. M. davon hat das Reich zugeschossen.
Es könnte die Leistungen verdoppeln und sie
ganz auf die Reichskasse übernehmen, wenn
es seine Wehrlasten nur auf die Hälfte herab-
mindern könnte.
Es ist aber auch klar, daß die Völker
Europas über den riesigen Wehr-
ausgaben wirtschaftlich zurück-
bleiben müssen hinter anderen
Völkern, die diese Lasten nicht zu
tragen haben. Das gilt von denen un-
seres Kontingents gegenüber England, das
die allgemeine Wehrpflicht nicht kennt, also
nur relativ wenig Menschen im Heeres- und
Flottendienst hat. Das gilt in noch ganz
anderem Maß gegenüber den Vereinigten
Staaten von Amerika und Kanada. Wenn die
sechs europäischen Großmächte von 1881
bis 1910 über 134 Milliarden Mark für
Rüstungszwecke ausgegeben haben, ist es da
ein Wunder, wenn ihr Reichtum weit zurück-
bleibt hinter dem Nordamerikas?
Die Rüstungs Vermehrung des
einen Landes treibt mit Natur-
notwendigkeit die des an'dern'her-
a u s. Die Verstärkung der russischen Wehr-
macht, z. T. vielleicht gezeitigt durch die
deutschen und österreichisch-ungarischen Rü-
stungen in 1911 und 1912, die wieder bedingt
durch das französische Cadresgesetz waren,
hat vereint mit der Veränderung der poli-
tischen Verhältnisse auf dem Balkan die
neueste deutsche Wehrvorlage hervorgerufen;
letztere zeitigt die Wiedereinführung der
dreijährigen Dienstzeit in Frankreich und
neue Rüstungen in Rußland , usf.
Es ist die Schraube ohne Ende, unter
der die Völker seufzen.
Als 1898 der russische Zar überraschend
das Manifest für die Friedenskonferenz im
Haag erließ, war die Welt skeptisch, und
leider ist — so segensreiche Folgen sie auf
andern Gebieten erreicht hat — auf dem wich*-
tigen Gebiet der Frage der Rüstungsbeschrän-
kungen ihr Einfluß weniger als; Null ge-
blieben. Gerade am Widerstand Deutschlands
ist diese Frage gescheitert. Die „Formel"
der Rüstungsbeschränkung Heß sich nicht
finden. Fürst Bülow meinte seinerzeit, daß'
rnan unmöglich international den einzelnen
Staaten vorschreiben könne, wieviel Kanonen,
Schiffe, Panzer- und Maschinenstärken, wel-
che Geschützstärken, welche Gewehre, wel-
ches Pulver usw. sie haben sollten. Darin
kann man. ihm auch recht geben: Diese kom-
plizierte Formel läßt sich nicht finden. Aber
schon vor langen Jahren ist von den ver-
schiedensten Seiten unabhängig voneinander,,
vom Pfarrer Urnfrid, Prof. Quidde und mü-
der Vorschlag gemacht worden, lediglich
das Maß der Rüstungsausgaben
international festzulegen, die vor-
handenen Heeres- und Flotten-
etats als das Gegebene zu nehmen
und sich zu ve r pf 1 i c h ten, für eine
bestimmte Reihe von Jahren diese
Etats nicht zu überschreiten.
Die Etats unterliegen der Kontrolle der
Öffentlichkeit, der Parlamente. Es geht
nicht an, neben ihnen noch Geheimetats zu
führen, und in jeder gesetzgebenden Körper-
schaft fehlt es nicht an Parteien oder Per-
sonen, die dem Versuch, Rüstungsausgaben
in anderen Etats zu verstecken, energisch ent-
gegentreten, ihn sofort an die Öffentlichkeit
bringen würden. Welche Ausgaben aber in
die Heeres- und Flottenbudgets gehören, dar-
über ließe sich leicht eine Verständigung her-
beiführen.
Ich bin fest überzeugt, daß eine ein-
mal für fünf Jahre erfolgte Fest-
legung der Wehrbudgets bei Ab-
lauf der Bindungsfrist nicht nur
zu einer Erneuerung, sondern so-
gar zur Verständigung über gleich-
mäßige prozentuale Herabsetzung
führen würde, daß zum Segen für die
Völker die Schraube gelockert würde.
Auf mein Betreiben hat noch im alten
Reichstag die Fraktion der Fortschrittlichen
Volkspartei eine Resolution eingebracht, „daß
der Reichskanzler sich nicht ablehnend ver-
halten, solle, wenn von einer andern Groß-
macht Vorschläge wegen gleichzeitiger und
gleichmäßiger Begrenzung der Rüstungen ge-
macht werden sollten". Wir hatten Grund
zu der Annahme, vom Reichskanzler eine
entgegenkommende Antwort zu erhalten und
waren aufs peinlichste überrascht, als sie kühl,
125
DIE FBIEDEN5-WADTE
i@
ja fast schroff ablehnend klang. Der Reichstag 1
hat sie damals trotzdem mit erdrückender
Mehrheit angenommen, aber praktische Wir-
kung konnte sie nach der Bethmannschen
Antwort nicht mehr haben.
Heute ist die Situation schlimmer als je.
Weder die Regierungen Rußlands noch
Deutschlands, weder die Frankreichs noch
Oesterreich-Ungarns, weder die Englands noch
Italiens können in jetziger Lage mit einern
Rüstungsbegrenzungsvorschlag herauskom-
men; bei den ersten fünf würde man daraus
(nur allzu leicht ein Eingeständnis der
Schwäche herauslesen l England gehört zur
Tripelentente und würde den Staaten des
Dreibundes nicht vorurteilsfrei erscheinen.
Die „Frankfurter Zeitung" hat sich da-
her ein Verdienst erworben, als sie an den
neuen Präsidenten der Vereinigten
Staaten die Aufforderung rich-
tete, seinerseits die Initiative
asur Einberufung einer Ab-
rüstungskonferenz zu ergreifen.
\Herr Woodrow Wilson würde sich mit einem
solchen Schritt das größte Verdienst um die
Kulturentwicklung der Menschheit erwerben.
Mehr als je ist heute die Stimmung in den
beteüigten Völkern bereit, zur praktischen
Verwirklichung dieses Gedankens zu schreiten.
Es ist nicht zu befürchten, daß eine solche
Konferenz diesmal wieder wie das Hornberger
Schießen ausginge. Bei der Stimmung
in Deutschland, speziell auch im
Reichstag, könnte die deutsche
Regierung sich diesmal nicht auf
den ablehnenden Standpunkt
Stellen. Frankreich würde auf-
atmen, wenn es von dem. Alp der
dreijährigen Dienstzeit befreit
würde. Und in Rußland könnte
sich Kaiser Nikolaus nicht selbst
desavouieren, wenn sein vor 15
Jahren gefaßter Gedanke end-
lich realisiert würde.
Reinste Vaterlandsliebe ist es, die sich
in dem Wunsch nach internationalen Rüstungs-
begrenzungen ausspricht; aber nicht minder
ist er von realpolitischen Erwägungen dik-
tiert. Denn die Exzesse des jetzigen Rüstungs-
fiebers sind vaterlandsgefährlich; sie
schwächen die Kraft für den Ernstfall.
Die Irrtümer des Militarismus.
Von Richard Gädke,
früher Oberst und Regimentskommandeur.
So bedauerlich es ist, man darf sich keiner
Täuschung darüber hingeben, daß wir einer
neuen Hochflut der Rüstungen mit unwider-
stehlicher Macht zusteuern. Wie einst die
Epidemie des Geißlertüms ganz Europa in
verheerendem Zuge durcheilte, bis endlich der
Wahnsinn in sich selbst hinstarb, so geht es
jetzt mit der entfesselten Wut der Rüstungen.
Keine menschliche Macht, keine sittliche
Ueberlegung wird ihr Einhalt tun, bis endlich
der Gipfelpunkt erreicht ist; bis alle Völker
und alle Staaten die Grenze ihrer Leistungs-
fähigkeit erreicht haben und dann auf einmal
merken, daß sich in ihrem gegenseitigen
Stärkeverhältnis nichts Wesentliches ge-
ändert hat.
Die menschliche Entwicklung zeigt immer
das gleiche Schauspiel. Wenn etwas Neues an
die Tür des Bestehenden pocht, hat dieses
gewöhnlich den Höhepunkt seiner eigenen
Möglichkeiten noch nicht erreicht. Im Gegen-
teil! Das Neue ist notwendigerweise der Feind
des Alten und pflegt dieses zu einer letzten
gewaltigen Kraftanstrengung mit innerer Not-
wendigkeit zu zwingen. Ich darf ein nur nahe-
liegendes Beispiel anführen. Als gegen den
Ausgang des Mittelalters das Schießpulver
seine siegreiche Kraft zu zeigen begann und
der Waffentechnik neue Wege wies, war seine
nächste Folge nicht die Beseitigung der stähler-
nen Schutzrüstungen, durch die der Einzel-
kämpfer seine Unverwundbarkeit, mindestens
seine Ueberlegenheit im Nahkampfe, zu sichern
bestrebt war. Nein, gerade damals wurden
die Panzer immer vollkommener, sie hüllten
die Glieder des Mannes immer dichter und
schwerer ein, sie bedeckten selbst den
Körper des Schiachtrosses bis zu den Knien
abwärts. Die Kunst der Waffenschmiede er-
reichte damals ihren Höhepunkt und schuf
bewunderungswürdige Rüstungen, die wir
heute in den Zeughäusern anstaunen als in
ihrer Art herrliche Gebilde von Menschenhand.
Bis sie dann auf einmal als überflüssig und
hinderlich — wahrscheinlich sogar die körper-
liche Entwicklung der Menscheit schädigend —
Stück für Stück sanken und schließlich nur
noch stählerner Helm und Brustpanzer für
die schwere Reiterei übrig blieben. Auch sie
jetzt nur noch Prunkstücke für das militärisch-
höfische Schauspiel.
In ähnlicher Weise schnüren sich in unseren
Tagen die Völker-Individuen in immer gewalti-
gere Kriegsrüstungen ein und verwenden immer
größere Mittel auf den Wettbewerb militä-
rischer Stärke — Mittel, die sie in Verzweifelter
Anstrengung den Kulturaufgaben und der
friedlichen Behaglichkeit ihrer Einzelglieder
entziehen. Je mehr der pazifistische Gedanke
an Kraft gewinnt, je mehr die Ueberzeugung
in unser sittliches Bewußtsein übergeht, daß
die Einzelnation und der Partikularstaat nicht
den Höhepunkt politischer Entwicklung bilden,
sondern sich als dienende Glieder einzufügen
haben in den lebensvollen Gesamtorganismus
der Menschheit, um so erbitterter bäumt sich
der alte, beschränkte Begriff des Patriotismus
auf gegen den erhabenen Gedanken des Welt-
bürgertums. Um so mehr wird der Gedanke
internationaler Solidarität der Kulturwelt als
staatsfeindlich und antipatriotisch beschimpft.
126
<§]
DIE FRI EDENS -^k^RXE
Und doch haben gerade die letzten sorgen-
vollen Monate, fast darf man sagen, die
letzten beiden Jahre voller Aufregung, be-
■wiesen, daß schon etwas wie ein europäisches
Gemeingewissen im Entstehen begriffen ist.
Der Kampf um Marokko wurde vermieden,
weil die beiden nächstbeteiligten Staaten von
ihren eigenen Freunden mäßigend beraten
wurden und schließlich selbst die Verant-
wortung des ungeheuren Blutvergießens um
solchen Anstoßes willen scheuten. Der Zug
Italiens nach Tripolis mochte immerhin mit
■der Kulturaufgabe eines aufstrebenden gegen-
über einem absterbenden Staatswesen ent-
schuldigt werden; und es gelang jedenfalls,
den Krieg zu lokalisieren. Am gefährlichsten
schien die allgemeine Lage, als die verbün-
deten Balkanstaaten ihren kecken Angriff
.gegen die türkische Herrschaft wagten und
sie sozusagen im ersten Anlaufe nieder-
warfen. Es hat sicher manche Woche
in diesen letzten sechs Monaten ge-
geben, wo ein allgemeiner Krieg der euro-
päischen Großmächte außerordentlich nahe
gerückt war; gleichwohl ist es durch die hin-
gebende Arbeit aller und durch die Besonnen-
heit der österreichischen wie der russischen
Politik geglückt, das Schiff des Friedens durch
alle Fährnisse glücklich hindurchzusteuern.
Man verhöhnt den Pazifismus als die
Utopie weltfremder Schwärmer und merkt gar
nicht, welche Fortschritte er bereits in der
praktischen Politik der Regierenden, in dem
Ideenkreise der Diplomatie gemacht hat. Ein
nettes Beispiel der ,, Philosophie des Unbe-
wußten" ! Die Pazifisten können in der Tat
mit dem Endergebnis dieser letzten Monde
ganz zufrieden sein. Denn nur, indem sich
der friedliche Ausgleich entgegenstehender
Interessen von Fall zu Fall durchsetzt, ent-
steht daraus allmählich eine Gewohnheit und
schließlich ein ungeschriebenes Gesetz. Wobei
es ganz gleichgültig ist, ob im vorliegenden
Falle nur ideale Beweggründe wirkend ge-
wesen sind, und nicht vielmehr in starkem
Maße auch weniger ideelle Ursachen maß-
gebend waren, wie die Furcht der Regierenden
vor den Folgen, die ein unglücklicher Waffen-
gang für sie selbst haben könnte. Man sollte
meinen, daß solche Erfahrungen den strikten
Beweis liefern, wie schon die augenblickliche
Stärke der Rüstungen völlig hinreicht, jeden
Krieg für alle Beteiligten zu einem furcht-
baren Wagnis zu machen; sollte meinen, daß
zur Erhaltung des Friedens eine weitere Ver-
größerung der schon jetzt drückenden Mili-
tärlasten keineswegs erforderlich sei.
Es ist eine wunderliche Logik, die aus
den Erfahrungen der letzten Monate die ent-
gegengesetzte Folgerung zu ziehen sich an-
schickt. Ich bedaure es, daß der erste Militär-
staat, der dies für angebracht hält; Deutsch-
land ist. Die politische Lage im Südosten
soll sich derart zu seinen Ungunsten ver-
schoben haben, daß dem nur durch weitere
Anziehung der Rüstungsschraube ein Wider-
part geboten werden kann. Man kann vieles
dagegen einwenden; vor allen Dingen, daß
doch offenbar die Politik sehr kurzsichtig
und unfähig sich erwiesen, die solche Folgen
gehabt hat. Und in der Tat, erfolgreich ist
die türkische Politik Deutschlands — eben-
sowenig wie die Oesterreichs — gewiß nicht
gewesen. Man kann sicherlich behaupten,
daß Rußland, Frankreich und besonders Eng-
land genußreichere Früchte in jenen inter-
essanten Gegenden zu pflücken verstanden
haben. Aber muß denn diese Politik in ihrer
bisherigen Hilflosigkeit durchaus fortgesetzt
werden? Ist es unbedingt sicher, daß die
neue „Großmacht der Balkanstaaten" immer
und unter allen Umständen als Gegner des
Dreibundes in Rechnung zu stellen sei. Ist es
überhaupt wahrscheinlich, daß das Bündnis
der vier Staaten den Friedensschluß mit der
Türkei überdauern wird ? Melden sich nicht
jetzt schon Eifersüchteleien zwischen ihnen
an; und sollte es nicht möglich sein, in
Griechenland, Albanien und der verjüngten
Türkei den slawischen Staaten ein Gegen-
gewicht zu schaffen ? Schlimmsten Falles aber,
wäre es nicht in erster Linie Oesterreichs
Sache, sich mit einer verschlechterten militä-
rischen Lage abzufinden? Was in aller Welt
nötigt gerade Deutschland, mit einer umfassen-
den Wehrvorlage, der größten seit dem Be-
stehen des Deutschen Reiches voranzugehen?
Und dabei seine finanzielle Not vor aller Welt
derart bloßzustellen, daß es zur Deckung der
ungewöhnlich hohen einmaligen Kosten zu
einer wenig verhüllten Zwangsanleihe schreitet ?
Wie man die Sache auch betrachtet, man
kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß
die veränderte Lage im Orient nur den äußeren
und erwünschten Anlaß dazu bietet, durch
eine riesige Kraftanstrengung jeder militä-
rischen Rivalität ein- für allemal ein Ende
zu bereiten. Den Vätern der neuen Wehr-
vorlage schwebte der Gedanke vor, daß nie-
mand im alten Europa imstande sein werde,
mit Deutschland noch ferner in Wettbewerb
zu treten, wenn dieses den quellenden Born
seiner Volkskraft bis auf den letzten Mann
für die Wehrkraft des Reiches nutzhar ge-
macht habe. Gewiß ist ihnen nicht zugleich
der Gedanke an einen Eroberungskrieg be-
wußt gekommen; ' sie würden es mit
Entrüstung zurückweisen, wenn man ihnen
eine solche ' Absicht unterstellen wollte.
Aber auch sie können nicht für ihre
Nachfolger stehen 1 Die Jahrhundertfeier
der Befreiungskriege, die gewaltsam zugleich
höfisch-monarchischen und nationalistischen
Zielen nutzbar gemacht werden soll, das
25 jährige Regierungsjubiläum des Kaisers und
auch der etwas boshafte Wunsch, gerade den
gegenwärtigen, ein wenig radikaleren Reichs-
tag (was man im frommen und gehorsamen
Deutschland radikal nennt I) vor eine besonders
schwere Probe zu stellen und ihn nötigenfalls
127
DIE FßlEDENS-^öJiTE
aufzulösen: alle diese Momente haben zu-
sammengewirkt, um der Militärpartei den
Triumph dieser Vorlage möglich zu machen.
Man glaubt, daß das deutsche Volk durch
die Unruhe der letzten Monate mürbe genug
gemacht sei, um jede noch so riesige Militär-
vorlage zu schlucken, die ihm angeblich den
Frieden sichern soll. Man kann es nicht oft
genug wiederholen, daß die Jugend der höhe-
ren Stände, in den Schulen chauvinistisch be-
arbeitet, daß die schwere Industrie und ein
Teil des Großhandels, ebenso wie das Junker-
tum und das einflußreiche Beamtentum der
militaristischen Strömung im großen ganzen
Vorschub leisten — vorausgesetzt, daß die
Lasten hauptsächlich von den breiten Schultern
der Massen getragen werden. Diese Massen
selbst aber stehen der Wehrvorlage durchaus
abgeneigt gegenüber.
Es ist der große Irrtum der herrschenden
Schichten, den Krieg durch die ungeheure
Wucht der Rüstungen bannen zu wollen, die
schließlich mitten im Frieden der Wohl-
fahrt und nicht zum wenigsten der Freiheit
verderblicher werden 'muß als selbst ein
Krieg. Sie Wollen sich der Erkenntnis ver-
schließen, die doch diese letzten Monate
mit Sonnenklarheit verbreiten sollten, daß eine
gute, folgerichtige, Abenteuern abgeneigte Ge-
schäftspolitik den Frieden besser sichert als
noch so starke Heeresmassen. Und sie ver-
schließen ihre Augen selbst der noch bedenk-
licheren Wahrheit, daß gerade ihre chauvi-
nistische Rüstungspolitik das allgemeine Miß-
trauen gegen Deutschland wachruft, daß man
in der ganzen Welt keinem anderen Staate in
solchem Maße böse Absichten zutraut, gegen
keine andere Regierung solche Abneigung emp-
findet — nicht einmal gegen die russische —
wie gerade gegen die Regierung Deutschlands.
Dieses Mißtrauen schießt ohne allen Zweifel
über das Ziel weit hinaus und beurteilt die
Bosheit wie die Entschlossenheit der deutschen
Staatsmänner schlimmer, als sie es verdienen.
Aber die Militärkreise Deutschlands, die die
Welt mit ihrem Lärm erfüllen, dürfen an ihre
eigene Brust schlagen: mea culpa, mea culpa,
maxima mea culpa !
Und diese Wehrvorlage schließt noch
einen anderen Irrtum in sich; den, daß die
anderen großen Mächte nunmehr einfach
distanziert wären. Man hätte diesen Fehl-
schuß schon aus dem Ausgange des Wett-
kampfes zur See erkennen sollen, den man
Jahre hindurch mit England geführt hatte.
Die englischen Staatsmänner erklärten ein-
fach, daß sie auf jedes deutsche Schlacht-
schiff deren zwei auf Stapel legen würden;
und sie hatten die Finanzkraft ihres Landes
richtig eingeschätzt. Hier war es Deutsch-
land, das sich mit dem zweiten Platze be-
gnügen mußte.
Jetzt erleben wir ein ähnliches Beispiel
in Frankreich. Noch ist die deutsche Wehr-
vorlage nicht einmal an den Reichstag ge-
langt, und schon hat Frankreich seine Gegen-
vorlage aufgestellt.
Es darf allerdings nun und nimmer mehr
geleugnet werden, daß dieses seine Volks-
kraft schon bisher in einem Maße an-
gestrengt hatte, wie es Deutschland nicht:
einmal durch sein neues Gesetz er-
reichen wird. Ebenso unbestreitbar aber ist
es, daß Deutschland trotzdem für Friedens-
wie für Kriegszeiten eine nennenswerte Ueber-
legenheit über Frankreich gewonnen hatte.
Im Verein mit O esterreich ist es schon gegen-
wärtig stark genug, selbst einen Krieg nach
zwei Fronten hin nicht scheuen zu dürfen.
Andererseits ist es klar, daß die Geldkraft
Frankreichs imfmer noch größer ist als die
Deutschlands; einerseits, weil Frankreich
eine durchschnittlich reichere Bevölkerung
von Rentnern trägt als das schwer arbeitende,
kinderreiche Deutschland; dann aber auch-
weil die Staatsfinanzen dort besser fundiert
sind als in Deutschland, das sich seit Jahren
in einer blamablen Finanzklemme befindet.
Nun erkannten ja die auch in Frankreich
mächtigen chauvinistischen Kreise, daß die-
neue Wehrvorlage Deutschlands ein schwerer
Schlag für jede militärische Rivalität war;
sie fürchteten oder gaben sich jedenfalls den
Anschein zu fürchten, daß Deutschland ge-
sonnen sei, nach Durchführung seiner Heeres-
verstärkung ihnen ein neues Sedan zu be-
reiten. Vergessen wir nicht, daß Frankreich
unter dem Mangel militärischer Vorbereitung
schon einmal schwer hat büßen müssen.
So ist es mindestens verständlich, daß
man dort drüben auf den Gedanken einer
Verlängerung der Friedensdienstzeit um ein
Jahr und der Kriegsdienstzeit um drei Jahre
kam. Das ist unzweifelhaft eine ungeheuer-
liche Belastung des Volkes, eine unerhörte
Blut- wie Geldsteuer zu gleicher Zeit. Es-
ist sehr zweifelhaft, ob Frankreich sie lange
wird ertragen können, und ob die schwüle-
Stimmung, die sie vielleicht im Volke er-
zeugt, nicht gerade zu dem Ziele führt, das
man doch anscheinend vermeiden möchte,,
zum Ausbruch des Krieges, den die Chauvi-
nistenblätter in zwei Jahren voraussagen.
Denn mißglückt das Experiment der drei-
jährigen Dienstzeit unter Heranziehung von
78 o/o der wehrpflichtigen Mannschaft (sogar
die Schweiz hebt nur 64 °/o aus), so könnte
der Bestand der Republik selbst bedroht sein.
Inzwischen aber wird nach Durchführung
der beiderseitigen Verstärkungen das gegen-
seitige) Kraftverhältnis beider Staaten an-
nähernd das alte bleiben. Wollen also die
extremen Militaristen in Deutschland ihre Ab-
sicht durchführen, daß Frankreich endlich die
unvergleichliche Ueberlegenheit Deutschlands
anerkenne, 90 werden auch sie schließlich
die Wiedereinführung der dreijährigen Dienst-
zeit fordern müssen, durch die die Friedens-
stärke des deutschen Heeres auf 1,1 Millioner
Köpfe würde gesteigert werden. Das eben is
128
<s
DIE Fßl EDENS -^\4M2XE
der Fluch der bösen Tat, daß die fortzeugend
Böses muß gebären. Schon kündigt auch
Rußland neue Verstärkungen an ; schon Oester-
reich, daß es sein Rekrutenkontingent aber-
mals erhöhen wolle. Schon verlauten die
gleichen Absichten Italiens, schon schickt sich
Belgien an, mit der Durchführung der all-
gemeinen Wehrpflicht Ernst zu machen; und
es ist kein Zweifel, daß es hierbei mehr von
•der Furcht vor Deutschland als vor Frankreich
getrieben wird. Um ein solches Ergebnis zu
erreichen, müssen also die deutschen Steuer-
zahler eine Milliarde, die französischen fast
«ine halbe Milliarde Mark an einmaligen,
und jene 220, diese etwa 120 Millionen dauern-
der Mehrausgaben tragen. Wieviel Leistungen
sozialer Fürsorge, wieviel kulturelle Aufgaben
könnten damit gelöst werden, wieviel Tränen
getrocknet, wieviel Not und Elend gelindert
werden !
Indem die französische und die deutsche
Sozialdemokratie sich zu einem gemeinsamen
Protest gegen diese immer höher an-
schwellende, verheerende Flut der Rüstungen
geeinigt haben, haben diese ,, Vaterlands losen
Gesellen" eine nicht nur mutige, sondern in
des Wortes bester Bedeutung patriotische Tat
.getan. Denn diese Rüstungen, s o wie sie tat-
sächlich geplant werden, sind sinnlos, weil sie
einen schweren Fehler des Kalküls enthalten.
Wenn sich dies erst der allgemeinen
Ueberzeugung beider Völker, aller Kultur-
völker aufgedrängt haben wird, dann werden
•auch die praktischen Erfolge besser gewürdigt
werden, die der Pazifismus schon gegenwärtig
erzielt hat. Die Waffen des Gewissens bleiben
auf die Dauer wirksamer als die verheeren-
den Werkzeuge des Krieges.
Zu den neuen Rüstungsvorlagen
würde ich, wenn ich im Reichstag säße, das
Wort erbitten und sagen:
Ich werde nicht für die neuen Vorlagen
stimmen. Ich werde niemals für neue Mili-
tärvorlagen stimmen. Jede Vergrößerung
unserer Effektiven ist zwecklos, weil unsere
Nachbarn darauf sofort mit einer Vergröße-
rung ihrer Effektiven antworten. Wenn es
wahr ist, daß der europäische Frieden nur
erhalten werden kann durch das ungefähre
Gleichgewicht der Kriegsrüstungen jeder
Nation, dann ist der Frieden sicherer, wenn
die Armeen der Großmächte im heutigen
Verhältnis zueinander bleiben, als wenn wir
mit unserer Truppenerhöhung Europa
zwingen, sie in ein höheres Verhältnis zu
bringen. Wenn es also, wie doch die Po-
litik der übrigen Großmächte beweist, von
vornherein eine ausgemachte Sache ist, daß
auch nach unserer Effektivenerhöhung die
Großmächte in demselben Stärkeverhältnis
zueinander bleiben als früher, wenn wir folg-
lich auch nachher unserem Vaterlande noch
immer keine Garantie bieten können, für die
Unüberwindlichkeit unserer Armee (weil wir
ja die anderen Armeen zwingen, auch ihrer-
seits die Unüberwindlichkeit anzustreben),
dann bleibt alles beim alten. Der Fort-
schritt läge dann nur in höheren Ziffern,
höheren Steuern und! in der 'höheren Empfind-
lichkeit des angehäuften Kriegszunders.
Ich werde nicht für eine abermalige Ver-
größerung unserer Armee stimmen, weil
unserem Vaterlande heute von keiner Seite
her auch nur die leiseste Gefahr droht. Zu
keiner Zeit der Geschichte war die Friedens-
liebe der europäischen Völker, Fürsten und
Staatsoberhäupter lebhafter, aufrichtiger und
notwendiger als heute. Es besteht für uns
weder eine slawische noch eine französische
Gefahr. — Es besteht keine slawische Ge-
fahr, weil unsere Nachbarn im Osten, und
wären sie noch so kriegslustig, auf lange
Jähre hinaus kein Geld haben werden zur
Organisation eines Eroberungsfeldzuges. Nur
auf dem Papier sind Rußlands Finanzen er-
träglich. Ein neuer Krieg würde in Ruß-
land sofort eine neue Revolution auslösen.
— Es gibt keine französische Gefahr, weil
unsere Nachbarn im Westen erstens in der
Minderzahl sind, zweitens, weil Frankreich
ein Land von Kleinbauern und Kleinrentnern
ist, und niemand den Frieden mehr liebt als
der kleine Besitzende, der seine Kapitalien
in der ganzen Welt anlegen muß, um davon
leben zu können. Von 584 französischen
Kammerabgeordneten gehören überdies 343
der Interparlamentarischen Friedensunion an,
von 300 Senatoren 168. Während von den
397 Mitgliedern dieses hohen Hauses leider
nur 67 dieser wichtigsten aller Friedens-
gesellschaften angehören, können, wir also mit
Genugtuung feststellen, daß von insgesamt
884 französischen Volksvertretern 511, das
heißt mehr als die Hälfte, durch ihre Mit-
gliedschaft in dieser Vereinigung beweisen,
daß sie ausgesprochene Pazifisten sind. Rech-
nen Sie dazu, daß Frankreichs Bevölkerung
nicht wächst, daß in Deutschland immer vier
künftige Soldaten geboren werden, während
zur gleichen Zeit in Frankreich nur einer
zur Welt kommt, daß die vier deutschen
Soldaten jungen in Gottesfurcht und Königs-
treue erzogen werden, während der eine fran-
zösische von mehr als 100000 pazifistisch
gesinnten Lehrern zum Glauben an die
kommende Verbrüderung der Menschheit an-
gehalten wird, — und Sie werden, wenn Sie
alle diese Friedensgarantien der dritten Re-
publik beachten, als verständige Männer den
Revancheschwindel der Chauvinisten be-
lächeln müssen. Der französische Chauvinis-
mus ist nicht schlimmer als der deutsche
oder der englische, und schon 1902 hat der
Sozialistenführer Jaures unter dem Beifall der
Kammermehrheit das erlösende Wort aus-
sprechen können, daß nämlich jetzt die Zeit
gekommen sei, wo man den Revanche-
129
DIE Fß!EDENS-WAQTE
: 3
gedanken vergessen und sich mit der Ge-
schichte abfinden müsse.
Ich werde gegen die neuen Vorlagen
stimmen, weil eine Bedrohung in ihnen liegt.
Jawohl, wir müssen den Mut haben, es
klar auszusprechen : In der nimmersatten
Rüstungspolitik des deutschen Kaiserreichs
liegt eine Bedrohung der anderen Völker.
Unter allen europäischen Großmächten hat
Deutschland seine Rüstungen am heraus-
forderndsten betrieben. Von 1883 bis 1912
haben unsere Rüstungsausgaben um 1144
Millionen zugenommen, das heißt um 227 o/o.
Im' gleichen Zeitraum erhöhte England seine
Rüstungen um 153 o/o, Rußland um 114,8 o/ ,
Oesterreich-Ungarn um 111,9%, Italien um
108,6 o/o und Frankreich (das gefürchtete
Frankreich der Revanche) um 70,2 o/ . Diese
Ziffern und Statistiken beweisen unwider-
legbar, daß wir den Rekord in der Erhöhung
der Rüstungen besitzen, und ich finde nicht,
daß dies unserem Volke zur Ehre gereicht.
Im Gegenteil: Ich beklage diese zwecklose
Kraftleistung aus ganzem Herzen, denn sie
ist schuld daran, daß wir seit langem das
Mißtrauen der ganzen Welt erregen, daß
wir die anderen Völker immer wieder zu
Gegenmaßregeln zwingen, daß der Chau-
vinismus hüben und drüben nicht sterben
will und daß wir daher vorläufig noch immer
nicht zu einer offenen und freien Aussprache
mit unseren Nachbarn gelangen können.
Ich werde keinen Pfennig für neue
Rüstungsausgaben bewilligen, weil meine
Vaterlandsliebe mehr als eine eingelernte
Phrase ist. Die Gefahr ist nicht außerhalb,
sie ist innerhalb. Nicht die Franzosen be-
drohen uns, nicht die Russen und nicht die
Engländer. Uns bedroht unsere eigene un-
zufriedene und hungrige Nation. Denn die
deutsche Nation hungert, bildlich und buch-
stäblich : Unser Volk beginnt Hundefleisch
zu essen. Wir haben kein Geld für unsere
Veteranen. Unsere Arbeiterschutzgesetz-
gebung ist ungenügend; im Vergleich zu
dem, was andere Nationen geschaffen haben,
ist sie eine Karikatur. Unsere Schulen sind
teuer, unmodern und überfüllt. Mit einem
Wort: Wir haben, trotzdem der deutsche
Bürger die höchsten Steuern zahlt, kein Geld
für Kulturaufgaben. Nein, protestieren Sie
nicht : die Franzosen sind nicht mehr die
höchstbelastete Nation. Mit dem 1 Re-
kord der höchsten Rüstungsaus-
gaben halten wir seit einigen
Jahren auch den Rekord der höch-
sten Steuerbelastung pro Kopf
der Bevölkerung. — Und welches Elend
auch in unserem Volkshaushalt : Unsere In-
dustrie, der Stolz unserer Nation, arbeitet
allzu stark mit Kredit statt mit Geld. Der
für den Handel so unentbehrliche Bank-
diskont ist darum beständig teurer als
anderswo. Unsere Staatspapiere sind billiger,
das heißt wertloser als die anderer Staaten.
Die Aufnahme neuer Staatsanleihen ist
außerordentlich schwierig. Unsere Banken
bieten bis 8 o/ für bares Geld. Und so fort.
— Ich sage nicht, daß Deutschland arm ist,.
aber ich sage : Es hat Hunger und ist ge-
niert in seiner Entwicklung. Unter dem
Druck des Rüstungspanzers kann es nicht
mehr recht Atem holen. — Und nun wollen
Sie unserer Germania das beengende Eisen-
korsett nicht nur nicht öffnen, sondern Sie
wollen es noch fester schnüren ? Wenn ein-
Arzt einen gesunden, entwicklungsfreudigen
Menschen zu seinem Vergnügen zu.
einer Operation überreden möchte, dann
würden Sie gewiß sagen, er sei wahn-
sinnig oder übermütig. Unsere Regierung
aber gleicht diesem Arzt, wenn sie
mitten im Frieden, das heißt ohne zwingen-
den Grund, eine Milliarde von der Nation
verlangt und sie mit einer Besitzsteuer zu
decken vorschlägt. Selbst als Frankreich
1871 fünf Milliarden an den deutschen Sieger
zu zahlen hatte, war keine solche direkte
Besteuerung notwendig. Ich sage: diese Be-
sitzsteuer ist ein Frevel an der Vaterlands-
liebe unseres Volkes, und wenn Sie diesen
Frevel gutheißen, dann greifen Sie damit an>
die wichtigsten Atmungsorgane der Nation.
Gewiß : sie würde diese schmerzhafte Ope-
ration überstehen, aber sie würde nachher
noch kranker und kurzatmiger sein als heute.
Denn mit einer solchen Steuer zwingen Sie die
Industrie, den Handel t:nd unsere gesamte
Volkswirtschaft zu einem immer gefähr-
licheren Kreditspiel; Sie untergraben die
Unternehmungslust, denn wer will noch in
einem Staate viel Geld verdienen, wo man
um so mehr zahlt, je mehr man besitzt und
verdient ? Sie treiben damit unsere ohne-
hin schon so spärlichen Kapitalverfügbar-
keiten, unsere beweglichen Werte, unsere
vitalsten Energien und Intelligenzen ins Aus-
land und entwerten den deutschen Kredit
auf den Weltmärkten. Was aber wohl das
gefährlichste dabei ist: Sie vergrößern den
Abstand zwischen Volk und Regierung und
erwecken die Gefahr, daß sich in einer nahen
Zukunft die gärende tiefe Unzufriedenheit
der Hundefleischesser und freudlosen Pro-
letarier gewaltsam Luft macht.
Ich werde niemals für neue Militärvor-
lagen stimmen, denn nach einem flüchtigen
Studium der Börsenkurszettel habe ich fest-
gestellt, daß in Wirklichkeit nur eine Hand-
voll mächtiger Kapitalisten aus diesen
Rüstungsausgaben Gewinn zieht. Diese Ka-
pitalisten, die kaltblütig bereit sind, ihre
Dividenden mit dem Patriotismus der Massen
zu erhöhen, besitzen die Mehrzahl der Aktien
der Kanonenindustrie. Sie haben gut von
einer Besitzsteuer reden, denn das, was sie
auf der einen Seite ausgeben, wird auf der
anderen doppelt und dreifach durch die Er-
höhung ihrer Börsenwerte wieder herein-
gebracht. Vergleichen Sie, meine Herren.,
130
<§:
= DIE FRIEDEN5- , fcÄR.TE
die heutigen Kurse der Kruppwerke in
Deutschland, der Creusotwerke in Frank-
reich und aller Industrieunternehmen, die
von nah oder fern an den zu erwartenden
vermehrten Kriegslieferungen interessiert
sind, mit den Kursen vor einigen Monaten.
Und Sie werden nachher nicht mehr bestreiten
können, daß den Besitzern dieser Aktien die
neuen Steuern nicht nur keinen Verlust,
sondern Gewinn bringen, nicht zu reden von
den zu erwartenden höheren Dividenden. Eine
ganze große Industrie lebt heute ausschließ-
lich von den Budgets der Kriegs- und
Marineminister. Sie lebt von der Vor-
bereitung des Krieges, das heißt von Werken
des Todes und der Zerstörung, auf Kosten
der Steuerzahler. Es liegt keine Ehre für
unsere Nation in dieser Tatsache. Wenn
Millionen von Kapitalien und Hunderttausende
von Menschen für die Kriegsvorbereitung
arbeiten müssen, so ist das bedauerlich,
denn diese Millionen und diese Hundert-
tausende sind für die Kulturarbeit verloren.
Ich bin aus tiefer patriotischer Ge-
sinnung heraus ein Feind der Vermehrung
der Rüstungen, weil ich ein Feind jeder un-
produktiven Arbeit bin und weil ich nicht
wünsche, daß diel Welt mit Fingern auf uns
zeige: Seht, die Deutschen haben nur einen
Ehrgeiz, nur ein Ziel, nur einen Glücks-
krampf: Rüstungen und Paraden, Paraden
und Rüstungen. Unter allen Völkern, zahlen
sie die höchsten Steuern, aber sie haben nur
Geld für Waffen und Kasernen. Ihren zweck-
losen Rüstungen zuliebe essen sie Hunde-
fleisch und lassen sogar ihre Veteranen,
darben.
Meine Herren, ich wünsche nicht, daß
man s o von uns rede, daß man auf uns zeige
als die Gassenjungen der europäischen Kul-
tur. Ich liebe mein Vaterland und will, daß
man es auch jenseits der schwarz -weiß-roten
Grenzpfähle liebe. — Nicht Sparta darf unser
Ziel sein, wo die Kriegsidee die Grundlage
der gesamten Volkserziehung war und wo
man die Industriellen als servile Kreaturen
behandelte. Unser Ziel ist Athen. Denn
ohne die glänzende Furche, die Athen in
der Kulturentwicklung der Menschheit ge-
zogen hat, wäre auch Sparta schon längst
vergessen und verflucht von der Menschheit.
Ich wünsche, daß Deutschland
fortan als Kulturschaffer in der
Welt voranleuchte, und ich ver-
hülle mein Gesicht bei dem Ge-
danken, daß es jemals mit Sparta
dentraurigen Ruhm 1 teilenkönnte,
ein Sinnbild der finsteren Gewalt
und der alles erstickenden Mili-
tär disziplin zu sein.
Selbst Napoleon, ein Gewaltmensch, der
es wissen mußte, hat zugegeben, daß es in
der Welt nur zwei Gewalten gibt, den Säbel
und den Geist, und daß zuletzt immer der
Geist über den Säbel siege. Ich will, daß
der deutsche Geist in der Welt siege und
nicht der deutsche Säbel.
Aus allen diesen Gründen werden alle
ehrlichen Patrioten ohne Unterschied der
Partei mit mir gegen die neuen Militär-
vorlagen stimmen.
Herrn. Fernau (Paris).
Das Weltfeierjahr im Flottenbau.
