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Full text of "Die Gegenwart. Wochenschrift Für Literatur, Kunst Und Öffentliches Leben 11.1877 Indiana"

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Über dieses Buch 

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(Elfter «an*. 


5«rHtu j. 

Verlag aon Georg 5tilke. 

32 Souifetts Strafte. 


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$rud üon ®. ©. leugnet in Seidig. 


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elfter 

1. rioutir^ aufr*t». 

attflemeine*. S(ite 


©öllerrec&tlicpe ©riefe, ©on ©luntfepli. in.17 

Die cpriftlicpen Girier unb bie mopammebanifepen Duranier. ©on 

Äarl ©ünb.33 

Diplomatifcpc Seoatapbifc. ©on ©efcet.129 

Da» Sefpenft be» ©anflabiSmu». ©on Rhenanus.145 

Die öffentliche Rteimmg unb bie Sericpte. ©on IC tu 8 . . . .161 
HrbeitSIofigleit unb ÄuSttmnberung. ©on ft. Dannenberg . . 197 
Da» ÄriegSbölterreept in bem ruffifcp = türftfepen Äriege. ©on 
©luntfepli.357 

Sttlanb. 

Die ReiepStagStoaplen be» Sabre» 1877. ©on SB. ©adernagel 49. 67 

Der neue ReicpStag. ©on bemfelben.81 

ftur Srraae be» gewerblichen ßeprlingSwefen». ©on SRaj©auer 98 

Die ©reffe unb ber Seugnifomang. ©on ft. ©. Oppenheim . . 213 
Die „grictionen" be» ReidjSlanjler». ©on bemfelben .... 293 
Rocp einmal ber Seugnifemang. ©on ©aul tapfer .... 389 


8 a«fe. 

6eite 


Sin Sang na<p ber Sonnenmarte. ©on S. b. 2lmbntor . . .317 
ßaffaHe unb greüigratp. Sin biogröppifeper ©ei* unb Nachtrag, ©on 

S. ScpmibtsSBei&enfel» ..331 

3m ßanbe ber ©open, ©on ©. Solbbaum.343 

Der Srarbenfimt in ben betriebenen ©erioben bet menfcpUcpen Snt* 

midehmg. ©on ftugo üagnu».345 

Da» flücptigungSrecpt bet ßepter. ©on Karl S<pul$ . . . . 36a 

8ut »erfülfepung ber ßebenSmittel. ©on 21. ftofaeu» . . . . 377 

Die SepeimratpStocpter. ©mt fttfbmigDopm. 378. 395 

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4* fiterarifdro Stoppe. 

a. ©ebiepte. 

„grüpe gaprt." ©on ftan»ftopfen.84 

„Die SBolfen." ©on 21. ©etöfi, überfept bon S. geft .... 118 

„Dieb ruft ber ßen$." ©on 21. Draeger.201 

„Der Dag berrimtt." ©on SB. 3 en f cn .216 

„01pmpiaben." ©on ft. Singg.362 

„ßebetoopll" (ßorb ©pron an 2tba.) ©on ©. 3^njen . . . 378 

„Die bereitere Dpeilung." ©on 3* Dtojan.408 


SluStanb. 

SRibpat ©afepa. ©on SB(ilpelm) S(olbbaum).l 

Deutfep=franaöfif(pe geberfriege. ©on * * *.65 

Heber bie Sptnefenfrage in Kalifornien. ©on Dp- Äircftftoff. . 78 
Orient unb 2to»glei<p»frage in 0eftreiep. ©on SBalterRogge .113 

Die ©roceffion»raupe. ©on Dp- SBenjelburger.116 

Le drapeau blaue, ©on SB. SRüftoto. 245. 263 

Der $tufftanb in 3^«. ©on Asiaticus.261 

Kpronil ber Orientbinge bi» jur ÄriegSerflürung Rufflanb». ©on 

Politicus . 295. 327 

Der politifcpe 2lblatu» be» Obercommanbanten ber rufftfepen Donam 

arrnee.309 

Der RegierungSmedjfel in granfreiep. ©on ***.327 

3wan 2lrfatom unb baSSlamencomite. (Kortefponbenj au»St.©eter»s 

bürg).342 

Die Rutunft granfreiep». ©on ßeopolbRiepter.373 

Serbien unb bie rufftfepe Rationalpartei. (©rief au» St. ©eter»burg) 391 
Die neue Rebolution in granfreiep. ©on ßeopolbRiepter . . 405 
©riefe au» ©ari». Die ©ppftognomte ber Kammern, ©on ©aul 
ßinbau.406 

2* StoltewirtpfipafUiipe Stoppe* 

Socialiftifcpe 3*ripümer, fociale SBaprpeiten. ©on 21. Samter 229. 

247. 298. 311 

©olfsmirtpfcpaftlicpe Konfufion, Älage unb Älärung im beutfepen 
Reicp»tage. ©on Ä. ©raun-SBieSbaben.277 

3* flcrmlfipte Stoppe* 

2lutobiograppifcpeS. ©on SottfriebÄeller. II.7 

griebriep Kpriftopp Scploffer. ©on 3*n. Rofenfiein . . . 23. 41 

Sin ametifanifepe» Sittenbilb. ©on 92. Sbmunb».51 

Sine öffentliche Scpmacp. ©on 21. ftormic§.59 

Sin 2luffriaci»mu». ©on g. SRautpner.75 

Rocp einmal Siaconto 2lntonelli. ©on 21. bonbem©orne . . 77 

Da» freitoillige ©roletariat bon ©ari». ©on S. ft.88 

Die ©alatina im ©atican. ©on ©luntfcpli.97 

Sttoa» über ben „gefunben SRenfcpenberftanb". ©on ©2. Scpa»ler 99 

• Seorg ©üepner» lepte Dage. Sine SRittpeilung bon Ä. S. granjo» 102 

# Smile Sola, ©on ©aul b’2lbreft.. . 105 

Rirwana. ©on Rifi Äatila Spattopübppüpa.110 

©enebict Spinoza, ©on SB. ©olin.118. 138 

#Dpeobor Storm. ©on SB. 3^«fen.121 

9 Sin neuer franjöftfcper Dichter: 2lnbt6 Dpeuriet. ©on ©. ßinbau 124 
Die 92ecpt8pflege in ber guten alten Seit. $ 0 n SB. Senfei . . 130 
2lngola. Sin Stfid Sulturgefcfiicpte tn 2lfrifa. ©on ft. Sopauj 148 
lieber ©ierberfälfcpungen unb©lerunterfucpiutgen. ©on 2L ftofaeu» 163 

©erfönlicpe» über g. fiaffaüe. ©on 21. SWüpclburg.164 

2lu» bem bormürjlicpen Oefheicp. ©on Ä. S. granjo» ... 170 

©articulariftifcpe». ©on g. 9J2autpner.171 

Seift unb Ratur. ©on S. b. ftartmann.181. 199 

•Stephan 9J2iloto, ein jeitgenöffifeper Spriter. ©on g. Nürnberger 184 
|Sin italienifcper Satiriler (S. ©arini). ©on S. Samofcp . . 186 
Da» Urbilb ber ftalSbanbgefcpicpte. ©on ©. ß inbau . . . . 206 
Sin ©efuep bei ben Kannibalen SBeft=2lfrifa8. ©on 0. Sen^ 214. 232 

Die Dieaftiftung. ©on ft. Scpu^arbt.222 

2J2ofentpal. Sin Stammbucpblatt bon gr. Dingelftebt. . 234. 251 
Der Slaube an Seijtererfcpeinungen in unfeter Seit, ©on 3ürgen 
©ona Sfteper. 265. 283 


b. Stobetten. 

„Der Draum.'' ©on ^toan Durg&tjeto. Ueberfept bon ©. S. . 4. 20 
„SBaS ©ater 2llejri» ersäplt.^ ©on bemfelben. Ueberfept bon beim 
felben . . .*.299 


c. Sffai». 

$ Dante» Stellung ä ur römifepen Nircpe feiner 3rit ©on Äarl 

©artfep. 134. 161. 166. 184 

Deutfcper 2J2onbfcpein. gragmente einer SRonbfcpeinantpologte. ©on 


3op. ©roeiff .201 

# 9J2oberne italtentfcpe Dicpter. ©on Ä. b. Dpaler.216 

g. Strauff al» Dicpter. ©on 3* Duboc.236 

oSbafefpeare» „SRacbetp^ bei Serbinu» unbÄrepffig. ©on 2l.SBeigert 362 

©ponetifepe Scptoärmet. ©on 21. Sr ab oto.367 

Der Sang naep bem Sifenpammer. ©eitrag jur ScpiUerliteratur. 

©on g. Sp. ©. 2lb6sßallemant.400 

Siufeppe Siufti. ©on Siegfrieb Samofcp.409 


d. Siterarifcpe Äritif. 


„Rau = SBagnerS Seprbucp ber politifepen Defonomie/' ©efproepen 

bon 21. Samter.3 

„2lnafl. Scün» literarifcper Racplaff/' ©efpr. bon R. ftamerling 9 
• Ueber 2llpbonfe Daubet. (Sefefrücpte I.) ©on ftanSftopfen 11 

i „ßa gontatne» gabeln", überfept bon S. Dopm, illuftrirt bon Dor^. 

©efproepen bon ©. ßinbau ..13 

„The Effects of Cross and Seiffertilisation in the vegetable 
Kingdom“, bon Sp. Dartoin. ©efprotpen bon 0. gaeparia» 25 
„©orfcpule $ur Äeftpetil", bon S. Dp. geepner. ©efproepen bon 

9J2. Karriere. 27 

„Raucp» ßeben" bon grb. unb K. Sgger», 2. S3b. ©efproepen bon 

©. b. ßepel.29 

„Unter bem Ämmmftab", epifepe Dicptung bon ft. Rorbmann. ©e= 

fprodpen bon SB. Solbbaum.36 

Ueber gerbinanb gabre. (ßefefrücpte II.) ©on ftanSftopfen . 38 
Ueber ftector SJtalot. (ßefefrücpte II.) ©on bemfelben .... 38 
„SReine SRiffion bei ©iu» IX. unb Rapoleon UI.", bon Soppie b. 

Raud^enegger. ©efproepen bon Äarl ©raumSBieSbaben . 47 
„211mana^ ber Senoffenfcpaft beutfeper ©üpnenangepöriger", bon 

S. Settle.47 

„Sturmflutp", Roman bon g. Spielpagen, ©efproepen bon ©. 

ßinbau.63. 72 

„Oeftreicp unb ©reuffeit im ©efreiungStriege", bon SB. Onden. ©e* 

fproepen bon g.57 

„Segen ben Strom", gefammelte 2luffftpe bon 3- Duboc. ©efproepen 

bon Ä. ©. SB.62 

4 „Soetpe", ©orlefungen bon ftetman Stimm, ©efproepen bon 

Ä. ©artf<p.69 

„Die 3uben bon ©amom"> RobeHe bon Ä. S. granjo». ©e« 
fproepen bon 0. b. ß. . . . . . . . . . . • •. _• 78 

„II Canzoniere“ di Enrico Heine, traduzione di B. Zendrini. 

©efproepen bon S. Sngel.86 

„3ur grage be» getoerblicpen ßeprlingSlbefen»", bon 3^1. Scpulje. 

©efproepen bon SR. ©auer. 98 

i „Les Rougon-Marqnart“, par Emile Zola, ©efproepen bon ©aul 

b’2lbreft.104 

| „Dramaturgifepe ©lütter", perauSgegeben bon ftammann unb ftenjen 127 
„DenSiirlrbigleiten ftarbenberg»", perauSgegeben bon ß. Ranfe. 

I ©efproepen bon S. gtieblänber.132 


WITHDRAWN 


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WegifUr. 


©eite 


„©ppfifalifcpsftatijitifcper Atlas beS beutfcpen fRctc^^', perauSgegeben 
non SR. Anbr^e unb O. $efcpel. ©efproepen non $. ©raun* 

SBieSbaben.142 

,,©ie SBeltauSftellung in ^pilabelppia unb bie beutfcpe 3ubuftrie", 
non g riebt. Golbfdfjmibt. ©efproepen non 3- G- ... 143 
„Gine türfifcpe Steife", non #. ©raun^SBieSbaben, 2. ©b. ©efproepen 

non —Ic.169 

„ArcpftologifcpeS SBörterbucp", non §. Ottc. ©efproepen non 

3. SWüplp.175 

„©er ©cpanbflet!", Wornan non S. Anzengruber, ©efproepen non 

g. SWautpner.204 

„©er falfcpe ©aurat", Wooelle non UtiS. ©efproepen non SW. Gar^ 

riere.216 

„SJaa Seben Alfreb be SWuffetS", non ©aul be SWuffet. ©efproepen 

non ©. Sinbau.224 

„2fr. GpoptnS Seben", non SW. ftarafotnSfi. ©efproepen non G. Wan = 
mann.227 


„Les Etrang&res.“ Poäsies traduifces de diverses litteratures, par 

H. F. Amiel. ©efproepen non SB. Wolfs.253 

„geben unb SBirlen grbr. Aug. greiperrn non $arbenbergS." ©e^ 

fproepen non £. ©. SB.259 

„©riefe non 3- ©P- non SBeffenberg aus ben 3up*en 1848—1858 
an 3M°*&iut=£oftuip." ©efproepennonÄ. ©raun = SBieSbaben 267 
„©ieptungen non Äarl ©iebel", perauSgegeben non WitterpauS. ©c= 

fproepen non 5ß. Sinbau . . . ^.280 

„©ie getoerblicpen gortbilbungSfcputen ©eutfcplanbS", non Waget . 307 


„Trois contes“, par G. Flaubert. ©efproepen non W. S. . . .315 
„©er Äampf um’S Wecpt", non W. non 3$ering. ©efproepen non 

G. non ftartmann.338 

Weue beutfepe geitfe^riften. ©efproepen non ©. Sinbau .... 351 
,,©icp felbft im SBege", ein ©timmungSbilb non SWaj. ©ern. ©e= 

{proben non G. 3®& e l.370 

„3ur Gefcpicpte ber beutfcpen Gefellen=©erbänbe im SWittelalter", non 
G. ©epanz- ©efproepen non $arl ©raun^SBieSbaben . . 370 
„SHuftrirte Gefcpicpte ber ©ereinigten ©taaten", non ©. 3- Soffing. 

©efproepen non 3- £.371 

„©ieptung unb SBaprpeit in auSgeioäptten Siebern", non $1). ©cpulze. 

feefproepen non $. Sinbau. 382 

„©er Ärieg gegen granfreiep 1870—71", non ©p. gontane. ©e= 

fproepen non SW. 3ÄpuS.384 

„(Entlegene Kulturen", non SBilpelm Golbbaum. ©efproepen non 

3. SWautpner.385 

„Goetpe in ÄarlSbab", non G. fttanmeeef. ©efproepen non Upbe 386 

„@fizz c u&ucp", Sieber unb ©über non ©. $epfe. ©efproepen non 

G. Sabel.394 

„Sranzöfifcpe Siteratur beS 19. 3uP r PunbertS", non 3- ©• Gpar= 

pentier. ©efproepen non 3- SWftplp.398 

„SWilton unb feine 3eit", non Alfreb ©tern. ©efproepen non 

SW. ©enfep.402 

Gulturgefcpicpte unb Waturgefcpicpte. ©on GaruS ©lerne ... 413 

§emt GprpfanberS #änbelbiograppie unb feine pfgcpologifcpen unb 
cutturgefcpicptlicpen Anfiepteu, ©on §. Gprlicp.414 


e. Süpnenfritif. 

„Am Wanbe beS AbgrunbS", non W. GIcpo. ©efproepen non 

O. n. Seijner.28 

„$ie ftpöne SWeluftne", bramatifdjeS 8öwbermärcpen non ©aSqu^. 

©efprodjen non bemfelben ..28 

,,3tamina", S^uberpoffe non ^tairnille unb Xpibouft. ©efproepen 

non bemfelben.28 

„$er luftige matp", ©djaufpiel in 4 Acten non 3- ©pietljagen. ©e= 

fproepen non $. Stnbau.44 

„©er 3ürft beS ©(ptoinbetS" (SWercabet), ©paraftergemdlbe non 
©alzac, eingerichtet non A.Sinbner. ©efprodjen non ©. Sinbau 91 
„SWabame ©anerlet", ©dpaufpiel non G. Augiet. ©efprochen non 

O. n. Seijcner.93 

„@uter Warne", ©chaufpiel non A. non SBinterfetb. ©efprodjen non 

©. Sinbau.139 

SWoti&reS „Xartüffe" im ©chaufpielhauS. — Gparlotte SBoIter. ©on 

©. Sinbau. 171 

„SWanfreb" an ber ©üna, non W. Gen^e.192 

,,©aS SBintermftrchen", non ©tjalefpeare. Sefinorftellung beS ©er= 
eins „©erlinet ©reffe", ©efproc^en non ©. Sinbau . 240. 290 
„GajuS ©racchuS", ©rauerfpiet non A. SBiIbranbt. ©ejprodjen 

non ©. Sinbau.272 

„©truenfee", ©rauerfpiel non $. Saube. ©efprod&en non 3 U ^ U ^ 

$agen.286 

„Gin ©UpmÄbel", ©offe non Gofta. ©efproc^en non ©. Sinbau 306 
„Gr bezaubert", Suftfptel non S. Serop. ©efproc^en non 3wl* u 8 

^agen . .. 319 

„SWatcel", ©rama non ©arbou unb ©ecourcelle. ©efproc^en non 

bemfelben ..320 

„©ommafo ©atnini." ©on ©. Sinbau.335 


©eite 

„3teunb Gparahergemälbe bon Grcfmann=Ghatrian. ©e= 

fproepen non SuliuS $agen.353 

5» fitufxk unb bübenbt 

i ©on ber SWufiffaifon. (©ertett non Wuborff, Goncerte: Wüfer, ^en= 

fepet. ©orlefung beS ©rofefforS Waumann.) ©on $. Gprli^ 44 

Oper unb Goncerte. (3erbinanb Gortez non ©pontini. —- Goncerte: 
n. ©cplöz^r, Glara ©cpumann unb 3o«^im, ^ottönber.) 

©on bemfelben.93 

AuS bem Goncertfaate. (©er Waub ber ©abinerinnen non ®. ©ier= 

I ltng. — Goncert ber ^ocpfcpule. — Anna SBeplig.) ©on bem= 

! fetben.141 

„SWanfreb" non ©pron, mit ©cpumannS SWuftl. ©efproepen non 

bemfelben.154 

I „Genoneoa", non ©cpumann. ©efproepen non bemfelben .... 154 

I ©te 3*aliener bei ftroll (Gtelfa Gerfter). ©on bemfelben ... 155 

i Gtn GlaubenSbetenntnig. ©on bemfelben.156 

Gtella Gerfter. ©on ©. Sinbau.193 

©on ber SWufiffaifon. (äielS „GpriftuS". — ©eetponenS „Missa 
solemnis". —Gintge ©emerlungen über Äircpenmufil. — SlotomS 
SWufil zu ©pafefpeareS SBintermarcpen.) ©on Gprlicp . 256 
| Opern unb ©pmpponten. (©er Äönig pat’S gefagt, Oper non 

S. ©elibeS. — ©pmpponien non $ratt unb Urban.) ©e= 


fproepen non bemfelben.273 

„SWargot, bie reiepe ©äeferin", Operette non Offenbacp. ©efproepen 

non 3 . $.320 

I SWuftfalifcpe Aufführungen, ©om ©epluffe ber ©aifon. (3ubaS 
SWaccabäuS. — ©ie 9. ©pmpponie. — ©aubertS Äaifetmarfcp.) 

©on §. Gprlicp.320 

©ie GartonS zur 3ü^f^uaruft non $eter non GornetiuS. ©e= 

fproepen non 0. n. Seijner.31 

©ie Goncurrenz für bie ©enfmäler ber Gebrüber ^umbolbt. 

©on ArcpitectuS.75 

Wero in ber zeitgenöffifÄen Shmji. ©on SB. Äaben . . . 85. 107 

Gin neues ©ilb Garl GuffotoS. ©efproepen non ©p. 3ontane . 153 
©ie neuefte SBenbung in ber Arcpiteltur. ©on ©p. Unger ... 188 

Äunft unb ©ureaufratie. ©on SW. Garriere.219 

Ueber bie funftlerifepe 3orm non öffentlichen ©enfmütern . . 270. 304 
©ie Ausheilung in ber Wationalgalerie. ^on §. Wiegel . . . 287 
Äunftbenfmäler unb piftorifepe Altertpümer. Gine unpolitifepe 

Weid^Scompetenzfrage. © 01 t ICtus.333 

„La Butiaglia di Avahy“, non $ebro Americo. ©efproepen non A. 

non bem ©orne.338 

©ie GSquilinifcpen Obpffeelanbfcpaften. ©on A. ©renbelen= 

bürg.347 

©er ©alon non 1877. ©on Wemo.368 

6 « Gffrn Briefe unb 3 Cnturortm* 

SBo ©artpel ben SWoft polt, ©on Äarl ©raunsSBieSbaben . 31 
©tiliftifcpe SWüngel unb ftiliftifepe ©orzüge. ©on griebr. Saten^ 

borf.31 

©ie SWelobie ber „©cplacpt non Sßania". ©on %. Gp. ©. An 6 = 

Sallemant.62 

3ur ©reSlauer Seprbucpfrage.63 

Ueber bie Gpinejenfrage in Galifornien. ©on ©p. Äircppoff . . 78 

Gegen %xbx. Gprpfanber. S3on Gprlicp.lll 

• ©er ©farrer non Äircpfetb. ©on S. Anzengruber.127 

©cplacpt bei ©aoia. ©on G. ©üepmann.127 

SWercabet in Hamburg, ©on §. Upbe..143 

„Worb unb ©üb." Gine beutfepe SWonatsfcprift. Angefünbigt non 

©. Sinbau.157 

©egaS Gnttourf jum $umbolbts©enfmaI.159 

Gegen 3 c ufenS Artifel über ©tonn (©. 121 ). ©on ben oereinigten 

ftieler ©ucppänblern.159 

3n ©aepen beS §umboIbt'©enlmalS. ©on SW. Garriere. ... 174 

GrammatijcpeS. ©on 3- SBiggerS.175 

©ie Setten unb ipre ©egabung. ©on ©p. Wolanb.257 

WocpmalS „SWanfreb" unb bie Setten, ©on W. Gente . . . .290 

„©aS Äinb non geprbeüin." ©on SW. Greif.322 

3ur ©aterfepaft beS „ÄinbeS non SeprbeHin". ©on ©p. gontane, 

G. ©eperenberg, S. ©peibel unb SW. Greif . . . 356. 387 
Ueber ben Urfprung beS SBorteS: „Auf einem ©rincip perumreiten." 

©on gr. ©enantier.403 

GlaubenSbefemttnifj eines ©piritualiften ©on G. ©loebe . . . 416 

An §emt A. Grabotn. ©on G. £>orn.418 

Ueber grommannS S^itfcprift: ,,©ie beutfepen SWunbarten". ©on 
g. ©anbnog ..419 


7. ttottien. 

©eite 15. 28. 46. 61. 76. 95. 111. 126. 142. 156. 174. 194. 210. 227. 
243. 258. 275. 289. 306. 321. 337. 354. 369. 386. 402. 416. 

8. ^Bibliographie» 

I ©eite 79. 95. 159. 259. 291. 307. 323. 339. 419. 


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SJerfin, ben 6. 3***ot 1897. 


XI Band. 


jct 



Söod^enfc^rtft für 



fiiteratur, ihmft uni) öffentltd^eö Heben. 


Herausgeber: 'gfattl in ©etlin. 


3*« $ttufaik erft^etal rät |iwwt »trleaer: «tat« Stille in »erlin. P* ®“«W ^ 50 |f. 

£u bqk^at bur# alle 8u49anbtiraaen unb $oftantf alten. 3n1etate Jebet Ärt pio Sacjpaltene ^etit^eUe 40 8t 


S&ibfjat <ßajc§ö. ®on SB. ©. — $au'SBagner§ ßeljrbucf) bet Dolttifdjen Defononiie. ®ou 9T. 6omter. — fiiterotur nnfc ftunfl: 
» « « 2)er Xraum. ^on 3n>an $urg£niem. Ueberfefct öon ß. — &utobioaröl>l)tfd)e$. ®ott ®ottfrteb Heller. II. — ftnaftafhiS ©rtinS 
fyrijdjet 9todjlö&. ®on Robert $amerltng. — ßefcfrücfjte. ®on ipanS §obfen. I. — ßa gontatneS fabeln. Uebetjefct üon 
Crnft 2)of>m, iUuftrirt toon ©uftaü $ore. «efbto^en öon ^aul ßinbau. — floti$en. — 3nferote._ 


ÜHfepat JJafipa. 

... Die <Scene ftept grauenertegenb oor meinem Äuge, 
als pätte idp fie miterlebt. »fünf SKinifter fipen ratpenb ju= 
fammen; ipre SRienen finb ernft unb ipre SJorte gewichtig, 
benn baS ©cpidfal eines grofeen ©eicpeS laftet auf ipren 
Schultern. Da ftürjt ein wapnbetpörter ©ube in baS ©emaep, 
fdbiefet bem Ginen oon ben günf, bem robufteften, eine Äuge! 
in bie <£»tkn r .jn>ei ankere hem Sjwetten in ben Seib, iribefieii, 
ber dritte, an bet ©djulter geftreift, ficfi blutenb auf feinem 
©ipe wälzt. Die jwei Uebriggebliebenen flauen ftarr in baS 
Gntfepen. 9Rit einem gtaujen Ätpemzuge fpie bie judenbe 
©efdpiipte einen Teufel aus, um jroei fcpwerwiegenbe Seben ju 
oernidpten. dasjenige aber, weldjeS baS wertpoollfte ift, liefe 
fie unoerfeprt beftepen. ©ie entfenbete ben 3ufaU, bamit er 
ipren gewaltigen ©dpritt mit blutigen ©puren beuidpne; benn 
fie liebt baS bunfelrotpe ©afe, welkes aus URenfcpenabern 
rinnt. Äbet fie tenfte bie £anb itjreS gtäfelidjen ©enblingS 
mit weifer SRetpobe, benn fie wollte niept, bafe berjenige ge= 
troffen werbe, welken fie fiep ju iprem SESerfjeuge auSerlefen. 
SRibpat ©afdpa blieb peil inmitten beS ©lutbabeS, weldjeS 
Huffein Äoni, ben rauben ©eraSfier, unb ©afdpib, ben an= 
fdplägigen Diplomaten', jählings in baS Sanb ber Stillen 
pinüberfpülte, unb peute pält er als ©rofeoejier bie ©efipide 
beS oSmanifcpen ©eidpeS in feinen Hänben. Unb mit ÜRibpat 
blieb bie Hoffnung beS ottomanifdpen ©olfeS aufrecht ftepen. 
Denn feit ÄaliS in oerpängnifefdpwerer ©tunbe erfolgtem Stöbe 
ift noep fein weiferer SRann unter ben ©efennern ÄtlapS auf= 
geftanben als er, wie fein oerrudpterer als SRapmub, ber tRuffen= 
fnedEjt. Die ©d^ublaben^iftorifer nennen iljn einen „Sungtürfen", 
weil fie jeher imponirenben Grf^einung gegenüber baS SBebürfnife 
empfinben, i^r ©pftem oon fjädjem unb güc^el^ett in Slnwem 
bung ju bringen, in baS ber ©eift ber ©efc^i^te wie in ein 
SßrotrufteSbett ^ineingejwängt wirb. Slber baS Gpit^eton trifft 
nid^t ju, fofern es f^le^in ben teuerer bejeic^nen foü. 
ÜRa^mub ^afd^a war jweifelloS ein Sllttürfe, unb ftrebte 
bennod) bie rabicalfte Äenberung, wel^e jemals ein oSmanifd)eS 

t irn gefonnen, bie Slenberung ber Dljronfolgeorbnung an. 

ali ißafc^a ^inwieberum war ebenfalls ein Sllttürfe unb fpät)te 
gleidjwol)l mtt unauSgeje^tem SBltcfe nadj bem £>ccibente hinüber, 
um oon bort^er feiner öeimat baS belebenbe ©lement weft* 
lünbifd^er ©ilbung jujufüljren. SlnbererfeitS gilt ÜRuftaplja 
fjajpt ©aft^a, ber ©ruber beS Ä^ebioe, als einer ber ©egrünber 
ber jungtürfifd>en Partei, wäferenb SRiemanb lebhafter als er 
bie Steuerung ber Primogenitur ju ©unften beS ©eniorats 


befämpfte, bie it»m felbft baS egpptifdje Grbe entjogen ^atte. 
3Rit bem ©räbicate eines „Sungtürfen" ift bie politifdje ©tja- 
rafteriftif SRib^atS faum geftreift, gefdjweige benn erfc^öpft. 
3enen fdjwä^li^en SRalcontenten, welche unter ber gitljrung 
3ia ©eps nadp ©ariS emigrirten, um oon bort aus gegen baS 
©egiment ^ali unb guab ©af^aS in Dpat unb ©eprift ju 
agitiren, pat er faum jemals napegeftanben, benn er ift ein 
©cpüler SlaliS unb wie biefer bem ©ebanfen ergeben, bafe ber 
©eftanb ber dürfet burdp ©ufelanb perennirli^ gefaprbet fei, 
wöprenb er burd) bie occibentalen ÜRäcpte beflünftiatJ oerbf. 
DeSpalb ftept er, feitbem baS öffentliche Üeben ipn teunt, in 
unoerrüdbarer gecpterpaltung gegen bie moSfowitifcpe ©adpbar^ 
fepaft, wöprenb er gleicpjeitig ben franjöfifdpen unb englifepen 
ffreunben bie $anb reidpt, mit beren Ginfeiufe er auep ber weft= 
länbifcpen ©ilbung am golbenen Horn ein ©tfitte ju bereiten 
trachtet, ©iept einmal ein „SReformtürfe" foHte SRibpat ©afepa 
oon redptSwegen pbenamtt werben, benn er ift in SEBaprpeit 
ber conferüatiofte ÜRann 'auf bem ©alfanbelta; er benft ju 
erpalten, was baS wapnwipige ©egiment beS Slbbut Stjij 
troftloS unterfpült pat, unb feine SanbSleute ju retten oor 
jener Dpeorie, welcpe furj oor feinem Stelle Slbbul Sljij braftifcp 
formulirte, inbem er ben SRiniftern, bie ipm bie finanzielle 
©otplage feines ©eiipeS oor bie blöben Äugen rücften, pöpnifcp 
auSrief: „Sonnen breifeig SRiflionen ©flaoen niept einen ein= 
jigen H ettn ernapren?" 

Die Stuf gäbe, oor weldper ÜRibpat ©afepa fiep befinbet, 
fpottet jeber fleinlicpen Terminologie. Der niebere, fepmädjtige 
SRann mit ben blipenben Äugen unb ber bepenben SeWeglid)= 
feit beS SeibeS ftemmt fidp gegen eine Saoine, bie in’S ©ollen 
gefommen War unb Danf oeS ©adpbtuds, ben ipr ntffifcpc 
Hänbe oerliepen, bis jur ©erailfpipe oerpeerenb pinabgefollert 
wäre, wenn er niept redptjeitig iprem Saufe ©inpalt geboten 
pätte. ©eidpt feine Äraft, fo wirb er aüerbingS ber ©rneuerer 
beS ©fortenreicpeS — fein „©euerer" im trioialen ©inne— 
ju peifeett paben, wo nidpt, fo fommt nadp ipm baS GpaoS, 
oon Sucpten= unb ©ranntweingerudp burdpbuftet. Die geinb- 
fepaft gegen ©ufelanb ift ber Ätpemjug feines SebenS, unb ba, 
wer moSfowitifdpe Despotie oerabfdpeut, notpwenbig beren ©egen- 
tpeil, bie freie ffintwidiung ber Sölfer, bie jjemilberte ©Ute beS 
europäifepen SBeftenS lieben mufe, fo ift SRibpat intmerpin ber 
©feiler einer liberalen ©eform, weidpe er in feinet bebrängten 
Heimat an bem H<*“pte bereits oorgenommen unb burdpgefiiprt 
pat, wöprenb bie fdpwierigere an ben ©liebem im SBerfe ift. 

Sn SRibpatS ©eele wopnt eine ftöplerne ©ntfdploffenpeit, 
berengleicpen feinem einjiaen unter ben neueren Staatsmännern 
ber ©forte eigen war. ©elbft Äali fonnte bisweilen zagpaft 


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2 


8i 1 ©rgenwart. 


Nr. 1. 


unb fcpüdptern »erben, »ie im Mngeficpte be« tretifcpen Stuf' 

! taube«, ober fatoliftifcp, wie in jenem folgenfcpweren Mugen» 
»liefe, at« ©ortfcpafoff triumppirenb ein große« 2ocp in ben 
Parifer Jractat riß. 3a, e« gept eine Mnefbote, baß Mali 
auf feinem (Sterbebette bie greunbfcpaft fRußlanb« at« bie 
einzige Rettung be« Spalifat« ertlart pabe. ©egen fotcpe Mn» 
»anbtungen ift SRibpat gefeit, benn er pat at« ©ouverneur 
non ©ulgarien jur ©enfige erfahren, »a« man in Petersburg 
gegen ben Serail finnt. ©erabe unter feiner Verwaltung ge» 
fcpap e«, baß bie pqnflaviftifcpe Propaganba fiep polppartig 
über ba« teineSweg« ju ©ewalttpätigfeiten unb ©onf pirationen 
neigenbe Bulgarien au«breitete. SRuffifcpe Mgenten iurcpzogen 
ba« Sanb unb ließen ben SRubel rollen; Scpulmeifter, auf 
moStowitifepen Seminarien breffirt, teilten „Väterchen«" Silb» 
niffe unter bie armen Vulgaren au« unb »erpießen golbene 
Serge, wenn ipnen ber peiße SBunfdp nacp bem protectorate 
be« heiligen ©jar« protocoHarifcp bereinigt würbe. SRibpat 
griff wie ein Habicht unter biefe SBüpler, taugte etlicpe fRäbelS» 
füprer per»or unb juftificirte fie. 

Selbftverftänblicp eilte auf biefe funbe ©enerat Sgnatieff 
jitm ©roßnejier, um fiep ju befdpweren, unb Mali telegrappirte 
an SRibpat ben ©efepl, nichts wtber bie (Ergriffenen $u unter» 
nehmen, epe er niept einen Rapport nacp ©onftantinepel ent» 
fenbet unb entfpreepenbe SBeifungen empfangen pätte. Jarauf 
erwieberte SRibpat, ebenfall« telegrappifdp: „Heute zwei Scpul» 
bige überführt, »erurtpeilt, pingeridptet. SRapport folgt." 3gna» 
tieff fcpäumte. Sein SRacptgefüpl batte bereit« berart ju» 
genommen, baß er eine fotcpe Sprache au« türfifebem SRunbe 
taum begriff. Stuf feine »eitere ©eclamation erfolgte ein 
zweite« Telegramm Stati«, welche« nadpbrücflicpet »on SRibpat 
©eporfam forberte. Jer Jrapt repticirte wieberum: „3wei 
weitere Schutbige oerurtbeitt unb pingerieptet. ©apport burch 
bie poft folgt" Sept rafte Sgnatieff unb Slali telegrappirte: 
„3ch Verbiete Spnen, itgenb etwa« ju unternehmen, bei @nt» 
-ftßtffifl luitr-^pwerer Mpnbung. 3cf> erwdrte telegrappifdpen 1 
©eridpt." SRibpat« fRupe blieb unerfcbüttertich- „©eridpt 
mittelft ßourier abgejjangen," blipte er jurücf. „Jie ©rläu» 
terungen »erben befrtebigen, bie bebrobte fRupe ift gefiebert 
3cb taffe eben bie lebten vier Scpulbigen pinriepten." 

So lange ber Ituge Stati bominirte, blieb SRibpat ein 
Pfeiler feine« fRegiment«. Stber nach Slali« Jobe fam ba« 
©enerat an SRapmub ©ep, bie ©reatur 3gnatieff«, unb unter 
biefem rnoepte SRibbat nicht bienen. Unverzüglich trat er ju» 
rücf, auf günftigere 3«iten wartenb. SRabmub patte batbigft 
abgewirtpfepaftet; taute Unjufriebenpeit im ©ölte unb burnpfe 
©äprung unter ben ©eamten wühlten an feiner ißofition, bi« 
fie ttägticb jufammenbraep. SRan »erfolgte ipn mit Stapen» 
mufiten, fdpleuberte ipm auf offener ©affe bie unjweibeutigften 
©prenbezeiepnungen an bie Stirne, ja, e« würben fogar ex 
officio Slntlagen wegen Veruntreuung unb ©eftecplicbteit wiber ' 
ipn erhoben, fo zwar, baß bie Stunbe »on benfetben ben 
Stönig »on Stalien »ermoepte, »on SRabmub ben Slnnunjiaten» 
orben, ben er ipm turj »otper »erließen patte, jurüdju» 
forbern. Solchen Jemonftrationen tonnte felbft Slbbul Sljij 
feine Dpren niept »erfcpließen, unb inbem er fiep baju »er» 
ftanb, ben fauberen ©ünftting baoonjujagen, beugte er fiep 
gleichzeitig »or ber öffentlichen SReinung, wetepe gebieterifcp 
bie ©rnennung SRibpat« jum ©rofjoejier begehrte. 

Mber noip war ber 2tag biefe« unerbittlich eprlicpen 
Sparatter« niept getommen. Slbbul Sljij, »or bem SRapmub 
»ie ein $unb getroepen war, »ermod)te ftep nidpt an bie 
fcponungSlofe Spraye be« neuen ©ejier« ju gewöpnen. 
So un»erblümt patten Weber fjuab noep Slali pafepa, 
Weber SüpriSli SRepemeb noep ©piritlü SRuftappa zu ipm 
ZU reben gewagt guab inSbefonbere, ber ipn ben euro» 
päifdpen $öfen präfentirt unb z ur Parifer 5Bettau«fteUung ge» 
füprt patte, wufjte ipn burep fanfte Ueberrebung unb fdjein» 
bare Stacpgiebigleit wie ein ppfterifepe« SBeib z u bepanbeln, 
unb bennodp War er eine« Jage« fdpäumenb aufgefprungen, um 
bem verblüfften SRinifter zujurufen: ,,3dp bin tein ©är, ben 


man zur ScpaufteHung umperzeigtl" Unb nun patte er einen 
©ezier, ber ipm unumwunben unb opne Scponung feine f^epler 
»orpielt, ipn ob feiner tollen ©erfdpwenbungSfucpt zureeptwie« 
unb über bie Pflichten eine« ^errfeper« z u belehren wagte. 
3a, biefer SRibpat trieb feine Unerfcprodtenpeit fo weit, baff 
er ber Sultanin ©alibe in ©egenwart ipre« Sopne« begreif» 
Iicp machte, eS gebe einen Unterfcpieb zmifepen bem Staat«» 
gute unb ber ©ioillifte, einen Unterfcpieb, ben man ftdp weber 
in Jolmabagbfcpe ober Jop ftapu, noep im Palafte Jfcpiregan 
jemals patte eingeben taffen. 

ffür SRibpat, ber bie $au«palte ber europäifepen Staaten 
ftubirt unb bie ©erfaffungSentwictlung ber cioilifirten ©ölter 
aufmertjam beobaeptet patte, waren bertei ^aftänbe begreif» 
liiperwetfe niept reif. ®r tänbelte niept »ie bie „3ungtürten" 
mit conftitutioneQen Stjiomen, unb auep partamentarifepe Spie» 
lereien, Wie fie im Sapre 1840 »on Siafcpib Pafepa zur ©e= 
tuftigung Slbbul SRebfcpjb« arrangirt worben waren, patten 
niept« ©erlocfenbe« für ipn. @r wußte fiep nur zwei SBünfdpe, 
bie ©efeitigun^ be« rufjtfdpen ©inftuffe« unb bie ©inffiprung 
eine« »ernünftigen StaatSregimente« auf liberaler ©runbtage; 
mit biefen SBünfdpen aber ftanb er einftweiten noep allein, im 
Sticpe gelaffen fogar »on ben conftantinopolitanifcpen ©ertretern 
ber SBeftmäcpte, welcpe in iprer SReprzapl auf Sguatieff« 
Pfeife porepten. 

So ging benn biefer eiferne SRenfcp, ber um mept at« 
Haupteslänge alle feine SanbSteute überragte, opne ein 9Bort 
be« ©rolle« au« feinem »on 3ntriguen aller Slrt umfcpUcpenen 
©often, einem ©ffab weiepenb, ber nidpt wertp war, ipm bie 
Scpupricmen za löfen. ©on jebt ab »edpfetten bie ©eziere 
wie in einem Äaleiboffop. fRacp ©ffab tarn SRepemeb fRufcpbi, 
bann Huffein Moni, ber nodp am fefteften zwifepen bie Scpranzcn 
be« Serail« pineinftampfte. fRafcpib, Halit, Safoet, Marifi 
unb ©bpem erfepienen auf ber ©itbfläcpe unb »erfepwanben. 
3gnatieff befapl, unb ein ©ezier würbe; er gebot, ««b 
©ezier »erfärit. 

§ür SRapmub, ben unpeitbar ©ebranbmartten, würbe ba« 
Jertaiit neuerbing« erft gangbar, at« bie H^zegorzen za ben 
SBaffen griffen. Ja ber Slufftanb gtüctlidp zuwege gebracht 
war, jögerte Sgnatieff leinen Stugeublidt, bie alte Puppe mit 
ber branntweinnerlupferten SRafe unb bem feptotternben fRücfeit 
wieber an ba« Sicpt z« Z^pen. Slbbul Slziz paßte ben 
Scpleicper, aber er ließ fiep ipn gefallen, für’« ©rfte, weil 
SRapmub für ipn unb feine toftfpietigen fiaunen bie Staat«» 
caffen plünberte, für’« 3»eite, weil er »or Sgnatieff« raffelnbem 
Jritte fiip füreptete. Jem patriotifepen SRibpat blutete unter 
biefen fdpmacp»ollen ©erpältniffen ba« H er h> aber er wartete, 
wie ©rutu«, gebulbig feine« Jage«, gern tonnte bie SRorgen» 
fonne nidpt uiepr fein, benn fepon biScutirten zu ©pzanz bie 
»ornepmften mufelmännifcpen Greife bie ©efeitigung be« Je«» 
potiSmu« unb bie ©infüprung »erfaffungSmäßiger unb gefep» 
lieper ßaftänbe. Jer Slame SRibpat« ging »te eine Parole 
»on SRunb za SRunb. 

SRapmub, Slbbul Slziz unb Sgnatieff blieben allefammt 
taub für biefe« gleicpfam unterirbifepe ©etöfe. Sie »erftanbeu 
fiep eben niept auf bie Spracpe be« ©ölte«. Slber ptöplicp 
erzitterte ber ©rbboben unb wie au« feinen Jiefen ftiegen jäp 
bie Sofia« empor. SRapmub, Slbbul Slziz, ber JeSpotiSmu« 
flogen über ©orb; bie Äataftroppen jagten einanber. SRepemeb 
fRufcpbi, ein Sünger jener eprenwertpen Jiptomatenfdpute, 
welcpe naep einanber »on SRefipib, guab unb Mali geführt 
worben war, gelangte an bie ©pipe ber ©efepafte. SRurab 
würbe wapnfinnig auf bem umbranbeten Sipe ber Äpatifen 
unb Slbbul Hamib löfte ipn ab, um auf neuen Sapnen ba« 
©efepief z u wenben. H e * atom ^ e ” mußten »erbluten, bi« 
SRibpat« Stern wieber emporftieg. 

©ilberjäger burcpwüpien bie Jeepnit be« Jrama«, um 
ben heutigen Staub ber Jinge in Stambul mit einem artigen 
JerminuS za belegen. 3ft e« ber britte ober vierte Met einer 
Jragöbie, »elcper -am ©oSporu« fiep abfpielt? Staun man »on 
einer Peripetie reben ober gar fepon ber im SRollen begriffenen 


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Nr. 1. 


8 


Bit tSegenarnrt. 


Äotaftropße? ffticßtg »on attebent trifft ju. ©öfter taffen fieß 
nicht wie bramatifcße Probleme, Staaten mißt wie ©ebitbe 
ber ©ßantafie beßanbeln. SBenn eg aber gIeid»wof)l eine 
ariftotetifcße Analogie für ben gegenwärtigen ©efunb ber 
©fortenherrfeßaft gäbe, fo wäre eg einjig unb allein ber S8e= 
griff ber Äatßarßg. (Die roße naturaliftifcße ßeibenfcßaft ift 
auf bent SBeae, fieß ju oerfittlicßen unb ju reinigen, bie gn« 
trigue liegt olog, unb ber ©rotagonift, ber big^er nur in 
Monologen feine Entwürfe forntuliren burfte, tritt ^eroor, unt 
ju oerfünben, baß er fein ganjeg ©oft, oietleicßt auch bie 
©unft beg ©efcßideg — wer weift eg! — an feine gerfe ge= 
feffelt ^abe. (Diefer ©rotagonift ift ©tibßat ©afcß<J- 3Äit ißm 
ift bag Dgmanenreid) in Europa entweber gerettet ober üer« 
loren. t». <5. 


Äütt-tttoßners üehrimd) ber Politiken ©ekonorait.*) 

(Dag ©rfcßeinen biefeS bebeutfamen SEBerfeg wirb auf bie 
Steilung ber bigßerigen oolfgmirtßfcßaftlicßett Scßule oon wefent« 
liebem ©inßuße fein, biefclbe Wirb ben Änfprucß aufgeben müjfen, 
atg bie ßerrfeßenbe ju gelten. Sie wirb jwar oßne greifet noch 
lange einen weitreießenben ©inßuß fieß bewahren; eine Schule, 
beren Älter, weil bon Äbarn Smith geftiftet, genau 100 gaßre 
jähtt, unb oon ben ßeroorragenbften Kräften big auf bie ©egen« 
Wart confequent auägebilbet ift, Wirb eine beroorragenbe Stellung 
noch für geraume 3«t ju behaupten Wiffen, unb einen bauern« 
ben SBertß behalten, aber eg wirb nicht mehr möglich fein, oon 
ihr alg ber Schule ber ©egenwart ju fpreeben, wir haben eg 
nunmehr mit einer neuen Schute ju tßun, bie minbefteng neben 
ihr ooQe ©ettung beanfpruebt. SRan braucht nur auf bie Sßfteme 
öon Staffle, SKaurug, Samter, (Düßring, auf bie ®etaitarbeiten 
non Stoffe, Schmollet, $elb, ©rentano, non Scheel u. St., auf 
bag SBirlen ber $atßeberfociatiften gegenüber ber greißanbelg« 
ßßule ju nerweifen, um außer ßweifel ju fteHen, baß ßcß eine 
weitreicbenbe Umwätjung auf bem ©ebiete ber ooftgwirtßfcßaft« 
lieben Änfcßauungen ooüjogen hat- Söagner fühlte bei Steu« 
bearbeitung „ber allgemeinen ober theoretifeben ©oftwirthfcßaftg« 
lehte bie immer größere Slieft, welche ihn, wie bie große 
SReßtjaßl ber wiffenfcbaftliiben Stationalölanomen (Deutfcßlanbg, 
oon ber älteren Smitß’fcßen Schule, Welcher Stau angehört hatte, 
trennt"; „eine neue ©runblegung ber Politiken Defonomie 
wirb gegenwärtig, non einjetnen Anhängern ber alten Smith’« 
{eben Schule abgefehen, wohl aßgemein atg nothmenbig betrachtet", 
unb Wenn auch SBagner eg augfprießt: „lein Sinjelner wirb 
beute entfernt wagen bürfen ju glauben, er oermöge aßein eine 
bauernb neue ©runbtage ju fdjaffen", fo barf mau juoerficßtlich 
behaupten, baß mit ber „©runblegung oon SBagner" für 
bie neue Schule ein f e ft er ©oben gefeßaffen iß. 

Sl(g ein funbamentater Unterfchieb jwifeßen ber bigherigen 
oolfgmirthfchaftticßen Schute unb ber neuen, welche bag oortiegenbe 
28erf in ßeroorragenber SESeife repräfentirt, ift ju bejeießnen, 
baß in jener „ber Scßroerpunft in ben («Erörterungen über bag 
SBefen beg ©olfgoermögeng liegt," währenb in biefer fpecieß 
„bie grage ber gefammten wirtbfcßaftlicßen ©ecßtgorbnung 
(perfönticbe Freiheit unb Unfreiheit, ©igentßum, Stellung 
be« Staatg jur SSolfgwirthfchaft)" in ben ©orbergrunb gefteßt 
wirb, unb bemgemäß eingeßenbe ©eßanblung finbet. ©g fteht 
biefeg im engen 3ufammenßange mit bem Äugganggpunft ber 
©oUgwirthfchaftgleßre. 3)ie ältere Schute ging oom ©Ute aug; 
erft neuerbingg iß ber SRenfcß jum Äugganggpunft genommen. 
(Die näcbße ©onfequenj ift, baß eg fuß bort weitaug mehr um 
bie SJJrobuction ber ©üter ßanbelt, unb hier bie Sertßei« 
luitfl beg ©olfgeinfommeng in’g Äuge gefaßt wirb, „früher ift 


*) allgemeine ober theoretifdje S$olt$wirtbfeßaf Wiehre oon Slbotph 
SBagner. I. (tßeil: ©runblegung. Seipjig unb fjeibetberg 1876, 
g. ©inter’ühc ©erlagSbndjbanblung. 


bag üoßgwirthfcßaftlicße ©roblem guter ©ertheitung beg 
©oltgeinlommeng über bem ©roblem größtmöglicbfter 
©robuction auch in ber Zbeorie gießt genügenb jur ©ettung 
gelommen. ©g barf atg bag wichtigere biefer beiben §aupt= 
Probleme ber ©olfgwirtßfcßaft bejeiebnet werben" (S. 139). 3«= 
gleich muß hierbureß bie Steßung beg Staateg eine wefentlicß 
anbere Äuffaffung ßnben, „bie organißrenbe (Eßätigfeit ber Staats« 
maeßt muß in ber ©olfgwirthfcßaft im wahren ©efammtintereffe 
fieß Ooßjiet)n. ©on biefem Stanbpunfte aug erweitert ßcb bann 
freilich bag ©ebiet ber ©olfgmirtßfcßaftgteßre feßr. (Die bisherige 
©olfgroirthfchaftglehre iß Wenig meßr alg eine Sehre beg rein 
prioatwirtßfcbaftließen Spßemg, bem man einen fo engen Stamen 
Wie (taujcßleßre (fiattataltif) Wohl ebenfaBS geben fonnte" 
(S. 160). Äuf biefe SBeife iß fowoßl Äuggangg« alg auch 3iel* 
puntt, unb bemgemäß nothgebrungen bie ©eßanblung ber ©otfg« 
wirtßfcbaftglebre in ber neuen Sdßute Wefentticß oon ber älteren 
Oerfcßieben, unb bag oortiegenbe SEBerf, Wetcßeg bie ©runblegung 
beßanbelt, legt ßieroon berebteS 3eugniß ab. Stießt barum tann 
eg ßcb hobeln, ob man fieß mit bem Serfaßer in ©ejug auf 
bag äußere Ärrangement in ber ©eßanbtung feiner SDtaterie 
überafl einoerftanben erllären tann — möglicßerweife werben in 
biefer ©ejießung abweießenbe SBünfcße taut werben —; auch nicht 
barum, ob man aßen Äugfüßrungen beg ©erfaßerg beitreten 
tann, berfetbe beanfprueßt fi^ertieß nießt, baß man aße feine 
Seßrfäpe alg unumftößtieß rießtig anertennen, unb oiele nießt für 
oerbeßerunggfäßig unb oerbeßerunggbebürftig ertlären fofl; ent« 
feßeibenb ift, baß in biefem 23erte bie neuen Änfcßauungen, bie 
auf oottgwirtßfcßaßtichem ©ebiete ßeroorgetreten ßnb, im meiteften 
Umfange berüdßcßtigt würben, unb eine fßßematifcße unb in ber 
Xßat baßnbreeßenbe ©earbeitung gefunben ßaben. (Die jünger 
ber betreßenben SEBiffenfcßaft werben ßcß nießt meßr mit bem 
Stubium ber älteren Seßrbücßer begnügen tönnen, fonbern werben 
notßgebrungen ßcß mit SBagnerg ©runblegung bef^äftigen müßen, 
fafl§ fie nießt auf einem Stanbpuntte beßarren woßen, über 
welchen bie ©egenwart bereitg jweifetgoßne fortgefeßritten ift. 

(Die ©runblegung beßanbelt im erften unb jweiten ©apitel 
„bie ©runbbegriße", im britten ©apitel „bie Organifation ber 
©ottsmirtßfcßaft", im oierten „ber Staat oolfgwirtßfcßaftlicß be« 
traeßtet", im fünßen „bag aßgemeine wirthf^aßlicßc ©erteßrg« 
recht"; fpccieß erfter ^auptabfeßnitt: „ber ©erfonenftanb, Unfreiheit 
unb greißeit", jweiter $auptabfcßnitt: „bie ©igentßumgorbnung". 
S)er ßeroorfteeßenbe ©orjug biefer ©oltgwirtßf^aftgleßre ift, baß 
bie rein prioatwirtßfcßafttiche Äuffaßung, bie in ben früheren 
Seßrbücßern feftgeßalten, aufgegeben ift, unb bag gemefnfcßaft« 
ließe Sßftem gebüßrenbe ©eaeßtung gefunben ßat. hiermit iß 
ber atomiftifcß inbioibuatißifcße Stanbpuntt oerlaßen, unb bie 
SolfgWirtßfcßaft ßingefteßt, alg „ber alg abgefcßtoßencS ©anjeg 
gebaeßte gnbegriß ber unter einanber oerteßrenben fclbfßtänbigen 
©injelwirtßfcßaften in einem jum ©injetftaat organifirten ober 
burh staatliche SBirtßfcßaßgmaßregeln jur ©inßeit oerbunbenen 
©olle" (S. 57). Scßon ßieraug ergeben ßcß weittragenbe ©oti« 
fequenjen. „®g ift eine ber unßaltbarften gictionen ber ©olfg« 
wirtßfhaftgteßre, befonberg ber Smitß’f^en Scßule, bie ©er« 
änberungen im ©üterbeftanb einer SBirtßfcßaft unb eineg ©er« 
mögengbeßßeg immer auf beßimmte (Dßätigfeiten beg SBirthfcßaftg« 
fubjecteg jurüeffüßren ju woßen... (Die Ißefe, baß gebermann 
ooßftänbig aßein feineg eigenen wirtßfcßaßli^en ©lücfeg Scßmieb, 
aßetn für ßcß oerantworlicß fei, unb baß ber Staat ßcß nießt 
weiter um bag wirtßfcßaftticße ©rgeßn ber gnbioibuen ju fümmern 
ßabe, ift nur eine ri^tige ©onfequenj biefer giction. (Die leßtere 
muß nie gänjlicß aufgegeben werben.... Sie hängt mit ber 
atomiftifcß inbioibualißifhen Äußaßung ber ©otfgmirtßfcßaft auf’g 
©ngße jufammen" (S. 80). „(Die günftigen golgen, Welcße ßcß 
bureß (Debuction aug bem SSalten beg wirtßfhaftticßen Setbft« 
intereßeg im Sßftem ber freien ©oncurrenj ableiten laßen, ßaben 
ben Scßluß oeranlaßt, baß bag Sßßem ber freien ©oncurrenj 
unb bag ©falten beg wirtßfcßaftlicßen Selbftintereßeg in ißm ber 
allein naturgemäße 3nftanb ber ©oltgwirtßfcßaft fei... (Biefer 
Scßluß ift ein Irugfcßtuß feßlimmfter Ärt" (S. 185). „@g ift 

ein falfcßeg Äfiom,.. baß gebetmann fein wirtßfcßaftlicßeg gntereße 


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4 


fti* tftgtnnrart 


Nr. 1. 


am ©egen öergege, baft Seber allein felbg Sdjulb unb bager auh 
adern öerantworlicg für fein wirigfcgaglicgeS ©ebeigen fei, 3eber 
mit feinem eigenen Rügen auch immer benjenigen Stnberer förbere" 
(S. 191). „Sn ber freien ©oncurrenj fiegen nicht adein bie 
tüchtigeren, fonbern oft genug nur bie gewiffenloferen @te= 
mente, welche bie ignen günftigen Elemente rücffic^tSloS aus = 
beuten (SluSartung beS SelbftinterefieS junt ffiigennug...) 
@8 Oerfdgledgtert ficg faft unöermeiblicg ber ganje Rtajjftab ber 
geggäftticgen äJtoralität" (S. 202). „Die f>erförtlid>e greigeit in 
bem atomiftifdg inbioibualigifcgen Sinne möglicgftet Unumfcgtänlt= 
beit be$ ©injetnen... oorbereitet burcg bie admütige Sluflöfung 
ber alten ©emeinfcgagsbanbe... ohne baff für bie jerfadenen 
Orbnungen ein ©rfag eintrat, ift einerfeitS ein ©robuct ber 3agt ; 
gunbette langen ©ntwidelung, anbererfeits ein ©robuct ber neueren 
unb neueften Seit.... ©rft in ben legten bunbert Sagten unb 
bis in bie legten Sagrjegnte unb Sagte ginein, ift fie abfidgt: 
lieg gerbeigefügrt unb confequent auSgebilbet toorben" 
(6. 351). — Um fo mehr tritt bie Rotgwenbigfeit ber Staate 
wirffamleit auf bem ©ebiete ber ©olfSWirtgfcgaft gerüor. „DaS 
gribatwirtgfcgaftlidge Sgftem !ann aus fidg felbft gerauS 
für eine grofie unb unermeßlich wichtige ®rt oon Sebürfnifien, 
nämticb für bie ©emeinbebürfnitfe, tgeitS nur ganj ungeiiügenb, 
tbeil8 gar nicht.. bie ©emeingüter bejegaffen;... ebenfomenig 
bietet e8 eine ©ürgfegag, baff ber ©erbraueg in befriebigenber 
SBeife .. . aden ©ebürftigen ermöglicht werbe. Ueberad mug 
gier ba8 gemeinwirtgjcgaftlicge Sgftem jum ©rfag unb jur @t= 
gänjung be8 brioatmirtgfcgaftlicgen eintreten" (@. 166). „Das 
prioatmirtbfegafttiege Sgftem oerlangt wegen ber notorifegen 9la<g- 
tgeile ber freien ©oncurrenj tgeits eine ©orrectur, tgeild eine 
©rgänjung, welcge igm bejonberd bureg ba8 gemeinwirigfegaft: 
liege Sgftem werben ntug" (S. 206). „Die Aufgabe be8 gemein: 
wirtgfcgaftlicgen SgftemS ift einmal, Süden, Unbodlommengeiten 
unb gärten auSjugleicgen, welcge au8 bem SBalten be8 grioat* 
wirtgfcgaftlicgen SgftemS unb ber freien ©oncurrenj geroor: 
gegen,... fobann für bie ©efriebigung ber ©emeinbebürfniffe 
ju forgen" (S. 223). „3m oolföwirtgfcgaftlicgen ©robuctionS: 
groeeg erfegeint ber Staat al8 einer ber ©robuctiofactoren neben 
Statur, Arbeit unb Sagital.... 3tn oollSWirtgjcgaftlicgen ©er: 
tgeilungSproceg ift ber Staat ein notgmenbig mitwirlenber ©er: 
tgeilungSregutator, neben ben Regulatoren ©oncurrenj unb §er= 
fommen (Sitte)" (S. 247). ,,©ei fortfegreitenben ffiulturoölfem 
erfolgt regelmägig eine StuSbegnung ber StaatStgatigfeit" (S.260). 
„Der Staat gat biejenigen Dgätigleiten jur ©efriebigung ber ©e: 
bürfniffe feiner Slngegörigen felbft ju übemegmen, welcge webet 
bie ißrioahoirtgfcgaften, noeg freie, nocg aubere SwangSgemein: 
wirtgfegaften übergaugt, ober nur weniger gut ober toftfpieliger 
au8üben lönnen" (S. 281). 

Snbem e8 fomit ber ©erfaffet unternimmt, bie StaatSauf: 
gäbe in ber ßegre oom jwang8gemeinwirtgfcgaftlicgen Sgftem unb 
tom Staate barjufteden, ift e8 in biefer Wieber bie „©igen: 
tgumSorbnung", mit welcger ber ©erfaffet feine ©runblegung 
fcgliegt, welcge für bie neue ©oltsmirtgfegaftstegre oon funbamen: 
taler unb entfegeibenber SBicgtigfeit wirb. Sein 3*ued ift: „Die 
Slufftedung einer national öfonomifeg unb focialrecgtlicg galtbaren 
©igentgumSlegre unb ©igentgumSpolitif, ftatt ber btoS inbioibua: 
liftifegen, rein grioatredgtlicgen ©igentgumSlegre ber geutigen 
SuriSgrubenj" (S. 431) unb fein Oon ber gegenwärtigen Stuf: 
faffung beS 6igentgum8recgt8 Wefentlicg abweiegenber Stanb: 
gunlt wirb ungefegeut getoorgegoben. „greigeit unb ©igentgum 
werben ju einfeitig nur at8 inbioibuelle Recgte angefegen, 
bie bamit notgmenbig oerbunbenen ©flirten fommen ju wenig 
jur ©eltung,.. baS ©igentgum tritt erft mit Stnerfennung biefe8 
©flicgtmomentS au8 ber öotgerrfcgenb rein grioatreditlicgen Stuf: 
faffung gerau8, um unter ben öffenttieg reegttiegen @eficgtS= 
gunft ju fommen" (S. 303). „Das oomegmfte ©rincig ber 
©igentgum8orbnung ift ba8 rein inbioibualiftifh aufgefafjte, mög= 
liegft abfolute ©rioateigentgum an allen Slrten oon Sacg= 
gutem.... Der SBifle, ober richtiger bie SBitlfür be8 ©igen: 
tgümerS (jus utendi et abutendi re sua!) wirb at8 ba8 SRoment 
anerfannt, welcgeS allein über bie ©etwenbung ber im ©igen: 


tgurn ftegenben ©üter entfegeibet" (S. 305). „@rft ber Sieg 
be8 3«bi0ibualgrincig8 über ba8 ©emeinfcgaftSgrincig gat 
bie Slnfi^t gefegaffen, baß ©rioateigentgum ... allein ©igentgum 
fei" (S. 441). Sein ©oftulat ift: „Slicgt Stidftanb ber @nt= 
widlung, fonbern jweefmägige S33eiter= unb Umbitbung beS ©igen: 
tgum8recgt8 unb ber ganzen ©igentgum8inftitution naeg SRaggabe 
ber oeränberten ©ergältniffe unb ber wagrgenommenen oolf8: 
Wirtgfcgaftlicgen gunction be8 bisherigen 8tedgt8" (S. 470). Unb 
er fommt bei feinen Unterfucgungen ju bem Refultat: „Sänb: 
licge8, jumat mittleres unb Heines (bäuerliches) ©igentgum ift 
aueg fegt noeg ju bidigen, ©rofsgrunbbefig inSbefonbere, wenn 
bie ©igentgümer igre im ©efammtintereffe liegenbe fociale gunction 
riegtig erfüden. StäbtifdgeS, namentlich grofsftäbtifcgeS grioateS 
©mnbeigentgum gat überwiegenbe ©ebenten, unb bebarf bager 
im gade feiner ©eibegattung um fo bringenber einer eingreifen: 
ben Reform feines RecgtS. Sin SergwerfSboben unb ©ergmerfen 
ift ©rioateigentgum ber ©rioaten (©efedfegaften tc.) wenigftenS 
neben öffentlichem ©igentgum jujulaffeit. ©ei SBalbboben ift baS 
legtere oorjujiegen, unb bager factifdg lieber auSjubegnen als ju 
befegränfen. Der SBegeboben mug enblidg grincigied ©rioaten 
ni^t gegören fönnen" (S. 686). 

Db biefe „SBagner’fcge ©igentgumSorbnung" igrem Refultate 
nadg ben Slnfgrücgen ber ©egentoart genügt, tann gier, weit 
oiel ju weit fügrenb, niegt unterfuegt werben, biefelbe wirb fowogt 
oon ben bisherigen Slngängem beS abfotuten ©rioateigentgums, 
wie oon Denjenigen, weihe für baS ©emeineigentgum einen 
Wefentlicg weiteren ©oben beanfgruegen, mannigfadgen SluS: 
ftedungen niegt entgegen; oon geroorragenber ©ebeutung ift es, 
bag bie ©igentgumSfrage oon ber oottsmirtgfcgaftticgen ßegr: 
fcgule aufgenommen ift. ,,©S ift bisger niegt übtieg, aueg nur 
entfernt in bem Umfange, wie es gier gefegegn, Unterfucgungen 
über baS ©igentgum in ber Rationatötonomie anjufteden. 
Den älteren ßegrbücgem unb Sgftemen fegten biefelben meiftenS 
gänjticg, bie neueren gegen wenigftenS noeg nidgt näger auf bie: 
fetben ein... Die ©igentgumSorbnung blieb noeg immer ein noli 
me tangere. 3 n bet gegenwärtigen ©ntwidtung nnferer SBiffcn» 
fegaft ift biefer Stanbgunlt niegt megr galtbar" (S. 432). SBenn 
irgenb etwas, fo beweift bie eingegenbe ©eganblung ber ©igen: 
tgumSorbnung (S. 431—722), baß mit biefem SBerfe bie oottS: 
Wirtgfcgaftlicge Scgute einen neuen ©oben betreten gat. 

21. Samter. 


Literatur nttb 


Her ®raura.*) 

Son 3n>an (Eurg6njetP, 

Urbnfe^t »on % 

3dg betbogntc bamats mit meiner SKutter eine groge 
Seeftabt. 3<g gatte foeben baS fiebjegnte ßebenSjagr jurüdge: 
legt, unb meine SRutter ftanb erft im fünfunbbreigiggen; ge 
gatte geg fegr jung Oergeiratget. SllS mein ©ater ftarb, War 
idg gerabe geben Sagt alt geworben, aber icg bewagrte an ign 
eine fegr flare unb fegr oodftänbige ©rinnerung. fWeine SRutter 
war eine 3^au oon jierlicget ©egatt, btonb, mit einem teijenben, 
aber immer traurigen ©egegte, mit einer janften unb matten 
Stimme, mit jaggaften ©ewegungen. 3« ig«r Sugenb war 
fie wegen igrer Sigöngeit befannt gewefen, unb ge war noeg 
immer eine anjiegenbe ©rfegeinung geblieben. RiemalS gäbe 
icg fanftere Slugen unb tiefer einbringenbe Slide gefegen, nie: 
mats feinere §aare unb elegantere $änbe. 3h liebte ge ab: 
göttifeg, unb ge gatte mich auch lieb. Unb benttoeg oerlief 
unfer Dafein ogne rehte greubigfeit. ©in gegeimer, ungeilbarer 


*) Der ©erfaffet begatt ft cf) baS Recgt ber Ueberfefeung oor. 9?ucg= 
bruct uicbt geftattet. 


'S. 


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Nr. 1. 


Bit ®fgen»art. 


5 


unb unberfcßulbeter Kummer fdjien beftänbig an bet SBurjet 
tßreS SebenS ju nagen, tiefer Summer erflärte ftcß nidjt 
allein burcß ben @cßmerz, ben ißr ber lob meinet BaterS berur= 
fac^t batte, fo tief berfelbe auch toar, fo groß auch bie Seibenfcßaft, 
bie er ißr eingeflößt ^atte, unb fo heilig bie (Erinnerung, bie 
fie an ibn bewahrte, au<b fein mochte. Stein, eS muffte ba noch 
irgenb etwas SlnbereS borliegen, baS i<b nicht recht begriff, baS 
ich ober gleichzeitig ftarl unb unbeftimmt ßerauSfüßlte, jebeSmal, 
wenn ich einen ®lid auf ihre fanften, unbeweglichen Slugen 
unb auf ihre ebenfo unbeweglichen Sippen matf, bie zwar nicht 
mit Bitterfeit berfchloffen, aber gleichfam für immer erftarrt 
waren. 

^ch höbe eben gefagt, baff meine SRutter mich bestich 
liebte. Droßbem tarn eS bor, baß fte mich unfreunblich zurücf= 
fließ, baß meine ©egenwart ihr bisweilen peinlich, ich möchte 
beinahe fagen: unerträglich erfcbieit. Sie mochte etwas wie 
eine unbewußte Stbneigung empfinben, über bie fie halb barauf 
felber erfchraf. Unter Spänen entfcßulbigte fie fich bann unb 
brüefte mich au ihr $erj. 3<ß fehrieb biefe augenblidlicßeit 
Ausbrüche bon $aß ihrer erfchütterten ©efunbßeit ju unb bem 
Bewußtfein ihres UnglüdS. Vielleicht tonnten jene SluSbrücße' 
bis zu einem gewiffen ©rabe auch nteiuerfeitS burdj mir felbft un= 
berftänblicße, boshafte, beinahe berbredjerifeße ^Regungen ßerbor; 
gerufen fein, bie ab unb zu in mir aufftiegeu. Slber fonberbar, 
jene StuSbrüdje bei meiner SRutter unb biefe Siegungen bei mir 
fielen nicht zufammett. 

Steine SRutter war immer fchwarz gefleibet, als ob fie 
ewig Trauer trüge; obgleich wir faß gar feine Befanntfdjafteu 
hatten, lebten wir boch auf ziemlich grobem Sfufee. 

n. 

Stuf mich allein richteten ßcß alle ©orgen meiner Stutter, 
alle ihre ©ebanfen. Sßt ßeben bilbete mit bem meinigen nur 
eines, ©olche SBecßfelbezießungen zwifchen ©Item unb Sinbem 
finb für biefe festeren nicht immer gebeißlicß; ja, bisweilen fiub 
fte biefen fogar fdjäblidj. S«ß mat t>a8 einzige Sinb meiner 
Stutter, unb einzige Äinber entwideln fich oft auf unregelmäßige 
SBeife; baS Seben ber ©Item bermifeßt fich Z u innig mit ihrem 
eigenen. Scß war nicht getabe ein berzogeneS ftinb, Weber 
mürrifch noch launifch, aber ich war fchon in früher Sugenb 
fehr reizbar unb nerböS. ©S tarn noch bazu, baß ich e ine jarte 
©efunbheit hatte, gerabe wie meine Stutter, ber ich auch ähnlich 
fah- 3<ß ntieb bie ©efettfdjaß junger Seute, bie in meinem 
Sitter ftanben unb ging überhaupt ber Berührung mit menfeß; 
liehen SBefen gern aus bem SBege. 3<ß fpraeß Wenig, felbft 
mit meiner Stutter. Steine SieblingSbefdjäftigungen waren: 
tefen, allein fpazieren gehen, träumen. SEBobon träumte ich? 
@S wäre mir niißt leicht gewefen, eS zu fagen. Bisweilen — 
ja bisweilen tarn eS mir wirtlich fo bor, als ob ich bor einer 
halbgeöffneten Dßür ftänbe. Dahinter waren feltfame unb ge; 
ßeimnißbolle Dinge berborgen. 3<ß bleibe unbeweglich, ich 'oarte, 
ich habe nicht ben Stuth, bie ©chwelle zu überfchreiten unb ich 
benfe — unb ich benfe an baS, waS fich bor mir befinben 
mußte. Sch warte immer wie berfteinert in Stngft unb Be; 
tlommenheit, ober ich fdjlafe ein. 

SBenn ich uur bie geringfte poetifeße Slber in mir berfpürt 
hätte, fo würbe ich jebenfaHS ©ebichte gefeßrieben haben; hätte 
ich iu mir Steigung zur grömmigfeit berfpürt, fo Wäre ich btett 
leicht SRöncß geworben; aber ich hatte nichts bon StUebem unb 
fo fuhr ich fort Z u träumen unb zu warten. 

m. 

Sch faßte fchon, baß ich bisweilen unter bem ©influß biefer 
unbeftimmten unb berfchwommenen Zräumereien einfcßlief. S<h 
fdjlief im Stilgemeinen biel, unb bie Zräume nahmen in meinem 
Dafetn einen erheblichen fRaum ein. S<h träümte jebe Stacht, 
ich bewahrte bie ©rinnerung an meine Dräume, ich legte ihuen 
eine Bebeutung bei, ich erblidte barin Borherbeftimmungen, ich 
berfuchte beten ©inn zu enträtßfeln. ©inige berfelben wieber; 
holten fich bisweilen, unb biefe erfchienen mir immer äußerft 


befremblidj. Stamenttich beunruhigte mich einer biefer häufiger 
wieberlehrenben Dräume. 

©S ift mir, als ob ich in irgenb einer engen, fehlest ge; 
pflafterten ©traße einer alten ©tabt zwifeßeu zwei Steißen hoher 
Käufer mit fpifjigen Dächern baherwanbele. 3<ß bilbe mir ein, 
baß ich nach meinem Bater fuche, ber gar nicht geftorben ift, 
fonbem ber fich ' n einem biefer Käufer berftedt. Unb nun geßc 
ich burdj einen tiefen unb pnftern Dßorweg, überfchreite einen 
langen |»of, ber mit Brettern unb Balten angefüllt ift; enblidj 
bringe ich tu ein tteineö 3immer im ©rbgefcßoß, baS burcß zu>ei 
runbtiche genfter fein Sicht empfängt. SRitten in biefem ©emache 
fteht mein Bater im ©cßlafrod unb raucht eine pfeife; er fiel)t 
meinent wirtlichen Bater gar nicht ähnlich, ©r ift groß, mager 
unb hat fdjwarze §aare, eine gebogene Safe, ßnftere, fteeßenbe, 
unheimliche Slugeu. ®r fießt auS wie ein Bierziger. ©8 feßeiut 
ißm ungelegen zu tommen, baß ich ißu entbedt habe, unb icß 
felbft empfinbe burcßauS teine greube über unfere Begegnung. 
Scß bin barüber im ßöcßften ©rabe erftaunt. @r Wenbet fteß 
ab unb, wäßrenb er mit tleinen Schritten auf unb ab geßt, 
murmelt unb brummt er irgenb etwas UnberßänblidjeS bor fich 
ßin. Darauf entfernt er fuß aKmälig, unb murrt in einem 
fort, unb wirft mir über bie ©cßulter feßeue Blide z«, Wie ein 
wilbeS Dßier, baS entfließt. Das 3immer erweitert fieß unb 
uerfeßwinbet in einer Slrt bon Stebel. ©cßreden ergreift ntieß 
bei bem ©ebanten, baß icß ißn nochmals berlierc; ßaftig fueße 
icß feinen ©puren zu folgen, aber auch er ift berfeßwunben, 
unb icß ßöre nur noch baS tnurrige ©ebrumm, baS bem eines 
Bären ähnlich ift; ber Süßem ftodt mir, icß Werbe jäß aus bem 
©djlafe gefeßredt unb tann auf lange Beit uießt wieber einfcßlafen. 
SBäßrenb beS ganzen fotgenben DageS bente icß nur an jenen 
Draum. 

IV. 

Der SRonat Suni war ßerangetommen. Um biefe 3eit 
beS SaßreS pflegte cS in ber ©tabt, bie meine. Stutter unb icß 
bewoßnten, redjt lebßaft zu Werben. Da liefen zahlreiche ©cßiffe 
in ben £>afen ein, ba faß man biele neue ©eßdjier auf ben 
Straßen. 3<h fcßlenberte bann gern am großen Sßerft entlang, 
wo $affeßau3 unb ©cßenle einanber abtöften, betrachtete bie 
feltfamen ©efießter ber SRatrofen unb ber anbern Seute, bie 
unter ben großen zettartigen ©cßufcbäcßern auS ©egettueß bor 
Keinen runben Difcßen, auf benen zinnerne, biergefüllte Gannett 
ftanben, fßlafc genommen hatten. 

«IS icß bor einem biefer ftaffeßäufer eines Dags borüber; 
ging, fiel mir ein SRann auf, ber fofort meine ganze Äufmerf; 
famfeit feffelte. @r trug einen bunfelfarbigeit, langen Stod unb 
einen großen ©troßßut, ben er in bie Slugen gebrüdt hatte; 
unbeweglich, mit über ber Bruft gefreuten Sinnen faß er ba. 
©eine feßwarzen #aare fielen in feinen Strähnen bis auf bie 
Stafe ßerab. 3u»f(ßen feinen Sippen hielt er baS Stoßr einer 
furzen ißfeife eingepreßt. Diefer SRann lam mir fo befannt 
oor, jeher 3ug feines wetterbraunen, galligen ©eficßteS, mit 
einem SBorte, feine ganze ©rfdjeinung War fo tief in mein 
©ebädjtniß eingeprägt, baß icß unWiQfürticß fteßen bleiben unb 
mir bie grage borlegen mußte: SBer ift ber SRenfcß? 2Bo ßabe 
i^ ißn feßon gefeßen? — ©einerfeits ßeftete nun aueß ber 
SRann, ber oßne 3»eifel bie 3ubtinglicßfeit meines BlideS 
gefüßlt hatte, feine feßwarzen unb fteeßenben Slugen auf mi^. 

Scß ftieß unwißfürlidj einen leifen ©cßrei auS. Diefer 
SRenfcß war waßrßaftig ber Bater, ben icß in meinen Dräumett 
oerfolgte. 

Scß fonnte muß nicht täufeßen, bie Steßnlicßfeit war zu 
augenfcßeinlicß. Sogar ber lange Stod, ber feine hageren 
©lieber umfcßloß, erinnerte in garbe unb ©cßnitt an ben 
©cßlafrod, in bem mein Bater mir erfeßien. 

©cßlafe icß? Stein, eS iß heller Dag; um mich ßer wogt 
bie SRenge, bie Sonne fdjeint bom blauen Fimmel ßerab, unb 
bor mir ift fein ©efpenft, fonbem wirftieß ein lebenbiger SRenfcß! 

Scß trat an einen Keinen leeren Difdj, berlangte ein ©las 
Bier unb eine 3eitung unb fefcte mieß wenige ©cßritt bon bem 
rätßfelßaften SBefen nieber. 


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Nr. 1. 



Ule ©egennutri. 


v. 

3<h hielt baS 3eitung8blatt ßalb oor baS ®eficßt unb oer» 
fcßtang unabtäffig beit Unbefannten mit meinen Süden, Gr 
blieb unbeweglich; nur erßob er oon 3^it ju 3^it ben ®opf, 
ben er gefentt hielt. Offenbar »artete er auf Semanb. SJiit» 
unter »ar eS mir, als ob i(ß afleS baS mir einrebete, als ob 
gar feine Aeßulicßfeit uorßauben fei, als ob id) mich oon einer 
ßatbbewußten Säufcßung umgarnen ließe. Aber ber Anbere 
machte auf feinem Stuhle irgenb eine ©ewegung, er ßob einen 
Arm auf, unb immer auf’S Steue hätte ich auffcßreien mögen, 
benn immer auf’S Steue faß id) oor mir leibhaftig meinen 
nächtlichen ©ater. Schließlich bemerfte er bie Seßarrticßleit 
meiner Aufmerffamteit. @r äußerte bnrth feinen Slid zunäcßft 
Ungebutb unb bann Unwiflcn, wollte auffteßen unb lieg babei 
einen ffeinen Stod faßen, ben er an ben Sifd) gelehnt hätte. 
S<ß fprang fofort hinzu, um benfefbeu aufzußeben unb ihm ju 
überreichen. SJtein §crj ftppfte ftürmifcß. ©r banfte nur mit 
einem erzwungenen Säcßeln; barauf nähert er fein ©eficßt bem 
meinigen, jog bie Augenbrauen in bie fjöße, öffnete bie Sippen 
ein wenig unb fagte mir mit einer trodeneit, näfelnben Stimme: 
„Sie finb fehr tjöfticü, junger SJtann, baS ift heutzutage etwas 
Seltenes, ©eftatten Sie mir, Sßuen mc ' n ©ompliment für bie 
gute Grzießung ju machen, bie Sie empfangen häben/' 

3<h toei^ nicht mehr, was id) ihm barauf antwortete, aber 
cS entfpann fi<h ein ©efpräcß jwifchen uns. 3<h erfuhr, baß 
er mein SanbSmann war, bafj er oor Äurjem auS Amerifa, 
loo er fange Saßre Oerweift hätte, ßcimgefeßrt fei «ob üorhabe, 
fich bafb wieber borthin ju begeben, ffir fügte t)inju, bah er 
ber ©aron *** fei, aber ich tonnte beit Slawen nidjt beutfich 
oerftehen. ©erabe wie mein nächtiger ©ater enbete er jeben 
Sah mit einem nnoerftänbtichen ©ebrumm. ©r erfunbigte fich 
uach meinem Stamen; als ich ihm benfefben mittheifte, fc^ien 
er fehr Oerwunbert zu fein, darauf fragte er mich, ob ich 
fchon feit tanger 3eit in biefer Stabt wohne unb mit wem? 
„SJiit meiner SJlutter", antwortete ich- „Unb Sßr Säter?" — 
„SJtein ©ater ift fchon fange tobt." @r fragte nach bem Sauf» 
namen meiner SJtuttejc, unb barauf brach er in ein fettfameS 
erzwungenes ©eläcßter aus. $interßer entfcßntbigte er fich 
mir unb äußerte, er höbe biefeS fettfame ©eueßmen währenb 
bcS Aufenthaltes in Amerifa angenommen, unb er werfe fehr 
woßl, baß er nur noch c < n ©onberling fei. Gr erbat fich unfere 
Abrcffc, unb ich gab fie ihm. 

VI. 

'Die Hufregung, bie mich beim ©eginn unferer Unterhaltung 
erfaßt hätte, befdjwicßtigte ftd) aflmäüg. S<ß fänb unfer 3«» 
fammentreffen jwar befremblidj, aber nichts weiter. SEBaS mir 
iubeffen an bem #erm ©aron entfdjieben mißfiel, baS war 
biefeS unangenehme leichte Sädjeln, mit bem er mich ausfragte, 
unb ber AuSbrud feiner Augen, bie bucßftäblicß bie meinigen 
burchbohrten. ®S lag barin fo etwas oon einem ©efcßüfcer, fo 
etwas £>erablaffenbeS unb gleichzeitig SBilbeS, baS mid) in ein 
geWiffeS 3Jtißbeßagen oerfefcte. Siefe Augen hätte ich in meinen 
träumen nicht gefehen. SBaS für ein befremblicheS ©eficht 
biefer ©aron hätte! ©rmattet, oerhärmt, unb babei bo<h etwas 
Sugenblid)»SBiberWärtigeS! Mein nächtlicher SSater hatte auch 
nicht jene lange Starbe, bie quer über bie Stirn meines neuen 
©efannten ging unb bie ich, beoor ich mich ihm genähert, nicht 
bemerft hätte. 

Sch h“üe faum bie Seit gefunben, bem ©aron ben Slawen 
unferer Straße unb bie Stummer unfereS Kaufes anzugeben, 
als ihm ein ßoeßgewaeßfener Sieger, in einen SJiantel gebüßt, 
ber ißn bis ju ben Augenbrauen bebedte, leicht auf bie Schulter 
ffopfte. Ser ©aron wenbete fidf um, fagte: „Alfo enblid^!" unb 
trat, währenb er mir junidte, mit bem Sieger in baS ÄaffeßauS. 

3d) blieb unter bem Beltbache ftyen. 3<h tooßte warten, 
bis ber ©aron wieber herauSfäme, nicht, um eine neue Unter» 
haltung mit ihm anjulnüpfen — benn ich mußte nicht recht, 
worüber ich mit ißm noch fptedjen foßte —, jonbern um ju 
feßen, ob mein erfter ©inbrud Stidfj hätte. @S oerging eine halbe > 


Stunbe, eS oerging eine ganze Stunbe, ber ©aron fam nicht. 
Sch trat in baS $affeßau8, ich ging burch aße Bimmer, aber 
ich fonttte Weber ben ©aron noch ben Sieger erfpäßen; fie 
mußten fich bureß eine lüntertßür entfernt haben. 

Sch fühlte einen ziemlich lebhaften Äopffcßmerz unb unt 
benfelben ioSzuwerben, tenfte ich meine Schritte bem Meeres» 
ftranbe entlang, einem großen ©arfe z«, ber oor ber Stabt tag; 
nachbent ich fo eine Stunbe ober zwei im Schatten ber alten 
Gießen auf unb nieber gegangen war, fefjrte ich nach £>aufe zurüd. 

VII. 

Saum hätte ich bie Schwefle Übertritten, fo ftürzte mir 
in äußerfter Aufregung unfer Sienftmäbcßen entgegen. Am 
AuSbrud ißreS ©efidjtS erfannte ich fofort, baß währenb meiner 
Abwefenheit irgenb etioaS ©ebenflicßeS im $aufe oorgefaßeu 
fein müffe. S^ erfuhr benn auch, baß ungefähr eine Stunbe 
oor meiner Anfunft plö|lich ein entjefcücher Schrei im 3immer 
meiner HJtutter gehört worben War, unb baß baS aJläbdjen, baS 
auf biefen Schrei herbeigeeilt war, meine SJlutter ohnmächtig 
am ©oben liegenb gefunben hatte. Stach einigen SJiinuten war 
meine SJlutter wieber z« fid) getomnten, aber fie hätte fich nieber» 
fegen müffen. Sie hätte ein fettfameS AuSfehen, ganz oerftört, 
fie antwortete auf feine Srage, fagte fein Söort; babei btidte 
fie beftätibig feßeu unb erfdjroden um fich- ®aS Stäbchen hatte 
ben ©ärtner zum Arzt gefdjidt; biefer fam, oertrieb eine bc» 
ruhigenbe Arznei, aber audj ihm gegenüber fagte meine SJlutter 
fein SBort. ®ec ©ärtner behauptete, baß er wenige Augenbfide, 
nachbem man ben oon meiner SJlutter auSgeftoßenen Schrei ocr» 
nommen, einen Unbefannten eiligen Schrittes über bie ©eete 
unfereS ©nrtenS habe ber Straßenthür zu taufen feßen — wir 
bewohnten ein einftödigeS $au8, beffen ffenfter auf einen giettt» 
lieh großen ©arten gingen. ®er ©ärtner hatte nur bemerft, 
baß berfefbc hoch aufgefchoffen unb hager war, einen Strohhut 
unb einen langen Stod trug. Sie Sfeibung beS ©aronS! fagte 
ich mir auf ber Steße. Ser ©ärtner hatte nicht baran benfen 
fönnen, bem Unbefannten nachzuforßhen, ba man ihn gleich zum 
Arzte gefeßidt hatte. 

3<h trat in baS Binuner meiner SJlutter. Sie lag in 
ihrem ©ette, bleicher als baS Siffen, auf bem ißr Sopf rußte. 
AIS fie mich erblidte, lächelte fie lei^t unb ftredte mir bic 
$anb entgegen. 3<h fefete mich neben ißrem ©ette nieber unb 
oerfueßte mit SiScretion fte auszufragen. 3unäcßft antwortete 
fie auf aße meine fragen mit „Slein". Sann machte fie enblid) 
baS ©eftänbniß: fie habe etwas gefeßen, baS ße feßr aufgeregt 
ßabe. „Sft Semanb hier gewefen?" fragte idß. „Slein," oer» 
feßte fie ßaftig, „eS ift Sliemanb ßier gewefen; aber ich habe 
gefeßen . . . icß glaube gefeßen zu haben . . ." Sie feßwieg 
unb bebedte ißre Augen mit ber §anb. 3<h Woßtc ißr baS, 
was icß 00m ©ärtner geßört ßatte, berichten unb ißr meine 
©egegnung mit bem ©aron erzählen; aber icß Weiß nießt, wie 
es fam, bie SBorte erftarben mir auf ber Sippe. 3d| fonntc 
inbeffen nicht umhin, meiner SJlutter zu bewerfen, baß bie ©e» 
fpenfter gewöhnlich nießt am ßeflen licßten Sage zu erfeßeinen 
pflegten. „Saß baS," fagte fte teife, „quäle mieß jefct nießt, 
oießeießt foflft Su fpäter erfahren . . ." Sie feßwieg wieber. 
Sßre $änbe waren falt, ißr fßutS fcßlug feßneß unb ungleichmäßig. 

3<ß gab ißr bie Arznei ein unb entfernte muß bann oon 
ißrem ©ette, um fie nießt aufzuregen. Sen ganzen Sag über 
ftanb fie nießt auf; fie blieb unbeweglich liegen, feufzte Oon 
Beit zu 3«it tief auf unb bebedte bisweilen plöfclidj ißre er» 
feßredten Augen. SaS ganze &auS War in ©eftürzung. 

VIII. 

Sn ber Stacht fieberte meine SJlutter etwas. Sie feßidte 
mieß ßinauS. Aber icß begab mich nießt auf meine Stube, 
fonbern legte mieß auf ein Sopßa im Siebenzimmer nieber. 
Aße ©iertelftunben ftanb icß auf unb trat auf ben gußfpißen 
au bie Sßür. Sein ©eräufeß. Aber meine SJlutter fonnte 
wäßrenb ber ganzen Slacßt fein Auge zugetßan haben, benn am 
anbern SJtorgen, als icß in ißr Btmmer trat, war ißr @efkßt 


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Nr. 1. 


3 1 1 Gegenwart. 


7 


gerötet unb ihre Äugen funtclten in ungewohntem ©lange. 
3m Saufe beS Jage« trat eine getinbe ©efferung ein, am Äbenb 
aber fieberte fie wieber. ©iS jept hatte fte partnädig gefcpwiegen; 
nun begann fie auf einmal mit ftodenber, phwater, papenbet 
Stimme gu fprecpeH. GS mar fein gieber*©hantapren. gn 
ihren ©Borten tag ein Sinn, aber eS'toar fein 3ufamntenhang 
ba. Surg oor Witternacht richtete fie pt ptö^ticf) mit einer 
trampfpaften ©emegung auf. 3t fafe neben ihr. Wit berfetben 
paftenben Stimme begann fie, ohne mich ein eingigeS Wat an= 
gufepen, eine Grgäplung, wäprenb fie bic §änbe unmerftich be= 
toegte unb jumeiten Heine Schtude ©Baffer gu fich nahm, ©on 
3eit gu Seit ftodte fie; bann aber futte fie bie $errfd)aft mieber 
Aber fich i u gewinnen unb fuhr in ihrer Grgäplung fort. 3n 
munberfamer, in unheimlicher Ärt, als ob fie im Zraum hanbetc, 
als ob fie fetbft abmefenb fei unb 3emanb anberS gebrochen 
ober fie gum Sprechen gegwungen habe. 

IX. 

„£öte, WaS ich ®i* anbertraue. Zu bift fein Äinb mehr, 
Zu mufet ÄlleS erfahren 1 3 t hatte eine greunbin. Ziefe 

hatte einen Wann geheiratet, ben fie bon gangem bergen liebte, 
fie war mit ihrem Wanne fepr gtädlich- 3m erften 3ap*e 
ihrer Gpe reiften fie gufammen nach ber §auptftabt, um bort 
einige ©Jochen gu berbringen unb fich gu gerftreuen. Sie ftiegen 
in einem guten $otet ab unb berfagten fit fein ©ergnügen. 
Weine greunbin war hAbfch bon Stngeficfjt; man bemerfte baS, 
unb bie jungen Seute matten ihr b«t #of. Unter biefen war 
einer, ein Dfpcier, ber ihr auf Stritt unb Xritt folgte; überall 
trafen ihre ©tide feine fdjwargen unb böfen Äugen. Gr lernte fie 
nicht perföntit fennen unb fprat nie mit ihr ein ©Bort, aber 
er beobachtete fte unauSgefept mit einer ungejogenen, gubringliteu 
©eparrlichfeit, bie meine greunbin erftrecfte. ÄQe ©ergnügungen 
ber $auptftabt würben ihr burt bie Änwefenheit biefeS Wenften 
bergätft. Sie bat ihren Wann mögtitft ppnell mit ihr peimgu= 
lehren, unb fo würben bie ©orbereitnngen gur Äbretfe getroffen. 
3hr Wann War eine« ÄbenbS im Glub, wo ihn einer ber ßfpciere 
bom SHegimente beS Änbern gu einer ©artie ©Bpift eingelaben 
hatte. Zie grau war gum erften Wale allein im fwtet gurüd= 
geblieben. Za ihr Wann gu borgerüdter Stunbe not nitt 
nat ^aufe gelommen war, entlief} fie ihr Sammermäbten unb 
legte fit gu Sctt. ©löfctit fühlte fie fit bou einem furtt* 
baren Scpreden erfaßt; fte erftarrte unb bebte. Sie hatte hinter 
ber ©Banb ein tePpteS Gerauft gu bernehmen geglaubt, etwa 
als ob ein $unb gefragt hätte. Sie betrattete ftarf bie ©Banb. 
3n ber Gde brannte eine Sampe; baS gange 3immet war mit 
einem Stoff übergogen. Za plöplit • • • irgenb etroaS ... ba* 
hinten regt eS fit • • • hebt es f»t • • - öffnet eS fit ... unb 
aus ber Wauer tritt ... gang ftwarg ... gang lang ... ber 
fürtterlite Wenft mit ben böfen Äugen. Sic will ftreien, 
fie fann eS nitt; bet Stred lähmt fie gang unb gar. Gr 
trat ftnell an fie peran ... ein wilbeS Zpier. Gr roarf ihr 
etwas über ben ftopf, etwas ©BeifeeS, etwas StwereS, Grs | 
fti’denbeS. ©BaS nun geftah ... it weife eS nitt mehr. GS ' 
ift etwas Wie ein lob, wie ein Worb. ÄlS enblit ber fürtter= 
lite Stebel fit gerftreute, als enblit meine greunbin wieber 
gu fit fant, — ba War SRiemanb mehr im 3immer. Sie Oers 
futte not lange gu ftreien ... oergeblit- GS gelang ihr 
enblit« unb Wieberum berwirrten pt ihre Sinne. 

Zann merlte fte ihren Wann neben fit, ben man bis 
jwei Uhr WorgenS im Glub gurüdgepalten hatte. Gr fah gang 
oerftört aus unb brang mit gragen in fie. Äber fie oermotte 
nittS barauf gu antworten. Unb bann würbe fie bebenflit 
franf. Sie erinnert pt aber beuttit« bafe fie, als fie eines 
ZageS im 3immer allein geblieben war, jene Stelle ber ©Banb 
in Äugenftein nahm unb unter bem aufgefpannten Stoff eine 
geheime Zpür entbedte. 

Sie rncrfte aut» bafe fie ihren Xrauring nitt mehr am 
ginger habe. Ziefer fRing hatte eine gang befonbere Gepalt. 
Gr beftanb auS peben golbenen Sternen, bie mit fieben filbemen 
Sternen abwetfetten. GS war ein altes gamilienjuwel. 3h r 


Wann fragte fie, was auS bem fRing geworben fei. Sie wufete 
nitt, was fie barauf antworten foQte. ©ieüeitt war er ihr 
oom ginger geglitten. Wan futte ihn überall, man fanb ihn 
nitt. Gine grofee Ängft bemättigte pcp beS GemüthS beS 
Gatten. Gr orbnete an, bafe bie fRüdreije fobalb als thunlit 
angetreten werben fotte, unb fobalb ber Ärgt eS gepattete, oer* 
liefen Wann unb grau bie §auptftabt. — Zenfe Zir, am Zage 
ihrer Äbreife begegneten pe auf ber Straffe einer ©apre, auf 
ber man einen Wenften trug, weiter eben getöbtet war. Wan 
hatte ihm ben Stabet gefpatten. Unb biefer Wann war ber 
ftredtidje ncuptlite ©efudjer, ber Wenft mit ben böfen Äugen! 
Wan hatte ihn in einem Streite, ber Pt beim Spiet erhoben 
hatte, getöbtet. 

Weine greunbin lehrte auf baS ßanb gurüd unb würbe 
bort gum erften Wale Wutter. Sie lebte not einige gahre 
mit ihrem Wahne. Ziefer hat niemals etmaS erfahren. ©BaS 
hätte pe ihm aut fagen lönnen? ©Buffte Pe bot fetbp nittS! 
Äber baS Glüd oon ehebem, — eS war bahin; ein tiefer 
Statten ftien auf ihr Seben gefallen gu fein unb mit nie 
mehr. Weine greunbin hatte leine ftinber mehr unb ihr 
Sohn ..." 

Gin parier Stauer übetlief meine Wutter, unb pe barg 
baS Geptt in ihren $änben. 

„Unb nun jage mit," rief pe, inbem Pe ihre ftraftan» 
ftrengungen oerboppette, „inwiefern ift meine greunbin pputbig? 
©Belten ©orwurf lann pe pt mat«n? Sie ip beftraft worben; 
aber hat pe nicht baS SRett, fetbft oor bem Ängepcpte Gottes 
gu erllären, bafe biefe Strafe ungerett ip? ©BeSJjalb rittet 
pt oor ihr, als ob pe eine Scpulbige märe, bie oon Ge= 
miffetiSbiPen gepeinigt mirb — weshalb rittet pdp Oor ihr nun, 
nad) fo langen gahren, bie ©ergangenheit auf unter jener ent. 
fepliten Gepalt? Wacöetp h°t Sanco getöbtet, ba ift eS nitt 
Wunberbat, bafe biefer ihm etppetttt, währenb it ■ • •" 

$ier würbe bie tRebe meiner Wutter fo oerworren unb 
unfafetit, bafe it nittS mehr oerftehen lonnte. 

Sie phantaprte offenbar. 

folgt.) 


®on «Sottfrieb Keller. 

II. 

©etratte it nun meine geringfügige Gepalt, wie fie iu 
ber Uterariften Gemeinbeftube in ber mähe ber Zljüre fifct, 
etwas genauer, fo gehört fie gu jener gweifelhapen Geifter* 
ftaar, wette mit gweijßffügen adert unb in ben Platftiage= 
tmterit ben fRamen: „Waler unb Zitter" führt. Sie pnb eS, 
' bei beren Zittungen ber ©h^f ter i^weilen beifällig auSrup: 
! Älja, ^ter fieht man ben Waler! unb oor beren Gemälben: f>ier 
fiept man ben Zittert Zie Ütaioeren unter ihnen t^un fit 
wopl etwas gu Gute auf folteS fiob; Änbere aber, bte ihren 
Seffin^ nitt oetgeffen, füijlen fit ih r Seben lang baoon be= 
unruhigt unb es jueft fie ftets irgenbwo, wenn man oon ber 
Säte fpritt- 3ene blafen bepaglit auf ber Zoppetfföte fort, 
biefe entfagen bei erfter Gelegenheit bem einen SRopr, fo leib 
eS ihnen tput. 

Zie grage beS ©erufenfeinS täfet fit nat meiner Weinung 
mit bem trioial fteinenben Sape beantworten: baSjenige, was 
bem Wenften gulommt, lann er bis gu einem gewiffen Grabe 
Phon im Änfang, ohne eS pttlit gelernt gu hoben, ober 
wenigftenS opne bafe ihm baS Sernen ftwer fällt; baSjenige, 
beffen Grlernung ipm fton im Änfange ©erbrufe matt unb 
nicht rett oon patten gepen will, lommt ipm nitt gu. Un¬ 
fähige Seprer lönnen atterbingS mante täuftenbe Störung 
unb Umbrepung biefeS ©erpältniffeS bewirten, inbem fie im 
einen galle unoerbient einftättem, im anbern aufmuntern 


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8 


A t t Gt$tnmaxl 


Nr. 1. 


ber fcfeliefetiche ©rfolg wirb immer ber gleiche fein. ©afe baS 
eigentliche Semen erft bort beginnt, wo bie ©djulbanl ihr 
©nbe hot unb bie ©tilfrage auf tritt, ift eine Sache für fid). 

3n feljr früher 3ett, fdfon mit bem fünfjeljnten gahre, 
menbete ich mich ber Äunft ju, fo eiet ich beurtljeiten tann, 
weit eS bem h^ben ftinbe als baS Suntere unb Saftigere 
erfchien, abgefefeen baoon, bafe e8 fich um eine • beruflich &e= 
ftimmte ©Ifätigleit hanbelte. ®lmt ein „Äunftmaler" ju werben, 
war, Wenn auch fehtedjt empfohlen, bodj immerhin bürgerlich 
jutäffig. 25er ßufaQ, bafe nur angebliche ßanbfdfafter am 
Orte jugängtich für mich waren, entfdfjieb für bie 2anbfcE)aftS= 
materei, bei welcher ich benn auch bis ungefähr in’S breiunb» 
jwanjigfte gafer oetblieb, ohne jene» ©elbftlönnen unb Seicht= 
lernen in ben Anfängen unb baju nodh ftets übet berathen. 
Vor ein paar gabrjefenten burfte man noch nic^t eine gtänjenbe 
Äledfferei für eine Sanbfcfeaft ober überhaupt'für ein SÖilb 
auSgeben. ©aSfelbe muffte mit Verftänbnife gejeidjnet unb 
tecfenifdh wohl oorbereitet unb fertig gemalt fein. Stuf ber 
anberen ©eite gerieten juft um jene $eü bie gelehrten Sank 
fchaften, welche ohne garbe mehr einen literarifchen ©ebanlen 
als ein gutes ©tücE Statur barftellten, welcher Dichtung ich 
mich eben wegen beS StichtfönnenS mit ©nergie juwenbete, 
auffet ©ourS, unb es war nicht mehr möglich, mit begleichen 
ju Anerfennung ober gar ju einer afabemifcfeen Sßrofeffur ju 
gelangen. 

SBährenb biefer ganten 3 e ü unb oteßetd)t fdhon ootn 
jwölften gaffte an war ich ein fleißiger Sefer unb Schreiber; 
erftereS in ber SBeife, bafe ich flanj früh oon einem Suche 
jum anbem literarhiftorifche ©tichworte ber bamals fdhon oer» 
widhenen ißeriobe ablaufcijte unb bie entfprechenben Schriften 
auffudjte. 3u jener 3eit entleerten fich uodj eine Steilfe oon 
alten gamitienbibliotljelen in bie AuctionSlocale ber Antiquare, 
fo bafe aus bem reichen ©rbe ber Vergangenheit junge Abepten 
leicht ju Südjern gelangen tonnten. @8 war bieS jebodh feine 
fpecififdh jürdjerifcfee ©rfdfjeinung. Stoch jefct fommen j. S. 
aus ben alten Sergfchlöffern ©raubünbenS jahtreicfee SBerle 
ber franjöfifdhen unb fpanifdhen Siteratur beS 17. unb 18. 
galjrbunberts auf ben antiquarifdjen SJtarft. Sera unb Safel 
werben taum nadfjftehen, unb im ©anjen wirb man fagen 
tönnen, bafj baS fdhweijerifdje ißatriciat ber alten 3eit mit 
Sägern gut oetfehen gewefen ift. ©agegen ^abe ich währenb 
meiner amtlichen ©feätigleit bei ©teuer» ober VormunbfchaftS» 
fachen, bie oor bie Regierung tarnen, manche Stachlajünoentare 
reidjer Seute ber ©egenwart gefehen, in welchen für einige 
taufenb grauten ©ilbergefchirr unb für bretfeig granfen Sücher 
figurirten. 

SBaS bie ©Treiberei betrifft, fo trat ich, wo fie nötpig 
ober ich burch irgenb einen Umftanb gereift würbe, ohne 
Sefinnen jeben Augenblidf ein, als ob fich baS oon felbft 
oerftünbe, unb lieferte bei jebem Anlafe ben terlangten Stiefel. 
9tts ich iw breijeljnten gafer mit StachbarSföljnchen bie üblichen 
5ßuppenfpiele betrieb unb bie ©tticfe ju fehlen begannen, erfanb 
unb fdhrieb idh o^ne Anftofe fofort eine AnjaEjl Heiner ©tarnen, 
ju benen ich gleich bie ©cenerien hc^ftcttte. ®aS größte Ver» 
gnügen gewährte ber ©chmeljofen für einen „gtibolin ober 
ber ©ang nach bem Sifenhammer"; tputer bem fchwarjen 
Dfenlodh glühte ein rotljeS geuermeer, hetoorgebradjt burch 
bemaltes ©trobpapier unb ein bahinter fteljenbeS Sidhtdhen. 
©ort würbe ber Söfewidht unnadfjfichtlich hiunngef^oben. 
©iefer ©ffect gefiel mir fo gut, baff noch jefct ein SJtanu» 
fcriptchen ba ift, welches eine eigentliche ©eufelS» unb fiößen» 
tomöbie enthält, beren ©ecoration ganj aus feurigen Sänben 
mit einem bunHen $öbleneingange befteljen foUte, beHeibet mit 
©obtengerippen k . ®aS ©itelblatt tautet: Steine ©ramen. 
I. ©er $ef enbunb. Siebenfpiet für Heine ©heater. ®ie brohenbe 
gruchtbarteit hielt jebodh nicht lange oor; benn in bemfeiben 
Südjjtein finbe ich uur nodh ben Anfang eines ©chaufpielS 
„geraanbo unb Sertha ober ©efdjwiftertreue", in welchem ein 
©chilbhtappe $ugo gleich i»’8 3eug geht, inbent er auftritt 
unb ju einem Hnbera fagt: „Stun wifitommen alfo nodh ein» 


mal, alter Sßaffenbruber!" unb eine längere Siebe oerftänbig 
alfo enbet: „Unb nun lafj uns fröhlich jufammen ben ootten 
Secher leeren, wie wir oor fechä 3ahren es thaten!" unb 
fchlieflich erfcheint noch ein „ißlan ju einer ©ragöbie". ©tinjene. 
©er Via« befteht aber nur aus einem ^erfonenoerjeidhnif, 
Worunter ein „OSmann,* Oberhaupt ber ©eiftli^feit, SWufti" 
unb eine „©linjene, feine einjige ©ochter". ©twa ein 3ahr 
fpäter würbe idh burch ein bramatifcheS ißroject „§erjog 
Sernharb oon SSBeimar" in ernftere Sluftegung gebracht. 3ch 
war oon einer oorjügtidh gefchriebenen SlooeUe, bie in irgenb 
einem Sltmanadh ftanb, fo erfdhüttert worben, bafs ich bem 
gelben mit einem recht fdjönen ©rauerfpiele glaubte beifpringen 
ju müffen, unb bie Anfertigung eines ausführlichen ©cenariumS 
nach Sorbilb ber ©c^iHer’fc^en Stadhtafwerfe oerurfadjte mir, 
wie ich wich beutlidj erinnere, eine tragifdh mitfühlenbe unb 
ehobene Stimmung, greilich lief; ich 8 ur Abwechfelung mir 
eifommen, unter meinen oierjehnjährigen ©chulgenoffen mit 
allerlei poffenbaften Steimereien aufjutreten, was mir leibet 
Seifaß unb Aufmunterung einiger böfen Stadjbara am ©chwanj» 
enbe ber ©laffe eintrug. 

SSiit aßen biefen Sinbereten war iih jebodh in einer ge» 
wiffen ©elbftftänbigteit unb Urfprünglidhteit geblieben; es war 
baher teineSwegS ein gortfehritt, als ich mit fedjSjehn gahren 
als Äunftfdjüler einen fchriftfteßerifchen Stüctfafl oerfpürte unb, 
nachbem idh bie ©milia ©alotti gelefen hatte, plöfeli^ Wochen» 
lang ein bicfeS ÜRanufcript mit ber traffeften Sladhahmung an» 
füßte. Aße ©eftalten, ber gürft, ber ööfling, bie SRaitreffe 
u. f. w. fanben fich bor. Stur war ber Sater beS oirginifchen 
Opfers ein furchtbar erafter ^iftorienmaler mit republitanifcher 
©efinnung unb SBittwer, fo ba| er ganj aßein über bie 
©ochter wachen muffte. 3nbem mein SJtarineßi bem gürften 
ben furdhtbar ernften ©haratter beS Alten betrieb, hielt er 
ihm einen jiemtichen Vortrag über ben Unterjdjjieb jwifdhen 
ber §iftotien= unb ber SanbfibaftSmaterei, wie biefe ein forg» 
lofes luftiges VölHein beroorbrädhte, währenb jene nur oon 
büfterert, wo nicht blutgierigen ©raubärten betrieben würbe, 
mit benen fich nicht {paffen lieffe. 2öenn baS traurige Söta» 
nufeript mir fpäter in bie §änbe fiel, fo war biefe bie einjige 
©teße, welche mir einige gröhtidEfteit erregte. Stod) eine Ver» 
befferung habe ich anjufüferen, bie ich erfanb. Statt SeffingS 
©iner Orfina fefeuf idh jwei SJtaitreffen, wetdhe fortwährenb 
miteinanber janHen unb fidh gufetritte öerfefcten. 

©benfo wenig original waren einige reiigionSphitofophifche 
Auffä^e unb ibpfiifdhe 3taturfcE)ilberungen, bie ich in ©eftalt 
3ean ^ßaurfcher ©raumbilber in ein bideS ©chreibbudh eintrag. 

geh fönnte mich nun mit bem beften äßißen nicht ent» 
finnen, bafe ich bei aß’ biefen oon Stiemanb beachteten ©dhrei» 
bereien irgenb einen 3ufunft8jwed ober eine geheime Hoffnung 
gehegt hätte. ©8 war oielmefer eine aus fich felbft geborae 
Uebung, bie nur um ihrer felbft wißen ejeiftirte. Als einft 
baS StamenSfeft eines jungen SJiäbdjenS gefeiert würbe unb 
ich meiner Keinen ©abe ein ©ebiefet beijulegen wünfdhte, war 
mir bie Angelegenheit-fo wichtig unb feierlich, bafe ich 9 ac 
nicht baran badjte, bergteidhen etwa felbft ju ©tanbe ju brin» 
gen, fonbera ein Heines Siebdjen in einer Anthologie auSfudjte 
unb forgfättig abfehrieb. 

3e|n gafere fpäter, als ein Sänbdjjen Iprifcher ©ebichte 
oon mir herausgegeben würbe, fah man in bemfeiben ©ufeenbe 
oon Vhantafie=2iebe8liebera, benen es an jebem erlebten ©e» 
fühl gebrach, fo bafe ich fojufagen aus einem SUcfetS hunberte 
oon Strophen gebaut hatte, ©a war ich nicht mefet fo be» 
fcheiben unb wunberte midh nicht einmal, bafe einige baoon 
nun ifererfeitS in Anthologien übergingen, gene erfte Schreib» 
epoche aber oerlief enblicfj im ©tiuen, ba baS reifere gugenb» 
alter nahte unb bie erwählte SerufSarbeit bo<h ihre Anfor» 
berungen geltenb madhen, namentlich ber ©ang in bie gretnbe 
angetreten werben muffte. Ohne etwas geworben ju fein, 
muffte ich naefe faft brei gahren jurücReferen unb gebachte mich 
in ber §eimat neu ju fräftigen unb burch füh ne ©rfinbungen 
emporjubringen. ©ie ©artonS ju ein paar poetifchen Sanb» 


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Nr. 1. 


9i t ©egruwart 


9 


fcpaften waren fo umfangreich, ba$ id) biefetben in meinem 
alten ÜRaltämmercpen niept auffteflen tonnte, fonbern genötigt 
war, aufjer bem Haufe einen eigenen Raum bafttr ju mieten. 
@8 war gerab« SSinter unb jener Raum fo unpeijbar, mein 
innere« geuer für bie fpröbe fiunft auep fo gering, baf} i<p 
mich meiften« an ben Ofen jurüdjog unb in trüber (Stimmung 
über meine frembartige Sage, hinter jenen ©artonwänben oer= 
fte<ft, bie 3eit wieber mit Sefen unb Schreiben jujubringen 
begann. 

Allerlei erlebte Rotp unb bie Sorge, welcpe ich bet 
ÜWutter bereitete, opne baf ein gute« 3^1 in Au8ftcpt ftanb, 
befcpäftigten meine ©ebanlen unb mein ©ewiffen, bi« fiep bie 
©rübelei in ben Sorjjag oerwanbelte, einen traurigen fleinen 
Roman ju fcpreiben über ben tragifcpen Abbruch einer jungen 
Äünftlerlaufbatjn, an welker SDintter unb Sopn ju ©runbe 
gingen. 2>ie« war meine« SBiffen« ber erfte fcpriftfteßerifcpe 
Sorfag, ben id} mit Sewuhtfein gefaxt ^abe, unb id) war 
ungefähr breiunbjwanjig 3apre alt @8 fcpwebte mir ba« 
Silb eine« elegijd^ltjrifcpen Suche« »or mit heiteren ©pifoben 
unb einem chpreffenbunfeln Scpluffe, wo Aße« begraben 
würbe. Xie ßfcutter lochte unterbeffen unoerbroffen an ihrem 
Jperbe bie Suppe, bamit ich effen tonnte, wenn id) au« meiner 
feltfamen Sßertftatt nach $aufe tarn. 

91(8 jebocp ein Xugenb Seiten gefchrieben waren, gab e« 
unoerfepen« eine tlangooQe Störung. 3Bie früher bie ®r= 
jeugniffe ber legtoergangenen Siteratur, la« ich jj e g* biejenigen 
ber jeitgenöffifdjen. ©ine« SRorgen«, ba ich int Sette lag, 
fchlug iqi ben erften Sanb ber ©ebüpte &erwegh« auf unb 
la«. Xer neue Älang ergriff mich wie ein Xrompetenftofj, ber 
plöglicp ein weite« Säger oon §eeroöltern aufwedt 3n ben 
gleichen lagen fiel mtr ba« Such „Schutt' oon AnaftoftuS 
©rün in bte $änbe, unb nun begann e« in aßen gibem 
rpgtpmifd) ju leben, fo bah ich genug ju tpun hatte, bie SRaffe 
ungebilbeter Serfe, welche fiep täglich unb ftünblidj peroot* 
roäljte, mit rafcher Aneignung einiger Roctil ja bewältigen 
unb in Orbnung ju bringen. ©3 war gerabe bie ßeit ber 
erften Sonberbunbslämpfe in ber Schweig; ba« S at h° 8 ber 
(ßarteileibenfcpaft war eine $auptaber meiner Dichterei unb 
ba« Herj Hopfte mir wirtlich, wenn ich bie jornigen Serfe 
ftanbirte. ®a« erfte S r °buct, welche« in einer Leitung ge= 
brueft würbe, war ein gefuitenlieb, bem e« aber fchtecht er¬ 
ging; benn eine conferoatioe Nachbarin, bie in unferer Stube 
fap, als ba« Statt jum ©rftaunen ber grauen gebracht würbe, 
fpudte beim Sortefen ber gräulichen Serfe barauf unb lief ba= 
oon. Anbere Xinge biefer Art folgten, SiegeSgefänge über 
gewonnene SBaplfcplachten, Klagen über ungünftige ©reigniffe, 
Aufrufe ju Solteoerfammlungen, SnOectiOen wiber gegnerifcpe 
Parteiführer u. f. w., unb e« tann leiber nicht geläugnet wet= 
ben, bah lebigücp biefe grobe Seite meiner fßrobuctionen 
mir fchneß greunbe, ©önnet unb ein gewiffe« Heine« An= 
fehen erwarb. 

Xemtoep beHage ich ^«ute noch m<ht, bah ber Stuf ber 
lebenbigen &eit e« war, ber mich wedte unb meine Seben«= 
ricptung entfcpieb. 

©in Sanb ©ebichte, ju früh gefammelt, etfcpien im 3apre 
1846; er enthielt nicht«, al« etwa« SRaturftimmuna, etwa« 
Freiheit«: nnb etwa« SiebeSlpril, entfprecpenb bem befcpräntten 
SilbungSfelbe, auf bem er gewacpfen. ©in freunblicher Urei«, 
in weitem ich aufgetaucht war, fchlug, wie e« ju gehen pflegt, 
weitere SBeflen unb SBeßcpen unb fütterte mich mit ben fcpön* 
ften Hoffnungen. Sturj, ich lebte in gebrängtefter 3 e ‘tfrift 
aße Rpafen eine« erpigten unb gepätfcpetten jungen Spriter« 
burcp unb blieb wohl nur wenige oon ben Xporpeiten unb 
r Ungejogenpeiten fcpulbig, bie einem folcpen anpaften. 

Xa tarn ba« 3apr 1848 unb mit ipm jerftoben greunbe, 
Hoffnungen unb Xpeilnahme nach aßen SBinben unb meine 
junge Sprit fah frierenb auf ber Haibe. Pur einige ernftere 
©eleprte unb SRagiftrate, au« Xeutfcpen unb Scpweijent ge= 
mifcht, bie ftiß jugefepen patten, jeigten fiep unb oeranlafjten 
nun, baff icp mit einem Staatsftipenbium auf (Reifen gefanbt 


würbe, um nachträglich auch noch etwa« ju lernen. ÜJtein 
Ptaltaften war längft jugefcploffen unb jene« unpeijbare 
Ktelier oerlaffen, unb fo jog id} jum jweiten (Rate au«, um 
an beutfepen Schulen, wo e« gut fepien, meinen Aufenthalt 
ju nepmen. 

Auf biefen gaprten nabm idp ben einft angefangenen 
Roman wieber jur H fl nb, beffen Xitel: „Xer grüne H e ‘uricp", 
fepon eyiftirte. 3<h gebaute immer noep, nur einen mäpigen 
Sanb ju fepreiben; wie icp aber etwa« oorrüdte, fiel mir ein, 
bie Sugeubgefcpicpte be« Halben ober oielmepr Picptpelben al« 
Autobiographie emjufcpalten mit Anlehnung an Selbfterfaprc= 
ne« unb ©mpfunbene«. 3(p tarn barüber in ein foldpe« 0abu= 
liren hinein, bah ba« Such oiet Sänbe fitart unb gattj un= 
förmlich würbe. Urfacpe pieroon war, bah icp eine unbejwinalicpe 
Suft baran fanb, in ber oorgerüdten XageSjeit einen Seben«- 
morgen ju erfinben, ben icp niept gelebt patte, ober, richtiger 
gefagt, bie bürftigen Steime nnb Aitfä|e ju meinem Sergnügen 
poetifd} auswaepfen ju taffen. 3ebocp tft bie eigentliche Sfinb= 
peit, fogar ba« Anetbotifcpe barin, fo gut wie wapr, pier unb 
ba blo«, in einem lefcten Anfluge oon PacpapmungStrieb, oon 
ber confefftoneßen ßerbigteit (Rouffeau« angepauept, obgleich 
niept aßju ftart. ©8 gtbt Seute, welcpe faft aße möglichen 
Untugenben in blinber Äinbpeit anticipiren unb Wie SÄnber 
trantpeiten auSfcpwipen, wäprenb j. S. ju wetten ift, bah ein 
reept fleipiger unb foliber ©rfiuber, ber ßRißionen ftieplt, al« 
ßinb niemals bie Sdpule gefcpwänjt, nie gelogen unb nie feine 
Sparbücpfe geplünbert pat. 

dagegen ift bie reifere Sugenb be« „grünen H«nricp" 
jum grölten Xpeile ein Spiel ber ergänjenben Rpantafie unb 
ftnb namentlich bie beiben grauengeftalten gebieptete Silber 
ber ©egenfäpe, wie fie im erwaepenben Seben be« ÜRenfdjen 
ffdp beftreiten. 

©nblicp aber muhte ba« Sud} boep ein ©nbe erreichen. 
2)et Serleger, welcpet ftep erft über bie unoerpoffte AuS= 
bepnung unb ba« langfame Sorrüden beSfelben befepwert 
patte, interefftrte fiep julept für ben wunberlicpen H«^ben unb 
ffepte, al« Sertreter feiner Abnehmer, um beffen Seben. Äßein 
pier blieb icp pebantffd} an bem nrfprüngticpen Rlane pangen, 
opne boep eine einheitliche unb parmonifepe gorm perjufteßen. 
2)er einmal befcploffene Untergang würbe burdpgefüprt, tpeil« 
in ber Abficpt eine« grünblicpen RecpnungSabfcptuffeS, tpeil« 
au« melandpolifcper Saune. 3cp uapm bie Sacpe auep infofern 
oon ber leicpten Seite, al« ich baepte, man werbe ben foge= 
nannten Roman eben al« ein Sudp nepmen, in welchem man= 
cperlei lesbare 2)inge ftänben, wie' man ftep Sefebramen ge- 
faßen läpi So würbe ber grüne Heinrich alfo begraben. 

Aflein er fcpläft nidbt fepr ruptg; benn wie icp pöre wirb 
ber arme Äerl in ben Rtäbcpenpenfionaten, wenn ber Sprach^ 
unb Siteraturleprer auf ba« ©apitel be« Romane« fommt, 
ftet« peraufbefcpiooren unb oor bie unaufmerlfamen Scpüle= 
rinnen pingefteßt, perumgebrept, pin* unb pergefüprt unb muh 
al« abfepredenbe« Seifpiel bienen, wie ein guter Roman niept 
befepaffen fein foß, unb e« pilft gegen biefe graufame Seläfti= 
gung niept ber Umftanb, baff ber Aermfte ja mittelft ber eige= 
nen Sorrebe bie ©rtlärung in ber Xafcpe mit fiep führt, bah 
er lein reepter Roman fei. 

äBenn auep ein fcplecpter, fo war idp bei ber Xide be« 
Sucpe« nun boep ein Scpriftfteßer unb begab miep mit biefer 
legten oerfpäteten 3ugenbftubie wiebet über ben Rpein jurfid. 


^Ina^afuts fSrtttts Ipriftper ttatplap. 

®on Hobert ^amcrltttg. 

Al« wir ben ftebenjigjäprigen Anaffhi« ©rün in Oeffreicp 
feierten unb feep« URonate fpäter mit niept geringeren ©pren ipn 
begruben, ba blieb bem engeren Steife feiner Sefreunbeten nur 
©ine« ju wünfepen übrig: bah bie Iprifcpe ©rnte feiner legten 


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10 


9ic Gegenwart 


Nr. 1. 


brei big hier 3a^rje^nte, bie bereit liegenbe «Sammlung „3n ber 
©eranba", fd)on ber Oeffentlicpfeit übergeben geroefen märe. @o 
pomphaft Subelfeft unb Seupenfeier fiep geftalteteu, eg fonnte 
bem tiefer ©tidenben niept entgehen, bajj man mehr einen Siebter 
ber ©ergangenpeit alg ber ©egenmott gu ehren glaubte, ©ah 
man non bem büfteren ©elobet ber Stadeln ab, welche ben reich* 
befransten ©runffarg be8 gräflichen Sinter« in eine tnfernalifdje 
SBolfe qualmenben SRaucpeg t}üßten, fo fonnte man eher einen 
Sreftaufjug gu ©pren eineg berühmten ßRanneg Oor fich gu haben 
ber meinen, alg ein Iranergeleit unb einen Seicpengug, mie ihn 
ber bom ©cprnerg be8 Serlufteg perfönlicp unb unmittelbar ©es 
troffene fich benfen unb münfehen ntodjte. @8 ift eben nicht 
gleichgültig, ob ein ber Nation merth gemorbener ©eniug in 
frifcher Kraft unb SBirffamfeit ihr plöfcticp entriffen mirb, ober 
ob er nach lange üorher abgefcploffener Spätigfeit feine irbifche 
Saufbahn ruhig bottenbet. ©rfeputternber mag gu feiner Seit 
ber Sob ©chillerg gemirft haben alg fo biete 3apre nachher ber 
beg größeren ©oethe. SBenn erft bie Srcftrebner unb halb barauf 
bie ÜRefrologiften beg greipeitfängerg bor 9lßem ben greimutp, ben 
er in ßanbs unb SReicpgtagen bemiefen, unb bie Uebergeugunggs 
treue beg ©efeierten Briefen, ©erbienfte, bie er hoch mit punbert 
Slnberen theilte, fo rnerfte man, baff fie au8 unmittelbarer frifcher 
©egeifterung fpraepen, wäprenb eg, menn fie auf ben Sichter alg 
foldpen cingingen, meift ben 9lnfd)ein hatte, alg ob fie Sugenbs 
erinnerungen miihfam jufantmenrafften, ober au8 bem ©onoers 
fatiougtejilon fdföpften. #ing bamit oießeidpt auch — man batf 
nun mo|l babon fpredfen — bie im ©angen giemlicp fühle 
Haltung gufammen, melche ba8, freilich fepon bon SRatur fühtere, 
aufjeröftreicpifche Seutfdjlanb für bag Subiläum beg neuuten 
9lpril hatte, unb melche bamalg bie perfönlicpen greunbe unb 
©ereprer beg Sichterg beinahe peinlich berührte? — geh erinnere 
mid), nach bem ^infeheiben 91. @rün8 in einem norbbeutfepen 
©latte auf einen SRefrolog geftofjen gu fein, melier bag Sob beg 
©erewigten mit ben SBorten einleitete: „Sroar ftanb 91. ©rün 
alg politifcper Sichter nicht in erfter SReihe, fonbern erft in 
g weit ei;"... Ser Sinter beg „Schutt" in g weit er fReipe! 9ücht 
ber erfte, nicht einmal neben ben ©rften ftehenb, fonbern hinter 
ihnen — ein politifcper Sichter gweiter ©taffe! — 9Ran muffte 
in ber Spat münfehen, beffer alg burdj geftreben unb Stefrologe 
burdj ein eigeneg le|teg 9Bort beg ©oeten fein 9lnbenfen er= 
neuert gu fehen. 

Sieg lepte SBort ift nun enbtich gefprochen. Sen SRanen 
beg Sahingefchiebenen miberfährt bie ©enugthuung einer neuen 
(ebenbigen SBirfung. Unb menn bie glüchtigfeit ber Sagegfritif 
nicht aßgugroff, bie Slpathic* beg ©ublicumg nicht unüberminblich 
ift, fo mirb biefe SBirfung, glaube ich, eine bebeutenbe fein. 
Siefe h*ntertaffenen, „in bet Seranba" gefammelten, aber 
nicht in ber ©eranba gefchriebenen ©ebiepte — benn fie geigen 
un8 nicht ben gur fRupe gefegten, fonbern ben noch mitten * m 
Kampfe ber Seit ftepenben Sichter — finb fie nicht ein iRacppaß 
aug bem golbenen Zeitalter ber beutfepen Sqrif? äRännlicpe uub 
gebiegene Klänge erquiden mieber unfer £>erg. ©in ©oet oon 
auggeprägter ©hhfiognomie tritt un8 attbefannt unb boch alg 
ein Steuer entgegen. 

©liden mir gutüd auf bie Sfteipc unferer groben Ipriicpen 
Sichter: Uhtanb, Stüdert, ©laten, ©eine, Senau, greiligrath u. f. m. 
geber bon ihnen ift nach tform unb Inhalt eingig in feiner 
9lrt, feiner hat etmag gemein mit bem anbern, unb mag bem 
einen ober bem anbern fonft ähnlich ober oermanbt ift, oer= 
fcpwinbet neben ihm. Sieben Uhtanb tritt bie gange fehmäbijehe 
Sichterfchule iu’g $albbunfel gurüd, alg märe fie fein btofjer 
©epatten unb Stacppaß. Soubtetten in ber Siteratur merben 
mie bie in ben ©ammtungen ber SRüngliebpaber auggemuftert 
unb nur bag ©jemptav bom beften unb fchärfften ©epräge gurüd: 
behalten. 9tucp in unferer unmittelbaren ©egenmart fehen mir 
feben großen unb aßgemeiuen ©rfolg in ber Sprit uugertrennlicp 
oon ber SBirfung beg ©igenthümlicpen unb in feiner 9lrt ©ingigen. 
9lber mie fetten finb fie eben, biefe auggeprägten ©hhfiognomien, 
rote fetten auch begegnet un8 eine tprifepe Kraft, ber nicht blo8 
bann unb mann etmag #übfcpe8 gelingt, fonbern bie, mie eg I 


bag Kenngeicpen ber mahrhaft ©cgnabeten ift, mit febet Strophe, 
jeber Seite, bie fie ^intoirft, mirft unb feffett, unb bag ©emüth 
beg Seferg burch einen unfagbaren Sauber gefangen nimmt. SBag 
am öfteften fehlt, ift, aufjer ber Originalität, bag ©timmunggs 
oofle: bie SBiebcrgeburt beg ©ebanfeng aug bem ©emütpggrunbe, 
ber mpftifepe £>aucp, ber ben gtiidlichen ffiinfaß erft gum ©ebiept 
mäht. Unb tritt mirflich einmal etmag ©igenartigeg, ©timmunggs 
Oofleg, genial gnfpirirteg peroot, fo fehlt mieber im ©ublicum 
ber tiefe unb ernfte ©inn, um eg, roär’8 auch in etmag uitbes 
holfener ober frembartiger gorm, gu erfaffen unb anguerfennen. 
©o fommt, ohne eigentlichen ©rfolg gu haben, bag ©anale in 
bie ÜRobe: eine ßricri.©oefte, fepönbergierte ©üeper unb ©üdjelcpen, 
bie gur Hälfte aug leeren ©lättem beftehen, mährenb auf ben 
übrigen Oießeidpt erft reept nichtg fteht. Minima pars ipsa puella 
sui! möchte man gumeilen mit Ooib augrufen, menn man biefe 
Sftufe in ihren ©raeptgewanben betrachtet 

Sag ©rquidenbe in 91. ©rün8 pinterlaffener ©ebichtfamms 
lung befteht nun eben barin, baff fie biefer 9ttmofphäre beg 
©analen ung entrüdt, ba| fie ung in ein ©ereich oon fräftigen, 
gebiegenen ©ebanfen unb ©ebitben gurüdfüprt. Surdpmuftert 
man oon biefem ©eficptgpunfte aug bie ©ammlung, fo fönnte 
felbft SRaucheg, .mag an fid} Oiefleicht ein SJlanget ift, für ben 
SRoment alg mopltpuenb unb alg ein ©orgug erfdpeinen. 9tber 
itachbem ich bieg im 9tßgemeinen feftgefteßt, miß id} mit feinem 
anbern URaffftabc alg bem pöcpften unb unbebingten einen fläch* 
tigen ©tid auf bag ©ingetne toerfen. 

Sem Sieblinggtpema ber ©oeten, ber Siebe, roibmet unfer 
9lutor bie erften ©eiten feineg ©uchg; Wenige ©lätter ftnb eg, 
gleichfant ©rätubien, aber bie ooflen fräftigen 9tccorbe oerrathen 
fogleich ben SReifter. SRafcp gelangen wir gur eigentlichen $ergengs 
fache beg Sichterg. „Seitflänge" ift ein ßpelug überfchriebeu, 
oon ben Sagen, ba man für bie greipeit ber ©ölen (unb nur 
ber ©ölen!) fcpwärmte, burch bag grofce SReoolution8iapr 1848 
hinbutdp heraufreichenb big gu ben Sichters unb ©creing*3ubi* 
läen ber ©egenmart. $ocpintereffant finb biefe 3eitgebicpte — 
uub boch Oießeicpt ber oergänglicpere X^eit beg ©angen. Sum 
Sheile menigfteng habe« wir eg ba nicht augfd)liefj(id) mit bem 
Sichter unb greipeitgapoftel, fonbern auch mit bem ©olitifer, 
bem Sagegpolitifer gu tl)un. 9tber ©efinnunggtreue unb ein 
aßgemeineg bichterifd)eg ©efüht für bie ffreiheit begrünben noch 
uiept eine unfehlbare ©inficht in aßen concreten politifhen Singen, 
unb ben ©oeten oetläjjt bigmeilen ber ©eherblid, menn er in 
bie 9lrena ber Sagegfämpfe hinabfteigt 3ft er boch überhaupt 
nur ein ©eher, fo lange fein ©lid in bie Sufunft ober in bie 
©ergangenheit gerichtet ift; fafjt er bie Singe ber ©egenwart 
in’8 9luge, fo fieht er meift nicht mehr alg gewöhnliche SJtenfchen. 
Unb fo geigt auch ©rün fich ntepr alg ©atriot benn alg 
Sichter unb ©eher in bem gewaltig flingenben §pmnug auf 
Stabepfp. ©r mu|!e uiept, bafs bie Siege Stabepfpg fein bauetns 
bet Sriumpp fein, fein wirflicpeg $eil bringen fonnten, ba| ber 
tapfere ©olbat bie uttüerföhulidjeu ©rooingen nur gurüderoberte, 
bamit fie ein 3<?h r ä e h n i länger, gu unauggefepter Krieggbereit* 
fepaft gwingenb, am Sebeugmarfe ber SRonarcpie geprten, unb bag 
Deftrcicp erft naep 9lbtrennung biefeg branbigen ©tiebeg wieber 
aufathmen, gu neuem Sehen fiep aufraffen würbe. SBir ©öpne 
ber SBicner 9lula, mir „Segionäre" beg 3apreg 1848, mir mußten 
bag, ober oielmepr, mir patten ben rechten 3nftinct baoon. SBir 
fepmärmten niept für bie Siege Slabefcfpö. SBir trugen eben in 
unfern jugenblicpen Seelen ben reinen unb ibealen ©ebanfen 
beg 3«h re8 1848 — e i nen ©ebanfen, auf ben man heute mie 
auf eine fepöne 3u9 en bfd)Wärmerei gurüdblidt, infofern er niept 
oößig oergeffen ift .. . 

3« ben ungetrübten 9letper ber ©oefie erheben ung mieber 
bie Sonette au8*$elgolanb unb bie an Sticolaug Senau, melcpeu 
noep anbete fiep anfcpliefjen. 3« biefem Slbfcpnittc begegnet und 
ber Sichter alg clafftfdjer Sprifer, alg ©angegmeifter auf bem 
|»öhepunfte feiner Kraft, .„©prüepe unb ©pruepartigeg" fcpliept 
fiep an, auep bieg oon claffifdjsgebiegenem ©epräge. Srei ©es 
biepte oetfefcen ung in bag ^eimattanb beg Sicpterg, Krain. 
Sann treffen mir auf bie fernigfte epifepe Seiftung 91. ©rüug: 


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Nr. 1. 


11 


1 i t # e j c n » « rt. 


auf bcn StomanjencpcluS Dom Prinjen ffiugeu. ERit einem anbereu 
©pcluS „ber Tambour Don Ulm" begleitet weiterhin ber Dichter in 
finnDotten Silbern bie Phafen DeftreicfjS, feine SeibenSftationen, 
bie jugleids ju SBegen feines §eils geworben finb ober werben 
fallen. „Silber unb ©eftalten" fdjliepen ben ganjen poetifcljen 
Steigen. $ier finben Wir ben ftimmungSootlen „Sagcßo", ben 
Dom liebenSwürbigften $untor eingegebenen „ Burgherrn Don 
SRabenftein", baS tieffinnige, unoergleidjlicfi fc^öne ©ebicht „bie 
ERumie". 

SBenn man Don bem Sitte« beljerrfdjenben Srei^eitSgebanlen 
abpeht, fo ift eS nur EBenigeS, aber träftig unb Har in biefer 
Sammlung ©erDortretenbeS, wa8 im Seben unfereS Dichters an» 
regenb auf i|n gewirft, waS feiner 3nnerltd)feit ben Smtfen be« 
Iprifdjen SeuetS entlocft hat. £elgolanb, baS £eimatlanb Ärain, 
bie Sreunbfdjaft mit Senau, ein Dereinjelt nnb flüchtig an; 
HingenbeS erotifdje« ERotiD, baS Dietteid)t mehr ber Phantafle 
als bem $erjen feinen Urfprung banft — ber 9teft ift Politif, 
ober Spruch Weisheit, ober objectiDe ©rjaplung. 9lber Dietleicht 
birgt unter ber ERaSle ber ©tjäljlung pdf eigenes ©mppnben 
unb ©rieben, innere fiämpfe unb Stürme beS Poeten? Sind) 
baS nicht. SRan wirb unter biefen erjähtenben ©ebidjten nic^t 
eines flnbeit, in welchem Don tiefer Seetenbewegung ober Seiben; 
fchaft aud) nur bie Siebe wäre. 2tud) ^ier läuft eS meift h<u= 
aus auf ein ©rgebnip ruhiger SBeltbetradjtung, ftnniget EBeiS; 
heit. Dies gilt ja woljt nicht bloS Don ber Dortiegenben Samui; 
lung, fonbern Don ber gefammten ©rün’fdjen Sprit überhaupt. 
3n ihr fpiegett fiep im ©anjen eine ©epnnung, eine Denbenj, 
ein ©Ijarafter, aber leine Dotalität beS ©emütfjS unb lein per; 
föntidjeS Sehicffal 

9ÜS SRenfcp unb Siebter auSfdjlieplich befeett Don bem ©e> 
bauten ber retigiöfen unb ber politifdjen grei^eit, unb bod) ge; 
borner Slriftolrat — in bet Dh at eine fettfame ffirfdjeinung! 9lber 
ber EBiberfprudj in 9t. ©rünS Statur ging fepeinbar noch weiter. 
EtüdpcptSDott unb oerbinblicp bis jur Elengftlicpleit, lannte er, 
mit bem ©riffel beS Poeten in ber $anb, leine perfönlicpe Stücf; 
pept unb lein ©efep ber ^öflicpteit. 3Bar eS bewupte Elbpcpt 

3<h Witt WaS ich meine burdj ein Heines Veifpicl erläutern. 
9luf S. Ä8 unferer Sammlung pnbet fidj unter bem Xitel 
„baS rechte EBort" eine curiofe ©efcpichte. ©in Potentat, ben 
eine weit oorflepenbe Unterlippe tennjeiepnet, beltagt fiep auf ber 
3agb bei fdjlecptem EBetter ärgerlich, bap eS ihm — in ben 
SRunb regne, ©rope Verlegenheit ber Höflinge! ERan fepafft 
einen fRegenfcpirm herbei, man berfuept bieS, jenes — DergebenS, 
bem Potentaten regnet eS noch immer in ben ERunb. ©nblicp 
fapt ber Älügfte unter ben ©üuftlingen fiep ein #erj: 

„Stuffpringt er, Don heiliger Senbitng trunlen, 

®ie 6tirn tfjm umfpr&hn ber (Erleuchtung Junten: 

,,„®tetn aEergnäbigper Äaifer, geruh’, 

Unb fchliepe bie Sippen hulbreichft ju!"" 

DaS war baS rechte EBort. Der Äaifer folgt bem Stath, 
unb — es regnet ihm nicht mehr in ben ERunb. — SRöcpten 
bie Potentaten immer fo ein Oh 1 haben für baS rechte EBort! 
9luf biefe Pointe, biefe SRoral tarn eS bem Dieter an, unb für 
biefe „SRoral" fanb er jwifepen Fimmel unb ©rbe leine brafti; | 
fepere, leine beffere „Sabel". EtrgtoS fchrieb er bor Sa^rge^ntert 
nicht bloS bie ©efchichte,* fonbern auch ben Et amen beS Polen; 
taten piu. fragte 3'ntanb, ber bie Sammlung „3« ber 
Veranba" Dor bem Drud burchlaS, ben Dieter, ob et benn nicht 
glaube, bap bur<h befagte berb;brottige ©efepiepte, befonberS aber 
burep bie Etennung beS ElamenS ihres gelben, bie fchulbige 
Stüdpcht auf eprfureptgebietenbe $äupter ber ©nlel jenes Poten; 
taten Derleht fepeinen lönne? — „@S ift möglich!" oerfefjte ber 
©raf. „Daran h^^r i^h nid^t gebacht Sie hoben Siecht, 
baS mup geänbert werben. 3» meiner Stellung als Pair beS 
SteidjS unb geheimer Siath mup ich einige Siüdpcht nehmen. 
3dh werbe wenigftenS ben Siamen beS Potentaten weglapen." — 
Unb fo that et ... 


Das war'S. ffit bachte nicht baran. ©r fchrieb feine beipenb; 
ften ©ebidjte fo hormloS hi«/ wie ein SrühiingSlieb, mit jener 
liebenSWürbigen StaiDetät beS Poeten, welche weniger barauf 
achtet, WaS pch fchidt, als was pch reimt, unb welche um 
fo leichter perfönlich Dertefet, weit pe nicht baran bentt ju Der; 
tehen. SBar eS aber gefchehen, unb fah er, bap fein SiebeSpfeil 
in ein EBeSpenneft gefahren, bann freilich war er SRann genug, 
p^ bePen adhfeljudenb mit ber ritterlichen Deoife: „Viel Seiwb*, 
Diel ©hrM" ju getröften. 

ViS jur StaiDetät ging auch feine Vefdjjeibenheit. Dap ber 
pebenjigjährige, ber jubilirte SangeSmeifter im Stanbr war, mit 
ben ERanufcripten feiner brudbereiten Sammlung, wohl auch mit 
einem einjetnen ©ebidjte, baS er eben Dottenbet, ju einem weit 
jüngeren SangeSgenoffen hiojugehen, unb ihn um fein Urtpeil 
ju etfudjen, gerabenwegS aufmertfam gemacht fein wollte, wie 
er Jagte, auf feine „fsttytx" — baS tonnte man nur für einen 
naiDen ©jeep ber Vepheibenfjeit nehmen, ber beinahe rüljrenb 
Wirtte. 

3nbem er aber auf fremben Stath gern tyrU, auch felbft 
eine ftrenge ffritil bis jutefyt an feinen ©rjeugniffen übte, er; 
reichte er mehr unb mehr eine grope formelle ©ebiegenpeit, wenn 
auch in einjelnen Sätten bet ERangel, ber feiner ERufe Don 9ln; 
beginn anhaftete, noch h et00ttr *H, bap ber Stufe beS VerfeS lein 
leichter, bap Vilb unb SuSbrud bei bet ©ebrungenljeit feines 
Stils manchmal etwa« überlabcn ober getünftelt finb auf Äoften 
ber Deutlichleit 

„3n ber Veranba" ift leine jener „Etachlefen", wie Wir fie 
oft Don bebeutenben Dichtern erhalten, bie ju bem StuhmeStranje 
be« Poeten lein Wirfiich neue« Vlatt mepr fügen: eS ift Diel» 
mehr eine Sammlung, bie, mit ihrer ©ntfteljung jurüdreidjeub 
in bie beften Vlüthenjaljre beS Dichters, Sieles Don bem Vepen 
nnb Steifften enthält, was er gefchriebeit. ©ebiepte, wie bie 
^»elgolanber Sonette, bie ©ugen;8tomanjen, ©eftalten unb Vitbcr, 
wie „3agetto", „SelS im Strom", „bie SRumie", reihen fid) ben 
monumentalen. Seiftungen ber beutfehen Sprit an. Unb waS 
immer bie ^auptfache bleibt: Wenn .wir bie Sammlung burdj; 
gelefen, fo erinnern wir uns nicht bloS, wie bei fo Dielen anbern, 
eine gröpere ober geringere Elnjapl Don fchönen ©ebidjten ge; 
lefeu ju h Q ben, fonbern wir bewahren ben ganjen unb ootteit 
ffiinbrud einer gropen, in fepen Umriffen Wie in SRarmor ober 
@rj Dor unS fteljenben bichterif^en Perfönlichteit. 


£e fe fräste. 

i. 

| ©S ift mir nicht anberS ergangen, wie ben meipen meiner 
3eitgenoffen, bie fich noch um fdjöne Siteratur tümmern. Seine 
ber neueften ffirfcheinungen h«t meine ©unft fo rafdj erobert wie 
bie beS liebenSWürbigen ProDenjalen Ellphonfe Daubet. 

ERutter Statur h“t aus mir teinen ©nthupaften machen 
wollen. SReine Vewunberung ift bei aller SBärme nicht rüd; 
hattSloS. 3<h gebe mir SRüIje, Wie mau leibet häupger bei 
culinarifchen als bei äfthetifdjen Sreuben ju fagen pflegt: mit 
| Verftanb ju geniepen, unb geniepe barum nicht weniger als jene 
torhbantifdjen Seute, welche ben ©egenftanb ihrer Vewunberung 
fo lange Derpimmeln ju rnüffen glauben, bis pe ihm allen 
3rrtt)um unb jebe Sehte unb bamit bas fchöne Vorrecht ber 
ERenfchlichteit genommen hüben. 3^ bin .alfo Weber für bie 
Schwächen noch für bie Ungejogenljeiten 4er Daubet’fdjen ERufe 
blinb. 3ch {ehe, bap in bem reichen ©rbe tünftlerifcher Säpig 5 
leiten ber conftructiDe Sinn ju lurj geratpen ift. Diefe Vüdjer 
pnb nicht gleichgewichtig gebaut. Die eine $ätfte ift nicht feiten 
(am augenicheintichften im „Keinen DingSba") ju ferner unb 
Jchwerfäflig, fo bap ihr bie Heinere, wenn auch beffer gearbeitete, 
nicht bie SBage hält. 3<h f e h*, WaS noch fchlimmer ift, bafe 
biefeS auperorbentliche latent pch bem ©influffe einer literarifchen 
ERobelranlheit bem PefpmiSmuS a tout prix, in bebeutlidjer 


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12 


Ute (Gegenwart. 


Nr. 1. 


ffieife gingibt. liefet SRobelrantgeit ju Siebe gat Saubet bett 
©cglug feine« SReifterflüde« „Promont jeune et Risler ainfe“ (für 
meinen ©efcgntad wenigften«) oerborben unb in feinem testen 
Stoman „3ad" trog Oieter Oortreffticger ©injetgeiten ein abjcgeu« 
liege« ©ueg gefcgaffen. äl« unerbittlicher ©fgcgologe hätte fith 
ber Siegtet fügen müffen, bag ein Kerl wie bet alte 9li8ter, 
nachbem er alle« Sa« erlebt unb gerabe weil er fo biel Xraurige« 
erlebt, fieg nicht um eine« bummen jungen altbacfenen Siebe«« 
brief ben lob gibt. Um ja nicht mit bem ©eweife ju lurj ju 
fommeit, bag mir in ber aßerfegteegteften ber ©eiten leben, hot 
{ich Saubet in feinem jüngften SRomane bie größte SRüge ge» 
geben, aße erbenflichen Ungtüd«fäße auf ben fleinen „3ad" ju« 
fammenjutragen. Sa« SBtberfinnigfte mar gerabe gut genug, 
wenn e« nur SRitleib erregen tonnte. ©o in aßet SRelt macht 
man einen fttidebeinigen, Irüppelgaften ©cgwäcgling ju einem 
SRafeginengammerfcgmieb, unb Weil bei biefem ©efegäfte ber SReft 
feiner ©efunbgeit btauf gegangen, benfetben noch oerbiinnten 
Sammerfnaben nun gar jum $eijer eine« weltumfagrenben Kampfs 
fchiffe«! SRan fann e« leinem ©egriftftefler oerargen, wenn er än« 
gefiegt« ber fchmerbegreiflichen SRafeginerie, welche SRorij Satriöre 
mit ebenfooiel Sntimität wie 93ef)ageit „fittlidje ©ettorbnung" 
nennt, juweileit bie #änbe ringt unb mit feinen Siacgbilbungen be« 
menfeglicgen Seben« ju ber ©rlenntnig beiträgt, bag ©lüd auf 
Gtben ungleich unb nach gemeinem ©tmeffeu oft auch ««geregt 
oertheilt fei. SDie Kunftform ber mobernen Siooefle fegeint mir 
fogar einen gewiffen ©rab Oott ©effimi«mu« mit fich ju bringen, 
äber ber fegiegt über« Biel ginau«, ober beffer gefagt banmter 
burch, ber, um un« eine recht tragifche ©eftalt ju jeigen, einen 
Haufirer erfinbet mit fo ungeheuer großen Sägen, bag biefer 
nirgenb« ©cgugtoerl oorfiubet, grog genug, um ohne peinlichfte 
©egmerjen barin ju wanbem. 3ogrjegnte lang trottet biefer 
SRenfcg burch oße ©tragen unb ©ägegen, bie in Raubet« 
neueftem Stomane gibt, mit' ben ©rimaffen eine« SRärtgrer«, 
ber barfug über gtügenbe ©ifenplatten ^üpft. Sa« ©efegäft 
mug boeg etwa« einbringen, fonft mürbe geh leicht eine anbere 
unb figenbe ©efegäftigung oorjiegen taffen. 3« ber Xgat 
ernährt ber SRann eine Somilie oon feeg« Köpfen. äber ein 
paar @<hnhe nach eigenem SRage machen ju tagen, ba« 
bleibt bi« ju feinem fpäten HocgjeitStag unerfegwinglieg! äßen 
©efffmi«mu« unb aße anberen Hühneraugen ber SRenfdjgeit 
in ©gren, aber e« gibt noch ©onnenfegein unb ©aßofchen in 
ber ©eit unb Wa« man auch 8*8«« bie „fitttiege ©ettorbnung" 
auf bem ©ewigen hoben mag,’ fo grog hot ge leine« Haufirer« 
ffüge waegfen taffen, bag nicht irgenb ein ©cgufter, befonber« 
ein beutfeger ©cgufter, einen noch oiet längeren ©tiefet bereit« 
improoifirt hotte. 

Surcg folche unwißfürliche Sarricaturen rächt geh ba« latent 
an feinem Präger bafür, bag er ihm eine feiner reichften äbern 
ju unterbinben trachtet. Stacg meiner SReinung ift Stlphonfe 
Saubet Oon Statur au« Humorift, fo fegt er geh auch jum 
3eremia« jwingt. ©ie laum einer ift er fo redjt barauf am 
gelegt, bie ©eit mit einem taegenben unb einem weinenben äuge 
ju fegen, ©t aber fneift neuerbing« gewaltfam ba« lacgenbe 
äuge ju unb gält, um reegt mobifeg unb mobern ju fein, oor 
ba« meinenbe noeg bie 3tt>iebel einer pgilofopgifcgen Xgeorie. 
©a« ©unber, bag er babei ba« ©cgieten lernt unb bie Singe 
niegt megr reegt gegt, wie ge gnb. ä6er manchmal wirft boeg 
ba« lacgenbe äuge feinen Slig bajwifcgen unb oerrätg, bem 
Siegtet gleicgfam jum Xrog, feine merlmürbige ©egärfe. 

©er mir nicht glaubt, ber erinnere geg boeg jener löglicgeit 
©cgilberung ber Wartenben ©egaufpieter oor bem Segrätmig ber 
Keinen Sefire. Ober be« Siegtet« im 3«d, bem mit jebem 
iteuerfcgienenen ©ueg ober Xtama eine feiner 3been geftoglen 
worben ift. Ober er lefe Tartarin de Tarascon, niegt ba« 
glänjenbge, aber ba« eingeittiegfte unb befte ber Saubet’fcgen 
©üeger, oießeiegt eben barum ba« am wenigften gelannte. @8 
entgält bie ©efegidjte eine« ffeigling«, ber e« bureg bärbeigige« 
©efen erreicht gat, in ber öffentlichen SReinung feine« prooenjatifegen 
©täbtegen« für einen unnahbaren Ham« ju gelten, ©ie biefe 
aflmäcgtige öffentliche SReinung eine« läge« ben Slenommiften 


jWingt, naeg äfrila ju reifen, um ben Söwen ju jagen, naeg 
Welcgen ©cgicffalen unb unter wa« für Umftänben e« igm gelingt, 
biefer leibigen äufgabe ju entfpreegen, bureg welcgen feinen 
Kunftgriff ber Serfaffer felbft für biefen gülflofen ©cgwinbler 
bie Sgeitnagme be« Sefer« gerbeijujaubern Weig, wie Xartariu 
enblidg mit einem tobten Söwen unb einem lebenbigen Kameet 
naeg 2ora«con geimlegrt, mit ©tolj unb ©gren empfangen Wirb 
unb al« ein groget Helb im ©ebäcgtniffe feiner SRitbiirger fort« 
lebt — gegt gin, e« felbft ju lefen; icg Wiß ©ueg bureg 
trodene« ©rotocoßiren bie greube an ber ©aege niegt im ©or= 
au« oerberben. 

Sie« Keine ©ueg gat freilieg leine jrneite äuftage erlebt, 
wägrenb anbere beäfelben äutor« megr at« ein Sugenb jäglen; 
laum bag e« einer ber ign jegunber lobgubelnben Krittler erwägnt. 
Unb boeg gat ätpgonfe Saubet fegon mit biefem Keinen Sucg 
ben Sewei« geliefert, bag er ädgt „gaßifegen ©eifteä" Kinb ift. 
©ine gtänjenbe ©eße in jenem breiten ©trome, ber, laum bag 
bie merlwürbige SRifcgnation au« Kelten, fRömern unb ©erinanen 
in ber ©efegiegte genannt wirb, laum bag man Oon franjöfifcgen 
©praegen weig, entfpringt unb bi« auf ben heutigen lag bie 
©eit mit lacgenben ©ebanlen unb heiteren ©eftatten befruchtet. 
9Ran brauegt nur immer rafeg bie Sai« ber 3Rarie be ffrrance, 
bie Cent nouvelles uouvelles, Söißon, ben Jp e Plomeron, Stabelai«, 
9Roliöre, SSoltaire, Seaumarcgai«, bie fj5ampglete fß. S. Soutrier« 
unb Saljac« Contes droslatiques, ©eranger unb SDterimfce ju 
nennen, um auch b em SDtigwoßenben ben Sauf jene« grogeit 
©trome«, bie reiche güße geiftiger ©igcntgümlicgleit einleucgten 
ju taffen, bie gerabe biefe« ©oll auSjeicgnet. 

SRi^ bünlt, e« lönne für einen franjöfifcgen ©egriftfteßer 
lein grögere« Sob geben, al« in biefer ©igenart eine bemerlen«« 
wertge ©rfegeinung ju fein. 

©8 ift lein gute« Beicgen, wenn ber leufel bie SRöbemften 
antreibt, womöglich nur ©cgwarj in ©cgwarj ju malen. 

S)ag bie loftbare Sägigleit, bie SRenfcgen taegen unb läcgelti 
ju maegen, bie anbere au«fcgliege, fie ju rügten unb ju er« 
fegüttern, ift ein 3*rtg«m. greilidg ein weitoerbreiteter. 3<g 
tgeite ign nidgt. ©egon bie ätten forberten Oon bem Zragöbieit« 
biegter aueg ba« ©atirfpiet unb ber Hiowei« auf ^galefpeare 
unb Sope be ©ega genügt ju bem ©eweife, bag bie göcgfle 
Soßenbung ber einen ffägigleit bie ber anberen niegt nur niegt 
auSfcgtiegt, fonbern oielmegr in fieg ju fegtiegen fegeint. ©8.ift 
mir alfo aueg niegt eingefaßen, mit bem oben ©efagten bem 
reicgbegabten ®aubet ba« Stedgt unb bie ffägigleit, un« ju 
rügten, abjufpreegen. 5Rur ba« ©ebauern foßte laut werben, 
bag er biefe 3ägi8l £ ü einfeitig unb jum eigenen ©dgaben aus« 
jubeuten, ausjupreffen fidg anfegidt. 3«beffen würbe icg mit 
folcgcm Unterfangen aueg leinen ©tauben finben. ©em je über 
bie naegtbunlien 3)äcger be« äRarai« ba« genfter ber Keinen 
©ibonie oon ferne geleuchtet, ber oergigt niegt bie SRenfcgen, 
bie bort gewognt gaben, unb igren ©cgidfalen bleibt feine Igeil« 
nagme. S)ie augerorbentlicge ©eftaltungSfraft, bie Boubergabe, 
feinen ©efegöpfen finnlicge Ueberjeugung ju oerleigen, bag wir 
an oiele berfetben wie an leibhaftige ©elannte glauben, oerbunben 
mit bem aueg unter ben ffrranjofen fettenen latente, niegt fo 
faft padenbe al« fegöne Situationen ju erfinben unb reiegtieg ju 
erfinben, ftempetn mir SJaubet jum Siegtet unb jum eigentgüm« 
liegen Siegtet. Stiegt Wer unfere gutwißige @inbilbung«lraft 
bureg Sid unb Sünn feiner ©gantafien # fcgteift, ogne bag etwa« 
baüon am ©emütge be« Sefer« gängen bleibt, nur wer naeg 
bem feglägt unb trifft, bet oerbient ben Slawen be« 

©oeten. älpgonfe Saubet gat ign oerbient, wenn, aueg erft 
bureg feine ©rofa. ©eine Serfe, blaffe Stacgagmungen SRüffet«, 
au« früger 3ü«8lt08 8 i e *g gaben wrttig ju bebeuten. 

S3crlin, @nbe Secember 1876. £fans tjopfen. 


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Nr. 1. 


lit #fgeitn»art* 


13 


£tt ümtaines -fabeln. 

Uebtrftpt Don @rnft $obm, iHufiritt Don ©uftato Kote. 

(Serien 1877, Serfag Don SB. Stöfer* Jcofbudifjanblung.) 

Unter aßen ben glänjenben ©eiftern, welche fich um Subroig 
X]V. — nec soli impar — gef (haart unb feinet Regierung ben 
bauerhafteften Kupm oerltehen hoben, hot fich aufjer äRotiöre 
nur einer burch bie jmet Saprhunberte bis auf ben heutigen 
Sag feinen urfprüitgti^en ©lanj unb feine ^eitere Srifcpe uiu 
oerfehrt erhalten: 3ean Sa Sontaine. 

Sie Sa Sontaine’fchen Sabeln, bie bie fleinen Äinber in 
Srantreich fdjon audwenbig lernen, Wenn ed mit bem Sprechen 
noch nicht recht gehen min, lönnen nach ihrem ooßen SSerthe 
erft non bem gereiften ÜRannedalter gemürbigt merben. Sen 
behäbigen unb gemütlichen $umor, bie reijenbe Sdjalthaftigleit, 
ben feinen Spott, bie lede Satire, bie anftänbige unb ehrliche 
©efiitnung, bie tief poetifche Änfcpaulichteit, bie munberbare 
Seichtigfeit in ber Sorm, bad lüpne Spiel mit ben fprachlichen 
Schmierigleiten, — Äßed mit einem Starte, road bie ©röfje Sa 
Sontained audmaept unb bie Kacpmett baju beftimmt hot, bem 
Sichter troj} ber Skfcpeibenheit feinet Stufgabe eine erfte Stelle 
einjuräumen, — Äüed bad fann erft ber gereifte Sötann recht 
verftehen unb mahrhaft bemunbern. 2Jtit liecht h Q t man Sa 
Sontained Sabeln mit bem loftbaren SBein oergtiepen, ber mit 
ben Sohren immer beffer mirb. Sie 3ritgenoffen bed Sabel= 
biepterd nahmen noch Änftanb, ben gemiithlichen unb liebend; 
rofirbigen $erm, — ben „bonhomme“, roie fie ihn nannten, 
unb mie et noch iefct genannt mirb, — in einem Ätpern mit 
SRoliöre, Kacine nnb ÜBoiteau ju nennen, mit jenen Sichtern, 
bie fiep an bie pöcpfte Aufgabe ihrer föunft gemagt, meil Sa 
Sontaine ja nur einem unanfehntichen ©enre feine liebeöofle 
pflege jugewanbt habe; bie fpäteren ©efcplecpter aber hoben 
biefe Unterfdjeibung nicht mehr gelten taffen woflen unb ber 
tühnfte unb fcharffinnigfte bet franjöfifcpen Krittler unferer 3rit, 
Sainte Seuöe, hot bad Oermeffene SBort audgefprochen: „Unfer 
mirflicher Corner, ber Corner ber Stonjofen, mer fottte ed glauben, 
ift wapr unb mahrhaftig Sa Sontaine."*) Sa Sontaine ift für 
ihn ber lefcte unb gröfjte ber alten franjöfifchen Sichter. Um 
fi<h ald folcher ju bemühten, muffte Sa Sontaine aflerbingd bie 
©tenjen, bie er felbft für feine Sichtungen gejogen hotte, über- 
fdjreiten, muhte er aud ber eigentlichen Sabel peraudtreten. 3n 
ben bebeutenbften feiner ©ebiepte ift baher auch nur bad Äeufjer; 
liehe bet Sabel beibeholten. Siefed etmad wifllürticpe Verfahren 
hat not ben Äugen ber jtrengen fihcitil leine ©nabe gefunben, unb 
mopl blöd bedpalb hot ber geiftooflfte unb gereeptefte aller 
Äritiler, hot nnfer grober Seffing, ber für bad @<pte unb Kedpte 
immer bte tieffte Cmpfängticpteit befafi, einen Sichter mie Sa 
Sontaine, ber ihm feiner ganjen Statur noch fo fompatpifcp hätte 
fein müffen mie lein anberer, bennoch unterfcpäfct. 

SSiele ber Sa Sontaine’fcpen Sabeln, bie, mie man roeifj, 
felbft ihrer groben äJteprjahl nach freie Kacpbicptungen ber Sabeln 
bed Äefop unb beö ppäbrud ftnb, ftnb fchon feit langen Sohren 
in’d Seutfche überfefct ober im Seutfchen nachgeahmt worben; 
©edert, ©leim, Sicptwer, Pfeffet, fogat Heinrich twn fileift, unb 
öiele Änbere hoben einige ber mirtfamften ber Sa Sontaine’fchen 
Sabeln herauögegriffen unb mehr ober minber frei nacpjubilben 
gefucht. ©inige babon, mie „3opann, ber muntre Seifenfieber", 
„©ine Heine ©rille fang einen ganjen Sommer lang" hoben ed 
auch Jbei und ju einer groben Popularität gebracht; aber gerabe 
biefe hoben burch ben Uebergang aud bem Sronjöfifchen in’d 
2)eutfcpe ben ©paratter bed Originald napeju ooUftänbig einge= 
büfjt; ed ftnb beutfepe ©ebichte gemorben, ju benen Sa Sontaine 
ttnr bie Anregung unb einige glüdtidje SBenbungen gegeben hot. 

3e|t ift nun tton Srnft Sohm ber Perfucp gemacht morben, 
oon ben fämmtlichen Sa Sontaine’fchen Säbeln eine gemiffem 
hafte literarifche Ueberfefcung ju geben; unb biefeö tüpne Unter; 


*) Canseries du Lundi. 7. Sb. III. Stuft. ©■ 519. 


nehmen ift trofc ber unglaublichen Schmierigleiten, bie ed ju 
bewältigen galt, in gerabeju unübertrefflicher Staife gelungen. 
SDSir wollen, ba wir lebiglich bie literarifche Ärbett in’d Äuge 
ju faffen beabftchtigen, nur ganj nebenbei ermähnen, bah bad 
Prachtwerl auch äußerlich eined ber fepönften ift, bie je aud 
beutfefjeu preffen heroorgegangen ftnb. ©uftab Sor6 h ot badfelbc 
mit über 500 SUuftrationen gefchmücft. Sie ©efpredjung biefed, 
bed artiftifdjen ©peild bed SBerled, bleibe ber Seber eined 
^Berufeneren borbehalten. 

©mft Sohm jeigt ftch h* et old ein Sprach 5 un b SSerdj 
fünftler erften llanged. Sa er bon bem fehr richtigen Staub; 
punlt audgeht, bah bei Sa Sontaine bie Sorm bad 2ücfentlicf»e 
ift, fo hot er fich bemüht, in feiner Uebertragung biefe Sorm 
in ber bottften Strenge ju erhalten unb jmar fo, bah jebe 
SBerdjeile ber Ueberfeftung genau fo biel Silben jählt Wie bie 
correfponbirenbe SSerdjeile bed Originald; bah bie Keime ihrer 
Stellung unb ihrem ©horalter nach, ald männliche ober meib; 
liehe, in ber Uebertragung ben Keimen bed Originald burChauö 
entfpredjen; bah oüe ©igenthümlidhleiten bed Khpthmud fich in 
ber Uebetfefeung ba einfteüen, mo fie in ber Originalbichtung 
herbortreten; ja, bah fogar gemiffe SBifllürliihteiten unb Srei= 
heilen in ber Sprache bed Originald ben antlingenben Äudbrucf 
in ber Ueberfefeung gefunben hoben, fflenn Sa Sontaine j. SB. 
einen fdjmachen Keim Wählt, fo hot Sohm ebenfaüd forgloö 
gereimt; ift bei Sa Sontaine bie Sorm aber gewählt nnb ftreng, 
'fo weift auch bic Ueberfefcung biefen ©horatter auf. 

Um bie Seinheiten unb bie aufjerorbentliche Sorgfalt biefer 
Ärbeit in’d rechte Sicht ju fefeen, müffen mir einige Stellen aud 
bem Originale unb aud ber Sohm’fchen Uebertragung h> er 
miebergeben. 2Bir wollen gerabe biejenigen nehmen, welche 
Saharpe, ber in Sa Sontaine ben unübertroffenen SKeifter ber 
franjöfifchen Sprache bemunbert, ald SJtufter anführt.*) ©ein 
franjöfifdjer Sichter hot in ber Sljat ben SBerd mit einer foldjen 
Seichtigieit behanbelt, mie Sa Sontaine. „Sie ©intönigleit, bie 
man unferer Sichtung oorroirft," fagt Saharpe, „oerfchminbet bei_ 
ihm ganj unb gar. Kur am SBohlttange, nur an ber reijooUen 
Harmonie, bie mit bem ffimpfinben unb bem ©ebanlen ftetd im 
©inllange ift, merlt man, bah rr SSerfe fchreibt. ©r fchaltet 
unb waltet mit einer folgen Sreiheit in ben Keimen, bah bie 
SBieberleljr bedfelben Sauted nur ein Schmud ju fein fcheint, 
aber ftine Kothwenbigleit. Kiemanb hot mie er ed oerftanben, 
ben Berfen einen eigentümlichen Khhtmud ju geben; leiner 
hat mit ber ©äfur eine foldje SBirlung erjielt mie er. Sie 
reijboQfte SSiHlür hrrrfcht in feiner ganjen SBerfification. Sei 
biefem SRanne, bet bie SBahrheit über Äßeö liebte unb bie 
Süge über ÄQed höhte, hoben atte ©mpfinbungen, alle 3been 
ben 2lccent, ber ihnen gebührt SKan barf fich auch nicht barüber 
munbern, bah ein Sdjriftfteller Wie er, für ben bie Sichtung 
ein fo gefügiges SBerljeug mar, ju gleicher Seit ein grober 
' SRalet fein muhte. 6r oerftept ed mapr unb wahrhaftig mit 
bem Starte ju malen." $ier ein Seifpiel: Ser Äampf jmifepen 
ber SJtüde unb. bem Sömen. 

Le quadrupede äcome, et son oeil dtincelle; 

II rugit: on se Cache, on tremble ä Tenviron, 

Et cette alarme universelle 
Est l’ouvrage d’un moucheron. 

Un avorton de mouche en cent lieux le harcelle; 

Tantot pique l’£chine, et tantöt le museau, 

Tantöt entre au fond du naseau. 

La rage alors se trouve ä, son faite montöe. 

L’invisible ennemi triomphe, et rit de yoir 
Qu’il n’est griffe ni dent en la böte irritöe 
Qui de la mettre en sang ne fasse son devoir. 

Le malheureux lion se döcbire lui-möme, 

Fait rösonner sa queue a Tentour de ses flaues, 

Bat l’air qui n’en pent mais; et sa fureur extreme 
Le fatigue, l’abat: le voilä sur les dents. 


*) Cours de litterature. 93b. 8. 


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14 


9ic & 


Nr. 1. 


Die Ueberfefcung oon ©ruft Dohm lautet: 

Sc fhäumt, unb gunfen fprfipt ba« Slug’ be« milben Stetten; 

Sc brüllt, unb ring« umher erjittert Dbal unb Berg; 

Unb biefer allgemeine Steeden 
3 ft einec Keinen SRfttfe SBert. 

Sin bunbect Steden fucf)t ba« SJtüdlein ihn ju netten: 

'Salb ftidjt’« am Stfiden iljn, balb madjt’8 am Blaut iljm ©ein, 

©alb frietf)t‘8 ilpu in bie 9laf’ hinein. 

Stun b«t be« Sßmen SButp erreicht ben ljö<bften Kipfel; 

5ec unfidjtbace geinb, toie triumpljiet ec jegt, 

Da Klaue nicht nodj gähn, turj, nicht bec tleinfte Qipfet 
De« fcfjmerjgequälten Xpier« mehc ^eil unb unterlegt! 

3)ec aeme üeu jerflfifdjt fidj felbec, an bie SBeithen 
Schlägt ec ben mächt’gen Schweif, ec jthlägt in tinb’fthem Sinn 
Selbft bie unfthulb’ge Soft. Die« SBiltgeu ohne Kteidjen 
Srfdjöpft ihn, matht ihn matt, unb balb ift et ganj h* n! 

SKan Ocrgleiche aufmerlfam biefe Ueberfefcung mit bem 
Original, unb man roirb fchon hier bie ©eftäiigung be« öorher 
©efagten finben: wie t^atfäc^üc^ Silbe für «Silbe überfefct ift, 
ohne ba| baburth ber «Spraye ber Ueberfefcung irgenbwie ©e- 
watt angethan wäre. 

©in anbere«, ein anmuthigere« ©ilb: 

Perette, sur 8a täte ayant un pot au lait, 

Bien posä sur un coussinet, 

Prätendait arriver sans encombre ä la rille. 

Lägfere et court vätue, eile allait ü grands pas, 

Ayant mis ce jour-lä, pour 8tre plus agile, 

Cotillon simple et souliers plats. 

Diefe Sabel gehört ju benen, bie ©leim iiberfefct, ober öielmel)r 
fo gut er e« bermocht, nadfjubidjten oerfucht hat. ©ei ihm fängt 
bie ©efthichte fo an: 

Buf teilten Öü&en lief ein actig Bauerweib, 

Keliebt oon ihrem Staun, gefunb an Seel’ unb Sei6, 

Stühmorgen« nach bec Stabt unb trug auf ihrem Stopfe 
Bier Stübchen füjje SBilth in einem grofsen Zopfe. 

©o geht’« weiter; immer biefetbe btebere Sdjwafehaftigfeit, 
biefelbe hauSbatfene ©eimfd)mieberei. ©ei Dof)m h«i|t eS: 

©oefithtig trug ©erette ’nen m Ungefüllten Zopf 
Sluf einem Kiffen auf bem Kopf; 

Sie hofft ohn’ ftinbernijj glüdlid} jur Stabt }u eilen. 

Kan} leitht uub für} gefcijürjt, geht fchneßeu Stritt* fie }u. 

Sin ffileibung trug fie heut, um fith nicht }u oectoeilen, 

Stur einen SRod unb fladje Sthuh- 

Stlfo auth h‘ ec hat Dohm ftreng am Original feftgehalten 
unb ben ©hatalter beSfelben mit merfwürbiger Dreue in feiner j 
beutfehen ©ad)bilbung ju erhalten berftdnben. ©8 ift biefelbe 
©orreetheit unb Knappheit im ÄuSbrud, bie nämliche ©equem= 
lichfeit im ©einten; e« ift lein glidwort ba, lein überflüffige« 
Detail, ba« lebiglith bem ©ebürfni|, ju einem öorljanbenen 
SEBorte ein antlingenbe« Säort }u finben, fein Dafein oerbanlt. 
Stu« biefem ©eimbebürfni| befd^enft ©leim bie SKilchfrau mit | 
ben fthönften ©aben, mit bem gamilienglüd unb ber ©efunbljeit | 
„an ©eete unb Seite", — wa« fidjerlich für bie ©efchichte bom | 
äRilthtopf, ber burth einen unoorfichtigen Sprung ber jungen | 
grau bom Kopfe gleitet unb serbridjt, bon äu|erftem ©elang 
ift. Unb wie mfihfam fdjleppt fith ber langweilige SUejanbriner 
bei ©leim bahin, Wie leidjtfüfiig hüpft er bei Dof)m baher! 
SEBenn Sa gontaine in feinen Serfen biefe« üRühfelige unb 
Schwerfällige beabftchtigt, fo weil Dohm bie« mit berfeiben 
©ewanbtheit in unferer Sprache wieberjugeben. Da ift 3 . ©. 
bie gäbet bon ber Kntfche unb ber gtiege, bie in tangfamen, 
trägen ©erfen im Original atfo anhebt: 

Dans un chemin montant, sablonneux, malaise, 

Et de tous les cOtes au soleil exposä, 

Six forts ehevaux tiraient uu cocV 
Femme, moine, vieillard, tout ätait ? flu; 

L’equipage suait, soufflait, ätait rem* i 


©ben fo faumfetig unb ermattet tauten bie ©erfe in ber 
Dohm’fchen Ueberfefcung: 

Stuf fteilem fBeg, bergan, gogen buch tiefen Saab 

Sech« ftarfe Käufe bei bec Sonne gtüh’nbem Branb 
’ne Sanblutfdje mit viel BefchWerben. 

SBeib, Btfinth unb Kcei« flieg au« an biefem fthtoiec’gen Ort. 

Da« fthtoigenbe Kefpamt tarn lenthenb laum noch fort. 

Sa gontaine hat, wie man bemerlt haben wirb, fi<h in 
feinen ©erfen in biäcreter SBeife ber Klangmalerei bebient unb 
I mit ben $auptberben „Suait“, „soufflait“ bie StUiteration an'- 
i gewanbt. ®er ©orgfamleit be8 Ueberfefeer« ift biefe ©injelheit 
j nitht entgangen unb wie Sa gontaine, fo attiterirt auth cr * n 
| ber Ueberfefeung: „fthwier’gc", „fthwihenbe"; „lann", „leuchenb", 

| „laum". 2 Jtan halte ba 8 nicht für einen 3 «faß ( e« ift eine 
I wohlbeabfidjtigte lünftterifhe 3«tention be 8 Ueberfefeer«, ber 
i felbft für bie geringfügen Steufjerlidjfeiten ber franjöfifthen 
1 $id)tung bei feiner beutfthen Umbidhtung immer na<h einem 
Srfage gefugt h°t. SBenn 3 . ©. Sa gontaine „point“ in bem 
Sinne üon „burchau« nicht" mit „point“ in bem Sinne oon 
„©unft" reimt, fo futht ®ohm für biefen, ben beutfdhen Ohren 
ungenügenben franjöfifthen Steim auch ' m beutfehen nach einem 
i nicht gan 3 fehlerfreien. Die jehnte gäbet be 8 jweiten Suche« 

| fthlie|t bei Sa gontaine mit ben ©Sorten: 

Qui ce fut, il n'importe; 

C'est assez qu'on ait tu par-lä qu’il ne faut point ' 

* Agir chacun de mäme sorte. 

J’en vouloia venir ä ce point. 

bei Dohm: • 

„SBer? ba« tljut hier nicht« }ur Sache, 

Kenug, wenn man ectannt: *« taugt nicht«, baff bur^au« 
ffi« Ciner wie bet Slnbre mache. 

Kben bacauf wollt’ ich hinau«." 

i Da| auch fp et ber mangelhafte Steim „burchau«" unb 
j „hinaus" öon bem Ueberfefeer gewoQt ift, wirb Keiner bezweifeln, 

| ber ba« ©Bert lennt unb weif, wie bie guten ©einte in uner= 

: fchöpfticher güüe bem Ueber(e|er jufliefjen. 

Sa gontaine gebraust bisweiten ein altfranlifche«, ein 
' barode« ©Bort, ba« auch ju feiner Seit f<hon ben ©inbrud be« 

! ©eratteten machte. SEBenn bie« gefchietjt, fo will er immer eine 
! beftimmte SBirlung bamit h«oorrufen; er miß ba« ©ebantifche, 
j SKagifterhafte unb ßopfhafte burchfchtmmern taffen, fo j. 8. in 
I ber jwanjigften gabcl be« zweiten Suche«, wo oon ber Dheitung 
: einer ©rbfehaft bie ©ebe ift: 

Quant ä la somme de la veuve, 

Voici, leur dirent-ils, ce que le conseil treuve. 

Die Stnwenbung be« alten ©erbunt „treuver“ für ba« fdjon 
ju Sa gontaine« Seit allgemein gebräuchliche „trouver“ ift hier, 
Wo c« fich um bie immer einige 3ahrjehnte jurüdbleibenbe ®e- 
ri<htsfpra<he hnnbelt, ganj am ©Iahe; beswegen hat auth ®oh ,K 
hier eine barode ©ebewenbung genommen, er überfefct: 

Unb in Betreff be« SBittwengute« 

Ertennet ba« Kecicht, tunb unb ju wiffen tput e« k. 

Slm bewunberungswertheften ift bie Kunft, mit welcher 
Dohm ben fteifbeinigen Sltejanbriner behanbett. Diefet h fl rt= 
mäulige ©aui, ber aße fech« Schritt oor ber ©öfur fielen bleibt 
unb bodt, gatoppirt unb trabt hier fröhlich baher, ganj nach 
bem ©efatten be« lunbigen ©eiter«. ©erabe wie Sa gontaine oer= 
fteht e« ber Ueberfeper bie metrifche ©afur burth ba« Sinnliche 
ju oerbeden, unb in ben ©er« einen ganj unerwarteten ©hpttp 
mu«, eine lebhafte ©ewegung Ijineinjubringen. Die SJtorat ber 
gabel 00 m ©tüßer, feinem Sohn unb bem ©fei heilt bei Sa 
gontaine: 

Quant a vous, suivez Mars, ou TAmour, ou le princc; 

Allez, venez, courez, demeurez en province; 

Prenez femme, abbaye, emploi, gouvemement: 

Les gens en parleront, n’en doutez nullement. 


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Nr. 1. 


Sie • egeit'»«rt. 


15 


Sogm über)egt: 

35 u — o c b’ ju $ofe, (d)»dt’ ju TOart’, ju HmorS Sahnen, 

Steg, tauf, bleib’ gier, jieg’ bieg prüft iu’S @<glo& ber ftgnen, 

©erb’ @eiftti<ger, Solbat, SRatlj, nimm’ ein ffieib, nimm’ leiitS: 

Dem filatfeg ber SB eit nerfSUft bu bo<g — 8’ift ÄUeS ein?! 

SBenn man biefe Sßerfe laut lieft, wirb man faum gewahr, 
bafc es SHejcanbriner finb, fogeftgidt gat Sogm bie langweilige 
©äfur bureg ben Sinn ju befeitigen uerftanben. 

Siefe Seifpiete — eS finb im ©etgältnijj ju bem grofjen 
unb umfangreitgen SEBerfe nur fegr wenige — müffen uns jur 
(Sgarafterifirung ber Sogm’ftgen Ueberfegung genügen, ®ie finb 
aber autg mögt auSreicgenb, um baS ©erbienfttiege biefer jmar 
fegr befcgloerticgen, aber auefj fegr tognenben Strbeit ju jeigen. 
SBit gaben fetbftberftänbticg nidgt alle gabeln 2a gontaineS — 
eS finb beren über 400 — im Original mit ber Ueberfegung 
bergteiegen fönnen; eS ift bager aueg fegr Wogt mögtieg unb | 
fogar fegr magrfcgeinlicg, bafj gier unb ba Heine Setfegen unb j 
aRi^oerftänbniffe mit untergetaufen finb, bie wir niegt bemerlt i 
gaben. 8lt>er überall, wo wir bie fßrobe gemaegt, gaben wir i 
ben Ueberfegcr als ftmngfunbigen, einfugtigen, feinfühligen unb 
mit einer feltenen gormgewanbtgeit auSgeftatteten Siegtet bewägrt 
gefunben, ber jebeSmal mit bem erften ©cglage fieger beit Uiagel 
auf ben Äopf trifft, gür bie rugige, gemeffene ©cgilberuitg, wie 
für bie bramatifege 2ebenbigteit beS SialogS, für ben garmtofen 
©egetj, ber bisweilen bis jur fßoffe fieg gerablägt, wie für ben 
ergreifenben @rnft, ber fieg unter Umft&nben jur ©rogartigfeit 
$n ergeben weife, — für alle Sönc, bie ber franjöftftge Siegtet 
anfegtägt, gat Sogm bie entfpreegenben 2aute, ober pm SKin= 
beften bie HnHänge in unferer äRutterfpracge gefunben. 3« ben 
SKeiftern ber beutftgen UeberfegungSfunft, p unfern ©egteget, 
Sied, ©üdert, greiligratg, ©eibel, 2eutgolb, ©aubiffin, $et)fe, 
©ilbemeifter, Sauber, Sobenftebt, SGBilbranbt u. 81 ift ein neuer 
ginpgetreten: ©rnft Sogm, ber • mit biefer fegönen 8lrbeit in i 
bie ©eigen jener gocgoerbfcuftticgcu ©tänner gerüftt ift, bie ben ! 
©ugm beanfprudgen bürfen, bureg igte »oKgültigen Ueberfegungen 
grofee Siegtet ber gtembe bei uns geimifeg gemaegt p gaben. 

2a gontaine ift trog feines fpecififegen granjofentgumS uns jegt 
fein grember megr. Sogm gat igin baS Egrenbürgerreegt in 
Seutfeglanb erwirft. | 

Paul Ctnbau. j 




Tab neue Sa^r fünbigte fid^ jiemlic^ büfter unb friegbbebroplicp 
an, bot auch für bie (Geppüpe nic^t überaus günpige Auspcpten. Ten 
Beitgenoffen ging am Sploeperabenb eine Apnung auf, baß »ir in einer 
unruptgen (GefcpicptSepoepe Ieben, bie frönen breigtger Sabre, »o man 
in aller ERuge arbeiten fonnte, unwiberbringlicp bapin finb unb ber 
ERenfeppeit fortan foartanifepe (Entbehrungen zugemutpet »erben. ERan 
tröflet ficb mit bem Refrain, bag bie orientalifebe Shrifid uni niebti an= 
gegt, emppnbet aber boep ein intimei Unbehagen bei bem (Gebauten, bag 
fie nni mit ber 3 *it mehr angeben Ibnnte, ali man ofpciöb ©ort 
haben »iE, auch ein Uebernnegen ber rafPfcpen ERacpi in (Europa ben 
beutfepen Sntereffen am (Enbe oieEei(bt nicht burcpauS förberticb fein 
bftrfte. Sonp lehrt ein Etücfblicf auf bai vergangene 3<*pt/ bag »ir 
in einigen »ichtigen Gingen aEerbingi vorwärts gefommen finb. 8 U 
ber (Einheit bei ERageb unb (Gewicptft, bie in ganz Teutjcplanb gur 
Geltung lam, gefeEte fuh bie Einheit ber 3ufti^, aEerbingi mit einigen j 
bebauernbwertpen Süden, beren AubfüEung bie Aufgabe ber nücpften ! 
Sabre fein »itb. gür bie Eteform ber Verfeprbmittel ^at ber geniale 
©teppan »teber neue ©ege gefunben, bie feinem »oplverbienten bürgen j 
lidpen Borbeerfranz eht »eiterei Statt pinzugefügt haben. Unbefcbabet j 
ber Anerfennung, bie biefem ERuperbeamten von aEen ©eiten ju Tpcil j 
»itb, finb feine Verbienpe um bie Verlängerung bei menfebticben Bebens | 
noch nicht genugfam ge»ftrbigt. Tie (Einführung ber ^obrpoftejpebition, 
mag biefelbe immerhin in SSien jiierft entbedt »orben fein, jtoingt bie ; 


Srieffcbreiber bureb bie verb&ngnigVQfien 5 e|n 9ramm $u möglicbft 
fnapper Äür^e unb beförbert bie Äbfd^affung lang»eiliger Titulaturen 
unb ^öftiebfeiten, »eteber bie telegrapbigbrn Tepefdjen febon träftig vor= 
gearbeitet batten. Unberechenbar ift bie Summe von Beit unb Äraft, 
j bie unfere Sorfabren bureb Anfertigung langatmiger (Epifteln jeber Art 
umtüp aufgemenbet haben. Auch bai lebenbe @ef<bte<bt bat in früheren 
Tecennien bureb bie 9totb»enbigfeit febeinbeitiger (Gratulationen unb 
Seiletbibe^eugungen »egen fogenannter Samitienereigniffe, bie ben 
©djrciber voEfümmen gleichgültig liegen, foftbare Stunben bei ohnehin 
turjen Sebeni eingebügt. 3ept »irb, Tan! bem neuen Stephanien 
Tarif, in sebn Porten für fo unb fo Viel Pfennige ganj baifelbe gefaßt. 
Ter (Empfänger freut fiep noch obenbrein über bie prompte Aufmertiant' 
feit unb bie Sache ift abgetan. AEei lägt fiep freilich niept tetegrappiren. 
Ta tritt inbeffen jept pülfreicp bie ffloprpofl ein unb trügt iprer|eiti 
baju bei, bag bie be»ugten vier Srieffeiten mepr unb mepr in SBegfaE 
fommen. Ter Stil »irb prdeifer, prägnanter unb, »enn niept eine 
natürliche Anlage §ur (Er»ei(pung einei foftbaren f&rperlicpen Organi 
piubernb in ben Sieg tritt, auep verpüttnigmügig gebanfenVoEer. Tie 
Beit »irb vieEeicpt fommen, »0 man auep im münblicpen Audtaujcp mit 
jroei ©orten unb einem $ünbebrud eine gan$e ©onverfatioit erfept, bie 
$ur Vermehrung beb menfcpltcpen ^beencapttalb »irflicp bluüvenig bei= 
getragen pätte. Tie granjofen finb unb in[ofern auf biefem (Gebiete 
voraus, alb in $arib feit geraumer Qtlt burep furje ^anbbifletb japllofe 
(Gefcpäfte erlebigt »erben, für »elcpe »ir langfame (Germanen oft förm= 
licpe Vefucpe ju maepen unb ju ertragen paben. Sn $arib barf man 
einen ScpriftfteBer ober Sournaliflen beifpielbmeife in ben ERorgenffunben 
gar niept ftören, ribfirt bann aut Von befepäfttgten Beuten niept an^ 
genommen $u »erben, ©er fennt niept bei unb baS Verfahren fonft 
liebenb»ürbiger ^erfonen, bie, mögen fie auep mit bem offenen Ve* 
fenntnig empfangen »erben, bag man ihnen nur eine fur$e geit »ibmcit 
forme, mit freunblicp unverfrorener ERiene fagen, fie »oflten auep nur 
»enige ERinuten vermeilen, fiep bann aber bepaglicp nieberlaffen unb 
minbeftenb eine palbe Stunbe bem geiftigen Arbeiter bucpftäblicp ent> 
»enben! Srgenb ein (Geleprter beb ERittelalterb patte mit grogen Settern 
in lateintffper Sprache über feine Tpür gefeprieben: ERan faffe fiep furj! 
(Eb tpäte Efotp, biefe ERapnung, in unfer geliebtes Teutfcp übertragen, 
auep noep peute $u aboptiren. Tropbem »äre ber (Effect für gc»iffe 
Vefucper ^»etfelpaft. Tie ©e»öpnung an Telegramme unb Efoprpoftbriefe 
»irb Vielleicht Abpülfe gemapren. So pat benn Verltn auep in biefem 
Sapre unter mancherlei ©eficptbpunften gewonnen unb »irb feiner Aufs 
gäbe an ber Spipe Teutfcptanbb jufepenbb mepr geregt. AEerbingi 
parren noep manepe ©ünfepe, uamentlit in Sacpen ber Stragenreinigung 
unb fonftiger fanitätlicper (Erforberniffe, iprer enblidpen (ErfüEung. (Ein 
englifcpeb Vlatt behauptete neulich, bie eingebrüdten Efafen ber Etrger 
rüprten bavon per, bag fie anf bem (Gefiept fcpüefen, »aprenb halb baranf 
eine Sufc^rift an ben f^eraubgeber »iffen »oEte, bie Etatur pabe bie 
Efeger iu biefer Vefttepung beb»egen fo befepränft aubgeftattet, bamit fie 
ftep in ber Atmofppüre iprer Jütten in einer für ipre (Gerucpbnerven er= 
träglicpen ©eife bewegen fönnten. SoEte bab »irflicp »iffenfcpaftlicp 
begrünbet fein, »ürben bie oft »eit geöffneten Etüpem ber Vetlincr, 
»enigftenb in ben Sommermonaten, rätpfelpaft unb im Vergleich mit 
ben Vewopnem Aetpiopienb alb eine Venacptpeiligung erfepeinen. 3eben= 
faflb ift itocp Viel 5 U tpun übrig, unb eb wäre ber Ueberlegung »ertp, 
ob niept naep ber Vereinigung fo maneper Aemter in Steppanb $anb 
auep bie pieftge (Gefunbpeitbppege feiner tunbigen Seitung vortpeilpaft 
übergeben werben fönnte. 


ßtr t jptt gütig* 

Ter in ber „(Gegenwart^ 1876, 9tt. 63, S. 438 ongef. Artifel ber 
/,ABg. Btg.^ über bie militärifepe 3ugenberjiepung ip 1874, niept 1876 
erfepienen. 


AEe auf ben 3npalt biefer Beitfd^rift bezüglichen Vopfenbungen Pnb 
§u riepten: 

Tin bie AebartUm ber „Gt&mnxt“. 

Vetlin, SW-., Sinbenprage 110 . 


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16 


1 i t <8rs*n#«ri 


Nr. 1. 


9 *ftx*i t. 

dm irntger Wutor 

oon nnffenfdjaftlidjer ©tlbuitg münfdtf eine ©teile 
als ffiebacteur eines belletriftifdjen SournaU ober 
beS geuiUetonS einer liberalen$age35eitung. ©efte 
3eugntffc fielen ju SDienftcn. Slbreffen erbeten 
unter X. Y. Z. Sjrpeb. b. ÖJegentoart, fiouijenftr. 32 . 



$rote’f<fk 

Uluftrirte (EialTtker-Aufgaben 

mit (Einleitungen unb Slnmcrfungen? 

Xiejelben tnerben üorrätlpg gehalten in eleganten Seintuanbs unb ^albfran^ refp. ©alb? 
Pergament^ (fog. Sieb^aberO bäitben, finb in tnicbcrfioltcflen Auflagen erfd)ienen, allerorten äufterft 
lobenb recenfivt unb erft jüngft in ^b^aberpiiia auf8 Weite prämiirt roorben. 

©rfd)ienen finb bis je&t: 

@ßantitfo'& ^SerRe. 2 33ä*töe. <£eflß*tg’s ^Perfte. 8 ^äcinöe. 

geb. 7 JC 50 $ f y 2 franjbb. 10 JC geb. 28 Je, y t franjbb. 40 JC 

QoetQe’a perlte. ScBUTer'’» lUevfie. 6 33 än 6 e. 

«u«0o6t in 20 Banben, in lOBflnbe geb. fle b. 20 JC, '/„franjbb. 30 JL 


30 JC, Vsfranbbb. 45 JC 

-ftuögabe in 30 ©änben nebft bem Gratis- 

Snpplcmrntbanbc: SemeS, OJoet^e’sSe^ 
ben, in 16 SBbe. geb. 45 JC, VJranjbb. 70 JC 

ferner’o IKJerRe. 2 &l&nbe. 

in Beinroanb eleg. geb. 6 JC 


§coft'& Romane. I.$ertc. 6336c. 

geb. 22 JC 50 Ä, 7 2 fran$bb. 30 JC ~ 

§ßaftefpeare’s5 'gfterRe. 8 336c. 

©djlegfl^ififfdjc Uebcrfcpung. geb. 28 JC, 
V 2 franjbb. 40 & 


25 ie ©ammlung roirb fortgejept. — $te ruidjtigften $id)tertoerfe finb in bemfelbcn Verlage 
aud) nod) in Gctab; (finsei« unb in ben fo fef)r beliebten PiamanL^titogafrevt etfdpenen. 
Jiiil)ciev bar über im (»röle’jdjen ^crfagsBeridjf, ber gratis in jeber ©udjpanblung ju liabeit ift. 

gfetrdincmö ^affatt'e. 5 

(Stn literariic^eg Gfyaraftcrbilb * 

öon J 

(öcorg örnnöi‘ 5 . 

31 u 8 b e m $ ä n i i tfj e n. * 

Slutorifirte Ueberfepung. 

5 JreiS elegant geheftet 4 JC 

3u bejie^en burc§ alle ©udjpanblungen, fomic birect oom Verleger 
©erlin W., ^ßotSbamerftrafje 20. Sranj Stunden 




Tisch für Magenkranke 

von Dr. med. Josef Wiel (Besitzer der 

Heilanstalt für Magenkranke in Zürich). 

Neue Aufl. ( 1876 ). 4 JC = 2 fl. öst. W. 

Die Bohemia 1875 Nr. 57 sagt darüber: 
Wir möchten nicht nur jedem wirklichen 
Magenkranken, sondern der grossen 
Zahl jener Personen, welche stete über 
einen „schwachen Magen“ klagen, sich 
bei der geringsten Veranlassung leicht 
„den Magen verderben“, dabei aber 
nicht daran denken, sich im Essen und 
Trinken irgend Schranken zu setzen, die 
aufmerksame Lee tu re dieses Buches 
empfehlen. Dasselbe enthält so viele 
\ wichtige und bedeutungsvolle Winke für 
*die Art und Weise, wie die richtige 
Diät beobachtet werden soll, dass auch 
die sorgsame Hausfrau, der es darum zu 
thun ist, dass ihre Tischgäste eine gute 
und nahrhafte Kost erhalten, davon profi- 

I tiren wird etc. etc. 

Zu bez. d. alle Buchh.; in Ermangelung i 
geeigneter Verbindung vom Verleger (Hans r 
Feiler in Karlsbad, Böhmen) gegen Eins, 
d. Betr. in Briefm. oder Post-Anweis., 
Zusend, sofort franco. 


Tlrehnix Thierleben 

Zweite Auflage 

mit gänzlich umgc arbeitet cm und emeeitertem Text und grösstcntheiU 
neuen Abbildungen nach der Natur, umfasst in vier Abtheilungen eine 

eiUgreaacLeliie 1^-a.ncLe d.er TihAer-w-elt 
aufs prachtvollste illustrirt 
f und erscheint in 100 wöchentlichen Lieferungen zum Preisvon 1 Mark • i 

Verlag des Bibliographischen Instituts in Leipzig. 


bietet 311 bem üblidjen Seifypreife bte ncucflcn 
Otomane ber bclicbtcflcn bcutfdjen ©ipriftftfUer 
ipr. ©aitb ca. 20 A). $er neue 3ol)rgang öer 
öffentlidjt oorlänfig folgeube fRomanc: $a* 

(üefjcimnifi uoit 3 . u. Bemalt, — ©orrnunb unb 
Wliinbcl üon X 6rooh. Rür immer tier= 
frbtDunbcn oou Cirorgc fliltl. — Xie aWofclniff 
oon Pljilipp Galen. — $ic junge grau uou flans» 
Uimbenljuren. — ÖBelfe ©lätter üoh Hub. < 5 ott- 
frtjaü. — $ie fdjönc SRifftal uon 4IL 3 okai. 
^arribal bon X <£. ‘Öraiknogcl. — ©ergeltung 
non <£. Huborf. — geuilleton non Hobrrt 
Sripuridjel ic. k. 

9)Jnn nbonnirt nuf bae neue Cuartal für 3y g SWarf bei allen SBudjbanblunflen nub 

^üftanftalteu. 


® i£ 2 )eutfcl)e 

Roman-Zeitung 

Steuer Satjrgang 1877 . 

Verlag von Otto Janke in Berlin. 






zum X. Bande der „Gegenwart 

sowie zu den früheren Bänden elegant in Leinwand mit 
blinder und vergoldeter Pressung sind zum Preise von a 
1 Mark SO Pf. durch jede Buchhandlung zu beziehen. 

Verlag und Expedition der „GEGENWART“. 

Georg Stilke. 

$itrju Beilagen bon Der <9. <*h otr'(d)cn 'Oerlageiiud)||anblnnn in Berlin unb ber Berlagblianblung Uran; £>aniflarngl in 9liUnO)in. 

^te^acüon, JlcrCii» 8.W., 2inbfnitrofte HO. 3für bie fllebactton oerantmortlid) (fcrarg in |Srrrin. «rxi»rbitTc«, TS^rfin N.W., VunilMigrafi* 

Xrucf uou TH. A. (ruburr in 



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Stettin, feen 13. ^«nnat 1877 


XI Band. 


x, % 



äöocheitfchrift für Literatur, Äunft uitb öffentliches ßeöen. 


Herausgeber: fiSfattl oTittfedtt in Berlin. 


3tbn 5iuiltik ttföei«i tiat JUwut. «erleaet: »eotg «tilf* in Sertin. W* P« 4 S«A 50 ff. 

£u bqktytn bun$ aße ©uchhanblimflen unb $oßanfUIten. 3nierate jeher Ärt |>ro Sflefpaltene ^etitjctlr 40 $f. 


aSötTerrcd^tltc^e ©riefe, ©on ©tuntfdjti. III. — fiiteratur unb Ämtfl: 3>er Xraunt. ©oit JJtoati Xurgänjeto. Ucbcrfefct oon ©. 2. 
(©djlufj.) — gnebddj (Shdftoph©djloffer. ©on Emmanuel SRofenftein. — S>atmin8 neuefteS SBerf. ©efprochen bon Otto 3ad)ßria3. 
pn6afi: “* ©orfchute $ur Äeft^etif. ©on ©uftab 2^eobor getaner, ©efprodjen bon3R. (Sarriere. — &u8 bet gauptfiabt: ©on beit Sweatern. 
** * ©on 0. b. 2eij:ner. — Slotijen. — Offene ©tiefe unb Wnttoorten: ©on Äart ©raun*SBieSbaben unb griebr. Satenborf. — 

gnferate. 


bölKer.edjtlidje Briefe. 

©on 331untfcf?li. 

m. 

Srieg8»ölferre<ht unb SriegSgebraud). ©er Singriff 
SRfiftowS auf baS Bölterredjt. 2)er Stieg als 
StechtShülfe. 

_ SDaS heutige SriegStiöflerrecht unterfrf)eibet [ich non bem 
Srrtgfebölferrecht ber früheren ,ßeitatter t>auptfac^li(^ baburcf), 
bafj es nicht mehr „SlßeS gegen bie geinbe für ertaubt" f)ätt, 
fonbern an<h im Sriege Beachtung beS 3Jtenfcf)enred)tS forbert. 
233emt eS cinitifirter unb menschlicher geworben ift, fo »erbnntt 
eS biefen gortfrhritt »ornehmlkh einer humaneren ißrajis ber 
cioilifirten Heere unb ber fortgefchrittenen Kultur ber SSölfer. ®ie 
SKänner ber Bölferrechtswiffenfchaft nehmen für fiel) burchauS 
ifitht ben Stulpn ber „Srfinbuitg", fonbern lebiglicf) bie ®t)re 
in Unfprud), mit biefer fortfehreitenben Kioilifation ©ctiritt 
gehalten unb burch ftare SluSfpradje beS humaner geworbenen 
StechtSgefülflS unb StechtSbewufjtfeinS ber gebilbeten 2Belt biefe 
StechtSentmicffuwg geförbert ju hoben. 2tn biefem gortfehritte 
ber StedjtSwiffenfchaft hoben aße Kulturtiölter »on Kuropa unb 
Slmerifa einen Slntheil unb bie SJtänner ber 2Biffenfd)aft finb 
fidj biefer gemeinfamen Arbeit unb biefer engen Betbinbung 
wohl bewußt. Um beSwißen Werben fie auch ben neueften 
heftigen Angriff eines militärifchen ©chriftfteßerS, beS Dberften 
Stüftow, auf bie ganje ©jriftertj beS Srieg3»ölferre<f)t3 mit 
ungetrübter ©eelenruhe betrachten unb lächelnb jufehen, wie 
berfelbe in btinbem Kifer immer an bem ßiele »orbei fchiefct, 
baS er »emichtenb ju treffen fidb eingebitbet hot. 

©er eibgenöffifche Dberft Stüftow, als geborener ißreufje 
in ber preufitfehen SriegSfchule erjogen, ift ein befannter unb 

S 2Rititärfchriftfteßer. -Kt hat »ergebene friegswiffen» 
SBert* geschrieben unb ift auch iebeS fötal, wenn ein 
ier Ärieg auSbricht, rafcf) bei ber Honb, beffen &e= 
fehlte ju f«hreiben, fo rafdj, baf gewöhnlich baS erfte Heft 
ber betreffettben SriegSgefdjichte nodj »or bem wirtlichen Be= 
ghm beS SriegS erf^eint. ®r ift alfo auch ein „Btann ber 
gebet" unb hot feine jahlreidjen Bücher auch nicht im gelbe 
* ber ©rommel, fonbern, wie bie anbem @<hriftfteßer, im 
©tubirjimmer gefchrieben, ober, Wie er uns öorwirft, 
’i.fecm warmen Ofen", ©ein neuefteS Such: „ÄriegS= 
tfnb fttiegSgebrauch", hot bähet burch bas eitle 
lirren unb ©äbelraffeln beS SSerfafferS Weber bie 



Autorität beSfelben erhöhen, noch feine Sigenfchaft als @dhrift= 
ftefler »erbergen fönnen. 

©er Orunbgebanle beS S3ucf)e§ ift: „gort mit bem 
ÄrieaSoölferrecht; eS gibt nur einen ÄriegSgebraucfj." 
©as SriegSoölterrecht ift eine törichte Krfinbung ber guriften, 
ber SriegSgebrauch ift bie ©ad^e beS ÜDtilitärS. ®aS Stecht 
hat mit bem Stiege nichts ju thun, bie ©itte aßein unb bie 
Stücffidjt auf 3wedmä§ig!eit finb ju beachten, gn biefem 
©eifte ift baS ganje 83ud) gefchrieben. Sluf bie „®ölferredhtS= 
lehrcr" ift er gar übel ju fprechen.*) 

Stecljtsmiffenfchaft unb SriegSwiffenfchaft finb 
jwei fehr »erfdjiebene ©inge. gebe »on beiben ift berechtigt 
unb tierpflichtet, auch ben Stieg »on ihrem ©tanbpunfte aus 
ju betrachten unb nach ih ren ^rincipien ju beurtheilen. gn= 
fofern lönnten bie ÜJtänner ber StechtSwiffenfchoft eS nur banf* 
bar begrüben, wenn ein Vertreter ber SriegSwiffenfchaft feine 
„freunblichen Sefer" über bie mititärifche Äuffaffung unb bie 
militärifchen Sebürfniffe beS SriegS belehtte. äöir finb ber 
finbtichen SBorfteßung, baff baS Stecht bie »oßtommene ibeale 
Drbnung afler ©inge fei, fchon lange entwachfen unb erfennen 
nur baS als wirtliches Stecht an, was in bem realen Seben 
ber SSölfer brauchbar, butchführbar, erjwingbar ift unb als 
folcheS anertannt wirb, ©urch biefe fortwährenbe Stüdfidjt 
auf bie ißrafiS wirb baS Stecht freilich genötigt, aus SBolfen= 
fuefutsbeim auf bie Krbe herobjufteigen, aber was eS an hintnt= 
lifcher gbealität »erlieren mag, baS wirb ihm burch bie irbifdje 
Slnwenbbarfeit unb ©eltung erfe|t. gn biefer militärifchen 
Hinficht enthält baS S3uch manche f^ähenSwerthe Semertung. 
Hätte ber üßerfaffer fich barauf befdjränft, fo hätte er fich oud) 
um baS SrtegSoölferregt burch Beleuchtung, Krgänjung unb 
Berichtigung feiner ©äfce ein Berbienft erworben. Slber in= 
bem er fich anmafete, in eine ihm frembe SBiffenfchaft mit 
roher gauft jerftörenb einjugreifen, h»t er biefen ©anf »er» 
fdjerjt unb fich felber in offenbares Unrecht »erfefct. @r mag 
ein Senner unb eine Autorität ber SriegSwiffenfdjaft fein; aber 
»on Stecht unb Stechtswiffenfchoft wei| er fehr wenig unb »er= 
fteht er nichts. 

Bon bem Stecht hot er bie enge formaliftifdje Borfteßung 
eines ftarren ®efe|bu^S, über beffen budjftäbliche Auslegung 

*) S)er $on bcB ©uc^« erinnert jutoeilen an bie feine ©predjtoeife 
einer gereiften ©tartetenbedn. ®r nennt un« „tjöljere ©c^ta^tenbumntter^, 
^frofc^latte'' ©btterred^tBle^rer, ©(^oraftiler, öerrücfte Seute, nnb mirft 
un8 gelegentlich ungefunbeS ^umanitätSgelninfel unb ©chtüinbef, unb 
häufig Unfinn, ©löbfinn n. betgl. ßiebenSluürbigTeiteu uor. 


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18 


® t e (iegenwart. 


Nr.'2. 


unb Änwenbung fidfe bie Slboocatett janlett uttb ber Ealtbliitige 
logifcfee düster urteilt, unb er fpricljt es gelaffen auS: Dfjne 
folcfee ißroceffe oor einem Tribunal fein Siedet Snbem er 
auch uns „ SBölterr ecfetSlehtern" biefetbe fleinlicfee unb furj= 
ftcfetige SSorfteßung oon Siecht beimifet, weife er nicht, bafe 
gerabe wir SRänner ber Staats* unb ber SJötterrecfetSwiffen* 
fcfeaft biefe formaüftifcfee Slnficfet oom 9tecfet am entfcfetebenften 
belämpft haben. Snbem er feine ßanje gegen ben aboocati* 
fcfeen gormaliSmuS ber Suriften rügtet unb für bie größeren 
Sntereffen ber Sölfer ftreitenb mit SButfe auf micfe, als ben 
§auptoertreter jene« geljajjten Suriftenrecfets, lo8fäfert, merft er 
gar niefet, bafe er notfewenbig baS ßiel oerfefelt unb fopfüber 
an bem eingebilbeten Siele oorbeiftürmt. 3cf) lann ihm getroft 
jurufen: „@ie wiffen nicht, §err Oberft, was ©ie tfemt. 2Bir 
finb fdjon lange auch ber Meinung, bafe baS Seben ber SSölfev 
unb ber ©taaten fid) nicht in bem ©pinngemebe einer cioilifti= 
fcfeen unb ftfeolaftifcfeen SuriSprubenj einfangen läfet. SEBoju 
benn biefer unmäfeige (Eifert" 

Slber baS Stecht, baS als ©taatSredfet auch bie Drb* 
nung beS Staates jufammenfeält unb fräftigt unb als SS ölfers 
rec^t bie ©ejiefeungen ber ©taaten ju einanber als ©lieber 
ber SRenfcfefeeit orbnet, wenngleich es ein folc^eS formaliftifcfeeS 
Sßroceferecfet nicht ift, noch fein tann, ift hoch ein fo höh«*, fo 
werthooQeS unb fo heiliges Out ber Söller unb ber SRenfcfe* 
heit, bafe wer ben SSeftanb beS ©taatSrecfetS unb beS SSölfer* 
red)ts angreift unb jerftören will, eine fchwere SRiffetfeat 
oerübt, welche nicht gebulbet unb nicht ungerügt gewagt 
werben barf. 

SEBenn Stapoleon L ben Stuften oorgeworfen hat, fowie 
man ben girnife ber Kioilijation abfrafce, fo fornrne ber tbarbar 
jnm SSorfchein, fo gilt in gewiffem ©inne berfelbe S3orwurf 
oon allen SSölferti. 35er natürliche ßufammenhang ber 
SRenfcfeennatur mit ber tfeierifcfeen Statur läfet ft(fe noch 
weniger beftreiten unb befeitigen, als bie geiftige Erhebung 
ber SRenfcfeenwelt über bie Xfeierwelt, welche wir als Kioi* 
lifation unb Humanität ehren. Stur mühfant unb nur burih 
fortwährenbe Arbeiten unb Kämpfe ift baS Üfeier im SRenfcfeen 
menfchlich ju bänbigen, ju jäfemen unb ben höheren, ibealen 
Sielen beS SRenfefeengefchlecfetS bienftbar ju machen, ©o oft 
bie SBegierben unb bie Äeibenfcfeaften beS SRenfcfeen aufgeregt 
werben, fo regt fich auch t>aS ifeierifcfee im SRenfcfeen, unb 
Wenn bie SSanbe ber Kultur ihre ©pannfraft oertieren, fo 
bricht ber gefräßige unb geile äBolf feeroor, ber nie oöQig 
gejäfemt, nicht ganj SRenjcfe geworben war. 

Sine ber ftärfften OeifteSmäcfete, welche bie SBeftien in 
ben SRenfcfeen bänbigen unb jäfemen, ift unjweifelfeaft baS 
Stecht Steifet ifer ben Olauben an baS Stecht unb bie Kfer* 
furcht oor bem Stecht aus ben §er$en ber SRenfcfeen, oerhöhnt 
unb jerftört ihr in ben SRenfcfeen baS StecfetSgefüfel, fo treibt 
ifer, fo weit ihr bie SRadfet habt, bie cioilifirteften Stationen 
in bie alte ^Barbarei jurücf, entfeffelt ihr bie lauernben Seftien 
in ber SRenfcfeennatur unb lenft ihr bie SRenfcfeen oon ihrer 
humanen SSeftimmung ab. 35iefen furchtbaren ©«haben fönnt 
ifer nicht erfefeen burch bie fjinweifung auf ba8 3wecfmäfeijje, 
auf bie Ißolitif, auf bie militärifdfee Stüfelicfefeit. Ktne 
oon bem - Stecht abgetöfte Solitif ift ber SSeftie ganj erwünfcfet 
unb ber nacfte unb rofee SRilitariSmuS, ber fich um bie ibealen 
Siele ber SRenfcfefeeit nnb um baS Stecht nicht ju fümmetn 
braucht, wirb erft recht über biefe SBefeitigung aller rechtlichen 
©chranfen jubeln, er lann fi<h mit ber ©eftialität ber Oefin* 
nung wohl oertragen. 

S5ie alten Söller hatten in bem richtigen Oeffihl, bafe 
baS Sölferredfet eine ibeale SRacfet, aber mit unftcfeerer Sn* 
wenbung fei, baSfelbe unter ben ©cfeufe ber Oötter geftellt. 
35ie heutigen Sölfer wollen baS Sölferrecfet menfchlich begreifen 
unb beachten baSfelbe, fo weit feine Sorfdferiften als menfdj 5 
liefe notfewenbig erfannt werben. 2>ie alte Berufung auf ben 
SBiHen ber Oötter war hoch zweifelhafter unb wertiger über« 
jeugenb, als ber heutige Stach weis, bafe bie Statur, bie Se= 
bürfnifje unb bie SSeftimmung ber fDtenfihbcit bie Änerfennung 


beftimmter StechtSgefefee, b. h- ber ©runbbebingungen beS 3 U= 
fammenlebenS ber SRenfcfeen erforbern. S5arauf berufet bie 
cioilifatorifcfee Äraft be8 StecfetS unter ben SRenfcfeen. 35aruni 
feat baS heutige S3öllerrecfet einen reidfeeren Snfealt befommen 
als baS ältere, nur religiöfe SSölferoerfeältnife. ®afeer ift baS 
Stecfet ein unentbehrliches Out ber SRenfcfefeeit unb nicht burefe 
bie Sßolititf beSfealo auefe baS ÄriegSOölferrecfet niefet burefe ben 
SfriegSgebraucfe ju oerbrängen noefe ju erfefeen. 

35er ÄriegSgebraudfe wirb auefe oon nnS SRännem ber 
SSölferredfetSwiffenfcfeaft wofel beamtet. SEBenn berfelbe eine 
gewiffe ©tetigfeit unb geftigfeit erlangt feat, wenn in bemfelben 
baS Oefüfet ber Sßflicfet unb ber Stotfewenbigfeit im Oegenfafee 
ju freiem SBelieben unb SEBiüfür offenbar geworben ift, wenn 
er ben ißrincipien beS StecfetS entfpriefet, bann wirft ber föriegS; 
gebrauch wie eine StecfetSquelle. @r wirb }um ÄriegS= 
oölferrecfet. 35aS grofee heutige StecfetSgefefc, bafe im Kriege 
Sßrioatrecfet unb Sßrioateigentfeum auefe ber unterworfenen feinb= 
Ucfeen Station ju achten fei, wirb grofeentfeeits bem oerebetten 
^riegSgebraucfee ber cioilifirten Armeen oerbanft. 3)ie Suriften 
ftnb mit ihrer rechtlichen S3egrünbung unb StuSfpradfee beS 
StecfetSfafeeS erft feinterbrein gefommen, haben benfelben bann 
aber aöerbingS bem allgemeinen StedfetSbewufetfein beffer auf= 
getlärt unb entfd^iebener eingeprägt 

35er oon beui Stecfet oöuig abgelöfte SriegSgebraucfe aber, 
wie ihn SiüftoW oerftefet, ift eine bloS thatfacfelicfee, im Orunbe 
Zufällige, feöcfeftenS burefe ©Ute, SRobe, BwecfmäfeigfeitSrücfs 
fiefeten beeinflufete Orftfeeinung, bie jeben Sag wedfefeln lann, 
bie Stiemanben ernfttiefe oerpflicfetet. SEBieberfeolt fpriefet Stüftow 
ben abfcheulicfeen ©afc auS: „OS gibt im Kriege nur 3n= 
tereffen, wetefee beftimmen unb entfefeeiben, leine 
Stecfete." (2. S3b. ©. 189.) 

Swifcfeen bem firiegSgebraucfee ber Kannibalen, welcfee 
ihre gefangenen geinbe martern unb oerfpeifen, ber an= 
tilen SBölfer, welche bie ©efangenen ju ©flauen machten, 
unb bem födegSgebraucfe ber heutigen europäifefeen ©taa¬ 
ten, wetefee bie Kriegsgefangenen in iferen SRenfcfeenrecfeten 
ooUftänbig aefeten, beftefet naefe Stüftow fein priucipieQer, fon* 
bent nur ber Unterfcfeieb, bafe bie heutigen „Sntereffen" jene 
graufame SBefeanblung in ber Steget niefet mefer ertragen. 
(©. 195^ eS auefe bem natürlichen Stecfetsfinn wiber= 
ftreitet, SRenfcfeen ohne Stoffe ju martern, SRenfcfeen als ©peife 
für SRenfcfeen ju fefetaefeten ober als ©aefeen (©flauen) ju 
befeanbeln, baoon feat ber gelehrte §err Oberft noefe feine 
Stfenung. 

©efer efearafteriftifefe ift auch bie Slrt, wie er oon ber 
ißtünberung unb ben Kontributionen fpriefet Kr läugnet 
nidfet, bafe ber „heutige ÄtiegSgebraucfe baS Sßlünbern, b. fe. 
baS mefer ober minber geregelte gewaltfame HuSrauben be= 
wofenter Ortfcfeaften burcfeauS oerwerfe", aber niefet etwa weit 
er baS Unrecfet ber ißtünberung einfiefet, fottbern tebiglicfe aus 
Orünben ber Swedmäfeigfeit, weil „eine Gruppe, welcfeer einige 
SRate baS ißlünbent geftattet ift, fcfenell auefe bie mititärif^e 
35iSciptin oerlieren werbe, weil bie ©otbaten mit bem geraubten 
ungeredfeten (NB. alfo boefe bridfet wiber ^Bitten ber StecfetS* 
inftinct burefe) Out fidfe ber SSöUerei unb bem ©piel ergeben 
ober auefe, um geizig boS Oeraubte ju oerwaferen, bie Suff 
oerlieren, ifere §aut ju SRarfte ju tragen" u. f. f. Sillen biefen 
Sebenfen würbe ja eine biSciplinirte ^lünberung abfeelfen. 
gür bie armen SBewofener einer ©tabt ober eines 3)orfS, bie 
oon feinbliefeen Gruppen befefet wirb, gäbe eS leinen StecfetS* 
fcfeufc gegen ^ßlünberung mefer, fonbern nur bie traurige grage, 
ob eS bie feinbtiefee Iruppe in ihrem Sntereffe finbe, ifenen 
ifer Kiaentfeum ju beiaffen ober ju nefemen. 3)et feurnan unb 
recfetlicfe gefinnte SefefelSfeaber ber Gruppe fönnte feine 3Erup= 
pen niefet mefer bei ihrem eigenen StecfetSgefüfel, baS ben ©ol* 
baten unb ben Stäuber unterfefeeibet, ermafenen, baS ißrioat* 
eiaentfeum mögtiefeft ju refpectiten. Kr feätte fein anbereS 
SRittel, als ben Leuten baS Sntereffe gegen $tünberung oor* 
juftellen, unb feine logifcfee SRadfet wäre aebroefeen, wenn ifeta 
bie Untergebenen erwiberten, ifer Sntereffe fei für bie Sßtün* 


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Nr. 2. 


Die ©egenwart. 


19 


berung. fRüftow fügt benn auch jenem ©afte gegen bie 
ffilünberung bie befdjränlenbe Vemertung für bie Sßtünberung 
jjinju: „obwohl etwas Sehnliches (wie ^tünbejrung) auch nid}t 
Immer ganj ju oernteiben ift". (@. 211.) 

3<h benle, Stiemanb wirb einen 3 weifet barüber haben, 
welche ©runbanfidjt bem gefitteten Stebeneinanberteben bet 
SRenfdfjen bienticijer fei, bie be$ SRedjtS, ober bie ber 3n= 
tereffen, bie beS Kriegsoöllerredhts, ober bie beS oom 
Stecht abgelöften KtiegSgebraudhS. 

©ewiß ift es in bem wirtlichen Kriege, in welkem bie 
Seibenfdjaften unb bie 9toth gewaltfamer als in bem wobl= 
georbneten fJjriebenSjuftanbe auftreten, nicht ju oernteiben, baß 
leibet aud) (Singriffe in baS ^rinateigent^um gefdje^en, bie 
gebulbet werben muffen. SBenn ber ©olbat ermübet unb auf» 
geregt, hungrig nnb burftig enblidj in ein Quartier tomrnt, 
baS oieQeic^t oerlaffen ift, in bem ihm Weber ©peife nodj 
Srant geboten werben, fo Wirb er im Dtottjfall auch eine Oer» 
fdjloffene X^üre einfdjlagen unb in ber Küche unb im Keller 
nadjfudjen unb SebenSmtttel nehmen, wo er fte finbet. Sber 
jwifdhen folgen Stothhanblungen unb ber ©rpreffung oon Selb, 
bem Staube oon ©ilbergerätljfihaften, bem SufroQen unb ©in» 
fteden oon Oelgcmälben, bem ©teilen oon SBertftpapieren, 
bem unnötigen 3 et fdjlügen oon Spiegeln, bem Verbrennen 
oon Kunftwerten u. f. f. ift ein großer Unterfchieb, welchen 
fowobl bie ©olbaten als bie gefc^äbigten Vürger recht wohl 
begreifen. Sefttere Jpanblungen ftnb offenbare unb fernere 
Stedjtsoerleftungen unb fie werben oon ber gejunben öffent» 
liehen SReinung auch bann als Verbrechen oerurtheilt, wenn 
bie Verbrecher felber ftrafloS ausgehen ober wenn baS „3ntereffe" 
ber Xruppen fie gutheißt. 

Unzweifelhaft lann bie Kontribution als eine biScipti» 
nirte nnb oerfeinerte gorm biSciplinirter ißlünberung benuftt 
werben unb fie ift oft fchon in Kriegen fo benuftt worben. 
9hm oergleidhe man bie neuere fjormulitung beS KtiegSoöller» 
rechts mit bem Kriegsgebrauche SRüftowS betreffenb bie ©on» 
tributionen, unb man wirb fofort erlernten, baß jene bie Sänber 
unb öewohner wenigftenS einigermaßen gegen räuberifche 
©ewaltthat fiebert, wäftrenb bie $arfteUung VüftowS biefelben 
fdjuftloS preisgibt 9Jtan braucht nicht einmal ben firniß ber 
„UebenSWttrbigen gormen" abjutraften, um h' er ben rohen 
Varbar ju entbeefen. 

Vluntfchli, SWoberneS Völlerrecht § 654: „®aS Völler* 
recht erlennt lein Stecht ber KriegSgewatt an, in feinblichem 
flanbe oon ©emeinben unb iftooaten anbere als bie für bie 
©jiftenj unb X^ätigfeit beS §eereS unentbehrlichen Seiftungen 
ju oerlangen. $nSbefonbere hat bie Auflage oon reinen ©elb» 
contribntionen leine triegSreehttidbe Vegrfinbung." Statürlich ift 
hier nidht oon SanbeSfteuem für bie SanbeSintereffen bie Siebe. 

Vefdjtuß ber europüifchen Konferenj in Vrüffel über baS 
KriegSoölterrecht oon 1874. Sri. 40: „3nbem baS ißrioat* 
eigenthum geachtet bleibt, barf ber geittb oon ©emeinben ober 
Vrioaten nur fotche Seiftungen nnb S)ienfte forbern, welche 
oon ber allgemein anerlannten SRothwenbigleit beS Krieges 
begrünbet unb mit ben Kräften beS SanbeS im Verftältniß 
fhtb unb welche bie Veoöllerung in feinet SBeife nötigen, an 
ben Kriegsoperationen wiber ihr Vaterlanb fich ju beteiligen." 

Strt. 41: „SBenn ber f^einb Kontributionen erhebt, fei es 
anftatt bet SanbeSfteuern (für ßanbeSjwede) ober ftatt ber 
erforberlichen Staturalleiftungen, ober unter bem Xitel ber 
Strafe (eS ftnb bieS bie einjigen juläffigen Kontributionen), 
fo foü er möglichft nach ben Regeln oerfahren, welche in bem 
Sanbe für baS ©teuerwefen eingeführt finb." 

^Dagegen nun Stüftow (©. 216): „Kontributionen aller 
Ärt, auch ©elbcontributionen, lann man ben Vewoh= 
nem befeftter ©ebiete aufetlegen — unb man wirb baS im 
Sntereffe ber inoabirenoen Srntee, um fie mit bem 
Stothwenbigften ju oerforgen unb ihr jur Sufredhthaltung ber 
guten Saune einen gewiffen SujuS ju oerfchaffen, oft müffen 
— allein man bleibe babei immer liebenSwürbig unb halte 
ftdh möglichft an altgewohnte formen, jeber Staat hat ja 


eigentlich h eut feine Vürger an baS SluSgefaugtwerben 
gewöhnt unb ein oerhältnißmäßig milbeS Verfahren baburdh 
auch bem erobemben ffeinbe fo leicht gemacht." 

SBfthrenb Stüftow an biefer unb an fehr oielen anbern 
©teilen bie friebliche Veoöllerung eines oom geiabe befe^ten 
SanbeS wehrlos unb fdhufetoS bem ©ieger überliefert, ber nur 
nach feinen 3ntereffen unb nach feinem Veüeben bie ©ewalt 
übt, im fdhroffften ©egenfafce ju bem ÄriegSoöllerrecht ber 
Vrüffeter Konferenj, welkes jene Veoöllerung möglichft in 
ihren Siechten fc|üfct nnb bie ©ewalt ber ©ieger burd) BtechtS* 
fchranfen ermäßigt, fcheut er fi<h boch nidht, bie Vrüffeter 
Konferenj burdh ben längft grünbltch wiberlegten Verbadjt ju 
fchmähen, fte habe tebigtidj für baS SBohl ber ©roherer ge» 
arbeitet, unb oenfelben Srgwohn fpridht er auch 9 e 8 en baS 
beutfehe fiteich aus, beffen friebltdhe $olitil boch aHmälig felbft 
feinen ©egnern flat wirb. Stadh folchen argen fUtißgriffen 
lann eS mich perfönlich wenig füntmera, baß er auch ntir oor» 
Wirft, ich ftehe im 2)ienfte preußifdher ffiroberungSpolitil, unb 
bie Verläumbung eines fransöftfeheu ©hauoiniften nachfpri^t, 
bie erfte unb bie jroeite Auflage meines VöllerredhtSbuchS feien 
grunboerfchieben, inbem ich oor unb nach bem Kriege ganj 
anbere Stedhtsfähe behauptet habe. 3ebe Vergleichung ber oer» 
fchiebenen Auflagen meines SBerlS bezeugt im ©egentheil, baß 
troh ber (Erfahrung beS Kriegs ich nichts (Erhebliches geänbert 
unb nur wenige ßaföfee hinjugefügt habe, welche frühere Süden 
ergänzen unb ältere wtißoerftänbniffe auftlären. Obwohl ich 
in bem Kriege 1870/71 mit ganjem §erjen bem beutfehen 
fieeie ben ©ieg wünfehte, habe ich boch währenb beS Kriegs 
in meiner StectoratSrebe oom Stooember 1870 bie unparteiifchen 
©runbfä|e beS Völlerrechts gegen bie Verlegungen beiber 
ÄriegSparteien oertheibigt, was benn auch i u metner greube 
oon beutfehen unb franjöftfchen Patrioten anerlannt würbe. 

SDteiner 33arfteHung beS föriegSoölterrechtS liegt als wi<h= 
tigfte Vorarbeit bie norbameritanifche Snftruction an 
bte Mrmee ju ©runbe, bie mein greunb ^ßrofeffor Sieber, 
ber betanntlich ben Ärieg auch * n feiner Sugenb mitgemacht 
hatte, im Verein mit einer Kommiffiön amerilanifcher ßfficiere 
oerfaßt hat. Stuf ber Vrüffeler Konferenj waren ebenfalls 
mehr ©eneräte als DtechtSgelehrte t^ötig. Sille Säfte meines 
Sted^tSbuchS, bie Stüftow mit fo oiet unnöthigem ©ifer als 
©äfte eines „Kioiliften" angreift, ber ben Sfrieg nicht praltifdj 
lennen gelernt habe, finb entweber ber militärif^en 3nftruction 
beS fßräfibenten Sincoln entnommen ober in ooller Ueberein» 
ftimmung mit bem SBetle ber ©eneräte auf ber Vrüffeter 
Konferenj. SBieberum hat alfo ber gelehrte Qberft mit feinem 
heftigen »ngriff an bem ßiele oorbeigefdjoffen. 

9lach allem grnnbfäftlich (Erörterten halte ich wt Weiteres 
©ingehen auf ©injelnes für unnötig. 3dE) will jum Schluß 
nur noch ein großes äftißoerftänbniß auftlären, in welches ber 
Verfaffer ber ÄriegSpolitil in feinem müitärifdften ©ifer fich* 
oerwiaett hat. 

©eht ausführlich unb einläßlich unternimmt er ben Ve» 
weis, baß bie Kriege burdjweg aus politif^en ©rünben ge* 
führt werben. @r meint bamit unS 3uriften ju wiberlegen, 
welche in bem geredeten Kriege eine VecfttShülfe erlernten. 
9tur fchabe, baß 9tiemanb oon unS jene trioiale SBahrheit be= 
jweifelt hat, eine VeweiSführung baher fehr entbehrlich war. 
VloS um beS SRedfjteS willen, lebiglich aus ©ifer für baS Stecht, 
unbetümmert um ihre Sntereffen führen bie Völler boch feine 
Kriege, fo männlich erhebenb nach 3hering immerhin ber 
„Kampf um’S Stecht" fein mag. 3nfofem ftnb Kriege aller» 
bingS ^anblungen ber großen fßoKtit unb wirb bie f^rage 
fowoht einer KriegSerllärung als eines fjfriebenSfchluffeS oor» 
nehmlifi burdh politifche (Erwägungen entfdjieben. gür bie 
militärifdhe Vetradhtung beS Kriegs mag biefer politifche Ve» 
griff beS Kriegs oödig genügen. SBir Suriften haben nichts 
ju erinnern, wenn ein äRilitärfchriftftetler auSfchließlich bie 
politifche unb militärifdhe ©eite ber Kriegsführung beachtet. 
Stur befdfjeibe er fich bann, nicht in baS inedhtsgebiet, beS er 
nicht lennt, oerwüftenb überjugreifen. 


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20 


Dt* #*g*u»«rt. 


Nr. 2. 


SEßir Vertreter bet SSölterrehtSwiffenfhoft aber fönneit 
unb biirfen uns nicht' bei biefer politischen unb militärischen 
SBetracfftung beruhigen, benn fie gibt uns feine Antwort auf 
bie für uns entfcffeibenben fragen: Sßte «erhält fich ber Krieg 
ju ber rechtlichen SBeltorbnung? ©inb gerechte unb ungerechte 
Kriege ju unterfdjeiben? 

Sitte ibeale griebenSliebe hilft uns nicht über biefe fragen 
hinweg. SEBir müffen uns in ber realen Seit juredjt finben. 
j)a erscheint uns benn junähft ber Krieg als ein tffatfäd)* 
lieber SB or gang, unb (eineSwegS als ein wofflgeorbneteS 
StedjtSverfahren. So wir in ber Seit groffe bewaffnete aSölfer- 
unb ©taatentämpfe waffmehmen, ba fehen wir Kriege. Stber 
wir (önnen nicht jugefteffen, baff es irgenbwo unb irgenbwann 
ber thatfädhlichen ©ewaltübung jutonune, bie aus ber Slrbeit 
von Sflffrtaufenben errungene StecfftSorbnung ber Seit auf 
©in 2Ral unb mit Sinem ©chlage aufjuffeben unb ju jer= 
ftören. Sit wiffen jefct, was freilich Stüftow nicht weife, baff 
bie frühere Aktion non bem vermeintlichen Staturjuftanbe*), 
in welchem es lein 3tecfft mehr gebe, ein butchauS unwahres 
ißh ait tafiegehilbe fei, baS nor (einer Prüfung befteffen lann. 
Sir müffen bie Erfahrung jugefteffen, baff ber Krieg, felbft 
ber ungerechte unb fitttieff verwerfliche, nötterrechtswibrige Krieg 
bennoch auf bie friebliche StecfftSorbnung einen ftarlen 
©nflufs übe unb biefelbe in mancher $inficfft mobificire. Sir | 
Stellen aber gleichseitig auch M* SiecfftSforberung, baff ber Krieg ; 
bie ÜRenfcffenrecffte achte unb baff bie ©ewaltübung nicht I 
ju brutaler ©raufamleit, nicht ju tffierifeffer Sßilbffeit ausarte, | 
baff fie nicht fcffranfenloS walten bürfe, baff fie genötffigt 
bleibe, befteffenbe StehtSVerffältniffe ju achten unb ju fchonen. 
Schon beShalb bewegt fid) ber Krieg innerhalb ber Stecffts* 
orbnung. 

Sir fennen überbem bas gunbamentatgefefc alles Stecffts, 
baff bem äRenfdjen nicht ertaubt fei, Gewalt gegen feinen 
Stebenmenfcffen nach Sittfür, Saune, Leibenfdffaft, aus bloßem 
Sntereffe, vermeintlichem ober wirtlichem, auSjuüben, unb baff 
nur bie ©ewaltübung erlaubt fei, bie burd} eine recht* 
liehe Stotffwenbigfeit tegitimirt wirb. SluS biefem ©runbe 
unterfcheiben wir jwifeffen gerechten unb ungerechten Kriegen; 
jene berufen ftd) auf eine rechtliche Stotffwenbigfeit, auf eine 
StecfftSurfacffe, biefe haben (einen StecfftSgrunb, fonbern nur 
bie SiU(ür, bie Leibenfcjjctft, baS Sntereffe als SöeftimmungS* 
grunb. 2)arutn erfcheint ber gerechte Krieg als StehtSffülfe 
unb ift ber Krieg für bloffe Sntereffen rechtSwibrig unb verwerflich- 

2)iefe Unierfcffeibung ift bereits in baS allgemeine StedjtS* 
bewufftfeiit ber cioilifirten Seit eingebrungen. Senn bähet 
bie ©taaten heute einen Krieg beginnen, vielleicht weit ihre 
3ntereffen, auch abgefehen vom Steht, fie baju reijen, fehen 
fie fiel) bocff genöthigt, um vor ber öffentlichen üReinung fi<h 
ju rechtfertigen, fiel auf einen StecfftSgrunb, eine StecfftSurfacffe 
ju berufen, ©eibft wenn biefe nur ein SSorwanb ift, fo 
müffen fie boch StecfftSorbnung ihre ^ulbigung barbringen, 
inbeui fie ihre KriegSerllärung auf eine StehtSverleffung ftüffen. 

©ewiff ift mit biefer Unierfcffeibung «och nicht SltteS ge» 
Wonnen. Sluch ferner noh wirb es ungerechte Kriege geben. 
Slber wenn erft bet ©laube an baS Siecht unb bie Sichtung 
vor bem Siecht in ber ©eele ber SBölter unb ihrer Siegenten 
ftart geworben fein werben, bann wirb ber Krieg bo<h Seltener 
werben, bann wirb bie Sßflicfft, ungerechte Kriege ju unter* 
taffen unb ju vermeiben, auch in ber fßolitif eher Stneriemtung 
finben. Sie 3bee, baff ber Krieg nur als Stecfftöffülfe ertaubt 


*) Ktüftow ©. 172: „3)aä Stecfjt einer Station ift im Kriege uit» 
begrenjt, wie baS bed einzelnen SRertfcgert im Staturjufianbe. ftebeS 
SJtittel, wie getoalttptig e8 immer fei, ift bafyer bem ßriegfüf)renhen 
im Ißrincip erlaubt.“ Kaum hat aber Stfiftoro biefe cgitijcge SBertün* 
bigung beb brutalen ©äbelregimentb auSgefprochen, fo erinnert er ftd) 
boch toieber „umoifllürlidj", bag „auch im Kriege ber Sftenfch SRenjdj 
bleibe". §ätte er biefeb ununUtürlidje ©effiljl miffenf^aftlich unter* 
jucht, fo hätte er fidj wohl felber überzeugt, baff fein SJorberfaff un* 
meufchlich «nb baffer fatfeff fei. 


fei, ift baffer ein Bügel, welcher bie fßolitil ber' §errf<hfucht, 
ber (SroberungSluft, beS |>affeS unb ber Stahe ju jäljmen he* 
Stimmt ift. Sennglekh er bie politifcffe Leibenfcffuft nicht immer 
bänbigen (ann, fo wirb er boch von ben ©ewattthätigen als 
eine unbequeme ©djranle empfunben unb von ben grieotieben* 
ben ^ocögefc^ä^t. 

3eoermann ertennt an, baff jwei inbuftrieüe SRitbewerber 
ober jwei Künftler, welche an einer ©oncutrenj fich betheiligen, 
nicht baburch fich aueinigen Sieg fichfrn bfirfen, baff bet 
eine ben anbern überfalle unb gewaltfam verbränge. Sbenfo 
bürfen auch rivale S3öl(er unb Staaten nicht offne StecfftSnotff* 
wenbig(eit einanber mit Krieg übetjieffen. S)iefe natürliche 
StechtSwaffrffeit ift bem heutigen StecfftSbewufftfein ber civili* 
firten 83öl(er votllommen (lar. 2)aS, nichts StnbereS bebeutet 
ber ©a| beS SßöKerredbtS, baff ber geregte Krieg fich als 
Stecfftshülfe barftette. lüiefer ©eban(e war feffon oen antifen 
Söllern woffl belannt, welche iffre SJtide ju ben ©öttern 
wenbeten, unb von 3evö, Supiter, Soban ben ©ieg ihrer 
gerechten Sache erflefften. ®erfelbe ©ebanle ffat heute nur 
einen menfcfflichen StecfftSauSbrucf erhalten. 


Literatur «ttb 


Der Staunt. 

SSon 3roau Cnrginjem. 

Utfotfeftt oon % »f. 

C6c*I«8.) 

X. 

3h brauhe niht ju fagen, Weihen fürchterlichen uub ttefen 
(Sinbrud ber SBeridfft meiner SRutter auf mih ffervorbrahte. 
©leih nah >h ren erften Sorten hatte ih burefffhaut, baff eS 
fih um fie ffanble unb niht um eine Steunbin. 2>aS „3h"» 
Weihes iffr jweimal entfhlüpft war, hatte meine fßermutbung 
nur beftätigt. ®8 war alfo wirtlih mein fttater, ben ih in 
meinen träumen gefuht, unb ben ih nun in ber Sirflihleit 
gefeffen hatte, ©r war in jenem Streite nur vermuubet unb 
niht getöbtet worben, wie meine SRutter angenommen hatte, ffir 
war ju iffr gelommen unb hatte, überwältigt von bem ©ntfeffen, 
baS er eingeftöfft, bie fftuht ergriffen. 3h begriff nun SltteS: 
fowoffl jenes ©efüffl ber unwittlürlihen fhroffen Surüdweifung, 
baS meine SRutter bisweiten mir gegenüber empfanb, wie iffre 
beftänbige Iraurigleit, wie unfer einfameS ßeben. SJtir fhwin* 
beite, unb ih naffm meinen Kopf in meine beiben $änbe. ©in 
einjiger ©ebanle hatte fih wie ein Keil in mein ©emütff ein* 
getrieben: ih war entfefftoffen um jeben fßreis, lofte es was es 
motte, jenen Senfhen wieber aufjufinben. SeSffalb unb ju 
Weihern 3mede? 3h weiff eS niht. Slber iffn wieberjufietben 
war für mih e kte Lebensfrage. @hon XagS barauf, als fih 
ber Buftanb meiner SRutter jum Sefferen gewenbet hatte unb 
ih biefelbe ber fßflege unferer Leute anvertrauen lonnte, brah 
ieff auf unb begann meine fRahforfdjungen. 

XI. 

SBie eS fih von felbft verftefft, begab ih mih sunäeffft, 
effe ih noch einen anberen Scffätt unternehmen wollte, nah bem 
Kaffeehaufe, wo ih mit bem SBaton jufammengetroffen war. Säe* 
manb (anute iffn, Stiemanbem war er aufgefatten; er war eben 
als jufälliger ißaffant in baS Kaffee eingetreten. 2>en Sieger 
aber ffatte man atterbingS bemerft, benn feine ganje ©rfeffeinung 
ffatte etwas feffr SluffättigeS; aber Sliemanb lonnte fagen, wer 
er war unb wo er fih aufffiett. Stacffbem ih für alle ffätte 
meine Slbreffe im Kaffeeffaufe jurudgelaffen ffatte, mähte ih mih 
auf ben 2Beg, bureffftreifte bie SBcrfte unb alle Straffen unb 
©affen in ber Släffe beS $afen8. gorfhenb faff ih mih in 


“N 


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Nr. 2. 


Sic Gegenwart. 


21 


ctden öffentlichen Socalen um, aber nirgend traf iß) auf ettoaS, 
maS bem ©aron ober feinem Segtetter, bem Sieger, geglichen 
hätte. ®a ich ben Familiennamen, ben fidj ber ©arott gegeben, 
nicht recht »erlauben ßatte, fo mar mir auch ber SBeg pr 
©olijei abgeßßnitten; inbeßen manbte ich mich boch an p>ei ober 
brei öffentliche ©icßerheitöbeamte, bie mich fveilidj mit einem ge= 
mißen SRißtrauen betrachteten, unb fagte ihnen, baß ich ße 
reichlich belohnen mürbe, menn es ihnen gelänge, micß auf bie 
©pur ber beiben Sfnbioibnen, bon benen ich ihnen ein möglichft 
getreueö ©ignalement gab, p bringen. ©on SWattigfeit erfdjöpft 
lehrte ich nach ©aufe prüd. SReine SRutter mar aufgeftanben. 
Su ihrer gemöhnlidjen Zraurigfeit hott* fich ettoaS SieueS ßinp 5 j 
gefeilt: bet ÄuSbrud einer träumerifdjen ©eftürpng, bie mir j 
baS ©erj jufammenf^nürte. 34) »erbrachte ben ganjen Äbenb | 
in ihrer ©efedfdjaft. Äber mir ©eibe fpradjen beinahe nicht Sie 
legte Patience, unb ich faß ißt ' n bie Satten. 3h«8 Berichtes 
unb beS ©organgeS t>om Slbenb oorher gebachte ße mit feinem 
SBorte. ©8 fah fo auS, als hätten mir uns beibe ftidfchmeigenb j 
baS ©etfpredjen gegeben, biefe unbegreiflichen ©reigitiße nicht j 
mehr p berühren; es fah fo aus, als ob fie fich ber <$eftänb= 
niffe, bie ihr unfreimidig entfdjlüpft maren, fcßäme. Sßiedeic^t 
mochte fie auch nur eine unbeftimmte Erinnerung au baS, toaS 
fie in ber Fieberpßantaße erjäßtt hotte, bemahren unb pberfidßlicß 
hoffen, bah «h fie fdjonen mürbe. 34) fronte fie in ber Xßat, 
fie merfte es, unb mie am läge oorher fudjten ihre ©tide auch 
■heute ben meinigen beftänbig auSpmeidjen. 

3<ß tonnte in ber Stacht nicht fchlafen. (Sin furchtbarer 
©türm hotte fich plöfclicß entfeffelt. ®er 2Binb heulte müthenb, 
bie Fenfterfcßeiben gitterten unb flirrten. 34) Weiß nicht, melche 
hoffnungSlofen ©eufjer burdj bieSuft btangen; eS mar mie ein 
unermeßlicher ßerjjetteißenber ©djmerjenSfcßrei beS ganjen ©int= 
mels, mie ein mütßenbeS ©tßlucßjen, baS über bie erschütterten 
Käufer bahinftöhnte. Sei XageSanbruch überfiel mich ein leichter 
©dfinmmet. Schlich mar eS mir, als ob 3emanb in mein 
3imnter träte unb mich mit gebämpfter, aber herrifcher ©timme 
bei meinem Stauten riefe. 34) h°b ben Sopf auf unb fah Stie= 
manb. ©eltfam! 34) empfanb nicht nur feinen ©djred, fonbern 
eine gemiffe Freubigfeit. Stich erfaßte bie jähe ©emißßeit, baß 
ich an biefem läge meinen 3wed erreichen mürbe. 34) jog mich 
haftig an unb oerließ baS ©aus. 

XII. 

®er ©türm hotte fich gelegt; aber man fühlte noch fein 
lefcteS Stachfdiaubern. 6s mar noß) früh; auf ben menßßenleeren. 
©traßen lagen überad Siegel, Fenfterfcheiben, ©rettet, Äeße unb 
3»eige. 

SBie mag eS auf ber ©ee jugegangen fein? buchte ich beim 
Änblid ber oom Drfan ptüdgelaßenen ©puren. 34) woflte 
meine Schritte nach ber ©eite ber ©rüde ju mettben, aber meine 
Füße führten mich, alt ob fie einem ftärferen Gebote gehorchten, 
nach ber entgegengefefcten Stiftung hi"- mochten faum gehn 
SRinuten bergattgen fein, als ich niidh in einem ©tabtoiertel be= 
fanb, melcßeS ich bisher noch nicht befugt hotte. 34) öi«9 lang* 
fam oormärtS, Schritt für Schritt, ohne fteßen p bleiben, mit 
einet befremblüßen ©mpßnbung im ©erjen. 34) machte mich auf 
irgenb etmaS ÄMßergemößnticßeS, Unmögliches gefaßt unb mar 
gleich^itig babon überzeugt, baß biefeS Unmögliche fich ber= 
Wtrflichen mürbe. 

XDI. 

Unb in ber ®ßat, eS bermirflichte fich, biefeS Unmögliche 
nnb boch Erwartete. tßlöfelicf) bemerfte ich, etma jmanjig Schritt 
bon mir entfernt, jenen Sieger, ber im Saßeeßaufe ben ©aron 
angefprochen hotte. 

®r mar in benfelben SRantel gehüdt, ben ich föon gefeheu 
hatte, unb mar mie auS bem ©oben aufgeßiegen. 6t brehte 
mir ben Stüden p unb ging fchnellen Schrittes auf bem Irottoir 
bie fromme ©affe entlang. 84) befihleunigte meine Schritte, 
um ißn p erreichen; aber er felbß ging, obgleich er fich nicht 
rnngefeßen hotte, auch feßneder unb pfeßtüh bog er um bie 6de 
eines ©aufeS. Stuf biefe @de lief ich J«- 34) bog eben fo 


fdjnett um mie er. Äber munberbar! ©or mir liegt eine lange 
fcfjmale, ganj leere Straße. ®er SRorgemtebel erfüllt biejelbe 
mit feinem bleiernen ®unfte; aber mein ©lid burdijbringt ben= 
felben. 3<h tonn jebeS einjelne ©auS ganj genau unterfeßeiben, 
unb nirgenbSmo iß ein menf4)ti4jeS SBefen ju erbliden. ®er 
Sieger unb fein SJlantel maren eben fo fdjned, mie ße erfchieneti 
maren, mieber berfchmunben. 3ch bin beftürjt, aber nur einen 
Slugenbüd. 6ine anbere ©mpßnbung bemächtigt fich meines 
©eifteS: jene Straße, bie ba bor meinen Stugen liegt, jene 
ftnmme unb öbe Straße, ich erlernte fie mieber. 68 ift bie 
©traße meines XraumeS. 3<h f<houbre; ber SRorgen iß fo 
frifdj unb auf bet ©teile, ohne ju feßmanfen, ßürje ich bormärts, 
Suoerficht unb Sangen im ©emüthe. 

3<h werfe meine ®lide fpäljenb um mich, unb ba ßet)t es 
rechts, auf baS Xrottoir herausgebaut, — ba fteht es mahrhoftig, 
baS ©auS meiner Xräume. ®a iß ber alte ®h°rweg mit ben 
©teinmeharbeiten auf beiben ©eiten. StderbingS ßnb bie Feufter 
biefeS ©aufeS bieredig unb nicht runblidj, aber barauf fommt 
nichts an. 3<h flopße an bie 2f)üt, einmal, jmeimal, immer 
ftärfer unb ftärfer. 2Rit feßwerem, langem fteudjen, baS bem 
©ähnen ähnlich ift, öffnet fich bie ®hür. ©in junges ®ienft= 
mäbeßen ßeht bor mir, mit ungefämmten ©aaren unb fdjläfrig 
berfchwodnen Slugen. Sie iß eben erß aufgeftanben. 

— SBohnt hier ber 23aton? fragte i^ unb marf gleich- 
jeitig einen flüchtigen S31id auf ben engen unb tiefen ©of. 
SldeS iß ba, — Sretter unb ©affen, mie ich ß e iw Iraume 
gefehen hotte. „Slein", antmortete mit baS SRäbcßen, „ber 
©aron mohnt nicht hier." — 2BaS fod baS heißen? Slein? 
©8 iß unmöglich ■ ■. ,,©r iß je|t nicht mehr hier, er iß geßern 
abgereift." — 2Bof)in? — „Slo^ Sttmerifa." — Slacß Slmerifa? 
mieberholte ich unmidfürlich, ober er mirb mieberfommen? ®ie 
SJlagb fah mich wit mißtrauifchen Slugen an. „®abon mißen 
mir nichts, biedeidjt fommt er gar nicht mieber." — ©at er 
lange hier gemohnt? — „Sticht eben lange; eine ©Joche." — Unb 
mie heißt ber ©aron mit bem Familiennamen? — ®aS SJtäbdjen 
machte große Äugen. „SBaS? Sie lernten ben Familiennamen 
biefeS ©erm nicht? ©eba! ©eterl" rief fie, als fie fah, baß 
ich eintreten modte, „fomm einmal her, hier iß ein frember ©err, 
ber nach aüerßanb fragt" 

©in unterfefcter unb ßramm gebauter SRenfch, bem Äit« 
fehen unb bem ©enehmen nach ein Ärbeiter, trat aus bem 
©aufe. „SBaS ift los?" fragte er mit heiferer ©timme. Stach 5 
bem er müh unmidig bis p ©nbe angehört hotte, beßätigte 
er ÄdeS, maS mir baS SRäbcßen gefagt hatte. — SBer mohnt 
benn hier? fragte ich- „Unfet SKeißer." — SBaS iß ber? 
„Jifdjler, in biefer ©traße mohnen nur Xtfcßler." — Äann 
man ihn fehen? — „Slein, er fdjläft." — ®arf man in baS ©aus 
eintreten? — „Slein, gehen Sie nur!" — Äber fpäter merbe icß 
3h*en SReißer fpreeßen fömten? — „Slatürlicß iönnen ©ie ißn 
fpteeßen, er ift ja ein ©anbelSmann; aber borläußg machen ©ie, 
baß ©ie forttommen. SBie fann man benn bie Seute ju folcßer 
©tunbe ftören?" — Unb ber Sieger? fragte icß plößlicß. ®er 
SRann btidte erftaunt erft auf mich, bann auf baS SRäbcßeit. 
„SBaS für ein Sieger, jum Xeufel", brummte er. „Stint iß eS 
aber gut, fontmen ©ie fpäter mieber unb fpteeßen ©ie bann 
mit bem SReifter." 34) trat auf bie ©traße jurüd, bie ®fjür 
mürbe hinter mir ©eftig unb mit einem ©cßlage jugemorfen. 

3<h fcf»rieb mir ©auSnummer unb ©traße auf unb ging. 
Äber nicht nach ©oufe. 3<h fühlte mich gemißermaßen ent 5 
täufeßt. ÄdeS maS mir biSßer begegnet mar, mar fo feftfani 
gemefen, unb nun enbete eS auf fo gemößntiche unb alberne 
SBeife. 3<h hotte feßwören moden, baß, menn i<ß in baS ©aus 
getreten märe, icß baS befannte 3iwmer miebergeßtnben hätte 
unb in ber SRitte beSfelben meinen ©ater, ben ©aron im ©djlaf 5 
rod, bie pfeife im SRunbe, fo mie ich ißn fo oft im Staunte 
gefehen hotte. Änftatt beßen mar ber ©auSherr ein Jifcßler, 
ben man fo oft befueßen fann, mie man mid, bei bem man 
fogar SRöbel beßeden fann. 

Unb mein ©ater iß naeß Ämerifa gegangen! SBaS bleibt 
mir je|t p tßun übrig? ©od icß meiner SRutter ÄdeS etjäßlen 


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22 


Nr. 2. 


Sie (Srgenroart. 


ober fott icß bis auf bie (Erinnerung an biefe ©egegnung KltleS 
in meinem Innern oergraben? Klein, nein, eS ift mir abfolut 
unmöglich, mieß mit einem fo platten unb gewöhnlichen StuS« 
gange p beruhigen. 3<h will nicht nach $aufe prüdleßren. 
Unb ich ging weiter, ohne p wiffen, wohin; aber aus ber 
Stabt hinaus. 

XIV. 

SDtit gefenttem Raupte fchritt ich bahin, ohne p benten, 
beinahe ohne p empfinben, gan§ in mich eingeleßrt. Sin bumpfeS 
groüenbeS ©eraufcß, baS fteß in regelmäßigen 3wif(henräumen 
wieberholte, riß mich aus meiner Sräumerei heraus. 3<ß erhob 
ben Stopf. @8 war baS SReer; es lag oor mir, etwa fünfjig Schritt 
oon mir entfernt. Stun rnerfte ich erft, baß ich auf bem Sünen« 
fanb ging, ffion bem nächtlichen Sturm noch immer bewegt, 
träufelte fieß bie fläche, foweit baS Kluge reichen tonnte. Stuf* 
fchäumenbe Sämme ber langen ©Men brachen fi<h an bem ahge« 
flauten Stranbe. 3<ß trat näher heran unb folgte ber langen 
furche, welche baS 3“= «nb Slbftrömen auf ben ftreifigen Sanb 
geießnete, ber mit Ueberreften oon großen Seegewächfett, oon 
SRufcßetn unb mit ben fcßmalen, fcßlangenäßnlicßen Streifen 
beS KBaffermoofeS wie befäet war. SRöwen mit fpißen glügeln 
flogen baßin burch ben unermeßlichen Staunt unb fließen tlagenbeS 
©etreifcß aus. Sie flogen auf, weiß wie Scßneefloden auf bem 
grauen $intergrunbe ber KBoifen, ließen fieß fcßnelt herunter, 
entfernten fich unb hüpften gteießfam wie filbente Junten über 
bie Sutcßen beS feßäumenben ©ifcßteS. 3<§ mertte inbeffen, wie 
einige biefer SRöwen ßartnädig um einen Keinen Reifen freiften, 
ber einfam aus ber einförmigen §öße ber tteinen $üget ßer= 
oorragte. Side, feßmußig grüne SBafferbinfen wueßfen in un= 
gleichartigen ©üfeßetn auf ber einen Seite beS SetfenS unb ba, 
wo ißre oerwaeßfenen 3weige aus bem feueßten Sanbe ßetDor« 
tarnen, feßien es mir, als ob icß etwas ScßwargeS, StbgerunbeteS, 
SanggegogeneS, aber nießt p ©rofjeS unterfeßiebe. SJlit gefpann« 
ter Stufmerffamfeit blidte icß ßin. Sa am Seifen lag wirllicß 
ein buntter ©egenftanb, unbeweglich- 3e meßr icß mieß biefem 
©egenftanbe näßerte, befto meßr naßm berfelbe eine beftimmte 
©eftatt an. 3$ war ißm jeßt bis auf ungefäßr fünfzig Scßritt 
naße getommen. 

SaS finb ja bie Umriffe eines menfcßlicßen SörperS, baS 
ift ein Seicßnam; baS ift etn ©rtruntener, ben baS SReer 
bortßin gefpütt ßat! 3<ß traf bem Seifen näßer ... SS war 
bie Seieße beS ©aronS, meines ©aterS! Sin grauenhaftes 
Staunen erfaßte mieß. 3<ß begriff enblicß, baß icß oom frühen 
ÜJlorgen an unter ber ©otmäßigteit einer geßeimnißoollen ©ewatt 
ftanb, bie mieß lentte, wie fie wollte. KBäßtenb einiger Klugen« 
blide empfanb icß in meiner Seele etwas, wie eine große Seete. 
SaS unabtäffige ©rollen beS SReereS unb ein ftummer Scßauber 
oor bem Scßidfat, baS fteß meiner bemächtigt hatte, — baS 
waren meine einigen Smpßnbungen. 

TV. 

Ser Seicßnam tag auf bem Stüden, etwas naeß ber Seite 
herüber gemenbet, bie tinte |>anb hinter ben Sopf geworfen, 
bie reeßte unter bem Stumpf geballt. Sie Süße, beren $aden 
in ben Schlamm cinbrangen, waren mit groben SRatrofenftiefeln 
betteibet; feine blaue Xucßjade, gang mit Saig geträntt unb 
gtängenb, war noeß gugefnöpft. Um feinen $ats war ein rotßeS 
Sucß in einen biden Snoten gefeßlungen. SaS gebräunte ©efießt 
war bem $immet gugewenbet unb feßien ju taeßen; unter ber 
leießt aufgeworfenen Oberlippe ftanben bießte Heine 3äßne. Sie 
entfärbte ©upitle feiner ßatbgefcßtoffenen Klugen unterfeßieb fteß 
taum noeß oon bem bteigräulicßen ©Beißen. Seine gang feßmußi* 
gen, mit ScßaumbläScßen bebedten $aare tagen um ben Sopf 
auf bem Sanbe unb ließen feine glängenbe Stirn frei, über 
weteße bie bläuticße Spur ber Starbe ging. Sie gufammen« 
getniffene weißtieße Stafe trümmte fteß gwifeßen ben geßößlten 
KBangen wie ein Scßnabel. 

Ser Sturm bet leßten Staeßt ßatte feine Ktrbeit getßan. 
Ser SRann ßatte Ktmerita nießt wiebergefeßen. Sr, ber meine 
SRutter fcßmäßlicß befeßimpft unb ißr Seben oergiftet ßatte, mein 


©ater, .... icß tonnte nießt meßr baran gweifeln, — ba tag 
er oor mir auSgeftredt, ohnmächtig, im Schlamm, gu meinen 
Süßen. ©BaS icß in biefem Klugenbtid empfanb, es war baS 
©efüßl ber befriebigten Siacße, beS SRitgefüßlS, beS ScßauberS 
unb befonberS beS ©rauenS bei ber Srinnerung an bie ©er« 
gangenßeit unb im $inbtid auf bie ©egenwart. 3^ne boSßaften 
unb oerbreeßerifeßett {Regungen, oon benen icß feßon gefproeßen 
ßabe; jene unertlärticßen Ktnwanbtungen broßten mieß gu er« 
ftiden. — KUß! rief icß, beSmegen bin icß fo! SaS ift baS 
©tut, baS in mir wallt! 3<ß Stieb unbeweglich neben ber 
Seicße, als warte icß barauf, ob biefe erblaßten Klugen, ob biefe 
tobeSftarren Sippen fteß nießt wieber bewegen würben. {Rein, 
nicßtS rührt fteß, nießt einmal baS ©infengefträueß, in baS ber 
Strom ber ©Bellen ißn geworfen ßat. Selbft bie SRöwen fiitb 
oerfcßwuuben; ba ift nicßtS, tein Safetwert, leine ©tanfe, lein 
Srümmmer, nicßtS ... bie Seere überall... er, icß unb baS 
SReer, baS in ber Seine raufeßt. 

UnwiQtürlicß wanbte icß mieß um. Ktucß ba bie Seere. 
Sine Steiße niebriger, nadter $üget am ^origont, baS ift KlHeS. 

SS toäre boeß aber fcßauberßaft, ben Stenben in biefer 
ßnftern Sinöbe gu taffen, ßalb im gtitfeßrigen Scßtamme oer« 
funten, als ©eute ben ©ögetn unb ben Sifcßen. Sine innere 
Stimme rief mir gu, baß icß $ütfe ßoten müffe, nießt um ißm 
eine Unterftüßung gu gewähren, bie nicßtS meßr nußen tonnte, 
aber wenigftenS um ißn aufguraffen unb ißn unter ein tnenfcß« 
ticßeS Sad) ju bringen. Ktber ein unfagbareS ©raufen faßte 
mieß; mir war eS, als ob ber Sobte ba wiffe, baß icß ba fei, 
als ßabe er fetbft biefe teßte ©egegnung angeorbnet. 3<ß 
glaubte fogar baS bumpfe ©ebrumm ju oerneßmen, baS icß 
feßon fannte. 3<ß fprang juriid, icß wollte fließen, aber bennoeß 
warf icß einen teßten ©tid auf ißn. StWaS ©tänjenbeS fiel 
mir in bie Klugen. SS war ein golbener Steifen auf einem ber 
Singer ber linfen $anb, bie unter bem ftopfe lag. 3<ß ertannte 
ben Srauring meiner SRutter. 3<ß ßabe niemals oergeffen, 
weteße ©ewatt icß mir antßun mußte, um umjuteßren unb biefe 
ftarre ttebrige $anb }tr berühren; icß ßabe niemals bie Sin« 
ftrengungen oergeffen, bie icß teueßenb, mit gefcßloffenen Klugen 
unb jufammengebiffenen 3äßnen maeßte, um bem Singer jenen 
ßalsftarrigen Sting ju entreißen. 

XVI. 

KBaS icß empfunben, mußte fieß auf meinem ©efießt auSge« 
prägt ßaben, benn fobalb idß in baS Scßtafjimmer trat, rießtete 
fuß meine SDtutter oon ißrem Sifee auf unb warf einen fo 
forfeßenben, fo unwiberfteßtießen ©tid auf mieß, baß icß naeß 
mehreren nießtsfagenben Srftärungen ißr enblicß ißren Srauring 
reießte. SJteine SÖtutter erbleichte in erfeßredtießer SBeife. 3ßte 
Klugen erweiterten fteß unb faßen wie abgeftorben aus, gerabe 
wie bie beS Ktnbern. Sie fließ einen teifen Scßrei aus, ergriff 
ben Sting, fant auf meine ©ruft, baS $aupt hinten übergeworfen, 
unb oerfeßtang mieß mit bem unbeweglichen ©lide ißrer Klugen, 
bie noeß immer groß unb abgeftorben waren. 3<ß fcßloß fie 
in meine beiben Klrme unb fteßenb, tangfam, mit teifer Stimme 
erjäßtte icß ißr KlHeS, Derbarg ißr nicßtS, erjäßtte ißr meine 
Sräume, meine ©egegnungen . . . erjäßtte ißr KtHeS mit einem 
KSorte. Sie ßatte mieß bis $u Snbe rußig angeßört, oßne etn 
einziges SBort ßetoorjubringen; nur ißre Sttßemjüge folgten ßcß 
feßnett. Sarauf errötßete fie; ißre Klugen belebten ßcß wieber, 
fie ftedte ben Sting an ißren Singer, wanbte fieß feßweigenb ab, 
hotte ißren $ut unb ißren SRantel. 

— SRutter woßin witlft Su geßen? fragte icß. Sie faß 
mieß mit einem ©lide an, ber baS Srftaunen über meine Stage 
auSbrücfte. Sie oerfueßte mir ju antworten, aber bie Stimme 
oerfagte ißr. Sarauf rieb fte fieß bie $änbe, als wolle fie fteß 
erwärmen unb fagte mir enblicß: „ßontm . . . gleich • • • baßin." 

— KBoßin wiHft Sn geßen? 

„SBo et ift; icß will ißn feßen. 3<ß werbe ißn feßon 
wiebererfennen." 3<ß wollte ißr abratßen, aber i^ faß ein, baff 
es bei ißrer neroöfen (Erregung unmöglich fei, ißrem SBitten 
entgegenpßanbeln, unb wir braeßen auf. 


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Nr. 2. 


23 


9 i e dtjnntitct. 


XVII. 

Unb io f4)reite i4) benn mieber auf bem Sünenfanbe; 
biedmal ttid^t allein. 34) fugre meine SRutter. Sie Slutg gat 
ftd) gurüdgegogen, bad 3Reer beruhigt fidj, aber fein 8tauf4jen 
ift noclj immer, wenn ed auch fdjmädjer geroorben ift, büfter 
unb bräuenb. Sa tritt und enblicg ber einfame greifen ent: 
gegen, ba ftnb bie ©infen, bie um ign herumma4)fen. 3d) be¬ 
mühe muh, jenen abgerunbeten unb fdjmärglicgen ©egenftanb, 
ber im ©flamme audgeftredt ift, gu unterf^eiben. 3cg fege 
nidjtd; mir nähern und. 34) gehe langfamer, unbemugt; aber 
mo ift er benn? Stur bie $alme bet ©infen fteigen traurig 
unb finfter aud bem fdjott getrodneten ©anbe auf. SEBir finb 
oor bem Seifen angelangt. Sie Seiche ift nic^t mehr ba. Sa, 
mo fie geruht gat, tann man an ben leichten ffiinbrüdungen bie 
©teilen oon Stumpf, ffopf, Sieben unb §änben erlennen. Stingd* 
herum mar bad ©efträudj jerfnidt unb man fah bie Sugtapfen 
eined SRanneS. Sie ©puren führten auf ben Sünenfanb unb 
oerloren ftch in bem Sied bed ©tranbed. 

SBir mechfelten einen Slid, meine SRutter unb ich, unb mir 
erfdjraten über bad, mad mir oon unfern ©extern ablafen. 
©oßte er mieber auferftanben, follte er auf unb baoonge* 
gangen fein? 

„Su gaft ih« bod) mirflich tobt gefehen?" fragte mich 
meine SRutter mit leifer ©timme. Sch ontroortete nur mit 
einer leichten Sopfbemegung. ©eitbem ich bie Seiche bed ©arond 
entbedt gatte, mären faum brei ©tunben oergangen. §atte 
nach mir irgenb ein Mbter ben ©aron gefunben unb mit ftch 
gefegteppt? Sarfiber mufften mir und um jeben ©reid @e= 
miggeit oerfchaffen. Mer gunäcgft muhte ich mich um meine 
SRutter befümmetn. 

Sie gange Seit hinburch, mührenb ber fie mit mir auf 
ben oergängnigooBen Ort gugegangen mar, hotte bad Sieber fie 
gerüttelt, aber fte hotte fich begerrfdjen unb bie SRacgt über 
füg bemagren lönnen. Sad ©erfegminben bed Seichnamd hotte 
auf 'fie gemirtt mie ein unheilbared Unglüd. ©ie mar ftarr, 
tgt Sluge hohl» *<h fürchtete für ihren ©erftanb. 6d machte 
mir oiel Stühe unb Saft, fie nach $oufe jurüdjugeleiten. S<h 
brachte fie mieberum in’d ©ett unb fchidte gum 8rgt; aber fo* 
halb fie mieber etmad gut ©efinnung gelommen mar, fprach fie 
bad entfehiebene ©erlangen aud, bah ich mich auf ben 28eg 
mache, um jenen SRenfdjen aufgufuegen. 34) gehorchte. 

xvm. 

Srofc ber forgfamften Sludfunbfchaftungen fonute ich nichts 
ermitteln. S<h begab mich mehrmald auf bie ©oligei, ich be= 
fudhte alle lleinen Ortfdhaften in ber Umgegenb, ich oeröffent* 
lichte in allen Bettungen ©elanntmacgungen; ich gog olle mög* 
liehen ©tlunbigungen ein. ©8 mar Med oergeblich- ©ined 
Saged erhielt ich Senntnig baOon, bah ber Seichnam eined ©r= 
trunlenen nach einem in ber Stäbe ber ©tabt gelegenen Sorfe 
gebracht morben fei. 34) begab mich fofort bagin, aber bie 
Seiche mar fd>on beftattet, unb nach ber mir gegebenen Se= 
fdjreibung mar ed auch nicht mahrfcheinlich, bah ed ber ©aron 
fei. 3<h hotte feftgeftellt, auf melcgent ©chiffe er bie Ueberfagrt 
nach Stmerifa hatte bemertfteBigen rooBen, unb mährenb langer 
Beit glaubte aBe SBelt, bah biefed ©chiff im Sturm geftTanbet 
fei. Später aber oerbreitete fich bad ©erficht, bah badfetbe 
auf ber Sthebe oon Stem=©orl oor Mter tiegenb gefehen morben, 
fei. Sa ich nun nicht mehr muhte, mad ich erfinnen foBte, 
machte ich ben ©erfuch, ben Sieger roiebergufinben, ben ich in 
ber ©efeBfchaft bed ©erftorbenen gefehen hotte. 3<h lieg ihm 
burdj eine öffentliche Mfiinbigung in ben Beitungen eine giemtich 
ftarle Summe bieten, menn er fug mir oorfteflen moBte. 6d 
fam auch eined Saged ein bodjgemachfener, in einen SRantet 
gehüBter Sieger gu und. @t fteBte an bad Sienftmäbchen einige 
Sragen unb ging bann fort unb tarn nicht mieber. 

©o maren benn aBe ©puren meined ©aterd üerfdjmunben. 
©d mar, ald ob er {ich fü* immer unb emig in bic ftumme ; 
Sinfternih oerfenlt hätte. Stiemald hoben mir mieber oon ihm I 


I gesprochen, meine SRutter unb ich- ©ie mar lange Beit Iranl. 
j ©elbft nach ihrer ooBftänbigen ©enefung fteflten fich unfere 
früheren ©egiegungen nicht mieber her. ©ie fühlte fich * R 
meiner ©egenmart beflommen unb fo mgr ed bid gu ihrem 
Sobe. So, ed mar ©ellommenheit; unb bad ift ein Unglüd, 
bad fich nicht mieber gut machen lägt. Med oermifdjt fich; 
bie (Erinnerungen an Somilienereigniffe, unb menn biefeiben 
auch noch fo erfd)ütternb gemefen fein mögen, oerlieren mit ber 
Beit ihre Sraft unb ihre ©itterleit; menn aber ©efangengeit, 
©ellommenheit unb Unbehagen fich jmifcfjen bie Sermanbten 
einbrängen — für bied Uebel ift lein Staut gemachten. 

3enen Sraum, ber mich fo tief bemegt hotte, höbe ich nicht 
mieber gehabt. 34) höbe meinen ©ater nicht mieber aufgefudjt. 
©idmeilen aber ift ed mir in meinem Schlummer, ald ob ich 
in ber Seme unbeftimmted Stöhnen unb unabläffige tief traurige 
Stagen oernehme, ©ie bringen hinter einer h°h en ©tauet 
herüber gu mir, unb ich lann biefe SRauer nicht überfchreiten. 
©ie brüden mir bad $erg gufammen, unb ich meine bittre 
Sgränen mit gef4)loffenen Mgen. @d ift mir nicht möglich, 
gu unterfcheiben ob ba ein tebenber SRenfcg flogt unb ftöfjnt, 
ober ob ed bad lange, milbe $eu!en bed aufgeregten SReered 
ift. Siefe Stage oermanbelt ftch plöglüg in jened ©ebrumm 
eined milben Sgieted, bad ich früher gehört hotte, unb ich mache 
auf, bad §erg ooB ©Freden nnb ©angigleit. 


/riebrid) (tljriftopl) Stglofftr. 

Mt 17. Stooember 1876 mürben ed hunbert Sagte, bag 
in Seoer, einem lleinen ©täbtdjen im Dtbenburger Sanbe, nicht 
roeit oon ber Storbfee gelegen, Sriebridj ©hriffoph ©chtoffer ge* 
boren mürbe. @d ift Pflicht ber beutfehen ©reffe, auf biefen 
| ©ebenltag eined unferer beften SRänner in rneiten Steifen auf* 
merliam ju machen. Unb gern begrügen mir bad Senlmat, 
bad igm einer feinet oerbienftoofiften Schüler, ©eorg SBeber, 
in einer fehr beachtendmerthen Seftfchrift gefegt hat. Merbingd 
ift bie Bohl oon ©chlofferd Schülern unb ©erehrern eine ge* 
ringere gemotben. ©ine ©djule mie Seopotb Stante hot er nie 
gehabt; baju mar er eine ju eigenartige Statur unb nur Wenigen 
zugänglich, ©eine ©eganblung unb Mffaffung ber ©efehiegte 
ift eine und frembete gemorben, nicht mehr ben ©ebürfniffen 
unb ©egcgtdpunlten entfprecgenb, aud benen heraud mir heute 
gefchithttithe ©orgänge Har $u legen, gu oerftegen unb gu oer* 
binben bemüht ftnb, unb eine Süße anberer Sragen fotooljl in 
©egug auf bie OueBenlritil mie in ©etreff ber hiftorifegen 
©pnthefe brängt geh und auf. ©cgloffer ma^te lein §egt baraud, 
bag er bei SBagl unb ©eurtgeifung feiner üueflen nur nad) 
fubjectioen, im Umgänge ermorbenen, nicht aud Sücgern ge* 
fegöpften ©rünben oerfugr, aud ©tünben, bie fich, mie er offen 
fagte, nicht mittgeilen liegen, unb ba mo bie Mtorität gebrudter 
Quellen oorlag, pflegte er Socumente erft in gmeite Sinie gu 
fteßen. Ser „fogenannten Qbjectioität" fpottetc er unb begegnete 
fie ald „pgitofopgifche Mmagung". Sem politifegen Seben gat 
er gu aBen Beiten ogne reegted Sotereffe gegenüber geftanben; 
er moltte lein ©taatdmann fein. SBogl mar er fi^ bemugt 
unb miebergott gat er ed geroorgegoben, bag er, um ©efcgidjte 
gu fegreiben, ft cg niegt auf ©üeger befegränfen bürfe, fonbern 
aueg bad Seben tennen lernen ntüffe. Mer er gatte böig in 
feinem Soneren eingeftanbener SRagen reegt menig Steigung bagu, 
unb menn er fteg groei SRal bagu gtoang, auf mehrere SRonate 
nach ©arid gu gegen, fo tonnte boeg bei feinem oormiegenb ben 
©tubien gemibmeten Seben bie Mdbeute für feine SBelt* unb 
Sebenötenntnig nur eine geringe fein, mie benn anbererfeitd 
feine ©eurtgeilung, obroogl er ben grögten SBertg barauf legte, 
fie auf eine im gangen unb ooßeit Seben gefegöpfte Slnficgt 
menfcglicger ©ergältniffe gu ftü|en, boeg nur eine einfeitige 
blieb. Unb bennoeg ift ©cgloffer oon meitreiegenbem ©influg 
auf bie ©rgiegung ganger ©enerationen unfered ©otted gemefen. 


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24 


Hie tfegettmart. 


Nr. 2. 


©on ihm fagt ©eroinuS oor nunmehr fünfzehn 3oh«« : „3<h 
habe baS ©efüljl, ba§, wenn getnanb nichts gethan hotte, als 
Einern SRenfdjen baS jn fein, was @djloffer mir geworben ift, 
bieS allein nuäreidje, einem Sftenfdhenleben ben ooflwichtigften 
SBerth ju »erleiden." Stoct) fjeutc wirb !aum gemonb ©djlofferS 
©efchidjte beS 18. 3 a hthunbert8 in bie $anb nehmen, ohne 
ehrfurdjtsoofl unb bewunbernb p bem SKann aufpbliden, ber 
eine ber reichten Epochen menfchheitlidjer Entwidlung fo p 
fchilbern öerftonb: mit eifernem gteifj in ber ©enujjung eines 
riefenhaften, oor iljm !aum gefidjteten SWateriatS, unter $eran= 
Ziehung wefentlidj neuer unb fruchtbarer ©efichtspunfte, mit 
leibenfdjaftlicher Ergriffenheit für Sßaljrheit unb ©eredjtigfeit; 
eS war neu, baff über SKachthaber unb hcrr{^enbe Eiaffen mit 
fo rüdfichtslofem greimuth, unbeftimmert um frühere Ueberlie* 
ferungen geurtheitt würbe; unb wenn fein Urteil auch h eu *5 u: 
tage manchem nicht ungerechtfertigten ffopffdjütteln begegnet, fo 
War eS bod) bamalS inmitten tiefer politifdjer Entwürbigung 
eine Erquictung unb Sluffrifchung ber Station. — Unüergeffen 
wirb fein, was er für bie Unioerfathiftorie, waS er ferner burd) 
bie ©Urbarmachung ber cultur* unb literarhiftorifdjen ©eite für 
bie allgemeine ©efdjidjte gethan hot. ©o ift ©chloffer neben 
bem tiefen Einfluß, ben er auf weitere Greife auSübte, Oon 
heroorragenbfter ©ebeutung für bie Entwidtung ber beutfchen 
Hiftoriograpljie gewefen. Xie Erinnerung an biefen bebeutenben 
aitenfdjen muff für bie Station, ber fein ganzes Seben unb • 
SBirfen gehörte, untereren fein, unb eS mag unS oergönnt 
fein, an ber $anb ber oben genannten, geftfchrift fein ©ilb in 
furzen Bügen p entrollen. 28a8 unS bie Slrbeit SBeberS be* 
fonberS wcrth macht, ift, baff er aufjer bem betannten biogras 
phifdien unb literarifchen Sßaterial — barunter ©chlofferS ©elbft= 
biographie — eine Sfteilje bisher unbefannter ©riefe an eine 
granffurter greunbin pm Slbbrud bringt, bie uns bie tiefinnerfte 
Statur beS SDtanneS in unoergleichlicher SEßeifc enthüllen. 

©chloffer h“t eine freublofe gugenb gehabt; in einem jer= 
rütteten HauSwefen ift er, als ber jüngfte oon zwölf ©efdjmiftem, 
aufgewachfen. Xer ©ater war Slboocat, ein fenntnifjreidjer unb 
gebilbeter SDtann, aber unbefriebigt in feinem ©eruf unb bem 
Xrunf hingegeben, fo baf$ er in feinem SSJohlftanbe mehr unb 
mehr jurüdfam; bie Sötutter war „eine ungemein Irdftige grau, 
üoit auSgejeidjneten gci^igfettcn, ftolj unb feft, aber erbarmungSs 
loS hört unb unoernünftig ftreng", in ftetem Haber unb Streit 
mit bem leichtfinnigen ©atten, oor bem fie wenigftenS bie Stefte 
beS SBohlftonbeS „mit Söwenmutf)" oertheibigte. ©chloffer fprid)t 
eS offen aus, baff er bie nachtheiligen golgen feiner erften Ers 
Ziehung nie ganz höbe OerWinben tönnen. gn feinem fedjften SebenS* 
fahre oerlor er ben ©ater urtb er meint in feiner rauhen SBeife, 
baS fei gut für ihn gewefen. Stun laut et auf’S Sanb, in baS 
HauS einer begüterten finberlofen Xante. $iet, in bem ©tifl* 
leben eines wohlhöbigen ©auemhaufeS, h°t er bie befte Seit 
feiner Kinbljeit oerbradjt: zwei gahre, bie einen unauSlöfdjlichen 
Einbrud in ihm hinterliehen; ihnen fchreibt er ben §ang nach 
Einfamfeit, nach ©enufj ber Statur, bie gteube an bem 
gbpßifdien z«- Steun gaf)re alt fam er auf bie lateinifche 
Schule feiner §eimatSftabt. $ier henrfdjte bamalS ein buntes 
Xreiben, benn geoer war ber ©ammelplafc ber Xruppen, welche 
ber SanbeSherr, ber gürft oon Slnhalt*3«bft r an bie Englänber 
oerfaufte. SS waren Seute aus aller Herren Sänber, Oiel ©e= 
finbel, aber auch manche ©ebilbete, bie ©chiffbruch in ihrem 
©lüd erlitten hotten. SDiit folchen fam er oietfadj in ©etührung. 
Er laS ihnen auf ber ^auptwadje ober im Slrreft oor; unb 
lefewüthig wie er war, braute er eS bahin, in brei Bahren 
über 4000 ©üdjer aus ber Seihbibliothet zu berfchtingen. ©o 
gelangte er z u einem wüften unb unfruchtbaren SSBiffen unb 
würbe, wie er fich felbft charafterifirt, „ein nafeweifet, ober* 
flädjlicher unb phantaftifcher" SDtenfh- @S war fein ©lüd, bah 
ber Sinflnfj tüchtiger Sehrer unb eigene Einficht ihn wiebet in 
folibere ©tubien hineinbrachte, benen er aisbann Xag unb Stacht 
oblag. Um jene Seit, er War 15 gahre alt, Oerlor er auch bie 
SJtutter, unb nun war er, ba fich feine ©ormünber nicht um ihn 
fümmerten, ganz fein eigener f?err. S)a8 Keine Sermögen, boS 


ihm geblieben, reichte gerabe aus, um feine ©tubien ohne frembe 
Unterftüfcung zu beenben. Dftern 1794 bezog er bie Unioerfität 
©öttingen. Er wanbte fich bem ©tubium ber Xljeologie zu- 
©ein angeborener §ang zum einfamen Seben unb zur Sott; 
templation trieb ihn bazu. Er war nicht fromm im chriftlichen 
©innc, ein energifcher ©egncr ber gelehrten Xogmatif, aber er 
cmpfaub tief, bah man mit bem ©erftanbe afiein im Seben 
nicht auSfommt unb er hotte eine Warme ©ereljrung für bie 
©ibel. SJtit h^chfliegenben Hoffnungen, mit einem Ungeheuern 
©egriff oon ber SBiffenfchaft fam er auf bie Unioerfität. ©ehr 
halb aber fanb er fiel) oon bem honbWerfSmähigen, unfrucht= 
baren ©elehrtentreiben mit feinen Eoterien unb gegenfeitigett 
Slnfeinbungeit angeefelt. Xicfer SBiberWille gegen baS Xreibeit 
auf beutfchen Unioerfitäten h°t ihn, trofc feiner eigenen mehr 
als 40jährigen afabemifdjen SBirffamfeit, nie wieber oerlaffeu. 
— Er befchränfte fich im ©tubium feineSwcgS auf feine gach= 
wiffenfehaft; getrieben oon feinem Hong zur ©oiqhiftorie be- 
fdjäftigte er fich mit theologifchen, naturwiffenf^aftlichen, hifto= 
rifchen unb philologifcheit ©tubien. Unter feinen Scljrern waren 
eS fßland unb ©pittler, bie ihn ganz befonberS anzogen; mit 
©djtözer, bem berühmten Hiftorifer, fonnte er fich nicht recht 
befreunben; er war ihm zu berbpraftifdj unb gab in feinem 
Sllter zu Oiel ©löfjen. ©ei feinen färgiiehen SRitteln War ihm 
bie UniüerfitätSzeit nur fnapp zugemeffen; er oerbrachte fie iu 
tieffter Surüdgezogenheit unb hot wäljrenb ber ganzen Seit lein 
SBirthSljauS befucht. 

3m Herbft 1797 befchloh er feine UnioerfitätSftubien unb 
lehrte nun ohne ©elb, ohne SluSfichten, ohne ©erwanbte in bie 
Heimat zurüd. Er fanb zunädjft eine Stellung als Erzieher 
in bem Häufe eines ©rafen oon ©entind-Sihone zu ©arel. 
Xer ©raf, ber früher am Hofe beS Statthalters ber Stieben 
lanbe eine heroorragenbe Stoße gefpielt hotte, War ein ©raub; 
feigneur im Sinne feiner Seit, unb fein HouS ein SDHttelpunft 
jenes frioolen, oberflächlichen, falfch empfinbfamen XreibenS, wie 
eS bie hochoblige ©efeßf^aft jener Seit charafterifirt. Unfer 
©chloffer — felbft noch unerzogen unb ohne SRanieren — foßte 
zwei Söhne unb eine Xochter beS ©rafen erziehen. Er ftubirte 
nun Xag unb Stacht unb ging mit Stiemanbem um als mit ben 
$inbern. Xabei lernte er etwas granzöfifch unb fonftigen Eon* 
OerfationSton; SRanieren hot er feinem eigenen Seugnif? nach 
nicht gelernt, weil fich fein roher Stoff nun einmal nicht polireu 
liefe, bagegen eignete er fich eine nicht geringe SebenSerfahrung 
an unb erhielt Einficht in manche ©erhältniffe, ba man ihn für 
ZU unbebeutenb hielt, um ihm etwas zu Derbergen. — Siegen 
„eines fonberbaren SnfoßS", über ben er fich nicht Weiter aus* 
läfjt — nur beftreitet er entfliehen, bah eS eine Siebfchaft ge* 
wefen — muhte er im Sonuar 1798 bie ©teßung in ©arel 
aufgeben, ©ein fßtan, nach Stufjlanb zu gehen, zwfdjtug fich 
an ©ahfdjwierigleiten, unb ein glüdlicher Sufaß fügte eS, bah 
er im Xorfe Dthmarfchen bei Homburg in ber gamilie eines 
Keinen Kaufmanns, ber faßirt hotte, eine Sehrerfteflung fanb, 
bie ihm nur geringe Shätigfeit auferlegte unb oiel literarifche 
SDtufje lieh- 

Er nennt bie Seit öom Dctober 1798 bis SKai 1800 bie 
wichtigfte feines SebenS. Ein wunberli^er Eontraft bezeichnet 
fein Seben unb Xreiben in jener Seit- XaS HouS beS ©utS* 
herm, eines H ercn 0 . ©chüfc, war ber ©ammelpunft ber 
Stltonaer ©chaufpieler unb einer nicht geringen Anzahl oon 
Stbenteurern unb ©lüdSjägern, fowie manches oerborbenen unb 
bebrängten ©enieS: „Oiel ©eift, wenig ©elb, Suftigfeit überaß", 
fo charafterifirt ©chloffer bie ©efeßf^aft. ©on einem intimem 
©erfehr mit ihnen muhte er fich zurüdzuhalten, aber „an boS* 
haftem SBi| unb ÜJtaulfertigfeit" fonnte er eS mit ihnen auf* 
nehme«, unb fo mochte er an bem etwas lübertichen aber geift* 
reichen Xreiben fo oiel Xljeil nehmen, um fich uidjt, Wie er 
bisher gethan, ganz unb gar in feinen ©tubien zu öerlieren. 
Xodj blieben biefe bei ihm ftets in erfter Sinie. Er oertiefte 
fich bamalS mit grobem Eifer in philofophifdje ©tubien, bie er 
bereits in ©arel begonnen hotte. Stadlern er fich bort mit 
fpiato unb SlriftoteleS befchäftigt, warf er fich »un auf beutfehe 


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Nr. 2. 


St« (fegeumart. 


25 


unb franjöfifdpe ©ptlofoppie. SRit Seibnip Begann er, bann 
folgten bie Sraitjofen, non fßaScat unb HRaßebrancpe bis auf 
bie ©egenwart, ©r bewunberte fie wegen i^red „©Sprit" unb 
fcpäpte ihre Seit; unb SebenStenntnift; er merfte, baft mit ihnen 
leichter fertig ju Werben fei, wie mit ben ©nglänbern unb 
Deutfdjen, non benen er namentlich Äant, bann Sichte unb Sehet; 
ling ftubirte. @r würbe im Saufe feiner ppilofophifdjeu ©tubien, 
bie etwas curforifdj getrieben ju fein fcheinen, halb inne, baft 
er „fein fpeculatiber itopf" fei, ein SBori, bas man in feinem 
ganzen Staffen im hoh en ©tobe Bewahrheitet finbet; er hot es 
nie geliebt, auf bie lebten Stagen ppilofoppifcp einjugepen. @S 
fcheint faft, als ob er nach biefen grunblegenben tiiftorifd)- 
ppilofoppifcpen ©tubien bem gefammten ©egenftanbe in ein; 
gehenber Seife lanm wieber nahe getreten ift. ©twa 17 3ahre 
fpäter, in |>eibelberg, war lieget einige Seit fein ©oßege. (Sr 
mu^te ihn juweiten fehen, weit er ber Steunb feiner Steunbe 
war; er pält ihn auch h^t für einen „einfachen, achtbaren", 
fogar für einen „bietfeitig gebitbeten 3Rann, er fei eS aber 
nicht fo recht bon feinen her, fonbern bon Stuften hinein" (©rief 
bom 29. Dct. 1817), ein Urteil, baS, er mochte über lieget 
beiden wie er wollte, fcpwerlich bon ihm gefällt werben tonnte, 
wenn er ftch um ©pilofopljie auch fp&ter noch eingeljenber be= 
fümmert hätte. — ©on wefentlicp gröfterem ©influft als bie 
phitofoppifepen fcheinen bie titerarif<p;tritifchen ©tubien gewefen 
ju fein, ©r war Bemüht, ftch über bie ©eurtpeilung ber fepönen 
Siteratur Klarheit ju berfchaffen unb gefteht, baft er in biefer 
©ejiepung ben beiben ©epteget fehr biet mehr atS aßen feinen 
anberen Sepram berbante. HRan barf in biefer tiefgepenben ©in; 
wirtung vielleicht ben Anftoft feften für feine neue Stiftung, 
Wel^e ©cploffer ber {»iftoriographie gab, inbem er bie Siteratur 
eines ©olteS im eminenten ©inne als eine Duelle für baS 
©erftänbnift beS ©olteS unb feiner piftorifepen ©ntwidtnng heran; 
30 g: eine Stiftung, welche ©erbinuS mit SRecpt als baS eigenfte 
unb bahnbrechenbe ©erbienft ©chtofferS bejeiepnet. 

Ohne äuftere SRötpigung bertieft er Oipmarfchen unb trat 
auf bie ©mpfeplung eines SreunbeS als ffirjieper in baS |>auS 
eines reifen Srantfurter Kaufmanns, ©eorg Steher. @8 war 
bieS im SRai beS 3apre8 1800 unb mit einer turjen Unter; 
breepung ift er bis jum 3aprc 1817 in Srantfurt geblieben: 
ein Seitraum, ber nach ben berfchiebenften Sichtungen bon be= 
beutenbftem ©influft auf ihn gewefen ift. Aus ber jum Xpeil 
etwas fragwürbigen ©efeflfepaft feines bisherigen Aufenthalts 
fam er in ein ©atricierpauS unter ßRenfcpen bon feinen SebenS; 
formen unb ebler ©efinnung, in einen ßRittelpuntt ber groften 
politifcpen ©reigniffe jener Seit, bie Srantfurt gerabeju über* 
flutpeten unb ihn fortwäprenb in Berührung mit Sreunb unb 
Sreinb brachten. 9ticpt minber einfluftreicp Wie bie Bunte Siel; 
geftaltigteit ber äufteren ©ejiepungen wirtte bie beränberte 
geiftige Xpätigleit auf ihn. @r hatte jwei ftinber, einen Knaben 
bon 12 unb ein ÜERäbdjen bon 11 3apren ju erjiepen. Obwohl 
er bisher nur in ähnlichen Stellungen geftanben, hatte er fiep 
hoch um bie ©rjiepung felbft nur wenig belämmert Seht hat 
er fieben 3apre feines SebenS „ fleh unb bie SBelt über bem 
(Srjiepen bergeffen". @r bethehlt nicht, baft er einen fcpweren 
Sehlgriff hierbei gethan, inbem er feine eigene ©ilbung an bie 
ber beiben ftinber antnüpfte unb biefe in ben ©türm feine# 
Drang# nach SBiffen, in feine blinbe ©tnbirtouth hineinrift. 
Sfteprere Sapre fpäter war er eifrig bemüht, wenigstens bei 
bem ßRäbcpen ben ©inbruil biefer ftrengen wiffenfchaftlichen @r; 
jieljung ju berwifchen, unb er freute ftch, baft ih m baS einiger; 
nutzen gelang. — ©or Allem war eS bie §iftorie, beten @tu= 
bium er jefct borwiegenb fiep hiugab. ©S war in jener Seit, 
bafj er äße berühmten neueren $iftoriter, bon |)ume bis 3opan; 
neS b. ßRüfler, burdjtaS unb bie umfaffenbften Dueßenftubien 
nachte, beibeS im Anfchtuft an ben bon ihm erteilten piftori; 
fehen Unterricht §at er bo<h feinen ©ortrag,' ben er täglich 
hielt, au# ben beften Dueßen niebergefdjrieben unb bann wärt; 
lieh auSwenbig gelernt. @0 legte er ben ©runb ju feinem 
erftaunlicpen uniberfalhiftorifchen SBiffen. Sann aber entwidelte 
fleh hieran ein ©runbjug ber Dichtung, bie er in ber ®efchicht= 


fchreibung berfotgte, inbem er bie |iiftorie im umfaffenbften 
©inne als ©rjiepungSmittel für bie cßfextige ©ilbung beS 
ßRenfcpen, als ©runblage für bie ©eftaltung ber SBeltanfdjauung 
nufcbar ju machen beftrebt war. Diefer S«g lag tief in feinem 
ganjen SBefen begrünbet. BRit biefem Streben, bie bisher bem 
Seben abgeteprte SBiffenfcpaft fruchtbar ju machen für weite 
Äreife, fteht er auf bem ©oben ber ebelften unb bebeutungS; 
öoßften ©rincipien ber AufttärungSjeit. — Die ©rjiehung ber 
ihm anbertrauten Söglinge war .nach fiebenjfipriger flHjätigteit 
ooßenbet; er bachte baran, ftch um eine papere Seprerfteßung 
ju bewerben unb Sranlfurt ju oerlaffen, jumal auch eine Art 
bon ©ntfrembung jwifchen ihm unb bem |>errn beS |>aufe 8 ein; 
getreten ju fein fcheint. Um feine ©ewerbungen burdj einen 
©eweis feiner Äenntniffe ju unterftüfcen, begann et je|t enb; 
lieh, als ßRann bon 30 fahren, eine fehriftfteflerifepe Dpätigteit. 
Aber noch blieb er bem eigentlich hiftorifchen ©ebiet hierbei fern. 
3m 3ahre 1807 erf^ien fein SBerl über Abälarb unb Dulcin, 
eine tiefgelehrte Arbeit, bie in ben fadjwiffenfchafttichen Greifen 
feftr gut aufgenommen würbe. Der gute ©rfolg, ben fte hatte, 
ermuthigte i|n unmittelbar barauf an eine jweite ju gehen, 
an ber er baS ganje 3ah« 1808 arbeitete; eS war wiebetum 
ein ber Sirdjengefchichte entnommener ©toff: baS Seben ©ejas 
unb ©eter SRartprS. — Snjwifdjen erhielt et einen Sftuf an bie 
©etehrtenfchule feiner ^eimatftabt, bem er Oftem 1808 Saig« 
leiftete. 

Swei Saftre War er unter ben unerquidlichften äufteren 
©erhältniffen in biefer ©teßung thätig: eine ungeheure ArbeitS; 
laft lag auf ihm, unb er Würbe jeitweilig fcfjlecht unb unregel; 
mäftig befolbet. ©on 4 Uftr 3RorgenS bis 10 Uftr AbenbS 
War er thätig. Aufter ben fech# täglichen ©tunben in alten 
©prachen unb äJiathemati! muftte er, um feinen Unterhalt ju 
gewinnen, ©rioatftunben geben; baju bie uttftcheren politifchen 
©erhältniffe; fein $eimatlanb war unter haUänbifthe |>errfchaft 
gelommen, aber 9Uemanb wuftte auf Wie lange, ©r fühlte ftch 
tief oereinfamt, — „wie ein Dropfen Del in einem ©lafe SBaffer" 
— ftlima unb SebenSart miftfielen ihm grünblich, ©tubien 
geriethen in’S ©toden; er feftnte fiep h^auS aus biefer ipn er; 
brüdenben Xpatigteit. ®ern folgte er bem Stufe feines ebten 
SreunbeS in Srantfurt, wiebetum in feinem |»aufe ju leben 
unb bie ©rjiehung feiner beiben jüngeren fönber ju leiten. 
SSaS bie ©eiben epebem entfvembet, war tängft oetgeffen; fie 
baepten groft genng bon eimmber, ber eine um ben Sreunb 
jurüdjurufen, ber anbere, um nnbebentlich ju folgen. Am 
1 . 3 anuar 1810 ft^r ©Cploffer mit ©ftrapoft — um aßein 
ju fein — nach Srantfurt jurüd. Stoch am Abenb feiner An= 
tunft würbe ipm eine ©teßung am bortigen ©pmnafium ange; 
boten, bie ipm nur eine mäftige ArbehSlaft auferlegte. Stun 
folgte wieber eine 3«it boß reicher Anregungen fowopl in wiffen; 
fcpaftlkper wie in rein gemütplicher ©ejiepung. 

(641*6 folgt.) 

Emmanuel Hofonftein. 


Dorantt« nttufUi Äerk.*) 

Das grofte wiffenfcpaftlicpe ffierbienft Darwins beftept 
niept bloS barin, baft er eine geiftboße Dpeorie über bie ©nt; 
ftepung ber Arten aufgefteßt pat — benn baS tpaten anep 
Anbere bor ipm — fonbern barin: baft er feine Dpeorie auf 
bie bisper noep gar niept beachtete äBeepfetbejiepung ftüpte, 
welche jwifepen aßen Organismen, bie ein gemeinfameS Xerrain 
bewopnen, ftattfinbet. Der Umftanb, baft es einen „ftampf 
um’S Dafein" gibt unb geben muft, erttärt fiep erft aus 
ber Dpatfacpe, baft jebeS organifepe SBefen mittelbar ober un; 
mittelbar ju anberen Organismen in ©ejiepung ftept ©epon 


*) The Effecte of Cross and Setffertilieation in tbe vegetable 
Kingdom. 1876. 


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26 


ffl t e ©egeumart. 


Nr. 2. 


bie ©rwägung, baß e8 fich in ber Statue faft immer um ba3 
greffen ober ©efreßenwerben banbeit, jeigt, raie fet»r bie ®e= 
fd^öpfe oon einanber abhängig finb. Der fcbtagenbfte Seteg 
bafür, wie tief folcbe SBechfetbejiebungen in ba3 Beben ber 
Organismen eingreifen, ift ba8 gactum: baß ber oon ben 
Sßanjen auageßauchte Sauerßoff oon ben Spieren eingeatbmet 
uitb jur Djpbation be3 StuteS oertoenbet toirb unb baß um: 
geteert bie oon ben gieren au8geatbmete &ot)tenfäure ben 
Sßanjen jum Stufbau ißre3 3®ß8«n>ebeä bient. ©in anberer, 
ebenfo feßtagenber Seweia, wie Sßanjen unb Dßiere in einem 
gegenteiligen StbljängigteitSoertjättniß ft eben, ift ber: baß bie 
meiften Sßanjen nur mit $ülfe oon Snfecteit gefruchtet werben 
fönnen, inbem biefe festeren Slütbenftaub oon einer Sliitbe jur 
anbem tragen nnb fo Äreujungen b«beifül)ren. Den Snfecten 
bient anbererfeita ber füße ©aft, ben bie Sßanjen in ihren 
Steftarien auäf Reiben, jur Stabrung. ©3 beftebt fomit eine 
ganj intime SBechfetbejiebung jwifdjen bem Sßanjenreiche unb 
ber ^nfectenmett. 

Darwin bot nun in bem ootliegenben neuen SBerfe feine 
elfjährigen ©rfaßrungen über biefen ©egenftanb publicirt unb 
eine Steife Don boebintereßanten Serfudjen unb Seobacßtungen 
mitgetßeilt. SBir muffen beim ©tubium biefer umfangreichen 
Stbßanbtung nicht bto8 ben ©charffinn be8 berühmten Statur: 
forfeßeta bewunbern, fonbern auch bie 2lu8bauer, mit ber er 
ein Saßrjeßnt binbureß ein unb baöfelbe Siet oerfotgte. Stoch 
Wunberbarer ift e3, baß nicht blo3 biefe#, fonbern auch niete 
anbere SBerfe gleichen ©ßaraftera, oon einem SJtanne oerfaßt 
Werben fonnten, ber fortwäßrenb mit feinet fcßwacben ©efunb: 
beit ju fämpfen hotte. Darwin OoHenbet am 12. gebr. 1877 
fein neununbfecßjigftea Sebenajaßr unb wenn Oon irgenb gemanb, 
fo fann oon ihm gefagt werben, baß er ein Beben Doll SJtüße 
unb Strbeit im fteten Dienfte ber SBißenfdjaft oerbracht bat. 
©3 gibt fanm eine anjießenbere gorfch«perfönlicbfeit al3 biefen 
emfteu unb tiebenSWürbigen @rei8, ber auf feinem abfeita ooit 
ber SBeltftabt gelegenen ßanbßße*) ba8 SBatten ber Statur fo 
erfolgreich belaujcht bot 

SBenn Darwin ein neue8 SBerf pubticirt, fo ift ba8 für 
bie gebilbete SBelt nicht blo8 eine X^atfacf)e, fonbern ein 
©reigniß. Sfebermamt weiß, baß mit einer folcßen f|3ublication 
eine Bereicherung ber SBijfenfchaft oerfnüpft ift. Darwin ift 
nicht blo8 groß in ber Sluffinbung neuer gacta, fonbern auch 
in ber Strt unb SBeife, wie er fie combinirt Sei $ädet 
bewunbern wir mehr ben gtüdlicßen ©riß, ben Slifc be3 ®enie8; 
bei Darwin ba8 .grenjentofe $enetration30ermögen unb bie 
jwingenbe ftraft feiner Schlüffe. 

©anj befonbera jeigen fich biefe bewunberungawürbigen 
©igenf (haften in bem ootliegenben neuen SBerfe „Ueber bie golgen 
oon ftreujung unb ©etbßbefrucßtung im Sflanjen: 
reiche", ba8 oor wenigen Dagen bei Soßn 3)tu rta b in Sonbon er: 
fcbiejien ift. SBenn irgenb ein naturwiffenfchaftli<he3 Such un3 ba: 
burch nüfeen fann, baß e8 un8 über ba8, Wa3 um un3 oorgebt, aufftärt 
— fo ift e8 biefeä. @3 gibt auch fchtoerlicf» ein intereffantereS 
Dbema al8 baä übet Sßanjenbefrucßtung burch Snfecten. SBir 
haben bi« ei« wunberbarea Seifpiel Oon Slnpaffung oor un3. 
©in Deutfeh«, Stamena Sprengel, war ber ©rfte, ber ein Such 
unter bem Ditet: „Da8 entbedte ©eßeimnifj ber Statur" 
b«au3gab, in welkem er burch eine Unjaßl oon Beobachtungen 
bewiea, eine wie große Stolle bie gnfecten bei ber Befruchtung 
gewiffer Sßanjen fpiclen. Stber er war feinem Zeitalter (1793) 
ju weit ooraua unb feine ©ntbedungen blieben lange unbeachtet. 
$m Sabre 1862 fchrieb Darwin ein SBerf: „On the Contri- 
vances by which British and Foreign Orchids are Fertilised 
by Inseots“ unb nahm ben gaben ber Unterfuchnng wieber auf. 
Da8 gegenwärtige SBerf ift eine ©rgänjung ju bem über bie 
Drcßibeen, in bem bie bamala begonnenen Unterfudjungen fort: 
geführt unb weiter au8gebebnt werben. ©3 bonbett fich barin 
um ben Sta<bwei8, baß e8 ein allgemeinea Staturgefeß ift, baß 


*) Darwin wohnt in Down bei Bedetißam in ber (üraffdjaft 
Rent. 


bie Slütben einea ©todea gewohnbeitamäßig ober gelegentlich 
mit ben Sollen einer auberen ißflanje berfelben Strt befruchtet 
werben müf f en, wenn eine fräftige Stacßfommenfchaft erjielt werben 
foü. Die oon Darwin angefteQten Serfuche beftätigen bie he* 
reit# oon ©ärtnern unb Dßierjücbtern gemachte ©rfabrung, baß 
bie Statur Saarungen oon Snbioibuen perßorreacirt, bie burch 
ju nabe Serwanbtfdßaßbanbe mit einanber oerfnüpft finb, ober 
beren ©Item unb Soreltern immer unter ben gleichen äußern 
Serbältniffen gelebt hoben. Da3 gilt oon Sßanjen fowoßl wie 
oon Dbieren. 

SBenn wir bie rotbe fübamerifanifeße SBinbe (C’onvolvulus 
major) jeßn ©enerationen hioburch mit ihrem eigenen Sotten 
befruchten — atfo ba3 ftricte ©egentbeil oou Äreujung bewirten 
— fo werben bie Stadjtommen attmälig Heiner unb fcbwädj: 
lieber. @e|en wir nun bie mittlere $öbe ö0 « &onüolüulu8: 
pßanjen, bie burch elterliche Sceujuug entftanben ftnb, gleich 
100 unb oergleichen wir biefe Siffer mit bet mittleren #öße 
oon Sßanjen berfelben Slrt, bie in jeßnter ©eneration oon 
©ttern abftammen, bie fteta mit ihrem eigenen Rollen befruchtet 
würben: fo ergibt fich ba3 frappante Serbältniß oon 100 : 77. 
Der Stüdgang ift atfo toloffal. SBenn bie ©inwoßner einea 
fianbea fämmtlich 6 guß b«<h «>üren, unb einige gamitien hotten 
lange Seite« hioburch nur in ber engften Serwanbfehaft gebeiratbet, 
fo würben bie Stachfommen in ber jebnten ©eneration beinahe 
Smergbaft geworben fein — nämlich 4 Sufi 8 Soll hoch — 
wenn ber Stüdgang hier auch f° tapib ftattßnben würbe, Wie 
bei Convolvnlus major. 

Da3 ift jeboch bei Organiamen mit getrennten ©ef<h(echtem 
uicht ber gaü. §ier fann fchon beäbalb feine fo rafeße SBirfung 
eintreten, weil felbft bie aHerengfte fßaarung — b. b- bie jwifeben 
Srübern unb ©chweftern — im Sergleidb mit ber ©elbftbefruchtung 
im fßflanjenreiche, beinahe noch bie Sebeutung einer Sreujung 
bat. SStit Dbieren angefteKt, würben biefelben Serfuche, bie 
wir mit fßfton^en in jiemtidj furjer Seit oornebmen fönnen, Diel 
länger bauern unb hoch wabrfcheinlich nicht fo iuftructio fein. 

Daß Sefruchtung burch ben eigenen Sollen nicht bon Sor* 
tbeil für bie fßflanjen ift, gebt nicht btoa aua bem Seifpiele 
be3 Convolvulug major, fonbern auch au3 anbe^en Serfucßen 
beroor, Welche Darwin mit Mimulus lateus, Digitalis purpurea, 
Brassica oleracea etc. angefteKt b«t. ©3 gibt auch fßflanjen, 
bie mit ihrem eigenen Sollen gar nicht befruchtet werben fönnen; 
fo probucirt j. S. Corydalis cava gan; wenig ©amen auf bem 
SBege ber ©elbftbefruchtung unb bie8 fommt bö<hftwabrf<heintich 
baber, baß bie fßoüenfchtäudbe nicht tief genug in ba3 Stigma 
einbringen, um ba3 Ooulum erreichen p fönnen. Eschscholtzia 
ift oodftänbig felbft=fteril; bagegen ooQfommen fruchtbar mit bem 
Soden einer anberen Sffonse berfelben ©peciea. Abutilon Darwinii, 
eine Sßa«se, bie in ihrem Satcrlanbe Srafilien fetbftsßeril ift, 
wirb jeboch i« einem englifchen ©ewäcbabaufe fchon nach einer 
einzigen ©eneration mit ihrem eigenen Soßen befntchtungafäbig. 
Umgefebrt oerlieren bie Stachfommen Oon englifchen Sßonjen, 
bie man nach Sraftlien üerfeßt, bie gäbigfeit, fich felbft ju be: 
fruchten, auch wenn ße ihnen oorb« in hob®« 1 ©tobe eigen War. 

SBir feben alfo, baß ganj geringe Seränberungen in bem 
umgebenben SJtebium im ©tanbe finb, Slütben, bie oorber burch 
ben eigenen Soßen befruchtet werben fonnten, unfruchtbar ju 
machen, unb umgefebrt: Slütben, beren Starben oorber gegen ben 
eigenen S°H e « unempfänglich waren, ©mpfänglichfeit bafür ju 
Oerleiben. ©3 ift auf jeben gaß eine mertwürbige Dbatfacße, 
baß bie Slütben Dieter Sfla«&enarten, Wenn fie mit ihrem eigenen 
Soßen befruchtet werben, entweber abfotut ober boeß in einem 
gewißen ©rabe unfruchtbar ftnb; wenn bagegen mit Soßen Don 
einer anbern Slütße beäfetben ©todea befruchtet, meiften^ 
tbeita etwaa fruchtbarer, unb baß ße, wenn mit bem Sollen 
einea anbern 3«bioibium3 ober einer anbem Sarietät berfelben 
©peciea befruchtet, ooßfommen fruchtbar ßnb. Sößig unfrueßf» 
bar jeboch «tit bem S°ßm irgenb welcher anbern ©peciea. 

SBir feben alfo in jwei ganj Oerfchiebenen gäßen abfotute 
Unfruchtbarfeit eintreten. ©in SRal in bem gaße, wo bie beiben 
©epaletemente berfelben Slütbe entftammen, wo ße alfo waßr= 


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Nr. 2. 


27 


5 1e & e g e tf» ü r t. 


frVeiulid) uid)t genügeub genug bifferenjirt finb, uub baS anbere 
SRal in bem galle, wo e8 fid) um ©efrucVtung burd) ben Rotten 
einer anbern ©pecieS ^anbelt. |>ier ift ^6(^ftwa^r{c^einli^ bie 
Zifferenj jwifdjen ben beiben SeugungSelementen ju groß, als 
baß auS iVret ^Bereinigung ein neues SBefen Verborgenen fönnte. 
SBetcVer 3trt nnb wie Vodjgtabig bie Zifferenj jwifcVen bem 3n= 
Volt ber ©oDenlörncVen unb bem beS SicVenS fein muß, bamit 
eine ©efrucVtung erfolgt, wiffen wir ni<f)t. SBir fielen Vier bor 
einem äRpfterium ber ÜRatur nnb ber Zarwinift fann baSfetbc 
ebeufo wenig entVütlen, wie ber ortVoboje XVeolog. SBenn wir 
nad> einem Hnalogon fucVen, fo ift bie SBecVfelwirfttng, wel<Ve 
jwifcVen ben beiben SeugungSftoffen bei ber ©efrudjtung ftatt- 
finbet, am treffenbften mit ber cVemifcVen Hffinität ju oergleicVen, 
welcVe jwifcVen Htomen unb SRolecüleu in SBirffamleit tritt, fo- 
balb biefelben in einem gewiffen ©egenfafce ju einanber fteVen. 
2Bir wiffen jebocV ebenfo wenig, warum' ein gewiffer ®rab bon 
Ziffetenjitung nötfjtg ift, wenn jwei ©ubftanjen (VemifcV ftd) 
bereinigen f ollen, als warum bie ©ejualelemente ^intängtirf» 
bifferenjirt fein muffen, wenn ©efrucVtung erfolgen fotl. 

Zer SRufcen, wettet ber tRadjlommenfiVaft auS ber Äreuj= 
befrucVtung ju XVeil wirb, erflärt ftdj gleichfalls aus bem Um: 
Jtanbe, baß eine Zifferenj in ben SeugungSelementen immer bon 
guter SBirtung bei ber ©efrucVtung ift. ©flanjen, bie auf ber: 
fcVtebenen ©obenarten. gewacVfen ftnb, werben mit anberen con: 
ftitutioneOen ©erfdjiebenVeiten aud) fotcVe erworben Vabett, bie 
beS SReprobucttbfvftem betreffen, unb biefe SerfdjiebenVeiten finb 
bie Urfadje babon, baß fireujung berfcViebener ©arietäten fo bor: 
ttjeitVaft toirft, nic^t ber IfreujungSact atS folcVer felbft. 3Ran 
tann baljer au«V nic^t fagen, baß bas ^eiratVen in ber ©tutS: 
oermanbtfcVaft unbebingt unb abfotut fcVäblid) auf bie 9tacf|tommen: 
f(Vaft wirft: benn Wenn ßoufin uitb Soufine bon ÄinbVeif auf 
unter ganj betriebenen SerVältniffen gelebt V a f>« n , fo ift es 
feVr moVlmöglidj, baß iVre Sonftitutionen bifferent genug ge: 
worben finb, um eine St)e }tbif<Ven iVnen atS gawj unbebenf: 
li<V etfd»einen ju taffen. 3“ ben VöV ern SefetlfcVaftSclaffen, 
Wo bie SebenSgeWoVnVeiten bon SRann unb SBeib fdjon bon 
3ugenb auf feVr bon einanber betrieben finb, wirb eine SVe 
in ber ©lutSoerwanbtfcVaft nodf weniger ju befagen V®^en. 
SRr. Sttfreb henrp |>utV, ein engtifcVer ©cVriftfteller, V«t 
bor circa jwei 3aV«u biefen ©egenftanb feVr auSfüVrlicV in 
einem fpeciellen ffierfe beVanbett, baS ben Xitel füVrt: Onmar- 
riage between uear Ein.*) Sr fommt ju bem ©efultate, baß 
ber f<Väbti<Ve Sinfluß btutSberWanbter SVen bon jeVer in feiner 
SBirtung feVriiberfiVäVt worben ift. 8u<V ZarWittS ©oVn, ©eorge, 
Vat fi<V mit biefer grage befcVäftigt**) unb ift ju ber Stuftet 
gelommen, baß wir bom praftifdjen ©tanbpunite aus gar nicVt 
im ©tanbe ftnb, ein UrtVeit für ober wiber bie ®Ve üt naVer 
©erwanbtfcVdft ju fällen. äuS bem bortiegenben SBerfe er: 
faVren wir nun ben WaVren ©runb ber f<Väbli<Ven SBirtung 
ber ©elbft befrucVtung refp. ©aarung in naVer ©erwanbtftVaft, 
unb wiffen, bag berfetbe tebigticV in ber ju geringen Xifferen: 
jirung bet 3 e “9bngSftoffe liegt. 3ft biefe SJifferenj bei einem 
männtkVen unb einem weibtidjen 3nbibibuum borVanben, fo ift 
bie ©aarung jutäffig, mag ber ©erwanbtfdjaftSgrab, in bem fie 
ju einanber fteVen, fein welker er will. 2Rit biefer SinficVt ift 
ein großes ©ornrtVeit V^üoeggeräumt, was jur Seit nod) in 
VoVem ®rabe unfere Sitten unb unfere ®efe|gebung beeinflußt. 

3m SÜIgemeinen fann man atterbings fagen, baß @etbft= 
befrucVtung f^äbticV unb föteujung nü^IicV auf bie BtacVtommen: 
ftVaft wirft aber man V»t biefeS Staturgefefc immer in feinem 
regten Sinne ju oerfteVen. 3« ber ©ftanjenwett ift bie ©er: 
einigung bifferenjirter ©ejualetemente burcV bie SebenSgewoVn: 
Veiten gewiffer 3nfecten bebingt. fummeln unb ©ienen neVmen 
j. ©. mit iVren Vuarigen Körper ©otten bon einer ©lütVe fort 
nnb tragen iVn unbewußt auf bie Starbe einer anbern. auf 
biefe SBeife wirb fortwäVrenb Äreujung {Wiffen biftincten 3«: 
bioibuen VoobeigefüVrt. Xarwin V at beobadEjtet, baß ©ienen 


*) Sonbou 1876. 

**) Journal of the Statiatdcale Society. June 1876, London. 


unb fummeln nicVt leicht bon eiuer ©pecieS jur anbern fliegen, 
fonbern juerft bie ©arietäten auffu<Ven, aud> wenn biefe ganj 
anberS gefärbte ©lütVen tragen. XurcV biefe ®ewoVnVeit wirb 
föreujbefrucVtung in unenbticV bieten gälten V«beigefüVrt unb 
©etbftbefrucVtung famt nur nodt) auSnaVmSweife eintreten. 3)ie 
betreffenben 3nfecten taffen fieß, Wie eS fdVeint, borjüglicV bur<V 
ben ®uft ber ©lütVen anloden, ba fie, wie fd)on erwäVnt, mit 
größter ©itVerVeit eine ©arietät bon ber anbern unterfcVeiben. 
Xiefe ©ermutVung wirb no^ waVtfcVeinlidVer, wenn wir in ©e: 
tracVt jieVen, baß große ©flanjen, bie nur bon Sfacßtinfecten be: 
fu<Vt werben, aucV feiten am Zage iVren Zuft auSfenben. Zar Win 
ift ber anficVt,.baß aüe ©flanjen urfprünglitV burd) ben SBinb 
befruchtet würben, inbem fo bet ©oüen bon ben männlicVen 
©lütVen auf bie weiblicVen gelangte. ZaS populärfte ©eifpiel 
in biefer $inficVt finb nodV gegenwärtig bie Soniferen. @rft 
fpäter Vaben bie 3nfecten bem SBinbe einen XVeit feiner aller: 
bingS ganj müVelofen arbeit abgenommen, unb bie fdiöngefärbteu 
unb fcVönbuftenben ©turnen würben waVrfdjeinlicV gar nicht bor: 
Vanben fein, wenn eS feine ©ienen, Stiegen unb ©cßmetterlinge 
gäbe. SBir müffen unS biefe Sigenfhaften ber ©flanjen als burd) 
natürliche BudftwaVt bewirft unb aus ben einfadfften anfängen 
entwidett benfen. Zie am auffaüenbften gefärbten unb woVl: 
riecVenbften ©lütVen würben am öfteften oon 3nfecten befugt, 
blieben in golge beffen am fettenden unbefrucVtet unb Vinter: 
ließen beSßalb bie meiften 9la<Vfommen. Ziefe ererbten natür: 
lieh bie anlodenben SigenfcVaften ber elterlichen ©flanjen unb 
bitbeten fie weiter aus, weil in biefem gatte ScVünVeit unb 
ÜRüfeticVteit betbunben war. Zie Statur Vanbelt immer praftifcV 
unb jwar befteVt baS Siel, baS fie auf allen iVren berfhtungenen 
SBegen ju berfotgen fdjeint, barin: in jebem augenblide fobiel 
SebenSfüHe unb fobiel gormenreicVtVum als mägtidj ju entfalten. 

Zarwin berüVrt in ben jaVlreicßen Kapiteln feines neuen 
SBerfeS bie intereffanteften unb fdjwierigften gragen unb fucht 
fie bon feinem ©tanbpuntte auS ju löfen. SDtan fühlt beim 
Ueberbenfen ber genialen ®ebanfen beS englifdjen gorfeßers, baß 
afa ®rap — ber berüVmte amerifanifcVe ©otanifer — 8fte<Vt V®i/ 
Wenn er fagt: „They are much mistaken wbo suppose that 
Darwinism is ouly of speculative importance and perhaps 
transient interest. In its working applications it has proved to 
be a new power, eminently practical and frnitfnl.“ 

Otto £ad)arias. 


DorfiVttle jur 

®on ©ujtab ZVtobor gt<Viter. 

Seipjtg 1876, ©reittopf Sc gärtet. 

Sin anregenbeS ©udj, wie eS nicVt anberS ju erwarten war, 
wenn ein poetifcV begabter Staturforf^er feine ®ebanfen über 
äftVetifdje ®egenftänbe orbnet unb, oVne nacV ©oOftänbigfeit unb 
fVftematifcVer Sntwidtung ju ftreben, feine ©emerfungen über baS 
mittVeitt, Was iVn gerabe intereffirt. ®elegentti<V fucht er als 
©Vv^fer ju eperimentiren, inbem et jwanjig SDtenfcVen bie grage 
bortegt: Wetten garbeneinbrud iVuen ein ©ocal macVe, wo bann 
Stiemanb bei i an @d)Warj, bei u an SBeiß benft, Siele • 
gelb, o braun finben u. f. m.; ober er legt ©e^tede bon ber: 
fchiebener Sänge unb ©reite Vunbert ©erfonen bor unb läßt beftim: 
men, welcVe iVnen gefallen unb mißfallen; ba mißfiel Stiemanbem 
unb gefiel ben Steiften baSfenige, beffen Heinere ©eite 23, bie 
größere 34 SWaßeinVeiten entVielt, ein ©erVältniß, baS SeifingS 
gotbenem Schnitt entfpricVt. ßwedlofer fcVeint eS, bie Stöße ber 
©ilberraVmen in ben europäifcVen Saierien jufammenjufteQen 
unb ein SRittel barauS ju jieVen; eS erinnert an ben hoOänber 
SmmermannS, bet täglicV auffcVreibt, wenn baS üRarftfcViff an 
feinem SanbVaufe borbeifäVrt, um für jeben SJtonat feine mitt: 
lere ©orüberfaVrjeit ju be^immen. 3"beß Duetelet Vat ja alles 
Smftes feftjufteüen gefugt, wie biel Steigung ber mittlere ÜRenfcß 
jum ZiebftaVl V at / wann er VcüratVet, Wie biel auSfidjt er Vat, 


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28 


9i« Gegenwart. 


Nr. 2. 


oon ben Eefdjioorenen freigejprochen ju »erben; — bie SBtffen: 
fünften l»ben auch SDtobefranfheiten. 

Ser SBerth öon Rechners Such befielt bann, bajj er fetter 
fiel)!, felber urteilt, unb ein Ißarabogon nicht fcheut, tote er 
benn bie farbige Statue üertfjeibigt unb im @efcf)icht8bitb fein 
Eebicht, fonbern bie ^otograf>^ie btt ffiirftichteit ^aben »iß. 
Saä roidE)tigfte Sleue unb Eigentümliche fcheint mir bas Äffo: 
ciationöprincip. Sefanntttdj gibt es eine formatiftifche Äeft^etif, 
bie baä Schöne einjig in wohlgefäfligen gorntberhättniffen fucht, 
unb $erbart8 Anhänger Stöbert 3immermann ift ifjr fc^arffin= 
niger, unermäbti^er Vertreter, toährenb lieget unb feine Schule 
ben ibealen Eehalt betonen, unb i<h neben beiben Elementen 
au<h baS SKaterial unb bie Eröfje berücffidjtige. geebnet b«6t 
nun bie Sorfteßnngen heroor, bie ber ©egenßanb in und er»ecft, 
bie ftch an feine Erfchcinung fnüpfen, unb febreibt ihnen gr offen 
Stntbeil am äfthetifdjen 2uftgefül|le §u. Sie Orange, fagt er, 
gefaßt und junäebft aßerbingd burd) ihre reine Stunbung unb 
Eolbfarbe, aber »arum jie^nt wir fie einer gettlacfirten 
fugel bot? Seit fie einen romantifeben Steij für und mit fich 
bringt, »eil »ir ben erquidenben ©erutb unb Eefchmacf, beit 
grünen Saum, an bem fie gemachten, ben fonnig blauen §imtnel 
Stattend, ja ganz Statten in Erinnerung unb Sehnfudjt mit 
ihrer gornt unb garbe oerfnüpfen; bad gibt bem gelben glecf, 
ben bad leibliche Äuge fieht, eine berllärenbe Safur für bad 
geiftige, toährenb »ir bei ber fhigel an bürred |iotj, bie Sre<h8lcr= 
»erlftatt unb ben Änftreicher mit benten, unb biefe in bie Er= 
fcheinung hineinfehen. SSarum mifjfäßt und badfelbe SRoth auf 
ber 9tafe, bad und auf ber fßange gefäflt? Sie rothe SBange 
bebeutet ©efunbheit, greube, Sebendblüthe, bie rothe 9tafe Srunt 
unb $upfertrantt)eit. gebet Eegenftanb unb jebed SBort enthält 
für und bie Summe aßed beffen, »ad »ir je bezüglich bedfelbeu 
innerlich unb äußerlich erfahren, erlebt haben, unb biefer Sotatt 
einbrud oerfchmiljt fofort mit bem Stntheil ber Sache; bie ge: 
fäßige gorm unb bie Erinnerung Wirten jufammen, fie fteigern 
einanber, unb fo Ooflenbet ficb bad Schöne in ber Sbantafie. 
Sad erHärt benn uudj abfonberliche Eefchmaddrichtungen. Sie 
ißerrüde, am £ofe getragen, gefefite fich bem Segriff ber ffior= 
neh»heit; berfetbe ift bem Ebinefen mit bem ftluntpfufj ber 
Samen, mit bem SBauch unb ben langen gingernägeln ber SRan* 
barinen Perfnüpft. So bitbet ber Ehinefe auch feine Eöfcett 
fettleibig, unb ber Slpoß oon Seloebere erfebeint ihm bürftig, 
»ie eine Eeftalt aud nieberem greife, »o man ben ©and) nicht 
pflegen tann. Sie Eegenftänbe er»eden uerfdjiebene Sinbrüde, 
je nachbem fie auf Sorfteßungdfreife treffen, bie einem SJlenfdjen 
geläufig ftnb. Eine Eouöernante meinte oon fßafaeld Sijti= 
nifdber SDtabonna, bie Engeltttaben hätten auch leine orbenttiche 
Erzieherin gehabt, fonft würben fie fich nicht fo flegelhaft auf: 
lehnen, unb ein Ätz* fajjte ben Ehriftudfnaben bedfeiben Silbe« 
fdjarf in’d Stuge, inbem er oot fich b* n murmelte: Erweiterte 
©upißen, bad Äinb hat Säürmer, muff meine ißtßen einnebmen! 

Stir hat bied Slfled meinen Sa| betätigt, ba| bad Schöne 
nicht aufjer und für fich fertig ift, fonbern fich er ft fühtert= 
ben Eeift erzeugt, im 3ufammen»irfen beftimmter Eegenftänbe 
mit unferm auffaffenben Eemütb unb urtheilenbem Sinn. Ser 
Einbrud ber äußeren Erfcheinung bringt und einen Segriff zum 
©etoufjtfein, ben »ir früher gebilbet haben; »ir flauen ihn im 
Eegenftanb an, unb inbem ber Segriff unferer SBerounft ebenfo 
geutäfs ift, »ie bie Erregung unferer Sinnedneroen bereu eigner 
Bewegung, fobafj wir ße gern annehmen, fo ftnb »ir fimtlich 
unb geiftig zugleich angeregt unb befriebigt, unfere Stimmung 
ift harmonifib, bad SBohlgefühl bed Schönen. 

m. darritre. 


tim bett ®^eatent. 

S8it mußten wegen SRangfi an ftaum bie öefprecßuitg öerf^ifbener 
Äobitöteit ettoad üerf$iefctt. JBon Hterarifcßem SSerttfe iß nur ft. (£(d>od 
ftaube be$ Äbgrunöl'', em ftofl^ßüd im beßen Sinne. Der ur 
{prüngii^e Stoß fott einem fran^ößfeßen ftutor entnommen fein — eine 
fterglekßung ift un& nnßt möglich, ba mir bie OueKe nitftt fettnen; 
einige gtemtid) berbe Scenen öoU ßarfcr Sffecte toeifen auf ein $oute= 
narb-Drama ßin. Der Srunbgebanfe iß ber Äantyf, ben ein eße^ 
maliger StrAfHng §u ftreiten ßat, M er in ber Sefettfctyaft mieber 
}u ®§ren lommt. Der Stoß iß mit großem Datente fftr realißifeße 
S^araftermalerei localißrt, in ben erßen fteten etwa# $u breit, in ben 
lebten mit fräftigem bramatifeßen $ulif(ßlag anbgefftßrt. Der $elb 
ftobert, ba§ jcßulblofe Opfer fremben fterbrecßenb; üieb^en ®tap, feine 
S3rout, bab einfach fdßtußte SRAbcßen, — non grtl. grauentßal oertrefßicß. 
gegeben —; grau Äartfcßfe unb ber Spißbube Stirbtp ßnb bureßtoeg 
lebenomaßre ©eftalten, märe &u toönfcßen, baß unfere ftoltlbüßne 
einen größeren fteußtßnm an berartigen Stäcfen ßfttte. $crr (Elcßo 
jeßeint bafür ein energifcß auögefpro^ßeneö Dalent ju befißen, benn ber 
größte unb beße Dßeit bed Scßanfpiefi iß fo eeßt beutfeß, baß er einer 
fremben OneQe meßt entnommen fein lann. 

Dad ftictoriatßeater ßat mit feiner iängßen ftobitdt „Die fcßöiie 
Sfteluftne^ einen glddltcßen SBurf getßan, Arie bie ßeft gefüllten Käufer 
betoeifen. Somoßl biefed ftndftattnngdßüd, mte bad borßergeßenbe „Die 
3rrfaßrten bed Obpßeud # ' sengen für bad Streben bed Directord ^aßn, 
bie audgetretenen SBege bed glän^enb becorirten Unßnnd berlaßen ju 
moüen. Der Dejt ift jrnar nießt bon ßerborragenbem ®ertß, aber immerßiu 
anßünbig btd auf bie eine gigur bed „Urian^, einer fraßenßaften ©e= 
ftalt, bie nießt erßeitemb, fonbern nur ftbrenb toirft. Die ftntoren ßabeit 
fieß bid auf ben Scßlnß an bad betannte ftolfdmürcßen geßaften, nur 
bie Spracße entfprießt mit ißrer oft erzwungenen $oeße bem naiben 
äug bed Originatd nußt. Docß bad ftüed tß in biefem Senra ftebett - 
faeße — ben ©aüptreiz mflßcn bad ÄaHet unb bie Dekorationen audüben 
nnb bafür iß ßier im reicßßen fftaße geforgt, bie „ 8 anbergArten^ ; „bie 
»potßeofe^ am Scßluße ßnb wirfließ ffteißermerte ber mobemen Deco* 
rationdhmß. ©leitßed Sob berbient bad Dallet unb befonberd grl. 
gtmmermann, eine ßöcßß amnutßige Dän§erin, bie boll geuer nnb 
Seibenfcßaft eine feltene Ihcaft unb Äudbauer eutwhfelt. „Die ÜRelufine^ 
ßat ^oßnnng ßunbert ftorßeüungen ju erleben; mir münWßen ed bem 
tßütigen Director bed ftictoriatßeaterd. 

Dad £Botterdborß;Dßeater ßat eine franjößfeße Sauberpoße bon 
©tairbitte unb Dßibouß „glamhta^ importirt, für beren ffudßattnng 
meßr geftßeßen iß, ald man ermatten burfte. Die Ditelßelbin iß 
ein uneßelicßed Äinb bed Satand. Boßer bie ftutoren btefed gactum 
ßaben, iß mir nießt betannt. glatnina fo 0 acßtjeßn Saßre auf ber 
Srbe leben. Dleibt fie bid baßin tugenbßaft, fo braueßt ße ni<ßt meßr 
in bie ^ööe jurßjf. Sin Deufel bon ber feeßdten ftangclaffe, ftßodpßortno, 
begleitet ße unb mitt ße ©Öfen bertetten, mobureß er auf ben 
ßöttißßen Dßron fänte. Sd ßerrfeßen in ©c$ug auf ftacßfolge jebenfaffd 
fettfame Hnfcßauungen bort unten. Satan bureßfeßaut bie $lüne, ber« 
ßinbert ße unb berurtßeilt ben Deußl ald armen Dßeaterbirector $u 
leben. Sin eeßt fatantfeßer Urtßeildfpru^. Um biefen magern Äem ßnb 
berfeßiebene Scßalen gelegt. Die Darßeßung mar reißt gut, ben größten 
©eifall erntete ber Dtrector Dßomad ald „tßßodpßorino“ unb grl Dam« 
ßofer, bie neugemonnene Soubrette, eine gtüi^enbe ©üßnenerfeßeinung, 
bie auf bem beßen SBcge iß, ein Liebling bed ©erliner ^ublicumd ju 
merben. <D. o. leiyner. 




Der pra!tif(ße ftußen ber Diplomatie, menigßend in fritifeßen 
Seiten, melcßen rabicale Äammerreben unb Q^tungdartilel feßon ößerd 
in nneßrerbietiger Äeife beßritten ßaben, ift bnreß bie ©ecßfelfäHe ber 
Ortentfrißd felbß für bie mürmßen ©emunberer ber 3nßitntion §ur 
offenen grage gemorben, Seit dman^ig gaßren mirb an bem ©roblem 
ßerumgeßidt, oßne baß bie Söfung aueß nur einen gi *0 bormärtd ge* 


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Nr. 2. 


9 t t deg*n»«rt 


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fommeit tfadre. Bie Borfcpläge bagu ftnb aüerbingg gaplretcp tme Sanb 
am SReer. Sille Blätter imb Sritfcpriften ftnb periobtfcp baüon erfüllt. 
Biber bei Sichte beferen finb e 8 butcpmeg bocp nur bP^politif^e Äanne* 
gießereien. Babei bilbet fiep 3eber auf feine (Entbedung anßererbentlicp 
öiel eia. fjfir ruhige Beobachter pat bie Selbftgenügfamleü, mit tpelc^er 
jene Herren bie punbertfacp erörterten Bn 8 lunft 8 miitel in Weipeoollem 
Seperton ftetb »iebcr aufg Beue an ben SRann gu bringen fucpen, ihre 
pritere Seite. Sflcö läuft in Saprheit barauf pinaug, baß bie dürfen 
mit guter Spanier and {Europa pinauge jpebirt »erben foHen. Bie gfomtel 
ift einfach unb erfreut barum linblicpe ©emütper, nach bem belannten 
Spruch* 1^08 Solutions simples säduisent toujours les esprits naYfs! 
(Eö iß flar, baß, »enu bie Ogmanli nicht ba »ären, fie ber Seit leine 
Sorge mehr bereiten mürben. Bie fjrage ift nur, mie fie nach Hfien 
fortcomplementiri »erben foßen. Strb hierauf eine Slntmort erbeten, 
fo geraden bie Staatömeifen in Bermirrung unb ftammeln unüerftänb* 
liehe Dralel. Big üor einigen Btonaten »u|te man ftch t>iel mit Um* 
»anblung ber Ballaitproüingen in neugebadne autonome Staaten. Seit 
ftch inbejfen neuerbingg Serbien unb Bumänien al« ruffifepe Unterprifec^ 
turen entpuppt haben, ift bie fragliche Umgeftaltung »enigfteng bei benen, 
bie ihre Seele nicht gang unb gar bem SBogiomitenthnm oerfebrieben 
pabeu, fepr erheblich im (Eourg gefunlen. Bie uttglüdlicpen bulgarifchen 
(Epriften felbft, benn nach tb^en fchaut ja bie flaüifcpt @ier befonberg 
lüftern hinüber, finb oon mffifchen Scpulmetftern unb $opeu bie Seit 
über nachhaltig bearbeitet »orben, {eben ftch aber üor läufig auf 3 abre 
binaug rninirt nnb fürchten ftch Par ben perannapeiiben rujftjcpen Lettern 
unb Befreiern minbefteng fooiel »ie üor ben Bürleu. Ser übrigeng 
alle fuperflngen Beflejionen üergeiepnen wollte, »eiche man täglich über 
bie orientalifche Sch»ierigleit nnb namentlich über Beutfchlanbg Stellung 
gu berfelben oorbringen pört, mürbe bie Sfonalen beg blübenben Uns 
ftnng mit einigen ^racptegemplaren bereichern. Ba fagt ber (Eine, eg 
märe hoch febr gut, baß Beutfchlanb unb Sraufreicp ftch gegenfeitig neu= 
tralifirten unb in Schach hielten! (Ein Näherer »in eine leife ßlage 
über Beutfchlanbg fchmierige $ofition befepwiebtigen unb bemertt mit ge= 
»ichliger Btiene, ber Scpiebgricpter habe ftetg eine bomenoolle Aufgabe. 
Bm pänfigßen lehrt ber ftugbrud ber Suüerftcpt «mieber, bah, toenn nach 
ber auf et»a brei Sohr gu bemeffenbeu Befepung ber Bulgarei bie 
Buffen froben fottten, fie hätten noch immer nicht Garantien genug unb 
mügten nnbefepabet laiferlicber Sufagen unb Berheihungen auf unbe; 
ftimmte fieit ben bulgarifchen Bauer mit ihrer (Einquartierung beglüden, 
Beutfchlanb bag nicht bulben, fonbern bem ftegreichen ^Härten fchleunigft 
ben Bftdmeg über ben Brutp »eifen »erbe. Solche Biitge »erben ohne 
jebe (Ecnfur beg flücptigßen.Bachbenleng gefügt unb gebrudt. Saat Slüd 
fleht ber neue Beicpgtag beüor, ber ftch »ie fein Borgänger grunbfäpiicp 
nicht mit augmärtiger Bolitil befepäftigen »irb, für »eiche bie Parlament 
tarifche Bigcuffton nach bem ttugfprucp eineg ehrenmertpen Äbgcorbneten 
erfl in fünfgig fahren reif fein foll. üJtan »irb bähet gur »iüloramnen 
Slb»ecp31ung auch »ieber oon anberen Bingen aig bem Orient gu hören 
befommen. Än BacpHängen beg Sireiteg über bie Suftiggefepe »irb e3 
afferbingg nicht fehlen. Unb hoch mühte eine Berftänbigung ber liberalen 
Parteien, foKte man glauben, ohne gu große Schmierigleiten fich ergielen 
laffett. (Ein Beicpgtaggmitglieb, bag im bänglichen Greife gefragt »urbe, 
mag benn eigentlich ber Sauf um bie 3 uftiggefepe bebeute, ermieberte 
lacpelnb: Bag läht fich burch ein Beifpiel am beften oeranfchaulichen. 
Bag (Effen »ar bei ung üor einigen Bagen üon »egen ber neuen Äöcpin 
nicht fonberlich befriebigenb gemefen. Bie Älage barüber hat inbeffen 
burch beffere Uebermachung eine fcpnelle Stbpülfe perbeigefüprt. Bur bie 
Suppe läht noch gu »ünfehen übrig. Sollen »ir nun (Eingebungen fol¬ 
gen, »ie fie bie äuherfte ßinle bei ben ftuftiggefepen empfanb, fo mürben 
mir bag gange (Effen flehen taffen, »eil bag eine (Bericht noch nicht 
fchmadhaft genug ift. So jener tluge ^augoater unb Sßolitifer, »omit 
nicht gefagt fein foll, bah eine anbere Baltil, fomeit eg ftch um bie 
Bebncr bei ber gmeiten gefung hanbelte, nicht üiele BMßüerftänbniffe üer= 
meiben tonnte. Boch bag finb gefchepene Binge, unb »ir »ollen ung 
bie Brbeitgfreube nicht burch retrofpectiüe Bormürfe oerlümmem taffen. 
Bie jSaplen liegen ja hinter nng nnb bie Bermanblung ber Bational* 
liberalen in eine ftramme Begierunglpartei, mit »eichet (Eompromiffe 
eingugehen ftch nicht mehr lohnen mürbe, »ie offteibg baüon geträumt 
nmrbe, »irb auch in biefem Saht noch auf ftch »arten taffen. 


(Ehriftian Baniel Bauch oon 2f rieb rieh unb Äarl (EggerS. Steiler 
Banb. — (Erfte Hälfte.*) Berlin, 1877. Äarl Bunderg Berlag 
((E. $eqmong). 

Ber erfte Banb ber Bauchbiographie oon griebrich (Eggerg er^ 
fchien im ^erbft 1878, ettoag über ein 3ahr nach bem Bobe beb Ber« 
fafferg. Ber Braber begfelben, Äarl (Eggerg, ftettte bei Verausgabe beg 
erflen Banbeg, für melden bag ^anbfchriftlid^e SBaterial eben nur aug^ 
reichenb in bem Bachlaffe beg Berflorbenen oorhanben »ar, bag (Erfcheinen 
eineg gmeiten Banbeg in Bugftcht, für beffen Boüenbung im Seifte feineg 
Bruberg er eifrig Sorge tragen »erbe. 

Bag (Erfcheinen biefer Srortfepung beg Serteg erlitt inbeh bei ben 
Bachforfchungen nach »etterem hanbfchriftlichen SBaterial, namentlich an 
Bauch’fchen Briefen, unertoartete Bergögerungen. (Ein Bheil biefer Briefe 
ift oemichtet ober fputlog oerfch»nnben, ent anberer, »ie bie im Soethe- 
Ärchio in Seimar oecbliebenen, trop aller Bemühnngen unerreichbar. 
Bennoch ift ber Stoffcmmachg fo beträchtlich, bat « bie Bubbehnung ber 
Biographie auf gmei »eitere Bänbe ftatt beg einen üetheihenen etforber* 
lieh machd, beten Verftettnng jept, nach Bbfchfuh ber Borarbeiten, fchneüer 
fortfehreiten »irb. Ben 100 jährigen Beburtgtag Banchg aber — am 
2 . Januar 1877 — wollte Äarl (Egger 8 nicht, üorfibergehen taffen, 
ohne ein augenfcheinlicheg 8 *ugntfj abgnlegen, bah bie Sortfepnng beg 
üon feinem Bruber fo eifrig begonnenen SetleO nicht ber Bergejfenheit 
anheimfällt, fonbern ihr ber möglichfte gleij gugemenbet »irb. 

So liegt ung benn beg gmeiten Banbeg erfte Välfte üor, »eiche bie 
Bhätigleit Bauchä »ährenb begSritraumg üon 1819—1830 imöagerhaufe 
gu Berlin üorführt, wohin er im Boüember 1818 üon (Earrara über= 
geftebelt »ar. 3m Bnfchltth o« bie Barflellunggmeife feineg Bruberg üer= 
fäumt e3 ber Berf. nicht, bie lünftlerifcheit Stiftungen beg Bleifterg in 
ihren Begehungen gum (Eultnr^ unb Äunflleben feiner Seit bargufteüen. 
Bach rinem Biid über bie burch ben ^hilheüenigntug unb bie romantifche 
Strömung begegnete S^tlage, über baö Äunflleben unter (Eanoüa unb 
Bhormalbfen, in Beutfchlanb unter (Eorneliug unb Äönig gubmig, fehen 
»ir ben Setteifer g»ifch«n SBünchen unb Berlin ftch entfalten. Bort, 
in Btündjen, ein Äönig, ber auf allen Oebieten feineg gühleng unb 
Benlenö bie Oegenfäpe ber Srit unücrmittelt in ftch trug unb mit Vafi 
unb Ungebutb bag einmal üon ber Bh anto f te Erfaßte gur Bugführung 
bringen lieh, um feine »eitgreifenben BKtae für bie Äunft gu einer 9Wit= 
bebtngung beg Bolfgiebeng gu machen. „Benn aig Beffert foll bie Äunft 
bet mir nicht behanbeli »erben", hotte er gu Bauch gefagt, „fie foll ung 
Beaffteal fein." (Ein Äönig, ber bie Äunft befchmören wollte unb aig 
Biäcen »ohl Äünftlertalente an ben Bag brachte, — aber bag 3Räcenaten= 
thum üermag lein ©enie gu ermeden. V^r, in Berlin, bie Äunft, »eiche 
burch ih** genialen Bräger — Sthinlel unb Bauch —■ ben Äönig bef<h»or, 
ihr eine Stätte gu bereiten, unb fie erhielt ben Boben, in bem fie Surgel 
faffen unb neue Briebe anfepen lonnte. 

3n bem (Eapitel „3n unb anger bem gagerhaufe" »irb nnö nun 
tpeiig Baucpg Bhätigleit in ber erften S^t beg Berliner Bufenthattg — bie 
Büften beg Srafen 3ngenheim, Varbenbergg, griebrtch$ beg (trogen, bie 
Scpaufpielhangfculpturen, bie Btorafpieler — üorgeführi, tpeiig lernen 
»ir ben gefeüig^n Äreig lernten, in welchem Bauch fiep bantaig bewegte. 
Bie pier genannten Barnen, niept nur bie ber grogen (Eelebritäten, 
bürften noch üon manchem gefer aig alte Belannte begrübt »erben. 

Ben Vä^puo^t ber bilbnerifcpen ^robuctimt beg Äünftlerg in biefer 
$eriobe hüben feine „Benlmäler ber Befreinngglriegc", bie Stanbbüber 
üon Bülo» unb Scpamporft, namentlicp feine beibeti Btücpermonumente, 
für Bregian unb Berlin. Sie im erften Banbe bie Biographie ber 
Äönigin guife, fo ift pier Blücper ber perüorragenbfte Glegenftanb feineg 
tünftlerifcpen Benleni unb Scpaffeng, mit berfelben güüe beg Bupmeg, 
aber anep ber Sorgen. Bemertengmertp ift neben oielem anberen pier 
Britgetpeilten bie gu jener Seit fo üielfacp bigentirte (Eoftümfrage unb 
Baucpg göfung berfelben am Blücperbenlmale. 

Ber (Eifer beg Berfaffert, im (Seifte fehteg fo früp berftorbenen Btttberg 
weiter gu arbeiten, ift banlbar angnetlennen. Sir* empfehlen bag Buch 
niept nur aßen gfteunben ber Äunft, fonbern auch bem große« Äreig 
aller Berer, bie fi<p gern näher mit ben* Bogen einer Bergangenpfeit, »ie 


*) Bie Befprecpung beg I. Banbeg befinbet fiep in ber „Qkgenmart" 
1874, Br. 17. 


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BO 


9t* <S*ge»u#art. 


Nr. 2. 


bie ()ier oorgeführte, bekräftigen, au# toeld^er noch oft betannte ftlänge 
herübertönen. #ier rntnben fte geh jurn franje um ba# $aupt beb 
©teiger#, bei bet hunbertften Sieberlehr feine# Seburt#tage#. 

£. o. £epel. 

* 

* 

Die «arten* rar 4Fürpengntft non Peter Corneiht*. 
(§erau#gegeben non bet $hotographif<hen Sefeßfdjap in ©erlin 1876.) 

®# toat Iura oor bet Slnhmft be# jungen Soroeliu# in ©om. 
©teljrere junge Äüngler, unter ihnen Ooerbed, $forr, Sintergerp, Ratten 
in bent oereinfamten tloffer San Sfiboto auf bem fßincio ihre Sltclier# 
aufgephlagen nnb eine beutphe ©talercolonie gegrünbet. ©a fie einfach 
unb jutüdgejogen lebten unb aud) im Äünftlerifchen bie Sleugerlichleiten 
Oerfehmähten, gab man ihnen ben Spottnamen „bie SRajatenet" bet 
fpätet auf bie gan$e teligiöfe ©talerei auSgebehnt mürbe. ©tan mag 
über ben ganzen trete beulen ttrie man miß, ba# objectioe Urteil mirb 
ein# eingefteljen müffen: e# wirlte in ihm ein ernfte# Streben unb eine 
tiefe tunftliebe, toie fie heute feiten angetroffen toirb. 

©tan braucht nur bie Briefe ©iebuhr# &u lejen, bet bamal# preugipher 
Sefanbter in ©om toat, um biefe ©hatfache au erfahren. liefen tfinftletn 
toar bie Äunft ba# fceiligfte, unb felbft her öielgeph mühte Uebetttitt ber 
^rotepanten unter ihnen $ur latholiphen £ir<he gephah au# ber tiefften 
Uebetaeugung, bag pe mit ben Objecten ihrer tunft auch burch bie 
Religion einig fein mügten. Sin bie Spifce biefet Schaar peßte fich 
Soroeliu#, nicht nur al# Äünftler, fonbem aud) al# Sortführer, mie 
fein berühmte# Scheiben an (Sötte# betoeift (oom 3. ©oü. 1814). SU# 
reichlichge# SDWttef aur fcebung ber beutfdjen fhmft, aut (Erreichung eine# 
großen Stil# beaeidfnet er bie Sieberbelebung ber gre#lotechnil, „bann", 
fc^teibt er, „toürben mir in futaem tröfte geigen / bie man unferm 
bepheibenen ©oll in biefer tunft nicht aagetraut, Schulen mürben ent= 
ftehen im alten Seift, bie ihre mahrhaft hohe tunft mtt mirffamet traft 
in’# ®eta bet Station ergöffen." Sörre# phmieg — bie Sahrheit biefet 
Sorte fanb feinen Siberljaß, fein ©erpünbnig. Slber ein $rioatmann, 
ber (Eonful ©artholbh, ergriff bie Sfcte unb fo entftanben bie berühmt 
getootbenen fjre#len in bem rechten (Edhaufe ber ©ia Siftina am $incio, 
benen au Siebe fpöter fßrina Submig ton ©apent ben beutfchen Sprach' 
geniu# in ba# fßrofrufte#bett folgenbet Slpoftrophe geamangt hat; 

„Siege, bu ber t>on ben beutfchen al fresco au malen 

Siebergeborenen Shmp". 

Sorneliu# ging begeiftert mit Schaboto, Ooerbed unb ©eit an bie 
Arbeit. ©er (Erfolg mar grog. ©iebuhr fchtieb (1617) an Saoignp, man 
möge (Eomeliu# bei einet monumentalen Slrbeit befchäftigen.. ©a# ba= 
malige Sßreugeu hatte noch Irin Äunftgefühl unb fanbte 200 ©hlr. — 
menn ich nicht irre —, Iura eine ©agatefle, für Staffeleibilber. So nahm 
(Eonteliu# bie Selegenheit mehr, mit Ooerbecf ben fßalaaao ©tafffmi mit 
gre#kn a u fchmüden. Sie in ber „Sieberetfennung 3ofeph# unb 
feiner ©rüber" entfaltete er auch tytt bie Sröge feine# tönnen# in 
ben noch oorljanbenen (Entmürfen aum „©atabiefe" ©ante#, bie nicht 
aur 2(u#führung gelangten. Sr marb burch Submig Oon ©apent nach 
©tünchen berufen, mo et bie Sommermonate an ben Slhptothel=gre#len 
arbeitete (oon 1820—1830). Sein Sehnen, an ber Schaffung einet 
monumentalen Äunft arbeiten a u bürfen, erfüllte fich in noch h ö h«rem 
©tage, al# ihm bie ©ecoration ber Submig#lirche übertragen mürbe. Sin 
aßen biefen Aufgaben hatte (Eomeliu# fein Stilgefühl geübt, ba# ftch bei 
il)m in jebet Sinie, unb man barf tagen, ohne feine ©tonen au berieten, 
nur in ber Sinie oerräth- Sil# griebrich SBilhelm ba# Sampo Santo 
in ©erlin au#malen au laffen fleh entfehlog unb Sorneliu# baau berief, 
erfagte ber Zünftler ben $lan mit einem glühenben Snthufia#mu#. 
Sortiere Jagt in einem &h öra ftcrbilb be# Zünftler# über ba# Serf folgen- 

be#: „ Someliu# nannte biefe Sntmürfe feine ©octorbiffertation. 

pe pnb aber augleid) ein herrliche# religiöfe# Sebicht; an Steße be# ©og= 
matifegen ift bie ergreifenbe ©tacht ber inneren Srfahrung, ift eine freie 
Sluffaffung be# «h^iffonthum#, be# Seifte# getreten, ber über aße Som 
feffion#fchranfen hinan# bie Sahrheit ber Offenbarung in ihrer reim 
menfehlichen unb reinpttlichen ©ebeutung un# oor Singen führt/ ©iefen 
Stempel be# ffleimnenfchlichen tragen bie Sompoptionen aum Sampo Santo 
in hohem ©tage an fich. ®emt man fie betrachtet, fo mirb un# au# 
ignen ba# erfte ©tal ein frember Seift entgegenmehen, aber ba gilt e#, 


ehe man urteilt, bie Siragc au beantmorten, ob ber Äünffler, ob 
mir bie Schulb. Unfer luge ip burch bie moberne Jtunft an ba# kleine, 
an ba# kleinliche gemöhnt, mir moßen ben Sauber ber gfarbe, mir moßen 
mo möglich auch etma# ©üanterie. ©ier fehlt ba# aße#. ©er Stoff ip 
un# nicht gegenmürtig, bie Sluffaffung brüdt un# nieber, bie ©arpeßmtg, 
bie jeben Sffect Oerfchmäht, ip für un# fap fahl unb bürftig. Slber menn 
a. ©. bie Sagneroerehrer forbern, bag man bie Serie ihre# ©teiper# 
op unb op hören rnüffe, um pe au oerpegen, fo barf man mohl auch bei 
Someliu# fagen: ff Schaue fo op, bi# bu fiehP." 3«be# ein#elne ber 
©ilber in ba# ©etail au betreiben, liegt nicht in ber Slbpcht biefer Stilen. 
Sir moßen nur auf einaelne hinmeifen, oorerp auf bie oier apofalpptifchen 
©eitet, ber ©ob mit feiner Senfe, ber ftrieg mit gelungenem Schlacht; 
fdjmert, ber junger mit ber Sage unb bie ©ep mit $feil unb ©ogen, 
3 n biefer Sompoptton liegt eine geniale, übermöltigenbe ©lacht, in ben 
Sepatten, über melche bie gefpenpigen ©eiter htubraufen, eine mäd^tige 
Smppnbung. Sie fein gefühlt ift ber Süngling, ber unter ben §ufen 
ber ©offe, ba# Slntlih mit ber linfen §anb bebedenb, aurüdfinlt. ©ief er 
Sarton gehört au ben grogartigften Schöpfungen «hriftlicher 
Äunp. Sie üiel be# Schönen enthält: „ber Untergang ©abel#", „bie 
$erab!unft be# neuen Qerufalem" unb ber herrliche Spllu# ber peben 
Serie ber ©armheraigleit. ©tan fühlt, bag bie ganje Seele be# ftünfilet# 
bei bem Serie mar unb oerpeht bie Sorte, bie er au# ©om an ©rügge* 
mann fdjreibt: „3eber Slthemaug bei biefer Slrbeit ift mir tiefe Seligleit." 
©lögen auch öetfehiebene Krittler über ©eraeichnungen, über lange ftörper 
unb lurae ^öpfe fpotten, auch 'h ncn fltgenüber gilt ber ©er#, ben Sorneliu# 
1841 bei bem Slbfchieb Oon ©tünchen fprach: 

©ie ßunft hob’ ich ßtlitbt, 

©ie ^unft hab’ i<h geübt 
©lein Seben lang. 

©ie fünfte hab’ ich Oerachtet, 

©ach Sahrheit ftet# getrachtet, 

©arum ift mir nicht bang. 

©ie ©eprobuctionen ber photographtffhen Sefeßfchaft ffnb Oon ooß^ 
enbeter ©reue, lein Strich &*# Original# fehlt unb lein ©on ip oerpärft 
ober oerminbert. ©ie un# oorliegenbe'2lu#gabe ift fehr grog, aber auch 
ba# ift anauerlennen, benn pe ip aunächft für SUabemien, ©ibliothelen 
unb Sehranpalten bepimmt. Sehr münfchen#merth märe eine «inael= 
au#gabe ber „©eiter" unb ber „Serie ber ©armheraigleit". ©ie ©ubli= 
cation macht bem 3npitut um fo mehr «h te / al# bamit nur ba# ©enl= 
mal eine# grogen Seifte# errichtet ift, bagegen auf einen materießen Srtrag 
bei ben h°h en $erpeßung#loPen mohl laum gerechnet merben lonnte. 

* 

* * 

©ie Siener „©eue freie ©reffe" bringt in ber ©ummer oom 
2 . Sanuar ein hö#fi intereffante# geuißeton über ba# 25jährige Subiläum 
ber „Sartenlaube". 3n biefem 2faße ip bie fteicr eine echte, unoers 
fätfehte, nicht ba# ©efultat oon Siteßeit unb Selbftfucht. Srnp Äeil, 
ber Srünber ber 3 e itf«hnft, bie jeftt bie riepge Sluflage oon 380,000 
Sjemplaren erreicht hat/ ift einer jener feltenen ©länner, bie mit Stol$ 
behaupten bürfen, aße# Errungene ber eigenen ftraft au oetbanlen, burch 
etfenxe (Energie aße §inberniffe befiegt au haben. Unb e# maren grogc 
Steine, bie man bem Unternehmen in ben Seg gelegt hat. ©ie 
„Sartenlaube" hatfjeinbe unb©eiber; ma# biefe aber auch f a 8*u mögen, 
Sine# ift ficher: ba# ©latt hat öiel baau beigetragen, mehr al# man 
benlt, ba# geiftige ©eutfchlanb aufaubauen; e# mar unb ift ein uner- 
müblicher Pionier, ber bie Freiheit ho^ hült unb fich treu geblieben ift 
in aßen itogen. ©löge ber Srünber ber „Sartenlaube" noch ba#fünfaig= 
jährige 3ubiläum feiner Schöpfung erleben, ba# münffhen mir oon 
ganaem iperjen. — jr— 


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Nr. 2. 


®1 1 $f t 


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Offene Briefe unb jUttootfru. 


Wtf ßufyti ben jÄog goU. 

©erlin, 26. S>ecbr. 1876. 

Än ben Herausgeber ber „©egenwart". 

®ie „©egenwart* bat fd&on Sancberlei jur ©rläuterung jprücbroört« 
lieber Lebensarten beigetragen. Unter Änbern bat ftc auch ben Ursprung 
ber Sorte: „©er weig, wo ©artbet ben Soft naebauweifen 

Oerfucbt. 

Stets burdj einen fo competenten ©eurt^eiler, wie ©beobor gon« 
tane, füraticb mit Änerfennung befproebene ©ueb bon DSfar ©djwebel 
„©ulturbigorifcbe ©Uber auS ber alten Sari ©ranbenburg" 
(©erltn 1877, Seile) oeroollgänbigt jene ©erfudje bur<b folgenbe ©r= 
aäblung: 

Ster ©ranbenburger Sarfgraf HanS, welcher um bie Sitte beS 
16. SabrbunbertS in Äüftrin reftbirte, batte einen Latg Samens ©artbcl 
iu SanbelSlobn, toelcber bie fparfamen Neigungen feines Herrn nicht 
feilte, unb au beS lepteren migfälliger Sabmebntung, nicht nur an 
Soebentagen [eibene Strümpfe trug, fonbern auch im ©tiQen [ogar 
Lbeiuwein tranf, todHrenb auf ber ntarlgrägicben ©afel nur „Ärogener 
Sanbwtin" erfebien. 

,,©otcb’ uncbriftUcb unb abfebeutieb ©raffen unb ©rachem", fährt 
nun ©cgwebel toörtlicb fort, „mugte ber H*rr Qtfytvm Latb natürlich 
bor feinem H*rm geheim batten; aber marfgräfliche ©naben mertten nur 
au halb baS ©ebeimnig unb mußten nun, „too ©artbet ben Soft 
berbolte". ©eit jener 3eit bat ficb bie Lebensart fprücbwürtlicb in 
ber Leumarf erhalten/' 

Urlauben Sie mir, meine Seinung über biefe @r$äblung au fagen. 

Obgleich OStar ©cbtoebel feine Quelle nicht angibt, bin ich bei 
ber anerfaitnten guoerläffigfeit biefeS oerbienten gorfeberü in märüfeben 
©efebiebteu unb Ältertbümern toeit entfernt, bie Licbttgleit beS Hergangs 
tu $toeifel an jieben. dagegen beftreite ich, bag bei biefer ©elegenbeit 
bie Lebensart oom ©artbet unb bem Soft ent ft an ben, unb bag fte über« 
baupt nenmärtifeben UrfprungS ober bag fie nur bort im ©ebtoange ift. 

©ielmebr war bamalS bie Lebensart febon lange unb allgemein im 
©ebraueb, unb ber Sarfgraf bat fte nur auf feinen ©ebeimen SRatb an« 
getoanbt, weil berfetbe ©artbel bieg. ^ebenfalls lieg ficb ©artbel 
oon SanbetStobn oom Lbeitt //Sein" lommen, unb nicht „Soft". 
Stenn bamalS toftete ber Transport oom Lbein an bie Ober fecbS bis 
fieben Soeben Seit; toäbrenb ber geit wäre ber Soft in Sffiggäbrung 
übergegangen. Senn ber Sarfgraf gleichwohl nicht oon Sein, fonbem 
oon Soft fpracb, fo betoeift bieS, bag er ficb &em Swänge ber bereits 
berrfdjenben Lebensart unterwarf unb baber nicht ber Urheber berfelben 
feinlann. Ohne biefen Swang hätte er oon „Sein" gefproeben. 

Ster Urfprnng Oon ©artbetS Soft ift am Ober« unb Sittetrbein au 
{neben, wo ber Seinbau eine bomintrenbe Loüe fpiett unb man bie 
ftaienbertage nach ben latbolifeben H^iügen beaeidjnet. 

©anct ©artbotomäuStag fällt auf ben 24. «uguft. S)ie Seinlefe 
beginnt erft awei Sonate fpäter. Soft gibt eS erft im LoOember au 
tr inten. 

Sau bat nun am Schein ein uraltes ©auernfprüebwort: 

„Ser fein H°4 eintbut auf Seibnacbten, 

©ein Äora auf ©fingften, 

©einen Sein auf ©artbolomä, 

©ei bem wirb ©cbmatbanS Äücbenmetfter werben." 

S)aS will fagen: Ser aur unrichtigen Seit ernten will, ber bringt 
nichts ein. Ster Sifc liegt eben barin, bag man auf ©anct ©artboIomäuS« 
tag noch nicht Seinlefe batten fann unb bag banacb ©artbel feinen 
Soft bat 

Ster Senfcb, welcher weig „wo ©artbel ben Soft polt", gebt 
fonach auf gleicher Sinie mit benjenigen, welche baS ©räSlein warfen 
{eben unb bie glühe bugen hören. ®S ig ein bummpgfgger Senfcb, 
welcher ftch einbitbet, Stenge au wiffen, welche es nicht gibt. 

<§* erinnert an bie „©etebnung mit ber gifdjerei auf bem 
Snrleifelfen nnb mit ber gagb auf ber ©auf' 1 (b. b- auf ber 


wüften ©anbbanf, welche am guge beS Surleifelfen liegt). Sit biefer 
gifdherei unb gagb würben in alten. Setten biejenigen belieben, welche 
aum ergen Sale bie bortige gefährliche Lbeinrimte pafgrten. Stee geier« 
liebfeit war babei eine ähnliche, wie beim ©afftren ber £inie; b. b* ber 
Leuling würbe geprellt unb gebänfelt. 

©enebmigen ©ie u. f. w. 

Karl Braun*lPiesbaben. 


Sttlißifib* m ttgei unb (Wigifüre Sorjüge. 

©erebrte Lebaction! 

At nos virtutes ipsas invertimus atque 
Sincernm cupimus vas inonestare. 

S)er ©pruch beS alten H*>raa tarn mir in ben ©inn, als ich in 
Lr. 61 eine ftiliftifche Unart gerügt fanb, unb an einer grau gerügt 
fanb, beren Sorte ich geneigt war mit gutem ©ewigen als echt beutfeb 
in gorm unb gagung nicht minber wie ihrem ©ebalte nach au halten 
unb au beaeiebnen. ©S fällt mir aber fag fchwer, meinen Siberfpruch 
au äugem, ba 3br Herr ©orrefponbent auf eine „hobt graramatifebe 
Autorität" auSbrüdlicg probocirt bat. geh halte mich nun am aller« 
weniggen für eine Autorität; aber felbft wenn ein umfagenbeS Sigen 
(quot sentio quam sit exiguum) unb ein gereiftes Urtbeil mir ein 
Uebergewicbt über biefen ober jenen meiner ©olfSgenogen geben follte, 
ich würbe boeb allen ©rageS ©roteg erbeben, wenn auch nur ein einiger 
ßefer meiner ©erfon ent höheres ©ewiebt als meinen ©rünben beilegte. 
S)icS aunäcbft im perfönlicben gnterege unb nun aur ©ache felbg. 

©egen Styctn Herrn ©orrefponbenten mug ich es ergenS als un« 
ritterlich beaeiebnen, bag er feinen $abet an bie Sorte einer allgemein 
oerebtten grau anhtüpg, mäbrenb ihm aus feinem eigenen ©efcblecht 
S)upenbe oon ähnlichen ©eifpielen an gefeierten ©djriftgeHemamen au 
©ebote ganben, eoentuell oon ©ranbgätter in feinem betannten Serie 
über beutfebe ©aüiciSmen entlehnt werben tonnten. 

S)ieS über bie materielle ©runblage beS Nabels. Hiugchtticb ber 
©efebagenbeit beS beigebraebten SaterialS aber überfeben fowobl ©raub« 
gätter, wie Seitbrecbt, bag ähnliche ©onftructionen nicht ©aüiciSmen 
ober ÄngliciSmeu, auch nicht ©aloperien, fonbem ein Surfidgeben auf 
echt beutfebe, oottStbümticbe ÄuSbrudSweife gnb. ©S wibergebt mir, 
aus H*ineS beutfdjer ©rammatil unb aus feiner eigenen gnntgen ÄuS« 
brudsweife gelehrtes Saterial unb gehäufte ©eiege beiaubringen. Swet 
ober brei S)ichtecbeifpiete werben auSreid^en, um au bemeifen, bag auch 
in biefen ©ongructionen baS giligifcge ©efep obwaltet, mit wenigen 
Sitteln oiel auSauricbten. Unter unfern ©auern, bie oon bentfeber 
©rammatil tbeilS ungebubelt geblieben, tbeitS bie Tortur ber ©ebute 
glüdlich oerfcbwtpt haben, gnb fotebe ©ongructionen etwas UlltäglicbfS. 

Sir genügen folgenbe ©eifpiele: 

S)en ©üenbogen aufgeftemmt, 

©ag ich iu meiner guten 8lub. 

©alentin im gauft. 

SDen ©lid gefenft, bie Sange febamerglübt. 

Semer im ©mg oon ©cbWaben. 

Kucb in ben Sorten ©oedS im ©grnont gnben geh bei ber ©cbil* 
berung ber ©cblacbt Oon ©raoelingen Änbeutungen eines ähnlichen ab« 
foluten ©ebraucbS ber ©articipien. ©S ift baS Siberftreben beS gefcgulten 
©erftanbeS gegen bie unmittelbare tteugerung eines inginctioen unb 
geberen ©prachgegiblS, wenn man eine Heine ertannte ©eget feftbaltenb 
oon SRegetloggleit rebet, wo nur eine fegwerer erfennbare ©egel, ein 
umfagenbereS fRöturgefcJ obwaltet 

©cgwerin i S, ©nbe S)ec. 1876. ifriebr. latenborf. 


«Üe auf ben Inhalt biefer 8*ttf<brift beaüglicben ©ogfenbungen gnb 
au rieten: 

Zn btt Htbartimt ber „©tgtunrort“, 

©erlin, SW., Sittbengrage 110. 


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'Mit tftgtnnntri 


Nr. 2. 





K ®ritd|ifd)t Seine. '‘VI 

, jöftigt ftd^ mit bem 3mport griedftWjer ©eine. Tiefelben finb toon 
norjüglt^et ©üte unb großer Schönheit. — Um beren 93efonntruerben $u erteiltem toirb l $robe* 
fiftcf)en in folgenbet SuförnmenfteHung abgegeben: 

3/1 PL Rothwein ans Corinth. ä. JL 1.60. = JL 4.80. 

3/1 Fl. dito Claret Vino di Bacco von Santorin. . . ä JL 1.20. =* JL 3.60. 

3/1 FL Malvasier weise Vino santo von Santorin .... a JL 1.40. =* 4.20. 

3/1 F1. dito roth aus Misistra. ä JL 1.60. JL 4.50. 

3u}ammen 12/l flT Äifte, Srlafc^en unb Serpadfung frei für. JL 17.10. 

3ufenbung per $oft ober ©ahn, ab hier. Ibfolute Garantie für Reinheit nnb Mei|t|ett. 
Hulführlichen ^reilcourant unb (Sirculair franco gegen franco. 

3. £\ ßtcnjrr, SBeiitgroßljanblung, ilrdmrgtmönb. 
©egrünbet 1840. ©erfanbt bei jeber Temperatur juläfftg. 

dritfdjriftcn auö bem 3Serla^ von ft. 51. 'Brotftauö in Öctyfifl. 
glätter llnfcre Bett. 

.../ , ß ^bentfcfie 9icttuc ber ®eacnnmrt. 

ItterartfdK llnfcrlMlfnng. nmc^. 

$craulgegeben oon tHubolf Oiottfdjall. £>eraulgcgeben oon IKubolj OJoltfdjaü. 

4. 3n 52 roöd)entlicf>cn Hummern oon 2 ©ogen. 8 . 3n ^albmouatlic^eii heften ooit 5 ©ogen. 
^reil pro Cuartal 7% JL Scbeö $eft 75 A. 

3al>rgangl87 7. 3 a h r g a n g 1 8 7 7. 

Tie „Blätter für literarifdje Unterhaltung" Tiefe rütjmlicbft befannte cultur^iftorifc^e 3^t= 
fiitb bie einzige 3cüfc^rift, ruelc^c bie neuen @r= jehrift, eine „Tcutfche lernte", bie fid) ben großen 

jd)einnngen ber gefammten nicht ftreng facbtoiffeit- ettglif^en unb fraitjöfifd)en SRebuen ebenbürtig $ur 

fcbaftticben beutfeheu Literatur mit möglicher ©eite ftcHcu fann, bietet in großem äufammem 
SSoUftänbigfeit unb ebenfo anregenb all maßooH Ijöngcnbcn 9Irtifeln unb in ©pelialreouen ein um- 

befpridjt. 3 hre Seftürc ift allen, welche ben ©e= faffenbel 3 eitQcmäIbe ber ©egentoart. 6 ie 

Regungen ber Literatur int 3 uf am ntcithange ju biibet einen orientireuben gütjrer für jeben, ber 
folgen tuünfdjeu, junt ©ebütfniß geworben, fobaß an ben Strömungen bei Chilturlebenl Slntfyeil 
fein 3 ournatcirfel, fein Üefelocal ftc entbehren nimmt, unb ift namentlich auch eitlen üefelocalen 
ober burch anbere 3 eitfd)nften erfepen faitit. unb 3 ouritalcirfeln t>on neuem *u empfehlen. 

5lltc ©uihbanblungen nehmen ©eflcflungen an unb finb in ben Stanb gefeßt, bie erfle 
'Jlummer, refp. baß er ftc ef t beb neuen Jahrgang! ?ur ‘.Unfidjt nor^ulegen. 


nnffenichaftlich gebübet, ber fich proftifd) beto&hrt 
hat, fueßt fo batb all möglich eine ©teile all 
yfebacteur bei Seuifletonl einer liberalen Tagei- 
Leitung ober eine! befletriftifeben ©ocßenblattel. 
öefte 3eugniffe unb toenn nöthifl groben (Ärb 
titen, geuilletonl, Lobelien ic.) flehen pr ©er; 
füguna. — «breffen erbeten unter L. G. 77. 
©ypebttion ber ©egenwart, Souifenftr. 32. 


ßaus= unt> fomnlien=ScfyilIgr 


ZTeue illuftrirte (DFtat>s2lusgabe 
oon 

Scfyiller’s 

fämmtlichm tPerfen 

IHit i?iog 
(Einleitungen unb 


lumerfnngen 

Kobert Boyberger. 

8 ftarFc Z 3 äiibe in 50 £ieferimg. ä 50 

Ptefe ttene SchiüerfZlnsgabc ift bas 
Hefultat jahrelanger Verarbeiten; fie 
iß beftrebt, in literarifd^er unb illns 
ftratioer Z 3 e 3 tehung als ein Zlusßuß ber 
feiftnngen ber Zten 3 eit ba 3 uftel]en ttnb 
meitgebenbe Unfprücbe 311 befriebigen. 
Berlin. <5. (Srote’fche Verlagsbcbblg. 


Im Verlage von F. E. C. Lenckart in 

Leipzig ist erschienen und durch jede Musi¬ 
kalien- oder Bnchhandlung zu beziehen: 

Boeder, Martin, Op. 7. Gavotte 

für Pianoforte. JC 1.50. 

Mehrere Pianistinnen ersten Ranges haben 
Roeder’s Gavotte in ihr Conceit-Repertoire 
aufgenommen; u. A. spielte Friiulein Anna 
Mehlig dieselbe kürzlich mit grossem Erfolg 
iu St. James Hall zn London. 

In demselben Verlage erschienen: 

Hiller, Ferdinand, Op. 144, Nr. 2. 

Alla Polacca für Pianoforte . . ^0.75. 

(Repertoirestück von Frau Dr. Clara Schu¬ 
mann, Frau Annette Essipoff etc.) 

Lnchncr, Vinzenz, Op. 57. Prälu¬ 
dium u. Toccata für Pianoforte . JL 1.50. 
Ries, Frnnz, Op. 26, No. 5. Intro- 
duction und Gavotte a. d.Violin- 
Snite, für Pianofortc bearbeitet 

von Ignaz Brüll. . 4L 1.00. 

Selioltz, Hermann, Op. 27. Varia¬ 
tionen über eine Norwegische 
Weise f. Pianoforte. Nene um- 

gearbeitete Ausgabe. JL 2.00. 

Stiehl, Heinrich, Op. 68. Fantasia 

quasi Sonata für Pianoforte . . M, 1.20. 
Tschaikowsky, P., Op. 19. Six 

Morcoanx pour Piauo.5.00. 

— — Op. 21. Scherzo pour Piano JL 1.50. 


(-.m mdioiwlfs 


Collection Litolff. 


Turdj jebc akiififalicnhanblung ju beziehen: 

= Liederperleii ■—■ 

200 lieber mit leichter ^ianofortebcgl. s ^r. 3 JL 
3Mft. ^erlagl^atalog gratis unb fraufo. 

§. fiitolff’l ®erlag in ©raunfihtoeig. 


IV. (Stereotyp-) Auflage 

2 starke Bände, brocliirt: 16 JL Iu 2 fei 
nen Halbfranzbänden: 21 JL 

Jedes einzelne Stück: 80 Pf. 


[Letztere werden, soweit der Vorrath 
reicht, in früheren Auflagen geliefert.] 

Verlag von R. L. Friderichs 
in Elberfeld. 


Verlag von Georg Stilke in Berlin. 

Don Juan d’Austria. 

Ein geschichtliches Trauerspiel in 5 Aufzügen 

von Albert Lindner. 

Ein Band 8 . Elegant geheftet. Preis 2 JL 


zum X. Bande der „Gegenwart“ 

sowie zu den früheren Bänden elegant in Leinwand mit 
blinder und vergoldeter Pressung sind zum Preise von a 


1 Mark SO Pf. durch jede Buchhandlung zu beziehen, 


Verlag und Expedition der „GEGENWART 

Georg Stilke. 


^xprftition, |Jfrftn N.W., SomffttftTaftc 32. 


ftfir We fliebaction berontwortlid): £forg £UtAf in llrrftn, 


«rbadton, ^rrft» S.W., Üinbenftrafte lio 


Xrucf uon 7i. <f». iruAnrr in jlripiig. 


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Jß 3. 


tot 20. $am*x 1877. 


XI Band. 


p k (Dcgcmunrt. 

Söwhenfdjrift für Literatur, öffentliches ßeben. 

Herausgeber: ^attl cSttttotHnBerlin. 


Jtkn $aniak tt ftent tut |anuL »erle fl et: «ms «tUle in »«Kn. k ?«» P* l«W 4 gut 50 |f. 

8* feik^e« b*tr<$ aKe «huhhoitbiuiiae« mb $ofta*ftaItftu 3nferate fcbec Art pro Sflefpalttne $etitteile 40 9f. 


®ie ($riftluf>cn Girier unb bic mofKimme&amJd&en Duranier. Äon Äart ölinb. — fcitcratur unb Ännft: Unter bem Ärummftab. 
- fcpifdjjc Didjtung non 3obanncÄ Worbmantt. ©efprodjen non ©illjelm ©olbbaum. — ßcteftftdjte. II. JBoit $au8 ftopfen. — 

Snßfllt: Sfiiebri^ <Ef>nftop1} ©djtoffer. (©djtuft.) »on 3mmonueI föofenftein. — Und Uv gauptftftbt: DrantatfWe Änffübrungen. „Der 

luftige ttatV' ©djaufpiel in 4 lufjügen t>ou Sriebti($ ©ptelbogen. ©cfprodjen non Sßaul fiinbau. — $ott ber ffiiplftlfon. JBon 
$. Cibtlicb- — Stotzen. — 3nferate. 


Oie djriplicheß Jitter unb Me tnohoBimtbamfdjen $uranier. 

SBon Karl Bliitb. 

„®ie {ßroteftanten fabelt fich (jur 3eit ßeopolbS I.) teineS* 
wegS gefd|eut, mit beit Jürteit jufammen ju geben, unb wir 
fönnen uns faum barüber wunbern; benn obwohl bie 
djriftli^ien Untertanen einer mohammebanifchen SRacht als ein 
mdRpHKlmeteS Soll behanbeft werben, fo oerroeigert man ihnen 

boch nicht baS {Recht ber freien {Religionsübung"...„Von 

größerer ©ebeutung für bie «Staaten beS Sultans, als biefe 
SebietSoerlufte (im Sabre 1792), war bie (Einmifchung in bie 
inneren Verhältniffe ber lefcteren, bie tton ba an burd) Ruß* 
lanb planmäßig betrieben würbe .... Seber Aufftanb ber 
chriftlichen Veoöllerungeu würbe ftets oon Rußlanb ermutbigt; 
inbeffen gewannen biefe feiten irgenb etwas burch 
bieS (Eingreifen {RußlanbS in ihre Angelegenheiten." 

So ftebt es in einem englifthen Sefcf)ichtSwerf. 

$)a8 hat nun wohl einer oon ben Verruchten getrieben, 
bie ficb nicht, gleich bem Dualer unb FriebenSfreunb Sohn 
©right, für bie neue* ftreujfaljrt ber SRoSlowiter erwärmen 
fönnen. Vielleicht ift ber Verfaffer gar fo ein ausgemachter 
Zott), ber geiftesfchwach genug ift, an ber überlieferten eng* 
lifchen StaatSlunft feftjuhalten, wie fte bis oor Äurjent unter 
(Eonferoatioen, liberalen unb {Rabicalen jiemlicb allgemein als 
bie richtige galt? ©ie h«ßt alfo ber Unglüdluhe? 

Sein Rame lautet: (Ebuarb Auguft fjreeman. (Es 
ift berfetbe SeßhichtSfchtriber, ber in ber neueften {Bewegung 
für Austreibung ber Xürten aus (Europa als ^aup»tfährer 
oorantrat unb mit Feuereifer SÄonate lang bafür wirfte. (ES 
ift berfetbe, ber lieber bie {Ruffen als bie lürlen in (Eonftan* 
tinopel fehen möchte, unb ber noch oor $urjem eher bie eng* 
tifdje Hetiichaft in Snbien untergehen, als (Englanb jum Schule 
beS ottomanifchen Reiches gegen ben (Sjaren wollte eintreten 
laffeth, $er oon ihm oerfaßte „Allgemeine Abriß ber (Euro* 
päifcbeiK®efchichte" aber, bem ich Me oben erwähnten Stellen 
tfNtoch oor jwei Sahten in neuer Auflage erfdjienen. 

(ES mag foaar einem SefcßichtSforfcber erlaubt fein, im 
Saufe oon jwei Sahten in einer Frage wie bie orientalifche, 
über bie Rtemanb teic|tweg ein Urteil abgeben foßte, ohne 
reiflichft barüber nachgebacht p haben, eine fcheinbar aus gutem 
©tnbann hetoorgegangene ÜReinung oöQig ju änbem. (Etwas 
AnbereS ift eS fchon, wenn ber übrigen ©eit biefelbe Schwen* 
tmtg unter Androhung ber geiftigen Acht unb Aberacht ju* 


gemutbet wirb. 3Ran lann, glaube ich, feh* freifinnig fein nnb 
hoch ber Anficht hulbigen, bie ber nicht ganj unfreifinnige 
Subwig ©örne einft tn Vejug auf bie oorläufige (Erhaltung 
beS tümfehen {Reiches gegenüber bem rufftfehen Anftnrm ent* 
widelte. Vöme betrachtete bie Sürlei belanntlich als baS 
®itter, baS (Europa oor bem (Einbrudh „toilber ’fcfyiexe" — 
mit anberen ©orten, beS nach ©eltherrfdhaft geijenben, halb 
inongottfihen ßjarenthumS — fchü|e. ®a8 Sitter lönnte, benle 
ich, bebeutenb beffer fein. Sn (Ermangelung eines befferen be= 
hilft man fich jebo<h oemünftiger ©eifc einftweilen auch mit 
einem ÜRotbmittel. 

Sogar auf ber Sonboner Versammlung, bie fleh jiemtich hoch' 
trabenb „{Rationalconferenj" titulirte, warf ein {Rebner, jwifchen 
feinen türlenfeinblichen Ausführungen, bie bemerfenSwerthen 
©orte hin: {Rußlanb fei „wohl baS wenigft gebilbete unter 
ben Völfern, bie beSpotifchfte aller Regierungen, bie gewiffen* 
lofefte in ihrem @h c 9 e i& nnb oon einer Führung, bie ooQauf 
Urfache ju bem fchwerften ERißtrauen gegeben habe". SMefer 
weiße Rabe unter ben (Eonferenjrebnera (unb eS war fogar 
ein Seiftlicher, ber fid) fo äußerte!) fprach eine bebeutungSooüe 
©ahrßeit gelaffen aus. 9Ran hätte in bem Augenbticf meinen 
lönnen, ein oerjauberter Segnet RußlanbS fteße auf bet Rebner* 
bühne, ©enn nun aber wahr ift, was biefer weife Schwarjrocf 
fagte; unb wenn ferner wahr ift, baß auch an unfagbaren 
Sdfrecfniffen burch Me ruffifepe ßerrfchaft in ^Solen, im Sau* 
fafuS, unb jüngft wieber in iurleftan baS (Sntfe|!ichfte geliefert 
würbe: finb wir ba berechtigt, nur oon ber Sürfei als oon 
einer „Ausnahme in (Europa" ju reben? 

Sft nicht in Rußlanb bie ganje ©eoöllerung politifch 
rechtlos? Steht nicht bort baS auf einfache ©affen* unb 
{ßolijeigewalt gegrünbete ®jarent|um wie ein Sieger über 
Unterworfene ba? SArieft biefe Xprannei oor irgenbmetdjen 
Sräueln jurüd, wenn VollSftämme, bie ihre Selben unerträglich 
finben, fich auflehnen, ober wenn ber geringfte Verfuch gemalt 
wirb, einen oerfaffungSmäßigen S u flanb herbeijuführen, ber 
bie launenhafte {tprannei befchranien lönnte? Sheüen ft«h nicht 
Familien, wie bie SRurawieffS, in „folcße SRurawiep, bie 
Anbere hängen, unb in folche, bie gehängt werben?" Sinb 
baS ßuftänbe würbig beS europäifchen Staats* unb Rechts* 
bewußtfeinS? 

3<h öffne auf’S Seratljewohl bie Schrift beS Fünften 
{ßeter Xolgotulow*), eines gemäßigt liberalen SwanueS, 
unb flöße auf ben Abfchnitt über bie SewiffenSfreißeit. „®ie 


*) La Vdritä bot la Bnsaie. 


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Bit Gegenwart. 


Nr. 3. 


84 


ruffifte Regierung", Reifet eg ba, „oerfährt iit Sachen ber 
©ewiffengfreiheit, wie fie überhaupt in allen ©erwaltungg* 
jweigen banbeit — nämli<b ganj fprungweife unb launenhaft 
unb mit ber unbebingteften SSJitlfür. Sn ben ©efefcen ift bie 
©ewiffengfreiheit wobt eingeschriebenj aber oon allen ©efefeen 
wirb nur ein einjigeg beobachtet: baSjenige, welteg bem Äatfer 
baS Stecht oerleiht, ju banbetn, wie cs ihm gut büntt. Slnftatt 
bie ©ewiffengfreiheit jum ©taatggrunbfa| unb jur Siegel ju 
machen, wie eg ft<b für jebe wahrhaft cioilifirte Stegierung 
jiemt unb ben SBebürfniffen unjereg 3eüalterg entfpritt, nimmt 
bie ruffifte Stegierung oon btefem ©runbfafc fo oiel fie will, 
macht ben ©inen tljeilweife ©ewäbrungen, oerweigert fie ben 

Uebrigen, ganj nach Selieben.Sie Sfraeliten feben fich, 

bei oöüiger Freiheit beg ©ottegbienfteg, ber meiften bürgerlichen 
Siechte beraubt, fo geringfügig biefe auch fein mögen; fogar 
ber Sterte finb fie beraubt, bie ben heibniften Untertbaneu 
Stufjlanbg gewährt werben .... @g ift ein geljäffiger ßu- 

ftanb.SBir Sprechen bi« leinegwegg oon ber Stegierung 

beg Saiferg Stifolaug, oon feiner Unbulbfamfeit, feinen ©rau- 
famfeiten, feinenJöalbnarrheiten. ©eine Stegierung gehört ber 
©efchicbte an. SGBtr reben hier nur oon ber jefcigen ßeit." 

©inb biefe hier oon einem ruffifcben dürften geftilberten 
3uftänbe beffer, ober finb fie oielmebr fcblimmer, a(g in ber i 
SCürfei? 2Ber etwa baran jweifetn mag, ber hätte auf ber 
erwähnten Sonboner ©etfammlung bie Siebe beg liberalen 
Unterbaugmitgliebeg ©imon, eineg Sfraeliten, böten foUen, 
worin bie Sage ber 3uben im eigentlichen ottomanifchen Steiche | 
mit berjenigen feiner ©laubenggenoffen in Serbien unb Stu* 
mänien oerglichen würbe. 

35 ag Sldeg fei nicht etwa gefagt, um ben dürfen alg eine . 
merlwürbige ©nlturblütbe ju Stübern, fonbern lebiglich, um ; 
einfeitigen unb in ihrer ffiinfeitigleit ganj unrichtigen 25ar* j 
Stellungen entgegenjutreten. Slber tpe* hält man ung eine 
anbere gortnel entgegen, bie Sldeg nieberftlagen foll. ®er j 
EEürfe — wirb gefagt — ift fein Slrier; er ift ein frember j 
©inbringting aug Slfien, oon ung getrennt burcb ben Sgtam 
unb burcb turanifche ©tammegeigentbümlichfeiten. 

Sch fürchte, mit Solcher Stacenmäfetei fämen wir halb noch ; 
ju einer anberen §efce, alg blog jur EEuränierhefce. ©täglicher* i 
weife müßten gar bie liberalen gührer im beutften Steicbgtag 
auf ben Strier unterfucht Werben. ®er ©ine ober ber Änbere j 
beftänbe bie Sßrobe wo|l berjlit Schlecht. 2)ann fämen oiel= j 
leicht bie blaublütigen ©eftletter unb fudjten einen großen I 
Xbrtl beg „fcropbulöfen ©efinbelg" alg Unterworfene oon * 
Schlechterem ©chlaa barjufteHen. EDiefer ©cherj ift fchon einmal j 
in ber ©taatgwiffenjtaft beg ©littelalterg bagewefen, unb bat ' 
ju ben befannten ftönen 3 u f*änben geführt, gegen welche 
wieberbott jum ©ollgaufruhr, alg jum natürlichen Siecht ber. 
Slotbwebr, gegriffen werben muffte. 

Schon in einer früheren Slbhanbluna über bie orientalifche | 
»frage bejog ich mich einmal auf bie Äiepert’ften Starten. 1 
©in ©lief in feinen Sttlag ber Sitten SBelt mag oon Siufcen 
fein, Wenn eg fich für bie dürfen um’g Siecht aufg EEafein 
unb auf Staatliche SKnerfennung in ber europäiften Sßölfer= i 
familie banbeit. Unter ben ©tämmen oon weiger garbe, bie 
weber ben Slriem, noch ben ©emiten jugerechnet werben tönnen, 
finben wir in jenem Sltlag, burcb ©elb angebeutet, einen großen j 
2h«il oon Steffalien «ob ©lafebonien; ganj SQbrien; fßan* 
nonien; Sthätien; ffitrurien; bag heutige italienifcbe unb fran* 
jöfifebe SJiittelmeerufer big jur Stljonemünbung; ©orfica; bie 
balearifcben ©ilanbe; brei ©ierthetle ©arbinieng (bag anbere 
©iertheil ift alg femitift burcb ©lau bezeichnet); ein ©tücf I 
©icilieng; unb weitaug ben größeren Shell oon Spanien unb ; 
Portugal §ie unb ba — wie in Spanien unb Portugal, 
ober in ffitrurien — beuten abwechfelnbe gelbe unb rötbliche 
©triebe eine ©iiftung mit Slriem an. Sch will hinjufügen, 
bah auch bag heutige SBeftengtanb unb ein Xbeit Srlanbg ! 
(bag alte ^ibernien) im Älterthum jum iberifchen, b. i. nicht* | 
arifchen unb nitMemitiften Stamme gerechnet werben bürfen. 

SCiefelbe gelbe fjfarbe in Äiepertg Ätlag erftreeft fich über ' 


ben Slorboften ber Ärim, ben ganjen Saulafug, einen EEljeil 
Äleinafieng. ©ie erftreeft fleh ferner, foweit nicht ber fübliche 
ÄJüftenranb beg ©httelmeereg oon ©emiten befefct erfcheint, 
über ben Sforben Äfrilag, einftlieglit ©ghpteng, unb big jum 
arabifdjen ©olf. Äetne geringe Änjaht biefer nicf)t=ariften unb 
nicht femitifchen Stämme beg Älterthmng gehörte ohne 3weifel 
bem turaniften Schlage an. ©on manchem trefflichen ©e= 
lehrten wirb ber ©trugfer für einen Xuranier erachtet. Sßar 
aber nicht ©tmrien bie Sehrmeifterin Storng? 

©oö bie alte ©ultur ©gppteng, ©abplong, ©b'uag für 
nidjtg gelten, weil wir bei biefen ©öUem entweber nur f^wach, 
ober gar nicht auf ben Strier treffen? Unb wie ftebt eg mit 
ben $h a jaren, jenen ehemaligen ©ilbunggträgem, bie einft bag 
Sanb inne batten, wo h^ute fofacfifche, falmücfifche, lirgiftf^e 
Stämme Schweifen? ©chon ^erobot, ©trabon unb ©liniug 
Sprechen oon ben „Sürfai"*) unb ben „Turcae“ alg in Dft= 
europa, etwa in ber Stähe beg heutigen Äiew, wohnenb. Sn 
gefchichtlich flarer 3«it treten bort bie Ähajaren auf. ®iefe 
waren, adern Slnfchein nach, urfprünglich felbft ein tatarif^eg 
ober türfifcheg ©teppenool! gewefen. 3tn Saufe ber 3^t aber 
bebeeften fie bag Sanb jwifchen SBolga unb 5)on mit blüljenben 
©täbten unb wohlangebauten ©efilben, fanbten ihre §anbelg* 
flotten ben ®on binauf unb burch’g fdhwarje ©leer, in’g ©littet* 
meer, big nach §ranfreich unb Spanien, ©lerfwürbig genug 
oerbanb bieg eigentümliche, nicht*arifche ©oll hedenifdje ©ultur 
mit ber ©orliebe für einen femitifchen (Stauben. $>ie Ähajaren 
nämlich wachten bie mofaifche Sleligion ju ber ihrigen! 

Seiber würbe ber gortfehritt, ber burch bieg ©ilbunggootf 
bereitg unter bie ©laoen am ®nieper ju bringen begann, burch 
gewalttätigen ffiinbrut geftört; unb fttie|lit fanlen jene 
©ebiete unter bem Sütfturme oon SBanberoölfern wieber in 
bunlleg fflarbarenthum juriief. 

SBenn wir germattifefje Slrier aut wit gerettem ©tolje 
auf unfere eigene ©ntwicflunggge}ttt te Miefen bürfen, fo hüten 
wir ung bod}, ju ©unften unfeteg befonberen ©tammeg im 
©taatg* unb ©öllerrett bie Sehre oon ber ©nabenwaljl auf* 
jufteden. ©ton wenn wir SEßien oetlaffen unb ein flein wenig 
oftwärtg gehen, ftofen wir ja bereitg auf ben ©lagpareu, ben 
nätften ©erwanbten ober 3wißinggbruber beg dürfen. Sludj 
ber ©lagpar ritt einft fporenflirrenb, bie Ißeitfte ftwingenb, 
nat ©uropa herein; unb wie mit bem Surfen, fo haben wir 
Seutfte früher mit ihm rnanten harten ©traufj gefotten. 
©leibt eg barum weniger Wahr, bag bie Ungarn an ben Ufern 
ber ®onau eine parlamentarifte Stegierung in einer SEBeife 
hergeftedt unb admälig freier entwidelt haben, alg feien fie 
geborene Slngelfatfen? 

Oben, am anberen ffinbe ffiuropag, nn ginnlanb, lommen 
wir fton wiebet auf ben Suranier! 2>a weht ung aug ber 
Äalemala ein bitteriftrr ©eift an. Sa fehen wir ein ugrifteg, 
turanifteg ©ölften fit in SEBefen unb ©inrittungen ganj 
„arift" geberben. @g ift eben oiedeitt bie allgemeine menft : 
lite Statut, bie jum ©orftei« fommt ©lau brautt nitt 
immer gleich an Semanbem ju oerjweifeln, wenn man bie 
ftreeflite ffintbeefung matt, bag feine ©oroäter nitt jum 
augerwählten ©olle Srang gehörten. „3Bo Seben ift, ba bleibt 
immer Hoffnung", fagt bag engliftr ©pritwort. Unb aut 
ber EEuranier lebt not unb ift, gleit bem Slrier unb bem 
©emiten, fojufagen ebenfadg ein ©lenft- 

®iefe mettgwohlthat ber menftmfreunblitrn Sluffaffung 
lommt, fteint mir, felbft ben Sluffen jugute. 2)ie ungeheure 
©lehrheit ber ©eoöllerung beg ruffiftm Sleiteg in ©uropa 
ift natweigbar finnifdben, ugriften, uraliften, tatariften, 
turaniften ©tammeg 1 2)ag weite ©ebiet jwiften bem finniften 
©leerbufen, bem Quedenlanbe beg ®on unb ber uraliften 
fmgelfette war oon finniften ©eoölferungen erfüllt, alg biefer 
Xfjrtl ffiuropag juerft in bie @eftit te trat ®ie Sprache 
ber weiter weftwärtg fifeenben ©laoen erlangte fogar in ben 
©ejirfen Äurgf, Drei, Äaluga, ©logfau, SBIabimir, jJjaroflaw, 


*) „gürüt" ^ei|en bie Jütten nod) beute in Äteinafien. 


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Nr. 3. 


1 tt ÄegettmarL 


35 


Äoftroma, Dwer unb ben nörblichen Steilen oon Slowgorob 
erft im breigehnten Sahrfjunbert bie Oberhattb. Slod) in einem 
©eter bem Giften gewibmeten SSSerfe wirb ber Vegirl Dula, 
bei an ben 2JtoStamfcl)en grängt, als „baS ßanb, wo Slfien 
beginnt" begeidjnet. Schon Strittet behauptete ben finnifd^ett 
Urfprung bei SRoStowiter. ©ogar Katharina II., bie in einem 
Ufas bie „ europäifcfje" ©tammeSart berfeiben betonte, gab 
babei gu, baff „bie SDtoStowiter an beten UrfprungS finb, als 
bie ©lauen". 

SBaS Reifet übrigens „europäifch"? ©inb uidjt wir Slrier 
auch, gleich ben Duranient, aus Elften hereingebrungen? Unb 
waren nicht, allem Slnfd)eine nad), finniftf)e, tfdjnbifdje, turanifdje 
Völfer fogar bor ben Selten, Lateinern, $ettenen, ©erntanen, 
ßitthauern unb ©laben in Guropa? 

Dud)inSti*) rechnet unter etwas mehr als 60,000,000 
SRenfdjen beS europäischen Siufjlanb nicht gang 24,500,000 
Slrier unb ©emiten; bagegen über 35,600,000 Ginwohner 
uralifcher, turanifcher Slbtunft Unter ben ißoten gilt eS meift 
als ausgemacht, bafj bie SJtehrgahl ber SwoSlowiter nur in 
ruffifche Suchten gebunbene Dataren feien. Die Stuttjenen 
werben bon ben ißolen als bie wirtlichen Stoffen, b. h- als 
©laben, anerfannt. Die anberen Stuften finb für fie SDtongolen, 
boppelt mongolifirt burcfi bie britthalb hunbertjährige fierrfchaft 
ber ©olbenen $orbe. ©elbft grau bon ©tael rief beim Sin* 
blicf SRoSfauS: „Gin tatarifcheS Storni" 

Damit fei nur gezeigt, wie gefährlich in ber ©taatswiffen* 
fchaft bie ftrenge Untersuchung auf ben Slrier ift. Stm Gnbe 
täme ber Dürfe bei ber Unterfuchung, im Verhöltnifj gut SJiehr* 
jahl ber Stuften, noch glängenb arierhaft heraus; nämlich in 
golge feiner Vermifdhung mit arifth=taufaftfe^en ©tämmen, 
aus benen feit tanger 3 e ü biete SÄütter beS DürtenoolteS 
herborgingen. Senner ber SDlenfthenfunbe behaupten entfchieben, 
eS mache fich unter ben DSmanen biefe Veränberung, biefer 
Umfchlag in’S halbe SlrieTthum langfam, aber ftetig gettenb. 
Das wäre bann nur eine ähnliche Umwanbetung, wie bei bem 
turanifd^arifchen SRifchbolfe ber Vulgaren. 

SBie ber Gljrift auf bie Vibel, fo Schwört ber Dürfe auf 
ben Soran. Gljinefen, bie in Gnglanb lebten, haben gelegent* 
lieh bor ©ericht eine SluSfage baburch eiblich beträftigt, bah 
fie eine Daffe auf ben ©oben werfen; was bei ihnen als ein 
Sehr fefter Gib gu gelten fcheint. 3eber muff eben „nach feiner 
ga$on felig fein" bütfett. Unter uns Stnhängent beS gort* 
fchritteS ift ber ©runbfßf unbeftritten, bah man am beften 
bie Stetigion unb baS öffentliche Stecht auSeinanberhält. „La 
loi athäe“ war bafür ber SluSbrucf in grantreich fogar unter 
einer feineSwegS übermähig freifinnigen fürftlichen Stegierung. 
SBie in fo bielen Gingen, ift bie Dürtei, trofc ihrer Dulbung 
SlnberSgtäubiger, in biefem fünfte noch f e h r weit gurücf. 
Doch wie fteht eS bamit anberwärts? 

DaS röntifdhe $of)epriefterthum, baS zugleich weltliche 
$errf<haft übte, ift als ©taatSmacht erft bor ein paar 3aljren 
gefallen! ©ogar aus bem Vatican h*tauS beanfprucht es jefct 
noch bie SBeltherrfchaft ©taatStirchen finben wir bis gur 
©tunbe in ben meiften ßänbern unfereS SBelttheileS. SBo 
aber ©taatStirchen borhanben finb, ba ift eben bie Trennung 
jtuifchen Stecht unb Steligion offenbar noch nicht erfolgt 

3n Spanien hat fich, feit bem Sttfonfo’fchen ©taatsftreich, 
bie römifche Äirche wieber gum politifehen Dprannen über bie 
StnberSgläubigen emporgefebwungen. ©elbft im fonft freien 
©nglano trägt baS Staatsoberhaupt neben ber Ärone auch bie 
H8ifchofömü|e. ©onntagSgefehe, bie Slrbeit Sowohl wie bie 
Unterhaltung berbieten, finb noch bis heute nicht abgefchafft. 
^olitifche Stechte würben ben Äatholifen in Gnglanb erft bor 
etwas mehr als einem äWenfdjenalter gewährt. Der Gintritt 
in’S Parlament war ben 3fraeliten noch 6iS bor wenigen 
Sahnen, burch einen chriftUchen ßwangSeib berboten. Der 


*) ©. feine „Näcesaitä de Räformes dans l’Expoeition des Penples 
Aryäa, Enrop^ens, et Tourans, particuli&rem ent des Slaves et des 
Moscovitea“. 


3wang8eib auf bie Vibel bor englifdjen ©erichten würbe erft 
jüngft abgefchafft. Unb wo 3emanb barauf befteht, einen 
einfachen bürgerlichen Gib gu leiften, ba tann er auch heute 
noch beinahe immer fidjer fein, ben Stidjter fofort gegen fid} 
p ftimmen. Die VoifSergieljung enblich wirb in Gnglanb 
nur mit SOtühe bem gröbften geiftlichen Ginfluffe entgogen. 

SBie eS in Stufelanb mit ber Trennung gwifchen SHeligioit 
unb Siecht (wenn bieS SBort auf baS Ggareneich anwenbbar 
ift) fich berhält, hat uns gürft ®olgora!ow gefügt. ®er 
Siuffenfaifer ift befanntlich Ggar unb Sßapft in Giner ißerfon. 
Gr Würbe wo möglich noch mehr $apft werben, wenn er etwa 
in bie ©ophientirche p Gonftantinopel einjöge. SBie follen 
wir ba bon bem dürfen erwarten, ba| er an ber ©pi|e jener 
Gibilifation marfchire, bie baS SanbeSgefef} gang bon ben ber* 
fchiebenen „^eiligen Schriften" trennt? 

3ebenfaHS ift fo biet Har, bah, wenn man eine djriftlich* 
arifdfe ©emeinfehaft ber mohammebanifch=türfifchen als baS 
Süchtige gegenüberfteOt, man ebenfalls SanbeSgefef urtb Äirchen* 
thum oermifcht, alfo gerabe fo hunbelt, wie ber prücfgebüebene 
EEürfe. SBerfen wir bodj lieber Sille pfammen bie SSorurtheile 
ab; unb gehen wir bem dürfen barin boran! 

2)er 3Slam war urfprünglich eine Sieformreligion gegen* 
über ber SSielgötterei unb ber getifchanbetung. SBir Slnberen, 
bie wir uns unparteiifdj mit bergleichenber SieligionSwiffenfchaft 
befchäftigen, lömten bieS getroft anerfennen. ©elbft heute 
noch geigt ber 3Slam nicht folche SluSWüchfe, wie baS mit 
SBunbererfbheinungen burch ben SDlunb berlogener Äinber 
wirtenbe päpftti^e 33ongenthum. ®er ÄrebSfchaben ber Sürfei, 
bie Vielweiberei, hat befanntlich nichts mit bem Sslarn gu 
tbun, fo bringenb wünfchenSwerth bie Slbfchaffung biefer ber* 
werflichen Ginrichtung ift Die Grgbäter beS jübifdjen Volles 
hatten Vielweiberei Die Ginrichtung finbet fich überall in 
Slften unb Slfrita unter ben Stnhängern ber berfchiebenften 
Steligionen. Gnglanb bulbet bie Vielweiberei in feinen inbifdjen 
Vefifungen; jeber Verfug ber Slbfchaffung würbe gum fur^t* 
barften Slufruhr führen. Stuhlanb bulbet bie Vielweiberei 
unter feinen aftatifchen ©eböllerungen. 

Unter ben mormonifchen 9ieu*Ghriften ber Vereinigten 
Staaten befteht eben fo bie Vielweiberei Die beutfehen gürften 
befafeen, nach DacituS, baS Siecht auf mehrere grauen, währenb 
bie SWaffe unferer germanifdhen Vorfahren ber einfachen Gfe 
hulbigte. Suther, SJletanchthon unb fieben anbere Äirchen* 
berbefferer ertheilten bem ßanbgrafen bon Reffen bie Vefugnih, 
wenigftenS insgeheim eine gweite ©emahlin gu ehelichen. 3n 
feinen Difdhreben berglidh ßuther folche Verbinbungen mit ben 
©ewohnheiten ber Grgoätec. Sluf bie gahlreichen fürftlichen 
Ghen gur Unten §anb bis in bie neuefte h ere * n faucht 
faum hingewiefen gu werben, ©o biel ich wei§, finb biefe 
mehrfadjen gleichgeitigen Ghen noch heute fürftlicheS ^auSredht 
in Deutfchlanb. 

SBie wäre es, wenn man hiw einmal mit ber gewünfehten 
Verbefferung ben Slnfang rnadjte? 2BaS bie Dürfen betrifft, 
fo finb wohl i^re ißafchaS p biel berheiraihet; baS Volt aber 
ift es gu wenig — benn eS tann, aus Slrmuth, nur fdjwer 
fogar eine eingige grau fo halten, wie eS bie Sitten im Offen 
oerlangen. 

ßaffen wir alfo jebenfaHS baS chriftti^e Slrierthum bei 
©eite, unb fteifen wir uns nicht aHpfehr auf bie unnahbare 
Vortrefflichleit ber Ginrichtungen im übrigen Guropa, wenn 
wir an bie Dürtei bie gorberung fteöen, ihre Schlechten Gin* 
richtungen gu änbent. galten Wir ferner bie Dhatfache feft, 
bah Vufjtanb nicht biel weniger tnranifch ift, als bas Dürfen* 
thum, unb bah in Sachen beS ftaatlid£)en gortfdhritteS ber 
OSmane augenbticHich fogar bie Oberhanb hat. 

Sitte europäifchen Völfer befi|en je^t eine VoltSber* 
tretung. Sogar bie Dürtei fteht im Vegriff, unter bet Ver* 
waltung SDübhot ^afchaS, beffen Vorgänger ber le^te ©roh* 
begier im alt*beSpotif^en Sinne war, ein Parlament eingu* 
berufen. Stuhianb bilbet barin bie eingige SluSnahme in 
Guropa. GS beft^t Weber ein Parlament, noch eine freie 


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36 


Nr. 3. 


Sie (Segenwart. 


Sßrcffe, noch paben feine Untertpanen bas Recpt, fiep jur 93e= 
ratpung non ©taatsfragen ju netfammeln. Ruglanb ^at 
bagegen Sibirien für feine migpanbelten ©Iahen in ©ölen 
unb für anbere ©efiegte ober unjufriebene Untertpanen. S)eS 
Ejaren drängen auf ©erbefferungen in ber dürfet ift Paper 
jebenfaßS nur bie SRaSfe einer tprannifcpen Eroberungsfudpt. 


Literat«* uub £u»/t. 


Unter betn Ununmftaii. 

(fyifcpe Dieptung Don SopanneS 3Jotbmann. 

@o oft ich, ein neues .Epos jur §anb neunte, befcpleicpt 
mich eine ©nwanbtung non SRitleib. ©on boppeltem, wie ich 
gleich ^iitgufägen Will; mit bem ©utor nämlich unb mit bem 
©ublicum. SRit jenem, toeil et Sif^p^uöarbeit berricptet; mit 
biefem, weit ihm jugemutpet wirb, SRüplfteine ju oerbauen. 

SaS ift paraboj, nicht Wahr? hoch nicht fo fepr, als eS 
ben ©njcpein hot. 3<h Oerjicpte barauf, ©emeinpläfce ju wieber« 
holen. Sag wir heutigen nicht in ber SiSpofition feien, aus 
unferer SRitte einen Corner ober wenigftenS einen Ribelungen« 
poeten §u er jeugen, baS ift fo ausgemacht, bag ich mich öfters 
nerwunbere, weshalb es non nielen firitifern noch immer wopl« 
gefällig repetirt wirb. (Sine (Epoche, bie fein ©olfslieb hat, taugt 
auch für baS <5poS nichts; beibe quellen aus bem nämlichen 
Sorn. 3 <p für meine ©erfon ftnbe es auch 9 a r nicht ju beflagen, 
bag meine ßeitgenoffen an epifcpen Sichtern, bie geringer als 
$omer finb, fein rechtes Vergnügen fpüren wollen. SaS ©effere 
ift eben jeberjeit ber geinb beS Stuten geWefen unb für baS 
Rtittelmägige ift eS baS blante ©erberben. 3n Summa: es ift 
fein icplecptes Reichen, bah bie (Epifer unter uns nicht gebeten, 
auger in bem Sereiepe beS Romans, wo fie aUerbingS — ©ott 
fei’S geöagt! — ebenfalls nur fümmerlich fpriefien. Sie (Mütter 
finb nom Olpmp herabgeftiegen unb wanbeln, oon bem ©linben 
aus (ShioS geleitet, unter aüem ©olf; man fann mit einer ©a« 
riante aus bem SieSco fagen: jeber Schulbube in Seutfchlanb tennt 
ben Sritt beS alten Rpapfobett. (Ein ©leicpeS gilt non ben ©e= 
ftalten ber germanifchen SRpthe, welche in einem ohnegleichen 
apperceptioen Zeitalter mobernifirt, fcenirt unb freilich auch ein 
wenig gefälfcpt worben finb. Reben $omtr unb bem Äütenberger 
aber ift felbft ©Silpelm 3orban ein 3werg. 

Sie tiefere ©egrünbung biefer Spatfachen ift mir ju fubtil; 
ich überlaffe fie ben ftunftricptern oom Sach unb ich thue bieS 
um fo lieber, weil ich, mie fiep jeigen wirb, mich mit mir felber 
in einem anfcpeinenbeu ©Siberfptucpe befinbe. 3 <P habe nämlich 
ein epifcpeS ©ebicpt Dor mir liegen, Welches mir trop aüebem 
{ehr gefällt unb oon bem ich wünfcpen möchte, baff es auch üielen 
©nberen gefalle. SiefeS ©ebidjt peigt: „Unter bem ftrummftab" 
unb bilbet bie {Weite ©btpeilung einer gröberen cpclifcpen Eompo« 
fition: „(Eine Römerfahrt", bereu erfte ©btpeilung: „Ser ©auern« 
Krieg in Dberöfterreicp" fchon oor jwei 3«P«« bei ß- RoSnet in 
SBien etfchienen ift. Ser Sinter ift 3»h anned Rorbmann, ein 
alter ftoftgänger ber SRufen, beffen Rame im beutfcpen Sichter« 
walbe nicht erft feit geftern einen metallenen fötang befifet. 

(Eingeweihte werben beforgen, mein Urtheü fei befangen, 
weil ich erftenS ju benen gehöre, welch« jebwebe „Römerfahrt" 
mit ©BoQuft mitmachen, fofern unterwegs etwelche clericale Spe« 
litnfen ^erj^aft auSgeräucpert werben, unb jweitenS ju benen, 
bie gewifferntagen in einer Rrt collegialen ©örigfeitsoerpältniffes 
ju 3opanneS Rorbmann flehen, ber als ©räfibent ber „Eoncorbia" 
in ber Republif ber ©Siener Sdjriftfteüer unb 3ournaliften beu 
oberflen Sifc einnimmt, ©eibe Sefürcptungen finb aber, wie ich hier« 
mit oerfichere, unbegrünbet. 911S bie erfte ©btpeilung ber „Römer« 
fabrt" flügge würbe, war Rorbmann noch 0 or nicht unfer Sopen; 
nicptsbeftoweniger begeifterte ich mich für feinen „Sauernfrieg in 
Dberöfterreicp" weil in bemfelhen baS Xalent unb ber Ehoratter 


beS ©oeten einanber getreulich beden unb wo bet le|tere oon 
refpecteinflögenben Eden ftarrte, baS erftere mit einer ©Sucht unb 
Stärle ber bichterifchen Sprache hantierte, welche, Wie ber Jammer 
auf ben ©inbog, auf bie aoibifchen ©eWalttpaten ber Römlinge 
nieberbröhnte. ©ugerbent bin id) aber auch jeglicher gefuchten 
lenbenj im ©ebidjte oon $erjen abholb, gleich oiel, ob fie fiep 
gegen Staat ober ©apfttpum, gegen bie Srauenemancipation ober 
ben ©rogtürfen richte. Ein gereimter Seitartifel ift mir ein 
©räuel, unb ©efinnungSmadjerei, bie fiep bei SlpoH einen ©lafe« 
balg auöteipt, um recht aufgebläht über ben ©arnag ju ftoljiren, 
finbet in mir ein Eapital oon 3weife(fucpt oor, Oon beffen ßinfen 
ich fchon feit 3 op«n meine fritifepen ©ebürfniffe beftreite. 

Racp biefen oielleicpt ein wenig gefpreijten Selbftbefennt« 
niffen polte ich mich für legitimirt, mein Urtpeil über RorbmannS 
Epos inSbefonbere nach jwei Richtungen ju begrünben. 3<h 
frage nämlich: wieoiel poetifeper ©cpalt ftedt in bemfelben unb 
weshalb ift bie Setibenj, oon ber eS getragen wirb, niept oer« 
werflicp, jonbern im ©egentpeil trefflich mit ber poetifdjen Sorm 
oereinbar? iRit anberen unb jwar lanbläufigeren ©Sorten: 3ft 
Rorbmann, toaS man einen Sichter Oon ©otteS ©naben nennt, 
ober einer oon jenen aufbringlidjen Reiutfepmieben, bie peutju« 
tage rubelweife auf ber $eerftrafje herumliegen? 3 « nach ber 
Antwort auf biete {fragen roirp e s fobann eoibent fein. Warum 
icp, objwar bem EpoS oon geftern ein bewußter äBiberpart, 
bennoep gerabe an biefer Sichtung meinen gewohnten SRafjftab 
oerleugne. 

3ohanueS Rorbmann wurjelt mit feinen Anfängen in jenem 
üppigen öftreiepifepen ßieberfrüpling, beffen ©lütpenrei^thum neben 
©rün unb ßenau inSbefonbere Earl ©ed, SRorip ^artmann 
unb Stlfreb SReifener jufammenfteuerten. Er fang SreipeitS« unb 
©uferftepungSmelobien, feitbem er jum erftenmale oon ber SRufe 
gefügt Warb, unb er blieb in biefer Sonart, tro|bem ipn fpäter 
ein reactionäreS Regiment in ben fterfer fteefte, weil er als 
Rebacteur beS bajumal noch freiftnnigeu „SBanberer" niept ein« 
fepen wollte, bafs baS ©olf jum Sünger für clericale unb feubale 
Saaten gut genug fei. ©n biefer ©erftodtpeit laborirt rt bis 
jum heutigen Sage, obfepon er injwifcpeit taubengrau geworben 
ift unb als ©reis gelten fönnte, wenn er niept fo ftraff unb 
aufreept wie ein ©renabier über baS ©flafter pilgerte. Eine 
folcpe Ratur braucht niept „für ben Sag" ©efinnung ju machen, 
benn bie ©efinnung ift ipre SebenSluft. Sie braucht fiep auch 
niept tünftlicp in ein moralifcpeS fßatpoS pinaufjufeprauben, benn 
baS Unrecpt ift ipr miberwärtig, weit eS ejiftirt, wie etwa bem 
©efunben bie Htmofppäre in ftrantenftuben juwiber ift. Sie ift 
eben beSpalb auep herb, eigenwillig, ftacpelig unb {fliegt feine 
Eompromiffe. ©Senn in einer folcpen Ratur Senbenj waltet, fo ift eS 
niept gemachte Senbenj, fonbern ber unwiberfteplicpe 3ug einer 
ftarfen ©erfönlicpfeit. ES ift mir burcpauS Har, bag SopanneS 
Rorbmann oor brei 3opren, auf ber ^öpe beS EutturfampfeS, 
notpwenbig auf ein Spema geratpen mugte, beffen Äbficpt gegen 
©apfttpum unb ftirepe gerichtet war. ©Sie pätte er auch fcpweigen 
bürfen, ba ber ©roteft gegen Rom, ftürmifcp anfcpwellenb, jur 
Vox populi würbe? Rur burfte er als ©oet freilich niept mit 
©ruber 3ebermann EporuS machen; er mugte feinen eigenen 
©kg gepen. Unb baS tpat er, inbem er feine „Römerfaprt" 
unternahm. Satire, §ag unb ©itterteit füllten feinen Ranjen, 
wie baS Reifejiel eS mit fiep brachte; aber er fcpleuberte fte niept 
wie ein ©erferfer um fiep per, fonbern fuepte gep ganj concrete 
Stationen, piftorifepe ^altepunfte, an benen er fein überooüeS 
$erj ausfepüttete, um pep oon feinem ©roDe ju erleichtern. Sie 
erfte Station war ipm ber „©auemfrieg in Dberöfterreicp", jene 
blutfpurige ©egenreformation, welche ben Ramen ©ottes fepred* 
paft an weltlichen 3 weden entheiligte; bie jweite macht er „unter 
bem Ärummftabe", inbem et ju Saljburg raftet unb jenen bet« 
ruepten Erjbifcpof girmian ftäupt, welcher im 3apre 1731 bie 
©roteftanten erbarmungslos auStrieb. ©Senn ein Sicpter fo ber« 
fäprt, gleicpfam fpftematifcp unb an ber $anb ber gefcpicptlicpen 
©ereeptigfeit, bann finb SRetrum unb RpptpmuS oon ^aufe aus 
Rebenfacpe unb es ift gleichgültig, ob er ^ejameter ober Dtta« 
berimen als Schwingen wäplt. SRan fann bem f$euer niept 


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Nr. 3. 


#it (Segenwart. 


37 


gebieten, tote eS brennen foH; ei ift genug, ba| ei brennt. 
@8 ledt halb Serbin unb halb bortbin, güngelt je|t gut $öbe 
unb im näcbften Slugenblide feittofirts, aber gu günben unb gu 
teudbten hört ei barunt nicht auf. greilid ift bann auch nicht 
mehr Don einem eigentlichen ©poS bie Siebe; bie fanctionirte 
fhinftform als fotcbe fommt ju Schaben. Stber was tbut’8? 
3 ule|t ift bie ßunftform bocb nur eine ßriide, unb wenn ein 
rüftiger SBanberet fie entbehren (ann, fo ift e8 um fo beffer für 
ihn. SSenn atfo 3ohanne8 Siorbmann auf feinem SBege, bie 
ausgefahrenen ©eteife gefliffenttich oermeibenb, jebeSmal, fo oft 
er ftd ben Schweife oon bet Stirne toifcfet, gur Seite blidt unb 
halb biefem, batb jenem Saftet, halb einem ©ebred'n bet ©efefl= 
fchaft unb batb einer Unbill bet ©efdid* e einen wuchtigen £ieb 
applicirt, fo mag biefeS ©ebahren gwar oieüeidt eine SBifl= 
fürtichleit fein; bet SReig be8 ©ebicfeteS aber wirb baburd) oer« 
oietfältigt unb oertieft. 

©in paar groben mögen bie8 oeranfdautiden. ©teich im 
©ingange wirb über bie ©egenwart f<harfe8 ©ericfet gehalten. 

Bu lamtft unb WiHft nicht fchwinbetnl alfo (ein’ e8 
Bom nädften Börienjuben, ber e8 tann. 

Stau [ucf)t unb fdäpt bie Schale nur bt! Kernei, 

* Unb wa 8 er fcheint allein, ba 8 ift ber 9Rann. 

fiat greifbar ift unb nicht ein 3 i*l» ein ferne!, 

Betfolge fdjneU: fo töfeft bu ben Bann, 

@o tonmtft ju ®h re n bu in jungen fahren 
Unb nicht jum Stadruhm erft mit toeifeen paaren. 

®a8 gilt ben ©rünbern unb ihrem grofeen $eerhaufen, ber 
mit geUenbem Särm um ba8 golbene Salb langte, bis bie Xrümtnet= 
{lüde ber ©efeUfchaft trachenb unter ihn fuhren. 916er ein fchledjter 
Sittenmaler wüte berjenige, beffen 9tuge nur an einer einzigen 
Stelle haften bliebe. 3ft benn nicht bie Äunft ebenfalls bei biefem 
Xreiben fdmadooQ gu Schaben gefommen? $aben etwa bie SRaler 
ben gottlofen lang nicht mitgemacht, anftatt ihn wie $ogarth gu 
branbmarfen? ©ewife, fie irrten mit, unb müffen eS fleh nun 
gefadeu laffen, bafe ber fßoet fie ohne ©nabe unb ©armhergig« 
feit richtet: 

Sieh bort ben garbenHcdfer! Seit Betwegen 
(Er feinen Binfel grell unb formlos ftreicht, 

Ber Runft nicht tommt auf ©inen Schritt entgegen, 

Bielmehr auf Steilen au! bem SB eg ihr weicht; 

So füllt in feine SBertftatt golbner Stegen, 

Ston nennt fein Schaffen prächtig, unerreicht, 

Unb als ©enit im engen Baterlanbe 
©itt eine Seit ber „SRaler feiner Schanbe“. 

Unb bie SRuftf? 3ft fie fo feufd noch wie in SWogartS 
Xagen? ®er Sichter fragt nicht müfeig; er weilt gu Saigburg, 
in SRogartS begnabeter ©eburtsftabt Um fo fdlimmer, bafe er 
antworten mufe: 

Ben SRufitonten hör’, ber feine Stoten 
Sin! Rugelfpripen in bie Ohren fprühtl 
Ber SRojart hat nur mit banalen 3°ten 
Ben ©tift befereett un! unb ba! §etg burchglüht, 

Bi! in ben Bann gu legen al! oerboten, 

9Ba! fingt unb Hingt, bet „Steiftet" fich gemüht, 

Ben eine Schaar oon wilben Jtorpbanten 
Bejubelt laut al! 3 ntunft!mufifanten. 

SBenn groben überhaupt für ein ©ebidit ^arafteriftifch ftnb, 
fo wirb man auS biefen über ben bidterifden ©harafter 3ohanne8 
SRorbmannS gut ©enüge aufgeüört fein. Xod baS wäre gu wenig. 
Ueber ben bidterifden nid)t blöd, auch über ben menfdjlichen ®ha= 
ratter ihres SfutorS geben fie Sluffdlufe; fo hart unb unerbittlich 
wie biefe Strophen ift ÜRorbmamt felbft. Unb biefer ©indang 
eben ift es, ber eS nicht gutäfet, bafe man hier oon Xenbeng rebe. 
S)ie Ubfichtlichieit ift ber ©rieb ber Xenbeng; ©eorg §erwegh 
beftnirte fie an fich felbft in ben Serfen: 

SBir haben nun genug geliebt, 

Unb wollen enbtich haften. 


Xaoon ift bei Dtorbmann feine Siebe; er will nicht Raffen, 
er mufe. Unb er mufe eS, weil eben bie Xinge, welche er fdaut, 
ihm ber Siebe unwerth fcheinen. ®a8 fdjtiefet nicht aus, bafe 
bisweilen in ihm bie ©mpfinbung auffteigt, um mieoiet fdöner 
eS fei, lieben gu bürfen. Sei bem Stnblide wunberfamer 8anb= 
fdaftsbilber in ben Saigburger 9llpen wirb er für einen 2tugen= 
blid weich; bie Simen unb bie Schroffen, bie ©iefebäche unb 
Surgruinen loden fein 9luge. 

Sie mahnen mich, wie gern ich möchte wiegen 
3n fanften Schilberei’n mich lang unb nrilb, 

Saft wiberftrebenb, auf ben grünen gluren 
Stur aufgufudjen ber Berwüftung Spuren. 

9tber fo ift eS nicht gemeint, wenn man fich oorgefefct hat, 
ber blutigen #anb SRomS auf ihren gahrten gu folgen. ®a wirb 
ber $afe gur Pflicht, uub in wem er, wie in Storbmann, gleidjfam 
als etwas ffilementarifdeS einen Urftanb hat, ber mag gufehen, 
Wie er aus bem Stnblide enblofer SRiebertradt fich bi* ©mpfängs 
lidfeit für baS Weitere rette. 

Xie grage ber Xenbeng wäre fomit gu ©unften beS XidterS 
beantwortet, ftomrnt bie grage beS poetifden ©ehalteS, bie 
fdwierigere. 3d wenigftenS unterfange mich nidt, gu forbern, 
bafe in oierhunbertunbbreifeig Dttaoerimen, baS ift in breitaufenb* 
oierhunbertunboiergig Serfen, gwifden benen nod eine Slngafel 
anberS gearteter S3erfc unb ©nclaoen in fßrofaform oerftreut ftnb, 
ber glügelfdlag ber SRufe ununterbroden oernehmbar fei. Unb 
er ift eS aud nidt. $et ftritifer mit bem Xetailauge wirb 
Stellen genug erfpähen, an benen'eine ©rmübung ohne Sdorierig: 
feit gu conflatiren wäre. Spradüde gärten, ©onceffionen an 
ftteim unb ftRetrum finben ftd üor. 3 n baS nämliche ©apitel 
gehört bie wunberlide SdruHe, ©pifoben in abweidenbem S5erS= 
mafee ober gar ©jeurfe in ungebunbener Sprade eingufügen. 
Xie ©inheit ber Stimmung ift eine gorberung, weide man nidt 
preisgeben barf, aud bann nidt, wenn bie ©pifoben an unb für 
ftd meifterhaft ftnb. Xiefe ©inheit aber ift allerbingS hie unb 
ba geftört. 3d lege nidtS beftoweniger nur einen geringen 
SBerth auf biefe ©inwenbungen. ©S bleibt tro| atlebem Oom 
edten Xidter fo Oiel übrig, bafe man getroft aud bie Sdladen 
in ben Sauf nehmen mag. $a ift inSbefonbere ber „Prolog", 
eine Xrinffcene mit Xobten im Saigburger ^eterSfeüer, ein 
wahres ©abinetSftüd poetifd geftimmten $umor8. 

5Rad biefen SluSftellungen im ©ingetnen fomme id gum 
fttefümS. SRit einer 9(potheofe SBalterS oon ber SSogelweibe enbet 
IRorbmannS Xidtung, bie SBahloerwanbtfdaft gewinnt hier einen 
gang concreten StuSbrud. ©S ift bie Xapferfeit gegenüber ber 
ftirde, in welder fie wurgeli ©8 gibt eine Stange in unferem 
©ebidte, welche als SRotto einer Biographie SBalterS oorgefe^t 
Werben fönnte; fie lautet: 

3um ©tauben heifet gur Siebe 3 emonb gwingen! 

Ser glauben will, ift gläubig ohne 3 wang. 

Ben Befenfeiel lönut ihr gum Blühen bringen 
SBeit eher al! ben SRann, ber nidt ben $ang 
Be! $er}en! hat, ftd felig aufgufdwingen 
Sie eine Serde mit bem grühlingöfang; 

Ber ©laube, ben ihr mühfaut abgerungen, 

3 fe Hanglo! wie bie ©lode, bie gefprungen. 

®a fommt ber wetterfefte 9Rann guXage, ber ftd bor 9Rie= 
manb büden mag, am wenigften oor ber Xprannei über bie 
©eifter. ©r ift ein „©ulturfämpfer", aber in jenem höheren 
Sinne, bafe er nidt ber einen Omnipoteng eine anbere, ber* 
jenigen ber ftirde biejenige beS Staates entgegenftellt. Xie 
reine, unbeftodene SRenfdüdfeit gu Wahren unb beten geinbe 
gu gertrümmern, ift fein SBorfafc. SRit ber Bheafe ift gu foldcm 
Bwede nidtS getpan; bie Sachen müffen reben, unb bamit fte 
bieS oermögen, follen fte bis in ihre mingigfte htftorifde ©ingel« 
heit gur XarfteQung gelangen. 

SBopin man unter fotden Umftänben ben Xidter redne, 
ob gu ben ©pifern, wie et cS felbft gu wollen fdeint, ober gu 
ben Satirifem, wogu id mid leidter gu entfdüefeen oermödte, 


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38 


Nr. 8. 


21 i t Gegenwart. 


ob p ben ©efdjidjt8= ober ben Sittenmalern, baS bünft mir in 
ber Hauptfadte gleichgültig, ^ebenfalls ift er ein dichter, unb 
jwar einer pon oornehmfter Sactur. Steht biefe SBahntehmung ; 
einmal aufjet 3 weifet, jo ift auch um baS Schidfal feines ©e» 
bicf)teS nicht p forgen. ffit felbft fieht trübe; er hält bie Beit 
nicht für geeignet, ber SRufe jum Schemel p bienen. Sa8 mag 
im Aflgemeinen richtig fein; in unferem fpecieflen Säße hoffe ich, ! 
baff e8 fleh als blanler IßefflmiSmuS ermeifen toetbe. Ser $ul8» 
fdjlag bet ©egenwart ift nicht halb fo beutlidj oernehmbat ge» 
rnefen, al8 in biefem ©ebidjt. Sa8 ift fein ©inlafjfchein. 

SB ie n, Secember 1876. 

IDtlfjelm (Solbbaum. 


£efefröd)te. 

ii. 

{Radjbem ich beit ßefcr mit meiner Verehrung für bie 
franjöfifche ßiteratur im Aflgemeinen unb meinem SBohtgefaflen 
an ben Schriften Alpljonfe SaubetS im Sefonberen befannt ge» 
madht höbe, wirb er fid) über bie Stimmung nicht tounbern, in 
welche mich ein Auffafc in Stummer 46 be8 sehnten SanbeS ber 
„©egenwart" öerfefcte: „Ser moberne fransöflfdje {Roman." 34) 
war erftaunt, ja faft bekämt, ju hören, bajj baS {ßublicunt unb 
i<S) foweit in ber 3rre gingen, fich für genannten Saubet ju 
intereffiren, ba noch flanj anbere ßeute neben ihm auf bent 
{J3tane ftänben, „wirllidje SRepräfentanten ber mobenten {Richtung, 
mit benen jener einen Sergteüf) nicht aushielte". 

Unb bie Dtamen jener beoorjugten Sterblichen? 

Serbinanb Sabre unb Rector SRalot. 

3ch h° u fte bamalS in einem ftiUen {üblichen Stäbtehen. 
SRitten im {Rooember waren mir noch Serien gegönnt. 3»t ©ar= 
ten öor meiner Sh« re blühten noch {Rofen unb brüben über ber 
Srüde hielt ein braöer 9Rann eine ber beften ßeiljbibtiotheten 
biefer SBelt. Seine fdjönere ©elegenheit, bie Sefanntfchaft eines 
neuen IRomanfchreiberS ju machen. 

Serbinanb Sabre hotte ich fdjon üon anberer Seite rühmen 
hören. 34) burfte jiemlid) fidler fein, in feinen Südjern einen 
panbfeften Schriftftefler lennen ju lernen. Aber ich f4)eute bor 
feinen Stoffeu. Sie SBelt, aus ber Sabre mit Soriiebe feine 
Stoffe greift, ift bie beS fransöfifdjen IßriefterftanbeS. 34) hotte 
feine rechte ßuft, mir alte unb neue 3ntriguen aus {Pfarreien 
ober Kongregation, Älöftern ober {ßreSbhterien, Seminarien ober 
SRifflonScoflegien erjählen ju taffen. 34) bin felbft bon gan; 
fohlfchwarjen SRöndjen erjogen worben unb Weift als geborner 
Saper unb Satholif non foldjen ©efchichten genug. 34) habe 
an bem fogenannten Kutturtampf feine Sreube. Auf politischen | 
©ebiete mag et in gewiffem Sinne unnermeibtich erfcheinen, I 
auf bem ©ebiete ber Sunft gehe ich >h m aus bem SB ege. i 

{Rieht, bafj ich bem mobernen Sinter jenes reiche Stoff» 
gebiet öerfdjloffen fehen möchte. 3<h toi® fogor {Riemanb bafür j 
gntftehn, bafj i4) nicht felbft einmal in jenes ©ebiet mit ber j 
Seber einbreche. Aber eB wirb bem ßefenben, ber mit feinen ! 
eigenen ©ebanfen in beS SageS Sümpfe öermidelt ift, fernerer, ' 
bem Autor, welcher berlei Stoffe behanbett, geregt ju werben. 
Ohne borhergefafjte Senbenj taffen fich fol<h e Sorwürfe nidht 
abmachen unb ba hängt eS benn biet non ber Senbenj beS 
ßeferS ab, ob ihn bie beS Autors gegen biefen oerftimmt, ober 
ob feine eigene bem Suche ju Hülfe fommt. Um nur eiu Sei» 
fpiei hier anjuführen: id) habe einer ber beliebtsten unb in» 
tereffanteften @rf Meinungen biefer Art, bem „Ißfarrer bon Sirch» 
fetb" beS trefflichen Anjengruber, nie ganj gerecht werben fönnen, 
weil i<h niemals begriffen, warum ber gute §irte, ber im 
lefcten Acte nicht anfteljt, eine freie ©emeinbe p grünben, ficJ) 
nic^t im britten ober bierten entfdjliejjen fann, feine angebetete 
Haushälterin p heirathen. SaS Konventionelle, was allem 
Sogmatifchen anhängt — gteichbiet ob es uns in einem fpani» 


fehen üRantet» unb Segenftüd, einer öftreühifdjen Sauernlomöbie 
ober einem franjöfifchen {Pfaffenromane geboten wirb — ber» 
ftimrnt uns leicht ben Sunftgenufi. 

Sarum War ich f<h° n auf bem SBege jur ßeihbibliothef 
entfchlbffen, junächft über Hector SRalot herju faßen. 

Sür biefen entfehieb mich iw ©tiflen noch ein anberer Um» 
ftanb. Ser anregenbe Auffah in ber ©egenwart fcfllofj nämlich 
mit ber Sßerfi^erung, bafj im ©ege.nfafee p Saubet unb Au» 
beren gerabe „biefer Autor ben Sitet eines wahren {Realifteit 
berbient". 

Sür einen {Romanfchreiber ein großes ßob. 

3ch überfchä|e nid)t ben SBertf) gewiffer abgegriffener 
Schtagwörter, mit benen (ich Sritil unb {ßubticum bie ober» 
flä<hti<he Klaffificirung ber Sdjaffenben erleichtert, ©enau be» 
trautet finb unfere neueften Stichwörter, welche jene Sbealifteit 
unb biefe {Realiften benennen, noch weniger Werth als bie alten, 
Wetdhe bie fRomantiler bon ben Ktaffilern fchieben, unb anbere. 
©enau betrachtet wirb jeber Sichter in Segug auf baS, was 
er ju Stanbe bringen wiß, ein Sbealift fein. Senn eS hanbelt 
fich bei feiner Sichtung um etwas nicht ©fiftirenbeS, nur in 
ber ©inbilbung SofjbareS, ein ©ebitbe aus ©efüljten unb ©e» 
banfen, etwas 3bealeS alfo, Wenn irgenb etwas 3beal genannt 
werben barf. 3« Anbetracht bet SR ittel aber, bie er p feinem 
ibealen 3®ed berwenbet, muh er {Realift fein. @r erreicht feinen 
3wed, ben ßefenben unb Hötenben in bie gemoßte Säufdjung, 
bie mir Sunftgenuh nennen, hineinpjaubern nur, wenn er bie 
ber ^Beobachtung fich bietenbe {Ratur (©eftalten, Hanblungen, 
©mpfinbungen unb ©ebanlen) fo genau als möglich, f° täu(4ienb 
als mögli4) nachahmt. 3e mehr fein ©ebilbe ber {Ratur ähnelt, 
befto glaubwürbiger wirb eS erfcheinen, unb je gröber ber ©laube 
an bie ßebenbigleit ber Siction, befto gröber bie fünftterifdje 
SBirlung berfelben. ©eht mir bodh mit ben SRalern, bie leine 
SRobeße brauchen! Unb geht mir auch mit benen, bie an ihren 
ÜRobeßen lein Haar, lein ßoeh im Strumpf unb leinen Slot) 
im Hentbe überfehen lönnen unb ftatt Silber p fdjaffen eben 
nur „Stubien" p Stanbe bringen. 3e naepbem ffiiner bie 
SRittel, feinen Bwecl barpfteßen, geringfehäfet, mag man ihn 
immerhin einen 3bealiften freiten; unb ben Anbeten, ber in 
ben SarfteßungSmitteln befangen bleibt unb t>or lauter Sänften 
nicht mehr baS Sunftwerl fieht, einen {Realiften. 

Aber h°I t! 3<h wiß in leine Abhanblung über ben 
wahren {Realismus abfehweifen. {Rur baS fei noch erwähut, 
bab je nach ber ©attung beS SBerteS bie {Rachahmuug ber 
{Ratur genauer ober leder fein wirb, ©anj toirb fte auch ber 
Serwegenfte nicht auber Acht laffen bürfen. Auch baS Ueber» 
natürliche wirb oom ©rfahrungSmäbigen ftch lünftlerifcheS An» 
fehn borgen. SBer einen Staren malen wiß, mub au4) bem 
Sabelthier fieben Halswirbel geben, unb ob wir bie Sprache ber 
©ötter ober ber Xijiere belaufchen, fo reben fie wie SRenfchen. 
3n leiner SidjtungSart aber ift bie genaue {Rachahmung bet 
{Ratur fo jwingenbe {Regel wie im {Roman, bet ja ein Silb beS 
ßebenS geben wiß, baS wir lennen, ber, burch Sdjilberung oon 
aßerhanb Sufiänblichleit wirtenb, auf genaue Setailarbeit an» 
gewiefen ift. Ser {Roman mub auch auf f^werfäßige ©in» 
bilbungSlraft unb oerftodteS ©emüth feinen 3<mber auSüben 
unb fein Opfer feffetn. 3h m lommt nicht, wie bem Iprifchen 
©ebicht bie SRuftl, Wie bem ©poS ber lebenbige Sortrag, wie 
bem Srama bie finnliche ©rf^einung beS SdhaufpielerS unb Wie 
aßen biefen breien bie Kontinuität beS ©enuffeS p ©ute. ©r 
hat leine anbere irbifdje Hülfe als. baS gebrudte Such, baS ber 
ßefer jeben Augenblid aus ber H a «b legen lann. 

Sür leinen Anberen alfo wirb ber Sorwurf, ein {Realift 
ju fein, geringer wiegen, als für ben {Romanbidjter. Unb nennt 
man ihn ooßenbS einen „Wahren {Realiften", fo rüdt baS Sei» 
wort aße ©ebanlen in bie rechte SRitte unb macht ein grofjeS 
ßob barauS. 

3ch war alfo fchon, ehe ich an bie Sücherfdjrünle beS 
moderen ßeihbibliothetarS trat, für SRatot entfehtoffen. Sa ftanben 
feine SEBerle; eine ftattliche 3leihe! SRit lühuem ©riff rife ich 
baS bidfte an mich- ©inen {Roman in jwei ftarten Sänben: 


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Nr. 3. 


5) i t tfegennrart. 


39 


„Souvenirs d’un blessS“! 700 ©eiten! Bun tonn ber ©enuji 
toägetjn! badjt’ id). 2Bie jur Begütigung, bah mir bie juriid: 
bteibenben nid^t böfe werben foßten, ftridj icf> mit ber §anb 
über bie übrigen jeljn ober fünfjehn Bücher, oor benen ich ben 
„Erinnerungen eines Berwunbcten" ben Borjug gegeben hotte. 
Sie foßten jo eins nad) bem onbem alsbalb meiner Bilbung 
einoerleibt werben. Der SRenid) bentt . . . .! 3cf) werbe nun 
boctj junächft lieber beS gerbinanb gabre Befamttfdjaft machen. 
3«h fei (’S, id) hätte mich aud) otS befheibeneS 2efepublicum= 
brudjtheil bem aßgegenwärtigen Eulturfampf nicht entjieijen foßen. 
Bun blieb bie ©träfe nicht aus .... Ein netter Bealift biefer 
Rector SRalot! 

Die „Erinnerungen eines Berwunbeten" finb eigentlich 
gar fein Boman, fonbem bielmehr ein ©tüd 3eitgeidjid|te 
bom perfönlid)en ©tanbpunft eines fingirten gelben auS be¬ 
trachtet unb romanhaft eingefaßt 3eber ber beiben Bänbe 
trägt jwar als Separatste! einen grauemtamen, ber erfte Ijeiht 
nach einem gräulein, in welches ber £elb SnfangS ber ©e= 
fchichte oerliebt ift: „©ujanne", ber anbere nach einer eng: 
Iifdjen Siebestante, welche berfelbe Helb Enbe ber ©efhiehte 
heirathet: „SBijj Elifton"; bie beibett Damen haben aber nur bie 
©ad|e anjufangen unb ab jufchliefjen; im Uebrigen ift fehr wenig 
oon ihnen bie Bebe. Der wefentlidje Snljolt ber beiben Bänbe 
finb friegerifdje Erlebniffe eines greiwifligen erft in ber laifer: 
liehen, bann in ber republifanifdjen Srmee 1870—71. Um fo 
mehr foßte man glauben, bah bie Beobachtungsgabe beS wirf: 
lieh Erlebten ben wahren Beaüften auSjeidjnen werbe. Sflein 
es jeigt fich halb, mit rnaS für bißigen gictionen man es ju 
tljun^ hot. 

3m beften gaß tann man bieS SEBert als eine fdjledjte Badj= 
ahmung ber fo beliebt geworbenen patriotifchen Srjäljlungen oon 
Erdmann «Ehatrian gelten laffen. ©efudjte ffiaare auf bem 
titerarifchen SKarfte. Such biete ©ouoenirS finb ju mehreren 
Auflagen gebiehen. 

Sber wenn fchon jene beiben SReifter im gadj juweilen in 
bebenfli^e Badjbarfdjaft mit unferer 2uife äRüljlbadj gerathen, 
fo fehlt mir bie Befanntfchaft berjenigen heimifdjen Siteratur: 
gattung, in welcher ich beit ©eifteSOerwanbten beS SRonfieur 
HRalot auffuchen foßte. 

Bun glaube ber 2efer jeboch nicht, bah etwa ber gefranfte 
Patriot bem firitifer bie Hanb führe. SRatot tann man ben 
Borwurf beS SljauüiuiSmuS nicht machen. 3m ©egentljeil! 
©eine SanbSleute fomnten in ben ©ouoenirS nicht beffer weg 
als bie unfrigett. Bad} meiner SReinung fogar empfinblich 
fdjledjter. 3m Sßgemeinen läjjt fich oon aß ben franjöftfdjen 
Büßern, welche ben großen Krieg als ©runbtage einer Dichtung 
nehmen, baSfelbe behaupten: bie granjofen begehen barin bie 
niebcrträchtigen ©treiche unb bie Deutfdjen friegen bafür Oom 
Sutor bie ©robheiten. 

SBemt ein altes Sprichwort bem Berurtheilten brei Dage 
Seit gibt, um feine Bidjter ju oerfluchen, wie Oiel 3ol)re barf 
man einem befiegten Bolfe, biefein Bolfe, gönnen, um feine 
©ieger ju tierfluchen! 

DaS bi3djen gludjen unb ©gelten über uns wirb nicht 
oiel Uebel anrichten. DaS Uebel Wirb angerichtet burdj einbring: 
liehe Berbreitung falfdjer 3been. Die falfchen 3been aber rühren 
oon falfchen Snfchauungen her unb bie falfchen Snfdjauungen, 
bie erlogenen Surrogate ftatt ber Ergebniffe eigener unb genauer 
Beobachtungen, finb fein ißrobuct beS „wahren BealiSmuS". 

Die trefflichen franjöftfdjen Bücher, welche bie SBaljrheit 
fagen, bie Bapporte ©toffeis, bie Briefe 9RonobS, finb weit 
baoon entfernt fich fo fehr in’S Bolf ju oerbreiten, wie ein 
patriotifcher Boman mit Erdmann=Ehatrian’fd)en Sßüren. Unb 
wenn nun ooßenbS bie hochgelehrte beutfehe Kritif baherfommt 
unb fchlägt bem Sutor folch eines SibeßS bie Booten erhabenen 
{Ruhmes unb preijt feinen fcharfen Blid unb feine unerbittliche 
$anb, mit benen er ber SBaljrheit gerecht wirb, was SBunber, 
wenn fich bie granjofen in folch approbirte Berichte oertiefen! 
SEBir wollen uns nicht jum SRitfdjulbigen folcher gälfehungen 
machen. Daher biefe Seilen. 


Schon bie ©runblage, bie SBatot breit ausbaut, um auf 
ihr feine ©rjählung aufjuführen, erregte mir gegen feinen BealiS: 
muS Bebenfen. Sß baS Uebel granfreichS, Berfaß, Krieg, Bieber: 
i läge, SfleS hot nur Eine Urfache: Bapoleon III.!. 

DaS alte Sieb! Die bequemfte Erfinbung, fich über aße 
Borwürfe, ©ewiffenSbiffe unb Befferungsoorfdjiäge hinwegjufefcen, 
ift ein ©ünbenbod! Über fo ein ©ünbenbod ift eigentlich nur 
ein ©efpenft. ©oß fich ein Bealift mit ©efpenfterfpuf abgeben? 

SRalot alfo wiß beweifen, wie tief Bapoleon in. fein 
granfreich h°be finfen laffen, unb bebient fich baju jweier fpeci= 
j fifchen Brobucte, welche baS jweite ftaiferreich gejeitigt h°t 
j eines SRönnteinS unb eines gräuIeinS. 

Der Erftere, ber §elb (in beffen ßtamen auch bie ganje 
©efhichte erjählt wirb), ift einer jener albernen ©efeßen, bie 
ben lieben §errgottätag in ber abgefchmadtefien SBeife tobt= 
fchlagen. Saum über bie HRünbigteit hinaus, h»t er, ohne es 
i ju wiffen, eine ÜRißion granten burchgebracht. SBaS nun? 
i ©elemt h“t er fo gut wie nichts. Sticht boch, reiten tann er! 
j Unb baS ift eine fdjöne ffunft. Er hot ben ©port methobifh 
! betrieben. Die Beittunft lä|t ihn alfo nicht untergehen. SBo 
j unfere fchwachen ©eiten liegen, finben ftch auch unfere ftarfen. 

: ©o fiebelt ber abgehaufte 3odepclubift in ein Brooinjftäbtchen 
: unb wibmet fich bort „ber ©taßcarriöre". 

Das wäre nun gut, aber bie einzige gamilie, bie in jenem 
©täbtdjen ein $auä macht, beftyt eine Dochter. Eigentlich jwei 
j Döchter — aber bie eine ift nicht ganj gerabe gewadjfen, unb 
bie anbere eben baS SRufterpröbchen imperialiftifcher Eioilifation, 
babei flug, fchön unb mit Ueberlegung gefaßfüdjtig. 3« biefe — 
i ©ujanne — oerliebt fich beim auch ber $etb fofort. 

Dies wohterjogene gtäulein aus ber beften ©efeßfehaft lebt 
unb webt in ben Snfchauungen, Bebewenbungen unb ©ewohn: 
heiten einer SBelt, bie — nicht bie ihrige ift. ©ine unb anbere 
| biefer unfchulbigen ©ewohnljeiten, wie fie in bem Buche recht 
beutlich, aber burchauS nicht ergö|lich gefdhilbert werben, hi” 
anjuführen, mu| ich mir oerfagen. 3h re oerfchiebenen toßge: 
machten Snbeter werben ihr troh aßer Bcrtrautiddeiten nicht 
j gefährlich, benn fie ift nicht nur oerberbten, auch falten $erjenS. 

@o jagt nun ein ©dherj ben anbern, bis auf einmal ber 
16. 3“Ii anbricht. Der Krieg ift erflärt. Den gelben feiert 
baS eigentlich wenig. 3« einem btajirten Bummlet beS Empire 
ift auch baS BaterlanbSgefühl oerfrüppelt. ES ift immerhin 
| ein Berbienft ber Dame ©ujanne, bem blafirten 3odet) begreiflich 
ju machen, bah er nunmehr nichts BeffereS ju tl)un habe, als 
ben ©hoffepot ju tragen. Da er blinb oerliebt ift, läfjt er ftch 
! baS nicht jweimal fagen. SIS @ol)n eines DfficierS wenbet er 
fich an einen alten greunb feines BaterS, ber ein Begiment an 
bie ©renje führt. Diefer fagt ihm Sufnahme ju. Die DrennngS: 
ftunbe fchlägt. Suf bem überfüßten Bahnhofe wimmelt’S oon 
, Becruten unb Beteranen, Eltern geben ihren Kinbern ben lefcten 
; ©egen, Srüber reihen fich oon Brübem, Sünglinge oon Bräuten 
i loS: auch Oem oerbummelten BouleOarbier tritt ber ©rnft beS 
| SebenS unb ber ©chmerj ber Drennung tief in’S ©emüth. Sber 
i was thut ©ujanne? SBährenb ber S«8 P<h in Bewegung fe|t, 

| ber ihren ©eliebten nah blutigen ©thladjtfelbero entführt, 
i fdjwenft fie lachenb ihr Düchlein unb fingt baju nach nur aßju 
' befannter SRelobie: „Sb nach Ereta! ab nach Ereta!" 

2Ran wirb bie ©ittenoerberbnih unter bem jweiten Kaifer: 

1 reich fdjilbern, ohne 3ocque8 Dffenbach anflingen ju laffen! 

' SBofür wäre man benn ein Bealift! 

Stun fucht ber fafhionable Becrut fein Begiment bie JSteuj 
5 unb Duer auf bem KriegSfchouplah unb Iann es mit bem beften 
i SBiflen fehr lange nicht finben. Begierung, Heeresleitung unb 
Berwaltung erfahren oom Sutor aße jene Borwürfe, bte ben 
Befiegten oon ben eigenen SanbeSgenoffen foßten erfpart bleiben 
unb bie wir aus franjöfifhen Beben unb Seitungen jur ©enüge 
fennen. Einiges wirb jiemtid) etgöfelich ißuftrirt. Die nächte 
, Umgebung beS ErjäljterS fommt fhlecht bei ihm weg-, bie 
Officiere erfdjeinen als unwiffenbe Dhoren ober als h er °if<h 
Berjweifelnbe; ein gemeiner franjöflfcher ©olbat, ber nicht be* 
trunfen, fommt meines ErinnemS'in bem ganjen Buche nicht 


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40 


fflie Gegenwart. 


Nr. 3. 


oor. DaS büntte einen oieDeicht lehrreich, wenn eS nicht hin ; 
wieberum non beit Deutjdjen hieße, baß fte nur itt bet Ueber= 
japt tapfer befunben würben, baß fte ihre ©efangenen mit aller 
SoSljeit ipungerS fterben tiefen ober bodj mit raffinirter ©raufam: 
feit betyattbeiten, baß überhaupt nichts an üjnen ju toben Wäre, 
als — ißt SanitätSwefen. ®or bem beutfdjen 9trjte unb ber 
barmljerjigen Sdjtoefter finb alle äRenfcpen gleich, opne Unter: 
fd)ieb ber Station unb beS ©tanbeS. 

Die friegerifdjen ©reigniffe wicfetn fiep ab bis jur ©d)lacht 
bei ©eban. Stuf bie ©djitberung biefeS großen ©reigniffeS ober 
oietmepr eines 9tu8fcpnitteä beSfetben, ben ein SJtenfdjenaug’ im 
©etümmet bemeffen fann, pat ber SSerfaffer fein ®efte8 gewenbet. 
@8 gef>t auch hier nicpt opne romantijcpe Sutpaten ab. Sebocp bie 
©djitberung ift lebenbig, tpeitweife ergreifenb unb bewegt fidfj 
in gutem Xempo oorwärtS. Dafür mißgtüdt ber Serfudj, bie 
Drümmer SajeitleS ju fcpitbern. SDtatot fcpeint fetbft ju fühlen, 
baß iljm bie Farben auf ber tßatette festen; nach wenigen Seiten 
mit etlichen gewöpntidjen ©djtagworten ftept er ab baoon. 

®ei ©eban gefangen, wirb ber $elb unter üerfcpiebenen 
Abenteuern nach Deutfdjtanb tranSportirt. Stuf einem ®apnpof 
gelingt eS ihm, unoermerft aus bem SSaggon ju entfommen. 
@r bteibt oerftecft bis jur Stnfunft beS näcpften SugeS unb 
fteigt bann in einen ©infpänner, ber ifjn über Sanb führt. 
3m gapren entfpringt er auch aus biefem unb jwar opne ben 
Sutfdjer ju bejahten. 9113 ber biebere Sanbmann ben guß= 
gehet bann einhott, fcpreit er, wie billig, hinter ihm her unb 
©enSbarmen finb gteidj bei ber §anb. Der ©cpaupta| biefeS 
Abenteuers ift bie ©egenb bei Dürfljeim in ber Stpeinpfatj: 

®i3 hierher patte i<h Jtoar ohne ©ewunberung, aber mit 
©ebutb getefen. 3<h gehöre $u jenen gemütpticpen Seuten, bie 
man wegen ihres guten äBiüenS, fiep unterhatten ju taffen, 
„banfbareS Ißubticum" nennt. 3*h fchreie nicht auf, bis man 
mir ju berb fommt. 3ept auf einmal fiel mir’S wie ©puppen 
oon ben Augen unb ich ®°9 baS ®ucp in ber §anb mit jener 
©elenfbewegung, mit ber man eS hinter ben Dfeit ju werfen 
im ®egriff ftefjt. 

Der gefangene $elb wunbert fiep nämlich gar nicht, baß 
bie überrafdjten Dorfbewohner bem granjofen, ber plöfclidj unter 
ihnen auftaucht, nicht ben freunblichften ©mpfang bereiten. @r 
finbet nichts natürlicher, als baß fie fiep jener franjöftfchen Sftorb* 
brennerbanben erinnern, bie oor jweipunbert 3opren bie ®falj 
»erwüfteten. Dafür aber würben einmat bie Deutfcpen ®r= 
innerungen berfetben Dualität in ber Champagne unb 3$te be 
grance finben, weit fie 1870 bort um nichts beffer gehäuft hätten, 
ats bie äBütperidje SubwigS XIV. in ber ®fatj. 

DaS fepreibt, baS wagt ein SJienfdj ju fdjteiben unb fcpämt 
fidj nicpt bot feinem eigenen ©piegel. 

@o weit in bewußter gälföung barf auch fein $aß gegen 
einen fiegreichen geinb fiep oergeffen. 2Ba8 gewinnt benn baS 
franjöfifdje ®otf babei, wenn man fotdje 3been unter ihm per: 
breitet? Unb was wirb bie SRenfdjpeit babei gewinnen, wenn 
folcpe 3been unter ben granjofen ©tauben finben? 

Droh meiner ©ntrüftung behielt ich baS Such nodj in ber 
$anb unb fchtug eS wieber auf. 3cp warb auch infofern für 
meine Separrtidpfeit belohnt, atS ich eine ber föfttidjften ®e« 
fchid)ten ju tefen betam, bie je einen „wahren Äealiften" in’S 
rechte fii^t gefegt hoben. 

®on ben beiben beutfdjen ©enSbarmen, bie ben gelben 
ber ©rinnerungen ju eScortiren hoben, entfernt fich ber eine 
wegen anberweitiger ®erufSgef<häfte. Den mit Setten betabenen 
©pion bis ju bem Orte ju bringen, wo fich bie ®eiben wieber 
bereinigen wollen, genügt ja fdjon ber eine. DaS wäre nun 
wohl richtig, wenn nicht ber fehr merlwürbige galt oortäge, 
baß bie Sette, an bie ber ©efangene gejeffelt ift, mit bem anberen 
©nbe an — ben ©enSbarmen gefeffett wäre. Der ©enSbarme 
fi|t ju ®fetbe, ber ©efangene läuft ju guß nebenher, ber 
eine ift fo gut au ben anberen gefchmiebet, wie biefer an jenen. 
SDterlwürbigeS ®otijeiberfahren! 2tber baS ift nun einmat fo 
®rauch in Deutfchtanb, fagt Rector SJtatot. Daß ber ©chtüffel 
ju ber geffet in ber Dafche beS anberen ©enSbarmen fteeft, 


ber baoon gegangen, perfteht fich bon felber. SBte lämen wir 
fonft ju einer Sataftrophe! Die ®eiben trotten atfo ihres 
SBegeS h*n. „Sticht fo rafchl" fdjreit ber ©efangene ju bem 
reitenben ©enSbarmen. Ütber boshaft, wie ber ®arbar ift, trabt 
biefer nur noih gefchwinber unb jnpft (ogar an ber gemeinfamen 
Sette. „9Bie bu mir, fo ich btr!" benft ber tiftige granjofe, 
unb muppbich! in einem unbewachten ttugenblid jie|t er feiner: 
feits fo feft an ber Sette, baß ber SteiterSmann aus bem ©attet 
fdjwanft. 3n ber Serwirrung ift eS ihm gelungen, auch baS 
®iftot beS ©enSbarmen aus ber #alfter ju reißen. „Der 
©enSbarme hot ja noch ein jweiteS!" ®ewahre! . . . Stun ftehen 
fie Por einanber ba; ber ©ine hot baS geuergeweljr, ber Änbere 
nur ben blanlen ©äbeL ©ntweber — oberl SJtudft bu gegen 
mich, f° brüd ich toS! Sta, es bauert benn auch nicht lange, 
ba fd)Wtmmt ber ®arbar in feinem ®lute. 916er ber Stealift 
hat ja ben SJlörber unb fein Dpfer wohlweislich jufammenge: 
fchmiebet unb fo entfteht bie f^aurige ©eene, wo ber Uebet: 
trätet, ben ftarren, Jbtutigen ßeichnam im 9trm, baS Stoß be: 
fteigt unb mit biefer Saft, an bie ihn bie potijeitichc Sette 
binbet, weiter reitet, bis er enbtich an einen ftiQen Drt fommt, 
wo Piete ©teine umherliegen. SDtit einem biefer Steine — alle 
Siertelftunben nur ein @djtag — gelingt eS ihm, bie geffet ju 
fprengen. ©r ift ben Seichnam tos, athmet auf unb reitet, 
manbert, fchwimmt nach tfranfreich jurüd. 

3ft baS eine fchautig fchöne ©efchi^tel 9tber, fo ungtaub: 
ti<h es Hingt, SJtatot hot für eine noch etgöfctichere geforgt. Sie 
finbet fich int jmeiten ®anbe unb fpiett por DrleanS. 

Stachbem ber Stegierung ber nationalen ®ertljeibigung faum 
weniger unb wo möglich noch häßlichere Dinge aufgemujt. finb, 
ats im erften ®anbe bem ©ünbenbod Stapoteon, finbet ber $etb 
in einer ©dhwabron freiwilliger ©aoateriften ebenfo angemeffene, 
als unerhörte Serwenbung. Die auSgefuchte petbenfehaar ftreift 
um baS Pon Deutfdjen befe|te DrleanS. ©S gelingt ihr, einige 
®roPiantwagen aufjuheben. Die ®ebedung flieht. 

©djon währenb beS ganjen getbjugS ift bem $e!ben — 
ber ja, wie wir wiffen, feines SeidjenS ©portSmaun ift — bie 
Gattung ber beutfdjen ©apaterie aufgefallen, ©ie ftfcen fo feft 
im ©attet. ©ie fallen juweiten im Sugetregen mitfammt bem 
Stoß; aber fie fchwanten nie, fo lange bet ©aut ftch ouf ben 
Seinen hält. DaS fann nicht mit rechten Dingen jugehen. 
Unfer 2Rann ift ein Senner. 3efet ober nie Will et hinter bieS 
©eheimniß fommenl 

Der baprifche ©heoaugteger, ben er perfolgt, ift offenbar an= 
gefchoffen. ©r bringt ihm immer näher, er fieht beuttidj, ber 
gliehenbe ift fchwer Perwunbet; wie fann fich ber Sert nur noch 
auf bem ®ferbe hotten! Die alte ®ermuthung fteigt immer 
überjeugenber in ihm auf: bie beutfehe ©apaterie muß an bie 
Sättel ihrer ®ferbe — feftgefchnattt fein! Stoch e in Sprung! 
3ept hot er ihn! $attl ©efangen! ©rgeben! Unb jefct ein ©riff 
beS ©adjperftänbigen nach ben ©epenfetn beS beutfepen SteiterS ... 
Sta, ba hoben wir’S! 9ln ben ©attel gefdjnaHt ift er! 9tHe 
finb fie an bie Sättel ihrer tßferbe gefchnaQt unb barum ftpen 
fie fo fefte! Quod erat demonstrandum. 

$abt 3hr genug Pon biefem SteatiSmuS? 3<h benfe ja. 

SBir Deutfcpe hoben einen ®orjug por ben granjofen PorauS. 
fflir fennen ihre Sprache, ihre Siteratur, unb bamit ihre @e: 
Innungen unb ©efühte unb bie Ijerrfchenben Stichtungen ihrer 
©ebanfen. SBenn ihnen, benen unfere Sprache fchwer unb unfere 
Siteratur jiemti^ fremb bleiben, bamit gebient ift, baß man 
ihnen fot^e ®ären aufbinbet ... wenn fie glauben wollen, baß 
wir unfere Delinquenten an bie Ijütftofen ©enSbarmen fdjmieben, 
baß unfere ©aoateriften an bie ©äute feftgefchnattt werben unb 
baß bie SRorbbrennerbanben ihrer Sönige nicht fchtimmer in 
Deutfchtanb gehäuft hoben, ats bie Sotbaten unfereS SaiferS in 
bet ©hampagne ... wenn fie für Seute, wie $ector SRatot, 
Diffot, DuatrefageS, ©rnouf, Stambaub, ober gar ®ad)er=3Jtafoch 
(ber jwat beutfeh f^reibt, aber als ebter ®ote aus ber ®otadei 
Pon Deutfchtanb nicht Piet mehr weiß unb noch bewußter auf 
gälfdjungen auSgept als bie granjofen) — wenn fte für fotdje 


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Nr. 3. 


Sir ©egenwart. 


41 


gorfcper unb Slealtpen nocp ®elb audgeben . . . unfer ©cpabe 
Wirb fcplteplid) babei wopt bet geringere fein. 

Sott mannet ©eite »erben bei und jefct ernftpafte 3Jiap: 
nungen laut, ber ©eutfcpe fotle fiep nicpt mehr um frembet 
Stationen ftunftprobucte fttmmern. Stein, meine greunbe, mir 
wollen ben ©orjug, ben mir nor Slnberen boraud paben, niipt 
©reid geben. Unfere Statoren paben ben literarifc^en ©cpupjoll 
nicpt ttötpig: wir wollen und um bie meifterlicpen ©Köpfungen 
ber SZacpbarn tümmern nach wie bor, bon ihnen lernen unb mit 
ihnen um bie Sette ringen. 

Stber wir foHen aüerbingö nicht jeben Stümper an’d Sicht 
ber SBelttiteratur jtepen, nicht Sebent, ber und ungefihicft ber-- 
ungtimpft, bie internationale ©alme reichen unb nicht jeben 
glüdlidpen ®aubet in fchlimmer ©efcpäftigleit mit bem erften 
beften Rector SJtalot übertrumpfen. 

Unb fomit lehren biefe Seilen fcpliefflup ju bem »aderen 
Stamen jurüd, bon bem fie audgegangen finb. Stucp Stlpponfe 
®anbet hat mit feiner gebet ben SoQ patriotifcpen #affed ent¬ 
richtet unb nicht immer feht artig gegen ben geinb fatutirenb. 
(Sr banft, wenn ich nicht irre, biefen {leinen ©ejcpicpten — fie 
finb jum größten Ipeil in ben Lettres & un absent unb fpäter 
in ben Contes du lundi gefammelt — ein gut ©peil feiner 8e: 
liebtheit (Ed fehlt barin an einigen überflüfpgen SCudf&Uen 
gegen bie teutonifche Stace nicht. Stber feltfam, »ie oft unfere 
freiere (Einpcpt und unbermerft jum ©effen hat! ®er einjige 
anftänbige SRenfcp, ber alleinig eprenwerthe (Eparalter unb Sftann 
in feiner preidgefrönten, aUfeitd gebilligten ©Ütenfcpilberung bed 
ntobemen ©arid, ber alte Stifter ift ein ©eutfcper, ber nicht 
einmal flott granjöpfcp lann, ein ©eutfcper, ber Slbenbd jum 
Siete geht unb atterpanb berechtigte (Eigentpümticpleiten hat — 
Wenn auch ein ©eutfcper aud ber ©cpweij. 

Unter SL ®aubet’d {leinen ©efehiepten fehlt nicht bie einer 
©enbnte, bie pep plö|licp bon ©ougibal nach — ©tünchen oerfefct 
pnbet nnb bort im $aufe eined ©eiehrten erft auf grau unb ©ödjter, 
bann auf bie ganje ©tabt einen bemoraliprenben (Einflufj audübt, 
fo bah man eined Saged fetbft auf bem Clabier bed ftönigd ftatt ber 
©artitur ber „SReiperftnget" eine fehr bebendiepe pnbet. ©er ©eperj 
ip nicht eben tieffinnig unb bie ©atire jweifdjneibig. (Ed ift boch 
getoip {ein Stuhm für bie granjofen, wenn ihre Unpttticpleit ald fo 
mittpeilfam unb rinbringlicp gefdpilbert wirb, bap bie Stnftedung 
fogat burch ihr #auögetätpe berpflanjt wirb. 3» Uebrigen büntt 
mich Wn Sotwurf ungeeigneter, unfere (Entrüftung perborju= 
rufen, ald bie Stagen unb ©eperje ber granjofen um ihre 
„geretteten unb gerollten" ©todupren. SBenn nadj einer ©511er: 
toanberung, bie eine SJtidion beutfeper SDtänner über bie ©tenjen 
bed Stachbard fcpwemmte, biefet bei ber Snbentariprung feinet 
allen SU^vttchSeiten bed Stieged ©reid gegebenen $abe fcptiejiilich 
»egen etlicher ruinirten ©enbülen Sürm fcplägt .... ti lann 
unter folgen Umftänben laum ein gröpered Sob für bie (Ent: 
haltfamteit unb SRanndjucpt ber ©ieger erfunben werben. SBie 
wenig muffte ber ©epegte bermiffen, wenn ed ber SRüpe ber: 
lohnte, ein unb anbered ©enbetüprepen audjufepreien! SBenn 
ber granjofe in ben ÜRufeen unb ©ibliotpelen bon ©arid antile 
©tlbwerle, itatienifche ©emälbe unb mittelalterliche (Eobiced nach 
ihrer $erlunft befragen will, manched bon biefen ©tüden wirb 
ihm ein »unberbared Sieb bon bem ©erfahren feiner Sanbdteute 
in frembem Sanbe pngen. Senn wir fömmttiche Uhren aud 
ganj granheiep entfernt hätten, ed hätte bie ©patfaepe nicht 
anfgewogen, baff im ©cplafjimmer Stapoleond bie Uhr gtiebricpd 
be# ©roffen bie ©tunben fdplagen mupte, bedfelben gtopen grieb= 
rieh# bem ber fcpamlofe (Eorfe ben ®egen bom ©arge weggeftohlen 
hatte. 3« ben beutfepen. unbitalienifcpen ©täbten, bie Stapoleon 
ge&ranbfcpafct, in jenem $eibetberg unb ©peier, bad Subwig XIV. 
gefegnet, war {eine Siebe mehr bon berloren gegangenen Uhren. 
(Snrc ©enbulenfcperje foHen und nicht ärgern. 

Sticht feiten pnbet pep in ©aubetd (leinen patriotifcpen (Er: 
jäptuugen ber richtige hiftorifche ©inn. Le siöge de Berlin, la 
mort de Chauvin unb anbere lönnen aud) und gefallen. ®ie 
hefte Seipung, ju ber ihn ber ftrieg angeregt, ift Robert 
Helmont — joumal d’un solitaire —, weniger Sloman ald ©tim* 


mungdhilb — ein Heined SReiperpüd. (Ein ©tatet bridpt fein ©ein, 
juft am ©age ber ffriegdertlärung. Sn einem $äudtein im gotpe 
bon ©enart bleibt er liegen, währenb bie Stnbern „4 Berlin“ mar: 
fdjiren. Sr bleibt allein. ®ie Siachbant püchten. Runbe wirb 
fpärtidj. Sr fühlt, ed gehen entfeptiche ®inge auperpalb feined 
SBalbed bor, pe (ommen immer näher, pe fchliepen ihn. ein, 
aitnod) unpehtbar, er ahnt, er beobachtet bie eilten ©puren ber 
Snbapon auf ber audgeftorbenen Sanbftrape, er ftöpt im SBalbe 
auf ben erpen tobten ©reupen. Sr mup pch enblich h«rborwagen, 
unb pnbet einen ©efeilen. 

®iefer unheimliche ©efeQe ift ber eigentliche helb ber ©e: 
fchichte, eine tppifche ©eftalt. Sin ©auer, mit ben SBaffen 
in ber h«nb ergriffen, wirb, fdjon ben $ald in ber ©djlinge, 
ba er ein greimaurerjeichen madE)t, bon bem ©ruber ©reupen 
begnabigt. Stber er fühlt bafür (einen ®an(. ®ad ©aterlanb lüm: 
mert ihn nid)t. Sr hat nur mit eigenem ©rintm ju thun. Sr hot 
nur einen ©ebanten: fein ©ehöft iff oerbrannt, feine Srnte ber: 
nietet, feine gelber brach, fein ©ieh weggetrieben, fein $ab unb 
@ut bahin — Stacpe! SBie lann er pe befriebigen — burch 
SOteucpelmorb. SBie eiue rafenbe Sepie fchteidjt er im SBalb 
herum, unb wo er eine ©chitbwadje allein pnbet, wenn pe pch 
abwenbet, arglod pngt unb guter ®inge ip, ba fällt er pe bon 
hinten an, feige, morbwüttjig, thierifep., 

„Schlag ihn tobt — (Patriot" 

„®tit b« firüde — Sn’d ©ettide." 

St ift (ein ©atriot, ober hächffend ein inftinctiber; feine ftrüde 
eine ©artenfeheere. Stber bie SBunbe pfet immer hinten im 
©enid. 

34 glaube, auch ber franjöpfche Sefer athmet auf, wenn biefe 
SDSenf^enbeftie bon einer Äuge! unfchäblidj gemacht ip. Unb 
bad Beben unb SBeben bed SBalbed, Suft, SBaffer unb ffadjed 
Sanb ... wie ftimmungdboü, wie fdjön! 

©eht boch, Sh* Sreunbe, ich mag nicht aufhören, granjöpfd) 
ju lefen. Sd ift ja ohnehin (einem bon Snch rechter Srnp mit 
bem grimmigen Siathe. ©en Rector SRalot meinethalben, ben 
witt ich ®»<h mit ©ergnügen preidgeben. Stber ben Sttphonfe 
©aubet, ben wollen wir noch eine SBeite behalten, ^offentlidh 
fchreibt er boch halb ein neued Such. 

ff ans tfopfen. 


^riebrith Cthriffoph 5<)Ioffer. 

(S^Iug.) 

SDtit gropem Stacpbrud hebt ©cploffer in feiner ©elbp: 
biogtaphie h«tbor, wie ber ©eginn feined jWeiten granlfurter 
Stufentpaltd oon hä<hPer SBi^tigleit für feine ganje ©ilbung 
unb böllige moralifche ©enefung gewefen. SBad er bidher nur 
in ber ©idjtung ju pnben meinte, jeigte P4 ihm je|t im 
äuperen Ser (ehr, unb währenb er fo „in einem ßreife fepöner 
Seelen bapanb, ald SRann unb ald ©röper", warb et felbp 
am meipen getröpet unb mit ber SWenfdjpeit, an ber er läitgp 
oerjweifelt, oööig audgeföpnt. ©cploffer felbp fagt ed und niept, 
aber wir »iffett, bap ed bie greunbfepaft mit brei eblen grauen 
war, woburep biefer innere Umfcpmung in ipm erjeugt würbe. 
Sin bie eine biefer gteunbinnen Pnb bie tief empfunbenen ©riefe 
gefeprieben, welcpe je|t jum erPeü SWale Oeröffentli^t werben. 
Äucp ©cploffer, ben unerbittlichen geinb unb ©eräepter ber ßerr: 
bilber, Bügen unb Unnatur, welcpe bad bamalige Beben in 
©taat, ©efdtfdjaft unb SBiffenfcpap barbot, warb tief bewegt 
burch bie reine, natürliche Unmittelbarleit, in welcher eble 
grauenfeelen fiep für bad ©ute, SBapre nnb ©cpöne begeiperten. 
®d war ein greunbfcpaftsbünbnip, bem ©cploffer noch old poep: 
betagter SDtann treu anping. „Spr Umgang pat miep erp jum 
SRenfcpen gebilbet," feprieb er ald 72jäpriger SRann naep bem 
©obe jener einen greunbin an beten ©oepter, „jept ift SBIed 


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42 


Dt r «tgeitwurt. 


Nr. 3. 


batjin, bie SBelt ber ^ß^antafie unb ber 3bee ift mit Seiner 
SRutter erftorben." — 3« feinen Stubien fdjtitt er inzwifdjen 
rüftig fort. Sr fdjrieb bamatS eine ©efchichte ber bilber= 
ftürmenben gricdjifdjen Äaifer. Siefeg SBert machte ben dürften 
VtimaS Äarl von Salberg auf ihn oufnterffant unb veranlagte 
biefen, ihm eine anfeljnliche Stellung an bem in granlfurt neu 
errichteten ßpceum, einer Art bon fi^itofop^tfc^er gacultät, an» 
jnbieten. Mn biefer Anftalt übernahm Schlöffet eine Stellung 
als ißrofeffor ber ©eföidjte unb ber ©efchichte ber ^S^ilofop^te, 
inbem er gleichseitig einen Stuf als fiürdjenhiftoriter nach $eibel= 
berg ablehnte. — 3n feiner 2)oppelfteßung als ßehrer ber 
©efchichte am ®^mnaftum unb am ßpceum toanbte er ft<h triebet 
ganj ben univerfalhiftorifchen Stubien ju. Samalä entftanb 
ber erfte Snttourf feiner SBeltgefdjichte in sufammenhangenber 
SarfteKung, inbem^er für feine ßtjiceiften eine Bufammenfteflung 
beS rein Zh Q tfächii$en in ber ©efchichte, ohne SRäfonnementS, 
nur ber Befolge nach, nnter Heranziehung ber toichtigften 
Stellen aus ben dueflen entwarf, ©ervinus bezeichnet biefe 
Beit, wo Schlöffet feine äBettgefdjichte, wo Willen (1810) feine 
Äreujäüge, Stiebuhr (1811) feine römifdje ®efcf)icf)te begann, als 
bas eigentliche ©eburtsjahr unferer nationalen Hiftoriographie, 
bie auS ber ©efchühtSmacherei heraustritt unb einfach anfnüpfte 
„an ber genauen Srforfchung unb Bufammenfteßung ber nacften 
SRaterie". — Ser Umfchwung ber Politiken SSerljältniffe, ber 
mit ben greiheitSlriegen eintrat, machte SchlofferS Zhätigleit 
am Spceum, baS ganz aufgehoben würbe, ein ffinbe. Um ihn 
aber an granffurt ju feffeln, gab man ihm ben fßojten eines 
StabtbibliothelarS neben feiner bisherigen Stellung am ©pmna= 
fium, fo bafe >h m eine bebeutenbe wiffenfchaftliche SRufje blieb, 
bie er namentlich bur<h fortgefefcte Queßenftubien auf baS 
gruchtbarfte auSnujjte. Unb auch fonft war ber Aufenthalt in 
ber ihm lieb geworbenen Stabt ju jener Beit burch bie giiUe 
petfönlicher Beziehungen zu heroorragenben SRämtern ihm ein 
überaus angenehmer. Sr fah unb hörte Sieles, was ihm mistiger 
war als hunbert golianten. Sr gewann tiefere Sinblide in 
poütifche Serhältniffe, bie ihn freilich iw feiner Abneigung gegen 
alles politifdje Zteiben nur beftärften. Sticht eigene lieber; 
Zeugung, fonbern ber Wunfch feiner greunbe war eS in erfter 
Sinie, woburch er ftch veranlagt fanb, bie ihm zufagenbe Stel= 
lung aufzugeben, um eine bebeutenbere Wirlfamleit in §eibet= 
berg anzutreten. Sie greunbe bewiefen ihm, bah „baS Kauf; 
mantiS; unb ©elbwefen unb baS SrüUen beS granlfurter 
SteichthumS noch ärger fei, als ber HanbwertSgeift unb Steib 
ber ©eiehrten uub baS Reuten ihres literarifdjen Stolzes". 

So folgte er benn im 3«ni 1817 einem Stuf als ©ro; 
feffor ber ©efchichte nach $eibelberg an Willens Stelle. ©iS 
Zu feinem ßebenSenbe, noch 44 3<>h re » ift er in biefer Stellung 
geblieben: nach ben wedjfelöollen Scfiicf falctt feiner erften ßebenS; 
hälfte folgte eine Beit ungeftörter Stuhe, nach einem Britraum 
beifpiellofer politifcher Srregungen lange 3<>h re voß trübfeliger 
Stagnation, welche fdjwet auf ber ßebenSlraft ber Station 
tafteten. — Schlöffet lebte ein ftitteS ©elehrtenbafein, baS 
wenig Abwechslungen barbot Sr oerlehrte mit wenigen SRen; 
fdjen; oor Weltmännern hotte er aßen Stefpect, aber feine 
greunbe lonnten fie nicht werben. Mufjerorbentlich rege war 
bie Sorrefponbenz mit ber granlfurter greunbin. SRit Stecht 
heiht eS in ber Sinleitung zu feinen Sriefen: „Seine Schriften 
jinb feine Stylten unb feine Srlebniffe." Unb wohl barf man 
feine Schriften als Stylten im eigentlichen Sinne beS SBorteS 
bezeichnen. Stur in ben äuherften Umriffen lönnen wir hier 
feiner riefenhaften wiffenfchaftlichen Zhätigleit gebeuten. 

Wir fehen, bah er erft oerhältnihmähig fpät — er war 
bereits ein SRann oon 36 3ah*en — ftch ber eigentlichen poli- 
tifdjen ©efchichtfchreibung zuwanbte. SS war baS ©ebiet ber 
Unioerfalhiftorie, auf welkem er bann, auSgerüftet mit einer 
beifpielloS umfaffenben Oueßenlenntnifj, arbeitete. 3« feiner 
SarfteQung ging er anfänglich auherorbenttich lunftloS zu Werte. 
Srft aßmälig empfanb et baS Vebürfnifj, aus bem urfprüng; 
liehen Aneinanberreihen ber rein thatfächlichen Vorgänge auf 
©nutb ber dueflen etwas ßeSbareS zu gehalten. Seine erften 


Heibelberger 3ah« würben burch biefe Arbeiten auSgefüßt, in 
benen nach unb nach Atterthum unb SRittelalter zur Zarfteflung 
gelangten. Schon feit Vegimt feiner alabemifchen Zhätigleit 
hatte er eS als Verpflichtung empfunben, auch neue unb neuefte 
©efchichte oorzutragen. Sr glaubte bie reichen Srfahrungen 
feines früheren ßebenS hierzu ganz befonberS in Mnfchtag brin* 
gen z« bürfen. Zennodj fanb er, bah er über ßeben unb Zrei* 
ben ber SRenfchen im ©anzen unb ©rohen noch mancher Äennt; 
niffe bebürfe, bie mau aus Vüchern ober unter Stubenten unb 
fßrofefforen nicht erwerben lönne. Sr ging beShafb 1822 gegen 
feine Steigung — benn er war „burchauS nicht für bie Welt 
gemacht" — auf mehrere SRonate nach Vatis. SS war eine 
wohl angewanbte Beit- Stehen ben umfajjenbfteu Stubien in 
bortigen Archiven unb Vibtiotheten tarn er in ©erührung mit 
ben namhafteften SRännem ber Beit, barunter namentlich ©uizot, 
auherbem aber auch utit vielen, jefct abgethanen, ©rohen ber 
napoleonifchen Beit. SamatS war eS auch, wo er Alejanber 
von Humbolbt lennen lernte unb von bem hochverehrten SRantt 
bie wirlfamfte Anregung zu feiner ©efchichte beS XYIEE. 3aht* 
hunberts empfing. SiefeS Wert erfchien urfprünglich nur in 
Zwei Zheilen unb war bazu beftimmt, feinen Buhötern als ßeit« 
faben zu bienen. An eine erweiternbe Umgeftaltung ging er 
erft in ber folgenben Auflage. 3« ben Sofien 1834—1848 
gelaugte baS SBerl, Welches bie Beit bis 1815 umfahte, zum 
Abfchluh; eS ift im ©anzen fünf SRal aufgelegt Wbrben. SBir 
mieberljolen, was Wir bereits im Singang fagten, bah biefeS 
SBerl in ber einbringlichften SBerfe burch feinen rüdftchtslofen 
greimuth, burch bie glühenb hervortretenbe ßiebe zur SBahrpeit 
unb ©erechtigleit belebenb unb befrudhtenb auf baS fittUche Ur= 
tljeil ber VolfS= unb Beitgenoffen wirtte. Schlöffet hot h<h in 
ber 4. Auflage in ben Vorreben beS IV., V. unb VIII. VanbeS 
in befonberS charatteriftifcher SBeife über feine ©efchidjtSauf' 
faffung auSgefprochen. S)ie ©efchichte beS XVTLL SoiphnnbertS 
foßte Weber eine Sompilation noch ein nach phiiofophifdjen 
Stegein gefertigtes &unftwert, fonbem eine befcheibene, aber eben 
beShalb auS einer int ganzen ßeben gebilbeten Anficht menfeh 2 
liehet Verhältniffe h«bvrgehenbe Srzählung fein. 3« feinem 
Urtheil ging er nie auS oon einem Spftem ober non einer an= 
genommenen fßorteimeinung, am aßerwenigften von ber wechfeln= 
ben Stiftung beS herrfdhenben §aufenS. Sr woßte aus ber 
©efchichte h erau S Z u einem fichem Stefultat beS StächbenlenS 
über ©ott, SBelt unb SRenfchcn gefangen, SRochten bie Anberen 
über biefe Stefultate benlen wie fie woßten. Stoch am Spät; 
abenb feines ßebenS, im achtzigften 3«h« fprach er eS aus, bah 
objective SBaljtheit nicht immer erreichbar fei, wohl aber bie fub; 
jective äBaljrheit, b. h- bie Vermeibung aßeS beffen, was nicht 
ben Sdjriftfteßer burch unb burch befeelt, fonbern nur für baS 
publicum, beffen Vorurteil ober Vebürfnih man berüdfichtigt, 
gelten tann. So warf er mit ber bewuhtOoßften Sntfchiebenheit 
bie ganze SBucht feiner 3ubivibualität in bie SBagfchate. Uub 
hiermit hängt aßerbingS bie grohartige Sinfeitigleit feines Ur= 
theils, wie fie aus feinem einfamen ßeben unb feiner bon bem 
Xteiben ber groben SBelt fi^ energifch ablehrenben Verfönlich* 
teit erwu^S, eng zufammen. Seine Abneigung gegen bie fßolitil 
war in ber traurigen Beit nach 1815 nur noch ftärler geworben. 
SRit horten SBorten eiferte er über bie Iraftlofe, hoffnungstofe, 
zerriffene Beit- Sr war tropbem von burch unb burch freier 
politifcher ©efinnung. ©ervinuS nennt ihn felbft einen in ber 
SBoße gefärbten 2)emolraten, unb ein Soßege in ber $eimat 
fagt gar fdjon aus früherer B«t, fein SBefen fei zwar ariftofra* 
tifch, aber feine ßehte friefifch frei ®enno<h war et zu einer 
ruhigen, realiftifchen Srfaffung unb SSBürbigung ber politifchen 
Action als folcher nicht angelegt, er fah überaß baS Xreiben 
ber SRenfchen auS vielfach lleinlichen SRotiVen heraus, für Welche 
er eine ebenfo fcharfe Wahrnehmung wie fchonungSlofe Stritil 
hatte. Sr War von vornherein mihtrauifch gegen bie SRadjt; 
habet unb nahm auf baS SBärrafte fßartei für AßeS, was unter« 
brüdt erfchien. Ser SRafjftab fhtichter bürgerlicher SRoral, ben 
er aflein anlegte, brachte ihn leicht bazu — wie Spbel fich 
treffenb auSbrüdt —, in aßen ßänbetn unb Beiten nur eine 


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Nr. 3. 


0 i t <5>eg*ttWttrt. 


48 


große 5Richt8nu|}tgleit gu fehen. ©r reifte «icf>t auS, um baS 
elementare $in* unb Vermögen ber SBeltbegebenheiten unb bie 
SSertoidlungen unb ©nttoirrungen ber großen (ßolitit unbefangen 
im $inbtid auf bie erreichten ßiete gu roürbtgen. Unb bodj 
mar biefer SluSgangSpunlt beS potitifcheu UrtheitS unfraglich 
ein biel gefnnbeter als ber einer blinbett ober fchönfär&erifdjeit 
©rfolgSanbetung. — SBir hoben über fein $eibetberger Sehen, 
abgefeßen oon feiner roißenfchaßltchen 23jätigfeit, nur menig 
hingugufügen. ©eine Seit mar geteilt gtoifdjen ©tubium unb 
(Botlefungen. Xrofc ber gormtoßgteit feines (BortragS mar bie 
3ahl feiner 3ul)örer bis auf bie testen 3<>h re eine fe^r große. 
(Einmal bie SBoche pflegte er eine Stngahl berfelben bei fidj 
SlbenbS gu oerfammein, um bie houptfädjlichßen fragen beS 
XageS mit ihnen burd)jufpred)en. ©erbinuS gebentt biefer 
Stbenbe mit ffintgüden, infonberheit berjenigen, mo ©chloffer mit 
einigen SluSettoähUen feinen SieblingSbidßer (Dante gu lefen 
pflegte. „3n nnb mit bem Sichter fdjloß er bann unmiQfürlid) 
fein eigenfteS, innerfteS SBefen auf, bie rauhe SRinbe fprang ab, 
ber Äern lag bloS, man erlannte eine folratifche Statur in ihm!“ 
— So lebte er, mie eS in einem feiner (Briefe heißt, ber SBelt 
jmar geftorben, feinen Sreunben aber barum nidjtsbeftomeniger 
fo gut lebenb, mie feinem eigenen inneren SBefen. Unb mieber 
aus feinen eigenen SBorteu erfahren mir, maS biefeS innerftc 
SBefen erfüllte: „©lüdtidj, mer bie SBißenfdjaft in ihrer gött= 
liehen ©chönheit erfannt hat, felig aber nur ift ber, meiner bie 
Siebe, toeldje am menigften ©innlicheS hat, in ihter gangen 
SJtacht empßnbet, nur ihm finb ©otteS ©eheimniße aufgethan, 
nicht bem talthergigen (ßietiften, beffen ©ott nur oben im £>im* 
tnel iß, nicht im SRenfchen unb burch ben SRenfchen mit ihm 
lebt.“ Stirgenbs ift gugleidj treffenber als in biefen SBorteu 
auSgebrüdt, maS ben Inbegriff feines religiöfen (BebürfnißeS 
unb ©mpßnbenS auSmacht. (Bis in feilt fpätefteS Sllter hat er 
fo gebaut unb belannt, baß baS (Beten gu bem ©ott in feinem 
Ämtern im ®eiß unb in ber SBafjrheit fchon (£roß unb £>oß* 
nung gemähre, unb baß er feine dußudß finbe in bem ©ebanfen, 
mitten in biefer ßchtbaren SBelt einer unßchtbaren angugehören. 
SBie faß jeber feiner (Briefe baS tief nach Snnen gelehrte coit* 
templatioe Sehen mieberfpiegelt, fo iß unter ben SBriefen faß 
(einer, in bem biefer emße, herbe SRann nicht in rüijrenber 
SBeife feine greube an ber ihm umgebenben frönen Statur 
funbgibt; oor Slflent glüdfetig machte es ihn, menn im grüh : 
Iing bie Serge um ^eibelberg mieber grün mürben; tief innige 
©rquidung bereitete ihm ber ©enuß ber Statur. SSon bem, maS 
fonft braußen in ber SBelt borging, ließ er fid) menig anfechten; 
broßte eS ihm unbequem gu merben, fo lonnte er unfäglich grob 
»erben. StlS baS ben beutßhen Unioerfitäten fo oerhängnißboße 
Sahr 1819 feine ©chatten auch nach §eibetberg marf unb ein 
neuer ©urator feine Snftructionen präfentirte, ba erllärte ©chtoßer 
einem Kollegen: „(Die ©eiehrten ßnb @djufte unb bie Staats* 
leute ßnb auch Schufte; mögen fid) bie ©d)ufte mit einanber 
beißen; meinetmegen mag bie SerlS aße beibe ber Seufcl holen; 
bie SBelt unb Btachroelt oerliert nichts barau. 3<h flehe meinen 
SBeg unb fcheere mich ntn (Riemanb, menn’S an mich tommt, 
miß ich mich mehren.“ 

©ttoaS anberS geftaltete ß<h fein Sehen, als er im oor; 
gerüdten Sllter — in feinem einunbfünfgigften SebenSjahre — ßd) 
oerheirattjete. ®r ifdfloß baS (Bünbniß aus reinßem §ergenS* 
bebürfniß Unb et fanb eine liebeboße, feiner mürbige ©enofßn. 
Schmer hatte bie Oebe unb ©infamleit ber oorrüdenben Sahre 
auf ihm gelaßet unb — „ein Sehen ohne Siebe, eS märe fa 
ärger als ber lob“. @r mußte nun etmaS gef eiliger leben, als 
er gemohnt mar; auch an anberen StbmedjSlungen mürbe baS 
Sehen reicher. 1834 ging er auf längere 3eit mit feiner ©at* 
tin nach (ßatis, mo er ffreunb ©uigot als SRinifter, aber auch 
mit aßen Untugenben eines SRinifterS borfanb. SBieberholt 
würbe bie ©chmeig, auch Italien befugt. — S'inber maren 
feiner ®h e berfagt, aber eS .mar ein erquidlidfeS hatmonifcheS 
gfamilienleben in feinem §aufe, baS ben SRittetpunlt ber heften 
(Hefeßfdjaß in $eibelberg abgab. So gelangte er an bie ©rem 
geit menfchlicher SebenSbauer. 3« bie neuere 3eit — feit 1848 


— lonnte er fid) nicht mehr hineinßnbeu, fie blieb ihm fremb. 
©ang (Deutßhtanb unb bor Slßem Sranlfurt lam ihm in jenen 
fahren „mie ein StarrenhauS“ bor. ©o lange er noch arbeiten 
tonnte, lebte er feiner SBißenfdjaft. SBir mißen unfere flüchtige 
(Darßeßung nicht beßer gu befdjtießen, als burch jene hodjeharaf- 
teriftifchen Sorte, mit benen er im Suni 1860, fedjSgehn 3Ro* 
nate bor feinem lobe, Slbfchieb nahm bon SBelt unb SRenfdjeu, 
ba er fich ber Stufgabe, ein burch unb burch betborbeneS ©e= 
fchlecht gu ermahnen unb baburdj gu berbefietn, nicht mehr ge= 
machfen fanb: „(Diefe gange 3«it unb ihre (Bilbung ift in ben 
leßten Satjren oon uns abgemichen unb mir bon ihr; fo baß 
mir gemißetmaßen aufgehört haben, 3eitgenoffen ber (Begeben* 
heiten gu fein, bie runb um uns borgehen. @8 rnirb baher ge* 
miß fjoißam fein, baß ein ©chriftfteßer, ber fo lange tljätig 
mar, jefet enbiieh bom SBubticum Slbfchieb nehme, gu einer 3eit, 
mo er gong fertig ift, baS Sehen gu berlaßen, unb fein (8er* 
trauen nicht auf ßch felbft ober irgenb einen äRenfdjen, foubern 
auf eine göttliche fitaft fefct, bie früher in ihm mar unb ilju 
auch nicht berlaßen hat.“ — Slm 23. September 1860 ift 

©chloßer faß 85 jährig in $eibelberg geftorben. 

3mmamtel Hofenßein. 


Jltt$ ber ßanptßabt 

Drfltnatifdje ^ttffnfjrttnßcn. 

„Per luftige ^atft.“ 

©djauftnel tn 4 Äufjügnt öon griebrtc$ Spieltagen. 

griebritt Spieltagen tat fi<t but(t bie ©ebeutung (einer erjätlenben 
3)i(ttungen ben 9(n(pni4 auf eine emfttafte ^eaettung eines jeben (einer 
fctriftftellert(cten ßrjeugntffe, tnelttem ©ebicte e3 angetören möge, 
erworben, ©o fonnte eS auct ni<tt fetlen, ba^ bie neuefte bramatif^e 
Arbeit Spieltagen^, „ber luftige Statt" — e$ ift bie britte, bie er übers 
taupt gef ^rieben tat —, fdjon oermöge ber $erfönli<tfeit itreö Serfafferö 
eine befonbere fcbeilnatme finben mürbe. Unb fo ift eö gebeten. ®tan 
merfte e$ bem publicum ber erften SorfteHung förmlict an, eine toie 
fpmpattif^e ©eftnnung eö bem 3)ictter ber „problematifcten Naturen" 
entgegenbraette unb mit melcter ©enugttuung ei bie ©elegenteit Watts 
natm, biefem ©efütle ben unmittelbarften unb beutlictften Sluibrucf im 
Xteater geben au föniten; unb bai Urtteil bei erften Hbenbi ift faft 
immer enbgültig entjeteibenb. Spiettageni „luftiger Statt" tat alfo 
einen (etr guten ©rfolg gehabt, namentlüt naefj bem frifd^en erften ^Icte 
unb nact bem fchau(pielerifeh bantbaren lepten luf^uge. 

S)er §aupftot$ug bei neueften Spieltagen’((ten ©tüdei beruht in 
bem flotten, lebenbigen £on, ber in bem ©anjen t«wfd)t. ®a i(t grot* 
finn unb §eiterfeit, ba i(t man<t guter 8Bip, baneben freilich au<t mancher, 
ber nicht gerabe gut ift; aber burch bai @an$e geht, mie gefagt, ein 8ug 
tarmlofer SBergnügli^teit, bei ber man fich recht motl fühlt. 

skatt weif} (<ton aui ©pieltageni ütomanen, ba$ ber dichter ftch 
auf bie gnbiöibualifirung bei ®ialogi bortrefflict berfteht. $ier im 
®rama tat er, um ber ütebe bei ©injelnen eine befonbere, bem SftbU 
bibuum entfprectenbe Prägung ju geben, mitunter auch etmai einfache 
SKittel angemanbt. ^aju rechne ich bai ftereotppe „jum ©jrempel", — 
bai Seitmotib bei alten $ieneri. SBenn biefer alte Wiener SBeilanb hier 
©orte (priett, (o fommen &mei babon unmeigerlich auf „aum ©yempel". 
5)a§u red^ne ich ferner bie abgehaefte Stebemetfe bei Lieutenante, ber 
unter (etnöber Üftifjachtung aller ©onftruction, unter beftdnbiger ©eg- 
laffung ber $ronomia unb mit fouberftner ©erhtgfctftpung jeglicher 
periobifeter gfigung gerabe (o fprid^t mie ©trubelmip unb $rubelmip; 
ber alfo auch „ldcterbar // fagt, „fabelbar^, „ppramibal" :c. 3)ai bünft 
mich hoch etmai mohlftil; menn ich aud§ gern &ugeben miü, baj ber 
Lieutenant im Uebrigen eine bortrefflict gezeichnete fomifete gigur ift. 
2)a6 biele Lieutenanti in ber $tat jo fprechen mögen, mie Spieltagen 
ben (einigen fprechen läfjt, foll gar nicht beftritten merben; aber ei ift 
hoch zum ©tinbeften fraglich, ob ber ©ütnenbichter motl baran ttut, bie 


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44 


Nr. 3, 


Ute ® 1 8 1 \it m * r t 


fpradßticßen Unarten oßne ©eitereS in bie bramaltfcße Dicßtung hinüber* 
auneßmen. 3ß bocß aucß ber gute Dialog faft nie eine getreue fcopie 
bet Umgangifpracße, mie fte iß, fonbem eine Datßeflung ber Umgangs« 
(brache, mie fie fein fottte. Die au genaue Hacßbilbuitg ber Spracße, mie 
man fte im gemößnlicßen ßebeu ßört, tagt ßcß in ber Dichtung überhaupt 
uidßt burcßgeßenbi beibeßalten. Der Dieter toirb untoittfürlicß ba§u ge« 
trieben, in erußßafteu, midjtigen ©eenen gana anbere Saiten anaufcßlageit, 
in ber ©aßl bei Äuibrudi feßt beßutfam au fein unb nic^t nach bem 
erften beften au greifen, fonbem nnr ben naeß reiflicher Ueberlegung als 
beft befunbenen au gebrauchen. Da macht ei benn beu (Einbrud, als ob 
biefe $erfonen, bie früh** stemlich fotopp unb nacßläjßg fprachen unb 
nun auf einmal bas ©ort mögen, für ihre Sebanfen treffenbe unb geift« 
bolle Silber finben unb auch über bai fcßmungßafte Batßoi berfügen, 
gar nicht mehr biefelben feien mie früher. 3m Uebrigen ift SpielbagenS 
Dialog, toie ich f<h°u gefagt, bon großer grifeße unb SDhmterleit. 

Um bie $anblung unb ben ftufbau biefei neuen Stüdes fcheint eS 
mir etmaS toeniger günßig befteUt au fein. Spielhagen hat ein ßußfpiel 
gefchrieben, er hat mehrere ernßßafte Scenen ßinaugebießtet unb fteß bann 
nach einiger Ueberlegung baau entfchloffen, baS Stüd „Schaufpiel" au 
nennen. Schon biefei Scßmanfeu ^eigt bie Doppelnatur bei Bormurfi. 
(Ei ift eigentlich (ein Schaufpiel, baau finb bie bominirenben $erfonen 
unb bie Situationen au lußig; eS iß aber auch fein eigentliches Sußfptel, 
baau ift ber (Sonßict unb bie eine $erfon, tuelcße Spielhagen in ben 
Dtittelpuntt geßettt hat, au emß. Das hat nichts toeiter auf ftch- $tn 
Segentßeil; gerabe unfere Seit fcheint für biefe Bermifcßuitg ber beiben 
Hrten, für baS mit Schaufpielelementen berfeßte ßußfpiel unb für baS 
bureß ßußfpielftguren belebte Schaufpiel eine befonbere Borliebe au haben, 
ttber ßier liegt bie Sache noch etmaS anberS; nicht bie SKifcßung ber 
beiben DichtungSarten iß bie (Eigentßümlicßfeit bei neuen Spielhagen’fchen 
©erfei, biefe iß oieltnehr bie Sttiefpaitigleit ber ^auptperfon, bie einen 
gana auigefprochenen Scßaufpielcßaralter hat unb babei immer mit ßuß« 
fpielmitteln operirt. 

Der „lußige Sath", ein Sutibeßßer bon Drecßom — luftig ettoa 
toie ber Harr im „Skat*, toie Driboulet in „Le roi s’amuae“, — 

„Et que diraiß-tu donc, si tu me voyais rire“, 

iß ein tief entßer Staun, ift beinahe tragißh. (Er liebt, er entfagt, er beftßt 
bie Seelengröße unb HufopferungSfdßigleii, bie Berbinbung bei bon ihm 
geliebten Stäbchens mit einem Änbern au förbern. Der fcimmel meiß mit 
melchen tiefen Stegungen bei Semütßi. Uber alle bie feelifchen «ffeete, bie 
ihn bemegen müffen, ßnben nur in einer Scene einen berebten Äuibrud. 
Dai iß f<hon an unb für fleh nießt rrlel; man berßeht feinen (Emß nicht 
bottfommen, toeil um ihn herum au biel gelacht nnb gefpaßt mirb. fludß 
ber Ditel bei StüdeS führt irre. Stau meiß mit einem ©orte nicht 
recht, mai man aus biefem $erm bon Drecßom machen foll. Diefer 
(Eßaralter hätte fch&rfer herausgearbeitet merben müffen, felbß auf bie 
Sefaßr ßin, bai Schaufpielelement in bem Stüde bormiegen au laßen. 
So mie uni biefer Drecßom jeßt erfcheint, (innen mir au ihm nicht baö 
bolle Sutrauen haben, meil er felbß nicht recht (Emß au machen fcheint, 
meil er, um au feinem Stele au gelangen, um bie Berbinbung amifchen 
feiner greuubin Brunßilb bon ©eißenburg unb (Emß Bronn ßeraußetten, 
nicht mit feßließten Stitteln mirfen min, fonbem eine echt lußipielartige 
bermidelte Qntrigue anaettelt, unb anßatt bem Suge bei §era«nS au 
folgen, ein Strotegem herauiflügelt, baS einem mahrhaß (Ergriffenen 
niemals bekommen mürbe; meil er, anßatt au überaeugen, au übetiißen 
fucht. ©ir motten einen flüchten, maßten, geraben Stenfcßen feßeu unb 
merben einem Daufenbffinßler gegenüber gefiettt; mir motten feßeu, mie 
er fte Sachen bereinfaeßt, unb ßeße ba, er fueßt ße unb uni nur au 
betmitren. So bringt ßcß ber „ luftige Hatß* bureß bie Unflugßeit feines 
Borgeßeni um bie Sßmpatßie, auf bie fein Streben ftnfprucß hat. 

Diefer (Earbinalfeßler in bem (Eßarafter beS Drägeri ber fcanblung 
reagirt naturgemäß auf bai ganae Stüd. Die $anblung beßeßt ja 
eigentlich nur auS einer Heiße bon Begebenheiten, bie Drecßom mittelbar 
ober unmittelbar ßerbeifüßrt. Stan (ann bie Sefcßidlicßleit bemunbero, 
mit ber Spielßagen feine Spuren ßin unb ßer mirft unb manöbriren 
lüßt Die Baare toecßfeln mie in einer lunßbott geführten $olonaife, 
unb Drecßom füßrt biefe. ©enn A au B gehört, fo gerätß A entfeßieben 
an C, unb menn C au D geßört, fo gerdtß C an ß ic. (ES ergibt ßcß 
baraui ein heiteres Smbroglio; aber bai iß moßl nießt genügenb. So 
geßt ei in bielen ftanaößfcßen Sußfpielen bei 18. SaßrßunbertS ßer, 


naptentlicß in ben 9Rariüaitj’f<ßen tfomöbien (Le jen de l’amour et du 
hatard); aber mir Stobernen ßnben an biefen Douren unb (Eontretoureu 
nicht meßr bai reeßte (Gefallen, unb Spielßagen mar nießt glüdlicß in« 
fpiiirt, ßcß gerabe baS beraltete 3ntriguenlußfpiel aum Stufter au nehmen. 
DaS feenifeße $inunbßer berfcßlingt fo biel Saum, baß für eine traft« 
boue (Entmidlung ber (Eßaraltere nießt genug übrig bleibt. Die £eute 
(ommen nießt aur Huße; unb menn mir eben anfangen, uni für fie au 
interefßren, merben ße fortgefeßidt, um anberen Blaß au madjen. ®ie 
unb ba merfen ße uni moßl ein ßücßtigeö ©ort ßin, baö uni ßußig 
maeßt, baS uni ^eigt, mie ße eigentlich tiefer angelegt ßnb, als ße er- 
feßeinen, unb meßr naeßgebaeßt haben, als mir bermutßen burften. ttber 
ber unaufßaltfame Sauf ber Büßnenßanblung geßattet uni nießt, ber 
Anregung, bie uns bon ber Büßne gegeben mirb, felbßftönbig au folgen; 
bie Seute auf ber Bühne müffen bielmeßr felbß bafür forgen, baß mir 
ße gana berßeßen. (SS genügt uidßt, baß fie uni au berßeßen geben, ße 
müßen uns getabeau überfüßren. Offenbar meiß Spielßagen bon feinen 
$erfoneu biel meßr, als et uns bureß biefe ßat anbertcauen motten, unb 
baS iß feßabe; mir hatten um biefe (Srrungenfdßaft auf bie große Seb« 
ßaftigteit ber feenifeßen Bemegung mittig Beraicßt geleißet. 

Anßatt bei etmai au biel berfpreeßenben Diteli w ber luftige Hatß", 
ßdtte für baS Stüd ein Ditel gemüßlt merben fotten, ber au bie Sußfpiel« 
titel bei hörigen Saßrßunberti antlingt, etma „bie eingebilbeten Scßmierig« 
feiten 4 '; benn alle bie ^inberniffe, bie ßier aufgetßürmt merben, um bai 
Siel, baS auf gerabem ©ege fo leicßt au erreichen iß unb bai, mie jeber 
Sufcßauer meiß, unbebingt erreicht merben mirb, ßnb imaginäre. Bis« 
meilen ßeßt’S in ber $anblung atterbingS gana ^äßer auS; ba geßen 
Berlobungen aurüd, ba merben langjährige Sfreunbfcßaßen gelöß, ba 
merben Borbereitungen au einem Duett getroffen; aber nicht eines biefer 
großen Dinge (ann bem Sufcßauer auch nur auf einen ttugenblid als 
etmaS (SmßßafteS erfeßeinen. tttteö baS mirtt auf uni nur mie etn 
finbUcßer Spaß, unb mir begreifen beößatb aueß nießt, baß emßßafte 
Seute biefe Sachen emßßaft neßmen tönnen. ©ir begreifen ißre Dßrünen 
nießt, ba fte alle Urfacße ßaben au lacßen. Die einaige mirtlicße Scßmierig« 
feit, bie ber Bereinigung ber beiben $aare entgegenßeßen fönnte, bai 
Stanbeiborurtßeil, mirb bon Spielßagen mit leichter $anb befeitigt; attei 
Uebrige aber, maS fte befümmert unb mai bie Bereinigung burd) hier 
Äcte ßinaögert, iß Spielerei, iß ©utßmitte. 

Dai Stüd fanb bureß bai fßerfonal l>ei HeßbenatßeaterS bie liebeni« 
mürbigfte unb frifeßeße Darßettung; namentlich bie Sünßler, melcße bie 
jugenbtießen Hotten barßettten, grau ttlaar«Delia, grdulein Hamm, bie 
$etren Äeppler, Bedmann unb $aad ließen bureß ißre Berne unb Hatftr« 
licßteit alle Boraüge bei heiteren StüdeS in glünaenbßem ßießte erfeßeinen. 
3Ran mertt ei bem Spiele ber ftünßlet am Heßbenatßeater an, mit 
melcßer ßuß unb Siebe fie an ißre Aufgabe herantreten, unb mit melcßem 
rühmlichen (Sßrgeia ße ßd^ bemüßen, bem Dicßter gereeßt au merben. 

paul £inbau. 


bon ber Jtn^kfaifon. 

bon Wnborff. Concette: Wüftt, ^enfc^tL 
Sorte!ung be# Saumann. 

$11« im 3atyte 1871 ber @otbregen Aber »erlin ficb ergob, unb c« 
faft festen, als ob ber liebe (Sott bie bentfi^e Stei^S^aubtftabt na<b feines 
Statb betjanbeln, ieben ißflafterfiein jut Stufter, bie @tra|engoffen gu 
®bantpagnerbä(ben umtoanbetn mottle, ba gab eS nid}t menige Stute, 
roetc^e auch für bie ßunft eine neue gotbene Sera broptjegeiten. ®tr 
»erfaffet bat bamats in biefem mie in anberen »tAttern feine entgegen- 
gefejte Uebergeugung oielfa^ au8geff>ro<ben: ba| bet Qolbregen nicht 
ben mähren ßunflboben befragten, fonbem nur f^nelt uermeßenbe Suju*= 
pftanjen entporichiefeeu machen mürbe, unb bah «ift fchteihtere Beiten 
mieber befferen ßunftgef^mad erjeugen bürften. Unb bie Xhatfachcn 
haben ihm 9ie<bt gegeben. 8u8 jener gtAngenben fßeriobe hat bie Jhtnft 
(eine Crrungenfchaft ju »erjeichnen; bie $ochf(hu(e — menn man fie 
at8 eine Strungenfchaft betrachten mitl — unb bie »efiimmtmg beO 
»aueS ber Kationatgaterie flammen aus früheren Bahren; lein Talent 
in irgtnb metcher Äunfl ift in ben Bahren 1871—78 neu crflanben, ober 
ju befonber» h*h«« Geltung gelangt, leinet ber Sente, mctche jener 


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Nr. 3. 


45 


911e <&t$tnwarl 


Beriobe ipren großen Reieptpum oerbanten, pat ßcp als ein Befcpüßer 
ber Ärntße nnb Sifienfcpaften erwiejen. dagegen finb pente troß beS 
großen UmfcpwungS in ben ©elböerpältnißen bie guten ©oncerte niept 
weniger befuept als bamal«, unb bie Opern bon (Sind, welche pr Seit 
be3 ©rünkrtieblingS, ber Sncca, faft bom Repertoire öerfcpwunben waren, 
jieljen wieber ja^trei^e» publicum naep bem Opernpaufe. Ob bei ber 
Süttung bei ©oncertfaale« bie SRobe, ber ©inßuß ber ©oterie, bie per; 
fönlicpe Beliebtheit unb ©efcpidllcpfeit beS BeranßölterS bebeutenb mit' 
Wirten, ba« ift hier oolltommen gleichgültig; ^at jener ©olbregen 
biefe Rebenein flüfle nicht wegfepwemmen getonnt, fo ift eS fepon beßer, 
baß wenigßenS bie Sueperpßanzen, bie er gebracht, fich nicht nebenbei 
Zur üppigen Sülle entfalten tonnten. Unb fo geben wir uns ber frohen 
Hoffnung hin# baß im 3 ®pw 1877 bie flechten 8 *ten uns reeptoiel 
gute SJtoßf bringen werben. 

3« ben leßten acht Bagen, bom 80. Becember bis pm 6. 3anuar 
(für ben Äunfttalenber bebeuten ße nur fünf, ba ber Sploeßer unb bie 
beiben erften Bage beS 3ahre8 nicht gezäplt werben tdnnen), hoben brei 
iutereffante ©oncerte ßattgefunben. 3oa<him nnb feine Äunftgenoffen 
führten ein Sejtett bon Ruborß bor; baSfelbe ift fepon bor %af)xtn pier 
in einem ©oncerte bon Stodpaufen gefpielt worben, unb trögt mehr ba« 
©epräge hochachtbaren unb liebenSwürbigen Streben«, als eine« fclbft- 
ftönbig entwictelten Schaffen«. 91m felben Aknbe tarn noch Beethoben« 
leßteS Ouartett in F-dur p ©epör; ber etße unb befonber« ber lepte 
Sap ftepen burdjau« nicht auf gleicher $öpe mit bem pimmlifepen Abagio 
unb bem ganz mertwürbigen, al« Unicum p begeiepnenben Scperp. Bie 
Ausführung war in allen Bpeilen gleich ^errltdh, wie auch in bem uitbe« 
fcpretblicp liebenSwftrbigen D-äur Quintett RtopriS. 

Am 5. 3anuar Oeranßaltete $err Rüfer ein ©oncert, worin er mit 
Ausnahme eine# Siebe« bon Schubert nur eigene ©ompoßtionen bor= 
führte: eine ©oncertouoertüce, eine Sqmpponie, mehrere Sieber unb 
©laoierßüde. So fchwiedg unb gewagt ein folcheS Unternehmen bom 
peautiären Stanbpunfte bem publicum gegenüber fein mag, baS fich ki 
neuen nnbefannten ©ompoßtionen immer prüdpaltenb unb abmartenb 
berhölt, fo allein richtig ift eS bom tünßlerifcpen Stanbpunfte aus be= 
trautet; benn nur, wenn ber ©omponift fich in feiner ganzen Sirfjam« 
teit zeigt, tann man ein enbgültigeS Urtpetl fällen. $ert Rüfer iß ein 
Btonn bon bebeutenber Begabung. 3n feiner $anb allein liegt eS, biefe 
Begabung p bebeutenben Seißungen p bermenben, aber zu biefem 
Bwecfe muß er ßch einer Art bon Selbfttur unterziehen, unb einen, 
bielleicht fcpmerzliepen Schnitt in baS eigene gleifcp nicht fcheuen. ©r 
leibet an ber mußtaliiepen §ßpocponbrle, bie ja nicht berwechfelt werben 
barf mit heftiger Seiknfcpoftlicpteit; biefe wählt ßch beßimmte AuSbrudS- 
formen unb fpricht ßch ganz beutlich aus, jene fuept unb wühlt, um baS 
Unnennbare, ben eigenen Schmerz einigermaßen zu erflären, unb bleibt 
oft unberßänblich. Biefe ^erfprengt bie gfeffclw, jene pebt ße flagenb 
empor. 3u biefer ßeht Beethoben unerreicht, unerreichbar ba mit feinen 
großartigen, feparf rpßtptnifcpen Bpemen, in jener ließ ftep ber eble 
Scpnmann manchmal zu ben büßet grübelnben Säpen berleiten, bie ben 
3npbrer weit weg führen bon ber Stimmung, welche jebeS wahre ftunft« 
toerf, unb fei ber ©egenßanb ober ber 3 uha!t noch fo traurig, ihm 
eigentlich geben muß: bom Bergeffen beS Bagei bom ©efüple ber 
momentanen Befreiung aus ben (leinen SRtfären burep bie Äunft. Bie 
Concertoubertüre D-moU beS $errn Rüfer ift bon einer fo bezweifelt 
baßeren Stimmung, baß er, um biefer AuSbrud zu berleipen, zu ben 
»eiteß greifenben SRitteln ber 3 nßrumentation Bußucpt nehmen mußte, 
bte bei fo bielfältiger Berwenbung eher SRonotonie erzeugen, als bie 
einheitliche BorßeÜung eines KunftwerfS. Baß er im Stanbe iß, ganz 
anbere Stimmungen mit bielem ©lüde tonlicp wieberzugeben, pat er 
bolltommen bewiefen in feinen ©laoierßüden unb im erßen Sape ber 
Sgmpponte. 3 *ue ßnb jo anmutpig, fo frei, fo peiter unb fo ge= 
fchidt gemacht, baß man ßcp unwittfürlicp fragt, warum ber ©omponiß 
ßdß niept borzugsweife biefer Ricptung Wibmet, in ber fo wenig Verbot* 
ragenkt geleißet wirb. Unb ber erße Sap ber Spmpponie iß fo energifcp, 
enthalt ein fo freunblicpeS Rcbentpema, unb bringt bei aller Ueber« 
labnng an 3 nß?umentation boep einen fo bepaglicpen ©inbrud perbor, baß 
man bie Befähigung zu fepönen Seißungen auch auf bem ©ebiete größerer 
3nflrumeutalwerle fofort erfennt. Schwächer als biefer erße Sap ift baS 
Scherzo, boep zeigt eS noch Srifcpe unb lebpaßen RhhtpmuS; baS Abagio 
nnb Siuale aber finb auch km freunblicpßen Sillen niept annehmbar. 
3fn kn erßereren z« 0 t baS Bpema eine fepr bebenflicpe Aepulicpteit mit 


ben Seber*Sagner’fcpen melobifcpen nnb parmonifepen Senbmtgett, nnb 
bie ©ntwidlung iß bon nngemeffener Sänge, opne baß ber 3upatt ein 
berartigeS Bepnen im Bttnbeßen rechtfertigte. BaS fjinale fängt mit 
einem ztoar uiept eigentpürnlicpen, aber marfigen Bpema in fforte an 
unb bleibt in Sorte unb ^ortifßmo bis zum fepr weit pinanSgefcpobenen 
©nk. 34 wieber pole, $err Rüfer ift ein Wann bon bebeutenber Be= 
gabung, aber er muß mit ßcp noep biel zu Ratpe gepen. ©r muß feinen 
formen eine fnappere gorm geben, nnb auch bem inßrumentalen ©olorite 
größere Aufmerffamfeit zuwenben. ©r läßt manchmal bie Biolinen unb 
bie Brompeten in ben pöcpßen Sagen zu gleicher Seit in einer Seife 
zufammen tönen, baß bie ftlangmirtung eine recht unangenehme wirb, 
©r gibt manchmal ben ßärtßen BlaSinßrumenten in iprer träftigßen 
Wittellage baS boUfte Uebecgewicpt bor kn anberen 3nßrumenten; ba« 
mag einmal whl^n, aber bei jekr Sieberfepr entfernt ßcp ber ©ffect 
immer mehr bom gefuchten 8 ****- Bor Allem muß $err Rüfer fein 
Balent kr mußtalißpen ^ppoeponbrie entreißen; up tomme auf biefen 
$untt aus bem wichtigen ©runk zurüd, weil feine Dnbertüre ein 
jpätereS Sert iß als bie Spmpponie unb bie ©labierßüde, in welchen 
ßcp boep noep ein peitereS Bonweben tunbgibt, weil alfo gerabe bie neuere 
©ompoßtton bie bebentlicpßen Spmptome jenes kr ^unß gefäprlicpßeit 
UebelS pitf. Berpältniße unb berfepiebenarüge Secpfelwirtungen ßnb 
leiber nur zu oß bie zwingenben Regler auch beS tünßlerifcpen SebäiS, 
unb baS Wert eines ^ünßlerS iß manchmal nur ein Barometer kr bou 
außen per beftimmten Stimmungen; aber ber Bebentenkre wirb ßcp 
gegen folcpe äußere ©inflüffe auf fein Scpaßen Wepren unb fpäter ober 
früper babon befreien; kr Unbebeutenk gept barin unter, ober er ßrebt 
niept mepr unb |ucpt ßcp zureept zu ßnben. Babei tann er eS reept weit 
bringen, benn manepe Seute, welepe eigentlich gar niept ber fiöpe zu> 
ßreben, ßnben öfter« Rebenpfak, auf benen ße bequem bapin gelangen, 
wäprenb ein Anberer, ber kn geraben ßeilen Seg gewäplt pat, mftpfam 
leuept nnb fpät unb mübe antommt, wenn bie fßläfce im SirtpSpaufe 
fepon befefet ßnb. ©S gibt zniept heutzutage im äunßleben überhaupt 
fein ©efep außer km, welepe« ber ^ünßler ßcp felbß zu geben oermag, 
mit bem Bewußtfein ber Bßicpten unb Recpte unb kr Berautwortlicpteit. 

Bie fogenannte Raioetät iß niept blo« im Scpaßen gefepmunben, 
auep in ben SebenSanfcpanungen. ©S gibt wopl feinen Jtünßler, ber ßcp 
eine 8 *ü lang in ber gebilbeten ©efeflfepaft bewegt pat, unb wenn er 
naepbenten will, im 8 weifel fein tönnte, wa« er Oon ipr erwarten barf, 
Was er oon ßcp erwarten muß. AÜerbingS gibt eS felbß poepbebentenbe 
äünßter, bie oor folcpcm Racpknteu, nnb oor kn Scplüfjen, zu knen 
eS füprt, unb Oor kn ©ntßhlüßen, bie es oerlangt, Scpeu tragen, bie 
ben Siberfpruch zwißhen km angenehmen momentanen ©rfolge im Salon 
unb bem Streben in ber eigenen Bntß lieber tragen als ihn aufgeben, 
um ßch z u fammeln unb zu coneeniriren. Sir hoben ein bebeutfame« 
Beifpiel an Rubinßein, ber als außerorbentlicper ©laoierfpieler an kn 
unmittelbaren ©nthußaSmu« beS BublienmS gewöhnt, als ©omponiß nicht 
bie Selbßtritit auSzuüben oermag, um über feine Seid# unb über beren 
getheilen ©rfolg zur Klarheit zu gelangen; er müßte bei biefer Selbft* 
tritit ein glänzenbe« gelb unmittelbarer nnb leidjter Siege Oerlaffen, 
um auf einem, beßen grüepte langfam fprießen, mühfam zu arbeiten. 
Unb wenn man ßeht, wie felbß hochbebeutenbe Künßler folcpe Beweife 
beS gänzlichen Wangels an Selbßtritit geben, ja, wie er felbß bei 
Künßlem ßcp zeigt, knen ein oollfommeneS gempalten oom Streben 
naep momentanem ©rfolge zugefianben werben muß, fo gelangt man zu 
ber Ueberzeugung, baß jene innere ©efeßgebung, jene Selbßtritit, ein 
angeborener integrirenber Bpeil ber ganzen tünßlerifcpen Organifation iß, 
bie oieüeicpt entwidelt ober oemacpläfßgt, aber niept erworben werben 
tann. Bie Srage, bie kn Berfaßer fepon feit langer 8 eit befepäftigt, 
tann pier niept weiter erörtert werkn, weil ße kr ©egenßanb grünk 
lieper unb wißenfepaßlieper, weiten Raum beanfpruepenber ©rfiärungen 
fein muß. Ber Berfaßer wirb einmal ba« Refultat feiner Stnbien bar« 
legen; peute muß er zum BageSmerte zurüdlepren, zum Berichte über 
©oncerte. 

^err ^enfcpel pat ein „Sieberconcert^ gegeben, worin er fiep 
entfliehen als ber beße Künftler feine« SocpeS feit Stodpaufen geigte. 
Bejipt er auep niept beßen unoergleicplicpe Scpnle, bie ©elänßgfeit nnb 
ooütommene ©leieppeit kr Regißer, fo wirb er boep burep feine fpm« 
patpifepe Stimme unb burep feinen Bortrag überall ßeperen unb oer« 
bienten ©rfolg erringen, gür ben Berfaßer, km bie Siener BrabUion 
ber Scpubert’fcpen Sieber noep erinnerlich iß, war kr Bortrag k« 


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46 


Nr. 3. 


3) 1 1 <6t$tnwaxL 


,,®trth*h«»*" bet ^ö^e^ranft bet Seißung in bet „®interreife". „Bie | 
Ätäh*" war %n langfam, ba# fcßeue Umhetßaitent bei UnglüdSbogelS, 
bag in bet Begleitung fo wunberbar tonlicß wiebetgegeben iß, laut nicht 
jur Bettung, auch tonnte bie fürchterliche Seibenfcßaftlicßteit ber testen 
®orte bei bent Bempo nicht gum boßen ÄuSbrucße gelangen. Ben 
größten (Erfolg hat $ett ftenfcßel mit ber Baßabe „Ärcßibalb BouglaS'' | 
non Söwe gefnnben. | 

Bei aßet Ächtung oor bet tytyn Bebeutung SöweS, ber ja biefe j 
Battung eigentlich erft gum fhmffcwcrfe cntoicfett hat, tonn ich nicht umhin, | 
fotihe weit auögefponnene ©efaugßüde für ein Blittelbing gwißhen bra* 
niatijeher nnb Iprifcßer Blußl zu erflären, »eiche nach leinet Dichtung , 
hin ein entfcßiebeneS Sepräge geigen. BaS „fcocßgeitlieb" bon Boethe 
(„®ir fingen unb fagen bom Brafen fo gern"), in welchem ber Bhtßl 
butch bie gwergenßoehzeit bet weiteße Spielraum für phantaftifche Be' 
bitbe geöffnet war, bie tounbetfehönen Baßabe „föntg Heinrich ber 
ginller", in toelcher Söwe ben behaglichen unb gemütlichen Bon beS 
©ebicßteS getroffen hat, bieten unübertroffene Blufter ihrer Battnng. 
Äber biefet „Ärcßibalb BouglaS", ben ber Berfafier fchon zu öfteren 
Skalen gehört ßot, ift hoch nur eine berboßlommnete Nachahmung ber 
Schubert’fcßen OffianSgefänge, bie gerabe auch nicht zu bei unfterblichen 
(unb nach ber BerfafierS Befühlen unerreichbaren) Sieberionbicßterö beften 
®erlen gehören. Bag bie Söwe’fcße Baßabe bem Sänger Belegen heit 
bietet, auf beftem unb lünftlerifchem SBege (Effect zu machen, barf nicht 
beftritten »erben; ber ftürmifche Beifafl, ber bem ausgezeichneten Bortrage 
beS #tn. §enf<het folgte, gab ja ben beften Beweis für jene feßr fcßäpenS* 
werthe (Sigeufcßaft bet (Eompoßtion. Ber Äünftler fang noch einige 
reigenbe Sieber oon Schumann; bann ein neues bon BrahmS („Blanus 
fetipt') „Älte Siebe". Ber Berfaffer tonn beim beften Söißen auch w 
biefer (Eompoßtion nicht einen gortfeßritt in bem SBirlen beS genialen 
BleißerS eilennen, felbft nicht ein Stehenbleiben auf bet §öße, »eiche 
fo biete anbere feiner ®erle einnehmen. Bagegen ging ihm bas $erg 
»ieber recht anf in greube, als bie erften Böne ber BrahmS’fchen 
Ntagelone*Sefänge erflangen: „Siebe tom aus fernen Sanben" unb „®te 
foß ich bie greube, bie ®onne benn tragen". Sa, auch biefe Sieber ftnb 
gelommen „aus fernen Sanben" ebelfter unb reinfter Nomantil, uns 
mittelbarer (Empfinbung, bie auch ben richtigen, unmittelbar »irlenben 
ÄuSbrud finbet! Ber Bieter in Bönen, bem bie Biuje biefe Sieber 
eingegeben hat, bet »irb fieß aus bet ootübetgehenben Stimmung bumpfen, 
unllaren, grübetnben Selbftbefchanenö halb »ieber emporf<h»ingen zu ben 
lichten $ößen reinen fhmftfcßaffenS; unb bann »irb er, ber reine ftfinßlet, 
am erften lachen über bie fchtteifmebelnben Selben, bie gar zu gtnt mit* 
beleuchtet werben bon bem eleftrifchen Sichte beS berühmten BlanneS, in 
bem auch ferne liegenbe unbebeutenbe Begenftänbe glängenb erfcheinen, 
unb bie nun jebeS borhanbene unb gulünftige ®erl freubewinfelnb be* 
grüßen. 

Ueber baS (Eoncert beS rufßfcßen ^ianobirtuofen $etrn b. Sch löget 
bom 9. Sanuar unb über bie Seiftnng bon (Elara Schumanu, welche am 
Äbenbe barauf BeethobenS G-dur (Eoncert im Bachbereine bortrug, »irb 
ein eigener Ärtilel „Bom ßlabierfpieten" fprechen. §iet an biefem Orte 
ift nur bon bet (Eompoßtion beS $errn Bargiet, ber 13. Bfatrn für (Spor 
unb Orcßeßer zu berichten, welche er an jenem Äbenbe zu Behör brachte. 
Sie gehört in bie Nubtil ber (Eompoßtionen, auf welche bie gangbaren 
(Epitheta „ßimmungSboß", „ebel empfunben" u. f. ». cmgewÄtbet werben, j 
b. h- fit berbinbet gute Äcbeit mit anftänbiger Nicßtung, ohne irgend 
welche h^borragenbe (Stgenthümlicßleit. Bet erfte Bheil ift »enigftenS j 
intereffant, aber bie Scßlußcßöte bewegen fich hoch etwas zu fehr in ge* ! 
ntüthlich'banalen Bh r °fen. 

Bet Berfaffer hat fcßließlicß ber interreffanten Botlefung beS §rn. 
Brof. Dr. (Emil Naumann im wiffenfcßaftlidjpn Bereine (Singatobemie) 

ZU gebenlen über „bie guhmftSmnßf unb bie Blußl ber galunft". Ber | 
gelehrte nnb competente Btußlforfcßer unb Scßriftfteßer hat bie Steßung 
ber Parteien gelennzeichnet, unb bie gtage: »eiche Blußl wohl ber gu* 
lunft gehören »irb, beleuchtet. (SS ging hierbei bon bem Srmrbfape aus, 
baß bie jepige Blußlprobuction nur als ein (Spigonentßum betrachtet »erben 
tonn. Baß in einem folgen Bortrage, ber nicht länger als eine Stunbe ; 
bauern barf, nicht biel bem gaeßntanne Neues gefagt werben tonn, liegt i 
in ber Sache felbß; ein Bortrag übet eyacte BHffenfchaft tonn ftch auf 
einen fßunft concentriten, ein Bortrag über eine BageSsfcunftfrage muß 
nothwenbigerweife nach berfdjiebenen Nichtungen abfehweifen. Brof. Naus ! 
mann iß ganz bagu berufen, folche Äbfchweifungen zu unternehmen, benn • 


er ift biel bewanbert in ben berfchiebenften ftunßfächeru unb weiß hoch 
immer ganz genau zu bemeffen, »aS zur eigentlichen Srrage gehört, ißt 
angepaßt »erben tonn, unb »aS gleichgültig ift unb bleiben foß. Br 
iß lein greunb bet gulünftler; aber er hut auch ^en freien BUd ges 
wahrt, um baS Boteries unb Barteiwefen auf anbeter Seite nicht zu ber? 
lennen, unb er ßut ben Ntuth gezeigt, feine offene SNeinung offen bon 
ber Bribüne herab zu befennen; folch ein Ntuth iß nicht genug zu preifen, 
wenn man bebenft, »eich eine Steßung ber geehrte Nebtter einnimmt, 
unb »eichen Binßuß bie anbere Buttei zu erringen berßanb. ®S iß 
Bßicht eines jeben unabhängigen SftanneS, feine Ueberzeugung auSzu= 
fprechen, ohne ftch etwa ber 3ßupon hiujugeben, baß fein greimuth ciue 
unmittelbare heüfame SBirlung erziele. Bie ^frommen im Sanbe bets 
flehen tS, ben gugang gum richtigen £>b*e Ö^uuu befept zu halten. 

(Ehrlich. 


'gCotiiett. 


Bie SBahlen zum NeichStage, welche bie lepte ®h con ^ °uf bie 
erften unbeftimmten Nachrichten hiu nur ganz Äßgemeinen berücf= 
fichtigen tonnte, hatten gegen ben Schluß ber bongen SBoche burch bie 
Ueberrafchung ber gfortfehrittspartei fo»ie bie Brfolge bet Socialiften ein 
bramatifcheS gntereffe erlangt. (Einige Socialbemotraten im NeichStage 
mögen als SBarnung unb gelegentliches Biene Betet ihr ButeS hüben. 
Äbet eine größere galjl möchten wir lieber entbehren. Ber berewigte 
Heinrich bon Ämim pßegte bon ben Nabicalen zu fagen, er hübe ben 
rothen Borhang in ben Kammern ganz g ern / über wenn fie baS ganze 
Sicht wegnehmen »oßten, fo wären geeignete Borlehtungen ber Äbweht 
ZU treßen. Bie (Einigleit ber liberalen Burteüu iß ohne jeben gmeifet 
baS »irlfamfte Büttel ber Bertheibigung gegen biefen gemeinfamen Begner, 
unb bie Nothwenbigleit berfelben würbe benn auch burch bie lepten ®ahlen 
mit Bonnerftimme geprebigt. Unbelümmert um einzelne berfpätete ®«h« 
rufe in einigen Blättern, bie ß<h nun einmal in ben gant mit ben 
Nationalliberalen feftgebiffen hotten, ßnb benn auch Phon für bie Sticßs 
wählen bie beiben Swctionen mehrfach wieber gegen bie Socialißen bereint 
unb gewiß mit (Erfolg borgegangen. Blan möchte baS als ein gutes 
Omen für ben weiteren Berlauf begrüßen. Benn Sieben ernährt auch 
in ber Bolitit, wäßrenb Unftieben einem augenblicftichen Belüfte teuto« 
nifcher Streitfucht behagen mag, fcßließlich abet bie Berbauung ftört. 
Senn ftch 5»ei braüe Seute, bie auf einanber angewiefen, in ben paaren 
liegen, freut ftch betonntlicp nach bem lateinißhen Sprichwort ber Britte. 
$ier finb aber zum »enigßen z»ei Britte, bie bunlelrothen guten fjreunbe 
auf bet einen Seite unb bie feßwer beßnirbaren Ultras auf ber anberen. 
Septere fmb feit einiger geit äußerlich Z a h m geworben, lauern abet auf 
jeben Bortheil unb münfehen im Brunb ihres frommen ^ergenS bem 
SiberaliSmuS im Baufdj unb Bogen wie »eilanb (Ealigula ben Nömem 
nicht einen &opf, fonbern nach bet richtigeren SeSart neuerer Sorfcßer 
einen $alö, man weiß feßon warum. Sfcieben unb S^eunbfcßaft ber 
liberalen Barteien in ben möglichen Brengen unb unbefeßabet beS beiber« 
feitigen B?ogrammS ßnb baßer unter aßen Umßänben empfehlenSwertß. 
Äu^ im Orient würbe ber ffrieg ßcßerlich beßer oermieben, wenn auch 
babureß Benjenigen eine (Enttäufdjung erwaeßfen foßte, bie anf ben £rieg 
baßtnten, ber ißnen ja in ben geitungSbüreauS lein $aar früntmen 
würbe, fpeculirt hotten. Ob einige z*h«toufenb Blenfcßen, Nnßen unb 
Bürlen bureßeinanber, habet zufammengefcßoffen werben, tßut ben patße^ 
tifeßen Seitartileln unb entfpreeßenben BntreßletS leinen Äbbrucß. Ber 
^rieg ßot oßneßin lange genug auf ßcß warten laßen, unb es wäre enblicß 
geit, baß eS toSginge. Bie gwifeßenpaufe würbe mit biplomatifcßem Be= 
plänlel auSgefüßt, wobei aueß bie Brßnbung eines conftantinopolitanif^en 
NeporterS, bet $ho!il Bofcßa gum Botfcßafter in Berlin befignirte, jeine 
Noße gefpielt ßot. Bet atme Biplomat gerietß babureß in baS Berliner 
geitungSgetriebe, unb et würbe, wie eS ßcß gebührt, in ber burch ißre 
Baftfreunblicßfeit berühmten B^ff« gergauft. Sn Baris, BeterSburg unb 
®ien, wo ^hoül Bofd^a früher Botfcßafter War, war «S ißm beßer er* 
gangen. Blan amüßvte ßcß mit feinem abfonbetlicßen Sreimutß, ließ 
ißn inbeßen großftäbtifcß gewähren. (Sr fagte ben $ofbamen Binge, 
welcße fie mit bem gäcßer abweßrten, im Uebrigen aber wenigßenS in 
Baris nießt ungern bernomnten hoben foßen. Bon ®ien aus mußte er 


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Nr. 3. 


Hit <8>egfit*mrt. 


47 


fti$ einmal uSfjtcnb beS XEHnterS p bem (Strafen ttnbiaffb na<$ 
begeben. (Er ipat e$ in ungemöpntidfjer Seglethtug, unb al« man ipn 
barüber fiperaenb $ur Rebe [teilte, meinte er, cS märe für baS Allein* 
reifen $u fatt gemefen. Am meipen fiberrafept mar einmal burdj bie 
Offenperaigfeit Jtpalil SßafcpaS eine bielgenannte rufpfdje Gräfin in Peters¬ 
burg, bie ipn bei ber erpen Begegnung naeppeptig fragte, ob er pep in 
baS Satonteben ber rufpfepen ©auptftabt fdjon etmaS eingelebt pabe, ob 
ipn ber ©egenfap &u ben türlifepen ©emopnpeiten niept freinbartig an- 
rautpe? fipalil Saf<po {Rüttelte leije ben Äopf unb ermieberte läcpelnb: 
Ridpt boep, mir pnb bei und ebenfalls noep fepr jurüdf. Ober mörtlicp: 
Oh non, Madame, nons anssi, neue soxnmes encore fort arridräs! 
SRan benfe pdp einen folgen ungebnnbenen ©efeüfcpafter in ben beutfdjen 
gemeffenen Greifen. ©ier aüerbingS märe ber türfifepe Sotfdjafter burep 
bie einigermaßen unfteimiHige Abgefcploffenpeit ber btploraatifcpen SBclt 
oor jebem foäalen (Eonßict bon oontperetu gefepüpt morben. Aber es 
iß boep beffer, baß er jeber Serfucpung, baS fepmierige ©erraht in Berlin 
ju erproben, entgangen iß. gaunerptn mar bie Art unb SBeife, mie baS 
falfcpe ©erüept feiner Seaeupnnng eine gütle maliiiöfer Semerfungeu 
auf Äoßen beS früheren SotfcpafterS, ber parmloS in Stambnl [parieren 
ging, in einer Reipe bon Slättern entßepen liefe, bon eparafteriftifepem 
Sntereffe. ^Birflicfee (Eanbibaten für folcpe Stellungen merben ßd) fünftig 
gegen bergleicpen (anbeSüblicpe Attafen abpärten muffen, falls fle niept 
etma mie Reinede, ber attetbingS rnepr burep btylomatifcpe Talente als 
bnrep perfönlicben SRutp geglanzt paben foH, mit einer pößtepen Ser= 
Beugung unb bem befannten: Vestigia terrent! bie ipnen augebaepte 
(Epre abtepnen füllten. 


SReine SRiifion bei PiuS IX. unb Rapoleon III., 1869 — 1864 . 

(Enthüllungen über bie römifepe unb franaößfcpe (Eanwritta bon 

Sophie bon Raucpeuegger geb. be Sp&t. (Etberfelb 1877, Bott. 

SBer ift grau Sophie bon Raudjenegger geb. be Spfct? SSBir miffen 
e* nicht. ©et Riäbcpenname Hingt belgifcp, ber gtauenname obetöß: 
reiepifdp. 3m Perlaufe ber (Erzählung finben mir bie Semerfung, bie 
Serfafferiit fei aus Papern. SB« paben baher bei baprtfepen Politifem 
(Erfunbignng einge&ogen. Allein Riemanb fennt eine ©arne biefeS RantenS. 
©ies iß etma* bebettflicp bei „(Enthüllungen", melcpen meber ©ocu* 
mente nodp fonßige PemeiSmittel beigefügt finb. ©enn unter biefen 
Umßänben fommt eS boep fepr auf ben „(Enthüllet" an. Alle „(En t= 
hüder', ber Perfaffer bon „Un poco piü di luce“, ber Autor bon „Pro 
nihilo 4, (ober fagen mir lieber, ber präfumtibe Autor), ber Perfaffer bon 
„Ma miBsion en Prasse“, führen bebmnte Romen. ©aS bringt ooS 
©toter fo mit fiep. Schon uufere alten Proceffualißen [teilten ben Sap 
auf, ein 3emanb, metdpen Riemanb fennt, — ein „homo plene ignotus“ 

— pabe als Beuge feine bolle PemeiSfraß. gnbeffen mtrb man auf ber 
anbern Seite behaupten, eS fomme meniger auf ben Sutor, als auf ben 
gnpalt beS PucpS an. SBir taffen baS, mit einiger (Einfd&ränfung, gelten, 
unb haben baper baS Pud) auf feinen inneren SBertp geprüft. Pie $öf* 
licpfeit, melcpe felbß bie Sfritif ben tarnen Wnlbet, berbietet uns, baS, 
ma* grau bon Raucpenegger über ihren Stufentpalt in Rom unb iu 
Pari*, über ipre Pe^iepungen ju pio Rono unb ju Rapoleon bem 
dritten, über ipre Permittelung amifepen Peiben unb über baS 3«trtguem 
f^iel ber Prießer, ber grauen nnb ber fonßigen Politifer unb ©ofleute 
in ben Xuilerien unb im Patican eraäplt, für (Erßnbungen unb 2luß 
fipneibereien §n erflären. Ruf ber anbern Seite aber fönnen mir niept 
tkrpeplen, baß eS un* fepr fepmer mirb, biefen „(Enthüllungen^ ©tauben 
an fepenfen. Rid^t etma beSpalb, meil mir bie tarnen unb Herren, melcpe 
bamalS in bem Patican unb in ben Xuiterien ipr SBefen unb Unmefen 
trieben, für beffer palten, als fie bie Perfafferin fcpilbert, ober meil mir 
e&ra niept glaubten, baß ße unter bem 5)edhnantel ber Religion fepr 
tierroerßiepe ober menigßenS fepr meltlicpe B^dPe oerfotgten, unb baß 
fii, trop aller frommen RebenSarten, einanber in Jöüge unb ©aß über-- 
boten. Pber tropbem fönnen mir niept glauben, baß biefe $inge fo, 
mfe.grau oon Rautpenegger uns eraäplt, ßcp abgefpielt haben, ©aß 
j. P. biefe ©ame, bie überall ipre antiiefuitifepen, reformluftigen gbeen, I 
meldpe gteiepfam ben SHtfotpoliciSmuö anticipiren, auf baS RücfßcptS^ | 
li^rße gur Scp'au trägt, bennoep a u QtHdper geil bie Pertraute beS j 
pftn^inal»Staat*fecretärS tlntonelli, be* gefnitengeueral* $ater Ped£ 
igtb einer Reihe [onßiger (Earbinäle unb fßräfaten iß, unb bon $io Rono 1 


in ben micpttgßen Angelegenheiten gteiepfam al* außerorbentlicpe Pot- 
fepafterin benupt mirb, überall offene ©hören unb oertrautiepe 9Rit= 
tpeitungen fhtbet, baß ipr jebeS SJätgtieb be* ©roßen ©eneralßabs ber 
ßreitenben tirdpe fein ©era ouSfcpüttet, unb fie augleicp marnt oor ben 
Anbern, melcpen es alle erbentlidpen Scptecptigfeiten naepfagt, unb anbere 
nodp Diel ungeheuerlichere ©inge, — ba* miH unfetm profanen Perßanbe 
niept einteuepten; benn mir paben bis [ept noep feine Petege bafür, baß 
bie gefuiten unb ipre ©enoffen mirfliep fo bumm ßnb, mie man bieS 
bei einer fotepen ©anbtungSmeife oon ipnen oorauSfepen müßte, geben: 
faüs, menn bie Perfafferin äpnlicpe ©inge, mie fte eraäplt, erlebt pat, 
fo täufept pe ipre Auffaffung ober ipr ©ebädptntß. ©eneigt, ßep felbß 
eine große Pebeutung besiegen unb pep gteiepfam für ben ÜRittetpunft 
ber SBelt au patten, pept pe bie ©inge in einer falfcpen Pelencptung. 

! Unb menn mir auep Alles mit möglicpßer Praesumtio Boni beurtpeilen 
! unb uns mit äußerfter ©öfltcpfeit auSbrüdfen motten, fo muffen mir boep 
i barauf beftepen, es ift unmöglich, baß eine ©ame oon biefer naioen Un: 
fenntniß fircplicper unb geißtieper, inSbefonbere römifcp:pierarcpif^er 
3nterna, unb oon fo „feperifepen" Anffcpten in Rom eine fotepe Rotte 
gefpielt pat. 

Um eS fura au fagen: Rtan nimmt bie* Pucp mit Reugierbe 
in bie ©anb unb legt eS meg mit arger (Enttäufcpung. 

Por biefer ©äufepung motten mir unfere Befer burep obige Seiten 
bemapren. Karl Braun. 

* 

* * 

(Ein neues itaüenifcpeS SBocpenblatt in SRailanb, „La vita nuova“, 
bringt in Rr. 24 baS ©ebiept an ßleiß oon unferm SRUarbeiter ®. o. 
SBilbenbrucp (10. Pb. ber „©egenmart" S. 228), überfept oon ßnigi 
be SRarcpi. 

* 

* * 

©er „fünfte gaprgang" beS AlmanacpS ber ©enoffenf^aft 
beutfeper Püpnenangepöriger oon ©rnft ©ettfe liegt un* oor. 
©aS Pncp iß natürlicp in erfter Binie für ben Scpaufpieler beftimmt, 
aber es oerbiente, auep in meiteren Greifen Perbreitung au pnben, bie 
pep für bie Pemegung auf bem ©ebiete ber ©ebung beS StanbeS in 
lünfilettfeper unb materieller ©eaiepung interefpren. ©er literatifepe ©^cit 
iß 161 Seiten ßarf unb bringt eine oerbienftootte (Epronif oon gofepp 
ftürfepner, bie Alles entpätt, maS im Oerßoffenen gapre im Püpnenteben 
oon Pebeutung mar, Subiläen, ©obeSfälle, ©peaterbränbe. 

©er Pericpt ©. ©ettfeS „Aus ber ©enoffenfepaft^ legt bie günftigen 
Refultate bar, mir münfepen peralicp, baß ber „erften SRittion" pdp reept 
halb eine a^eite anreipe, bann mirb eS bem Seteine leiepter merben, 
feine pumanen a u oerfolgen. 

An btefen Pericpt fcpließt pep eine Sfiaaß über ben ©amburger 
Paaar, ber bie Aufopferung Dr. Ärüdfl* in Oerbienter SBeife betont, 
unb noep einige anbere Auffäpe, unb fcpließlicp ba* alppabetifcpe Ser: 
aeiepniß ber Püpnenangepörigem 

* 

* * 

©fellsgelS’ Unter^gtatien unb Sicilien ift eben in 2. AufL aus« 
gegeben morben. (2 Pbe. Beipjig, Sibtiograppifcpe* gnßitut.) SBir 
paben bereits meprmat* auf ba* ooraügtiepe Reifepanbbncp aufmetffant 
gemaept unb empfehlen es mieber als einen ber beften güprer auf baS 
SBärmpe. 


tSerfaptigung. 

3n bem Auffap „RaU:©agnetS Sdhrbudh'' oon A. Samter* pat fidp 
ein ©rudfepter eingefcplicpen, ben mir a* corrigiren bitten. Seite 3, 
Sp. 2, 3. io o. n. pdtt „muß nie gänalicp anfgegeben merb^t" fott es 
peißen: „muß nun gänalicp k." 


Alle auf ben 3npa!t biefer S^tfdptift beaüglicpen ©oßfenbungen ßnb 
au riepten: 

An bie Uebortton bee „Gtgtmmt“. 

Sertin, SW., BinbenPraße lia 


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48 


• \t Gegenwart 


Nr. 3. 


$ n f e r <t t e. 

(Ein 3 imntalifh 

wiffenfdjaftltd) gebilbet, bcr ftd) praftifdj bewährt 
bat, furfjt fo balb aU mögltd) eine ©teile al3 
mebacteur be3 freuilletonS einer liberalen XageS* 
Zeitung ober eine« bellelriftifcben 2Bod)enblatte$. 
©cfte gcugniffe unb wenn nöt^ig groben ($ri* 
tifett, Feuilletons, Lobelien ic.) fielen jur ©er* 
fügung. — Abreffen erbeten unter L. G. 77. 
(Espebttio n bet (Gegenwart, £ouijenftr. 32. 

Verlag von Georg Stilke in Berlin. 

Feldflüchters. 

Plattdutich Leeder un LSascben in Mecklenbörger Mnndort 

von Eduard Hobeln. 

Miniatur - Ausgabe. Elegant geheftet 2 JC 
Geb. mit Goldschnitt 3 JK 


noJionnlfS^ 


PF" ®rtcd)ift()c Söeinc. 

Unterzeichnete Srirma beföäftigt fid) mit bem 3mport griec^ifc^er SBeine. 2)iefelben finb bon 
twrzüglidjer ©üte unb grofcer Schönheit. — Um beren ©efanntwerben ju erleichtern mirb 1 ?robe* 
fiftdjen in folgenber gufammenftellung abgegeben: 

3/1 Fl. Rothwein ans Corinth.a JC 1.60. = JC 4.80. 

3/1 Fl. dito Claret Vino di Bacco von Santorin . . . a JC 1.20. = JC 3.60. 

3/1 FL Malvasier weiss Vino Santo von Santorin .... k JC 1.40. = JC 4.20. 

3/1 Fl. dito roth aus Misistra. k JC 1.60. = JC 4.50. 

^ujammen 12/1 gl. ftifte, Ffafdjen unb ©erpacfung frei für. JC 17.10. 

3ujenbung per $oft ober ©ahn, ab hier, Abfolute (SJavantic für {Reinheit unb Äcdjtieit. 
Ausführlichen ^reiScourant unb ©irculair franco gegen franco. 

3. 4?* iMntjrr, SBeiugrofiljanblung, HeAargemfliti. 
_©egrünbet 1840. ©erjanbt bei jeber Xemperatur zuläffig. _ 

Breh/ms Thierleben j 

/ Zweite Auflage J 

j mit gänzlich umg rarbeitet em und erweitertem Text und grösstrntheils m 
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/ und erscheint in 100 wöchentlichen Lieferungen zum Preis von 1 Mark, t 

/ Verlag des Bibliographischen Instituts in Leipzig. K 


m 




'TVUVtHhltllVfto Cvm*-fY»t n.S ® e * «fWtMtW* #u«frünü", bie 

y UlUUHl|UJt l HHU. einzige unb gern gelcfeite in plattbeutfcfjcr 

<?n ©offSblatt för aflt ©[•ttbätffttn Spraye erföeinenbe gMtfdjrift Wirb hiermit 

in ©d)ie3roig=£iolfteen, SRcfelnborg, §a:tncwcr, 9lBcn, Weldje fiel) für bie, einen fo reichen 

Olbenborg, be §anfeftäbe, Komment, SBcftfalen £d)a(> erbt beutfeben SBefenS unb unucr 

u. f. w. fäljdjter Sieberfeit entljaltenbe plattbeutidje 

Unter SDtittoirfung ton fltQU0 ©Mt!) u.«. Literatur intereifiren, auf ba« «ngelegen 

berauggegeben oon 2B. «offner. Udfftc empfohlen. »on ber groben «njabl 

- SBödjentlicf) l Kummer - gebiegenet SRitarbeiter oerweifen wir nur 

Neuer 3nbrgang 1877. “ u i bic Rannten Warnen: Klau« «rotb, 

o*rAft.Htiniitt#rH «r.H« «h S$robtr,bcn„OBtn»umarfer“Oul$oto, 

3*robenuwmern gratis unb frantto. 0 «Ben 8lKin „ 9( unb {inb au g et: 

<L «. Äor^’ß »erlag bem für Stltiftrirung beä Xefte« bie beften 

(3. Sengbu[ch) in Leipzig- Kräfte gewonnen. 

Abonnemente z«m greife oon 1 SR.proCluartal nehmen alle©iichhünblungen u.^oftanftalten an. 


Sine grofee beutfehe Qeitung fudjt oon einem 
namhaften ©chriftftcller einen 


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eine «ooefle ober grö§ere (frjahlung zum Ab= 
brud z« erwerben. 3)ie Arbeit mug complet 
üorliegen, barf aber bie jept noch nirgenb« 
pnblictrt worben fein. Auch fiub IReifebfs 
fehreibungen, culturhiflorifche @fi§§en, intern 
effante populär*toiffenf(haftliihe Abhonblungen 
IC. erwünfeht. — ©erleger ober ©chriftfteller 
werben um Offerten, eoent. (Sinfenbung ber 
SRanufcripte unter Angabe ber Honorar* 
forberungen sab A. 138 an bie Annoncen* 
(Srpebition oon Abolf ©teiner, Hamburg, 
9teuerwall 12 gebeten. — 'Jtichtconücnirenbee 
wirb nach HRöglichteit fchneU retournirt. 


3n allen ©uchhanblungen oorräthig: 

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Verlag und Expedition der „GEGENWART“. 

Georg Stilke. * 


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S)nuf oon #. f mlner in oCci|»|fta. 


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M 4 


'Stettin, Öen 27. $*ma% 1877. 


XL Band. 


fie (Jkgcmwirt 

äöodjenfcgtift für Literatur, Äunft unb öffentliches ßeben. 


§erautgeber: in ©erlitt. 


JAti Saniert etft}etit ein |vmkl 

Stt fegtest« ‘mt^ alle Xhu&fcnblsngen unb f •fUraftaltem 


ferfegee: 9etf| €tifte in ©etli». 


|ttts yn futUt 4 fhtl 50 |fi 

Snfetate jebec ttrt pw Sgefpattene fßetitgeik 40 $f. 


SttÜaff: 


SHe SReidj«tögBroal)Ien beB galjreB 1877. S$on äßiUjelm ©aderitagef. I — @ht QmerifamfdjeB ©ittenbilb. Sott 9t. (gbmunbB. — 
gtterttar «ab Jhut(l: ©hirmfluify. Vornan in 6 ©üdjern (3 ©äitbcit) oon griebritb ©ptelbagen. SBeft>ro<$en oon $aul ßittbau. — 
Oeftreid) unb $reu$en im SkfreiungBfriege. Urfuitbücfje fCuffc^tüffe über bie politif^e (Scfdjtdjte beB gabref 1813 non ©ityelnt Duden. 
©eft>toc$en non g. — @emif$teB: eine öffentliche ©d&madj. ®on ttbolf fcortoiej. — SRotijen. — 3n|erate. 


Die ÄeicgBtaciflwaglen bes Jahres 1877. 

!Bon tÜiüjelm IDacfernagef. 

I. 

©enau brei Sagte, naegbem bie ©Jagten für bie gweite 
ßegittaturperiobe bet beutfegen SReicgttagt ftattgefunben Ratten, 
ift bat bentfe^e ©olf gu beit ©Jaglen für bie brüte ßegitlatur« 
periobe einbernfen worben. der 10. Sanuar 1877 wirb auf 
ismgie gtoant ein bentwürbiget datum in ber ©efegiegte deutfeg« 

»<&•*»©rtrtrte wigeimlieget 
JrrSfte eröffnet, weldge rafttot baran arbeiten, ben ©oben unferet 
©efeUfdgaftt« unb Staattlebent gu nnterwüglen. ©Jeitaut 
wichtiger alt bie ffierfegiebung, weldge bie ©arteioergältniffe bet 
SftcicgStagt bureg bie bietmaligen ©Jaglen erfahren werben, ift bie 
©Jaroung, bie mit ber ungeahnten Sunagme ber für bie fociot* 
bemotratifegen ©anbibaten abgegebenen Stimmen aut bem 
bunfeln Scgoofje ber ©Jablumen igr rötglüg flraglenbet S«<gen 
emporgebt. die Socialbemofratie ^at ben ©Jagltag §u 
einer peerfdgau über ihre oft citirten „SnrbeiterbataiUone" be« 
nn|t, bereu „bröbnenber dritt" — fo wirb biet wenigftent 
glauben gu madgen gefugt — bie geängftigten ©ourgeoitfeelen 
bit in igr tiefftet Snneret erbeben lägt, unb ber ©Jagrgeit 
bie ®gre, et ift biefe $eerfcgau ftattlirb genug ausgefallen. ©on 
einer fegredfentbleicgen ©efignation bet beutfegen ©ürgertbumt 
ift aber, naebbem oat erfte ©efügl ber Ueberrafcgung fieg ge« 
legt bat, nirgenbt etwat gu üerfpüren gewefen. 3m ©egen« 
tgeil, et b<ü \xi) altbalb in bem lange Seit ginbuteg non einem 
©ocialbemotraten oertreten getoefenen erften Snbuftriebegirf 
Stetttfcglanbt, bem ©Jaglfteife ffilberfelb=©armen, biefet ©ürger« 
iguut gnr ©ntfaltung einer ©nergie aufgerafft, welche ibm bei 
bet engeren ©Jagl einen glängenben Sieg über ben focialbemo« 
fratifdgen ©anbibaten eintrug, fo bag biefer ©Jaglfreit ber 
©ocialbemofratie, genug gu beren grogem Staunen, wieber 
attriffen würbe. 

Ueberatl bat im bentfdben ©ürgertbum bie ©Jarnung, 
bie am 10. Januar an batjelbe ergangen ift, nur bie eine 
Verfang gehabt, bag et mannhafte ©ntfeglüffe fagte, bie goffent« 
ffa| ni^t babhtfebwinben werben, wenn bie Aufregung bet 
nablfampfet fitb abgefü|ft bat. Sn ber ©ürgerfdjaft ber 
flleicbtbauptftabt oor ©Hem mug bie Xbatfacbe wie ein 

£ tfer Stapel bie ©eifter waib erhalten, bag für bie nädjften 
. Sagte jwei unter igren feegt ©ertretera Socialbemo« 
ten gnb. ®t wirb, fallt bie betreffenbe ©artei, wat !aum 
«fÜpnebnten ift, mit ben Äleinobien, bie fie am 10. Sanuar 
4tM : ©eriiner gortfebritttpartei im ©Jagltampfe abgenommen, 


nidgt unabläfftg bögnenb prangen foHte, einfach genügen, oor 
ber ©erliner Ärgerfcbaft bie naette Xgatfa^e ju conftatiren, 
bag bie Socialbemofratie fidg im ©efijje oon jwei ©erliner 
©eidjttagtmanbaten befinbet, um ber potitifegen ©ewegung, 
}u welibet biefe Xgatfacge ben ©nftog gegeben gat, ftett neue 
Spannkraft jujufftgren. 

S)ie groge Sagt ber am 10. Sanuar für focialbemofratifcge 
Ganbibaten abgegebenen Stimmen barf übrigens nidbt fo auf« 
gefagt werben, alt ob nun alle diejenigen, welche foltJje Stirn« 
men in bie Urne legten, ber organiftrten Socialbemofratie an« 
gegören- ober ben fodatbemofrahfegen Äegren juftimmen. Segr 
oiele oon ignen fennen biefe Segren faum oon $3renfagen; 
ge gaben einfaig für ben „nieberen SRann" geftimmt, weil fie 
glauben, bag ein föliger bie ©otg bet Sebent, bie ju gegen« 
wärtiger Seit härter alt fonft unb göber hinauf alt fonft 
empfunben wirb, aut eigener bitterer ®rfagrung fenne unb 
bager — bat „©Sie" ift ignen freilidg felber unllar — jur 
ßmberung jener SRotg unb f>erbeifügrung bauember befferer 
Suftänbe am erften no^ gelfen lönne. 

der nur gu lange fegon angaltenbe wirtgfdgaftlicge 9totg= 
ftanb gat niegt blot unter ben fogenannten „arbeitenben ©taffen", 
fonbern aueg im Stanbe ber Weinen ^»anbwerfer, Sabenbefiger, 
©eamten, ßegrer u. f. w. eine oon oben ger meift ju gering 
gefegägte Summe oon äRigbegagen, ©erftimmung, ja ©rbitte« 
rung angegäuft, weldge im gewögnlicgen ßaufe ber dinge nur 
in einzelnen fegreienben fJäUen an bie grögete Deffentlicgfeit 
nnb gut publkiftifcgen ©rörterung gelangt unb bager leiegt 
für inbioibueQ gegolten unb auf autnagmtweife perfönlicge 
©ergältniffe jurücfgefügrt wirb, bie aber an biefem benfwür« 
bigen 10. Sanuar oiele danfenbe oon Stimmen bem ©anbi« 
baten ber Socialbemofratie jufügrte, ba beffen ©Jagt alt ber 
©utbruef ber goebgrabigften Unjufriebengeü mit ben gegen« 
wattigen Wirtgfcgaftlicgen Sngönbeu erfegeinen mugte. 

diejenigen, weldge um bat öffentliche ©Jogi pfliegtmägig 
ju forgen gaben, ftegierung nnb ©olftoertretung, werben niegt 
umgin fönnen, in eine ©rörterung barüber einjutreten, aut 
welcgen Urfadgen bie gu ben ©runblagen bet heutigen ©e= 
feüfdgaftt« uub Staattlebent in feinbfeligen ©egenfag tretenbe 
Socialbemofratie §unberttaufenben oon Staattangegörigen alt 
bie allein mit beitfräftigen ©tittein antgeftattete ©artei er« 
fdgeint 3Wit biogen ©rogibitiomagregeln fann ber ©erbreitung 
ber für bie urtgeiltlofen ©olfimaffen fo oerfügrerifegen ßegren 
jener ©artei niegt wirffam gewegrt werben, ©t gilt bie Duellen 
aufgubeefen, aut benen fie bie Äraft fegöpft, fieg trofe jener 
SWagregeln in igrer Stärfe niegt nur gu behaupten, fonbern 
igren ©influg auf immer weitere Äreife autgubegnen. Unb 


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50 


Ute ©egenwart. 


Nr. 4. 


!jat man biefe ©rfenntnife gefunben, fo wirb bet (Staat non 
fiefe aus bafür ju forgen hoben, bafe aus biefen Quellen nid^t 
eine ftaatSfeinbficfee Agitation fidfe nähre, fonbern bafe fie in 
gefe^tid^ georbneter Weife für bie Befruchtung beS öffentlichen 
Sehens mit neuen Kräften nufebar gemacht werben. ®a§, was 
beute als „roher Kräfte finnloS SBalten" bie öffentliche Wofel= 
fahrt unb bie ftaatlicfee Qrbnung bebrobt, Wirb bann, in feinem 
treibenben ©ebanten ertannt unb auf ©runb biefer ©rfennhtife 
non einer weifen ©efefegebung geregelt, fich als ein neues 
grunblegenbeS Slement in unfer Staatsleben einfügen unb baS- 
fetbe einer ^ö^eren, reicher organifirten ©ntwicftungSftufe ent* 
gegenfübren. 

2)aS beutfdfee SReicfe fe flt e3 me ^ r al8 ein oberes 
StaatSwefen ©uropaS nötfeig, bafe feine Quelle ber nationalen 
Kraft als witbeS Waffer »erraufcbe. 3a, eS brobt ibm gerabcju 
©efafer aus ber gortbauer unb Verallgemeinerung oon 3 u ftön= 
ben, unter welken ein halb nach SRiHionen jäfelenber Bruch* 
tbeil ber Station mit feinbfetiger ©efinnung gegen bie ftaat* 
liebe Qrbnung ficb erfüllt, ja feiet unb ba febon mit §ofen 
bie Siebe unb Xreue jum SReicfe für einen überwunbenen 
Stanbpunft erflürt; benn X^orbeit fei es, in Kampf unb lob 
ju geben um ber ©fere eines SRamenS wegen, ben man jeben 
Xag mit einem anbern ju oertaufeben gern bereit fei. (Sine 
berartige, in Seiten ernfter Prüfung ^öffentlich nur bei wenigen 
ber Verirrten anbauentbe ©ntfrembung oon ber nationalen 
Sache fönnte braufeen leicht als ein Sfemptom innerer Schwäche 
gebeutet werben unb tut Betreibung oon feinblichen Slnfcfelägen 
gegen baS beutfebe meieh ermuntern, deshalb wirb, ganj 
abgefefeen oon ben angebeuteten inneren ©riinben, febon um 
bie nationale traft nac| Stufeen bin nicht gefchwächt erfreuten 
ju taffen, mit (Srnft ber grage näher getreten werben müffen, 
wie jener Sntfrembung wirffam oorgebeugt werben fann. Sine 
Sluffoiberung ^ierju liegt aber nicht bloS in bem bureb bie 
SBafelen beS 10. 3anuar ju Xage getretenen WacfeStfeum ber 
fociatbemofratifchen V®rtei, fonbern auch in ber Unterftüfeung, 
welche biefe Ißartei bei ben engeren Wahlen oon Seiten beS 
UltramontaniSmuS erfährt, uub welche fie Ijinwieberum teuerem 
gewährt, wenn auch ®eibeS unter gegenfeitiger Sltteftirung ber 
Unoerföfenlicfefeit fi<fe oolljieht. 

2>ie „fReicfeSfeinblicfefeit" beS UltramontaniSmuS ^at 
fiefe auch bieSntal wieber in ganj unjweibeutiger Weife befunbet. 
SS gereift inbeffen baS Sine jum Xrofte, bafe ber Ultramon* 
taniSmuS in Xeutfdfelanb ben $öf|epunft feines ©influffeS 
überfeferitten bat, unb trofj aller Verficfeerungen beS ©egentfeeils, 
in einer inneren ßerfefeung begriffen ift, bie ju einer Scfeei* 
bung ber conferoatioen oon ben beftructioen Stementen, welche 
oorläufig noch burch baS Vorwalten beS gemeinfamen ©egen* 
fafeeS jum fReicfee jufammengebalten werben, führen mufe. Such 
hierüber haben bie Wefelen beS 10. Sanuar lehrreichen Stuf* 
fdjlnfe gegeben. X>ie SentrumSfraction wirb nunterifcb faum 
eine Verftärfung erfahren, bie baoon ju fpreefeen notbwenbig 
erscheinen liefee; fte wirb bagegen mit Slementen burefefefct fein, 
bie ihr felber recht unbequem werben fönnen. 3 um erfteu Wale 
bat eS fich ereignet, bafe jwei ultramontane Sanbibaten gegen* 
einanber in engerer Wafel ftanben, bafe gegenüber ben oon oben feer 
patronifirten ÜRämtern höherer SefeenSfteßung eine aus bem Volfe 
ihre Sanbibaten wäblenbe „<hriftücfe=fociale" fRidfetung beacfetenS* 
wertfee Srfolge errang, welche benn auefe fofort oon ber Social* 
bemofratie mit befonberer ©enugtbuung regiftrirt würben. Slucfe 
baS oerbient Slufmerffamfeit, bafe in Bauern bie 3®bl ber 
ultramontanen Stimmen einen SRücfgana erfahren bat, angeb-' 
lieh in golge einer laueren Betreibung beS WafelgefcfeäftS oon 
Seiten ber „oolfstfeümlicfeen" unb barum für bie URaffenagita* 
tion befonberS geeigneten ^arteigenoffen, bie mit ben fjiiferern 
ber SentrumSfraction im ^Reichstage unjufriebeit finb unb ihnen 
oorwerfen, mefer nach gürftengunft auSjufcfeaueu, als einem 
füfenen Streiter für bie Kircfee gejieme. gür bie näcfefte 3u- 
funft haben biefe ©rfefeeinungen wohl noch feine praftifc^e 
Bebeutung; hoch beuten fie auf eine beginnenbe SBenbung in 
ber Haltung ber fatbolifchen VolfSmaffen, bie bisher willenlos 


ber güferung ber SentrumSfraction gehorchten. — 2BaS bie 3afjl 
ber beim Sentrum als „fwfpitanten" oerfehrenben welfifcfeen 
Slbgeorbneten aus fjaitnooer unb ber Voten betrifft, fo hat 
fich barin feine Verätiberung jugetragen. 

Wenben wir uns oon ben reidjSfeinblicfeeu Parteien ju 
ben reicfesfreunblidfjen hinüber, fo ift jurtäcfeft ju conftatiren, 
bafe biefetben uaefe wie oor bie Weferfeeit bes SReicfeStageS 
bilben, ba bie ©egner jufammengenommen höchftenS nur um 
wenige Sinfeeiten fich oerftärfen bürften unb bafür anbererfeits bie 
im Slfafe gewählten „Slutonomiften" barauf bebaefet fein werben, 
jur fReidjSregierung wenigftenS in einen äufeerlidfj freunbUcheit 
Verfefer ju treten. 2Ran wirb beSwegen freilich noch nicht 
oon einer inneren Aneignung bes SReicfeSgebanfenS burch bie 
VSähler ber betreffenben fed^S ober fieben elfaffifcfeen abge= 
orbneten fpreefeen fönnen; bie Slutonomiften werben in ben 
^Reichstag eintreten ohne emphatifchen Vroteft gegen, aber auch 
ofene entfdjiebene Srflärung für baS Steidh- @ie wollen burch 
ihre Haltung im ^Reichstage entfliehen ad oculos bemonftriren, 
bafe ohne Sdjäbigung ber SReiaiSintereffen bem SReicbSlaitbe 
politifcpe Slutonomie, auSgeübt burch bie conftitutionelle 9Rit= 
wirfung einer gewählten ßanbeSOertretung bei ber ©efefegebung, 
gewährt werben fönue; ihr „SBofeloerhalten" wirb bafeer ftets 
als oon ber Hoffnung auf Srfüllung eines Verlangens ein= 
gegeben erfefeeinen. ®ie Beurtheilung ber grage, ob biefeS 
Verlangen jur 3«it fchon erfüllt werben fann, wirb inbeffen 
oon ber Srwägung noch manches anberen UmftanbeS abhangen, 
hinficf)tli<h beffen bie Slfaffer Slutonomiften oon fich aus eine 
tnafegebenbe Verficfjerung ju erteilen nidht im Stanbe finb. 

Von befonberer Slrt finb bieStnal bie württembergifefeen 
IReichStagSwahlen gewefen. 3n SEBürttemberg ift ber Sinftufe 
ber ^Regierung gröfeer als in ben meiften anberen beutfcfeeii 
Staaten, oor SlÖem, wenn er auf bie SBähler mit einer Be* 
rufung an ben württembergifeben VatriotiSmuS einwirft 3n 
ben mafegebenben Stuttgarter Greifen hat man jwar gegen bie 
fReicfeSfreunbtichfeit ber württembergifefeen 5Rei^StagSabgeorb= 
neten „im Vrincip" niefets einjuwenben. 3 um 2obe her würi- 
tembergifefeen ^Regierung mufe eS auefe auSgefprocfeen werben, 
bafe fie in ber grofeen grage ber 5ReicfeSjuftijgefehe fiefe uiefet 
bloS tofeal jeber SBeiterung enthalten, fonbern fogar pofitio 
förbernb mitgewirft feat in einheitlichem wie in freiheitlichem 
Sinne, gnbeffen feat baS eifrige Sintreten feeroorragenber 
württembergifefeer Slbgeorbneten für bie fReicfeSeifenbafenibee 
an ber mafegebenben iknbeSfteüe unangenehm berührt unb fo ift 
benn laubauf lanbab burch Württemberg bie SSafelparole aus= 
getragen worben, iRiemanb ju wählen, ber etwa bie württenu 
bergifefeeu Staatsbahnen an bas fRcicfe ju bringen fiefe oor- 
nefemeit möcfete. SDie, fojufagen, wegen SKangelS an SocaU 
Patriotismus abgepfänbeten äRanbate fmb faft fämmtlicfe in bie 
§änbe oon württembergifefeen fRegierungScanbibaten überge= 
gangen; nur ein ober baS anbere feat ein URitglieb ber fefewäbifefeen 
Volfspartei als Beute baoongetragen. Xie nationalliberalen 
Vertreter Württembergs im oorigen fReicfeStage feferen bis 
auf |>errn §ölber, ben Vräfibenten ber Slbgeorbnetenfammer, 
nid)! wieber; biefem feat man aus befonbereu ©rtinben fein 
Stuttgarter ÜRanbat oon IRegierungSWegen niefet ftreitig gemacht. 
£>ie neugewäfelten liberal=conferoatioen Vertreter Württemberg 
gifcher Wafetfreife werben fiefe im fReicfeStage, wenn überhaupt 
einer graction, ber „beutfdfeen VeidfeSpartei" anfcfeliefeen. Xiefer 
gractioit gefeören auefe bereits ber frühere württembergifefee 
Sfinifter greifeerr ü. Vambüler unb anbere feiner Special* 
collegen an. 

3n fßreufeen, im Königreich Sqcfefeit unb einigen fleineten 
norbbeutfdfeen Staaten, wie auefe tfeeilweife im ©rofeherjogtfeum 
Reffen ift ben bieSjäferigen fReicfeStagSwafelen ifere Signatur 
burch tluflöfung beS SBafelbünbniffeS jwifefeen ber 
nationalliberaten unb gortf^rittSfraction aufgebrfieft 
worben. Dfene biefeS in feinen golgen ber liberalen Vortei 
jum gröfeten Scfeaben auSgefcfelagene Vorfommnife würbe oer* 
mutfelicfe ber neugewäfelte SReicfeStag, ber befannten ju Slugs* 
bürg geftellten V t0 8 n °fe bes aRmifterS galt gemäfe, in feiner 


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Nr. 4 


Hit (Segenmort. 


51 


3ufantmenfegung bem legten IReicgStage ebenfo ägntieg gefegen 
gaben, wie baS gegenwärtige preufeifdge SlbgeorbnetengauS bem 
igm ooraufgegangenen gleidgt. SS ift an biefer Stelle niegt 
unfere Aufgabe, eine retrofpectioe Kritif über baS Vergalten 
ber beiben liberalen SReicgStagSfractionen ju ben Suftijgefegen 
ju äben. SBir gaben gier nur bie EEgatfaege ju conftatiren, 
bafe bie SBagltaftif, wetcge baraufgin bie gortfcgrittspartei als 
eine igren Sntereffen bienlicge eracgtet gat, nämlicg bie Sßagl 
non nationaltiberaien Sanbibaten in folgen SBagtfreifen, wo 
biefelben biSger non ber gejammten liberalen Partei unterftügt 
Worben waren, burdg bie StuffteHung fortfcgrittlicger Sanbi- 
baturen ju befämpfen, wetcge Salti! nacg bem jus talionis mit 
ber Vefämpfung ber fortfegrittlicgen burdg nationaltiberate San- 
bibaturen erwibert würbe, überall große Verwirrung unb $et= 
fptitterung ber Stimmen, unb in nieten SBaßlfreifen bie SRieber; 
tage ber liberalen Sanbibaten ober bocg igre 3nrücfbrängung 
in bie engere SBagt nacg fieg gejogen gat Sin großer Xgeit 
ber 70 engeren Sßaglen, bie ju oofljiegen waren, fo bie in 
Verlin, VreSlau, Königsberg, ®anjig, Vromberg, SWagbeburg, 
Stberfetb u. f. w. wäre unnötgig gewefen, wenn bie liberale 
ißartei non norngerein gefegtoffen aufgetreten wäre unb fieg über 
gemeinfame, auf beiben Seiten annegmbare Sanbibaten oer= 
ftänbigt gätte. 3 U ber bieSmal fo überaus großen 3<*gt ber 
im erften SSaglgange unentfegieben gebliebenen Magien gat 
neben ber Vielgeit ber liberalen Sanbibaturen freitieg aueg bie 
fo jaglreiege StuffteHung unb fo ftarfe Unterftüfjung ber focial- 
bemofratifegen Sanbibaten beigetragen. 

Snbiidg gat auig bie conferoatine Partei bie in nielen 
länblicgen Kreifen burdg bie Agitation ber Stgrarier waeß; 
gerufene Verftimmung gegen ben ßiberaliSmuS, als ben Vater 
ber für alle SRotß im Sanbe oerantwortlicg gemalten neueren 
SBirtßfeßaftSgefejjgebung, mit nielem Sifer unb bem entfpredßenben 
Srfolge für igre ßroecfe genügt. So ift es benn bagin gefommen, 
bafe in ben alten tßrooinjen ber preufeifdßen URonarcgie eine 
größere 3®ßf oou biSger bureg ßibetale oertretenen SBagtfreifen 
an bie conferoatioen Ißarteien »ertoren gegangen ift. Stuf 
baS jiffermäfeige Srgebnife biefeS VefigwecßfelS werben wir 
in einem fpäteren Slrtilel jurüeffommen, ba jur 3«*- wo wir 
biefeS fegreiben, nur erft wenige ber engeren «Sagten jum 
HuStrag gebracht finb. Slber fißon gteieg nadg bem Vefannt-- 
werben ber SBaglergebniffe oom 10. 3anuar liefe fi(g baS Sine 
mit Veftimmtgeit auSfprecgen, bafe ber Verluft ber liberalen 
Partei minbeftenS 20 Sige betragen würbe, unb bafe fomit 
non einer liberalen ÜReßrßeit in bem neuen IReicgStage 
audg eupgemiftifeg niegt rnegr gefproegen werben !ann. Sine 
reicgsfreunblicge ÜReßrßeit beftegt nacg wie »or, unb jwar ift 
biefetbe aueg bann noeg mit einigen Stimmen gefießert, wenn 
bie ^ortfe^rittspartei fieg einmal in ber Opposition befinben 
fotlte. Sarin gat fidg gegen ben »origen fReicgStag niegts 
geänbert. VollenbS faun oon irgenb melcger Umwäljung ber 
partamentarifegen Sage bureg bie SBaßten feine SRebe fein; 
biefelben gaben megr bie 3 e ‘^ en fonunenber 3 e * ten blidEen 
taffen, als bafe fie im Veicgstag felber ober in bem Vergalt; 
niffe beSfelben jur ^Regierung eine namgafte Veränberung 
bewirft gaben. 


SBir reigen gier junt Sdgluffe eine fumntarifege Ueberfidgt 
bet am 10. Januar gewäglten Sbgeorbneten, bejießungSweife 
in engerer SBagl oerbliebenen Sanbibaten an. 

Unter ben 327 gewäglten Slbgeorbneten befanben fieg: 
©onferoatioe 31 (barunter einer aus bem Königreicg Sadgfen, 
btc übrigen aus ©reußen); oon ber beutfegen fReiegSpartei 34, 
jtoifegen biefer unb ben jRationaltiberaten ftegenb 4, SRational; 
liberale 99, jwifegen biefen unb bet gortfegrittspartei ftegenb 
(Gruppe 2öwe=Verger) 9, oon ber gortfeßrittspartei 16, ein 
SÖWtglieb ber VotfSpartei, Socialbemofraten 10, Ultramontane 
90, gannooerifege ©articulariften 3, ©ölen 14, @lfafe=2otßringer 
15 darunter 7 Slutonomiften, 3 Slericate, 5 oon ber ©roteft= 
jxrrtei), ein ®äne. 


Unter ben 140 in 70 SBaßlfreifen jur engeren SBagl 
geteilten Sanbibaten befanben fieg: Sonferoatioe 21, oon 
ber beutfegen fReiegSpartei 5, fRationalliberate 47 (baoon 2 
gegeneinanber ftegenb), fonftige Siberale 3, oon ber gortfdßrittS= 
j partei 19, oon ber VotfSpartei 3, Socialbemofraten 20, Ultra= 
j montane 16 (baoon 4 ju je jwei gegeneinanber ftegenb), 
j ein ßannooerifeger fßarticularift, fßolen 4, ein 2>äne. 

! Berlin, 19. ganuat 1877. 


(Ein mnerikaniftges 5ittenbiU>. 

i 

Bon tt. (Ebmnnbs. 


Suitg, mit megr Selb als Verftanb, ein guter ©efeUfcgafter, 
tücgtiger Sßolitiler, oerwegener Sport unb ber oiet6eneibete Se¬ 
liger einer fegönett grau, oon bet icg mieg ogne $iilfe beS Stieg; 
terS gätte trennen bürfen: — fo ftanb teg ba. SRan oerbenfe es 
mir bager niegt, wenn icg mein Seben im üoUften SOtafee genofe 
unb Stiles, waS fieg mir barbot unb woran mein jugenbtieger 
Sefegmad greube fanb, mitmaegte, jumat icg aüein War, feine 
gamitienrüdfiegten ju negmen gatte unb in ber fo reijenben, 
ejtraoaganten Stabt San granciSco lebte. 

SS War im Spätfommer 1870, fünf ÜRonate waren Oer; 
floffen, feit Wir ben legten Stegen gegabt. TOeS gatten bie 
Straglen ber Sonne, ogne aueg nur oon bem fleinften SBölfcgen 
baran oerginbert ju fein, in biefer 3®it Oerborrt. ®ie reiegen 
gelber lagen im Stugejuftanbe; fie fegienen igrer legten geuegtig; 
feit beraubt ^u fein unb gatten bureg ben Staub, melcgen ber 
regelmäßig gegen Slbenb wegenbe ffiüftenwinb barüber gingejagt, 
eine tobte afeggraue garbe angenommen, welege aueg ber aQ= 
näegttieg fieg einfteüenbe falte Stebet niegt ju oerwifegen im 

Stanbe war. 

$a meine Oefegäfte beS XageS beforgt waren, fo lenfte icg 
meine Sdgritte, eine feine $a»anna eben enbenb, mit @ott unb 
ber SBelt jufrieben, naeg tßgil. SewiS’ Salon. 3« biefem, auf 
baS Slegantefte auSgeftatteten Sarroom pflegte ieg meine greunbe 
ju treffen unb mi^ mit ignen über baS Verbringen beS StbenbS 
I ju befpreegen. SS war wogt noeg frfig, benn George VanfS 
| war allein gier. 3<g tranf einen Whisky toddy mit igm unb 
i ba unfere Untergaltung wie bie Sigarren ju Snbe waren, 

gingen wir bem, in einem Xgeile beS ßocateS fteg befinbtiegen 
Saben ju, um eine „$enrp Slag"*) auSjuwürfetn. ®aS @tüd 
war mir günftig, unb ba niegts VcffereS ju tgun war, fegten 
j wir baS Spiet um einen $oüar Sinfag fort. SS famen megrere 

j nnferer Vefannten unb fegon naeg furjer 3«>t ftanben wogt 

jegn an ber Sagt, eifrigft würfetnb, um ben flehten ßabentifeg. 
®ie toaegfenbe Aufregung eines folgen Spieles blieb niegt auS; 
bie Verlierenben wollten igr Selb wieber unb bie Sewinnenben 
megr gaben, fo würben bie SBetten jwifegen Sinjetnen bebeu; 
tenb ergögt. SRir gegenüber ftanb 3<>4 ß@off**), einer ber Oer; 

I wegenften Sports. Vatb wettete ieg außer meinem ®oöat nodg 
1 50, ja manegmat megrere 100 ®oKat mit igm auf {eben 
| einjelnen SBurf. ®ie Sewinnenben mußten für Setränfe unb 
! Sigarren forgen; fo würbe es wogl 3 Ufer SRorgenS bis wir 
fegtoffen. Viele gatten igr Selb oerfpiett unb mußten einjetn 
ben iifeg Oerlaffen, ba man bort nur gegen baareS Selb ber* 
artige ©efegäfte erlebigt. 

Sortuna mar mir günftig gewefen. äReine Xafegen waren 
ooü oon 3wanjigboüar;Stüden, als teg einen jfreunb aufforberte 
f fidg mit mir in einen nage gelegenen Äufternfalon ju begeben. 
! SEBie mieg bie frifege, feuegte Slacgtluft anmegte, empfanb icg 
' erft bie Sffiirfung ber ftarfen ©etränle, welege ieg in ben bieten 
, Stunben ju mir genommen gatte unb bie wogl biSger bureg 

*) Sine fegt beliebte #abanna=®taife. 

I **) Sin in ganj Wnterifa berfigmter unb berütgtigtet Sport. 


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52 


Oie «ejettwart. 


Nr. 4 


bie grafte Aufregung beS ©pieleS jurüdgeftalten war. ffinfter 
unb feucht umgab uns bie Stacftt, jo baft wir baS Si(ftt ber 
Straßenlaternen !aum auf einige Stritte feften tonnten. 3ad, 
mein {Begleiter, taumelte an ber ©traftenede gegen Semanb, ber bie 
entgegengefeftte ©iegung maeftte. 34 ftörte öerlefcenbe SBorte in 
fcftle4tem ©nglifeft mit italienif4em Stccent unb in meinem 
Staufcft jog üft, oftne ju überlegen, meinen Steöoloer unb feuerte 
auf’§ Keratftemoftl, bo4, wie ff4 fpäter fterauSfteßte, oftne ben 
3taliener ju treffen, ber oerfdjmanb. SBäftrenb wir nod) über 
biefen ®orfatt, ber unS fpaftftaft fc^ien, lasten, !am fefton ein 
ißolijift, ber unS aufforberte, iftm jum ®o!ijeigefängnift ju. 
folgen. 3n feinem Sanbe ift man meftr geneigt ber Obrigfeit 
ju geftortften, Wie gerabe ftier, unb fo gelangten wir benn halb 
in ben Keller beS ©tabtgefängniffeS. SÖlein jfreunb würbe ent- 
laffen. 3Jlir jebotft naftm man SBaffen, Selb ic. ab unb i4 
fottte eben ber üblichen ©pebition unterworfen werben, als ieft 
eine befannte Stimme ftinter mir rufen ftörte: „2Ba8 jum Keufel 
ift Kir in ben Kopf gefommen Sieb? oerrüdt ober betrunfen, auf 
Seute feftieften, fte?" Müft umfeftenb, gewahrte i4 ben mir be= 
freunbeten Kapitän KouglaS, ber ju meinem ©lüde gerabe auf 
2Ba$e war unb mieft bie Süuftt auf einem ©effel im SBureau 
jubringen lieft. 

34 erwa4te am nä4ften Morgen, natürli4 nü4tern unb 
merfwürbiger SEBeifc oftne moralijcften no4 p^pfif4 en Kaßen® 
jamnter. 34 sollte mi4 nun entfernen, um in meiner 2Boft= 
nung Xoilette ju ma4en. ©o ging bie ©ejeftieftte jebo4 ni4t. 
Man fagte mir, baft i4 befangener fei unb nur bureft befon® 
bete SBegünftigung bie Stacht nieftt in einer Bette jugebra4t 
ftätte. StäftereS würbe mir ber Kapitän ftfton mittfteilen, ber 
jeben Slugenbtid erwartet werbe. Xtofcbem fonnte i4 ber 
ganjen ©aefte no4 feine ernfte ©eite abgewinnen unb glaubte 
nur auf ben Kapitän warten ju rnüffen, um bieS $otet Der- 
lajfen ju fönnen. 

Stun befam i4 benn Suft na4 praftif4er amerifanif4er 
Strt bie ©elegenfteit ju benüften unb mir SlUeS anjuf4auen. 
34 trat aus bem Söureau in eine lange mit glieften auSgelegte 
$atte, bie nur fpärli4 mit baS be(eu4tet war. SinfS ge: 
waftrte i4 einen ^Beamten an ber KingangStftüre fifcenb, eben 
im SBegriff, na4bem oon auften geflopft war, eine faum ftanb® 
breite klappe in ber Kftüre ju öffnen, ben Kingang gorbemben 
ju muftern refp. einjulaffen. StecfttS gewährte i4 ein eiferneS 
bitter, baftinter eine grafte bin glet4e fiel mir am an« 

beten Knbe beS banges auf, beten Bwed mir fofort befannt 
werben foQte. 

Kben trat Kapitän ®. mit einem groften ©u4e in ber 
§anb fterein nnb wünf4te mir einen guten Morgen, meinte, „i4 
fäme au4 glei4 an bie Steifte, foClte mitft nur gebuiben". 
S)aS ©ueft legte er in bie genfterniföe, unweit ber Kftüre jur 
groften Bette, unb f(ingelte. Meftrere ©olijiften tarnen, unb 
gingen, wie fie eS nannten „an bie Slrbeit". S)er Kapitän laS: 
„ipatrif Murrft" — bie ©olijiften ftolten einen 3tlänber biefeS 
StamenS aus ber groften Bette fteroor—„angeflagt wegen ©rü® 
gelei — na4 Bette 7! Konti SBoo" — man bra4te ben ©oftn 
beS ftimmlifeften SteidfteS — „§üftnerbiebftaftl — na4 13! 
©ictor buerero" — ein f4öner Mejifaner trat oor — „wegen 
Morb0erfu4 — naeft 121 $einrüft ©djuftmaefter, ©fanbal 
ma4en — Str. 281 Soft» ©town, Staubanfall — Str. 22!" 
©o ging eS nun weiter, bis aus ber groften Bette woftl fecftjig 
Männer aller Stationen unb ®erbte4en fterauSgebra4t waren. 
34 ftatte wäftrenb biefer Strbeit beim Kapitän geftanben, als 
er ff4 nun ju mir wenbenb im ruftigen bef4äftSton weiter laS: 
„Sieb. KbmunbS, wegen Kntlabung oon @4ieftwaffen mit bem 
©orfafe JU töbten" (discharging fire arms, with the intend to 
kill). Kr f4aute mi4 groft an unb wies mit ber Dberflätfte ber 
$anb auf bie betreffenbe ©teile im ®u4e. Mecftanif4 blidte, 
i<ft ftin. 3a, ba ftanb’S, oon einem 3taliener unterf4rieben, 
bie Stamen oon jwei ©olijiften mit angegeben. ©orgloS warf 
i4 ftin: „3ta, was bann?" — „Sta, was bann?" wieberftolte 
ber Kapitän, „was bann — jeftn 3,aftte ©an Duentien" (cali® 
,fornif4e8 Su4tftauS). 34 lo4**/ kenn no4 glaubte i4, er 


ma4e einen ©4erj. Kr aber meinte, eS fei feine Seit jum 
©paften unb mir würbe ber Krnft ber ©a4e f4on fomrnen, 
wenn i4 oor bem ©olijeirüftter ftänbe; et müjfe jefet aber 
eilen, um au4 bie SBeiber aus ber anberen Bette ju „fortiren", 
wie er ff4 auSbrüdte. 

3eftt erft faft i4, in we!4e gefäfttlüfte Situation mein 
9tauf4 mieft gebra4t unb we!4en Unanneftmli4teiten i4 bur4 
bie Küte beS Kapitäns entgangen war. Kiefe Betten Werben 
aünäcfttli4 oon ben eingebra4ten ®erbre4ern aller Slrten wie 
aller Stationen gefüllt unb üij wäre ebenfalls ftineingefommen. 

Stun fanbte i4 ju meinem tlboocaten unb um 10 Uftr 
befanb i4 mi4 «eben iftm ftftenb oor bem Sßolijeirüftter. ®ie 
Steifte fam halb an meine ©a4e. ®om 8ti4ter gefragt, ant= 
wortete mein Stboocat für mi4: „Sti4t f4ulbig." SBie Beugen 
würben oernommen. S)er 3taliener fagte pofitio, baft i4 auf 
iftn gef4offen ftätte. ®a3 Beugnift ber beiben ®olijiften be= 
(tätigte bie SluSfage, unb ba i4 feine Kegenjeugen ju bringen 
ftatte, ma4te man eS furj. 34 würbe unter 5000 KottarS 
Kaution geftettt, bamit i4 mi4 jur beftimmten Beit Oor bie 
©ranbjurft ftette, we!4e erft in circa brei Monaten jufammen* 
berufen würbe; ftietju muftte i4 nun jwei ®ürgen f4affen, 
Seute, we!4e na4wetfen fonnten, baft fte im ®efifte oon boppelt 
ber Summe feien, für we!4e fie bürgten. 

Ka i4 nur in ber ®egleitung eines fßolijiften meine ®e- 
fannten ju biefem Bwed auffu4en burfte, War eS felbftoerftänb: 
li4, baft i4 mitft ni4t entf41ieften tonnte, in baS Kaufmanns: 
oiertel ber Stabt ju geften, um bort meine ®ürgen ju jutften. 
— Ker Ißolijeifecretär ftatte aus greunbf4aft ju mir meinen 
Stamen oon KbmunbS ju KbmarbS entftettt, bamit biefer oon 
ben Sefern ber Beitungen nüftt in ben Steiften ber ®erb«4er 
erfannt würbe. 

34 begab mi4 alfo ju jwei ber oermögenbften ©portittg: 
man, weltfte fteft bereitwillig für mi4 oerbürgten. 

Kapitän K. ftatte Ste4t geftabt; itft faft immer meftr, in 
we!4’ eine gefäftrli4e Sage mein Stauf4 mi4 gebratftt greunl^ 
unb Slboocaten fcftüttelten bebenf(i4 ben Kopf. Meine einjig'e 
Hoffnung waren no4 bie brei Monate bis jur Kntfdjeibung. 
Mit ber Beit muftte Statft fomrnen. 

II. 

S)ie ©tabtwaftlen naftten fteran. 3)ie repub(ifanif4e ®artei 
ftatte iftre Konoention geftalten, iftre Stominationen für ®ürger= 
meifter, ©4afcmeifter, ®efteurer, Kottector, ©tabtoerorbnete rc. 
gema4t unb man bereitete fitft f4on jur Saft! oor. Stun 
waren jebotft Seute oon fteroorragenber ®egabung wie groften 
Mitteln ba, we!4e, obwoftl als Kaubibaten aufgeftettt, itnberüd: 
ff4tigt geblieben waren. KieS, wollten fie wiffen, fei bur4 
3ntrigue, ®efte4ung ic. gef4eften. @o ftietten fie benn ein 
„Meeting", welcfteS mit bem ®ef41uft enbete, eine felbftftänbige 
Partei ju organiffren. Kiefelbe trat unter bem Stamen „Bell 
ringer“ in’S Seben; iftr Bwed mar bur4auS fein ebler; bo4 
muftte bieS bem groften publicum unbefannt bleiben. Man 
wollte mögtkftft oiele ber republifanif4en ©timmen für ft4 ge= 
Winnen, babut4 bie ®artei fcftwä4en unb mit biefer $ülfe ben 
Kemofraten ben ©ieg juwenben. ®aft man felbft nieftt bie 
SBaftl für ff4 befommen fonnte, muftte man feftr woftl. ®ie 
Kemofraten lieferten ben ®eüringern au4 Woftl baS für iftre 
3wede nötftige Kapital, we!4eS fein geringes war. Sin bet 
©pifce biefer neuen (ßartei ftanb Major SBilfenS unb Konten, 
weI(fte mit fo groftem 3«tereffe arbeiteten, wie man eS nur 
tftut, wenn man, wie fie, fuft reoan4iren will. 

Ker Sufaü wollte nun, baft biefe Herren au4 für bie 
©ranbjurft ernannt waren, ber Kine jum ®ormann, ber Sin® 
bere jum ©ecretär berfeiben. 34 war biSfter immer Sie® 
publifaner oom reinften SBaffer gewefen, bo4 oerbenfe man eS 
mir nüftt, baft ieft, ba i4 fo!4* ®ritnbe ftatte, „mit Seib unb 
Seele" (?) ®ellringer würbe. Man f4ien mi4 brau4«t ju 
fönnen, benn i4 warb fofort jum ®orftanbSmitglieb ernannt. 
«tteS war gut organifirt. 3« bem halb ftattfinbenben Maft® 
meeting war i4 für bie britte Siebe beftimmt. ®effer Unter® 


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Nr. 4. 


Sit* «egenmart. 


58 


richtete lannten ja beit 3h?e(f bec Partei uitb nannten beten 
Setter „Sore heads“ (SSunblöpfe). Der größte Dheil beS Wublis 
cumS tief gufammen, um gu hören. 

KtS Uh bie Webnertribüne beftteg, fab ich mich Wobt 
10,000 Seuten gegenüber. Unoergefjlich bteibt mir meine 
Webe, aber wa« tbut man nicht, um non 10 3af)ren @an Duen* 
tien frei p fommen. 

3cfj fpradj bon Sachen, bie ich fetbft am wenigften glaubte; 
ich nannte bie republilanifche Partei, ba fie bie Freiheit eines 
jeben Würger« befchränle, corrupt, bie üon r uns gegahlten hoben 
Steuern oeruntreue unb falfch anwenbe, nnb jefct wieber fotche 
Wominationen gemacht höbe, bafj jeber ©utgefinnte, Welcher bie 
Werfonen tenne, bie baS republilanifche Wiflet mit ihren Warnen 
gieren (?), nur „Schmach, Schmach!" über fie rufen muff. ©5 
oerftebt ftd} bemnadj oon fetbft, bah wir nur ber Wotljwenbigs 
feit folgten, wenn wir ba« Keine Häuflein ©etrener, welche eer= 
fchmüheten, an bem reichen Difdje ber Korruption mit Wefcbräm 
fung aller Freiheiten p fdjmarofeen, unter eine Fahne gufams 
menriefen, auf welcher ftebt „Bell ringer!“ „Km grofcen jage 
ber SBaljl wirb biefe Fahne Such Äßen ooranWeben, 3h* werbet 
ihr folgen unb rufen: SBir läuten bie ©tocfen ber Freiheit unb 
fdjüttetn ab ba« 3och ber Korruption! 3<h perfönlich gehöre 
gang ber Sache, ich werbe meine Seit, mein Dalent unb mein 
©elb mit Freube opfern, gum Wufcen unfereS glorreichen SanbeS, 
beffen Würger gu fein ich flolg bin ic." 

Krfchöpft warf ich mich, nacbbem ich meine lange Webe 
beenbet unb bie Plattform oetlaffen hotte, in einen Seffet. Der 
SWajor fowie Konten brachten mir fetbft erfrifchenbe ©etränfe 
nnb überhäuften mich mit Schmeicheleien. Wach Weenbigung 
ber erfolgreichen Werfammtung muhte ich mi<h mit ihnen in ein 
Socat begeben, unb auch hier trug man mich faft auf ben $änben. 

Km nächften üRorgen waren fchon bie 3eitungen oofl oon 
bem SWeeting. Demofratifche Organe benufcten unfere Partei 
als grohe Wectame; fie meinten, es ginge beuttich bie Schwäche 
ber Wepublifaner barauS heroot, bah fetbft Seute wie SWajor 
ÄttfenS,' Konten unb ich fie oertaffen, bie ftets ihre Wannet* 
träger gewefen waren, unb fo weiter. 

Wepubtifanifche Wtätter jeboch brachten bie SBahrheit, 
nannten uns SSunblöpfe unb fpratfjen oom Fud)S, bem bie Drau* 
ben gu fauer. SBaS mir jeboch in ben Äopf gefommen, festen 
ihnen ein Wäthfet, bodj rnüffe ich wohl perföntidje ©rünbe für 
meine $anbtungSweife haben. SBof)in ich tarn, warb ich oon 
Freunbett, benen ich nur bie ausweichenbften Kntworten gu geben 
im Stanbe War, banadj gefragt. 3e peinlicher meine Sage 
jonft warb, um fo oiel mehr würbe ich oon ben Wellringern 
- auSgegeichnet Wichts fann in ben ©acificftaaten ohne „SWeetingS" 
burdjgefeit werben. Darum würben foldje faft täglich oon uns 
abgehatten, woburch es natürlich wieber nothwenbig warb, 
„KomitöS" gu ernennen, welche Wefchlüffe gu faffen unb fotche 
bann bem Worftanbe als „abgemacht" oorgutegen hatten. 

SWerfwürbiger SBeife ftimmten meine Knfichten mit SWajor 
SBitfenS unb Konten immer überein! Wacfjbem fie mir eine 
Sache oon ihrem ©efichtspunfte auSeinanbergefefet hatten, festen 
mir bie übergeugenbe Wichtigleit berfetben ftetS einguleuchten! 
So tarn eS benn wohl, bah man über mich in ben widjtigften 
Konnte« oerfügte. SWeine Krbeit für bie Sache wuchs täglich- 
SBie gern thut man KfleS, um baS ©ebeihen feines SanbeS gu 
beförbernü 3eben Kbenb war ich mit SWajor SBitlenS unb 
Konten gufammen unb beibe {(hielten gleichgera meine Fteunb= 
fehaft gu cuttioiren. Der Dag, an welchem meine Kngelegenheit 
»or bie ©ranbjutt) tarn, tüdte heran. Woch hatte ich «i<htö 
SeftüttioeS gethan unb bangenb Köpfte mir baS #erg, wenn ich 
baran bathte. SWir war bie ©efahr belannt, mich einem ©ranb= 
juror mit meiner Sache gu nähern. Die Kriminatgefefce ber 
bereinigten Staaten fmb ftrenge; es fleht fchon auf bem blofjen 
berfuch, baS Urtheit eines ©efchworaen gu beeinfluffen, 10 3ah*e 
©an Duentien. Sch rechnete 2 mal 10 ftnb 20 u. f. w. 3mmer 
näheo lam ber oerljüngnifjoofle Dag. „SBahrfcheinlich wirb 
e# ber nächfte Freitag Werben", bemerKe ber mir befreunbete 
IJWigeifecretär. 


Km Donnerftag K6enb mar wieber eine Worftanb«oer= 
fammtung; in ihr legte man befonberS ©ewicht barauf, eine Kn= 
gelegenheit bon Webeutnng burdjguführen. SWir hatte man baS 
Worbringen berfetben anoertraut unb nach hartem Kampfe, ber 
mir oiele Knftrengung loftete, gelang eS, baS gemünzte Wes 
fultat gu etgielen. SWajor SBitfenS meinte, heute hätte ich mich 
felbft übertroffen unb lub mich gu einem „nightcap“ ein. Krm 
in Krm ging ich mit ihm unb Konten in ben Wartoom unb 
fchtenberten wir ebenfo, über ben fomeit errungenen Sieg ptau= 
bernb, unferen SBoljnungen gu. Watb lam bie ©de, wo unfere 
SEBege ft<h trennten; ich hatte mich fchon Oerabfdjiebet, bie Herren 
muhten tinls unb ich rechts gehen, als mir noch eben etwas 
eingufaflen fdjien unb ich, ihnen einen Schritt nachfpringenb, 
„Sieh h»« SWajor, — Konten!" rief. Sie ftanben oor mir, 
meine Knfprache erwartenb. „Wa morgen — ba in ber 3urp, 
ba werbet 3h r meinen Warnen hören." — „SBie fo, Web?" — 
„SBie fo? Wun fo ein Statiener, ber nicht mal Knglifd} lann, 
fagt, bah ich auf ihn' gefchoffen habe; ’S war 100 Schritte 
Weiter hinauf in ber Strahe." — „Wa, Iah nur gut fein, Web," 
meinte ber SWajor, „wir woßen fchon gum Wechten fehen." — 
3<h ftotterte: „3a, ich meine ja auch nuc fo- Unb mein Warne ift 
oerbreht, KbwarbS, KbmunbS, aber KtteS berfetbe. — ©ute Wacht." 

Der nächfte Dag war für mich fdjrecKich, benn oor ber 
©ranbjurtj wirb nur bie KuSfage ber Knlläger oemommen, 
unb mäljrenb meine gange Sulunft oon ber Kntfcheibung abhing, 
muhte ich fetbft unthätig babei bleiben. 3<h hatte jeboch gro* 
heS Wertrauen auf meine neu erworbenen Freunbe unb beten 
SWacht. Kuf fie hoffenb, legte ich mich ruhig in’S Wett, ba eS 
gang unbeflimmt war, wann bie 3urp fi<h in ber Wacht auftöfen 
würbe. SWein Wertrauen warb belohnt! Das Krfte, was i<f) 
am nächften Dage in ber Bettung fanb — man benfe ftch mit 
welchem 3ubet — war: „Web KbwarbS, wegen Knttabung 
oon Feuerwaffen u. f. w." — unter ben ignorirten KnHagen ber 
©ranbjurh. 


cSttitafttr ttttb Jutttß. 


. StonnM. 

Womau in 0 Wütern (8 ©(heben) oon Friebrtch Spielhagen. 

Seipgig, ©erlag bon 2. Staatmann. 

Friebrich SpielhagenS bichterifche ©robuction wirb oon 
einem fel)r beftimmten unb feljr beuttich wahrnehmbaren Wrincip 
geleitet. DaS Weftreben, bie wirlfamften unb fotgefchwerflen 
Crfcheinungen unferer Beit — Krfcheinungen, bie eine Kpoche 
gemacht haben, — in ber ergäljlenben Dichtung feft gu hatten 
nnb gu fciren, tritt bei ihm überall bewufttüoH unb confequent 
hetoor. 

SBie wir heute, wenn wir uns oon ber frangöfifdjen ©es 
feßfttiaft unter ber 3«limonar<hie eine richtige Worfteßung bitben 
woBen, ben Womancomplej, ben Watgac unter bem Ditet „ComSdie 
humaine“ oereinigt hat, gur §anb nehmen müffen, fo foßen unfrn 
Kniet, wenn fie bereinft baS Webürfnih fühlen foßten, fid} über 
bie beutfehen Buftänbe unb Stimmungen in ber UntfchmmtgSs 
periobe ber testen 25 Sah« beffer gu unterrichten, als eS aus 
ben ©efdhichtöbüchem möglich ift, gu SpielhagenS Woman greifen. 
So hat er bie Weaction nach bem achtunboiergiger Sturm in 
Knfnüpfung an ben Kommuniflenprocel, fo hat er bie ernflen 
unb bebrohlithtu Wegungen beS SocialiBmuS in Deutfchlanb, baS 
Berbrödetn beS WarticutariSmuS unb bie Wereinigung ber Keinen 
beutfehen Staaten bur<h ben Ätieg, fo h°t er enbtich in feinem 
neueften Woman unfere jüngfte Kpoche gur WafiS feiner ergähtens 
ben Dichtung gewählt: jene Beit, bie Werblenbete unb SdE)ön= 
rebner bie Kera beS „ittbuftriKIen KuffchwnngS" genannt haben, 
unb bie jejjt bie Beit beS rapiben unb finntofen ©elberwerbS 
um jeben ißreiB, bie Beit ber „©rünbungen" genannt wirb. 


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54 


Sie (Segenwart. 


Nr. 4. 


Set ffißarafter biefed StontanS als einer ßeitbidjtung tritt 
Zunätft mit einer gemiften Stbfid^tti^feit auf. 3m erften Sanbe 
breßen fit alle ©efpräte um folte fragen, bon benen mir 
burdj bie Zagedbtätter in einer meinen Slnfprüten meßr ald 
genügenben Steife unterrichtet merben. Sa hören mir, freilich 
in einer befferen Sorm, ald fie und burch bie Beitungen geboten 
mirb, aflerßanb über bie Äreidorbnung unb Selbftoertoaltung, 
über ßüftenfthufc, über bie ©rünber, übet Sidntardd Sezießungen 
ju ffilementen, bie ihm nicht ganz fpnipatßift finb, mit benen 
er {ich aber aud Ätugßeitdgrünben auf einen guten 3uß fteflen 
muß, über ©buarb non Startmann unb Stüßarb SBagner, übet 
ben testen Ärieg; ba merben und mit großer Stnftaulitfeit 
Silber aud ber Dotierten Studfteüung gefchilbert, bie und übrigend 
noch in guter (Erinnerung finb, ba hören mir auch, baß bad 
beutfche ffaiferreich in SerfaiHed begrünbet ift, unb baff mir 
nun biejenige achtunggebietenbe Stellung einnehmen, metdhe ...ic. 
Sei biefer ©elegenßeit bringt ber national gefilmte Sprecher — 
ed ift ein Sauffahrer, unb fein Slicf hat ftt burch feine großen 
Steifen unb ben Serleßr mit fieuten aud aller Herren Sänbem 
gemeitet — bad oft gehörte Argument nor, für bad ich, wie it 
offen geftehen muß, nie bad »olle Serftänbniß befeffen habe. 3ener 
Stiftdcapitän bebucirt nämlich, baß bie Segrünbung bed beutfchen 
Saiferreidhd fdhon bedmegen eine Stotßroenbigfeit gemefen fei, um 
bad Stnfeßen ber Seutfcßen im 2ludlanbe ju heben. (Ein 9lrgu= 
ment ift ed aüerbingd, aber bad Argument ift ed boch ftwertit- 
(Ed fomrnt mir fo oor, ald ob ich mir meinen §audftanb bed* 
megen behaglich unb folibe einrichte, um oon ben ßeuten auf 
ber Strafte höflich begrüßt ju merben; ich befenne, baß ich babei 
junächft an mein SSoßtbefinben im $aufe felbft benfe. 

gaft alle biefe ©efpräte folgen fidh z u Slnfang bed SRomand 
auf bem 3«ße; im roeiteren Serlaufe ber (Erjählung tritt ber 
beabfichtigte Beitdjarafter in ben einzelnen aöbefannten Sßmptomen 
nicht mehr fo grell ßeroor, unb ed ift ftßließlit, fehr jum Sor* 
theil bed Suched, nur noch bie allgemeine Bestimmung, melche 
fidh in bem ©anjen geltenb macht. Spielhagen hat — unb bad 
ift mehr ald ein glüdtticher (Einfall, ed ift ein aud poetifcher 
Stnftßauung ßeroorgegangener tiefer ©ebanle — bie ßotauf= 
fchäumenben Stegen ber mühelofen ©eminnfudht, bie in ihrer 
fcfjminbetnben $aft Sttleö mit fidh reiften, ben ruhigen (Ermerb 
unb ben rebtichen ©eminn überfluten, — et hat biefe felbft 
ald eine Strt oon erfchredlichem Staturereigniß betrachtet unb fie 
mit jener furchtbaren Sturmfluth combinirt, bie ftch im Srüh : 
jahr 1873 auf unfere Süften geftfirjt „mie ein geßefcted Staub: 
thier in bie $ürbe, bie rneilenmeit in bad Sanb ßineinmätzenb, 
nieberreißenb, mad ihrer blinben SButß fit entgegenftemmt, Sieder 
unb SBiefen mit Sanb unb ©erötl bebedenb eine Sermüftung an: 
richtet, oon ber noch Snfel unb ©nfelfinbet fdhaubernb erzählen 
merben." 

Ser Sichter hat biefe beiben Sturmfluten, bie geographifche 
unb bie finanzielle, in ber Slnlage auf bad ©lüdlitfte jufammen: 
geführt unb burch bie jerftörenbe ©emalt bed Sleered ben auf 
Zriebfanb errichteten Sdhminbelbau einer jener unbegreiflichen 
Sahnen über ben Raufen metfen laffen, melche ber freoeln Specu= 
lation unb bem ©igennuße ihr Safein oerbanfen. 3n ber Slud= 
fühtung aber ift bie eine Seite biefed Soppelmonftrumd ju 
©unften ber anberen bidhterifch ftar! oernatläffigt morben. Sie 
Säuberungen ber mähren Sturmfluth finb ungleich mächtiger 
unb großartiger ald bie ber bilblidhen, bed ©rünbungdfchminbeld; 
jene hat nun in ber Zßat einen echten Sichter gefunben, biefe 
harrt feiner noch. 

fßljUipp Scßmibt, ber bie Specied repräfentiren foH, ift ein 
einfacher Stminbler, ber nidht ald ein fßrobuct jener Beit ber 
temporären Stodung faufmännifcher Schamhaftigleit ju betrachten 
ift. Solche Seute, bie bemußtooH brauftodgaunern unb fogar oor 
bem Äeußerften, oor bem oerßängnißoollen ©riffe in bie frembe 
Safte nidht jurfidbeben, hat ed ju allen Beiten gegeben. Sie 
finb Sutttpe auf eigene Sauft unb bemeifen nichts für bie StlU 
gemeinheit Ser ©rünbet — mir haben bad an einem fehr 
berühmten Seifpiele gefeßen — ber ©rünber, ber mirllich «hara!» 
teriftiftß ift unb nicht blöd betrügt unb ftießlt, fcheint mir einer 


gemiften ibealen Seimiftßung nicht gar unb OöKig baar ju fein. 
(Er ift nicht blöd ber einfache Sump, ald ben ihn bie enttäufdjte 
unb beftrafte ©eminnfucht jefct ßinftellen miß. (Ed hat boch f° 
Stanten gegeben, ber noch mehr aid Stnbere fidh felbft getäufcht, 
ber fich Sanb in bie Slugen geftreut unb fich felbft aflerlei oor: 
I gerebet hat oon ben ungeheuren Sorjügen bet ©rmeiterung bed 
' Slftociationd: unb Slctienmefend; für ben ed tiefer ©mft mar, 
1 baß bie Setheiligung einer großen Slnzaßl oon Stetionären an 
bem ©eminne, ber bid jefct in bie Zafte bed einen Sabrilljerru 
I floß, ber aßgemeinen SBoßlfaßrt einen mächtigen Sluffchmung 
i oerteihen unb ben Stationaireichthum erheblich oermetjreu mürbe. 
! (Ed mag Selbftbetrug babei gemefen fein; ed ift möglich, baß 
man mit biefen nationalölonomifchen ©upßemidmen bie Staßnuug 
bed ©eroiftend betäuben unb ber ©eminngier eine anftänbige 
j Zoitette geben moßte, aber auf einfachen Staub mar bie Sache 
boch maßt nur in ben fettenften Säßen abgefeßen. Spielhagend 
©rünber ift ein fimpler unintereftanter ©auner. 

SBie in jebem guten Stomane merben auch in ber „Sturm: 
fluth" bie Intentionen bed Sichterd burch ©egenfäfce oeran: 
I fchaulicht, burch ©egenfäfee in ben einzelnen ©liebem ber ©ruppen 
unb burdh ©egenfäfce im ©roßen, ber oerftiebenen ©ruppen ju 
| einanber. 

3ener gemiffentofe Stminbler Sßilipp ift ber Sohn eined 
ftreng rechtlichen, tüchtigen Saufmannd, bed Starmorßäubterd 
©mft Scßmibt, ber in rebtichem SRüßen unb im Schmeiße feined 
Stngefichtd Stein auf Stein zn bem ftattlicßen ©ebäube, auf 
bad er je$t mit Stotz btiden tann, zufammengetragen hat. Ser 
[ alte Schmibt, gemöljntich „Dnfel ©mft" genannt, gehört z» ben 
! immer fpärli^er merbenben Sertiner Semofraten, bie am 
j 18. SJtärz auf ber Sartüabe geftanben pnb noch h e nte mit berfethen 
( Unerfchütterlichfeit an ben ißrincipien fefthalten, für bie fie ba= 
mald ihr Seben in bie Schanze z» f^iagen bereit maren. Sic 
©rfolge haben ihn nicht Oerföhntidßer geftimmt. SJtan fpredje ihm 
, nicht baoon, baß man „ben gegebenen Serhättniften Ste^nung 
j tragen müfte"; er Jennt feine Serhältnifte, er fennt nur Ueber: 

! Zeugungen. Sein ftolzer Staden h Q t ließ noch oor feiner Slutorität 
j gebeugt. @r haßt Sidmard, er ift ftarr geblieben, erbittert ge* 

; morben. @r lebt in felbft gemähtter Sereinfamung, et ift aeßtungä* 
mertß unb tücßtig, ein ganzer Statut, eine echte, fräftige, bießterifeße 
©eftatt. 

Ser Stame Sßilippd mirb in feiner ^äudlicßfeit nießt meßr 
genannt. Siefe befteßt nur noch aud ztoei meibtießen Stitgtiebern: 
aud feiner Scßmefter, ber gutmütßigen Zante Stiefcßen, unb feiner 
Zocßter f$erbinanbe. Stan fann zu bem $audßatte noeß hinzu: 
rechnen ben alten Su^ßalter Greifet, ber im {tinterßaufe moßnt, 
einen alten treuen Siener bed Dnfel ©mft, unb ©ißi Greifet, bie 
Zocßter bed Sucßßatterd, bie blinb ift unb bie ber Sichter mit 
einem ganz eigentümlichen poetifdßen Bauber hat audftatten 
moßen. 3« einer (Erzählung, bie mißt mie bie oorliegenbe mit 
jebem Schritte, ben fie oormärtd tßut, an ganz mobeme Steali: 
täten anftößt, mürbe biefe ©eftalt, bie fit aud einer 3*an 
Sauffcßen Zräumerei in ber Slrt bed ,,$edperud'' ober bed 
„Zitan" ßierßer oerirrt zu ßabett feßeint, ben oom Sicßter beab* 
fidßtigten ©inbrud aut °l ne Sn>eifel ßeroorbtingen. 3« ber ganz 
reatiftiften Umgebung aber nimmt fte ftt etmad befremblit 
aud, etroa mie ein Stafael’ft« ©ngel inmitten einet fröhlichen 
3etßefeßftaft bed berben Zenierö. 

©igentßümtit unb mobern zu gleiter Beit ift Serbinanbe 
Stmibt, ein ftßöneö junged SJtäbten, bad ztoar bie Stönßeit, aber 
nießt bie Slnmutß ber 3ugenb beftßt. gerbinanbe ßat oon ißrem 
Sater manterlei geerbt. Sie ift oiet fit felbft Übertaften gemefen, 
ift oßne BärttUßfeit aufgeroatfen, faft oßne greubigfeit. Sie fteint 
feine ©efpielinnen geßabt zu ßaben unb ßat feine ftfreunbinnen; 
fie ift teibenftafttit unb energiftß mie ißr Sater, fie ßat fit 
ber ffunft zugemanbt unb fteint ein feßr bebeutenbed Zatent 
ald Silbßauerin zu beftßen. 

3ßr fleßter ift ein mit ben tiebendmürbigften Farben ge= 
matter, ßarmlofer, naioer, großer Zünftler, 3uftud Stnberd ge: 
ßeißen, ber SWed „famöd" finbet — bie Seitmotioe broßen je|t 
aut *n ber Siteratur überßanb zu neßmen —, ein ganz prättiger 


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Nr. 4. 


lit ttegenniart. 


55 


Stenfdj, gwat nid^t gerabe tief, aber gemütfelicfe, feergenSgut unb 
frifdj. Er hat fein Sltetiet auf bent ©cfemibt’fchen ©runbftüde. 

3« biefem Sttetier, ba« an ba« non gerbinanbe ftöfet, 
arbeitet nnter bent Steifter Stüber« ein anberer ©ilbfeauer, ber 
bie gröbere feanbrnerföntäfeige Slrbeit »errietet, ein gar gefaxt; 
lieber SRann! (Sr Reifet Antonio Stichele unb ift Italiener, 
©pietfeagen ift in feinen Somanen auf ba« SuSlanb nicht gut 
gu fprecfeen. Tiefer wunberticfee Stntonio ift ein feöcfeft läftiger, 
unbequemer $err. Er liebt gerbinanben; er »erfolgt fie mit 
feiner ebenfo ungeftümen toie unfinnigen Siebe unb einer Etfer= 
fudjt, bie er birect in Driginatöerpacfung au« feinem ©aterlanbe ‘ 
bezogen hat. Sticfe nimmt nur Sunber, toie biefer Starr, ber ! 
ba« (Silbe nimmt, ba8 er nehmen mttfe, — er toirb nämlich fc^tiefelicE» 
toirtlicfe gang wafenftnnig, — über ba« mächtige Stäbchen gerbinanbe 1 
©ewatt gewinnen !ann. Stir ift e« fd)ier unbegreiflich, bafe ftcf» 
ba« (luge, ftarfe unb ihrer ©tärfe bewufete Stäbchen »or biefem i 
fefewargäugigen Stanne immergu fürchtet, bafe gerbinanbe ihn in 
ihrer Sähe butbet, anftatt ihn mit feinen erfraoaganten Siebe«; 
erftäruugen »or bie Thür gu fe|en. Sie brauste ja nur mit 
ihrem greunbe unb Sekret ®nber« ein »ernünftige« Sort gu 
reben: „Ter Stenfcfe, ber Stntonio, ift mir unheimlich unb be= 
heiligt miefe beftänbig mit feinen freien Anträgen; er fpäfet auf I 
alle meine Stritte unb Tritte unb »erbirbt mir ba« ©ergnügen, I 
meiner §ergen«neigung gu folgen. ©Ritten fie ben unbequemen I 
Stenfdjen fort." Ter gute Stnber« mürbe ba« gang „famßd" finben ! 
unb bie (Bitte mit Vergnügen erfüßen; unb bafüt, bafe ber 
unheimliche Stenfcfe lein weitere« Unheil anrichtet, würbe bie 
Settiner ©otigei fd^on forgen. Slnftatt beffen bleibt Stntonio in 
gerbinanben« 9täfee, »igitirt, fpionirt unb fefeteiefet beftänbig 
herum wie Störo« ben Tolcfe im ©ewanbe. 3m Xhiergarten, 
im Sertiner Thiergarten ba« ©titet eine« (Siferfüchtigen! ba« 
»erbädjtige Jfnaden »on $weigen! Ta« fällt au« ber Sanbfchaft. 
St« unheimliche Staffage be« Thiergarten« fann man fich alte« { 
mögliche ©efinbet »orfteßen: ©auernfänger, 8efcfeü|}er »on lieber; i 
liehen Tinten, Tafihenbiebe unb »iefleicht auch etwa« ®cfetim= I 
meteS; aber bie Saffe be« Thiergarten« ift immer ba« gang 
gemeine Steffer, niemals ba« ©titet, unb ein eiferfiiehtiger, auf 1 
ber Sauer tiegenber Staliener, ber ben ©riff eine« fo anftänbigen 
Storbinftrumente« in ber Sauft hält, unb wie weitanb Seber; i 
ftrumpf getäufchlo« über ba« ©egmeig bahinhufdht, bi« ein bürre« ' 
Sei« tnaett unb bie« »erbädjtige ©eräufefe bie böfen ©läne üer= 
eitett — e« wirft befremblidj, namentlich befrembtich, wenn wir ; 
eben gefehen h a t> e »> (nie ein junge« Stäbchen »on ihrem ©etiebten 
»orfiefetig in eine Trofdjfe gweiter Ätaffe gebracht wirb, unb biefe« 
trübfelige ©efährt traurig wie ein Seichenwagen bahinfäfert. 

Tiefe« junge Stäbchen ift gerbinanbe ©chmibt. Ter \ 
junge Dffigier, ber ihr ba« ©eteit gegeben, ift Dttomar »on j 
Serben. 

^»aben mit ben ©egenfafc bet gamitie ©chmibt auSgefptocfeen j 
gefehen in bem redjtfcfeaffenen SSater unb bem tiebertichen ©ohn, j 
fo haben wir jefet ben ©egenfafc »on gamitie gu gamilie. 

Sn ba« ©chmibt’fche ©runbftücf, unb »on biefem nur burch 
eine nichtige Stauet gefchieben, ftöfet ba« be« ©enerat« »on Serben, 
©chmibt feafet biefen ©enerat töbflidj. Sie er eine ©eftatt ber auf« 
fäffigen, trofeigen bürgerlichen Temofratie, fo ift ber ©enerat »om 
Scheitet bi« gut Sohle ber ariftofratifdje SJtititär, ber ba«, ma« wir 
Bourgeois „©orurtfeeite be« ©tanbeS" nennen, wie einen Eultu« ; 
ehrt unb bie ariftofratifefee ©efinnung, bie ihm »on feinen Stljnen | 
überlontmen ift, immer mit wachfamem Suge wahrt. Tie ©eiben, : 
Serben unb ©chmibt, haben bereinft auf ber ©arrifabe einanbet ! 
gegenüber geftanben; ©chmibt ift ber ©efiegte unb miß e« bem 1 
Sieger gebeuten. Serben weil ba« Sße« nicht mehr; et weife 
nicht, bafe fein ihm »ößig unbetannter Stacfebar, »on bem er 
immer nur ©uteS gehört hot, tiefen ©roß gegen ihn im §ergen | 
trägt. (Sr bient feinem ©ott, feinem Könige, feinem ©atertanbe, 
tfeut Stecht, fcheut Siemanb unb lebt reefetfefeaffen in feinem 
#aufe mit feiner guten, anmutigen unb ttugen Tochter Elfe, 
mit feinem guten, aber teichtfinnigen ©ohne Dttomar, beffen I 
Schuften er »on Beit gu Beit gafelt, unb bet Tante ©ibonie, 
einem »erhobenen, nicht befonber« feffetnben, ariftofratifchen I 


grauengimmer, ba« irgenb ein »errüefte« Sud) fchreibt unb bamit 
aße Seit langweilt, auch ben Sefet. 

Unb nun biefe heimliche Siebe gwifdjen bem Sieutenant 
Dttomar unb gerbinanbe ©chmibt! Stontecdji unb (Saputeti 
Würben nicht in heßerem Böen aufbraufen wie bie Stten, wenn 
»on ber Siebfcfeaft ber beiben jungen Seute etwa« ruchbar würbe; 
wenn Dnfet (Srnft erführe, bafe feine ftolge Tochter einem Dffigiet 
nadjtäuft, bem ©ohne beäjenigen Stanne«, ber ihren ©ater töbt= 
lieh beleibigt, ber ihn »erfeinbet h»t wü ber Seit; wenn ber 
©enerat hörte/ bafe Dttomar, ein Serben wie er, mit einem 
©tttgetmäbchen fich in ernfthafte SiebeShänbel einläfet, mit einem 
Sütgermäbchen, ba« noch bagu ©dhmibt heifet! Sn folgen 
Tingen »erfleht ber atte ©enerat feinen ©pafe: bie Seinhattung 
be« Stammbaume« ift feine tieffte unb ernftefte Sorge, ffiiue 
Serben hot incorrect gehonbett, er hot e« ihr nie »ergieljen, 
obgleich lange 3oh*g e hnte feit bem ffehltritt »ergangen fiitb, 
obgleich ber frönen ©ünberin mitbernbe Umftänbe gut ©eite 
ftanben, unb obgleich biefe Serben feine eigene ©chwefter ift, bie 
er h*ife geliebt hot. Tiefe, fie heifet Saterie, h°t fe<h junge«, 
fcfeöne« unb gefeierte« Stäbchen mit einem recht unintereffanten 
$erm »on Sarnow »erheirathet, beffen $aupt»orgug fein be* 
trächttiche« ©ermögeit gewefen fein mufe. Sarnow hat e« nicht »er* 
ftanben, feine grau au fich gu feffetn, bie (£h e ift eine ungtücftiche 
gewefen, unb ©aterie »on Sarnow h°t ber ©erfuchuug nicht gu 
wiberfteljen oermoefet. ©in bitbfehöner, mit aßen ©aben be« ©eifte« 
auägeftatteter Staliener, Samen« ©iratbi, hot ihr $erg gewonnen 
unb gwifchen biefen hot fich ein fo intime« ©erhättnife h**ou«= 
gebitbet, bafe §err »on Sarnow fich öon f*iuer grau getrennt, fie 
bem Statiener einftmeiten überlaffen unb eine ©Reibung fytxbei- 
guführen im ©egriff fteht, at« et ftirbt. @r h°t »orher aber 
ein Teftament gemacht, welche« burch bie ©iratbi’jch* Rechnung 
einen unbarmhergigen Strich wocht. ©iratbi liebt weit mehr 
als feine fcfeöne ©eliebte bereu ©elb unb bie Stacht, bie er 
burch ba« grofee ©ermögen gu erlangen feofft. (Sr feat barauf 
fpecutirt, ©aterien, bie er feinem titanifefeen Sißen fftauifdj 
unterworfen feot, gu feeiratfeen. Ta« wirb aber burefe jene« 
Teftament gur Unmögticfefeit gemacht. Sarnow feot nämtiefe in 
ber Sieberfcferift feine« lefeten Sißen« feftgefept, bafe feine Sittwe 
für ben gaß, bafe fie eine nicht ftanbeSgemäfee (£fe e eingefecn 
würbe, enterbt, refpectioe auf ben geringen ©flicfettheil gefept 
werben foße; ein Tfeeil be« ©ermögen« ift ben ffinbern be« 
©enerat«, (Stfen unb Dttomar, »ermaefet worben, jeboefe gefeen 
auefe biefe ifere« ©rbtfeeit« »ertuftig, wettu fie eine iiicfet ftanbe«-- 
gemäfee @h e eingefeen foßten; für biefen gaß würbe ba« ©er; 
mäefetnife be« (Singetnen ben anbern Erben gufaßen. ©iratbi, 
ber böfe ©eniu« be« SornanS, feat nun feauptfäcfetich ein Biet im 
9uge: bie Enterbung ber beiben Serben« feerbeigufüferen unb 
baburefe ba« ©efammt»ermögen in bie $änbe ber grau ©aterie 
»on Sarnow feinübergubringen, ba« feeifet: in feine eigenen, benn 
er befeerrfefet bie unglüdtih< grau gang unb gar. Ter junge 
Dttomar »on Serben ftefet, wie wir gefehen haben, auf bem 
©unfte, bem gtatiener ben ©efaßen gu tfeun unb ftefe mit 
gerbinanbe ©chmibt gu »etbinben. 

Dttomar tann feefe aßerbingS noch immer nicht gu einer 
entfehiebenen Tfeat aufraffen, er fcfewantt noch er ift 
taub gegen gerbinanben« farge aber berebte Steufeerungen, bie 
ifem beutlich gu »erftefeen geben, bafe bie $eimtichfeiten iferem 
geraben unb »omefemen Efearatter arg guwiber ftnb. aber 
gleichwohl ift Dttomar noch unfdjtüffig. Er fcfewantt nicht au« 
finangieflen ©rünben, wie wir gu feiner Efere fagen müffen, niefet 
weit er burefe bie ©ertobung mit gerbinanben um ein ftattliefee« 
©ermögen tommt, fonbern weit feit längerer Beit fefeon gwifefeen 
ifem unb einer ftanbeögemäfeen Tarne, Earta »on Saßbacfe, ein 
oertrautiefee« ©erfeättnife beftefet, ba« in ben äugen feiner ©e; 
feßfhaft aßgemein at« ba« ©orfpiet gu einer ©ertobung be; 
traefetet Wirb. 

Tiefe Earta ift eine echte ©efeßfefeaftsbame, ein biöcfeen 
oberflächlich, ein biScfeen fotett, aber Weber boSfeaft noefe tfeöricfet, 
fo ein gräutein, wie gerabe gwötf auf ein Tufeenb lommen. Sie 
ift bem ©enerat »on Serben at« Schwiegertochter genehm ober 


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56 


9ie ©egrnwari. 


Nr. 4. 


roenigftenS acceptabel. @8 tft feine ftfeinigleit, ein foteijeS S3er* 
ffältniff, baS fic^ weniger auS eigener 3uneigung a(8 unter Mit= 
roirfung bet ganzen gefeßfcffafttichen Umgebung jufammenfügt, 
gu töfen; unb bas wirb wofft ber ©runb (ein, weshalb Otto mar 
nodj nic^t ben Muth hat, mit gerbinanben an ber §anb oor 
{einen Rater ffinjutreten unb ihm ju {agen: „baS ift meine SSraut." 