Am 26. März hat der englische Marine-
minister, Lord Churchill, die Welt mit einem
neuen Vorschlag überrascht. Er sagte:
„Es ist keine Aussicht vorhanden, die
gewaltigen, dauernd wachsenden Kosten in
den Flottenetats der künftigen Jahre zu ver-
meiden, wenn nicht die Periode der Rivali-
täten und des technischen Fortschritts zu
einem Ende kommt. Von allen Nationen der
Welt sind wir vielleicht am besten imstande,
eine derartige Ausdehnung zu tragen, falls
sie fortgesetzt werden sollte. Aber es gibt
glücklicherweise einen Weg, der offen steht
und offen bleiben wird, durch welchen
die Völker der Welt eine fast
augenblickliche Milderung der
Sklaverei erreichen können, in
die sie sich selbst begeben haben.
In der Sphäre des Flottenwettbewerbes ist
alles relativ. Die Stärke einer Flotte ist
ihre Stärke verglichen mit einer anderen.
Der Wert eines Schiffes hängt gänzlich von
dem zeitgenössischen Schiff ab, dem es viel-
leicht entgegentreten muß. Jedoch sehen
wir, daß die Schiffstypen einer jeden See-
macht die der früheren Jahre in unerbitt-
licher Hartnäckigkeit verdrängen, daß viele
Millionen von Jahr zu Jahr ge-
radezu vergeudet werden und daß
das Entwicklungstempo dauernd sich ver-
stärkt, ohne einen wirklichen Ge-
winn in der relativen Flotten-
stärke. Kann ein Vorgang sinn-
loser sein? Die Frage, die sich die Groß-
mächte, und nicht nur die Großmächte, son-
dern auch die großen Nationen vorlegen
sollten, ist diese: Wenn für den Zeitraum
eines Jahres kein neues Kriegsschiff für
irgendeine Flotte gebaut worden ist, würden
unsere Flotteninteressen oder die nationale
Sicherheit in irgendeiner erkennbaren Weise
gefährdet werden? Wir haben heute gute
Schiffe; sie sind die besten der Welt, bis
bessere gebaut werden. Können sie nicht ein
Jahr die Herrschaft behalten, bevor sie zu-
rückgesetzt werden ? Warum' sollten wir
alle nicht für ein Jahr im Schiffsbau
einen Feiertag eintreten lassen, soweit
eine neue Konstruktion oder unter allen Um-
ständen soweit eine Neukonstruktion eines
Linienschiffes in Betracht kommt ? Das ist
die Frage, die ich im vorigen Jahre gestellt
habe, und das ist der Vorschlag, den ich
in dieserni Jahre wiederhole. Er schließt keine
131
DIEFßlEDEN5-^i*<&RrE
e>
Aenderung in der relativen Stärke der Flotten
in sich ein. Er bedingt nicht das Auf-
geben irgendeines Planes bezüglich der
Flottenorganisation oder der Flotten-
vermehrung. Er widerstreitet keinem System
eines Flottengesetzes. Er schließt keine Ein-
schränkung der wirklichen Flottenstärke ein.
Et ist so einfach, daß er zu keinem
Mißverständnis führen kann. Die
Finanzen eines jeden Landes wür-
deneineEnt las tungerhalten. Keine
Flotte würde im geringsten be-
n a chteiligt sein. Wir in Großbritannien
können mit Aufrichtigkeit über einen der-
artigen Gegenstand sprechen. Unsere Schiffs-
bautechnik ist nicht minderwertiger als die
irgendeiner anderen Macht, unsere Erfah-
rungen sind weit größer, unsere Hilfsmittel
sind reicher. Unsere Pläne haben auf jeder
Stufe bei dem Weltwettbewerb die alte
Ueberlegenheit behauptet, und nach dem,
was wir von anderen Ländern hören, unter-
liegen unsere Preise und die Qualität unserer
Arbeit gewiß keinem 1 Tadel. In jedem Jahre,
solange wie neue Schiffe gebaut werden,
werden (wir die besten bauen, welche die
Wissenschaft erfinden oder Geld kaufen kann ;
wir werden unser bestes tun, die Führung in
der Konstruktion aufrechtzuerhalten, die für
die Vorherrschaft zur See nicht weniger wich-
tig ist als das Uebergewicht in der Anzahl.
Das ist kein Appell der Schwäche, des
keuchend Zurückbleibenden, sondern ein
Appell der Stärke des in der Front
Schreitenden, den wir an alle Nationen richten,
und an keine Nation mit größerer Auf-
richtigkeit als an unseren großen Nachbar
jenseits der Nordsee."
Es gibt wohl kaum etwas Einleuchten-
deres, etwas Einfacheres, etwas Klareres
als diesen Vorschlag. Er gleicht dem Ei des
Kolumbus. Mit einem Schlage scheinen all
die Schwierigkeiten überwunden, die uns von
den Gegnern stets als unüberwindbare
Hindernisse für die Rüstungsverminderung
dargestellt wurden. Keine schwierigen For-
meln sind zu suchen, keine Kontrollen auf-
zustellen. Es wird einfach nichts vermindert,
es bleibt alles beim Alten; nur ein Jahr lang
wird pausiert. Die Hunderte von Millionen
einer einjährigen Rüstungspause stellen sich als
klares Ergebnis dar. Leider ist aber das Prin-
zip des Rüstungswettbewerbes an sich so un-
logisch, daß man ihm mit logischen Mitteln
gar nicht beikommen kann. Ebensowenig
wie man ein Kind oder einen Wilden, mit
Gründen überzeugen kann, kann man die
Rüstungsbetreiber überzeugen. Hier gilt ganz
besonders das ausgezeichnete Wort Rudolf
Goldscheids: „La r^cherche de la causa-
lite" est interdite." Nach dem Warum und
Wozu darf hier nicht gefragt werden.
So erhoben sich auch in der deutschen
Presse sofort Einwände. Einwände unglaubr
lichster Art.' Nur ein Beispiel: Die „Kreuz-
zeitung" vom 27. März rückt sofort mit deaj
„wahren Gründen der englischen Vorschläge"
heraus. Schon dieser Titel kennzeichnet die
angewandte Taktik; er verdächtigt. Deutsch-
land würde nach der Kreuzzeitung durch ein
solches Feierjahr „sehr benachteiligt" wer-
den. „Jene Pause würde der überlasteten
englischen Industrie von Vorteil, der nicht
überlasteten deutschen nur von Nachteil
sein. Sie erläutert diese etwas unklare Be-
hauptung folgendermaßen: „Die englischen
Werften verlangen sehr energisch eine Ver-
längerung der Baufristen für die großen
Kriegsschiffe, da sie unter gegenwärtigen
Umständen mit Tag- und Nachtschichten
arbeiten müssen und dabei nicht auf ihre
Kosten kommen können; bei den deutschen
Werften ist das nicht der Fall. Die englische
Technik mag also immerhin noch aus-
dehnungsfähig sein, für eine solche Aus-
dehnung braucht sie aber Zeit; die deutsche
Technik ist ebenfalls, und zwar noch sehr aus-
dehnungsfähig, sie braucht aber keine Zeit,
sondern Arbeit."
Man kann dies kaum 1 als Einwand be-
zeichnen; höchstens als Ausrede. Die
Milliarde, die beide Staaten in solch einem
Feierjahr sparen würden, kommt für die
Kre,uzzeitung gar nicht in Betracht. Sie
spricht nur „von Nachteilen".
Aehnlich auch die „Kölnische Volks-
zeitung". Für sie ist der Vorschlag nur
„ein Paradehieb", eine „schöne Idee",
und schließlich mündet auch ihre Betrach-
tung nach vie,len Wenn und Aber in einer
Verdächtigung: „England will bloß Luft be-
kommen."
Ebenfalls skeptisch, wenn auch in liebens-
würdigerer Form, hat der Reichskanzler in
seiner großen Rede am 7. April zu dem Vor-
schlag Stellung genommen. Er sagte darüber :
„Nun hat Mister Churchill in der
großen Rede, die er neulich gehalten hat, das
Verhältnis der englischen Flotte zur deut-
schen Flotte beleuchtet und dabei einen Ge-
danken wiederholt, den er bereits im vorigen
Jahr, und zwar auch im Parlament, aus-
gesprochen hat, den Gedanken, daß zur
Verminderung der Rüstungen die
Schiffswerften der großen Natio-
nen von Zeit zu Zeit ein Jahr Feier-
tag machen. Mister Churchül hat diesen
Vorschlag speziell an Deutschland, und zwar
für die Jahre 1914 oder 1915 gerichtet. Aber
er hat selbst anerkannt, daß alle Großmächte
an dieser Kontingentierung beteiligt werden
müßten. Die Marinesachverständigen dies-
seits und jenseits haben, wie mir scheint ziem-
lich einstimmig, auf die großen Schwierig-
keiten hingewiesen, die sich der Ausführung
dieses Problems entgegenstellen. Mister
Churchill selbst hat diese Schwierigkeiten ge-
kannt. Auch ist mir nicht bekannt geworden,
daß sein Gedanke im englischen Parlament
oder in der englischen öffentlichen Meinung
132
<§s
DIE FRIEDENS -WARTE
mit besonderer Entschiedenheit aufgegriffen
wäre. Wir werden daher abwarten
können, ob die englische Regie-
rung mit konkreten Vorschlägen
an uns herantreten sollte. Aber die
Tatsache, daß dieser Gedanke ausgesprochen
worden ist, und die Formen, in die der erste
Lord der englischen Admiralität sie gekleidet
hat, bedeutet schon einen großen Fort-
schritt. Es gab eine Zeit, wo jede Form
eines Vergleichs der englischen und der
deutschen Seestärke, des englischen und des
deutschen Schiffsbaues, zu einer Flotten-
hetze führte, die immer wieder die Be-
ziehungen beider Länder vergiftete. Ich
hoffe, daß diese Zeiten der Ver-
gangenheit angehören. Mir scheint,
daß das Vertrauen wiederzukehren beginnt,
das lange zum Schaden beider Länder und
der Welt gefehlt hat."
Das ist keine Zustimmung, aber auch
keine Ablehnung.
Dem scharfen Beobachter der Verhält-
nisse kann eine erfreuliche Tatsache nicht
entgehen : DasProblem derRüstungs-
verminderung entwickelt sich.
Früher durfte darüber kaum gesprochen
werden. Das zynische Gelächter der Rück-
wärtser erstickte jede Andeutung im Keime.
Jetzt wird doch schon diskutiert und erwogen,
und auch von deutscher Seite sehen wir jetzt
öfter ein, wenn auch erzwungenes, Nicken.
Das Problem ist diskutabel geworden. Die
nächste Haager Konferenz wird Formeln vor-
finden, von denen die Regierungen bereits er-
klärt haben, daß sich darüber reden ließe. Es
ist nicht mehr so ausgeschlossen, daß man sich
1915 im Haag darein schicken wird, wenigstens
zu verhandeln. Und das wird schon ein großer
Fortschritt sein.
Kundgebungen
gegen die Rüstungen.
Aufruf des Internationalen Friedensbureaus.
Die gegenwärtige Lage Europas hat ihres-
gleichen noch nicht gehabt.
Zur nämlichen Stunde, da die Vertreter
der Großmächte in London und in Petersburg
s'ich mit allem Nachdruck um die Herstellung
des Friedens auf der Balkanhalbinsel und um
die Aufrechterhaltung des Weltfriedens be-
mühen, kündigen diese selben Großmächte,
unter dem Druck einer künstlich erweckten
Panik, neue gewaltige Rüstungen an, mit der
Behauptung, daß diese für ihre Sicherheit not-
wendig seien.
Seit Jahrzehnten sind wir die Zeugen einer
fortwährenden Steigerung der Rüstungen ge-
wesen; aber was im Augenblick geplant wird.,
um sie noch weiter zu steigern, überschreitet
in der Tat das Maß der ausschweifendsten
Phantasie.
Die Völker müssen begreifen: eine wohl-
überlegte internationale Kampagne sucht sie
heute auf den Weg eines unbegrenzten
Rüstungswettkampfes zu verlocken; wenn sie
den Organisatoren dieser Kampagne folgen,
so werden bald alle ihre Lebenskräfte durch
die Vorbereitung zu den Werken der Zer-
störung und des Todes aufgezehrt werden,
zum Schaden aller Werke des Lebens, der
Zivilisation und des Fortschritts.
Eine solche Lage ist die unausbleibliche
Folge der Gewalt- und Raubpolitik, die von
den Regierungen noch immer verfolgt wird}.
Es ist Sache der Völker, unzweideutig
ihren Willen zur Beendigung einer solchen
Politik zu bekunden.
Heute muB auch der Blindeste sehen/
daß alle Anstrengungen, die zur Steigerung
der militärischen Kräfte eines Landes dienen
sollen, alsbald zunichte gemacht Werden durch
gleiche Anstrengungen anderer Länder. Wenn
die gewaltigen, jetzt geplanten Rüstungen
durchgeführt sind, wird nichts in dem militä-
rischen Kräfteverhältnis der verschiedenen
Nationen geändert sein.
Angesichts solcher Tatsachen sollten die
Völker sich bemühen, kaltes Blut zu bewahren
oder wiederzugewinnen. Zu einer solchen Be-
tätigung des Willens und der gesunden Ver-
nunft rufen wir sie auf.
Denn wahrhaftig, wollen die Völker wirk-
lich unaufhörlich das Bild des kommenden
Krieges vor Augen haben? Wollen sie nicht
vielmehr den Frieden, gegründet auf Ge-
rechtigkeit und Freiheit, die Sicherheit und
den Lohn friedlicher Arbeit, den Segen geisti-
gen Fortschritts, die Erleichterung von Steuer-
und Rüstungslasten, die nutzbringende und
rasche Verwertung der wissenschaftlichen Ent-
deckungen, die Verbilligung der Lebenshal-
tung, die Beteiligung aller an den Erzeug-
nissen der Welt ?
Die Vertreter der Friedensgesellschaften
der ganzen Welt, die in Bern zu einer inter-
nationalen Versammlung zusammengetreten
sind, erklären feierlich: Es gibt heute kein
Volk, das gewillt wäre, Krieg zu führen, um
seine Nachbarn zu vernichten oder zu unter-
werfen; überall würde sich vielmehr ein un-
beschreiblicher Enthusiasmus erheben, wenn
die Politik der Staaten sich unter die Herr-
schaft der Friedensidee stellen wollte. Jede
Versicherung, daß es anders wäre, muß mit
dem schärfsten Mißtrauen aufgenommen
werden.
Die wahre öffentliche Meinung fordert
die Ersetzung der Kriegspolitik durch eine
Politik des Friedens, d. h. durch eine wohl-
überlegte Organisation der internationalen
Arbeitsgemeinschaft und durch eine, auf dem
Recht beruhende, für alle gleichmäßig ver-
pflichtende Beilegung internationaler Streitig-
keiten. Nur so wird jede Nation die ihr zu-
kommende Unabhängigkeit und wahre Sicher-
heit gewinnen.
133
DIEFBIEDENS-^ADTE =
3
Aber ist eine solche Umwandlung der
Politik möglich?
Die jüngste Vergangenheit hat zwei be-
merkenswerte Vorgänge gezeitigt: Die von
den Regierungen Rußlands und Oesterreich-
Ungarns getroffene Vereinbarung über eine
gleichzeitige Demobilisierung ihrer in den
Grenzbezirken stehenden Truppen und die,
wenigstens stillschweigende, Verständigung
Deutschlands und Englands über das Maß
ihrer Flottenrüstungen. Diese beiden Vor-
gänge, so wenig wir ihre Bedeutung über-
schätzen, sind doch außerordentlich bezeich-
nend; sie zeigen, daß Uebereinkommen zur
Beschränkung der Rüstungen durchführbar
sind, wenn nur die Regierungen den Willen
haben, sie durchzuführen.
Unser Aufruf geht an die Regierungen,
die sich ihrer Verantwortung bewußt sind,
nicht allein an jene, die unmittelbar durch
das Rüstungsfieber berührt werden, sondern
auch an alle andern, die die unheilvollen
Folgen mitzutragen haben werden. Ihre Sache
ist es, unverzüglich, gemeinsam oder einzeln,
bei den am Rüstungswettkampf unmittelbar
beteiligten Regierungen vorstellig zu werden,
damit diese gleichzeitig auf ihre Pläne ver-
zichten, auf diese Pläne, ebenso verderblich
und unnütz für sie selbst, wie gefährlich für
alle.
Unser Aufruf geht an die Parlamente und
unterschiedslos an alle politischen Parteien,
die sich ehrlich des Wohles der Massen an-
nehmen, und die sich unabhängig halten von
den Rüstungsinteressenten. Ihre Sache ist es,
einmütig und eines Sinnes ihre Stimme zu er-
heben, um von ihren Regierungen die gleichen
Entscheidungen und die gleichen Maßnahmen
zu fordern.
Unser Aufruf geht schließlich an die
Völker, die alle den Frieden wollen, die alle
mit ihren Interessen am Frieden hängen und
die alle unter der materiellen und moralischen
Last der Rüstungen zusammenzubrechen
drohen. Ihre Sache ist es, auf ihre Vertreter
in den Parlamenten einen unwiderstehlichen
Druck auszuüben. Aus allen Hütten und aus
allen Werkstätten muß sich ein einheitlicher,
mächtiger und entrüsteter Protest erheben
gegen jene, die da behaupten, Dolmetscher
der Volksmassen zu sein, wenn sie von 'Kampf-
und Schlachtbegierde sprechen. Alle aufge-
klärten Geister müssen sich hinzugesellen, um
die Menschheit zu befreien von dem Alp-
druck, der auf ihr lastet und sie zur Ver-
zweiflung treibt.
Wir wagen zu hoffen, daß unter dem
zwingenden Druck der öffentlichen Meinung
die Mächte diesen Weg der Beruhigung und
der Verständigung betreten werden. Will man
den Folgen einer wahrhaft selbstmörderischen
Politik entgehen, so muß der internationalen
Anarchie ein Ende gesetzt werden; denn sie
allein wirkt, lähmend auf alle wohlmeinenden
Bestrebungen, die auf den Fortschritt und
die Besserung des Loses der Völker gerichtet
sind. Stetigkeit muß an die Stelle der heu-
tigen Unsicherheit treten; denn diese ist nur
zum Vorteil jener, die im vollen Bewußtsein
besinnungslose Paniken hervorrufen, aus-
schließlich zu ihrem eigenen Nutzen und zum
Schaden der Kleinen und Armen.
Wir haben die Ueberzeugung, in dieser
feierlichen und verantwortungsvollen Stunde
im Namen nicht nur der Friedensfreunde zu
sprechen, die in ihren Vereinen auf der ganzen
Erdoberfläche organisiert sind, sondern auch
im Namen von Millionen und aber Millionen
Menschen, die durch ihrer Hände und ihrer
Köpfe friedliche Arbeit das Auskommen
suchen, auf das sie ein Recht haben, für
sich und für ihre Familien, die in dieser Stunde
der Trauer und des Schreckens die Sorge
niederdrückt. Sic alle ersehnen ein Zeitalter
gesicherten Friedens.
Wir sind sicher, über alle Grenzen hinaus
gehört zu werden, wenn wir auch jetzt wieder
den Ruf erschallen lassen, der die Mensch-
heit zu ihren Zielen der Freiheit, Brüderlich-
keit und Gerechtigkeit führt: Krieg dem
Kriege !
Bern, im März 1913.
Eingabe der Deutschen Friedensgesellschaft
an den Reichskanzler.
,,An den Herrn Reichskanzler
von Bethmann Hollweg.
Eure Exzellenz
erlaubem wir uns, bezüglich der geplanten
Rüstungsvorlage in letzter Stunde um ge-
neigtes Gehör zu bitten. Wir können zwar
nicht hoffen, die Kaiserliche Regierung in
ihren Entschließungen zu beeinflussen, halten
es aber doch für unsere Gewissenspflicht,
darauf aufmerksam zu machen, daß der ein-
geschlagene Weg schwerlich zu dem er-
wünschten Ziel, einen dauernden Frieden zu
erhalten, führen wird. Kein Friedensfreund,
sondern ein Kriegsfürst, der Zar Nikolaus II.
von Rußland, hat es ausgesprochen : „Die
ständige Gefahr, welche in der Kriegsstoff-
ansammlung ruht, macht die Armee unserer
Tage zu einer erdrückenden Last, welche die
Völker mehr und mehr nur mit Mühe tragen
können. Es ist deshalb klar, daß, wenn diese
Lage sich noch weiter so hinzieht, sie in
verhängnisvoller Weise zu eben der Kata-
strophe führen würde, welche man zu ver-
meiden wünscht, und deren Schrecken jeden
Menschen schon beim bloßen Gedanken
schaudern machen." Wir brauchen Eurer
Exzellenz nichts davon zu sagen, daß die
neuen Rüstungsforderungen dem deutschen
Volk überraschend kommen müssen, nach-
dem erst vor einem Jahr eine wesentliche
Vermehrung des Heeres stattgefunden hat,
und daß durch beide Neuforderungen die
vom. Jahr 1912, wie die vom Jahr 1913 das
Quinquennatsgesetz, durch das doch der
Heeresbestand auf 5 Jahre festgelegt schien,
13*.
<s=
= DIEFRIEDEN5-^MM2XE
illusorisch gemacht werden dürfte. Wir haben
auch nicht nötig, Eurer Exzellenz vorzurech-
nen, welche Steigerung die Rüstungsaus-
gaben speziell in Deutschland erfahren haben.
Im Jahre 1883 haben wir 366 Millionen Mark
für unser Heer und 36 Millionen für unsere
Flotte aufgewendet, zusammen also 392 Millio-
nen; jetzt geben wir bereits ca. 1300 Millio-
nen für unsere Rüstung aus, und wenn die
neue Wehrvorlage angenommen ist, werden
wir, alle Nebenausgaben eingerechnet, gegen
2 Milliarden für unsere Panzer aufzuwenden
haben, das ist in 30 Jahren eine Steigerung
von rund 400 °/o, und dabei ist die dadurch
erstrebte Sicherheit keineswegs größer ge-
worden, im Gegenteil, die Kriegsgefahr ist
dringender als je. Dabei dürfte es sich als
aussichtslos erweisen, daß der Dreibund die
Triple-Entente in dem Rüstungswettlauf
überflügeln könnte. Die Antwort auf die von
der deutschen Regierung geplante Rüstungs-
vorlage ist bereits vom französischen Mi-
nisterium gegeben : in Paris wird man einen
neuen Rüstungskredit von 500 Millionen
Franken verlangen; man wird daran gehen,
eine schwarze Armee gegen Deutschland auf-
zustellen, man wird unser Heer durch An-
schaffung kostspieliger Zerstörungsmaschinen
zu überbieten suchen, und wenn das fran-
zösische Volk die nötige Mannschaft nicht
wird aufbringen können, so ist in, Rußland
ein so unerschöpfliches Menschenreservoir
vorhanden, daß, wenn dasselbe unter Vor-
aussetzung einer Sanierung der russischen
Finanzen aufs äußerste ausgenützt wird, die
Ueberflügelung des Dreibunds durch die mit
den Balkanstaaten vereinigte Triple-Entente
zur erschreckenden Tatsache werden wird.
Wir sehen keinen Ausweg aus dem verhäng-
nisvollen Zirkel, in dem sich die europäische
Politik bewegt, als den : es sollte
versucht werden, eine Uebereinkunft unter
den Staaten abzuschließen, durch die sie
sich ihren Besitzstand gegenseitig garantieren
und sich eine überseeische Expansion für den
Notfall ermöglichen. Auch Frankreich würde
— das ist unsere Ueberzeugung — schließ-
lich eher bereit sein, sich durch einen der-
artigen Vertrag zu binden, als daß es sich
•durch das ruinöse System des bewaffneten
Friedens, diesen latenten Kriegszustand, zu-
grunde richten ließe. Man müßte aber ein-
sehen, daß es nicht nur die Aufgabe der Po-
litik sein kann, das Interesse des eigenen
Staates zu wahren, daß es sich vielmehr
darum handeln muß, den Boden für ein
menschenwürdiges Zusammenleben der Na-
tionen zu bereiten. Die Bedrohung einer Na-
tion durch die andere, wie sie heute die
Regel geworden zu sein scheint, kann aber
nicht als menschenwürdiger Zustand bezeich-
net werden. Uebrigens sollte auch schon
unter Voraussetzung der gegenwärtigen Ver-
hältnisse eine Uebereinkunft unter den kon-
kurrierenden Regierungen möglich sein, da-
hingehend, daß eine Formel gesucht würde,
welche ein gewisses Maximum der Rüstungs-
ausgaben festlegen würde. Wenn es ge-
lungen ist, zwischen der deutschen und eng-
lischen Flotte das Verhältnis von 10:16 als
annehmbar für die nächste Zeit festzulegen,
warum sollte nicht etwas Aehnliches auf dem
Gebiete der Landstreitkräfte möglich sein ?
Möge es Eurer Exzellenz gefallen, dies:
Gedanken einer geneigten Prüfung zu unter-
ziehen.
Stuttgart, März 1913.
Verehrungsvoll
Der Vorstand der
Deutschen Friedensgesellschaft.
Dr. Ad. Richter. ü. Umfrid."
Resolution der Deutschen Friedensgesellschaft.
Die Deutsche Friedensgesellschaft, Stutt-
gart, faßte in ihrer Ausschuß-Sitzung vom
14. März 1913 folgende Resolution :
,,Die Deutsche Friedensgesellschaft be-
dauert aufs lebhafteste, daß die Regierungen
trotz aller Friedensversicherungen, trotz aller
Abmachungen der Haager Konferenzen, trotz
all der Anzeichen, die auf die wachsende
Solidarität der Interessen hinweisen, immer
noch keinen Ausweg aus dem Zustand des
bewaffneten Friedens, dieses latenten Kriegs,
finden zu können meinen, daß sie vielmehr
heute mehr als je dem Wahngedanken folgen,
als ob sie sich nur durch eine ins Ungemessene
gesteigerte Rüstung behaupten oder durch-
setzen könnten, ohne daß sie die furchtbare
Gefahr bemerken wollen, die sie gerade mit
dieser ungeheuerlichen Anhäufung der Zer-
störungsmittel heraufbeschwören. Obwohl die
Deutsche Friedensgesellschaft die Anschauung
der Regierung sehr wohl kennt, nach welcher
dieselbe mit einem gleichzeitigen Angriff von
Westen und einem Ansturm der durch die
Balkanstaaten verstärkten Russen rechnen zu
müssen glaubt, so sieht sie doch in der neuesten
Milliardenforderung, die an das deutsche Volk
gestellt wird, keineswegs eine wirksame Frie-
denssicherung, sondern weiß, daß die anderen
Mächte in dieser äußersten Anspannung der
deutschen Wehrkraft — ob auch mit Unrecht
— eine furchtbare Drohung erblicken, der sie
zunächst mit einem ähnlichen Aufwand für
Zerstörungsmittel begegnen zu müssen meinen,
um schließlich in der Erkenntnis, daß es so
nicht weitergehen kann, zu der Ansicht zu
gelangen, daß ein Ende mit Schrecken dem
Schrecken ohne Ende vorzuziehen sei. Sie
fordert daher alle Einsichtigen auf, mit ihr
gemeinsam gegen das ziellose Wettrüsten zu
protestieren, bis die Regierungen sich dazu
entschließen, um den Frieden auf festere
Grundlagen zu stellen, einander die Unantast-
barkeit des bestehenden Besitzstandes zu
garantieren, für den Fall der Selbstauflösung
eines Staates den einzelnen Völkerschaften
desselben das Selbstbestimmungsrecht zuzu-
gestehen, sich selbst jeder Einmischung zu
135
DIE FßlEDEN5-Nfc/AE>TE =
3
enthalten und etwaige Streitigkeiten, die trotz
derartiger Abkommen entstehen sollten, der
Erledigung auf rechtlichem Wege zuzuführen.
Es zeigt sich schon heute aufs klarste, daß
keine Nation der andern bezüglich der
Rüstungsausgaben zuvorkommen kann, da die
andern sofort mit einer ähnlichen Erhöhung
ihrer Wehrkraft i antworten; daß aber die
Teuerung der Lebenshaltung, die jetzt schon
einen exorbitanten Grad erreicht hat, durch
die starke Blutentziehung, die in der geplanten
Milliardensteuer dem Volkskörper zugemutet
wird, erhöht werden wird, dürfte jedem Kun-
digen einleuchten. Daher sollte unseres Er-
achtens dem Gedanken eines Uebereinkom-
mens näher getreten werden."
Ein offizieller Vorstoß gegen die
Kriegshetzer in der Presse.
Seitdem es eine Friedensbewegung gibt,
richtet sich der Kampf gegen die Brunnen-
vergifter der öffentlichen Meinung, deren
Geschäft es ist, durch sensationelle Nach-
richten die öffentliche Meinung zu täuschen
und jene Erbitterung zu erregen, die dem
internationalen Frieden recht gefährlich wird.
Man kennt diese Fälscher und Hetzer und
ihren verderblichen Einfluß. Bei dem gröBen
Werke der anglo-deutschen Verständigung
sahen wir sie hemmend am Werke. Lord
Churchill hat sie mit Recht „Die Wege-
lagerer der internationalen Politik" genannt.
In den Beziehungen Deutschlands zu Frank
reich spielen sie die verächtlichste und ver-
derblichste Rolle, nicht minder in den Be-
ziehungen Oesterreich-Ungarns und Italiens.
Aus dem gegenwärtigen Balkankriege haben
wir ihr trauriges Wirken noch in aller Er-
innerung. Die falschen Nachrichten über die
Ermordung des österreichischen Gesandten in
Belgrad, die Aufbauschung der Affäre Pro-
chaska, die Fälschungen über die ungnädige
Aufnahme des kaiserlichen Sondergesandten
Hohenlohe in Petersburg sind Einzelheiten
aus der Werkstatt dieser Giftmischer.
Mit Recht hat sich die anständige Diplo-
matie stets gegen jene dunkeln Ehrenmänner
gewandt, und der ehemalige österreichisch-
ungarische Minister des Aeußern, Graf
Kalnoky, hat einmal ausdrücklich die
Hilfe der Friedensgesellschaften gegen jene
Plage angerufen. Am 18. September 1892
sprach er in den österreichischen Delegationen
von der Alarmierung der öffentlichen Mei-
nung durch die Tagespresse und deren Nach-
richtendienst, „in welchem auf die Nerven des
lesenden Publikums und sogar auf die Leiden-
schaften politischer und nationaler Natur in
einer Weise eingewirkt wird, die oft heftige
Strömungen erzeugt, welche die Regierung
alle Mühe hat, zu beruhigen. Wenn die
Friedenskongresse sich mit der Friedensfrage
beschäftigen, würde ich ihnen sehr empfehlen,
dieser Tatsache ihr Augenmerk zuzuwenden
und in dieser Richtung einen heilsamen Ein-
fluß zu üben in allen Ländern, wo solches
vorkommt".
Im Jahre 1906 hat Graf Aehrenthal
in den Delegationen von jenen Unverant-
wortlichen gesprochen, die in der Presse
jeden Zwischenfall aufbauschen und die be-
gleitenden Nebenumstände übertreiben, und
1907 beklagte sich der damalige italienische
Premierminister T i 1 1 o n i über „die Zügel-
losigkeit eines Teiles der Presse", ihre „straf-
würdigen Provokationen", die „die haupt-
sächlichste, wenn nicht die einzige Gefahr für
den europäischen Frieden bilden". Aehnliche
Aeußerungen taten noch Campbell Banner-
man, Graf Bülow, Kiderlen Waechter u. a.
Die Pazifisten haben nicht erst nötig ge-
habt, die Aufforderung des Grafen Kal-
noky zu befolgen. Schon auf dem Londoner
Friedenskongreß von 1890 und auf allen
späteren Kongressen forderten sie energisch
Abhilfe gegen dieses Uebel und Einschreiten
der Gesetzgebung.
Hierzu scheint nun der erste
Schritt gemacht zu werden.
In dem Entwurf des neuen Strafgesetz-
buches, den die österreichische Regierung
dem Herrenhause vorgelegt hat, befindet sich
ein Abschnitt, der „Von der Gefährdung
des Friedens" handelt. Der darüber ein-
gefügte § 115 hat folgenden Wortlaut:
„Wer durch eine Druckschrift eine
unwahre oder entstellte Nachricht ver-
breitet, durch welche die Beziehungen der
Monarchie zu einem 1 fremden Staate ge-
fährdet werden, wird mit Gefängnis oder
Haft von einer Woche bis zu einem Jahr
oder mit Geldstrafe von fünfzig bis zu
Viertausend Kronen bestraft."
Dieser Paragraph ist von der Regierung
selbst vorgelegt worden. Die juristische Kom-
mission des Herrenhauses hat in ihrem „Be-
richt" folgende Begründung dazu gegeben:
„Es ist wiederholt durch
Aeußerungen der hervorragend-
sten Staatsmänner verschie-
dener Staaten anerkannt wor-
den, daß die Gefahr für den
Frieden heute meist nicht mehr
wie früher von den Regierungen
und ihrer Diplomatie ausgeht,
deren Tätigkeit vielmehr vor-
wiegend in den Dienst der Frie-
den sbewahrung gestellt ist,
sondern von unverantwort-
lichen Elementen, die aus den
verschiedensten Motiven, aus
nationalem Fanatisimus, aus
volkswirtschaftlichen Gründen,
zum Teil aber auch aus gemein-
ster Gewinnsucht oder au
journalistischer Sensations
lust die Völker und Staate:
136
<§;
DIE FRIEDEN5-^M&RTE
gegeneinander verhetzen und
die Versuche friedlicher Bei-
legung internationaler Diffe-
renzenund Erregungder Leiden-
schaften durch Entstellungen
von Nachrichten, durch Ver-
breiten erlogener Nachrichten
stören. Dieser Gefahr sucht
§ 115 durch eine Strafdrohung
gegen diese Art der Gefährdung
des Friedens entgegenzuwirken,
indem er es als Vergehen er-
klärt, in e in er D r uck s ch r if t un-
wahre oder entstellte Nach-
richten zu verbreiten, durch
die die Beziehungen der Mon-
archie zu einem fremden Staate
gefährdet werden."
Die Feststellung wird für die pa-
zifistischen Kreise nicht uninteressant sein,
daß der Berichterstatter jener juristischen
Kommission niemand anderer als der be-
kannte Völkerrechtsgelehrte Professor
Lammasch ist, der hervorragende Mit-
arbeiter am Haager Werk und der angesehene
Richter in so vielen bedeutenden Schieds-
fällen.
In absehbarer Zeit wird das neue öster-
reichische Strafgesetzbuch Gesetz werden.
Dann wird die Propaganda einen Ausgangs-
punkt haben — eine Operationsbasis, wie
man es militärtechnisch nennt. Das Ziel
wird dann sein, den § 115 des österreichischen
Strafgesetzbuches in die übrigen Strafgesetz-
bücher einzufügen. Dies wird am besten zu
erzielen sein durch ein internationales Ab-
kommen, und zu einem solchen wird d i o
kommende Haager Konferenz die
beste Gelegenheit bieten.
A. H. F.
Brief aus denVereinigtenStaaten.
Von Henry S. Haskeil, New York.
Das nationale und das New-Yorker Komitee
zur Jahrhundertfeier des Friedens zwischen
den englisch sprechenden Völkern entfalteten
eine rege Tätigkeit für die Vorbereitung der
im Jahre 1914 stattfindenden Feier. Es wurde
vorgeschlagen, die Geschichte eines Jahr-
hunderts des Friedens von Prof. W m. A. Dun-
ning von der Columbia-Universität schreiben
zu lassen. Das Vorwort dazu soll der frühere
Botschafter James *B r y c e liefern. Ferner
wurde erwogen, ein Denkmal der Königin
Victoria in diesem Lande und eines von
George Washington in London zu errichten^
Ebenso soll ein Standbild an der Grenze zwi-
schen Britisch Columbia und dem Staate
Washington zur Aufstellung gelangen. Am
24. Dezember 1914 wird für fünf Minuten jede
Art von menschlicher Tätigkeit in den Ver-
einigten Staaten eingestellt werden. Es ist
auch beabsichtigt, eine Gedenkfriedensbrücke
über die 'Niagara- Schlucht zu erbauen.
James L. Tryon, Sekretär der Massa-
chusetts Friedensgesellschaft, hat eine Anzahl
illustrierter Vorträge gehalten, die sich auf
die beabsichtigte Jahrhundertfeier beziehen.
mb
Die Verhältnisse in Mexiko waren sehr
beunruhigend. Präsident Taft und sein Nach-
folger, Präsident Wilson, sind von inter-
essierten Kreisen gedrängt worden, zu inter-
venieren oder eine Vermittlung zu versuchen,
aber diese Vorschläge wurden beharrlich zu-
rückgewiesen. Der Sturz der Regierung des
Präsidenten Madero und der Regierungs-
antritt des General Huerta als vorläufiger
Präsident lassen aber immerhin hoffen, daß
sich eine dauerhafte Regierungsform in
Mexiko entwickeln wird, wenn es auch selbst-
verständlich erscheint, daß es große Schwierig-
keiten bereiten wird, eine solche dort einzu-
führen. Die führenden Zeitungen sprechen
von einer Intervention der Vereinigten Staaten
als von einem allerletzten Mittel und die ein-
flußreichsten Persönlichkeiten dieses Landes
sind der Ansicht, daß Mexiko allein seine Ver-
hältnisse ordnen solle, es sei denn das Leben
der in Mexiko lebenden Bürger 'der Ver-
einigten Staaten gefährdet. Finanzielle Inter-
essen fallen aber nicht genügend ins Gewicht,
um eine Intervention zu rechtfertigen.
Durch die Presse wurde ein Bericht ver
breitet, wonach die Republik Columbia sich
weigerte, die versuchsweisen Vorschläge, die
seitens des Department of State gemacht wur-
den, zwecks Schlichtung der Streitfrage über
die Anerkennung der Panama-Republik durch
die Regierung der Vereinigten Staaten anzu-
nehmen. Die kolumbische Regierung besteht
darauf, die Frage einem Schiedsgericht zu
unterbreiten. Am 25. März veröffentlichte der
Generalkonsul von New York einen an den
ehemaligen Staatssekretär <K n o x gerichteten
Brief, worin er die Wahrhaftigkeit des
Berichtes, den der Sekretär dem Kongreß am
1. März 1913 unterbreitete, bezweifelt. Es ist
nicht wahrscheinlich, daß diese Frage eine
rasche und befriedigende Lösung findet.
MB
Am 4. März leistete WoodrowWilson
den Eid als Präsident der Vereinigten Staaten!.
Es waren Gerüchte über bevorstehende Re-
volutionen in den Republiken von Zentral-
Amerika verbreitet, weil es den Anschein
hatte, als wäre Präsident Wilsons Politik
der Nicht - Intervention 'zugeneigt. Indessen
versprach das am 12. März veröffentlichte
E x p o s 6 des neuen Präsidenten eine Politik
der Freundschaft für die Republiken Latein-
Amerikas, setzte aber die freundschaftliche
Warnung hinzu, daß die Regierung der Ver-
einigten "Staaten einen Mißbrauch ihrer
Freundschaft nicht dulden würde.
137
DIE FRIEDENS -^VADTE =
^>
In den letzten Tagen hat Präsident Wil-
son den führenden amerikanischen Banken
mitgeteilt, daß die Regierung der Vereinigten
Staaten auf eine Teilnahme Ajnerikas an der
Sechs-Mächte-Anleihe in China nicht bestehen
würde. Dies gab 'Anlaß zu zahlreichen Kom-
mentaren und Kritiken. Der allgemeine Ein-
druck scheint aber der zu sein, daß es sich nur
um eine freundschaftliche Kundgebung handelt,
der in kurzer Zeit die offizielle Anerkennung
der neuen chinesischen Republik folgen wird,.
Es wäre verfrüht, eine Meinung über die
von Präsident Wilson zu erwartende Politik
zu äußern, aber man wird wohl nicht fehl-
gehen in der Annahme, daß er für eine be-
scheidene Reduktion des Tarifs, für eine all-
gemeine oder erhöhte Einkommensteuer und
für Gerechtigkeit und Wohlwollen in unseren
internationalen Verbindungen eintreten wircL
cssr
Bereits anfangs 1913 hat der Sekretär
des Präsidenten der chinesischen Republik die
Trustees der Carnegiestiftung aufgefordert,
einen Rat für die chinesische Regierung zu
ernennen. Frank Johnson Goodnow,
Professor für Verwaltungsrecht an der Colum-
bia-Universität ist dafür bestimmt worden und
wird sehr bald diesen Posten in China an-
treten. Als Dr. Charles W. Eliot im
Jahre 1912 die Carnegiestiftung in China ver-
trat, wurde die Möglichkeit einer solchen Er-
nennung zwischen ihm und dem chinesischen
Ministerpräsidenten erwogen.
MB
Am 13. Februar unterschrieben der Staats-
sekretär Knox und der Gesandte Jusse-
r a u d eine Konvention, die die Schiedsverträge
zwischen Frankreich und den Vereinigten
Staaten auf fünf Jahre verlängerte.
Charles W. Eliot, emeritierter Prä-
sident der Harvard - Universität, wurde die
Gesandtschaft am Hof von St. James an-
getragen. Er lehnte den ehrenvollen Ruf ab.
John Bassett Moore, Professor für
Völkerrecht an der Columbia - Universität,
wurde zum Rat des State Department ernannt
und wird in Abwesenheit des Staatssekretärs
William Jennings B r y a n diesen ver-
treten.
Die Frage des Panamakanal-Zolles be-
gegnet immer noch einem lebhaften Interesse.
Die einflußreichsten Zeitungen und Zeit-
schriften haben diese Frage fast täglich be-
sprochen und Widerruf jenes Teiles des Aktes
über den Panamakanal-Zoll empfohlen, der 1
eine Befreiung des Zolles der amerikanischen
Küstenschiffahrt gewährt, oder zur Verweisung
der Streitfrage mit Großbritannien vor ein
Schiedsgericht geraten.
Hon. Joseph H. Choate, früher Ge-
sandter in England, stellte in einer Rede in
der Pilgrims Society in New York am 4. Fe-
bruar fest, daß er den Entwurf des Hay-
Pauncefote-Vertrags kenne, und daß es zwi-
schen Lord Pauncefote und John Hay
feststand, daß alle Nationen, mit Inbegriff der
Vereinigten Staaten von Amerika, den Kanal
unter gleichen Bedingungen benutzen könnten.
In der New York Sun vom 16. März ist ein
erschöpfender und autoritativer Bericht von
Mr. Choate veröffentlicht worden, der diesen
Gedanken Vertritt.
Das Ende der Kongreßsession brachte
keine Erledigung zu dem Gesetzentwurf des
Senators Root auf Widerruf der Befreiungs-
klausel. Es ist möglich, daß die Widerruf-
angelegenheit anläßlich der Spezialsitzung des
Kongresses, die vom Präsidenten Wilson
für den 7. April' einberufen wurde, beschleunigt
werden wird.
Am 18. März veröffentlichten 22 Mit-
glieder der Board of Trustees der Carnegie-
stiftung einen Aufruf für ein Schiedsgericht
oder Widerruf der Befreiungsklausel. Dies
wurde durch die Associated Press umfang-
reich verbreitet.
Die Massachusetts Friedensgesellschaft
nahm im Februar eine Resolution zugunsten
des Widerrufs der Befreiungsklausel an. Diese
Gesellschaft veranlaßte alle Prediger in
Neu-England, eine Predigt über
nationale Ehre am Sonntag, den
30. März zu halten, und dabei von der
Rede des Senators Root über den Panama-
kanalzoll auszugehen.
Die New Yorker Friedensgesellschaft hat
die von Robert Underwood Johnson,
dem 'Herausgeber des „Century Magazine",
am 30. Januar 1913 bei der jährlichen Ver-
sammlung der Gesellschaft gehaltene Rede
veröffentlicht und sehr stark verbreitet. Die
Rede ist eine sorgfältige Prüfung der Streit-
frage über den Panamakanalzoll und ein Auf-
ruf zu einer ehrenvollen Erledigung dieser
Frage.
Die „American Association for Inter-
national Conciliation" veröffentlichte im Fe-
bruar die Rede des Präsidenten Taft, in der
er für die schiedsgerichtliche Erledigung der
Frage des 'Panamakanalzolles eintrat und
einen sehr interessanten Artikel desselben
Inhaltes von Arnos S. Hershey, Professor
für Völkerrecht und der politischen Wissen
schaften.
Die World Peace Foundation,
Boston, übersiedelte in größere und bequemere
Räume, 40 Mt. Vernon Street. Es ist beab-
sichtigt, alle in Boston bestehenden Friedens-
organisationen in diesem Gebäude zu vereinen,
um so ein wirkliches Friedenszentrum für die
Stadt zu errichten.
Im Februar veröffentlichte die World
Peace Foundation eine Broschüre, die wich-
tige Artikel über das Werk des Roten Kreuzes
im Balkankrieg enthielt. Die Artikel hießen:
„The Wounded" von N o e 1 Buxton^ M. P.
138
e
und „Women and War" (die Frauen und der
Krieg) Von Mrs. M. St. Clair Stobart.
Edwin D. Mead, Sekretär der Foun-
dation, verbrachte die letzte Woche des Fe-
bruar in Washington und benutzte diesen
Aufenthalt zu Unterredungen mit den führen-
den Persönlichkeiten der Friedensgesell-
schaften.
Die erste Jahressitzung der New Hamp-
shire Friedensgesellschaft wurde am 27. Fe-
bruar in Manchester, N. W. abgehalten. Die
Gesellschaft besteht aus 107 Mitgliedern und
entfaltet eine außerordentlich rege Tätigkeit,
indem sie zahlreiche öffentliche Versamm-
lungen veranstaltet und wichtige Schriften ver-
breitet. Der Sekretär der Gesellschaft, Mr.
W m. W. T h a y e r veröffentlichte einen Ar-
tikel „The international Arbitration of justi-
ciable Disputes" in der „Harvard Law Review"
vom März 1913.
MB
Am 11. Februar fand in Tremont Temple
unter den Auspizien der State Federation of
Womens Club die größte öffentliche Friedens-
versammlung, die in Boston seit dem Kongreß
1904 abgehalten wurde, statt. Mrs. Henry
CoolidgeMulligan, Präsidentin derFede-
ration, eröffnete die Versammlung und Depu-
tierter Samuel W. McCall präsidierte und
sprach die einleitenden Worte. Dr. Charles
R. Brown, Dechant der Yale Divinity School,
Dr. George H. Blakeslee, Historiker
an der Clark Universität und Joseph Wal-
ker, früher Redner im Massachusetts house
of Representatives, waren die Sprecher.
Die Massachusetts Friedensgesellschaft
kündet eine Serie von Preisen an, für Essays
und oratorische Wettbewerbe an den
New England Universitäten. Die Preise gelten
für das beste Essay, dessen Gegenstand Bezug
hat auf den Ersatz eines Krieges durch das
Recht. Es sind ausgesetzt : Erster Preis 100 $,
zweiter Preis 75 $ und dritter Preis 50 9.
MB
Am 14. März wurde ein Wettbewerb
in der großen Halle der New York - City - Uni-
versität unter den Auspizien der Inter-
collegiate Peace Association ab-
gehalten. Den ersten Preis von 200 $ gewann
Edwin 'S. Murphy von der Fordham - Uni-
versität. Sein Thema war „The end and the
Means". Den zweiten Preis von 100 & ge-
wann W. D. S m ith von der Cornell - Universi-
tät. 'Mr. Murphy, der Gewinner des ersten
Preises, wird den Staat New York in einem
ähnlichen Wettbewerb der östlichen Staaten-
gruppen, der in der Laf ayette - Universität,
Easton Pennsylvania, im April stattfinden wird,
vertreten. Der letzte interstaatliche Wett-
bewerb wird bei der Lake Mohonk Konferenz
für Internationales) Schiedsgericht, 14. bis
16. Mai 1913, im Mountain House, Lake Mo-
honk, N. £., abgehalten werden.
= DIEFRIEDEN5->^ARTE
Die Zukunft der Haager
Friedenskonferenzen.^
Von Dr. Hans Wehberg in Düsseldorf.
In dem ersten Rundschreiben des Grafen
Mourawieff vom 12./24. August 1898, das
die Einberufung der großen Haager Friedens-
konferenz vom Jahre 1899 vorbereitete, ließ
der russische Zar erklären: „Que le moment
präsent serait tres favorable ä la recherche,
dans les voies de la discussion internationale,
des moyens les plus efficaces d'assurer ä
tous les peuples les bienfaits d'une paix
reelle et durable, et de mettre avant tout
un terme au developpement progressif des
armements actuels".
Die erste Haager Konferenz sollte also
nicht etwa lediglich eine Konferenz zur Fort-
bildung des Völkerrechts oder zur Regelung
irgendeiner speziellen Frage sein. Sie hatte
vielmehr ein sehr allgemeines Ziel im Auge,
nämlich die Sicherung des Friedens unter den
Völkern. Sehr treffend hat man daher auch
die erste Haager Konferenz allgemein als
„Conference de la Paix" bezeichnet, und dies
ist der historische Name nicht nur für die
erste, sondern auch für alle folgenden Kon-
ferenzen geworden. Nun konnte selbstverständ-
lich ein dauernder Friede durch die Beschlüsse
einer einzigen Staatenversammlung nicht ge-
sichert werden. Aufgabe der ersten und aller
folgenden Konferenzen mußte es daher sein,
wenigstens alle diejenigen Wege ins Auge
zu fassen, die uns dem fernen Ziele einer
friedlichen Organisation der Staatengemein-
schaft näher bringen können. Die Haager
Friedenskonferenzen haben die Aufgabe, als
Zentralpunkt der offiziellen Organisation der
Staatengemeinschaft, also einer gemeinsamen
internationalen Friedenspolitik der Mächte, zu
dienen. Ihre Aufgabe ist also, wie Professor
Schücking in seinem bahnbrechenden
Werke „Der Staatenverband der Haager Kon-
ferenzen" (1912, S. 72) klar nachgewiesen hat,
eine eminent politische. Wer behauptet, die
Haager Konferenzen seien lediglich Konferen-
zen zur Fortbüdung des Völkerrechts, der hat
die Aufgaben nicht begriffen, um deren Be-
wältigung die ganze Institution begründet
worden ist.
Machen wir uns die Aufgabe der Haager
Konferenzen als einem Mittelpunkt der inter-
nationalen Friedenspolitik klar, so vermögen
wir auch zu erkennen, daß das letzte Ziel
dieser gemeinsamen Aktion der Staaten in
keiner Weise von dem Ideal der Pazifisten
verschieden ist. Die Haager Friedenskonferen-
zen wollen, wenn man ihre Bedeutung richtig
versteht, im letzten Grunde nichts anderes er-
reichen, als was sich die bisherigen Welt-
■*) Dieser Aufsatz ist zuerst in französischer
Sprache in der „Revue Generale de Droit intern,
public" (1912, Nr. 4/5) erschienen.
139
DIE FBIEDENS-^^ÖJZTE
;§>
friedenskongresse, die Konferenzen der inter-
parlamentarischen Union, die Lake Mohonk-
Konferenzen usw. zum großen Ziele gesetzt
haben: Sie wollen nach ihren besten Kräften
alles tun, was zu dem friedlichen Zusammen-
schluß der Völker beitragen kann. Nur in
einem Punkte unterscheiden sie sich recht
erheblich von diesen zuletzt genannten Kon-
gressen. Sind sind nämlich offizieller Natur,
während alle anderen Friedensversammlungen
lediglich einen privaten Charakter tragen.
Daraus folgt, daß die Haager Konferenzen
einen unendlich verantwortungsvolleren Cha-
rakter tragen; sie sollen sich ja nicht nur
allgemein zugunsten einer Idee aussprechen,
sondern gleichzeitig eine den tatsächlichen Ver-
hältnissen entsprechende, praktisch brauchbare
Formel finden, damit eine baldige Ratifikation
der Ergebnisse ohne Gefahr von seiten der
Staaten erfolgen kann. Vergleicht man also
kurz die privaten und offiziellen Konferen-
zen zur Sicherung des Friedens miteinander,
so läßt sich am besten sagen: Das Ziel der
beiden ist dasselbe, aber die Methode ist eine
verschiedene. Die privaten Konferenzen legen
naturgemäß mehr Wert auf die scharfe Be-
tonung des fernen Zieles eines dauerhaften
Friedens; sie stellen weithin sichtbar das
schöne Ideal auf, das einstmals verwirklicht
werden soll. Anders die Staatenkonferenzen I
Sie fragen weniger darnach, was einmal in
Jahrzehnten oder Jahrhunderten erreicht
werden soll, sondern bemühen sich, festzu-
stellen, was in der Gegenwart erreichbar und
wünschenswert ist.
Ganz gewiß haben beide Methoden ihre
Vorteile und Nachteile. Geht man von der
Idee aus, daß die internationale Organisation
der Kulturstaaten ein natürlicher Vorgang ist,
der zwar gefördert, aber nicht mit einem
Male herbeigeführt werden kann, so muß man
erkennen, daß gerade die langsame und vor-
sichtige Methode der Haager Friedenskon-
ferenzen für die Erreichung des giv>ßartigen
Zieles die am besten geeignete ist. Es gilt
hier ein schönes Wort, das Professor Zorn
in der Sitzung des berühmten Schiedsgerichts-
ausschusses der ersten Friedenskonferenz am
4. Juli 1899 sprach: „Mais trop häter cette
Evolution serait compromettre le principe,
auquel nous sommes tous sympathiques".
Andererseits sind aber auch die Nach-
teile einer solchen vorsichtigen Methode nicht
zu verkennen: Geht man immer nur schritt-
weise vorwärts, dann ist die Gefahr allzu groß,
daß man schließlich das schöne Ziel aus den
Augen verliert, daß man nicht nur langsam,
sondern zu langsam, daß man nicht mehr
planmäßig, sondern ohne ein festes Pro-
gramm seine Beschlüsse faßt, die zu der fried-
lichen Verständigung der Völker nicht in dem
Maße beitragen, wie das in Wahrheit ge-
schehen könnte und müßte. Ist auch ein vor-
sichtiges Vorwärtsschreiten der Völker bei den
Beschlüssen der Haaser Friedenskonferenzen
dringend zu empfehlen und jede Uebereilung
im höchsten Grade gefahrvoll, so ist doch
eine langsame Methode sehr wohl von einer
planlosen Methode zu unterscheiden.
Prüfen wir also einmal, in welcher Weise
die bisherigen Haager Friedenskonferenzen des
Jahres 1899 und 1907 zur Befestigung des
Friedens beigetragen haben ! Da fällt zunächst
ein Punkt mit aller Deutlichkeit auf. Sehen
wir von all den indirekten Vorteilen ab, die
der internationalen Verständigung durch die
Kodifikation des Kriegsrechts erwachsen, so
haben die beiden Konferenzen nur auf zwei
Wegen eine direkte Förderung der internatio-
nalen Organisation herbeizuführen versucht,
nämlich vermittels der Schiedsgerichtsbarkeit
und der Festsetzung eines Vertrages über die
Beschränkung der Kriegsmittel und den Still-
stand der Rüstungen.
Daß diese Methode der Staatenkonferen-
zen nicht zu rechtfertigen ist, leuchtet nach
dem bisher Gesagten ohne weiteres ein. Denn
wenn die Haager Friedenskonferenzen ihre
Aufgabe als Zentralpunkt der internationalen
Friedenspolitik erfüllen wollen, so müssen sie
alle diejenigen Mittel versuchen, die für die
Gegenwart geeignet erscheinen, eine Bess-
rung der internationalen Lage herbeizuführen,
sie dürfen aber nicht willkürlich zwei Gegen-
stände herausgreifen, um alle anderen Pro-
bleme einfach zu vernachlässigen. Dies kann
um so weniger gerechtfertigt werden, als die
Rüstungsfrage ganz gewiß zu den schwierigsten
Punkten zu rechnen ist und zweifellos einige
andere Aufgaben der internationalen Organi-
sation vorhanden sind, die leichter verwirk-
licht werden können.
Um diese Behauptung zu beweisen, führe
ich im folgenden einige Programmpunkte einer
zielbewußten internationalen Friedenspolitik
auf, bemerke aber dabei schon jetzt, daß ich
diese damit durchaus nicht ohne weiteres zu
einer sofortigen Annahme den Staaten emp-
fehlen will. Ich stelle nur fest, daß alle diese
Probleme von den Staaten noch gar nicht
ernstlich in Betracht gezogen worden sind.
Am Schlüsse meines Aufsatzes werde ich dar
tun, in welcher Weise die Staaten allen diesen
Aufgaben näher treten sollen. Sehr wichtig
scheinen mir jedenfalls folgende Fragen zu
sein, die nacheinander erörtert werden sollen :
1. In erster Linie scheint mir eine Be-
seitigung der Spionage von großer Wich-
tigkeit zu sein. Was ist das für ein Wider-
spruch, daß die Regierungen einerseits feier-
lich monatelang im Haag zusammenkommen
und eine Verbesserung der internationalen
Anarchie zu erreichen suchen, dagegen an-
dererseits die Hilfe verbrecherischer Elemente,
nämlich der Spione, in Anspruch nehmen,
um die militärischen Geheimnisse des anderen
Staates zu erforschen! Darf ein Staat
Spionage vor seinem höchsten Gerichtshofe
bestrafen, wenn er selbst Personen zur Be-
140
<£
DIE FRIEDEN5->MM2XE
gehung dieses Verbrechens in einem anderen
Lande anstiftet? Erscheint hier die Idee des
modernen Staates als des Trägers von Recht
und Gerechtigkeit nicht sehr erniedrigt ?
Welche köstliche Gelegenheit wird bei jeder
Verurteilung eines Spiones den chauvinisti-
schen Organen gegeben, um die Hetze gegen
eine ausländische Regierung mit besonderem
Nachdruck fortzusetzen! Welche Beunruhi-
gung der Oeffentlichkeit entsteht jedesmal,
wenn ein Spion abgefaßt wird! Wird nicht
nach jeder solcher ruchbar gewordenen Spio-
nage die Verstärkung der Rüstungen mit be-
sonderem Eifer betrieben ? Entstehen nicht
gerade dadurch Kriegsgerüchte? Wird nicht
durch das ganze System der Spionage deut-
lich dokumentiert, daß die Staaten natür-
liche Gegner sind ? Muß aber nicht im Gegen-
teil jede Bemühung der Regierungen darauf
gerichtet sein, die Gegensätze möglichst wenig
hervortreten zu lassen? Das System der Spio-
nage bringt ferner die Furcht vor den Spionen
hervor. Alle Augenblicke lesen wir von irr-
tümlichen Verhaftungen wegen Verdachts der
Spionage. Auch dadurch entstehen oft gereizte
diplomatische Verhandlungen und Verschär-
fungen der Gegensätze.
Daher erscheint mir die Beseitigung der
Spionage eine sehr ernste und bedeutsame
Frage zu sein. Hochangesehene Männer haben
sich im gleichen Sinne geäußert. Am 1. März
1912 hat in der ,, Deutschen Juristenzeitung"
(Berlin) der Heidelberger Professor Exzellenz
Bekker eine internationale Vereinbarung
über die Beseitigung der Spionage gefordert.
Er will insbesondere, daß jeder Staat die
Spionage in gleicher Weise bestraft, ob sie
nun gegen die eigene Regierung oder gegen-
über einem fremden Staate begangen ist.
2. In zweiter Linie wäre es sehr wün-
schenswert, ein „Bureau g 6 n e r a 1 inter-
national permanent" zu errichten, das
als Zentralstelle vor allem für Informationen
wirtschaftlicher Natur zu dienen hätte und
allmählich weiter ausgebaut werden müßte.
Die Idee eines solchen Amtes ist ja zuerst
in dem panamerikanischen Bureau verwirk-
licht worden, und später hat der Luzerner
Weltfriedenskongreß von 1905 (Bulletin,
S. 108) die Errichtung eines Verwaltungs-
bureaus auf mondialer Grundlage befürwortet.
Neuerdings hat namentlich A. H. Fried,
zuerst auf der Brüsseler Generalversammlung
des Internationalen Friedensbureaus am 8. und
9. Oktober 1909, die Gründung eines solchen
Bureaus, freilich auf rein europäischer Grund-
lage, propagiert. Dieses „Bureau pan-
europ^en" sollte ein Zentralpunkt werden für
die gemeinsamen Interessen der europäischen
Staaten auf dem Gebiete der internationalen
Politik, des Handels, des Rechts, des Ver-
kehrs, der Sanitätspflege, der Wissenschaft,
der Sozialpolitik, der Landwirtschaft usw.
Fried glaubte, daß hierdurch ein lebendiger
Keim geschaffen würde, aus dem heraus sich
die Weltorganisation entwickeln könnte. Die
Brüsseler Generalversammlung, auf der her-
vorragende Männer anwesend waren, hat da-
mals den Vorschlag Frieds mit Beifall auf-
genommen. Bald darauf hat Fried eine
Reihe von Völkerrechtsjuristen um ihre Mei-
nung zu diesem Probleme gefragt, und Männer,
wie v. Bar, Graf Kamarowski, La-
band, Meili, Mi eurer, Niemeyer,
Oppenheim, Rehm, Schücking,
K o h 1 e r und Streit, haben sich, zum Teil
mit allergrößter Begeisterung, für die Errich-
tung eines solchen Bureaus ausgesprochen.
(Vgl. Friedenswarte, 1909, S. 222 ff., 1910,
S. 6 ff.). Einige der genannten Professoren
insbesondere M e u r e r und Oppenheim,
waren allerdings der Meinung, daß es vor-
teilhafter wäre, das Bureau auf rein mon-
dialer, anstatt auf europäischer Grundlage zu
errichten. Dieser Meinung möchte ich mich
mit Entschiedenheit anschließen. Wenn in
Amerika ein speziell amerikanisches Bureau
besteht, so ist dies dadurch zu erklären, daß
es in der Tat eine große Anzahl rein amerika-
nischer Fragen gibt. Dies ist in Europa keines
wegs in gleichem Maße der Fall. Aber das
wird ja später noch eingehender geprüft
werden können. Mir kommt es nur darauf
an, zu zeigen, eine wie große Sympathie sich
der Grundgedanke des Friedschen Vor-
schlages erworben hat. Am besten ergibt sich
diese Tatsache wohl daraus, daß der Regierung
der Vereinigten Staaten von Amerika ein völlig
ausgearbeiteter Antrag über die Schaffung
eines „Bureau g^neral international permanent"
mit der Bitte eingereicht worden ist, ihn der
nächsten Haager Friedenskonferenz vor-
zulegen. (Vgl. Revue Generale, 1911, S. 214 ff.
Fried hat neuerdings auf S. 81 des Jahr-
gangs 1912 der „Friedenswarte" unter dem
Titel : „Zweckverband Europa" nochmals seine
Lieblingsidee befürwortet, und dabei nicht
weniger als 34 Programmpunkte aufgezählt,
die möglicherweise dem Bureau übertragen
werden könnten.)
3. In dritter Linie wäre zu prüfen, wie
es mit den Friedensversicherungen der mo-
dernen Regierungen zu vereinbaren ist, daß
auf den staatlichen Schulen ein chau-
vinistischer Geist gepflegt wird, daß
den Schülern die Angehörigen eines anderen
Volkes als die Erbfeinde geschüdert werden,
daß weit verbreitete nationale Preßorgane und
Offiziere bei hohen nationalen Festtagen eine
herausfordernde und kriegerische Sprache
führen. Wäre es nicht die Aufgabe einer
internationalen Friedenspolitik, hier Wandel
zu schaffen, indem den Offizieren jede kriege-
rische Rede bei Strafe der Entlassung unter-
sagt, den Schülern auch die anderen Völker
in gerechter Weise geschildert und Maß
nahmen gegen allzu chauvinistische Preß-
organe gerichtet würden? Den Schülern wird
heute von Jugend auf gepredigt, in den An-
gehörigen anderer Völker den natürlichen
Hl
DIE FBIEDENS-^^DTE
3
Feind des Vaterlandes zu sehen, und dadurch
werden von vorherein alle Verständig ungs ver-
suche außerordentlich erschwert. Die chauvi-
nistischen Reden der Offiziere erregen stets die
öffentliche Meinung in hohem Grade. Am
schlimmsten sind freilich eine große Anzahl
von Preßorganen. Wenn es richtig ist, daß
die Presse heute eine ungeheure Macht im
Staate darstellt, dann muß um so mehr Für-
sorge getroffen werden, daß die Macht in der
richtigen Weise benutzt und die Volksstim-
mung dadurch nicht auf Abwege geführt wird.
Die Presse hat zur Verhütung wie zur Er-
regung eines Krieges eine ganz außerordent-
liche Gewalt in der Hand, und es müßte
sich mehr und mehr die Meinung durchringen,
daß jede Kriegshetze eine hochverräterische,
gegen die Sicherheit des Vaterlandes ge-
richtete Handlung ist.
Das alles ist so selbstverständlich, daß
man es eigentlich gar nicht zu sagen brauchte,
und doch steht die Wirklichkeit der Dinge
mit dieser idealen Forderung in geradezu
schreiendem Gegensatze. Ist es aber richtig,
daß die Aufrechterhaltung eines ehrenvollen
und dauerhaften Friedens eines der großartig-
sten Ziele der äußeren Politik ist, und daß
dieser Frieden nur durch ein gemeinsames plan-
volles Vorgehen der Regierungen erhalten
werden kann, so müssen es die Staaten als
ihre heiligste Pflicht betrachten, diesen Ver-
irrungen in ruhiger und bestimmter Weise
entgegenzutreten. Sie müssen zusammen über-
legen, welche Mittel geeignet sind, um eine
allmähliche Wandlung auf diesem Gebiete her-
beizuführen. Ganz gewiß geht das nicht mit
einem Male, und ein allzu scharfes und rasches
Vorgehen könnte nur schaden. Jahrzehnte-
lange Arbeit wird nötig sein, um den fried-
lichen Bestrebungen der Staaten in dieser Hin-
sicht eine bessere und dauerhaftere Grundlage
zu verschaffen.
Man hat von den verschiedensten Seiten
immer wieder eine Erörterung der Rüstungs-
frage befürwortet, und, wie mir scheint, mit
größtem Recht. Was aber kann auf die Dauer
allein eine Rüstungsvereinbarung nützen,
wenn auf allen Seiten fortgefahren wird, die
Völker gegeneinander zu erbittern! Haben
nicht die großen Rüstungen ihre Ursache zu
einem Teile in den Hetzereien zahlreicher
Preßorgane, der Offiziere und der chauvi-
nistischen Erziehung in der Schule ? Wie will
man also zu einem Ziele kommen, wenn man
nur an den Symptomen kuriert, ohne allen
Ursachen der großen Rüstungen energisch zu
Leibe zu gehen?
Ein sehr wunder Punkt, der zuun-
gunsten der internationalen Verständigung
wirkt, ist ferner in dem großen Einflüsse
der großen Armee- und Marine-
faibrikanten zu erblicken. Haben nicht
alle diese großen Gesellschaften ein gewaltiges
Interesse daran, daß fortwährend die Gefahr
eines Krieges besteht und infolgedessen
größere Einkäufe an Kanonen und sonstigem
Material gemacht werden. Kann man es
ihnen da verdenken, daß sie ihren großen
Reichtum und Einfluß verwerten, um auf
künstliche Weise eine kriegerische Stimmung
zu erregen? Stehen nicht zahlreiche große
Kanonenfabriken mit Zeitungen in Verbindung,
die an Chauvinismus, alle anderen Organe über-
bieten? Das Bedauernswerteste hierbei ist,
daß diese Geschäftspolitik unter dem Deck-
mantel des Patriotismus geführt wird. (Vgl.
die ausgezeichnete Schrift „Syndicats for war,
the jnfluence of the makers of war material
and of capital invested in war supplies", die
als Flugschrift im Juli 1911 von der „World
Peace Foundation" in Boston herausgegeben
wurde.)
Muß man nicht auch hier feststellen, daß
es mit der modernen Friedenspolitik der
Mächte unvereinbar ist, daß diese großen Ge-
sellschaften fortwährend zum Kriege schüren?
Also müssen doch wohl Mittel und Wege
gesucht werden, die diesem Treiben ein Ende
machen. Am 20. Februar 1912 hat der Abge-
ordnete Dr. David im deutschen Reichs-
tage eine Reichsregie über die Militärindustrie
gefordert*).
5. Bereits vier Weltfriedenskongresse (bul-
letin du IV. congres, 1892, S. 89, 94—98;
du VI. congres; 1894, S. 74; du XIV. con-
gres, 1905, S. 78, 79; du XVI. congres 1907
S. 81) haben sich mit Recht für ein Verbot
der Unterstützung der Kriegsan-
leihen durch die Neutralen ausge-
sprochen. Insbesondere die Franzosen Pro-
fessor R i ch e t und Professor R u y s s e n sind
dafür eingetreten. In der Tat scheint mir
bereits die Emmission solcher Anleihen in den
neutralen Staaten gegen die Grundsätze der
Neutralität izu sein. Wenn alle Staaten ein
Interesse an der baldigen Beendigung eines
Krieges haben, wie dürfen sie dann die Par-
teien oder eine von ihnen finanziell unter-
stützen? Bemerkenswert ist, daß vor dem
Balkankriege einigen Staaten des Balkan-
bundes keine Anleihen von neutraler Seite
gewährt wurden.
6. Wenn eine planmäßige internationale
Friedenspolitik getrieben werden soll, dann
müssen Anstrengungen gemacht werden, daß
in den Kreisen des Volkes ein größeres Ver-
ständnis für diese Politik vorhanden ist. Vor
allem müßte also auf den nationalen Uni-
versitäten die Bedeutung der Haager
Friedenskonferenzen eingehend gewürdigt
*) Ich bin mir völlig bewußt, daß wenigstens
augenblicklich viele der hier gemachten
Vorschläge undurchführbar sind. Aber es ist
nötig, bereits heute auf die Probleme der
nächsten Zeit hinzuweisen.
142
@:
DIE FRIEDEN5- , ^4M2TE
werden. Das ist aber bisher nur sehr vereinzelt
geschehen. In Deutschland sind meines
Wissens nur von Professor Schücking
regelmäßig solche Vorlesungen eingerichtet
worden. Auch in Amerika hat man die Stu-
denten in das Haager Werk eingeweiht. So
ist z. B. das hoch bedeutende Werk Scotts
„The Hague Peace Conferences" aus einer
Vorlesung entstanden. Uebrigens ist hervor-
zuheben, daß sich die zweite Haager Kon-
ferenz ganz vorübergehend mit dem Projekte
eaner internationalen Universität beschäftigt
hat.
(Schluß folgt.)
Die gesellschaftlichen Verbände
der Menschheit.
Von Dr. phil., jur. et sc. pol. G. G r o s eh.
Ueber die Vergesellschaftung der Men-
schen hat sich Kant prinzipiell dahin ge-
äußert: „Der Mensch hat eine Neigung, sich
zu vergesellschaften, weil er in einem
solchen Zustand sich mehr als Mensch, d. i.
Entwicklung seiner Naturanlagen, fühlt. Er
hat aber auch einen großen Hang, sich zu
vereinzelnen, weil er in sich zugleich die
ungesellige Eigenschaft antrifft, alles bloß
nach seinem Sinne richten zu wollen und daher
a Herwärts Widerstand erwartet, so wie er von
sich selbst weiß, daß er seinerseits zum Wider-
stand gegen andere geneigt ist."
Dieser Antagonismus durchzieht in der
Tat überhaupt das Gesellschaftsleben der Men-
schen. Von Natur aus sicher dazu veranlagt,
in Vereinzelung zu leben, hat der Mensch sich
zur Geselligkeit durchgefunden; während der
Naturzustand das „bellum omnium contra
omnes" auch für den Menschen war, nur
innerhalb der Menschenfamilien der Frieden
herrschte, hat sich der Mensch mittels der
Vergesellschaftung zum Rechtszustand
durchgerungen. Der Mensch ist nicht von
Natur ein Gesellschaftswesen, wie Aristoteles
behauptet, sondern er ist dies erst geworden,
bewußt: die Vergesellschaftung ist die
Großtat des Geschöpfes Mensch, auf der das
spezifische Menschtum beruht. Gezwungen
durch die Not, „und zwar die größte unter
allen, nämlich die, welche sich Menschen
untereinander selbst zufügen, deren Neigungen
es machen, daß sie in wilder Freiheit nicht
lange neben einander bestehen können," haben
die Menschen sich vergesellschaftet, haben sich
die unter der Autorität des Mannes stehenden
Familien zusammengeschlossen.
Der Zweck des gesellschaftlichen Lebens
ist das auf Bedürfnisbefriedigung gerichtete
Zusammenwirken der innerhalb der betr. Ge-
meinschaft Stehenden; durch die Vergesell-
schaftung wollen die einzelnen ihre Lebens-
zwecke völlig erfüllen, ihre Bestrebungen voll-
ständig durchführen. Die Form ist die
weise durchgeführte Regelung ihres Neben- und
Miteinanderlebens in Frieden.
Jede Gemeinschaft von Menschen hält in
ihrem Innern den Frieden aufrecht: das ist
ihr Charakteristikum. Ursprünglich entschied
die rohe Gewalt, das sogen. „Recht" des
Stärkeren, woraus das „bellum omnium contra
omnes" resultierte, das heute noch im Krieg'
besteht. Das gerade wird innerhalb der Men-
schengesellschaft vermieden. In dieser leben
und wirken die Menschen friedlich nebenein-
ander und betreiben ohne stete Störung bzw.
Bedrohung gewalttätiger Art ihre Lebens-
geschäfte. Indem sie so selber die Befriedi-
gung dessen, was sie bedürfen, am besten er-
langen, und indem sie selber nach aller Mög-
lichkeit schaffen und streben, fördern sie
auch die Gemeinschaft. Somit stehen der
einzelne und die Gesellschaft im
innigsten. Konnex. Diese ist der einzelnen
wegen da, sie hat im Interesse jedes einzelnen
ihren Bestand aufrechtzuerhalten. Der ein-
zelne hinwiederum gleicht außerhalb der Ge-
sellschaft einem losen Blatte im W r inde: es
ist für ihn ein Erfordernis, daß er in einer
solchen befriedeten Gemeinschaft stehe; alles,
was er ist und hat, dankt er derselben; er
ist Mensch nur innerhalb einer solchen.
Freilich, sehr langsam haben sich diese
Gemeinschaften gebildet, nur allmählich hat
sich der Mensch der Vergesellschaftung ge-
fügt und sich ihr angepaßt.
Die Entstehung derselben liegt im Dunkel ;
soweit historisches Licht auf diese Verhält-
nisse fällt, finden wir überall den Menschen
als Gesellschaftswesen. Doch müssen wir nicht
nur logisch und soziologisch einen Zustand
annehmen, in dem die Menschen, als geson-
derte Familien, in stetem Kampf miteinander
gelebt haben, sondern schon aus der einfachen
Erwägung heraus, daß wir sonst aus früheren
Zeiten etwas wissen müßten. Denn unser histo-
risches Wissen hängt mit der Vergesellschaf-
tung aufs innigste zusammen ; es reicht aber
nicht allzu weit zurück; folglich ist auch die
Vergesellschaftung der Menschen nicht allzu
weit zurück zu datieren; und vor derselben
lebten die Menschen in gesonderten, einander
feindlichen Familien. Daß wir jetzt überall
den Menschen als geselliges Wesen antreffen,
dafür haben wir nur die Erklärung, daß sich
die Gattung Mensch eben nur als gesellschaft-
liches Lebewesen erhalten konnte. Die Men-
schen, die im Naturzustande blieben, sind
verschwunden; sie sind vor denen gewichen,
die sich vergesellschaftet hatten, wie die nie-
deren Gesellschaften noch heute den höheren
weichen müssen. —
143
DIE FßlEDENS-^k^&ßTE
3
Die Keimzelle aller Vergesellschaftung ist
die Familie. Einzelne Familien, in denen
der Vater der über alles gebietende Herr ist,
hausen nebeneinander, gegeneinander; sie
fügen sich gegenseitig alle mögliche Unbill
zu. Es besteht ein „struggle for life", ein
Kampf um die besten der natürlichen Futter-
plätze, in welchem nur die Kräftigsten leben
bleiben. Es ist das der Naturzustand der
Gattung: Mensch, dessen Möglichkeit sich
sicher nicht bestreiten läßt, wenn wir von
metaphysischen Spekulationen absehen.
Dieser Naturzustand ist vom Menschen
überwunden worden.
Bei der Nahrungssuche schart man sich
gelegentlich 1 , „zu kleinen Rudeln oder zu
größeren Herden zusammen, bald trennt man
sich wieder, je nachdem die Weide oder der
Jagdgrund ergiebig ist. Aber diese Vereini-
gungen werden nicht zu Gemeinschaften; sie
erleichtern dem einzelnen nicht die Existenz".
Es ist das die Horde, eine Anzahl von ein-
zelnen Menschen, vielleicht ein paar Fa-
milien darunter, die sich zusammenfinden
und trennen, wie es gerade geht. Bis zu
dieser Stufe, die über die individuelle Nah-
rungssuche nicht hinausgeht, gelangen
manche Tierarten ebenfalls. Sie hat mithin
noch nichts, was* nur dem Menschen eigen-
tümlich wäre.
Dagegen das nächste Stadium! Es ist
das die Epoche der Sippe, um sie mit dem
gemeingermanischen Namen zu belegen. Mit
ihrer Konstituierung hebt die Menschheits-
geschichte an, beginnt das Menschtum, die
Kultur. Unter Sippe ist zu verstehen : eine
Vereinigung von Familien, die gemeinschaft-
lich die Wirtschaft betreiben, deren Männer
zu Schutz und Trutz zusammenstehen, und
unter der Leitung eines gemeinschaftlichen
Oberhauptes die äußere Regelung des Gemein-
schaftslebens festsetzen und aufrechterhalten.
Die Sippe ist also eine organisierte Men-
schengesellschaft, ist der Typus einer Men-
schengesellschaft.
Die Horde charakterisiert sich nur als
Uebergangsstufe; dagegen stellt die Sippe
eine echte Vergesellschaftung dar. Man kann
sie als eine Erweiterung der Familie be-
zeichnen; wenigstens hat diese das Vorbild
dazu gegeben: die Sippe gilt unter ihren
Gliedern als eine große Famüie. Nur hat sie
eben die Besonderheit, daß nicht einzelne,
sondern Familien in ihr zusammengeschlossen
sind, woraus dann die mannigfachsten Kon-
sequenzen sich herleiten.
Zur Erklärung dieses Zusammenschlusses
hat man den Begriff des Gesellschaftsvertrags
aufgestellt. Ueber ihn urteilt noch Kant, er
sei kein Faktum, sondern eine bloße Idee der
Vernunft, die aber ihre unbezweifelte (prak-
tische) Realität habe. Indes, die Vergesell-
schaftung der Menschen ist eine bloße Tat-
sache, ohne vertragsmäßige Festsetzung Ist
sie entstanden. Erst zu ihrer Aufrechterhaltung
144
ist das Recht geschaffen worden ; ohne Recht
keine Gesellschaft und umgekehrt. Das Recht
ist der Inbegriff der Regeln, deren Beobach-
tung von den zu einer Gemeinschaft Zusammen-
geschlossenen erzwungen wird, um die Auf-
rechterhaltung ihrer Gesellschaft zu gewähr-
leisten. Das Recht wechselt mit den Kultur-
stufen, es gibt kein allgemein gültiges Recht ;
doch hat jede Menschengesellschaft ihr Recht.
Der Komplex der Rechtsnormen bildet das
Minimum dessen, was eingehalten werden
muß, daß die betreffende Gesellschaft ihre
Integrität bewahre.
Ein Bild von der Sippe nun gewinnen wir,
vor allem, wenn wir die reinen Sippen ins
Auge fassen, aber auch die, welche sich unter
höherer (Stammes- oder Staats-) Ver-
fassung noch erhalten haben. Die Sippe ist
eine Institution, die sich über die ganze Erde
verbreitet findet; sie ist vornehmlich zu be-
trachten als das erste Stadium menschheit-
licher Vergesellschaftung, durch das jede Ge-
meinschaft hindurch mußte, ehe sie zu einer
höheren Stufe gelangen konnte.
Hier tritt die fundamentale Gegensätzlich-
keit ein zwischen Mensch und Tier. Dieser
Unterschied besteht — rein empirisch — darin,
daß das letztere sich der Natur und ihren
Bedingungen nach Möglichkeit anzupassen
sucht, während der Mensch infolge des Zu-
sammenschlusses mit Seinesgleichen, also ge-
stützt auf die Vergesellschaftung, die Natur
meistert.
Das gilt auch für die nächsthöhere Stufe,
für den Stamm. Was den Stamm von der
Sippe unterscheidet, das ist der Umstand, daß
jener nicht aus Familien nur besteht, sondern
daß sich dazwischen noch eine andere In-
stitution einschiebt: die Sippe, die wir hier,
bei höherer Verfassung also, Clan nennen
wollen. Die Lage ist demnach die, daß
mehrere Familien unter einem Oberhaupt einen
Clan bilden und mehrere Clans wiederum zu
einem Stamme zusammengeschlossen sind. Der
Stamm ist mithin eine organisierte Clan-
vereinigung.