Stber nid^t blo8 Dttomar, auch ©Ife befinbet fiel) in ber 
angenehmen Sage, burdj bie läftige SeftamentSclaufel enterbt gu 
werben. Slueff fte hat ihr $erj heimlich »ergeben unb tadjenben 
MunbeS ihr ffirbtffeit öerfcfferjt; aueff fie f>at fi<h oerliebt unb 
— bet arme ©eneral hoi wirtlich fein ©iüd — ebenfalls in 
einen ©effmibt. 

SaS ift Reinffolb ©chmibt, ber ©CffiffScapitän, ein fföcffft 
begabter, tüchtiger, anftänbiger Menfeh, ber e8 ihr gleich &*» 
feinem erften ©rfeffeinen angethan hot. ©ie hot ihn auf bem 
Keinen Sampfboote auf bem SBege nach ©unbin fennen gelernt. 
SaS Sampfboot ift burC£j ben ©igenfinn beS SapitänS aufs 
gefahren unb Reinffolb, ber ju ben Raffagieren gehörte, hot ihr 
unb ihrem Rater bur<ff feine Äenntniffe, feine Ruffe unb Hebers 
legung unb fein liebenSmürbigeS fffmpatffifdjeS SBefen imponirt. 
Ron ben flüchtigen erften Unterhaltungen mit Reinffolb hot ©Ife 
ben angenehmften ©inbruef empfangen. Sie Sßärme beS Seleflops, 
baS er lange in ber $anb gehalten unb ihr leiht, — biefe SBärrne, 
bie ihr unter allen anbern Umftönben eine höchfi unangenehme 
©mpfinbung fferoorgerufen hoben würbe, berührt fie angenehm, 
©ie beh&lt, Wa8 er fagt, unb wieberholt eS am gehörigen Orte, 
©pielffagen hat eine groffe Stnjaffl oon fehr hübfehen ffiinjelffeiten 
etfunben, welche baS jarte Sluffeimen ber Siebe in ben beiben 
#erjen in jarter SBeife befunben. Sei bem Unfall beS SampferS 
fügt eS fich, baff Reinffolb mit bem ©eneral oon SBerben unb 
feiner SoCffter länger gufammenbteibt, als er nach tnenfcfflicher 
Rerecffnung hoffen burfte. Sie fröhlichen Schiffbrüchigen werben 
oon einem ©rafen ©olm, beffen Refipungen an ber @ee liegen, 
aufgenommen. Siefer ©raf ©olm ift ber jweite SffpuS beS 
©rünberS, ju bem belannte Mobeße gefeffen hoben, ©raf ©olm 
ift oerfeffutbet, fein ©rmtbbefif} ift unter normalen Rebingungen 
nichts Werth, famt aber unter gewiffen RorauSfeffungen noch ritte 
beträchtliche ©umme abwerfen; wenn bie projectirte ©ifenbahn 
gebaut wirb, wenn bie Regierung, wie eS ben Shtfcffeitt hat, fich 
baju entfefftiefft, einen ÄriegSffafen anjulegen, unb genötffigt ift, 
fo unb fo oiel oon bem SBaroow’fcffen unb ©olm’fchen Reftfcthum 
täuflich ju erftehen, fo ift ©raf ©olm wieber flott, ift ein reicher 
Mann. SaS ift baS ©injige, was biefer ariftotratifche ©rünber 
begreift; im Uebrigen ift er boshaft unb gewöhnlich- ffir finbet 
eS gang in ber Orbnung, baff er baS SBappenfdjilb feiner Stffnen 
baju hergibt, um als oerlodenbe ©tiquette auf ein groffeS 
fcffrainbelffafteS Unternehmen geheftet ju werben. 

@o alfo hoben fich @lfe unb Reinffolb getroffen, uub als 
fie oon einanber Sbfcffieb nehmen, hoben wir, bie oerftohlenen 
3eugen, fchon bie ©ewiffffeit, bah fie ftch wieberfehen unb mit 
einanber gtücKich werben, ©efft alfo SlßeS feinen natürlichen 
©ang, fo werben bemnäChft bie 3eitungen unter ben gamilien* 
naeffriefften bie etwas befrembtiche Slnjeige enthalten: Dttomar 
oon SBerben unb gerbinanb ©Chmibt, Rertobtc; Reinffolb ©chmibt 
unb ©tfa oon SBerben, Verlobte. 

©iralbi brauchte alfo gar nicht Rorfeffung ju fpielen; er, 
ber einjige SBiffenbe unter Unwiffenben, brauchte gar leine Reffe 
ju fpinnen, in benen er fo jiemlicff bie gange ©efeUfchaft ju 
fangen glaubt, brauchte leine oerbäCfftigen ©päljer an aßen ©den 
ber SBelt ju befolben, leine oerfCffmifften ftammerbiener ju halten, 
bie beftänbig oielfagenbe Rlide werfen, hünbifCh oor ihm Kriechen 
unb fföffnifeff bie Sauft baßen ober graffen feffneiben, wenn er 
fich fferumbrefft; er brauchte gar leine geheimen ©orribore unb 
»erftedte Steppen, bie übrigens in ben ^Berliner Rotels ju ben 
Seltenheiten gehören; er brauchte nicht mit jweibeutigen Sänge* 
rinnen ju oerlehren unb biefen höchft entbehrliche Unterftüffungen 
jujufüffren; er brauchte nicht mit ©ott unb ber gangen SBelt 
ju correfponbiren. SlßeS baS ift recht überflüffig. SBenn er, ber 
SBiffenbe, ben unbequemen Rntonio, ju bem er, wie ju aßet 
SBelt, in nahen Rejieffungen fleht unb ben er, wie aße SBelt, 


unter feine bämonifche ©ewalt gebeugt hot, — wenn er biefen 
Slntonio, man »ergriffe ben SluSbrud, einfach lalt fteßt, bann 
geht bie Sache ganj oon felbft; bann Wirb bie Verlobung 
jwifhen Sferbinanben unb Dttomar perfect, unb bie jwifdjen 
ßteinholb unb ©Ife wirb nicht lange auf fich toarten laffeq, 

Siefer ©iralbi ift mit bie unangenehmfte gigur in bem 
©piethagen’fchen Stomane, unb ich nehme leinen Änftanb, — um 
fo weniger, als ich n °^ Gelegenheit hoben werbe, bie ungewöljns 
liehen unb gtänjenben ©igenfehaften biefer bebeutenben Slrbeit 
heroorjuheben — biefelbe als eine oößig mifetungene ju bejeichnen. 

Sen Sichter hot h^o, wie mir fdfeint, fein fonft fo offener 
Sinn für baS, was ift, im Stich geloffen. Siefer ©iralbi ift 
nicht nur antipathifdj, baS wäre lein Unglüd, er ift unmöglich, 
©r ift mit feiner silßmiffenheit unfreiwißig lomifch, er, ber fo 
emft fein wiß. S'omifh wirft eS auf mich, baff biefer hergereifte 
Italiener in fünf Minuten ober, um nicht ju übertreiben, in 
Wenigen ©tunben aßeS baS erfährt, Wa8 mir aufmerlfamen 
Sefer burch bie gemiffenhafte Seetüre oon langen Sagen erfttnben. 
©r trifft fofort mit aßen Seuten jufammen, auf bie es anlommt, 
unb biefe hoben nicht ©iligereS ju thun, als ihm genau SlßeS 
mitjutheilen, waS nothwenbig ift. Ser Menfh erinnert an bie 
heilige Sßehme; er fleht StßeS, er weiff SSEßeS, er tümmert fich 
um baS groffe unb baS Keine ^immelslicht, unb offne iffn würbe 
bie ©onne niefft feffeinen. ©r tauefft auf wie ©aglioftro ober 
Monte ©rifto, nicfftS entgeht iffm; er ffat natürlich Weiffe 
fchtanle §änbe mit burcffffCfftiger $aut, ftreiCffelt feinen weiCffen 
tieffchwarjen ©att, blidt häufig feffwärmerifeh, wenn niefft eine 
unffeimlicffe ©lutff, bie in feinem bunleln ISuge plöfflicff auflobert, 
auf ganj oerbreCfferifcffe Snftincte hinweift. Saff biefem ganj 
ungewöhnlichen Menfdjen — man finbet fa foldje Seute feffr 
feiten heutzutage — oor feinet ©ötteräffnlicffleit niefft bange 
wirb, läfft fieff Wofft begreifen, ©in folget Mann barf auch 
einen anberen, wenn er iffn jum erften Male ftefft, in folgettber 
SBeife begtüffen: 

©raf ©olm ffat eben baS 3»mmer oerlaffen, Dttomar tritt ein. 

„Sie lieben ben $erra niefft", fagt« ©iralbi mit einer iftjeicffnenben 
^anbbewegung ffinter bem ©rafen ffer. 

„3cff ffabe leine Urfacffe baju", entgegnete Dttomar. 

„©erniff niefft," fagte ©iralbi, „benn jWei oerfeffiebenere «atureu laffeu 
fieff fefftoer gegenüber fteßen. ©ort bie auSgefprocffene ßeberjufriebenffett, 
mit fferrlicffften Dualitäten, bie man nur in ber (Stnbübmtg befipt; ffier ber 
ewig nagenbe 3weifel an Oortrefflieffften ©oben, weleffe bie Slatur in 
reiifffter gölte gefpenbet ffat; bort bie trofUofe ©nge eines ffarten $erjenS, 
in weleffe fieff bie (SiteReit unb bie gribolität tffeilen; ffier ber Ueber° 
feffwang bet Siebe, bie in ©ram Oerfinft, weil niefft aße iffre ©tütffen 
reifen." 

SaS fagt ©iralbi ju Dttomar, ben er jum erften Male 
fiefft, in feiner erften Slnrebe! Dttomar ift aßerbingS erftaunt 
unb Wunbert fieff über ben pfffeffotogifeffen SuSgrünber; ieff tpürbe 
ben Mann für einen unglaublichen fßffrafenffelben ober für niefft 
ganj jurecffnungSfäffig hatten. 

8« ©iratbiS Rechtfertigung läßt fieff übrigens anfüffren, 
baff über iffn ebenfo fettfame Reben geführt werben, wie er 
über bie Stnbem ffiffrt. ©arta, bie äftffetiffrenbe ©efeßfcffaftS* 
bame, wirft iffm fotgenbe buftenbe Rofen in’S ©eftefft: 

„SBenn mir unter ben ftaeffen ©efiifftern, bie ber Rorben liebt, ein 
föopf fieff barbietet, gu beffen Cffarafterifirung mir bie oon ber fübtieffen 
©onne getränlten SßortrfitS eines Sigian, eines Rafael, eines SelaSqueg 
niefft genügen, — ben ieff mit nicfftS bergleidjen lann, als mit ffpn 
SBunberbilbe, weldffem ieff ben erffabenften ©inbrud berbanle: bem unMf : 
fpredjlieff würbeooßen unb boiff oon ffimmlifcffer ©anftmutff burCffleudffff^t 
©ffrifhiStopfe über bem ^ocffaltare im Some oon SRonreate bei Bale^to 
— fo muff ieff baS eben fagen, mag #err ©iralbi audff mit noeff fo 
befeffeibener Bitte bie §anb erffeben, babureff um fo meffr jenem Urbilb 
gleidffenb, weleffe? mir oon ffeute ab freilieff nur noeff ein Slbbilb fein 
lann." 

fftnftatt jum Rrgte gu feffiden, fagt ©iratbi: 

„3(ff bin glüefiicff, einer ffoffen Rünftlerpffantafie ein anKfetffpS 
SRotio bargeboten gn ffaben.* 


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Nr. 4. 


1 i t fffgemvirt. 


57 


34 »iß Spieltagen feinebmegb imputiren, bag er mit 
biefen ejtraöaganten unb h&4ft unpagenbeu S4ntetci)eleiett ©iralbt 
in bem ©nfeljen beb Seferb t)abe heben motten, — benn ein Slann, 
ber feine Schönheit bemunbern tagt, ohne fi4 f4amroth gu ent' 
fernen, ift ja immer ein ©arr, — aber eb geigt ft4, mie bie 
Unnatürlidjteit beb ©iralbi bie gange Umgebung inficirt, mie 
bie Seute, fobatb fie mit Up in ©erühtung tommen, ben feften 
©oben be8 gefunben ©ealibmub oertaffen unb meber Urbitber 
no4 Äbbilbet, fonbem beinahe ßerrbitber merben. Ueber alt 
ben Seenen, bie im hotel ©opal in ©erlin fpieten, unb beren 
Stittelpunft eben biefer ©iralbi ift, liegt eine ungefunbe, f4müle 
Suft. 

34 habe no4 gu ermähnen oergeffen, bag ©iralbi ein 
Uttramontaner ift unb alb foId>er au4 mit SBinbtgorft oer!etjrt, 
biefeb S4emen mit bem leibhaftigen SBinbthorft. 

(6$lu6 folgt.) 

paut linban. 


töfftreug ttttb bringen im (Befreiungskriege.*) 

2er türjti4 etf4ienene erfte ©anb einer ben obigen Xitel 
führenben h ö 4ft bebeutfamen ©ubtication DndenS umfagt bie 
©ef4i4tc ber öftrei4if4 s preugif4*« 2iplomatie in ben brei 
erften SRonaten beb Saijreb 1813 mit ihrer ©orgef4i4te feit 
bem herbfte 1812. 2er ©erfaffer citirt in ber ©orrebe ein 
betannteb Sott, ba8 ©neifenau an feine grau f4rieb, alb er 
fie auf bie ©öflerf4b>4t oon ßeipgig oorbereitete: „2ie ©achtoelt 
mirb erftannen, menn bereinft bie geheime ©ef4i4te biefeb Äriegeb 
erf4eincn tann." (Sb ift ermflnf4t, bag biefer Äugenblid ge« 
tommen f4eint, unb bie hiftorif4* gorf4ung au4 h* et aufhören 
fott, mit nngchereit Kombinationen Oor ber Xgüre ber ©eheim« 
ar4ioe ftitt gu flehen. 2ie oorliegenbe ürbeit beruht in 
ihren mefentli4ften Zheilen auf unoeröffentli4ten Ätten beb 
geheimen Staatbar4i0b gu ©erlitt unb beb 4?aub=, $of« unb 
©taatbar4iob gu ©Bien.**) <Entfpre4eub biefem SRaterial bringt 
bab ©u4 eine groge ©eihe gang neuer ©efühtbpuufte gut ©e= 
urtheilung ber eingelnen ©orgänge beb behanbelten ßeitabf4nitteb, 
unb Äi4t nur bieb, fonbem mit hülfe einer umfi4tigen Kom« 
bi Ration ber reugen neuen Duellen geigt Duden, mätjrenb au4 
feine lebten ©orgänger nur öittgelneb aufftären tonnten, für bie 
biptematif4en ©erhanblungen ber SUIiirten überhaupt ben rothen 
graben erft beutlid) auf. Unb gmar in aüererfter Sinie bahin, 
bag f4<m im $erbft beb 3ah^eb 1812, rnab bibljet gmar in 
einer betannten Stelle oon ©enfe angebeutet, aber ni4t ermiefen 
mar***), gmif4en Deftreütj unb ©reugen ein meitgehenbeb 
anbgefpro4en antifrangögf4eb ©inoerftünbnig angebahnt mar unb 
mirffant gu merben begann. 

2ropfen bemertt getegentlüfj ber 2arfteUung ber Konoention 
oon Xauroggen, eb habe etmab ©einlüheb, Kreigniffe, bie man 
nur alb plöfelidje, mie ber ©life bur 4 f 41 agenbe aufgufaffen unb 
gerabe alb .fo!4 e gu bemunbern gemöhnt fei, bur4 eingehenbere 
htftorif4e Unterfudjung in ihre ungähligen ©ingelfäben gerlegt 
unb gteühfam aufgelöft gu fehen. ©egenäber einem Slaterial 
wie bab jefet oon Duden gebra4te, entgeht au4 bie ©ef4«ht* 
beb Saljteb 1812/13 biefem Soob bet Verlegung ni4t gänglicij; 
menigftenb. geigt ft4 man4ep bibher meniger an’b Sicht gegogene 
graben mirtfam. 

2ie (Erhebung oon 1813 ftanb unb bei ber bibher ge« 


*) Urfmtbfidje ftugchittge über bie politifdje ©efchicht* beb 3ahreb 
1818 oon SBilhelm (Dnden. ©tger ©anb. ©erlin 1876, ©rote, (l ©b. 
gr. 8. XII, 868 unb — Urtunbenanbang — 88 @.) 

**) ®ie mehr alb breigig in extenso angefflgten Urtunben finb bem 
legieren entnommen; htn| 14 t(i 4 beb erfteren foOte ber fchcm angttänbigten 
amtlichen ©nblkation nicht borgegriffen werben. 

•**) ©. a. ©topfen, fort I. @. 489. 


mährten ©erf 41 offenheit ber 9tr4ioe hing4tti4 ihrer geheimen 
@ef4i4ie fehr fern. SSenigftenb ber |>auptna4brud lag ben 
Steiften auf bem, mab fi4 ni4t in Urtunben, fonbem in ber 
Zrabition fijirt. 2ab ©olt mar aufgeftanben, ber Staun aub 
ber ©Berfftätte unb ber Stubirftube, unb ni4t 2iplomaten, 
fonbem getbtjerren maren bie Stänner beb Xageb gemefen. So 
hatte bab trabitionette ©ilb berfelhm etmab Sapibareb, — nicht 
anberb, alb menn ©tgen ben ©obm feinet Stabt mit ben S4iffö : 
planten oertauf4t. Unb aDerbingb: für ben glüdtühen Slubgang 
beb Ätiegeb h«t We einfa4e, groge ©oltb!eibenf4aft fo gut mie 
©Heb gethan; ge hat ben ©ahmen eineb gum Sieg befümmten 
|>eereb, ber in ben troftlofen 3ahten oorher leife gegimmert 
rnorben mar, gefüllt unb mieber gefüllt, ©ber mie bie ©ol!b= 
traft gu leiten, gunö4ft mann bie S4teufen gu öffnen maren, 
bagu beburfte eb bo4 na4 Sttlem, mab gmif4en ben 2R&4ten 
feit gmangig 3ahrm oorgegangen mar, feinen Zatteb unb ge= 
f4idter #önbe. ©eibeb h Q t ber äRann, in beffen $anb bie 
gäben gufammenliefen, mohl bemiefen: jebo4 gu ben gtogeu 
Sinien, in me!4en bie ©olfbüberlieferung bab einfa4e gactum 
ber (Erhebung bemahrt, ftehen bie minfeligen unb complicirten 
Süge ber fßotitif 3Retterni4b in einem eigenthfimli4en ©egenfafe. 

2ie ©nf4auungen über bie ögrei4if4« ©olitif biefeb S^it= 
raumeb merben fi4 na4 Dnden mefentli4 mobigciren. länger 
fagt biefelben fo gufamnten: „2ab öftrei4if4 e Kabinet hanbelte 
ohne 2eibenf4aft unb ohne (Snthngabmub, eine ©oQe oor« 
fidhtiger ©ere4nung beftimmte feine Schritte; ohne fi4 mit 
©apoleon unauflöbli4 oerfnüpft gn fühlen, mar babfetbe bo4 
auch gang unberührt oon ber politifdjen (Erregung, bie beim 
erften (Einbrud ber ruffif4en ftataftrophe überall lebenbig marb, 
ja eb blieb im äugerften gatte oietteicht lieber im frangögf4en 
Spftem, alb bag eb fi4 entf4Iog, bie Äraft ber ©ölfer gu $ülfe 
gu rufen." 

3n biefer ©nffagung frengt p4» bab rei4ere Dnden’f4 e 
SRaterial jefft erfennen lögt, ffiahreb mit grrigem. 

3unä4ft bere4nete freilich SRettemi4 feine S4ritte fehr 
oorg4ü9 (unb bab mit ©e4t): aber feine 2epef4en Oerrathen 
in bem fragilen Seitraume glei4 anfangb ben feften (Eictf41ug, 
Deftrei4 aub ber Stellung unter gvan!rei4 unb unter ©uglanb 
mieber auf bie $ölje einer leitenben Stacht gu heben. S4on 
bie ©ubbmdbmeife ber glei4 gu ermähnenben 2epef4e oom 
9. 2ecember geigt an mehreren Stellen einen Staatbmann, ber 
bab ootte ©emi4t ber Situation fühlt unb hebet gut ©ufrWp 
tnng feineb Staateb mit ftraft angufe^en beginnt. So am S41ug 
bie SSiebergabe einer angebli4en ©eugerung beb Äaiferb grang 
bei (Empfang ber ©a4ri4t oon ber ©önmung Stobtaub: „Le 
moment est venu oü je puis prouver 4 l’empereur des Francois 
qui je suis!“ — SBorte, bie bei alter Smeibeutigleit beutli4 finb 
unb 4 ie ©rläuterung in bem Safe ber begteitenben oertrauli4en 
2epef4e: „Serbergen Sie bem hergog (©agano) ni4t, bag mir 
bab Ootte ©efüht unfereb SBa4bthumb an Unabhängigteit haben", 
unb in einer 3nftmction oom 3. 3anuar 1813 gnben, mo eb 
heigt: „Deftrei4 geht g4 gart bur4 bie S4mä4e ber beiben 
anberen föaiferhöfe." Snc| ßnefebed fah in jenen 2epef4en bie 
beginnenbe Slufragung Deftrei4b unb ben fßunlt, oon mo aub 
man über !urg ober lang in ben Ärieg trieb. 

©i4t minber mirb ber im ©ol! attmälig angema4fene Sünb« 
ftoff in mehreren ©ctenftüden betont, fomohl mab ben „Glan“ ber 
©ugen na4 bem ©ücfgng ber grogen ©rmee, alb mab Deftrei4 
unb no4 mehr ©reugen angeht*), beibeb freili4 mit ©orbehalt: 
benn, na4 ben ©Sorten Dndenb, „bei ber mieberholten ©e« 
theuerung, bag bem Äager grang bie geheimen ©efettf4aften, 
ber fetbftftänbige ©efteiungbbrang ber ©öller, ein ©räuel feien, 
hatte ©raf Stetterai4 bie ootte Sßahrheit auf feiner Seite." 

Dbenbrein era4tete Stetterni4 — toab menigftenb feiner 


*) Unterrichtet war Stetternich hier jebenfattb beger alb ©apoleon, ber 
noch am 1. 3R8rg jnm ©rafen ©ubna fagte: „Ce n'est pas une nation, 
ils n’ont aueane fiertG nationale, ce sont les gascons de l’Alle- 
magne. Les Pruseiens sont des Gventuels. Nous les avons toqjours 
mGprisbs.“ 


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58 


Di* (Segenroart. 


Nr. 4. 


geinfidhtigleit ©hre macht*) — beit ©loment gut ©röffnung eines 
biptomatifchen gelbgugS für bie Stehabilitirung Deftreidjd ge= 
fornmen, fchon elfe bie Kunbe beS ganzen ©otteSgericfttS aus ben 
ruffifdjen Sdfjneefelbern nadf} SBien gebrungen war, lebigtid^ auf 
bie ihm entfcheibenbe ©rtenntnife bin, bafe Sllejanber, obfdfjon 
im gelbe gefd)lagen, fi<h hoch nicht beugte. „SRufelanb mar bisher 
nur baS Slufgeben feiner ©unbeSgenoffen leidet geworben," fdjreibt 
er am 9. ®ecember boshaft genug, „gum ©reisgeben feiner eigenften 
3ntereffen ift eS nicht gu bringen gemefen." ®er ©lan biefeS 
gelbgugS aber, beffen confequente Klarlegung gu ben itttereffon= 
teften Xljeiten beS oorliegenben ©udfjs gehört, unb für ben bie 
gwei jeftt guerft mitgetheitten ®epefd)en an gloret Dom 9. ®e- 
cember, eine oftenfible unb eine bertrautiche, grunblegenb finb, 
mar, baS £empo ber öftreichifdjen ©olitif fortroährenb gu Der« 
ftärfen, beginnenb mit bem teifen Stnfcftlag „politifcher ®räu= 
mereien" oon allgemeinem SBeltfrieben unmerllich bie „alliance 
infiniment limitfee“ mit grantreich gu töfen, burcf) anfdheinenb 
im Sntereffe StapoleonS (iegenbe unb mit feiner Slutorifation 
ben übrigen ©iäd)ten gu jmterbreitenbe griebenSborfchtäge fid) 
jur „boflen politifdjen unb militärifdhen ©lobilität" unb fo gut 
bemaffneten Vermittelung gu fteigern; gugleidj faßte ^ßreu^en I 
mit IRufelanb abfcftliefeen unb bon granfreidj abfaßen, elje Deft= j 
reich fief) gunt offenen ©üttbnife mit ihm befannte. ©in harter, ! 
aber gumal für ben testen 2£|eil be8 ©rogrammS mefentlidjer j 
Uebergang nur lag in biefer Scala, unb man hat nicf»t gegögert | 
i^n gu magen: bie Butüdgiehung beS öftreidjifdjen £ülf8corpS. | 
3n ber ©acht bom 9. jum 10. Januar mar bie Kunbe ber ©on= ■ 
bention bon Sauroggen in ©ariS. C’est 14 le premier gros 
volume qu’il aura a parcourir, äußerte ©tetternid) nad) einem 
©erichte beS preufeifdjen UnterhänblerS in SBien, b. Knefebed, 
unb am 3. gebruar, hier SBodjen nachbem ©apoleon bie öftrei« 
thifdie griebenSbcrmitttung acceptirt hatte (Dndfen, S. 74), war 
ber ©raf ©ubna in ffSariä, um bem Kaifer bie 9tachricf)t bon t 
ber ©emegung SchroargenbergS auf Krafau beigubringen. Ser 
amtliche ©eriebt über bie gu biefem 3wed erbetene Stubieng, I 
welcher auch $umbolbt mitgetheilt mürbe, ift nicht nur an fid) ! 
bon großem Sntereffe, fonbern fein Bnljait geigt auch, mie biel 
bebeutfamer biefeS gactum mar, al« bisher angenommen mürbe. 
„Monsieur, c’est une mauvaise piöce fuhr ©apoleon auf, „.. c'est 
un premier pas de la defection ... Vous avez changfe de Systeme. 
Nous allons bouleverser le monde_J’ai acceptfe votre Inter¬ 

vention pour la paix, — mais un mfediateur armfe ne me con- 
vient pas.“ ©ubna fügt gu: „Ce n’fetait pas de l'emporte- 
ment, mais c’etait un homme trappfe d’une idfee tout ä fait j 
inattendue dont il sait appretier toute 1’importance ....“ 

@8 liegt auf ber $anb, bafe eine fo feine ©olitif al8 bie .1 
©tetternicljS auch mit einer fe^r feinen fjeber fd^reibeit muffte. ; 
Oeftreidb mar eben militärifd) unb finanjieß ungerüftet. „Ratten I 
mir", fagte SKetternid) ju Knefebed, „300,000 SRann auf ben 
©einen unb unfere alten ©antbißete nodfj, fo mürben mir eine 
anbere ©pracbe führen." ©^limm mar babei nur, ob bie in j 
StuSficljt genommenen SWitlämpfer gegen ffranfreid) i^m trauen 1 
mürben, unb fpäter, ob ni^t bie Meinung ber SBelt fragen I 
mödjte: ^at ber öftreic^ifc^e Sftinifter e8 mirflid^ mit fßreu&en | 
aufrichtig gemeint, menu er fc^ott ju einer 3^it, mo i^m bie ! 
Untermerfung auch Vu|lanb8 unter Napoleon !aum jmeifelhaft I 
fc^ieu, bie ©erficherung mieberholt, ba| nur ein Bufammengehen I 
Deftrei<h8 unb ©reufjenS gur ffirleichterung be8 beiben Staaten I 
aufliegenbeu ®rucfe8 unb jur ©efeitigung fdßimmerer ®efal)ren ' 
führen fönne? Ober hätte öießeidjt hoch ein Heines ©emicht I 
mehr h*« 5 ober borthin gerüeft, bie nach ber 3Ro8lauer Kata* i 
ftrophe eingefchlagene öftrei^ifche „grieben8bermittelung8"s©olitit 
in eine fpecififch h°b8burgifche, gar an Kauni|} erinnernbe um« I 
gemanbelt? Slm 5. October hotte SRetternidh ba8 ©inDerftänbnife 
mit ©reuten gefniipft. 8lm 9. Secember bot er Napoleon feine ! 

*) Ser früher oou ben Setaild aus SRuhlanb unterrichtete öftreiditfehe 
©otfdjaftSratb in ©atiS, 0. gtoret, ertannte baS in frappanter Seife mit 
ben Sorten an: „$at bic Borfetjung @w. (Ejcettenj biefe Sepefche (oom 
9. Secember) blctfrt ?" 


Srieben8toermittelung an. SBer foßte get&ufdijt merben? Duden 
antmortet: Napoleon, unb ^ebt auf mehreren ©untten bie be- 
meifenben SJtomente heooor. 

®ie ®epefdhen Dom 9. ®ecember unb fo gut mie Äße8, 
maS Don ba ab bis jum offenen ©rudie öftreichifdherfeitS mit 
grantreich oerhanbelt mürbe, ift ©reuten amtlich mitgetheilt 
morben; Don ben ©erhanblungen mit ©reu|en h at ©opoteon 
feine Silbe erfahren, roenn er auch e » ne ®h nun 9 oon benfelbe« 
gehabt h at - Sefctere8 geigt bie befannte 9leu|erung, bie ihm 
auf ber ©üdreife au8 Vuftlanb am 10. $ecember in SBilna 
entfiel: „geh Weife, bafe man ®eutfchlanb bearbeitet, ich mufe 
nach ©ari8, um über SBien unb ©erlin unb toa8 bort gedieht 
gu machen." Stber ba8 ©inbentehmen beiber ©fachte geigt ftdh 
halb auch praftifch in bem Auftreten ©reufeenS. ©ttbe ®ecember 
erfennt $arbenberg in einem (bon Stander bargefteßten) ©ro= 
gramm au8brüdtidh an, bafe einftmeilen bon ©erlin mie bon 
SBien auS fdfeinbar ba8 befte ©inbentehmen mit granfreich feft= 
gufealten fei. SBeiterfein aber, mie Deftreich in ©ariS „feine 
Sprache berftärft", berftärft audj ©reufeen bie feinige, unb gtoar 
■ in einem ®one unb faft in SBorten, bie auf ©tetternich’fche Sln= 
regung gurüdbeuten. ftuf SJtapoleonS f^on bon ®reSben aus 
am 14. ®ecember an ben König gerichtete 3umuthung, ba8 
preufeifefee §ütf8corp8 auf 30,000 ©fann gu bringen, lautete 
bie fchriftliche unb münbliche Stntmort, bon ber mieberum ber 
öftreichifche ©efanbte in ©erlin mörtlidj unterrichtet mar: 3a, 
aber oorfeer mufe un8 ein unferer ©orfchüffe — im ©äugen 
ettoa 90 ©liflionen grancS — au8gegatjtt merben. ®iefelbe ©in= 
laffung mieberfeolt ber in golge be8 gorf’fchen 3wif(henfaße8 
©nbe 3anuar nach ©ariS gefehlte ©raf $a|felb, aber mit bem 
energifch betonten 3ufa|}e: fonft, menn ber König neue Stn= 
forberungen an feine Untertfeanen richten mufe, mirb er bie 
©emalt ber öffentlidhen ©leinung nicht mehr gügetn fönnen unb 
eine ©pptofion bie golge fein, ©enau in foldher SBeife aber 
hatte nach einem Sericfete Knefebed8 (14. 3anuat) ©tetternidh 
„bie Sprache unberbriidhlicher ©unbe8treue aßmälig gu änbern" 
geraden. 

SBenn fo fchon je|t Deftreich bic innere Seitung ber antis 
frangöfifchen ©olitif in feine $anb gebrefet hatte, fo fragt fid) 
nothmenbig weiter, mie benn ©reufeen babei fahren würbe. So 
biel bie ®irectibe gegen ©apoleon anging, mochte $arbenberg 
ben richtigen SBeg gehen: barüber hinaus, in ber grage, ma8 
nach glüdlich beenbetem Krieg au8 bem Staate griebridjS be8 
©rofeen unb feinem ©erhöltnife gu ben anerfannten ©fadfeten 
erften StangeS einerseits, gu ben beutfdjen ©littet unb Klein« 
ftaaten anbererfeitö merben foßte, ift bon ©erlin unb ©reöfan 
au8 gegen SBien — unb gegen ©eterSburg — biel weniger 
glüdli^ manöbrirt worben. 

. ®iefer Unterfchieb mirb bon Dnden fcharf hotborgehoben. 
®ie erften fünf Slbfchnitte — Kaifer Hlejanber unb bie ©r« 
mannung ber beutfehen ©lachte; bie ©üdfehr StapoteonS unb 
ber griebenSbote be8 ©rafen ©letternich; bie ©infteßung ber 
$eere8folge ©reufeenä unb DeftreidfeS; ©erft&nbigung ©reufeenä 
mit Deftreich übet ben Slnfcfelufe an ©ufetanb; ©reufeen am ©or« 
abenb bet ©ntfdheibung — biefe Slbfdhnitte gelten hauptfächlich 
ben bon ©letternich mit £>arbenberg8 ©inbentehmen birigirten 
Schachgügen gegen ßlapoleon. ®er Sdjlufe be8 fünften, ber fedhste 
(Deftreich “nb bie ©läne be8 KaiferS Sllejanber) unb befonbetS 
ber Schlufe be8 achten SlbfchnitteS behanbeln bie ©renge beS 
©inberftänbniffeS gmifchen ©letternich unb $arbenberg 
unb bie burefe bie gehler ber preufeifdhen Diplomatie fchon im 
grühjahr 1813 implicite gu Ungunften ©reufeenS gefaßte Sor« 
entfeheibung ber beutfdfeen grage. ©eterSburg fomofel al8 
SBien hatten gleiches eigenfteS 3«tereffe, ©reufeen guerft ben 
^anbfdjuh h'awerfen gu fehen, aber ftatt hiotbon burdh feffe 
Abmachungen fchon jefet in ber richtigen SBeife Stuften gu gieften, 
hat ©reufeen nach beiben Seiten, Diel mehr al8 nöthig gemefen 
märe, bie Slttitübe beS $ülfefuchenben angenommen unb fo bon 
oomhetein bie ©rfüßung feiner Slnmartfdhaft auf bie Stellung 
ber norbbeutfdfjen ©rofemacht für manches 3ahtgehnt bertagt. 
®aS mar ber ©unft, mo fich Stetternichs SBege fd^arf bon benen 


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Nr. 4. 


JD if Cfegtttnrflrt 


59 


HarbenbergS Rieben: aber wäßrenb jener bie Sifferen} oon STtt- 
fang feft im Auge befielt, ift bie preußifcße StaatSleitung, auf 
Deßreicß blinbltngS oerttauenb, burd) Nußlanb — beim Ber« 
trage oon 8reSlau:Katifch (Dnden, 7. Abjcßnitt) — troß adern 
Sföißtrauen auch beS Königs überrumpelt, tion ber richtigen 
Pofttion im Saufe ber Berßanbtungen nach unb nad) herab: 
geglitten. 

Sie hierauf bezüglichen Negotiationen hängen eng mit bem 
Namen beS Oberften oon Knefebed jufammen. lieber bie Sen« 
bung biefeö UnterßänblerS nach Petersburg im 3aßte 1812 hat 
u. 9. Sünder fürjlid) gehanbelt. Neu ift, was Dnden über 
Zmei geheime SJtiffionen beSfelben, befonberS in SBien beliebten 
HauptoertreterS ber (Einigung Preußens unb DeftreicßS an ben 
öftreichifchen $of 1807 unb 1809 mittheilt. 3m lefcten 3<ih re 
mar Preußen fid) bemußt, baß es immer noch ein ©croidjt in 
bie SEBagjcßale ju roerfen hatte, KnefebedS Auftrag mar, Preußens 
Hülfe anjubieten, menn Deftreich fich ftart genug zeige, ben Krieg 
mit ©rfolg mieber aufzunehmen unb entfcßloffen märe, feinem 
Berbünbeten bie SBiebererßebung zum Nang einer ©roßmacht erften 
NangeS zuzuficßern, hatte alfo ben ©ebanfen eines Nebeneinanber 
beiber Staaten zur ©runblage. ©raf Stabion fanb AuSflücßte 
in Ntenge: eine SNititärconoention mürbe genügen, man lönne 
bie ^aut nicht theiten, ehe man ben Sömen habe, ber AuSbrud 
puissances directrices mürbe Bapern, Sadjfen, $annober t»or 
ben Kopf ftoßen .... Sie Berßanbtungen blieben ohne Nefuttat, 
unb Preußen maren noch fcßwere 3aßre Vorbehalten. 1813 hatten 
biefelben ihre SBirJung gettjan. Schon in ber oon Knefebed ent; 
morfenen Sollmacht ftanb je|t: ^erfteQung Preußens in feiner 
3ntegrität vor bem Kriege oon 1806, in bem ffriebenSplane 
ber Snftruction nur: Unabhängigleit oon grantreieß unb preu= 
ßifcher ©influß im Norben, — über bie Nüdgabe ber früheren 
beutfehen unb potnifeßen Befißungen ift nichts gefagt. Unb hoch 
mar anfeßeinenb an bie Unterteilung ber ganzen preußifchen 
SNititärmacht unter öftreichifcßen Oberbefehl als Aequivalent 
gebacht. 

Sei ben intereffanten SetailS biefer Berßanbtungen unb 
ber bem Settrag oon Kalifcß oorhergegangenen zu oermeilen, 
fehlt hi« ber Naum. Ser ©runb ber Srctßünter hi« wie bort 
lag in ber unbegreiflichften Unterfcßäfcung ber eigenen Kraft, bie 
als golge ber feit fechS 3ah ren erbutbeten Sdjidfalsfcßläge im 
preußifchen ©abinet fuß eingemurzelt hatte. Ueber eine am 
20. 3anuar burch Knefebed in SBien überreichte Note fagt 
Dnden mit Necht: ,,3n» grüßjaßr 1813: 30,000 Preußen neben 
120,000 Nuffen unb 30,000 Schweben — mit biefer Bered): 
nung ift Ades gefagt." ©lüdticßermeife belehrten bie gebruar= 
ebicte halb eines Befferen. Aber leiber mürbe auch in bie Ber-- 
hanblungen mit Nußlanb eingetreten, ehe man bie SBirtung ber: 
felben überfah- Sen bebeutenbften Sßeil an ber Seßnfucßt Preu= 
ßenS nach einem batbigen Bertrage mit Oeftreicß hatte neben jenem 
Kleinmut!) gerabe baS SNißtrauen gegen Nußlanb, bie furcht, 
vorzeitig zum Bruche mit granfreieß, b. ß. in einen Krieg um 
bie ©jiftenz gebrängt unb fchließlich vielleicht hoch im Stich ge: 
taffen z u werben. Unb trofcbem fehlten auch in BreSlau unb 
Kalifcß Kaltblütigfeit unb Klarheit über baS SNaß beS an Nuß: 
lanbS Seite zu erfämpfenben PreifeS, — nur freilich nach Dnden 
nicht am meifien bei bem, ber bisher in bet Negel ben Sabel 
ju tragen pflegte, Knefebed, fonbern in ber unmittelbaren Um: 
gebung beS Königs, bie fich burch Nußlanb überftürzen ließ. 

Sie punlte, auf bie hier furz eingegangen ift, geben fchon 
eine Borftedung von bem Neicßtßum ber Dueden unb ber großen 
©ebeutung beS Dnden’fchen 8ucßeS für bie mießtigftett unb bisher 
am menigften beantworteten gragen über bie Borgefdjicßte beS 
©efreiungötriegeS. Auf ein paar anbere Punlte von nicht min: 
berem Sntereffe fei nur hingemiefen. So liegt ßinficßttich ber 
oerunglüdten Senbung KnefebedS nach Petersburg (gebruar) 
Zuerft ber SBortlaut ber mitgegebenen 3nftruction unb beS ge: 
heimen BertragSentmurfS, auf beffen glatte ©rlebigung Preußen 
hoffte, vor. Sie erftere beftätigt mieber bie Unbegrenztheit beS 
BertrauenS zu Deftreich: rüdhaltlofeS Sufammengeßen mit bem 
in Petersburg ermatteten Abgeßmbten aus SBien, v. Sebzeltent, 


ift baS Stichwort. Aber gerabe hi« foHte zuerft beutlich merben, 
Wie weit auf SRetternicß Z« zähleu War. Sebzeltern blieb von 
Sag z u lag aus, unb Knefebed hatte ohne jebe öftreicßifchc 
Hülfe bie ooden ©nttäufeßungen biefer dRiffion adein hi“ 1 
Zunehmen, greilicß waltete nachher ein eigentümliches Schidfal: 
menn Preußen baS Berfptecßen einer Bergrößerung nach Dfteit 
nicht erzielte, fo fiel naturgemäß fein Sdßwerpunlt nach Sentfdjlanb. 

Sntereffant ift aut ber jeßt vorliegende autßentifcße Beweis, 
baß ber renomntiftifeße Brief Napoleons an Kaifer granz vom 
7. Sanuar 1813 (über bie Borgänge in Nußlanb unb ben Um: 
fang ber angeblich Z“ ermartenben neuen Streitfräfte), ben er 
felbft nachher bem ©rafen Bubna gegenüber fo energifcß be§: 
avouirt hat unb ben bie Herausgeber ber ffiorrefponbenz als 
bloßen ©ntwurf meggelaffen, in ber Sßat boeß abgefeßidt worben 
ift (S. 70 ff)-, ferner bie betaidirte Sarftedung ber geheimen 
Berßanbtungen zwtfcßen Preußen unb Sapem; bie ©ingaben 
unb Beratungen, welche ber Unterzeichnung beS Aufrufs „An 
mein Bol!" vorhergegangen finb, inSbefonbere über ben ©ntwurf 
AncidonS (im Driginalbrud 7 1 /, boppelfpaltige goliofeiten!), 
über baS griebrieß SBitßelm öftreichifcßerfeitS im ©ntwurf ein: 
gereichte, glüdlicßerroeife in ben Acten fteden gebliebene Berbot 
ber geßeimen ©efedfeßaften, baS gerabe in biefen lagen voden 
BertrauenS zwtfcßen König unb Bolt meßr als ftnnloä gewefeu 
märe, u. A. m. — Kurz, baS Buch *ft weßr als eine Bereiche: 
rung ber Siteratur über biefe ©poeße unferer potitifeßen ©e: 
fcßidhte: es verfprießt bie erfte erfeßöpfenbe Sarftedung zu merben. 

S- 


(Eine öffentlidje Scßmat! 

5>ic „(Hcgcntoart^ ^at bereits wieber^olt i^re 6paUen für bie Äuf« 
beefung öffentlid&er Uebefftdnbe unb Äergerniffe geöffnet, fie trnrb fidjertid) 
ni^t Änftonb nehmen, einem öerberblid^en SWi|brau(^ ber ?reffe unb ber 
$anbet3firci$ett mit boDern ®cnfte unb ber ganzen föue^t i^reS (EinfluffeS 
entgegenjutreten: meine boS Untoefen beS Ännoncenfc^toinbelS. 

3)aSfeIbe ift, toie mir feinen toiH, bisher bie! ju menig beamtet worben, 
mon Iac^t unb wiftelt über bie me^r ober Weniger b^*«ben 9Warft= 
fc^reiereien, bie gröberen ober feineren ßügen, bie ^oarbalfome unb 
Schönheitsmittel, unb bie anftfinbigften unb berbreitetften ©lütter (gerabe 
biefe werben oorjugSweifc bon ber 6<hmaro|erbftanie auf gefugt) öffnen 
ihnen gan$ unbefangen ihre ©eitagen. 

<5he wir weiter gehen unb bie wahre Statur biefeS geführlid^eit 
6<hWinbelS näher erörtern, erfcheint eS geboten, einen (Sinwanb jurüd= 
guweifen, ber uns ficheriich sunächft entgegengehalten wirb, ©er ©djwinbel 
ift nicht auSjurotten, man lann ihn ebenjowenig befämbfen wie ben ßanb^ 
regen. (Uewif), wir berlangen nicht ober geben uns WenigftenS nicht ber 
Hoffnung fyn, bag plö^tich alle ©lenfchen ©ofrateffe ober .datone werben 
möchten, ©ie Anlage jum ©chwinbel fteeft jiemlid^ tief in ber SRenfchen* 
bruft. (SS fragt flc^ nur, ob man biefen fteim auf alle mögliche ftrt be- 
günftigen unb $ur boHfommenften ©lüthe entwideln laffen, ober ob mau 
ihm überall, wo eS geht, begegnen unb ihm bie wichtigen Pfahlwurzeln 
abgraben wiü. 3m fleinen ©rioatberfehr Werben wir aüerbingS ben 
©chwinbel niemals ganz auSrotten. Äber was will alle fol<he ©ribat^ 

• betrügerei, gegen bie baS %t\t% unb ber ©bruch „©rau fchau wem" einigen 
©chub gewährt, gegen bie gaunerifche grechh^it bebeuteu, bie fich an bie 
Oeffentlichteit brängt, ihre £ügen mit ber bertrauenerweefenben girma 
unferer angefehenften geitfehriften auSftafftrt, bei z^hn« unb hunbert= 
taufenben bon ©jemplaren in’S ©ublicum wirft unb burch ©eifbiel, SHit- 
bewerb unb glänzenben Erfolg immer mächtiger zur 9fachahmung reizt? 
SBenigftenS ernftlich erwogen foüte bie grage werben, ob eS nicht möglich 
fei unb auf welche SBeife, WenigftenS bie anftönbige ©reffe bon bem 
größten ©<hmufc z u fäubem. 

Äber hüben wir nicht zu ftar! aufgetragen, nicht mit zu grellen 
garben gemalt? ©ieht eS wirtlich fo fchlimm aus mit bem „berfönlichen 


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Üt? •egen&arl 


Nr. 4 


©cpup", mit ber „petlbaren ©cpwinbfucpt"? 3ß bcr ©aatbalfam io ge* 
fährticp? ©ir paben bcn Apfelwein überßanben uitb ben SMalzejtract 
fiep $u bcn Tätern oerfammeln gefepen: foHtc bie „®oca" unb bic „3apan* 
pßanae" und gefährlicher werben als bie Revalenta arabica unb bie 
SRpeumatidmudfette? ®tn guter alter pteuffifepet ©olbatenfprucp peifft: 
„Sange machen gilt niept." Aber man mufi auch *> en Hcbetu unb ©es 
fahren pübfcp gerabe in’d ©eßept fehen, bad ©äfftidje nicht mit ©cpön* 
peitdpßaßern oerfletßern, fonbern bad ftinb bei feinem rechten tarnen 
nennen. Unb baff mir ed pier mit einem ganz gemeinen, &um Speit 
pöcpß unanßänbigen, im ©anzen aber — tuad feinen ©inßuff auf bie ©itt* 
Itcpfeit bed Volfed betrifft — burchaud gefährlichen ©cpminbel §u thun 
haben, bem man mit allen SRittetn entgegenwirfen muß, für beffen erfolg* 
reiche gurüefbrängung aber glücflicper ©cife auch SRittel oorpanben finb: 
bad in aller Stürze naepzuweifen, foH ber Qtotd biefer 3ciien fein. 

Sie fRaturgefcpicpte bed Annoncenfcpwinbeld ift nicht fo ganz ein¬ 
fach, mie ße auf ben etßen ©lief erfcheint. Sctfelbe zerfällt in zahlreiche 
©auptgattungen, beten jebe mieser in niete gamilien unb ©pecied unab* 
fchbar ßcp gliebert. Sabei perrfept auch pi«r mir in ber großen ©otted* 
natur bad ©efefc bcr Artumwanblung, bie einzelnen ©pecied gehen 
unmertlich ineinanber über, hüben zapllofe Spielarten unb alle möglichen 
Varietäten, bie bad unenblich zufammengefepte., in ben bunteßen garben 
unb garbemtüancen fchitlembe SUb biefer infernalifchen Vegetation 
audmachen. 

©ir müffen unb fönnen (ift hoch bie ©ache befannt genug) und 
barauf befepränfen, bie ©auptgattungen unfered ©cpwittbeld mit ihren 
wieptigften Unterarten anfzuzäpten unb nur eine furze ©paratterißrung 
nom Secptd* unb ©iitlicpteitdßanbpunfte pinzuzufügen. danach laßen 
fich folgenbe ©auptgattungen unterfepeiben. 

I. ©riminell ftrafbarer ©cpminbel. Ser Verßoß gegen bad 

©trafgefep fann einmal barin beftehen, baß bie Anfünbigung an fich eine 
offenbare Uebertretung einer ©trafbeftimmung in fich Sied ift 

Z. V. ber gall beim Anpreifen non Soofen auswärtiger Sotterien ober 
oon Arzeneien unb ©epeimmitteln in Sänbern, wo bad ©pielen in freut* 
ben Lotterien ober ber unbefugte ©anbei mit Arzeneien bei ©träfe Der* 
boten finb. ©obann aber fann bie ©trafbarfeit ber Anfünbigung barin 
beftehen, baff biefelbe ald äRUtel eined beabßcptigteu Vergehend btenen 
fott. ©ier ift pauptfäcplicp ber Vetrug, b. p. bie miffentlicpe Säufcpung 
burch Vorfpiegetung unrichtiger Spatfacpen zu bem 3mecfe, fich burep ben 
©effaben bed ©etäufepten zu bereichern, in Vetracht zu ziehen. ©d ift bad 
ein gelb, au f meinem bie ©riminalpolizei unb ©rtminaljußiz, wenn fte 
etttmd mehr tpäiige guitiatioe ald gegenüber bem ©rünbungdfcpwinbel 
an ben Sag legen wollte, eine höchft oerbienßtiepe ©irffamfeit entfalten 
fönnte. ©enn z- S. 3*manb ein unfehlbares üRittet gegen ©cpwinbfucpt, 
Strebs, ©aarmangel u. f. w. mit ber Verftcherung „Saufenbe geheilt"' an* 
preift, mäprenb ed wiffeufcpaftlicp feßßept, baff ed ein Mittel gegen biefe 
Reiben theild überhaupt nicht, theild nicht in fotcher Allgemeinheit gibt: 
foHte ba bie ©olizei bez iepungdmeife 3uftiz nicht ebenfo befugt tme oer* 
pflichtet feht, bei einem folcffen eblen üRenfcpenfreunbe einmal anzuflopfen 
unb ihn zum ÜRadjmeife bet ©aprpeit feiner Vehauptungen, alfo zum Se* 
weife einiger feiner ©eilungen, fowie ber Spatfacpen, bie ihn zu bem 
©tauben im Veßjje eined ©eilmitteld zu fein bewegen, alfo ber (Erlernung 
ber ©eilfunft u. f. to. aufzuforbem? Unb wenn ftep babei peraudftellf, 
wie in zahlreichen Fällen unzweifelhaft ber galt fein muff, baff eine 
ganz bewuffte Säufcpung, eine miffenttieffe Vorfpiegetung falfcper Spat* 
faeffen Oortiegt, fo hiubert bo<h nichts, ben taubem ©atron nach § 263 
bed 9teicpdßrafgefe|buched wegen oerfuepten beziepungdmeife oollenbeten 
Vetruged zur SRetpenfcpaft zu z^h cn * Aber teiber, leiber hat unfer ©efeff 
immer noch eine wächfeme 9tafe ober bielmehr ber ©eptenbrian ber h^r* 
gebrachten ^rajrtö maept ed leicpt, ipm eine folcpe z« brepen. ©o gilt 
bad Sprichwort oon ben groffen unb Iteinen Sieben auch hier, unb 
wäprenb ein armed ©eib, welcped fte© burd^ falfcped Vorgeben iit einem 
Saben ©aare ober ein paar Stufet erf^winbett, ohne ©nabe bem rächen* 
ben Brat ber Sife anheimfällt, fann ber raffinirte, gewerbsmäßige 
©auner Saufenbe um ©elb unb ©efunbpeit betrügen unb feine be* 
trügerifepen 2lnfünbigungen in alle ©eit oerbreiten. 

II. kriminell ftrafwürbiger ©cpwinbel, b. p. ein folcper, ber 
naep Sage ber ©efepgebung niept ftrafbar ift, aber ftrafbar gemacht 
werben foHte unb fönnte. 3« biefe Kategorie gehören eine Änzapl oon 
Änfünbtgungen, bie fo ffanbalöd unb untergrabenb finb, baff fie niept 
gebulbet werben foüten. ©ir führen pier nur z»ei auf: bad Anerbieten 


Zur ©ütfe bei (Erfcpleicpung oon Soctorbiptomen, worüber wir pier um 
fo mepr mit ber btoffen (Erwähnung pinweggepen, ald bie ©aepe, naepbem 
ffc in neueßer 8«it wieberpott zum offenen ©fanbal gefüprt, in com* 
petenten Streifen oor fnrzer 8eit oerpanbelt würbe. fRocp fcplinnner ift 
bie ewig wieberfeprenbe Offerte: „Officiere" ober „Actioe Offidere unb 
unb etatdmäffige Veamte erhalten Sartepn". Siefe Anzeige wieberpott 
fiep auf einer einzigen ©eite eined oerbreiteten ©ocpenbtatteö oom 90. April 
1876 niept weniger als breizepn 9Rat. Vtan muff babei erwägen, baff 
Officieren unb Veamten bad ©cpulbenmacpen ßrengßend, erßeren fogar 
bei ©träfe ber (Eaffation oerboten ift, unb baff eine ztemlid^e Anzapl 
jüngerer Officiere ben blutfaugerifcpen Verlobungen ber ©aldabfcpneiber 
alljährlich zum Opfer fällt. 3unge, unerfahrene, leichtlebige ßeute ge* 
fliffentlicp immer weiter auf bie Vapn bed Seicptffnnd zu loben, bad iß 
gewiß fepon an fte© ein eprtofed ©efepäß, fo ehrlod wie Sfuppetei u. bgl. 
Unb man begreiß fepon niept ganz, ftie «in anßänbiged Statt fein Weiffed 
Vapier zur Anlünbigung eined fo fepmäptiepen ©ewerbed hergeben fann. 
©enn aber hierzu noep bie Verführung oon Ofßcieren nnb Seamten zur 
Sßicptoertepung pinzufommt, fo ift bad Sntereffe bed ©taated, beffen 
©optfaprt unb ©jiftenz auf ber unbebingten pflichttreue feiner Siener 
berupt, an einem ber gefäprticpßen fünfte fo empßnbticp berüprt, baff 
man fiep fragen muff, ob ed benn ganz außerhalb ber ÜRögticpfeit liegt, 
fofcp fepmäptieped Xreiben mit einer ©trafbeftimmung wenigßend Oom 
offenen üRarft in feine oerborgenen ©cplupfwinlel zurübzufepeuepen. — 
©o gut ed in ben §§ 393 u. 334 pat unter ©träfe geßellt werben fönnen, 
wenn ein Seamter ober ein üRitglieb ber bewaffneten ÜRacpt burep Se* 
fteepung zu einer Pßicptoertebung oerleitet wirb, mit bemfelben 92ecpte 
fönnte auch bie Verleitung zur Uebertretung oon Vorfcpriften ber inneren 
Sidciptin mit ©träfe bebropt werben, ©ir oerlaffen biefe ©attung, wopin 
noep ,,©ülfe bei ©jaminationdarbeiten", „ Stilitärifcpe Arbeiten werben 
gefertigt u. f. w." u. A. gepören, unb wenben und zur folgenben: 

m. Verlobung zur Unfittlicpfeit. Sied iß bie zaplreicpße 
unb mit bie efelpafteße ©attung. Unanfpörltcp fällt btr empörte Slib auf 
„©ülfe unb Sftotp in bidereten Angelegenheiten", auf „Artifel", wobei ed 
an mepr ober weniger beutlicpen ©infen barüber, welcpe befonbre Art 
baoon gemeint ift, niept feplt, bann bie unzähligen Anerbietungen §ur 
©eilung gewiffer tranfpeiten unb ©cpwäcpen, Anprdfungen, bie zmt 
Speit in bie erße ©attung gepören, bann bie uicptdmürbige ©peculation 
auf bie Süßempeit, „3ntereffante Sütper unb Photographien" u. f. W. 
©aprtiep, man braucht niept gerabe 9iigoriß zu fein, um ßcp oon biefer 
©orte 3ubnßrie mit ©ntrüftung abznwenben. ©ir gepören fiepet niept 
Zu benen, bie ben erßen ©tein anfpeben gegen bie Aermßen, bte gleifdp 
unb Stut in ©epaben unb ©epaube gebracht. Aber biefed öffentliche And* 
fepreien iß fo freep, baff ed empören, unb fo gefäprlicp, baff ed in ber 
Spat mit Seforgniff erfüllen muff, ©ier ift ein ganzes Arfenal oon 
Verfüprungdmitteln beifammen unb in fo wirffamer ©rnppirung, eined 
bem anbern in bie ©änbe arbeitenb, ald pätte ed ein böfer Sämon zur 
balbigen Untergrabung ber nationalen ©itte unb ^taß lifiig erfonnen. 

Siefen Speit ber ©aepe muff icp mir oerfagen pier näper andzu* 
füpren, obwopl gerabe er ed oerbient, mit befonberd feparfer unb in 
eeptefte ©aQudfäure getaufter gebet bearbeitet zu werben. Unb biefe 
Vßffe unb kniffe taffen wir und wöchentlich utib täglicp oor bie Augen 
füpren, unb auf bie fßpantafie unterer peranWacpfenben Knaben unb 
SRäbcpen wirlen? Sazu geben bie geacptetßen 3«üungen unb 3ournale 
ipre oertrauenerweefenbe girma per? 

3m Vergleich mit bem Stdperigen fepen bie testen beiben ©attungen 
pöcpft parmlod aud: 

IV. ©infaepe ©emeinpeiten. 3u biefen reepnen Wir bad An* 
erbieten zur Vermittelung reieper ©eiratpen, „bie Shtnß, bie Aeigung bed 
weibltcpen ©efepteeptd zu gewinnen", Prophezeiungen, ©aprfagerfarten 
u. bgl. grober ©utnbug mepr. ©ben zu biefen unanßänbigen SRarft* 
fepreiereien gehört ed, wenn Wirfticpe promooirte Aerzte in ptttplerißper 
©eife öffentlicp ipre Sienfte anbieten, ober Anerbietungen Wtffenfcpoftlicper 
©ütfe bei ©aarenoerfälfepung, wie „Cpemifcpe 3«&ußrie uhb ©einoer* 
ebtung". ©nbtiep 

V. Sie einfache SRarftfcpreierei, wie ße im üRamifactur* unb 
Söfobenwaarengefcpäß mit fo oielen Außoanbe oon Papier unb ©cpwär$e 
unb in bisweilen pinreiffenber unfreiwilliger Äomif geübt wirb. 

©ir berühren pier nur noep furz, weit ße fo auf ber ©attb lieget, 
bie fcpäblicpen gotgen bed Annonceufcpminbetd unb bie SRittef, bie gut 
Surüdbrängung bedfetben füpren fönnten. Sie erßeren paben wir bei 


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Nr. 4. 


$t8,rtt»«rt. 


61 


ben Wreienbgen Säßen bereit« h«roorgehoben. $ier möchte ich nur noch 
barauf aufmerffam machen, bag auch Won bie einfache Btarltfchreierei 
äugerg nachtheilig wirft, inbern ge: 1) bie Beeßität unb Soübität be« 
©efchäg« untergräbt, 2) gum ©etteifer in ber Biarltfchreierei unb gu 
gegenteiliger Steigerung fü^rt, 3) ben ©crtlj unb bie ©ebeutung ber 
wirtlich ernft gemeinten reeßen Angeige Jjerabfefct unb fo ben reeßcn 
öefchägSmann $u gleicher Braterei »erführt, »eil er nicht hinter ben 
Soncurrenten gurüdbleiben »iß, 4) »eil fie unmerttid) in ben Betrug«; 
fdjwinbcl übergebt, inbem im toechfelfettigen Ueberbieten fdjlieglich Dinge 
oerfprodjen »erben müffen, bie nicht mehr geleiftet »erben Ibnnen, 5) bie 
Ueberbanbnabme be« 3nferatenwefep« ba« ©eWäft mit unnötigen Spefen 
belüftet, unb 6) burdj bie ungeheure ©eroielfältigung ber bebrudten 
Btaculatur, Bapier unb Drud für »ijfenfchaftliche, ^olitifd^e, literarifche 
©üdjer, Scitfc^riften unb für noth»enbige Drudfadjen jeber Art bettheuert. 
Diefen lepteren Umftanb foßten bodj bie Herren ©erleget »ob! im Auge 
bebalten unb bebenfen, bog fie fich mit ber übermäßigen Ausbeutung 
be« 3nferoten»efen« in’« eigne gleifdj fdjneiben, bürfte bocb gerabe in 
biefern bie #auptqueße be« bie Seper oer»öbnenben fogen. Spedtarif« 
gu fucgen fein. Die Sache aber ig überhaupt ernft genug. Sd»n finb 
Sa$, Brud unb Bapier in einer ©eife oertljeuert »orben, bag aße 
unfere »iffenf<baftlicben unb mit febr »enigen Ausnahmen faft aße unfere 
übrigen 8«tf<hriften fßoth leiben, bag ein Buch nur bann noch einen 
©erleger ftnbet, »enn burcb Berühmtheit be« Autor« ober anbere Um= 
gänbe ihm ein groger Abfap oon ®aufe au« gefiebert ift. 

Der gemeine unb unsittliche Annoncenfchwinbel übt neben ben ge; 
nannten noch bie Wümme ©trfung au«, bag ba« feinere Gefühl, ber 
Sinn für Anftanb, Datt unb Bartgefühl 1« »eiten Greifen be« ©olle« 
abgefhimpft unb gerftört wirb; bag ooßenb« ber ftrafwürbige unb ber 
ftrafbare Schwinbel biefc ©irlung noch in erhöhtem Blage auSüben unb 
baneben ben Sinn für fRecht unb ©efeplichleit untergraben unb abnupen 
unb fo in bWcm Stabe bemoralifirenb »irlen, liegt auf ber $anb. Blit 
Stecht müffen bie Weniger gebilbeten ©olf«Wichten, b. i. ber bei weitem 
größte Dbeil be« ©olle«, Da«ienige, »a« aße Dage in ben angefebenften 
Beitfcgriften angepriefen unb au«gefchrieen »erben barf, für erlaubt unb 
nWt unanftänbig holten, unb unwißlürlich müffen ftch baran Analogie; 
Wlßffe anreiben: »enn ba« erlaubt unb angänbig ift, »arum bann Da« 
unb Da« nicht auch? 

äurgum, eine gefährliche ©iftquefle ergiegt ftch täglich unb toöchentlicf} 
burcb unfere öffentlichen Blätter in aße Streife unb Schichten be« ©olle«. 

©ie aber ift bem abguljelfen? Sine Befchränlung ber $regfreibeit 
wäre eine S^rgenet, bie fo Wlimm »äre al« ba« Uebel. Aber e« gibt 
auch noch anbere »eniger öerg»eifelte Blittel. 1) Der ftrafbare 
Sch »in bei, b. b- bie Anlfinbigung berbotener Dinge unb bie offenbar 
betrügerifche Annouce fönnten burch ftrengere §anbhabung ber Saftig 
unb $oli$ei, »o nicht gang unterbrüdt, fo hoch febr »efentlieh einge; 
Wränft »erben. Da«, fo»ie bie grage, in »eichet ©eife 2) et»a burcb 
neue ober gefchärftere Strafbeftimmungeu bie Antünbigungen oon $ülfe 
bei SrW^W^ng oon Doctorbiplomen, Staatsprüfungen, bie Anlodungen 
gu berbotenem Schulbenmad^en u. bgt belämpft »erben lönnten, »oßen 
»ir ber emften Srtoägung ber Herren gütigen unb Sriminalpolitiler 
überlaffen, nur möchten »ir erfteren ein etwa« tbatlräftigere« SinWreiien 
»ünWen, bamit H ihnen nicht fo ähnlich ergebe wie mit bem ©rünbung«; 
W»inbel, »o ber Brunnen gugebedt würbe, naepbem ba« £inb biuein; 
gefaßen war. 

©orauf »ir aber am meiften ©etoidjt legen, ift 3) bie Selbftbülfe 
be« publicum«, »enigften« aßer anftänbigen, »oblmeinenben unbein; 
fiebtigen Beute, unb 4) bie Selbftbülfe unb Selbftcenfur aller an; 
ftänbigen ßeitungen unb 3°urnale Wne UnterWieb ber Denbeng 
unb Borteifteßung. Diefe beiben Bunlte finb e« bomchmlich, auf bie »ir 
mit unferer Darfteßung einguwirlen »ünfepten. ©enn aße »oblmeinenben, 
einfichtigen unb anftänbigen Seute, |>o<h unb ©ering, au« aßen Stänben 
unb BerufSclaffen, gegen biefe« »uchembe Unfraut mit ber ganzen Energie 
te« Unwißen«, ben e« oerbient, ftch erbeben unb ftch öie ©efämpfung 
be«felben, 3 e ^er in feinem Greife, burcb Belehrung, Aufflärung unb Sr; 
mabnung gur BgW* machen: fo muß hoch bie Sinftcpt in bie bödige 
Hohlheit, Srbärmlichleit unb S^äblichleit aßer biefer ^Inpreifungen ftch 
aßmälig immer breitere Bahnen brechen unb Wüeglich bie loftfpieügen 
Sfafmenbungen für tbeure Annoncen immer Weniger lobneub unb gewinn; 
brtngenb machen. 

9toch mehr aber hoben e3 bie ^üfchriften in ihrer Setoalt, bem 


Unlraut bie Bf a hlmurgel abgugraben, »enn fie (ich einfach gur fßorm 
machen, aßen offenbaren Sch»inbelannoncen bie Aufnahme gu oerfagen. 
©a« ben pecuniäreu ©ewinn betrifft, ber ihnen bamit entginge, fo foßte 
berfelbe für eine BeitWrift, welche bie ©ereblung unb 2htfflärung be« 
©olle« anftrebt, gegenüber einer Sache ber Btorat unb be« $tnftanbe« 
nicht weiter in 3rage lammen. Uebrigen« foßten bie Herren ©erleger 
bebenten, bag eine gewtffe Befchränlung be« über bie Blagen entwidelten 
3nfecaten»efen« au« ben oben angegebenen Srünben ihren tieferen unb 
unb bauentben Sntereffen nicht nur nicht guwiberläuft, fonbern gerabe 
entfpricht. $fud) lennen »ir bereit« S^itungen, Welche in biefer Beziehung 
mit gutem Beifpiele oorangegangen ftnb; fo bat — um mich b^r nur 
an ba« mir gunächft üegenbe Beijpiel gu halten — bie Biagbeburgifdje 
Seitung bie Summiartilel unb Sehnliche« au« ihren Spalten oerbannt, 
ohne ftch baburch in ihrer günftigen Sntwidelung, fowohl »a« Abonnenten; 
gabt al« Snferatenguflug betrifft, im minbeften beeinträchtigt gu fühlen. 
Die öffentlichen Organe müffen ftch nur nicht al« in aßen Stüden gc= 
borfame Diener be«Bubücum« unb aßer feiner Saunen unb Bumutbungen, 
fonbern auch menig al« feine berufenen gübrer, ©erather unb, wenn 
e« fein mug, au^ Dabier unb 3 u cb*meifter anfehen, unb fie »erben 
finben, bag beibe Dpeile fich hierbei am beften gehen, ©ohl mag e« 
im Singeinen nicht immer leicht fein, bie Srenge gu finben, namentlich 
mag bie betriebfame Soncurreng in objectio W»cr trennbaren Hebergang«; 
güebern mit ber SJtarltWreierei gufammenhängen. Aber man braucht 
nicht gleich Öen ooßlommenften ßaftanb ber Dinge in’« Auge gu faffen. 
©orläupg würbe e« Won oon grogem Segen fein, »enn bie unter I—]V 
aufgegählten ftrafbaren, grafwürbigen, ungttüchen unb gemeinen Annoncen 
au« ben Spalten unb ©eilagen ber anftänbigen flritWriften oerbannt 
»erben, galten »ir unfern gamilientifch unb unfern ©ücherfchranl unb 
bie Sefegimmer unferer Srholung«ftätten rein Oon bem Schmup unb ber 
Semeinheit, bie täglich in ihnen auögebreitet werben, bewahren »ir beffer 
al« bisher gefdjehen, bie Bhontafie unferer 3ugenb, ba« ift eine gorberung 
ber öffentlichen ©ohlfahrt, ber Sittlichleit unb be« Anganbe«. 

21bolf bfor»tc 3 . 




Die ginangen be« preugifchen Staate« gnb, wie »ir burch Somp; 
häufen« legte ©ilang erfahren ho&en, nach wie oor in gutem Buftanbe 
unb mügen anbere Sänber, bie geh mehr ober »eniger auf ominöfe 
Afggnaten angewiefen fehen, mit 9leib erfüßen. ©tan möchte nur »ün; 
fchen, bag geh Oon ber gnangießen Sage ber eingelnen Staatsbürger 
baSfelbe fagen liege. $ier gefteht aber ba« amtliche Sgpofä bie an; 
bauembe Stodung im ^anbel unb ©ewerbe unoerhohlen ein. Die ©e; 
WägSgiße um ©eihnachten ig feit 9leujahr feinem lebhafteren BulSfchlag 
gewichen. Die Sorge »egen ber chrigüchen Slaoen, bie ba« »egen feiner 
Uneigennüpigleit weltberühmte ßtuglanb angeblich gum Kriege swingen 
foß, ig gwar, um bie Sache beim tarnen gu nennen, politifche Heuchelei. 
Aber ge hot ingwiWen bie gloth ber W»eten Brit in Suropa fo fehr 
oermehrt, bag einige« Bütleib mit ben nicht flaoifchen Shrigen augerhalb 
ber Dürlei, mit ben oom ©anlrott bebrohten Äaufleuten unb gabrifanten, 
fowie ben hnngemben Arbeitern »ohl angegeigt wäre. Doch für folche 
untergeorbnete Dinge fehlt e« ben mit h<>h e r Baütif beWäftigten Bnbli= 
eigen an ber nöthigen Bluge. Die aßgemeine klemme, wie ja wohl ber 
techniWe AuSbrud lautet, würbe in ©erlin burch Öen Dob ber Bringefgn 
Äarl nicht oerminbert. Qahüofe ©efeßf^qften, Diner« upb ©äße würben 
plöpüch abgefagt ober hoch Oerfdjobeu. Die Ofgciere namentlich gnb in 
Drauer, unb ein Berliner gefeßfchaftlWe« ©ergnügen ohne bie ftepräfen; 
tanten unferer ©ehrhag ig unbenlbar. Daburch aber erlitten bie auf 
ba« ohnehin fehr eingeWränlte fociale Amüfement angewiefenen gnbugrie« 
gweige neue ©erlüge. Die oerewigte Bringeffin ßarl war, wie 3rber; 
mann »eig, oon feltener $?rgen«güte, »a« fW befonber« auch in ihrer 
rührenben Dheilnahme für bie Bülitär« ihre« Regiment«, bie nicht al« 
patentirte fröfu« auf bie ©eit gelommeu waren, lunbgab. ©ewig hätte 
ge baher auch frlbft um ben Brei« oerlängerter Schmergen gern no^ 
einige Dage in biefern gammerthal gugebracht, bi« ihr $infcheibtü 9he; 
manbent mehr ein angefagte« geft gören tonnte. Den AuSgang ber 


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62 


lit 91 9 1 imm'rt. 


Nr. 4. 


v 


orientaliföen ftrifi«, foweit fic fi$ bofür inMfirnt mo^te, foHte bie 
Princeß Äarf nit^t nteßr erleben, unb biettei^t wirb eS lljreit jüngeren 
Seitgenoffen nicht beffer ergehen, »er gonje Streit brehte f«h ftute&t 
unt bie ©arantien. Kußlanb gab »or, baß eS ffdj °h ne fotdje ® td ) et; 
heilen wegen ber bewußten Reformen nidht beruhigen fömte unb im 
Uebrigen bie «uSgaben für bie Lüftungen, mosten biefe immerhin 
großentheii» mit Papiemibetn bejahlt worben fein, nicht umfonft gemalt 
haben wolle. ®aS »erlangen nach ©arantien, wenn man ben Konferenz 
berichten glauben wollte, ^ötte guleßt gang (Europa ergriffen. SU« ob 
e« im öffentlichen wie im prioaten Seben wirtliche ©arantieen gäbe, 
©arantien für ben fittlidjen ftortföritt, für grreunbfdjaft unb »reue, für 
ba« irbifche ©lücf. SBie fann ba« mit bem PanjlaoiStnu« troß aller Slb= 
teugnungen affodirte Petersburger ©abinet »ürgfdjaften berlangen, welche 
felbft be« ©efchicfe« ewige 2Rä<f)te nicht gu bieten bermögen! SBar boch 
bie bon ©efunbheit ftrofcenbe ruffifche Slrmee gut Slmputation be« 
tranleit Wanne« am Prutß erfdjienen unb fiel bann felbft in ben para* 
biefijdjen ©efilben ber »obrubfdja einem epibemifchen Siedjtßum anheim. 
Unb borßer fcßon hatte bie unerbittliche Siemefi« jenen §ero« ber ßmta* 
bina, _ ben feiner Seit bon allen tuffenfreunblichen »tüttern gefeierten 
»fchernajeff ereilt, ber auSgog wie ein fitiegSgott unb ßeimfeljrie wie ein 
wegen Stßulben berfolgter unb auf Sdjub gebrachter oormärgliihet Siterat. 
So fteßt e« mit ben ©arantien auch bieSfeitS ber »alfanprobingen. ®ie 
englifchen, burch ruffifche Schlagwörter bethörten Siberalen ßaben benn 
auch ber „©binburgh Stebiew" neuerbing« fteljrt gemacht unb wie 
fflüeant gefegnet, wa« fie noch foeben berflucht hatten, nümlich bie grieben 
ftiftenben unb bie SRulje ©uropa« wenigften« für ein Wenfäenolter 
wahrenben »ertrüge. Störrig ift nur noch ©labftone, ber, felbft 
ein halber »ljeot»fl«» feinen greunben, ben ftömmelnben Witgtiebern 
ber berufenen Dtationatconferenj, bon welcher bie Station nicht« wiffen 
will, bie »erbiffenheit in borgefaßte Meinungen unb Siebßabereien ab= 
gefeßen hat. 3Rit ©labftone übrigen« ift e« nach glaubwütbigen »eridjten 
wirtlich weit gefomtnen. Slm Sbenb jener ffionfereng, wo er für Slaben= 
freißeit unb »ürfenbertügung geprebigt hotte, foH er beim §inau«gehen 
ber ©rfipn 9 t.... off ben Strm gegeben hoben unb mit ißr in ©efell» 
fchaft be« ©rafen »euft unb be« ffirafen Sdjumaloff foupirt hoben, 
©egen bie Slnwefenheit ber rujfifdjen ©fifte werben hi*® 4“ Sanbe gleich^ 
geftimmte Seelen wenig einguwenben haben. »aß aber ber intime tjreunb 
»eutfdjtanb«, ber fä^fifch^ftreichifche »otfdjafter, an jenem SiebeSmaßl 
»heil nahm, wirb unferen für be« alten ©ortfdjaloff« Projecte fchwärmen* 
ben Polititern vielleicht boch gu benfen geben. 

4e 4e 

Die flleloMe ber „Siplcuht am flauta“. 

3)ie Anfrage in Rr. 45 bet „Gegenwart" wegen bet SKelobie be* 
feit 1525 bolfätpümlich in 3>eutfcplanb geworbenen Siebe* pat einen 
überrafcpenb glüdlicpen Grfolg gehabt, inbem $err Glia* UHmann, Slctuar 
ber ifraelitifcpen Gemeinbe ju granffurt a. SK., in 3«fc^riften an Untere 
aeicpneten manche auch für ben nichtjübifcpen Sefer intereffante Stuffcplüffe 
gegeben, ja fogar auch bie SKelobie felbft mitgetpeilt pat. 

©ei bem hauptfäcpiich burch ben Sebfucpenbäder ©incena gettmilcp, 
al* $aupträbel*füprcr, im Sluguft 1614, ju granffurf a. SK. gegifteten 
Slufrupr würben befonber* bie 3uben auf empörenbe SBeije mißpanbelt 
unb aus ber ©tobt bertrieben, halb barauf aber, nach Rieberwerfung be* 
Slufrupr*, Slecptung unb #inrtcptung be* Räbel*füprer* unb feiner Oe* 
noffen, in feierlichem Äufjuge in bie ©tabt unb in bie Subengaffe gurüd* 
geführt, ©ei biefer Gelegenheit bichtete Gldjonan ©ar Slbrapam §elen, 
mit bem gamiliennamen SBertpeimer, ba* bereits erwähnte „©injlieb" 
ober „©inahan*lieb - , welche* juerft 1648 au Slmfterbam unb fpäter 1696 
ju granffurt a. SK. (bei 2:rier) gebtucft würbe. 2)ie ©telobie 

ber „©flacht bon ©abia M ntu| fchon 1614 burchau* bobulär gewefen 
fein, benn fie machte fi<h fogar auch bet bem feierlichen SBieberein&uge 
ber 3nben, unter bem Geleite bon ©olbaten mit fliegenben gähnen unb 
Stommeln unb pfeifen, bemertbar. ©o nahm bei biefeni Ginjuge ber 
©erfahr ber noch ^eute in granffurt angefeffenen gamile Äbfer in feiner 
überfprubelnben greube einem Srommelfchläger Srommel unb ©chlägel 
weg unb accompagnirte eigenhänbig auf ber Srommef bie SKelobte ber 
^©chlacht bei $<rtria* bei bem Ginjuge in bie Snbengaffe. 

SRit ber merfwürbigen Sreue, mit welker ba* 3ubenthum feine 
Srabitionen aufrecht erhält, ift auch bie SKelobie ber „©flacht bei $abia M 


i bom 3nbenthum in granffurt aufre^t erhalten worben. Rach ber Rück 
j fehr in bie alte granffurter Heimat würbe bon ber banfbaren Gemeinbe 
i gut Grinnerung an bie fchwere 3«* harten ©ebrängnifj ein gafttag 
! angeorbnet, welchem ftch unmittelbar ein gefk unb greubentag — ©inj= 

‘ ©urim — anfchlog. tln biefem ^Weiten gefttage würbe ber erfte Äb= 
| fchnitt be* SKorgengebete* nach ber SKelobie ber „©chtadjt bei $abia" 

| gefungen, unb bie* ift noch K3 bor wenigen 3 a h re n gefchehen. 2Bie 
j bie SKelobien faft aller fübifd^en GotteSbienftgefänge erhielt ftch au( h biefe 
; SKelobie burch Srabition ohne Slufjeichnung nach Roten, ©or mehreren 
§ 3ahren beranlafete $err Glia* Uttmann nach bem ©ortrage eine* alten 
, ©hnagogenborfänger* eine Rufjeichnung ber SKelobie, welche h< er 
! finben mag: 


SKelobie bon $ßurtnt;©iit$. (Sie Schlacht bon $abia.) 


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Rachträglich noch bie ©emerfuttg, baß beibe geiertage auch jeßt noch 
im granffurter jübifdjen Ifalenber aufgeführt werben unb auf Oculi 
unb ben folgenben Xag fallen. Rach bem biefcjährigeit Äalenber (Ä. SK. 
5637, b. h- 19* September 1876 — 7. ©eptember 1877) fällt ber gaft= 
tag „©üta* auf ben 4. SKärj, ber gefttog „©inj" ober „^urim^inj 41 
auf ben 5. 3Rär$ 1877. * 

33Bo aber ift ba* bielgenannte ©olfälieb felbft, bie ©chlacht bei Sßabig? 
Unb wo ba* Gebidjt be* alten Georg grunb*berg? ©oUte nicht in SBien 
9lu*fuuft ju geben fein? 

2 lo6?£allemant. 


Gegen ben Strom. Gefammelte Wuffä&e bon 3nliu* ©uboc, Dr. phil. 
§annober 1877, Rümpler. 

3 nliu* ©uboc ift ein fcharffinniger ^opf unb ein felbftftänbiger 
©enfer; auch unterfcheibet er ftch bon manchen anberen „ $h^°l°bh e n * fehr 
| bortheilhaft baburch, baß er fleh feiner SKutterfprache, wie folche bon ben 
| beften ©chriftfleHern ber Station gefdjrteben wirb, bebient, unb un* nicht 
| sumuthet, ihm ober feinem „©pfteme" ju Siebe un* in eine neue ©cßuk 
fprache htneinjuftubiren, Welche bon bem ©d&riftbeutfch fehr erheblich ab^ 
| weicht, aber nicht ju ihrem ©ortheil. 3>uboc hat in feiner „©hhfiolnßte 
j ber Siebe' 4 einen außerorbentlich fchwierigen Gegenftanb mit eben fo 
| biel Unbefangenheit al* ©ecenj behanbelt, uitb in feinem „Seben ohne 
Gott" bem SUhei*mu* eine ethifdje ©eite abgewonnen, welche biele 
I Sefer fchon burch ihre Reuheit befticht. 3>a er e* liebt, fich neue SBege 
| 5 u bahnen unb ftch Weber irgenb einem ©pftern, noch einer herrfchenben 
j kage*meinung an ben h^ w 0i ( 8 ^ venia verbo, benn bie leptere 

* pflegt ihren S°Pf befipen, fo gut, wie ba* erflere), fo ftößt er natür= 
lieh bielfach auf SBiterfpruch; unb bie* gibt ihm ba* Recht, bie neuefte 
Sammlung bon Äufiäpen, welche er un* hier bietet, „Gegen ben©trom" 
I *u betiteln, — eine ©erechtigung, bie unfere* Grachten* bem Äbgeorbneteu 
i b. Äarborff nicht jufteht für feine nationalölonomifchen gafeleien, welche 
leptere feine neuen Gebanfen unb überhaupt leine Gebanfen enthalten, 
fonbem bötlig ibeenlo* mit bem breiten unb trüben Strome bereiteter 
©chupaotlnerei fdjwimmen. 

3Benn ©uboc bie ^rätenfionen 5lnberer theilte, fo würbe er feine 
j «uffäpe al* „Gffap*" begegnet hoben, ©ic würben biefen Rameu 
l beffer berbienen, al* manche nachgehenb* mit etwa* quasi-gelehrter Rppretur 
! aufgepupte geuilleton* literarifch-'äfthetifchen 3nhalt*. 

3)iefe Äuffäpe Ttnb ein wenig mehr al* geuilleton*. ©ie fiepen großen-- 
tpeil* in einem inneren Sufammenpange mit ben mepr bogmatifepen 
SBerlen: „^ppfiologie ber Siebe - unb ff ba* Seben opne Gott - , 
©on manchen berfelben fann man fagen, e* finb Rachträge au jenen 
SSBerfen, bon anberen, e* finb piftorifche ©eifpiele unb Gntwicfelungen 
au* einem concreten praftifepen gaHe perau*, welche jenen Xpeorien 
bie erforberlicpen Grläuterungen, ©elege unb tpatfäcplichen ©eweife liefern. 


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Nr. 4. 


9xt &t$tuwaxL 


63 


Ba flnben mir §. B. einen auf ©runb bet umfangreichen Sirobtmann’fchen 
Bubttcation („©riefe oon unb an ©. A. Bürger. ©in Beitrag jur 
giteraturgefchichte feiner 3*it- Aus bem ©achlaffe Bürgers unb anberen 
nteift honbfchrif tlichen Ouellen h«ou§gegeben non Abolf Strobtmann/ 
BierBänbe. Berlin 1874, ©aetet) oerfaßten Auffap „Bürgers £1jarat* 
ter in feinem giebeSleben*, eine ^5c^ft intereffante unb te^rreidhe 
Unterfudjmtg eines fehr fchwierigen fittlidjen unb ^f^c^otogifd^en BroblemS; 
ferner eine (Erörterung über ©ulogtuS Schnei ber, einen Beutfchen aus 
bem (Elfa&, welcher in ber großen frangöfijchen ©eootution eine Jeltfame 
©olle gefpielt ^at; bann eine fehr gelungene titerariich«biographifche 
0!t^e über ben einfamen fßhitofophen gubwig geuerbach unb eine 
furje unb fchlagcnbe Äritif beS ,©artmann’f<ben SBeltelenbeS", 
worin Buboc nadföuweifen oerfucßt, „baß eS ©artmann an ben aüermeiften 
BorauSfepungen logijchen BenfenS, jufammenhüngenber Beweisführung 
unb grünblicper (Erwägung ooWommen gebricht". 

Jhtra, bie ©ffatjS oon Buboc ftnb gebermann, ber ftd) irgenbwie, 
fei eS entweber an ben Bitterniffen ber Schopenhauer’fchen ^©itofo©©ie, 
ober an ben Süßigfeiten ber gooelh«BelletttfHt, ben ©tagen oerborben 
hat, als ein reinigenbeS unb fräftigenbeö Stomachale ju empfehlen. 

K. 53. W. 


gm Berlag oon ©ermann SBeißbadj in öeimat ift ein originelles 
Buch erfchienen , baS wir nicht mit ©tittfehweigen übergehen fönnen: 
„BaS Buch ber ftapen" oon ©uftao ©tichel. gn fieben Briefen be« 
hanbelt ber Autor baS ganje ©taterial, baS fuh auf bie ßape bezieht; 
©atur gefehlte, ©tpthoS unb ©oefte liefern bie Baufteine. Bie Barßel« 
lung ift burchgängig leicht elegant unb wipig. 

Ber ßunftoerlag oon ©anfftängl in ©tünchen hot ein SSBerf be« 
gönnen, baS bie allgemeine Bheilnaljme aller Ihinftliebenben unb ftunft 
übenben oerbient. (Er Veröffentlicht bie ©teifterwerfe ber ©tünchener 
©inatothel in großen Driginalphotographien oon ooüenbeter Ausführung. 
Bie unS oorliegenben Blätter ber Sammlung, §wet ber betannten ©htriüoS 
((Effenbe Änaben) gehören ju ben beften Photographien ©eprobudionen, 
bie wir gefehen hoben. Bo$ Unternehmen ift in erfter fiinie allen 

Atabemien auf baS SBärmfte au empfehlen. 

♦ 

* * 

Jur Breslauer fohrtoupfrag*. 

Bon betheiligter ©eite ift uns folgenbe BarfteHung mit ber Bitte 
um Aufnahme augegangen: 

„gftr eine geregte Beurteilung beS inBb. 10, ©r. 53 biefeS Blattes 
©. 445 f. fo fcharf angegriffenen „geitfabenS für ben geographifchen, 
gefchitUithcn, nöturgefchtdjtlichen unb phhfifalifchen Unterricht in BolfS« 
hhulen u. f. w." bürfte folgenbe ©tittheilung über Smed unb (Entftehung 
biefeS Büchleins nicht ohne ©erth fein. 

©achbern bie ftäbtifchen Behörben oon Breslau, namentlich feit bem 
galpre 1866, für baS früher fehr oernochläfftgte BolfSfchulmefen wie für 
baS ©chulwefen überhaupt bebeutenbe Opfer gebracht unb lefonberS für 
Bermehrung ber (Elementarfchulen oiel gethon, begann im gahre 1870 
eine, man fann wohl fagen großartige Umgeftaltung auf biefem ©ebiete. 
Abgefehen baoon, baß bie feit furaem beftehenben ©tittelfchulen au neun« 
claffigen höh««* Bürgerfchulen ohne Latein*), beren Schüler nach be« 
ftanbene Abiturientenprüfung bie Berechtigung aunt einjährigen grei« 
wiHtgenbienft erhalten, entwidelt würben, ging man baran, bte bisher 
breiclaffigen, ^vati Bheil Oterclafftgen (Elementarfchulen ju fecßSdöfftgen 
umaugepalten. (ES gefchah bicS einfach in ber ©etfe, baß nach unb nach 
bei biefen Spulen erft bie britte, bann bie aweite, aulegt bie erfte (Eiaffe, 
welche fämmtlit »weijährigen SurfuS hotten unb in 2 Abtheilungen 
mit oerfchiebenem fenfum aerfielen, in je 2 (Eiaffen III* unb b , n» unb b , 
I» unb b mit einjährigem (EurfuS geteilt würben; nur (Eiaffe I R hot 
in ber ©eligionSleljre unb ben ©ealien: ©efchichte, ©eographie, ©atur« 
gefchichte unb ©aturlehre, aweijährigen (EurfuS, bo<h bearbeitet bie ganae 
(Eiaffe baSfelbe Benfwn.**) 

*) Sept gibt eS beren brei mit fehr ftarfer ©chüleraahl unb je 
3—4 BaraÜelclaffen. 

**) ©o gibt eS benn h^^ bereits 26 fedjSdajfige, 26 fünfclaffige, 
8 uierdaffige (Elementarfchulen unb 1 breiclafftge, aufammen 830 (Eiaffen 
(manche ©deuten haben ^araSeldaffen) unb oon Oftent b. g. ab werben 
33 fe^S«, 24 fünf« unb 3 oierdafftge beftehen, im ©anaen 361 (Eiaffen, 
mälpcnb am (Enbe beS gapreS 1869 beren nur 214 beftanben. Biefe 
©ntwidelmm beS BreSlauifwen BollSfchulwefenS ift benn auch mit be* 
beutenben piiinjiellen Opfern oerbunben, welche fuh fortwährenb fieigem. 
So werbet? bie Ausgaben für baS BolfSf^ulwefen allein ind. ber Lehrer« 
befolbungen ic. in bem neuen (Etat für baSgahr 1877/78: 856,964 ©tar! 
(unb a&ar bie bauernben Ausgaben allein 847,308 ©tar!) betragen, 
währenb baS etatSmäfjige ©oü für baS gahr 1870 ftch nur auf 116,620 
ftthlr — 349,860 ©tot belief. 


| 5)iefe neue Organifation, welche mit einer (Erhöhung ber Unterrichts« 
i ftunbenaahl in ben oberften (Elaffen oerbunben war, machte eine (Erweite« 
rung unb Bertiefung beS UnterrichtSpenfumS, namentlich in ben ttealien 
I — womit eine {djon bamalS auch bon ber SEgT. Regierung als berechtigt 
i anertannte gorberung ber 8**t erfüllt würbe — möglich unb bie (Ein« 

I führuna neuer Schulbücher notljwenbig. 

| Aue biefe neuen (Einri^tungen, bie geftftellung eines neuen Sehr« 
• planes unb bie (Einführung ober aunächft Ausarbeitung neuer Schulbücher 
würben unter ber Oberleitung ber ftäbtifchen ©djulbeputation, aber au« 
j gleich unter umfaffenber, thätiger Beteiligung beS gehrerftanbeS, welcher 
| nach jenem gehrplane unb mit biefen Unterrichtsmitteln in ber ©gute 
! arbeiten foH, burchgeführt unb bamit ebenfalls ein längft empfunbeneS 
j unb namentlich aus ber ©litte beS lepteren oielfach geltenb gemachtes 
BebürfniJ befriebiqt. 2>ie Berathung über bie neuen ©chulbüter, thre 
j Aufgabe unb (Einrichtung würbe fcommifftonen oon erfahrenen unb he« 
»ftlrtcn BoltSfchutlehreru übertragen, beren ©dtglieber burd^ eine au 
| biefem Swed oon ber ©chulbeputatton berufene Berfamntlung oon ©aupt« 

| leheern unb Stectoren ber ftäbtifchen (Elementarfchulen (60 an ber Saht) 
gewählt würben. (Eine biefer (Eommiffionen hotte fpeciett mit bem oben 
; erwähnten geitfaben (fura „baS Aealienbuch^ genannt) unb beffen Ab« 
i faffung ftch a u befchäftigen. 

1 SDic (Einführung eines folgen geitfabenS, ber übrigens nur ein 
fRepertorium beS mit bem ©ebächtnig aufaunehmenben ©lateriatS bilben 
unb, um nicht bem münblichen Bortrage beS gehreS oorjugreifen, ftch er« 

; aühtenber Ausführungen unb aller BäfonnementS unb mefle^onen mög« 
i tichfi enthalten foüte, war aunächft burch bie obenerwähnte AuSbehnung 
beS Unterrichtes in ben Realien bebingt, hotte aber augleich ben 
j Qwed, baS gefebudj für bie Oberftufe ((Etajfe I* unb I b ), welches bis« 

; \)tt, wie baS für bie ©Uttel« nnb bie Unterfhife, jenem Unterricht 

( gebient hotte, oon biefer Bienftbarfeit au befreien unb feiner wahren Be« 
timmung als ©ülfSmittet für bie fprachli<h«titerarifche Bilbung ber 
I ©chuljugenb a u aofüh cfn - 

bie Abfaffung eines geitfabenS für ben 9ieatien«Unterricht in ber 
BoITSfchnle noch etwas ©eueS war, fo muhte man barauf gefaxt fein, 
bah dn folcher Berfuch nicht fogleich üoHfommen gelingen unb nic©t aana 
; frei oon Berfehen unb ©tihgriffen fein werbe. Bie eigenthümfei 
Schwierigkeiten beS Unternehmens würben übrigens noch baburch erhöht, 
bah biefeS Buch, Wie bie übrigen neu eingefübrten Schulbücher, ebenfo 
für bie lathotifchen wie für bie eOangelifchen ftäbtifchen (Elementarfchulen 
beftimmt war, alfo einen ftmultanen (Eharalter hoben foHte. 

3BaS oon ©eiten ber ©chulbeputatton für baS ©dingen beS SBerfeS 
gegeben tonnte, gefchah- Bie oerfchiebenen gadjabfehnitte würben nach 
ben Borfchlägen ber gehrercommiffion einaelnen bewährten Bertretem 
biefer gächer aus ihrer ©litte aur Ausarbeitung überwiefen unb bte auS« 
gearbeiteten ©auptabthetlungen beS geitfabenS tm ©lanufeript atabemifch 
gebilbeten gachmänncrn, rnetft Oberlehrern ©teflger höheren gehranftalten, 
aur fachtunbigen ©eoipon übergeben. Auf ©runb beS ©efultateS ber« 
felben würben bann bte Berfaffer Oon ber ©chulbeputation mt Um« 
änberung beS Bestes, foweit biefelbe als nothwenbig ober hoch wünfchenS« 
werth anertannt worben, oeranlaht. Bah babei auch, sorool ba ber 
Brud nicht länger aufaufchieben unb bie Seit tnapp war, einaelne gehler 
beS ©lanuferipts überfehen worben finb, wirb geber, ber jemals mit einer 
folchen ©eoifton belaftet war, fehr natürlich finben. ©S wirb nicht leicht 
ein Schulbuch, namentlich eines für bie BoltSfchule, beren Bertreter ja 
nicht wiffenfehaftliehe gorfdjer ftnb, geben, welches nicht Unridhtigteiten 
unb gehler aufautoeifen hält«; & ü^n fi<P ©terfür Beifpiele oon fehr 
renomnrirten Schulbüchern (a- B. für ben ©efchichtSunterriÄt) ©ö©erer 
gehranftalten anführen. (Einaelne gehl« biefer Art, bie ja bet fpäteren 
Auflagen leicht wegaufchaffen ftnb unb welche ber gehrer leicht berichtigen 
fann, fallen ficheritd} nicht fehr in’8 ©ewicht, wenn ein folcheS Budh fonft 
: im Allgemeinen feinen gtoed erfüllt. Schwierig ift jebenfaüS bie Auf« 

1 gäbe, ben SBiffenSftoff ber obenerwähnten gächer mit einer gewiffen BoH« 
i ftänbtgfeit unb hoch babei in einer bem gaffungSoermögen ber Schüler 
biefer BtlbungSftufe noch aogänglid^en SBeife a« flehten, au gliebem, 
fpftematifch a u fommenaufteQen. unb fo wirb man unter allen Schult 
büchera biefer Art, welche in neuefter 8«t in erfter Auflage erfchienen 
ftnb, fchwerlicb eines finben, welches nicht au Ausfüllungen Anlaß gäbe, 
©tan muß eben bebenlen, baß eS ftch hi« nicht um Wiffenfchaftliche 
3Berfe honbelt, fonbern um ©erfteflung eines in feiner Art neuen Unter« 
ricßtSmittetS, alfo um ein ©speriment, oon bem man nicht gleich ein 
ooÜfommeneS ©elingen erwarten barf. 

Ohne bah« öie in ©r. 53 biefeS Blattes gerügten wirtlichen gehler 
(nicht alle bort aufgeführten ergeben ftch fci näherer Beleuchtung als 
fotdje*) entidjulbigen an wollen, barf bo# heroorgehoben werben, baß ber 
befprochene geitfaben auch feine recht oerbienfllichen Seiten hot, welche au 
ihrer ooüen ©eltung tommen werben wenn, was beftimmt gefchehen wirb, 
bei ber nahe beoorfteljenben a^eiten Auflage jene Berfehen beri^tigt 
werben." 


*) ©S muß auSbrüdüch barauf hingewiefen werben, baß ein Bbeil 
ber 16 Bbefen nicht Säpe enthält, weläe wörtlich aus bem geitfaben 
gefchöpft ftnb, fonbern golgerungen, welche ber Berfaffer beS ArtifetS 
aus bem, was jener fagt ober nicht fagt, a^hen au bürfen glaubt. 


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64 


Sit Stgtnaart. 


Nr. 4. 




(Soeben erföien im ®etlage ber Unfer$ei<h' 
neten mtb ift burdj biefelbe, foteie bur<h jebe 
Söiufräattbtung ju begehen: 

@(k. 3>. IHaud). 

fteftrebe ju beS flflnftlerS Säfutarfeier in ber 
©efammtfipung ber flönigl. Afabentie ber IHinjte 
ju Berlin am 3. Souuar 1877 
gehalten non 

Dr. fl, Doiiert, 

$rofeffor an ber ttönigtidjen ÄTabemie ber Jtünftc. 
$rci$ 7B 

|n Irinntng ift jimfr|tn In giu|-|tiftng hi $tilfra IfJfawL 
Berlin W., $* S^noibor fc Co., 

21. Unt. b. ginben. königliche §ofbnd$anMg. 

3n allen 93uchh«tblungcn oorräthtg: 

fit |ta bet fatariMmg. 

Cine 

foctal*#lofo#f<he 2>arfteHwtg 

»Ott 

Sen^iitb 3<ueH. 

X^eil 1. 2. k 4 JL 

SBetlgg bon g. in 3<etfi«. 

Schöpfungsgeschichte 

lait besonderer Berücksichtigung des 
bibl. Schöpfungsberichtes 
von 

Dr. Fr. PfafF. 

Zweite umgearb. Auflage, mit Holzschnitten 
und einer Karte. 

47 Bogen in gr. 8. 12 M. 

Dieses Werk gibt eine Darstellung der 
Entstehung und Entwickelung dar ganzen 
sichtbaren Schöpfung, also der wichtigsten 
Resultate der Astronomie und Geologie, welche 
jeden Leser in der anschaulichsten Weise in 
den Stand setzt, sich über diese Gegenstände 
ein selbständiges Urtheil zu bilden. 

©erlog* bon Otto ©igaufe in Äeipjig 
erfriert foeben unb ift burdj alle ©ud#anblun= 
gen $u besiegen: 

Ütofaitieu unb SÜjjottettett. 

Sfyaralterograpljtjcfje 

©ituation3= u. ®ntn>icfetung8&ilber. 
Äon 

Dr. 3nlii»8 Ct|nftn. 

fßrriS 3 JC 

gtafientfdje ^ffauberdett.* 

©on 

frktor #nmk. 

SßreiS 7 JL 

* Allen flteifenben, fomie Allen, bie ftd) für 
bie itölienifdjen Quft&nbe interejflren, aufs 
©ärmjite empfohlen. __ 


Delius’ 

SHAK 6 PERE 

IT. (Stereotyp-) Auflage 

2 starke Bände, brochirt: 16 JL In 2 fei¬ 
nen Halbfranzbänden: 21 JL 

Jede« einzelne Stock: 80 Pf. 

[Letztere werden, soweit der Vorrath 
reicht, in früheren Auflagen geliefert.] 
Verlag von B. L. Frideriohs 
_in Elberfeld. 


ftftftctt#«, Jtortftt 8.W., ßtnbenftrafte HO. 


<£Hfa|iHie SStint. 

Unterzeichnete girma befchäftigt ftcf> mit bem Qmport gricc^ijd^cr ©eine. Diefelbeu ftnb bon 
bor^ügli^er (Bäte unb großer Schönheit. — Um beren ©efannttoerben $u erleichtern toirb 1 $robe= 
fiftchen in folgenber Sufammenftellung obgegeben: 

3/1 Fl. Rothwein aus Corinth ä JL l .60. =* JL 4.80. 

3/1 FL dito Claret Tino di B&ooo von Santorin. . . a JL 1.20. =- JL 3.60. 

3/1 Fl. Malvasier weiss Tino santo von Santorin .... a JL 1.40. = JL 4.20. 

3/1 F1. dito roth ans Misistra.ä JL 1.50. =» JL 4,50. 

gufammen 12/1 %l. kifte, giafchen unb ©erpaefung frei für. JL 17.10. 

ßufenbung per $oft ober ©aljn, ob hier. Älfolnte Garantie fftr Reinheit nab fte$t|eit. 
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3u beziehen burch öße ©mhlaublnngen, fotoie bireft bom Verleger 
ÄerUu W., ^otSbamerftrage 20. 9h:**! Puucter. 


Eine Ciavieriehrerin, 

am Conservatorium zu Dresden gebildet und 
seit Jahren in ihrem Fache thätig, wünscht 
bald oder zu Ostern eine Stelle an einer 
grösseren Musikschule oder einem Pensionat 
in Deutschland anzunehmen. — Ein gutes 
Zeugniss über Ausbildung und bisherige 
Thätigkeit kann vorgelegt werden. 

Adressen werden unter Chiffre E. B. 85 
an Haasenstein & Vogler in Dresden erbeten. 

Soeben ift erfchienen: 

^latex hoffen. 

SRomait bon 
(Sfauarfa SRärifc. 

Mtttt fibrrarbetuto 2Lnfi*$t. 

8. 2 ©änbe. 9UK60A. 

@itt bielbegebrteS ©erf, baö Sahrjebnte fehlte, 
beffen Ueberaroeitung ber dichter erft jßgemb 
begonnen, bann aber mit bem fteigenben drnfte 
einer tiefempfunbenen Aufgabe geförbert, liegt 
heute in ber bon bem Dichter hintexlaffenen unb 
bon befreunbeter ®anb geftchteteu Ueberarbeitung 
bor. AIS theureS ®ermücbtni6 eines erlefenen 
QJeifteS möge biefeS bebeutfame ©erl allen Dens 
fenigen empfohlen fein, mUfyt fich int (^etbirr 
ber flüchtigen (üebilbe beS Tages beu Sinn für 
bie fünftlerifdje Roheit einer ücht bichterifchen 
Schöpfung betoahrt ^aBen. 

Stuttgart, Sönuar 1877. 

_ S. 3» Söftheu’fche gerlagShanbhtn g. 

ßür We Webaction oetanttoortli^: ^HOtf in llertt«. 

SDrud uou |l. #. fealmt? in deiPtit. 


Steuer Verlag b. Sreitfopf 4b gartet in £eip§ig: 

fit 5 ta*tskan|l kn Jatfa. 

Suftfpiet in 3 Slufjügen ooit &tUf 

8. broef). 3 JC geb. 4 JC 

©on bemfelbeit SSerfaffer erfchienen im gleichen 
Verlage: 

Ö5in ßantpf um Hom. §iftorifcher Vornan. 
4 23änbe. 8. («b. I 3. Aufl. iöb. II-IV 
2. Aufl.) broch- 24 JL 

laönig Uoberiilj. Drauerfpiel in 5 Aufjügen. 
2., burchgefehene unb beränberte Ausgabe. 
8. broch- 4 JL, geb. 5 JL 
Markgraf Uuebeger bon SBechelaren. ®in 
Xrauerfpiel in 5 Aufjügcn. 8. broch- 3 JL,, 
geb. 4 JL 

Beutfdje 8:reue. ©in baterlänbifcheS Schaufpicl 
in 5 Aufeügen. 8. broch- 3 9*&. 4 

3toölf Bailaben. 12. ©legant cart. mit ©olb= 
fepnitt 3 JL 

Die ^malungen. ©in ©ebidjt. gr. 8. geb. 4 JC 

Heiur. Lemcke 

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feiner sowie seihst direct importirter 

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im Preise von 86 bis 1000 M. pro Mille. 
Zollfreie Lieferung für das Deutsche Reich 
von Vio Kisten an. — Preis-Courante gratis. 

m*(i* N.W. £ouifen|ca|e as. 


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Steffi«, tat 8. gfttatar 1877. 


XI Band. 


X,b. 


fit (!3c0cmunrt 

SSochenfcbrift für Literatur, Äwtft unb öffentliches ßeben. 


hv r Y\ S ^ I&* *rau8geber: ^fitttattt in ©erlitt. 

\ j^u * *- r , 


f r.„ #-e -t. .A.t.1 -t . . j 

im amu» ffpjnB ftse j 

8a btftfetm k@*# tSt CMItaakbntm an» Whmltatten. 


»erleget; 0mg «tilfe in »erlitt. 


ftm pi fwrtii 4 |t* 50 |f. 

3nferate Jebec «st pro Sgcfpattcne $etttaeile 40 $f. 


geberfriegc. Son * * *. — ®ic ^ei^StööSma^len be$ gafyreS 1877. 9Son SBU^cIm SBocfernaget. II. — Literatur 
ttttb Jhnift: Qoetlje. Corlefunaen gesotten an bec &5nig(. Umöetfität p ©erlitt non Jperman ©ruttm ©efprodjeu non Start ©artfdj. 
— Sturmflut^. Vornan in 6 ®üc$ern bon griebrtd) Spieltagen. ©efprodjett üon ©aul Stnbau. TI. (©djluß.) — tkntfifdjtel: ©in 
9faffriäci$mu*. ©on grij SOfcautfyner. — Än$ ber $ie Goncurrenj für bie Deirttnftler ber ©ebrüber $umbotbt. ©on 

• Architectus. — S&otijen. — Offene ©riefe unb Änttoorten. ®on$l)eobor Ätrdjljoff. — .©ibliograpti*- — gnferate. 


Oentfdj-franjöfifdje Jtberiiriege. 

»Ott ***. 

©aS Urteil ber Sranjofen über bie ©eutfeben ift Don 
jet>er ein falfcheS, ober nach gewiffen Stiftungen bin über* 
triebeneS gewefen. 

Stör bent Kriege galten bie ©eutfeben in Srantreich für 
ein Statt oon ©räumern, SDiftern, ©elebrten, ißbitofopbcn unb 
HÄufttanien. 3Jtan glaubte fie binreifenb farafterifirt ju 
haben, wenn man oon ihnen gefagt batte, fie beffüftigten fff 
OflHptf&blidj mit tranfeenbentater SSbÜafopbie unb Stufif. 
Einige gebitbete SDtänner mochten baS Kinbifcbe beS oon ihren 
SanbSleuten über ©eutfcblanb gefällten Urtbeife bebauern, unb 
machten bie unb ba ernfte, aber ftetS frucbtlofe ©erfuebe, bem 
oon ihnen conftatirten Üebelftanbe abjubelfeit. — ©er gro|e 
Raufen wollte nicht belehrt werben, ©eine Senntniffe ber 
bentfdjen Literatur befebräntten fich auf bie Ueberfefcungen ber 
„ißb®ntafiebilber" oon $offmann unb beS „Sauft"; er bilbete 
feine Anfidjten über beutfdjeS Seben unb ©enten nach Srau 
oon ©taels Such „De l’Allmagne", bie geiftig Staffinirten, 
bie oietfacb befpöttelten ßefer ber „Revue des deux Mondes" 
febwangen ft<h bis ju ben ^eine’fchen Arbeiten unb ben ©tubien 
oon ©t Stene ©aißanbier empor. Stiemanb fpracb ©eutfeh, 
laS ©eutfeb, betümraerte fich um ©eutfcblanb. ©ie Unwiffen* 
beit ber Sranjofen in ©ejug auf bas, was in bem Sftacbbar* 
ftaate oorging, tann oon ^Denjenigen, bie oon biefer Unwiffen* 
hfeit nicht tbatfäcbliche Seweife gehabt haben, taum genügenb 
gewürbigt werben. 3n ©eutfdjlanb, wo jeber gebilbete ÜRenfdj 
wenn auch nicht Sranjöfifcfj fpridjt, fo boch Sranjöfifcb gelernt 
hat unb bis ju einem gewiffen ©rabe oerftef)t, wo bie -Kamen 
hcroorragenber franjöfifcber ©ebriftftefler, ©ichter, ©elebrten 
unb ftünftler gerabe ebenfo befannt finb wie in Srantreich 
fetbfl — in ©eutfcblanb bleibt es unerttärlich, ba| unfere 
grölten ©eifter in Srantreich taum bem Stamen naCb getannt 
finb, unb ba| man oon ihren Werten bort fo gut wie gar 
nichts wei|. Unter ' “ubert gebilbeten Sranjofen bürften taum 
fünf im ©tanbe \> 
ober oier ber oor 
ju nennen, ©r 
gefällig nennt 
wutsiffenbfte 

SHan/i 
avn&bme,^ 
fter SBefd’ 
in ihrep 
't- 


/' nur bie ©itel oon mehr als brei 
5erte oon ©oetbe, ©chiüer, ßeffing 
'alt ber @rbe, wie eS fidf felbft= 
©paniem unb Stalienern baS 

;en falfch beurteilen, wenn man 
ubeit bei ihnen ein gewiffeS ©efübl 
je. ©ie erlernten baS ÜRangelbafte 
Äenntni| beS SlitSlanbeS angebt, auf 


baS SBiHigfte an; ia, man tann jagen, ba| fie fich beSfelben 
rühmen. @S ftnb SlEiome bei ihnen, ba| bie franjöftfche 
Sprache bie ooHtommenfte, bie franjöfifcfje Siteratnr bie geift= 
reichfte unb amüfantefte ift; ba| bie ftanjöfifcbe Äunft, mit 
Ausnahme ber SKufit allein, unerreichbar hoch bie Äunft aller 
anberen Sänber überrage; ba| bie franjöfifqje Snbuftrie enblidb 
nirgenbS ihres ©leiden pnbe. SJon biefem bureb bie ©rabition 
für fte geheiligten ©tanbpuntte auSgehenb finb fie geneigt, es 
gerabeju für ßeitoerfchwenbung ju halten, fich eingebenb mit 
fremben Sprachen, mit frember Siteratur, mit auSlänbifdjer 
Äunft unb Snbuftrie }u befchäftigen. 

©er Krieg bou 1870/71 hat, was bie ©rjiehung, b. h- 
Stbhülfe ber Unwiffenheit anbetrifft, bis jefct noch feine bewert* 
baren Stefultate heroorgebracht. @S ift möglich, ba| bie heran* 
wachfenbe Sugenb unter bem ©influ| ber ©emüthigungen, 
welche Srantreich erlitten hat, bem SluSlanbe eine ernftere 
Äufmerffamteit wibmet, als bieS feiger ber SaÖ gewefen ift. 
SSaS baS tommenbe ©efdjlecht ooübringen tann unb ooübringen 
wirb, ift noefi ein ®eheimni|; bie heutige ©eneration befteht 
noch flu2 benfelben Seuten, welche in ihrer oollftänbigen Un* 
tenntni| beutfeher SJerhältniffe bie Abtrennung beS ©übenS 
oom Slorben oon ©eutf^lanb für eine oollbrachte ©hatfadhe 
hielten unb oon bem projectirten SÖtarf^e nach ©erlin als oon 
einer „promenade militaire“ fprachen. — 2Ba8 biefen einen 
©unft anbetrifft, fo finb nun bie Sranjofen in ber ©hat flüger 
geworben, ©er Krieg ift ein ©chutmeifter gewefen, beffen harte 
ßehren fich ihren ©ebächtniffen tief eingeprägt haben; über 
oerfdjiebene anbere ©untte hat fich ihre SKeinung nun wohl 
auch ooüftänbig geänbert — fie glauben j. ©. nicht mehr an 
beutfehen SbealiSmuS, feitbem fte bie prattifhen beutfdhen 
Staatsmänner tennen gelernt haben—, aber bie neuen An* 
fidden, bie fie fich angeeignet, finb ebenfo oberflächliche, wie 
eS bie alten waren, bie fie nun abgelegt haben. 

©ie Sranjofen oon heute — exceptis excipiendis — 
haben bie ©eutfehen nicht etwa aus eigener Anfchauung ober 
aus bem ©tubium gelegener SBerte über beutfehe ßuftänbe 
tennen gelernt; ihr Urtheil über ©eutfcblanb ift au8fchlie|tid) 
auf baS bafirt, was fie barüber in franjöfifchen Leitungen ober 
in ben ©Beeten feuiöetoniftifcher ©chriftfteUer gelefen haben. 
@8 ift im haften ©tobe unwahrfcbeinliih, ba| bie ÜJiehtjahl 
ber ©ublictften, welche fich i>ie ÜKiffton angema|t haben, 
Srantreich über ©eutfcblanb aufjuttären, ber beutfehen Sprache 
mächtig feien. 3n ben meiften Säßen entnehmen fie bie 3Jftt* 
theilungen, bie fie ju ihren Politiken Abhanblungen benu|en, 
ben bilrftigen Analpfen, welche bie ? ,Agence Havas“ oon beut* 
f<ben ßeitungSartifeln gibt. Stur in feltenen AuSnahmefäßen 


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66 


Nr. 5. 


9i t Äeijennuttt. 


bürfte man in ben franjöfifchen Siebactionen beutfehe 3eitung8= auch bie beutfc^c treffe, im großen ABgemeinen wenigftenS, 

artilel anberS als in verftümmetter Ueberfeßung lefen. Xie eine entfliehen franjofenfeinblicße Haltung angenommen. Xa8 

Kenntniß ber meiften franjöftfcßen Sournaliften über beutfehe ©Sort „im Allgemeinen" ift abfteßttich gebraust, benn eS ift 

©erßältniffe fteßt in ber Xßat auf fcßwaeßen güßen unb bieS eine Xßatfacße, baß man in Xeutfchlanb nocß meutere unb 

erflärt bie häufigen unb nidjt feiten fomifcßen ÜRißoerftänbniffe, weitverbreitete Leitungen vorfinbet, welche fidj granfreicß gegen? 

bie man in ben ©palten franjöfifcßer SSlätter finbet unb von über mit einem (Srab von ©Soßlrooflen auSfprecßen, ben nidjt 

benen einige ßiftorifcß geworben finb. ein einjige« franjöfifcheS SBtatt, welker Partei baSfelbe auch 

@8 ift, wenn auch nicht ganj ju entfeßulbigen, fo bocß ju immer angeßören möge, Xeutfdjlanb gegenüber ju befennen 

erflären unb ju verpißen, baß ber franjöfifeße Sefer burcß wagen würbe. ©8 fommt in Xeutfdjlanb nictjt fetten vor, baß 

feine Leitung häufig irre geleitet wirb. Aber bie unnötigen beutfcfje SSlätter Partei für granfreicß gegen Xeutfdjlanb 

©orfteßungen, welche ben granjofen von beutfdjen SBer^ättniffen nehmen. @8 ift, foviel wir wiffen, feit bem Kriege nocß nicht 

gemalt werben, berußen nidjt in allen fällen auf ungenügender vorgelommen, unb e8 ift fdjwer benfbar, baf; ein franjöfifeßeS- 
Kenntniß biefer ßuftänbe. ©o ift e8 fcßlecßterbingS unmöglich SÖIatt bei ©efprecßung irgenb einer Politiken grage Partei 

anjuneßmen, baß e8 ben ©arifer 9tebacteuren unb ben im Aus? für Xeutfeßlanb gegen granfreicß nehmen füllte. 68 fei hier 

lanbe woßnenben ©orrefponbenten noch beute unbefannt fein beiläufig bemerft, baß bie franjofenfteunblidjen beutfcßen ßei= 

follte, welche Stellung in ber ©reffe bte „©ermania", ba8 tungen bis jeßt leinen Xanf in granfreicß geerntet haben, 

„©aterlanb" unb bie „grantfurter ßeitung" einnehmen. 2Ran 3ßre ©emüßungen finb unbemerft geblieben; man fennt fie 

muß in ©ariS wiffen, ober wenn man eS ni<ßt weift, fo ift nicht; man macßt wenig ober gar feinen Unterfcßieb jwifdßen 

biefe Unwiffenßeit nicht ju entfcßutbigen, baß biefe SSlätter ber ihnen unb aßen anberen beutfehen ©lättern, unb ein einiger 

^Regierung unb ber heutigen SRajorität ber Kammern in unver? unfreunblidßer Artifet über ftanjöfifcße ßuftänbe in ihren ©patten 

jößnlicßet Dppofition gegenüberfteben unb bah fie eben nur würbe genügen, um ihnen in granfreicß ben IRuf eines au8 

ejtreme religiöfe unb politifdje Parteien repräfentiren, in ber? bem IReptilienfonb befotbeten ©lattes ju verfchaffen. 

fetben ©Seife, wie in granfreicß ba8 „Univers“ unb bie „Droits Xie franjofenfteunblidjen beutfehen Leitungen bilben je? 

de l’homme“ ben UttramontaniSuiuS unb ben ©ociati8mu8 hoch, wie bereits gejagt, bie ©Minorität. Xie meiften beutfehen 

vertreten. Xeffenungeacßtet werben jene SSlätter in grant? SSlätter finb ben grattjofen nicht ßolb unb thun ihr SScfte8, 

reich häufig citirt unb ihre AuSfprfidje als für bie öffentliche um bie Unfreunbticßfeit, bie ihnen franjöftfdjerfeitS erwiefen 

SReinung in Xeutfdjlanb maftgebenbe angeführt. Xie ieitenben wirb, mit ßinfen jurücfjujaßlen. Unter folchen Umftänben ift 

©reßorgane bargen, biejenigen, in benen man wirtlich &' e ®u? eS feßwer ju vermeiben, ba| e8 jwifeßen ber beutfehen unb 

fichten ber Regierung ober ber gemäßigten politischen Parteien ftanjöfifcßen ©reffe ju häufigen geberfriegen fommt Xie 

vertreten finbet, bejeichnet man verächtlich als bie ,,9Reute ber beiben großen ©reßgruppen faßen fich wie jWei woßlbewaff? 

Reptilien" unb verfugt es, fie auf biefe ©Seife ju biScrebitiren. nete (Segnet gegenüber, bie fich gegenfeitig auf ba8 ©chärffte 

Xer SRißbrauch, ber in granfreidh mit bem SBorte „fRep= überwachen unb nicht nur jeben ©toß patiren, fonbern jeben 

tilien" getrieben wirb, ift groß. UJian füllte meinen, wenn projectirten Angriff burih einen Sontreangriff von vornherein 

man gewiffe franjöfifdje SSlätter lieft, baß neun ßehntel ber unfchäblich ju machen bemüht finb. 

beutfehen Leitungen aus ben geheimen JJonbS beS auswärtigen 3m Äriege gehl uicht Alles fo orbentlidfj geregelt p, wie 

Amtes in ©erlin befolbet werben. ©S genügt, baß irgenb ein unter frieblichen ©erhättniffen, unb e8 ift nur p benagen, aber 

©latt, wie unabhängig unb geachtet feine ©teöung in Xeutfih? nicht ju verwunbern, baß franjöfifcher = fowopl wie beutfehet? 

tanb aud) fein möge, irgenbwie von ber franjöftfchen 9tegie= feits Maßregeln unb Stepreffalien gebraucht worben finb, welche 

rung getroffene ober von ber franjöfifchen ©reffe befürwortete im allgemeinen 3ntereffe beffer unterblieben wären. Aber eins 

SRaßregeln angreife unb baß biefer Angriff in granheich be= ift bei biefer Kriegführung ju conftatiren, nämlich, baß mit 

lannt werbe, bamit ein folcheS ©latt in ben franjöfifchen ßeU nur ganj feltenen, faum bemerfbaren Ausnahmen bie 6rneue= 

tungen fofort unter bie „fReptilien" rangirt werbe. XieS ver-- rung ber fjeinbfeligleiten nach längerer ober fttrjerer SBaffen? 

hinbett nicht, baß baSfelbe beutfehe ©latt in benfelben franjöfifchen ruße ftets ber franjöfifchen ©reffe jugefdjrieben werben mußte; 

Leitungen innerhalb weniger Xage als ein unabhängiges (Organ fowie ferner, baß bie franjöftfche ©reffe, nadjbem ihr Angriff 

ber öffentlichen SReinung bejeichnet werben würbe, wenn man jurücfgefchlagen war, niemals unterlaffen hat, fich als ben un= 

in bemfelben einen einigermaßen lebhaften Angriff auf bie provocirt angegriffenen Xßeil barjufteQen. 

©olitit ber beutfehen Regierung gtanfreid) gegenüber entbeden 68 würbe nicht fchwer faßen, verfchiebene ©eifpiele tum 

füllte. ©eweife beS foeben ©efagten anjuffthten. Um unerfprießlidhe 

SBaS würbe man in grantreich Jagen, wenn man bie 6ontroverfen ju vermeiben, foH hier nur furj beleuchtet werben, 

Ausfälle gegen Xeutfcßlanb, welche man in fo vielen franjö- was innerhalb ber lefcten Xage vorgefaßen ift unb noch frijeß 

fifeßen ©lättern fo häufig finbet, als von ber franjöfifchen in bem ©ebäcßtniß ber HRehrjaljt nnferer Sefer fein bürfte. 

^Regierung bejahlte Angriffe auf Xeutfchlanb bejeießnen woßte? XaS lebte ©charmüßet jwifdhen ber beutfehen unb fron? 

Unb boch ift eS fein ©eheimniß, Weber in ©erlin noch in jöftßhen ©reffe entfpann fich über bie vorgebliche beutfehe ©o= 

©ariS, baß viele biefer ©lätter in birecter, intimfter ©ejieljung litit im Orient, ©eit mehreren SBochen bereits waren feitenS 

ju ben SRitgliebern ber ^Regierung ftehen. ©erbirgt man etwa ber franjöfifchen ©reffe fhftematifdhe ©erfudje gemacht worben, 

in ©ariS, baß bie Herren 3uteS ©imon, $erjog XecajeS, biefeibe ju verbächtigen. Xeutfchlanb würbe als ber große 

Seon ©ap ©egen ober ©onnenfehein im „Siede“, im „Moni- ©goift von ©uropa bargefteßt, als ber hämifdhe nnb geheime 

teur Universel“ unb im „Journal des Döbats“ machen? geinb aßer anberen SRä^te, namentlich aber von ©ußlanb. 

©Serben biefe Leitungen nicht in ber ©arifer ©reffe felbft oßne XaS „Journal des Ddjats“ unter Anberen veröffentlichte 2eit= 

jebe hämifche Abficßt als „ßochofficiöS" bejeichnet? artitel über Seitartifel, in benen eS ©ußtanb vor feinem ränfe? 

Xie Rottung ber franjöfifchen Leitungen Xeutfchlanb voßen ©aeßbar auf ber ©Seftgrenje warnte. Xie „Revue des 

gegenüber ift feit bem Kriege, um ein höchft gelinbeS ©Sort ju deux Mondes“, bie nicht einmal bie ©ntßhutbigung hot, unter 

gebrauchen, eine unfreunblicße gewefen. An einigen feltenen bem unmitfe^-’r«”* ß ber ©reigniffe feßneß unb ober? 

©teßen ift ber fcßücßterne ©erfu^ gemaeßt worben, SRäßigung fläcßlich ju y fonbern beren woßlburchbacßte, 

unb SRefignation ju prebigen. SRiemanb, mit AuSnaßme eines forgfättig ftilifirte ~ ifur einer äußerft fti* 

befannten ©ubliciften, ber feinen IRußin barein feßt, parabojal tifeßen unb feßwer ju u., 00 baction unterworfen 

ju fein, ßot eS gewagt, bie ©Sieberßerfteflung aufneßtig freunb? ftnb, — bie „fRevue" warnte k ^en Sirene", welche 

fchaftliqjer ©ejießungen jwifchen Xeutfcßtanb unb granfreieß bie SRuffen in ben Abgrunb „i.-.^mcfetK woßte. Xie 

als etwas mit franjöfifdßem ©atriotiSmuS, mit franjöfifcßer „Agence Havas“, beren Artitel aewiffermaßen biMociale ©afte 

©ßte ©ereinbareS barjufteßen. Unter biefen Umftänben ßat oilben, auf ber bie ftanjöfifcße ©reffe ißre ©pecufelionen über 

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Nr. 5. 


67 


Sie ©ejenwnrt 


bie Sßolitif beS SluSlanbeS aufbaut, fpradj in itjrcn SBeric^tcn | 
oon ben gefdjidtten „©htleljügen" bet beutfchen {ßolitif, ber | 
eS p oerbanfen fei, bafj Rufjtanb nun in ben Slugen oon 
@uropa biScrebitirt haftete. ffinblid) oerbreitete fich bie Rach= j 
rieht, baß ber greiherr oon ©ertljer in einer ber testen ©jungen 
bet ©onfetenj ganj unerwartet eine Haltung angenommen ^abe, 
»»eiche einer frieblidjen Söfung ber orientalifchen grage neu« | 
wnb grofje §inbentiffe in ben ©eg lege. diefe ÜRittheilungen 
tnurben in ber franjöfifc^en {ßteffe in einer ©eife commentirt, 
bie ber beutfchen Regierung bie Verpflichtung auf erlegte, im 
Sntereffe ber guten {Begebungen puffen deutfchlanb unb 
{Rufjtanb ju erflären, baff bie ©erüdjte über bie ifolirte Gattung 
beS greiberm oon ©erttjer unwahr feien unb bafj ber beutfche 
S3eooßmäct)tigte feit beginn ber Sonferenj bis pm ©nbe ber= 
fetben in ooflftänbiger Harmonie mit feinen ©oßegen, ben 83et= i 
tretern ber anbero fünf ©eftmäcbte, geljanbelt tjobe. Slls bie | 
tßrefjoerbächtigungen auch barauf bin noch nicht oerftummten, ! 
erfcbien eine anbere Rotij im „ReidbSanjeiger", in ber barauf j 
aufmerffam gemacht würbe, bafj bie franjöjtfche treffe fpftematifch I 
bemüht fei, deutfdjtanb für ben SluSgang ber SÜrifiS im Orient 
toerantwortlich p machen. 

diefe Sleufjerungen beS officiellen beutfchen RegierungS* j 
organS erregten allgemeine ©ntrüftung in grantreich. Ueberaß 
las man bie alten «tagen über bie ooflftänbig ungerechtfertigten 
Singriffe deutfcblanbs auf baS friebtiebenbe grantreicf). die 
„Agence Havas“ oeröffentlichte eine neue depefche, in ber fie 
mit grofjer ßuoerficht, als conftatire fie ein unbeftreitbareS 
gactum, ksrthat, bah bie beunrutjigenben Nachrichten über bie 
beutfche {ßolittf ihren Urfprung feineSwegS in ber franjöfifchen 
{ßreffe genommen hoben, fonbern perft in leoantinifchen, eng= 
lifdben, ja beutfchen Slättem erfchienen feien. 

dies ift ein Srrfbum. die incriminirten Slrtilel beS 
„Levant Herald“, ber „Times“ unb anberer SBtätter, auf bie 
fich bie „Agence Havas“ unter Slnführung oon daten beruft, 
erfchienen am 12. unb 13. Sanuar unb tonnten nicht früher 
erfcheinen, ba fte bie Gattung beS greiherm oon ©ertber in 
ber ©onferenj oom 11. Sanuar befprachen. die Serbädjtigungen 
beS „Journal des Debats“, ber „Revue des deux Mondes“ 
unb ber „Agence Havas“ tragen fämmtlidb ältere daten. die 
{Rotij ber teueren „Slgence“ namentlich, bie im beutfchen Reichs* 
anjeiger als bie unmittelbare Urfache ber gegen deutfchlanb 
gerichteten Sßerbächtigungen namhaft gemalt würbe, War oom 
9. Sanuar batirt. 

Sn möglichft wenigen ©orten ift alfo bie ©efdjicbte biefer 
le|ten tßrefjcampagne jwiftfjen deutfchlanb unb grantreich 
folgenbe: bie franjöfifche ^ßreffe oerbäd&tigt bie beutfdje jjßolitit 

— bie beutfche fßreffe weift biefe Verdächtigungen mit @r= 
bitterung jurüd. — die franjöfifche fßreffe flogt barauf über 
bas ihr jugefüate Unrecht unb Jagt, fte fei in unoerjeiblicher 
SEBeife angegriffen worben. La force prime le droit ift ein 
dbenw, über baS in aßen Beitungen Slrtilel erfcheinen, bie, 
je nach ber Snbioibualität beS StutorS, fentimental, leibenfdjaft* 
lieh, entrüftet, würbig ober refignirt finb. 

die beutfche treffe ^ot eut Stecht, biefen ©inleljügen 

— tergiversations, um etn ©ort ber „Agence Havas“ ju 
gebrauten — ein ©nbe ju machen unb ju conftatiren, bah fie 
ioeiter nichts gethan hot als eine patriotifebe fßflicht erfüllt, 
inbem fie bie beutfche fßolitif, bie feit SRonaten in ber ein* 
fluhreichften franjöfifchen Beitungen unb Reouen oerbädhtigt 
würbe, enetgifdj oertheibigt hot — ©enn ben franjöfifchen 
ßeitungen baS ©affengetlirr, übet baS fie nun wieber tlagen, 
wirtlich unangenehm ift, fo liegt eS nur bei ihnen, baSfelbe • 
in gufunft nicht wieber ju oernehmen, ©enn fie aufhören 
f&autfchlanb ju oerbächtigen, fo wirb man in &eutfdhtanb feine 
Urfacf)e mehr hoben, fich über fie p beflogen. Slber wenn 
fte fortfahren bei jeber ©elegenheit bie ©turmglocfe p läuten, 
als woße SDeutfchlanb bie ©eit in Sranb fefcen, fo bürfen fie 
fleh nicht wunbern, wenn es Särm unb Aufregung gibt. 


Die Rtichstagswahlfn its 3at)r(0 1877. 

Son IPilfjelm Wadernagel. 

n. 

®ie ©ahlen oom 10. Sanuar 1877 ftnb p einer 3 £ ‘t 
ooßjogen worben, bie für baS beutfche SSolf feine Beit be= 
geifterten SluffchwungS ober befeligenber ©lücfsfüße war. Sie 
einjige grofje grage, wetdhe währenb beS lefcten SahreS bie 
politifch benfenben Greife befchäftigt hotte, bie grage ber Suftij- 
gefe|e, war wenige ©odhen oor bem ©ahltage p einem legis* 
latioen Slbfchluffe gebraut worben, ber in ber »rt feines Bu- 
ftanbefommenS au$ .oon Solchen bemängelt würbe, bie ber 
enblidjen SSerwirflidhung beS groben ©ebanfenS ber {Rechts* 
einljeit wegen fich mit ber SSertagung mancher unerfttflt ge* 
bliebenen gorberung auf eine günftigere Botooft ouSgeföhnt 
hätten. Bobern muh baS einigermahett befdhämenbe ©eftänbnih 
abgelegt werben, bah für bie Suftijgefehe in ben IßolfSmaffen 
mit bem SSerftänbnih audh bie Xh^looh 1 » 1 « gemangelt hot, 
welcher Umftanb eS benn genügenb erflärt, bah io ®olfS= 
oerfammlungen über ben reifen Snljalt jener ©efe^e unb bie 
wichtigen gortfebritte, bie er einf^lieht, oon ihren ©egnern 
mit ©tißfehweigen bioweggegangen werben fonnte, um etliche 
nebenfäcbli<h £ fßunfte, in benen eS beim fehleren Sitten ge* 
blieben war, als bie §auptfadje in ben SBorbergrunb p §iehen 
unb barauf hin baS mit foidhen SRängeln behaftete ©anje als 
ein pr Sinnahme ungeeignetes ©erf, diejenigen aber, bie ihm 
pgeftimmt hotten, als fdßechte §üter ber {Rechte unb greibeiten 
beS SJolfeS erfcheinen p laffen. 

83on oornherein war fomit biejenige Partei, bie pm 
Buftanbefommen ber Suftijgefe|e im Reichstage oorwiegenb 
mitgewirft hotte, in bie defenfioe gebrängt; fie hotte auher 
bem in ben ©taub ber ©ablftatt gejerrten Sbeal ber 
nationalen {Rechtseinheit pnäcbft fein pnbenbeS ©ort, baS, 
einmal auSgefprochen, baS 83olf ergriffen unb über bie oon 
aßen ©eiten eS umlagemben Nöthe. unb Bweifel emporgehoben 
hätte. Sm ©egentbeil würbe biefe gebrüdfte unb mihmutbige 
Stimmung oon ©eiten ber conferoatioen Partei, bie pr ©i* 
jeugung berfelben unter ber länblichen töeoölferung oon lauger 
Beit h« fein äRittel unoerfu^t gelaffen hotte, bap benufct, 
um gegen bie liberale fßartei, gleid^oiel ob ihre SDiitglieber 
im {Reichstage nun für ober gegen bie Suftipefehe geftimmt 
hatten, mit änflagen unb Singriffen oorpgehen. Sluf benfelben 
$fab begaben fic| felbftoerftänblidh aße biejenigen Parteien, 
welche ber 83efeftigung ber SReicf)Sinftitutionen oon ihrem bc* 
fonberen ©tanbpunfte aus entgegenparbeiten ein Sntereffe 
haben. @S bot biefe furje ©ahlcampagne baS S3ilb oon einem 
„Ätieg Slßer gegen Slße", in welchem biejenige Rartei, bie 
in ber URitte ftef>t unb pgleidh ihrer numetifepen ©tärfe 
wegen neben ber {Rei^Sregierung bisher am meiften mafjgebenb 
war für bie ©ntwicflung ber {ReichSgefepgebung, bie national* 
liberale {ßartei, ganj oon felbft als baS Biel aßfeitiger heftiger 
Slnfeinbung fich ergab. 3e mehr fich biefe Ißartei unb mit 
j Recht rühmt, bah bie ©efefegebung beS Rorbbeutfchen SBunbeS 
unb beS beutfchen Reiches unter ihrer SRitwirfung fich f°r wie 
| biefeS gefdfjehen, entwicfelt hot, um fo mehr holten ihre ©egner 
oon rechts unb linfS fich berechtigt, fie für aße fRifjftänbe, 
bie man jener ©efefegebung in tenbenjiöfer ©eife pr Saft p 
legen für gut finbet, oerantwortlich p machen, unb bie, welche 
unter jenen URifjftänben leiben, gegen fie pm Singriff auf* 
prüfen., 

die unnatürlichen S3erbinbungen finb aus bem oon fo 
oielen ©eiten conoergirenben Seftreben entfprungen, ber 3Rehr= 
heit beS Reichstags einen anbem ©horotter als ben, welchen 
fie bisher aufwies, p geben, gunächft war felbftoerftänbHch 
jebe ber {ßarteien, welche in bie ©ahlcampagne eintrat, barauf 
bebadht, für fidh felber nach SRöglichleit ©roberungen p 
machen, ober bodf), ba bie golge eines folgen nach aßen ©eiten 
aggreffioen RorgeljenS eine ©timmenjerfplitterung ohne ©leichen 




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Ulfe Gegenwart. 


Nr. 5. 


(J8 


fein muffte, ihre ßanbibaten wenigften« in bie engere SBaJ)t 
ju bringen, bie ia oft auch einer SRinorität ganj unoerljoffte 
©lüdScljancen jufpielt. So jeigt benn ba« ©öahtergebnifj oom 
10. ganuar in ben jahlreidjen unentfchieben gebliebenen ©Bahlen 
nicht minber al« in ben oielen ©Baljlen, bie eine ungiinftige @nt= 
fdbeibnng für oorijer ihre« Siege« ganj fitficr gewefene ßanbi* 
baten gebracht hoben, bie folgen eine« ©Bahltampfe«, in meinem 
bie liberale Partei, ftatt ben gemeinfamen ©efifcftanb gegen 
ben ©nbrudj ber ©egner »on recht« unb lin!« ju oertheibigen, 
burd) eine oom einfeitigften groction«intereffe eingegebene rlgi* 
tation plöfclich in jwei feinbliche Säger auSeinanber gefprengt 
war, au« benen bie greunbe oon geftern fich gegenfeitig gehbe* 
briefe jufenbeten. 

Riemanb wirb bie Rothwenbiafeit in Slbrebe fteüen, bah 
bie liberale gartet einer inneren Umgeftaltung bebarf. ®ie 
beiben fjractionen, worin fich 'h te parlamentartfdjen Vertreter 
gruppiren, entfprectjen in ihrer heutigen ©egrenjung burdjau« 
nicht ber ©reite ber Strömungen, Welche bie liberalen Schichten 
ber ©eoößerung burdjjiehen. ®iefe Strömungen laufen weit 
mehr recht«, al« jene Parteiführer, bie nach ölten Seetarten 
ihren Äur« noch h eute weiter lint« nehmen ju mttffen glauben, 
fich biefe« oorftetlen. Unb bah bem fo ift, hoben bie ©Bahlen 
be« 10. 3anuar bewiefen, bei welchen gerabe jene gührer 
nicht wiebergewäljlt würben ober bodjj in engerer ©Bahl oer* 
blieben. ®ie „beutle gortfchrittspartei" Wirb gut boran tljun, 
mit ber Kühnheit bie ©BeiSljeit ju paaren; benn wanbeit jene 
allein, folget ©erberben ihr nach* 5)er fd)merjli<he ©erluft, 
welchen bie liberale Partei in ben lefcten Reichstagswablen 
erlitten hot, ift ihr nicht burdh bie Äbwenbung liberaler ©Bähler 
ju einet weiter lint« gehenben Partei hin beigebracht woroen, 
fonbern burch ba« ßurücfwei^en liberaler ©Bähler in eine con* 
feroatioere Richtung, woju fchwerlich itgenb welche SRißftimmung 
wegen Annahme ber Suftügefejje burdh ben Reichstag, bagegen 
ganj augenfcheinlid) bie ©eforgnih, burch weitere ©erftürtung 
be« linten glilgel« ber liberalen Partei einer ju CSonfticten 
mit ber Regierung lufttragenben Dppofitiou ©oben ju fchoffen, 
ba« SRotio gewefen ift. ©3er ba laut ausrechnet, bah nur jwanjig 
gemäßigte, ju Sompromiffen geneigte Siberale burch eben fo 
oiele entfdjiebene, auch oot ©onflicten nicht jurüdffcheuenbe 
erfefct ju werben brauchten, bamit eine oppofitioneüe SReljrheit 
im 9ieich«tage oorljtmben fei, ber mag fich otteftiren laffen, 
bah er ein ÄbbitionSejeempel unb bie |>älfte oon 397 richtig 
au«rechnen tann, ber hot aber bamit einen SRangel an poli* 
tifchem ©erftänbnih beninbet, welcher bie ihm auf bem guße 
folgenbe Strafe ooüauf oerbient hat. ©Benn e« in ber Stjat 
bei biefen ©Bahlen nur barauf antant, eine oppofitionelle 
SReljrheit juStanbe ju bringen, fo burften au* bie Social 
bemofraten einen Änfpruch barauf erheben, oon jenen Rechen* 
meiftent bem ©Bohlwollen be« geneigten publicum« empfohlen 
ju werben. ®a« „Rein" au« bem SRunbe eine« Socialbemo* 
traten Wiegt bei ber ©Ibftimmung ebenfo fcßwet wie ba« „Rein", 
welche« ein Siberaler fpricht; bie Dppofitiou burfte nicht jum 
Prioilegium einer Partei gemacht werben. ®odj, wie gefagt, 
e« ftrebte in biefem ©Babtfampfe jebe Partei, bie aggreffto 
oorging, ja junächft nach 3Reh rut1 ü ihrer eigenen ©Rächt 
unb fo würbe benn auch ba« ßiel einer „oppofitioneüen SReljr* 
heit" nur be«halb auSgeftedt, um ein fJractionSintereffe baburch 
ju einem höheren Stanbpuntte ju erheben. ©Büre ba« „grohe 
Siel" erreicht worben, e« würben bie Sieger, infofern fie ehr* 
liehe Siberale, fchwerlich gemufft haben, wa« fie mit ber er* 
jielten „oppofitioneüen SRehrheit" hätten anfanejen foüen. Äann. 
Semanb im Srnfte glauben, baß eine SReljrhett, beftehenb au« 
Ultramontanen, Polen, Socialbemotraten unb — ber beutf^en 
gortfehrittspartei im beutfefjen Reiche regierungsfähig ift? So* 
halb bem (Sange ber ReuijSangelegenheiten burch bie ©ota 
einet fo gearteten Reichstagsmehrheit ernfte Sdfjwierigfeiten 
erwachten wären, würbe ber Reichstag auf ge lö ft worben fein 
unb bie Reuwahlen würben in ben Reihen jener Dppofitiou 
wenig Siberale mehr übrig gelaffen haben. 

3«m ©lüde ift au« einer fo wenig überlegten ©Bahltaftif 


nicht att’ ba« Ueble entfprungen, wa« unter Umftänben fidh 
hätte ereignen fönnnen. 3m ©roßen unb ©anjen finb bie 
engeren ©Bahlen, ba injmtfdjen bie ©Bähterfdhaften erfahren 
haben, welcher Schaben burdh bie ©efolgung unfluger Rath* 
fdjläge geftiftet worben ift, mit reiferer Ueberlegung ooüjogen 
worben. $>ie babei gewonnenen (Erfahrungen werben, ba ihre 
i bauembe ©eherjigung ju erwarten fteht, al« ein bleibenber 
©ewinn fich etweifen. 

©rftrebte bei ben aügemeinen ©Bahlen be« 10. 3anuar 
jebe Partei für fich «n SRajcimunt be« (Erfolge« unb würben 
bei einer rüdfidjtslofen ©erfolgung biefe« Streben« ohne 
| Ru|en für bie eigene Sache leiber nur ju oft bie 3ntereffen 
nahe befreunbeter Parteien ferner gefchäbigt, fo war umfomehr 
; bei ben engeren ©Bahlen barauf ju halten, baff, wo nicht ber 
i eigene (Eanbibat jur Stichwahl ftanb, bie Stimmen bemjenigen 
; ßanbibaten jugewenbet würben, beffen 2BaljI relatio al« bie 
: wünfdhenswerthere erfchien, währenb bie ©Bahl be« ©egner« 
al« ,,ba« größere Uebel" oerljinbert werben mußte. §ier War 
Gelegenheit gegeben, ben ©rab ber ©efreunbung unb Hb* 

I neigung jwifchen ben einjelnen Parteien ju ergrünben unb 
baneben ju beobachten, wie feljr bie leibenfdjaftliche (Erregung 
1 be« Kampfe« ba« Slugenmafi für ba« Schidlidhe, oon fachlichen 
Rüdfidjteu wie bem politifdien ©tnftanbe (gebotene ju oerrüden 
oermag. 

®ie intereffanteften ©ruppen würben in benienigen ©Bahl* 
freifen geftettt, wo Ultramontane unb Socialbemotraten 
in ber Sage waren einanber jn unterftüften. ®en Ultramon* 
tanen erfcheint, wie in ©Bahlaufrufen offen ertlärt worben ift, 
bie ©Bahl eine« Socialbemotraten gegenüber ber eine« Rational* 
liberalen al« „bas Heinere Uebel". So hat man e« j. ©. im 
©Bahlfreife Dffenbadb=®ieburg gefeljen, ba| unter ber ©iüigung 
I be« Sifchof« oon SRainj bie Ultramontanen in ber engeren 
©Bahl für i»ernt Siebtned^t, ben belannten gühter ber Social* 
bemotratie, ftimmten, nad)bem turj juoor in SRainj bie So* 
cialbemotraten bem SDomcapitular SRoufang ihre Stimmen ge= 
geben hatten; beibe ©Rate freilich ohne bamit einen ©rfolg ju 
erjielen. Sluch im Äreife Solingen würbe, um bie ©Bahl be« 
„GulturtämpferS" ©eorg 3ung ju oerhinbern, oon ben Ultra* 
montanen für ben focialbemotratifdjen Sanbibaten Rittinghaufen 
aeftimmt unb beffen ©Bahl burchgefeht. S)ie Ultramontanen 
haben anbeterfeit«, wo Siberale unb ©onferoatioe in engerer 
©Bahl ftanben, für bie Sefeteren geftimmt, infofern fie ihnen 
' eine ©ürgfehaft bafür ju bieten f^ienen, bafj fie im „6ultUr= 

I tampfe" Der Regierung teine Ünterftü|ung leiften würben. 

! könnte fich ber preufjif<he Staat ju einer ausgiebigen Reoifion 
i ber Äirchengefehe entfchliejjen, wir würben Ultramontane unb 
I Sonferoatioe aüer Drten fich ttt ben Slrmen liegen fehen. ©ne 
Partei, welche ihre f$reunbf<haft für ben Staat lebiglich nach 
bem ©efichtspunfte bemifet, ob unb inwieweit berfelbe feine 
SRittel ben ßweden ber Kirche bienftbar macht, wirb, je nach* 
bem bie © er eitwiUigf eit ju folcher ®ienftleiftung bei ber Staat«* 
regierung oorljanben ift ober aber oon ihr bie Souoeränetät 
be« Staate« auch ber föirche gegenüber mit Sntfchiebenljeit 
geltenb gemacht Wirb, heute fiep in SopalitätSoerfidherungen 
übergipfeln, morgen aüe fjeinbe be« Staate« ju einer Sturm* 
colonne gegen ihn jufammentrommeln. 

Siept man oon bem Srnfte ber Sage ab, bie burch folche 
Slüianjen be« §affe« für Staat unb Reich in einer Seit äußerer 
©ebrängnifj gefdjaffen werben fann, fo macht ba« Silb biefer 
Sturmcolonne einen faft ergöhlidfjen ©inbntd. ßier fifet auf 
weitragenbem Stuhle ernft unb feierlich ber Ijocbwürbigfte ©tfdhof; 
fegnenb hebt er feinen Ärummftab über bie Streiter ber Ändje 
empor; weithin burch bie ljeranwogenben SRaffen werben feine 
©efeljle oon ber Schaar ber Eapläne mit lautem Stuf wieber* 
bolt „®ott wiü e«", antwortet ihnen, wie einft bem Peter oon 
»ntien« ju ßlairoauj, mit bumpfem ©ebraufe bie Stimme be« 
gläubigen ©ölte«. @« gefchieht jum $eile ber Äir^e, fo 
wähnen fie, wenn fie gegen ba« Reich, beffen ©ürger fie finb, 
anftürmen. ®icht baneben jieht ber h«ße ^>aufe be« „armen 
Äonrab" in ben ^ampf; über ihm unb ben anberen Raufen, 


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Nr. 5. 


9 i t (S*g*«wart. 


69 


bie aus ben Stätten harter Slrbeit unb bitterer ©otf) bie I 
„fchwieligen $änbe" unb „grimmigen §enen" ju fich entbieten, \ 
raufest in ben Äüften bie rott)e gähne, Sie in „ityrannenbtut j 
unb IfSfaffenblut" mit noch fatterer garbe fich tränten foH. ; 
Stuf bie SSerbünbeten oon tjeute fallen babei brofjenbe ©lide; ! 
„Dob ben ©rieftern" »ar ja in ben ©arifer SchrecfenStagen bie ! 
iiofung. Sft ber Sieg gewonnen, fo Werben bie Sieger unter 
einanber fidh Würgen; baS ift flar. Unb wer lenft bort feit* i 
wärts mit frommen ©liefen feinen ©Seg bem Getümmel ju, ! 
©Sappenroc! unb Dalar in buntem Gemifch? Das finb unfere 
„proteftontifdhen", freujgejierten GotteSftreiter, bie aus bem | 
©etroleurabunftfreife Qüftelrtb entweichen unb fich in bie buf* j 
tenben ©Seihraudhwolfen jurüdtjiehen, welche am Stuhle beS 
SSifchofS emporwallen. Der Staat non beute ift nicht nach 
ihrem Sinne, barum taffen fie eS fich gern gefallen, wenn er 
bebroljt Wirb; fie fommen nicht, um ben geinben ju helfen, 
gewifj nicht, nur um ju fchauen, ob es nicht für fie halb etwas 
ju — „retten" gibt. ©So „ber alte OetladE»" als bifdböflidb appro* ] 
birter Reifer bie SReiljen ber Streiter burdjpitgert, um mit bem | 
„greifenben ©Sein" feiner fRebe bie nach folcher SiebeSgabe ©er* 
langen Dtggenben ju ftärten, ba hält auch $err o. Kleift*SRegow, 
ber fepneibige SRecfe, nicht fern ju Stoffe, hot $err o. SRatljuftuS* | 
Subom, fein Knappe, feine ßeit ju »erfäumen. Da orb* 1 
nen bie „Deutfeh * Gonferoatiben" ihre Gewänber, um in bie | 
Srefche ju treten — fobalb fie gelegt ift —, unb mit 
Stefignation fidh als bie jur Uebemaljme jeber rettenben Dljat 
bereiten Opfer jur — SOtinifterbanf führen ju taffen. 9tun es 
ift jum Glücf foweit noch nicht getommen unb wirb, nadhbeiti 
bas beutfehe ©otf burch bie gegenwärtigen ffteichstagswahlen 
eine nachbrüdtliche Sehre erhalten hat, fobalb nicht baf)in fommen, 
bafj foldhe „Opfer" non SJiännern oerlangt werben, bie fich 
wegen ©bminberuna ihrer Steidjsfreunblichleit oor anberen 
Gonferoatioen heute ber befonberen ©rotection ber ©ifchofsftühle 
erfreuen unb Denen beSwegen auch ber Heerbann ber rotljen 
gähne unter bem Geheimnifj ber ftimmenfammelnben Urne 
feine Unierftüfeung juführt. Denen, Weldhe glaubten, ben Staat 
mit eroften Gefahren bebrohen ju fönnen, Wie beneu, welche 
hofften, bafj ihnen baburch ju einer Staatsrettung bie lange 
erfehnte (Gelegenheit enblid) Würbe gegeben werben, muh i« 
gleicher ©Seife ein „error in calculo“ unter ihr politifcheS 
Stechene^empel als Genfur gefdhrieben werben. 

Der ©erlauf ber engeren ©Sohlen hat ßweierlei gelehrt. 
DaS beutfehe ©ürgerthum hat fich einerfeits burch bie falfche 
©orfpiegelung einer bemnädhft oon einer oppofitioneüen äWeljr* 
heit ju erringenben ©arlamentSherrfchaft, nicht jur ©efolgung 
unreifer fRathphtäge, bie nur jum ©erberben ihrer Urheber aus* 
fdjlagen fönnten, nicht ju SluSfqjreitungen nadh linfs mit innerlich 
hohlen GonflictSbrohungen oerleiten laffen. Slnbererfeits finb 
ihm burdh bie beijenben ©etroleumbämpfe, unter welchen bie 1 
„©arifer Gommune", jenes beliebte Speftafelftüd Politiker 1 
©protechnif, abbrannte, bie ©ugen niept berartig geblenbet 
worben, ba| eS willig bem erften ©eften bie §anb reicht, ber 
ipm bie „alte äftulje unb Drbnung" jurfiefjubringen oerfpricht. 

Diejenigen ©arieien in Deutfcfjtanb, welche, feien fie nun 
conferoatio ober liberal, eine Stetigfeit ber potitifdjen Gnt* 
widtelung wünfdjen unb barum auch bem ©eiche fftaum jur 
©ntfaltung feiner Organe gönnen, haben, nachbem bie ©er* 
roirrung beS erften ©khllampfeS fich abgeflärt halte, fcpnetl 
ben Gntfdjlufj gefaxt, jeben $aber fallen ju laffen, unb ba, 
wo gemeinfame (Gegner abjuweifen waren, gegenfeitig für ein* 
anber einjutreten. ©Ser fich oon biefer reid)Sfreunblid)en j 
StUianj auSfchlofj unb ben Sieg aus ber §anb reichSfeinblicper 
Parteien empfing, ber mag fehen, wie er wieber in ©eih’ unb | 
#lieb fommt. So haben benn auch fc^lie^Iic^ noch im König* . 
reich Sadhfen, wo fo oiele engere ©Sagten, in benen auf ber | 
einen Seite ein Socialbemofrat ftanb, ju OoUjiehen waren, j 
©onferoatioe unb Siberale ber üerfdhtebenen Schattirungen 
in einem ©Sahlaufruf ft<h bahin auSgefprochen, bafj unter aÖen 
Umftänben bie ©Saht beS Socialbemofraten ju oerhinbern fei, 
ohne jeboch in DreSben wegen ber tiefgrünbigen Slbneigung 


beS „SadhfenthumS" gegen baS „©reufjenthum" bamit (Gehör 
ju finben. 

©SaS wollen, fo jagen wir, Sadhfenthunt unb ©reufjenthum 
bann noch in ihrem Gegenfap ju einanber bebeuten, wenn über 
ganj Deutfchlanb ber ©etroleumraucf) fein büftereS Seicfjentuch 
breitet? Omnes manet una nox — baS ift freilich unfer 
Silier unb auch ber männertragenben Grbe tegteS Schidffal; 
bis bahin aber werben noch oiele ©efcple^ter ber SRenfdjen 
freubig ahnten im rofigen Sicht, ohne fiefi burch ©hantafien 
über baS ©Settenbe ihre SchaffenSfteube rauben ju taffen. ©Senn 
ber tiefgeljenbe Ginflufe, ben ©efifc im ©ereine mit ©ilbung, 
fei eS nun in freier Dhätiflleit ober in ©uSübung ftaattidjer 
gunctionen, ftets auf bie SolfSmaffen ausüben werben, fich 
planmäßig nadh einer ©ichtung hin bethätigt, welche biefe 
•Eiaffen jur GrfüHung h*>hwer Aufgaben gefdhieft macht unb 
mit einer höheren Sichtung Oor bem Staate erfüllt, wirb bie hier 
unb ba beforgte (Gefahr oor einer grunbftürjenben „focialen 
©eoolution" mit bem „Gnbe aller Guttur" in ihrem ©efolge 
halb fdjwinben. 

©och halten wir, SEtillionen beutfdher ©ürger, unfer 
beutfcpeS ©atertanb unb baS uns überlommene reiche Grbe 
fefter Crbnung unb guter Sitte, frommer Bucht unb ebler 
greiheit, geiftiger Schäpe unb gefdhidhtlidher Uebertieferungen, 
benen „baS beutfehe ©eich" als bie neuefte unb gtänjenbfte 
Grrungenfdhaft oor unfern ©ugen fich anreihte, für ein fo 
hohes, heiliges (Gut, bah unfer ftarter (Glaube an feine ©ewap* 
rung unb Uebereigumtg auf unfere Kinber unb KinbeSfinber, 
ja auf eine unabfehbare ©eihe oon ©efdhledhtern, in fiel) felbcr 
feine (Gewähr finbet. ©SaS fich ba heute in gleifcenben©Jinbungen 
bem ©olle naht unb ihm oon ber Unoereinbarleit biefeS unfercS 
beutfehen ©eicpeS mit bem wahren ©otfSwoljl unb ber wahren 
greipeit ©Sorte giftigen $qffeS juljaucht, baS ift nicht aus bem 
Glefchtechte jener erbumgürtenben SWibgarbfchlange gejeugt, beren 
greiwerben ben nahen ©Seltenbranb oertünbet! 

©er(in, 27. 3anuar 1877. 


unb 

Goethe. 

©ortejungen gehalten an ber fiönigt. Uniuerfität_ju ©ertin non 
$erman (Drimnt. 2 ©be. ©ertin 1877. 88. ^er|. 8. 

Den ©orlefungeu, Welche ber ©erfaffer im ©Sinter 1874/75 
unb im Sommer 1875 an ber ©erliner Unioerfität gehalten, 
uerbanft baS oorliegenbe ©uch feine Gntftehung, baS, wie ©des 
was $. Grimm fdjreibt, eine gülle anregenber unb feinfinniger 
©emerfungen unb Gebauten in feffetnbet gorm barbietet. 

Die Gntftehung aus ©orträgen barf bei ber ©eurtpeilung 
unb ©Sürbigung ni^t aufter Sicht gelaffen werben; fte ertlärt 
manche ©orjüge wie manche ©länget beS SucpeS. gwar finb fie, 
wie baS turje ©orwort angibt, nicht unoeränbert, fo wie fte ge* 
halten Würben, bem Druct übergeben worben; fo ift bie feit 1874 
erfdjienene Goetheliteratur hinein oerarbeitet. Stber auch im 
Uebrigen wirb man annehmen bürfen, bafj baS ©uch bem ©Sort* 
laute nach nicht genau bie ©ortefungen wiebergibt, möge bie 
fchrifttiche Slufjeichnung nun ben ©ortefungen oorauögegangeu 
ober naepgefotgt fei«, immerhin jeigt baS ©uch genügenbe Spuren 
feines UrfprungS. 

©ühmen wollen wir junächft bie grifdje unb Sebenbigteit 
ber Darfteüuitg, bie fdjwungootle, oft bichterifch gehobene Sprache. 
Dem ©erf. ftehen überall originelle ©ilber unb ©ergleicpe ju 
Gebote, bie ben Dichter unb Künftter oerrathen unb bie nur 
feiten einmal etwas |>intenbe8 haben. 

Setannt ift £>. Grimms ©orliebe für turje Säpe; bafe fte 
bei ihm jur ©Sanier geworben, täfjt fich nicht leugnen. Gr liebt 
©unfte ju fegen, wo ein anberer Sterblicher fidh mit einem ge* 


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70 


Ute ®egcttBMirt 


Nr. 5. 


rinderen Beidjett begnügen würbe. ®r jagt Don ber $erjoght I 
©lütter (1, 280): „Dieje grau war bie «Seele beS Seimaraner 
Bebens. @ine auSgejeicftnete gürftin. Die. ©icftte griebricft beS 
©ropen", unb fo ftäupg. greilicft ift ein foldjer Stil, namentlich 
beim ©ortragen, Diel beffer als bie tangatftmigen ©erioben, wie 
fie bem Serf. nur feiten (j. ©. 1,111) entf eftlüpft finb. 1 

Der «Stil hat auch, abgefehen Don ben furjen Säften, man- ; 
cpeS ©igentftümticfte, bie SluSbrudSweife ift nicht feiten etwas 
burfcpiloS, an aubern ©teilen affectirt unb gefucht. ©o 1, 6: , 
„®S gibt feit Saftrtaufenben eine Siffenfcftaft, welche Jpomer 
fteipt — fo wirb eS Don nun an eine geben, bie ©oetfte Reifet." 
©rimm fpricftt Don „ßottenö ©egierungSantritt im ©ublicum" ! 
(1,198). ©r bezeichnet 'grau 2lja’ als ben „höheren literari- ; 
fcpen Äneipnamen" Don ©oetfteS SRutter (1, 265). ©r fagt: : 
'baju fonnte bie Gelegenheit nicht Dom Saume gebrochen werben’ 

(1, 134), wo ein Mnberer mit bem lanbeSübticften 'Dom Baune’ 
pcp begnügt haben würbe. ®r fpricftt Don einem „©eniuS, bem 
man bie fterrlicftften Serie anDermuthet" (2, 78). ©ur glücfttig-- 
leiten beS ©tileS finb wohl SluSbrücfe wie „nicht ju übergangen 
Werben pflegt" (2,157) unb bie fcftleppenbe Stellung beS „aber" 

(2, 216 unten), ©eltfam nimmt ficft baS ©ubftantiD „Dieflueftb 
ergreifen" (2, 110) auS, währenb an anbetn ©teilen (2, 126 
„im 2lu8:bem=Sege=geften") eine weniger auffaQenbe Schreibung 
gewählt ift. 

©ine geringere ©orliebe für grembwörter würbe man bei 
Sitft. ©ritnrnS ©ohne gern feften; Dgl. 2, 182, wo in einem 
Safte Dier leicht ju Dermeibenbe grembwörter gebraucht finb. 

Die ÜJtanierirtfteit beS ©tileS tritt auch rn manchen Sieb: 
tingSwenbungen ftertor. ©o in bem bie Stbfäfte nicftt feiten in 
ganj furjem ©afte beginnenben ,,©un aber": 

©un aber, baS waS unfterblicp ift 1, 17. 

©un aber feften wir bem Sillen boch etwas entgegen 1, 66. 
©un aber anch hier ber Umfehwung HO. 

Dazwijcften weeftfett ber Serf. mit einem '©un’ (1, 35), 
ober 'Unb nun’ („Unb nun baS ©lüdlicftpe für ©eibe" 2, 166. 
„Unb nun: biefeS Sert Don «Statuen ift nicht ftumm" 2,184), 
ober combinirt bie brei SieblingSworte ju einem 'Unb nun I 
aber’ („Unb nun aber!" 2,100). ©inem ©ortragenben !ann eS 
leicht begegnen, bap er in fotdje SieblingSwenbungen oerfäüt, , 
beim ©ieberfeftreiben unb bei bet Durch ficht oor bem Drude : 
foflte bergleichen Dermieben werben. 

Doch boS finb im ©runbe $leuperlicftteiten unb ©ering: | 
fügigfeiten. 

SWeftr in’S ©ewicht faßen manche übertriebene unb ju weit 
gepenbe Urtfteile, ju benen wieberum ber ©ortragenbe fich leidet . 
hinreihen laffen fann (unb wem wäre baS nicht begegnet?), bie 
aber ber ©epriftpefler bann ju milbern ober ju befeitigen bie 
©flicht hat. Bu folchen Urtfteilen zäftle ich ®teßen wie 1, 2: 
„@oetpe h°t unfere Sprache unb Siteratur gefchaffen"; benn ber 
folgenbe ©aft: „®or iftm hatten beibe auf bem Seltmarlt ber 
europäifchen ©öller leine ©eltung" tann boch nicht als eine 
©egtünbung angefeften werben, gemer, wenn (1, 95) baS „@in= 
fchachteln" im Sitftetm ÜReifter unb „tiefleiept fogar bie biffolute 
gorm beS gauft" auf bie ©oetfte angeborene unb anerzogene ( 
„Steigung ju äuperlicftet Drbnung" jurüdgefüftrt wirb. Glicht 
minber übertrieben ift eS, wenn (1, 108) baS mobeme euro= 
päifcfte Dfteater als „bas burch bie gaftrftunberte ftinburdj in 
immer neu umgewanbelter ©eftatt bis auf uns fortgeführte antile 
Dfteater" bezeichnet wirb. Unb unter ben begtünbenben Dftats j 
fad|en wirb u. Ä. angeführt, bap ©inftarts Beben ftarls „meift 
auS ©uetonifchen ©prüfen jujammengefeftt fei". 1 

©ocp ftärler finb bie nicht feltenen Siberfprücfte, inbem ber 
©etf. an einer ©teile bas ©egentpeit Don bem behauptet, was er an 
einet anberen fagt. ®on $erber Reifet es (1, 3), er habe neben 
©oethe noch mächtiger als Älopftod, Bef fing unb Sindetmanu 
„eine beutfepe ©rofa mit höhnen ©igenfepaften perzufteflen ge= 
mufft". Sie ftimmt baju, was ©. 54 gejagt wirb, wo Berbers 
üppige, in fich Derwidelten (fo!) ©erioben ic. als im ©acptpeil 
ftepenb gegen BeffingS fcharfe, furz angebunbene, auf’s Biet 
bringenbe ©ptaeftweife, als frembartig unb Deraltet bezeichnet 


werben. 1, 277 peipt eS: „©oetfte War ein ©übbeutfeher, üiet= 
mehr ©übweftbeutfefter" unb 2,107 lefen wir: „@r (©eftifler) 
war ein SBürttemberger, ein ©eftwabe, ein ©übbeutfeher, mäh- 
renb ©oethe, ba belanntticft nur ©achfenhaufen, als füblicft Dom 
ßJtaine gelegen, ju ©übbeutfdjtanb gehört, ein ©orbbeutjeher 
war." 3Ran tann wohl fagen, bafe bem fpeciPfdjen ©übbeutfehen 
©chißer gegenüber ©oetfte ein ©orbbeutf^er war, laum wirb 
man ihn im ©egenfaft ju ben Dhüringern als ©orbbeutfehen 
einen «Sübbeutfchen nennen bürfen, unb jebenfaßs bleiben bie 
beiben ©teßen bei ©rimm, beten eine iftn abfolut (nicht relntiu) 
ju einem ©orbbeutfehen, bie anbere ebenfo abfolut ju einem 
©übbeutfehen macht, ein Seid)«*, bap ber ©erf. feine Urtheile 
ju fehr nach bem jeweiligen ©ffect feiner Darfteflung möbelt. 

2, 151 wirb ©djißerS ©rief an ©oethe Dom 23. Slnguft 
1794 als „in tabeltofem, farblofen Deutfeh oerfafjt" bejeich : 
net, woju nicht recht ftimmen miß, bap (2, 154) mit ©ejug auf 
ben ©rief Dom 31. Sluguft, „bie gortfeftung beS ©riefeS Dom 23." 
©d)ißer „ber bewuffte ©ieifter beutf(|er ©rofa" genannt wirb. 

2, 183 heifft eS Don ben nach ber itatienifdjen ©eife ent- 
ftanbenen Serien, bap fie „©oetfteS ©erfon nicht mehr" bebürfen, 
„um eine Doflenbete freie Schöpfung mit eignem SBißen unb 
eigner ©ewegung ju fein", unb ben ©oethe’fchen ©eftalten bamit 
„bie ©lacht, geiftig ganj für fich S u ejiftiren, fo bap, wie beim 
©lanne Don ©ater unb SKutter, fo beim Äunftwerle Dom Sünft'- 
ler gar ni^t mehr bie ©ebe ift" Derlieften worben fei. Unb 
bann lefen wir 2, 267: „Stu<h bei ben Doßenbetften Serien 
Goethes, jenen claffifdjen ©rjeugniffen feiner Doßften ftraft, welche 
für fich aßein fteften, blieb bodj immer ©oetfteS $anb p^tbar, 
wenn auch du* infomeit als gerabe er unb lein anberer Zünftler 
als ihr Urheber möglich war" u. f. m. 

©efonberS ftart aber Pnb folgenbe ©teßen. 1, 30 h*if*t rä: 
„©ei aßen feinen Dichtungen ift baS Socale mit einer @enauig= 
feit befchrieben unb in ©ebanlen feftgehalten, bap pdj Sanb= 
tarten conftruiren ließen ber Sege, bie feine bichterifcften ©e= 
banlen gemanbelt pnb . . . Der ©arl, in bem ber ©otnau 
bet SaljlDerwanbtfchaften fich abfpielt, ift uns fo Der: 
traut, als lennten wir alle ©änge barin." Dagegen 
2, 241: „Sährenb man im Sertfter jeben ©aum ju lennen 
glaubt Don bem er fpricht, unb fich Don ©arbenfteim angeheimelt 
fühlt, gewinnt man nirgenbs eine rechte ©nfdjauuug 
beS ©arteS, Don beffen Stnlage in ben SahlDerwanbt: 
fchaften bie ©ebe ift." 

Dergleichen foflte felbft nicht beim münbtichen ©ortrage, 
noch Diel weniger in einem ©udje Dorlommen. 

Stuf Heine factifche Unrichtigleiten unb Ungenauigteiten 
moßen Wir lein befonbereS ©ewicht legen, wiewohl pe bei einer 
forgfältigen Durchpdp leicht hatten Dermieben werben lönnen. 
1, 20 ift ton bem „einzigen" Sah* in Italien bie ©ebe, toäf)- 
renb bie italienifchen ©eife boch nahezu zwei gaftre auSfüßt. 
Dap Berber im $erbfte 1771 in ©trapburg erfepien (1, 51), 
ip mopl nur ein Drud= ober Schreibfehler für 1770. Die 
Sorte 1, 75 „ein anmuthigeS ©ellatfd) ber ©chweftern" feften, 
ba pe in SlnführungSjeicften fteften, wie ein Sitat anS Saftrheit 
unb Dichtung aus, wo man pe boch Dergeblicft fueften wirb. 
$uttenS Äranffteit wirb 1, 121 eine 'tragifefte’ genannt, was 
woftl auf fein Gnbe, aber nicht auf bie ^ranlfteit papt. Sielanb 
würbe burep ben ©leffiaS Woftl junäcftft z u feinem geprüften 
Ubraftam oeranlapt (Dgl. 1, 286). Den ©uSfprucft, bap bie 
Siebe felbft an ©ftatefpeareS ©omeo unb Sulia mitgearbeitet zu 
ftaben fefteine, ftat nieftt ©eftleget, wie 2, 268 fteftt, fonbern 
Sefpng im 15. ©tüd ber Hamburg. Dramaturgie getftan. 

Sarum feftreibt bet ©erfaPer beharrlich ©lepftiftofeleS unb 
Silli ftatt ber üblichen unb autftentifeften Schreibungen mit pft 
unb einem l? ©nbtidj: warum „beutfeft" wo eS ©igenfcpaftS: 
Wort ift, mit gropem SlnfangSbucftftaben? Sie fonberbar nimmt 
fiep (2, 55) auS: „Der franzöpfepe, Deutfcpe unb itatiänifefte 
GleruS", ober 2, 75: „©rieöftifepe ©epnnung, römifefte ©ilbuicg, 
DeutfcpeS ©emütft." Soßen wir baburep Dor anbern ©ationen 
uns fteben, bap wir beren ©amen Hein unb nur ben unferen 
grop feftreiben? 


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Nr. 5. 


Sic tSegenmart. 


71 


@3 mag rooljt aud) auf Segnung be« ©ortrage« fomrnen, 
baß bet ©erfaßer gutoeiten aflgufeljr gehen läßt, gu tocit 
auäljolt unb bemgemäß manches entbehrliche unb Ueberflüfftge 
Tagt. So, wenn er 1,160 bei ©elegenßeit oon ©oetfje« {Rhein* 
fahrt 1774 ßdj über ältere unb jüngere Wheinpoeße auäläßt, 
tooju hier gar fein Anlaß war; wenn er 1, 225 ba« bamalige 
Äöln fchitbert; wenn er 1, 243, non Spinoja« (Sinflufe auf 
®oetlje rebenb, be« ©hilofopljen Seben ergäbt unb babei felbft 
biä auf ©ufctowä Uriei Acofta fommt; wenn er au« Anlaß non 
©oethe« ©intreffen in {Rom 2, 44 bie gange eutopäßdje ®e= 
fdjid)t3entwidelung und oorführt unb felbft non ben „hoch* 
geachteten ©chäbeln" ber prähiftorifdjen ©erooljtter rebet; — 
ober wenn er (2, 100) ben ©inbrud fchitbert, ben {Rom auf 
ben ©efeßauer macht. Sem Äunßforfdjer oergeiht man freilich 
eher foldje ©rgüffe, wenn ihm ba« §erg aufgeht bei ber ©r* 
innerung an ben Aufenthalt in {Rom, unb fo wirb man ihm 
aud) bie ©geurfe über Angelica $auffmann (2, 67) unb über 
$adert (2, 92) gern nadjfeljen. 

3n bet Auffaßung non ©oethe« Sichtungen ift not Allem 
al« ein ©runbgebanfe ber überaß betonte Sufammenljäng gwi* 
fd)en ©oethe« Seben unb Sichten, bie ©rftärung ber Sichtungen 
au« ben ©rtebniffen be« Sichter« hetoorguljeben. 3tt>ar jp ^a« 
an fich nicht neu, ©oethe« eigene SBefenntniffe müffen biefen 
SBeg führen. Aber bi« in’8 ©ingelne burdjgeführt ift bie« {ßrin* 
cip noch non feinem Sarftefler ©oethe«, unb e« ljot ben ©er* 
faffer gu manchem fdjönen unb neuen ©rgebniß geleitet, freilich 
betennt er felbft wieberljolt bie Unßdjerheit ber Seutungen unb 
gegen manche wirb fich bie« unb ba« einwenben taffen. 3$ 
wifl eine {Reihe non {fünften erwähnen, an benen mir ©rimm 
ba« Wichtige nerfehtt gu hoben fdjeint, unb an benen fein {Buch 
einer ©rgängung bebarf. ©3 ift wohl faum richtig, Wenn man 
fagt, ©oethe höbe at« Seipgiger Stubent 'ba« in Sranffurt be* 
gonnene enge Seben’ fortgefefet (1, 38). ©teich bie erften ©riefe 
au« Seidig geigen oielmeljr, wie er fich i m ©efüljle bet grei* 
heit in ein luftige« flotte« Seben Ijineinftürgte. ©rimm fprießt 
(1, 43) oon ©oethe« 'unregelmäßigem’ Seben in Seipgig; aber 
nicht biefe« ift, wie bort angegeben wirb, bie Urfache be« ©lut* 
fturge« gewefen, fonbern bie Unoorßdjtigfeit in ber Ämoenbung 
treu Sdjeibewaßer, ba« ©oethe beim SRabiren brauchte. 

Wichtig herborgehoben wirb 1 , 41 ber ©inßuß ©eßert« 
auf bie Seipgiger Seit, e« hotte an biefet Stefle, wa« oießeicht 
wichtiger, ber ©inßuß ©ünther« auf ©oethe« bamalige St)tif 
erwähnt werben foßen. 3« ber Sarfteßung be« ©erljältnißeS 
gu griberife legt ©rimm aßguoiet ©eroicht auf bie oon ©oethe 
gebrauchten SBorte, e« fei hier bie Webe oon ©efmnungen unb 
$anbtungen, inwiefern ße ftch ereignen fönnen. Surch bie« 
„fönnen", meint ©rimm, werbe bie gange Sefenßeimer Aßaire 
au« bem Sereidje be« gactifdjen in ben be« {Möglichen oerfefct. 
Sagt boch ©oethe felbft, baß fein 3ug in ber ©rgäßtung nid)t 
erlebt, freilich feiner genau fo wie er erlebt bargefteßt fei. 
Unb fhtb Wir benn auSfdjließlidj auf SBahrßeit unb Sichtung 
hingewiefen? £>aben wir nicht ©oethe« ©riefe an Saigmann 
unb Anbere, hoben wir nicht ©oethe« Straßburger Sieber? 
SRit $ütfe biefer Queßen läßt fidh, wenn man an ber Sar* 
fteßung in SB. unb S. richtige fteitif übt, ein giemlich flare« 
©ilb ber ©orgänge, ber äußern wie innem, gewinnen, ©rimm 
hat barauf oergichtet, unb ba« eingige fichere Wefultat, ba« ftch 
ihm ergeben h°t, iß (1, 87): baß griberife — bruftleibenb 
war. Aber feine ©rünbe bafür ßnb fdjwacß genug, unb mit 
gleichem Wechte ließe ftch bie 'Äranfljeit’, oon ber ©oethe 1779 
fbricht, anber« auSlegen. 

©egen über ber An ficht, baß ©orona Schröter ba« ©orbilb 
ber 3t>hi9 en i e fei» wa« freilich nicht bewiefen ift, fteßt ©rimm 
(2, 17) oietmeßr al« möglich ouf, ße fei eher ba« ber ©hitine. 
Sie Art, wie ©oethe ©orona in bem ©ebidjt auf SDtiebing« 
Sob fchitbert, fdjeint mir eine foldje SRöglidjfeit faum gugutaßen. 

©efannt ift, baß ©oethe bie meißen feiner Sachen bictirte, 
unb bie« fdjon in granlfurt begann. Stuf eine gang wunber* 
liehe SBeife Wirb bie« bureß einen äußern Anlaß herbeigeführte 
unb bem Sichter mehr unb mehr lieb geworbene Sictiren 2, 34 


erflärt, wo e« heißt: „Am Klange feiner eignen SBorte wiß er 
prüfen, ob bie SBorte ba« ©efüßl unb bie ©ebanfen wieber¬ 
geben, unb er beginnt gu „bictiren": eine Art ©ergweiftung«* 
maßtegel, ßdj au« bem Efjao« gu erretten" u. f. w. 

Sa« ©erhälhtiß gu Scßißer ift in mehrfacher ©egieljung 
fchief aufgefaßt unb bargefteßt. gür Schißer befifct ber Ser* 
faßer oßenbar wenig Shmpatßie, feine Auffaßung Scßißer« ift 
baßer gu äußerlich. ®er Unterfdjieb in ber Watur beiber 
Sichter ift nirgenb Har gefteßt. Sie Sdjißer’fdje Wecenßon be« 
©gmont wirb 2, 124 mit giemlich f<hotem SBifce beßanbett, 
wenn e« heißt, Schißer ertheite ihm gWar „magna cum laude“ 
al« {ßräbicat, aber mit bem ^inweife, baß „summa cum laude“ 
bieämat entfliehen gurüdbeßatten werbe. Unb in gleich höhnen* 
bem Sinne iß bie Seutung, bie ©rimm (2, 125) ber Aeußerung 
©oethe« über bie Wecenßon in einem ©riefe an ftart Auguft 
gibt, ©ei ber Annäherung Schißer« au ©oethe wirb (2, 150) 
befonber« betont „bie unter einem SRantet bon ©emütßlichfeit 
unergrünbtidje Schlauheit ber Schwaben", bie Schißer gu ©ute 
gefommen fei. Schißer« energifdje« Schaßen in feinen testen 
Sohren, welche« auch ben ßedjen Seib bem ßarfen SBiflen bienft* 
bar machte, wirb (2, 167) grabegu al« ein tagelöhnerhaße« 
Arbeiten hingeßeßt. Saß Schißer auf ©oethe« Sichtung ohne 
©inßuß geblieben fei, wirb (2, 179) mit Unrecht behauptet. 
Wicht blo« an SBiihetm SReißer ift et erfennbar, wa« auch 
©rimm einräumt, fonbern audj am gauft. Ser ©ebanfe, baß 
gauft, wie im gweiten Sßeil gefdjeßen, in’« honbelnbe Seben ein* 
geführt Werben mäße, ba ber Stoß eine Sotalität oerlange, iß 
guerft burdj Schißer angeregt Worben unb auf bie aßgemeine 
©eßaltung be« gweiten ZljeiteS ßdjer oon ©inßuß gewefen. 

Sem Urtheil, baß bie „Adjißei«" mit ben gelungenften 
Sichtungen ©oethe« in gleicher Weihe ßeljen bürfe (2, 187), 
wirb man nicht ohne ©efremben begegnen, ©ine ©egrünbung 
abweidjenber Äußert Würbe hier gu weit führen. 

Sa« SBefen unb ber Sauber ©oethe’ßher £egameter ift 2, 
193 ß. richtig unb treßenb bargefteßt; wenn aber gejagt wirb, 
©oethe habe Soßen« gefährliche Weigung gum ©emüthtidj*$au«* 
badenen bur^fchaut, fo ift nicht abgufehen, wa« biefe ©igenfehaft 
mit ber gorm be« geganteter«, oon ber hier aflein bie Webe 
ift, gu tljutr hot. Sie angebliche 3t»correctheit ©oethe’fcher 
^»ejameter wirb mit Wedjt geleugnet, bann aber fortgefahren 
(2, 194): „®8 iß gerabefo mit ben {Reimen, ©oethe reimt: 

SItletn unb abgetrennt oon aller greube 

<5eh ich an« girmament nach jener ©eite. 

3Ran wirft ihm „greube" unb „Seite" al« unreine Weim oor. 
3<h ntöchte fragen, wo bie ßRänner ß|en, welche barüber gu 
entfdjeiben haben, ob „Seite" unb „greube" hier gu einanber 
al« {Reime in ©egieljung gefefct werben burßen." ©ine fonber* 
bare gragel Saß bie beiben SBorte in ber Sljat al« Weime 
gu einanber gehören, barüber fann boch nach bem ©au be« 
Siebe« nicht ber geringße Sweifel fein. 

©ei ber garbenleljre geht ©rimm ,,al« {Richtfachmann" auf 
bie ©rünbe, weswegen bie SBißenfdjaft ihren Wefultaten bie 
©eißimmung oerfagt hot, nicht ein. Aber ba« hätte boch h er üor= 
gehoben werben foßen, baß bie {Richtachtung ber matljematifchen 
SeweiSführung e« hauptfädjlich ift, wa« ©oethe gu feinen egacten 
Wefultaten gelangen laßen fonnte. 

Unglaublich erßheint mir, baß bie SBahloerwanbtfdjaften 
bem ©erhältniß gu grau oon Stein ihren Urfprung oerbanfen, 
welche« wie eine tiefe SBunbe, bie Teilung begehrte, in feiner 
©ruft tag, unb in bem Woman feine lünftterifdje ©erltärung 
empfangen habe (2, 222). Auch ® enn bie Anlage, wa« nicht 
einmal gu beweifen ift, „biet weiter gurüd liegt, al« ber ©e* 
ginn ber Arbeit" (2, 237), fo berechtigt un« boch nicht« übet 
bie itatienifdje Seit hinaus gurüd gu gehen; unb baß nach ber 
Wüdfeljr oon Statien ba« ©erhältniß noch eine tiefe SBunbe 
für ©oethe gewefen, möchte ich begweifetn. Auch gibt ©rimm 
gu (2, 240), baß wir bei ©Ijarlotten „nur oon weitem an grau 
oon Stein benfen" bürfen. Ser gangen wohtberechneten Anlage 
nach ift beim Urfprung ber SBahtoermanbtfdjaften fußet nicht 


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72 


3D i e Äegeitnntri. 


Nr. 5. 


übet bie Beit juriid ju geben, in welcher etwa bie natürliche 
Dochter entftanb, unb fpätere ©rtebniffe, unter benett ba« Ser* 
tjältniff ju 2Jtinna Herjlieb in erfter Steife fteftt, buben ben Stoff 
geboten. 2tn „mehrere Ottilien" ju benlen ift aber wohl fo 
wenig berechtigt al« an „mehrere Sotten" (2, 240). 

Seim Sauft bebe ich junädjft bie treffliche Darlegung be« 
©inftuffe« beeöor, Welchen gerbet auf bie ©eftaltung be« 
9Rephifto gehabt h“t unb ber biel bebeutenber ift al« ber 
HRerd«. gn anberit fünften aber fann ich ©rimm nicht bei* 
ftimnten. SBoher weiff er (2, 290), baff ©oetben in Straffburg 
irgenbwie bie ©efdjfdjte Dr. Sauft« in ber alten Solf«fontöbie 
entgegen getreten fei? Daff ©oetl}e in Straffburg über bem 
Sauft bereit« fann, ift burdj fein eigene« Beugniff fidler geftetlt; 
aber bie SolfSfomöbie fann er ebenfo gut fchon früher (in 
Sranffurt) fennen gelernt haben, ©rft in Straff bürg burch fein 
Serhältniff ju Stiberife, burch bie Sefanntfchaft mit Berber 
befam ber Stoff Seben in ©oethe. Daff jebodj bamal« alle 
©injelheiten be« Staue« ihm bor ber Seele gefchwebt, ift nicht 
entfernt anjunebmen, unb baff bie leftte Scene be« 2. Steile« 
fcffon in ber erften Anlage oorffanben gewefen (2, 281), fcheint 
mir eine feffr bebenftiche Einnahme, üluch baff bei allen ©oethe’* 
fcffen Hauptfiguren „Sauft al« unficfjtbarer Doppelgänger ju 
benfen fei" (2, 270), baff „SBerther al« 2Bertf)er plus Sauft, 
©gmont al« ©gmont plus Sauft" ju nehmen fei (2, 282), ift 
mehr geiftreich al« überjeugenb unb wahr. 

Sil« eine Sude ntüffen wir ba« gänjtidje Uebergehen bon 
SBilhetm SReifter« SCßanberjahren bejeichnen, bie, wenn auch 
ein fßrobuct boit ©oethe« Witter, in ber ©efdjichte be« SRoman« 
wegen be« Hineinflechten« focialer gbeen ihre Sebeutung haben. 

Son bemerfen«werthen Steufferungen be« Serfaffer«, bie 
mit ©oethe nicht birect jufammenhängen, führe ich noch jwei 
au: feine ^tnfid^t über Hontet (1, 7), ben er al« perföitliche 
ffiinheit fafft, unb feine warmen Säorte über ©erüinu« (1, 112), 
bie ich ih r£ w Hauptinhalte nach ^iet mittheile. „geh habe nod) 
bie Beiten erlebt, in beneu ©erbinu« bie unfehlbare äfthetifdje 
Autorität bei uit« War. geftt muff man auf ihn fdjimpfen hören 
unb e« foD bem groffen SRanne fein wohloerbienter fRuhm gebet 
auf Seber auägerupft werben, al« wenn e« nicht feine eignen ge* 
wefeit wären. SBoljin ich aber blide, fehe ich ©ertiinu« Sebent 
oielmehr ht fremben Slügeln.... ©eröinu« ift ber Schöpfer 
unferer Siteraturgefchichte. SEBeber biefe«, noch feine anberen 
gewaltigen Serbienfte um Deutfcfflanb fönnen webet burch fein 
eigne« potitifche« Sethalten in ber teftten Sebenäjeit, noch burch 
bie Slntaftungen feiner ©egner, bie ihm heute fo jiemlidj Sitte« 
abgefprochen haben wa« fic| einem Sdjriftftetter abfprechen läfft, 
in Schatten geftetlt Werben. SEBir oerbaufett ©eröinu« bie erfte 
wiffenfcffaftliche ©onftruction Sefftng«! Darin fchon liegt bie 
©efchichte ber bei un« in ber SERitte be« nötigen gahrhuubert« 
erwachenben nationalen Sühne begriffen." 

Schließlich berichtige ich ein paar finnftörenbe Drudfehter: 

1, 52 „Sil« befte« ©efchenf be« Schidfal« aller würbe Herber 
früh ein Steunb gegeben"; e« muff aber ftatt aller heiffen; in 
bemfetben Safte ift „lieferten" ju tefen. git ber Ueberfcfjrift 

2, 63 muff es hoch wohl h e »6en ,,ba« heutige SRom" ftatt 
„heilige". 2, 195 „Soffen« Suife hat in ihrer Strt eine hohe 
Seiftung" ift boch Wohl „ift" ju tefen. 

$eibelberg, im ganuar 1877. Karl Sartfdj. 


3turraflutl). 

Vornan in 6 Büchern oon gtiebrid) ©pielbageit. 


H. 

<e$ius.) 

Si«her ift e« in unferer fRomantiteratur eine ©igenheit 
nur folcffer Scfjriftftelter gewefen, bie in erfter Sinie anbere al« 
rein tünftterifdje Siele oerfolgen, oietgenannte Seitgenoffen mit 
einer beliebigen, oon ihnen frei erfunbenen Hanbtung in un* 


mittelbaren Snfammenhattg ju bringen. Da, wo bie bidjte* 
rifcften (Qualitäten an fleh nicht genügenb ftarf finb, um ein 
SBerf reijoolt unb feffetnb ju geftatten, ift e« ja auch ganj er* 
flärtidj, baff man bemfetben burch anbere Suthaten ba« ju 
geben bemüht ift, wa« in ben Suchhonblerprofpecteu „pifante 
SBürje" genannt wirb, ©in Dichter Wie Spiethagen aber ift 
! boch Qewiff nicht auf bergleidjen SRothbeljetfe angewiefen, unb 
e« nimmt mich aufrichtig SBunber, baff er ein Serfahren an* 
gewanbt hat, welche« ben Sefer feiner Dichtung baju nötfjigt, 
an anbere SRomanfchreiber ju benfen, mit benen Spielhagen in 
feiner wahlberechtigten Sornehmheit nicht« gemein haben möchte 
unb foltte. 

„®8 thut mir in ber Seele Weh, 

Daff ich bich in ber ©efeüfcffaft fei)’.' 

2tber ich tanu mir nicht helfen: bie Scene jwififten SBinbt* 
horft unb ©iratbi im Hotel fRopat erinnert mich unmiüfürlicft 
an bie Somane oon ©regor Samarow unb ©enoffen. 

Die Stage, ob bie ©ompetenj be« fRomanfdjriftfteller« 
überhaupt fo weit geht, eine mitlebenbe Serföntichfeit ohne 
SEBeitere« in feine Dichtung hineinjujiehen unb mit biefer fßer* 
föntichfeit nach freiem, bidjterifchem ©rmeffen ju fchatten unb 
ju walten, als ob fie eine „eigene Schöpfung wäre — biefe 
Srage möchte ich nebenbei aufwerfen, ohne fie gleich beantworten 
ju wollen. 

@3 ift nun alterbing« richtig, baff SEBinbthorft nicht bei 
feinem SRamen genannt wirb; aber ber frühere SRinifter be« 
Königs Oon Hannoöer unb ber Süffrer unfere« ©entrum« wirb 
i üon Spiethagen mit einer folgen ftedbrieftichen ©enauigteit be* 
jeichnet, baff bie SerfdjWeigung be« fRatnen« fcffliefftich auf eine 
I Spielerei hinauSjulaufen fcheint. 2Ran höre, wie bie fßerfon, 
bie im fßatai« fRoftat bem geheimniffooüen gtaliener ©iratbi 
einen Sefud) macht, oon unferem Dichter gefchilbert wirb: 

„©er ber ift? Der Stann, ber halb erblinbet feffärfer fieht al« bie 
meifien SRenfdjen mit ihren beiben gefunben äugen 1 Der äRann, welcher 
aller amtlichen Autorität enttleibet, bem Jtanjler be« beutfeften Steufte« 
mehr ju fthaffen macht al« ber Scöollmäcbtigte eine« ©roffftaate« ei oer* 
mbdhte; ber SRann, mit einem ©orte, auf beffen gebrechlicher ©eftalt 
bie Saft be« Kampfe«, ben wir (Ultramontanen) in Deutfdflanb ju fömpfen 
haben, faft ganj allein ruht!" 

Diefem nicht ©enannten, ber übrigen« fein ffkäbicat 
„©jceüenj" auch bei Spielffagen beibehalten hot, legt er eine 
längere fRebe in ben 9Runb, bie SBinbthorft aUenfaU« gehalten 
haben fönnte, aber meine« SBiffen« nie gehalten hot, — eine Siebe 
über SiSmard« imponirenbe ^erfönlichfeit, über feinen ©influff 
auf bie Slationalliberalen tc. 

„SRan muff folcffen Stuten (wie SiSmard) eben perfönlich nafteftehen, 
fich mit ihnen in ber Kammer herumjanfen, fie in eine $offoiree 
treten feffen, um ju begreifen, warum bie Seftien bor biefem Söwen 
' in ben ©taub buden, unb felbft, wenn fie Dppofition machen wollen, es 
! boch nur bi« jum ©cffweifwebeln bringen." 

i geh fann nicht umhin, in biefer Slrt unb Seife, einem 
befannten Sebenben eigenmädhtig felbftgebilbete ©ebanfen unb 
1 WuSbrüde ju leihen, eine gewiffe SBittfürtichfeit ju erbliden, 
i bie mir bie ©renjen be« bem Dichter ©eftatteten boch föon 
i ju überfdjreiten fcheint. SBa« würbe wohl Spielhagen baju 
j fagen, wenn ein anberer Schriftfteller, ber etwa einen in ber 
1 iiterarifdjen SEBett fpietenben Sloman fdjreiben würbe, fi^ bie 
1 Steifteit nähme, ben Dichter ber „Sturmfluth" auftreten unb 
c beifpietsweife über bie Dechnit be« Slomane«, über bie Serein* 
famung bet groffen Dichter in bem gefühltofen Serlin unb ber* 
i gleichen aüerhanb fpreeften ju taffen? 

i Daff ber Dichter bie „DiScretion" beobachtet, SBinbthorft, 
nachbem er ihn fo gejeichnet hot, baff man ihn mit ben Hänben 
greifen fann, nicht auch noch i» nennen, thut nicht« jur Sache, 
geh höbe biefe Strt oon Di«cretion überhaupt niemals recht be* 
griffen unb oermag bie ©rünbe, welche ben Dichter baju be* 
ftimmen, bie SRamen fotdjer fßerföntichfeiten, bie man nach feiner 


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Nr. 5. 


9 i t ®egenmart. 


73 


©taralterifirung nottgebrungeu erteunen muft, ju oerteimticten, : 
nicftt oottfommen ju mürbigen. (Spieltagen t°t «bet für biefe I 
Gigentfjüntticfjfeit, bie man ald eine 9trt oon bic^terifc^em ©fänber* j 
fpiet bejeicftnen fönnte, eine gemiffe Vorliebe. Sein ©räfibent 1 
in ber „Sturmftutt", ber Sppud bed tüchtigen unb e^rtic^en 
Beamten, fagt j. ©., nactbem er fein metmüttiged Bebauern 
barüber audgefprodjen ^at, baft mir tjeute feinen (fickte rnetr 
taben, unb baft bte $anb, meldje bie „Sieben an bie beutfclje 
Station" getrieben tot, erftarrt ift: 

„Dafür fafeln unfere ^^ilofopben oon bem Qntettect, ber ju nidjtd 
ba fein foO, ald ben SBiHen ad absurdum ju führen, unb bie greubig^ 
feit, bie Sufi am Sehen, bie bod) bie SKutter aller Xugenb ift, p tnieten | 
unb ju breiten; geben unfere Did|ter bei ben granjofen in bie Sdjule, | 
um p lernen, wie man bi« in’d $erj frioot unb unanftdnbig fein lann, ; 
ohne bie Deport ju oerlepen, ober toft^fen, armfetige OefeUen, mit tprer j 
©etticrfrüde im ©djutte ber 3aljrl)unberte unb möchten und Weife machen, j 
bafe bie Staub Wolfen, bie fie aufrüfeten, ©eftalten bon Steifet unb ©tut ! 
finb; bringen unfere ©omponiften bie blaftrte Srecfeljeit, bie jdjamlofe j 
©enufejuebt bed 3aljrf)unbertd in eine Slufif, bie bem bornefemen unb 
geringen ©öbel bad raoraliftf)=äfthetif<be ©emiffeu botteiibd betäubt ober 
bad haute ©tut bid jum SBaljmpip erljipt." ' 

SEBenn biefer ftrenge $err ©räfibent, ber toie eilt Heiner 
©apft feine entrüftete ©ncpflica gegen bie errores aetatds nostrae 
fdjteubert, anftatt fobiet fdjßne ©araptrafen ju matten, ben 
©tilofoppen einfach Sdpopenpauer ober ©buarb bon $artmann, 
ben'„armfeligen ©efetten mit ber ©ettterfrüde" ©uftao Sfre^tag, 
ben ©omponiften ber „btafirten gredpteit" fcplectttin Kidpatb 
©Bogner tiefte, fo märe bad ein bereinfadpted ©erfahren, bad 
idp loben mürbe. 

Stiefe Slrt bon Sidcretion erftretft fiep bei Spieltagen nidpt 
nur auf ©erfönti(p!eiten, fonbern audp auf bie Stauten ber Straften. 
S)ie §anbfung fpielt jum groften Speil tu ©erlin. ©inige ber I 
Berliner Dertlid)feiten merben beim retpten Kamen genannt; j 
fo ift bout „Stiergarten" bie Siebe, bon ber „Spiergartenftrafte", . 
oom „Sranbenburger Stör", oom „groften Stern" u. f. m. ! 
Sann fommen auf einmal Straftennamen, bie erfunben finb, 
mie „Springbrunnenftrafte", „©anatftrafte", „fßarfftrafte". Sad | 
ift für bie Berliner ßefer unb überpaupt für alle, rnelcpe ©erlin 
fennen, gerabeju ftörenb unb bermirrenb. SBenn i<t lefe, baft 
Antonio bie Spiergartenftrafte entlang gept, fo folgt ipm meine 
©pantafie miber ©Bitten auf ber mir feftr moptbefannten Strafte; 
teiftt ed bann meiter, baft er bon ber Stiergartenftrafte in bie 
Springbrunnenftrafte einbiegt, fo merbe icp ftupig, meil ict meift, i 
baft ed gar feine Springbrunnenftrafte gibt, bie mit ber Stier* | 
gartenftrafte in ©erbinbung ftett. Siefe ©ermengung bon Sleettem | 
nttb ©aepirtem maept ben aufmerffatneu Sefer blöd confud. 

Kadp biefem SIbftecper motten mir jur |>anblung jurücH i 
fetten, ©iralbi tot natürlitt amt mit ber Sdpminbelbapn p I 
ttun, bie meniger bem ©ebürfnift bed ©erfetrd ald bem, bie 
jerrütteten ©ermögendoerpältniffe bed ©rafen ©olm aufpbeffern, 
ju entfpreiten tat. ©iralbi ftreeft bem abligen ©rünber ©olm I 
bie Kaution im Betrag bon einer talben SJtittion bor, unb nun i 
fann alfo, ba jefct bie ©onceffton otne Zweifel ertteilt merben 
toirb, frifcp brauflod gebaut merben. 

SBäprenbbem finb aber in ben gamilien, für bie unfer 
Sntereffe ertoedft morben ift, feltfame unb ereigniftfepmere Singe 
borgegangen. 

Stntonio, ber SKann mit bem Stilet im Stiergarten, tot 
bad Slenbejboud jftifdpen gerbinanben unb bem Sieutenant 
Ottomar bon SBerben belaufdpt unb bie jungen Seute bei ben 
©ätera benuncirt. Sie beiben ©äter, ber ftarre Semofrat ©mft 
©<tmibt unb ber ebenfo ftarre Hriftolrat ©eneral bon SBerben, 
bie fi<t jum lepten SKale auf ber ©arrifabe am 18. SDlärj 1848 
gegenüber geftanben taben, treffen mieber jufammen. Sie Scene 
ift bortrefflidp, bon einer ungemöpnltdpen bramatifdpen ©erebtfam* 
feit, beinate ergteifenb. 8« einer Studföpnung fommt ed nidpt. 
SBerben pat ben ferneren ©ang ju Sdpmibt umfonft gemalt — 
gerbinanbe, bie fidp babon überjeugt ju toben glaubt, baft 
Ottomar mit iftr nur ein gemiffenlofed Spiel getrieben tobe, 


mirb bon bem Scplage faft töbtlict betroffen. Ottomar, bem 
gerbinanbe in itrem Scpraerje Siebe unb greunbfetaft aufgefagt 
tat unb ber nun alfo mieber frei gemorben ift, berlobt fict, um 
bie Situation ju Hären, fcpnell mit ©arla. 

3<t gete auf alle bie intereffanten ©injelfteiten, bte und 
Spieltagend reidte ©tontafie bietet, uiiftt ein, niett auf bie 
©erfiflirung bed ©rünberbatted unb ber Soafte, unb ermätne nur 
furj, baft ©tiüpb @<tmibtd $errlictfeit gerabe auf biefem Batte 
jufammenbridtt, baft er megen Siebftaftld oerftaftet merben fott 
unb fut ber ©efangenfeftaft nur bureft eine jener verborgenen 
Sftüren, bie man in ben Slomanen fo oft fHtbet, entjieften fann. 
©lei^jeitig mit ber ©nteftrung bed Softned oon ©rnft Sitmibt 
fommt auift bie ©nteftrung bed Softned bed ©enerald oon SEBerben 
an ben Sag. Ser leicfttfinnige Sieutenant Ottomar, ber burdt 
ben bitterböfen ©iralbi ju ben foftfpieligjten Kudfcftmeifungen 
oerleitet morben ift, tot SEBetftfel gefälfcftt. Ser alte SBerben 
fdjicft bem Unglüdfiidten feine ©iftolen, bamit biefer felbft bad 
ilrtteil an fidt oottftreie. gerbinanbe Sdfjmibt oerftinbert in* 
beffen, baft Ottomar fi(ft bad Seben nimmt. Sie beiben ©äter 
treffen no<t einmal jufammen, ©eibe ätftjen unter ber Saft ber 
Sctanbe, bie iftre Einher auf fie gelabert taben. Sie Begegnung 
finbet auf bem Satntofe ftatt, — itr Sleifejiel ift badfelbe. 
SBerben, ber feinen Sotn für tobt ftttlt, t«I'9 e 8tod^e 
netmen an bem niettdmürbigen ©erfütrer ©iralbi, ber fidt jeit* 
meilig auf bem SBarnom’fdten ©ute ju Sunbin auftält, unb 
©mft Sctmibt mitt feine Sodtter gerbinanbe auffucten, bie mit 
Ottomar naeft Sunbin geboten ift. SBätrenb bie beiben uti* 
glüdtidten Älten fi^ bem 8«Ic ittrec troftlofen Keife nätern, 
bri^t bie Sturmflutt lod. 

gept ertebt fict ®i^ter ju feiner $öte. @d ift 

munberbar, mit raeliftem fouoeränem ©efeftiefe, mit melcfter 
imponirenben Sidperteit Spieltagen fyex Slffed in ©emegung 
bringt unb in 3»fontmentang mit bem Sturme ber ©lemente. 
Sad madtt itm fo leicftt Seiner nadt! @d getört bureftaud ju 
bem ©eften, mad er je getrieben tot. ©d ift eine ©emalt, 
eine bidtterif^e ©otenj in biefen ©ebilben, bie ben ernfttafteften 
Kefpect tcroudforbert. SBie ein grofter gelbterr leitet Spiel* 
togen feine ÜRaffen. ©r überfiett unb beterrfeftt bad ganje, 
meit audgeftreefte Serrain. 

SBir oerfolgen bad furdptbare Soben unb SBütten bed 
Sturmed in allen ©t a fen. SBir feten feine ©ermüftungen in 
allen Steilen ber und attmätlict motlbefannt gemorbenen Sanb* 
fdfjaft. Sie Scftilberungen finb oon einer feltenen Sctönfteit. 
Unb in biefem Sturme brängt fict Scene an Scene, bie eine 
immer feffelnber ald bie anbere. Stuf ganj natürlidte SBeife 
bringt Spieltagen in biefer einen Sturmedmactt alle ©erfonen 
feined Komaned in ©emegung, fütrt fie jufammen, reiftt fie 
audeinanber, ftraft, rädjjt unb fütnt, — ein Scftöpfer über 
feine ©efiftöpfe! SBer biefe Scftilberungen gelefen tot, ber oer* 
giftt fie nid}t mieber. 

SBie ftimmungdoott ift junädtft bad unteimlicte Brüten bed 
Ungemitterd miebetgegeben, bie graue, fernere Sltmofptäre, bad 
©eängftigenbe unb Srüdenbe, bad in ber Suft liegt, mätrenb 
©Ife, oon unüberminblicter Setnfuctt getrieben, itren ©eliebten 
auffu^t. SBie feftön unb innig ift mätrenb biefer fdtmülen Un* 
betagli^feit bed SBetterd bie BeHommenteit bed jungen SKäbcftend 
gefetilbert! Unb nun mätrenb bed Sturmed felbft ber Kitt 
bed ©rafen ©olm unb ©arlad, itre Begegnung mit bem ©äeftter 
©älip unb ber bleidten SKarie, ber armen Sulberin, bie ©raf 
©olm entetrt tot! Unb Ottomar unb gerbinanbe in bem er* 
bärmticten ©aftftaud, unb ber Sob Ottomard, unb bie ©r* 
morbnng gerbinanbend bureft ben matnfinnig gemorbenen Stntonio, 
unb bie fcftauerlicte gtudjt ©iralbid, unb ber Ueberfatt burdt 
ben SSBatnfinnigen, unb itr graufiged Kingen, unb itr Sob! 

Sttted bad ift erfeftüttemb, bad SBer! eined Sicftterd, einer 
combinatorif^en ©tantafie oon feltener Sraft, einer Sarftettungd* 
fätiglett oon ganj tcroorftectenber ©ebeutung! 

Stil biefe Scftredfen finben in bem Oon Spieltagen ald 
©nbe gebauten ©apitet einen munberootten poetifeften Slb* 
f^luft. Siefer urfprünglidte Sdjluft getört ju bem SItterbeften, 


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74 


Ulte (Segen wart. 


Nr. 5. 


was bie moberne Stomantiieratur geraffen pat. Der ©türm 
pat fiep gelegt, er pat bie ©djulbigen bapingeftredt, unb nun 
macpt fiep wie in ber Statur aucp in ben Snbioibuen bie 5Re= 
action gelteub. Das witbe Reuten ift berftummt, unb bie ©r= 
jäptung Hingt teife jitternb aus, wepmütpig unb rnitb. @8 
fäufett unb ftäftert parmonifcp wie in ben Hccorben ber 
HeotSparfe. 

Dieter fdjötte unb einzig richtige ©<p(u& fepeint aber bei 
ben ßefern, welche bie „©turmflutp" in einer ber japlretcpen 
Leitungen, in benen baS SEBerf pm erften Hbbtud getommen ift, 
getefen, nidjt bie rechte SBürbigung gefunben p paben. gür 
foldje äftpetifcpe geinfüpter muff p gutertept noip einmal ge= 
pörig loSgefepmettert werben mit ©leep unb grojjer Drommet! 
Diefe ßeute »erlangen, baf} pe in iprem Stomane — in iprem! — 
wie bei einem reeptfepaffenen ginate einer italienifepen ©djret= 
o»er rechtzeitig barauf aufmertfam gemalt werben, baff bie 
©efcpidjte nun p ©nbe geht, »erlangen, baff fie mit bent per* 
tömmliepen ©epnebberengbeng abfepliefje. ßegt ber ßefer bie 
Stummer mit bem „©djlup" au8 ber $anb, fo pnbct er, bap 
mandjeS noch nicht ganj in ber Orbnung, bap über biefe8 unb 
jene8 feine Sleugier nicht befriebigt worben ift. 2Ba3 ip benn 
au8 bem geworben, unb au8 bem? Da Wirb un8 etwas unters 
fcplagen! DaS gept nicht! SBir fabelt abonnirt, wir tommen 
nicpt auf unfere ftoften! Der Didjter pat ben SBecpfet, ben er 
burdj öeröffentlicpung feines SlomanS im geuifleton unferec 
3<itung auf »oße ©efriebigung unferer Sleugier acceptirt hat, 
am ©erfaßtage nicht eingelöft! 

Da wirb benn angefragt, was bas p bebeuten pabe; 
unb bie Siebaction erffärt im ©rieffaften: „SBir" paben @piet= 
pagen nichts geftrichen! ©pielpagen pat wapt unb Waprpaftig 
feinen Stoman fo abgefdjloffen! 

„SBir" — unb ©pietpagen! 

©otcpergeftatt wirb baS ©erpättnip beS „SRitarbeiterS" 
pm §errn Stebacteur, bie SRöglicpfeit ber Unterorbnung eines 
Spieltagen unter — was weip icp, öffentlich conPatirt! Db 
ba nicht bem ftoljen ^Dichter baS ©lut p Äopf geftiegen ift, unb 
bie 9töthe beS jornigen Unwillens feine SBange gefärbt pat? 
gür biefe ßeute f(treibt man! Unb fo wie biefe ßeute eS »er= 
langen, foß ber Dicpter, foß ein Spieltagen fcpreiben! Unb er 
foß fich »on bem erften ©eften ben Statt ertpeilen (offen: 

„SBirb Sieles »or ben Hugen abgefponnen, 

@o bap bie Stenge ßatmenb gaffen tann, 

®o pabt 3pr in ber ©reite gleich gewonnen." 

Spieltagen patte mit bem Dicpter beS „gauft" antworten 
foßen: 

„3pt fühlet nicht, wie fdjtedjt ein foldje« hanbwert fei! 

SBie wenig baS bem echten Sflnftirr jiemc. 

Der faabem ^errett Sfuf(perei 

&jt, metT ich, f<h*>n bei ®ucp Stajime." 

Unb Wenn er eS nicht fo podj pätte ttepmen woßen, fo 
hätte er auSnapmSweife einmal bei ben granjofen, »on benen 
man boct mancperlei lernen lann, opne beSpalb friool bis 
< in’S |>erj werben p muffen, in bie ©cpule gepen, patte es 
r . foßen wie bet alte Hlejanber DumaS. Diefer patte 

: v ^euifleton einer ©arifer Leitung irgenb einen 
' '"‘liebt, unb eS war ipm baS Ungtüd 

•■■■■ ■■’ r ' , i ' aläntenb eingefüprt, unb 

■' 1* ?''v f e ber @r= 

pplung „ • •• ~ 

geffen patte, tev ’ . ; . ; wu 

wir meinetpalben Stöger-.. 
würbe nun ®umaS eines XagS*u„. ’ i ä> i n 
Stbonnenten $ur Siebe gefteßt. „SBaS ift o., . 

Sprem Stöger geworben?", fragte man ipn. ,,8lu» .. 
Stöger", entgegnete ®uma8, ber injwif^en fo unb fooiel anbere 
Stomane gefeprieben patte. „Siun, (Roger, bem fugenblidpen 
SBucperer. ©ie fön neu pep gar nidjt beuten, wie ich miep für 
iptt intereffirt pabe, unb wie es mir leib getpau pat, niepts 


mepr »on ipm p pörett!" „Hip fo," »erfepte Dumas, „jept 
weip ich, waS ©ie meinen! — Stöger! S»wopl! S«P pabe 
erft lürjlitp au feinen $errn ©ater geftprieben unb miep naip 
ipm erfunbigt. ©obalb icp Hntwort befomme, werbe icp es 
Spnen mittpeilen, benn bann maepe icp einen neuen Stoman 
batauS." 

Unb DumaS wanbte bem tßäftigen ben Stüden. 

Hnftatt beffen pat ©pielpagen fiep bap bequemt, bem 
©erlangen ber »ereprtiepen Stbonnenten naep einem „befriebigen- 
ben ©cpluffe" beftenS p entfpreepen. @r pat feine ßeiepen 
waprpaftig noep in einem fpäter angepängten ©apitet beftattet 
unb bei ber SeftattungSfeierlicpfeit ©elegenpeit gefudjt unb 
gefunben, fo jiemlicp HßeS grünbtiep aufparbeiten, was noep 
reftirte, fo ziemlich HßeS pübfcp feft p ma^ep, was noep 
etwa in suspenso war. ®r pat fiep baburep »iel »erborben 
unb fann meines (SracptenS gar niepts ©effereS tpun, als baS 
Hnpängfet bei ber näepften Huftage befeitigen unb auf feinen 
urfpdingticpen ©eplufj wieber prüdfommen. @8 fei benn, ba§ 
er eS »orjöge, noep ein jmeiteS ©eplupcapitel pinppfügeu, in 
wetepem auip biejenigen gragen, bie noep immer offen bleiben, 
pr ©efriebigung afler eprfamen 3eitungStefer gefeptoffen Werben. 
Denn man weiff ja noep immer nicht, WaS aus bem ©trife 
geworben ift, »on bem im erften ©anbe fo »iel bie Siebe ift; 
man weiff ja nidjt, ob Greifet fiep erpott unb ©arta fiep er: 
tältet pat u. {. w. 

HßeS, was ich an bem ©piclpagen’fcpen Stomane naep 
meiner Ueberjeugung pabe tabetn mäffen: bie p abfiepttiepe unb 
p ftarfe ©etonung ber 3eit»erpättniffe im erften ©anbe, bie 
fjineinjiepung lebenber ©erfouen in bie biepterifepe ©rfiitbung, 
bie conoentioneße Stomanfigur beS unpeimtiepen SöfewieptS, ber 
unfünftterifepe ©epluff, — HßeS baS fepeint mir auf eine ge* 
meinfame Ouefle prüdgefüprt werben p fönnen, aus ber ber 
Didjter nicht wieber fepöpfen foßte. ©r pat bem ©efepmatf beS 
©ublicumS ©onceffionen gemaept, bie feinem biepterifepen @e= 
fepmad juwiber fein müffen. Da, wo er fiep niept um ben 
ßefer befümmert pat unb nur ben ©ingebungen feines ©eniuS 
gefolgt ift, — in ber $auj)tfacpe alfo, in ber ©epilberung ber 
©turmflutp unb ber ©egebenpeiten, bie mit biefer fcpred(icpen 
Staturerfepeinung in ©erbinbung ftepen, — ba pat ©»ietpagen 
fein grofjeS Datent im peßften ßiepte in biefem neuen SBerfe 
gezeigt. paut iinban. 




| (Ein ^tiffriocismas. 

SBcitn bet SSicnec bie Kegeln ber heutigen Spra^le^re ein fleiit 
wenig bei Seite fdjiebt, um jeinen (SJebanfen mit einer nur tym eigeiu 
t^ümlic^en SBenbung ou^ubrüefen, fo nennt mon ba* ja rooljl einen 
ÄuftriaciÄmu«; Kiemonb aber finbet ben Kudbrud unfe^ön, ja ber Meine 
geiler fann bem Sprecher ganj reijenb fteljn, toie eine Meine Unregel= 
mäfjigfeit einem lieben ®eflc^td^en- Knber« mürbe bag Urt^eil angfaflen, 
wenn bag Oejheic^ert^um gegenüber bem allgemeinen beutfdjen (Sleifte, 
gegenüber ber beutfe^en fiiteratur feinen ^rioatftanbpunft alg einen bc= 
rec^tigten aufrecht galten wollte, wenn ber bon 3)eutfd^lanb politifc^ log; 

I getrennte Deftreic^er aud^ feine Uterarifdje ©efortber^eit nic^t länger alg 
^inen beutfe^en ^rooinjialigmug angefe^eu wijfen wollte, fonbem innere 
fd)mar$gelben ©renjbfü^le ein beutfe^eg literarif^eg Separat: 
s fttxmty* unb Srabliteratur grünten wollte. Unb einem 
" einer folgen (Srünbung ftepen wir Ijeute gegenüber, wenn 
. fdmmtlic^en SBtener blättern bem Slufrufe gu einet Sammlung 
,ac ein — „(BrünsfienausSRonument" begegnen. 3)er „im Kei^ # 
lebenbe Oejtreid^er überbentt bei biefer burc^aug nic^t feberg^aft gemeinten 
Keuiabrgüberrafcbuug bie lebten Sabre ber @efcbi<bte feine# Katerlanbeg, 
um bie gauje Tragweite biefe# geiftigen ißacticularigmug ein {eben 
1 lernen, aber auch ber $$oflbeutj<bc, bec Bürger beg beutjdjcn Keubeg, 


'N 


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Nr. 5. 


75 


® t c Äegtttttari. 


fottte ßupig werben oor einer folgen (Erfcßeinung, beten ßarutlofcS 
Acußere fcßon bureß ben tarnen oerbäcßtig wirb, welker not allen 
Anberen bie Berantwortlicßfcit für baS fragliche ©cßrißßüd übernommen 
hat. Der fiarre ößreicßifcße (Eentralift, bet alte (SinheitSminißer Anton 
Kitter oon Schmerling ift eS, ber im Kamen einiger ©enoffen ju ber 
Sammlung aufforbert. 

Alfo eine Art ©imultanmonument, ein fleinet DenfmalomnibuS foll 
errietet werben. (Einfach oom äßhetifcßen ©tnubpunfte betrautet wäre 
baS gemeinfcßaftlicße Denfmal eine ©efcßmadtlofigleit unb eine literar- 
gefcßicßtlicße Unwahrheit übetbieS. ©eit wann (teilt man bebeutenben 
©enfcben beSßalb ein gcmeinfameS ©onument, weil fie einanber aufädig 
im ßeben naße ftanben, weil ein gemeinfameS drittes ißre Bergleicßung 
anfälliger ©eife geftattet? ©irb man für BiSmard unb $lato eine ge= 
memfcßaßliche Bilbfäule auffteden, weil beibe bei aller (onftiger Ber= 
fcßiebenßeit feßr ßoße, nach rüdwärts fortgefepte ©tirnen batten? ©irb 
man Smmanuel fant unb ben Brinaen (Eugen mit bemfelben Atßern 
nennen, weil beibe ben ©djnupftabaf liebten? Unb nun (ollen auf einmal 
AnaftapuS ©rün unb KifolauS ßenau auf einem gemein(amen ßeießem 
ftein aUegorifirt werben, weil fie ihren ftaffee in bemfelben gtmmer 
nahmen, weil fie mit einanber befreunbet waren, weil ber Ueberlebenbe 
bie Biographie beS Anbern (chrieb, unb weil — baS iß ber Äernpunft! — 
fie ihre beutfc^eit ©erfe innerhalb eines fiänbergebieteS feßrieben, baS in 
ber politifcßen ©eograpßie einen anberen Kamen hat als baS Baterlanb 
©cßiderS. gwei Kamen wegen folcßer Aeußerlicßfeiten unter einen ge^ 
meinfamen #ut bringen ju wollen, ift ein ffeuidetongebanfe, hoch 
geuidetonS werben meßt itt ©tein gehauen. ©rün unb ßenau, — wer 
baS ßeben beS (Einen befchreibt, wirb auch bon bem Anbern (brechen 
müffen, aber wer bie Achtungen beS einen lieft, wirb nicht an ben 
(Eßarafter beS Anbern benfen. KifolauS ßenau ift freilich auch ein 
freiheitlicher dichter, weil er, ber ber ©aßrßeit bis jum ©aßnfinn 
nacßgrübelte, ber bem Urgrunbe feiner eigenen ©ebanfen „wie ein ©pür= 
hunb bem ©umpfgeobgel" nacßfpüTte, auch in ben eroßen politifcßen 
Dingen baS ©aßre traf unb feurig auSfbrach; AnaßaßuS ©rün iß freilich 
auch als dichter ber greißeitSmann, weil feine ©ehnfucht nach ßicht 
unb Freiheit pch in jeber gotm auSfbrach, alfo auch bie poetifeße für 
feine gwede benähte: — fo ip bie unleugbare Berwanbtfcßaß ber Beiben 
nur auf einen einigen Bunft befeßränft, in welchem pch jwei im Uebrigen 
biamentral oerfeßiebene Katuren nach 8*tt unb Umpänben oorübergehenb 
oereinigten. KifolauS ßenau, ber wunberbar melancholifche ßhrifer, ber 
aufädig auch einige gelben ber greißeit oor feinem ©eherblide pajßren 
läßt, naeßbem er feinem innerften Drange gemäß alle perfönlicßen ©e= 
fühle jergrftbelt, jerfafert unb betrauert hat, — unb AnaßaßuS ©rün, 
ber $olitifer, ber poetifc^e ©brechwart eines oorwärtSringenben ©taatS- 
wefenS, ©rün, welcher in ben Raufen feines ÄämpfenS wohl auch ©uße 
fanb, pnnige Berfe aut ßiden greube $u oerbinben, biefe beiben 
©änner *u einer gemeinfamen (Erinnerung oereinigt — eS ift wirflich 
gefchntadloS, mögen auch noc^ fo feine ftöpfe betg ©ebanfen augeftimmt 
haben, ©ohl pehen unter bem Aufrufe auch *>ie Kamen ©buarb oon 
Bauernfelb unb 3ohanneS Korbmann, bie imbonirenb genug pnb, um 
ein oon ihnen gutgeheißenes Unternehmen emßhaft au prüfen, trophein 
ftch auch ßubwig Auguß grantl unter ben (Entrepreneurs bepnbet. Ober 
jollte bie Anwefenßeit biefeS einen ©anneS fchon hiureichen, um eine 
ganae Berfammlung geiftooder ßeute ohne ©efeßmad urtheilen au laßen? 

Bor eine recht ergöplicße Aufgabe wäre ber benfenbe Zünftler ge= 
pellt, welcher bie Bereinigung ber beiben Dichter in ©tein auSauführen 
hätte, ©ollen bie beiben greunbe auf bem ©onumente an einem gemein; 
famen imitirten ©armortifeßeßen fchtoaracn Äaffee fchlürfen? Ober foHte 
©rün bargepellt werben, wie er ßenauS gefammelte ©erfe hciauSgibt? 
3>ic iüuprirten ©ihblätter werben (ich beS (UegenftanbeS hoffcntli^ be= 
mächtigen. 

$a bie Slnpcht eines nüchternen gremtbeS, als wären bie ©iener 
bntch bie fchlecßten ßeiten geawungen, wohlfeil au bauen unb auf je 
gtoei Berühmtheiten nur einen ©tein fommen au laßen, fdjwerlicb autrifft, 
fo wirb man benn hoch auf ein uneingeftanbeneS Ktotio aurüdgreifen 
fönnen, um bie fonberbare Kbpcht a u erfläreit. @S ift ba§ öpreichifche 
Streberthum, bie Partei ber „wahrhapen Oeftreicher^, bie feit einiger 
8*it ihre Sfinger auch oon einem ©ebiete nicht taffen will, baS unter 
f>eutf<hen hoch wohl enblicß als gemeinfame Angelegenheit anerfannt 
»erben fottte; Äunp, ßiteratur mtb ©ißenfehaft muß unb wirb unantaß: 
bares ©emeingut bleiben, unb wer baran hoch a u laßen wagt, ber 


i 


i 


hanbelt nicht mehr oor bem gorunt feiner ©tabtgenoffen, ber muß oor 
einem größeren publicum aur Kechenfchaft geaogen werben. 

Ü)ie Begrüubung, welche im Aufrufe, für bie ©emeinfamfeit eines 
2)enfmateS gegeben wirb, läßt über bie Abßdjt feinen Sweifel. ,^Jm 
ßeben wie in ber ßiterater pnb bie «ößreichifeßen S)ioSfuten» 
KifolauS ßenau unb AnapaßuS ©rün gleichen bichterifchen wie freißeit^ 
liehen ©chritteS neben einanber gewanbelt.^ ©o heißt eS in bem Auf? 
rufe unb baS ©ort „bftreiehifthe SJioSfuren^ wirb fo harmlos in bie 
©eit eingefchmuggett, als ob mit biefem einen ffeberauge nicht ein Abfall 
oon ber gemeinfamen BilbungSbapS, eine Berleugnung ber beiben großen 
wirtlichen DioSfuren oollaogen würbe. Bisher wenigpenS waren ©chiHer 
unb ©oethe bie DioSfuren für alle Xeutfcßen, mochten biefeiben bie 
alljährliche ©dpderfeier in ©ien ober in Berlin ober in Kew4)rleanS 
begehen; jeßt habefi ber SWhtiper Schmerling unb ber Ketrologe ßubwig 
Auguß granfl bie großen Dichterheroen wegbecretirt, wie ber franaöpfche 
(Eonoent baS Dafein ©otteS, unb auf ben erhabenen %f)ton ber beiben 
©eifter fteHen ße bie ßanbeSfinber, unb Werben pch pcherlich herüber 
wunbent, wenn man awifchen $iebeßal unb Statuen oergebenS nach 
einem Berhältniße fucht. Dies ift aber baS ©chlimmfte an folgen perio; 
bifchen AuSbrü^en eines übel angebrachten ößreichifcfjen BarticulariSmuS, 
baß ben bebeutenben SKenfcßen, Welche ba au einer übertriebenen Be= 
beutung hinaufgefeßraubt werben foden, ein Unrecßt augefügt wirb, ßenau 
unb ©rün, beibe erfeßemen Heiner, wenn man pe unnötßiger ©eife mit 
ben großen DioSfuren in Bergleicßung bringt, ©o werben ßtroorragenbe 
©eifter oßne Kotß bureß ben Uebereifer ißrer greunbe ß^abgefeßt, unb 
was pcß bei bem großartig in ©eene gefefeten ©riüparaercultuS oor 
wenigen 3aßren ereignete, baS wieberholt Pcß aueß ßiw: man folgt au 
willig bem Anfloß, ber noch baau oon fünftlerifcß analpßobeten Greifen 
au pammen pßegt, compromittirt bamit bie ©efeierten unb reiat aunt 
©iberfprueß. 

Draurig aber ift eS, baß biefelben ßeute, welche bei unaäßUgen 
Banfetten bie geiftige Sufammengehörigfeit OeßreicßS unb DeutfcßlanbS 
feiern, welcße auf biefe Bufammengeßörigfeit ißre ©läfer leeren, ob bie= 
biefelben nun BöSlauer ober KübeSßeimer enthalten, bie Stimmung ber 
geßtage fo halb oergeßen, um wenige SKonate nach einer ©rünfeicr bie 
pcß au einem beutftßen ffeße gepaltete, benfelben AnaftaßuS ©rün mit 
einer beinahe antibeutfeßen Demonpration au feiern. 

ifrifo IHauthner. 


Jiit$ bet 

Die Conrorren^ für Me Denkmäler bet (Kebräber 
Inmbolbt. 

DaS Sntereffe ber Zünftler unb beS gebilbeten BublicumS unferer 
KeicßShauptßabt ift augenblidlicß lebßaft in Anfprucß genommen bureß 
bie AuSpeHung ber ©fiaacn au einem Denfmol für bie Brüber $>umbolbt. 
Die AuSfteHung iß nicht nur bemerfenSWertß in ^tnpcßt auf baS un= 
aweifelßaft große fünßterifcße Kefultat unb bie ©cßönßeit einaelner Arbeiten, 
fonbem auch in ßoßem ©rabe cßarafteripifcß für bie Art unb ©eife, in 
welcher oon maßgebenber ©teile aus bie $unßpßege in unferem Staate 
geßanbßabt wirb. Sie gibt in oodßem Ktaße Anregung au ber ffrage, 
ob unfere monumentale Ihmp nach feften unb richtigen B^iucipien ge= 
leitet unb geförbert wirb, eine ^ßßießt, ber pcß ber Staat, auf biefem 
©ebiet ber einige Beßeßer, nießt entaießen barf. Die AuSpedung ßat 
mit Küdpcßt auf bie Sntentionen, welcße ber (Eoncurrena a u ©runbe 
lagen, ein entfeßieben negatioeS Kefultat geßabt, infofem als bie beßeu 
Arbeiten biefen Intentionen nießt entfpreeßen unb unbefümmert um baS 
gegebene Programm rein fünplerifcßen Brincipien folgen. SKancße tücßtige 
Arbeit aber iß gefeßeitert an ber ftriffen Befolgung oon Borfcßrifteu, 
Welche ber (Erßnbung geßeln anlegten unb bie Bßantape in unaerreiß^ 
bare Banben einfeßnürten. $ätte nur über biefer ©aeße ein unglüd^ 
licßer Stern gefeßwebt, — man fönnte pcß barüber trößen. Seiber haben 
wir aber ßetS baS Unglüd, baß bie Beßrebungen, unfere Äaiferftgbt ißrer 
Bebeutung entfprecßenb mit ©omimenten ber bilbenbeu Äünße au feßmüden, 


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76 


Hi t <& t#tn matt 


Nr. 5. 


fic^ im Sanbe berlaufen, ober nur berlümmert ©erwirllicpung finben. 
Kir erinnern an bie begrabenen ©rojecte, welche un« einen ©om unb 
ein ©artamentöpau« geben joden, berweifen auf manche« Gebäube, ba« 
Staat unb Stabt errieten liegen unb welche«, angatt monumental &u 
fern, pöcpgen« bem trodenen ©ebürfnig genügt. ©tandje Gelegenheit ift 
auf biefe Keife oerpagt, manche« ©rooiforium mit grogen Äogen ge* 
fcpagen, ohne wefentlicpen Wupen für unjere ftung unb Shmginbugrie. 
#äugg fcpeint ber Sufafl ober bie Wanggufe bie §änbe §u begimmen, 
beiten groge Aufgaben anbertraut werben. Unb hoch Keflt manche tüchtige 
Äraft brach ober tommt nicht in entfprechenber Keife zur ©erwenbung. 

Kir geben zu, bag mir auf bem Gebiet ber ©ilbhauerlung, fotoeit 
ge Anteil hat u» ben Schmucf unferer ©läpe unb Stragen, beffer be* 
gehen lönnen, als auf bem ber Scpwegerlung, ber Arcpiteltur. Kir 
begpen eine Weihe ©fceigerwerle, bom Weiterbilb be« grogen Äurfürgen 
bid jur Schillergruppe unfere« Weinharb ©ega«. ©löge weniggen« pier 
leine Aenberung zum Schwächeren ©lap greifen. 

©ton hat für bie $umbotbtbenhnäler ein ©rogratnm mit genauen 
©orfcpriften aufgegeHt, tote bie Statuen befchagen fein foden. Sie follen 
gehen in ber glucht be« Gitter« bor ber Uniberfitfit $u beiben Seiten 
be« ©ortal«; ferner in Harmonie fein mit ben benachbarten Statuen bon 
©ülow nnb Scharnhorg; e« foden gpenbe ober gehenbe giguren fein, bie am 
Sode! nur Weliegchmud haben. ©ton hat fünf feiger unter Suficperung 
eine« Honorar« jur Gtnfenbung bon Stilen aufgeforbert. ©te Au«* 
erwählten waren $1. Kolff, Agngcr, Weinharb ©ega«, Gnde unb Schaper, 
boch lonnten auch anbere Äüngler geh betheiligen. ©er Ginlaburtfc haben 
auger ben Genannten elf Äüngler golge geleiftet. 

©ie au«geftedten Arbeiten beweifeit jum ©peil fchlagenb, toie falfch 
e« War, burch genaue ©orfcpriften bon bornherein eine gewiffe Uniformität 
errieten §u tooden. ©ie adju peinliche Wüdficht«nahme auf bie Umgebung 
ift für biete eine stippe getoorben, an ber bie lüngterifche Äraft fepeitern 
mugte. Sin erger Stede mügen Wir für ein eigentliche« ©tonument, 
weldje« bodh nicht nur ben ©tonn ehren fod; bem e« gefept wirb, fonbern 
öorzug«wetfc einen lüngterifchen Sdjmud ber Stabt geben fod, bertangen, 
bag ba«fetbe origtned gebacht unb fünglerifch empfunben fei. 

liefen Attforberungen entfprechen aber nur bie Arbeiten zweier 
ftüngter, bie geh beibe ben gorberungen be« Programm« entzogen unb 
ihren eigenen Keg gingen, bie geh bamit aber bem gewöhnlichen Ufu« 
nach hors conconrs fepten: Weinharb ©ega« ift ber (Sine, $unbrieger 
mit feiner Gruppe, beibe ©rüber auf gemeinfamen ©ogament, ber Anbere. 

©ega« geht bon ber ©orträtgatue bodgftnbig ab, gibt aber jebem 
ber ©rüber ein felbftgänbige« ©tonument. ©ie ©ügen gehen auf Sodetn 
quabrater Grunbform, begleitet bon je einer gehenben gigur, — bei 
Alejranbet eine jugenbtiche ©täbcpengegalt, welche bem Raupte be« Ge= 
feierten einen ftran$ aufbrüdt, bei Kithetm ein güngling mit einer 
gadel, — am guge ber ©oftamente gpenbe Weibliche giguren bertieg in 
©uch unb Scprifttafel. ©reite pope stufen vermitteln ben Uebergang 
Zum ©oben. G« gnb ©teigerwerle erften Wange«, ibeat unb frifch in 
ber Auffaffung, bodenbet in ber gorm. ©or ihnen wirb bem ©efepauer 
Har, wie jehr biefe Gegattung«weife ber ©orträtgatue oorzuziepen ig 
bei ©enlntälero für ©Wnner ber Kigenfchag, beren ©ebeutung nicht in 
einer einzelnen grogen ©pat, bie ge betrübtet, liegt, fonbern bie Ge= 
fammtfumme ihre« ganzen Sehen« ift. Auf ba« Gtüdlichge wirb bie 
Oual nmgangen, welche bie Gntfcpeibung über ba« Alter ober bie momen* 
tane ©pätigleit«äugerung notgwenbig mit geh bringt. 

Angeficpt« biefer neuen poepbebeutenben Seiftungen bon W. ©ega« 
hoffen* toir, bag bie gurp, welche bie Gntfcpeibung in biefer Sache zu 
füfien hat, wenn möglich, geh über bie burch ba« ©rogantm gezogene 
Grenzen pinwegfepe unb biefelbe nach ihrem füngterifchen Kerthe in 
GrWftgung «iepe. Wur mit ©etrübnig würben wir wieber eine Gelegen* 
peit pinfehmfitben fepen, Welche fidh für eine öffentliche ©ettjätigung be« 
füngier« «ur ©erfchönerung unferer Stabt bietet, ©ega« nimmt unbe* 
ftritten unter unfern ©ilbpauem bie erfte Stede ein. gebe 2tu«gedung 
eine« neuen Kerle« bon ihm betpätigt bie« auf« Weue. Um fo auf' 
fadenber unb bebauern«toerther ift e«, ihn get« übergangen p fehen, 
wenn e« bie ©egedung ögentticher ©eitfmäler gilt, währenb manche 
leichter wiegenbe Äraft mit Aufgaben überhäug ig. 

^unbrieger hat geh mit feiner Arbeit at« ein latent ergen Wange« 
erwiefen. Gr entfernt geh no$ mehr bon ben Grunbfäpen be« ©ro? 
gramrn«, inbem er beiben ©rübern at« Gruppe, SCteganber gehenb, Kil= 
heim gpenb, ein gemetnfame« ©ogament gibt, ©ortreglich gelög ig bie 


, Schwierigleit, $wei giguren auf einen quabraten Sodet unter$ubringen, 
j ohne ber Stedung etwa« Gezwungene« zu geben. So bortregtich bie 
I giguren in ihrer Stedung tu einanber gelungen gnb, ba« gnterege be« 
: ©efdjauer« wirb mehr noch burch bie originede Geftaltung be« Sodet« 

' in Slnfpruch genommen. $erfetbe geigt auf breiter ©afi« auf; an benGden 
j bcrmitteln reizenbe ©utten mit ben Attributen ber Kiffenfchaft ben Ueber= 
gang bon ben Stufen. An ben hier Seiten gpen bor ben nifchcnartigcn 
gtä^en be« eigentlichen ©ogament« weibliche giguren, ©orgedungen ber 
! hier Ketttheite. 3)a« ©ogament felbg ig reich gejehwungen mit be¬ 
it wegten Äarpatiben geziert, beren Äleibung ber ©argedung ber ephegfehen 
, S)iana entnommen ig. ©a« Ganze Hingt bortregtich zufammen, bie 
Ginzelheiten finb zwar flizzenpaft aber mtt groger grifepe unb Sieben«- 
I würbigfeit behanbelt. 

Kenn bie Arbeit fcunbrieger« Au«ficht hätte, fo würbe ihre Stedung 
in ber Age be« $aupteingange« ber Unibergtät in ber ©litte be« Garten« 
anzunehmen fein. 

Unter ben übrigen Arbeiten, Welche fich ftreng an bie ©orfeprigen 
be« ©rogramm« gehalten haben, finb nur einige h^borzuheben, welche 
für ba« Xalent unb bie Geftattung«frag iprer ©erfager rühmenbe« 
Seugnig abtegen unb befunbeu, bag lepteren ein begerer Kurf gelungen 
wäre, patten fie freier fdjagen lönnen. 

grip Schaper’« ftpenbe giguren geben Atejariber jugenblich begeigert, 
Kithetm in ruhiger Gattung. Sie finb ungemein fertige Arbeiten, bor- 
treglich im Safammenllang mit bem Sodel, leiber etwa« troden. ©och 
hat man bie Gmpgnbung, fie lönnten unmittelbar au« ber Slizze in bic 
Au«führung übergehen unb würben unter ©enlmälern berühmter ©länner 
immerhin einen ehrenboden Wang cinnehmen. 

§unbrieger hat gteiepfad« zwei fipenbe giguren geliefert. Aleganbcr 
ift zu unruhig unb gefuept, KUpelm bagegeu ganz bortregtiep in ferner 
bornepmen Haltung au«gefaden. ©hifterpaft ig bie ©roglirung ber in 
ber ©orberangept leiber etwa« fcpmalen Sodet. 

Gnde« Arbeiten geden bie ©rüber auep gpenb bar unb «eigen wopl ba« 
©alent be« Urpeber«, boep ig bie Gattung «u tägig unb bequem in beit 
Segeln «urüdgetegt, um bem Gparalter ber $umbotbt« «u entfpreepen. 

©on Otto au« Wom ig- eine Slizze Kitpelm« eingefanbt, bie in 
pöcpgem Grabe genial gemacht aber etwa« «u allgemein gepalten ift. 
©ie ©ecpnil ber gigur ift borzüglicp, auch finb bie Welief« am Sodet 
fepr reizenb in ber ©epanblung. 

A. Kolg pat zwei oerfepiebene Auffaffungen unb fünf Süzzen ein* 
gefanbt, ftepenb unb fipenb, unb eine ©ariante ber ftepenben gigur 
Aleganber«. Wicpt befonber« anmutpenb ift ber Gebanle, ben runben 
Sodet ber Statue griebriep Kilpelm« III. oon ©rate mit umlaufenben 
Welief« neu aufzulegen. 

©a Wir eine Äritil jeber einzelnen Arbeit niept at« in ber ©enben« 
biefe« ©latte« liegenb anfepen lönnen, fo begnügen wir un« mit ber 
Grwäpnung ber begen Arbeiten, wenn wir auch anertennen, bag unter 
ben übrigen uoep manche tüchtige unb geigige Seigung ift. 

Ktr fcpliegen mit bem Kunfcpe, bag man bei ber Kapt be« füngier« 
nur naep tünglerifcpen GcftcpUpunlten oerfapre, auf bag biefe Gelegenheit 
benupt werbe, un« mit einem &unftwert «u bereichern, ba« niept nur ein 
Gebentzeicpen ber grogen ©tänner fei, fonbern ein Kadfaprt«ort werbe, 
an bem geber tünglerifcpen Genug unb biejenige über ba« Gewöhnliche 
erpebenbe greube pabe, bie ba« Anfcpauen einer grogen Äunft aden 
guten ©lenfcpen gewährt. 

Architeclus. 


Itotiien. 


®ie Bedienungen ju granfreidj toäntenb bet lebten 3«it woteu 
nic^t feilt gänjiiß. @o betfi$ern toenigftenS einige geitungen, bie gern 
bie gonge ißreffe ju einet ©intercampagne gegen bie $atifet 3ourua= 
liften oufgeboien hätten. ®ie treffe toer^tett ft<b inbeffen fdimeigenb, 
«nenn nidjt obtoenrenb. Solontaitd uoHten fi^ ni^t melben unb bie 
allgemeine 3BeI)tpfli$t ift in folgen Säßen nodj nic^t in auSteii^enbem 
3Ra|e butc^gefülitt. Sie pubticiftifcbe SiScipUn namentlich lägt trog 
einiget unbetlennbatet Sortfdfritte noä) öiel gu mflnfeben übrig. 
bie Haltung bet ©ocbentbronil in biefen Blättern gu jenem Streit an- 


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Nr. 5. 


Hi t <8>t$tn m*rt 


77 


0ept, fo mirb ber unbefangene gefer bie bisher beobachtete Keferbe be* I Sap Antoneffi in Sonnino, einem gelfennep an bet neapotttanifchen 
greiflich pnben. ©ir fepreden not einer gelegentlichen ©oletnü mit ben j %t enze, geboren, ift afferbingS richtig; nicht aber bie ©epauptung, er 


frcmjöfifchen ©offegen nicht jurücf, taffen fie un$ vielmehr als Unter« 
brechung beS Alltagslebens Ipu unb mieber ganz gern gefallen. Auch 
toenn auf ©ommanbo borgegangen merben foff, haben toir (eine grunb« 
fäplicpe Abneigung gegen bie HeereSfotge, aber mohlberpanben unter 
einer ©ebingung. ©ir mürben nämlich eine gemiffe Garantie borauS* 
fepen, bap, menn mir patriotifcp mitfechten, bieS nicht nach einiger Seit, 
menn bet Ktoment ber Abrüftung eintritt, als unruhftiftenb, ungehörig 
unb unpatriotifcp getabett metbe. geute, bie meniger borpeptig futb, 
foffen berartige Malheurs erlebt haben. Kdfenbe moffen übrigens miffen, 
eS laffe fich in ©aris, menn man nicht gerabe im ©afä ober in einem 
ber feinen KeftaurantS auf ben ©oulebarbs plöplicp mit lauter Stimme 
bie ©acht am zu fingen anfange, noch immer leiblich ejripiren. 
Sie granzofen finb natürlich über bie ©ahlen im ©Ifap, melche fie fich 
anberS borgepefft hatten, etmaS berfHmmt. Safür rebanepiren fie fich 
burch allerlei ©Hoffen über unfere ©ahlen, ben ungeheuren SÄiperfolg 
ber KationaUiberalen, melchen fie fich als Kieberlage ber Regierung bor« 
fteffen, enblich bie focialiftifche Sünbftutp, mit ber ja einheimifebe ©lätter 
ben Teufel erfchrecflich genug an bie ©anb gemalt hatten. Sie Soda« 
liften müjfen afferbingS feit ihrer tepten Ueberrumpelung jmeier ©erliner 
©ohlfreife im Auge behalten merben. ©iSper mürben fte ignorirt. ©S 
gibt zahlreiche Staatsbürger, bie, menn fie nicht etma ben Reichstag 
befuchen, in ihrem ganzen geben einen mirflichen Socialiften faum je« 
malS zu ©epept befommen haben. Sie bon jenen Herren rebigirten 
©lätter zu pubiren, rnirb man ohnehin Kiemanbem zumuthen. Abgefehen 
babon, baß baburch bie foctalipifdhe ©ropaganba in ber gamilie, ja bei 
bem bienenben ©erfonal geförbert mürbe, märe es auch dne fchmere 
Aufgabe, neben fo bieten anberen Seitungen auch noch rabicaten Unfinn 
tefen zu müffen. SDie Ultras zur ginfen foffen fich, toie glaubmürbige 
©erfonen berftchem, mit ©ortiebe in patpetifepen ©enbnngen ergehen, 
©ir haben inzmifchen beS ©atpoS in ber ©otitit, baS in ber Kegel ben 
Klangel an ©ebanfen berbeeft, fchon anbermeitig übergenug. JKicptS 
leichter als poeptönenbe Säpe mit AuSrufungSzeicpen zu fcprdben, bie 
ben ©inbrud machen, als ob ber Autor fleh bie ©rzeugniffe feiner geber 
mohlgefäflig felber borbectamirte. ©d biefen ©robucten dner gemiffen 
Schule geht aber ber gefunbe Ktenfcpenberpanb burchmeg in bie ©rüche. 
3ournalipen, bie zum gtopen ©ublicum fprechen, follten am menigpen 
fcheffentaute Sporen fdn unb fich möglicpper ©infachhdt im AuSbrucf 
befleißigen. SaS ©atpoS macht bie ©reffe bieSfdtS ber ©ogefen, melier 
bon ihren gdnben eine gemiffe ©intönigleit borgemorfen mirb, oft gerabezu 
unlesbar. Somie gemiffe ©lätter einen Strohmann haben, ber bei ©er« 
urtpeilungen in ©repproceffen für ben Kebacteur fipen mup, möchte fich 
mandjer Abonnent einen fold)en Steffbertretcr bon Stroh münfehen, ber 
bie Seitung lefen müpte. ©er hat nicht in feinem geben bon einem 
Keger geträumt, ber affe gropen unb (leinen Ktüpfalen beS gebenS über« 
nehmen müpte. Auf ber Kdfe mürbe er bie Äoffer paden, zu Haufe 
unangenehme ©efuche empfangen, in ©efefffepap ober in ©oncerten fcplecpte 
Klufit hören unb maS ber guten Sienfte mehr mären, gür einen folcpen 
(leinen Kigger mürbe gemip Srbermann gern eine preismürbige Summe 
Zahlen, unb hoppelt fo biet, menn berfetbe uns ber SRüpe, jeben Sag 
fo unb fobiet geitartitel, fatfepe Katpricpten unb baran ge!nuppe ©e« 
traeptungen zu lefen, überheben moffte. Socp finb baS fromme ©ünfepe, 
bie fich pienieben nicht fobalb bermirdiepen merben. ©ir müffen bie 
orientalifche grage mit ihren ©onfequenzen, bie ©echfetfälle beS ©ultur« 
fantpfeS, z e hnmal mieberholte Hammerreben unb tägliche politifch fein 
foffenbe Keclamen als bie golgen unferer mobernen ©itbungSpufe be« 
trachten unb gebulbig über uns ergehen taffen, ©emip mit Kecpt bemerke 
ein erfahrener ©nglänber, baS geben märe fchon erträglich, menn nur 
nicht bie ©ergnügungen mären. Sicfe finb inbeffen unbemtetblich, unb 
fo mirb man moht auch bie S^iungStectüre zu ben bon bem irbifdjen 
Safein unzertrennlichen Annehmlichleiten rechnen bürfen. 


Hoch einmal Siaramo SCutoneUt. 

Set in Kr. 48 ©b. X ber „©egenmart" bon $enn ©arl SRüffer 
nerfapte Artifel über ben (ürzlich berftorbenen ©arbhtal Antoneffi enthält 
fo biete unb fo grobe UnrichtigTeiten, bap ich niept umhin lann, ihn einer 
iRicptigpeffnng zu miirbigen. 1 


! habe in pöcpp armfetigen ©erhältniffen baS Sicht ber ©ett erbtidt. ©enn 
; über fdnen erpen gebenSjahren auch ein gepdmnipbofleS Sunfel liegt, 
fo ift burch bie gorfepungen ©rof. Dr. ©ennareffiS, ©iancpi«©iobiniS k. 

| boep zur ©enüge fepgeftefft, bap pch feine ©Item fchon früh dneS auper« 
orbentlichen ©ohlpanbeS erfreuten. ®S erhellt bieS auch Phon aus ber 
| Spatfacpe, bap biefetben ihren ftinbem ein ©aarbermögen bon beinahe 
200,000 gire pinterliepen. Sie Häuptlingfcpaft in ben ©etgen bon 
Sonnino, ein ©rbthdt ihrer gamilie, marf ja genug ab. Somit ift 
: auch bie SKüfferfcpe Anführung, Somenico Antoneffi fei dn Holzhauer 
| gemefen, halb unb halb mibertegt. ©ie miff er biefe (ühne ©epauptung, 
i bie bem gefer hoch einen gmnbfalfchen ©egriff beibringt, bemeifeu? 
j Somenico gab fich, tuie ich aus bem ziemlich zuberläfpgen ©eri<ht ©iobiniS 
entnehme, afferbingS zu gemiffen Seiten für etmaS anbereS aus, als er 
I tpatfäcplich mar. Kämtidj für einen ©iehh^nbler. Siefe ©orfpiegetung 
mar bie SRaSle, hiuter melcher er fdne hö^P einträglichen ©rmerbS« 

| quellen zu berfteden fuchte. Affe feine ©iographen, barunter SRänner 
: mie ©rof. ©ennarelli, Kormann« Schumann, ©entini k., pimmen barin 
j überein, bap er dn überaus berüchtigter nnb affgemdn gefürchteter 
i ©ioccaro*) gemefen ip, (dner bon ihnen aber hat pch ertaubt, über 
| fein geben fo bepimmte uub fo ungenügenb betbürgte ©ehauptungen 
aufzufteffen, mie obengenannter ©erfaffer. ©r mar übrigens nicht ein 
! Spion, nicht ein ©umpan feiner ©knoffen, ndn, er mar urfprünglidj 
; fetbp dn ©rigant, nnb zmar in ber fchtimmpen ©ebeutung beS ©orteS. 

; ©r blieb eS bis zu ber Seit, als goachim HRurat anpng, in Keapel 
rdnen Xifch z u machen, ©iiobini behauptet in feinem Quadro della 
Corte di Roma, er märe bereits zur ©erlina berbammt gemefen, als 
er ben heimatlichen ©oben noch rechtzeitig berliep unb fleh in Serracina 
anfauffe. 

2)ap er bort Kornhänbler gemefen fein foff, ift eine nicht rninber 
fehlest erfonnene gäbet, mie bie bon ber frommen Sutberin gofetta 
| SRancini, bon ber man in Sonnino nichts meip. Somenico betbiente 
bie ©ezeichnung Äornhänbler nicht mehr unb nicht meniger, mie jeber 
norbbeutfehe ©tutsbeffper, benn er mupte fich öoeh fdneS ©rnteertragS 
burch ©erlauf entlebigen. 3u bem ©trunbbuch bon Serradna, baS ich 
< fetbp etnfah, ip er als possessore, baS h^ipt als ©efiper dneS anfepn« 
liehen SanbgutS aufgeführt. Koch Pärler ip ber 3rrthum betreffs ber 
©rhebung in ben ©rafenftanb, bie 18dl erfolgt fein foff. ©eher in 
Korn, noch in Sonnino unb Serracina mdp man bon dner berartigen 
^Rangerhöhung. Kicht einmal ber (Srabftein SomenicoS beutet eine 
! fotdje an. 

| ©benfo zu>eifethap fd^dnt mir $errn SRüfferS $inmeiS auf baS 
j ©ilbnip dneS früheren ©arbinal, KamenS Antoneffi. ©S ift hoch mopl 
i nur dne ironifche Anfpietung auf bie Abtunft gemiffer ©urpurträger, 

! ohne jeben hiporifchen ©erth. ©enn fein Ardjib, (ein Socument, (ein 
©iefchichtsfchreiber meip etmaS bon dner ©minenz, bie Antoneffi gepeipen 
hätte. Ser ©ericht ift, mie ber ©erfaffer ganz richtig fagt, nid^ts meüer 
als eine gegenbe, bie übrigens märtifchen UrfprungS fein bürfte. Sie 
dingt etmaS zu romantifch, um geglaubt merben zu fönnen. 

©. SRütler behauptet ferner, ©Hacomo Antoneffi hdtte „mit ben 
bärtigen Klännem ein menig geräubert", ohne zu ermägen, bap bieS 
fchon in chronologifcher ipinpeht unmöglich ber gaff gemefen fdn (ann. 
Somenico gab im 3 a h™ 1811 *>a$ ©anbitenhanbmerf gänzlich auf. 
Ktithin mar fein Sohn bamatS (aum fechS 3®hre alt. ©S gehört aller« 
bingS dne mehr als lebhafte ©hantape bazu, fich ein unmünbigeS Äinb 
als ©riganten borfteffen zu moffen. 

AIS ©Hacomo nach in’S Seminar ging, badete er fchmertich 
baran, bie „niebere Sia(onen=©arriöre ,/ — mie ©. ©Hitler Pch ans* 
brüdt — einzufchlagen. ©efanndich mar Korn dn ©rieperftaat, in 
melchem eS meniger auf miffenphafttiche ©ilbung, mie auf ©erfeptagen« 
pdt anfam. Unb teptere befap ber angepenbe ©teriler gerabe genug, 
©ozu brauchte er fiep atfo mit fo befepdbenen Hoffnungen zu tragen? 
©rof. ©ennarefft, ber ipn bon 3ugenb auf (annte, ber als erper Abbocat 
ber ©nrie täglich utit ipm in ©eziepung (am, behauptet in feinen Osser- 
yazione storiche gerabe baS ©Segentpdt. ©r fagt, Antoneffi (am mit 

*) 3» Italien nannte man bie ©riganten bon Sonnino furzmeg 
©ioccari, dne ©ezeiepnung, bie bon ben eigenartig geformten Sanbalen, 
bie fie trugen, h*rrflh rte - 


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78 


Ute <5*g*tu0art 


Nr, 5, 


bent SBunfSe naS Want, bereinft bie h^SP ** 1 Krc^ü^cn ©hrenfteüen ! 
einjune^mcit. Unb er mug in biefer gingst mohl ungleich beffer unter¬ 
richtet fein, als ein märfifdjer Wagot. ©)er ©ap: „Antoneüi befugte nie 
eine Unioergtät", Hingt im $inblicf auf bie italienifc^cn Werhältniffe 
gerabeju naio. #err SRüfler füllte migen, bag baS römifSe ©eminar, 
in bem Antoneüi gebilbet mürbe, einer folgen WilbungSangalt burS= 
aus entfpriSt. 

$ag ©aetano SRerrone ein Sanbömann ©r. ©mütenj gemefen, ift 
mir ooÜftänbig neu. ©ooiel ich meig, flammte er auS Weapel. SDaS; 
fetbe fagt auch ©ennareüi in feinen Offeroasione. $)en langjährigen 
Aufenthalt AutoneüiS in ÜRacerata unb Witerbo, feine Abenteuer bort- 
felbft unb fein Werljältnig jum ©arbinal SambruSSini hat §err Füller 
auffaüenbermetfe gar nicht ermähnt. Seiber fehlt eS h* er an Waum, um 
barauf näher entgehen. Wicht einmal bie S)aten, bie ber Werfafier über 
fein AeugereS auffteüt, finb mahrheitSgetreu. Antoneüi mar nach ©enna= 
reüi'S Anführung in, ber 3ugenb leiSenblag, unb niSt fSma^braun, 
mie ©. SRütter ihn ftch benft. ©r oerfah im 3ahre 1846 auch nicht 
bie $ienfte eine« ©eneralfSapmeigerS, fonbern bie eines jmeiten ©Sag* 
meiperS, rnaS mohl 5« beachten ift. 

SBenn ©. SRüüerS Auslegungen über baS moralifche Seben beS 
©arbinalS auch nur annähernb oerbürgt mären, fo mügte Antouetti ein 
Sügling, noch fchUmmer als Alejanber VI. gemefen fein. 2)ag er nicht 
gerabe ein IRuger bon ^eufchheit mar, baS erhellt auS bem ©fanbal mit 
ber ©omteffe Sauri, bie ber Werfager munberlicher SSeife ©lerici nennt. 
5)ag er ieboch bis auf feine alten £age ein SBüglingSleben geführt hat, 
baS behauptet nicht einmal fein Xobfeinb WianSi^ioOint. $>0511 mar 
er auch t>iel ju hägliS- Sn ben legten gahren feines meSfefooÜen SebenS 
fofettirte er mit anbern, ungleich mistigeren Gingen, als mit SBeibern. 

©erabeju falfS ift eS, wenn ©. SRütter ben ftleig unb bie Um= 
ficht AntoneQiS als Wrägbent ber ©onfulta rühmt. WefanntliS hat er 
fid) nie pöbelhafter unb unmürbiger benommen, als gerabe bamalS, mo 
er bem AnfSeine naS mit ber ©öttin SibertaS fofettirte, in SBahrheit 
aber $io IX. aufrei^te, ber nationalen ©trömung einen $amm entgegen; 
3 ufegen. ©r mar in ber £ljat geigig, menn eS galt, bie bon ihm felbft 
gefSaffene unb befdjroorene Werfagung $u untergraben, um bie SRämter, 
bie er feine fjreunbe nannte, ju ftürjen unb ber Weaction jum Xriumph 
3 u berhelfen. 

S)aS Attentat auf ihn befSränft fiS auf ben Angriff eines ©eifteS* 
fvanfen, ber mit einer ©abel — nicht mit einem $ol<he — auf ben 
©arbinal loSging. 3>er UnglüdüSe mürbe beShalb §um $obe berurtheilt. 
Sion einem ameiten SRorbanfaÜ ift im ©üben nichts betannt. 

©raf b. SRerobe foU naS & SRütterS Anführung ber einzige SRann 
gemefen fein, ber eS gemagt, bem ©arbinal offen bie ©tim ju bieten- 
Wa thut er inbeffen SRätinern mie Wettegrino Wofg, bem ©atbinal Wen= 
tini unb Wrof. ©ennareüi’UnreSt. ©rfterer mürbe beSmegen bon einem 
goüroäSter ber ©urie erbolcht. ©)ag Antoneüi ben SRörber eigens ge; 
bungen hatte, ift erft unlängft in einer italienifSen gcitfSrift burS ben j 
Wadjlafs Sarbinal $entiniS bemiefeu. j 

©Sliefclich toiü ber Werfaffet miffen, $io IX. unb fein erfter SRinifter 
hätten an gebrochenem ^erjen gelitten. $a ip ber Wiograph einer biet= 
genannten norbifSen 3 eitfchrift beffer unterrichtet. 3 h m 8 U 5 alge blieb 
ber Sarbinal bis 3 U feiner ©terbeftunbe unbeugfam. Unb ber $apft 
hat mahrliS feinen (Sfrunb $u ber§meifeln, benn baS Apoftolat ift aus | 
ber jo fehr gefürSteten Ärife feiner meltliSm aRadjt niSt nur unge; | 
fSäbigt, fonbern — eS märe unnüp fiS bieS oerhehlen ju moüen — 
geiftliS gefräftigt heeoorgegangen. ©eine SebenSfraft ift noch lange 
niept erfSöpft; unb bie SSelt mirb baher noch fehr lange mit ihm als f 
mit einer ©rofjmacht su reStten haben. $et ©taatSfecretär beS heiligen 
©tuhleS bleibt, nach mie üor, eine für bie SBeltpolitif mistige WerfönliSfeit. 

21. oon bem 33orne. 

* 

• * 

• Won bem Autor beS oon uns bereits befprochenen SBerfeS „Aus 
$albafien", »arl ®mil granjoS, liegt uns jept ein Wanb Wooeüen 
oor, bie im Werlage oon (Sbuarb $allberger in Stuttgart erfcfjienen 
finb. 2 )er ©efammttitel ber fe$S ©rjählungen lautet: „3)ie guben oon 
Warnom". fteine einzige ber oorliegenben Arbeiten ift mittelmäpig, 
jebe fpricht laut für bas grofse Talent beS Autors, gmei ber Wooeüen ! 
finb mehr als nur Wemeife oon Wegabung, fle ftnb 3Reifterftüde in ihrer j 
Art, „3)aS Äinb ber ©üpne'' unb „Ohne 3nfSrift". WefonberS baS j 
er^genannte gehört unter bie geringe 3 <*ht ber oor^ftglichen WooeÜen, 1 


bie in ben lepten gahren erfSienen fiu^. granjoS ift burch unb burS 
2)iSter, baS betoeift ni^t etma ber ©toff, trop feiner paefenben ftraft; 
baS betoeift auch nicht bie &harafteriftif, bie mit menigen ©trichen lebenbige 
©eftalten jeidjnet — bie ftärffte ©eite beS jungen 3)iSterS ift bie ®m= 
pfinbung, mit melier er AüeS befeelt. 

2)ie SBolfen am Fimmel, ber ©türm, ber über bie ©teppe bahinraft 
bie ©teppe felbft mit ihrer feffelnber Xraurigfeit, aÜeS baS lebt mit, 
aber nid)t als ein Werfepftücf, als ®ecoration, fonbern als nothmcnbigeS 
Xh^^ l>cS ©anjen. 3)er ©toff biefer erfSüttemben Wopeüe ift fehr einfach, 
aber mit einer Wertiefung bearbeitet, ber man in ben üRobenooeüen 
niemals begegnet. 5)ie SBittme ÜRiriam ift bie $elbin ber ©rjählung. 
3hr 3Rann mar fcobtengräber gemefen unb ber ©injige, ber oor gahren bem 
„grofjen ©terben" erlegen mar. Xer XobeSengel hatte ihn als ©ühnopfer 
für Aüe mitgenommenen, fo fagte baS Wolt, unb fein ftinb fei &u gleichem 
ßmeef beftimmt — „baS Äinb ber ©ühne /# . deshalb liegt auch ber ©Sleier 
eines unbemufcten ©SmerjeS auf bem jarten Antlip ber oierjährigeit 
Sea, als hätte fie ber $ob mit einem leifen glügelfSlage fSon bei ber 
©eburt berührt. — SSieber fdjmirrt burch Warnom baS unheimliSe 
©erücht, baS grope ©terben nahe h^an. iJea foü baS ©ühnopfer fein. 
Weraroeiflung fagt 9Ririam, ber armen SRutter ^erj — umfonft fdjetnt 
aüe Wflege, ade ©orgfalt. $a räth man ihr jum SBunberrabbi naS 
©abagora 3 U maüfahren, bamit ec ben gluS bom Raupte beS geliebten 
^inbeS nehme. Wach hartem Kampfe entfe^tiegt fiS baS gequälte SBeib 
3 u ber Weife. 2)iefe ift meifterhaft gefSilbert Won ©tunbe ju ©tunbe 
mehrt fiep ÜRiriamS Angft um ihr fernes Äinb. gn einer SwifScn; 
ftation muß fie jmei ©tunben märten — jmei ©tunben ooü ber entfep* 
liSen gurSt, bag ßea inbeffen oieüeiSt fterben tönnte. ©in junges 
©hepaar, baS eben nach Warnom fährt, ift in berfelben ©Senfe abge= 
ftiegen — eben moüen fie fort. 2 )a hat bie ©eelenangft ber Wtutter ben 
©ipfel erreiSt — fte fann niSt jum Wabbi, fie mug ju ihrem ^inbe. 
SBortlofe Witte im Antlip, bie ^änbe gefaltet nähert fte fiS bem ©he; 
paar; bie Augen ber fSönen grau hatten fiS mit Xhränen gefüttt, als 
fte in bieS tobtbleiSe, gramerfüüte Antlip fah- „tann iS 3hnen helfen?" 
fragte fie. 

„WaS Warnom," ftaramelte ÜRiriam, „nehmt ntiS naS Warnom mit." 
Unb fie ift mieber bei bem &inbe, unb baS Äinb geneft. 

5)aS ift ber ©toff, ben iS ftift&irte, um ber Wooeüe neue )^efer 31 t 
merben, benn man mug fie gelefen haben, um ihre ©Sönheiten ju oerftehen. 

w 3)ie guben oon Warnom" oerbienen baS lebhaftefte gntereffe ber 
beutfSeu ßefer, benen mir baS WuS aufriStig unb marm empfehlen. 

0. 0. £. 


Offene Briefe unb Jütifioorfen. 

©ehr geehrte Webaction! 

#err ©erharb WoplfS hat in ber 8 eitfStift „5)aS AuSlanb #/ 
(Wr. 38, 1876) feine üReinung über bie ihm ungereStfertigt fSehtenbe 
AntiSinefenbemegung in ©alifornien niebergelegt, in melSrm Artifel er 
fiS befonberS auf bie oon mir in ber „©egenmart" über baSfelbe Xhema 
oeröffentliSten SRittheilungen Ohne miS auf eine eingehenbe 

gerglieberung ber WohlfS’fSot AnfiSten einlaffen ju moüen — benn iS 
mügte, um bieS 311 thun, meine gegen eine unbefSränfte SinefifSe ©in; 
manberung naS ©alifornien angeführten ©rünbe einfaS mieberholen —, 
möge eine geehrte Webaction mir boS geftatten, einen grrthum, in melchen 
mein greunb WoljlfS gefaüen ift, aufjullären unb jugleiS bie jüngften 
Whafen ber „©htnefenfrage" furj 3 U erörtern. 

®err WohlfS betont meinen AuSfpruS: „®ie Wöttertoanberung neuer 
afiatifScr $orben naS ©alifornien foü unb mug aufhören, gefepliS, menn 
irgenb rnögliS, fonft mit ©emalt! #/ unb fügt hinsu: „3ft eS aber paffenb 
für ben Würger einer Wepublit fo 5 U fSHegen: mit ©emalt! ' 

©inem aufmerffamen ßefer mirb eS niSt entgangen fein, bag iS 
mieberholt geäugert habe, eS fei bie einmüthige AnftSt aüer guten Würger 
©alifornienS, bag bie bereits im £anbe anfäffigen ©hinefen in ihren 
WeSten befSüpt merben foüten 1 *); bag bie Anmefenheit einer befcgränlten 

*) ©leiS bor bem oon WoplfS angeführten WaffuS fage iS b- ©.: 
„$)ie ftS gegenmärtig im Sanbe bepnbenben ©hinefen foüen niSt beläftigt 
ober gar oertrieben merben." 


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Nr. 5. 


79 


Bit 


Anaagl von Kginefen nog auf 3<*gw ginaud für Kalifornien notgwenbig 
fei unb bag ber Uebergang $ur freien »eigen Arbeit in biefent ßanbe 
ein aEmäliger fein foEte; bag jebog einer ferneren ©affeneimoanberung 
non Afiaten ein effectiver Stamm entgegengefegt »erben ntüffe. Qn 
meinem Sglugartifel: „S)ie Selbftgülfe San grancidcod gegenüber feinen 
gtnegfgen Arbeitern" habe ig, gana »ie Btoglfd e§ anrätg, bie energifge 
Hanbgabung ber poliaeüigen Verorbnungen ald Biabicalcur gegen bie 
fgniägligen guftünbe im gieggen Kginefenvtertel befür»ortet unb ftger= 
lieg nigt einer Kginefengepe bad ©ort gerebet. 3eber Vernünftige 
»eig, bag biefe grage, »enn nur irgenb möglig, ouf bem ©oben bed 
Kejcped unb ber ©ägigung erlebigt »erben foEte. Kd rnugte »eit 
tommen, »enn bad Volt ber pacigigen Staaten Biorbamerifad fein legted 
geiliged Biegt, bie Selbggülfe, anjuwenben ge§»ungen fein »ürbe unb 

V. bad Sanbeu grögerer Kginefenfgaaren an biefer fünfte bur(g eine 
nigt ju migverftegenbe Stamongration jurüdweifen rnügte. ©ottlob gnb 
aber berartige ©agregeln vorläufig unndtgig ge»orben, ba fug bie 
Kginefeneinwanberung in ber legten Seit gang bebeutenb Verringert gat. 
S)en egrenwertgen fegd Kompagnien mug ed bei ber gieggen Aufregung 
entf(gieben ftg»ü( um’* $erg geworben fein, unb ge gaben igren Kingug, 
igre armen Sanbdleute von gier gurüdgugalten, auf bie eine ober bie 
anbere ©eife jur Geltung gu bringen ge»ugi 

Kd ig meine Anggt, „bag man gerabe in ben Vereinigten Staaten 
ed niegt erng genug negmen fann, »enn eine frembe, in igrer Art unb 
Biigtung tgatfröftige Blace gg mitten in ein anbered Volt einfegiebt 
unb beffen Homogenität unb inneren Sufammengattg gört''. 3g rebe 
gier mit ben ©orten meined greunbed griebrig Blagel (gege 
„Stad Audlaub" 9bc. 41), ber no«g ginjufügt, „bag man baö Biegt gäbe, 
bid jegt unb »agrfgeinlig noeg auf gagrgegnte ginaud bie ginegfge 
Audwanberung nag biefen Kebieten rein vom »irtgfgagligen Stanb? 
punft aud au betragen". Sttefer ©einung tann icg mieg jebog niegt 
unbebingt anfegtiegen. Kine ge»ige Sagl ber Agaten ig und, vom 
volfdnrirtgfgagligen Stanbpunlt aud betrachtet, ogne grage von be? 
beutenbemBingen getoefen unb »irb ed aueg für bie näggeSeit bleiben; 
aber ben »eigen Arbeiter bureg eine fortgefegte ©affeneütwanberung 
ber Afiaten auf ben Stanbpunlt ein ed $aria gerabbrfiefen au »ollen, 
fegeint mir »ie eine Verfünbigung an untererer eigenen Blace. 3g 
bente, bag »ir, »ie ögerd er»ägnt »orben, vollauf genug Kginefen in 
Kalifornien beggen unb igrer vermegrten Ktnwanberung fegon jegt ein 
Veto entgegengellen mügen, ba fieg bad Problem fong fegon in naget 
Sutunft unenblicg fg»ieriger gegolten »ürbe. „Veffet vorgefegn ald 
naggefegn!" ig ein guted alted unb fegt »agred beutfegeö Sprigwort, 
bad g<g auf bie Kginefenfrage vortrefflig antoenben lägt 

SHe Vereinigten Staaten gaben mit ber Kinfügrung bed Bleger? 
elementd bereitd genug unliebfame Krfagrungen gemagt, unb bie »eige 
Vevölterung ber pacigfgen Äüge fegnt fug buregaud niegt naeg einer 
©iebergolung einer ägnlicgen Verbrüberung mit fremben Biacen in 
feinem eigenen Haufe. Kine giegge beutfdge Seitung („Kalifomia Soumal") 
bemerft baau gana treffenb: 

. ,,©ir mügen und enblkg Von ber allgemeinen Kleiggeitdbufelei 
lodteigen, in bie »ir gineingeratgen gnb, ald »ir — »ogl ober übel 
— ben Negern bad Stimmrecgt geben mugten. ©ir »oEen von ber 
common fotherhood of God unb ber common brotherhood of man 
9ligtd »igen; unb »ir gaben ein Biegt baau, bad Biegt ber Selbft? 
ergaltung. Knt»eber mügen »ir übergaupt aEe Btationalitätdpriucipien 
fagren lagen unb unfere nationale Selbftgänbigleit in einem »ägerigeit 
Äodmopolitanidmud auf (Öfen, ober »ir mügen und bad Biegt refer? 
tmen, und diejenigen vom H°^ e a u galten, bie und nigt a u - 
fageu k." — 

©enn mein greuub Bloglfd bie Kulturanlage ber Kginefen ber ber 
£ttnlager voflfontmen gleigfteEt unb meint, bag ed vieEeigt nur »ie 
in Sapan eined Angoged bebürfe, um ge an Keftttung unb Kultur und 
gleig au bringen, fo ig bad eine Anggt, ber bie Vevölterung Kalifor? 
ntend, »o man unfere mongolifgen Kulturrivalen feit einem Viertel? 
iagrgunbert ziemlich gut tennt, feinedtoegd beipgigtet. ©ir verfpüren 
gier nigt bie geringge ßug baau, mit bem gülfdlofen Verfug au 
egperimentiren, bie Kginefen au cultiviren ober gar biefelben und au 
afgmiliren. S)ie Sbcen ber Kginefen über ©oral unb Vürgerpgigt, 
$eiligleü bed Kibed, ©anuedwort, in Kgren galten ber grauen k. 
finb ben unfrigen fo biametral entgegengefegt »ie nur benfbar, unb 
gaben bie Agaten aug bid jegt uigt im entfemtepen baran gebagt, 


igre Kulturanfgauung mit ber europäifg ? amerifanifgen in Ueberein? 
gimmung au bringen. 

Kin Vlicf aud ber fßerfpective in ein frembed Völferleben, »ie ign 
mein greunb Bioglfd getgan gat (ber, ba er gg nur einige Stage in 
San grancidco aufhielt, nigt »ogl nag eigener ünfgauung urtgeilen 
tonnte!), ig immergin fegr trügerifg, namentlig bei fo oernwtelten 
gefeEfgaftligen Vergältnigen, »ie ge bie Kginefenfrage in Kalifornien 
bietet — „©oger »igen bie Kginefen" — fagt a* V. Bioglfd — „bag 
ge nigt in einem Biaum, ber etwa für 3 e gu beregnet ig, mit Hunber? 
ten gg aufgalten bürfen, »oger »igen ge, bag ber Äegrigt, bie ftügen- 
abfäEe unb fglimmerer Unratg nigt in beu Köngen ber H^ufer ober 
auf bie Stragen geworfen »erben barf? ic." — Äein Kalifornier wirb 
über biefe fragen ein Nägeln unterbrüden tönnen, benn BHemanb, ber 
bie giefige Kginefenbevööerung aud eigener Blnfgauung tennt, wirb mir 
einen Blugenblicf baran a»eifeln, bag bie Sopfträger längft bie Kntbectung 
gemagt gaben, bag obige Höhlungen, fowie ©ehteib, grauenverfauf, 
barbarifge Veganblung ber Äranten unb anbere fglintmere Vinge, bie 
im Bteige ber ©itte vieEeigt erlaubt gnb, in Blmerita gegen bie Kefepe 
vergogen. Kinem Volt von fo goger Kulturanlage, »ie Btoglfd bie 
Kginefen beaeignet, bie gänalige Untenntnig ber Kefepe eined Sanbed, 
in »elgem ge bereitd feit einem Vierteljagrgunbert »ognen, auaumutgen 
— gana abgefegen vom Verftog gegen gttliged Btegt! — ig ein ©iber? 
fprug feined eigenen Urtgeild. — 

Seit ig meine lepten ©ittgeilungen über bie Kginegnfrage in biefeu 
Vlättern niebergelegt gäbe, gat bie vom Kongrcg ber Vereinigten Staaten 
aur ^uftlärnng jened Vroblemd nag San grancidco gefanbte Kommifgon 
igre barüber gepgogenen Unterfugungen gefglogen. S)ie Verganblungen 
waren befonberd bedgalb äugerft interegant, »eil bie vorgelabenen Saugen 
aum bei »eitern überwiegenben Sgeil ben Kginefen freunblig gegnnte 
Snbivibuen »aren. S)ie fegd Kompagnien gatten igren eigenen Wbvocaten, 
ber ed gg aur Aufgabe magte, igre S:ugenben in bad geEge Sigt au 
au geEen. S)ie auglreig Vorgelabenen ©etgobiften?„Bteverenbd" unb 
©ifgonäre fgwärmten für bie guten unb unterwürfigen ©ongolen, beren 
Seelen ge fo gern retten mögten. Kine Veregeligung ber Kginefen mit 
angänbigen »eigen grauen »urbe auf'd ©ärntge empfoglen. S)ie Blud? 
fagen biefer Vfaffen »aren ein Vadquifl auf ben gefunben ©enfgenVerganb! 

Segr unliebfame Krfagrungen magte bad europäijge Voltdelement 
biefer Stabt bei ben 8*ugenaudfagen bürg bie unverblümte ©utg manger 
amerifanifgen ,^no»notgingd", bie gg in grimmigen Sgmägungen gegen 
bie Stautfgen unb Srlünber ergingen unb bie Kginefen gog über biefe 
geEten. 3 m Allgemeinen waren S)iejenigen, »elge im mögligg niebrigen 
Arbeitdlogn igren perfönligen Vortgeil fagen, für bie Kginefeneinwanberung, 
wogegen Solge, benen bie Sutunft biefed Sanbed megr am H'raen lag, 
ald igr Kelbbeutel, Mefelbe aum minbegen eingefgränft fegen »oEten. 
Von ben grogen SubugrieEen unb ben Sanbbegpem bed Staated »urbe 
bie Suverläffigfeit unb ber §teig ber Kginefen auf eine für ben Unpar? 
teiifgen fo überaeugenbe ©eife bargegeflt, bag ed fg»er gielt, bie Aud? 
fagen Anberer über bie gttlige Vertommengeit ber Agaten bamit au 
vereinen. Stbem rugig S)entenben »urbe ed bei jenen Verganblungen 
flar, ein »ie verwicfelted Problem bie ginegfge Kinwanberung nag 
Amerila fei, unb »elge Sgwierigteiten bie Söfung bedfelben nog bem 
amerifanifgen Volle bereiten mug. ©ir »oEen gogen, bag bie ©ü? 
glieber bed Kongregcontited ogne Vorurtgeil beiben Seiten geregt »erben 
unb, fo viel in igren fträgen ftegt, mit baau beitragen mögen, biefe Ver* 
»icfelte grage auf eine für bie groge Biepublif bed ©egend »ürbige 
©eife au löfen! 

San granetdeo, am 1. S)ecember 1876. 

Cgeobor Kirggoff. 


iBibliograpgie. 

falibafa, Safuntala, überfept von griebrig Btüdert. Ve? 

fonberer Abbrucf aud bem Blaglag. (Seipaig, S. H«ö^) 

Auguft Sgmip, gubitg. S:ragöbie. (Seipaig, 3- ©ebel.) 

—, Vgitibpiuc ©elfer. S)ramat. ^igtung. (Kbb.) 
gerbinanb ©ilfertg, Kin beutfger Äaifer. Sgaufpiel in 6 Act. 
(£eipaig, Odwalb BRupe.) 

—, iie Blofen bed Bleferenbard. Sugfpiel. (Kbb.) 


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80 


9 i t 9 1 $ t n »* r t 


Nr. 5. 


3 n f t x a t«. 

Soeben erschien bei mir: 

Wörterbuch 

zn der 


K ®ti«|lfd|e mint. 

jäfttgt ft $ mit bem 3mj>ort griedji 


Unterjeidjnete §irma befdjäfttgt ftc^ mit bcm 3mjH>rt griedjif<$er ©eine. Tiefelben ftnb bon 
borjfigIi$et ®ftte unb großer ©djöttljeit. — Um beren ©efannttoerben $u erleichtern mirb l ©robe* 
Hftdfen in folgenber Sufammenfiellimg abgegeben: 

3/1 Fl. Rothwein ans Corinth. a l .60. *» JC 4.80. 



noiioimlfs 


METERS REISEBÜCHER 1877. 


Gsell-Fels' Italien 


Nibelunge nöt (liet). 

Von 

August Lübben. 

Dritte vermehrte und verbesserte Auflage. 

geheftet. Preis 2 JC 25 A. 

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. 

G. Stal ling i n Oldenb urg. 

Soeben erfd^ien bei gemalt« flMMttg in 
$*miittg uub ift burch ade ©nc^ljanblimgen 
ober btrect poftfrei gegen ©infenbung be3 ©e* 
traget (auch in beutfdjen ©oftrn.) ju hüben: 

fiarl jMrnrty tyotftl: fdjoterjlofe, raföe 
unb Mm Stbanbluna ber ®erbrens 

nuitgcn. ©leg. gef). 75 

Tie „immb. S'iüwg" 1877, 9h. 11 , fdjreibt 
u. Ä.: Ter ttiürbige ©eteran ber Hamburger 
©birurgen, ber ai| f eine me ^ r <* 1 $ halbhmiberts 
jährige oerbienftoode Tljfttigfcit $urüctbticft, fyat 
foebeu obigem SBcrfdjcn publicirt. ©eine früher 
erjdjiencite praftijdje Slbljaitblung über bie fid)ere 
Teilung ber TipJitljeritiS, bat meit über bie 
©renjen unfere3 ©aterlanbeS ^inaud, in ärjt? 
liehen unb priüaten Greifen Ijoljc unb gerechte 
©eacfjtung gefunben. 3 ene$ ®ucf) l)at in furzet 
3 eit hier Auflagen erlebt unb t»on aden ©eiten, 
fetbft au§ bem SluSlanbe, mürben bcm Slutor 
bie juftimmenbften ©eitrtfjeilitngen ju Tf)eil. 
9lud) biefe neue ©djrift, bie ein fo michtigeö 
unb leiber immer jeitgemä&eS Tl)eina bebanbclt, 
ift als hochmiflfommen 511 bejeichncn unb »er- 
bient bie meitefte Verbreitung uub ernftefte 
©ürbigung. — Tie .£>oefft’fäe ©eljaitblung ift 
gerabeju epochemachenb, fie jodte in jeber fta= 
milie befannt merbeit. 


Heinr. Lemcke 

in Bahrenfeld bei Hamburg 

Fabrik und grösstes Lager feiner und hoch¬ 
feiner sowie selbst direct importirter 

Havanna- etc. Cigarren 

im Preise von BÖ bis 1000 M. pro Mille. 
Zollfreie Lieferung für das Deutsche Reich 
von V, 0 Kisten an. — Preis-Conrante gratis. 


3/1 Fl. dito Claret Vino di Bacoo von Santorin. . . ü JC 1.20. =- JC 3.60. 

3/1 Fl. Malvasier weiss Vino santo von Santorin .... ü JC 1.40. =• 4.20. 

3/1 FL dito roth ans Misistra. a JC 1.60. » JC 4.60. 

tfujammen 12/1 %U Äifie, grlafdjen nnb ©erjmtfung frei für. JC 17.10. 

3ufenbnng per ©oft ober ©ahn, ab hier.^MIfsInte •sisntie fit fteinieit nnb «e$t|rit 
MuOführlic^en ©reiScourant unb ©irculair franco gegen franco. 

3. 4F. 855eingrof$anbtung, WeikargemüttfL 

©egrünbet 1840. ©erfanbt bet jeber Temperatur juläfftg. 

/ Brehms ^MeH^en / 

/ Zweite Auflage / 

J mit gänzlich umgearbeitetem und erweitertem Text und grösstentheile M 
/ neuen Abbildungen naeh der Natur, umfasst in vier Abtheilungen eine ! 

/ eLllgrexneine X>u.nd.e d.er Tl^ier-w-elt M 
/ aufs prachtvollste illustrirt K 

j und erseheint in 100 wöchentlichen Lieferungen zum Preis von 1 Mark • m 

/ Verlag des Bibliographischen Instituts in Leipzig. / 

Mendelssohn’s Werke für Pianoforte 

zu 2 Händen. 


•K -\. I 

Erster Band brochirt . . 9 — 

Capricio. Op. 5 in Fism.— 90 

Sonate. Op. C in E. 1 80 

7 Charakterstücke. Op. 7. 2 10 

Rondo capriccioso. Op. 14 in E . . (— 90) 

Phantasie. Op. 15 in E.(— 60) 

3 Phantasien oder Capricen. Op. 16 

in A, E m. und E.(— 90) 

Phantasie. Op. 27 in Fism.(1 20) 

Andante cantabile u. Presto agitato i. H — 90 
Etüde und Scherzo in Fm. und Hm. — 60 

Gondellied in A.(— 30) 

Scherzo a Capriccio in Fis m. . . . (— 90) 

Zweiter Band brochirt. . 8 — 

3 Capricen. Op. 33 in Am., E u. Bin. 2 40 
6 Präludien und 6 Fugen. Op. 35 . 3 30 

17 Variation« serieuses. Op. 54 . . (1 20) 

6 Kinderstücke. Op. 72.— 90 

Variationen. Op. 82 in Es.— 90 

Variationen. Op. 83 in B.— 90 


Verlag von llreitkopf 


Dritter Band brochirt . . 7 — 

3 Präludien und 3 Etüden. Op. 104 (1 20) 

Sonate. Op. 105 in Gm.(1 20) 

Sonate. Op. 106 in B.(1 50) 

Albumblatt (Lied ohneWorte). Op. 117 

in E m.(— 60) 

Capriccio. Op. 118 in E.(— 90) 

Perpetuum mobile. Op. 119 in C . (— 60) 
Präludium und Fuge in E tu. . . . (— 90) 

2 Klavierstücke in B und Gm. . . . (— 60) 

Vierter Band: Lieder ohne Worte. 
Erscheint binnen Jahresfrist. 

Concerte und Concertst licke f. Piano¬ 
forte und Orchester. Ausgabe für 
Pianoforte allein. Brochirt . . 8 — 

No. 1. Concert. Op. 25 in Gm. . . 2 10 

No. 2. Concert. Op. 40 in Dm. . . 2 40 

No. 3. Capriccio brill. Op. 22 in Hm. 1 20 
No. 4. Rondo brillant. Op. 29 in Es . 1 80 

No. 5. Serenade und Allegro giojoso. 

Op. 43 in D.(1 80) 

k Härtel iu Leipzig. 


ist durch den soeben ansgegebenen letzten Band „Sicilien“, auf desseu Bereisung 
der berühmte Verfasser das vergangene Jahr verwendet hat, zum Abschluss gebracht 
und bildet nun ein grosses zusammenhängendes Werk, welches den weitest reichenden 
Ansprüchen genügt. Es zerfällt in die Theile: 

Ober-Italien, 2. Auflage. 2 Bde. Geb. 12 JC 

flotii und Mittel-Italien, 2. Auflage. 2 Bde. Geb. 18 JC. 

Unter-Italien und Hieilien, 2. Auflage. 2 Bde. Geb. 12 JC. 

„ln erfreulichem Gegensatz zu dem philiströsen gelehrte uud künstlerische Kreise, sondern überhaupt 
Ton, den wir in unseren Reisebachern gewöhnlich für ein gebildetes Publikum bestimmtes Werk sich 
finden, haben wir liier endlich ein Werk, das setzen muss. Was den Werth des Buches vervollatän- 
der Höhe unserer Bildung entspricht. Mit digt, ist die vorzügliche Ausstattung, der Übersichtliche 
dem landschaftlichen Charakter, mit der nationalen j und korrekte Druck, die Illustrationen, welche weit 
und lokalen Eigentümlichkeit sind überall Geschichte j über dem stehen, was deutsche Reisehandbücher ge- 
Alterthum und Kunst gediegen behandelt, doch stets wöhnlich bieten.“ A. Woltmann, 

innerhalb der Grenzen, welche ein nioht bloss für Prof. d. Kunstgeschichte in Prag. 

Ein Auszug aus obigem ist: 

Halten in .50 Tagen. 1 Band. Geb. 9 JC 


A. Woltmann, 

Prof. d. Kunstgeschichte in Prag. 


1 Band. Geb. 9 JC 


„Den sechsbändigen Gsell-Fels, den nehme der 
glückliche Forestiere zur Hand, der wie ein zweiter 
Goethe in vollster Masse durch den Garten Europa's 
schlendert; der einbändigeist für den Schnellreisen¬ 
den, der nicht alles muss gesehen haben, aber das 
Schönste und Wichtigste.“ 

[Berner Bund.] 

Verlag 


„ . . . . wird einem weitverbreiteten Bedürfnis* in 
hervorragender Weise gerecht; mit erstaunlichem Ge¬ 
schick ist hier alles Wissenswerthe auf den 
engsten Raum, und doch in übersichtlicher, an¬ 
schaulichster Weise zusammengedrängt.“ 

Dr. Wilh. v. Lflbke, Prof, der Kunstgeschichte 
in Stuttgart. 

des Bibliographischen Instituts in Leipzig. 


§ierpt eine ©eilage dom ©ibliograpljifdicn 3nftitut in tteipgig. 


$rt>(i(tt 0 n, MerHit S.W., ßinbenftrafif HO. 3»ir bie Siebaction oeranttoortli^: Georg in Mn-Nn. fipebtiton, Mrrfiii N.W., gonifenftrafte 32. 

$rucf bon £• 6* f euOnrr in Jeipiig. 


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JG 6 . 


»««*, ben 10. £felnt«r 1877. 


XL Band. 


P t U 3 cimuunrt. 

28o<benfcbrtft für ßitcratur, Äuitft unb $ffentß<be6 Sehen. 



Herausgeber: ^(Ulf oSittbcUt i« Verlin. 


3cta JmU nftttt ein giuner. ««leget: «mg ««He in Berlin. 

0m Wlfctfn tarn# «Ce Bn^^nMaagm vxb fßoftanftaltem 


Je* yn «wütl 4 Sied 50 ff. 

Snletate \tbet Art pa 'mi&tem fftttietl« 4# ff. 


$n§aff: 


Bf* neue Reidjdtafl. Bon SHUjelm SBatfetnogel. — feiteratnr mft Ä**#: Srülje galjrt Bon $anft Hopfen. — Bet* in bet 
jeitgendjfttäen Jhtnft. Bon S&olbemar Äabeit. — II Cansoniere di Enrico Heine, Ueberfepung bon Bematbino Qenbttni. Befprodpn 
bon <Ebnarb (Enget. — Beruhte#: Bad freimütige ^(etariat bon Bari#. Bon $. $. — l«l Per 6*ttpt|*Pt: Bnmwtifdje Buf* 
ffi^rungen. Bet &ürft bei Sdjminbel#. SRercabet. Spcreafterfomdbie bon BaUac, in 4 Beten, eingerfdjtct oon Bffrert ginbnet. Be« 
fpnxpeti bon Baut ßinbau. — SRabame Äflberlet. Scpaufpiel bon (Emi( Bugiet. Befprodjeit bon O. b. ^eignet. — Oper nnb 
Concerte. Bon $. (Eprli<$. — Rotten. — Bibliographie. — Snfetöte. 


Der neue 

Bon tPilhelm IPatfernagel. 

Die Bufommenfebnng beS neuen VeidjStagS, ber, wenn 
ihm nicht eine Eluftüfmig ein oorjeitigeS Snbe bereitet, bis 
jnm 10. Sonuar 1880 Sie Vertretung beS beutfeben Volles 
hüben wirb, l&ftt fi<b, naebbem baS (Ergebnis fämmtli^er 70 
Stichwahlen befannt geworben ift, nnnmebr ooßftänbig übers 
feben. werfen wir junäcbft einen Vücfblicf auf ben VeidjS* 
t«| «er gweiten »«giftatnrperiobe, fo ift für bie $u; 
fatmnenfebnna beSfelben nach gradionen nur ein SJfoment oon 
nachhaltiger Vebeutung gewefen, bie Elbftbnmung über baS 
SRilitärgefefc. Damals fd)ieb ans ber gortfebrittspartei eine 
fhtjobl oon SRitgliebern ans, bie ficb unter fiinjutritt anberer 
liberalen Vbgeorbneten jur „Gruppe 2öwe=Verger" formirten 
mb als folebe auch bei ben testen SBablen ihre felbftftänbige 
Stellung bewahrt buben. Sw Uebrigen put ftcb bie Störte 
ber oerfdjiebenen gradionen nur wenig oerünbert, fo baff eS 
nicht notbwenbig erfebeint, barauf b»«r näher einpgeben. tim 
Schlüffe ber SegiSlaturperiobe jäblte ber SReicbStag, wenn bie 
erlebigten SRantate ben gradionen jugute getrieben werben, 
benen ber lepte Snbober angebürte: 22 Conferoatioe, 31 9Rtt= 
glicber ber beutfeben fReicbSpartei, 2 preufjifcbe SRinifter, 5 rechts 
oon ben SRationalliberalen ftebenbe Siberale, 150 5Rational= 
liberale, 14 jwifeben btefen nnb ber gortfebrittspartei ftebenbe 
liberale, 36 Vntgtieber ber gortfebrittspartei, 1 SDHtglieb ber 
VolfSpartei, 9 Sorialbemofraten, 93 äRitglieber ber Gentrum8= 
fractiou nebft 4 bonnooerfeben „Hofpitanten", 14 ißolen, einen 
Dänen nnb <Eip|4iotbringer, barunter 9 ßlericale unb 6 
fßrotefHer. Stach berfelben Einleitung jerlegt, gruppirt ficb baS 
Ocgebnil ber üeicbStagSwablen bei Sabres 1877 wie folgt: 
Conferoatioe 35, SKitglieber ber beutfeben fReicbSpartei 38 (es 
fmb hier fämmtlicb« in ben Königreichen ©oebfen unb SBürttems 
berg gewählten „ttonfernatioe" mit eingeredbnet, ba ficb üte-- 
felben wobl ihren früher bereits ber beutfeben Veid)Spartei 
^getretenen ©pecialcoüegen anfcbliefjen bfirften), 2 prenfttfebe 
ttmfter (gatt unb fyrteoentbal), jufammen 75 Eltts, Deutfcb-, 
9t» unb gniconfertmtioe non ben oerfebiebenften ©ebattirungen 
ber Wci<b§freunblicb!eit. (Es folgen 4 STOitglieber, bie ficb uiebr 
ja ben flnfcbauungen bet nationaltiberalen fjraction binneigen, 
dMon ihr formeBer Etnfcblnb an biefelbe fraglich ift, bie 
Objturtiueleii o. Vonin, gürft §obenlobes©cbilling8fürft, ®raf 
fl ng i w rg nnb Vefder. Die nationalliberale fjraction rechnet 
U oorlänfig 128 VKtglicber ju. Den Uebergang jur fffort* 
yb» itlS partei »ermitteln 14 Hbgeorbnete, oon benen einzelne 


oieüeicbt ficb *>on Steuern jener graction anfcbliefien. Die 
gortf^rittSpartei jäblt, unter $in}urecbnnng ber brei in 
Württemberg neugewäblten Hbgeorbneten ^aper, Vetter unb 
SBirtb, bie jum Dbeil einen bemofratifeben Einflug hoben, 35 
SRitglieber. Die Voltspartei wirb ancb bieSmal nur bnreb 
baS eine Vtitglieb für granlfurt a. 3R. (Elbg. §oltboff) im 
VeicbStage oertreten fein. Die ©ocialbemofraten buben 13 
SRanbate erobert, oon benen fte eines, baS für Elltona, bei 
ber ©tiebwabt, welche wegen Elblebnnng beS SRanbateS oon 
©eiten beS auch im 6. Verlinet SBa^ltreife gewählten Elbge= 
orbneten ^afendeoer erferberlkb geworben ift, ooranlfl^licb 
wieber oerüeren werben. Die SentrumSfraction jäblt 93 3Rit= 
glieber unb 4 bunnooerfebe „^ofpitanten"; fte bot ficb ulfo genau 
tm Status qno erhalten. DaSfelbe gilt oon bät $o(en, bie 
ebenfalls in ber nämlichen 3ubl oon 14 SÖfitgliebem wiebers 
teuren. Der eine Däne, |)err Krüger=Veftoft, ift auch bieSmal 
wieber auf bem ißlape. Die 15 6lfafj=fiotbringer jerfallen in 
6 „Elutonomiften", bie im Veicbstage jum erften fDtale als ganj 
neue ®ruppe auftreten, 4 Slericale unb 5 fßroteftler; unter ben 
Se^teren foßen jeboeb eimeine, wie j. V. ber in SRülbanfen 
gewählte 3Rr. Scan Dolfup, nach Elbgabe beS „VrotefteS" ficb 
an ben Verbanblungen weiter }u betbeiligen beabfiebtigen. Sn 
Summa 397 Etbgeorbnete. 

SS ergibt pich ans biefer Elnffteßung junäcbft, bab in 
einem ooQftänbig befepten $aufe ber Scbwerpuntt ber dnu 
Reibung noch gerabe in Sie nationalliberale graction 
bineinfäflt, wenn felbft auf ber äufjerften Vecbten bie ber 
VeicbSpolitil wiberftrebenben „Elltconferoatioen", wie bie $crren 
o. Kleift=Vebow, SRarcarb, o. 9?atbufiuS=2ubom u. f. w. ficb 
j\ur Oppofition f^lagen foßten. Su gragen, welche bie fäcbfi- 
feben unb württembergifeben Sonferoatioen jur Seceffton oon 
ber beutfeben VeüfjSpartei oeranlaffen tünnten, würbe ber Schwer; 
puntt freilich weiter nach ItnlS in bie @ruppe Söwe-Verger 
bineinrüefen. Demgemäß liegt benjenigen Parteien, welche bie 
VeicbSpolitit im ©rofien unb @anjen unterftüfcen, bieSmal noch 
mehr als im oorigen fReicbStag bie bringenbe fßfliebt ob, auf 
ein pünftlicbeS ffirfdjeinen ihrer SRitglieber in ben ©ipungen 
binjuwirfen; fonft fönnten leicht einmal bureb eine jufäuige 
EtbftimmungSmajorität Vefcbtüffe ^erbeigefüfyrt werben, welche 
bie größte Verwirrung nach fnb sieben. Die Verhärtung, 
welche gerabe bie Elltconferoatioen nnb fßarticulariften auf ber 
rechten Seite beS VeicbStagS erfahren buben, ift für ben Sang 
ber parlamentarifcben Verbanblungen oon weit naAtb^ßßctem 
finflujj, als baS SßacbStbum ber conferoatioen Parteien an 
ficb, ba bureb biefeS aßein ber Scbwerpuntt ber Sntfcbeibung 
nidft weiter oerfeboben worben ift. Von befouberer Veran^ 


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82 


Oie <# eg En Wart. 


Nr. 6. 


wortlicßfeit wirb in gäUett, wo non ber testen Seite be« 
$aufe« bie Opposition ßujug erhält, bie §altttng bey gort' 
fcßritt«partei fein; biefeloe wirb hoffentlich aua ber ©efchtcßte 
ber testen SBaßlen gelernt haben, bah ein weitere« Starren 
in ber Begation lebiglicß gu einer Berftärfuitg ber con» 
feroatiüen Barteien, unb jwar bürcß foldje ©lemente fütirt, 
welche non rechts her ßemmenb in bie politifeße ©ntwicfelung 
eingreifen unb ba« Stab ber $eiten um einige Saßneßnte 
gurücfbreßen lftojßten. (Sine bürcß ba« Binbegtieb be« ©entrum« 
oermittelte St6ftimmung8coalition jmifcfyen ber beutfdjen S°d ; 
fcßritt8partei unb ben DeutfcßSonferöatiüen, ben Socialbetno» 
traten unb Badiculariften mag ben fdjtauen Süßrern ber Ultra» 
montanen a(3 ber ßöcßfte Driumpß ihrer partanrentarifdjen 
Diplomatie erfcßeinen; bie fodfeßrittliche ffintwicflung im Reich 
würbe babutcß aber feine Sörbentng erfahren. 

EBa« bie eingelnen gractionen betrifft, fo ift ben ©on» 
feroatioen ihre Berftärfung, mit jaHeiniger EluSnaßme be8 
Siege« int frt rt rtftße n EBa ß me if c Bfatjßdnt, tebigtich auf 
preußifcßem ©oben etwacßfen, unb gwar wieber mit einer 
einzigen Efoanaßme (EBaßl be« ©rafen §olftein in Rlön) in 
ben alten Btoütngen ber SRonarcßie: Breußen, Branbenburg, 
Scßlefien, Sacßfen nnb SBeftfaten. Die „beutfcßconferoatioe" 
Bewegung in Sübbeutfcßtanb hat, wie ihr bie« ißropoffifon 
fofort bei ihrem Beginn gefteüt würbe, e« gu feinem erheb» 
liehen ©rfolge gebraut; fie hat e« lebiglich ber Utrterftüßurtg 
ber Ultramontanen unb ©ocialbemofraten, bie ihr wegen ihrer 
abgeminberten BeicßSfreunbticßfeit bei ber engeren EBaßl in 
Bforgßeim gu Dßeil würbe, gu banten, baß ber |)oljh<tnbler 
ftafimtt &aß gu ©ernäbaeß, einer ber Süßrer ber lutherifcßen 
Ortßobojen im Babenet Sanb, über feinen nationalliberalen 
©egner, ben ehemaligen babifeßen SRinifter 3ottp, ben Sieg 
batwntrug. 

Die beutfehe Beicß8partei hat ihren ©ewinn auf feßr 
«rftreut Hegenben Seibern eingeheimft; ohne ben erhofften 
Beitritt weiterer fädjfifcßer unb württembergifcher ©onferoatioen 
würbe fie feinen 3uwacß8 gu ihrem früheren Beftanbe jtt ter» 
geießnen haben. $ür ba« gefdjloffene Auftreten ber Bartei in 
fragen ber SReicßSpolitif ift bie Berftärfung be« particula» 
riftifchen Beifaße« gerabe fein fötberfame« ERoment ERan wirb 
gut tßun, über bie Haltung biefer Stadion in ßufunft we» 
niger nach ihrer officieUen S*tma, al« nach i^rer giemtidß 
heterogenen 3 u fcmmenfehung ©onjeduren anjuftellen, ba bie 
für ihre lanb8mannfcßaftlitßen ©ruppen utafjgebenben Änfcßau» 
ungen in oielen Säßen nicht gerabe concentrifdj wirfen bürften. 
3n ben „maßgebenben Streifen" Dre«ben« unb Stuttgart« benft 
man, unbefeßabet ber „Beicßgtreue", hoch über oiele Bunfte 
anber« al« in ber freiconferoatioen Staction be« preuftifc^en 
Etbgeorbndenßaufe«. 

Die nationalliberale Staction ift, um 22 Stimmen 
gefcßwäeßt, au« bem EBaßlfampfe ßetoorgegangen; 31 EBaßl» 
freife hat fie Oertoren unb bagegen nur 9 gewonnen. Drofc» 
bem bitben bie Bationatliberalen nach wie oor burch ihre 3a$t 
unb ihre ©efcßloffenßeit bie ftärffte unb wichtigfte Staction be« 
Beicß«tage«. 3ßr ©intreten für bie Suftiggefefce hat ihnen ben 
Äbfagebrief ber Sortfchrittäpartei unb in Sotge ber baburch 
ßerbetgefüßden Berwitrung unb ßerfplitterung oieler liberalen 
3Bä|letfcßaften ben Bertuft gaßlteicßer preußifdjer SBaßtfreife 
an bie ©onferoatioen, ihre Unterftüßung be« Beidjaetfenbaßn» 
projecte« eine fcßärfere $etoorfeßrung ber ERißgunft einzelner 
bunbeSftaatlicßen Regierungen unb benigufolge ben Bertuft 
mehrerer fächfifdjer unb württembergifcher SBahlfreife an Bar- 
ticularifteu unb Sociatbemofraten eingetragen. %t« ein mora= 
tifcher ©ewinn, ber nicht h<xh genug oeranfehtagt werben fann, 
fteht bem gegenüber ba« erhöhte Bewu|tfein ber Bartei oon 
ihrem Berufe im neuen ^Reiche unb oon ben bamit üerbun= 
benen Bfli<hten ber Elegierung wie ben anberen Barteien gegen» 
über. SRan fann e« |«»te jehon auäfprechen: bie national» 
liberale Battei ift in fich gefchtoffener benn je juoor, weit fie 
allfeitig burchbrungen ift oon ber Etothwenbigfeit, inmitten 
einer trüben unb be«wegen ju allerlei Einfehlägen aufforbem» 


ben Sage, um ben nationalen ©ebanfen einen ftarfen SBaff 
aufjurichten, au welchem fidj bte Eingriffe feiner Seinbe brechen, 
©ine parlametüarifche Stadion, welche eine« fo befeftigten Be» 
fihftanbe« fich erfreut, bafj fie oon 150 Sifjen 119, alfo oier 
Sünftheile, inmitten ber heftigfteti Angriffe oon allen Seiten 
her behauptet, welche für eine ftattliche ßahl oon Staaten 
unb Btaoinjen ber abäquate EtuSbmcf ber potitifchen Beftre» 
bungen ber liberalen EBählerfchaften überhaupt ift, fann, ohne 
fich bamit einer Selbftüberf>ebung fchutbig ju machen, ben 
Sa| auffteUen, baß in ihr ba« beutfehe Bürgerthum bie feinen 
liberalen Etnfchauungen am meiften entfpreeßenbe Bertretung 
finbet. Die nationalliberale Battei ift aber nicht blo« in fich 
fchtoffen, fonbern fte ift auch einmüthig entfehtoffen, ba« beutfehe 
Bürgerthum aufjuforbern unb hinjuleiten ju einer feften Or» 
ganifation feiner hier unb ba noch öon allerlei fleinlidjeit 
Sorgen unb EBünfchen, nichtigen Borurtheiten unb Bedjt» 
habereien auf jiellofe Bahnen jabgejogenen Äräfte im Dienffe 
be« fReich«gebanfeu8 nnb ber freiheitlichen ©ntwicflung, bie iit 
unb mit jenem allein eine fefte ©ernähr finbet. Bon beui 
©riefte biefe« ©ntfehtuffe« wirb fdjon eine nahe 3afunft &eug» 
niß geben. 

Die 3aht bet jWifdjen ben Elationatllberalen unb ber Sort» 
f^rittspartei ftehenben Hbgeorbneten ift, inföweit fie fich jur 
©ruppe Söwe »Berger formirt hatten, äußerlich fo jiemlich 
unoeränbert geblieben; bie meiften SRitglieber berfelben würben 
in ihren alten SBahlfreifen wiebergewöbtt. ©8 beweift aud) 
bie«, baß betßiberaliamn« be« beutf^en Bürgerthum« burchau« 
feine Borliebe für ejtreme fRidhtungen hat, fonbern oon einer 
maßooüen Bertretung ber liberalen ©runbföfee fich ein Beffere« 
oerfpricht. EBenn einjelne „ber wilben Äibetalen" fich oon Eleuem 
ber Staction ber Sortfchritt«partei anfchüeßen foBten, fo würbe 
bie« jebenfaB« fo ju beuten fein, baß bie gemäßigteren SRU» 
glieber biefer Stadion oon einer folchen Berftärhing fich einen 
maßgebenben ©influß auf bie fpaltung ber Staction überhaupt 
oetfprechen. Such anbere 3ei<hen beuten barauf hin, baß 8# 
innerhalb ber Sottfchritt«fradion bie Ueberjeugung Bahn brijht, 
e« werbe für fte im Bahnten ber liberalen Badei halb nicht 
mehr Blaß fein, wenn man fodfahren wollte, gegen bie Ba» 
tionatliberaten, bie barin both bie weitau« überwiegenbe SRehrßeit 
barftellen, einen „Ärieg auf« SReffer" ju führen unb fich gu 
biefem 3wt* mit Batteien jn oerbünben, bie ben Barnen ber 
Sreißeit nur gu bem .^weefe im ERunbe füßten, um bureß 
biefe« Sdbgefdjrei im liberalen Säger Berwitrung angurießten. 
SBenn für einen liberalen Sbgeorbneten bie Bacßrebe nießt gut 
flingt, „auf ben Barnen Bi«marcf gewählt gu fein", fo ift e« 
für einen folcßen boeß noch diel unangenehmer, jeben Dag fuß 
fagen taffen gu rnüffen, „baß er auf ben Barnen SBinbtßorft 
gewäßtt fei". Der Bunb be« Siberaliämu« mit bem Ultra* 
montani9mu8 fann auf feiner oon beiben Seiten eßrlidß ge* 
meint fein; be«wegen foUte, wa« bei ben EBaßlen etwa nadß 
biefer Richtung ßin in ber Seibenfcßaft be« Badeitampfe« ge» 
feßlt worben ift, hinterher nießt weiter oon ©influß fern auf 
bie Gattung einer Stadion, bie bie Sufgabe, welche fte fuß 
fetber oorgeidmet, Süßrerin auf bem SSBege gut Steißeit gu fein, 
boeß nur bann erfüllen fann, wenn fie ben Siberalen, bie 
ißrer Elnfidjt naeß gu lange am SBege fäunten, bie $anb reießt, 
nießt aber, wenn fte fieß feinbltcß gegen fie umwenbd unb in 
biefem Kampfe fieß oon ben potitifeßen Elgenten be« Batican 
Siebe«geicßen anheften läßt. 

Die Staction ber S°ttfcßritt3pattei fann mit bem 
äußeren ©rfotge be« EBaßffampfe« gufrieben fein; fie ßat fieß 
in ben Stichwahlen bi« auf bie frühere Stätte gehoben. 
Diefe Siege finb aber innerlich nießt fo Oiet wertß, wie fie 
e« ißrer 3aßt naeß gn fein feßeinen. Der gefcßloffene E9eftß» 
ftanb ber Sottfcßrittäpartei ift auf Oftpreußen befißränft, oon 
woßer bie „Sungtittßauer", ißre Borläufer unb ©rünber im 
preußifeßen Etbgeorbnetenßaufe, einft ben EhtSgang genommen 
ßaben. Sonft ift ißt Befiß weithin gerftreut, unb Wa« 
fcßlimmer ift, fein befeftigter meßr. 3n Beriin, ba« bi«ßec 
al« „eine fefte Burg" ber S«df^titt8parlei galt, finb gweg 


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Nr. 6. 


9\t Äegenwart. 


8» 


©Japlfreife in bie |mnbe ber Socialbemofratie gefallen; brei I 
anbete foimten nnt in engeren ©Saplen gum Dpeil mit genauer 
©otp erftritten »erben; lebiglicp einer non fecfjS SEBaplfreijen 
ift non ber grortfcprittdpartei biedmal noep opne befonbere 9tn= 
ftrengung iprerfeitd behauptet »orben. 3« ©redlau, ber gweiten 
Stabt ber preufjifcpen ©lonarcpie, ift ber ©efip ber 2fortfd)rittS= 
Partei noep gefäprbeter. Dredben ift ipr oertoren gegangen. 

3n ©ageru würbe bad wichtige Nürnberg gegen, bie Sociat= 
bemotratie nur mit Unterftüpung aller anberen Parteien er* 
rangen. Sßnd bie näcpften Söaplen bringen wetbra, ift bei 
ftrftper pretären Sage bunfel unb »erfüllt. Die gortjcprittd= 
Partei wirb gut tpun, barüber in emfte Erwägung ju treten; i 
wir Jagen ipr bieö niept, weil wir und ber für fte bropenben ! 
©efapt freuen, fonbern weil wir ipr eine ©efferung ipret Sage i 
gönnen, bie, ba fie nur non 3nnen peraud fommen fann, ja 
gleichseitig and) ipr ©erpättnifj gur nationalliberalen Partei , 
iuieber gu einem befreunbeten umwaubeln mufj. Die ßufunft I 
bed Siberalidmud in Deutfcplanb pängt wefentlicp non einer 
jolepen Sinfept unb Urnfepr ber gortfcprittöpaTtei ab. i 

Die ©erftärhcng, welche bie Socialbentofraten erfahren j 
haben, ift nicht non Erpeplicpfeit. 3pr näcpfted $iel, 15 ERifc ; 
giieber in ben ©eicpdtag phteingubringen, um nach ben ©c= 
ftimmungen ber gegenwärtigen ©efcpäftdorbnung „felbftftänbige 
Anträge" einbringen ju tonnen, beten bann freilich eine gange 
Segion mit Sorfeptägen gur „Söfnng ber focialen grage'' bnt 
©eicpdtag überflirtpen würbe, haben bie Socialbentofraten bied= 
mal noch nicht erreicht. Dafr bie Socialbemofratie bid jept 
noch feinen feften politifchen ©efipftanb hat, beweift ber Üm= 
ftanb, bafj fte oon ben 9 SBaplfteifen, bie im lepten ©eicpd-- 
tage burep Wbgeorbnete iprer Dichtung oertreten waren, nicht 
weniger ald 4 wieber oerloren hat unb nod) einen fünften 
bagu oerlieren wirb, wäprenb fie 8 aGßat^ltreife, bie meiften 
nur burch bie Scpulb ber anberen Parteien, bie fäumig unb 
unter einanber uneinig waren, ja fiep gegenfeitig Slbbrucp gu 
♦hmt 'fuchKli/ 'ftett für ftep gewann. Dafj gwei ©erliner unb 
ein Dredbener SBapifreid in bie §änbe ber Socialbemofraten 
fielen, ift lebigliep biefetn ©runbe gugufepreibeti. Den SSer- 
panblungen bed ©eiepdtagd wirb aud ber SBerftärtung ber 
Socialbentofraten fein weiterer ©acptpeil erwaepfen, ba ed 
niept oiel audmaept, ob bereit 9 ober 12 in bemfelben fipen. 
Die, welcpe auf ben ©effitnidmud fpeculiren, weil fie poffen, 
bafj er ben ©oben für bie Stufnapme ber Saaten ber ©eaction 
lodern werbe, rnüffen if)re Erwartungen fepon bid bapin oer= 
tagen, Wo eine weitere Vermehrung ber für focialbemofratifcpe 
Eanbibaten abgegebenen Stimmen bem ©eiepdtage ein ftärtered 
Kontingent ofln „Vertretern bed wapren Volles" gufüprt. 

Die Eentrumdfraction mit ipten „$ofpitanten" and 1 
£>annooerlanb pat bei ben lepten SBaplen ftd) in iprem ©efip= 
ftanb bid auf brei ©Saplfreife, bie aud) in früperen ©eicps= 
tagen fepon burep reicpdfreunbliepe Hbgeorbnete oeTtreten waren 
(Jameln, Scproeinfurt, 2Jfaing), behauptet; bafür pat fie brei 
aobere SEßaplfretfe gewonnen. Dberfcptefieu ift jept, mit Stud* 
napme eined SBapltreifed, andfcpliefjlicp burep Ultramontane 
vertreten. Sn Odnabriid, »elcped fepon einmal (im ©eiepdtage 
von 1871—1874) burd) einen pannooerfepen ©articulariften, ! 
ben ehemaligen SWinifter Ergeben, oertreten war, ift biedmal 
burep eine Koalition ber nämliepen Elemente „ber alte ©ertaep", 
welcper fepon ber Sentrümdfraction bed pteufjifepeti Slbgeorb- ! 
netenpaufed ald „$ofpitant" angepört, burepgefept worben. 

Eine eigentümlich« Stellung unter ben Eentrumdmännern 
nimmt ber neugewäptte Slbgeorbnete für Effen, ©ebacteur i 
©töpel, ein; er ift ald Eanbibat ber ,,cpriftticp=jocialen'' ©artet j 
gegen ben Dbertribunaldratp oon gorcabe be ©iaij, bidperigen 
Vertreter bed ©aplfreifed, aufgefteßt unb in engerer SBapl 1 
burepgebraept worben; fein ©arteigenoffe, Saplan Saaf, ift in 
^lacpen unterlegen. ®ie in ©apern mit oielem Eeräufd) burep < 
Dr. Sigl uttb ©enoffen betriebene ©ilbung einer „fatpolifepen j 
©oltdpartei" ift für bie biedmaligen Veidjdtagdwaplen ju fpät 
gefommen, um ipre Sebendfäpigfeit im SBapffampfe ju erweifeit. 
Drei neugewäptte baprifepe ?lbgeorbnete: Dr. Sinbner, Dr. fRapim 


ger unb Dombecpant Stöefl ftnb ald ©ionniere ber neuen ooltd= 
tpümlicperen SRieptung innerhalb bed Ultramontanidmud be= 
jeid)net worben; bod) pat einer betfelben, iperr Stöefl, bereitd 
öffentlich gegen bie ipm bannt oermeintlicp angetpane Epre fiep 
oerwaprt. Sßopitt biefer Sewegung irgenb eine ©ebeutung bei, 
fo fann fie nur barin etwa gefunben werben, bap oont Eentmm 
mepr noep ald bidper „in focialer ©olitit gemaept" unb bad 
©olf braupen burep ©arlamentdreben paranguirt werben wirb, 
obgleich man barin fepon gegenwärtig gang Erflecflicped leiftet. 

Die ©ölen paben fiep ebenfafld im Status quo behauptet; 
fie paben mit ben Deutfcpen einen weftpreu^ifepeu SEBapttreid 
(Scpwep) gegen einen pofenfepen (SBirfip) andgetaufept, welcpe 
SBaplfreife feitpet fepon ^antäpfel gwifepien ben beiben 9iatio= 
nalitäten gewefen ftnb. 

Ueber bie Haltung, welcpe bie intereffante ©ruppe ber 
Elfaffer Slutonomiften, bie gum erften 2Ralt auf ber 
©ilbfiäcpe erfepeint, im Veiepdtage einnepmen wirb, wogt ber 
Streit in ber ©reffe pin unb per. ©eglaubigte Üleufjerungen 
mapgebenber Äutonomiften, wie g. ©. bed §emt Scpneegand, 
liegen gur ßeit noep niept oor; boep ftept Eined feft, bafj 
biefe feeren mit einer ber liberalen ffractionen, oermutplicp 
mit beiben, f^üplung fuepen werben. Die Elfaffer Elericalett 
werben mit ipten „Sanbedbefcpwerben", bie iin ©runbe genom= 
men nur ©efdpwerben ber clericalen ©artei ald foteper waren, 
bad £>pr bed ffteicpdtagd niept mepr audfcplieplicp in ÄnJprncp 
uepmen. Sepon ber SEßeepfel bed Doned aflein wirb oorri 
Sfteicpdtage ald eine SBopltpat empfunben werben. Ob bie 
„©roteftler", naepbem fie ipr Sprüepiein aufgefagt, fiep wieber 
gu ben ©ogefen guriicfgiepen werben, muff oorläufig bapin 
geftellt bleiben. Derartige „grofje ©taatdactionen", grop »enig= 
ftend in ber Sovfteßung ber Slcieurd, oerlieren burep bie 
©Heberpoluug an Effect. Qui proteste abdique. 

Unfere SSanberung burep bie ffractionen unb ©ruppen 
bed neuen ©eiepdtagd ift hiermit gu Enbe. ©Sir wenben und 
gu einem furgen ©eriept über ben ©Beepfel, welepen bad ©er= 
fonal bed meiepdtagd erfapren pat. ©ampafte Äbgeorbnete 
finb burep ben Dob abberufen worben aud ber parlamentari* 
fepen Slrena; anbere finb frenoißig gurüefgetreten; noep anbere 
finb im Kampfe glüdlieperen 3Witbewerbern unterlegen. Slnberet= 
feitd finb unter ben neugewäplten Slbgeorbneten fofepe oon feparf 
marlirter Steßung aufgufüpren. 

©on ben Eonferoatioen fommen niept wieber gwei alte 
©arlämentarier, bie im Saufe bed lepten ©eiepdtagd peim= 
gegangen finb: $err o. Srnim=^)einricpdborf unb |»err o.Dengin, 
ber bei allen ©arteien beliebt gewefene Dopen unferer parla= 
metttartfepen ftörperfepaften. Stuf bie Erneuerung bed SRanbatd 
oergieptet pat ©aton o. Sßlimtigerobe; im Äampfe unterlag ber 
©räfibent oon Sotpringen, $err o. ©uttfamer (Sendburg), 
©eugewäplt finb ber ffüprer ber eonferoatioen ©artei im 
preugifepeit^errenpaufe $err o.Ä(eift>©epo», befannten ©amend; 
ber aud früperen Seffionen bed preufjifcpen Äbgeorbnetenpaufed 
in Erinnerung ftehenbe Sorpdaubiteur Söfarcarb, ein lauter 
©ufer im Streit für bad „cpriftliep=germanifepe ©rincip"; ber 
epemalige Epefrebacteur ber „Äreuggeitung", |>err ü. ©atpufiud* 
Subom, unter beffen Slegibe bie berüchtigten, »on feinem 9tacp= 
folger bedaoouirten „Äera-Slrtifel" ipren SSeg in bie Oeffent= 
iiepfeit fanben; ©raf Ubo Stolberg=©ßemigetobe u. 81. mepr. 
©raf SWottfe pat für biedmal feinen Entfeplufj, fiep aud bem 
partamentarifepen Seben gurüefgugiepen, noep niept gur 8lud- 
füprung gebraept, fo bafj bie conferoatioe graction auep bied= 
mal bie ©enugtpuung pat, einen ©amen oon weltgefcpieptliepem 
©lange in iprer Sifte auffüpren gu fönnen. 

©on ber bentfdpen ©eiepdpartei fepren niept wieber: 
©ring ©Silpelm oon ©aben, welcper refignirte; ©ring fpopen= 
lope=Sngelfingen unb Siepnowdfp, bie ipren nltramon^ 
tanen ©egnern unterlagen, wie bad fepon früper bem fpergog 
oon Ujeft gef^epen war; ber gum fädpfifepen fjinangminifter 
emporgeftiegene ^>err o. Äönnerip; bet jäcpfifcpe ©iinifter bed 
Snnern o. ©oftig=2öaßwip; $err oon ?lrnim=Äröcplenborf, ber 
Sepwager bed gürfttn ©idmaref, ber im Durnier mit einem 


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$4 


® i t ©egenwart. 


Nr. 6. 


anbetn ufermärfijthen ©ranben, §trrtt P. äBebeU*SRald)ow, bie 
parlamentarifche §elmjier oerlor. SBiebergewählt würben mit 
Unterftüfcung ber Siberalen gürft ffiarolatt), giirft fwhenlolje* 
Sangenburg, gürft ©lefj unb §er}og P. SRatibor, jo bafe 
mithin biefe graction ali bie „Pornetjmfte" bei Keidjitagi 
nach wie Por ju gelten beanfpruchen barf, auch wenn bet 
beutfc^e ©otfdjafter in ©arii, gürft £)ol)enlobe*®cbiflingifürft, 
feinen ©lafc in ber iJläije ber ÜRationaüiberalen wählen foQte, 
wo jein baprifdjer (Soßege, ber fRegierungipräfibent non Unter* 
fronten, ©raf Sujbutg, ©entast einer ©rinjeffin Sarolatf), 
fiep if)nt jugejellt. 

Xie Kationalliberalen bei SReidfitagi werben in ihren 
Leihen mit Sdjtnerjen oermijfen ben ©orjijjenben ber SReichijufti}* 
couttniffion, Siiquel, ben bie Serltner 3uriftenfacultät wegen feiner 
©erbienfte um boi 3uftanbefommen bei gemeinen beutfchen fRechti 
juni Doctor jaris honoris causa promoPirte: berfelbe bat feine 
parlamentarifcpe X^ätigfeit auf bai preujjifche Slbgeorbneten* 
paus eingefcbrdntt. Glicht wiebergewähtt würben bie württem* 
bergifcpen Äbgeorbneten (Elben unb ©aupp; fie waren ju eifrig 
für bie Sntereffen bei jReidjei, barum mußten fie „befferen 
SBürttembergern" weiten. Xer ©iefjener ©rofeffor Oncfen, 
ber geiftPoße gorjdjer ber Politiken ©efc^ic^te ber greipeiti* 
friege, reftgnirtc- Xen unermüblicpen Kämpfer für medlen* 
burgifdfe ©erfaffungirecpte, ©el).=8tatf) ©rofcp, nahm ein fanfter 
Xob hinweg, ®uf bie Sßieberwapl oerjidjteten ber Senenfer 
©rofeffor Scpmibt, ber ©erfaffer bei berühmten Duetlenwertei 
„Tableaux de la revolution fran^aise“, unb ber allgemein Per* 
nerehrte ©räfibent fo Pieler parlamentarifcher ©erfatnmlungen 
feit bem gfranffurter Parlament, Dr. Simfon. §err P. Könne, 
ber pielcitirte Kommentator ber preufjifcpen unb beutjcben Keidji* 
uerfaffung, unterlag im fiampfe gegen einem ©ölen. Xie 81b* 
georbneten P. ©ennigfen unb Sailer werben wie biiper bie 
treibenben 3been biefer größten aller gractionen in fid) Per* 
törpern, unb $err p. jjordenbed wirb, ali Staun bei aß* 
feitigen Sertraueni, mit Äraft unb ohne perfönlicpe Küdficpten, 
wieberum ali ©räfibent feinei fchweren Smtei walten. Unter 
ben neugewählten Stitgliebern Perbienen etwa befonberer Sr* 
wähnung Dr. ©enfet, ber gebiegene Arbeiter auf Poltiwirth* 
fchaftlicpem ©ebiet, nnb Äiefer, ber befannte gAprer ber babi* 
jtpen Siberalen. 

Xie gortfcprittipartei hot burch ben Xob eini ihrer 
geiftPoßften Stitglieber, ben Dberbürgermeifter a. X. jfrranj 
Regler Pertoren, ber im Stampfe für Freiheit unb SRerfjt 
Schwerei ju erleiben hotte, unb beffen unfreiwilliger Stujje 
bie bentfche Siteratur eine Weihe trefflicher Kooeflen oerbantt, 
worin Sanb unb Seute ber Start muftergiltig gefd^itbert finb. 
Segen feiner aparten Stellung jum „Sulturfampfe" fc^ieb aui 
ber gractioii unb bamit aui bem parlametttarifchen Seben 
Jperr o. Äircptnann, ber fich neuerbingi um bie §erauigabe 
philofophifcper Schriften perbient gemalt f)at. Sonft Permifjt 
bie fjraction biiher nur bie Herren Subolf ©arifiui, ein fehr 
thätigei Siitglieb ihrei publiciftifchen ©eneratftabei, unb ^errn 
p. Sauden*Xarputjchen; unter ben neugewähtten gractioni* 
genoffen befinbet fich teiner, ber biiher in weiteren Steifen 
genannt worben wäre. 

Xen Socialbemotraten fehlt oon ihren güprent fein 
tbeurei §aupt; unter ben neugewähtten Perbient eine befonbere 
(Erwähnung 4>ofbauratp a.X.Xemm(er, ali ber geniolfte Schüler 
unferei großen 8lrchiteften Schintel unb Seiter ber neueren ©rächt* 
bauten in Stedlenburg* Schwerin, mit beffen leptoerftorbenem 
©rofjperjog « auf Pertraulichftem gufje oerfeprte; fein greifei 
Jpaupt wirb ihm im SReicfjitage jugute tommen, wenn er für 
bie Pon ihm aui innerfter Ueberjeugung ergriffenen Sehren 
feiner ©artei bai Sort ergreift, gär einei ihrer tpätigften 
Stitglieber, §errn ©rode (©raunfepweig), ift ber Sablfreii 
©laucpan jur Verfügung geftellt worben, wo ber auch in 
Xreiben gewählte ©ebel ablehnte. 

Xai Sentrum hot nur wenig ©eränberungen erfahren. 
Si ift lebiglich }u bemerten, ba| ber ftreitbare äRainjer Xom* 
capitular ©Roufang nicht wiebergewählt ift; foQte beffen 8ln* 


wefenheit im 9tei<hitage für feine ©artei erwünfdjt fein, fo 
hot fie ei jeber 3«>t in ihrer #anb, ihm burch SRatibatinieber* 
tegung einei ihrer SRitglieber einen Si| ju perfchaffen. — 
Ueber bie ©ölen bleibt nidjti ju jagen, ^ier fleht Siner für 
Sille unb 8lHe für Sinen. 

©on ben Slfa|*Sothringern erfcheinen n. Ä. nicht 
wieber bie beiben Sifchöfe Xnpont bei Sogei unb 9Rä§ unb 
ber §erolb bei ©roteftei, £>ert Xeutfch- Unter ben neu* 
gewählten äRitgliebern finb ju nennen §err 3ean Xolfufe aui 
ber betannten gabritantenfamilie, ber Sdjöpfet ber oft gefdjil* 
berten Cite ouvriere bei ©tülhaufen; $err ©ergmann, einer 
ber einftufjreichften ©ärger Stra|burgi; $err ShorlcS ©rab, 
SRitarbeiter bei „Industriel alsacien“ unb $err Schneegani, 
fRebacteur bei „Stfaffer 3onntal". 

Sollte 3«nanb einen Kamen, ben er gern erwähnt ge* 
fehen hätte, in biefer Hufjähtung oermifjen, fo fei er hiermit 
um Sntfchutbigung gebeten; ber uni gegönnte Kähmen war }u 
eng, um Sitte, bie auch wir noA gern genannt hätten, }u faffen. 

2Rit Spannung blidt ÄDei auf bie ©erhanblungen bei 
neuen Keichitagei, beffen (Eröffnung, wie ei am 

22. Februar ftattfinben foß. SBai fich in feinem Schöffe 
jutragen wirb, beeft noch ber Schleier ber ßutunft. ffiir Per* 
meffen uni nicht, benfelben lüften ju woflen, wir begnügen 
uni ben SSunf^ auijufpre^en, ba| 3eber, bem bie Spre ge* 
gönnt ift, in ber ©ertretung bei beutfehen ©ottei ju fi|en, 
in fein ©arteiprogramm ali ttnfang unb Snbe fefcen möge: 

„Xeutfchlanb über Ällei!" 

Berlin, 2. gefiruot 1877. 


Beric^ttflung. 3n bem »oronge^enben Strtifel (Wr. 6 ber „0egen* 
wart") mup ti auf ©eite 68, jweite ©patte, Seite 6 »on unten ftott 
„Ctairoaus" Ijeipen „Stermont". ®er Berfaffet bittet, ben Lapras pennae, 
ber if)m begegnet ift, entfcpulbigen ju wollen. ®. B. 


ttttb 


Jrfihe itthrf. 

9Jlein SBeib fchtief nodi gegen SRorgen, ba fchlich 
3<h hinaui unb wir fuhren braufloi, 

Xai Xonnenförglein auf unferm Schob, 

Kur ber ä'ircpenöorfleber unb ich- 

SSir fuhren bie Xüne hinauf fo gefdjwinb, 

8lti ei anging im tiefen Sanb. 

©on broben fah man weit über'i Sanb, 

©on ber See fam faufenber SSBinb. 

Unb ali wir erftiegen ben Xünenfamnt, 

Kur ber Äirchenborfteher unb ich, 

Xa tt)at er ben erften Spatenftidj), 

Xerweil mir'i im 8tuge fchwamm. 

Unb ali gefchloffen bai winjige ©rab, 

Xo wifcht’ er bie Stirn mit ber §anb 

Unb fngte: „9Bie fchab’, baff fein ftreufttein im Sanb, 

SEBeil noch nicht getauft war ber fittab’!" 

„Si War ja ein Stäbchen" ... „(Ein Stäbchen? 3«, ja! 
Unb fo jung! ... Xrum begraben wir’i heut’. 

(Ein ftreuj mit bem Kamen, bai hätte gefreut 
©an} ftdjer bie fffrau Stama!" 

Rein Käme! fein $reu}! nur ber Säinb pon ber See 
Unb ber ftäubenbe Xünenfonb, 

Xie reichen auf beinern ©rab fich bie $anb, 

Xu mein armei Seelchen, 8tbe! 


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X 


Nr. 6. 


9it <5tgenwart. 


85 


Unb ber ©anb unb bie SBinbe setbalgen fiep, 

Unb ad)! Aber 3®pr unb lag 

Sa Wei|, ba| ein Sinb pier begraben lag, 

5Rur ber ßircpenoorfteper unb idj. 

ßeb mopl, mein Zöcptercpen, bleibft pier surüd 
8m Ufer im wilbfremben ßanb! 

®ein ÜRame, fein fireuj, feine forgenbe £anb ... 

Soep bon unferen ^erjen ein ©tüd! — 

Unb wir fuhren jnrüd fo ftitt unb gefcpwinb, 

8t« es anging im tiefen ©anb. 

Sie Zpräne, bie immer neu entftanb, 

Berbtie« ber feefaufenbe SBinb. 

€o tarn icp mit trodnem ©eficpt nadj H®u3 
Unb an’« ftranfenbett meiner Brau. 

®ie erwarte läcpelnb unb fagte: „©cpau, fcpau, 

©o früh warft bu heute fcpon au«?" 

„8ep nur juft auf ber ©cproeße ..." fagt’ idj unb ftric^ 
Bpt ba« lofe §aar mit ber $anb. 

... „SBir fdjwapten ba brau|en fo miteirtanb’ .. ." 
„23er?" ... „Ser ftircpenoorfteper unb icp!" 

Ijans ffopfnt. 


Hera in ber jeitienöfttfipen Ännfl. 

Jttoti IPolbemar Kabett. 

Mole« «giiat meutern ! 

(8it0il in btt Untfe^ttMQ.) 

Unter bem Zitel „Nerone nell’ arte contemporauea“ öer= 
öffentlicpt S. ©noli, ber feine Jfritifcr, im ©eptemberpeft 1876 
bet „Nnova Antologia“ eine längere pocpintereffante Mrbeit, bic 
e« » 0^1 wertt) ift, ba| man bem ©ange ihrer ©ebanten eine 
©trede folge, neue anhtüpfe unb roeiterfpinne.. 

Zer Serfaffer |ept oor bem Silbe be« polnifcpen SRaler« 
©iemttabjft, ba« in 8tom wie jüngft in 2Rüncpen (permanente 
©emälbeanSfteßung ber Steifcpmann’fcpen Sunftpanblung) Sag 
für Zag ein saplreicpe« publicum ansog. Ziefe« Silb führte in 
{Rom ben Zitet „Le luminarie di Nerone“, in SRAncpen „ßebenbe 
Sadeln ßteroä". So foO e« nach ber 8bftdjt be« Zünftler« bie 
Hauptaufmerffamtcit auf bie mit Srennftoffen umwidelten, ben 
Stammen geweiheten Zpriftenmärtprer tenfen, hat aber al« ißrota* 
goniften nicht biefe, fonbern ben in 23oßuft ber ©raufamfeit 
fcpmelgehben Siero unb fein üppige« ©efolge. Ziefe unb bic 
nadte, betrunfene Steube, bic rofenumfränjte ßüfternpeit unb 
©innlichteit, bie poepauffcpäumenbe 23oßuft be« nächtlichen 
Sacepanal« unb ber SReij feiner brennenben Barben toerben an* 
geftaunt, beWunbert, biefe erregen ba« Bntereffe, um bie armen 
grauen SRenfcpenfadeln im ©chatten fümmert man fi<h nicht biel. 
©ie fpieten bie ©tatiftcnroßen in bem ©cpaufpiel „SRero". 

Sa« Silb ftcllt SReto bar. Sie Ueppigteit SReto« hat fiep 
ber Äünftler ;um Sorwurf genommen. Sarin aber ift er offen: 
bar einer Beitricptung gefolgt, einer ßuftfträmung. Unb 9tero 
liegt in ber ßuft unferer Beit. Ober wäre <« jufällig, ba| wir 
non unferen Beitgenoffen Itaulbacp unb fßitotp ebenfalls SReto* 
bilber haben, ba| SRero« ©eift im {Roman, in ben {Rooeßen, auf 
bem Zheater, in ber ©culptur ic. umgeht? 2Bir haben „8cte" 
non 8. Suma«, wo SRero bie Hauptrolle fpielt, Hamerling« 
„8pa«oet", ber in ber nächflen Auflage feinen Zitel an „9tero" 
abtreten wirb; Hamerling« „8pa8oer" jept in gleichseitig jwei 
italienifchen lieber fepungen; auf ber $unftau8fteßung ju Blorens 
warb eine bijarre ÜReroftatue be« ©aßori gefehen; P. Zoffa, bet 
„moberne ©palefpeate BtalienS", fd^rieb ein Srama „9tero", 
ebenfo gibt e« ein Srama non 8. ©oumet unb Setmontel 
„Une föte de Neron“; ein anbere« non ßegouo« Reifet „Epicharis 
et Neron“, ein neuefte« bann non Zmile Suneau „La mort de 


N6ron“, ber befannte Soiio, ber einen „SReppiftoppeleS" ge: 
fchrieben, witt fleh noch berühmter machen burch ben Dpemtegt 
,,{Rero", ein Saßet ift unterwegs — unb, bafj bie glänjenbe 
Aurea domus boß werbe, tanjen um ihn ben fchwebenben {Reigen 
bie reijnoßen ©chatten feiner ©eifteSnerwanbten: Ziberiu« unb 
Zaliguta, SReffalina non 23il6ranbt, SReffalina non P. Coffa, 
ßReffatina bon ©orth, unb al« Saßet £Run? 

Sa« ift bei Seibe nicht bie claffifdje ßuft an ber rämifchen 
©efchichte, bie unfere ftünftler wieber übertommt, bie in unferer 
beutfehen ßiteratur beifpielsweife bie @d)aar hiftorifcher Sramen 
fchuf, wie ©rabbe« „$annibal", 8renb« „Zäfar unb Sompeiu«", 
Hepbrich« „Ziberiu« ©raahu«", Zatilina, Srutu« unb Zoßatinu«, 
SRariu«, ßtegulu«, ben Sechter bon Sabenna u. 8. Sa« ift nicht 
ba« Helben berherrlidjcnbe ßunftwerf, ba« ift bie Sarfteßung 
eine« fribolen B»ge« au« bem ©efidjte unferer Beit, be« B»9^ 
ber ©innli^leit. 

SRan fönnte biefe fßeriobe mit boßem {Rechte bie „ÜRero: 
periobe" nennen, wie wir bon einer „23erther:", einer „Sauft: 
periobe", bon einer periobe be« ewigen Buben fpreepen fönnen. 
Samal« fchrieb faft jeber Zister Wohl ober übel feinen Sauft 
ober fein Säuftchen, 23erther unb Unwertljer entftanben gleich 
Si(}en, in Zljina malten fie ihn auf bie Zaffen, bie ©eftalten 
lebten auf iii ßRarmor, Sronje, auf ber ßeinmanb, in B e i ( haun: 
gen, al« Oper unb Saßet, ebenfo „le Juif errant“, Sauft« 
ebtäifcher Urahn. 

SSJertper, Sauft, 8ha«ber, SRero finb Srüchte, bie aße reiften 
an bem gleichen ßeben«baume, unter ber gleichen ©onne, nur in 
berfepieben gearteten ©ommern. Uebcrreif finb fie aber aße, finb 
ba«, Wa« bie 23injer an bet Zraube „ebelfaul" nennen, finb, 
opne weitere« Silb: Srobucte einer $eriobe bet Ueberfättigung. 
8u« ber Ueberfättigung ber ©mpftnbung ging „23erther" Ijerbor, 
©oetpe geftept ja felbft, bafj er ipn al« eine 8rt tnoralifcper Surganj 
brauchte, bie Ueberfättigung be« ©eifte« jeugte ben „Sauft", 
SRero enblich ift ein böfer Zraum bei überfättigtem ßeibe. ©o 
fiepen wir benn in ftunft unb ßeben auf ber britten ©tufc ber 
Zntwidlung, bie mit ber ©entimentalität anpub, über ben Zoc: 
triniSmu« unb ben biefen begleitenben ©fepticiämu« bebäeptig pin: 
wegftieg — unb auf bem ZpituriSmu« ftept. Siefe ©tufe 
fcpwantt, auf ipr fa| ba« ganje ooßmtcptige ©rünbertpum ber 
epiluräifcpen {Reujeit. 

Um aber auf ßtero jurüdjufommen: Wa« wiß biefer SRero, 
bet fiep neuerbing« fo fepr in ben Sorbergrunb brängt? Bwar 
palb unb palb oerftepen wir ipn jefct fepon. Zr ift ber ecla: 
tantefte Sertrcter be« fo beliebten ZpituriSmu« bet rdmifepen 
Äaiferjeit, ber mit gtänjenben 23atigen, blüpenb im Seit, bei ben 
©aftmäplern be« Zrhnalcpio fepmauft. Sa« ift niept mept ber 
oerpa|te Zpriftenoerfolger, ber infame ßRuttermörber unb Srei: 
peitswürger, ba« ift — ja wenn e« gelang, ben ganjen Ziberiu« 
wei| ju wafepen, fo burfte man 9tero menigften« ©efiept unb 
Jpänbe reinigen unb ipm eine faubere ©pntpefi« anlegen. @o 
ift er gans ein eleganter B«<P«t, elegant in feiner 2Boßuft, lieben«* 
Würbig wie bie Stofen feine« Haupte« in feinen ßaunen, an* 
Siepenb noep in feiner Zoßpeit, unb — er mi|fäßt bem {ßubti* 
mm bei ßeibe niept. 23attet ein gepeime« Zinoerftänbnil 
swifepen ipnen? Bu ben 8ugen be« publicum« glänst e«, wie 
ein Bug oon ©pmpatpie. 

Haben ba« bie mobemen Zünftler perau«gefüplt? Ser 
Sichter, wie ber ftünftler überhaupt, fepäpft feine ©toffe au« ben 
Beitftrömungen, bort mu| er fie jepöpfen. ©ein 23erl wirb um 
fo mepr gefaflen, je ejracter ba« Sublicum in ipm wiebergegeben 
ober angebeutet finbet, wa« ipm (bem $ublicum) felbft oorper 
nur confu« butep bie Seele Wirrte. Ser ©eift feiner B**t ift 
bie wapre 3Ru|e be« Äünftler«, opne fie ift lein H e il, unb fie 
Seigt fiep ipm in fener Zpocpe im fteifen ßteifrodpup, in biefer 
in eine« ©retepen« oerfepoßenen ©ewänbern, unb bann sur 8b: 
Wecpfelung — nadt. 

28er biefem Beitgei ft tropen s n fönnen meint, täufept fiep 
ftarl, er erreicht niept«. 23er ipm in gro|artiger SBeife ju foL 
gen oermag, beffen 23erl bilbet mit anbern Hauptwerlen ber* 
felben Zpocpe ben ßRarfftein ber B*ite«- 8«<P Beitenfpiegel tann 


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86 


Ute #egenw*rt. 


Nr. 6. 


rnttn fie nennen. 9tur non biefern Stanbpunfte aus laun Äunft: 
gefcpicptc getrieben werben. $*e Äuuftgefcpicpte muß fiep bicpt 
on bie Eulturgefcpicpte anlepnen. ©onft gebt es ipr toie bei: 
fpielSWeife ber ©otauif mit bem Sinno’fcpen ©pftem: fie daffi: 
ficirt opne ben (ebenbigen naturgemäßen Buf aramei, b an S ber 
©ftanjenfamitien $u tennen, bie baS natürliche ©pftem nm bt- 
ftiinmte fcparf ausgeprägte ®gpen per orbnet. Ebenfo oerwag 
man in jeber ©poche beftimnrte Hauptfiguren aufjüftnben, um 
bie fiep (Gruppen oon ähnlichen 3been unb gönnen, als ©orbe: 
rcitung unb als SBeiterfüprung, Ueberleitung in anbere, bilben. 

3n ber SUeraturgefcpidite ift man f<hon ähnlich oerfahren, inbem 
man bie Siteratur einer ©eriobe in ihren cparriteriftifcpeu Eigen: 
heiten auf ©runb ber Eulturgefcpicpte feftfießte. 

©noli führt hier jum Setege eine Anjapl ®i<pter oerfthie- 
bener Sänber aber betfelben ©eriobe auf, bie alle, als ob eS fiep 
um eine otgmpifcpe ©reiSaufgabe gepanbelt hätte, für bie ent: 
fcpwunbeue „©öttermelt ©riecpeirfaubS" in bie Saiten gegriffen: 
©epißer, URonti, fleoparbi, tpeine, ©winburne, be Muffet, Alearbo, 
©rati u. f. to. ÜRerfwfirbig ift hierbei bie faft wörtliche lieber: 
einftimmung jmifepen ©chifler unb URonti, welche gleichzeitig 
fchrieben. SRan lefe bie „®ötter ©riecpenlanbS" oon ©d)iüer 
unb oergteiche bamit SRonti, ber bie Seit befingt: 

.. .. ba burd) alle 

®ie Ijtmmtifdjen unb irb’fdjen tBefen Ein ©eift 
Unb Geilt ©ebänle, eine ©ötterflatnme 
©effoffen als bie SBeltenfede, ba 
2Bar lieben Alle«, Alle« auch bejeeltc 
®er SMdjtung fdpöne Sun ft. ®a« hohe 9teid) 

®e« SbealS, cS ift geftftrjt! .. . ipier unter 
$er SRinbe biefeS Saume« (chlug ba« $erj 

$er püpfenben ®riabe. 

®er flare Quell entfloh ber Urne einen 
llnfchulbigen SRajabe.... 

9Bo ift ®ein gotbner SBagen, majeftät’fdjer 
Xrfiger be« Süchte«, Ang’ ber ©eiten? ©o 
®er §oren Xanj? Unb »o bie Stoffe, glamnten 
Gnthaucfjenb ihren Stößern? ©eh! 3 U einem 
©eroalt’gen, feelentofen, unbewegten, 

3um geuerbaüe manbett ®idj bie neue 
ißoet'fche ©ei«heit.... 

®ie« nur nebenbei! gebeS ©ebiept über biefen ©egenftanb 
briieft ben perfönlicheit ©ebanfen beS ®idjterS aus, äße jufammen ! 
aber ben ihrer Seit, beten SRebium ber oon ihr magnetifirte I 
dichter ift. Sag nicht eben baS 3ülian=Apoftatifcpe SRüdwärt«: 
fdjauen, baS $altenmoßen einer Seit, bie fiep nicht halten läßt, 
in jener ©eriobe? ®ie ©öttermelt ift heute abgeftanben, ähneln 
aber nicht jenen mptpologifcpen Erinnerungen bie heute fo gang: 
baren japlreicpen „Erinnerungen" aus meiner Äinbpeit, Snaben: 
jeit, Elternhaufe, Bugenbftabt, eines alten-SRanneS, SRilitärS, 
unb unter welchem {Ramen fie auftreten? SBeldje oon ben ©effer= 
benfenben, wie ben ®enfenben überhaupt ooß rüdwärtfiger ©epm 
fucht gebichtet unb gelefen werben? ©oß ©ehnfucht nach bet 
jugenblicpen {Raibetät, ber heitern, ibpflifepen Anftpauung ber | 
®tnge, jefct wo bie rauhere SBirflicpfeit mit bem ©chwerte beS 
ÄampfeS um’S ®afein fo hart angetaufen werben muß? ®em 
folgt oießeidjt noch einmal bie poetijepe Apotpeofe beS ©elbft: 
morbeS, bie unter ber ©ewitterfcpwüle beS breit über aßen 
Sanben lagernben ©efftmiSmuS heranreifen fatin. ffiorper aber 
gefaßt eS bem SRenfcpen, ber SRaffe, noch int Subei ju leben, 
im {Raufepe. ®ie ©eele, mübe geworben oon bem ewig fruept: 
lofen SRüdwärtöfcpauen, wie bem bangen hoffen in bie Butunft, 
fommt sur Einficht, baß eS beffer fei, ber ©egenwart ihr {Recpt 
ju taffen: gebenfen wir $u leben, ju lieben, ju genießen! ®a§ 
Enbe ift IRacht unb ©raufen. ®ie ©ernunft hat ©ieleS jerftört, 
Oielc Sbeale geftürjt. ©ieleS war ja grunbfaul. ®ie Sernunft 
aber baut unS leine neuen. SBaS fie baut, finb phitofophifd)c 
©hfteme, unb biefe finb bie SBürje, baS ©alj ber ©peifen, aber 
nidht bie ©peifen felbft. SBie Strauß fagt: „®er Unmöglichfeit, 
bas ©erfaulte butch fiep felbft wieber frifcß jn ma^en, fich be- 


wußt, fcljen fie fich koch nach einer SBürje um, nach einem ©al,y.', 
welkes bcifpietSweife für eine fcßal geworbene {Religion herfömnt- 
lich in einer s 3h>lofopf)ic gefunben wirb." Unb aud) wir leben 
in einer Mrt fReronianifchen fjjeriobc: bie alten ©ölter haben ihre 
Autorität oerloren, bie neuen liegen noch * n ber SBiege, unb — 
werben ße beffer fein? 2Bo finb nun unfere neuen Sbenle? 
SBaS blieb ber ©h an tafie, ber Äunft? SSir patten oor einiger 
Beit noch baS gbeat „©atcrlanb", jept haben wir’« erftrebt, unb 
wenn bie ©ehnfucht banach ©roßeS fcpuf, baS ooßenbetc gacturn 
pat noch ni^tS $immefragenbcS peroorgebraept. SBas aber tritt 
in bie Süde? 

So bleibt ber &unft oorläuftg nur bie fRacpahmuug ber 
SQSirflichleit, ber uadte {Realismus, angewenbet auf bie egoiftifepen 
Seibenfcpaften ber Beit, auf bie Sinnenfreuben, bie 3lßeS üppig 
unb rnfcp überwuchern, wie wilbe ©cpliugpflanjen in bem ocr: 
wilberten ©arten, wo bie marmornen ©tanbbilber unb ®empe(: 
fäuteu ber 3beale am ©oben liegen. ®od) brauept fie Stoffe, 
unb fo framt fie ooß £>aft in ben {Rumpclfammern ober großen 
Speichern ber ©efdpicpte nach giguren, bie ipr paffen, um fie 
mit geigenblättcrn ober burdjficptigen ©ajcwolfen ju beltcibcu. 

®iefe piftocifchen giguren fiept aber jebe B e 't mit ipren 
! Slugen, burdj ipre ©läfer an, bie, entmeber rofenrotp, grün ober 
fdjwarj, jene in oerfepiebenen garben erfepeinen laffen. (@o 
würbe fepon ju Anfang beS 18. Sfaprhunberts oon bent $am: 
bürget geinb ein „ßlero" gefeprieben, ber, bnrep bie ©rtfle feiner 
I B e it gefepen, ein weinerlicher ©urfepe würbe, ber fiep jwar in 
ein anbereS SBeib oerliebt unb feine rechtmäßige ©attin oerläßt, 
bann aber in {Reue unb {Rührung ju ipr jurüdfeprt, fo baß bas 
Stüd mit Hüffen, Umarmungen unb Xpranen fcpließt.) ®abei 
fommt bie gleicpgeßnnte ©efepieptsfritif pier unb ba ju fpülfe, 
fie läutert einen XiberiuS, einen {Rero, unb maept beibe einmal 
junäepft falonfäpig. @ie entwirft bie oorbereitenbe ©fijje, möbelt 
baS ®pon: ober ©ppSmobeß, fept baS Eoflüm feft, unb ber Stuufi 
bleibt bie lebenSwaprfcpeinliche Ausführung. 

(6(^Iu6 folgt.) 


H Canzoniere di Enrico Heine. 

$on (Ebnarb (Engel. 

git jeber lanblöufigen Siteraturgefcpichte ftept, baß wir 
®eutfcpen baS Ueberfeperoolf pnr excellence finb, unb baratt ju 
jwcifeln toürbe oon ben literarifcpen Patrioten als ein bent: 
licpeS Beiden bon Steicpsfeinblicpleit betrachtet werben. SRan 
fann jugeben, baß wir eine ungeheure Anjapt oon Ueberfepungeu 
ber ©oeten unb {ßrofaiften aßer Bungen befipen, gute unb 
fcplecpte, fogar reept perjlicp fcplecpte unb bennoep berüpmt ge: 
worbene; auep einige auSge&eicpnete, batum jeboep noep nicht 
aßgemein anerfannte. SBer ßcp aber ein wenig in ber Ueber= 
fepungSliteratur anberer SBötfer umgefepen pat, wirb ben ®on 
beS Eigenlobes um ein ©eträcptlid)eS perunterftimmen müffett, 
fintemalen eS eine gar niept mepr fo geringe Bapl bon oorjüg: 
licpen Ueberfepungen namentlich ber ßReifterWerfe beutfeper Site= 
ratur in anberen Sprachen gibt. 

greilicp batirt biefe {Reigung ber berufenen fremben lieber: 
feper, fiep unferen ®ichtungSfcpäpeu jujuwenben, erft aus ben lepten 
®ecennien; fie paben lange müßig pgefepen, wie mir mit einer 
eept beutfepen ©elbftaufbpferung uns immer unb immer wieber 
mit ber Aneignung beS gremben befepäftigten, epe fie eS jur 
1 ebetn ©ergeltung fommen ließen. {Racpbem aber einmal ber 
i ©ann gebrochen ift, ber auf unferer Siteratur im AuSlanbe log, 

I regt ficpS unaufhörlich, halb im {Rorbeii unb halb im ©üben, — 
i pier eine neue, gelungene englifcpe gauft:Ueberfepung fburdj 
! ©aparb ®aplor), bort ©epißerä ®ragöbien unb ©oetpeS „SRömifdje 
| Elegien" in’S Stalienifcpe übertragen (bon ©. ©onjaga), in Amertla 
! eine treffliche Umbicptung beS Seffing’fcpen „SRatpan" (burep Eßen 
| grotpingam), ber SRir8a=©cpaffh in einunbjwan^ig ©praepen net: 
' tirt unb greiligratp oon feinet ®ocpter perrtiep überfept. 




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Nr. 6. 


Bit ®fgfRBMtrt. 


8? 


Bu bfu beften ©rjeugniffen biefeS ©etteiferS frember Ueber= 
feftungSmeiftev red|He ich bie (c^ott in sweiter Auflage erfc^i«»ene 
iialienifdje Umbichtung Don JpeineS „©ud) ber Siebet".*) 3<h 
tfpie bieg um io liebet, als bet Ueberfefter, ©ernarbiuo ßenbtini 
in getrai;p, piit ganj ungewöhnlichen Sdjwierigfeiteu ju fämpfeu 
batte, bie tfteilS in bem ßtjaratter beS $eine’jcheu Originals, 
mehr aber noch in ber Unsulängtidjfeit bet üalieuifchen Sprache 
für bie getreue ©Übergabe getoiffer mettifc^er formen ju fuchen 
finb. ©tan benfe nur an bie Ueberfüße bet pifautwiftigen, per: 
fönlidjen Jpinbeutungen, bie ja laum bem literarifdj gebübeten 
beutfcben Sefet immer ohne SBeitereS oetftäublicb finb; an bie 
Dielen politifcben Slnfpielungeu unb Reibereien beS £eine'jd)en 
SieberbudjS, um fid) }u fagen, baf) ein felteneS Seifammenfein 
Don Seift, toeltmännifcber ©Übung, jarteftem ©erftänbnij) für 
bie „£eimlidjfeiten" bet beutfcben Sprache unb Dor Sltlem ein 
ecbt bidjteriicher gormenfinn erfotberlicb war, um mit bem leicht; 
befdjwingten Schritt ber $eine*fcben Stufe, biefet capriciöfeften 
aller toeibticben Sattheiten, eljrenDoß mitsnfommen. Onme tulit 
punctum, wem ba$ gelang! 

HnbererfeitS weife ich noch jur ©egränbung meines loben; 
ben Uriheils übet biefe Seiftung 3mbriniS nadjbrüdlidj batauf 
bin, bafj bie 3ab! ber ju männlichen Reimen brauchbaren 
©orte int 3talienifdjen eine fo oerfcbwinbenb geringe ift, wie 
bieQeicbt in feiner anberen Sprache Europas. Selbft in bem 
melobiöfen Spanien gibt eS eine ganje Reibe Don gramma; 
tifchen (Snbungen, bie confouanlifcb auSgepen unb ben Stccent haben, 
— ein nicht gering anjufölagenber Sortbeil für bie SRannigfaltig; 
feit ber poetifdjen gormen. 3m 3talienif<ben bagegen bebarf 
eS ganj gewaltiger Rnftrengungen, um bie in ber Ratur ber 
Spraye liegenbe weibliche äBeicbbeit ber SBortauSgänge um 
etwas berabjuminbern unb eine gewiffe Änsahl männlicher Reime 
tünfüidj su erseugen. 

RflerbingS- macht ftch datbrini juweilen bie Sache leicht, 
inbem er einfach bie 3nfinitibcnbitngen are, er«, ire Derfürst 
in bie männlichen, accentuirten &r, er, ir, — waS befanntlhh 
im 3talienifchen mit ©tafs erlaubt ift. Rur jtoeifle ich baran, 
ob feine Sanbslente, welche nun einmal an bie weich aus; 
flingenben Reime ihrer brimifcben Dichterberoen gewöhnt finb, 
biefe norbifcbe Umgeftaltung ihrer Sprache einem fremben Dichter 
julieb ohne inneres SEBiberftrebeit gutheifjen. Das finb aber 
gragen, bie B'nbrini ber Äritif feines eigenen SanbeS ju 
beantworten haben wirb. 

3n Dielen gälten, namentlich bei fursen ©ebidjten, gefchieht 
burd) biefe etwas profrufteSartige ©ehanblung ber Sprache bem 
©obtlaut faum Abbruch, aber bei längeren muff Benbrini oft 
nothgebrungen su bem ©iittel greifen, faft jebe jmeite unb Dierte 
©erSseile mit einer männlichen gnfinitiDenbung abjufd)liefjeii. 3« 
ben meiften gälten hat 3«nbrini auf Äoften ber getreuen SBieber; 
gäbe eS »orgejogen, baS Slbmechfetn jtoifchen männlichen unb weib- 
lichen Reimen, Weiches feines Dichtungen fo aujjerorbentlich fang; 
bar macht, lieber fallen su taffen, als baff er ftch unbefiegbare 
Schmierigfetten auferlegt hätte. 3<h labte ihn beSWegen nicht, benn 
befreit Don jebet geffet ber gorm, nur bem SeniuS feiner eigenen 
fchötien Sprache fotgenb, fonnte er fi<h um fo enger bem 3nhalt 
ber poetifchen Schöpfung anfchtiefjen unb um fo ungefjinberter 
fein bichterifcheS Radjentpfinben DoU sur Settung bringen. Uns 
Deutfchen ntujj boch gegenüber ben fremben Ueberfejjungen 
unferer üterarifchen Schäfte oor allen Dingen baran liegen, 
bafj fte ftch treu wie tftunlich ben heimifchen Dichtungsformen 
ihres betreffenben SanbeS anbequemem, um auch * n ber breiteren 
©faffe ber gebübeten ©ebölferung ©ropaganba für beutfdjeS 
Denfen unb Dichten su machen. Darum fei jebem fremben 
Ueberfefter beziehen, wenn er in erfter Reihe nach bene ©etfafl 
feines eigenen ©oUeS ftrebt unb erft banach bie Stimmen ber 
fremben ftritif beachtet. 

Der 3taliener, bet $eineS ,,©u<h ber Sieber" aus ber 
Botbrini’fchen Ueberfeftung lernten lernt, weifi ja in ben meiften 


*) Enrico Heine, II Canzoniere. Tradnzione di Bernar¬ 
dino Zendrini. Seconda edizione. Milano, G. Brigola. 


gälten nichts doh bem Original, er Derroifjt alfo auch l**®* 
ber echt beutfcben Schönheiten in ber gorm wie im RuSbrucf*, 
wenn er nur ein gut itatienifches Sieberbuch batauS gemacht 
fief)t, fo erfreut er fich baran wie an einer fdjönen urwüchfigen 
Schöpfung unb rüftmt bem beutfcben Dichter fldjer nach: „Quel 
tedesco fu un grau poeta!“ — womit wir unS nur befteuS 
einoerftanben erflären fönnen. 

BenbriniS Ueberfeftung feines ift, gleich jeher guten Ueber; 
feftung, in Dielen Dljeiten eine Reufchöpfung unb als foldje auch 
Don bem größten gntereffe für 3talienif<h öerfteftenbe beutfdje Sefer. 
SRobeme Dichter barf man nicht Wörtlich überfeften; es bleibt 
nichts übrig, als an bie Stelle beS Sufsugebenben etwas gutes 
SigeneS su feften. 3<h führe in biefer $infidjt bie leftten brei 
Strophen beS Derfänglicften $eine’fchen ©ebicftteS „Donna (Elara" 
an, um su seigen, wie liebeooU ber Ueberfefter feinem Original 
bem inneren ©ertfte nach gerecht su Werben fudjt: 

„fjordj! ba ruft e8 mich, Oeliebter, 

Doch bevor wir fdjeibtn, foUft Du 
Rennen Deinen lieben Rauten, 

Den Du mit fo lang’ »erborgen." 

Unb ber Ritter heiter lädjeinb 
trübt bie ginger feiner Donna, 

Süfst bie Sippen nnb bie Stirne, 

Unb er fpricht juleftt bie Sorte: 

„geh» ©emiota, @u’r ©etiebter, 

©in bet Sohn beS »ielbelobten, 

©toben, fchriftgelehrten Rabbi 
3frael »on ©aragojfa!" 

„Senti, amico? La mi chiamauo; 

Ma, ben mio, pria di partire 
II too nome mi dei dire, 

Che celaati ineino a qui.“ 

II garzon, ridente e placido, 

La man bacia alla donzella; 

Poi la fronte, poi la bella 
Bocca ei bacia e dice alfin: 

„Saragossa 6 la mia patria, 
lei nacqne it tuo fedelb, 

Figlio d’lben Israele, 

11 dottissimo rabbin.“ 

3<h weib nicht, oh es allen Sefern beS $eine’fchen (SebichteS 
fchon aufgefallen ift, baf) ber beutfdje Dichter mit unglaublicher 
Oewanbtljeit bie h>fh a niftrenbe Mffonans jebeS sweiten unb 
Dierten ©etfeS mit bem ©olal a ftegreich burchgeführt hat, — 
beiläufig ein oortrefflidjeS Argument gegen bie oberflächlichen 
Äritifer feines, bie ihm faloppen ©erSban oorwerfen, Diefe 
31ffonanj fonnte 3enbrini, bem fie übrigens auch biedeidjt ent; 
gangen War, unmöglich nachahmen, ©äfjrenb ben beutfcben 
Dichter leiber bie Reimnoth, wie fie fich i n falbem SRafe faum 
noch in einer anberen Sprache finbet, su bem Rodjbeljelf rhftth; 
mifch geglieberter aber teimlofer Strophen swingt, — fann 
fich ber itatienifdje Ueberfefter fo recht con amore bem wo!« 
iüftigen Reimüberfluh feinet Rhttterfpradje hu'fl^ben. Unb baS 
hat Benbrini namentlich in allen ben gälten gethan, wo er irgenb 
einer anberen gormenfehönheit ber fteine’fcfjen Setfe nicht hatte 
gerecht werben fönnen. 

Der erfte SerS jeber Strophe beS ©ebichteS „Donna ©lara" 
fchliefet im 3taüenifhen mit einem fchelmifchen Sdrucciolo-©ort, 
— chiamano, placido, patria — welches burdj feine baftylifdje 
©ewegung wirffam jur Stimmung beiträgt, gür bie noch 
fetjtenbe poetifche garbehgebung forgen bie pradjtboUen Reime 
in ber SRitte — fedele, Israele; partire, dire — nnb ber mämt; 
lieh abfchliefjenbe Dierte ©erS wirft noch eigentümlicher als ber 
weibliche beS Originals, etwa wie ein recht fribotes Sdjerso. 

SSBie werben bie 3tnliener, bie aus B*ubriniS Umbichtung 
$eine sum erften SRal fennen lernten, wie werben fie ihn lieb; 


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88 


9ie •tgetttttrh 


Nr. 6. 


gewonnen haben wegen feines läßlichen ßiebercpltuS „Die Korbs 
fee" („11 mare del Nord“), ber bet Poeße Oon ßeoparbi ober 
ben „Inni“ oon URanjoni minbeftenS ebenbürtig iß! Die ©Sieber: 
gäbe biefer reimtofen SReereShpmnen ift bent genialen Uebetfefjer 
fo wunberbar gelungen, baß ich ihr nur bie Uebetfe|ung ber 
©oetlje'fchen „Kömifdjen (Siegten" burch ben (Strafen ©ucrrieri 
©onjaga an bie «Seite fefcen faitn*). 

QnS bentföen ßefetn genügt bodauf in jenen $eine’fdjen 
Dichtungen baS ßürmifch bewegte, wie KleereSraufdien tönenbe, 
reimlofe Dit^tambenmetrum; bem Italiener würbe eS bei adern 
rhhthmifchen Schwünge bod) nur wie ^ülflofe unb fchmudlofe 
Profa Hingen, unb Benbtini h at wohl barait gethan, baft er 
feinen SanbSteuten julieb bem Keim roirfungSbode Keimte ein= 
räumte. SRit ÄuSnahme bramatifcher ©Serie pflegen bie Italiener 
faft ade poetifchen ©rjeugniffe frember jungen in gereimte 
Kerfe flu überfefoen. pinbarö Dithhramben f(hüben ihn nicht 
baoor, im Stalienißhen fi<h baS moberne ©ewanb beS Keimes 
gefaden Igffen ju müffen; Römers Obpffee oon 3ppolito pinbe: 
monte, bie SliaS oon ©incenjo SRonti ftnb in Keimoerfe über: 
fefct, — nicht minber ©oetljeS „Kömifche ©legien", „Prometheus", 
„Die ©renjen ber SJlenfdjheit" un^ ähnliche im Deutzen reim: 
lofe Poeften. 

Denen, Welche nid)t leicht ben „Canzoniere di Enrico Heine“ 
fich befdjaffen lönnen, thue ich ftc^er einen ©efaden, wenn ich als 
Probe eine bietgerühmte ©lanjftede aus feines „Seegefpenß" in 
ben beiben Sprachen herfefce. Piedeicht überzeugen fie fich, bah 
auch „hinter ben ©ergett" große UcberfefjungSmeifter leben. 

-„So tief, meertief alfo 

Serftedteft Du Dich »or mir 
StuS tinbifcher ßaune, 

Unb tonnteft nicht mehr herauf, 

Unb faßeft fremb unter fremben Meuten, 

Oahrhunberte lang,- 

-3$ h* 6 ’ Dich gefunben unb fchnuc loiebcr 

Dein ffifseS ©eftcpt, 

Die (lugen, treuen Äugen, 

DaS liebe ßäcbeln — 

Unb nimmer will ich Dich mieber Oerlnjjcn, 

Unb ich tomme hinab }u Dir. 

Unb mit auSgebreiteten Ärmeit 
©türj’ ich hinab an Dein fcerjl" — 

* 

* * 

— — „Dunque laggiuso in tanta 
Profondita di mar mi ti ascondesti, 

Per pueril Capriccio, 

Ne risalir potesti; 

E vivegti per aecoli strattiera fra stranieri,- 

-Io t’ho trovata alfine, e il tuo eoave 

E tido occhio rivedo e il dolce viso, 

E il dealato rrso — 

E non vo’ piü l&sciarti e a te diecendo, 

'E con proteae braccia 

Ecco giü mi precipito al tno cuoro“- 

Das „Doctor, ftnb Sie bes DeufelS?" (önnen wir uns 
wohl erfparen, ebenfo wie bie Schönheiten biefer Ueberfejjung 
im Sinjetnen uad)juweifen. Kur auf eins möchte ich hie wenigen 
liefet aufmertjam machen, benen bie betreffenbe Stede im Dante 
nicht augenblidlich in ber ©rinnerung ift. Der ©erS „E il 
deslato riso“ ift nämlich ber berühmten ©pifobe „Francesca da 
Rimini“ im V. Canto beS Inferno (©. 133) entnommen, Wo 
es heißt: 

„Qoando leggemmo U dia'iato riao, 

Eaaer baciato da cotanto amante.“- 

3«h halte biefe KeminiScenj an eine ben Italienern natüt: 
lieh allgemein befannte Stede aus ihrem größten Dichter für 
einen fehr glüdlichen 3«fl her Ueberfefeung 3enbriniS unb 


*) Siehe baS Jahrbuch „Italia“ (Wartung, Seipjtg), 2. ^Jahrgang. 


hoffe, baß fich beten noch recht Oiele in bem „Canzoniere“ 
ßnben, bie nur mir nicht gleich auffielen. ©erabe bu«h folche 
SSenbungen ber Ueberfeßnng wirb bem italienifchen ßefer bie 
wohlthuenbe Sdufion gewedt, als habe er eS mit einem heimi« 
fchen Original ju thun, unb baburch lann ber bentfehe Dichter 
nur an Popularität in ben fremben ßanben gewinnen. 

3enbrini hat es ferner weislich untertaffen, bie italienifchen 
ßefer, welche hoch flunächß nach $eineS bichterifchen Schönheiten 
fragen, mit ber intrihten unb troftlofen Politif DeutfchlanbS jut 
3eit ber brutalen Küdwärtferei ju behedigen. ©Bo es anging, hat 
er fich wit italienifchen 3uftänben ein Surrogat geßhaßen, unb 
wo eine langweilige Ännterfung nothwenbig gewefen wäre, hat 
er biefe unb bie betreffenbe Stede beS Originals liebet unter: 
brüdt. Seine Ueberfe$ung hat baburch an Klarheit nnb ©er« 
ftänbtichfeit für bie Italiener freier gewonnen. 

3n ber Ärbeit 3enbriniS ift nur wenig Schwaches ober 
gänjlich dRißtungeneS, — was bei einem ftarten ©anbe ge* 
reimter Dichtungen hoch anjufdilagen ift. gür HReißerftüde ber 
UeberfefjungSfunft überhaupt, bie fich wit bem ©eften meffen 
fönnen, was beutfeße Ueberfeßer geleiftet haben, halte ich inS: 
befonbere: „Die beiben ©renabiere" — „Ver la Francia 
traean due granatieri“; „Selfajar" — „La mezzanotte giä 
s’appre6sava“; ,,©S ift eine alte ©eßhidjte" — „Storia d'antica 
data“; ,,3d) Weift nicht, was fod eS bebeuten" — „Questa 
anima e si mesta“; „DaS SReer erglänjte Weit hwauS" — 
„11 mare splendea, splendea lontanamento“; „Du bifl Wie eine 
Slume" — „Tu sei bella, o mia dolcezza“; „Du haß Diaman: 
teil unb Perlen" — „Quanto desiano gli uomini Diamanti e 
l>erle hai tu“; „ßeife flieht burch mein ©emüth — ..Flebil 
Iraversa lanima mia“; „DenF ich an Deutfchlanb in ber Kad)t" 
— „Quando a Germania mia peneo la notte“. 

3n formeller ©ejiehung ftnb bie ©ebidße „Die ©Bad* 
fahrt nach Äeülaar", „Kadjt lag auf meinen Äugen" unb 
„©hübe $arolb" („@ine ftarfe fdjmarfle ©arfe") wahrhafte 
©raoourleiftuugen bon lieberjefcer:giligranarbeit, um fo mehr 
als in biefen fchwiertgen gäden 3enbrini ganj genau bem 
beulfcheit Kleinem mit feinen männlichen Keimenbungen folgt. 
£>eitie läßt erfte unb britte ©erSfleile in bem ©ebicht „Kadjt 
lag auf meinen Äugen" ohne Keim: 

„Kacpt lag auf meine» Äugen, 

©fei lag auf meinem üJlmib, 

URit ftarrem $irn unb ^erjeu 
ßag ich im ©rabeSgruub." 

„SliUft Du uicht auffteljn, ®eiutid) { 

Der eto’ge Dag bricht an; 

Die Dobten fenb erfiaitbcn, 

Die cw'ge ßuft begann." 

Der Italiener erhöht noch bie SBirlung biefes wnnber* 
barcit ©ebichteS burch bie ftreng burchgeführteit Keime unb 
burch fo manche oerftedte SRittel feiner Spraye: 

„I labbri avea piombati, 

Avevo agli oochi un vel; 

Cervello e enor ghiacciati, 

Giacea nel imo aveL 


„Enrico, io vengo a törti: 

Spunta l'eterno di; 

I morti son risorti, 

II cielo ai pii a’apri.“ 

©Jährlich, biefe Italiener haben es boch bon $aufe au« 
unenblich beffer als fo ein beutfeher Dichter, bem feine liebe 
dRutterfprache mit ihrer majeftätifdjen Ärmuth an Keimen e« 
oft fchwer genug macht, bon fich flu rühmen, baß „ein ©er« 
ihm gelingt in einer gebilbeten Sprache". Die beutfehe Sprache 
an unb für fid) bientet gar ju wenig für ihn. 

3um Schluß noch ein berwunberlicheS ©eifpiel bafür, baf 
ber Ueberfe|er juweilen bas Original merltich berßhönt, — 


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Nr. 6. 


9 it (6 t$t um txl 


89 


i df meine bamit nidjt etttm eine SSerfdjönung burdj einen flittcr- 
giften Äitfpufc nnb entbehrlichen {Rebeblumenfchmncf. Unter ben 
„SRomattjen 4 ' finbet fich ein aufterft fthnmung$Dofle$ ©ebicht mit 
ber Ueberfthrift „®httbe £atolb 44 , jebenfatte auf ben lob unb 
bie tleberfuh run Ö frer Seich« Sorb ©pronS nach ßngfonb ge* 
förieben: 

„(Eine ftarte ßbmarje ©arte 
Segelt trauert»!! bahin. 

$ie bermnmmten unb terftummten 
Seicbenhflter ft|en brin. 

Xobter dichter, jtiHe liegt er, 

SRit entblößtem Ungeflcht; 

Seine blauen Äugen f(bauen 
Smmer no<h $um #tmmel$(icbt."- 

geftattet fich unter ben $anben Benbrinte atfo: 

„Una grave nera nave 
Via per inar veleggia mesta, 

Muti e smorti gnardamorti 
Siedon entro in bruna vesta. 

Morto e in pace il vate giace, 

Alla faccia ei non ha velo; 

Per C08tume cerca ii lume 

L’occhio axzurro, cerca il cielo.“- 

Siet fo überfein fann, ber barf über feine ffiritifer, 
italienische ttrie beutle, lachen, Sollte ihm auch ba3 beutfehe 
publicum nur menig ®ant toiffen für feine f<höne Arbeit, ba$ 
italieuifche loirb ihn jtcher fchabloä Ratten. Slbcr auch *fle, 
benen bie ©efdjide ber beutfehen Siteratur unter frembem 
Fimmel am 4?erjen liegeu, toerben bent feinftnnigen Snter* 
preten $eineä eine cordialissima stretta di mano nicht ber* 
fugen. 




Das freiwillige Proletariat von Paris. 

Sine Weife nach ©aris in einem comfortablen gifenbabn: 
(Soupü ig eine ©pagierfafjrt im ©ergleid) gu bet überwunbenen 
©triobe| i bet antifen Diligencen, benen jicf) ein oorforglicher 
tfamilienbater uic^t anbertraute, beoot et nicht fein Deftament 
in Dtbnung gebraut hotte. SBet bie SRittet bagu h°t, tonn 
fleh baS Vergnügen nid>t oerfagen, bie eben fo oft gepriefene 
«Ift gefdpnähte ©tabt bet SBunbet gu feljen, naebbem fte it)m 
non ben Douriften — je nach beten petfönlidjen ginbrfiden — 
afft bet ©ammelptah aßet weltlichen $<rrlichleiten, als bie 
SRetropele bet fünfte unb Siffenfchaften, ober a(ft $ocf)fchule 
«Her Saftet, alft Dumntelplah oerfjeerenber Seibenfchaften nnb 
motalif(het Serberbnig in ben bunteften ©egattirungen ge: 
fdjilbert würbe. 

SS ift bähet nicht gu betmunbetn, wenn baft Suftrömeu 
©on Srembeu aßet Stationen täglich Wach ft, für bie ©aris ein 
Saßfahttftact geworben ift, obgleich batin webet Äbtag noch 
SBunberfuren, Wie in Wom, ©alette ober Sourbeft gu (toten, 
fonbetn SRandjeS, namentlich biet Selb loSguwerben ift. Sn 
»iex IBbchen tonn man fich bon ben ©ehenftmürbigteiten bet SEBelt* 
ftatt nutet bet Seitung eines lunbigen unb gefäfligen gührerS 
fumnutifche ©iubrüde ^oten. SJtan h«t aße öffentlichen 3Ronu= 
mente betrachtet, in ben SRufeen unb ©ammlungen bon ßunff: 
fÄjpä|en fich flüchtig umgefehen, Iheater, WeffaurantS unb ©af6S 
©on oerfdjiebener Wangotbnung befugt, unb reift ab mit bet 
Hebergeugung, ©aris tief in bie Äugen gefehen gn hoben. 

Sa* man in ©ati* gn fehen befommt, baft trifft man bet: 
etvgelt in anbeten großen ©täbten guropaS auch unb SRandjeS 
noch viel gtofartiger ; waft man aber »ergebend anberSwo fuchen 
nHhbe, baft ift baft eigenthümliche Sieben unb Ireiben bet auft 
ben heterogenften Elementen beftehenben, ab: unb guftrömenben 


©ebölferung. WirgenbS flehen fich bie ©egenfäfce bon Snpift 
unb Dürftigfeit mit ihten nngüfjtigen ©chattitungen fo fdjroff 
gegenüber wie in ©aris. Säljrenb bie Dafel mit ben rafffnirteffen 
Äenüffen aßet Ärt für bie Seft|er bon ©lüdftgütetn ftetft gebeeft 
ift, berfommt ein gtofet Zheil ber einheimifchen ©eböüerung in 
ben wahre (floaten bon ©dimuh bilbenben entlegenen ©äfchen 
beft ftolgen ißarift, unter ber SWotal unb ©efunbheit getfteffenben 
ginwittong bet Wtifßte. 

Die reifebefchreibenben louriften faffen nur baft in’ft Äuge 
ffaßenbe auf. Da aber Seber butch bie eigene ©rifle, bie ihm 
Steigung, ©timmnng ober Demperament gefärbt hoben, betrachtet 
hat, fo fömten natürlich bie ©chilbetungen beft ©efehenen unb 
gelebten nicht ftimmen. Daher bie ©erfchiebenheit bet tlttheile 
unb Änfichten übet bie SBeltftabt, bie in galjttofen öefchteibungen 
gefäßt würben, gin enbgüttigeft Uttheil lügt fich überhaupt übet 
eine ©tabt nicht fäßen, beten ©ebälfetnng gum gtogen Dheit 
auft gingewanberten unb ©affanten befte^t, unb bie im fort* 
mäfjtenben Umgeftalten begriffen, aße Äugenblide nutet ben Äugen 
beft ©eobachterft ihre äufjere ©hhft°S n °mie fowohl, wie ben Shotatter 
ihrer wogenben ©ebßlletung änbert. 

gft wäre octgebliche SRtthe, bieft farbenwechfelnbe fialeiboftop 
unb beffen flüchtige gtfeheinungen in einen eingigen Stahmen 
faffen gu woflen. SBogu auch? Die gingelheiten mit ihren 
eigenthümlichen Färbungen bieten überreichen Stoff gn intereffanten 
©eobachtungen. Sebeft eingelne ©ilb, baft man auft biefer 
grogartigen ©alerie hevauftgreift, trägt baft fienngeichen eine# 
Originals, wooon leine gopie anberSmo aufgugnben ift. Ser 
ben frangöftfdjen Stationalcharafter in ©aris ftubiren nnb nach 
helfen ©ollSleben beurthcilen wiß, ber berfäßt in einen fchon 
oft begangenen Srrthum. Der fpccieße gharalter bon ©aris 
lägt fi^ nicht begniren, weil es feinen hot, unb auch nicht hoben 
tonn, gs ig nicht, wie anbere $auptftäbte, ber gentralpantt 
bcS nationalen SebenS, fonbetn eine Änfammlang bon golonien 
aßet wäglichen Waten, in ihren gultnrabftnfungen nnb Zempera: 
menten geh eben fo unterfchetbenb, wie ber Sapplänber bom ©e= 
wohnet beS {üblichen guropaS. 

Senn fo biele reiche ÄuSlänber nnb ginljcimifche aus ber 
©rooing nach ©aris grämen unb geh bort banernb angebeln, 
fo gnbet man bas fe^r natürlich, ©te hoben feine anbere ©c 
fchäftigung unb ©orge als bas Änffnchen bon abwechfelnben 
materießen ober geigigen ©enüffen, unb biefe bietet ihnen ©aris 
in ber teidjgen ÄuSwahl» wie feine anbere ©tabt ber Seit. 
Sorin mag aber bet Weig liegen, ber fo biele auswärtige 
©roletarier nach ©aris nicht aßein gieht, fonbetn auch bort 
bauemb feffelt, felbg nachbem ihre Dräume bon gehofftem ©lüde 
bernichtet mnrben nnb ihre firäge burch Sah« lange ftämpfe 
mit ber Stoß) abgenü|t finb? Diefe ©eharrlichteit beS ©arifet 
©roletarierS unb ber Sauber, bet ihn an baS ©arifet ©flafter 
bannt, lägt geh nur burch bie ewig wache Hoffnung erflären: 
ber Sufaß ober eine glüdlidje Sbee, burch beren ©erwerthung 
fchon mancher feiner früheren SeibenSgenogen gut Sohlhobenheit 
gelangt ig, fänne auch ihm gu einer behaglichen g;ifteng oerhelfen. 
Dabei ig ein mefentticher Unterfchieb gwifdjen bem arbeitsunfähigen 
©rotetarint, baS oon ber öffentlichen unb prioaten Sohlth&tigteit 
unterhalten wirb, gwifchen ben arbeitsfehenen ©ummlern, welche 
gorrectionShäufer beoöllern, unb gwifchen bem freiwilligen 
©roletariat gu machen. Die beiben erggenannten glaffen gnb 
in aßen grogen ©täbten in faft gleichen Sahlcnoerhättniffen ber* 
treten; bie Untere aber, nämlich baS fteiwißige ©roletariat, ig 
ein eigenthümlicheS ©robuct ber gefeßfchaftlichen ©evhältniffe bon 
©aris unb gebest nur auf bem ©oben, bem es entfproffen ig. 

Senn man bie berfdjiebenen ©tabtbiertel, bie Äbhänge beS 
©antheon mit ihrem SRont ©t. ^ilaire, SRont ©t. ©enebiebe, 
bie oerrufenen Sorgäbte ©eßeoißc, ©illette nab bie Umgebungen 
ber äugergen ©arriören bnnhftreig, fo trifft man in ben engen 
©eitengägehen unb in beren fich aneinanber leljnenben, holb» 
oerwitterten Käufern', bidjt eingepfercht, ein rfihngeS ©Blichen 
©roletarier, bie aßen gnt6ehningen tro|en, für aße geregelte, 
ftetige ©efchägigung untauglich geworben gnb; gut Sahrung 
ihrer Unabhängigfeit aber eine erftaunlidje Dhätigteit unb Sn: 


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90 


9 i t <6 t g c n w a rt. 


Nr. 6. 


tefligenj im Kampfe mit bem SebcH eutwideln. ©ei ben Weiften 
oou ißuen haubett eS fid) freitief) nur um bie Sebürfniffe beS 
taufenben unb fommenben iageS, mit beren ©efriebigung ißre 
Knetgie erlahmt. ®ie Sorge um bie gufunft trübt nid)t ißre 
gewöhnlich Weitere,Stimmung, unb Bon einem außergewöhnlichen 
SBerbienft »iffen fie feine beffere ©erroenbung ju matten, als fid) 
einen gefttag ju bereiten. 

Stad) beu ftatiftifdjen Angaben Boit ®ucßateflet, Woneau, 
gregier unb gamcS beherbergt ©arte 80,000 freiwillige ©rote* 
tarier, bie feines ber befaunten bewerbe treiben unb Bon benen 
bie Weiften wenn ber lag anbridjt niefjt wiffen, wie unb wo fie 
effen ober f(trafen werben. Sitte biefe Seute haben fid) fctbft 
erfunbene gnbuftrien gefeßaffen, für beren ©egriinbuug fie fein 
anbcreS ©etriebScapital bisponibel hoben, als bie teeren fpänbe, 
eine allen Kntbeßrungen trogenbe gäßigfeit unb ein ©erftäubnife 
i^re törperlidjcu ober intettectuetten gäßigfeiten bei jeher ©er= 
gntaffung ju oerwertßen. ©iete Bon ißnen geböten, ober fcßliefeen 
fid) für eine geit lang beftebenben Korporationen ambulanter 
®ajdjenfpieler, Seiltänjer, Strafeenmufifanten ober Sumpenfammter 
an. ©ße biefe Stomaben leben, man weife nicht wie, hoben 
gamilie, taffen fuß ihre Kinber fetber erjießen, unterbatten bie 
Sdjauluftigen mit ihren Kunfeftüdert auf ben gaßrmärften unb 
Kirchweihen in ber ©anlieu, bieten ihre ®ienftleiflungen aller 
©Seit an, eignen fid) ju, WaS ©nbere wegwerfen, unb wiffen eS 
ju oerwenben. Sie gebpreben allen ©efegen, erfennen aber als 
abfotuten ©ebieter nur ihren Wagen an. ®iefer ®eSpot allein 
madbt fie nicht nur fügfam, fonbern weeft alte ihre ©eifteSfräfte 
unb fegt fie in Ißätigfeit. 

Unter biefen irrenben SRittern oom Drben beS fettigen gu* 
fattä tauchen Bon geit ju geit einjelne gnbioibualitäten auf, 
bie im ©ewufetfein ihrer überlegenen gäßigfeiten Weitere Horizonte 
als bie Sorge um ben näcbften lag in’S ©uge faffen. Stach 
granflinS SIjiom: „nichts liegen ju laffen, waS beS ©ufßebenS 
wertb ift", haben fie einjelne als unbrauchbar betrachtete Stoffe 
iu ben Straßenrinnen, Kehrichthaufen, ober in ben ©bfäßen bet 
SteftaurantS unb ©Serlftätten entbedt unb fid) angeftrengt Wittel 
ju erfinben, um fie ju öermertben. Waneben biefer intelligenten 
örfinber ift eS geglüeft, glänjenbe Stefultate ju erjielen. So 
entftanben eine Wenge gnbuftrien ohne Slawen, bie im ©rofeen 
auSgebeutet ben profeffioneHen gnbuftrien in ©ejug auf KrtragS= 
fähigfeit nicht nadjfteßen. Werfwürbigerweife hoben bie meiften 
biefer problematifdjen KrwerbSmittel, obgteidh jegt in alten eut= 
tegeneu StabtBierteln anjutreffen, ihren Urfprung ben arbeite 
fomen ©ewobnern beS Wont St. Hilaire ju Berbanfen, eines 
faft nnbefannten StabtBiertelS, in unmittelbarer Stacßbarfcßaft beS 
eben fo geräufdjooßen als feßmugigen Wont St ©eneoieoe mit 
beffen Berrufenen ©eBötferung. 

®S mag auffatlenb erfcheinen, unb boch ift eS eine confiatirte 
Xßatfadje, bafe bie Witgiieber biefer ßerumfereifenben ©enoffen= 
fchaften fich ben Stuf ftrenger <$^rticf»feit bewahrt hoben. SS 
gehört ju ben fettenften gälten, wenn einer Bon ihnen auf ber 
©nllagebant beS gudjtpotijeigericßtö erfcheint. ®ie ftatifeifeßen 
Xabeßen ber ©erichtspftege weifen nach, bafe feit unbenltichen 
geiten fein Komöbiant (saltimb&nqae) unb fein Sumpenfammter 
eine guchtßauöftrafe Betwirft hat. ®en ©runb bafür auf jufinben 
ift eine nicht leicht ju töfenbe pfgdjologifdje ©ufgabe. 

3» bem berüchtigten ©antßeomfflrronbiffement, in ben traurigen 
Ueberreften beS mittelalterlichen ©ariS, häuft bie ärmfte Klaffe 
beS ©arifer ©rotetariatS in einer ©bgrenjung, bie mau baS 
„©arbarentager" benannt hot. ®ie gremben wenn fie Bon bem 
,Dbeon jcum ©antheon gelangen, baS ©alaiS Sujembourg mit 
feinen herrlichen ©arten, ben garbin beS ©tanteS mit feinen 
freunbtidjen OuoiS befugen, paffiten fegt burch lauter breite, 
luftige, neu angelegte Strafeeu mit ftatttießen Käufern garnirt. 
Sie perlaffen baS Berrufene StobtBiertet mit einem günftigen 
Kinbrud, benn fie hotten feine Sthnung, in welcher Slähe fie fich 
Bon ben fcßauberßaftcn Höt)ten beS KlenbS befanbett, welche bie 
neuen ©auten gleiSnerifch oerbeden. 

®ie umfangreiche Hügelfette, bie fich Bon Dften nach ©Seften, 
oom ©anißeon bis ju beu Ufern ber Seine ßinjießt unb burch 


fteite ©bßängc unterbrochen wirb, ift baS eiterube ©efdjwüv beS 
prunfenben ©ariS, ber ©btagerungöptag Bon aßen Berpefteteu 
Ktementen, Bon aßen ©nfeedungSftoffen, Welche bie fogenannte 
Hauptftabt ber KiBitifation anSfeßwigt. ®iefe3 ©ewirre Bou engen 
fehmugigen ©äfechen, iu bie fein erwärmenber Sonneuftraht bringt, 
bie fein Suftjug erfrifeßt, ift bie guftudhtftätte aßet Unglüdlicheu, 
welche in ber opulenten Stabt feine erfdjwingbare SSohnftätte 
gefunben haben, wo fie frei aufathnten fönnen. ®iefeS „©arbaren-- 
tager" ift für bie meiften ©arifer baS unbefannte Sanb, non 
bem fie nur bunfle ©orfteßungen — nach einzelnen Schitberuugcn 
ber ©Saghätfe, bie biefeS SleferBoir aßer mephetifchen StuS- 
bünftungen, aßer phhfifch<u unb moralifcßen WiaStneu burch- 
ftreiften — hoben, gn biefer fumpfigen ©tmofphöre oermobert 
StßeS, Käufer unb ganje ©enerationen. ®ie ©eridjterftatter ber 
SanitätScommiffion haben burch ihre hoorfträubenben Schitberungen 
ber empörenben guftänbe bie Wnnicipatität non ©ariS in ber 
(egten geit aus ihrer Sorglofigfeit etwas aufgerüttelt, unb man 
hat eine gewiffc Stnjahl oon ©äfechen niebergeriffen unb fährt 
bamit fort, Sichtungen in biefen Urwalb beS Witben Käufer= 
geftrüppeS fdjtagen ju taffen. KS wirb aber noch lange währen, 
bis bie legten Spuren Bon ben ©Sognftätten beS häfetichen KlenbS 
oerfdfminben unb burch leibliche ©Bohnungen für bie in Sdjmug 
Berfommenben Strmen erfegt werben. 

©Sie eS heute noch bamit auöfieht, mag ehr ©eifpiel nach- 
weifen, baS ich ouS hunberten herausgreife, beren ©Saf)! mir 
ju ©ebote ftet)t. gn ber Slähe beS ftattlicgen Koflege be grance 
auf bem Xerrain, wo ehemals baS Stofter St gean be Satran, 
baS mittelalterliche ©fgl aßer Bon ben ©erichten nerfolgten 
©anfrottirer unb gätfher ftanb, hot fich iu ben Ueberreften ber 
©ebäube unb ber förche eine Kolonie Bon ©roletariern angefiebett, 
bie einjetn unb famitienweife bort wie ©auboögel horften. ®ie 
früheren ^öfe beS geräumigen ÄtofterS finb in SIbtaufgräben 
Boß ftinfenber gauche Berwanbelt, welche bie Suft oerpeftet. 
Wan begreift ferner, wie menfehliche SBefen in foldjet Kloafe 
leben fönnen; unb boch gibt eS unter ben ©ewohnern biefer 
Schmughöhlen, neben ber ambulanten ©eoötterung, bie fie nur 
ats Schtaffteße benugt, eine Wenge ffierfftätten, worin meiftens 
SBeiber mit namenlofen gnbuftrien befchäftigt finb, wofür feine 
©emerbfdjeine auSgefteßt werben. Kinige hoben fich hiS ju einem 
gewiffen Stnftrich oon ©Sohtftanb — im ©ergteid) ju ben anberen 
SchidfatSgefährten — aufgefcßWMngen. Kine baoon hot fogar 
eine ©rt Kaffeewirthfchaft etablirt worin fie an ihre Witbewohuer 
eine auS bem ^affeefag ber großen KtabliffementS gebraute feßwarje 
©rüße für 10 KentimeS bie Xaffe oerfauft. ®ie am meifteu 
Seneibete ift bie Wangin, bie ©riftofratin ber ©eßaufung. Sie 
fertigt Xobtenfränje aus ©bfäßen ber $örnbrechSler an, unb Ber-- 
bient täglich 25—30 SouS; befigt aber auch einen oerfchtießbareu 
Schranf unb eigenes Äocßgefehirr, eine große Selteuheit in beu 
Haushaltungen biefer ©roletarierrepubtif, in ber feiten etwas 
©nbereö als ©Safferfuppen unb Kartoffeln gefoeßt werben, gwei 
ber am beften erhaltenen ©eraäcßer werben Bon jwei „®id)t«m" 
bewohnt, gwei jener Ungtudticßen beS Siteratenprotetariats, bie 
aße ®ßüreu ber ©erteger unb gournate nerfcßloffen finben, waten 
gejwungeu, am Knbe ißrer fReffourcen angelangt, bort eine gu= 
ftucßtftätte ju fueßen. Sie fertigen auf ©efteßung Sieb« für bie 
©änfetfänger an unb f^ncibeu ®heaterftüde für bie SKarionetten- 
thtater ber gaßrmärfte unb Kirchweihen ju. „Heloife unb ©bailatb", 
„©enonefa Bon ©rabant" unb ber „®h urm oon SleSle" ßnb bie 
am ßäufigften oertangten ®ramen, für beren guredjtftugang fie 
10 grancS erßalten. 

®ie geießen ber äußerften Wifere, bie man in ben ©Jerf= 
ftätten oorfinbet, wo ©appfeßaeßtetn, ©njüge für ©uppen unb 
Heine Spieljeuge für Kinber fabricirt werben, erreichen einen 
wahrhaft abfeßredenbeu ©rab in bem non SaBoßarben bewohnten 
gtüget. Sie betreiben meiftens baS Wetier bet Kaminfeger unb 
Schußfelder, einige laufen Kanincßenfeüe auf. Um in biefe ©b= 
tßeitung ju bringen, baju geßört waßrlicß Wutß. ®ie meinen 
©efueßer werben Bon ben ©uSbünftungen ber an ber ®ede auf= 
gehängten frifeßen geße jurüdgefeßredt. ©Ber aber in eine ber 
großen Kammern gelangt, ber erftarrt oon bem Scßaufpiel eines 


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Nr, 6. 


f ic ÖScgeitjtmrl 


mibejdjreiblid)eu SleitbS. Sine folcfye Kammer wirb yt na<f) iljrer 
Gröjje Bon 8, 10 bis 20 Snbioibuen bewohnt, bereit ©djlafftellcit 
aus jdjmu^igem ©trol) befttben. Mße übrigen SiitridjtuHgni, 
Irfpp<n, genfter u. f. w. ( fittb in bemfelbeu Berfyältmj?. Üub 
beuuod) ift baS Gebäube »ofl Bewohn« bis unter’S S)adj, wo 
bie ((einen (Buben Olafen, bie am läge mit UCffen unb 2Jlurmel= 
tbieren fidj in bet Stabt „petits Sons“ j^oten. 

Sä ift begreiflich, bafe bei bem 9lu$britdj einer Spibemie 
bie Beoölferung folcber (Bohnungen tyaufenweijc weggerafft wirb. 
8113 bie Sbo(era 1849 in* Baris graffirte, betrug bie 9lniat)( ber 
XobeSfäde im Ärronbiffemeut beS (ßantbeon 25% bon allen 
©terbefäöen in ganj Baris. 

9tad) ben ftatiftifdfen Tabellen ber ?(bminiftration ber öffent¬ 
lichen SBotjlttjätigfeit werben in Baris jährlich 30,000 8lrme uon 
ber ©tabt öetpflegl. $aoon befinbeu fid) 14,300 im Ärron- 
biffement oom Bautyeott. Die Siffern finb berebter als ade 
Betreibungen unb {freien laut um Slbljülfc. Diefe wäre fc()ou 
längft gefdjaffen. Wenn bie Bemalter ber ftäbtifdjen Sinlünfte 
— bie befanntlicb bebeutenber finb als baS Bubget fo maniben 
ÄöitigreidjS — bie Bielen SKidionen, welche fte für bie Ber: 
frfjönerung Bon Boris oerauSgabteu, für baS Bieberreifeen foldjet 
abf$eulid>er fühlen be$ Sommers unb für Srridjtung billiger 
unb gefunber Mahnungen oerwenbct hotten. Damit märe ein 
hoppeltet 3med erreicht worben. .guerft gtofje Srjparnijj burd) 
bie Berminberung ber Uranien in ben oon ber ©tabt unter: 
boltenen 8lrmetifpitäleni, unb, waS noch wichtiger ift, eS würbe 
ber Dcmoraliftrung gefteuert werben, beren MnftedungSftoff fijh 
auf ganje Generationen nererbt, unb beren Urfpruiig in ber öeib 
unb ©eele corrampirenben SBirfung ber ÄOtagSmiföre ju fuchen ift. 

(Den in f$mu$iger $öl)lf wobnenben fßroletarier treibt eS 
hinaus in baS 9Kenfdjengewül)t ber fontrigen ©trajjen, unb er 
Siebt eS Bor, ben ganjen Sag in freier ßuft einem problematijchen 
Berbienfte uacbjujagen, als fich in feine äBobnung, an bie er 
nur mit Grauen bentt, einjufddiejjeit unb ein fotibeS Gewerbe 
gu treiben. SBaS unter foldiejt Berbättniffen auS feinen Äinbern 
toetben mu|, um ‘beren Srjiefjung er fleh ju betümmem webet 
$eit noch ßuft hat, fann man fidj leid)t benten. 

3fb mei§ wohl, ba§ mit ber Srri<$tung Bon bidigen unb 
gefunben SBohnungen baS febmere B r oblem ber fiuSrottung beS 
BouperiSmuS nicht feine befinitioe ßöfung erreicht, unb oerberb: 
liehe Gewohnheiten bamit nicht rabicat furirt werben. Saju gc= 
hören noch Biele anbere gefedfchaftliche Umgeftaltungen, unb oor 
Ädern B«l Seit- GS fann aber nicht beftritten werben, ba| bie 
8abl ber freiwidigen (Proletarier unb (Jtomaben bebeutenb Deringert 
Würbe, wenn man ihnen behagliche SBopnungen einräumen unb 
fie nach unb nach on ein häusliches ßeben gewöhnen wodte. 
gür bie Bichtigfeit biefer Behauptung liegen eine SDleuge Beweife 
Bor. gn ben neu angelegten ©troffen biefeS unglüdlichen ©tobt: 
BiertelS finbet man gröfetentljeilS biefelbcn Bewohner wieber, 
Welche in ben abgeriffenen ©pelunfen langfam Berfümmerten. 
SRan muh aber über bie Betänberung erftaunen, bie mit ihnen 
Borgegaitgeu ift. Sie fdjämen fich üjtet Bergangenljeit; ihre 
^inber, bie früher in ßumpeit gepdt in bie Sommunalfchule 
gingen, finb reinlich gelleibet, hoben ein gefunbeS 9lu8fef>en, unb 
auS einer Bicnqe Slnjeidjen erficht man, baff ein anbereS ©treben 
bie früheren freiwidigen Btoletarier unb ^erumftreicher in ge= 
regelte Arbeiter Berwanbelt hot. 




Jlu# ber d»aupf|taM. 

Drnmatifdje 

Per gfürft bes S^wmbefs. 

SRerrabel. 

föjarafterfoinöbie oon Balzac, in 4 mieten, eingerichtet oon 
Ulbert iMnbncr. 

Kd gibt eine erhebliche ttuzaht ald bettifdje Driginalbichtungen be 
Zeichnetet Stüde, bte fich unteir gün^Uc^ec $nf<|nKigung beÄ 9lante«ö 
tlpe3 eigentlichen 93erfaf|ec« biet inttmet on ein ftonjöjii^ ®orbilb 
onte^nen old biejer „gücft bed S^totnbeld^ ber fich m ^ ciwcr u ^ ! 
bienten Sei^eibeit^eit old eine emfat^e „©titrufrtiing" bed Jöol^flc’j^n 
„aJlercobet'' oudgibt. 3n bem £nft{|ne(, bod wir fyier geXegentü^ bed 
©aftjpield bon tfarl Sontag ouf ben Beatern bed 9tefü>eit£tf)eaterd ge= 
fe^en ^oben, ift bon ©ol^oc toenig übrig geblieben, unb Älbert öinbner 
ift an betreiben in einem 9Koge beteiligt, meli^ed über bad ber 93earbei^ 
tung eigentlich »eit ^tnoudgeftt. lp\ in ber ©cenenfw^rung, in ber 
§anb(ung, in ber ,3ei$nung b/r (^^arattere fe^r et^ebli^e SerAnberungen 
üorgenommen unb fich ©atjoc’fc^en Dialoge na^cju nollftänbig 
emoncipirt. $ie haupttenbend ber litnbmr’i^en Bearbeitung ift -bie, baft 
ber heutige 2)idjter bie fran^öfif^e Äomübte um einige Stufen ^erab^ 
gefegt, fte bed 9tnfpru^d, eine berbe unb nnnudbfu^tige Satire ber ßcit 
bed Sdjminbeld §u fein, entfleibet nnb ed ft^ ^at genügen loffen, ein 
unterljattenbed, mögli^ft Inftjged ©tüd ju fc^reiben, in Welkem ein rulje; 
unb getniffenlofer ©efd^Aftdmann bie $<uM>trottc fpiejt. üin „Surft bed 
Sdjroinbeld" ift ber ßinbner’jffte „SÄercobet^ bo$ n>oW ober ebenfotuenig 
toie ber Bai&ac’fd}e; ba^u fehlt bem fönen »ie bem Änbern bie SBeite 
bed ©efubtdfreifed, bie Äü^nbrit ber 3beeu, bie Äeifterfcboft ber fö>m= 
binotion, mit einem SBorte: bad ©rofmrtige. ^iefe beiben Siercabetd 
baf>en eigentlid) recht befebeibene BerbAltniffe; beibe arbeiten mit relatio 
tleinlicben Bütteln, um ein relatib fleinliche^ S&efujiat 
um ben Itratb bed mibebeutenben $>aujed Btercabet }u ftunben. 

2)ie öefcbAfte, oon benen im Stüd bte Äebe ift, finb im Vergleich 
ju ben grogen finanziellen Unternehmungen, an benen ftd> bie mah^t 
gürften bed S^minbeld betheiligt hah^tt, bie reine Bogoteffe. Baljac 
hat baher ainh einen einfacheren Xitel für fein @tüd gemühlt, ber mit 
ber fönfachbeit noch ben Borjug oerbinbet, nicht mie ber Sinbner’fche 01 t 
einen ©olportageroman erinnern, unb fein ©tüd einfach- faioenr“ 
genannt; unb ba amh in unferet Börfenfprache bad oietbeutige ßeitmort 
„machen" in bem Sinn oon „über’d Ohe hm»en", „bef<h»iflbein" gebraucht 
mitb — „3emanben ma<hen" — fo mürbe bie mortgetreue Uebcrfefcung 
bed Xiteld: „Ber Btacher" vielleicht ganz 0lüdli(h g?mahlt gemefen feilt. 

Bie $auptoerroid(ung hnt4Hnbner Balzac entlehnt. Btereabet, ber 
oor einigen 3ah ren öon feinem ©ociud ©obeau auf f<hmAhli(he ®cife 
hinteegangen morbeu ift, h<*t fich nur burth ©efchAfte zmeifelhaftefter 9lrt 
unb burch lünftlichen unb ungefunben föebit auf ber OberflA«he Z« er= 
halten oermocht. @r fteht beim Beginn bed ©tüded int Begriff zu oer= 
finfen, ald fich eine Kombination barbietet, bie ihn aufchfüienb and afieit 
Kalamitäten ju retten oerfpricht: bie Berheirathung feiner Xothter mit 
einem für reich geltenben Grafen oon Btontaüarb, mie er bei ginbner 
heigt, §tx r be la Brioe, mie ihn Balzac nennt. Kd braucht ni^ht gejagt 
ZU merben, bag bie üblichen S^mierigfeiten fleh ber fofortigen Bermirl- 
lithung biefed Blaned oon Btercabet entgegenpeüen, bag bte Xochter einen 
Snberen liebt, nämlich ben Buchhalter äfttnarb, ber ein natürlicher Sohn 
jened ©obeau ift, mcUljer bnreh feine Beruntreuuugen bte ftauptfcgulb 
baran trägt, bag 5Jtercabet ein ©chminbler gemorben ift. 3 n bemÄngeits 
blide, ald ^tvifchen ®lercabet unb jenem reichen «riftofraten, ben er zu 
I feinem ©thmiegerfohn erloreu, bie beoorftehenbe Berbinbung mit 3“lic 
SRercabet feftgemacht merben foü, tommt h^tand, bag biefer geträumte 
©chmiegerfohn ein burch unb burch oerfdjuibeter Btenfch ift, ber aud 
bemfelben (Srunbe, aud melchem SRercabet feine Bochter oerheirathet, biefe 
Khe etngehen miH: nämlich um fich aud ben Klelboerlegenh^tten zu bc= 
freien. Bie ©eene, in ber bie Beiben, bie fich gegenfeitig für reich ge- 
! halten haben, bie SRadle fallen laffen, fich bnrehfehauen nnb in ihred 
■ Süchtd burchbohrenbem ©efühle halb Oerbrieglich, halb fcher$haft bie pro^ 
I jectirte Berbinbung rüdgängig machen, ig bie bege bed ©tüded, ig eigent- 


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92 


Sie «egtnwart. 


Nr. 6. 


ließ bk einzige toirfltc^ gute; aber fte iß eben jo gut, baß man, wenn 
man aueß etwa* lange barauf matten muß, bocß uießt feine gcit als net' 
loten bereut. 

©aS nun in beu beiben Dramen nodj folgt, in bem franaößfcßcn 
mk in bem beutfeßen, ift nießt feßr erheblich. Die fiöfung im Original 
iß nafpftu lftppifcß, unb bie fcßlecßten lebten Acte ftnb baran jcßulb ge- 
mefen, baß baS Salaac’fcße ©tüd, baS fo bebentenb anßebt unb einige fo 
boraüglicße Momente, fcßarf burcßgebacßte, treu beobachtete ©ßaraltere 
unb unartige epigrammatifcße geißboüe SBenbungen im Dialoge aufmeift, 
ftcß bennocß niemals auf bet ftanaößfcßen Sühne hot einbürgern fönncn. 
Salaac hat baS trioialße Mittel nicht gefcheut, um bie §anb(ung au ©nbe 
an bringen; er läßt ©obeau reumüthig aus Snbkn mit einem loloffaten 
Sertnögen anrüdlommen, ihn üRercabetS ©cßulben beaaßlen unb 3Rer= 
cabet mirb nun borauSßcßtlicß ein gana anßäubiger, ruhiger SRann 
merben, mäßtenb Sulie ben Sucßßalter, bet non feinem Sater ©obeau 
aboptirt mtrb, ßeiratßet. 

0ana fo fchlimm hat eS Sinbner nicht gemacht; aber niet beffer ift 
feine Söfung auch nicht gemorben. Anftatt beS leibhaftigen ©obeau 
fommt ein Srief non einem feht entlegenen Rotar, ber melbet, baß 
©obeau geftorben iß, unb feinen ©oßn, ben Sucßßalter, aum Untnerfal-- 
erben feines unermeßlichen Vermögens eingefept hat; morauf alfo be* 
fagter Sucßßalter ÜRercabetS ©chulben beanßlt unb beffen neue ©jißena 
begrünbet. 

Dk $anptfcene, auf bie ich ßßon norhin hinmieS, bie AuSetnanbcr; 
fepnng amifeßen ben beiben ©eßminblern, ift — unb bas ift baS §aupt= 
nerbienß beS reich begabten bramatifchen Dichter# Ulbert Sinbner — in 
ber beutfeßen Racßbilbung niet braftifeßer unb bühnengerechter als im 
franaSfifcßen Original Sei Salaac erfährt SRercabet ben maßren Sct= 
mdgenSauftanb feines präfumtineu ©cßmkgerfoßnS in bem Augenblid, ba 
ber ©ßecontract abgefcßlofjen merben foü, nnb ift alfo noQftänbig nor= 
bereitet; bet Sinbner aber ift — ungleich bühnengerechter — SRercabet 
mäßrenb ber Serßanblungen felbft noch oofllommen im Unflaren über 
ben maßten SermögenSauftanb feines ©ibamS, unb erß in golge einer 
anfälligen Aeußerung beS ©rafen, beren Dragmeite biefer gar nicht 
aßnen lann, bureßfeßaut SRercabet ben teibigen ©acßnerhalt. Daburcß 
geminnt bk Situation an Sebenbigteit unb lomifeßet ©klung; unb es 
ift au beflogen, baß eine fo boraügtieße bramatifeße ©^ne in einem 
fonß akmlicß reialofen ©tücfe begraben mtrb. 

3m ttebrigen ßat Sinbner maneße Aenberung borgettommen, beren 
Bmedmäßtgfeit nießt recht einteueßtet. Aus einigen ber oon Salaac mit 
großer ©cßärfe geaeießneten unb feßr intereffanten ©ßaraltere ßat ber 
beutfeße Searbeiter alles inbioibueüe Sehen ßerauSgenommen unb fie, 
um SRercabet au heben, berart ßerabgebrüdt, baß fte faß gana *er= 
feßminben. grau SRercabet, gtänlein 3ulie ÜRercabct unb ber Sucßßalter 
ßnb in bem beutfeßen ©tüde reeßt ßeralicß nießtsfagenb. Die grau ift 
einfach fentimentat, baS SRäbcßen ßat bie übließe jugenblicße Raioetät ber 
für biefeS gaeß engagirten ©dßaufpielerinnen, unb ber Sucßhatter ßößt 
gar fein Sntereffe ein. Obgleich bie ©alanterie nießt bie ©pecialität au 
fein pßegt, bureß melcßc mir uns ben granaofen gegenüber ßeroortßun, 
fo ßat Albert Sinbner bieSmal in SiebenSmürbigfett uttb Serbinblicßfeit 
ben Damen gegenüber bem ßarren unb lieblofen Salaac ben Rang ent- 
feßieben abgelaufen. 

Albert Sinbner ßat, um grau ÜRercabet erßeblicß berjüngen au 
fOnnen, ße oßne eine anbere nacßmeiSbare Rötßigung au beßen atueiter 
grau gemaeßt unb ßat ferner 3ulien mit allem Siebreia ber 3ug?ub 
auSgeßattet. ©ie anberS bei Salaac, mie boritefflicß iß ba bie bieraig* 
jäßrige grau SRercabet, bie feßr rnoßl meiß, baß bie ©ummen, über 
bie fte für ißren $up, für ihren Aufmanb, für bie Sefucße im Dßeafcr, 
bk gaßrten bureß baS ©eßöla berauSgabt, nießt aus lauteren OueOen 
ßießen unb bk bennoeß eine geraume gek lang ein Auge aubrüdt, 
um bie ißr liebgemorbenen Sergnügungen, bk ben ©rebit ißreS SRanneS 
ßeben, nießt entbehren au rnüffen, bie gar ntcßtS bagegen einaumenben 
ßat, baß ißr SRann ißr einen ©ourmaeßer, ber ißm gejcßäftlicß nüplid) 
iß, aufeubet, — bie richtige granadftn, bie bie Sfcinung ißreS SRanneS 
über bk Serßeiratßung ißrer Dotter mit einem reitßen SRanne boü* 
fommen tßeilt, bkfe nüplicße Serbinbung mit ber Autorität ber üRuttet 
gu förbern fueßt uub für baS, maS man etma fceraenSregungen ber 
Docßter nennen fönnte, nießt baS minbefte Serßänbniß befipt. Unb mie 
innig unb maßr iß baS ßäßließe ©Stoßen, iß bie Salaac'fcße Sulie, bk 
fieß ißrer $ftßttcßteit bemußt iß, unb ßcß barüber grämt unb härmt, 


bk bem jungen HRenfcßen, ben Sucßßalter, ben fte über AüeS Hebt, 
nacßaufüßlen ber mag, baß er fteß bon ißr, ber Annen unb $äßlicßen 
abmenbet. Der SRonolog ber reifen unb überlegenen Sulie, melcßc ben 
ameiten Act bei Salaac befeßließt: „O ©cßönßeit, unbergleicßlicßeS Sor= 
reeßt, baS einige, baS man nießt ermerben lann, unb baS boeß nur 
eine ©ßimärc iß, nur ein leeres Serfprecßen — ja Du feßlß mir!" — 
biefer SRonotog beS armen unb erbitterten üRäbcßenS gehört gu beit 
guten ©eiten, bie Salaac gefeßrieben ßat. AüeS baS ßat Stnbner einfach 
befeitigt; bie Sinbner’fcße 3ulie iß ein gräulein, mie man beren eines 
in jebem recßtfcßaffenen ©tüde gu feßen betommt. 

©benfo ßat Sinbner aus ber geiftigen Sfßpognotnk beS SucßßalterS 
einen a^ar nießt feßönen, aber unenblicß cßarafterißifcßen gug getilgt. 
Sei ißm bleibt ber Sucßßalter treu unb ftanbßaft in feiner Siebe, aueß 
als er ctfäßrt, baß Sulie gar lein Sermögen beßpt, er iß ber üblicße 
amoroso; bei Salaac aber berüßrt ißn biefe plöplicße Offenbarung äußerß 
unangenehm unb maeßt ißn gerabeau ßupig. 3u ber franaSfifcßen Äomöbie 
ßat SRercabet aueß baS ootte Uebergemicßt über ben Siebßaber. Der 
Sater lann bem jugenblicßen üRenfcßen, ber noeß nießt fein AuSfommen 
ßat, mit ooüem Recßte fagen: ,,©ie junger üRann ßaben ben grieben 
meiner gamilie geßört, ©ie ßaben meiner Docßter überfpannte Sbeen 
bon Siebe in ben $opf gefept, bie ißr baS ©lüd erfeßmeren; Sulie iß 
einige ÜRonate älter als ©ie, 3ßw falfcße Siebe mußte für meine Docßter 
etmaS SerfüßrerifcßeS ßaben, bem lein ÜRäbcßen in ißrer Sage miberßeßt" 
Der Sucßßalter muß baau feßmeigen, benn ÜRercabet ßat Reeßt, unb 
als ber junge 3Rann feinen ©ebanfen aüein überlaffen bleibt, muß er 
fieß fagen: „3cß ßabe 1800 grancS ©eßalt, icß ßabe nießt genug, um 
allein babon au leben, maS foü aus Dreien merben? Da iß fk! ©ie 
fommt mir jept gana beränbert bor; icß ßatte mieß fo baran gemößnt 
fte aus bem ©efteßtSpuuft bon 300,000 grancS SRitgift au betrachten." 
©S ift nießt feßön bon bem jungen üRann, augegeben; aber mk maßr! 
©S ift ein eeßter Salaac T fcßer gug, mitleibloS, berßimmenb, ßäßließ unb 
richtig. Rimmt man aber einmal einen Salaac’fcßen ©toff nnb fept mau 
ben Ramen btefeS graufamßen DicßterS auf ben 3^ttel, bann barf maw 
ißm aueß feine ©igentßümlicßfeiten nießt neßmen, felbft, menn ße tut lieb= 
fam berüßren foüten. Das Sinbnet’fcße ©tüd ßat boit ber Mcßterifcßen 
©igenart SalaacS faß gar tfießtS beibeßaltett. 

Alle bie epigranimatifcß aerßeifeßenben unb asrfepenben ©ptpen bcs 
Dialogs ftnb abgeftumpft unb unfcßäblicß gemaeßt; aus gäßrenbem 
Dracßengift iß bie ÜRilcß ber frommen Denfart gemorben. ©o mk bic 
©aeße jept bei Stnbner iß, mirft ße ja Diel oergnügltcßer, baS iß maßr; 
aber meSßalb fieß Sinbner fobiel mipige ©tnaelßeiten beS Dialogs ßat 
entgeßen laffen, bie nteßt einmal berlepenb ftnb, ift feßmer au fagnt. 
ffienn einer ber ©läubiger bon SRercabet fagt: ,,©r lügt mk ein 
SrofpectuS einer ActiengefeÜßßaft", fo iß baS aueß ßeute noeß miptg; 
unb menn bon bem Sanlerott bie Deßnition gegeben mirb: „Der 
Sanferott ift eine Art uumiffentlicßen DkbßaßlS, ben baS ©efe| 
geßattet, aber bureß gormalitäten erfeßmett", fo foüte man ein fo bot' 
treffließeS Sonmot nießt einfach bei ©eite merfen. ©benfo mürbe bet 
Ausruf eines ©läubigerS itocß ßeute feine ©irfung nießt berfeßlen: 
„Rtercabet iß ein entaüdettber ÜRenfcß; er ßat nocß nie Semanbem ettoa« 
au Setb getßan, — au^er feinen Acttonären!" Senupt Sinbner aber 
einmal ben Salaac’fcßen Dialog, fo erfeßeint mir feine Sermertßnng nnb 
Uebertragung biSmeilen nießt gana ßicßßolttg. gfir baS Salaac’fcße: 
„J’entends sonner le glas de la faillite“, ßabe icß, meint tcß reeßt 
berßanbett ßabe, folgenbe bebenfließe Ueberfepung geßört: „Deine gttnge 
läutet bie Dobtengtode beS SanferotteS." ©ine läutenbe gnnge! — 
Sinbner ßat feßr reeßt baran getßan, einige ©efeßmadtoßgfeiten, mie 
a. S. bie SerfleibungSfcene, bk felbß bureß SalaacS oorbereitenbe ©ntfcßul- 
btguttg nießt beffer mirb, au befeüigen. üRan merft überhaupt bem gan|en 
©tüd an, baff ein büßnenfunbiger unb begabter Dramatifer bie $asb 
im ©piele geßabt ßat. 

Das Sölaac’fcße ©tüd, baS bot etma 40 Sußr^n gefeßrteben morben 
ift, ßat natürlich eine ganae Reiße oon Ueberfepungen in’S Deutfcße unb 
bon beutfeßen Searbeitungen erfaßten. Dk Searbeitung bon Saßn: „©tu 
Dag aus bem Seben eines Sörfenfpeculanten", iß feßon 25 Sußre alt, 
neuerbingS ßat aueß grefeniuS baS Salaac’fcße ©tüd für unfet Reper= 
toire au geminnen berfueßt. Aber baS Suftfpiel mirb auf ber beutfeßen 
Süßne ebenfo feßmer feften guß faffen, mie in granlreicß. Die Salaac'¬ 
fcße Dicßtung ift freilich feßr intereffant nnb berlodenb, aber ein gute# 
©tüd mirb fieß taum barauS maeßen laffen. 2Ran lann folcße Dßpen, 


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Nr. 6. 


Ute Äfgeittart. 


93 


bie ßj unb fertig ßnb, unter Umßänbeu feßr wirffam einführen, aber 
wenn man fle an ihren nicht gleichfam {trafen, ße nicht p 

dntnbc richten will, fo weih man auf bet ©üßne nicht, Wal man mit 
ihnen anfangen fott. de gibt ba (einen oerfößnenben unb äßßetiff 
richtigen ttbffluß; unb wie beim SRolifere’ffen „deiaigen", wie beim 
„ttRifanißrop", fo bleibt auch bei „SRercabet"; wenn ber Vorhang §um 
lefeten SRal gefallen ift, ein (Befühl ber ©erftimmung jurücf, weil man 
weih, bah ber deijige morgen noch eben fo tnauferig unb (niderig fein 
wirb, wie er uni heute 1*8*10* würbe, bah ber SRenffenfeinb erbittert 
unb ttnoerfößnlif, bah SRercabet unpöerläfftg unb fchwinblerifch bleibt. 

Sag Stüd würbe auf ber (leinen Sühne bei Steßbenatßeateri mit 
jener Sorgfalt unb griffe bargeßettt, bie biefem Sßeater feit längerer 
3*it einen guten drebit oerffaßt hüben. Ser daß, §err Äarl Sontag 
an« $amtober, gab ben SRercabet ohne alle häh^bc Uebertreibung. ohne 
(ünßtife IRfiancen, einfach unb mirtfamunb oortreffUch. Sieben ihm gelang 
ed bem fehr intelligenten unb fehr begabten $erm feppler fi<h ul* draf 
SRontattarb deltung p berffaßen. SCHe anberen Stoßen treten hinter 
biefen gurficf; fte würben burchgängig gut bargeßettt. 

Paul £inban. 


iUaftaue Caoerlet. 

Sfaufpiel oon dmil $1 agier. 

(degeben pm erßen SRal am Stabttßeater.) 

Ser SRufentempei in ber Sinbenßraße mag fehr oermunbert fein, 
baß er jeben Slbenb faft ober gan* auloerlauft iß — er iß bal gar 
nicht gewöhnt. Ser drunb liegt in bem daftipiel ber SRitgJieber bei 
©toflnertßeaterl unb ißrel Sirectorl bei §erro Sebrun. 

Sal neue ©tue! iß franaöfijf burch unb burch; bie ©oraulfcpungen, 
auf beneu el ftch erhebt, bie einzelnen deßalten, bie (lare realißijfe 
Haltung — Sittel oerräth ben franaöfiffen Äutor. Sticht nur bie ©or= 
gfige, auch bie geßler, ober wal uni Seutffen fo erfreuten mag. 
©ugier hot einen driff in bal üeben gemacht, um eine Schwäche ber 
defefcgebung feinel &mbcl blolplegen unb ihre $ärte |u beweifen; 
granfreif (ennt, fo weit e! fatholijeh iß, nur bie Trennung Oon Siff 
unb ©ett, nicht aber bie gänzliche Scheibung, bie eine neue ©erbtnbung 
ermöglicht. 

3n ber Stöße &on Saufaune lebt $etr dauertet mit feiner gamtlie, 
oon Sitten bie ihn (ennen ßof geaf tet. Seine datün Henriette iß bie 
getrennte grau einel gewiffen SRerfon, einel 9tou4l, ber |uerß bal Ser« 
mögen feiner grau burfgebraft hat unb fte bann im dlenb oerlieh. 
$r. fiaoerlet, ber Henriette liebt unb oon ihr geliebt wirb, bietet ihr 
feine §ülfe; fte ßiehen in bie Sfweta, wo fte 15 3 aßre all dheleute 
gelten. SRerfon erfährt burch einen Sufatt, bah feine dattin eine reiche 
Xante beerben wirb unb erff eint, ehe $enriette el erfahren, auf einmal 
all ©ereueuber, um alte Siechte geltenb 5 U machen. Saburch wirb bal 
lange bewahrte deßeimniß offenbar, eine beabftchtigte ©erbinbung ber 
Xocßter Sfannh mit Sießnolb, bem Sohne bei griebenlrif terl, unmöglich, 
ber Sohn gegen ben $ßegeoater, all bem dhrenräuber .feiner SRutter, 
aufgebracht Sie Alöfung gefchieht burch delb. SRerfon betommt bie 
$älfte ber drbfehaft, fo baß er ftch auf drunb einel ©obenbeßpel all 
©fwetaer naturalifiren unb all jolf et oon ber grau legitim gerieben 
werben (ann. 

Sal Stüct hat eine gütte reipnber unb erffüttember Situationen; 
bie Siebeiwerbung SleßnoW iß eine Scene, bie beutfeh genannt werben 
tönnte, fattl el uni wirfUch gelingen würbe, p beweifen, baß nur bie 
germanifche Stace demüth habe. Sie Unterrebung jwijchen Ste^uolb unb 
feinem Kater iß reich an huntorißifchen 8 ügen, bie awiffen daoerlet 
unb bem Stieffoßu, $miff eu bemfelben unb feiner SRutter oon erff ütteru* 
ber SBirtnng. 

©ber trof allebem fommt man p (einem ungeftörten denuß, benn 
ber debonffc, SRabame dauertet fei eigentlich nicht SRabame dauertet, Oer« 
läßt uni nie. Stoßt feßen wir in ißr ein ebtel Stoib, in SRerfon einen 
Kerlotterten; woßl oerßeßen wir ben Stortß dauertet!, aber bennoeß 
werben wir ein defflßt bei Unbeßagenl nicht toi. Slugier ßat bal auf* 
geßeHte Problem nur geßreift, nicht gelöß; er ßat gegeigt, wie ein fotcßel 
©ccßältniß in einem gatte ßf entwideln (ann, aber er ßat bnrcßaul 
Hießt bemiefen, wo bie Rettung für bie ftraufßeit unglüdlifer dßen p 


fueßen fei. Sterben benn in jebem gatte Santen mit einer SRittiou, bie 
man benüßen fann, um ben ebten datten ber defepliffeit §u befeitigen? 
©leibt jebel foteße ©erßältniß, wie ba! daoerletl p Henrietten, auf bie 
Äinber erßer dße befeßränft? Unb iß fcßließlicß ein ßarter Paragraph 
bei Sieftlbufl Scßulb an ben feßteeßten dßen? .... SBir (önnen bal 
©laibober Slugierl nießt all beweilfüßrenb anerfennen. Sie Sarßel* 
lung war oortreßltf — an ber Spiße ftanb Sir. Sebrun all ©argö, 
eine deßatt, bie für ißn gefeßaffen feßeint, aber aueß bie Uebrigen Oer« 
bienen warmel Sob: grl. darlfen uub grt. ©rebow, bie $erren ©lenfe, 
Senpu unb tfabelburg, ber eine ißm nießt gan& pfagenbe Stolle, bei 
naioen, oerwößnten Stcßnolb, mit oieter Eingabe gefpielt ßat. Sa! 
dnfemble war felbßoerßänbticb tabetlol. 

0 . o. Ceiper. 


Oper nnfc (Konterte. 

gernanb dortej oon Spontini. Steu einßubirt. doncerte: 
fytrx 0 . Scßlöier, dlara Scßumann unb Soacßim, ^ottänber. 

Sin ber dren^feßeibe jwifeßen ber älteren unb ber neuen' italienifcßen 
Oper ßeßen dßerubini unb Spontini, Keibe Staliener oon deburt, Keibe 
nießt italienifcße domponißen in ber national«(ünßlerifcßen Kebeufung 
bei SSorlel. Sie ältere italienifcße Oper, für welche einß $änbel, dluc! 
unb SRo^art componirt hatten, oon welcher ße noch manche defang!« 
formen beibeßielten, fanb in ißiccini, Sarti, Sacßini unb Siigßini ißren 
Slbfcßluh- ©ei allen doncefßonen an bal publicum unb an bie Sänger 
lehnte fte boeß ßie unb ba noch an bie alten großen SReißer, unb beßiß 
fieß einel anßänbigen Saßel; ißre meißen Vertreter Waren im 
Stanbe aueß Äirtßencompofttionen in contrapunltifcßer gorm p feßreiben, 
bie, wenn aueß oßne jegücßen inneren deßalt, boeß 3 *agniß gaben oon 
gränblicßer muftfalifeßer Kilbung. Sie neuere Schule, all beten Ke« 
grünber Siofßni anjufeßen iß, bie burch ©ettini, Soniptti unb Kerbi ißre 
glänpnbfte dntwidlung erlebte, ßat mit ben alten Srabitionen gan| ge* 
broeßen unb nur ben unmittelbar tonlicßen Sßeatereßect all ^aupt|iel 
ißre! Streben! flcß gefeßt. dl Wäre einfeitig unb tßöricßt au behaupten, 
baß nießt aueß ^ e i e @cßute oielel Scßöue p Sage geförbert ßat; aber 
el barf aueß nießt beftritten werben, baß ße eben nnr ben Sagelbebarf 
mit meßr ober weniger Salent unb dlüd befriebigt ßat, nnb baß bie 
bramatifeße SRuft( in ißr gan$ untergegangen iß. Sa! ßat felbß ©erbt 
gefüßlt, ber fteß in leßterer Qtit bemfißt, feinen defängen bramatifeßen 
Slulbrud 5 U geben. Stefer erfeßeint manchmal noeß in fonberbarer de« 
ßalt, aber immerhin iß ba! Streben bei SRaeßro, ber jept noeß all ber 
einzige über bie drenjen feilte! ©aterlanbe! ßinaul wirfenbe, (ebenbe 
Opemcomponiß baßeßt, ein fehr bebeutfamel 8 *i<ß*n. — dßernbtni 
unb Spontini ftnb, wie feßon oben bemertt, nnr Staliener oon deburt, 
aber nießt all domponißen. SRan würbe in ißren ^>auptwerfen oergeb« 
ließ naeß Slrien ober dßören fueßen, welche ein Slnleßnen an bie frühere 
italienifcße Oper, gefeßweige benn etn ©orbereiten ber fpäteren, naeß 
ihnen (ommenben, erfennen ließen. Sie waren ©eibe Stacßfolger dlud! 
unb SRoaartl, nur baß ße ©eibe für bie bamalige franaöfifeße Oper 
feßrieben; dßerubini oiel für bie fogenannte fomtfeße, auf welcßer alle bie 
Storle, aueß bie ernßen, oorgefüßrt würben, in welcßen ber defang mit 
ber Siebe abwecßfelte; Spontini nur für bie große Oper, „Acadomie 
Royale“ ober „hnpäriale“, aul welcßer ba! gefproeßene Stort oerbannt 
iß, nnb in welcßer bie Srabition bei Seclamatorifcßen nnb Sfßetorffcßeu 
oorßerrfeßte. ©eibe domponißen waren ftünßler ebelßen Streben!; aber 
dßerubini befaß ein biel umfaßenberel Salent all Spontini, er feßuf 
naeß allen Stiftungen, wenn auf nift immer ©ebeuteubel, bof ^of« 
• af tbarel, wäßrenb Spontini fein ganael SBirlen nur auf bie Oper con* 
centrirte, unb in biefer atoei drfolge errang, weife bie feinel größeren 
8 eitgenoßen überragten, ©eibe domponißen haben feßr lange in $ari! 
gelebt, unb mußten baßer auf bon ben bortigen Seitßrömungen unb 
gbeen beeinßußt werben; aber wäßrenb dßerubini in feinen bielen 3 n« 
ßrumentalcompofttionen notßwenbigerweife auf bie beutff e Srabition 
ßingewiefen war, möbelte Spontini feinen Stil gan$ uaf bem fr au« 
pfiffen bramatifeßen deffmade. So lange er für biefen arbeitete, er* 
rang er drfolge; feine fpäteren »erfnfe, Opern für Sentffe in 
{faßen, braften nur reft Sfwafel in Sage. — Spontini war für 
feine 8 eit gerabe ebenfo ein ddrftifer im beßen Sinne bei ©orte!, wie 




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Nr. 6. 


Vir Hegrnnmrt. 


VRet)erbeer für bic fpätcrc; jener fein Stainer, biefer fein Deut jd,ec 
— aber aflcrbingS an Vegabmtg Ijocb flehend über aflnt 3eitgenoffen, 
welche für bie frgnaößßhe Oper getrieben haben. Söemi eiiiffr baS Selb* | 
gefchrei ber freien Siebe auf ber einen ©eite, unb ber b!ut= unb fteifc^ 
lofen Dugenb auf ber anberen auSgetobt ^aben wirb, bann bürften audj ( 
bie Rtenßhen wieber erfenuen, welche 3fütte bon Schönheiten „Robe rt" unb 
bie „Hugenotten" bieten — trofc aller ©djtofidjen, trofc manchem Verwerfe , 
lidjen; unb fre werben bann einfehen, baß, mit Ausnahme beS „gibclto", I 
feine bramatißhe Rtufif ejißirt, bie irrest ©puren non 3ugeßänbniffen I 
au ihre 8*ü trügt. Ober war bießcicht bie Arie ber Donna Anna im | 
2. Acte unb bte beS Ddn Ottabio fein Sugeßänbntß, unb fein weitgehendes? 
3a, eS ift ein ©lücf, baß eS fo war, bemt wenn ber 2. Act beS „Don | 
3uan" in berfelben ©teigerung fid) erhöbe wie ber erfte, welche Oper ! 
fönnte unb wollte man nod) h^en? j 

©pontini hat in ber „Veftalia" unb im „fjemanb dortea" berfud)t, j 
©lucfßhen ©atfjoS mit Rtoaart’fchem Ariofo ju berbinben; er ^at bie | 
3nftrumentation unb bie chatüfterißißheit Xonfärbungen beS erfteren er¬ 
weitert, er hat ber SRelobieführung beS göttlichen SBolfgang einen glfln- 
aenberen Anßridj gegeben. Die gfolge war, baß ba$ Abßchtlidje borwiegt, I 
unb nur feiten ber warme Don unmittelbarer (Erfindung unb (Empfindung 
fi<h bemehmen läßt. Aber nichtSbeßowemger enthalten bie beiden* genannten 
Opern großartige (Schönheiten; Schönheiten, welche nach meiner lieber- 
Beugung nicht blo$ jenes mufit^hiftorifche 3ntereffe gewähren, welches 
mehr im doncertfaale, benn im $b* Q t*r befriedigt wirb, fonbern nud) : 
bie moberne (EmpfinbimgSweife in bedeutendem ©rabc anregeu, wenn fte | 
im ridjtigen C£h ara ^ cr mit ootIc,: Eingebung ju ©eljör gebracht werben. DaS 
Schere ift allerdings eine recht jehwere Aufgabe, weil auch ben auSge- I 
äeichnetften ©üngern baS fehlt, was felbft ben weniger bebentenben früherer I 
Seit au eigen war: ©chule unb ©til. 9Sir haben jefct meiftenS h e * öor; 
ragende Snbibibualitüten, bie fleh in eine Roße dermaßen hineinarbeiten, 
baß fie berfelben eine ganj neue ©eßaltung berlethnt, aber fogenannte 
gejdjulte Sänger unb Sängerinnen, bie eben bie Partie bor Aßem 
technifch gana richtig fingen fönnen nach ben Regeln be$ ©efangeö, 
bebor fie biefelbe bann inbioibualifiten, bie werben immer feltener. DaS 
liegt nun einmal in bet 8 e *t, ton fönnen Vergangenes Weber jurücf= 
zwingen, noch a urfl (* cr f eu fa en / nur baS Sactum betätigen und ju dem 
Schlüße gelangen: mau ntnß eben froh Und bnttfbar fein, wenn über= 
haupt noch ältere bedeutende Opern $u ©eljör gebracht werben, unb baS 
publicum anfeuem, baß eS benfelben regen Anttjeil fchenfe; benn in 
boßen Käufern bei clafßfdjen Opern liegt mehr ©porit ju clafffßhen 
Studien für ben Sänger, als in allen gelehrten Abhandlungen, ßritifen 
und Xheegefprächcn. Reun Qahre find berfloffen, feit „Fernand dortea" 
jum lebten Wale anf ber ftönigl. Opembühne gegeben wurde, unb wenn 
man in’S Auge faßt, weldje Umwälamtgen in biefen Sahren auf dem ©e- 
biete ber bramatifcheil Wußf unternommen worden find, fo fann man 
wohl fagen, baß bie Oper faft wie eine neue Jhtnftgattang bor uns trat. 
WancheS in iht ift mehr prunfhaft als großartig, WancheS mehr lärmend 
als oolltönenb; aber ein großer 8ug belebt bdS ©anae, und ein wohl- 
durchdachter epifcher ©til tritt faft überall $u Dage. (ES wäre fehr Schade, i 
wenn baS publicum nicht dafür forgte, baß „fternanb dortea" auf dem 
Repertoire bleibt. 2BaS foll denn aulefct bleiben?! 

Die Aufführung war nicht eine allen Anfprücßen genügende, aber 
* immerhin eine fo gute, baß fie bei einiger Abtunbung — die bei älteren 
Söerfen nur durch ÄBieberholungen, durch baS atlmälige SBiebercindringen I 
in ben ©eift au eraielen ift — aur bortrefflichen werden muß. $>err j 
Riemann in ber Xitelroffe bot eine ber nterfmürbigften Seiffungen ihrer 
VIet. $ie ©timmittel reichten entfliehen öfters nicht auS; der Äünffler 
litt noch an ben Radjtoehen jenes heftigen Katarrhs, ber ihn aefjn 5:age 
norher geawungen h^tte, die erfte VorfteHung der Oper abfagen au laffen. 
Aber gegenüber biefet ^ic unb da bemerfbatett phhftfchen Uuaulänglichfeit 
wirfte baS geifiige (Element in fo mächtiger A3eife, baß man jene gana 
bergaß — nnb baS bedeutet beim ©efange unendlich meht, als bei 
jeder andern ntufifalifcheit ßeiffung; bertn bie Stimme wirft doch gana 
anders im ©Uten wie im ©flechten, als jedes Snffrument (mit Ausnahme 
der $örner unb trompeten, deren falfdhe XÖrte auch eine ©ünbenbuße 
für bie Ohren find). AIS Riemamt im aWeiten Vfcte auftrat, jeder Sott 
ein dortea, der ehrgeizige, AÜeS bewältigende, h^benmftthige Abem 
teurer; als er bie unwilligen ©olbalen mit feiner Stimme beawang, 
und anm Kampfe begetffette, unb baS ^nbltcnm in lauten 3 fabel QU g s 
brach, da geigte fid) recht deutlich, toaS Riemann bou andern ^enoriffen 


unterfrfjfibet: biefe h^ren meiftenS doit auf, Wo ihre pbhftühcn- RUttel 
nicht auSreicheH; er fängt oft dort erff an. Reben ihm ift fjräulein 
©ofmeiffet a« nennen, welche ihre fehr fdjwere Partie ber Amaaili mit 
frtfeher, wohlthuenbev Stimme iang; die richtige 3)eclamation, ber brerato- 
tifche AuSdrucf fann in folgen Rollen nur durch öfteres Darßellen rr= 
langt werben, ©eft war wie immer Weißer jehönen, edlen ©ejaiigeS. 
Volt den fleinerit Roßen find bie ber beiden ÄriegSgefangenen unb beS 
Albarea herborauheben, bie in ben Herren ©adrfe, Oberbaufec unb Schleich 
fehr mufiffeffe unb fchön fmgenbe Vertreter gefunden holten. dh® r tinb 
Orcheffet gingen unter dcfertS Leitung fehr gut. Wandte Dempi fchteiwu 
ein wenig a« fchneß; bie große Arte ber Amaaili wat aw fehr gefügt; 
in ber je^igeu Srorm wirb fte niemals witfen; beffer iff’S, bte ©ängerin 
unteraieht f«h gefährlicher ßraftanffrengung, als baß ffr fol<h* ein Jrags 
ment finge - baS ift noch gefährlicher! DaS ©ublicum war fehr animirt; 
hoffen wir, baß eS in der Stimmung bleiben wirb. Rnnmehr iß noch 
ber intereffantern doncerte ber lebten SBochen au gebenfen. Da der 
Verfaffer, oon ©efchäften überhäuft, noch nicht bie Wuße ßnben fonnte 
feinen angelünbigten Artifel „bom dlabierfpielen" au fchteiben, fo darf 
er die ftöflicbleitSpßicht gegen einen fremden ©aft, ben rufpfdjen ©ianißen 
®errn bon Schlöaer, beffen dtfeheinen ihm bie 3bce au jenem Artifel ge¬ 
geben hat, nicht länger unerfüßt laffen, aumal betfelbe bereits awei 
doncerte oeranftaltet hat. #err bon Schlöaer ift ein außerordentlich 
brillanter Vianift, ber als Vtttuofe fich ben beßen befählen fann. dr 
hat einen fehr fchön fltngenben Anfchlag, eine fehr auSgebilbete Dechnif, 
und große, feurige Vraboitr. ©eine dompofittonen, als ©alonftücfe 
betrachtet, a eu Ö^n öon liebenswürdiger Weiterleit unb Verbe. SEBer über 
folche ©oben unb folchen drwerb berfügen fann, ber foßte auch ß<h 
in der ihm eigenthüntUchen Richtung fo boßfommen als noch mög* 
Ikh weiter entfalten, unb baS dem Ratureß weniger 8ufager.be lieber 
nicht au amingen fuchen. Die Veethoben’fche F-mollsSonate, bie ber 
liebenswürdige Äünftler im ametten doncert borgetragen hat, liegt nicht 
in feiner Ratur; icf> glaube jebe andere, Weniger tief leibenfchaftliche, 
jede andere die ein Wc^ortreten bcS Dechuijchen über ben Snßalt beffer 
berträgt als biefe, wäre Werrn bou Schlöaer beffer gelungen. 3n jebet* 
heitern Sonate VeethooenS unb WoaartS hütte er gewiß mehr ©elegenheit 
gefunden, auch dem rein Wufifalifchen mehr Rechnung au tragen, als in ber 
genannten. dS hat in dem E-moll=doncerte bon dljopin unb in beffen 
F-dur dtube (op. 25), in ber ungeheuer fdpoterigen „Ungarijchen Vhantaffe" 
bou i3ifat (bie er gana uotaüglich ipielte) unb in manchen anderen ©tflcfnt 
fo oiele ©toben feines glänaenben XalcnteS gegeben, baß man ihn 
gern entschuldiget, wenn er in anberen weniger leißete, ihm aber aßets 
btngS freunbfchaffltch rathen darf, nicht auf ein ©enre erpicht s M feilt, 
baS eben nicht daS jeinige iß. 

5rau dlara Schumann unb 3*>fcph Soachim gaben ein doitecrt. 
Die erftgenannte ffünftleriit hatte fchön einige Dage borher baS G-dnr* 
doncert VeethobenS gcfpielt, in ihrem doneerte trug fte ben „danteoal" 
bon ©chumann bor. Der Verfaffer gefleht unumwunden, baß er fchön 
feit langer 3 ei t feinen fo warmen, rcht mußfalifchen dinbruef bon 
einem dlabierjpiel mit nach Watife gebracht hat, als bon ben beiden 
Seißungen ber großen ftüiißleritt. Daß ihre DechUtf nicht mit ber 
RuBinßeinS ober XauffgS bergltchen werben fann, weiß wohl 3 e ^mcmn; 
baß manches dinaelne wärmer ober feuriger borgetragen werben fann, 
darf nicht beftritten werben; aber baß ihre ßeiftung als ©anaeS eine 
wahrhaft h^h^uftlerifche wefr, das iß beS VerfafferS Uebcracugung. 
3 oachim jpielte außer feinem ©art in einer liebenswürdigen Sonate 
bon Woaart unb im D-dm-sDrio bon ©eethoben, eine ©onate 
bon Xatlini, bie eigentlich nnr ein archäologifcheS 3ntereffe bot, und 
einige ©ttyfe ans ber H-moll* Suite bon Vach, mit welcher er 
wieber eleftrifirenb wirfte. $err Waßänber, ein junger fehr begabter 
Violinbirtuofe, beranftaltete ein doncert, worin et ein doncert itnb 
einige £ieber feiner dompoßtion borführte. DaS etßgcitannt* ©tfet 
enthält einen fehr anmutigen SRittelfap, war aber doch im ©anaen 
noch au wenig themotifch ausgearbeitet und gefeilt; die Sieber arugten 
bon gefäßigem Xalente für, die ©attung. SBir glauben, baß 
Woßänber mit ^Ceiß unb ruhiger, gründlicher Arbeit noeß fehr Achtbates 
leißen fann. AIS ©etger zeigte er große Vrabonr unb warmen Don; die 
erfte muß hier und ba noch einer Läuterung unterworfen werden. 3« 
fei ben doneerte wirfte auch noch $err Raif und gtäulein ftirßhßetn. 
drfterer fpielte feine dompoßtion, biefelbe, bie er einige Stoßen früher 
im eigenen doneerte borgetvagen hätte, ©r iß ein fehr guter dlobier< 


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Nr. 6. 




ipicler unb au<J) {eine Sompofiiioii jeugt für Talent, ttfßrtgen« gehört 
ein nicht geringer ©rab non ©elbftgenügiamleit — um baS högifg* 
Sort ju gebrauchen — baju # bag ein nof ganz junger Äüngler, ein 
©laoierfpieler, nur feine (Eompofition als 3ewgnig feiner #nnft oorführt. 
3n einem eigenen (Eoncerte neben anbeten ©türfcn ift baS ooflfommen 
richtig, aber in einem fremben ift eS fehr befrembenb! 3<b lönnte hier 
auf einen genialen Äüngler, auf SRubinftein hin weifen, ber niemals fif 
allein (fielen mürbe; bof ba Stubingein nic^t officieß geaic^t ift, fo mag 
fein SBeifpiel gemiffen Regionen nift maßgebenb erff einen; if miß bafjer 
jmei anbere tarnen nennen: BtahmS unb 3o fl fim. (Erftere gab 
oor einigen 3<*h rfn mit ©todhaufen hier zwei (Eoncerte; er batte bamalS 
jc^on (Einiges componirt, toaS bem Staifffen (Eoncerte wohl gfeifgegeflt 
werben barf; aber er fpielte bennof nur febr wenig oon fif unb lieg 
©todhaufen nur eines ber fo ffönen SRagellonen Sieber ftngen! Unb 
goafim bat niemals feiu ungarifcbeS (Eoncert allein Oorgetragen: 
sapienti sat. gräuletn Sirffgein eine ©cbülerin beS ^ofcapeßmeifterS 
©dert, weife jum erften SRale öffentlich auftrat unb eine Ärie aus ber 
Dper ibreS ßebrerS „Silhelm oon Oranien" unb bie obenerwähnten 
Sieber oon ^oßänber fang, erfreute ßf eines febr bebeutenbeu unb 
mobloerbienten (Erfolgs. SDie frifebe ©timme, ber fiebere Änfap unb ber 
feurige. Vortrag fiebern ber junge $ame, wenn bie (Entwidlung bem 
Beginne entjprift, eine fföne 3m zweiten (Eoncerte beS 

Vrn. 0. ©flözer fang ebenfalls eine ©cbülerin (EcfevtS, gräufeitt Kalman, 
ftum erften SRale in ber Oegentliffeit, mit nift weniger günftigem 
Erfolge. (Es ift au ber 3eit, bag bei uuS bem bvamatifeben ©efange 
eine grünblicge pflege geroibmet werbe, fonft wirb julebt mit ber 
©eftnnung allein gefangen, unb bie ©timme, bie Xefnif unb bergleicben 
bleibeu ganz unberüeffiebtigt. 

ß. ©prüf. 


Uotijen. 


3)te Bonapartiften, oon roelfetreS feit einiger 8*it ßiß geworben 
War, machen mieber oon ficb reben. 5)ie (Ejfaifeiiu unb ibr ©obn, bt- 
lanntlid) bie Hoffnung granfreifS unb (Europas, höben fif ^or einiger 
8 eit bureb eine Steife nach Italien ber SRitwelt in (Erinnerung gebracht. 
5Der gaftfreunblicbe (Empfang in gloretiz, roo bie leichtlebige ©efeßffaft 
irgenb eine (Gelegenheit ju geßliffeiten nicht gern oorübergeben lögt, 
mürbe in Paris oon ben (EagagnacS unb ©enogen z u ben üblichen 
bpnagiffen Steclamen oerwerthet. Bie granzofen finb inbeffen jept mit 
ihrer ÄuSgeflung befchöftigt unb ber napoleouifche Puß ging fpurloS 
oorüber. darauf wollte man eS mit einem Ausflug nach Stuglanb t>er= 
fuegen. BaS (Gerücht würbe oerbreitet, Prinz SouiS fRapoleon höbe 
feinen Befuf in Petersburg ju SRitte gebruar angefünbigt ober höbe 
gar oom faiferlieben V°f eine birecte (Etnlabnng erhalten. Daran war 
natürlich fein wahre# Sort. (ES erfolgte benn auch oon ruffljfer ©eite 
ein officiöfeS giemlich grobes Dementi. Stuglanb, h«6 es, höbe leinen 
<Bmnb, bie franzögffe Regierung z« Oerlepen. Bon einer an beu 
Prinzen gerichteten (Einlabung fei feine Siebe, ©oßte er ftch anmelben, 
fo merbe man ihn, wie früher Bon (EarloS, wiffen laffen, bag man 
Ipffe^cr merbe incognito reifen. Der ©panier menigfteuS höbe bamalS 
bie Steife unterlagen. Ob ber bonapartiftifebe ©pvögling biScreter fein 
mirb, bafür möchte gemig Stiemanb entgehen. Die gamilie het ftch ge^ 
möhnlifh mehr bnreh unoerfrortte Allüren als bureb perfönlicben SRuth 
ausgezeichnet. SaS ift jeboch aus ben Bräunten jener 3eit geworben, 
too Äaifet Slleganber in Sonbon bem Prinzen SoutS Stapoleon mit bem 
ftilktt Xoaft: Je bois ü votre succes! jugetrunlen höben faßte. 35aS 
todt mit befonberer Borliebe in Berlin wieberer^ählt worben. $ier 
Brafßrte ja früher ber PonapartiSmnS in gewiffen Greifen in einer für 
t^en öffentlichen (GefunbheitS^uftanb mirflich bebenllichen Seife. S)a foßte 
bie bentfehe Stegierung aus aßen feilen granfreichS fiebere Berichte 
Itbet bie mumfhaltfamen gortfehritte ber Bonaparte höben, bie, wenn 
fie .nur moßten, baS factifch febon beftehenbe napoleonifcbe Stegiment* 
gelepthh einmal oerfünben lönnten. Sie lange böt man uns nicht 
mit fpftge# breigen (Ergnbungen belüftigt, bie in einer Steihe oon leicht^ 
flftubigen Seitungen bereitwißige Aufnahme fanben, einfach beSwegctt, 
lUetf fkt BonapartiSmuS fyfytttn Orts beger angefebrieben fein foßte, 
ali We angeblich ohnehin unmögliche Stepublif ober gar bie oerhagten 


Orleaniften. ®tne gewiffe 3öhl beutfeper Blötter fchißerte unter foldjen 
(Etngüffen bonapartiftifd), unbefümmert barum, bag gerabe bte oon 
Stouher unb feiner ©ippfchaft in granfreich infpirirten 3»örnale im 
Qntereße ber Popularität eine gegen Beutfdjlanb überaus feinbliche 
Sprache führten, ©eitbem ift mancher Xag in’S Sanb gegangen, unb bie 
Bonapartißen ftnb nicht oorwärtS gefommert. 2)ie Siebetbolung beS 
^weiten 2)ecember mit feinen gefeßjcbaftrettenben ftartätfehen unb ber 
Stacbhülfe oon (Eapenne miß ficb nicht eingeßen. Sluch h fl t bie Seit jept 
anbere ©orgen. 9Ran beitft mehr an Stuglanb als an granfretch. Äfler^ 
bingS begeht eine feltfame feelifebe Berwanbtf^aft jwifeben ben früheren 
bentfehen Bonapartiften unb ben gegenwärtigen Stuffenfreunben. Bon beu- 
felben jountaliftifdjen ffatbebau, wo in unferem ehrlichen $euifchianb für 
bie lepten Ueberbleibfel ber corftfchen ©chmaroperpganje, welcher (Europa 
fo uniüglicheS @(enb oerbault, eine anSlänbifche Propaganba oerfuebt 
mürbe, wirb jept für StuglanbS Politif im Orient geworben. $ie beiben 
Stiftungen haben auf, ganj abgefepen Oon ber zweifelhaften Stimmung 
beS Petersburger §ofeS für ben Prätenbenten, mehr als einen gemein« 
fanten 3ug. ift biefelbe SRigaftung beS beftehenben SteftS, baSfelbe 
innere $lf jelzurfeu ju §lßem, WaS bem 2>ttrfff nittSmcttffen als gHfife 
Stothwenbigfeit ^inberniffe für fein Xh ttn unb £ajfeu bereitet, b^felbe 
Steigung zu Sophismen, berfelbe £ug unb Xrug. 2>ie frühere bpzan= 
tinijfe Bereitung beS ÄaiferS Stapoleon, wie fte fif in ben ^uileriens 
papieren, in ^ocumenten unb Briefifaften lunbgibt, beten Verausgabe 
für ba# beutffe Publifum einmal Stupen giften lönnte, ig jept naf 
anbever ©eite übertragen. Ob bie Stuffett im gelbe ©lud höben, wirb 
fif zeigen. 2)en dürfen gegenüber unb mit ber gefieberten $>eduttg in 
ber glanle unb im Stücfen wirb baS nift febr ffmierig fein, gn^wiffen 
aber höben fte bie öffentlife SReinung naf Sunff bearbeitet. Btan er* 
Zählt oon ruffijfen wetblifen mehr ober weniger Oornehmen Agenten, 
bie in ben Parifer ©alonS uitb an anberen Orten für bie moSlowitifche 
Politif hormlofe Seute ehtfaugen« (ES gibt bafür einen captfchc« Itettg« 
auSbrud, weifen eine etwas fpröbe geartete gebet ungern itkberffreibt. 
3u gewiffen (Gegenben 3)entfflanbS finb inbegen folfe Betmittler nn* 
nöthig. ®ie Prege übernimmt biefelbe Aufgabe unb eS begeht nur ber 
Uttterffieb, bag jene vufnffen tarnen fehr liebenSmürbig unb amüfant 
fein foßett, was man oon ben fraglifen Blättern in bemfelben SRage 
feineSWegS behaupten fann. 


Bibliographie» 

©föne Siteratur. 

(Guftao Benfeler, 3w Salb unb Daheim. Bratnal. gfugenbfpiele. 
(Leipzig, liiebcSltnb.) 

gelij $ahn, 2)eut)fe Xreue. (Ein oaterlänbiffeS ©faufpiel in ö 
Aufzügen. (Leipzig, Breitlopf unb Vöttol.) 

9lnonpm, 5)eutjf lattbS SRorgettröthe. ©faufpiel in 6 Slufzügeit. 
(Breslau, Xrewenbt.) 

(Earl (Earo, (Gubrun. ©faufpiel in 5 Aufzügen. ((Ebb.) 
ftuaftafiuS ©rün, Spaziergänge eines Siener Poeten. 7.Äug. 
(Berlin, ©rote.) 

©ugao leaftropp, Äönig (ElfS Sieber. 2. Äug. (Stuttgart, 
Bonz u. So.) 

granz o. ©f lef ta=Sjehrb, ©phemeren. Biftungen. SRit Bor= 
wort oon V- &»ube. 2. Äug. (Sten, Peft, Leipzig, Vöttleben.) 
Bettp X)orieuj, Spriffe ©ebif te. (Sien, Vöctleben.) 

SRartin Seihe, Vöibeblumen. 2. Äug. (fieipzig, Stöbert griefe.) 
grtebr. V^^ötann, ©ebifte. (Berlin, guliuS 3mme.) 

Änonpm, ©ereimte Stäthfel aus bem beutffen IReicf. (Berlin, 
©. Steimer.) 

®rng Beit, ÄleineS lieber* unb Bilberbuf. (^reSben, ©fön- 
felbt.) 

Änton Birlinger u. S. (ErecetiuS, 3)eutfd)c ßieber. geftgrug 
an ßubwig ©rf. (Veilbronn, V^««'nger.) 

UtiS, Äfabemiff eS SHtterthuin, tätige oon 3)eutfflanbSBurffen= 
thurn. 60 Pf. (Öeipzig, ©. Ä. Äof.) 




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96 


Sie Segen-aart 


Nr. 6. 


3 u (11 a 11. 

Serfag Den g. V* Brotflö«* in Seidig. 
Soeben erfdjicw: 

$£aria von Ungarn. 

Iragöbic in fünf Sieten non 
arnolii -örrr. 

8 . 8 tl). 2 40 .V 

®ieif 8 f)iftori(d)e Xroma bctjanbclt tinrn «= 
gieifenbeu Ißorgang an« bet @«!d)id)Ie Ungarns 
mit bi(^tetiler @efialiiuig«traft vnb bühnen= 
tnnbiget leebnif. 

Bon btm Serf. erfdjicn in bemielben Serläge: 
Cinun Mn Stmtfort. Xragbbie in fünf Steten. 
8 . Be&. % M. 40 -V 

Hub re« bei C*|«ga«. Jragöbie ln fünf Sieten. 

8 . Beb. 8 JC 40 -V 

f|«et«K. Xragöbie in fünf Steten. 8 . Beb- 

2 JH. 40 


Mendelssohn’s Werke für Orchester 


Jtlgririi.fmii f. $nt|f}e fitrritHt. 

Bon bet in. Serie mürben foebeit au«= 
gegeben: 

»b. IV. £M*n, y*»f, aifreb heflUfTet- 
„ V. Jer Ränget so« £$tro, #afi = 
jijd^e Sieber non ft* iBobenpebt. 
ffffe 8udftanbtungeft neunten Beitritt*» 
erflärungen *ur Serie an. 3>er (EinaeG 
prei* per Banb ifi 6 JL , ber Slbonne* 
ment*beitrag per Serie non 7 ©änben 30 JL 
Berlin, *. ftofwnnn & (So., 
BerfoflObudjfymblmtg. 


In Carl Duneker’s Verla#, Berlin, Französ. 
Str. 20 a erschien: 

Christian Daniel Ranch von Friedrich 
und Karl Eggers« II. Band. 1. Hälfte. 
Preis 3 JL 

Psycholog. Beobachtungen (l homme 
est lanimal m^chant par excellence.) 
Preis 2 JL 

Salmond f Fürst Bismarck und die 

Ultramontanen. Gekrönte Preis- 
schrift. Preis 1 JL 50 A. 

Soeben ift crfrfjiencn: 

^lal'cr flotten. 

SRomcm oon 

ffbuarb ÜKörife. 

3meite überarbeitete Auflage. 

8. 2 iöältbe. 9 JL 60 

(Sin Dielbegefyrte* SBerf, ba* 3afyrjef)nte fehlte, 
beffen Ueberarbeitung ber Siebter erft jogernb 
begonnen, bann aber mit bem fteigenben (Srnfte 
einer tiefempfunbenen Aufgabe geförbert, liegt 
beute in ber Don bem Siebter Ijinterlaffenen unb 
oon befreunbeter Jpanb geachteten Ueberarbeitung 
oor. ?U* tljeure* 2$ermäd)tni& eine* erlejenen 
©elfte* möge bieje* bebeutfame SBert allen 2)en= 
jenigen empfohlen fein, welche fid) im ©eroirr 
ber flüchtigen ©ebilbe be* Sage* ben Sinn für 
bie fünft lerifdje ipofjeit einer äcf)t biebterifeben 
Schöpfung bewahrt höben. 

Stuttgart, 3anuar 1877. 

©. 3« ©öfdjen’jdje $erfag*l)anblung. 

Heim*. Lemcke 

in Bahrenfeld bei Hamburg 

Fabrik und grössten Lager feiner und hoch¬ 
feiner sowie selbst direct importirter 

Havanna- etc. Cigarren 

im Preise von 86 bi» 1000 M. pro Mille. 
Zollfreie Lieferung für das Deutsche Reich 
von Vio Kisten an. — Preis-Courante gratis. 


vollständig. 

Symphonien. 

Complet in 1 broch. Bande und in Umschlägen. 

Kiste Symphonie. Op. li in Cm. .. 

Symphonie - Cantate Op. 52 siehe Geistl. Gesangswerke, Lobgesang. 

Dritte Symphoni*-. Op. 56 in Am.. 

Vierte Symphonie. Op. 90 in A. 

Füufte (Reformations)-Symphonie. Op. 107 in Dm. 

Ouvertüren. 

Complet in 1 broch. Bande und in Umschlägen. 

Hochzeit des Camacho. Op. 10 in K. 

Sommernachtstranm. Op. 21 in £ .. 

Fingalshöhle (Hebriden). Op. 26 in Hm. 

Meeresstille und glückliche Fahrt. Op. 27 in D. 

Märchen von der schönen Melusine. Op. 32 in F. 

Paulus. Oratorium. Op. 36 in A. 

Athalia. Op. 74 in F. 

Heimkehr aus der Fremde. Op. 89 in A. 

Ruy Blas. 


Partitur. Stimmen. 


Trompeten-Ouverture. Op. 101 in C 
Marsch. Op. 108 in D. 


Für Violine nnd Orchester. 

Concert. Op. 64 in Em. 

Für Planoforte und Orchester. 

Complet in 1 broch. Bande und in Umschlägen. 

Pianoforte allein. Complet in 1 broch. Bande . 

Erstes Concert. Op. 26 in Gm. 

Zweites Concert. Op. 40 in Dm. 

Capriccio brillant. Op. 22 in Hm. 

Rondo brillant. Op. 29 in Es. 

Serenade und Allegro giojoso. Op. ^13 in D. 

Für Blasinstrumente. 

Complet in 1 broch. Bande und in Umschlägen. 

Ouvertüre. Op. 24 in C . ... 

Trauermarsch. Op. 103 in Am. 

Zwei Concertstücke für Clarinette u. Bassethom mit ßegl. des Pianoforto. 

Nr. 1. Op. 113 in Fm. 

Zwei Concertstücke für Clarinette n. ßasBethorn mit Begl. des Pianofort«. 

Nr. 2. Op. 114 in Dm. ) 

__Verla g von B reitkopf & Härtel in Lelpxig. 

g ee ß |0ye{1 , 8 Symphonien. 

Für das Planoforte zu 2 Händen von Fr. Liszt. 


JL 



-V 

>3 

— 

39 

60 

4 

80 

8 

10 

6 

30 

13 

50 

6 

40 

8 

70 

(V 

20) 

(3 

30) 

:o 

_ 

40 

80 

3 

30 

4 

20 

4 

20 

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80 

3 

30 

3 

60 

3 

60 

4 

20 

3 

«0 

3 

10 

2 

40 

3 

— 

3 

30 

4 

20 

1 

60 

3 

— 

3 

— ' 

(4 

50) 

3 

90 

5 

40 

— 

90 

2 

40 

4 

50 

6 

90 

15 

— 

25 

Q 

20 

3 

90 

ö 

5 

70 

4 

20 

6 

— 

2 

40 

3 

90 

3 

— 

4 

80 

(3 

-) 

(4 

80) 

4 

80 

9 

90 

2 

70 

4 

80 

(- 

\ 

90) 

(* 

40) 

i 

50 

2 

70 


No. 1. Cdur (Op. 21).«^4.50 

No. 2. Ddur (Op. 36). JL 6.— 

No. 3. Esdnr [Eroica] (Op. 66) . . JL 7.60 
No. 4. Bdur (Op. 60). JL 6.— 


No. 5. Cmoll (Op. 67). JL 6.— 

No. 6. Edur [Pastorale] (Op. 68). . *4L 7.— 

No. 7. Adnr (Op. 92). JL 7.— 

No. 8. Fdnr (Op. 93). JL 6.— 

No 9. Dmoll (Op. 125). M 10. - 

Dieselben in zwei rothen Bänden (t — 5. 6 — 9) ä JL 9.— 

Verlag von Breitkopf k Härtel in Leipzig. 


Im Verlage von F. E. C. Leuekart in 
Leipzig ist erschienen und durch jede Musi¬ 
kalien- oder Buchhandlung zu beziehen: 

Roedcr, Martin, Op. 7. Gavotte 

für Pianoforte. JC 1.50. 

Mehrere Pianistinnen ersten Ranges haben 
Roeder’s Gavotte in ihr Concert-Repertoire 
aufgenommen; u. A. spielte Fräulein Anna 
Mehlig dieselbe kürzlich mit grossem Erfolg 
in St. James Hall zu London. 


Tn demselben Verlage erschienen: 

Biller, Ferdinand, Op. 144, Nr. 2. 

Alla Polacca für Pianoforte . . JC. 0.75. 

(Repertoirestück vou Frau Dr. Clara Schu¬ 
mann; Frau Annette Essipoff etc.) 

Ladiner, Vinzenz, Op. 57. Prälu¬ 
dium u. Toccata für Pianoforte. JL 1.60. 

Ries, Franz, Op. 26, No. 5. Intro- 
duction und Gavotte a. d. Violin- 
Suite, für Pianoforte bearbeitet 
von Ignaz Brüll . . . 

Sclioltz, Hermann, Op. 27. Varia¬ 
tionen über eine Norwegische 
Weise f. Pianoforte. Neue um¬ 
gearbeitete Ausgabe .... 

Stiehl, Heinrich, Op. 68 Fantasia 

quasi Sonata für Pianoforte . . JL 1.20. 

Tschrtikowsky, P., Op. 19. Six 

Morceaux pour Piano . . . . JL 6.00. 

— — Op. 21. Scherzo pour Piano JL 1.60. 


JL 1.00. 


M 2 . 00 . 


girrgtt eine Beilage Hon her türr’hben iBudjljanblung in geijijig. 


gftartu«, prrftii s.w., Uinbenftrafa no. 



ftür bie IRebaction t>erantroortlid): #r»r* £tiffti in yrrtt«. 
Drutf toou 9 . 9 . Irulnrr in Mnit. 


,(»<»<«•*, )lrr«* N.W.. üouiltnftrafce 3t. 


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X7. 


Sk*»«, tat 17. 3fe0mt 1877. 


XL Baad. 


Die (!3ci}cmuflrt. 


äßo^enf^rtft für ötterettur, Äunft u#b ßMtlÄ Metern 


Herausgeber: ^tofctlt in ©erlitt. 



du |fnmn. 

l^itln Imc^ iBf Pid|fiiH«nfw mfc foPMputtiR, 


©erlege*: dem Stille in ©erlm. 


0ttb yt« ’^oM 4 |tat SO 9f. 

Snfcwte ieftec M |w» HttiwRa* VetUjdl* 40 Vf- 


Sie ©alatina im JBatican. litt Stuntjd^li. — Qnx %mqt bei geföe#li<$en Se$rfing#tnefenl. Bm, 8Ra* ©tuet — BUmter «nfc 
INnft: Ctmad über ben „gefunbes IRenföetwerfiawb". Son SU* <5<§a 8 ler. — #e§rg ©üdmetS le$e Xaae. fine ^ittbeilung bon 
Stau (Emil gtaitjo«. — fmil goto. $on faul b’Äbreft. — $ero in ber leitgcnöftlfÄt® Runfi mm Äotbemar fabelt. 
P#ta%.) — ßerwtnttef: ftirrnftna. 8 on ftifi Jtaüla (S^attop&bljbktja. — #oit$en. — Offene ©tiefe unb Änttoorten. ©ott 
$. ifjtlidj. — Suferate. 




Hit Palatina tm Uatircm. 

»oh 

Rimbert Staate Unred&t war nnb wirb feine Stunbe SRedbt" 
lautet ein altes ^prficpwort, in welchem baS beutfe^e ©oU 
feinem nie etlöfdjeitben Abfdpeu gegen baS Unredjt unb feiner 
tmabläffigen ©etämpfung beS Unrechts einen AuSbrud gegeben 
bat ©emtoeb tannten unb arteten bie ©eutfdjen fowo|I im 
©ripateecht als im öffentlichen Siecht, bie fie anfangs wenig 
tnrtprfchieben, bie reinigenbe, heiligenbe unb befeftigenbe ÜJZacht 
$* $(«, Welche unter Umpänbeu was gewaltfam begonnen 
f&te unb bem fcharf prüfenden StechtSfinn anfangs als zweifei* 
Saftes Siecht ober felbft als Unrecht erfchienen war, wenn eS 
fange nicht angefoeftten würbe, in gefuttertes Siecht wanbeite, 
©er Höfte ßeuablauf freilich bewirft biefe SBanblung nicht, 
©antjt (Utes Siecht mit ber geit abfterbe unb untergehe, unb 
neues Stesftt mit ber Seit heranwachfe unb ftcfi befeftige, ntuft 
ju ber zeitlichen gortbauer noch etn redjtbiloeubeS SJtoment 
hinjutommen. ©er neue ßuftanb, ber nieQeicht mit Unrecht 
angefangen hatte, muft [ich in ber Seit als ein nothwenbiger 
et Weifen, er mu| fich als ftritfam bewähren, bamit bie Aen* 
betung fcftlieftM ©ulbung, unb julegt nnerfennung unb 
CiUiaungJmbe. 

©et Staub, welcher nor bereits 250 3aftren an ber ©iblio* 
tfte! ber Uni^tfttät ^etbelberg, ber berühmten „fßalatiua" oerübt 
mprben ifjt, wäre wobt gleich anberem aefchtcptlichen Unrecht 
Wenn m<ftt nergeffen, Doch enblicft ruhig ertragen worben, wenn 
He Ueberfüftruug beS SiaubeS nach $<un in ben ©atican ber 
tföffäifchaft unb ber ©Jett irgendwie nüfetid) geworben Wäre. 
©OS ift aber nicht gegeben, unb beSftalb wirb baS oor 250 
üerfibte Unrecht heute noch als Unrecht empfunben. 
©iqr uralte Stachel feftmerzt heute noch; benn 3eber, ber für 
triefe ©iuae ein Sntereffe hat, muft bie ©Hrfuugen biefeS SiaubeS 
«uiS etn fortgef$|teS fieiben betlagen. ©iS zum 3aljr 1622, 
*— bie ©ibtiotbef mit ihrem überaus reichen Schul non 
„.^tfteu im 8eft|e ber beutfehen Unioerfität am Stedar 
mente bwfelbe ber gelehrten ©Seit, würbe biejetbe fort* 
‘■■ c non ben ©eiehrten aller Stationen benu|t, blieb fte 

S SJtjfenfehaft. Seltbem biefe ©iblioipef aber 
S Unrecht bem ©atican übergeben unb non 
ibliothefaren in 8efi| genommen Worben, ift 
i ©eirauch ber ©eiehrten unzugänglich unb für bie 
ifthaft «nfruchtbar geworben. Sie ift ein oergrabener, 
It entzogener @^a|. 

I bebgrf eines äufterft feltenen glüdlichen ßufammen* 
perfönlichet ©unft beS ißapfteS, beS obrgefe|ten Gar* 



binats unb ber ©ibliothefare unb ungewöhnlicher SÄufte unb 
SRittel ber ©eiehrten, um au^i nur eine feftr bef^räntte Sin* 
ficht beS fiatatogS ober ber oerlangten feanbfehrift ju erhalten. 
Sliänner erften SiangeS, bie bureft ihre Stellung an bem päpft* 
liehen ^ofe ausgezeichnete Serbinbungen hatten, ftpb boeft über 
bie ftetnen ^emmniffe aller Urt nicht hwübet gefommen unb 
haben fteft vergeblich abgemühh auth pur Sipe Jpanbfchrift zu 
benuben. ©ie SRänner ber Siffenfcftaft gelten im S3atican 
grunofä|tich als oerbäätige fiepte. 2Benn eS aber Sinem 
öiil!ta|mSweife gtüdt, fiep burdupwinben, bann oerfäüt er 
unrettbar ben $tn‘oemif[en ber ©efMflSorbnung, welche bie 
Sibliothef nur auf furie Äeit felbft für Singeweipte unb ©e* 
günfügte, nur auf wenige Stunben amXage unb wenige ©age 
tm Saftre eröffnet. ©aS alte SDlofaifche ©efe|: „Sechs ©age 
fottft bn arbeiten unb am ftebenten ruh’n", gilt nicht in ben 
heiligen ^Räumen bei ©aticanS. Stach bem bortigen Steglement 
tonunen burchfchpittlich tm 3ahre auf je »fer ©aae brei Stnhe* 
tage unb ein Arbeitstag. (Sgl. jjriebrich ©turne, Iter 
Italicam, S. 84 ff.) SBenn aber etn Arbeitstag fommt, bann 
wirb er wieber bprdi bie SRittaaSpaufe jerrtffen unb ift eine 
nachhaltige fteiftige Arbeit gar pupt möglich. 

©eS^atb macht unS heute noch ber alte Staub ben Sin* 
brud eiqeS fortwiwrenben, nie gefühnten Unrechts. ©eShalh 
taffen wtr nicht ab oon ber ^laae unb ber Hoffnung, baft es 
bem nep erftanbenen beutfthen weiche noch gelingen werbe, 
eine Sülpte zu feftaffen, nnb ba| Unrecftt, baS ein fanatifefter 
beutfefter fjürft an ber beutfeften Station unb ber gelehrten 
SBelt begangen pat, unb baS fich haS römifche fßapftthum 
wiberrechttich unb aemeinfhäblicp angeeignet hat, wieber gut 
ZU machen, fei eS our^h ©ereinbarung piit bem befreunbeten 
Königreich Stalien, fei eS vielleicht mit einem billig bentenben 
unb ©erföbnung wünfehenben ©apfte. 

%ie ^eibe&erger ©ibliotftel, bie in ber ^eitigaeiftfirefte 
oerwahrt woroen war, befoft einen ^anbfdriftenreichtpum, wie 
er niraenbS in ber SBett feines ©letten patte. 3n mehr als 
60 ftiften Würben oon bem päpftlicften ©ibliothelor fieo AQa* 
eins, ber eigepS oon Stom nach $eibetberg gefeftidt war, um 
bie geraubten ©ücher abzubolen, 431 arieiftifche, 1956 lateini* 
fihe. 847 germanifepe (teutfefte) unb 289 pebrätfehe, ^ufammen 
3523 SootceS, in ben ©atican gebracht, ©ie Setbelberaer 
©ttrger hatten ein feljr lebhaftes ©efühl oon bem fchänblicpen 
Unrecht, welches ber tynioerjität nnb ber Stabt wieb^rfuftr. 
©er päpftlidje Agent würbe, nach feinem eigenen ©eneftt, in 
Seibelberg wie etn böfeS Staubthier betrachtet unb gemteben. 
Kein Schreiner lieferte ihm bie wiften, fein Seiler bie Stride, 
lein fjuprmonn bie ©lagen unb ©ferbe, um bie ©ibliotljel 


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98 


5 i t Ä t g t u'm n r!. 


Nr. 7. 


wegjufegaffen. Kur ber beutf<ge gürft, ber |>etjog unb Sur= 
fürft SKajitnilian oon Sängern, empfanb bie Schmach, mit 
melier er {einen fonft glänjenben Kamen burch biefe 9Äiffe= 
tgat befledte, {o wenig, baff er felber bafür forgte, bafj biejer 
gleden feines Kamen« unoergeffen bleibe. (Er lief} in {eben 
einjelnen ©obej: bie gebrudte Semetfung geften: „Sum de 
bibliotheca, quam Heidelberga capta, spolium fuit et 
P. M. Gregorio XV. trophaeum misit Masimiiianus 
Bavariae Dux et Princepa Elector.“ @r rühmte fug nod) 
be« „Kaube«" unb feiner ©abe an ben ißapft jum ©traben 
feine« SSaterian.be«. @o fegt £>atte bie ©rjiegung burct) bie 
Sefuiten ben natürlichen Kecgt8finn unb ben nationalen (Seift 
in ihm ertöbtet unb ben trefflich oon Katur begabten {Kann 
ber pfäffifcgen Jfjerrfchfucgt unb §abfucgt bienftbar gemacht. 
Der Äaifer gerbinanb IL, obwohl auch ein gögling ber 3efuiten 
unb ebenfall« ein leibenfchaftliche« ißarteihaupt ber tatholifchen 
Keaction, ^atte hoch bem ©eneral ©pinola ben Sefegl ju= 
lommen taffen, wenn $eibelberg genommen werbe, bafür ju 
forgen, baff bie Sibliotgel leinen ©chaben leibe (Srief oom 
8. Dec. 1621), unb nach ber ©tjiberung ßeibelberg« burch 
XiÜQ (15. ©ept. 1622) an biefen unterm 4. October nochmal« 
bie ©orge für „bie anfegnlicge, weit unb breit berühmte Siblio= 
thel" empfohlen unb angeorbnet, bafj „über ade unb jcbe be= 
funbene ©acgen" ein orbentticge« „Snoentarium" gefertigt unb 
an ihn ju „fernerer Kefolution ju überfcgiden fei". Der 
ilaifer wollte offenbar bie Sibliotgel retten. Aber ber fjerjog 
tümmerte fich in feinem frommen ©ifer, bem fßapfte gefällig 
ju fein, fo wenig um ben beutfdjen Sönig unb römifdjen 
Jfaijer, al« um bie beutfche Kation unb jpeibelberg. 6r be= 
richtete gehorfam über äße« Anbere an ben Äaifer, aber oon 
ber nach Kom oerfchentten SSibliothel fagte er nicht«. 

@rft in unferem Sagrgunbert, erft feitbem bie beutfche 
Kation aßmäglich wieber fiep al« politifcge 3Kacgt fühlen lernte, 
unb nur mit §ülfe ber preufjifcgen Staatsmänner, welche oor 
aßen anberen beutfchen ßanbeSminiftern etn Serftänbnifj für 
bie SEBürbe unb bie Aufgabe be« beutfchen SSolIe« jeigten, ift 
ein erfter ®cgritt jur @ügne oofljogen worben. 

^auptfäcglidj ber ©orge unb ber Gnergie be« gürften 
oon ^atbenberg unb be« preufnfcgen ©efanbten unb SKinifter« 
Wilhelm oon fjumbolbt ift e« ju oerbanten, bah in ben 
fahren 1815 unb 1816 ein SCtjeit be« geraubten ©ute« bem 
beraubten ©igentbümer, ber $eibelberger Unioerfität, jurücf= 
erftattet würbe. @8 waten nämlich eine Anjagl ^anbfcgriften 
au« bem Satican an bie franjöfifdje Kepubli! im grieben oon 
Dotentino 1797 abgetreten worben, unter biefen 26 griecgifcge 
unb 12 lateinifche ©obice«, bie jur Salatina gehörten. Diefe 
fpanbfchriften würben 1815 auf betrieb ber babifcgen Kegie= 
rung, welche oon Sßreuffen nachbrüdlich unterftügt warb, oon 
s 4$ari« reclamirt unb gerauögegeben. Kur ©ine wichtige £>anb= 
fcgrift tonnte bamal« angeblich nicht aufgefunben werben unb 
ift noch in öer fßarifer Sibliotgel. ©obann würben in golge 
ber biplomatifcgen ©inwirtung ißreufjen« im Sagte 1816 bie 
fämmtlichen beutfchen fjanbfcgriften, bie für bie Körner ganj 
werthlo« fchienen, 847 ©obice« unb baju noch 5 lateinifche 
fpanbfdjriften }utüdgegeben. 

Die übrige SWaffe oon 2633 ©obice«, aufjet ben orienta= 
lifchen unb romanifchen ^anbfcgriften, befinbet fich gegenwärtig 
noch in* Satican begraben unb harrt ber SEBieberbelebung. 

$11« ba« beutfche Keid) gegrfinbet würbe, hatte man an= 
fang« noch nicht bie $eit, an bie wiffenfchaftlichen unb fänft= 
lerijehen Sutereffen ber beutfchen Kation ju benten. Da« 
erftarfte Keich wirb fich aber aflmählich auch biefer ibeeflen 
©üter unb Aufgaben bewufjt. ©8 ift bereit«, obwohl bie 
Keicgäoerfaffung biefer ©eite nicht erwähnt, ffiinige« in biefer 
Kidjtung gefegegen, unb unjweifelgaft wirb aKegrere« in ßufunft 
folgen. |Sier liegt eine Aufgabe oor, in welcher fich bie 3n= 
tereffen ber SBiffenfdjaft mit benen ber ©ereegtigteit unb SEBürbe 
ber beutfdgen Kation oerbinben. SSiefleicht bietet fich in Sälbe 
ein günftiger SKoment bar, in welchem eine ©ütjne für ba« 
alte Unrecht erhältlich ift. hoffen wir, ba| biefer SKoment 


oon ber mächtigen §anb ergriffen werbe, Welche bie ©efdjide 
be« beutfchen Solle« fo erfolgreich beftimmt 

SBenn wir nicht Äße«, wa« un« geraubt lourbe, wieber 
erhalten lönnen, fo würbe eine bißige Ausgleichung ber oer= 
fchiebenen Küdfichten, j. S9. eine Iheilung, welche Kom bie 
firchlich bebeutenben ©obice« ber wr^enoäter belaffen unb 
etwa bie proteftantifchen unb bie anti&heibnifchen ©obice« an 
bie Unioerfität ^eibelberg jurüdgäbe, in ber beutfchen wiffen= 
fchaftlichen SEBelt wohl eine freubige nnb baulbare ßuftimmung 
j finben. __ 

3ur /rage be« gewerblichen Cehrlingstnefen«. 

$on ITCas Bauer. 

2)er ©ecretär ber $anbet«fammer unb be« mittetrheinifchen 
fjabrilantenoerein« ju SKainj hat, auf ©runb mehrerer, oom 
Setein für ©ociatpolitil oeranlajjten ©utachten über bie „Ke- 
formen be« ßehrlingSwefen«", eine gebiegene unb populär ge* 
haltene Schrift oeröffentlicht. 

®ie ©rörterungen biefer im SEßefentlichen felbftftönbigen 
Arbeit treffen in wichtigen $auptgeficht«punlten ben fiern 
unferer ganjen focialen 3alunft, — unb bie« ift ber ßrunb, 
warum auch wir an bem bebeutungSreichen Stoff nicht oorüber- 
gehen bürfen.-— 

S)eutfche« £ehtling«wefen unb beutfche« ßunftwefen bingen 
urfprünglich eng aneinanber. ®ie ßunft nahm fchon im SKitteU 
alter rege« Sntereffe an ber gewerblichen wie motalifchen Au«= 
bilbung be« „ju ihr gehörigen" Sehriing« unb bie reinfte Slüthe 
beutfchen ®ewerbe« finben wir in ben Etagen, ba Sehrmeifter unb 
ßehrling mit ihren gortfehritten, ihren 3ntereffen, ihrer gewerb= 
liehen unb bürgerlichen @hre unb — ©chmach gewiffermahen eine 
gamilie bilbeten. 3m Serfaß unferer beutfchen Serhältniffe 
gingen auch biefe, unferen heutigen Segriffen in ihrer Sattheit unb 
ihrem SEBerthe laum faßbaren Serbinbungen unb ©lieberungen 
nach un & nach oerloren. ®S ift ein ernfter unb trüber Kücfblid in 
unfere ©efchichte, ber ba nachweift, bafj bie ju ©runbe gehenbe 
©elbftftänbigleit beutfeher ©täbte unb beutfchen Sürgerthum« mit 
bem Küdgange ber. gefunben Serhältniffe be« Sunftwefen« eng 
jufammenhingen. S)er brei^igjährige Stieg, ber bie lefcte Slüthe 
be« öffentlichen ©eifteS in ®eutfchlanb fniefte, jerrife auch ba« 
legte tünftliche Sanb gewerblicher ©enoffenfehaften unb geftattete 
in feinen böfen golgen einem engherjigen @goi«mu« in ber ®nt= 
widelung ber ©ewerbe einen oerberblichen ©ingang. 

Al« bie ©ewerbeorbnung Oon 1869 bie legten Kefte alter 
gewerblicher Organifationen befeitigte unb ba« heußfle — auf 
prioatcontractlicher Safi« berugenbe — ßehrlingöoerhältnii 
in ©rfegeinung trat, würbe bamit nicht« AnbereS auSgefprodjen, 
al« ba| ber Begrling, rein nach Kia|gabe feiner — natür= 
lieg unbebeutenben — ÄeiftungSfähigleit, wie jeber Anbere: ein 
einfacher Arbeitet bem Srobherm gegenüber würbe. ®a« ©elb, 
ber Sogn ift weiften« ba« einige Sinbemittel jwifegen Arbeit^ 
negmer unb Arbeitgeber, oon einem aenoffenfcgaftlichen ©influ^ 
ift leine Kebe mehr. ®er ©injelne fugt bem ©efammtgewerbe 
in einer burch focialbemotratifche ©cgwinbeleien meift fegarf ju= 
gefpigten Küdfidgtglofigteit gegenüber, unb ber legte gunte 
jene« patriarAalifchen Sinbemittel«, ba« einft einen für Äunft 
unb §anbwerl fo eminenten SBertg, ja eine fo fegenfpenbenbe 
SEBeige gatte, ift in ber Afcge oerglügt. 

Surificgtig ift es, gier, wie fo oft gefegiegt, nur ben £egr= 
ling für bie mancherlei Au«wüdgfe ber Keujeit oerantwortlicg 
maegen ju woflen. Der £egrgerr oerlegt gar oft feine 2egr= 
pflicgt gröblicher, al« ba« junge SKaterial, für beffen geifhge 
unb technifcge AuSbilbung jener boeg eine Serantwortung über= 
nimmt, beren Tragweite er gar ju feiten begreift. SQBirb noeg 
naeg ©eite ber moralifcgen ober ©cgulerjiegung irgenb eine ©org= 
famleit geltenb gemacht, tritt noeg irgenbwo ber enorme 
©influfj be« gamilienleben« an biefe gewerblichen SSejie= 
gungen fcgüchtern getan, fo wirb leiber meift beiberfeit« nur 
einer äußeren, gegaltlofen gorm eine ©onceffion gemadgL 

Da« ©ingalten gegenfeitiger Serpflicgtungen wirb mit 


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Nr. 7. 


Bit ®*|euur«rt. 


99 


einet gewiffen fjrtioolität behaubeit, unb bie in bet wadhfenben 
gewerblichen ©oncurrenj unferer Sage fo bebenfltche Verleitung 
bet ©efchäftScotlegen junt Vruch beS Sehroer hültniffeS junger 
Sehtltnge mit ihren alten Arbeitgebern, falls bie (Eoncurrenten 
SufäUig momentan mehr Kräfte gebrauchen, ift ein WefentlicheS 
üRoment, bie Veforgniß für ben ©ang unferer gewerblichen 
(Entmidelung jn fteigern. S8a§ bie Vereine unb Verfantmlungen 
enblich — felbft wenn fte jebes politifchen $intergruubed ent* 
beerten, was bod) faft niemals ber ffatt — an bem grünen 
§olj fchneiben, pfropfen unb oculiren Knuten, ift meiftenS 
außerordentlich wenig, fef)t jweifelhafteu SBertheS unb birgt 
in feiner Vlfitlje unb Steife gar häufig einen böfen SBurntl .... 

Stoß gute ©ewerbefchulen ein SRittel jur Vefeitigung 
folcher Veforgniffe finb, ift jroeifetloS. Aber auch bie berebteften 
Vertreter biefer gortbilbungSfchulen unb ätjnlic^en Anftalten 
werben ben SRangel nicht fortleugnen Wunen, ber barin liegt, 
bag in biefen VilbungSftätten eine genügenbe Verfniipfung 
mit ber eigentlichen oorhergegangenen gadjbitbung beS Sehr* 
bebürftigen fehlt. Ster organifche Rufammenhang ber Sehr* 
merfftatt unb einer folgen gortbilbungSftfttte, fie peiße, wie 
fic wolle — baS ©pecialifiren in Der Serü.dfichtignng 
beS einseinen ©ewerbeS unb bes hier befonberS ju beoorsugen* 
ben jaches —, baS wäre baS Rbeal einer ©emerbefchule für 
Sehrlinge jur Hebung be8 mobemen ÄunfthanbtoerWll — 

SBenn ber Verfaffer ber oon uns (Eingangs biefer SEBorte 
erwähnten Schrift, $err RuliuB ©chulje, ben ÄrebBfcfjaben 
unferer gewerblichen Verhältniffe in bem SJlangel an ©effibl 
ber ©olibarität jwifchen ber Arbeit unb bem Arbeiter fucfjt 
unb finbet, unb es anSfpricht, baß ber frühere ©tol$ auf eine 
gelungene Seiftung jept oielteidjt gar einem bewußten feinb* 
feligen @egenfa| beS Arbeiter« ju feiner Arbeit fßlaf} gemacht 
habe, fo geht er barin wohl $u weit Süchtig ift es gewiß, 
baß bem Seßrling non heute baS erftärfenbe ©efüi)i beS eia ent* 
liehen Berufes fehlt, unb wenn eS wahr ift, baß bie Arbeit 
non ber SRehrjahl nur als ein nothwenbigeS Hebel angefehen 
wirb, ja, Riß es als eigentliches Riet hingefteüt werbe, ntög* 
lichft geringe Seiftung für möglichft h°^ en Sohn su fchaffen, 
bann freilich wäre eine traurige aber erfd)öpfenbe Antwort unb 
©rflärung für bie SEBorte Sßrof. VeulaujS ba, bie ihrer Reit 
fo böfen ©taub aufwirbetten unb heute noch aufwirbeln. 

Vei ^Beantwortung ber grage, „wie ju helfen fei", ner* 
langt ber Verfaffer sunädjft fdhrifttidhe Abfafjung ber Sehr* 
oerträge, in benen baS (Eingehen beftimmter Verpflichtungen 
prücifirt fei: bie gijiirung folcher geaenfeitigen Verbinbungen 
werbe bem Vertragsbruch oorbeugen. ©rößeren Sßerth noch legt 
er auf bie „SBiebereinfügung beS SehrKngS in ein ©efammt* 
intereffe". |)ier müffe ber Staat helfenb eintreten, bem Älein* 
gewerbe ©elegenheiten bieten ju SBort ju lommen, wie ^»anbelS* 
ffcanb unb Sanbwirthfchaft eine befonbete Vertretung ju haben 
unb in „©ewerbelammern" ju (Organen ju lommen, benen bie 
SDirectioen für (Errichtung, Veauffiqtigung, SRorntatiobeftim* 
mungen u. A. m. beS SehrlingSwefenS anjuoertrauen feien. 
®B ift erfi^tlich, baß fotche Veftrebungen auf „Innungen ber 
3«tunft" htnauSlaufen. So feljr wir bem ©ebanlen unb ißlan 
S3cifaH entgegentragen, fo forgliche Sragejeichen müffen wir 
bod) an bie Ausführung tnüpfen, wenn ber (Einfluß auf bie 
SÖtlbung ber ©ewerbefantutero, auf bie ber ©djiebSgerichte, auf 
bte ©ewerbe* unb gathfchulen foldjen Innungen brevi mani 
jugeftanben werben fotl. S>ie Rfrage, ob ber ©ewerbebetrieb, 
ja ber obtigatorifche ©intritt in folche Innungen ber Rulunft 
oon ber Uebereinftimmung ber Arbeitgeber unb ber bod) in 
ben Innungen gleichseitig oertretenen Arbeitnehmer abhängig 
an machen fei, würbe ber wurmftichige Ranfapfet fein. 2Bir 
fließen mit ber gern unb willig oon uns ju unterfchrei* 
benbeu*@entens beS VerfafferS: 

„®ie SeßrlingSfrage unb bie moralifche Äraft, welche Ve* 
treffS berfelben unfer $anbwerferftanb ju entwicfeln oermag, 
ift ber Ißrüfftein bafür, ob bie (Elemente jn seitgemäßen ge* 
Werblichen (Korporationen oorhanben finb, ober nicht." 


«ratet tutb jteitff. 


(Etwas über ben „gefanben Ütenfthenoerfianb“. 


Am ffinbe beS fchönen, fchattigen SaubengangeS, gerabe 
gegenüber ber su meinem ArbeitSsimmer in bem ©artenpaoiüon 
führenben ©laSthür, fteht eine einfache, aber bequeme SRuljebanl, 
bie ich, öom ftunbenlangen ©ipen am ArbeitStifd) ermübet, gern 
auffudjte, um ein wenig frifche Suft su fchöpfen unb, „befreit 
oom Renten wie oom SBünfchen", auf baS Schwirren ber Reifer 
unb baS Rwitfchem ber Schwalben su laufdjen. 

Auch hatte ich, nach einigen rafchen SBanberungen in 
bem ©ange, mich auf ber SBant niebergelaffen unb als ©efeü* 
fchafter einen Vanb meines SiebtingSfdjriftfteüerö, DidenS, mit* 
genommen, worin idf ^in unb wieber einige Setten taS: es 
war ber befannte Vornan „$arte Reiten", in welchem einige 
Stellen, obfehon ich ih n f<h° n örei* bis biennal gelefen, mich nid|t 
bloS burdj bie originelle Äraft ber Sprache, fonbern in oiet 
höherem (Stabe burch ben Abel ber ©efhtnung unb ben ibealen 
Schwung beS ®enfenS, welcher burch aüe Vitterleü feines iro* 
nifd^en $umorS ^inburc^teuc^tet, immer wieber auf’S Veue 
feffelte. Reh reflectirte barüber, wie wohl SJteifter §egel über 
Z)icfenS geurtheilt hätte, wenn er ihn gelannt; $egel, ber in 
feinet ©efchidjte ber Eßhilofophie — bei ©elegenljeit VacoS, beS 
©rünberS ber gepriejenen englifdjen (EtfahrungSphilofophie — 
oon ben ©nglänbem überhaupt bemerlt: „Sie fcheinen in (Europa 
baS Volt auSjumachen, welches, auf ben Verftanb ber SBtrflich* 
Zeit befchränft, Wie ber Stanb ber Ärämer unb ^»anbwerfer im 
Staate, immer in bie SRaterie oerfenft su leben, unb ÜBirt* 
lichteit, nicht Vernunft, sum ©egenftanbe su haben beftimmt ift." 

Reh hatte mich i n baS Vefleetiren über biefeS ©egenüber* 
fteDen oon „SSirtlichleit" unb „Vernunft" beS beutfdjen Vhü° : 
fophtn in feiner Veurtheilung beS englischen VationalcharatterS, 
worin ich dne mertwürbige Aehnlichteit feiner Anftchten mit 
benen beS englifchen VomanfchriftfteüerS s u entbeden glaubte, 
fo oertieft, baß ich erfdjredt sufammenfuhr, als ich mich plöfc* 
iidh oon einer Stimme anreben hörte. (SS war bie meines 
SreunbeS iß., ber mich iw ©arten aufgefudjt hatte unb burch eine 
Seitenöffnung beS SaubengangeS su mir herangetreten war. 9Bir 
machten einige ©ünge auf unb nieber. 

„Sagen Sie bod), Veret)rtefter," bemerfte er nach einer 
ißaufe, „Sie ßnb ja längere Reit in (Snglanb gewefeit unb 
haben folglich ©elegenheit gehabt, biefe eigenthümliche Station 
an ber Duelle su ftubiren: WaS benten Sie über ben fogenannten 
„common sense?“ 

Common sense? — wiederholte ich, einigermaßen über* 
rafdht theilS über baS fonberbare Rufammentreffen biefer Rrage 
mit meinem eben unterbrochenen ©ebanlengang, theilS barüber, 
baß fte gerabe Oon iß., biefem ganatiler ber finnlichen @r* 
fahrung — er war ©hemiler unb hielt Vorlefungen an ber 
Unioerßtät — geftellt würbe. 

„Ra, common sense. Stellen Sie fich oor: heute, nach 
bem Schluß meinet Vorlefung tritt, als ich gerabe meine SRo* 
tijen sufammenpadte, um baS Äatheber su oerlaffen, ein junger 
ÜDiebictner su mir heran unb fragt mich höflich nach ber eigent* 
liehen Vebeutung beS SBortS." 

Stun, unb WaS haben Sie ihm geantwortet? 

„Reh weiß felbft nicht mehr; einige allgemeine VebenSarten 
Oon gefunbem SRenfchenoerftanb, praftifcher RnteHigenj, Sinn 
für allgemeine Rntereffen unb bergleichen; fchließlich habe iih 
mich mit üRangel an Reit entfdjulbigt unb ihn auf morgen 
bertröftet. Reh war in fdhauberhafter Verlegenheit, benn offen 
gefagt, ich h Q öe noch nicht barüber nachgebacht, WaS baS SEBort 
eigentlich bebeutet." 

9tun, ber AuSbrud „gefuuber äRenfdhenoerftanb" ift ja 
eine ganj gute Uebertragung beS common sense; aber wiffen 
Sie benn, WaS eigentlich baS beutfdje SEBort bebeutet? 

„©efunber ÜRenfchenOerftanb? Reh beule bodh! SBenn wir, 
bie üRanner ber ejacten SEBiffenfchaften, nicht wiffen foHten, waf 


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100 


• te •tftxwtrl 


Nr. 7. 


gefunber SRenfchenüerftanb ift, Wer follte e§ bann tooljl wiffen? 
@twa 3hr 3bealiflen, bie 3f1|r immer in Ijötyeren Siegionen 
fcfjwebt unb ffiuch einbilbet, bafi 3h r , offne (Such um bie Birk 
liefert ber Singe p Ammern, mit best fogengnttten „reinen 
©enlen" bie Bett conftruiren unb alle (Seheimniffe be« Uni« 
betfum«. bur<h (Sure in bie ßctft ^ineingebauten Shfteme ab« 
praeter 3been etforfdjen p Wntceu meint? Soll ich Sie an 
#amlet« betaxnteS Bort erinnern, baft es mehr Singe gwifhen 
§immet unb ®rbe .. " 

Bicht nöt^ig — untertooth ich ihn. $aben Sie aber auch 
wohl baran gebaut, ba| Shalefneare wicht fagt: „efi gibt meßr 
Singe auf ber 8rbe", fonbettt: „pRf^en £rimmel uub ®rbe?" 
Unb übrigen« rebet et «on <8><#*(mti«tyttt, unb ich büchte, 
biefer &u8bru4 baffe beffet auf Sure fogeuanute epcte Biffen« 
fdjaft als auf bie oen Snä) ftorteriatfften behrtnlüchelte ^lofo^ie. 
®odj laffen Sie uns nicht «an bet Sache ablssnwe«; mir fatcuhat, 
tote ich glaube twn „gefunben ®ttnf<h«nbetftanb". 

„Süchtig; uub Sie Wellen bo<h nicht behaupte«, ba| in 
Surem gattjen förimSlramS non Spftemect ein 

Junten non gefunbem SRenfchenoerftanb enthalten fei?" 

34 fab ihn non ber Seite an nnb fragte: Stach i* beneit 
ber Sngtänber nicht? 

„?Öj, bas ift etmaS Stabere«! fWen Btfpect bor fotzen 
Seuten wie ©aco, BeWton, $uttte, Sode wtb ähnlich®* SRiicnern, 
biefen Heroen ber (Erfahrung unb bei gefunbea äBertftfjeaber« 
ftanbeS. «ber, flSeoe^tteftec, Sie wiffen ebenfogut wie ich, baff 
gerabe biefe — wenn Sie Wollen: $htfofophat — ben common 
sense jum einzigen tßrincip ihre« Sorfdjen« machten." 

Sehr Wahr ; unb tarn« haben fie bamit erreicht? ®o<h, noch 
einmal, laffen Sie uns bei ber Sadje bleiben. Sie wollen 
wiffen, Was ber common sense bebentet. Sangen wir jHn&djft 
bei bem beutfcheu «uSbrud, Wh weine beim gefunben ®enf<hett= 
berftanbe an, ber ja eine wefentfiche Seite beS common sense bäbct. 

„Sntl aber reben wir bar über, wo möglich, mit gefunbem 
8Renf4enöerflanbt" — Sr lochte. 

greunb, Sie werben anzüglich, Wie mir fchettü; warte« 
wir eS ab, wer julefct lacht — Subor eine Srage: 8ft<« 3h ne * 
niemals auf gefallen, bah ff<h '« biefom «uSinrad „gefunber 
SRenfdhenberftanb" baS ©ebürfmjj auSfpri<ht, folgern Berftanbe 
nicht nur auSbrüdlidj baS ^rtoicat beS „3Beufchi*4en" beiptegen, 
fonbern ihm auch noch übetbieS ein SefunbheitSatteft ociSp« 
fteBen? 

„3n ber ®h*t," — ertmeberte er fragtet — „baS ift 
fonberbar. Ba« mag ber Srunb btwou fein? Bmt einem 
Segenfafe gegen ben thierifdjen Berffattb Samt hoch burht nicht 
bie Siebe fein . . . halt, ich h a &’8 : in bem Ißräbicat beS Steufch« 
liehen ift offenbar jenes ülerwenfchtiÄje, b. f). Aber ben $orijont 
beS menfchlichen ©enlen« hkausgehenbe unb bavum phaninfKföe, 
oödig werthlofe Specuftren be« «bftracten 3beati«m»8 gebtanb« 
ntarlt nnb auBgefchloffen." 

SRöglich; Wie aber ift’« mit bem ©efuutohettSatteft? Soll 
bamit oieüeicht bie ^rätenfion auSgebtüift werben, bah 9HM, 
was nicht innerhalb ber engbegrenjten Sphüw fWtt, in welcher 
fich ber gefunbe SJlenfdhenoerftanb bewegt urtb in bet er jäh 
allein wo|l fühlt, fonbern was barüber irgenbtote htaanSgeht, 
als „franf" ju b^eichnen fei? 

„®S fcheint fo", — meinte er troden, aber ber Xrinmjch 
leuchtete burch biefe trodertheit beS IConeS hitfbnrch. 

9hm, Wenn bies Witökh Sh r * ftafi^tift, bann bebaute ich @te 
aufri^tig. fdohclich« <8 Würbe, Wenn fol# gefunber ffltenfchwt« 
oerftanb allein bie SSahrheit befäffe unb fenfeits feiner Sccenje 
nur leerer Schein unb SBafjnwife h en f4te, feh« Abel wn bie 
oemüttftige ffreiheit beS menfchli4 en Seifte« unb |>erjen« flehen. 
§aben Sie anS) wohl bebaut, bah, Wenn ber menf4lWh e Seift 
für jeben über bie Sornirtheit ber blofjen SSerffftubigfeit htnau«: 
gehenben tieferen 3 n h ft lt erft einet SegHimntion fetten« be« ge= 
funben SRenfdjenOerftanbe« bebfirfte, bann alles «ioffit uub 
$öchfte, wo« bie ntenfd^iche Stuft bewegt unb ben menfchlichen 
Kopf erfüllt hat, fUh nothwenbiger «Seife b«S Staubmal be« 
«Sahn« unb tlnfinn« aufbrttden laffen mühte? 


„Steifem Sie f«h nicht/ Hther gtewjb, «nb oergefftn Sie 
ni4t, bah wir bie gtage eien Dort hem Stotternd* betrachten 
woäten, gegen ben Sie aöe« bie« tyatyoi aufbieten. SMeiben 
wir hübfth nüchtern!" 

Sefr wohl, ba« ift ein gweite« feht bejetthuenbe« $rühkat: 
ber nüchterne öeuffanbj gerabe als ob aüe anberen Xhätig« 
leiten be« Seifte« nnb ber Seele au« bloßer Jruulenhett ent« 
fbrät^en! ©ann fmb Sie Oermuthlich ber «njteht, bah Sgfcate«, 
als er, um fein tbeale« Streben p bewahrheiten, ben @iftbe4ee 
leerte, blo« erneu Qewei« feiner nüchternen SBerftüubigjteft h«be 
geben wollen; ober glauben Sie oieHeidlt, bah — um ei« noch 
echabeum« Smfniel p mähten — Shtifta* P(h nur einen 
„gnnlen non gefunbem 9Dtenf<hem»erftanb" (neu 34m (Borte p 
brauch« gezeigt habe, xt« er für feine mettbefreieabe Sehre 
fi4 au’8 kreuj fragen lieh? — Seenub, Wenn Sie unb 
3fjte SefinnungSgenoffen hätten, fo Würbe «Ke«, Wa« er« 
habeue Sterte, tobeSnmthige {Dnferhcbftbigleit, hothhtejiger Sn« 
thnfiaSmu« — gefthtneige benn «ßt f^ie, aüe &hfn|eit ber 
Belt — für* hm Sbcffte unb »efte, wa« ba« 8eben 

bietet, bem „gefimben, weil nüchternen SBknifchettWnßftanbe" pm 
Dpfac feäten Utüffen. 

„Bit Snthufiaftea 3fpt§ Schlage« ift fdicoer p fhreiten," — 
erxotebeete er, (ntigermahtn in Sertegmhett gefehi — „3|r 
wiht ber Sach« immer eine Bfubwtg p geben, weWh< twn ber 
eigesSirfjen fftage weit abführt 3# mtehte «h Sie aber 
baran erinnern, bah eigentlUh bam common senoe bie Bebe 
fein foüte." 

Bit haben tut« bmnhau« nicht baoon entfernt — nerf^te 
ich wach enter $a«fc, um meine Erregung ftth legen p laffen —, 
baut idh lann über fobhe ©inge einmal nicht ohne Seitenf^nft 
reben; aber ich «ehw wir »er, non geht ab mit mbglic^ter 
Buhe ju fpe^en, benn «h nmhte feht Wohl, bah »an foulen 
Benfdjen tote meinem Sfrennbe $. nur bur# fftlte imüomct, 
w&hrettb fee ben Ieibmf4aftfi4en «uStewcl ohne Beitete« 

: fttW fchon cd« einen Semei« gegen ©a«, wa« in foteher 
S«rm behountet Wirt, betrachten. — Äber — fuhr ich fori — 
in bem camxaon sense tiegü auhertem, njimltth aufter bem ,,ge« 
funben Btenfdhennerftanb", noch mancherlei Äubtre«; ba« Bort 
ge|ört p jenen fn ( cififch«natiQMlen Ätrtbrüden, bie fo tief im 
Befen be« betteffeitben Bon«4aralter« begoünbet finb, bah fte 
bntxh eine emgelne Scgeichnung einer anbent nicht in 

ihrem trafleu Sinne wirtergegrten werten Jönnen, ähnlich wie 
bie fsangöfffih« esprit, galantomt, dian, bie beutfcheu „©emüth", 
„Behnntth"/ „4»hnat" nnb mehrere ber SheL «ber gerabe in 
foUhen SluSbrüden fgruht fi<h ber nfgchiföe €h«rcdter, bie nr* 
fprüngltibe StifteSaxtlage be« Boß«, bem fie aug^ören, am )>räg« 
nanteffen au«. So ift e« auch mit bem englischen Borte gendenua, fo 
mit eommon sense. S« liegt in le|tetem — ein im Snglünber ftert 
entwifleöer Sinn — etneefeä« ba« Sefäht be« Semeinfclaftlichen 
in ber Bebentemg be« national Semeinmihtefhen: e« ift ber all« 
j gemeine Stau, b. h- ber Sion für’« ««gemeine, ber jebeut 
| Snglönber, mag er ho4 ober niebrig flehen, angeboren ift 
{ Staboerfeit« aber unb an« beatfeGben Stunbe gewinnt ba« Bort 
I andf ben Bebenffnn be« Sewöhntichen, hergebrachten, ©rinieden, 
ja (gemeinen — b. h- Br tut« ©cutfSe, nicht für bte Snglßnber. 
i ©enn biefe, cd« bie Beoehrer be« gefimben SBectfcheiWerftanbe«, 
haßen gerabe ®on biefem fijctm fneoiftfdhmatmnrten tStanbgmdt 
an«, ber für fie ba« eigentliche Sbnttum alte« ©enlen«, Sm« 
nfwtben« unb Birten« ift, un« ©eutfehe wegen «nfrer gröberen 
Ziafe für ntbnlofe Shwämner, für abftracte Sbealiften «nb n» 
nraßifche ^haatefften unb bodf p#eteh, wegen ber feilßctyiit 
unfern« ©enlen«, au4 wirtet .für f^werfäffige Sobanton — 
falle für eine getffig ungtfunbe Station; biaher beet auch wohl 
in unferm beutfcheu Stadbmd bie BefecOatiou ber 
\ feiten« berjenigen ©eutfhen, bie tm Srmtbe mit ber englift|ai 
Staflcht im ©roffen unb Sangen übenetttfümmen. 

„Bnb bie 9ranpfen?" — fragte mein Sreunb. 

©ie ftrangofen ftimmen oon ihrem Stanbänuß gl« 8er« 
ehret ber ja audh bon 3h>* H «nb Shren SefttnrnngSgenaffen fo 
hodhgejmefenen Sciences exaotes felbfWerftänblich mit ben Sng« 


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Nr. 7. 


Vit Vfgrnwnrt. 


101 


länbern Überein. — $odg kg fagre fort: 9« jenem fpttigfdj« 
engftfdgen Sinne bttbet mui bet common wog«, wie id| ggen 
bem arfte, ton ausfcgllegtkgen «mb eigenitttgen fRittetpunft afl*3 
ecgt ettglifAcn ttttfdgnttenS «nb $anbctnS; er gat int Sanft ber 
Seit bic Spgäre, wdcge er als Sentrum iegerrfcgt, bemalen 
fcgematifut, bag babntcg glbg bie osdreffftcgen pogtisen Weites 
beb engtifdgen Seitens p bnrdgnnS ce no cntione tlen unb ftorrtn 
Sonnt« fieg wrtnödgert tyäm. 3m prüftifeben Sebtn, nanwnt« 
lieg in ber ©olltif, ftedgtSpgege, SbttiraaUfbnonne «. f. w., bat 
ja ber eommo« sense feint wogtberedgtigte Stelle mib ©tbemhutg, 
ltämlug bie wtetfawgen liltittel jur mSglicgg fcgtwüe« unb twQtn 
Stoffe «nb ®t«at8woglfal|tt p gntom Äßet« bureg bat ec« 
wägnte Stgematigrung unb btt barauS «ntfpringenbe ßegmnang 
beS an geg gatt) oerftänbigen ©rintipi ttmb amg bk* ba£ @nte, 
oämlidg bas *ögem«i«e «nb SSemfinftifle, fafort in fein gerabeS 
Vegcntbeif wrttgrt. 

„®ufbiefen#«»«8bin i(bbegierig! jpabtnbie(Znglänberniigt 
eine Doctrefflkge SSttfoffung, eine frdfwnige Sefehgefomg ... f" 

©tcgttg, — trtniebtrte teg — alles SrteS feaben fit; bobei 
aber, trog t%vsr omrtttjftkgen ©erfaffnng, bas•aifegenlicgfte 85k* 
ftedgtutgSfpftetn btt ben »aglen «*b> trab ihrer fretftanigat St« 
fepgebnng, baS umgänbfccgfte, togfpidigfte, na in tarodon 
Sotmelwefen oertrodnete SerUgtSwrfagre«. Unb jwat ftnb 
bitS Singe, bie butdg bie Se wo gnb eü bem common wnse fo 
geläufig geworben fhtb, bag, ob«* ®bwwg ber barin Qegenbeit 
Scham« unb Shrotoggfeit, in nainer Selbftoerjltnblicgleit j. 0. 
oon ben „enormen ftoften" gefprodge« wirb, bie «ine ©arfcmtnta« 
wobt ober ein ©teeeg bei bem tortUgtigten Äan&leigeridü Der« 
turfadgen. Sag biefer „Äoftin" wegen bie ©olHöertretung, b. g. 
bie Sollsfreibeit, ebenfo wie bie Seredgttglett, gexatop iBuforiftb 
gtworben flnb, ba fle auSfcglieglicg an fRetdgtgnm «mb Stabt 
gebunben, alfo monopotiftrt erftgeütut — barüber madgt fUg ber 
common sense blo* an® bem Ütambe feinen Scrupel, weil bie 
Onettt bauen ttibtin btt SBJWüt eines Singelnen, einrr btSprtifcgen 
Segitnmg ober eines atttohatigge» $ccrfcgetS, fanbern in bem 
nationalen HttgemehuSBiflen liegt. $a* fRefnltat wäre fteilib 
gong boSfelbt. — ffo# bie britte, non mir erwägnte Spgäre 
beS englifcgen SolfHeben, bie Sßationalöfonomie, betrifft... 

3b nrabte eine Saufe; mein Süd war, als wir uns, 
wägrtnb beS SefpriUgS in bem Sange auf« unb abwanbelnb, 
wtebet ber ©awt näherten, auf ben Sanb non lidenS gtfaQen; 
ib mugte laben, als kg mib baran erinnerte, bag bie Stelle, 
tntlbe mib 9« ber SingangS erwähnten Sergleibvng ber Sn« 
fugten beS tnglifben SntorS mit benen beS beitffdgen ©gtlofopgen 
oerontagt gatte, fUg ongerorbentlib gut p einer Sntwert anf 
bie $Nge nab ber nafionaUfonomifben Stbenlnng beS common 
sense eignen würbe. 

(Srlauben Sie, bag ib 3gnen mit bat Storten mneS eng« 
lifben Sbrtftgeßevs antworte, — fugt ib fort, baS Sub auf : 
fblegenb. — kennen Sie bie „garten Seiten" non Sidensf 
Stein? Sfotn, bann bäoni Sie p, wie er über bie SRänntr bet 
common sense benft. tRobbem er bte unmoggtblibe üngbt 
antgefproben, bag „ber barmbeejige Samariter ein fblobk* 
%atiotmlöftmom" gewefen, fbitbert er «inen übrigens ebrtiben 
unb wablmeinenben „SRamt ber tfyttfydpn", welber gfjfieglib 
entgeht, bag er feine Xobter bnrb bie an igr nerfnbte gefunbe 
Äenfb*«t>«ftanb=ffirji«b«ng unglüitib genabt h°t, folgenber« 
mögen: „ftBäbtatb er mit feiner wtngigen 88®netfottbe unetgrünb« 
Ikge liefen geprüft gatte unb mit feinem oerrofteten 8hf*t über 
baS XBeltaB geftolpert War, b«ft* et SrogeS p tgun öetmehü. 
So weit ign bat für je Spanttfeä beS gefunbe« 9tenfb«toetganbeS 
an feineu Sägen b°tte laufen lagen, war er betuntgelaufe« «nb 
batte bte SIMgen beS menfbltbat StafeinS mit gwgeret Sgr« 
flb(Ht Oentibtet, als oide ber bläfenben ©erJenen, bie er p 
feiiwn tägüben Senogen jäglte/' SaS fagen Sie bap? 

„Was foO kg bap fagen? SaS fUtb $bantofi«eien eines 
cgcattrtfben WomeatfbreibeeS." 

Sut; höt*n Sie nob eine anbere Stele, worin er einen 
gmtütbfofen SerfWttbeSmenfb*« batafteriftrt. „SBenn" — lägt 
er biefen fagen — „mir 3«wa«b non Sentütg unb Sh A «tafie 


fpribt, fo meig ib genau, was er meint: er meint Sbitbfröien* 
föppe mtb SBilbprrtt mit ethtm golbnen Söffet «nb wtH in einer 
ffntfbe mit Sagfen fagrm." Später fbitbert er ign in birecter 
flSejfe: „®S war ein SmMbptineip biefer Sgtfofopgie, bag 
ftfieS p begabten war . . 3eber flott beS menfbtiben ®afeinS 
Mn ber KHege bis gmn Stabe fottte ein reiseS ^anbelSgefbäft 
fein, «nb wenn wir anf biefe Seife nidgt nt ben Fimmel tarnen, 
fo wäre es eben hin Ort für bie üRationatöfonomie, unb wir 
gätten bort nugtS p fubon." 

3b tegte baS Stug toiebtr aus ber $anb. diesmal gatte 
mein grtnwb feine Semetfitng p madgen: er fbtoieg, unb ib 
I meinerfeits gatte feine Serantaffung, bte SBtrlnng ber gelefenen 
: Sorte bittb einen Sommeitar irgtnb einer gtrt abpfbwäben. 

| 9t«b einigen 3Äimüen äugelte er gafb fntgenb: 

| „So gatten Sit atfo ben gefunben IBenfdgenberftanb für 
feine 3nfteu^, an bte iogenbrnte p appettiren wäre, bietmegr 
für be« gfeinb SUfcB e«gt menfbtiben Streben! nnb fflitfenS?" 

SurtgnuS nidgt; im Segeütgeit gäbe ib ja twn Dorn gerein 
barauf gingemiefen, bag er in feiner Spgäre, in ber Spgäre 
beS praftifbät fiebenS, namenttib im Sereidg ber materiellen 
Snterejfen, beren ©ebeutung nur ein Igor unterlägen fönnte, Don 
ber attergrägten SSi<gtigteit, ja in berlgat bie §auptinftanj bilbet 

„9lun, bann bin ng pfrieben . 

Stur barf er nngt über biefe Spgäre ginauS eine mag« 
gebenbe Autorität, ober biefe Sphäre gar als bie untDerfale behaupten 
wollen, nur mng er niegt bas alleinige Zentrum geS geizigen 
SebenS p fein prätenbiren, wie eS in ttBagrgeit ber englifbe 
oommon sense tgut. 

„Sollte baS wtrflib in fo allgemeiner Steife ber Soll fein? 
Sie gaben ja fetbft eine« Snglämber als ©etnetS bagegen citirt." 

3a, unb Sie gaben eben beSgatb biefen (Snglänber einen 
„e£centrifdgen©gantaften" genannt. SBaS geigt baSanberS, als bag 
et eben aus jenem allgemeinen (Zentrum ber engtifdgen Slnftgauung 
fug gerauSgcftellt gat? Seine Siegel ogne StuSnagme, ober Dielmegr 
bie ©ttftnagme beftähgt bie Siegel als allgemeines Sefeg. SJettn 
bager pweile« ber atterbtngS fcltene Satt eintritt, bag füg ber ge« 
btegenen Starrgeit beS common sense gegenüber in irgenb einem 
engltftgen 3nbitibinm baS ©ebürfnig ber Stefreiung Don ben brüden« 
ben Seffeln btt (ZonDentionalität geltenb maegt, wenn in igm baS 
urfpTüttg(i<ge Sefeg ber in baS SKenf^engerj unb baS SRenfdgen« 
gtrngepganjtengättli^enöemnnft pm©rwugtfein lommt, fo pafftet 
eS wogt, bag folcg’ excentric man, b. g. foldg’ auS bem (Zentrum 
ber bonürten ©erftänbigfeit gerauSfptingenbeS SnbiDibuutn, p 
wett ober audg neug einer falfcgen {Richtung gut fpringt unb 
bann auf attetlei Igorgetten gertttg. SCher eS fann ebenfo gnt 
paffirett — unb eben liefen® ift ein lebenbiger ©eweis bafür — 
bag getabe bei fotogen tjeentrifdgen ffinglänbern fieg DotjugSWeife 
Säte beS $erjenS, wagrgafter Stbet bet Sefinnung, begeifterungS« 
DofieS Streben naeg Sßagrgett nnb unbebingte Slcgtung allgemein« 
menf^ttegen Siedgtb gäbet. Südens ift nur in ber $orm ejeentrifeg 
in Sagrgeit Ober ift eS für unS ©entfdge rügrenb, wenn wir 
fegen, wie biefer SRatm, Dott tiefet flmtigieit beS Sefügls unb 
glägenber ©egeiftenutg für alles SBagre, Sdgöne unb Sute, feine 
Seber Don bttterflrr Satire unb fegntibenbem |wgn über atte mit bem 
common sense pfammengängettben 3nftituteonen unb (Zgarafter« 
tgpen (SnglanbS überfprubeln lägt. — ©ei anbem (Snglänbem, bie 
nidgt eine gletdge liefe unb leibenfcgaftlidge Energie befigen, in 
benen «4fo aueg bte atte Sreigeit beS SmpfinbcnS etnfignürenbe 
©ornirtgeit beS oommon sense nidgt pm botten ©ewngtfein ge« 
langt, wirft baS bumpft Sefügl foteger geiftigen SIlaDerei nur 
als Sangeweile unb ©lafirtgeit; aber eS ift eine ©gagrtgeit, bie 
niegt aus einer Stfcgöpfnng bet ©enugfägigfeit flammt, fonbetn 
eine ^ranlgaftigteit, bte aus Siel an foldgem bloS ben materiellen 
3ntereffen gnlbigenbem Seben entgeht unb nidgt feiten pm SebenS« 
Übetbtng nnb Selbgmorb fftgrt: ber englifege spieen ig niegts 
als baS Sief ultat einer ognmädgtigen Steaction gegen bie con« 
Dentionetten Sreffeln beS oommon sense. 

„über Sie werben mir boeg pgeben, bag bie englifege 
SSiffenfcgaft, bie ja bodg audg ben gefnnben SRenfdgenbergnnb auf 
igre Sagne gefdgrteben, Don jeger SrogeS gdeiget gat." 


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102 


Sie Äegenrotrt 


Nr. 7. 


Ohne Zweifel, aber bocf) nur in ben fogenannten ejacten 
Siffenfdjaften, worin mit bem bloßen Berftanbe auSpfommen 
ift was aber bie batäber hinauSgeljenben Sachet beä SiffenS, 
bie ©tljif, bie Sleft^etif, bie Btjitofopljie überhaupt betrifft, fo 
!ann man beraubten, bah in ber Strebung beä common sense 
auf ben SRidjterftnfyt beä bernünftigen SenfenS gerabe bet ©runb 
nid^t nur ihrer Berfnödjerung, ihrer ©infeitigfeit, fonbern aud) 
ihrer burch unb burch materialiftifchen ienbenj p fuchen ift. 
Soch brechen wir ^ier ab. Shuen, als SRaterialiften, Wirb bieS 
wahrfdjeintidj als ein großer Borjug ber englifchen Siffenfdiaft 
erfe|einen: idj felje barin nichts als ein ArmuthSjeugnifj be§ 
englifchen BationalgeifteS. 

Wier fdjlofi unfer ©efpräd). Sir wanbeiten nodj eine fSBeite 
auf unb ab; bann oerlieh mich mein greunb mit ben Sorten: 
Srofc Stiem bante ief) Sfttten; benn wenn ich auch nicht in jebem 
fünfte mit 3f)nen einöerftanben bin, fo haben Sie midi) bod) oon 
©inem überzeugt: baff ber fogenannte gefunbe SDtenfchenoerftanb 
teineSwegS als ein allgemeines ©efefc für ben geiftigen DrganiS» 
muS beS SDtenfdhenbafeinS p betrachten ift. 

IKaj Sdfaslet. 


(ßeorg fifidjnerB letzte Sage. 

©ine SJlittljeilung 
oon 

Karl <2mil granjos. 

Ser baS Seben beS genialen SidfjterS oon „Santonä lob" 
überbenh: wie ihm Ooßauf baS fcfjöne ©lüd gegönnt gewefen: 
nämlich p wirten unb fein 2>afein mit taufenb gäben anp» 
fnüpfen an bas ber Anberen um ihn h**» wie bie Stofen ber 
Siebe fein $aupt umbuftet, wie ihm ber füfjefte, beraufchenbfte 
Sranl entgegengefchäumt, ben biefe arme ffirbe hebenden tann: 
ber bisher oofl jungen StuhmS unb wie er enblidj jäh bahin» 
geftorben, oon feinem Waud) beä ©rmübenä, beä Alternä, ber 
©nttäufdjung angerührt, bem mag er leicht als ber wenigen 
©lüdlidjen ©iner erfdfjeinen, oon benen uns bie ffunbe wirb, 
ja fixier wie eine Berförperung bes IraumS antifer Poeten, 
wie ein Siebling ber ©ötter. 

A6cr baS alte, bittere Sort bleibt Wahr: eS ift bafür ge» 
forgt, bah bie Säume nicht in ben $immel wadjfen. Ser biefem 
feltenen SRenfd)en näher tritt, gang nahe, ber ertennt, bah auch 
feinem fingfreubigen Seben nicht herber Äampf noch fdjmerglidje 
Stieberlagen erfpart geblieben, ©r h at tu ben furgen fünf 
fahren, oon Beginn feiner UnioerfitätSftnbien bis gu feinem 
Sobe, in taum begonnenem öierunbjwanjigften SebenSjahre, mehr 
für Siffenfchaft unb Siteratur geleiftet, als unzählige bebeutenbe 
ßJtenfdjen währenb eines langen Sehens, er hat in biefen Sohren 
mehr ftolge greuben genoffen, als fte einem gewöhnlichen ©terb» 
liehen befchieben finb, aber auch weht Seiben haben ihm baS 
junge, ungeftüme $crj gerfleifdjt, als fte fich fonft in langem 
©rbenpilgern jufammenhäufen. ©ein Seben ift feinen Sichtungen 
oergleichbar: itbermüthige Suft unb tieffteS Selj folgen einanber 
in abenteuerlicher, bunter SReilje unb in greUften ©ontraften be» 
wegt fleh baS gefaramte ©efdjid bis' gu feinem jähen, frühen 
AbfdEjtufj. 

Sarum wirb, abgefehen oon ber literar»hiftorifd)en Bebeu« 
tung ©eorg Büchners — unb für alle Seit bleibt ihm als einem 
ebenfo genial angelegten, als für feine Seit djarafteriftifdjen 
Poeten ein piafc in ber ©efdfjidhte unfereS ©eifteSlebenS gefiebert — 
oießeidjt auch feine Biographie ihres pftjchologifchen Suter eff eä 
wegen auf rein ntenfcfjliche Antheilnahtne gählen bürfen. 3Jtit 
ber Abfaffung biefer Biographie auf ©runb gasreicher münb» 
liehet unb hanbfchriftliiher Quellen bin ich iu ben lebten HKonaten 
befchäftigt gewefen. ©ie bilbet bie ©inleitung gu bet oon mir 
im Aufträge ber gamitie Büdner beforgten erften fritifchen ®e» 
fantmtauSgabe feiner Serie, welche auch bie im Badjiaffe auf: 
gefunbenen ©Triften guerft publiciren unb binnen wenigen 
SRonaten im Berlage oon S- S. ©auerlättber in grautfurt 
am 2J?ain erfchehten wirb. 


S<h behalte mir oor, an biefer ©teile oor ©rffeinen beS 
Buches eine Ueberficht über ben Snhalt biefeS BadhlaffeS p 
geben; für heute befchränfe ich utich barauf, ein ©djriftftüd pr 
Biographie bes Sichters mitptheilen, welches mir, fowohl um 
feines tljatfächtichen SuhalteS, als um feiner gaffung wiüen 
werth erfdheint, in weiteren Greifen gelefen p werben. ©S ift 
bieS ein Bericht ber treuen Pflegerin ©eorg Büchners über feine 
lebten Sage, welchen fie auf ©rfudhen ber gamilie furj nach 
feinem Xobe auf ©runb ihres SagebucheS gufammengefteflt. 
Siefe eble grau hatte felbft erft wenige SRouate oortjer in 
Sürich nach fchweren ©türmen unb ©efaljren ihr WauSwefen 
begrünbet. Sen angebeteten ©atten hatte fie ftch felbft mit einer 
Klugheit unb ffintfdjloffenheit, wie fie nicht Oiete SKänner be* 
thätigt hätten, nub bo<h wieber mit einem $eroi$mu8 ber Siebe, 
wie ihn nur ein ebleS Seib p bewähren oermag, aus bem 
©efängnifj befreit. Senn bie Pflegerin Büchners war grau 
SJtinna ©chulj, ©attin beS Dr. Silhelm ©<hulj, welcher, früher 
heffifcher Sieutenant, fpäter fßublicift, 1834 wegen „aufrühre» 
rifd^er Schriften" p fünfjähriger geftungSftrafe oerurtheilt, in 
ber fReujahrSnadjt oon 1835 bem ©efängnifj entrann unb p» 
erft in ©trafjburg lebte, bann in Stand) unb enbli^ feinen 
bleibenben Aufenthalt in Sürich nahm. 3« ber golge war et 
ÜDtitgfteb beS granffurter Parlaments. 

Snt $aufe biefeS greunbeS unb ©efinnungSgenoffen bepg 
©eorg Büchner eine ©tobe, als er im October 1836 nach 3üri<h 
tarn unb fich bafelbft als Brioatbocent für oergleichenbe Ana» 
tomie habilitirte. ©ein Seben lag bamals im heüften ^offnungs» 
glanje oor ihm. Btit 23 Sahren hatte er fich nicht bloS Sichter» 
rühm, foubent auch Anfeljen in ber wiffenfchaftlichen Seit unb 
eine afabemifdje Sirffamfeit ertämpft, feine perfönüchen Ber» 
hältniffe waren bie angenehmften unb feine enblich auch officieß 
v oerlautbarte Berlobung mit einem faft feit feinen ßnabenjahren 
innig geliebten Stäbchen, SQtinna Sangle in ©trafeburg, lieh 
ihm baS Seben ooßenbS h«ß unb fchön erfdfjeinen. Sarum ftub 
bie Briefe, n»l<he er oon 3üri<h an feine Braut Schrieb, ooß 
fonnigfter Weiterleit. So ber lepte, welcher erhalten ift, oom 
27. Sanuar 1837. „SJtein lieb fiinb!" — fdhrieb er ba — „eS 
ift mir heute innerlich f° wohl, ich Ph w noch oon geftern, bie 
©onne war groh unb warm in reinftem Wimmel — unb bap 
hab’ ich meine Sateme gelöfdht unb einen ebten SRenfdhen an 
bie Bruft gebrüeft, nämlich einen fleinen Sirth, ber auäfieht, 
wie ein betrunfeneS ftanindjen unb mir in feinem prächtigen 
Waufe oor ber ©tabt ein grofjes feparates Zimmer oermiethet 
hat. ©bler SRenfdj! SaS W°uS fteht nicht Weit oom ©ee, oor 
meinen genftern bie Safferfläche unb oon aßen ©eiten bie Alpen, 
wie fonnenglänjenbes ©ewölf. — Su lommft halb? mit bem 
Sugenbmuth ift’S fort, ich befomme fonft graue Waare, ich muh 
mich halb wieber an Seiner inneren ©lücffeligfeit ftärten unb 
beiner göttlichen Unbefangenheit unb beinern lieben Seichtfinn 
unb aß beinen böfen ©igenfdjaften, böfeS SDtäb^en. Addio, 
piccola mia!“ 

©r foßte fein SOtäbchen wieberfehen, aber in einer ©tunbe, 
ba ihn bereits bie ©chatten bes SobeS umbüfterten, bie Soh» 
nung bei bem fleinen Sirth foßte er nicht mehr beziehen. @r 
erlranfte in feiner ©tube bei ©djuls am 2. gebruar 1837, 
am 19. gebruar ftarb er in biefer ©tube. Ser Bericht ber 
grau ©dfjulj enthält bie näheren Umftänbe. SaS mich bewegt 
ihn p publiciren, ift, wie gejagt, auch Me Raffung. Siefe liebe» 
ooße Pietät, biefeS herrliche ©ottoertrauen einer eblen, reichen 
©eele, welches bie büftere, fdjneibenbe Sragif oerflärt, hat mich 
felbft fo tief ergriffen, bah t<h ähnliche Sirfung auch bei Anberen 
oorauäfefce. Unb bann berichtet ja bieS Sagebuch — unb wem 
baS erfte SMotio nicht gilt, bem wirb wohl bieS {weite wichtigere 
genügen — über bie te|ten Sage eines ber gröfjten bramatifchen 
©enieS, welche im beutfehen Bolte erftanben unb gebichtet — 
Sie Pietät für bie Perfönlichfeit unferer Sichter ift ein fdjöner 
äug ber beutfehen Bolfsfeete unb wirb auch biefe SRitttjeUung 
nicht unwißfommen erfcheinen laffen. 

Wier ber Bericht, ben idj ba, wo es pm Berftänbnih ober 
jur ©rgänpng erforberlidj, mit Boten begleite. 


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Nr. 7. 


Hi t Ä/gettroart. 


103 


2. gebruar 1837. S3ir fragten Sü4ner, ob er einen weiten 
Spaziergang mit und machen wollte; er antwortete, bag er mit feinem 
greunbe S4mib nur einen formen Sang ma^en würbe, weil er ftdj nüpt 
ganz Wol)t fühle. Sld wir gegen Sbenb na4 ©aufe tarnen, {tagte er, 
bag ed 4m ffeberif 4 $u SRutl)e fei; ba er ftd^ aber nic^t zu Sette legen 
wollte, aud gur 4 t nid^t einfd^lafen zu fönnen, fepte er ff 4 zu und auf’d 
©opha. 34 bot 4m Dhee an, ben er audf4lug; halb bemertte i4, baß 
er einf^lief, unb als er erwarte, bat idj ihn bringenb, ff4 Z u Seit zu 
legen, wad er audj enbtup 4at. SHr fagten 4m, bag er an ber Staub 
Hopfen folle, bie an unfere Sdjlafftube flieg, wenn er bed Sta4td etwad 
bebürfe unb liegen feine Stampe brennen. 

3. gebruar. Sü4ner hotte ni4t gut gefölafen, tlagte aber über 
teinerlei Schmerzen. Da ed fehr ^eH im Säumer war, gab i4 4 m 
grüne SorI)änge, au4 ein $ferbe$aartiffen unter ben ftopf, wad 4 m 
wobt tbat. 34 hotte gehofft, bag er ben Sbenb wieber bei und zu= 
bringen tönnte, unb bedwegen unfer gemöpnli 4 ed ßefefränz 4 en nicht ab* 
gefügt; ba er aber nicht babei fein tonnte, lieg er ftcb bon und erzählen, 
womit Wir und unterhalten hotten. 

4. gebruar. Dad gieber war etwad ffärfet, bo4 gab ed zu teiner 
Seforgnig fflaum, er ag etwad Suppe unb Obft unb berff 4 erte, bag cd 
ihm ganz wohl m feinem Sette fei. SHr erhielten Sriefe bon ben 
Unftigen, bie ich 4 m borlad unb benen er mit Sntereffe zuhörte. 

5. gebruar. (Sr tlagte über S4loffoffgfeit, i4 juchte 4 n bamit 
ZU tröffen, bag i 4 in meiner türzti 4 en Ärantyeit biete Mächte nicht ge* 
fcglafcn habe unb babei no4 Schmerzen habe leiben müffen. (Sr war 
fehr gebutbig unb ruhig- Da wir genötigt waren, einige Sefuche z u 
ma4en, fo blieb fein tiebffer greunb Sd)mib bei ihm; atd wir wieber 
nach ©aufe tarnen, lieg er f !4 bon und erzählen; hoch hotte er ed nicht 
gerne, wenn man taut fprach- 

6 . gebruar. Da i4 leine h&udli4en @ef4äfte hotte, tonnte ich 
mi4 ganz feiner pflege wibmen, wad ich bon ©erzen gerne 4at. (Ed 
Zeigte ft<h nach unb na4 eine groge (Empffnbti4leit bei ihm, man tonnte 
ihm ni 4 t leicht etwad re$t machen, wad feine greunbe oft ni 4 t be¬ 
greifen tonnten. 34/ ber i4 aber aud (Erfahrung wugte, wie ed einem 
iff, wenn man an ben Serben leibet, ich 4 at ihm Slled, wad er nur 
haben wollte, worüber id) jept hoppelt froh bin. 

7. gebruar. grau SeH fehiefte für SAdjner Suppe, bie ihm fehr 
gut (djmeefte; au 4 bie borgefchriebene Srzenei nahm er genie, worüber 
ich 4 n °ft tobte. Da wir ben gaffna 4 tdabenb bei SeU zubringen füllten, 
fo blieb Sü 4 nerd greunb Srattbadj*) bei ihm, ben er auch f c h r gerne 
hotte. 

8 . gebruar. Dad gieber geigte fi<h nur fehr wenig unb er wollte, 
ba Sriefe bon feiner Sraut angetommen waren, an biefelbe fchreiben; 
i 4 bat 4 n, biefed zu berf 4 ieben, bid er ff 4 Wieber ganz wohl fühlte; 
auch erbot ich uti4/ ftatt feiner zu f4reiben, wad er aber abtehnte. Da j 
bie Sriefe Stinnad**) fehr fein gefchrieben waren, legte er ge weg, um j 

• fie fpüter fertig zu lefen. j 

9. gebruar. Der ftrante hotte faft gar fein gieber, bo<h tlagte er 
fortwährenb über S4lofIofigteit; mein SRann war bed Sltachtd lange bei 
4 m unb bemertte bo 4 , bag er zuweilen gefd)tafen hatte. (Sr war flcin; 
müthig, nub wir fpra 4 ?n ihm Stle SJtuth ein; auch riet© man ihm, ein 
wenig aufzugehen, um bann bieQeicht beffer fchlafen zu tönnen. (Ed 
würbe 4 ™ Stanbetmil 4 berorbnet, bie i 4 4 m bereitete unb bie 4 u fe©r 
erquidte. 

10 . gebruar. (Er ftanb 97a4mittagd auf unb wollte fchreiben; ich 
©ölte ihm aQed !Röt©ige herbei, ba ich foh/ bag er fic© bur 4 oud ni 4 t 
wollte abhatten taffen unb ba er fagte, bag er geh auf bem Sopha Wähler 
wie im Sett fühle, fo freute ich utich fehr unb nahm ed für ein geilen 
ber Sefferung. (Er ergriff bie geber, erflärte aber fogleich ni4t f 4 reiben 
Zn (dunen; ich bot ihm abermatd an in feinem Stamen zu fchreiben, wad 
er jept gef4ehen lieg. Damit er feinen Seift nicht angrengen füllte, 
Schrieb i4 ben Srief nach meiner 3bee unb er fagte mir atdbann, wad 
ich baran änbem foOe. (Enb(i4 war bad Schreiben nach feinem Stanf4 
audgefallen, unb er nahm ed mir hoffig weg unb fepte bie Starte: „Sbieu, 
mein Jtinb,* barunter, lieg mich eine feiner üoden hinetnlegen unb eilte 
{dptell z u Sett, na4 Welchem er fehr verlangte. 9ta4bem ber Srief weg 


*) Slei 4 faßd ein potitifeger glüchtting aud ©effen, ber auch iu bem 
$o4oerrathdproceffe gegen Staibig unb (Eonforten berwidelt gewefen. 

•*) Sü4«erd Sraut. 


War, gel ed mir fegwer aufd ©erz, bag bie gute Stinna üietteicht biefe 
Starte für Hbfdjiebdworte nehmen tönnte, ba bo4 bie ffranlgeit bamald 
nicht im Seringgen gefährlich f4ien. Died beunruhigte mich fehr unb 
id) hotte einen traurigen Sbenb. Stein SJtann unb feine anberen greunbe 
f4liefen wie bie folgenben 9tä4te abwechfelnb in feinem 3immer, wad 
ihm lieb war. 

n. gebruar. Der f4wa4e Dhee, ben er SDtargend genog, unb bie 
Suppen, bie ich ihm felbg lochte, f4medten ihm recht gut; hoch gel und 
eine Srt Unempgnblichteit (Spatgie) an ihm auf. 34 frogte i©tt an 
biefem Stargen, ob ed 4m angenehm wäre, wenn i4 mit einer Sr* 
beit mich z u ihm fepte, wad er gerne zu hoben f4«n. Dad Spre4en 
gel ihm fd)wer unb er brüdte g4 oft burch Seberben aud, bie mi4 zu 
Dgränen rührten, au4 toeil ge mi4 lebhaft an meinen bergorbenen 
Sater erinnerten, mit bem ich fogor in ber hoh*u freien Stirne einige 
Hehnfid)leit bei Süchner zu entbeden glaubte. Sn einigen Seugerungen, 
bie er an biefem Da ge 4at, bemertte i4, bag fein Seift nicht ganz helle 
war. SHr befchtoffen, noch einen Srzt tommen zu taffen, unb zwar 
S4önlein.*) Der Trante aber wollte nichtd baoon hören, ba er fich 
ni4t fo tränt fühlte. (Ed würbe inbeffen jept jebe 97a4t gewa4t, wad 
feine greunbe gerne übernahmen. 

12 . gebruar. Sonntag. Süchner erflärte enblid)/ bag er S4ön* 
lein zu fprechen wünfd)e; biefer war aber oerreig; fein Sffigent hatte inbeffen 
Süchner Jd)on befucht unb geh mit ben bon Dr. 3ehuber berorbueten 
Mitteln ganz einberganben erllärt. 

13. gebruar. Die Setäubung bauerte fort; am Dage borper war 
ed, wo er zum erften Stale fagte, ber ftopf fei ihm fchwer unb bied war 
bad einzige Stal in feiner ganzen ftranfheit, bag er über ben &opf tlagte. 
@r war ganz &ei fi4/ 4^4 ober zuweilen im S4laf. SBir Schrieben an 
biefem Dage au unfere Sef4wifter na4 Darmgabt. 

14. gebruar. Storgend frühe tarn S4öntein unb billigte ganz 
bad bidherige Serfahren bed Dr. 3ehober, au4 behielt er biefelbeit 
Srzetteien bei. Sü4ner fpra4 fehr bemünftig mit ihm, betam aber 
f4on währenb ber Snwefenheit ber Serzte garte ©ipe; i4 blieb bei ihm 
unb er nannte mi4 man4mal S4mib; wenn i4 bann fagte, i4 fei 
grau S4ü!i, lä4elte er mir zu; au4 glaubte er zuweilen, ed gänbe 
Semanb in ber (Ede unb bergtei4en. 34 lod für mi4 im Storgenbtatt, bad 
er für einen Srief hielt, i4 legte ed baher weg. Segen Sbenb betam 
er einen heftigen SnfaU bon 3ittern, wobei er ganz i rre fpra4- 34 
würbe fehr unruhig unb forgte bon nun an bafür, bag auger mir au4 
immer no4 einer feiner greunbe bei ihm war. (Er würbe ita4 unb 
na4 immer ruhiger. Segen 8 Uhr tarn bad Detiriren wieber unb fonbct= 
bar war ed, bag er og über feine Shontafien fpra4, ge felbg beurtheilte, 
wenn man fie ihm audgerebet hotte. (Eine Jßhoutoffe, bie oft wiebcr= 
fehrte, war bie, bag er wähnte audgeliefert zu werben.**) Die 9ta4t 
war unruhig, er fpra4 oiel franzögf4 unb rebete mehrere Stale feine 
Sraut an. 

15. gebruar. 34 fonb ihn Storgend früh fehr beränbert, bo4 
tannte er mi4; bertangte zu feinem Dhee, weil bie Daffe grog war, au4 
einen grogen Siöffel. (Er fpra4/ wenn er bei ff4 war, etwad f4wer, fo- 
halb er aber betirirte, fpra4 er ganz gelöuffg. ®r erzählte mir eine lange 
Zufammenhängenbe Sef4i4te, wie man 4n geftern f4on bor bie Stabt 
gebra4t höbe, wie er zubor eine ütebe auf bem Startte gehalten u. f. w. 
34 fogte ipm, er fei ja hier in feinem Sette unb höbe bad Stted ge* 
träumt; ba erwieberte er, i4 Wifferja, bag ^rofeffor @f4er (einer feiner 
S4üler) ff4 für il)n berbürgt höbe, unb bedhalb fei er wieber zurüdge- 
bra4t worben. (Ed hotte ff4 nämli4 bie 3bee bei ipm gebilbet, er höbe 
S4ulben, wad aber in ber 2Birt!i4leit ni4t bet galt war. Sol4e 
$hontagen lieg er ff4 lei4t audreben, berget aber atdbann in anbere. 
Um 12 Uhr tarn S4öntein, ben Sü4uer nic©t ertannte, unb ba i4 um 
jeben Srcid wiffen wollte, wie ed um ben flranten gehe, blieb i4 int 
3 immet, ob ed f4idU4 war ober ni4t. Std S4öntein eintrat, fagte 
er zu mir: „SHed pagt zufammen, ed ift bad gaulgeber unb bie @e* 
fahr ift fehr grog." 3$ rrf4ral ©eftig unb ba meine Sterben fehr an= 
gegriffen waren, empfahl mir ber Hrzt bringenb, bad Äranfenzimmer zu 


*) Damald ^rofeffor an ber 3üri4« ©o4f4ule, einer ber eifrigffen 
Sönner Sü4nerd. 

**) Stach Sü4nerd glu4t aud Darmgabt war ein Stedbrief hinter 
ipm ertaffen worben unb bie h^fgf4^ Regierung hotte ff4 in ber Dhot, 
wenn au4 erfolglod, um feine fEudtieferung bemüht. 


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104 




Nr. 7 . 


meiben, au4 War männlicfte Wege jept bthtgenber. 34 tonnte je|t 
itidjts me^r für iftn tftun alb beten. — 8b würbe ein Mauer Särter 
angenommen, boeft war bei btefem immer no4 einer oon BÜ4«erb 
greunben, befonberb Silftelm*) nnb @<bmib. 34 war fe^r traurig nnb 
f4Heb foglefcft nad) ©traftburg. 

16. gebruar. Die 9ta4t war unruhig; ber Trante wollte mehrere 
Stale fort, weil er wähnte, in ©efangenf4aft b u getanen, ober f4on 
barin flu fein glaubte unb {14 4* entfliegen wollte. Den Sta4mittag 
Mbrirte ber $utb nur unb bab $erfl fd>tug 160 Stal in bet Dünnte. 
Die Äerflte gaben bie Hoffnung auf. Stein fonfl frömmeb ©emütft fragte 
bitter bie Borfeftung.* „Sarum?" Da trat Silftelm in’b Simtner unb 
ba i4 tftm meine oetflweiflmtgbooflen ©ebaufen mtttfteilte, fagte er: 
„Unfer greunb gibt Dir felbft Antwort, er ftat foeben, na4bem ein 
heftiger ©türm bon Bftantaftren oorüber war, mit ruhiger, erhobener, 
feierlidjet ©timme bie Sorte gefpreuften: „ „Sit haben ber ©eftmerjen 
ni4t flu Diel, wir haben ihrer flu wenig, benn bureft ben ©4tnetfl gehen 
wir flu ®ott ein!" „Sir ftnb Dob, ©taub, Bf4e, wie bürfien wir 
flogen!"" Stein 3ammer löfle f!4 in Seftmutft auf, ober kft war {ehr 
traurig unb werbe eb no4 lange fein.**) 

17. gebruar. 3« ber Sacftt pftantaftrte ber tfranfe Don feinen 
©Item unb ©ef4wiftcm in ben tührenbften Slubbrüden. ®r fptaeft faft 
immerwäftrenb. ©cftönlein wunberte fkft, ihn am Sorgen no4 lebenb 
flu fhtben; er fam tfiglt4 jwetmal unb nahm ben größten tlntfteit, fo 
wie ®fle, bie Bü4ner au4 nur entfernt lannten. 3*ben Storgen lieft 
man fhft bon Derfcftiebenen ©eiten na4 feinem Befinben erfunbigen. 
©egen 10 Uhr fam grau Pfarrer ©4mib bon ©traftburg ünb bena4 5 
ri4tigte nnb, baft Sünna angefommen fei, i4 erf4raf fehr, benn ieft 
für4tete für fie, wenn ftc ben Uranien in fo oeränbertem Quftanbe fehen 
würbe. 34 eilte flu ihr in’b Sirtftbftaub unb bereitete fie naeft unb na4 
auf bie grofte ©efahr Dor, in ber ihr tfteuerfteb f4webte. 34 ma4te 
mt4 re4t ftarf bei ihr. 34 halte fie tta4 Dif4 mit ihrer Begleiterin 
flu unb. Die Äetflte hatten ihr erlaubt ben ftranlen flu fehen. ©r 
erlannte fie, wab eine f4merflli4e greube für fie War; unfere Dftränen 
floffen bereint an biefem Doge unb mein ®erfl litt biel, benn eb berftanb 
bab ihrige, ©ie nnb grau ©4ntib blieben bon nun an bei unb. Die 
9ia4t war für nnb Sille traurig. Der Jfranfe belirirte fortwährend 

18. gebruar. Sünna befu4te frühe ben Äranfen, ber fie heutiger, 
wie am hörigen Dage erlannte; er fpta4 flu ihr au4 bon ihrem Batet, 
bo4 fonnte man ni4t BEeb Derfteftert, benn feine ©timme war jept 
fcftwä4er. ©r nahm aub Sümtab #ätiben ein Wenig Kein unb Kon* 
fiture, aft Süttagb etwab ©uppe, nannte mehrere feiner gtennbe mit 
Samen, au4 ber $ut§ hob ft4 ein wenig, afleb biefeb war ein $offnungb; 
fttaftl für nnb, trop ben Berflten, bie ni4tb barauf gaben, aber nur ein 
fcoffnungbftraftl, benn am Slbenb traten bon Beuern übte ©hntbtome ein. 
Die 9la4t war ruhig, ba bte ©4wü4e flunaftiit; bo4 fbta4 bet ftranle 
immerfort. 


*) Der ©atte ber ©4reiberin, Dr. Silftelm ®4utfl. 

**) Dr. Silftelm ©4ulfl erzählt in bem Sefrolog, Wet4en er bem 
grennbe gewibmet G/Sürkfter ßeitung" bom 23. Februar 1867): „Der 
©egenftonb feiner Bftantaften waren feine Braut, feine ©Item unb ©e= 
f4wifter, beren er mit ber tührenbften 8ttftängU4feit geba4te, Unb bab 
©cfttdfal ferner politif4en 3ugenbgenoffen, bie feit 3ahren in ben Äerlem 
feiner $eimat f4ma4ten. SSBic bor feiner Shranlftett, fo fpra4 er au4 
jept in Bittern, aber wahten Worten, bie in bem Staube eineb Sterben; 
ben ein boppelteb ©ewieftt haben, über jene ©4ma4 nuferer Dage ft4 
aub, über bie oertoerflkfte Beftcmbtung ber potittf4*tt ©4la4topfer, bie 
na4 gefeftti4en Sonnen unb mit bem $nf4ein ber Stifte in fahre; 
langer Unterfu4ungbftaft gehalten werben, Mb ihr ©eift flurn Saftnftttn 
getrieben unb ihr Äörper ju Dbbe gequält ift." „3n jener frauflßfif4en 
Sebolution," fo rief er aub, „bie wegen ihrer ©raufamfeit fo bertufen 
ift, war man mifter alb Jefet. Stan f4lug feinen ©egnem bie Äöpfe 
ab. ©ut! Äber man tieft ffe n<4t jahrelang ftmf4ma4ten unb ftitt= 
ftetben." Später jebo4, alb ihm fein lob näher gerüdt war, f4ten er 
ft4 bereitb bon allen irbif4en Banben lobgeriffen flu haben unb mit ge; 
hobener @pra4e, beren Sorte bte ethabenften ©teilen ber Bibel in’b 
©ebä4tnift riefen, ergeht ft4 feine Seele in religiüfen tßhäntafien." 
@o weit ®4utfl. Ob SSü4«er gläubig geftorben, bleibt gleichwohl eine 
offene ftrage; er war, wie feine mir borliegenben philofoph't4en ©4tiften 
beweifen, Sltheift aub tieffter Ueberjeugung. 


19. Sebruar, Sonntag. Der Slthem würbe f4Wer, bie ©4wä4e 

größer, ber Xob mußte nahe fein. Dab ftarte Säb4en bat meinen 
Sann fte ja rufen, wenn ber berhängniftboüe Slugenbtid fäme, benn 
lange fonnte unb burfte fie ni4t im ©ran&nflimmet betweilen, ©b war 
Sonntag; ber $immet war blau unb bie Sonne Die Ätnber 

hatte man weggef4idt, eb war ftiHe im §aufe unb ftille auf ber Strafte. 
Die ©toefen läuteten. Sünna unb i4 faßen allein tn meinem traulichen 
©tüb4en. Sir wußten, baft wenige ©eftritte bon unb ein ©tetbenber 
lag unb Set4er! Sir hatten unb in ben SiEen ber Borfehung er; 
geben, benn wab in ber Stenf4en Sfa4t tag, ben Dfteueten flu retten, 
war ja ge(4ehen. 34 erinnere mi4 in meinem Seben wenig fo feier; 
U4et ©tunben wie biefe; eine Ettth^ ßoft P4 Über unb. Sir 
tafen einige ©ebi4te, Wir fpra4en bon iftm, bib Silhelm eintrat Sünna 
flu rufen, bamit fte bem ©etiebten ben teftten Siebebbienft erweife. Sie 
that eb mit ftarfer Stufte, aber bann bta4 iftr ©4ätetfl taut äub. 34 
naftm fte in meine 2lrme unb Weinte mit iftr. Sie würbe ruftiger unb 
enbigte einen angefangenen Brief, ber ftbenb berging unb in ©efprä4en 
über ben $ingef4iebenen, oft geba4ten Wir mit @4merfl ber armen 
©Item unb ©efeftwifter beb BereWigten. Sünna braeftte bie 9la$t bei 
mir flu, unb ba wir lange ükftt gef4tafen hatten, behauptete bie ÜRatur 
iftr SRe4t unb ein fanfter ©4lummer ftärfte unb. ttm Äbenb war ein 
Brief aub Darmftabt gefommen, ber unb tief bewegte; t4 beantwortete iftn. 

20 . gebruar. Sünna feftrieb an iftren Bater. Sir lafen in einer 
9rt Dagebu4, bab ft4 unter Bü4nerb papieren gefunben hatte*) unb 
rei4e ©eiftebf4äfte entftält. Die grainbe beb Berewigten bra4teit ben 
ftbenb bei unb flu unb er war, wie immer, ber ©egenftanb nuferer 
Unterhaltung. Da er über BEeb wab unb interefftrte, fo oft mit unb 
gefpro4en hatte, fo wußten wir Met non iftm flu erfläftlen. gaft jeber 
©egenftanb, ber unb umgab, erinnerte unb an biefe ober jene geiftreufte 
Bemerfung, bie er batüber gema4t. Baft floffen unfere DftrÜtten unb 
baft mußten wir la4^u, Wenn wir ünb feine treffenbe Satire, feine 
mipigen ©infäEe unb launigen ©efterfle in’b ©ebä4tniß flurüdriefen. 

21 . gebruar. Der ^immel war fteUe unb bie Sonne f4ien bem 
Doge, an bem feine irbif4e $ülle ber ©rbe Wiebergegeben werbet fofite. 
Sir wanben am Sfergen einen großen Jfraitfl bon lebenbigem ©rün, 
Lorbeer unb Stftrtften unb weißen Btütften, ber na4 ftieftger Sitte ben 
ganflen ©arg umgeben foEte. 2lu4 lieft Sünna bem Dt4ter unb Bräu; 
tigam but4 Silftelm einen Sorbeer; unb Biftrtftenlranfl auf bie ftofte 
blaffe Stirne brüden. ©in Strauß bon tebenbigen Blumen, ben ein^e 
greunbimten f4idten, ruftte in feinen ^änben. Um 4 Uftr fottte ftaf 
Begräbniß ftattflnben, i4 berließ haftet gleüft na4 Dif4 mit Stinna 
ba$ $auö, benn einem flerriffenen ©erjen lönnen bie Änftatten baflu 
feinen Droft geWäftren. Sir befu4ten fluerft ben Sieblingdfpafliergang 
unfereö greunbeb, ein fteiüer $lap am ©ee, unb bann begaben wir unb 
flu einer tfteilnehmenben greunbin, wo wir bib flum ftftenb blkben. 
Silftelm ftotte unb bort ab, unb erfläftlte unb, baß meftrere ftunbert 
Berfonen, bie beiben Bürgermeifter unb anbere ber angefeftenften ©in*' 
woftner ber Stabt an ber ©pipe, ben Berewigten flur Bufteftätte begleitet 
hatten. Die Dfteilnaftme ber ganflen Stabt war groß. Bekannte unb 
Unbefannte waren tief erf4üttert bur4 ben Dob eineb fo geift; unb 
tatenftoEen jungen Stanneb. 

Bm Äbenb f4idte eine greunbin einen Blumentopf, gefüllt mit ber 
©rbe, in ber ber BoEenbete ruftt. Dab gmmergrün, bab barin ftanb 
unb bab au4 an feinem ©rabe fproßt, fei unb ein ©ftmbot ber Hoffnung, 
ber Hoffnung beb Sieberfeftenb. Süt ben fterflli4ften, tfteilneftmenbften 
Sorten an Sünna War biefeb finnige ©efeftenf begleitet.... 

$kx f4lieftt ber Beriet. SBte feftwer bie Braut tmt 
biefem Unglüd getrogen warb, beweist tooftl ber Umfimtb, baft 
fte unberm&ftlt geblieben. Sie lebt noeft fteute in ©traftburg. 
„Stein Seben", feftrieb fte bamalb, „gleicftt einm ftftWffllm 
©ommertage! SEorgenb fteitere angeneftme Suft, in etluften 
©tunben ©hmn unb ®etoitta:, jerfnidte Blumen, jerftftlagene 
Bflangen. Steine «nfprücfte auf Sebatbglüd, auf eine fettere 

3u!unft flu @rabe getragen, ÄUeb, SIBeb bertoren --" 

(Ein feltfamer Umftanb aub ben teftten Dagen beb Dicftterb, 
beffen ber Beri4t nieftt erw&ftnt, fei ftter no4 naeftflutragen. 
Bü4ner hatte im Sommer 1836 ein Drama „$ietr* Äretino" 

*) Dab Dagebu4 epftirt; eb flu erftalten, ift mir Mbfter tro| aller 
Stüfte nüftt geglüdt. 


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ÜTr. 7. 


fit ftgtttüMtri 


105 


gefdjriebett. BuS feinem S9rieftocd^feI wiffen wir, bafi er grofje Soff= 
trangert auf fein »tama au# bem Cinquecento gefefct, unb ba| et 
mit glühenbftem ©ifet batan gearbeitet. (St wollte e# nicht fo rafdj 
aus bett Hünben geben. „3h bin nodj mit SRanheut unjuftieben 
unb toiK nicht, bap ei mit geht, wie baS erftemat. »a# pnb 
Brbeiten, mit benen man nid^t ju ehtet bejiimmten Seit fettig 
werben lann, Wie bet Sdfjneiber mit feinem Kleflt." ©nblih 
war bie Brbeit bottenbet, nnb ba# 9Ranfcript lam (wo1jl im 
September 1836) in bie $änbe einet fPerföntidjleit, welche bem 
»idjter mit fRecht fe^r treuer war. Sentge SRonafe batauf et« 
tranfte er töbtlidfj. Sn feinen Ie|ten SRinnten ftamraelte et bon 
biefem »rama: et wollte hierüber eine Bnorbnung treffen, et 
rang nah Sorten, unb als tym bie Bungt ni$t mehr geflötete, 
fn^te er Ph burch Seiten oerpänblidj {u machen ... ,,»ie $anb", 
fingt Hermegh, 

|udt nah bet ®timt noch einmal, 

$«3 $er{ p»djt »Uber an bie fhniahrn Sippen, 

S>«8 3<mbeiwoct f<%to«6t auf ben blaffen Sippe« — 

»mb ein <Be$eimitift mödjt’ et mW entboten, 

$en lebten, größten Ztamn in’# »afein Weden — 

D Jpttt be# Himmel*, fei 1$® je** nie^t tmtbl..." 

Cr war ifjnt taub. ©eorg Sühnet hat nicht p fagen bet« 
mocfjt, wo fein liebfteS, befte# Sert geblieben. Butt} feine 9to= 
tijen geben leine Bnbeutung barflber. Sitte# Stagen, Suchen 
unb gotfäjeti blieb betgebli^. ®S lägt ph nicht einmal gan{ 
eruiten, ob ba# SRanufcript in ben ^änben jener fßerfönlihleü 
geblieben, ob es in anbete $anb gefommen, in zweite, brüte 
Haftb. Qi ift waljtlich leine Bnftrengung gefreut wotben, bet 
beutfc^en ßiteratur ein Sert {u erretten, welkes, oder Sorau#« 
Ikft nach, ein lopbare# Suwel im Sdjafce beutfdjjen ©eipe#« 
leben# gewefen Wäre. »ie Serwanbten be# »ihter# fjaben raft« 
Io# alle ttRöglichteiten oerfolgt unb erfc^öbft — unb Sitte# um« 
fonpt Sn neuefter Seit ijabe id) bie IRahfotfhungen wiebet 
aufgenommen. SiSljet habe idf lein gfinpige# Äefultat jn bet« 
}eh|nen, uttb wie erwähnt, meine Hoffnung ift eine feljr geringe, 
ba| mir ein földhe# je belieben fein wirb. 

SRlt einem anbeten Citat au# Hermegh# ©ebidjten feien 
btefe Seilen pietätoollen ©ebenten# gefdjloffen, ben fhönen 
Serfen, Weihe bet »idjter bem tobten greunbe nadjjtup: 

Sa# et gef Raffen ift ein ®> elftem, 

»rm Wüpen Strahlt« fit bie fwigltit, 

ftodb b»t et an# ebt ßeüftent feilen fein- 

(St bitte — aber gfcrat tyrn feine »uh! — 

»et Sttihmg Quelle Ijet ph ooS unb jung 

* 0 $ in ben füllen OttOu etgoffen 

Unb eine Staut nahm üj« bet anbettt ab, 

Sn bet »erbnUdjt et frieblih fanft fein Stbtn, 

»ie grei|eit trug ben Sänger in ba# (Stab. 

(Bien, im gebnuit 1077. 


Cntüt Ma. 

Kn» not BuSbruclj be# Kriege# begann „Le Siöcle“ bie 
SBerb#ntnid|ttng einet Serie bon Stomanen, rneldje ben geneti« 
fd^en Xitel bie „Sougon«HRatquart. Social« unb tttatutgef^id^te 
einer ffamitie unter bem {Weiten Äaifetteid^" führte. SDet wo|l« 
HtegetÄe fßame, ben man unter biefen geuitteton# Ta#, war ba« 
mal# »Mb unbelannt. ©in Smif($eufatt forgte für beffen tafele# 
aitffe|enettegehbe# ©etü^mtwetben. Sie Xirection be# Siöcle fanb 
bett fis»ti für i^te Sefetfteife }u pari geWürjt unb unterbrad^ 
bie Setüffdfttlidjung. 2>ie „gamtlie Sougon" ftebelte nun na$ 
ber „Cloche“ bon UlbadEj übet unb berweilte ^tet, bi# eine# föbnen 
ber SiaatsanWOlt $errn lllbadfj (man lebte bereit# unter bet 
SnÜblil unb ber Q^efrebacteur bet „Cloche" war eine persona 
^dfa) ljüftiä {u einet Confetenj einlub unb iljn auf bie an« 
Stetten in bem Soutane aufmerffam mad^te. ®er Staat#« 
f tCTc fe t tot fttüpfte aft feine XSeifung ben SBunfdj, au# Süctfi^ten 


für bie öffentliche SReral bie ©ublication ju fiftiren. Xiefem 
©tfudhen würbe golge gegeben unb bie ©rjählung mitten im 
©ang bet ^anblung abgebtodhen. Sola proteftirte, reclamitte tc. 
unb lenfte fo bie »ufmertfamleit feinet fßerfon, feinem Xalente 
unb bem fRomane felbp ju, bon bem nun Slbtheilungen im Sud|« 
banbel bei ©Ijatpeuiier etfdhtenen pnb. 

Xie feefj# X|eile be# SBerle# htipen: ba# ©lüd bet Stougon, 
*bie Seute, bet Sauth bon fßariS, bet gehltritt be# Stbbö SRoutet, 
Se. ©jeettenj $ert ©ugen Sougon unb bie HRörbergtube. Xet erfte 
Sanb behanbelt ben ttrffjrung bet gamitie, beten einjelne fyettot* 
tagenbe ©tfdheinungen bem phhfl 0 l°Ütfch«^hotograp^ifdheu Separat 
Sola# al# Dbjectib bienen, ©r’fdhilbett in Äfitje alle ©elüfte, alle 
Segierben, Welche in ben $erjen unb im ©eljime bet Sougen unb 
bet SRarquart — Kleinbürger au# bem fübli$en gtanlteich — 
lochen, »er gewaltige üppetit biefet burdj bie ttmft&nbe jn feht 
fchmalet ßofl berurtheilten, ehrgeijigen, genupfü^tigen SKalcon« 
tenten wirb für bie SRitWett al# eine grope ©efah« hiugeftettt, 
Wie bet fo oft erwähnte „petit sooial“. »ie miteinanber bet« 
fchwägerte Sanbe lonunt einer in engen Käfig eingefperrten Staub« 
thierbrui gleich- 2Jtan benlt nicht ohne-Schauer an bie 2Rög« 
lidhleit einer Sprengung ber eifetnen ©itterftäbe. (Ba# für Unheil 
würbe ba nicht angerichtet werben, wenn man bie 'Xfyiett to# 
liefse! 9hm fie werben loSaelaffen. SBie fo? »uxdj ben Staat#« 
fheich bon 1851, ber auf bie Stitwirlung aller catilinarifdfjen 
©jiftenjen rechuenb nidht genug fRougon unb nicht genug Star« 
quart brauchen lann. Sou bie angeblich bom CommumSmu# ge« 
rettete ©efettfdjaft ihre Seute werben, mögen fie nach $er)en#lufi 
ihre ©iet Pillen, wenn bie pch nur al# gute Sonnpartiften unb 
Helfershelfer ber StaatSftreidhhdben {eigen! (tu# einer Stutladje 
fteigt bie gortuna ber fRougon SRarquart empor, bie in ber 
Seute ihren Hbhtyimft erreicht. 

»er Bernefte ber gamilie, ein Heiner $tobin{joumaIip, 
Briftibe# SSongon, hat ba# ©lütt feine grau {u bertieren. ©ine 
feiner Serwanbten, ihre# Seichen# eine ©elegenheitSmacherin, 
fnd^t einen ©atten ä tout prix für ein SRäbdben au# einer 
pttenftrengen bomehmen gamilie, welche# einen gehRritt begangen. 
Sh r ©erführet ip berljeitathet, ber berwittwete Briftibe# über« 
nimmt bem Sater gegenüber bie Serantwortung ber »hat unb 
-erllärt grofjmütljig pch bereit, fein Unrecht gut {u machen. Bm 
Xobtenbette feiner erften grau wirb ber faubete H<mbel abge« 
fchloPen. 9hm beginnt ein wilber Xan{ ber äRittionen, nnb für 
ba# ©hepaar ba# h&h ete Siflowerleben; bie Orgie aller ©enüfje, 
aller BuSfchweipingen. »ag ber ©Ijebrudh im ©atai# be# Bripi« 
be# pünbiger ©ap ip, lann Wohl borauSgefefet Wethen — aber 
ber Kuotenpunft bet Honblung liegt in einer Ouap«Slutfchanbe. 
Bu# feinet erpen ©he hat Briftibe# einen Sohn, ber hi# {u 
feinem acht{eljnten gahve in einem entfernten ©ottegium erjagen 
wirb. Kaum hat er ben Sdhulpaub abgefdhüttclt unb bie Uni« 
form ber Spceaner gegen ben mobemen Salontod umgetaufefjt 

— fept er bem eigenen Sater Hörner auf. Unb man glaube 
nicht etwa, bag biefe Sage nur angebeutet wirb; nein, mit einer 
eigentümlichen ©ewiffenhaftigteit {eignet §est Sola Strich für 
Strich bie Bnfänge unb bie görtfdhritte ber gegenteiligen fReipng 
{Wifdhen Stiefmutter unb Sohn. 8«erp fpielt pch fftenöe auf 
bie SRarna hinaus, fie Witt für bie ©t{ieljung be# Schlingel# 
forgen. Unb WirlUch, Pe weiht ihn raft in alle ©eheimniPe 
einer fßarifer ttRobebame ein, führt ipn {um berühmten Sdhneiber 
SBortb, bem Sieferanten unb Sanlier ber oomehmen grauen, 
in’# SoiS, {u ben erpen Sorpettungen tc. SRajime ma^t alle 
erbenllichen görtfdhritte, au# bem Kinbe wirb ein 3Rann, au# 
bem Sbgüng ein Kamerab, ein ©efpiele, ein Sertrauter. Senn 
bie Stiefmama bon einem ihrer Bnbeter berlaffen wirb, fo 
flagt pe bem Söhndhen ihr ßeib, biefe# trachtet pe {U tröpen 
burch gute Sorte fo lange e# geht unb eine# fcfjönen Bbenb# 

— burch Socta. »ie Shttberung be# gatt# ber fßfj&bra bom 
Soulebarb 9Rale#herbe# ip unbebingt ein# ber lühnpen unb 
realiftifchpen Capitet ber mobemen IRomantil. »aS ©erbrechen — 
man tann e# Wohl fo Kennen — wirb unter UmPünben begangen, 
wie pe ein bulgäte# ©amebalabenteuer begleiten, in einem 
Cabinet particnlier be# ©af6 Siche bei Bttpem unb Champagner, 


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Di t <S*0fnnuirt. 


Nr. 7. 


106 


ttadj einem SNaSlenbaü ber Dentimonbe, ben Nen6e in Begleitung 
ifjte3 gewohnten ©iciSbeo befugt bot. Die junge grau ftirbt 
an ben golgen ihrer StuSfdjweifungen. Der Bater, ber hinter 
bie ©efdjichte gelommen iß, föhnt ßdj batb barauf mit bem 
©öhndjen aus, um biefem, ber eine reiche Weiratfj gemacht, eine 
©ommanbite für feine ©efcf)äfte ju entlüden. ©rau auf ©rau! 

Der brüte Dljeit, »bet SNagen bon Baris", ift ein mit 
unerhörter ©rajie auSgeführteS literarifcheS ©eiltänjerftüdlein.. 
©in ganjer Vornan fpiett in unb um ben fallen — biefe un= 
gebeuern täglich fnfd) gefüllten uub raf<b geleerten ©peidjer für 
jwei SNillionen SNagen — bem SNagen bon Boris. Die gntrigue 
ift eigentlich hier feb r fdjtooth- ©in anberer Nougon, glorent, 
ber bem NepubtilaniSmuS treu geblieben, nach bem ©taatsßreidj 
nach ©apenne beportirt würbe, ift aus bem Sanbe, wo bet rotbe 
Bfeffet wädjft, glüdtich entwifcht unb gelangt bis Boris, wo er 
bei feinen Berwanbten, bie in ber Nälje ber fallen einen 
©etcherlaben beßjjen, Aufnahme unb auf ber §aüe felbft eine 
(ÄnfteHung finbet. Hber bet ©ebanle, baS Sfaiferreidj ju ftürjen, 
bearbeitet baS ©ehirn beS jungen Schwärmers — er ßhmiebet 
Bläne, bie entbedt werben. Bon feinen Berwanbten oerratljen 
wirb er neuerbingS jur Deportation öerurtfjeilt. Slber was für 
eine Sülle bon ©lijjen aus bem BollSleben um ben ©arte beS 
Snnocents, welche Stifte in ber Segnung ber Dtjpen ber 
Wänbler unb SNarltweiber, ber alten giftigen $latf<hf<hweftern 
unb B°Otifer öom ©eflügeO unb Dbftßanb, wie lebhaft unb 
beftechenb werben uns ba bie Auftritte, bie ßdj alle Jage wteber; 
holen, befchrieben; an Dielen ©teilen wirb bie gebet BolaS junt 
Binfel, baS Bopter jur Bolette, unb man lann nicht unter; 
fcheiben, ob man ein ©apitel gelefen ober ein öortreßlid) ge= 
iungeneS ©eitrebilb gefeljen h fl t. Der Nealift Solo faljnbcte 
nach bet ^ßoefte beS großes — unb er fanb fie! 

@r gibt unter Hnberem ©djilberungen eines ©onnenaufgangS 
über Raufen bon ©emüfe unb grüdjten, bie bem beften Sanbfdjaftö; 
malet imponiren bürften, unb nachbem man bas Buch ju Gnbe 
gelefen, bleibt fein SBinlel beS großen ©peifebchälterS unbefannt. 
SEBilt man eine Brobe beS ©tileS*) beS $errn Sota foften: Ijiw 
eine Heine ©chilberung beS nachbarlichen Krieges, ber über bie 
©affe jwißhen einet gleißhfeldjerin unb einer gifeßbame ge; 
führt Wirb. 

„Die geinbfdjaß ber fchönen ßifa (ber ©eicherin) unb ber 
hübfehen Normännin (ber gifchfrau) ging in’S ©roßartige. Die 
hübfehe Normännin war überzeugt, ihrer Nebenbuhlerin einen 
Siebhaber weggefdjnappt ju hoben, unb bie fdjöne Sifa war 
außer ftch bor SButlj über bie NidjtSnufcige, welche bie ganje 
gamitie btoSfteHen fonnte, inbem ße ben Derfdjmifcten glorent, 
ben entwichenen Sapennefträfling, tjinübertoefte. gebe Don Beiben 
führte ben ®rieg ihrem ©hatalter entfpredjenb; bie ©ine ruhig, i 
Doller Beradjtung, mit ben SNanieren eines grauenjimmerS, ' 
welches bie Nöde in bie fpöfje h*bt, um ftch nicht mit Äotlj | 
einjufprifcen; bie Hnbere, feef, fdßug ljrileS ©etä^ter auf unb | 
beanfprudjte für ihre h«ou3forbernbe Weiterleit bie gefammte 
Breite beS DrottoirS mit bem burfchilofen Done eines Nenom> I 
mißen, ber ein Duell fudjt. ©ine Begegnung jwifchen Beiben j 
befdjäftigte auf einen Dag hinaus bie ganje gifdjerei. ©ah bie | 
hübfehe Normännin bie ßhöne Sifa auf ber Schwelle ihres Sa; \ 
benS ßeljen, fo machte ße einen Umweg, fam hart an ihr borüber j 
unb ftreifte ße mit ihrer ©djürje, aus ben Dier fdjwarjen Singen | 
fchoffen feurige Blicfe, bie aneinanber geriethen wie raßelnbe ! 
Schwerter, Sam bie fdjöne Sifa auf ben gifdjmarft, fo fdjaute 1 
ße mit übertriebenem ©lei auf ben ©tanb ber Normännin; ße ' 
laufte bann bei einer Nachbarin irgenb einen Bißen Don Belang, 
einen Durbot ober einen Sachs unb jäljtte bann auffallenb 
tangfam bie ©elbftücfe auf ben SNarmor. Sie hatte bemerlt, baß 
bei biefem Stnblicfe bie Normännin ju lachen aufgehört hotte. 
UebrigenS, wenn man ihnen glauben burfte, fo üerlauften beibe : 


*) 3n bem Stffontmoir, welches Bor wenigen Sagen erfdjien, ift 
bet Stil ungemein realiftifdjer — wenn man unter biefem (Begriffe 
bie Sprache betrunlener Strafjenbirnen »erfteljt, bie übrigens in’S ehrliche 
Deutfeh ferner ju übertragen roflre. 


geinbinnen nichts als faule gifdje unb Derborbene SBürfte. 
Hber ihr wirtlicher gelbpoften war für bie Sifa Ufr ©omptoir, 
für bie Normännin ihre Bant, Don weldjen refpectioen Stellungen 
nuS ße ftch Beibe über bie Nambuteauftraße bombarbirten. Da 
thronten Beibe in ihren farbigen ©eibenlleibern, bie Weiße 
©chürje Dorgebunben, ©efdjmeibe an bem Wals unb im W®at. 

Die ©djlacht begann. 

Schaut," rief bie Normännin, „wie bie bide ftuß auS= 
ftafßrt ift. @ie fdjnürt ßch wie ißre SBürfte." 

gm nämlichen Slngenblid fagte brüben bie ©elcherin ju 
ihrem Sabenmäbchen: „Sehen Sie hoch, Sluguftinc, wie uns baS 
©ef^öpf ba brüben begafft. SBie Derlottert ße auSßeljt, baS 
lommt Don ihrer SebenSweife. . . . Waben Sie nicht ihre Dl)r; 
gehänge bemerlt; fie hot ihre Brillanten, nicht wahr? Daß folche 
Seute Diamanten tragen!" 

„Sa," antwortete, um fich ihrer Werrin gefällig ju jeigen, 
Huguftine, „für ben Breis, ben ße ihr loßen ...!" ^ 

äJtan lönnte wirllich bie ©jeerpte in’S Unenbtiche Deroiel; 
fälligen, benn baS ganje Buch ift Don ber erften bis jur testen 
©eite charaltertßifch. Der ©rfolg War materiell ein geringer, 
unb im Stßgemeinen lein burdjgreifenber, aber in ben tonan; 
gebenben literarifchen unb gebilbeten Greifen machte baS SBert 
Huffehen, man erfannte bem 2lutor wittig alle ©igenfehaften ju, 
bie ben oortrefflichen ©tiliften unb ben fteßenweife unnachahm; 
liehen ©oloriften auSmadjten. 3ola fteßte fich oon biefem Hugen; 
blide als ©hef ber realiftißhen Schule im Nomane hin unb wenn 
biefe Slnmaßung übertrieben erfehien, fo begrüßte man in bem 
Berfaßer ber NougomSNarquart ein originelles, lebhaft putßren; 
beS Dalent unb folche ©apacitäten fchießen heute nicht aus bem ^ 
Bßafter. 

ülber Bola täufchte ß<h leiber über bie Dragweite unb bie 
Bcfdiaßenheit beS ffirfolgeS, ben er gerabe in ben auSerWählten 
Greifen errungen hotte. 3Nan nahm bie Iraßen ©djilberungen, 
bie berbe 2lrt, jebeS Ding, auch baS heilelfte, beim Namen ju 
nennen, mit in ben Sauf, bebauerte aber, baß bie Bücher eines 
SftanneS Don folgern SBertße nicht auf bem gamitientißhe liegen 
bleiben lonnten. Bola glaubte aber gerabe, biefer jotenßafte 
Dheil feines üBerleS hotte ben größten HnHang gefunben. Unter 
bem Borwanbe, naturgetreu unb realiftifch ju bleiben, fteigerte 
er bie DoßS bis junt fredjften ©rotiSmuS, bis jur elelhaften 
Dbfcönität. ®r lommt baßin, ßch felber ju carriliren unb baS^, 
Berrbilb feines eigenen ©tilS bem Sefer ju bieten. Der „gehl; 
tritt beS 8tbb6 SNouret" ift entfdjieben eine folcße ©arritatur. 
Neben wahrhaft poetißhen ©eiten, welche bieSmal baS tänbltche 
Seben in granlreich fd)ilbern, neben ©teilen, auS Welchen ßch 
ein ganj erträglicher SRpßiciSmuS entwidelt, ßnbet man in ber 
Dierten Slbtheüung beS Nougon;3Rarquart, unter bem Borwanbe 
genauer bis in’S tleinfte Detail geljenber Befdjreibungen, halbe 
Bogen mit pebantifchem unb unDerbaulichem Sfauberwälfdi. Die 
frif^e natürliche Schreibart beS „Fortune des Rougon“ unb ber 
„Beute" muß einem aufgeblafenen, miberlidjen, gefpreijten Done 
weichen. 2ln anberen ©teilen Wieber wühlt fich ber Slutor — 
unb ber Sefer. mit — in bem ärgßen Schlamme; man 
fchtägt ba unwillig baS Buch ju unb fragt fich, ob man eS 
am lichten Dage in ber eljrfamen unb beinahe atabemifdjen 
Buchhanbtung beS Wen:n ©harpentier getauft hot, ober ob eS 
in bie Kategorie jener ©rjeugniße ber Buchbruderlunft gehört, 
welche einem bunlle gnbuftriette in ftiHer ßaßeehauSede mit 
bemonßratiüer Borficht als „Ijöchft pilante" SBaare anbieten, 
wenn ber ©djujjmann ben Nüden gewenbet hat. NirgenbS 

als in biefem 2tbbe SNouret jeigt ßch Bola Don feiner ßhwadjen 
©eite — bem abfoluten SNangel an ©inbilbungStraft unb bem 

Ülbgang jeher Begabung, einen Nomait gehörig ju charpentieren._ 

@r iß lein Nomanfchriftßellcr, fonbern ein ©tiliß; über; 
treibt unb überhefct er feine ©djreibweife berart, baß ße ben 

anßänbigen Sefer anwibern muß, fo bleibt nichts übrig, als_„ 

ein literarifcßer ©chlaftrunl. 3<h beeile mich P conftatiren, 
baß „©eine ©jceüenj SNr. Nougon" feßr hoch über ben „gehl; 
tritt beS Hbb6 SNouret" ju ßehen lommt. ©ugöne Nougon Iß 
©ugöne Nouljer, backte ßch baS Bublicum, unb ba eS ßch um 




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Nr. 7. 


SU GUjfittttti. 


107 


eine ffijceflenj, alfo um einen SKinifter hanbelte, fo war man 
and) wirtlich auf {eine unrichtige gährte gelangt. 916er bie 
Voßblutrepubtitaner, bie etwa hofften, eine blutige Satire gegen 
ben ehemaligen Sßicelaifer p finben, waren entläufst. Zer 
(Eugöne Sougott beS $errn 3ola war ein Staatsmann, aber 
lein Söfemicht, lein „Traitre“, wie fie in ben SSelobromen 
unb Schauerromanen öorlommen. Vielleicht mag $err 3ola — 
feine politifclje Sichtung unb bie Greife, in welchen er fich be= 
»egt, geftatten bie Vermutung — ein PaSquiß auf Souljet 
beabsichtigt haben, aber in biefem gatte öerrieth bie Ausführung 
feinen ©ebanfett. Zer Sougon ift aüerbingS ehrgeizig, herrfch» 
füdjtig nnb politifch ohne nie! ©ewiffen. ZaS ftnb aber alle 
Staatsmänner; babei ift jeboch bie ©jceßenj oon 3olaS ©naben 
fleißig, Dotier latent, genflgfam unb ein Kato, Wenn man ben« 
felben mit bem gewohnten Perfonal beS laiferlichen $ofeS oer« 
gleicht 9Jtan fonnte erft recht wahrnehmen, bah 3ola 
burchauS nicht für baS Soman«Pamphlet gefdjaffen ift, unb ben 
(Erwartungen, bie man in politifdjen Greifen an feine Xhatigleit 
- bon biefem Stanbpuntte aus Imipfte, niemals entbrechen wirb. 
(Er fühlt ju fehr als ftünftler, um jebeS Zing nur einfeitig p 
betrachten unb, wie es ber Pamphtetift thun muh, bon öomherein 
hier nur SobenSwürbigeS, bort nur ZabelnSwertheS p finben. 
^ Zah #ert 3°la entfchieben nicht p- ben Zemolratett jäljlt, 
beweift feine foeben Veröffentlichte „SSörbergrube" (L’Assommoir). 
Stow (ann behaupten, bah biefeS fdjtechte Such, baS jugteidj 
eine noch fchlechtere ®h a t ift, eine 600 Seiten ftarle Verleum« 
bnng beS fßarifer ArbeiterbotteS auSmacht 3a, eine Verleumbung! 
Zenn wenn man mit bem AuSfpruch h et00 rtritt, eine „Stubie 
aus bem Vollsieben" auf realiftifcher unb wiffenfchaftticher 
©rnnblage gefchtieben p haben, unb bie gefeßfchaftlichen 
Schichten, bie man fchilbert, nur bon ber lothigen, büfteren 
Seite fieht, wenn man nur auf ben Pfeuboarbeiter, ber fäuft, 
ber fchlemmt, ber feine grau pr Sßroftitution aneifert unb fein 
Äinb nur für'S Strafjenpflafter etjieljt, blidt, wenn man leine 
Augen hat für ben reblichen, fparfamen, genügfamen Arbeiter, 
wie er in ben fßarifer Porftäbten in ber Segel anjutreffen ift, 
. fo fteht man unbebingt als ein Verleumber ba, unb bie Per« 
’ieumbung ift eine um fo hähü^ore, ba fie eine Kategorie bon 
' Stuten trifft, bie fchwerlich im Stanbe ftnb, ft<h mit ben Saffen, 
\J»ie man gegen fie anwenbet, p öertljeibigen. 3“ aHerbingS, 
es gibt unter ben Arbeitern erbärmliche Sichte, wie ben Koufeau, 
ber am Säufermaljnfinn im Saint« Annen=Spitate bergeht, eS 
gibt hoülofo gaullenjer, wie ben Santier, unb auch bie anberen 
im „Sffommoir" borlommenben ©emädjfe mögen aus ben ?ßfü^en= 
rinnen ber Parifer Porftäbte gegriffen fein. Aber bilben fie 
eine Ausnahme, ober ift ber „Souoerän" wirtlich fo morfch unb 
fo oerborben? Zer grembe, ber nach Paris tommt, unb ber 
aus 3ola8 Vuch feine Seisljeit fchöpft, wirb beim Anblid einer 
Slufe baS £>aupt mit ©lei abwenben unb bann ftch ber Pörfe 
unb beS VeutelS in ber Zafdje bergewiffern. Sr wirb fich aber 
auch berwunbert fragen müffen, wer benn aß’ bie $errlichteiten 
gepubert, benen er in ber Seineftabt bei jebem Schritt begegnet; 
benn es ift bodj unmöglich anpnehmen, bah aß’ biefe ©rjeug« 
niffe menfchliche» gleiheS ben berrotteten Pranntweinfäufem unb 
Xagebieben p berbanlen feien, bie 3ola als ben Parifer Arbeiter: 
ftanb» präfentirt. 

Unb gar bie Sprache, in welcher biefe Srlebniffe auS 
. bumpfigeu Spelunlen, am Safchtrog, aus ber AUobe bon 
Sumpenfammlem, alT biefe abfdjeuticljen Scenen, beren Heroen 
bie oben flirrten Pfeuboarbeiter ober Solbatenbirnen ber lebten 
©orte ftnb, gefdjrieben werben! SS ift baS lein granjöftfch, 
fonbem baS reine ober richtiger moberne Argot, bie fumpfige 
verworfene Sprache ber 3u<hthäuSler unb SupanarS. Dl»! SSan 
Hunte barauf fchwören, bah ber Perfaffer auf foldjen Unioerft« 
täten feine Sprachcurfe burdjgemacht hat, unb er lönnte es 
mit bem le|ten Pagabunben ber Kartiere b'AnWrique eben fo 
gut aufnehmen, wie mit ber oertröbelften Abfhnthntefce ber Seine 
Planche VaflS. 3<h fteße aber bie Behauptung auf, bah eS 
unmöglich ift, auch nur eine Seite biefeS SerteS laut oor anftän« 
v_obigen Seuten oorjulefen. 


Zer AuSbunb bet ßedheit liegt aber barin, bah $err 3ola 
betheuert, eS wäre ihm mit feinem Unrathe nur barum p thun ge« 
Wefen, eine wiffenfchaftliche, eine „philologifche" ßJtiffion p erfüllen. 
Ser lacht ba? Senn $err 3oIa fich als &athebermenf<h hinftellt, 
für fich bie ©hre in Anfprud) nimmt, bie man einem £>eßeniften, 
Satiniften unb SanSlritforfdjer entgegenbringt — welcher Seiber 
lidjert, wenn £>err 3ola fi<h anfchidt, oon $errn Simon eine Pro« 
feffur für Argot am SoHöge be grance p forbern? — Siffen« 
fchaft! Philologie! gorfdjung — Slaqueur! 3*ber ehrliche"'' 
ÜJlenfch, wenn et auch baS Such lauft, wirb bafür nur einen 
AuSbrud finben: literarifchen OnaniSmuS. 3<h weih nicht, wie 
fich #err 3ala in 3ulunft oerhalten wirb — er oerfpricht noch 
ein halbes Sdjod Somane auS bem Aermel ju beuteln. Aerger 
als S’Affommoir lönnen fie nicht fein; Vielleicht erwacht et 
fchliehlich auS bem unfauberen, wibernatürlichen Zaumei unb 
öerfud|t ein honnetteS Such ju f^teiben. ©r wirb bann juerft 
bewerten müffen, bah er mit feinem lefcten Serie feinem fchrift« 
ftetlerif^en Samen einen SSaiet aufgebrüdt hat, ber vielleicht 
oom erfteren — oom jweiten gewifj niemals getilgt werben bürfte.^/ 

panl b’2tbreji. 


ttero ttt ber ^ettgrnöfftfdien £ttnff. 

3Son IDoIbemat Haben. 

(S^iufc) 

Als ber ernfte grohe Seher ber gegenwärtigen Periobe ift 
©ufctom in feinem „Sero" anjufehen, oon bem ©ottfchaü fagt, 
bah er bie grofsartige 3ei<h n ung einer ©poche ber Aufiöfung fei, 
in ber ftch alle ©lemente ber Kultur ausgelebt haben, unb fich 
oerwüftenb befehben .... 3® Sahnfinn eines „Sero" culminirt 

ber Sahnjtnn feiner 3eit.Sur im Unerhörten befriebigt 

ftch baS Saffinement.Zer arm geworbenen Phantafie ge« 

nügt mehr baS innere Silb, fie bebarf ber greQften äufierften 

Anfchauung, um ihre Saiten p ftimmen. Zie Slepfis 

biefer Stuf* ift inbeh geneigt, baS 3eitatter Seros bem neun« 
ahnten 3ah*hunbert als einen Spiegel oorphalten, minbeftenS 
als einen ^ejenfpieget, ber feine 3ulunft geigt. 

So muhte heute Sero rehabilitirt werben, obgleich nicht 
nöthig ift anjunehmen, bah alle Zichter nnb fiftnftler bie Ab« „ 
ficht gehabt hatten, feine SoSheit gang ober thtilweife ju oer« 
neinen. Senn fie ater barüber einig finb, bah <e ein AuSbunb 
oon Safterf)aftig!eit ift, unb leinet eS ernftlich unternimmt, ihn 
ju rechtfertigen ober p entfdjulbigen, fo muh eS benn wahr 
fein, bah er beim Zünftler wie beim Publicum eine theilweife, 
wenn auch uicht offen jugeftanbene ^Rehabilitation erfahren hat. 
3m ©runbe jener Serie ftedt alfo, wer gute Augen hat $u 
fehen, bie ftumme ©ntfchulbigung Seronianifcher ^anblungen. 
Aße flüftern fie, ba| biefe ^anblungen nicht baS Probuct ber 
Siebertracht beS ©eifteS, fonbem bah fie aus ber untnähigcn 
©ier nach Vergnügen entfprungen finb. Unb bieS genügt, um 
uns, bie Wir mehr ober weniger alle in biefem gehler fünbigen, 
nicht bloS nachfichtig p ftimmen, fonbem bem Sünber felbft, 
$anb auf's $erj! ein gewiffeS ©efühl ber Spmpathie entgegen« 
bringen. ZaS aber hat noch Siemanb offen gebeichtet. 

3n jwei ^auptfachen unterfcheibet {ich ber Sero ber jeit« 
genöffifcbcn Äunft oon bem alten. Vorher waren $auptperfonen 
Vurrus, Seneca, Agrippina, Octaoia, Paulus, benn Sero felbft 
hielt fich im Schatten beS £>intergrunbe§, feine Opfer foQten 
wirten unb muhten bamm um fo greller h«bortreten. $cute 
ftehen bie Opfer in langweiliges ©rau gelleibet im $intergrunbe 
unb bienen ber lebhaft gefärbten Serofigur als gotie. So un« 
wahrfdjeinlich eS einft fchien, bah Sero an fich etwas anbereS 
als Abfcheu unb Schreden hätte erweden lönnen: h ( ute ift er 
burchauS intereffanter, anjiehenbet geworben als feine Opfer. 

Zann ber anbere UnterfcfjeibungSpuntt: bie ©raufamteit ift 
untergeorbnete (Eigenfdjaft geworben, bie ^auptfache ift bie Sinn« 
lichleit, bie unmähige VergnügungSfudjt, wobei Actäen, Poppäen 
unb anbere grauen bie Wichtigen naÄen Soßen fpielen unb bie 




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108 


He «egettMmrt. 


Nr. T. 


Opfer a(8 ©tatiften erffeinen, nur um üietteidpt bem Semäibe, 
bet ©arftettung ben Änftricp gefcpidjtlidper ©aprpeit $u geben, 
ober au<p barum, baß ba§ Seffipt ber ©ottuft bnrcp bte Segens 
füge öon Sraufamleit unb ©cpmerj hbpafter unb fdjärftt perbot= 
trete. ®Ht gleicher Äbflcptlicptett fegt man ©eneea, ber früher 
in größerem SRefpecte ftanb, jegt als mittigen Zpeftnepmer Steros 
nifcper Orgien, mie eine Ärt fannifdpen fflagner, in ©ibetfprwp 
ju ben alten ©djrtftftettern. 

©opt, bie ©innttcpleit in ber ftunft, pauptfädiftidp in ber 
©ettetriftil, finbet fl(p mepr ober meniger ju atten Seiten, aber 
mit Unterfdpicb. 3n Seiten, bie ein popeB religiöfeB unb nioras 
lif<peB gbeal beperrfdit, bebauen bie pöcpften Sefüple beü Seifte« 
baB fdpöne gelb ber Sprit, beB EpoB. gär ©ottuft unb triöiaten 
Sebegeift bleibt atBbann nur bie ftornil übrig. ©ie ©inntidpleit, 
bie nur Sadpen erzeugen mitt, unb bie fiep niept an bie gepöbenen 
ober erhabenen Seiftet toenben tonn, öerliert jebeB äRaß unb 
f&ttt in bas Dbfcöne. ®aB mar in Italien bie ©eriobe, bie 
eine Änjapt ber tttooeffen beB ©occaccto (1350) bis ju benen 
beB Eaftt (Novelle galanti in ottave rime 1793) fennjeicprteti. 
Sir in ©eutfdplmtb gebenten babei ber ©djmänte eine« |>anB 
©atpB unb feiner großen ©(pule, ber ©ertoilbetung im Stefors 
mationBjeitalter. Äber audp bie Sriecpen in ber Seit iprer 
©tütpe toarejt nidpt frei babon, oud» bei ipnen gab ei neben 
poper ©cpöne eine Ärt Soccacctanifcper ©fanballiteratur, äber 
mel<pe ber Äutor beB ©mpeB „Sriedpifdpe ©iepterinnen" (©ien 
1876) ben oorftepenben äpnliipe ©emerlungen maept. 

Smifdpen ber finnlidpen ftunft jener Seiten aber unb unfeter 
perefdpt ein großer Unterfdpieb. ©amalB befanb man fidp foju* 
fagen im erften ©tabium, man liebte baB ©etgnügen, nitpt geftört 
burdp ju lebpafte Erregungen unb Eontrafte, man genoß rupiger, 
ibpttifiper. ©ir finb ni(gt mepr fo. ©ie ben ©enf jur ©peife 
brauepen mit baB SRaffinemettt jum ©ergnfigen. ffiir finb, mie 
auep §amerling fpriept: 

„nkpt mepr pamloB 
ätenug für fo tb^fepsfanfteB ©HW; 

9ttin, uKfre Statten forbetn füttern JUij: 

Sie fort«» patt ber gteube fftße» Xawnel, 

©ie forbem SinAettftrm ftatt Serdpentiebern, 

Statt peit’rer %i*gt untex’m ßinbenbanm 
*«dp«ntif#»»Uben, peigen Xaumelreigen : 

9Hcpt angeflttfett nur toiU nufer ©Ofen 
Omi ber SBonnt fein, nein, aufietvirbelt 
Unb anfgetoftpU in feinet tieffiten liefe " 

Unb baB ift baB ©efen beB #amerling’f(gen „ÄpaBoer". 
Steidp ipm paben anbere ©epriftftetter, ältere unb moberne erflärt, 
baß fie nur auB bem Srunbe bie Safter fo lebpaft gefärbt paben, 
bamit fie berabftpeut ober ju maBtirten gaftenprebigern mürben. 
®a8 meint awp $amerting getpan ju paben. @r pat bie @inn= 
liepteit feiner Semälbe PiB an bie Srettje getrieben, jenfeits 
meldper bie Snbecertj, bie Dbfcönität beginnt, uitb proteftirt, auf 
biefer Srenje ftepenb, gegen ben ©erbatpt, baB Safter auB 
niebriger ©eredpnung auf ©ergnügen mit fo reiepem ©cpmude 
auSgeftattet ju paben. Unb ei liegt bei #amerling, er ift ein 
eprenmertper SRann, ein bottet Seift, lein Srunb oor, feine 
©erfupetungen anjujmeifeln. 

„Sttottt ipr pSttantcd? C pttant fein Uitt i(p, 

(Bit eure SieHingSbUpter an ber ©einet 


(Bmpött endp ntanepe ©eene meines Sieb’B 
Unb »enbet ipr babon mit Unmutp eiup, 

34 baut’ enep — beim fo pab’ ttp’B ja geuollt! 

9tun fragt ei ftdp aber botp: tann ein Sidpter baB im 
Smfle motten, barf ein ftänftler foltp ein Siet erfheben? ©utpt 
audp baB publicum ein ©ert, baB ipm Umuft errege? ©o ipm 
in ©aprpeit übet mirb, nnn ba fdptiefjt eB baB SBucp, mirft ei 
meg, unb biefeB erlebt leine jtoölf fttuftagen. ®er @a| Similia 
similibns ift in ber Matoria medlea mit Stüd oermenbet morben, 
unb fo fdprieb ^amerling, baB gieber ber ©inntüpleit ju be= 


limpfen, baB fieberglüpenbe SpoB unbegrenjter ©innlidpleit. 
Snoli nimmt pier atB Segenbitb einen mütpenben Raffer beB 
SettungBmefettB, ber, um eB Iräftig ju belümpfen — eine neue 
Seitnng grünbete, ^amerling mufete felbft befennen („Späog 
an ben ftritifer"), bag er feine 0bfiipt nidpt erreidpt. ®ai fdp(ne 
Saftet ift bon ipm ju oerfüprerifdp bargeftettt, ju glipenb gemalt 
morben, in garben, bie bie Äugen blenben, mit Äugen, bte mie 
©ottnenftraplen mitten. ÄfleB ift Serjüdhtng, gieber, Staufdp, 
Krampf, Senup biB jur Ueberf&ttigung, biB jur Srftpöpfung ber 
©ottuft. @r ift feinem Programm fiept treu geblieben, ©o 
bleibt in biefem baedpantifdpen Zäumet ÄpaBber, baB f<patten= 
pafte ©pmbot ber Humanität? ®ie marnenbe Stimme beB Steifen 
gept unter im Sbos rafenber ZpprfuSf^miuger. ÄtteB ift StaubinB 
®rufu8 Äero! 

Zrog biefer fftblönbifdpen garbenpratpt finbet Sttoli in ipm 
nidpt ben Sero beB ©ÜblanbB mteber. ®tefe ©etradptuug nun 
ift reept intereffaut Äir (ber gtalientr fpriept!) mir Wunen 
j in ipm nintmermepr ben 3Renf(pen beB ©übeuB, einen bon unferm 
j ©lut erlernten. Utif, bie mir uns fo gern unb ganj ber greube 
mie bem ©tpmerje pingeben, bie mir fo rafdp uub mittig ben 
' Sefüpten ber Seibenf^aften folgen, uns madpt biefer ^amerlfatg’fdpe 
I Stero, ber fidp nie gepen läpt, ber immer nnb immer reffectirt, 

' ber fidp niept in ben Strubel beB Seuuffei ftürjt au« innerer 
urfprüngtidper Änregung, fonbern um an fidp felbft ein pfpdpo« 
togifcpeB ©tubium ju tnaepen, ber uodp ppilofoppirt auf bem 
Stpfelpuulte bet ©ottuft, ber Sangmeite, ber gunpt, ja bi« jum 
SDtomente beB ZobeB uodp grübelt uub abpanbett über baB „gdp - , 

; über ben ©itten, bie innere Unenblidpleit, über Saune nnb tanfenb 
anbere ®inge — unB madpt biefer 9?ero einen befrembenben ®in= 
brud. 3dp geftepe (eB barf immerpin anregeub fein, nnferer 
fübtidPen tttadpbam Stimme über bieB Zpema ju pören!), bap 
ei mit bei ber Seetüre beB ÄpaBtier trog aller Änfltengung niept 
gelungen ift, baB feierlidpe ©ift eines beutfepen ©tofefforB loB 
ju merben. Unb fo oermanbette fidp mir baB gotbne $auB in 
bie Äuta einer Uniberfttüt:-idp fap bie ©dpüler bereit, bie tiefe 
■Jtadptgeleprfamleit beB ©rofeffor« 9tero ju notiren. Sefe man 
bodp j. ©. im jmeiten Sefang — im ©aedpanat: Ägrippina 
maBlirt als SRoma, mit bem Selüfle, 9tero jn oerfüpren, et 
allein mit ipr an einem abgelegenen Orte, erregt, entflammt 
enblitp oon ipren Äetjen, bejaubert bu«p baB 9tauf<pen iprer 
I Kleiber — ba lüft fie ben golbentn §arntfdp, baB burdpfidpüige 
j Semanb fdpmiegt fup meitp um bie metpen üppigen Slieber — 

er legt fitp ipr jur ©eite auf meidpe Ztppitpe, unb.ja, 

unb — fie beginnen in größter Shtpe eine feierlidpe -unb enblofe 
®iBcufflon über Siebe «nb Zugenb, über Zreue ber grauen, eine 
®iBcuffion, bie jur rieptigen Äbpanblung mirb, bie menigftenB 
burtp Otlitun^, ftlarpeit unb Ziefe jebem beutfdjen ©rofeffor 
jur Spre geretdpen mürbe. ®B fott bur^ biefe ©emetfung ber 
©ertp beB SebitpteB nidpt angegriffen merben, baB in fo nieten 
Sägen grofs unb bemnnbemsmertp ift bunp Äüpnpeit unb Stof); 
artigleit ber ©pantafie. 

®ie gteidpe ©eobadptung mu| mopt jeher italienifcpe Seprer 
| maepen, ob audp ber beutftpe, ift jmeifelpaft,' ba fidp Sftero unb 
; römiftpeB Seben in ber ©eete beB ttlorbtanbSmenfdpen ganj anberB 
j geftulten. ®aran ift nidptB ju otthmnbetn. ©ie ®unfl ift immer 
| fubjecti», unb mie jebeB Seitaltar, fo trügt audp jebeB ©oll bie 
| eigene ©eete in bie Sefdpidpte ptnein. Stommfen mtt feinem 
©eparfftnn uub feiner Seleprfamfeit in tümif^en ©ingen nennt 
oerä<ptii(p einen mittelmäßigen Äbnocaten jenen Siceto, ber ben 
Italienern an’B $erj gemäßen ift, ber ipnen baB ©tut matten 
madpt. Sr pört jene mädptige Stimme nidpt, bie für ben ©ift: 
lünber bie mürbigfte, bie tpeuerfte auB bem fflbmerreidpe iß. 

| Äber in ©aprpeit, ruft Snoli auB, mepr munbem tofirbe eB 
mich, menn er fie pörte: benn ©tommfen ift ju norbifdp, Eicero 

S i fübtidp, unb um ipn oott ju genießen, muß man unter ber 
tutp italif^er ©onne geboten fein, im gteien gelebt, mie mir 
unb unfere ©ttter, tpeugenotnraen paben an unferm Seben, fo 
piugeneigt jum EntpußaSmuB, für ©radpt unb tttupm fo empfängt 
tiep, fo folgfam ben ©erfüprängen fdpönet gormen unb ber 
Harmonie. 


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Nr. 7. 


SU S>tgtK»«ri 


109 


Sictfftdj abgepanbelt fdjon Würbe bie 3bte »on einet uni» 
perfalen unb Paterlanbgfofen Knuff. Sie famt nicht fomrnen. 
(Eu<g weiten We ttniecföiebe bauet», welche itpr bie ewige Set« 
jdhteben^eü bet üußern Statut unb beg Klimag außegt. Buch ' 
bie SRobe fpmmt h»*P i* Setracht. Die wilbeu 9laturöölfer, i 
wie tinß auch bie ©riechen, ge|eu nadt 2Ber bei ung nur ben 
Oberförptr günjfich entblöße» wollte, Perßieße gegen bie Sitte. 
Doch geßattete a »d) ba§ bie Stöbe beg nötigen gahrljunbertg. 
© 0 ß an bet Seine noch erlaubt wirb, an Sefub, wittbe an bet 
(Elbe ober am Kreujberg oielleidht Bttßoß erregen. Die Serünet 
Bugßettunggcommifßon pot befamtllitb anbere Bnfkbten über bie ; 
Buhttüfes a{$ bie $arifer. 

Buch eüc ätotiener, wollte er einen gelben mit germamfdjem 
Xppug batfteßen, ober eine ißeriobe bcutjdjer ©efchidjte: (ein 
©ttt Knute {einen Canbgleuten bcutfcp erfd>cinen, beu Deutjchen 
Würbe eg immer etwa» Statienijdjeg haben, SBie man beim 
S|ubipt einet frcmben Sprache nie im Stanbe (ein wirb, fidj ben 1 
betreffenden jßcccni öotlftanbig anjumciftern, ober Sprachhumore ; 
angutpenben ähnlich wie iteutteira tönfcp in feinen Steifen, fo auch 1 
iß eg wpnifglich, fi«h botltommen in bie Deufungg; unb ©emütl|g= l 
art einig frcmben 8olfeg, in ben Bccent feiner giften) hinein 
ju »erfefcen. So ^at £>amerliiigg römifcber ütero naturgemäß 
beu beugen Bcccnt behalten. 

©f Wirb nicht weiter auf bag @ebid)t eingegangen, bie 
Bugtgffuugen fdjUeßen mit ber ©emerfung, baß §amerling ein 
motalifcheg ©ebidjt fdjrieb, bag feinen ©erth in bet ^nunora« 


litfit bat 

©f <9 richtig, wenn man Semanfv ber ben BpggPer gelefen, 


p# bent Spalte fragt, fo wirb ihm, wenn et nicht jufäßig j 
Krittler non ©eruf ift, faum biefe ©eftrafung beg Saßerg burdf i 
ben ©fei aufgefaUen fein, laum auch bag oon bem SSerfaffer 
befonte Bu,ßajt$en bä qjriftlichen SBelt aug ben Kaiafomben j 
ber «totgen Stobt, wie bag Heilmittel beg tegeneritenben ®et= I 
PUnigmng an _bem wunnftidjigen berwefenben Körper ber latei= 
WtöW ©eft! Büeg bag !ann Wegfällen, wer weiß, ob eg je ■ 
gejeßu ipapb: ber Steft aber macht bag @ebid|t intereffant unb j 


erlitt cg cp ßeben. 

Bietro (Eoffa oerbanb mit feinem Bero leinen moralifchen 
Bim#, er trat tenbenjlog auf. <Er gebachte in ihm nur eben 
be» ffoep bgaufteQen, Wie er ihn im Sinn trug. Diefer Sero 
ift fhmpaW, ben» et ift mehr leichtfinnig alg böfe, nnb 
ßhwürmt fgt Kauft 3ß eg Sero? Sun ben füblichen Bccent 
hat er. Btan Permag ihn fid) ohne Bnftrengung oorjußeHen: 
SNe tonnte* lief ich bunt bie Strogen Storni, 
tlnb ‘hinter mit, «* jenen Stnßernißen, 

So viel ber Stpredtn lieg ilp, fo Piel $og 
Bon dfsrfücpt’gtn Spegatttn! — Unb ingwif4en 
Stpt ringeengt unb trüb’ in feiner Kammer 
Der Steifer nnb maCgt unb benft Staren 
Sr bentfc? — 9h lache. — 8Bai boeg wir’ endleibet 
Der Scptwfcn biefe *be Sangewdfe, 

Die non ben m dften Sehen ift genannt. 


Behningen ©ebanten bot 'Eoffa neuetbingg auch in feiner 
oielberühmten „SReffatina" Bngbrucf gegeben. Sie fpriegt biefe 
bei ber $txhjeit mit Siliug felbft aug: 

.8itternb 

Smpßnbtn fie allüberall ben Sauf Cg, 

Den fügen, big wo fieg bie ftammenben Stenjen 
Der Srbe mit beg $immeli Betger einen. 

0 lagt uni lieben! lieben 1 Denn ber $etb, 

Der fi# Dom garten Saget in bem Selbe 

ftaeg Scglacgten fegnt, wag fümmert er uni? ttaS 

Die enblog langen, bnrcgfhcbitten Bähte 

DfS gleichen Bgilofopgen? Uni allein 

3ft ßiebe ©tffe^egap! Unb wenn aug gen# 

Buf unfrt j&äupter gäufte allen Born — 
ffifr unterlaßen, Siliug, unfrt Küßt tri egt, 

U»g treßt, unerfhtedt, in nnfrtr Siebe 
Seht bonnetnber Blig! — 


Unb bann noh einmal an anbeter Stelle (1. Bet): 

Sin Demmt ift'g Sebent Slenb in bei Seih 
Der Schotten ftogt bie Sorge ung! Deraufcgen 
®it fBoüuß unfrt ©eele wir, bemc noeg 
Durhfteagü bie Sonne ung; bglfam’fhe 2uft 
De« fügen ßfrügtingg, ße erfreut uni! Sonun, 

Srbepfen roir ju lieben! 3« ber Siebe 
3ft Segen nur «Hein. Der Beß iß BicgtS! 

Sin Sebanfe, ber auih in ber Snburra wteberhaüt, wo Salpnmia 
bei gefüHten Dechern fpricht: 

.... Dente, bag bie 3ugenb turj iß 
(Bleich einem Xranm, unb eil’, ße gn genießen. 

Sin eW’ger Schatten folgt onf unfern Dag. 

Unb Serog Sieblinggftlaoin jubelt im Sero PoH tollet Der: 
gnügungilnß: 

3<h liebt, bag not meinen tagen BSei 
3n Freiheit rafe unb ooQ Seben fei, 

3n bet UnenbUdjlcit hier, bie bie Sonne 
SRit heller Siegte«trnnfertgeit erfüllt! 

Stegr ober weniger hören wir in biefen Stimmen, männ> 
liehen wie weiblichen, nn£ fobhft. $prum oerfteHen? Buch mit 
bem Buge ber ©raufamteit iß eg fo. Die ßacheftfühtenbe ^aug: 
frau, bie bie Dtildh ihrer frommen Denbmggart für gewöhnlich 
nur an bem gelinben Steuer ünrtttt'fcher ßtomane jum gelinben 
SBaßen bringt, fchlägt begierig bie ncuanfomafenbe Beitung nah l*r 
Bubrif „Unglüdgfäüe nnb Serbtechen" auf, ober fudjt reiht rafh 
ju erfahren, anf welche neue SRariero bie Dürfen ben 3nfur= 
gtuten gegenüber Perfalle« ßnb. Dag erinnert an bag $oefhe'f<he 
„©efprach »on Krieg nnb Kriegggefchrei". 

Unb wenn man ung anf ber Scene anßa tt Betel, ber SBeffalina, 
fßoppäa u. f. w. römifche Bfhenbröbel unb triße Katafomben: 
bewohnet geigte, bie Dpfer Sterog, wir würben jagen: Beto ift 
ein ©öferoi^t unb feine Opfer fhreien um Bache gegen ihn, ja, 
— aber gähneab würben wir aug bem Dh wter laufen. Dag 
iß bie SRacht ber Beß- 3« Eoffag 9tero gefüllt am meißen ber 
jweite Bet, ber in ber Zaberna, unb ber Pierte, ber im fatfer= 
liehen Drictintum fpielt. So auh in feiner „ äReffalina" ber 
jweite, ber ung in ein Slreubenhaug ber Snburra führt, unb ber 
Pierte, in bem bie gtünjenbe $odjjeit ber Kaiferin ip ben ©arten 
beg ßucuQ gefeiert wirb. 

Bun hat natürlich auch bie bichtenbe Knnß ber ^eit ein 
eigeneg SBörterbudj, eigene Sfarben auf ihrer Bulette, ß. 8. ©Örter 
wie: Orgie, Baußh unb Drunftnheit, Zobegfampf, lieber, Krampf 
u. a. Werben je|t in einem 3a|re mehr gebraust, alg fp|er in 
einem Sfahrhutibert. Der Degriß, ber ßdj mit biefen ©Örtern 
Perbinbet, iß heute poetifch unb mar ehern alg wiberwüriig, efel= 
haß. Dag bebeutet, baß bie moberne Boeße nicht mehr in ben 
gemüßigten Seibenföaßen ßebt, fonbem in jenen, welche bie 
Berpen erfchütter». ®noti nimmt jum Bewetfe ben Betrarca 
an. Deßen Spithete», bie am häußgßen wieberfe|ten, waren 
dolee, soaya, vage, bello, gentile, aber dolce über Bßeg. 
Diefeg dolce war bie Sache beg ©lafeg, bntch bie er Äüeg 
faß.*) So iß bie Sarbe nnfereg ©lafeg „Sieber", „Orgie", 
„Saufdl", „Krampf". 


*) tat, *m to# rin mpfetntg ©eifpiel anjufüßttn, „feßön" bie 
Sarbe beg CpengndttS '■Stof Ibtlmannl iß (Bn> Stalien. Sieben 
»onate iu Ihm ft unb 9totur non Ä. Stof SbeUnann. Stuttgart 1877.), 
bnreg weihen er fein Sieöenptpnatglinb ßeben ßgöne atonale fang im 
frönen 3talien bie fhöne Sanß »ob bie feßine Statur ftpen ließ. 3*ber 
Süß in ftunß unb Statur wirb mit „ßhön" nerftopß. SS iß ganj fabeß 
paft, welcpe Serfcpwenbtntg mh bem Worte „fcpbn" getrieben wirb, 
©firtlicp peißt eg ba j. ÜS. S. 188; „Wir Waren im ftpönenBeapel, 
beflen Scpönpeit icp beg Vbettbi in einer $«ptt anf ber fepönen 
Straße bi Boßlipo auf’g Bene wiebet lieben lernte. Sitten fepönern 
Solf, als biefen Solf »on fttapel, gibt eg niept anf ber Srbe; er iß un> 
befcpteiblicp fepön. Unstrglei^licp fepöit u. f. w.," fcpbn, ßpbner, am 
fcpönßtn! 0. ft. 


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110 


9ie $*9?nttMtrt 


Nr. 7. 


©inb toir ju ben Seiten SteroS gutüdgefeljrt? SRocfj ni<f)t. 
9t6et ®eljnfid)feit läuft gtotfdjen jener nnb unferer Seit: jefct, 
mie batttalS, töft eine alte SEBelt ftdj auf. Ober will Sentanb 
bie Setfeßung leugnen? S)er SaterlanMgebanfe Ijielt fie in 
Seutfdjlanb wie in 3tatien auf, wa8 aber bteibt für fpäter? 
@twa baS 3beat einer alten Stepublif? 

®a& Sergnügen Wirb bortäufig genommen. Äbet bie Sinne 
finb (djott ftumpf unb werben ftumpfer, bte natürlichen unb gc= 
wöhnlitheu greuben genügen nicht mehr, fo begann bie gagb 
nach ungewöhnlichen» gewaltfamen. Unb jpamerling Ijat bo&* 
ftänbig Stecht, wenn er öerfucht: 

„im Silbe ÄoraS, 

3 m ®ptege(Wlb Sfenm*f<Öer Sigeufwbt 
ßu geigen tu$, toai toieber fidj erneut...." 

9Bte Sielen ifl SDtotto ba8 beliebte SBort liberiuö’: Post 
me aqua com igne misceatur! Ober Aprös nous le dfeluge — 
weit ba$ gierticher lautet. 




Itinv&na. 

Sou ttisi Kaüla <£hattopäbhyäya.*) 

Seitbem idj in @uropa unb inSbefonbere in ®eutfd)lanb 
weite, habe ich ebenfo oft geftaunt wie mich gefreut, wenn 
ich beobachtet |abe, tote warm, toie ungemein baS Sntereffe ift, 
welches bie ©ebilbeten ©nglanbS unb S)eutf<htanbS für bie jtoei 
{Religionen meinet SBatertanbeS, ich meine für ben #inbui3muS 
unb SnbbhiSntuS, empfinben. 3$ bin toieber^ott gebeten worben, 
ihnen Alles jn erfühlen, maS td} barüber wüftte, unb als ich m i r 
im Verläufe unferer (SefprädjS bie Freiheit nahm, oon ben An? 
fisten einige ju perhorrefcircn, manche ju oertoerfen unb bie 
meiften mehr ober weniger ju mobificiren, bie in ben beiben 
Säubern über jene beiben {Religionen oerbreitet ftob, fah man 
mich halt* erftannt unb halb mifttrauifch an. ©efonberS gefdjah 
baS, wenn eS ft<h um eine 4?attpttel)re beS SubbljiStnuS, ich 
meine, um bie oiel beftrittene Sehre beS SRirw&na hanbette. 
2>aS 3ntereffe, baS btefe Sehre erregt hot, ift ohne Steifet be? 
redjtigt, inbem btefelbe, man Knute fagen ben Sdftein beS 
SubbhiSmuS fritbet, ober, wie ich ntehr als einmal in meinen 
öffentlichen Vorträgen erwähnt höbe, nimmt bie SRirwüna ein 
ältliches Serhältnig ju bem Seben unb ben Sehren VubbljaS 
ein, wie baS „{Reich ©otteS" ju bem Seben unb ber Sehre 
©hrifti 

©S bürfte baher für bie Sefer ber „(Segenwart" oon 3n? 
tereffe fein, ben fotgenben AuSjng beS 9Jtilinba fßraSna, 
eines ^ßäli^SBerte, ju lefen, welches fleh eben auf biefe wichtige 
Stage bejieht. $aS SBerf foH furj oor ber cfjrifttichen Seit? 
rechnnng entftanben fein. (Siehe: „Eastern Monachism“ by 
Spence Hardy.) AnS biefer Ueberfejjung würbe eS wohl ein? 
leuchtenb fein, bah baö SRirwana nicht bte „©rlöfchung ber 
Stamme ber (äfriftenj" bebeutet, wie eS im Allgemeinen behauptet 
wirb, fonbem oielmehr: „eine ffiahmehtnnng beS (SeijteS — baS 
reine, freubeooDe SKrWäna, frei Oon ber Unwijfenheit unb fehleren 
8egierbe" —, bafj cS Oielmehr : unb wahrhaftig btoS ben er? 
hobenen Suftanb unfereS geiftigen VewufctfeinS bebeutet, wooon 
ber dichter fo tief unb bodj fo fchön fingt: 

„©ntfehfofen finb nun toilbe Triebe, 

SRit jebem ungeftümen Xhun, 

®S reget ftch bie SRenfd&enliebe, 

2)ie Siebe ©otteS regt ftch nun." 


*) 35er SSerfaffer biejeS StufiapeS lebt feit bem October 1874 in 
$eutfchtanb feinen toiffenfchaftlichen ©tubien. ©r ift $inbu. 

2). 8t. 


SRlftnba yrÄjm«. 

(©efpr&ch stoifchen einem ßönig unb einem bubbhiftifch^n SRiffionar.) 

9Jtitinba (ftßntg): ©te fprechen Oon iRirtoäna; aber Knnen ©ie 
eS mir jeigen, ober eS mir erltären burch bie garbe, ob e$ blau, gelb, 
roth ober irgenb eine embere gorbe fei; ober burch 8 c lch«n, Ort, Sftnge, 
SJtethobe, 9Retap tyx, ©aufalttftt ober Orbnung; burch «neS biefer TOttei, 
ober in einer biefer ©eifen, fönnen ©ie eS mir ertlftren? 

Stftgafena (®tiffionar): 3<h tonn eS burch irgenb ein* biefer 
Attribute ober ©igenfehaften nicht etffären. 

Vtilinba: 5>a3 fann ich toirflich nicht glauben. 

9tügafena: SDa ift ber gro£e Ocean. $Stte man ©ie fragen 
wollen, wie oiel SRaft ©affet finb ba, ober wie oiele tebenbige ©efen 
enthalt eS, wa& würben ©ie ba§u fagen? 

SRilinba: 3<h würbe fagen, baj eS feine richtige Srage wftre; benn 
eö ift eine folche, bie Stfemanb beantworten fann. 

8 tügafena: ©benfo fann man MeÄröfc*/ ©eftalt, $arbe ober bie 
anberen Attribute beS ftirwäna nicht angeben, obgleich eS feinen eigen? 
artigen unb wefentliehen ©howfterjug befipt. ©in Stifchi (^eiliger) Kirnte 
wohl bie oon mir gefteüte grage beantworten, aber er tönnte bodh nicht 
bie ©igenfehaften beS 8tirwäna erflüren, noch irgenb ein Deoa (©ott) ber 
unfichtbaren ©eiten. 

SRilinba: ©S fönnte wahr fein, bah SRirwäna bie ©lüdfeligfeit 
wäre, unb ba| feine ftufjeren ©igenfhaften nicht ju befchreiben wären; 
aber lönnte man nicht feine 8or$üge ober ©ohlthaten burch irgenb eine 
8 rt ber »ergleichung barfteHen? 

Stägafena: ®S ift wie bie SotoSblume, befreit Oon ihrem ©chmet&, 
wie bie SotoSblume befreit oon bem ©flamme, woraus fte entfteht. ©S 
ift wie baS ©affer, inbem es baS geuer beS ©<hmer}eS auSlöfcht, wie 
baS ©affer, baS ben ftörpet erfrifcht; eS überwältigt ben 2>urft nach 
bem, waS fehlest ift, wie baS ©affer ben natürlichen 2)nrfl überwältigt. 
©S ift wie eine Ärjnei, inbem eS benen hilft, bie an bem öifte beS 
©chmer^eS leiben, wie bie ^Ir^nei benen, bie burch jfranfheit leiben; eS 
befeitigt auch ^n ©chmerj ber wieberholten ©jifteng, wie bie Slranei bie 
ßranfheit befeitigt; ferner macht eS uns unfterblid), wie bie tttftnei ben 
2ob abwehrt. ®S ift wie baS 3Reer — eS ift frei oon ber Unreinheit 
beS ©chmerjeS, wie baS üReer oon jeber Urt Säutnifc; eS ift ungemeffen, 
unenblich, fo bag unzählige ©efen eS nicht erfüllen, wie baS üReer nn? 
ergrünblich ift, unb oon ben CDemäffern aller SluoSftröme nicht erfüSt 
werben fann. ®S ift wie ber fltount, inbem eS nicht erzeugt wirb (oon 
irgenb einer äugeren Urfache), eS ftirbt nicht, Oerfdjminbet nicht, wirb 
nicht erzeugt; eS hat feine Oertlichfeit; eS ift ber Aufenthalt ber 9tahatS 
(bie, welche bte unmittelbar nachfte ©teHung nach ben 8ubbhaS einnehmen) 
unb ber SubbhaS, wie ber ftaum ber Aufenthalt ber 8ögel ift; eS fann 
nicht oerborgen bleiben unb feine AuSbehnung ift enbloS. ©S ift Wie 
ber magifche 3uwel, inbem eS Alles gibt, WaS man oerlangt. ©S ift 
wie baS rothe ©anbalenhol§, inbem man eS fchwer befommt; fein $nft 
ift auch unoergleichbar, unb eS wirb oon ben ©eifen bemunbert. ©S ift 
wie ber 2Rah& 2Riru (ein 8erg, ber in ben inbifchen SRothen unb £ra? 
bitionen eine fehr bebeutenbe 9toHe fpielt, ähnlich wie ber DlhmpuS bei 
ben ©riechen), inbem eS h^h^ ift toit bie brei ©eiten, fein ©ipfel ift 
fchwer ftu erlangen; unb wie bte ©amen auf ber Oberfläche eines gelfenS 
nicht gebeihen, fo fann eS ber ©chmer^ auch nicht in 9ttrm&na; ferner 
ift eS frei oon ber grinbfeligfeit ober oom Som. 

©r fagt ferner: 

SKan fann Weber fagen, bag eS erzeugt, noch bag eS nicht erzeugt 
werbe; bag eS bie Vergangenheit, bie ©egenwart ober bie 3ufunft fei; 
noch fann man fagen, bag eS baS ©eben beS Auges, ober bas $ören 
beS Oh^ö, ober baS Riechen ber 9fafe, ober ber ©efchmad ber 3ange, 
ober baS Saften beS ÄörperS fei. 

SRüinba: SDann Sprechen ©ie oon einem 2)inge, baS nicht e$ipd. 
©ie fagen weiter nichts, als bag 9tirwäna — 9tirwüna ift; folglich gibt 
eS lein SRirwüna. 

ftägafena: ©roger tßnig! IRirwüna ift; eS ift eine ©ahr? 
nehmung beS ©eifteS; baS reine freubeoolle Stirwüna, frei 
Oon ber Unfenntnig unb Schlechten Vegierbe, wirb oon ben 
ftahats wahrgenommen, bie bie grüchte ber ©ege geniegen. 

ÜRilinba: ©enn eS irgenb eine Vergleichung gäbe, Wobnrch man 
bie 9tatur ober bie ©igenfehaften beS SRirwäna begreiflich machen fönnte, 
fo haben ©ie bie ©üte, eS in biefer ©eife $u erflären! 


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Googk 


Nr. 7. 


111 


Uft 6eg«tt»*ri 


Siägafena: Da ip ber ©inb; aber fönnte man feine garbe erflären 
— fönnte man »ogl fagen, bap er in irgenb einem gewiffen Orte fei, 
ober bap er flefn ober grop, lang ober fürs fei? 

SRilmba: SRan fann nügt fagen, bap ber ©fnb etwa fo unb fo ip; 
er fann nkgt in bie $anb genommen unb gequetfegt »erben. Dod) ber 
SBinb ip. ©tr nehmen ign toagr, inbem er unfete ©ruft erfüllt, an 
ben Körper pöpt unb bie ©üume bef ©albef beugt; aber man fann 
toeber feine Statur, ober »ie er toirflug fei, erflüren. 

Stögafena: ©crabe fo ipStir»&na, inbem ef ben unenbli^en S4mers 
ber ©eit befeitigt, unb P 4 als bie $auptglüctfeligfeit ber ©eit bar' 
bietet, aber feine Attribute ober (Eigenfchaftin lönnen nicht erfllrt »erben. 