Es herrscht über diese Perioden der
Menschheitsgeschichte, über diese spezifisch
menschheitlichen Jnstitutionen noch ein ziem-
liches Dunkel, das erst durch die vergleichende
Geschichts- und durch die Gesellschaftswissen-
schaft aufgehellt werden muß. Wir wollen uns
mit der angegebenen Charakteristik des
Stammes begnügen ; danach stellt er mehr eine
Uebergangsstufe dar, nämlich zum Staate.
Was den Staat als gesellschaftliche Bil-
dung von seinen Vorstufen unterscheidet, das
ist die enge Verknüpfung mit dem Gebiet.
Die streifenden Horden und Sippen kennen
das nicht; ebenso sind die Stämme noch un-
stet und schweifen landauf, landab, wandern
häufig in ihrer Gesamtheit in andere Gegen
den. Dagegen ganz anders beim Staate.
Eine Menschen Vereinigung ist dann als
Staat zu charakterisieren, wenn sie als solche
<§=
DIE FRI EDENS -^fc/ÄBXE
auf bestimmt abgegrenztem Gebiet sässig ge-
worden ist. Der Staat ist „eine auf einem
abgegrenzten Teil der Erdoberfläche seßhafte,
mit einer herrschenden Gewalt versehene und
durch sie zu einer Einheit zusammengefaßte
Vielheit von Menschen", von Familien.
Der Staat leistet alles besser, als seine
Vorinstitutionen, aber im Grunde ist er eine
Gesellschaft ganz wie Sippe und Stamm.
Die hauptsächlichsten Modifikationen ema-
nieren aus der Verknüpfung von Gesellschaft
und Gebiet, weiter aus dem damit im Zu-
sammenhang stehenden Umstand, daß die be-
wohnbare Erde — vornehmlich auch mittels
der Kolonisation von Seiten der Staaten — im
Besitz von diesen ist.
Zunächst herrschte zwischen ihnen der
Naturzustand, ganz wie zwischen den Men-
schenfamilien der Urzeit. Aber ein solcher
konnte auf die Dauer nicht bestehen. Die
Staaten waren ja gerade dadurch entstanden,
daß die Menschen den Naturzustand über-
wunden hatten. Den Staaten war es darum
gewissermaßen immanent, auch außerhalb
ihrer Grenzen das Recht (Völkerrecht) walten
zu lassen, da es innerhalb derselben geschah.
Auf diesem Weg, der nach dem Zu-
sammenbruch der Weltmachtsbestrebungen
eingeschlagen wurde, ist man, — also seit
Jahrhunderten schon — fortgeschritten. Und
die Menschheit ist zurzeit dabei, die Befrie-
dung der Staaten durchzuführen, die Staaten-
organisation, die Staatenge meinde
aufzurichten. Der Staat ist nicht die Voll-
endung menschheitlicher Vergesellschaftung,
sondern deren Bekrönung, das Ziel der Mensch-
heitsgeschichte überhaupt wird die organisierte
Staatengesellschaft sein — auch sie ist im
Grunde genommen dasselbe, was die Sippe ge-
wesen ist, nur über die ganze Menschheit aus-
gebreitet.
n RANDGLOSSEN EI
ZUR MITGESCHICHTE
Von Bertha v. Suttner.
Wien, 12. April 1913.
Die Weltgeschichte hat bisher eine Unzahl
von Kriegen zu verzeichnen gehabt: biblische,
punische, persische, römische, germanische,
napoleonische usw. bis zu den balkanischen,:
Religionskriege, Eroberungskriege, Kabinetts-
kriege, Rassenkriege — das Ringen spielte sich
um Länderstrecken, um Glaubensbekenntnisse,
um alles mögliche ab — aber das gewaltigste
Ringen, von dessen Ausgang das künftige
Schicksal der Menschheit abhängt, das findet
in unserer Gegenwart statt — ohne daß die
Zeitgenossen es recht gewahr werden — , näm-
lich der Kampf zwischen der alten Gewalt-
und der neuen Rechtsordnung. Krieg und
Frieden liegen einander in den Haaren. Das
Ende des Feldzugs ist nicht zweifelhaft; der
Krieg mag noch manche Schlacht gewinnen ;
aber der Frieden, der durch die naturgesetz-
mäßige Entwicklung zur Organisation und zum
Zusammenschluß langsam aber sicher immer
neue Positionen gewinnt, immer größere Ge-
biete erobert, muß schließlich Sieger bleiben:
„Per orbem terrarum humanitas unita", wie
der Wahlspruch der „Union des Associations
Internationales" heißt. Für die Kurzsichtigen
ein gar nicht wahrnehmbares Ziel — für das
visionskräftige geistige Auge aber funkelt es
schon klar und hell am Zukunftshorizont.
MB
Im Lichte dieser abstrakten Anschauungen
lassen sich die konkreten Fälle, die sich über-
stürzenden Ereignisse der letzten Wochen be-
trachten, da erscheinen sie alle als die Phasen
des sich vollziehenden Prozesses. Da ist vor
allem die Entstehung von „Europa" als poli-
tischer Begriff. Als der Begriff einer Ein-
heit, die ihren Willen über Länderverteilung,
Grenzregulierung, Feindseligkeitseinstellung
und Friedensbedingungen geltend macht. Und
zwar nicht mehr länger durch bloße diplo-
matische Noten, sondern durch ihre vereinigt
demonstrierenden Flotten. Und so wie der
Begriff „Europa" als politische Person in die
Tagespresse eingeführt wurde, so erschien da
auch dieses neue Wort : „europäische Friedens-
polizei". Beides funkelnagelneue Erschei-
nungen in der tatsächlichen Gestaltung der
Dinge, beides uralte Forderungen des Pazi-
fismus. Dreibund und Dreiverband als .Sechs-
union — was wollten wir denn mehr? — was
war es anderes, das Novicow in seiner „Föde-
ration de TEurope" als Sicherung des
Friedens hinstellte, was von der Mitwelt als
unmöglicher Traum verlacht und ignoriert
wurde und was jetzt im Mittelmeer greifbar
vorhanden ist?
Freüich ist diese Union nur eine tem-
poräre, provisorische; aber warum sollte sie,
nach dem herrlichen Ergebnis, das sie hatte —
die Verhütung des Weltbrandes — , sich nicht
als positiv und dauernd einsetzen? Die Vision
von ihrem Nutzen und ihrem Segen ist durch
diese — wenn auch nur momentane — Verkörpe-
rung zu deutlich geworden, als daß die Forde-
rung nach ihrem vertragsmäßigen Bestand sich
nicht immer lauter und immer allgemeiner er-
heben sollte. Wenn die Einigung der Groß-
mächte in dieser Krisis nicht zustande ge-
kommen wäre, wenn das alte, hochmütig belli-
zistische System, daß jeder Staat einzeln für
seine „vitalen" Interessen handeln muß, die
Oberhand behalten, wenn auch nur ein
Staat sich von dem Konzert losgesagt hätte,
so wäre das denkbar höllenhafteste Unglück
hereingebrochen, daß die Millionenheere und
Riesenflotten der beiden Mächtegruppen zu
gegenseitiger Zerfleischung und Vernichtung
losgelassen worden wären. Ehre und Ruhm
HS
DIE FRIEDENS -NVABTE 5
£>
sei den Staatsmännern und den hinter ihnen
stehenden Staatsoberhäuptern, die diesen,
wenn auch nur ad hoc geltenden Zusammen-
schluß bewerkstelligt haben.
Zu beklagen ist es, daß die einmütige
Aktion der Mächte, die dem Balkankrieg ein
Ende gebietet, nicht viel früher eingesetzt hat
und so das Tod- und Zerstörungswerk über-
haupt verhindert hätte, das nun über ein halbes
Jahr den Balkan verwüstet und Europa in
Mitleidenschaft gezogen hat. Ich rnuß immer
wieder an das Wort Tafts denken, das er
bei der Einweihung des Palastes der Pan-
american Union gesprochen hat: „Wir wollen
nicht eher ruhen, wir 21 Republiken, als bis
wenn zwei davon miteinander raufen wollen,
die 19 anderen sie daran verhindern." Wenn
Europa es will, es fest und ernstiich will, so
wird der Balkankrieg der letzte Krieg auf
europäischem Boden gewesen sein. Daß es je-
doch noch Viele gibt in Europa, die den Krieg
wollen, ihn fest und ernstlich wollen, das
wissen wir Pazifisten nur zu gut.
Und nun, während so eifrig in allen Staats-
ämtern und Botschafterreunionen daran ge-
arbeitet wurde, den Frieden zu retten, während
überall Entspannungen sich fühlbar machten,
Vorschläge zu Verständigungen auftauchten,
Kundgebungen gegen den Krieg — darunter
eine höchst bedeutungsvolle im Elsaß — statt-
fanden, während noch hundert Schwierigkeiten
überwunden werden mußten, man alle Hände,
alle Köpfe und alle Herzen voll zu tun hatte,
um die balkanischen Wirren zu klären und die
europäischen Gefahren abzuwenden, platzte
plötzlich die deutsche Milliardenwehrvorlage
herein — augenblicklich beantwortet mit der
französischen Wiederaufnahme der dreijährigen
Dienstzeit. Als ob Hannibal schon vor den
Toren stände! Ein paroxistischer Anfall des
noch immer zunehmenden epidemischen Wahn-
sinns.
Die große Rede, mit der der deutsche
Reichskanzler die neue Vorlage begründet hat,
eröffnet ganz merkwürdige und für uns Pazi-
fisten sogar erfreuliche Ausblicke. Vor allem
ist der Ton zu loben, der keine trotzige
Drohung enthält. Dann wird konstatiert, daß
zwischen England und Deutschland die Be-
ziehungen sich vertrauensvoll und freundlich
gestalten; ferner, daß die Gefahren gegen die
man sich vorsehen muß, nicht von der fran-
zösischen Regierung und nicht vom fran-
zösischen Volke, auch nicht von der russischen
Regierung noch dem russischen Volke zu ge-
wärtigen seien, sondern von dem in fran-
zösischen Chauvinistenkreisen verstärkt hervor-
brechenden Revanchelärm und von der leiden-
schaftlichen panslawistischen Agitation, die in
Rußland offen verkündet, daß die slawische
Rasse gegen die germanische Rasse den Kampf
aufnehmen will. (Daß es auch alldeutsche
Kriegshetzer gibt, vergaß der Herr Kanzler zu
erwähnen); deutlich und klar ist also hier
der Herd der Kriegsgefahr angegeben: die
chauvinistisch-nationalistischen Hetzer aller-
orten. Und diese sollten Regierungen und
Völker nicht abwehren können? Weil diese
Mißtrauen säen, prahlen und drohen, sollen
die Regierungen sich auf den Krieg vor-
bereiten und damit den Chauvinisten der
andern Völker wieder Nahrung zu neuer Haß-
und Mißtrauensverbreitung geben? Darum
sollen die Völker — die ja den Krieg nicht
wollen — sich in Rüstungen verbluten ? Nein,
was not tut, um den Kriegsparteien entgegen-
zutreten, ist in jedem Lande die Bildung einer
Friedenspartei, die auch offen und laut für
die Verständigung und Verbündung der Staaten
eintritt, und die Regierungen müssen (wenn
ihr so oft verkündeter Friedenswille auf-
richtig ist) diese Partei als Regierungspartei
anerkennen und womöglich zu ihrer Unter-
stützung — Friedensministerien schaffen. Die
Sozialisten sind Kriegsgegner ; sie demon-
strieren und handeln zugunsten der Völker-
verbrüderung, haben auch gegen die neuen
Forderungen in Deutschland und Frankreich
tapfer protestiert, aber weil sie zugleich andere
Ziele verfolgen, hält man ihren Pazifismus
nur für ein Mittel zum Zweck. Ihre Stimme
ist im Parlament nicht ausschlaggebend. Aber
ihr Einfluß zur Dämpfung der Kriegs-
treibereien ist doch gewaltig. Ihr Verhalten
gibt den Beweis, daß im Volke Millionen
von Menschen leben, die von Massenschläch-
tereien nichts mehr wissen wollen, die gegen
die anderen Völker keinerlei Haß mehr auf-
bringen können.
Noch ist das Wehrgesetz nicht an
genommen. Es wird noch darüber verhandelt
und zugleich wird schon die Deckungsfrage
erörtert. Das sollten diejenigen, die gegen das
Gesetz selber sind, gar nicht tun. Kaninchen,
die den Mut fänden, dagegen zu protestieren,
daß sie verspeist werden, müßten sich nicht
in Verhandlungen darüber einlassen, in welcher
Sauce sie eventuell zubereitet sein wollen.
im
Marineminister Churchill hat den Vorschlag
gemacht, die englische und deutsche Marine
mögen ein Jahr im Weiterbau pausieren. Die
Sache wurde als „nicht konkret" beiseite ge-
schoben. Nun wird, wie es heißt, Mr. Chur-
chill nach Berlin reisen und „Konkretes" vor-
bringen. Der Widerstand der Rüstungsinter-
essenten wird sicher sich fühlbar machen. Im
Wettlauf ist auch nur eine Minute stille-
stehen unangebracht. Es könnten zwei oder
drei Minuten draus werden, oder gar eine
Verminderung der Schrittlänge aufkommen.
Nur weiter, weiter, weiter, nur immer schneller,
schneller — der Abgrund lockt zu sehr.
■
146
<§n
= DIE FRIEDENS -^MÄRTE
Hoffentlich kommt er doch noch rechtzeitig,
derjenige — sei es nun ein Mensch oder ein
Volk oder ein zwingender Umstand — . dem
ein gebieterisches „Halt!" gelingt.
HS»
Eines der wichtigsten Ereignisse in der
gegenwärtigen Krise war der Sieg Sasonows
über die russische Kriegspartei. Und seine
abgegebene Erklärung: „Rassenverschieden-
heit bedeutet noch nicht Rassengegensatz"
wird hoffentlich, weil von so hörbarer Stelle
und in so entscheidender Stunde gesprochen,
in das allgemeine Verständnis dringen und
die fatalistisch-resignierte Idee verscheuchen,
daß es ja zwischen den Slawen und Deut-
schen, zwischen den Gelben und Weißen usw.
doch einmal „zur Auseinandersetzung kommen
muß". In der Tat ja: Auseinandersetzung
tut not. wo Streit und Mißtrauen herrschen,
aber eine ganz andere als mit Kolbenschlägen.
MB
Letzter Akt; (hoffentlich) letzter Auftritt.
Die Bühne stellt eine felsige Gegend vor;
ferner Kanonendonner.
Eine Stimme : Skutari oder den Tod !
Zweite Stimme : Wie wär's um 20 Mil-
lionen ?
Erste Stimme: Na, . . darüber ließe sich
diskutieren . . .
MB
Der König von Griechenland ist ermordet
worden, mitten in seiner Siegesfreude. Seine
letzten Worte beinahe waren ein Ausdruck
der Genugtuung, daß ein Deutscher Dread-
nought ihm Salutschüsse darbringen werde.
Und da fiel der Schuß aus Mörderhand. Ein
Blatt meldete das Verbrechen mit den Worten :
,,, Etwas Häßliches ist auf den Krieg gefallen".
Häßlich — ja; traurig — gewiß; unentschuld-
bar — sicherlich; aber der obige Satz klingt
doch wie: „Etwas Nasses ist auf die See
gefallen".
In China ist das Parlament fcröffnet worden.
Was beginnt da für eine Aera in dem Reich
der Mitte, das uns als das Urbild tausend-
jährigen Stillstands galt? Als ob es Stillstand
überhaupt gäbe!
PAZIFISTISCHE CHRONIK
11. März. Die teilweise Demobilisierung
der österreichisch - russischen Grenze wird
durch ein identisches Communique' beider Staaten mit-
geteilt.
12. März. Fürst Lichnowsky, der deutsche
Botschafter in London, sprach im Verständi-
gungssinne bei einem Festmahl der Vereinigten
Londoner Handelskammern.
12. März. Grosse Friedensversammlung
in Mülhausen unter Teilnahme aller Parteien.
Gegen die Revanche- Chauvinisten, gegen den
Krieg, für Lösung der Völkerstreitigkeiten auf fried-
lichem Wege.
14./ 15. März. Sitzung des Rats des Berner
internationalen Friedensbureaus in Bern.
Erlass eines internationalen Aufrufs gegen die
Rüstungen.
Mitte März. Der Verband der Deutschen
Friedensgesellschaft richtet on den Reichs-
kanzler eine Eingabe, worin darauf hingewiesen
wird, dass die neuerlich enorme Belastung
durch die neuen Rüstungsforderungen nicht zu
dem erwarteten Ziel eines dauernden Friedens fuhren
werde.
Mitte März. Der Prinz von Wales tritt eine
Studienreise nach Deutschland an.
15. März. Die Trustees der Carnegie-
stiftung treten in einem öffentlichen Aufruf für
die schiedliche Erledigung des anglo-ameri-
kanischen Panamakanal-Streites ein.
18. März. Sitzung des Interparlamentari-
schen Rats in Brüssel.
19. März. Der Ordensrat des Grand-Orient
von Frankreich erlässt ein Manifest gegen die
Rüstungen und für den Frieden.
23. — 30. März. 350 französische Kaufleute
bestechen Berlin und die Leipziger Messe.
24. März. Der Parteitag der franz. Sozial-
demokratie verwirft in einer Resolution die drei-
jährige Dienstzeit und tritt für die deutsch-franz.
Verständigung ein.
26. März. Lord Churchill macht im Unter-
hause bei Einbringung des Flottenetats den Vor-
schlag, dass Deutschland und England ein
Jahr lang überhaupt keine Schiffe bauen.
26. März. Erstürmung Adrianopels aus
Gründen des militärischen Prestiges. Sir
Edward Greg bezeichnet es im Unterhause als
„unnützes Gemetzel".
27. März. Deutsch-italienisches Abkommen
über Arbeiter Versicherung.
28. März. Veröffentlichung der grossen Heeres-
vorlage in Deutschland. Vermehrung um
4000 Offiziere, 15 000 Unteroffiziere,
116 965 Mann, 27 000 Pferde. Ausbau der
Festungen und der Luftflotte. 900 Millionen
Mark einmalige, 190 Millionen Mark neue
dauernde Ausgaben.
29. März. Beginn einer internationalen
Flottendemonstration gegen Montenegro.
Uebemahme des Kommandos durch den englischen
Admiral.
30. März. Auf dem in Montpellier tagenden
Mutualistenkongress hält Eürst Albert von
Monaco eine pazifistische Rede.
30. März. Erneute grosse Friedensver-
sammlung in Mülhausen im Elsass, an der
Fortschrittler, Zentrumsleute und Sozialisten sich ge-
meinsam beteiligten. Gegen die Rüstungen,
gegen den Krieg, für internationale Ver-
ständigung.
31. März. In dem franco-italienischen
Streitfalle über die „Carthage" '- „Manouba" '-
147
DIE FßlEDENS-^^BTE =
: 3
Affäre findet vor dem Haag er Hof die erste Ver-
handlung statt.
Anfangs April. Prinz Heinrich von
Preussen in London.
4. April. In München starb Prof. Ritter
Emanuel v. Ullmann, der erste Vorsitzende des
Verbandes für internationale Verständigung.
6. April. Die Berliner Sozialdemokratie pro-
testiert in 61 Volksversammlungen gegen die
neue Wehrvorlage.
8. April. In Peking tritt das chinesische
Parlament zum erstenmal zusammen.
10. April. Ein Komitee von schweizer Politikern
beruft für den 20. April nach Bern eine Konferenz
deutscher und französischer Parlamentarier
ein zwecks Anbahnung eines besseren Ver-
ständnisses beider Völker.
10. April. „Im Namen der internationalen
Flotte, welche die Grossmächte von Europa
vertritt", verkündet der englische Admiral Cecil
Burney, als „Kommandierender der inter-
nationalen Flotte'', die über die albanische Küste
verhängte Blockade.
10. April. Im elsass-lothringischen Land-
tag protestierten mehrere Abgeordnete gegen den
Chauvinismus in Deutschland und Frank-
reich und gegen den Gedanken an einen Krieg.
DAUS DER ZEITO
Völkerrecht.
Vom Haager Schiedshof. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Der Verwaltungsrat des ständigen Schieds-
hofs veröffentlicht soeben seinen 12. Jahres-
bericht über die Arbeiten des Hofes und die
Punktion der Verwaltung während des Jahres
1912. Der Bericht, der den Kegierungen erst
am 26. März 1913 überreicht, wurde, ist in den
Takten bis zu diesem Tage berichtigt.
Daraus ergibt sich zunächst die betrübende
Tatsache, daß die Haager Abkommen von 1907,
die von 44 Staaten unterzeichnet wurden, bis-
lang nur von 24 Staaten ratifiziert worden
sind. Von europäischen Staaten haben bisher
Italien und sämtliche Balkanstaaten, mit Aus-
nahme Bumäniens, nicht ratifiziert. Im Jahre
1912 sind drei Schiedsfälle entschieden bzw.
anhängig gemacht worden. Es sind dies der
Canevaro-Fall zwischen Italien und Peru,
der Indemnitätsstreit zwischen der Türkei
und B u ß 1 a n d , die Streitfälle über die Auf-
bringung dreier Schiffe („Cartage", „Manouba"
und „Tavignano") zwischen Italien und
Frankreich.
Das Budget für 1913 ist mit 58 149 Fl. be-
ziffert worden, während die Ausgaben für 1912,
die im Voranschlag mit 36 350 Fl. angenommen
wurden, nur 28 217,50 Fl. betrugen. Diese
Summe wurde nach dem vom Weltpostverein
angewandten Schlüssel durch die Vertragsstaaten
gedeckt. Danach hatte Deutschland, Oester-
reich-Ungarn, Frankreich, Großbritannien,
148
Italien, Bußland, die Türkei, die Vereinigten
Staaten, China und Japan je 1482,25 Fl. zu
bezahlen. Spanien 1185,80 Fl. Die anderen
Staaten je 889,35 FL, 296,45 bzw. 177,87. Nur
Montenegro hat den geringen Betrag von
59,29 Fl. zu leisten. Die Erhöhung des Budgets
für 1913 rührt von dem neu eingestellten Posten
von 16 501 Fl. als Beitrag für die Verwaltung
und Instandhaltung des Ende August zu be-
ziehenden neuen Friedenspalastes her. Diese
Summe bezieht sich nur auf die vier letzten
Monate des Jahres 1913. Sie wird künftig das
Dreifache, d. i. 49 504 Fl. betragen.
Die organisatorische Bedeutung
der Haager Konferenzen.
Vor der Internationalen Vereini-
gung für vergleichende Rechts-
wissenschaft und Volkswirt-
schaftslehre sprach am 15. März im preußi-
schen Herrenhaus Professor Dr. Walther
Schücking aus Marburg über „die or-
ganisatorische Bedeutung der
Haager Konferenze n". — Gerade der
unbefriedigende Zustand des Wettrüstens ver-
anlaßt die Frage, was denn durch die Haager
Friedenskonferenzen bisher erreicht ist. Die
Antwort darauf hat bis jetzt sehr verschieden
gelautet. Der Bedner ist im Einklang mit
einigen hervorragenden Autoren des Auslands
seit Jahren bestrebt, die organisatorische Be-
deutung des Haager Werkes in das rechte
Licht zu stellen. Durch das Schiedsgerichts-
abkommen ist ein neuer Staatenverband ge-
gründet, dessen Zweck die Aufrechterhaltung
des allgemeinen Friedens ist. Also ist dieser
Staatenverband auch ein politischer und be-
deutet den Ansatz zu einem losen Weltstaaten-
bund. Die zweite Haager Konferenz hat sich
bemüht, die Justiz Organisation dieses Staaten-
verbandes weiter fortzubilden. Die Tatsache,
daß in Zukunft vor dem internationalen Prisen-
hof der Privatmann seine Bechte gegen einen
fremden Staat wird einklagen können, beweist
den rapiden Entwicklungsprozeß des Völker-
rechts und die Fortschritte der internationalen
Organisation. Die dritte Haager Konferenz
wird das Projekt der Cour de justice arbitrale
von 1907 wieder aufnehmen und daraus einen
wirklich ständigen Gerichtshof mit verschie-
denen Kammern machen müssen. Für gewisse
Kategorien von unpolitischen Streitigkeiten muß
dieses Gericht obligatorisch werden, außerdem
muß es zuständig gemacht werden für Privat-
rechtsansprüche gegen fremde Staaten und die
Auslegung der Normen des neuen Weltrechts
(Internationales Privatrecht, Weltwechselrecht,
Weltscheckrecht usw.). Ein anderes höchst
wichtiges Postulat ist die Sicherung der Pe-
riodizität der Konferenzen und die Annahme
eines Statuts für den Haager Staatenverband. —
Jedenfalls wandelt sich die bisher anarchische
Staatengesellschaft trotz aller Hemmungen all-
mählich in die eine organisierte um und neue
<§•
= DIE FRI EDENS -^\*M2XE
Probleme, wie internationale Besitzgarantie,
Exekutive, Weltparlainent und Umwandlung der
einzelstaatlichen Heere in Quoten einer Bundes-
armee werden dann zu lösen sein.
In der vom Vorsitzenden Geh. Justizrat
Dr. Felix Meyer geleiteten Diskussion be-
zweifelte Professor Dr. Carl Koehne, daß die
modernen wirtschaftlichen und handelspoli-
tischen Tendenzen (Neo-Merkantilismus) der
Entwicklung eines Weltstaatenbundes günstig
seien. Dem widersprach außer dem Vor-
tragenden, namentlich Geh. Justizrat Dove, der
darauf hinwies, daß selbst die schärfste Schutz-
zollpolitik eines Landes keineswegs mit dessen
Isolierung gleichbedeutend sei. Professor Dr.
Neubecker meinte, daß die Theorien des Redners
in ihren letzten Konsecmenzen an den nicht
voraussehbaren Entwicklungsmöglichkeiten der
einzelnen Völker scheitern müßten. Hiergegen
wendete der Vortragende sich in seinem Schluß-
worte, in dem er betonte, daß auch nach seiner
Lehre dem wechselnden Expansionsbedürfnisse
der Nationen keine ewig feststehenden
Schranken gezogen werden sollen, daß sich in
Zukunft aber der Besitzwechsel nicht mehr im
Wego der Eroberung, sondern in der friedlichen
Form des Kaufes oder Tausches vollziehen
werde. v. L.
Zwischenstaatliche Epekution. :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Artikel 19 der ,, Verfassung des Deutschen
Reiches" lautet :
„Wenn Bundesglieder ihre verfassungs-
mäßigen Bundespflichten nicht erfüllen,
können sie dazu im Wege der Exekution
angehalten werden. Diese Exekution ist
vom Bundesrate zu beschließen und vom
Kaiser zu vollstrecken."
In seinem Kommentar hierzu bemerkt Ge-
heimrat Zorn: „Die Mittel der Exekution
sind in der Reichsverfassung nicht bezeichnet.
Zuvor werden friedliche Mittel anzuwenden
sein, insbesondere durch Vermittlung des
Bundesrats. Weiter wird an militärisches
Einschreiten gedacht werden müssen. . .
Die Exekution kann bis zur Sequestration des
betreffenden Landes und seiner Regierungs-
gewalt ausgedehnt werden." (Der letzte Satz
war in der Verfassung des Norddeutschen
Bundes wörtlich enthalten.)
Man sieht also: es handelt sich hier,
trotz „militärischen Einschreitens", nicht
um Krieg, der ja zwischen Bundes gliedern
logischerweise ausgeschlossen ist, sondern um
die gewaltsame Durchsetzung des verletzten und
auf andere Weise nicht wiederherstellbaren Ver-
tragsrechtes. Man hört nun vielfach die An-
sicht, daß eine solche Exekution prinzipiell
eben nur zwischen Bundesgliedern denk-
bar ist, zwischenstaatlich aber nicht verwend-
bar sein könne. Interessant ist die Wahr-
nehmung, daß wir auch diese Entwicklungs-
stufe heilte bereits überwunden haben. Am
25. März las man in den Tagesblättern eine
aus Berlin datierte Meldung - folgenden Inhalts :
„Aus Rom wird gemeldet, falls Monte-
negro den Willen Oesterreichs und den der
anderen Großmächte nicht respektieren
wollte, so würde die Londoner Botschafter-
konferenz die Erteilung eines Exekutions-
mandates an Oesterreich-Ungam
und Italien beantragen. Auf Grund eines
solchen europäischen Mandates würde sich
Italien an der militärischen Aktion Oester-
reichs beteiligen."
Und diese Nachricht wird bekräftigt durch
eine Auslassung der „N o r d d. A 11g. Z t g." ,
des offiziösen deutschen Regierung*-
organs, vom 31. März, worin angedeutet wird,
daß es nötigenfalls zu einer ,,E xekutiou"
seitens der europäischen Mächte kommen
könnte, falls König Nikolaus auf seinem
Widerstände beharrt. Das Organ des
Reichskanzlers schreibt unter anderem :
„Wir möchten uns auch an dieser Stelle der
in der bedeutungsvollen Rede Sir Edward
Greys vom 25. d. M. ausgedrückten Er-
wartung anschließen, daß die Fortdauer der
Bestürmung Skutaris von Montenegro als
zweckloses Gemetzel erkannt und
baldigst eingestellt werde. Es wurde damit
der Anwendung von Maßregeln vor-
gebeugt, die keine Großmacht herbeiführen
will, die aber bei anhaltender Auf-
lehnung gegen den Willen Eu-
ropas unvermeidlich werden könnten".
Also ein unumwundenes, in ernst mahnen-
dem Tone gehaltenes, offiziöses Bekenntnis zu
eben jener „Exekution", wie sie in Ar-
tikel 19 der Deutschen Reichsver-
fassung vom IG. April 1871 bereits vor-
gesehen ist. Ob es nun im Falle Monte-
negros zu einer solchen zwischenstaatlichen
Exekution kommt oder nicht — man wird sich
das prinzipielle Zugeständnis ihrer
Möglichkeit und eventuellen Unausweich-
lichkeit mit unverlierbaren Lettern ins Ge-
dächtnis schreiben müssen für den Fall, daß
später wieder einmal ein Ueberschlauer mit der
Behauptung sich vorwagen könnte, eine der-
artige Exekution sei grundsätzlich mir zwischen
Gliedern ein und derselben Staaten-
gemeinschaft denkbar.
C. L. Siemering.
Verschiedenes.
Wie man Kriege „macht". :: :: :; [s :: :: ::
Der entsetzliche Balkankrieg mit seinen
nach! Zehntausenden zählenden Menschen-
opfern und seinen in die Milliarden gehen-
den Verlusten an Wohlstand und Gütern
geht seinem Ende zu. Beinahe hätte er das
alte Europa in Brand gesetzt, und wenn
dies auch glücklicherweise noch verhütet
149
DIE FBIEDENS -^/ADTE
=©
wurde, so hat er doch durch die Störung
des Handels und Verkehrs auf unserem Erd-
teil hinreichend Kulturarbeit vernichtet
und Not und Elend in ausreichendem Maße
erzeugt, Der Balkankrieg wird aber in
der Zukunft von den Geschichtsschreibern
und den Völkerpsychologen fein säuberlich
zugestutzt werden als die naturnotwendige
Entladung geheimer Kräfte, die folgerich-
tige Entwicklung historischer Gesetze und
schließlich auch als ein ,, Element der gött-
lichen Weltordnung".
Für die künftige Betrachtung dieses
Krieges sei mir gestattet, hier einen mir
nicht unwichtig erscheinenden Beitrag hin-
zuzufügen, der wohl geeignet sein dürfte,
zum Nachdenken über die „geheiligte" In-
stitution des Krieges anzuregen.
In der Budgetkommission des deutschen
Reichstages machte am 3. April der Staats-
sekretär von Jagow über die Entstehung
des Balkankrieges vertrauliche Mitteilun-
gen, aus deren offiziösen Veröffentlichungen
besonders folgender Satz von Interesse ist:
„Der Staatssekretär ging auf die Frage
ein, ob die europäische Diplomatie durch
den Ausbruch des Krieges überrascht wor-
den sei. Tatsächlich habe in den Haupt-
städten der Balkanstaaten noch 1 bis in
die letzten Tage vor dem Aus-
bruch des Krieges die Stimmung
geschwankt, und der Kriegsbeginn sei
gegen die Absicht der anderen Ver-
bündeten durch' den frühzeitigen
Losbruch Montenegros erfolgt."
Aus diesen Mitteilungen geht hervor,
daß, wenn auch nicht die Wahrscheinlich-
keit, so doch immerhin eine gewisse Mög-
lichkeit vorhanden gewesen wäre, den
Kriegsausbruch zu verhindern, wenn die
eilige Aktion des Königs von Montenegro
nicht vorgegriffen hätte.
Warum hat aber der König von
Montenegro so voreilig gehan-
delt?
Hierüber wird mir von einer Seite, die
mit den Verhältnissen vertraut sein körnte,
eine Mitteilung (gemacht, die man nicht ver-
schweigen kann, wenn man auch zugeben
muß, daß der vollgültige Beweis dafür
nicht erbracht werden kann, für die jedoch
die Wahrscheinlichkeit spricht.
Im Herbst des vorigen Jahres soll der
König von Montenegro in Paris den Ver-
such gemacht haben, eine Anleihe aufzu-
bringen, die ihm jedoch von der Pariser
Finanzwelt verweigert wurde. Ein Pariser
Finanzmann, der so von dem Geldbedarf
des Königs unterrichtet war, setzte sich
hierauf mit einem Wiener Bank-
haus, dessen Name mir genannt
wurde, in Verbindung. Dieses
Bankhaus soll dem König ein
Darlehen Von 5 Millionen Kronen
(einem Familienmitgliede des Königs außer-
dem noch einen etwas geringeren Betrag)
unter der Bedingung angeboten
haben, daß er sofort losschlage.
Am 8. Oktober hat der König
von Montenegro der Türkei den
Krieg erklärt!
Für die Wahrscheinlichkeit dieser
Mitteilung sprechen zwei Tatsachen.
Erstens: Das betreffende Bankhaus soll
zu Beginn des Balkankrieges so glücklich'
operiert und durch den Kriegsausbruch, der
im übrigen zu einer allgemeinen Börsen-
deroute geführt hat, so ungeheuer viel ver-
dient haben, daß dies weiteren Kreisen
auffiel.
Zweitens: Es soll ja nunmehr auch
die Einstellung des Krieges seitens des
Königs von Montenegro durch ein Mil-
lionendarlehen erkauft werden.
Sapienti sat!
Die „Brücke" und der Internationalismus. :: ::
Ende März fand in München die 1. Jahres-
versammlung der „Brücke", Internationalen
Instituts für Organisierung der geistigen Ar-
beit, statt. Ein besonderes Gepräge verlieh der
Tagung die Anwesenheit zahlreicher Geistes-
arbeiter des deutschen Sprachgebiets sowie die
Teilnahme des Prinzregenten Ludwig, des
Kultusministers und anderer Vertreter der
bayerischen Eegierung an der öffentlichen Fest-
sitzung. Geheimrat Prof. Wilhelm O s t w a 1 d
hielt einen Vortrag über „Brücke und Inter-
nationalismus", in dem er zunächst in weit-
ausholenden kulturgeschichtlichen Betrach-
tungen die Entwicklung des Organisationsge-
dankens überhaupt darlegte, dessen Grundziel
es ist, jede individuelle Leistung zum Besten
der Gesamtheit am zweckmäßigsten zur Gel-
tung zu bringen.
Weiter führte er nach Zeitungsmeldungen
aus : Bezüglich der geistigen Arbeit befinden
wir uns eben in der Periode des höheren In-
dividualismus und es treten die ersten Zeichen
der folgenden Periode, der organischen Bindung
ein. Die Brücke hat die Aufgabe, diese zur-
zeit höchste Kulturform für die geistige Arbeit
herbeizuführen, welche durch das bewußte Zu-
sammenwirken hoch entwickelter Individuen i
spezialisierter Betätigung gekennzeichnet ist
Das, was hierbei systematisiert und dadurch
erledigt wird, sind die primitivsten, wenigst
geistigen Anteile, so daß die notwendige
Gleichmachuner und Bindung nicht ein Hinder-
150
<§=
DIE FRIEDENS -WARTE
nie, sondern eine erhebliche Erleichterung und
Förderung für die höhere Geistesarbeit be-
wirkt. Damit werden die landläufigen Ein-
wände gegen die Brückenarbeit widerlegt. Wenn
wir sehen, wie jeder Forscher, ehe er an seine
eigentliche Aufgabe heranzugehen vermag, eine
Reihe kleiner und kleinlicher Vorarbeiten zu
machen hat, die ebensogut jeder Durchschnitts-
mensch machen könnte, so muß man nach dem
Grundsatz, daß keine Energie vergeudet werden
soll, auf Abhilfe sinnen. Die Gesamtheit der
Geistesschätze der Welt wächst immer gewal-
tiger an. Die Steigerung des Bewußtseins von
dem Besitz dieser den Nationen gemeinschaft-
lichen Kulturgüter und von der Gefahr, sie
verlieren zu können, sollte und müßte ein
mächtiges Friedenshand unter den Völkern be-
deuten! In der Anwendung auf die staat-
lichen Verhältnisse führen diese Betrachtungen
zur Erörterung des Internationalismus. Die
gegenwärtige politische Organisation der Welt
stellt einen teilweise noch primitiven Indivi-
dualismus dar, der durch internationale Bin-
dungen abgelöst zu werden beginnt. Das Zu-
sammentreten der deutschen Einzelstaaten, die
früher einander bekämpft hatten, zum Deut-
schen Reich, stellt einen typischen Fall solcher
Vorgänge dar. Es wird nachgewiesen, daß z. B.
die europäischen Kontinentalstaaten im Eisen-
bahnverband, die Kulturstaaten der ganzen Welt
im Weltpostverein bereits überstaatliche Organe
geschaffen haben, welche als die Vorstufen
engerer Verbände aufzufassen sind. Die Ver-
einigten Staaten von Europa und der ganzen
Welt existieren also bereits, sie sind längst
keine Utopie mehr. Hier hat die Brücke in
die begonnene Kulturorganisation einzugreifen,
da die geistigen Werte von absolut internatio-
naler Beschaffenheit sind. Dadurch wird sie
an ihrem Teil dazu beitragen, die Aufgabe des
dauernden Friedens, für dessen Erhaltung durch
militärische Rüstungen Europa so ungeheure
Opfer bringt, durch Mehrung der gemeinsamen
Kulturgüter zu lösen. Schon jetzt hat die ge-
meinsame Kulturarbeit der Nationen in solchem
Sinne gewirkt und ein geringer Bruchteil der
Aufwendungen für die militärische Friedens-
sicherung würde genügen, um sehr erhebliche
Leistungen auf diesem Boden zu ermöglichen,
auf welchem niemals Gefahren für den Frieden,
sondern nur eine Förderung entstehen kann
usw. Dr J. M.
Richard Dehmel und die internationale Kulturbewegung.
Der Verband internationaler Studentenver-
eine hat eine Rundfrage erlassen: Was kann
der Student für die internationale Kultur-
bewegung tun? Unter den Antworten hat die
von Richard Dehmel in studentischen Kreisen
weithin Beachtung gefunden und ist vielfach,
sicherlich gegen die Absicht des Dichters,
während der Ausländerstreitigkeiten der letzten
Zeit zu Hilfe gerufen worden. Sie lautet:
„Was der deutsche Student für die
internationale Kultur tun kann, ist
genau das, was jeder junge Mann
von geistigem Weitblick dafür tun
sollte: Ein Mann werden, der es in
seinem Berufskreis als vornehmste
Bildungspflicht betrachtet, sei-
nem Volk Respekt und Sympathie
bei den übrigen Völkern zu ver-
schaffen. Alles andere ist kosmo-
politische Phrase, ob mit oder ohne
Vereinsmeiere i."
Der ethischen Forderung Dehmels kann
man sicherlich durchaus zustimmen: Bildung
ist in erster Linie etwas Nationales. Aber
auch schon in dem ersten Teil seiner Ant-
wort ist ein starkes Mißverständnis der
Frage. Nicht um internationale Kultur, sondern
um internationale Kulturbewegung handelte es
sich. Diese Kulturbewegung „inter nationes",
diese Kulturbeziehungen von Volk zu Volk
enthalten als einen Bestandteil eben die von
Deutschland ausgehende Kultur, die sich
Achtung und Teilnahme im Ausland erwerben
will. Aber es ist doch eine kiasse Einseitig-
keit, wenn man die Gefühle, die man für
seine Kultur vom Ausland verlangt, nicht auch
den fremden Kulturen entgegenbringt. Zur
Bildung gehört sicherlich auch Achtung und
Verständnis für fremde Eigenart. Die vom
Ausland zu uns strömenden Einflüsse sind ein
anderer Bestandteil der internationalen Kultur-
bewegung.