Daf Stfitgfel im Orient ip um eine ©erwicüung reicher geworben, 
in ©agrgeit aber bleibt ef gegeimnipoott für Kluge wie für Dgoren. 
lieber SRibgat ©af4a gab ef oon oom herein §»ei Meinungen. Die 
©inen hielten ihn für einen gropen 8 Ramt, bie Anberen, unb barunter 
namentlich bie interefprten Muffen, fchilberten ihn alf einen lügnen Spieler, 
ber eine 8 *it lang bie ©eU »ohl blenben fdnne, fchliegltch aber p 4 felbft 
rutniren unb ein weiteref Stüd bef morfchen Reiche# mit fich in ben 
Abgnmb retpen »erbe. Aber auch fiünftigpe Urteil fonnte nicht 
fcergeglen, bag er für (eine go 4 ffkgenben ©läne jch»erli<h über bie notg* 
toenbigen SRittel ber Aufführung, ia, ben su beganbelnben Stop oerfüge. 
Um eine Station gu regeneriren, ip bo4 oor Allem erforberlich, bag bie 
Station egipire, »af in Sachen ber Dürtei controoerf ip. ßefpng hatte 
gut fagen, ef fönne Semanb ein Oortrefflicher SRaler fein, ber ohne Arme 
unb feänbe geboren »urbe. Die Kunpauffteüungen »erben immerhin 
»enig oon ihm aufeutoeifen gaben. 3 n ®tambul gingen Oon {eher 
Dinge oor, bie ben rafpnirtepen Staatfweifen ^arte Stüge p germalmen 
gaben, unb auch SRibgat ©af4af Sügne haben fich bafür p jcg»a4 er- 
»iefen. ©in Kammerbiener unb noch gäupger irgenb eine gofe fpiclcn 
hinter ben ©ouliften unb in ben ©orriborf bef Serail eine »ichtigere 
Stolle alf anberfwo bie einPugreichften gügrer ber ©arteien. ©er bei 
bem Sultan ettoaf bur4fegen »iü, mug mit folgen Reffourcen rechnen. 
Darauf entgegen jumeilen bie toüpen ©ermuigungen. 8 ur Seit ber 
©onfetens begriff Stiemanb, »ie bie Deooümüchtigten auf ben abenteuere 
liegen ©ebanten, belgifcge Druppen pr ©iebergerpeüung ber Orbnung 
nach Bulgarien ju fegiden, oerfallen tonnten. 3 n ©onfiantinopel »iü 
man aber »iffen, bie ©emahlin bei regierenben Sultanf ober feine erfte 
©eliebte fei eine geborne Belgierin, frühere SRobtfrtn auf ©rüffel, bie 
nach ©onftantinopel oerfcglagen »ar unb bort igr ©lüdf gemacht hatte. 
Alf ber Sorfchlag ber ©onfetens befannt »urbe, meinten bofgafte Seute, 
3 gnatieff unb Salifbutg bilbeten peg ge»ig ein, bie gttboritin »ürbe 
igre ßaäbfleute gern »ieberfegen unb befwegen für bie Annahme bef 
feltfamen ©rojectf bei bem Sultan »irfen. ®f wäre inbeffen eine falfcge 
Berechnung. Die Sultanin, gebomef gräulein ©orbier, »ie pe aüem 
Anfcgein nach mit igrem ganriliennamen gieg, ȟrbe umgefegrt lein 
grogef ©erlangen gegen, bei irgenb einer ©elegengeit ben Ofpgieren p 
begegnen, bie pe in ber $eimat unter befegeibeneren ©ergältniffen gefannt 
haben mochten. Der ©Ian fiel belanntlicg inf ©affer. Derartige ©t* 
jählungen, »ie pe »igige SRügiggftnger in ©era erpnben, gelangen feiten 
in bie öffentlichen ©lütter. Am »unberbarpen ip bie Singe unb ber 
©feiegmutg, mit melden bie gaarprüubenbften Vorgänge bureg ben eiet' 
trtfegen Dragt auf ©onftantinopel gemelbet »erben. SRan möcgte glauben, 
ber Delegrapg negme etwa! oon ber parren Haltung ber Orientalen mit 
«f ben ©eg unb »erbe, ogne mit einer SRiene ju pefen, gelegentlich 
aAgeigen, ber $etrfcger aller ©lüubigen fei für immer nach Apen abge* 
rm nnb fein ©alaft Dolmabagtfcge fei sunt ©ermietgen aufgeboten. 
©(0 ©bgem ©ajega gier in ©erlin Öte Siacgricgt Oon ber (Entthronung 
Stbbul Afijf ergielt, feigte er baf oergüngntgooüe Delegramm 3eman= 
btm, ber ign gerabe pfftüig befuegte, mit ben ©orten: So »erben bei 
kM Steooltttionen gemaegt! Sonft »ar bei bem SRiniper, beffen SietOO' 
Alt feit ber ©onferen} fpricgmörtlicg gemorben ip, feine (Erregung be* 
iphfbar. SRan fönnte bie Ofmanen um bkfe olpmpijcge Unnagbarteit 
heuelben, »ügte man niegt, bag fie aueg igrer ©eifgeit unb ©orpegt ber 
brogenben ©efagr gegenüber ergeblicgen Abbruch tgut. $artnäcfiger 


©iberpanb gegen aüe gorberungen ber ©eenunp, gegen alle politifegen 
Siotgmenbigfeiten bif 5 um legten AugoubM, ustb bann eine SkPytfam 
in baf gaturn ogne jebe SRöglicgteit ber ©ieberaufricgtimg, baf fing bk 
bebenfliegen ©igenfegaften bef türfifegen (Egaratterf, für »eiche ber abenb* 
lünbifegen Biegung baf ©erftünbntg leiegt abgauben tommt SRtbgc^ 
$a[cga gatte übrigenf bureg feinen frügeren Aufentgalt in ©arif oon 
ber Ougerlicg pafpoen Art feiner Sanbfleute et»af eingebügt, unb man 
fanb in ©onpantinopel, bag er peg niegt genug p fegerrfegeu toiffe. 
Alf er naeg einer Unterrebnng mit £orb Salifburg, »elcger aueg (Ebgem 
©afega beigemognt, mit bkfem bie Dreppe ber englipgen ©otfegaft gmb« 
pieg unb naeg ber (Erfenntnig ber geringen Hoffnung, »elcge bie Dürfet 
oon ©nglanbf $ülfe oor ber $anb gegen burfte, feine ©e»egung niegt 
bemeipem fonnte, foü igm (Ebgem ©afega pgepüpert gaben: ©ebenfen 
Sie, bag man unf beobachtet unb Oerratgen Sie niegt p fegt 3grc (Ent« 
täufegung! (Ein englifeger Reporter gatte aber bie leife SRagmmg boeg 
gegört. SRibgat ©afega nagm peg bann megr pfammen. Sch»erlU| 
inbeffen »irb er ben ©eg in bie ©erbamtnng mit philofopgifeger ©e« 
laffengeit angetreten gaben. SRibgat ip fein Römer, ber einen folcgen 
Stur^ uiegt überlebt götte. Aueg mag er auf bie ©iebertegr befferer 
Seiten für feine politifegen 8 ^re goffen. 3gn aber am Abenb feinef 
gaüef ogne jebe ©rüfnng §u oerunglimpfcn, mag Denjenigen überlaffen 
bleiben, bie igm »ägrenb feinef furften ©lanfef nur feroüef £ob bar= 
gebracht gatten. 


Briefe uttb jUrtwortm. 

$ert ©gtpfanber, Rebacteur ber „Aügemeinen SRuPfalifcgen ßeitung", 
gat in fRr. 5 berfelben einen fieben Spalten langen Artifel gegen meine 
in ber ,,©egeu»art" erfegienene ©efprecgnng bef Sianmann’fdjen ©uegef 
„Slalienifcge Donbicgter" oeröffeutlid^t, worin er mieg mit einer SRaffe 
mir bur^auf niegt unerwarteter Komplimente über meine ©ef&gigung ic. 
beeget. Dag $err Kgrgfanber peg ärgert, wenn 3 ®manb gelobt »irb, 
ben ec niegt pcotegirt, ip natürlich; bag er mir fagt, icg peüte bie 
£ogif auf ben Kopf, freut mieg. ©enn ein SRann gegeu meine ©e« 
gauptung: ber gebilbete gaegmamt (^errn Kgrgfanber nennt baf gragiöf 
„SRufifer oon ©rofefpon") fönne am beften beurtgeilen, »af p feiner 
Kunft gegörte, alf „ftarfef ©eifpiel für bie ©iffenfegaft" ben ©olffegen 
Streit über $omer anfügrt, bei bem ef fteg nur um bie Autorfcgaft, 
niegt um ben ©ertg ber cgflifcgen ©ebiegte ganbelte — mieg bef SRangelf 
an £ogit jeigt, fo fann icg nur banlbar fein, ©enn ber Siebacteur, ber 
perp }»ei go^preifenbe ßeitartilel über Shtbinpeinf „SRaffabüer^ 
aufnimmt, unb ginterbrein }»ei ganf (Entgegengefegtef begauptenbe 
Korrefponbenfen oeröffentlicgt, bereu jweite gemeine ©ige entgilt, bk 
in einem reinen Kunpblatte niemalf ©lag pnben foflten, mieg bef 
SRangelf an £ogit }eigt, fo fann mir fein angenegmeref Sob gejoüt 
»erben. 34 »erbe $erm Kgrgfanbtrf ,^änber / einer fege rugigen, fege 
objectioen Kritif unterwerfen, unb barlegen, »ie ee feinen logipgeu 
SRajor unb SRinor peüt unb feine S^lüffe siegt. Daf AÜef »ürbe 
mieg jeboeg niegt be»egen, ben £efee jegt oon fytttn Kgcgfaubee unb mir 
SU unterhalten. Aber er »agt meine ©eftnnung s» t>erbäcgtigen; er 
fagt, icg »tffe „auf perfönlicger ©efanntfegaft^, bap §txt Sfaumcum ein 
gocggeMlbeter SRupfer fei; er fegreibt meine Skuperungen über bk 
lebenben SRupfgelegrten meiner „©epnming'' alfo niegt meiner 
fünplerifcgen Ueberseugung. 34 höbe ®errn (Egrgfanber bifger für eineu 
fegr einfeüigen, aber bur4anf egrengaften SRann gegolten, fein Artifel 
mupte mi4 leiber auf ben ©ebanlen bringen, bap er s« jener Klaffe 
grunbgelegrter ßeute gegört, beren ©efen unb ©ebagren ber uuperblicge 
S4loffer in feiner ©ef4i4te bef 18. unb 19. Sngtgunbertf öfterf ge^ 
f4ilbert gat. (Ef ip baf mein erpef unb (egtef ©ort gegen $emt ©grg^ 
fanber in perfönli4er Angelegenheit, lieber meine ©eflummgeit »irb bie 
8 eit SM4terin fein. €grlicg. 


Aüe auf ben 3ngalt biefer 8eitf4rift besügli4en ©opfenbungen Pub 
SU ri 4 ten: 

a« te febartttm ber „©egenurerrt^ 

©erlin, SW., Stnbenffrape 110. 


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chter & Kuppler » Stuttgart. = 

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Psalm 114 för Sstimmigen Chor und Orchester. Op. 61... . 4 20 6 30 2 40 

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Hymne für eine Sopranstimme mit Chor nnd Orgel.... 

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Psalm 43 für achtstimmigen Chor. Op. 78. Nr. 2 . . . . 

Psalm 22 für Chor und Solostimmen. Op. 78. Nr. 3 . . 

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rollin, Lk. theol. H„ Dr. M. Luther und 

Dr. M. Bervet. Preis 1 JC 
—' — Ph. Melanchthon und Servet. 

Preis 3 JC 

Letztere beiden Schriften seien allen Denen 
empfohlen, die sich aus den Quellen über¬ 
führen wollen, ob wir noch heute bei Luther 
und Melanchthon stehen bleiben dürfen, oder 
ob jener Spanier, der vor 300 Jahren seine 
Ueberzeugung mit dem Feuertode besiegelte, 
aus seinem reichen Schatz des Wissens, der 
Bibelkunde und der Gebetserfahrung uns 
Besseres bieten kann. 


Partitur. Stimmen. 
A- A. 

6 60 9 60 

1 20 1 20 

— 90 — 60 

— 90 1 20 

(- 60) (- 30) 

— 60 — 60 
— 90 — 60 

i 20 — 90 

1 20 1 20 
(_ eo) 60) 

(- 60) (- 30) 
(- 90) 60) 

(“ «0) ( u 60) 

(- 80) (- 60) 
(- 30) (- 30) 


6 Sprüche für achtstimmigen Chor. Op. 79 .... «. 

2 Geistliche Chöre für Männerstimmen. Op. 115. 

Tranergesang für gemischten Chor. Op. 116. 

„Ehre sei Gott in der Höhe“ für gemischten (Doppel-)Chor. 

„Heilig“ für gemischten (Doppel-)Chor.. . 

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i Wä ä4# $ Mut§z 1877 


XI Band. 


M 8. 


lie (!5cgcii turnt. 


äöocftenfcftrift für 


|jta jtmhit i^dit eist funm 
S« fatfetm ton# «Be Psfl frut blungai mb ^efhnflalteiu 



unb öffentliche« ßeben. 


pttis pi funtal 4 fnl 50 ff. 

Onfcrate |ebec Art p tt Sfltfyattcnc ^«titjeile 40 $f. 


Orient^ unb 9to$gletdjBfraac in Deftreidj. ®oit »alter SRogge. — Die ©toceffiottSraupe. ©ott D^eobor »enjelburger. — 
fttrfLrff • Wtetniar nnb Ihm#: Die fBolfeu. Son tUeianber ©etöfi. &it§ bem Ungartjdjen überfe^t non (£meri$ geft. — Senebilt Spinoza, 
«yllyau. ®on ©olin. — Dfjeobor ©torm. ©on »il^elm genfen. — (ritt neuer franjöfifc^er Did&ter. ©on ©aul ßtnbau. — 

#otijcn. — Offene ©riefe unb Knttoorten. ©on ß. Bnjengruber unb (Seorg ©ft d> mann. — gnjerate. 


eOrimt- mtb Xtuflridpfraie i« (ftefhrtty. 

©S ift.in ftoftem (Stabe metlwütbig, ja, öiet ja merl« 
würbig, um alb eine blofte BufaüSloune ju gelten, tote ffit Oeft; 
trieft bie ffietthungen in ber orientalifcften Srage immer pfammen; 
fallen mit ben Seifen bet üubgteicftSreoifion. Unmittelbar efte 
bet Saifet p jener batmatinifeften Keife aufbricht, bie man boeft 
woftl alb bah Sorfpiel bet ©rrigniffe im Oriente betrachten muf), 
oodjieftt er in bet ©rnettnung beb KlinifteriumS Xi8ja ben 
..Jtt,’Jp***t bie Zeafpartri Mr ber Smlen beb Rricftttagöb bie 
%$affrit fhedt. @o war eb benn feit Oftem 1875 gewift, baft 
bie toieber auf bie ZageSorbnung gefegte orientalifefte Stage 
fortan ben Snftalt unferer auswärtigen, bie Slöppelei an bem 
ünbglricfte ben Sem ber innem Rolitil Deftrrieftb bilben würbe. 
Zer Saftrebfcftluft betätigte biefe Ueberjeugung: ffinbe Roüember 
»ar bab Soll: unb ftanbelbbünbnift jwifeften ben beiben |>älf= 
ten ber Monarchie gefünbigt, unb am öorleftten Zage beb feftei; 
benben Saftreb erlieft ©raf Änbraffft oon Ofen aub bie weiftet; 
ftaft bureftbaeftte, eminent praltifcfte Kote, mittelft beten Deftreicft 
bie Süftmng in bet orientalifcften Stage übernahm, inbem eb 
buteft fit eng fftmptomatifcfte Seftanbtung bie offene SBunbe in 
Sobnien unb ber $er$egowina feft tieften wollte. Run fam ber 
grofte Moment, ben in ber oollen Urfraft feiner Somit erft 
fpütere §iftoriler werben würbigen lönnen. @an$ ©uropa unb 
bie Pforte fiub einig, baft bie. Reformnote ünbraffpb ein waftreS 
Stonbermittel ift, um bab ©efpenft ber orientalifcften Stage 
mteber auf eine Keifte bon Safttett in feinen SBinlel p bannen: 
bie Sitten ft egen biefe Ueberjeugung in aller ©ftrlicftleit, bie 
ffabera wagen wenigftenb nüftt laut p wiberfpreeften. Za 
breeften bie $erren Sjubibratic unb ©onforten in ber $erje; 
gowina ben Sann — fie erflären pm Srüftjaftr 1876: „eb 
(amt nieftt fein"; nnb natürlich lann bie Ziplomatie bie tapfem 
Sttfurgenteneftefb nieftt pt Kaifon bringen, fonbem ftettt bie atU 
feitb approbierte Keformnote in ben SBinlel, um an beren Stelle 
bab ruffifefte SRemoranbum in Serlin pfammenpleimen. $ier 
tritt nnn fefton ber ©aufalnepb, ber in bem SpncftroniSmub ber 
erieutalifchen mit ber ünSgleidjSpetipeiie für Deftreicft obwaltet, 
ganj offen p Zage. Zamit ©raf Änbraffft im SRai bei ben 
Serlrner Serftanbtnngen alb Kebräfentant eines in fieft geeinig» 
tat StaatbwefenS auftrete unb nieftt fttnter ben beiben Sanjlem 
inrftctftefte, muft not feiner Kbreife in (Siner Rächt ein SattT* 
flütat jureehtgeflidt werben, fo baft man ben ftaunenben Söllern 
oerfftnben lann, bie %tbgleicftbfrage ift gelöft. Zie gleiche Re; 
meftb ereilte bab SRemortmbum unb bab Santftatut. Zem erfte; 
ten blieb Snglanbb „Rein" bab Öebenblieftt fo gtünblich aub, 


baft alle „®ntrüftungb";SReetingS iftm nieftt wieber ben Obern 
einhauchen lonnten, beffen eb beburft ftätte, um in Sonftantinoftel 
übergeben ju werben. Zab Santftatut würbe fefton aub bem 
Slub ber SerfaffungSpartei mit folgern $oftne ber ©ntrüftung 
ftinaubcomplimentirt, baft oon feiner Sorlegung im Kei^bratft gar 
nieftt mehr bie Rebe war. Zie Orient; wie bie HuSgleicftbfrage 
ftatte iftr tobtgeboreneb Siitb. Zaft bie Sotfcftafter in ffionftan; 
tinopel über bem ffiinen Katft hielten, änberte baran ebenfo 
wenig, Wie bie ©efcftäftigleit, womit ju berfelben Beit bie erb« 
länbifcften unb bie ungarifeften äRinifter eigentlich fortw&ftrenb 
jwifeften SBien unb $eft im SBaggon faften, um ben jweiten 
fleieftnam ju beaugenfefteinigen. Seftt gar bringt ber 5. Se= 
bmar 1877 gleichzeitig SRibftatb Sturj unb ZiSjaS Zemiffton. 
Orient unb Obgleich fragen: Wab nun? 

So oiel ift gewift, bab ©ine lag in ber Ratur ber Zinge, baft 
bie erfte europöifüfte Serwidelung, bei ber Oeftreicft feftarf unb ooü 
in bie, fei eb auch oorl&ufig nur biplomatifcfte Äction eintrat, 
jugleidft alb Seuerprobe für bie Sebenbf&ftiglett beb fterrfeftenben 
SftftemS, beb parlamentarifchen Zualibmub, bienen muftte. 8 
gefpiftt würbe biefe ©onfteQation bann, alb mit ber Orientfrage 
ber erfte berartige SaQ eintrat, aüerbingb noeft baburch, baft 
einerfeitb jur felben Seit bie Serträge jroifeften beiben Hälften 
ber Rtonarcftie ifttem üblaufe entgegengingen ober boeft fünbbar 
geworben waren, wäftrenb anbererfeitb bab Rtinifterium Zibja 
feine eigene ffijiftenjberecfttigung nur bafter leiten lonnte, wenn 
eb bie üubgleicftSreoifton befcftleunigte unb forcirte, um bei ber 
Gelegenheit Ungarn eine oortfteilftaftere Sofition ju erringen, alb 
bie Zealiften bem öanbe ju oerfeftaffen gewuftt. 3m ©roften 
unb ©anjen lann man nun fagen, baft bie Organifation beb 
Keicfteb, infofem fie auf ber Hegemonie beb beutfeften unb beb 
magftarifeften ©lementeb beruft!, fieft oortrefflicft beroäftrt ftat. 
Scfton 1870 waren jene beiben bominirenben Stämme einig 
barüber gewefen, bie ftrengfte Reutralität ju oerlangen, wenn; 
gleich a»b oerfeftiebenen ©rütiben: bie Zeutfcftöftreicfter, weil fie 
leine „Reoancfte für Söniggräft" wttnfcftten; bie Rtagparen, weil 
fie oon einer SBiebereinfeftung Oeftreicftb in feine beutfefte Stellung 
um leinen S«ib etwas ftören wollten, ülb bann im Spdtfterbfte 
Kuftlanb ben SontuSOertrag jerrift unb Ungarn nieftt abgeneigt 
gewefen wäre, unter bem Selbgef^rei „Reoancfte für Silagob" 
in’b Sriegbftorn ju ftoften: ba waren eb bie Slaoen, bie fieft wie 
ein Schwergewicht an bie Reutralität Oeftreicftb ftängten unb fie 
oor allen Stürmen feftüftten; wir erinnern nur an bab Zfcftecften» 
memoranbum, bab Seuft alb „ßanbebpreibgebung" qualificirte, 
„obfefton auf aller Sippen ein härterer üubbrud feftwebe". SßaS 
fieft aber bamalb nur negatio in ber Reutralität ftaltbar erwieb, 
bab ftat jeftt aueft pofitio in ber übweftr, ja tfteilweife gerabeju 


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114 


• i * tfegntnrart. 


Nr. 8. 


in ber Dffenfioe fiep erprobt. Sticht, als wäre BtfleS fo glatt unb 
eben oertaufen, aber gerabe biejenigen Spettatelgefcpiepteu, bie 
nad) aufjen pin ant meiften in’S Bluge fielen, gehören benn bodj 
für ben ernftpaften ©olititer entfliehen in baS ©ereid) beS — 
minima non curat praetor. SEBenn bie ©efter ©tubenteit, um 
fiep für ben oerungtüdten Sadetjug ju entfdjäbigen, ben fie ©er= 
meb Kffenbi, bem türtifcpen ®eneralconful, barbringen wollten, 
in einer Blbreffe an ihre SBiener Kommilitonen bie Dämonen als 
„Präger ber Kioilifation" feiern unb fiep bafür auS ber $aupt: 
ftabt beS SleicpeS an iljre fcpanbbare Blrt, mit einem wahrhaften 
Kulturelemente, ben fiebenbürger Saufen, umjufpringen, erinnern 
taffen müffen — wenn eine magparifdje Deputation, bie unter: 
weg8 in Drieft Don Seltenen unb Italienern mit 3wiebeltränjen 
beworfen unb auf ber Slüdreife, ba fie fid) burep Rumänien 
fdjon gar nicpt wagen barf, in Kattaro oon wütpenben ©laoen 
gelpndjt werben foB, Blbbul Kerim einen Kprenfäbel überbringt 
unb Don BRibpat ©afdpa bie rüprenbe Serfidjerung entgegennimmt, 
bah BRopacS bloä ein fatales „BRifjoerftänbnih" gewefen, baf} bie 
©uliman, bie Kjupriti, bie Sara SRuftappa bei ipien Kriegen 
gegen Ungarn einen „fludjwürbigen" 3tttf)um begangen — wenn 
berweiten bie Dfdjedjen ben glorieux vaincu oon DjuniS Dfeper« 
najeff feiern; bie Kroaten ba8 ©ipmed 3nnt)i8, beS SSextt)ei= 
bigerS oon ©jigetp, bem dürften SRitita nacf) Ketinje fdjiden, 
unb in ©prmien ju einem Kprenbegen für $oroatoDic, ben großen 
„SlüdroärtSconcentrirer", gefammett wirb: fo finb ba8 ficperlicp 
fo luftige SafcpingSgefcpicpten, baf} man jcpon aBe8 gefunben 
ipumorä bar fein muf), um fid) nicpt pöcplidjft babei ju amü= 
firen. 

Biber au<p nidjt niepr! Denn in ber §auptfacpe finb 
SRagparen unb Deutfcpöftreidjer fo einmütpig in ber ©erporre: 
fcirung jeber ruffenfreunblidjen ©olitit gewefen, unb bie Sie: 
gierung pat fiep fo confequent um biefe leibenfdpaftticpen Btnti: 
patpien ber beiben pegemonifdjen Stämme nicpt im minbeften 
gefümmert, baf) Weber oon einer 3ü>eit^eitung ber öftreidjifdpen 
BRocptfteHung bie Siebe fein tonnte, nocp bie ©taoen ber BRonatdjie 
emften @runb jur ©efdjwerbe Ratten. ®leicp im Dctober 1875 
fpradj bie ungarifcpe Delegation fid) präcis unb peremptorifcp 
bapin au8, ba| fie fid^ jebe anbere Kinmifdpung in bie türtifcpen 
SBirren oerbiete, aufeet infoweit biefetbe bie Sicherung ber 8ftupe 
an ben eigenen ©renjen bejwede. 3m BRai 1876 aber naljtn 
Kuranba jebem Deftreicper unb Ungarn ba8 SEBort au8 bem 
BRunbe, at8 er in ber Delegation ben ©aget auf ben Kopf traf: 
„@egen welche ©efapren foB benn ber Dreitaiferbunb ben euro: 
päijcpen Stieben fdjüpen? SEBopin i<p aucp blide, i(p fepe ben 
Srieben KuropaS burep nichts bebropt, al8 eben burep bie Drei: 
taiferaßianj felbet!" Um ben Delegationen einen jaden 833m! 
ju geben, baf} fie fiep bocp ja nicpt beifaBen laffen mähten, ipr 
Siedet jur Kontrote ber auswärtigen ©olitit ernftpaft ju nehmen, 
wählte ©raf Btnbraffp gerabe ben BRoment, in bem bie orien: 
talifcpe Stage auftaudjte, jur ooBftänbigen Unterbrüdung beS 
SlotpbucpeS. Kr erteilt feine Btuffcplüffe nie im Plenum, fon« 
bem immer nur in ben beiben SinanjauSfdjüffen, beren BRit« 
glieber burd) fürchterliche Kibe jum ©tißfdpweigen gebunben 
Waren unb bie ftcperlidp ebenfaBS fo gut wie nichts erfuhren, 
weil fonft jebenfaBS 3nbiScretionen in bie 3*itungen gdommen 
wären. 3n biefe gelangte nur ber forgfältigft cenfurirte 5Be= 
rieht bet „SleichSrathScorrefponbenj" en»8 ben KomitbS. 3n 
ben Krblanben nahm man baS mit ber bem beutfehen Kparatter 
eigenthümlichen Slupe hin. Setrieb ©aron Slobich feine flauen: 
freunbtidpe ©olitit al8 Statthalter Dalmatiens gar ju proöo« 
catorifcp unb tarn Knbe 1876 biefer ©untt wieberholt in ben 
BluSfdjüffen unb bem Plenum beS BlbgeorbnetenpaufeS jur Sprache, 
fo wies ber SRinifter beS 3«nem bie Herren mit feinem trodenen 
§umor ab: „So, Slobich ift t t. Sdbjeugmeifterl BReinen @ie, 
bem fann ich nur fo fchlantweg commanbiren?" Die Ungarn 
hätten $errn oon Saffer ohne 3»>eifel fchlagfertig erwiebert: 
„Dann bürfen Kjceßenj feinen Keneral jum Statthalter nehmen!" 
Der SleichSrath begnügte ft<h baS ju benfen unb fchwieg. @o 
tarn es, ba| Saron Slobich über bem Streben eine oerfaffungS: 
freunbliche JlaOifdje Partei in Dalmatien ju organifireu, in 


3ara einen fianbtag. jufammenbrachte, ben bie Slegierung an: 
fangS Sebmar 1877 über &ats unb ffopf nach $«ufe f<hiden 
muhte, weil er bie BRanbate aBer nur halbwegs jminifterieBen 
©laoen wie SjubiffaS ohne SSBeitereS caffirte, bie beutfehe unb 
italienifche Sprache in ben Schulen abfdhaffte unb fich jur So: 
tirung oon Slbreffen rüftete, welche einen StaatSftreidj forberten, 
um Dalmatien aus bem ciSleithanifdjen Serbanbe ju reihen unb 
an Kroatien ju annectiren. Die ©laoen tonnten alfo jufrieben 
fein, bah bie Slegierung BRagparen unb Deutfdje reben lieh, 
mähtenb fie ihnen ju S33ißen war: baS ift bie höhere Kinljeit, 
bie über bem bualiftif^en Stegimente fchwebte unb beffen Heine 
©<hWanfungen auSglättete. 

Biber bie BRagparen finb noch nicht fo ftarf oon beS ®e= 
bantenS Släffe angefräntelt, ober, Wenn baS fchöner tlingt, noch 
nicht fo „ftaatSmännifdh" burchgebitbet, bah ber Scheinconfti: 
tutionaliSmuS in Ungarn nicht feine beftimmten, enger als anberSWo 
gejogenen ®renjen hätte. Den SleichStag reben laffen uub -baS 
®egentheil thun, baS ift nun einmal ein Spiel, ju bem bie 
Ungarn fich abfolut nicht hieben: entweber man befeitigt ben 
Sanbtag unb regiert autoritatio; ober man richtet fich auch na <h 
ihm — ein Drittes gibt es ba nicht. So griff benn DiSja m 
ber S23ojmobina unb ©übungam gegen bie ferbifepen Karbonari 
ber Dmlabina hoch ganj anberS burd): ber Sefer erinnert fid) 
wohl, wie ber ungarifdje Premier im ^oepfommer ben Blbge: 
orbneten oon SReufap, ©oetojar BRiletic, einjiehen unb ohne Stüd: 
ficht auf beffen Deputirtenimuranität, mitfammt feinen Kumpanen, 
um £>od)öerrath proceffiren lieh; Wie er ben „®eneral" ©tra: 
timirooic in $aft nahm. SSurj, in Kroatien unb ber ehemaligen 
BRititärgrenje oerfcpwanb bie Autorität beS in Blgram comman: 
birenben 1.1. SelbjeugmetfterS BRoBinarp ebenfo oot berfenigen 
beS BRinifterS ZiSja, wie fiep umgefeprt in Dalmatien bie Autorität 
SafferS oor jener beS ®enerals Slobicp effacirte. Den ruffifepen 
Kombattanten, bie unter ber Sirma beS Slotpen fiteujeS leben: 
bigeS unb tobteS Kriegsmaterial aBer Stet nadh Serbien fcplepp: 
ten — waprfcpeinlich um ben Dürfen burd} btefen infamen 
BRifjbrauch ber ©pmbole beS KpriftenthnmS unb ber ^unfaiti» 
tät einen ©egriff oon ber ©egeifierung ber „@iaurS" beijn: 
bringen, bie für biefe beiben ©egriffe ju Selbe jiepen — oet« 
leibete es DiSja, ben SEBeg naep ©elgrab über ©eft jn nepmen, 
inbem er ein Slubel folcper Dffijiete, bie fiep noch baju 
auf ber ©trahe ungebührlich betragen, polijeilidp fefhtepmen 
lieh. SIBerbingS muhte er auf ©pecialbefepl aus SBien bie 
Herren gleich toieber freigeben. Slatürlicp oergajj man ipm 
ben ©organg in jenen Siegionen, wo man nun einmal baS 
8E8etter ber auswärtigen ©otitif oöflig unbeirrt burep aßen 
©arlamentariSmuS maepen wiB, ebenfo wenig Wie feine, fdjon 
Knbe 1875 im SleicpStage getpane Bleuherung: fo lange er an 
ber ©pipe ber ungarifdpen Slegierung ftepe, werbe lein öftreidjifeper 
©olbat auf türtifcpeS ®ebiet oorrüden, opne bah Ungarn feine 
3uftimmung Ootper baju gegeben. Um Knbe aber muhte man 
im SleicpStage unb in ber ©eoölterung boep tlar erfennen, bah 
biefe Slobomontabe mepr ein frömmer BBnnfcp war, als ben tpat: 
fäcplichen ©erpältniffen entfpraep. 3« mepr man fiep nun baoon 
überjeugte, befto eifriger muhte DiSja barauf bebaept fein, burep 
Krfolge auf bem ®ebiete ber BluSgleidpSreoifion ferne äugen« 
fcpeintidjje Dpnmacpt auf bem Selbe ber auswärtigen ©olitit 
wett ju madpen. Um fo notpwenbiger aber, befW unmöglicher 
würbe auep ein folcper ©ucceh für ipn. Denn feine Slntäufe, 
bie 3irfd Btnbraffps ju oerwirren, patten bur^ ipre ßäftigteit 
ipn naep oben pin jur persona ingrata gemacht, burep ipre 
Smpotenj naep unten pin feine ©opularüät jufepenbs jerbrödelt. 
Kr war in einen circulus yitioeua geratpen, in bem er fiep 
binnen turjer Stift abnupen unb aufreiben muhte. Das afl: 
gemeine ®efüpl ber Unbepaglicpfeit unb ©erftimmung machte 
fiep in Demonftrationen Suft, wie bie Deputation ber Kjegleber 
ju Koffutp, bie foeben mit officießcm ©epränge unter bem ©ürger« 
meifter unb reformtrten ©farter beS DrteS naep Durin in 
©eene gefept warb. Diefe Kunbgebungen unb Doationen, un* 
glüdlicper 833eife burep 3«faB noep fo redpt unter ben Bingen 
beS KaiferpaateS auSgefüprt, brachten DiSja OoBenbS in 


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Nr. 8. 


1 ie ®*gen»«rt. 


115 


eine fthiefe Pofttion bei $ofe, fo baft er bort nichts mehr 
burdjfefcen tonnte. ©ein oerfpäteteä Einfdjreiten, wie in ben 
gälten beä ©tubentenfadeljugeä unb ber ffoffuthwattfaljrt, jer* 
ftörte bann nur (einen Nintbuä nach unten, oijne bie Antipathie 
in ben oberen Legionen ju beheben, unb erleichterte fo ben Sllt* 
conferoatiben, ben einjig gefährlichen Eegitern, baä Sutriguen* 
fpiel gegen ihn. Tie Tictatur, bie er noch bot anberthalb 
fahren bei ber (Eröffnung beä neuen Neichätageä fo glorreich 
behauptete, berührte fid) gleich einer Äerje, bie man an beiben 
Enben auf Einmal anftedt. Taju tarn baä gallige Temperament 
beä Derbiffenen Neformirten, baä bei ben jefct unbermeibtich ge* 
toorbenen fjcäleleien im Stbgeorbnetenhaufe um berbotene gadel* 
jfige unb ©traftenfeftibitäten — Tinge, bie baä an feinerlei 
Polijeidjicanen gewöhnte magparifche Eernüth fehr ernft 
nimmt — eine immer fdjwärjete Färbung erhielt. Ebenfo blieb 
felbftberftänbtich auf Tiäjaä Pofition Weber baä ÜRifttrauen, baä 
man h°h en Drteä ber Peteftrung beä perfonalunioniftifthen 
©autuä in einen buatiftifdjen (ßautuä entgegenfefcte, noch bie 
Erbitterung bet Ultraä über feine ftaatäredjtlidie „Slpoftafie" 
ohne Einftuft. SBie wenig jahtreidj auch bie öufterfte Sinle war, 
biefer Untftanb berlieh ihren Singriffen einen befonberä giftigen 
Stachel. „Er möge nur nicht ben Unfehlbaren fpielen — rief 
Efanabh Tiäja ju — bie 3nfa(libitität ftehe im falbinifdjen 
Nom (Tebrecjin, ber SBafport Tiäjaä) auf gerabe fo fdiwachen 
fünften wie im ultramontanen." Unb alä er ben Nabicalen 
höpnifth borwarf, fte wüftten ewig nur baäfelbe Sieb abjnwideln, 
baä burch bie SBieberftolung nicht amüfanter werbe, ba fragte 
ihn ©imonpi mit ironifther greunbtichteit: „Sßarum Ejcetlenj benn 
fo arg auf ben armen Seierlaften fcftmähe, an bem ©ie felber 
bod) acht Sahre fo eifrig mitgebreht?" 

©o biet wirb jefct Har fein: eine offene flabenfreunbliche 
Potitit in ber Drientpage war auf bie Tauer mit bem herr* 
fcftenben ©hfteme nicht möglich- Ta ja muftten bem ungarifchen 
Parlamentariämuä bie gtüget berfchnitten, unb in ben Erblanben 
muftte jenem bualiftifchen Negimente ein Siel geftedt werben, baä 
bie Teutfchöftreicher unb SRagparen mit ber Hegemonie be* 
traute. 3ft eä im Nath ber SBeltgefthid)fe befchloffene Sache, 
bie Türlei ihrem Untergange ju überliefern, fo werben Weber 
bie Telegationen, noch bet fßefter Neidjätag, noch gar ber um feiner 
Slrbeitfamleit Willen Ijöchft achtbare, politifch jeboch böHig harnt* 
lofe SBiener Neidjäratt) bem Nabe beä Eefdjideä in bie Speichen 
greifen. Slber efte bann bie SBettgefdjichte über bie #errfthap 
beä 3älam in Europa jur Tageäorbnung übergeht, wirb fte 
auch noch ben (fall beä parlamentarifchen Tualiämuä in Deftreich 
bepegeln. Tenn baä natürliche Regiment für eine berartige 
Eonftetlation ift ein attconferbatibeä SRinifterium Don ber garbe 
©enttpep, SRajtatp, Npponpi iu Peft; ein föberaliftiftheä, cleritats 
feubaleä Eabinet in SSien; am Patlplafce aber Eraf Stnton 
©jöcfen, ber präbepinirte Eanbibat für baä Portefeuille beä 
Stuämärtigen, fobalb einmal auf beiben ©eiten ber Seitha bie 
„Herren" feft im Sattel.fiften. Schon Stnfang 1871, alä Stuft* 
tanb ben pontuäöertrag jerriffen, muftte Peuft ben Erafen 
©jäcfen auf bie Sonboner Eonferenj ftpiden, um benfelben in bie 
biplomatifthen Eefcpäfte einjuweihen. Eleichjeitig warb in SUien 
baä SRinifterium Iwpenwart inftaHirt, unb hätte biefeä ftdj er* 
halten, fo wäre ©jäcfen, nicht Slnbraffp, ber Nachfolger Peuftä 
geworben. Treiben Wir nun bejüglidj ber orientalifdjen grage 
völlig in baä rufftfcpe galjrwaffer, fo bürfte leicht baäfelbe Pire* 
ment, nur in umgelehrter Nidjtung, Don Pep ouä beginnenb, 
fhh bottjiehen. Eä ift perjlich tinbifdft, wenn Pefter Plätter 
tonthfchnaubenb begehren, baä SRinifterium Slueräperg fotte bem 
äRiniperium Tiäja geopfert werben. 28er aber möchte vice 
versa ju beftimmen wagen, wie lange eDentueU baä ciäleithanifche 
Eabinet, ober felbft Eraf Slnbraffp Tiäja auf ben lurutifdjen 
©iften fiberbauem werben? 

@o war eä benn lein fpnchroniftiftheä Ungefähr, fonbern 
eine tiefbegrünbete Pragmatil, wenn bie Äripä, bie Deftreich 
ouä Slulaft ber Drientfrage bebrohte, p<h junädift bei ber Sluä* 
gleichärebipon Sup gemalt hat Ter Enbe 1867 abgefthloffene 
Sluägleich umfaftt Pier Perträge, Don benen jwei nur eine jeit* 


weife Tauer haben. Taä Eefefc über bie ©taotäfdjulben fteht 
für ewig unabänberlidj ba, inbem eä baä Puch ber gemeinfamen 
©taatäfcftnlb fchlieftt, biefelbe auf baä Eonto ber Erblanbe 
fthreibt unb ben 3ahteäbeitrag Ungarnä jur Perjinfung unb 
ämortiprung ein* für allemal feftfe|t. Taä Eefeft über bie 
Pehanblung ber gemeinfamen Slngelegenfteiten burch bie Tele* 
gationen lann natürlich nur unter Einwilligung ber ftrone unb 
burch gleidjtautenbe ©efthlüfte beiber Parlamente mobipcirt 
werben. Slnberä fteht eä um baä Duotengefeh unb ben S»H* 
unb $anbeläoerirag, bie beibe nur biä Enbe 1877 gelten. Sin 
ber Duote birect ju rütteln pel Ungarn nun nicht ein: foQ wer 
50 Procent ber Siechte in Eefammtftaatäbingen beanfprndit, noch 
weniger alä 30 Procent ber gemeinfamen Saften tragen Wollen? 
Est modus in rebus, sunt certi denique fines, bie felbft bie 
fprichwörtliche magparifche Sefcheibenheit refpectiren muft! Slber 
nach emer anbeten Nietung glaubte Tiäja auf Umwegen einen 
fehr reellen pecuniären Erfolg einheimfen unb feinen Sanbä* 
ieuten ein paar SRiüionen jährlich erfparen ju tönnen, woburdp 
er feine Popularität aufjufrifdjen unb pch Slbfolution für fo 
mancheä unerfüllt gebliebene (Besprechen bei feinen parteigenoften 
ju erlaufen meinte. Er behauptete, baft Ungarn burch bie Hrt 
wie bie Perjehrungäfteuem jur Perrechnung gelangten, groft* 
artig überoortheilt worben fei, weil in ber weitauä gröfteren 
SRehrjaht ber gäHe ber ungarifthe Eonfument bie Slccife in 
tefeter Snftanj jahle, bie hoch Don ben erbtänbifthen probucenten 
ju EHnpen ber ciäteithanif^en ffinanjen eincaffirt werbe. Ent* 
webet müfte man atfo bie inbirecten Steuern, gleich ben Soß ; 
einnahmen, borweg Don ben Eefammtftaatä*Sluägaben abfcptagen, 
waä einer SRehrbelaftung ber Erblanbe Don 7 biä 9 ÜRiDionen 
jährlich entfprochen hätte; ober eä follten ©teuerreftitutionen 
ftattftnben, bie immerhin Eiäleithanien auch e * n ^aar weitere 
SRiHionen auftaben Würben. Taä SRinifterium Slueräperg be* 
ftritt nicht baä Thatfächlicfte ber ungarifchen Stngaben, wieä aber 
nach, baft bie Tinge bei bem 67er Sluägleiche leineäwegä über* 
feften würben, fonbern baft eben mit fRüdpcftt barauf bie 
ungarifcfte Duote fo überauä niebrig mit 30 Procent bemeffen 
war. Ta bot benn ein präcfttigeä Sluälunpämittel bie proftibi* 
tioniftifd^e Pewegung in gabrilantenlreifen, bie fich beä Neicftä* 
ratftä bemächtigt unb baä Slbgeorbnetenftauä immer mehr ju 
einer präpotenten Pourgoipeclique umgeftaltet, wie pe nur je 
baä Suliiönigthum auägebrütet. Ungarn alä Slgriculturtanb, 
baä nach guten Ernten SRanufalte aöer Slrt maffenweife con* 
furnirt, ift natürli^ freihänblerifth, nicht ber Toctrin ju Siebe, 
fonbern lebiglich auä Egoiämuä. Fimmel unb Erbe fefcte eä in 
Pewegung, biä eä bie in bem SRothftanbjahre 1874 ptobiforifdj 
aufgehobenen Einführjötle für Eetreibe wieberhergefteHt hatte, 
unb 1875 fchwebte bie $anbetäconbention mit ^Rumänien lange 
SRonate in ber Sup, ehe Ungarn fich entfdjloft, ben peien 
Import beä molbowalachifcheu Eetreibeä jujugeben. Eä 
war bemnod) auch e « n ganj lluger Streich Tiäjaä, ben 
Sott* unb $anbetäDertrag fcfton für Neujahr 1877 ju Hin* 
bigen, um bei ben SluägleidjäDerftanblungen ben Neidjä* 
rath butch ben Trud ber Trolptng: „Wir entjiehen Euch Euer 
bepeä Slbfaftgebiet" in einer Swangälage ju erhalten. Eä war 
bafter nicht attjufhwer, auf biefem Terrain bie Söfung ju 
pnben nach bem attbelannten ,/quioquid peccavere reges, plec- 
tnntur Aehivi!“ Tiäja willigte in bie fünbigung ber peihänb* 
lerifchen SottDerträge unb in bie Sluäarbeitnng eineä hochprot'ectio* 
nipifd^en allgemeinen Tarifeä, wofür bie PeSaffungäpartei in 
Sachen ber ©teuerrepitution ein Einfeljen haben unb ihre urfprüng* 
liehe Sofung: „nicht um Einen ftreujer mehr barf ben Erblanben 
an Saften aufgebürbet werben" fallen taffen Wollte. Tiäja lieferte 
bie confumirenbe ungarifthe PeDötlerung ben reichäräthlichen 
gabritanten anä; unb bie Eroftinbuftrietten beä Slbgeorbneten* 
haufeä luben, um einen Sieg ber Pefter Negierung ju ittuftriren, 
ben Stämmen Eiäleithanienä ein paar SRittionen mehr für bie 
gemeinfamen Slngetegenfteiten in 3orm Don ©teuerreftitutionen 
auf ben Nüden. 

Ta erhob fich e ‘ n neuer Sturm Don einer anbern ©eite 
her, in ber Paulfrage, ber baä h« n * unb hergeworfene ©dj# 


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116 


lit ©rgrnwnrt 


Nr. 8. 


(ein jurn ©Reitern beamte. (Rad) JiSjaS ffirflärungen int (Reichs; 

tage ift fegt tion bem ©erlaufe bet jjataftropge bet Soleier fo HU JJrocefftOUSrttltpf. 

weit gehoben, bafj fug berfelbe in ßapibar jügen öollfommen autgen; 

tifdj barfteüen läftt. (Die ®rricf)tung einet fclbftftänbigen uttga; „Ueberjeugt unb im Sewufttfein, baft UttramontaniSmuS 

rij^en Sani öor SBiebergerftetlung bet ^wrtgelbcirculation net« nichts anbereS ift unb fein fann, als bie neuerbhtgS igreS 
weigerte bet URonard) unbebingt. (Die ©rettjen, innerhalb beren SigentgumS beraubte, in ihrem ffijiftenjrecgt angefochtene unb 
fid), traft allerhöchfter ©ntfcgeibung, bie ßluägleic^öreöifion ju in ihren (ßrincipien oerleumbete unb verfolgte tatgotifcge 
öolljiegen hatte, Waren burch bie ffiingeit beS BoQgebieted unb Äircge: 

ber SBägrung gegeben: für ungarifdje (Roten (Äoffutgnoten, fagt „proteftiren wir gegen baS oermeffene Huftreten beS 

ber Deftreidjer) ben QwangScurS in ben ©rblanben ju erwirfen, £>erm Renting, ber im ©taat ber (Rieberlanbe eine neue 

baS wäre mit wie ohne (ReidjSratg ein (Ding ber Unmögücgfeit. (macht proclamirte, eine (Wacht, bie ei barauf antegt, bie 

JaS würbe in bie Seihe jener ©jperimente gehören, wie fie freie ©giften) freier (Bürger ju untergraben, welche jum 

SEBeift t>on Starlenfels, ber ^»inctelbep SBienS, öor einem Siertel; ©egorfam gegen bie ©efege ihred ßanbeS, mit bem 

jahrhunbert unternahm, als er baS SEtgio burch ©ntfenbung einer «Sorbehalt ihres ©ewiffenS, jum ©egorfam gegen 
©ompagnie ©renabiere an bie Sörfe abfdjaffen wollte. So blieb bie Dbrigfeit, aber nicht jur fflaoifdgen Unter* 

benn nur bie Serftänbigung auf bem ©oben ber Sanleinheit, werfung unter eine artet, welche fie auch fein 

wobei es ganj gleichgültig war, ob ber brüte Kontrahent bie möge, bereit finb, 

beftehenbe (Rationalbanl, ober ein anbereS, neu ju grünbenbeS „proteftiren wir gegen baS Huftreten biefeS ÜJlanneS, 

Snftitut war. $ier aber bot fich lein ©ompenfationSobject, wie ber eines ber hochgeachteten (Dtüglieber unfereS Fürften* 

bei ben Serhanblungen über ben 3oD- unb $anbe(Stertrag. (Die gaufeS i u w ^ßartetgenoffen in biefem ©treü oon Sürgeru 

Ungarn wollten nicht begreifen, baft fich bie wirthfchafttiche Rarität gegen (Bürger machen, ber mit fchmeicgelnbem unb geheucheltem 

nicht fo becretiren laffe, wie bie politifdje; unb bie ©rblanbe ©ntgufiaSmuS in bem ®ruber beS gelben oon UuatrebraS, 

hatten mit ber BwangSlage oon 1867, bie ihnen bie legiere Raffelt unb ßöwen ben $einb eines JgeileS beS SotfeS 

aufhalfte, gerabe genug trübfelige ©rfahrungen gemacht, um aus begrüben wollte, baS fein SBruber ftetS $janj geliebt gat; 

bem neuen Sanlftatute auch bie leifefte Spur ju entfernen, bie „proteftiren wir gegen ben nieberlänbifchen Hbgeorbneien, 

ben dRagparen nur ben Schein eines SlnfprucgeS auf national' ber einem' gremben gulbigte, inbem er bie ßofung jum 

öfonomifche ©leidjberedftignng, ohne jegliche ©erüdficgtigung ihrer (Bürgerlrieg auSgab unb ein ruhiges, ehrliches unb freies 

Kräfte unb Seiftungen, geben lonnte. So merjte baS SDtinifte; Seben aufopferte, um fiel) ben (Beifall beS geborenen 

xium HuerSperg, nach ben beutlichen SBinfen, bie ihm bie SertreterS einer nicht nieberlänbifchen (Wacht ju 

SerfaffungSpartei in biefer Sejiehung im (Roöember ertheilt, aus erwerben, 

bem 2Rai=entwürfe ber Sanfftatuten bie (Rotencontingentirung „proteftiren wir enbtich unb nacgbrüdlicg gegen ben 

aus: Ungarn muffte fich mit einer Setmehrung unb reicheren Frentbling, ber bie ©aftfreunbfc&aft (RieberlanbS 

HuSftattung feiner Siliaten begnügen, beren ftatutenmäftige geniest unb auf beffen freiem Soben eS gewagt 

(Dotation bie (Direction fdjon lange oon 35 factifdj auf 48 (Will. gat, (ßrittcipien unb Seftrebungen laut ju billigen, 

freiwillig erhöht 'hat, unb jegt mit 50 (Will. feftfegen will, wäg; welche einen Jgeit beS nieberlänbifchen SolleS in 

tenb JiSja 60 oerlangte. (Die ©entratteitung in (Bien würbe feinem Snnerften beleibigen müfftn unb uns (eine 

mit einer fo weitgegenben ©ompetenj auSgeftattet, baft fte nicht 3 u ^ un ft prophejeien, bie bem heutigen 3 u ftanbe 

mehr btoS, ben beiben Sänberbirectionen gegenüber, ein Schatten; feines ungtüdlicgett SaterlanbeS gleicht." 

bitb gewefen wäre: ber (Dualismus war, wenn nicht auSgerottet, 333er fo fprad), baS war bie „Jpb", baS ultramontane 

fo boch arg befdjnitten, ein gut Stüd ©inheit blieb gewahrt. ^auptorgan $oÜanbS, hinfichtlich beffen ich eine frühere Se= 

SBenn XiSja nun gleich noch einjelne Attribute oerwarf, bie baS tnerfung in ber „©egenwart" bagin rectiftciren muft, bah ber 

erblänbifcge SRinifterium bet ©entratteüung juweifen wollte, hat anftänbige Jon, ber bantalS baS Slatt begerrfchte, heute ooQ; 

er boch felber als ben eigentlichen Stein beS HnftofceS bie Se; ftänbig oerfegwunben ift, um bem 2JiarfthaEen= unb ©trahen- 

ftreitung ber (Parität bezeichnet — allerbingS einer gorberung, ton feiner ehrwürbigen SoUegen ju gleichen, 
bie eben nur bie burdf ihre beftänbigen Jriumpfje öerwöhnten ©nbe Sult 1876 feierte (Brinj griebrich ber (Rieberlanbe, 

SRagtjaren erheben lönnen, ba bie legte ßifte ber ©anlactionäre, ber Sruber „beS gelben oon DuatreoraS", fein fechjigjährigeS 

genau gejäglt, oier ungarifege Slawen aufwies. (Die (Rationalbanl Jubiläum als ©rofemeifter ber nieberlänbifchen Freimaurer, 

oerlangt primo loco ooüftänbige gemgaltung beS nationalen welcfier geftticgleit auch ber bamatS in ©cheoeningen weilenbe 

§aber 8 oon einer grage, wo berfelbe abfolut nichts ju fuegen beutfehe Äronprinj beiwohnte, wobei er in einer lurjen, 

gat — alfo freie SBagl aller HRitglieber beS ©entralauSfcguffeS fräftigen, mit allgemeinem SeifaQSfturm aufgenommenen SRebe 

burch bie ©eneraloerfammlung; aecundo loco: es müffen fünf feine ooüftänbige Uebereinftimmung mit ben (ßrincipien ber 

Ungarn unb neun Oeftreicger fein. JiSja beftanb minbeftenS Freimaurerei barlegte unb ben legtern ben enblicgen ©ieg 

auf bem Schein ber (ßarüät: eS müffen je fünf Deftreicger wünfdjte. (Der Hbgeorbnete fienting, ©rohrebner, gatte bie 

unb Ungarn fein; bie anberen oier wählt bie ©eneraloerfamm; Sebeutung unb ©teüung ber Freimaurerei im jegigen Kampfe 

lung nach Selieben. in längerer Siebe gefcgilbert 

(DaS ift, wenn man wiü, baS ©taS SBaffer, baS eine tief; gm Sagt 1869 gatte in Hmfterbam eine Äatgolilen; 

greifenbe förifis in bem StaatSleben DeftreidpUngarnS jum HuS; oerfammlung getagt, in welcher SrouwerS, ein tonfurirter 

bruef) gebraut gat. ffiie fieg tiefwurjelnbe SRotibe ber inneren ^answurft, ben Hgogerrn beS oon feinen ©eftnnungSgenoffen 

unb äuheren ©olitif ;u biefer (Peripetie in ftrengem ©aufalneps fo goeg oeregrten gelben oon DuatrebaS, ben groben ©^weiper 

mit (Ratumotgwenbigfeit jugefpigt, gaben wir gejeigt. ©rfolgt unb mit igm ben ganjen UnahgängigfeitSlampf gegen ©panten 

niegt boeg «och in ber jwölften Stunbe eine Serftänbigung, fo auf eegt ultramontane 333eife befpraeg, b. g. aus bem reich 0 e = 

wirb ein Umfcgwung eintreten, ber nach nüen Seiten gin oon prin; füllten Hrfenat ultramontaner ÄraftauSbrüde befegimpfte. Si 

cipieüer Sebeutung fein muh- 3a, wenn eS geiftt, berfelbe Werbe duo faciunt idem, non est idem. 

aueg eine neue SBenbung nach auften inauguriten im Sinne 3cg gäbe abficgtlicg obige SSorte ber „Jgb" angeführt, 

einer Hction, ju ber Jisja niemals bie $anb geboten hätte: eineStgeilS, weil eS bei ber ultramontanen (jkeffe naeggerabe 

wer fann (Rein! baju fagen? jur fi{en 3bee geworben ift, bie Hnwefenbeü beS beutfegen 

lüaiter Hogg». Ätonprütjen in ßoüanb jum HuSgangSpunlt eines bureg fein 

_ Setreiben gauptfätglich in ©eene gefegten ©utturlampfeS ju 

madgen, anbemtgeils, weit bie fotgenben Jgatfacgen bie treffenbfte 
güuftration ju bem ©ewiffenSoorbegatte geben, unter welchem 


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Nr. 8. 


®t t ©egenmart. 


117 


biefe „freien" ©ärger jum ©egorfam qegeit bie ©efege 
bereit finb. 

©etanntlidg ift bie ©eoötferung ber ©rooinj ßimburg faft 
burcgauS latgotifcg, wogegen bie proteftantifdje eine oerfcgwin* 
benbe SRinorität bitbet; bie frühere ©arität in ©efegung von 
©eamtenfteBen ift in fjotge beS ©efcgreieS, baS jebeSmal bie 
©rnennung eines proteftantifdgen ©earaten accompagnirte, faft 
ooBftänbig oerfdjwunben, was freilich nicgt oerginbem tonnte, 
bag bie gogen Stifter» unb ©erwattungSfteBen mit ©roteftanten 
befegt ftnb, ba oaS »on ßöwen unb anberen betgifcgen Uni* 
oerfitäten gelieferte ©eamtenmateriat jwar äugerft feft im 
©tauben, aber arm am ©eift unb an Äenntniffen ju fein 
fcgeint. lugerbem f»at ßimburg uocg bie fpecififdge ©igenfcgaft, 
bag bie fogenannten gebitbeten ©tänbe bie ©Surjet igreS ©eins 
unb güglenS in franjöfifdgem ©Sefen fucgen; fie finb gran* 
quiflonS zweiter ©taffe, wägrenb ber erfte Stang befanntlicg 
ben betgifcgen ©Saflonen gebührt. Säger fann es aucg nidgt 
überragen, bag baS cteritate Jfjwuptorgan, ber „Courier de la 
Meuse“ in franjöfifdger Sprache erfdgeint. ©Senn mir fcglieg* 
lieg nocg bemerfen, bag ber bortige ÄatgoticiSmuS ein in ber 
©Solle gefärbter UltramontaniSmuS ift unb bag bie ©bgeorb* 
neten biefer ©rooinj bie gtaubenStreueften ©ögne finb, welcge 
ftdj bie föitdje nur wünfcgen tann, beren partamentarifcge 
Sgätigleit für baS goBänbifcge politifdge ©Sigblatt, ben „Uiten* 
fpiegel", eine unerfdjöpflidge gunbgrube bitbet, fo gaben wir 
baS Sßertwürbigfte über ßimburg namgaft gemacgt. 

Ser ©obe Stapoleon, bas geute nocg gettenbe goBänbifcge 
©efegbucg, oerbietet betanntticg an ben aucg oon fatgotifen 
bewognten ©lägen bie öffentlicge, b. g. augergatb ber fircg* 
liegen ©ebättbe ftattfinbenbe Ausübung beS ©uttus. Ser 
Statur ber ©adje nacg wirb biefe ©eftimmuna in bem oon 
einer proteftantifdgen SWegrgeit bewognten Storben ftrenge ge* 
ganbgabt, wägrenb in Storbbrabant unb ßimburg oerfcgiebene 
burdg f)ertommen tegatifirte SRobificationen biefer ©eftimmungen 
beftegen. ©ei bet reoibirten ©erfaffung würben benn aucg 
fät ■ßimtarg aBe biejenigen ©roceffionen ats gefeglicg juge* 
taffen, welcge im Sugenblicfe ber ju ©tanbe gefommenen 
ffteoifion attgergebracgte, b. g. feit SKenfcgengebenlen ilbtidg 
waren. 

©S tagt ficg benten, bag, feit eS in granfreicg junt guten 
Son gegärt, feinen ftatgoliciSmuS bei jeher ©etegengeit taut 
$u bocumentiren unb nodg megr, feitbem ©iSmarcf bie §eg= 
jagb auf baS ©djwarjwilb eröffnet gat, aucg in ßimburg ber 
fRüdtfcglag fügtbar würbe, teilte ©Socge oerging, ogne bag 
bie uttramontanen Organe mit ©enugtguung bie Stbgattung 
einer ©roceffion conftatiren fonnten, wobei man ßimburger 
unb Seutfcge friebticg neben einanber eingergegen fag. Sie 
©egörben gingen aber oon ber Änficgt aus, bag oerfcgiebene 
biefer ©roceffionen nidgt ju ben legaten unb attgergebradgten 
gegärten unb leiteten beSgalb gegen bie Untemegmer berfetben, 
o. g. gegen bie an ber ©pige ehigerjiegenben ©riefter, eine 
Unterfucgung ein. ©Selcgen Zeitigen au ©gren bie ©efegeS* 
Übertretung ftattfanb, ift mir nicgt genau befannt; wenn icg 
niigt irre, befinbet ficg unter ignen audg ber g. 3ofepg, gin- 
ficgtticg beffen icg gier bemerfe, bag er gier ausfcgtiegtidg ats 
Stägroater ©grifti unb ©atron ber fördje unb nicgt aucg, wie 
in Stalieit, ats ©cguggeitiger ber ^agnreis oeregrt wirb. 
UebrigeitS liegen ficg bie SSaBfagrer bitrcg baS ©infdgreiten 
ber SRarrecgauffeS nidgt im ©eringften irre madgen; benn fie 
wugten, bag fie im gaBe ber ©erurtgeitung nur bie ©roceg* 
foften ju tragen gatten, bie bann ber ober bie eine ober anbere 
grornme bereitwiBigft bejaglte. UebrigenS fegtte eS babei 
aucg nicgt an brutaten Auftritten unb wenn biefelben audg 
nicgt ben brogenben unb tgättidgen ©garafter annagmen, wie 
fie SDtorig ©ufdg in feiner frommen |>etena oerewigt gat, fo 
waren fte immergin auffaBenb genug, ©o gatte ficg j. S. 
eine beutfcge ©roceffion aus ©upen fingenb unb betenb auf 
goBänbifcgeS ©ebiet begeben unb als ber ©idgergeitsbeamte 
ben biefetbe commanbirenben ©riefter im -Kamen beS ©efegeS 
aufforberte, bie ©roceffion aufjulöfen, ba jog berfetbe fein 


priefterticgeS ©ewanb ab, legte eS auf bie ©cgultern, gob aber 
baS ßrucifij in bie §öge unb gab feiner beerbe baS geidgen, 
uocg tauter, als oorger, ju fingen unb ju beten. 

Sag bie uttramontanen Journale auf bas ©infcgreiten 
ber Obricjfeit gin ein gewaltiges ßetergefcgrei ergoben, tägt 
ficg begreifen, unb wenn eS babei geblieben wäre, wenn man 
nur bie belannten Seremiaben über ©ewiffenSiWang unb ßircgen= 
oerfolgung gegärt gälte, fo braucgte man bteS nicgt befonberS 
namgaft ju madgen. Allein man glaubte ungeftraft weiter 
gegen ju lönnen. 

Slacgbem fidg ber „Courier de la Meuse" über ben fii-- 
beratiSmuS unb bie burcg ign geraufbefdgworene Äirdgenoer= 
fotgung fatt geftucgt, tifcgte er feinen ßefern bie Stacgricgt auf, 
einige timburgifdge Stbgeorbnete gätten ficg jum Suftijntinifter 
begeben, um Äloge über baS eigenmächtige ©orgegen beS 
(proteftantifcgen) ©eneralprocuratorS ju ergeben, ber ben ©e= 
fegt jum ©infcgreiten gegeben gäbe. „Stur bie Stbfegung beS= 
fetben", rief baS ©tatt aus, „ift eine wütbige ©träfe; wir 
woBen wiffen, ob wir in einem freien ßanbe leben ober ob es 
untergebenen ©eamten freiftegt, uns, fiatbotifen, ats ßetoten 
unb ©ariaS ju beganbetn." ©inige Sage fpäter tgat aber ber 
„©ouriet" fcgon ©Soffer in ben feurigen ©Sein unb bericgtete, 
bag ber ©eneratprocurator oor ben 3uftijminifter citirt worben 
fei unb oon biefem einen Ütiffel ergalten gäbe, „ben er fidger= 
lieg nicgt weiter erjägten werbe". ©Jägrenb bie liberalen 
©tätter in ©efdgeibengeit an bem fo bargefteBten ©acgoergalte 
jweifetten, gielten bie dermalen Organe mit egerner ©time 
igre ©egauptungen aufre^t, ja fie wugten biefetbe erft redgt 
in offieiöfe gatten ju legen unb fafelten oon einer ©ubienj, 
welcge bie ßimburger ©bgeorbneten beim SJtinifter beS 3nnern' 
gegabt gätten unb oon ber fie ooBftänbig befriebigt nadg $aufe 
gegangen Wären. 

©Bein ber ginfenbe ©ote foBte halb naegfommen. 

3 n ber jweiten Äammer tarn bie ©adge natürlicg jur 
©pradge unb ba jeigte es fidg benn wieber einmal redgt beut 
lieg, wie genau man es bei ben frommen Herren mit ber ©Sagt-- 
geit nimmt 3n einer ©ommiffionSfigung erflärte ber 3uftij= 
minifter wörtlicg: 

,,©r wiffe niÄtS baoon, bag in ber legten geit burcg 
bie ©otijei öffentlicge gottesbienftlicge §anblungen augergatb 
ber Äirdgengebäube oerboteu worben feien, welcge als gefeg= 
liege anerlannt feien. Ser ©mnb für bie ©Meinung, bag bieS 
bodg gefdgegen fei, mug gierin gefudgt werben, bag manege 
©roceffionen ganj gmnbloS als gefegtiege betrachtet würben. 
Sagegen ift eS ooBftänbig richtig. bag gegen bie ©eranftalter 
ungefegtieger ©roceffionen in ßimburg gerichtlich eingefegritten 
würbe, unb jwar gefegag bieS ganj in Uebereinftimmung mit 
ben oon igm, bem Suftijminifter, ben bafür juftänbigen ©e= 
amten gegebenen 3nftructionen." 

©S tft eine eigentgümlidge 3ronie beS ©cgidfals, bag es 
gerabe ein clericater ©bgeorbneter fein mugte, ber in ben legten 
©Socgen einen ©efegentwurf über baS Droit de reponse auf 
bem Sifcge beS §aufeS nieberlegte, nadg wetdgem in ßutunft 
3eber, beffen Stame in einer 3 et üm0 genannt wirb, baS Stedgt 
gat, in berfelben 3 e i tttn 0 f'tg i u oertgeibigen. Siefer Abge= 
orbnete wirb babureg, ogne eS ju woBen unb ju wiffen, ber 
liberalen ©artei eine fegr gefägrticge ©Saffe gegen feine eigenen 
©efinnungSgenoffen in bie $anb brüdten. Sa nämlidb ber 
gläubigen beerbe oon igren ßirten nur bie ßectüre gut tatgo= 
lifdger ©tätter mit ©uSfcglug aBer anberen erlaubt ift unb 
legiere, wie in aBer Herren ßänbern, fo audg gier fegr oft 
baS perfönlicge ©ebiet, ba facglidge ©rünbe nur ju oft fegten, 
ju ihrer OperationSbafiS ju wäglen pflegt, fo Würben igre 
ßefer in 3ufunft benn boeg über manege Singe reinen ©Sein 
eingefegentt ergalten, über welcge bie ©eifttidgfeit am tiebften 
einen unburegbringbaren ©egteier legt, ©o fegwört gewig geute 
noeg jeber ©auer in ßimburg barauf, bag ber ©eneralprocu* 
rator einen berben ©erweis ergalten gäbe, ba fidg ber „©ourier" 
natürlicg wogl güten wirb, feine eigenen ©egauptungen frei* 
wiflig ßügen ju ftrafen; benn bag in biefem gaüe bie lim* 


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118 


Ute (Segetmntrt. 


Nr. 8. 


burgiften Abgeorbneten einem natürlichen StnftanbSgefü^t fot= 
genb felbft ihre ministerielle Aubtenj unb baS, maS bei ber= 
felben Derhanbelt fein foßte, als rein erfunben öffentlich beS= 
anouirten, mar bei bem jeben SBiberftanbSberfuh non born= 
herein unmöglich machenben geglichen XertoriSmuS nicht ju 
ermarten. ®em ferner beleibigten hochgefteßten ^Beamten merben 
hoffentlich bie Berichte bie gerechte ©atisfaction »erfchaffen. 

®urch bie eben gefttfberten SSorfäQe ift bie fßroceffion 8 = 
muth erft recht ausgebrochen unb ber „ Sourier" forberte bie 
©laubigen gerabeju auf, bie fßroceffionen bon jefet an häufiger 
unb glänjenber als je ju hotten. ®afj biefem Aufruf oon Der 
SBeuötlerung nadmefommen merben mirb, baran ift bei bem 
©laubenSeifer biefer „freien SBütger" nicht ju jmeifeln. 

Unb bie Autorität bes Staates? SBirb biefer eS auch 
fernerhin julaffen, bah We ® e fefee öffentlich berljöhnt unb oer= 
fpottet merben unb bah ein ®h e *l feiner Untertanen einem 
fremben ©ebieter gehöret? SSBenn man bie clericalen SBlätter 
hört, bann ift aßerbingS bie ßir^enoerfolgung fchon in 
fchönftem ©ange, hot ja bie liberale Sßreffe bie Sermeffenheit, 
oon Seit ju $eit flotiftifche Natmeife über baS Äloftermefen 
unb baS Äirchengut ju geben unb fotl man fich fogar bei 
einem ber ÜÄinifterien mit ber Anfertigung einer Statiftit bes 
SeftfceS in ber tobten fjanb bef heftigen! Stimmt man baju 
noch t>en erbitterten Xon gegen baS jefcige SOtinifterium, Don 
bem bie ©lericalen fo Diel ermartet hoben unb baS ju ihrem 
Aerger mehr unb mehr in liberales gahrwaffer gerätb, bann 
märe man ju ber Hoffnung berechtigt, bah ««blich einmal baS 
ernfthafte Vornehmen beftänbe, tijatfächlih ju bemeifen, bah 
für alle Untertanen, auch bie latholifdjen, bie StaatSgefefce 
»unb nicht ber StyUabuS oerpftic^tenb finb; allein bamit hot eS 
noch flute SBege. 93ei ber jejjtgen Sachlage muh man ju= 
frieben fein, menn bie befteljenben ©efefce gegen roiberfpenfttge 
Untertanen in ihrer boflen Strenge unb Schärfe angemenbet 
merben. 

Xelft, 3<muar 1877. (Etjcobor Ebenselburgtr. 


olifetatur unb £uuft. 

Die molken. 

Son Alejanber $et6fi. 

9(uS bem Ungarifchen überfe|t oon fmtrid} 3fe(t. 

SBenit ich ein Sogei märe, flöge 
St jmifchen SBollen nur einher, 

Unb gar nichts Anb’reS möd^t’ ich malen, 
AIS SBollen, menn ich ®tater mär’. 

0, mie ich biefe SBollen liebe! 

St grüfje jebe, nalj’t fie mir, 

Unb menn fie mieber meiter manbert, 

Stuf’ it iß 8 «: „®ott fei mit bir!" 

3t h°b’ bie bunten $immetSpitger 
3 u lieben greunben mir gemacht; 

Sie lennen mich ft°« gut, unb miffen 
Sietleicht auch baS, maS ich gebacht. 

SBie oft fah ich fie. menn ein teifer 
Unb füher Schlummer fie umfing, 

Unb jebe an bes Rimmels Srüften, 

SBie ein unfdjutbig S'inbtein hing. 

St ftoute fie, menn mie ergrimmte 
Unb milbe SDtänner fie genah’t, 

Auf lob unb Beben ju beläntpfen 
Xtjrannen Sturm auf feinem ißfab. 


St fah fie» menn ber Iranfe Süngting, 
$er SMonbftein matte in ber £>öh\ 
Unb fie, mie treue Stmeftern, meitten 
SD?it bleiter Stirn in feiner Näh’. 

St ftaute fie bei jebem SBetfet, 

®er fie betraf, an jebem Ort; 

®ot mann unb mie it fie aut ftaute, 
©efielen fie mir immerfort. 

SBarum fühl* it utit angejogen? 

SBeil fie mein ©eift als Srüber grüht, 
®er immer neu, unb neu geftattet, 

Unb immer bot berfelbe ift. 

9Jtag fein, bah mir bie SBollen gleiten, 
Sn ©inent not» maS it befifc’: 

SBie meine eig’nen Augen haben 
Aut f* e bie Xßäne unb ben Stifc. 


DcncbtM Jpttto^a. 

$oßanb begeht in biefen Sagen bie feiertite ®runbfteiu= 
tegung jum Spinojabenfntal, für metteS bie ©elbmittet in ber 
ganjen gebilbeten SBett gefammett morben. ®em aOgemeiuen 
Sraut entgegen, ber baS Säculargebättnih bebeutenber ißerföntit* 
leiten gern an ben Xag ihrer ©eburt Inilpft, fällt biefe geier 
auf ben jmeihunbertjährigen XobeStag SpinojaS. ®S ift bieS 
ein rein äuhertiter Umftanb ohne Setang. ®enn nitt meit 
jmei Sahrhunbertc über SpinojaS §infteiben Derftriten, mirb 
ihm baS Stanbbitb im £aag errittet, fonbern toeil fein Au« 
benlen in unferem 3eitbemuhtfein lebenbig ift. Seine Sebeutung 
für baSfetbe erhielt er aber burt bie SBiebergeburt, bie feinem 
SBirlen genau Dor einem Saßhunbert ju X^eit loarb. SiS 
bahin mürbe, mie Seffing in feiner belannten Unterrebung 
mit Sacobi äuhert, Don Spinoja „mie Don einem tobten $unbe 
gerebet". ©S mar biefen beiben ©enannten, jufammen mit 
gerbet unb ©oethe, borbehatten, bem berbienftboßen SBirlen 
eines ber grüßen unter ben Xenfern bie SBürbigung ju Der- 
ftaffen, bie ihm rnäßenb feinen Sebjeiten, eine Heine Staat 
obfeurer unb unbebeutenber Anhänger abgeretnet, unb nat 
feinem Xobe ein ganjeS Sahrhunbert hinburt Derfagt geblieben. 

Siebet man aber nunmehr Don Spinoja leineSmegS „mie 
Don einem tobten £>unbe", fo geftieß eS bot Dormiegenb mit 
einer Sejeitnung, bie bei ihm eigentlich fo gut mie unange; 
meffen ift. Sm #inbtid auf feine ifraelitifte &erlunft pflegt 
man feiner als Sarut Spinoja ju ermähnen. SBenn irgenb 
jemals bie ptjhfift'nationale Abftammung gleitgültig bei einer 
meltgeftittiiten ©röhe ift, fo trifft bieS unbebingt bei Spinoja 
ju. 9iur burt fit felbft mürbe er baS, mofür ihm unüer- 
| gängtiter Dluhm gebührt, ©ben fo menig mie eS einen Sinn 
hätte, einen ©raörnuS jum ©erhaertS, einen SRetantthon jum 
Stwarjerb umjuftempeln, ober SJloliere ben abgelegten Soquelin, 
Sottaire ben urfprüngtiten Arouet aufjunöthigen, foß man für 
Spinoja einen anbern ßlamen brauten, als mornit er fit felbft 
bejeichnet. gür bie Slatmett ift er mithin Senebilt Spinoja, 
unb in ihm üereljrt fie rneber einen geborenen 3 »ben not einen 
bürgertit-naturalifirten ^oüänber, fonbern einen SDlenften in 
ber Doßften unb herrtitften Sebeutung beS SBortS. Sei ihm 
lommen bie Sefonberheiten feiner fomoht angeftammten mie 
potitift s gegebenen Nationalität eben fo menig in Setratt, mie 
bie ifraelitifte Naceneigenthümtitleit ober bie fprift-römifte 
Unterthanenftaft bei ber meltgeftittiiten $erföntitleit, beren 
©eburt für bie SeDötlerung ©uropaS unb ben Don ihr einft 
abhängigen ober beeinflußen ©utturgebieten ben AnfaugSpunlt 
ber angenommenen 3 eitretnung bilbet. 


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Nr. 8. 


fflt t Gegenwart. 


119 


3 u einem ben erpabenften menfcplicpen ©eftrebungen ange» 
pörenben ©eruf entwidelte fiep ©pinoja in bet grölten SIbge» 
fcpiebenpeit. ©leicpwopl ober Oießeicpt eper gerabe beSpatb pat 
bie Sage it>r bunte« ©ewinbe an bicpterifcpem ©cpmud bem 
fcpticpten ©erlauf feiner einfamen ßebenSbapn anjupeften t»er= 
ftanben.*) Xpatfäcptüp feft ftepen jebocp nur folgenbe aßgemeine 
2 )aten. 

Um bie SRitte beS in ®eutfcptanb wütpenben SReligionS» 
IriegeS, am 24. 9ioöember 1632, ju SImfterbam geboren, tourbe 
©pinoja oon feinen Gltern, bie einer angelegenen unb aud) niept 
unbemittelten Familie aus bem bortigen ifraelitifcpen $anbet8= 
ftanbe angepörten, fcpon früp jum SRabbinate beftimmt. 2Rit 
15 Salven bereits ein anerfannt tüchtiger lalmubift, mar er 
ber ©totj feines ßeprerS, unb Oon ben ©laubenSgenoffen atS 
ein lünftiger Präger ber religiöfen 3ntereffen iprer ©emeinbc 
betrautet. ®iefe glänjenben Hoffnungen faßten niept erfüflt 
metben, ba ©pinojaS ©egabung meit über bie an ipn gefteßten 
Unforberungen tjinauBragte. SBopl noch wäprenb ber ju biefem 
©epufe gepflegten ©tnbien mögen Broeifel gegen bie mitgetpeitten 
Ueberlieferungen in ipm waep gemorben fein. 2)a« ©ebürfniß 
nacp auSgebreiteten ffenntniffen führte ipn aßmätig ju einem 
gänjlicpen ©rucp mit ben innerhalb ber ©emeinbe perrfepenben 
Slnfcpauungen. 3)urcp Grlernung unb Aneignung ber lateinift^en 
©prac^e bahnte fiep ©pinoja einen SBeg jur üppigen ©ilbung«» 


*) Bertpolb «uetbacp pat biefen Stoff betanntlicp in feinem am 
mutpigtn unb ftnnooEen „©pinoja, ein ®enterleben", wobei eine 
apotrpppifcpe Sttbfepaft ben Äern ber Crjäplung bilbet, noBeHcfti[<p oer» 
weitbet. ©afür bat er in $eut(eplanb bie ftcenge 9iüge eines poepoet» 
bienten «ejeptcptfepreibetä ber neuern ^ß^ilofop^ie ficb jugejogen, obfepon 
ein fol(ber ©infprucp feiten« ber SBiffenfepoft gegen bie 2)icptung immer» 
bin eine jweifetpaft* »efugniß haben bürfte. «18 »iograpp ©pinojaS 
bat «uerbacp in ber fpäteren «uägabe ber bon ibm bewertftelligten 
jcpäpbaren Berbeutfcpung ber Serie ©pinojaS (©tuttgart 1871,2 Sdnbe) 
baS factifcp Unmögliche jenes HiebeSpanbelS burep bie Wngabe erhärtet 
(©. XXVM),. baff bie betreffenbe junge ©ante laum ll 3«pte alt ge» 
wefen, als bie #om SRptpuS in ©eene gefepte «oentäre ftattgefunben 
haben fotlte. Xrop biefer bereits 1862 but<b »an Klooten (6. Spinoza 
zyn Leven en Schriften) erbrachten 2patfaepe, glaubt Herr 0. Sircp» 
mann in ber Ctpü ©pinojaS (Oergl. ben HebenSabriß, ben Herr b. Ä. 
feinet Ueberfepung ber genannten ©eprift, ©erlin 1869, borgebrudt) 
©puren biefer ungtttdliepen Hiebe ju erlennen! — Haben bie bon H‘trn 
#. ßücpmann für baar angenommenen SKittpeilungen beS SoleruS in 
bem borliegenben ©weite eine fo wefenttiepe Berichtigung burep urtunb» 
ttepe gorfepungen erpalten, fo bürfte mopl auep eine anbere romantifepe 
©egebenpeit ans bem Heben unfereS 2)enter«, bie biSper für factifcp ge» 
gölten, t"» m fiepetet berbütgt fein, nämlicp ba« »ermeintliepe Attentat 
gegen ben feinen ©tammeSgenoffen entfrembeten ©pinoja. lieber ben 
Drt, wo bet fragliche SKorbbetfucp ftattgefunben pätte, wie and) über bie 
babei borlommenbe Serlepung, gibt eS betanntlicp jroei «usfagen. ®ie 
oon »aple mitgetpeilte berlegt ben Borfall an ben «uSgang au« bem 
Xpeatet, wobei ©pinoja im ©ejiept berwunbet worben wäre. Bon 
ttoleru« wirb, mit Berufung auf ©pinoja« epemalige SirtpSleute im 
Haag, benen er ben Borfall „häufig" (1) erjäpli paben foü, berfelbe ba» 
Hin beßimmt, ba| bie Berlepung nur baS Oewanb getroffen unb ber 
UeberfaE beim «uSgang au« ber ©pnagoge ftattgepabt. Senbet man 
aber mit fiuno gifeper (betgl. beffen ©efepiepte ber neuem ©pilofoppie 
99b. I, Ipl. 2, ©. 112d. 2. Sufi.) hiergegen ein, wie ©pinoja mitten 
in feinem Conflicte mit ber ifraelitifcpen ©emeinbe, bereu Bertepr ei 
geßiffeniliep gemieben, baju getommen, noep bie ©pnagoge ju befuepen, 
fo möcpte man fragen, ob bie ganje ©pifobe oom aRotbOetfuep blo« auf 
bie oon Coleru« mitgetpeilte geugenauSfage pin bie bisherige ©eltung 
einer „beglaubigten Xpatjacpe" noep ferner bepalten barf? — 3n’S ©e= 
reiep ber gabeln gepört wopl jweifelSopne ebenfaQS bie oom ©iograppen 
SutaS perrüptenbe TOittpeilung, ©pinoja pätte, butep feinen freunb» 
fipaftUcpen Bertepr mit ben ©rübetn San unb Cornelius be Sitt, „in 
bie Stegulirang bet ©taatsoerpältniffe eingegriffen". BieUeicpt glaubte 
bie woplmeinenbe ©age in biefem greunbfcpaftsoerpältnifj einen ©tüp» 
puntt ju paben, ©pinoja auep bie ©ebeutung eine« ©acon ju oerleipen, 
ber ben Staatsmann mit bem gorfdjer oerbanb. 


füße feiner 3eit. ÜKatpematif unb fßppftt unb bie $pilofoppie 
®eScarteS’ füprten halb eine oößige ©ntfrembung bem ©emeinbe» 
leben feiner ©tammeSgenoffen gegenüber in ipm petbei. ®eren 
Semüpungen, ipn feftjupalten, fepeiterten aße. ©rmapnungen 
unb SefeprnngSoerfucpe blieben fo frucptloS, roie ber ftpUefelicp 
über ipn oerpängte große Sann unfäpig mar, ben 24jäprigen 
jungen 3Rantt in feiner, jeglicpem Setenntnißjmang abgeneigten 
Ueberjeugung roanfenb ju ntaepen. ®iefe fötmlicpe «uäftoßung 
aus bem ©emeinbeoerbanb traf ben SSerurtpeitten niept mepr in 
«mfterbam. SSon 1656 an auf fiep aßein angemiefen unb feinen 
befepeibenen SebenSunterpalt burep Unfertigen oon Srtflengläfern 
oetbienenb, babei aber fortan nur feiner SBiffenfepaft angepörenb, 
roedpfelte et meprere 3apre pinburep feinen «ufentpatt, ben er 
tpeilS in unb bei Sepben nimmt, ab unb ju auep in SImfterbam 
unb im Haag, bis er enblicp im letztgenannten Orte gegen 1670 
fiep feft anfiebelt. Hie* tourbe ipm 1673 burep ben Surfürften 
ftart ßubroig oon ber fßfatj ein ßeprftupl an ber Ho<Pf<P»lc i u 
Heibelberg angetragen, ben ©pinoja jeboep ablepnte, weil er bie 
freie ppitofoppifepe gorfepung mit einer alabemifepen Ipätigfeit 
unb ben bamit oerfnüpften Obliegenpeitcn unb fRüdficpten für 
unoereinbar pielt. 3« miffenfcpaftlicper SRuße unb Unabpangig» 
feit beparrenb, befeptoß er fein ßeben mit 44 Sapren, 2 ÜJto» 
naten unb 27 lagen am 21. gebruar 1677 im Haag, mofelbft 
ipm nun baS Senfmal errieptet werben foß jum 3eicpen, baß 
unfer als fo gar materiatiftifcp berfcprieeneS ßeitalter eine ißer= 
föntiepfeit ju fcpäpen unb ju epren oerftanben, beten ganjeS 
SBirfen ben ibealften S3eftrebungen beS menfeptiepen ©eiftes ge» 
wibmet war. 

ßtapeju 20 3apre pat ©pinoja feiner SBiffenfepaft gelebt. 
2 >ie grüepte feiner Xpätigfeit, foweit fie ber fßpitofoppie gegolten^ 
umfaffen nur jwei mäßige Dctaobönbe. 2)iefe entpalten außer 
bem ©riefwecpfet, ber einen niept unbeträeptlicpen Ipeil einnimmt, 
nur jwei ooßenbete SBerfe, im Qebrigen jwei gragmente unb 
jwei anfängücp niept für bie Oeffentlicpteit beftimmte ©epriften. 
SSon biefen pat bie „2)arftetlung ber ißrincipien ber ißpilo» 
foppie SeScarteS’", welepe auf Slnratpen unb burep SSeranftal» 
tung oon greunben jum ®rud gelangte, ©pinojaS ßtamen juerft 
befannt gemaept. ©igenpänbig pat er nur ein einjigeS Sßerf an 
bie Deffentliepfeit befördert: ben 1670 anonpm erfepienenen 
„Tractatus theologico-politicus“, ber ben SSerfajfer gleiep» 
wopl jum beftgepaßten SRanne feiner Seit maepte. Sie bagegeit 
erregte Stnimofität war fo peftig, baß baS SBerf, bei beffen @r= 
fepeinen bereits Slrudort unb SJerlag fingirt würben, feine fernere 
©erbreitung unter aßerpanb ©erHeibungStitetn fuepen mußte. 
3 eloten jeglicper garbe wetteiferten mit einanber in ber Stnfein» 
bung beSfelben fo erfolgreicp, baß es ©pinoja fortan unmöglich 
würbe, für feine übrigen ©epriften einen ©erleget ju fmben. 
©rft fein lob räumte biefc Hi^berniffe auS bem SBege. ßtad) 
feiner leptwißigen ©erfügung foßte auep biefe ißublication opne 
•Kennung beS ©erfafferB gef^epen. 2He H eraug gebet ber 9?acp» 
laßfdpriften ©pinojaS begnügten fiep, nur burep bie Slngabe ber 
SlnfangSbucpftaben feines IRamenS beffen Stnbenfen ber Stacpwelt 
ju fiepetn. 

Slutoreneitelfeit war ipm burcpauS fremb. SBeil er niemals 
barauf auSging, ftep felber gettenb ju raaepen, ba es ipm ftets 
nur um bie ©aepe, ber er fein ßeben gemeipt, ju tpun war, 
ertrug er gebulbig baS ßooS, baS ipm eine ausgebreitete unb 
oon Slnerfennung geförberte fcpriftfteßerifcpe Xpätigfeit oorentpielt. 
grei oon nuplofer Unrupe unb fteintieper ©efümmemiß, oon 
geinbfepaft unb Xanb unberührt, blieb fein ©emütp über bas 
©ergängtiepe beS SBeltgetriebeS fo erpaben, Wie eS Iranlpafteu 
ßebenSüberbruß unb jammemben SBeltefel niept lannte. SBeiSpeit 
war für ipn „ßtaepbenten über baS ßeben", um es ju erpalten 
unb burep bie ffraft ber ©emunft ju läutern. 3« ber freubigen 
3uoerftept, ber SBaprpeit naepgeftrebt ju paben unb auf beren 
unbebingten ©ieg getroft oertrauenb, oertangte er, in ber Gr» 
lenntniß fetbft baS pöepfte ©ut, beffen ber SRenfcp tpeilpaft werben 
fönne, oereprenb, für fiep feine weitere ©enugtpuung, als bie ipm 
fein 2)enferberuf gewäprte. SluS ipm fepöpfte er ben grieben 
mit bet SBelt unb jene ©emütpSrupe, bie aßein ben wapren 


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120 


lit 


Nr. 8. 


SBertt) bei SafeinS empfinben täfit. Sw* fchönften Sinne bei 
SBortS betätigte er an ficO, was man öon einem SBeltroeifen 
ermattet nnb bei einem Zeitigen oerwirRicht glaubt. Aber bie 
befonnene SebenSanfchauung unb fitttic^e Xüdtitigfeit Seiber 
bewährte fidj an ihm ohne jegliche Dftentation unb frei bon 
aller Selbftfudjt. 

Sn ber Stille feinei einfamen $enlerleben3 blieb Sb in o ja 
ben tyerrfdjenben Sejtrebungcn unb ben gefdjidjtlichen Segeben= 
beiten feinei SeitatterS nid^t ftemb. $er lob überrafdjte ihn 
bei einer ftarfteßung ber ißolitit, morin er fi<h fcineimegi 
auf bie Erörterung allgemeiner ißrincipien befd^ränfte, fonbern 
auch bie Erfahrungen ber Eefdjidjte beranjujieben unb ben 
ebentuen mattenben SJtächten unb Suftänben ber ihm gegen: 
märtigen SBett ßtedjnung ju tragen bemüht mar. Ei fei h»er 
nur, ber oietfaehen Serufungen auf niebertänbifche Serhältniffe 
nicht ju gebenfen, an feine fdjarfen Aeufjerungen über ben in 
$oHanb fteti ohne Serbtenbung beurteilten Bubroig XIV., an 
feine Auffaffung ber erften englifdicn dteöotution unb Erommeßs 
erinnert. 8teit|t fich aber biefe lefcte Schrift Sbinojai nicht ben 
epodjemachenben gleichartigen SBerlen feinei Seitgenoffen Stil ton 
unb ben jpäteren einei äRonteSquieu, 3touffeau ober SBilt». 
b. $umbotbt an, fo rührt bai nicht bon einem berfäumten 
ober mangelhaften Anfdjlufc an bai in ber SBirRidjleit Gegebene 
her, ei ift biei lebigtid) butch ben AuSgangSpunlt bebingt, ben 
Spinoja barin genommen. ®urch biefen nämlich hat feine 
Seiftung eine rüdmärtSgelehrte Stellung innerhalb ber Entmid= 
lung ber StaatStoiffenf^aft. $ur Seit, mo biefe burd) SDtilton 
einen SntpulS erhält, bet fie auf neue Sahnen leitet, fnüpft 
Spinoja an bie bon SDtachiaöelti im Zeitalter ber 3teforma= 
tion begrünbete Auffaffung bei Staatilebeni an unb ertheilt 
biefer ihren begrifflichen Abfdjluf). Staburdj erhält bie ißotitil 
Sbinojai einen bormiegenb theoretifchen Ehaeafter unb übt 
rneber auf bie Anfichten ber Seitgenoffen, nodj auf bie fernere 
Eeftaltung ber betreffenben SBiffenfchaft felbft einen Einfluß. 
Eleidjmoht ift fie nichts meniget aii ein eitlei SBortgefpinnft. 
Son allen unter bem Sanne madjiaöeßifchet Anfdjauungen 
ftehenben Staatslehren, mie fie feit ber SBieberbelebung ber 
mifjenfchafttichen ißotitit burch ben genialen glorentiner anbert-- 
haib Sahdjunberte hinburcf) einanber gefolgt maren, ift bie oott 
Spinoja aufgefteflte bie erfte, bie bem Sinn ber oom Urheber 
herrührenben Erunbfäjje innerhalb ber öon ihm beherrfchten 
Segriffifbhäre öoHlommen gerecht ju merben öerftanb. Snbem 
bie matiaöettifchen £h eottme , nach ihrer ntehr ober minber ge= 
treuen SReprobuction burch t>ie potitifchen Schriftftetler bii gegen 
bie SOtitte bei XVII. SatmhunbertS, bei Spinoja gleichfam aus« 
reifen, bilbet feine Staatslehre eine Erenjfdjeibe jmijchen jmei 
beftimmten Erunbrichtungen innerhalb ber Eefdjichte ber Staatö= 
miffenfchaft unb nimmt mithin in biefer einen t)ö<hft bebeutfamen 
Stofe ein. 

Seinen SBeltruf öerbanft Spinoja bem nach feinem lobe 
erft beröffentlidjten Vauptroerl, ber fogenannten Ethil, roelche 
nicht nur, mie biefe Sejeichnung angibt, eine Anleitung ju fitt= 
lieber SebenSführung enthält, fonbern feine Sehre über bie SBett 
„unb maS fie im Snnerften jufammenhält" entmidelt. $>a8 
Uniöerfum in feiner unmanbelbaren Eröfje unb unerfchüttertichen 
Eefefemäfiigteit ju öerftehen, gemährt bie einjig mahrhafte Se- 
friebigung, beten ber Einjetne, nach Spinoja, tljeithaft merben 
tann. Erlenntnifi ber SBahrljeit, melche ihm als höchfteS Eut 
gilt, bedangt jeboch eine Säuterung beS gefammten SerhaltenS 
im Seben. 3>n SRittelpunlte feiner Unterfudjungen betrachtet 
Spinoja baher bie menfchlichen Seibenfhaften; fie finb eS, bie 
burch ihre Uebermacht baS Singen nach bem einjigen mahrhaften 
Eut öereiteln. 3« überminben feien fie gleichwohl, inbem man 
fie in ihrer tRichtigleit ju erlernten trachtet. $ommt man ihrer 
Sebeutung unb Sefchaffenheit auf ben Erunb, fo gemährt-man 
ihre Sejiehungen ju ben übrigen Gingen in ber SBett, beten Äennt: 
nifs auch erforberlich- tiefer auf bem SBege phitofophifcher 
®ebuction nadjgehenb, finbet man einen überall hin ragenben 
Snfammenhang, ber ebenfalls ergrünbet fein will. 2>en einjig 
richtigen EefidjtSpunlt hierju bietet bie Verleitung fämmtticher 


Erlernungen in ber SBett aus ihrem aßumfaffenben, allerhalten: 
ben Urgrunb — ber Eottljeit. Son biefent haften Segriff 
geht bie Slarftetlung ber Ethil aus, um benfelben auch als Siel 
beftänbig in Sicht ju behalten. SBie Afleö öon bem Emigett, 
öon beffen über allen SBechfet unb Schein erhabenen äRadjtfüfle 
wahrhaft abhängt, fo befteht baS wahre #eit beS Bebens nur 
in bet allem Sergängtichen unb Sxügerifdjen beS gewöhnlichen 
SÖtenfchentreibenS abgefehrten $inmenbung jur Eottheit, ober 
mie eS Spinoja auch nennt, in ber „Siebe ju Eott". Unb 
bennoch warb biefe Sehre, bie ben haften ßtaefebrud auf bie 
Eottheit legt, ihrer Seit als atheiftifch öerfchrien? — Sicherlich 
hat lein Genfer ber Eottheit mehr Ejiften j, mehr Stealitat, 
mehr SRacht eingeräumt, als eben Spinoja; aber auch feiner 
hat biefen Segriff fo frei, fo erhaben, fo objectiü, fo gereinigt 
oon allen Enbtichleiten, allen SejiehungSfchranten unb rnenfeh: 
liehen, ißhantafieöorftellungen gefaßt, mie er. ®ie Eottheit 
SpinojaS ift nicht bie mit menfchlichen Attributen auSgeftattete 
SRhthenftfli» ber theologifchen Dogmatil, unb wenn baS gehlen 
einet foichen Seftimmung für ein Serleugnen ber Eottheit gelten 
barf, jo hat ber fragliche Sorwurf gegen bie fpinojiftifehe Ethil 
freilich einen Sinn. Dbfdjon aber öon firchli^en unb con= 
jefftoneUen Xrabitionen abmeichenb, bilbet bodh ber EottheitS: 
begriff SpinojaS ben ftem unb ben Schmerpunlt feiner Sehre, 
welche gerabe in ber Anerlennnng beS bie ganje SBelt in ihrer 
SDtanni^faltigleit unb Seränberlichlett bebingenben Eöttlicheu 
befiehl unb jugteidj bie Eingebung an biefeS Eöttlidje als baS 
bem Einjelnen erreichbare höchfte Eut im Uuterfchieb öon allen 
fonftigen an ihn h^antretenben SebenBöerhältniffen nachmeift. 
AßerbingS hanbelt eS fich < n Setreff beS SRenfdjengemüthS hier 
um eine Ecmeinf^aft, bie als Empfinbung unermibert bleibt, 
weil ber Einjetne bem Aß unb feinem göttlichen Urgrunb 
gegenüber öon oerfdjminbenber Eeringfügigleit, jener aber feinem 
unenbtichen SBefen nach leine befchränlenben Sejiehungen jum 
Snbiöibueßen eingeht. $ennod} ift in bem Erfaffen beS Eött= 
liehen unb feines SBirlenS bem Einjelnen bet Sronn einer 
wahrhaften Etüdfetigleit erfchloffen; benn fie lann, mie es 
Spinoja felbft in feinem entfagungSöoßen Seben erfahren, ben 
grieben im Eemüth unb mit ber SBett, ben Eenuj) einer über 
aße Eitelleit ber Singe unb beS Reinlichen Setbft erhabenen 
greitjeit gewähren, rooburch aßein baS Seben — menigftenS ihm 
— tebenSwerth erf^eint. 

liefet auf baS Einjetteben gerichteten Sebeutung nach W 
SpinojaS phitofopljifcheS Earbinatmerl etfjifdj, unb jmar feinem 
fditiefttichen 3tefultat nach fogar in gemiffer Vinft^t religiös: 
ethifch- Snbem aber biefe Xenbenj mit bet auf ftrengeS ®enl: 
öerfahren gegrünbeten Erlenntnii ber SBett unb ihrer gefefc: 
mäßigen Eefammtheit unb ewigen 9tothmenbigleit jufammenfäßt, 
ift bie S^rift au^ metaphhfif<h ; fpecutatiö, jugteich jeboch 
pfpchologif^, fomeit bet SWenf^engeift unb bie Seelenbewe: 
gungen in ben fiteis ihrer Setrachtungen entgehen, welchen fich 
überbieS ein bie menfchlichen SebenSbejiehungen im Allgemeinen 
erörtember pfh<hö 5 ethifdh er ^heil anfchtie|t. 

SDterlmürbig mie burd) if»ten baS Aß nmfpannenben Snhatt 
ift bie Ethil SpinojaS ebenfaßS burch bie ihr eigenthümliche 
SDtethobe. Erreichbar bleibt nämlich baS h ö <hf*e Eut nur auf 
bem SBege ber SBiffenfchaft, unb baS biefer gehörenbe Organ 
ift bie Sernunft. SBiffenfdiafttich ober öemünftig ift aber ein 
ganj beftimmteS Serfahren, benn eS hanbelt ftd» barum, bie 
®inge, ganj' abgefehen öon ihrer Sebeutung für menfchtiched 
Sehagen unb jeitmeiligen Stufen ober rüdftdjttich ihrer aßtäg: 
liehen Schälung als „gut" unb „böfe", b. h* nur in ihrer ge* 
gebenen unb ewigen Seftimmtheit, ihrem uremigen SBefen ju 
erfaffen. Sie foßen nämlich Weber belächelt noch beweint, fonbern 
begriffen merben, als gelte eS Sinien, glädjen, ®teiedte unb 
Greife. Eine fold^e SetrachtungSWeife herrfcht in ber SOtathematil, 
bereu SOtethobe, nach Spinoja, für jebe SBiffenfchaft mafjgebenb 
fein mujj. Sie mathematif^e ober „geometrifche" SDtethobe 
öermerthet et in feiner Ethil, inbem er biefetbe ganj nach bem 
SDtufter ber Elemente EuRibS entmidelt. Staburd} hat er baS Stuh 
nicht eben befonberS anjietjenb gemacht, obwohl jeber aufmerffarae 


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Nr. 8. 


* 1 1 <5e genw axl 


121 


ßefer butfauS bie SReifterff aft bewunbern muß, womit ©pinoja 
biefeS Verfahren befolgt. SRufterpaft in ber logiffen Sonfe* 
quenj unb in ber ©färfe ber lebuction, imponirt ©pinoja 
nift Wenig burf bie ©iferpeit, womit er feine ©äpe ju einer 
feften Sette non ©kläffen ju fügen berftept. 

gragt man fif nun, wie eine berartigc larfteflungsweife 
bei einem Serie wie bte Stpil möglich war, fo erttärt fif bieS 
aus bem Sparatter ber Siffenffaft feines ^eitotter«. Stuf ben 
Don ©atitei nnb Zepter eröffneten neuen Sahnen arbeitete — 
um nur bie oornepmften Kamen anjufüpren — Kewton unb 
HupgenS, SRariotte unb lorricefli, unb bereiferten bie ber 
SRatpematit angepörenben unb fr berwanbten ©ebiete mit 
epodpemafenben Srrungenff aften. Kift minber erfolgreif patten 
HJtetappgfiter Don gaf, wie ieScarteS unb ßeibnij, jener burf 
bie Sittbednng ber anatpliff en ©eometrie, biefer burf bie ber 
3ntegralrefnung unb japtreifer fonftiger Probleme, an eben 
biefer ber äJtatpematil jugemanbten Xpätigfeit fif beseitigt. 
®ie Aufnapme ber matpematiff en SRetpobe in ber Stpit ©pinoja» 
ift atfo ein bem wiffenffafttif en Sitlen feine» 3 eitalter 3 ent; 
rifteter Iribut. Seit in ben maipematiffen Siffenffaften 
ber ©dpwerpunft ber Srlenntitiß überpaupt barnats tag, erpiett 
auf bie fpinojiftiffe Stpit ein bem entfprefenbeS ©eptäge. 
lie naf bem Vorbitbe ber SRatpematit angeftrebte Sjactpeit 
ber Storfteflung foßte ein Unterpfanb für bie ©ewißpeit bet in 
jenem Serie gebotenen Srfenntniß fein. S« wie genauer Ueber= 
einftimmung bie» Verfapren ©pinoja» mit ber bem ganjen 3eit= 
alter angepörenben AnffauungSWeife ftept, erweifi ßf auf 
barauS, baß genau baS nämtife SBerfapren für bie Vepanbtung 
ppitofoppiffer fragen ein DofleS Saprpnnbert naf ipm fogar 
bei Vertretern biefer liSciplin perrffenb Mieb, benen feine 
ßepte für ein ©rüuet galt. 


(St^tufe folgt.) 


IDilljelm Boliit. 


.äfeator Jtprrn. 

6» War furje 3««t Dor bem Srff einen Don „Ipeobor 
©tormS gefammetten ©friften" im Vertag Don ©eorg Sefter= 
mann in Vraunff Weig, als if in eine ©ortimentsbuf panbtung 
einer norbbeutff en UniberfitätSftabt trat unb um Ipeobor ©tormS 
„©ebifte" bat. $er Snpaber beS ©effäfts btidtte mif mit 
bem Voßbewußtfein an, auf ber Sopfinpabet meprerer taufenb 
©üfertitel in franjöfiffer, engtiffer, wie in beutffer ©prafe 
ju fein, unb entgegnete mit bem Ion pöftifen, Dießeift teife 
boppetbentigen VebauemS: „Sin berartigeS Vuf ift Don ©torm 
ttif t erff ienen." 3f ertaubte mir inbeß ber titerariff en Autorü 
tät gegenüber beffeiben auf ber gegentpeitigen SKeinung ju bt- 
fiepen, bof beburfte eS immerpin einer gewiffen naf brüdtif en AuS= 
prägung biefer 3«berfif t, um ben Xiffentirenbcn ju Derantaffen, fif 
nift opne einige pppftognomiff e SRißbißigung meines AiiftnneitS 
eines Kaf ff taglatatogS ju bemäf tigen unb eine Seite barin ju 
blättern. IieS SBerfapren trug naf einiger 3eit aßerbingS ju 
einer üufjertif Wapmepmbaren comprobatio facti, jebof feineS= 
weg» ju einer SRienenberänberung feiner inneren SRißbifligung 
bei. Sr fagte, gteif jeitig mit beiben Affeln judenb: „©ebifte 
»on Ipeobor ©torm, Dor länger als jwanjig 3«pren erff ienen 
unb im Vuf panbet nif t mepr borpanben. Ss wirb Dermutptif 
nift „„Diet baran"" gewefen fein, benn ber SBerteger pat feine 
jweite Auftage baDon Deranftattet." 

„SBermntptif," wieberpotte if; „entffntbigen Sie bie un= 
jeitgemäße Kaffrage." Unb fein ßäf ein öffnete mir bebauertif* 
bereitwißig bie Ipür. 

liefet intereffante Xiatog trug fif in einer ber größten 
©ortimentspanbtungen bet UniberfitätSftabt ber Vtobinj ©fte8= 
u>igs$olftein, bem $eimattanbe ipeobor ©tormS ju, unb if 
fepte meinen Seg unter Srwägung ber mir auffteigenben an« 
jiepenben ^ppotpefe fort, ob if in ben ^örfäten ber berffie= 
benen gacuttäten jener geiftigen ßanbeSmutter wopt nof um* 
faffenbere ober geringere ßenntniß unb ftritif ber Serie ©tormS 
angetroffen paben würbe. Sine Strt bon Antwort auf meine 


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bamatige tjfrage ertpeitte mir erft im Dorigen Sapre bie Seiet 
ber Sinmeipung eine» neuen UniDerfitätSgebänbeS in ftiet. SBei 
biefem fefttifen Ütntaffe gebaf te bie alma mater Christiana- 
Albertina plöptif mit müttertifem ©totj einer Stnjapt iprer 
gegenwärtig am ßeben befinbtifen DerbienftDoßen ©öpne unb 
erlannte bie ßeifhtngen berfetben anf Derffiebenften ©ebieten 
burf SBerteipung Don Spren=loctorbiptomen an. SKacautap 
Dergteif t eine berartige SßreiSertpeitung aßerbingS mit ben ®rä= 
miirungen Don ©fafjuftDereinen,’aßein tropbem untertag es mir 
feinem 3to«fel/ baß auf ber epematige Sieter ©tubent Ipeobor 
©torm, gegenwärtig DberamtSrifter in $ufum, fif unter beit 
Don ber müttertifen $utb SBetroffenen Dorfinben werbe. Ss 
gibt SuSjeifnungen, weife ben Sertp beS SmpfängerS nift 
um Haaresbreite ju mepren Dermögen, Dietmcpr bie Srtpeiter 
epren, anbrerfeits jebof unumgängtif finb, weit ipre Untere 
taffung gereftefteS Suffepen erregen müßte. Vor mepr beun 
jWanjig Sopren bereits patte bie Vonner Uniberfität nift bei 
befonberem Sntaß, fonbetn um erworbener titerariffer Ver= 
bienfte Wißen Staus ©rotp, einen ©fteSwig^Hotfteiner — bamalS 
faft einen HuStänber — jum Sprenboctor ernannt. lie Sieter 
Sefttage gingen jebof opne ein fotfeS Snatogon Dorübet; bie 
alma mater Christiana-Albertina refnete bif teriff e ßeiftungen 
nift ju ben quatificirenben Verbienften. Ober Derbot übergroße 
Veffeibenpeit ipr, fif in Ipeobor ©torm fetbft ju epren? 3f 
glaube, Weber baS Sine nof bas Stnbre, fonbem ipr fam über; 
paupt gar fein ©ebanle an baS ©anje. Vüf er ju ff reiben, 
ift am Snbe bof ein fo einfafeS ling; erft bie Sßotenj, Vüf er 
über Vüf er ju ff reiben, oerleipt ein begrünbeteS Keft auf 
eprenboße Stnerfennung. Holsatia non cantat; in specie alma 
mater Holsatiae, unb baS ßeptere pat jweifettoS auf feine 
Dortpeitpafte ©eite. 

Sigenttif tautet baS alte Sort: Frisia non cantat — unb 
um bieS burf bie SuSnapme ju bewaprpeiten, ff eint Ipeobor 
©torm in Hufum, bem bebeutenbften ©täbtfen beS ffteSwig« 
potfteiniff en SriefentanbeS jut Seit gelommen ju fein. lies 
fanb am 14. September beS 3<>P*e8 1817 ftatt; er befufte 
bann baS ©pmnafium feiner Vaterftabt unb baS Satparinum 
in ßübed, ftubirte bie Kef te in Siet unb Verlin, warb Kef tS= 
anwalt in Httfnm, als fotf er Don ber bäniff en Kegierung wegen 
Sntpeitnapme an ber 1848ger „Shfurrection" caffirt, fanb eine 
©teßung als Sffeffor am SreiSgerift jn fßotsbam, fpäter als 
SreiSrifter in Heitigenftabt, Warb 1864 ßanbDogt in feiuer 
Heimatftabt, ift jept bort DberamtSrifter, unb ber ßiterarpifto- 
riler H««rif Surj nennt ipn jwiffen „Satpinla 3ip" »«b 
„Äuguft Sorrobi" einen „begabten" lifter. 

Ss lommt eigentpümtif erweife pin unb wieber im beutff eit 
Volle Dor, baß baS ßaienurtpeil beSfetben etwas Don bem feiner 
wiffenffafttifen Kpabamantpen abweift, wie es benn nof immer 
einige ßeute gibt, bie trop ©eorg ©ottfrieb ©erDinuS nift $u 
bet Doßen Sinfift gelommen ftnb, eine wie erbärmlife Kangs 
ftufe bie beutff e liftung ber engtiff en gegenüber — befonberS 
in ipren pöfften SBertretem jufammenqepalten — einnimmt, 
liefe Srffeinung befipt, wenn auf leine Sntffulbigung, bof 
eine Srltärung. lerartige ßaien fmb gewöpntif pöf ft egoiftifdper 
Katur; fte fragen, mit bem ßefen einer liftung beffäftigt, 
feineSwegS, wie weit bie StuSfprüfe geteprter unb fafDerftän= 
biger Autoritäten ipnen Veref tigung ertpeite, fif Don bem Autor 
feffetn ober tangweiten, pinreißen ober abftoßen ju taffen, fon-- 
bern fie patten fif immer nur an ipre eigne unbebeutenbe 
Sßerföntif leit, ob biefe burf ben lifter liebtif erregt, erff üt= 
tert, bejaubert, in ber Vpantafiewett ber Smpfinbungen unb 
©ebanlen bereif ert werbe, ©ie nepmen mit einem Sort ben 
naibsfinblifen ©tanbpunlt ein, als ob man Don ber Sßoefie 
niftS AnbereS ju Derlangen pabe, als Voefie — §reube nnb 
Sepmutp beS ©efüpts, eine larfteßung bet ©dpönpeit beS ßebenS 
unb feiner Sorgen, Aengfte unb @f merjen, ein Vilb ber 2Weii- 
ffen unb ipreS iafeinS, batb in engftem Kapmen, batb iu 
meitefter SJtannigfattigleit iprer Hoffnungen, ßeibenff aften, guten 
unb böfen Kegungen, nun anmutpig erfreuenb unb tröftenb, 
warmer grüptingSfonne gteif, nun erffüttemb unb bof er* 


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Hit <5eg*»märt 


Nr. 8. 


122 


hebenb, tote ber ÄuSbrucg ftürmiffher 28etter uttb ber ©tifefchtag, 
welcher ftotjefte 2Serfe oott SRenffhenhanb unter rotten Stammen 
begräbt. SBenn ge derartige« in fdjöner ©eftattung beS ©usbruds 
antreffen, in einer Kunftform, bie fict» oerbirgt, fo bag bie Sefeit: 
ben faum eine anbere ©mpffnbung ats bei ber ^Betrachtung ein: 
fadjffen Schaffens ober jauberooQften SReichtljumS ber Statur 
überfommt, bann hatten fie in ihrer Slaioetät fotche 23erfe für 
Schöpfungen echter unb h°h er ©oefie — wägrenb ber benfenbe 
Siterarhiftorifer oornehm tächetnb in bie ©tafgficirungS=Stegifter 
feines unerffhöpfliehen, jahrtaufenbatten ©orratljS t>ineingretft, 
hier eine Stummer, bort ein ©räbicat hetöorjieht, einen feftge: 
ftettten ©runbfafj entmiefett, bie Snneljattung einer anerfannten 
Storm oermigt, ©aratteten anjieljt unb terminotogifch permutirt 
unb atS ©nbrefuttat bem Sefer bie ©rfenntnig hintertagt, bah 
biefet nur fegt fragwürbige, ober äugerft geringe, ober gar feine 
^Berechtigung befeffen, fieh burch bie fategorifirte Dichtung greube, 
SRitteib, Droft unb eine Iiebtidje ©rinncruitg bereiten ju taffen. 
28enn jum Stachtheit ber ©äbagogit biefe ©efdjämung ber 3Rehr= 
jaht in jener Saienwett erfpart bteibt, fo tiegt ber ©runb hier: 
für abermals in einer meitoerbreiteten UrtheitStoggfeit berfetben, 
oermöge toetdher fie häufig noch bie Seetüre ber Driginatfdjriften 
als erfte oornehmen, ftatt fich in oerftänbiger SEÖeife auf biejenige 
oon berufenen gadjabljanbtungen über jene ju befchränfen. ©s 
ift gewig bebauertich, bah fich iw unferer Seit, bie nicht nur für 
alte praftifchen unb miffenfchafttichen Speciatfächer, fonbem auch 
für jeben feeliffhen ©organg, jebe Stegung beS ©emütljS unb 
fdjeinbar räthfethaften Schlag beS §erjenS bie unumftöhtichften 
Grtäuterungen -phitofopljifcher Autoritäten befffct — bah iw einer 
fo hettbtidenben Seit auf titerarifchem ©ebiet ein fotcher Kreis 
laienhafter Setbftgenügfamfeit noch s u ben SRögtichfeiten jähtt. 
Aber fein ©orhonbenfein, ja fogar feine nicht geringe AuSbeljnung 
ift unbeftreitbar — unb ba man mit D|atfachen, fetbft wenn 
fie Dfjorheiten fiwb, rechnen muh, will ich berfuchen, eine lurje 
Darfteltung ber SReinung su geben, in welcher jene naioe Saien: 
wett über ben „begabten" dichter Dljeobor Storm befangen ift. 
3<h bitte ben Sefer nur, am Anfang jebes SafceS im ©ebanfen 
wieber baS erltärenbe: „Stach biefem Dafürhatten —" einsu: 
fchieben, beffen ich mich nur im ©eginn bebiene unb baS ich 
bann ber Kürse halber forttaffen werbe — bamit nicht etwa im 
gortgang ber ©erbadjt wach werben fönnte, als ob biefeS Ur: 
theit mit fetbft ex intimo corde entftöffe. 

Stach biefem Dafürhatten sählt Dheobor Storm nicht allein 
unter ben tebenben beutfehen Dichtem, fonbem unter ber ©C» 
fammtsaht berfetben su benen beS erften Ranges. AtterbingS 
wirb nur berjenige ein ©erftänbnig für biefe Slnfidjt mitbringen, 
welcher bichteriffhe Seiftungen nicht nach ber Quantität, fonbem 
uach ber Qualität sw Wägen gewöhnt ift. 28er für bie 93e= 
redjtigung beS obigen ÜRamenS bie faft alte Dichtungsgebiete 
umfaffenbe Dljätigfeit eines ©oethe nothwenbig erachten su müffen 
glaubt, wirb gdjj bei Storm enttäufdht feljn, unb gteicherweife, 
wer feinen SRagftab aus bem buchhänbterifdjen Umfang ber 
2Berfe eines Autors tjerieitet. Doch bie ©djäfcung im SReidje 
ber ©oege ift nur berjenigen im Reich ber ebten ©efteine oer« 
gteichbar. Ob fie edht finb, ober fünfttich täufchenbe Stachahmung, 
bebingt ben einsigen, ungeheuren Unterfchieb ihres SBertljeS. 
©ernähren fie bei ber Prüfung für ben Kenner alte SRerhnale 
ber erfteren, bann ift bie ihnen innemohnenbe Ära ft bie näm: 
liehe, unb baS Diamantftüdchen im Reigftift gräbt fich uiü ber* 
fetben Schärfe in bie ©laStafet ein, Wie ber Kohinoor. So 
seichnet auch ber echte Dichter mit einem Meinen ©üdjtein feinen 
Ramen unOertöf<hti<h in bie carrarifche SRarmortafet ber ©oefie. 

Habent sua fata UbellL Die bräunliche Seljauptung, bag 
unfere S<*t bet thrifdjen Dichtung oöttig entfrembet unb abge: 
neigt fei, reicht in Dagen, welche SobenftebtS SDlirja: Schafft): 
Sieber in sat)ttofen Stuftagen bedangt, nicht auS, um su erttären, 
weshalb bie „©ebidjte" Dheobor StormS bis lj £ ute nur baS | 
ebetfte poetifdje ©igenthum eines oerhältnigmägig engen KreifeS 
geworben finb. Diefem freitidj h°ben fie fi<h mit feiner 6m: j 
pfinbung oetbunben, fich >h r S ur Unertäglichfcit geftattet, wie ; 
ber athntenbeu ©ruft bie Suft. 28enu ber tefjtere ©ergteich 1 


genau sutreffen fott, ift er fo einfach P nehmen, wie fein SBort* 
laut, ©r meint nicht bie tropifdje Snft höherer unb Ijöchffe? 
Siegionen, nicht bie ©runf:, Staub: unb SonOentionSluft bet 
gefettfchafttichen Däufchung unb Atljemnoth ber Seele, fonbern 
jenen fdjlidjten, reinen §immelöobcm, ber in ftitter grüljtingS: 
Ijerrlidjfeit, auS Sonnenwärme, ©tütgenbuft unb SBalbeStjaudj 
gemifcht, baS ©tut im fersen rafcher unb hoch friebeootl, füg 
unb fdjwermütljig unb in ernfter Seiet wie in einem ber menf<h= 
liehen Statur errichteten Dempet pochen tagt. 

Aeugertidj ift an ben „©ebichten" StormS in bet Dljat 
nicht befonberS „oiet baran". Sie bitben ein nur feljr bünneS 
©üchtein, baS in ©otbfchnitt unb oietteic^t in baSfetbe Seber 
gebunben ift, wie biejenigen ton „Katljinta 8ifc" ««b „Auguft 
©orrobi". Aber bieS Iteine Such h at eine ©igenfdjaft, burdj 
bie eS fich non beinahe fämmttühen, nach ©ictor Scheffels 
hübgher Seseidjnung „unölonomifch" gebrudten ©üchern älteren 
unb neueren Datums unterfetjeibet. Diejenige, bag ber ©efi|er 
feines ber barin enthaltenen ©ebidjte entbehren möchte unb, 
wenn bieS gefcheljen mügte, ungefähr in bie ©mpgnbung eines 
©aterS oerfeftt fein würbe, ber eine SluSmaht sn treffen hätte, 
welchem feiner Kinber ohne ihre ©erfdjutbung er — unb baburch 
fich fetbft am meiften — einen empfinbtidjen Schmers bereiten wolle. 

Stach bem Dafürhatten ber naioen Saienwett finb bie ©e: 
bidjte StormS Diamanten, bei benen es oottfommen gleichgültig 
ift, welches ©ewidjt ihr Umfang ergibt, wenigftenS für baS 
Stuge, baS fich nur an ihrer eingeborenen, magifchen Seuchtfraft 
erfreuen Witt, unb fie finb beSljalö, trofc alter Sichtung oor 
Kathinfa 8i§ unb Stuguft ©orrobi, weniger geeignet sn>if^rn 
biefen, als mit ben ooQenbetften tprifchen Dichtungen ©oetljeS, 
feines, ©icheitborffS, SRörifeS, ©eibetS, jebeS echten unb eigen: 
artigen ©oeten „oon ©otteS ©naben" sufammen genannt s« 
Werben. Sie finb fo einfach, Wie nur bie Ijächftr ©oefie ge 
wagen fanu, unb fo hotbfetig, wie nur baS hdwtidjfte, fügefte 
©mpgnben beS ^ersenS. 3h r Stei^ ift bie Spanne 3eit stoifchen 
bem erften unb bem testen SRenfchenbett — baS ber lächetnben 
unb teibbewegten ©etrien, welche swifdhen jenen beiben auf unb 
nieber fdjweben — bie fchöne Stunbe beS gegenwärtigen ©tüdeS 
unb bie bitterfüge ber ©rinnerung — SRorgenrotfj, SRittag unb 
wachfenbe Schatten beS StbenbS. Sie fagen, WaS ber Dichter 
empfanb, boch wer fie tieft, meint, ihm fetbft fei eS gefcheljen. 
©r oergigt fie nicht mehr, ge Hingen ihm f)eimtich in alter 
Schönheit unb altem 2Belj beS SebenS auf. Denn eS ift feines 
unter ihnen, baS nicht, Wie 28ittjetm Staabe oon ber ächten ©oege 
rühmt, „bie Sonne sur SRutter hätte". 

Die geheimnigootten Stimmen ber Statur unb ber HRen: 
fchenbruft, SiebeSteben unb SiebeSfterben, bie ©ergänglidjteit 
aüer Suft unb atteS SeibeS unb boch ber bteibenbe Steichttjum 
ihres ©ebanfenS — baS gnb bie „Stoffe" ber ©ebidjte Dheobor 
StormS unb ihre gorm fo fehtiegt, bag nicht ber ©eniegenbe, 
nur ber abgdjtlidj ©rüfenbe erft bie h°^ e Kunft berfetben wahr: 
nimmt. So tragen ge ben echten Stempel ber oon ©oethe 
geforberten „©etegenheitSgebidjte" im ^öc^ften 2Bortgnne; bie 
meiften fennseichnen geh in ihrem ffhtidgen ©ewanbe als fröh¬ 
liche ober ftagenbe Kinber beS wirtlichen SebenS — frifdje, 
rothwangige, fetbft berbe Knaben gnb barunter unb ljolbbtühenbe 
SRäbchen, wie aus Sommernachtsbuft unb Stad)tigatlenfchtag Oor 
ber Seele emporfteigenb —; feines aber gilbet geh unter ihnen, 
baS nur ein Spiet ber ©hantafie, beS ©ebanfenS wäre, bas, 
wenn nicht braugen um fich, baS §er$ nicht tu fid) erlebt hätte. 
Denn auS jebem pftanst fid) ber in 28orte gebannte lebenbige 
^ersfehtag in bie ©ruft beS $örerS fort, Wie auS bem ebteu 
©Sein Sicht unb ©tutlj ber Sonne, bie ihn genährt, teudjteab 
unb wärmenb in baS ©tut beS Drinfenben hinüberffiegt 

Die Stri ber Storm’fdjen ©ebichte bringt eS mit g<fj, bag 
unfere Slnthotogien faum hie unb ba einige berfetben unter ihren 
mütterlichen Schuh — ober ihre ffitephantenljut — genommen 
haben, um fie in bie abgetanste Ihrifdje SerSfoiree ber beutfegen 
Siteratur einsuführen. Sic bieten feine Stoffe sunt Dectamiren, 
noch ‘su tebenben ©ilberu, feine ^ersenSerquidung für ältere 
Jahrgänge empffubfamer Sungfrauengemüther. Sie gnb feine 


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Nr. 8. 


ffl t t (Segrntvart 


m 


antrfannten „perlen beutfdjer Sichtung", leine felbftoergänbliche 
©rbfdjaft golbfchnittumränbeder Vorgänger, ja für befonbetS 
glaubensinnige «Seelen fönnte ber Vorjug, ben fie un§weifethaft 
bent Seitlichen oor ber ©Wigleit juertennen, neroenangreifenb 
Wirten. Selber ©runb wäre affo Borhanben, fie in ein „Sllbum 
beutfeger Sichtung" aufjunehmen, beffen eigentlichfter ßebenSjwecf 
wie ber jebeS anberen SllbuntS bodE> barin beruht, in rothem, 
grünem, Biolettem ober fonftfarbigem Salicobecfel mit ©olbbruef 
auf einer Vrocatbede unter bem ßuftre eines Salons ju liegen, 
um gelegentlich, je nach ber mehr enthufiaftifchen ober fritifcljen 
©emüthSart ber Umgfcenben, als VeweiSmittel ju bienen, „wie 
wit’S fo Ijerrlidj weit gebraut", ober „in welcher traurigen Seit 
beS ©pigonentgumS wir leben“. 

SBenn StormS ©ebidjte es beffen ungeachtet — um es hirj 
auSjubrüdfen, trofc ßathinfa 3*1 unb Sluguft Sorrobt — baljin 
gebracht, in mehr benn jwanjig fahren eine Heine, boef) um fo 
anbachtsooßere ©emeinbe um geh ju fammeln, fo oerbanfen fie 
bieS hauptfäcglich einem $ülfSmittel beS SlutorS felbft, einem 
©mpfehlungSbrief, ben er ihnen mit auf ben boroenooflen SBeg 
heutiger VerSfüge gegeben. ®iefe Bon 3ahr ju 3ah* erneuten 
Vegteitfchreiben finb feine Stooeflen. 

3n Vejug auf bie leiteten gehört eS fchon feit geraumer 
Seit ju ben SlnftanbSartiletn beanfprucfjter literarifcger Vilbung, 
fie ju fennen. ©S ift unnöthig, biefem Sage etwas SEBeitereS 
ginjupfügen, als baS SBort attrömifeher SEBeiSljeit: Sapienti sat. 

3m Uebrigen genießen fßrofabichtungen in unferen lagen 
ben unbejWeifelbaren Vortheil boppelartiger Verbreitung. Su 
feinet 3*it, in feinem ßanbe finb ®i<htwerfe bem ganzen Um* 
fange beS Volles, in beffen Sprache fie rebeit, fo pgänglicg 
gewefen, Wie in unferer burtf) ben Slbbrucf in 3eitfcf)riften unb 
geuißetonS non ®ageSblättern. ®er Unbemittelte nermag fie für 
ein ©eringfügigeö als ©igentljum ju erwerben; fie brängen fich 
bem Zheilnahmtofen auf, fehren Wieber gleich bem fteinbögtenben 
tropfen. SRancbem ©mpfänglichen leitet ber Sufalt baS SEBerf 
eines ®idjter8 in bie $anb, ber ihm bis baljin fremb war, ben 
et uidht im-Vttdhfebe« «nfgefudht gaben würbe. ®ocg je$t ift 
ein unfidjtbareS Vanb jwifegen ihnen gefnüpft, baS nicht wieber 
jerreigt. ®aS einmalige SBogtgefaßen ftrebt nach ©rneuerung; 
bie SEBiebetgolung erhöht bie Suneigung, erjeugt begehrlichen 
©ifet, ßiebe unb Verehrung. So bilbet ber Slutor geh eine 
©emeinbe, bie fich ßteith ben SEBeßenfreifcn eines ©ewäfferS Oers 
breitet; fo bilbet fie ihm einen Slamen, beffen RluSbegnungS: 
gewinn bem nämlichen Vilbe entfpridht. 

®er erfte SEBurf, mit bem iheobor Storm baS SBaffer in 
©tregung fegte, war feine Slooefle: 3mmenfee. Sie umfaßte 
wenige ®rnefbogen, bo<h wie im fteinen Seim bie Vlütgenfüfle 
eines fpäter weitfefjattenben Saumes, lag in ihr ber ganje Sauber 
jener neuen, eigenartigen ®idjtung oorgebitbet, beffen SReicgthum 
heute bie „©efammelten Schriften ®geobor StormS" feinem 
Solle bieten. 

ÄuS ber Statur unb bem SRenfcgengaupt, bem praltifchen 
unb geiftigen ßeben, fpringt feine ägiSgerüftete SRineroa in bie 
SEBelt hinein, unb eben fo wenig aus ben ftets neu fich öffnenben 
gäcgern ber ßiteratur. Sticht Shafefpeare, nicht ©eroanteS, nicht 
Goethe glichen jenem olgmpifcgen SRgtguS. Sie fanben Vor: 
ganger, benen fie ooraneilten, ßegrer, welche ber Schüler über= 
traf. So faitb Storm jeitgenöfgfcgc Vorbitber unb SReifter ber 
^ Stooefle, bie feiner poetifegen tlttfchauungSwcife unb feinem ©e: 
ftaltungSbrange entfpraegen. ®ie fjauptfäcglicggen waren Stifter, 
SORörife, ©ichenborff. 

SRit allen breien befifjt er 2tegnlicgfetten, gegen alle brei 
SBerfchiebengeit unb eigenfte 2lrt. 21 m meiften ähnelt er ihnen 
in einer felbftgewählten Vefegränfung auf ein jiemlicg eng= 
umfdftiebeneS ©ebiet ber ®icijtungSform unb ber Bon ihr um= 
rahmten SBiebergabe beS ßebenS. 3h m ift ber Stoff weniger 
bebeutenb, als bie poetifche Selebung beSfelben; nichts erfreuet 
ihm p geringfügig, ber Seadjtung unwerth, bag es nicht einen 
«Spiegel menfcglieher ©mpfinbung unb Stimmung ’p bieten, als 
ein Slbbilb berfelben hwborjutreten oermöchte. UeberatI geht 
er baS „ffitwaS um bie ®inge", ihre poetifche Sttmofpgäre, beten 


SBagrnehmung baS Stuge beS ®idjter3 Bon bem anberer ßeute 
uuterfcheibet. So bebarf er feines ^inauSfchWeifenS in bie 3erne, 
nach bem grembartigen, Ueberrafcgenben, fettfam Verfnüpften; 
baS Stächfte, fcheinbar HQtägliche, bringt ihm ftets SteueS in 
utterfchöpflicher Süße bar. Seine Stooeden bewegen ftdh mit 
wenigen Ausnahmen faum über baS SEBeichbilb ber „grauen 
Stabt am SOteer", feinet ftinberheimat hinaus. SRau fönnte faft 
fagen, bag ihm ein eigentlicher Stoff unnötig fei; er bur<h ; 
wanbert mit ben wirtlichen Stugen bet lebenbigen ©egenwart 
ober mit benen ber ©rmnerung bie alten ©affen feiner Vater: 
ftabt an fonnigem ffrühtingStag, im grauen Swieli^t beS ^erbft: 
abenbs, blieft Born einfamen ®eich über Sluth unb ©bbe auf 
bie fernen nebelnben 3nfelfchatten hinüber, bie Bor einem halben 
Sahrhunbert bort gerabe ebenfo in SSBinb unb SBeHen gelegen, 
als ber ftnabe jum erften SRate in bem nämlichen leife ftim: 
mernben ®eidjgrafe ftanb — unb bem ^eimgefefwten hat geh auS 
ben alten ©lementen ber Statur unb ber SRenfdjenbrug ein neues 
Vilb oerwoben, ooß ßebenSwahrheit unb Schönheit, trüb unb 
fveubig, bo<h immer oon jenem in leifer S^wermüthigfeit 
rinnenben ßidfg umgogen, baS bie Sonne auch am golbhcßften 
®age über bie braunen ©iebelbädfjer, baS weehfetnbe SReer, bie 
unabfehbaren SRarfchWiefen, $aiben unb SRoore feiner Heimat 
auSgiegt, aus benen nur bann unb wann, wie am SRanbe ber 
SBelt, eine faft geigerhaft graue ®hurmfpi&e ^erauffteiflt. 

SEBie bei ben brei oben genannten ®icf)tem bilbet bei 
Storm bie Statur bie Ouefle, ben SlntäuSboben feinet poetifchen 
^raft. 2lber er unterfcheibet fich oon aßen ®reien in feinen 
Vrofabichtungen unter Vereinigung ihrer Vorzüge in Bottheil: 
haftet SSBeife. ®er nämliche feinge ®uft ber Voefie überfchwebt 
feine Schöpfungen im ©rogen wie im Steinen, in jeher Seit«/ 
bo<h ge finb realer. @r oermeibet bie nicht fetten ermübenben 
Vreiten Stifters; ihm lann baS Stottern eines $alnteö im 
SEBinbe Bon ber nänctichen Vebeutung fein, aflein er wäre auger 
Stanbe, in fünftterifcher UnBerhältnigmägigfeit feitentang babei 
ju oerweiten, unb feine fürjere Verwenbung beS poetifchen SRo: 
menteS barin ift WirfungSBoßer. ©egen ÜRörile unb ©idjenborff 
gehalten, gewinnt er burch oößige ßoSfagung oon aßem 2tße: 
gorifchen, Unficheren, Unbeutli^en; auch u>o feine ©eftalten noch 
fo jart organigrt finb, gehören fie bem wirtlichen ßeben an, 
begfcen Steifch unb Vlut, flehen auf leibhaftigen gügen, nidht 
auf einem ®raumgewött ober halb phantagifdjen $ogament. 
Sie gnb ängerer 2lrt, flat erfenntlidh burch aßen ®uft, ber ge 
umbreitet. ®er ®icf)ter philofophirt niemals, aber bie natür: 
liehen VorhetbefHmmungen, baS ^anbeln, bie Schicffale feiner 
©eftalten bitben eine ftißwebenbe fßhttofophie, juraeift eine 
tächetnb>f<hwermüthige Sritit beS ßebenS. 

@S ift felbftbegreigich, bag oon einer fo grogen StoBeßeu: 
§ahl, wie bie „©efammelten Schriften" StormS ge jefyt in fünf 
Vänben jufamraengefteßt, nicht aße bie nämliche bichterifche Se= 
beutung beg|en, bag felbft unter ben heroorragenbften ®iefem 
bie einen, 3enem bie anbern noch fompathif<h et entfprechen. 
®o<h werthloS ift leine; leine entbehrt beS feffetnben Saubers, 
beS poetifchen ©olfftromeS, ber ans oerborgener ®iefe feine 
SBärme unb belebenbe SEBirfung p aßen auffenbet. Unfraglich 
mit am reichfteit in berjenigen, welche bie fchöne {Reihe begonnen, 
im „3mmenfee" unb in ber erft fürjtidh erfegienenen Slooeße, 
bie bis heut baS tefcte ©lieb barfteßt: „Aquis sabmersus“. 
®o<h j^weifeßoS ftehcit Biele ebenbürtig in ihrer SRitte; oor aßen 
„3n Sand 3ürgcn — .^in^elmeier — fßoppenfpäter — 
Von 3efct uub ©hebern"; baS ßefjtere beg|t fein «Seitenftücf 
sui generis in ber beutfehen ®ichtung. Stnbere mögen anbere 
ßieblinge beoorjugeit; bag ge es tljun, liefert einen VemeiS beS 
SReichthumS, mit bem ®h e °bor Storm unfer Volf befchentt hat. 
So geht er noch Boßer SRenf^en: unb ®ichterlraft, unb 
Bießeicht ift fogar $ognung Borhauben, bag noch einmal ju 
feinen ßebjeiten ihm eine ßiteraturgefchichte einen anbern Vlafj 
als jWifchen Sathinfa 3«Ö unb Sluguft ©orrobi einräumt. 3« s 
beg: Habent sua fata poetae, unb mit bem poetifchen Verftänb: 
nig beutfeher fßeafegoren ift nicht ju fpagen. 

_ JDiltjelm 3<«f*n* 


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124 


Ile <$*grn««rt. 


Nr. 8. 


®ttt neuer franjöftfdjer Dtdjier. 

Slnbrö X^euriet. 

Le chemin dee bois.*) 

@« ift mir jufättig ein nicht übertrieben ftorfer Sank 
franjößfdjer ©ebidjte in bie #änbe gefallen. 3dj habe junädjft 
einen flüchtigen ölid htneingeloorfen, bann barin geblättert unb 
fchließlidj ba« ganje ©uch Don ber erften ©eite bi« §ur testen 
aufnterffam unb jum Xheil ttrieberholt burchgelefen, unb j»ar 
mit bem »oflßen ©ehagen, mit ungetrübtem ©enuße. ®er Ser; 
taffer, Änbrß Xheuriet hat, »ie au« einer Slnfünbigung be« 
©erleger« h e ^>orgeht, fepon eine ganje fließe »on Serien »er; 
öffentlich; ich geßehe, baß ich feinem tarnen hier jum erften 
EJtal begegnet bin. Slber biefer eine Sanb genügt auch 
lornmen, um ben Serfaffer al« einen ber wenigen wirllich be; 
rufenen dichter ju tegitimiren, um ihm bie Slnwartßhaft auf 
eine au«gejeichuete Stellung unter ben tebenben ®id)tern feinet 
©aterlanbe« ju geben. Xaß Xheuriet bie Behrjaljre bereit« 
hinter fi<h h a *, erfieht man ohne SKühe fowohl au« ber Sicher; 
heit, mit ber er bie poeiifdje gorm beherrfcht, wie auch befonber« 
au« ber ©infachhi* unb Ungefudjtheit ber Xarftettung. Saft 
alle jungen Seichter im heutigen granfreidj lehnen ßd) in ihren 
©rftling« werfen an einen ber befannten Steiftet an: je nach bem 
#ange ihrer Snbioibualität, entweber an ©ictor £ugo ober an 
Stlfreb be Stuftet, beren ©igenart fie meift ju überbieten beftrebt 
ßnb; fie fuchen bie Originalität junächft in ber Uebertrumpfung. 
3m „Salbpfabe" non Xheuriet über ift feine ©pur eine« ber 
berühmten Sorgänger ju erbliden. Xheuriet ift einfach unb 
fdjlicht, unb feiner ehrlichen Statur liegt bie ©efahr, niemal« 
in’« Xrioiale ju fallen, jebenfaH« näher al« bie ber ©efpreijt; 
heit unb ber ©ftecthafcherei. Xie ©ebichte finb faft ohne Slu«; 
nähme Don einer tiefen ffimpßnbung burdjbrungen, echt inner; 
lieh unb in ber gorm tabello«. ®« ift fehr ferner, bem ßefer 
ben Sorjug eine« Iprifchen Xichter«, ber in einer anbem Spraye 
fchreibt, ju Deraufdjaulichen unb befonber« eine« dichter« wie 
Xheuriet, ber weniger ftrahlt al« flimmert, ber weniger über; 
rafd>t al« erfreut. 3<h h a l* c & inbeften für eine Pflicht, auf 
biefe fehr bead)ten«werthe unb ungewöhnliche ©egabung auf; 
merffam ju machen; Xheuriet« Stame wirb, wenn mich nicht 
Sille« täufefjt, halb unter ben beften SHdjtern be« jungen granl; 
reich« flenannt werben. 

®er ©anb enthält eine flteihe Don @tintmung«bilbern, 
welche im ©ntwurfe unb auch einigermaßen in bet Sehanblung 
an bie Don ©manuel ©eibel übertragenen ©ebidjte Don gran; 
9 ©i« ©opp6e erinnern (fiehe „©egenwart" X, ©. 265. 342). Xljeu; 
riet halben feinigen nur eine weit größere ®u«arbeitung ge; 
mährt unb bei ihm erweitert ßch ba« ©timmung«bilb bi«weilen 
ju einer htappen poetifchen 9to»elle. ®en Schluß be« Sanbe« 
bilbet fogar eine richtige ©rjäljtung in ©erfen: „®pl»ine". 

®u« ber erften Slbtheilung, welche ben Xitel: „3m Salbe" 
führt, will ich im 8tu«jug unb in ©rofa eine« ber ©ebichte 
wieberjugeben fuchen. Xie ßieblichfeit unb bie Sehmutf) be« 
poetifchen Original« werben ftch au « ber beutßhen ©lijjirung 
freilich nicht erlernten taffen, inbejfen toirb, wie ich glaube, ber 
ßefer hoch wohl merfen, baß er e« mit einem au«erlefenen 
©eifte ju thun hat. Xa« ©ebid)t h e ifei* »%>ie SKaibtümchen; 
©ucherinnen" unb beginnt fo: 

„Stutter unb &iitb machen fleh auf jum ^ochmalb. Xie SJtutter 
horcht unb hält SBadjt. ®u« bem jetlumpten toollcnen ßetbchen fie^t 
bie abgezehrte magere ©ruß h eröor * ^inb folgt ihr barhaupt 

uitb barfuß, ©eibe fchleichen burch bas (Ueffräuch, um SDtaibtümcheit 
ju fuchen. SKaiblümchen — um fte ju »erlaufen! Xeitn baheim iß 
®üe« leer, Giften unb Äaften; nur ein toeinenber ©äugling iß in feiner 
engen »eibenen ©iege jurüdgeblieben. Xie ©tabt, »o SltteS ßch »er= 
lauft, »irb ihnen für biefe ©lümchen ©etb geben. ®uf benn, jum Serie! 
3h* ©taiblümchen mit ©uren Keinen ©loden füllt ihre #örbe! 


*) Paris 1877, Alphonse Lemerre. 


©ie bringen burch ©eßrüpp unb feuchtet ©ra« mit blutenben güßen, 
»ährenb bie ©onne burch bie ©lötter gleitet, geheimnißDoü toie ber 
©eliebte, ber hrimlich am ®benb jum ßiebchen {gleicht. ®üe« glipert, 
bie ©turnen unb ba« feibige ©too«. Sa« aber Wmmert ße ber ©onne 
®ufgang? 

©ie fchreiten fürbaß »eiter unb toeiter, bei »adhfenber ^i|e unb 
büden ßch. ©on 8«t ju Qeit fdhilt bie ©tutter ba« £htb, ba« ju lange 
am ©adje »ertoeilt. Xie Gießer ßnb Dott »on ßuß unb glügelfchtag. 
Sille« jtoitfehert: bie Stadhtigall, bie Slmfel, bie Xurteltaube. Sa« aber 
lümmert ße ber ©ogetfang? 

©ie »erben am ftbenb, »enn ber ©chatten auf bie ©traße fällt, 
ihre ©träußchen ben ©orübergehenbett feilbieten unb Sitte, güngliitg, 
3ungfrau unb ©rei« »erben ben SWaiblümchen eine fdjöne ©tuitbe 
baitlen. — ©ine fchöne ©tunbe ber Xräumerei. Xie ©tutter unb ihr 
Äinb aber »erben hritnfehren , ein ©tüd harte« ©chwarjbrob effen unb, 
»enn ße in ihrem feuchten, jämmerlichen ©tübchen allein ßnb, mit 
ßebernber §anb noch einmal bie mit ©rünfpan beßedten Äupferßüde 
überjähten. Unb bann werben beibe ohne eine anbete ®u«ßcht al« bie 
auf bie Dual unb ben ©erbruß be« nächßen borgen« unb ohne eine 
anbere ©rinneruitg al« bie an bie @ti<he ber Xornen — bann »erben ße 
einfdßafen mit bem fehnfudht«»otten ©erlangen, in traumtofem ©cßlummer 
ben 3ammer eine« broblofen Xage« ju »ergeßen/' 

Xie jrneite Slbtheilung führt ben Xitel „ßanbfchaften unb 
©ilber''. 28ir wählen barau« al« ©egenfafc ju bem »origen 
©ebichte bie gemütliche ©djilberung, bie Xheuriet „3nt ^aufe /# 
nennt. 

,,Xa« 3immer iß frieblich. 3m Äamin ßadert ein helle« unb leb- 
haße« geuer. Xraußen pfeift ber Sinb unb ber fliegen fdßägt an bie 
©cheiben mit einem ©eräußh, ba« bem ©cßluchjen ähnlich iß. Xie 
ßampe mit bem grünen ©äßan »erbreitet ein fanfte« ßicht um ben 
gamilientifch- Slu« ber ©afe, bie mit fpätherbßtichen ©lumen gefüllt 
iß, bringt ein unbeßimmter fanfter Xuft her»or, »ie ber Xon eine« 
alten ßiebe«, ba« eine fch»ache ©timme fummt. Xer ©ater fchreibt 
Xie flJhitter füllt emfig unb bebäebtig jugleidh auf bem großen ©tid- 
rahmen »erfchlungene giguren mit fchwarjer unb rother Solle au«. 
Xie Xochter ßpt am ©laoier unb »erfucht auf ben Xaßen »on ®tfen= 
bein eine ßiebting«metobie; bann »enbet ße fich um unb lacht 3h r 
^ßroßl, ba« burch einen bleichen ßichtßrahl erhellt »irb, iß ßolj unb 
fpmpathifch unb fo rein, baß e« einer antilen ftarnee gleicht, ©ie iß 
jwanjig 3«h^ e alt. 3u ih rcn Slwgm teuftet bie Siebe jur Äunß, 
ihre ©tirn glänjt unb ihre feibenweichen $aare fallen in braunen 
glcchten auf bie ©chulter. Unb jept fpielt fie auf bem Snßrument, 
ba« eben »erßummt »ar, eine träumerifche SWelobie au« Xon 3uan, 
ein leibenfchaßliche« unb fch»ermüthige« Sieb. Unb »ährenbbem legt 
ber ©ater, um fie ju fel)en, bie geber »eg unb fdßebt ba« ©apier 
bei ©eite, unb bie flJtutter blidt »on ber angefangenen ©lume auf 
unb bleibt unbeweglich, unb fie tauften ©lide unb betrachten mit 
feuchten Slugen bie ©erte be« ©chmud«, ben ©tolj ber gamtlie, ba« 
Seben unb bie Suft be« §aufe«: — ihre Xod)ter!" 

fltodh eine anbere ©tiderin beßngt Xheuriet. ®ie«mal iu 
jener fernerjerfüttten, faft jontigen Sprit, in ber ^eine ba« 
Sieb »on ben fchlefifchen Sebent gebichtet: 

„Xer flttorgen iß lalt, ber Dctober geht ju ©nbe. Xie ©tiderin 
ba oben arbeitet an ihrem genfter, »on »o au« man bie reifbebedten 
Xächer glänjen unb in ber gerne am #orijonte bie gelben #ügel»älber 
fieht. ©ie iß noch nicht bteißig 3ahre alt; aber bie Sugenb, bie Weber 
Siebe noch flttutterfchaft »ergolben, iß ohne Xuft unb ohne fanßen glaum 
»ie eine grucht, bie niemat« bie ©onne geliebfoß hat. 3hre bleiche 
©tim iß gefurcht, ihre Slugen ßnb »on ber Arbeit beim Sichte einer 
ungefunben Sampe gefchwächt unb geröthet; ße iß gebeugt unb ipr 
»ottne« ^leib fchlottert um bie tümmerliche ©ruß. Um ihre Arbeit 
fertig ju bringen, hat fie bie fltacfjt burch»acht. Xie ginger ßnb ihr 
ßeif geworben, ©ie iß abgefpannt unb clenb. ©in rauher §ußen er= 
fchüttert ße. ©ie legt bie Slrbeit, bie fie’ju @runbe rietet, nieber unb 

ihre fchmerjlichen großen Singen fdh»eifen in bie Seite.gtpt 

leuchtet bie ©onne hetter unb ber Sinb iß fanfter. Sangfam unb fanft 
ßetgen »on ber Suft gewiegt lange ©eibenfäben auf, feiner al« $aare; 
ßeigen unb ßeigen leicht wogenb unb wolKg unb feßweigfam fpielt ber 
Sinb mit ihren ©trähnen. ©ie jiehen »orüber, einige laßen an ben 


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Nr. 8. 


Ile $e$enttr«ri 


125 


gtoeigen ihre bnrcpficptigen ©ewebe haften, anbere fcpmiegen fic^ an 
bie ©räfer auf ber ©Biefe. Sie finben überall eine Stüfce, au ©efträucpen, 
an Halmen unb Stoppeln. (Sin Snfect, eine bleibe unb winjige Spinne; 
roebt biefe {eibenen gäben $ur Stunbe, ba fie liebt; unb bann jieljt 
fie wie eine anmutige junge (Stettin auf biefem leichten $ocpaeitSwagen 
ftöplicp baptn. Sie jie^t il)m entgegen, bem geliebten ©atten .... 
nnb ba ift er! 3P* Stoprpalme unb il)r jarten Scpöplinge ber ®f<pen, 
bereitet ihnen ein Obbad) l Unb bu lauer Suftpaucp, toiege bu baS 
geliebte ©aar! — 0 Siebe! .... SBirft Ju, arme Stiderin, benn 
niemals Siebe finben? SBirft Ju niemals deinen JpocpaeitSfcpleiet 
jtirfen, Ju bleibe unb traurige Scpwefter ber grauen Spinne? Äber 
wer fottte fie wop! lieben? 3 P* $erj oerfepmäpt ftoI$ bie läuflicpe 
Siebe, bie falfcp ift wie Uulraut, bie bem SWamte, ber fie bejaht, ©fei 
Unterlägt, unb baS ©Beib, baS fie oerfauft, auf immer befepmufct. ©Ber 
fottte fie wop! lieben? ©in armer unb roper Jngelöpner? Äber bie 
Siebe foftet ja 3eit, unb jeber berlorue Äugenblid foftet ein Stüd 93rob; 
für ben, ber SJtorgenS unb ÄbenbS mit bem ©lenb ringt, ift bie Siebe 
niept gejepaffen. Slein, fie wirb ihre Arbeit am Jage in ber eifigen 
Spelunte weiter fcpleppen, opne £inb, opne Siebtofuug bis jur Stunbe, 
wo fie unter bem 3ammer jufammeubric^t unb bor bem Stimmer 
biefer ©Belt bie Äugen fcpliept. Unb ba, wo fiep ber Slafen über ben 
frijepen ©räbern wölbt, wirb il)r matter Äörper rapen, unb bann 
werben bie SRarienfäbcpen auf ihrem #ügel mit ben gelben ©räfent fiep 
nmfcplingen." 

JaS umfangreiepfte unb bebeutenbfte ©ebiept ift bie poetifepe 
©raäplung „©ploine", bie icp oorpin fepon anfüprte. 3cp würbe 
bem SScrfaffer niept geregt werben, wenn icp bei einer Sefpre^ 
cpung feiner ©ebidptfammlung biefe ©raaplmtg nur oberflächlich 
berührte. 3cp will baS SBefentticpe ber biergig ©eiten langen 
Jicptmtg, fo gut eS geht, itt einem fnappen ÄuSauge pter 
mittheilen. j 

„Oben in bem großen unb faft oben Saale liegt ein Sterbenber. 
3 m jpalbbunfel ppt ein $riefter unb betet, ©in 3 üngling beugt fi(h 
über ba 8 Säger unb fein trauriger ©lid haftet auf einem bleiben ©reife, 
ber^ ohne Sfläge* biilbet unb ohne Scpred ftirbt. Jie Äpnenbilber, bie 
einzigen foftbaren Jrümmer ber Fracht oon ehebem, bliden ernftpaft 
auf ben Sterbenben. 3h r Herren oon ©aulmp, feht I)er, was bie 3eit j 
aus ©urem lepten Siacpfommen gemacht pat! Unter bem ärmlichen 
Jacpe eines #aufeS in ber ©orftabt ftirbt SRarc be ©aulmp im ©lenb! 

„Jer ©reis erhob fiep, ergriff bie §aitb beS jungen SJtanneS unb i 
fagte ihm: «SRein Sohn, ber Job naht meinem Säger; ehe feine mar= 
mome §anb meinen SKunb jeptieftt, höre: Jer ©eijt biefeS gaprpunbertS 
ip fchlecht. Ärbeite niemals an biefem oetbammungswürbigen ©Berfe. 
Sei jtol§! Jeine Äpnen haben baS Schwert geführt; pärte Jeine Seele, ! 
wie fie eS thaten. ©ib beinen tarnen niemals $n ©elbfchachereien per, 
fei niemals §anbwerfer, niemals fträmer; bleibe arm unb fei pol$! 
Sei P 0 I 5 ! Sap biefe ©Borte Jir für immer in bie Seele geprägt fein. 

3n giammen&ügen fotten fie in ber Siacpt Jeinen Jraum erhellen unb 
ant borgen wie eine eherne ©lode Jir im Ohre miberhallen.» ©r 
hatte fleh auf feinem ©ett erhoben unb baS gieber glänjte aus feinen 
Äugen unb bleichte feine Sippen. Sa$amS umfchlang ihn mit feinen 
Ärmen. Jer ÄUe fchwieg. «®r ip tobt», fagte ber ^rieper, nnb be- 
fprengte ben ftörper mit bem äBeihbüfcpel. 3Rit Schaubem gewahrte 
ber junge Samaras, wie Jrauer unb ©erlaffenheit fid) neben ihm nie= 
berliepen. 

„Unten ber fteller liegt im Junfel. Jer erpe Schimmer eines 
bleichen #erbpmorgenS bringt langfam in ben gewölbten Staunt, wo 
9Reifter Stoch, ber SScber, feine SBertpatt h at - ®tü öem Stimmer 
fonunt ber Job. Äuf bem ärmlichen Säger ruht ein oierjährigeS ^inb 
im fjieber unb ftumm. Stoch eine ©ewegung, noch ein lepteS 3*tden, 
wie ber lepte Schauer eines ©ogelS, ber einfcpläft, unb bann nichts 
mehr. Sie ip tobt. 3h re ® ec * e Piept öem feuchten Äeller auf 
^mn Jpimmel ber ftinber, aum blauen, ftraplenben Fimmel, wo nicht 
eine ScpmeraenSthräne quittt Jer Keine falte Körper bleibt auf ber 
Shipepätte, bie &üge beS ÄinbeS fmb trop ber bläulichen ©läffe fcpön, 
benn bie Äinbpeit ip gefegnet, unb ipr Steia ip fo pari, bap er 
fefbp bem Jobe obfiegt Jie gamüie pat fiep um bie 2Biege gefam= 
melt. Jie SRutter ip 00 m Scpntera unb 00 m Scpreden wie oemieptet; 
pe glcicpt einer Stiobe. Jer ©ater ©teiper Stocp beugt fiep über baS 


Äinb, angpooH unb forfepenb, als glaube er eS noch niept. 3 « feinen 
güpen fauert ein armer Ärüppel, 3 ean ©aißou, ber „ber glöter^ ge s 
nannt wirb; ber fcplucpat unb brept awifepen feinen mageren gingern ein 
Äinberfptelaeug langfam pin unb per. Jie ältere Scpweper fepneibet 
aus einem ßfeibe ein Seicpentucp für baS tinb. Sie ift emppaft unb 
niebergefcplagen. Sic ip fepön. Sie befipt niept bie Scpönpeit ber 
Silien unb ber Stofen, niept bie perrlicpe erfcploflene Scpönpeit, jene 
Schönheit ber ©lüdlicpen; ein innerlicher Steia, einbringlidp nnb ge= 
fammelt, ift ipr eigen. 3pr mageres unb ftolaeS ©efiept wirb beftraplt 
Oon awei tief braunen, lebenfprüpenben Äugen, rein wie baS ©taffer beS 
öuetts unb ebenfo bureppeptig. 3 pre fcpwaraen weichen £>aare ftreifen 
ben weipen Staden. ©S ift Sqtoine. 

„©tittlerweile wirb eS peßer im fetter. Jer ©ater pept plöplicp 
auf unb fagt mit ftrenger Stimme: «Sie ip tobt unb 3P* fönnt no^ 
punbert Sapre fcplucpaen, 3pr wedt fie boep ni^t wieber auf! Stun ip 
genug geweint! Ja oben wirb fie Weber frieren noep hungern unb wir 
Ueberlebenben müffen an unfere Ärbeit benfen. ©S nüfct nicptS, bie 3eit 
mit ©Beinen au oerlieren. Ärme Seute paben feine 3eit %nm Scplucpaen. 
©erpepft Ju mich, 3ean ©aittou? Stun pört auf.» Unb ber ©Beber fe^t 
fiep an ben ©Bebftupl; aber trofc aller feiner ÄnPrengungeit bäumt fiep 
ber innere Scpmera auf unb fepafft fiep ÄuSbrud. Jer ©Beber erftidt 
fap; fein £era pebt fiep, feine Äugen werben feuept, unb unter feinen 
aitteruben gingem oerwideln pep bie gäben, unb bie Jpränen, bie 
unterbrüdt waren, piepen in Strömen, nnb ber pnftere Staunt wiberpattt 
oon Seufaern." 

Äuf bem f ireppof begegnen fiep SaaaruS unb ©ploine, benn 
ber 3ufall pat eS fo gefügt, bap ber öerarmte ©beimann neben 
ber armen SBebertocpter gebettet ift. SaaaruS ift oon ber ©cpön* 
peit unb bem Siebreiae beS jungen ÜJiäbcpenS wie geblenbet unb 
er folgt ipr. Stocp ein Änberer folgt ipnen: Scan ©aittou, ber 
Jräumer, ber ben juugen ©beimann mit einem finfteren unb 
miptrauifepen ©liefe ftreift. 

Jie Ä^oftrobpe JpeurictS an baS SJtonbticpt ift wnnberoott: 

Parmi tous les foyers de lumiäre ideale, 

La clartd la plus pure et la plus amicale, 

0 lune, c’est la tienne! — A Theure, oü le soleil 
S’dteint dans les Tapeurs de l'occident yermeil, 

Tu sors timidement de la caline retraite; 

Sur ton tröne d’axgent tu te glisses discrete, 

Et des ^toiles d’or le peuple harmonieux 
Dispose autour de toi ses choeurs silencieux. 

3«an EaiHou öffnet baö genfter feine« ärmlichen Stübchen«. 
®r liebt ©btoine. ®t ift matt unb traurig unb feine SBruft 
ift oofl bon jurüige^attenen ©eufjent. 25er Siegen ^at aufge= 
tjört, er Ijört bä« @e!(apper ber 2Bebftüt)te. 3ean SatQou fie^t 
gegenüber na^ bem 9ta^bar|aufe; ba flimmert bie Sarnpe @t)l= 
Dinen«, unb ba nimmt er feine Slöte unb ftimmt in ber ftiflen 
Sladjt ein fc^mermüt^ige« unb fanfte« Sieb an. Sajaru« 

fifet am ffenfter unb benft an Stjloine; er fämpft einen ferneren 
Äampf mit ft^ felbft nnb immer Ijört er bie ÜRaljnung: ®e> 
benfe beine« ©tanbe«! 

„ 3 itbeffen erli(djt bie iiambe unb nur liotb beine filberne @i«bel, 
o SRonb, »erbreitet eine matte ^eEigfeit. SJtan bört in ber Seme nur 
noch eine ftagenbe Slöte, beten trauriger unb fanfter @efang Ijerfi&ertönt. 
9tod^ ein ftbrnacber Ion, bet DerbaHt unb tüle« Derftummt unb 9CEe« 
jibläft ein im ffrieben ber Sttad^t." 

Sajaru« fa|t ben ffint{($(ufj, ficb um @^ ö i nen i» bewerben. 
Stber ber alte SBeber b«t feinen @tolj fo gut wie ber ®bel= 
mann; er berweigert bie §anb feiner Xo<$ter bem Jüngling, 
ber eben nur einen glänjenben Kamen führt unb nicht arbeitet. 
Xiefe Semüthigung ift für ben ®belmann hrilfam. @r wirft 
bie iBorurtheile feine« Stanbe« bei Seite; er ^at ben feften 
Sillen, ein anbere« Seben anjufangen, ein arbeitfame« Seben. 
3m SBalbe begegnet er einer ®chaar Don $otjhauem, bie mit 
fröhlichem ftefange an bie Arbeit gehen. ®r fehltest ftdh ihnen 
an, er arbeitet wie fie, er erwirbt flcEp einen deinen SBefife. 
®o oergehen Sage, Wochen, SWonbe, ohne bafe er ®^loinen 


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126 


lit Gegenwart. 


Nr. 8. 


mteber fieljt, aber er gebenft iljrer ofyne Unterlaß. Da fommt 
eines DageS 3ean ßaiüou unb fagt ju i^m: „äRatt ruft Sie, 
ba hinten in ber '-Borftabt." „©tjlöine?" fragte SajaruS. „Sa. 
2Bir wollen feine 3eit »ertieren, ©tle tl>ut notlj; nehmt ©elb 
mit." Ünb fie machen fich auf ben SBeg. Sn ber Sßorftabt beim 
©eher f>errfc^t bittre 9totf). Die ©aumroolle ift theuer gewor* 
ben, bie gabrifen finb gefdjloffen; eS ift feine Arbeit ba. 3m 
Keller beS SReifterS SRod» flappert ber SSebftuht nicht mehr, eS 
ift fein ©rob ba; ber Sommer ift grofe. „Selig finb bie 
lobten", fagte SReifter Stoch- „Die Stacht beS Kirchhofes ift 
beffer als ber lag ber Sebenben." Unb bie SRutter murmelt 
jwtfdjen Dl)ränen: „SBenn man eS wagte! — 3<h bin jidjer, 
eS gibt auf ber SBett noch gute £>erjen, bie unfere Seiben rühren 
würben; eS würbe fich f° manche £>anb öffnen". Der SBeber 
jittert unb foringt auf. „Settein? Das ift ber lefcte Schlag, ber 
auf mich fällt. Settein! SBeSljalb nid|t fteljten? Sieberfterben! 
Da unfer |>anbmerf uitS bodj nicht nähren fann, waS hoben 
wir fjienieben noch 5“ fudjen? SBenn ber gaben ber ©pinne ju 
©itbe ift, fo täßt^ie fich foHen unb ftirbt gefaxt. SBir wollen fterben." 
SllS er aber fief)t, wie ihre Dljränen immer reichlicher fließen, 
fefct er ifinju: „SReine armen Sieben, ich bin unerbittlich, mein 
©totj leitet mich irre." Da öffnet fich bie Dljür un b SajaruS 
tritt tangfam mit Sean ein. Stoch bleibt flehen; er jögert unb 
fragt mit gebämpfter Stimme ganj erftannt: „2BaS wollen ©ie?" 
Unb ber junge SOtann reicht ihm feine wettergebräunte $anb 
unb fagt: „SDteine £anb ift jefct nicht mehr weife, bie Strbeit 
im SBalbe, groft unb ©türm haben fie gebräunt, fie ift rauh 
unb fchwielig. SBoHen ©ie ftolje Seele mir jefet Sljre Dotter 
noch oerweigern?" Stach biefen Sorten tritt eine tiefe ©title 
ein. fßlöfclich bricht SReifter Stoch in Schlurften aus, fdjliefet 
SajaruS unb ©tjlöine in feine Slrme, brüeft fie an feine Stuft 
unb lüfet fie inbrünftig. Der gtöter fifet im ©chatten, ftemmt 
bie ©tirn in feine beiben #änbe unb betrachtet ihr ©lüd. 

©in SDtonat ift »ergangen. ©8 finb beffere Dage mteber* 
gefommen. Der Sefcte ber Sßautmh ift mit ©ploine ausgegangen; 
ber Dag neigt fich u «b morgen ift ber heifebegehrte Dag. SRorgen 
werben bie SBalbarbeiter ben SReifter mit feinet jungen ©attin 
jur befcheibenen Kirche geleiten. 

„Die Dämmerung fentt fjernieber, bie beiben jungen Sente haben 
bie lärmenbe SSorftabt »erlaffcn unb fchtagen nun ben SBeg jum SBalbe 
ein. ©ptöine ftüpt fich jitternb auf ben Slrm ihres Segleiter?. Der 
ffllonb geht auf unb fpinnt fein filberneS Step über ben §otjtroeg. SajaruS 
fe|t fich neben ber (beliebten nieber, oor ihm bas fchlafenbe Dhal unb 
ganj im ftintergrunbe ber unbeftimmte Sichtfchein ber Stabt. Unb 
SajaruS erjäljlt oon feinen fchtaflofen Mächten, bon feinem fefmfuchtS: 
»ollen SSerlangen; unb ©ptoitte erjäfjlt, wie ihr ftoljeS jjcrj fich 
ber Siebe erfchtoffen hat unb fie breitet bor bem entjüdten ©tiefe beS 
jungen SRanneS jebeS fanfte Statt ber leufdjen Slume ihrer ©ecte ans, 
unb bisweiten ftoeft fie befchämt nnb bleibt jpradjtoS. Unb ob fie nun 
fpreefjen ober ob fie jdjweigen, überall erjittert bie Siebe. Die Siebe 
weht in bet Stift, ftc fteigt auf bom ©oben, fie raufdjt in ben Siifdjcn 
unb Säumen unb wogt in ben Kornfetbern, bie ber SRonb mit feinen 
fanften unb ftrahlenben SBetten übergiefet. ®S ift, als wenn ber £>immd 
in burchfidjtigem ©chteier ju ber geliebten ®rbe nieberfteigen wollte, 
wie früher Diana fich inmitten ber Stacht ju ihrem Snbpmion fcf)lt<f|. 
®S ift bie ©tunbe ber Siebe, Stiles jittert unb 9lHe8 leuchtet; aber in 
ber füllen munberbotten Stacht hört man plöplid) einen ftagenben Don, 
einen taugen tjerjjemifeenben ©eufjer. Das bift Du, ungliictticher Scan 
SaiDou. deswegen auch mufeteft Du in biefer Stacht ber ©etiebten 
folgen? 9hm jerreifeen ©eufjer Deine ©ruft unb bie ^erbe ©iferjndjt 
frißt an Dir wie ein ftotjer Seiet, an Dir, Du Opfer einer unmög¬ 
lichen Siebe." 

©8 ift. Wie idj wieberholen mufe, nicht meine 9I6fid)t, es 
fann nicht meine 8lbftd)t fein, burch biefe SRittljeilungen ben in 
Deutfchlanb bisher wohl gänjlich unbefannten Dichter in einer 
genügenben SBeife ju djaraftertfiren. ©8 fann fich h< e r nur 
um Slnbentungen honbeln, unb ich glaube mich nicht ju irren, 
wenn ich annehme, bafe biefe StuSjiige, wenn fie auch oon ber 
ßigenart beS Originals wenig ftd> erhalten haben, boch t)in* 


] reichen Werben, um ben Sefer, ber fich ffi* franjöfifche Siteratur 
! intereffirt, auf biefe {ebenfalls bemerfenSwerthe ©tfcheinung auf* 
I merffam ju machen unb ben Stnfprud) Slnbr6 DfjeurietS anf 
Seadjtung ju begrünben. Die Slfaberaie hat baS SBerl gefrönt, 
©ie hat recht gethan. 

Paul £inbau. 


Itofijen. 


$et Neich«tag bespricht bie«mal einige« Qntereffe auch für ba« 
größere publicum. Sttan ift üor allen Gingen gefpannt auf bie neue 
Majorität unb wünßht ju erfahren, ob toirllit^ bie gefüljrlicf} oerftürtten 
©ocialiften bie anberen Parteien in ©runb unb ©oben nieberfpre^en 
werben. 2Be^ unb Sld), fo taufenbfa^, einiger nationallibetalen 
I ©lütter über bie 3erflüfiung ber gractionen unb bie jtoanjig berlorcnen 
I teuren §aupter wirb bie Tribünen ber 3 u f^ a w er ^ er Seiger 
, ©traße eine 3 e *t ^«0 ungewöhnlich füllen. 9Äan wirb ftch bie 
| $f)t)ftognomie be« jungen Parlament« anfe^en unb beobachten wollen, 

| ob e« wirtlich fchon ein hippotratifche« ©eftcht geigt. 3)ie Siationalpartei 
. wirb in ber erften 3^^ unnötiger SBeife etwa« gebrüeft erfcheinen; bie 
! (Sonfcrbatioen werben ftch auf ihren 3«w fl th^ f e h r ein&ilben unb 
■ mit weiheoollen ©Sorten ben ©anhrott be« oom ©rünberthum anges 
| freßnen Siberali«mu« gum neunhunbertneununbneungigften 5Kal al« 
einen funfelnagelfrifchen ©ebanfen an ben 9Kann gu bringen fuchen. 
SKan !attn niemal« genau wiffen, Wa« in einem toerfchrobcnen h^i«= 
pommerfchen Duertopf borgehen mag. Äber e« wäre boch ein für ba« 
anatomische Sttufeum geeignete« naturhiftorifche« ©h önomen / fällten bie 
früheren feit ber ©chöpfung be« beutfehen Reiche« berfprengten fjeubalen 
ernfthaft h°ff crt / ^ rc 3 C ^ n0( $ einmal wieberfommen lönnte. 
Sieben ben hfttmloä geworbenen Ultra« unb einigen anberen felbft* 
bewußten aber unfähigen ©chattirungen fmb bie SWünner be« cleri* 
calen Zentrum« belanntlich unberünbert. 3eber3oH ein Non possumue! 
2)abei überfchleicht fie aber boch in ftiHen ©tunben bie forgenbolle grage, 

| ob ber (Sutturfampf in ben beutfehen ©auen feinen #öhepunft nicht 
üielleicht fchon überfchritten habe. $ie Äirche ift bei bem ©lorienfehein 
I be« ©türtprerthum« ftet« gut gefahren unb e« ftänbe fchtimm mit ber 
| ftnangieHen Sage be« ©atican«, wüßten bie Gläubigen auch außerhalb 
9lom«, welche ©ewanbtniß e« mit ber (Sefangenfchaft unb bem Seibeit 
[ be« Nachfolger« $etri hat. 3)ie ©leichgültigfeit ber großen SRenge gegen 
bie Notlage be« ^Sriefterftanbe«, bie fleh Mangel ed^ter NelU 

1 giofität feine«weg« bedt, ift ber fchlimmße geinb be« politifch agitiren= 
ben ©leru«. 5)aher ber SBiberftanb be« in folgen Gingen hiporifch ge= 
fchulteit Italien« gegen bie Nachahmung be« beutfehen ftrieg«guftanbe«, 
ber ben ©ifepöfen h^ cr fcheinbare« ®jil ohne irgenb welche 

| ©erlümmerung ihre« perfßnlichen Komfort«, ber ultramontanen <&enojfen= 
j fchaft bagegen bie eintraglichften ©pmpathien toerfchafft hat 3)ie Seit iß 
nicht fern, wo man and) bei un« eine aitbere ®echtmethobe erfprießltcher 
fiitben wirb, foHte auch bari'tber ba« Negiftcr einiger antipöpßlicher 
^rebigten um einige $öite ärmer werben. OTe« in Sfflem wirb ber 
oerjüngte Neich«tag Weber titanenhaft ben Fimmel ftürmen, noch ge* 
legentlich ben tlcheron tn Äufrnhr bringen, fonbern biätenlo« ba« ge- 
j wohnte füll bewegte $afeiit Änch bie etwaige Ärieg«furie im 

! Dften wirb feinen burch Kommiffton«arbeiten unb graction«reben übers 
| mübeten SNitgliebem nicht eine ©tunbe ftärlenben ©djlafe« foften. gür 
1 bie au«wärtige ^olitif forgt ber Neich«fangler, währenb bie ber 
gierung gur ©erfüguitg ßehenben ©lätter, foweit ba« hta «wb wieber 
| nüplith erfcheinen mag, irgenb ein SNanöber au«führeit, über beffeit 
I eigentlichen S^ecf ihnen oft erft längere 3eit hinterher ba« nöthige ß«ht 
j auf geht. ®ie politifchen Greife, wie man ftch au«brücft, hätten fich n* 

I ben lebten Xagen weniger mit bem ©roblem, ob Jfrieg ober griebm, 

I al« mit ber Unterfuchung befchäftigt, ob Kbhem ©afcha wirtlich bie 
fchöne, muftfalifch gebilbete ©äder«to<hter al« feine gweite grau nach 
j Konftantinopel hatte fommen taffen. 2Bie bei bielen ähnlichen ®efchi<htnt, 
welche bie ©erliner ©lätter Veröffentlichen, war ber Name ber fraglichen 
gamilte bi«cret berfchwiegen, baburd) aber auch Prüfung be« ^hat* 
beßanbe« wefentli^ erfchwert. SNan ließ täglich in 3 € itungen 
rom'antifche ©thilberungen ber intereffanteßen ©orgänge, halb mit biels 
fagenben Snitialen, halb unter bem ©dßeier ber Nuonpmität, wrichen 


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Nr. 8. 


lit 6tgtn»*rt< 


127 


mmm Wm wf^üiPf VMP PVQMgFN^fK 9l€frtfWf9 Hit MT OUTH Äf 

publicum merft babon mettig, nnb nur in feltenen Sitten, menn bie 
foliaei, bie nid)t mit pch fragen lägt, in grage fomrnt, erfolgt ein 
Dementi. Ob wtrflidj eine braue Berliner Bürgertodjter in ben ftonaf 
be« ©roßbeaier« am Bo«ßoru« berßhlagcn mürbe, miffen bie ©ötter ober 1 
bie Beamten be« Siebier«, mo fie abgemelbet mürbe. SSietteic^t gibt fie \ 
fpäter ihre Memoiren h**au« unb enthüllt für entpfmbfante Seelen bie | 
fle^eimniffe be« mobernen ©arent«. SUerar^iftorüer aber, bie auf Bott= ' 
pftnbigfeit Slnfßruch machen, fottten bie ptmntung«botten (Stählungen 
ßlefiger Berichterßatter nid)! unbefßrochen lagen. Slttetbtng« müßten fte i 
bann and) bie Slnalßfen fogenannter bißlomatifcher Xepeßhen, gfipruc- * 
Honen imb ©onberfatjonen, bon melden bie öffentlichen Blätter feit 
einiger Seit proben, in ben Streik ihrer Vorträge gieren, ma« bie Be= 
maltigung be« p^antapifc^en Stoffel feine«meg« erleichtern mürbe. 

* 

* * 

Unter bem Xitel „Xramaturgifdje Flitter" erfc^eint im Verlage 
ber Xürr’ßhen Buchhanblung in Seidig eine neue 9Jtonat«phrift, bereu 
©eras«geber Otto ©ammann unb SBilfjelm ©enaeit finb. Xie Probe* 
mtmmer enthält eine £Rei^e bon fehr intereffanten Beiträgen, melche bie I 
ernßhape Dichtung ber neuen 3eitßhrift befunben. Slu« ber Sifte bei* j 
SRitarbeiter ergibt ftch, baß ba« S31att unter ben befähigten auf eine | 
manne Xheilnahnte rechnen barf. SBenn mir auch gemünfd)t hätten, 
baß ber Berfaffer be« ^tuffa^ed „(Einführung 77 einige feiner h«ben Slu«* 
fprüche nicht gan$ fo allgemein gehalten hätte, fo mtrb man bo$ im 
©roßen unb ©anjen mit ben barin entmicfelten 3been fein Sinberpänb* 
niß auSfprechen fönnen. ©in eropljape« ehrliche« gadjblatt für ba« 
Xheater, ba« fich bon allen perfönlid^en Siücffichten frei hält, ip ber all* 
gemeinpen Unterpüßung mürbig unb mirb eine gute SBirtfamfeit au«* 
$uüben in ber Sage fein. Ueber bie Slnorbuung be« 3nljalt« möchten 
mir un« noch ein* unmaßgebliche Bemerfung erlauben. SBir mürben 
e« für ßraftißh halten, menn bie Keinen berichte au« ben berßhtebenen 
Stabten möglich ft fnaßß gehalten mürben. gür ein Blatt, ba« nur auf 
Xheaterfreife berechnet ip, ip e« ja jmeefmaßig, bie barpellenben Äünpler 
namhap a u machen; für eine Seitfchrip mie biefe aber, melche ßcß an ba« 
große publicum in Xeutphlanb menbet, ip e« gana gleichgültig, mer bie 
Stollen ber erpen ßie&haber ober bie ©harafterrotten in biefer ober 
jener Stabt fßielt. §« fottten auch nur bie midjtigPeu Siobüäten unb 
nur folche, bie $u einer mirflichen erpen BotPettung gelangen, b. h- bie 
noch an feinem anberen Orte aufgeffihrt pnb, eingehenber befprochen 
merben. Xer baburch gemonnene Staunt mürbe, mie mir glauben, ameef* 
mäßiger auf bie Belptnblung attgemeiner Xheaterpagen ju bermenben 
fein, ©ine SRonatöfchrip ip ber Statur ihre« ©rfcheinen« nach barauf 
angemiefen, bormiegenb folche Prüfet $u bringen, melche ber ©efahr 
be« Beralten« nicht unterliegen, unb bie (£orrefpottben$en, melche fich 
mit einem theatralifchen Xage«ereigniß befchäpigen, lommen in ber 
3Dh>nai«f<hrip fap immer berfpätet jum Slbbrucf; mit anberen SBorten: 
e« märe bietteidp gut, menn ber ©harafter ber fogenannten „Rayues“ 
in biefer Seitphrift rfoch pärfer herborträte. Xie „bramaturgifeßen Blätter" 
erfdheinen in anpänbiger Slu«pattung in heften. SBir empph^n bai 
Statt allen greunben bei Xheater« angelegentlich. 


©flfrne Briefe uttb jUtfwotfeit. 


Her Pfarrer mm Ätrcßfriö. 

©eehrte Stebaction! 

3n Sit. S be« laufenben XI. Banbe« ber „©egenmart", „öefe- 
fti«5te #/ , atoeiter tlrtifel, gefchieht auch meiner burd) ein paar peunb= 
Mhe ßeilen ©rmähnung, au meinem £eibmefen hat ftch jebodh babei ein 
W i ßft e rpäiibniß eingefchüchen, ba« ich unachtfamer SBeife bid^er habe 
§atoäh^ e ° Waffen. 

$an« ©opfen fchreibt nämlich, er habe meinem „Pfarrer bon ^irdh- 
nie gana gerecht merben fönnen, meil er niemal« begriffen, marum 
lec gute ©irte, ber im lebten Siete nicht anpeht, eine freie ©emeinbe 
jm j/ßßßMt m nü)t int brüte« ober vierten entfließen fann, pine 
angeMte ©auühälterin an ©eirat^en. 


ftne Sttffaptig, bet ftch SSiele anfcßließen bürpen, um fo mehr, 
ba ich mich felbp b«au befettne; aber bamal«, im 3 a h* e 1870, al« ba« 
Stücf an bie ©ühnen Storbbeutfcßlanb« Serfettbuwg fam, mar ich 
noch an feßr Storfing, um mich für alle 3atte boraufehen unb fo gefchah 
e«, baß gaua ohne mein Snthun, rofeh eine „ Bearbeitung für Storb' 
beutfchlanb" anfammengehubelt mürbe, beten Urheber e« für überßüfftg 
fanb, ftch auf bem Sattel an nennen. Xiefe „Bearbeitung^ nun fließt 
mit ber ©rünbung einer freien ©emeinbe; ma« man fich in bem ge= 
gebeiten gatte unter einem foldpn Xiitge boraupetten habe, ip mir nicht 
recht Hat. Xa« Stücf jebo^h, mie e« in Oepreidj unb Sübbeutfchlanb 
gegeben mürbe unb noch toirb, unb mie o« auch gebrueft borliegt, meiß 
nicht« bon einer foldpn „©rünbung' 7 , bielmeßr nimmt ber Pfarrer aurn 
Schluffe boit feiner ©emetube Äbfchieb, um fie© bem ©eridpe feiner 
Obern an pellen; bie gtgur be« alten Pfarrherm bon St. 3*f®b in ber 
©inöb’, melche im erpen Äcte auftritt, gibt ein annähtrnbe« Bilb be« 
£oofe«, bo« ihm augebadp fein bürfte, er aber geht ber Strafe, ber er 
im borau« gemärtig, ungebeugt unb ftch felbft getreu entgegen. 

3<h habe mich lange genug auf gelegentliche, münbliche Slbmeljr 
befchränft, aber ba fich i e |i biefe« Btißberpättbniß 5 tmfc©en mich unb 
einem mir mof)lmottenben, bon mir fehr geachteten Äutor ftetten mitt, 
unb beffen begrünbeter ©tnmurf auch bem norbbeutßhen Publicum ein- 
leuchten bürpe, fo mirb e« mtr hoch an arg, unb ich bitte biefer 9iichtig= 
ftettung in 3h rcm gef^äpten Blatte freunblich Äaunt gönnen a» motten, 
nachbem ich SluSbauernbere« geletpet, mie meitanb Witter Xoggenburg, 
bon bfm e«, »wtn anber« auf Schiller Berlaß ip, lpißt: 

Unb ein 3ah< ©ot er'« getragen, 

Xrdgt« nicht länger mehr. 

Bei mir geht’« in’« pebeute! 

©enehmige eine berehrliche Siebactton ben 9fu«bm6 twehter borafig« 
liehen Hochachtung, mit ber ich mich nenne 

ergebenp 

©ien. f ♦ 2 ln 3 engruber. 

* * 

Schlaft bet Paula. 

„SBo aber ift ba« bielgenannte Bolf«lieb felbp, bie Schlacht bei 
Pabia? Unb mo ba« ©ebidp be« alten ©eorg grunb«berg? // mirb in 
ber „©egenmart" Sir. 4, 1877, S. 62 gepagt. 

3n $arl ©oebefe« „©runbriß ber beutßhen Bichtung 7 ', I. Banb, 
S. 256 merben unter „©ebießte au« ben beutfeh s franaögfc©- italienifc©en 
Kriegen" in Sir. 35, 36, 37, 38, 89 bie alten lieber über bie Schlacht 
bei Pabia genannt, unb e« mtrb angegeben, mo fte flc© befrabeit, unb 
mo pe abgebrueft pnb. 

Unter Sir. 40 mirb ©eorg bon greu«perg« Sieb: „SÄeht Peiß unb 
müe ich h a * Ö^fbart /7 angeführt unb ebenfatt« angegeben, mo e« 
gebrudft ip. 

(Seorg Bflchmann. 

* • * 

A. P. ßonbon. Xie betreffenbe englifc©e Ueberfepung be« „gaup 77 
ip bon beut Slmertfaner Ba^arb Xahlor. Sie erfc©ien in Bopon bei 
3- 9^- O«goob k ©o. unb ip in Sonbon fomie in ßetyaiß (bei g. St. Brock 
hau«) in autoriftrtem Siadjbrucf erfreuen. 

J. G. in C. Xie anpößtgen Stetten in bem betreffeuben Sluffaß fhtb, 
nachbem bie Siebaction bie Siebipon borgenommen hatte, bom Berfaffer 
fpäter eigenmächtig ©ingugefe^t morben. SBir haben jeßt bafür Sorge 
getragen, baß berartige ©igenmittigfetten, bie fd©lieglic© ber Siebaction 
aur Sap gelegt merben unb für bie mir auch bie Berantmortung au tragen 
haben, nicht mieber borfommen fönnen. 

* 

* * 

3n Beri^tigung ber iu Bb. XI, Sio. 5, S. 77, Sß. 2 ber ,,©egen< 
mart 77 enthaltenen Bemerfnng: ,^ein Slrchib :c. meiß etma« bon einer 
©minena/ bie Slntonettt geheißen hätte 77 , macht un« ©err griboli« 
©offmann, Siebacteur ber „Bonner äeitung 77 , barauf aufmerffam, baß 
ein ©arbinal Slntonetti auf bie Berhanblungen be« bom Siobember 1799 
bi« Stpril 1800 in Benebig abgehaltenen ©onclaue« einen bebeutenbe« 
©inßuß au«geübt habe. 


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128 


Nr. 8. 


9it 





3 «Jje t a i e. 

^in 1H ebactextx 

uon nfttDcmiWcr »ilftung (Hilologt), ber fi<b 
Bnvd) etfja&rige ©rajiS eine au8gebel>nte jour= 
iialiftijcOc (Srfaljrung ertoorben bat, Jjiftoriic^e, 
natiuual&fonomifcI>e, ftaat3recf)tltcf)e unb mtli 
tairluiffcnfdjaftlidic Scnntniffe befifot, be-3 grau 
jöfijdicn unb (Snglifdjcn Oöllig mäd)tig ift, fud|t 
im üaufe biefeä jaljrfS Stellung als ttljef* 
rcbottcur einet größeren liberalen Leitung, 
a(8 fclbftiinbigcr Searbeiter eines Heils ber 
'JMolitir ober als gcuilletonrebaeteur. 

3tt (Srfunbigungen übet benfelbcn finb auf 
©erlangen bic 9lbreffcit beruorragenber ©^ef- 
rebactcnte unb Slbgcorbnetcit oerfügbar. Offerten 
unter (£t(iffre H. 2253. burd) bie «mtoncen 
©Spebition uon fjanfendein & Vogler in öcrlin. 


Preis 60 A. 


neuestes von Paul Lindau 1 

Qm ©erläge uon («buarb fjallbergcr in 
Stuttgart ift foeben erfdjienen: 

71te kranke fiödjttu 

liß Pie /ießc im Pati». 

3tt>ei eruftfjafte ©ejcfjicfjtett 

non 

fpaul Einbau. 

41U 15 3Un(trötionen uon Julius «krentrant. 

8. (Sieg, brojd). s ?rei3 3 JC 
$cr berühmte ©attjrifer, ber aud) auf 
bem $3oben ber ftoüefle unb be£ £itftjpiel» 
jd)ou jo biele Sorbeercn geerntet, gibt bem 
*ßiiblihtm in biefem Söänbdjcn aroei „ernfb 

S e GJcfdjicfjten" — jo nennt er fte unb 
ftnb beibe ©rgüffc beä frifdjefteu 
inor$, ber Ijeiterften Saune. Sinbau jeigt 
fid) ^ier atö luftiger ©rjäfyter, bie Span¬ 
nung unb bie gute Saune beä Sejerö toirb 
bis äuin lebten SBort rege gehalten. _ 

$<*artton, $Jfrrti» s vv , ' > ^nftrafte 110. 


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im Preise von 80 bis 1000 M. pro Mille. 
Zollfreie Lieferung für das Deutsche Reich 
von y i0 Kisten an. — Preis-Courante gratis. 

ftfir bfc SRefcaction oeramroortlic^: $eo rg in Uerfitt. 

Drucf üon fr- ¥eu9tur in ^rivitfl. 




bic '-öif^ofetoaldcn. 

(Sin Beitrag j. @5efc^id)te be§ ®erf)ältnifles 
jtotfrfjen ©taat unb Äirc^e. 

SSon Otto Hcllzer. 

nollig umgrarbfitetf Auflage. 

1876. 8. @Icg. gct). VIII. unb 236 ©eiten. 

s ,ßrei£ 4 JC __ 

3n unferm Verlage erfc^eincn unb finb burc^ 
jebe 33ucb^aublung unb s $oftanftaIt ju beziehen: 

^ramaturgif^e ©(atter. 

(Sitte 9ttonat§id)rift. 

fRcbigirt 

non 

Dr. ©tto ^ammantt tt. töilljclm ^ettjen. 

'.freiS pro Cuartal (3 §cftc ü 5 $Bog.) 4 JC 50 3t. 
$ürr’fdje ©uc^^anblung in 

Berla g uon Jfuliu^ Springer in Gerillt N. ^ 

©oeben crfdjien: 

Haifer ttHUjclm I 

1797—1877. 

pir$efttt Pfiffet, 

^tofeffor in Zubingen. 
mit bftn Porträt bes fiaifers. 

^rei0 8fW.OOiPf. 3nelcg.*ha$tbanb53R. I 

©ine üoflftänbige ^iograp^ie be3 ^aifer^, I 
aufgebaut auf jenen meltljiftorifcben ©reij= I 
niffett, tucldje ben 10 jährigen Änabeu flüchtig I 
bi$ nad) ^emel, ben 73 jährigen öerrfdjer ■ 
in ben ©piegelfaal be^ iöerfailler ©c^toffe^ I 
jur Äaiferproclamation führten — eine ®e= I 
f^ic^te ber Seit, in toelcber ber Äatfer lebte I 
unb mirfte — ein äd}tc33$olfS= unbSamilians I 
bnd^, für alle illaffen unb ©tänbe be§ beut= I 
jd)en ißolfe» beftimmt.___■ 

frfvrMtio«, Ucrfin NW., fiouijenftrafte 32. 


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X» 9 


SSerliu, ben 3. SB ix* 1877. 


XL Band. 



Herausgeber; 'gfditf ^ittbcUt in Verlin. 


|(hi gmutak i#iit tiu |unm. ««bflets 9m t «tüfe in Berlin. 

0u d ü l ff Cu^^wMmniH ltnb fopfflpflltfii. 


jhris fit 9utt»l 4 gUdi 50 jff. 

Snferot« lebet Htt pto Sflefoxtltene tytüieüi 40 $f. 




■ ■--.. -i.j .1 .L. 1 . _ - - i- -LiiiJ ... ... .n-,ii. ... . ■ = 

BtyIomatifd)e ©eograjrfjie. Bon (£. ©efcet. — Bie SRedjtapflege in ber guten alten Qtit. Bon 2B. (Senfei. — ßiteratur unb ftuitfl: 
Beiifwttrbtglciten oeS ©taatölaiuteri gürften Dort §arben&etg. fterauSgegeben oon Seopotb oon SRanle. ©eforodjen oon ®rnft 
grieblaeitber. — Baute* ©ieuung $ur römifdjen £uc&e feiner $eit. Bon Äarl ©art}d&. — ©eitebili ©piitoja. Bon ©il^elm 
Beiin. (S^W-) — Auf Ser Bramatifdje Aufführungen. Bon ©aul ßinbau. — Au* bem (fconcertfaale. Bon 

§. Cljrtidj. — 9toti*en. — Offene ©riefe unb Antworten. Bon Hermann U^be unb einem Abonnenten. — Snferate. 


5iplcmtattf#t <8eograpj)it. 

SSernt bet preuhij#e Sanbtag fi# bei ben Vubgetbebatten 
in @ef#i#tSphtlofophte unb allerlei anbere wtffenfc^aftlic^e 
DiSctplinen oertieft, wirb man wohl auch ber Diplomatie oer* 
gönnen bürfen, fi# mit SJtorphologie ber geograp|if#en ©ren* 
jen p befdjäftigen. Unfern letber fo früh entf#Iafetten ißef#el 
lanr. ber römifdjie ©raf Sfjauborb^ mit um fo größerem fRee^t 
p erfefcen meinen, als ja f#ou bet Ißrinj oon goinoide ben 
guten. Haflenfer Daniel rectificirt hat. Dobet l)at bie Sßiffen* 
f#afe * 0 # ben Vor#«! bah fte, oon jünftigen Diplomaten 
betriebe«, eher in bie ^rajiö umgefefct unb eittgefüfjn Werben 
tarn p9Mt# unb frommen ber fo fe|r fortf#ritt8= unb wohl= 
fahrtsbebürftqjen Söttet. 

greili# tft ni#t ganj p leugnen, bafj bie Staatsmänner 
oft, auch wenn fie um ben größten grünen Dif# oerfammelt 
maren, in .örenjbeftimmungen unb berglet#en geographtfcbent 
©pielroert nicht überall richtig gegriffen, ja wohl gar ptoeilen 
ein X für ein U gema#t haben. ©8 Wäre utthöflieE», an adp 
nahe liegenbe Veifpiete, wohl gar an foldj« aus ©Mitteleuropa 
unb aus ber jüngeren Vergangenheit p erinnern. ©her f#on 
ift es erlaubt, bie griebenScontrahenten oon Durlmantf#ai 
anpführen, welche bie ©rettje p)ifchen Äaufafiett unb Ärme* 
nien bur# einen Schreibfehler nach ber Df#oto#a ftatt na# 
ber Df#oro#a juf#nitten unb fo ber ruffif#en Vegehrli#feit 
ben Hafen Votum als. &ufunft$jiel hinterliehen, währenb ihn 
bie ©egenwart bei poertäfftgerer geographif#er Äenntttifj unb 
beferer Orthographie jener fetten bereits als Snoentarftüd 
befähe. Unb bamit wären wir «noermerft p ber neuen ®uf= 
läge biplomatifchec ©eographie gcfonuuen, bie unfere heutigen 
SBcntertuttaen tierantaftt 

©Bit wiffen nicht, ob ft# fehr oiele Seute bie SDMühe 
genommen {jähen, bie ^SrotofoUe ber Sonftantinopler ®onferenj 
ber eumpätfdjen Diplomaten auf ihren ©ehait p prüfen. 
Vermuthlich finb über biefd#en oiele f#öne Sieben gehalten, 
ojetteiAt fogar mancher Äeitarttlel gef#rieben worben, ohne 
ba| fi# bie geftreugen Äritiler mit jener thatfädjlichen @runb= 
läge eines haltbaren UrpeilS betannt gemacht haben. Die 
tftnifcjjjett SonferenjmUgtieber hatten ja an# ni#t alle ®labo= 
rate geiefen, bpr# bie man fte über #r £anb belehren 
gd>a#te, unb bie Vertreter ber @rofimä#te ihrerfeitS ma#ten 
bie rabicatften Vorf#Utge, ohne fie an# nur Jbur# bie fleinfte 
{Beigabe oon SRottoen p bef#meren. 

fBaS nü|t aber au# bie eifrigfte Seetüre, wenn bie 
Statoren ber S#riftftütte etwas ganj »nbereS im Sinne haben, 


als was ben ©#reibern aus ber gebet flieht! ©lei# anfangs 
batte man ben OSmanltS im SMamen beS oereintgten SuropaS 
feierli# ein ÜRemoranbum überrei#t, worin bie Summe bet 
occibentalen SBetShettSregeln, wie bie h°h e Pforte ihr §auSs 
wefen p bewirthf#aften habe, niebergelegt war. 2Ran forberte 
für bie rufftf#=ortl)obojen ^JroOinjen als re#tmähtge Velof)= 
nung für ihre Srfjebung gegen baS 3fo# ber türfif#en S0?a#t* 
habet oon le|teren bie ©ewährung eines „Systeme d’institu- 
tions locales qui donnerait aux populations quelque contröle 
sur leurs officiers loeaux <( , unb als fi# Saofet $af#a 
mit Vergnügen bap bereit erllärte, würben bie „ßoealbeamten" 
für einen @#reibfehler erttärt: ftatt „officiers locaux“ foHte 
eS „affaires locales“ h € i§ eR ■ War au ^ her &uffi#t 
auf Veamte ein na# Vebürfnih behnbareS ©elfgooernment 
mit Decentralifation geworben, baS bie ho#entwidelten ©üb* 
flaoen natürlich mit weit befferem 9te#te oerlangen bürfen, 
als j. V. bie ruffif#en ^Solen, bie Weber in ftaatli#er ©nt* 
wicfelung no# in #riftli#er Vilbung au# nur annähernb bie 
freiheitsfähige ^>o#ftufe ber balfanif#en Vrüber jemals ein* 
genommen ober in ßulunft einpnehmen StuSfi#t |aben. 

9Mo# oiet ^reiSwürbigereS teiftete ber ©onferenjtif# auf 
geographif#em ©ebiete. ©eine ©ircumfcriptionen unb Deft* 
nitionen ftnb oödig geeignet, in ethnologif#er wie in farto* 
graph»f#er f>inft#t längft oermihte neue @eft#tspunhe feftp* 
fallen unb einer ungeahnten ©ntwittelung unb Verei#erung 
ber ©eographie freie Vahu p eröffnen. Diefbef#ämt fteljen 
bie Sünger VitterS unb IRoonS mit ihrer eugbef#ränften 
Äuffaffung erbfunbli#er Probleme oor ber ©rohartigfeit ber 
conftantinopolitanif#en Dheorien, bie, wenn uns ni#t SldeS 
täuf#t, eine neue &era ber geographif#en föiffenf#aft einleiten 
müffen. 

Die ©elenner ber älteren Sehre hatten ft#, wenn fte 
bie europäif#e Dürfet in #re hauptfä#li#ften geographif#en 
Veftanbtheile jerkgten, faum mit einem berfelben fo lei#t pre#t* 
gefunben wie mit Vulgarien. ©elbft bem dleultng in ber 
Sänber* unb Vötterlunbe erfennbar unb gef#i#t(i# ganj pr 
©enüge in ihrer Sage beftimmt, jiehen fi# im ©üben, Often 
unb Vorben bur# ben ^ärnuS, ben fßontuS ©ujinuS unb ben 
Sfter in’S Äuge fadenb, im äßeften bur# Dimot unb Vol* 
janiha angebeutet bie ©rennen {Bulgariens hin- gretli# 
wohnen au# fübwärtS oom Vattan no# man#e ©ruppen 
beS norbwärts ja au# ni#t unoermif#t gebliebenen Voltes, 
aber bie beiben Duna* (Donau) ©jalets ©iliftria unb SBibbin 
galten bei ©läubigen unb Ungläubigen als bie ri#tige Dedung 
beS VegriffS „Vulgarien". 

gehlgef#offen, weit fel>lgef#offen, ihr Herren oon ber 


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130 


9t]? ©egtnmarl. 


Nr. 9. 


• 

geograpffifcffen unb ffiftorijcffen Schule! Das iiiaterlanb bes 
Vulgaren muff gröffer fein! jagt jRufftanb, unb bie europäifcffe 
Diplomatie betet es iffni gläubig nad). 9ticf>t baS euct) als 
bulgarijcff betannte 2anb jwifcffen Donau unb Vatfan ift tS, 
baS ©enerat 3gnatieff junäcffft jur abminijtratioen ©elbftftänbig» 
feit unter ©eneralgouoerneurS, — bie, wofflgeinerft! nid)t 3n= 
länber ju jein braunen — präpariren unb abgrenjen miß — 
offenbar tein Vorftabium, um eine fünftige potitMcffe Unab- 
ffängigfeit oon bet ^Jjorte, etma unter einem ruffifcfen ©roff= 
fürjten, anjubaffnen —: bie Diplomaten oerfteffen unter Vul= 
garien ganj emfad) „les divers districts qui ont ete le 
theätre des evenements douloureux, dont l’opinion publique 
s'est legitimement ernue et ou l’impossibibte de la conti- 
nuation de l’etat present a ete demontree“. SBer bieje 
Ungtaublicfffeit nid)t glaubt, leje ben SEBortlaut wie öorfteffenb 
nad) im jecffsten VrotofoU, über bie ©iffung ber ©onferenj 
oom 8. 3onuar ($tUg. 3*9* Nr. 39). 

Äuf ©runb biefer neuen Dejinition, in ber wir bie 3ufunft8= 
mujit ber biplömatijdjen (Spotte ber ©eograpffte oemeffmen, ffal 
bie ©onferenj aus bem ber Vielt betannten ^Bulgarien, einem 
iianbe oon ber ©röffe Vaffernö, ein conferenjticff monumen» 
taleS SNufterbulgarien, ungefähr im Umjang ber preuffifcffen 
SNonarcffie öftlicff ber ©Ibe conftruirt unb, um ihre ootte 
Unbefangenheit unb bie politifdje Unjweibeutigteit biejer neuen 
©inffeit aud) bem blöbejten Äuge ettennbar ju machen, baSjelbe 
in jwet ©eneralgouoemements gejcffieben. Bluffer ben ©jalets 
©iliftria unb Viibbin ijt im SBeften alles ©ebiet bis Albanien unb 
©piruS, im ©üben faft ganj SWacebonien unb bie größere jjälfte 
DffracienS annectirt unb — oorläujig freilich nur auf bem Rapier 
ber ©onferenjprotofolle — als bulgarijcffeS 2anb erflärt worben. 
Ungefähr mittenburcff ffot man oon Norben nach ©üben quer 
über bie ©ebirge weg einen ©trief) gezogen unb barnad) bie 
jwei neuen VilajetS oon ber ©onferenj ©naben abgetheilt. Das 
öftlidje Vilajet joll jtatt ©iliftriaS baS flaoifd) bentwürbigere 
Dimowo jur ipauptftabt haben unb aus jolgenben ©anbjcqats 
— bie Vejirfe unb Unterabteilungen hat bte ©onferenj eben» 
falls feftgejtellt — oon nun an bejteffen: Dimowo, Nuftjdjuf, 
Dultfcffa, Varna, ©liono, ^^ilippopel, jammt ben weiteren 
©ajaS (Dijtricten) oon SJirf*ifiltffeh, s JJiuftafa=$ßajcf)a unb 
Ätifil=8lgatfd). ©tlifttia joll nicht einmal ©anbfcffaf bleiben; 
tlingt benn fein Name aud) ben nic^trufjijc^en Europäern jo 
abjeffredenb? — Das weftlicffe Vilajet mit ©opffia als §aupt= 
ftabt fegt bie ©onjerenj jufammen aus ben ©anbfcffafS ©opffia, 
Viibbtn, iJtijcg, USfub, Vitolia, Dffeiten oon ©eres unb ben 
©ajaS ©trumniffa, Stitoejcg, Velefja unb ftaftoria. Der 
grieegifege Äüftenftreif ijt auSgefegtojjen: bie ©rieten jinb eS 
niefjt ineffr wertl), oon Nufflanb protegirt ju werben. 

Unb nun nehme ber liefet eine gute Starte aus bem Ver» 
(age oon 3ujtuS VertffeS unb fege fieff biejeS geograpgijege 
Ntiffgebilbe an. ©in DtegierungSbejirt, ber fid) oom Ufer ber 
Donau bei UBibbin über oier jeffetbenbe ©ebirgöjüge hinweg 
bis ©alontcffi, oon ©tropol weftwärtS bis Unsren unb 
Ntonaftir erftredt — als jeinjt beftillirtes ^Srobuct gejammt» 
europäijeffer ©taatsweisffeit bem ©rofftürfen oorgefefft — in 
ber Dpat, ber ©raj ©orti war niegt ju beneiben, wenn et 
burd) feine Diebe bie« ©emifeg oon Diaioetät nnb Unoetfrorem 
geit ben oor i|m fiftenben ifJafc^aS, äKännern boc^ wof)l Oon 
einiger Äenntntff i^res |>eimatlanbeS, munbgerec^t machen 
follte — abgefe^en felbft oon ber einigen Denbenj beS ganjen 
iflrojects, burc^ wo^lberec^nete ßufammenjctyweifjung oon ber 
Diatur getrennter SÖejirfe für ben größten Dpeil ber Dürtei 
eine tüerwaltungSform ^erjuftellen, welche bem ruffifcg=ortgo= 
bofen Vulgarismus bie lettenbe Diolle oerfc^affen foll. 

Das d)riftlicf)e ©lement ift in ber europäijdjen Dürtei in ber 
3Kef)r|eit unb ^at baS oolle Diedjt, in teiner äöeife unb nad) 
teiuer s Jüd)tung ^in tjinter bem türtije^en jurüdjufte^en ober 
oon bemfelben majorijirt unb benaegtgeiligt ju werben. Den 
wenigen Vejirten im Dlorboften unb im äöeften gegenüber, 
wo bie älio^ammebar.er überwiegen, ^aben in ben meiften 
Dfflricten bie ©griffen bie Majorität, in ben griedpjd) coloni- 


firten ftüftenftric^en auc^ bie culturXicg maffgebenbe ©ebeutung. 
3ebe waqrljaft ernfte Dieform bet türfifegen Verwaltung, möge 
fie nun burcf) eine conftitutionette ©ntwictelung oon innen 
heraus — was unwaf)tjcf)einlid) — ober burch eine ruffifege 
Snteroeption — bie für tein ©lüd ju era^ten — ober burd) 
fortgefegte ©inwirtung ©uropaS auf baS VorwärtSftreben einer 
einfiegtigeren unb tgatfräfiigeren Regierung am ©otbenen 
$orn, bie wir für möglich unb auSficfjtSöoll halten, jur Durch» 
führung gelangen, muff bie @leicf)berecf)tigung unb eine ange» 
meffene locale unb prooinjiale Dheilnahme an ber Verwaltung 
für ade Nationalitäten unb ©onfeffionen beS oielgeftaltigen 
VattanlanbeS jum ßiele haben. 28aS bie abminiftratioe ©in* 
theilung betrifft, fo wirb man am beften tffun, fid) oon ein= 
feitig confeffionalifttfcgen unb flaoifch=chauoiniftifchen ©effchtS» 
puntten freijuhalten unb bie natürlichen Vefonbernngen ber 
reichgeglieberten $albinfel wie bie ffiftorifd) unb pratttfeg be= 
währten ©intheilungen niegt offne Notff ju oerlaffen, Wo fie 
aber burdff baS bisherige türtijiffe SBiUtürregiment oerfdffoben 
jinb, unter Verüdjicfftignng ber heutigen focialen unb VerkfftS* 
oerffältniffe ju ihnen jurüdjuteffren. Die ©eograpffie ber 
biplomatifcffen ©onfetenj wirb babei aus bem ©piele bleiben 
müffen: auf biefem ©ebiete ift für bie aus ©tambul ffeimge= 
teffrten Staatsmänner nad) ber abgelegten ©tobe noch lein 
Sorbeer oerwenbbar. ©elbft wenn es jur Dffeilung ber 
Dürtei täme, müffte man anberS tffeilen. 

<L peget. 


Die UttffiBpffeffe in ber guten alten 3eit. 

Sine cultinrffiftoiifdje Slijje. 

SNürrtfeffe ©reife — jagt $oraj — finb immer ßobvebnet 
ber oerfloffenen 3«iten. Das äKerfmürbige aber babei ift, bap 
fie bie oergangene 3eit niefft um ihrer ©üte, fonbem um ihrer 
Vergangenheit willen rüffmen. ©ie fdjmäheu bie ©egeuwart 
unb iffre ©inriefftungen niefft beSffalb, weit bieje jcfflecffter waren, 
fonbent weil bureff fie baS Sllte, pergebraeffte, lliebgeworbene 
oerbrängt worben ift. Stuf ©rünbe taffen fieff bie alten Herren 
übrigens meift gar niefft ein; wenn aber, bann maeffeu fie es 
wie bie grauen: fie wägen niefft ©leicffeS mit ©leicffem ab, 
fonbern ©leicffeS mit Ungleichem, fie taffen oom eilten nur baS 
©ute gelten unb ffeben oom Neuen nur baS ©effteeffte fferoor. 

©S gibt freilieff gewiffe ©ebiete, weteffe oon ben tnürrijeffen 
Veteranen oerjeffont bleiben, weil auf iffnen felbft ber ein» 
gefleijcfftefte Slltertffümler ben gortjeffritt anertennen muff,- j. V. 
bie Naturwiffenfcffaften, baS V°ft : unb Delegrapffenwejen, bie 
oeroielfättigenben Äünfte, baS ©eewefen u. 81. m. ©in ©ebiet 
aber wirb mit groffer Vorliebe betreten, namentlich — wie 
allerbingS befeffräntenb ffinjugefügt werben muff — oon alten, 
auSrangirten Dienern ber heiligen $erntanbab felbft: bie Necffts» 
pflege. „SBoffin finb fie gejeffmunben", fo tlagen fie, „jene fferr» 
liegen alten Dienftbarteit», ©renj» unb ©rbjcffaftsftreitigteuen? 
SBoffin ber ftreng auSgebitbete NecfftSfinn unter ben Leuten 1 
VJoffin jene gälte eeffter 9tecfftSgeleffrtffeit? SBelcffe ßuft war 
eS boeff, fieff in ein Urtffeil einer 3uriftenfacultät jn oertiefen! 
Jpeute bagegen? Die Seute geben iffr gutes Dtecfft mir nichts 
bir nieffts auf, fie fefftieffen fo feffteunig als möglich ben erjten 
beften Vergleich ab, oon NecfftSjinn feine ©pur meffr. Unb 
nun erft bie heutigen Nicffterjprücffe, unb oor allen biejenigen 
beS NeicffSoberffanbelSgericfftS! tfurj, mager, ungeleffrt. Änf 
ben Vuubetten liegt ber ©taub fuffbid, ein orbentlicffeö, reefft» 
jcffaffeneS, bides Äctenftüd gibt eS feffon gar niefft meffr; fie 
finb alle fcffminbfücfftig. SBenn aber ja einmal ein richtiger 
©acffwalter, bem eS um grünblicffe Durchführung eines ©treiteS 
ju tffun ift, oor bem NicfftercoUegium einen gebiegenen unb ge» 
leffrten Vortrag ffätt, fo ftöfft er bei ben Nicfftem auf nitp> 
mutffige ©efieffter, taube Dffren unb auf enblofeS ©öffnen, ü 
Martinus et Bulgarusl“ — @o flogen bie Sitten. 


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Nr. 9. 


1 i* ©egenroart. 


m 


3a> wenben bie feueret ein, jefot gepl bie Sache aber 
jcpneUer, unb baS ift boep roopl bie ftauptjache. 

„3Rit nickten", entgegnet ber grünblicpe Sitte; „wenn ber 
Streit einmal entbrannt, ber Stifter einmal angerufett ift, bann 
gilt e$, fdfjtecpterbingS gu erforfcpen, was Stecht ift; alles Stnbere 
ift Siebenfache, babon ftept nichts im ©biete beS ifJrätorS; — 
pereat mundus, fiat juatitia!“ 

©eroif), gtünblicp waten fie, bie alten ^errett, obfcpoit 
auch ber gall oorfam, baff es einem Slboocaten, nacpbem er 
3opte lang fein befteS SBiffen an einen Hkocefj oerfcproenbet 
gehabt, mit einem äRate gang gleichgültig mürbe, ob feines 
Klienten ©renge fo ober fo lief, ob berfelbe unb feine Dcpfen 
beS StachbarS ©*ä befchreiten burften ober nicht- 3nbeffen 
tonnte baS bem gelehrten $errn nicht oerargt merben, benn 
ber rechtsfinnige Client hatte im Saufe beS ÜßroceffeS fein @ut 
oerloren. SBer aber fein @ut befipt, braucht auch teiue ©«ngen 
mehr, unb mer teine Dcpfen hat, braucht nicht bafür gu forgen, 
wohin fte laufen bürfett. 3«, grünblich roaren fie — bis gum 
©jcefj; unb es roar nicht ihre Scpnlb, roenn in einem ©oncurfe 
bie SKaffe oufgegeprt roar, ehe eS gut Verkeilung lam; benn 

— fo fagt ein berühmter ©ecptsleprer — „ ©oncurSprocefj ift 
baSfenige Sßrocehverfapren, bei welchem ©ericht unb Slboocaten 
auf möglicbft anftänbige SBeije {ich in bie oorhanbene geringe 
SRaffe theilen." Die 3»ftig fann boch nichts bafür, baff bie 
SRafje fo flein ift. 

„UebrigenS nahmen bie t|Sroceffe" — fahren bie Sitten fort 

— „in frieren feiten feineSroegS immer einen langfamen Ver¬ 
lauf, inSbejonbere lieh man bie Opfer ber Strafjuftig nicht fo 
lange auf ben UrtpeilSforucp parren, Wie heutzutage." Unb in 
ber Dpat liegen uns Sieten aus bem vorigen 3oprpunbert bor, 
aus benen mir erfehen, bah ber ©ote eines ©erichts, welcher 
behufs ©inpolung eines UrtheilS bem Scpöppenftuple ein hoch 2 
notppeinlicpeö Äctenftüd überreichte, ftehenben gufjeS fogleich 
baS ausgefertigte Urteil mit fortnehmen tonnte. 

SJtan unterschieb eben bamals wichtige unb tniitberroichtige 
gälte; bie wichtigen, b. h* biejenigen, bei benen es fich um ©elb 
unb ©elbeSwertp hanbelte, würben grünblich erlebigt, roähreno 
bie minberroichtigen, in benen es fich nur um bas ßeben ober 
bie greiheit eines SRenfcpen hanbelte, aus bem Stegreif ent: 
fchieben würben. UebrigenS foftete ber Unterhalt eines ©e= 
fangenen oiel ©elb; unb ba nach bem bamals noch geltenben 
Strafgefepe ©arlS V. ein äRenfcp, welcher in ein $auS ein: 
geftiegen war unb ein Örob geflöhten hatte, mit bem Strange 
beftraft würbe, mährenb man ihn heute von Staatswegen füttert 

— wie fich fürglich ©bnarb von Jpartmann in einem SBiener 
Statte gelegentlich einer nicht jehr glücflichen Vertpeibigung ber 
XobeSftrafe auSgebrüctt hat —, fo war bie ©ile, mit welcher 
man ben hungrigen ©inbrecper in’S 3enjeitS fchicfte, gang wohl 
begrünbet 

©ut Ding aber will SBeile haben, unb barnach hanbelte 
man bei ben ©ivtlproceffen. DaS SReichSlammergericpt gu 
SBeplar ging mit gutem ©eifpiele voran, unb mit beftem ®r= 
folge ahmten ihm bie ßanbeS: unb ^atrimonialgericpte nach- 
3m fReicpSfammergerichte — fo ergählen uns bamalige Seit: 
genoffen — würben bie aus allen Xheilen beS IReicpeS gum 
Verjprucpe neuangefommenen ^rocejjacten gunächft in baS Slrcpio 
gebracht, welches man bie „SteicpSpoUer: ober iReicpSrumpet: 
fammer" nannte; bort pacfte man fie in ein ißadet unb bann 
hing man biejeS mittelft eines StricteS an ber Decfe auf. SBoüte 
man alSbann eine Sipung halten, fo würbe in bie ißoltertammer 
gefcpidt unb nun tarnen biejenigen Sieten an bie 5Reipe, welche 
buxchauS nicht länger hatten hängen wollen unb perabgefatlen 
waren, b. p., beten Strid verfault war. Daher ftammt benn 
auch bie Stebeweife „etwas lang hinpöngen taffen". 

ÜRatürlidj ift biefer ©ericht übelwollenber 3eitgenoffeu nur 
als eine Satire aufgunehmen; aber wenn ftramer in feinen 
„SBeplar’jcpen SSebenftunben" mittheilt, bah bie bei ber Stuf: 
löfung beS SReicpSlaramergericptS unerlebigt gebliebenen „SRefter" 
in etlichen hunbert Sagen weggefahren worben feien, fo haben 
Wir feinen ©runb, baS gu begweifeln. Sas ift bas aber im 


Vergleiche gu ber Dhatfache, bah bie Schreiblöhne in bem be: 
rühmten ©roceffe $aftingS bereits im 3 a P te 1788 auf 138 
©Unionen Dhaler angewachfen waren? 

Doch toto brauchen nicht in’S HuStanb gu greifen, um an 
ber $anb actemnähiger Xpatjacpen nachguweifen, welche Unge= 
heuerlichfeiten in ber guten alten 3eit auf bem ©ebiete ber 
Rechtspflege gefächen finb, welcher Unfinn guroeilen von ben 
gelehrtesten SRicptern gu Dage geförbert würbe. 

Dem Verfaffer liegt ein nicht fepr ftartes Stctenftüd beS 
3uftigamteS hinter» ©lauchau Vor, eine ©ranbftiftungSunter: 
fuchung betreffenb. Hm 12. 3uni 1767 brannte in ©lauchau 
baS $auS beS turfürftlich fächfifchen Steuereinnehmers Schilling 
nebft fieben anberen ©ebäuben ab. Da man bie ©attin ScpiW 
lingS furg nach SluSbruch beS geuerS mit ßiept vom ©oben 
bes $aufes patte perabtommen fepen unb auf bem ©oben gwei 
in ©ranb gefteefte SReihigpaufen oorfanb, fo würbe bie grau 
in Unterfucpung genommen. Sie geftanb benn auch bie Xpat 
ein, tonnte aber einen ©emeggrunb gu berfelben niept angeben. 
Der UnterfucpungSricpter fanb, bah fie eine „melancpolifcpe unb 
finnlohe" grau fei unb erforberte vom HmtSargt über ihren 
©eifteSguftanb ein ©utaepten. Der Hrgt fagte auS: „er pabe bie 
Scpillingin geitpero an wörtlicher melancholia unb delirio in 
ber ©ur gepabt, gwepntapl teglicp venaesectionem inatituiret, 
ben ©ulh magnum et frequentem erfunben; fie pabe beftänbig 
vitam solitariam gefuepet, tpre Slugen fepen bep einmapl ange= 
nommenem objecto ftarr auf felbigeS figiret gewesen, fie pabe 
oiel signa triatitiae begeiget unb man pabe aus ihren actioni- 
bus, mähen fte fiep ©ewalt antpuen wollen, ein gewiffeS tae- 
diuxn vitae obserriret; item, fie leibe an melancholia morali 1 ' 
— fRacp Hbpörung einer groben Hngapl Beugen, welche fämmt: 
licp eiblicp bezeugten, bah bie Friederiqve Schillingin irrfinnig 
fei unb fepon längft gewefen fei, fo bah bie ©ürgerfepaft ipret: 
wegen in fteter Ängft gelebt, würbe bie Unterfucpung — bereits 
am 20. 3uni — gejcploffen. 3 R gwifcpen patte man bie Schilling 
in $aft genommen, in welcher fie auch bis gum September 
verbleiben muhte. 9tun würben bie Hcten behufs ©inpolung 
eines ©icpterfpruchS oerfenbet. Das erfte Urtpeil fepU jeboep 
tn ben Sieten unb nur aus bem gnpaltsvergeicpnifje erfiept 
man, bah vom ßetpgiger Scpöppenftupt ertpeilt gewefen unb 
ttoep i m Sapre 1757 eröffnet worben ift. ©iS hierher ift StUeS, 
mit StuSnapme ber Verhaftung, in Orbnung; nun beginnt bie 
Dragifomöbie. 

©epufs ©inpolung eines UrtpeilS zweiter 3nftang würben 
bie Steten im December 1767 an bie 3uriftenfacultät naep 
SBittenberg oerfepiett; baS von ipr ertpeilte ©rtenntnih befinbet 
fiep, mit bem mittleren Siegel ber Unioerfität verfepen, bei ben 
Sieten. 

Diefeö Urtpeil batirt vom 17. December 1764! Sieben 
Vöde 3apre alfo pat bie ©lütpe ber ©eleprfamteit über biefem 
galt gebrütet. Slber wie fcpöit nnb faepgemäh ift bafür auep 
biefeS Urtpeil ausgefallen! DaS Urtpeil lautet bapin: „Dah 
Friederiqve Schillingin fiep mittelft ©pbeS reinigen unb fcpwören 
folle, wie fie gur Beit ber ©ranbftiftung niept reept bep 
Verftanbe gewefen fep." 

©in SRenfcp foU befdpwören, bah er gu einer gewiffdT Beit 
oerrüeft gewefen fei! DaS überfepreitet benn boep bie ©renge 
beS ©rlaubten. 

Unb bei atlebem erfäprt man noep immer niept, was benn 
nun gefepepen folle, weun biefer ©ib geleiftet ift. fRnr leine 
Ueberftürgung: „3ft fotpaner @pb geleiftet", — peiftt es im 
Urtpeil — „aisbann wirb ferner ergehen was SRecpt ift." — 
Slrme Friederiqve! Du muht noep weitere 7 3<tprc «uf beine 
greifpreepung parren. 

Dbfcpon man nun niept erfepen lann, ob bie Hermfte 
fpäterpin roieber zurechnungsfähig geworben fein mag ober niept, 
jebenfaUS pat fie biefen wunberbaren ©ib geleiftet; guvor aber 
paben fie nach SluSweiS beS ©rototollcS „groep ©eiftlicpe au; 
baS rüprenfte unb beweglicpfte admoniret unb ipr aus bem 
evangeUo bie nacpbrüdlicpften Vermapnungen an’S $erpe geleget." 

©ei einer Prüfung wußte einft ein 3ünger bes peiltgen 

v 


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132 


fflir (Srgtnwari. 


3Jr. 9. 


3wo nicht, toa$ ein Sgooranjeib fei. „Sie fönnen ihn ru^iig 
felbft leiden", fagte ber ©rofeffor in ihm. Sag gilt t»ier auch; 
wenn man bie ©ibeS Worte „pr Seit bet ©raubftiftung" mit 
ben SBorten „pr Beit bet ttrtheilsfättung" oertauföte, fo hätte 
ein jeber ber Herren UrtgeilSoerfaffer ben bet Schilling p* 
ettannten ®ib mit größter Seelenruhe leiften fönnen. 

Sttur übet ©ineg farot man ftteiten, ob bie Schnettigfeit 
ober bie ©üte ber UrtheilSfätlung ben ©orjug öetbiene. Uebri= 
gend ift ber Ütnfag non 3 Scalern für biefen SBahrfpruch nicht 
iu hod) bemeffen, wenn man bebenft, ba| batin ein fieben= 
jähriges Stcten;2agergelb mitbegriffen ift. 

©8 toerben aud) in ber heutigen ^Rechtspflege immerhin 
noch bi&teeilen feltfame ©eroächfe gezeitigt; folche aber benn 
badj uid)t. IO. ©cafcl. 


rltffTirfHf Ulth jjtHltfl. 

Denhttmrbijjketten 

bes 5tftatsJuwjlers MxfUu von Igtbitiberg. 

fjetauSgegeben oon Seopolb ton Btanfe. 4 SSinbe. Seipjig 1877, 

Sundet nnb fjmn&tot. 

©8 ift bemerfenSWerth, bah in unfeten Sagen, p einet 
Seit, mo ©reufjen an bet Spige SeutjdjlanbS fo groft bafteht 
mie niemals früher, ton unter bet Rührung be8 fönigS bie 
politifAe unb militärifthe Leitung be8 Staates gleich heröor; 
ragenb ift, fi<h bie oaterläubifche ©efchichtSforfchnng fo gern in 
Jene nicht gar fernen Seiten oerfenÖ, ba ba$ ©aterlanb feine 
tieffte ©rniebtignng erbnlbete nnb burch Unfätugleit eine« SheileS 
ber SRännet, bie an feiner Spige ftanben, immer jäher oon 
feiner äRachtfteUung Ijerabfanf. ÖueEenfammtungen unb Sar; 
fteüungen pr ©efdjuhte jener ©poche haben uns bie legten Sahre 
pm Sheit in bänbereichen SBerfen bargeboten, unb bie ©rftliugS; 
gäbe biefeS 3oh*e8 auf bem ©ebiete ber bifförifdjen Siteratur 
ift abermals ein ©uch jur ©efcfjichte jener Seit, ©in Such oon 
herborragenbfter ©ebeutuug aus boppeltem ©runbc. Senn pei 
ÜRänner haben Hutheil an bemfelben, bie beibe unter ben ©eften 
ihren ©lag einnehmen: £>arbejtberg unb Sfante. ftarbenberg 
bietet feine oor nun 70 Salden geschriebenen Senlwürbigfeiten 
bar unb ©anle überliefert fie ber heutigen SBelt jum Stubium. 
Sem ganjen oierbänbigen SSerfe gab SRaule ben Süel: „Sen!; 
mürbigleiten beS Staatsfonds dürften Oon fjarbenberg", unb 
er hat baSfelbe fo eingekeilt, bah ber erfte unb üierte ©anb 
in 4 ©üdjern eine gefdjid)tli<he SarfteHung ber 3ah re 1793 
bis 1813 unb bie jjatbenbepg’fche Senffchrift über bie SReorga; 
nifatipu beS preufsifchen Staates enthalten, mährenb ber peite 
unb britte ©anb oon ben „eigenljänbigen SRemoiren" beS 
StagtSfanjlerS gefüllt toerben. SBir üertoeilen junächft bei ben 
ttReraoiren. 

Sei ben griebenSuethanbluugen p Silfit beftanb ber Äaijer 
Napoleon, welcher oorgab in ber ©erfon feines ©efanbten burch 
fjarbenberg beteibigt p fein, auf ben SSürftritt beS leitenben 
SRinifterS, ber fidj barauf oorübergehenb nach Sliga begab unb 
bann bauernb in Silfit nieberlieff, Wo er bie fRäutne bewohnte, 
in benen bie Saifer Sllejanber unb SRapoleon ben Stieben 
gefchföffen hatten, 3 n ber ihm aufgepungenen URufje befchäf; 
iigte fi<h $arbenberg, einer SiebtingSneigung folgenb, gern mit 
ber claffifdjen Siteratur, ohne babei bie ©rjeugniffe beS SageS, 
welche bie ©reignijfe ber legten 3®h re u ob oielfadj ihn felbft 
betrafen, aus ben klugen p oerlieren. ©ielmefir Waren eS 
biefe, welche häufige Unrichtig feiten, ja perfönliche Singriffe ent; 
haltenb, ihn bewogen, geftiigt auf forgfäitig geführte Sagebücher 
unb im ©efig ber „mit ihm auSgewanberten" Staatspapiere, 
eine Sarftettung ber preufjifchen ©olitif ber 3flh re 1803—1807 
p oerfaffen, infoweit er felbft als SRinifter eine IRotte barin 
gefpielt h fl t- @o entftanben bie 9Remoiren. @S fittb alfo nicht, 
wie gewöhnlich berartige Stufjeichnungen, ©lütter perföntidjer 


©rinnecungeit, welche ptar fuienb auf hiftonfehen Shatfachen, 
hoch in erfter Siuie bie ©erfon beS ©erfafferS berüdfichtigen, 
fonbern ©rphtungen ber ©egebenheiten, bewiefen burch amtliche 
Sehriftftüde unb beurtheilt oon bem Stanbpunlte beS mit ben 
©erhältniffen ganj oertrauten Staatsmannes. Sie perfönüdjen 
©rinnerungen treten babei nicht oöfiig prücf, fonbern gerabe fie. 
finb eS, welche auf ben ©haratter ber mithaubelnben ©erfonen 
hette Sichter unb bunfle Schatten werfen, fie finb eS, welch« bie 
SarfteEung an Seben gewinnen unb uns bie Strt beS ©erfafferS 
erfennen taffen. — ^arbe.nbergS potijtifche Slnfchanungen waren 
bem am preuhifchen $ofe h^rfchenben Shfteme ber ftrengfteu 
Neutralität bur^guS entgegen, er war ftetS für fraftigeS nnb 
haubelnbeS ©infehreiten unb gegen bie leitenbe ©abinetSregierung 
in heftjgfter Dppofition. Sie ©erabheit feines SBefenS läfet ihn, 
wo er p tabeln finbet, mit Süchten fchtoeigen unb (o finb oiete 
Stetten in ben SRemoiren für feine 3 £ itS e .noffen nicht ohne, 
freilich Wohtoerbiente, $äcte. Siefe unb anbere ©üdfi^ten 
hielten bie ^arbenberg’fchen SRemoiren noch 50 Sghre nach bem 
im 3ahre 1822 erfolgten Sobe beS StaatSfanilerS uuentfiegelt 
unter ber ftrengen Dbhut beS SlrchfOS oerWahü, nnb erft jegt 
treten fie au bie Deffenttichleit, um über bie ©ppche, bie fie 
behanbetn, „bie unterrichtenbfte Information barpbieten, bie 
überhaupt jemals p Sage treten tonnte", unb pgteidf) buth 
bie wörtliche SRittheitung einer fel)r großen ttteihe amtlicher 
Stctenftücfe für ben $iftorifer ben SBertl) eines OuellenmcrteS 
iu Slnfpruch P nehmen. 

Sie SRemoiren beginnen mit einem Stbfdjnitt, ber bie ©e= 
gebenheiten, bie ^arbenberg erlebt hat, im Stttgemeinen erjählen 
fohlte. Sodj h Q t ber ©erfaffer nur einen Keinen Sheil biefer 
Ueberfjcht getrieben, welcher lebiglich einen Stüdblid auf bie 
ältefte ©efchichte ber ^arbenbergS enthält, unb Weber bie 
Samiliengefchichte noch bie Slutobiographie fortgefegt, ©rft mit 
bem gahre 1803 beginnt §arbenberg bie fortlanfenbe Sar; 
ftettung. ©r wirft pnächft einen ©lief auf baS politifdje Spftem 
griebribh SBilhelmS III., welches aus ber wohlwollenben unb 
eblen Slbficbt entfprang, feinen Staaten ben ^rieben p erhalten, 
baS aber .^arbenberg oon oorn herein nicht für baS richtige 1 
hielt, ben ffriebeu p fidjern. ©r meint, f$ran!reich fei nicht 
nur burch baS ©enic SRapoleonS, fonbern pornehmlich burch bie 
moralifdje Schwäche feiner ©egner, burch baS Un^ufammen; 
hängenbe, ©infeitige, Bögernbe unb Unpedmä^ige in ihren 
©läneu p feiner §öhe gelaugt. Sa er jebodj nur für ben 
jeitweitig beurlaubten ©rafen ^augwig bie ©efchäfte p führen 
berufen War, burfte er, felbft bei ber ©efegung $annoüer8 bur^ 
bie granjofen, in biefer Bmifchenjeit an bem Shfteme nicht 
rütteln. Sie Sßege, bie fparbenberg als bie tgeoretifch gute 
©ichtfchnur feiner ©olitil angibt, laufen bem fpäter boih um; 
geftofeenen ©runbfage beS Königs, „fo lange nicht ein preufjifcher 
Untertpan auf preu|ifchem ©ebtete getöbtet würbe, werbe er an 
feiner geljbe Speil nehmen", gerabe entgegen. — 3m Slprit 
1804 übernahm $arbenberg pm jweiten ©late, nun für längere 
Beit unb etwas felbftftänbiger, für $augwig bie Seitung ber 
StaatSgefchäfte unb fpriept fich beim Antritt feines 3tmteS über 
bie potitifchen ©erhättniffe ber einjelnen Staaten ©uropaS iu 
einet ausführlichen Ueberficht mit ooller Klarheit aus. Seine 
©erfuche, baS ttteutralitätSfpftem aufpgeben unb eine Iräftige 
Sprache p führen, fcheiterten ftetS: man legte ihm offen 
unb oerftedt ^inbemiffe in ben Sffieg. Sie ©abinetSregierung, 
in ben $änben ber ©abinetSräthe Sombarb, ber ben ©rafen 
fpaugmig ganj beherrfchte, unb ©epme, unb beS ©enerals oon 
Höderig, wel^e ben Äönig oon fi^ abhängig ma^te unb bie 
SRinifter oon ihm fern p holten muffte, hielt |>arbenberg für 
abfolut fdjäbtich unb bem SKople beS Staates gefähplichi nicht 
jegt allein, fonbern auch fpäter noch häufig fämpfte er gegen 
biefen ihn lähmenben ©influfe, hoch ftetS oergeblid). SBie richtig 
inbeffeit feine ©oliti! ber ©ntfchloffenheit unb geftigfeit gewefen, 
wenn fie überall confequent burchgeführt wäre, beweift nichts 
ftarer, als jener ©ewattftreich SRapoleonS, ba et in Hamburg 
ben englifchen ©efanbten am nieberfächftfehen fireife, ©umbolb, 
auf neutralem ©ebiete in ber Stacht aufheben unb gefangen 


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Nr. 9. 


St« ®egen»*rt. 


133 


nach Paris fthleppen liefe. Das um- eine Veleibiguitg beS 
Königs als treiöauSfchreibenben gürften, bie auf ber Stelle 
energiftfee SRaferegeln feerborrufen mufete. Auf $arbenbergS Statt; 
unterblieben folche nid^t, unb Napoleon, ber in feinem Stola 
nicht leicht einen Stritt anrücf tfeat, gab feier bem Verlangen beS 
Königs öffentlich unb fchnett nach, ein VeroeiS, wa8 Preufeen 
burd) geftigteit oerbunben mit SRäfeigung oermochte unb früher 
oermocht hätte. Such fölgenben Safere, 1805, als, bei oer* 
änberter politifcher Kombination, preufeen immer noch fein 
fthmantenbcS Spftem jtoifc^en Stufelanb unb granfreich fefthielt, 
unb Alejanber mit bem Kinmarfch in Preufeen brofete, oer* 
mochte geftigteit unb Konfequenj biefe ©efaljr glüdlid» a u 
befeitigen. Doch tonnte $arbenberg nichts KntfehetbenbeS thun, 
er ftanb au ifolirt, unb felbft, als bie Verlegung beS Ans* 
badjifdjen Gebietes, oon ber mir erfahren, bafe Stapoleon fie 
längft borbereitet hatte, oorgefatlen mar, gefdjah nichts, $aug* 
mi| matb mieber feetbeigeaogen unb ber „©eniuS ber Schwäche 
unb Kharatterloftgteit, ber fo lange über ber preufeifdjen Politit 
gemattet hatte", behielt feine ^errfcfeaft. Unb nicht ber Diplomat, 
Haugmife, allein mar es, ber bie politit ber Schwäche leitete, 
fonbetn bie einflufefeabenben ©enerale mit menigen Ausnahmen, 
metche „lauter Politit trieben unb bie Staaten regieren wollten", 
unterftüfcten ben ©rafen barin mit allen Kräften. SIS barauf 
im December bon £augwi| ber Schönbrunner Dractat, ber 
$arbenberg burchauS miberftrebte, abgefchloffen mar, befcfetofe er 
fich aurüctjuaiehen. Doch mochte griebrich SBilhelm m. färben* 
berg nicht miffen, unb auch bie Königin, welche biefen Staats* 
mann überhaupt fefer hoch fteltte unb ftets, namentlich aber in 
ber augenblicHichen trüben Sage beS Staates oiet oon ihm 
ermartete, richtete ein Schreiben an ihn, in bem fie auSruft: 
„il eet impossible, que vous veuillez qaitter dans ce 
moment le Service du roi et votre place dans le cabinet“; 
es fei ihr ein grofeer Droft bie ©efcftäfte in feinen £>änben, „de 
l'homme le plus estimable, le plus pur, qui exjste“, au 
miffen. Die Schmierigleit ber Situation mar burch ben Schön* 
brunnet Dractat nicht oerringert, benn bapin hatte baS Schroanfen 
geführt, bafe man nun mit Napoleon Verbinbungen angetnüpft 
hatte, ohne eS mit Stufelanb oerberben au mollen, roaS bei biefer 
tefetereu SWacht ÜJtifetrauen erweden mufete. SIS bann bic 
Demobilmachung erfolgte, ohne bafe ber leitenbe ftttinifter, ber 
einige Sage unpäfelich mar, baoon erfuhr, unb $augwi|} am 
15. gebtuar 1806 ben fßarifer Sr acta t abgefchloffen hatte, 
übergab $arbenberg ohne Sdjmera baS Portefeuille an |>augmifc, 
ber ben Staat in biefe ausfichtslos f^mietige unb traurige Sage 
oerfefct hatte, unb fdjieb mit ber oollen Anertennung beS Königs 
aus bem Amte eines erften SJtiniflerS, ba feine Anfchauungen 
mit bem hcrrfthenben Spfteme nicht in Harmonie au bringen 
waren; bie ginanafachen unb bie Seitung ber fränlifchen Ange* 
legenfeeiten behielt er jebodj in ber £>anb unb mürbe überhaupt 
au courant ber ©efdjäfte gehalten. #arbenberg aog fich auf 
fein ©ui Detnpelberg bei Verlin aurüd unb $augmifc erntete 
bie allgemeine Verachtung, bie fich in Verlin bafein fteigerte, 
bafe ihm amei SJtal bie genfter aertrümmert mürben unb er in 
Pasquillen unb Karricaturen eine menig beneibenSmerthe Stolle 
SU fpielen mofel ober übel bulben mufete. 

Doch War $arbenberg nun nichts meniger als befeitigt. 
@erabe in biefer fdjeinbaren Burüdgeaogenheit mar er berufen 
eine Stolle au fpielen, über bie feine Denfroürbigfeiten böttig 
neue Anffthlüfte geben; es mar bie beS geheimen Vermittlers 
SWifdjen Stufelanb unb Preufeen, welche er aßen Schmierigleiten 
Sum Droh mit ©lans burchführte. Denn granfreich burfte 
man nicht trauen, „Vetrug unb Slaubfucht maren noch immer 
bie beiben ©runbpfeiler ber ^SolitiY feines ^errfcfeerS unb feiner 
(Behülfen", ohne Stttdftdjt auf bie Attiana unb ben Dractat mit 
preufeen mar man bort je^t bereit, £>amtooer biefem mieber au 
entliehen. BUS bann bet Stljeinbunb errichtet mar unb Stapo* 
leonS Pläne immer beutlicfeer hrroortraten, marb ber Krieg, 
grofeentheilS burch beS ©tafen §augmi| Politit, unoermeiblich- 
Hartenberg führt uns alle oerfdjlungenen gäben ber fßolitil 
ber oerfdjiebenen £öfe, bie a«ut Kriege leiteten, mit grofeer 


Klarheit oor unb fdjmüdt feine DarfteQung mit’Dielen Keinen 
für bie Sache unb ben ©raäfjler charafteriftifchen Details. Den 
Vrief beS Königs an Stapoleon oora 26. September, in bem er 
i ihm baS ganae Preufeen augefügte Unrecht unummunben oorfeält, 
tfeeilt er nach feinem oollen SSortlante mit. „Das Streiten 
ift fchön, mafer, burchauS wahr," fagt er, „aber man mufe es 
bennoch für fefer unHug erlernten, einen Ptonarchen an ben 
anberen in biefem Don fchreiben au taffen unb auf biefe SSeife 
ben Krieg mit Veteibigungen anaufangen, bie oorauSfichtlich bon 
| einem Napoleon nie beraiehen werben tonnten. #ödjftenS war 
i baS bie Sprache, bie ber Sieger führen tonnte, nachbem er ihn 
! gebemüttjigt hotte." Sombarb mar ber Verfaffer. Die Kriegs* 
i begebenhetten felbft fafet §arbenberg turj in prägnanten Sdjitbe* 

; rungen aufammen unb auch fie entbehren nicht ber intereffanteften 
©inaelheiten. SBir heben jene gahrt ^arbenbergS mit ber 
Königin nach Küftrin unb bie Scene in Schöntante herbor, als 
mitten in ber Slacht eine SJlenge Seute HorbenbergS Viagen 
beim Umfpannen umringten unb oerlangten, ber König foöte 
ihnen boch nur SBaffen geben; unb bie allgemeine Vegeifterung 
für bie Sache beS VatertanbeS fprach fich nicht meniger in 

bemfelben Schöntante aus, als ein alter Vranbenburger, ber 
fich ouf biefe ©igenfdjaft oiet |u ©ute tfeat, oon einem ehe* 

maligen fßoten mit bet «eufeerung aurüdgemiefen mürbe, bafe 
fie atte ebenfo gut Vranbenburger mären, als er. — Buch jept 
noch uub bis au ®nbe fpiette £>augmip eine fchlechte Stolle. 
SltS er im Stooember burch ©ranbena tarn, liefe er bei ber 

Annäherung einiger franaöftf^er Patrouillen, ohne alle Urfad^e, 
oieUei^t um über äftandjeS ben Schleier ber Ungemifeheit au 
werfen, faft atte Acten beS auswärtigen Departements, bie er 
bei fich hotte, oerbrennen; unb halb barauf, als ber König, 

gefügt auf Slufelanb, bie ihm Oon feiner nahen Umgebung unb 
Haugmi| empfohlene Annahme eines SBaffenftittftanbeS mit 
Stapoleon ablehnte, bat ©raf §augroi§ um feine ©nttaffung, 
unb „ber f^techte Steuermann oerliefe baS Sd^iff, baS er auf 
ben Stranb fe|te, im gefährlichften Augenblid, unb ging, mit 
Schanbe unb Verachtung betaben, burch Umwege auf feine 
©üter nach ©chtefitn, in eine oon ben geinben befefete ProOina, 
wo er, ber Urheber beS Krieges, mitten unter ihnen lebte". 
Dev ©enerat oon 3oftroW übernahm barauf baS Portefeuitte, 
ber Krieg mürbe fortgefefct, aber immer unglüdlidj unb ber 
Veginn beS gafereS 1807 fah bie töniglicfje gamilie auf ber 
gtucht nach SDiemet unb Stein mürbe enttaffen. gm Anfang 
SOtära warb §arbenberg mieber an bie Spipe ber ©efdjäfte 
gerufen, Kaifer Alejanbet tarn nach ttWemet, unb oon hier aus 
aog ber $of nach Kpbutten, um bie ruffif^en ©arben au fehen. 
$ier, in bem unfeheinbaren Dörflein, oerfafete ^arbenberg ein 
Ätemoire über eine Koalition gegen grantreich, baS ©ebanten 
enthielt, „welche bie Sutnnft ber Seit umfafeten". Stan fotte 
Deftreich aut Dheilnahme an bem Kriege bewegen, ©nglanb 
unb Schweben aur Unterftüfeung aufforbem; ein militärifdher 
Plan für bie Operationen ber Preufeen unb Stuften fei unent* 
betjrlich, ebenfo ein politifcher plan, um gebermann au über* 
aeugen, bafe es baS allgemeine gnterefte fei, maS man oerfolge; 
Preufeen unb Stufelanb mürben bie gnitiatioe ergreifen, wenn 
bie übrigen SRächte au folgen feft' entfchloffen mären; ein fefter 
Suftanb oon Kuropa müfte htrgeftettt werben; Deutfchlanb unter 
ber güferung oon Deftreich unb Preufeen unb unter ©arantie 
oon Knglanb unb Stufelanb müfte unabhängig unb ftart genug fein, 
um grantreidj SBiberftanb au leiften, bie Heineren gürften müften 
fich ben führenben ©rofeftaoten fügen; Preufeen enbtidj müfte 
beffere ©renaen erhalten. Bu ben politifchen unb militärifchen 
Plänen, bie bamals awifdjen Stufelanb unb Preufeen oerabrebet 
mürben, gehört auch jener ©ebante beS gürften Siabaimill, eine 
©egeninfurrection in bem ehemaligen Polen au bewirten: ber 
König fotte ben Ditel eines Königs oon ©rofepolen annehmen, 
ber Kaifer oon Stufelanb ben eines Königs oon Sittfjauen, 
©rofeheraogS oon Pobolien unb Volfepnien; beibe SJtächte fottten 
Segionen errichten, unb burch biefe in ihrem Dienft fteftenben 
polnifchen Stationalarmeen bie Polen oon ben granaofen ab* 
aiefeen. — Doch bie Schlacht bei grieblanb oeränberte mit 


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134 


Ute (Segenwart. 


Nr. 9. 


einem ©tlage bie ©adjtage. SRapoteon blieb Sieger unb 
Alejanber mar ßfjwat genug, fofort einfeitig SOBaßenftiQftanb 
gu fdjtiefeen, unb bamit tvar ba# ©tidfal ©reußen# befiegelt: 
„es hatte feine SEBaßl, ei mußte bem Strome folgen unb in 
feiner Sage unaufßattfam in bie ©täne mit fortgerißen Werben, 
über bie Slußtanb unb granfreit fit bereinigen Würben". (Sin 
erfte# Dpfer war Horbenberg felbft. SRapoleon# Hofe gegen 
ißn war unauSlöftlit» unb er forberte beftimmt bie ©ntlaßung 
biefe# SRinifterä, unter beffen SRitwirfung er niemals grieben 
ftließen wollte. Horbenberg rieth felbft bem Könige bagu, ißn 
bon ben ©eftäften gu entbinben, unb ei folgte bann jene Bu= 
fammenfunft ber Kaifcr unb be# Königs auf bem SRemelftrome, 
bie für griebrit SBitßelnt ber Anfang einer langen Steiße bon 
Demütigungen würbe, welche er mit wahrer ©röße ertrug, 
wäßrenb bie Kaifer ein enge# ©erßättniß fnüpften, weite# 
Kaifer Atepnber# ©itelteit ftmeitelte. Sie oerßanbelten fogar 
unter hier Augen unb IRapoleon fagte pm Kaifer Aleganber: 
,je serai votre seerptaire, Sire, et vous serez le mien“. Horben= 
berg läßt eine merfwürbige ©araQele gtbiften Atejanber unb 
griebrit SBilßetm folgen, bie bem ©rfteren wenig günftig 
lautet. — An bem griebenäftfuß hatte Horbenbetg feinen Sin» 
teil meßr. SRatbem er bem König mit ©rfolg gerätsen, ben 
SRinifter Stein wiebet p berufen unb auf ben SBimft be# 
König# pgefagt hatte, eine Denfftrift über bie Sleorganifation 
be# preußifeßen Staate# audparbeiten, ging er, begleitet bon 
ben ©eßeimen Slätßen greterrn bon Attenftein unb SRiebußr, 
nat Sliga. Die erwähnte Denfftrift, ein Actenftüd bon ber 
allergrößten ©ebeuPng, überfanbte ^»arbenberg im September 
an ben König. — QRit biefem Beitpunfte ftließen bie eigen: 
ßänbigen Sftemoiten. 

Stuf bem DUelblatte be# ffierfe# begenßnet ßt SRanfe ein: 
fad) al# ben Herausgeber ber Dentmürbigfeiten, aber fein Sin« 
teil an bem epod)emadjenben ©ute ift bot ei« größerer unb 
nitt p unterfd)äßenber; benn nitt# Anbete# al# eine ©eftitte 
ber preußiften ©olitif in ben gwangig 3oßren bon ber ©e: 
oolution bi# pr ©rßebung Preußen# bietet un# ber greife 
Hiftorifer in gwei umfangreiten ©änben bar. SRitt# fann 
ferner liegen, al# ein einem Urteile naße fommenbe# 
SBort barüber fpreten p wollen: e# ift ja eben Stanfe, ber 
fie ßßtieb; bot fönnen Wir un# nitt berfagen, pm ©djluße 
wenigften# über bie ©inrußtung feine# fflucfjeS eine furje 3Rit= 
tßeitung folgen p laßen. 

Süßer ben SRemoiren fanben ßt i n bem literariften 
Statlaße be# Staatäfangter# Sammlungen unb Arbeiten, bie 
ber langjährige greunb beSfelben griebrit ©toett, Weiter 
bereinft ein große# SBerf über bie Dßätigfeit Horbenbetg# 
ftreiben foUte, pfammengebratt hatte. Diefer reite Stoß 
war fo mannigfaltig, baß er über ben ganzen Beitabftnitt oiel* 
fat neue# Sid)t oerbreitete; pbem burfte bie güHe be# ur= 
funbtüßen SRaterial#, bie ßt in jenen Sammlungen oorfanb, 
nitt unberüdßttigt bleiben, unb enbtit fonnte Stanfe artioaiifte 
Stöße benußen, bie Weber ©toeU not Horbenbetg felbft ge: 
fannt h a & en - ©o entßanb ßatt einer ©inleituug p ben 
SRemoiren ober einer einfaten ©iograpßie, biefe preußißße ®e= 
ftitte. Sn bie SRemoiren felbft hat Slanfe bie Heineren, ben* 
fetben oon Horbenberg beigegebenen, Actenftüde oerwebt; bie 
größeren ©etegftüde, bie „pibces justificatives“, beßält er einem 
fünften ©anbe oor. 

Da# erfte ©ut ergäßlt un# bie SebenSftidfale Horben: 
berg# bi# p feinem ©intritt in ben preußiften Dienft, bringt 
Auögüge au# feinen Sleifetagebütern unb berittet über feine 
Dßätigfeit guerft in hannoBerften unb braunftweigiften Dienften 
unb bann al# branbenburgifter SRinifter in ben fränfifdjen 
gürftenthümern. Sw gweiten ©ute lernen wir bie preußifte 
unb beutfte ^ßotitif in ben Bahren 1794 unb 1795 unb 
Harbenberg# Antßeil baran, oomehmlit bei bem grieben«: 
ftluße p ©afel, würbigen, oerfolgen im britten ©ute bie 
©eftide ©reußen# in ber Beit ber Neutralität bi# pm Au#: 
brüte be# Kriege# unb lefen im oierten ©ute, ba# ben gangen 
oierten ©anb füllt, bie littooUe DarfteQung be# Kriege# oon 


1806, bie ©tilberung oon ber Demütigung ©reußen# unb 
enblidj feiner ©rßebung. Soweit bie StoeQ’ßßen Sammlungen 
reiten, bi# pm Sommer 1813, oerfolgt SRanfe bie ©eftitte 
ber ©olitif, unb ftließt mit einem Ueberblid über bie Stecon: 
ßruction be# preußiften Staate#. ©# ift bie ©eftitte be# 
alten ©reußen# unb ffiuropa# in ihrem welthiftoriften Kampfe 
gegen bie neuen, burt granfreit oertretenen, reoolutionären 
Denbenjen bi# p einer Beit, ba „bie ©oalition gegen fRapoleon 
geftloßen unb ©reußen in feinen alten Slang unter ben SRätten 
wieber aufgenommen würbe". 3« großen, tlaren unb feften 
Bügen tritt un# bie ©pote Oor Sugen unb mit ooüfommener 
greube genießt ber Sefer wie bie DarfteQung ber großen @r: 
eigniße, fo bie ©tilberung ber ©ßaraftere griebrit SBilljelm# II. 
unb 1IL, ber Königin Suife, eine# ©tarnhorft, eine# Stein; 
al# ein befonber# ftöner Sbftnitt erfteint un# bie ©rgäßlung 
oon ber ©rünbung ber Unioerfität ©erlin. 3ntmer aber bleibt 
Harbenberg# ©erfon im ©orbergrunb unb bie leßten SBorte 
be# ©ute# fpreten nat einer treßenben ©araQete gwiften 
ißm unb Stein not einmal bie ooQe Snerfennnng feine# 
SBirfen# für ben preußißfjen Staat in folgcnber SBeife au#: 
„©in alte# ©prütwort fagt: jeber SRenft h at fein Sber; unb 
wer wüßte nitt, baß e# aut oon Horbenberg gilt Sbet 
gewiß ift bot: tiefer al# Horbenberg hotte not niemal# ein 
Staatsmann feinen Slamen in bie ehernen Dafein ber preußiften 
©eftitte eingegraben." 

Da# ©efüht, mit bem wir ba# SBerf au# ber Honb legen, 
ift ba# be# DanfeS, bafür, baß bem ©aterlanbe in trüber Beit 
ein 9Rann gegeben War, ber an ber ©piße ber teitenben ©reife 
feine großen unb Ijeiffamen ©ebanfen pm SBoljle be# ©angen 
gut SuSfüfjrung bringen burfte, unb ber Danfbarfeit nitt 
minber für ben großen Hßtorifer, ber in hoh em ©reifenalter 
bem ©aterlanbe biefe jugenbfrifte unb meißerhafte ©eftitte 
feiner ftwerften unb feiner großen Beit bargebratt ßot. 

£rnß (frieblaenber. 


Dantes Stellnng jur rämifdjen Strte feiner 3cit. 

®on Karl 23artf(^.*) 

3m 3oßre 1327, alfo wenige 3 a hre natbem in Staoenna 
Dante feine ©ilgerlaufbaßn ooQenbet, woCte ber ©arbhtal ©er: 
tranbo bi ©oggato be# Ditter# ©ebeine bem geuer überliefern, 
weil e# bie ©ebeine eine# Keßer# waren. 3toar würbe biefe 
Dßot be# roheften ganatiämu# burt einen SanbSmann be# 
DittcrS, ©ino beQa Dofa, Oerhinbert; aber ba# oermotte er 
nitt gu oerhinbern, baß ber ©arbinal Dante# ©trift über bie 
SRonartie auf bem ©teiterhaufen oerbrannte. 

So groß, baß er felbft ba# ©rab überbauerte, war ber 
Haß ber römiften Kirte gegen Dante. 

SEBir müßen un# fragen: Hotte er biefen Hoß oerbient? 
Hatte er oerbient, al# Keßer oerurtßeilt gu Werben? 

Antworten wir guerft auf bie leßte grage. 

SBenn ba# SBefen ber Keßerei im Abweiten bon ben Sehren 
unb ©runbwahrheiten be# ©h l «ftenthum# befteljt, bann fann 
gegen Dante biefer ©orwurf nie erhoben werben. 

©on feinem tiefen, rcligiöfen ©mpßnben, oon feinem Wahr: 
haftigen ©h^iftenthum legt jebe# ©latt feiner göttliten Komöbie 
Beugniß ab. Keine# ber ©eßeimniße ber djriftlid^en Seßre wirb 
oon ißm irgenbwie angegweifelt. SBieberßolt erinnert er an bie 
©rengen, an benen ber ftolge, nat SBißen unb ©rfenntoiß 
ftrebenbe ©eift be# QRenften ftiQe halten muß unb bie über* 
ftreiten gu woQen tßöritte ©erwegenßeit ift. ©rft natbem er 
Oom heiligen ©etru# im trifHüfcn ©tauben geprüft worben, 
erft natbem fein ©laube al# ett unb OoQgültig befunben, ift 
er befäßigt in bie leßten SRßfterien beSfelben einen ©lid gu 
Werfen unb in’# Auge ©otte# felbft gu ftauen. 


*) S3ortrag gehalten auf ber ©bifologenoerfantmlnng in DAbtngen 
am 28. September 1876. Hier in auSgefüßrterer (SSefialt. 


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Nr. 9. 


135 


Hie ÄegeitBMtrt. 


gteilid) al« ftrebenber unb nach SBahrheit ringenbcr HJtenfdj 
Perwirft Dante bie ©eredjtigung be« 3weifel« leineSroeg«. Er 
fagt felbft auSbrüdlidj (fßarabie« 4, 130 ff.)*): 

Set Swetfel leimt, bem Sdjßpling ju Dergleichen, 

Xm gup ber SBafjrbeit, unb un$ treibt fein Stieb 
®on $öt)’ ju $öh’ jum ©ipfel auf ju reifen. 

Xber be« 3 weifet« £>err »erben, ba« ftolje £>erj bemüt^igen, 
jurücftehren jum Glauben — ba« lehrt er in feinem gtopen 
©ebüpte. 

©Seid) tiefer Ernft es it)m mit feiner pttlidjtn Läuterung 
ift, ba« bejeugt, um nur Einige« ^erauS5ugreifen, bie reuige 
©etbpanflage, bie er beim SBieberfe^en mit ber ©etiebten feiner 
3ugenb, mit ©eatrice, bie il)m, jum göttlichen SBefen berttärt, 
im irbifdjen ©arabiefe entgegentritt, au« bem Stunbe berfeiben 
gegen p<h ergeben lägt**); ba« bejeugen bie lebten ©Sorte, mit 
benen er bon ber auf ihren ©lap in ber weiten SRofe be« fßara* 
biefe« jurüdgeleljrten ©eatrice Xbfd)ieb nimmt***); ba« jeigt ba« 
©ebet, Welche« für ihn unb mit ihm ber heilige Senttiarb jur 
Sungfrau SJtaria emporfenbet unb ba« feine ©teile t)ier pnben 
möge. 

D SRagb unb ©tutter, Softer beine« Sohne«, 

Semüthigpe unb pöchfte ©reatur, I 

Siel, borbeftimmt im Dlath bei ewigen IproneS, 

Sn baft fo poch bie menfcplicbe Statur 
©eabeft, bat bem ©cpöpfer werth fte bäumte, 

Sop als ©efdjöpf er in fte nteberfupr. 

3n beinern fieib entglomm auf« 9teu’ bie 2cud)te 
Ser Sieb’, an beren ©tntp im ewigen grieben 
©ntfprop bie 9?o[e, bat f' e ewig leuchte. 

XIS mittogSpelleS fiiebeSlicpt befcpieben 
©ift bn hier oben unS; aus beinern ©djop 
Quillt lebenb hoffen Sterblichen bortnieben. 

Sn, herein, tannft fo Diel nnb biß fo grot, 

Sap, wer nach ©nabe ftrebt unb nicht wiO [leben 
gu btr, fi<Ö wünftbt ju fliegen flügellos. 

Unb beine halb eilt nicht nur beijufteben 
Sem, bet bidj bittet, nein! ju mancher Seit 
SBiU fie bem gtebn freiwillig oorangepett. 

3n bir ift SJtitleib, ift ©armherjigteit, 

3n bir ift ©ropmutp, ift oereint jum ©unbe 
SBaS einem SBefen ©ott an hulb oerleibt. 

Sinn bittet Siefer, ber oom tiefflen ©djlunbe 
SeS ©eltall« bis hierher ber ©eifter Seben 
©efebant bis jn btr pöcpPen Jfreife ©unbe, 

Sat bu aus ©naben ftraft ihm woHeft geben, 

Stit feinen Xugen jefct noch höher fi<b 
©iS jn bem lebten heile ju erbeben. 

3h, bet für mein ©djaun mehr als feines ich 
StiemalS erglühte, bringe all mein glehen 
Sir bar, unb fleh’, beliebigen mög’ e« bidj, 

Sat bu butdj bein ©ebet weg mögeft wehen 
. 3hm jebe Solle feiner Sterblichfett, 

Unb bö<bfte Sufi er mög’ entfaltet (eben. 

Xodj fleh’ ich/ herein, bich, ber ©ott oerleiht 
XU was bu willft: toott’ ihm gef unb erhalten 
Stach foldjem S djaun fein Sehnen alle Seit. 

©enfdjlitpe Regung jügl' in ihm bein Salten! 

©iep bort Seatrij, ju bir hingelehrt, 

3Rit all ben ©eligen bir bie $8nbe falten. 


*) 3h citire nah meiner fo eben (Seipjig bei g. <£. S. ©ogel) cr= 
fhienenen Ueberfepung.. 

**) gtgefener 30. unb 31. ©efang. 

*•*) fatobieS 31, 79—90. 


©Sie weit entfernt bon allem fefcerifdjen Srrfhum Saute 
felbft pd) wupte, ba« jeigt baS ftrenge @erid)t, welche« er über 
alle Sitten bon Äejjera ergehen Iä|t. gn glühenben ©ärgen, 
beren Dedel aufgephlagen pub, liegen fie in ber ©tabt be« Di«, 
©ein unbeugfamer ©eredjtigleitspnn täpt ihn felbft ben grofjen 
©taufen, ftaifer griebridj II., bon biefer ©träfe nicht au«: 
nehmen, weil er ein religiöfer greigeip war ($öUe, 10, 119). 
SRänner, wie garinata Uberti, baS $aupt bet ©hibeOinen in 
Io«cana, bon bem Dante mit gröpter $odjad)tung fpricht, wie 
ber SSater feine« grennbe« ©uibo Eaoatcanti bulben bie gleiche 
©träfe. 

©ejeidjnenb ift freilich al« ein Seteg, wie wenig unfehlbar 
bie fßerfon be« fßapfte« unferm Sichter erfdjeint, ber Umpanb, 
i ba| unter ben Sehern auch e < n Wnapapu« II., ph bepnbet 
S (höüe 11, 8). 

®ie Stifter religiöfer ©ecten werben, weil pe Spaltungen 
| geftiftet, baburdj beftraft, bat P c in ber ^öDe in jerripner 
©eftalt, bon leufeln jerfe|t unb immer wieber h«gepettt, wan- 
beln müffen; unb nicht etwa nur ein PRohammeb, ber bie gröpte 
Spaltung h eiD °rgerufen, fonbern auch ©ectirer innerhalb ber 
chriftlichen Äirche, wie gra Stotcino, bet 1296 ba« $aupt ber 
für fejjerifch geltenben ©ecte ber humiliaten ober apopolifhen 
©rüber geworben war, werben jener Xbtheilung ber $öHe §u.- 
gewiefen. *) 

®ie Weberei bejeichnet J)ante al« ben gud>8, welcher in 
ben ©Sagen ber ^irepe p<h eingebröngt hohe.**) ®r rühmt e« 
al« ein befonbere« Serbienft be« ©tiper« be« fDontinicanerorbenS, 
be« heiligen fhominicu«, bap berfelbe bie XuSrottung ber ftefeerei, 
bie feit bem Xnfang be« 13. gahrhunbert« befonber« üppig 
ju gebeihen anpng, fich jur eigentlichen SebenSaufgabe gemacht 
hatte, ^arabie« 12, 97 ff. 

Sit snjatfrap unb ©elchrtheit brach er Ph 
©ahn mit beS IßapßcS ©oUmaht, bap bem Quelle, 

Ser tiefem ©palt entquillt, fein Streben glich- 

Unb am lebenbigpen traf an ber ©teile 
SaS leprifhe ©eftrüpp fein tühner Suth, 

Sie, fhien es, Siberftanb entgegenpelle. 

©on ipm entfprang oerfhiebner ©ähe gluth, 

Seriefelnb be« fathoffhen ©arten« ©aat, 

Srob feine Strauch et grünen wohlgemut!). 

Einen Xnhattspunft für fe^ertfe^e ©epnnung Permochten ba: 
her auch ®ante« erbitterte Segnet, wenn pe ehrlich fein wollten, 
au« feinen Xenperungcn unb Schriften nicht h«auSjupnben. 

Serbiente er baher, müffen wir weiter fragen, ben |»ap, 
mit welchem ber ganati«mu« ihn perfolgte unb ber fein Seben 
pergipete? 

Plicht Perbient, aber jugejogen hot Dante pch benfelben 
burdj bie aüerbing« fehr heftigen unb jahlreichen Angriffe, welche 
er — nicht gegen ba« Ehriftenthum, fonbern gegen bie ent: 
artete djripliche ftitdje feiner Seit gefchleubert h«t; Angriffe, 
bie an ^eftigfeit jum Dheil Xtte« überbieten, wa« ber greimuth 
romanifcher nnb bentfdjer Dichter unb Denier im ÜDtittelalter 
an«jufprechen wagte, Angriffe, beren ©eredjtigung jeboch in Xn= 
betracht btr wirtlich bepehenben ©erh&ltniffe faum in Xbrebe ge: 
fteQt Werben fann. 

SBoht hat um ein 3 a h r h u ubert früher itnfer SSalther Pon 
ber ©ogelweibe, ber eine mit Dante pd) Pielfach berührenbe unb - 
ipm perwanbte Statur ift, gegen ähnlidje SJtipftänbe unb Ueber: 
griffe ber Äirdje auch fein jornige« SEBort laut werben laffen, 


*) $öDe 28, 31. 66. 

**) gegefeuet 82, 118 ff. 

Sann fap ich nt beS ©iegeSWagenS ©djop 
©ich gierig brüngen einen gudjS, ber nie, 

@o fdjien e«, gute« gntter noch genop. 

So<h als bie $errin fchnöber ©ünb’ ihn jieh, . 

Sa wanbt’ er pch jur glucpt, beS ©chreden« ©eute, 
®o weit fein ffeifchlo« ©ein ihm ftraft oeclieh. 


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186 


fl i* <&t$tnwaxl 


Nr. 9. 


aber an SSübnbeit beS Angriff« unb an flammenbem 3orn wirb 
er bon Sante noch überboten. 

Sie (Entartung ber Äirdje gebt Sante bor allem in ihrer 
SSerweltlidjung. Statt ihren ibealen, bie SKenfdbbeit ihrem 
bödbften QxtU jufübrenben Aufgaben ju leben, wenbete fie ftcf) 
weltlichen Stoeden ju unb fudfjte btefelben mit allen 3Jiitteln ju 
erregen unb ju öerwirftidben. ©abfudg unb ©eij Ratten in 
tyv in erfdjredfenber SBeife um ficb gegriffen. 

©leicb im ergen ©efange bon Santes ©ölle tritt uns bager 
ba$ Silb ber furchtbaren SBölgn entgegen, welche bem Siebter 
mehr als ber Sötoe unb ber *ßantber ©Freden unb Entfepen einjagt. 
Unter i^r ift wie bie ©abfucbt im allgemeinen, fo bie ber rös 
mifd^en Eurie inSbefonbere ju bergeben. SBobl Ijofft ber Siebter 
für fein Stalien unb für bie ganje SBelt auf einen ©efreier bon 
biefem Untrer, ben er unter bem Silbe eines SBiitbbunbeS, 
wabrfdjetnltdb mit anfptelung öuf Eangranbe beHa ©cala, bar* 
gellt; aber biefe ©offnung rüdt, je weiter fein 2 eben Dorf freitet, 
mehr in bie gerne. SBo er im gegefeuer (20, 10) auf bie alte 
SBöIfin jurüdfommt, ba füngt ber ©ebnfucbtSruf nach ^Befreiung 
fdjon etwaS troftlofer. 

Uralte SBöIfin, ewig gottberbagte, 

Sie me^r als anbre Xljiere Haub erjagt, 

SSBeil unerfättlid) ©unger in igr rafte! 

D ©immel, beffen Greifen, Wie man fagt, 

Ser&nbrung Wirft an allen Exbenbtngen, 

SBann fommt, Sem ge nicht @tanb ju batten wagt? 

Sag Sante ©eij unb ©abfucbt am meigen unter ben ©eift- 
lidben finbet, ergibt ft<b barauS, bag in ber abtbeilung ber ©ölle, 
in weidbet ber ©eij beftraft wirb, befonberS ftar! bie ©eiftlicb 5 
feit vertreten ift (©ölle 7, 38). auch an köpften unb Earbi* 
nälen fehlt eS leineSwegS barunter (7, 46): 

©ie waren Pfaffen, bie beS ©aarS entbehren 
am ©aupteSwirbel, $äpge, Earbinäle, 

Sie febnöben ©eij in’S Ueberatag berühren. 

Sie ©olbgulben, wie gtorenj fie mit bem Silbe ber 2ilie, 
bem gorentinigben SBappen, prägen lieg, bejeic^net bager ber 
Siebter als 

bie berruegte ^flanje, 

Sie, weit jum SBolf ben ©irten fie oerfebrt, 

Sreibt ©(gaf unb Sämmer in beS grrthums ©ehanje.*) 

an einer anbern ©teile, mit anfpielung auf baS Silbnig Sinnes 
beS Säufers, weldbeS bie florentinifdben ©olbgulben als baS beS 
©dbufcpatronS ber ©tabt trugen, rebet er ben $apft mit folgen* 
ben Sorten an (SßarabieS 18, 130 ff.): 

Sn, ber ba fegreibt unb auSftreicbt bann fofort, 

Hodj leben ißaul unb ^eter, bie gegorben 
gür jenen SEBeinberg, ber bureb bicb üerborrt. 

SBobl fannft bu fagen: bub’ icb ibn erworben, 

Ser einfam leben wollt’, auf ben icb brenne, 

Ser etenb einft bureb einen Sanj öerborben, 

©laubt nicht, bag icb bann $aut unb $eter fenne, 

b. b« trenn icb ®elb betbe, frage icb nach allen ©eiligen nichts. 

3m ©egenfape baju erinnert ber Siebter an bie armutb 
ber apoftet unb an bie EntfagungSfreubigfeit ber Stifter geift* 
lieber Drben. Ser ^eilige Senebict fagt (©arabieS 22, 88 ff.): 

Hiebt batte $etru3 ©etb unb ©ut babetm, 

3<b aber gng mit Seten an unb gagen, 
granciScuS baut* auf Semutb g<b fein ©etm. 

Ser heilige granciScuS, beffen Sermäblung mit ber armutb 
in fo betulicher SBeife bon Sante gefeiert worben ift, war ber 


*) ißarabieS 9, 130 ff. 


Erffe, welker ber feit Ebrifti Sobe unumworbenen Sraut ficb 
annahm (SßarabieS 11, 64 ff.): 

©eitbem ibr erfter Ebgemabl gegorben, 

Stieb ge oeraebtet taufenb gabr* unb mehr 
gm Sunletn, bis auf genen unumworben. 

Hiebt baff, bag man oemabm, wie ffeger Ser 
auf feinen Huf ge bei «mbdaS fanb, 

Ser alle SEBelt mit gurebt erfüUt’ umber; 

Hiebt half iftr Hlutb unb tapfrer ÄBtberftanb, 
m ge ju Ebtigi ^reuj gieg auf bie Beiter, 

SBo fetbft Htaria brunten blieb unb ganb. 

Socb nicht fo bunlel reben will ich weiter: 
granciScuS unb bie Hrmutb ig bteS $aar. 

Sie ^abfuegt war eS, bie öor HUem einen HRigbraudb int 
©cboge ber ffirebe pflegte, einen SHigbraucb, ber ju SanteS 3cit 
in üppigfter SBeife gebieben War: bie Simonie, ben ©anbei unb 
Schacher mit geglichen Hemtern, benannt nach jenem Simon 
3Jiagu3, ber, wie bie Hpoftelgefcbicbte erjäblt, ben Hpofteln ©elb 
anbot, wenn fie ihm bie ©abe bes b e üifl ctt ®eifteS mittbeilen 
wollten. 

SBobl am beftigffen gegen biefelbe bnt Sante im 19. ©efange 
ber ©ölle gebonnert, Wo er bie ©träfe ber ©imoniften fdhilbert. 
©ie finb in 2öchem am Soben ttnb an ber ©eite ber gelSWanb 
mit ben fföpfen eingerammt, wäbrenb bie güge b^auSragen unb 
im Sranbe Juden. 

©ier trifft er ben Sßapft HicolanS III., ber in bem heran* 
tretenben Sante feinen Hacbfolger Sonifaj YEIL öermutbet, 
bureb Welchen er abgelöff werben fott, um felbft tiefer in ben 
gelfen binabgebnidt ju werben, als Sante ihn über feinen 
grrtbum aufgeKärt, ba fährt er, felbft bem ©aupte ber Ebrigen* 
beit gegenüber lübn unb unerfebroden, fort (©olle 19, 88 ff.): 

geh weig nicht, war ich fed unb gnnberwirrt, 

Sag ich brauf Wagte foldljeS ju öerfepen: 

©pricb, was öerlangt’ eing unfer ©err unb ©irt 

guerft üon ißetruS wohl an ©olb unb ©cgftben, 

«IS er baS ©cblüffelamt i©nt gab? Er fpraeg: 

„golge mir nad^!" obn’ etwas jujufepen. 

Petrus unb Äeiner forberte barnatb 
©olb bon SHattbiaS, als baS 2ooS an btefen 
©ab gubaS «mt, weil ber bie Sreue brach- 

Srum bleib, gerechter ©träfe jugewiefen, 

Unb wahre wohl baS fcblimm geraubte ©elb, 

Httt bem bu gegen tfarl bi<b frech beWiefen. 

Unb wör’S nicht, bag mich noch in ©cbranlen bült 
Sie ©hrfurcgt bor bem hoben ©ebtüffeiamte, 

SaS bu geführt ©aft in ber beitem SBelt, 

©o fpräcb’ ich ©ärtreS noch, benn bie berbomtmte 
©abfuebt, bie ©Uten tretenb unb bie Schlechten 
Erböbenb, trübt bie Htatfcbbtit, bie gefammte. 

Euch ©irten meint gobanneS als bie rechten, 

«IS auf ben SBaffem gfcen er gefeben 
Sie ©ure, bublenb mit ben Erbenmächten. 

©ie, bie geboren mit ber ©öroer jeben 
Unb geben ©äuptem, tropte jebem Spotte, 

©o lang jur Sugenb wollt’ ihr ©atte geben. 

gbr machtet ©olb unb Silber euch &um ©otte. 

Hur bag igr bunbert, jenes Einen ehrt, 

SaS trennt euch non beS ©öfeentbumeS Hotte. 

0 Eongantin! nicht bag bu bicb belehrt, 

SEBar oieles Unheils duell, nein! jene ©chenlung, 

Sie bu bem erften reichen $apg befcheert! 


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Nr. 9. 


Üt ©egenwürt. 


187 


®ie ^iet bie »on Dante in Uebereinftimmung mit bem 
ganjen Kittetatter als autgentifch angefegene ©cgentung ©on* 
ßantinS als bet ©runb unb Anfang alles Hebels in ber Rtrche 
betrachtet wirb, weit baburdj weltlicher ©inn unb ©treben nach 
weltlicher Stacht in ihr genährt warb, fo noch an mehreren 
anberen ©teilen in ähnlicher ffieife. 3« ber bet Apolatppfe 
nachgebilbeten Vifton am ©bluffe beS Fegefeuers fieht ber dichter 
ben Ubier, b. g. bas römifche Raiferreich, baS früher bie Ringe 
berfolgt hatte, fpäter wieberlegren unb einen Dgeil feiner Febern 
anf ben Sagen ber Ringe nieberregnen, b. g. ©onftantin tritt 
einen Dg*tl h« Weltlichen Stacht an bie Rircge ab (Fegefeuer 
32, 124): 

Drauf fab Don bort, »ober juerft er bräute, 

Sen Var icb ftürjert in btS Sagen* Saften, 

Sen er mit Febern, als er fcbieb, beftreute. 

Sie ans ber ®ruft, bie ©tarn unb Seib erfaßten, 

@o tarn Dom fjimmel eine Stimm’ unb fpradj: 

Stein ©cbifflein, acb! wie trfigft bu fcbtimme Saften! 

(Er läßt ben ©onftantin wegen feiner guten Abftcgt jwar in’S 
$arabieS anfgenommen werben, boch einfehen, baß Unheil aus 
feiner frommen Igat entftanben fei (fßarabieS 20, 58 ff.): 

Fegt fiebt er ein, nicht tonnt’ ibn felbft Derte|eu 
SaS Unbeil, baS entfprang aus gutem Streben, 

Ob auch bie Seit batüber ging in Fegen. 

Der Sichter erfennt bie (BeiSgeit ber Veftitnntung, bafj 
SebiS ©öhnen lein Antgeil am ©rbe warb, b. g. bafj bie Seift* 
tifgleit ohne weltlichen Veftg fein foö (Fegefeuer 16, 130). 

Auf bie ©imonie bejiegen ficf) auch bie (Borte, bie ber 
gegen ben dichter felbft gefponnenen Dänfe, bie ju feiner Set: 
bannung führten, erwähnen (fßarabieS 17, 46 ff.): 

Sie fjippolpt Ätgen auf feinen Fähen 
Skrtiefj ber graufamen Stiefmutter wegen, 

@o Wirft aucb bu Floren} Deriaffen müffen. 

SaS ift’S, WoS fie bort fdjon im ©inne hegen 
(3br ©innen wirb }ur 2fyit in tur}er Seite), 

So täglich ©helft F te }ä oerhonbeln pflegen. 

An einer anbern ©teile tnüpft ber Sichter an bie neu» 
teftamentliche Austreibung ber Sumerer aus bem Dempel butch 
©griftum an unb fleht ju ©ott, er möge noch einmal ein ©leides 
thun (fßarabieS 18, 118 ff.): 

Srum fleh’ *<h i M bem @eift, bet bir Dtrleiht 
Umfdbwung unb ftraft, bah er erwägt, woher 
Ser 9iaucb tommt, ber ba trübt betn lichtes Rleib. 

O, enblich wieber einmal jürne er, 

Seil fie im Sempel taufen unb bertaufen, 

Sen Startern bauten unb Diel Sunbet h*h r - 
(Ssttietung folgt) 


ßcnebiht Spinoja. 

(6cbt«S.) 

Sn jhengfter ©onfequenj aus bem ©pfteme DeScarteS’ ger»or* 
gegangen unb an bie gleichseitige (Biffenfcgaft im Uebrigen ftch 
anfcgtieienb, fanb bie Sehre ©pinojaS Weber bei mitlebenben 
Fachgenoffen, noch bei ben Vertretern ber Eßgilofopgie i m ganjen 
folgenben Fagrgunbert irgenb welchen Anhang. Auf bem ©on* 
tinent behielt bie Schule DeScarteS’, theilS im treuen Vegarren 
bei ber Dgeorie beS KeifterS, theilS in ber ihr Don Seibnij 
erteilten ©eftaltung, ihre ©errfcgaft, wobei bie Seifiung ©pinojaS 
nur in polemifcgen Ausfällen mehr ober minber unmittelbar be= 
rüdfugtigt würbe. Sn ©nglanb wieber »erfolgte bie philofophtfche 


Forfchung eine felbftftftänbige, bem ffiartefianiSmuS abgelehrte 
Stiftung. Durch biefe angeregt, wanbte ft<h Rant in ber „Rrltil 
ber rehten Vernunft" gegen bie ganje auf DeScarteS fühenbe 
fPhilofophie, mit welcher auch bie Segre ©pinojaS für befeitigt 
galt, fo bah SH egte, bie ©runbfäge RantS weiter entwidelnb, 
in berfelben baS Urbilb bet burch Rant jertrümmerten SBelt= 
anfcgaunng eigens befdmpfte. Kitten in bem Don Rant unb 
Fichte gerbeigefügrten SBenbepunfte ber tßgitofopgie foflte aber 
ber oerlannte nnb überfehene ©pinoja „ber Sdfiein" werben, 
„ben bie Vaulente »erworfen". Auf fein ©pftem wieS ©djelling 
hin, um bem Fichte’fcgen Segrgebäube bie nöthige ©rgänjung 
angebeihen ju laffen, unb ber bie ©cgelltng’fihen Sntuitionen 
»erwertgenbe ©egel »erfäumte eS nicht, bie beinah anbertgalb 
Sahrhunberte unoerftanbene Sehre beS einfamen DenferS ju 
©aag in baS ©ewanb Fithte’fcger DarfteHungSweife ju Reiben, 
um bamit feinen „abfoluten SbealiSmuS" gerjuftellen. Dann erfi 
ihre wahrhaften Früchte jeitigenb, nebenbei auch i ur ®i«ber= 
aufnahme Seibnij’fcger Dgeoreme burch ©erbart ben Anftofj 
gebenb, auherbem bei Schopenhauer unb nach biefem noch in 
ber „Eßgilofopgie beS Unbewußten" hinlängliche Vetwenbung 
finbenb, follte bie Sehre ©pinojaS gleidjjeitig auch ber Statur* 
forfchung als Stuftet unbefangener Auffaffung ber ©rfdjeittungen 
bienen, um fdjliefjlich noch in ber fpecufatioen Dgeologie, »on 
©chleiermaiget an bis ju Stich. Dotge herab, einen nn»er* 
lennbaren Dachgall ju finben. 

Von folget Dragweite ift bie ©tgil ©pinojaS, unb jwar 
übte fie biefe umfaffenbe ©inwirfung bt8ger nur »on ihrer meta* 
phpfifcgen unb religiöS*ethifchen ©eite aus. ©pinojaS 
pfhcho*ethif<hen Erörterungen nach ihrer @igenthümlid)feit ju 
würbigen, bleibt ebenfo einer lünftigen Vehanblung ber ©efchichte 
ber ©tgif »orbehalten, wie ber Schah feiner pfpcgotogifdjen 
Unterfuchungen noch ber gtücAichen ©anb wartet, um gehoben 
unb für biefen FoefdjMngSjweig auSgebeutet ju werben. 

Aber nicht nur auf bem fjjfabe beS ftreng SBiffenfchaftlichen 
ift ©pinoja einer ber michtigften Seitfterne; feine Vebeutung 
erftrecft fie© auch auf ein ©ebiet »on allgemeinerem menf^lichen 
Sntereffe. Durch bie einjige »on ihm felbft h^a^g^bene 
Schrift, fo feht biefe auch burch SBeltbegebenheiten aus bem 
bamaiigen gefc©ic©ttt(©en ©eftc©tsfreife bebingt gewefen, ragt er 
weit übet baS eigene nnb baS näehfte Salphwwbert hi«au8 bis 
an baS gegenwärtige, beffen theuerfte unb wichtigfte ©ultur* 
ermngenf^aft in ihm einen ihrer würbigften unb muthigften 
Vorlämpfer beflfct. 

Unter bem Vanner ber Steligion ber Siebe unb SBeltoer* 
fBhnung war ber 30jähtige Rrieg auSgefochten worben. Dies 
entfehliche, ©uropaS ©ulturfräfte »ielerfeitS für längere Seit 
lähmenbe Unheil gab hinlänglichen Aniah, über bie Vachtheile 
bet ihm »oraufgegangenen Umgeftattung ber firdhlichen Verhält* 
niffe nachjnbenlen. 9toc© währenb jener Rrieg in ber Fülle ber 
©räuet wüthete, hatte ©ugo ©rotiuS, felbft ein Stärtprer 
ber religiös *politif<hen Smiftigleiten ber »on ben (Bitten in 
Deutfcplanb fonft unberührten nieberlänbifdjen Ötepublil, aus 
feiner Verbannung in Franlreich „über bie (Bahrheit ber 
<hriftlic©en Veligion" getrieben. ©8 war ein Aufruf jur 
(Bieber»ereinignng ber burch bie Deformation unb frühere ©pal* 
tungen getrennten Velenner beS fi<h für ben »orjügli^ften unb 
allein wahren auSgebenben ©laubenS. Kitten im ©ewühl, wo 
ber DeligionShah auf ber ©tuthhifc 6 ftanb, »erhallte ©rotiuS’ 
wohlgemeinter Kahnruf, um auch fpater, ungeachtet einer um* 
faffenben Verbreitung bnrdfj japlreiche Ueberfepungen in mehrere 
frembe Sprachen, lein ©epör ju finben. AIS nach ©rotiuS’ 
lobe bie habemben Parteien lampfeSmübe ftc© ju einem Ver* 
trage gegertfeitiger Dulbung geeinigt hatten, nnb biefer eine 
längere Dauer genoffen, nahm Seibnij, in ber legten ©ülfte 
beS XVII. Sahrh“«bert8, ben $lan einer Vereinigung ber pro* 
teftantifdjen Velennhtiffe mit ber tömifchen Ringe auf. Der 
bamals häufig »orfommenbe Uebertritt proteftantifcher Fürften 
unb namhafter $erfönli<hleiten ihrer Umgebung jum RatholiciS* 
muS, jumal biefelben bem SelotiSmuS gewöhnlicher Denegaten 
gegen ihre frühere Ringe in ber Degel nicht »erfielen, mochte 


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Hie ftegentttari. 


Nr. 9. 


bie {ReunionSptänc Seibnijen« eben fo begünstigt fabelt, wie ba« 
moratiffe Stnfeljen mannet {Rotabititäten innerhalb be« ba= 
maligen fathotiffen ©leru«, trofebem bie gerabe um bie Seit 
feiner ©emüljnngen eintreffenbe Slufhebung be« ©biete« oon 
Slante« fm 3»t>eifet über bie StuSführbarfeit feine« ©orljabenS 
hätte eingeben muffen. {RiftSbeftoweniger betrieb er feinen ©lan 
mit ©ifer, befonber« ba fm bon {Rom au«, wie auch non einem 
gemiffen i^ett ber franjöfiffen ©eiftliffeit, ein bereitwillige« 
©ntgegenfommen gezeigt würbe, wäljrenb e« auf proteftans 
tiff erfeit« an rebtifen SnnäherungSberfufen nift fehlte. 2)a 
aber ff ließtif bie fathotiff e ©artei bie SReunion nur at« lieber« 
tritt in ben Sfoß ihrer ®trfe berftanben wiffen wollte, mußten 
Seibnijen« Semühungen ftranben. Seinen befferen ©rfolg hatte 
er, al« er Später feine UnionSgebanfen in ber beffranfteren 
3rorm einer Bereinigung ber berffiebenen proteftantiffen ©es 
fenntniffe ju einer einzigen ebangetiffen Sirene burf jufüfjren 
berfufte. 

@o biel ©ewinnenbe« unb ©inteuftenbe« ber ©ebanfe 
einer friftlif en ©efenntnißeinheit für eine borwiegenb burf ba« 
©effifjt beftimmte Ueberjeugung haben mag, fo Wenig burf führ= 
bar ift berfelbe, Wie jur ©enüge barau« erfic^tlidb, baß nof 
ßeutjutage freifinnige Stiftungen innerhalb be« ÄatholiciSmu« 
Weber einen 9nff luß an berartige innerhalb be« ©roteftanti«« 
mu« ober an biefen in feiner ftreng confeffioneflen fjorm fuf en, 
fonbern al« befonbere ©emeinben fif behaupten. 3Rit ihren 
wohlgemeinten ©eftrebungen ftanben ©rotiu« unb Seibnij freilich 
bem Settpunft einer einft borhanbenen abenbtanbiff schriftlichen 
Äirfe näher, unb burften baher bie Unausführbarleit ihre« Be* 
ginnen« Aberfehen. Sange beöor jebof bie Sfatfafen gegen 
Seibnijen« ©orffläge unb ©erfufe ffiinfpruf gethan, hatte 
biefe unwiberruflife ©ntffeibung eine gieiffam oorahnenbe 
Seiftimmung burf Spinoja« „Tractatus theologico - politicus“ 
erhalten. 

SBeit entfernt, bie religiöfen SRißfiänbe burf ein Ueber= 
einlommen jwiff en ben berffiebenen Sirfen abfteflen ju woflen, 
finbet Spinoja in bem Sorhanbenfein einer SDJehrheit bon ©es 
lenntniffen eine bem SBefen ber {Religion burfau« ettifpref enbe 
©igentßümliffeit. {Religion will er auf ba« frieblif e unb uns 
antaftbare ©ebiet ber ©efinnung eingefdfjränft wiffen, wie fotf e 
in ber Siebe ju ben BRitmenffen unb einem ihr angemeffenen 
SebenSwanbel befteht. SBaßre Stetigion ift mithin bei jeglichem 
auf Ueberjeugung unb fitttife« Streben gegrünbetem ©elennts 
niß möglich, ha unter ben manniffafften formen bof bie 
gleichwertige SebenSführung jur ©ettung gelangen fann. ©in 
©orreft, in biefer ©inftft beffer baran ju fein, al« anbere, 
lann feiner ©efenntnißform jufommen. SebenfaH« bietet bie 
burch ©h r iftu« geoffenbarte {Religion — weife oon ber fn 
felbft jura ©egenftanbe ber Sehre nnb ©erehrung habenben bei 
Spinoja genau unterff ieben Wirb — feinerlei ©runb ju irgenb 
Welfer 9u«fftießung. 3nbem ©hriftu« fif auSbrücflif an bie 
ganje BRenffheit wenbet, ift auf notßwenbig bie größte BRannif= 
faltigfeit in ber 9rt unb SEBeife, feine Sehre, Wie fotfe jumal 
in ber ©ergprebigt jufammengefaßt ift, bem ©emüthe beutlif 
ju mafen, gegeben. Sfon unter feinen Säugern trat eine 
©erffiebenßeit ber Sluffaffung unb Unterweifung in ber oon 
ihm Oerfünbeten Sehre auf. {£>er ©autiniSmu« nahm einen 
anberen ©harafter an, at« bie bem Sacobu« unb ©etru« eigens 
thümtife Bluffaffung, weife ihrerfeit« Wieber oon ber be« 
Johanne« abwetfenb war. Sotf e« Würbe ba« refte ©ebefen 
ber Seßre ©hrifti nift beeinträftigt haben, wenn man bei 

beren Verbreitung fif einfaf an bie oom Urheber erteilten 

Sehrfäfee gehalten hätte, wie fie jebem reinen unoerborbenen 
Sinn faßbar unb bie Srömmigfeit unb SBahrhaftigfeit ber ©e= 
finnung befeftigen helfen- Stof bie Sehre würbe bem ihr 

wefentiif en ©erftänbniß ber BRenge entrüdt, al« bie priefterlif en 
©ertreter ber {Religion, burf ©injujießung oon allerhanb bers 
felben burf au« fremben fpeculatioen unb phantaftiff en ©tementen, 
ein ebenfo WiOfürlife« Wie oerfflungene« 3togmenne| an beren 
Stelle feftten unb baSfetbe mit gotteSbienftlif en formen unb 

jahltofen eitetn ©räufen fo auSftatteten, baß, ftatt ber Sehre 


- in ihrer fitttifen {Reinheit, bie &irfe unb ihre SBürbenträger 
ber BRittetpunft ber {Religion würben. Unter ben oerffiebenen 
BtuffaffungSarten be« frifttifen SefenntniffeS hanbett e« ftf 
feitbem feineSweg« barum, bie Steligion al« ben SBeg be« ©eil« 
ju Pflegen, fonbern um eiferfüftige fReffaberei hinftfttif ges 
wiffer au« ben Urfunben ber religiöfen Offenbarung h eraug - 
geflaubter Sähe unb abenteuertif er ffirbif tungen, ju beren 9ns 
nähme jeher StnberSbenfenbe gejwungen werben fotL Slßerbing« 
muß e« Sebem freiftehen, bie fm jufagenbe Huffaffung ber 
{Religion al« riftig feftjuhatten, nur folgere er barau« 
nift, baß alle fonftige Ueberjeugung beSßatb oerwerftif 
fei. SRag aber eine ©efenntnißform auf ©orjüge oor anbes 
ren borau« haben, fo geräf bof jeb* Stetigion in eine 
fatffe Stellung, wenn ft mehr, at« ba« Steft einer Oom 
allgemeinen ©efe| unb ber bürgertif en Drbnung bebingten ®u«= 
Übung geftattet wirb, ©iner {Religion auSfftießtife ©üttigfeit 
oerteihen, heißt fie felbft in ihrem SBefen bernif ten. ©Denn eine 
beborreftete {Religion ftüht fif, ftatt auf bie Sauterfeit ber 
$erjen«gcfinnung, nur auf bie äußere, burf ftaatlife 3®ang«s 
mittet aufreftgehaltene Sefenntnißgemeinffaft, innerhalb Welfer 
jeher Sropf, felbft wenn beffen SebenSwanbel fittlif jweifelhaft, 
at« Slu«erwählter ©otte« gilt, währenb Seher, auf wenn er 
burfau« reftffaffen unb tugenbljaft, al« gottlo« berffrieen 
wirb, fobatb feine religiöfen Slnfiften ben borgeffriebenen 
©taubenSformen nift entfprefen. $urf Swang gegen retigiöfe 
Ueberjeugung förbert ber Staat bie Unfttttiffeit ber Heuchelei 
unb büßt unwiWürtif fein §errfferrecht ein. Subem er fif 
jur ©eborreftung eine« jur ^errffaft erhobenen ©efenntniffe« 
hergibt, Werben nämlif bie amtlifen ©ertreter eine« fotfen 
bie wahrhaften 3«h fl her ber ftaatlifen ©ewalt. ®iefe böttig 
in ihre i>önbe ju befommen, berffmäht unb berfäumt feine 
religiöfe Dbrigfeit, wenn fie e« nur irgenb fann unb bortheils 
haft finbet, unb beren Streitigfeiten mit ben amtlifen ©ers 
Woltern ber {Regierung gehören ju ben niftSwürbigften ©or= 
göngen in ber ©eff if te, bie namenttif im Ireiben be« röntiff en 
©ontifeg gegen bie wetttifen dürften unb bie beutff en $aifer 
eine« ber entfehtifften ©eifpiete biefe« Unfug« aufjuweifen hat. 
©in Staat unter firftifer Sotmäßigfeit maft feine ©ewalt, 
bie ihre eigene bernünftige unb notßwenbige ©eftimmung hat, 
ju einer SBaffe ber Unbutbfamteit unb {Rafgier gewiffer, nur 
auf ihren ©orfeit unb ben ©tanj ihre« Slnfehen« hebafter 
©erfönliffeiten. ®a biefen jebe freie geiftige Biegung ein 
©räuel ift, trifft bie ftaatlif gebißigte geinbfeligfeit gegen 
fetbftftänbige Ueberjeugtmgen in erfter {Reihe bie h«rborragen= 
ben ©eifter, bie ber SBaljrheit leben. Unbermeibtif Wirb 
bie SBiffenffaft al« folfe bem priefterlif en Uebermuthe ges 
opfert, wenn einer beftimmten ©efenntnißform bie ©ntffeibung 
über ba« wa« wahr ift ober fein foß juerfannt Wirb. 2Bo aber 
ber Xräger ber SBiffenffaft, wie überhaupt bie ungehinberte 
9u«übung ber S)enfthätigfeit, bem ungejügelten ©affe eine« an* 
maßenben Stanbe« preisgegeben ift, ba wirb ber Staat feinem 
©erufe untreu, welchem gemäß er ba« SBoIjt unb bie gieifen 
Sief te fämmtlifer Staatsangehörigen ju ffirmen hat. ®iefc 
ftaatlife ©fätigfeit erftredft fif naturgemäß nur auf bie äußeren 
©ejießungen, auf bie SReft unb Unreft betreffenben ©anb* 
tungen. 3m ©ebiete be« ©eiftigen barf fif ber Staat feinen 
©ingriff erlauben, benn ju bem burf ba« ©efeh Sehern juges 
fif erten Seben«genuß, Wie fotfer burf bie für 9fle gleif bin= 
benbe unb ba« ©emeinwoljt bejwecfenbe Orbnung geregelt ift, 
gehört auf unbebingt ba« {Reft, ba« eigene Urfeit ju braufen. 
t)er freie ©ebrauf be« UrtljeitS läßt ftf eben fo wenig bers 
äußern, wie man über beffen Slnmenbung jemal« {Reue empfinben 
fann. ©ei ber wiffenffafttifen Iljätigfeit ift biefe Freiheit 
felbftberftänblif; aber eben fo unerläßlif ift fie bei ber {Re* 
iigion, bie tebiglif auf innere ©lüeffetigfeit geht unb ju ber 
Weber ©efe| nof ©ewalt berljitft, fonbern nur gute ©rjiehung 
unb fromme brüberlife ©rmatjnung, wenn anber« wahrhafte 
{Retigiofität unb nift gebantenlofe« ©innehmen abergläubifcfet 
©orfteßungen unb äffiffe« SRitmafen h et gebrafter ©räurße 
walten foß. 


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Nr. 9. 


Sie (Segennrurt. 


139 


da# ftnb bie leitenben ©ebanfen tn Spinoja# tpeologifcps 
polirifcher ÄPpanblung*'), worin er bie ©renjen ^roif^en ber 
UBiffenfcpaft unb ber Seligion einetfeit# unb biefer unb bem 
Staate anbererfeit# für alle Beiten feftgefteflt. durcp ba# oon 
ihm angewanbte ©erfahren ift bie Schrift fethft aucp ein denl= 
mal in ber ©efdjicpte bet SBiffenf^aften geworben. Spinoza 
grünbet nämlicp feine SeWei#fühtung auf eine, unabhängig oon 
allen deutungen ber confeffioneßen ober pbilofopbifcben Spfteme, 
geleitete Unterfudjung ber fogenannten heiligen Schrift, bie er 
ihrem (Schalte nach genau fo geprüft unb beurteilt toiffen will, 
„wie bie dinge in ber Statur", b. p. mit Sepg anf ihre eigene 
gegebene Seftimmtpeit. Sie biblifchen Urfnnben Philologifcp 
unb cnlturhiftorifch ihrem Zparalter unb ihrer ©laubtoürbigfeit 
nach abfcpäpenb, erörtert er bie üotnepmften, ba# Serpältml 
ber Gottheit pm SRenfcpen betreffenben fßunlle im alten unb 
neuen deftamente — Offenbarung. SBeiffagnng, göttliche# ©efefc, 
Zeremonien unb SBunber, Zprifti Sehrthätigleit unb bie ber 
Äpoftel — unb entfaltet babei eine Dbjectioetät in ber Stuf- 
faffung nnb eine ©ebiegenpeit im $anbpaben ber ßritif, baff 
er, bem eigenen Beitalter weit ooraneilenb, burch biefe Seiftung 
ben ©runb pr neuem SBibelfritif legte unb mithin ber Rheologie 
einen wefentlidjen Buwacp# an Wahrhaften fforfcpung#problemen 
pfüprte. 2Bie oiei feither übet Spinozas Anfänge hinauf hat 
geleiftet werben lönnen, fo gebührt ihm nicht nur bie ffipre, 
biefenfafl« eine neue wiffenfcpaftliche Sahn eröffnet p haben; 
er bleibt auch burch bie Schärfe ber Seobacptnng unb bie 
3Rä|igung be# Urtpeil# fowie ben ©mft feine# ganzen Ser= 
halten# in biefer hochwichtigen Schrift aüejeit muftergültig für 
echte SBiffenfcpaftlicpfeit. 

Unoergänglicpe Sebeutung in ber ©efchicpte ber 9Ren?cppeit 
behält aber Spinoza burch biefe Schrift, weil er barin ooßftänbig 
nnb nnwiberleglich flargelegt hat, bah bie teligiöfe Ueberjeugung, 
foweit fie wahrhaft lebenbig, burebau# ben Grwerb einer §er* 
nnb ©emüth burchbringenben denftpätigfeit bitbet, bie immer 
nnb immerbar ein Seinperfönlidje# fein unb bleiben wirb, 
©ben be#palb ift ber ©ebanfe einer Seligion#einpeit, wie Spinoza 
e# mtoerfennbat einfah, eine ZPimäre. die Sichtig feit biefer 
einletuptenben SBaptpeit betätigte auch Won bie fatpolifcpe 
förepe, fo nah» al# be^eichnenb, bitrcp ihre ©altung bei ben 
Seibnij’fcpen SeunionSOerfucpen, al# fie ba# durchführen ber; 
felben nur al# Uebertritt in ihren ©emeinbetoerbanb gefaxt 
wiffen wollte. Sine für 3eben gleich binbenbe Selenntnifeform 
feftfefjen, heilt allemal einer beftimmten ^irepe ba# Sorrent 
unbebingter ©ülticfeit unb £errfcpaft pgeftepen wollen. Sers 
geblich wirb man Selenntni|gleicpheit innerhalb einer Unioerfals 
iirdje erftreben. der einem foldhen Serlangen p ©runbe 
liegenbe ©ebanfe fann nur in einer ©inpeit ber UebergeugungSs 
freiheit, alfo nur, wie e# SpinojaS theotogif<h=politif<pe ÄPpanb« 
lung oerlangt, in einet ©leidjberecptigung fämmtlicher Sefennts 
nilformen jut SBirflicpfeit werben. SBenn bie oerfeptebenen 
Seligionen einanbet nicht feinblich im Sßege ftehen, ift ihnen 
Äße# gewährt, wa# fie p ihrem ©ebeihen bebürfen. SBapre 
SeligionSeinpeit ift recht unb fcplecpt — doleranj. 

SpinojaS Same glänjt in ber üorberften Seihe berer, bie 
für biefe wefentlicpe Zulturerrungenfcpaft gewirft haben. SBicptig 
ift bie oon ihm Oerfocptenc Zinficpt niept nur für bie fförberung 


*) ffür Sefer, benen ba# lateinifepe Original iinpgänglidj, gibt e#, 
au# neueret 3«t, jWei beutfdje unb eine franjöftfcpe Ueberfepung. 3Jon 
biefen iß bie leptere (oon Simile ©aifjet, Zpaipentiet, ißari?) bie 
elegantere, boch minbet getreu, worin fie ber oon Sertpolb Stuer* 
bach (in ber oorpin ermähnten ©cfammtauSgabe bet ppitofoppifepen 
Serie ©ptnojaS) nachfteht, ein SSorjug freilich, ber burch ftellenroeife 
©chwerfäHigleit iin ©apbau ertauft warb. £ierr 0. Ätrcpmann lieferte 
(„Äpilofoppifcpe Sibtiothet", Seipjig) bie anbere SJerbcutfcpung, ber er 
burch eint tritifepe Ülacppülfc in bet Qnterpunction be? Original# einen 
gefälligeren Sflnl in ber ®arftetlung p oerteihen fuchte. Seiber er= 
mangeln beibe beutfehe Utberfepungen einet ausführlichen 3npalt#über= 
ficht, bereu lein Such, am menigften aber ein roiffenfepafttiepe#, ent= 
behten barf. 


be# gefdjidjtlicpen dafein# überhaupt, fie gibt zugleich ben Sern 
ber feit ber Seformation angeftrebten geiftigen ©ntwicflung an. 
die SoSfagung Oon ber fatpoiifcpen $ir<pe gefepap burch ^>tn= 
Wegräumung be# oon ihr üWifdhen bem fDienfdjen unb ber ©ottheit 
geteilten, eine befonbere ^eiligfeit beanfpruchenben tßriefterftanbe#. 
der Sfoteftanti#mu# oerwarf biefe# Sermittelnng#glieb unb wie# 
ben gläubigen üRenfcben unmittelbar an bie ©ottheit unb beren 
burch bie Sibel überlieferte Offenbarung, behielt jebodj nebenbei 
bie $eil#mittel ber Kirche unb bie bon ben Seformatoren aufs 
geftetlte deutung ber biblifchen Sehre bei. Offenbar ift hi« 
auf halbem SEBege ftehen geblieben: bie Unterwerfung unter einen 
bie ©ottheit oor*ug8weife oertretenben Stanb warb mit ber 
unter eine al# allein gültig erflärte 93etenntni|form bertaufcht. 
©rfennt man aber Gebern ba# Secpt ju. ohne einen perfönlidpen 
Sermittler feine S3erbinbung mit ber ©ottheit unb bem Gwigen 
jfu fuepen, fo lann ihm oon feinem Änbem bie SBorfdjrift bet 
babei einjcuijaltenben denfweife ertheilt werben. Ohne jeglichen 
SBefenntniljwang mu| bemnach Sehern, Wenn er nur fonft in 
feinem dhun bie für Sße gleich binbenbe gefeplicpe Orbnnng 
befolgt, bie ©efugnil juftepen, feine Seligion fo p faffen unb 
fie für fidj feftjuftetten, wie er fie in fich, bei reblichem Sach' 
benfen, finbet unb üerftept. diefe einfache Zonfequenj be# mit 
bem fßroteftanti#mu# jur ©elhtng gelangten fßrincip# hat Spinoza 
in feiner aßgemeinen Sebeutung erfannt unb fo einlenchtenb 
Wie treffenb nachpweifen gefuept. 

Bwei Sahrhunberte mu|ten oerftrei^en, bi# bie SBelts 
gefepiepte biefe im $roteftanti#mu# gelegene ffreipeitäfruept, bie 
Sptnoja apnenb al# ein notpwenbige# @rforberni| wahren 
HRenfcpentpum# pingefteßt, pr Seife brachte. Bu ben würbigs 
ften ©rrungenfehaften ber heutigen ©ef^iepte gehört e#, überafl 
wo fie leben#fräftige ©ntwicflung Pefipt, ben Selenntni|jwang 
oom ©enu| bürgerlicher Secpte unb bon ber ©ültigfeit ber epes 
liehen Serbinbung abgeftreift p paben. SEBa# in biefer $inficpt 
noep p erreichen übrig bleibt, liegt berma|en al# felbftOerftänb= 
lieber ©rWerb in ber bie ©efepiefe bet ©egenwart beftimmenben 
Zulturentfaltung, ba| bie Wliellicpe unb aflfeitige durch* 
füprung be# fraglichen Srincip# blo|e Beitrage ift. SEBeil aber 
ba# religiöfe Sbeal Spinoja# gleicpfam oor unferen Äugen feine 
Serwirflicpung erpielt, würbe e# ba# eben fo fepöne wie rupms 
ooße Änrecpt unfere« Britalter#, fein ©prengebäcptnil burep ein 
denfmal p oetewigen. 

UHlpelm Botin. 


Jlttö bet <Äattpf^abf. 


Dramotifdje ^ufftthrmtgeit. 

ift ein unerfreu(i(^eS Hmt, baS eine« fRecenfenten in biefer 
ftertlen 3^*- ftc^ feine SJorfteflung babon, »ie berbrieftli^ 

ift, immer unb immer berieten au ntfiffen: e8 nmr mieber nichts! 
3Wan benft, man mirb $u einer ^inbtaufe gefaben unb man fommt a« 
einem ©egräbnifj; man Ijofft einen IebenSfräftigen Säugling au« ber 
Xaufe aw tyeben unb fd^lte6li<^ wirb einem bom Slntor bie Zitrone in 
bie $anb gebrürft ober gar bie @$aufel. Hnb bann foQ man fid) noc^ 
^infejen unb genau betreiben, mie Iflle« ba« fo fjat lommen fönnen, 
fommen ntfiffen, benn bie Sefer möd^ten bod) 

.... gern ein *) a fan 

2Bo, mic unb mamt ba« 6tü<f gefiovben unb begraben; 

Sie finb bon je ber 0rbnjtug greunb gemefen, 

^öd^ten’« aud^ tobt im 28od)cnbIättdjen Icfen. 

3^ $abe mi^ biefer ©onftatirung be« Seidjeitbefunbe« fo oft mie 
möglich a u entaie^en gefugt; id) ^abe bat)er in biefem Qaljre aut^ noch 
nic^t ein einaige« 3Ral über bie am ftbniglichen ©chaufbielhaufe aut 
STuPhtung gebrachten ©tfidCe fchreiben wollen. 

®or einigen 3’uhten hatte e« borfibergehenb ben Slnfchein, al« ob 
in ba« beutfehe Xheater Seben, Stifte unb Bewegung fommen würbe, 
di War aur felben 3*it, ba ^unft unb bewerbe urplbfeltch einen un* 


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140 


Di* tfegettttftrf* 


Är. 9. 


geahnte« Sluffchtoung gu nehmen f dienen, Me Subtilen erweitert unb 
Oermehrt, eingelne Eeföäfte, Me tn h*h e * Blüthe ßanben, ober Dort 
bene« «um fich eine folihe oerfprach otet Oetfprechen wollte, in Ketten* 
gefettßhaften üutgetwinbelt, neue Käufer, neue (Straßen, neue Stabtoiertel 
projectirt ‘ unb gum Styeit auch gebaut würbe«, — gur Seit, als ßch 
überall baS Ber fange« nach einer behaglicheren E^ißeng in faß unge= 
jtfkmet ©eife fimbgab unb fleh bemgufolge baS Bebürfniß nach einem 
rabibeten unb belangreicheren Eewinn gettenb machte, als nahezu jebeS 
©itglieb ber fiegreichen Kation ben ßtflßhtoeigenben Knjptuch erhob, 
baß ihm baS Bewußtfehl beS Sieges burch eine Beseitigung an ben 
©ittiarben ber kriegSentßhäbigung recht beutlich betanfchaulicht werbe. 
SantalS,. als KüeS fich regte unb bewegte, fdjien auch bie btamatifche 
Dichtung einem ungewohnten gmpulfe gu folgen; man tonnte ein frifcheS 
©agen, ButeS oerfptechenbe Berfnche, glücfliche Anläufe Wahmehmen. 
©an burfte ^offen r baß an bie Stelle ber Ulten, bie gum Xheil üom 
Schanplap fchon abgetreten waten, gum Xheil nach einer Kblöjung ß$ 
jehtttett, jüngere borrWen nnb Süchtiges leiften würben. 

Einige berfeiben wußten ßch auch bie Sympathien beS tßublicumS 
gu gewinnen unb jebe Saiftm gählte ««* Keifje bon intereffanten Xheater= 
abenben. SaS gür unb ffiiber würbe in ber SageSpreffe gunt Sheil 
fogar mit Seibenßhaft, jebenfafts immer mit warmem gntereffe an ber 
Sache, würbe in BefeUf(haften bebattirt. 

Kber ach, mit Raubet unb ©anbei iß auch unfer Sheater grünblich 
betftacht, unb augenblicfltch tranlt es an bem ßhtimmften aller Gebet, 
es ßößt feine Sheilnahme mehr ein, eS iß langweilig geworben. 

Eine erße Borßeöung war noch bot einigen Söhnen etojaS wie ein 
Ereigttiß. ©an fptadfj tagelang bbthet babon. Ein 3eber, ber in ber 
hauptßftbtißhen Eefeflßhaft itgenb eine Stellung einnimmt ober ein- 
nehnten mö^te, wollte bet erften Botftettung um jeben $reiS beiwohnen, 
unb berjentge, bem bieS gelang, butfte ß<h als ein Beoorgugter betrachten. 
3e|t erfährt ber größte fcljeil betjemgen, bie ßch früher „wie in 
fmngerSnoth um ©rot an Bäcf erthüren " um ein Bittet faß bie $älfe 
Brachen, etß aus ber kritit ber geihmgen, baß gwei Sage borher eine 
erße «uPh«tng ßattgefunben hot. ©an gwängt fich nicht mehr burch 
bie enge Bnabenpforte, man gelangt gang unbehelligt gur kaffe, unb 
ber Äaffirer iß gewöhnlich noch im lepten Kugenblicfe im Stanbe, jeben 
©unfeh nach BitfetS gu erfüllen. 

Sftüher WAt im häufe bbt bem Beginn beS SdfjaufptelS ein merf* 
WürMg lebhafter Bettehr. Sa würbe« ©erüchie mitgetheilt, bie man 
über baS neue Stücf gehört hotte, ba würben nach Mm Sattel Eom* 
binatione« angeßeKt, ©ipworte colportirt, ba fummte nnb furrte eS 
burch ben gangen Saal, ba lag auf jebem Eefidjt ber unbertennbare 
KuSbrucf einer gewiffen Erregtheit, ber Spannung unb ber Sheilnaljme. 
gept bagegen iß bie Ktmofphäre beS Kaufes namentlich bei etßen Bor* 
ßettungen bleiern unb fchwer, bie Seute fehen ßh*äfrig unb gelangWeilt 
aus, ehe noch baS Stüdf begonnen hot, unb Kiemanb würbe eS ber 
apathißhe« Berfammlung anfehen, baß fie fich gum gweef ber Unter* 
holtung burch bie hütete kiutß phr gufammengefunben hot. 

tfrüper brach nach jebem gatten beS Vorhangs baS halbe tßarquet 
auf, Kttes brängte ßch auf ben engen Eortiboren gufammen; ber Eine 
orafelte., ber Änbere fdjwapte nach, ber Eine oertpeibigte, ber Knbere 
griff an. Ser gwißhenact war ein Schoufpiel, baS cm Sebpaftigteit, 
ja bisweilen an Seibenfchaftlichleit baS auf ber Sühne gut Satßeüung 
gelangenbe noch überbot. ©enn jept ber Sorhang gefallen iß unb bie 
laue Stimmung burch goghafteS klatßhen ben entfprecheuben KuSbracf 
gefunben hat, bann bleibt es guuächß recht h«bfch ruhig. Sangfam, 
laugfam erhebt ßch Siefet ober Sener, um für feine Äachbarin baS trau* 
rige Eonfect aus ber Eonbitorei gu h°lrn ober ihr aus ber großen 
weißen SßorgeHanlrufe ein ElaS ber böfen Stmonabe crebengen gu laffen; 
unb ber einß fo belebte Eorribor fieht aus wie ber ftirchhof im 
©onbfchein: 

Sa regt ßch ein Stab, unb ein anbertS bann, 

Sie tommen hrroor, ein ©eib ba, ein ©ann, 

3n weißen, ßhteppenben ^emben. 

ES iß trübfeligl 

©ober biefe traurige Umwanblung? Än w«n liegt bie Sthulb? 
9ln ben Sichtern? %m publicum? Hn ber ftritif? ©ahrfcheinlich an 
feinem btfonberS unb an allen gufammen. geh wiü mich auf bie Unter* 
fuchung Mefer 3rage, beren Erörterung ßch gu einer ftbhanblung über 


bie neueße ^hafe MS Mutigen SheaterS erweitern müßte, h'tr nicht 
weiter einlaffeit; bie Shatfache feibß iß aber uubeßreitbar, tinfer 
Sheater hat mit einet Äranfenßube eine oergweifelte flehnlichteit. Sie 
Suß iß fchwer unb ßiefig, bie Sljür tbirb mit Sörßcht auf* Uftb gu* 
gemalt, man tritt möglichß geräüfchloS ei«, berhält ßch möglichß 
ruhig/ fo lange man brtn iß, unb jchaüt befttmmert aus, wenn man 
herauStommt. 

Soll ich nach tiefer Einleitung nun noch ergäben, baß neulich im 
Sdjaufpielhaufe ein Stücf bon Ä. bon ©intetfelb gegeben Wnrbe? ©in* 
ferfelb iß mir burch feinen dnfpruchSlofen, berbeit $umor gn lieb ge* 
worben, als baß ich ih« berbrießen, ober gar träufen möchte. SaS 
Stücf iß aber eben nicht aus ben luftigen Sagen ber Bewegung heroor* 
gegangen; eS iß entßanben unter bem Etnßuß ber jepigen Schläfrigfeit, 
bie unfer ganges öffentliches Ueben bebrüeft. SaS Schaufpief h«ißt 
^Eüter Karne" unb eS wirb uns ergäbt, wie ein ®raf Stahlberg fein 
großes Vermögen geopfert hat, um ß<h ben guten Kamen gu erhalten, 
b. h- um Me Scßulben eines leichtßnnigen BruberS, ber fatßhe ©echfel 
gemacht hat, gu galten. Siefer Eraf treibt ben $eroiSmnS nicht nur bis 
an bie Erengen beS ©öglichen, er beraubt nicht nur ßch unb fein ftinb, 
er hat auch gar nichts bagegeu einguwenben, baß man baS ßhreienbe 
©ißoerhältniß, welches gwißhen feinen fpärlicßen Ausgaben unb beit 
fef>r .bebeutenben Einnahmen, über Me er nach ber Knßcht ber Seute 
oerfügett fann, * beßeht, aus einer Beßhintpfung feines EhatafterS 
heraus ßch erflärt: baß man ihn allerorten als fchmupig geigig oer* 
fchreit. 

Eraf Stahlberg ift alfo öon ber erßen Scene bis gur Iepten ber 
oerfannteße aller ©änner, unb baS iß nicht fehr erheitemb. Ser 
©ann hat baS gange Stücf hiftburch nichts als unöerbiente Äränfititgen 
unb Semüthigungen gu erfahren unb feine ftauptthätigfeit beßeht baritt, 
ßch abguwenben, bie Slugen aufgufchlagen unb etn „0 Eott, auch baS 
noch!" gwifchen ben gähnen gu murmeln. Einen ©ehrlofen/bem man 
$)änbe unb grüße binbet, foUte man aber füglich nicht in ben ©ittelpünft 
einer $anblung ßeHen. Ser $elb bebarf ber ungehemmten grreiheit ber 
Bewegung; er muß bie Ellenbogen frei haben. 

ES tommt noch bagu, baß ber jugenbliche Siebhaber, ber Sohn beS 
gfabrifanten ^otg, ber Me Eomteffe Stahlberg Hebt, oon bem Berfaffer 
tn ungebührlicher ©eife bernachläffigt Worben iß. Siefer jugenbliche 
Siebhaber iß böHig unintereffant, mtb beSwegen bermögen wir auch für 
baS SiebeSberhältntß mit ber Eomteffe fein gnterefje gu gewinnen. So 
winbet fich gwifchen einer oerfehlten fcauptßgur unb einer nicht genügenb 
charafterißrten StebeSgruppe Me ^anblung mfthfam bapin. Sfit etngel* 
nen Stellen ßaefert wohl bie gute Sußigfeit ©interfelbS auf, aber im 
Eangett gehört baS Schaufpiel nicht gu ben gelungenen Arbeiten beS 
frifchen ErgähterS. Emgclheiten oerbienen fogar eine tyxhe Küge; bie 
Scene, in welker ber alte ^olg für feinen Soh« um bie Eomteffe an* 
hält unb mit bem Erafen wegen ber ©itgift feiljcht, iß peinlich unb 
oerftimmenb. 

Sie Kethe oon nicht genügenben Erfolgen unb offenbaren ©iß* 
erfolgen, bie baS SdjaufpielhauS hintereinanber gu Oergetchnen gehabt 
hat, hat einige Krittler, unb unter ihnen fogar ben Slngejehenßen, gu 
ber pefßmißifchcn gfrageßeüung oeranlaßt, ob benn baS königliche 
SdjaufptelhauS unter fothanen Berhältniffen überhaupt gut baran thue, 
nod^ Kooitäten gu geben. ES iß begreiflich, baß ßch ber unmutigen 
Stimmung eine fold)e grtage entringt, aber eS wäre ftdjerlich fehr be* 
bäuerlich, Wenn bie Antwort barauf oon Seiten ber Berwaltung eine 
bejahenbe werben foüte. gebe Borßellung eines neuen StücfeS wirft 
in einem gewiffen, wenn auch noch fo befdjeibenen Sinne anregenb, unb 
bie Seitungen ber großen Sheater würben, wie ich filaube, ihre ^ßicht 
fchwer oerlepcn, wenn fie eS an biefer Anregung fehlen laffen. ©ir 
fcheint eS ridjtiger ben Seitungen, anßatt einer oetbroffenen Baffioitat, 
noch eint Bermehrung ber Xhatfraft anguempfehlen. ©an gebe nene 
Stücfe, fo oiel wie ba ßnb, immer gul Unb wenn nur ein etngigeS 
einfchlägt, jo iß bie ©ühe nicht oerloren, unb über bem eingigcit 
Sebenben Wirb man bie Schaaren ber Seichen oergeffen. 

Paul £tnbau. 


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Nr. 9. lieUHgenwart, 141 


Um fce» dUncerUoaU. 

„Der Staub bcr ©abinerinnen." Dejt Don Arthur gitejer. Öür 
©hör, ©oloftirnmen unb Orteßer oon ©eorg Sterling, Auf geführt 
bom Stem’föen ©efangDereine. — ©oncert ber #o<bfdjttfe. — ©oncert 
beS gxüulein Anna Mehlig. 