Enthält der erste Teil der Dehmel- Antwort
nur ein Mißverständnis und eine Einseitigkeit,
so zeugt der letzte Satz von einer unglaub-
lichen Unkenntnis des modernen Inter-
nationalismus, der gegenwärtigen netzartig ver-
dichteten und verflochtenen Beziehungen von
Volk zu Volk. Weiß denn Dehmel nichts von
der stetig wachsenden Verflechtung aller
Völker in die Erdwirtschaft, von den Tausenden
und aber Tausenden von Organisationen auf
allen Gebieten, die über die Grenzen hinaus
Volk mit Volk verbinden? Weiß er nichts da-
von, daß unsere auswärtige Politik nur noch
ein Viertel Macht-, dagegen Dreiviertel Wirt-
schafts- und Kulturpolitik ist? Ein Mann von
„geistigem Weitblick", der für das soziale Ge-
schehen, für die Geschichte seiner Zeit, die
Augen offen hat, darf diese gewaltige Ent-
wicklung des Internationalismus nicht über-
sehen.
Es war eben töricht, einen Lyriker nach
solchen Dingen zu fragen*). Bei den Fragenden
*) Dehmel stand einmal unseren Ideen
sehr sympatisch gegenüber. Es sei auf seinen
an den Herausgeber dieses Blattes gerichteten,
in der Fr.-W. 1900, S. 101 abgedruckten Brief
hingewiesen, worin er von der „großen kul-
turellen Idee der friedensrecht-
lichen Bestrebungen" spricht, und er
jene als „Trampeltiere" bezeichnet, die den-
jenigen Beifall spenden, die sich „auf die be-
kannte schiefe Ebene der unabänderlichen
Naturgesetze" begeben.
Anrnkg, der Red.
151
DIE FRIEDENS -WARTE.
3
liegt die Schuld. Wir werden Dehmel, der uns
aus leidenscliaftlich subjektivem Erleben her-
aus so wundervolle Dichtungen geschenkt hat,
gern nachsehen, daß er für das große soziale
Geschehen kein Verständnis besitzt. Aber sein
Urteil muß aufs schärfste zurückgewiesen
werden, weil es nicht vereinzelt dasteht, weil
immer wieder Menschen mit durchaus und ein-
seitig persönlicher Weltanschauung sich Ur-
teile anmaßen über soziale Fragen, die ganz
außerhalb ihrer Vorstellungswelt liegen, für sie
ein völlig verschlossenes unbetretbares Land
sind.
Und doch gibt es vielleicht auch für
Dehmel einen Weg dorthin. Vor Jahresfrist
ist mir mal die Satzung des Vereins lyrischer
Dichter (Statut des Kartells lyrischer Au-
toren!!) in die Hände gefallen. Da stand
Dehmels Name an zweiter Stelle unterschrieben.
Wenn es sich also um seine eigenen Angelegen-
heiten handelt, verachtet er die Vereinsmeierei
nicht so sehr. Da nun in diesen Tagen wieder-
um eine Vereinbarung abgeschlossen ist zum
Schutz von Kunstwerken, so daß nun auch in
Kußland Dehmels Werke nur mit seiner Ein-
willigung und Gewinnbeteiligung übersetzt und
vertrieben werden können, so wäre hier doch
ein Weg, auf dem selbst ein lyri-
scher Dichter Verständnis für die
rechtliche Ordnung und für die Or-
ganisation der Kultur bezieh ungen
zwischen den Völkern bekommen
könnte.
Dr. phil. W a 1 1 e r A. Berendsohn,
Hamburg.
Pazifistische Kundgebung des
Fürsten fllbert von Monako.
Gelegentlich der Tagung des Mutualisten-
kongresses zu Montpellier hielt am 30. März
Fürst Albert von Monako eine Kede, in der
er darauf hinwies, daß Kuhm, Ansehen und
Gedeihen mehr von einer Milderung der Sitten
als von der Anwendung von Gewalt abhingen.
Der Fürst rühmte dann den Gedanken des
Schiedsgerichts und der gegenseitigen Hilfe,
deren Macht immer mehr die Lösung sozialer
Probleme erleichtern werde. Alle Mutualisten
verurteilten die Anwendung von Gewalt bei
Regelung internationaler Angelegenheiten. Die
internationale gegenseitige Hilfe werde bei den
Menschen aller Länder die Wahrheit zur Gel-
tung bringen, daß kriegerisches Gebaren
draußen, politische Feindseligkeiten im Innern
und der Triumph der Gewalt nirgends
die Fragen lösten, von denen der
menschliche Fortschritt abhänge.
Denn der Krieg und seine Vergeltung brächten
keine Lösung. Der Fürst schloß: „Die Stunde
ist gekommen, ohne Furcht einen so schwie-
rigen Gegenstand ins Auge zu fassen, da alle
menschliche Tätigkeit unter der zerstörenden
Wirkung kriegerischer Drohungen leidet und
da die durch die gesundesten Kräfte der Nation
mühsam erworbenen Hilfsmittel in einen Ab-
grund gestürzt werden sollen. Vielleicht wird
eines Tages das Prinzip der gegenseitigen Hilfe
sich gegenüber den Gefahren des internationalen
Lebens mächtig zur Geltung bringen."
Mtl
Ein deutscher Feldherr über den Krieg. ::
Die Briefe des Fürsten Schwarzenberg, des
Besiegers Napoleons, an seine Frau sind jetzt
veröffentlicht worden. In einem Feuilleton,
das Richard Charmatz in der Neuen
Freien Presse darüber schrieb, sind vom pazi-
fistischen Gesichtspunkt folgende Stellen von
Interesse :
„Der Fürst dachte hoch von dem Beruf
des Soldaten und wollte dessen Würde von
allen Flecken reinhalten. Der Kampf sollte von
jeder Entartung frei bleiben und das Gefühl
nicht unterdrücken. Die Ritterlichkeit, die dem
Feldmarschall reinen Adel verlieh, die sein
Wesen durchtränkte, durfte im Kampfe nicht
abhanden kommen. Mit Stolz erwähnte Fürst
Schwarzenberg einmal während des Feldzuges
im Jahre 1812, daß in einem Orte, den seine
Soldaten im Feindesland verlassen hatten, die
Hühner und Gänse frei herumliefen. Das er-
füllte ihn mit Vergnügen. Den Krieg als
solchen beklagte er tief. Treitschke berichtet
in seiner „Deutschen Geschichte", daß in dem
Geschlecht, das die erschütternden Greuel der
napoleonischen Kämpfe mitansah, ein unaus-
löschlicher Abscheu vor dem Kriege, ein un-
versiegliches Friedensbedürfnis erwacht war.
Schwarzenberg, der auf vielen Schlachtfeldern
die Verwüstungen und Schrecknisse kummer-
voll beobachten konnte, gestand nach dem
grauenvollen Rückzuge von Hohenlinden : „I c h
kann den Anblick allen Unheils
kaum aushalten!" Später bemerkte er :
„Der Krieg ist doch ein häßliches
Ding; welch schreckliche Bilder
sich täglich darstellen! Jammer,
Elend, Leiden, Laster aller Art, Hohnlächeln
dem Unglück, menschliche Grausamkeiten; das
Herz des rechtlichen Menschen empört sich
zehnmal des Tages. Nichts kann diese Emp-
findungen erlöschen." Noch verzagter urteilte
er in einem anderen Briefe: „Ich wiederhole
es abermals, ich bin nicht dazu gemacht, in
dem Metier glücklich zu sein. Krönt der Er-
folg mein Unternehmen, so habe ich einen
grimmigen Graus dabei ; über Blut und
Leichen gehe der Pfad zu meinem
Glück nimmermehr. Man sage nur, es
sei Schwäche, ich leugne es nicht, aber es ist
nun einmal so, der Krieg ekelt mich ob
der unzähligen Leiden, die er unter allen er-
sinnlichen Formen über die Menschen ver-
breitet."
Mach Maurenbrecher Hornefferl :: :: ::
Merkwürdig — gerade die Führer der fuei-
geistigen Bewegung, die doch freies und! fort-
152
(2S
= DIE Fßl EDENS -WABXE
schrittliches Denken fördern und pflegen will,
im Gegensatz zum Pazifismus !
In dem soeben erschienenen Heft 1 des
neuen 5. Jahrganges der „Tat", sozial-religiöse
Monatsschrift für deutsche Kultur, schreibt
Ernst Hornef fer in einem Aufsatz über „R e -
ligion und Nation": „Auf friedlichem
Wege sehen sie (die Friedensfreunde) die Völker
ihre Gegensätze ausgleichen und sich in einer
höheren allumspannenden Ordnung zusammen-
schließen. Dies halte ich für eine bedenkliche
Utopie. . . . Von selbst, auf friedlichem Wege,
durch Verträge, durch freundliche Aussöhnung
entstehen niemals höhere Organisations-
formen, die immer auf der Bändigung und
Ueberwältigung ursprünglicher Gegensätze be-
ruhen" usw. Sollte Horneffer wirklich die
Kulturgeschichte und die Geschichte mensch-
licher Zivilisation so wenig kennen, daß er
solche Behauptung' aufzustellen wagt? Dann
lieber „hands off" von diesem Probleme !
J. M.
AUS DER BEWEGUNG
Kongreß-Kalendarium. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: *•
1. — 3. Mai: IV. amerikanischer National-
friedenskongreß in St. Louis.
11. Mai: Verständigungskonferenz deutscher
und französischer Parlamentarier in Bern.
11. — 12. Mai : VIIL französischer National-
friedenskongreß in Paris.
11. — 13. Mai: II. Verbandstag des Verbandes
der Internationalen Studentenvereine Deutsch-
lands in Leipzig.
14.— 16. Mai: XIX. Lake - Mohonk - Kon-
ferenz.
10. — 13. Juni : IX. englischer National-
friedenskongreß in Leeds.
15. — 19. Juni : II. Weltkongreß der inter-
nationalen Vereinigungen zu Brüssel.
19.— 21. August: VIIL Deutscher Espe-
rantokongreß in Stuttgart.
18. — 23. August: XX. Weltfriedenskongreß
im H a a g.
29. August: Einweihung des Friedens-
palastes im Haag.
29. Aug. bis 13. Sept.: VIII. Weltkongreß
der Studenten verbände (Corda Fratres) in
1 1 h a o a , New York.
29. — 31. August: IX. Internationaler Espe-
rantokongreß in Bern.
3. — 6. September: XVIII. Interparlamenta-
rische Konferenz im Haag.
22. September: XXVIII. Konferenz der Int.
Law Association in Madrid.
Interparlamentarische Union. :: :: :: :: :: :: :: :: ::
Der interparlamentarische Rat trat Diens-
tag, den 18. März, im Palais de la Nation in
Brüssel zusammen.
Anwesend waren die Herren : E i c k h o f f
und Hauptmann (Deutschland), Freiherr
E. v. P leuer und Ritter von Roszkowski
(Oesterreich), Houzeau de Lehaie und
von Sadeleer (Belgien), Moltesen und
Borgbjerg (Dänemark), d'Estournelles
de Consta nt und de la Batut (Frank-
reich), Lord Weardale und Agg Gardner
(Großbritannien), Horst und Michelet
(Norwegen), T y d e m a n und van der Does
de Willebois (Niederlande), Graf von
Pen ha Garcia (Portugal), Efremoff
(Rußland), Wawrinsky (Schweden). Gobat
(Schweiz), BustanyEffendi und Nessimi
B e y (Türkei), Lange, Generalsekretär.
Bei Eröffnung der Sitzung gedachte Alters-
präsident Houzeau de Lehaie ehrend des
inehrjährigen Präsidenten der Union. Beer-
n a e r t , der ihr unschätzbare Dienste ge-
leistet hat.
Auf Vorschlag des Freiherrn v. P 1 e n e r
wurde Lord Weardale, Präsident der eng-
lischen Gruppe, zum Präsidenten des Rats an
Stelle Beernaerts unter allgemeiner Zustimmung
gewählt, Lord Weardale dankte und er-
innerte dabei an die Verdienste, die sein Vor-
gänger der Union geleistet hat. Er versprach,
den größten Teil seiner Zeit dem pazifistischen
Werk, dessen Verwirklichung die Union be-
zweckt, zu widmen.
Dann ging der Rat zu seiner Tages-
ordnung über.
Die Konferenz von 1913 wird im Haag
zusammentreten. Sie wird am 3. September
eröffnet werden. Die Tagesordnung der
Konferenz wurde wie folgt festgesetzt :
1. Behandlung der Meerengen und neutraler
Kanäle. Berichterstatter Graf von P e n h a
Garcia (Portugal).
2. Erklärung einer dauernden Neutralität.
Berichterstatter Muncli, ehemaliger
Minister (Dänemark).
3.. Bechte und Pflichten neutraler Mächte.
Berichterstatter van H outen, ehe-
maliger Minister (Niederlande).
1. Kriegsanleihen. Berichterstatter Graf
Goblet d'Alviella, belgischer Se-
nator.
5. Vereinheitlichung des internationalen
Briefportos. Berichterstatter E i c k h o f f ,
Präsident der deutschen Gruppe.
6. Mitwirkung der Union und ihrer Gruppen
an internationalen Werken. Bericht-
erstatter Louis Fraack, belgischer
Deputierter.
Es ist anzunehmen, daß noch eine oder
zwei Spezial-Studienkommissionen ihre Berichte
der Konferenz von 1913 unterbreiten werden.
Auf Vorschlag des Exekutiv-Komitees,, dem
zurzeit folgende Mitglieder angehören: Lord
Weardale, Houzeau de Lehaie und
T y d e m a n , hat der Rat einstimmig folgende
Resolution, die sich auf die internationale Lage
bezieht, angenommen:
„Der am 18. März 1913 in Brüssel tagende
Rat der interparlamentarischen Union stellt
153
DIE FRIEDENS -^M^DTE
■3
fest, daß es der Uebereinstimmung der Groß-
mächte gelungen ist, den Balkankrieg
örtlich zu begrenzen, und daß dank
dieser Uebereinstimmung mehrere durch den
Krieg entstandene Probleme durch die von den
Haager Konferenzen ins Leben gerufenen
freundschaftlichen und juristischen Mittel, auf
die die Union nicht müde wurde hinzuweisen,
gelöst werden.
Der Rat nimmt mit der gleichen Genug-
tuung die Erklärungen der Marineminister von
Deutschland und England betreffend die
Seerüstungen zur Kenntnis ; er sieht in
diesen Erklärungen, ohne deren Tragweite zu
überschätzen, eine Anerkennung jener Prin-
zipien, für die die Union so oft eingetreten ist,
und den ersten Schritt auf dem Weg der
Rüstungsbeschränkung.
Der Rat bedauert dagegen um so mehr, daß,
abgesehen von dieser Ausnahme, die Mächte
in ihrem verderblichen Wettbewerb beharren.
Er ist davon überzeugt, daß die Rüstungs-
beschränkungen, weit davon entfernt, die
Interessen der nationalen Verteidigung, deren
Rechtmäßigkeit von der Union niemals be-
stritten wurde, zu schädigen, diesen im Gegen-
teil viel nützlicher sein könnten, als dieses
Ueberbieten ;
daß andererseits die Erhöhungen der mili-
tärischen Lasten unberechenbare Eolgen im
sozialen und wirtschaftlichen Leben der
Nationen hervorrufen werden.
Der Rat hofft, daß die Mächte nicht zu
spät von den wiederholten Aufrufen der Union
Kenntnis nehmen werden. Er ladet die natio-
nalen Gruppen ein, den bei der letzten Kon-
ferenz in Genf angenommenen Resolutionen
Eolge zu geben, und sich energisch zu be-
mühen, damit diese Resolutionen
nicht leere Worte bleiben.
Er ermächtigt das Interparlamentarische
Bureau, die vorliegende Resolution den Re-
gierungen bekannt zu geben."
Während der Sitzung hat Bustany
E f f e n d i , Präsident der türkischen Gruppe,
die Erage aufgeworfen, welchem Schicksal die
türkische Bevölkerung der Balkanhalbinsel ent-
gegengeht. Er gab der Hoffnung Ausdruck,
daß man diesen Völkerschaften eine sich auf
die Prinzipien der Nationalitätenautonomie
stützende Regierung, hauptsächlich im Hin-
blick auf die Religion, bewilligen wird, und
bat seine Kollegen im Rat, diese Vorschläge
bei ihren Regierungen zu unterstützen.
Die Idee Bustany Effendis wurde so-
wohl vom Präsidenten des Rats als auch vom
Ereiherrn v. P 1 e n e r unterstützt und von dem
ganzen Rat sympathisch aufgenommen.
Die Interparlamentarische Union wird am
2. Weltkongreß der internationalen Verbände,
der im Juni in Gent zusammentreten wird, teil-
nehmen. Sie wird durch die zwei belgischen
Mitglieder des Rats, Houzeau deLehaie
und Sadeleer und vom Generalsekretär ver-
treten sein. Es werden sich auch andere Mit-
glieder der Union dieser Vertretung anschließen
können.
Am Schluß dieser Beratungen nahm . der
Rat, auf Vorschlag des Baron d'Estour-
nelles de Constant, folgenden An-
trag an:
„Der Rat der Interparlamentarischen Union
legt besonderen Wert darauf, sich den zwischen
Großbritannien und den Vereinigten Staaten Von
Amerika veranstalteten Kundgebungen anzu-
schließen, die zur Feier des Vertrages von
Gent stattfinden werden, der von beiden früher
so kriegerischen, jetzt aber durch eine allu
Prüfungen seit hundert Jahren überdauernde
Freundschaft verbundenen Staaten, treu inne-
gehalten wurde.
Der Rat ist der Ansicht, daß dieses große
Beispiel politischer Klugheit gar nicht oft
genug der Betrachtung und Bewunderung der
zivilisierten Welt empfohlen werden kann."
Endgültige Tagesordnung für
den W. Weltfriedenskongreß.
In der Sitzung des Rates des Seiner
Friedensbureaus vom 15. März wurde für den
Ende August im Haag abzuhaltenden XX. Welt-
friedenskongreß folgende Tagesordnung fest-
gesetzt :
1. Bericht des Bureaus über die Ereignisse
des Jahres, sofern sie sich auf Krieg und
Frieden beziehen. Berichterstatter: A. Gobat.
2. Internationales Recht.
a. Kodifikation des öffentlich-internatio-
nalen Rechts. Berichterstatter : L a
Fontaine und Emil Arnaud.
b. Sanktionen auf dem Gebiete des inter-
nationalen Rechts. Berichterstatter :
Van.Vollenhoven.
3. Die Presse im Dienste des Pazifismus.
Berichterstatter : Lucien Le Foyer und
Alfred H. Fried.
4. Die Handelseifersucht und die internatio-
nalen Beziehungen. Berichterstatter : Yves
G u y o t und Norman Angell.
5. Beschränkung und allmähliche und pro-
portioneile Verminderung der Rüstungen. Be-
richterstatter : Prof. L. Q u i d d e.
6. Festsetzung von Sitz und Zeit des
XXI. Kongresses.
MB
Die Mülhauser Versammlungen. :: :: :: :: :: :: ::
Zwei Friedenskundgebungen ganz gewaltiger
Art haben im Laufe des März in der elsässi-
schen Stadt Mülhausen stattgefunden. Die
eine am 15. März stattgehabte, der 1400 Per-
sonen beiwohnten, richtete sich vornehmlich
gegen den Gedanken eines Revanchekriegs.
Alle Parteien waren bei der Veranstaltung ver-
treten und einstimmig wurde folgende Reso-
lution gefaßt:
„Die Versammlung richtet an das aus
dem allgemeinen Stimmrecht hervorgegangene
Parlament von Elsaß-Lothringen das Er-
154
<§s
= DIE Fßl EDENS -VSAQTE
suchen, sich mit aller Entschiedenheit gegen
■den Gedanken eines Krieges zwischen Frank-
reich und Deutschland zu wenden und dem
Wunsche Ausdruck zu geben, daß alle zwischen
beiden Völkern schwebenden Streitigkeiten in
der Gegenwart wie in der Zukunft auf fried-
lichem Wege gelöst werden mögen."
Die zweite Versammlung fand am 30. März
statt. Der Fortschrittsverein und der sozial-
demokratische Kreisverein waren die Ver-
anstalter, während das Zentrum dabei nicht
beteiligt war. In der großen Markthalle waren
vier Rednertribünen aufgestellt, auf dem die
Fortschrittler D r u m m und Pfarrer S c h e e r ,
wie die Sozialisten Emmel und Wicky zu über
2000 Personen sprachen. Diese zweite Ver-
sammlung galt einem Protest gegen die
Rüstungsvorlage. Die zum Schluß einstimmig
angenommene Resolution hatte folgenden
Wortlaut :
„Die heutige Massenversammlung von Be-
wohnern Mülhausens und der Umgebung er-
hebt nachdrücklich Einspruch gegen die neuen
Opfer an Gut und Blut, die durch die an-
gekündigte deutsche Militärvorlage mit ihrer
Rückwirkung auf Frankreich vom Volke ver-
langt werden. Die Versammlung sieht in
diesen wachsenden Rüstungen die schwerste
Gefahr für den Frieden, dessen Erhaltung die
beiden Kulturnationen diesseits und jenseits der
Vogescn sich zum obersten Ziele setzen müssen.
Die Versammelten fordern daher die Ver-
treter Elsaß-Lothringens im Deutschen Reichs-
tag auf, im Interesse beider Völker und nicht
zuletzt im Interesse Elsaß-Lothringens, das
alle Kriegs treiberei verdammt, die neuen
Rüstungsforderungen im vollen Umfang glatt
abzulehnen.
Zugleich richtet die Versammlung an Par-
lament und Regierung des Deutschen Reiches
das Ersuchen, mit den Mächten der Triple-
Entente in Verhandlungen einzutreten behufs
Einschränkung der Rüstungen. Internationale
Streitfragen sind durch das Mittel der Schieds-
gerichte auszutragen."
Der zweite Weltkongreß der internationalen Verbände.
Das Zentralamt der Union der internatio-
nalen Verbände in Brüssel erläßt die Ein-
ladung für den zweiten Weltkongreß, der vom
lo. bis 19. Juni d. J. in Brüssel und Gent
stattfinden wird. Der erste Kongreß dieser
Art hat bekanntlich im Mai 1910 in Brüssel
.stattgefunden. Damals ließen sich bereits 132
internationale Verbände vertreten. Als eines der
wichtigen Ergebnisse jenes Kongresses ist die
Schaffung der Union der internationalen Ver-
bände zu betrachten, die es sich zur Aufgabe
stellt, zwischen den ihr angeschlossenen Ver-
bänden ständige Verbindung aufrecht zu er-
lialten und so zum Zentrum des gesamten Inter-
nationalismus zu werden.
Der Kongreß von 1913 wird die 1910 be-
gonnene Arbeit fortsetzen. Das reichhaltige
Programm ist in sechs Sektionen geteilt. Sb
umfaßt :
Erste Sektion : Korporation. Gemeinsam«
Unternehmungen.
Zweite Sektion: Reglementierung. Gesetz-
gebung.
Dritte Sektion : Vereinheitlichung der Ein-
heits-Systeme.
Vierte Sektion: Organisation der Verbände
und der Kongresse.
Fünfte Sektion: Dokumentation und Ver-
öffentlichungen. Ausstellungen und
Unterricht.
Sechste Sektion: Wissenschaftliche und
technische Sprache.
Die Bedingungen für die Teilnahme au
jenem wichtigen Kongreß, wie die vorläufigen
Drucksachen sind durch das Office de l'Union
des Associations Internationale in Brüssel.
3bis Ruo de la Regence zu beziehen.
MB
Professor Emanuel Ritter v. Ulimann t- '■'■ '■'■
Der „Verband für internationale Verständi-
gung" hat einen schweren Verlust erlitten.
Sein erster Vorsitzender, der bekannte Völker-
rechtsgelehrte Professor Emanuel Ritter
v. Ullmann ist am 4. April in München
verstorben.
Alle jene, die ihn noch im vorigen Ok-
tober in Heidelberg als Leiter des ersten Vesr-
bandstages des Verbandes für internationale
Verständigung am Werk gesehen haben, werden
diese Nachricht mit besonderem Schmerz ver-
nommen haben. Nicht minder jene Zahlreichen,
die in ihm einen Vertreter des modernen Völker-
rechts in Deutschland verehrten.
Sein „Lehrbuch des Völkerrechts", das im
Rahmen des von Jellinek, Laband und Pilotv
herausgegebene Sammelwerk „Das öffentlichst
Recht der Gegenwart" zuerst 1898, dann 1908
erschien, ist eines der Hauptquellenwerke der
neuen Völkerrechtsliteratur. Das achte Kapitel
jenes Monumentalwerkes, das über „Die inter-
nationalen Streitigkeiten und deren Erledigung.
das rechtliche Verfahren, usw." handelt, wird
jeder Pazifist mit Zustimmung lind Interesse
lesen.
Prof. v. Ulimann wurde 1841 zu Pe-
trowitz in Böhmen geboren; er blieb auch nach
seiner 1899 erfolgten Uebersiedelung seinen:
ganzen Wesen nach Oesterreicher. Und auf
dem Hietzinger Friedhof bei Wien hat er seine
letzte Ruhestätte gefunden. Bevor er nach
München ging, dozierte er an den Universitäten
von Prag und Innsbruck. In Heidelberg, wo wir
ihn zum letztenmal wirken sahen, verbrachte
er seine Studentenjahre.
(USB
Der 21. Mai 1913. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
An diesem Tage werden vier in der pazi-
fistischen Bewegung hervorragend tätige Männer
ihr Geburtstagsjubiläum feiern können.
Dr. Ch. Albert Gobat in Bern uml
Prof essor Louis Renault in Paris werde»
155
DIE FRIEDENS -WARTE
■3
an diesem Tage 70, Professor Heinrich Lam-
masch in Wien 60 und Professor Otfried
X i p p o 1 d in Frankfurt a. M. 50 Jahre alt.
Die Friedens-Warte wird in ihrer nächsten
Nummer der Jubilarc gedenken.
MS
Kurze Machrichten. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
A n n a B. Eckstein, die unermüdliche Agi-
m torin ist unter den Ueberanstrengungen, die
.sie sich zugemutet hat, schwer erkrankt.
Ein Gelenkrheumatismus, der sich infolge einer
Erkältung einstellte, zwingt unsere ausge-
zeichnete (Mitarbeiterin, das Bett zu hüten und
für einige Zeit der Arbeit zu entsagen. Die
>Yünsche für eine baldige Besserung, die ihr
von allen Seiten zufliegen, seien ihr auch von
der „Friedens-Warte" und deren Anhängern
dargebracht.
Von schwerem Unheil ist unser hervor-
ragender Mitkämpfer Otto Umfrid. der Vize-
präsident der Deutschen Friedens-Gesellschaft,
betroffen worden. Vor einigen Jahren er-
blindete er auf einem Auge. Seit zwei Jahren
führt er einen verzweifelten Kampf um das
ebenfalls erkrankte andere Auge. Nunmehr ist
ihm die traurige Gewißheit zuteil geworden,
daß auch dieses verloren ist. Er ist ge-
zwungen, sein Amt aufzugeben und sich pensio-
nieren zu lassen. Urufrid erträgt sein Geschick
mit Größe. „Mein Schicksal hoffe ich kraft
meiner Lebensanschauung tragen zu können",
schreibt er uns. Seine Arbeit für die Friedens-
sache wird er nicht einstellen. Noch in diesem
Sommer erscheint ein größeres Werk von ihm,
das den Titel „Europa den Europäern" trägt
und seine pazifistischen Anschauungen syste-
matisch zusammenfassend zur Darstellung
bringen wird.
Es wird Pflicht aller Pazifisten sein, ihrem
von so schwerem Unglück betroffenen Mit-
kämpfer, der seit zwanzig Jahren die dornen-
volle Arbeit eines Friedensagitators in Deutsch-
land mit bewundernswertem Elan und Geschick
leistet, wenigstens die arg bedrohte materielle
Seite seines Lebens und des Lebens seiner
Familie nach Kräften zu erleichtern.
LITERATUR U PRESSE
Künftig erscheinende Schriften. :: :: :: :: :: :: ::
Im Verlag von H. Kirsch in Wien er-
scheint demnächst :
Der Friede Christi. Christentum und
Friedensbewegung. Von Alexander Giess-
wein, päpstlicher Hausprälat und Dom-
kapitular. Preis 20 Heller. Das kleine Schrift-
chen trägt am Titelblatt die Worte des
Augustinus : „Es ist ruhmreicher, den Krieg
mit den Worten zu töten, als Menschen mit
dem Schwerte." In der Einleitung sagt der Ver-
fasser folgendes :
„Seitdem ich mich eingehender mit dem
Wesen und Ziele der Friedensbewegung befasse
— und dies ist besonders der Fall, seitdem
ich die ehrende Würde des Vorsitzenden der
ungarischen Friedensgesellschaft bekleide —
haben mich zwei Dinge unangenehm, ja fast
schmerzlich berührt. Diese Dinge sind: erstens,
daß manche Pazifisten oder Friedensfreunde-
die Stellung des Christentums im allgemeinen
und das Wirken der Kirche für die Friedens-
sache oft ganz falsch beurteilen, und zweitens,,
daß das christliche Volk und dessen geistige-
Führer der Friedensbewegung, die doch so sehr
im christlichen Gedanken wurzelt, ganz ferne-
stehen und oft mit einer geringschätzenden
Gleichgültigkeit entgegenkommen. Dieser Um-
stand erweckte in mir zuerst den Gedanken,
die hier obwaltenden Mißverständnisse zu
klären."
Im Verlag von Teichmann & Co. er-
scheint in autorisierter Uebersetzung : Harald.,
S v e n s k e , Antwort auf Sven Hedins War-
nungsruf. Die Uebersetzung besorgt Dr. F..
Joel in Leipzig.
Eingegangene Druckschriften. :; :: :; :: :: :::
(Besprechung vorbehalten.)
The American Journal o f Inter-
national Law. A Quarterly. New York..
1913. Januar.
Aus dem Inhalt : Chandler P. Ander-
son, The final Outcome of the fisheries Ar--
bitration. — John Holladay Latane,.
The Panama Canal Act and the british Protest.
— Mil. B. Vesnitch, Cardinal Alberoni's
Scheine for Keducing the turkish Empire. —
The final settlement of the North Atlantic
Coast Fisheries Controversy. — Elihu Boot
before Latin America. — The Case of Bussia
v. Turkey at the Hague Court. — Effects
of war upon Treaties. — Peace between Italy
and Turkey. — The Chinese society and Journal
of int. Law. — The American Institut of Int..
Law. — usw. usw.
Hierzu : Supplement-Nummer. Entluiltendl
Dokumente, u. a. die Abkommen der IV. Zentral-
amerikanischen Konferenz vom 5. Jan. 1912..
La Vie Internationale. Brüssel 1913.
Tome III. Fascicule 9. Aus dem Inhaltt:
C h. Ed. Guillaume, Les Systemes de me—
stires et POrganisation internationale des Sy-
steme metrique. — Les rnigrations Immunes. —
usw. usw.
— Fascicule 10. Denys P. Meyer, La
Concentration des Organismes Internationaux:
Publics.
Bulletin o f the P a n American
Union. Washington 1913. Januar. Entente ■
cordial on South America. — New Years Gree-
ting from Andrew Carnegie. — Fifth Central
American Conference. — International Congress
of Students. — usw. usw.
— Februar. Aus dem Inhalt: The pan-ameri-
can Society of the United States. — Hand-
book on the Panama Canal. — Addresses 61 '
Secretary of State Knox. — usw. usw.
Auf dem Wege
zum Weltfrieden. Dritter Jahresbericht (1912'
bis 1913) der Deutschen Friedensgeseilschaft.
Ortsgruppe Königsberg i. Pr. 8 °. 26 S.
Bonne, Georg,
Im Kampf um die Ideale. Die Geschichte eines
Suchenden. Ein Gegenwartsroman. Gekürzte
154
@=
DIE FRIEDEN5-WAPXE
"Volksausgabe. 4.-7. Tausend. 8 °. München
1913. Ernst Reinhardt. 372 S. gbd.
Brücke, Die,
Erste Jahresversammlung 28. u. 29. März
1913. 4 S.
Brücke, Die,
Mitgliederliste 1913. O 3. 15. 8 °. München 1913.
Die Brücke. 48 S.
Ferienkurse für A u s 1 ,11 n d e r.
8 °. Kaiserslautern 1913. (Ludwig Wagner,
Kaiserslautern.) 21 S.
Goldscheid, Rudolf,
Monismus und Politik. Vortrag gehalten auf
der Magdeburger Tagung des Deutschen
Monistenbundes im Herbst 1912. 8 °. München
1913. Ernst Reinhardt. 30 S.
Kammerer, Paul,
Sind wir Sklaven der Vergangenheit oder Werk-,
meister der Zukunft? Anpassung, Vererbung,
Rassenhygiene in dualistischer und monisti-
scher Betrachtungsweise. Vortrag im österr.
Monistenbund gehalten am 29. Nov. 1912.
8°. Wien-Leipzig 1913. Mit 8 Abbildungen.
Anzengruber Verlag. 34 S. 50 h.
L o e 1 e , Kurt,
Das billige Buch. Ein Ratgeber für Bücher-
käufer. 8°. Leipzig 1912. Hermann Zieger.
52 S. 30 Pfg.
Rudolph, Hermann^
Die vier Wege zur Theosophie und die Hinder-
nisse auf dem Pfade zur Selbsterkenntnis.
Zur Verbrüderung der Religionen und Völker.
Zwei Vorträge. 8°. Leipzig 1913. Verlag der
Tlieosophischen Kultur. Gl S. kart.
Trine, Ralph Waldo,
Vom köstlichsten Gewinn. Einzig berechtigte
Uebersetzung aus dem Englischen von Dr.
Max C h r i s 1 1 i e b. Obl. 8 ». Stuttgart
1913. J. Engelhorns Nachf. 101 S.. Lwdbd.
2 M..
Vecchio, Dr. Giorgio del,
lieber einige Grundgedanken der Politik
Rousseaus. 8 °. Berlin. 1912. Dr. Walther
Rothschild. Sonderabd ruck aus dem Archiv
für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie.
Bd. VI. Heft 1. IG S.
V i s c h e r , Dr. Adolf,
An der ^ serbischen Front. Erlebnisse eines
Arztes' auf dein " serbisch-türkischen Kriegs-
scha upiatz 19.12. 8/?. Basel. 153 S. Lwdbd.
. A 1 v a r e. z ,. Alexander, . .-;
La. Conference des .Juristen de. Rio. de, Janeiro
et.: la . Codificatiori, du. Droit -International
• Americain. Gr^. 8 U . . Paris 19.13, ..A. Pedone
Extrait.. de . ..la . .,, Revue; ; Generale . . de Droit
■ international- public'!, i 47 S.
.Anhuaire . . . ■ , . • ,• «
du Mouvement paeif ist.c ,pou.r l'aunee 19i3
publie par le Bureau international de. la
Paix ä .Bern: 8°. .355 g. Bureau de da Paix.
Kostenlos. ...'. ..-.-.....
•Bibliographie . "..".*
tfimestrielle- de Droit • international Legisla-
tion compuroe, Diplomatie, Gqionisatiön, ■ Po-
litiquö et Droit etrangers. Compi-enant töus
les Öuvrages püblies en franc-ais' avee l'indi-
cation des matieres etudiecs ainsi que les
Theses et articles de Revües; 1. Annie 1913.
No. 1. 8o. Paris 1913. IG S. Paris XIII.
28 Rue C'orvisant. .. .••.: : -
P r u d h o m m e a u x , J-,
France- • et Allemagne. La Course a l'Abime.
quer-8 ° Nhnes (1913). Edition de la
Revue „La Paix par le Droit". 27 S. 20 Cts.
Ruy ssen, M. Th., .
L'Alsace-Lorraine et la Paix. Conference faite
ä l'Athenee de Bordeaux, le 28 fevrier 1913.
— Les facteurs spirituels du Rapprochement
International. Conference faite a Strasbourg
le 1er fevrier 1913. 8<> o. O. 1913. 43 S.
Union In t e rpar le m e ntai r e
Commission des Detroits et des Canaux mari-
times. III. Seance de 8 et 9 Janvier 1913.
Palais du Senat, Paris. 8°. 27 S. Brüssel
(1913). Verlag der Interp. Union.
Union In t e rpar lern e ntai r e
Commission des Declarations de Neutralite per-
manente. III. Deuxi&me seance, Paris, 10
et 11 Janvier 1913. 8°. Brüssel (1913). 34 S.
Verlag der Interp. Union.
Andersen, Hendrik C,
Creation of a World Centre of Communication.
Fol. Rome. 1913. Beim Verfasser: Rom, 3 Pi-
azza del Popolo. XV S.
Andersen, Hendrik C,
„World Conscience". An International Society
for the Creation of a World-Centre. To
House international interests andunite Peoples
and Kations for the Attainement qf Peace
and Progress upon broader humanitarian
Lines, gr. 4°. Rome. (1913) Communication
office. 3 Piazza del Popolo. 17 S.
Mont hl v Bullet in
of Books, Pamphlets and Magazine-Articles
Dealing with international Relations. Fc-
bruary 1913. 8°. New York. Association
for International Conciliation. Sub-Statdon 81
(501 West llGth Street). 12 S. Kostenlos.
Barrett, John,
Panama Canal. What it is, what it moans.
8°. Washington. D. C, 1913. Pan American
Union. 120 S. mit zahlreichen Abbildungen
und Karten. Lwdbd. 1 Dollar.
Butler, Nicholas Murray,
Alexander Hamilton. Stenographic Report of
an address delivered at the Hamilton Club
of Brooklyn, N. Y. January 11, 1913. 8 o.
New York 1913; -Reprinted from the Educa-
tional Review April 1913. (Educatiohal
Iteview Publishing Co.) 19 S,
B rix ton, Noel, ...
The Woünded.. 8°. London (1913). (National
Peace Council.- General -Sei-ies No. 5.) 12 S.
• 167 St. Stephens- House, Westminster.'S. W.
• Carnegie, Andrew:
The' Baseless Fear of War. 32°. New York.
Reprinted from the ; Independent of February
13, 1913,- 11 S. ;.
' :: Hüll. William. J.,
The New Peace Movement.' 8°. Boston 1912.
The World Peace Foundation. 216 S. Lwdbd.
II i c k s ;• Frederik C.,
Internationaiism." 'A selected- List . of- •'Bpdks,
Pamphlets: and Periodieals. 8 °. New York.
1913. (International Conciliation. March 1913.
' v No. ■ 64.) American Association for Inter-
national Conciliation. New York. Sub-
■ Station 81 (107 West llGth; Street). .30 S.
Kostenlos.
• Taft, William 5 Howard.
The Time to Test on Faith-' in Arbrtration.
157
DIE FRIEDENS - WADTE
3
Arnos S. Hershey, Should the Panama
Canal Tolls Controversy be arbifcrated, 8°.
New York (1913). (International Conciliation
February 1913. No. 63.) American Asso-
ciation for International Conciliation. New
York. Sub-Station 84 (407 West 116th Street).
22 S. Kostenlos.
Jordan, David Starr,
Wbat shall we say? Being Comments on current
matters of War and Waste. Gr. 8°. Boston
1913. World Peace Foundation. 1913. 82 S.
Kostenlos.
Jordan, David Starr,
Naval Waste. 8<>. Boston 1913. World Peace
Foundation. 17 S. Kostenlos.
Krebiehl, Edward Benjamin,
The „Sixty-seven Reasons" of the Navy League.
An Analysis of the Arguments set forth in
behalf of Naval Extension. 8 ?. Boston 1913.
World Peace Foundation. 18 S. Kostenlos.
White, Andrew D.,
The first Hague Conference. Reprinted from
Dr. White's Autobiography. 8 °. Boston 1912.
World Peace Foundation. 123 S. Lwdbd.
B u x t o n , Noel
The Wounded. — M. A. Stobart, Women
and War. 8 °. Boston 1913. (World Peace
Foundation. Pamphlet Series. Vol. III.
No. 2.) 18 S. Kostenlos.
Year Book
of the American School Peace League. 1911 bis
1912. 8°. (Boston 1913.) Fannie Fern Andrews
405 Marlborough Street. 104 S. Kostenlos.
V i e s , A. B. von der,
Nederlandsche Bibliographie over het Vrede-
vraagstuk. 8«. (Haag) 1913. Publicaties
van den Algemeene Nederlandschen Bond
„Vrede door Recht".) 31 S. Einseitig be-
druckt.
Fachpresse. :: :: :: :: :: :: :: ;: :: :: :: :: :: :: ;:
Völkerfriede (Stuttgart). April. 0. U. ,
Kriegerischer Geist. — Ewald Stier, In
letzter Stunde. — C. Simon, Die neue
Militärvorlage. — Die französisch-deutsche
Verständigung. — usw. usw.
Der Friede (Bern). März. G. C, Heute
schließen sich in allen Ländern sowohl Ver-
standesmenschen als auch Menschen von
Herz der Friedensbewegung an. — K. W.
Schultheß, Der Balkankrieg und die
schweizerischen Industrien. — w. Ko h 1 ,
1813 — 1913 „Deutschland will seine Kultur um
100 Jahre zurückschrauben". .*— usw. usw.
Die Friedensbewegung (Bern). März.
(Suppl. Nr. 1.) Eine englisch-amerikanische
Streitfrage. — Internationale Beziehungen. —
usw. usw.
La Paix par le Droit (Paris). No. 4.
Gabriel Seailles, Une „Affirmation de
la Conscience moderne". Le vrai pacifisme. —
Charles Richet, Pierre Loti et la Tur-
quie agonissante. — T h. Ruyssen, Les
facteurs spirituels de la Paix. — usw. usw.
— No. 5. J. Prudhommeaux, France et
Allemagne. La Course ä l'abime. — La Con-
ference de Bordeaux. L'Alsace-Lorraine et
la Paix. — usw. usw.
— No. 6. Charles Richet, Les Armements
et l'avenir de l'Europe. — La Paix euro-
peenne par la „Neutralisation" de l'Asace-
Lorraine; par un Volontaire de 1870. —
J. Prudhommeaux, Oü allons nous 1 —
usw. usw.
Les Etats -Unis d'Europe (Bern). 8/9.
L. de Montluc, Le Traite franco-espagnol.
— E. A. , La Limitation des Armements.
— 10:16. — usw. usw.
Bulletin de la Ligue des Catholi-
ques f rancai s pour la Paix (Brignais).
No. 22. Premiere Reunion de l'Union pour
Tetude du droit des gens d'apres les prin-
cipes Chrötiens — Ad. Tanquerrey,
Synthese de la doctrine theologique sur le
droit de guerre. — Stephan Mariger,
Oui et non? —
The Arbitratpr (London). März. British
and German Armaments. Balkan Problems.
— Anglo-german Relations
Farmer favour Peace. —
Conference. — usw. usw.
— April. The Resurgence
Mr. Asquith Assurances.
— Why Canadian
The third Hague
of Militarism. —
— Paints of Lord
Roberts Speech at Wolverhampton. — usw.
usw.
Concord '(London). März. FelixMoschc-
1 e s , The London Conference. Farce or
Tragedy? — Hubert Ord, An Inter-
national League for the Reduction of ar-
mement. — Compulsory Service in Australia
and New Zealand. —
Monthly Circular of the National Peace
Council (London). März.
Advocate of Peace (Washington). März.
The Mexican Situation. — The fourtb Ameri-
can Peace Congress (1. — 4. May). — David
Starr Jordan, The Navy and Staa.tes-
manship. — Edwin D. Mead, The United
States as a World Power. —
The Cosmopolitan Student (Madison,
Wis.). Februar. G. F. Lynde, Influencc
of Cosmopolitanism on the Native. —
Adolph von Hemert E n g e r t , Con-
stantinopel During the War. — Friedrich
Denken, The modern German Student. —
G. W. N a s m y t h , The Student Movement
abroad. —
WjestnikMira (Friedens-Bote). (St. Peters-
burg.) März. Semenoff, Bemerkungen
eines Pazifisten. — David Starr Jordan,
Der Preis des Blutes. — Wadim. Teles-
n i m , Friedensidee u. Aviatik. — Maxim
K owalewski, Der Feldzug unserer höch-
sten Kammer gegen den Pazifismus. —
Austro-russische Korrespondenz (historische
Dokumente). — (In russischer Sprache.) —
II Popolo Pacifista (Bonefro). Februar.
Giuseppe Barone, Un oratore pacifista
neH'antica Grecia. — usw. usw.
„ V r e d e d o o r R e c h t" ('s-Gravenhage). März.
Bertha von Suttner in dem Haag. — H. von
der Mandere, De Arbitrage mzake Timor.
— H. vander Mandere, „Das Werk vom
Haag". — Chr. N. , De jacht naar den af-
grond. — Van der Vies, Comte Angelo
de Gubernatis. — usw. usw.
Fredsfanan (Stockholm). März. Victor
V i 1 1 n e r , Apropä Fredsmonument pä kölen.
— Fred och Neutralitet. Ur statsminister
Staaffs stora. — Henning Melander, An
158
@=
DIE FRIEDENS - , \*\ETE
Experirnental Kulturfcrupp. — ■ Fredrik Rajers
Omvändelse fran Militarist tili fredsväu. —
usw. usw.
Fredsbladet (Kopenhagen). März. Niels
Petersen, Freds vennerne og Faestnings-
agitatorerne. — N. P. , Tyskland og Frank-
rig. — usw. usw.
Artikel-Rundschau. :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: :: .: :: :: ::
Das Emporschnellen der Rüstungen hat
natürlich in der Presse eine eingehende Er-
örterung hervorgerufen. Wiederholt hat die
„Frankfurter Zeitung" dazu Stellung
genommen. In ihrem Leitartikel vom 13. März
wird auf diesen „Rüstungswahnsinn" hinge-
wiesen, „bei dem jedes Gefühl für Maß und
Ziel verloren geht". In der Nummer
vom 18. März, spricht George Bernard
Shaw in der ihm eigenen sarkastischen Art
über „Die auswärtige Politik Englands und die
Rüstungsfrage", wobei er vorschlägt, daß Eng-
land mit Deutschland und Frankreich einen
Dreibund schließen, derart, daß es sich auf die
Seite Deutschlands stelle, wenn dieses von
Frankreich, auf die Seite Frankreichs, wenn
dieses von Deutschland angegriffen werden
sollte. Den Krieg nennt Shaw darin einen
„grenzenlosen Unfug". In der Nummer
vom 23. März ist ein Artikel des Pariser Pro-
fessors Charles Seignobos enthalten, der
„Ein kostspieliges Gespenst" (Le fantome
coüteux) betitelt ist. Er vergleicht die Opfer,
die die heutige Menschheit dem Kriegsgespenst
darbringt, mit den Opfern, die im Mittelalter
das Höllengespenst — die Furcht vor der
Hölle — erforderte. Jahrhunderte hindurch
liaben die Menschen den Kirchen und Klöstern
Vermögen dargebracht, nur damit sie von der
Hölle verschont blieben. „Wenn man die Aus-
gaben vergleicht, so bezahlen wir viel mehr
für das Kriegsgespenst als unsere Vorfahren
für das Höllengespenst." In derselben Nummer
ein Artikel Friedrich Payers über
„Rüstungen", der sich eingehend mit der
Wehrvorlage befaßt und an ihr Kritik übt. Im
Leitartikel vom 4. April finden wir eine ein-
gehende, uns Pazifisten nicht unbekannte Dar-
Stellung des Kampfes gegen die Rüstungen
seit dem Zarenmanifest A-on 1899, die in der
Forderung gipfelt, daß die Vereinig-
ten Staaten die Initiative zu
einer Rüstungskonferenz ergreifen
mögen.
Das „Berliner Tageblatt" hat in
mehreren Artikeln an der Rüstungs vorläge
Kritik geübt. In einem „Steigende Mi-
litärlasten — sinkendeKinderzahl"
betitelten Artikel vom 1. April wird der
Zusammenhang der Geburtenabnahme mit
den großen Rüstungslasten nachgewiesen.
Dr. Heinz. Potthoff spricht in der Nummer
vom 3. April von „Deutschlands Mobilmachung".
Es heißt dort ganz richtig: „Was uns jetzt
zugemutet wird, ist keine Friedensmaßregel
mehr, sondern einfach eine Mobil-
machung!" In einem „Wo bleiben die Milli-
arden"?" betitelten Artikel vom 3. April wird
der Nachweis erbracht, daß das für die
Rüstungen ausgegebene Geld keineswegs immer
im Lande bleibt, wie die Rüstungsanhanger be-
haupten. Um die Arbeitskräfte zu ersetzen, die
durch die Hecresverniehrung dem Lande ent-
zogen werden* wird man künftig 200 000 aus-
ländische Arbeiter mehr als bisher heranziehen
müssen, die allein jährlich 40 Millionen aus
dem Lande tragen werden. — In der Nummer
vom 5. April stellt Major a.D. E. Moraht
ein anschauliches „Programm der Erspar-
nisse" dar.
Friedrich Naumann gibt in der
„Hilfe" vom 3. April einen bemerkenswerten
Hinweis über „Die volkswirtschaftlichen Folgen
der Milliarde", wobei er die volkswirtschaft-
lichen Wirkungen dieser großen Arbeits- und
Lieferungsvergebungen ins Auge faßt. „Es ge-
nügt nicht, über die Aufbringungsmethode zu
streiten, da die Verwendungsmethode volkswirt-
schaftlich mindestens so wichtig ist." In den
Nummern der „Hilfe" vom 13. und 20. März
behandelt Reichstagsabgeordneter Georg Go-
thein „Die Wehrvorlage und ihre Deckung".
In „Der Fortschritt" (Hannover) 25. März
äußert sich Prof. L. v. B a r -Göttingen „Zur
großen Wehrvorlage". G o t h e i n sieht, daß
sich „das Volk in Waffen" in Wirklichkeit „zu
einem Staat im Staat ausgewachsen" habe,
L. v. Bar weist auf die imponderablen Wir-
kungen der Rüstungen hin, auf den gegen-
seitigen, schwer zu tilgenden Haß, den sie her-
vorrufen, auf die Meinung, die sie erzeugen,
daß der Krieg als die höchste menschliche
Leistung zu betraöhten sei, auf die notwendige
Bildung von Kriegsparteien, die sie im Gefolge
haben.
(Bibliographie.) I. Friedens-
bewegung im allgemeinen: Elsbeth
Friedrichs, „Die große Armee". „Ethische
Rundschau" März. * Ellen Key, Le Pro-
bleme de la Paix. „Les Documents du Progres."
III. * Ueber Krieg und Volkstum. „Der Reichs-
bote." 19. III. * W i 1 h. H e i 1 e , Das Friedens-
manifest der Sozialdemokratie. „Die Hilfe."
6. III. * Richard C harmatz, Der Sieger
von Leipzig. „Frankf. Ztg." 28. III. * Alf red
H. Fried, Kurze Aufklärung über Wesen und
Ziel des Pazifismus. „Der Herold" (Berlin).
6. IV.
II. Die internationale Politik:
Dr. W. A. B ehren dsohn, Studienfahrten
deutscher Studenten ins Ausland. „Akademische
Rundschau" (Leipzig). III. * Das europäische
Problem in französischer Beleuchtung. I., IL
u, III. „Köln. Ztg." 3., 4. 5. u. 6. IV. * Sir
Charles Bruce, Eine Brücke zwischen der
Tripelentente und dem Dreibund. „Deutsche
Revue." IV. * Dr. Robert P et seh, Engl.
Kultur im Spiegel des In- und Auslandes.
„Frankf. Ztg." 30. III. * Ludwig Thoma,
Von Giftmischern. „März." .29. III. * W. H.
de Beaufort, Die Großmächte und der
Friede. „Deutsche Revue/' III. * Ludwig
Q u e s s e 1 , Verständigung und Imperialismus.
„Sozialist. Monatshefte." 27. HL * Alfred
H. Fried, Le probleme autrichien. „Les Do-
cuments du Progres.". III.
IV. Internationales: Leopold
Katsclier, Neue Weltvereinigungen. ^Ethi-
sche Kultur." 1. III. * Friedrich Depken,
Internationalismus und deutscher Studenten-
verein. „Das Neue Leben" (Köln), 15. IL
V. Wirtschaftliches: Die Stellung
Deutschlands und seine Verbündeten im europä-
159
DIE FRIEDENS -VAQTE
=§>
ischen Rüstungswettkähipf. „Köln. Ztg." 16. III.
♦ Was ein europäischer Krieg 1 kosten
würde. „Frank. Kurier." 31. III. * Geh. -Rat
Dr. Schwarz , 30 Jahre Rüstungslasten der
europ. Großmächte. ,*Der Tag." 12. III. *
L. Raschdau, Wer trägt die Schuld an den
wüsten Rüstungen? „Der Tag." 9. III. * Prof.
Dr. A. F ick- Zürich, Nonnann Angell: „Die
falsche Rechnung". 23. III. * G. Ledebour,
Ein fadenscheiniger Rüsfrungsvorwand. „Die
Neue Zeit." 28. III. * Leon Hardt, Der
Weg zur finanziellen Kriegsbereitschaft.
„Wissenschaftliche Beilage der Braunschweiger
Neuesten Nachrichten." 6. IV. * Fried r i c h
Depken, Was bringt ein Krieg ein ? „Bremer
Nachrichten." 4. III.
S MITTEILUNGEN DEBS
FRIEDENS6ESEUSCHAFTEN
(Verantwortlich für den Inhalt dieser Rubrik ist nicht die
Schriftleitung, sondern die betreffende Friederisgesellsehaft.)
Oesterrekhische Friedensgesellschaft.
Bureau : Wien I, Spiegelgasse 4.
, XXI. Hauptversammlung..
Am 28. März d. J. fand im Saale des
Wissenschaftlichen Klubs unsere XXI. Haupt-
versammlung statt. Baronin Suttner, die
den Vorsitz führte, begrüßte die erschienenen
Mitglieder und erstattete hierauf den Jahres-
bericht. Sie besprach unsere Tätigkeit im ver-
flossenen Jahre und gedachte der wichtigsten
Ereignisse auf dem Gebiete der internationalen
Friedensbewegung.;
Revisor Rudolf v. Harrer verlas nun den
Revisionsbericht, aus dem hervorging, daß unser
Verein einen Saldo von 4743,74 Kr. für das
Jahr 1913 aufzuweisen hat.
Darauf wurde zu den Wahlen für den
Vorstand geschritten, die folgendes Resultat
ergaben: Johannes C. Barolin, Schriftsteller,
Alexander Dorn R. v. Marwalt, Gemeinderat,
k. k. Kommerz. -Rat, Hans Dupal, k. k. Ko.m-
merzialrat, Dr. Rudolf Fassel, Hof- und ■ Ge-
richtsadvokat, Balduin Groller, Schriftsteller,
Di*. Ludwig Karell, kais. Rat, Schriftsteller,
Leopold Ratscher, Schriftsteller, Benedikt
Kosian, Cafetier, Prof. Dr. Josef Longo, Leiter
des : Landeserziehungsheimes in Mödling bei
Wien, Ludwig Mayer v. Tenneburg, Ar-
tur Müller, Schriftsteller, Gräfin Hedwig
Pötting, Stiftsdame, Heinrich Prechtler, k- u.
k. Hof Schauspieler, Dr. Oswald Richter, Uni-
versitätsprofessor, Dr. Fritz Ruziczka, k. k.
Bezirksrichter, Karl Schleck, k. k. Ober-
rechnungsrat, Emil Stoerk, Beamter der Donau-
Dampfschiffahrts-Gesellschaft, Baronin Berta v.
Suttner, Dr. Heinrich Graf Taaffe, Herrschafts-
besitzer, Dr. Alfons Witz-Oberlm, k. k. Ober-
kirchenrat. Zu Revisoren wurden gewählt: Al-
fred Petterseh, Oberbeamter der Koemanosea-
A.-G., Dr. Hugo Novak, k. k.~'Notariatskandidat.
Vorstandsmitglied Kommerzialrat Hans
Dupal sprach der Präsidentin für ihre auf-
opferungsvolle und unermüdliche Tätigkeit den
Dank aus, dem die Versammelten durch Er-
heben von den Sitzen freudig zustimmten.
Nach Schluß der Hauptversammlung er-
stattete das neugewählte Vorstandsmitglied,
Oberrechnungsrat Karl Schleck ein Referat
über die Organisation der Friedensgesellschaften
und daran knüpfte sich eine Diskussion, die
Vorstandsmitglied A r t h u r M aller leitete.
(HR
Vortrags z y k 1 u s.
Den Vortragszyklen von 1911 und 1912
reiht sich der Zyklus von heuer in würdiger
Weise an. Es fanden bereits fünf Vorträge im
Hörsaale 50 der Wiener Universität statt, die
überaus gut besucht waren und den Vor-
tragenden reichen Beifall eintrugen. Am ersten
Abend sprach der altkatholische Pfarrer A d a 1 -
b e r t Schindelar über „Die sittlich-reli-
giöse Berechtigung der Friedensbewegung", am
19. 3. Vorstandsmitglied A. 31 ü 1 1 e r über „Die
pazifistischen Tendenzen am Ausgange des
Mittelalters'' mit besonderer Berücksichtigung
seines Stückes „Paracelsus und der Träumer".
Am 2. 4. hielt der Referent der Carnegie-
Stiftung Dr. PauLStiassny einen technisch-
finanz wissenschaftlichen Vortrag „Der öster-
reichische Staatsbankrott von 1812", am
9. 4. sprach unser Vorstandsmitglied Univ.-Prof.
Dr. 0. Richter über „Ein Spaziergang durch
die Kruppschen Werke" und am 16. 4. Alfred
11. Fried über Norman Angells Buch „Die
große Täuschung". Der letzte Vortrag findet
am 23. d. M. statt und wird unsere Präsidentin
über „Pazifismus in Amerika" sprechen.
RS»?
Vortragsabend Roberto Bracco.
Den Bemühungen unseres Mitgliedes Hein-
rich Gl ücks mann ist es gelungen, den be-
kannten italienischen Dramatiker zu gewinnen,
einen Vortragsabend zugunsten unserer Gesell-
schaft zu veranstalten. Wir werden in der
nächsten Nummer über den Verlauf des Abends
berichten. . ■ " ;
Rga
' Vortrag Prof es s o r Batek.
Unser tätkräftiges Mitglied Professor
Di*. A. Batek in Prag hielt im verflossenen
Monat \vieder einige seiner vortrefflichen Vor-
träge für die Verbreitung unserer Bewegung
und veröffentlichte in einigen böhmischen
Zeitungen eine Reihe von Friedensartikeln.
II a u p t. v e r s a m m 1 u n g de r O r tsgruppe
Li nz.
Die Linzer Ortsgruppe hielt am 29. März
ihre Hauptversammlung im Kaufmännischen
Vereinshaüse ab. Obmann. Fabrikant Carl
F ran ck führte den Vorsitz und begrüßte die
erschienenen Mitglieder, Schriftführer Konsul
Clemens: ,K an t seh erstattete den Rechen-
schaftsbericht, Kassierer Direktor K all i na
den Kassenbericht, Schuldirektor Bro'sch
den Revisionsbericht. Nachdem noch zahlreiche
Anfragen, und Anregungen seitens der erschie-
nenen. Mitglieder vorgebracht und auch zum
Teil erledigt wurden, schloß . der Obmann die
Versammlung.
Verantwortlicher Redakteur: Carl Appold, Berlin W. 60.
Druck: Paaa * GarUb G.m.b.H., Berlin W .57.
Im Selbstverlag des Herausgebers Alfred H. Fried, Wien IX/2.
Verantwortl. Redakteur für Oesteirelch-Üngarn : Vihz ena Jerabek in Wien
160
Mai 1913.
Die Ueberwindung des Balkankonflikts.
Nicht als ob wir, mit der Menge gehend,
über den ,, Frieden" jubeln wollten, der uns
erhalten blieb. Dieser Zustand isi von jenem,
den w i r „Frieden" nennen, noch weit ent-
fernt. Aber daß allen Schwarzsehern zum
Trotz, allen Kraftmeiern der Politik zum
Mißvergnügen der Krieg vermieden wurde,
der uns als unausweichlich geschildert
wurde, berechtigt uns, zu triumphieren. Wir
haben wieder einmal bewiesen, daß unsere
Weltanschauung richtig orientiert ist, daß
wir die Zusammenhänge erkennen und zu
berechnen verstehen. Und wir können nun-
mehr mit um so größerem Nachdruck for-
dern, daß man unserer Lehre Beachtung
schenkt.
In den Novembertagen, als das Gemetzel
am Balkan eben hegann, stand an dieser
Stelle zu lesen:
„Große Gegensätze stehen sich jetzt
gegenüber. Gegensätze, die man seit Jahr-
zehnten als zur friedlichen Ueberbrückung
ungeeignet bezeichnet hat. Nun wird es
sich zeigen, ob Europa wirklich noch im-
stande ist, Krieg zu führen, oder ob es
die Kriegsidee nur infolge einer gewissen
Besessenheit pflegt. Jetzt, wo die Regie-
rungen den Tatsachen näherstehen, werden
sie darüber nachdenken müssen, ob die Inter-
essen, (die sie am Balkan zu besitzen ver-
meinen, wirklich so groß sind, daß man um
ihretwegen das Schwert ziehen kann, und
ob das Risiko nicht am Ende doch außer
Verhältnis zu den erträumten Erfolgen
steht. Solange den Regierungen die Be-
sonnenheit bewahrt bleibt, unterliegt es für
mich keinem Zweifel, daß man einen mageren
Vergleich dem riskanten Kriegsverfahren
vorziehen wird. Und das wird ein ungeheuer
wichtiges Ereignis sein. Wenn Europa, ge-
zwungen sein wird, die gefährlichste Frage,
die es auf diesem Erdteil gibt, friedlich zu
lösen — wenn auch unter Krisen und
Aengsten — , dann wird es damit aufs neue
bewiesen haben, daß ein Krieg auf diesem
Erdteil überhaupt nicht mehr nötig ist, denn
es gibt keine schwerere, konfliktreichere
Frage als die des nahen Ostens. Vielleicht
werden sich dann aus der Erkenntnis der
zwingenden Tatsachen Schlüsse ziehen lassen,
die diesem schwergeprüften Erdteil zum
Heile gereichen können.
Die Pazifisten der gesamten Welt wer-
den daher die Entwicklung der politischen
Dinge in der nächsten Zeit mit großer Span-
nung verfolgen. Wir stehen vor einer
großen Entscheidungsstunde. Es wird sich
zeigen, ob jene zwingenden Tatsachen, die
den Pazifismus gezeitigt haben, schon so
stark sind, Europa vor dem Zusammenbruch
zu retten, oder ob die Kräfte der Dumm-
heit und der Vernichtung zum Untergange
der alten Welt zutreiben: ob gemeinsam mit
dem Padischah am Bosporus auch die Herr-
schaft Europas in der Welt ihr Ende finden
soll. Wir sind hoffnungsfroh genug, an
einen Sieg der Kulturkräfte zu glauben."
Wir sind in unserer Hoffnung nicht
getäuscht worden.
Nun gilt es, diesen Sieg der Kultur-
kräfte auszunützen, die Erkenntnis, daß die
zwingenden Tatsachen sich heute schon
stärker erweisen, als die so unerschütterlich
scheinenden Kräfte der Dummheit und der
Vernichtung, gilt es zu verwerten. Die
Balkanliquidation ist ohne europäischen
Krieg vorübergegangen. Welche Krisis auf
diesem Erdteil kann man sich noch vor-
stellen, die danach nur durch Blut gelöst
werden könnte. Die pazifistisch beeinflußten
und pazifistisch wirkenden Kräfte, die in
dieser Krisis den europäischen Zusammen-
prall vermieden haben, leisteten mehr als
die gerade gegebene Arbeit. Sie schafften
Zukunftswerte von höchster Bedeutung. Der
vermiedene Krieg von 1913 hat für alle
künftigen europäischen Konflikte das Kriegs-
ventil verrammelt.
161
DIE FßlE DENS -^ößTE
3
Freilich, die Apostel des Ewigen Krieges,
die nicht die Zusammenhänge erkennen,
klammern sich an Einzelheiten, an Zufällig-
keiten, denen es zu danken wäre, daß in
Europa kein Schuß gefallen sei. Sie ver-
gessen ganz, mit welcher Zähigkeit sie fin-
den Krieg eintraten. Es waren starke
Gruppen am Werke, die den Zusammenprall
wollten, die den Krieg um des Krieges willen
herbeizuführen suchten. Die österreichische
Kriegspartei hatte ja ihren „kleinen Krieg' 1
schon in der Tasche. Seit Monaten standen
die Truppen kriegsbereit an der Grenze.
Sie waren zu weiteren Operationen schon
eingeschifft worden. Der Belagerungszu-
stand war bereits über einige slawische
Länder der Monarchie verhängt, für einige
andere schon angekündigt. Der Waren trans-
port auf gewissen Bahnen war eingestellt,
um die Strecken für den strategischen Auf-
marsch freizuhalten. Der Ruf „Los von Eu-
ropa", das die kriegerische Entfaltung zu
hemmen drohte» wurde jubelnd ausgestoßen,
nicht ahnend wie sehr damit der Rückfall
in -das Asiaten tum gekennzeichnet wurde.
Die „Politik der Freien Hand" hatte man
sieh erobert, um ja nicht geniert zu werden
bei der Inszenierung des Weltenbrandes.
Der Vorwand, man könne nicht mehr länger
warten, da man sonst die militärische Si-
tuation verschlechtern würde, jener beliebte
Vorwand der Kriegsparteien, wurde mit
ernster Miene kolportiert, während der
Vater jenes widerwärtigen Gedankens eigent-
lich nur die Furcht vor den Friedenskräften
war. Man fürchtete, daß man, wenn man
nur einige Tage Zeit gewährt, zu spät
kommen könnte mit dem Kriege; man
fürchtete, daß es so kommen würde, wie
schon einmal vor vier Jahren, als man den
gezückten Degen wieder in die Scheide zu
stecken gezwungen war. Die Furcht vor
der Möglichkeit eines kriegslosen Aus-
gleiches 1 steckte den Kriegsenthusiasten in
den Gliedern und trieb sie zur überstürzten
Eile ah. „Endlich haben wir es er-
reicht", soll : der österreichische Kriegs-
minister triumphierend ausgerufen haben, als
er : am 29. April nach einer Konferenz mit
dem Minister des Aeußeren, das Ministerium
am Wiener Ballplatz verließ. Ein Wort,
daß man sich merken muß, wenn man uns
künftig wieder von der Sicherung des Frie-
dens durch die Rüstungen sprechen will.
Und die Wiener Redakteure, die am selben
Tage, im Pressebureau desselben Minis te-
riüinfe die of f izäelle Ankündigung entgegen-
nahmen, daß Oesterreich-Ungarn entschlossen
162 :
sei, ohne Mandat seitens der Mächte, allein
vorzugehen, sollen diese Mitteilung nach
einem Bericht in der Pariser „Daily Mail"
vom 30. April mit Freudenschreien ( ! ) be-
grüßt haben. Einige der Journalisten waren
über diese Mitteilung so entzückt, daß sie
ohne Hut aus dem Ministerium liefen, um
die große Nachricht rasch -est ihrer Redak-
tion zu verkünden. Auch das soll man sich
merken, für den Fall, wo sich diese selben
Herren auf Pressekongressen als die Wahrer
des europäischen Friedens selbst beräuchern
werden.
Und doch ist es anders gekommen.
Europa wollte diesen Krieg nicht, weil es
kein Kriegsduett auf diesem Erdteil mehr
geben kann, weil jede Gewaltanwendung so-
fort die beiden großen Staatengruppen enga-
giert und dieser Streit um Albanien, um
die Zugehörigkeit eines elenden albanischen
Nestes zu diesem oder jenem Lande wahr-
lich eines solchen Kräfte auf wandes, eines
solchen Risikos nicht wert war. Es würde
den Rahmen dieses Artikels weit über-
schreiten wollte man hier untersuchen, wieso
es 1 schließlich doch zur Vermeidung des
Krieges gekommen ist, wie jene pazifisti-
schen Kräfte gegenüber der Entschlossen-
heit zum Kriege wirkten, wie sie manö-
vrierten und warum sie es taten. Begnügen
wir uns heute, den Sieg der Friedenskräfte
über die bereits zum Schlag ausholenden
Kriegskräfte festzustellen. Es ist das wich-
tigste an der Sache, und es war wahrlich
keine leichte Arbeit.
Man hat es den Kriegsgegnern in Eu-
ropa wahrlich nicht leicht gemacht. Die-
jenigen, die den Krieg um jeden Preis wollten,
hatten eine Bearbeitung der öffentlichen
Meinung inszeniert, die man als muster-
gültig hinstellen kann. Welche Lügen
wurden da verbreitet und am Leben gehalten.
Man denke nur an den famosen Fall des
österreichischen Konsuls Prohaska, der von
wütenden Serben angeblich getötet worden
war und der heute noch lebt. Man denke
an den Pater Palitsch, den Montenegriner
angeblich ermordet hatten, weil er seinen
Glauben nicht wechseln wollte, was sich
nach einer eingehenden Untersuchung als
unwahr erwies. Man denke an die letzte
Lügenkomödie mit der Proklamierung Essad
Paschas zum König von Albanien, was einen
unverzüglichen Einmarsch österreichischer
Truppen in Albanien zur Folge hätte haben
sollen. Als» man dies aber in Gemeinschaft
mit italienischen Truppen nicht mehr für
nützlich hielt, wurde die ganze Geschichte
I
1
€S
= DIE FRIEDENS ->M&IZFE
als eine Erfindung dargetan. Wie dieses
Lügengewebe aber die Massen aufpeitschte
und die Ansicht verbreitete, man hätte sich
alle diese erdichtete Unbill wirklich gefallen
lassen und sei nun gezwungen, sie mit Blut
abzuwaschen, davon kann sich nur der einen
Begriff machen, der in jenen Tagen der
fanatischen Erregung das arme betörte Volk
zu beobachten Gelegenheit hatte.
Europa hat sich gefunden, um eine inter-
nationale Polizei zur Durchführung seines
Willens auszusenden. Es müßte sich nun-
mehr finden, um auch eine Sicherheitswache
zu errichten, um jenem Gesindel den Garaus
zu machen, das durch Alarmierung der
öffentlichen Meinung mit lügenhaften Be-
richten zum Kriege treibt. Die Brandstifter
sind nicht so schlimm wie jene Paniken-
Macher, für die wahrlich kein Galgen hoch
genug wäre. Man müßte die Geschichte des
Kriegsalarms vom Winter 1912/13 schreiben,
sie aktenmäßig darstellen, damit man sie
geeignetenfalls jenen Diplomaten vorhalten
könnte, die noch immer von der Phrase leben,
es seien heute nicht mehr die Kabinette,
sondern die Völker, die die Kriege machen.
Jawohl die Völker ; aber erst dann, wenn
die Regierungen bei der Verhetzung der
Massen so untätig zuschauen, wie die rus-
sische Polizei bei den Judenpogroms, oder
wie die bestellten Wächter der Ordnung bei
den jüngsten Deutschenhetzen in Nancy.
Noch eines Faktors sei hier gedacht,
dem es nicht in letzter Linie zu danken
ist, daß der Krieg vermieden wurde : D e s
Kaisers Franz Josef. Die Kriegs-
enthusiasten in seinem Lande grollen ihm
darob, und es fehlt sogar nicht an
hochverräterischen Aeußerungen solcher
Leute, die sonst stets mit ihrer Loyalität
prahlen. In ihrer Perfidie schieben jene
Blutgierigen die Kriegsabneigung des Kai-
sers seinem hohen Alter zu. Sie wollen
gleichzeitig damit andeuten, daß es eben
greisenhaft sei, den Krieg zu verabscheuen,
wie sie uns weibisches Wesen und Feig-
heit als Motive unseres Kampfes gegen den
Kriegswahn unterschieben. Dieser Vorwurf
zerfällt in sich, denn der greise Kaiser
würde selbstverständlich auch durch den
blutigsten Krieg nicht aus seiner Ruhe und
Behaglichkeit gestört werden. Wenn Kaiser
Franz Josef dem ungestümen Drängen der
Kriegsanhänger widerstand, so War es nicht
greisenhafte Schwäche, sondern die hohe Weis-
heit eines erfahrenen Mannes, die ihn er-
kennen ließ, daß jeder Ausgleich besser ist
als der chancenreichste Krieg, daß, solange
die Möglichkeit eines Ausgleiches gegeben
ist, der Wunsch nach kriegerischer Betäti-
gung frivol sei und zurückgedrängt wer-
den müsse. Man braucht kein Monarchist
zu sein, um anzuerkennen, daß sich Kaiser
Franz Josef durch seine kluge retardierende
Haltung vor seinem Volke, vor der Mensch-
heit und vor der Weltgeschichte ein hohes
Verdienst erworben hat, um dessenwillen ihm
der Dank aller vernünftig denkenden Men-
schen in Europa gebührt. A. HF.
Kriegsindustrie.
Von Dr. Albert Südekum,
Mitglied des Deutschen Reichstags.
Der Militarismus hat eine Bataille ver-
loren. Jetzt ist Unruhe die erste Bürger-
pflicht. Unruhe im Sinne von schärfstem und
lautestem Protest aller Menschen- und Frie-
densfreunde gegen die spekulative Erregung
und Verwertung eines wahnsinnigen und ge-
fährlichen Rüstungstreibens, dessen Zeugen
und Leidtragende wir zurzeit sind. Anklage
müssen wir erheben gegen die Rüstungstreiber.
Es genügt nicht mehr, mit sozusagen wissen-
schaftlichem Gleichmut die Tatsache wider-
spruchslos hinzunehmen, daß es in der Kriegs-
industrie sehr menschlich hergeht, sondern
jeder, dem das Wohl der Völker etwas gilt,
der die Reinheit unseres öffentlichen Lebens
als einen Teil dieses Wohles erkennt, hat die
persönliche Pflicht, sich mit der furchtbaren
Tatsache auseinanderzusetzen, daß die euro-
päische Kultur von einem Konzern bedenken-
loser Geschäftemacher dauernd in ihren Grund
festen bedroht wird; hat sich ferner mit der
Tatsache auseinanderzusetzen, daß diese Rüs-
tungskapitalisten den höchsten gesellschaft-
lichen Rang einnehmen, mit Ehren und Aus-
zeichnungen überhäuft werden. Die Pflicht
einer solchen persönlichen Auseinandersetzung
liegt gleichmäßig den bewußten und organi-
sierten Friedensfreunden, wie den ehrlichen
Vertretern des Militarismus und den Verherr-
lichern der sogenannten kriegerischen Tugen-
den ob. In erster ,Linie gehen die Dinge
auch die Offiziere an, die so gern für
sich die Eigenschaften besonderer Empfind-
lichkeit in Ehrensachen in Anspruch nehmen.
Darauf ist mit erhöhtem Nachruck hinzuwei-
sen, weil gerade in den letzten Wochen in
einigen von deutschen Offizieren gern ge-
lesenen Blättern geschrieben stand, wie immer
sich auch die Sache mit der Rüstungsindustrie
und ihren internationalen Spekulationen ver-
halten möge: die Offiziere berühre das
ganz und gar nicht, denn sie hätten
einfach ihren Dienst zu tun und die
ihnen in die Hand gedrückte Waffe auf
Kommando zu gebrauchen. Eine Ansicht,
die den Offizier zum Automaten erniedrigt!
Das gerade Gegenteil ist richtig: ? ,wer Pech
m
DIE FRIEDEN5~>fc/!&arE
®
anfaßt, besudelt sich". Ein Offizier, der auf
seine Ehre hält, muß mit dafür sorgen, daß
nicht das Kriegswesen der Völker schamlosem
Handel als Vorwand dient. Jedermanns guter
Wille kann mißbraucht werden. Wer dem
Betrüger als reiner Tor zum Opfer fällt, ist
für den Ausgang moralisch nicht verantwort-
lich. Wer aber willfährig einem Betrüger seine
Hilfe leistet, ist dem Betrüger gleich zu
achten. Auch die fahrlässige Unterstützung be-
trügerischer Handlungen kann einen Makel auf
die Ehre eines Menschen werfen. Die Offiziere
der europäischen Armeen haben in den letzten
Wochen Gelegenheit gehabt, sich darüber zu
unterrichten, mit welcher ungeheuerlichen
Dreistigkeit die Interessenten der
Kriegsindustrie die gepriesenen Gefühle
der Vaterlandsliebe und der Opferfreudigkeit
der Völker auszunützen verstehen ; sie erfahren,
daß auch ihre eigene Gesinnung und Tätigkeit
in diesen [Berechnungen eine Rolle spielen.
Wenn sie Augen und Ohren gegen diese Tat-
sache bewußt und absichtlich verschließen,
wenn sie nicht wenigstens auf Reinlichkeit
in den Angelegenheiten der Völkerrüst ungern
drängen, dann machen sie sich zu Mitschuldi-
gen gefährlicher und zum Teil auch verbreche-
rischer Handlungen und müssen sich danach
weiterhin einschätzen lassen.
Man wird gewiß nicht behaupten können,
es sei bisher ein Geheimnis gewesen, daß die
großen Rüstungsfirmen und die Vereinigungen
von solchen (Firmen seit langer Zeit ihren
starken Einfluß spielen ließen, um die Völker
der Erde zu immer neuen, den Frieden ge-
fährdenden Rüstungen zu veranlassen, daß sie
auch verstanden haben, sich kräftige Helfer
zu sichern. Eine Menge von Zeitungen steht,
wie alle Welt weiß, direkt im Dienste solcher
Firmen und läßt keine Gelegenheit vorüber-
gehen, um Mißtrauen zwischen den Völkern
zu säen und mit dem Anschein patriotischer
Besorgnis dadurch die Geschäfte ihrer Auf-
trag- und Geldgeber zu fördern; andere Zei-
tungen, die nicht direkt der Kriegsindustrie
verschrieben sind, hängen doch mit ihr über
dem Umweg des Bankkapitals in irgendeiner
Weise zusammen, wagen zu mindestens nicht,
wider den Stachel zu löken. Sogenannte „Sach-
verständige" (zum großen Teil abgelegte Offi-
ziere) bemühen sich unausgesetzt, die alte Un-
richtigkeit weiter zu verbreiten, daß man den
Frieden nur sichern könne, wenn man zum
Kriege rüste. Die Schullesebücher triefen von
„Patriotismus", und ihre Verfasser suchen sich
in der Verherrlichung des Krieges und kriege-
rischer Gesinnung zu überbieten. Auch der
offizielle Religionsbetrieb hat sich ganz und
gar in den Dienst dieser Strömung gestellt
und weiß die Predigt der „Religion der Liebe"
äußerlich geschickt, wenn auch mit erheb-
lichen inneren Schwierigkeiten, der Verherr-
lichung des Völkerhasses und des organisier-
ten Massenmords anzupassen; gewaltige Or-
ganisationen mit Hunderttausenden von Mit-
gliedern, wie die Kriegervereine, die Veteranen-
vereine, die Wehrvereine, die Jugendwehren,
die Flottenvereine, bearbeiten mit unermüd-
licher Ausdauer Hirn und Herzen weiter
Volkskreise immer in demselben Sinne, immer
mit derselben Phraseologie nach dem Erfah-
rungssatze: „steter Tropfen höhlt den Stein".
Und über dem allen schwebt der Segen der
staatlichen Regierungen, die in „gottgewollter
Abhängigkeit" die Agitation der Rüstungs-
interessenten erst fördern, um dann das so
gewonnene Material zu neuer Aufmunterung
des Geschäfts zu verwenden.
Diese großen Grundzüge eines wahrhaft
verderblichen Systems waren, wie gesagt, seit
langem bekannt. Nicht nur in Deutschland
und O esterreich, auch in England und Frank-
reich hatten aufmerksame Beobachter des
öffentlichen Lebens längst das weitmaschige
Gewebe vor aller Augen ausgebreitet, oft-
mals auch die Erörterung durch kleine anek-
dotenhafte Einzelheiten gewürzt. Aber eine
rechte durchschlagende Wirkung war bisher
doch nicht zu erzeilen gewesen. Es fehlte
der solide Hebel eines unanfecht-
baren Beweismaterials, um den
schwer lastenden Stein in« Rollen zu bringen.
Dieser Hebel ist jetzt durch eine Fülle
von Enthüllungen geliefert worden, die
wie ein prasselnder Regen über die Rüstungs-
interessenten in Deutschland und anderen
Staaten niedergegangen sind. Parlamente und
Presse waren einige Tage hindurch voll von
diesen Dingen, und die öffentliche Erörterung
beschäftigte sich eine kleine Weile damit.
Da sich aber jetzt schon wieder das Schweigen
tiefen Vergessens darüber zu breiten beginnt,
wollen wir hier zur Auffrischung wenigstens
das wichtigste noch einmal kurz zusammen-
stellen.
Zuerst sei behandelt, was unzweifelhaft
das meiste Aufsehen erregte, nämlich die
Affäre Krupp, deren Aufdeckung an den
Namen des Reichstagsabgeordneten Dr. Lieb-
knecht anknüpft.