©S iß eine fehr fernere Aufgabe für mit, mir über baS be= 
beutenbe ©er! Sterlings ein IlareS Urteil ju bilben. ©iner rein 
wiffenftaftliten Arbeit gegenüber tann man ßt „objectiD" bemalten, 
bte ©ehanblung ber Dhatfaten, bie gorm u. f. w. beurteilen. Aber 
bei einem Jhmßwerte ift bie perfönüte ©mpßnbungSweife aut beS 
getoiffenhafteßen ©eurtheilerS, nlfo baS Qubjectioe, unmöglit gana ju 
befeitigen. liefet Derrnag jmar Stiles, was jum gormalen ber funfit 
gehört, einer einge^enben Prüfung ju unterbieten, aut ben ©tönheiten 
ipib Sot|ügen beS ©erteS „g^rc#*" bu werben. (Sr bermag aut feine 
Meinung über ben geiftigen 3nhalt au motioiren, befonberS bort, wo 
er mißbilligt, bie ©rünbe fehr genau barbutegen. Aber wo eS ßt um 
©rapßnben beS ©tönen tanbelt, tarnt er hötß cn * bot uur ba^in 
jtreben, ßt Dor ©infeitigteit au wahren, um beim Sefer bie Ueber= 
beugung bu gewinnen, baß er nat beßem ©Ulen unb ©ollen urteilt; 
baS feinem ©mpßnbungSDermögcn in gleitem Maße gernßehenbe günftig 
ju beurteilen, wie baS, waS i^n tiinßferift anregt, baS bermag er 
nitt, barf er n$t, wenn er übertaubt bie UrtljeiiStraft bewatren unb 
ßt nießt bon anberen Seweggrünben beftimmen laffen will. 

©o ßelje i<t Dor bem „9iaub ber ©abinerinnen" in einem Dilemma. 
3t geftete G cnic afl’ bie Äotgftge beS ©erteS a u , freue mit beS 
tebeutenben ©rfoIgeS, ben eS bei ber Aufführung gefunben hat; aber 
it tann mit inbioibuefl bot nur für bie (Störe im erften Xteile fo 
rett erwärmen, weil eben biefe ©attung Mußt feinem ©mpßnben näher 
liegt, als ber bteleS ©töne enthaltenbe zweite Dh«*- feßlt mir 
tatfätüt bie (SinbrucfSfätigfeit für bie neuere oratorifte ©attung, 
in weiter baS ©pißhe oor bem Dramatißhen unb Triften jurüdtritt. 
3t fann mit in baS rein romantifte (Slement bom „©arabieS unb ber 
$eri" tineinbenten, ja mit (Sntjücfen mantern ber terrliten ©efänge 
lauften; aber wenn it mir in ber (Srinnerung ben (Sinbrud lebenbig 
Wieber tetborrufen will, fo gelingt mir baS nur feiten unb mütfam, 
wührenb baS ett Oratorifte, baS naib ©pifte ber „ältern" 3eit au 
jebem Momente fpringqueüartig in meinem ©ebättniffe emporftießt. — 
Unb wenn mir nun gar bie in neuefter Seit wohl in Mußt gefegten 
©rieten unb Körner im ©oncertfaale gegenübertreten, ba muß it alle 
fraft aufammen nehmen, um wenigßenS „objectiD" au bleiben. 3t 
fenbe alle biefe Semerfungen borauS, bamit ber Sefer, unb befonberS 
berjenige, weiter baS ©er! gehört ober anbere ©eurtheilungen gelefen 
tat, fit nitt wunbert, wenn in bem Sorliegenben baS eine ober anbere 
©tütf meht ober weniger gelobt wirb, als nat bem ©rfolge im ©aale 
ober in ben ©lüttem DorauSaufepen war. 

$er „Htaub ber ©abinerinnen 7 ' erfteint mir als ein ©toff, ber 
bielleitt SU einem wirlfamen Operntejte berwenbet werben !ann, unb 
ben Sterling gewiß mit ebenfo großem ©eftitf für bie ©üpne behanbeln 
würbe, als er ihn für ben (Soncertfaal bepanbelt hat; aber au einer 
(Santate, einem Oratorium, ober (Soncertbrama (man möge eS halten wie 
man will) paßt er wenig ober gar nitt. Sie Heit t wäre eS möglit ge- 
wefen, ihm burt rein epifte ©ehanblung eine mehr oratorifte gürbung 
au »erleihen. Aber bie rein Iprifte (Spifobe beS itotiitn feiles bringt 
eine ganj anbere neue ©timmung in ben ©erlauf ber fcanblung, bie 
ihre gtüdwirhmg auf bie fcaltung ber ©ompofüion auSüben muß, unb 
im &örer eine ©paltung ber (Srnpfinbungeit in ber ©timmung eraeugt, 
welche nur bei ber bramatiften iarftellung, b. h- bon ber ©ühne 
herab, wirtfam iß, währenb ße beim ©efange im ©oncertfaale mehr 
abfpaimt als anregt, ©o Diel Dom Xejte. 

©eben wir nun aur flRufi! über, fo iß bor Allem bie ©teifterftaft 
SieriingS in ber ©ehanblung ber ©höre herborauheben. (SS iß ebenfo 
eine greube, ben ©au berfelbeit in ber Partitur a« ßubiren, als bie 
flangftönheit in ber Ausführung au genießen. 9flan ßeht unb hört 
eS ber ©töpfung an, baß ber ©omponiß immer in feinem wahren 
©lemente iß, wenn er fit fo rett in ben großen Sonmaffen ergehen 
unb ein ftön erbatteS Xongebaubc aus ihnen formen fann. 3)abei 
hanbhabt er jebc funftfornt mit gleicher ©iterheit unb Seittigfeit. 
3hm gelingt bie guge ebenfo gut wie ber melobift geführte ©hör. 


Unmiüfürlit fragt mau ßt: ©ie fommt eS, baß ber ©empouiß, ber 
©olteS ftafft, feine ^raft in einer ©tilsmföiaa ftrfplittem tann, wie 
ße ber a^eite %tyxl beS ©erteS nothweubigerweife erßeiftt? Slot 
biefe grage mag Dieüeitt mehr auS meiner Subibibuaütüt faxw* 
gegangen fein, als aus aßhetifter ©erettigung; it !anu mit uun 
einmal in bie gan^e ©eene ber ©laubig mit (SnniuS nitt hmeinßnbe« 
unb atehe eS baher Dor, gewiffenpaft non bem feßr günßigen fofolge 
au beritten, ben baS ©er! errungen hat, unb Don ber Dortrefflitc* 
Aufführung Don ©eite beS ©tem’ften ©ereineS, ber feine nitt leiste 
Aufgabe mit ßttlitem ©ifer erfüllte. Aut bie ©olopartien fanben in 
gräulein ^affelbed Don Seipaig unb ben Herren Don ©enfft unb Seberer 
auSgeaeitnete Sertreter. $a$ ©ublicum geigte ßt ßhr angeregt unb 
bewies bem ©omponißen, bee fein ©er! felbß birigirte, Dielfaten 
Anteil burt lebhaften ©eifall. - 

$aS lepte ©oncert ber $otftute f 4n h unter ffaem ©wfeffor 
diuborffs Leitung ftatt, unb bot UiefcS greunblit s intepeffante. ©f 
begann mit einer liebeitSmürbigen D - dur - ©hntphauie Don ftapbu, bie 
im ©anaen fe^r gut auSgeführt taurbe. 3)aß bte ©lüfer einige Stale 
rett ©tlimmeS hören ließen, a*igt eben, baß SRenftlitaS in aües 
Üiegioneu paffiren !amt. $err ©rofeffor Suborff erwies ßt iu ber 
Seitung als feljr umßttiger unb feinfühliger SRußler, ber befcnfeec* 
bie ©tattiruugen fehr genau au führen weiß, unb ber bei größerer 
Hebung gewiß aut *>ie rhpthmiften Accente nat feßtr anbeuteu wirb; 
biefe trateu in ber ©inleitung unb im ema beS ecßeu 

©apeS entftieben nitt genug h e ^ar; baS fetße Attel beS erßen 
kaltes erllang faß immer, als gehörte eS gum §weitett. Aut pibfyt 
it hi« für ein langfamereS Xempo ftapbn’fter Menuette petitionire», 
ße werben hi« ^ ßanbe überall au ftueü genommen, unb hterbwrt 
geht ber ©haralter Derloren. ©S iß, als pp jeijt ßuftfptel auS bem Dex^ 
ßoßenen Sa^r^unbert im mobernften ©oßftme gefpielt würbe. ©onber= 
barer ©eife werben im leittlebigen ©ten ©aQbnS SJtenuette not immer 
langfamer genommen, als im ernßen ©erlin; bort bie £rabitiftB, hi« 
bte ©iü!ür. Sortrefflit war bie Aufführung beS liebUteu Anbcurte 
unb beS ginale. ^)er ©^ftphonie folgte ©eethobenS ©h a ntaße für 
©iano, ©hör unb Orteßer Op. 80. Am ©IaDier wirhe ^err ^teft' 
berg, ©tüler beS SnßitutcS. 3)erfelbe löße feine Aufgabe fo gut als 
eS einem jungen Spanne Don latent unb grünbliter mußlaliftper 
©ilbung möglit iß, ber not nitt oft öffenilit aufgetreten iß, unb 
mit ber Ausführung eines XonmerteS betraut Warb, baS bor Allem 
eine DoÜIommene ©iterheit Dom gufammenwirleit mit größeren Staffen 
oerlangt. $aß er einmal gana auS bem ©oncepte fam, obwohl er bte 
9!oten oor ßt hotte, beweiß nittS gegen ihn unb uur für nufere 
©ehauptung: ©er biefe ^ß^antafie ausführen foü, muß ftP n lehr oft 
mit Orteßer öffentlit gefpielt haben, feines ©ebätlniffeS DpHipmmen 
fiter fein unb bie fämratliten ©artien beS XonwerfeS fo gftaAü im 
©Jetße beßpen, baß er ßt gana frei bewegen tann. 2)en ©tluß beS 
©oncerteS bilbete ©eberS 9Jlußt a u „©teciofa". ®ie ©ahl biejer 
liebltten ©ompoßtion war eine glüdlite, unb -bte Ausführung tann 
als eine fehr gelungene be^eitnet werben. $a$ Orteßer fpiette quSge= 
aeitnet; bte ©lefangSDorträge boten bte gewöhnlite fonJb^rjbuare 
fteinung: ber ©hör DortreffUt, bie ©oli (hier war nur ©ineS an per= 
nehmen) ber ©egenfap. SDRit großem £obe iß ber Spectotnation bpS 
Derbinbenben Xe^teS Don $erm Dannenberg an geben!e|t unb ber SWelp-« 
bramen ©reciofaS, bie gräulein ©arteis Dortrug. Die junge Dame 
Derfügt über ein fehr ftöneS Organ; ihre AuSfprate war reiu unb 
ßter, ber Sortrag überall auSbrudSDoH unb in ber ©trenae beS ©töpew 
Derblieben. Das ©leite iß bem obbenannten §errn nataarühmen. 
©eibe gaben geugniß Don Dortreffliter ©tule. 

gräulein Anna SRehltg (württemberg’fte unb weimar’fte §o|= 
pianißin) hat in ber Derßoffenen ©ote ein eigenes ©oncert gegeben, 
unb einige Dage barauf in bem ber ©erliner ©praphouiecapelle mifge= 
wirtt. ©ie aählt a u Öen ©ianißinnen erßen langes unb baS bebeutet 
heutautage nitt wenig; benn wührenb feit bem Dobe XaußgS unb ber 
3urüdgeaogenheit ©ülows bie ßahl ber großen ©ignißen fit auf ©inen 
— SRubtnßein — beftrünlt, haben Dier ober fünf jüngere Damen ßt 
bebeutenben ftiuf erworben. Unter ihnen aeitrtet ßt gräulein ©tehltg 
burt befonberS martigen Anftlag unb Dortrefßite Detni! aus. ©je 
hat nat grau ©tumaitn bie befte ©laDterhanb, bie wir tennett. ^fut 
ihr Sortrag iß meißenS rittig, gefunb, Doit allen fallen ©entiipenta- 
litäteii frei. 9!ttr gegen baS eigenthümlite ftarfe Accentuiren ber 


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142 


Oie <5*0*na»art. 


Nr. 9. 


Erunbbaßnoteu rnüfjen mir Bebenfeii auSfprecpen. 3n bem gtnale bet 
Beetpooen’jcpen Cis-moll-©onate wirtte eS fepr fiörenb, anftatt beS 
bumpfen ErunbtoneS jebeSmal einen grell llingenben pöreit zu muffen. 
Bie gefcpäpte Äünftlerin war überhaupt in iprem eigenen Eoncert niept 
gut bisponirt; bagegen bot fie in bem ber ©pmpponiecapeflc, in welcpetn 
fie EpopinS E-moll-Eoncert bortrug, eine wapre ßßeifterleiftung, bie 
auep allgemein anerfannt tourbe. ©eiten ift baS Abagio fo parmonifcp 
anmutig uitb rupig oorgetrageu toorben! 

bj. ©prüd?. 


Stotijett. 


BaS deficit beS beutfcpen SteicpeS ift eine ftepenbe SRubril ber 
BageSpreffe geworben, Befanttflicp ift baSfelbe nur eine Fiction, infoferu 
bad bon feinen Etünberit finanziell fnapp gefteßte Dieicp, wenn eS teilt 
Eelb pat unb bie Ausgaben bie Einnahmen überfteigeit, fic^ wegen 3 Us 
jcpuß unb Bedung an bie ©injelftaaten wenbet. BaS Berpältniß gleicht 
einem epelicpen Arrangement, wo ber grau eine beftimmte ©umme für 
©irtpjcpaft unb Subepör oon bem Epegatten aitgewiefen ift. ßommt 
fie niept auS, Wirb ber Eernapl um einen weiteren Beitrag erfucpt, bei* 
bann auep nach einigen Erörterungen in ber Siegel geleiftet wirb. ES 
wirb beSwegen dtiemanbem einfaUen zu behaupten, baß baS VauSwefeu 
fiep in mißlichen Berpältniffen beftnbe. ©te froh wäre mancher aus¬ 
wärtige ©taat, ftänbe eS mit feiner Bilanz nicht fchlimmer al§ mit bet 
beutfcpen. Natürlich Z ö Pleu bk Einzelftaaten ungern, unb ber Eebanten* 
auStaufcp, wie man füh euppemiftijcp auSbrüdt, zwifchen bem SReicp unb 
feinen Eliebern nimmt oft einen lebhaften Eparafter an. Sttan h abe 
in Berlin gut 2ttatticularbeiträge auSjepreibeu, ^ei^t eS an bet 3far, 
am fltejeubacp ober an beit Ufern ber Elbe, baS jepe hoch nur ftets 
neue ©teuexn tu ben oaterlänbijcheit Eauen oorauS, unb bie ärgfteu 
Unitarier würben gejtehen, baß bie oielgerühmte Einheit erjcpredlicpeS 
Eelb tofte. Bie Antwort ift aßerbingS betannt. 2ttan erinnert bie 
jpröbett ©chulbiter baran, unter welchen phäafijcpen ®ebiugungen man 
früher in BreSben, ©tuttgart unb München gelebt habe, Reußen allein 
mußte bie fchwere Lüftung für baS ganze Beutjcplaub tragen, zum ©cpup 
ber Erenzen bereit ftehen unb bie Äoften bafür aufbtiugeit. Auf bie 
Bauer wäre baS ber ßtuin gewefen. BreußenS ©iegen hätte gewiß bie 
allgemeine patriotifcpe Begeiferung nicht gefehlt, unb mittelftaatliche 
Farben hätten unferen gelbperrn unfterbliche Sorbeern geflochten. 35er 
korben allein jebocp pätte nach wie oor zahlen muffen. gept ift baS 
Ades in mehr rationeller ©elfe eingerichtet. Bie BreSbeuer unb 
SRüncpener ßJtujeen tönneu nicht mehr wie in ben golbeiten Seiten beS 
jchlaftruntenen BuitbeStageS z um Entzüden tunftUebenber Bouriften be¬ 
reichert werben, mährenb bie unter ber ©teuerlaft feufzenben Einwohner 
beS preußijcpeit ©tuateS auf fchmale ftoft uitb wenig Eelb für ihre 
SebenSbauer befcpräntf blieben. Bie Saften finb im Berpältniß z u bzn 
Bortpeileu gleichmäßig oertheilt. darüber wirb oorfommeuben gaßS 
taijonnirt unb ber jcpönen Vergangenheit gebacht, wo in fo manchem 
reizenb gelegenen Orte baS Bafein behaglich bapinfloß, währenb man 
aßerbingS bie Qerriffenheit im Innern unb bie Eruiebrigung bem AuS* 
lanb gegenüber m ben tfauf nehmen mußte, ©o ertlärt (ich baS föätpfel, 
wie bte gegen fchuöben Angriff uitb bemütpigenbeS Breittreben gefcpüpte 
Einheit BeutjcplanbS feinen Bürgern toftjpieliger erfcheiitt als ber oor- 
malige 3uftanb. Btan hat fogar baS IReicp unb feine unfertigen gnftitu- 
tionen für ben ßtotpftaub oerautwortlich machen wollen, worauf bie 
Bpronrebe neulich bie Antwort nicht fchulbig geblieben ift. BieS cleri- 
cale, particulariftifche Eejcpwäp hätte oiefleicpt eine noch herbere Abs 
fertigung oerbient, ©er übrigens bie Bpronrebe mit Aufmertfamteit 
lieft unb bie oorfichtig gefepteit ©orte über ben Orient bicht hinter bie 
Betrachtungen über bie ©todung beS Ber!eprS, unb was bamit zufammen* 
hängt, geftellt fiept, tann fiep beS Eebantens niept erwepren, baß ben 
oon dtußlanb im Orient angezettelten ©irren ein gutes Speil ber Ber= 
antwortitcpteit für bie wirthjcpqftHche Ealamität zugewiejen wirb. SHe 
pope ^olitit fiept über folcpe tleinbürgerlicpe Erwägungen gewöhnlich 
mit angemeffeuer Beracptung pinweg. S)er inbirecte Hinweis ber beut= 
fepen Xprottrebe feboep, bie gleich naep ber Erwäpnung anarchijcper für 
jpanbel unb ©anbei gefäprlicper Beftrebungen auf bie burep bie oriett'- 
talijcpe ftrifiS peraufbefcpworeneu Eefapren übergept, würbe z^ar in ben 


taubläufigen großenteils uaep berjelben ©cpablone gefertigten Eommen; 
taren übergangen, tonnte inbeffen beffer gefaulten ßefern niept entgepen. 
©ie fiep bie flaoijcpen EomitäS um baS Elenb fepeeren, baS ipr oer= 
brecperifcpeS Treiben peroorruft, pat baS unglücflicpe ©erbien erfahren. 
Aber ber ^riegSzußanb am ^ßrutp unb an ber S)onau äußert au<p feine 
©irfung in bie gerne. 35ie woplgenftprten ruffenfreunblicpen B^tuugS* 
fepreiber fpüren baoon wenig, unb bie ©ocialiften fmb opnepin ber ftets 
bereite ©ünbenboef. ^ie Eefcpicpte aber wirb unerbittlich aufzeiepuen, 
wer baS lebenbe Eefcplecpt unter allerlei mit Humanität unb Epriftens 
tpum auSgefcpmüctten ginten niept z>t Atpem tommen ließ, unb wer 
unter bem gmpuls oerwanbter ©onberzwede bazu mitgepolfen pat. 

* 

* * 

^ppjitalifcpsftatiftijcber AtlaS beS 35eutfcpnt dteicpS. $etauS- 
gegeben oon dtieparb Anbree unb OScar ^efdp^l- AuSgefüprt 
in ber geograppifepen Anftalt oon Belpagen unb Älafing in Leipzig* 
Erfte Hälfte, 12 harten mit Jejt. Bielefelb unb Seibziflf 1877 - 

Bor etwa oier gaprett fagte Bictor Emanuel bei einer feierlichen 
Eelegenpeit, gtalien fei nunmepr z^ar zu ©tanbe gebraept, aber boep 
noep niept ganz ausgearbeitet („Italia ö fatta ma non ancora compiuta“). 
35aSfelbe läßt fiep oon 3)eutfcplaitb fagen; unb wir tönnen uns biejen 
©ap gar niept oft genug wieberpolen, um uns zu ftets erneuten Au» 
ftrenguugen anzufpomen. ES gilt niept nur auf politifepem, fonbern 
aud) auf wiffenjcpaftlicpem Eebiete. Um fiep baoon zu überzeugen, muß 
man biefen AtlaS ftubiren. Er tollte in teinem guten $aufe in 2)euticps 
lanb feplen. ©ir geben uns (icp palte eS für eine ^flicpt, bieS opne alle 
Umfcpweife auSzufprecpen) auf biefem Eebiete einer feltjamen Xäufcpung 
piit. ©ir palten bie granzofeu für fd)lecpte Eeograppen unb macpeit 
uns luftig über fie. Es ift nun zwar wapr, eS gibt Oiele granzofeu, 
welcpe oon ber Eeograppie beS AuSlanbeS wenig oerftepen. Aber jo 
weit meine Beobachtung reiept, will eS mir jepeinen, als wenn bie 
gxanzojen (icp fpreepe immer im Xurcpjcpnitt) grantreiep beffer teunen, 
als bie Xeutfcpen 3)eutjcplanb. 

git 35eutfcplanb tennt geber fein w engereS" unb „engfteS* 
Baterläitbcpen reept grünblicp, bagegen weiß er oon beit übrigen ipeilen 

2) eutfcplanbS niept oiel, unb oon mancpeit gar niepts. gep teune ^torb* 
beutjepe, welcpe über bem alemaiuiifcp=fcpwäbifcpen 35ialett eine Eäufepaut 
betommen, unb ©übbeutjepe, welcpe glauben, biept pinter Berlin fange 
bie große ©anbwüfte an, bie fiep bis zur ruffifepen Erenze, erftrede, unb 
welcpe oou ben bewalbeten Uferu ocr Oftfee, oon ber eigentümlichen 
©cpönpeit ber $affs unb ber ^epatngen, oon ber monumentalen Eröße 

3) anzigS 2 C. feine Apnung paben. 

3)aß eine folcpe Unfenntniß bei ber Bteprzapl ber 3)eutf<pen auep 
pinficptUcp ber pppfifalifcpsftatiftifcpen Berpältniffe beS Eejammtoaters 
lanbS perrfept, pat feinen guten Erunb. 25ie ©ijfenjcpaft war biSper, 
namentlich foweit fie officieU betrieben wirb, particulariftijcp; b. p. fie 
arbeitete nur für ihren Einzelftaat, opne fiep um baS Eanze zu fftmmem. 
3)a aber bie iJanbeSgrenzen in 3)eutfcplanb mepr ober weniger wiüfürlicp 
gezogen finb, unb feineSWegS auf notpwenbigen bppfitalifcpen unb etpno* 
logijcpen BorauSfepungen berupen, fo mußten biefe territorialen Arbeiten, 
mocpteit ipre Urpeber auep noep fo befäpigt fein, einen gemifjen Eparafter 
ber Einfeitigfeit ober ber Befcpränlung tragen. Außerbem lag baS Alles 
Zerfplittert unb z^^ß^cut auSeinanber unb war fcpwer zu fammeln unb 
unter einen einheitlichen EeficptSpunft z u bringen. Unb auep bann 
blieben noep immer empfinbiiepe ßüden. 

25er leiber zu früp oerftorbene OScar ^efcpel empfanb äße biefe 
SKängel fepr lebpaft, als er fiep anjepidte, auf ber $o<pjcpule Leipzig 
ein Eoßeg über bie „Eeograppie beS Beutfcpen ßteicpeS" zu lefen; 
BieS füprte im Verlaufe ber Borlejungen bapin, baß er fiep mit bem 
oerbienten föicparb Anbree zur Verausgabe MefeS AtlaS oereinigte, 
welcpeS ©er! fiep bie Aufgabe gejept pat, jene SRängel z« heben, 
baS Serftreute zu fammeln, baS Ungleichartige in einem einheitlichen 
Eeifte zu oerarbeiten, bie Süden zu ergänzen unb bie gegenwärtigen 
Suftänbe beS ganzen beutfcpen BaterlanbeS burep bilblicpe Barfteßungen 
unb begleitenben Bejt in gemeinoerftänblüper ©eife jeoem gebilbeten 
Beutfcpen flar zu legen, fßieparb Anbree übemapm oorzugSweife 
ben etpnologifcpen Bpeil. Eine dteipe oon ©cpülern BefcpelS oereinigte 
fiep zur Ausführung beS pppfitalijcpen. Befcpel felbft napm bis zu 
jeittem Bobe ben lebpafteften Antpeil an bem ©erle. ES iß in feinem 
©iitne weiter geführt worben. 


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Nr. 9. 


9 i t d 1 3 1 n nt a x i. 


14B 


Die und üorliegenbe erjte §älfte enthält: 

1. Die ^ößenfeßicßtenfartc non Guftaü SHpoIbt; 

2. „ 3fot^crmcn!artc üon g. 2B. ©ufcger; 

3. „ Statten über mittlere 3ößtedtemperatur üon 011 o St t ü mm e l; 

4. „ , „ ©ommertemperatur üon bemf.; 

5. „ „ „ gönuartemperatur üon bemf.; 

6. „ Regenfarte üon bemf.; 

7. „ Äarte über £oßlen= unb Dorfreüiete üon bemf.; 

8. „ harten über SBatbftatiptit üon bemf.; 

9. „ Völlertarte * 

10. „ Eonfejfionenlarte l üon Ricßarb An b ree. 

11. „ $arte über Verbreitung ber3ubenJ 

3<ß werbe bie Einzelheiten eingeßenb befprecßen, fobalb bad SBert 
(bad audj burcß fc^ötte Audftattung fidß audzeicßnet) üoflenbet ift. gür 
heute nur eine ©emerlung. 9Ran neunte bie graphifcß=ftatiftif<ße Dar= 
Rettung jur §anb, weiche unter bem Xitel „Unfere SBaßllarte" ald ' 
©eilage ju Stummer 20 bed „Daheim* erfcßienen ift unb üergleicße fie 
einmal mit ben oben unter 9., 10. unb 11. genannten harten, unb man 
wirb fofort eine Sülle politifcß=Jocialer ©eleßrung erhalten, ©elbft eine 
Vergleichung mit ber ttarte 7 zeigt und, baß ein geßeimnißDoller 3« 5 
fammenhang zwifcßen bem ©ocialidmuö unb ber ©teinfohle waltet (üergl. 

§. V. Reurobe in ©cßlefien). 

Karl öraunstDiesbaben* 

* 

* * 

3n brei üor einem gemifcßten publicum gehaltenen Vorträgen*) 
hat §err griebricß Golbfcßmibt, einer ber üom beutjchen Gleich $ur 
VJeltaudfteUung in ^p^ilabel^ia entfanbten Verichterftatter, ben Verfuch 
gemacht, bie ©umme ber Einbrücfe zu ziehen, welche ihm, bem berufenen 
Sufcßauer, oon einem „3nbuftrie;©cßaujpiel" geblieben finb, „bad ßtn= 
fichtlich feined Umfangd unb ber belehrenben gönn, in welcher ed auf= 
getreten, bidher in ber ©Seit noch nicht gejehcn worben ift". Aud ber 
fehr großen 3ößl üon ©Triften, welche fiep bie Aufgabe gefteflt höben, bie 
Eentennialaudfiellung nicht in ihren Einzelheiten, jonbern in ihrer ge= 
wattigen Gejammtheit zu fchilbern, erfcheint mir bie üorliegenbe Ar* 
beit ald eine ber üertrauendwürbigfteu. Um bie norbameritanifcße 3« 5 
buftrie unb indbefonbere ihr Verhältnis z u ber europäifcßen richtig be? 
urtheilen zu tönnen, ift nicht nur jene befonbere ober allgemeinere gacß* 
tenntniß erforberlich, wie bie Mehrzahl technifch gebilbeter Rtänner fie 
befipt; nur auf Grunb genauerer Vertrautheit mit ben eigentümlichen 
Gulturüerhältuijjeu ber Union, ben bei ber ungeheuren Audbeßnung bed 
ganbed unb ben großen tümatifeßen Unterfchieben außerorbentlicß üerfcßie= 
benen greifen ber Arbeit, mit ben fehr üerwicfelten Soßgefefcen unb wie 
bie Vebingungen alle heißen mögen, welche in ihrer Gejammtßeit bie 
wunberbar jcßnelle Entfaltung bed ^anbed begünftigt höben, ift ed mög= 
lieh, Z“ einer Haren unb richtigen Auffaffung beT ßoßen Vebeutung ber 
uorbameritanifchen Subuftrie zu gelangen. Durcß einen mehrjährigen 
Aufenthalt in ben Vereinigten ©taateu ift ed bem Verfaffer üor ben 
meiften ber freutblünbifchen Verichterftatter gegönnt gewefen, biefe befon- 
bereit Verhältniffe genau tennen zu lernen, unb üiele ©eiten feined 
©ueßed legen Seugniß öb für ein tiefed Einbringen in bie Gefammt* 
heit bed Gegenftanbed. Der britte Vortrag, welcher fich mit ben Ein- 
gangdzöüen in ben Vereinigten ©taaten, ben beutfehen $anbeldüerträgen, 
ben Grebitüerßäitniffen in Rorbamerifa :c. beschäftigt, enthält üor ben 
beiten anbereu eine güUe üortrefflicher Vemerlmtgen über bie Urfachen 
unb Einflüffe, benen bie amerifanifche 3ubufirie ihr fchneHed Empor- 
blühen bantt; bie Rüdjchlüffe, bie ber Verfaffer aud feinen Unterfuchungen 
auf bie einschlägigen Verhältniffe bed beutfehen Reicßd zieht, finb fehr 
treffenb unb fließen fich ln ber hauptfache ben gewichtigen Anficßten 
an, welche gelegentlich ber festen SBeltaudftellung über bad SBefen ber 
beutfehen 3nbuftrie üoit ben emfthaften Äritifern geäußert unb üon ben Ver* 
tretem bed beutfehen Eßaumnidmud befämpft worben finb. Auf einzelne 
Srrtßümer ber Vorträge hier einzugeheti, erfcheint um fo weniger geboten, 
ald bad faft uniüerfelle Gebiet bed Gegenftanbed eine Gleicßartigleit ber 
©eßanülung naturgemäß audfcßließt. 3 . <5. 


*) Die SBeltaudftellung in ©ßilabelpßia unb bie beutjehe 
3ubuftrie. Drei Vorträge üon griebricß Golbfcßmibt. 8. (11, 67 ©.) 
Söcrlin 1877, 3uliud ©pringer. 


Offene Briefe unb jUtiwarieit. 


herr Rebacteur! 

Die Befer ber „ ©egenwart" wirb btc Rotiz üielleicßt interefftren, 
baß bad üon bem §eraudgeber in Str. 6 b. VI. befproeßene ©cßaufpiel 
„SJtercabet" in Xeutfcßlanbd erfter hanbeldftabt, nämlich in hum = 
bürg, üor genau 26 Söhnen, am 21. gebruar 1862, in einer (üon 
3h*em herrn Referenten nicht erwähnten) Vearbeituug üon heinrieß 
Watt unter ben Heußerungen ftürmifcßften UnwiUend üom Vublicum 
bed ©tabttßeaterd abgeleßnt würbe. Stotrr hatte bad ©tücf zu feinem 
Veueftz gewählt, aber bie ©timmuug ber Slnwefenben war barüber fo 
erregt, baß ber Zünftler fteß gezwungen faß, üor bie Rampe zu treten 
unb wegen ber Aufführung audbrüdlicß um Entfcßulbiguug zu 
bitten! Er üetbanb mit biefer Vitte ben Xant bafür, baß bie Eebulb 
bed ^ßubiieumd audgereießt höbe, bied ©tücf überhaupt zu Enbe fpielen 
Zu laffen. — Eewiß eine merfwürbige theaterhiftorifeße Remintdcenz! 

Genehmigen ©ie ic. 

h ermann Hßbe* 

Veßtauj EßiUoit im Eanton SBaabt, 19. gebruar 1877. 

* 

* * 

Vetlin, 25. Xecbr. 1876. 

©ehr geehrte Rebaction! 

Radjbem bie üon $mu Ebuarb üon $ö?tmann feinem Auffaße 
w über greißeit unb Gleichheit" zu Grunbe gelegte Xepnitiou bed Ve« 
griffed ber greiheit: 

^Xie greiheit ift erftend ein rein negatiüer ©egriff" 
in Rr. 62 ber ^Gegenwart" Veranlaffung zu einer ©erießtigung geboten 
hat, möcßte ich ®i e bitten, einer ©emertung Aufnahme zu gewähren, 
welche geeignet fein bürfte, biefe ©erießtigung an eine anbere Abreffe zu 
üerweifen. 

©chopenßauer fagt auf ber erften ©eite feiner gefrönten ©reid* 
febrift über „2)ie greißeit bed ©ifleitd": 

„Xer ©egriff ber greißeit ift genau betrachtet ein negatiüer." 

©ie ©erießtigung biefer Definition feitend bed $erm Dr. Abolf 
$orwiß trifft baßer nkßt $errn Dr. Ebuarb üon §örtmann, jonbern 
Artßur ©cßopenßauer. 

Wit hoeßaeßtung 

(Hin Kbonnent. 

* * • 

Th. S. in B. Auf 3ß*e grage in ©etreff ber neuen SRonatdfcßrift 
„Rorb unb ©üb ;/ unb beren ©tettung zu anberen Seitfcßriften, fpecietl 
Zur „Gegenwart^, foQ 3ßuen eine audfüßrlicße Antwort in ber näcßften 
Rümmer gegeben werben. Ginftweilen jfönnen wir 3ßuen jeboeß bie 
beftimmte Verftcßerung geben, baß „Rorb unb ©üb" ber „Gegenwart" 
eben fo wenig ßinberlicß fein wirb, wie etwa bie Eaüatterie ber 3u* 
fanterie. Dad ©toffgebiet ber „Gegenwart" ift ein feßr feßarf begrenzted, 
unb wenn wir und üon ö u Seit Grenzüberfcßreitungen geftattet 
ßaben, jo gefeßaß bied nur, weil ed und peinlich war, einen an fieß in 
jeher $*uftcßt per Veröffentlichung wertßen Artifel aud lebiglicß formalen 
Grünben abzuleßneit. „Rorb unb ©üb" wirb fieß üon jolcßen gragen r 
welcße in ber „Gegenwart" üomeßmlicß, faft audfcßUeßlicß ben Gegen- 
ftanb ber ©efpreeßungen bilben, femßalten, fieß bagegen mit benjenigen 
Dingen, bie in ber „Gegenwart" nur audnaßmdweife unb eigentlich nur 
per nefas zur Erörterung gelangten, ganz befonbexd befcßäftigen. ©olitif, 
Volfdwirtßfcßaft, bie ^ritif ber literarifcßen unb fünftlerifcßen Ereigniffe k., 
Aßeö bad bleibt audjcßließlicß naeß wie üor ber „Gegenwart" üorbeßalten; 
in „Rorb unb ©üb" bagegen werben außer ben Roüeßen unb erzäß* 
lenten Dichtungen umfangreichere Effaid aud ben Gebieten ber SBißen- 
feßaften unb ftünfie üeröffentlicßt werben. „Rorb unb ©üb" ift alfo in 
jeber SBeife eine Ergänzung zur „Gegenwart". Atted Anbere wie gefagt 
bad näcßfte SRal. 

R. B. in B. SBie bad üerßängnißüoße föörtcßen „niemald" in ben 
©ap ßineingeratßen ift, wijfen wir felbft nießt. ©ie ßaben ganz tießtig 
gelefen, baß bem Dicßter Dßeuriet „bie Gefaßr, in’d Xriüiale zu Der- 
fallen, näßer liegt, ald bie ber Effectßafcßerei ic." ©0 fteßt ed audß im 
Rtanufcripte zu lefen. Die „Gefaßr, niemald in’d Dtiüiale zu öer^ 
fallen", ift natürlich nießt zu üerfteßen. 


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144 


9te $tgtx9flri 


Nr. 9. 


t. 

fltftortrdj-hritiCrlic Auffiikc 

locrbfn täuflid) ju erwerbet» gcfudjt. 9tu(f| 
jüngere ©efeljrte belieben if|re «Itorcffc 
einjujenben an bie (SjpebitUw ber ,,@e« 
gennmrt" unter Gljiffre B. R. 18._ 


Hering non 3ulius Springer in flerlin N. 


Soeben ersten: 

Änifft Dilljelitt 

1797—1877. 

SSon 

piftkfm lüftet, 

$tofcflot ln Tübingen. 

illit btm Porträt br« flaiffrs. 

greift 3iW. 60Pf. 3«eleg. Pradjtbanb 53«. 

(Sine üoüftänbige ©iograbfyie be« $aifer«, 
aufgebaut auf jenen tueltfyiftorijdjen ©reig= 
niffen, lueldje beit lOjäljtigen Knaben flüchtig 
bi« nad) lernet, ben 73 jährigen £>errfd)er 
in ben ©piegelfaal be« 33erfaißer Schlöffe« 
jur $aiferproclamation führten — eine Öe- 
ldf)ic^te ber Seit, in weiter ber ßaifer lebte 
unb roirfte — ein ädjte« ©olf«= unbSamilien- 
bud), für alle klaffen unb ©tänbe be« beut= 
jeßen ©olfe« beftimmt. 


3 u bejtrljen burrij jebe öudjljönblung. 


3 m Verlage üon griebriib ^leifd^er in ßcipjig 
finb erjdjienen unb burefy jebe ©ucf)t)anblmig 511 

bejieljen: 

Meine ©(Witten 

hon 

Sfattl JLinbüU. 

2 ©änbe. brodj. 8 JL — 3n 1 ©anb in £ein= 
toanb elegant gebunbeu 9 JL 
3tt&aU: 

I. ©anb. ©tecfnabeln. — Sofep^ine. 3ttni. 

Litton, ©efdjidjte einer jungen granjöfin. 
n. ©anb. ©in aufgefangener ©rief. — 3 n golge 
einer SBette. — ®er lob ber grau ©arontn. 


■ ©oeben erf^ien im Verlage üon Jumfer & fmmblot in fiei|i)ig unb ift 
üorrätfyig in aßen ©ud$anb(ungen: 


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hon 

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yj^iu 3Q3crf, 3al)*c lang oorbereitet, mit ©panmmg erio artet, eigenartig in feiner Gr 
1IV fdjcimmg unb eiiuig bafteßenb in ber bentfdjen üiteratnr. 4>er berühmte §erau«geber 
I ybefdjränrtc fid) niept baranf, einen Abbrucf ber (Stgengänbigen 9Äemoiren ^arbenberg«, 
^^burebfe^t mit einem Kommentar feiner Öanb, barjubieten: uon bem ©nuibfafc au«- 
geßenb, baß, um £eben unb ^aiifbatyn be« großen ©taat«manu« ju oerfiegen, bie gorjdjung 
auf bie allgemeinen Angelegenheiten, auf bie er ciiiloirfte mib bie nodj üicl metjr auf ihn 
jitrücfnnrften, au«gcbcl)nt rocrbeit muffe, giebt er in einer felbftftänbigen ©iograpljic i&arben^ 
berg«, fortgefüljrt bi« ju bem Moment, in toelcfyem ber Icftte, unb bie«mal glorreiche, Sampf 
gegen ben corfijdjcn Ufurpator begann, eine üoUftäubige ÜJefd)icgtc ber neuen 3dt, ber 
Politif ber citropäifdjcn flftädjtc, fdjilbcrt ben tiefen ©erfaß ber preußischen Monarchie unb 
ihre SKeorganifation bnreh ^arbcnbcrg, ben 35$icberaitfban ^reußen« auf Jnnbamenten, bie 
ftarf genug maren, noch in nuferen %ageti bie Ölrunbpfcilcr be« neu erftanbenen beutfeheu 
Reiche« ju bitben. 


SSSBBSS 


Neuer Verlag von Theobald Grieben in Berlin. 
Bibliothek für Wissenschaft und Literatur 1. 8. Band. 


Die Grundprobleme der Erkenntniss - Thätigkeit 

beleuchtet vom psychologischen und kritischen Gesichtspunkte. Als Einleitung in das 
Studium der Naturwissenschaften. I. Die philosophische Evidenz mit Rücksicht auf 
die kritische Untersuchung der Natur des Intellects. Von I)r. Otto Caspari, Docent 
an der Universität zu Heidelberg. 5 JL 

Der Autor bestrebt sich, dem so üppig emporschiessenden modernen philosophischen 
Dilettantismus entgegenzutreten und kommt dem unter den Philosophen immer lauter 
erschallenden Rufe, einen gemeinsamen Ausgangspunkt zu suchen, zum ersten 
Male in weiterem Maasse entgegen, indem er, geleitet durch philosophische Forschun¬ 
gen über die Natur und das Wesen des Intellects, einen Maassstab resp. ein Schema 
aufstellt bezüglich der thatsächlich wirkenden Tendenzen und Bewegungen des empi¬ 
rischen Bewusstseins. Er hat es zum ersten Male versucht, das Gesetz des goldenen 
Schnittes auf die metaphysischen Probleme anzuwenden und ausserdem viele neue und 
beachtenswerthe Beiträge zur Lösung der wichtigsten philosophischen Fragen geliefert. 
Das Werk empfiehlt sich auch als Einleitung in das Studium der Naturwissenschaften. 

Die Philosophie seit Kant. 

Eine geschichtliche und ethische Weltansicht zu gründen und auszubilden ist das 
Wesen und die Aufgabe der Philosophie seit Kant, welche der Verf. in meisterhafter 
Darstellung fasslich und klar in 4 Abschnitten darstellt: die Anfänge der deutschen 
Philosophie durch Leasing, Herder und Jacobi; Grundlegung der Philosophie durch 
Kant; systematische Ausbildung der deutschen Philosophie durch Fichte, Scheiling 
und Hegel; Einschränkung der absoluten Philosophie durch Schleiermacher, Herbart, 
und Schopenhauer. So hat das Buch als Geschichte der Philosophie bis zur neuesten 
Zeit für jeden Gebildeten wie für den Fachmann Werth. 


Verlag von J. Baedeker in Iserlohu. 
Soeben erschienen: 

F. A. Lange’» 

Logische Studien. 

Ein Beitrag z. Neubegründung der formalen 
Logik und der Erkenntnistheorie, 
gr. 8 . geh. 4 JL 80 A. 

F. A. Lange’s 

Geschichte des Materialismus 

und 

Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. 

Dritte Anfl. 2 Bände, 
geh. ä 21 JL eleg. geb. 24 JL 

ftftr bie Stebactiou m rantoortlid): #wr§ £ttCte in $erfiu. 
$ruct non |L £. f e»6»er in 


3m ©erläge hon ü. 6 . Mittler & Stofn m 
©crlin erfdjien: 

J>ie c$i?ra. 

Sin Beitrag $ur griec^ifcfjen Äunftgefdjic^te 

tiott 

Wilhelm Jfojjnlen, 

Oberlehrer a. griedjtfdjen Seminar &u Sarre* in SRacebonien. 
$ret« 1 JL 60 A. 

3 n gebrängter ftfirje flettt biefe ©c^rift bie 
gef^id^tti^e (fnttoicfelung ber Si^xa unb ba« 
biefem Snftriunent ju (Krunbe Itegenbe 
ber ^riec^if^en Sßnfif bar unb bietet fomit bem 
3ttufifforfdjer unb Philologen ein ©om^enbium ber 
ariedjifcben SJlufügefc^ic^te überhaupt unter ©et- 
fügung oer toic^tigßeit Fragmente alter «tttoreu. 

fxrebition, IMrfitt N.W., fiöüißenjträie 32. 


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^10. 


Statt», kn 10. SKiq 1071. 


Bk (Pcipnmrt. 


3 öoc^eitf(^rift für fiitcratur, Äunft mtb 



Herausgeber: 'gfctuf ^tlt&ÖU in ©erltn. 


XL Band. 


ßebett. 


fetal Smünt trfd)riit rin 

Bh IMfkttn b«w| alle BuÜtp&Mtmoe* unb $®panftattetn 


©erleget: 9«rg Stille in »erlin. 


fetts ftt fsntil 4 int 50 ff. 

Sn^cate jebet Krt pro Sflelpalttne $etitfteile 40 $f. 


Maft: 


Sa« (Bejpenft be« $anjlabt«mu«. fton Sftljenanu 3. — £iternt*r ttttl Ättttfh Angola. (Sin ©ttief ©ulturgefdjicfjte in Äfrifa. $on 
äerman Sotjauj. — Xante« Stellung *ur römifc^en Ätrdje jeinet 3eü. Sou Äarl Xartfdj. (Sortfe&ung.) — Hu« ber gftttytfUbt: 
Sin neue« ©Üb non Carl ©ujfoto. ©on Xlj. gontane. — ©on ben X^eatem. ©on §. Cfjrlid). — SRotijen. — Offene ©riefe unb 
Änttoorten. Äon $aul fiinbau unb ©ilfjeltn 3enfen. — ©ibliograbljte. — Snferate. 


Dis fätfytnfi des panflattismas. 

2>urcß bie acute ©eftaltung ber türfifeßen Ärifis unb bie 
broßenbe ©efaßr einer aus berfelben möglicßerweife entfielen- 
ben allgemeinen ©erwidetung ift bie Slufmertfamteit beS QtU 
tungen lefenben ißublicumS ganj befonberS wieber auf ben 
©anflaviSmuS, als mit ber Söfung ber orientalifcßen grage in 
engftem 3ufammenßang fteßenb, gelenft worben. Sn einem 
namhaften Xßeile ber beutfdjen treffe würbe Sltarm geblafen 
Wtgenjber ©efabren, welche bem ©ermamSnutS unb gati& be= • 
foriberS ®eutfcßlanb oon ©eiten beS vereinigten ©laVentßumS 
Drohten, ©elbft bie fo vorjüglicß rebigirte Äölnifcße Leitung, 
welche ju ben ßervorragenbften ffirfcßeinutigen unferer XageS; 
literatur gehört, öffnete biefen ßaffanbra;©ropßejetungen ujrc 
©galten, prebigte faft ben Sreujjug gegen Nußlanb als ben 
Nepräfeutanten beS ©laventßumS unb würbe nicht mübe, ißr: 
„videant Consules" auSjurufen. 3)a ©efpenfter unb ißhantome 
in ber Negel eine tritifdje Setracßtung nicht ju ertragen pfle= 
gen, fo bflrfte burch eine nähere ©eleucßtung beS ißanflaviStnuS 
bie ungerechtfertigte furcht fich oerminbem, welche er burch 
fein geheimnisvolles ©ebneren unb burch bie angeblich oon 
ihm organifirte internationale Serfcßwörung manchen furcßt= 
faraen ©emfitßem einjuflößen feßeint. 

SBaS ift ber NanflaviSmuS? SBelcßeS ift bas 3iel feiner 
©eftrebungen? 

®er fßanftaviSmuS, ftatt nationale öntwidelung unb 
3ufammeugeßörigleit ju förbern, wie bieS vielfach 000 ihn» 
angenommen wirb, ift im ©egentheit bie Negation beS Na= 
tionalitätSprincipeS, welches in neuefter Seit bei ber ©ilbung 
beS itaüenifchen Königreiches unb bei ber SBiebererfteßung 
®eutfcßlanbs jur ©eltnng gefommen ift. Sin bie ©piße feines 
©cogrammeS ftellt er ben @afc, baß auf ber Nacenjufaut; 
mengeßörigteit alle ©laven ju einem großen Steife unter 
bet Rührung NußlanbS, als bem einzigen bis jebt unabhängigen, 
organifmen ©lavenftaate, vereinigt werben müßten. Um biefen 
Äern hot ber panflaviftifcße ÄrßftallifationSproceß $u erfolgen. 
®iefe 3bee ift febenfails eine neue unb mangelt ihr auch nicht 
eine gemiffe ©roßartigfeit ber Konception, aber unprattifcß ift 
fie wie fo vieles von ©laven auf politifdjem ©ebiete Unter; 
nommenes. 

SRan beachte vor Stüem ben maßgebenben Unterfchieb 

Ä n gleicher Nationalität unb gleicher Nace: bie ßrftere 
J ftets bie Seßtere, aber nicht umgelehrt. Sur ©Übung 
einer Nationalität gehört außer ber hontogenen rtbftammung 
Oie geographifche Sage in richtiger Hbrunbung unb Stbgren; 


jung, fowie bie ©emeinfamfeit ber politifchen unb cultur* 
liftorifchen (Sntwidelung. 3e nach den äußeren Umftänben 
bitben fi<h alfo ©lieber berfelben Nace ju oerfeßiebenen Na; 
tionalitäten heraus, welche ohne Nüdficht auf bie urfprüngliche 
©tammeSgleichheit ihre politifchen unb materiellen Sntereffen 
verfolgen werben. SBaS würbe man fagen, wenn man bie 
©ilbung eines pangermanifchen NeidfeS vorfeßtagen wollte? 
wenn man auf ©runb ber germanifchen Slbftammung 2>eutfch-- 
lanb, ©tanbinavien, HoHanb unb bie ©chwei) in ein Neidh 
vereinigen wollte? Sebent SNenfchen, außer einem franjöfifchen 
Soucualiften, wirb bie Unmöglichleit eines folcßen ©egitmenS 
fofort in bie Slugen fpringen, ba alle biefe Sänber unb fflöller 
burch ganj anbere als burch ©tammeSintereffen in ihrem 
öffentlichen Beben bewegt unb geleitet werben. Ober warum 
fprießt man nicht oon einem panromanifchen Neidje? Slber 
fjranjofen, ©panier, Staliener ic. würben fich für eine folche 
Agglomeration bebanten unb (eineSwegS jum Aufgeben ißrer 
nationalen Snbivibualität bereit fein. 

3n ähnlicher Sage befinben fich die einzelnen ©lieber ber 
großen ©lavenfamüie, fie mögen nun Nuffen, Ifcßechen, SUßrirt/ 
Kroaten, ©lavonen, ifjolen, ©erben ober wie immer ßrtßen: 
jebeS berfelben hot feine ©efchidjte, feine eigenartige ffint; 
widelung gehabt unb als golge bavon eine fo ftarl auSge= 
prägte Snbivioualität erhalten, baß biefe felbft burch bie Slehnlidj; 
teit gewiffer Naceeigenfc|aften taum mobificirt wirb, ©ei bem 
©treben nach Politiker ©elbftftänbigfeit, baS allen jenen ©öl; 
ferf^aften innewohnt, verfolgt eben jebe ihren eigenen SBeg 
unb bat ißre eigenen Sntereffen ju wahren. Nuffen unb ^Solen 
finb fogar bureß eine Satjrßunberte alte ffirbfeinbfcßaft von ein; 
anber getrennt, welcße tn ununterbrochenen Kämpfen ißren 
SluSbrud faitb unb bis jur voüftänbigen ©ernichtung ber 
Beßteren füßrte. S)er Xf^ecße träumt von feiner ©JenjelSfrone 
unb beren altem ©lanje, welche er von Neuem erftraßlen feßen 
möchte, benlt aber ni^t baran, beren gegenwärtige unterorb; 
nung mit ber unter bem ruffifchen ©cepter ju vertaufeßen. 
®rft in neuefter noch waeßten croatifCße ©tubenten in 
Slgratn eine feßr bemerlenSwertße antipanflaviftifcße, b. ß. anti; 
ruffifeße 2>emonftration, inbem fie ^gegen etwaige vom Norben 
auSgeßenbe H^rrfcßergelüfte proteftirten unb ben Nuffen ben 
Natß gaben, erft im eigenen Banbe Kivilifation unb freißeit= 
ließe Snftitutionen ju förbern, eße fie fi^ mit ben Sntereffen 
ber anberen ©lavenvölter befcßäftigen, welcße tßeilweife bereits 
auf einer ßößeren Kulturftufe fteßen wie fie felbft. S)iefe 
Äunbgebung ßat an unb für fieß leine weittragenbe SBirtung, 
ift aber etn beutlicßeS ßeießen von bem nationalen ©eifte, 
welcßtr unter ben einjelnen ©lavenvöllern ß err f ( h t - ©elbft 


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146 


DieÜegenmart. 


Nr. 10. 


baS frühere gute ©inüernehuien ber Muffen unb Serben fdjeint 
burd) bie lebten ÄriegSetlebniffe fehr roef entlief) getrübt worben 
ju fein, fo notfjwenbig auch biefe ber Unterftügung ihrer nor* 
Difc^en ©rüber jur ©efreiung Don ber türftf<f»en Oberherrfchaft 
bebürfen: wie bie Leitungen berichten, Jütten bie Serben fogar 
bie ßuft uerloren, an beten Stelle bie moSfonntifdje ©ormunb* 
fdjaft treten ju feljen. ©oßten bie Sßerträttniffe bie ©ilbung 
unabhängiger ©lauenftaaten auf ber ©alfanhalbinfel beförbern, 
fo würben biefe im Slugenblid ber erlangten ©elbftftänbigfeit 
ihre inbiuibuellen ©eftrebungen geltenb machen unb fowohl 
gegen eine ruffifche Suprematie wie gegen bie unitarifdje 
Nietung ber ©anflabiften reagiren. SWan braucht nicht bie 
lehren ber ©efdjichte, bah 3anf, $aber unb $a| fofort an 
ber JageSorbnung finb, wenn ©laben betriebener Stämme 
mit einanber in gefchäftüche ©ejiehung treten, um }u ertennen, 
bafj ber ©erwirtlichung beS ©anflabiSmuS bie ^auptoppofition 
bon ben betriebenen flabifchen Nationalitäten fetbft bereitet 
wirb unb bereitet werben mufj, ohne ben SBiberftanb ber 
anberen ©älter in ©etracht ju nehmen, welche burch iene ©e= 
ftrebungen in äWitleibenfdjaft gezogen werben Würben, über 
alle biefe in ihren golgen fo fd)Wer wtegenben j£f)atfadE»en 
laffen bie panflauiftiftifchen Schwärmer boUfommen unbeachtet 
unb fdpeicheln fid) fortwährenb mit ber Hoffnung, bah «8 
ihnen bennoch gelingen müffe, bie einzelnen flabifchen ©ölfer* 
f(haften zum Äufgeben ihrer nationalen ©eftrebungen ju Der* 
mögen, inbem fie ihnen als ©reis für biefe Opfer bie SJlög* 
lidjfeit oorfpiegeln, bnreh baS entftehenbe gro|e ©labenreich 
bie §errfchaft über (Europa auSjuüben. „Jie Seit ber rorna» 
nifchen ©älter ift gewefen," fo fügen fie, „auf biefe folgten bie 
(Germanen — bie $ufunft aber gehört ben ©laben, beten 
(Einigteit unb Einheit uorauSgefegt." 

gür baS (gelingen biefer utopifefjen ©läne ift bie ©teUung, 
welch« Nufjlanb ju benfelben einnimmt, bon mahgebenbem (Ein* 
fluffe. 

®ie panflauiftifchen 3been, burdf bie Neuolution bon 
1848 unter ben öftreichifch*tt ©laben entftanben, fputten be* 
reits feit einer Neihe bon fahren in beten Sföpfen herum unb 
trugen nicht wenig ju ben unauSgefegten ©erfaffungStämpfen 
bei, welche Deftreid) beftänbig jwifchen Job unb Üeben er* 
hielten, ehe man in Nufjlanb auch nur eine Sllmung non 
beten ©Eiftenj unb ihren $ielen hotte. Jort ftanb nämlich 
Ztaifer NitolauS I. an ber ©ptfce ber Negierung, im ©oBgenug 
feiner autofratifchen Gewalt, welche anher bem engften Greife 
ber oberften unb bertrauteften taiferlichen Nätge febeS politifche 
2eben erftfdte. Sin freiheitliche Snftitutionen, felbft im be= 
fcheibenften SWafje, burfte nicht einmal gebacht werben unb ein 
felbftftänbiger (Sebante bes ©olteS, gefchweige beim beffen 
Äunbgebung unb ©eltenbmachuug, gehörten in baS Neid) ber 
Unmöglichteit. Jie mächtige §anb beS §errfcherS laftete mit 
eifenter Gewalt auf bem ©eifte ber Nation, welche nichts Sin* 
bereS tannte, als unbebingte Unterwerfung unter ben SEBiUen 
beS Cjaren. SlßeS mit rebolutionären Sbeen auch nur im ent» 
fernteften ^Jufammenhang ©tehenbe erfreute fich f<hon im ©orauS 
bes ©erbammungSurtheileS bes ÄaiferS. ®aju tarn noch, bah 
er mit DeftreidjS jugenblid)em §errf^er, bamalS auf ben 
Xhron erhoben, um ber Neuolution in feinen Öanben ein 
(Enbe ju machen, in ben innigften ©ejiehungen ftanb, welche 
bur<h bie politifche Uebertieferung ber lebten 50 3ahre unb 
burch perfönliche Zuneigung immer mehr geförbert warben. 
Unter folgen Umftänben war felbftberftänblich für ben ©an* 
flaoismus nichts ju hoffen. 

Jurd) ben Strimfrieg unb beffen unglüdlidjen SluSgang 
fowie burch ben gleichzeitig erfolgten Job beS ÄaiferS NifolauS 
trat eine wefentliche Slenberung in ben äuheren unb inneren 
©ejiehungen NuhlanbS ein. 3n (Europa war beffen währenb 
bes lebten JecemriumS übermächtig geworbener (Einflug ge* 
brochen unb bas ßiel ber napoleonifchen ©eftrebungen, bie 
Sprengung ber heiligen Slflianz nnb enge ©unbeSgenoffenfchaft 
granfreid)S unb ffinglanbS, erregt. Jie früheren ©erbin* 
bungen NuhlanbS, mit Ausnahme ber alten greunbfehaft für 


©reuheit, waren jertiffen, ftatt beS intimen ©erljältniffeS jn 
Oeftreich gefegte bittere geinbfehaft unb grimmiger $ah gegen 
biefen'treulofen greunb erfüllte bie feerjen aBer Nuffen. Nufj* 
lanb fah fich genöthigt, neue SBege für feine ©oliti! eirnu* 
fdjlagen. $anb in £>anb mit biefem momentanen ©erlaffen 
ber alten Jrabition ging auch bie innere (Entwicklung bes 
Neides. 

SBie Don einem ungeheuren Sllpbrud fühlte ftch baS Soll, 
$ol|e unb Niebrige, greie unb ©flauen befreit, als ber mächtige 
©elbftherrfdjer bie Singen gefdjloffen hatte: feit Dielen 3ahren 
athmete man jum erften Niale wieber frei auf, mau fing an, 
fich als Nienfchen ju fühlen. 3>aS glänjenbe giaSco bet burch 
ben oerftorbenen Äaifer mit befonberer ©orliebe behanbelten 
Slrmee, bie Dielen währenb beS Krieges heroorgetretenen ©chatten* 
feiten ber militärifchen (Einrichtungen, bie Dom ©olle jwar 
freubig aber erfolglos gebrachten ungeheueren Opfer forberten 
ju einer berechtigten ^ritil auf, welche Bweifel an bem Don 
ber Negierung bisher aüein in Slnfprud) genommenen ©erftanbe 
wach riefen. J)aS ©ewuhtfein ber Nation begann, wenn auch 
in leifen Anfängen, fich gelienb ju machen. Ja Derfünbete 
Äaifet Sdejanber bie Aufhebung ber Seibeigenf^aft, welche ben 
Staat um Diele Millionen neuer ©ürger bereicherte. Jie 
unter ber früheren Negierung fo ftreng gehanbhabte unerhörte 
©eoormunbung bes ©olteS hörte auf unb burch bie ln golge 
jener frieblichen Neoolution nöthig geworbenen abminiftratioen 
unb juriftifdien Neformen würbe baSfetbe berufen, an ber 
SBahmehmung feiner 3ntereffen Jh*H S u nehmen: auch bie 
Ziemlich frei geworbene ©reffe burfte bie öffentlichen Sin* 
gelegenheiten befpred)en. Obwohl bie Umgeftaltung beS ganzen 
focialen unb politifdfen SebenS bie aBgemeine Nufmertfamfeit 
Dor Slflem in Slnfpruch nahm, fo berfeljlte boch f4°n bamalS 
bie ©reffe nicht, neben ber ©etonung beS fpecififchen Nuffen* 
thumS bie ©rüberfchaft ber ©lauen im SIBgemeinen zu einet 
gewiffen Geltung zu bringen unb ©ropaganba für biefe 3bee 
Zu machen. Sie nahm zum erften SRale Notiz Don ben pan» 
flaoiftifchen ©eftrebungen, wenn auch über biefelben bei bem 
(Erwachen beS politifchen 2eben8 in ber öffentlichen Steinung 
nur fehr Derworrene unb unllare Änfihauungeit heetfchlen. 
JaS ©ouDernement Derhielt ftch jn biefer beginnenben flauifchen 
Strömung, ba bie grage ber inneren NegietungSweffe burch 
biefelbe unberührt blieb, in einer freunbfchaftlichen Neutralität, 
benn fie erlannte bie SNöglichleit, baburch eine mächtige ©unbeS* 
genoffenfehaft zu erhalten, wenn fich baS ©ethältnig zu Oeft* 
reich no<h feinblicher geftalten unb Diefleidjt gar bis zum offenen 
Ärieg führen foBte, eine (Eoentualität, welche 1859 währenb 
beS italienifd)cn UnabhängigleitSfampfeS nahe baran war, in 
(ErfüBung zu gehen. iJnbererfeitS lonnte fie biefelbe aber auch 
nu|bringenb in einer neuen ©hafe ber orientalifchen grage 
Derwerthen, welche burch ben ©arifer grieben oon 1856 in 
ben Slugen ber Nuffen ihre Söfung nicht gefunben haben tonnte. 

SBährenb beS lebten grofjen polnifchen SlufftanbeS erfolgte 
ein Nüdfchlag in ber flauifchen ©rubetliebe, welche ber Nuffe 
überhaupt nur gelten lägt, fo lange fie bie Sntereffen unb bie 
3ntegrität feines engeren ©aterlanbeS nicht beeinträchtigt Jie 
(Einmifchung beS SluSlanbeS fachte baS rufftf^e Nationalgefühl 
zu einer fo mächtigen glamrne an, baff Dor beren SntenfiDität 
bie aBgemeinen flauifchen Jenbenzen in ben ^intergrunb treten 
mufeten. Jro|bem uerlor bie ruffifdje ©reffe biefelben nicht 
ganz aus ben Äugen unb erhielt eine, wenn auch uur fe^t 
lofe ©erbinbung mit ben nichtrufftfchen ©lauen aufrecht. 

Jer preugifch'öftreichifche Ärieg Don 1866 machte biefem 
latenten guftanbe ein (Enbe. Oeftreich fd»ieb aus ber po* 
litifchen ©emeinfdhaft JeutfchlanbS aus unb begrünbete burch 
ben Ausgleich mit Ungarn fein bualiftifcheS Neich, auf beffen 
einer ©eite bie ÜNagparen in fehr einflußreicher ©teßung unb 
auf beffen anberer ©eite bie Jeutfchen unb ©laoen ftanben. 
Septere, welche feit 1848 in bem ©treben nad) potitiffher 
©elbftftänbigfeit nie nachgelaffen hatten, faljen biefelbe btmh 
bie neue ©erfaffung mehr benn je bebroht unb fegten mehr 
benn je aße $ebel in ©ewegung, fie ihrer 2ebenöfät)igfeit gu 


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Nr. 10. 


Sit ©egenamrf. 


147 


berauben. B ur ©meidjung btefed BieleS unb juc <Sd»roäc^uag 
beS ungarifc|en ÄönigthumS fchienen bie nieten unter bereit 
£)errf<haft tebenben ©tauen bie gemünzte ^anb^abe barju= 
bieten, für beten ^Bearbeitung in panflaoiftijchem ©inne eine 
geheime ©efedfchaft, bie „Omlabina" gegrünbet mürbe, welche 
in neuefter Beit währenb beS ferbifdjen Krieges oiet non fich 
reben machte. 3n SBien unb ißrag bitbeten fich ©entralcomitöS, 
welche bie panflaoiftifdje Agitation mit neuer Energie in (Sang 
beachten unb ihre ^äben bis in bie Ijöchfien SiegierungS; unb 
§ offreifen fpaimen. 

Um ber SBett ein äußeres Beiden ihrer ©jiftenz unb 
materiellen Sebeutung ju geben, mürbe 1867 ber grofje ©lauem 
congrefj in SRoStau,' welches fich gerne als ben berufenen 
Stcpcäjentanten bei mähren ©tanenthumS betrachtet, geplant 
unb mit fo nietem äufjeren ©tanze als nur möglich abgehatten. 
3)ie ruffifche Regierung begnügte fich biefeS SRal nicht bamit, 
nur burch bie ©tlaubmh jum 2tbf)alten ber Serfammlung ihr 
SBohlwoflen |u erfennen ju geben, fonbern fie lieg bie auä-- 
mörtigen ©lattenbeputationen burch bie SRinifter officiett be= 
grüßen unb empfangen unb fi<h fetbft auf bem Songreffe ner= 
treten, bewahrte aber tro|bem eine hinreidjenbe Burüdhaltung, 
um fich mit ben fßanftaniften nicht ibentificiren ju taffen unb 
nötigen (Jads bereu Seftrebungen fetbft nerteugnen ju tönnen. 
ÄlS einziges greifbares Stef ultat bei SerbrüberungSfefteS er* 
folgte aucl in SKoifau bie ©infefcung eines ©entralauSfchuffeS, 
beffeu Stufgabe nach eigenem Beugnijj barin befteht, jroifchen 
Stofjlanb unb ben anberen ftanifchen Sänbern ben geiftigen 
Serfeh r 8« »ermitteln, ihnen Beitfdjriften, Sucher, befonberS 
geiftlidhen SnljalteS, unb gelegentlich auch ©etb jufommen ju 
taffen, mit melchem fomohl ftanif^e Stuten gegriinbet unb 
unterhalten werben, mie auch i utl 9 en Renten bie SJiöglichteit 

S ieboten Wirb, ihre ©tubien in Stufjtanb ju machen. 3)ie po= 
itifche Sropaganba, welche non biefem ©entralpuntt in SJtoStau 
aus etwa getrieben wirb, entzieht fich natürlicherroeife ber 
öffentlkhtn Jtenntnih, eS.ift aber mit Sicherheit anzunehmen, 
bah biefetbe weit mehr bie ^Befreiung ber orientatifchen Steiften 
im Äuge hat, als bie Seförberung attgemein panflaniftifcher 
Bwecfe. 

$>er lebte beutfefj * franjöfifche Ärieg hatte roieber eine 
roefentliehe SBanblung in ber äu|eren ^otitit Stujjlanbs burch 
bie §erftedung feiner guten ^Beziehungen ju Oeftreid) unb bie 
©rünbung bei ®rei!aiferbunbeS jur (folge. 2>amit hörte für 
Stafjlattb baS politifche Sntereffe an ber ftanifeben Sewegung 
in Oeftreid) auf, welche burch i^rc mögliche Sebroljung ber 
öftreichifchen ©taatSepftenj fogar gegen feinen eigenen Sortljeil 

! ich wenben tonnte, ba bie Siothwenbigteit non DeftreichS Se¬ 
tehen für bie (Erhaltung bei europöifchen ffriebenS unb ©leidj= 
gewidjteS burch bie SBieberbegrünbung ber alten SlUianj bie 
öffentliche Änerfetmung erhalten hatte. 2)er SDreitaiferbunb 
ift StufjtanbS officieHer Äbfagebrief an ben SonfloniSmuS. 

Zrofcbem würben bie alten ^Befürchtungen non bemfelben 
unb non ben ©toberungSplänen Stnfjlanbs non Steuern mach- 
gerufen, als im nerfloffenen Saljre bie orientalifche ffrage 
wrieber auf bie SageSorbnung tarn. S)ie erhibte ^S^antafie 
ängftli^er SoKtifer fah fchon im Reifte bie holbe europäifdhe 
5Eürfei nebft Serbien non SRufjlanb annejirt, meines im 
©turmfehritt, jeben SBiberftanb überwinbenb, SRogparen unb 
Deutfdje nernichten unb ade ©lauen unter feinem ©cepter oer= 
einigen würbe. Äber abgefehen banon, baff, mie bereits früher 
gezeigt Worben, bie flanifchen Sölferfchaften einer Slbforbirung 
burch Stu|lanb entfehieben wiberftreben, h^fet es bie that= 
föchlicheu Serhültniffe oodfommen au|er eicht laffen, wenn 
man ftufjlanb für ben zerrütteten B u ft<mb her lürtei oerant-- 
roortlich machen wid unb biefen nur ruffifchen unb panfla= 
oiftifchen Serfcfjroörungett glaubt jufchreiben ju tönnen. SQ3ir 
motten gar uid^t in ttbreoe fteden, baff biefe ftattgefunben 
haben unb noch ftattfinben, bah fetbft ber (Seneral Sgnatieff 
^ch in ben engften Sejiehungen ju benfelben befanb — tann 
aber trofcbem ber gefunbe Stenfchennerftanb glauben, bah adein 
baburch ein au fi^ noch lebensfähiger unb träftiger Staat an 


ben Staub beS SerberbenS gebracht würbe? Stau benfe j. S. 
an beutfdjc Serfchwörungen in ben -Oftfeeproninjen, um biefe 
nou Stuhlanb loSjuteihen, ober an türtifche Serfchwörungen 
unter ben zahlreichen mohammebanifchen Unterthanen StuhtanbS: 
würbe eS Semanb geben, ber tüf)n genug Wäre, zu behaupten, 
ber ruffifche ©taat werbe baburch in feiner ©jiftenz bebroljt? 
©ine folcbe Sehauptung wäre gerabezu lächerlich. 

©S ift aber nicht nöthig, nach befonberen geheimnihnodeu 
Orünben zu fuchen, um bie Xheilnahme beS ruffifchen SolteS 
an bem SBoblergeljen feiner ©tammeSbrüber, welche unter 
türtifchem 3oc|e fchmachten, begreiflich unb natürlich zu finben. 
ÜJtan lefe bie zu ©nbe beS norigen 3al)reS in ber w @egen= 
wart" erfdjienenen höchft intereffanten unb mit grober ©ach= 
tenntnih gefchriebenen Ärtitel über bie ff ruffifch=bhzuutinif^en 
Seziehungen", um fich Öen Bufammenhang zmifchen Stufjlanb 
unb bem alten bhzantiuifchen Steife zu nergegenwärtigen unb 
in fjolge beffen bie ©rbfeinbf^aft zu nerftehen, welche ben 
Stuffen gegen ben Gürten befeelt, welche jenem in Sleifdj unb 
Slut übergegangen ift unb fofort zur (Geltung tommt, wie ber 
$ürte auf ber politifchen Oberfläche erfcheint. B ur ©Klärung 
ber trabitioneden ruffifchen Sßolitif im Orient bebarf mau 
webet beS fogenannten SeftamenteS Meters beS ©rohen, noch 
beS ißanflaoiSmuS — fie befteht einfach in ber Setämpfung 
unb Sernichtung ber Gürten, für welche ber Stuffe ftetS bereit 
ift, bie gröfjten Opfer an Seib unb fiebeu zu bringen, ohne 
an eine ©ompenfation für fich i u benten. 3n unferem pro= 
faifchen, materieden B^itatter erfcheint es freilich unglaublich, 
eine Station für eine Sbee fämpfen zu fehen, aber bennodj 
finb bie Stuffen in jebem Äugenblid bereit, uns biefeS Schau; 
fpiel p geben. Bunt Xh e d erflärt fich biefe Uneigennüfcigleit 
aderbingS baburch, bah bie Stuffen ben Sortbeil ber geogra- 
phifchen Sage ihres SaterlanbeS, welches faft unangreifbar ift, 
feht mof)l nerftehen unb zu würbigen wiffen unb nicht gewillt 
finb, biefen für einen Sänbererwerb in ©uropa aufzugeben, 
welcher leidht zur StchideSferfe beS Steiges werben lönnte unb 
ficherlicb nicht bazu beitragen mürbe, feine ©rohmachtftedung 
ZU nerbeffern. ©iefe Xhatfachen werben im Occibent nicht 
nach ih^n wirtlichen Sebeutung gemürbigt unb bo<h müffeu 
fie behnfS beS richtigen SerftänbniffeS ber ruffifchen ^olctit 
unb ihrer inneren Seroeggrünbe ganz befonberS beachtet unb 
in Stedhnung gezogen werben. 

S33ie fein Solt, fo bentt unb fühlt auch ber Äaifer; er 
tann unb barf in bem SJtomenten ber groben politifchen Ärifis 
nicht gegen ben ©trom fdjwimmen moden, wenn er bie Rührung 
ber ©eifter in ber $anb behalten roid. ©r mag noch fo frieblid) 
gefinnt unb ehrlich bemüht fein, ben grieben aufrecht zu erhal¬ 
ten — eS tann ein SJtoment tommen, wo er baS ©chroert aus 
ber Scheibe ^ie^en muh, wid er nicht fich fetbft unb feinem 
Solle untreu werben. $ätte man in ©nglanb biefe Situation 
früher nerftehen moden, unb nicht burd) eine unberechtigte 
furcht nor möglichen SergröberungSptänen fRuhlanbS eine 
Serftänbigung mit biefem erfdpoert — bie orientalifdje grage 
würbe h^ute um ein gutes ©tüd ihrer Söfung näher gerüeft 
fein als fie eS wirtlich ift. 2)er Äaifer fpri^t im ©inne 
feines SolteS, wenn er ade eigennüfcigen Slbfichten oerleugnet 
unb nur baS eine ibeede B*<1 »oranftedt: Sefreiung ber 
©hriften in ber Sürtei. 

S)ieS that er in feiner berühmten, zu SJioSfau ©nbe beS 
nerfloffenen SahreS gehaltenen Siebe, welche einen gewaltigen 
2Bibert)ad in ber SBett nicht nur burch bie motioirte ÄriegS* 
ertlärung gegen bie Xürtei, fonbern bnr^ bie Setonung fanb, 
welche er ber ©emeinfamteit beS ©lattenthumS angebeihen lieh. 
Solch’ ein StuSfpruch reichte hin, um bamals Siufjlanb ber 
offenen Slnertennung feiner panflaoiftifdjen Seftrebnngeit zu 
Zeihen unb ©uropa zur Sertljeibigung feiner fetbft aufzurufeu: 
fetbft bie „jtimeS", welche bisher am ruhigften unb objectioften 
Siuhlanb beurtheilt hotte, fing an mifjtrauifch z u werben unb 
jenen taiferlid)en SlnSfpruch boch für recht bebentlich zu holten. 
Sei oorurtheilSfreier Setrachtung fcheinen uns aber biefe Se 
forgniffe boch ziemlich unmotinirt ju fein, benn bei einem jo 


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148 


Ute <5«9*tntrart. 


Nr. 10. 


großen Unternehmen, wie eine Kriegführung gegen ben mä<h= 
tigften SRepräfentanten be? 38latn, ift eS hoch ganz natürlich, 
ba| man fidj nach SunbeSgenoffen umfie^t, unb finbet man 
nun biefelben in einem namhaften Xf) e ^ e ber Seoölferuttg be? 
|u befäntpfenben Staate?, ift biefe fdjon mit bem eigenen 
«Solle in golge gemeinfamet Abftammung, fReligion ic. in 
SEBechfetbejiehung getreten, fo wäre eS eine unoerzeihlidje Xhorheit, 
eine fo überaus günftige Sonfteüation unberiicffichtigt ju taffen. 
fRufjtanb benupt bie panflaoiftifdien Serbinbungen für feinen 
momentanen 3 roec t ober beSpalb tann man oon ihm noch 
nicht behaupten, eS habe fi<h bie Snbjiete be? ©anflaoiSmu? 
ju eigen gemacht. 

Kaifer Alejanber unb feine SRütpe finb ftch bewußt 
SRuffen ju fein, ehe fie ©laben finb, unb SRufjlanbS SBof|l 
wahren ju muffen, ehe fie bie SBünfdje ber ©anflaoiften in 
Setrad)t sieben bürfen, welche mit jenem nicht ibentifch fmb 
nnb baher ftet? oon einanber getrennt beurteilt werben muffen, 
©ie ruffifche Regierung würbe baher nie bie Unterftüpuncj ber 
Station finben, wollte fie mit ©efäljrbung ber fpecietl ruffifdjen 
3ntereffen flabifcpe ©efühlSpolitif treiben. 

Son ber grofjen ÜRajoritat in ben ftaoifchen Sölterfdjaften 
oerteugnet unb oon SRujjlanb nicht z u bem teitenben SDtotio 
feiner ©olitil gemacht — wa? bleibt ba überhaupt noch ooin 
©anflaoiSmu? unb oon feinen himmetftürmenben ©länen übrig? 
©iefe grage beantwortet fich oon felbft unb feinem unbefangenen 
^Beobachter fann unter fotzen Umftänben bie AuSfichtSloftgfeit 
ber ©anflaoiften, ba? ßiet ihrer SBünfche je ju erteilen, mehr 
oerborgen bteiben: eS hwfce bie Serhältniffe wiflfürlid) ent= 
ftetten, wollte man ber SBett unb befonber? ©eutfdjlanb glauben 
machen, bah au? bem ©anflaoiSmu? ©efahren für bie zukünftige 
potitifche ©eftaltung (Suropa? erwachfen fönnten, wenn eS auch 
nicht auSgefdjloffen ift, bah er, oon einem ehrgeizigen unb 
triegerifchen Sjaren rüdfid)t8toS gebraucht, momentan Serlegen= 
heiten heroorrufett fönnte. Aber biefe ju befchwören unb ba? 
©leichgewicht unter ben europäifchen ©rohmäd)ten aufreiht ju 
erholten, ift bie Aufgabe ©eutfdjlanb?, welcher es burch feine 
ftaatlidje SBieberoereinigung in jeber Sejiehung gerecht ju 
werben im Stanbe ift. Unter ben obwaltenben Umftänben ift 
es fein Seruf, eben fo wohl ba? gortbefteljen unb ©ebeiljen 
ber öftreichifdMungarifchen SRonardjie ju förbern, wie auch 
(Erhaltung be? ©reilaiferbunbe? ju ermöglichen, welcher im 
gleichen Sntereffe ber brei SRächte liegt, ©ie? ift für jept ba? 
Alpha unb ba? Omega bet beutfehen ©olitif: gelingt e? ihr, 
biefe? Siel $u erreichen, fo fönnen Weber SRomanen noch ©laoen 
fich ber Hegemonie in unferem ffirbtheil bemächtigen, ber griebe 
ift gefiebert unb bamit bie ruhige unb gebeihtidje ©ntwidelung 
jebe? Solle? innerhalb ber ihm oon ber Statur gefteeften 
©renjen. Ht)enanus. 


«^tterafttr mtf> irnnft. 


Angola. 

Sin Stüd ®ulturgefdjid)te in Äftifa. 

SSon ßerman Soyaur. *) 

Rebelt gebilbeteit Suropäer, ben fein ©efepid in ferne Sänber 
führt, bie fdjon oot 3«h r h utl berten ihre Ihore ben cibilifatorifehen 
Kinflüffen feiner Heimat öffneten, muh «in ©efüpl tieffter S8e- 
fdjämung erröthen machen, wenn er in ihnen nur ben erbarm; 
lidjften ©djattenrih hottlofer europäifcher görmlichleiten unb ben 
fern fanl bi? jur Serwefung finbet. Stirgenb wo anber? wirb 
biefe @d)am bem SBeltreifenben ba? Slut heiher in bie SBangen 


*) ®er .fterr Setfaffet mar al? ®otanifer TOitglieb ber erften <Sg-. 
pebition nach SBeftafrifa. 


treiben, al? in allen portugieftfehen Kolonien, unb nirgettb wo 
anber? tritt bie rohe Kraft eine? Staturoolfe? im Kampf gegen 
bie Unterbrüdung habgieriger Europäer fiegreicher auf, al? in 
| Angola, ber fübmeftafrifanifchen Kolonie ©ortugat?. ©a? 3Rutter= 

| tanb hot ein ©ebiet oon 14,700 Ouabratmeiten (?), ba? ju ben 
I reiefjftauSgeftatteten unb gefegnetften be? afrifanifchen Kontinent? 
gehört, währenb mehr al? breier Saljrhunberte nicht würbigen 
gelernt, oielmehr e? in fo unerhört ftiefmütterlicher SBeife be« 
hanbelt, bah bie natürliche golge baoon, ber gänzliche Serlüft 
ber Kolonie, zu ben ficher oorau?zufagenben Kreigniffen ber 3«= 
funft gehört. K? zeugt für eine bemunbern?merthe Ktafticität 
ber Kingeborenen, bah, trop ihrer Serberbnih burch bie Kuropäer 
währenb enblo? tanger Satjre, ihre SBiüenSlraft mächtiger er; 
ftarlt, ihr SebenSblut muthiger putfirt, unb bah fie fortlaufenbe 
Serfuche machen, bie fchamtofen Sertreter europäifcher ©efittung 
in ber Sranbung be? Ocean? zu begraben unb zu oeruidjten. 

©ie gegenwärtigen SerhäÜniffe Sortugat? zählen zu ben 
auffättigften Seweifen oon ber Seränbertidjfeit ber Sölletgefchide; 
ant 7. guni 1494 ftettte zu ©orbefitha? anf Stnfuchen 3oäo 1L 
ber Sßopft Sllejanber VI. eine ©emarcation?tinie 360 SOteilen 
wefttich oon ben Azoren feft, um burdj fie bie baoon öftUchen, 

I portugieftfehen, oon ben wefttidjen, fpanifdjen Sefipungen }u 
fcheiben. Sor 400 gatjren beanfprudhte Portugal eine $emi; 

! fphäre, unb heute — bient ba? Sertrag?bocument oon ©orbe= 

1 ftlha? al? ein SeweiSftüd für ba? ewige sic tr&nsit gloria 
| mundi! SEBie aüe anberen Seft|ungen Sortugal? fich oon bent 
, SJtuttertanbe lo?trennten, ober, in beffen ©eftp bleibenb, ftch ouf 
ein SKinimum rebucirten, fo auch Angola, ©iefe Kolonie reichte 
nach ben Serficherungen ber fßortugiefen einft oiel weiter in ben 
Kontinent hinein, unb mit einer ©emihfjeit, bie jeglichen Sweifel 
i auSfchtiefjen foQte, erzählte mir ein in einem Sefuitencotteg tx . 
Zogener, alfo bo<h gewiffermahen gebilbeter ©ortugiefe, bah ganz 
©übafrifa mit Slu?nahme be? Kap?, ba? ihnen bie $oüänber früher 
• einmal „geftohten" hätten, 6 i? zum Uequator hinauf — portugiefifche 
; ©rooinz fei! 3 « ber ©h°t finb aber nur einige — mit „@»lbaten" 511 
j fagen würbe für Scanner, bie eine? fönig? Stod al? ein ©hoenfteib 
betrachten, eine Seleibigung fein — alfo mit uniformirtem ©pip-- 
bubengefinbel befepte ©täpe, oon benen au? bie fdjwarze ®in= 
wohnerfchaft be? Sanbe? in fdjmählithfter SBeife au?gefogen wirb, 
in ber ©ewatt ber portugieftfehen Regierung, ©ie noch heute 
^ gebräuchlichen ©itet: fönig oon ©ortugat unb ben beiben 
Sltgaroen, „fowie be? Dcean? auf beiben ©eiten tlfrifa?, §err 
oon ©uinea, Slethiopien, Arabien, ©erfien unb ber beiben Snbien" 
finb in SBahrheit nur ein tönigtieijer SBip unb eine jener gan= 
farronaben, in beten ©ftege ber ©ortugiefe ben fonft in biefer 
^inficht fo oerfdjrieenen granzofen merlwürbig tief in ben 
©chatten fteDt. 

©ie gefchi^tlichen Sorgänge in Angola währenb ber gröberen 
Hälfte unfere? 3 <th r h u nbert? finb un? unbefannt; wenn Re über; 
haupt ber gänzlichen Sergeffenheit entriffen unb in ©ocumenten 
oerzeichnet finb, fo ruhen fie wohl unb ficher in ben portugie; 
fifefjen Archioen, beren gefthalten berartiger ©inge f^on oft 
auffällig bemerft worben fein foO. ©reifen wir jeboch au? ber 
jüngften Sergangenljeit ber Kolonie einige ©aten heran?; fie 
lehren un?, wie fehr bie einftige SRacht ©ortugal? wie überaO, 
fo auch in Angola zu einer ©cheinmadjt hinabfanf, bie ihrer 
gänzli^en Auflöfung mit ftetigem ©chritt entgegengeht. 

3m 3ah« 1863 muhte bie Regierung, obgleich e? noch 
heute auf ben portugieftfehen Karten al? befeftigter ©la| figurirt, 
Kaffanbje, ben merthooKften ©lap ber ganzen Kolonie, bie (Ein; 
gang?pforte be? §anbel? an? bem $erzen be? Krbtheit?, auf; 
geben, ©ie ertragreichen unb fruchtbaren 9tegierung?plantagen; 
beftpungen oon ©embo? gingen 1871 erloren; 1872 rebeDivten 
bie Steger in Ambriz an ber Kttfte; 1874 waren bie weiten 
Kinwopnet oon ©uque be Sraganza unb SRalange, ja audp non 
3R;pungo an bongo wegen be? Aufftanb?friege? ber Sieger fepen 
auf ber glucht nach ber Küften; unb ^auptftabt ©öo ©aoLo be 
Soanba, unb 1875, währenb ber Anwefenheit be? ©dpreiber? 
biefe? in Angola, würben in Kncobje Aufftänbe oorbereitet, 
beren golgen wir leibet noch nicht fennen. 


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Nr. 10. 


149 


Di? Ergenwurt. 


©o mag fidj bie H«rf<h a ft Portugals noch einige 3af)re 
hinjiehen; eine Rataftroplje aber, bie if)t ein oödiged Enbe 
macht, Wirb unb lann nic^t audbleiben, wenn bie lüberliche 
ginanjwirth)<h a ft, bie widlürliche SufÜjbPege unb bad mit faum 
befehreiblidjer grechhrit betätigte @r^>reffungSfQftem fidj nicht 
jum Sejferen änbert! — unb baju fiitb oor läufig nod) feine 
9u$fidjten üorijanben. Die Eolonie würbe bann, wenn fte nicht 
non einem anbern Staate übernommen würbe (1875 fprach man 
non Englanb), wieber ganj in bie $änbe bet Eingeborenen faden 
unb lange 3«ü bem Einfluf} Europas nerfdjloffen bleiben. Dem, 
ber bie ©erljältniffe in ber Eolonie and eigener Slnfchauung 
fennt nnb parteilod beurteilt, b. h- bie Europäer nicht für 
Halbgötter unb bie Sieger nicht für liiere hält, würbe bieS 
3urücffinfen bed reifen Sanbed in ©arbarei faum ein ©ebaueru 
abnöthigen, im Eegentljeit würbe er auf Stittel einer befferen 
Siebereroberung ftnnen. 

3m 3a$re 1484 erreichte Diego Eäo bie ßüfte fübtic^ 
nom Baire (Eongo, 6° f. ©r.) unb nahm bad ßanb burch Er« 
vic^tung non Steinpfeilern mit bem Sappen feine# Rönigd für 
bie portugieftfdje Rrone in ©efifc; jefct reicht ber Slrm ©ortugald 
nicht mehr bortfjin, obgleich hie unb ba ein fieined Streufeuer 
portugiefifc^er Änfprücfie auf bad linfe 3<meufer aufflacfert, unb 
auf ben Slegierungdfarten bie Erenjen ber Sefifcung im Storben 
fef)r nain mit bem Eljiloango (5° 13' f. ©.) jufammenfaden. 
Einige biefer ©feiler im füblichen Eongolanbe foden noch fteljen 
unb non ben Siegern ald — Deufeldaltäre betrautet werben. 
1498 erreichte ber gro&e ©adco, an ber Oftfüfte Äfrifad ent« 
lang nad) Storben fegelnb, Snbien. So breitete ©ortugat Enbe 
bed 15. 3al)tf)unbert8 feine H«rf<h a ft in Slften unb Stfrifa aud; 
in beibe Erbteile entfanbte ed grofje SJiengen lüljner 2I6eri« 
teurer unb flauer ©riefter, bie ben fpäteren Sluin ber ßänber 
herbeiführten. Stngota unb bad fübtüf) angrenjenbe ©engela 
würben bebeutenb fpäter ald bie Eongölänber in ©efifc genom« 
men. Erft im ©tai 1560 fam ©aolo Diaj be Stooaed, bet 
Erofifohn bed berühmten ©artolomeo Diaj, im Aufträge feiner 
Stegterupg an bie ©tünbung bed herrlichen Eoanjaftromed unb 
fdjfoi mit bem bamaligen Rönig non Angola, ber auf ben 
glitterftaat, mit bem fein föniglit^er Eottege am 3<iire non ben 
©ortugiefen geföbert war, eiferfüchtig geworben, ©erträge ab. 
1575 grünbete Diaj ßoanba, bie noch heute fte^enbe Stabt, 
burch Erbauung einer Ritdje. Stun begann jwifchen bem 3aire 
im Storben unb bem Eoanja im ©üben ein rafdjed unb fliege« 
tif$ed ©orbringen ber Europäer nach Dften; fefte ©läfce, jefct 
jum neriaffen, würben gegrünbet, Rirdjen gebaut unb 

©Panjungen angelegt, beten ftühered ©efteben ber Sfteifenbe noch 
je^t oft tief im bitten Salbe bureb Stiefenbaumadeen erfennt. 
Sdjon 1606 würbe ©altbafar Stebedo be Strragäo mit einer 
E{pebition nach ber Oftfüfte beauftragt. Er fam aderbingd eine 
anfehnlidje ©trede in bad Snnete hinein, mufite jeboefj umfebren, 
um bie Druppen in Eambambe (jefet Donbo) am Eoanja, bie 
non ben feinbfeligen Eingeborenen umzingelt waren, ju unter« 
ftü|en. Ein jweiter ©erfuch, ben Erbteil ju bur<bfreujen, 
würbe unter bem Eouoernement Slntonio be Salbanba ba ®a« 
mad gemalt, unb jwar 1798 non ber Oftfüfte aud burch 
Dr. ßacerba, ber in Rafembe ftarb; ber britte ©erfutb, 1807— 
1810 non Soanba nach Dette, gelang, ba aber bie Ejpebition 
non ©ombeirod (febwarjen $änbtem) ©aptifta unb Stmara 3ofe 
audgefübrt würbe, fo hotte fte feinertei nennendwertbe Erfolge 
in irgenb welker Hinficbt. SJtag bi« noch binjugefügt werben, 
bap fpäter noch häufiger Sieger ben Erbteil in biefen ©reiten 
bur^wanberten nnb baff, wie befannt, Dr. ©aul ©ogge, ber 
„gfreiwidige" ber beutfeben Ejpebition (beffen unglüdlicberer Ee« 
führte Schreiber biefed War) noch nerbältni|mä6ig glüdlicb bid 
nach StuRumba, ber zeitweiligen fRefibenj bed uielumfabelten 
SRuata Samno norbrang. 

©fit ben ©ortugiefen fam auch ber Sflanenbanbet, ber 
bnreh Eonfaled bei El«ntina an ber Oberguineafüfte feinen Ur« 
anfang für Seftafrifa nahm, na^ Stngola. Die früheren para« 
biefifdjeten 3«ftänbe nahmen ein jäbed Enbe, Daufenbe non 3Jtän« 
nern unb grauen würben bem Sanbe entriffen, gamilienglüd, 


ja ber Sinn für gamilie ftarb aud, jum 3wede bed Sflaoen« 
rattbd unteriiommciie Rriege mit früher befreunbeten Stämmen 
folgten einanber, Spirituofen zerrütteten ben Eeift unb bie 
©tenfebenwürbe bed Siegerd, unb eingefcbleppte Rranfbeiten, bie 
„Slütben ber Sioilifation", jerftörten ben Rörper bed Einge« 
borenen. Slocb bid in bie neuefte 3«t wirb in 8lngola bet 
©ftaöenbanbet betrieben; werben, Danf ber Sadjfamfeit eng« 
lifcher Rreujer, auch feine Sflaoen mehr nach Slmerifa audge« 
führt, fo blüht ber ©ienfchenbaitbel unb bie Sflaoerei bodj noch 
in ber Eolonie felbft unb oon prioilegirteii Hänblern werben 
Sflaoen nach ben .benachbarten ©läfcen auf ©eftedung audgefübrt. 
Der ©ienfcb ift bort bad beliebtere 3 oblmtgdmittel un o e i n am 
I: leicfjteften angeboteited Eefchenf, auch öon ©eiten ber ©eamten, 
I Wie Schreiber biefed felbft erfuhr. — Die Uebel ber Sflaoerei 
| b«b ot i u h e & eK » Würbe hier überflüffig fein unb ju weit führen; 

: nur ber Eontraft jwifchen ihr unb bem Ehriftenthum oerbient 
| immer wieber nadjbrücflicbfte ©etonung. Der Eontraft wirb 
I 3ebem um fo auffädiger, wenn er fich bie Dh at f a( h e i«’ö Ee« 
j bächtni| jurüdruft, ba§ ein Unfehlbarer, ©apft Stifolaud V., 
j bie Sflaoerei fanctionirte! Unb wie würbe unb Wirb unfere 
| Rirche, ald bereit Oberhaupt ber ©tann in 9tom fich anerfannt 
I wiffen wid, audjubreiten gefugt? 3« welchem ©tijjoerhältniji 
! bie Sohlen ber ©efehrungen ju benen ber Erbbewohner fteljen, 
Wie winjig flein bie Erfolge ber djrifttichen ©tiffion feit bem 
faft jweitaufenbjährigen Seftehen unferer Rirche finb, hot Dödinger 
auf bem ©onner Eongrep bargethan unb ben Erunb biefer 
ewigen ©iifjerfolge mit Stecht houptfädjtich in ben Eonfeffiond« 
fpaltungen gejucht, bie Eiferfüchteleien unb üodftänbiged ©er« 
iieren bed Enbjieled bebingen. Daneben oerfcheucht bie fchon oft 
1 beflagte Dogmenreiterei bad Staturfinb, beffen freier, noch nicht 
: burch jahrhunbertelange Erziehung oermobeiter Eeift bad unbe« 

S antwortet bleibenbe „Saturn" über bad „Sie" ftedt. gragte 
i mich b°ch einft ein oon ©tiffionären erjogener Sieger, ob Slbam 
j „in ben Himmel gefommen fei?" Er fönne bad nicht gut glauben, 
i ba Stbam bodj bie Sünbe, bie an und h«mgefucht werbe, in 
: bie Seit gebracht höbe! Die Sorte ©la£ ©iüderö bleiben ewig 
beherjigendwerth: „Sarum eine Seele mit bem symbolum qui- 
; cunque, mit ber ©erbamntnif? ber Ungetauften, ber päpftli^en 
! Unfehlbarfeit, ber unbeflecften Empfängnis ©lariä, ber Höden« 
j fahrt 3«fn befchweren?" Ueberad, wo ©tiffionen finb, wieber« 

| holen fich biefelben Schattenfeiten, am meijten in Slfrifa, unb 
: hier wiebet befonberd in Stngola, wo faft ade anberen Einflüffe, 
i bie oon ben Europäern auögehen, bem Eeifte bed Ehriftenthumd 
; entgegenarbeiten. Die golge baüon ift, baS trofe ber eifrigen 
i Stnftrengungen oder ©liffionäre unb befonberd ber italienifchen 
Eapujiner*), bie in ber zweiten Hälfte bed 17. 3ofjrh u nbertd 
oorn 3oire nach Angola famen, nicht# audgerichtet würbe, ald 
hier unb ba ber Schatten, eineö Scheincfjriftenthumd, ober ein 
lächerliche# SReligiondwefen aud ber ©ermifchung ber fatholifdjen 
I ©riefterlehre mit bem Schamanenthum ber Eingeborenen. Ed 
wirft peinlich, wenn man fleht, baff ber fogenannte chriftlidje 
Sieger, ber fi<h bem Europäer in Slngola jur Arbeit anbietet, 
aud SeforgniS oor feiner gaulheit, galfchh«t unb ©tehlfucht 
. fortgejagt wirb unb ba| ber h e il ),t if { h e dleger bagegen lieber 
befdjäftigt wirb, greiwidig unb aud innerem Ueberjeugungd« 
brang wirb faum ein Sieger befehlt; aderbingd fönnten bad bie 
©lifftondftatiftifen beftreiten, adein bie geretteten Seelen werben 
meifi fäuflidj erworben, Wie ja ein für ademal bie Siefruten ber 
angolanifchen „SIrmee" ju Ehriften gepreßt werben. 3<h »oohntc 
hn Stpril 1875 in Eamungu (Slngola) einer Daufe oon oierjig 
Siefruten en bloc bei unb fah ben ©riefter eine ©tunbe fpäter 
betrunfen unter feinen neuen „Ehriften" umhertaumeln. — Sticht 
ber leere S<had bed Sorted belehrt unb läutert, fonbern adein 
bie ©ethätigung bedfelben. So eng Wie bad Ehriftenthum mit 
ber Eultur jufammenhängt, fo ift auch bad ©eifpiel ber Slrbeit 
bie Houptftühe oder Eioilifation. Eine groge Sahrheit liegt 


*) Die werthoodfte Seiftung ber Eapttjtner ift jebenfattd bad 
„Diccionario da lingua angolenae, Lisboa 1804“ unb bie „Obsercrafdes 
grammaticaes, Lisboa 1849.“ 


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150 


Sie Gegenwart. 


Nr. 10. 


in bett Sorten KametonS: „Stile SRiffionen füllten ArbeitS: 
miffionen fein!" Da 8 Reifet, ben Siegern foflten (wie bieS bei 
ben ©remer unb Safeter SRiffionen fdjon mit guten ©rfolgen 
ber gaß) europäifche $anbwerfe gelehrt werben, bie fie, aus 
ber SRiffion entlaffen, in ihrer f»eimat auSüben. SBeifj ber 
Sieger einige Sibelfteßen unb fann er lefen unb fdjteiben, fo 
nitgt er baburdj gar nichts, ba* er für feine ©erhättniffe im 
watjrften Sinne beS Söorteä brobtofe Künfte erlernt bat. — Die 
SCrbeit 8 mifflon bewirft beim Sieger fef)r Biel, neben feinem ©es 
fdjid für medjanifdje Slrbeit treibt ihn bann auch nodj auS: 
bauernbe Sleugier, um ju lernen, Wa 8 im ^,©udj be 8 Seiten" 
ftebt. ©erabe beim Sieger würbe foldje SRiffton am erften am 
©tage fein! Die ©rfolge bei ben SRohammebanern unb ben ^eib= 
nifc^en ©ulturöölfern fallen faum in bie Sage; bie ©übfee: 
infulaner unb bie Snbianer fteben auf bem AuSfterbeetat, e 8 
bleibt nur ber Sieger übrig, ber — e 8 liegt ba 8 tief in ber 
Slatur feiner #eimat begrünbet — nic^t, ober erft in ungeheuren 
3 eiträumen auSfterben wirb. 

SRit ber SRiffion jief)t gewöhnlich jugleid) ber § anbei in 
neue ßänber. Unter ben ©ertretern beSfelben itt Angola, ben 
Kaufleuten, finb SRacenunterfdjiebe ju machen. Die §änb(er 
ber germanifdjen Slationen fteben benen romaniftber SSölter Bor« 
tljeithaft gegenüber. Die ©rftereit fommen gewöhnlich jum be= 
ftimmten Bwcd be 8 $anbelit 8 bortljin, finb fleißig unb arbeitfam 
unb überuortljeilen ben Sieger bod) nid)t in ju grober Seife; bie 
ßegteren wanbem meiftenS als Abenteurer au 8 ©uropa (bes 
fonber 8 ©ortugal unb Spanien) unb Amerifa ein, wenn ftc 
bort ihr ©lüd nitht madjen fonnten. Dort werben fie erft 
Kauf teilte, benen ber 3wed jebeS SRittel tteittgt. SRag h' et 
ein ißuflrircnbeS ©eifpiel folgen, ba 8 um fo mafjgebenber fein 
biirfte, al 8 e 8 fid) auf einen ©ortugiefen bejieht, ber noch jn 
ben Berhältnifjmäfjig ehrcnhafteften ©ertretern feines StanbcS 
jäfjlt. Sch fah, wie biefer Kaufmann in bie großen Sretters 
fdjalen feiner Sage mit bewunberungSwerther ©efchidlichleit 
©leiplatten hineinf^ob ober fie IjinauSjog, Je nachbem e 8 fein 
©ortheil erheifdhte! Die Sieger wiffen fehr wohl, bah fie regel= 
mäßig auf bie eine ober bie anbere Art Born ©uropäet betrogen 
werben, unb — fte reoandjiren fid) »« ihrer Seife. 

Die ©jiftenj unb ber ©twerb ber ©lantagenbeftger bafirt 
auf ber Sflanerei. SRag man auch fagen, bah bie SflaBerei 
bei ben ©ortugiefen in milberen formen auftrete — wa 8 aber 
bitrchauS nid)t als abfolut hittjufteßen ift — fo ift bie Sflanerei 
hoch in fi<h felbft ein ©ergehen gegen bie SRenfcheitrechte, benn 
ber Sflane ift nicht SRenfdj, fonbern Saare. — Sch fenne in 
ganj Angola nur eine ©flanjung, in welker bie Sflanen aud) 
itach ihrer gef etlichen greifpredjung freiwillig bleiben Werben; 
unb e 8 erquidt, fagen ju bürfen, bah biefe grofje ©lantage Bon 
einem blauäugigen Deutfdjen nerwaltet wirb, ber feine SflaBen 
ju glüdlichen SRenfcgen gemacht hol unb beren eigens für fie 
angefteflter ©riefter mit bem trefflichen ©eifpiel oorangeht, in= 
bem er Dag für Dag felbft #anb ah bie gelbarbeit legt. — 
Die beoorfteljenbe Aufhebung ber Sflanerei (wenigftens ift fie 
Bon ber ^Regierung Besprochen) wirb in Angola Biel böfeS 
©lut machen unb tiietfeicßt einen $auptf)ebel jum ©erluft ber • 
©olonie bilben. Die fdjlecht behanbelten Sflanen werben, ein= 
mal frei geworben, ßeben unb ©igentljum ihrer früheren ©e= 
brüder geführten, unb für lange Beit werben fjanbet nnb 
Sanbel brach liegen. Der freie ffiingeborene ift burd) bie 3Rih : 
wirthfchaft ©ortugalS fo corrumpirt, bah «S erft jahrelanger 
©rjiefjung bebarf, um ihn tauglich jut freiwißigen Uebernahme 
non — h au Ptfächli(h Selb« — Arbeit ju machen. Der Ausweg, 
KroobopS, freie Sieger non ber Kroofüfte (Oberguinea), bie fid) 
für einen SRonatSfolb Bon 5 ©funb Sterling auf ein bis jwei 
Snljre nerbingen, einjuführen, wirb auf ben ©flanjungen unb 
überhaupt im ©innenlanbe ju nichts führen, benn bie Krootteger 
finb ein Sdjiffetoolf. 

Den Kaufleuten unb ©flanjem fteßt ber ©eamten: unb 
SRititärftanb in ewigen ^Reibereien feinblich gegenüber. Der 
©runbbefiger, ber $änbler, ber ©eamte, ber Solbat — afle 
woßen fie reich werben! SRittel unb Sege — ftets auf Koften 


ber ©ingeborenen — gibt es genug, benn bie Sißfür ift ©efeg. 
Die Korruption unter ben ©eamten (im Snnern finb fie jngleid) 
Offijiere) überfteigt aßeS Denfbare. Die Aernter fit* meiftenS 
mit SRulatten unb ©ortugiefen befegt unb werben mit unbes 
fchcänfter ©ewatt jum ©eften beS eigenen SädelS auSgeübt. 
©ine Dtjatfadje, ber noch hnnberte angereiht werben fönnen, 
mag als SRahftab bienen. Sn einem SRilitärpoften im Snnern 
foßte ein neues StegierungSgebüube gebaut werben, ju welchem 
3wed Bon bem ©oubernement bie Summe Bon 1500 Dealern 
nuSgewotfen war. ©efefe ift, bah fein freier Sieger ju Arbeiten, 
auch nicht für ben Staat, gejwungen werben fönne, unb bah 
jebe freie Arbeit bejaljtt werte. Der ©h e f beS SRilitärpoftenS 
(presidio), ber jugleid) bie höchfte obrigfeitliche ©ewalt in einem 
gröberen Diftrict barfteßt unb unmittelbar unter bem ©ouberneur 
fteljt, befiehlt einfach feinen SobaS (ben Dorfborftehern im ©e= 
jirf), ihm ßeute jur Arbeit ju fteßen. Die 3®hien bet notfj : 
wenbigen Arbeiter werben — mit Bößiger Kenntnifj ber ßeiftungS* 
fähigfeit ber SobaS — Born ©h e f ftets höhet angegeben, als 
ber Soba fte fteßen fann. gür jeben fehlenden Kopf johlt bet 
Dorfoorfteher Strafe, in SflaBen — ober Ddjfen! Die Unter: 
beamten, bie bie Ausführung ber ©efehle ihres ©hefS ju be: 
forgen hoben, erhöhen bie Bahlen auf ihre eigene fRedjnung, 
um hoch auch nicht leer auSjugeljen. Slodj haftet ber Soba 
für jeben feiner Untertanen, ber Bon ber erjwungenen Arbeit 
flieht unb jahlt Strafe. Auf biefe SSeife laufen in bie ©rioat: 
caffen ßiibfcße Sümmchen ein, bie nodj burch Unterfchlagung 
beS gröhten DheileS ber Bon ber tRegierung ausgeworfenen 
©etber oergröfjert werben, benn auch bie ßöljne ber Arbeiter 
werben nicht auögejalßt. Um bei bem obigen ©jrempel ju 
bleiben, fo hatte ber ©hef fchliefjlidj eine neue residencia, ju 
beren ©au für Anfdjaffungen ca. 300 Dhaler oerbraucht Waren; 
bie weiteren 1200 Dhaler unb bie Straffummen ber SobaS — 
oiefleidjt eben fo Biel — waren ihm ein wißfommeneS ©lüdö: 
gefdjenf. 

©eftwerben über foldje ©rpreffungen fommen nicht an bic 
rechte Statt ober Werben bort nicht beachtet! So, helfen unb 
rächen fid) bie ©ebrüdten felbft, burch Aufftänbe. Sn bem 
testen Kriege oon Duque be ©raganja würbe einer ber 8täbets= 
fütjrer ber aufftänbifdhen Sieger gefangen genommen unb foßte 
unter ©ebedung nach ßoanba geführt werben, um fich bor einem 
Kriegsgericht bafelbft ju oerantworten. Der SRann BerfchWanb 
aber unterwegs fpurloS; er muhte oerfdjwinben, um feineu 
Staub aufwirbeln ju fönnen. Unterfudjungen über biefe bunfele 
Angelegenheit würben nie eingeleitet; ber ©efaugene follte ent: 
flohen fein! Dafj Offijiere wegen Unterfchlagung Bon Solbaten: 
löhnungen angellagt Werben, ift eine aßtägliche Sache. Der 
©efdjulbigte hat bann bie geftohlenen ©elber ju erfefeen unb 
bleibt in feiner Steßung, ober — faum glaublich, “Öer wahr 

— erhält auf feinen SBunfdj ben Abfdjicb in höherer Slang: 
ftufeü — Der ©ortugiefe fagt eben: „Lobo näo mata lobo!“*) 
Daf) SRilitärS auch gleichjeitig Kaufleute, „JpotelicrS" ober 
©flanjer finb, ift eben fo felbftoerftänblich; bie Solbaten wer: 
ben im lefcteren gaße als getbarbeiter BerWenbet. 

©in großes Kontingent ber ©uropäer in Angola bilben bie 
beportirten ©erbrechet (degradados). ©ortugal fchaffte als einet 
ber erften Staaten bie DobeSftrafe ab, wie es auch, nebenbei 
bemertt, juerft ben Sefuiten fein ßanb oerbot. Db aber bie 
Ueberführung ber. fonft oießeicht jum Dobe oerurtljeilten ©et: 
brechet in ein ßanb mit taufenben, BereblungSfähigen ©ewohnern 
bem ©emeinwoljt ober auch nur bem SBoljt ber ©erbannten 
felbft erfpriefjlid) fei, ift eine leicht ju beantwortenbe grage. 
Die fchweren ©erbrechet werben in Angola gepeitfdjt, unb jwar 
fo, bah fie unter ben Rieben beS ©rofofen faft ihren ©eift auf: 
geben. Doch öie DobeSftrafe ift ja abgefdjafft! Der bei ber 
©jecution anwefenbe pbysicomör (Dberarjt) wartet bis auf ben 
legten SRoment, baS ßeben muh erhalten bleiben, ber Sträfling 
muh genefen, um binnen Kurjem biefelbe dual Bon Steuern unb 

— länger auSljalten ju fönnen. — ÜRan b Srt «uch wohl in 


*) $aS beutfdje: „Sine Kräh« i>adt leinet anb ts." 


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Nr. 10. 


®it (Segen mar!. 


151 


müftern Streite bie Xroßung: 3<ß ftßlage Xitß tobt, toaS fann 
man mir meiter anßaben, als mitß nacß SRofambif fcßiden?! 
Xort fpiett eben baSfelbe ©tüd. — SJtandje biefer ©erbrecßer 
entließen ficß auch ber loderen ©oligeiaufftißt unb organifiren 
im Sanbe Wegerbanben, bie unter ißrer Anfüßrung oorüber= 
jießenbe fiaraöanen auSplünbem unb berauben. 

Xer Sefet mirb fitß nun eine jicmlitß jutreffenbe ©or« 
ftettung non bem Sieger Angolas matßen fönnen, ber ben an: 
geführten Ginflüffen auSgefeßt, fid> ißnen ßingibt, ja bie Quint: 
effeuj berfelben in ficß aufnimmt. Xa& Urtßeit über ein berartig 
bearbeitetes ©otf fann nitßt günftig auSfallen, moßt aber finb bie 
auf bie Gntmidlung einmirfenben firäfte mit in ben fite iS ber 
beurtßeilenben ©eobacßtung ju jießen. GS muß bem, ber mit 
Angolanegern intim oerfeßrte, ftaunenSloertß erfcßeinen, baß ißr 
Gßarafter nic^t notß öerberbter ift, als er eS in ber Xßat fein 
tonnte unb müßte. Urtßeite, toie baS beS Weifenben SJlonteiro 
(in „Angola unb ber Gongo'O, baß ber Sieger intettectueö über, 
gemütßlicß unter bem Xßtere fteße, finb ebenfo leidet als ein: 
feitig gefällt. Sine ©ertßeibigung beS Angolaners mürbe immer 
toieber auf Auflagen gegen bie (Europäer in ber Golonie jurüd* 
tommen, bie bem gebitbeten Guropäer baS ©tut in bie SBangen 
jagen müßten. SBenn auch bie Gnglänber, Xeutfcßen unb $ot: 
länber in Angola nicßt tabelloS bafteßen mögen, unb mieberum 
Ausnahmen felbftöerftänblidj auf beiben ©eiten ju finben fein 
merben, fo ift bocß fcßon ein ßeüeS Auge unb btonbeS fpaar 
genügenb, um auf bie Gingeborenen, bie jeben ©rünetten auf ben 
erften ©tid für einen ©ortugiefen (Slomanen) ßalten, einen 
günftigen Giubrud ju macßen! 

SRancßertei ßat ficß in ber testen 3 e »t » n bie £>anbc ge: 
arbeitet, um auf Afrifa bringenber, atS fonft aufmerffant ju 
macßen. Xie Steifen SioingftoneS unb GameronS ßaben bereits, 
biejenigen ©oggeS merben unS moßl nocß Auffcßlüffe über bie 
großartigen Weicßtßümer, baS ßerrlicße fitima unb bie günftigen 
©erßältniffe für Aderbau unb ©ießjudjt geben, bie in ben bur<ß= 
reiften Xßeilen, atfo autß in Angola öormatten. Xie ntine: 
ralifcßen, animalijcßen unb oegetabilifcßen Woßprobucte bcS 2an= 
beS, oerbunben mit ber Gntbedung ber großartigften Sluinen 
burcß SRaucß, taffen bie Aitnaßme, baß baS Dpßir ©atomonS 
in ©übafrifa ju fudßen fei, immer ßaltbarer erfcßeinen. — 3«ben: 
falls tommt bie Gntbedung ber ©cßäße AfrifaS bem jüngft ent= 
ftanbenen internationalen Serbanbe jitr Grforfcßuitg unb Gioili: 
fation biefeS GrbtßeitS ju Oute. SJlöge er fein großartiges 
ffierf bamit beginnen, baß er Afrifa, bem 'er ben ©egen ber 
Gultur bringen miß, bie fcßäblicßen Ginflüffe fern ßätt, bie feit 
3aßrßunberten fo großes Glenb bemirft ßaben. ©eine erfte 
Aufgabe foßte fein, bie ©ftaüerei unb ben ©flaöcnßanbel ju 
befeitigen, bann aber audß burcß irgenb welcße SJlittet bie por: 
tugieftfcße Stegierung ju einer ftrengeren £>anbßabung ißrer @e= 
malt unb jum Ginßatten ber ©erbredjerimporte in Angola, bie 
©erle SBeftafrifaS, ju oermögen. Xie ©erbrecßer fcßaben, in 
unfereln Sanbe bteibenb, meniger, atS bie Gonfequenjen ißrer 
Ueberfüßrung in ein Sanb fcßaben, baS für Gutes unb ©öfeS 
gteidß empfänglidfje SJlenfdßen bemoßnen. — ©o lange biefem 
Uebel nidßt abgeßotfen ift, foßten aße SJlifßonen angeßalten mer= 
ben, feine SRifftonäre na^ Angola ju fcßiden, benn baS ift ein: 
faeß eine nußlofe Aufreibung, eine ©erfdßmenbung oon firäften, 
bie anbermeitig beffer ju Oermenben mären; bann aucß müßte 
bie Ausbreitung unferer Steligion bur«ß baS Seifpiet praltifcßer 
Arbeit, bie bie ß<ßerfte ©runblagc aße ©eftttung ift unb bleiben 
toirb, burdß inbuftriefle SJliffionen betrieben merben. 


3m Änfißfttffe an oorfteßenben Artifel geßt im® t>on bem ©etrn 
©erfaffet folgenbeS ©djreiben ju: 

©eeßrte Stebaction! 

$a mein in bet „@egen»att" erfdfetnenbet Anffap „angolo" bie 
in einet Eottefponbenj ber AugSb. 8*9- Oporto, 16. gebt., auSge: 
fpnxßenen ©eftßulbigungen gegen bie fetten be Sonja SRacßabo 
unb 3°fö be Souja bet lltßebetfdßaft an bem Xobe ®bnatb SRoßtS 


in SJialange in geroiffet ffieije oetftätten tönnte, fo bin itß gejtoungen, 
Sie um Äufnaßme beS golgenben ju bitten: 

Selbft ber ätgfte Siberfacßet ber ©ottugiefen toirb unb muß ißuen 
baS ßbtßfte Sob für ißre grenjenlofe (Baftfreunbjißaft ertßeilcn. Qcß felbft 
ßabe gefeßen, baß ©ortugiefen felbft ®5fte, bie ißnen jur ®eißel toutben, 
ttatß wie not mit ber ßetjlidßfien SiebenSwürbigteit beßanbelten. Stßon 
aus bem ®ruube ßalte itß bie ^errett SJladjabo eines ÄlorbeS an ißtem 
®afte Atoßr nicßt fäßig. Xie Anßßulbigung gegen bie, fooiel itß in An« 
goto ßßrte, allgemein gearteten SJlünner, tann nur »on brobneibifcßen 
®efcßäftSIeuten auSgeßen unb fie ßnbet in jenem Sanbe um fo meßt 
Siaßrung, afS ftcß ®erü<ßte unb fflatjcßereicn in gerabeju unerflärlitßer 
3Beife ftßnell »erbreiten unb »ergrößetn. — 3fofd be Souja lernte idß 
bei einem ®ef<ßäftsbefudj feinerfeits in 3R--pungo an bongo als einen 
tiebenSmürbigen, leibeuftßaftSIofen Alaun lenuen. Dr. ©ogge reifte lange 
Seit mit beffett ©tiefbrubcr ©aturnio unb wirb gewiß bie ntaßgebenbftc 
Aleinung auSjprecßen töttnen. 

SS muß barauf ßingewiefen werben, baß, wenn ein foltßer nur auf 
©eftßw&ß berußenbet ©erbacßt bei unS Xeutfdßen ©oben ftnbet, wir uns 
nidßt wunbern bürfen, wenn unferen SanbSIeuten iu Angola bie fjäufer 
bet ©ortugiefen »ericßloffen bleiben, aus ©orficßt, baß nidßt bei etwa 
eintretenbem lobe beS ©afteS ber ©erbaut beS AtorbeS auf ben SBirtß 
füllt. - 

SBaS bie »erbreeßerifeße ©creicßetung ber befißulbigten fetten be: 
trifft, fo bemerte i<ß, baß i(ß aßetbingS nitßt weiß, ob fie ©egtababoS 
ftnb; itß glaube es nitßt; übrigens würbe baS in Angola autß — feine 
©tßanbe fein, ©ie mögen am ©llabenßaubel »erbient ßaben, ein ©or« 
i Wurf, ber ©ielen gematßt werben fann. — 

| 3£Ber ©. Atoßr perföttlitß lannte wirb bagegen »on felbft auf bie 
! ©ermutßitng fommen, baß fclbftgenommeneS Alorpßium ißu getöblet ßabe. 
i Stabe, ben 25. gebruar 1877. bferman Soyauj. 


Öantf« 5tcUiing jur römtfdfen fitrdje feinet 3eit. 

©on Karl Sartftß. 

(Soct|r»ung.) 

®o<ß ift bie Simonie nießt ber cinjige SRißbraucß, ben 
Xante an ber römifeßen fiirdße feiner Beit tabelt. Gr rügt, baß 
bie Oeiftlicßfeit oon bem ißr ertßeilten Stedjte ber XiSpenfation 
j einen eigennüßigen ©ebraueß maeßt. Xcr ©apft fcßre.ißt nur, 
i um auSjuftreidßen (©arabieS 18, 130), b. ß. er erläßt Gbicte, 

| um fte bann, burtß Selb beftoeßen, mieber jurüdjuneßmen. Gr 
braueßt baS ßeilige Siegel ber fiirdße, um eS unter lügenßafte 
| ©rioilegien ju feßen (©arabieS 27, 53). Xie fiircße ftßreibt 
I fitß baS SRecßt ju, oon einem Gelübbe ju bispenjtten, menn ein 
1 aubereS oon geringerem SBertße an bie ©teile tritt (©arabieS 
I 12, 91). Xer ©apft ertßeilt oon oornßerein Abfolution für 
i jebe ©ünbe, menn es ißm in feinen firam paßt, unb roeiß fo bie 
j ©ebenfen feines SRatßgeberS, ber boeß notß eine ©pur oon Gc« 

; miffen geigt, ju beftßmitßtigen (|>öfle 27, 101 ff.): 

Xitß abjotüi'r itß jeßt, botß Aatß gib bu, 

2Bie itß ©rünefteS’ Äieberfturj erlange. 

Xu weißt, ben $immel ftßließ’ itß auf unb ju, 

Xaju pnb mir ber ©tßlüffel jwei gegeben, 

Xie ©ölefKn preisgab um trüge 9)nß. 

©tatt aus ber lautern Quelle ber ©ibel ju ftßöpfen, ftubirt 
man bie Xecretalen, benn in ißnen finb bie-Weißte unb ©rioi= 
legien ber fiircße entßalten, mittelft bereit ber ©olbgulben er* 
motben mirb (©arabieS 9, 133 ff.): 

An ©ibel nitßt unb ÄirtßenBütern nüßrt 
Alan brum ben ©eift, allein bie Xecretalen 
©tubirt man, wie'S ber Aänber AuSfeßn leßrt. 

Xie geiftlicßen ©Baffen beS ©anneS unb 3nterbicteS braudßt 
ber ©apft, um feine firiege bamit ju füßren (©arabieS 18,127 ff.): 
©onft pflog man Krieg ju füßren mit bem ©eßmerte; 

3e|t tßut man’S, Brot entjießenb ßiet unb bort, 

XaS feinem fiinb ein guter ©ater weßrte. 


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152 


51 1 1 ®rjj*nmart< 


Nr. 10. 


Aber wo ruirftic^ Ärieg ju fuhren wäre gegen bic Un* 
gläubigen, um bad ben ©hriften feit 1291 gänjlich entriffene 
heilige Sanb wieber ju erobern, ba jeigt ber {ßapft läfftg 
unb oerfäumt feine Pflicht. 9lid)t gegen ©arajenen unb Suben 
führt er ßrieg, fonbern gegen ©Triften in feiner nächften 9iähe.*) 
®ad heilige Sanb fümmert ihn wenig**); baljer barf bad um 
cfjrifitidje Sol! ftch bad Stecht ber ©Triften anmaßen.***) 

SBad ljier ber Seitung ber Äird^e im Allgemeinen jur Saft 
gelegt wirb, bad trifft in derfchiebenem SKaße bie einjelneu 
köpfte. 

©or bem päpfttichen Amte fetbft hat ber $idE)ter bie ^öctjfte 
©^rfurc^t. ®ie SRücfficht barauf ^ält ihn, wie er fagt, nod) in 
gewiffen ©chranfen SRicotaud in. gegenüber ($)ö£te 19, 100 ff.), 
©or #abrian Witt er in ©hrfurcht bad Knie beugen, wirb aber 
don i|m baran derhinbert Fegefeuer 18, 127 ff.: 

34 trollte reben je|t unb Iniete nieber, 

©o 4 als idj anfing unb er mit bem £>h r 
©ie ©tjrerbietung wahrnahm, fpraef) er wieber: 

28arum derneigft bu bic^? trag fteHt bad dor? 

Unb i4: Ob eurer SBürb’ bat mein ©ewiffen 
Aorwürfe mir mit Aedjt gemalt. — ©rnpor, 

Stein ©ruber, hebe beinen Sufi! benn wiffen 
©ottft bu in ©abr^eit: i 4 bin Äne 4 t wie bu 
Unb atibre, einem $ernt 5 U 111 ©ienft befltffen. 

Aber bem einjelnen Zapfte gegenüber hält er barum nic^t 
jurüd mit bem SBort ber ©Jähheit (§ötle 19, 123). 

SBenn wir bie Steife ber {ßäpfte, foweit fie in ©mtted 
Sebendjeit fallen, burchmuftern, fo finben wir wenig ©ünftiged 
don ihnen bei ©ante berietet. 

Stoch am glimpflichen behanbelt er ben oben erwähnten 
£abrian V., ber nach furjem 5ßapat 1276 ftarb. @r befinbet 
fich int Fegefeuer unter benen, bie ben ©eij i^reö ©rbettlebend 
bort abbüßen. Fegefeuer 19, 103 ff.: 

$Bie f4wer ber grobe Stautet fei für einen, 

©er retn ihn hält, fä^U’ einen Stonb i4 nur. 

SBie glaum muß bador jebe Saft erfdpinett. 

Spät, leiber! fanb id) ber ©elehrang ©pur; 

©04 al« man rnidj sum röm’fd^en Wirten machte, 

©a war*«, wo id) bed Sehend ©rüg erfuhr. 

34 f<4, bab leine Auß’ bem #erjen la4te, 

S 04 man in jener SBelt fönnt’ bößer fteigen; 

©aber ju biefer iBeft mi4 Sieb’ entfa4te. 

Aid baßin war mein §erj bem ©tenb eigen, 

Aon ©ott entfrembet, ganj bem ©eij verfallen; 

©rum mub i4 f° geftraft mi4 hier bir geigen. 

©4limmer lommt Sticotaud III. (1277—1280) weg, ben 
wir unter ben ©imoniften in ber £ölle antreffen, unb ber fi 4 
fetbft unb bie näcßften Sßäpfte fo charafteriftrt (#ötle 19, 67 ff.): 


*) fcötte 27, 85 ff.: 

$04 jenes $aupt ber neuen Aßarifäer, 

3n Ärieg derwidelt nab’ beim Saterane, 

Si4t wiber ©arajenen unb Hebräer — 

Sur fcßrifteu ftanben gegen feine gaßne, 

Si4t ©iner, ber na4 Accond gatte tra4tc, 
Si4t ©iner, ber gef4a4ert beim ©ultane. 

**) Jßarabied 9, 126 ff.: 

©ad liegt im ©inn bem ©apft, ben ©arbinaleit, 
Si4t Rajaretß, wobin einft und jum $ei(e 
glog ©abriel auf lichter glügel ©trabten. 

***) $arabied 15, 142 ff.: 

34 Sag 4m na4, bem ©taubendfampf entgegen 
Stit jenem Aot!, bad bur4 bie ©4ulb bed Ritten 
Auf euer Se4t barf lübnen Anfpru4 ^egen. 


SBenn, wer i4 bin, §u wiffen fo bi4 brüefte, 

®ag bu binabftiegft in bied geldredier, 

Aemimm, baft mi4 ber b*b* c ARontel f4müc!te. 

2)er Aärin e4ter ©obn*). War fo dott ©ier 
Stein $erj, bie ©ärlein ju erböbn, brum ftedte 
34 in ben ©ad bort ©etb, mi4 fclber hier. 

Stir unterm $aupt tto4 liegen ^ingeftredte 
Am Aoben tief in biefed Seifend ©palt, 

Aorgänger mir, bie ©irnonie befledte. 

®o4 finl’ au4 i4 bereinft biuab, fobalb 
®er fommt, für treten i4 bi4 angefeben, 

Aid plbplt4 dorbin meine S^age erf4attt\ 

©04 wirb er ni4t fo lang atd mir gef4eben, 

®ie Süße jappelnb, bäupttingd eingerammt, 

Stit glüb’nben getfen feftgepflanjt hier {leben; 

2>enn 4m folgt ®er, beü ®bun no4 mebt derbammt, 

©in ^irt don ©eflen, ein gefefclod SBefen, 

©er mi4 unb 4n bebedet beibefammt. 

©ein Sadbfolger, Startin IV. (1281—1285), derweilt im 
gegefeuer in ber Abtbeilung ber ©4lemmer.**) 

®en f4wa4en ©öteftin V., ber 1294 auf ben päpfttidben 
©tubl erhoben würbe, aber bur 4 ben ©arbinal ©enebict ©aetani 
fidj überreben liefe, f 4 on na 4 fünf SJtonaten abjubanlen, treffen 
wir unter ben ®b aiett tofen im Sorraum ber $ötte, unter benen, 
bie Weber @b re ©dbanbe auf ©rben erworben unb bie baher 
bie £>ötle wie ber ^immel don ftdb ftö|t (^ötte 3, 60): ein 
ftoljer Audbrud ber abfotuten Seradjtung, mit wetdb« ®ante 
auf folcheit Sabifferentidmud h^rabblidt 

gür ben ®i 4 ter hatte ber tttüdtritt ©öleftind nodb bie be^ 
fonbere ©ebeutung, bafe baburch ber Staun auf ben päpftüjhen 
Stuhl lam, bem ®aute einen großen %f )eit bed Ungtüdd feined 
Bebend beimißt: ©ouifaj Vin. 

Ueber feinen ffJapft hat er fo ftreng unb h cr & genrtfecilt 
wie über biefen. ®r nennt ihn bad fünbige $aupt, bad bie 
SEBelt derbreht (gegefeuer 8 , 131). ®r nennt ihn bad §aupt 
ber neuen {J3hanfäer unb tabelt h e ftiö ben 3Jtißbrau4 feiner 
3Jta4t, iubem ©ouifaj gegen bie ihm derhaßten ©otonnad einen 
förmlichen greujjug prebigte, unb um ben (Segner in feine 
©ewalt ju befommen, bem tttathe eined böfeu tttathgeberd folgeitb, 
diel derfpra 4 unb wenig hielt, atfo fidf) wortbrü 4 ig jeigte (^öfle 
27, 85 ff.). Unb fo f4eut ®ante ß4 ui4t/ fetbft bem Apoftel 
^etrud bie SBorte in ben 3 Runb ju legen, mit bencit ©ouifaj 
gerabeju dernichtet wirb (fßarabied 27, 22 ff.): 

©er Ufurpator bort auf meinem ©b rotte r 
Auf meinem ©h ron / auf meinem %tym, ber leer 
©teht dor bem Angeß4t don ©otted ©ohne, 

3um fßfuhte doller ©tanf unb ©tut hat er 
©ntweihet meine ftuhftatt, baß fi4 brüber 
©er Arge freut, ber fiel dom Fimmel her. . . 

Stein ©tut, Sinud unb ©tetud ©tut, ed rau4te 
9ti4t baju für bad §ei( don ©hrifti ©raut, 

©aß man ju ©elberwerbe fie mißbrau4te. 

Sein! baß fie biefed heitre Beben f4aut’, 

£at ^ßiud, ©ijt, Urban, ©alijt — fie alle 
©ie ©rbe weinenb mit bem ©lut bethaut. 


*) Sicotaud III. war ein Drfini unb forgte für feine gamilie (bie 
„Aärlein"), iftbem er ße ju hohen ©ürben bra4te unb rei4 ma4tc. 

**) gegefeuer 24, 20: 

ber hinterbrein, 

©er an Abmagerung befiegt jebweben, 

©4toß einft im Arm bie heilige Äir4e ein. 

©r war aud ©ourd unb hat hier abjubienen 
Aotfenad Aatgeri4t unb gimemein. 


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Nr. 10. 


158 


Die degenmiirt. 


Unb untre Abficht »ar in feinem gaffe, 

Dag rec^td bon unjerm golger ffig’ ein Dheil 
Del (ShriftenbollS, ein Dheil nad) linll lpn falle; 

ba| ben Sdjlüffel, mir vertraut jum Heil, 

Auf einer gähne, mit ber man Getaufte 
Brlämpfte, man all ASappen trüge feil; 

Rid)t ba| mein SUb all Siegel auf erfauftc 
Unb lügenhafte Siechte fei gefe|t; 

Drob ich errdthenb oft fchon gunlen fc^naufte, 

A8ir fetjen hier im ^irtenfleibe je|t 
Raubgierige S3ölf’ auf allen SJeiben blinfett. 

€ ©ottel Schul, »al ruhft bu bis 5 ule|t! 

2Rit einer gettriffen ©enugthuung begrübt Dante baher bie 
©rniebrigung, »eiche ihm burch ben Schönen bon granf; 

reich ju Dh*tf »urbe, ber ben Sßapft jum befangenen in Abignon 
machte, ©o fehr auch auf ber einen ©eite biefe ©ettmlttljat am 
Dberhaupte ber ®h*iftenheit bei Dichter! Som erregt, fo fehr 
betrautet er fie auf ber anbern all bie gerechte ©träfe ©ottel.*) 

Rieht biel beffer all Sonifaj fommt fein Rachfolger Siemens V. 
fort. 3h» ftempelt er ju einem SSerräther an ßaifer Heinrich VII., 
an »eichen Dante betanntlich bie größten Hoffnungen Jnfipfte 
(ißarabieS 17, 82). Auch ihm »irb bie Cerftopung in bie 
Hölle, »ie ben ©imoniften, bom Dichter propheaeit. ffjarabiel 
0, 142 ff.: 

Dann toirb bei göttlichen ©eridplhofl ®rbe 
Sin SRann, ber offen nicht noch heimlich beult, 

A3ic er gleich jenem Shr* unb Ruhm erwerbe. 

* Rur furje Seit im Amt §u fein berhängt 
3hm ©ott, bann pöpt er ihn §ur finftem Seit, 

Ato Simon SRagul feine Straf* empfangt, 

Drob tiefer noch ber bon Anagni fällt.**) 

SBie bie ©pi|e- ber ffihmfienheit fiep biet ©chlimmel au 
©chulben fommen läpt, fo aud) bie ©eiftlicpfeit in ihren ber; 
fdjiebenen Rangftafen. 

Sil Seifpiel eine! fanatifchen IKrchenfürften führt Dante 
ben Sarbinattegaten Sartolomco fßignatelli, Srjbifchof bon Sofenja, 
an, ber bie ©ebeine bei im Sanne geworbenen $önig EÄanfreb 
toieber aulgraben lief}.***) Hfl Seleg einel bertoeltlichten uub 
oon ?ßarteileibenfehaft beherrfchten Sifdjofl fann einerseits ber 
Sr}bifchof Ruggieri, ber ©egner UgolinoS, gelten, ber mit biefem 
jugleich all Serrüther im neunten ^öDcnfrcifc gepeinigt toirb 
(Hölle 33); anberfeitl ber ©ifchof bon geltro, ber politifdjen 
^Sarteijmedfen ju Siebe barbarifch an ben Sewopnem bon gerrara 
haubette. 

©reit müpte fein bie ABanne, bie empfangen 
Sofft* all baS ©lut ber armen gerrarefen; 

AJer’S tothtoeil wög’, ihm toür’ bie Äraft entgangen, 

Dal ©tut, baS biefer ©faff, Mel gütige ASefen, 

Rur ber Partei au Sieb’ berfchenft; hoch lennt 
9Ran bort au Sanbe ©oben fo ertefen.f) 


*) ©gl. gegefeuer 20, 85 ff. 82, 149 ff. 

**) »0l. Höffe 19, 82 ff. 

***) gegefeuer 8,124 ff. fagt Htanfreb: 

Hütte SofenaaS §\tt, ben fammt bent Schtoarme 
Sternen! auf mich gehe|t, a«r Stunbe hoch 
Die ©ibel recht getefen — ach! baS arme 

©ebein bon mir lag’ an bem Srfidenjodj 
$on Senebent, gefchirmt bon bem ©ewichte 
©ehäufter Stein’, unangetaftet noch. 

t) $arabiel 9, 52 ff. 

(6dUu| folgt.) 


JUts btt «ÄattptflaM. 
din neues Otlb (Carl dnffotos. 

Unter ben ©ilberu, bie toährenb ber borjührigen Aulpeflung grageu 
anregten, ftanben, neben ber SötfÜn’fchen „SReerel=3frbfle", bie Arbeiten 
bon Sari ©uffo», namentlich „bal S?ü|chen" unb „ber Slumenfreunb", 
obenan. Sin bon bemfetben Äünpler herrührenbel, feit Äußern in ber 
(Sommanbantenprage auSgefteffteS Porträt, bringt biefe gragen toieber 
in (Erinnerung. 

Silber betreiben ifl immer migtich, am mißlichpen ein Porträt. 
3n einem Sorgenftuhle, beffen für bie Sequemlichleit noch nicht auS- 
reichenber Sulfierung burch ein in ben Rüden gehobene! Schlummer* 
liffen bon echteftem ©erliner SRufter nachgeholfen tourbe, fi|t eine ©roß* 
mutter bürgerlichen Stanbel. ©ine weiße Haube auf bem »eigen Haar, 
eine fchtoarje Spi|enmantiffe über bem fauberen Haullleib, bie gichtige 
Sinle, tote ängftlich bor einer fchmerahaften Berührung, halb aulgejlrerft 
halb toieber aurüdgeaogen, baau ber Rhinb mit einem Hnflug oott Strenge 
gef^loffen, erfcheint fie all bal Rtufterbitb einer auf Orbnung uub 
Hccurateffe haltenben alten grau, bie bal Seben lennt unb ber ihre Hn* 
gehörigen immer nach & e n Hugen fehen, »eit fie unberechenbar in jenen 
„Sympathien unb Antipathien" ift, bie belanntlid), ohne Unterfchieb 
bei SebenSalterS, bie SiebüngSbomüne bei »eiblichen ©efchlechtS bilben. 
Da! ©aitje, nach Art aller guten Silbniffe, ebenfo aulgefprochen Sortrat 
toie DypuS. Dabei nicht nur bon einer fetbft bem Saienauge fühlbar 
»erbenbett 2)?eifterhaftigleit ber Dedjnif, fonbern auch bon einer affer= 
fpecipichften ©igenart. Ric|tS bon Diaian, nicht! bon Sanbyd; leine 
Antlünge, fein n a la“; affe! eigenfter ©uffo». 

SBärc bie! ©ilb um ein halbe! 3 a h* früher, atfo noch rechtzeitig 
für bie groge Aulfteffung beenbet »orben, fo »ürbe balfetbe bamalS 
fchon all ©orrectib für bie Urteile haben bienen lönnen, bie über ©uffo» 
laut »urben. Diefe Urtheile, »enigften! bei RidjtungSgenoffen bon auf= 
richtigftcr Anerlennung, aum Dh e ^ fdbft bon Se»nitbetung eingegeben 
gipfelten nicht!befto»eniger in bem Sa|e: „SBer fo biel lann, mug 
mehr »ollen." Diefem Sa|e bamall auftimmenb, ntug ich öoeh h e ute 
belennen, bag id) ih«/ bal gewöhnliche Sool aaff^b^rr ©entenaen, 
mehr geiftpoff all treffenb pnbe. Unterfuchen »ir i|n näher. 

„ffBer fo biel lann, mup mehr »offen." ©nt. Aber »a! will 
©uffo»? @r toiff, ich »üh* c mit Sorbebacht biefen Aulbrud, bie 
»ahrheitlboffe A3irlli<hteit ber Dinge, unb auf ber $unftl)emifphäTe, 
auf ber nicht nur er, fonbern mit AuSfchlug einer berfchwinbenbett 
Minorität auch baS gefammte Serliner ^üitplerthum au Haufe ift, ift 
ein „SRehr" bei Stoffen!, eine h^hrr geftefftc Aufgabe überhaupt nicht 
benlbar. Die Rieberlönber, »enn fie bor einem Denier!, SRieril, Oftabe 
panben, »erben bon einem SluS ober SRinul bei (Erreichten, aber nie 
bon einem SluS ober SRinuS bei ©cwofften gefprochen haben. Dal 
©ewoffte »ar eben immer balfelbe. SBenn nun ben ©uffow’fcheu Silbern 
ber 76er Aulfteffung gegenüber, unb a»ar bon Seiten feiner greunbe, 
nichtlbepoweniger bie gorberung einel folgen „SRehr" laut »urbe, fo 
ift biefe SRehrforberung einfach all ber uncorrectc Aulbrud für ein gana 
in’! Allgemeine hinein angeregte! ©efüht grögerer ober geringerer Un^ 
befriebigtheit au nehmen, beffen eigentliche Storael nicht in bem gewollten, 
innerhalb bei Realismus gar nicht a« überbietenben 8i** c / fonbern 
in ben fpecieffen SRitteln unb SBegen au biefem S^le hin gefugt »erben 
mup. Dal gewollte, nicht au überbietenbe Siel ber Realiften »ar unb 
ift bie Ratur. SBirb biel 3i*l auf gerabem SBege, lauter unb unbeein= 
Pugt, erreicht, fo haben »ir et»al in feiner Art SolllommeneS, gefällt 
fid) aber ber Zünftler barin, auf feinem SBege, launenhaft ober rüdfichtl= 
lol, jene Sufäffigfeiten a« hegen unb au pflegen, bie meift fchon an ber 
©reua^ bei Unfchönen liegen, fo langt er fchliegiich bei einer Ratur an, 
bie öieffeicht noch all affertoirllichfte SBirllichteit, aber nicht mehr all 
»ahrheitlboffe SBirtlichteit gelten lann. Der oerllärenbe Sauber bei 
Äünplerifchen, jene! gkeatitütSmag, beffen auch bie bom fogenannten 
^gbeal - ftch abwenbenbe Schule nicht entbehren lann, ift auf bem A3 ege 
nach bem Siel berloren gegangen, llnb hier haben »ir ben $unlt, um 
ben el ftch hanbelt, augleich ben Unterfchieb a»if<hen bem je|t unb bem 
früher bon d. ©uffo» AuSgeftefften. SBährenb bie genrebilblichen Auf= 
gaben bei borigett Herbftel eine bieffeicht burch Senfationlhang, getoig 
burch Uebermuth bei ^raftbewugtfeinl getrübte Sbfung erfuhren, ip 


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154 


fli e (Stgritwart. 


Nr. 10. 


bie Aufgabe, bic pcp ber Äünßler in biefem Rrauenporträt ßeßte, in 
abfoluter Beinpeit geföff morben. $ie te^nif^e SReiperfcpaft tfl ge* 
blieben ober no4 übertroffen; aber e# feplt iene Braoout, bie fd)on 
©cpmefter ber Braoabe iß. 

U|tb nun nocp einmal: „Dtt getabe ©eg ift ber beße ©eg"; pier, 
in biefem Rrauenporträt, ff oben mir ipn. 3n ben ©eurebübern ber 
76 er &u#fteßung aber gefiel ß4 ber Zünftler barin, and bloßem ©bringe 
bebürfniß, au# $affion für Gräben unb Werfen, ftatt be# geraben ©ege#, 
ber grabe gerabe genug mar, ben „Sttcptmeg* ju nehmen, üon beffen 
gefüprli4en Boraügen in Saitb unb Seben 3^ ct &u# eigner ©rfaprung 
$u eraäplen rneiß, uttb auf ben fcpließlicp immer mieber bie ©orte be# 
Siebe# paffen: w Unb lommen meiter oon bent Siel." 

(Ep. ^ontane* 


#911 ben Sweatern. 

„Sftanfteb" oon Bpron, mit $R. ©cpumann# SRufil, im Statio* 
naltpeater. — „©enoüeüa", Oper oon 9t. ©d)umann, im Äönig= 
lieben Opempaufe. — $ie 3taliener bei ftroll: „©omnambula" 
Oon Bellini. — ©in ©lauben#belenntniß. 

(Sin eigentümlicher, ju oielen Betrachtungen anregenbet Sufaß 
beachte in bem htr&en Sü’ifchenraum oon fech# Xagen ba# SMobrant 
„Stoutfreb" unb „©enooeüa" oon ©chumann §u ©epör, bie einzigen 
©erle, bie ber große SReißer für bie Bühne getrieben hatte; unb al# 
ftärlßen ©egenfap eine Oper be# einzigen Ualienijcben ©omponißen, ber 
ben tarnen eine# Iprifchen oerbient, obgleich er nur für bie Bühne ge* 
mirlt hat. 

$ie ©ompofition ber SRußl ju „SRanfreb" unb bie Boßenbung ber 
Oper „©enooeoa" fallen — nach ©chumann# eigenem oon ©aßelem#fp 
unb SReißntann angeführten Beraeicpniffe — in ba#felbe 3 a h r 1848 - 
Offenbar maltete bamal# in bem eblen SReißer ber $rang, feinen muß* 
lalifcpen ©mpßnbungen, bie er bi#her in Iprifchen ©rgüffen lunbgegeben, 
burch bie Bereinigung mit bramatifepen ©eftalten unb (Bitnationen, 
bur<h bie ©runblage einer beftimmten ftanblung, eine feftere, abgc* 
fchloffenere, gebrüngtere Rorm au geben. Unb^roa# that er au biefem 
Swcde? (Sr mäplte ben ©eg, ber anfeheinenb bem 3i c ^ am nücpßcn 
lag, in ber Spat am meiteften baoon ableitete, Sfoßatt im ©roßen unb 
©anaen $u jeiihnen, in fWarfen Umriffen fefte ©eftalten pinaußeßen unb 
ben ©inaelpeiten nicht mehr ©orge au mibrnen, al# eben bie ©emanbuttg 
erheifchte, mar er faft üngßli4 befliffen, jebem einaelnen Satte feine 
befonbere bramatifche Bebeutung ju geben, überall bie feinften tnufila* 
lifchen charafteriftifchen 3üge unb Rärbungen anaubringen. ©o entftanb 
ein ©ebilbe, intereffant unb ebel mufifalifcß in allen einzelnen Speilen, 
geßaltung#* unb mirhmg#lo# im ©an&en; je näher mau ihm fleht, um 
befto mehr bemunbert man bie Reinheiten ber einzelnen je 

meßr man #urüdtritt, um eine Ueberficpt über ba# ©an&e au geminnen, 
um befto mehr oerfchmimmen bie ©eßalten. 3*u Siatmer am ©laoier, 
mo man bie einaelnen ©tücfe mit SRuße unb SRupe ftubirt, erfcheint 
„©enooeoa" ber ©chönheüen poH; aber auf ber Bühne aieht fic oorüber 
mie ein Slebelbilb, ba# mir bemunbem, mährenb e# aerffießt. 3u ber 
Oper ift bie Unmiltelbarteit unb Beftimmtheit be# ©inbrude#, bie 
©rregung parier Slffecte eine ber #auptbebingungen, menn nicht bie 
erfte; ob biefe Effecte auf reinere ©mpßnbungen aurüdaufüpren finb, 
ober fie eraeugen — je nachbem man aprioriftifch oon ber „Rbee" gu#* 
geht, ober bie Rormen juerft fept unb bie 3been folgen läßt — ift eine 
ethifche Rrage, bie mit ber äßpetif4en Äunßfxage in birectem Qu: 
fammenhange nicht fteht; biefe oerlangt oon bem Srama oor Slüem 
Bemegung, ©anblwtg, ftnnlichen ©inbrud; folche# a u eraeugen oermag 
nur bie fpecieüe bramatifche ©eßaltung#traft be# S)icpter# unb ©ompo* 
niften. Slun mar ©chumann unoergleichlich int lhrtf<p=romautif4en 
©chmunge unb im bramatifchen Sfccente be# Sfebe#; aber aur Oper fehlte 
ihm bie fpecieße Begabung; er ift bramatifcher in manchen feiner ©la* 
pierftüde, al# in ber „©enoüeüa", ja er iß noch bramatifcher felbp im 
„SRanfreb", in meinem er ber SRußl hoch nur eine mitrnirlenbe, öfter# 
nur begleitenbe Stoße auertheilen tonnte, ©einer lünplerifchen 3nbioibua= 
lität nach mußte ©chumann eigentlich eine Oper „9Ranfreb" componiren, 
unb eine poetifche ©raöhlung ,,©enooeoa /# melobramatifch behanbeln. 
5)ort ip bet #etb eine 9tatur, beren mechfelnbe ©timmungen ber SKuftl 
ba# meitepe Reib öffnen; bramatifche Stebenpguren ließen erfinben. 


?lber bie immer pd) gleich bleibenbe pafpoe ©enooeoa ift leine Bühnen* 
gepalt; nirgenb# bietet pch ein tragifcher ©onffict, nirgenb# ein brama* 
tifcher ©egenfap. SKanfreb ift bei allen SRängeln in Beaug auf brama* 
tijehe ©rpnbung — Bpron mollte ba# ©tüd gar nicht auf bie Bühne 
bringen — eine Dichtung oon haftet ©djönheü, mohl geeignet einen 
•Xonbichter im ebelpen ©inne be# ©orte#, mie ©chumann, au begeipern. 
$)ie SWufil enthält neben einaelnen ©chmächen oiele muuberbare ©teilen, 
einige, bie für fich allein baPehen. Die Ouoertüre ift aübetannt unb 
eingebürgert, über pe braucht nicht gefprochen au merben. S)er ©efong 
ber oon SRanfreb hwaufbefchmorenen ©eifter ift oon großartiger 2Sir= 
tung, meniger bagegeu ber Rluch, beffen gemaltige ©ebanlen leine äRupt 
unmittelbar miebergeben lann. &uch in ber ©eene, mo ÜRanfreb bie 
3llpenfee rup, reicht bie 9Rufit ni^t an bie unoergleichliche ©<hönh«it 
ber Berfe hinan; fie h<*t mehr oom luftigen, lupigen ©Ifenreigen, al# 
oon jenem „unirbißhen ©lanae^ ber ©dhönh^it, oon jener „©eelenruhe" 
ber Unperblichen, bie üRanfreb preift. Brachtooü Hingen bie ©höre 
ber um ^hritpan oerfammelten ©eiffer. 2tber ba# ^öchfte bietet bie 
Snrupmg oon Slparten# ©chatten burch üRanfreb; biefe nur melobra* 
matifche, oom Orchefter au#geführte ©teile gehört au ben fchönpen ©in* 
gebungen, melche einem Xonbichter je oerliehen morben finb. ©ine un* 
bephreibüche ©ehnfucht, eine unoergängliche ©chönheit ber muplalifchen 
©mppnbung tönt au# biefer leifett Btelobie — unb mer pe einmal oer* 
nommen h a * bei ben ©orten Btanfreb#, ber lann an biefe nie mehr 
beulen, ohne baß jene in feinem Runern miterllinge. 

#ier ift auch ber geeignete Ort, ber gana ooüenbeten ßeiftung 
be# $erm Hoffart au gebeuten, beffen Sftanfreb eine ©chöpfung ber 
©chaufpießunp genannt merben lann. 34 h*be mich oor 3*4**« 
ber Dichtung Bpron# oiel befchäftigt unb Blanche# barau# für ben 
eigenen geiftigen ©ebrauch überfept; nie Oermochte ich mir einen rechten 
Begriff oon einer fcenifcheu Borführung berfelben au bilben, nie mir 
benten, mie ein ©chaufpieler ben Btaufreb, ber faft nicht eine Btinule 
lang oon ben Brettern megbleibt, barpellen foHte, ohne entmeber in 
falte# rhetorifche# Batpo# ober in minfelnben Qammerton au oerfaüen. 
$err Boffart hbemiefen, baß biefe unenblich fchmere Aufgabe gelöp 
merben tonnte. Sllferbing# erleichtert ein herrliche# Organ unb einneh' 
meube ©rfMeinung bie Aufgabe! Äber. mie fanb er auch bie richtigen 
Accente für jeben Effect — ba# ©efpräd) mit bem alten 3&ger — bte 
§lnrebe an bie Sllpenfee — befonber# aber bie Anrufung ber geliebten 
sparte maren Äunpleipungen, mie pe fchöner nicht gebacht merben 
fönneu. 3*ber Tonfall ber ©timme fdpmiegle fich <*u bie Begleitung 
be# Orchefter# an, baß Siebe unb SRufif in ungeahnter Harmonie au* 
fammenffoffen. $aß ihm ber begeiftertfte 3uruf be# Bublicum# Beug* 
ntß gab oon ber richtigen ©ürbigmtg, braucht mopl nicht erp berichtet 
au merben £er tünftler marb oortrefflicß unterpüpt oon Rräulein 
Bognar (Sllpentönigin), ben sperren Äreuptamp (3äget) unb Benba 
(Bbt), bie pch Sille ber menig banlbaren Aufgabe ihrer Keinen Stoßen 
mit Siebe untersagen. Die ©höre maren #u fepmach befept, bie Ber* 
liner ©pmphonie*©apelle unter #errn Blairnpebt’# Seitung tpat 
ihr Beße#. ®ie Borfteßung, mel^e aum Bepen ber Unterftüpung#taffe 
be# Berein# „Berliner Breffe" pattfanb, mar überau# ^a^rreic^ befuept. 
Da # fepr große Bationattheater mar gana gefüllt. 3)aS Bublicum aeigte 
fiep tief angeregt üon ber Dichtung unb 5)arpettung. 

©a# nun ©cpumann# Oper „©enoüeüa" betrifft, fo bietet fepon 
bie 3ufammenftellung ©iberfprücpe, melcpe auf bie ©oiflpoßtion aurüd* 
mirlen mußten. $e# eblen ©cpumann# tiefe#, fo reept beutfepe# ©emütp 
mußte pch angeaogen füplen oon einer ©raäplung, bie au# bem inner* 
ften Äerne be# beutfepen ©efüpl#leben# perborgegangen ip. Ob nun 
ber ©toff an unb für pch überhaupt au einer bramatifepen §anblung 
oon üier Sieten oermenbbar ip, foß fyex gar niept erörtert merben — 
aber peper ip, baß bie# ©enooeoa*$rama, ba# ^ebbel gefepaffen pat 
unb melcpem ©cpumann bie rneißen ^peile au feinem Dqctt entnahm, 
am aßermenigpen aur ©runblage einer Oper paßt. Denn $ebbei pat 
bie naioen ©paraltere ber ©raäplung, bie, ein jeher in feiner ©ilbpett 
ober ©anftmutp, Siebe ober Jpaß, Stoppeit ober Reinfüpiigteit immer 
mapr unb überaeugenb baPepen, nach feiner beliebten Stornier au foge* 
nannten pfhcpologifcpen Btoblemeu umgemanbelt, bie jebodp nur 8err- 
bilber ber fcplimmften Sirt finb, au# benen fein SRupler etma# für feine 
ftunft perau#pnben lann. 34 »iß pter gerne eingeftepen, baß icp gegen 
Hebbel ooreingenommen bin; bie Dramen biefe# 2)i^ter# gepören §u 
ben menigen ^unperaeugniffen, bie mir jebe SRöglicpleit ber Objectioitöt 


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Nr. 10. 


155 


# i t 9 1 g t n m it r t 


nehmen. Mich überlam bei ben phüofophißhen Debuctionen be« #olo-' 
ferne«, be« Aerobe# unb bet gangen ©efeflfdjaft in „Maria Mag* 
balena“, in biefen Vewetfen für bie fittlidje 9tathwenbig!ett ihrer Un¬ 
natur („fair is foul and foul is fair“ fingen bie $egen in Macbeth) 
immer eine fo üble Stimmung, baß id) gern auf jebe« weitere Moti* 
biren bergid)te, nnb bereit bin, ein etwaige« Urffjeil: „ich berßänbe 
#ebbel gar nicht“ willig unb ruhig über mich ergeben gu laßen. Die 
lietFfdje „©enobeba“ ift mir nicht mehr gang gegenwärtig; ich glaube 
aber beraubten gn bfirfen, baß Died, obwohl fein Dramatifer unb boit 
Verßhrobenheiten nicht gang frei, bennoch bem beutfehen Mejen ber 
urfprünglid)en ©rgählung ltnenblich näher geßanben h<*t, al« $ebbel. 

3ß ei nicht gang metfwürbig, bah in biefet Oper bie $auptperfon, 
©enobeba, bie eingige gang reine ©eßalt, eine untergeorbnete Stoße 
fpielt? 3m erßen Acte bleibt fte boüfommen paffib, ©olo, ein Äofce* 
bue’fcher Vöfewicht, unb feine würbige Spießgefeßin, Margarethe, ßehen 
im Vorbergrunbe. gm «weiten Acte llagt fte in abgeriffenen Sä|en, 
währenb hinter ber Scene wilber ©efang ber Änechte erfdjaßt; fie fingt 
mit Solo ein Voß«lteb, ba« mit ber eigentlichen #anblung nicht im 
Snfammenhange fteht, bann erhebt fte ftch einen Moment gut §elbin, 
al« fte bie Merbtmg bei ©lenben baburdj gurüefweift, bah fte ihn einen 
„ehrlofen Vaßarb" nennt; bann fingt fte ein furge« ©ebet; in ber Schluff 
feene berfchwinbet ihre Sßerfon unb ihre Vitte unter bem ©ejohle bei 
©efinbel«, ba« in ihre Schlaffammer bringt; im britten Acte erfcheint 
fte gar nicht, erß im bierten gewinnt fte bem 3ttf<h<tti* r 3utereffe ab, 
al« fie gebulbig unb gläubig in rührenbem ©ebete gu bem Mutter* 
gotte«=Vtlbe nm ftraft unb Rettung fleht. Daß Schumann gu folgern 
Dejte fo biele« Schöne unb ©bie fchuf, geugt bon bent unerfdjöpf liehen 
Vorne feiner Begabung unb feine« ©emflth«; bah bieMufit (ehr wenige 
bramatifche Momente bietet liegt aber nicht im Dejte allein, fonbern 
auch in Schumann«' fünjtlerifeher, borwiegenb beutfchHprifcher Statut. 
Unb bah gar Manche« in biefer Mttfif, bah bte Veljanblung be« Dejte«, 
bie Dheilmtg ber Melobie gwifchen Stimme unb Crcheßer, ja manche 
Harmonie unter bem unbewußten (nicht h*tlfamen) ©inßuffe SBagner« 

entftanben ift, behängte nicht ich, fonbern-#an«licf, gewih ein um 

berb&chtiger Beuge, ein wärmfter Verehrer Schumann«, fein greunb 
Hkgiter«! Möge ber Sefer, ber ftch für ba« hier befproeijene Merl unb 
für bie bamit gufammenhängenben fragen intereffirt, ja nicht oerfäumeu, 
$an«lid« meifterhaften Artilel über ,,©enobeba“ in ber „mobernen Oper“ 
nachgufchtagenl ©r enthält golbene Sprüche nach jeher Dichtung h^ n - 
Vei ber Prüfung ber eingelnen Dheile ber Oper ift guerfi bie Dubertüre 
herborguheben, ein wunberfchöner, fpmphonifch gehaltener Sab, in wel¬ 
chem aber ba« ©haralterißifche ber „©enobeba“ ebenfo fetten bertreten 
ift, al« in bem Dejte. Man erinnert fich unwtßlürlich an eine Ouber* 
türe eine« anbern romantifdjen Donbidjter«, an bie gum „greifchüg“; 
wie tritt in bem Mittelfaße plöfclich ba« Vilb Agathen«, ber deinen, Sieb* 
liehen, bor unfere ^hontafie; ja ba« muh fte fein, feine anbere! ©in 
folcher Moment fehlt in ber Oubertüre gu ©enobeba. 2(1« „abfolute«" 
Donßüd ift fie ein Meifterftücf; al« Vorbereitung ber bramatifchen 
Vorgänge übt fte feine Mirfung auf bie Stimmung, wie bie gum grei* 
fchü|, gum Obenm. (Afletbing« lann bie« auch oon ber E-dur-0uber* 
türe gum „gibelio“ gefaßt werben — aber ba« anbert nicht«.) Der erfte 
©hör ift fehr ebel gehalten; man erwartet, wa« ba tommen fofl. Die 
erfte VCrie ©olo« ift eine ber wirffamften Hummern; bagegen ift fein 
Duett mit Margarethen wenig prägnant. 3tn gweiten Acte tritt guerft 
ber ©efang ©enobeba« in ben §itttergrunb bor bem wüftem ©ejohle 
ber Sfriappen, ba« bießeießt gröbere bramatifche Mirfnng ergielte, wenn 
e« weniger oft wieberfehrte. Da« Duett gwifchen ©enobeba unb ©olo 
enthält eine $erle, ein Stüd, wie e« eben nur Schumann tonbichtete 
ba« Heine Sieb: „ÜBenn ich ein ^öglein wär.“ Hber bei aller Vernum 
benag für biefe« Stücf barf nicht bergeffen werben, bah e & nicht gur 
Cpet felbft gehört, fonbern al« Iprifche ©pifobe wirft. Die unmittelbar 
barauf folgenbe leibenfdjaftlich bewegte Scate, ber Menbepunft ber $anb- 
lang, geht faft fpurlo« borüber, gleich bem Siachefchwur ©olo«. Da« 
0ebet ©enobeba« ift herrlich. Da« finale weniger herborragenb. Der 
britte Ätt ift, bom Stanbpunft bramatifcher Mirlfamteit betrachtet, 
ber bebeutenbfte. Die männlidh fräftige ©eftalt be« ©rafen Siegj rieb 
bilbet einen wohlthuenben ©egenfab alT ber nichtönufcigen Vurfche, bie 
man bi«her gefehen, unb ift auch *om ©omponiften mit Siebe behanbelt. 
(3tmt Ärie ift eine wahre greube; ba« Hingt marfig unb entfehieben, 
nicht giübelnb ober überfchwänglich. Huch bie Scene bei Margarethen 


unb bie 3<*ubererjcbeinuugen finb wirffam; nur ber Schluh. ber unglüd« 
felige ©eift Drago« unb fein 3tmcgefprä<h mit ber ^e^e, bann ber 
flammenbe ^olgftoh, welcher bem $ertn Mafchiniften einen wohloerbien^ 
ten §ert>orruf eintrug, wirfen ftörenb. Der lebte Hct, in welchem ©eno¬ 
beba enblich al« bie wahre Drägerin ber ^anblung erfcheint, ift wunber- 
barer Schönheiten bod, bebarf aber gut bollen Mirffamleit einer Äürgung 
am S^luffe. Huch er enthält eine echt Schumann’fche ©pifobe, ba« 
Sch*Imenlieb ber beiben Rechte, bie ©enobeba töbten follen: „Sie h<*t= 
ten Veibe ftch h^tich lieb, Spipbübin war fte, unb er ein Dieb.“ Da« 
©ebicht felbft ift, wenn ich nicht fehr irre, * bon §eine, ber Scene wiü= 
fürüch einberleibt. Von hier ab jeboch ift eine immerwährenbe Steige^ 
rung bi« gum Schluffe, ber, wie fchon angebeutet, bei einer flehten Äür- 
gung noch bebeutenber wirten wirb. — gaffen wir ba« Urteil gufatm 
men: ©enobeba ift eine eble, ho«h intereffante Äunftfchöpfung, feine 
Oper. Die Aufführung war im ©angen eine fehr gute, grau Mal= 
linger in ber DhelroKe entfaltete im bierten Hcte einen ebenfo frönen 
wie eblen ©efang, $err Vep begauberte wie immer burdj ben SBohl 3 
Hang feiner Stimme, gräulein Vranbt (Margarethe) unb $err ©rnft 
(©olo) untergogen fich ihrer fc^toeren unb nicht bantbaren Hufgabe mit 
Eingebung. Da« Orchefter war bortrefflid). Der 3ntenbang gebührt 
aufrichtiger Danl für bte Vorführung ber Oper, unb für bie Sorgfalt, 
welche fie ber Hu«ftattung wibmete. Sie h fl * eine ©hrenpflicht erfüllt 
gegen ben herrlichen berewigten Donbidjter, ber im Seben nicht bie ge* 
bührenbe Mürbigung gefunben unb erft je|t im bollen ©lange eine« 
Wahren, tiefinnerlichen beutfehen Zünftler« bafteht. 

Unb nun mit einem gewaltigen Sprunge — bon ber „©enobeba“ 
gur italienifchen Opemgefeßfchaft bei £roH, bie in ihrer Hrt al« ein ©r* 
eignife gu begegnen tft, weil fie bollenbete Äunftleijtungen be« 
©efange«, be« „bei canto“ bietet. Der Verfaffer h<h bi«her nur 
Veßini« „Somnambula“ gehört, unb wirb wahrfcheinlich nur noch bie 
„Puritaner“ hören; unb gwar au« bem ©runbe, weil er für Veßini be* 
fonbere Vorliebe hegt, unb ihn al« ben eingigen wahrhaften Spriter 
gtalten« betrachtet Dag bie Aßegrojä^e be« leiber fo jung geftorbenen 
maestro oft recht fd)wach unb tribial finb, iß ihm nie entgangen. Aber 
finb benn bie Aßegti bonDonigetti unb Verbi fo üiel bebeutenber? Die 
$olfa ber beiben gelben im Veltfario, bie Dattgmufif, nach Welcher ber 
Droubabour ben Dbb feiner Mutter beweint unb bie Aflegri, in welchem 
©ntani unb bie $elbin ihre Siebe unb Seibenfchaft auSftngen, ftnb 
wahrlich auch nicht biel beffer al« bie Veßini«. Dagegen waltet in 
feinen Anbante« eine füge, eble Schwärmerei, wie in ben fünften 
Sonetten Vtfrarca«, mie man fte in Donigetti unb Verbi berge* 
ben« fucht. Da« legte ginale ber Starma, bie Denorarien in ben 
ritanem, bie ginale be« 2. unb 3. Hcte« ber Somnambula enthalten 
Melobien bon fünftem ebcl*ftmtU<hem M oh Haute. Maprlich „nicht ohne 
einigen ©ott“ finb fie entftanben! Ma« nun bie Audführung ber ita= 
lienifchen Äünßler betrifft, fo lann er nur fagen, bag in ihren Seiftungen 
bie Äunß be« ©efange« bie höchßen Driumphe feiert. 2Udj>t bie Schön¬ 
heit ber Stimmen aßein wirft hier, fonbern noch mehr bie boßenbete 
Veherrfchung ber gortn. Sfcie hört man ben Hnfag be« Done«, fonbern 
nur immer ben im $iano wie im gorte gleich boßen unb frönen Don. 
9lie bernimmt man mühfame« Atemholen, fchwerfäßige«, unfichere« 
Uebergehen au« einem ßtegifter in ba« anbere, immer nur MohlHang, 
Feinheit, Klarheit, Sicherheit. Unb welche« Mag im ©ebrauche ber 
©oloratur, welche geinheit in ben Keinen Vetgierungen, welche Seich= 
tigfeü be« Drißer« ber Säufe! Die Meßenlinien ber fchönen gormen 
tauchen au« folchem ©efange herbor. Die Vrimabonna, Jfräulein ©er* 
ßer, eine Deutjch-ltngarin, Schülerin ber grau Marcheft in Mien, eine 
noch gong junge Dame, lann fich fchon jegt ben aßerbeften beigählen. 
Sie befigt eine aitgexorbentlich weiche, biegfame, au«giebige unb boß* 
lomtnen au«gebilbete Stimme. 3h Y Vortrag iß faß immer ebel unb 
ruhig — unb wa« ihm an V-äruie fehlt, wirb längere ©ewohnheit ber 
Vühne gewiß noch berieten. 3hr fteht eine große gulunft bebor, möge 
fte bann auch ihrer beutfehen Abfunft nicht bergeffen! Ma« foß ich 
nun bon bem Vafftßen, ®erm Vagagiolo fagen? Der geneigte Sefer 
benle ftch, er ftge im Dheater. Oben auf ber Vühne erfcheint ein Manu 
in ©ehroef, in Unau«forechltchen, on benen eine golbene Seitenborte in 
Swetfel läßt, ob fte bon einem Ofßgier, ober ßunßreiter herrühren; mit 
bem gilghütchen auf bem Äopfe, einem Spagierftödchen tn ber $anb; 
hinter ihm ein Diener mit bem Mantelfade. Der Mann tritt bor, fingt 
eine gang einfache Arie: „3<h f e ^ e wieber ihr freunblichen 


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156 


9it «rgeitrotrt. 


Nr. 10. 


Orte, in benen icp bie Jage meiner gitgenb oerbracpt, ©utp fanb icp, 
bocp jene Jage finbe icp ni^t mieber." Stufig, einfach, opne heften 
ßngt er unb fepließt mit einer Keinen germate. Unb nun bricht in bem 
gefüllten häufe ein ©türm be$ VeifaffS loS, ber p«P niept legt, bis ber 
Zünftler bie tlrie mieberpolt! SluS ber ©rgäplung btefer Jpatfacpe mag 
ber geneigte Sefer pep baS Urteil über ben ©änger Vagagiolo bilbem 
©eniger ©pmpatpien tonnte icp für ben Jenoripen, ^errn SRarini, 
faffen. ®r fcpeint mir gu fepr ber ©epule (ober Unfcpule) VerbiS an= 
gugepören, gu oiel Äccente gu fucpen. Slber er fingt immer rein, ip 
iattpcper, unb felbft berühmte beutfdpe Jenoripen lönnten SRancpeS oon 
ipm lernen, %txm SRarini, ber afffeitig gerüpmt marb, pabe icp in ber 
©omnambuta leibet niept gehört. Sioep muß icp ber oortrefflicpen Jirec* 
tion beS $erm Veoiguani gebenlen, ber mit bem Ähroff’fcpen 0r* 
cpeper mtb ©pore maprc ©unber gemirtt pat: Steinzeit ber ©timmung 
unb richtiges 3ufammenf^iel! Sitten magren greunben ber SRupf, bie 
beS großen Sefpng Sepre befolgen: baß ber toaste ©efcpmacf pep über 
bie ©cpönpeiten jeber $rt oerbreitet, aber oon feiner mepr ©ntgüefen 
ermattet als pe gemäßen, alle biefe bitten mir, ja bie ©anberung naep 
bem Äroff’fcpen Jpeater niept gu freuen. 

©uep aber, ©uep frommen, gefinnungStücptigen Jugenfcbrebigenben 
SRuptern, Sepretn unb ©cpülern, bie 3P* bie Sepre üertretet, bie Shutp 
bepepe barin, baß man für bie ©lafpler fepmärme, in einem ©pore 
niept falfep ftnge, unb irgenb ein altes ©tücflein correct perunter fpiele: 
©uep rufe up gu: ©epet pin gu biefen Stalienem, fepet maS biefe Mnftler 
aus ipren Snprumenten machen, mie pe bie gorm, bie Jeepnit beperr-- 
fepen; lefet bann, maS ber eble SRenbelSfopn in feinem Vriefe an gr. 
grege (II. Vanb, ©. 463) über bie „abfepeuliepe, bumrne unb noep bagu 
affectirte Äälte" maneper beutfeper ©finget unb über bie italienifcpen 
©finget fepreibt; bann gept noep einmal pinauS gu Ärott, unb pöret jene 
ßünßlet aufmerffam an. Jann, menn 3P* begreifen m o 111, merbet 3pr be^ 
greifen, marum goadprn fo munberbar geigt, bie 58jährige ©cpumann 
noep fo perrliep ©laoier fpielt, bie gennp Sinb unb ©toefpaufen gar fo 
fcpön fangen. Jiefe großen bentfepen Äünpler paben guerß bie gange Jeeps 
ui! beberrfepeu gelernt, ©mit’j<pe Variationen unb fßaganinifepe Uebungen, 
Sifgt unb Jpalberg unb alle möglichen Sloulaben unb Äeplfibungen 
ftubirt unb auep oorgetragen; erft naep ber Veperrfcpung ber finn= 
liefen gorm paben pe fiep ipre eigene geipige, tünftlerifcpe gnbioibua^ 
litfit gebilbet, fiep geläutert, ipre ©efinnung als ©efep fepgepettt. 
©elp 3^r, baS ift ber richtige SBeg ber ^unp: Viel können, KtteS 
fennen, bann erfennen! SllleS Slnbere, baS principiette Vermerfen, 
baS Semen nad) ber ©c^ablone, ift nidjtSnupige, augenoerbre^enbe, 
tngenbgleißenbe ©eitc^elei, ein Ihinppfaffentljum, baS unten im Jljale 
SBattfa^rten oeranpaltet, ©ebete Verplappern läßt unb grimmig auf bie 
blidtt, bie oben auf bem Verge fidj luftig in freier Statur ergehn, unb 
ficV aucV ber finnlidjen ©enüffe erfreuen, melc^e pe bietet. JiefeS ^unfts 
pfaffentVum ift oerberblicVer als ber ©puiSmuS, ber ÄorpbantiSmuS, 
melc^er bie milben ©ebilbe überVipter ^ß^antafie als maßgebenbe Vor? 
bilber für baS ftunpgefe^ fpuftetten mifl. Jenn biefer trägt ben Äem 
ber ©elbpoernicVtung in fic^. Jie glgmme auf feinen Slltären ift nic^t 
bie lautere, immer reine ber magren Äunpfreube, fonbern eine aus ben 
oerfcViebenartigften ©toffen erzeugte; gefährlicher, je Vö^er pe lobert; 
einft mirb fie ficty felbft in bem Jempel oerjeVren, praffelnb mirb ber 
Vau jufammenftür^eu unb bie falfcVen ©öpeubilber ber ©inneSluft be= 
graben — leiber audfj manches ©roße unb ©c$öne, baS ber fpäte gor= 
fd)er emfig im ©c^utte fuc^t. Slber bie Heuchelei bleibt nüchtern, pe 
pfifft bie eigene Unfäpigfeit in ben Jugenbmaniel, pält fepöne Sieben, 
mie ber ^pariffier im Jempel, unb oergiftet ben gefunben $ern ber 
©innlicpfett, opite meiepe in ber Ihinft nichts gemengt mirb; pe fept bie 
SJtoral, bie ©epnnung an bie ©teile ber Äunftleiftung, bie ©orrectpeit 
au bie beS ©eifieS, frommes ©offen an bie beS bebeutenben Könnens. 
Unb leiber ©otteS paben auep eble ftfinplergemütper, melcpe fiep oon 
jenem ftorpbantiSmuS unmiffig abmanbten, ber £>cucpelei mifligeS Opr 
geliepen, unb ipr oerpolfen, baß pe über fßfrünben oerfügt, baß bie 
grömmigfeit ein gutes ©efepäp marb! Slber biefe $eucpelei eben fo 
entfepieben ju befämpfen, mie jenen ftorpbantiSmuS, pabe icp mir jur 
Aufgabe geftefft. Unb merh es ©uep, gpr ^unftpfaffen, 3P^ P«^t 
gans unabpfingigen Vtann Oor ©uep, ber pep eben fo menig um toopl- 
feile Popularität fümmert, mie um ©unp ober Ungunp ber ©roßen, 
mie um bie Protection ober bie gntriflu 61 * einPußreicper ©liquen. 
Perfönlicpe Slüdp^ten tenne icp ntept; ja niept einmal meine tünplerifcpe 


Steigungen Iaffe icp SRacpt über mein Urtpeil geminnen. 3<P P1 & P 
clafpfcp gepnnt bis $nr ©infeitigfeit. Vtein tfiglicpeS SJtorgengebet ip 
VacpS ©eplußepor beS jmeiten JpeilS beS ©eipnacptSoratoriumS, ober 
hfinbelS ©por auS 3 u baS VtaccabfiuS ,,©ir motten unS niept beugen' 4 , 
©araproS ©efang „0 3P^ «nb OpriS" unb ber erpe ©a| aus VeetpooenS 
aepter ©pmpponie, ©oetpeS ©epetmniffe, JanteS Umfcpreibung beS Pater- 
noper. Stber icp pabe mir ben ©inn offen bemaprt für HnbereS, ©nt- 
gegengefepteS, ja icp pabe großen Stefpect Oor ©agnerS ©enie, menn 
icp auep bem, maS außerpalb ber SRup! ©agnerS liegt, ferne pepe unb 
ftepen mill. Äetn Sieb greip mir in*S Sfrtvb mie ein ©cpubert’fcped, 
aber icp mar ber ©rpe, ber VrapmS Vtagettonenlieber bei iprem ©r* 
fepetnen jubelnb begrüßte, fomie icp mieber jept ben Jonmeiper als in 
einer UebergangSperiobe bepnblicp betraepte, aus melcper er mit nen« 
gepärlter, größerer Äraft peroorgepen mirb. SRit Vebauem fepe icp 
ben großen SRupfer goaepim eine einfeirtge SHcptung oerfolgen uub 
unbemußt bem ©pfoppantentpum Vorfcpub leipen; aber mit oottem ©nt- 
5 Üden laufepe icp ben Jönen beS unoergleicplidpen SReiperS, menn biefer 
ein Slbagio oon Veetpooen ober ©dpubert fpielt. Unoergeßlicp bleibt mir 
ber Vortrag ber Veetpooen’fcpen SRignon Oon grau goadpim (oor brei ober 
oier 3ap*en). Äber icp mar nie im Smeifel, baß bie große Stopferin !eiue 
umfaffenben teepnifepen ©tubien gemaept pat, unb baß ipre Stacpapmer 
unb Stacpapm er innen ipr eben fo menig gleicpen merben, mie ber gemalte 
Jpeatermonbfcpein bem mirfliepen. Unb mit maprer greube tonnte icp ben 
©efang ber Statiener genießen, meint icp auep bie SRufif niept öfter git 
pören oermöcpte. Unb meil icp mir bemußt bin, baS ©roße, ©cpöne 
unb ©apre auf jeber ©eite maprjuneprnen, bemapre icp mir meine 
ootte Unabpfingigfeit. 3<P bin bantbar für baS Sob freunblicp ©epnnter; 
aber icp mürbe meine ©epreibart auep opne biefeS Sob niept anbem; 
bie 3ußimmung Jerer, benen manepe meiner Unpcpten gerabe in ben 
ftram paffen, ip mir eben fo gleicpgültig, mie baS jomige ©etottere 
irgenb eines gelaprten JrutpapnS, ber feine ftt* eilten 

popen gelfen unb fiep für einen Slbler anpept. Jet ©tanbpuntt, ben 
icp bei meinem erften Ärtilel für bie „©egenmart' 4 burep VpronS ©orte 
be^eiepnet pabe, ip auep uoep peute ber meinige: „Ja icp ju teiner 
Partei gepöre, merbe icp teiner Partei gefallen, gmmerpin! SÄcine 
©orte pnb menigpenS aufrieptiger, als menn icp mit bem ©inbe 
fegeln moffte. // 

Unb nun tennt 3pe meine ©epnnungen! 

h* ©prlicp. 




JaS englifepe Parlament interefprt fiep mfiprenb feiner gegen= 
märtigen ©effioit pauptfäcplicp für bie orientalifd^e grage unb bie ©r= 
tunbigungen feiner SRitglieber naep biefem unb jenem Vorgang in ber 
jfingften Vergangenpeit ober ©egenmart nepmen tein ©nbe. 9Ran pat 
fiep op palbmegS melancpolifcpen Vetracptungen barüber pingegeben, 
marum mir niept äpnlicpe Jebatten im beutfdpen SieicpStage erleben, 
bie, fofort naep allen SHcptungen ber ©inbrofe telegrappirt, ber ©eit 
unb namentlicp ben granjofen geigen mürben, baß bieSfeitS ber ooge^ 
fifcpeit Verge auep noep Seute mopnen, bie etmaS oon fßolitit oerftepen 
unb bie ^Regierung in bie ©nge gu treiben miffen. SRan tröpete pep in 
ber Siegel mit bem ©ebanlen, baß baS heraustreten JentfcplanbS aus 
feiner burep bie Sage gebotenen gurüdpaltung ben grieben geffiprben 
tönnte. Jie ©aepe pat aber rnopl itocp anbere ©cpmierigteiten. HRan 
bente fiep auf einanbet folgenbe ©ipungen beS SleicpStageS, mo peute 
gepagt mürbe, ob unb mann fytxt oon ©ertper naep ©onpaittiuobel 
gurücttepren merbe; morgen, ob bie beutfepe Slegierung auf baS ©ort^ 
fcpaloff’fcpe Slunbfcpreiben fdpon geantmortet pabe unb melcpe Slntmort 
fie gu ertpeilen gebente? Sin einem anberen Jage mirb bie Vorlegung 
oon Slctenpüden beantragt unb halb barauf SlnStunft barüber erbeten, 
marum baS englifepe Vlaubucp einen Vericpt über bie Unterrebung 
©aliSburpS mit bem beutfdpen ^aifer, fomie mit bem ©rafen SlnbTaffp, 
niept aber über bie boep gemiß nidpt minber intereffante ©onOerfation 
beS englifepen Veooffmfidptigten mit bem beutfdpen SteidpStangler ent= 
palten, unb maS biefer Sorh ©alisburp gefagt pabe? 3Ran pelle 
folcpe gnterpeffationen unb Anfragen Oor, bie, ber ©Ute gemäß oorper 
angetfinbigt, bie lebpapepe ©pannung peroorrufen müßten. Jie VittetS 


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Nr. 10. 


Ute #e<jeinnari. 


157 


für bie Tribünen mären acßt Zage bor bet jebelmaligeit Styling oer- 
griffen. Oßne eine Compagnie Scßußleute lönnte bie Orbnung in ben 
Sugängen jum ©eießltaglgebäube taum aufrecht erhalten »erben. Zie 
©lütter aber mürben bie Zagelorbnung taum ab$ubruden mögen, fic^ 
aueß im ©oraul entrüßet geigen, baß folcße gragen bon neugierigen 
unb unberufenen ©erfonen in ber inbilcreteßen SEBcife geßeEt mürben. 
Zie ©laubücßer mären nießt nur unnüß, meil bie richtige Stoßrßeit boeß 
nid^t entßaltenb, fonbern fogar feßäblicß, erßenl für bal öffentliche 
Stoßl, jmeitenl unb inlbefonbere für bie Bettungen, bie allbann außer 
ben bielen englifcßen Zepefcßen aueß noeß §aßlreicße beutfcße abbruden 
müßten. Sueß intereffire fleh $iemanb für folcße ©orgänge, möchten 
fie immerhin auf bie jüngße Seitgefhi^te ein unermartetel Sicßt merfen 
unb für aufmertfame Sefer einen (Einblid in bie fommenben Zinge er= 
öffnen. Zie ©lütter müßten fteß bem (Sefcßmad bei ©ublicuml accont; 
ntobiren, unb irgenb ein fogenannter biplomatifcßer Klatfcß, eine mpßeriöfe, 
menn aueß in ber ©egel mißberßanbene Snbeutung aul ben bemußten 
Äretfen ßabe einen unbeßreitbar größeren SBertß all bie geßfteEung 
ßißorifeßet Zßatfaeßen, bie, menn einmal bem Parlament mitgetßeilt, 
allen ©lüttem &ugänglicß mären unb baßer $u irgenb einer ©eclante 
ber Priorität ober ber fenfationeEen (SntßüEung gar teine $anbßabe 
meßr bieten tönnten. Zeutfcßlanb fei uun einmal bal Sanb ber gebo= 
reuen Kannegießer, ber ©aifonneurl in’l ©taue ßinein, el ftede in ben 
politifeßen Kinberfcßußen unb moEe banaeß beßanbelt fein. 3n biefer 
gorm etma mürbe ber ©erfueß, bei uni bie englifeße ©ietßobe in ©e= 
ßanbtung ber auimärtigen ©olitil cinjufüßren, $um minbeften bon ber 
©reffe anfgenommen merben. Qe meniger ber Stoff brängt, um fo meßr 
(Erfpamiß an ©aura unb Zrudloßen unb befto beffere ©efriebigung ber 
Snfprüeße ßeintifeßer Kleinßäbterei. SJtatt müßte nießt, mal bagegen 
biel ein|umenben märe. Sueß bie felbßbemußte Sanier, mit melcßer 
fot(ße ©tßänbniffe oßne dmeifel borgebraeßt mürben, tönnte nießt Stoitber 
neßmen. ©tan iß bereu feßon gemoßnt. (Ein etrnal malitiöfel Sprieße 
mort fagt, el gebe tein bejferel ©efcßäft, all Smtanb naeß bem SJertß 
$u laufen, melcßen er mirHieß ßabe unb ißn bann mieber naeß bemjenigen 
lolftnfcßlagen, melcßen er $u ßaben glaube. Zie ©tajime auf bie öffent= 
ließen ©lüttes anpmenben, märe meber menfcßenfreunblicß noeß coEegialifcß. 
©tan mirb inbeffen all einigermaßen jmeifelßaft anfeßen bürfen, ob bie 
etrnal ßol§e Srt unb Steife, mit melcßer in Zeutfcßlanb ßin unb mieber 
auf bie aulmürtige, meßr politifcß fortgefeßrittene unb befonberl etnfluß; 
reießere ©reffe ßerabgefeßen mirb, ju ben eigenen, aEerbingl unter 
miffenfeßafttießem ©eficßtlpunlt feßr anertennungimertßen Seiftungen in 
einem gan* rießtigen ©erßültniß fteßt. 


Offene Briefe unb Jlnfworten. 

„Horb unb Mb,“ 

Sine beutfeße ©tanatlfcßrift. 

§eraulgeber: ©aul Sinbau, ©erleget: ©eorg Stille, ©erlin. 

Sn Th. Sch. in B. ©tit bem ©rofpect iß el eine eigentßümlicße 
Sacße. SEe Snfünbigungen ber in ben teßten §eßn Qaßren erfeßienenen 
neuen ©lütter feßen einanber |um ©ermecßfeln üßnlicß. Zie $eraul= 
gebet ber tßöricßtßen unb unerßeblicßßen ©lütter, bie {einem aubern 
©ebürfniß all bem einer borübergeßenben (Eoncurrenjmacßerei entfpreeßen 
unb feßon bei ber (Steburt ben Keim einel früßen Zobel in fteß tragen, 
neßmen ben ©tunb gerabe fo boE unb fogar noeß ooEer all bie ber 
emßßafteßen unb unterßüßungimertßeften Organe, bie fteß eine feße 
©teEung gefießert ßaben, ober eine folcße $u ßeßem beßimmt finb. Qebe 
Sftebaction einer neuen periobifeßen Scßrift ßat bal natürlicße ©e= 
ßreben, bem ©ublicum Har &u maeßen, baß ßier etrnal ©efonberel, 
feinem ütfeßmade, feinen Steigungen, feinen ©ebürfniffen (Entfpreeßenbel 
geboten merben foEe; unb baran Htüpft fteß bon fetbß 4>al ©erfpreeßen, 
baß man* bon ben ©eßen nur bal ©eße bringen, baß bal bemnücßft 
erfeßeinenbe ©latt einen gan$ eigentßümlicßen (Eßaraher ßaben unb fteß 
bureß biefe ober jene ©or$üge bon ben feßon beßeßenben ©ubücationen 
unterfeßeiben merbe. 

Ski foE man aueß anberl fagen? 3n bieten — mir moEen artig 
fein: in ben meißen gäEen liegt ja aueß ber @rüubung einel neuen 


©lattel ber löbüeße ötebanle ^u ®runbe: etrnal (Jigentßümtießerel unb 
©efferel ßer$ußeEen, all bal ©orßanben^el mar. Zer ©rofpectul, ber 
bal ©ublicum mit biefen Steuerungen unb ©efferungen bertraut maeßett 
foE, iß aber im günßigften gaEe nur ein guter ©tan; unb aEe Seit 
meißi baß ein guter ©lan bureß eine ßümperßafte unb berfeßlte Sul- 
füßrung bil jur Unlenntließleit entßeEt unb berborben merben fann. 
Zer ©rofpectul all folcßer iß immer etrnal meßr ober minber GHeicß; 
gültigel, mag er nun meßr ober minber gefeßidt abgefaßt fein, mag el 
ißm gelingen, fieß bureß irgenb einen glüdlicßen (Sinfatt, bureß ein gut 
gefunbenel Seßlagmort ©eaeßtung ju berfeßaffen, ober nießt; fcßließließ 
ift SEel bal boeß nur bon untergeorbneter ©ebeutung. Zal (Einzige, 
mal in’l (Skmießt fällt, iß eben bie Seißung felbß, iß bie Qualität bei 
©lattel; unb biefe läßt fteß aul bem ©rofpectul eben fo rnenig erleitnen, 
mie ber SBertß unb ber (Eßarafter einel ©tenfeßen aul bem (Empfeßfungl= 
brief, ben ißm ein moßlmoEenber unb intereffirter greunb mitgibt. 

SEBenn Sie nun ßören, baß bie neue ©tonatlfcßrift „Siorb unbSüb #/ 
©obeEen, mijfenfcßaftlicße Suffäße, (Sffail aul ben ©ebieten ber berfeßie* 
betten Künße, Sieijeflijjen, literarifcße (Eßaralterißilen k. bringen mirb, 
unb baß bie bebeutenbßen ScßrißfteEer bei beutfeßen ©eießl unb Zeutfeß- 
Oeßreicßl ber neuen Beitfeßrift ißre SÄitmirfung bureß binbenbe 3 u fößc 
gefidßert ßaben, fo merben Sie mit gug unb ©eeßt anlrufen bürfen: 
„Zal iß ja gaits balfelbe, mal biefel ober jenel ßerborragenbe Organ 
bereitl bringt!" 

SBie gefagt, mit gug unb ©eeßt! Zenn el iß in ber Zßat balfelbe; 
aber el iß boeß mieberum ganj anberl! Duo quum faciunt idem, non 
est idem, fagt ein rneifer lateinifeßer Sprueß. Unter ben 
(Einen geßaltet fieß bal ©Material ganj anberl all unter ben £>änben 
einel Snbern, unb eine jebe S^itfcßrift, beren §eraulgeber mirfließ ber 
©ebacteur iß, mirb in aEent SBefentlidßen bie eigenartige Snbioibualität 
ißrel Seiterl erlennen laffen: in ber Stoßt ber ©titarbeiter unb ber 
Stoffe, bie fteß einer befonberen ©erüdficßtigung $u erfreuen ßaben, in 
ber Snorbnung, ©ertßeilung unb Öiruppirung ber einzelnen ©eitragc k. 

Um 3ßnen bal reeßt oerßänblicß gu maeßen, muß icß etrnal aul 
ber Scßule ploubern, muß 3ß^ mittßeilen, baß naße^u aEe Suff äße 
üon ©ebeutung ber birecten Snreguttg bon Seiten ber ©ebaction ißr 
(Entßeßen üerbanlen. Zie 8«ßl ber Zrefßicßen, bie aul eigener 3«itia= 
tioe einer periobifeßen S^itfcßrift ©eeignetel einfenben, iß leiber eine 
feßr geringe. Sie maeßen fieß, menn Sie fo eine fertige ©umnter, ein 
lertigel $eft, ein fertige« „Stüd", mie man früßer fagte, bor fieß ßabeu, 
gar leine ©orfteHung bon ber Summe unfießtbarer geißiger Srbeit, bie 
bie gertigßeEung erforbert ßat, Sie aßnen nießt, mie biel Ueberlegttng 
unb ©acßftnnen unb ©eratßen nötßig gemefen ift, um für bie ©emäl= 
tigung bei Stoffel bie geeigneten Kräfte ju finben, mie biel ©riefe ge= 
mecßfelt, mie biel Suleinanberfeßungen gepßogen ftnb, bil bal ©tanu; 
feript glüdließ in ben hofen ber Zruderei einläuft. 3<ß fage 3ß««n 
bal nur, um 3ßnen Har §u maeßen, mie bie Snbibibualitüt ber leitenben 
©erfönlicßleit, bon ber bie meißen Snregungen aulgeßen, naturgemäß 
in bem (Eßaralter ber Scitfdßrift fieß miebetfpiegeln muß. Unb baßer 
bie unenblicße ©erfeßiebenßeit ber maßmeßrnbaren S&irffamleit unter ben 
(Steießel Srftrebenben. Stal biefer für intereffant unb ber Sufnaßme 
bureßaul mürbig ßält, mag jenen langmeitig bünlen; Zinge, bon 
benen biefer boraulfeßt, baß fie ein banlbarel ©ublicum finben mfiffen, 
merben jenem ganj unerßebließ unb fogar feßübließ erfeßeinen. (Ein jeber 
$eraulgeber ßat feine befonberen ©eiguttgen, feine beftimmte ©orliebe, 
feine ißm eigentßümlicße ©efcßmadlricßtung, unb SEel bal mirb unter 
aEen Umßänben fuß aul bem 3nß«lte ber geitfeßrift erlennen laffen. 

dl lommt noeß ein micßtigel ©loment ßinju: Zer Saß: „menn 
jmei balfelbe tßun, fo ift el noeß lange nießt balfelbe", läßt fteß aueß 
baßin ermeitern, baß, menn ein unb berfelbe balfelbe für §mei ber; 
feßiebene ©erfönlicßleiten tßut, boeß nießt balfelbe tßut. Zer SeßriftfteEer 
fteßt unmiElürlicß unter bem (Einfluß bei ©lattel, für bal er feinen 
©eitrag beßimmt. Steiß er, baß er fteß in eine borneßme, fteife, cere- 
monieEe OefeEfcßaft begibt, fo mirb er anberl feßreiben, all er balfelbe 
Zßerna beßanbeln mürbe, menn er el in einer frifeßeren unb meniger 
äugetnöpften ©efeEfcßaft jum ©ortrag $n bringen beabßeßtigte. 

Unb biefe natürlicße (Eigentßflmließleit füßrt uni noeß auf einen 
anbern ©unlt. ®te ber gute $omero! bon Seit jn 3«t bal ©ebürfniß 
füßlt ju feßlummern, unb mie ber emßßafteße, gemießtigße ©tenfeß fteß 
bilmeilen banaeß feßnt, in leießter (^efeflfeßaft einen luftigeren Xon an= 
$ufcßtagen, fo gemäßrt el aueß bent ftrengen ©eleßrteu unb ßoeßbebeu^ 



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158 


Sie ®egcH«>art. 


Nr. 10. 


tenbcn SBißenßhaßer eine »irfliche ©eßiebigung unb ein ßarfeS ©ehagen, 
gewiße 2>inge, bie ihm anrHe*aen Hegen, einmal unter anbem ©e= 
bingungen fagen §u fönnen, als fie ihm baS Äatheber unb bie fachge? 
mäße ©ehanblmtg gewähren. gür ben ©djrißßeder bon ©elang ift eS 
aljo ein effectiber ©eminn, ift eS eine ©enugthuung, ja ein ©ebürfniß, 
baß berfdjiebene ©lütter üorfymben finb, bie fic^ z»ar baSfelbe hohe Qit\ 
ßeden unb bon benen baS eine bem anbern an ©ebeutung nic^td nach? 
geben möchte, bie aber troßbem in intern (Sharafter »efentlidj anbere 
Büge barbieten. 

Jn noch b^^erem ©tage trifft bieS für baS ©ublicum ju. Unb bie 
wunbetliche Xfjeotie eines ©ertreterS beS beutfehen ©olfeS im Ädge? 
feinen unb bet ©ebrüber ©aetel im ©efonberen: baß fich baS Jntereffe 
beS gefammten gebilbeten ©ublicumS unb bie $heilnahnte ader h eröor5 
ragenben ©chtißßeder auSfchließlid) auf ein beftünmteS Organ §u con- 
centriren habe, beruht auf einer ganz merlwütbigen ©erlennung unfereS 
beutfehen SBefenS, baS adern ©entraliftren, Uniformiren, ©Monopolisten, 
unb ader ©eüotnumbung grünblich ab^olb ift. Jdj barf ohne ©er? 
meffen^eit jenen Nuffaß über bie „beutfdje Revue des denx Mondes“ 
als befannt borauSjeßeu; benn er ift zunädtfi im geuideton einer ber 
angefehenßen unb gelefenften politifcßen Britungen erfreuen, alSbann 
ift er im gachblatt ber ©ucßhänbler reprobucirt worben, herauf hat bie 
©erlagShanblung, melier ber ©ollSbertreter ben namhaften $ienß ge* 
leiftet hatte, in bie 3ehntaufenbe non ©eparatabbrüden jenes BrtüelS 
»eranßaltet unb ben ©uchhänbletn zur ©ratiSbertheilung an bie Äunben 
in unbegrenzter Unzahl zur ©erfugung geßedt, unb enblieh ift berfelbe 
Nrtifel an ber ©piße be» neueften #efteS ira Xejte noch einmal abge? 
brudt worben. S)ie ©erlagShanblung, ber mir eine jeßt noch beflügeltere 
geföäftlidje Nührigleit gern nachrühmen »öden — leiftet fie ja über? 
haupt in biefer ©cziehung NühmlicheS — bat «des gethan, »öS in ihren 
Kräften ßanb, um bie in jenem Huffaße auSgefprochenen Jbeen in bie 
»eiteften Greife zu tragen, -©ehr begreiflich! ©enn bie ©eweiSführung 
beS ©ollSbertreterS gibfelt in bem ©aße: ©u fodft fein anbereS ©latt 
haben neben mir! 

2Bie fid) bieS $ogma üon ber ©Monopoliftrung ber gefammten gei? 
JUgen ©robuction »ertrügt mit ber frönen Sehre oon ber freien unge? 
binberten (fconcutrenz, Z u b** M berfelbe ©ollSbertreter fonft »obl be? 
lennt, »ie ff<b biefe fonberbare ©roefomirung beS geiftigen ©<hußzodS 
gerabe in bem ©Mnnbe eines eifrigen greihänblerS auSnimmt — barauf 
»id icb einßweilen nicht eingeben; eS ift »irtlicb ein zu »oblfeileS ©er? 
gnügen, ba bie Jnconfequenz nachiumeifen. 

ÄuS ber üorzftgficbat, meifterbaften Leitung ber „Revue des deux 
Mondes“ unter ©uloz aber unb aus ber ungefchidten unb unbeholfenen 
Nebaction ber anberen frattzößfehen Nebuen, bie mit ber „Revue des 
deux Mondes“ niemals gleichen ©chritt zu bitten »ermocht haben, bie 
alfo feine (Soncurrenten, feine ©Mitläufer, fonbern einfach Nachläufer 
»aren — aus biefer Xhatfadje folgern zu »öden, baß auch in $eutfch? 
lanb nur eine „Revue“ befteben bürfe, baS ift benn hoch eine et»aS zu 
gewagte ©ehauptungl Siegt uns ©eutfehen ber Hinweis auf baS uns 
in aden ©runbzügen ähnlichere (Englanb nicht näher, »o ficb eine ganze 
Änzabt fto4er, in ihrem ®b<* ra ft er ö <>n einanber z»ar fehr üerfchiebener, 
aber in ihrem ©treben gleichberechtigter unb in ihren Seiftungen auf 
berfelben $?öb e ftebenber „Reviews“ in rühmlichem ©Settfambfe feit 
Jahrzehnten neben einanber behaupten? 

®S ift^anz natürlich, ba& ftch bie SNonatSfchrift „Norbunb©üb" 
mit fchon beftebenben 3eitfc^riften häufiger begegnen »irb. «ber mu& 
benn biefe ©egegnung gleich auf bie fleinlichßen SÄottoe zurüdgeführt 
»erben, auf eine erbärmliche brobneiberifche (Koncurrenz, uiuft fte auf 
ber ©tede einen gehäffigen, ja feinbfeligen ©burafter annebmen? SBaS 
uns betrifft, fo hüben »ir baS aufrichtige ©eftreben, — unb bie Huf* 
richtigfeit beSfelben wirb fchon aus ber SKilbe unb SKügigung, bie »ir 
uns in ber ©efenftoe auferlegen, beruorgehen, — freunbnachbarlich unb 
entgegenfommenb, »ie eS bem Jüngeren geziemt, mit bem Weiteren zu 
»erfehren. Unb ba eS ein günftiger 3ufad fo fügt, bafe ziuifchen bem 
liebenS»ürbigen unb tüchtigen Herausgeber jener ßeitfehrift, für »eiche 
ein adzu befliffener greunb nicht nur bie Herrfchaft, fonbern baS Ndein^ 
bafein forbern »odte, unb bem Herausgeber ber SWonatSfchrift „Norb 
unb ©üb“ feit langen Jahren ein freunbfcbaftlicbeS unb echt fpmpathifcbeS 
©erhültnift beftebt, fo ift bte Hoffnung auf ein gegenfeitigeS, »on »al^ 
rem SBohltooden burchbrungeneS ©erhültnig feierlich berechtigt. 

©iefeS geforberte «deinbafein iß b*** 8« S««Be eine oodfommene 


Unmöglichleit! Sine folche gorberung lann überhaupt nur geftedt »er? 
ben unter gänzlicher Nichtberüdfichtigung ber beutßhen ©djriftßeder, 
beS beutfehen ©ublicumS unb beS beutfehen ©uchbonbelS, ber hoch fehlte^ 
lieh exueh ein äBörtcben mitzureben hot, unb z»ar ein recht wichtiges. (SS 
»irb fchwerlich gelingen, bem beutfehen ©uchhonbel bie Ueberzeugung 
beizubringen, baß er ein ©latt bloS beShalb fchlecht ßnben unb bem? 
gemäß bernachlaffigen müffe, »eit ein gutes bereits »otbanben iß; benn 
er weiß aus eigener (Erfahrung, »ie bie engherzige Huffaffung, baß ein 
neues ©latt unbebingt einem fchon beßebenben fdjaben müffe, eine irrige, 
unb »ie bielmehr ber bomane€hntnbfa|: „leben unb leben laßen“, auch 
auf bem ©üchermarlte ber einzig berechtigte iß. $er ©opotatepaetel iß 
nicht ber einzige h°h e ®erg; eS gibt auch noch ben (Sotopagi, ben fehint: 
boraßo unb anbere. 

Unb »enn man fagt, eS feien feßon zubtel Jeitßhrißen ba, fa er? 
»ihre ich barauf mit einer tfnefbote, bie ben ©orzng hat, wahr §u fein, 
©or Jahren »odte fuH ein inz»ifchen berühmt geworbener ©rofeffor ber 
^leftbeti! all ©ribatbocent in H^^Berg babüitiren. Jm (Sodegium 
»urbe bei bem ©efebtuffe über biefe grage ber (Sinwanb erhoben: ,^EBir 
haben fchon zubiel Xocenten ber Heßhetil.“ ©arauf erwieberte unfer 
greunb unb ©Mitarbeiter H* ©• Oppenheim, ber bamalS an berH^ibet? 
Berger Uniberßtöt bocirte: „SDaS iß feßon möglich; aber eS fragt fuh 
nur, »er zubiel iß; ob bie Üllten ober ber Neue.“ (SS »irb fich ja 
Zeigen, ob bie neue ©MonatSfchrift „Norb unb ©üb“ überßftfßg iß, 
ober nicht 

Hber auch ganz abgefehen babon, baß fich ein jebeS neue ©latt, 
welches nicht einfach nachäßen »id, — felbß wenn eS im .©roßen unb 
Ganzen biefelben Jiele im Nuge hat unb ftch tote ein feßon, borßasibeneS 
bemüht, eine bomehmße ©tedung in ber beutfeßen 8eitfchriftemSiteratnr 
einzunehmen, ein „Neprüfentatib? Organ ber beutfehen ©übiutg“ §u fein 
— abgefehen babem, baß fich baS neue ©latt in ben »efentlicßen ©runb? 
Zügen fchon bermöge ber ©erfchiebenartigteü ber ftuffaßung, beS ©e? 
fchmadS hüben unb brüben »efentlich bon bem älteren nntacßheibeu 
muß — »irb „Norb unb ©üb“ ber birecten (Soncuxrenz mit jener 8*it* 
febrift, bie ftch ber fpecieden ©egünßigung beS ©oltSbertreterS gn er? 
freuen hat, fehr abßchtlich aus bem ©kge gehen, — ans tlngheitSrftrffuhten 
fowohl, wie aus innerer Neigung. 

©ährenb in jenem ©latt bie üterarifche unb lünßlerifche Äritif im 
cigattlichen ©inne beS SBorteS, bie (£h»ni! ber Xh«ater ic. ßänbige 
uub biedeicht bie gelefenßen diubxittn bilben, wirb bie neue ©Monats? 
fchrift „Norb unb ©üb“ bon allebem nichts bringen; biefe ©inge »erben 
nach »ie bor in ber ,,©egen»art“ besprochen »erben. Söähtenb jene 
ßeitfehriß ber lageSpolitil einen breiten Nanm anwetß, »irb biefelbe 
aus ber ©MonatSfchrift „Norb unb ©üb“ auSgefchloßen bleiben, — womit 
natürlich nicht gefagt fein fod, baß nicht ab unb zu ein (&ßap über be? 
beutenbe politifdje ©erfönlichleiten unb adgemetne ßaatliche ©erhültniße ic. 
nicht auch in „Norb unb ©üb“ z^ Äufnahme lomme, unter ber 
©orauSfepung, baß biefer @ßap fowohl burch baS adgemeine Jntereße 
beS ©toßeS »ie burch bie ©ebeutung beS ©earbeiterS ftch burch ß<h 
felbß einer adgemeinen ©cadjtung empßehlt. SBährenb jene 3eit? 
fchrift nach bem ©rogramm beS ©olfSbertreterS, baS fte zu bem ihrigen 
gemacht hat, ber umfangreichen, ferneren »ißenfchaftlichen Nbhanblung 
ihre befonbere 5lufmer!famleit zuwenbet, »irb „Norb unb £üb“ ftch. 
bemühen in ber Inapperen unb »o möglich leichteren gorm beS ©ßaps 
bie »ifienffaßlichen gragen zu behanbeln, ohne fich barum beS «n= 
fpruchS auf ernfte ©rißenßhaftlichleit im minbeßen zu begeben unb ber 
nieberem ©opularität bie geringße ©onceffion zu machen, «ber auch 
ber emßhaßeße ©Mann fann fich oh«e adeS ©ebenfen zu ber Nuffaßung 
bon ©olfgang ©oethe belennen, unb fein KuSfpruch fod nnfre Nicht? 
fchmir fein: 

Sofe faßliche ©eberben 

können mich »erführen; 

Sieber »id ich fdßt<hto »erben 

$US mich ennupiren. 

S)aß »ir eS berßhmühen, mit ber Niebrigfeit beS ©efchnurf# zu 
fraternifireu, baß wir uns bie haften Aufgaben ßeden, — baS mag 
Jhnen fchon ber Jnhalt beS erßen Heftes beweifen. ©erfelbe ßeßt 
in bem lüugenbltd, ba ich biefe Beilen fchreibe, noch utcht um iecr fltf bar 
feft, unb eS iß möglich, baß noch eine Äeuberung eintritt, baß ber eine 
ober bev anbere ©eitrag für baS zweite Heß tejerbirt »erben muß; aber 


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Ifr. 10. 


1t t (Stgttntrar t, 


159 


bic Aenberungen lömten auf ade gäde mit geringfügige fein, unb ©ie 
werben ben ©hatalter unjeter SRondtSßhrift ans ben folgeitben Angaben 
am beßen erlernten. 

griebridj Bobenßebt leitet bie neue geitfd^rift burd) einen 
„Brolog" ein, bern eine Sloüede folgt oon §anS #opfen ober oon 
©ilßelm 3enfen. hieran fcpließt ftich ein Aufjap übet „BaS Seben 
für unb burdj Anbete, ober bie ©efedfchaft" oonSlubolph bon^^eting 
(©öttingen), einem bet geißoodßen bentfchen StedjtSgelehtten, bem «er* 
faffet bet epodjemachenben ©erfe: „Ber ©eiß be$ römifchen fRefyä", 
„Ber Sampf um’S Siecht" rc. @3 folgen: „Sleue muftlaltfche ©hatafter* 
töpfe" oon SB. §. Stiehl (SRunchen), unb zwar im erften $efte: „Swei 
Sapedntetfter nach bet Statut gezeichnet." Ber Aeghptologe ©eorg 
©bet3 (Seipjig) tljeilt eine intereßante ©ntbecfnng mit, bie er gemacht 
pat: er weift nämlich baS Borhanbenfein beS Stabreims als poetifdje 
gorm fdjott bei ben alten Aegpptern nach- ©rnß ©urtiuS (zur Seit 
in Athen), bet bom beutfdjen Reiche nach ©riedjenlanb belegirt iß, um bie 
Ausgrabungen zu leiten, bringt einen Auffap über bie griechifchen Aus* 
grabungen 1876—77, welket bie bisherigen werthooden ©rgebntfle über* 
fuhtlidj unb üodßänbig recapitulirt. Ber Siorbpolfahrer 3«HuS Baper 
(j. 8* i« granffurt a. SR.) faßt bie Stefultate ber bisherigen arftifdjen 
©gpebitionen in einem Berichte übet „bie englifche Storbpolejpebition 
1875—76" jufammen. Heber bilbenbe Sunß wirb entweber Alfteb 
©oltmann Pßrag), „BaS ^wußenthum in bet neueren Äunft" ober 
griebrich ?e«ht (SJtünchen) „Heber mobeme SRaler" .(zunädjß über 
Senbath) fchteiben. 3)1 e Dichtung in gebunbenet gorm iß außer Stoben* 
ßebt bur<h ©rnanuel ©eibel mit feinen „Biftichen auS bem SButier* 
tagebudj" bertreten. 

SRit bet üblichen Siße bon Bearbeitern unb Beiträgen für bie 
folgenben #efte wollen wir an biefer ©tede nicht prunfen. ©ie fönnen 
ftch aber batauf betlaßen, baß fich biefelbe feljen laßen barf. 

3m erßcn #efte bringen wir baS Porträt bon 9t i eh 1, nach ber Statur 
rabirt bon ^rofeßor 3* ©• 9taab in Btündjen. gür bie fpäteren $eße 
werben wir es, wenn itgenb möglich, fo einzurichten fucpen, baß baS 
Porträt beS ©4riftßeder3 nicht nur wie bieSmal eine Arbeit beS Be* 
treffcnben, fonbern auch beßen ©harafteriftif aus einet anbern gebet 
begleitet. S)a$u bebarf eS natürlich bet Borbereitungen. 3m jweiten 
t>efte werben wir wahrfcheinHih §u ben „bramatutgifchen Unterhaltungen" 
bon Abolf ©ilbranbt baS Porträt ©ilbranbtS nach einem Oelgemälbe 
bon Senbach bon ©onnenleiter in ©ien rabirt geben, fpäter aber 
in ber angebeuteten ©eife betfahren, fobaß z* B. ein $eft enthalten wirb: 
baS Borträt bon ©maituel ©eibel, einen längeren poetifchen Beitrag beS 
Richters unb eine ©harafteriftif ©rnanuel ©eibelS bon farl ©oebefe; ein 
anbereS $eft: baS Borträt Burg&tjewS, eine Siooede bon Burg^njew 
unb einer ©chilberung beS Bteußhen unb ©chriftßederS bon bem bem 
rufßßhen Bidjiter innig befreunbeten ßubwig Bietfeh. 3n biefer ©eife 
glauben wir ber gdußration, ber lünßlerifdj bie größte ©orgfalt gugemen* 
bet werben fod, eine emfthafte Berechtigung zu betleihen, ©ie iß nicht 
bloS übetßftfßgeS Betwerf unb Banb; fte iß eine fünßlerifche Beton* 
ßhaulichmtg berjenigen B**fönlichf eit, bon ber ein wefentlicher Beßanfc 
theil beS §efteS herrührt unb bie in ihrer adgemeineren Bebeutung in 
bemfeiben §efte gewürbigt wirb. 

paul £inbau. 

* 

* * 

K. E. in B. ©ie haben ganz Stecht! @S wäre im höchßen ©tobe 
bebauerlich/ wenn bie 3urp, welche bie ©ntfeheibuug über baS ben 
©ebrübern$umbolbt ju fepenbeBenfntal zu ließen hat, mtgeßchtS 
beS Entwurfs bon BegaS an ben ßraßen gorberungen beS urfprüng* 
liehen B^adrammS engherzig feßhalten unb beSwegen, alfo auS rein 
formalen ©rünben, bie hachbebeutenbe fünßlerifche ßeißung bon Beinholb 
BegaS unberücfßchtigt laßen rnodte. ©ine folche ©inftimmigfeit, wie fie 
w bieSmal bem BegaS’fchen ®umbolbt*©ntwurf gegenüber in aden 
Steifen, auf bie eS antommt, bei aden ftünßtem unb bei aden fünft* 
gebilbeten Baien funbgegeben hat, iß etwas fo Ungewöhnliches, baß bie 
Snrp ben adgemeinen Swntf ber ößentlichen ©ttmmen hören muß. 
SBir glauben, baß feiner ber Bwärfthto bie4Ph:antwortli^feit über* 
nehmen wirb, ein Sunßwerf wie baS BegaS’fche, baS unter ber ^eit* 
genöffifchen fünßlerifchen Brobuction überhaupt eine ber adererßen 
© Wi en entnimmt , aus bem ©euube jyiirftrfpwiifen, baß ber©eni«S beS 
SünßlerS bie borfchrißSmäßige Sinie überfchritten hat. ©enn bieS ge* 
flehen iß, fo beweiß es eben nur, baß bie gezogene Sinte nicht bie 


rtdhtige war. 9tad) ber Anßcht ader Äunßoetflärtbigett hat BegaS blecht, 
unb baS Brogramm hat Unrecht. Unb weil ein gehler unter aden Hm* 
ßänben aufrecht erhalten werben fod, beShalb fodte bie §auptßabt bie 
©elegenheit, ftch bauemb mit einem ber ßhönßen SRonumente ^u gieren, 
fich entgehen laßen? ©ir halten eS für unmöglich, ©chon aus 
©rünben ber einfachen Xaftif werben bie maßgebenben Be^föuü«h^iten 
eS ängßlich oerraeiben, bem wiberwärfigen ©erebe oon bem ©egenfape 
gwißhen ängßlich beßhräitftet Bureaufrutie unb freiwalteuber ftunß neue 
Stahrung unb bieSmal fogar eine Berechtigung ju geben. 


©eehrte Bebaction! 

3n 9ta. 8 ber „©egeuwart" oom 24. gebruar 1877 er^fl^It i&err 
Dr. ©ilh. genfcit in einem Artifel über ©torm ein Begebniß, welches 
ihm in Siel, furj oor ©tßheinen ber ©torm’f<hen gefammelten ©chrif : 
ten pafftrt fein fod. 

2 )iefe gefammelten Schriften oon ©torm erßhienen $erbß 1868 unb 
ejißirten bamalS, fowie 3*t)te üorher nnb nachher, in Siel nur bie 
Unterzeichneten ©orttmeutS*Bu(hhanblnngen. 

©ir halten eS für unfere Bßichi/ 0 egen bie ©hre unferer ©efchäftc 
unb unfere3 ©taubes %vl etttären, b*ß bie ^auge ürzähiuug oon bem 
Begebniß in einer Sieler Buchhanbluug zur angegebenen Seit eine er* 
funbene Anelbote ift unb forbern $errn Dr. ©ilh. genfen auf, ben 
Beweis ber ©ahrheit anjutreten unb bie Buchhanbluug gu nennen, in 
ber ihm bie ©efdjichte paffirt fein fod. 

Siel, ben 24. gebruar 1877. 

Carl Schröber, 

girma: ©arl ©chröber & ©omp. 

Carl Jritbrtchs, 

girma: ©chwerS’fche Buchhanblung. 
paul ©oed?e, 

girma: HniüerfitätS*Buchhanblung. 

,,©oju ber Särm? ©aS ßeht ben $erm §u Bienßen?'' Blich 
bäucht, fte hätten ftch eigentlich ohne fo große Aufregung zu fagen oer* 
mocht, baß bie „Anelbote" z« echtes ©epräge trage, um „erfunben" fein 
Zu fönnen; abgefehen baoon, baß man höflicher ©eife hoch nicht ohne 
oodgültfgen ©egentheilbeweiS Semanben folcher „©rßnbungen" bezichtigt 
©enigßenS thäte man’S hier zu ßanb nicht. Aber ich Mn burchauS erbötig, 
einen tiefgreifenben, chronologifchen Srrthum meiner Bleinung über bie 
©rfd^einungSzeit ber in 9lebe ftehenben „©efammelten Schriften" zuzn* 
geben, ©äre ich fortimentShänblerifch gebilbeter, fo würbe ich mir bieS 
traurige testimoniuin muthmaßlich erfpart haben. Alfo ich Wiberrufe: 
©S war nach bem ©rßheinen ber „©efammelten Schriften", unb aü9 
ber obenßehenben triumoiratS=©rllärung geht für ben ©infichtigeu her* 
oor — baß bie ©ad^e jene brei Herren burchauS nicht anging. SRithin 
wirb fpäter irgenb ein Bierter, günfter ober ©echßer oorhanben ge* 
wefen fein müßen, ber ftch öaS Berbienft ber „Anefbote" erworben. 
©eShalb hat er ftch öer ©odectiO*Abreße nicht angefchloßen ? 

3ch glaube, außer ben brei adzu ängßlicßen Beßhwerbeführem wirb 
eS nicht Biele geben, benen ich eS zu befräftigen brauche, baß bie nieb* 
liehe fletne „Anelbote" an ber ich wahrlich fein'Berbienft beßße — 
©ort für ©ort auf thatfächlichem ©rlebniß beruht. 

greiburg i. B., ben 26. gebruar 1877. 

IDtlhelm 3*nfen. 


SiMloyrapIrte. 

feanS ©achenhujen, Schlag zwölf Hhr. 9toman in 2Bbn. (BreSlau, 
S^ottkenber.) 

©uibo Buchecf, 3m Sampf um’S Bafeln. Agrarifcher Vornan in 
l Bb. (Berlin, Aienborf.) 

©ufemia ©räfin Baileßr tm, Verklungene Bfabe. Aooellen. 
(BreSlau, Aberholz.) 


SmißHgnng* 

3m Artifel „AuS bem ©oncertfaal" ber oor. Sir. 9, erße ©palte, 
3. 23 oon oben iß ßatt „feinem ©mpßnben" meinem w. zu lefen. 


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160 


lit (Segeanmrt, 


Nr. 10. 



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Neuer Verlag von Theobald Grieben in Berlin. 
Bibliothek für Wissenschaft und Literatur 13. Band. 


Die Ursachen der Krankheiten. 

(Auch in 3 Lieferungen a 4 Mark.) 

Das Werk, eines der bedeutendsten in der neueren Aetiologie, fand schon bei seinem 
ersten Erscheinen glänzende Aufnahme bei Fachmännern und Gebildeten und wurde 
sofort in fremde Sprachen übersetzt. Die völlig umgearbeitete zweite Auflage steht 
auf dem Höhepunkte der neuesten Forschung und bedeutet ihrerseits einen Fortschritt 
in der Wissenschaft. Es ist die Eigentümlichkeit des Verfassers, streng wissenschaft¬ 
lich zu arbeiten und dabei doch auch gebildeten Nichtfachmännem leicht verständlich 
zu werden. Genaue Quellennachweise ermöglichen eingehende Studien über die ver¬ 
schiedenen Theile der Wissenschaft. Aus dem reichen Inhalt sei erwähnt: Indi¬ 
viduelles Leben, Alter, Geschlecht, Temperament, Erblichkeit, Lebensstellung, Athmung, 
Stimme, Nervenleben, Gattungsleben, Beischlaf, Ehe; diätetische Einflüsse, Nahrung, 
Kleidung, Reinigung, Wohnung, Schmarotzer, Gifte, Arzneien, Contagien, Klima, Witte¬ 
rung; polititisch-moralische Einflüsse, Philosophie, Wissenschaft, Kunst, Presse, Vereine, 
Unterricht, Erziehung, Kirche, Sitten, Feiertage, Politik, Polizei etc. 


in Bahrenfeld bei Hamburg 

Fabrik und grösstes Lager feiner und hoch¬ 
feiner sowie selbst direct importirter 

Havanna- etc. Cigarren 

im Preise von 36 bis 1000 M. pro Mille. 
Zollfreie Lieferung für das Deutsche Reich 
von V.a Kisten an. — Preis-Conrante gratis. 


ÜWit einer litcrarifdjen Beilage 

betreff«* „liaca" tut* ,, Wertet ji|r0;9tetiiic ber Ntttttrtotffentarte»", Gering tum ©binurb ©cinriifl ftayer in m* gtijgif. 

|krft« 8.W., ttlnbtnflrafje no. ftüt bie Webaction berantioortlicf): #* 0 r§ ^title in glerfin. fxpeHttoii, glerfin N.W., «oniienftraBf 9*. 

SDtud oon gl. #. in £rip|tg. 


Heinr. Lemcke 


9 » [ t x « 11. 

ftür eine täßtid* erfdjeitieube Bettung freiftnntger 
flüdjtung in einer größeren ^nbuftriefkabt beö 
Äönigretcßö Saufen wirb ein atabemifcß gebib 

betet gtebucteur 

geflickt. Offerten mit Angabe ber biäfjcrigen 
Xflimgfctt, fowic ber ÖJeflaltäartfprüdje an bie 
Annoncen ßjpebitioit be£ „Bnnalibenbank** in 
3)reiben unter ©fliffre F. A. 818. erbeten. 

Delius’ 

SHAKSPERE 

1Y. (Stereotyp-) Auflage 

2 starke Bände, brochirt: 16 JL In 2 fei¬ 
nen Halbfranzbänden: 21 JC 

Jedes einzelne Stück: 80 Pf. 

[Letztere werden, soweit der Vorrath 
reicht, in früheren Auflagen geliefert.] 

Yerlag von R. L. Fridericbs 
in Elberfeld. 

Verlag von F. E. C. Leuekart in Leipzig. 

Der 

Raub der Sabinerinnen. 

Text von Arthur Fitger 

für 

Chor, Solostimmen und Orchester 

componirt von 

Georg Vierling. 

Op. 50. 

Vollst. Partitur. Eleg. geb. . netto 75 JC 

Orchesterstimmen netto 100 *,iC 

Vollst. Clavierauszug. Cart. . netto 10 JC 

Chorstimmen (ä 2 JC) . . . netto 8 JC 

Textbuch.netto 75 5». 

f tjin miiiortAlfs 

* rl 


^mpfeßfensniertp« Reifte 

oon 

Dr. med. fl. Äleudie. 


#®iMeftfoit ber ®efttnb|eitMeftre für gell nnb 

£eele. ©in Samilienbud). dritte, neu burdp 
gcarbeitete u. uermetjrte Auflage. 3 wei Steile. 
ö*r. 8. Ölei). 12 50 ~v ©leg. geb. 15 

$ie Üllulter als ©rjiefjcrin i|rcr Xötfltcr unb 
2 öfjne jur pbpfiidjcn unb fittlidjcii (flefunb 
beit üom crflcn ÄinbeSaltcr biö $ur 9 teife. 

©in praftifdjeä Bild) für beutfdje fjrauen. 
3 weite, üermeflrte unb oerbefferte Auflage. 
8 . GJefl. 6 JC ©leg. geb. 7 JC 20 A. 

Xidtetif ber 3 ecle. 3 weite, neu bitreflgear 
beitete unb oermeflrte Auflage beS Bucfleö: 
„$ic mcnfdjlidjen i*(tbenfd)aitrn''. 8 . Öel). 
5 JC 40 ~v 3 n Seinwanb geb. 6 M 60 
Tiätetifdjc Ro*utclif ober ©cfunbfleitS* unb 
^djunljcitöpflcgc ber äußern ©rfdjeinung beö 
ÜJlenfdjen. 3 c1 1 c, ocrmeljrte Auflage, ©ine 
BolfSfcflrift. 8 . ©leg. gefl. 6 JC Sein geb. 
7 JC 20 

$er Jfrauenarjt. üclrbud) für ba$ weibliche 
(flefdjlcdjt über brffen (Hefunbbcitd? unb §ciU 
pflege. 3 ur Selbftfcnntnifs ber weiblidjen 
Anlagen unb ©elegenfleiten $u ©rfranfungen, 
wie jur rationellen 6 elbftbetl)eiligung an ber 
Berbütung unb ©efämpfung frattfer Buftänbc. 
Webft Unterridjt in ber weiblidjen ftranfem 
pflege unb ben nötfligftcn £>eilleiftiutgcn ooit 
Srauenflanb an fid) jelbft unb anbereit il)re* 
ÖJefdjlecfltä. 8 . ÖJefl. 4 JC 50 ©leg. geb. 
5 JC 70 

$aö Bleib al$ (flattin. i]ef)rbud) über bie 
pfjflfifcfleit, feelifeflen unb fittlicflcn s $flid)tcn, 
tflecflte unb Ölefunbflctt^regelu ber beutjd)cn 


&rau im ©fleleben; jur SJegrünbung ber feih= 
lidicu unb pttlicflcn SSoljlfatjrt iflrer felbp 
nnb i^rer ftamilie. ©ine Äörper unb Seelen 
biätetif beö Söetbed in ber £iebe nnb ©be- 
3 weite, oermeflrte unb oerbeffertc Auflage. 
8. ölefl. 5 JC ©leg. geb. 6 JC 

$ie gcbilbctc $au0frau alö wirtljfdiafilitflr 
©infäuferin unb ©erwaltcrin nat| (ftrnnb • 
fdflen ber 91 aturfunbe, (flc(unb|eit^lc|re, 
Oefoitomie unb guten Sitte. 3 weite, 
gänjlid) umgearbeitete unb bebeutenb erwei¬ 
terte Auflage. 8 . ÖJel). 6 JC ©leg. geb. 7 JC 

(£|cmijrf)cd Rodp unb äBirtlfiflaftöluifl ober 
bie üWaturwiflenfiflait im weilii^en Berufe, 
©in Budj für bentenbe grauen unb $um 
(flebramfl in toetbliiflen ©t3ic|ung6anflalten. 
dritte, neu burcflgearbcitetc unb bernieflrte 
Auflage. 8. ÖJefl. 5 JC 40 -V 3 n elegant. 
£eiitenbanb 6 JC 40 

$afc franfe Äinb. populäre Belehrung in ber 
richtigen unb frühzeitigen ©rfeunung finblicfler 
ftranf^citöanlageu unb ©rfraithutgen unb in 
ber jwedmä^tgen fläu^liiflcn Beflanblung ber 
felben bid jur $ülfc bc^ 9 lrjte^. ©in Bitdj 
für gebilbete ©Item. 8 . $ef). 3 JC gein geb. 
3 JC 90 ~V 

Xaft|enbu(fl für Babereifenbe unb ©urgüfle. 

^lerztlicf)er 9 tatt)geber unb 3 *ü|rer burd) bie 
namflafteften ©urplä^e Xeutfcfllanb^, Cefter 
reiche, ber SdEjweij, graitfreicfl^, ©nglanbi', 
3 talieit£ unb anberer europätfefler unb aufecv 
curopäifcfler fiänber. 8 . ölefl. 6 JC ©leg. 
geb. 7 Jfc 20 A. 


93eiTag bou £ö. Rümmer in % 

In Unterzeichnetem Verlage erschien und ist durch alle Buchhandlungen zu beziehen H 
(^bei frankirter Einsendung des Betrags franko per Kreuzband): 

llie lull.)lationstJierapie 

bei den 

Krankheiten der Lunge, der Luftröhre und der Bronchien . 

Von 

Dr. Wilh. Brügelmann, 

pract. Arzt und bpecialist für Lungen- und Haluleiden iu Cöln. 

Zweite sehr vermehrte und verbesserte Auflage. Mit zw r ei lithographiiten Tafeln. 

gr. 8. eleg. brocli. 2 JC 

Diese Broschüre ist von dem bekannten Specialisten für Lungen- und Halsleiden in 
richtiger Würdigung des für so viele Familien hochwichtigen Stoffes: die Heilung der 
Schwindsucht, sodann die des Keuchhustens, der Bräune u. s. w., so verfasst worden, 
dass sie nicht nur den Aerzten einen gewünschten Beitrag zur Erweiterung und Berei¬ 
cherung der jungen Heilmethode bringt,, sondern auch die gebildeten Laien mit Leichtig¬ 
keit über die Hauptmomente derselben informirt. Der schnelle Absatz der ersten 
Auflage ist der beste Beweis für die Anerkennung, welche diese Schrift ge¬ 
funden hat. Die vorliegende zweite Auflage ist bedeutend vermehrt u. verbessert. 

Cöln, im Januar 1877. Eduard Heinrich Mayer. 











xitL 


XL Band. 


^erlitt, ben 17. SBatg 1 



Die gfcgemni 

SBodjenfcßrtß für Literatur, Äuttß tutb offenttt^eö fiebert. 


Herausgeber: 'gfetuf ^ittbatt in ©erlitt. 


leies garniert trfteW eite gtMUL 

£n &taie$en bnmb alle &u$b<mbtungen unb fpoßanßatten« 


Setleger: ®«rg StUfe in SetUn. 


{Irtis ftt 4 |hik 50 |f. 

Snferate jeber Act pto SgeftMltene $etit)ctle 40 $f. 


3)ic öffentliche SJteinung nnb bie Berichte. SSon ICtus. — Ucber S3ieröerfäl{djungen unb SBierunterfucbunaen. SSon A. §ofaeuö. — 
Siteratwr mb Jhmft: $erfönltdje3 über Sferbinanb ßaffolle. ®on Abolf 9ftüfcelburg. — 3)anteö ©tefinng $ur römifdjen ftirdje 
Sn halt: feiner Seit. ®ou Äarl ©artfd). (©djlufc.) — @ine tfirlifdje Steife, ©on Äarl ©raunsSBieSbaben. ©efprofet oon — te. — öet* 

Au3 bem bormärjlidjen Deftreidj. ©on Äarl ©mil g^önjoö. — ©articulariftifcbeö. Son 3*ifc SRauttyner. — Alt# 
bet $aitj>tftiibt: 3)ramatifd)e Aufführungen, ©on ©aut Sinbau. — $Roti$ett. — gerate. 


Die öffentltdje Jtteimutg unb bie ®erid)te. 

SBäßrenb für gewöhnlich ein Slbgtang »on bem Heiligen^ 
•fehein ber ©ottßeit aud) auf bie ©rieftet berfelBen gu faßen 
pflegt, berßält eS fi<h* ein wenig anberS mit bem ©echt unb 
feinen Wienern. ®er ©ießter im abftraeten Sinne fteßt gwar 
meßt im bloßen SBiberfcßein, fonbern unmittelbar innerhalb 
ber ©eripßerie beS HeiligenfdjeineS. ÄnberS bagegen ber con- 
arte Stifter Bon .^ei|i| unb ©ein. $ie ©oltSübergeugung 
aller Seiten ift Belanntlim ben profefftoneßen Suiiften möglicßit 
abßolb, unb es ift ein alter ©rfaßrungSfafc, baß fieß bie große 
©Zenge äußerft feiten über baS ©echt, aber ftets unb in erfter 
Sinie über biejettigen, welche ihr baSfelbe fühlbar machen, über 
bie Suriften, betlagt. Sn aß’ ben unbewußten 21eußerungen 
beS ©ollSgeifteS, in ©Zärcßen, Sagen, Sprücßwörtern, 8lnef= 
boten, unb in bem noch immer giemlicß umfangreichen ©ebiete 
beS heutigen ©olfSaberglaubenS, fpielen bie Suriften leine 
angenehme ©oße. SButtle hat bafür in feinem ,,©olfSaber= 
glauben" ergöfelic^e ©eifpiete gefammelb 

SBenn auch bie Slboocaten babti noch fchlechter weglamen 
als bie dichter, fo ift ber Unterfcßieb bodj nur ein quantita= 
tioer, unb fcßließlich foß ber Teufel bie ©inen nicht weniger 
holen wie bie Stabern. 

ffitwas non bem ererbten ©orurtbeil fiedt noch, wenn 
audh unbewußt, ber aufgeltärten ©Ziiwelt im ©lute unb trübt 
bie Unbefangenheit, wenn fi<ß eine richterliche ©ntfeßetbung mit 
ber öffentlichen ©Zeinung in Söiberfprucß fe^t 

StnbernfaßS ift bie Strt gar nicht gu tierftehen, in welcher 
bie fürglich ergangenen ©ntfdjeibungen frangöfifeßer ©erießte 
über bie gemachten ©ommiffionen napoleonifcßen »ngebenfenS 
unb bie Sufpenßon ber „Droits de l’Homme“ nicht nur in 
ffranfreieß, fonbern audh »on ber hoch nur theoretisch tnter= 
efßrten beutfdhen ©reffe commentirt werben. ®aS Xh at fädhliche 
(ann als belannt oorauSgefefct werben. Hier intereffirt baoon 
nur, baß unbeftritten bie frangöfifeßen ©eridhte nichts weiter 

Ä haben, als baß fie auf bie ihrer ©ntfeßeibung unter; 

tu gäfle ooßlommen gu Stecht beftehenbe unb in ©eltung 
beßnblicße ©efefce angewenbet haben. 

Unb bamit haben fie, um unfern Stanbpunft gleich mit 
einem berben SBort gu lenngeidhnen, nur ihre oerwünfcfjte ©flicht 
nnb Scßulbigfeit gethan. 

@S heißt einfach auf Stecht unb ©ereeßtigfeit oergießten, 
wenn man berlangt, baß ber ©idßter bei ber ©ntßheibung fein 
Äugenmerf auf etwas Stnbereä richten foß, als auf bas ©r= 
fennen ber objectioen Sßatfacße: was iß ©efeß? ©S muß 


unter aßen Umftänben für ißn gleichgültig fein, ob er ober 
fonft 3emanb mit bem, was ©efefe ift, fßmpatßifirt. Sobalb 
unb folange etwas ©efefe ift, hat er bies, lebiglidh weil es 
©efeß ift, in feiner boßen, bon bem ©efefcgeber beabfidhtigten 
Tragweite anguwenben unb fo gut wie anbere perföntidhe 
Otüqichten, auch feine eigene fubjectibe Slnftdht über bie Soß= 
fommenheit ober Unboufommenheit beS ©efeßeS aus ber 
©leichung, welche aufgufteßen ift, gu entfernen. 

Stur in Slnerlennung unb in nnwenbung beS anerlannten 
©efefeeS bleibt ihm, wo eS baS ©efeh erlaubt, ein gewiffer 
ve - ' nlid)tt c&piuiwma; wie bet ber 2feftfteßung ber ©oraus-- 
jepungen ber s 2lnwenbbarteit beS ©efefeeS, bei ber üöürbigmtg 
ber ©eroeife, bei ber Slbmeffung ber Strafe, flber audh h' et 
finbet er überaß bie Segitimation unb bie Sdhranlen feiner 
SChätigteit eingig unb aflein in bem ©efeße felbft unb in bem 
ihm «on biefem, feinem Herrn, erteilten Aufträge, an ben er 
mit ©ib unb ©fließt gebunben ift SBiß er feine ©fließt tßun, 
fo muß er baS ©efeß anwenben „bei bem ©ibe, Stiemanb gu 
Siebe, ßtiemanb gu Seibe". ttueß nicht ber öffentlichen SWeinung 
gu Siebe. Dura lex sed lex. 

güßrt bieS einmal gu bem unbefriebtgenben Säße „fiat 
justitia pereat mundus“, ober gu irgenb einer anbern feßtoffen 
S)iffonang gwifeßen bem 9tedßt beS ©efeßeS unb bem SRecßtS= 
bewußtfein ber Sßaßrheit, fo iß es unbißig, bem ©ießter in 
bie Schüße gu fdßieben, was baS hinter ber Seit gurfidtgebliebene, 
aber nidßts beftoweniger ©ehorfam unb ©flidßterfüßung f orbernbe 
©efe| oerfcßulbet hat. ®ie öffentliche ©teinung empßnbet aber 
gunädhft jene ®ißereng nur teblfaß als Unrecßt, unb ber leb; 
ßaß empfunbene SBiberfprucß beffen, was aefeßieht, mit ißreit 
moralifcßen unb potitifeßen Slnfcßauungen, forbert ße gu nießt 
minber lebßaßer ©eaction heraus, welche regelmäßig bie un« 
mittelbare ©eranlaffung trifft, bureß wel^e jene SMßereng gum 
ftörenben ©ewußtfein gebracht wirb. ®ie öffentliche SWeinung 
unb ißre SBortfüßrerin, bie ©reffe, pßegt ßdß in folcßen fjäßen 
eine gewiffe Souoeränetät gu geftatten, bie fiel um fo leichter 
Bon bent gegebenen ©oben beS geltenben ©ecßts emancipirt, 
je weniger im ®urcßfcßnitt beibe beSfelben funbig unb auf bem; 
felben ßeimifcß finb. ©S finb bie ©Zufitanten, welche bie ®iffo= 
nang ßernorbringen. ®aß ße guf baS ©orrectefte nur bie ißnen 
norgefdhtiebenen ©oten fpielen, tommt nießt in ©etraeßt ®er 
©ergletcß mit jenem naturwüdhfigen 2ßeaterpublicum liegt 
ebenfaßs nießt aßgufem, welcßeS beim fraßen beS ©otßangS 
empört bie ©üßne ftürmt, um bie oon bem ®idßter oerleßte 
poetifeße ©ereeßtigteit an bem ®arfteßer ber Statrigantcnroße 
ßanbgreiflih gu repariren. 

®ieS ift feine Uebertreibung. ©enau fo fießt eS aus. 


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iie Gegenwart. 


Nr. 11. 


m 


wenn bie eotte ©dßale fütlicßer ©ntrüftung über ben bonapar« 
tiftifdßen, bi« in’« SKarf corrumpirten, franjöfifcßen IRicßterftanb 
auggegoffen wirb; wenn eine ©jtraoaganj, wie bie Streifung 
be« halben ©eßatt« ber Sinter am ©affationSßofe gelegentlich 
ber Subaetberatßung, als geeignete Antwort ber Kammer 
auf ba« urtheit über bie gemixten ©omuriffionen, in einem 
ernftßaften Statt überhaupt biScutirt werben fann; wenn 
fdjließlicß fogar bie SRotßwenbigfeit, bie Unabfeßbarfeit ber 
IRicßter ju befeitigen, non fotzen ©runbtajjen au« bebucirt 
wirb, — unb Sitte« bie« nur beSßatb, weu bie fRicßter be* 
fteßenbe ©efeße at« befteßenb anertannt unb angewenbet hoben. 

Den fjranjofen fetbft mag man in biefer ©ejießung etwa« 
jugute hotten, obwohl fie im großen ©anjen alle Seranlaffung 
^aben, wenn auch nicht mit ihrer ©efeßgebung, fo hoch mit 
ihrer IRecßtSpftege jufrieben ju fein. @8 ift einmal SOtobe unb 
»ietteidjt SRationalaitlage bei ihnen, überall Serratß unb SRieber« 
tradßt ju wittern, unb ihr „Elan“ reißt fie, wenigften« im 
erften rintauf, übet ÄUeS hinweg, wa« Unbefangenheit unb 
Jhriti! heißt. 

Dagegen ift e« fdßwer ju »erfteßen, wenn ein außerhalb 
be« aufgeregten ©trübet« ftehenbe«, weit nerbreitete« Berliner 
Statt feine rebactioneEe Befpredßung ber grage folgenbetmaßen 
einteitet; *Die ©exic^te in Slufrußr befinbticß gegen bie 
^Regierung, gegen bie Serfaffung, gegen bie Sotfsoertretung, 
gegen bie ganje Station — biefe« ©cßaufpiel hot wohl nocß 
niemal« ein fianb geboten, granfreidi bietet e« heute." 

Die Aufregung, non .welcher am Schluß be«fetben Sirtilet« 
gefagt wirb, fie fei in granfreicß noch fo groß unb allgemein, baß 
eine rußige Ueberlegung noch nicht h°be jum Durchbruch 
fontmen lönuen, fcßeint fi<ß wie anjtecfenb ber genannten 3ei« 
tung fetbft miiüetßeitt ju hoben, benn auch in ißr«m eben 
angeführten Urtßeit nermißt man febe Ueberlegung. Uebrigen« 
lauteten im Anfang bie Stimmen faft ber ganjen liberalen 
beutfchen treffe sucht niet enber«, unb man wirb an bie 
Stellungnahme betfelben ©reffe gegen unfere eigenen pteußif<ß#r’ 
©ericßte erinnert, at« bie grage be« 3engnißjwange«, juerft 
im gatt $offricßter unb bann bei ber graitffurter ßeitung, 
prafttfcß würbe. Der erfte Schrei ber ©ntrüftung galt aueß 
hier ber Änwenbung be« IRecßt« unb ben Organen ber Stecht«« 
pflege, man Rüttelte fein Urtßeil fij unb fertig au« bem 
Slermet, unb bie §§ 311, 312 unb 337 ber ©rintinalorbnung 
waren nicht oorhanben, weit man e8 mcßt ber ERüße wertß 
hält, bie eigenen 2anbe«gefeße ju femten, ober ficß bocß ge« 
gebenen galt«, beoor man urtßeiit, barüber ju unterrichten. 

©eitbem grabe biefe grage ©egenftanb unb beinahe 
Stein be« Sbtftoße« ber Seicß8gefeßgebung geworben ift, ßot 
man woßt, wenigften« innerhalb betreiben, Urfacße unb SBirtung 
unterfdßeiben gelernt Die ererbte Steigung ober Slbneigung 
al« fotdße wirn barum nicht Weniger fort. Da« Sntereffe ber 
öffentlichen SReinung richtet ficß immer mit größerer Sebßaftig« 
feit auf ©erfonen at« auf ^ßrincipien, unb fo macht fte mit 
Sortiebe auch ou« ber fachlichen grage nach bem gelteuben 
Stecßt unb feiner SerbeffermigSbebfirfttgfeit eine perfönlicße 
grage ber SRedjtSanwenbung. Sie urtßeitt, um mit einem 
gacßauSbrucf ju reben, nicht, wie es ber Sichter muß, de lege 
lata, fonbern de lege ferenda, unb ift, ba fie nur ißren 
©tanbpuntt Kennt, auf welchen ißt ber SRicßter nießt folgen 
barf, nur ju geneigt, bem Burüdbleiben be« leßteren perfön« 
ließe, meift reactionäre ERotine unterjufdjieben. Die Segriffe 
be« SRecßt« unb ber ©ereeßtigfeit, wie fie bie leßtere oerfteßt, 
finb £ßr notßwenbig ibentifcß; unb je weniger fte bei ber nießt 
minber angeftammten Sichtung nor bem tRedjt fidß non beffen 
©eite etwa« Söfen ju »erfeßen im Stanbe ift, je weniger 
ißcem tebenbigen, einheitlichen IRecßtS« ober ©ereeßtigfeit«« 
gefaßt non oornßerein eine ©cßeibmtg jwifeßen bem, wa« tßat« 
fädßlicß IRecßt ift, unb bem, wa« jenem ©efaßl entfprießt, 
möglich erfdßeiut, um fo leichter macht fie für bie Slbweicßung 
non bem leiteten bie ©erfonen nerantwortlicß. 

©obalb fidß bie erregten Sßogen einigermaßen befänftigen 
fonunt man freilich baßinter, baß e« fiiß nießt um bie SecßtS« 


frage, fonbern um bie grage ber ©ereeßtigfeit ßanbelt, unb 
baß fidß bie öffentliche ÜReinung mit ißrer Sitteration in ber 
Slbreffe geirrt ßat. Seßtere« wtE jwar fetbft ber befonnene 
3oßn gemotne nodß nießt ehtgefaßn, ber im Uebrigen bie grage 
im «Journal des Däbats“ richtig gefallt ßat. gnbeffen finb e« 
boeß in feinem, gefeßweige bem im conftitutionellen Staate bie 
SRicßter, welcße jur $erfteßung ber |>armonie ber ©efeßgebung 
mit bem öffentlichen SRecßtSbewußtfein befugt finb. SRan fann 
e« mit fRecßt jeber ERajoritätSregierung jum Sorwurf madßen, 
wenn fie, wie in granfreieß, ißre eigenen ©rincipien nerteug« 
nenb, allgemein nerurtßeilte ©efeße eine« abgetßanen SRdgime«' 
nießt aufßebt, fonbern mit bem ftitlfcßweigenben Sorbeßalt 
einfeßtafeu läßt, fie gelegentlich für potitifeße ©egner au« ber 
SRumpeifammer wieber ßemorjußolen. ©n Sorwurf trifft 
aber nießt minber bie partamentarifeßen $örperfdßaften, bie 
»on ißrer gnitiatioe feinen ©ebraudß gemacht ßaben, unb tro|« 
bem, wenn ba« gettenbe SRecßt pftießtoemäß jur Slitwenbung 

S ebrad&t wirb, .geterntorbio feßreien nno tßun, al« ob fte au« 
en SSotfen fielen. 2Bo bie ©taatSanwaltfcßaft ftet« amonibet 
unb mit ißrem Slnttagemonopol »otlftänbig Organ ber Ser« 
Wallung ift, müffen ficß betartige, bewußte ober unbewußte 
Untertaffungen ftet« rächen. 

SUIerbingS fann feine fpätere ©efeßgebung gefeßeßene Dinge 
unaefdßeßen maeßen, namentlich nießt bie ©efeßtidßteit ber ge« 
mifeßten ©ommiffionen; unb ßier ift ber ißunn, wo wir ben 
granjofen ba« Urtßeil über bie moratifeße Oualification ißre« 
SRicßterftanbe« allein fibertaffen möchten, weit e« fidß weniger 
um bie ©ocße at« um Sßerfonen ßanbelt, unb fcßtießlidß nur 
bie potitifeße Ueberjeugung ben SluSfcßtag gibt, gnbeffen ßat 
bie grage für einen unbefangenen ©tanbpuntt boeß audß einige 
fachliche äRomente. SWan mag über SfuSnaßmegefeße unb Slu8« 
naßnegerießte eine SRetnuitg ßaben, welche man will; e« bleibt 
boeß Dhatfadße, baß SluSnaßmejuftänbe ftet« au^ StuSnaßme« 
maßregeln mit ficß bringen, unb grabe bie große SRenge »et* 
langt banaeß, wenn fie bnreß irgenb etwa« in’« Socfsßom 
gejagt wirb. Ob nießt aueß oßne biefelben regiert werbe tönnte, 
oßne baß bie ©efettfdßaft, troß ißrer SettungSbebürftigfeit, ju 
©runbe geßt, fann ßier auf ficß berußen. Daß bie ÜRitwirfnng 
bei ber Ausführung eine« AuSnaßmegefeße« aber feßon an unb 
für ficß einen fittlidßen SRafel mit ficß bringt, fann fein Un« 
befangener behaupten. Soweit »erfteigen fidß felbft unfere Ultra« 
montanen bei ben SRaigefeßen nießt, benn fetbft bie niebrige 
gnnectipe „Äanneateßer unb ©enoffen", welcßer ber fireßließe 
©eridßtsßof auSgefeßt gewefen ift, gilt nur ber Segitimation 
ber bona fides ber SRitgtieber. Der Stanbpunft, ber bei bem 
©egner nießt eine immerhin irrige — aber fubjecti» gleicßberecß« 
tigte — Ueberjeugung, fonbern nießt« al« moratifeße Siebertraeßt 
»orauSfeßt unb fießt, füllte wirftieß naeßgerabe ju ben über« 
wunbenen geßören. 

Stiuß un« feMen StuSnaßmegerüßte unb felbft ein Stnatogon 
ber gemifeßten ©onunifftonen nießt. Unb bodß möcßten wir 
baran jweifetn, baß bie SammergericßtSrätße, welcße im Staat«« 
gericßtsßofe ftßen, ober bie Sinter, welcße an einem, nadß bem 
©efeß über ben SelagerungSjuftanb »om 4. guni 1851 ju« 
farnmengefefeten ftriegSgericßt Dßeit neßraen füllten, bei un« fo 
bureß ben Äotß gefcßletft werben würben, wie e« gegenwärtig 
bem franjöfifißen Sidßterftanbe ergeßt Stuf bie ©efaßr ßin, 
baß bie« SHufion, unb ber ©runb bafür, bie Sltutaßme eine« 
tiefer ausgeprägten Sflicßtgefüßl« unb einer barau« notßwenbig 
folgenben größeren Slcßtung für bie Sflicßterfültung bei Slnberen, 
nationale Ueberßebuttg fein foHte, geftatten wir un« befeßränft 
genug ju fein, Daran ju glauben, bi« up« bie Dßatfadßen eine« 
©eßleeßteren beteßren. 

SUerbing« ift ber IRicßter fein meeßanifeß functionirenber 
Slpparat, ber fo wie er ift, oßne freien SSiEen, Sitte« wa« ißm 
unter bem SRamen: ©efeß jugeffißrt wirb, »erarbeiten unb jnr 
Slnwenbung bringen müßte. @8 ift fein freie« IRecßt unb unter 
Umftänben feine fitttieße ißfließt, ficß gegebenen galt« bie grage 
»orjutegen, ob er bei ber Stnwenoung eine« ©efeße« mitwirtai 
fann. SBenn er aueß felbftoerftänblicß al« Staatsangehöriger 


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Nr. 11. 


• i t <5*grünutri. 


163 


leine SBaljl h®t, ob er bem ©efejfe felhft unterworfen fein will 
ober nicht, bie 8ßaf)l jwift^en feinem Amte unb feiner Uebet; 
zeugung fann ihm nicht oerfchränlt werben, unb fie ift feine 
freie, moralifche If)at. ©ben barum aber hat in biefem inneren 
ConfUct innerhalb feiner eigenen ©erfon fein Anberer mit ber 
Anmaßung, barüber ju ©eridjt fi|en ju wollen, ^ineinjureben. 
©in SRärthrerthum, namentlich ein polttifdjeS, ift oft t>iel wo^l= 
feiler unb lucratioer, als bie ferner ertämpfte Stefignation, bie 
fich bem ®an$en nnterorbnet unb um beS ©anjen wiQen in 
ber befteljenben Drbnung auf bem fßla^e auSffttlt. 

ICtus. 


Weber Biemrfrilfdjangfn uni» fiternnttrfntljnngett. 

Sie grobe Stolle, oieHeidjt fann man fagen, bie zu grobe, 
welche baS ©ier in unferer Seit ffielt, bebingt baS lebhafte 
Sntereffe, welche« ihm bon allen ©eiten jugewenbet wirb, unb 
fanm bttrfte eS ein ©enußmittcl geben, über welche« mehr ge; 
fcholten unb mehr gefabelt wirb, als über baSfelbe. 3m $of; 
brau ju Stünden unb im SreSbener SBalbfchtößchen, in Coburg 
unb in Hilfen, überall biefelben Klagen mißoergnügter ©iertrinter 
unb überall, trofc aller Klagen, berfelbe maffenhafte ©onfum, ju 
maffenljaft hmfichtlid» ber ©efunbljeit unb ju maffenhaft in Sin- 
betragt unferer Arntnth, bie gebieterifch eine gröbere AnfprudiS« 
lofigfeit unb ©nthaltfamteit oerlangt, als bie SReiften fidf anju= 
eignen gewillt finb. 

SBeldj’ Oerfchiebene Anfprüdje werben hoch an unfer nationales 
©etränl gefteflt. Ser ©me will ein fräftigeS, beraufchenbeS, ober 
bodj anregenbeS ©etränl, welches ihm baS brüienbe tägliche 
einerlei befeitigt, ber Anbere fchwärmt für baS hatmlofe Sünn= 
hier, beffen ©enub nie unb nimmer bie ©lutcirculation ju be« 
fe^eunigeu oermag. ©alb ift es ju bunfel, balb ju hell, halb 
bebingt eS einen trocfenen §al8 unb brennenben Surft, batb 
Uebelbefinben unb eingenommenen Kopf. Salb foH eS bie Stoße 
einer beftimmten SRebicin übernehmen, balb bie gegenteilige 
SBirfung äußern, unb Wenn auS ©ott weife welchem möglidjen 
©runb ober ©rfinben bie Stacht nicht fo gut oerlief unb baS 
aßgemeine ©efinbeu nicht fo ift, wie eS fein foß, fo wirb pdfer 
junächft ber Stein auf baS fühle Stafe, auf baS erbärmliche Seug, 
ben gefchmierten Kram unb wie man fonft in Anwanblungen 
grimmiger Saune baS ©ier §u bezeichnen pflegt, geworfen, unb 
mit ahnnngSooßem ©rauen oon ben möglichen nnb unmöglichen 
©erfälfchuugen gefabelt, bie aflein an bem Unheil ©chulb hob«« 
foßen. 

3n ber Sh®* Wirb gegen baS ©ier unb bie ©rauer, bie 
man ja nahezu für ^atbe ©iftmifcher hält/ oiel gefünbigt, unb 
nur fehr feiten wirb ber mißoergmigte ©iertrinfer, bem ber ge* 
Wöhnlidje Schoppen nicht fo Wie gewöhnlich munbet, fich fragen, 
ob nicht oießeidjt in feinem ©efinben, feinem Surft, bem ge* 
noffenen Abenbbreb unb bergleichen bie Schulb ju fuchen fei, 
ober ob an bem Kopfweh am anberen SRorgen, ober ber uns 
ruhigen Stacht, nicht oießeicht auch bie genoffene Quantität ober 
bie oetborbene fohlenfäurehaltige Suft ber ©terftube, bie SebenS* 
weife beS SageS unb bergleidjen fdjutb baran finb. @8 ift fo 
bequem unb es liegt fo nahe, bem ©ier bie Schulb beijumeffen, 
nnfc oon bem Stei^SgefunbheitSamt unb ber ihemifchen Unter; 
fuchung erwartet man aßein Abhülfe für aße Seiben. 

SRit Unrecht; bie d)emif<he Analpfe ber Siere wirb wenig; 
ftenS bie Klagen, bie übrigens fo alt finb wie baS gabrifat, 
nicht befeitigen, unb ©erfälfchungen, wirtliche unb echte ©et; 
fälfchungen, finb trofc aßer Sieranalpfen bisher noch M» r feiten 
gefunben worben. 

Sunädjft wirb man, wenn oon ©erfälfchungen überhaupt 
gefptodjen wirb, fich Hur machen müffen, was barunter ju oer; 
ftehen ift. 3m Allgemeinen finb SJtalj, alfo geleimte ©erfte, 
H?opfen unb SJaffer bie SRateriatien, aus benen bas ©ier bereitet 
wirb; eS wäre aber abfurb, ju oerlangen, bafe nufeer bemfelben 
feine anberen Stoffe in ben ©rauereien benufct werben foflten, 


unb eS liegt lein annäljernb oernünftiger ©runb Oor, gegen bie 
Anwenbung oon Weis, SDtaiS, Kartoffeln unb Stärlejucfer, welche 
fehr Wohl im Stanbe finb als ®rfa|mittel ber ©erfte ju bienen, 
ZU fprecfjen. Auch fiab berartige Surrogate gefe$ticfj erlaubt, 
unb baS ©raufteuergefefc oom 3uni 1872 regelt bie ©efteuerung 
berfetben. ©om chemifchen unb fanitären ©tanbpuntt aus läfet 
fich bagegen abfotut nichts fagen. ©ei ber ©ährung geben fie 
fämmtlich im Aßgemeinen biefelben ©robucte wie bie ©erfte, 
unb bie unbebeutenben SRengen ber babei auftretenben oer; 
fchiebenartigen ©erbinbungen fönnen wohl ben ©efdjmaÄ etwas 
beeinfluffen, oermögen aber nicht bie ffirrfung beS ©iereS nach= 
weisbar zu oeränbern. Ob ber Altoljot unb baS Sejtrin im 
©ier aus ©erfte ober ®eis entftanben ift, ift auf bie Slatur 
jener ©erbinbungen ooßftänbig gleichgültig, unb ber Spiritus, 
ber burdj unmittelbares Serfaßen beS SucferS entßeht, h®t ganz 
genau biefelben ©igenfdjaften wie berjenige, ber fich ®uS bem 
SRalz, bezüglich aus ber barin enthaltenen ©erfte bitbet. SSBenn 
baS ©ier gut fchmecft unb gut betömmt, fo ift eS unferer 
Anficht nach ooßftänbig gleichgültig, aus welchen Subftanzen eS 
bereitet worben ift. ©elannttich gewöhnt fich aber auch ber 
menfchliche Körper an ben ©enufe oon ©iften, unb man würbe, 
um aßen Anfprüdjen gerecht zu Werben, oießeicht fagen müffen: 
eS bürfen zur ©ierbereitung leine folgen SRaterialen oerwanbt 
Werben, welche an fich auf ben Organismus eine nachteilige 
SBirlung auSüben unb als ©ifte zu bezeichnen finb. SieS näher 
Zu beftimmen ift aber nid»t leicht. 3n deinen unb mäfeigen 
SRengen genoffen, wird ber Atloljot anregenb unb wohlthütig, 
in gtöfeeren Quantitäten betäubenb unb giftig. Ser Sabal unb 
baS barin enthaltene Sticotin gehören zu unferen ftärfften ©iften. 
Sie wohlthuenben SBirlungen beS Kaffees unb SheeS finb be; 
lannt; größere Quantitäten oon Kaffem unb Shön bringen 
KrantheitSerfdjeinungen ber gefährlichen Art, Sobfucht unb 
©aferei, h*toor. Aehnli i) ift eS mit ben meiften ©enufemitteln 
unb ©h e milalien: in Meinen SRengen finb fie unfch&blidj unb 
nfi^lid), in größeren beeinftuffen fie bie gnnctionen beS Körpers 
unb werben nachteilig- 

3n ber ©rauerei tommen foldje Körper, bie man im Aßs 
gemeinen als ©ifte bezeichnet, aber auch laum in Srage, unb 
bie Surrogate, bie als ©rfa-fcmiftel für ben $opfen angeführt 
werben, finb zumeift ganz harmlofer Slatur. SSeibenrinbe, Quaffia; 
holz, ©nzianWHrzel, Knoßen unb Samen ber' £>erbftzeitlofe, 
Soßtirfche, ©ilrinfäure unb ähnti^e Subftanzen Werben genannt, 
©on biefen würben bie testen brei als entfchieben ber ©efunb« 
heit nachtheilig bezeichnet werben müffen. @8 liegt aber auch 
lein ertennbarer ©runb oor, ber bie ©rauer zur ©enufeung 
berfetben oeranlaffen tönnte. Sie ©itrinfäure, bie in großen 
SRengen auS Kreofot unb catbolfäureartigen ©erbinbungen her* 
gefteßt unb in ber Färberei gebraucht wirb, ift ztoar bitter, hat 
aber fonft leine ber ©igenfchaften, bie ben §opfen unent6ehriiih 
machen unb ift aufeetbem wegen ihrer ftarl gelbfärbenben ©igen; 
thümliehleit nicht aßzu fhwer zu ertennen. Sottfirfche unb §erbft= 
zeitlofe finb betäubenbe Arzneimittel, bie in lefcter Steihe f^merz; 
ftißenb nnb fdjlafbringenb witfen. Sie bewirten fo ziemlich 
baS ©egentheil, waS man üom ©ier oerlangt, finb aufeerbem 
fehr theuer unb tönnen burch ihre djemifche 3»fammenfehung in 
teiner SBeife ben Hopfen erfehen. SSeibenrinbe, Quaffealjolz unb 
ähnliche ©flanzenftoffe tönnten unferer Anfkht na^ unbebendich 
in Anwenbung gebracht werben, ba ihre ©itterftoffe phhfiologifch 
taum anberS wirten werben, als bie beS J&opfenS. Seiber aber 
enthalten fte eben nur ©itterftoffe, aber nichts oon ben übrigen 
©eftanbtheilen: Weber $opfenmehl, noch baS äthertfehe $opfenöt, 
noch baS ^opfenhatz unb bie ^opfengerbfäute, lauter ©erbin; 
bungen, bie für bie ©attbarleit unb ben ©ef^uad beS ©iereS 
unentbehrlich finb. Aehnlich ift eS mit anberen ©egetabilien, 
bie als @rfa|mittet beS ©opfenS genannt werben, unb man muß 
fagen, baß eS zur Seit leiber noch lein Surrogat bafür 
gibt. SBir fagen leiber, benn gewiß würbe ft<h ber, metdjer 
bie ©rauer oon ben Schwantungen ber Hopfenernten unb ben 
hohen ©reifen unabhängiger ma^te, große ffierbienfte nicht nur 
um baS ©ewerbe, fonbent um aße ©iertrinler erwerben. 


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164 


9if tötgenwurt. 


Nr. 11. 


So ift benn auS rein fachlichen ©rünben eine häufiger 
öorlomntenbe ©ieroerfälfd)ung nic^t wohl benlbar, wenn wir 
auch jugeben, bah befonberS Heinere ©raueteien ab unb ju 
harmtofe 3lpoth«lermittel, oielleicht eine $anb öoß Eorianber 
ober begleichen nach ererbtet SBeife juwerfen, unb in ber 2f)at 
haben auch bie allerorts auSgeführten ©ieranatpfen noch nie, fo 
weit eS wir befannt ift, ©erbädjtigeS ergeben. StllerbingS oer= 
mag bie Chemie nid^t immer mit Sicherheit ben Urfprung ber 
in bem ©ier enthaltenen pflanzlichen ©itterftoffe ju beftimmen, 
unb bie Unterfudjungen erftreden fich jumeijt nur auf ben 
SHlohotgeljatt (burchfchnitttidj 4 ©rocent), oon bem ba8 ©e= 
raufchenbe be8 ©iereS abhängt, unb be8 fogenannten EjtracteS, 
welkes hauptfächlidj aus SJejtrin unb Suder befteht. (3m ©ier 
finb circa 6 ©rocent.) SBirfliche ©erfälfchungen unb ©er= 
giftungen aber mit ftarftoirlenben Subftanjen, mit t£oüfirf<he, 
©ifrinfdure u. f. w. Wörben fich fehr wof|l finben laffen unb 
Wörben bereits gefunben worben fein, wenn fie häufiger oor= 
gefommen wfiren. 

21. fjofaeus. 


eSttaaftif uttb 


•perföitlidie« über Jtrbinattb £af|alle. 

Schon bie Ueberfdjrift biefeS furjen StuffafceS beniet an, 
ba| *8 fidj in bemfeiben auch nicht entfernt um eine Schi! 1 
betung SaffatteS als ©tjitofoph, 3«rift ober Agitator hanbelt. 
3<h alt genug geworben, um ju Wiffen, waS man feit 
EonfuciuS unb Soroafter bis ©righam Doung unb „Staats* 
bärget" #elb oon allen Sh e ° 5 unb ©hilofopfjen unb anberen 
3Renfchh«it8beglädern ju holten hot. ©tir perfönlidj finb einige 
©erfe ShalefpeareS unb einzelne Sentenjen beS EeroanteS lieber, 
als bide ©änbe beS SriftoteleS unb Kant. 2)o<h baS ift ©e* 
fchntadsfadje. 3<h wollte nur oon oornljerein bemerfen, bat 
ich bei ben Erinnerungen, bie ich h* et nieberfdjreibe, einfach 
ben ©tenfdjen im Sluge habe unb bie SBürbigung beffen, was 
er getrieben unb öffentlich gefprodjen, gern Slnberen überlaffe. 
3<h Wörbe auch biefe Seilen nicht fchreiben, wenn ich nicht aus 
Sittern, was in bet lefcten Seit äber Saffatte publicirt worben 
ift, herauSgelefen hätte, bat ih n uur äuterft SBenige, bie äber 
ihn fdjrieben, perfönlid) gelaunt hoben. $>aher mag eS benn 
wohl lommen, bat i<h h* er un b outerhalb eine ©tenge ©erfonen 
getroffen, bie gan§ gut äber feine fdjriftfteüetifche unb agitato* 
rifche Jljätigleit unterrichtet Waren, aber über ben ©tenfdjen 
feibft bie wunberlidjften Slnfdjauungen ju läge förberten. S)ie 
Einen hielten ihn fär ein oertommeneS ©enie, baS fich tümmer* 
lidh oon ben Sltmofen ber ©räfin #afcfelbt frifte unb hin unb 
wieber Sranbfchriften in bie SB eit fchleubere, um baburch eine 
ooröbergehenbe Slufmertjamteit ju erregen —, bie Slnberen oer* 
mutheten in ihm einen gaifeur, bem bie loloffalen Summen, 
Welche ihm bie $afefetbt juwenbe, geftatteten, allen Saunen unb 
©elöften, auch literarifdhen unb agitatorifchen, ju fröhnen, — 
noch Snbere hielten ihn fär eine Slrt ©affermann’fdier ©eftalt, 
bie fnh nie ohne einen biden Sfrtüppel ä la Sülle öffentlich 
Zeige u. f. w. SBenn ich bann biefe Slnfidjten ju berichtigen 
fuchte, ftiefj ich meift auf ein ungläubiges Sfopffchütteln. Unb 
fo ähnlich ift eS auch heute noch. Um fo mehr ift es wohl an* 
gezeigt, wenn 3emanb, ber mährenb eines 3ah*e8 faft in jeber 
SBoche ein ober mehrere ©tale fein ©aft war — unb jwar 
gerabe in ber Seit lurj oor feinem Sobe —, eS oerfudjt, bie 
perfönlidjen Erinnerungen, bie ihm aus jener ©elanntfchaft ge= 
blieben finb, turj wieber jugeben. Sin unb fär fid) mögen fie 
ja unbebeutenb fein; bem fchärferen ©lid ober geben fie oieffeidjt 
hoch manchen gingetjeig fär bie Eharatteriftit beS oielbefprochenen 
©tanneS. 

3<h f°h Saffatte juerft in ben ©efettfehaften eines meiner 
älteften greunbe, $an8 oon ©älowS. 3Jiit feinem eigenthümlich 


fdjarfen ©lid, ber auch in baS ihm fcheinbar fern Siegenbe tief 
einbrang, hatte ffiülow baS ^eroorragenbe in ber ©erfönlidjteit 
SaffatteS fofort ju erlennen gewutt unb war ihm näher getreten. 
Sch toitt hiev fogleidj auch erwähnen, bat ©ülow mir einmal 
fagte: „SBaS mich auter allem Slnbern an Saffatte intereffirt, 
ift baS iragifche in feinem ganjen SBefen. 3<h bin überjeugt, 
biefer ©tenfeh mut ein tragifcheS Enbe nehmen." ©ötow hat 
©echt behalten, wenn wir auch glaubten, bat biefe tragifdje 
Äataftrophe in einer anbern SBeife, nicht burch einen Siebes* 
hanbel, eintreten würbe. 

SaffatteS Erfcheinung erregte bamals fofort mein 3ntereffe. 
Eine hohe fdjlante ©eftalt, ein blaffeS feines ©eficht mit mähig 
gebogener Stafe, blaue Slugen, bie Wohl auSbrudS* unb einbrudS* 
oott gewefen fein müffen, ba bie Chronique scandaleuse mancher 
©erliner gamitie oon ihren Erfolgen'ju erjäljten Weit, ber 
©tunb mit ben fchmalen, meift gefchtoffenen Sippen, baS ftarle 
bunfle, lutjgefchorne #aar, bie ganje Haltung oornehm referoirt 
unb waS man im mobernen ©omanftpl „biftinguirt" nennt — 
alles baS machte Saffatte ju einer Salonfigur, bie fofort bie 
Seachtung auf fich jog. Er War fehr jurüdhaltenb in feinem 
SBefen, als fürchte er überall eine ©erührung, bie ihm nicht 
paffe. 3<h ftanb babei, wie ©älow ihn feinem SdjwiegerOater 
granj SiSjt oorftettte. SiSjt mit feiner uuoerglei^lichen SiebenS- 
wärbigleit oerneigte fich tief oor bem SRanne, oon bem er in 
jener Seit — eS war ungefähr im 3 a h re 1860 — wohl noch 
wenig wutte. Saffatte antwortete mit einer oornehm läffcgen 
Steigung beS topfeS; ber Stüden blieb ungelrämmt. S)a8 gab 
mir ju benlen. 3<h wutte oon Saffatte wenig mehr, als bat 
er bie fogenannte „Stffaire" mit ber ©räfin $a|felbt gehabt, 
bat er ein phitofophifcheS unb bann ein juriftifd)e8 SBerl ge: 
fchrieben, bie fich beibe ber grötten Slnertemtung ber gachmänner 
erfreuten — berartige ®inge aber lagen mir fern unb fo fuchte 
ich benn auch bamals leine Slnnäherung. 

Sie lam aber hoch fpäter unb jWar ebenfalls burch ^au^ 
Oon ©ülow. $ie ©erliner ©hilofophifcho ©efettfdjaft hatte am 
19. SJtai 1862 eine gidjtefeier Oeranftaltet. Saffatte fottte bie 
geftrebe halten, ©ülow hatte unfern gemeinfdjaftlichen greunb 
Ebuarb gifdjel, ber halb barauf in ©aris einen jähen Job 
fanb, unb mich baju eingelaben. Es lam bamals faft ju einem 
Slanbal. Saffatte hielt feine geftrebe in bem Keinen Saal be£ 
geftlocals. Sie war einigen fetten ber ©hitofophifdjen ©efett: 
föhaft ju lang. Sie fürchteten, bie Suppe lönne anbrennen, 
fdjlugen gegen bie %t)xn, bie jum Etfaal führte unb tiefen, 
Saffatte möge aufhören, eS fei genug über gichte gefprodjen. 
Saffatte liet fich natürlich nid^t ftören, fonbern brachte feine 
Siebe — bie er mit einem gewiffen monotonen, aber einbring: 
lidjen ©athoS ablaS, wie atte feine Sieben — ju Enbe. ©et 
lifche fat ich in feiner Slähe. Er war fehr erregt burch bie 
grobe Unterbrechung; ein SreiS oon greunben unb ©elannten 
fuchte ihn ju beruhigen, wir gingen fpäter ju bem fogenannten 
„fdiweren SBagner", unb bort forberte er uns, ba er eine 816: 
neigung gegen atte Kneipen hatte, auf, ihn nach $aufe ju be: 
gleiten unb in reinerer Suft ein ©laS SBein ju trinlen. 8Bir 
folgten unb auf biefe SBeife würbe ich fein ©aft. Schon wenige 
Xage barauf erhielt ich «in« Einlabung ju einem Keinen $iner 
bei ihm, bie fidh oft wieberhott hat. 

Saffatte wohnte bamals in ber Setteoueftrafje 13, in einem 
fehr freunblichen ©arterre, an baS fich «in Keines 2reibfycu& 
unb ein ©arten anfehloh, ber ihm, wie mir fdjien, jur auS: 
fchlie|lichen ©enu|ung überlaffen war. 3118 Sohn einer oer: 
mögenben ©reSlauer gamilie — bie Slente, welche ihm bie 
©räfin #afcfetbt nach bem ©ewinn ihres ©roceffeS gegen ihren 
©atten auSfefcte, war üerhättnifjmäfjig nur unbebeutenb — tonnte 
et ganj feinen Steigungen leben. Er muhte {ebenfalls übet be* 
tröstlich« ©littet oerfügen. 2>a8 f^lie|e ich nicht nur aus 
feiner ©ibliothel, bie eine SJtenge SBetle erften StangeS enthielt, 
fonbern auch aus ben junt Iheil meifterhaften Sculpturmerlen, 
bie i^ nach unb nad) in ben oerfchiebenen Stäumen entbeefte 
unb unter benen ein Heiner antiler, ober hoch ber Stntile meifler: 
haft nachgebilbeter Satpr, ben er mit ©orliebe jeigte unb ber 


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Nr. 11. 


Ute Ärgenmart. 


165- 


eigentlich niept ganj falonfäpig War, oom fünftlerifcpen ©tanb« 
$unft betrautet beit erften Slang einnafim. ©eine #äu3licpfeit 
war auf bem feinflen 3uhe eingerichtet, feine Söcpin (od^te oor« 
trefflich, feine SBeine unb Sigarren mären „ejquifit" — nur hatte 
ec bie unangenehme Gigenfcpaft, bie teueren immer aus ber 
Srufttafdje perborjupoten unb anjubieten. 2llle3, was Kneipe, 
auch im beffern Sinne beS SBorteS, Reifet, war ihm oerpaht. 
Gr fah feine Sefannten gern bei fich, in feiner SSopnung, weit 
er bort baS Sefte jur fjanb hatte. 

©eit jenem Stbenb habe ich manche ©tunbe in feiner SBop« 
nung oerbracht, angenehm bamalS für mich, jefct hoppelt interef« 
fant in ber (Erinnerung. ©ewöpniiep fanbte er mir eine Gin« 
labung jum Diner um 3 ober 4 Uhr, mit ber Sitte, früher ju 
tommen. 2Bir gingen bann Oor bem Diner in ben ©arten, in 
bem er einen ©epiehftanb für Siftolen hatte unb fcpoffen bort 
mit einem ©atonpiftol nach SJartenblättem. Gr war ein aus« 
gezeichneter ©epüpe unb traf faft immer baS Stfj. Dropbent ift 
tr baS Opfer eines ganj gemeinen ©chuffeS geworben. 

Siete meiner mir wertheften Sefanntfdjaften oerbante ich 
ihm, theitS bah ich bei ihm antnüpfte, theits bah icp f te 
bort erneuerte. 3<P erinnere mich eines Diners, baS am 11. Stprit, 
feinem ©eburtStage, ftattfanb. Dort fah ich aufjer feinen Sets 
wgnbten ben £ofratp Sr. Srörfter, ben alten ©enerat o. ißfuel, 
bie jepige „rechte #anb" SiSmarcfS Sotpar Sucher, ben 
©chwiegerfohn SDteperbeerS Saron o. ®orff, ben ißrofeffor 
Steibtreu, ben greifen dichter ©cherenberg, Sfuftijratp 
Dorn, StecptSanwalt $ottpoff, auch Wbolf ©tahr unb 
Strang 8iegter. SBäprenb beS Diners tarn ber Stltoater un= 
ferer Philologen, Soecfp, um feine ©tücfwünfche ju bringen. 
Stile bei bem oortreffticpen Diner unb ben auSgefudjten ^Seinen 
in heiterfter, oft übermütpiger ©timmung. GS waren fcpöne 
©tunben, benen ich pets ein treues Stnbenfen bewahren werbe. 

HJlan hat fo üiet gefprocpen unb auch gefcprieben über bie 
„Orgien", bie bei Saffatle gefeiert Worben fein fotten. 3<P habe 
bamatS nie etwas baoon gefepen, obgleich i<P oft SWorgenS, 
SRittagS unb StbenbS ju ipm tarn. Möglich, bah eS früher 
anberS war. 3n bem ^apre, in welchem ich ipn kannte, fap 
ich nut Sreunbe — ju biefen rechne ich auch bie ©räfin ftap« 
felbt — bei ihm, unb ber Gparafter biefer Diners unb ©ouperS 
War berjenige heiterer ©pmpoften, wie fie uns aus ben ©cpitbe« 
rungen grieepifcper ©chriftfteHer auS tängft oergangenen Seiten 
betannt finb unb wie fte jept auch noch unter guten greunbeu, 
bie baS Beben nach feinem wahren SBertp ju würbigen Wiffen, 
gefeiert werben. 3cp toar-bamalS ein noch junger ERann, feiner 
Sreube beS SebenS abhotb. ßaffalle würbe mich gewifj in feine 
anberen „Vergnügungen", Wenn fie wirtlich ftattfanben, hinein; 
gesogen haben, ober ich hätte hoch gewifj baoon gehört. Slber 
ich habe niemals etwas bemertt, was mich hätte glauben taffen 
fönnen, bah etwas bort gefcpepe, oon bem man mich aus« 
fcpliejjen wolle. 

freilich GineS, was bort gefchah unb oon bem wir hoch 
nichts gewahrten, war bie agitatorifche Dpätigfeit. Saffatle, ber 
bamalS gerabe fieberhaft arbeitete, gab mir feine Srofdjüren, 
feine gebrucften Sieben — ohne ein SGBort babei pinjujufügen; 
aber einen ©ocialbemofraten habe ich nie bei ihm gefehen unb 
über feine agitatorifchen 3wecfe hat er nur pin unb wiebet unb 
bann ganj beiläufig einige SBorte ju mir gefprocpen. DaS mag 
fonberbar fcpeinen, ift aber tpatfäcptich fo* Gr fepte wopt als natür« 
lieh unb fetbftoerftänbticp OorauS, bah ><h mich für feine Siete 
intereffire, aber gefprocpen hat er ju mir barübet nicht. Siet; 
teicpt wollte er eine fcparfe ©renje jiepen jtoifcpen feinem per« 
fönlicpen gefeflfcpafttiepen Umgang unb feinen Seftrebungen nad) 
'Stufjen. ©enug, ich fteifj nichts baoon. 3 cp habe niemals einen 
ber ERänner bei ihm gefehen, bie als feine SBerfjeuge für bie 
fociatbemofratifche SBirffamfeit galten. ERag man baS beuten, 
wie man wolle, eS ift fo! Stucp weih ich ganj beftimmt, bah 
«3 ftcp ebenfo mit ben anberen perfönlicpfeiten oerhielt, bie ich 
in feinen ©efeüfcpaften fap. 

GS ift nicht gut anjunepmen; bah biete ftrenge ©cheibung 
ZWifcpen feinem gefeUfchafttichen unb feinem — Wenn ich fo 


fagen barf — gefchäftlidjen ober agitatorifchen Umgang auf 
einem S»faU beruht habe. Saffalle wufjte fepr gut, bah alle 
Diejenigen, bie er ju fiep etnlub, feine praltifcpe Dpätigfeit als 
Demagoge mihbiüigten unb in ipm nur ben hochbegabten ÜDlen« 
fepen fepäpten. Die Sotfstribunen tonnten ipm als Umgang 
niept genügen; er beburfte beS gefeOigen 3«fammenfeinS mit 
SDtännern, bie ipn oerftanben unb anregten, wäprenb fie oon 
ipm felbft angeregt würben. Die Sereinfamung, in ber er ba; 
mats, als ich >h n fannte, lebte, lieh ipn wopt au^ jebeS freunb« 
licpe Gntgegentommen hoppelt pochfcpäfcen, wenn es auep nur 
ein rein perfönticpeS war unb fiep niept auf fein öffentliches 
SBirfen erftreefte. ©eine ©ewopnpeiten, feine Steigungen be« 
ftimmten ipn überbieS ju einem ejclufioen Umgang, unb bie 
Stamen, bie icp oben genannt pabe, bürgen wopl bafür, bah ber 
Äreis feiner Setannten in ber Dpat ein ejclufioer war. 3« 
Wie weit fie ipm ffreunbe geworben, weih icp niept. 3<P Jtteifle 
faft baran, bah et bie Eingebung befah, bie allein im ©tanbe 
ift, im $er$en eines ^nbern §u jünben unb ffreunbfepaft ju 
erweefen. ©elbftoerftänblicp fpreepe icp immer nut oon ber Seit, 
in ber icp ipn fennen lernte unb in ber er bereits eine fepr 
abgefcploffene, ja felbft oerfeptoffene Statur unb wopl auch törper« 
fiep leibenb war. Screilicp ftanb er bamatS noep bem SebenS« 
alter nach in ber ooUen Stülpe ber ERanneSfraft — er war 
ungefäpr 38 3apr alt. Unb wenn man ipn im Steife feinet 
©äfte fap, gefpräepig, auf SlUeS eingepenb, ootler SBip unb ©ar« 
laSmuS, mit glänjenben Stugen, läcpetnben Sippen, fo tonnte 
man ipn noch für einen 3üngting patten. SttS icp aber eines 
SJtorgenS ju ipm tarn unb ipn bei einer ttrbeit traf, bie et 
fcpneU beenben muhte unb ich ipn wäprenb beffen beobachtete, 
fap icp ertofepene Singen, wunb gebiffene Sippen unb ein faft 
erbfapleS Slntlip, bem freilich niemals ber Sei) beS geiftigen 
SluSbrucfS feptte. SDtan jagt, er pabe fiep burep nartotif^e SWittet 
oon feinen förpertiepen Seiben ju befreien gefuept. GS lann 
wopl fein; wer aber nach biefer Sticptung pin Grfaprungen pat, 
weih auep, bah ein fepr nerböfer ÜJtenfcp in ber einen ©tunbe 
bis jur Dpnmacpt abgefpannt unb in ber näcpften', naep einer 
©tunbe Stupe, frifcp unb erregt fein tann, wie ber törperlicp 
©efunbefte. 

3m Umgang war er pöflicp, juoorfommenb, auep, wenn er 
eS fein wollte, liebenSwürbig, freilich immer mit einet gewiffen 
Steferoe. 3m ©treit gab er, wenn berfetbe heftig würbe, nach, 
aber niept mit ber SJtiene eines Ueberjeugten, fonbem mit einem 
teilten Säcpeln, als wollte er fagen: Sun, eS ift fepon gut, 
reben Wir niept weiter barüber. 3ep weih boep, waS icp Weih 1 . 
— Slber baS patte nicptS SerlepenbeS; immer bewaprte er bie 
gorrn eines SRanneS ber beften Grjiepung unb SebenSart Seiben« 
fepafttiep unb- erregt fonnte er wopl fein, wie jebe anbere leb« 
pafte Statur, aber in unangenehmen formen ift mir biefe Gr« 
regung nie bei ipm entgegengetreten. Hucp oon ber ©pottfuept 
unb 3*onie, ber er früher, wie man fagt, oft ben Sögel fcpieheit 
laffen, pabe icp bamalS nichts mepr an ipm bemerft. Gr leprte 
nie fein oft überlegenes SBiffen petauS, liebte ©efpräcpe übet 
einfaepe, parmlofe ©egenftänbe — freilich oieHeicpt nur im ©e« 
genfap ju ber fieberhaft auftegenben Strbeit, bie ipn im Saufe 
beS DageS befdpäftigte. Dah ipm baS Äneipenteben berpaht 
war, pabe icp fepon erwäpnt. Gr füplte ftcp nur wopl in feinen 
eigenen Säumen, bie ja aUerbingS jeben Gomfort boten. Die 
bilbenben fünfte liebte er, ob auep bie SRufü, fann icp niept 
genau fagen, obtoopl er bie Goncerte unfereS gemeinfcpaftlicpen 
jjreunbeS SüloW regelmähig befuepte. Seitäufig mag eS er« 
wäpnt fein, bah icp ipm in einem biefer Goncerte mittpeilte, 
wer bie poepblonbe junge Dame fei, bie oor unS auf einer San! 
fah unb bie ipm auffiet. GS war gräulein oon DönnigeS, bie 
er bann fpäter fennen ju lernen fuepte unb bie ipm fo oer« 
pöngnihboU würbe. 

Unfer Serpättnifj löfte fiep, naepbem eS ungefähr ein 3apc 
gebauert unb faft freunbfcpaftlicpe formen angenommen. Da 
ber ©runb biefer Söfung bejeiepnenb für ben eigenwilligen 
Gparafter SafalleS ift, fo will icp ipn pier futj mittpeilen. 3<P 
gepörte als ftreunb SülowS ju ben Slnpängern ber neuen muft« 

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Die Äegenwuri. 


Nr. 11. 


fatifchen ^Richtung. Xie Herren, bie heute, ba SBagner ber SDtann 
bei Xagei gettoeben, für ihn bai große SEBort führen, wiffen 
nicht, wai ei hieß, bamali oereinjett für ißn ju fämpfen. Sä 
gab fein emjigei Statt in Sertin, in welchem ein unparteiifchei 
SBort über bie Seftrebungen SBagneti unb feiner mufifatifchen 
©enoffen Aufnahme gefunben hätte. Stur meinen langjährigen 
freunbfchafttichen Sejieijungen ju Sbuarb Sföepen, bem $erau»= 
gebet ber „Steform", unb fpäter bem SBohtwotlen feine» 3taff)= 
fotgerä, Dr. ©uibo SBeiß, tjatte i<h e » ju banfen, ttenn bie 
„Steform" jnweiten einige anerfennenbe Seiten über biejenigen 
mufifatifchen Stufführungen brachte, in benen auch bie neue tRict)* 
tung »ertreten ttar. Saffatte Wußte, baß ich auf biefe SBeife 
mit ber „Steform" in Serbinbung ftanb. Sinei Sagei nun 
nach einem Xinet nahm er mich bei ©eite unb fagte mir, bie 
„Steform" tjabe einen Singriff auf ihn gebracht. „Sie tönnen 
für biefei Statt nicht mehr fdjreiben", fo ungefähr fagte er. 
„SBenn Sie mein greunb bleiben ttotten, fo müffen Sie jebe 
Serbinbung mit biefem Statte abbrechen.'' 

Xa» frappirte mich- 3<h hob« mir fteti, auch meinen 
greunben gegenüber, meine geiftige unb titerarifche Unabhängige 
feit ju bewahren gefugt, $ier trat nun bie Stage an mich 
heran: SBen opferft bu? Sottft bu Saffatte ju ©efatten bie 
Schiebungen ju bem einjigen Statte aufgeben, bai noch juweiten 
eine für je Stachridjt über Sütotti Seftrebungen bringt? 3$ 
ttar !urj entfdjtoffen. Amicue mihi Laagalle, sed magis amicus 
Bttlow! Seit biefem Jage hübe ich, fo öiet ich mich erinnere, 
Saffatte nicht ttieber gefehen — teiber! Sütow fragte mich 
öfter», tteihatb ich benn Saffatte nicht mehr befuche. 3<h ant* 
»ortete auiweichenb. Xenn, fo ttie ich ih n fenne, hätte Sütow, 
falti ich ihm ben wahren ©runb genannt, fofort oertangt, bah 
ich jebe SRüdfidjt auf ihn bei Seite fefce unb mit ber „Steform" 
breche. Unb bai wollte ich feinetwegen nicht. SBenn er biefen 
Slrtifel tieft, fo erfährt er heute jum erften SJiat ben wahren 
©runb bei Slufhöreni meiner Setanntfctjaft mit Saffatte. 

Unb nun mein Snburttjeit über biefe außer orbenttiche Serfön* 
lidjfeit. 3Ech faffe ei in wenige SBorte ljufammen, bie nicht 
maßgebenb fein fönnen, aber boch aui innerfter Ueberjeugung 
fommen. 

Saffatte, oon ber Statur förperlich unb geiftig reich heran* 
tagt, fanb feljr früh, altjufrüh, jene» „Schidfat", bai wir Sttle 
ati mehr ober weniger fettere Sette mit uni fchteppen. Xiefei 
Schidfat traf ihn in ber ©eftatt ber ©räfin §a|fetbt. 3<h 
hatte fein Serljältniß ju ihr für reiner, ati ei im Sltlgemeinen 
angenommen wirb. Stuf jeben galt gereicht ihm fein (Eintreten 
für eine ferner gefräntte grau jur Shre. Stber bie SBett, bie 
nun einmat eine böfe ift, badete anberi barüber unb Saffatte 
bertor früh burch biefei Sertjältniß feinen gefettfdjafttichen ©alt. 
3u feinem Ungtüd war et oermögenb, beburfte leinei Serufi. 
Sttlerbingi geftattete ihm biefe materielle Unabhängigfeit jwei 

SBerfe ju fchreiben, bie ihm einen bauernben Stußm pdfern 

werben: „Xie Sh‘t®f®hhie ©erafteito» bei Xunften" unb „Xai 
Stiftern ber erworbenen Siechte". Stber bai genügte einem fo 
reich ungelegten ©eifte nicht. (Sä fehlte ihm bie praftifdje 
Xljätigfeit. ®r hätte ati Xocent, Surift ober im Parlament 
Wirten müffen, um ootle innere Sefriebigung ju finben. Xaä 
war ihm nicht mögtid). SJtan mißtraute ihm, man hiett ihn 
für einen Slbenteurer. Xie gacpgelehrten mochten feine SBerfe 
für noch fo Ijochbebeutenb erftären — bie 8eitungen fcßwiejjen 
ihn tobt. Unb für einen SDlann, ber nach SRgh m unb äußer* 
ließet Stnerfennung bürftete, Wie et, War bai Oon altem Xenf* 
baren bai Söfefte. (Ei goß tiefe (Erbitterung in (ein ©erj. 

Setbft auf feine gefettßhafttichen S3ejiehungen hotte feine Set* 
gangenljeit (Sinßuß. 9lur gang borurtheilifreie ©eifter traten 

ihm freunbtich entgegen. So bereinfamte er in ber Seit bei 
bottften Schaffen». Sr Würbe baburch auch Jum Xoctrinär, 
nicht unähnlich eingetnen SWännern ber erften franjößfehen Sie* 
botution, j. S. Slobeipierre unb St. Suft, für bie et eine 
große Sorticbe hatte. — SBoIjin fottte er feinen übermäßigen 
SEBirfenibrang richten? Sr mußte arbeiten. Stber für wen, 
für welche Siete? Srgenb etwa» — wer mag fagen, wai 


ei war, ob (Sßrgeij, Seftimmung, innerfte Srfenntniß? — 
führte ihn bem testen SBege ju, ben er berfotgte, machte ihn 
jum Seiter ber (ociaten Sewegung. Unb fetbft biefei Streben» 
war er, wenn bie Sendete nicht trügen, mübe. Sr hoffte auch 
bon biefen Seftrebungen nicht» mehr unb wollte nach bem Süben 
| gehen, um feinen wunben Äßrper ju heilen. Sein Seben bietet 
bai Silb eine» ungeheuren Xhätigfeitibrangei, wie ihn ja Sin* 
bete auch befifcen, ber aber, nicht burch praftifdje Xljätigteit be* 
feßränft unb in regelmäßige Sahnen geleitet würbe unb bei* 
halb immer nach ueuen unb auffattenben gorraen griff, um (ich 
ju äußern, doppelt gereijt war er baburch, baß bie SBett feine 
Seftrebungen, bie et oon feinem fubjectioen Stanbpunfte aui 
für ebte unb nufcbringenbe hielt, nicht anerfennen unb nach 
ihrem SBetflje würbigen wollte. Unb biefe ©ereigtheit führte 
ihn jum Uebermaß — jum Sscentrifdjen, fetbft in jener triften 
Siebeiaffaire, bie feinem Seben ein frühe» Siet gefefct hat 
Seine fogenannten Sänger, bie aber blutwenig oon ihm 
rniffen, machen (ich jefct fehr breit, ©etabe beißalb, unb weit 
fein Slame noch lange genannt Werben Wirb, wollte ich ba» 
SBenige mittheilen, bai ich über ihn jn fagen habe. Seber, 
ber eine ©erföntichfeit gefannt hat, bie eine fo eingreifenbe 
SloIIe in unferm öffentlichen Seben fpielt, fott bai fagen, wai 
er über biefetbe weiß. Xcr Sutturhiftorifer Wirb bann biefen 
Seitrag, wenn er auch noch fo ftein ift, für bai ©efammtbitb 
bei SDlannei ju benu|en ttiffen. 

Kbolf niiitjdbnrg. 


Dantes Stellung jnr rämifdjtit ilirdje feiner JBcit. 

©on Karl 23artfcfj. 

(SitfuS.) 

3n ber niebern ©eifttichfeit, unter ben SDlöncßen, in ben 
$töftem heorfeßt nicht minber unchrißtiche unb Weltliche @e* 
finnung. Slicht ati ob Xante bie Sebeutung ber hohen Stufgaben 
unterfchäfct unb oerfannt hätte, bie bie SDlönchiorben im ERittel* 
alter ju erfüllen hatten. Xaß er biefe ganj erfannte, baoon 
jeugt bie 2trt unb SBeife, wie er oom Stifter bei Senebictiner* 
orben», bem heiligen Senebict, rebet (tßarabiei 22, 40 ff.); 
baoon bie hohe Stellung, weihe er bem Sernharb oon Stairoaug 
einräumt, ber an bie Stelle ber auf ihren Si$ jurüdgefehrten 
Seatrice tritt unb ben Xidjter bi» jum Schluffe feiner Sifion 
begleitet; baoon enbtich jene herrliche Säuberung, bie er oon 
bem Seben unb SBirfen bei heiligen granciicui burch ben Xomi* 
nicaner Xhomai oon Ülquino unb oon bem Seben bei heiligen 
Xominicui burch ben granciicaner Sonaoentura machen läßt — 
Sdjitberungen, bie bai ÜDlöndjiteben nnb bie SDlönchiorben bon 
ihrer ibeatften unb erhabenfien Seite auffaffen. Äbet um fo 
fdjärfer fteht ber Sbeatität ber Stifter gegenüber bie Cntartung 
ihrer Crben in ber Seit bei Xicßteri. Xie Serberbntß im litt* 
gemeinen unb im befonbetn tpinbtid auf ben Senebictinerorben 
ju Xante» Seit fhitbert ber heilige Senebict (ißarabiei 22, 
73 ff.) fo: 

Xocß jept ttJtü fi<h fein guß oom ©oben totnben, 

Sie ju ertUmmen, unb ei blieb mein Orben 
9lur brunten einjtg jum ©apieroerfchioenbcn. 

3u SRiubcrhöhlen ftnb bie SRaucrn tootben, 

®te Älöjtei waren; Sutten ftnb heut Säde 
©oK bumpfen fDlehlei bei ber Stöndje Sorbett. 

Da ift fein SBucher, ber jurüdefeßtede 
©or ©otteä ©itlcn weniger ati bie grudjt. 

Die für bie SOtöndje größter Dporheit §ede. 

Denn atlei, wai für fiep bie fiirdje fueßt, 

Qtehört bem Soll, bem man Ätmofcn reießt*), 

Unb niht Slepoten unb noch fcßlimmrer Sucht. 

*) Sgt. auch ©arabiei 12, 88 ff. 


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Nr. 11. 


fl t t «fgeunjurt. 


167 


Sott ben Dominicanern jener .geit entwirft Skontos öon 
STquino ein wenig günstiges ©itb (SßarabieS 11, 124 ff.): 

©och feine fceerb’ ift je|t fo gierig toorben 
9 lad) neuer ÄoP, bap ei etllürliC toirb, 

Sie auf ben Seiben fic^ ^erprenn bte färben» 

3e toeiter PC bie #eerb* entfernt unb irrt, 

3e mehr bie ©Cäfleiu PC öon ihm gerpreuen, 

3e leerer pnbet fte an SÄilC ber $irt. 

Soljl gibt’i noch fotc^e, bie ben ©Caben freuen, 
gutn Wirten haltenb, boC an gahl fo fC&aC, 

Hicht brauet'« üiel ©nC gu Äappen biefer freuen. 

Unb niCt günftiger lautet bie Säuberung ber fjranciicaner 
aui bent SRunbe ©onaoenturai (fßarabiei 12, 115 ff.): % 

Seil feine ©Caar, bie einp in fein Seleife 
©ie gjüpe fepte, biefei fo üer&tnte, 

Daß fte nun geht in untgefe^rter Seife. 

$o$ halb toirb man getoahreu an ber Srnte 
©en f<$te$ten Änbau, toenn ber Solch toirb flagen 
©arob, bap man oom ©peicher ihn entfernte. 

Ser ©latt um ©latt bei ©u$ei nmgefchlagen, 

©er hütt', ich toeip, auch Seiten aufgefpürt, 

©ie „34 bin toai ich toar" ati ftufförift tragen. 

©arum ift auC bai Drbenifletb fein SCuft 8 e 8 en bie 
9tnfprüCe, toelCe ber ©eufel an bie Seele fteßt. Selbft ber 
heilige grancticui ip nic^t im Stanbe, einen in feinen Orben 
getretenen fünbigen SJlann gu retten.*) 

©ie SertoeliliCung ber ßlöper unb bie Ueppigleii ber ©eiffc 
tidtfeit fCilbert fßetrui Samianui fe^r brapifC (fßarabiei 21, 
127 ff.): 

Äephai ging mager ein ft unb unbeföulp, 

Sie ©er, ber ein Sefäp bem ^eiligen Reifte, 

Unb ieber $erbcrg’ top toar für fte gut. 

3cfct aber brauet fo reCti tote linfi ber feifte 
Soberoe ftirte ©tü|en unb Seleit 
Unb einen, ber bon hinten §fllfe leipe. 

©en gelter bedtt er mit bei Santeli Äleib, 

So baft in einem SfeU gtoei ©epien geben — 

Sie oiel erträgft bu, o Sangmüthigfeit! 

©aber ^errfc^en bie fClimtnpen unb unnatürlichen ßafter 
unter ihnen ($öUe 15, 106. 114). ©a ift ei benn fein Sun* 
ber, toenn fie ihren geiplidben Aufgaben nur fCleCt naClomuten. 
Statt bai Sort ©ottei einfaC unb fC^C* gu oerlünbtgen, fuCen 
pe burC Spifcpttbigfeit unb eigne ffirpnbungen in ihren ©rebigten 
gu glöngen, unb begtoeden bai ©olf mehr gu amüpren ali gu 
erbauen, ©arabiei 29, 94 ft.: 


*) $öfle 27, 112 ff.: 

grang tooUf, ali i<b geporben, mich behalten; 
©od) einer aui ben fCtoatgen SberubfCaaren 
Sprach: §oF ihn nicht, bn liepep Unrecht malten. 

©er mup hinab gu meinen ftnedpen fahren, 
Seil ©mg gu ratzen er PC nicht gefcheut; 
©citbem hielt ich ih n immer bei ben paaren. 

Soifprechen fann man nicht feer nicht bereut; 
öereu’n nnb Sollen tann PC nicht oertragen, 
Sie ’i beiber Sörter Siberfbmch oerbeut. 

O toeh mir 3atmnernbem! toie mupt’ ich &<>8 en ' 
8Ui er mich padt’ unb ich ,4?ap nicht gebaut, 
©ap Sogi! ich Oerftänb’?" ihn hörte fagen. 


gu fcheinen müht ftdj ieber, ieber geigt 
Sai er erfonuen, bai nur macht befannt 
©er $rebiger, unb bai (Eüangelhim — fchtoeigt. 

©er fagt, bap P<h ber Stonb gurücfgetoanbt 
©ei t^h^Pi ßeiben unb pdj gmifchenfchob, 

©ap erbmürti nicht ben Seg bie ©onne fanb; 

©er, bap ptn giept bon felbft erlofch, barob 
©en 3«ben loie ben ©banier unb 3«ber 
gu gleicher geit bie fjinfternip umwob. 

SabÜ unb ©inbii*) g&hU Sloreng toeit minber 
2üi man im 3^^ ba unb bort erftnnt 
21uf Mängeln folche ©törchen, gut für Minber. 

©ie bummen ©cpaflein lehren heim, mit Stnb 
Sefüttert, unb nicht h^P bai ihnen fort, 

©ap pe nicht fehn ben ©chaben, meil pe bltnb. 

9iicht fo fbrach gu ben 3üngem Ghripi Sort: 

®eht hi« in uUe Seit unb b*ebigt ©chtoänfe, 

9letn! er gab ihnen feiner Sat^h«* ®ort. 

3hr ©rebigen fbrach allein Oon bem Sephenfe; 

3hr S4Ut> unb ©beer beim Sfambf für ihren Sott 
Sar nur bie ©chrift, braui man ben Stauben tränte. 

3efct brebigt jeber Pßfaff gum ©Cerg unb ©bott, 

Unb toirb nur reCtei Sachen aufgefClogen, 

SWehr toiü er nicht, bann fchtoiüt ihm bie dabott. 

6i ift in ber ©h a * bunlelfarbigei ©etnalbe, bai uni 
©ante oon ber flirCe feiner geit entotep unb feine Stellung 
gu berfelben mupte baher im SBefeutliCeu eine uegatioe fein. 
Shnt, bem bie #erpeßung ber ßirCe in ihrer reinen ©eftalt 
ntd)t bloi ein religiöfei ©ebürptip, fonbern ebenfo eine boKtifC« 
$ergenifaCe toar, toeil bamit feine KupC* t)on ber Umgeftaltung 
ber Seit unb Seltregterung aufi 3nnigpe gufamrnenhing — 
ihm h^tte bei folCem Stnblide toohl ber 2Ruth pnfen unb ber 
gtoeifel nahen lönnen, ob ei jiemali beffer toerben möCte. 

Slber biefer ftarfe ©eift, ber aßei Seib ber Serbannung 
aui ber h^ipS^iebteu $eimat gtoangig lang ertragen 

mupte, oerlor bie Hoffnung niCt. 

SJlit 8leCt lüpt er baper, ali ber Spopet 3acobui ihn 
über bie Hoffnung prüft, unb bie Sfrage an ihn peßt, toie pari 
biefelbe in ihm fei, ©eatrice au feiner Statt barauf ertoibern 
(<ßarabiei 25, 52 ft.): 

SRodj leinen ©ohn, ber hoffnungireicher, trug 
©ie ftirCe, bie noC ftreitet; toie’i gu lejen 
3m ©onnenliCt, bai leuCtet unferm gug. 

©rum marb er gion angufCaun erlefen 
Unb beihalb aui Sgppten hergetragen, 

®h’ fein ^riegSbienft gu Snbe noC getoefen. 

@r ^telt ben Slauben fep, bap ei einp beffer toerben 
müffe, toenngletC, je länger ber ©iCter lebte, je mehr er 
erlebte, bie Hoffnung auf eine balbige SertoirHiCung mehr unb 
mehr tit bie 3eme rüdte. 

Sir h^ben bereiti bei Sinbhunbei gebaCt, ben er ali 
©efreier Stalieni oon ber auf bem ©aterlanbe lapenben £>abs 
fuCt erfehnte unb erhoffte, ffiangranbe bella Scala, auf ben 
man ben Sinbhunb beutet, ip toohl auC in bem gottgefanbten 
Sünfhunbert gehn 2rünf (Fegefeuer 33, 43) gemeint, toetdjei bie 
babplonifCe $ure unb ben mit tyx buhlenben Sliefeu erfClagen 
toirb, b. h- bie entartete ßirCe unb bai entartete ©apftthum 
unb bai mit ihr buhlenbe granlreiC. 

^aupger toerben biefe £inbeutungeu auf bie gulunp im 
lebten X^ette bei ©ebiCtei, im fßarabiefe. ffii ift, ali toenn. 


*) gtoei bamali in ^Iorcng fe^r übliCe tarnen, ettoa toie bei uni 
Gütler unb ©Culge. 


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168 


Sie tfegensMirt. 


Nr. 11. 


je trüber unb au$fi$t$(ofer bie ©egenwart für ben Dieter würbe, 
um fo fefter feine Seele fid) an bie Hoffnung auf eine fdjötiere 
Sulunft Hämmerte. 

SEBo er ber nerte^rten Stiftung ber Sirene gebeult, ba 
fprie^t er twn biefer Befreiung.*) ®r f)ört im $immet nad) 
bem Hnruf bcS ißetruS Samianu« (ißorabie« 21, 135) einen 
gewaltigen fRuf nacE) Stacke erllingen, unb ju feiner Beruhigung 
wirb il»m bie HuSfunft, bafj ©otte« Sieche immer gut reihten 
Seit fomrnt (Barabie« 22, 16 ff.): 

Se« $öd)ften Schwert, nicht eilig fdjneibet’« ein, 

Stoch langfam; Seite« wirb nur 3euer meinen, 

Set fürchtenb ober hoffenb wartet fein. 

Gr betont, bofj ©ott noch größere SBunber gethan ol« jefct 
nöthig feien, um Ijier #ülfe gu fchaffen (Barattes 22, 94 ff.). 
Gr ruft bie $ülfe ber göttlichen Borfeßung an (Sßarabieö 27, 
61).**) greilich ift ba« Ijier gebrauchte „halb" weiter hinauf 
gerüdt in ben Sdjlußgeilen beöfetben ©efange« (B. 142 ff.). 

Sie nicht fintenbe Hoffnung aber eerteiljt ihm auch ben 
SWuth, fühn unb untrfdjrcdcn ade« gu fagen, unb er erhält 
non ben #itnmlifd)en wieberholt ben Huftrag, nach feiner Büd» 
lehr auf bie (Erbe gu melben was er gehört unb gefehen höbe. 

So forbert ihn Beatrice auf, nachbem er bie Bifion ge» 
fchaut, bie ihm bie ©ntwicfelung ber firc^e oorgeführt (ffege» 
feuer 33, 52 ff.): 

Sie« mert’ unb fo wie ich mein SPort bir bot, 

So la|j e« bie, bie ba noch leben, wiffen — 

Sin lieben, baS ein (Eilen ift gurn lob. 

Unb benle, wenn beS Schreibens bu befliffen, 

Sticht« gu oerfchweigen, wie bein Äuge fah 

Sen Baum, bem gweimal warb fern £'aub entriffen. 

@o ber h e ^*8 e Betru«, nachbem er fich über bie ©nt» 
artung ber Rirdje auSgelaffen (BarabieS 27, 64 ff.): 

Unb bu, mein Sohn, ben nochmal« niebertauchet 
Sie irbifche Saft, bu öffne beinen Stunb, 

Sticht bergenb, wa« ich flar bir gugehauchet. 

Unb wenn ihn felbjt bie ffurcht anwanbelt, er lönne burch 
feinen greimuth fich fchaben, fo befchwichtigt er fte burch baS 
©efüljt feine Bflüht gu tljun (fßarabieS 17, 112 ff.): 

3m enblo« bittem Heidjt brunten bort 
Unb auf bem Serg, Bon beffen höchfter Schichte 
SMich h»b ber Herrin fchöne« Äuge fort, 

Unb bann im $immel hier Bon Sicht gu Sichte 
Sernahm ich, wa«, fall« ich e« wieberfage, 

SBirb Bielen gum gepfefferten fflerichte. 

Soch wenn ich otS ber Sfreunb ber 2Baljrf)tit gage, 

So fürcht’ ich, nicht bei Senen fortguteben, 

Sie alt einfl nennen werben unfre Sage. 

Xarin wirb er beftärft burch bie frönen SEBorte, bie feinem 
SHjnen ©acciaguiba in ben SUtunb gefegt finb (BarabieS 17, 
124 ff.): 

©er ein ©ewiffen, fpta<h er bann, &eftpe, 

Da# eigne ober frembe ©chulb beflecft, 

Der fü^fe beiner gerben Sorte 8pipe. 


*) ©arabieg 9, 139 ff.: 

Allein ber ©atican unb alle Dheile 

Deg ^eiligen SRom, brin jene Krieger ruljn, 

Die ©etrug folgten, wirb in fur$er SBetle 

©efreit oom efjebredjerifdjen Dhun. 

**) Doch bie erhabne ©orficht, bie bie §änbe 
©on ©cipio }u SRomag ©chup gebraust, 

3<h meift, baft fie auch hier halb $ülfe fenbe. 


Drum holte mag bu fc^auteft, nicht oerfteeft, 
f# mag fich dopen men ba iueft bie §aut; 

©ahrheüggetreu fei aDeg aufgebeeft. 

©enn manchem auch beim erften Soften graut 
©or beiner ©Hmme, wirb fie Sebengfpeije 
3§m ^interlaffen, Wenn er fte berbaut. 

Dein 9?uf wirb mitten in ber ©türme ©eife, „ 

Die aDiumeift bie h&<hfdn Oipfel faffen, 

Unb bal gereift bir nicht &u deinem greife. 

Sein feftefteg unb treuefteg hoffen aber ruht auf feiner 
3bee bon einem großen ffieltfaiferthum. 

Darin finbet er ben ®runb alleg Uebelg in ber ©eit, baft 
eS ihr an einem fjödjften §errfcher fehle, ber bag richtige Ser- 
hältnift jwifchen höchster geiftlicher unb weltlicher HJtacht wieber 
herftefle, nachbem eg burch bie einfeitige aJlad^tentmtcflunfl beg 
^apftt^umg geftört morben. ®afe geifllic^e unb meftfidje Sla^t 
jept in einer $anb liegen , bag ift itjrn ber eigentliche ftrebgs 
fchaben ber 8^t. gegefeuer 16, 106 ff.: 

3mei ©onnen hotte 9?om, bag in ber ©eit 
Die Orbnung jepuf, bon biefen beiben mären 
Der ©eit unb ©otteg ©ege beib’ erhellt. 

^erl&fcht hot biefe jene; heute paaren 

©ich ©chmert unb fcirtenftab, unb fo berbunben 

3$b& Riecht natürlich alleg beibeg fahren, 

©eil feiitg bie ©<heu bor m anbem holt gebunben. 

(Sx läfjt Seatrice baher ju ihm fagen (^arabieg 27, 139 ff.): 

Doch ba& bu nicht erftauneft, moll , ermeffen: 

Die drb’ ift eineg hoffen iperrfcherg bar; 

Darum hot fich SRenfch fo mit bergeffeu. 

Dieg hoffen, bag mit bem Untergänge ber Staufen bers 
fchttmnben mar, ^atte »eher SRubolf bon ^abgburg erfüllt, 
noi) fein Sohn Slbre^t, meghalb beibe bont dichter hnrt ange^ 
griffen werben. Um fo begreiflicher manbte fich S)ante bem 
fiujemburger Heinrich VIL ju, ber Statieng Sobeu betrat, unb 
SlQeg bermirdichen ju Wollen fdhien, wag ber Sichter geträumt hotte. 

2lu<$ biefer Iraurn jerrann, nicht burdh ©einrich« Schulb, 
wie Dante glaubt, fonbern burdh bie Sntriguen ber (Jurie warb 
er bereitelt. 

Schmerjlich Hingen bie ©orte, mit benen er Heinrich* ge¬ 
bend, bem in ber weiften SRofe beg Sßarabiefeg ein noch leer 
ftehenber Sßlap jugewiefen ift (jßarabieg 30, 133 ff.): 

Stuf jenem groften Dhron, nach bem bu fdjaueft, 

Der Ärone wegen, bie man brauf gelegt, 

©irb, eh’ bu hier am geftmahl bich erbaueft, 

Die ©eele ftpen, bie bag ©cepter trägt 
©ei euch, ber h°h e Heinrich, ber ^um ©cpupe 
Qtalieng, eh’ eg reif, fich h*rbemegt. 

Die blinbe ^abfucht macht in tbör’gem Drupe 
Dem Äinb euch gleich, bag, ob’g oor junger fterbe, 

Die Ämme megftöftt, bereu HJtilch ihm nupe. 

3n biefen am ®6enb feineg Sebeng getriebenen Scrfen 
tönt bie fflage ber ©nttäufdhung hinbureft. 

So, eg war ein an ©nttäufdjung unb Schmer} reicheg 
Dafein, bag ber gebannte Dichter 1321 in SRanenna befdhloft; 
aber er hotte big jum lepten 2tthem}uge feftgehalten an bem 
3beale feineg Sebeng, an ber 3bee einer wieberhergeffeHten, non 
Slugwüchfen befreiten Kirche unb eineg mächtigen, ihr gleichge- 
orbneten, ber ©eit gebietenben Kaifertljumg. 


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Nr. 11. 


Ultr (Segenmart, 


I 


169 


(Eine tärktfdje Hetfe. 

»Olt Karl »raun = SBie8baben.*) 

Slmüfant unb lehrreich finb (iigenfdiaften, bie wir bei 
beulten ©üchern Seltener finben, als bie entgegettgefe^ten 
gelehrt uttb langweilig. SBir entbehren in ber Unterhaltung, 
tuaS ber grangofe mit bem SBorte causer bezeichnet, ©raun 
macht eine rühmliche StuSnahme. Er ift beliebt als angenehmer 
Eefeflfchafter unb fdjreibt wie er fprid)t. ©eine Segabung für 
objectitie tluffaffung, feine ©pradjfenntniffe, juriftifche unb oolfS* 
wiffenfchaftlidje ©itbung würben ihn befähigen, über bie Sänber, 
weiche er bereift, bie gelehrteren tlbljanblungen gu fchreiben, 
er jieht bie leichte UnterhaltungSform bot unb baS ©Motto beS 
©itnpliciffimuS: 

,,@8 f)at mir fo wollen behagen 

9Jtit Sachen bie SBafjrheit gu fagen," 

ift auch f e ' n SBahlfprudj. 