Die überragende Stellung der Firma
Krupp in der internationalen Rüstungs-
industrie ist bekannt. Krupp gehört so-
zusagen mit zum deutschen Heere und ist
enger mit ihm verwachsen, als etwa Schneider
in Creusot mit dem französischen. Das
Deutsche Reich unterhält ein paar eigene Ka-
nonenfabriken, die aber nur für leichteres
Material eingerichtet sind und bei weitem
nicht den ganzen Bedarf decken. Alle schwe-
reren Kaliber, namentlich auch die gewalti-
gen Schiffs- und Positionsgeschütze sowie
einen großen Teil der Feldartilleriebewaffnung
besorgt Krupp. Konkurrenz gegen ihn gab
es bis vor ein paar Jahren überhaupt nicht
und gibt es jetzt nur in ganz beschränktem
Umfange. Die Rheinische Metallwarenfabrik
von Heinrich Ehrhardt hat sie jahrelang ver-
sucht und sich dabei verblutet, obschon ihre
Konstruktionen als ausgezeichnet gerühmt wor-
I
164
E DIE FRIEDENS -^M^BXE
den sind, und obschon sie mit dem Rohr-
rücklaufgeschütz den Kruppschen Ingenieuren
um Jahre voraus war. Wir haben also heute
ein beinahe vollständiges Kanonenmonopol
Krupps in Deutschland.
Krupps Beziehungen zu Deutschland waren
nicht immer so eng. Es hat eine Zeit gegeben,
wo der eigentliche Schöpfer des gewaltigen
Militärbetriebs, Alfred Krupp, nachdem er
schon Preußen mit Hinterlader-Gußstahl-
kanonen ausgestattet hatte, an anderer Stelle
Relais zu legen versuchte. Ein Zusammen-
stoß zwischen Preußen-Deutschland auf der
einen Seite und Frankreich auf der anderen,
galt nach 1866, namentlich in den Kreisen
der großdeutschen Politiker, für unvermeid-
lich. So betrachtete auch Alfred Krupp die
Sache. Da er aber an die Ueberlegenheit
der napoleonischen Armee glaubte und als
vorsichtiger Geschäftsmann mit der Möglich-
keit einer Einverleibung des Rheinlands nach
Frankreich rechnete, so bot er 1868 in einem
berühmt gewordenen Briefe seine schätzbaren
Dienste — dem Feinde seines Vaterlands an.
Eine kleine, wenn auch unangenehme Ent-
gleisung, die indessen große Geister nicht ge-
nieren kann.
Es versteht sich, daß die Firma Krupp die
ihr mit Recht oder Unrecht zugefallene Mo-
nopolstellung weidlich auszunützen trachtete.
Sie legte sich dabei so wenig Zurückhaltung
auf, daß es endlich zu einem offenen Skandal
kam, den der Reichstagsabgeordnete Erz-
berger in der Sitzung des deutschen Reichstags
vom 23. April 1913 rückschauend wie folgt
schilderte: „Der Vorgänger des jetzigen
Kriegsministers, Herr von Einem, hat am
27. März 1905 ausdrücklich zugegeben und
durch amtliche Zahlen bewiesen, daß, solange
eine bestimmte Firma (Krupp) allein das
Monopol in der Lieferung von Kanonen und
Geschossen hatte, von der Heeresverwaltung
mindestens 60— 8Q0/0 mehr bezahlt werden
mußten, als von dem Moment ab, wo
eine andere Firma in die Konkurrenz ein-
getreten ist."
Aber die Firma überteuerte nicht nur das
Reich, sie lieferte nicht nur, was ihr auch
kaum hätte verboten werden können, ihre
Waffen und Munitionen an das Ausland und
dorthin — was schon bedenklich ist — zu
niedrigerem, weil durch die Konkurrenz be-
stimmtem, Preise, nein, Angestellte von ihr
unterhielten auch in Deutschland einen förm-
lichen Geheimdienst, den erst Lieb-
knechts Material aufgedeckt hat. In dem Pro-
tokoll der Reichstagssitzung vom 18. April
1913 heißt es darüber: „Der Vorstand der
Gußstahlfabrik Friedrich Krupp- Essen a. Ruhr
unterhielt in Berlin bis vor wenigen Wochen
einen Agenten namens Brandt, einen früheren
Feuerwerker, der die Aufgabe hatte, sich an
die Kanzleibeamten der Behörden, der Armee
und der Marine heranzumachen, sie zu be-
stechen, um auf diese Weise Kenntnis von
geheimen Schriftstücken zu erhalten, deren
Inhalt die Firma interessierte. Was sie inter-
essiert, sind besonders Absichten der Behör-
den in Bewaffnungsfragen, Angaben über Kon-
struktionen der Behörden sowie der Konkur-
renz, Ergebnisse von Versuchen, namentlich
aber die Preise, welche andere Werke for-
dern oder die ihnen bewilligt werden. Herrn
Brandt sind zu diesem Zwecke große Mittel
zur Verfügung gestellt. Die berühmte
Firma nützt ihre Geldmacht syste-
matisch dazu aus, um höhere und
niedere preußische Beamte zum
Verrat militä r i scher Geheimnisse
zu verleiten. Dieser Zustand besteht seit
Jahren. In den Geheimschränken eines Herrn
von Dewitz-Essen, eines hohen Beamten der
Firma Krupp, liegen — oder lagen — diese
Geheimberichte säuberlich aufgestapelt. Das,
was ich Ihnen eben hier gesagt habe, beruht
nicht auf einer bloßen Mitteilung, die mir von
irgendeiner Seite gemacht worden ist. Ich
darf Ihnen sagen, daß ich selbstverständlich
von dem, was mir mitgeteilt wurde, dem
Herrn Kriegsminister Kenntnis gegeben habe.
Ich bin besonders darauf aufmerksam gemacht
worden, daß eine Bekanntgabe dieser Dinge
zu einem frühen Zeitpunkt leicht dazu führen
könnte, daß die Firma bei ihrer ungeheuren
Geldmacht in der Lage sein würde, alle
Beweisstüc k.e und auch unbequeme
Personen irgendwohin aus der
Welt zu schaffen. Der Herr Kriegs-
minister hat in dieser Angelegenheit seine
volle Schuldigkeit getan. Er hat eingegriffen,
und zwar nicht nur gegen Militärpersonen,
sondern auch gegen Zivilpersonen. Gegen
sechs oder sieben Personen — ich will im
Moment die Namen nicht preisgeben —
schwebt die Voruntersuchung, wenn sie nicht
bereits geschlossen ist. Es ist mit anerken-
nenswerter Energie eingegriffen worden. Die
Betreffenden sind in Untersuchungshaft ge-
nommen worden. Hochgestellte Leute! Es ist
also kein Vorwurf gegen die Militärverwal-
tung zu erheben. Die Untersuchung ist im
wesentlichen abgeschlossen und hat bis auf
das Tüpfelchen über dem i dasjenige bestä-
tigt, was ich Ihnen hier vorgetragen habe."
Zerschmetternd wirkte diese Enthüllung.
Mit einigen mühsam gestammelten Worten
suchte der preußische Kriegsminister vergeb-
lich den fatalen Eindruck moralischen Zu-
sammenbruchs dieser großen Hilfsinstitution
des deutschen Heeres zu verwischen. Selbst
die unverfrorensten publizistischen Helfers-
helfer von Krupp verloren für ein paar Tage
die Haltung. Ein allgemeines Mißtrauen er-
wachte im Volke, dem man die ungeheuer-
lichste Vermehrung der Rüstungen und eine
wahrhaft erschöpfende Steuerleistung gerade
jetzt angesonnen hat.
Dann trat der Generaldirektor von Krupp,
ein Geheimrat Hugenberg, in der Kölnischen
Zeitung mit einer wortreichen, entrüstungs-
165
DIE FRIEDENS -^MkDTE =
[©
schwangeren, aber inhaltsleeren Erklärung vor
die Oeffentlichkeit. Sein Manöver lag zu nahe,
als daß er es hätte nicht machen sollen:
„Racheakt eines entlassenen Beamten", „nur
untergeordnete Personen in die Sache ver-
wickelt", „Zentralinstanz völlig unbeteiligt"
usw. Das fällt natürlich für verständige Leser
platt zu Boden und kann keine größere Be-
achtung beanspruchen, wie etwa das Gerede
eines Angeklagten über den „großen Unbe-
kannten" vor den Schranken des Gerichts.
Anders ist es schon mit der Bemerkung des
Herrn Hugenberg, „Geheimberichte
seien das tägliche Brot seiner In-
dustrie". Selbstverständlich: es gibt Ge-
heimberichte und Geheimberichte. Für die
Firma Krupp ist es jedenfalls sehr schmerz-
lich, daß die ihr nahestehenden Firmen in
der Industrie nicht an die Harmlosigkeit der
von ihr bezogenen Geheimberichte glauben.
Der seit 1911 in Deutschland bestehende Ver-
ein gegen das Bestechungsunwesen hat am
3. Mai 1913 die unter Nr. 294 in seiner Mit-
gliederliste aufgeführte Firma „Friedrich
Krupp, Aktiengesellschaft, iStahlgußfabrik in
Essen" einstimmig aus dem Verein aus-
geschlossen; und ebenso einstimmig be-
schloß der Verein, die gerichtliche Verfolgung
zu veranlassen, da die Krupp-Affäre dies ge-
bieterisch erheische. Ueberdies beweisen Na-
men und gesellschaftliche Stellung der in
Untersuchungshaft genommenen Angestellten
der Firma Krupp, daß es sich nicht, wie
Herr Hugenberg behauptet, um eine unter-
geordnete Affäre und um Mißgriffe eines Sub-
alternen gehandelt hat. Auch die von ver-
schiedenen Interessenten jetzt prompt hervor-
geholte Berufung auf die großen Freun-
de der Firma und der an ihrer Spitze
stehenden Familie wird in Deutschland den
Fortgang des Prozesses nicht aufzuhalten ver-
mögen. Soweit sind wir hoffentlich denn doch
noch nicht russifiziert, so tief hat das Krebs-
übel kapitalistischer Unmoral das Gefüge des
Staates wohl noch nicht zerfressen können,
daß die Justiz vor Verbrechern Halt machen
sollte, bloß weil hohe Herrschaften bisher im
Hause der Genießer des mit anfechtbaren
Mitteln erworbenen Reichtums gesellig ver-
kehrten.
Soweit sind wir noch nicht. Aber daß
wir wirklich schon tief im Schlamm sitzen,
beweist eine Mitteilung des „Vorwärts" vom
5. Mai 1913. Danach hat die Firma Krupp
den zur Abnahme von Kriegsmaterial nach
Essen kommandierten Offizieren die
Kosten für einen verhältnismäßig üppigen
Lebensunterhalt während ihres Aufenthalts
in Essen bezahlt und dafür nur rein
fiktive Beträge in Gegenrechnung gestellt.
In und außerhalb Deutschlands hätte man
so etwas vor der einwandsfreien Beweisfüh-
rung für unmöglich gehalten! Daß
deutsche Offiziere sich ihren Wein und
ihren Braten, ihre Zigarren und ihr Klosett-
papier von der Firma bezahlen lassen,
deren Erzeugnisse sie für die Heeresverwal-
tung prüfen und abnehmen sollen, ist eine
geradezu revolutionierende Neuig-
keit.
Aber man sollte die damit Gekennzeich-
neten nicht allzu heftig schmähen, denn die
Verführung ist wirklich groß. Auf den
Kruppschen Werken, übrigens auch bei den
großen Elektrizitätsfirmen, bei den Werften,
den Waffen- und Munitionsfabriken, laufen
zu Dutzenden die inaktiven Generäle, Ad-
miräle, Geheimen und Wirklichen Geheimen
Räte herum, die sich nicht schämen, Riesen-
gehälter und Tantiemen einzustecken, und
sich daneben noch die Pensionen aus den
Steuergroschen der Armen und Aermsten
zahlen zu lassen. Die Verbindung der höch-
sten militärischen und zivilen Bureaukratie
mit der Großfinanz und den von ihr kon-
trollierten industriellen Werken ist in Deutsch-
land in den letzten Jahren so umfassend und
so intim geworden, daß dem weitgehendsten
Korruptionsverdacht Tür und Tor
geöffnet ist. Diese Seite unseres öffentlichen
Lebens bedarf dringend der eingehenden
Untersuchung.
Während diese Zeilen schon im Satz
waren, verlautete in offiziösen Blättern, die
Versorgung von Abnahme-Offizieren und Ab-
nahme-Beamten durch Krupp in der oben ge-
schilderten Weise sei neuerdings abgeschafft
worden; nur (!) auf den Schießplätzen gebe
die Firma den Vertrauensmännern des Reichs
noch Naturalverpflegung. Diese Mitteilung ist
nur zum Teil wahr: die nach Essen Kom-
mandierten erhalten jetzt bares Geld von
Krupp. Uebrigens wird allgemein behauptet,
daß die zeitweüig nach Essen kommenden
Offiziere und Beamten — bis zu den höchsten
hinauf — nur Scheinrechnungen in
dem der Firma Krupp gehörenden Hotel be-
zahlen.
Verlassen wir nunmehr die Firma Krupp,
über die sich noch mancherlei sagen ließe,
um zunächst einige andere Blüten der Kriegs-
industrie zu betrachten. Da lenkt vor allem
der „M ar ine- Ver s tän d ig ung sko n -
zern" die Aufmerksamkeit auf sich. Die
geschäftstüchtigen Großlieferanten von
Schiffsbaumaterial haben schon seit Jahren,
um die Ausnützung der „Konjunktur" recht
gründlich besorgen zu können, im geheimen
ihren Zusammenschluß vollzogen. Die Ge-
schäftsstelle ihres Konzerns befindet sich in
Dortmund, Kronprinzenstraße 36. „Ver-
traulicher" Leiter dieses Bureaus ist Direktor
G u t h e i 1 , früher einer der Direktoren der
Union, Eisen- und Stahlwerke in Dortmund,
dann, nachdem 1 diese Gesellschaft in die
Deutsch -Luxemburgische Bergwerks- und
Hüttenaktiengesellschaft aufgegangen war,
eine Zeitlang einer der Leiter ihrer Abteilung
C., die die sämtlichen in Dortmund und Um-
kreis gelegenen Werke der Deutsch-Luxem-
166
(§;
= DIE FRIEDEN5->MM2XE
burgischen Gesellschaft umfaßt. Das Ge-
schäftsverfahren dieses Marineverständi-
gungskonzerns ist praktisch und sinnreich.
Wenn eine Werft, z. B. die Kieler oder Wil-
helmshavener Reichswerft, Schiffsbaumaterial
braucht und sich an verschiedene Lieferanten
mit der Frage nach Preis und Bedingungen
wendet, dann erhält sie nicht sofort und
direkt Antwort, sondern die Anfragen gehen
zunächst an das Bureau in Dortmund. Die
Geschäftsstelle unterrichtet dann alle ihm
angeschlossenen Werke, welche Meldungen
eingegangen sind ; die befragten Werke
unterhandeln dann entweder direkt oder
über die Geschäftsstelle miteinander, wie sie
ihre Angebote gestalten und welche Preis-
forderungen sie stellen sollen. Jedes Werk
ist verpflichtet, von jedem Auftrag, den es
erhält, 10 o/o abzugeben, und zwar nicht vom
Gewinne, sondern vom Rechnungsbetrag ; also
schlägt es natürlich mindestens diesen Be-
trag zunächst auf den angebotenen Preis
auf. Die anderen Werke folgen ihm darin
und reichen nunmehr ihre Offerten ein. Auch
•die Auftragserteilung sowie die Ausführung
und Ablieferung werden immer rechtzeitig
an das Bureau in Dortmund gemeldet. Die
von dem ausführenden Werke abzuliefern-
den 10 o/o von dem Rechnungswert gehen zum
Teil (Vio) an die Geschäftsstelle für ihre
Bemühungen und Unkosten; die übrü
9 /io werden an jene Werke
ebenfalls Offerten eingereicht
bei der Auftragserteilung leer
sind. Da es sich bei den Schiffsmaterial-
lieferungen um Aufträge im Werte von vielen
Millionen handelt, so kann man sich un-
gefähr vorstellen, welche Beträge der Reichs-
kasse auf diese einfache, allerdings die Ecken
einer bedenklichen Moral streifende Manier
entnommen werden.
Wieder ein anderes Bild. Vor einiger
Zeit brachte die „Friedens-Warte" den Nach-
weis, daß an der englischen Kriegsindustrie
die Creme der Aristokratie beteiligt sei. In
Deutschland ist das ganz genau so. Nur
daß darüber hinaus auch noch eine inter-
nationale Vereinigung von aristo-
kratischem! Kapital im Rüstungs-
geschäft gebräuchlich ist, die in England
meines Wissens bisher fehlt. Deutschland
bezieht die Panzerplatten für seine Kriegs-
marine außer von Krupp nur noch von der
Dillinger Hütte, einem Werke, das zum
größten Teil den Erben des verstorbenen
Herrn von Stumm gehört. Formell ist die
Dillinger Hütte eine Aktiengesellschaft nach
deutschem Recht. Ein Teil der Aktien ist
in französischen Händen. Die Geschäfts-
sprache in der Generalversammlung ist, wie
der frühere Regierungsrat im Reichsamt des
Innern Rudolf Martin zuerst in seinem 1 Jahr-
buch der Millionäre mitgeteilt hat, und wie
dann auch im Reichstag unwidersprochen
wiederholt wurde, die französische, oder war
jem
verteilt, die
haben, aber
ausgegangen
es bis vor wenigen Jahren. h Mehrere Fran-
zosen", so sagt Martin, „sitzen im Auf-
sichtsrat, verdienen ungeheuer viel Geld an
der deutschen Panzerplattenfabrikation, an
der Verteidigung von Metz und Straßburg,
an der Vergrößerung der deutschen Flotte,
an der deutschen Küstenbefestigung und er-
halten genauen Einblick in unsere ganze
Verteidigung. Es sind dies die französischen
Herren Rene de Bobet in Paris und Eugen IV.
Comte von Waldner - Freundstein, vormals
französischer Botschaftssekretär und fran-
zösischer Leutnant der Reserve, dessen Sohn
Eduard französischer Leutnant der Reserve
des 10. Regiments Jäger zu Pferde ist,
Chateau de Levy, Departement Allier und in
Paris. Sollen diese Herren nicht auch eine
Kleinigkeit von dem in Deutschland ver-
dienten Gelde zur deutschen Kriegssteuer
beitragen ?"
Es wäre in der Tat unglaublich, wenn die
französischen Reserveoffiziere, die im Auf-
sichtsrat dieses Werkes sitzen, ihre bei den
Beratungen gewonnenen Kenntnisse der Fabri-
kationsmethoden, der Preise, der Lieferungs-
bedingungen, namentlich auch der Lieferungs-
termine nicht sofort der französischen Marine-
verwaltung mitteilen würden. Vom Stand-
punkte ihres spezifisch französischen Patriotis-
mus' aus wären sie dazu durchaus verpflichtet.
Das müßte doch gerade ein alter Offizier wie
der Königlich preußische Generalleutnant von
Schubert, Exzellenz, der Schwiegersohn des
verstorbenen Stumm, Vorsitzender dieses Auf-
sichtsrats, am besten wissen, oder am schnell-
sten einsehen! Dieser Herr, der bis vor
wenigen Jahren deutscher Reichstagsabgeord-
neter war und sich auch jetzt wieder um das
Mandat eines preußischen Landtagsabgeord-
neten bewirbt, hat indessen, soviel bekannt
geworden ist, nichts getan, um der unglaub-
lichen Situation ein Ende zu bereiten.
Das Zusammenwirken des Kapitals ver-
schiedener nationaler Herkunft ist in dem
internationalen Waffenkonzern bis
zur direkten Gewinnabgleichung getrieben.
Zwischen der Oesterreichischen Waffenfabrik-
Gesellschaft, den Deutschen Waffen- und
Munitionsfabriken in Berlin-Karlsruhe, der
Waffenfabrik Mauser in Oberndorf a. Neckar
und der Fabrique Nationale d'Armes de
Guerre in Herstal in Belgien bestehen Ver-
träge, wonach (§1) „Waffengeschäfte, welche
sich auf Lieferung von neu herzustellenden
Repetiergewehren oder Karabinern für Ruß-
land, Japan, China und Abessinien beziehen, zu
gemeinschaftlichem Nutzen durch-
geführt und die annähernden Gewinne nach
einer bestimmten jSkala unter die Gruppen
verteilt werden." Im §3 heißt es: „Die
den beiden Gruppen angehörenden. Fabriken
werden sich gegenseitig jede mögliche Unter-
stützung gewähren, damit jede Fabrik aufs
rascheste und billigste zu fabrizieren vermag.
Zu dem Zwecke sollen auch die Zeichttun-
167
DIEFBIEDENS-\>v*M2TE
:§>
gen und Dimensionstabellen der verlangten
und zu erzeugenden Modelle gratis, die er-
forderlichen Lehrgeräte und Kaliber zum
Selbstkostenpreise, resp. insoweit sie entbehr-
lich sind, leihweise gratis gegenseitig
überlassen werden." In § 4: „Der Preis
für die zu liefernden. Waffen ist jeweils von den
beiden Gruppen einverständlich fest-
zusetzen u»nd zu offerieren." In § 6: „Be-
hufs Verwirklichung der im § 1 ausgesproche-
nen Grundabsichten vorliegender Vereinbarun-
gen wird eine gemeinschaftliche
Kasse gebildet, in welche jede Fabrik, welche
unter die vorliegende Abmachung fallende
Gewehre bzw. Karabiner fabriziert, anliefert
und fakturiert, eine Abgabe im Betrage von
15 Francs pro Waffe einzuzahlen hat".
Was will es besagen, daß man diese
internationale Kapitalversippung im Waffen-
geschäft mit dem Einwand als harmlos hin-
stellen will, es handle sich dabei um Mutter-
und Tochtergesellschaften? Wird damit nicht
selbst das [zugegeben, worum sich die Dis-
kussion eigentlich dreht?
Es hat offenbar nicht an den deutschen,
österreichischen und belgischen Firmen ge-
legen, daß sich das Abkommen auf sie be-
schränken mußte. Wenigstens hat die von
Jaures herausgegebene „H uraanite" dar-
auf hingewiesen, daß vor Jahren ein viel um-
fassenderes Kartell geplant war, in das auch
die englischen und französischen Rüstungs-
fabriken einbezogen werden sollten; die Be-
sprechungen führten indessen, namentlich
wegen der Reibereien zwischen Krupp und
Schneider in Creusot über die serbischen und
bulgarischen Rüstungslieferungen nicht zum
Abschluß.
Das ist eigentlich zu bedauern. Denn der
internationale W a ^ entrust würde sich doch
so schön an den Internationalen Pul-
vertrust anschließen, der schon längst be-
steht. Das Genie des kürzlich verstorbenen
Geheimen Kommerzienrats Heidemann-
Köln hat den Pulvertrust zustande gebracht
und die Sprengmittelwerke der ganzen Welt
in geschäftliche (Beziehungen zueinander ge-
setzt. Ein schwieriges, aber auch ein gewinn-
reiches Unternehmen, das seinen Machern
jahraus, jahrein Riesenprofite abwirft. Die
Aktien der besten Sprengmittelwerke werden
überhaupt gar nicht an den Börsen gehan-
delt, es gilt vielmehr in der kapitalistischen
Welt als ein besonderer Glücksfall, wenn
einmal jemand für nicht allzu viel Geld in
den Besitz einer - „freigewordenen" Aktie
gelangt.
Das (Schlimmste von allem, was bisher
enthüllt worden ist, ist zweifellos ein schon
vor mehreren Jahren veröffentlichter, damals
aber leider ziemlich unbeachtet gebliebener
Brief der Deutschen Waffen- und
Munitionsfabriken Aktiengesell-
schaft; Berlin-Karlsruhe, gerichtet an eine
Adresse in Paris. Er lautet:
„Wir drahteten Ihnen soeben: ,Bitten
unseren heutigen Brief in Paris abwarten'.
Grund dieser Depesche war, daß wir die
Aufnahme eines Artikels in einer der ge-
lesensten französischen Zeitungen, möglichst
im Figaro, durchsetzen möchten, welcher
folgenden Inhalt haben soll:
„Die französische Heeresverwaltung hat
sich entschlossen, die Neubewaffnung der
Armee mit Maschinengewehren erheblich zu
beschleunigen und die doppelte Anzahl als
zuerst beabsichtigt, zu bestellen."
Wir bitten Sie alles aufzubieten, um die
Aufnahme eines derartigen Artikels zu er-
reichen. Hochachtungsvoll
Deutsche Munitions- und Waffenfabriken*"
Unterzeichnet haben dieses Schreiben die
beiden Generaldirektoren der Deutschen Waf-
fen- und Munitionsfabriken, Königlich preußi-
scher Geheimer Baurat Paul von Gon-
tard und M. Kosegarten. In den Akten
der Firma ist es in der Geheimregistratur
unter Nr. 8236, 1907 verzeichnet. Die Firma
hat behauptet, und der preußische Kriegs-
minister hat im Reichstag diese Entschuldi-
gung weitergegeben, sie habe den Artikel in
eine französische Zeitung zu lancieren ver-
sucht, nur |um Anhaltspunkte für zu jener
Zeit geplante französische Maßnahmen
zu gewinnen ; der Gedanke, auf die deutsche
Heeresverwaltung Einfluß zu gewinnen, habe ihr
ferngelegen. Wie wenig Glauben diesen Behaup-
tungen beigemessen wird, belege ich wiederum
durch einige Sätze aus einer Rede des Reichs-
tagsabgeordneten Erz berger in der Sitzung
vom 23. April 1913. Da sagte er: „Dieser
Brief stammt aus dem Jahre 1907. Im Jahre
1907 war man in den militärischen Kreisen
der ganzen Welt noch lange nicht so von
der Vorzüglichkeit des Maschinengewehrs
durchdrungen wie heute, wo man es als un-
entbehrliche Waffe hinstellt. 1907 hat ' man
in vielen Kreisen auch des deutschen Heeres
die Maschinengewehre noch als Waffen nur
gegen Herero und Hottentotten gekennzeich-
net; ganz klein, minimal war die Anschaffung
von Maschinengewehren auf diesem Gebiete.
Frankreich fing dann an, mehr Maschinen-
gewehre auch in den Dienst seines europäischen
Heeres zu stellen. Wenn ich mir diese
Situation vor Augen halte, dann
gewinnt der Brief der Deutschen
Waffen- und Munitionsfabriken
ein ganz anderes Gesicht, als wenn
wir ihn aus diesem Zusammenhange heraus-
reißen. Wie oft hat man uns hier im Reichs-
tage gesagt, wenn wir 40 Millionen Mark für
Maschinengewehre in den Jahren 1908, 1909
und 1910 — also gleich nach diesem
Briefl — ausgegeben haben: wir brauchen
diese Maschinengewehre, wir brauchen diese
Neubeschaffung — wir haben sie auch be-
willigt — , weil Frankreich uns soundso
viel auf dem Gebiete der Maschinengewehr-
beschaffung voran ist. Dann gewinnt der Brief
168
<g=
DIE FRIEDEN5-^^\RTE
der Deutschen Munitions- und Waffenfabrik
ein ganz anderes Interesse und es ist ein
ganz anderes Material, als man bisher an-
nehmen konnte.'' (Um der Gerechtigkeit willen
sei darauf hingewiesen, daß kurz vor der
Drucklegung dieser Zeilen ein Artikel in der
„Frankfurter Zeitung" erschien, worin die Re-
daktion mitteilte, die D. W.- u. M.-Fabriken
hätten ihr durch Vorlage von Aktenmaterial
wahrscheinlich gemacht, daß der 1907 in den
„Figaro" zu lancierende Artikel in der Tat
nicht auf die deutsche Militärverwaltung
wirken sollte; aber selbst die sehr gutmütige
Redaktion der „Frkf. Ztg." meint, dadurch
werde nur wenig entschuldigt, und ich füge
hinzu, daß mir das Veröffentlichte zur
Stützung der Behauptung nicht auszureichen
scheint.)
Wenn übrigens etwas geeignet wäre, diesen
Gipfel gefährlicher und anstößiger Geschäfte-
macherei zu übergipfeln, so die Nachricht,
daß der eine Unterzeichner des Schreibens,
Herr von Gohtard, zu einer Zeit, als der
Brief schon öffentlich bekannt geworden war,
zum Mitglied des preußischen
Herrenhauses berufen worden ist.
Man hat nichts davon vernommen, daß die
edlen und erlauchten Mitglieder der preußi-
schen Herrenkammer an der Handlung ihres
Kollegen Anstoß genommen hätten. So
tief sitzt der Byzantinismus diesen edlen
Herren in den Knochen, daß sie, die sonst
vor der schärfsten Opposition gegen Re-
gierungsmaßnahmen nicht zurückscheuen,
wenn es ihr Vorteil erheischt, offenbar schon
beim bloßen Gedanken einer mehr gesell-
schaftlichen Fronde gegen den König, der
Herrn von Gontard berief, in die Knie ge-
knickt sind. Uns fehlt, offen gestanden, das
Verständnis für diese Feinheiten aristo-
kratischer Ehrenauffassung.
Seit Jahren lastet der furchtbare Druck
beständiger Kriegsgefahr auf den Völkern
Europas. Die Hunderttausende und Millio-
nen, die im schwersten Lebenskampf, oft
vergeblich, um ein bißchen Daseinsfreude,
um einen Strahl der Glückssonne ringen,
brechen unter den Lasten beinahe zusammen,
die auf ihren Schultern liegen. Mit der Kul-
turentwicklung geht es bei uns nicht mehr
vorwärts. Körperlich zerfällt das Volk in
den Elendsquartieren unserer Großstädte
und Industriesiedelungen so unvermeidlich, wie
es dort sittlich und geistig zurrüttet werden
muß. Es ist ein herzzerbrechender Anblick,
soviel köstliches Menschenmaterial tag-
täglich zugrunde gerichtet zu sehen. Wenn
das ein unabänderliches Schicksal wäre,
schwer zu tragen wäre es auch dann. Aber
da man die schmutzigen Finger sieht, die
hinter den Kulissen Weltgeschichte agieren,
da statt eines unabänderlichen Schicksals ein
dreister Schwindel die Drähte zieht, so packt
uns ein herzhafter Zorn, und aus tiefer Ent-
rüstung über das Treiben gewissenloser
Menschen löst sich der feste Wüle, an der
notwendigen Aenderung solcher Zustände
nach Kräften mitzuwirken.
Die angebliche und
die wahre Höhe
der deutschen Rüstungslasten.
Von cand. phil. Adolf Grote.
Von allen Preßorganen sämtlicher die
neue Wehrvorlage billigenden deutschen
Parteirichtungen wird jetzt natürlich mit be-
sonderem Eifer jene Behauptung wieder-
holt, mit welcher zumal die Alldeutschen
immer ihre Rüstungsmehrforderungen zu be-
gründen gesucht haben: die Behauptung
nämlich, die deutsche Volkswirtschaft könne
die neue Mehrbelastung an Militärsteuern
doch ganz gut ertragen, weil die Rüstungs-
ausgaben Deutschlands, auf den Kopf der
Bevölkerung berechnet, kleiner seien als
die entsprechend berechneten anderer Groß-
mächte, wie z. B. Frankreichs und Englands.
Daher ist die Erinnerung an den Beweis
sehr angebracht, den Dr. Johann Plenge
(Prof. a. d. Univ. Leipzig) seinerzeit („Die
Finanzen der Großmächte", Zeitschr. f. d.
ges. Staatswissenschaften 64 [1908] : 713—75)
dafür geliefert hat, daß diese Angabe eine
offizielle Verfälschung des wahren Sach-
verhalts ist, uml durch Verschleierung der
tatsächlichen Höhe der deutschen Rüstungs-
ausgaben die Durchsetzung immer neuer
Militärausgaben möglich zu machen.
Denn natürlich ist die Kopfziffer der
deutschen Rüstungsausgaben — von „kleinen"
Fehlern der offiziellen Budget vergleichung,
die z. B. nie darauf aufmerksam macht, daß
im deutschen Heeresetat die Ausgabe für
die Kolonialtruppen fehlt, während im fran-
zösischen der Posten für die doch Friedens-
zwecken dienende Gendarmerie erscheint,
sehen wir einmal ab — als solche kleiner
als die entsprechende Ziffer für England und
Frankreich, allein eine ganz triviale Erwägung
zeigt doch sogleich, daß daraus keineswegs
die geringere Rüstungsbelastung Deutsch-
lands im Vergleich zu den beiden anderen
Ländern zu folgern ist. Denn wenn Staaten,
so führt Plenge in Sperrdruck aus, „mit
stark verschiedener Bevölkerung
in internationaler Großmachts-
konkurrenz stehen, muß selbst bei
überlegener Rüstung des an Be-
völkerung reichsten Staates die
Kopfziffer der Rüstungsausgaben
notwendig geringer sein, als bei
dem' an Zahl geringeren Nach-
barn": so, und nicht anders, liegt das Ver-
hältnis zwischen Deutschland .mit seinen
64 Millionen einerseits und Frankreich
(39 Mill.) und England (45 Mill.) anderer-
169
DIE FßlEDENS-WABTE
§>
seits. Die geringere Höhe der militärischen
Belastungsziffer ist sogar im Gegenteil ein
Beweis für die größere Schwere, mit der
die Rüstungsausgaben auf Deutschland ruhen :
weil nämlich Deutschland seiner höheren
Geburtenziffer (30 Geb. jährl. auf 1000 Einw.)
entsprechend relativ viel mehr Kinder zu er-
nähren und zu erziehen hat als Frankreich
(19 Geb.) und England (25 Geb.). Alle Er-
ziehungskosten aber sind volkswirtschaftlich
zunächst unproduktiv und müssen daher jede
steuerliche Belastung, ihrerHöhe entsprechend,
doppelt empfinden lassen. Noch drückender
aber wird diese Belastung für Deutschland
durch den Umstand, daß in ihm, dem erst
in den letzten Jahrzehnten reich gewordenen
Lande, das Volksvermögen ganz anders
verteilt ist als in Frankreich und in Eng-
land: in diesen beiden Ländern konnte bei
ihrem Jahrhunderte alten Handel die Zahl
der mittleren Vermögen viel größer werden,
d. h. das Nationalvermögen konnte sich viel
günstiger verteilen als bei uns, wo sich der
größte Teil des in dem plötzlichen wirtschaft-
lichen Aufschwung nach 1870 gewonnenen
Reichtums zu einer verhältnismäßig kleinen
Zahl großer und sehr großer Vermögen zu-
sammengeballt hat. Und was außer diesen
beiden erschwerenden Umständen des un-
günstigen Altersaufbaus und der ungünstigen
Vermögensverteilung die Militärlast für die
deutsche Volkswirtschaft nun noch schlimmer
gestaltet, ist vor allem die ungerechtere Art
ihrer Verteilung, welche die Hauptlast der-
selben in der Form von indirekten, von
Verbrauchs steuern, auf die Schultern
der minderbesitzenden Klassen wälzt: kamen
doch, ' wie Plenge (S. 724) berechnet, im'
Jahr 1906: auf jede Mark direkter Steuern
indirekte Steuern
in England . •. . . 1,47 M.,
in Frankreich . . . 2,61 ,,
in Deutschland . . 2,94 „I
Zu dieser durch überwiegende Konsum-
steuern bewirkten Erschwerung des Daseins-
kampfes unserer niederen und mittleren
Klassen kommt aber noch die durch
Schutzzölle auf Getreide hervorgerufene
Verteuerung des Brotes hinzu, welche
jedes Jahr 800 Millionen aus den
Taschen der arbeitenden Bevölkerung in
die der adligen Großgrundbesitzer fließen
läßt und die natürlich eine noch größere
Verteuerung der gesamten Lebenshaltung
zur Folge haben muß. Wieviel schlechter
daher die arbeitende Bevölkerung bei uns
unter einer solchen brutalen Wirtschafts-
politik gestellt ist als die in Frankreich und
England, das lehren die Untersuchungen von
Lujo Brentano („Die deutschen Getreide-
zölle", 1911), von Paul Mombert („Die Be-
lastung des Arbeiterbudgets durch die Korn-
zölle", 1904), von Wilh. Gerloff („Ver-
brauch und Verbrauchsbelastung kleiner und
mittlerer Einkommen in Deutschland", 1907),
von Karl v. Tyszka („Die Lebenshaltung der
arbeitenden Klassen i. d. bedeut. Industrie-
staaten", 1912) und anderen eindringlich
genug. Schließlich wird natürlich, wenn es
sich um einen Vergleich der Rüstungsbudgets
Englands und Deutschlands handelt, meist
verschwiegen, daß Deutschland einen zahlen-
mäßig zwar schwer ausdrückbaren, aber
nichtsdestoweniger vorhandenen riesigen
Posten für Rüstungszwecke mehr ausgibt
als 1 England : dieser Posten besteht
in der Tatsache der allgemeinen
We hrpficht. Es ist ein großer Unter-
schied, ob man, wie in England, aus mehr
oder minder zweifelhaften und volkswirtschaft-
lich wenig wertvollen Individuen ein Söldner-
heer bildet, oder ob man, wie bei uns, gerade
den wirtschaftlich tüchtigsten jungen Leuten
zwei Jahre ihrer Ausbildungszeit und später
noch soundso viel Wochen und Monate an
Uebungen fortnimmt, was, ganz abgesehen
von dem direkten Lohnausfall, eine ständige
Störung des ganzen beruflichen Lebens be-
deutet. Und zuletzt ist noch zu berück-
sichtigen, daß Frankreich und England nicht
so viele wirtschaftliche Betriebe vom Staat
entzogen sind wie uns deren Reingewinn,
wie z. B. der der Eisenbahnen, welcher
ca. 900 Mill. im Jahre beträgt, sofort wieder
für Rüstungsausgaben verloren geht, so daß
auch hier ein zahlenmäßig nicht leicht fest-
stellbarer aber darum 1 nicht minder großer
Verlust für die deutsche Volkswirtschaft
entsteht. —
Also erst unter Berücksichtigung dieser
Faktoren der Bevölkerungszahl, des Altersauf-
baus, der Vermögensverteilung, der Art der
steuerlichen Belastung und des Betriebs-
entzuges, soweit es sich um England handelt,
auch unter Berücksichtigung des Umstandes,
daß dieses Land keine allgemeine Wehrpflicht
hat: erst unter Berücksichtigung aller dieser
Faktoren wird ein Vergleich der europäischen
Militärbudgets Anspruch auf wissenschaftliche
Richtigkeit erheben können, und wie sehr sich
schon dann das Bild zuungunsten Deutsch-
lands verschiebt, haben wir gesehen.
Danach läßt sich nun leicht entscheiden,
daß, wenn Deutschland obendrein auch noch
die schnellste Steigerung seiner Rüstungsaus-
gaben, verglichen mit der im gleichen Zeit-
raum vollzogenen Rüstungssteigerung anderer
Länder zeigt, an der Tatsache nicht mehr anders
als aus völliger Unkenntnis oder in der Absicht
lügnerischer Entstellung zu rütteln ist: daß
dieLastderRüstungenaufDeutsch-
land schwerer ruht als auf allen
anderen Ländern. Und tatsächlich ist
das denn auch der Fäll : die Rüstungsausgaben
vom Jahre 1906 standen nach Plenges genauer
Berechnung zu denen von 1875 und zu denen
von 1893 in folgendem Verhältnis:
Setzt man die Rüstungsausgaben voi
- 1875 = 100, so waren sie im Jahre 1906 ge
stiegen auf:
170
@=
DIE FRIEDENS-^VARTE
Heer Flotte
215.8 555,4 in Deutschland
135.9 243,3 in Frankreich
172,5 311,4 in England
Setzt man die Rüstungsausgaben von
1893 = 100, so waren sie im Jahre 1906 ge-
stiegen auf:
Heer Flotte
132,0 329,2 in Deutschland
111,4 127,2 in Frankreich
155,9 237,6 in England.