Statt einer ttbhanblung über ben Eittflufj ber türfifchen 
Eeiftlidjfeit ergäbt unS ©raun bie Seiben eines SBiener ©ädferS, 
ben tlbbubStgig gum oberften #ofbäder gemacht, wegen beS tior= 
jüglichen EebädS, baS er lieferte, fehr liebte, aber bennoch 
fdjliefilich entlaffen muhte, weil bie UlemaS in einem ber ©infet, 
bie man beim ©ädergefdjäft braucht, eine ©auborfte fanben. 
®ie weitere SHuftration für bie ©Macht ber türfifchen Eeiftlidb* 
feit hat bet Sttufftanb ber ©oftaS, bie Slbfefcung Slbbul=?tgig 
unb fein lob gebracht, bodj jum ©erftänbnijj biefer neueften 
gerichtlichen Sreigniffe ift bie Eefchichte beS SBiener ©äcferS 
oon ber ©chmeineborfte lehrreicher, als bie hodjpolitifdjen SeitungSs 
berichte über bie neueften Ereigniffe. ®ie Säuberungen aus 
©alonifi ftanben jum jfjeil fchon biefen Sommer im geuißeton 
bet „Sdjlefifchett.©reffe". $er©Morb ber Eonfuln, beten perfön= 
lidje ©efanntfdjaft ©raun bei feiner Stnwefenheit in ©alonifi 
gemacht hotte, lenfte bie ©liefe Don gang Europa auf biefen 
^afenort, ber an ber Erenge gwifdjen Europa unb Ülfien im 
Stlierthum eine fo bebeutenbe Stoße gefpielt hot- $ier lieh 
XerjeS ben Eanal graben, um fein $eer bom Eolfe Don 9tufani 
nach t>er ©ai Don ©alonifi gu führen, Don h' er führt bie 
berühmte via Egnatia nach bem ©oSporuS. SDie ©trafje ift 
jefct DerfaHen unb wartet auf Erfafe but<h eine Eifenbahn. S)ah 
auch hi» bie gntereffen StufjlanbS unb EnglanbS fi<h gegen: 
überftehen, Englanb eine folche ©erbinbung mit feinen afiatifdjen 
Eolonien wünfdjt, Stufjlanb biefelbe gu Derhinbem fucht, führt 
©raun treffenb auS. Ein grober ©otgug beS ©raun’fchen SudjeS 
ift bie Dößige Unparteilichfeit, mit ber er bie Suftänbe fdjilbert, 
er Dertheibigt unb befchönigt nicht bie türfifche ©Mifjherrfdjaft, 
er bittet aber aus chriftlidjen ober anberen ©hmpathien ben 
aufftänbifchen ©ölferfchaften nicht Eigenfdjaften an, welche fie 
nicht befifcen. SBir j)eutfd|en finb gewohnt, uns unter ©erben 
unb ©ulgaren tapfere Don Xürfenhafj erfüllte ©ölferfchaften gu 
benfen, wie anberS nimmt fich bie Sache an Ort unb ©teile 
ans. Sn Selgrab hört man Don ben ©erben nur Klagen über 
bie geigheit bet ©ulgaren unb ihren SBiberwiflen ÄriegSbienfte 
gegen bie lEürfei gu teiften. Spricht man bort mit ruffifchen 
Offigieren, fo fagen fie gang baSfelbe Don ben ©erben. Ein 
SeweiS bafüt bilben bie ©elbftDerftümmefungen, um ft<h bem 
ßriegSbienft gu entgiehen; biefeiben finb in folcher ©Maffe tior= 
gefommen, bah tfürft ©Milan ein Eefefc erlaffen hot, welkes 
bie ©elbfttierftümmelung mit XobeSftrafe bebroht. Xrofcbem 
follen einzelne ferbifche Ehirurgen, bie fich auf biefeS Eefchäft 
gelegt, gange Sammlungen Don abgefdjnittenen gingem ber 
linfen $anb hefigen. Ein tiießeicht noch fchtagenberer ©eweiS 
liefert bie grohe Slngahl ruffifcher Offiziere, Welche nach ben 
offiziellen ©erichten in ben lebten Eefedjten gefallen finb. ®er 
©erbe geht mibertoißig in baS Eefecht, gehorcht ungern bem 
fremben, befonberS bem ruffifchen Offigier, welchen er wegen 


feiner Strenge hofft, unb barf man ben Erzählungen bei ber 
Sache nicht interejflrter ©emohner Don ©etgrab Elauben 
fchenfen, fo finb bie auf bem ©cfjlachtfelbe gebliebenen ruffifdjen 
Offiziere nicht immer Don türfifchen Äugeln getroffen toorben. 
$ie SIpathie ber ©erben fällt Sebent auf, ber bie Sagarethe in 
©eigrab unb Uopfdjiber befudjt. ßwei fchöne grauen hoben 
baS ©atronat über biefe Sagarethe übernommen, bie Eemahtin 
beS ruffifchen Eonfuls grau Don Äarogow unb bie Eemahlin 
beS englifc|en Eonfuls ©MrS. SBhite. 3« Öen ruffifchen Saga* 
rethen ruffifche Slergte, ruffifche SJärnen als ©flegerinnen, in 
ben englifdjen Sagarethen unter ber ßeitung beS trefflichen 
$errn Dr. Satheron (eines geborenen ÄänigSbergerS „Safer", 
ber jeboch bereits feit 30 Sah«« in Sonbon lebt) englifctje 
Stergte unb englifche IDiaconiffen, in feinem ber Sagarethe finbet 
man aber eine ferbifche 2>ame als ©flegerin, unb biejenigen 
©erben, welche bafelbft niebere 2)ienfte leiften, werben für bie: 
felben reichlich begahlt. ©ei ben ©Montenegrinern mag Dielleicht 
ein gröberer ÄriegSenthufiaSmuS ^errfchen, ob berfelbe aber 
fein ©totiti im greiheitSbrang ober Dielmehr in ber Sucht nach 
Staub unb ©lünberung hot, bleibt bahingefteflt; fo Diel fteht 
feft, bah bie Don ben ©Montenegrinern gegen bie lürfen Der: 
übten Eräuel ben Don ben türfifchen ©afchi s ©ogufS in ©ulgarien 
Derübten Eräulen nicht nadjftehen. 8tls Dor einem ©Monat ©Maljmub 
©afcha (ber ©ole „greunb") Don ben ©Montenegrinern gefchlagen 
würbe, würben feine beiben Äbjutanten gefangen genommen. 
®ie ©Montenegriner fc^icften fidf fofort an, biefen Äbjutantett 
unb ben übrigen Eefangenen bie Stofen abgufchneiben, ber eine 
Slbjutant, ein ©ole StamenS Äowalengo, hotte bei feiner Ee: 
fangennahme einen Steooloer gu tierheimlichen gemufft, Der* 
theibigte fich mit bemfelben unb würbe getöbtet, bem anberen 
Slbjutanten unb ben übrigen Eefangenen würben bie SMafen ab* 
gefchnitten unb biefelben fo tierftümmelt bem ©Mahmub ©afcha 
Wieber gugefchieft. Dies ift eine Derbürgte Xhatfache, welche 
bem ©erichte eines im Orient tebenben guberläffigen Schweiger 
ÄaufmanneS entnommen ift. 

SBaS hot aber hiermit bie türfifche Steife bon Äarl ©raun 
gu fdjaffen? Unmittelbar allerbingS nichts, ©raun War Dor 
ber ÄriegSerflärung Serbiens unb ©Montenegros in ber lürfei 
unb Schreiber S)iefe8 referirt nicht aus bem ©uche, fonbern aus 
gang fürglich gewonnener eigener Slnfchauung. Erabe aber ber 
Umftanb, bah er baSfenige, was ©raun über bie dürfen unb 
bie mit ihnen friegführenben ©ölferfchaften gefdirieben hot, wahr 
gefunben, h°t ihm baS ©raun’fche Such lieb unb Werth gemacht 
unb er glaubt es aßen ®enen mit gutem Eewiffen empfehlen 
gu fönnen, bie fi^ ein richtiges ©ilb Don .ßuftänben machen 
wollen, bie uns gwar räumlich gar nicht io fern liegen, über 
bie jeboch wegen Dößiger Unfenntnif? gong falfche ©orftettungen 
hertfehen. ©etbft baS lefcte Eapitel beS ©udjeS, welches bie 
Ueberfdhrift führt „eine böhmifche SBoche" unb als folcfjeS gar 
nicht in eine türfifche Steife hineingugehören fcheint, ift intereffant, 
befonberS auch öurch bie SButl). mit welcher bie tfchechifchen 
©anflaoiften über ben armen ©raun h^rgefaßen finb, weil er 
für bie flatiifdje Sufwnft uttb beren ©ertheibiger feine ©e* 
geifterung h*0tt. ®ie ©erfaffer ber Don ©raun abgebrudten 
©riefe finb bie richtigen ©rüber jener ©etgraber Steporter, 
welche nach jebem Derunglücften Eingriffe ÜfchentajeffS ,,©ieg" 
telegraphiren, bie fich uot« baS genfter beS Äonaf (bie türfifche 
©egeidjnung ift jebenfafls richtiger, als bie beutfehe „©chtoh") 
beS gürften ©Milan, fteßen unb mit $ülfe einiger angetrunfenen 
Stuffen bei Dößiger Slpathie ber ©erben ihn gum Äönige auS* 
rufen, bie h eute e tne gahnenweihe, morgen baS ©egräbnifj 
eines ruffifchen DffigierS benuften, um ben ©erben eine ÄriegS* 
begeifterung unb eine Stuffenliebe angubichten, mooon ber un- 
parteiifche 8ufchouer nicht bie ©pur bemerft. 


*) Stuttgart 1876, Sluguft Sluerbach- 2. ©b. (XV, 459 @.) 


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170 


9 i t <5 e g en nt a r t. 


Nr. 11. 




Uns beut DorwarjHdjett ®eftrctd). 

2)aS Schriftftüd, welches idj im golgenben mittheile, ift erft tot 
wenigen Sagen in meinen ©efip gelangt unb wahrlich auf bie benfbar 
Zufäßigjte ©Beife. 3<fj fanb baS graue ©latt in meinem ©orzimmer 
liegen; mein Gopijt ^atte eS als Gtnbaßage für feinen grübftüdStüfe 
oom ©reifer erhalten unb bann achtlos bingeworfen. 25aß ei ju biefem 
gwede gebient, war auch meine erfte ©Babmebmnng, alS id) ei aufbob, 
gleichwohl warf ich ei nicht wieber fort. 2)ie Schrift war mir aufge* 
faßen, biefe merfwürbig regelmäßige, abenteuerlich oerfdjnörfelte Schrift, 
bie inSbefonbere j[ebe0 „3" ju einem Shwftwerfe berauSpupte. Sie !am 
mir belannt oor unb als id) bie Unterfchrift erblicfte, fanb ich bieS auch 
febr natürlich. 2)enn ich bef^e mehrere Gebiete beS ©lamteS, oon ihm 
felbft getrieben. 

„3- G. 6 ei bl" — jo bie Unterfchrift. Uitb wenn auch fein Ge* 
biebt, fo War eS hoch aud) ein literarifcheS Schriftftüd, unter welkem 
ich bieSmal ben ©tarnen fanb. (Sine fttitit, bie freilieb teineSwegS für 
ben 25rud beftimmt Wat — im Gegenteil! unter bem Siegel beS 2lmt3= 
gebeimniffeS gejebrieben, eingereic^t unb ängfllicb bewahrt, bis enblid) 
ein rüdfichtSlofer ober unwiffenber ©egijttator baS ganze $adet an bcu 
näcbften „flaSftecber" — wie ber fonberbare Terminus tautet — oer* 
banbeit, di war ein amtlicher ©eriebt beS (EenforS 3- ®. @eibl ÖU 
feine borgejefcte ©ebörbe, bie Gebiete Älfreb ©teißnerS betreffenb. 

3<b las meinen gunb unb faßte fofort ben (Sntfcbluß, ibn $u publi* 
ciren. 2)aS Schriftftüd febeint mir bon 3”l c «ffe unb nach mehr als 
ein« ©ejiebung. (SrftenS bureb bie Sßerfon beS (SenforS. 3- ©• ©eibl 
bat febon beSbalb, Oon feiner großen ©egabung abgefeben, feine blei* 
beube ©ebeutung für bie Siteraturgefdjicbte, Weil er am beften einen 
XppuS beranfcbaulidjt, ben $ppuS beS ©eamten*$oeten. (SS wirb 
nicht ohne 3utereffe fei, benfetben ©tarnt in feiner amtlichen Xbütigfeit 
ju belaufcben. 3» toeldjer Strt Seibl feiner (Senforpflicht genügt, in 
welchem Sinne er gewaltet, barüber bat bisher ©ergebenes unb ©Biber* 
fpredjenbeS üerlautet. (Sr batte b c fti0 e Angreifer, aber auch glübenbe 
©ertbeibiger gefunben. ©luf autbentijebe groben haben ficb ©eibe nicht 
gejtübt. $ier wirb eine folc^e geboten unb welcher ber beiben ©Infcbauun* 
gen fie gelegener fornmen wirb, liegt auf ber $anb. 3<b für meinen 
$beil unterlaffe eS, bem Urtbeil beS ßeferS üorjugreifen. 

©tur (SineS möchte ich bemerfen: §u ben fcblimmjten (Senforen ge* 
bürt Seibl nicht. $5ie haben noch ganz anberS gewirtbfehaftet! 3a ber 
©ibliotbet meines ©aterS fanb fich ein (Exemplar beS ©rodbauS’fcbeu 
SejilonS auS ben gwanziger 3ab^en, in welchem febr oiele ©lütter mit 
fchwarjer garbe überftrichen waren, auf anberen wieber waren nur | 
einzelne ©Borte unleferlich gemacht, tiefer ungeheuren ©tübe batte fich | 
bie Polizei oor Ausgabe jebeS (SjemplarS unterzogen. $u ben Oer* i 
pönten ©Borten gebürt auch „©lepublil" unb „republifanifcb". So tonnte 
man aus biefem £ejilon lernen: „25ie Schweiz ift eine — —, welche 

in einzelne (Santone zerfällt", unb „bie ©faierifaner wählten bie- 

Staatsform, weil fie ihren ©erbältniffen am meiften entfpracb". 

©on ber ißerfon beS Schreibers abgefeben, mag baS Schriftftüd 
auch ul* ©eweiSjtüd für ben Gei|t beS ©ormürz einiges 3ntereffe haben, 
(gleich antbentifebe Stüde finb bisher nur Oereinzeit z«* ^ublication 
gelangt, ibeil* liegen ße no^ in ben ©egiftraturen, tbeilS würben 
fie z^ar an (greißler Oertauft, aber ein folcher ©efchäftSmann bat 
nicht burdjweg Äunben, welche als (Eopijten bei einem Schriftfteßer 
tbätig finb. 

(Snblich ift auch bie literarifche ßeiftung, über bie hier abgeurtbeilt 
wirb, ber ©tübe Werth, baß man einen ^arafterifHfchen ©eitrag za ib tw 
(gefd^ichte publicire. ©ilfreb ©Meißner ift ber Präger beS tlangooßften 
ober hoch eines ber llangüoUften ©amen unter ben je{t lebenben $i<b* 
tern 2)eutfch s OeftreichS unb er üerbanft Wohl ben reichften Sorbeer in 
feinem Kranze neben bem „SiSfa" bem ©üchlein, gegen welches ftcb 3- 
Seibl im golgenben fo febr ereifert. 

S)aS Scbriftftüd lautet, mit ber Xreue eines biplomatifchen ©Icten* 
ftüdS wiebergegeben: 


5. ©Kürz 1845. 

Qur müglichft fcbleunigen ©egutachtung! 

©Meißner (Sllfreb). ©ebichte. Leipzig.1845. ©eclam. 

^ringenbü 

©r. 65. m/3 Praes. am 6/3 875 . l ) 

25er wahre 2)ichterberuf unb baS eminente Xaient beS ©erfafferS, 
uitfereS SBiffenS eines jungen ^ragerS, leuchtet auS jebem ©ebichte 
biefer tleinen Sammlung unoertennbar berüor. So bebeutenb übrigens 
biejeS Xalent ift, fo ift eS lein gefnnbeS« 2>er dichter, oietteicht oon ©atur 
aus nicht tränt, fcheint fich in biefe btyronifirenbe ©telancholie tffUbt* 
li(| bineingezweifelt za b a&en , um burch biefeS EainSmal fchmerz* 
lieber Serfattenbeit bie ©[ufmertfamteit einer apatbifeben ©egenwart auf 
fleh zu lenten, bie er auf bem gewöhnlichen ©Bege beS politifeben Siebes, 
eben weil er zu oiel dichter ift, zu erftürmen oerfchmabt. 

So wenig SnftößigeS baber baS ©ud) in politifc^er ©ichtung bar* 
bietet, fo Siel*) ©ebenfen erregt ei burch bett Xon weltfchmerzlicher 
3erriffenbeit, ber ei gewitterfchwül oom ©Infang bis zu (Snbe burch* 
atbmet unb ber (bei ber wirtlich bewftltigenben ©lacht beS ©Borts) fajt 
epibemifih wirtt. ©pron unb <g. Sanb, bie 3^^ale beS ©erfafferS 
(S. 147—159) erfüllten fein $erz mit fo bitteren ©efüblen, feine $han* 
tafte mit fo büfften ©ilbern. baß er, wie er fich felbft (S. 8) äußert, 
„feine Stoffe unb @b ara ft ere uut auf ber Sdjattenfeite beS Sehens 
fucht", baß er in ratblofem ©titleib über bie ©erlorenbeit ber ©Belt 
fchwelgt, baß er fein güntdjen (glauben fich nu r auS bem gelfen beS 
Unglaubens b^auSfchlägt, baß er OTeS, was ber ©tenfeh jept batr 
fogar bie (|rij!ti(|e ©eligion 8 ) für nnsnlüngliih zur Teilung unfereS 
moralifchen SiechtbumS hält! — unb bie einzige ©töglicbfeit ber ©ettung, 
bie (Erlöfung burch einen neuen §eilanb, in ber Süge counttuniflifcber 
3bcen 4 ), in ber brüberlich gleichmäßigen Xheilnng 5 ) ber UrSeit 6 ) 
für alle 7 ) ^inber ber ®rbe (S. 171) erblicftü! 

2)iefe troftlofe ©tnficht blidft überatt burch, am auffattenbften S. 11. 
27. 28. 29—32. 75. 47. 140 — 142. 159. ©efonberS in ber ©b^f®^ 
„©erföbnung" (S. 163—171), fozufagen bem offenen (glaubenSbctennt* 
niß beS ©erfafferS. 2luS eben bemfelben (grunbe gefällt et fich aus bis* 
weilen in einer gewiffen atßeiftifibett ©läubigteit, in einer fpmboli* 
ftrenben ©aturreligion u. f. w. S. 29 — 32. lio —lll. 

Ungeachtet baber bem ©uebe feines poetifdjeu ©ebalteS Wegen bie 
größte ©erbreituug zu wünfehen wäre, fo tonn man ftd) bodh mit ben 
Xenbenjeu beSfelben unmogliiß 8 ) einoerftanben ertlären', inbem fie le* 
benflieber 6 ), als oorüberfliegenbe politif(|e geuerbränbe, welche mit 
ber Seit oertoblen, in offene, unbewachte (gemütber bie gunfen beS 
SweifelS fdhleubent tönnen, ber langfam fortglimmt unb befto {ich er er 
oerzebrt. Schabe, baß ein fo tüchtiger fßoet nicht gefunb fein will! 

7. ©tärz 1845. 3. Äeill. 

Erga Sehe dam! 

2)ie beiben lebten ©Borte finb nicht Jöon SeiblS §aub, fie entbalten 
bie ©erfüguitg, welche ber ©b e f üer (Senfurbebürbe auf (grunb beS ©e* 
ri^tS bezüglich beS ©ucheS getroffen. 25aSfelbe lonnte nur „erga 
schedam" bezogen werben, b. b- oeg^u einen oon ber ©oligei auSge* 
fteßten (Erlaubnißfchein, welcher natürlich nur an „(gutgefiunte" oerab* 
folgt würbe. 

2)ie ©laßregel tarn einem ©erböte gleich unb wirlte wie ein folcßeS: 
baS betreffenbe ©uch würbe eifrigft colportirt unb maffenbaft gelefett! 

. . . Sei bem betreffenben (greißler aber, ben ich am felben 2age 
auffuchte, fanb ich uur noch einen ähnlichen ©ericht. ©luch biefer fyat 
feine intereffanten Seiten unb foß bei Gelegenheit publicirt werben. 

©Bien, im gebruar 1877. 

Karl €mil fran 30 S. 

x ) ©iS hierher nicht oon SeiblS §anb. 

*) dreimal unterftrichen! 

•) ©iermal unterftrichen! 

4 ) günfmal unterftrichen! 

5 ) dreimal unterprid^en 1 

6 ) ©iermal unterftrichen! 

T ) günfmal unterftri^en! $aß auch gürften arbeiten foßen # tfr 
ja auch in ^ $h at ein entfe|licher Gebaute. 

®) dreimal unterftrichen! 

9 ) ©iermal unterftrichen! 


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Nr. 11. 


JDt? Gegenwart 


m 


pttrtinilttrtfHfdjw. 

Hl* jflngft ein Hrtitet unter bem Xitel „Sin Huftriaci*mu*" auf 
eine Sünbe bei öftreiiptfepen ©articulartömu* pintoie*, ber in ber Stabt 
bei popen Steppan*bome* ben niebrigften Äircptpurm jur Umfcpau über 
ben geifügen $ori$ont benupt, ba würbe mir ton ben betannten „üielen 
Seiten', treibe man borjnfepieben pflegt, fobalb man noep et»ab auf 
bem $eraen befielt, bie ©emerfung gemalt, baff auep Xeutfdjlanb niept 
frei 5 U fpreepen fei üon äpnlicpen Neigungen, baff bie etlichen Xupenb 
„Vaterlänber" noep immer ipre bubiofen Vaterreepte üon 3*it ju $eit 
perüorlepren, furj, man gab mir Variationen über ba* alte Xpema bon 
ben Splittern unb ben ©alten jum. ©eften. SRur fadjte, immer pübfcp 
Sin* naep bem Hnbern, meine Herren. Uebrigen* ift e* niept eben 
nmnberbar, baff ber Deftreicper bor HUem mit Oefireicp anbinbet, wie 
ja bie meiften SRenfcpen fiep innetpalb ber gamilie auerft üon ^ ren 
nnangenepmen Seiten jeigen; e* bebarf Jcpon einiger Seit unb Hb; 
ftraction ba$u, um al* Singewanberter bie ©flupt a u füplen, auep bie 
Sepatten ber neuen §eimat ju beaepten. Unb bann: wenn man mir 
er$äplt, baff jum erften 9Rale feit ber ©ieberbegrunbung be* beutfepen 
SReicpe* ein monumentale* Ännftwer! bon nationalfter ©ebeutung geplant 
Wirb, baff man bie einzige beftepenbe alte Äaifetpfala, ba* ©o*larer 
Äaiferpau*, jur gröffern Spte ber Nation mit beutfep=patriotif(pen 
©aubgemälben fcpmütfen will, unb baff man $u biefem gweefe eine Son* 
currena für nur pteuffifepe unb in ©reuffen lebenbe Zünftler au*= 
fepreibt, — wenn man mir ba* opne SRittpeilung üon Xocumenten er; 
jäplt, bann üerbietet mir üorerjt bie gewöpnlicpfte #öflicpfeit, baran ju 
glauben. Srft ber Hnblid be* „Xeutfepen 9teiep*emaeiger*" üom 13. Xe- 
cember 1876, wekper bie betreffenbe Sinlabung §ur Soncurrcna für bie 
Hu*f<pmücfung be* ftaiferfaale* entpält, gibt bem S^ff** bie nötpige 
Sieperpeü. 

S* lieffe fi(p über biefe Sinlabung manepe* gang unb gar niept 
pierper ©epörige fagen. So ift j. ©. „für ba* SRittelfelb über bem Xpron 
fine Xarfteüung ber ©roclamation be* beutfepen Äaiferreiep* 1871 in 
Hu*ficpt genommen; für bie übrigen ©anbfläcpen ift bie ©apl üon 
©egenftänben au* ber Spocpe ber beutfepen ©efepiepte üon 1050 bi* 
1253 n. Spt. wünfcpen*wertp". Scpon biefe ppantafieüoHe Ueberbrüefung 
eine* Interregnum* üön 6—800 3 apren, noep mepr aber bie genaue 
©räcifltung be* Xatfteflung*gegenftanbe* wäre angreifbar, wenn ba* 
befepeibene ©ßrtepen „wünfcpen*wertp", ba* fo üortpeüpaft gegen ben 
übliepen Sommanboftil abftidpt, niept jeben Angreifer entwaffnen würbe. 
SBa* bei einer folepen ©eüormunbung be* ßünftler* au Xage tommt, ba* 
tönnte bie pbepft leprreiepe ©efepiepte ber eben auögefteüten §umbolbt; 
ffatuen jebem Unbefangenen auf ba* ©inbringlicpfte fagen. 8 u einer 
folepen ©eüormunbung pat blo* ber priüate ©efietler ein SRecpt; ber 
Staat, Wenn er al* ©effefler auf tritt, foffte niemal* bie reine Hbficpt 
ber Äunftförberung au* ben Äugen üerlieren. 

Sine weitere, noep taum angeregte grage, welepe be*palb auep niept 
an biefer Stelle $um Hu*trage tommen tann, wäre bie, ob überpaupt 
bie fReftaurirung, Hu*malung unb Srpaltung üon Äunftüberreften, wie 
jte in unferen Xagen fpfiematifep getrieben wirb, niept eine gefäptliepe 
Neigung ift, eine fentimentale Pietät gegen ba* Xobte auf Äoften be* 
Sebenben, etn conferüatiüer, turj ein alejanbrtnifeper Sug unferer Seit, 
ber troff feinet fepeinbaren funftjiele üietteiept am meiffen ju ber 
faprenpeit unferer ibealen Stiftungen beigetragen pat. Viele biefer 
paibüerfaüenen SRonumente, welepe üor einem Saprtaufenb üietfeiept ben 
ÜRittelpunft be* SBeltüeTtepr* bilbeten, ftepen peute am Snbe einet burtp' 
Ungunft ber neuen Verpältniffe gef(ploffenen Sattgaffe; wa* bann üon 
dürften, Stegierungen unb Vereinen für foltpe erratiftpe ©löcfe epemaliger 
©raept gef (piept, ba* tommt niept bem mobenten 3 ntereffe au ©ute, 
fonbern bleibt ein abfeit* gelegene* Siel für officieüe geffe, für ©il= 
bung*befliffene unb neugierige Xouriften. So pat fiep bie ftunft in 
unferem 3 aprpunbert üon iprer populären Aufgabe immer mepr abge« 
wenbet, e* ift in ben Speicpem ber Sammlungen unb in ben miütürlicp 
aufgebauten SRonumenten eine müffiggängeriftpe Xouriftentunft erftanben, 
unb an Stelle üon Vttncfelmanw unb £effusg ift ber groffe ©äbetter ge= 
treten. Unter folepen Srfcpeinungen leibet bie parmoniftpe gortbilbung 
be* Volte* unb nur ba* ©ilbung*ppilifterium jiept einen ©erninn baüon, 
ba* ©Ubung*ppilifterium, für mel<pe* alle* %btak, alle ftunfi, Siffens 
ftpaft unb ©oefte nur fBiffen*material, nur SonüerfationSftoff ift. 


Xiefe Srwägungen werben fup bei anberer ©elegenpeit näper au*' 
füpren laffen; pier ift e* üor Allein bie particulariftifcpe Xenben*, welepe 
in jener ($oncurren§au*fcpreibung befämpft werben ^rnuff. Xaft nur 
„preuffifepe unb in ©reuffen wopnpafte" Äünftler eingelaben werben, 
ba* wäre an ftep fepon bebauerlicp. So begreiflüp e* ift, baff jebe füt* 
gierung üor SlUem bie fpecieüen Swtereffen be* üon ipr üerwalteten 3 n= 
ftitute* waprnimmt, fo ift botp bie 21 u*füprung eine* SRonumeute* 
niept ber geeignete ©egenftanb für eine folcpe Unterftüffung; e* wirb 
babei ba* neueften* üielgenannte Spftem be* StpupjoHe* auf ein ©e? 
biet au*gebepnt, auf rnelcpem eine blo* materielle ^ülfe am wenigften 
au*reicpt. Xaff aber biefer S<pup$oll bem preuffifepen 3nffitut bei einet 
©elegenpeit gemäprt wirb, bie wie feine anbere bie ©etpeiligung üon 
gan$ Xeutfcplanb perau*forbert, ba* ift e*, wa* einem bie polemtfcpe 
geber in bie |>anb jwingt. Xa* ^aiferpau* üon ©o*lar, ba* fteineme 
Xentmal einftiger SReicp*gröffe, bie ©urg be* mä(ptigen $einri(p III., 
ift wäprenb eine* Seitraum* üon 600 gapren entweipt gewefen, fie war 
halb Äomfpeicper, halb ©efängniff unb ^ofpital, man fpielte im Äaifer- 
faale Äomöbie unb wollte ipn ben 3 efutten öffnen; unb wenn ber mert* 
würbige ©au nun burep bie ^unft neu geweipt werben foü, fo ift ba* 
ein Sreigniff, für welepe* fiep ber Zünftler in ÜRüncpen unb Xüffelborf 
unb — SBien ebenfo begeiftern tann, wie „ein in ©erlin wopnpafter 
geborener ©erliner". 

Xie Slbficpt biefer 8 e ü en P fl * feine perfönliepe Spipe. Waffen wir 
in unferer Vorfteüung bie nampaften beutfepen Zünftler ipre Stilen ein= 
reiepen, fo peftet fiep unfer günftige* Vorurtpeil an einen SRaler,' welcper 
für folcpe Aufgaben monumentaler Äunft eine au*ge*ei(pnete ©efäpigung 
befipt, unb in biefer SRalweife üiele Sollegen überragt; unb gerabe biefer 
SKann ift niept nur ©reuffe, fonbern auep in ©erlin wopnpaft, ja fogar 
naep feiner amtUcpen Stellung ein Vertreter ber preuffifepen SRalertunft, 
— nur baff e* glüeflieperweife feine fo particularijtijepe Sepule gibt. 

0 Goslar du bist toged&n 
Dem hilligen romesken rike 
Sünder nut und sunder wan 
Makst du nich davon wike. 

Xiefe Snfcprift eiue* Äronleucpter* im fRatppaufe üon ©o*lar pätte bei 
ber 9 u*fcpreibuttg einer Soncurrenj für ba* &aiferpau* jum SRotto 
bienen fönneu; bann wäre ber ftunftwelt Xeutfeplanb* eine bittere Sr= 
faprung erfpart worben unb ba* gemeinfame Nationale aller Xeutfepen 
wäre jum 2 lu*brucfe gefommen. 

w Sonber 92otp unb fonber SBapn 
9Ragft bu niept baüon weiepen." 

ifrift IHautpner. 


Jliis btx *auptflabt. 


Ürarafltifdje ^offn^rangen. 

2Roli£rc* „Xartuffe^ im Sepaufpielpaufe. — Sparlotte »olter. 

333er ba* SRoli^re’fepe SReiftcrwerl „Xartuffe" im Original ober gar 
üon ben Sluffüprungen am Th^ätre fran 9 ais per fennt unb bann ba* 
gleiepnamige Stüd auf ber beutfepen ©üpne in einer beutffpen Unts 
fepreibung fiept, ben muff ein ©efüpl ber tiefften Snttäufepung übertommen. 
Xie Verunjialtungen, welepe bie ßibrettijten ber ©ouitob’fcpen Oper am 
©oetpe’jcpen „gauft" üorgenommen paben, finb niept gewaltfamer al* 
bie üon ber beutfepen ©earbeitung am „Xartuffe" üerübten ©raufam^ 
feiten. $ier wie bort ift mit ber Äuflöfung ber poetif<pen go.rm ber 
poetifepe 3 «pölt bi* §ur Untenntliepteit traüeftirt worben, ©o ber 
franaöfifepe Xiepter ben Sötunb *u feinem Spott, ju bittrer Satire üer= 
jiept, fepneibet ber beutfepe ©earbeiter gleiep eine grape; wo ber fran= 
jöfifepe Xiepter perapaft laept, bringt ber beutfepe ©earbeiter einen ropen, 
unflätpigen ©offenfepera* perau*; wo ÜRoltere üomepm, ift ber Xeutfepe 
gefpreijt, wo jener poetifdp ergriffen ift, %eiQt ftep biefer atltägliep unb 
platt. 2Rit einem ©orte, ba* Xing, ba* unter bem Xitel eine* fran= 
aöftfepen ©teijierwerte* pier gegeben wirb, ift alle* SRöglicpe, nur eben 
> lein 3Roli^re’fepe* Stüct! 


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172 


® i t 


Nr. 11 


$ie Ueberfepung refp. Bearbeitung be« „Xartuffe", tute fte jept 
mieber aufgefrißbt morben ift, iß, menn ich mich nicht irre, bie alte, 
b. b* biefelbe, bie bor langen 3 ß bren für bie $arfteßung am £oftbeater 
ermorben mürbe. 3 « biefer Raffung ift ber „Xartuffe" jum lebten ©al 
im 3 ß bre 1866 hier aufgefübrt morben; man bot ba« <Btöcf feitbem 
nicht oermißt. 2)a« erllürt ficb au« ben abfonberticben Sigenjcbaften 
biefe« beutfdjen „Xartuffe" febr leicht. Sumerer erltärticb ift, me«balb, 
— ba e« ftd^ boeb um eine ooßlommen neue Sinßubirung be« „Xartuffe" 
banbeite, uub mobt faum ein einziger Sdjautpieler, ber bei ber testen 
Äuffübrung bor 11 3 ß bren mitgemirlt bot, an biefem neuften ©ieberbele* 
bung«oerfucbe betbeitigt mar — me«balb bie alte unb berfe^Ite Ärbeit, bie 
bureb tüchtigere lüngß überholt, nicht bei Seite gelegt morben ift. Seit 
bem Sabre 1866 bot ©olf Sraf Baubiffin, ber mürbige Beteran ber 
bcutfdjen Scbrißfteßer, ber jept im 86 . Seben«jabre ftebt unb ficb mit 
ber Blüßigleit be« Körper« au<b eine erßaunftdje griffe be« Reifte« 
bemabrt bot, eine ganj ooraüglidje Ueberfepung be« ©oltere’fcben Suß* 
fpiel« oeranßaltet. 3>ie ernßbafte Äriftl barf gmar mit gug unb Blecht 
auch an biefer ©anderlei au«fepen. Baubifftn« Sprache ift $u glatt, 
$u eben, ju leidjtfließenb, ju ßbrnöchlicb ntobern unb entfernt ficb babureb 
bi«meiten oon bem oft ungeberbigen, aber urgefunben unb Iraftooßen 
Original, darüber inbeffen fann lein Qtüeifcl befteben: baß bie 
Baubifftn’fcbe Ueberfepung rneitau« bie befte ift, unb baß ein jebe« 
Sweater oon Bebeutung, ba« neuerbing« ein ©otiöre’fcbe« Stücf jur 
Äuffübruug bringt, bie moraftfdje Berpflicbtung bot, biefe befte lieber-' 
fepung ju müblen. 3$r fehlt aßerbing« ber mistige Biehn, beffen 
©efentftdjleit id) für bie ©oltere’ßben Stüde burd}au« nicht berlennen 
miß. $)a aber bie Uebertragung in Bleimen, mie äße beranftalteten 
Berfucbe bargelegt hoben, bie loftbarften Opfer an Sebanlen forbert, unb 
ba ber 3mang be« beftänbigen Bleinten« bismeilen eine $oefie $u Stanbe 
bringt, ber man lieber in einem Ihtaßbonbon al« in einem flafftfcben 
©eißermerle begegnen möchte, fo ift ber Äu«meg, ben Baubiffin einge* 
fragen boi, on Steße be« gereimten Ätejanbriner« ben ungereimten, 
mobllautenben unb für unfere $ramatil geeignetften Ber«: ben fünf= 
füßigen 3ombu3 a u mäblen, ber einzig berechtigte, ba er ben Ueberfeper 
bem erfebitten Siele, ba« Original ju erreichen, am näcbßen bringt. 3<b 
geftebe, baß e« mir angenehmer ift, rnenn ich Baubiffin« Ueberfepung 
ohne Bleime böte, al« menn mir biefe fürchterliche Bleimfcbmieberei im 
Obre hämmert. 

Sin Beifpiel: fcartuffe, ber bon Slmire in bie Soße gelodt unb in 
bem ©ahn beftärlt mirb, baß fein unrebticbe« Berlangen nach ber fdjönen 
fjrau bon ihr befriebigt merben mirb, mirb bon ber Seängftigten auf 
eine ©inute au« bem 3 immer gefebidt, unter bem plaufiblen Bormanbe, 
er möge nadjfehen, ob fie nicht belaufcbt feien. ©übrenbbem friec^t 
ber berborgene 3euge ber gemagten Scene, SImiren« Satte Orgon, au« 
feinem Berftede unter bem $ifcb b*roor. ®lntire ift entrüftet, baß ihr 
©ann bie Sache fo meit getrieben bot unb nicht früher $um Borfcbein 
gelommen ift. 3 ** bitterfter Sronie ruft fie ihm bie burebau« nicht ouf 
eine lomifebe ©irlung berechneten ©orte entgegen: 

3br lommt febon jept? 3$r hobt mich mobl jum Beften! 

Berßedt Such mieber, noch ift’« biel $u früh! 

©artet’« noch ob, um ganj gemiß ju fein, 

Unb holtet (Such nicht blo« an fimple Schlüffe. 

©an foß ficb hüten, oßju leicht ju glauben; 

Seib erft recht überjeugt unb gebt nicht gleich 
Such für befiegt: 3 h r könntet bennoeb irren; — 

Laissez-Yous bien convaincre avant que de vous rendre 
Et ne vous hätez pas, de peur de vous m^prendre. 

Bon biefer Stimmung ®lmiren« bot ber Bearbeiter gar leine Bor= 
fteßung gehabt. 2 )a 6 bie bebrangte, ba« tteugerfie befürebtenbe grau 
in bem Äugenblide, ba ihr ba« Scblimmfte brobt: bie Entehrung, — 
benn Xartujfe ift lein bloßer Spaßmacher, er nimmt bie Sache febr 
ernfi, unb an Orgon, bem bi« jur Unjurechnung«fübi 0 lcit Berblenbeten, 
bat fie gar leine Stüpe — baß jept Slmire nicht $um Schülern aufs 
gelegt ift, ba« bot ber ®ute nicht bebacht. (Sr nimmt bie Scene rein 
lomifch, unb bei ihm empfiehlt (Slmire ihrem ©atten bie Borficbt mit 
folgenben angenehm lautenben ©orten: 

„Sieb au, baß $>u $icb nicht oerfchnappft, 

Uub ihn auf frifeber Xbat ertappft/' 


3)ie ßlötijigung be« Bleimen« Oeranlaßt eine Ungebörigleit um bie 
anbere. ©ichtige Sachen merben befeitigt, unmefentUche gana ungebübr= 
lieh beroorgeboben unb breit getreten. 211« (Slmire ftch a u btx peinlichen 
Bloße in ber eben gefebilberten Scene entfchließt, al« fte, um Orgon ton 
ber Schanbiichleit Xartuffe« §u überaeügen, ftch boau M^emt, bie un? 
aüchtige Siebe Eartuffe« a« ty*, tfrou feine« ©oblthüter«, burch 
bielfagenbe Besprechungen anaufad^en, fühlt fie al« anftünbige grau 
ba« natürliche Bebürfniß, bor bem entfeheibenben Äugenblide ihrem 
Bftann noch einmal bie Blotibe ihrer $anblung«meife au«einanbers 
aufepen: 

2)och meil ba« Äße« nur für (Such gefehlt, 

Blur um ihn befto tiefer an befchümen, 

©erb’ ich, fobalb 3 h r m ' r e ^ n Seichen gebt, 

Äbbrecben, unb nur gehn, fo meit 3 h r woßt; 

$ann eilt, fobalb 3 h r erft genug gehört, 

Btticb a u erlöfen, unb bie leib’ge Bloße 
3 u enben, menn fie grüitblicb Such enttüufdjt. 

3cb fpiele fte für (Sud)! (Sntfcbeibet nun, 

Unb .... £orcb! (Sr lommt! Blun ftiß, unb aeigt (Such nicht! 

Sie mirb, mie man fiebt, bier plöplich in ihrer Blebe burch ben 
eintretenben Startuffe unterbrochen unb ift nicht einmal im Stanbe, ihren 
Sap an öoßenben. 3« ber beutfehen Bearbeitung mirb barau« recht 
anmutbig golgenbe«: 

§alte $icb oerborgen, 
gür meine Bloße merb’ ich f e ^ ct forgen! 

Unb bann lommt Xartuffe langfam an, unb bann forgt (Slmire für 
ihre Bloße felber! Unb ba ber Bearbeiter meint, baß ©öftere in biefer 
meifterbaften Scene be« ($uten noch nicht genug getban höbe, ertaubt 
er ftch oueb einige Beränberungen unb 3 u fope. 

Bei ©öftere Oerläuft bie Scene fo: ©abrenb Orgon unter bem 
$ifcb oerborgen ift, tritt Xartuffe, ben (Slmire au fid) belieben bot, ein. 
2)a oor meitigen Stunben ein üußerft peinlicher Äuftritt amifdjen (SImiren, 
unb Xartuffe ftattgefunben bot, au« bem 2:artuffe aßerbing« al« Sieger 
beroorgegattgeit ift, — ein Äuftritt, ber ihn aber über bie anftanbigen 
unb ihm feinbfeligeit ^efinnungen ber fchönen grau leinen S^^ifcl laffett 
laittt — fo ift fein Berbalten (SImiren gegenüber annüchft üußerft referoirt. 
(Slmire muß aße ^>ülf«mittel ber meiblidjen Berfübrung«htnß anmenben, 
um ben oorfiebtigen unb mißtrauifdhen ©enfehen Oertraulicher au machen. 
Äuf bie erften greunblicbleiten, bie fie ihm fagt, reagirt er gar nicht, 
unb al« fie immer beutlicher mirb, unb ihn in bem Glauben beftärlt, 
baß feine oermeffenen ©ünfehe üon ihr hoch erhört merben bürften, 
mißtraut er noch immer unb fpricht fein ©ißtrauen febr beutlicb ou«. 
darauf begrünbet er fogar bie Berechtigung, oon ihr fofort unb auf 
ber Steße bie tbatfücblichften Bemeife ihrer emftbaften 3**neigung an 
begehren. Unb nun, ba Slmire ihn nicht eigentlich abmeifen lann, 
fonbern nur Oertröften barf, nun treibt ben Oertiebten Burfd)Mt bie 
Sinnlichleit aom Äeußerften. Bergebtid) bemüht ficb Slmire, ben unter 
bem £ifch Oerborgenen Satten burch $uften unb Klopfen auf ben Xtfch 
baau an bemegen, au« feinem Berfted b^tooraulommen. Orgon bleibt 
unbemeglich. ^)er furchtbare Schlag, bie tiefe S)emütbigung, bie be= 
fchümenbe Srlenntniß . feiner namentofen Schmähe unb feine« Un^ 
oerftanbe« betäuben ihn oofllommen. Sr ift mie gelähmt. Xartuffe 
mirb inamifchen immer aubringlicher, fo baß SImiren nicht« meiter übrig 
bleibt, al« ihn an bitten, auf einige Äugenbftde ba« 3immer au Oer* 
taffen, mie fd)on bemerlt: unter bem Bormanbe, baß er fid) baoon über* 
aeugen möge, ob auch bie Schüferfhmbe burch unbefugte Saufcher nicht 
geftört merben mürbe. Xartuffe lächelt mit oerftänbnißooßer S)i«cretion 
unb gebt ab. Bhtn lommt Orgon unter bem Xifd) bc*Oorgelro<ben, 
leichenblaß, mie erftarrt, unb in einer $omil, bie an bie grauftge Xragit 
ftreift, ruft er au«: 

S5)a« ift, ich muß geftebn, ein fürchterlicher ©enjeh! . . 

S)ie ^öße bot nicht« Schtimm’re« auögemorfen! 

2)ie Bübnenmirlung biefer ©orte in granheich ift faß unbefchreib* 
lieh. S« iß ferner, ben Sinbrud an fchilbern, ben e« macht, menn 
Slmire in ihrer Seetenangß ficb on ben £ifcb, unter meinem Orgon 
ftedt, b^ranbrängt unb Hopft unb Hopft, unb ber barüber gebreitete 
Teppich ftch nicht rührt unb nicht regt; menn bann enblich ber Xeppich 


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Nr. 11. 


JBit <S»fgenn>art. 


173 


- 1 - 

aufgefcplagen Wirb, unb bet gute einfältige Drgon mit feinem oerfiörten 
©efiepte, leichenblaß mit weit jtarrenben Äugen barunter fic^tbar wirb. 

ÄnberS im Teutfcpen! Ta fommt Tartuffe gemütplicp in baS 
Sanier, ©Imire fagt ihm ein paar freunblicpe ©orte, unb bet ©impel 
oerfängt fid) fofort. ©r pat gana oergeffen, wie fiep ©Imire ein paar 
©tunben Oorper ipin gegenüber benommen pat. Ter ©earbeiter pat 
gemeint, bafe bie fiep baran anfcpliefeenbe ©eene $u lang fei unb eine 
finnige Unterbrechung oorgenommen. ©t lägt Tartuffe gana unmotioirt 
bei ©eite treten, unb wäprenbbem fteeft Drgon ben tfopf unter bem 
Tifcp perOor: 

©ocp hob’ ich nichts Verfängliches oernommen, 
worauf ©Imire oerfept: 

©ebulb, eS wirb fchon beffer tommen! 

Unb bann fommt eS auch beffer. Tartuffe fommt wieber, unb nun 
geht bie SiebeSfcene in ber brutalften ©eife oor fiep. Tabei pören wir 
fchöne ©enbungen wie bie ber ©Imire: 

. . . 34 merfe, 

3h* $enn Scheinheiligen geht etwas fchneU ju ©erfe. 

TaS oerbächtige duften ©ImirenS fällt wie im granaöfif4en, fo 
auch iut Teutf 4 *n bem Tartuffe auf. SJtoltere begnügt fich bamit, 
©Imiren burch Tartuffe ein ©tücf fiafrije anbieten ju laffen. Ter 
beutfehe ©earbeiter pat biefe Änbeutung in finniger ©eife auSgeführt: 
ba bietet Tavtuffe ber begehrten grau einen ©onbon an, öffnet benfelben 
unb finbet barin bie Teoife: 

©er liebt, ber wage! 

TaS ift natürlich bie ©timme beS ©chicffalS, unb nun fann eS ja feinem 
Sweifel mehr unterliegen, baß Tartuffe wirtlich „tragt". Ta paben toir 
ja bie ©onbonpoefie fo unoerfälfeht wie möglich, leibhaftig! 

Um bie SiebeSfcene in angemeffener ©eife ju beleben, fieeft Drgon 
oon 3«t au 3eit brohenb bie Sauft unter bem Tif4tu4 perOor. ©enn 
ber ©erftbeiter au biefer Nuance, welche um ben $reiS ber ©irfung 
einer ganaen ©eene ein flüchtiges fiächeln gewinnt, unfchulbig ift, fo 
fann ich bem fehr begabten Tarfteller beS Drgon nur bringenb rathen, 
biefelbe fünftig bei ©eite au taffen. 

Ter ©earbeiter h<tt auch einen frönen Äctf4lufe gemacht, ©ei 
©foltere ftürat Drgon faft befimtungSloS oor Ängft baoon, um fich a u 
oergewiffem, ob baS tfäftepen mit ben compromittirenben ©apieren noch 
ba fei, ober ob eS Tartuffe mitgenommen pabe, um ihn au benunciren 
unb au ©runbe au richten. TaS pat bem beutfehen ©earbeiter nicht ge= 
nügt, ba macht Drgon noch folgenben auSgeaeicpneten ©ip: 

To4 grau, Tu gehft mit mir, er fönnte wieberfommen, 

3ch wär’ nicht unter’m Tij4 — ber Teufet mit bem frommen! 

Sch habe bie ©earbeitung hie* nur an einer $auptfcene mit bem Original 
oergfichen; es oerlohnt nicht ber 9©üpe, bie 0erbrießli4e Ärbeit fortau= 
fepen. ©ir haben eS eben mit einer langen ununterbrochenen tfette oon 
Unoerftänbniffen unb ©tißoerftänbniffen au tpun. 2)er ©earbeiter hat 
auch ben ganaen Äbfdjlug geänbert. Tie 9Koltere’f4* Äuflßfung ift in 
ber Tpat nicht fehr glücfti4, aber bie beS ©earbeiterS ift gerabeau albern, 
gür baS clafftfche „le pauvre homme!“, baS Drgon aur ©paraltetifitung 
beS Tartuffe au Änfang gebraucht, unb baS Torine im lepten Äcte in 
malitiöfefier ©eife Wieberholt, hat ber ©earbeiter bie freunbliche Ueber= 
fepung gefunben: 

„Ter liebe, gute, fromme Sftamt!" — 

attepr nicht? TaS erinnert an bie befannte Tpeateranefbote, bie 
oon einem fehr berühmten Tarfteller beS Teil, ben leiber nur bisweilen 
baS ©ebächtnift im ©tich lieg, unb ber, wenn er einmal aus bem Tejte 
fam, bie unglaublichen Tinge au Tage förberte, a« berichten weife, bab 
biefer anftatt ber ©erfe: 

9Rit biefem aweiten Sßfeil bur4f4°& ich — Such, 

©enn ich iu*iu lie&eS ®inb getroffen hätte, 

Unb ©uter — wahrlich! pätt* *4 uicht gefehlt! 

golgenbeS fagte: 

3Jtit biefem aw*iten ©feil bnr 4 f 4 °ß ich — ©urer — 

9hm war baS Unglücf gesehen, unb er fuhr fort: 


©enn ich utein liebes, gutes, einiges, braoeS fiinb, mein ©eraenSfinb 

oerfehlt hätte, 

Unb ©urer pött’ ich Jährlich nicht getroffen! 

2 )iefe ©iebergabe ber ©chifler’fchen ©erfe ift nicht fchlimmer, als 
bie Ueberfepung beS fnappen „le pauvre homme“ mit ber „liebe, gute 
fromme SDhtnn!" 

©ine folche ©earbeitung, wie wir fie hier haben, läßt ftch überhaupt 
nicht im SRolifcre’fchen ©inne fpieleit. 9Kan fuche hoch einen Äünftler, 
ber biefe unfchßnen unb langweiligen ©erfe, biefe groben ©päfje, biefe 
©ntbichtung fünftlerifch unb poetifch wieberaugeben oermßchte! Äber 
auch bie ©efepuitg bot bieSmal 9Jter!würbigteiten, für bie mir baS ©er* 
ftänbnig fehlt. Sch weife fehr wohl, bafe bie 9tegie überall empfinblich 
ift; fie hat auch ein gutes 9techt baau; eS werben ihr oft oon gana 
unberufener ©eite ungerechtfertigte ©orwürfe gemacht; aber h^ e * *ann 
eS fich meines ©rachtenS nicht mehr um Äuffaffungen hanbeln, hic* tfnb 
thatfächliche ©iberfprüche hcroorauheben. 

^ie ©oüe ber $orine, ber berben, oierfcferöiigen SKagb, bie ein 
©tücf altes $auSmöbel ift, bie in ber ungebunbenften ©eife mit ber 
£errfchaft oerfehrt, Drgon ©robheiten fagt, bie bie grofeen Äinber beS 
Kaufes noch immer wie fleine Äinber behanbelt, bie in alle Samilien^ 
gefchicfeten bie SRafe hineinfteeft unb überall unaufgeforbert mitfpriefet, 
biefe oorlaute, fehlest eraogeite, aber ^cTjCKögutc, alte, ober aum 3Rin- 
beften ältliche Sßerfon würbe hic* *on einem gana jungen 93?äbchen ge* 
fpielt, baS für naioe unb fentimentale Siebhaberinnen engagirt ift.J 3n 
ber beutfehen Äufführung fleht $orine aus wie ein graaißfcS Kammer* 
läpchen, baS fo etwa 18—22 Sah** alt ift. $afe biefe ©olle auch & e * 
früheren Äuffühiuugen falfch befept gewefen ife, beweift natürlich nichts. 
Äbgefehen baoon, bafe ber ganae ©h a *after ber $orine in bem ©tücfe 
beutlich als ber einer berben, ^iemiidh bejahrten Sßerfon geaeichnet ift, 
bafe ftch ih*e Unoerfchämtheit nur begreifen läßt, weil 2)orine bie Äinber 
hat anfwachfen fehen unb feit 15—20 3 ah**n, oieüeicht länger, im §aufe 
ift, fpricht auch für biefe unaweifelhaft richtige Äuffaffung bie Xljatfache, 
bafe SKoliöre biefe ©olle bei ber erften Äuph*ung feiner Schwieger¬ 
mutter, ©tabeleine ©^jart gegeben hat, bie am 6 . Sanuar 1618 geboren, 
am Xage ber erften Änffüh*imfl beS „Jartuffe'', am 5. Äuguft 1667, 
baS 49. SebenSjahr überfchritten hatte. ®ie ©olle hätte meines ©rachtenS 
unbebingt grau giieb-©lumauer fpielen müffen; für bie alte ^ernelle 
hätte man fchon eine anbere 3)arfteHerin gefunben. 

Xaburch, bafe man bie ©olle beS Xartuffe bem auSgefprochenen Ver¬ 
treter ber 3 ntriganten= unb ©ha*afterro!len gibt, ber übrigens, wie 
anerfannt werben muß, feine Äufgabe mit großem Vcrftänbnife unb 
feinem Xa!t Ißfte, — babutch Oer leiht man, wie ich meine, ber ©olle 
oon oorn h** e iu ein ©epräge, baS mehr bem Vorurteile ber 9Renge 
als ben Äbfichten beS Richters entspricht. S^er ©h a *alterfpieler oerfchärft 
feiner ganaen ©atur nach bie Umriffe beS oon ©lottere geaeichneten 
©ilbeS; währenb biefer gerabe beabfichtigt, bafe baS bitherifch fchon au 
fcharf ©eaeichnete burch 2 )arftellung abgefchwächt werbe, deshalb 
hat er auch bti ber oon ipm geleiteten Äuffühnmg bie Titelrolle nicht 
bem Sutriganten, fonbern bem gefepten Siebpaber Tu ©roifp gegeben, 
bemfelben, ber beit Siebpaber Valer im „©eiaigen'" unb Dront, ben fo* 
mifepen Verehrer ©elimenenS im „Stöenfcpenfeinb" barftellte. St benfe 
mir, bafe ^err ©ernbal einer ber ooraüglichften TartuffeS fein müffe, bie 
fiep auf ber beutfehen ©üpne finben ließen. 

Tie ©olle beS jugenblichen SiebpaberS im „Xartuffe", beS pin^ 
gebenben, lebenSfrifcpen Valer, barf niept mit einer atueiten unb britten 
Äraft befept werben; bie ©olle ift awat Wenig umfangreich, aber Valer 
pat eine ber reiaenbften ©eenen, bie ©toltere überhaupt gefeprieben pat. 
©toliere gab fie feinem bejten ©cpaufpieler, Sa ©ränge, unb noch heute 
Wirb fie oon ben erften Äräften beS Tlte&tre fran 9 ais, au meiner 3 c *t 
oon ©reffant unb oon Telaunap, bargeftellt. ©enn §err Subwig biefe 
©olle gefpielt hätte, fo würbe baburep baS ganae Verpältnife beS Sieb= 
paberS au bem $aufe DrgonS eine anbere, tiefere ©ebeutung erlangt 
paben.- 

gür peute fann icp nur mit awei ©orten ben aufeerorbentlicpen ©r* 
folg conftatiren, ben ©parlotte ©olter als ^päbra am ©efibena- 
tpeater errungen pat. 34 bepalte mir oor, über biefe bebeutenbfte ber 
jept lebenben Tragöbinnen, ber man niept baS Unrecht antpun wirb, fie 
mit einer oietgenannten augfräftigen ©aftfpielerin in einer ©eipe au 
nennen, in einiger 3 e 't eingepenber au fepreiben. ©ir paben ja baS 
©lücf, ©parlotte ©olter jept auf längere 3«it in ©crlin au fepen, wo 


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174 


9 i t ® * g * itmöri 


Nr. 11. 


fie in einer gönnen ©eipe ihrer mirlungSooßften Sollen auftreten loirb. 
©elcp ein ernftpafter, feltener, lünfllerifcher Genug uns beborftept, baS 
pat fdjon bie ©päbra bemiefen, — eine eben fo großartig angelegte mie 
grogartig burcpgefüprte Seifhmg! Gparlotte ©olter ift bie einzige 
Dragöbin, bie niept ju etjepteden brauet, memt man ben ©Ratten 
©acpelS neben ipr peraufbefepmört; fie ift eine ganj anbere, aber niept 
minber groge tünftlerin. GS mag biefer tur$e ftinmeiS für jept ge= 
nügen, ba ttrir ja $um Gfüd nocp häufig bie Gelegenheit haben »erben, 
baS heute »egen Mangel an ©aum ©erfäumte reichlich nacpaupolen. 
©ir mürben inbeffen uns einer UnterlaffungSfünbe $u seihen paben, 
menn mir nicht noch mit einem ©orte ber ftnerlennung unter ben 
heimischen Äünftlern #errn ft eppler als Dperanten ermähnen mürben, 
ber ben berühmten „r6cit“ mit feiner Iogifcher Glieberung, nur bießeiept 
mit etmaS ju biel Demperameut bortrug. Schabet übrigens nichts, biefeS 
Subtel! Denn fonjt mirb ber groge Bericht, ein ttpnperr ber Gt= 
japlungen beS „fepmebifepen §auptmannS" unb beS „lothringifchen 
©itterS", trop aller Schönheiten leicht monoton unb langmeiüg. 

Paul Sinbau. 


■^otijen. 


Die 3nterbiemS, melche General 3g na tief f mäpreitb feiner Dour 
burep Guropa auSjupaltett hatte, mürben gefammelt eine ftattliche ©ro= 
jepüre füllen unb einen, menn nicht fehr juberläffigen, hoch jebenfalls 
intereffanten Beitrag jur geitgefchichte bilben. könnte ber §erauS= 
geber auch uodj ein ©efumd ber Unterrebungen geben, melche ber ruffifche 
©otfepafter mit ben ©Minifietn unb Diplomaten in ben betriebenen 
eutopäifdjen ftauptftäbten gehabt hat, fo mürbe ber ©ertp beS Reinen 
Opus baburd) natürlich fehr bermehrt merben. DaSfelbe mürbe aßer= 
bingS bon ©iberfprücpen fftopen, gerabe babitrch aber bie 2Irt unb 
©eite beS ruffifchen gtiebenSgeneralS, mie man ihn genannt hat, am 
treuften mieberfpiegeln. ©eine Gegner behaupten, eS begehe jmifepen 
thm unb ber ©aprpeit ein gemiffeS lühteS ©erpältnig. II est en froid 
avec la vöritd, hört man ^äuftg fagen. ©enn alfo eine berartige 
Sammlung ben ©emeiS liefern mürbe, bag Söuatieff ben Sournalifteu 
ganj anbere Dinge anbertraut hat als ben actiben ©olitilern, fo mürbe 
fich ©iemanb barüber munbem. ©Man mürbe eS nicht minber natürlich 
finben, bag er auch 1« & cn Sonberfationen mit feinen StanbeSgenoffen 
bom Sach bem Ginen baS birecte Gegenteil bon bem fagte, maS er 
bem Slnberen infinuirt hatte. DaS SlßeS gehört jum ©Metier, befonberS 
junt ruffifchen. Dem ruhigen ©eobaepter erfcheint eS injmifcpen unbe= 
greiflich, mie befchäftigte Seute megen einer ©efpreepung mit einem 
buteptrifenben Diplomaten ©Mühe unb Qeit berfchmenben tönnen. Stoch 
meniger !ann 3*manb, ber an gemiffe Sannen gemöhnt ift, eine ©or* 
Stellung babon geminnen, mie ein berartigeS Gefpräch eingeleitet mirb. 
©Man bente fich, bag ber ©efucher nach Ueberminbung ber präliminaren 
Scpmierigleiten, melche ^odhtnüt^ige Sataien ober ©ortierS beranlaffen, 
$u bem #errn bringt, auf beffen Gepeimniffe eS abgefehen ift. Gr fteßt 
fich als ©Mitarbeiter biefeS ober jenes öffentlichen Organs bor unb er* 
Härt fein Sutereffe für ben Staat unb bie Sache, melche 3^ner bertritt. 
3ept entfpinnt fich bat Stage * unb Slntmortfpiet. ©Man möchte gern 
rniffen, morin bie ©Miffion beftehe, melche SfaSftcpten fie habe, ob eS 
mirllich Ärieg geben merbe, ober ber Stieben noch möglich fei, unb fo 
meiter. Die ©orauSfepmtg, bag ber ©eimgefuepte 3 c manbem, melchen 
er junt erftenmal im Seben fleht, eine irgenbmie juberläffige ÄuShmft 
erteilen merbe, fept ein ©ertrauen borauS, beffen robufte ©atur nur 
©emunberung erregen lann. ©ielleicht aßerbingS fommt eS bei ber 
©Übergabe beS GefpräcpS gar nicht auf bie ©egrünbung ber Dpatfacpen 
an, fonbern nur, bag fie für bieranb§man§ig ©tunben banach auSfehen. 
©Man foß babon in ber europäifepen ©reffe Gjempel erlebt haben. So= 
meit 3önatieff babei in Stage fam, lonnten bie Herren Saterbiemer 
mirflich bie ©Mühe fparen. DaS ruffifche 3«triguenfpiel im Orient, baS 
nach böfer ©erechnung einen blutigen SluSgang haben foß, ift bocp 
für 3*öen, ber fich Rubere nicht bollbemugt täufchen miß, feit 
langer 3^1 Har. SMußlanb hatte 3®hte h^atth ^tuftommen ber 
^Reformen in ber Dürtei mit allen erlaubten unb unerlaubten ©Mitteln 
berhinbert, jahllofe 3«futrectionen anjetteln taffen unb fich hinterher 
$nr ^Rechtfertigung feines GinfchreitenS barauf bentfen. ©ie bie IRath 5 


! fchläge feiner Diplomatie, gleichbiel ob fie birecten Auftrag baju hatte 
I ober nicht, bie Dürtei $u ber ftnanjiellen ©anterottertlärung gebrängt 
| haben, ift ein öffentliches Geheimnis. Dann foßte bor etmaS über einem 
; Saht mit einem $anbftreich eine ©efepung GonftantinopelS burch ruf- 
! fifcpe Druppen ftattfinben, melche ber halb blöbftnnige Sultan unb fein 
bon ruffifchen Agenten befolbeter Grogmefier jur Unterbrüdung eine« 
angeblichen ^lufftanbeS herbeigerufen hätten. Slber Gnglanb hatte Gontre= 
minen angelegt. GS tarn ju einer fRebolution im entgegengefepten 
Sinn, bie ben toßeit ^errfeper unb feinen corrumpirten Diener befeitigte. 
Sgnatieff mar gefcplagen unb patte auch feine ^Regierung in bie ©ieber= 
läge mit bermicfelt. Gortfchaloff fuchte eine fRebancpe in bem ©erliner 
i ©Memoranbum, erlitt inbeffen ein neues SiaSco burep GnglanbS 9MefuS. 

| 3ept berlor ber tuffifepe SReicpStanjler baS Gleicpgemicpt tüpler ©eredp' 
i nung. Gr mochte baS überlegene £äcpetn feiner SRibalen uiept ertragen 
I unb lieg eS §u bem ferbifd^en Kriege tommen, ber im »eiteren ©erlauf 
I $u ber ©Mobilmachung ber ruffifchen ttrrnee füprte. DaS Uebrige ift be- 
i tannt. 3^Pt möchte man GefcpeheiteS gern uugefepeheu machen unb ben 
| erfepnten Geminnft an ©Macpt unb ©refitge mit $ülfe GuropaS opne bie 
I nötpigen Opfer einpeimfen. DaS ift inbeffen fepmierig unb fo foßen 
i Raufen bon Seicpen bie öftlicpen Gefilbe beefen, »eil ber Gprgei$ ber 
| ©anflabiften unb bie Gitelfcit einer Gruppe bon Staatsmännern eine 
fonft unheilbare ©unbe empfangen patten unb Guropa, ob freimißig 
ober ge^mungen, jufap. Der Reporter, »elcpem Sgnatieff biefen 3a= 

. fammenpang actenmäßig bargelegt patte, mürbe mit ber offenen ©Mit* 
tpeilung ber paarfträubenben Details ben ©ogel abgefepoffen paben. 
©egen fonftiger ©prafen bon flabifcper StammeSbermanbtfcpaft, be= 
brüeften Gpriften unb ruffifeper ©eformarbeit brauchte ©iemanb im ^otel 
fRopal an^ufragen. Gin Gang in baS näcpfte ^affeepauS unb bie Seetüre 
eines SeitartilelS in ber erjten beften S^tuag lonnten ftcperlicp biefelben 
Dienfte leiften. 

* * * 

3n Saxptn beo fumbolbtbmkmalo. 

3n ben 3eüungen lefe icp, bag .für bie ©Monumente, melcpe ben 
©rübern 91. unb ©. b. ^umbolbt auf bem ©lape bor ber Unioerfitai 
in ©erlin ervieptet merben foßen, neben ben herlömtnlicpen ftpenben ober 
ftepenben Stößen auep ein Gntmurf bon ßMeinpolb ©egaS auSgefteßt fei, 
ber nur bie ©üfien auf reich berjiertem Södel bringt, unb neben 
Hle^anber bie ipn betrönenbe 9Matur, neben ©ilpelm einen Genius mit 
ber Sadel beS GeifteS fteflt. ©enn, mie ju ermarten ftept, ©egaS bie 
ibealen Geftalten mit lebenbigem Scpmung, bie ©üften mit fpreepenber 
9Maturmahrpeit bepanbelt, fo möchte icp baju mapnen, baß enblicp ber 
©ann gebrochen merbe, ber auf unfrer Sculptur liegt, inbem man ipr 
fortmäprenb Aufgaben fept, bie eben fo jmedmibrig für bie Dargefteßten 
mie ungünftig für bie lünftlerifcpe ©epanblung finb. 3<P meine bie 
Statuen bon ©Männern, bie niept als gelben im öffentlichen Seben ge- 
mirlt, fonbern als Denier, So*f<prc, Dichter, Zünftler eine fülle geifüge 
Dpätigleit geübt; picr lommt eS niept auf bieScpenlel unb bie Schultern, 
fonbern auf baS ftntlip ober ben £opf an, unb gemöpnUcp hält fiep ber 
Zünftler auch nur an biefe, unb gibt ihnen einen fRumpf naep eigener 
Grfinbung. Unb ba§u lommt bann bie unplaftifcpe Drecpt unfrer S^t 
unb ber conbentieße ©Mantel, ©iept bloS ber ©romenabeplap in ©München 
ift ein abfcpredenbeS ©eifpiel, auch in ©erlin gibt eS nape ber Spree 
unb ©aualabemie eine Steße, bie maprlicp niept lurjmeilig unb erquid« 
licp ift burep ihre Statuengruppe, an ber baS ©ublicum jumeilen borüber* 
gept. ©ie erfreulicher märe eS boep bie ©üfte $u fepen, aber auf einem 
Sodel ober in einer Umgebung mit frei erfunbenem tünftlerifcpen Scpmud, 
bec auf finnige ©eife bom Sehen unb ber ©ebeutung beS ©Mannes eine 
Slnfcpaunng gemährt unb fo baS Äuge burep fepöne gorm unb ben Geift 
burep gebanlenboße iÄuffaffung anjiept, flott bie boße ©aturtreue boep 
niept $u bieten unb burep ungefftßige meprfaepe gutterale über ben 
menfcplicpen Körper niept ben Gparalter unb baS ©irlen, fonbern bte 
©Mobe $ur Seit ber ©erperrli^ten im Gr$ ju beremigen. ©ie menige 
unferer Zünftler paben ©ilpelm bon $umbotbt noep perfönlicp gelaunt! 
5lle$anber mar ein gebüdter Greis für bie ScbÜcbenben. 3n genrepafter 
ftuffaffung fiept feine Statuette freunbli^, etmaS ironifcp läcpelnb auf 
bem ©ult beS ©aturforfcperS, aber grog auSgefüprt mürbe fie fo leinen 
guten Ginbrud machen; ber Zünftler mürbe ipm mopl mepr Äörpergröge 
unb ftraffere Haltung anbiepten unb für ben ©ruber eine Geflalt er« 
ftnben. Unb ©erlin hätte ein paar ©od? ober ©Mantelfiguren mepr. 
©ie anberS — fepon um ber Äbmedjfelung mißen — merben bie ©üften 


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Nr. 11. 


Bit ®tg«m»nrt. 


175 


wirten, Wenn fte in Berbinbung mit bebeutung«bollen, tünfiletifcb mertb*- 
bollen ©eftalten ouf reliefgefcbmficftem ©ocfel fte^rn 1 

%>n fpage ift fcbon einmal erörtert worben, al« ei fld^ am ba« 
Ublanbbentmal honbette. ©a« tümmero un« feine (Stiefel uub $ofen? 
©eine ©rfcbeinung War nicht imponirenb. Äonrab Jhtoll halte ben ÜRutb, 
eine Büfte,gur (Eoncurreng eingufenben. Äbet ba« $kbefiat geigte ba« 
©efen nnb ©irten be« Siebter«. Sin ben abgefluften (Eden ftanben bie 
©eftalten bet ©ermauia, be« We<bt«, ber ?oefie, ber ©iffenfebaft, unb 
jtnifeben ihnen geigten Knippen in Hochrelief ba« Sieb bom guten 
Stameraben, bon ber ©irtbin lödjterlein, Hergog (Erofl mit ©emev nnb 
be« ©finget« $&<$. über ba« ttomite entfebieb für eine ©tatue, unb 
fpriebt man bon einer Büge, fo meint ber $biKfier: tuarum fott nicht 
mein Sanbümann ober ©enog eine ©tatue haben fo gut tote ber unb 
jener! 25er ffüngler aber, welcher bie bon ber Bhatiiage rinei Siebter« 
erfebaffenen Gewalten nun au«b plagifcb un« bor Äugen gellt, bot barin 
eine ibeale Änfgabe, einen (Erfap für bie SRptbologie, unb feine Bilbuer* 
Traft erhält ein freie« fjelb gu reifer Betätigung. 

Äl« ein Bentmal für Stebig tomrbe bon ber Familie felbft ein 
Siebigbrunnen beantragt; aber ba« finbet feinen Änflang, nicht bei 
Äünglem, nicht bei (Belehrten. $ie Qtit ift einmal auf ©tatuen berfeffen 
unb meint wogt bamit ihren Beruf gur ffunfi gu beweifen. 34 gäbe 
bie 8acge fegon in meiner Äeggetit (II. 170, gtoeite Äuflage) befproegen, 
aber e« fegetnt eine $rebigt für taube Olpcn. HI- Carrtere. 

* 

* * 

Ärcgäologifcge« ©örterbueg (beutfeb, frangögfeg, tateinifcb unb eng* 
lifcb) bon $einr. Otte. S^te Änflage. Seipgig 1877, ©eigel. 

$cr Warne Heinrich Otte« (bermalen ©uperintenbentur*Berwefer 
unb Pfarrer) bot iw ber Äunggefcgicgte, befonber« ber mittelalterlichen, 
einen fo guten, bureb p berfcgiebene $ublicationen (mir nennen fein „$anb* 
buch ber fircblicgen Äunftarcbäologie", feinen „arcbäologtfcgen Äatecgi«* 
mu«", bie „(Befcbicbte ber fireblicben fiunft be« beutfeben 9Rittelalter«", bie 
„©lodentunbe", bie „©efebiegte ber beutfeben Baufung") fo toobl accrebi* 
tirten Älang, bag wenig Änbere gur Äbfaffung be« un« borltegenben 
Buche« fo berufen fein möchten, al« gerabe er. Unb bie gweite Äoflage 
— bei ©erfen ber Ärt nicht gerabe eine häufige (Erfcgeinung — fpri<bt 
berebt für bie (Bebiegenheit ber Ärbeit. 3 n ber Xgat, fie ift nicht blo«, 
mie mir un« bureb bie forgfftltige Prüfung gröberer unb lleinerer Ärtitel 
übergeugt hoben, hb<bft forgffiltig unb gemijfenhaft, bei prägnanterer 
Äürge, an«geffihrt, fonbern fte ift gerabe bureb biefe (Eigenfcgagen ein 
höcbft berbienftliebe« Unternehmen. Unb gmar nicht blo« für bie eigene 
lieben Äenner be« gaeg«, für au«übenbe Äüngler unb Äungfrittter, fon* 
bem auch für bie Siebgaber unb Beregrer ber £mtg. liefen legt* 
genannten gunädjg bienen bie beigegebenen Holgfcgnitte (285 an ber 3agl, 
äugerg nett unb fauber au«gefübrt), ein gang borgügliche« Hülf«mittel 
gur Berangbaulicbung unb gum Bergänbnig. ©erabe bei ber itotg 5 
menbig geworbenen Knappheit ber gorm, in welcher bie (grtffirungen 
gehalten finb, mugte bem Äuge be« Saien eine (Erleichterung gewährt 
werben. 3Ran glaube ja nicht etwa, bag fub ber 1>\tx aufgefpeicberte 
©örteroorrath blo« auf bie ht ben ©driften über fircblicge Äunftalter* 
thümer bbrfommenben eigentlichen &ungau«brüde erftrede, b, b- olfo 
blo« auf bie bilbenben unb rebenben fünfte (Ärcbiteftur, ©culptur, 
Malerei — ffoefie, SRugf), fonbern auch ba« thingganbrnerf unb felbft 
ba« Hanbwerf überhaupt (©egreibefung, ©affenfunbe, (Eoftümfunbe, ©ucb= 
bruef, öefeftigung«funft, Äu«brücfe be« $anbel« unb ©anbei«) hot feine 
ooüe öerüdftcbtigung gefunben. 3« einem $wn*t fogar hot ber gelehrte 
$err Serfaffer be« (Buten beinahe gu oiel getban, nämlich in ber je-- 
weiligen Beifügung ber lateinif^en, frangöftf^tn unb englifeben SBe* 
nennung gum beutfeben Äu«brucf — mfihrenb bo<b ba«felbe Such (böebft 
banfen«wertb) ein fpectelle« CergekbntB gerabe biejer grembwörter 
hinter bem ^aupttheil enthält, worin auf ba« (Englifcbe etwa 80 ©eiten, 
. ba« Sfrangöftfebe beinahe eben fo oiel, ba« £ateinif<be ungefähr beren 60 
tommen. ©ogu biefe SSerboppelung unb Serbretfadjung ? 8«r mehreren 
Sequemlidjfcit be« Sefer«, wirb man fogen, unb bagegen ift nicht biel 
einguwenben, aber ber Sefer wirb unb muf} gufrieben fein, wenn er, me« 
er fuebt, an einem Orte ficber finbet. Stafs bagegen ber belannte Äunft* 
biftorifer ©ebnaafe bei einer Ängeige ber erften Äuflage wünfd^en tonnte: 
ber ifonographifebe Ihril (b. h* ftolgfcbnitte) möchte wegfallen, er* 
febeint un« fap unbegreiflidb, unb ber $err Serfaffer bot eben fo wohl 
getban, biefern ©unfeb feine golge gu geben, al« bie (Brengen, innerhalb 


welcher bie erfte Äuflage ficb bewegte (b. h- ba« eigentliche SWittelalter) 
nach beiben ©eiten, b. b- nach ber ©eite be« Älterthum« wie nach ber 
neueren 8*ü gu (bi« gum Äuffommen be« SÖarocfftil«) hiuau«gucüdtn. 
Ängenehm fällt bei biefern bon einem (Beiftlicben gefebriebenen ©erfe bie 
objectioe Äuffaffung, ber ©egfall be« Jßaftoraltone« auf; blo« in ber 
IBorrebe lefen wir am ©eblufs, bab ber ^erfaffer bom ©tubium ber Ihtnft 
„bie gförberung be« Weiche« (Botte« auf (Erben" erwarte. (Eine Äleiuig* 
leit, wirb man fagen, bie man' bem (Beiftlicben gugut holten mufj — 
aber warum foüen nicht auch bie (Beiftlicben ficb auf einen böttig ob- 
jectiben ©tanbpunft erbeben Yönnen, unb ©oft geben, wo« (Botte«, ber 
©eit, wa« ber ©eit ift? 3Rit bem „Weich (Botte«" im paftoralen ©inne 
bat bie ftunft al« folcbe unb ihr ©tubium feine 93erübrung«puntte. — 
2)rucf (Äntiqua) unb Rapier be« SÖucbe« finb, wie ba« bei biefer gfirma 
ber galt gu fein pflegt, gang borgüglich. 3. ItTaebly. 

* 

♦ * 

©rftmtnatifibe** 

Äl« ©eitenftud gu ber in Wr. 51 ber ff (Begenwart 4r gerügten fehl' 
famen fpntaftifcben Werwenbung be« ^articipium« mögen fjitt einige 
$3eifpiele unrichtigen grammatifeben (Bebraucb« be«felben in ber Wefle^ibs 
form eine ©teile finben. 2)iefelben ftnb binnen furger 3eit nicht au« ge* 
möbnlicben 8 e ^uug«annoncen, fonbern au« ftefanntmatbutigen bon S3e= 
hörben, au« bem rebactionellen Xbeile bon 8^tungen unb au« Seitfebriften 
gufammengelefen worben. 

$er (Engere Äu«fcbu| ber ÄJEedtl. Witter* unb Sanbfcbaft rebet in feinen 
borjährigen $ropofitionen (Wr. 89) bon einer „ficb ouf bem jüngften 
Sanbtage funbgegebenen Änficbt*. 3«t „©alon # 1876, ©. 1606 lieft 
man: „3um Serbrug ber ficb auf ben ©atterien eingefunbenen 
(EoUegen"; in ber „®ol!«geitung" 1876, Wr. 241: ber Worfcblag, „einer 
in ©umbinnen ficb gebilbeten Bereinigung" ficb angufcbliegen; in ber 
„SWcdtl. 8tg." bom 14. ©ept. 1875: „SWittbeilungen über ben auf einem 
Biebtran«port bon ©iömar nach Hamburg ficb gugetragenen be* 
flagenöwertben Unfall." ©enn begleichen Berftöge bi« in bie gebuchten 
Wegionen nngebinbert borbringen lönnen, wirb man gur SWilbe geftimmt, 
wenn ein abelige« Wtitglieb ber SRecft. Witterfcbaft in ben „Wtecfl. Ätt* 
geigen" 1876, Wr. 295 „für eine ficb iu einem 8eitraum bon 14 Sohlen 
al« treu, gubcrläffig unb brauchbar erwiefene ©irtbfebafterin" ein 
neue« (Engagement fuebt. Seichter al« jene ber (Brammatif 3wang an* 
tbuenbe Weflejcibform erträgt geh noch bie alte gmar fteife, aber boeb 
guläfgge ©enbung: „bei ficb b e *att«geftellt hobenbem Bebürfnig", 
bie ber (Engere Äu«fd)ug ber Wledt. ©tänbe in feiner borjährigen 
29. Bropofition gebraucht. 

(Eine berwanbte Unachtfamfeit geigt g4 & teflejiben (Bebraucb 
be« ©orte« „beftnblicb'': „bie (Erlaubnig gur Berbielfältigung eine« im 
Bribatbefife be« ßatfer« ficb befinblichen frönen (Bemälbe«" („Weu^* 
ftrelifcer St^' 1876, Wr. 63); „bie gunäcbft ficb Befinblichen" 
(„Sfltefieube Bl." 1876, Wr. 1623, ©. 57). 

Wocb eine anbere Ärt unguläfftgen Umgehen« mit bem Borticipium 
geigt geh in folgenber ÜRittheilung betfebiebener 8^itungen: 2)er inbeffen 
bom beutfeben Ifriegerbunbe abgehaltene 2)elegirtentag „befebtog, bem 
regierenben $ergog bon Änholt unter bem Äu«brucf ber £beifttabme an 
bem bie b«tgoglicbe gamilie betroffenen Unglüd" u. f. m. 3» «och 
fübnerer ©eftalt tritt bie Uugenirtheit in na^ftehenbem ©afce auf: 
,^eute SWorgen berfpätete ficb ber bon ©tra«burg i. U. h'« eingu* 
treffenbe gemifebte 8o0 uw SRinuten." 

©ir gebeuten fcblteglicb.nocb einer beliebten Yleinen ©ematttbätigteit, 
Welche babureb berübt wirb, bag man einem au« gwei ©ubftantiben gu* 
fammengefehten ©ort einen bon bem erften ber beiben ©ubftantibe ab* 
bängeitben ©enitib beifügt: „bie (Entbüllung«feier be« HRoltte* 
2)entmal«", „bie Begattung «feierlichsten ber ^ergogin ©aroline", 
„eine Borftanb«berfammlung be« Xbtcrfci^u^SSercinÄ", „eine wunber* 
bar feine Beobachtung«gäbe be« eigenen unb fremben ©eifte«leben«", 
für „bie 5^** ber (Enthüllung be« 3Roltfes$enrmaI«" u. f. w. 

Woftocf. _ 3* U)iggers. 

tBniibtigung. 

3m 90tufitberi<bt ©. 156, erfte ©palte, Seile 11 bon unten ift patt: 
§txx HRarini: SRanni gu lefen. 


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j£ 




176 


Ht t Segtitnrart. 


Nr. 11. 


3 tt f t x a t t. 




Die t&ewUie öer Üloöe. 


lajj bie lamen beS SßolfeS 3fraet bereits ficfj gar 
prächtig fchmüdten mit bunten Stoffen unb glänjenbem 
©efdjmeibe, mit ©erlen unb ©belgefteht alter 9Irt, — 
baS erjählt uns nid)t nur baS ©uch aller ©fieser, fonbern 
oiel eingetjenber unb beleljrenber noch „bie Hebräerin am 
©ufctifch", baS ^alboergeffene ©u<h 3t. 11). ^artmann’S, 
welches uns eine einge^enbe Säuberung ber attjübifdjen 
loilette barbietet. Unb mie bei ben 3uben, fo läfjt fid) 
bei ben ©gpptern, Slfftjrern unb ©erferit, faft bis in bie 
mptljifc^e ßeit jurüd, ber ©acfjweis liefern, bajj baS ©e= 
ftreben beS SBeibeS, bem ©Manne ju gefallen, fdjon jur 
oorfünbflutljlichen 3eit ju bebenKicfjeit üluSfdjreitungen 
führte. 3luch bie ©riechen unb ©örner fdjiihte ifjr Elfter 
nor 1l)ort|eit nid^t. ©Mit ben anmutigen loiletten ber 
reijumftoffenen löstet Slthen’S begann bie claffifdje ©tobe; 
mit bem foloffalen SupS, bet oerfdjwenberifcheu ©ub-- 
fudjt unb bem gänjlidjen ©erfaß ber Sitten enbigteu 
§eßaS unb ©om. ©3er errinnert fid) nicht beS boshaften 
Spötters ©lautuS, ber bie Äleibung ber römifdjen Sdjönen 
einem ftatttidj aufgetafetten Schiffe oergleidjt, ober ©Mar= 
tial’S, ber oon ben fchon bamals gebräuchlichen falfdjen 
3äljnen unb paaren, Sd)mintbüd)feit unb anberem ©Material 
ber ©erfchönerungSfunft ergatjlt? SEÖie toeit es bie ©Mobe 
in ©om gebraut, baS läfjt fid) am beften in ©öttiger’S 
„Sabina ober ©Morgenfcenen im ©ufcjimmer einer oor* 
nehmen ©ömerin" nachlefen, ein lehrreiches Stiid (Sut= 
turgefchichte beS 3lltertt)umS. 

lie chriftliche ßeit brachte wohl eine 3lrt SBanblung 
jum ©efferen; boch nicht lange behauptete fich baS einfache, 
fchlichte ©ewanb. ©Mit ber fteigenben ©ultur wuchs aud) 
bei ben gcrmaitifdjen grauen baS ©ebürfnifj nach funftocr* 
ftänbigen Schneibern, unb fchon $art ber ©rofje nahm 
an ben foftbaren ©ewänbern feiner $ofleute Slnftofj unb 
fuchte biefelben jur ©infachheit jurüdjufüljren. Seiber 
ejnftirt noch leine „©ermattia am ©ufctifch", bie uns 
chronologifd) georbnet über bie ©Mobe=1f)orheiten ber ger= 
manifchen grauen Stuffcf)tu§ geben fönnte. SBir müffett, 
— woflen mir bie loiletten unferer Urahnen grünblich 
fennen lernen, — ben Staub abfehüttetn oon alten $anb= 
fchriften, gefchriebenen unb mit ©Miniaturen oerfehenen 
©ebetbüchern, alten Shronifen unb begleichen mehr. Ober 
wir finb genötigt, bie ©eheimniffe ber ©Minnelieber ju 
erforfdjen, bie nicht nur oon bem „fchlanfen Seib unb 
ben rofigen ©ägetn" ber „reinen grauen", fonbern aud) 
über beren Äleiber unb Schmud, über Schleifen unb 
©änber, liabeme unb anbere §errlid)feiten gar wonniglid) 
berichten. 

lie Sreujjüge, melche bie ©rad)t unb Ueppigfeit beS 
orientalischen SebenS nach ®«ropa brachten, trugen am 
meiften baju bei, bie alte ©infadjheit ju oerbrängen unb 


an beren Stelle ben fabelhafteften SupS ju fefcen. SBaS 
halfen ba bie ©erböte ber ^Regierungen, bie SupSgefefce, 
bie Äteiberorbnungen bet fjodjweifen unb geftrengen Öbrig* 
feiten; toaS nüfjte ba ber ©ifer ber frommen ©eifttid)feit 
unb beren 3etermorbio gegen bie becolletirte, fünbige 
©Belt? lie ho^en ©ngel ber Schöpfung lehrten fich 
nicht an bie ©erböte, erbauten fich an ben ©rebigten ber 
liener ©otteS, befolgten fie aber nicht. Die ffrau, bie 
ewig junge ©ef»errfc^erin ber SBelt, that es ju aßen 3citen 
fo wie heute; fie fefcte im ©unfte ber ©Mobe ihren SBißen 
burd). lamatS that fie es in tiebenSwürbiger ©aioetät, 
jefct thut fie’S im ooßen geiftigen ©ewufjtfein ihrer ©Macht, 
i lie $rau behält eben in biefeit lingen immer ©echt, 

! unb man wäre beinahe oerfudjt, es bem grofjen 3iuanj= 
ntiitifter SubwigS XIY. nadjjufeljen, bafj er bie bamalige 
©Mobe = unb ©ufefucht ju einer 2lrt national=öfonomifcher 
! Specutation machte, bie ben Staatsfädel mit tpunber= 

| teit oon ©Miflionen füllte unb bem „großen" Subwig 
l ben 9tuf beS freigebigften ©Monardhen oerfchaffte. „Die 
franjöfifd)e Sprache mufj in Suropa aßgemein werben, 

| unb utifere ©Moben müffen uns bie ©ölfer ber ganjen 
; ©3elt jugethan unb eigen machen", fagte Solbert. Seine 
I ©erechnung fchlug in ber Ihat nid)t fehl, ©alb herrfchten 
an ben Keinen beutfdjen tpöfen franjöfifche ©Moben un,b 
Sitten, unb 3tßeS gab fi<h ben oerführerifdhen Sodungen 
fjranfreichs wißig hiu- SSSohl bemühte man fich auch 
bamals fchon, bem ©inbringen franjöfifcher ©Moben unb 
Stoffe ©inljalt ju thun, um ber heimatlichen Snbuftrie 
nicht eine totale SRiebertage ju bereiten, lod) 3lßeS um= 
fonft. ©aris warb bie unbeftrittene §errfcherin auf bem 
©ebiete ber ©Mobe unb bictirt ber SBelt bie loiletten^ 
©efefce, bie einigen ©efe^e oießeicht, welche ausnahmslos 
befolgt werben. 

1aS Sprachrohr, burch welches man oon ©aris aus 
ber eleganten SBelt bie lecrete juerft oerfünbete, war ber 
„Mercure galant“, bie erfte wirtliche ©Mobenjeitung! 
Äönig Subwig XIY. gab in eigener ©erfon baju bas 
©rioilegium in einer ©athsfi^ung am 31. lecember 1677. 
©in §err oon ©ije war ber ©lüdliche, ber baS ©rioi= 
legium erhielt, es jeboch auf IhomaS Stmantrp ju Stjoit 
übertrug. 1er „Mercure galant“ foßte nur Sachen 
bringen, „bie nitgenb fonft Wo unb hier jum erften ©Male 
uns ©eueS jeigen". las that benn auch ber Keine ©Otter* 
bote unb brachte juerft bie ©efchreibung eines ^offefteS, 
bie $ochjeit einer franjöfifchen ©rinjeffin, unter genauefter 
Eingabe fämmtlicher bei biefem fjefte getragenen loiletten. 
lie ©rinjeffin felbft, in einer „unerhört langen Schleppe", 
warb als erfteS, in Tupfer geftocheneS ©Mobenbilb bem 
lejte beigefügt. Unb was gab es fonft nicht noch SlßeS 
in bem Mercure! länje, Spiele, bie fönigliche Sotterie, 


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Nr. 11. 


tt ©rgenwurt. 


177 


Secorationen, Sableauj, ©onette, SJtabrigale, Stätßfel, 
— unb felbft 2Kuftfbeitagen fehlten nid)t. 3m Satire 1680 
ttrar e8, — feine Same oon SEBelt fottte biefeS Saßr oer* 
geffen, — als int „Mercure“ ber erfte 3JtobenberidE)t er* 
fdf)ien. 

Staljeju jwei 3at)thunberte liegen jtoifc^en biejent 
©reigniß unb unferen Sagen, ßegionen eott 3Jtobe=3our* 
naten, benen ber „Mercure" bie Satin geöffnet, faßen wir 
fontmen unb gehen, erfdjeinen unb oerfeßwinben, mit unb 
ot)ne SJtobebilber, für unb gegen bie ©d)leppe. ßu ©nbe 
beS fiebjeljnten Sahrljunberts finben wir Seutfchlanb’ 
feßon tief in 3Jtobe=3oumalen oergraben. 3m Satire 1712 
fo£t bie erfte beutfdße SJtobenjeitung bei ßodjer in Stürn* 
berg erfeßienen fein, ein jiemlicß primitioeS Organ für 
SJtobe unb 2ujuS. Sie „fluge Hausmutter" nannte 
fid) ber Keine SBolf im ©cßafpelj. 3ßr folgten halb anbere, 
bis in ber ©tabt ©rfurt enbtieß im Satire 1758 Semanb 
ben SJtutß befaß, ein folcßeS Statt unter feinem wahren 
Stamen „SJtobe* unb ©alanteriejeitung" mit SJtoben* 
fupfern erfeßeinen ju taffen. Siefe brachte SltteS, was 
baS ©eine* Sabel erfanb, gewiffenßaft unter bas beutfeße 
Pubtifum. Unb für nur 19 ©rofdßen jährlich! Stber 
baS Statt beftanb auch nid)t lange. StadE) faum einem 
Saßre braute ein Goncurrenj* Unternehmen eS um fein 
junges Safein. Siefem folgte ein jweiteS, ein britteS tc., 
ohne 8at)I unb ohne SBaßl, bis in bie aeßtjiger Sahre 
beS nötigen SaßrßunbertS. 

Sa tauchte baS lebenSfräftige „Journal desDames 
et des Modes" mit franjöfifcßem unb beutfehem Sejrte 
auf, Welches es in ber ßeit oon 1786 bis 1848 auf bie 
actjtunggebietenbe 3°ßl öon 150 Sünben gebracht hat, 
unb bas in jährlich 52 Stummem mit Sttuftrationen in 
granffurt a. SJt. ßrrauSfam. Shw juncidift, ober aud) 
ooran, ftanb baS monatliche „Sournat beS ßujuS unb 
ber SJtoben", herausgegeben oon Sertnch unb ÄrauS in 
SBeimar (1786 bis 1827), ein Statt, baS bie SJtobe fo= 
jufagen wiffenfchafttich behanbette unb burch franjöfifcße 
unb englifche Supferfticße, bie ein ©piegetbilb jener 3eit 
geben, fich auSjeicßnete, in feinem unterhattenben Sheite 
auch ©eiträge ber erften ©chriftftetter feiner 3eit brachte. 

Saneben unb fdßon einige ßeit oorßer gab es bie 
bamalS in ganj Seutfchtanb graffirenben Safchenfalenber 
alterfteinften Formates, benn ein großer Sheit oon ihnen 
brachte auch SJtobenfupfer, unter welchen wir jaßtreiche 
Slätter oon ©ßobowiedi finben. Stucß baS ©otßaifcße 
©eneatogifche Saßhenbucß (feit 1763), baS einjige, baS 
oor bem Untergange bewahrt worben, baS aber heute 
befaunttidj fich nut nocß mit hoher ©otitif unb ben ©enea* 
togien ber Potentaten unb anberer hoher Herren befdjäftigt, 
unterrichtete (oon 1782 bis 1796) unfere ©roßmütter 
unb Urgroßmütter in Sem, was Paris, Sertin, ßeipjig, 
SreSben SteueS auf bem ©ebiete ber SJtobe ju bieten 
hatten. 

Slls ©tappen auf ber großen Heerftraße ber SJtobe* 
Sournate, bie bis in unfere 3eit ßineinfüßren, mödjte ich 


nur nocß bie ©ngelbora’fcße in ©tuttgart herausgegebene 
„SJtufter* unb SJtobenjeitung" nennen, bie im Sahre 
1853 bereits bie bamats feßr erhebliche 3aßt oon 31,000 
Slbonnenten aufwies, baS „SBiener Sournat für Sßea* 
ter, SJtufif unb SJtobe" (1803—1846), bie im fiebenunb* 
jwanjigften Sahre bereits fteßenbe „Siftoria" mit einer 
Sluflage oon etwa 20 bis 30,000, unb enblich ben feit 
1855erfcheinenben „Sajar", ber gegenwärtig etwa 90,000 
Slbonnenten johlt. 

ßeßn Sahre nach bem „Sajar" trat „Sie SJtoben* 
wett" auf. SiefeS Statt machte im ©efchwinbfdfjritt ben 
SSBeg burch ßanj ©uropa unb erfcheint heute, nachbem es 
fämmtliche anbem berartigen Unternehmungen Weit über¬ 
flügelt, allein in Seutfchtanb in einer Sluflage oon faft 
einer oiertel SJtitlion. 

©eit einigen Sahren forgt bie „SJtobenwelt" auch 
für Unterhaltung, Seleßrung unb ©rßeiterung im gamilien* 
treife, inbent bie SertagShanblung neben ber gewöhnlichen 
SluSgabe einefotche mitUnterhattungSblatt,bie„3ltuftrirte 
grauen Leitung", in’S ßeben rief, bie rafcß ben Stuf 
beS reichhattigften unb oornehmften Samenblattes fi<h ju 
erringen wußte. 

SBaS ben Snßatt beiber Slätter im Sefonberen be= 
trifft, fo bringt bie „SJtobenwelt" jum Preife oon oiertel* 
jährlich SJt. 1,25 (80 tr. öfterr.) jährtidh 24 Stummem 
mit SUioben unb Haubarbeiten, entßaltenb gegen 2000 
Slbbilbungen mit Sefdhreibungen, welche baS ganje ©ebiet 
ber Soilette unb ßeibwäfcße für Samen unb Ä'inber umfaffen, 
ebenfo bie Seibwäfche für Herren unb bie Sett* unb Sifcß* 
wäfeße- Sluch bie Hanbarbeiten finben in ihrem ganjen 
Umfange bie eingeßenbfte Sehanblung, unb jwölf Seitagen 
bringen jährlich gegen 200 ©chnittmufter unb 400 SJtufter* 
ßekßnungen. 

Sie „Stluftrirtc grauen Leitung" erfcheint alle acht 
Sage unb foftet oiertetjäßrlicß SK. 2,50 (1 ©ulb. 60 fr. 
öfterr.); jährlich erfreuten oon ihr 24 Stummem mit 
SJtoben unb Hanbarbeiten unb 12 Seitagen mit ©dßnitt* 
muftern ic., genau wie bei ber „SKobenwelt"; ferner 12 
große, cotorirte SJtobenfupfer unb 24 itluftrirte Unterhalt 
tungS*9tummem; bie ©chnittmufter unb SJtobenfupfer lie* 
gen abwechfetnb ben 3Jtoben=Stummem bei. ©ine große 
SluSgabe ber „grauen=3«tung" J«m preife oon oiertel* 
jährlich SJt! 4,25 (2 ©ulb. 7 fr. öfterr.) enthält jährlich 
noch 24 große cotorirte SJtobenfupfer unb 24 Slätter mit 
hiftorißhen unb SotfS=Sra<hten. 

Sie UnterhaltungS=Stummern bringen neben oielen, 
vortrefflichen Sttuftrationen einen reichen Snhalt an Sto* 
netten unb Stomanen, ein intereffanteS geuitteton, reget* 
mäßige Stacßriihten aus bem ßeben ber grauen, neue, 
erprobte wirthßhaftliche Stecepte ic. tc. 

®aum glaubt man es, welch’ großartiger, oerwidfel* 
ter Organismus baju gehört, allein ben technifchen Sßeil 
beiber Slätter ju beforgen. Sie Stebaction beffelben allein 
beftet)t aus 8 Samen. Stamhafte fünftlerifche Kräfte, 
4 3eich ner ‘ nncn un ^ ^ Beidhner, liefern baS SJtaterial, 


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1 i* Hegenmurt. 


Nr. 11. 


welche« 25 |>oIgfchneiber befdjäftigt, ba? baneben aber 
nocp für bie ©tobenfupfer 33 ©tahlftecper unb beim ©rud 
befdjäftigte ©erfoneu beanfprudjt. (Solcnrirt werben bie 
Nupfer non 10 Goloriften unb 54 Soloriftinnen, gu beren 
tpilfe nod) 4 ©erfonen gehören. 

3n ber ©ruderei ftnb befcpäftigt 12 @ejjer, 6 Gor* 
rectoren, 12 ©tafdjinenmeifter, 24 ©tafcbinenmäbchen, 

2 ©apiergähler, 2 ©apterfeudjter, 8 ©atinirer, 2geuer* 
leute, 2 Slbgähler, 1 gormenwäfcfier unb ein 1ran4mif= 
fion?*2Bärter. ®agu fontmen noch 13 Stereotypeure, 

3 ©utybinber gum galgeu, 14 galgerinuen unb 3 ©er* 
fonen gu beren §ilfe, fowie fd|lief)licb 14 ©erfonen, welche 
bie ©utyfityrung, bie Ggpebition, ba? ©aden unb $lu?= 
fahren ber ©adete beforgen. 

3m ©angen gäljten wir 2G2 ©erfonen, 158 männ* 
liehen, 104 weiblichen ©ejd)led)t3, welche an bem Unter* 
nehmen thätig ftnb. 

Sin ©tafdjinen ftnb beftyäftigt: für ba? ©latt felbft: 
12 ©tynellpreffen, 1 £>anbpreffe, 1 ©oppel*©atmir*©chnell* 
preffe, 3 ©atinir*©tafchinen, 2 ©lättpreffen, 1 ®ampf= 
mafchine gu 16 ©ferbefraft, unb für bie Nupfer: 2 ßiniir* 
©tafdjineu, 12 Nupferbrud=©reffen, 1 ©apierftyneibe* 
©tafdjine unb 1 ©lättpreffe. 

Unb bei aHebem ift 5>erer nicht gebacht, welche bie 
Ueberfefcungeit für bie frembfpracf)lichen Ausgaben an* 
fertigen, nicht ber ©taler unb Seiner, ber ©oeten unb 
©dhriftfteUer, welche ihr ©efte? geben, um bie „fdjöne 
SBelt" gu befriebigen. Sin ©titarbeitern netmen wir nur 
bie ©djriftfteHer Subwig Slnjengruber, gelij ®ahtt, 
Sacob galfe, Narl ©mit grango?, Narl grengel, 
Gmanuel ©eibel, Gbrnunb §oefer, gerbinanb 
Nürnberger, Hermann ©tafiu?, SRarie Don Dtfer?, 
Gbuarb ©aulu?, Seoin ©djüding, Nobert @djwei* 
chet,Narl@tieter,3lbotf©trobtmann,Grnft28ichert; 
unter ben fünftterifdjen ©eiträgen finben wir bie Namen 
D?walb Std)enba<h, oon Stngeli, Sari ©eder, 
ftrang SDefregger, S. ©uffow, Sl. oon $epben, 
Sb. Nurgbauer, §an? ©tafart, ©aul ©teperheim, 
©. ©lodfiorft, ©uftao Nicfjter, ©aul SE^umonn, 
gt. ©otfc :c. tc.— 

Solbert’? grofje? SBort Don ber 2öeltf)errfcf)aft ber 
frangöfifdjen ©toben ftyeint nach einer ©eite hin h eute 
mehr al? je in granfreid) gntn Soangetinm gu werben, 
unb .fjmnberttaufenbe wanbern au? ©>eutfcf)lanb unb Defter* 

Die 

Ülobemoelt unb 


reich für frangöfifche ©toffe jährlich über bie ©renge. 
Slber bei aller ©ragie ber gorm, bie ben grangofen nicht 
abgufprechen, bei aller ©tannigfaltigfeit in ber Grftnbung, 
— eine grofie ßeitung für ©toben brachten fie nicht 
gu ©tanbe. ®a? folib Sinfache uttb ba? wahrhaft ©raf* 
tifche für bie ©ebürfniffe ber gamilie ift ihnen meiften? 
fremb, wäfirenb gerabe ba? gefthalten baran bie „©toben* 
weit" unb „SHuftrirte grauen*3eitung" grob gemacht hat. 
Stuf bem ©ebiete bet ^anbarbeiten fich faft auSfdftließ* 
lieh auf rein ®eutfcf)e? in ben beften, ftilooUfteit ©tuftern 

' ftüfcenb, acceptiren biefe beiben ©lätter bie ©tunbformen 
ber ©arifer ©tobe, machen aber auch h^in gefdjmad* 
oolle Sinfachh«it gn ihrer Slufgabe. Nidjt allein an ben 
©alon wenben fie fich, fi e finb auch treffliche Natljgeberin* 
neu unb greunbinnen für ba? befcheibenfte ©täbchen, für 
bie einfachfte Hausfrau. 

Slnbererfeit? fanb bisher fein frangöfifche? unb auch 
fein englifdje? ©latt ben 2Beg, ©toben unb $anbarbeiten 
in fotcher Stnfdiautichfeit barguftetlen, wie bie mehrfach 
genannten beiben beutfdjen ©lätter, bie felbft bem Un= 
geübteften gum Nacharbeiten Sille? leicht öerftänblidj uwehen. 
35arum hat auch ba? gattge gebitbete Guropa bie „©toben* 
weit" unb „grauengeituug" gut Nicf)tfchnur acceptirt; in 
ben ©toben*Leitungen Gnglanb?, £>oHattb?, ©elgien?, 
®änemarf?, Schweben?, Nufjtanb?, ©ölen?, Spanien? tc. 
finben wir fämmtliche Stbbilbungen unb Sefdjreibungen 
ber „©tobenweit" unb „3rauen=3eitung" wieber, unb felbft 
©ari? oeröffentlicht eine frangöfifche Slu?gabe berfelben. 

Schabe, bah „©tobenweit" unb „grauen*3eitung" 
nicht auch in ©hdabelphia oertreten waren; e? wäre tu* 
iereffant gewefen, ba? Urtheil be? ©rofeffor Nenleauf 
barüber gu hären, ber in feinen ©riefen über bie Slu?= 
ftellung fo Diele? ®eutfche tabetn fonnte, hier aber ©e= 
tegenheit gefunben hätte, bie ©orgüge unb bie Gigenart 
eine? beutfehen SBerfe? anguerfennen. S. g. 

Snbem mir obigen Artikel, ber Wiener „Plenen 
3U«prirten ©eiiung.“ entnommen, $itx abbrodten, 
bemerken mir ?ngleid|, bn^ ÄepeUnngen jeberjeit 
bei nllen Änthh«nblnngen nnb poßämtern an¬ 
genommen merben. 

Ctrpebiticm ötr 

3Uu)ititttn Jraueit-JeUuttg 

in Berlin. 


Digitized by v^. ooQie 













Nr. 11. 


9 i * (Scgimvart, 


179 


In meinem Verlage ist soeben erschienen 
und durch olle Buchhandlungen zu beziehen: 

Schutzzoll und Freihandel 

mit besonderer 


von 

A. Bayerdörffer. 

Preis 1 JC 20 A. 

Jena, Februar .1877. Hermann Dufft. 

3m Verlag ber Unterzeichneten ift foeben cr= 
jdjienen unb burd) alle Vudjhanblungen gu be= 
Sieben: 

Ijelkitfagen 

be# 

gfiröttfi. 

fi httftet |u|Hlkii$ idfl tiin faltUiij 

bon 

«baff hon &%at. 

dritte Jtnffoftt. 

Trei Vänbe. VreiS: 15 .4t Eleg. geb. 20 JC 
Ter größte 52Dw^ter beS Orients, ber eingige 
Epiter ber Vieltliteratur, ber bem ßomer an bte 
Seite gefteüt gu »erben oerbient, ift burch biefe 
Uebertragung guerft bei uns eingebürgert worben. 
Tiefelbe hat bie allgemeine Anerfenuung ge^ 
funben, baß fie bei hohem poetifdjen ©djwunge 
bie Beichtoerftänblichteit unb ben natürlichen ftluß 
einer Driginalbichtung befifce. Tie Einleitung 
enthält, »ie 3 - @ch crr in feiner 8 iteratur= 
gefehlte urteilt, eine »ahrhaft pTachtootte 
Eharattertftit bei ^irbufi unb berbreitet ftch 
zugleich über beffen Sebeu, fo »ie über bie 
Duellen unb ben hiftorifchen behalt feines großen 
©ebidjteS. 

Stuttgart, gebruar 1877. 
v_ 3« fr. Citta’ffre ggmhhattbfiing. 

Verlag von Georg Stilke in Berlin, 

NW., 32. Louisenstrasse. 

Don Juan d’Austria. 

Ein 

geschichtliches Trauerspiel in 5 Aufzügen 
von Albert Lindner. 

Ein Band 8. Elegant geheftet. Preis 2 JC 

Feldflüchters. 

Plattdütsoh Leeder m Lauschen in Heeklen- 
börger Hnndort 
von Eduard Hobeln. 

Miniatur - Ausgabe. Elegant geheftet 2 JC 
Geb. mit Goldschnitt 3 JC 


VieiTlM®. 

Ein Heldengedicht in drei Gesängen 
von 

E. v. Wildenbruch, 
n. Anflage. 

8. Eleg. broch. 1 JC 50 A, geh. mit Gold¬ 
schnitt 2 JC 25 A. 

Dies Gedicht, dessen Widmung Se. Maj. 
der Kaiser und König, nach Anhörung 
desselben Tom Verfasser selbst, entgegen¬ 
genommen hat, feiert in drei, den drei Epi¬ 
soden des grossen Tages möglichst historisch 
treu nacherzählten Gesängen (I. Kampf der 
Brandenburger, II. Reiter schiacht von Mars 
la Tour, ID. Kamr>f der WestphalenJ die sieg¬ 
reichen Träger der blutigen Handlung mit 
vaterländischer und dichterischer Begeisterung. 

Wildenbruch’s Vionville gehört zu den 
wenigen patriotischen Gesängen über die 
grossen Ereignisse von 1870 u. 1871, welche 
sich einer vorzüglichen Aufnahme von 
Seiten des Publikums und der Presse 
zu erfreuen hatten. 

Zu haben in allen Bnohhandlungen. 


Steuer Vertag bon Theobail ©rieben in Berlin. 
ifbliotlfek für Wffrufihnft unb ftteratur 2. 12. 15. jBonb. 

Ultfiflittt# tlt litt Uötnr MjtänbU($e ®<$ilbenttiflat Bon Dr. «rn# 

i\U“|lUnv Ul Ull HUHU« (iluf, ^tofeffor an bet Unioerfttät *u 3ena. SWit 
Abbilbungen. 6 JC 40 

Ter Verfaffer »ünfcfjt gur Verbreitung üon 9£atiu»erftänbat| unb iRaturgenuß beigutragen. 
Vier wahren ©enuß beim Attfchauen ber frönen datier haben Witt, ber barf nicht gong mtbefannt 
mit iljr (ein, fte muß ihm eine oertraute Sreunbin »erben, »eiche if)ra ihre gahltofen. fleinen ©e^ 
beimniffe nach unb nam offenbart. 3c größer baS Verftänbniß, befto größer ber ©enuß. — 
Inhalt: ©pradje ber Vlumen. SRechaitil, Teleologie mu> Ae^hetif. Säculare Vewegtntgen bei 
fejten ErbbobenS. Tie Alpen unb ihre Vegetation. SReifeerinnerungen aus Englanb. Anlegung 
botanijeher ©ärten unb &ammfongen. Im SReereSfteanb. Votanif^er Ausflug nm$ Tirol. 
SBilbbab ©ajtein unb Umgebungen. 3nt ftergen Teutfdjlaubi (Thüringen). 

Spanien nnii bie ßalearett 

Von Dr. Vtorty fBiflfomm Vrofeffor an ber Untoerfität unb Tirecior bei ©otanifdjeu Wartend 
in V*ag. 3Jtit color. tylan ber Tropffteinijöhlen bon Art&. 7 JC 

Tie nidjHpanifdje Literatur über baS mertmiirbige Eilanb ijt fo gering, baß bai SBerf einei 
fo berühmten lutori allgemein erwünfebt fein »itb. Taffelbe enthält außer ben 9Gteifeerlebmf|e« 
ijödjft anmnt^iae 9iatnrfc^ilbernngen, befonberi ber Valeareu, für beren Eeogra^^te unb 3 lora ei 
ali Dueflenmert bejeic^net ju »erben berbient, unb ift and> für ben Saien bele^renb unb anjie^enb, »eil 
ber burc^ feinen mehrjährigen Aufenthalt mit ber S^acße, ben ©itten, Eebränc^en unb bem 
Eharafter bei fpanifepen Volfei boflfommen bertrante Verfaffer Vergleichungen mit ben Suftänben 
»äh^cnb feiner erften Anmefenljeiten jieht unb feine wtmüt hatte Steife in eme Seit fiel, »o fieß 
©panien ali Siepuhüt in ^öd^fter politischer Erregung befanb. 

Skaltealiamns unii üattrifllistnns. S'ÄxrÄSSt 

fcßaftlichen SBerthei. Von Dr. flubtoig Seid. 3 JC 

Auch biefeS neue SBert bei Verf. mit feiner allgemein berftänbüchcn nnb anfchaulichen ©djteib= 
»eife bürfte, »ie bie früheren, »eiche bie Äritit in günfUgfter SBetfer befprochen hat, »illfommcn 
geheißen »erben. 3« 8 Abfdjnitten: SÄaterie bei ©preeßeni, Aejthetifirung ber SRaterie in ber 
bieligton, »iffenjchaftliche Vejhmmung ber SWaterie, ift Allei ani Atomen eutmiäelt? »ie ermög= 
licht ber flRaterialiimui bie Urjengnng? »ie ermöglicht er bie Entwidelung bei Vemußtfcini? 
9iefultate, Eefichtipunfte unb Tljefen, Anmerfungen — geigt berfclbe, baß ber SRaterialiimni 
Togmatiimui nnb Ultramontaniimui fei, »eil er »ie bie meligion fage, bie Enburfacße fei ein 
Eehcintniß, aber hoch ierlange, baß man biefei Eeheimnißbotle ali SKaterie glauben unb benten 
müffe, nicht aber ali Eott. Er geigt ferner, baß ber flÄaterialiimui 3tealiimui fei, infofem er 
nnr in Porten, Vorftellnngen uno Sbeen benfen nnb reben fönne. _ 

Verlag von Gebrüder Bomtraeger (Ed. Eggers) in Berlin. 

-w-r» j tt t Kulturpflanzen und Hausthlere in ihrem Uebergang aus 

V 1AT Al 1 l-l A h Tl Asien nach Griechenland und Italien, sowie in das übrige 

V JaJIA/J. Europa. Historisch-linguistische Skizzen. Dritte um¬ 

gearbeitete Auflage. 36 Bogen, gr. 8. Complett 
in 10 Liefenmgen ä 1 Mark. — Zu beziehen durch jede Buchhandlung. 

Dieses von der Universität Dorpat preisgekrönte Werk .ist nicht bloss von den be¬ 
währtesten Vertretern der Wissenschaft als eine bahnbrechende Leistung 
anerkannt worden, sondern hat sich auch in dem weiteren Kreise’ der Gebildeten 
durch klare Darstellung und geistvolle Auffassung zahlreiche Freunde erworben. Der Ver¬ 
fasser giebt darin, indem er die Kulturpflanzen und Hausthiere in ihrer Wanderung von Volk 
zu Volk verfolgt, zugleich eine Kulturgeschichte in grossen Zügen und umfassendem Sinne. 


1 . Ter berühmte AfrifaTeifenbe Dr. ©tf»einfttrth über bie neue Auflage oon Vrehm’ö 
Thierleben (VibliographifcheS 3nf*iM in 8 eipgig): „E3 »irb fd)»er fallen, auf irgenb einem 
Eebiete ber SBiffenfdjaft unb in ber Eefammtliteratur ber brei großen Jhitturbölter unfereö 3 af)r 5 
hunbertö ein Viert namhaft git machen, ba$ in fo öoütommener SBeife bte mannigfaltigften 
^ülfSmittel gu oermerthen gemußt hat, »eiche bie ÜReugcit bem ©eiehrten gnr Verfügung ftellt, 
baS in fo hohem ©rabe ben Anforberungen gerecht »irb, »eiche heute bom melfeitigften ©ianb= 
punfte anä an Ergeugniffe ber beftriptioen gorfchung erhoben äu »erben bermödöten, »ie ba$ 
„Thierltben'' bon Vrehm. fiangjährige, auf Autopfte begrünbete Erfahrungen eineö SBeltreifenbcn, 
bie hiu^eißenbe Tarfteüung be§ muftergültigen ©chriftfteuer^, gemiffenhaftefte Äritit unb ©ichtung 
ungeheurer Vücherfchä^e ifabtn, gang abgesehen bon bem immenfen Vliffen be$ 3®ologen, bafl 
3Bert gu jener £öhe emporgehoben, bon »elcßer eö bie früheren ßeiftungen auf biefem ©ebiete 
weithin beherrfcht. Tie äußeren ^ülfömittel nuferer Seit haben e$ außerbem gu einem SW ei jt et 
ftücte ber beutfehen Vucßbructerfunft geftaltet. Aejthetifch, gelehrt, prattifch bermenbbar, 
ift eö ber ©tolg unferer Siteratur. 9tie h at bie bilbliche Tarfteüung ber fprachlitßcn 
in gleich ibealer Volltommenheit gur ©eite geftanben, »ie bei btefer gmeiten Auflage 
beS in jeber Vegiehnng tlafjtfchen Viertes, ^at Vrehm baS ßeben ber Thiere bej»rieben, fo hat 
SDtfitjel biefelben nach bem ieben gegeidjnet, in fch»argen ©trichen h at er gegeigt, »ie fie leben, 
©oldje Thierbilber, »ie fie unfere großen goologtfehen ©ärten gu entwerfen geftatten, h fl t bie 
frühere Seit — eS ift taum ein Tecennium oerfloffen — nicht getonnt. Eine neue, baS ©efammfc 
gebiet ber Soologie umfaffenbe ©cßute ber Thiermalerei ift auf biefer ©runblage gewonnen; bie 
heralbifch bergerrten Äaritatnren ber älteren Vierte »erben nach folchen Stiftungen nicht mehr 
gebulbet »erben tonnen. 

Um nun aber noch einiges Sicht auf bie eigentlichen Verbienfte beS VerfafferS gu werfen, barf 
ich mir nicht anmaßen, anbcrS als über bie ©laubwürbigteit feiner in fernen Sänbem gemachten 
Veobachtungen urteilen gn »ollen. SDtit feinen anberweitig publicirten ©chriften »ohloertraut, 
bin ich auch, hi^ unb ba, auf ben ©puren beS SReifenben meines VlegeS einhergegogen, ben man 
mit fltedjt ben 2e Vaiflant ber 9 r hllänber genannt hat, an ben ©ejtaoen beS fRothen SjteereS »ie 
an ben Ufern beS Vlauen SRilS, in ben VBüfteu AegpptenS »ie auf ben grünen ©efUben beS 
VharaoncnlanbeS. VlaS er gefdjrieben, ho^c i<h oft ba, »o er bie erften Zotigen bagu entwarf, 
»ieber unb immer »ieber gelefen, unb jtetS ift mir Vrehm als ein ©ewähtSmann erfchienen, 
beffen Angaben ich ohne »eitere SReferoe unterfchreiben wollte, ©ernährt man etwas, bei beffen 
fprachlicher Tarfteflung man räth unb erwägt, fo nimmt einem VrehmS fchlagfertiger ©til baS 
©ort oon ber Sunge; glaubt man ber SRatur in unbelaufchter ©tunbe ein neues ©eheimtiiS ab= 
gerungen gu haben, fo tann man ficher fein, eS in VrehmS Thierleben fch»arg auf weiß »ieber= 
guftnben: Vrehm ift eingig in feiner Art!" 


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180 


Äegenarftrt. 


Nr. 11. 


gür eine täglich er jdjeinenbe 3*itung freifinniger 
9ttd>tung in einer größeren Sfnbitftrieftabt be& 
Äönigretdjö Sadjfen toirb ein alabemifdj gebil- 

*■" taMttw 

gefuebt. Offerten mit Angabe ber bisherigen 
£$ättgfeit, fomie ber «ehaltganfprüiße an bie 
Annoncen = ©spebition beö „Bmwit&enöattJt“ in 
3)reöben unter (S^iffre F* A. 818. erbeten. 


Delius’ 

SHAKSPERE 

IV. (Stereotyp-) Auflage 

2 starke Bände, brochirt: 16 JL In 2 fei¬ 
nen Halbfranzbänden: 21 JL 

Jedes einzelne Stuck: 80 Pf. 

[Letztere werden, soweit der Vorrath 
reicht, in früheren Auflagen geliefert.] 

Verlag von B. L. Frideriehs 
_ in Elberfeld. 


Verlag non %. 1. ©r*tf(aud in geipjig. 
Soeben erfdjien: 

jlrffmr ^tßopenßauer’ö 

©ammtlWie 9®mc. 

|)ercm3geget>en oon 3ultus 
Somit 3CufTagt. 

Sechs ©änbe. 8. «eb. 48 <£ (SJcb. 57 JL 
©innen brei 3te^en iff bie erfte Auflage non 
Sdjopeithaucr’a Sämmtlidjen SBerfen nergriffen 
luorben: ein fpredjcnbeä Bcugniff non ber ©e= 
bcutung, tuefdje ber Schopenhancr’fchen ^3l)iIo 
fopljic fortnrnprenb in ber ganzen gebilbeten 28clt 
Suertannttoirb. X)te jtucitc Auflage, non bent 
Herausgeber mit ©crichtigungen nnb ftufäfeen 
nerje^cit, ift noßftänbig auf einmal crjdjicncn. 

Im Verlage von F. E. €. Leuckart in 
Leipzig ist erschienen und durch jede Musi¬ 
kalien- oder Buchhandlung zu beziehen: 

Volks-Klavierschule. 


Anleitung 

zur 

gründlichen Erlernung d. Klavierspiels. 

Bearbeitet von 

Carl A. Krueger. 

Fünfte vermehrte und verbesserte Auflage. 
Geheftet 3 JL Gebunden 4 JL 50 3,. 

Im Unterzeichneten Verlage ist nunmehr 
vollständig erschienen: 

Der Ring des Nibelungen 

von 

Richard Wagner. 

Tonbilder für das Pianoforte mit erläuterndem 
unterlegtem und verbindendem Texte. 

Das Rheingold. JL 6.25 n. 

Die Walküre. In 3 Theilen, zus. JL 13.50 n. 

Siegfried.<£10.— n. 

Götterdämmerung. In 2 Thl.,zus. JL 14. — n. 
Mainz, März 1877. 

B. Schott’« Söhne. 

Heinr. Lemcke 

in Bahrenfeld bei Hamburg 

Fabrik und grösstes Lager feiner und hoch¬ 
feiner sowie selbst direct importirter 

Havanna- etc. Cigarren 

im Preise von 36 bis 1000 M. pro Mille. 
Zollfreie Lieferung für das Deutsche Reich 
von 7,o Kisten an. — Preis-Courante gratis. 


Soeben erfdjiett in meinem ©erläge: 

Steift, Dr. SttktBtg, 
(Srjäßrmtgen 

iis kn aittlmi, inn ul «nr|tn f ttytytf. 

III. 

tatet «eftt^tt. (1815-1871.) 

ber 65elcf|ic!&te ber neuesten 3 e h- 

8. verwehrt« jtuffagt. 3 JC 5® .s,. 

_ (Ptrl j otb Stoflinfl, Otbenburg. 

Soeben finb erfeftienen: 

fori Ä^rott’« lüerhc. 

Ueberfefet 

bon 

§tto $iC&emeißev. 
dritte Auflage. 


3u feepö ©äitben. 


«rfler unb gtoeiter ©anb. 

©reiä pro ©anb 2 JL 

X)ie ©änbe 3—4 toerben ©nbe ©Mär$, ©anb 5 
nnb 6 im ©Monat ©Mai erfdjeinen. 

©erlitt, b. 15. gebr. 1877. «. gteimer. 

3m ©erläge bon Ariebrich gleifdjer in geizig 
finb erfdjienen nnb burch jebe ©uchhanblung $u 
be&iehen: 

flleine ©efdffdffeu 

bon 

2 ©änbe. broch- 8 JL — 3« 1 ©anb in Sein= 
toanb elegant gebunben 9 JL 
Snl/alt: 

I. ©anb. Stecfnabeln. — 3ofcpfpne. 9Mini. 
Litton, ©efd^iebte einer jungen JJranjöfin. 

II. ©anb. ©in aufgefangener ©rief. — 3n 3olgc 
einer Söette. — Xer Xob ber ftrau ©aronin. 


^iftorifdi-kritifdje Ätiffflke 

werben fäuflidj ju erteerien gtfudjt. ttufk 
Jungert (Pelejjrte Ictietcn i|re Hbrtffe 
einjufeuben an bie (Sipebitiim ber „@e* 
genwart" unter Chiffre B. R. 18. 



Dr. A. 'äammatttt u. ßttqta. 

©reis pro Duartal (3 Hefte ä 5 ©og.) 4 JL 50 
©Mitarbeiter biefeS bon ber ©reffe aflernmrts 
auf ba$ ©ftnffigfte beurteilten Organs für bie 
©ühne finb u- A.: ©auf l’Wreft (©aris\ 
f. Sürbe, 3. «raffe, $. Serrig, 91. MM, 
%. ftäwierger, A. ginbner, #. fliagg, fl. 
iMetaarlttl, ©r. Hebet, 9t. ©rittf, A. 91. 
«aaer, #. H|he, %. ©if«er, «. 

©efteSnngen nehmen afle ©ucß^anblungen unb 
©ojtanftatten an. 

_ Bfirr’fc^e ©ujjanbliing in Seipsig. 

©erlag oon §. Hartung & 8«|® in geMijig. 


(Erinueniugen nn Jtilir# 

öon 

fntiKo gaüefar. 

®eutj^ bon dnlini <£i^an;. 

Autorifirte Ausgabe. 

8. ©reiS: 4 JL 50 gebunben 5 JL 

$ie SBiener „©eutfdie Aettitng“ fagt über 
baS Sßerl u. A.: 

„©tan tuünfdjte jebe Seite hoppelt fo lang, um 
all’ biefen ©enuff in ffd) einjufchlürfen. 3ebeS 
ber elf Äapitel enthält foldje ^oftbarfeiten, bie 
über ben ©ifaner ©ontpo Santo unb über ©eapel 
lefen fic^ mie ©cbidjte unb finb mic in fd>ön- 
bcitStrunfenem Xaurnel gefebrieben. — ©aftelar’S 
©nd) feilte in feiner HauSbibtiotfjcf fehlen/' 


Verlag von Julius Hainauer, 

Königliche Hof-Musikalienhandlung in Breslau: 

Adolf Jensen's 

Claviercompositionen. 

Abendmusik 


Soeben erschien: 


für Pianoforte zu 4 Händen von 

Adolf Jensen. 

Op. 59. Preis: 5 JL 
Früher wurden veröffentlicht : 

Adolf Jensen, 

Idyllen, 8 Clavierstücke zu 2 und zu 4 Händen. 


Op. 43. 

Ausg. i 2 ms. 

Nr. 1. Morgendämmerung.*£1.25. 

Nr. 2. Feld-, Wald- und Liebesgötter. JC 1.50. 

Nr. 3. Waldvöglein.*.. X. 1.00. 

Nr. 4. Dryade. JL 1.25. 

Nr. 5. Mittagsstille. JL 1.25. 

Nr. 6. Abendnähe ..<>£1.25. 

Nr. 7. Nacht.<£1.25. 

Nr. 8. Dyonisosfeier.*£1.75, 

Op. 45. HochzeitSülUSik für Pianoforte zu 4 Händen. 

Nr. 1. Festzug .^£1.50. Nr. 2. Brautgesang . . 

Nr. 3. Reigen.<£1.75. Nr. 4. Nocturno .... 

Dasselbe complett in 1 Bande . . . <£5.00. 

Op. 46. Ländler aus Berchtesgaden. Für Piano zn 2 Händen. 

Heft 1. JC 3.00. Heft 2. 

complett.<£5.00. 

Op. 47. Wald-Idyll. Scherzo für Piano zu 2 Händen. 


Aus?, ä 4 ms. 

M 1.75. 

2.25. 

1.25. 
JC 1.75. 

1.75. 
JC 1.50. 
JC l.o). 
*iC 2.50. 

. M 1.75. 
. JC 2.00. 


Hiequ eine ©cilage, ©cftcOjcttel auf bic Jlluftr. grauen Leitung unb ©iobentoclt. 

SUfeartion, X3frCit» S.W., Sinbcnftrafee iio. ftüc bie 2Rebaction eerantroortlid): d»eorfl StifRc in £xp?&ition. |lerfin K.W., ^outienftra^e 32. 

Stiuf »on SS. 6. $eu6ner in 


Digitized by 


Google 


























M 12 


tot 24. Utlfj 1877 


XI Band. 


äBocheitfdjrift W^ieratur, $unft mtb öffentliches fieben. 


* Herausgeber: j^ttttf <£iltbait in ©erlin. 


lekni $mtM erf^rUt riu gunet «erfeaer: #eorg «tille in Berlin. 1«** P* 4 |«i 50 gf. 

$» tarn# «Bf ©u#&aoMunöen unb ©oftaaßalten. Snferatc lebet fttt pto Sflefpaltm ©etitjeik 40 ©f. 


tteifl unb Statur. So« (gbuarb Don ^artmonn. — Siteratnr nnb Itauft: ©te^an SRiloro. Ion grerbtnanb Nürnberger. — 
ftttfutfl* 'taliem^er ©atirifer. SSoit ©tegfrieb ©amofeff. — $te neuefte SSenbung tn ber ftrdjiteftur. ®on X^eobor Unger. — 

„SJtaitfreb" an ber fcftna. (Eine jettgemä|e ÄeminiBcenj Don 9Rubolpf> &en6e. — Äu$ ber Qaitytftatot: (Stella ©erfter. Äon Sßaul 
ßinbau. — Statiken. — 3nf**ate. 


töeift ttttb Datot. 

Äon (Ebtiarb oon £)artmann. 

Ser mächtige 2tuffcßwung ber Staturrotjfenfcßaften in ben 
testen ßunbert Sagten hat benfetben bei ber lebenben ©eneration 
ein höheres 2lnfeßen oerfeßafft, atS biefelben jemals genoffen haben. 
(Schon begnügen fich bie ßeroorragenbften Vertreter ber Statur; 
wiffenfeßaften nicht mehr bamit, innerhalb ihres SpeciatfacßeS 
ben ©efußtslreis beS menfeßtießen SBiffenS ßerauSgurüden, fonbern 
trachten banaeß, bie Otefuitate ber auf ihrem ©ebiet gewonnenen 
%j$4 ßten über beffen ©rennen qfRtittrn unb gu einet 

gefammten SBettanfcßauung auSgubeßnen. Sa eine folche 2Bett= 
anfdjauung nun aber mannigfach mit ben bisher geltenben 21m 
fuhten in ©onflict gerätß, weiche fich ßctuptfäcßlich au f bie @r- 
gebniffe ber ©eifteSwiffenfcßafttn ftiißen, fo fcheint es geitgemäß, 
gut Sibfcßäßung beS ©ewießts, baS man biefen Slnfprücßen bei: 
meffen barf, baS ©erßältniß oon Statur unb ©eift einer Se; 
traeßtung gu unterwerfen, auf welche biefe Scßäßung {ich 
ßü|en tann. 

Beoor ber ©eift beginnt, fich au f fi<ß fetbft gu befinnen, 
lebt er boch feßon ein Seben im ©eifte. Sie Sefriebigung ber 
rein natürlichen ©ebütfniffe gilt auch bem unpßilofopbifcß bahin 
lebenbeit SOtenfcßen als eine bloße ©runblage, als ber ©außorigont, 
auf bem er fein eigentliches Seben erft gu errichten bemüht ift. 
SejtereS bewegt fid) in ben ©emütßsbegießungen ber gamüie 
unb bem Streben nach beftimmenber SBirlfamteit im ©emeins 
wefen. Ser ©rwerbstrieb finbet feinen 2tbfcßtuß erft in ber 
Sörbertmg beS ©eßagenS ber Familie, ber ©ßrgeig erft in ber 
görberung beS ©emeinwohlS, unb bie angeftrebte Herrfchaft 
übet bie Statur bient inbirect ben ©ebürfniffen beS ©eifteS, 
ohne welche baS Stingen beS SDtenfcßen nach SRacßt in iebem 
Sinne fo unmöglich wäre wie bei ben Spieren, ©o ift es un= 
bewußter Seife fchon baS Seben im ©eifte, welches bem SRenfcßert 
feine Stellung in ber Statur gefchaffen hot. 

©rtoaeßt nun aber gar baS pßitofopßifcße ®ewußtfein, fo 
bricht fich mehr unb mehr bie ©inficht ©ahn, baff ber SRenfcß 
unmittelbar genommen nur im ©eifte lebt, baß nur baS Seben 
in feiner ©ewußtfeinSfpßäre fein fpecififcß menfchlicheS Seben 
genannt werben tann, unb baß biefe fchlechterbingS teinen anbern 
als geiftigen Snßalt gutäßt. Ser SOtenfdj lennt unmittelbar nur 
feinen eignen ibealen ©emußtfeinSinßalt, ber ein ißrobuct feiner 
eignen unbewußten ©eiftthätigteit ift; er empftnbet nichts als 
feine ©mpfiubungen, nimmt nichts wahr als feine ©orfteQungen, 
beult nichts als feine ©ebanten. ©r ift alfo fcßlecßtßin einge» 
fchloffen in bie Seit beS ©eifteS unb gwar feines ©eifteS. title 
fremben ©eifter lennt er nur aus ben Steffe^en, bie ihm fein 


eigner ©eift oon benfetben Wieberfpiegelt Süre er nicht bureß 
bie ©efchaffenheit feines ©ewußtfeinSinßattS genöthigt angu« 
nehmen, baß feinen ©orfteUungen oon anberen SDtenfcßen wirf: 
ließe tranSfcenbente SDtenfcßen entfpräcßen, fo würbe er waßr= 
feßeintieß niemals einen ^>ßilofof>ßtießen ©runb auSßnbig maeßen, 
ber ftarl genug wäre, feine inftinctioe tranSfcenbentale Begießung 
oon materiellen ©orfteQungSobjecten auf materielle Singa an ßcß 
erfenntnißtßeoretifeh gu reeßtfertigen. ©elanntlicß beftreitet bie 
ibealtftifcße Seite ber ^antifeßen Scßule fo wie fo, baß es foleße 
©rünbe gur pofitioen tlnnaßme oon Singen an ßcß gebe ober 
geben lönne, unb fefct bamit bie fubjectioe ©rfcßeinungSwelt beS 
menßhtHßen ©ewußtfeinS p einem objectio unbegvünbeten, b. ß. 
wahrßeitslofen @cßein herab. Ser fubjectioe SbeaiiSmuS lennt 
mitßin bie Statur nur als ein Dom fubjectioem ©eifte ergeugteS 
©h&nomen, baS für jebeS ©ewußtfem ein anbereS, Oon bem ber 
SRitmenfcßen oöQig unabhängiges ift. ©r leugnet bemna^ bie 
reale ©£ifteng ©iner Statur, unb läßt nur ben Schein fo Dieter 
Staturen gelten, als ©eifter fuß folcßen oorfpiegeln. Sie „Statur: 
gefeße" lönnen auf biefem Stanbßuntt felbftoerftänblicß nur als 
bie ©efeße beS ©eifteS oerftanben werben, naeß welchen biefer 
fich feinen fubjectioen Scßein unbewußter Seife probucirt. 
Sie Statur ift ßier fcßlecßthin bloS eine Spiegelfechterei beS 
fubjectioen ©eifteS, feine ittuforifeße unb oergänglicße Scßöpfung 
oßne alle eigne Stealität. Saoon, baß eine fo oerftanbene Statur 
riidmärts ben ©eift foüte beeinfluffen lönnen, tann natürlich 
leine Stebe fein; jeher foleße feßeinbare ffiinfluß tann felbft nur 
eine fubjectioe Sünßon fein, bie mit berjenigen ber Statur auf 
gleicher Stufe fteßt. Sie Staturpßilofopßie bittet ßier nur einen, 
nicht einmal auSgulöfenbjen Sßeil ber ©eifteSpßilofopßie, bie 
Statur wirb ertlärt bureß ©rtlärung ber fie probucirenben Zßätig: 
teit beS fubjectioen ©eifteS, lann aber ißrerfeits gur ©rtlärung 
ber ©efcßaffenßeit beS fubjectioen ©eifteS nicht baS ©eringfte 
beitragen. Saß eine felbftftänbige Staturwiffenfcßaft hierbei um 
mögli^ ift, bebarf leinet weiteren ffierfießerung, unb iß es nur 
SRangel an philofopbif^em ©erftänbniß, wenn Staturforfcßer 
geglaubt ßaben, baß ißre Siffenfcßaft mit biefer ibealiftifcßen 
©rlenntnißtßeorie (wie fte in (jießte, Scßopenßauer, einem Sßeil - 
ber Hegel’fcßen Scßule, unb bem größeren Sßeil beS SteutantianiS: 
muS, namentlich 3 . & Sange oortiegt) irgenbwie oereinbar fei.*) 
21ber in einem ©unlte ßat ber fubjectioe 3bealiSmuS Stecßt, 
nämlicß barin, baß wir unmittelbar nur unfer eignes ©eifteS-. 
leben tennen. Hierin ßat bie Staturwiffenfcßaft noch oon ißm 
gu lernen, infoweit in berfelben ber naioe StealiSmuS noeß ein 
breites Selb behauptet. Ser naioe StealiSmuS ßat aber wieber 


*) Sgl. meine Scßrift: „SteutantianiSmuS, ScßopenhauerianiSmuS 
unb Hegelianismus", S. 60—64. 


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182 


Nr. 12. 


Sir •*s«n»ari. 


borin Stedjt, baß eS in bet Xßat eine für alle ©eobacßter 
numerifcß ibentife^e reale Statur gibt, welcße naeß felbftftänbigen, 
t>om fubjectiven (Steift unabhängigen ©efeßen lebt unb ficß ver* 
änbert, unb ben teueren caufat beeinflußt, ©eibe SBaßrßeiten 
ftnb bereinigt im tranSfcenbentalen SteatiSmuS, ber ba anerlcnnt, 
baß mir in ber fubjectiven ErfcßeinungSwelt nur ben Steftej 
ber Statur im eignen ©eifte befißen, unb bie ©efcßaffenßeit 
unb bie ©eränberungen ber Einen realen Statur nur inbirect 
au« ber ©efcßaffenßeit unb ben ©eränberungen unfereS ibealen 
©ewußtfeinSinßattS erfcßließen tönnen. Xiefer erienutnißtßeo* 
retifcße Stanbpunlt ift nicßt nur ber allein ßaltbare, er ift aueß 
jugieieß ber einjige für bie Staturwiffenfcßaft brauchbare unb 
bri<f)t ßcß beSßatb aueß neuerbingS mit SJtacßt in Siaturforfcßers 
treifen ©aßn. 

Xutcß ben tranSfcenbentalen SteatiSmuS ift nun aber bie 
gewöhnliche Sfteinung ber Staturforfcßer, baß ißre SBiflenfcßaft 
vor ben ©eifteSwißenfcßaßen ben ©orjug ber Ejactßeit wegen 
ber ©runbtage ber unmittelbaren Erfahrung voraus ßabe, als 
ein fatfcße« ©orurtßeil beS naiben SteatiSmuS enthüllt; benn 
mir miffen jeßt, baß bie Statur, b. ß. bie (Sine reale Statur, 
mit melier allein es bie Staturwiffenfcßaft ju tßun hat, unferem 
©ewußtfein tranSfcenbent ift, alfo niemals ©egenftanb unmittel* 
barer Erfahrung merben fann. 3ebe SluSfage ber Staturwiflen* 
fcßaft über bie ©efcßaffenßeit unb ©efeße ber Statur berußt auf 
Schlußfolgerungen, metcße fie aus geiftigeu Erfahrungen auf bie 
fie berurfacßenben äußeren 2>inge an ficß jicßt 2>ie gefammten 
Staturwiffenfcßaßeu finb fo wenig empirifcß im pßilofopßifcßen 
Sinne, baß fte ficß bielmeßr auSfcßließlicß im tranSfcenbenten 
©ebiet bewegen, unb bie immanenten Erfahrungen beS ©eifteS 
nur als Schwungbrett brauchen, um ßcß über bie Erfahrung, 
b. ß. bie fubjective ErfcßeinungSwelt ßinauSjufdjWingen in bie 
SBelt ber Xinge an ficß, welche ber fubjectitie 3beati8muS für 
"kennbar, ftreng genommen fogar für nicht ejiftirenb ßält. 

©eifteSwiffenfeßaften bagegen brauchen bie Sphäre ber un= 
:etbaren Erfahrung nicßt erft ju verlaßen, um in baS ißnen 
ntßümlicße ©ebiet ju gelangen; benn wenn teßtereS auch 
ter ift als erftere, fo umfaffen fie biefe bocß mit, Xie Eni* 
ie ift fomit nicßt nur in bem Sinn ©runbtage ber ©eifteS* 
jfenfcßaften, wie fte es für bie Staturwiffenfcßaften ift, fonbern 
: irrtßumSunfäßige ©emißßeit ber unmittelbaren Erfahrung 
ftet mirHicß in bem Sinne ben Elementen ber ©eißeSwiffen* 
fdjaft an, in welchem bie Staturwiffenfcßaßen biefelbe bisßer 
irrtümlicher Seife für ficß in Stnfprucß genommen ßaben. 

Sa« iß nun biefe fo inbirect erfcßloffene Statur? ©in 
großer SJtücfenfcßwarm, ßier bicßter, bort bünner, ßier fcßneHer, 
bort träger bureß einanber fcßwirrenb, unb bie SRütfen barin 
finb auSbeßnungSlofe fünfte ober Sltome. Kann eS etwa« 
XrocfnereS, UnintereffantereS, Einförmigeres, an unb für ficß 
Gleichgültigeres geben, als biefen gefpenftifcßen Scßmarm tanjen* 
ber matßematifcher fßunlte? SBaS fann ärmer fein, als ein folcheS 
ftenometrifcßeS SBeltfcßema, bie bünnfte Stbftraction unferer Quan* 
titätSbegriffe in Staum, Seit unb ©ewegung! 2Ba8 biefem ab* 
ftracten Scßema bie SJtöglicßfeit realer Efiftenj gewährt, ift erft 
ber Kraftbegriff, ber bie tanjenben Sltome oon abftracten Staum* 
punften ju wirfenben, b. ß. wirtlichen Snbivibuen erßebt; was 
biefe um ben Quantitätsbegriff ber SBirtungSintenfität bereicherte 
Statur erft belebt, ift bie Uebertragung beS ©egriffs ber Empfing 
bung aus unferem ©eift in bie fte conftituirenben Snbivibuen 
niebrigfter Drbnung, woburch bie rein quantitative SBirflicßfeit 
juerft eine qualitative Färbung erßält. 

Ueberbiitfen wir bie fo erlangte reale Statur, fo jeigt fich 
auf ben erften ©lief, baß SlfleS, waS Wir ißr jufeßreiben, lebigtieß 
Uebertragungen auS unferem eignen ©eift ftnb, unb nach Stbjug 
biefer Stießt« übrig bleibt. Stealität, Ejißenj, ©ubßanjialität ic. 
finb Kategorien unfereS fubjectiven XentenS, Staum, Seit unb 
©emegung ftnb StnfcßauungSformen unferer Sinnlicßfeit. 2>aS 
breibimenftonale Staumfcßema,' in welcßem Wir bie Statur com 
ftruiren, iß bem breibimenßonalen Staumfcßema ber in unferem 
©ewußtfein enthaltenen fubjectiven ErfcßeinungSwelt entlehnt. 
Sfaf ben Segriff ber Kraß wären wir nie gefommen, wenn wir 


nicßt ben eignen Stilen verallgemeinert hätten, unb ber Kraß* 
begriff ift uns heute noch nbfotut unverftänblicß, außer wenn 
wir ißm ftiKfcßweigenb ober offenfunbig ben ©egriff beS StüenS 
ju ©runbe legen. Kraß unb Empßnbung ßüb als Sille unb 
©orfteltung bie Elementarbegriffe bet ©eißeSwiffenfcßaft, unb 
ßnb ße eS erß, bie bem abftracten Staumfcßema Energie unb 
Sieben einßaucßen, fo ift bamit jugeftanben, baß wir eine reale 
lebenbige Statur nur naeß Sinologie unfereS ©eifteS ju benfen 
vermögen. So conftruiren Wir bie Statur aus jwei Sactoren: 
ber erfte beßeßt in ben feßematifeßen gönnen unfereS ©ewnßt« 
feinSinßaltS, ber jweite in ben ©rnnbfunctionen ber ©eißigleit 
fetbß. 3ft eine biefer Uebertragungen ber Sinologie ungerecht* 
fertigt, fo ift unfere ©orßeKung von einer realen Statur eine 
3Hufton, fo gibt eS leine Statur, für uns. 

Streicßen wir bie antßropopatßifcße Uebertragung von Kraß 
unb Empßnbung, fo beßalten wir nur ein gefpenßifcßeS abßracteS 
Staumfcßema mit bewegten Iraßlofen ©untten, baS unfäßig iß, 
irgenbwelcße reale Einwirfungen auf ben Geiß ju üben nnb 
beSßntb nicßt nur aufßört, irgenb etwas erltären ju tönnen, 
fonbern aueß aufßört, bureß berechtigte Stüdfcßlüffe aus feinen 
Sirtungen auf unfern ©eift etfcßloffen ;u fein. Streicßen 
mir hingegen bie Uebertragung ber S)en!= unb SlnfcßauungS* 
formen auf bie an ßcß feienbe reale Statur, fo verlieren nicßt 
nur bie auf Quantitätsverßältniße unb raumjeitlicße Sejießungen 
geftüßten naturwißenfcßaßlicßen Erllärungen burßweg jebe ©e* 
beutung, fonbern ße vertieren aueß (mit ben ©egrißen Subßanj, 
Eaufalität tc.) ben tranSfcenbenten ©egenftanb ober Iräger, auf 
ben ßcß ißre SluSfagen beließen tönnten. 3ß eine biefer Ueber* 
tragungen, ober finb gar beibe unberechtigte StntßropomorpßiSmen, 
fo gibt eS für uns feßteeßterbing« leine Statur, unb bie angeb* 
ließe Siffenfcßaft ber Statur ift bann mit Stlcßpmie, Slßrotogie 
unb Ißeotogie in bie Stumpetlammer ber vorlritifcßen 3Öufionen 
ju werfen, ©eftreitet alfo bie Staturwiffenfcßaß jene antßro* 
pomorpßifcßen Sinologien, fo ßebt ße bamit ßcß fetbß auf; läßt 
ße biefetben gelten, fo erlennt ße bamit an, baß wir eine reale 
* Statur uns fcßtecßterbingS nur naeß geißigen ©orbilbera benlen 
tönnen, unb baß wir in bie Statur grabe nur foweit EinbKtf 
unb ©erftänbniß ju erlangen ßoffen bürfen, als biefe antßro* 
pomorpßifcßen Sinologien reießen unb ber SBaßrßeit gemäß ßnb. 

$iefeS Stefultat muß jebem ©ßilofopßen, ber auf bem ©oben 
beS tranSfcenbentaten StealiSmuS fteßt, a priori fetbßverßänbtßß 
fein. Stiemanb lann aus feiner $aut ßerauSfaßren, alfo aueß 
nicßt ber menfeßtieße ©eiß. 3ß aber bie Statur ißm nur etwas 
inbirect auS ißren SBirlungen auf ben ©eiß ErfcßloßeneS, fo 
lann ber ©eift bie Statur eben nur auS ßcß fetbß verßeßeit, 
unb ßat leinen Scßlüßel jur Statur als ßcß, ben ©eift. Er 
lann ber Statur nießtö geben, als auS feinem ©orratß; aber 
von ben Scßäßen feines SteicßtßumS muß er baS SJteiße unb 
Ebelße für ßcß beßalten, unb nur baS Einfacßße nnb Slermße 
aus benfetben barf er ber Statur teißen, wenn er nicßt in uu = 
berechtigte antßropomorpßifcße Uebertragungen verfallen wiU. 

®emnacß ßaben wir allen ©runb anjuneßmen, baß biefe 
©rofamen vom Xifcße beS ©eifteS, auS benen Wir bie Statur 
conftruiren, biefe wirllicß erfeßöpfen, b. ß. baß bie Statur nicßt 
wefenttieß reießer iß, als wir biefelbe ßeute fcßäßen. Stießt als 
ob wir ejtenßv aueß nur ben lleinften Xßeit ber Statur erforfeßt, 
ober innerhalb biefeS uns jugängtießen XßeitS alle ©ewegnngen 
unb ©ruppirungen ber Sltome ergrünbet hätten, — baran feßtt 
viel, aber baS ift ein Sljiorn ber mobenten Staturwiffenfcßaft, 
baß alle unfere fünf Sinne überßeigenben Einwirtungen, welcße 
ein anberS organißrter ©eiß von ber Statur erfaßten tönnte, 
bocß immer nur oon bewegten Sttomen auSgeßen tönnten, unb 
baß bie ©ewegungen unb ©ruppirungen ber Sltome, in welcßett 
alle Siaturproceße fuß erfeßöpfen, in allen noeß fo entlegenen 
Xßeiten beS KoSmoS naeß benfetben ©efeßen ßcß vottjießen. 
SBir finb noeß Weit entfernt ju verfteßen, wie alle Staturer* 
feßeinungen bureß SJtecßanil ber Sltome ju erltären feien; baß 
aber alle nur ßierauS unb aus leinen anbem Eigenfcßaßen ber 
Statur ju erltären feien, iß als baS ßeßerße Stefultat ju 'be¬ 
trauten, beffen bie moberne Staturwiffenfcßaft ßcß ju rüßmen 


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Nr. 12. 


Sie <5ejen®ttrt. 


183 


hat. ffiemt anbei« nicht biefe angeblich egactefte aller SBiffen* 
Raiten fich gänglich auf bein Strwege befinbet, fo braunen toir 
nic^t gu fürsten, bafe Wir bet Statur Unrecht tf)un, wenn wir 
fie auf auf bie drmften unb bürftigften ©eftimmungen befchränlert, 
bie wir au« ben ©eifteSwiffenfchaften entlegnen fonnten. 

833a« ift un« nun bie fo ersoffene unb burch Analogien 
be8 ©eifte« conftruirte Statur? Rann ein ftummeS, licht* unb 
farblofe« Spiel punttueHer ®tome un8 an unb für fid) interef* 
fiten? Stufe un8 nicht batwr grauen, Wie bor bent gefpenftifdjen 
lobtentang oerwunfdjner Stonaben? 8E3a8 tarnt unfchöner fein, 
al« fold)’ eine Statur au8 mechanifchen Rraftwirlungen imagi= 
närer Staumpunlte? 833em leuchtet ber Sternenhimmel, wenn 
nic^t bent (Steifte? 3h«t nur gtängt ba8 ©lutfjmeet ber SJtorgew 
röthe, ihm nur buftet bie Sinbe, ihm nur tönt bie $arfe! Sie 
reale Statur al8 foldje erfchöpft fid) in bent einförmigen Stüden= 
tanj ber 8ttome, unb alle ©rächt unb $errlichfeit, bie ber ent* 
güdte ®eift ber Statur gufdfreibt, gehört nur ihm felbft an, bent 
farbigen Stbglang ber fahlen SEBirflichfeit, ben er felbft at8 fub= 
jectioe ©rfdjeinungSwelt fid) unbewußt probucirt unb feinem ©es 
wufetfein gum 3uholt gibt.*) 9We SBBunber ber Statur, welche 
bie Sinter aßet Sungen oon jeher taufenbföttig preifen, finb 
nur bie SEBunber be8 ©eifte«, bie er felbft in fi$ i)eröorbringt. 

SBa8 gebt un8 alfo eigentlich bie ob}ectiü=reale Statur an? 
Sie würbe un8 gar nicht« angeben, wenn nicht ihre ©inwirs 
fangen e8 wären, Welche ben ©eift gut ©robucüon ber fubjec* 
tioen ©rfdjeinungSwelt anregten, unb baburch erft feine leere 
gotm be8 ©ewufetfein« mit bem gangen Steidjthuw ihre« 3ns 
halt« erfüllten. SEBie ber eleftrifche gunfe au« ber ©erührung 
oerfchieben eleftrifdjer Rörper ^ertoorfpiTingt, fo refultirt baS 
Beben be8 ®eifte« au« feiner 833e<hfetwirtung mit biefer an unb 
für fid) nüchternen unb ftummen Statur. Sie ift e8, bie ben 
fihlafenben prometljeifchen Junten ber Selbftbeftimmung in ihm 
wecft, fie anch, welche ihn au« ber Sfolirung feiner ©tngels 
haft befreit, inbem fie ihm bie ©ommunication mit anbem 
©eifiern eröffnet. Sarum ift e8 nicht bie Statur al« folche, 
weldje un« intereffirt, fonbent lebigtidj bie Statur als Stittet 
gut ©ereicherung be« geiftigen Seben«. SEBie wir ba« Del nur 
preffen unb ba« Petroleum nur bohren, bamit beibe ftch al« 
©remtfeoff in unferen Campen oergehren, fo oerfenfen wir un« 
in bie Statur unb fuchen biefefbe al« unfern ©eftfc gu erobern, 
nur nm fie al« Statur, b. h- in ihrer un« tranSfcenbenten Statürs 
lidjteit gu oernichten, unb fie al« ©rennftoff für bie glamme 
unfere« ®eifte« gu oerbrauchen. Ser SJtenfchheit ift bie Statur 
nur al« Stittel be« ©eifte« oon 833erth, an unb für fich bagegen 
oöUig werthlo«. Ser Staturforfcher »ergibt nur gu leicht biefe 
©egiehung, wenn er in wohloerftanbner SrbeitStljeilung feine 
wiffenfchaftliche SebenSaufgabe ba!)in abgrengt, bie Statur al« 
folche gu ergrünben. Snfoftfrn er aber gugleich SJtenfd), Sehrer, 
gamilienoater, Staatsbürger unb empfänglich für aQe« ©ute, 
Schöne nnb SBaljre ift, beSaoouirt er in feinem gefammten Seben 
ben 3rrthum, bem er in feinem ©eruf in oetgeihlicher SEBeife 
oerfaüen fein lann. 

833a« ift nun aber ba« ©ine ewige, nicht genug gu bemuns 
bernbe S93unber an ber Statur? Safe fie, bie fahle nüchterne, 
poeftelofe unb anfdjeinenb geiftlofe e« ift, welche bem. ©eifte feinen 
unenblidjen Steidjtljum erfchliefet, unb burch ihre Smpulfe ihn 
gur ©robuction ber fubjectioen ffirfdjeinungSwelten nöthigt, in 
benen auf einmal bie gange ©rächt unb $errlid)feit ber 3bee 
gleifch unb ©lut, Ion unb garbe gewinnt, bafe fie wie eine 
unfi$tbare ©eheimfdjrift be« ©eifte« un« anmuthet, bie im fubs 
jectioen Spiegelbilb be« ©ewufetfein« auf einmal ihre leuchtenben 
Süge entfaltet unb oon ber Schönheit unb 833ei«t)eit ber Schöpfung 
ßeugnife ablegt! freilich ift e« ber ©eift, ber in fich bie Schön* 
heit unb gülle bet fubjectioen ©rfcheinung probucirt, aber er 
probucirt fie bod) nicht au« fich, fonbent ift in bem 3nt)att 
feine« ©robnciren« gang unb gar abhängig oon ben ©inmirfungen, 


*) ©gl. ©rof. SuboiösStepmonb« Sortrag: „lieber bie fflrengen 
be« Staturertemienä" (Seipgig 1872). 


Welche bie reale Statur auf ihn auSübt. So ift ohne Zweifel 
ber ©eift oon ber ©efdjaffenljeit, auf ba« Slfficirttoerben oon 
Seiten ber Statur fo gu reagiren, aber ebenfo gweifello« würbe 
er nicht fo reagiren, wenn bie Statur nicht eine foldje ©efdjaffen* 
heit befäfee, um ihn in biefer beftimmten SEBeife gu affeciren. 
Sie Harmonie ift eine gegenfeitige. Sie Statur aber ift ba« 
fßriu« be« ©eifte«; fie feheint fo fahl unb nüchtern gu fein, unb 
hoch ift fie e«, welche beftänbig bie Fünfen be« Schönen, ©Jahren 
unb ©uten au« bem fchlummernben ©eifte fcfjlägt. Siefe« 
SEBunber wirb nur oerftänblich, wenn bie Statur oon Stnfang an 
barauf üeranlagt ift, gut ©rutftätte be« ©eifte« gu bienen. Sa« 
SEBunber ber Statur löft fich nur, wenn ber ©eift fid) unbemufeter 
SEBeife in ihr feine Stätte bereitet hoi, b. h- burch eine teleolo* 
gifche Staturphilofophie. Siefe Stötljigung gur teleologifchen Stuf* 
faffung Wirb nicht nur nicht geringer, fonbent noch ftärler, wenn 
man annimmt, bafe ber unbemufete ©eift mäferenb be« SBelt* 
proceffe« leine anbern Sleufeerungen Oon fich gebe, al« in ben 
Sltomfunctionen; benn bann mufe bie urfprünglidje ©eranlagung 
ber Statur gur ©rgeugung ber SEBunbet be« ©eifte« eine abfolut- 
ooHlommene unb allein auSreidjenbe fein, bie feiner unmittel* 
baren SJtitwirlung be« ©eifte«, feiner Stachhülfe mehr bebarf. 

So lange ber ©eift be« 3Jtetifd)en fich i* 1 ber Statur be= 
wegt unb ergeht, fommt er fich öot Wie fßeter in ber grembe, 
unb heimifeh fühlt er fich boch erft wieber, wenn er oon feinen 
Staturausflügen in bie $eimat be« ©eifte« gurüdgefehrt ift. 
©Bie im eingelnen concreten gatt ba« locale Spiel ber Sttome 
mir nur al« SJtittel eine ©ebeutung hot/ welche« mich gur 
©robuction ber beftimmten ©rfcheinung anregt unb nöthigt, fo 
hat bie Statur al« ©ange« einen SEBerth für un« nur al« SDtittet 
für bie ©ereicherung unb Steigerung unfere« ©eifteöleben«. 
SEBie bie Staturphilofophie nur wichtig ift al« ein Surchgang«; 
puntt oon ber ©rlenntnifetheorie gur fDtethaphhfif, fo hoben auch 
bie Staturwiffenfchaften ihre ©ebeutung für ben' menfthlidjen 
©eift nur al« Surdjgangäpunft oon ber unmittelbaren Selbft- 
erfaffung be« ©eifte« gu feinem culturgefdjichttichen ©er; 
ftänbnife. Sa« Stubium ber Statur bient bem ©eift al« 
SJtittel gum ©erftänbnife feiner Stellung im SEBeltgangen; c« 
lehrt ihn fich al« ©eift im ©egenfafc gur biofeen Statur fdjäfcen 
unb würbigen, unb alle ^»ülfSmittel, welche bie fftatur bietet, 
gnr görberung feiner geiftigen ©ultur oerwerthen. Sie geiftige 
©ultur be« ©tenfchengefchlecht« ift aber ein gerichtlicher ©ro= 
cefe, b. h- ©ulturgefchi<hte, unb fo. oerftanben ift bie ©ultur* 

| gefdjichte ber Inbegriff ber ©ntwidetung be« ©eifte«. Sa« 

I Stubium ber Statur lehrt bie ©utturgefdjichte einerfeit« rüd= 
r wärt« in bie ©ntwidelungSgefchichte ber Statnr oerfolgen unb 
; anberfeit« ihren ooßen ©egenfah gegen biefe oerftehen; eS lehrt 
! un« bie Staturentwidelung al« ben Sodel begreifen, beffen bie 
I ©ulturgefchichte beburfte, um {ich al« Statue gu präfentiren. 

Sa« Stefuttat biefer ©etrachtungen ift, bafe wir mit bem 
©eifte beginnen unb mit bem ©eifte enbigen, unb bafe bie 
Staturerlenntnife nur ein mittelbar erfdjloffene« Surchgang«; 
ftabium für bie Selbftbeftimmung be« ©eifte« bilbet, ba« nur 
al« ©tittel, nicht al« dwed einen SEBerth für un« befifet. ,,©om 
©eift burch bie Statur gum ©eift!" So lautet ber Spruch, io 
ben wir unfere ©rörterungen gufammenfaffen tönnen. 

,,©om ©eift burch bie Statur gum ©eift" ift aber nicht 
blo« ein für un« gütige« ÜJtotto, fonbent e« hot gugleich einen 
abfoluten SEBerth- ®ie Statur ift nicht blo« für un«, fonbern 
fie ift an unb für fich blofee SurchgangSftufe, blofee« SStittel 
ohne felbftftänbige ©ebeutung. Sticht blo« ber SJtenfdjengeift, 
fonbern auch ber abfolute ©eift gleicht bem ©eter in ber grembe, 
wähtenb er in ber Statur fich umhertreibt; auch er ringt nach 
feiner ©efreiung au« ben ©anben ber Statur, unb auch er 
finbet fee in ber Staturentwidelung, San! ber ©eranlagung, 
Welche er felbft biefer Statur oon Stnbeginn oetlieljen hot. 5lud) 
ber abfolute ©eift entfaltet nur ärmli^e ©rofamen be« in fei; 
net Unbewufetheit oerfchloffenen unenblichen Steichthum« in ber 
Statur al« folget; inbem er aber biefe an fich fo armfelige 
Statur fo oeranlagt, bafe fie bem ©eifte Änlafe wirb, feine 
Scfeäfee an’« Sicht be« ©ewufetfein« gu gebären, läfet er in 


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184 


fie ©egcnmmrt. 


Nr. 12. 


bicfer Slrmutß für beit öoraßnenben ©eurtßeiler beit ganzen SReicß« 
tßurn feines ©eifteS in oerßüüter ©eftalt burcßfcßimtnern. 

siiemanb wirb beftreiten wollen, baß baS, WaS bei ber 
©jplication beS 3lB«®inen im SBeltproceß ßerauStommt, oon 
©roigfeit ßer in biefem HB;©inen implicite enthalten ge« 
Wefen fein muß. ©S ift ja grabe baS ^auptajiom beS natur« 
wiffenfcßaßlicßen SRoniSmuS, baß baS SBeltwefen ober bie SEBett= 
fubjtanj ebenfomoßt ©runb ber bewußt « geiftigen wie ber 
materiellen SBelt fei; alfo !ann auch bie SRaturwiffenfc^aft am 
aHermenigften beftreiten wollen, baß ber in ber bemußt«geiftigen 
SBelt ejplicirte 3nßalt, ebenfogut wie ber in ber materiellen 
SBelt entfaltete, in bem SBeltwefen als 3lfl=@inen implicite unb 
unbewußter SBeife fcßon öor ©eginn beS SBeltproceßeS ein« 
gef eßloffen gewefen fein müffe. 3ß nun ber Snßalt ber bewußt« 
geiftigen SBelt ein unenblicß reießer im ©erßättniß ju bemjenigen 
ber materiellen SBelt, fo ift bamit fcßon jugeftanben, baß baS 
SSeltwefen in ber Statur als foteßer nur einen feßr bürftigen 
unb untergeorbneten Ißeil feines implicite unbewußten Snßalts 
entfaltet ßabe unb feine eigentlichen Scßäße ber ©ntmidelung ber 
geiftigen SBelt oorbeßalten ßabe. 3n ber Statur oßne ©ejießung 
auf ben bewußten ©eift, ber in ißt feine ©eburtsftätte unb ©r= 
jießung ßnben foB, ßätte baSfelbe etwas unfäglicß SlrmfetigeS, 
©eißlofeS, unb beSßatb gerabeju SinnlofeS probucirt; in ber 
Statur, Welcße lebiglicß SDiittel ift für ben ©eift, ßat eS baS 
troß ober grabe wegen feiner Unfcßeinbarleit fmnreicßfte SBert« 
jeug gepßaffen, baS uns mit immer tieferem unb tieferem 
Staunen erfüBt, je meßr wir oon feiner SBirlungSweife oer« 
fteßen lernen, ©benfo wie es unS bei bem Stubium ber ©ibra« 
tionen ber Suftmolecüte ober Stetßeratome nur barauf anfommt, 
bie Urfacßen für bie geiftigen ßmpfinbungen beS Scßaüs, beS 
ßicßtS unb ber SBärme berfteßen ju lernen, fo liegt aueß bem 
SBeltwefen bei ber $erßeBung biefer oibrirenben Körper« unb Stetßer« 
atome nur haran, bureß ße bie äußeren Urfacßen ju feßen ju bem 
r ießen unb mannicßfaltigen 3nßalt ber fubjectiöen ©rfcßeinuugS« 
*en beS ©eifteS. SJtag ber 3®ed ber bewußt=geiftigen SBelt 
welcßer er woBe, ober möge aitcß jeber 3®ed betfelben 
unb ße nur SluSßuß einer jmedlofen Stötßigung beS 
. .tioefenS ju feiner ©jplication fein, unter aBen Umftänben 
fteßt baS feß, baß bie Statur nur 5)urcßgangSpunlt beS ab« 
foluten ©eißeS oon bet impliciten Unbemußtßeit ju ber ejpti« 
eiten ©ewußtßeit feines 3nß«ltö iß. b. ß. baß ißre Stellung 
im SBeltproceß, ebenfo wie ißre ©ebeutung für uns, lebiglicß 
bie eines unfetbßßänbigen SRittelS ift. 

3ebe Staturpßilofopßie, Welcße biefe aßerßeßerfte SBaßrßeit 
Oertennt, unb unter Sticßtbeacßtung ber Sejießungen ber Statur 
jum ©eifte bie Statur naeß ißrem eignen ©lafein abfcßäßt, muß 
in feßwerwiegenbe Strtßümer unb eine baS waßre ©erßältniß 
ber toömifcßen Spßären ju einanber oerfeßrenbe ©infeitigfeit 
oerfaBen. ©liefe ©infeitigfeit muß ju potenjirten geßlern füßren, 
wenn eine foieße irrtßümltcße Staturpßilofopßie ißrerfeitS bie 
©eifteSpßilofopßie meißern unb berfelben bie Sonfeguenjeit ißrer 
3rrtßümer für baS ©ebiet beS ©eißeS als SBaßrßeiten auf« 
brängen wiB, oor welcßen bie Stefultate ber ©eifteSwißenfcßaften 
fuß beugen müßten. 3nfoweit eS uns nießt gelingen foüte, bie 
OoBe Harmonie jwifeßen Staturpßilofopßie unb ©eifteSpßilofopßie 
ßerjufteflen, iß als ©runbfaß feftjußalten, baß woßl bie Steful« 
tat£ ber erfteren bie ©orrectur bureß bie leßtere, aber nießt um« 
gefeßrt geftatten. SlieS folgt barauS, baß bie Statur unS nur 
inbirect aus bem ©eifte, ber ©eift felbß aber unmittelbar be« 
fannt ift, baß bie ©eifteSwißenfcßaften bie unmittelbare ©rfaß« 
rung unb beSßalb eine größere Suoerläfßgteit oor ben Statur« 
wißenfeßaßen oorauS ßaben, unb baß fie enblicß fowoßl für uns 
wichtiger unb ßößer ßnb, als aueß einen an fieß wichtigeren unb 
ßößeren ©egenßanb beßanbeln als jene. 

C64tuft folgt.) 


Jiteratur unb &unß. 


5ifpßfltt ÜHIuro. 

Sin jeitgenöffifeßer Bpriter. 

©ineS ber unbefonnenften SBorte, bie jemals gefproeßen unb 
mißoerftanben worben, ift UßlanbS äufruf: Singe, wem ©efang 
gegeben! SBem ift er benn nießt gegeben! S3om $eimcßen bis 
}ur StacßtigaB, öom güfilier Kutfcßfe bis ju ©eibel unb ©oben« 
ftebt finb, mit SluSnaßme ber ffifeße, faß aBe SBefen im 8eß| 
einer ©eräufeßfäßigfeit, ja felbft meine Stubenßiegen fönnten 
ißr Surren ißr Singen nennen. Unb ba 3eber ein Stecßt ßat, 
fein ©lafein funb ju geben, fei’S aueß hur, baß er auf ben 
Senftern trommelt ober mit ben ©einen fcßlenfert, fo ßat aueß 
3eber ein Stecßt, jenes ©eräufcßwerfjeug, baS man Stimme 
nennt, ju feinem ©riöatfpaß in ©ßötigleit ju feßen. ©lurcß 
UßlanbS SBort aber ift ber 3tr®aßn begünftigt worben, baß 
baS ©rioatbergnügen beS ©tnjelnen aueß ßßon baS öffentliche 
Vergnügen beförbere. Slflju optimiftifcß! 

Unb boeß negire icß baS aßgemeine Singrecßt fo wenig 
wie bie angemeine SBeßrpßicßt, man ßeßt oielmeßr, wie liberal 
icß eS in feiner ganjen StuSbeßnung anerfenue. SJtit einem 
angebornen Staturrecßt bürfte SRann für SRann eigentlich 3eber 
fein IprifcßeS Sänbcßeu bruden laßen, unb jeber jeßnte beutfeße 
SJtann tßut eS aueß wirllicß. 3ßot unb ber ^apierfabrif macßt'S 
ffreubc; — eS foftet bloS bie SebenSluft jenes 3eß«taufenbften, 
welcßer baSfelbe tßut, aber nießt mit Staturrecßt, fonbern mit 
©otteSrecßt SBirb biefer beßer ©ereeßtigte im aBgemeinen 
Iprifcßen loßuwaboßu überßaupt noeß oerneßmlicß, fo oerneßmen 
wir bann, gleicß ©rufttönen, bie in Stidluft atßmen, etwa 
folgeube ScßmerjeuSlaute: 

3m Zteiben, baS bureßlärmt bie S8eiten, 

SerßaHte meiner Stimme Stuf; 

©cßlecßt tonnt’ icß im ©ebränge ftreiten 
Unb feßußlog blieb, was icß erfeßuf. 

Stießt Siner barg eS in ber Stunbe 
Än feine ©ruß mit milbem ®imt 
Unb bitter prüft muß jebe Stunbe, 

Bie ftart icß im Sntfagen bin. 

©liefe feßließte Klage traf mein Oßr, als icß in einem 
©ueßlaben neuere Sßri! burcßblätterte unb babei fo tüdifcß §er« 
ftreut mar, wie eS nur KleinoctaO in ©olbfeßnitt oerbient. Slber 
bie 3crftreutßeit oergtng mir, icß würbe aufmertfam. ®aS Mang 
ja außaBenb anftänbigl Sie Oerfannten ©enieS ennußiren unS 
geßörig mit ißrer ©erbitterung, aber oor bem SBorte felbß ßüten 
fie fteß! SBie naiü baS SBort „bitter" ßier fteßt, ift faft aBein 
feßon ein ©licßterßegel, benn eS gibt nur einen, ben naioen 
SDicßterl Unb wie ßübfcß wenbet ßcß biefe Klage, bie fonft fo 
feßmäeßließ Mingt, $u einer Stärte, jur Störte ber ©ntfagung! 
Slucß biefer 3«g oerrcetß ben beßeren ©Jicßter, benn bie fdßlecßteren 
finb ißrer trantßaften ©itelteit fo Weibifcß boB, baß ße nießt teießt 
einen &on ber männlicßen Selbftacßtung ßnben. Scßön fein ßeißt 
oft nichts anbereS als frei oon ßreßtem fein, bie gewiße SRenfcßen 
in gewißen tfäBen unauSbteiblicß begeßen, unb biefe Scßönßeü 
gefiel mir an biefer Stropße. Sie War jo angeneßm frei oon 
jener fatalen ßpfterifeßen Steroofität, womit uns ©licßterlinge 
Stnertennung abforbem unb nur beweifen, wie richtig wir ße 
oerfagen! 3a, oßne baS SBort „Stimme", baS auf bie rebenben 
Künfte weiß', würbe man taum ben ©Jicßter erratßen, benn fo 
männlicß fönnte aueß jeber anbere ©ßrenmann Magen, baß er 
in feinem Slecßte geträntt ift unb babei etwas SRenfcßlicßeS ffißlt 

Kur§, biefe ©robe ging mir in’S ©etoißen. 3<ß ßfeßte baS 
©üeßtein aus bem Sarm, ber bie SBeiteu bureßtobt, ßerauS nnb 
feßob eS fromm in meine Zafcße. ©)aS ©üeßtein ßieß: „3n ber 
Sonnenmenbe, neuefte ©ebießte oon Stepßan SJtilow." 

S)er Stame SRiloW war mir nießt fremb. 3ß et boeß in 
„SBurjbacßS biograpßifcßem Sejifon" fajt mein SBanbnacßbar, 
benn nur baS L ßeßt jwifeßen unferm E unb M. J)et haupt« 


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Nr. 12. 


® t f <5 1 g e lt m« r t. 


185 


fadje nach (©tübcn unb ©rftlinge ausgenommen) ejiftirt er für 
bie Deffentlidjfcit feit gehn Sauren, ttäittlidj tu ben ©legten 
„Auf ber Sdjolle" (1867) unb jenen neucftcn ©onttenWenbe= 
©ebidjten. 3n biefen beibett ©ubticationen ift Stephan SRilow 
eine innerliche, feinfinnige unb üornefjme Statur, ©iner oon benen, 
wetdje nur ferner unb langfam ©ublicum machen, aber immer 
eine ©emeinbe befipen Werben, ©ben jept erft pat eS ben An= 
fc^ein, bajj fleh ledere gum erfteren erweitern Wolle, benn feit 
einem Vierteljahre wirb bie „©onnenwenbe" oon allen ftiittm= 
berechtigten ©tattern DeftreidjS mit einhelligem ©eifall befprodjen. 
Sa bürfte benn bie Stage nach bem neuen Deftreicher auch in 
Seutfdjtanb in ©chwang lomnten. 

@S wäre feit ßenau wieber ber erfte ßgrifer, ber eS aus 
einem öftreichifchen gu einem beutfdjen dichter gebracht häüe. 
3cf) jmetfle aber oon oornherein, bafj eS fo weit tommt. SBaS 
populär macht, finb ja nicht btoS bie regten Vorzüge, fonberu 
auch bie rechten ©ebredjen. 216er ßenauS ©ebrcchen hat SRilow 
fidjertidj nicht. Scttau hat geitlebenS fein Verhältnis gu beit 
Stauen gefügt; SRilow hat eS früh gefunben unb befingt g<i; 
mitiengliicf. Aber ber ©nchenbe ift intereffanter als ber $abenbe. 
Ueberhaupt bürfte fich nicht fo halb wieber jenes Ijochpifante 
©emifch oon weichlicher ©entimcntalität unb wilbem llitgarmutlj 
ftnben, worin ßenau ber unwiberftehtidje ©timmuitgSbidjter 
namentlich ber Samenwelt War. Unb wie bofbietig : finbif<h, wie 
liebenSwürbig^bornirt fonitte ßenau nun gar als 9teflefionS = 
bichter fein! ©r hotte ftetS philofophifipe Sebürfniffe, fogar 
recht ftarie, genügte ftch aber meiftenS in einer polemifdj tljeos 
logifirenben Sichtung, im populären ©emeinplap beS Kampfes 
gegen bie ©faffen! ©in Sichter wie ßenau tonnte bie cfjriftlicfje 
ÜRpftif fo grünblich mifjüetfteljen, ba§ ihm bie Some nichts 
Weiter als „fteineme Suttertrippen beS Aberglaubens" waren, — 
waS fich bom nüchternften ©ottfeheb bloS burch ben ©chwulft 
beS VilbeS unterfdjeibet! Unb bo<h wirft fich berfelbe Kirchen: 
ftürmer wieber gerührt an bie ©ruft beS SreunbeS, mit bem 
er in einer ©{jriftnadjt bie SBiener Vorftäbte burchgieljt, als ihm 
burdj bie ßücfen eines genfterlabenS ein flimmernber ©hriftbaum 
gubtipt, babei fetige Äinber mit ihrer glüdliehen SRuttcr. „3a, 
©ruber, jept begreif ich’S, bafj jwifchen ©ott unb ben SReufdjen 
ein SRittter ftehen muf}." Anberc Sß^ilofophen begreifen baS — 
auch »hat burch genfterläbcu gu g tiefen! 

Auf foldjen güfjen ftanb oor einem SWenfchenalter bie ©oefie 
beS beffen ©oeten! 2Bir haben in fnrjer 3«it lange gelebt; wir 
oerftehen baS nicht mehr! 

Unfere SBett ift heute ocrwanbclt unb auch ’ 11 ber Sprit. 
Stur jwei ©rohen baoon foU uns Stephan SRilow geben: eine 
als ©timmungSbichter unb eine als VeflejnonSbichtcr. SRan höre 
ihn j. ©. in fotgenber Staturftimmung: 

Statur, bu SBnnberbare, hehre, 

3dj Weih, bi<h rührt fein ©tenfdjettwori; 

Ob ßuft mich fdjwefle, ßeib oerjehte. 

Unnahbar bteibft bu fort unb fort. 

Attr ift, bu fpricbft: „3<h ftürme, tofe, 

' ©in Ouett beS $unlel8 unb beS ßichtS, 

Sie Steffel treib’ ich ®i* bie Stofe, 

S8aS lobft bu ntidj? $u bift mir nichts!“ 

Unb boch — ich fühl’* mit trunfnen ©tiefen — 

SRir toirb bie ©ruft fo frei, jo weit; 

Statur, wie fattnfi bu füfj etqutden 
3« beiner Antheilloftgfeit! 

SaS ift ber aflerechtcfte — AntUßenau. ©enau baS ©egen» 
theil hätte ßenau gejagt unb fo gewiß, baf? eS faft jeber @d)üler 
nadjfagen fönnte, wie? 3n irgenb einer glüeflidjen ©eriobe 
feines ßebcnS hätte er „fich jauchgenb an baS $erg ber Statur 
geworfen" unb in irgenb einer finfteren, geraffenen hätte er 
entbeeft, bag fie ein $erg gar nicht hat unb mit einem pracf)t= 
ooflen VergweiflnngSfchrei „ihre falte feeteritoje ßaroe" taufenb= 
fättig oerflucht. Siefe gwel SRotioe beS Iprifchen ©atljoS fehlen 
unS heute. Sie finb im getollter JjartuiiiS bahin. Vorige 
geitatter haben in ber Statur ©ott gefetjeii unb pantheiftifdp, 


ober ben SRenfdjen gefepen unb .anthropomorphifch gebietet; erft 
jept fehen wir in ber Statur — bie Statur. 3hre ©üfcigfeit 
ift ’S, bah fi<h öaS gappelnbe SRenfdjlein eben nicht in ihr finbet. 
Aber baS ift wohl möglich: jene übermunbenen ©tanbpunfte 
fonnten bie fchönften ©ebidjte geben, währenb bie Samen aus 
ber bilbungSreifften Staturanfchauung nichts gu machen wiffen, 
wenn fie Anttjeillofigfeit heilt! Solche gäben nun muh man 
teife unb oorfi<f)tig aus bem geitgewebe auSgiehett, um bie SBebe 
btoS gu legen. Ser Sichter ift ein SRann ber Vilbung unb 
fdhreitet Oor, baS ©ublicum ift immer baSfetbe, gutnal baS Weib= 
liehe; aus ber feinbetaiflirten Veobachtung biejer Verhältniffe 
ergibt fich bann, waS bie oeränberten SRögtichfeiten oon ftunft: 
Wirtungen auf Staturwefen finb. 

Sie ©robe beS SteflejüonSbidjterS fei biefe: 

®l*idje ben Witbercti nicht, bie gern in felbftifdjer Kleinheit 

Sögen ben ©djmer.t aus ber 3Bett, weit er a(8 Sroher fie fchredt. 
Säglich erfahren fie felbft bie gewaltigen Stöfje beS ©cf)tdfaIS, 

®och als ©eftimmnng beS ©eins nennen fie ©tüd unb @enufj. 

Uctb Wer anberS eS nceint, ber ift ein gemtebener Keper, 
ffietip nicht jubeln er fann, gilt er als franf unb oerirrt. 

Aber bu tjalt’S nicht fo! ©djau feft in baS bräuenbe Uebcl, 

Kenne beS ©afeinS ©ttjmerp lernt’ ihn unb heg’ ihn als ©chap. 
3a, oom ©cpauec beS ©aumS, ben rüttelnb entblättert ein ©ttnbftofj, 
©iS gum Stenfchen empor (taget ein ewiges SBef), 

SBeltfchmetg trefflich genannt, ob auch bon Sielen befpöttelt, 

SBeltfchmerj, heg’ ihn nur ftetS, bah er bir täutre bie ©ruft 
SBaS bu beginnft, er fittigt bein Stj'm als beffernbet Sehrer: 

©äb’ eS ben ©chmerg nicht mehr, mühte oerwilbern baS ©rin! 

SaS jagt SRilow nur im Vorbeigehen, benn eigentlich ift 
er bei weitem nicht SBeltfchmergbichter, wie ßenau. Aber wo 
hätte ßenau ©äpe wie biefe! Ser ©djmerg ift ein ©djap, er 
läutert, ohne ben ©djmerg oerwilbern bie SRenfdjen! SaS ahnte 
ber Sichter ber ©djilfiieber nicht, fein gangeS geitalter ahnte 
eS nicht. SBir erfennen batan baS ©iegel beS groSen ©efftmiften 
unb unfern gortfdjritt in feinem ©eifte. Solche ©eijeimniffe 
finbet ein heutiger Sichter bei Schopenhauer, wie @d)ifler manche 
feiner fchönften ©eijeimniffe bei Ifant gefunben. Aber bie ßor= 
beern einer Seit gu pflüefen, braucht’S immerhin einen Sichter! 

Unb boch liegt bie Stage nach flrofjen Sichterwirfungen 
teiber barin, ob bie Sbeenfreife eines geitatterS concentrifdj 
ober centrifugal finb. Unfere fogenannte ftajfifdjc ©eriobe war 
in bem erfteren Saß, wir finb offenbar in bem lepteren. Senn 
fo Diel auch bie SRamen Sarwin unb ©chopenhauer gu herrfchen 
jeheinen, fie fcheinen eS ttnr; ben Vlutumlauf unferer ©ebanfetu 
weit beforgen nicht fie, fonbern ber Actienhanbel, bie ©ifenbahtt' 
wirthfehaft unb Wo eS fdjon geiftiger hergeht — bie fociale Sragc. 
SBir haben Diele Stempel, nicht ©inen. Sa gibt es benn nur 
noch dichter in partibns, benn allmächtig ift felbft ein Sichter nicht. 

SBaS nun ©tephan SRilow betrifft, fo flegelt er juft nicht 
mit bem jefjmerften Stempel unb ift nicht eigentlich „ein fernerer 
Sichter". Stur ber gufafl hat eS gefügt, ba| bie wenigen ©toben, 
bie ich mitgettjeitt, auf ber ernften ©eite gu liegen fommen; ich 
hätte noch freigiebiger baS ©enre beS ßeidjten unb garten re= 
präfentiren fönnen, wenn mich bie Siücffiept auf ben Staum nicht 
gum ©eptuffe brängte. Unb gum S^luffe foß ich bodj noch bie 
Steugierbe, artiger, bie Sheilnahme beS ßeferS unb namentlich 
ber ßeferin befrtebigen, b. h. auch °on beS Sid)ter3 ©erfon fpre^ett. 

Stephan oon SRittentooicS h ot ft<h feinen weiipen 
Iprifdjen Stamen, ber beffer an bie Venus oon SRilo als an 
Serbien erinnert, mit einem ähnlichen Safte gugebitbet, wie 
Stimbfdj oon ©treljtenau ben fanfteren ßenau. Sie ©ro|ettern 
noch Voßbtutferben beS SürftentljumS, wirb erft ber Vater, gleich 1 
faßs ein türfenferbifcpeS Äinb, burch bie Ueberfiebtung feiner 
©Item Deftreicher, unb wir finben ihn in ber waßadjifdjen 
SRilitärgrenge gu Drfowa als SRajor, ©orbonS^ommanbanten, 
gutept Dberften. $ier ift bie ^auSfpracpe, wie im gangen 
öftreidjifchen SRilitär, bie beutfepe, unb fo gibt ber gu Drfowa 
ben 9. SRärg 1836 geborene unb gum ©otbaten ergogene ©tephan 
fchon einen beut fehen Sichter. Ser ftrembe, ben ber geräufd): 


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186 


11 1 Itjeitnmrt 


Nr. 12. 


bolle ©pradjenlampf in ben Seitungen «erführt, ober bet unga= 
rtfc^e «nftrid) fo rein beutlet ©täbte, wie ©reßburg unb Deben: 
bürg, ber grembe würbe unter aü’ biefem ©cheinwefen überhaupt 
nicht offnen, wie ber beutföe ©prachftrom, ber jo auch nodj bie 
Xürfei überfpült, um mtgarifche unb flabifd)e Sarren fid) um jo 
weniger fümmert. ©o führte (n ad) Kogge) in ben wifbejten Kacen= 
fämpfen beS a<htunbbier}iger SahreS ber belannte ferbifche ©eneral 
©trotomirobic feinen Sonbjturm nic^t anberS gegen bie Ungarn, 
als log unb Kad)t 'mit — UtjlanbS ©ebichten in ber Xaj(^e, 
biejefben ©erben, welche (ebenfalls nach Kogge) in ber $i|e beS 
SanaterfommerS oft jum gelbbienft auSrüdten — mit nichts 
als i^rer ©atrotttafclje beffeibet! Sfn ber @pi|e einer folgen 
Xruppe ein begeifterter Uhlanblefet ift gewiß auch ein Unicum 
OeftreichS! 

gür einen Uhlanb fefbft ober hörte fich über lut} ober 
fang biefeS Unicum benn bo<h auf. ©r finbet auS affen ©abetten= 
häufern, SKiliiäralabentien unb mifitärifch geogtaphifchen 3nfti= 
tuten }ule|t feinen angebornen SEBeg unb ber führt einen Sichter 
befanntfich — noch Sibur. Stephan SKilowS Sibur heijjt 
©ßrenhaufen. 

©iS baS fo berühmt Wirb, wie bie ^»orajif^e Sitla, wiQ 
ich bem Sefer, namentfich bem norbbeutfchen Sefer, nachhelfen. 

SBenn man oon ber fteirifchen SanbeSljauptftabt ®ra} füb= 
wärt« fährt, fo wirb in }Wei bis brei ©ifenbahnftunben bie 
bebeutenbe Sanbftabt SKarbürg an ber Stau erreicht, ber ©or= 
ort bon ©übfteiermarf unb ein Ort »oft «uffdjwung unb 3«lunft. 
SKon nennt biefe Sanbfcfiaft ein IteineS $aI6itafien; bie ©erge 
finb öotf SSein, bie ©efilbe boff öbftgärten, unb auch ©eiben: 
Sucht ertaubt baS herrliche Klima, ©ine mäßige ©trede bor 
SKarburg, wo nach ber auSgebehnten ©bene bes ©ra}er Selbes, 
Wieber als Sorfpief ber höhnen ©erge, ein arlabifdßliebltcheS 
Vügelgetänbe anfängt, liegt ber alte Drt ©hrenljaufen unb macht 
fich’S bequem auf ebener gelbflur, am grünen ©ergwatb unb im 
mäanbrifcijen Sachthol ber ©ulm,’bie bort in bie SKur münbet. 
Vier fi|t ber ©ohn ©erbienS „auf ber Scholle'', wie er eS nennt, 
unb erträgt baS Unglüd, germanifirt }u fein, baS unfere Kationatis 
täten fo aufregt, mit ber gaffung eines SEBeifen, ber ©ßfeS mit 
©utem bergilt: er macht gute beutfdje ©erfe. ©eine Schotte aber 
ift eine ber tefcten beutfchen Schollen, benn juft in biefer ©egenb 
fängt bie winbifdje @prachgren}e an. 3<h habe baber bon einem 
Sichter an einem ber äußerften ©äume bes großen beutfchen 
Sprachgebietes berichtet unb berfchmähe eS nicht, auch SaS }u 
betonen, benn es wirb immerhin intereffanter fein, als biefelbe 
©tfcheinung in ben literaturreichen mutteriänbifdjen ©entralftätten, 
wo fie alltäglich ift. 

äBien, im 3Jtörj 1877. ^ferbinanb Kiirnberget. 


(litt {ffllieitifthet Satiriker. 

Kur bei wenigen Kationen ift ber $ang }nr Satire fo 
ausgeprägt, wie bei ber italienifchen. greitich Waten burch 
Sahrhunberte hinburch bie Politiken unb gefeßfchaffliehen ©er: 
hältniffe Italiens gan} befonberS geeignet, biefen $ang nach 
affen Kichtungen }u entwideln, unb baS SBort guoenalS: 
facit indignatio versum lonnte feiten mit größerem Kechte an« 
gemenbet werben, als in bem bon feinen Suobestprannen unb 
feinen geiftlidjen SKadjthabern gefnechteten ©aterlanbe SanteS. 
Sn ber ©inleitung }u ber trefflichen Ueberfepung bet Sich 5 
tungen ©iufeppe ©iuftis (©erlin 1875, «. $ofmann) hot 
©aut V*hf« bereits barauf hingewiefen, baß eS eine bonfbare 
unb leicht« Äufgabe fein würbe, bie ©ulturgefRichte StalienS 
ohne off}u große Süden, rein am gaben ber ©atirenbidjtung 
ju fdjreiben. SKan lönnte noch weiter gehen unb behaupten, 
ba| ein Sf)etl ber ©efchichte ber ©äpfte oerftänblidjer fein würbe, 
wenn uns alle bie ©pottberfe überliefert wären, welche bie 
Körner jener affen ©efuchern ber ewigen ©tabt unter bem 
Kamen „©aSquino" belannten ©tatuengruppe anpheften pflegten. 
«IS }. ©. ©apft Urban Vin. aus bem ©efdjledjte ber Sarberini 


bie im ©orticuS bes ©antheon befinbliche bergolbete Sede aus 
©ronce wegnehmen lieh, um aus biefem SKaterial einen ©al: 
bachin in ber ©eterStirche unb Kanonen für bie ©ngelsburg 
an}ufertigen, rächte fich ber römifche ©oll8wi| für biefe ©er« 
ftümmelung beS antilen SKonumenteS burch baS beißenbe @pi= 
gramm: quod non fecerunt barbari Romae fecit Barberini. 
©benfo mußte Urban VIII. wegen ber beiben ©lodenthürme, 
mit benen in feinem Sluftrage ©etnini baS ©antheon beron: 
ftaltete — biefe Shürnte würben »om ©ollSmunbe „bie ©felS: 
obren beS ©ernini" genannt — manches fchatfe ©pottgebidjt 
über fich «geh«« taffen. Serfetbe ©apft aber, welch« ben am 
toScanifchen $ofe fwdjangefehenen ©atiteo ©atilei, weil er bie 
lopernicanifdje SEBeltanfdjauung oertheibigte, aus gtoren} bor 
baS römifche gnquifitionStribunat citiren ließ unb bie ©erur* 
theilung beS weltberühmten KfathematilerS unb «ftronomen auf’s 
©dionungSlofefte betrieb, War bem fdjneibigen $ohne ©aSquinoS 
gegenüber böttig machtlos. 

Saburch nun, baß ber öffentliche ©eift in Italien fich 
burch Sahrhunberte hinburch an bie gorm ber ©atire gewöhnt 
hatte, erllärt eS fleh, baß biefelbe bort }u einem gewiffen ©rabe 
ber ©offlommenheit gelangt ift. Sie Sichtungen ©iuftiS legen 
in biefer §inficht ein glänsenbeS £eugniß ab. @o große Ser: 
bienfte ©iufti ftch aber auch um bie mobeme ©oefie StalienS 
erworben hat, wäre eS boch unbillig, wollte man auf ihn bie 
Keubelebung ber fatirifdjen Sichtung jenfeitS ber «Ipen }urüd: 
führen; biefeS ©erbienft barf bielmehr bon ©iufeppe ©arini, 
bem Serfaffer beS in ber italienifchen Siteratur beS 18. Saht* 
hunbertS epodjemachenben ©ebichteS: „II Giorno“ mit gug bean= 
fprudjt Werben, ©iufti hat bieS in feiner befdjeibenen SEBeife 
felbft anerlannt unb unter «oberem audh baburch belunbet, baß 
er bur^ eine erfchöpfenbe Siographie fowie burch Verausgabe 
ber ©Serie feines ©orgängerS ein anfdjauticheS ©itb bon ber 
literarifchen ©ebeutung beSfelben entwarf. Sa nun ein untängft 
erfchieneneS beachtenSmertheS ©uch beS belannten italienifchen 
SiterarhiftorilerS ©uet}oni: „II terzo Rinasoimento“ (Verona 
1876, Libreria alla Minerva) fich ebenfalls an erfter ©teile mit 
©arini befdjäftigt, fo empfiehlt eS fich, baS Vauptwert beS 
(e|teren: „n Giorno“ einer eingehenberen ©eurtheitung }U unter: 

| }iehen, }umat fich ßierbei ©elegenheit finben wirb, einige «uß 
: fchlüffe über moberne italienifche Äritit }u gewinnen. 

©iufeppe ©arini würbe im Sah« 1729 in bem Keinen 
lombarbifdjen Drte Sofifio oon armen ©Item geboren unb früh 5 
| }eitig für ben geiftlidjen ©tanb beftimmt, für welchen er felbft 
fehr wenig Keigung befaß. Kachbem er in ÜKailanb feine ©tu« 
bien beenbet unb bie ©riefterweihe erhalten hatte, friftete er fein 
Seben längere Seit baburch, baß er ben ©öhnen oornehmer 
gamilien Unterricht ertheilte. Sn feiner ©igenfehaft als ©r: 

; }ießer hatte er benn auch ©elegenheit, bie Kid)tig!eit beS Srei* 
benS ber jungen lombarbifchen Kobiti, fowie jenen ^rebSfchaben 
ber italienifchen „guten ©efeüfchaft" beS borigen SahrhunbertS, 

, baS ©icisbeat, aus nächfter Kähe lennen }u lernen, unb hiermit 
j war ber Stoff für feine ©atire gegeben; in ber Sljat finb eS 
! an erfter ©teile bie «uSwüdjfe ber ihn umgebenben ©efeüfchaft, 

! gegen welche ©arini feine ßhärfften ©feile oerfenbet. Sunächft 
I bebarf eS aber einer genauen ©egriffSbeftimmung beS SiciS« 

I beats, wie eS fich i« 1 borigen Sahrhnnbert in Stalien als 
„gefettfchaftliche Snftitution" entwidelt hatte; weil man anberen* 
faüS ben }um Serftänbniffe ber fatirifchen Sichtung ©arinis 
erforbertichen Ktaßftab entbehren würbe. „SaS ©icisbeat", führt 
©uer}'oni, welcher bie htftorifche SetradjtungSweife in ber ftrttil 
liebt, in feiner oben erwähnten Schrift aus, „ift nicht bie Siebe, 
ober, um eS beffer }u jagen, baS ©icisbeat ift baS „ttrtabien" 
ber Siebe; baS heilt bie Siebe einer ©efeüfchaft, welche aüe 
©efütjle, felbft baS am meiften inftinctioe unb natürliche, in teeren 
gormen aufgehen läßt . . . Ser ©icisbeo wirb befeffen, aber 
er befi|t nid)t; bie Same befiehlt, aber fie liebt nicht, ©«her: 
lieh war ber gaü ni^t fetten, baß ber ©icisbeo fich i« einen 
Siebhaber berwanbette, bann wechfelte er aber mit feinem 
©haratter auch ben Kamen; er wirb ber „damo“, ber „patito“, 
wie man in ©enua fagte: bie ©efeüfchaft erfennt i|n nicht 




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Nr. 12. 


187 


Ite #egenw«rt. 


mehr oit, bet (Gatte unb ber „oavaüere servent«“ befämpfen 
ihn gemeinfdjagtich. goScoto hat bie ßiciSbei Vortrefflich gelernt» 
geiehnet: „Sie waren unb finb webet Sieb|aber noch getnbe, 
noch greunbe, noch Dienet noch (Sotten, fonbetn gnbivibuen, 
bie in wunberbatet SBeife aus negativen ©igenfchaften ju: 
fammengefe|t finb. Dafür lägt fie bie (Gefellfehaft gu, butbet fte 
bie gamilie, unb rühmt fich bie Dame ihrer. Vorbebingungen 
für ben ©icisbeo finb: elegant nach bet neuefien SRobe gelleibet 
ju fein, wenigftenö bie Umfchläge bet berühmteften frangöftfchen 
Romane getefen ju ^abett, einen ganzen CuincaiUetietaben unb 
einen votlftänbigen grifeurfchranl bei fiel) gu führen, mit ffilegang 
eine Verbeugung gn machen, mit Vollendung HRenuett ju langen, 
unfinnig ju fpieten, auf eine lönigliche 8rt ju verlieren, in 
allen unnüfeen Dingen feljr unterrichtet ju fein, unb niemals 
etwas ju teiften . . . fßflidjt beS ©icisbeo ift: ju gelten, ju 
fomuten, ju tragen, ju filmen unb ju geleiten, mit einem Sorte 
ju bienen, unb jwat wie ein ftammetbiener, aber offne anberen 
Sohn als <5cf)elttt)orte unb verächtliche Vehanbtung. Die erften 
fßroben (egt er bei ber Doilette ab, bort ift ber $ampfpla|, 
wo bie mit einanber rivatifirenben Verehrer fich um bie Dame 
oerfammeln, unb wo ber eine ihre Haartoden, ber anbere ihr 
Sleib orbnet, ber britte bie Schminlpgägerchen auf bem (Gegdjt 
verteilt, ber oierte ben (Gürtet befeftigt, ber fünfte ihr bie 
S^uge angiegt unb ber fedffte it»r bie ©hocolabe reicht . . . 
unb weife bem täffigen Kavalier, welket nidE)t gut regten 3«»t 
eintrifft, um an einer fo wichtigen Aufgabe mitjuwirlen. (Sr 
fäume alfo nic^t länger; auch ber ^od^ltetjige (Gemahl erwartet 
it)u mit Ungebulb. (Sr nähere geh entfdjtoffen, gehe ftradS auf 
bie Dame ju, reiche ihr bie Hanb, flüftere iljr baS geheime 
Sättigen ber Veruhigung in baS Ohr, nehme an ihrer Seite 
Sßlafe, entferne bie eingebrungenen Nebenbuhler mit ber 
Dreigigleit einer unbeftreitbaren Autorität unb fe|e felbft baS 
begonnene Ser! fort." 

Dag biefe berechtigten ©igentgümlichleiten beS ©icisbeo 
ebenfo wie bie gahlreidjen anberen Nichtigfeiten, mit benen bie 
jungen lombarbifdfen ©bedeute ihre Beit oerbrachteu, bie Satire 
gerabeju hetauSforberten, fann nicht auffaßenb etfd)eineit; nur 
war es für ben Dichter, welcher ben ftampf gegen bie bamalige 
vornehme (Gefellfehaft aufnehmen wollte, geboten, nicht etwa ein 
Uebermag gttlidjer ©ntrüftung jur Schau ju tragen, weil er 
anberenfaOS Gefahr lief, über fein 3«l ^irtQu^jufr^iefeen. 
fßarini hat biefe (Gefahr glüdlich vermieben, inbem er für feine 
fatirifche Dichtung bie gorm feiner gronie wählte unb biefelbe 
folgerichtig feftjuhalten wugte. (Gleich in bem erften ber vier 
(Sefänge, in wetdjem ber „SNorgen" beS jugenbliegen Nobile 
gefchilbert wirb, erfahren wir, bag ber Didfter, inbem er baS 
ftmt beS SehrmeifterS übernimmt, nichts weiter bejwecft, als 
feinen Bägling in ber ftunft ju unterweifen, wie er bet Sange: 
weile beS SebenS entrinnen lönne. „Du wirft lernen, welches 
am Ntorgen, am Nachmittag unb am Slbenb Deine Sorgen 
ftnb, vorauSgefefet, bag Dir inmitten aller Deiner Ntuge fo viel 
SJtuge übrig bleibt, meinen Verfen Dein Of)r $u leihen." 3«* 
weilen geht ber Dichter anfeheinenb im Vegriffe, bie von ihm 
vorgenommene SNaSle wegguwerfen unb geh in feiner wahren 
(Gegalt als ernfter Nügebiehter ju geigen. Stets aber erinnert 
er ftch noch im lebten Slugenblicfe feiner Nolle, unb felbft wenn 
er baS Dlpm unb Dreiben ber vornehmen (GefeUfehagSctagen 
in feiner gangen Nichtigfeit geigt, inbem er bemfelben gum 
(Sontrafte baS arbeitfame Seben ber nieberen ©lagen gegenüber: 
fieQt, bemüht er fich, auch butdj leinen leifeften Bug gu vet: 
rathen, auf welcher Seite in Sattheit feine Spmpathien finb. 

©ineS echten Dichters würbig ift bie Schüberung, welche 
fßarm von bem NZorgen beS fleigigen SanbmanneS entwirft, 
welcher vor bem erften Sonnenftrahle längs bem Keinen, thau: 
beglängten ©iefenpfabe an feine Arbeit eilt. (Gteidjfam als 
befürchtete er aber, feine wirtliche NbfiCht von feinem Boling 
erratgen p fehen, fährt ber Dichter befegwiegtigenb fort: „aber 
wie? Du fchauberft unb Deine Haare fträuben geh beim Stange 
meiner Sorte? gürwagr, bieS, o Herr, ift nicht Dein SNorgen. 
Du fefcteft Dich heim Sonnenuntergänge nicht gum fargen SRahle 


nieber unb legteft Dich nicht geftern beim ungewiffen Dämmer: 
lichte in baS, ärmliche ®ett, wie baS gemeine Soll gu thun 
verurtheilt ift. Such, SproRen beS Rimmels, (Such, irbifcheu 
Halbgöttern, h at her wohlwodenbe gupiter ein anbereS SooS 
befchieben." ißarini befchreibt bann bie burch gahlreiche Sefuche 
unterbrochene Doilette beS jungen Nobile, ber nur burch heu 
Sebanlen jur (SUe angefpornt wirb, bag er rechtjeitig am $u$* 
tifche feiner Dame, „weiche, eines anberen güdjtige Sattin, ihm 
theuer ift," erfcheinen mug. SNit grogem Sefcgicf h<ü ber 
Dichter in feine DarfteQung eine ihren Stoff ber äRpthotogie 
entlehnenbe aUegorie eingefügt, welche auf baS eheliche Seben 
ber vornehmen italienifchen SefeOfchaft beS 18. gahrhunberts 
grelle Streiflichter gu werfen beftimmt ig. Nachbem enblich 
baS wichtige Serf ber Doilette gum abfehluffe gebracht ift, 
eHt ber junge Nobile gu feiner Dame, welche ihn bereits mit 
Ungebulb erwartet. 

gn bem jmeiten: „Der SNittag" betitelten abfehnitte ber 
fatirifchen Dichtung ®ariniS finben wir ben „cavaliere serventc“ 
am fßuhiif^ e ftiner Dame, in beren Umgebung augerbem noch 
einige feiner Nebenbuhler verweilen, währenb ber (Shemann be: 
fcheiben im Hintergntnbe bleibt, falls er nicht vorgieht; felbft 
feiner fßflicht als ©icisbeo bei einer anberen Dame gu genügen, 
beren Semaht gu bem gleichen Bwecfe bie eheliche Soijnung 
Verlagen hat Der Dichter lägt fich hie (Gelegenheit nicht ent: 
gehen, in einem föftliChe gronie athmenben (Sjcurfe bie @h es 
männer feiner Beit im Segenfa^e gu ben ihrer (SiferfuCht wegen 
im auSlonbe verfpotteten Vorfahren glüdlich gu preifen: „gta: 
lien", ruft er aus, „fpottet heute barüber, weshalb es einft 
felbft verfpottet würbe, fo fe|r vermag ein eingigeS Sehens» 
alter bie Sinnesart gu veränbern!" Nachbem auch hie Dame, 
von ben ©avalieren unterftü|t, bie Doilette beenbet hat, begibt 
man Reh gut Dafel, an welcher fßarini uns bie Delanntfchaft 
einiger mit viel Humor gegeichneten giguren machen lägt Dreff: 
lieh gelungen ift bem Dichter auch bie ©haratterifti! ber Dame 
beS HaufeS, welche, gegen ihre alten, treuen Diener mitleiblos 
uub graufam, ihr Schoghünblein, „vergine Cuccia“ genannt, 
abgöttifch verehrt. Sei ber (Srinnerung, bag lejjtereS einft, als 
es einen ber Diener gebiffen hatte, von biefem gegüchtigt würbe, 
fehen wir bie Dame Dhränen ber Nührung vergiegen, unb felbft 
baS Dewugtfein fann fie nicht trögen, bag ber URiffethäter troh 
langjähriger treuer Dienge fortgejagt unb mit feiner gefammteu 
gamilie an ben ®ettelftab gehracht würbe. „Dag in ber @e= 
feUfchoft beS 18. gahrhunbertS", bewerft (Suerjoni, „bie Siebe 
ju ben Dhieren oftmals vor ber 9Renf<henliebe ben Norrang 
behauptet, ift leicht gu erftäten. Der gamiliengnn War abge: 
nu^t, baS H er J verborrt; bie Ntütter fahen gahre lang ihre 
ICinber nicht wieber; bie SXänner überliegen ihre grauen ben 
©icisbei; bie Vergeltung, baS Konventionelle, baS aiabemifche 
waren für baS Seben maggebenb; bie Quellen beS wirf liehen, 

, natürlichen SebenS waren gewiffermagen vertroefnet, es war 
1 bähet natürlich, hag man feine gugucht gu länglichen ©rfah» 
mittein, ju erborgten (Gefühlen, gu phontaftifchen Seibenfehagen 
j nahm." gn ber ©pifobe ber „vergine Cuccia“ fehen wir aber 
1 jugleich bie h^annahenbe groge Nevolution wetterleuchten, unb 
wir begreifen Wohl, bag bie blutigen ©pigramme, welche fßarini 
! ben Vornehmen feiner Beü an bie Stirn heftete, vom Volle 
- balb mit teibenfdjagticher Vegier aufgenommen würben. Der 
I Dichter lägt uns bann auCh im weiteren gortgange feiner Satire 
; ben etngen politifchen Hintergrunb nicht mehr aus ben äugen 
vertieren, bis baS „SNittagSmaht" beenbet ig, unb bie Difch: 
gefeüfChaft fich »hebt, um bie übliche NachmittagSfpagierfahrt 
gu unternehmen. 

Der leiteten ig ber britte: „II Vespro“ betitelte abfehnitt 
ber Satire gemibmet, währenb ber vierte: „La Notte“ benannte 
' uns bie vornehme itatienifche (Gefeflfdjaft beS 18. gahrhunberts 
im Spietfaton geigt. Da aber Varini in bem gweiten abfehnitte 
; fein Hauptthema gewiffermagen erghöpft hat, treten bie noch 
fotgenben beiben Dljeile, tvaS ihre fociatpotitifche Vebeutung 
I anbetrifg, mehr gurüd. als Sittenfchitberungen einer beftimm» 
i ten B«i behalten ge bagegen ihren SSertfj; nicht minber legt 


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188 


Nr. 11 


Die Äegenwart. 


bet Siegtet bi« jum Segluffe bet «Satire glänjenbe groben oon 
feinem SarfteßungStatcnte ab. Äucp ©uerjoni palt bafiir, baß 
bie Satire: „II Giorno“ ipren fpögepuntt in bem jweiten Slb= 
fcgnitte erreicht. Der italienifcpe Siterarpiftoriter, roelcgen feine 
rabicalen Slnfcgauungen übrigen« öfter ju Uebertreibungen oet= 
leiten, führt bejügliep bet beiben legten Slbfcpnitte ber fati= 
rifeben Sichtung ©arini« mit einem für beutfepe Sefer etwa« 
frembartigen ©atpo« an«: „ERit bem „Slbenb" gebt auch, wie 
man fagen tann, ba« ©eftirn ber Satire unter. Sie Stunbe 
ber bloßen ÜRegation ift nun oorüber, unb biejenige be« £>an= 
beln« nimmt ihren Anfang. 3wif<pen ber ©eröffentlicpung be« 
„SRittag«" unb be« „Slbenb«" lagen breijepn Sabre, unb man 
begreift, baß bie Säett in biefen breijebn gapren «Men weiten 
Säeg jurüdgetegt batte. Sie gepter jene« Stoel« waren nicht« 
SSeue« mehr, unb e« gab (einen ERantt im ©olfe, welcher baoon 
nicht mehr wußte, al« bie ©püofoppie uni> ^Boefte. Sie 
Stunbe war gefommen, in welcper e« galt, beutlich ju fpredjen 
unb (rüftig la«jufcblagen; bie fcpmeicpelnbe unb ruhige Satire 
genügte nicht mehr; e« beburfte be« jermalmenben ©pigramm«, 
ber oernieptenben Spottfeprift, be« unoerföpnlicpen Sibeß«, be« 
aufrichtigen unb feierlichen EBorte« ber Sprit Unb trogbem 
Wirb in fturjem auch bie Sprit nicht mehr genügen; bie Spat: 
faepen Werben bieOberbanb über ba« Säort erhalten; bie föritit, 
Welche fleh geftern bamit begnügte, mit ber Spige ber gebet 
ein Spftem, eine , eine ftunft ju öerniepten, wirb 

beute einen ERauerbrecper nehmen unb bie SBaftiöe jerftören. 
©arini beeilte fieb an feiner „Stacht" ju arbeiten, allein e« war 
fpüt ffipe et biefelbe beenbet, wirb bie ERarfeiflaife oom böcbften 
©ipfel ber Sllpen wieberbaHen; unb eine Satire auf bie ©er= 
gangenbeit wäre in biefer ERorgenrötpe ber 3“tunft ein ®na- 
cptoniömu« gewefen. ©arini begriff bie« fofort unb mit ber= 
felben geber, welche furj oorper bie „Stacht" feprieb, maepte er 
fiep batan, bie ©roclamationen ber Steootution ju unterjeiipnen; 
eine richtige ©onfequenj be« Siebter« be« „Giomo“, be« 3«= 
ftörer« ber artabifepen Sicptung, be« SRicpter« über ben Slbel, 
be« Satirifer« be« 18. gaprpunbertä." Sepen wir oon bem 
beclamatorifcpen ©eiwert in ben Stu«füprungen ©uerjoni« ab, 
fo tönnen wir ipm infofern beipftiepten, al« in ber Spat bie 
politifcpen ©reigniffe bie Satire ©arini« gegenftanblo« maepten. 
Ser Sicpter ertannte bie« auep felbft unb wanbte fiep ber 
Sprit ju. 

EBir würben aber ben Etapmen biefer ©efpreepung über: 
fepreiten, wollten wir biefelben auep auf bie Iprifcpen Sichtungen 
©arini« au«bepnen, unter benen fiep aßerbing« einige perlen 
eepter ©oefie befinben. Stur möchten wir noep jum Scpluffe 
peröorpeben, baß bie fatirifepe Sicptung ©arini«: „11 Giorno“ 
wopl oerbiente, burep eine gelungene Uebertragung in ba« Seutfcpe 
weiteren Greifen al« bi«per jug&nglicp gemaept ju werben. 

Siegfrieb Samofeg. 


Die nettere ttJen&tuu} in ber 3lrdjitektor. 

I. ©oncurrenjgefapren. 

Sin ber Stifter fepönem Stranb, in Hamburg, pat fiep türjlicp 
ein ©reigniß ooßjogen, ba« iu ber ©efepiepte ber Slrcpiiettur 
oießeiept itocp einmal einen ber epocpemacpenbften Säenbepuntte 
bejeiepnet, ben bie „©egenwart" ju notiren wopl ©runb pat — 
e« war bie ©oncurrenj für ben bortigen 9tatppau«bau. 

Sie ©ebeutung ber burep fte gebotenen ©eneratüberfiept 
über ben Stanb ber heutigen beutfepen Slrepiteftur paben audp 
bie ©erliner Strcpitetten für fo erpcblicp gepalten, baß fle ber 
Slu«fteflung in Hamburg eine Säieberpolung in ipren eigenen 
neuen frönen Staunten in ©erlin folgen ließen. Seiber aber 
tonnte ba« pier gebotene genereße ©ilb nur ein oertümmerte« 
fein, ba nur eine ©lüe jur Sarfteßung tarn. 

Saß eine auSgefcpriebene ©oncurrenj jur ©rlangung oon 
©auplänen niept weniger al« anbertpalbpunbert Strcpitetten in 
bie Slrena treibt, ba« Wirb an fiep fepon ein einjig in feiner 


Slrt beftepenbe« gactum fein — oießeiept ebenfo „einjig", wie 
bie nädpfte Urfacpe biefe« gactum«, bie nun fepon oier gapte 
alte unb noep immer unabfepbare ßrifi« e« ift. Sem ®ef<gicpt= 
fepreiber biefer Srifi« Wirb e« an braftifepen Sßuftrationen niept 
mangeln — biefe Summe oon bracpliegenbem tünftlerifcpen 
Stationaltönnen, wie fie in Hamburg fiep bociimentirte, lieferte 
fonft weitere« SRaterial. 

Scplagen wir nümlicp nur gering an, baß jeber biefer ©nt: 
würfe burcpfepnittliep etwa bie Slrbeitötraft jweier 3«cpnet wäp= 
renb oier SRonate abforbirte, fo paben wir bie ftatttiepe Summe 
oon punbert gapren ober 36000 Elormatarbeitötagen — utn 
^cetuba, ein ©pantorn, ein Etiept«, benn baran, baß tein einjige« 
biefer ©rojecte in gleifcp unb ©lut ober oielmepr Stein unb 
SQtörtel fiep oerwanbeln wirb, jweifelt wopl tein eprlicper $am= 
burger, unb bie ©räntienfumme oon 45000 ERart bürfte beinape 
burep bie 9lu«ftattung8toften ber ©ntwürfe aßein fepon oer= 
fcplungeu fein. 

©in ©ergleicp mit ©emälbeau«fteßnngen, bie ja auep ge: 
wiffermaßen oiel tobte« ©apitat reprüfentiren, ift unjuläffig. 
Ser SRater malt nur um be« ©itbe« wißen — ber Slrepitett 
jeiepnet aber, um bauen ju tönnen. Se« SOtaler« ©ilb bleibt 
in ©alerien, im ffunftpanbel, im ©rioatbefig, ober e« empfängt 
boep wenigften« ber Sonne Siegt in be« SRater« eigenem Sitetier 
— ber Slrepiteft aber erpält feinen niept prämiirten ©ntwurf 
meift befepmugt unb befepäbigt au« ben ©oncurrenjauSfteßungeu 
jurüd unb Oerbirgt ipn in buntter SRappe ginftemiß. ERir ift 
e« immer fo oorgetommen, al« fei ber trauerumflorte ©lid auf 
eine fotepe niept prämiirte, irgcnbmo im Säintet be« Slrcpiteftur: 
bureau« fepmaeptenbe ©oncurrenjmappe einer ber trübfeligften 
SRomente be« fonft ja in ber Siegel jiemtiep peiteren Slrepiteften: 
bafein«. 

SBaprlicp, bie 149 Strcpitetten würben fcpwerlicp ju einer 
folcpen §etatombe auf ben Slltar ber ftunft bereit gewefen fein, 
wenn ipnen bie ftrifid niept anbere, rafeper ju Etuprn unb — 
fepnöben SRammonSlopn füprenbe Säege oerfperrte. 

Slber, woju in ben Säunben bft Seit wägten? grepen 
wir un« ber ftaittiepen Summe ber tünftlerifcpen Seiftungen, 
weil fie oorpanben finb, unb überlaffen wir einftweilen noep 
bie grage ber bracpliegenben nationalen Sünftlerarbeit«fraft 
unfern guten „großen Elationalöfonomen", bie ja auep bafür 
einige paffenbe Etefolutionen ju formuliren wiffen werben. 

Stnbere ERomente finb e«, ju beren ©efpreepung bie Slu«: 
fteßung biefer ©ntwürfe in Hamburg aufforbert unb bie ftep 
wopl noep nie fo in ben ©orbergrunb brängten, wie pier. ©« 
ift ein fepr bebentlicpe« unb ein fepr erfreuliche« Spmptom. 
Scpieben wir ba« ©ebenftiepe in ba« ©orbertreffen, um un« 
am ©rfreuliepen naepper befto mepr ergögen ju tönnen. 

©ebenttiep mö^te icp bie Säege nennen, in welcpe arcpi= 
tettonifepe ©oncurrenjen al« fol^pe ju geratpen bropen. gpte 
gnftitution pat noep faum bie ftinberfepupe au«gejogen unb 
fepon nimmt fie ein gewiffe« abertluge« Sertianerwefen an. 
ftinbertrantpeiten waren oießeiept nur bie fepteepten unb nkpt 
einheitlichen ©oncurrenjbebingungen, bie unoerftänbigen ©rei«= 
ricpterwaplen, bie böfen Stu«wücpfe be« ©orbrängen« oon ERittel: 
gut unb naetter Unfäpigteit, unb enblicp bie fcplecpte ©rnäprung 
burep bürftige ©rämienbemeffung. Sie finb unter Slffiftenj ge* 
fepietter Slerjte, wie namentlich be« „©erbanbe« beutfeper Strcpitetten 
unb Ingenieure" unb ber „Seutfcpen ©aujeitung" überftanben, 
ober bodp wenigften« gemilbert. gn Hamburg waren bie ©rei«= 
riepternamen oom beften ßlange, bie ©ebingungen einigermaßen 
flar, bie ©reife oon einmal 10000 unb fiebenmat 5000 ERart 
immerpin acceptabel unb bie erfte Sicptung ber ©rei«ricpterjurp 
füprte boep nur ju einer Slu«fcpeibung oon etwa 70 unmöglichen 
©ntwürfen. Säa« bie Hamburger ©oncurrenj aber mepr al« 
anbere an bebenttiepen ©apnen offenbarte, ba« finb bie über: 
triebenen äußeren Stnfjirücpe, mit benen niept nur bie ©oncurrenj: 
Programme, fonbern oielmepr noep ber maßlofe ©prgeij ber 
©oncurrenten felbft ba« junge Seben fcpäbigen. 

Sie ©rfaprung pat geleprt, baß nur äußerft wenige ber 
in ©oncurrenj prämiirten arepitettonifepen ©ntwürfe aHcp wirtlicp 


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Nr. 12. 


9ie (Segetunart. 


189 


jur ftuSfabrung gelangen, namentlich bei ben großen ©on« 
citrrenjen ift bieS bie teibige, aber einftweilen noch nicfjt ju 
überwinbenbe Siegel unb bie Beftimmung über bie nic^t obtiga= 
torifcfte SluSfabrung beS prämiirten ©ntwurfeS habet ncdj eine 
conditio sine qaa non in allen ©oncurtenjprogrammen. 3>tt 
billiger ©onfequenj faßten atfa bie äufteren Dnfprücbe an Dar« 
fteflungSart, an Sofa, Paftftab unb gorm.'t ber 3ei<bwungen, 
an bie Details in ben Programmen äufterft beleihen (ein. 
Die ©ntwürfe werben, wenn auch jur SuSfübrung acceptirt, 
baju niemals birect bienen, oielmebt immer neue (Entwürfe et: 
forbern. @8 lann atfa in ben Soncurrenjen nicht auf Betäubung 
beS SleifteS in ber Durcharbeitung ber Details antommen, fonbern 
auf Berbeutlicbung eines fünftterifcben. ©ebanf enS, bet bie Sin« 
forberungen beS Programms ju erfaßen ermöglicht. SBer atS 
Strcfateft fotchen ©ebanfen bot unb in 3eichnungen barjufteflen 
Weift, ber Wirb auch Wabrfcheinlich ihn auSjunujjen befähigt fein 
— ob unb wie er auSgenufet ift, baS jcigen nicht rieftge per« 
fpectioifabe ©emälbe mit wunberbaten Staffagen, ibeate, mit 
aßen ftunftgriffen beS DecorationSpinfelS auSgeftattete Ouer« 
fabnitte unb in ber „fdbwarjeit" Panier beS ÄupferftecherS ober 
in ber „farbigen" beS PiniaturmaterS angefertigte f^abenbitber, 
fonbern ju aßermeift bie einfachen Sinien beS ©tunbriffeS. Ob 
ferner ber Berfaffer bie {formen beberrfdfa, befunbet fich bem 
einfichtigen Preisrichter nicht in mübfetig gearbeiteten Detail« 
blättern, fonbern fchon in leicht fangeworfenen Bteiftiftftricben 
irgenb eines ©apitälS, eines ©rferS ober ©iebelS. 3°, bie 
Waftre Sfinftlerfthaft, bie man boch burch Soncurrenjen heran« 
jieben wiß, jeigt fich u. 31. auch gerabe in ber Befähigung, ben 
tünftlerifthen ©ebanfen in fnapper {form jum SluSbrudf ju 
bringen. 

Die ©oncurrenjprogranune faßten baber principiefl nicht 
(Entwürfe, fonbern Sfijjen, Keinen Paftftab unb bie geringft« 
möglichfte Slnjafa ber Blätter Oorfdjreiben, mnlerifdien ©rgüffen 
oorbeugen, bie 3lnwenbung ber {färbe auf bie geometrifdjen 
3eicftnungen oießeicht unterfagen, für bie perfpectioen befchränfen. 
Sn anberem Säße fchlieftt man eine ganje ßafa oon Sfünfttern 
aus unb jwar gerabe bie befabigtften, benen für folchen 3luf« 
Wanb an Pübe meift bie 3<it fehlt unb jiefa fi<h öielmebr bie 
noch in ben Stubien ftecfenben heran, für wcldje bie alabemifchen 
DarfteßhngSmanieren eine noch fa grofte Stoße fpielen. Soncurrenjen 
für ein Hamburger StatbbouS ober für ein beutfcEjeS SteidfatagS« 
gebäube foßen boch ober feine Stubienconcurrenjen fein. 

3m effectueßen 3“fommenbang bamit ftebt ber fich über« 
bietenbe (Sbtgeij ber Soncurrenten, ber ba unberechtigt unb ju 
betämpfen ift, wo er fich in rein äufteren Dingen, wie j. B. 
ber 3(uSjtattung ergebt. Die Steigerung bet Slnfprüdfa in biefer 
Beziehung fahrt ju immer oerwerflicheren SRitteln unb bot fchon 
je|t bie Begriffe ber ©oncurrenjebrenbaftigfeit faft oerwirrt. 

(ES faßte boch nach ben nßererften ©efejjen ber (Ehren« 
baftigleit j. B. bie erfaufte Pitarbeiterfthoft unjuläffig fein. 
Dagegen bilbet {ich biefe ganj ftißfchweigenb nicht nur als Siegel, 
fonbern als ein (Erforbernift ber Prämiengewinnung b er ouS. 
Padbe man uns boch nicht Weift, baft biefe ©emälbebeigaben, 
bie nicht einmal arcfateftonifche 3ei<benraetboben bewahren, in 
iftrer Pebrjafa oon Slrefateftenbänben betrübten. Strcfateften, 
bie fo malen tönnten, triebe lünftierifaber Drang gemift eher in 
bie Palerafabemien DüffelborfS, PüncfanS ober SBtenS, als ju 
unfruchtbaren architeltonifcben Soncurrenjen. Bon ber Unioerfalität 
Picftel SlngeloS finb wir ja einftweilen noch f e b r weit entfernt. 
@S bebarf auch'gar nicht eiuinal b.c Bermutbungen, — bie 
Heranziehung oon tüchtigen unb erften Patern ift ja fo gang 
unb gäbe geworben, baft bie Strcfateften uuteieinanber fich biefe 
Pitarbeiterftbaft auch ߮r nicht meftr oerbebten. 

3lber ber ©fageij bleibt nicht einmal bei ber Snanfprucfa 
naftme oon Patern fteften, er wenbet fich in neuefier 3eit audb 
an bie Buchbinber, an bie ©tafer unb Bergotber. Stiemanb 
beflagt Oießeicht mehr als Schreiber biefeS bie Dürftigfeit ber 
beutfeften StuSfteßungSart, wie fte in SBien unb Pbilabetpbia fo 
traft beroorgetreten ift, unb oerfotgt mit gröfterem Sntereffe unb 
innerfter Sreube bie BefferungSaitfänge, wie j. B. bie buch« 


bänbterifchen Beftrebungen, ju benen namentlich oon Stuttgart 
feit ein bis jwei Safaen ber SmpulS gegeben ift. Die ©olbgrünbe 
aber, bie biefen Stammen, bie Papparbeiterfniffe in Preffung beS 
Papiers ju fdjeinbaren Sletiguienfäftchen, ja bie Pobefle in ©ppS, 
Pappe unb H°4 mit unb ohne ©taS unb Slabmen, wie fte in 
SluSfteßungen architeftonifcher ©oncurrenjentwürfe üblich werben, 
muffen oon einem anbern Stanbpunft aus beurteilt Werben. Sn ben 
inbuftrießen SluSfteßungen, im Budbbaubel, ja in ©emälbe« 
gaterien finb bie jur SluSftattung Oerwanbten Pittel mehr ober 
weniger felbft ©egenftänbe ber SluSfteßung. Die Bitber aber, 
bie ber Drdfateft oon feiner ibeaten Borfteßung eines noch ju 
fdjaffenben BauwerfeS entwirft, finb an fich feine StuSfteßungS« 
gegenftänbe, unb noch Oiel weniger hoben bie fcftöneii ©olbleiften 
irgenb etwas mit bem Bauwerf felbft ju fdfjaffen. Die Dar« 
fteßung einer 3bee wiß baS 3luge jwar in anftänbiger, aber 
nicht in aufbringticher {form. Somit ift biefe übertriebene 3luS« 
ftattung an fich fchon oermerflicb — aber auch hier tritt ein 
SJtotio ber ©efabr b^ju, aus welchem fich für ©oncurrenj« 
Programme bie Slothwenbigfeit ergibt, biefem Unwefen gu fteuern 
Die SluSftattung architeftonifcher ©oncurrenjentwürfe burch 
malerifche Perfpectioen, wie burch rein äufterlicfte Beigaben wirb 
bie PreiSrichterjurp freilich nicht zur Prämiirung oon 3been« 
nieten befteeben, wobt aber wirb fte hier immer eines gewiffen 
©inbrucfS ficher fein unb auf ber anberen Seite wirb fte — Wie 
manche unetflärlicbe, aber gentleman-like unb beSftalb faum zu 
umgebenbe SujuSanforberung — zur ©ewohnfteit eines foge« 
nannten guten DoneS werben. Damit wirb aber wieber eine 
ganje ©taffe oon Zünftlern oon ber ©oncurrenjbetbeitigung aus« 
gcfdbloffen, nämlich bie, Welche einfach bie SRittet zu fotefter 
SluSftattung nicht beftfct unb beSbatb zu Haufe bleibt, ©ebietet 
man in biefen Dichtungen nicht Holt, fa fommt eS noch babin, 
baft bie SluSfteßungen architeftonifcher ©oncurrenzen färben« 
glüftenbe PafartS unb ftimmungSreiche SlchenbacbS in mit (Elfen« 
bein« unb ©maißearbeiten auSgeftatteten Säften, Pappen unb 
Slabmen nach Deirich’fchen ©ntwürfen ober Borbitbern Benoenuto 
©eßiniS oorfübten. Dann bürften freilich nicht mehr 149 Slrchi« 
teften fich on einer ©oncurrenj ju betbeiligen Deigung oer« 
fpüren. Schon jefct ftnb bie jur ©oncurrenjbetbeitigung erforber« 
liehen Pittel abnorm unb gröfter als bie Borfteßung im pubti« 
cum oießeicht oermuthet. ©8 oertobnt fich oießeicht, biefe Be« 
benfen mit einer beifpietsweifen DurchfchnittS«Stpotbeferrechnung, 
welche bie ßoften einer Strbeit, wie bie jur Howburger ©on« 
currenj unmaftgeblich fpeciatiftrt, ju febtieften. 

2 3eicbner 4 Ponate 4 250 Parf . . 2000 Parf 

Sfijjenentwurf unb tbätige Slufftcht beS 

Drchiteften 2 Ponate 4 500 Parf . 1000 „ 

©ratification beS Paters . . . . . 300 „ 

bito beS BuchbinberS .... 100 „ 

©opiatien, Porto :c., . . 50 „ 

Summa 3450 Parf. 

Die 149 Strdjitefien opferten atfa aufter ihrem fünftterifeben 
©ebanfenreichtbum noch baare % Pißion Parf für eine 3bee, 
welche, Hamburger Stimmen nach ju urtbeiten, baS Schicffat 
ber meiften ©oncurrenjibeen tbeilen wirb, nämlich baS — 
fchäfebareS Pateriat ju bleiben. 

ffreili^ war bieS Pateriat noch nie fo im beften Sinne 
beS SöorteS „fdjäbbar", wie in biefem ffaße unb — bamit ju 
bem freunbtichercu Bilbe ber in Hamburg offenfunbig gewor« 
benen neueften SBenbung tn bev Slrchiteftur. 

II. DaS ardjiteftonifebe Äunftwcrf ber 3ufuuft. 

3u jüngfter 3eit hatte ich ©elegcnbeit, einem Bortrage 
beS befannten SunftrebnerS 31... über „Slenaiffance (91. fpricht 
etwa Slänäfangfte) unb Sloccoco in ber ©egenwart" anjumohnen, 
ben er befebeibener SEBeife mit ber nicht mehr ungewöhnlichen 
Pbrafe begann: er moße nur jum Slädbbenfen anregen, unb 
nidEft ganj logifcher, weil baS Slachbenfen abfeftneibenber SBeifc 
mit ber oießeicht recht gewöhnlichen Bemerfung fdbloft: bie oor 
30—40 Sehren auf bie ©ofaif unb feit 10—20 Sohren auj 


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190 


9t* Gegenwart 


Nr. 12. 


Nenaiffance gerichtete Stilbewegung fei nichts als ein hinüber 
nnb Verübet beS ©efdjmacfeS. 

«tfo ©efchmad? SBo^t gar SNobe? Die oorljerrfihenbe 
©erücffidjtigung biefeS testen StilauSläuferS, mit welcher 9t. 
namentlich ber galjtreich erfdjienenen Damenwelt Sanb in bie 
Eugen fitreute, läjst faft fchliefjen, bafs bet ihm bet Schritt oom 
Stil jur 9Robe nicht fo ganj groft ift. 

ffiäre benn wirtlich baS gauje Stubium ber 2tr<hite!tur= 
faulen, bie einer beftimmten Stilrichtung ftch hingeben, nichts 
als eine ©efdjmacfStaune? SBäre ber lange ßampf ber ©otljifer 
unb 9tenaiffanciften nichts als ein ßrieg ber ©up= unb Schneibet: 
mamfeOen gewefen? ©otttob,. fo weit ift es benn boch ntit 
unferer ftunft noch nicht gefommen unb jeber fchaffenbe ffünftler 
wirb etwas oon Söwenenergie in {ich oerfpüren, bie Nlähnen 
fchütteln unb gegen fotdj’ gräuliches fahenfpiel fich aufrichten. 

9tein, wer bie Stilbewegungen ber lebten 50 Bohre «uf* 
merffam unb mit warmem $erjen beobachtet, finbet benn boch 
noch ganj etwas EnbereS heraus. 

Die Kunft ber napoteonifchen Beit, jumal in ber Etdji: 
teltur, war baS Senate einer langen ffunftperiobe, beten ur= 
fprünglid) reine Seftrebungen ihr ben Namen ber „SBiebergeburt" 
oerbienten, bie aber im Saufe eines ©iertetjahrtaufenbS unb hu 
folge beS im 30 jährigen Kriege ooflfüljrten SlaffenmorbeS aller 
fünftterifchen ©eftrebungen unb bann infolge ber DreibhauSgudjt 
frangöfifdjer Sdjwntftgebilbe )u bem Stabium führte, auf welchem 
ein SBeiterbauen nicht mehr, fonbem nur ein ©rfterben noch 
möglich ift/ nnb baS bie Äunft ber Nenaiffance ebenfo abfchlojj, 
wie eS bie beS tlafjifdjen EltertbumS unb beS SNittelalterS ju 
©rabe geläutet hotte — baS Stabium ber Nüchternheit. Stuf 
biefer tabula rasa machten fich bie ©eftrebungen ber 20 er unb 
30 er Bohre breit, fich bie neue ftunft fünftlich ju gieljen. Der 
auSgemergelte ©oben oerfagte aber unb machte bis Oor etwa 
10 Bohren alle erbenflichen ©erfuche, ihn )U bauernber Sru<ht= 
barfeit )u bringen, ju Schanben. ©8 entftanben bie oielen 
Stilfdjulen unb ber elleltifche ©Ijarafter ber Erdjiteftur. 
Sdjinfel in ©erlin unb Älenje in ©tünchen fahen baS #eil in 
ber Burücfführung ber ihinft jur flafftfchen Neinfjeit. Semper 
bichtete in DreSben in „ebler" Nenaiffance. Die ^ofarchiteften 
SubWigS, ©ärtner an ber Spifce, hotten in allen möglichen unb 
unmöglichen Stilen gearbeitet, bie SNajtmilianS mufften einen 
aus allen gemixten *©rei anrühren, daneben gingen Unge= 
Witter in ßaffel oom fpätgothifchen rücfwärts, $afe in §antu>oer 
Pom romanifchen oorwärts, um einanber im beften mittelalter: 
liehen Stil )u treffen. SBienS großes architeftonifcheS Dreigeftim 
Sdjmibt, Raufen unb Verfiel gab ein ©eifpiel ber biametralften 
Nietungen in ber Erdjiteftur ©ines DrteS unb ffiiner 3eit. 
Sie gogen fich olle ein Häuflein Schilbfnappen heran, bie auf 
ihre Bahne als bie alleinfeltgmadjenbe fdjworen, lämpften fo 
weiblich gegeneinanber unb eine Beit lang brohte biefer ftampf 
in einen boctrinären anSjuarten, ber bem ©ublicum fchon her): 
lieh langweilig würbe. 

Da plagte in jüngfter Beit bie ©ombe ber fogenannten 
„beutfehen 9tenaiffance" in baS ftampfgetümmet hinein unb EtleS 
ftob auSeinanber. ©tan war, Wenn nicht )u Stieben, fo boch i u 
SBaffenftiDftanb geneigt unb reichte fich )unäd)ft auf ber ©afis 
ber ©ernunft unb gegenfeitigen Enerfennung bie $änbe. 

3n biefem SBaffenftillftanbSftabium befinben wir 
nnS noch heute unb täglich Wachfen bie EuSfidjten auf 
ben befinitioen Brieben. 

DtefeS ©jtempore war nöthig, um ben ©egenftanb unferer 
©efpredjung, bie Hamburger ©oncutren), recht würbigen )n 
lönnen. Sie hot nämlich manche Äuffchlüffe über ben ©harafter 
ber BriebenSartifel gegeben unb es ift nicht nur politifche 
ftannegiefierei, baS ©ilb ber bort heroorgetretenen Symptome 
in einen beftimmten 9tahmen faffen )u wollen. Dodj )uoor, ehe 
biefeS ©ilb )ur Enfdjauung )u bringen ift, fei ein fur)eS ©in: 
gehen auf ben ©egenftanb geftaitet, ber biefe SBenbung oom 
Äampf )um Brieben )unächft )u SBege brachte, bie längft tobt: 
geglaubte fogenannte beutfdje Nenaiffance. 

Sie fam, wie baS Stäbchen aus ber Brembe, wie fioljengrin: 


„Nie fotlft bu mich befragen, 

Noch ®iffen8 Sorge tragen, 
aBoljer ich fom ber Bah ct / 

Unb wefs mein Nam’ unb Ert." 

BweifelSohne hot bie Ert etwas oon ©aftarbart an fich 
unb ber Name etwas Oon einer contradictio in acfjecto, abge= 
feheit baoon, bah bei ihrer SBiebertaufe fein beftimmter ftünftter: 
name ©atlje geftanben hot. 2Bettn es baher Zünftler gibt, bie 
bie ©giften) biefer Ert leugnen, ben Namen für wiberfinnig 
erflären unb bie „beutfdje Nenaiffance" für nichts als eine ©er: 
quiefung ber Ijeterogenften ©lemente holten, fo ift ihnen baS 
nicht fo gar übel )u nehmen. 

Die eigentliche Nenaiffance erftanb unter ber ladjenbeu 
Sonne BtalienS aus bem ©rabe ber antifen Kunft unb )War 
im prachtliebenben 15. Boljrhunbert, ba eS BtalienS Bürften unb 
Neichen in ber mittelalterlichen ttbgefchloffeuljeit )u enge würbe 
unb bie Zünftler nur in ber römifdjen Äunft eine Söfung ber 
Stage fanben, wie gefteigerten Eufprüdjen an ©Beite unb ©rocht 
fünftlerifch genügt werben fönne. Bu atternächft war eS baS 
Uebertragen oon antifen Äunftbegriffen in ein oerWanbteS 3eit= 
alter, welkes ber Nenaiffance bie SBege bahnte. Bntmer weiter: 
geljenbe ©ertiefungnn bie Ueberlieferungen ber ftntife lieg bann 
auch bie flaffifche Äunftform mit überlaufen. 

So war eS in Btalien fchon lange, fchon über 100 Bohrt, 
als man in Deutfdjlanb noch flon) auf mittelalterlichem ©oben 
ftanb unb fich babei in bie fnödjemen MuSläufe gothifchcr Bor: 
men immer mehr Oerbifj. BiefeS Serbei|en aber in eine fchema: 
tifche Bornt rief enblich auch hier eine Neaction ober oietmefjr 
Neoolution heroor, bie ftch )unächft auch nur gegen bie Bornt 
lehrte. S5er oon Btalien herübertönenbe Särm einer neuen 
föunft, ber oertoefenbe Nei) ber SebenSfteUung italienifher 
Sünftter, bie birecte ©inwirlung italienifcher SBerfleute — alle 
biefe Ntomente ftürmten auf bie beutfehe Äunft ein nnb fchtugen 
fte ba, wo fte am Oerwunbbarften war, in ihren Bormen, ohne 
jebodj ihr eigentliches SBefen )u treffen. ©)er Sern beutfehen 
Sunftmejettö blieb unoerleht. Die Slrdjiteften conftruirten ihre 
©runbriffe nach u>ie oor in gewohnter gothifchcr SBeife ben 9bt: 
forberungen beutfehen SebenS, ihre ©iebet unb Dächer benen 
beutfehen Rimmels entfprechenb, unb Klbredjt Dürer )eichnete in 
berben beutfehen Sinien unb fchatfet ©haralteriftif ohne Sn: 
lehnung an metfdje oerwafchene SBeichheit, wenn er auch bie 
über bie engen ©ren)en beutfehen Stiles hinauögehenbe Bormat: 
behanblung feiner Srchitetturen, feiner ©eräthe unb Stoffe ber 
Nenaiffance entlehnte. So warb alfo bie eigentliche beutfehe 
Srüljrenaiffance ein ©ompromi| unb erft baS ©erlaffen 
ihres mittelalterlichen ©obenS im 18. B«hrhunbert oerni^tete 
bie biefem ©unbe entfproffene fchöne ©lütlje. 

S3enn nun aber bie beutfehe Nenaiffance, fo lange fie ciu 
©ompromifs war, gerabe fo rei)OoDe Seiftungen herOorbrachte, 
bie heute mit ©inem ©täte fo oiele ©ewunberer finben, unb 
wenn in Hamburg bie Srchüeftur ber beutfehen Nenaiffance bie 
oorherrfdjenb gewählte war*), fo fdjeinen mir bamit fdion ©e: 
weife gegeben §u fein bafür, bafe erftenS Stitcompromiffe in 
ber $unft möglich unb erfprie^lich finb unb )WeitenS, bah bie 
heutige ßunft ben Brieben auf ©runb eines ©ompromiffeS 
oerlangt. 

3« ber Beit beS SantpfeS waren bie ©ompromihbeftrebungeu 
oerpönt, fie galten als Äepereten unb bie StitoermifchungSpro: 
pheten, bie hie unb ba auftauchten, als fonbetbare Schwärmer. 
Breil ich u>ar eS fein SBunber, wenn ihre Stimme in ber ©Büße 
oerhallte, benn ihre Seiftnngen waren fchwach, mitunter jogar 
herzlich fchwach- DaS ©rincip oöKiger ©ermifchung war ein 


*) Unter ben 149 entwürfen waren 6 Doubletten unb 18 als ju 
fpät eingelieferte aufjer ©oncurS. Der Neft oon 186 Nummern geigte 
etwa 90 für baS ©ompromifs fümmenbe Nrchitefturen in freier norbifcher 
Nenaiffance, gum Xf)etl rein beutfeh, jum Dbeil beutfehen ©harattcr 
unter oerw.anbten franjöfif^en, auch wohl fpätitalifnifchen Bormen txr- 
bergenb. Nur 6 ©ntwürfe hielten tjeüenifche, 7 eigentlich itatknifche 
unb ca. 24 rein gethif<he Nietung feft. 


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Nr. 12. 


Hie #«gtuwart 


m 


verlehrteS unb in biefer prittcipiellen unb SeiftungSfchwäehe net» 
loren eben auch bie SReubeutfdjen ihre Sjiftenjberec^tigung. SBirft 
man aber einen 9tilcfblid auf bie testen Satire, auf bie Schroff* 
heit ber Stilabftänbe noch oor 10 Satiren unb auf ben freunb- 
licken Sebanlen* unb SbeenauStaufd) non heute, fo jeigt fich ein 
anber ©itb. 

Sn ben erften Perioben ber frieblidjcn 3eit beftanb bie : 
Hnnäljerung nur in leifen Anfängen. Zie $eQenen ©erlinS | 
ftreiften j. 93. if»r unter nörblidf grauem §immel8lichte nur 
verjerrteS Hntlip, ihren in ben Stürmen norbbeutfchen SUmaS 
nicht gewählten EljataRer ab unb machten junächft SBa^eit, 
Echtheit ber Eonftruction, beS SKaterialS jum princip — als 
ihren berechtigten Eigenthümtidjleiten nicht entgegenftehenb. Unter 
Anbetern hat baju auch bie nahe hannoversche Schule oiel bei-- 
getragen. — Zie reinen Sothiler gaben ihren Hnfpruch bet 
Hßeinfetigmachung mehr auf, gingen nach ®erlin unb SBien unb 
lernten an ber bortigen Sroßftabtarchiteltur oor Hüem gro߬ 
artiger bisponiren, bann gewijfe Sefefce, j. 58. baS ber Spnc* 
metrie mehr mürbigen — felbftverftänblitf) immer vorbehaltlich 
aßet gothifchen JRefervatredjte. — Zie IRenaiffanciften erlannten 
mit Einem State bie munberbaren JReije einer freieren Huf* 
faffung ihrer eigenen Hrdjitettur, bie 3Röglid|leit fchöner Eom* 
binationen in Solge beS 58etonen8 ber Serticaten gegenüber ber 
attgemohnten ^orijontaten. Sie bauten auf unfpmmetrifchen 
Srunbriffen h»h e Zädfer, fpipe Siebet, allerlei luftiges Erter* 
unb Zhürmchienbeimert — felbftverftänbtid) ohne jemals einju* 
geftehen, baß biefe Zinge ber Sotljit entnommen feien. So ging 
bie Sefdjichte weiter unb — je|t enbtich glaube ich ben Sefer 
genügenb anSgerüftet reff), bearbeitet ju haben, um ihn in bie • 
Hamburger Äunfthatte einführen ju lönnen. , 

ES war nicht ganj leicht, unter ben ca. 2000 deidjnungen 
ßch SU orientiren. Es War baljer rathfam, bie Säle junächft 
mit hatbgefcßtoffenen Hugenlibem ju burcßeileu unb nur eine 
oberflächliche SRufterung ber Silhouetten aus angemeffener Ziftanj 
ootjunehmen. Sie führte fchon ju eigenthümlicher Erfenntniß. 

93or Satiren galt eS noch als Erforberniß alter gerechten 
Stitfchuten, baß ber Stil eines 93auWerteS ftch fchon in beffen 
äußeren Umriffen bocumentiren müffe. SRodj in Berlin gaben 
bie 9teidjStag8concurren§pläne ganj prägnante Stitfilhouetten, 
entweber ganj ruhige, flaffifcße auf breitefter Srunblage, ober 
n bie $ö1je getriebene gothifdje ober mäßig bewegte ber 9te* 
taiffance. Sn Hamburg ergab biefer erfte SBticf aber fchon gar ! 
fein beftimmtes Stilbüb mehr. Zie Silhouetten waren faft alle 
bewegt, ohne geschloffenen El|aratter ju bewahren. 9lur etwa 
30 Entwürfe, bie aber gräßtentheilS ju bem fchon früher er* 
wähnten ca. 70gliebrigen $aoannaau8fchuß gehörten, hatten bie 
Hnlage von Zhurrnfpifeen ganj verntieben, bie anberen belebten 
bie Silhouette burdf einen ober mehrere Stürme ober Stoppel* 
formen. 

Hber auch ein etwas näheres Eingehen auf biefe IBariationen 
ber Silhouette ließ in Hamburg noch Innen Schluß auf bie 
Stilwahl ju. ßuppetn unb gebrüllte Spifcen gehörten ebenfo 
fehr gothifdjen Entwürfen an, als unter fcplanlen türmen unb 
hohen Siebein SRenaiffancearbeiten fich Verbargen. Sa, eS fcßeint 
fogar fchon ju einem SiebhabereienauStaufch gelommen ju fein, 
ba bie vietfpifcige Hnlage von ben Zeutjd)*9tenaiffanciften ganj 
befonberS bevorzugt wirb unb bie Sothiler fich ber Äuppelform 
mit ©orliebe juwenben. 

Seftatten wir uns nach biefem flüchtigeren ©unbgange einen 
jweiten, etwa auf bie ftenntnißnaljme ber Srunbriffe gerichteten, 
fo ntüffen Wir uns Hngefichts ber jahlreichen ©eijpiele in alten 
Stilen wieberleljrenber gleichartiger Sebanten eigentlich geftehen, 
baß eS für folch größere Hufgaben, wie einen fftathhauSbau, gar 
leinen Stilgrunbriß mehr gibt. Sn ganj Reinen, harmlofen 
Entwürfen mag gothißheS Sühlen ober bie ZiSpofiiiondroutine 
ber IRenaiffance auch ben Srunbriß eigenartig geftatten — obwohl 
audh Hier bie auSfchließtiihe Snanfpruchnahme eines beftimmten 
StildjaralterS bebenRich fein bürfte. Sn größeren Hufgaben finb 
bie niveQirenben Hnfprücfje beS nicht nach StilbiSciplinen fragenben 
^ßublicumS an bie ttrdjitelten bezüglich beS SrunbriffeS ju be= 


ftimmt auSgefprochene. $>ie Sröße unb $öhe ber Stänme, bie 
9Beite ber Eorribore, bie Sroßartigleit ber Ireppenhäufer, bie 
Rare Sotm ber $öfe, ja bie 93ertheilung ber Säume, ihre Eom* 
municalion unb ihr SSebarf an Suft unb ßiCht finb ganj präcife, 
über ben Stilgefe|en ftetjenbe Huforberungen. 

3n Hamburg hat (ich biefe Stage benn auch baljiu ent* 

: fch.ieben, baß ein Srunbriß eines beftimmten StilcharaRerS völlig 
| entbehren lann, um fcßön ju fein, ^aben bo^ bie fßreiSrichter 
anerfannt, baß eS für bie Hufgabe gewiffermaßen einen Sor* 
malgrunbriß gäbe, ber fich halb als ber ihre Hnfotbetungen am 
beften erfüttenbe h^anöS^ftoüt habe. Saß berfelbe aber von 
gothifcßot Seburt ober von Haffijcher 93ilbung fein müffe, bavon 
verlautete nichts. Siefer 9tormalgrunbriß war jur fchönfteu, 
Harften Surcßbilbung gelommen in bem Entwurf von SRgliuS 
unb SSluntfchti in Stanlfurt unb bie Preisrichter, SRenaiffanciften 
wie Sothiler, erlannten ihm einftimmig ben Preis ber beften 
Söfung gu. 2>ie S)u«hbilbuug ber Sa 9 abeuarchiteltur biefeS 
Entwurfes in nicht befter Stenaiffance war nur fChwaCß. 3<h 
glaube, baß ganj nahe, in ben Hamburger Sälen ju atternäctjft 
„hängenbe" Sothiler bei weitem fcßönere nnb butchauS gothifChe 
Seiftungen auf Srunb biefeS prämiirten SrunbriffeS hervor* 
gebracht hätten, ohne auch nur irgenbmo $u beffen ftitiftifcßer 
Hbänberung genöthigt gewefen ju fein. 

Hlfo auch biefer Äunbgang lieferte noch I** ne ft»Iifttf<h*n 
Perfchiebenheiten. 

SSBerfen wir weiter einen prüfenben Plid auf bie fReitje ber 
fcßönen perfpectivi(chen ©ilber, fo fehen wir überall ein gleich* 
artiges ©efireben, perfpectivifdje SBirlung ju erjielen in 
i Sruppenbilbung, materifchem Hufbau, bevorjugte ©erwenbung 
i ber ©erticalen in Siebetn unb Ihürmen unb Unterbrechung ber 
perfpectivifch monotonen ^orijontalen. Stoch nie finb vielleicht baS 
mittelalterliche $ach unb ber h°h e Siebei fo ju ber ihnen ge* 
bührenben Ehre gelommen, wie h‘« * n ben Hamburger Per* 
fpectiven. 

Sreilidj läßt nun ein näheres Eingehen in ©etrachtung ber 
Sagabenbitber batb bie StilverfChiebenheiten wahmehmen, 
man barf aber auch hierbei nicht bie ungeheuere SRilberung bet 
Segenfä^e verlennen. deiner ber befferen Entwürfe Kaffifdjer 
©iChtung greift ju SDtitteln, bie noch 10 Sahren ber Segen* 
ftanb h«ftigfter gegnerifcher Hngriffe waren, jnr ©erfleifterung, 
©ertufChung ber Eonftruction unb falfCher lügnerifch« äRaterial* 

, verwenbung; leinet ber befferen Sothiler vertiert fich in bereinft 
ju gothifchem Princip erhobener Unfhmmetrie; lein Stenaiffance* 
eutwurf verfchmäht ben malerifchen Äeij lebhafteren HufbaueS, 
ja, ber prämiirte Entwurf eines StalienerS in befter Äenaiffance 
hat, inbem er einen hoh«n 2hurm auf eine Ede beS ptahrecht* 
edeS (teilte, bie anerlannt befte Zhnrmlöfung gefunben, in einem 
Sebanlen aüergothifchften EhataRerS. 

Enbtich gehört noch « n öei ber Hamburger preisver* 
theilung h*rvorgetreteneS SDtoment hierher. Zer erfte Preis 
ift eigentlich nur einem Srunbriß ertljeilt, ba bie Schwächen 
bet Sa$aben auSbrüdlich anerlannt finb. Er ift alfo auf neu* 
tralem ©oben geblieben unb forbert biefe Zhatfadje bie Hrchi* 
teRen jur ©earbeitung vor Hdern biefeS neutralen öobenS auf. 
Ueberßaupt geht aus bem ©ericht ber Surp h«* 001 / öon 
ben Herren Egle, Süble, Strad, Serftel, ©afe auf ben Srunbriß 
baS volle Uebergewicht gelegt unb bie SformenauSbilbung eine 
ganj fecunbäre Stage geblieben ift. SEBohl noch nie ift ein 
Spruch von Preisrichtern, bie faft fämmttich Parteiführer waren, 
fo corbial unb frei von aller fütiftifchen SBoreingenommenheit 
gefaßt, wie ^ier. Hn ben jweiten ©reifen participiren ebenfo* 
wohl Sothiler, als bie „ebten" unb bie „beutfdjen" ©enaiffanciften. 

Ziefe Erfcheinungen geben ju benlen. SSBaS oor 10 3ah«n 
als unmöglich galt, bem finb wir jeht gewaltig oiel nähergerüdt. 
Zer von HRün^en octropirte „neue Stil" war ber SReffiaS nicht 
Zie lünftlidje Stilvermengung war ein Unbing. Hber bie Stil* 
annäherung, bie ©efreunbung, ber SbeenaüStaufch unter ben 
verfdjiebenen Stilen, fie werben vielleicht jur h^ilbringenben 
Einigleit führen. SRadjen fie ferner folch’ teißenbe Sortfcßritte, 
fo werben bie Stilgrenjen fich immer mehr verwifchen, unb 


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192 


Sie Segttnttari. 


Nr. 12. 


}eigen fcpon heute, wie Wir fallen, }Wei wcfentlicpe Womeute 
ber Arcpitettur, bie Silhouette unb bet ©runbril, feine Stil: 
unterf«hiebe weht, fo mag am ©nbe auch b' e Seit nicht ferne 
mehr fein, ba bie gornten noch in einanber oerwachfen, 
unb ba bie ftunft, wie in jebet großen Sunpepocpe, wiebet oon 
einheitlichem Streben erfüllt wirb. 

ABoplOerftanbett, biefe Stilannäheruug fann nie mit ber 
abgetanen Wajimiliauifepen Stiloermifchutig congruiren. Sie 
padte ade oorhanbenen Stile in ein Sieb unb fchiittelte fich ben 
„neuen Stil" heran» — bie oben genannte ©ntwidetung bleibt 
eben eine natürliche ©ntwidetung, ein adntälige» ©inwirten 
unb Umbiiben, Wie }. 8. bon ber romatcifcheu Äunp jur gotpifcpen 
bet UebergangSftit be» 12. gaprpunbertä eine ähnliche ganj 
natürliche Gntwidelung peroorbracpte. Ueber bie Art unb SSeife, 
wie bie prognofticirten gormenmobulationen oot fi«h gehen möchten, 
hier ©ermutpungen an}ufteden, würbe ben Nahmen biefe» ©latte» 
ebenfo fehr al» ben mir jugewiefencn Daum überfchreiten pci|en. 
3n erj&hlenber gorrn bie Umriffe ber neueften SBenbung beut; 
f«her Ardjiteltur }ur Anfcpanung }u bringen, mar hier $wed. 

So wie bargethan, faffe ich gegenüber ber ©ingang» mieber-. 
gegebenen troftlofen Anfcpauung bie flaffifchen unb gothifchen 
Dichtungen bet »ergangenen unb bie Denaiffance: unb Doccoco= 
Anwanblungen ber neueften Seit nt» ernfte» Streben beutfcheu 
©eifft» nach ©rforfcpung be» wahren SBefen» aller fi'unft auf. 
©iefe ©erioben mußten burcptaufcn werben, weil man nur auf 
ber ©ruublage einer gebiegenen Äenntnifj aller Stile feftetc 
©oben unb burth bie SBürbigung ihrer @in}elDor}üge bie Wate: 
rialien gewann, auf unb mit welchen man ju bem großen, eine» 
19. Saprpunbert» würbigen ©au be» „Sfunftwerte» ber 3« ; 
funft" in ber Arcpitettur fchreiten fann. 

®a| ba ju gekritten Wirb, ba» ift ba» erfreu: 
lichfte Spmptom ber Hamburger ©oueurreu}. 

fjaititoBer, tm ©ecember 1876. (Eheobot Ungev. 


„ÜlotifreS 4 * an Her Düna. 

@ine }eitgemä|e.Demini»cen} 

Bon 

Hubolph (Stnit. 

Wit bem unbramatifdjpen aller in bramatifcher gönn ge: 
fchriebenen ©ebiepte, mit ©pron» „Wanfreb", hat man in neuefter 
Seit (ich Wei| nicht, ob f«pon früher) ©erfucpe für bie ©üpite 
gemalt, ©en intereffanteften Kommentar }u folgen Aufführungen 
hat nn» ©pron felbft fchon im ©orau» gegeben. Al» er mit 
bem ©ebiepte noch nicht galt) fertig war (e» würbe 1817 in 
ber Schwei} getrieben), äufjerte er p<P in mehreren ©riefen 
an Wt. Wurrap barüber in fehr «harafteriftifcher SBeife. 

3n bem erften ©riefe nennt er e» „eine Art bramatifchen @e: 
bicht», aber oon fehr wilber, metappppfeper unb bunfler Art" unb 
führt fort: „auch habe ich 8 an } untauglich }ur Anffüprung 
auf ber 8fipne gemacht, gegen bie meine ©efepiepte mit ©rurp: 
lane mir ben gröpten SBibcrwitlen eingeffö|t hat". Unb ein 
paar SBocpen fpäter fchreibt er wieber: ,,©a» ©ing, wie Sie mit 
einem ©lid fepen, fonnte für bie ©ühne niemals beftimmt ober 
gebacht werben, ich }Weifele faft, ob überhaupt für bie Deffenfc 
lichfeit.... icp bichtete e» Wirflicp mit einem ©rauen oor ber 
©ühne, unb mit ber Abpcpt, ihr ben ©ebanfen gan} un* 
praftifabel }u machen." 

©a» ©rama, wenn man e» fo nennen will, ift nun bennoch 
auf bie ©ühne gebracht, oor ©erlin fo oiel ich weil in Wüncpen 
unb in SBten. Au|er ber wunberbar tiefen, griiblerifchen unb 
}ugleicp feelenooKen Wupt Dobert Schumann» mögen auch bie 
©letfeper ber guugfrau ein wenig }U ben ©erfuchen beigetragen 
haben. Aber fchon oor fünf 3apren habe ich eine tpeatralifcpe 
Aufführung biefe» ©ebichte» mit angefepen, welche }u ben interef: 
fanteften ©peaterercigniffen gehört, bie mir oorgefommen finb. 
©8 war }u Anfang be» Sapre» 1872 in Du|lanb, unb bie 


Aufführung fanb oor einem lettifcpen ©ublicum in lettifcher 
Sprache ftatt. SBie bie» anfeheinenb wunberbare ©reignip pch 
ooiljog, will ich * n ftür}e berieten. 

©ie Setten bilben in Sieflanb nebeu ben ©eutfehen unb 
Duffen belanntticp ben weniger begabten uitb be»halb mehr unb 
mehr }urüdgebliebenen SolfSftainm. ©8 gibt }War unter ben 
Setten fehr tüchtige, ernft ftrebenbe unb für bie $ebuug ihrer 
Nationalität raftlo» thätige Wänner. SBer oon beit Setten fo(«he 
ernften 8itfe oerfolgt, ber fucht fich }unäcpft beutfehe ©ilbung, 
beutfehe» SBiffen anjueignen - , benn ber ©entfehe ip ben Setten 
i gegenüber ein oiel gefährlicherer Dioal, al» ber Duffe, unb ber 
Sette fucht ihn beShalb mit feinen Witt ein }u befämpfen. ©er 
Heine ©ruchtheil ©eutfeher in ben rufpfepen baltifcpett ©rooinjeu 
hat pch für Sachen ber Kunft unb ÄBiffenfcpaft, gnbuftrie, ©c= 
werbe unb $anbel eine erftaunlicp bominirenbe Stellung }u er: 
obern gewu|t. Wit begreiflichem S'umtner haben bie armen 
Setten bie» ABacpfen be» beutfepen ©eifte» wahrnehmen müpen. 
©ie Weit überwiegenbe Waffe ber Setten gehört ben nieberen 
©olfSfcpicpten an. ©et grembe in Diga hört bie tettijepe 
Sprache nur oon guhrwerfsleuten (©rofcplentutfcpem), ©auern 
unb ©ienftboten. 3n ber Wepr}apt bet beutfepen gamitien in 
! Diga pnb baper auch lettifepe ©ienftboten. Aber bie Wenigen 
gebilbeten Setten in ben Stäbten, oor Adern in Diga, pnb raftlo» 
in ihren ©eprebungen, ben ©eutfehen gegenüber in ihren ©ultur= 
fortfehritten Stanb }u halten, ©ie ©eutfepen haben in Diga 
au|er ihrer bebeutenben ©örfe, ihren gro|en ©efedfcpaftSpäufern, 
©pmnapen, ben ©ilbenhäufern, bem ftattlicpen ©peater, ben 
Runft: unb §anbel»oereinen u. f. w. auch einen fehr gro|artigen 
©ewerbeoerein. gür biefen bepfcen pe ein umfangreiche» eigene» 
©ebäube, unb biefe» enthält u. A. ben gröplen Saal ber Stabt, 
ber wegen feine» Umfang» unb wegen feiner oor}ügti(pen Afuftil 
ju grö|eren ©oncerten benupt wirb, ©or mehreren fahren 
haben nun aber auch bie Setten einen ©ewerbeoerein gegrünbet; 
unb ba fie genötpigt waren, in biefem ©erein ipre ganjen ©e= 
ftrebungen auf $ebung iprer Nationalität }u concentriren, fo 
errichteten fie in bem Saale ipre» ©erein»t)äufeS auch — ein 
tettifcpeS ©h ea t er - 

SBäprenb meine» Aufenthalte» in Diga waren mir fepon 
oft an ben Strapeneden ©peater}ettel in lettifcper Sprache auf: 
gefaden. ©8 waren aderbing» ©ilettanten, welche fpielten, SRit: 
glieber be» lettifcpen ©erein»; aber bie ©orftedungen waren 
burepau» öffentlich, unb Dobermann tonnte pep an ber ffaffe fein 
©intrittsbidet laufen, ©inen fepr lebhaften SBunfcp banaep 
empfanb icp erft, al» icp eine» ©age» in ben beutfepen Seitungen 
Diga» bie Noti} la», ba| am näcpften Sonntag im lettifcpen 
©poater — ©pron» Wanfreb aufgefüprt werbe! ©a» mu|te 
icp mit anfepen, unb icp gewann fepned ein paar greunbe, mir 
babei ©efedfepaft }u leiften. Dbwopl icp oerpepern tann, ba| 
icp eben fo wenig Settifcp oerftepe, al» Spatefpeare» ©ot}ia naep 
iprer ©erpeperung ©nglifcp, fo War ba» ja in biefem gade galt} 
gleicp. war mir ja genug, ©pron» Wanfreb }u fepen, benn 
ipn }u oerpepen, war niept nötpig. ©pron» SRanfreb! ©iefe 
buntel'.metapppfifcpe unb in mannen ©ingen unenträtpfelbare 
fßpantape be» gridenpafteften unter ben gro|en ©ieptern — in 
lettifcper Spracpe! oor einem meift au» ©auern unb ©ienpboten 
beftepenben fßubticum! 

©er ©peater}ettel biefer mertwürbigen ©orffedung liegt noch 
oor mir: 

Angtu bfeefmineefa torba ©airona 
Wanfrebu. 

©a» ©erfonenoerjeicpnil ftimmte gan} genau mit bem be» 
©pron’fcpen ©ebiepte» überein, ebenfo bie barunter pepenbe ©e= 
mertung über ben Scpauptafc ber ^»anbluitg. Unb in ber Zpat 
War ba» Stüd leine blo|e ©üpnenbearbeitung ober gar nur eine 
©enufcung be» ©pton’f^en ©ebiepte»; nein, e» war eine gan} 
einfache Ueberfefcung, wenn auch mit ßüt}ungen. 

©er ©au ber Alpen auf ber tteinen ©üpne war }War niept 
fepr imponirenb, aber bie ©oftüme waren mögtiepft bunt, gtänjenb 
oon Seibe unb ©olbffitter. ©ie Sofcpauer pörten bie ©inloge 
an, mit Wienen, al» ob pe für ba» ©erftänbni| niept nur Augen 


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Nr. 12. 


Sie $ege«»art, 


193 


unb Ohren $u öffnen gälten, fonbern al« ob bie ^auptfarfje burdj 
ben SRunb (Eingang finken muffe. Ob fie eine Ahnung Ratten 
non bem, was auf bet ©ühne öorging, bejweifle id) entfliehen. 
Aber fo oft bet ©otljang fiel, brach ein ftürmtfdjer ©eifall foö, 
benn — e« wat eben ein Schaufpicl in lettijcher Spraye, unb 
ba« genügte. Unb man brauchte bafür nicht Don ben ^Dcutfc^en 
ju borgen, fonbern e« War, roie auch bet Settel befagte, ein 
urfarünglich englifdje« ©tüd. SEBie gefpielt tnutbe, tarnt id) 
ni«jf)t fagen; wenn id) nidjt bie ©brache oerfte^e, fo ^abe id) 
auch »om «Spiel leinen (Sinbrud. Aber id) faf> unb hörte mit 
©egier, unb ich bin überjeugt, ba& meine SRunböffnung mehr 
unb mehr berjenigen Set lettischen Surret glei^fam. 

S)urd| SufaQ Sötte id) anbern Jag«, wie man anf bie 
ganj tolle Sbee biefet Aufführung getommen wat. (Sin begabter 
tettifcher Knabe, bet ba« beutfdje ©tjmnaftum befugte, Satte ©hron« 
SKanfreb in beutfdjer Ueberfefcung in bie #anb betommen. (Sr 
machte ftcf) baran, fie in’« Settifdje ju übertragen unb biefe 
Ueberfefyung wat bem ßeiter bet ©ü^ne, bet eigentlich Sud)= 
btuder unb $erau«geber lettifd)=rujfifcSer ©lättet mar, unb bcr 
bei bet Aufführung felbft ben äRanfreb fpielte, ju befiehl ge- 
tommen. (Sin ©tüd, jwat au« bem Jeutfdjen überfefct, aber 
boch von einem (Snglänber, unb jwar Don feinem ©eringeren, 
al« Sorb ©gron, — ba« wat be« ©erfudic« fdion werth- Unb 
bet (Erfolg Wat ein glanjenber, ohne Stöbert Schumann, ohne 
flewinSh), Hoffart ober Kahle. Jafüt Wat'« aber auch nid)* 
SRanfteb „an bet $üna", fonbern an bet Jaugawa, wie id) 
h«t jum Schluffe bie Ueberfchrift in’« Settifche corrigiren will. 


<JUis ber ^aupfftabt. 


dteika fterfter. 

Die „fcauptßabt" — ba£ ffiort in einem äßnlicßen ©iune gebraust 
mie bai „tont Pari«“ — ßat jept am «uigange bei ©interi eine 
große unb gan$ unermartete gteube gehabt. ©an fann jur ©tunbe 
bie feltene, überani berußigenbe, icß möcßte beinahe fagen: erßebenbe 
SBabrneßmuug machen, mie aufrid&tigei unb maßrei SBoßlmoHen im 
beßen Sinne, bem man unter gemößnlicßen ©ebingungen ßcß feßon 
glüefließ ’fcßäpt, bei bem einzelnen Qnbiüibuum au begegnen, flö^tic^ eine 
gan^e ©emeinbe erfaßt ßat. SSäßrenb meißeni bureß bie 3ufammen* 
ßäufung ber 3ubiöibuen bie ebleren unb anftänbigen Regungen untere 
brfieft unb bie unebleren an bie Oberßäcße getrieben merben, mäßrenb 
fiiebloßgfett unb ©eßäfßgfeit, Reib unb ©eßabenfreube bie Waffen 
bominiren unb ßcß, wenn man non ber „©eit", non ber „©enge" it. 
fprtcßt, bie bäßfaßeu ©täbicate „böfe ©eit", „blöbe ©enge" mie non 
felbft barbieten, &eigt fuß nun bai „ßolbe ©unber", baß Berlin, ja bai 
megen feiner Äälte unb feiner jerfeßenben Äritif oerfeßriene Berlin, auf 
einmal in bem «mte einei liebenben, nacßßcßtigen, järtlicbeu ©ateri 
'ßcß moßlgefäHt. 

Dai junge ©abeben, bai biei ©unber bemirtt ßat, beißt ©telfa 
©erßer; unb ei iß mirflid^e 3ärtlicßfeit, ei iß eine rübrenbe, forgfame 
greunbfcßaß, bie Berlin biefem jungen ©äbeßen entgegenbringt. 

©or etma oier Soeben mar in ben geitungen a u Iefen, baß eine 
ber üblichen italienifcben Dperngefeflfcßaften, mie ße uni feit 3®ßren b n 
beglüefen pßegen, bei ftrott SorßeÜungen geben molle. ©an meiß, mai 
gemdbnlieb non einer folgen italienifcben (^efellfcbaft ju galten iß. 

„@ie mar nießt in bem Xbal geboren, 

©an mußte nicht, mob« ße fam, 

Unb fchnell mar ihre ©pur o er loten, 

©obalb ße bon uni iftbfchieb nahm." 

Die ali ©itmirtenbe namhaß gemachten ftünßler überboten ßd^ an 
Unbefanntheit. Die ©ache nahm benn auch ftunäcbß ihren natürlichen 
Serlauf. $ei ber erßen Sorßeüung oor etma brei ©oeßen mar ber 
große £rolTfcbe ©aal leer; außer ben &ritilem, bie berufimüßig ber 
SorßeUung beirnoßnen mußten, h attcn ß<h nur einige rnenige oon ben 
£euten, auf bie ei antommt, menn öffentliche ©einung gemacht mirb, 
baßin Oerirrt, unb fomit burfte man auch biefer ßngenben ©efeßfebaft 
beinahe mit ©icherheit bai $rognofti!on ßeQen, baß ße bai ©cbidfal 


ihrer Vorgänger theilen unb mie bie 9tofe nur einen ©orgen blühen 
mürbe. 

Drei ©oeßen fpäter, unb in bem großen Ärofl’ßben ©aale iß !ein 
$Iaß unbefeßt! §unberte unb ^uuberte müffen oor ber Dßür oerbdeßlid^ 
mieber umlebren, unb bie ©unft, ber ^orßeßung bei$umobnen, mirb bon 
benen, bie ficb auf normalem ©ege bie Siüeti nießt haben perfebaffen fönnen, 
mit greifen befahlt, melcße an bie berfchmeuberifcben Dage bei inbußrieUen 
Äuffcßmungi erinnern. Die erßen Steißen bei ^arqueti ßnb für ben 
$of referbirt, ber in einer Sottjühligfeit bertreten iß, mie man ße fonft 
nur bei ben außergemößiilicbften fünßlerifcßen «nläffen maßmimmt. 
Der taifer felbß iß jeßon lange bor ©eginn ber ©orßeüung im ©aale 
aitmefenb unb begrüßt feine ©äße. Sille ßoßen ©eamten bei $ofei ßnb 
erfeßienen. Da fießt man ben greifen gelbmarfdjall ©oltte, bie ©inifter, 
bic ßöcßßen ©erireter ber fremben Diplomatie, bie ©otfcßaßer unb ©es 
fanbten; unb meiter im ©aale erblich bai Äuge naßeju alle belannten 
unb berühmten ^erfönlicßfeiten ber fcauptßabt, unb ber Käme ber bor 
menigen ©oeßen noeß gänzlich unbelannten Äünßlerin, melcße bie ßueia 
ßngt, iß ßeute in Wßer ©unbe! 

Die 3üngeven erinnent ßcß nießt, geuge einei fo plößlicßen unb fo 
großartigen Driumpßei gemefen ju fein, bie «eiteren fpreeßen, um ein 
©eitenftüc! ba^u $u ßnben, bon ben erßen Dagen ber fcenriette ©ontag, 
ber $auline ©iarbot unb ber 3ennß ßinb. Dai gefammte ©ublicum 
iß mie cleftrifirt. «üc berufenen ©ertreter ber mußlalifcßen ftritit ber= 
fünben mit einer ©iußimmigfeit, bie gerabeju beifpielloi iß, baß ßier 
eine gan$ ungemöbnlicße, gottbegnabete Äünßlerin bor uni erfeßienen iß, 
bon ber gütigen Katur mit allen ©itteln auigeßattet, um bie ßfcbßtn 
^)ößen ^ erreichen, unb bie unter richtiger ßeitung unb unter berßänfc 
nißooller ©ermertßung ißrer munberboHen natürlichen ©efäßigung biefe 
^öße aueß erreichen mirb. 

Dai ßob ber Äritif flingt bieimal ganj anberi ali fonß moßl, 
menu ei ßcß barum ßanbelt, einer anertannten ©röße ben ermarteteu 
ßorbeer ju fpenben. ©an merft ei ben Äritifeu förmlich an, mie ßcß 
bie ©erfaßer berfelben barüber freuen, ber ungemößnlichen Crfcßeinung 
gegenüber einmal ungemößnlich loben *u !önnen, mit einer §erjlithleit 
unb 3nnigteit, bie bon ber ßeßeren Ueberjeugung bai ©ute ju tßun, 
inbem ße bai ©nte förbern, getragen merben. ©leicßaeitig fann man 
aui biefen freubig unb rücfßaltiloi anerfenuenben Äritilen fo etmai mie 
freunbfd^aftlicße ©eforgniß um bai ©cßicffal ißrei (3ttßfinbei ßerauis 
Iefen, — etmai mie eine mehmütßige «ngß, baß maiOie aurten fteime 
nießt artigen laße, baß mau fie in ber tßöricßten $aß, ißr ©acßitßum 
bureß fünßlicße Dreibßauitemperatur ungebüßrlicß au befdßleunigen, er= 
ßeblicß fcßäbigen, bieüeicßt gar berberbett fönne. Unb biefe angßboüe 
gürforge iß feßr berechtigt. 

©telfa ©erßer iß ein blutjungei ©äbeßen. 3ßre ©timmmittel ßnb 
teineimegi ungemößnlicße; fie befipt nießt einei jener gemaltigen Or¬ 
gane, bie allen ©türmen tropen unb bie fieß bureß ißre impofanten ©er- 
ßältniße ber allgemeinen ©eaeßtung aufbrängen. ©ie ßat nießti «uf* 
faHenbei, nießti ©roßartigei. ©i iß baßer aueß gana natürlich, baß 
bie Leiter ber beiben größten beutfeßen Opern, bie ©elegenßeit geßabt 
ßaben, gfxaulcitt ©telfa ©erßer au hören, acßtloi an biefer befeßeibenen 
unb aitfprucßilofen Äüußlematur borübergegangen ßnb, oßne ben ©er- 
fueß au maeßen, fie für ißre ßerborragenben Snßitute au geminnen. 
3ßrer lieben, einfachen unb poetifcßeit ©timme entfprießt aueß ißre ©r= 
feßeinung: ein einfaeßei, liebei ©efießt mit flugen, fpreeßenben «ugen, 
befeßeiben unb jungfräulich, feine ©cßönßeit. ©ei ißrem gänalicßen 
©angel an ©üßnenroutine — ße mar ja biißer noeß bor feinem er¬ 
heblichen publicum aufgetreten — aeigt ße in ißrer Haltung unb in 
ißren ©emegungen noeß gemiffe Unffcßerßeitcn unb Unbeßolfenßeiteu, bie 
ein feinfüßligei $ublicum, bai bie ©ängerin feßon liebgemonnen ßat, 
liebenimürbig ßnbet, bie aber bon einem fremben $ublicum, bor bai 
©telfa ©erßer nun feßon mit einem berühmten Kamen treten mirb, biel= 
Jeicßt anberi beurtßeilt merben möcßten. 3ßi Repertoire iß noeß flein. 
«Hei, «Hei meiß alfo barauf ßin, baff ©telfa ©erßer fieß felbß unb 
uni gegenüber bie ©ßießt ßat, aHen ©erlocfungen, bie an ße ßerantreten 
mögen: fieß jept gleicß unter ben größten unb anfprucßiboHßen ©erßält- 
nißen au a«Ö c n, ßunbßaft au miberßeßen. 

®i mirb ißr biefe ©ntßaltfamfeit in biefem «ugenblicte hoppelt 
feßmer faHen müffen; ße ßat bon einem Dage aum anbern ben großen 
©cßritt aui ber böHigett Unbefanntßeit in bie ©erüßmtßeit getßan. Die 
nirgeitbi reeßt beaeßtete jugenblicße ^rimabonna einer unbebeutenben 


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194 


Sie 6ej*ii**rt 


Nr. 12. 


italientphen ©efeEphaft wirb heute mit beti erpen lebenben Wnfttem in 
einem Vthem genannt. ©er rauphenbe ©eifaE mup etwa# ©eraujchenbe# 
haben; unb e# müpte fonberbar fein, wenn bet ©eihrauch, bet in biden, 
qualmigen ©ollen $u ihr jept aufpeigt, ihre Sinne nidjt benebeln foEte. 
Vber gleichDiel! Sie mache Die ernPhaftepen Vnprengungen, um in bem 
Taumel, ber fie erfaflen ntnp, pch bodj einige Rüchternheit unb UeBer^ 
legung ju bewahren! Sie gebenle ber ffiahrheit be# ©oltaire’phen Vu#= 
fprnch#, bap e# leine fchwerere Sap gibt, al# einen phneE berühmt ge¬ 
worbenen tarnen: 

„il n’est plus lourd fardeau qu’un nom trop töt fameux“; 
unb Dop fie erparlen muß, um unter biefer füpen Sap nicht jufammen^ 
äubredjen. 

©a§ Eharalterijtiphe in ber ßunft ber (Stella ©erper ip, wie ich 
Phon fagte, nicht ba# Fntyofante, (Gewaltige unb ©ropartige, e# ift ba# 
Stebliche, ba# garte, ba# jungfräulich ^olbe. Sie reibt nicht f|in, fie 
gewinnt; fie padt nicht, pe rührt; fie erphfittert nicht, Pe ergreift. 
Hier hat eS ein günpiger Stern fo gefugt, bap biefe reijenben ©oben 
fofort erlannt worben pnb. E# ip ein unberechenbare* ©lüd gewefen, 
bap (Stella auf ber tleinen Bühne bei ÄroE jum erpen Rial oor einem 
lleinen publicum gefungen ^at. Hätte ihr ©ebut im Cpernhaufe patt- 
gefunben, bem mächtigen Haufe, ba* mit einem Derwöhnten, unb nicht 
immer fchr wohlgepnnten, nicht immer fehr aufmerlfamen publicum 
gefüllt ip, in bem gepern bie ©ofaunen ber Schwerterweihe erbröhnten 
unb morgen ber tolle Steigen be* ©enu*berge# fpult — wer weip, wer 
weip, Wie bann bie Sache verlaufen wäre! Ob ba nicht bie wuchtigen 
Orcheftermaffen ba* befcheibene Organ gebedt, ob fich nicht ber eigen= 
thümliche Rei# ihrer feelenooEen Stimme in bem gropen Raum oor 
ber ©leichgültiglcit unb ftnbolenj bi* #ur Unfenntlichleit oerpüdjtigt 
hätte! 

Fept liegt bie Sache gan$ anber*. 3ept, ba man weip, wie wunbet* 
phön bie Stimm* ip, wie meiperhaft bie VuSbilbung, jept barf (Stella 
in ©trlin, wo itmüer Pe pngen mag, ber DoEen ©irfung pcher fein, 
©ie aber in einer anbercn, noch gröperen, noch anjpru<h#boEeren Stabt, 
in ber pe nicht ©etegenpeit gehabt hat, P<h unter ben ©ebingungen, bie 
pier bie richtige ©elegenheit jur Entfaltung ihrer tünplerifcpen (Sigenart 
barbieten, 511 feigen? ©ie in bem gropen lärmenben ©ari#, ba*, wie 
bie Fama etjÄh^jmfere junge ftünplerin — e* ip wirllich unfere — 
an pch $u lodej^cht? 

3 <h mup ehrlich gepepen, bap ich utir ba* fchüchteme SRäbcpen, ba# 
ich ht« *nf ber ©iniaturbühne bon JhoE an ber Seite ber in unber- 
antmortliche* ©elb gelleibeten ©egleiterin bie ©filme hübe betreten fehen, 
unb ba* un* VEe bur<h ben teufcpen ©ohllaut feiner Stimme, burch ben 
einfachen unb innigen ©ortrag, burch bie meiperhafte äunPfertigleü in 
ber ©ehanblung feiner BHttel entjüdt hat, auf ber riepgen ©fihne ber 
©arifer Oper, h^uter bem gewaltigen Ord)eper, ba* jebe feine Ruance 
berbietet, ba* man übertreten mup, neben Sängern unb Sängerinnen, 
bei benen Routine unb Umfang be# Organ# bie wahre ftunp erfepen, 
gar nicht DorpeEen lann! 

©teile ©erPer gehört $u berfeiben IHinplerfamilie, au# ber Sennp 
Sittb entfprofien ip, unb biefe wupte gan# gut, wa* pe that, al# pe bie 
glän#enbpen Äntrbtetungen, in ©ari# ju pngen, confequent öon ber 
Hanb Wie*; e# war bie richtige Selbperlenntnip, welche bie fchwebifche 
Sängerin leitete. (S# ip ein guter greunb, ber (Stella ©erper bie 
tönen ©etfe au# Simrod# „©amung bor bem Rhein" jept juruft: 
„©ich bezaubert ber Saut, ©ich bethöret ber Schein, 

Entlüden fapt ©ich unb ©rau #/ 4 

Sticht Peinliche Selbpfucht ip e*, nicht ber egoipit* ©unfdh, eine 
au*ge*eidhttete Sängerin bauemb $u erwerben, nicht# Eigennüpige# ip 
e#, wa* nit# biefe Seileit Angegeben hat. ©erltn, ba# (Stella ©erper 
in bie Ihmfl eingeführt, fühlt Pch bielmehr berufen, bafür #u forgen, 
bap bie* tounberbotte ©alent ber ^unp erhalten bleibe unb bap e* nicht 
burch thötichte Ueberfpannung ber Slräpe ju früh abgenupt, burch ^> enr 
3 wang in eine falte Sage berwirrt uub entmuthigt werbe, ©tella 
©erper hat für t>en ©ugenblid nur eine ©erppichtung: leine neuen ©er* 
ppttmtgen einjugehen. Sie benupe bie nächpe Seit, bie ihr nach Äb* 
lauf ihrer jepigen ©erbinbtid^leiten bleiben wirb, ^ur ©erboEtommnung 
ihrer Stubfen, jut Erweiterung ihre# Repertoire*. Sie trachte nach 
einer weiteten ©u#bilbung im bramatifchen Spiele, gu bem pe eine 
imbebingte Befähigung beppt, imb bann — bann bleibe pe bei un# in 
©enttlanb! Sie ip ber beutfepen Sprache boElommen mächtig, unb 


einer wahren ftünplerin bieten P<h benn hoch in ©eutfchlanb noch gan$ 
anbere unb lohnenbere Aufgaben, al# Pe ben ftfinplem in gwnlrefc^ 
gepeEt pnb. Sie werfe bod* nur einen ©lief auf ba# Repertoire ber ©arifer 
Oper: „Hugenotten" unb „©ühelm ©eE", „©ilhelm ©eE" unb ,^uge^ 
notten" in Wohlthuenber Äbwed^felnng! Unb wenn pe nun Wirtlic$ 
fünfzig ©al im 3 a h rc Königin in ben „Hugenotten" unb ©ertpa iw 
,,©eE" gefungen hat, jo wirb pe im günpigen fjfafle am (Snbe be« 
3ahrc# auf berf eiben Ifinplerifchen Stufe ftepen, auf ber pe #u ©nfang 
be* 3ah re * geftanben hat, toieEeicht aber f<hon auf ber abfehüfpgen ©ah« 
ber Routine einige Stufen tiefer geftiegen fein, ©ie ©ojart’ten Opern 
aEein foEten e* fepon bermögen, ©tella ©erper bor bem bri>enflichen 
Stritt über ben Rhein jurüdjuhalten. (Stella ip bie berufenpe ©ojart= 
fängerin, pe bleibe bei un#! STber wie immer ipr Scbidfai Pch gepalten 
möge, wir fdjäpen un# gtüdtich, EteUa ©erper wenigPen# bei bem glfin- 
jenben Beginn ihrer Sauf bahn haben begrfipen ju lönnen, unb unfere 
aufrichtigften ©ünfepe Werben Pe auch fernerhin begleiten. 

_ Paul Cinbau. 


gcoftyat. 


©a* beutfepe Reich hat feine Flitterwochen überlebt unb bie 
fchönen ©age ber ©egeiperung Pnb toorftber. ©arob laffen bie ©olf«= 
oertretet bie ftöpfe pnlen, weinen an ben centrifugalen Bächen be* 
©abplon* an ber Spree unb möchten ihre Harfen fchier an bie ©eiben 
be* ©hiergarten# h^ n 9 en - ©tefe* ©ebapren lann Riemanb ©unber 
nehmen, ber beutfehe Ärt au* Erfahrung lennt. ©ie Oaterlänbifche @e- 
bulb, über welche bie Fremben fpotten, ip leine männliche Rnöbauer, 
fonbern eine pafpoe Apathie, bie juerp fünfzig Fahre ben ©unbe*tag 
ertrug, nach bem ttufPadem oon 1848 pdh unter ©anteuffel* mit 
Stahl’fchen Recht#flo#teln unb ©etlach’fcher pietipifcher Salbaberei üer= 
brämter ©fireaulratie töbtlich langweilte, barauf ber neuen Vera ba* 
Seben fauer machte unb, enblid^ burch fllüdliche, genial oerwerthete 
Eretgniffe in ben Sattel gehoben, leiblich $u reiten anfing. So lange 
ber Enthupa#mu# währte unb über ben unebenen ©oben hinweggatopiren 
lieg, ging VEe# Dortreff lieh- Runmehr ip bie 3*it ber fauren Vrbeit 
gelommen unb e# wirb entfefelich lamentirt. ©er ©efchtup be* ©unbe*« 
rath# in Sachen be* Reidh*gericht* #u ©unpen Seipjig#, wenn man 
gewipe Feremiaben la# unb hbtte, war ein böfe# Spmptom, al* ob 
&ipSi 8 / nach ©oethe# S^ngnip, nicht ein Heine* Bari* wäre unb feine 
Seute, oorlommenben FaEe# gewip auch Obertribunal*räthe, leiblich 
bilben lönnte. Schlimm ip auch ber fädjPfche ©iberpanb gegen bie 
Expropriation ber Eifenbahn. Vber bie Schulb trägt ba# ©erfdhteppen 
folcher ©inge in ben unpolitiphen ©fireau*, bi# bie ftrip* ba ip imb 
aEe ©eit nach itgenb einem Vlejanber phreit, ber ben Shtoten verhauen 
unb ben Darren, welchen bie Vctenphreiber richtig in ben ©intenfnmpf 
gephoben, mit einem ©achtfprudh Wieber Pott machen foE. Unb wegen 
jolcher unb ähnlicher ©inge, beren man Pch nach einigen Fahren laum 
noch entpnnen wirb, foE bie Reich#Pinte in’# forn geworfen werben 
unb im Vngepdjt Europa# werben über bie rüdläupge Bewegung fo 
her&brechenbe ©inge gefagt, bap bie F*an*ofen bie Ohren fpi^en unb 
wirllich glauben, ba# junge Reich 9 e ^ e Won wieber au# Ranb unb 
©anb. Vrn bitterften jeboch wirb empfunben, bap ber Eulturlampf 
etwa# in’* Stoden geräth, nach Sa*ler* unmapgeblicher, Diel Derfchriener 
Vnpcpt auch aWi bi# an ba* Enbe ber Seiten währen bürfte, bie au*: 
erlefenen Streiter baher auf bie fpätere Entbehrlichleit ihrer patriotiphen 
©ienpe gefapt fein mfiflen. Vber ba# ip nun einmal ba* Soo* be* 
Schönen auf ber Erbe. Tout passe, tont s’effaoe, fang fchon ©ictor 
Hugo in feinen guten ©agen, unb auch ber Eulturlampf lann nicht 
ewig währen, ©an braucht be#wegen nicht au* ber Haut *u fahren, 
©er beutfehe ©eip ip mit Rom fchon $u anberen Seiten fertig geworben, 
©ie ©itterung##eichen ber ©eltgefcpichte pnb nicht barnach angethan, 
bap Encpllica, SpEabu# unb Unfehlbarleit noch ^hr lange bie menph* 
liehe ©efeEfchap ennupiren lönnten. ©a# ©ehllagen über bie Ermattung 
be# öffentlichen ©etpe# wiE baher Standern herzlich tinbifch erpheiuen. 
©ie Ftaliener pnb Diel fchlimmer Daran; pe haben nur ^apiergelb, 
werben Durch bie Fiction ihter ©ropmachtpeEung halb in fran*öpkhe^/ 
balb in rufjiphe* Fahctoafler gezogen unb wahren pch Doch ftet* dse 
äuperlich gan# refpectable Haltung, ©eutfchlanb ip ber phlafenbe Riefe, 
Dor welchem Pch alle ©eit fürchtet, währenb er zuweilen Don VlpbrMen 


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Nr. 12. 


SU •tgtttttirt 


195 


geplagt mirb unb bann palb im Draurne Sieben füptt, bie tute eine 
SReminilceng aul feinen Siegeljafyren perübertlingen, fonp aber niept 
Diel auf pcp paben. Die fcauptfacpc ift, ba| Stieben bleibt unb mir 
unferen miriliep emppaften SRotppanb naep unb naep lol merben. Dal 
9uf unb 9b ber Stoepricpten mäprenb ber lepten S^t pot bie 3 °w* s 
nalipen niept gu 9ipem fommen Taffen. 3eber fürchtete mit feinen 
Droppegeiungen über Stieben ober Ärieg gu fp&t gu tommen. Die ben 
Ärieg oorpergefagt Ratten, freuten fu^ über jebel ungünftige ©pmjjtom, 
bal ipnen SReept gu geben fcpien, benn für 8«tung3fcpreiber tommt el 
gar niept ’batauf an, ob bie SEBelt untergept unb fie felbft mit in ben 
Orcul fahren, menn fie el nur recptgeitig gemelbet paben unb oor bem 
Derfcpmiuben no<p freien fömten, bap fie bie (Erften gemefen, bie aul 
beper Duette bie ftataproppe angegeigt hätten. Im fcplimmpen aber 
maren Diejenigen baran, bie pcp guerft für ben ^rieben palbmegl 
engagirt Ratten, bann, feit Sgnatieff feine Obpfiee antrat, umfcplugen, 
ploplicp aber gtanbten, el märe gu früp gemefen unb fie Ratten am 
(Enbe boep noep beffer einige Dage mit bem (Einlenlen in bie beffimipifcpe 
©tiömung märten fotten. $$ mirb ein fangen unb Dangen fein bil 
gum lepten 9ugenblid. 8 um üflüd barf mau amtepmen, bap in ber 
pimmlifcpen Siegion, mo fiep SBopl unb SSBep bon Daufenben entfepeibet, 
bie mecpfelnben SBünfepe bei publiciftifcpen Seberbtepl, mie fiep einft 
Dilmard in (Erfurt aulbrücfte, in folepen Süllen niept aulfeplie&licp be* 
rfteffieptigt merben. 

* * 

SBir fepen uni gu folgenber (Etllärung oeranlapi: 911 bie Dot= 
bereitungai gu ber neuen 9Ronatlfeprift „#otb uitb ©üb" getroffen 
mürben, maitbte fiep bie Siebaction auep an ben langiüptigen Mitarbeiter 
ber „(Segenmart", fcerntUbo Draepoogel in Siem^ort, mit bem (Er= 
fudpen, für „Siorb unb ©üb" fomopl Originalbeiträge, ©epilberungen ber 
ameritanifepen Derpültnifie k. gu fepreiben, all auep im Siamen ber 
Siebaction bie pcrbarragenbften ameritanifepen ©epriftpeller, namentliep 
Drei §atte, Mar! Dmain ic. all Mitarbeiter gu geminnen. Sill felbft: 
oerpänblicp mürbe perOorgepoben,.bap nur mirüicpe Originalarbeiten, 
atfo nur folcpe, bie auep in 9merita bilper noep niept oeröffentUcpt feien, 
oon ber beutfepen Monatlfcprift aufgenommen merben tonnten. 9m 


15. Märg erpielt bie Siebaction ein ©epretben bei fcerm Ubo Draepoogel, 
in bem ein Manufcript oon Drei $arte eingefcploffen mar. $n bem« 
felben piep el, bie califomifepe ©figge Drei Partei fei bon ipm anl bem 
Manufcript bei ameritanifepen Dicpterl übertragen, biefelbe müffe 
fdpleunigft oeröffentlicpt merben, benn bal ameritanifepe Original tönne 
bereitl in oiergepn Dagen gebntdt fein, merbe oietteiept aber auep feepl 
SBoepen ober länger unberöffentlicpt bleiben. Um bie reeptgeitige Der: 
öffentlicpung gu ermöglicpen, mürben bon ©eiten ber Siebaction unge* 
möpnlicpe 9nprengungen gemaept. Die erpen aept Dogen maren bereitl 
pulgebrudtt, unb ber neunte mürbe im lepten Äugenblid noep umgeönbert, 
fo bap ber Dret #arte’fcpe flrtifel am ©cpluffe bei erpen #eftel, bal 
bereitl am 22 . aulgegebeu morben ift, noep aufgenommen merben 
tonnte. 9m 17. 9benbl, alfo grnei Dage nadp (Empfang bei Draipooger® 
fepen Driefel, all bal §eft bereitl aulgebmdt mar, fanben mir in 
einem Derliner Dlatte biefelbe califomifepe ©tigge bon Dret #arte, 
beren 9ufnapme mir unter erpeblicpen Opfern ermirtt patten, unb gmar 
in ber „$oft" unter 9ngabe ber Duelle: „bem «9iem=®o*kr bettetripifepen 
SournaU entnommen'', bal oon §errn Ubo Draepoogel rebigirt mirb. 

Da §ert Ubo Draepoogel uni, mie gefagt, bie Ueberfepung mit bem 
aulbrüdticpen Dermert, fie fei aul bem ameritanifepen Manufcripte 
übertragen, überfanbt unb el unterlaPen, uni barauf aufmertfam gu 
madfjen, bap er biefelbe Uebetfepung fo früpgeitig für fein eigenel Dlatt 
oermertpet patte, bap gleidpgeitig mit ber uni überfanbten fcpriftlicpen 
Ueberfepung im Manufcript bie gebrudte Uebetfepung pier eintreffen 
mupte, ba uni auperbem bal „bettetripifepe 3 <>wrnal" niept eingefepidt 
morben mar, unb. mir üon biefer gleiepgeitigen Dermertpung belfelben 
Manufcriptel teine 9pttuug paben tonnten, fo finb mir unüerfepulbet in 
bie unangenepme Sage geratpen, im erpen $efte einen fepon anber* 
meitig oerbffentlidjten 9uffap, ber uni all eine Originalarbeit angeboten 
mar, ben mir all eine folepe acceptirt patten unb all eine folcpe auep 
ponorirt paben mürben, gn bringen. SBir finb el uni felbp fcpulbig, 
biefe 9upiärung gu geben, fomeit mir Pe eben in biefem Slugenblide gu 
geben im ©tanbe Pnb; benn bie gange ©ituation, bie uni oon einem 
langjüprigen Sreunbe unb Mitarbeiter bereitet morben ift, ip uni einft: ' 
meilen noep ratpfelpaft. p. £. 


Abonnement der „ffgotHitll“ pro II, Quartal 1877. 

Mit der nächsten Nummer schliesst das I. Quartal der „G-e.ge.Tfwa.vt“. Diejenigen 
unserer geehrten Leser, deren Abonnement mit dieser Nummer abläuft, ersuchen wir um baldigste 
JEJmeaevang desselben, damit keine Unterbrechung in der regelmässigen Zusendung entsteht. 
Aboraxerrterfts auf das II. Quartal 1877 werden von allen SucMtandlungen, 
JPostanstallen und Zeitungsexpedftionen zum JPreise von 4 2Uz. 50 If. ent¬ 
gegengenommen. 

Berlin N.W., 32 Louisenstrasse. EXPEDITION UND VERLAG DER „GEGENWART“. 


orb Ult 


(Eine beutfepe Ulonatsfcprip. 

Herausgeber: 'gfauC Einbau. — Perleger: $eorg £fiCfte in Berlin. 

»n monatlidjen heften »on 8 — 10 Sogen fejifonsS. in eleganter Ilnsilattnng mit Kunftiieilagen in Habirnng. 

Preis pro Quartal 5 ZTCarf, pro 3a^tgang 20 BTarf. 

§nBaCt 8c» foe&en ausgegeßmen evften Jbaffe» 

I. ^riebridj Sobenftebt. prolog. ' V. «Ernft Curtius (j.g. 21tben). (S*ie<tf.Ausgrabungen 1876-77, 

H. Q7ilbefm Jenfen. 3Ius ben Banben. Booette. VI. «Emannel (Seibel. Di^tcben ans bent lüintertagebndfe. 

m. Bnboif non Ehering (Äbttingen). Das £eben für unb burdj VH. (Seorg «Ebers (£eip$ig). Alliteration u. Keime im 2lltägifl>tif(ffen 

Anbtre ober bie (Sefefffrfiaft. Vni. ^riebriefc peebt (iuündjen). TfToberne JTlaler. ^ran 5 Eenbadj 


«efefffrfjaft 


V. (Ernjt Cnrtins ( 3 .Atben). (Sriee^. Ausgrabungen 1876 —77. 

VI. (Emanuei (Seibei. DifHctjen aus bent IDintertagebudfe. 

VH. (Seorg (Ebers (Eeipjtg). Alliteration u. Reime im Altägyptifc^en. 
VIII. jriebric^ pedjt (müneben). Dloberne ITtaler. franj Cenbatb. 
IX. Jnlius paver tfranffurt a. HI.). Die englifdje RorbpoU 
e|(>ebitton 18 <5 — < 6 . 

X. Bret^Barte. Der ITtann non Solano. Amerifanifdje Sfijje. 


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196 


9 te •*|tn»«rt 


Nr. 19. 


3 n f e t a f e. 




/€}i» ß«ti«imtes^" \ , r |fyint 

'*** -Äirr 



In meinem Verlage erscheint und nehmen 
Buchhandlungen, Postämter, sowie die Unter¬ 
zeichnete Expedition Bestellungen an: 

Literarische Correspondenz. 

Herausgeg. v. Hans Adam Stölir in Leipzig. 

An der „Literarischen Correspondenz“ 
sind durchweg die bewährtesten und 
nahmhaftesten Kräfte aus allen einschlä¬ 
gigen Disciplinen betheiligt. 

Die Literarische Correspondenz beginnt mit 
dem II. Quart. 1§77. Preis pro Quart. 2 JC 50 . 
Alle 14 Tage erscheint eine Nummer, hoch- 
quart, elegant ausgestattet, 2—3 Bogen stark. 
Nr. I ist soeben ausgegeben worden. 
Verlag und Expedition der 

„Literarischen Correspondenz“, 

Hermann Foltz, Vertogsbaebh. in Leipzig. 

©oeben ift im ©elbftücrlage be$ ©crfafferS, 
3eru{alemerftr. 63, erfd)iencit: 

• Die 

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gfur J^eitungsfefer. 


$ie beftc ©mpfeblnng für eine Sdfung ift itn§weifelljaft bie $ölje ber Abonnentenjafjt unb 
bie fortgejefcte ©teigerung bcrfelbeit. 

s 3Iarf)ioigeube ©totiftif bietet beu fidjerften Sttaaßftab für bie Anerfennung, toelc&e ftdj ba$ 
„berliner Tageblatt" nebft {einen Beilagen „berliner ©onntagSblatt" unb bem ülm 
ftrirteu äBifcblatt „Ulf" bet bem Seihtng le{eitben Sßnblifum in $eutjdjlanb erworben l^at imb 
liefert ben ©eweis, baß ber reichhaltige 3uhalt biejer Leitung felbft bie weitgeljenbften 
Anjprüdje befriebigt. Audj h at »obi ber billige Abonnement4bret4 (5 JC 25 :s für 
alle 3 Platten bie ungemöhnlich große Verbreitung geförbert, welche baS nachftehenbe 2)ofument 
bezeugt: 

„Auf @runb ber Don mir eingejehenett faufmäitnifch geführten &anblung4büd)er ber <£jpe = 
bition be* „berliner Tageblatt" (9htbolf SRofje) $ier befd&einige id; baß bie 

Abonnenten=3 a b* befc „berliner Tageblatt" 

(£nbe 9ttär$ 1876 über 87,500, 

„ 3uni „ „ 88,800, 


©eptember 
Oftober 
9looember 
SJejeniber 
3 anuar 


1877 


41,400, 

45,800, 

47,100, 

48,000, 

49,300 


betragen hat. 9ttit bem l. gebruar 1877 ift bie gafjl ber Abonnenten auf mehr at3 50,000, 
in Porten fünfstgtanfenb ge fliegen unb bat M dne Weitere steigern»! iil heute fartgefeßt. 
©erlin, 20. gebruar 1877. g. ftenninger, 

gerichtlicher ©üdjer^iReüif or." 
3)ie üorftetyenbe eigeutyäubige 9Iamen3=Unterjd)rift be$ perjönlidj befannten unb in ©ierltn 
Wohnhaften gend)tltchen ©üdjer- s JRemfor3 £>errn griebrid) §enitinger wirb hiermit beglaubigt. 
Berlin, ben 20. gebruar 1877. gre&borff, 

Suftijrath unb jftotar. 

$>ie oben angebeutete ©teigerung ber Abonnenten-3«^ tyrt f l( ft &i4 auf ben heutigen Xag 

fortgefept, fo baß ba$ „©erliner Tageblatt" gegenwärtig in einer Auflage üon 51,100 
(Sjemplaren erscheint. __ 


Was verbürgt heutzutage die Beliebtheit 
einer Zeitung? 



H 

8 


Klare und bequeme Uebersichtlichkeit des immer mehr anwachsenden Tages- 
stoffes, enggefasste, scharfe Behandlung der Thatsachen, wie sie dem Interesse 
des Lesers, nicht nnr dem des Publicisten nahe liegen, leichte und doch edle 
Form der Darstellung, anregend uud belehrend zugleich — das sind die Be¬ 
dingungen, die der heutige Zeitungsleser im Drange der Geschäfte an seine 
Tageslectüre stellt, das sind aber anerkanntermaassen auch die Vorzüge, welche 
die „Tribüne“, die in Berlin täglich, ausser Montags erscheint, in immer 
weiteren Kreisen des gebildeten Publicnms willkommen macht. 
Die bnnte Mannigfaltigkeit des Blattes, sein Streben, die Ansprüche 
des strengen Politikers und die Wünsche des Unterhaltung suchen¬ 
den Lesers in gleichem Maasse zu befriedigen, Ernst und Scherz 
in anmuthender Weise mit einander zu verknüpfen, haben der 
„Tribüne“ im Laufe der Jahre die Beliebtheit in allen besseren Gesellschafts- 
cl&ssen mit stetig steigendem Erfolge zugewandt. Deutlich und zielbewusst in 
ihrem politischen Streben, anregend und fesselnd in ihrem Unterhaltungs¬ 
stoff, ist die „Tribüne“, getragen von der Gunst ihrer Leser, geworden, was 
sie heute ist: eine der beliebtesten über das ausgedehnteste Lesegebiet ver¬ 
breiteten Zeitungen Deutschlands. 

Die engen Verbindungen der „Tribüne“ mit hervorragenden politischen 
und parlamentarischen Kräften werden nutzbar gemacht durch eine Auswahl der 
tüchtigsten Mitarbeiter auf publicistischem Gebiete. Der seit Jahren bestehende 
feuilletonistische Ruf des'Blattes, wird durch spannende und geistvolle 
Romane, Novellen, Skizzen etc., von der Hand der ersten Kräfte der 
deutschen Schriftstellerwelt in ungeschwächtem Maasse fest erhalten, so dass 
die „Tribüne“ nach allen Seiten hin auch den verwöhntesten Ansprüchen des 
heutigen Lesepublicums zu genügen weiss. 

Dazu bietet sie noch ausserdem ihren Abonnenten das auf dem Felde des 
Witzes und der Satire längst und unbestritten zu den weitaus besten Er¬ 
scheinungen gezählte illustrirte humoristische Wochenblatt „Berliner Wespen“ 
als wöchentliche Gratis-Zugabe und darf sich solchergestalt einer Vielseitigkeit 
rühmen, die nur noch von der verhältnissmässigen Billigkeit übertroffen wird. 
Der Abonnementspreis für die „Tribüne 11 mit der Gratisbeilage „Ber¬ 
liner Wespen“ beträgt nämlich für das Vierteljahr für Berlin 6 JC 50 
für auswärts nur 6 JC 30 ^ ohne und 5 JC 70 X inclusive Postbestell¬ 
geld und nehmen zu diesem Preise sämmtjlche Postanstalten des Deutsehen 
Reiches Bestellungen entgegen. 




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$icr)S cia foofgett Mer „fort aak ®ü# ", «lat fteatftc 9taa«tff4rift. 
gtracr ciae (Beilage Ma btt £aageaf4eikt’f#ea SerlsgltaitiaaMaag ia Vcrtia. 


Sekorttoa, yerft» 8.wv8ttü*n&ra6t na 


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13 . 


^etfiu, kn 31 , SKärg 1877 . 


XL Band. 


Die 6fgcmimi1. 

Söoc^eufc^rift für ßitcratur, ihrnft unb öffentliches ßeben. 


Herausgeber: *^attf tu SBertin. 


|tka fwäfltei nfotiit (tu graut. ßerteaer: «wrg «tUle in Berlin. >”« P* 4 gbtl 50 gf. 

8» bfgb^eit bur$ alle ©uchHanbrungcn unb ©oftanfialtrn. Snferatt jebet «rt pto SQefoaltene $etityeile «Mßf. 


ÄibeiiSlofigleit unb ÄuSfcanberung. S$on Dannenberg. — ©elft unb Statur. $on (Ebuarb öon ^artmann. (Seeluft.) r— 
Ck.fC.fi. Äitenrtiif itttfc Ättnfl: Did) ruft ber Sen§. $on Stlbert Draeger. — Deutfdjer SRonbfdjein. ®on 3o§anne$ ^roeffe. — (Eilt 
9toman non Anzengruber. Söeforodjen bon Sfrifc SKaut^ner. — Das Urbilb ber §al$banbgejdjMjte. SBon $aul Sinbau. — 
Stotizen. — Snfetate. 


^rbeitsloltgkeit nnb Xusaattbernng. 

©ang 2)eutfcf)tanb tönt non Etagen über maffenhafte unb 
noch ftets gunehmettbe Arbeitslofigleit wieber. j)ie <Sultur= 
tämpfer im preufjifchen Abgeorbnetenljaufe haben es ficb nicht 
nehmen taffen, auch biefe bequeme gut ^anb liegenbe SBaffe 
bera ihnen über AtteS berbafjten ©liniftertum an ben Kopf gu 
werfen unb, aus angeblicher ©üdfid)t auf ben ©othftanb ber 
Staffen, bie für ben Umbau beS ßeughaufeS geforberten Selber 
gu berweigern. ®ie Conferbatiben, bie SBirthfcha ftSreformer, 
bie Agrarier, unb wie alle bie oerfdjiebenen SRuancen einer unb 
berfelben ©tunbfarbe fich nennen mögen, werben nicht mübe 
immer bon Steuern gu behaupten, bofj bie burch bas Actiengefefc 
bom Suni 1870 eingeleitete mirthfchaftliche ©etiobe nothge= 
brungen gum Sftuin beS ©rioatcapitals, gur erfd)öpfenben Aus* 
beutung ber ehrlichen Arbeit, gum Slenb ber hanbavbeitenben 
©taffen habe führen müffen. ®ie gortfdjrittspartei geht nicht 
gang fo Mit, aber auch f* e h a h in ber unter ber Aegibe ihrer 
Sorpphfiw gufammenberufeuen groben ©laffenberfamntlung in 
©erlin, nicht übet ßuft gegeigt bem Staate bie Hauptfchulb 
an bem gegenwärtigen gebrüllten $uftanbe beS ArbeitSmarfteS, 
gugufchieben. 3h r TDunaer war eS, ber im Abgeorbnetenhaufe 
ben Antrag auf fdjlennige ©erwenbung ber gu öffentlichen ©auten 
bewilligten. Selber ftettte, um bamit ber Arbeitslofigleit im ßanbe 
abguljelfen, unb Dr. ©lajc Hirfck ber äBortfütjrer ber Sewerf- 
oettiue, ben bie ©erliner §ort(äjritt3partei einem gorefenbed 
gegenüber, mit bem Stufgebot aller ihrer Kräjtetbei ben ©et- 
liner Stichwahlen glaubte butchfe&en gu foüen, rennte in jener 
©erliner ©erfammlnng ben ihm guhörenben ©taffen ©arceüirung 
uttb ©erlauf ber StaatSbomänen unb ©efeitigung ber Saig» 
fteuer als wirlfame ©littet gur ©efeitigung ber gegenwär* 
tigen Arbeitslofigleit öorfdjtagen. ©on ben Socialbemotraten 
braucht man gar nicht erft gu reben. Sie haben in jenen geiten, 
als ber Arbeitgeber mit bem fönte in ber föanb bem Arbeiter 
nachlief unb ben faulften uno wenigft befähigten ©urfchen 
burch baS Angebot ftets fteiaenber ßö|ne gu Überreben fud)te, 
ihm täglich einifl« ©tunben feiner ©tufjegeit gu opfern, öon ber 
f^mählichen AuSfaugung beS bebrüeften Arbeiters burch baS 
blutgierige Capital borgefchwafct. @8 ift felbftoerftänblidj, baff 
fie jefct, wo bie SHttge fich beinahe umgefehrt haben unb eS 
faft ebenfo febwer fällt Arbeit gu finben wie früher Arbeiter, 
näht unterlaßen, bie färben noch bider aufgutragen unb bie 
oorhanbene Arbeitsloftgleit als ein jebem baoon betroffenen 
Arbeiter gugefügteS perföntidjeS Unrecht gu begegnen, für wel= 
djeS ber befteljenbe liberale Staat im Sangen unb jeber eingelne 
Arbeitgeber im Specietten oerantwortlich gemacht werben mitffe. 


Aüe ©arteien ohne Ausnahme fcheinen, wenn man auch natür* 
lieh ihren guten SBiüen, ben burch bie augenblicftiche ®e= 
fchäftsftodung am härteften ©etroffenen gu helfen, aufier gmeifel 
iaffen mu|, hoch oor Allem befltffen, ben gegenwärtigen guftanb 
für ihre ©arteigweefe auSgunufeen unb baljer erlfärt eS fich 
wohl, bafe man bis jefgt noch nirgenbS baSjenige ©littet er= 
wähnt finbet, welches bei oorbanbenem ©langet an ©efchäf* 
tigung faft allein rafd) wirlfcfme Abhülfe gewähren lann, aüer= 
bingS aber auch feiner ©arteitaftif irgenb einer Art bienftbar 
gu machen ift: bie AuSwanberung. 

Unb boch liegen bie S)inge grabe im gegenwärtigen fjraüe 
fo, bah für einen fehr grohen ^hrü beS oorhanbenen UebelS 
nur oou ber AuSwanberung eine Abhülfe gu erhoffen ift. Um 
biefeS gugugeben braucht man nur eine Crfchetnung gu ftubiren, 
bie aüen mit gewerblichen Gingen ©ertrauten gwar burchauS 
geläufig ift, im groben ©ublicum aber anfdjeinenb bis jefet gar 
leine Beachtung gefunben hat. SBie immer, fo finb unb werben 
auch bieSmat bei eintretenbem Arbeitsmangel gunächft bie weniger 
tüchtigen Arbeiter enttaffen. SDaS ift natürlich unb wirb non 
ben ©erfechtern beS aügemeinen gleichen £ag= refp. SBochen= 
tohneS ftets angeführt, wenn ©egner biefer ®inrichtung auf ben 
Unfinn hinweifen, bem glrifüßcn wie bem faulen, bem Sefchidten 
wie bem Unfähigen ben gleichen Arbeitslohn fichern gu woüen. 
Sie argumentiren: bie naturgemähe ©erfchiebenheit im ArbeitS* 
oerbienfte bei gleichem Arbeitslöhne wirb fich f$ on barauS 
ergeben, bah ber beffere Arbeiter bei entftehenber Nachfrage 
guerft Arbeit erhalten, bei nachtaffenbem ©egehr am fpäteften 
wirb entlaffen werben, wäljrenb bei bem weniger begabten 
baS Umgefehrte ftattfinbet, fo bah fchon hierin ein genügenber 
Antrieb gum Streben nach ©ertooülommnung »orhanben ift. 
©S ift f)ier natürlich nidht ber Drt, bieje Xheorie näher gu 
erörtern, umfomehr ba gegenwärtig bie ©erhältniffe noch eine 
befonbere Seite barbieten, auf welche bie gewöhnlich« Schablone 
nicht pafft. 23er plö|li<he, fprungweife Auffchwung unferer 3n- 
buftrie in ben fahren 1871—72 machte bie gewöhnlichen 
Dueüen, aus benen ber regetmähige ober auch normalen 
©erhältniffen wachfenbe ©ebarf an Arbe^räften bis bah in ge= 
bedt würbe, burchauS ungureichenb. Mä gur H era nbilbung 
oon ßehrlinpen war natürlid) nicht t>orb||Bn, wo eS fich barum 
hanbelte, bie galjl ber wenigftenS bettTSahren nach gu ben 
erwadjfenen Arbeitern gu redjneuben Snbiowuen plö^tich unb 
rafch gu fteigern; baS Kleingewerbe, baS fowft fo oß unb itt 
fo grobem Umfange als bereites ©eferooir für ben Arbeiter^ 
bebarf ber ©rohinbuftrie gebient hatte, tonnte biefeS ©lat nidjt 
aushelfen, ba ber ©langet an brauchbaren Hilfsarbeitern Port 
halb noch ßtöher war als h* er - •. 


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Ü* tSegettttutrl. 