Wer wagt angesichts dieser Ziffern noch
der Folgerung zu widersprechen, die Plenge
(Sl. 714, im Orig. gesp.) aus ihnen zieht :
„Deutschland hat seit 1893 unter den
europäischen Großmächten die stärkste Stei-
gerung der Ausgaben für Rüstungszwecke
aufzuweisen"!? Ist es da so unberechtigt,
wenn man Deutschland das klassische Land
des Militarismus nennt? Ist da die Erregung
in England und Frankreich über das an-
dauernde Weiterrüsten Deutschlands, das sich
zu der jetzigen Milliardenvorlage gesteigert hat,
so ganz unbegreiflich ? Ist es da wirklich Vater-
landsverrat und ehrlose Gesinnung, in diesem
wahnwitzigen Rekordrüsten Deutschlands kein
Heil für sein Vaterland zu sehen? —
Was der Pazifismus seit Jahrzehnten ge-
predigt hat, daß die Rüstungsausgaben der
großen Kulturländer eine unnatürliche und auf
die Dauer unerträgliche Last für ihre kul-
turelle Weiterentwicklung darstellen, das be-
stätigt Plenges scharfsinniger Hinweis darauf,
daß erst ein Vergleich der Bevölkerungs-
zunahme mit der Rüstungszunahme eines Lan-
des ein völlig zutreffendes Bild der Sachlage
ergibt und er schließt diesen Hinweis mit den
— wiederum im Original gesperrten — Worten
(S. 766):
„Es ist erschreckend, daß in den
dreigroßenKulturländern [Deutschi.,
Frankr., Engl.] die Rüstungsausgaben
erheblich schneller gewachsen
sind als die Bevölkerung und man
sieht nicht ohne Ueberraschung,
daß in Deutschland, dem Lande der
stärksten Bevölkerungszunahme,
der gesamte Rüstungsauf wand der
wachsenden Bevölkerung verhält-
nismäßig am meisten vorangeeilt
is t." Möge daher jeder Reichstagsabgeordnete,
der die neue Milliardenvorlage zu bewilligen
entschlossen ist, sich überlegen, ob er seinem
Vaterlande damit wirklich einen Dienst erweist :
ob er damit wirklich dessen kultureller Fort-
entwicklung und der Erhaltung des Welt-
friedens nützt. Die gesamte Wehrvereins- und
sonstige gleichgesinnte Presse möge sich doch
bemühen, die von Plenge beigebrachten Nach-
weise und Zahlen zu widerlegen I Es ist dies
aber eben nur unter Preisgabe der wissenschaft-
lichen Wahrheit möglich: die klare Sachlage
ist, wie wir nochmals zusammenfassen, die:
unter den drei großen Kultur-
staaten ist es- Deutschland, das im
europäischen Wettrüsten seit 1870
stets die erste Stelle eingenommen
und dadurch direkt oder indirekt
Frankreich und England gezwun-
gen hat, entsprechend mitzurüsten.
Es leidet unter seiner Rüstungs-
last, die schon an sich die absolut
größte im Vergleich mit der Eng-
lands und Frankreichs ist, doppelt
und dreifach schwer, weil es dabei
eine große Kinderzahl zu erhalten
hat, weil es untereinerungünstigen
Vermögensverteilung und unter
dem Entzug vieler Betriebe leidet,
die in den beiden anderen Ländern
Privateigentumsind, undweildiese
seine ganze Rüstungslast oben-
drein am ungerechtesten durch
überwiegend indirekte Besteue-
rung auf den minderbemittelten
Klassen ruht.
Friedens- und Kriegshysterie.
Von Prof. Robert Pilot y, Würzburg.
Gedanken über Krieg und Frieden haben
mit allen Gedanken über menschliches Tun
und Lassen das Gemeinsame, daß sie als Ur-
teile der reinen (theoretischen) oder der
praktischen Vernunft erwogen werden können.
Diese beiden Sphären des Denkens werden
aber gerade in diesem Gebiete nur selten
scharf geschieden. Aus der Vermischung aber
ergeben sich mitunter psychopathische
Erscheinungen, die sich als Friedens- und
Kriegshysterie diagnostizieren lassen.
Eine wunderliche Verirrung, der man
nicht selten begegnet, ist es, wenn der
Friedenshysteriker gegen die gesamte ge-
rüstete Staatenwelt und ihre Führer sich in
veitstanzartigen Schimpfsalven entlädt und
statt sanfter Töne oder vernünftig-logischer
Darlegungen, durch die man Seelen und
Geister gewinnen könnte, ein. förmliches
Kriegsgeschrei für den Frieden erhebt. Er
glaubt sich vom Boden der Theorie völlig ge-
löst, lebt in dem Wahne, den archimedischen
Gedankenpunkt gefunden zu haben, von dem
aus er mit beleidigenden Stinkbomben um
sich schleudert, die Empfindungen der Vater-
landsliebe und Völkerehre" auszurotten ver-
sucht und ganze Berufsgruppen, Verfassungs-
formen und Staatseinrichtungen als Satans-
werke verketzert. Man muß mit kühlem Blut
solche Nervenentladungen auf ihr Substrat
untersuchen und findet dann gewöhnlich mehr
Aufwand wohlerworbener Dialektik als Ge-
dankenreichtum, eine krasse Rednereitel-
keit und eine Kriegslust, die sich zwar the-
orethisch noch am Ziel des Friedens fest-
nagelt, dabei aber mit Armen und Beinen
wie besessen in der Luft herumschlägt, heraus-
fordert ohne Neigung, Satisfaktion zu geben.
Diese pathologische Art von Friedens-
bewegung glaubt wirklich die Friedens-
171
DIE FßlEDENS-^MkDTE
3
erhalterin zu sein, während sie tatsächlich
auf der Hetzerseite steht, indem sie ruhig
denkende Leute aufregt, kriegsgeneigte
Schichten reizt und durch das Gesetz des
Widerspruchs in ihrer kriegerischen Rich-
tung vorandrängt.
Es ist nicht nötig, Namen als Beispiele
zu nennen und ihnen dadurch zur ersehnten
Berühmtheit als Friedenshelden zu ver-
helfen; wer kein Anfänger in der Feder-
psychologie ist, der kennt den Typus ohne-
hin schon, und das genügt.
Die Selbsttäuschung, in der ein solcher
Pseudoapostel lebt, wurzelt darin, daß er den
Kriegshetzer für seinen grimmigsten Feind
hält, während er in der Tat dessen unfrei-
williger Kopist ist. Auch der Kriegshysteriker
ist ein Nervenschwächling, der mit dem Krieg-
führenden nichts gemein hat, dem aber die
Vorstellungswelt der Kriegsgreuel eine Art
unentbehrlichen Giftgenusses geworden ist.
Ihm ist die Welt ohne Krieg eine unerträg-
liche Idee, er muß ihre öde Leere mit den
verderbensprühenden Explosivstoffen seiner
subjektiven Phantasie füllen, um sich anfangs
nur quartalweise, allmählich aber ständig
im Rausch seiner tapferen Selbstbespiegelung
kl übernatürlichen Dimensionen als der Held
aller vergangenen und künftigen Kriege zu fühlen.
Sonderbari Nur im Worte unterscheiden
sich die beiden, ihr Wappenschild und ihre
Figur sind die gleichen. Das Ganze ist
nicht Tatsache, sondern Nervensache, und es
darf nicht wundernehmen, wenn man beide im
Gefechte plötzlich die Rollen tauschen sieht,
oder wenn gar ein Virtuose der Sensation
es fertigbringt, beide Rollen in seiner Per-
son zu vereinigen. Aber sie sind beide nicht
so unschuldig, wie sie exaltiert sind. Denn
wenn sie auf ihren Postamenten agieren,
dann ist es eine Kunst, zwischen ihnen hin-
durchzukommen, ohne eine Beschmutzung
angehängt zu erhalten.
Es wäre aber auch unbillig, ihnen die
Schuld an ihrem unnormalen Seelenzustand
ausschließlich zuzuschieben. Wer möchte
von sich behaupten können, daß er im Leben
nie in dem einen oder anderen dieser beiden
Exaltationszustände sich befunden hätte ?
Zeiten und Umstände reißen mitunter auch
die Festesten mit sich fort. Aber es kann
nichts schaen, rechtdzeitig und stetig
in der Abwehr der suggestiven Schwin-
gungen, welche von diesen Polen ausgehen,
sich zu üben.
Die Jubilare des 21. Mai.
i.
Der 70. Geburtstag Prof. Renaults. <
Von Prof. N, P o 1 i t i s , Paris.
Unter den großen Berühmtheiten unserer
Zeit verkörpert Prof. Renault die inter-
nationale Idee in ihrem vornehmsten und er-
habensten Sinne. Keiner hat soviel wie er
zum Fortschritt des Rechts und zur Förde-
rung der Gerechtigkeit in den Beziehungen
zwischen den Völkern beigetragen.
Seit dreißig Jahren Lehrer des Völker-
rechts, hat er Tausende von Schülern aller
Nationalitäten herangebildet. Alle Inter-
nationalisten, die meisten Diplomaten, die
Elite der Verwaltungs-, Militär- und Marine-
Beamten in Frankreich, zahlreiche Rechts-
gelehrte und Staatsmänner im Auslande, sind
stolz darauf, ihn zum 1 Lehrer gehabt zu haben.
Es gibt fast kein Land, in das seine wohl-
tätige Lehre nicht gedrungen ist. Der Beweis
dafür wurde durch das unvergeßliche Fest
erbracht, das vor sechs Jahren anläßlich
seines 25jährigen Jubiläums als Völkerrechts-
professor an der Pariser Universität statt-
fand.
Seit einem Vierteljahrhundert ist es ihm
als Rat des französischen auswärtigen Amtes
gelungen, die Diplomatie nach und nach zur
Gesetzmäßigkeit zu erziehen. Vor einigen
Jahren noch hatten die Staatskanzleien dafür
nicht viel übrig. Sie haben es auch heute
noch nicht genügend. Aber es ist schon sehr
viel, daß sie damit anfangen.
Als Delegierter der meisten internatio-
nalen Konferenzen seit Ende des XIX. Jahr-
hunderts, hat er alle Kräfte seiner Vernunft
und seines Wissens daran gesetzt, um die
Zahl der internationalen Gesetze zu ver-
mehren und ihre Qualität zu verbessern.
Er hat unzählige Male als Schiedsrichter
fungiert und dabei Urteilssprüche gefällt,
die den künftigen Rechtsgelehrten und
Schiedsrichtern gleichzeitig als Entschei-
dungen höchster Gerechtigkeit wie als Muster-
beispiele dienen können. Er setzte sich auch
für die Umgestaltung der Schiedsgerichts-
barkeit ein, die, vor kurzem noch ein ein-
faches diplomatisches Auskunftsmittel, dahin
strebt, eine wirkliche Rechtsinstitution zu
werden. Der früheren Ansicht des Schieds-
richters, der sich als der geborene Verteidiger
seines Landes ansah, setzte Prof. Renault
seine höhere Auffassung des Richters ent-
gegen, der im* Namen des Rechtes und der
Billigkeit sein Urteil fällt, ohne die Interessen
irgendeiner der Parteien zu den seinen zu
machen. Seine Unparteilichkeit machte
manchmal jene erstaunen, die in der alten
Praxis erzogen waren, aber sein gutes Bei-
spiel hat den Beifall der größten Skeptiker
gefunden, so daß er schließlich eine Be-
wegung ins Leben rief, die nach und nach
alle zivilisierten Länder ergreift.
Den einmal angeschlagenen Weg fort-
zusetzen, wurde Professor Renault nicht
nur durch seine angeborenen Talente und
seinen unermüdlichen Fleiß ermöglicht,
sondern auch weil er sich der Schwierigkeit
seiner Aufgabe genau bewußt war. Seine ge-
sammelten Erfahrungen über Menschen und
Dinge überzeugten ihn, daß mehr noch als
172
@s
DIE FRIEDEN5 -WARTE
jeder andere menschliche Fortschritt, der
Weg zum internationalen Fortschritt ein dor-
nenvoller und mühseliger sei. Man benötigt
Mut, Geduld und vor allen Dingen viel Klug-
heit, um ihn bis ans Ende zu gehen.
Daher das kluge Mißtrauen des Gelehrten
gegen absolute Doktrinen, die, weil sie sich
allzusehr von der Wirklichkeit entfernen, Ge-
fahr laufen, die Ueberzeugung zu erschüttern
und dem Geist eine falsche Richtung geben.
Daher der große Sinn für Versöhnlichkeit
des offiziellen Ratgebers und Vertragsbevoll-
mächtigten, der stets bereit ist, die ver-
schiedensten Meinungen gelten zu lassen,
sie ohne Vorurteil zu prüfen, ihnen — nö-
tigenfalls — das notwendige Verständnis ent-
gegenzubringen, um wünschenswerte Ueber-
einstimmung zu ermöglichen. Daher endlich
die Sorge des Richters, der berufen wird,
leidenschaftliche Konflikte zu lösen, die
Schärfe des Rechts durch die Empfindlich-
keit schonende Konzessionen zu mildern, um
die Beziehungen harmonischer zu gestalten.
Die Ideologen sind vielleicht versucht,
diese Klugheit für Lauheit anzusehen, die
den Fortschritt aufhält oder verlangsamt. In
Wirklichkeit ist aber diese Klugheit die
sicherste Gewähr des Fortschritts in einer
aus Nationen verschiedener Rasse, Zivili-
sation und Gebräuche gebildeten Gesell-
schaft. Die Dauer eines zu errichtenden
Baues hängt vor allem von dem Umfang und
der Solidität ihrer Fundamente ab ; die an
ihrer Legung arbeiten, verdienen daher die
Dankbarkeit der Menschheit.
Von diesem Geiste durchdrungen, ver-
urteilt Prof. Renault die gefährlichen Ueber-
treibungen einzelner Pazifisten : so die vor-
eilige Kodifikation des Völkerrechts, weil die
Sitten der Völker ohne eine eingehende De-
t eilarbeit zweckmäßig nicht textlich fest-
gelegt werden könnten; so das integrale und
obligatorische Schiedsgericht, weil diese Ein-
richtung, deren Anwendung durch die Do-
mäne des Rechts selbst geboten erscheint,
kein Zweck, sondern ein Mittel ist; so
die Abrüstung, weil, so wünschenswert diese
Maßnahme auch sei, sie nur die Folge einer
auf Recht gegründeten internationalen Or-
ganisation sein könnte; so endlich und haupt-
sächlich den Antipatriotismus, weil durch die
Konstruierung eines Widerspruches zwischen
der internationalen Idee und der des Vater-
landes, von der ersten alle jene entfernt
werden, die am Vaterlande mit ganzer Seele
hängen. Da der Internationalismus auf der
Achtung vor der Freiheit und der Würde
jedes Staates beruht, so ist derjenige un-
würdig, sich internationaler Bürger zu nennen,
der damit beginnt, seinem eigenen Lande
diese Achtung zu versagen.
Viel mehr aber als alle Worte predigt
das Beispiel Prof. Renaults selbst diese
Wahrheit: indem er Frankreich diente, hat
er am' besten allen anderen Nationen s:e-
dient, und seine Hingebung an dieses Land
war immer um so größer, als er wußte, daß
im letzten Grunde auch die anderen Völker
daran teilhaben würden.
Das ist sicher nicht das geringste seiner
Verdienste, die ihm die Verehrung der ganzen
Welt einbrachten. Seine Rüstigkeit läßt uns
hoffen, daß er noch lange Jahre seine
ausgezeichnete Tätigkeit zugunsten der
Wissenschaft und der Menschheit wird weiter
entfalten können. Dies ist — zu seinem
70. Geburtstag — der herzliche Wunsch
aller, die das Höchste darin erblicken, Be-
ziehungen der Gerechtigkeit und des Friedens
zwischen den Nationen sich entwickeln zu
sehen.
IL
Albert Gobat.
1843 - 21. Mai — 1913
Von Chr. L. Lange,
Generalsekretär der Interparlamentarischen Union
in Brüssel.
Es wird allen, die ihn kennen, unglaub-
lich scheinen, daß Albert Gobat jetzt
die „Jahre des Staubes" erreicht: es ist an
ihm so wenig Verstaubtes; er hat so gar
nicht das Gepräge des alternden Mannes.
Seine rüstige Gestalt, sein kräftig gebauter
Körper, der nichts Schwerfälliges an sich hat,
sein noch schwarzes Haar, das von der Stirn
wie eine \Flamme emporstrebt — das alles
widerspricht dem Zeugnis seines Geburts-
scheines. Es läßt uns auch hoffen, daß Gobat
zu der schon stattlichen Reihe von Friedens-
freunden gehören wird, die uns bis an die
achtziger und neunziger Jahre erhalten geblie-
ben sind, wie die abgeschiedenen Passy,
Hodgson, Pratt, Cremer und Beernaert
oder die uns noch erhaltenen Labiche und
Houzeau de Lehaie.
Albert Gobat hatte schon eine rege öffent-
liche Tätigkeit hinter sich, als er im Jahre
1891, 48 Jahre alt, sich der Friedensbewe-
gung anschloß. Als ganz junger Advokat
hatte er sich in seiner Heimat, dem berni-
schen Jura, besonders der Entwicklung des
Unterrichtswesens gewidmet. Noch nicht 40
Jahre alt, war er in den Großen Rat des
Kantons Bern gewählt worden, und übernahm
gleichzeitig auch hier die Leitung des Unter-
richtsdepartements. Schwere Kämpfe hatte er
hier zu bestehen wider eingewurzelten Konser-
vatismus und faule Trägheit. Aber der Wider-
stand steigerte nur seine rücksichtslose Energie
und er konnte, als er nach fünf undzwanzig Jah-
ren die Leitung des Unterrichtswesens nieder-
legte, stolz auf die Ergebnisse seines Wirkens
sein. Die Berner Universität hat während
dieser Jahre ihren hohen wissenschaftlichen
Ruf, namentlich auf dem medizinischen Ge-
biete, erworben, und die Primärschule hat
namhafte Fortschritte gemacht, besonders
173
DIE FßlEDENS-^VAQTE
=3
durch die große Reform von 1894, die Gobats
persönliches Werk war. Mittlerweile war er
auch in den Dienst des öffentlichen Lebens
der Schweizer Konföderation getreten: als
Nationalrat hat er im Jahre 1891- der dritten
interparlamentarischen Konferenz in Rom bei-
gewohnt.
Gobat trat in die Bewegung ein, als die
Friedensfreunde darangingen, sich internatio-
nal zu organisieren. "Es war ganz natürlich,
daß sie dann mit Begeisterung und Dank-
barkeit seine bewährte organisatorische und
administrative Begabung in Anspruch nahm,
und er hat sich auch unbegrenzt zu ihrer
Verfügung gestellt. Er war schon 1891 als
Mitglied des ständiger Komitees des Friedens-
bureauS Elie Ducommun bei Seite getreten
und blieb in dieser Stellung bis 1899. Im
Jahre 1892 hat die 4. Interparlamentarische
Konferenz, die zu Bern unter dem Präsidium
Gobats' tagte, beschlossen, der Interparla-
mentarischen Union eine festere Organi-
sation zu geben. Gobat unternahm die Auf-
gabe, diese Organisation zu schaffen und zu
leiten, und siebzehn Jahre hindurch hat er
hier als Ehrensekretär außerordentliches ge-
leistet, an Arbeit, an Initiative, an Kampf.
Das Nobelkomitee hat ihm 1902, als einem
der vier ersten, den Friedenspreis zuerkannt.
Wir können hier nicht im einzelnen der
Wirksamkeit Gobats im interparlamenta-
rischen Amt, in den jährlichen Konferenzen,
als Leiter der Monatsschrift „La Conference
interparlementaire" nachgehen. Das hieße die
Geschichte der Union selbst während dieser
Jahre schreiben.
Beim Tode Elie Ducommuns, 1906, über-
nahm Gobat auch die Leitung des Friedens-
bureaus, und als 1912 das Bureau sich mit
Hilfe der Carnegie-Stiftung reorganisierte,
trat er als Direktor des Instituts an dessen
Spitze und widmet ihm jetzt seine ganze
Arbeitskraft. Von hier aus führt er seinen
freudigen Kampf weiter für die Ideen, die
ihm! Herzenssache sind.
Gobat ist eben sein ganzes Leben ein
Kämpfer gewesen. Der Kampf ist sein
Element; der Widerstand ist ihm eine Not-
wendigkeit und ein Bedürfnis; man könnte
versucht sein zu sagen, daß, wenn der Wider-
stand nicht da wäre, so würde er ihn
schaffen, um desto frischer kämpfen zu
können, mit der rücksichtslosen und rück-
sichtsfreien Energie, die seiner ganzen Per-
sönlichkeit ihr ganzes Gepräge verleiht. Er
leistet glücklicherweise ein kräftiges De-
menti der albernen Lehre, daß pazifistische
Anschauung die Freude des Kämpfens aus-
schließt.
Alle Friedensfreunde werden Albert Gobat
zum siebzigsten Jahre ihren Dank und ihre
Grüße darbieten, in dem Wunsche, daß er
noch lange Jahre seine Tätigkeit fortsetzen
möge.
CSS?
III,
Dr. Heinrich Lammasch.
Zu seinem 60. Geburtstage.
Von E. Frhr. v. Plener.
Der Name Heinrich Lammasch's ist heute
in der ganzen internationalen Welt anerkannt
und hochgeachtet. Er hat als Schiedsrichter
im 1 Haag in schwierigen und wichtigen Fällen
die Entscheidung zur Zufriedenheit beider
Streitteile gefällt und damit die Autorität
des neuen Schiedsgerichtshofs vor der ganzen
Welt gehoben. Namentlich in dem letzten
unter seinem Vorsitz abgehaltenen Schieds-
verfahren über die seit fast zwei Jahrhun-
derten zwischen England und den. Ver-
einigten Staaten schwebende Kontro-
verse der Neufundlandfischerei hat er
einen Scharfsinn und eine so gründliche
Beherrschung des höchst verwickelten
und umfangreichen Materials entwickelt, die
ihm 1 unter den internationalen Juristen einen
ersten Rang zuweisen. Er ist seiner Anlage
und seiner Denkweise nach der richtige
Schiedsrichter. Nach einer von vielen ge-
teilten Auffassung ist der Schiedsrichter na-
mentlich in internationalen Dingen kein
Richter im 1 eigentlichen Sinne des Wortes.
Das Schiedsgericht wird zusammengesetzt
durch die freie Wahl der Streitteile, welche
mit Recht auch 1 nationale Schiedsrichter im
Kollegium! haben wollen, und der Schieds-
spruch ist kein Urteil im formalistischen
Sinne des Zivilprozesses, es muß mit einer
gewissen aequitas gefällt werden, es han-
delt sich nicht bloß um die formelle Unter-
werfung des Falles unter einen Rechtssatz,
das Schiedsverfahren soll eine ausgleichende
Gerechtigkeit schaffen. Das ist's, was die
anrufenden Teile wollen, und das ist es,
was nach unseren heutigen Auffassungen den
souveränen Staaten die Anrufung von
Schiedsgerichten ermöglicht, während die
Unterwerfung des 1 souveränen Staats unter
einen berufsrichterlich zusammengesetzten Ge-
richtshof noch lange große Schwierigkeiten
bieten wird. Und jene ausgleichende Funktion
des Schiedsrichters verstand Lammasch in der
richtigen Weise auszuüben, hier kann das
oft mißbrauchte Wort vom ,, guten Richter"
angewendet werden, eine billige Entschei-
dung, die einen versöhnenden Abschluß
bringt, und in wichtigen Fällen, wenn auch
formell nicht zugestanden, tatsächlich einen
politischen Charakter an sich trägt.
Aber nicht bloß als Vorsitzender des
Schiedsgerichtshofes hat sich Lammasch um
die Sache der schiedsgerichtlichen Aus-
tragung internationaler Streitfragen große
Verdienste erworben, als einer der Delegierten
unserer Monarchie auf beiden Haager Kon-
ferenzen hat er dem 1 Gedanken obligatorischer
Schiedsgerichte für bestimmte Fälle seine
besten Argumente geliefert, wenn ihm auch
174
<§=
DIE FRI EDENS -^ÄßTE
durch die Instruktionen seiner Regierung die
Hände etwas gebunden waren.
Als Mitglied des Institut de droit inter-
national entwickelte Lammasch eine eifrige
Tätigkeit, und noch in dessen letzter Jahres-
versammlung ist er der amerikanischen Ten-
denz nach Einsetzung eines ständigen kleinen
internationalen Tribunals für geringere ju-
ridische Fälle entgegengekommen, hat aber
dabei nachdrücklich die Tätigkeit des großen
.Schiedsgerichtshofs für politische und wich-
tigere Fälle gewahrt.
In der allerjüngsten Zeit hat er die
völkerrechtliche Literatur durch ein in den Ver-
öffentlichungen des Nobel-Instituts erschie-
nenes größeres Werk über ,,D ie Rechts-
kraft internationaler Schieds-
sprüche"*) bereichert. Er gibt darin an
der Hand der bisherigen Schiedsgerichts-
praxis eine ausgezeichnete Darstellung über
die Art der Fälle, welche sich für schieds-
richterliche Austragung eignen, macht mit
der ihm eigenen weisen Vorsicht Vorbehalte
gegen die Zulässigkeit von Klagen von
Privatpersonen gegen einen Staat, weil er
überhaupt von dem internationalen Hof nur
die Streitigkeiten zwischen Staat und Staat
als derzeit möglich entscheiden lassen will.
Eingehend behandelt er das Verhältnis inter-
nationaler Schiedssprüche zu den Erkennt-
nissen der nationalen Gerichte und kommt
zu dem Schluß, daß der Spruch eines „iso-
lierten" (d. i. eines nur ad hoc eingesetzten)
Schiedsgerichts, im 1 Falle als er gegen das
Erkenntnis des nationalen Gerichts ausfällt,
den unterliegenden Staat zur Schadloshal-
tung verpflichte, daß derselbe ferner keine
für die Zukunft bindende präjudizielle Kraft
für die nationalen Gerichte habe, wohl aber
könne sich für die betreffende Regierung die
Pflicht ergeben, eine Gesetzesänderung im
Sinne des Schiedsspruchs durchzuführen.
Hat ein „institutionelles" (d. i. ein auf Grund
eines allgemeinen Schiedsgerichtsvertrages
berufenes) Schiedsgericht für eine Vertrags-
norm' eine bestimmte Auslegung festgestellt,
so ist der Schiedsspruch für beide Teüe
gültig. Für die Durchführung internationaler
Schiedssprüche will Lammasch keine gewalt-
samen Exekutionsmittel, er vertraut auf die
fortschreitende Zivilisation und den guten
Glauben der Kulturstaaten, um die Voll-
streckung in loyaler Weise zu sichern.
Wir Oesterreicher verehren in Lammasch
den ausgezeichneten Rechtslehrer, der eine
Zierde unserer ersten Universität ist. An der
Verfassung des neuen Strafgesetzentwurfs
hat er hervorragenden, maßgebenden Anteil
genommen, und sein darüber im Namen der
juridischen Kommission des Herrenhauses
erstatteter Bericht ist ein Meisterwerk klarer
Darstellung, die von dem Geist echter Hu-
manität getragen wird. Wir alle wünschen
dem 1 hochverehrten Manne noch eine lange
Kristia nia 19 13.
Reihe von Jahren der Kraft und Leistungs-
fähigkeit, die er sicher mit bedeutendster
Tätigkeit ausfüllen wird, zur Ehre seines
Namens und zur dankbaren Anerkennung
seines Vaterlandes.
„Deutschland in Waffen."
Von C. L. Siemering, Königsberg i. Pr.
Ein junger Mann hat ein Buch veröffent-
licht, zu dem er zwei Artikel beisteuerte; der
Rest stammt von Schlachtenmalern bzw. akti-
ven Offizieren zu Lande und zur See. Das
Buch ist „Seiner Majestät dem Kaiser und
König ehrfurchtsvoll gewidmet" — demselben
Kaiser, der den Ausspruch getan hat: „Ich
wünschte, der europäische Friede läge in
meiner Hand; ich wollte schon dafür sorgen,
daß er nicht gestört würde."
In seinem „Wo rt zum Geleit" schreibt
der junge Mann : „ ... Nur so, auf das gute
Schwert gestützt, können wir den Platz an
der Sonne erhalten, der uns zusteht, aber
nicht freiwillig eingeräumt wird". Der Kaiser
dagegen sagte im Jahre 1895, als er etwa im
Alter des jungen Mannes stand, bei Eröffnung
des Nordostseekanals, „ . . . Die gepanzerte
Macht, die versammelt ist im Kieler Hafen,
soll zu gleicher Zeit ein Sinnbild des Friedens
sein, des Zusammenwirkens aller euro-
päischen Kulturvölker zur Hochhaltung der
europäischen Kulturmission." Außer-
dem: der junge Mann verwechselt wieder ein-
mal „Krieg" und „Sieg"; er vergißt, daß
für den Besiegten oder im Rüstungswettkampf
Unterliegenden die erträumten Vorteile sich
ins bittere Gegenteil verkehren müssen.
Weiter lesen wir: „Diesen kriegerischen,
treuen und stolzen Sinn müssen wir pflegen
und unseren Nachkommen als heiliges Erbe
überliefern." Dagegen hören wir in der
Bremer Rede des Kaisers vom 22. März
1905 folgendes.
„Das Weltreich, das ich mir geträumt
habe, soll darin bestehen, daß vor allem
das neuerschaffene Deutsche Reich von
allen Seiten das absoluteste Vertrauen als
eines ruhigen, ehrlichen, friedlichen Nach-
barn genießen soll, und daß, wenn man
dereinst von einem deutschen Weltreich . . .
reden sollte, es nicht auf Eroberun-
gen begründet sein solle durch das Schwert,
sondern durch gegenseitiges Vertrauen der
nach gleichen Zielen strebenden
Nationen."
Das „internationale Weltbürgertum*),
*) Es sei hier auch an jene Worte erinnert,
die der Kaiser am 21. Juni 1904 in Cuxhaven
sprach: „Jedem objektiven Beobachter der Vor-
gänge auf unserem Erdenkreise muß sich die
eine Beobachtung aufdrängen, daß allmählich die
Solidarität unter den Völkern der Kulturländer
unstreitig Fortschritte macht auf verschiedenen
Gebieten. Und diese Gebiete erweitern sich.
175
DIE FRIEDENS -WARTE
: 3
meint der junge Mann, sei „un deutsch".
Nun, es gab eine Zeit, da der deutsche
Gedanke als unpreußisch galt, so daß seine
Vertreter — wie Jahn und Reuter — in
Festungskasematten schmachten mußten. Und
was das „Friedenswiegenlied der
Utopisten" anlangt, so galt auch einmal
die Abschaffung der Inquisition, der Leib-
eigenschaft, Tortur, Hexenverbrennung, des
Harakiri oder der indischen Witwenverbren-
nung als utopisch und gotteslästerlich. —
Gleichwie heute Sachsen und Bayern nicht
in „trägen Schlaf" versunken sind, seit
sie Mitglieder des Deutschen Reiches wurden;
wie dieses reichlich wach geblieben ist, ob-
wohl es dem Dreibund beitrat und zeit-
weise — beim Boxeraufstand in China oder
in den Balkanwirren — mit allen Kultur-
staaten gemeinsam operiert, so besteht in
Wahrheit auch nicht der leiseste Grund zu
der Befürchtung, daß es irgendwie sich selbst
verlieren würde, wenn es, im wohlverstandenein
eigensten Interesse, sich dauernd einem
Staatenbunde von fünf oder sechs Großmäch-
ten angliedern wollte — ein Weg, der durch
die beiden Haager Konferenzen bereits in sehr
ausgedehnter Weise beschritten worden ist.
„Dem hitzigen Gelderwerb", meint der
junge Mann, „wird in diesen schlimmen Frie-
denszeiten „alles geopfert"." Er scheint nichts
von der seit Jahren bestehenden Teuerung
zu wissen, die mehrfache — allerdings recht
anzulängliche — Besoldungserhöhungen nötig
machte; er kennt wohl auch kaum die von
Novicow vor etwa zehn Jahren mitgeteilte
Statistik, wonach 40% des deutschen Vol-
kes ein Durchschnittseinkommen von 276 Mark
jährlich haben, und daß unter den fortge-
schrittensten Gesellschaftsgruppen Westeuro-
pas von 1000 Personen 900 im Elend, 90
in halbwegs geordneten Verhält-
nissen und nur 10 im Reichtum le-
ben. Wie kommt man also zu der Behaup-
tung, daß der Luxus die Nationen verdorben
hat, wenn die im Luxus lebenden Personen
stets nur eine völlig unerhebliche Minderheit
bildeten? Eine wahrhaft teuflische Ironie
liegt in der Ansicht, daß die in Not und
Elend Lebenden von Zeit zu Zeit sich massa-
krieren müssen, um durch den Luxus, den
sie niemals besessen haben, nicht verweich-
licht zu werden.
Den Schlüssel zu all* diesen Tiraden und
Fanfaren bietet uns der zweite Beitrag:
„Regiment der Gardes du Corps, Standarten-
Diese Solidarität geht unmerklich, aber un-
widerstehlich in das Programm der Staats-
lenker über, wie in die Gedanken der sich
selbst regierenden freien Bürger. Diese Soli-
darität wird genährt in verschiedener Weise,
sei es in ernster politischer Beratung, sei es
auf Kongressen, sei es in Wettkampf und
Spiel Dieser Solidarität verdankt
es der Kaufmann, der Industrielle, der Ackerer,
wenn er in ruhiger Arbeit sich fortschreitend
entwickeln kann." Red. d. Fr.-W.
176
eskadron". Dort heißt es am Schlüsse, nach
Schilderung einer Reiterattacke im Manöver:
„Und doch noch eines erscheint dem echten
Reitersmann schöner: wenn alles dies dasselbe
ist, aber am Ende des schnellen Laufes uns
der Feind entgegenreitet, und der Kampf,
für den wir geübt und erzogen sind,
einsetzt; der Kampf auf Leben und Tod."
Abgesehen davon, daß hier die alte An-
schauungsweise von dem jeweiligen Nachbar-
volke, mit dem wir die Handelsgüter aus-
tauschen, als einem „Feinde" nachwirkt —
wofür man in den Reden unseres Kaisers
kaum ein Analogon finden dürfte — : hier zeigt
sich der Militarismus als Selbstzweck in
seiner unverblümten Schöne. Wir sind „da-
für geübt und erzogen", also hegen
wir natürlicherweise den Wunsch, das Vater-
land nicht etwa nur im Falle eines Angriffs
zu verteidigen, sondern, daß dieser Ernstfall,
der uns Lebensbetätigung bedeutet, recht
bald eintreten und, falls er zu lange auszu-
bleiben droht, künstlich herbeigeführt werden
möge, damit der „Reitergeist" endlich Befrie-
digung und Daseinszweck erhalte . . .
Auch aus den Artikeln der hohen Mili-
tärs und aus den Bilde r - Reproduktionen
des äußerlich prächtigen Buches tönt es von
Säbelgerassel, Torpedoexplosion, Fahnenrau-
schen, Maschinengewehrfeuer und „Treue bis
in den Tod". Der Pariser „E x c e 1 s i o r"
aber schreibt sorgenvoll: „Noch hat er (der
Autor) nichts von der Friedensliebe gezeigt,
der sein Vater so aufrichtig ergeben ist."
Denn es handelt sich um jenen jungen Mann,
der nach menschlicher Voraussicht einmal
Deutscher Kaiser sein wird. Und dieser
Umstand wird in der Tat auch jeden Deut-
schen nachdenklich stimmen.
Brief aus denVereinigtenStaaten.
Von Henry S. H a s k e 1 1 , New York.
Am 10. April fand in New York City die
7. jährliche Versammlung der „Intercollegiate
Civic League" statt. Zweihundert Vertreter
verschiedener Universitäten des Landes waren
anwesend. Bei Begrüßung der Versammlung
sagte Prof. Nicholas Murray Butler,
Präsident der Columbia-Universität, unter anderem:
„Ich betrachte die jetzige leichtsinnige
Auffassung führender Männer in bezug auf
Vertragsverpflichtungen als eine sehr wichtige
und beunruhigende Frage.
Wir rnüssen uns selbst zu einem Volke
erziehen, das seine äußeren Verpflichtungen
in ganz derselben Weise erfüllt, wie ein Mann
von Charakter seine persönlichen Verbindlich-
keiten seinen Mitmenschen gegenüber. Wir
müssen mit jeder Schönfärberei unserer ge-
brochenen internationalen Versprechen auf-
hören. Sophistische Argumente, wirtschaft-
licher Profit oder politischer Gewinn dürfen
niemals einem Land mehr erlauben als
e
DIE FRIEDEN5-^VARXE
einem ehrlich denkenden Menschen in Er-
füllung seiner Versprechen gegen andere ge-
statten würden.
Ein anderes großes internationales Problem
ist die Frage, wie wir die ungeheuerlichen
Ausgaben aller Nationen für Kriegszwecke
hemmen können. Tatsächlich gibt jedes Land
in Europa mehr dafür aus, als es selbst tragen
kann. Welcher Wahnsinn darin liegt, wurde
am besten vom Lord der Admiralität in Eng-
land, W ins ton Churchill, der mehr als
jeder andere unserer Zeit von Kriegsausgaben
weiß, in einer Parlamentsrede bewiesen. Er
sagte, daß Großbritannien durch seine Flot-
tenausgaben die lächerliche Stellung eines
Geschäftsinstitutes einnehme, das jährlich
Hunderte von Millionen für eine gewisse Art
von Gütern ausgibt und andere Millionen für
die Erfindung solcher Güter, die eben jene
zerstört oder nutzlos macht. Er fragt uns, wie
lange diese Politik von einem vernünftigen
Mann verteidigt werden kann; und die Ant-
Avort darauf ist, daß sie nicht für einen ein-
.zigen Augenblick einen Verteidiger finden könne."
Bei einem am 11. April abgehaltenen
Diner der „Navy League", das in der Ab-
sicht stattfand, zur Anschaffung einer größe-
ren Flotte zu ermutigen, gab der anwesende
Staatssekretär Bryan im eigenen Namen fol-
gende Erklärung ab : „Währ end Sie eine
Erhöhung der Kriegsschiffe wol-
len, werde ich die kommenden vier
Jahre nur dafür arbeiten, daß
Kriegsschiffe nicht notwendig werden."
MB
Amerikanische Zeitungen haben sich mit
den von Dr. Liebknecht erhobenen An-
schuldigungen gegen die europäischen Waf fen-
und Munitionsfabriken in hervorragender
Weise beschäftigt. Die „New York Evening
Post" vom 24. April veröffentlicht ein Inter-
view mit dem Sekretär der New Yorker Frie-
densgesellschaft, Prof. Samuel T. Dutton,
der der Meinung Ausdruck gab, daß eine
Nachforschung bei uns zeigen würde, wie
sehr alle Einflüsse, die für die Entwicklung
einer großen Armee und einer mächtigen
Flotte wirken, größtenteils künstlich sind, und
daß letzten Endes die Munitionsfabriken für
die häufigen Kriegsalarme zwischen diesem Land
imd andern Ländern verantwortlich zu machen sind.
NR
Während der letzten Woche herrschte im
westlichen Teil unseres Landes und in Japan
große Aufregung wegen des beabsichtigten
Fremdengesetzes der gesetzgebenden Körper-
schaft von Kalifornien. Das Gesetz schlägt
vor, einem Fremden das Recht auf Grund-
besitz für länger als ein Jahr zu verweigern,
sofern er nicht die Absicht bekundet hat, ein
Bürger der Vereinigten Staaten zu werden.
Weil die Frage der Erlangung des Bürger-
rechts durch Japaner in den Vereinigten
Staaten durch den Obersten Gerichtshof noch
nicht erledigt wurde, hält das amerikanische
Volk im allgemeinen die Japaner für nicht
wahlfähig. Es wird in Kalifornien zugegeben,
daß das Anti-Fremdengesetz gegen die Japaner
gerichtet ist. In Anbetracht dessen, daß die
Vereinigten Staaten einen Vertrag mit Japan
geschlossen haben, der diesem Land verschie-
dene Privilegien bewilligt, die durch dieses
Fremdengesetz gegenstandlos werden, hat die
Situation zwei empfindliche Punkte gezeitigt.
Erstens, die Frage des Rechtes der Staaten
und zweitens die Vertragsbeziehungen zwischen
Japan und den Vereinigten Staaten. Die
Staatenrechtsfrage ist durch das Gesetz ge-
klärt. Die Konstitution der Vereinigten Staaten
verfügt, daß internationale Verträge als ober-
stes Gesetz des Landes zu gelten haben, und
daher jedem Staatengesetz vorgehen. In ver-
schiedenen Entscheidungen hat der oberste
Gerichtshof der Vereinigten Staaten dieses
Prinzip aufgestellt. Wenn Kalifornien ein Ge-
setz annimmt, welches im Gegensatz zu irgend-
einem Vertrag zwischen den Vereinigten
Staaten und einer anderen Nation steht, muß
dieses Gesetz vom Obersten Gerichtshof für
null und nichtig erkannt werden. Trotzdem
herrscht große Erregung über diese Frage
und unglücklicherweise auch ein schlechtes
Verhältnis zwischen einer gewissen kleinen
Anzahl von Bewohnern der Pacific