Nr. 13. 


m 


SaS einjige AuSlunftSmittel in biefec berlegenßeit, beffeit 
man fid) beim aud) im umfangreicßften Waße bebiente, blieb 
bie §eratijief)uttg non Kräften aus beit ber Snbuftrie an fid> 
fernfteßenben Arbeitsgebieten, alfo namentlich aus ber Sanb 
wirtßfcßaft. ^^eits genügte bie Kunbe non ben in ben Snbuftrie? 
gegenben auch für bie rohe, ungeübte ArbeitSfraft gezahlten 
hohen Söhnen, um bie bisher an bie ©djoße gefeffelten 
länblicßen Sagelöhner, Knecßte unb Wägbe aus ben in 93ejug 
auf bie ©ntloßnung ber Hanbarbeit jurüdgebliebenen ©egenben 
mobil ju maeßen unb fie borthin ju führen, roo man auf 
ihre Sßätigteit einen fooiet höheren SK5erth legte; tßeils bilbete 
fich auch rafch ein Agentenwefen aus, baS bem Sreiben ber 
, amerüanifchen Runner unb {»genannten gleifcßmatler wenig 
f nachgab, unb wobei namentlich auch bie Verleitung jum 
brueß ber in ihrer Heimat eingegangenen Arbeits»erträge 
eine große SRofle fpielt. Sie ßaßl ber aus ben öftlicßen in 
bie weftlichen ißrooinjen ober auch nur ö °nt ßanbe in bie 
nächfte größere ©tabt »erfefcten Arbeiter jäßlt nicht nach 
Hunberten unb Saujenben, fonbern nadh ßeßntaufeuben. 51m 
jaßlreicßften traten biefe, bis baßin in ber inbuftriefien Sechnil 
ganj ungeübten Arbeiter, bei ben bergwerfen, namentlich ben 
Kohlengruben, ferner bei ben ©ifenßütten unb ben fonftigen 
ßweigen ber Wetaflinbuftrie ein. Wan oerwenbete fie fo gut 
eS eben ging bei ben gröberen unb einfacheren Hantierungen, 
bei ben AnfbereitungSarbeiten, bei ben ©eßmiebefeuern, wo 
ein fräftiger Wann nad) einiger ©ewößnung junt ßufcßlagen 
mit bem großen Hammer immerhin mit fRußen ju »erwenben 
war, u. bgl. m. Auf irgenb welche befonbere 5luSbilbung 
biefer Seute würbe natürlich nicht gef eben, baju hatte man 
leine ßeit, unb man woßte ja überhaupt Arbeiter haben 
unb leine Seßrlinge, auch waren biefe Seute meiftenS über 
bie Saßre hinaus, in benen baS 5(nlernen noch eine »erßält= 
nißmäßtg leichte Sache ift. Wau nufcte fie beSßalb aus, fo 
gut es eben ging, fteßte fie an, wo es paßte, unb behielt fie, 
fo lange man fie brauchte. Sekt aber braucht man fie nicht 
mehr. 3 n golge ber bebeutenoen Abnahme ber inbuftrießen 
Shätigleit ßot man je|t an ben wirtlich gelernten Arbeitern 
mehr als genug, unb fomit hat bie berwenbung für jene ißalb? 
gelernten Arbeiter ober bloßen Sagewerter aufgehört. SEBer wirb 
benn auch, wenn er um benfetben Sohn einen wirtlichen ©cßloffer 
betommen tann, einen bloßen Sanbarbeiter behalten, ber fich 
nothbürftig einige Hanbgriffe mit bem Hammer angewöhnt hat. 
©o aber geßt es bureß bie ganje Snbuftrie, bis jum Klein? 
gewerbe herunter. $u Saufenben finb jefct biefe Arbeiter brob? 
los, unb baS große ißmölem, wohin mit ihnen? ift um fo 
feßwieriger ju löfen, als es mit ber nächftliegenben unb am 
fdjeinenb fo einfachen 5lntwort: „ßurüd baßin, woher fie ge? 
tommen", ßier nicht geht. Sßre früheren 5|Mä| e f»nb entweber 
»on 51nberen eingenommen, ober aber, unb baS ift in feßr großem 
Umfange ber gafl, bie burch ihren Abjug eingetretene Ver¬ 
legenheit hat bie länblicßen Arbeitgeber gezwungen, ju Wenfcßen 
erfparenben Wafcßinen ißre $uflu<ßt ju neßmen, bureß beren 
(Einführung jefct bie früheren Arbeiter bauernb entbehrlich ge? 
worben finb. ©ie tönnten alfo gar nießt jurüd auf’S Sanb, 
and) wenn fie woßten. Sie ganj überwiegenbe Weßrjaßl aber 
wiß aud) gar jitrßt. @S ift eine aßbetannte Sßatfacße, baß länb? 
ließe Arbeiter, bie eine ßeit lang baS ftäbtifeße Seben getoftet 
ßaben, nur in ganj feltenen fräßen fieß bereit finben laffen, 
wieber in ißr früheres SBerßältniß jurüdjuteßren, noeß feltener 
aber bafür wieber taugen, ©ie jießen bie ©enüffe ber ©tabt, 
bie bort ßerrfeßenbe größere Ungebunbenßeit fo feßr oor, baß 
felbft ßößere Sößne fte nießt wieber auf’S Sanb jurfidjujießen 
»er mögen. @o würbe »or Kurjem conftatirt, baß in Halfen 
nod) in biefem Augenblide bie befeßaffung ber erforbertießen 
länblicßen ArbeitSträfte bie größte ©eßwierigteit maeßt, obgleicß 
in Hamburg, Altona unb ben umliegenben gabrilorten Saufenbe 
»on Arbeitern unb Arbeiterinnen, bie aus bem benachbarten 
Holftein unb Wecflenburg bort ßingejogen, oßne Arbeit finb, 
uub obgleich ber Soßn für einen tücßtigen Knecßt auf bem 
Sanbe jefct naßeju hoppelt fo ßoeß ift, wie in ber ©tabt. 


Söäßrenb aber biefe Wenfcßen in ißre frühere Sßätigteit 
Weber jurüdlönneit nod) woßen, finb aud) bie AuSficßten, bie 
ißnen bie Snbuftrie für bie ßutunft bietet, troftloS genug. 
Sie jeßige ©efcßäftsftodung ift fo groß, baß auch °on ben 
gelernten Arbeitern ein erßeblicßer brudjtßeü gegenwärtig außer 
Sßätigteit ift. Siefe finb in erfter SReiße ba, um bei etwaiger 
SBieberbetebung beS ©efcßäfts bie neueingerießteten ArbeitS? 
fteßen ju füßen. ©ine SBaßrfeßeinticßleit eines folcßen Auf? 
fcßwungeS aber, ber bie Arbeitgeber nötßigte, aueß auf bie 
nicßtgelernten Arbeiter jurüdjugreifen, liegt ficßerlicß feßr fern, 
fo fern, baß bie Wittel woßl nirgenbS auSreicßen werben, biefe 
Wöglicßteit abjuwarten. Ser britte Ausweg aber, »on bem 
man fid) ja ßie unb ba »iel ju oerfpreeßen feßeint, öffenttieße 
Arbeiten nämlich, möcßtc fieß boeß als ein reeßt trügerifeßer er= 
weifen. Aße Wittel, welcße jeßt für öffentliche Arbeiten, fei 
es beS Staates, fei eS ber Vr<wtnjen, Streife unb ©emeinben, 
fei es enblicß großer ©efeßfd)aften, angewiefen finb ober beim 
näcßft »erfügbar gemacht werben tönnen, reid)en bei SBeitem 
nießt an bie Höße berjenigen ©ummen, welcße bis »or jwei 
Saßren aßjäßrlich für äßnlicße ßwede auSgegebeit würben 
unb bureß Sie alfo bamalS meßr Wenfcßen SBeßßäftigung fan- 
ben als jeßt. ©oß ßier gegenwärtig wieber eine größere Sßätig= 
feit entwidelt werben, fo ift nießt ju »ergeffen, baß aueß bie 
arbeitenben Hänbe, welcße fpecieß biefer Sßatigleit gewibmet 
waren unb augenblirflicß ebenfaBS jum großen Sßeile feiern, 
noeß »orßanben finb unb ficßerlicß ben befdjäftigungSlofen 3n= 
bnftriearbeitem wenig Staum laffen werben. Sem ©djreiber 
biefeS ift ein galt belannt, in welchem ein Unternehmer »on 
(Erbarbeiten, ber 150 Wann gebrauchte, im Saufe einer ÜBocße 
über 1700 Anerbietungen »on früheren wirtlichen (Erbarbeitern 
erhielt, oßne baß er aueß nur eine Anzeige erlaffen hätte. 
SaS bloße münblicße H«tuwfprecßen ber Wöglicßteit, ßier einige 
Wonate Arbeit $u erhalten, hatte genügt, biefen ©trom »on 
ArbeitSfraft ßerbeijurufen. Sie AuSficßt, in biefer Sticßtung 
bem ArbeitSmanget inbufhdeßer Arbeitet Abßütfe 3 m 
barf getroft als feßr gering bezeichnet werben. 

©S bleibt alfo für ben gegenwärtig unb »orauSficßtlicß 
noeß auf längere in Seutf^lanb nießt jn »erwenbenben 
Ueberfcßuß an namentlich ungelernter ArbeitSfraft lein anberer 
Ausweg, als bie 5luSWanberung. Sleiben bie Seute ßier, fo 
finb fie faft unrettbar bem Proletariat unb jwar ber fcßlimmften 
©pecieS beSfelben, bem nomabifirenben Pro{etarta4«perfa(ien. 
Sie ©täbte, in benen fieß biefe Seute befinben, treiben ißr 
WöglicßeS tßun, fie, foweit fie noeß nießt ben UnterftüßungS= 
woßnfiß erworben ßaben, auf ißre H^twatgemeinben abjrn 
Wäljen. Siefe werben umgefeßrt fidß naiß Kräften ber braßen? 
ben Armenlaft etweßren. Sie golge wirb fein, baß bie baoon 
^Betroffenen in ein förmlicßeS SSagabonbiren ßineingeratßen, 
baS binnen Kurjem aueß ben etwa noeß »orßanbenen Sieft »on 
fittlicßem H°U austreibt. Umgefeßrt aber würbe ber ßier be- 
fproeßene Sßeil ber gegenwärtig Arbeitlofen in ben gefeßilberten 
Verßältniffen befonbere IBorbebingungen für einen glüdlidjen 
©rfolg im gaße ber AuSwanberung beftßen. ©ine Wifcßung 
»on (Erfahrung in länblicßen Arbeiten mit einer, wenn au^ 
noeß fo partiellen, Uebung in teeßnifeßen gertigfeiten ift grabe 
baS, was ben auf fieß felbft gefteßten AnSwanberer am 
rafeßeften emporbringt. Sie gewerblichen ©efcßicflicßleiten, welcße 
in ber H^iwat nießt auSrei^en, ißn als »oßgültigen gewerb? 
ließen 5febeiter ju legitimiren, tönnen boeß in ber neuen £>ei* 
mat unter raußeren tBerßältniffen »on gerabeju unfcßä|barem 
aSJertße fieß jeigen. Unfere Weinung ift bemnaeß, baß bei ber 
egenwärtigen ArbeitSftodung eine umfangreiche AuSwanberung 
aS befte Wittel jur Abßülfe, baS tBortßeilßaftefte fowoßl für 
bie Hierbleibenben wie für bie fjortjießenben wäre. Vun liegt 
aßerbingS eine ©eßwierigteit in bem Umftanbe, baß in ben 
bereinigten ©taaten, bie noeß immer baS Hauptziel ber bmtfe 
feßen AuSwanberer bilben, bie berßältniffe gegenwärtig ftg nn 
»iel günftiger fteßen als bei uns, unb fomit namentlich fftr 
inbuftrieße Arbeiter wenig SBedodenbeS ßaben. 

Sie bereinigten ©taaten bilben jeboeß nießt ben einzige« 


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Ä* 


jr 



Kr.' 13 . 


die ©egntmurt. 


199 


3uflu(ptSort für Denjenigen, ber außerhalb ©uropaS eine 
©tätte ju<pt, bie ipin feine Arbeit beffer lopnt, als eS bie 
Heimat augenblicklich netmag. Sluftralien, Neu=©eelanb, baS 
(laplanb, bie fßlata»£änber, enblicp <Süb=S8rafilien bieten bem 
arbeitsfähigen unb arbeitswilligen AuSwanberer burcpauö loh' 
nenbe ÄuSficpten. Die Daujcnbe, welche jept theilS ihre lebten 
Sparpfennige in Hoffnung auf eine Vefferung aufjepren, ju 
ber für’S ©rfte wenig Au8ficpt ift, ober bie fiel) bereits auf 
Armenunterftüpung getroffen, würben ihr eigeueS Sntereffe am 
beften wahren, wenn fie borthin ihre ©<pritte lenften, um fich 
ein neues forgenfreieS £>eimwefen ju grünben. 

SBären wir in ©nglanb, fo würben wir bie Vilbung non 
QomiteS norfchlagen, um ben aus folgen ©rünben gortjie» 
henben ju |>ülfe ju tommen, wie baS feiner 3«t anläßlich 
ber Vaumwollennoth mit ben äBebern SancajpireS, fpäter mit 
ben Schiffbauern an ber Dpemfe unb noch bei manchen anberen 
Gelegenheiten ber galt gewefen ift. 3n Deutfcplanb aber bürfte 
man mit einem folgen Vorjcpiage wohl noch nicht fommen, 
benn hier gibt es noch S u *>iele Seute, bie nicht ju begreifen 
oermögen, baff unter Umftänben ein fianbSmann über bem 
ÜJieere bem Vaterlanbe unb feinem Volte nüpltdjer fein fann, 
als wenn er ju jpaufe geblieben wäre. ©benjo wenig oerlangen 
wir Oon ber Regierung eine birecte görberung ber AuSwan» 
berung; aüerbingS aber, baß fie biefelbe wenigftenS nicht be= 
pinbere. SBir glauben, baß bie neueften Erfahrungen, nament= 
lieh i>ee ffanbalöfe gaQ in Antwerpen unb baS ungestörte Vliipen 
ber fogenannten inbirecten AuSwanbererbeförbetung, fie barüber 
belehrt haben wirb, welchen gehler fie beging, als fie unter 
bem ©injluß ber um ihre Sagelöhner beforgten länblichen ©roß» 
grunbbefiper jene 3teipe oon Veftimmungen erlieft, welche bie 
reellen jeßpaften, unb barum ber Sluffidjt ber Negierung ju» 
gänglicpen ©jpebienten unb Agenten in jeber SSeije hemmten 
unb einengten, währenb fie jebodj ben ©orowsfis unb jener 
©orte oon ©eelenoerfänfern, bie, weil überall unb nirgenbs 
ju.4 p au f e-unb außen ©tanbe etwas ju oerlieren, bem ©efepe 
unerreichbar finb, nothgebrungen freies ©piel laffen mußte. 
Sßenn es oor einigen 3ahren — als oon je 10 Arbeitern, bie 
oon fßreußen, ffSofen, ©cplefien tc. weftwärts jogen, höcpftens 
einer fiber’S 3Weer ging, bie anberen aber bie anfeheinenb über» 
ooden gleifcptöpfe ber Snbuftrie aufjuchten — noch oerfuept 
werben fonnte, jenen ©inen burch allerlei ^olijeimafregeln jurüd» 
jupalten, fo wirb man jept wohl etwas anberS über ben Söertp 
oon URaßregetn benfen, beren pauptfächlicpfte SBirfung gegen» 
wärtig ift, baS ungehemmte Abfließen berjenigen ©lemente ju 
erfchweren, bie fich unb ben ©emeinben, in benen fie fich au f : 
halten, §ur Saft, bem Staate aber eine mit ber Beit ftets 
fteigenbe ©efahr finb. hierauf unb auf ben engen Bufammen» 
hang, welcher jwijcpen ben Söeftrebungen jur Sinberung ber 
ÄrbeitSnotp unb ber AuSwanberungSfrage befteht, pinjuweifen, 
fchien uns einmal fehr am fjSlape ju fein. 

Pannenberg. 


(ßeifl tmb tlfltnr. 

S3on Cbuarb von ßartmann. 

Vorgenanntes Verhältnis bewahrheitet fich au cp gefchi<htli<h 
babnreh, baß bie Naturwiffenfcpaften burch nichts fräftigere Mn» 
ftöße ju neuen Dpeorien unb ffintwidelungSricptungen erhalten 
haben, als burch bie Naturppilofoppie, welcpe ihrerfeitS wieber 
weit mehr burep bie ©eifteSppilofoppie «nb bie oorjugSroeife auf 
bet lepteren fußenbe SRetapppfit, als burch bie Naturwijfen» 
{(haften felbft begrünbet unb geförbert worben ift. So tommt 
es benn gar leicht, baß bie Naturwiffenfhaften einer V«iobe 
auf einer Naturppilofoppie bafiren, welche einer rücfftänbigen 
SRetapppfit entlehnt ift, unb beSpalb fich in einem reactionären 
SBiberftanb gegen bie injwifcpen errungenen gortfepritte ber 
SRetapppfit befinben. AIS in ©nglanb ber rationaliftifche ©m» 
piriömuS eines Socfe, in grantreich ber rationaliftifche DeiömuS 


unb SRaterialiSmuS ber ©ncptlopäbiften, in Deutfcplanb ber 
rationaliftifche DpeiSmuS SBolfS bereits bie tonangebenbe SReta» 
pppfit waren, bewegten fich bie Naturwiffenfcpaften berfelben B*it 
noch in ben abergläubifdjen Neften einer oorrationaliftifchen 
Naturppilofoppie. 3efct, wo längft bie naeptantifepe beutfepe 
SRetapppfit biefen bürftigen unb feiepten Nationalismus pofitio 
überwunben hat, finb bie Naturmiffenfdjaften noch gänjtich iu 
ber Naturphitofophie biefeS fenfualiftifcpen Nationalismus ftecten 
geblieben, unb beginnen foeben erft, fiep mit bem Durchgangs» 
puntt oon ber üRetaphpfit beS 18. ju ber beS 19. gaprhunbertS, 
b. p- mit ftant näher betannt ju machen.*) ©egen bie 3Reta= 
phpfit beS 19. gaprhunbertS unb bereu Naturpijilofopbie ba» 
gegen oerpalten fie fiep entfepieben reactionär im Sinne ber» 
jenigen beS 18. gaprhunbertS, unb finben fiep in biefer Nücf» 
ftänbigfeit noep burep ben ungtücflicpen Umftanb beftärtt, bap 
fie fiep auf bie Uebereinftimmung mit ber NaturWiffenfcpaft ber 
auperbeutfepen ©ulturlänber berufen tönnen, Welcpe burepweg ben 
ppilofoppifcpen Stanbpuntt beS 18. gaprpunbertS noep niept 
überwunben paben. gm 20. gaprpunbert werben fie fidp oiel» 
leiept ebenfo reactionär auf bie ÜRetapppfit beS 19. ftüpen, auch 
Wenn biefe bann bereits überwunbener Stanbpuntt fein fottte. 

Nun berupt aber bie fpecififcpe beutfepe ©eifteScultur ber 
©egenwart, infoweit fie ben geiftigen ©ntwicfelungSftabien ber 
übrigen Völter überlegen ift, burepweg auf ber Vh‘l°f«>Ppw beS 
19. gaprpunberts. Die ©tpit Kants unb gicpteS, bie ©efcpicptS» 
ppilofoppie Hegels, bie äftpetifepe unb piftorifepe SJettanfdpauung 
ScpellingS, bie Naturppclofoppie unb ber VtffimiSmuS Scpopen» 
pauerS, baS finb bie ©runbjüge ber VPPfiognomie unferer peu» 
tigen eigentpümlicpen ©eifteScultur, baS finb jugletcp bie ibealen 
Vrincipien, auf beren ©rpaltung unb träftiger gortentwitfelung 
ber gebeiplicpe Sulturfortjcpritt ber 9Renfcppeit für bie näcpfte 
Beit berupt. SBenn eS einer rücfftänbigen Naturppitofoppie ge» 
länge, biefe ibealen VilbungSfactoreit ju fturjen ober auep nur 
ipre ©nergie burep Untergrabung beS ©laubenS an biefelben ju 
fcpwäcpen, fo wäre baS ein niept wieber gut ju maepenber cultur» 
gefcpicptlicper Scpabe, ein unermeßlicher Verluft beS-üRenfcppeitS» 
geifteS an ibealen ©ütern, unb beSpalb liegt in ber Ueberpebung 
einer einfeitigen Naturppilofoppie unb iprem äntärapfen gegen 
bie ibealen ©rrungenfepaften ber neueften beutfepen ©eifteS» 
entwidelung niept nur ein principieüer tpeoretifeper grrtpum, 
fonbern auep eine fcpwere prottifepe ©efapr. Die tpeoretifepe 
Vertennung unb Verteprung beS wapren VerpältniffeS jwifepen 
Natur unb ©eift muß jweifetSopne eine prattifepe Scpäbigung 
ber Stellung beS ©eifteS gegenüber ber Natur jur golge paben. 
Unb barum ift eS Vflicpt Sitter, welcpe ben tiefen Niß unb bie 
unüberbietbare Kluft jwifepen ber materialiftifepen unb meepa» 
niftifepen Naturanficpt unferer Dage unb ben ebelften unb pöcp» 
ften ibealen ©ütern ber beutfepen ©eifteScultur ertennen, Vartei 
ju ergreifen gegen bie oerfuepte SReifterung burep eine aus ihrer 
bienenben Vejiepung jum ©eifie perauSgeriffene unb auf ben 
Dpron gefepte Natur, unb bie Scplacpten beS ©eifteS jn feplagen 
niept bloS gegen pfäfftfepe Verbummung, fonbern auep gegen 
naturoergötternbe ©ntgeiftigung beS KoSmoS. 

Scpon graffirt unter uns ein epibemifeper Unglaube an ben 
©eift, gegen ben als natürliche, ja icp wage ju fagen: peilfame 
Neaction, ber Stberglaube an ©eifter im Scpwange gept. Denn 
ber Aberglaube an ©eifter oertennt jwar bie natürliche Vcbingt» 
heit beS inbioibuellen ©eifteS, aber er rüttelt boep niept an ber 
©jiftenj beS ©eifteS felbft, wie ber materialiftifcpe Unglaube an 
ben ©eift, ber ba oergeffen pat, baß er bie ©tiftenj einer Natur 
erft behaupten barf, weil unb infofern er bie ©fiftenj beS ©eifteS 
behauptet, bie ber erfteren ju iprer Vebingung bebarf. Das 
leßtere ift alfo eine weit gröbere Verteprtpeit, als baS erftere, 
unb beSpalb muß namentlich bie ftubirenbe gugenb oor jener 
noep weit bringenber gewarnt werben, als oor biefer, ba fie ipre 
©infeitigfeit unb Verfcprtpeit in ben Schein ber Wiffenfcpaft» 
liepen ffijactpeit einpüQt, unb namentlich, unterftüpt burep bie 


*) Sgl. meine „®ef. ©tubien unb Auffäpe" C. II. „Anfänge naher* 
miffenfcpaftlicper ©elbfterlenntniß". 

* 


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300 


Dtftfegcnmurt. 


Nr. 13. 


Menbenbe Steupeit beS Darwinismus, gnr Beit «ne epibemifdje 
StnpednngStraft erlangt pat, bunt) bie mancher nicpt gang fattel* 
fepe ppitofoppifdje ®opf in ©erwirtung gelebt worben ift. Um 
fiep biefem ntobemen 3auber gu entstehen, bagu brauet eS aber 
nichts »etter, als eine ©efinnung auf baS wapte ©erpättnifj 
non (Seift unb Statur, baS in bet meepaniftifcpen SBeltanfdpauung 
auf ben ftopf gefteHt ift, unb bie (Erinnerung an bie golgen für 
bie ©eipeScultur, welcpe folcp’ eine tpeoretifcpe Setleprtmg auf 
bie Dauer aucp in ptaftifeper $inficpt naep fidj sieben mufj. 

Sitter praftifcpe 3beali8mu8, möge er in etpifcper, äftpe= 
tifcper, religiöfer ober wiffenfdjaftiicper ©eftatt auftreten, ftammt 
attein unb auSfcptiefjticp aus tpeoretifcpem 3bealiSmu8. Der 
(Staube ip’S, ber ben ©itten befepleufjt; bet Glaube an bie ob= 
jectibe 2Baprpeit ber gbeen füprt gu §anbluitgen, bie burcp 
©ettöpumtg ©emütpäbiSpofttionen pintertaffen, welcpe auch naep 
bem ©cpwinben jenes fie ergeugenben ©laubenS noch fürjere 
ober längere Beit fortbepepen unb für ba8 ^»raftifdje ©erhalten 
mafjgebenb bleiben. Darum ift e8 wapr, bafj in unferet ©ene= 
ratibn tpatfäcpticp üiel praftifcper 3beali8mu8 gu finben ift, ber 
bem Stängel an tpeoretifcpem gbeatiSmuS gum Drop befielt 
unb eble grücpte geitigt. 216er e8 ift fatfcp, au8 biefer Xpat= 
fadpe eine ooreilige ©eraßgemeinetung gu sieben, unb ben ©ap 
aufjufteHen, bap ber praftifcpe SbealiSmuS gang wopt opne bie 
©apS eines tpeoretifcpen 3beati8mu8 hefteten fönne. Denn 
biefe SOtateriatipen unb Staturforfcper bergeffen babei nur ben 
einen Umftanb in Segnung gu ftetten, bap fie bloS batum 
DiSpofitionen gum ^rafttf<f)en SbealiSmuS paben, weil ipre ffiäter 
unb ©ropoäter nocp tpeoretifcpe ^bealiften waren, unb bap iprc 
©öpne unb ®n!el eben beSpalb, weil fie fetbft ben tpeoretifcpen 
SbealiSmuS ipnen al8 Sßufkm barftellen, auch aufporett »erben, 
praftifcpe Sbealijten gu fein unb bafür gu praftifdjen 3Kateria= 
liften unb Stipiliften werben nrttffen. @8 ift wiberfinnig, 3been, 
bie ber ©erftanb als gtlufionen burepfdjaut gu paben glaubt, bocp 
pralttfd) mit bem #erjen als gbeale feftpatten gu wollen, als 
ob fie nicpt Sflufionen, fonbetn SBaprpeit wären, unb eben weil 
bieS wiberfinnig ift, muft entweber ber ©erftanb fid) non Steuern 
bem tpeoretifcpen gbealiSmuS guwenben, ober er mup bie Sbeale 
beS $ergen8 afltnäpliep gerfepen unb gerfreffen, bis nur nocp ber 
tope ober berf^tagene ©ubümoniSmuS übrig bleibt, ber enblidj 
burcp ben IßeffitniSmttS gum StipiliSmuS verflüchtigt wirb. Diefer 
ißtocep ift unoermeibtid), unb fepon jept bient ber praftifepe 3fbea= 
liSmuS nur gu oft als blopeS fitnftlicE) oorgellebteS geigenblatt, 
um aus einem Step ibealipifeper ©epam bie ©löge einer ibeen= 
lofen SBeltanfGattung notpbürpig gu berbeden.*) 

Stun pat aber in ber Dpat ber ©erftanb alle Utfacpe, non 
feiner mecpanipifcpen, naturoergötternben Dppofition gegen ben 
tpeoretifcpen ober objectiben SbealiSmuS Stbftanb p nehmen, 
fobalb er fi^ bas oben auSeinanbergefefete ©er^ältnig oon üftatur 
unb (Seift oergegenwärtigt. 3ft bie Statur an unb für fid) be= 
trautet etwas ©eiftlofeS unb StrmfetigeS, fo ift es lein SBunber, 
ba| eine StaPrpbdofop^ie, welche bie Statur ot)ne ©ejiebung 
auf ben (Seift betrachtet, in ©erlegenlieit gerätlj, wenn fie in 
berfelben Qbeen entbeden foU. Sft aber bie Statur ber Durchs 
gangSputdt ober baS 2Jtittet für ben (Seift pr bewußten @nt= 
faltung beS i^m implicite unb unbewußt eigenen 3nfyatt8, fo 
brauet man fie nur als baS ©erljeug für biefe Seiftung p 
betrauten, um allen ibealen Steiddbum beS ©eifleS in i^t öorauS= 
pa^nen unb als beftimmenb für ihre ©efcbaffen^eit in i^r 
burdhfd|immern p fetjen. Dann erfdieint bie StaPr fofort als 
^öc^p geifWofl unb ibeenreidj, ba ber ganp ibeale ©ehalt ber 
©eijieSWelt in i^r teteologifcf) oorgebilbet ift. hierbei ift es 
gang gtei^güttig, ob alle ißhänomene beS bewußten ®eifteä= 
lebenS 3ummationSp^änomene aus ben ©ubjectioitäten ber ©es 
ljirnatome ftub, ober ob nod) anbere p^pfifc^e gunctionen in 
biefetben eingepen, bie nicht in ben Sttomen als folgen ent= 


*) «gl. bie genauere ©egtftnbung biefer Behauptungen in meiner 
3 $rift: „SteutantianiSmuS, ©cbopenhauerianiSmuS unb Hegelianismus" 
II. 2 ange=«aitjinger 8 fubjectioiflifcper ©Ieptici 8 mu 8 , B. Die «pilofophie 
als Düptung, ©. 82 — 118 . 


palten fhtb. ^ebenfalls ift bie Statur baS SBerljeug gur ®nt= 
faltung beS ©eifteS, unb fo gewifj ber tpeoretifcpe SbealiSmuS 
in einer burd) falfcpe Statnrppitofoppie nicht corrumpirten ©eifteS^ 
ppitofoppie eine felbftoerftänblicpe <5adje ift, fo ge»i| mu| er 
audj in jeber StaPrppitofoppre feine Stnerfennung finben, info= 
fern biefetbe ipre Singen nicht palSftarrig gegen bie ©egiepung 
ber Statur gum ©eifte oetf^liept, welcpe allein ben Sinn unb 
bie ©ebeutung ber Statur im SBettgaugen auSmacpt. 

28er an bem ©runbfap feftpält, bafj in ber ©jptication beS 
Mtt=©inen SBeltwefenS nid|tS perauSlommen lann, »aS nicpt 
fcpon impticite brin ftedte, ber lann aucp nicpt leugnen, bap bie 
ibealen ©cpäpe beS SKenfcpengeifteS, bie bocp gewifj nocp nicpt 
bie pö^ftmöglicpe ©eifteSentfattung repr&fentiren, allein fcpon 
pinreicpen, um bie in ipnen gu Dage tretenben ©runbibeen als 
©dpfeiler beS ibealen Snpott* beS ?llls®inen anguetlennen, bie 
für ben gangen ©ang feiner ©splication unb ©ntwideluug be= 
ftimmcnb finb. 2Ber fiep ferner oergegenwärtigt, bap aucp ber 
Snpatt ber realen Statur bur^ ©eftimmungen conftituirt wirb, 
bie auS bem ibealen gnpatt beS ©eifteS entlepnt finb, bap fie 
aber bie ärmften unb bürftigften ©runbtagen biefeS reiepen 
©efammtinpattS bilben, ber wirb aucp lein ©ebenlen mepr 
paben, bie Sbealität beS SnpaltS bet realen Statur angu» 
etlennen, unb nur fiep Har gu maepen, bap bie Statur eine »eit 
niebrigere DbjectioationSftufe ber 3bee repräfentirt als ber 
©eift, welker unS aus unmittelbarer Grfaprung gum ©erglefcpS= 
object geboten ift. Die grage naep bem Slntpeil ber Sttome 
unb iprer S®ittenS= unb ©orftellungSfunctionen bei bem 8u : 
ftanbelommen ber pöperen 3nbioibuatgeifter rebucirt fiep bann 
auf bie grage naep bem ©erpältnip ber oerfepiebenen Dbjecti: 
OationSftufen ber Sbee gu einanber, welcpe icp anberWärtS*) be 
panbett pabe. ©S ergibt fiep babei, bap eper bie pöperen (Stufen 
ber 3bee in ben nieberen entpatten gebaept Werben tönnen, als 
umgefeprt, obWopt bie SRealifirung ber nieberen ©tufen bie ©or- 
bebingung für bie Stealifirnng ber pöperen ift, bap aber alle 
gufammen als ©artialibeen in bet abfotuten Sbee aufgepoben 
finb, beren actuellet Snpalt in jebem SJtoment beS ©receffeS 
eine einpeitlicpe Totalität bilbet, ebenfo wie ber fnbftantielle 
Dräger biefeS ©roceffeS ©iner ift. ©onaep bepött in jebem galle 
ber tpeoretifd>e SbealiSmuS feine Sßaprpeit nicpt nur unabhängig 
oon aller Staturppilofoppie, fonbern aucp in ber Staturppilofoppie 
fetbft, mag biefelbe fi^ nocp fo antiibealiftifcp nnb materiatiftifcp 
geberben. 

3n ber Dpat gept in ber 2Belt SltleS natürlicp gu; aber 
ber ©inn aller biefer natürlicpen ©orgänge ift bocp nur ber, 
bap in jebem Hugenblide ein übernatürliches Stefuttet auS ipnen 
peroorgept. Die Statur felbft grengt an jebem ipwt fßunlte 
rüdwärtS unb »orwärtS an bie ©ppäre beS Uebernatürlicpcn; 
rüdwärtS, inbem bie fie conftituirenben ©lemente, foWie bie 
©efepe, benen biefetben unterworfen finb, etwas fepteeptpin 
UebernatürlicpeS finb, — oorwärtS, inbem fie überall bie 
©ubjectioität ber ©mppnbung unb bie gbealität beS ©ewupt* 
fein« auS fidp gebiert, welcpe gleichfalls als über ber Statur 
ftepenb gu begeiepnen finb. Denn ber ©eifi ift gwar infofern 
natürlicp, als er burep natürliche ©ermittelung bebingt ift; 
aber bieS betrifft ip« nicpt als feienben, fonbern nur als 
werbenben, b. p. nocp nicpt feienben, — ober mit anbern SBorten, 
eS betrifft nicpt ipn als ©eift, fonbern nur feine ©eneftS. SIS 
©eift bagegen ift er über bie Statnr tpunttpoep etpaben, weit oben 
in ipm eine weit pöpere DbjectiOötionSftufe ber 3bee repräfettirt 
ip als in ber Statnr. @r hat bie Statur nicpt nur pinter ßcp, 
fonbetn aucp unter fiep, obfepon er in feinem Seben unb SBirfen 
überall an bie Safts natürlicher ©ermtttelnngen nnb baburep 
aucp an bie in ber Statur gettenben ©efepe inbhsect gebunben ip. 

Unter fotepen Umftänben ift eS ein oergebftcpeS ©emüpeu, 
bie materiatipifepe Statnrppilofoppie beS 18. 3aprpunbertS peute 
nocp aufreept erpalten gu wollen, welcpe ben @eift «IS ein gu* 
fälliges Stppenbij ber Statur betrachtet, baS b«t Staturforfcper 


*) «gl. meine ©djrift: „9teutanttani8mu8, ScpopenpauerianitaHtt 
unb §egetiani8mu8", VI, Str. 4. ©. 360—359. 


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Nr. 13. 


mit <5eg<nnmrt. 


201 


nißt» tociter angele, anftatt bie Statut al» Organon be» ©eifte» 
ju begreifen, ©benfo oergebtiß aber ift ba» Surüdgteifen auf 
©t«nojo, beffen SOtetaptßfif ul® erfte priitciftieüe 3bentität8: 
pljilofopf)ie jwar immer bon unfßäßbarem SBertlje bleiben Wirb, 
ber aber butdjau» feine Stauung bon bem magren SSer^ättnife 
bon Statur unb ©eift befaß. 3«bem er bie Statur auSfßließliß 
unter ber Kategorie ber StuSbeßnung, ben ©eift lebigiidj unter 
berjenigen be» ©enfen» befaßte, unb bie Äraft unb ben SBißen 
bergaß, erftarrte ßm bie 3iaturpl)ilofopl)ie ju einem energie= 
lofen ißematiißen SÖteßaniSmu» unb öerflüßtigte fiß bie ©eifte»: 
pl>ilofopl)ie ju einem einfeitigen 3nteßectuali8nui», unb Statur 
unb ©eift rütften burß ba» gelten be» berbinbenben SBißen» 
ju einer billigen Vejiehung»lofigfeit auSeinanber, bie nur burß 
ba» formelle Vanb ber ©inen ©ubftanj roiebev oerfnüpft würbe, 
©en Sbentitätsbegriff feiner SStetaplßfif überfpannte er ju einer 
abftracten ©iuerleißeit ber Verfnüpfung unb Orbnung ber ©ingc 
in ber Statur unb ber 3been im bewußten ©eift, unb feßte 
biefe an ©teile ber lebenbigen SBeßfetwirfung. ©abuvß machte 
er eS fiß unmöglich, bie Vebingtljeit be« ©eifte» burß bie Statur 
unb feine Stüdwirfung auf bie teuere, furj bie SBeßfetwirfung 
betbet ©paaren ju würbigen, unb barunt fonnte er bie ganje 
Vebeutung ber Statur als SOtittel für bie Verwirflißung unb 
ßutfaltung ber 3been im Sißte be» Vewußtfein» «ißt oerfteßen. 
Obwoßl er fonaß bie Orbnung unb Verfnüpfung ber ©rftßei= 
nungen in beiben ©pßären als eine matßematifcß ober (ogifcß 
notßwenbige, b. ß. ibeal bebingte anerfannte, ßatte er fiß botß 
ben ©efißt»punft oerfperrt, um ben teleologifßen ©ßarafter 
biefer logiftßen ©efeßmäßigfeit ju ergreifen, unb beSßalb blieb 
autß feine ©tßif in einer eubämoniftifcßen SBfeubomoral fteden, 
bereu abftoßenber ©ßarafter nur burd) feinen naturwibrigen 
3nteßectuali»mu» einigermaßen gemilbert wirb. 

Stißt ©pinoja allein, (onbern bie ©ßutßefe bon ©pinoja 
unb Seibnij bitbet bie Sßßilofopßie be» 17. SaßrßitnbertS. SSiß 
bie StaturWiffenftßaft bon ber Sßßilofopßie be» 18. 3aßrßunbertS 
burßau» rücfroärt» ftatt oorwärtS geßen, um beffere naturpßilo» 
fopßifcße Slnleßnungen ju fließen, fo barf fie oon ©pinoja nur 
ben ©runbgebanfen feine» SRoniämu» unb feiner 3bentität»= 
pßilofopßie, muß aber beren SluSfüßrung bon Seibnij entleßnen, 
bei weißem bie ©pinojiftifeße 3bentitöt»pßilofopßie ißre inbibi- 
buatiftifße ©urßarbeitung unb teteologifße Vertiefung gefunben 
ßat. SBemt fie bie» tßut, wenn fie bie SStonabenleßre be» Seibnij 
naeß bem ßeutigen ©taub unferer naturwiffenfcßaftlitßen ßennt= 
niffe interpretirt unb al» relatibe, pßänomeitologiftße SBaßrßeit 
bem SDtoni8mu3 ©pinoja» ein: unb unterorbnet, bann wirb fie 
ju eben bem ©tanbpunft gelangen, ben i(ß ßeute bertrete, unb ber 
nur naeß ©eiten ber ©eifteSpßitofapßie bureß bie neuere pßilo: 
fopßifcße ©ntwidelung bebeutenb bereißert unb bertieft ift. 

galten wir baran feft, baß bie Statur unb ber Staturproceß 
nur bie Vermittelung bilbet oom unbewußten, unentfalteten ©eift 
jum bewußten, entfalteten ©eift, fo ßaben wir bamit jwei ©äße 
in ©in» gefaßt: erften», bie Statur ßat ißre Vebeutung nirßt in 
fuß, fonbem in bem, wa» fie bemittelt, bem ©eift, unb jweiten», 
ber ©eift, al» bewußter entfalteter, tarnt nießt fein oßne natür: 
ließe Vermittelung. Saßt man ben jweiten ©aß in'8 Sluge, 
oßne ben erften mit ju berüdfißtigen, fo flingt er materiatiftifß 
unb eine ißn eiufeitig betonenbe Staturpßilofopßie feßt ficß lebiglicß 
bureß biefe negatibe ©infeitigfeit in Oppofition ju einer aQfei- 
tigen SDtetapßßfit. Stimmt man ben erften ©aß ßinju, fo ber: 
liert ber jweite nießt nur feinen materialiftifeßen Hnftrieß, fon: 
bern feßlägt in ba» ©egentßeil um. ©ie Staturwiffenfeßaft be* 
fßränft fiß barauf, bie Vebingtßeit be» geiftigen Seben» bureß 
Staturproceffe ju betonen, bie Staturpßilofopßie aber ßat ficß ju 
erinnern, baß eben barin bie Vebeutung ber Statur befteßt, baß 
fie biefe» geiftige Seben bem unbewußten ©eift ermöglicht unb 
bermittelt, uub baß fie fetbft nur bie niebrigfte ©eftalt be» ©eifte»: 
leben» ift. ©er Staturproceß ift bie ßarte Slrbeit be» 3uftßfelber: 
fommenS be» ©eifte» unb weiter ift er nießt». ©er ©eift ift 
ba» ©entrum ber Statur, bemt au» bem ©eift al» unbewußtem 
ftrömt fie au», unb ju bem ©eift al» bewußtem ftrömt fie ßin. 


ofifetafttt uttb «£un/l. 


5i(ß ruft ber 

$>iß ruft ber Senj, ©u ßolbe» Sieb, 

©He knospen winfen unb niden, 

Unb wa» bom SBinter jurüd noeß blieb, 

©ntfließt bor ©Seinen Vliden; 

0 J)u mein ließter ©onnenftraßl, 

Beigft ©u ©iß nur ein einzig SJiat, 

Siegt Sille» ©>ir ju güjjen 

Unb jubelt unb jaußjt entgegen ©Sir: 

©>u feßlteft allein noeß, ©Su liebließe 3iet, 

©Set grüfjling läßt ©ließ grüßen! 

®r feiert ©Seiner ©eßönßeit ©lanj 
SJtit taufenbftimmigen ©loden, 

@r winbet ben feßimmernben ©ternenfranj 
gür ©Seine bunflen Soden; 

Unb jebe Vlütße fleßt boü Suft: 

Saß träumen mieß au ©Seiner Vruft 
©Ser Siebe ©raum, ben füßen — 

©8 raufeßt im Vaum, e» Hingt im ©traueß, 
©önt’8 nießt in ©einem fterjen aueß: 

©er grüßfing läßt ©Sieß grüßen! 

SStir ßat bet Setij nur Seib gebraeßt, 

©r will mieß oon bannen treiben, 

Stießt tann, wo Vlume an Vtume lacßt, 

©a» Welfe Vtatt oerbleiben: 

SDtein Seben laff icß, mein $erj jurüd 
Vci ©ir, ieß muß ba» furje ©lüd 
3m langen SBanbern büßen; 

SEBoßiit uteiu ßnftrer SBeg aueß geßt, 

Äein $aueß, ber tröftenb miß umweßt: 

©er grüßliug läßt ©iß grüßen! 

Tltbert Craeger. 


Hcntfdier JWunßfßeiH. 

gragmente einer SRoitbfßeinantßologie. 

3ß ftanb auf ber $öße be» Vroden» unb ber SMonb warf 
feinen ßerrtißen 3uuilißtfßein auf bie gelfen unb SBalbtßale 
oor mir. 3<ß ober feufjte, — bie nieberfßlagenbe Vetraßtung, 
wa» Sille» bereit» oon ©ißtern unb ©ißtertingen über ba» 
Staßtgeftirn, naß bem mein äuge blidte, ©ßörißte» unb Ve j 
geifterte» gefagt worben, fo baß ber Staßgeborene faum noß 
©twa» oorbringen föttne, ba» irgenbwie neu fei — unb bamit 
ber ©ebanfe an ba» ganje flägtiße Soo» be» Ißrifßen ©pigonen 
ftimmte miß fßmerjliß unb trübe! Stehen mir ftanb fie, bie 
fßöne greunbin, beren Stugen feit längerer 3«it ouß miß ju 
einem biefer bebauerlißen ©efeßöpfe gemaßt, unb mit jenem 
SlßnungSoerntögen ber SSßaßloerwanbtfßaft unterbraß fie plößliß 
ba» geiftreiße ©ßweigen, ba» wir. mit. einanber gepflogen: 
„Sieber greunb, ßalten @ie e» benn woßl noß für mögliß, 
ben guten SJtonb bort oben in origineller SBeife ju befingen? 
3ß glaube, ba» unmögließfte Vilb ift ßier abgebraucht! — 
Slber bliden ©ie nur nißt gar ju traurig brein. S3ir leben 
in einer Seit be» Stufräumen» — unb mit fällt ba eine 3ßter 
würbige Strbeit ein. ©in föftlißer ©ebanfe! 3cß erloffe 3ßueu 
feierliß ba» ©ebißt auf biefen ramantifßen Vrodenabenb, aber 
jur ©ntfßäbigung foßen ©ie mir eine bunte ©ammlung beutfßer 
SJtonbfßeinlßrif au» 3ß*eu ©itatenfpeißern jufammenßeßen. D 
ba» foß. ein ßerrliße» ©ammelfurium werben! kommen ©ie, 
wir woflen gleiß einmal beginnen!" 


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202 


9ie (Segenwart. 


Nr. 13. 


Au« ben ergöfclichen Nejultaten unferer gcmeinfdjaftlidjen 
fforfdjungen fanit id) mtcE) nid)t enthalten, einige SNittfjeilungen 
ju üeröffenttidjen. Denn id| glaube, baß ihnen neben bem 
SSJcrth ber ©rheiterung aud) bet p benfenber Betrachtung an» 
juregen inne wohnen wirb. Da« SBort „SNonbfcheinbidjter" ift 
heutigen Dag« ein nie! gebrauchte«, bie ftritil h°* e8 bereit 
für bie nieten jungen Spriter, welche burch Anthropomorphirung 
ber Naturgegenftänbe ben SNangel an lebenbigem, urfpriinglichem 
©efühl ober ber Sa^igfeit folgern Auäbrud p geben, oerbeden. 
(Sin gut Dljeil bon Verachtung fnüpft fleh an biefeS Schlagwort 
unb jwei 3rrtl)ümer finb in Berbinbung bamit ©ourantmünje 
geworben: ber ©taube, baß ba« Ihrifche Befingen be« SNonbe« 
fo alt fei, Wie bie ßhrif felbft, unb ferner ber, baß ßi eine 
Schwäche fei, burch ben SNonb überhäufet ju poetifdjer Stimmung 
angeregt p werben. 

Aud) werben eS Baufteine fein p einer ljöchft intereffauten 
Wiffenfchaftlichen Arbeit. 

Ober wäre e« nicht ein feffelnber Beitrag pr ©efdjid)tc 
be« menfehlichen ©eifte«, wenn ein Sorfdjer ben SNetamorphofen, 
Welche bie BorfteQung oom SNonbe burchgemacht, nachginge oou 
ber groben Setifdjanfchauung ber alten germanifdjen SNpthologie, 
welche im SNonb einen großen ®äfe glaubte, bi« p ben anthro- 
pomorphiftifchen Auffaffungen einer götterfchaffenben fßhantafie? 
SEßenn er in engem ßaufalpfammenhang barftellte, wie ba« 
fcheureligiöfe Berhältniß ju biefer ©ottheit allmählich ein freiere« 
wirb unb ber bidjtenbe Bolfägeift in SNtjthe, Sage unb SNärchen 
fie hineinjujiehen wagt in feine ©efpinnfte, unb Wie bann weiter 
ber ©taube an biefe ganj fchwinbet, aber bennoch bie poetifdje 
fßhantafie ben SNonb fleh nicht rauben läßt fammt ben fi<h an 
ihn fnüpfenben überlieferten Borfteflungen? 

@8 ift eine große ßluft, bie jwifchen bem 3eitpun!t fid) 
au«behnt, wo bet ©ermane juerft im SNonbe ein höhere« SBefen 
erblidte, bi« p bem, wo er auf bie Berntuthung (am, baß ba« 
nächtliche ©eftirn irgenb welche« Sntereffe an feinen $erjeu«= 
angetegenheiten nehmen tönne. Biel früher bürfte bie anbere 
Borftettung entftanben fein, baß ber Biebere auch feine $er{en8« 
fchwädjen habe, auf fiebjehnjährige Schläferinnen, auf Blumen 
unb Bäume {örtliche fiüiffe Ijerabfenbe, ja fogar mit ber (Srbe 
in einer regelrechten @h e lebe. Auf biefe jwei ©runbborftetlungcii 
bürfte wohl bie größere Hälfte aller 9Nonbfd)cinpoefie prüdp« 
führen fein. — dagegen hat e« auch ßeute gegeben, bie ihn 
mit Siebesbeichten unb Snfinuationen eigener Berliebtheit oet= 
fchonten, bagegen ihm Xitel unb ©ewohnljeiteu anbichteten, über 
bie fich bet ©ute wahrscheinlich noch weniger gefreut. So er« 
nennt ihn Senau, um mit ber niebrigften ©borge p beginnen, 
fcßlechtweg pm Nachtwächter — Schulmann, wie ber cioitifirterc 
AuSbrud lautet: 

„Niemanb at« ber TOoiibenfdiciii 
S8ad)te auf ben Straßen." 

Nobert B ru fc hält ihn für einen Schiffer, ber in Heitiem 
Nachen burch bie SBotfen fährt, uub ber wadere Bote bon 35$anb«= 
bed begrabirt ihn fogar pm Sämmerhirten: 

„fficr hat bie fepönften Sdjäfdjen? — 

Die hat ber liebe Stonb." 

Doch ba« finb immer noch £armlofig!eiten. 333a« foß man 
aber fagen, wenn ihm ©hrernSNüpter mit foldjen Berbächtigungen 
auf ben Seib rüdt: 

„Du fcheinft betrunlen mir, \ 

Da« feh ich helt> 

Schäme btdj, fchäme bich, 

Alter ©efefl." 

Sollte er fich «i<ht bielmehr fchämen? Ober glaubt er fich 
bamit entfchulbigt, weil ber wadere fJ3oet SNartin Dpifc lange 
bor ihm bereit« Behauptungen wie bie folgenbe aufgefteßt hat: 
„Die Srbe trinlt für {ich, bie Bäume trinten Erben, 

Born fflteere pflegt bie Suft auch P getrunlen werben. 

Die Sonne trinlt ba« SNeer, ber SNonbe trinft bie Sonnen, 
fBotlt benn ihr ffreimbe mir ba« Drinleit nicht bergonnen?" 

A 


Sefet wirb un« flar, warum manchmal bie SBelt fo ber* 
breljt ift: fte ift bejechtl 

Sm Anfang hing ber SNonb p feiner 3«it ruhig im Blau 
ober in ben 333olfen. Der (Singeborne, bet ihn hängen faf», 
fanb ba« ganj in ber Drbnung unb fagte: „Da ift ber SNonb, 
gehen Wir f$Iafen." Denn e« gab bamal« noch feine Neftau« 
rationen ober Safino«, wo er hingehen tonnte, um bie Nacht* 
ftunben p burchwachen. ©ine« Nacht« aber, at« er an einer 
353unbe barnieber tag, tonnte er nicht fchtafen, fonbern wälzte 
fich auf bem Säger. Da goß ber SNonb mit feinem lichten 
Sdjeitt Nuhe in feine Bruft. Unb au« Danfbarfeit ftabreimte 
ber ©ntfchlummernbe oießeicht: „Der SNonb fcheint fd)ön." So 
bürfte wohl bie ©ntftehung ber {Weiten §auptgruppe aßer SNonb« 
fdheinpoefte gebacht werben: bie beferiptioe. Der Dichter nimmt 
ihn für ba«, wa« er ift, unb benufet ihn at« tanbfchafttid)c 
Staffage ober al« Bergleich«gegenftanb. Da« greße „£urrah# 
hurrah, ber SNonb fcheint ^e£I, — wir unb bie lobten reiten 
fdjneß" — in Bürger« „Seonore" ift mit feiner padenben 353ir* 
fung ein twepglidje« Beifpiel ber erfteren BerwenbungSart. 
Sie ift bie unferem mobernen reatiftifchen Sinn am meiften ju« 
fagenbe. 3ür bie anbere führe ich an, um ein recht betannte« 
Beifpiel p nennen, beäfelben Bürger«: 

„38te Boßmonb gtäujte fein feifte« ®eficht." 

Sdh tann mir ben Spaß nicht oerfagen, baneben baSfctbe 
Bilb, wie e«, um bie entgegengefefcte SBirtung p erjielen, gc= 
brauet wirb, Steße finben ju laffen, Uhlanb« 

„Die Königin fftß unb milbe 
fttt« blidte Boßmonb brein." 

3ßelche8 Bilb ift beffer, gefünber? — 353er fragt ba? — — 
hierher gehörte auch ba« betannte, bon £>eine im 31tta Xroß 
befpöttelte Bilb greiligrath«: 

,,9tu« bem fchimmernben weißen 3ette herbot 

Dritt ber {chlachtgerüftete fürftlicfje SNohr; 

So tritt au« fchimmernber SBoIten Xtjoc 

Der SNonb, ber oerfinfterte, buntle, heroor." 

Doch flenag ber aßgemeinen ©efichtöpunfte. 3<h berfprad) 
eine Anthologie p geben. Sic wirb bunt, bunt wie bie 
©pitheta, welche ich bei ben berfdjiebenen Sängern gefunben, 
unb ebenfo öoß toficr SBtberfprüche. 

t»olbfelig — büfter; — bö« — frcunblich; talt — lau; — 
teufch — jubringlich fchanthaft — buhterifdj — tofenb — 
ernft; ftlbern — gotbig — rötljtich — blaß — rofig angehaucht 

— gelb — fahl — rofig bleid) — rennthierlebermantelfarbig! 

— fo — eine Heine B*°be! 

Die lefctere Sarbe fleht ihm ber Sänger beiber Nechte unb 
Dr. be« Neuen Dannhäufer an, ber anberen Drt« ben gelben 
unferer Betrachtung fehr treffenb „ben alten greunb ber Ber« 
liebten unb ber Dichter" bezeichnet. Aflerbing« ift bie Steunb« 
fchaft nur einfeitig. Neuere SNinnefitcger — oerliebte Dichter — 
finb e§ benn auch, welche faft ausschließlich mir beipfteuem haben. 

Denn bei beit alten Sängern ber SNiitne in uitfercr Site« 
ratur wirb ber mäne (SNonb) auffaßenb geriitgfc^ä^ig behanbelL 
Selbft ba« Bilb, ba« im Nibelungenlieb jWeimal wieberlehrt, 
läßt fich 'h lien nicht finben. 

Sam der liehto mäne vor den eternen stät, 

der echin sö lüterliche ab den wölken gät, 

dem stuont eie nu gelicbe yor andern frouwen guot — 

heißt e« bafelbft oon ©hricmljilb unb fpäter ßnbet biefe wieberum, 
baß Siegfrieb oor ben Neden gät, sam der liehte mäne vor 
den sternen tuot. 

Bei S53attljer Oon ber Bogelweibe unb Surfart oon §ohen« 
fei« ift ba« Bilb ein weit pompöfere«: bie ©eliebte wirb mit 
ber aufgehenben Sonne oerglichen, bie ben Sternen ben Schein 
benimmt. SBolfrant« oon ©fdjenbadj Dagcweifen, welche heim« 
lieh gewährte« Siebe«glüd au« nächtlicher Situation heraus fo 
rei}enb befingen, erwähnen be« SNonb«, fo nahe bie« boch lag. 


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Nr. 13. 


fit Gegenwart. 


203 


mit feinem SBorte; unb bie frifdje Staib, bet SEBalther# Sieb 
„Unter bet Sinben" in ben Stunb gelegt ift, fie weife woljl öon 
ihre# Sriebel# Äüffen ju erzählen 

„Küster mich wol tüsendstunt 
Tanderadci —“ 

aber Dom mäno, bet etwa neibijdE) gugefetjen, weife fie fein ®ort 
ju berichten. 

3tu<h in bem originellen Silbe Heinrich# bon Storungen: 

Als der m&ne tuot, der einen schin von des sunnen schin enoplat 

— fo belommt fein $erj Seben burdj bie ©lide bet beliebte», 

— wirb be# Stonbeä nur in feinet älbhängigfeit jur Sonne 
gebaut. 

3a bie „9Ronb(djeinlieb{eufoerf)audje" (ein SBort au# ber 
Sdjerr’fchen Stünje) finb nerfeättnifemäfeig mobern. Soch Statt in 
Opijj will, auch wenn et minnefingt, nicht# öon ihm wiffen: 

„Sad; bem SDlonbcu frag id) nic^t, 

Dimfcl ift ber Sterne Sicfet —" 

Weit bie 9tugen feinet ©eliebteit noch bie ©onne an ©lang 
übertreffen; unb ber fotgenbe ©er# aud ©pee# 2ru|jnadjtigatl 
(Gebron# Silage) ftefet fefer bereingelt: 

„SDtonb unb Stapfent«, tt)r allbeibcn 
Oft enthieltet euch bom Scfelaf, 

Äamet in ©efeOfdjaft roeibeit. 

Du bie Sterne, — er bie Sifeaf, 

Sicfet feinfüro macht aDbeibe, 

. Schlaf, o matter Wonb, entfchlafl 

Sie jujammen Werbet Weiten, 

Du bie Sterne, er bie Schaf." 

Dapfeni# Würbe nämlich entführt. ®a# ift freilich betrüb; j 
lieh! - 

Saum nennenäwerth ift auch b* e Solle, bie ber Stonb im 
©oll#lieb fpielt. Sur feiten wirb er beiläufig als lanbfehaft; 
liehe Staffage, wie in „fperr Olaf" erwähnt, unb ©ebichte, wo 
bie# heröorragenb gefchieht, wie „@i, ei, wie fcheint ber Stonb 
fo heß" ba# ©ol!#lieb „Seoitore", finb giemlich öereingelt. 

®a# oertiefte poetifefee Saturgefühi, welche# wit „roman; 
tifdj" nennen, ift überhaupt bis in’# 18. 3al)rhunbert ber beut; 
fefeen Ducfetlunft faft frernb. grieblänber unb ©rieh ©<hmibt 
(„Souffeau, ©oethe, Sicharbfon") hoben neuerbing# intereffante 
Sorfehungeu hierüber öeröffentlid)t. lernte# entfchulbigt fe<h eilt; 
mal nach bet ©efdjreibung eine# Sonnenaufgang# barüber, „et 
wolle nicht „„bie Sogen füllen"". Souffeau ift berjenige, ber ba# 
©efüfel für bie Satur auch nach biefer Sichtung hi» Wecft unb 
in Älopftod# frommbegeifterter Sruft finbet ba# neue ©bau; 
gelium beutfeherfeit# in erfter Sinie enthufiaftifche# ©efeo, burdj 
Dffian# ©influfe mobificirt. Steine# SBiffen# ift er auch ber erfte 
®eutfdje, bet gu birecter Slnrebe oom Stonbc fich ^inreifeeu täfet. 
3ch führe h*er jwei Oben an, „bie frühen ©räber" unb „bie 
©ommernacht". ®ie für bie 3eit charalteriftifdje ©entimenta; 
tität waltet auch in ihnen. 

„SBifllommen, o filberner Stonb 
Schöner ftiKer @ef fl fette ber Sad)t! 

Du entfliefeft? ©ile nicht, bleib, ©ebanlenfrcitnb. 

Sehet, er bleibt, bat ©eroöll mailte mir hin." 

©o beginnt bie erfte bet geuannteit; büfterer gefärbt be; 
ginnt bie anbete: 

„Senn ber Schimmer oon bem SJlonb nun herab 
3it bie SBälber fich ergiefet, unb ©eriiehe 
Wit ben lüften bon ber Sinbe 
2 fn ben ft&fetnngen mehn. 

So umfehatten mich ©ebanten an ba# ©rab 
Der ©eliebten ic." 


Stan fieljt, bei ihm ift bie SCuffaffung be# Stonbe# trog 
allet ©mpfinbfamfeit tealiftifch genug. Son feinem Öreunb 
$öltfe jebodj finben wit ben „©ebanlenfreunb" bereit# gang 
wie eine ©eliebte öethertlicht: 

„greunblich ift beine Stirn, fftUti 9luge ber Stacht, 
Seifebelleibeter SOtonb, läcfeelnb ift beine Sang, 
fjolber Sollenbemanbler, 

Der bie filberne gadel fchwingt." 

®ie Sentimentalität, Welcher biefe feilen entfprungen, mufete 
fich natürlich butch bie Stännlidffeit be# Stonbe# recht beengt 
fühlen. Son ben Sittertt berfelben würbe brunt bet ehrliche 
beutfehe SDtonb ton feinem Sferone geftürgt unb bie ctaffifche 
Suna batauf gefegt. ®a# war eine fjrreube, fo einet ©öttin, 
bet lonnte man anbere Schwüre, anbere ©eufger hinnuffenben! 
$ie Slnalreontifer toHgiefeen biefe# SEBerf, inbem fte jugleid} ben 
gaujen übrigen Dlpmp herunterholen. 2luch ben jungen ©oethe 
fehen wir al# Seipjiget ©tubenten, ton ben SEBeHen biefet ®trö= 
ntung getragen, fein ©ebi<ht „9tn Suna" (in feiner urfprüngtichen 
Saffung) beginnen: 

„Scfemefter ton bem erften liefet, 

Sitb ber ßärtlicfefeit in Jrauct! 

Stebel fchroimmt wie Silberfehauer 
Um bein reijeitbe# ©efiefet." 

9lber fein gefunbrealiftifcher Sinn bulbet ihn nicht lange 
auf ber $i>he biefer Schwärmerei. 3h m füllt ein, bafe fein 
„SWäbgen" noch ein weit reijenber ©eficht h«be, unb bann, bafe 
e# hoch gar herrlich fein müffe, wenn er felbft ba oben fein 
lönne unb hinunter fdjauen „feine# SDtäbgen# Sachten ju". Unb 
fo fdjtiefet er mit muthwiQigem $umor: 

„-Irunfen fmlt mein »lief hetnieber. 

— Sa# berhüttt man Wofel bem SDtonb? — 

Socfe ma# ba# für Sünfdje finb! 

Soll Segierbe, ju geniefeen. 

So ba oben hängen muffen; 

@t, ba fchielteft bu biefe blinb!" 

®en Herren ton ber romantifchen Schule aber war e# 
torbehalten, ben poetifchen SSonbf^eincult in ein ©feftem ju 
bringen. 2Bie bie blaue Slume, bie noch Siemanb gefunben, 
ihr 3beat, fo ift ba# öerbunfelube SKonblicht bie erhabene Stacht, 
welche bie terhafete SBirflichleit ihnen erträglich ma^en lann. 
®ie „monbbeglänjte 3oubernacht" wirb ihr £ofung#wort unb bie 
SBett ifere# ®ichten#. 

Sotali# ruft ber Sacht ju (1. Dbe an bie Sacht): „fßrei# 
bir, SBeltlöuigin, ber h<>h £ n Serfünbigerin ^eiliger SBelten, ber 
Sßflegeriit heiliger Siebe, ©ie fenbet mir biclj, jarte ©eliebte, 
liebliche ©onne ber Sacht. Sun wach i<h: benn ich bin ®ein 
unb Stein: bu hoft bie Sacht mir jum Seben terlünbet, mich 
jum Stenfchen gemacht. 3 e hre mit ©eiftergluth meinen Seib, 
bafe ich luftig mit bir inniger mich bermifdie unb bann ewig 
bie Srautnacfjt währe!" 

®a# nennt man Siebe! — „3ft e# gleich SEBahnfinn, h«t 
e# hoch Stethobe", fagt ein gewiffer ißoloniu#. 

Unb wie au# einem S9rennfpiegel ftrafelt biefen romantifchen 
Stonbfchein ba# „Stonbf^einlieb", welche# Sied# „©ternbalb" 
bichtet, jurücf. ®er Stoub h öt t auf, al# ©elbftftänbige# ju 
esiftiren, er bereinigt fich utü ber nächtlichen Sanbfchaft ju einem 
SBegriff, feine Strahlen Hingen, unb bie Üöne ber Sadjtigall 
fliefeen nieber wie blenbenbe Strahlen. 

©ei Sftatthiffon wirb fchliefeli^l ®idjten unb Stonbf^eiit; 
feufjen ein#. SBa# et fiefet ift in Stonbfdjein getaucht, gebabet! 
®er Stoub wirb jüm ^e£enmeifter, jum ©o#co: er fcheint auf 
eine Suine — Wupp! — Sitter werben lebenbig, terllungene 
Sagen ertönen, ©eifterljauch fäufelt — e# fpuft. 

„Senn ffeen unb ©eifier malten 
©rfiefen rote Sebelbuft 
3m SDtonbUcfet bie ©eftalten 
Der $elben au# ber ©ruft." 


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204 


Hie (Segenmuri. 


Nr. 13. 


®ie $älfte feiner ©ebidjte jtnb giemlidj monotone Saria* 
tionen biefeS einen. 

3n ber %%ai, er wirb bem SDtonbfepein gegenüber jum 
©rünber unb macpt ipn pm poetifepen Kapital. (Eigenartig ift 
baS gehalten beS SDtonbeS als SRuihen* ober ©rabbefcpeiner, 
baS aßen feinen Siebern biefetbe garbe »erteilt. ®er ungleich 
bebeutenbere Sänger beS SEBeltfcpmerzeS, Sen au, überragt ipn 
auch als SionbfcpeinlanbfcpaftSmater. ®ie befcpienette ©egenb 
»oirb bei ipm niept geifterpaft unb weinerlich, fonbetn abenteuer* 
lieh, baßabenmäffig, fo im „fßotenftücptting". Slucp übercafcfjt 
uns ber ®iepter burep bie ©ielfeitigfeit feiner Sluffaffung. 9118 
fßrobe nenne ich bie liebliche Sapppifcpe Strophe: 

„Schon ierfliefjt baS ferne fflebirg mit SBolfen 

git ein SReer, ben SBogen entfieigt ber SRonb, er 

©rügt bie glur, entgegen ihm grüßt baä fepönfte Sieb ißhilomelenl." 

9toep ba8 ©ilb: 

„Sanft fdjimmert im SBeltenbom 
®ie Campe beS SRonbe«." 

Heinrich §eine pat p ber ©oefie be8 ÜDtonbeS gar nicht 
fo Diel ©eiträge geliefert, als ©taneper geneigt p glauben. 
®ocp fpiegett fich in bem ©orpanbenen baS ganze SBefeu feiner 
fßoefie. SEBir finben bei ihm pgteich bie fcpwärmerifcpen 9lu8* 
brüde ber Verehrung „be8 blaffen SlugeS ber 9tacpt", wie er e3 
nennt, unb bie fepärffte Satire gegen biefetbe. <£rftef»t nicht 
bie ganze ffiffe SRomantil be8 ©ucp8 ber Sieber oor uns, wenn 
wir uns ben einen ©erS bon ber SotoSblume in’3 ©ebäcptniff 
rufen: 

,,®cr SJionb ber ift ihr Suhle, 

@r werft fte mit feinem Sicht, 

Unb ihm entjdjteiert fie freuiiblich 
gpr fromme« Shimengeficht." 

Unb aus ber Stelle im Suche Segranb, „®a8 oerliebte 
iötonbticpt fügte wieber meine SBangen", lacht bie iiebenSWürbige 
©itelleit beS ®icpter3 peröor. ®er metanepotifepe $eine 
fepreibt auf ber italienifcpen Steife: „9Bie unter einem ®riumpp= 
bogen bon foloffalen SBotfenmaffen jog bie Sonne herauf, fieg; 
reich, Ijeiter, fich er, «inen ffpönen 2ag öerpeiffenb. SJlir aber 
warb p SDtutpe Wie bem armen SDtonb, ber berbleichenb noch 
am Fimmel ftanb. @r patte feine einfamc Saufbahn burep* 
wanbett in über Stachtjeit, wo baS ©liid f<hUef unb nur ©efpenffer, 
©ulen unb Sünber ihr SEBefen trieben, unb jept, wo ber junge 
®ag herborftieg mit jubelnben Strahlen unb flatternbem SDiorgen* 
roth, jept muffte er bon bannen, — noch ein wehmütiger Stic! 
nach bem groffen SBeltenlicpt unb er berfchwanb wie buftiger 
Stebet." — ®ocp ber wipige dichter sieht anbere Saiten auf 
feine Seier. 3<h erinnere an bie §arjreife, an ben bloitb* 
getodten, turuerifchen ©tufenfopn, ber, graufam bejecht, ftatt beS 
genfterS einen Äleiberfcpranf öffnet unb eine gelbteberne $ofe 
für SunaS mattes Sic^t nimmt: „Schön bift bu, Xocpter beS 
ipimmetS! $olbfelig ift befneS SlnttipeS SRupe. ®u wanbelft 
einher in Siebticpleit. ®ie Sterne folgen beinen blauen ©fabelt 
im Offen. 95Ber gleicht bir, ©rjeugte ber Stacht." — ©löplicp 
fcpwieg er. — Slucp wir ffhweigen ber Urfache, bie ihn oer* 
ftummen machte. 

2lu3 ber bietgeftaltigen Sprit ber ©egenwart oerfage ich 
mir ungern beS begrenzten StaumeS wegen, auch einige fßroben 
mitjutheilen. 3n ipr fehen wir neben bem ßpor ber peiuelnben 
®icptertinge, baS in tinblicher greube bie Silber unb SSBorte 
ber ©orfapren Wieberhott, bie meiften ber bebeutenberen ©eiffer 
fich beS ©tonbfepeinculteS bornehnt enthalten. ®ie' fritifepen 
Slufräumer aber machen Wopl ÜJtonbfcpeingebicpte, boep nur mit 
bem 3wed, biefe ©attung ju parobiren. 9Bir paben pier bie. 
ßteaetion ber romantifepen Sunamanie oor uns. 

SBäprcnb bie meiften ber betrachteten SDletamorppofen ber 
©tonbfcpeinberperrlicpung ff(p ata gormen eines bebingten 
gefcpmadS ober 8«itungefcpmad3 erweifen, werben jwei Strten 
bon SDtonbfcpeintprif retatib wopl ewigen ©eftanb paben. ®ie 
lanbfchaftlicpe ©erwenbung unb jene, welcpe bie SBirfung auf 


bie ©emütpsffimmung jum fcplicpten, fepönen SluSbrud bringt. 
®erart ift ©eibels Sieb „®eutfcp" in ben SuniuSliebera, berart 
oor aßen bie fßerte aßet beutfepen SOtonbfcpeinlhrif, beten < ün- 
fang bie lepte meiner fßroben bitben möge, baS perrlicpe „Sin 
ben ßJtonb" unfereS ©oetpe: 

„güüeft wieber 33ufd) unb Jpal 
Still mit Rebelfllanj, 

Söfeft enblicp auch einmal 
Steine Seele ganj; 

Sreiteft über mein ©efilb 
Sinbernb beineu Slirf, 

Sßie be« greunbe« Sluge milb 
Ueber mein ©efepirf. 

geben Racptlang füljlt mein $erj 
grop= unb trüber 3eit, 

SBanblc jmijdjen greub unb Schmerz 
gn ber ©infamfeit.-" 

Sluf Soßffänbigfeit maept ber hiermit befcploffene appo= 
tiffifege Serfucp in feiner SEBeife Mnfprucp. ©r woßte nur bar* 
tpun, wie fetbft ©rfepeinungen, bie fepeinbar gan; bon ber 
SBißfür beS ©injelnen abpängen, wie bie Stonbfcpeinbicptung, 
als ©lieber einer ©ntwidlungSlette erfepeinen, bie im engen 
3ufammenpange mit bem gortfdpreiten ber ©ultur überhaupt fiept. 

gopannes proelff. 


(Ein Hontan oott Jlnjtugrubfr. 

®er 9tame beS ®icpter8, welcher mit feinem „fßfarrer bon 
Äircpfelb", feinem „SDteineibbauer" ber Siteraturgefcpicpte ein 
neues Original unb bem Solle ®ramen bon frifepefter fßoefie 
unb mobernffer Ütctualität geboten pat, ift auep in ßtorbbeutfcp* 
lanb niept mepr frernb, man pat namentlich baS erffgenauate 
Stüd mit luftigem unb mit traurigem SluSgang, mit unb offne 
®iateft fo oft aufgefüprt, baff man bie probinjiefle ©eltung 
StnjengruberS als überwunben unb ipn als recipirt betrachten 
fann. ®o<p wirb noch btel SBaffer bie ®onau pinunterflieffen 
bürfen, bebor Solfsfpracpe, ©ernütp unb ^mmor beS oft* 
reicpif(hen Stammes auf norbbeutfepen Süpnen ipre boße SBir= 
fung Werben üben fönnen; bie grembartigfeit beS SbiomS unb 
beS SolfScparafterS berlangt eine bauernbe liebeboße Eingabe, 
unb boep ift eS gerabe baS ®rama, wo ber 3ufcpauer am liebften 
bon lauter geläufigen SorauSfefcungen auSgept, um bon feiner 
ejotif^en ©efüplS* ober ^anblungSweife in ber ßRotibirung 
überrafept ju werben: fo fommt eS, baff bebeutenbe ®ialeft* 
biepter mit ipren bramatifepen Schöpfungen gewöhnlich an bie 
Sdjoße gebunben finb, wäprenb fie als ©rjäpler überaß freubig 
begrüfft werben, audp bort, unb bort oft am freubigften, wo 
man ipren ungewohnten SBorten aufmerffamer laufcpen muff 
unb fogleicp im Slnfang ipre tieffte Sebeutung zu faffen oermag. 
gnfofem fepon ift eS erfreulich, baff Sinzengruber fiep nun auep 
naep fanget fffaufe wieber, zum erffen fötale feit bem ©eginne 
feiner groffen ©rfolge, an eine erzäptenbe ®icptung gemaept pat; 
burep leinen „auStänbifcpen" ®ialeft geftört, wirb man ben 
öftreiepifepen ©auer lieb gewinnen, wie man ben fepmäbifepen 
lieb gewonnen pat, unb bießeiept Wirb gar ber ötobeflift Slnzen* 
gruber ber aßgemeinern Slnerfennnng beS ®ramatilerS zu $ü(fe 
• fommen. greitiep baS UnterfcpeibungSmerfmat „ein Oeffreicper" 
Wirb auep bem -Jtobeßiffen in gutem unb in böfem Sinne niept 
erfpart bleiben, fepon ber ®itel feiner ©tzäplung wirb baran 
erinnern; eS ift ja auep eept öffreiepifep, ein ®idhtungSwerf bon 
beiitape ibpßenpafter geinpeit unter bem päffliepen ßtamen „ber 
Scpanbffed" auf ben ©üepermarft zu bringen. SEBie ber fteinffe 
öftreiepifepe ©eamte gerne einen reept aufgebaufepten Xitel auf 
feine Sifitenfarte fept, wie ber fürzeffe Seitartifel eines öftrei* 
epifepen Sournaliffen burep eine reept padenbe Ueberfcprift äugen* 
fäßig gemaept wirb unb wie bie niebtiepfte SBienerin erff noep 
burep ein auffaßenbeS fofetteS $ütcpen zum ßtäperzufcpauen ein* 


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Nr. 13. 


Oie Äegeuwart 


205 


labet, fo liebt eS auch ber p^antafieöotlere Siebter, wenn er 
jufälltg in ©öfemen, ben ©rjfeerjogtfeümern ober in ber Steger* 
mar! ®eutfcfe fpreefeen unb fdfereiben gelernt bat, feinen Schöpfungen 
bie ooütönenbften Kamen ju geben, bie man anberSwo gewöfenlidfe 
bebürftigern Stomanfabritanten überläßt. @8 trifft fiib noch 
glüdlicfe, Wenn bie Ueberfeifeung ber ©feantafie fiefe auf bie 
Stamengebung befebränft. 

„®er Scfeanbfled" feeißt atfo baS neue Serf AnjcngruberS, 
welches ficb übrigens felbft näher als „Stoman" oorfteltt; ber 
„Scfeanbfled" ift bie Heine Seni, weldfee im erften Kapitel auf 
bem Steinborferfeof geboren Wirb. Säferenb bie grau in ihren 
Scfemerjen baliegt, pflegt ber (Satte gewöhnlich eine ziemlich 
trübfelige, überflüfftge Stolle ju fpielen, um fo mehr, Wenn 
ber ©atte — wie feier — nicht ber ©ater beS ßinbeS ift. 
®er wilbe Sohn beS SRüllerS bat bie baltlofe, nicht einmal 
mehr ganj junge ©öuecin oerfübrt, ber Steinborfer weife barum, 
bafeer fein bumpfer Sdfemerj bei ber ©eburt biefeS britten nach 
langer ©eneralpaufe erfdfeeinenben ßinbeS, barum fein $afe 
gegen bie unfcbulbige kleine, barum ifer ©einame „ber Scfeanb= 
ßedf". ©3 Wirb ihr nun fehl echt ergeben an bem friebtofen Stein: 
borferfeof; ber ©auer feaßt in ihr feine Scfeanbe, bie ©äuerin 
bie lebenbige Srufl'u eines leibenfcfeaftslofen Fehltritts, bie 
©efefewifter betrachten bie unoerhoffte SRiterbin eben auch uicht 
mit freunblicben Augen. Anzengruber -fcfeilbert ihre Sage auf 
bem §ofe am plaftifcbeften butcb folgenbe Kpifobe: 

„Stur einen greunb batte bie Heine Seni nach am £>ofe, 
bem fte ftcb rüdfealtloS anoertrauen fonnte, ber Ades fo ernft 
ober fo luftig auf nahm, toie fie felbft eS meinte, unb baS war 

ber alte „Sultan".-Unb am anbern dRorgen ba fanb 

man ben „Sultl" tobt; ber ©auer tiefe ifen burtb einen ßneefet 
in bem ©arten oerfebarren, unb ber fdjleifte ihn auf bem Sege 
hinter {ich h er » bafe ber ßopf an ben Steinen anffchtug, Seni 
fefetie laut unb fafete mit beiben fjänben nach ihrem eignen 
Köpfchen, unb ber ßneefet mufete warten, bis fie ihre Scfeürje 
bem Äuube übetgebunben batte, bann folgte fie ihm weinenb 
unb fab ju, Wie et eine ©rube fcfeaufelteunb ben „Sultan" 
feineinlegte, unb bie ©tbe barüber flacfe trat. — ®arnaefe ging 
ber ßneefet wieber mit bem Spaten fort unb fie blieb allein an 
ber Stelle jurücf. ®a Oot ihr unter ber ©rbe tag ber „Sultan", 
unb branfeen ftanb feine £>ütte leer unb baS Strofe tag jerwüfett. 
Sem follte fie eS nun fagen, wenn fie fiefe auf SRittag ober 
fonft freute? Sem, Wenn fie Scfetäge fürefetete ober befommen 
featte? Unb wenn fie fiefe wieber an einem gtofeen ®orne rifet, 
ba leeft er ifer nimmer baS ©lut weg. D, ber arme gute 
„Sultl!" — 3Ran featte fie gelefert, baS Abenbgebet, Wenn fie 
eS einmal gefprodfeen featte, noch einmal ju wieberfeoten, ba 
galt eS bann für ©ater, SRutter unb ©efdfewifter unb „Alle, 
bie fte lieb featte". 3n iferem ratfelofen Sdfemerje faltete fie 
auch i*fct bie §änbcfeen unb betete, Ades, was man fie gelefert 
featte, baS SRorgen*, ®ifdfe: unb Abenbgebet für — ben „Sultl". 
— ®ann troefnete fie fiefe bie Augen unb ging beruhigter jurücf 
naefe bem $ofe. — Sie feoffte wofei, bafe fie wieber einen $unb 
befommen würben, ber auefe mit ifer fo gut fein würbe; fie be* 
tarnen auefe ein paar Sage barauf einen, aber ber war nur 
brummig unb biffeg, unb wollte niefet mit fidfe reben laffen." 

3n ben dRittfeeilungen über SeniS erfte SebenSjafere jeigt 
fidfe Anjengruber überhaupt als meifterlicfeer ßinbermaler. ®em 
bisherigen ®ramatifer war eS unterfagt, mit bem 3uwet biefer 
feinften ßunft ju glänjen, weil bie ®eefenif beS ®ramaS leiber 
bie ®arftedung oon ßinbergeftalten erfefewert, wo niefet unmöglich 
macht. 

Seni gefet jur Scfeule. Sie fcfeliefet fidfe halb einem ein: 
jigen ber neuen ßameraben näfeer an, bem Sofene beS jungen 
©tüderS, bem Keinen Florian, welcher ber Seni gar fo äfenlicfe 
ftefet. ®er alte Steinborfer erfeält taum ßenntniß oon bem 
linblicfeen greunbfcfeaftsbunb, als er ber Sent auefe fofort jeben 
©erfefer mit bem ©üben oerbietet. ®ie Seni aber weife niefet, 
bafe ber Steinborfer auS guten ©rünben bajwifcfeen tritt, bie 
beiben ßinber fefeen bie Störung iferer jungen Siebe nur als 
Folge einer unberechtigten Saune beS mürrifefeen ©auern an, 


fie werben fiefe bafeer oon jefet an nur feeimlidfe fpredfeen, fie 
werben in biefer $eimtidfeteit einen neuen Steij ifereS unfefeutbigen 
©erfeättniffeS erbliden, fie Werben mit biefer feimenben Siebe im 
4?erjen aufwaefefen unb bann werben fiefe bie ©efefewifter plöfe= 
liefe mit einer Seibenfefeaft gegenüberftefeen, Weicfee eines ber 
ftrengften ©ebote ber Statur unb ber Sitte üerlefet, unb bie 
fcfewermütfeige 3bfede beS SteinborferfeofeS ift jum Seginne einer 
Iragöbie umgewanbell. SEBie in AnjengruberS „©farrer oon 
ßircfefetb" baS ©runbmotio ber antifen Antigone in fcfelidfetem 
®orfgewanbe wieberfefert, wie bort ber ßampf um ein „eferlidfeeS 
Segräbnife" jur ©eripetie beS ®rama8 wirb, fo afenen wir feier 
bie ©wigfeit beS ©onflicteS oom OebipuS, meiefeer einft in flaf* 
fifefeen Jamben eine ünbticfee Söfung erfahren feat, unb welefeer 
bei bem mobernen ®iefeter in fcfeliefeterer Form ein ungleich tieferes 
©erftänbnife forbert unb finbet. 

®aS ©erfeältnife jwifefeen bem Steinborfer unb ber Seni 
feat injwtfefeen eine erfreuliche Aenberung erfahren. ®er alternbe 
©auer finbet in feinem feäuSliefeen ©lenb gerabe bei ber unfcfeul: 
bigen Urfaefee beSfetben, bei ber tiebeooden unb liebebebürftigen 
Seni, einen ®roft; baS Huge, braoe unb gute SRäbcfeen gewinnt 
ben befefeautiefeen. in feiner Stefignation eferwürbigen SRanu immer 
lieber, fie allein entfefeäbigt ifen für bie Seiben, weicfee ifem ber 
unoergeffene ©erratfe ber ©äuerin fowie bie Sieblofigleit ber 
älteren ßinber jufügen. ©ine furje Seite lang wofent ein 
ftiQeS ©tüef in bem ®feale, ba bie feeimlicfee Siebe oon Seni 
unb Florian unmerflicfe auefe ben Steinborferfeof burdfewärmt unb 
burcfeleuefetet. ®a bricht bie ßataftropfee fecrein; Florian wirbt 
offen um feine ©eliebte, bie AuSflüefete ifereS ©aterS müffen 
enbliefe ber Saferfeeit meiefeen, bie Siebenben erfaferen baS ©nt: 
fefeliefee, baS iferer ©erbinbung im Sege ftefet. Florian, bisfeer 
ein waeferet, tüefetiger ©auernburfefee, wirb aus ©erjweiflung 
über bie frembe Sefeulb, bie finfter in fein Sehen eingreift, jum 
®orfwüftling; jum Sefemerje beS eigentticfeen Sefeulbigen, feines 
©aterS, finft er in bewußter, forcirter Xodfeeit immer tiefer, bis 
er bei Ausführung eines übermütigen StreiefeeS ju ©runbe 
gefet. ®ie trefftidfe geartete Seni aber fügt fidfe tapfer ben neuen, 
unbeugfamen ©erfeältniffen, fie Oertäfjt ben Steinborferfeof unb 
finbet in SBien nadfe langem ßampfe nnb Otelen Seiben an ber 
Seite eines reiefeen, feocfegebilbeten ©atten baS ©tüd ifereS SebenS. 
Stoefe einmal erfefeeint jum Sdfeluffe in einer bramatifefe bewegten 
Scene ber alte Steinborfer als featbmafenfinniger Sear, ben feine 
eigenen ßinber berftojjen feaben, unb ber in bem „Sefeanbflecf", 
in bem ßinbe feiner S^madfe eine ©orbetia finbet. 

AuS bem grofeen Stafemen beS StomaneS ift feier bie Heine 
Stooelle auSgelöft worben, weicfee feinen SRittelpunft unb feinen 
wertfeboUften Snfealt auSmacfet. ©S ift eine ganj neue ©efefeidfete, 
ein neuer ©runbton, welefeer nadfe ber ßataftropfee anflingt unb 
ju SeniS neuem Sehen, ju iferem Sirfen in ber Stabt hinüber* 
leitet. ®er ®idfeter feat jWar ein geiftboHeS ßunftmittet ange* 
wenbet, um bie dweitfeeitung feines SerfeS einerfeits äußerlich 
burefe fcfeöne ArabeSfen anjubeuten, anberfeitS burdfe ben Sinn 
biefer ArabeSfen oom erften jum jweiten Xfeeite leife überju* 
beuten; bie Seni macht bei iferem Abfcfeieb oom Steinborferfeofe 
bie ©efanntfefeaft eines SanbfufermanneS, ber fie auf feinem Sagen 
mit ftefe nimmt, unb ber ifer nicht nur burdfe bie ©rjäfelung feiner 
bunten ©rlebniffe bie 3eit oertreibt, fonbem auefe burefe bie An* 
fdfeauungen feines ewig ben Ort wedfefelnben ©ewerbeS ben lieber* 
gang ju ber neuen, grofjftäbtifcfeen Seltanfcfeauung bilbet. ®odfe 
genügt bie tunftooQ gebaute ©rüde niefet, um über bie Ser* 
fdfeiebenfeeit bet beiben Uferlanbfdfeaften ju täufdfeen; ber erfte, 
größere ®feeit beS StomaneS bietet mit feiner faubern, breit an* 
gelegten Ausführung ein ooQfommen einheitliches ©ilb, bem ber 
jweite Xfeeil mit feiner fiifenen, etwas fprungfeaften SRanier nidfet 
entfpridfet, fo Oiel fcfeöne ©injelfeeiten auefe ba beinahe al fresco 
feingeworfen ftnb. ®ie an fi^ bebeutenbe Abficfet, bie Seni, 
naefebem ifere erfte Fugenbliebe in erfcfeütternber Seife in ©rücfee 
gegangen ift, burefe bie Siebe eines feöfeergefteßten, freibenfenben 
SRanneS ju retten, biefer ccfet moberne ©ebanfe birgt bennodfe 
in fiefe ein neues ©roblem, baS „8orte"=©roblem, wetcfeeS Anjen* 
gruber auefe naefe Auerbadfe in anberer Seife ju löfen berechtigt 


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206 


Vit 9t$t «wart 


Nr. 13. 


War, w eidfei aber jebenfallS eine bem elften Ificite beS ©omaneS 
an ©reite ebenbürtige ©eljanbtung oerbient hätte. 

@ine ©ergleidjung jtoifc^en ben beiben Stiftern non Sorf= 
gefehlten, jtvif^en bem alten SReifter unb bem meifterljaften 
jünger, liegt nahe, ohne ba| ^iet ber Staunt bafür märe. 
Auerbach beherrfcht in ungleich llarerer Seife bie gorm ber @r= 
Zählung, man hört bei ihm in ununterbrochenem ffluffe einen 
reifen ber in einfachen Sorten bie SebenSfdjidfale 

einfacher ©lenfchen erzählt, bei bem alle Sidjtftrahten feiner Sid^ 
tung oon einem einzigen ©rennpuntte, ber Sebensanfchauung unb 
Sentart beS Sid&ter3 auSgehn; anberS erfcheint baS neue Ser! 
Anzengrubers, roelcher als geborener Sramatiter bie Sdjranle beS 
unbeteiligten SufdjauerS öfter als nötig burchbridjt unb mit 
jugenbtidjer Seibenfdjafttichteit für bie jeweilig auftretenben ©er= 
fonen feiner „$anblung" fßartei unb baS Sort ergreift. Unb 
boch ift bie Aehnticfjteit ber beiben Sichter größer als ihr ©egen» 
fajj. ©eibe finb moberne ©eatiften, melche im Sichte unb im 
©eifte fpinoziftifdjer SeiSljeit baS moberne 3beat begriffen hoben 
unb jur Anfdjauung bringen, ein 3beal, welches nicht mehr in 
ber übertriebenen ©ergötterung einer befonbern, „genialen" $er= 
jönlidjfeit feinen AuSbrud finbet, fonbern in ber ruhigen Eingabe 
an bie SIKgemeinheit, in ber refignirten Abtönung beS eigenen 
©Iücfsmaj:imum8 nach ©lahgabe ber ©litfreuenben unb ©litlei; 
benben. Sie Schönheit ift nicht mehr ©elbftjmec!, fonbern fie 
baut fich in ber Harmonie ber anbern ®igenf<haften auf, bie ganz 
nüchtern als ©raoheit, ©üte unb Klugheit auftreten. ©ergteicht 
man bie anfpruchSlofen gelben unb Lettinnen moberner Sorf; 
gefchichten, bie meber fentimentat noch genial finb, fonbern nur 
„bratt, gut unb Hug", mit ber hödhften Schöpfung ber julefct ab= 
gefchloffenen ©eriobe, mit bem ©türmer unb Sränger Sauft, bann 
lönnte leicht baS Sob, Anzengruber fei ein ed)t moberner Sichter, 
ju einet Anerfennung werben, melche eine fernere ffefcerei gegen 
bogmatifihe Siteraturgefchichte in fich birgt Sann rnirb eS aber 
auch i« einem Sorte beS SobeS, menn man Anzengruber, ben 
bemährten Senbenjbramatifer, auch nach feinem neuen Serie troff 
beffen leifem Stuftreten abermals einen entfchiebenen, glüdlidjen 
Senbenjbitter nennt. Jrig mauthner. 


Vas Vrbilb ber IjölBbfltt&gefdjidjte. 

Sille Seit lennt bie berüchtigte ^alSbanbgefdjichte, burch 
bie in ber ungerechtfertigten Seife ber ©uf ber Königin ©larie 
Antoinette empfiublich gefchäbigt mürbe; aber meniger befannt 
ift bie Shotfadhe, auf bie in Seutfdjlanb meines SiffenS noch 
nicht hingeniefeu morben ift, bah jener grobe ©fanbal bcS 
18. SaljrhunbertS nichts AnbereS ift, als ber Abttatfeh einer 
anberen flanbatöfen ©efdjiehte, bie fich HO 3ahre oorljer in 
bemfetben ©ariS, unter ganz analogen ©erhältniffen unb unter 
ber ©etheiligung ganz analoger ©erföntichteiten fchon einmal 
abgefpiett h°t — ein neuer ©emeiS für ben abergläubifdjen 
©a|: bah jeber bebeutenbe ©orfaD fich zweimal in ber Seit 
gefehlte ereignen foH. Sie Aehnlidjteit aller Wefentlichen @injel= 
heiten ber ^alsbanbgefdhichte im 3aljre 1785 mit ber £>alS= 
banbgefchichte im 3aljre 1675 ift eine fo frappante, bah bie 
Annahme gerechtfertigt, ja bah eS als eine ©ewihheit erfcheint: 
bie Urheber ber te|teren, alfo bie ©räfin Sa SDtotte^SJaloiS, 
©raf ©aglioftro unb Sreteauj be ©itlette müffen jenen älteren 
©etrug getannt hoben. Ser einzige Unterfdjieb jwifcheit ber 
älteren unb ber fpäteren tpalsbanbgefdjiehte ift ber, bah in ber 
erfteren bie Serhältniffe befcheibenet unb bie ©erfönlidjfeiten 
geringere finb, bah ber ©etrogene lein ffürftbifchof unb ©atbinal, 
fonbern nur ein ©räfibent aus ber ©rouinj unb baS weibliche 
Opfer ber ©djwinbetei leine Königin, fonbern nur eine ©djau: 
fpieterin ift, — aber aDerbings eine herootragenbe, weltberühmte 
©chaufpielerin: leine geringere, als Armanbe ©Sjart, bie Sittme 
©toliöreS. 

3m Uebrigen hier wie bort biefetbe thörichte Siebe eines 
hochgefteUten ©tanneS ;u einer unnahbaren unb unerreichbaren 


Schönen; hier wie bort biefetben ©emüf>ungen beS ©erliebten, 
bie ©unft biefer Schönen burch ©ermittelung einer fdjtauen 
Setrügerin ju gewinnen; hier wie bort biefelben ©littet, um 
ben ©erliebten in bem Sahne, bah er fein 3iel erreichen wirb 
unb eS fchtiefiiich aud) erteilt, ju erhalten; hier wie bort 
biefelbe (Einzelheit: bah bie ©unft ber Unerreichbaren Der* 
meinttid) burch ein $alsbanb gewonnen werbe; hier wie bort bie* 
felbe ©orfdjiebung einer ber ©eliebten an ©ejklt zufällig äf>n* 
liehen ©erfon, hier wie bort enblidj bie Gfntlaröung ber 
©djulbigen unb enblich bie ©leichheit ber ©träfe für biefe wie jene. 

Um bie ööüige ©leichheit ber $auptbebingungeit, unter 
benen fich ber ältere unb ber jüngere ©etrug ooUjogen hoben, 
in helles Sicht }u fe|en, ift eS unumgänglich, bie aUbetannte 
fpalsbanbgefchichte hier noch einmal in ihren wesentlichften 3ügen 
lurj }u ftijjiren. SaS fott, um ber leibigen ©otljwenbigteit 
noch bie günftigfte ©eite abjugewinnen, nach bem recht lebhaften 
©erichte eines 3eugen beS ^alSbanbproceffeS gefchehen — nad) 
ben Aufzeichnungen ber ©labame (Sampan, bie jum ^ofe 
SubWigS XVI. in nädjfter ©erührung ftanb, früher ©orleferin 
am $ofe gewefen War unb fpäter bem Sienfte bet Königin 
©tarie Antoinette attachirt würbe. 

I. 

3m 3ohre 1774 — fo berichtet ©labame (Sampan — 
hatte bie Königin oom 3«welier Söhnier »erfchiebene Äleinobien 
im ©etragc oon 360,000 graues gelauft, bie fie aus ihrer 
eigenen ©d}atulle in oerfchiebenen ©aten bezahlt hotte, ©eit 
jener 3«t hotte ihr ber föönig ferner einen ©djmud Oon ©ubinen 
unb meinen Siamonten jum ©efchent gemacht, fowie ein ©aar 
Armbänber im Setroge oon 200,000 gtancS. Sie Königin 
hatte barauf ertlärt, bah ihr 3umelenreichthum nunmehr ftattlicf) 
genug fei. Sro^bem ma^te ©öhmer, ber feit einigen 3at)ren 
bie f^önften Siamanten, bie im irnnbel waren, aufgetauft unb 
zu einem fpalsbanb oereinigt hatte, ber Königin baS Anerbieten, 
biefen ©chmud für bie Summe oon 1,600,000 Francs zu taufen. 
3hre ©lajeftät antwortete jeboch barauf: „Sir hoben ein ÄriegS^ 
fchiff jtfet nöthiger, als toftbare Steine." ©öhmer lieh fich 
bur«h biefe Ablehnung aber nicht abfdjreden: er fe|te alle 
§ebet in ©ewegung, unb eS gelang ihm audh, e ‘ ne abermalige 
Aubienz bei ber Äönigin zu erwirten. (Sr warf fich 'h r Z u ffühen 
unb rief auS: „3<h bin ruinirt, ich bin entehrt, ©lajeftät, wenn 
©ie mein §atsbanb nicht taufen! 3<h tonn baS Unglüd nicht 
überleben, unb wenn (Sw. ©lajeftät mich wieber zurüdweifen, 
fo ftürze ich mich in’S Saffer." 

„Stehen ©ie auf, ©öhmer," oerfefcte bie Königin mit Strenge, 
„ich fiube eö burchouS ungehörig, bah ©ir fi<h erlauben, eine 
fol^e ©erzweiflungSfcene mir oorzufpieten. 3<h habe 3h nen 
baS ^atSbanb nicht beftedt unb mieberhote 3h nen r bah i<h nicht 
einen Siamanten mehr taufe. 3<h oerbitte mir alle Weiteren 
Seläftigungen. (Sntfenten ©ie fich-" 

3« tieffter ©iebergefdjlagenheit zog fich ©öhmer z“rüd unb 
lange Seit hörte man nichts mehr Oon ihm. Sie Königin h«tte 
bie Unziemlichteiten ©öhmerS längft oetgeffen, als er eines XageS 
wieber oor ihr erfchien, um ihr irgenb einen ©chmud jurüd- 
Zubringen, an bem er eine ©eparatur hotte oornehmen müffen. 
©ein ©efi^t war bieSmal ftrahtenb. @r würbe oon 3hrer 
©lajeftät empfangen, juft als biefe auS ber ©leffe getommen 
War, unb benuhte biefen Antah, um 3h rer ©lajeftät eine ©itt; 
fchrift einzuhänbigen. 3« biefem ©chriftftüd fagte er: „@r fchäfte 
fidh gtüdlich, 3h re ©lajeftät nunmehr im ©efijje ber fchönften 
Siamanten, bie in (Suropa betannt finb, z“ wiffen unb bitte 
gehorfamft, bah ntan ihn nicht ganz oergeffe." Sie Königin 
glaubte, er höbe ben ©erftanb oertoren, unb Warf ben ©rief mit 
ben Sorten in’S geuer: „®S oerlohnt nicht ber ©lühe, bergleidjen 
aufzubewahren." 

„Am erften Auguft," fährt ©labame Sampan Wörtlich fott, 
„oerlieh »<h SerfailleS, um mein SanbljauS zu beziehen. Am 
britten tarn ©öhmer zu mir, um mich ju fragen, ob bie Königin 
mir nicht irgenb einen Auftrag für ihn gegeben habe, ba er {ehr 
beunruhigt barüber fei, bah ev leinen ©efdjeib erhielte. 3rfp 


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Nr. 13. 


lit (ScjfBwtrt. 


207 


gab ißm batauf jur «nttoart, baß iß feine ©eftetlung an ißn 
au«jurißten ßätte, unb wieberßotte ißm getreulich, wa« ißm ju 
tagen mit befohlen War. 

„aber," berfeßte ©ößmer, „an wen fott iß miß benn wenben 
Wegen bet Sntwort auf ben ©tief, ben icf> 3ßrer ©lajeftät über; 
geben ßabe?" 

„an feinen ©Tenfßen," entgegnete iß, „3ßre ©lajeftät ßat 
3ßren ©rief berbtannt unb gar nißt begriffen, wa« fie mit 
bemfefben fagen motten." 

„ffiie Wäre ba« mögtiß! 3>ie Königin weiß boß, baß fie 
mir Selb fßutbig ift." 

,,©etb, §err ©ößmer? 3Bir ßaben ja unfete Segnungen 
für bie Königin feit (anger 3«it in Orbnung gebracht." 

„Sie finb nißt gut unterriß tet, ©labame! ©tan ßat miß 
noß nißt bejaßtt unb man ruinirt miß, wenn man miß nißt 
bejaht; man fßutbet mir noß meßr at« 1,500,000 gtancö." 

„§aben Sie ben ©erftanb bertoren?" fragte iß. „3rür 
wetßen SBertßgegenftanb fann 3ßnen benn bie Königin eine fo 
ungeßeuerliße Summe fßutbig fein?" 

„2rür mein $at«banb, ©labame," antwortete mir ©ößmer 
feßt rußig. 

,,2Ba« wotten Sie benn mit bent $»at«banb fagen, wegen 
beffen Sie f(ßon feit meßreren faßten bie Königin betäftigt ßaben? 
$aben Sie mir bocß felbft erjäßtt, baß fie e« in Konftantinopet 
berfauft ßätten!" 

„Seßr ricßtig! SBeit mir bie Königin ben ©efeßt gegeben, 
biefe äntmort atten benen, bie nacß bem $at«banb fragen würben, 
ju geben," antwortete ber einfältige ©ienfß, unb er fügte ßinju, 
baß bie Königin ben ©efiß be« Sßmude« gewünfßt unb ben= 
fetben burcß Se. ©minenj ben ©arbinat SRoßan angefauft ßabe. 

,,®a« ift gar nicßt mögliß," rief i(ß au«, „bie Königin ßat 
mit bem ©arbinat feit feiner SRüdfeßr au« Sffiien no<ß nicßt ein 
SSort geweßfett. 6« gibt gar feinen ©tenfßen, ber meßr in 
Ungnabe am §ofe fteßt! Sie irren fieß unbebingt!" 

„$er Srrtßum ift auf 3ßret Seite, ©labame," berfeßte 
Sößmer, „bie Königin empfängt ben ©arbinat atterbing«; fie fetbft 
ßat Sr. ©minenj bie 30,000 fjranc« au«geßänbigt, bie er an miß 
at« erfte abfßlag«jaßtung entrießtet ßat, unb in feiner ©egen= 
wart ßat bie Königin in ißrem ©ribatgemaße bie Summe au« 
bem Reinen Söbreäfecretär genommen, ber neben bem Kamine 
fteßt" 

„Unb ba« ßat ber ©arbinat fetbft 3ßnen gefagt?" 

,,©r fetbft!" 

„ttiun, ba« ift eine erbärmlicße Sfutrigue," rief icß au«. 

„aber Sie erfßreden mieß, unb icß fetbft werbe attmäßtiiß 
beunrußigt! ®enn Se. ©minenj ßat ßinjugefügt, bie Königin 
wolle am ßeitigen ©fingftfefte ben Sßrnucf jum erften ©tat tragen, 
unb idß ßabe benfetben atterbing« an ißrem $atfe betmißt ; bto« 
au« biefem ©tunbe ßabe icß aueß an 3ßre ©lajeftät ju jßreiben 
mieß erfüßnt." 

darauf bertieß er mieß. 3ß ßatte ißm anempfoßten, ben 
©aron bon ©reteuit, ben ©fünfter be« fönigtießen $aufe« auf« 
jujußen; er aber ging jum ©arbinat unb bemüßte fteß mit allen 
©litteln, eine neue aubienj bei ber Königin ju erwirfen. 3)ie 
Königin feßtug biefe« ©efuß mit ben SBorten ab: „3ß ßabe 
ißm nicßt« ju fagen; er ift berrüdt." 

©inige Jage batauf befeßieb mieß 3ßre ©lajeftät nacß 
Xrianon. 3ß fanb fie in ißrem ©rioatgemaße attein, unb 
Wäßrenb fie mit mir bon berfeßiebenen Kteinigfeiten fprncß, unb 
icß ißr batauf Rntwort gab, baeßte icß an ba« $at«banb unb 
fueßte juft naß einet paffenben ©etegenßeit, nm biefe Sacße ju 
erwäßnen, at« 3ß« ©lajeftät felbft mir fagte: „SBiffen Sie feßon, 
biefer ttlarr, ber ©ößmet, ßat wieber eine Stubienj bon mir 
erbeten unb obenein beßauptet, baß Sie ißm baju geratßen 
ßätten? 3ß ßabe ißn natürliß nicßt empfangen, aber wa« 
mag er nur bon mir wotten? $aben Sie eine aßnung ba« 
bon?" darauf tßeitte icß Sßret ©lajeftät mit, Wa« mir ber 
©Ienfß erjäßtt ßatte. Sie ließ mieß meinen ©erißt meßrete 
©täte oottftänbig wieberßoten; fie begriff nicßt, wie ber ©arbi« 
nat in biefe ©efßißte ßineingejogen werben Tonnte. 3)ie ganje 


Sacße War ißr rätßfetßaft. Sie fanbte fofort jum abbe be 
©ermonb unb jum ©aron be ©reteuit. ©ößmer ßatte mir bon 
ber Sa ©fotte Tein SBort gefagt; biefer ©ame würbe jum erften 
©late bom ©arbinat au«gefprocßen, at« biefer fieß einer Unter« 
fueßung burcß ben König fetbft §u unterwerfen ßatte. 

am 15. auguft 3Rittag« würbe ber ©arbinat, ber feßon 
ben jfeftornat angelegt ßatte, in ba« ©abinet be« König« be« 
feßieben, wo aueß bie Königin jugegen war. ®er König rießtete 
junäcßft an ißn bie «frage: „#aben Sie bon ©ößmer diamanten 
geTauft?" 

„3awoßt, Sire." 

,,S03a« ßaben Sie bamit angefangen?" 

„3eß glaubte, baß biefetben 3ßrer ©lajeftät übergeben worben 
feien." 

„2Ber ßatte 3ßnen ben auftrag baju gegeben?" 

„@ine S)ame, weteße fieß ©räßn be ta ©lotte«©atoid nennt; 
biefe ßat mir einen ©rief ber Königin borgetegt, unb icß glaubte 
Sßrer ©lajeftät eine aufmerffamteit ;u erweifen, Wenn icß mieß 
biefe« auftrage« unterjöge." 

®a ergriff bie Königin ba« SBort unb fagte: „aber wie 
ßaben Sie gtauben Tönnen, $err ©arbinat, baß idß gerabe Sie, 
mit bem icß feit aeßt 3aßren feine Silbe gefproeßen ßabe, wäßten 
würbe, um eine foteße Unterßanbtung ju leiten, unb noeß baju 
burcß bie ©ermittetung einet foteßen ®ame?" 

„3«ß feße jeßt woßt ein," berfeßte ber ©arbinat, „baß 
icß in graufamer SBeife ßintergangen worben bin. 3<ß werbe 
ba« $al«banb befaßten. ®er feßntieße SBunfcß, Sw. ©lajeftät 
ju ©efatten §u fein, ßat meine äugen mit ©tinbßeit gefeßtagen." 

®arauf tegte er einen ©rief bor, in meteßem bie Königin 
bei ber ©räßn Sa ©lotte ba« $at«battb beftettte. ®er König 
naßm ©inßcßt babon unb inbem er benfetben bem ©arbinat 
ßinßiett, fügte er ßinju: ,,2>a« ift Weber bie fpanbfcßrift ber 
Königin noeß ißr ©amen«jug. SEÖie fann ein gürft au« bem 
$aufe ©oßan, ein ©rätat, glauben, baß bie Königin jeießnen 
Würbe: ©tarie antoinette boit granfreieß? alle SBett weiß, baß 
bie Königin nur mit ißrem Xaufnamen jeießnet. $aben Sie," 
fußr ber König fort, inbem er eine abfeßrift eine« anberen an 
©ößmer gerießteten Scßreiben« bortegte, „ßaben Sie einen biefer 
©opie entfpreeßenben ©rief gefeßrieben?" 

„3dß erinnere mieß nicßt, benfetben gefeßrieben ju ßaben," 
berfeßte ber ©arbinat, naeßbem er ba« Scßriftftüd burcß flogen 
ßatte. 

„fBenn man Sßnen aber nun ba« Original be« ©riefe« 
mit 3ß r « eigenen Unterfdßrift borjeigte?" 

„SBenn ber ©rief meine Unterfcßrift trägt, fo wirb er woßt 
bon mir ßertüßren." 

„ttlun," fußr ber König fort, „fo erftäten Sie mir biefe« 
©ätßfet! 3<ß will Sie ja nicßt oßne SBeitere« für fcßulbig ßätten; 
icß wünfeße, baß Sie fieß ju reeßtfertigen bermögen! Sagen Sie 
mir, wa« aüe biefe ©efudße bei ©ößmer, biefe ©erfießerungen 
unb ©ertröftungen, Wa« aüe biefe ©riefe ju bebeuten ßaben!" 

®er ©arbinat entfärbte fteß fießtbar. @r feßwanfte unb 
ftüßte fieß auf ben lifeß. „Sire," fagte er, „iß bin ju aufgeregt 
unb ju befangen, um @w. ©lajeftät jeßt antworten ju Tönnen." 

„So erßoten Sie fieß, $err ©arbinat! treten Sie in 
ba« Keine Slebenjimmer! Sie Werben bort ©apier, ffeber unb 
linte finben; fßreiben Sie auf, wa« Sie mir ju fagen ßaben." 

®et ©arbinat ging in ba« Tteine ©ernaeß be« König« unb 
Tarn ci’te ©iertelftunbe batauf Wieber mit einem ©rief, ber 
ebenfo untlar nnb »etwovren, wie feine münbtiße au«fage e« 
gewefen War. darauf oerfeßte bet König: „Sie mögen fieß ju« 
rüdjießen." 

®et ©arbinat Würbe öerßaftet, erft in fein fiotet gefüßrt 
unb bann auf bie ©aftitte gebraßt. 

33a« ©anje war nißt« anbere« at« ber fßtau angelegte nnb 
gewanbt' burßgefüßrte ©etrug jener Intrigantin, ber ©räßn 
be ta ©lotte«©atoi«. Sie ßatte fowoßt ben ©arbinat at« auß 
ben Juwelier getäufßt, bie Unterfßrift ber Königin burß einen 
^Dritten, ©amen« ©ittette, fätfßen taffen unb eine 3ufammen« 
Tunft jwifßen ber Königin unb bem ©arbinat beranftattet, bei 


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Die «ogenwgri. 


Nr. 13. 


metcher eine teicfttflnnige ijSetfou, eine getoiffe Dtioa, bie mit 
SKarie Antoinette eine auffaßenbe Aehnlichleit hatte, Abenbb in 
ben ©arten oon SBerfaiOe^ fid) bem Oerliebten ©arbinat einen 
Augenblicf ata Königin jeigte unb bann int ©ebüfd) oerfdjmanb. 
Der ©arbinat tieft fid} t»on biefer Ae^nticftleit ebenfo betören, 
mie t>on alten anberen Sorjpiegeluitgen ber Sa äRotte. 

Seim tßroceft mürbe feftgefteßt: erftenb, baft ber ©arbinat 
im guten ©tauben, bie Königin münfdje ben Sefift beb £>atb: 
banbeb, babfetbe getauft tjabe; jmeitenb, baft bie ©rmächtigung 
ju bem Antauf mit ber Untetfdjrift „-Dlarie Antoinette Don Srant: 
reich" Don Sittette herrühre, ber bie Sälfdjung auf Setreiben ber 
Sa Sföotte oorgenontmen; brittenb, baft bab ^atbbanb ber ©räfitt 
be ta 3Jlotte eingetjänbigt fei, bie eb ber Königin übergeben 
fottte; unb oiertenb, baft ber Slantt ber ©räfitt Sa äRotte mit bem 
©djmude nach ffingtanb burdjgegangen fei, bort bie toftbarften 
Steine aubgebrodjen unb Dertauft habe. 

Sei ber ungemä^nlicften 3Bid)tigfeit beb tßroceffeb, in bem 
bie ©fjre einer Königin auf bem Spiele ftanb, ein König fetbft 
atb Kläger figurirte unb ber Angettagte alb gürftbifdjof unb 
©arbinat eine f)öd)fte ©tettung im ©taate einitahm, mürbe ein 
aufterorbenttidjer ©eridhtbtjof gebitbet unb bie Zahl bet 9tid)ter 
t'epr ftart bermehrt. Angettagt maren: bie Dtioa, ber ©raf 
©agtioftro, Sittette, bie ©räfin be ta äRotte unb ber ©arbinat 
9tohan. 

ÜRabemoifetlc Dtioa geftanb reumütig ihren Seidjtfiitn 
ein unb erttärte, baft fie ben bringenben Sitten ber ©räfin 
Sa äRotte nadjgegebeit unb fkh tjabe überreben taffen, baft fie mit 
bem äRummenfchanj ber Königin fetbft ein Sergnügen bereite, 
©agtioftro behauptete, er miffe Don ber ganjen ©acpe nidjtb. 
Sittette gab bie Zälfdjung ju. Die ©räfin Sa äRotte machte megen 
ihreb breiften, ja freien Senehmenb oor ©ericftt auf bab Dribunal 
ben ungünftigften ©inbrucf. ©ie beftritt Attcb unb ftettte jmeifet: 
tofe S^atfaihen einfach in Abrebe. Der ©arbinat nahm alte feine 
Kräfte jufammen unb jeigte fich jmar tief ergriffen, aber äuftertich 
rutjig. ©r ftanb aufrecht oor ben ©thronten; bie bleiche Sarbe 
feineb ©efichtb jeigte noch bie folgen einer Kran t heit, bie fein 
Seben bebroht hatte. Der erfte ©räfibent forberte ihn auf, fich 
ju fehen, aber erft ber britten Aufforberung teiftete ber Sürft 
Sotge. ©eine Aubfage gipfelte ht bem Safte: „Z<h bin Dott= 
tontmen Derbtenbet geroefen bnrch bab äufterfte Sertangen, bie 
©uabe Zh rer äRajeftät mieberjugeminnen." 

Am 31. 3Rai 1786 Abenbb 9 Uhr mürbe nah einer testen 
acfttjeftnftünbigen ©iftung bab Urtheil Dertünbet. Der ©arbinat 
mürbe freigefprochen, bie ©räfin Sa äRotte mürbe Derurtheitt: 
geftänpt, auf beiben Schultern mit bem Sudjftaben V. (Voleuse) 
gebranbmartt, Don £enferbftanb gefchoren nnb barauf lebenb- 
iängtich in ber ©alpetriete eingefperrt ju merben. Siltette 
mürbe oerbannt, ©agtioftro aubgemiefen, bie Dtioa in Freiheit 
gefeht. Atb ber ©räfin Sa äRotte bab Urtheit mitgetheitt mürbe, 
geberbete fie fich toie eine gurie. ©ie häufte bie entfeftlicftften Se: 
fdjitnpfuitgen unb Sermünfchungen auf bie Königin unb ben 
Saron be Sreteuit, unb trieb eb fo arg, baft bet Sichtet, ber 
ber ©jecution oorftanb, ihr einen Knebel in ben äRunb fteefen 
taffen muffte. Darauf mürbe fie nach ber ©atpetriöre gebracht, 
gefchoren, in ein Süftergemanb geftedt unb in eine ifotirte Kafe: 
matte gebracht, mo fie nur mit ben Serfonen in Serbinbung 
tarn, bie ihr bie Währung jutommen tieften unb „burdj häufig 
mieberhotte Züchtigungen bem milben Strom ihrer oergifteten 
Zunge Sinhatt ju gebieten hatten". 

©omeit bie Serichte aub ber Zeit. ®b ift befannt, baft eb 
ber ©räfin Sa Sölotte gelang, ju entlommen unb nach ©ngtanb 
ju fliehen. 

Die ©efchichte machte jur Zeit ein unbefchreibtidjeb Auf: 
fehen. Droh alter Karen SeftfteHungen motlte mau an bie ein: 
faefte SBahrheit nicht glauben; man fanb eb pifanter, nach ber 
ehtabfdjneiberifchen Dheorie ju oerfahren, baft an altem böfen 
©erebe fdjlieftlich boch etmab fein muffe, unb motlte lieber an 
bie ©dftutb einer Unfcftutbigen atb an ben Setrug Don Setrügern 
unb bie Dtjorheit eineb ooruehmen Starren glauben, ©etbft 
gtiebrich ber ©rofte, an beffen Sterbelager bie Kunbe oon bem 


groften ©tanbate brang, blieb bem- ©inftuft beb ©erebeb nicht 
gänjtid) entrüdt; menigftenb citirt mau Do» ihm bab SBiftmort: 
„Der #err ©arbinat oon Sohan muft fehr Kug fein, um ber 
SBett meib ju machen, baft er fo bumm gemefen fein fottte." 

©oethe intereffirte fich für bie ©efdftichte unb bereu $etbeu 
ungemein. äRan meift, baft er bei feinem Sefudje in Palermo 
im April 1787 bie Sermanbten ©agtioftrob auffueftte, um über 
ben oermegenen Abenteurer Stähereb ju erfahren unb fpäter — 
1791 — bie |>atbbanbgefchichte bramatifirte, oljue inbeffen bem 
oiefleicht bantbaten Stoffe irgenb metefte bramatifche ©eite ab: 
jugeminnen. Der „©rofttophta" gehört entfeftieben ju ©oettieb 
mifttungenften Arbeiten. 

II. 

SEßie fdjon im ©ingange ermähnt mürbe, muft biefer berühmte 
Setrug auf ben Sorjug einer originalen ©rfinbung berjichteu. 
©räfin Sa äRotte unb ihre ftelferbhetfer haben fiel nicht nur 
ber einfachen ©djminbelei, fonbern ber burd) eruiebrigenbeb 
Stagiat noch oerftärtten Setrügerei fcftulbig gemacht Die 
authentifdjen Setäge bafür finb neuerbingb jugäugticher, refp. 
roieber jugäugticher gemorben: einerfeitb burch bie Seröffeni* 
tidjung beb Segifterb Don Sa ©ränge, — mie man meift eineb 
ber herüorragenbften ©chaufpieter bet SRotidre’fehen ©efettfehoft 
— anbrerfeitb burch ben 3acfimite:9leubrud eineb tlaffifcheu, 
tängft Dergriffenen Sancphtetb, bab gegen SRotiöreb Stau gerichtet 
unb feit mehr benn 100 fahren Dom SüchetmarÖc oerfchmunben 
ift Dieb Samphtet gehörte bib oor fiutjem ju ben fchmerjt 
erreichbaren Seltenheiten. Die Aubjüge aub bemfetben, bie man 
in Dielen auf SJtoliere bejügtichen ©«hriften finbet, ftnb, mie 
mau jeht fidf mühetob überjeitgeu fann, fehr mitttürtich unb 
jum Dheit fogat incorrect. 

Die Srofchüre, bie ^auptquette, führt ben Ditet: „La 
fameuse Comedienne ou Histoire de la Guerin auparavant 
femme et veuve de Molibre. A Francfort. Chez Frans Rotten¬ 
berg, Marchand-Libraire. Pres les Carmeß. 1688 .“ Diefe 
berühmtefte ober, roenn man miß, berüchtigtfte glugfchrift ber 
SRotiöre:Siteratur ift üor ganj turjer Zeit oon Suteb Sonnaffieb 
in einer Keinen Auflage für Südjerfteunbe mit gröftter ©enauig: 
feit in ber ffiiebergabe beb Dejcteb neu aufgelegt morbeu.*) ©b 
ift ein bobljafteb, giftigeb ©taborat, bab in aßen thatfächtidjen 
Angaben mit gröftter Sorficftt benuht fein miß; aber eb ift 
fdjriftfteUerifch eine borjügliche Arbeit — fo oorjüglich, baft 
man bab „admirable pampblet“, mie man eb in Sranfrcid) 
genannt hat, atb bab 323er! ber gröfttett Dichter, atb eine Arbeit 
Stacineb unb Safontaineb bejeidjuen, unb baft biefe irrige Auf: 
faffung fi<h burch Sahrhunberte behaupten fouute. ©b ift um» 
jmar nadrgemiefeu, baft meber ber Sitte nod) ber Anbere jene ge: 
häffige Schrift oevfaftt habeu tann, aber eb bleibt barum nicht 
minber maljr, baft biefetbe unbebingt oon einem heroorragenben 
fchriftfteßerifchcn Datente berühren muft. ©injettte ©teßeu iu 
ber Keinen Schrift, j. S, SWotiöreb Sefcftmerbeu im ©arten ju 
l Auteuit über bie teichtfinnige Aufführung feiner Stau, finb im 
J reinften, burchfichtigften, tnappften Stanjöfifdj, in einem toahrhaft 
| Kaffifchen ©tite gefchrieben. 

I Z« biefer ©chmähfehrift roirb nun auf ©eite 45 unb ff. 

! erjähtt: 

„Um biefetbe Zeit — eb mar im Sommer 1675 — ftieft 
ber SKotiere ein Abenteuer ju, bab ihren ©tolj auf’b Aeufterfte 
oermehrte. Z« ißarib gab eb nämlich eine ^Jetfon, Dourefle 
geheiften, bie mit ihr eine fo auffaßenbe Aehnlichteit hatte, baft 
man bie Seiben (eicht miteinanber Dermedhfetn tonnte. Die Doureße 
mar eine galante Dame, gerabe mie bie 2 )Miere, nur mit meniger 
©ttid, unb bab brachte fie auf beit ©ebanfen, fich für bie äRotiöre 
aubjugeben. Die Sache glüdte fo oorjüglich, baft aße 35kU ge: 
täufdht mürbe. 

©in ißräfibent aub ©renobte, SRatttenb Sebcot, hatte ftch 
nun in bie Stotibrc, bie er auf ber Sühne gefehen, fterbiidft 
oerliebt unb burch ganj ißarib eine tßerfon gefugt, bie iftm bie 


*) $arib, Sarraub. Zn 502 mim«rieten Sjemptaren. 


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Nr. 1$. 


9t« Uejemoart. 


209 


©cfanntfchap imt ber berühmten ©«haufptelerin oerfdjoffen rennte, 
liefen Sßunfd) feilte er and) einer gewinn grau ßebouj mit 
bem ©emerfen mit, bah ihm fein Opfer jn grofj fei, um baS 
erfehnte Siel ju erreichen. ®aS braute bie ßebouj auf ben 
(Sebanfeit, bafj bie Xonreße ganj oortrefflid) bie SRofle ber &t- 
liebten barfteflen fönne. ©ie fagte ba^er bem ©räfibenten, bah 
fie bie Schaufpielerin petfönlid) nid)t fenue, bah if)t inbeffen 
eine anbere Werfen befannt fei, welche auf bie SReltere einen 
unbephtänften ®influ^ auSiibe. SRit biefer Werbe fie ©fkffprache 
nehmen unb in einigen lagen bem ©röpbenteu ©efdjeib geben, 
©er ©täfibenl befäwor fie, Äße« ju tfyun, waS in ihren Kräften 
fte|e unb oerficherte fie feiner Ooßpen ßrfenntlichfeit. 

Kaum hatte er baS $anS oerlaffen, fo fanbte fte jur Zoureße 
unb fagte ihr, bah fie einen guten (Gimpel eingefangen höbe; 
bie ©onreße möge fidj nur bereit holten unb fofert femmen, 
Wenn ju ihr gefdjidt »erbe, um bei bem ©offenfpiel als grau 
SRoltete mitjuwirfen. ©et ©räftbent fam nun täglich wisber, 
man üertröpete ihn non einem Sage jum anbern, bie <Sa<fye 
lieh« fi«h nicht fo bephleuntgen! ©nblich, als SlfleS fomeit ge= 
biehen war, bah bie ©ienfte, welche bie ßebouj öeruieintlkf) 
leißete, erheblich genug etßhienen, theilte biefe unter Se= 
jengungen bet lebljafteften greube bem ©räpbenten mit, bah 
nunmehr «de £>inbemiffe aus bem ffiege geräumt feien, unb bah 
bie SRoltere ihr äßort gegeben höbe, morgen ju it»r JH fommen. 
©o fam benn auch eine erfte Sufammenfunft ju ©tanbe. ©er 
©räßbent oerweilte lauge 3eit in ber ©efeflßhaft ber ©ame, 
bie fich ganj oermummt hotte, wie eine ©erfon, Welche nicht 
ertannt fein will. ©iefe machte baS beftänbige $üfteln bet 
SReltere, ihre ©ornehmthuerei meifterlich nach, iprctd) beftanbig 
»on ihren SReroen, oon ihrer SRigtäne unb fpielte bie Solle fo 
gut, bah fich and) ein befferer Kenner oon biefem Gebaren hotte 
täufdjen taffen, ©ie hob heroor, wie fie mit fkh höbe fämpfen 
rnüffen, um in biefe ©egegnung einjuwifligeu, unb ber ©räßbent 
betheuerte ihr, bah et ben SBerth ihrer greunblichfeit ju prägen 
miffe, unb bah f*e über SlfleS, waS er auf ©rben hefige, nach 
©utbünfen fchatten unb walten möge! ©ie ©outeße fpielte bie 
grofje Dame, fträubte fi<f> lange Seit irgenb ein ©ephenf anjus 
nehmen unb gab enblich ihre ©inwifligung baju, bah er ihr 
eine Reine Rufmerffamfeit erweife, oorauSgefegt, bah es fich nur 
um ein wertljtofeS Object honbele. ®aS ©injige, was fie au» 
nehmen würbe, fei etwa ein $alsbanb für ihre ©odper, bie 
jegt bei ben Sonnen erjogen werbe. Unfer Serliebter führte fie 
nun auf ber ©teße jur ©olbphmitbwerße (Quay des Orphevres) 
unb bat fie, fich eines nach ©efaßen auSjufudjen. ©ie Wieber= 
holte, bah fie nur einen ©ehntuef oon ganj mähigem greife j 
»ünfehe. ©iefe ©rofjthnerei beftärfte ben Serliebten noch in feiner j 
ßeibenphaß. @r traf häufiger mit tgr jufammen, unb fie fd)ärfte 
igm befonberö ein, ja nicht auf ber Sühne mit ihr ju fprcdjen; 
benn baS fei ber befte SBeg, um ihren Stuf ooflftänbig ju oer= j 
berbe«, ba igre ©ofitgen, bie aßefammt auf fie -eiferfüchtig feien, 
nur auf ben Slugenbtid fpäljten, um fie grünblich üerftertphen 
ju tönnen. ©r gehorchte. @r bephränfte fkh barauf, oft in’S 
Zljeata ju gehen unb bie Stottere ju bemunbern, immer in ber , 
SReinung, bah eS ferne gute greunbin fei. ©ot Sßem be- j 
»wnberte er fit, unb mit Secht, in ber Soße ber ©irce, bie fie 
bamals mit lünftlerifchet ©oflfommenheit barfteßte.*) ©ie trug 
barin baS ©oftfim ber 3®uberht, unb ihre üppigen, waßenben, 
aufgetöftfcn feactre oerliehtn ihr eine feltene Rnmntlj. 

8iue8 ©ageS fehlte bie ©ourefle bei bem ©tefibichein, baS 
he bem ©räßbenten gegeben h«tte. ©er ungebntbige Siebhober 
begab fteg trog beS lebhaften SSiberfpruchS ber fiebouj, nadibem 


•) Sacg bem Segtfter »on 8a ©ränge fanb bte erfte Äufffthrung 
ber „©irce" am 17. ffltärj 1676 ftertt. ®a* ©tftef witrbe faft nnnnter- 
Brocpen Bis gum 16. Dctober gegeben unb erlebte 42 SSorjtettengen. ®tc 
„®r«gi=Äomöbie" »on ©gomaS ©oritcHfe »erbanlte btefen groben Srfolg 
Weniger igrem {tterarifdjen SBerthe, ber gering ift, als ber »orjüglidhen 
ÄuSPattung — Sa ©ränge ftnbet bafttr ben etwas »erächtlichen KnSbrncf: 
„piöce en machines“ — unb fobann ber meiperhaften ©arpeünng ber 
Hauptrolle burep Rtmanbe »er». Stottere. 


et ©tunben lang oergebti© gewartet hotte, ui baS ©h e otcr. 
©ie erfte ißerfon, bie er im §otel be ©ufenSgaub*) auf ber 
©ühtte erblidte, War bie Stottere, ©tog beS ©erboteS, baS, wie 
er glaubte, fie igm ertgeilt hatte, ging er in ber ©orauSfeguug, 
bah «iu Reiner leibenfchaftti^er Snftritt ihr gar nicht mihfaßen 
würbe, auf bie Sühne, um bem Kummer, ben er barüber empfanb, 
fie oerfehlt ju haben, SuSbrud jn geben. Bunä^ft War eS ihm 
nicht möglich fich 5 U nähern, ba fie oon einer groben ftujafjl 
junger Seute urafchwärmt war. 6r lieh eS fich bähet genügen, 
ihr jebeSmal, Wenn fie ben Kopf ihm juwanbte, jujuniden unb 
I »erjtänbnihinnig ju lächeln, ©r fteßte fich ^ort neben einer 
I ©ecoration an bie erfte ©affe, wo fie oorüber tommen muhte, 
nnb raunte ihr ju: „Sie fenb niemals fchöner gewefen, Hrmanbe! 
SBBäre i^ nicht fchon in ©ie oertiebt, h®nte würbe ich »i<h ’ n 
©ie oerlieben!" ©ie SDtoliöre achtete barauf nicht Weiter; fee 
glaubte, eS Wäre ein beliebiger ©ntljufiaft, ber ihr feine $utbigung 
: barbtingen woße unb ging Weiter, ©er ©räfibent geriet!) über 
j biefe träntenbe (Sttcichgültigteit ganj auher fich- @S fam ihm fo 
oor, als ob baS ©tüd gar fein ©nbe nehmen woßte. Um jn 
wiffen, woran er eigentlich fei, erwartete er fie nach bem ©djluffc 
ber ©orfteßung an ber ©tjür ju ihrer ©arberobe unb trat ohne 
SBettereS mit ihr ein. 

©ie SSoliöre ift ein herrifdier ©harafter, unb eS bünftc fie 
bie greiheit, bie ber ©räfibent, ben fie ja gar nicht fannte, fich 
herausnahm, benn bodj afle ®rtnjen beS Äeftatteten ju übers 
fchreiten. ©a fie ben merfwürbigeu äRenfchen nie gefehen hotte, 
nahm fie fld) oor, ihm auf RßeS, Was er auch fagen würbe, fein 
: Sßort ju antworten, ©et ©räfibent glaubte, bah fie eS aus 
KlugheitSgrünben für geboten erachte, in ©egenwart ber Kämmers 
jofe, bie fie entfteiben foflte, baS ©tißfehweigen ju bewahren, ©r 
ma^te beShalb ber SRoltete aßerhanb 3eichen: fie foße biefe 
©etpin boch wegfdjicfen, er höbe ihr etwas ©erttaulidjieS mitjus 
theilen! ©ie SRoliöre »erftanb biefe 3ei«henfprache gar nicht 
unb fdjwieg weiter. Hber unfer ßiebljaber, ber ba glaubte, bah 
er mit ihr in einem genügenben ©inberftänbrnfj lebe, um fidjer 
ju fein, bah fein 3Rienenfpiel oon ihr oerpanben würbe, hielt igr 
©tißfehweigen nur für ben SluSbrud beS UnwißenS, unb um ju 
erfahren, Weshalb pe auf einmal fo oeränbert gegen ihn fei, näherte 
er pd) igt unb fragte fie, waS fie berljinbert höbe, im ßaufe beS 
SadgmittagS ju fommen? 

©ie ©dganfpielerin oerfegte barauf fegr laut: WaS er eigentlich 
wünfehe. ©er ©räfibent fragte mit nun noch gebämpgerer unb 
leifeter ©timme, ob er oor ber 3»fe fprechen fönnte. ©ie 3Roltere, 
bie oon bet 6ad)e feine ©terbenSfilbe begriff, rief nun uod) lauter: 
„Sch glaube, baff jWifchen uns, mein $ert, lein öleheimnijj befteht, 
unb bah ®i« baS, waS ©ie fagen woflen, oor ber ganjen SBelt 
fagen fönneit!" ©te feepigfeit unb ©erä^tlkhleit, mit ber biefe 
SJorte auSgefprodjen würben, machten ben ifkäfiberrten immer 
ungebulbiger, unb er fagte: „2Benn ich, feUbent ich lenne, 
irgenb etwas begangen pötte, baS 3h new mihfaßen fönnte, fo 
würbe ich Sh r ©erhalten begreifen; aber ich höbe mir gar 
nichts ootjuwetfen! Unb Wenn ©ie mit ein ©teßbidjein geben 
unb nicht fommen, unb ich bann in gröfjter Unruhe hierherlaufe 
unb beule, es fei 3h*en ©iott weih was jugeftohen, bann bürfen 
©ie mich nicht in biefer wegwetfenben Seife behanbeln!" 

©on bem ©rftaunen ber äRoltere fann mau pd) fanm eine 
©orfteßung machen. Qe mehr fie ben ©räffbenten anfah, befto 
ficherer würbe fie, bah ffe niemals mit ihm ein Sßort gewechfelt 
habe, unb ba biefer wie ein anftänbiger ßRann ansfah unb bie 
ehrliche ©rregung, mit ber er ihr bie Sorwütfa machte, bie Sn^ 
nagme auSfdßofj, bah sS peg um einen fdjtedjten SSig ober um 
eine leichtfertige SBette honbele, fo wupte fie gar mögt, was fie 
ju aßebeut fagen foßte unb fönnte ihre Ueberrafdiung nicht Oers 
bergen. ©einerfeitS fönnte ber ißräfibent wiebernnt nicht bes 
greifen, Weshalb bie SRoltete immer fegwieg. „SRacgen wir ber 
Sache ein ©nbe," rief er enblich, „ßeben ©ie mir einen @nmb 
einen guten ober einen phtedjten, aber rechtfertigen ©ie fich 
WenigftenS!" 


*) 3n biefem ®ebftube fpiette bamals bte TOoliöre’Pbe Sruppe. 

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210 




Nr. 13. 


®t jc^wieg unb Wartete auf eine Antwort; aber bie ©toliöre 
War norf) immer fo oerbufct, bajj fie fein SBort ^eroorbringen 
tonnte. SaS braute ben ^räfibenten ganj auö ber Raffung! 
KS mar ein fomifc^eS ©cfjaujpiel, bie ©eiben ju betrauten, wie 
fie fidj gegenfeitig anglofeten ol)ne ein ©Sort Ijeroorjubringen unb 
{id} babei mit ber genanntesten ©ufmerf amfeit mufterten. 

Sie ©toliöre fajjte enblid) ben ©ntfd}luj}, baS Abenteuer, 
baS ifjr fcfjier unentwirrbar erfdjien, um jeben !ßreiS aufjuflären; 
fie fragte im ernfteften Sone ben ^räfibenten, wie er barauf 
fomme, ju behaupten, bafs er fie fenne? ©ufänglid» Ijabe fie 
glauben fönnen, bajj eS fid) um einen ©pafj Ijanbele, aber er 
treibe benfetben bod) jd)lie{iüd) ju weit! S3or ©Hem möchte 
fie wiffen, was es mit bem ©tellbidjein fär eine ©ewanbtniji 
ijabe, »on bem er beftänbig rebe.. „0 ®ott!" rief ber Sßräfibent 
aus, „fann man bie £edl)eit weiter treiben? 3ft eS möglich, 
einen ©?enfd}en, mit bem man feit ©Bodjen ben freunbli^ften 
©erfe^r unterhält, in’S ©efidjt ju fagen, bafi man tl)n nie ge. 
feljen Ijabe? ©tit tiefer SBetrübnijj mufi id) ben 9te(pect, ben 
id) allen Stauen entgegenbringe, oerlefoen; aber ©ie finb beS 
StefpecteS wat)r unb matprtwftig unmürbig! ßwanjigmat finb wir 
jufammengelommen! Unb wenn ©ie nun nodjj behaupten, bafj 
©ie mid} nid)t fenneu, fo finb ©ie bie nidjtsmürbigfte Kreatur, 
bie unter ber ©onne lebt!" 

Sie ©toliöre befaßt nun in heftiger Krregung iljrer Kammer: 
jofe: fie möge iljre Kollegen ju £>ü(fe rufen, „©itte, bitte," 
fdjrie ber Siebtyaber aujjer fid), „immer rufen ©ie nur! 3fd| 
möchte, ganj ißaris wäre babei, um ben ©tanbal fo öffentlich 
wie möglich ju machen!" — „Sie Sümmel," oerfejjte bie ©totiöre, 
,,id) toerbe mit 3§nen fd)on fertig werben!" 

3n biefem ©ugenblid traten oerjd)iebene ©djaufpieler in 
bie ©nrberobe, wo fie ben ißräfibeuten in einer unbegreiflichen 
©Juth unb bie ©toliöre fptadjloS oor ßorn antrafen. Stach einer 
©teile gelang eS biefer ©Sorte ju finben unb ihren Kollegen auS; 
einanberjufefcen, weshalb fie fie hübe rufen taffen, ©leicf)jeitig 
fchrie ber ©räfibent bajwifdjen, um ihnen flar ju machen, bajj 
er berechtigt .fei, in biefer ©Seife mit ber ©toliöre ju fprechen. 
Kr fei oerfchiebene ©talc mit ihr jufammengetroffen unb baS 
§alsbanb, baS fie in biefem ©ugenblide trage, fei ein ©cfdjenf 
t>on ihm! ©IS bie ©toliöre baS hörte, wollte fie ihm eine Ohr¬ 
feige geben; er bog inbeffen bem ©chlage aus unb entrifj ihr 
baS $alSbanb, in bem feften ©tauben, bajj eS baSfelbe fei, baS 
er ber Sourelle gefchentt l)abe, obgleich öaS ber ©tolibre biet 
fchwerer unb ftärfer War. 

Stad) biefer ©efdpmpfung, bie bie ©djaufpieterin nicht mehr 
ertragen tonnte* lieh fie bie ©Sachen heraufholen. Sie Spüren 
würben »erhoffen, ein ißolijeicommi{far mürbe beorbert, ber 
fßräfibent würbe oerhaftet, blieb bis jum anbern läge hinter 
©d)lojj unb Stieget unb Würbe barauf gegen Kaution auf freien 
Sufi gefefct. ©r blieb babei, bafi bie ©toliöre ihn ju ber ©tijj; 
hanbluug gejwungen hübe, unb bafi er bie ©erechtigung baju 
erweifen werbe. Sie ©toliöre, bie ftd) oon ihrer SSuth gar nicht 
erholen tonnte, brachte bie ©ache oor bie ©eridjte. ©S würbe 
eine Unterfudjung eingeteitet. Sie SKinftterin beftanb barauf, mit 
bem ©olbfdjmieb confrontirt ju werben; fie oermeinte, bajj 
baburch ihre Unfchutb bewiefen werben würbe; aber ihr ©djmerj 
War grojj, als auch ber ©olbfcfymieb behauptete, bah eS aller; 
bingS biefetbe fjSerfon fei, bie mit bem fßräfibenten jüngft in 
feinem Sabeu ein ^alsbanb getauft höbe, ©ie war untröfttich. 
Sie Sebouj ^atte fi<h oerftedt. Sie ©toliere fefcte ©HeS baran, 
um biefer ißerfott wieber hubhaft ju werben unb enbtich gelang 
eS ihr auch- Sie Sebouj würbe oerhaftet, geftanb bie ganje 
©ache ein unb fagte aus, baf} in IßariS eine Ißerfon lebe, bie 
mit ber ©iotiöre eine grojje ©ehnlichfeit hübe unb bie f<hon 
eine gro^e ©njahl oon ©erfonen in berfetben ©Seife hinter; 
gangen fyabe. ©u<h bie Soureüe Würbe enblich gefaxt. Sie 
©totiöre empfanb eine unbefchreibtiche Sreube barüber unb 
glaubte nun, baff fie alles böfe ©erebe, baS über fie oerbreitet 
fei, auf bie ©echnung ber Soureüe fe|en tönne. ©ie betrieb ben 
fßrocefi ihrer Soppetgängerin mit grofjem ©ifer unb bie Sebouj 
nnb bie Sourede würben oor bem $otet be ©utmegaub abgeftraft, 


Wo bie ©iotiöre wohnte, bie nun über bie ihr gerichtlich ge; 
währte ©enugthuung bie ooUfte ©efriebigung empfanb." 

©iS bahin ber ©ericht, wie er in ber „fameuse comedienne“ 
enthalten ift. 3tt ©etreff ber ©träfe ift berfelbe nicht ganj 
genau, ©ur bie Sebouj oerbüfite ihre ©träfe, ber Soureüe 
gelang eS ju enttommen. Sie ©erurtheilung erfolgte burch 
©ichterfprud) beS ©hütetet oom 17. ©eptember 1675. ©räfibent 
SeScot würbe oerurtheitt: ©rmanbe ©toliäre in ©egenwart oon 
oier Sengen, bie biefe auSjuwählen baS ©echt habe, ©bbitte ju 
leiften, wegen ber oerbalen unb realen Snjurien, mit benen er 
biefelbe ungerechtfertigter SSei)'e überhäuft, in bem ©tauben, 
bah er eine anbere Sßerfon oor fich habe; ferner ju einer ©elb; 
ftrafe oon 200 SioreS, fomie ju ben Soften. Sie beiben ©Seiber 
würben oerurtheitt: oor bem tpauptthore beS ©titelet unb oor 
bem $aufe ber ©toliöre enttleibet unb geftäupt ju werben, nu^er; 
bem ju brei 3ahreit ©uSweifung aus ©ariS, ju 20 SioreS ©träfe 
an ben SiScuS, ju 100 SioreS wegen ©hrcntrantung an bie 
©ioliöre unb ju ben fioften. SaS Urteil würbe in jweiter 
Snftanj am 17. Dctober beftätigt unb gegen bie Sebouj auch 
ooliftredt. 

Sum Saturn beS 17. ©eptember 1675 bemerft Sa ©ränge 
in feinem Sagebuche: „Urttjeilfpruch ju ©unften ber Stau oon 
©toliöre gegen |>errn l’KScot, !ßräfibenten in ©renobte, Der; 
urtheilt, ihr wegen beleibigenber ©eben unb Shätli^teiten, bie 
er gegen fie oerfchulbet, ©bbitte ju leiften. 3eanne Sebouj unb 
©tarie ©imonet oerehelichte iperoe be ta Sourelle, bie erftere, 
weil fie bie ©imonet nntergefchoben, unb lefctere, weil fie ben 
©amen ber grau ©ioliere geinifjbraucht, beibe oerurtheitt mit 
©uthen oor bem ©Sohnhaufe ber ©ioliöre gepeitfcht ju werben 
uitb ju 20 SioreS ©träfe. SaS Urtheit ift am 17. Dctober be; 
ftätigt unb am 24. ooliftredt worben." 

©ach biefer thatfächlichen Sarlegung ber beiben analogen 
'■Betrügereien ift eS taum noch als eine &t)pothefe, ift eS wohl 
als eine ©emifiheit ju bejeidjnen, bafi bie Urheber ber gro|en 
tpalSbanbgefchichte im 18. galjrhunbert bie harmlofere fralsbanb; 
gefehlte beS 17. Sah T b u nberts getannt unb einfach nachgemacht 
haben, ©tit bem fpinmeife auf jene ©natogie ift ber 3*oed biefer 
Sarlegung erreicht. 

paal Sin bau. 


Itotijen. 


2 )ic Btcic^ämintfter tyaben in ber lebten ßeit tmeber öiel bon fic^ 
reben gemacht. SBir lennen gemanben, ber fid) ftetä freut, menn bie 
Blätter ^trtifet über bie§ X^erna bringen, »eil man fie namii$ nid)t 
SU le{en brauet. 3« bormärsüc^er ßeit unb au(^ nod) in f^äteren 
3 u^ren bilbeten ^pot^etifc^e grageu bie ßieblingSbefc^äftigung ber 
^olitifer. 6eitbem ift bie %Belt realiftijd) gemorben nnb ed fe^lt üjr 
auc^ für gufunft^probleme au ber nötigen 3Äu|e. 3nitiatibe ber 
<3efe$gebung, fomie allgemeine^ JBeto für ben £aifer, Serf^melsung ber 
9ieic^«minifterien mit ben preufjijdjen ©e^örben unb äljnü^e Heilmittel 
für unfere öffentlichen Schaben, »er »ürbe fie alö $bfchlag3$ahtung 
nicht gern hiunehmen, »enn Äuöficht für bie ©er»ir!lichung in über^ 
fehbarer borhanben Ȋre. 51 ber nicht 3ebermann bermag burch 
fanguinifche 5luömaterei in 9iebe unb Schrift beffen, »a$ fein follte unb 
fein lonnte, über bie unsulängliche @egen»art fich hiuiueg^uhelfen. 
®ine rührige, auf einen beftinunten, »eitn auch 8 a n& fchmalen 3»ecf 
gerichtete nachhaltige Agitation hut größeren SBerth alö baö h 0 ffuungd: 
boüe ©erfenien in eine umfaffenbe rofenrothe Reform, »obon nach einigen 
Sagen ober 2Bod)en nichts übrig bleibt, als ein Politiker tapenjammer 
hochgrabiger fRatur. $aö publicum »irb bann über $inge, mit »eichen 
eö ftch nach bem ©organg ber ^arlamentöreben unb ßeitungöartitel 
lebhaft aber umfonft befdjftftigt hat, leicht blafirt, unb »itt nichts mehr 
babon hören. 3>ie (ünbufte feiner ^h e ^nahme ift jeboch ber fchmerfte 
Schaben. Sehr berseihtid) ift baher, »enn ^erfonen, bie bei ber Ste 
fprechung bon £age3fragen gern feften ©oben unter ben 3üf?en hüben, 
fich in folgen fällen borher über bie prattifchen tludfichten ber Sache 


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Nr. 13. 


Sie «fjfitttirt. 


211 


einigermaßen zu Oetgewiffent jucken. Bie fraglichen (Espectorationen ber 
treffe finb in ber Siegel baburcp bezeichnet, baß ber zweite Sap ben 
erften aufhebt unb bie (Eonclufloneit erft recht in ber Suft fcpweben. 
Blau wirb bähet bie Organifation ber ReicpSmimflerten, unb Was bamit 
Zufammenhängt, oorerfl beffer auf fleh beruhen laffeit. Itommt eS eiit= 
mal bazu in einer glücflicheren Seit, fo wirb Suft unb Sicht im beutfepeu 
Baterlanbe reichlicher oorhanbeu fein, als jc^t bem lebenben ©efcplecpte 
befchieben ifl. Erfährt man hoch laum, waS in benjenigen halbwegs 
fchon zum Reich gerechneten minifleriellen Greifen Oorgept, mit welchen 
mir bis auf SBeitereS auSlommen muffen. SBie Diel (Eouliffenflatfcp 
nmrbe nicht über bie Bemifflon ober Ricptbemifflon beS SRarineminißerS 
Stofdj oerbreitet! WuS ben befanntlich immer zuoerläffigen Nachrichten 
ber Blätter unb ben offleiöfen Dementis entftanb eine fo peillofe (Eon= 
fufion, baß ruhige Beobachter mit Reib auf bie Bürlei blieften, wo ber 
SRiniflerrath zur befferen fBaprung beS SlmtSgeheimniffeS Oon Baub; 
Summen bebient rnirb, beren angeborene BiScretion wenigflenS ben 
Bortheil hat, baß fie fleh nicht oon h eu te auf morgen wiberjprecpen 
lönnen. Ber häufige ^erfonenwecpjel in ber offleieden Sphäre ifl jeben= 
falls fein überaus erfreuliches Phänomen unb man begreift, baß barauS 
eine glutp unliebfamer ©erüepte entfleht, melier bie infpirirten BeSaoeuS 
nicht immer gleich Jperr werben. Ber Reichstag ifl überbieS in nicht 
fehr froher Stimmung in bie Serien gegangen. Bie Nationalliberalen 
wegen beS Reichsgerichts unter fleh gefpalten, auf ben gortfepritt noch 
oon ben SBaplen per nicht gut zu fpreepen, ohne geeignete güplung 
mit ber gouoeruementalen Region, bie Rtajorität fiproanlenb unb bie 
Sorge um ben machfenben Nothflanb im Sanbe nichts weniger als oer= 
minbert. (ES wären bieS leine angenehmen ÄuSficpten für bie Somuter= 


monate, auch toenn lein Ärieg im Orient brohte, ber $anbe( unb Ber= 
lehr felbfl beS neutralen (Europas noch mehr lahm legen Wirb, Oon 
fonfligeit möglichen (Eonfequenzen für ben SBeltfrieben ganz abgefehen. 
Im beflen ifl noch bie ©emütpSlage Berjenigen befchaffen, bie niept zum 
Kriege gepept unb Bentflhlanb nicht in ben fchlimmen Ruf gebracht 
haben, baß es, ber $immel weiß aus welchen ©rünben, ben (Eonflict 
wünfehe unb fleh irgenb einen Rupen für fleh baoon oerfpreche. Bie 
langen ©efiepter, mit welchen gewiffe Organe ben neulichen griebenS* 
fepimmer aufgenommen haben, waren wirtlich lehrreich unb eS ifl ferner, 
nicht barüber eine Satire zu fchreiben. SBelcpe SBenbung aber auch bie 
Binge im Oflen nehmen mögen, man fodte fleh bei uns bie gute Saune 
nicht baburep aflzufepr flören laffen. Brop ber Bragit ber (Ereigniffe 
würbe gerabe in ber lepteren Seit mancher Schachzug ber wegen ihrer 
Schlauheit üielgerühmten Ruffen Oon ben (Englänbern fo gejcpiclt butep* 
freuzt, baß ber aufmerlfame Suftpauer nicht ohne ein gewiffeS Behagen 
erleuiten mnßte, wie ehrlich Spiel feinen SBertp behält. Ber Nioment 
ber (Enthüllungen ifl jeboep noch nicht gelommen. (ES Oerfleht fleh, baß 
fie zu geeigneter Seit, unb wenn jebe Sponung überflüfflg geworben, 
bem geneigten Sefer nicht oorenthalten bleiben foüen. 

* * 

RUt einer größeren Arbeit über Riorip ©rafStracpwip befepäftigt, 
bitte ich bie Beflper Oon Briefen beS BicpterS, mir biefelben im Original 
ober in genauen Wbjcpriften zur Beuupung überlaffen zu wollen. Äucp 
für fonfligeS biograppifcpeS Rtaterial, fei baSfelbe noch fl> uufepeinbar, 
wäre icp ben (Einfenbern zu Banl oerpflieptet. 

Rorbpaufen, im Rtärz 1877. 

Ulbert Craeger. 



Abonnement der „ÜQttttiart“ pro II. Quartal 1877. 

* ... I 

Mit der vorliegenden Nummer 13 schliesst das I. Quartal der „ Gegenwart “. Diejenigen j 
unserer geehrten Leser, deren Abonnement mit dieser Nummer abläuft, ersuchen wir um baldigste \ 
JErneuerung desselben, damit keine Unterbrechung in der regelmässigen Zusendung entsteht. 
Abonnements auf das II. Quartal 1877 werden von allen Buchhandlungen, 
Bostanstalten und Zeitungsexpeditionen zum Breise von 4 2Bc. 50 Bf. ent - 
gegengenommen. 

Berlin N. W., 32 Louisenstrasse. EXPEDITION UND VERLAG DER „GEGENWART 11 . 


<£ine öeutfepe XUonatsfcprift 


Herausgeber: ^auC Lindau. — Der leger: ^»eorg £fiCfte in Serlin. 


(EtfAeint in monatlichen Ijeften oon 8 —(0 Bogen £ejifon = 8 . in eleganter Busfiattung mit Kunjtbeüagen in Habirung. 


Preis pro Quartal 5 DTarf, pro 3a^rgang 20 Htarf. 


§w$att be s foebeti aussgegeßmm evften Jhefte» (JlprtC): 

I. ^nebridj Hobenjlebt. prolog. V. «Ernfl Curtius ( 3 .g. Btljen). Ausgrabungen 1876 —77. 

II. Wilhelm 3* n fen. Bus ben Sanben. HooeOe. VI. «Bmanuei «Beibel. Diftidfen aus bem öpintertagebuche. 

III. Hubolf oon 3h* r *ug («Böttingen). Das £eben für unb burdf VII. (Beorg »Ebers (£eipjig). BUiteration u. Heime im Bitägyptifchen. 

Bnbere ober bie «Sefellfchaft. VIII. £riebri«h pe«ht (Iftünchen). IHoberne ITIaler. ^ranj £enbad>. 

IV. H>. £}. Hi eh l (Hliinchen). Heue mnjtfalifdje £h<»ra!terf 8 pfe. IX. Julius paver (franffurt a. m.). Die enghfehe Horbpol= 

Bapellmeifter, nach ber Hatur gejeichnet. (Daju bas portrait Htehis ejpebition (875 — 76. 

nach bem£eben, in Kupfer rabirt oon Prof. 3 . £. Haab^Illiinchen.) X. Sret-fjarte. Der Ulann oon Soiano. Bmerifanifche Sfijje. 


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212 


Hie ®eg*nw*rt 


Nr. 13. 


9 » [ 11 a 11. 

^ Verlag von F. C. W. Vogel in Leipzig. 

Soeben erschien: 

Kaiser Otto III. 

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Seitung mirb ein afabemifd) gebilbeter junger 
s Diann (eüangclifcf)) altr> IHebacteur gefugt, fcaupL 
aufgabc beleihen mürbe fein, neben bent alb 
gemein politifdjcn Xhcü, für ben localen Xljeil 
ber 3 eitnng «cridjtc über locale uub prooinziale 
«crhältitiife, attregenbe «cfpredpiugeit, Äritifeii 
über Äunft unb VluSfteüungcu, X:t)eatcr 2 c. 51 t 
liefern. ÖJefl. Offerten sub J. U. 1)717 mit 
Angabe ber .’poiioraranfpritdjc beförbert ÜHubolf 
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lung in £>ctbelberg ift foeben erfdjieitcn: 

War ®ötl)t rin fflilhtgrünbrr brr jDrsfrnbrn^rorir? 
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Soeben erfdjien unb ift ju beziehen burd) alle «uchhanblungen be8 3n- unb ÄuSfanbeS: 

Xct «erfaßter rüfmüicbft befannt bur<ß feine ßumorifttftben 

«eiträge in beu bcbeittcnbften «lättern, h at cä in fernem neuejtcit 
Sßerfe flar 511 machen oerfudjt, toie ber 2 ßtp im mettfc^lid^en 
Reifte ciüftept unb in beit ocrfcf)icbeiteit Sonnen 511 m 9lit£brucfc 
gelangt. (£r betjanbclt ba$ flßortfpief, bie Wntitijefe, bas alle? 
gorifdje «ilb, bie «arobie, beit mi^igen Itnfiun unb in einem 
befoitbcrctt Kapitel beit ftumor. «Jährettb bie rein miffenfehaft 


Biß rnib §mnov. 

Xfjeoric unb graste 

uon Dr. A. ^octucnftein. 

= «reiä 4 ,AC = 


licf>e «chanbluttg beä Stoffel ba3 Si'erf 51 t einer Futtbgrube für beit SBiffcnjdjaftler macht, tragen 
unzählige «etfpiele föftlic^en 28ipe3, mit beneit jebe einzelne «Reform belegt ift, baju bei, bem 
«ud)e aud) itti größeren «ublifum einen geneigten £efertrei$ jit fiepern. 

■ - ?crfag oon ^iidjfcr & «Äappfcr itt Stuttgart. 


Neuer Verlag von Theobald Grieben in Berlin. 

Bibliothek für Wissenschaft und Literatur 11. Band. 

Radon und AiifoÖ a t"70 naturwissenschaftlichen, pädagogischen und 
nCUCII UIIU nUloaUe philosophischen Inhalts von Th. H. Huxley, 

Prof, in London. Deutsche autor. Ausgabe, nach der 5. Auflage des englischen Originals 
herausgegeben von Fritz Schnitze, ord. Prof, am Polytechnikum zu Dresden. 6 .ü 
Gerade in unsern Tagen, wo immer vernehmbarer der Ruf nach Wiedervereinigung 
der Philosophie und der empirischen Wissenschaften laut wird, wird es für jeden an 
der geistigen Entwicklung unsrer Zeit Theilnehmenden von hohem Interesse sein, ein 
Werk kennen zu lernen, aus dem glänzend hervorleuchtet, in wie ausgezeichneter Weise 
sich diese Wiedervereinigung bei einem der hervorragendsten englischen Naturforscher 
bereits vollzogen hat. Durchweg klar, populär und doch gründlich geschrieben, erlebte 
das Original in kurzer Zeit die fünfte Auflage. — Inhalt: Dringlichkeit der Ver¬ 
besserung des naturwissenschaftlichen Unterrichts. Schwarze und weisse Emancipation. 
Freisinnige Erziehung und ihre Fundstätte. Nachtisch-Rede über wissenschaftlichen 
Unterricht. Pädagogischer Werth der Naturwissenschaften. Das Studium der Zoologie. 
Physische Grundlage des Lebens. Wissenschaftlicher Gehalt des Positivismus. Ein 
Stück Kreide. Geologische „Gleichzeitigkeit“ und „persistente Lebenstypen.“ Reform 
der Geologie. Ursprung der Arten. Descartes' „Abhandlung über die Methode des 
richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung.“ 



2 . Ter berühmte £eipjiger 3oolog «rofeffor Dr. iK. flcuifart über bie neue Auflage öott 
«rejjtnä Xhicrlebcu («ibliographijcßcS 3nftitut in Leipzig): ,,3d) mitt mich nicht in bie 
ntißlidjc üage bringen, ltadtträglid) nod) Sorte ber ®mpfel)lung unb beä üobeä über ein «udj 
au*jujpred)en ( baä einen für «ublifntioucn biejer 2 lrt bisher gaiu unerhörten (Srfolg gehabt hat 
unb uoit Seiten jornol)! ber Fachmänner luie ber ÖJcbilbetcn aller Stäube einftimmig al* eine ber 
bebeuteubften ©rfdjetmutgctt auf bent (Gebiete ber popularifircubeu Xhicrlchre aiterfannt ift. 9 lber 
ba£ barf idt ohne Wuftanb tutb mit Fwube fugen, baff ba§ 3Ber! itt feiner neuen Faffung nichts 
ooit ber ifrf)e uub ber üHaturmahrßcit ocrlorctt hat, bie 311 ben glänzenbfien «or$ügen ber 
erftett Auflage gehörten, oiclmcljr bitrd) SBort unb «ilb in ttorf) ^ö^crcin SRaßc, als bas 
früher ber Full mar, baju beitragen toirb, beu Sinn für eine bettfeube Waturbctrachtung ju 
meefett unb itt ba£ «crftäitbuift bc^ Ihierlcben^ einjufül)rcn.“ 

Iwan Turgenjeft’s 

neuester Roman 

„Die neue Generation.“ 

Verlag von Erich Wallrotli in Berlin. 

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«ei 5?. Sf- ^nsftn itt 53erftn (S9?il 
helmftr. 84) erfd)ieit: 

Min* H. 

1 (Tin ©cfpriiri) uor ber fiimmclatljnr. 

bettt Üatciuifcheit bc§ ©trolanto «olbi. 

1 JC 20 .s. 

Unter ben zahlreichen Satprcn, rnelche unmit¬ 
telbar ttad) bem Tobe Saliuö 11 . gegen biefen 
unb ba^ «apftthum lo»brachett, gehört* ber unter 
bem Xitel „Julius exclusus“ befaiuite Xia- 
log 511 beu fchtteibenften unb fehärfften. So 
groö mar ba* Müffchen, baö er machte, bafe 
matt bie heften Stopfe, Ulrich öott .ftutteu 
ttitb (Sra£ntu3 in beu «erbad)t ber Urheber 
fdjaft nahm. 3» feiner aubcrit Sdtrift fontmt 
ber ganze Äontraft beffen, ma<? «apft unb Mirche 
bamahJ in «Urflidjfeit toarett, mit ihrer ur^ 
fprüttplichen «cftimmiutg fo zur 9ftifd)auiing, toie 
in biejer (,ocrgl. Strauß, §ntten I. 191). 
2 kelanchthon mar eö, meldter baö Öefpräd) 
Zuevft in_Xeutjd)lanb bruefett ließ, unb Luther 
Zählte baffelbc zu feilten £iebling$biichcrn. Somit 
mirb biefe mettig bcfauitte, 1513 zuerft erfchiettenc 
Schrift itid)t nur für bie Öfcfchichtc ber Deforma¬ 
tion, jottbern and) bejonberö burch il)rc fd)tteibcnbe 
Äritit beö «apftthum§ and) für beu dulturftreit 
ttttferer Xagc tmtt ber größten «Mcßtigtcit jeitt. 


Fi’tf Mc §nnb ber Sthüler. 

3 m «erläge oon 3?t. ? 6 iefc, «erlin N. # 

«runnenftraße 124a, finb crfchicuctt unb burd) 
afle «ud)hattblungcn zu beziehen: 

X 5|ir#d;l|0|rs SÄÄV%”«fT. 

9litßagc(erfte 1873!), methobifd) gearbeitet, 
mit oicleu Fongen uttb öolzfchuittcn. — 
förfte 91btl).: 3ooIogic. 184 Seiten, «reie 
1 JC — 3t°eiR ?(bth-: «otanif 1 JC — 
Tritte Slbtl).: Sülincrologic 30 i\. 


I 


t 5(itjd)auuttgö Unterricht itt ber 
J franz. Sprache auf ©rnnblagc 
ber Strubingjchcn «über. 3tocitc9lußage. 
©eb. 1 JL 25 

flr Hlpnfrh 1 «; ^o J hincie. Sammlmtgctt 
4J* 5 OoitUcbcrjepuitgeit beutfeher 

Tidjtungen ittö F^attzöfifche, Gitgltfche unb 
Vateinijdie. Uavt. l l / a JC 


Delius’ 

SHAKSPERE 

IV. (Stereotyp-) Auflage 

2 starke Bände, brocliirt: 16 JC In 2 fei¬ 
nen Halbfranzbänden: 21 JC 

Jedes einzelne Stück: 80 Pf. 

[Letztere werden, soweit der Vorrath 
reicht, in früheren Auflagen geliefert] 
Verlag von R. L. Friderichs 
in Elberfeld. 


$ier$u «cilagen oon ber «crlagbbmhhanbluttg Johann Äricbridj ^nrtfnod) in Leipzig unb bem 

Slf^acltan, JJrrfi» S.W., SUimenftraöe HO» 3ür bie tHebaction ücrantiuortlic^: dürfte in SJnTin. 

Xrud oon J4. fr. ?ru6n<r in /einig. 


ßcflfälifchcn «erein für Literatur. 
^Jiprbiiion , ^terfiu N.W., A5ouifeiiflraüe 32. 


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XU. 


Ci«, tat 7. Jtprir 1877, 


XL Band. 


Die (!3cimuunrt. 


äBocßettfchrtft für Literatur, ihtnft unb 


Herausgeber: f?fauf ^ittbittt in ©erlitt. 



eben. 


ftka ImAtjk erfreut tiu |unttt »nleoft: «tar« Ctilft in SBerlin. M* P* 4 i«l 50 fl. 

Bä btftk^ttt bur*$ alle ©iu$$anblunflen unb ©oflanflatten« 3nfevate Jebet Ärt pro dgefpaftette $etit}eile 40 $f. 


$>te treffe unb bet 3c u 0niffttoang. Sott ft* Oppenheim. — (Sin ©efud? bet ben Kannibalen 3Befts&frtla3. ©on Difar Sei 5 . 
ftiffwvff • ~ Äiteratur unb fttrafh $et Xag oertinnt —. ©oit ffiilljelm Stufen. — SRobeme italienifcfye $id)ter. ®on Äart oon $fjaler. 

<y 111 / 011 . — ^unft unb ©ureaulratie. ®on SR. Kartiere. — $ie fetejjüftung. ©oit #uqo ©djudjarbt. — 2)a3 Sebeit Sllfteb be 3 RuJfet 8 . 

©efdjilbert bon $aul be ©hiffet, bem ©ruber be3 $idjter 8 . ©efprodjett bon $aul S inbau; — 9toti$en. — Qnjerate. 


bte preife unb ber ^engni^tnang. 

@S jlnb triefet btoS bie dürften, welche bie Sßaßrbeit fetten 
p hören befommen; feitbem baS Volt in bem allgemeinen 
Stimmrecht ein mächtiges ertangt bat, wirb ©eine 

SRajeftät PopuluS I. gleich anberen Souveränen umfcßmeichelt. 
Die Unfeßlbarteit ber erblichen Regenten ift eine conftitutio- 
netle giction, bie Unfeßlbarteit beS Voltes eine bemotra» 
tifeße. Stuf jwanjig gournaliften ober VotlSvertreter, welche 
einem SRinifter breift §u 2cibe gehen, fommt noch nicht (Einer, 
ber einem populären Sragfcßtuß, einem bemofratifeßen Vor» 
nrtbeit entgegenjntreten wagte. (Es hängt jum ©eifpiel gerabeju 
mit ber Herrfchaft beS allgemeinen Stimmrechtes jufammen, 
baß auf alten wirtbfebaftticben ©ebieten bie gntereffenver» 
tretung, fei es in ber gerat ber Schüfejöttnerei, be« gunft» 
geifteS ober beS SocialiSmuS, aber nicht auSfcßließlicß in biefen 
gönnen, überwiegt unb bie rücfbatttofe Vertretung beS wirtlichen 
©efammtintereffeS jurüefbrängt. Die ©reffe, welche non ber 
SRaffe lebt nnb baS Senforium ber SRaffe barftettt, tann fich 
natürlich ber (Sinwirfung fotcher Strömungen nicht entziehen. 
Aber bie ^Sreffe, welche über Alles unb Alle baS Sled)t ber 
unbefcßränlten Sfritif in Anfprucß nimmt, ftetlt fich fetber über 
bie Äritit, unb eben bie riicffichtötofeften Vertreter ber DageS» 
preffe finb im gegebenen gatte bie empfinbtichften Abweßrer 
jebeS gweifelS an beren Voötommenheit. AIS auSfcßtieß» 
liebes Organ ber ©ublicität tann bie DageSpreffe fetbft einen 
gefeierten Voltsvertreter für baS große publicum munbtobt 
machen; bie non ihr glorreich befeitigte (Eenfur übt fie fetber 
unvermeiblicß aus. Die Dinge haben heutzutage nur eine 
Stiften} für baS Allgemeine, foweit unb fowie fie gebrueft 
Werben. Unb wen bie DageSpreffe oeroehmt, ber ift oertoren. 
SBie in ben Staaten beS ßorapetemconflicts bie ßößere Vehörbe 
jebe gegen fie gerichtete ©efeßwerbe fetber erft zutaffen muß, 
o ftfet oer Journalismus über bie gegen ihn getentten Angriffe 
etber ju ©erießt, unb zwar ohne bie perfönlicße Verantwort 
fießteit eines ßößeten Veamten, mit wirffamem CorpSgeift unb 
bem gnftinct ber Setbfterhattung bie Anttagen oon ber Schwelle 
Zurücfweifenb. 3Ran tann nicht leugnen, baff baS eine pri»i= 
tegirte Stellung ift, bie nur controtirt werben tann burch eine 
höhere Steife beS öffentlichen OeifteS. Der verbrauchte ©emein= 
ptafe, ba| bie ißreffe im @anzen bem Speer oeS Achilles 
gleiche, ber bie SBunben heilt, bie er fchtägt, ift nur ein 
leibiger Droft, benn faft gebermann tieft nur ein Parteiorgan. 
DaS anbere Heilmittel, baff bei fortfehreitenber Vitbung bie 
Autorität beS gournatiSmuS entfpte*:nb abnehme, wirb ber 
gournatiSmuS fetbft nicht wünfefeen. ®S ift aber nicht er« 


mittett, ob feine SDtacht unb fein Anfehen etwa regelmäßig 
mit ber Höhe feiner ßeiftungen wachfen, ober ob nicht auf 
I gewiffe Organismen ©ifte fixerer wirten als Arzneien, gm 
j Vertjältniff zur SWacfet aber fott ftehen bie Verantwortlich^ 
teit beS SRächtigen, unb mit biefem SBorte berühren wir bie 
I fchwierigfte Aufgabe jebeS PreßgefefeeS. SBenti ber gouraatiS= 
muS baS ©ebiet feiner Siechte unb Vorrechte gefefetich auSju^ 

' behnen ftrebt, fo muß er nicht nur bafür eine höhere Verant= 
j worttichteit bieten; es gibt auch ein ©efefe ber gefchichtlichen 
i Sntwicfetnng, weldjeS befagt, baß ein BuwacßS an Siechten in 
1 ber Sieget nur errungen wirb burch ftärtere Seiftungen, burefe 
| erhöhte Verbienfte um baS ©emeinwohl, burch eine intenfioe 
Vermehrung ber geiftigen Äraft. 6 ine Prüfung, ob biefe Vor= 
auSfefeungen in ben tefeten gahren auf bie Dhätigteit ber 
beutfeßen gournatiftit zutreffenb waren, eine Sichtung ihres 
; AntheitS an ber potitifeßen Arbeit unb ben potitifeßen gort» 
feßritten, wie weit fie baS ©efefegebungSwert geförbert, ob 
; fie fieß zu ben SanbeSoertretungen ooraneitenb ober nacßßintenb 
! »erhalten, ob fie »erbreitete Vorurtljeile feige gehegt ober tülfn 
beftritten, ob fie aueß nur bem feßweren unb wid)tigen SBerte 
, gewiffenßafter SBericßterftattung äße verfügbaren SRittel gewibmet 
I ßat; — icß fpreeße natürlich btoS von ber großen SRehrßeit ber 
j Vtätter, mißt von aßen, Wenn icß biefe gragen nießt im günftigen 
Sinne zu befaßen wage. Die rühmlichen AnSnaßmen ftnb 
, nießt gar feiten, aßein es finb entfeßieben nur Ausnahmen. 

| Aber ein Puntt fteßt feft: wir haben in ber DageSpreffe 
l eine Aera ber Verteumbungen bureßzumaeßen gehabt, für bie 
I wir in unferer (Erfahrung unb ber ©efeßießte vergebens naeß 
| einer auStömmlicßen Paraßele fueßen. Der Unterminirungstrieb 
ber extremen Parteien, ber H a ß ber vertannten ©rößen, ber 
©robneib ber Keinen Seute brachten ein ©ebräu zu SBege, baS 
gen Himmel ftan! unb Deutfcßlanb zur Schmach gereichte, — 
unb biefeS ©ebräu zulefet noeß gegoffen in ben H<E*nteffet ber 
wirrften SBaßlbewegungen! SBer bürgt unS bafür, baß bem 
Dinge bereits ein ©nbe gemacht worben wäre, wenn bie SRiffe» 
tßäter fxcß nießt an. einem ©ericßtsbirector unb bem Sleicßsfanzter 
vergriffen hätten?! 

Daß man in einer Situation, wo SotcßeS möglich ift, 
mit ber rein formalen Verantwortlicßleit eines (EßefrebacteurS 
nießt auSfommt, teueßtet oon fetbft ein; zum Ueberftuß liefern 
bie Strohmänner unb Siferebacteure ber „SleicßSgtocfe" bie 
nötßigen ©elege, — arme Deufet, bie man nur beSßatb mit 
feßweren Strafen belegen muß, bamit ber Kaufpreis Der Sife» 
rebacteure unb Strohmänner nießt aßzufeßr in’S Sinfen geratße. 
SBenn bie Serie zu woßtfeil finb, fo tann fieß ja feber reiche 
Sump ben Spaß machen, fieß hinter einen armen zu »erftecten. 


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214 




Nr. 14. 


®aS Princip ber auSfcßliefjlicßen Verantwortlidjfeit beS 
©ebacteurS füßrt gu folgen Verirrungen; baS entgegengefeßte 
Princip, bic aflgemeinen ©runbfäße ber ftrafrecßtlicßen Ver* 
antwortlicßfeit unbebingt auf bie periobifcße Sßreffe anguwenben 
unb überall bett wirtlichen ©ßäfer Z» fncßen, Wäre tßatfäcßtid) 
nur burcßfüßrbar, wenn ntan bie Slnonßmität verbieten wollte 
unb bie Pfeubonßmität oerbieten tonnte. SBSie feßr man aber 
aud) oon ben ©efaßren ber im SournatiSmuS oorßerrfcßenben 
Slnonßmität burdßbrungeit fei, wie lebhaft man im Sntereffe 
beS <3til$ unb beS Inhalts, ber allgemeinen Hufflärung unb 
ber CE^ren^aftigTeit beS fchriftftellerifchen VerufSftanbeS wün* 
fchen möge, baß eine anbere Sitte fid) einbiirgere, baS ©efeß 
tann nicht oerbieten wollen, was eS nicht oerhinbem fann; 
ein ©efeß, beffen Umgehung unoermeiblicß Ware, würbe ein 
fcßlecßteS ©efcß fein. Swif^n liefen ©egenfäßen, ber auS* 
fcßließlidßen Verantwortung beS ©ebacteurS unb ber Straf* 
barfeit beS wirtlichen ©ßäterS, fudjen bie meiften Preßgefeße, 
mit mehr ober weniger ©tücf, einen Pfittelweg, auf welchem 
e« fi$ gunädßft empfiehlt unb auch allgemein gut ©eltung 
tommt, ben ©ebacteur, Weidbet ben Stoff fnhtet, bearbeitet 
unb jur Slufnahme bringt ober Oerwirft, als ben ©fitfdjul* 
bigen beS VerfajferS ju betrauten. ©aS ©efeß will, wo 
möglich, bie wirtlich Sdfjulbigen ergreifen; eS wiü aber auch 
bie fuccefftoe Verantwortlichleit fo gestalten, bafj baS Sntereffe, 
ben Sdßulbigen ber Suftij gu entgießen, aufgewogen Werbe 
burd) bie ©efaßr einer eoentuellen Strafbarteit ber anberen 
bei bem preßergeuguiß betheiligten ©erfonen. £ier liegen bie 
privilegia favorabilia unb bie privilegia odiosa ber Pteffe 
bicht beifammen. 

Sin biefe Slnffaffung beS materiellen PreßrecßtS fnüpft 
fich naturgemäß bie proceffualifdje Vehanblung ber preßoer* 
gehen. SBer als gleichzeitiger ober eoentueller Pfitfcßulbiger 
haftet, tann nach aflgemeinen Proceßregeln nicht gum Seugniß 
gejwungen werben; SieS fteßt fo unoerbrüdßlicß feft, ift ein fo 
unbeftrittener Saß unferer SuriSptubeng, baß er in teinem 
Preßgefeße nodh einer befonbren Erwähnung bebarf. ®a8 
Slmenbement, welches in ber britten ßefung ber ©eicßSjitftig* 
gefeße geopfert werben mußte, wollte bie Immunität beS ©e= 
bacteurS and) auf baS ^ülfSperfonal auSbeßnen. 3n ber ©ßat 
hätte biefe WuSbeßnung manches Vebenlliche gehabt; man benfe 
ficß bie analoge Slnwenbung beS PrincipS g. V. auf bie ®e* 
hülfen oon Slboocaten unb »ergten, welche ja auch in ®egug auf 
Seugnißablage eine prioilegirte Stellung einnehmen. 3ebenfatlS 
haben bie ©ebner ber Dppofition biefe grage über Gebüßt auf* 
gebaufdßt. Eine befonnene ©ebactionSprajiS wirb fcßon unter 
bem gegenwärtigen ©edhtSguftanbe ben modus vivendi finbett. 

»n benjenigen gellen, bie unS Oon Seit gu Seit beutt* 
rnßigt unb aufgeregt hoben unb bie leiber noch nicht abge* 
fcßloffen finb, würbe baS Slmenbement ©farquarbfen, welches 
ber Slbgeorbnete SBeßrenpfennig fo lebhaft empfohlen hot, fo 
gut wie nichts oeränbern: baS finb nämlich bie gäue, wo 
fein eigentliches Preßbelift oorliegt, wo ber anonpme ober 
oerfteefte Verfaffer einer Schulb gegießen wirb, an welcher 
bem ©ebacteur teine ©fitfcßutb gitr Saft fällt, wo alfo feine 
Immunität nnb folglich auch bie feines ijülfSperfonatS nid)t 
©laß griffe, gaft immer wirb eB fich h' er um ben Vrudß 
beS SlmtSgeßeimniffeS honbeln, welcher an bem oerrätßerifcßen 
Veamten geahnbet wirb, aber nicht an bem 3«tungSrebactenr, 
ber bie grüßte beS VerratßS pflüdtt. Es waren oft fleinlidße, 
tinbifche ober geßäfftge Verfolgungen, eS breßte ficß mandjtnat 
um unbebeutenbe StobiScretionen, bie beffer ignorirt worben 
wären; — unb überhaupt wirb ja manches StmtSgeßeimniß 
faum leister oor ©ritten gu bewahren fein, als trgenb ein 
©eßeimniß beS prioatlebenS. Slber eS gibt boeß auch über* 
aus wichtige SlmtSgeßeimniffe, g. V. in ber ©iplomatie, in 
ber Strmeeoerwaltung, bei ben oorbereitenben fpanblungen ber 
Strafrechtspflege. ES gibt Gebiete beS Staatslebens, in 
welchen ber VerwaltnngScßef baS äußerfte Sntereffe an ber 
Verfchwiegenßeit feiner Untergebenen nehmen muß. SSBir glauben 
fließt, baß bie Herren oom Eentrum ober oon ber gortfeßritts* 


Partei als ©finifter baS SlmtSgeßeimniß abfcßaffen würben, 
©er StaatSoerWattung ift baS SlmtSgeßeimniß ebenfo unent* 
beßrlicß, als ber Seugnißgwang ber Strafrechtspflege, ©iemanb 
fann oerlangen, baß baS SlmtSgeßeimniß gerabe gu ©unften 
ber großen Sdjwäßerin „©ageSpreffe" aufgeßoben werbe, unb 
wer über bie Unentbeßrlicßfeit beS 3 cu 9 n ifign>angeS Sfrupel 
ßegt, bem Wünfcße ich nur, baß ißnt eine wertßoolle ©afdjeit* 
ußr geftoßlen werbe, beren SBiebererlangung oon ber eibiidjen 
SlnSfage eines VfanbteißerS ober ©üdfäuferS abßinge. 

©amit ift aber uoeß lange nicht gugegeben, baß eine ©eiße 
ber berufenen Sfugmßgwangfälle uns nießt ßöd)ft peinlid) be* 
rüßren müßte, ©er ©idßter freilich tßut feine Scßutbigfeit, aber 
baS ©efeß ift feßlerßaft. S ut1 ö(ßft bürfte ber Seugnißgwang nur 
angewanbt werben, wo ber ©ßatbeftanb eines wirftießen Ver* 
geßenS oorliegt; bann bürfte eS nießt im Velieben beS Staats* 
an Watts ober gar eines VerwattungSbeamten fteßen, über bie 
Seugnißßaft gu befcßließen, fonbern ber ©idjter muß allein gu 
entfeßeiben ßaben; ferner muß bie ©auer ber Seugnißßaft 
naeß beS ©icßterS freiem Ermeffen in einem gewiffen Verßält* 
niß gur Strafbarfeit beS gu erforfeßenben VergeßenS fteßen 
unb foH überhaupt eine beftimmte mäßige ©renge ßaben. 
Sillen biefeit Slnforberungen ift bie neue Strafproceßorbnuug 
geredßt geworben, fo baß ber Seugnißgwang unter ben neuen 
Suftiggefeben etwas wefentlicß SlnbereS fein wirb, als bisßer. 
©er Eßorfüßrer ißrer fo laut feßreienben ©egner, $err $änel 
felbft ßat baS bet ber Vefpredjung beS Falles Santecfi aner* 
fannt unb bie oon anberer Seite empfoßlene befcßleunigte Ein* 
fiißrung ber betreffenben Paragraphen bureß ein ©otßgefeß 
auSbriidlicß befürwortet, ©iefe Slnerfennung einer unoerfenn* 
baren SBaßrßeit fommt etwas fpät, nnb fie wäre ficßerlid) 
noiß oorentßalten worben, wenn bie SBaßlen nießt oorüber 
wären. 

künftig alfo werben bie ©ebacteure für ißr gegebenes 
SBort feinem allgu langen 2Rärtßrertßum auSgefebt fein, ©aß 
ein ©fann, ber noeß bagu einen öffentlichen Sßararter betreibet, 
fein gegebenes SBort nießt breeße, ift eigentlich feines befon* 
beren SobeS wertß, gumal wenn er bie ©efaßren, benett er 
ficß auSfeßt, gum Voraus überfeßeit fann. SEBir wiinfeßten 
aber, baß bie Ehrenmänner, um weldje eS ficß ßier ßanbelt, 
nießt in einem einfeitigen ©arteiintereffe fteß einer ©faß» 
regelung preisgeben unb oielleicßt um einer oppofitioneBen 
Pointe, einer EintagSwirfung wißen gu ben StaatSgefeßcn in 
offenen SEBiberfprucß treten. SlnberS läge ber gaB, wenn ein 
großes Sntereffe beS ©edßteS ober ber aBgemeinen SBoßlfaßrt 
auf bem Spiele ftünbe; bann wäre baS ©färtßrertßum refpec* 
tabel. Slber, aufrichtig gefagt, foliße 3äBe, wo cS fuß beS 
Opfers geloßnt ßätte, finb mir nießt erinnerlich. Smmerßin 
ßat jebeSmal ber ©ebacteur bie feßöne ©oBe unb bie ßäßficße 
fäBt bem Veamten gu, ber im ©ienfte bleibt, bie Pflichten 
feines StmteS oerleßt unb einen Slnbren rußig bafiir büßen läßt. 

£J. 3. Oppenheim. 


Gin ßffudj bei ben Gannibalen tiJell-^frikaß. 

©ie ^üfte oon ©icber*®uinea, feit einigen Saßren befonberS 
oiel genannt als ber SluSgangSpunft einer Steiße ooit beutfeßen 
Ejpebitionen gut Erforfcßung beS inneren, unbefannten Stequa* 
toria(*9lfrifa3, wirb oon einem bunten ©emifdß Heiner Völler* 
fhaften bewoßnt, oon benen gwar bie ©leßrgaßl als ©lieber eines 
einzigen großen ©egerftammeS gu betrauten ßnb, gwifeßen benen 
fuß aber anbrerfeitS wicber Völler Oorßnbeit, bie naeß jeber ©idj* 
tnng ßin oon ißrer Umgebung oerfdßieben, aber bureß ißre ifolirte 
Stellung, wie autß burdß ißren oft feßr energifeßen Einfluß auf 
bie Verßältniffe ber gut Seit feßßaften Veoöllerung ein größeres 
Sntereffe in 3lnfpruh neßmen. 

SBäßrenb meiner breijäßrigen ©eifen im Stromgebiet beS 
Dgowe, näcßft bem ©ongo unb bem ©iger woßl ber bebeutenbftc 
Stuß ©eft*?lfrifaS, ßatte icß nun ßäußg ©elcgenßeit, einen über* 


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Nr. 14. 


fl i * «egenwart, 


215 


auS einflußreichen, ftch teilförmig jwifdjen bie rußige unb frieblicße 
©egerbeüölterung einbtöngenbett Stamm tennen ju lernen, ber, 
unauf^altfam öon Oft itad) SBeft oorbringenb, ein Schreien ber 
fcßtnädtlicßen unb feigen Dgowe=8ewol)ner, bereits bie Küfte beS 
atlantifcßen DceanS erreicht Ijat unb felbft ben bafelbft ange* 
fiebelten ©uropäcnt ©runb jur ©eforgniß gibt; id) meine baS 
auSgebeljnte ©oll ber San, an ber Stifte gewöfynlidj ©Ipangwe 
genannt (franjöpfch Pahouinu), im inneren aber unb nörblid) 
bom SCRunifluß unter bem Flamen Dfdjeba (auf mandjen Sorten 
Dfljtjeba, Dfpeba gefdjrieben) befannt. 

3m Slllgemeinen bilbet baS rechte Ufer beS DgoWefluffeS, 
beffen Unter* unb ©littellauf jwifhen bem Slequator unb 1° 
fübticßer ©reite fid) erftredt, bie fübticße ©renje ber San; nah 
SBeften f)in Ijaben fte, wie erwähnt, fteUeit Weife wenigftenS, • bie 
Küfte beS ©leeres bereits erreicht; nah ©orben ßin reihen fie 
bis jum üierten ober fünften ©rab nörbtiher ©reite, wäfjrenb fih 
in öftliher ober rihtiger in norböftlidjer ©id)tung leine ©renje 
angeben lägt; fie erftreden fih außerorbentlid) weit in’S 3«nere 
unb eS fteßt jeßt wol)l fo jiemtid) feft, baß fie mit ben bon 
Shweinfurtlj befuhten ©lonbuttu ober ©jam*©jam in me^r 
weniger innigem 3ufammenljange fielen. Die erften etwas 
genaueren ©adjrid|ten über biefe Slntl)ropopljagen oerbanten wir 
bem betannten ©eifenben uub ©oriflajäger DuhaiDu, ber be* 
fonberS bie San am ©luni unb ©lunbal), jWei tleinen, in bie 
©ai oon ©oriSco münbettben Slüffen, lennen lernte. SBäfyrenb 
biefeS ©oll aber nod) ju DuhaitluS Seiten nur oereinjett 
oortam, fiaben bie San jeßt bereits baS gaitje ©ebiet jwifdjen 
bem Dgowe, bem Sleftuarium oon ©abun unb ben genannten 
Slüffen ©luni unb ©lunbal) inne, fo baß bie frühere ©eoöllerung 
entweber auSjuwanbern genötigt ift, ober fih, wie inSbefonbere 
bie eigentlihen ©abunftümme, mef)r bem franjöfifdjen Sd)u$c 
anoertrauen unb in Solge beffen auh, bis ju einem gewiffen 
©rabe wenigftenS, ben europäifheu ®efe|en unb ©ebräudjen 
unterwerfen muß. 

©ei meinem unfreiwiflig oerlängerten Slufentljalte im Dtanbe* 
gebiet, ein ungefähr oier Sängengrabe (60 beutfhe ©teilen) fluß= 
aufwärts gelegenes fdjöneS, gebirgiges Sanb, naljm ih nun häufig 
©etegenljeit, bie am entgegengefefcten Ufer beS Dgowe fowie an 
bem Heineren Sluß Dfue gelegenen San* (Dfheba*) Dörfer ju 
befuhen unb biefeS ©oil unoerfälfht, noh ni<ijt burh ben niht 
immer feßr günftig wirtenben ©influß ber 3Beifsen oeränbert, lennen 
ju lernen; bie weit jerftreut lebenben San=Stämme unb einjelnen 
Samilien finb in ifjrer SebenSweife, in iljten ©inrihtungen, Sitten 
unb ©ebräuhen fo oolllommen übereinftimmenb, baß ber ©efuh 
bei einer Samilie, Wie ih tßn im ©adjfteljenben ju fhilbern 
oerfuhe, auh auf alle anberen pafft. 

3h fjatte wäfjrenb ber ©egenjeit beS oorigen 3af)reS mein 
Säger im Dlanbelanb aufgefhlagen unb jwar biht am Ufer beS 
DgowefluffeS, 'einige Stunben bon ben nädjften Dörfern ber ©in* 
gebornen entfernt, um bodj niht ben ganjen Dag oon ber ju* 
bringlihen ©eugier unb $abfudjt ber ©eoöllerung geplagt ju 
fein. Die Sage war fhön: baS Dlanbelanb bitbet eine auSgebeljnte 
offene fßrairie, fteöenweife burh SBatbpartieen nnterbrohen, oon 
allen Seiten umgeben oon einer Steife fhöngeformter Sdjieferberge, 
jwifdjen benen jaßlreidje Heine, fifhreihe Sähe bem Dgowe ju* 
ftrömen. Der ledere bilbet Ijier jatjtreihe, oft feßr gefäljrlidje 
Schnellen unb Kataralte, fo baff fdjon baS Kreujen beS Ijier redjt 
anfefjnlihen Stromes ein mül)fame8 Stüd Strbeit ift. Die Dlanbe 
befuhen übrigens feiten baS gegenüberliegenbe Ufer, ba baSfetbe 
oöllig im ©efif bet San (Dfheba) ift, bie jebe ©elegenßeit 
benufcen, um Seute oon anberen Stämmen abjufangen unb ju töbten. 

DaS Dlanbelanb Wirb nah ßften Ijin burh ben Dfuefluß 
begrenjt, ein niht feßr breiter, aber außerorbentlid) tiefer unb 
reiffenber, anS Süben lommenber ©ebenfluß beS Dgowe; jenfeitS 
beS Dfue finb beibe Ufer beS $auptftromeS oon ben San befefct, 
rooljer eben bie großen Sdjwierigleiten rühren, über baS Dlanbelanb 
t)inanS weiter nah Dften oorjubringen. ©ei einer früheren 
Steife auf bem Dfuefluß Ijatte ih unter Anbetern auh baS füb* 
öftlih bon Dlanbe motjnenbe ©fimbaootl befuht unb bafelbft öfters 
einen Zrupp Santeute oom gegenüberliegenben Ufer beS Dfus 


gefeiten, bie f)ier i^re Sagberjeugniffe, getrodneteS Sleifh wu Slffen, 
Stahelfhweinen, ©ntilopen, großen SBalbratten u. f. ». ein* 
taufhten gegen bie bei it»nen feßr beliebten, aber niht eultioirten 
ffirbnüffe (^iftajien), fowie gegen groffe ro^ gearbeitete D^on* 
gefhirre. 

3h hotte unter ben bei ben Sfimbateuten als ©äfte an* 
wefenben San Seute lennen gelernt, mit benen fih reht gut aus* 
tommen lägt, befonberS war es ein alter Häuptling StamenS 
SJtbia, ber mir einiges ©ertrauen einflößte unb ber mid) wieber* 
holt aufgeforbert ^atte, fein Sanb ju befuhen, fo bafj ih befhlog, 
jum großen ffintfe^en ber feigen Dlanbe unb ©fimbaleute, ben 
Dfue ju überfhreiten. Stun läßt fih aber eine folcße Steife nie 
o^ne bebeutenbe ©epädmaffen auSfü^ren, bie auf bem Stüden ber 
ffiingebornen getragen werben müffen; bie Seute ber lefetgenannten 
Stämme waren aber um leinen IßreiS ju beftimmen, mir als 
Dräger ju bienen, fo baß ih bem Sanlönig ertlären mußte, ih 
tönne niht ju ißm tommen, wenn er mir niht eine Wnjatjt 
Dräger ftetten wolle. Das hatte aber wieber feine Sdjwierigleiten; 
bie San mußten einen jweitägigen SJtarfh burh baS feinblihe 
Dtanbegebiet mähen, e^e fie mein Saget erreichen, unb auf biefem 
SBege hätten fie ja leiht oon ben DIanbeleuten abgefangen werben 
tönnen. DiefeS ©ebenlen befeitigte ih baburefj, baß ih ben San 
einige oon meinen aus ©abun mitgenommenen Dienern, bie mit 
§intertabern bewaffnet waren unb bie fih bei ben DIanbeleuten 
in großen Stefpect ju fefcen Oerftanben Ijatten, jur ©egleitung 
gab, fo baß benn auh öneS DageS König ©tbia mit einem 
Drupp feiner Seute in meinem Saget erfhien. Die San waren 
außerorbentlih ftolj auf biefe fjelbentljat, mitten burh feinbliheS 
©ebiet gereift ju fein unb fpradjen im oerähtlihften Done oon 
ber Seig^eit ber Dtanbeleute, aber biefeS Stenommiren fing boh 
erft an, als fie fiher bei mir angelommen waren unb bie üielen 
©eweljre u. f. w. erblichen; benn meine Diener oerfiherten mid), 
baß bie tapferen Dfheba unterwegs mefjt als einmal naf)e baran 
gewefen feien, umjule^ren in iljre ^eimatlihen SBälber. ©ine 
ungtaubühe Seig^eit oerbunben mit unerträgtihem Stenommiren 
ift eben eine @igentl)ümlihteit aller Stämme beS äquatorialen 
S3eft*91frifaS, unb felbft bie fonft Iriegerifdjen unb graufamen 
San lann man ^ieroon niht freifprehen. 

©ahbem ih auf biefe SBeife eine Steife Williger Dräger 
gewonnen hatte, ließ ih eine große ©tenge europäifher SBaaren: 
©aumwoüenjeug, ©laSperlen, ©teffing unb Kupfer, befonberS aber 
baS fo t)odj gefhä&te Salj in tragbare ©ünbel fertig mähen unb 
oerlicß eines ©torgenS mein Saget im Dlanbelanb, bafelbft jWei 
meiner ©abnnbiener als SBadje für ben Steft meiner europäifhen 
©iiter jurüdlaffenb. ©leine ©egleitung beftanb aüS oier gut be* 
waffneten ©abunleuten unb einigen breißig Drägern; außerbem 
hatte fih ein junger Dlanbeburfh, ben ih für gemöt)nlid) in 
meinem ^auS^alt befhäftigte, angefdjloffen unb ben bie eigene 
Steugier fowie bie Spöttereien meiner Diener ju biefem üer* 
jweifelten ©ntfdjluß getrieben hotten; aber fdjon nah eintägigem 
Stufenhalte im Santanbe hielt ber affectirte ^elbenmuh niht 
meljr Stih, et geftanb mir jitternb, baß er bor Sucht Weber 
effen noh feßtafen tönne, baß bie San ifjn töbten unb auffreffen 
wollten unb Steljnlidjeä me^t, fo baß ih iljn fhließlih jum 
großen 3ubel meiner Diener unb ber San bis jur ©renje beS 
DtanbelanbeS eScortiren taffen mußte. 

©S war ein reht heißer Dag noh inmitten ber großen 
Stegenjeit, als wir aufbrahen, unb wir tarnen nur feljr (angfam 
burh bie etwas gebirgige öfttid)e $älfte beS DtanbelanbeS, bie 
gewöfynlidj mit bem ©amen Stfdjuta bejeidjnet wirb, wäf)renb ber 
ebene Dßeil, in Weihern meine Station fih befanb, jum Diftrict 
Sope getjört; bennodj erreihten wir gegen Slbenb baS reht Ijübfd) 
auf einem fteit anfteigenben, gegen 2000 Suß h°h en §ügel ge* 
legene Dorf beS Königs 3nbunbo, wo wir bie ©aht jujubringen 
gebähten. Diht bei biefem Dorfe befanb fih eine Heine ©Ibangwe* 
©ieberlaffung, ein etwas WübeS unb räuberifdjeS SügerOoII, baS 
fih ätptlidj Wie bie San auh überall jwifhen bie anberen Stämme 
einbrängt, unb bei ifjnen quartirten ßh meine Dfheba*Dräger 
ein. ©leine Slbfidjt, in baS Sanlanb ju geßen, hotte überall 
bie größte Slufregung ßeroorgerufen; oon allen Seiten ftrömten 

* 

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216 


Vte «egennMtrt 


Nr. 14 


bie Seute gerbet, um unfereri 8»g angufeßen, unb allgemeine Auö= 
rufe beö SRitleibeS, ober auch ber #abfucfjt unb ©iferfudjt würben 
laut; bemt allen Dfanbeleuten war eö dar, baß mich bie San 
nur in ihr Sanb loden wollten, um mich auSguplünbern (waö 
meine mitleibigen greunbe ja felbft auch gern get^an hätten, 
wenn bie gurcht bor unseren ©erneuten fie nicht abgeßatten t»ötte) 
unb baß meine Begleitung ihrem fixeren Untergange entgegen 
gehe. SReine Sräger auö bem ganlanbe würben non ben gaf)l= 
reifen Dfanbe äußerft mißtrauifd) angefehen unb ich mußte forg- 
fam auf paffen, baß wäfjrenb ber Stadst nicht eine Streitigfeit 
ausbrach, Wogu bie Dfanbeleute, im ©efüljt einer augenblid: 
licken Uebermadjt, gar gu gern geneigt gewefen Wären. 

Sie 9iad)t berging recht unruhig unb an Schlaf War nicht 
gu benfen; einerfeitö waren bie Seute bon König Snbunbo in 
»oller Aufregung über ben ihrem Sorfe wiberfahrenen BefudE) 
ber San, anbererfeitö machten bie lefcteren einen wahren $öllen= 
lärm, inbem fie ihre Wilben Sänge unb ©efänge auffiihrten, um bie 
Dfanbeleute noch mehr in Surcht gu »erfe|en. 3<h hotte in einem 
foldjen galle immer einen recht fdjweren Stanb alö ber cingige 
SBeiße unter fo bielen wilben ©efeüen. ©inerfeitö mußte ich 
meine eigene ©abunbegteitung, bie im ®efüf)le ihrer guten Be¬ 
waffnung unb angefidfjtö ber lächerlichen Seigheit bet Dfanbe 
fi<h allerhanb SRuthWitlen mit biefen erlaubten, im Bemme galten; 
bann mußte ich bie aufgeregten Dfanbeleute felbft beruhigen, 
mit benen ich mich unmöglich böOig oerfeinben fonnte, ba id) 
ihre Unterftiihung fpäter bo<h wicbcrgebraud)te, nnb muhte fdjließ: 
lieh auch energifch gegen bie iibermüthige Saune meiner Sanleute 
cinfdfjreiten, etwa« biel für eine Betfon! 


r 


(6d)luft folgt.) 


0sfar £cit3. 


Literatur nnb <£nnß. 


Der Sag »erritint —. 

Ser Sag berrinnt unb eö fummt ber SBinb, 

Sie SBolfen btängen unb treiben; 

SBelfflatternbe Blätter, unb Stebel fpinnt 
Sich grau um bie bunfetnben Scheiben, 

Sie hinauSgehn in’8 trübe, in’ö traurige Sanb — 

D Wie lang ift’8 her, baff in grühtingömär’ 

3<h on beiner £>anb 

Sn bie bämmernben SBolfen hinauöfah! 

Unb ei bunfelte gang, hoch wir ftanben im ©lang, 
Ser auö leudjtenber Hoffnung un8 ftrahlte, 

SJir ftanben im Seng, bet gu rojtgent Kräng 
Sie gerflatternben Blätter un8 malte; 

Unb ba8 Sanb ba braußen ein blühenber ©runb — 

D Wie lang ift’8 her, ba| i<h bang unb fdjwer 
Sn ber Srennungöftunb’ 

Sn bie bämmernben SBolfen fjinaudfah. 

Unb ei fam bie Stacht, bie in ©ram ich burchwacht, 
Unb e8 tarnen bie fchleichenben Sage, 

Unb ber Abenb nahm, wa8 ber SRorgen gebradht, 

Unb e8 wob fich au8 Hoffnung unb Klage 

SaS .fperg ein ©efpinnft, brin ber Sag ihm »erblich — 

D Wie lang ift'8 her, bah ber SBieberfehr 

äReineö @lüde8 ich 

Sn bie bämmernben SBolfen hinauöfah- 


D ber einfame Sag! D ber einfame Schlag 
Se8 £>ergep8, ber fo ihn beenbet! 

Sft bie8 noch bie £>anb, bie in beiner einft lag? 

Sag hier bon Sräumen umblenbet 

Sie8 traurige Sanb einft in rofigem Schein? — 

D wie lang ift’8 her — wenn man hoffnungöleer 
Unb alt unb allein 

Sn bie bämmernben SBolfen hinauöfieht.- 

tt>ili)elm 3enf«n. 


Ütofcerac italifttifche Dieter. 

3m 3Rai »origen 3»hreÖ hotte mich bie Sehnfucht nach 
bem Süben, welche feit ber Bölferwanbernng bad ©rbtheil beö 
Seutfcßen ift, gurn »ierten Stale nach Italien geführt Aber 
ber SBonnemonb hält auch ienfeitö ber Alpen nicht immer, wa8 
er »erfpricht Abfcheulicheö falteS Segenwetter »erfolgte mich 
unaufhörlich, ber trübfetig graue Fimmel ftimmte »erbriehlich, 
unb „feiten nur fah ich bie fengenbe Sonne". Um bem Siegen 
gu entfliehen, wanberte ich ouf ber gebunbenen Starfdhroute, bie 
mein Stunbreifebillet »orfchrieb, »on einer Stabt gur anbern. 
Auö Benebig, Wo bie Statten in allen ©anälen Schwimmübungen 
hielten, floh «h nach Staitanb. Sort gab e8 nur einen eingigen 
trodenen Sied: bie ©aUeria Bittorio ©ntanucle. $ier wanbeiten 
in bichtem ©ebränge bie fchönften Samen mit blonben Soden — 
ber alte Songobarbentppuö fchtägt noch h eu te häufig genug in ben 
Storbitalienern »or — aber fo fonnig auch ihre Augen leuchteten, 
— ein wirtlicher Warmer Sonnenftrahl wäre bem frierenben 
Steifenben lieber gewefen. Sa8 marmorne Spinngewebe be8 
Som8 troff bon SBaffer unb bie geudjtigfeit brang herab bi8 
gu ber ©ruft meine8 Stamenöpatronö, beö heiligen ©arl Borromäuö, 
ber im ©egenfafee gu »ielen aitberen ^eiligen ein fehr anftänbiger 
Stann gewefen. Bier Sahre früher, alö ber reinfte Fimmel über 
Stailanb blaute unb »om Sijurme beö Somö bie femften Alpen: 
{pißen wie Silberfiligran auf Sapiölaguti gu flauen waren, hatte 
ich beö herrlichen SBetterö wegen berfäumt, bem ^eiligen meine 
Aufwartung gu machen. Sieömal hotte ich ben Befud) nach, 
ftaunte übet bie Bracht ber unterirbifdjen ©rabfapelle, ärgerte 
mich über bie augenuerbrehenben alten SBeiber, bie auch hier 
bie unerläßliche Staffage bitben, unb reifte beö anberen Sageö 
nach ©enua. 

Ser Stegen begleitete mich über bie Appenninen. Stoß wie 
gieöco, alö ihn Berrina in baö SReer geworfen, ftieg ich bie 
fteilen, mir fo woßlbefannten „Salite" auf unb nieber. Sa8 
SDteer raufchte wilb am $afenbamm hinauf, bie Berge ber Stioiera 
bi Seöante lagen im Stebelfchleier, unb ein fcharfer Storb pfiff 
burch baö Shal beö Bifagno herunter, baß bie Sorbeerbäume 
unb Binien ber Billa Stegri gufammenfehauerten. ©erne wäre 
ich hinoufgeflettert gur Srattoria ScigoreHi unb hätte mich über: 
geugt, ob bie fleine freunblicße grau noch immer bort oben bie 
SBirthfchaft führt unb ben bürftenben gremblingen eblen Stehen: 
faft gu fabelhaft billigen Breifen »orfeßt. Aber ber Storbwinb 
war ftärfer alö bie Sehnfucßt nach biefem SBieberfehen, unb ich 
»ertiefte mich in bie Kunftfchäfce ©enuaö. Ser B Q tnggo Brignole* 
Sale hotte feinen Beß|er gewechfelt, er gehörte jefet ber Stabt. 
Auf bem erften Abfa| ber Sreppe fteht bie einfad^ ftolge 3" : 
fchrift, bie lefete Brignole:Sale §abe mit ßußimmung ißreö 
Soßneö ben Botaft fammt allen feinen Kunftfchäfcen ©enua ge: 
fchend. So ging bie Same ihrem ©emahl mit einem großen 
Beifpiel »oran; ben Staaten ihteö ©h e hrrm fennt feit feiner 
Sdjenfung »on gwangig SDtiüionen für bie ^afenbauten bie gange 
SBett. Alö er lürglich ftarb, trauerte ©enua um ihn wie um 
einen Bater, unb Stalien legte feine feßönfte Bürgerfrone anf 
baö ©rab beö $ergogö »on ©aUiera. 

SBie in ©enua, fo war baö SBetter in B*fo- Stan nennt 
eö fonft wohl baö trodene Benebig, bieömal aber gab eö SBaffer 
genug, unb um ben fdjiefen Shurm hotte fich Bfüfee ge: 
bilbet, burch welche einige sb^ rufgef^ürgte ©nglänberinnen 


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Nr. 14. 


Hie drgrnamrt. 


/ 


217 


— Ieiber Waren fie alt unb mager — gteicp ©tördjen ihren 
©fab fugten. Sie greifen ©enosso ©ossoti« im Kampofanto, 
bie idj jum jweiten SRale feljen wollte, waren mit Fretters 
oerfcptägen bebecft, weit ba« Sach be« ftreusgange« auSgebeffert 
warb. Safür Tonnte icp im „©ettuno" bie ©ifaner ©tubenten 
effen unb trinfen feljett. Me Mjtung oor beutfcpem durfte, 
aber icp glaube (aum, bajj irgenb ein bemoofte« §aupt in Sena 
ober ^eibetberg ju feinen SRaplseiten fotcpe Quantitäten SB ein 
oertitgen fönnte, Wie biefe fcptanfen, gefdjmeibigen Italiener. 
2Rein beutfcpe« fttteipbewujjtfein ertitt einen fdjmerjtidjen ©tofe, 
at« idj einen um ben anbem ber rieftgen „giafcpi" teer werben 
fab- Set Seutfcpe, ber mit biefen ©öpnen ber 9Raremma um 
bie SBette jetben wollte, würbe fein Segnano erteben. 

Sa e« notb immer regnete, fo regte fiep ber titerarifd^e 
SRenfcp in mir. 3<P bejcblofi jtoar nic^t Sßerfe §u machen, wobt 
aber Stofe ju tefen. Sn ©ifa berfäüt man sunäcpft auf ©apifarbi« 
©ebicpte, weit fie bort erfdjienett finb. SRario ©apifarbi jäbtt 
unter bie bebeutenbften ©oeten be« jefeigen Statien. ©eine fitfene 
bramatifebe Sichtung: „grance«ca ba ©imini", in ber er e« 
wägte, oon Sante absuweidpen unb ben ©ieg ber Siebe über 
bie Quoten ber #öüe ju feiern, -machte miep juerft auf ihn 
aufmertfam. ©eine Iferifcfeen Sichtungen finb oon einer un? 
bewegbaren ©ibwermutb erfüllt; eine Irauermeibe im 9Rouben= 
fefeein wäre für ihn ba« befte Symbol. ÜRancpe feiner büftern 
©timmungibitber erjnern an Senau. (Sr fönnte, ftatt in ©icitien, 
auf norbbeutfebem ^ätBeboben geboren fein.*) SRerfwfirbig, bajj 
ber 9Rann mit bem etegifeben ©runbton ©pitotoge oon Sach ift 
unb beftänbig mit ben heiteren Älafftfern bei Mertpum« um= 
gebt (Sr säplt jwar nicht unter bie grofeen ©eteprten — S9e= 
wei« bafür ift fein ©uep: „Katutto e Seäbia" — aber er weih 
ba« Seben im alten ©om fefer feübfcfe ju fdfeitbern. greiticp 
hätte er beffer getban, oon ben heutigen ^3feitoIogen mit etwas 
Weniger ©eringfdjäpung ju ffereäfeen unb fleißiger oon ihnen ju 
lernen. SBir wollen eS ihm jeboep nicht übet nehmen, bah er 
bie ©ebanterie unb ben unbeholfenen Stil ber SReiften oon 
ihnen fehlest Oerträgt. Sa« ift nun einmal nicht« für bie 
©omanen, bie oor Mem fdjötte gorm oertangen unb ba« ©olb 
be« SBiffenS nicht au« einem ©ergwerf oon Sangeweite fcfeürfett 
wollen. SRafeifarbi hot bie Siebeslieber KatuH« reijenb über* 
fefet unb einen nicht gerabe grünblidjen, aber fefer pifanten 
Kommentar baju gefebtieben. Sebe gebitbete grau Tann ba« 
Such tefen; man mutpe ihr bod) einmal ju, bie für ben gaep= 
mann fo hoch Wertljüollen ©ebriften Oon Sergf, ßtop, SBeife, 
©opl u. St. über (Satull ju üerbauen! ©apifarbi, in beffen 
Sichtungen ba« weiche, Weibliche (Slement oorherrfebt, ift ein 
©eteprter für Samen, er sieht bie SBiffenfdjaft in ©arfümfläfcpdpen 
ab. Sn Statien freilich ein jiemlicfe oerfehlte« beginnen, benn 
welche Statienerin, wenn fie nicht eine wunberbare MSnahme 
macht, würbe ein Such über einen tateinifepen Sichter sur |»anb 
nehmen? 

Qb in ©ifa fetbft ein nennenSWerther ©oet lebt, weife ich 
leiber nicht su fagen. Sa man bem gremben noch bie ©tätte 
Seigt, wo einft Ugotino« §ungertpurm geftanben, fo wäre bie 
ftille ©tabt ein fefer pajfenber Stnfiebtungäort für Sichter. Sn 
Statien trägt nämlich bie ©unft bet Stufen noch biel weniger 
gotbene grüchte at« in Seutfchtanb. ©ei un« pflegen bie ©er- 
leger ©ebichte in ber Sieget nicht ju ponoriren, in Statien aber 
nehmen bie ©udppänbter nicht einmat su biefem billigen greife 
©oefien in ©erlag, fonbern ber Serfaffer Iäfet fte gewöhnlich 
auf eigene ßoften bruden. #iet peifet e«: „Shu ©etb in beinen 
©eutet — wenn bu unfierblich werben mißft." ©djlimm genug 
für bie armen ©oeten. ©iept Seber ift Starcpefe, wie ©uerrieri» 
©onsaga, ber feinen SanbSteuten u. W. ©oethe« „©ömifepe (Stegien" 
in oortreffticher Ueberfepung befefeeert, unb nocp weniger Tann 
e« Seber bem Sur inet ©ooean, bem Slutor be« podporiginelten 
Srama« ,,©efu Krifto", naeptpun, ber auSgebehnte SBeinberge 


*) Bor brei Sagen brachte mir ein greunb ©apijatbi« nenefte« 
SBerl „Sucifero", eine epifdfee Sichtung in fünfsepn ©efAngen, bie mit 
bem Sobe ©otte« jdjliefjt. Originell genug! 


befifet unb unter ben SBeinprobusenten ©iemont« einen faft 
ebenfo hohe« ©ang einnimmf wie ©aron ©icafoli, ber ehemalige 
Stinifterpräfibent, unter jenen SoScana«. Safe bie Sieprsapt ber 
itatienifdpen Sichter ©rofeffuren betleibet, änbert wenig an ihrem 
befcheibenen Soofe. Spte ©«hotte finb fo färgtiep, bajj e« für 
fie immer eine teichtfinnige ©erfchwenbung bteibt, einen ©anb 
©ebichte h«tou«sugeben. ©ifa, wo man aufeerorbenttich Wohlfeil 
leben Tann, wäre ein tjöchft empfehlenswerter Stufentfeatt für 
©oeten. (S« finb ihrer auch fiefto «in Supenb bort, aber wahr= 
fdjeintidj nur in ihrer ©affe berühmt. 

Sagegen tebt brüben in Sioomo, bem itatienifchen ©hetto 
en gros, wo man auf ©trafeen unb ©affen nur Oon ©efchäft 
unb $anbet fprespen hört, in ber einigen ©tabt Statien«, bie feine 
©ergangenheit, leine fiunftfehape unb feine ftotsen ©aläfte befifet, 
mitten unter ©hebern unb ©pebiteuren ein namhafter Sichter, 
©iufeppe ©hiarini. St weife nicht, ob er in SiOorno .geboren 
Warb: wenn ja, fo ift ei merfwürbig, bajj et ein Sichter ge= 
worben. @t mufe ben ©eruf au« SBiberfprudjSgeift ergriffen 
haben. Sie ©runbtage feiner ©oefie hot etwa« Socate«: e« finb 
bie fdjroffen ©egenfäpe swiftem foloffatem ©eiepthum unb bitterer 
©rmuth, bie fiefe in Sioorno Weit fchroffer at« anberWärt« in 
Statien getteub machen, ©htorini« ersähtenbe Sichtungen be= 
hanbetn faft fämmttich bie „grofee ©uppenfrage", er ift ein 
poetifdjer Strmenaboocat @r matt bunfle ©adjtftücfe oolt hers : 
Serreifeenben SBelj«, unb mandhmat flattert bie rotpe gapne gar 
SU beuttiep im $intergrunbe feiner Sichtung, ©o reatiftifdj er 
fein will unb in ben einsetnen ©cpilberungen auch fo pulbigt 
er boch einem einfeitigen SbeatiSmu« in ©esug auf bie „Minen 
unb ©lenben". ©ie hoben alte ®h rc / Xugenb unb ©ecpttichfeit 
für fiep in ©efeptag genommen, fo bap ben SBohlljabenben nur 
bie fcptechten ©eiten ber menfdjtichen ©atur übrig bteiben. 
©htorini« ©ocialphitofophic fafet fiep fo siewtiep in bem ©ebanfen 
sufammen: „Ser Kerl ift ein Sump, er pot einen guten ©oef 
an." Sropbem wirb man oon feiner feptiepten, fräftigen Mt 
SU ersäpten oft mächtig ergriffen, ©erbienftoolt finb feine sopl= 
reicpen Ueberfepungen $eine’fdjer ©epiepte, bie einen halben 
©anb füllen. Sept pat er ben gansen „Sttta Srott" in Strbeit, 
unb naep ben ©roben im britten ©anbe ber „gtalia" su fcpliefeen, 
faim man ben fdjmwrigen ©erfuep at« gelungen beseiepnen. 

Safe in Öioorno noep ein sweiter Sicpter tebt, baoon Wufete 
icp bamat« noch niept«. Scp habe e« erft oor swei DRonaten 
erfahren, at« mir burep bie ©oft ein sierti^er ©tseüier suging 
mit bem Sitet: „In Camp&gna, yersi di Adolfo Boelhouwer.“ 
Ser ©erfaffer mufe offenbar ein SRitgtieb jener Keinen poflänbifch^ 
proteftantifepen Kolonie Sioorno« fein, oon ber fepon greiperr 
©pitipp gofef oon ©epfue« in feinen itatienifepe ©eifeberiepten fo 
manepe« Mgenepme unb ©ühmenöwertpe ersäptt. ©oetpouwer 
ift für einen itatienifdjen Sicpter jebenfatl« ein fonberbarer ©ame. 
Unter feinen ©ebiepten, bie ein pübfcpe« Satent befunben, be- 
finben fiep Ueberfepungen au« bem Seutfcpen (Uptanb unb Ipeine), 
gransöfifepen, ©panifepen, ©ortugiefifepen unb Sateinifcpen. 

„Ser ©egen, ber regnet jegtiepen Sag." Sie« Kitat au« 
©pafefpeare im 9Runbe oertiep icp ©ifa, um mein liebe«, fepöne« 
gtorens unb greunb ftillebranb wiebersufepen unb ber mebiceifdjen 
©enu« einen ©efuep absuftatten. SBie patte miep bie marmorne 
©öttin entsücft, at« icp ba« erfte 3Rat bie Sribuna ber Uffesien 
betrat, unb wie fatt tiefe fie miep fpäter! SBir URänner finb 
unbanfbar gegen bie grauen, niept nur gegen bie tebenben, 
fonbem auep gegen bie in ©tein gehauenen. Sie ©cpönere oer= 
brängt bie ©cpöne, unb feit icp ipre ftotsen ©djweftern im Kapitol 
unb im Souore gefepaut, entjücft miep ba« Säcpeln ber SRebiceerin 
niept mepr. S<P fepe jept bie oieten ©iffe, ben aüsutleinen ffopf, 
bie gesierte Haltung ber früper fo poep ©ewunberten. gaft ba«fetbe 
begegnet mir mit ben poetifepen SBerfen oon Stngeto be ©uber= 
nati«. ©eine „Snbifcpen Sramen", namentlich ben „Äönig ©at", 
patte icp einft ‘fepr fcpön gefunben, weit miep ber Sauber ber 
©pracpe ( bie ©üfeigfeit be« itatienifepen SBopttaut« feffelten. 
3dp möcpte ©ubernati« auep peute nidpt petabfepen, aber et er= 
fepeint mir nun im Sicpte eine« ©fabemifet«. Stile« faubtr, 
glatt, wopt gebürftet unb geplättet, nirgenb« ein gättepen ober 


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218 


Sie <S t g e tu» « r t. 


Nr. 14. 


Stäubchen. ©iel Uunft uub wenig ungefdjminfte FRatur. ©über: 
natis Hauptbebeutung liegt jefft in bet bon ihm geleiteten „Rivista 
Europea“, einet gebiegenen SWonatfchrift non großem literarifdjeu 
Sinfluffe unb ftrenger fritifcffer Haltung. Taff bie Sötfjeilung, 
welche bet fr'angöfifchen Siteratur gewibmet ift, auch frangöfifdj 
getrieben Wirb, gefällt mit gang unb gat nid>t, erflärt ficf) abet 
aus ben Sympathien beS Herausgebers. ©ubernatis gehört gu 
ben ©orfämpfern bet greunbfcffaft, nicht nur bet geiftigen, fonbetit ! 
auch politifchen, gWlfdjen granfreich unb Stalien. Sr «npfanb 
tiefes Keh, als bie heutigen ©ranaten in FßariS einfdjlugen, 
unb hat nic^t übel Snft, bie ©reuffen füt ©arbaren gu erllären, 
in beren ©litte burd) ein Kunber fiönt geboren wotben. 

Sn gloreng war getabe ein neues ©udj erfdjienen, welkes 
feitbem Don allen italienifchen ©lättern ohne Unterfdjieb bet 
©arteiftedung mit groffer SluSgeichnung befprodjeu warb. @3 
hieff „Roma nel Mille“ (FRorn im 3°h re Xaufenb). Sn bcr 
gorm ein wunberlidjeS Ting. Sin Tranta in neun Steten, ohne 
bie leifefte FRüefficht füt bie ©ülfne ober auch nur bie ©föglicf): 
feit einet Tarftedung gefchrieben, oft Diele ©eiten lang in tief* 
finnigen philofophff<h*n Speculationen fidj etgehenb. Tagu ein 
halber ©anb Slnmerfungen über alle möglichen Tinge, Don bem 
auSgebteiteten Kiffen eines ©olyfffflorS geugenb. FDfan muhte 
fuh etwas mühfam butch Xejt unb FRoten burchatbeiten, war 
abet halb Don bet poetifdjen Äraft unb bem fühnen Schwünge 
be3 SlutorS gefeffelt. ©ein FRame ift gitippo 3amboni, feine 
Kiege ftanb im ewigen SRom unb er lebt, fern Don feinem Ijeiff: 
geliebten Saterlanbe, hier in Kien. Sn ben Sahren 1848 unb 
1849 focht et unter ©aribatbi, et Wat babei, als an bet Sitla 
Toria ©amphiti bie frangöfifchen ©ataittone Dor bem Slitfturm 
bet begeifterten greifhaaren wichen. Turch ffebennnbgwangig 
Sahte h«t et bie gerfdjoffene gähne ber römifdjen Stubenten: 
legion wie ein Heiligthum bewahrt. Sehl hängt fie, Don ihrem 
Hüter borthin gebraut, im Sapitol gu tfom. 3amboni ift ein 
glühenbet Patriot, aber gleidjgeitig unbeugfamer FRepublifaner. 
Obwohl feine ©efinnung fich in feinem neueften ©udhe in bet 
fdjärfften Keife auSfpricht, haben ihn bie potitifdjen Segnet mit 
Sob überhäuft. Sn Stalien finbet man baS felbftDerftänblidj, 

— wann werben wir in Teutfcfflanb fo weit fein? 

Sin ©eftmtungSgenoffe 3amboni8 ift auch bet erfte unter 
ben jüngeren italienifchen ©oeten ber ©egenmatt, bet leiben: 
fdjaftlicfje, in feinet literarifchen ©olernif germalmenb wiffige 
©iofuö Satbucci. grüljer unter bem ©feubonym Snottio FRomano 
fchteibenb, trat er erft neueftenS mit feinem wahren Flamen 
herDot. ©tan nennt ihn gern ben H e l«e StalienS, abet bie 
©egeidjnung ift nur halb mäht. Sn Sarbucci lebt ein ge: 
wattiger Srnft, ber Heine fremb War; ber Staliener ift Dielleicht 
minber genial,. bodj Diel charatteroofter als ber Sänget beS 
„©uches bet Sieber". Seichten Spott fennt Satbucci nicht, feine 
Satire hat einen juoenalifchen ßug. Heine erlegte bie ©egner 
mit gefieberten ©feilen, unb bet ©ogen, Don bem et fte ent: 
fenbete, ftang in füffer Harmonie; Satbucci wirft mit gelsftücfen 
um fich- «uS Heine flingt bei allem FütheiSmuS, bei aller poe: 
tffdjen ©etehrung bet bepoffebirten ©ötter, als tieffter ©runbton 
feines KefeuS guroeilen ein jübifdpgtäubiger Saut. Satbucci 
ift ein echter ^etbe gleich ©oetf|e. H e *ne geftanb Don fich felbft, 
bah er feines Bebens befte Sahre „im Styffhäufer unb anberen 
Äatafomben bet FRomantif" berbraefft habe. SatbucciS ÄlafficiSmuS 
fpricht aus jeher Strophe, bie et bittet, unb mit bem ©eftirn 
bet FRomantifer, mit bem FERonbe, lebt et in förmlicher geinbfdjaft 
unb nennt ihn einmal bie „himmlifche ©etfdjwefter" (celesto 

paolotta). 

Sängft hatte ich SatbucciS ©ebichte gelefen, bewunbert, 
©rudjffticfe aus benfelben überfefft. FRun wollte ich ben Diel: 
gefeierten unb oietangefeinbeten ©oeten perfönlich fennen lernen, 
unb als idh Don gloreng h e imwärtS fuhr, blieb ich feinetwegen 
einen Tag in ©ologna. Tort enblich fehlen bie Sonne, nach ber 
ich mich bntch Kochen oergebtid) gefeffnt, unb bet italienifche 
Himmel geigte mk gum Äbftfjiebe fein tiefblaues 3*11, als ich 
nach bet öniüerfität fuhr, um SatbucciS Mbteffe gu erfahren. 
Ter ©vertier nannte mit einen ©ataggo, in beffen fäulengetragener ' 


©othaQe mit ber ©efcheib warb, bet ®idjter fei noch nicht ein« 
gegogen, fonbern bewohne noch fein früheres Ouartcer in einet 
unfeheinbaten ©affe, beten 9tame mit entfallen ift. 3<h trat in 
ein befdfeibeneS HauS unb im erften ©toef in eine tauchgefchwärgte 
Suche, wo mich bie ©attin beS ®idjter3 empfing unb in bas 
anfto|enbe ©emach führte. ®ort fagen gwei ihrer Xöchter, blut: 
junge hübf$e ÜRäbchen; bie eine (ämmte ihr prachtooHeS Haar 
! unb fuht nach fteunblichet ©egrüfeung in ihrer Toilette fort, 
ohne fich butch meine Süuwefenheit flöten gu taffen. Stach einer 
Keile öffnete fich e ine ©eitentljfire unb Satbucci ftanb in fchwatgem 
llnguge üot mit. Sn einem ftthem begrüßte et mich auf bas 
Herglichffe, trieb feine Töchter furg unb gut auS bet Stube, 
unb entfehutbigte fich wegen bet Unotbnung, bie bet „sgombero“ 
(bet Umgug) herbeiführte. 

Satbucci ift ein SDfamt in ben ©ietgigen, Don üRittelgröjje, 
breit unb Irafttoß gebaut, mit fohtfehwargem fraufen Haar uub 
©oübart. Sein Slntlife trägt, ohne eine Spur Don ßränflichteit 
gu Derrathen, in feinet Släffe ben Stempel tiefet Seibenfchaften, 
unb feine Stugen leuchten in ungewöhnlichem geuer. St gibt 
fich f° einfach unb natürlidh als möglich, an ihm ift nichts 
©egierteS, et fteljt nicht ÜRobell für ben ©riffel bet Siteratur: 
geeichte. Son fich ober feinen Kerlen fprach et fein Kort, 
im liebenSWütbigften ©egenfa|e gu ben meiften beutfehen Tichtern, 
bie bloS Don fich rebeit. Kit gedeihen fofort in bie ©olitif, 
bie feine Seele getabe gang erfüllte. St bereitete fich nämlich 
Dor, als Sanbibat im benachbarten Sugo aufgutreten, baS iiju 
auch feitbem in baS ©arlament gewählt hat. St ermattete 
manches ©ute Don ben neuen üßeiftern — TepretiS, ÜRancini, 
ülicotera — wenn fie auch ihm, bem fRepublifaner por sang, 
Diel gu gemäßigt unb Dorfichtig bäuchten. 9latürlidh wibetfptach 
ich, benn ich hatte fein grofjeS ©ettrauen gu ben neapolitanifcheit 
Slementen beS neuen SabinetS. ©fit fiel bie Sichtung auf, 
mit ber er für manche SonferDatioe erfüllt war. Hier wieber: 
holte fich baS Umgefehrte Don bem, WaS ich gwei Sahre früher 
in gloreug erlebt. Tort fagte mit ein heftiger ©egnet aUet 
republifanifcheu ©eftrebungeu, ber Stbfömmling eines uralten 
©efdjlechteS, ben man in bet ?trnaftabt ben „primo cavaliere di 
Firenze“ nennt, im Ciroolo filologico Wörtlich: „Unfere ©epubli: 
faner finb perfönlich bie chrenwertheften ffltänner beS SanbeS." 
Ueberfliiffig gu fagen, bafj er bamit nur bie FRepublifaner beS 
FRorbenS meinte, bie aHein folchc 21nerfennung Derbienen, aber 
eS ift boch ein ©eweis Don ber hohen ©ilbung eines ©olfeS, 
baff berartige Urtheile über bie feinbliche ©artei gefällt Werben. 
FRörbtidj ber Älpen gebeizt foldte Unbefangenheit nur an be: 
fonberS gefdjüfcten ©taffen. 

©on bet inneren famen mit auf bie äuffete ©olitif, unb 
ich unternahm mit adern Aufgebot meinet italienifchen Sprach: 
fenntniff einen ©efehrnngSoerfnch. Sarbucci ift nämlich fein 
greunb Teutfchlanbs. St hat bie gröffte Achtung unb 9e: 
munberung für beutfehe Kiffenfdjaft unb Tichtung, aber baS 
beutfdje ©eich ffüfft ihm hetglich wenig Sffmpathie ein. Sr fann 
eS Sfaifet Kilffetm nic^t Detgeffen, baff et ben grangofen fo übel 
mitgefpielt. Sr hoffte ©apoleon III., aber er liebt bie grangofen, 
weil fie bie ©epublif wieber aufgerichtet haben. 3<h oerfudjte 
einen ©eweis ad hominem unb fagte, eS mttffe bo<h in mancher 
©Monarchie nicht fo übel gu leben fein, g. ©. in Stalien, wo ein 
©fann, ber fotdje ©efiunungen öffentlich auSfpräche wie er felbft, 
ein öffentliches Sehramt befleiben fönne. 3<h fügte ffingu, ob 
er wohl glaube, baff man ihn im republifanifchen grantreich 
als UniüerfitätSprofeffor angeftedt hätte. TaS wagte er -gmar 
nicht gu behaupten, adein bie grangofen bleiben boch fein 
SiebtingSDolf. Tie Unbanfbaren! Sn ber „Revue des deux 
Mondes“ gergaufte Dor gwei Sahre Herr SouiS Stienne ben 
italienifchen Tichter gang jämmerlich, ohne ihn nur recht gu 
Derftehen. Sdjlieffli^ gab inbeff Sarbucci gu, eS fei boch *twaS 
©roffeS um bie Sinigung eines fo h*rDorragenben ©olfeS wie 
baS beutfehe. Kit fdjieben mit warmem Hänbebrudf, unb im 
ülugenbtide, als ich ün „Albergo d'Italia“ in ben Omnibus 
fiteigen wodte, um gut ©affn gu fahren, erfeffien Sarbucci, um 
meinen ©efudj gu erwibem, unb brachte mir fein eben gebrueftes 


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Nr. 14. 


9it <Se$tttmaci. 


219 


©uch übet bie lateiuifdjen ©ebichte Subooico ätcioftod, eine 
lehrreiche unb amuutljig getriebene Nlonographie. „A rivederci, 
addio, addio!“ tief cd) nod) aus bem Sängen heraus. 

Nun hätte idj bon NedftSWegen in fßabua Naft hotten unb 
©ernarbino ßenbtini befuc^en faßen, ben ich bon bet Säiener 
äBeltauSfteßung her lenne. Unmittelbar nach ©arbucci mit 
3enbrini ju berfehreu, — bie 3&ee hot für 3eben, bem bie 
Sejieljuugen jwifchen ben beiben SNännern bettraut fitib, etwas 
fcht s $ilante3. Slber ich eilte heimwärts, meine 3eit toat um, 
unb ben SNertroürbigfeiten ©abuaS hotte ich 1873 jwei ganje 
Sage gemibmet. ©o berjidjtete ich benn barauf, 3enbrini mieber; 
jufeljen, unb malte mir nur baS ©efid)t aus, baS et gemacht 
haben mürbe, tuenn ich bei ihm eingetrcten märe unb gejagt 
hätte: „3<h tomme gerabenioegS bon ©arbucci aus Bologna." 
Sie beiben Sichter finb nämlich intime geinbe, unb bie Urfadje 
ihrer 3mietradjt unb bet jwifdjen ihnen unaufhörlich hinten: 
ben literarifdhen geljbe ift feine anbere als $einridj $eine. 

Unter allen beutfcheu Sichtern übt $eine auf bie heutigen 
3tatiener bie größte 91ujiehung aus. ©3 gibt taum einen 
italienifchen fßoeten ber ©egenwart, ber nicht minbeftenS einige 
©ebichte bon #eine überfefct hotte, unb wie eS jefet im 9lüge; 
meinen auf ber ^albinfel als ein 3eicf)en ber Gilbung gilt, 
Seutfch ju berftehen, fo betrachtet man bie Uebertragung einiger 
$eine’fcher Sieber wie eine ©intrittslarte in bie gefchtoffene lite= 
rarifche ©efeflfehaft. SaS gilt aber erft, feit 3enbrini — «3 
mögen nun jehn 3oh re h ec fein — feilten SanbSleuten baS ganje 
,,©udj ber Sieber" iu bortrefflicher Uebcrfejjung munbgeredjt 
ma<hte. Sie ©erbienfte, welche fi<h 3enbrini um ben geizigen 
Saufdjhoubel jwifd)en Seutfdjlanb unb 3to(ien erworben, finb 
erft lürjlich in ber „©egenwart" gebührenb gewürbigt worben. 
2Bic gewiffenhaft er arbeitet, babon ein fleineS ©eifpicl. Sie 
Lorelei" hot er, wie er mir felbft erjäf)tte, mehr als ein Sufcettb 
2Ral immer in anberem ©erSmage überfefct, bis er enblich baS 
Original 3eile für 3eile, man fönnte jagen «Silbe für «Silbe, 
mieberjugebeit bermochte. 2tber aud) biefe lefote Nebaction ge= 
genügte ihm nodj nicht. Sie jWeite Strophe J. ©. („Sie Snft 
ift fühl unb eS bunfelt") lautete im erfteu Srude: 

„Imbruna, e fresca t> l’ora, 

£ il Ben scorre e non par; 

Del montc il culmin dora 
11 sole in sul calar.“ 

✓ 

3n ben „Prime poesie“ aber, wo er bie „Sorelei" in ein 
eigenes ©ebidjt entflocht, hotte et bie Ueberfefjung neuerbingS 
umgearbeitet, weil ihm „imbruna“ nicht genug poetifd) unb „cul- 
mine“ ju lateinifch flang, unb bie ©trophe h c '6t jefct fo: 

„Rabbuia, e fresca b l’ora, 

£ il Ren scorre e non par; 

La somma rnpe indora 
L’ostro crepuscolar.“ 

©ich mit folcher Siebe unb SluSbauer itt einen fremben Sichter 
ju bertiefen, berntag fonft nur ein Seutfcher. 3ettbrini ift aller; 
bingS ber beutfdjen «Sprache itt ungewöhnlichem ©rabe mächtig. 
Ser fchtanfe, jiemlich ho<hgeroachfane, noch jugenbliche SKann mit 
bem nerböfen üluSbrttde im ^Intlifc fann für einen Seutfchen 
genommen werben, ber lange im lluSlanbe gelebt tjat; — fo 
geläufig fliegt bie beutfdje Siebe bon feinen Sippen, unb fo wenig 
ift er um baS richtige Säort berlegen. ©on §eine fpri^t er 
wie bon einer ©eliebten, unb als ihm Dr. ©uchholj ouS ©remen 
eine Sode beS Sinters fdjenfte, war er glüdlich unb ftolj Wie 
ein Junger ©olbat, ber fidj baS eiferne Kreuj auf bem ©djlacht; 
felbe erworben. 

Siefe ©egeifterung 3eubrini3 für #eine hot leiber auch ihre 
©djattenfaiten. ‘ ©r ift auf 3eben, ber eS unternimmt, $eine’fthe 
Sieber in’S 3talienifche ju überfefcen, furchtbar eiferfüchtig, — ein 
literarifcher Othello. Sa nun beinahe jeber jüngere italienifdje 
Sichter jidj an .«peine berfucht, fo finb 3enbriniS Nebenbuhler 
aßju jahtreich unb er muff fortwährenb mit ihnen im Kampfe 
liegen. Um feinem Berger einigermagen Suft ju machen, fchrieb 
er enblich ein eigenes ©uch, worin er mit ganj erfchtedenber 


©rünbtichfeit beweift, bagNiemanb auger ihm in 3toIien feilte 
überfefcen fönne unb fotle. 3u feinen gefährlichften Nibalen 
gehört natürlich ©arbucci. XBohl hot er mjr wenige ©ebichte 
feines übertragen — fiebett ober ac(jt im ©anjen —, aper einige 
babon gerabeju meifterhaft. 3enbrini fritigrte ihn fchorf, warb 
gegen bie eigenen fßoefien ©arbuccis ungerecht, nttb lefjterer 
berfolgt ihn feitbem mit feinem unbarmherjigett, mefferfcharfcn 
©potte. SRit ©arbucci polemifiren ift ungefähr ebenfo angenehm 
als eine geljbe mit Heinrich £eine war, unb 3enbrini leibet 
fdjwer unter ben Rieben (eines ©egnerS, wäljrenb ©arbucci in 
ein bergnügteS Sachen auSbricht, fobalb man nur ben Namen 
feines fßabuaner ©odegen nennt, ber „ben neuen lateinifcheu 
©til auSbrütet". 

Sin biefeS jahrelange SueH ber beiben Sichter mugte ich 
benlen, als ich in nächtlichem Sunfel an ©abua borüberfuhr unb 
mir borfteQte, wie 3enbrini jefct noch im eiufamen «Stübchen 
fifcen unb ein nodj unüberfefcteS ©ebidjt feines iu italienifche 
Neime bringen würbe.*) Sie ©tunben ber Nacht berrannen, unb 
im Ntorgengrauen rig mid) bie grage beS öftreichifchen 3oü= 
beamten, ob ich (eine ©igarren bei mir hätte, aus aßen poetifdjen 
Sräumen. 938er jemals eine italienifche „©aboura" fdjaubernb 
geraucht, ber Weig bie fabelhafte Ueberflüffigfeit biefer grage ju 
würbigen. Stolien ift ein himmlifcheS Sanb, aber feine ©igarren 
ftammen aus ber $öße. 

Nun foßte ich no( h bon manchem anberen italienifchen 
Sichter fprechen, ber in Seutfchlanb nicht befannt unb bei feinen 
SanbSleuten gerühmt ift: j. ©. bon 3oneßa, bon fßraga, bon 
bem ©eronefer ©atujji unb feiner „SRaggiolata", — aber bie 
©renje ift bereits überfchritten. Nicht bloS jene, welche burd) 
grünweigrothe unb fdhwarjgelbe ©flöde bejei^net wirb, fonbern 
wohl auch bie beS NaumeS, ben ich * n Slnfprud) nehmen barf. 
©ießeicht erjqhle ich ( iu oubermal bon Senen, bie ich h cu * e 
übergangen. 9luf SSieberfehen alfo in 3talien! 

Barl oon Cljaler. 


unb ßnannkratie. 

©eiten ift ©elb nationalölonomifch fo gut augelegt worben 
wie baS, welches König Subwig I. für monumentale ffunft in 
äRündjen aufwanbte. Sie ©tabt ift baburch ei« SlujiehungSpunft 
für ben grembenjug geworben, fie ift unter beffen ©ingug heran; 
gemachfeu »nb beutfeh geworben, unb ber «Staat hot währenb 
ber Sommermonate fortwährenb eine gefteigerte ©innahme bon 
feinen ffiifenbahiten burch bie Neifenben, welche bie SNetropole 
beutfdjer Kunft fehen woßett. Sa entwarf benn SRaler ©chter 
für bie SBanb ber'©infteighaße beS ©ahnhofcS ein paar ©e; 
mälbe, ben Sämon beS SampfeS, wie er ben ©chlagbaum jer; 
trümmert unb bie Neujeit auf feinen ©chultern trägt, bie ©lef; 
tricität, welche bon ©eitien umfehweht wirb, bie bon einem ©nbe 
jum anbern ein ihnen jugeflüfterteS SBort in ihrem Neigen weiter; 
tragen, unb einen grieS bon ©emohnern ber berfdjiebenen SBclt; 
theile, bie im lebenbigen ©eidehr ihre ©rjeugniffe auStaufchen. 
Ser ©aumeifter lieg benn auch bie ©über, bie allgemeinen ©ei; 
faß ernteten, in greSco ausführen, aber um ben geringen ©e= 
trag ihrer $erfteßung in bett Nennungen burchjubringen, mugte 
ber Slnftreicher fie auf fein ©onto nehmen; fo erjähtt man fi^ 
wenigftenS in Künftlerfreifen. 3« einer ©roüinjialhauptftabt 
aber foß ber Strchitelt faum mit bem ©erweife babon gelommen 
fein, weil er fich unterfangen, au ber ©chaufeite beS ©ahtthofeS 
ein paar ftarpatiben anjubringen. Nebe man nid|t bon Hebung 
nuferer ©ewerbe, fo lange bie ©ureaufratie bei ©taatsbauten 
burch ©erfteigerung an ben SEBenigftnehmenbeu bie Sofung „billig 
unb fchledjt" auSgibt! $ier mügte gerabe für ben Sifdjler wie 
für ben ©chloger, ben ©teinmehen wie ben Sinnreicher bie 
Schule ju gebiegener unb ftüboßer Slrbeit fein, hier StßeS folib 
unb wohlgefäßig, tjormonifch ausgeführt fein, unb bet §anb; 


*) ©. genbxini ift feitbem an bie UnWerfität Ißalermp berfefct worben. 


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220 


Nr. 14. 


Ule (Segenwart 


Werfer wie baS ©olf felbft für baS jwedmäfeig Scfeöne erjogen 
werben. 

König flubwig I. hatte bie Xfeeorie: was er an bent bon 
beit Stäuben genehmigten ©oranfcfelag für ben «Staatshaushalt 
erübrige, baS berbteibe ihm §u feiner Verfügung unb brauche 
er feöcfeftenS ©ecfeenfcfeaft über bie wirftiche SerWenbung abju» 
legen. ©ocfe feiner Xferonentfagung äußerte er einem bet leiten» 
ben Staatsmänner: „Sie hoben jefct ruhige läge: ßtübrigun» 
gen, über bie wir uns fo oft feerumgeftritten, fommen ja gar 
nicht mehr bor; ich gtatulire!" früher warb nämlich befonberS 
am ©feauffeebau unb am Sföilitär gefpart, unb höhere ©teilen 
blieben längere Seit unbefefet, inbem ber bafür ©eftimmte fie 
einftweilen mit feinem geringeren ©efeatt bertoaltete. §eute 
flagt ©iemanb mehr über bte fehleren ©ho«??««» man fährt 
auf ber ©ifenbafen. ©inen Stieg aber hat ber gürft nicht er» 
lebt, erft fein ©nfel- fah baS bon ihm neuorgonifirte $eer burch 
baS SiegeSthor einjiefeen, baS fein ©rofebater hierzu aus @r» 
übrigungen ein SWenfcfeenatter borfeer erbaut hatte, flubwig I. 
wufete was er that; et felber fang bom Saum ber Kunft, ben 
er pflanjte: 

„liefe, ftarfe SButjefn wirb er fdjlagen 
Sn bem ganjen beutfehen SJaterlanb, 

Sn ber 3«funft Seme wirb er ragen, 

Söenn beS Staatsmanns SBert fefeon längft berfdjtoanb." 

Sie Sugenb weife nichts mehr babon, bafe ein ©eljr ober 
©ifenmann im Kerf er fafe, weil er nicht bor bem ©ilbnife beS 
«Monarchen Abbitte teiften Wollte; aber fie hot bie Schöpfungen 
bon ©orneliuS, Schnorr, fpefe, Kautbacfe, ©ottmann, Klenje, 
Sieblanb, X^ortoalbfen, ©auch, Schwanthaler fortwäferenb bor 
Augen. @S ift-immer beffer, etwas ©rofeeS feft ju wollen unb 
etiergifch burch jufüferen, als fich mit SSeUeitäten ju erfchöpfen 
unb in Kleinigfeiten ju jerfplittern, Wie baS bielfach baS flooS 
beS geiftboHen unb ebelgefinnten griebriefe .SBitfeelm IY. war. 
^ätte bo<h Schinfel feine Entwürfe fo ausführen tönnen wie 
Klenje! ©erlin hotte ein ferneres AuSfefeen unb würbe bie 
guten folgen auch im ©ewerbe fpüren; baS ntoberne SBien ift 
ein beftätigenbeS Seifpiel. 

Sch bin in biefen ©ebanfenfreiS burch ein ©üchlein hinein» 
gezogen worben, baS ich bor Kurjem unter Kreujbanb auf 
meinem Sifcfee fanb. ©S führt ben Sitel: 

Ser falfcfee Saurat. ©ine ©obette für Kunft» unb älter» 
tumSfreunbe. ©on UtiS. grantfurt bei Simmer, 1877. 

@8 ift in neumobifefeer Orthographie jiemtiefe nach ben 
©orfchlägen ber ©eicfeScontmiffion gefeferieben, aber hoch etwas 
altmobifcfe, inbem ber Sefer balb merft, bie ©efefeiefete ift um 
ein ©efpräch h eru mgewachfen, baS ber rechte unb ber falfche 
©auratfe ©achts beim ©lafe ©Sein in ber Arreftftube eines 
ßanbftäbtcfeenS führen. SBie fie ba feineinfommen, wie ber 
©ureaufrat in feinem Alter Ego einen gugenbfreunb, einen 
SKaler erfennt, unb Wie Alles jtch in Weiterleit auflöft unb fo» 
gar eine §ocfejeit in AuSfi<fet fteht, baS ift bie gtüdticfe erfun» 
bene ArabeSfe, bie ft<fe um jenen Kern fchlingt, in welkem bie j 
ßebenS» unb Kunftanfüfet beS ©erfafferS burch bie erwähnte 
Unterrebung ftch entwidelt; bie gorm erinnert an Sied, bergn» j 
halt, bie ©egeneinanberftettung ber Stanb» ober ©efiefetspuntte 
in ber SBettanfcfeauung an KlingerS ©Weltmann unb Sicfeter. j 
An klinget erinnert auch baS ©laubenSbelenntnife, baS ber ; 
Künftler ©abulf ablegt: „6ine8 gefällt mir: bafe bu mir nicht j 
borfcfelägft, mein ©tüd ober ben ©reis meines AebenS in ber 
Arbeit unb in ber Aufopferung für’S grofee ©anje ober bie 
©ation, ober bie SWenfcfeheit ober bie Sbee, wie bu baS Sing 
nun heifeen magft, ju fudjen; bafe bu mir nicht jumutfeeft, wenn 
ich armes Snbiöibuum fterben mufe, ober wenn ich mir ben 
lob »orfteHe, mich bamit ju tröften, bafe bie ©attung lebt. SaS 
ift ja wofet, fofern ihr nicht bem mobernen ©ubbfeaismus feut». 
bigt, eure mobifefee Sugenbpfeitofopfeie, bie auf ber ©orauSfefcung 
einer unbegrenjten Sauer unb ©erfectibilität beS SKenfcfeen» 
gefcfelecfets auf biejem ©laneten, fo ju fagen einer ©wigleit beS 
gortfcferittS berufet. Sonberbare Schwärmer, bie fich über ifer 1 


eigenes armfeliges ©intagSteben bamit tröften, bafe es ewig ober 
wenigftenS noch fefe* lange folche Eintagsfliegen geben werbe, 

I unb über bie Unjutängticfeteit ber SBelt, bie fie umgibt, bamit, 

' bafe ifere ©acfefolger hoffentlich in einer befferen leben werben! 

| Sie efeer alles perfönlicfee Ungemacfe unb baS Scheitern alles 
| vfereS beften StrebenS unb WoffenS feinnefemen, als ftefe bet 
I Scfeeuleber ifereS Optimismus entfefetagen! ©un, wer eine 
j moratifefee ©ferbenatur feat, für ben paffen auch «Scfeeuleber. 

3<h, baS glaube mir, ich wäre längft wafenftnnig geworben, wenn 
j iefe ben ©tauben an bie SRenfcfefeeit ju meinem Sroft etforen 
! hätte. SBaS wir auf Erben jufammen leben, was fiefe gefefeiefet» 
liefe unter unS geftaltet, Wie grofeartig eS bünle, eS gefeört ber 
Beit, es fliefet unb jerfliefet baS ©efte, was wir ju tfeun unb 
ju fefeaffen meinen, Alles fliefet mit naefe bem grofeen ftitten 
Ocean, in bem alles ©emorbene julefct wieber untertauefeen mufe. 
SBie fönnte es tröften, für baS gelebt ju feaben, was irgenb 
einmal boefe nur eine ©teile im allgemeinen Strom gemefen fein 
wirb? gefe foH unb will ja an biefen Singen Sfeeil nehmen 
unb will miefe mit ihnen plagen, gelegentlich auch miefe ihrer 
freuen, aber innerlich'frei mufe ich bon ihnen fein, wenn iefe 
überhaupt Waferfeaft fein, wenn iefe im SBefen ftatt im Schein 
wofenen Witt. Senn eS gibt nur Eines, baburefe iefe mit bem 
waferen SBefen jufammenfeänge, nur ©ineS, baS mir wirtlich 
bleibt unb beffen iefe ganj gewife bin, baS ift ber göttliche 
gunte in meiner Seele, bie freie’, bernünftige, ©ott erfennenbe 
©erfönli^teit: unb barum rebe mir ©iemanb ein, iefe fei 
für bie SBelt ba. Sie bielmefer ift für miefe ba, fie jwingt miefe, 
ju lieben unb ju feaffen, ju feanbeln unb ju bulben, unb jebe 
Uebung meiner fträfte, bie iefe ifer berbanfe, füfert ©aferung feer» 
bei jum SBacfeStfeum jenes munberbaren SingeS in mir, baS iefe 
balb ju fein, balb nur ju feaben glaube, baS iefe bergeffen fann 
unb baS miefe ptöfclicfe mit neuer &raft wieber mafent Unb 
biefeS Sing ift baS eigentlich SBirtticfee in ber SBelt unb in 
SBaferfeeit ifer Swed: benn eS wäcfeft, inbem fie fliefet unb jer» 
fliefet, bon ben Stoffen, bie fie ifem jufüfert, genäfert, in bie 
j ©wigfeit empor, unb wirb in allem SBacfeStfeum fiefe felfeft nur 
immer gleichen; unb eS ift frei bon ben Singen, obwohl eS 
' burch fie wäcfeft, benn eS gebeifet burch Sarben unb Seiben noefe 
! beffer als burch gülle unb greube, unb Wenn eS allein noefe 
, ba Wäre unter lauter Sob unb gäutnife, unter ©aefet unb ©raus, 
auf bem Schutt nnb SWober einer auSgelebten SBelt, eS fönnte 
Alles entbeferen, an baS SRenfdjen je ifer ^erj gefeängt feaben, 
fo lange eS fiefe felbft hätte . . . ©egegnet eS bir wofel, bafe bu 
in feeflen ©ächten ftunbentang bie lieben -Sterne auffteigen unb 
finfen fiefeft? gefe glaube fcfewerlicfe. ©S tfeun’S niefet biete 
1 Seute; benn man mufe fie bei ihren attmobifefeen ©amen rufen 
tönnen, um greube baran ju feaben. Sa ift ein unwanbelbareS 
ftitteS Kommen unb ©efeen, ein Aufftrafelen im Offen unb @r= 

1 bteiefeen im Sunft beS weftlicfeen $orijonteS; aber ber eine ba 
I ftefet unberwanbt feeute wie geftern unb morgen an feinem Orte. 
Sarum habe iefe eine befonbere Anbacfet ju ifem, unb eS burch» 
fefeauert miefe, wenn iefe miefe untiefere unb fefee ifen noefe immer 
ftefeen wo er ftanb. Surefe ifen, fommt es mir oor, fefeaut bie 
©wigfeit in bieS Seben beS UmfcfewungS herein; fo oft mein 
Auge an ifem hängt, wirb eS mir unmittelbar gewife, bafe eS eine 
SBelt ber gbeen gibt, bie bie eigentlich wirtliche ift, unb barum 
frage iefe naefe bem an ftefe ©Uten unb ©echten, unb will naefe 
ifem fragen, wie funterbunt eS um miefe jugefee.“ 

gür biefe Stelle brüd’ iefe bem ©erfaffer bie $anb. SBie» 
biete nehmen feeute baS unmittelbar ©ewiffe, baS einjig Ur» 
gewiffe, ifer Setbft, als ein ©efefeent fetbfttofen StoffwecfefelS, 
ben fie felber erft aus ihren ©mpfinbungen erfcfeliefeen! Sie 
maefeen baS S<fe pm Anfeängfel beS UniberfumS unb bergeffen, 
bafe bie ganje Aufeenwelt mit allen Suft» unb Aetfeerwetten fo 
ganj wertfetoS, fo gut wie gar niefet ba wäre, wenn niefet für 
ftefe felbft feienbe SBefen in fiefe aus beren ©ewegungen bie Son» 
unb Sicfetempfinbung erjeugten, wobürefe erft bie SBelt gefüfett, 
gebaefet, genoffen wirb. Sie bergeffen, bafe baS ©ute, bie flirte, 
baS Scfeöne nur in ber füfetenben Subjectibität wirtlicfe ftub. 
Sa ift’S eine greube, einem SWanne ju begegnen, ber biefen 


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Nr. 14. 


221 


Hie degenamrt. 


Sern unb Grunb beS SBefenS in ber GrfcheinungSroett feft* unb 
bocbbätt. 

Doch ^ören mir unfern gbeatiften über baS X^erna von 
Sunft unb ©ureautratie! 

„SBenn bu burcfj bie Dörfer unb Sanbftäbtc^en biefer jurüd= 
gebliebenen Gegenb wanberft unb betra$teft, wie man ipauS unb 
i&auSgerätbe nodj vor bunbert Sauren ju -fermüden verftanben 
bat, unb wie baSfetbe Stilgefühl im ©ufce beS SBeibeS unb 
fogar im ©tirnförnud ber Sübe noch b eu * e naebflingt, übers 
iommt bitb ba nicht etwas Von bem ehrfürchtigen ©(bauet, mit 
welchem man unter ben Drümmern einer untergegangenen Kultur 
wanbeit, ach «inet geworfenen Kultur, bie für immerbar babin 
ift, unb für bie uns bie gemachte Kultur von beute niemals 
eittfchübigen wirb? ©tatt beffen aber ftnb eure Seute bei ben 
Sennern wie bei finnigen Siebbabern als geftibllofe geinbe unb 
3erftörer beS fchönen unb charaüeriftifren ßtlten verfchrieen. 
SBeifjt bu, was mir einer von eurer 3unft einmal gefagt b Q t, i 
als ich um bie Rettung eines überaus merlwürbigen DentmalS j 
aus bem 13. gabrbunbert bettelte? „SBir haben’S ja gezeichnet 1" ! 
Da hoff bu ben papierenen Geift biefeS tintenfledfenben ©äcu* i 
lumS in einem SBorte. SBaS finnliche SBitfung! DaS ift ©löb* | 
finn, ben bie SJtaler auShedeit. $ier haben wir’S fchwarj auf 
weih, Grunbrifj, Sängenfdjnitt unb Ouerfchnitt, baju alle Details 
im profil unb perfpectibifcb — was lann man mehr Verlangen? 
gür bie SBiffenf4aft ift baS Ding gerettet; nun fort mit bem 
alten Gerümpel, baS am Gnbe noch UnterbaltungSloften machen 
lönnte." 

Sine aiibere Gefehlte. Die Gemeinbe, ber bie Ätofter* 
!ir<he ju $eiligentno4«n jej)t gehört, will baS febmuf}tge ©chiff 
neu bergerirtet haben. SJtan frfjlägt bie Dünche ab unb entbedt 
eine vorteffliche, altrömifche Biegelftructur; „man finbet, bah bie 
einfachen Sämpfergefimfe ber Vieredigen Pfeiler unb bie wunber= 
voll gefügten profttlofen Stunbbogen, bie fie verbinben, burchauS 
nicht aus bem SJtittelalter ftammen fönnen: man bat ben laro* 
lingifchen Sau, ber nach Ausweis ber Gefehlte einmal ba 
errichtet Worben, leibhaftig, unberührt, faft für bie Gwigteit vor 
fith- Gin gunb ohne Gleichen! SB« wenige Dentmäler jener 
erften Stenaiffance haben uns hoch bie 3ab r bunberte übrig gelaffen! 
Unb was tbut bein $err Kollege? 3ur felben 3eit, Wo bie 
SBelt ber überrafchenben Sunbe fich ju freuen begann, batte er j 
bereits bie Santen ber ebrwürbigen Pfeiler abfchlagen laffen j 
unb fie adjtedig gemacht, bamit man eine beffere Duerburcbficbt : 
betäme. 3b m lieh eS leine Stube, er muhte baS SBert ber j 
Sarolinger ber Stadjwelt Verbeffert binterlaffen. Actum im 8. 
gabrzebnt biefeS glorreichen 19. gabrljunbertS, baS bie Wahre 
Kultur belanntlich erft an’S Sicht gebracht b°t" — gefcheben, J 
fef}’ ich hinzu, in ©eligenftabt, bem SBobnort GginbartS unb 
GmmaS. 

An anberer ©teile wirb ber Sieftauration gebaut, welche 
bie ©aubureaulratie an einem alten Stömerwerle vorgenommen; 
nahe bei $omburg vor ber $öbe, am gelbberg; ber ©oltSmunb 
nennt eS baS $eunenbauS. Der AttertbumSverein hatte burdj 
verftänbige Ausgrabungen bie gefammten Grunbmauern bloS* 
gelegt, bie, in feljr verfchiebener $öbe erhalten, hier 2—3, bort 
8—10 guh bo<h> baS unregelmöhige ©ilb einer ©urgruine 
abgaben. DaS Sanbbauamt überzeugte fich, bah hi er etwas z« 
tbun fei; brobten boch bie bloSgelöften SRauerrfcfte zu zerbtödeln. 
„Die AltertbumSfreunbe batten bie finbtiche gbee, man mühte 
©tein um ©tein, wie er los würbe, betauSnebmen unb mit 
guter ©peife wieber einfefcen; aber baS war für unfern Staats* 
architeften z»nt Sachen. Gr fann auf burchgreifenbe Abhilfe in 
grohartigem ©til. Die ungleiche regeltofe $öbe beS erhaltenen 
StauerfufjeS ftanb hierbei als ein ganz unberechtigtes brutales | 
$tnbemih entgegen; unb einer wiffenfchaftlich gebilbeten An* I 
fchauung tonnte es fich nicht bergen, bah eS hier boch nur auf 
bie von ber $öbe ber SJtauer ganz unabhängige Deutlichfeit beS | 
GrunbriffeS antommen lönnte. GS lag ftar, was- man zu tbun I 
batte. Die SJtauer würbe in ber $öbe von 75 Kentimetern 
niveüirt, b. b-, too fte biefe |>öbe überftieg, abgebrochen, wo fie 
unter ihr blieb, ergänzt; fie würbe zugleich bachförmig zugefpifct 


unb fauber mit ©liefern belegt. Der innere Staunt beS KaftrumS 
tonnte nun nicht itt feiner alten Staubbeit beiaffen werben; er 
würbe geebnet unb mit reinlichem SieS befchüttet verfiele« 
©ie, eS fieht Wunberbübfch aus, ein 3*el für Spaziergänge ber 
Stcintinberbewabranftalten 1" 

Unfer Sbeatift eifert weiter gegen bie Dbeaterburgen am 
Stbein, bie auch int DiHtbal ben Diüenburgern (et nennt fie 
©djellenburger, aber warum foQen wir ben Stamen ni4t ver* 
ratben?) leine Stube gelaffen, bis fie zu Gbren beS in ihren 
SJtauent geborenen SBitbem I. von Oranien in $ot!anb Gelb 
gefammelt unb auf bem ©djtohberge „ben nagelneuen riefigett 
Dbeatertburm aufgefübrt unb um feinen guh herum ein Heines 
KafteH, baS auSfiebt wie ein ©pudlaften". Gr erörtert bobei, 
was bie Arcbiteltur für unfere Gmpfinbung in ber Sanbfcbaft 
bebeutet: „Den Gegenfa^ beS wanbetbaren Kulturlebens, ber fich 
felbft aufzehrenben Gefchichte, beren ©robuct ich felbft bin, zu 
ber immer jungen, gleichmähig unb gleichntütbig von 3<4 r z u 
3abr fortwirlenben Statur. 3« älter unb reicher bie Kultur 
unb Gefchichte ift, bur<h bie wir uns felbft bebingt wiffen, befto 
tiefer unb wehmütiger ergreift uns biefer Gcgenfafe. Der 
fentimentäte Genufj, ben uns bie Architeftur in ber Sanbf^aft 
gewährt, beruht notbwenbig barauf, bah fte etwas gerichtlich 
©ebeutenbeS bat. Stur fo ftimmt fie auch mit ber Sanbfcbaft 
in bem gemeinfamen Kbaratter beS Gefe|mähigen zufammen: 
benn nur baS gerichtlich gertige mutbet uns als ein Gefefc= 
mähigeS an, unb neben ber Statur in ihrer Gefefemähigteit lann 
fich baS SRenfchenleben nur in ber feinigen, nicht aber in einet 
Zufälligen launenhaften Aeujjerung (eben laffen. Stun gibt eS 
in ber SBelt nichts SaunenhaftereS unb 3ufäüigereS als baS 
fpielenbe SBiebergeben architeltonifcher gormen, bie zu einem 
ernften 3wed erfunben Worben finb." 

GS verftebt fich »an felbft, bah «nfer Sbealift in ber ©au* 
lunft auf 3wedmähigleit unb SEBahrbeit bringt, bah £r leine 
©cheinfa 9 aben will, bah « nicht bie aus 3«9 £ ln errichteten 
©auten mit Gement überziehen laffen will, fobah fte eine Kon* 
ftruction aus SRarmor ober Dravertinquabern heucheln, ©ein 
greunb wenbet ein: „Unb ber Gebanle erfdjredt bich ni^t, 
Welch« Schöpfungen ber SBelt entgangen Wären, wenn ©chinlel 
fi4 in ©erlin auf ben ©adfteinrobbau befchränlt hätte?" Gr 
antwortet: „34 bettage, was ihr babur4 entgangeu ift, bah 
er eS ni4t tbat! SBenn baS SJtaterial, über baS man verfügt, 
geringe AuSlabungen, magere ©rofile unb ein Gepräge von 
Gmft unb Stü4ternbeit mit fi4 bringt, fo nehme man baS als 
Staturf4tanle bin: Wo ftebt eS gef4rieben, bah man überall fo 
müffe bauen lönnen, wie unter ben glüdli4ften ©ebingungen 
gebaut worben ift? Der Geift ift bazu ba, feine Sötacbt unter 
äuherem 3tvange zu entfalten, unb in ber ©efreiung von ber 
Statur entwidelt fich l*iue Iräftige Gigenart. Gbrti4 Währt am 
längften, au4 in ber ©autunft. Alle ©cheinar4iteltur, mag fie 
in einer KonftructionStüge ober in einer wirtlichen Konftruction 
ohne 3u>ed befteben, erzeugt Ueberbruh gerabe ba, wo fi4 bie 
feinfte gäbigleit beS GenuffeS finbet." Der Stebner hätte fi4 
auf ©4intetS ©aualabemie unb auf bie prä4tigen ©tabtbäufer 
StorbitalienS unb man4e SBerte beS beutfehen StorboftenS be* 
rufen tönnen, bie ihren h°b« n äfthetif4«t SBertb gerabe bem 
Umftanb verbanten, bah fi« tb« SJtaterial, ben ©adftein, z«ifl«n, 
unb bah Konftruction wie Ornament bemfelben angemeffen, aus 
beffen Statur zur eigentbümli4en ©4önbeit entwidelt finb. @i4 
ben ©ebingungen beS naturgegebenen SJtateriatS zu fügen unb 
bie ©orjüge besfelben z u verwertben, baS allein ma4t einem 
Sanbe baS eigentümliche ©tilgepräge mögli4, baS man bie 
SRutterfpra4e in ber Ar4itettur nennen lönnte. 

3to4 man4eS geiftvoKe, au4 manches paraboje SBort beS 
anziehenben ©ü^leinS wäre zu erwähnen; allein i4 leb te iunt 
Db«uta zurüd unb ergänze baSfetbe bur4 ein SBort, baS- fi4 
Zugleich an unfere ©oltsvertreter richtet. 3unä4ft taffe ber 
©taat bie lünftlerif4e ©ilbung feine ©aurätbe ni4t hinter 
bie wiffenf4<»ftli4e unb gef4äftli4e Dü4tigleit zurüdtreten; fie 
feien ©eamte mit bet Aufgabe, baS äftbetifebe Glement in ©oll 
unb Sanb'zu pflegen, ©obann: feitbem ber gürft ni4t mehr 


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222 


Hi« «egfitnmrt. 


Nr. 14 , 


unumfcptäntt waltet unb feine Giüitlifte pat, ift es ißftic^t beS 
mobernen Staates geworben, in bie Siunftpftege einjutreten unb 
fie nic^t btoS monartifter ßiebpaberei ju übertaffen, fonbern 
fie jur öffentliten Angelegenheit ju machen. @3 gilt nicht bloS 
ÄunftbitbungSanftalten ju haben, bie ftünftter aber fit fetbft ju 
übertaffen, ei gilt ben latenten Gelegenheit ju gröberen Serien 
ju geben, inbem Sauten, bie bent öffentlichen ßebcn bienen, 
nicht bloS architettonifch gebiegen unb reich auSgefüprt, fonbern 
auip plaftift unb inaterifih auf eine ihrem Bwecfe entfpretenbc 
Seife auSgeftmüdt werben, Gine Sun ft, bie bloS bem ßupS 
be3 IßrioatlebenS bient, würbe gefaflfüttig, effecthafchenb, Jüptüp 
werben; fchon ber 3ufammeitpang mit ber Arcpiteltur nöthigt 
ju ftitoofler Gompofition. Sie bie mittelalterlichen Kirchen in 
ihren Saitbgemälbeu eine Sibel ber Armen hatten, fo foß bem 
Sol! ba3 gbeatc, ba3 unfer gegenwärtiges ßeben burchwaltet, 
attfchaulich werben, bie Grpebung, bie ein Heiner SreiS in ber 
Siffenfdjaft finbet, foß ba8 Sott burdj ba3 Gefühl beS Schöueu 
in ber ftunft haben. fpier ift e3 Sache ber Solfsoertretuitg 
bie SRittel ju gewähren, bie nicht btoS biefen ibealeu Gewinn 
bringen, bie burch bie Grjiepung ber SottSppantafie unb bie 
Setebung beS StönpeitSfinneS auch Wieber materieß fruchtbar 
wirten, inbem bie Äunftinbuflrie ja bie ßunft felbft jur Voraus-- 
fepung hat. 

@3 genügt nicht, in ber ^auptftabt eine ÜRationnlgatcrie 
anjulegen. Galerien finb überhaupt für bie Sunftwiffenftaft 
oon Sertp, als Sammlung oon Serien früherer 3 a h r h un ^ cr * c 
für bie Geftitie ein gro&eS Gut, für ben äfthetifchen &'uttft= 
genufj aber nur ein nothwcnbigeS Uebel. ÜRait wirb ermübet 
unb überfättigt, man wirb burch VerftiebcnartigcS jerftreut 
unb tommt nicht recht jur Sammlung unb Vertiefung, bie baS 
echte Sert »erlangt. Sie nnberS wirft e3 bort, wo e3 ge= 
wachfen ift, am Ort feiner Seftimmung! Sic Sijtiniftc Gapefle, 
bie Stanjen beS SatilanS ftitb baburep ^eiligtpümer ber Äunft, 
unb ich würbe StafaetS Serlläruttg Gprifti auf Sabor lieber in 
ber Stircpe San ^ßietro iit ÜRontorio als in ber Galerie beS 
VapfteS auffucpeii. Ser in gloreitj bie Gapeße Srancacei, in 
Verugia baS 3intmer im Gambia befuept, bem bleiben Don bort 
ßRafaeeio unb gilippino ßippi, oon hier Verugitto unOergehlicp; 
biefelben Serie in bie überreiche Galerie »erpjlanjt würben fiep 
beit Spjenigften bauernb eiuprägen. Aucp finb bie Staffclcibilber 
rar, benen man ben bleibenben Serth sufcprcibeit barf, wie beit 
mobernen Gpflopen ßRenjelS, bie ein fo eigentümliches SBilb 
aus unferer 3«it mit originaler ffraft üeranfepaulicheu. Sn 
ber Sieget Wirb eS beffer fein, baS Urtpeil ber näcpften Genera: 
tion abjuwarten. 

GS gilt, bie Äunft über baS ganje ßanb ju Oerbreiten, fie 
mit bem öflenttiten ßebeu im 3ufammenhattg ju patten. Sadpfen 
ift üorangegangen, Saperit ift nacpgefolgt. i>ier ift eine Summe 
für monumentale ft’unft jährlich üerfiigbar, unb fo ift eS möglich, 
ßReiftertoerle Wie SdpißingS SageSjeiten auSjufüpren unb öffentlich 
anfjufteflen, bann aber audp Genteinben, wetepe eine ffirepe, ein 
SRatppauS bauen, ein Altarbilb ober ein Vortalrelief, ein Ge: 
ntälbe aitS ber oaterlänbifcpeti Gefcpicpte ju gewähren, beit 
Srumten auf bem SRarftplap mit einer üotiStpümliten gelben: 
geftatt ober einer fhmbolifcpen Gruppe ju fcpmücfen. SaS Ser= 
langen naep bem Schönen wirb fiep fo in immer weiteren Greifen 
auSbrciten, unb bie Gemeinben wie üermögenbe Sürger werben 
wieber ipre Gpre bareilt fepen, bap ein ebleS ftunftwerf ber 
2Rit= unb ÜRatWett ein Senlmal beS Sinnes werbe, ber beu 
Ort befeett. nt. Carriere. 


Die Diej(HfiMit0. 

Von wiffenfepafttidpen Stiftungen unb befonberS jenen be: 
beutenben, wetepe bem Anbeuten berühmter Gelehrten gemibmet 
finb, täfjt fit in einigem SRafje bie görberung ber Siffenfdpaft 
felbft erwarten, inbem fie jwar bie fepaffenbe Spätigteit niept 
Weden, ipr aber botp ju ßid^t* unb ßuft oerpetfen fönnen. Aflein 
bie pauptfädhtiepe Seftimmung berfelbett ift, oon ber'Siffenfdpaft 


3eugnifj abjutegen oor ber Seit. Sa nun bie Äoften eines 
berartigen — um es lurj ju fagen — SRepräfentationSacteS 
jum größten Speit burep bie ßaien ju beftreiten finb, fo er: 
peifdpt eS bie Gerecptigleit fowopt als bie fttugpeit, bafj bie 
Siffenfdpaft babei aus fiep perauSgept unb bapin gibt, oon wo 
fie empfängt. SRandpe iprer 3weige, ober, Wie wir uns ge» 
wöpnticp auSbrüden-, mandpe Siffenfdpaften berüpren fiep mit 
bem ßebeu auf’s Augetifäßigfte — unfere leiblichen Sebürfniffe 
oerweifen unS tägtidp unb ftünblicp auf fie; anbere fcpeineit fiep 
üom ßeben abjuwenben, aber ipre Sejiepungeu ju ipm geftalten 
fidp nur um fo aßgemeiner unb um fo tiefer. Audp wenu bie 
gtüffe leine Sdpiffc tragen unb leine SRäber treiben, Wirleu fie 
bot auf ben Vflanjenwuts, auf bie Sitterung, auf bie ganje 
Seftaffenpeit beS ßanbeS ein, beffen Abern fie mit Sledpt ge: 
nannt werben. Unb fo hängt jebe Siffenftaft irgenbwie mit 
ben grofcen Sfntereffen ber ßRenfcppeit pfammen; jebe, mag bem 
ßaien aut ipr Gebiet not f° eng, ipre SRetpobe not f° troden 
oorlommen, pat für ipn eine V et faectioe, wette feffett, einen 
Sunlen, Wetter jüubet. 

Sm oorigen Sapre ift griebrit ®iej, ber Segriinber ber 
romaniften Vpitotogie, geftorben; ipm p Gpren foß eine Stiftung 
errittet werben. Sft es nun angemeffen, bie Säte oon »orn= 
pcrein in nur geftäftSmäfeiger Seife p betreiben, opne oon 
gewiffen aßgemeinen ©rtoägungen auSpgepen? ©rautte man 
etwa weiter nittS ju tpun, als fit J- ©• nadp ber Soppftiftung 
p ritten, opne bie Wefentlite Verftiebenpeit ber 3eiteu unb 
baS ©igentpümlite beS üortiegenben gafleS ju berüdfitügeit ? 
J&ier wie bort ift aflcrbingS pnädpft ber Sertp ber Sprat= 
wiffenftaft überhaupt peroorppeben, bie fit ja mit bem 
befepäftigt, was rett eigentlit ben SRenfteu jum ßRenften, 
baS Volt pm Volte ftempett. Um fobann baoon abpfepen, 
bap bie romanifte Spratgruppe oor aßen anberen ber Seit 
für bie wiffenfcpaftlicpe Unterfutung ganj befonbere Vorpge 
befipt, erfteint pier in pöperent Grabe, als anberSwo, bie ®e= 
meinftaft ber Guttur auf bie Gemeinftaft ber Sprate ge: 
griinbet, weite ja perft fo üiele unb fo oerftiebenartige Stämme 
feft oertettete. SaS aber ift bie romanifte Gultur, beren Ser: 
ftäitbnif? unS burt bie romanifte ^ßpilotogie erftloffen wirb, 
für bie Seit, was oor Aßem für uiis! Seit oieten Sapr- 
puttberten ringen Stomanen unb Germanen gegen einanber; ipr 
Vlut unb ipren Stweip paben Veibe oft miteinanber oermifth 
ßorbeern unb Suitben Veibe baoongetragen. Seiber Sntereffe 
gebietet ipnen, ba| fie fit gegenfeitig mepr unb mepr erteuneu; 
bann aud) werben fie einfepen, Wie ein beutfter Striftftefler 
oon ben Söllern überhaupt gefagt pat, „bap fie mepr Grunb 
paben, einanber p lieben, als p paffen", unb ber Gegenfap 
jmiftm ipnen wirb ftlieptit « ur noep in frieblitent Sett= 
fampf fit auSbrüden. Senn wir auf ben Gebantenpfaben 
eines anberen Volles gewanbelt finb, [wenn wir feine ^ergfeptäge 
unter unferer $anb gefüplt, wenn Wir mit ipm gelatt Hnb mit 
ipm geweint paben, bamt mögeu wir not bap tommen, ipm 
ju jürnen, eS ju tabeln, eS ju betämpfen, nie unb nimmermehr 
aber werbeit wir jenes elementaren £>affe3 gegen baSfelbe fäpig 
fein, ber nur bie 3erftörung anftrebt. Sott tiebeüoßeS Stubium 
frember ^Rationalität ift freitit nur Senigen bergönnt, feine 
grütte jebod) lommen mit ber 3eit Aßen ju Gute. Sießeitt 
wirb einftenS ber ^öefdpidptduntet:ri<^t etwas weniger oon oet: 
peerten gelbem, eingeäfterten Stäbten, niebergemepelten Sürgent 
reben unb etwas mepr baöon, was bie Söller oon einanber g** 
lernt paben ober lernen fofltcn. 

3n Sejug auf bie gegenfeitige Grtenntnip paben bie So: 
maneit mit ben Germanen ober wenigftenS mit beti t&cutfdpeii 
teineSWegS gleiten Stritt gepalten, was fit jum Speit baranS 
erttärt, bap fie biefen in ber geiftigen ©ntwidlung OorauS unb 
lange 3eit ipre ßeprmeifter gewefen finb. Sie Oiele Anregungen 
unb Sorbtlber paben bie romaniften ßiteraturen ben beutfepen 
Sittern gewäprt, wie Oiel Stoff jur Unterfutung ben beutften 
Geleprten! Ser alte wettbürgerlite 3“0 unfereS SefenS, anf 
wetten wir oon unferm jepigen erpöpten Sipe nitt aßju oet: 
ätttüp perabbtiden foßten, pat fiep babei oorjugswetfe tpätig 


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Nr. 14. 


Die <5ejcnm*rt. 


223 


mmefen; ipm banlen wir eS, wenn wir uns bon ben Romanen 
nit^l nur in intern eigenen fjaufe paben umperfüpren taffen, 
fonbern auep it)re Stufmerlfamleit großeittpeilS auf bie ©cpäpe, 
toeld^e baSfetbe birgt, erjt pingelenit paben. SllS im »origen 
Saprpunbert ber Sinn für baS ©atürlicpe unb ©otlStpümlidpe 
unter unS ermaßt war, iaufepten Wir gar batb audp beit Sögeln, 
bie in ben ftembeu SBälbent fangen, unb es fanben j. ©. bie 
altfpanifepert ©oman)eu bei uns biele greunbe unb ©ewunberer. 
®a8 itatienifcpe ©ollSlieb ift oon un8 gerabeju entbedt Worben, 
gnbem bie Italiener un8 jept 3<*pt für 3opr große itppigc 
gelbbtumenfträuße fenben, beren ©lan) unb duft un8 entjüdt, 
oergeffen fie hoffentlich nidpt, baß auf ipren gluren juerft norbifcpe 
SSanberer bie ©epönpeit jener ©turnen würbigten unb einige bon 
»pnen pßüdten* unb jufammenbanben, wäprenb ber guß bc8 Sin« 
peimifcpen fie adjtloS ju jertreten pflegte. Sille biefe romanifcpeu 
©tubien entbehrten fepr lange be8 feften SeroS; er tonnte nur 
gebilbet Werben burep ba8 ©tubium beffen, worin fiep bie 3“ : 
fammengepörigteit ber ©omanen am erfteit ausgeprägt pat unb 
noep heute am ftärfften auöprägt, nämtiep ber ©pradpe. griebrid) 
®ie§, formell angeregt burcf) feine SanbSleute 3- ©rimm unb 
©opp, facpliep angeregt burep ben ©übfranjofeit ©apnouarb, 
fdjuf jenen feften ffern in feiner bergleicpenben ©rammatif unb 
feinem bergleicpenben SBörterbuep ber romanifcpen ©pracpe. denn 
nun erft würben auch alle bie wiffenfcpafttidpen ©eftrebungen, 
welche baS ßiterarifcpe )um ©egenftanb patten, in lebettbige ©e« 
jiepung ju einanber gefept, ja noch mepr, fie würben geregelt, 
erweitert, bertieft, fo baß bor die) pöepftenS bon einer italieitifdpen, 
frcut)öfifdpen, fpanifcpen ©pilologie, aber erft feit die) bon einer 
romanifdjen ©pilologie bie fRebe • fein lann. 3« biefet SBiffen« 
fdjaft ßnb wir ben ©omanen borangegangen; fie finb un8 ge« 
folgt, fie paben un8 eingepolt unb fie werben un8 überflügeln. 
3wifdjen beiben ©arteien finb ©toff unb ©ebanle fo beftänbig 
unb eifrig auSgetaufdpt Worben, baß ei fcpwer ju fagen ift, 
welcpe mehr gegeben unb welcpe mepr empfangen pat; au8 biefem 
©runbe muß eine Stiftung für romanifdje ©pilologie »ott ©o« 
. manen unb deutfdjett gemeinfam in’8 Seben gerufen werben, unb 
niept nur au8 biefem ©runbe, fonbern auep )u bem 3wede, baß 
ße grieben unb greunbfdpaft förbere. ©ie fei ein heiteres unb 
tröftlicpeS ©pmbol anep für diejenigen, bie fiep um ipr inneres 
SBefen niept lümntern. 

©ine berartige Slngelegenpeit Wirb meines ©ratptenS am 
beften in ber SBeife eingeleitet, baß man eine ganj allgemeine 
Slnregung baju auSgepen läßt unb alle diejenigen, welcpe bc« 
reeptigt ober geneigt ßnb ipr Urtpeit bariiber jir fagen, auf« 
forbert ober fie in ben ©tanb fept, bieS )u «tpun. ©aep einiger 
3eit, naepbem bie ©aepe belannt geworben unb'befonberS in ben 
gacp)eitfcpriften befproepen Worben ift, unb wenn enblidj bie 
geäußerten ©Meinungen einen gewiffen durepfepnitt ergeben, bann 
mag man mit einem btftimmten ©lane perbortreten. Seiber ift 
man bei ber diejftiftung niept fo berfapren. ©in ©erliner 
Somit6 pat biefelbe in bie $anb genommen unb )War etwas lüpl 
unb eilig, ©or bem Srtaß beS SlufrufS finb einige ©omanißen 
befragt worben, opne baß ipr ©atp, wie eS fepeint, naep ©ebüpr 
berüdfieptigt Worben wäre; anberen ©omanißen war niept einmal 
bie HRögticpteit gewäprt, ipre Stnficpt auSjufpredpen, fie tpun eS 
ge)toungenermaßen pinterper. 3<P pabe in ber SlugSburger Sill« 
gemeinen 3eitg. (18. gebr. ©eil.) einer internationalen diejftiftung 
baS SBort gerebet unb feitbent fepon bon berfcpicbeneit ©eiten 
ben StuSbrud warmer ©eiftimmung oernommen (f. ©eue freie 
©reffe, 7. SRär) Stbenbbl.; Timpul bon ©ufareft, 2. unb 3. SRärj; 
L’Opinione bon ©om, 18. SRär); The Academy bon Sonbon, 
17. ERärj). SRein 3wed ift einjig unb allein ber, .ju ermitteln, 
wie fiep bie SReprpeit ber ©omanißen eine diejftiftung benft, 
niept etwa ber, mit meinen perfönlidjen ©eigungen miep in ben 
©orbergrunb ju brängen. Unb bamit man mir ni^t eine be« 
fonbere unb ungerechtfertigte geinbfetigfeit gegen ©erlin ©cpulb 
Hebe, pabe icp gewünfdpt, in einer ©erliner 3ritfcprift noep einmal 
anf biefen ©egenßanb jurüdjulommen. ©erlin fott niept aus« 
gefeptoffen werben, es fott nur felbft niept auSfcpließen. SBenn 
man meint, baS ©erliner Somit« tönne jept niept mepr jurüd, 


fo erwiebere icp, baß eS fiep bielmepr um ein ©orwärtSgepen 
panbelt. ©eben ipm fotten fiep anbere So mit 68 bitben, welcpe 
mit ipm pfammen bie enbgültige ©eftalt ber diejftiftung be« 
ratpen. SBottte man auep auf bie ©ationalität bon diej ein 
weit größeres ©ewidpt fegen, als auf beu Sparalter ber bon 
ipm bertretenen Söiffenfepaft, fo würbe bo^ jene große ©paltung, 
Welepe bor einem 3«prjeput deutfcplaub auSeinanberriß, leine 
rüdwirtenbe Äraft unb -©erlin als peutige „©eiepspauptftabt" 
lein größeres Slnredpt auf die; befipen als SSien. SßaS baS 
©omanifepe an Uniberfität unb Sllabemie anlangt, fo fiept SSicn 
gewiß ©erlin nidpt naep (unb iep erinnere befonberS an bie 
japlreiepen unb wertpboßen Seiträge )u unferer SBiffenfepaft, 
Weldje in ben ©epriften bet SSiener Sllabemie enthalten finb); 
fonft aber pat eS 3Ranepe3 bor ©erlin borauS: eS ift bie 
$auptftabt eines ©eicpeS, baS bon SllterS per fo biete ©omanen, 
tpeilS tabinifeper, tpeilS italienifcper, tpeitS rumäitifeper 3*>ngc, 
)u feinen Stngepörigen )äplt, unb eS trägt einen weit Welt« 
ftäbterifepen Stnftricp als ©erlin. ^auptfäeplüp würben bie 
granpfen geneigt fein eper nadp SBien, als naep ©erlin ©eitcäge 
)u fenben unb eper bon bort als bon pier fiep ©reife )u polen. 
Slber iep fage niept: „SBien ober ©erlin", idp fage auep nidpt: 
„nur SBien unb ©erlin"; icp meine, die) ber deutfepe, würbe 
die) bem ©omaniften fepr gern baS 3ugeftänbniß gemaept paben, 
baß auep bie SRittelpunlte ber romanifdpen Sultur an ber Sr« 
rieptung feiner Sprenfäule fiep betpeitigen bürften. SBenn iep 
mir ferner als S©ittelpunlt biefer ttRittetpunlte, als prima inter 
pares ©om borpßetten liebe, fo fann baS leine ©erwunberung 
erregen; iß niept pier baS ®inb, bem unfere ©aeptwacpeit gelten, 
geboren unb getauft Worben? 

©erfrüpt wäre eS jept bie Siit)etnpeiten einer interna« 
tionalen die)ftiftung in Srwäguitg )u )iepen. daß bei ber 
©reiSertpeilung »erfepiebene Sllabemien miteiuanber ab)uweepfelu 
pätten, War ber ©ebanle eines meiner greunbe, ber mepr als 
Sentanb berufen ift, feine ©timme in biefer ©aepe abpgebett. 
das hoppelte ©ebenlen, wetepeS icp hierbei «mpßnbe, bringe id) 
nur beSpafb )ur ©praepe, weil eS gegen eine bauernbe ©er« 
Inüpfung ber die)ftiftung mit einer ein)igen Sllabemie noep 
fepwerer in bie SBagfcpalc fällt. SrfteuS, um eS runb perauS )u 
fagen, fepte iep in bie böttige Unparteiliepteit auep ber ©eften 
lein gan) unbedingtes ©ertrauen mepr, feitbem iep gefepen pabe, 
in toaS für köpfen bie ardpimebifepen ßreife burep baS Kriegs« 
getümmel geftört worben finb. ©epmen wir j. ©. an, bie 
fonß bortrefßidpe ©cprift eines gran)ofen enthielte nebenbei einige 
SluSfätte gegen ©reußen ober was man )ur. ©otp bafür palten 
fönnte; Würbe eine preußifepe Sllabemie jener ©cprift ben ©reis 
)uerlennen? SBürbe nidpt eine ©ertepung beS SlnftanbeS bon 
ber einen ©eite, eine ©etlepung ber ©ereeptigfeit bdn ber anbetn 
©eite, alfo etwas UnwefentlicpeS etwas SBefentliepeS )ur golge 
paben? 3weitenS: baS Urtpeit einer Sllabemie ift im ©runbe 
fepr oft baS Urtpeit eines Sitt)igen; biefer Sin)ige, unb wäre 
et ber Srße in feinem gadje, fann irren, ©o pat bor )Wei 
3apren bie ©erliner Slfabemie einer Slrbeit, welepe gerabe in 
baS «©omanifepe pinüberfpielt ober bielmepr pinüberfpielen fottte, 
einen ©reis bon feepftpatbtaufenb SRarl )uerfannt, wäprenb 
biefelbe, meiner innerßen Ueber)eugung gemäß, weit bapon ent« 
femt iß, biefen ober überhaupt einen ©reis )u berbienen.*) 

3<P poffe, lein ©erftänbiger wirb miep als mikpwittigen 
©törenfrieb betrachten. SBenn iep miep bon ben Sinen entferne, fo 
gefdpiept baS nur, unt miep ben Slnbern )u näpem, unb lämpfe iep, 
fo fämpfe icp für ben grieben. SS brauept bergteiepen teine per« 
föntiepe ©erftimmung perbor)urufen; mögen wir ©omaniften auep 
in unferen Slnßepten über die)ßiftung, ©reiSertpeilungen unb 
punbertertei anbere dinge auSeinanber gepen, in taufenberlei 
dingen treßen wir bodp wiebet )ufammen: wie biet ^pätfaepen, 
in bie Wir Sitte eingeweipt finb, wie biel ©dpönpeitert, bie wir 
Sitte bewunbem, wie biel 3>«le, benen wir Sitte )ußreben! 


*) StuSfftprlip pabe icp baS )u ertoeifen berfuept im 1. §efte ber 
neuerfepeinettben „gekfeprift für romattifepe ©pilologie". 


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224 


9t« Gegenwart. 


Nr. 14. 


Saffett tote uns baßer burdß jene alten Bitter Hießt befdßämen, 
non benen SCriofto fingt: 

Oh gran bontä, de 1 cavalieri antiqui! 

Eran rivali, eran di fe* diversi, 

E si sentian degli aspri colpi iniqui 
Per tutta la persona anco dolersi; 

Eppnr per selve oscure e calli obliqui 
Insieme van, senza sospetto aversi. 

©raj, beit 24. 3Wärj 1877. go Sdjudjarbt. 


Das Ccbett ^Ufrtb- be Ülttßets. 

©tfdjilbert non $aul bt 3Rufftt, bem ©ruber beb Sinter?.*) 

Seit länger als z e ß« gaßren hat mftn * n b en franjöftfd&en 
Blättern bei jeber fieß barbietenben Gelegenheit barauf ßinge= 
wiefen, baff eine eingeßenbe unb erfeßöpfenbe Scßitberung beS 
Beben« Sttfreb be ERußetS brudfertig nortiege, non bera Berfaffer 
aber, bem Bruber beS Dicßter8, non Baut be ERußet aus Grünben 
beS BartgefüßlS einftweilen noch ungebrudteS SRanufcript bleiben 
fode. Gerabe »eil bie Biographie eine nottftänbige fein werbe, 
fei eS unoermeibtich gewiffe Dinge ju fagen, burch bie einige 
nachtebenbe ißerföntichteiten, namentlich auch tarnen unangenehm 
berührt Werben müßten. GS ift ja betannt, bah Sttfreb be ERußet 
mit einigen ber bebeutenbften grauen feines ffiaterlanbeS intime 
freunbfcßaftlicße, unb bisweiten noch intimere als freunbfcßaftticßc 
Beziehungen unterhatten hat. Die SBaßrßeit baräber tonnte nur 
ein ERenfcß fagen: Baut be ERußet, ber Bruber unb Bertraute, 
oor bem ber fonft fo Oerfcßwiegene Sttfreb fein Geßeimniß hatte. 
Stfle greunbe beS Dichters — unb baS finb jefct nahezu alte 
gebitbeten granzofen — fahen baher ber Berößentließung biefeS 
oft angetiinbigten SBerfeS mit größter Spannung entgegen. SBetcßc 
SBießtigleit man auch bon gefcßäftticßer Seite auf biefe Bubtication 
legte, mag feßon ber außerorbentließe Umftanb beweifen, baß biefe 
Schrift, bie nunmehr zur Beröffenttichung gelangt, gleichzeitig 
bei ztoei bebeutenben Bertegern in jtoci berfdhiebenen StuSgaben 
erfeßienen ift: bei G. Gßarpentier in einer gewöhnlichen SluSgabe 
unb bei Stlpßonfe Semerre in ber eleganten GtzeOierauSgabe 
mit einer Babirung. 

Diefe Biographie enthält in bet Zßat biel gntereffanteS, 
bor Stßem einige gragmente auS einer nicht beröffenttichten größer 
ren Arbeit beS Dichters unb einige Wenige fetjr eßarafteriftifeße 
Gebichte. Gleichwoßt möchte ich bezweifeln, ob burch biefetbe 
ben ßoeßgefpannten Grwartungen, mit benen man bem Grfcßeinen 
biefer Schrift entgegenfah, im Großen unb Ganzen Genüge ge* 
f(heben Wäre. Den Berfaffer hat bie Büdßcßtnaßme auf bie 
SRitlebenben ober erft bor kurzem Berftorbenen augenfeheintidh 
in feinen freien Bewegungen geßinbert; bie DiScretion hat ihn 
ängfttidh gemacht. GS tag wirftieß lein Grunb bor, biefeS bor* 
ßeßtige Buch, baS über altes irgenbwie Berfänglicße unb Gom* 
promittirenbe mit haftiger Scheu ßinwegßufcßt, ber Deßenttidßfeit 
fo lange borzuenthalten. Sitte Diejenigen — nnb bereu Saßt 
wirb feine geringe fein — bie baS Buch mit ber Grwartung in 
bie $anb nehmen, barin irgenbweteße pifante Ginzetßeiten, Stuf* 
feßtüffe über ein noch nicht genügenb ftar gelegtes Siebesoerßältniß, 
Gntßüttungen ober bergteidßen zu ßnben, werben enttäufeßt werben. 
GS ift zu bebauem, baß George Sanb, bie burch bie beftänbig 
wieberleßrenben Botizen über baS beborfteßenbe Grfcßeinen biefer 
Schrift bureß lange gaßre beängftigt werben mußte, nidßt meßr 
bie Beruhigung geßabt hat, biefe unfeßübtießen Blätter zu tefen. 

Gerabe über baS Berßältniß ERußetS zur Sanb, über baS 
tragifeße Gnbe beS Dichters unb bie ERotioe, bie ißn zu ber 
tangfamen Selbfttöbtung trieben, ift bie Schrift bon Baut be 
ERußet ungewöhnlich wortfarg unb entßattfam. SRan fann baS 

*) Biographie d’Alfied de Müsset, sa vie et ses oeuvres par 
Paul de Müsset. Paris 1877. 6. Charpentier unb Alphonse Lemerre. 


Budß bon Slnfang bis zu Gnbe aufmertfam bureßlefen; wenn 
man bie Dßatfacßen nicht tennt, wirb man fdjwerticß barauS er« 
faßren, baß Sttfreb be ERußet George Sanb geliebt, uub baß er 
bie tefcten langen gaßre feines SebenS fpftematifcß an feiner 
Setbfterniebrigung unb Setbftzerftörung gearbeitet ßat. Bon 
einer Boltftänbigfeit fann atfo hier gar nicht bie Bebe fein. @8 
ift ein Unbing, baS Seben ERußetS zu feßitbern, oßne feine Be* 
Zießungen zu ber großen Dichterin unb oßne ber ungtücftießen 
BetäubungSoerfucße, bie ißn zur Bwbuction untauglich madßten 
unb ißn zu Grunbe richteten, zu gebenfen. 

gn einer jeben Biographie fofl meines GradjtenS oor Stttem 
fttarßeit unb Unzweibeutigfeit ßerrfeßen. Der Biograph muß 
ben SRutß haben, baS SHnb beim reeßten Barnen zu nennen. 
GS ift unzweifelhaft fein Becßt, es ift fogar fettfee Bßidßt, ba zu 
fdßonen, Wo Schonung möglich ift* ober wenn er fieß fdßeut, 
SBaßrßeiten zu fagen, bie Oon entfeßeibenber SBießtigleit finb, bie 
ben Gßarafter beS SRenfcßen, ben er fdjitbert, erltären, unb feine 
$anbtungen begreiflich erfdßeinen taffen, fo ift eS beffer, er läßt 
bie §anb ganz «uS bem Spiet. gn einer Bettung läßt man 
es fidj gefallen, wenn ber geuittetonift, bet irgenb eine anzügtieße 
Gefcßidßte zu berieten ßat, mit bem Sefer Berfted fpiett, bie 
Barnen ber B**fünticßfeiten, anftatt fte einfach zu nennen, nur 
mit ben Initialen bezeichnet ober biefen fonftwie einen bureß* 
ßeßtigen SRantel überßängt, hinter bem ber Äunbige bie Be* 
treffenben teießt zu erlernten im Stanbe ift; in einer Biographie 
aber will ber Sefer nießt zwifeßen ben Brite« tefen, er will fieß 
nicht auS biefen unb jenen Slnbeutungen baS Dßatjäcßließe com« 
biniren, er Witt, baß ißm biefeS Zßatfäcßticße in einer objectiüen 
unb teibenfeßaftstofen Darfteßung anfeßautieß unb ftar Oorgetegt 
werbe. Baut be ERußetS Bucß iß nur für Seute gefeßtiebro, 
bie bie Berßättniffe feßon fennen; nießt aber für Seute, bie biefe 
Berßältnifje erft fennen lernen woßen. George SanbS Bame 
wirb in ber ganzen Biographie nießt ein ERal genannt, unb B«ut 
be ERußet fetbft erwäßnt mit feinem SBorte, baß Sttfreb im 
lefcten Stbfcßnitte feines SebenS im SBein unb im Stbfintß baS 
Bergeffen gefueßt ßat. DaS ßeißt bie Büdßcßt auf ben $etben 
unb bie bem gelben näcßßfteßenbe B er f°« i u weit treiben. 

GS läßt ßcß nießt leugnen, baß B°ut be ERußet in ber 
S'unft beS BerfcßweigenS Großes geleiftet ßat. Gr erzählt uns 
auS ben teßten SebenSjaßren SRuffetS taufenb föteinigfeiten, Don 
benen einige recht intereffant ßnb, unb bie uns feßtießtieß ganz 
oergeßen madßen, baß wäßrenb biefer B«it feine B c °buction ganz 
ftoÄ unb baß boeß befonbere Grttnbe bafür oorßanben fein 
mäßen. Gr erwäßnt nur meßrere SRate nebenbei, baß troß 
aßer Grmaßnungen oon Seiten feiner greunbe unb Berwanbten 
Sttfreb mit „ber beltagensmertßen Gewoßnßeit beS BacßtwacßenS" 
nießt ßabe brechen woßen; aber er erzählt nießt, baß unter biefen 
Bacßtwacßen aueß ber übermäßige Genuß oon atfoßolßattigen 
Getränten mit zu üerfteßen ift. Die einzige Änbeutung barüber 
ßnben wir in einem Gebießte Sltfrebs, baS Baut be ERußet mit* 
tßeitt. Die Strt unb SBeife, wie biefe ERittßeitung gefeßießt, ift 
cßarafteriftif^ für baS Bucß. §ier, wo Sttfreb be ERußet ßcß 
fetbft als „Drunlenbotb" bezeichnet, hätte Baut be ERußet wenig* 
ftenS mit einem SBorte auf bie nidßt zu umgeßenbe traurige 
SBaßrßeit hinweifen lönnen; anftatt beßen leitet er baS Gebüßt 
fo ein, baß man anneßmen muß, es ßanbte ßdß nur um bie 
Drägßeit beS DicßterS. Stnftatt bie Dßatfacße atfo ftar zu fegen, 
fudßt er ’fie zu nmßüßen unb zu befeßönigen. 

SRit bem 3aßre 1840 feßtießt belanntlicß SRußetS büßte« 
rifeße Brobuction eigentlich ab. SBaS et in ben teßten 17 3aßren 
feines SebenS probucirt, ßat wenig zu bebeuten. Bier gaßre 
lang ßatte er nidßtS GrßebticßeS Oerößentticßt — bis zum gaßre 
1844 — unb aßen Grmaßnungen feiner greunbe gegenüber 
War er ooßftänbig taub geblieben. ERußet ftanb zu jener Brit 
in einem reizooßen, edßt freunbfcßafttidßen Berfeßr z« einer 
geiftüoßen, woßtmeinenben Dame, grau ERajime gaubert, bie ed 
Oießeicßt am beften mit ißm gemeint ßat. Die „marraine“, wie 
er ße nannte, belämmerte ßdß aufrichtig wegen beS tßörießteu 
SebenS beS genialen ERenfcßen, ber zwedtoS oon einem Zag in 
ben anbern ßineintebte, nichts arbeitete unb fein Dafein mit ben 


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Nr. 14. 


9ie (Segenmart. 


225 


überffüffigften Singen auSfüttte. ©ie fpra4 eines SageS mit 
©aul barüber unb bot ifjn, ec möge bodj Sllfreb ernft^aft in’S 
©etoiffen teben; aber ©aut erflärte, baff alle feine ©emüffungen 
oetgeblpe gemefen feien unb baff ec fp gac (einen ©rfotg üer= 
fpce^en (önne. „Kun," fogte Scan 3oubert, „fo Werbe p mein 
$eil öecfudjen." 

©aul be Muffet erjagt nun weiter: ,,©ie teilte mic atfo 
ihren ©lau mit, was fie ihm fogen motte, bie ©rünbe, bie fte 
angufüpen beabfptigte, unb fie tffat bieS mit einec folcpr ®in= 
fpt unb in fo glüdtpen SluSbrüden, baff p boüon gang übet: 
rapt moc. ©oller Hoffnung gog p mp jucütf unb bemunbecte, 
mie feffr unS bie grauen an ©erebtfamleit unb fogac an Sogil 
übeclegen finb,. menn baS $erg fie treibt ©in Heines ©rief4en 
mucbe in ben Kaften geworfen, in bem Sllfreb be Muffet aufge* 
focbect mucbe, fp mit bec „marr&ine“ einmal auSgufpcec^en, bie 
guc beftimmten ©tunbe nuc füc Up gu $aufe fein mecbe. Hm 
Sienftag, 13. Huguft 1844, folgte Sllfreb be SKuffet na4 bem 
Siner biefec ©inlabung. Sie Unterteilung toäpte bis Mitter= 
na4t Sngwipen batte p eine Steife angetceten, batte guecft 
bie ©ogefen bupftreift, ©oben befugt, unb mac bann mit 
greunben in bie ©djrneig gegangen. 34 tcennte mp in ©on= 
ftang »on ihnen unb begab mp na4 ©enebig. 8113 p im 
Kooember na 4 ©ariS gurütffam, fragte p bie „marrame“, mie 
bie 3ufammen(unft bamals oertaufen fei. „@pre4en @ie mic 
npt babon," entgegnete fie mit bemegtec Stimme. „34 habe 
unfecm lieben SamiS — fo nannte fie Sllfreb be Puffet — 
oiel Seib gugefügt. 34 habe aud) mic felbft fep webe getffan. 
34 tonn 3pten nic^t wieberplen, maS ec mic gefagt bat. SaS 
übecfteigt meine Kräfte. Stber etfaffren fotten ©ic, baff er mp 
auf allen ©unften geptagen, baff ec taufenbmal Sftept bat, baff 
fein ©tilipmeigen, fein Kummer, feine ©eradjtung nuc gu be= 
grünbet finb, baff ec biejenigen, bie fp prauSneffmen, ibn gu 
tabeln ober gu beflagen, niebergupmettern üerntag, unb baff 
frübec ober fpäter feine unenbtpe Ueberlegenbeit bon alter SBelt 
anerlannt mecben wirb. Ueberlaffen mir ber Seit baS Uebrige. 
Spielen mic npt mit bem geuer, benn im ©ecglep gu ibm 
ftnb mir Kinber. Stadbbem mi4 ber arme Menf4 Oertaffen 
batte, Pcieb et ein Sonett, baS er mit am anbern Morgen 
in aller grübe gufanbte, unb über baS p bittre Spänen oer= 
goffen bobe. @r mottte mir geigen, maS er no4 fertig gu bringen 
im ©tanbe fei, als ob p je an il)m gegmeifelt hätte! 34 ffobe 
bieS ©ebpt aufgehoben; eines SageS mirb es biettept oer: 
öffentlpt merben, unb bann mirb bet Slbenb Oom 13. Sluguft 
(ein berlotner fein." 

„34 toünf4te baS ©onett gu feben; aber bie „marraine“ 
mottte mir bie ßecture npt geftatten. ©ie len(te baS ©eftmp 
auf anbere Singe. Sreigebn 3ape barauf na4 bem Sobe 
meines fflruberS gab fte mir baS eigenbänbig gePriebene ©ebpt. 
@S lautet fo: 

„Sab ein Stopf midj »erleumbet, ift mir gleichgültig. Stögen 
unter bem fatfdjen Schein einer oberflächlichen Dbeilnahme biefelben 
Stute, benen p geflerit noch bie fjanb gebrüeft höbe, mich h eu t e “1* 
einen Drunten&olb unb SBüflling oerpreien — fie finb ja weniger meine 
greunbe, als baS ©las SB ein, baS auf eine ©iertelfinnbe mein ©lenb 
betäubt! Stber Du, bie meine Seele tennt, ber ich nichts berfchloiegen 
habe, nicht einmal meinen Summer, barfft Du gegen mp eine fope 
Ungerptigteit oerüben, unb baff Du mp fo fdjnetl unb fo oötlig oer« 
geffen? Sich, mach aus bem, waS nur ein Unglüd ift, (eilt Saftet! 
Unb lafl in baS ©las, in bem p meinen Sammet gu ertränlen Juche, 
lieber einige Spänen beS HtitteibS fallen, bie Deine greunbfebaft alten 
Erinnerungen fcffulbig fein fottte." 

HuS biefem ©ebpt ift gang erfptlp, baff eS fp npt 
bloS, mie ©aul be Muffet eS anbeutet, in ber Unterrebung mit 
Mabame 3oubert um bie Srägffeit beS Si4terS gebanbelt höbe; 
offenbar b«t eS bie greunbin für ihre ©flid^t gehalten, Sllfreb 
be SJtuffet ernftbafte ©ormürfe megen feiner angequälten Srunl* 
fu4t gu ma4en. Saff ber unglüdtpe Spter bie mepffergige 
greunbin gefefftagen, baS ift leidet gu begreifen. Man (amt fi4 
gang genau oorftetten, mie jener Slbenb oerlaufen ift. Muffet 


bat ip fein ßeib geHagt, b°t fp olS ben Unglüdtpften ber 
ßebenben btngeftettt unb ber greunbin gefagt, bafj eS für ihn 
nur eine Kettung gebe: feinen ©4merg, ba er npt heilbar fei, 
gu betäuben; unb ein fopeS Hrgument entwaffnet eine Uebenbe 
greunbin immer. Hber Ke4t bot er beSbalb bo4 ni4t, mie 
©aul eS glauben nupen mitt. 

Ueber baS ffierbältnip Sllfreb be SKuffetS gu ©eorge ©anb 
bef4tän(t P4 ber ©iograpb auf menige Hnbeutungen. @r er: 
gäljlt auf ©eite 118: 

„3m Huguft 1833 traf Sllfreb be Muffet gum erften Mal 
eine ©erfon, bie auf fein Seben einen beträ4ttpen ©inftup 
auSüben fottte unb in feinem @4affen tiefe ©puren gurüdfge; 
laffen bot. ©S mar bei einem gtofjen Siner, mePeS gu ©pen 
ber Mitarbeiter an ber „Revue des dem Mondes“ im Keftau= 
rant ber „Fröres ProvenQaux“ oeranftaltet mürbe. Sie (Säfte 
waren gablcep unb unter biefen befanb P4 nut eine grau. 
Sllfreb warb ihr Sif4na4bar. ©ie lub ihn einfa4 unb ge* 
rnütpp ein, fie bo4 gelegentlp gu befu4en. ®r ma4te ihr 
gtoei ober brei ©efu4e in 3mif4enräumen oon a4t Sagen, 
ging bann häufiger pu unb mich Pliefjtp ni4t Oon iper 
©eite." 

Ser ©iograpb ergäpt nun einige gang glepgültige ®e= 
f4plen, bormlofc Hnelboten, bie bur4auS npt ben ©rnft beS 
©erbältniffeS mit ber ungenannten Same, mit ©eorge ©anb, 
erratpn laffen. Stuf ©eite 126 berptet er, baff Sllfreb mit 
biefer Ungenannten na4 3talien gu reifen beabfptigt höbe, 
grau be Muffet, SttfrebS Mutter, bat ihren @op p r Jli4ff, 
auf biefen ©(an gu oergpten: „34 toecbe niemals meine Su* 
ftimmung gu biefer Keife geben, bie p für gefäplp unb Oers 
i)ängnifjoott holte. 34 toeiff, baff mein SBiberftanb überflüffig 
ift, unb baff Su bo4 abreifen Wirft; aber bieS mirb nur gegen 
meinen Sitten gef4epn." Sarauf gab Muffet feiner Mutter 
baS ©erfpre4en, nicht abgureifen. „©erpige Si4 ! SBenn ©ine 
meinen muff, fo foflft Su eS wenigftenB ni4t fein." Mit biefen 
Sorten oerabpiebete er ff4 oon feiner Mutter unb ma4te bie 
Sorbereitungejt, bie er gur Keife getroffen ptte, mieber rüd= 
gängig. Sin bemfelben Stbenb um 9 Up mürbe bei grau be 
Muffet eine Same gemetbet, bie unten im Sagen auf fie warte 
unb bringlp mit ip gu fpre4en höbe, grau be Muffet begab 
fp in Segleitung eines SienerS gu iffr. Sie unbefannte Same 
nannte fp (©aul be Muffet nennt fie mieber npt). ©ie U- 
Pwor'bie troftlofe Mutter, ip ben ©offn anguüertrauen; fie 
werbe iffn pfl en unb pflegen mie eine gweite Mutter, ©ie 
überbot biefeS ©erfpre4en bup püige ©4'oüre; fie manbte 
alle iffre Serebtfamleit an, unb biefe muff groff gewefen fein, 
benn fie gelangte gu ihrem Siele. 3u einem Stugenblide tiefer 
©emegung mürbe bie ©inmittigung gur Keife ber Mutter ents 
riffen unb troj} Sllfrebs ©erfpre4en mar eS bie Mutter, mepe 
meiitte. 

„Sin einem nebligen traurigen Slbenb bra4te i4 bie Keis 
fenben gur ©oft. SaS ©epimniff biefer Keife ift putgutage 
ein StttermeltSgebeimniff unb alle Seit toeiff, baff bie Komöbie 
ein Srama ift. 34 Witt biefeS Srama ni4t mieberberpten; 
i4 mitt nur einige ©ingelbeiten ergäbten, bie aus einer ©nt: 
fernung oon breibunbert Meilen an mp gelangt ffnb unb bie 
p auch bann erfapen hoben mürbe, menn p (eine oertraus 
Ipen Mittbeilungen empfangen hätte." 

©aul be Muffet hält leiber Sort. ©r fagt nptö KeueS, 
er mieberplt npt einmal baS ©elannte. SaS eingige no4 
ni4t Oeröffentlpte Setail ift bet Karne beS SlrgteS, mit bem 
©eorge ©anb in ©enebig ein neues ©erffältniff anhtüpfte. 
Siefer Soctor, ber in bem ©eorge ©anb’pen Koman „Elle et 
Lui“ „©almer" unb in bem ©aul be MuffetS „Lui et Elle“ 
„©almerietto" genannt mirb, beifft ©agello. Sarauf mirb in 
aller Kürge ergäblt, baff Muffet (ranl aus 3iolien b^imlehrt 
unb fp Monate lang in fern Bitnmer oerpiiefft. Sann beifft 
eS auf ©eite 230: 

„8118 man in ©ariS erfuhr, baff Sllfreb be Muffet offne 
feine Keifebegleiterin gurüctgeleffrt fei, mürben atterffanb ©er« 
mutffungen aufgeftettt unb gabeln erbptet, bie weit bon ber 


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226 


Sie (Segenwurt. 


Nr. 14. 


23afjrtyeit entfernt ftnb. 9llfteb ^örte oon bem ©efc^roä^ unb nahm 
jebe Gelegenheit maßr, um 9lt(eS baS in 9lbrebe gu fteHen, mal 
bet (ßerfon, bie er in SSenebig gurüdgelaffen ^atte, hätte fchaben 
fönnen. (Sr that, mal feine (ßfli4t all auftänbigcr (fRenf4 ihm 
gebot; aber er tonnte bocfj nicht bie (Jraurigfeit unb Berrüttung 
auf feinem ©efi4t oerbergen, unb miber feinen SBißen t»erbrei= 
tefen fidj geljäffige ©etü^te. Um einen (Sinfelid in feine Seele 
gu gewinnen, muh man ^ören, mal er fetbft bariiber gejagt hat. 
3ta<h fünf Sahren, im Sah« 1839, fdfjrieb er golgenbeS: 

;,34 glaubte guuädift über meine SSerlaffeit^eit webet (Bebauern nod) 
Sdjmerg gu empfinben. 9Rit ©tolg entfernte ich mich; aber faum bliefte 
ich um mich, f° i a h i<h 11 ur eine SBüfte Bor mir. (Sin nnermavtetel 
Selben ergriff mich; mit war, als ob alle meine ©ebanfen wie troefne 
(Blätter abfielen, Wäfjretib ein unbeftimmtel, unbetanntel ©efüTjt, etwas 
nnfägtich (JraurigeS unb ©eichel in meiner Seele fich aufbäumte. 9111 ich 
(ah, baß ich nicht mehr gegen meinen ©4merg antämpfen tonnte, gab ich 
mich ihnt oergmeiflunglooH hin. 34 brach mit allen meinen ©einol)ii= 
heilen, ich idjlofe mich in mein 3>ntmer ein, unb Bier (CRouatc lang 
weinte ich unabläfftg. 34 faß feinen tKenfdjeti, unb meine eingige 8er= 
ftreuung war eine Schachpartie, bie i4 mechanifch jeben 9(beitb fplelte. 

9111mähli4 beruhigte fich ber ©4merg, bie XCirflnert Berfiegten, bie 
©chlaflofigteit härte auf. 34 lernte bie Schwermut!) teunen unb gewann 
fie lieb. 9118 i4 ruhiger geworben war, warf i4 einen (Rüdblid auf 
91f(e8, wal ich oerlaffen hatte. (Bei bem erften (Buche, ba3 mir wieber 
in bie §anb fiel, mertte i4, baß 91He8 anberS geworben war. (Die 
gange (Befangenheit hatte aufgehört, ober wenigftenl ni4t8 in ber 
©eqeuwart gli4 ber Vergangenheit. (Sin alles (Bilb, eine Jtagöbie, 
bie ich anSwenbig tannte, ein hunbertmal abgeleiertes altes Sieb, eine 
Unterrebung mit einem greunbe — 9111eS war mir in feiner Steilheit 
überraf4 en b- Sie waren ni4t mehr für mi4 bas, Wa8 fie na4 bent 
herfömmlichen Vegriff früher mir gewefen waren. 34 begriff bamals 
guerft, was eS heißt: „erfahren fein", unb machte bie 9BaI)rnehmung, 
bag bet ©4merg uns bie SLöafjrfjeit lehrt. 

(SS mar ein f4öner Wugenblicf in meinem Seben unb idj bermeile 
mit Vergnügen babei. 3a, eS War ein (4öner, wenn au4 ein fchwerer 
91ngenblicf. 34 habe (Dir bie (Singetheiten meiner Siebes* unb SeibenS* 
gef4i4te ni4t ergäßlt; wollte ich biefe ©efdjidtjtc nieberf4reibcn, nun, 
fie mürbe Biedert fo gut wie eine anbere; aber woguV Steine ©eliebte 
war braun, fie hatte große 9tugen, i4 liebte fie, fie hat mi4 ocrlaffen, 
ich hat* gelitten unb Bier SRonate geweint. 3ft baS nicht gettügenb? 

3d) hatte fofort bemerlt, bah in mir eine Umwanbtung Borging; 
aber biefe war weit baBon entfernt, fich flängti4 Bollgogen gu haben, 
»tan wirb ni4t SRaim Bon einem Jage gunt anbern. 3“uä4ft ftürgte 
ich mi4 in eine lächerliche ©jaltation. 34 f4 r « e & Briefe in SHouffeau’fcher 
«Manier. 34 will darauf ni4t weiter eittgehen. »lein bewegter unb 
wihbegieriger Seift gittert immer wie bie (Habet beS Kompaßes; aber 
waS f4abet baS, wenn ber (ßol gefunben ift? Sange Seit hatte i4 ge* 
träumt, jeßt begann i4 gu benfen. 34 oerfmhte fo Biel wie mögli4 
gn f4weigen. 34 trat auf’S (Reue in bie Vielt; ich muhte 9llIeS mit 
neuen 9tugen anfehen, 9t0eS auf’S (Reue erlernen. 

SBenn man leibet ift man BerWößnt, unb eS ift feine Älcinigfeit, 
bem Summer gu behagen. 34 begann alfo wie ber (Pfarrer im 
(SeroanteS bamit, meine Vibliotßef gu räumen unb gu reinigen, unb 
warf bie (Bild)«, bie i4 früher geliebt hatte, auf ben Voben. 34 hatte 
in meinem Simmer eine große 9lngal)l Bon ©teinbruefen unb ©ti4en, 
oon benen mir jeßt baS Vefte abf<heuli4 Bortam. Um mi4 beffen gu 
entlebigen, brau4te i4 ni4t erft auf ben Voben gu flettern; i4 warf fie 
einf«4 in’S geiler. (Rach ben gebra4ten Opfern übergählte ich, umS 
mir geblieben war. <SS war feine grohe 9lrbeit; aber baS Wenige, baS 
ich aufbewahtt hatte, flöhte mir einen gewiffen (Refpect ein. SWein leerer 
Vü4erftänber war mir unangenehm; i4 taufte einen anbern, ber im* 
gef ähr brei guß breit war unb nur brei Vretter hatte; barauf (teilte 
ich bebä4tig uub mit Ueberlegung eine fleiue Saht Oon Vänbcn auf. 
Die Vilberrahmen blieben lange leer; erft na4 einem halben Saßre 
füllten fie fi4 aflmäl|li4 mit Vilbern na4 meinem @e[d)macfe, meiftenS 
mit alten ©ti4en na4 (Rafael unb 3Ri4el 9(ngelo." 

diefer 91itSgug oul einem bisher nicht toeröffentlid)ten 
SBerfe 9tlfreb be ÜRuffetS ift wohl bie werthbotlfte ©eite in ber 
(Biographie, (ßaul wieberholt no<h einen 4arafteriftif4en 9lul= 


fprnch feine! (Bruberl, ber bal fonft nicht fehr inhaltsreiche 
ffapitel über bie (Begiehnngen gur ©aub abf4ließt: 

„Bwangtg 3al)re nach ber öenetianifchen Steife (am eine! 
(Jage! im Salon unferer SRutter bal @efprä4 auf bie (Sl)e* 
fcheibung. da fagte 911freb in ©egenwart mehrerer (ßerfonen, bie 
c! nicht üergeffen haben: „(Bie ©hegefeße finb gar nicht fo fcfjteiht. 
3« meiner Sugenb hat es Stugenblicfe gegeben, in benen ich 
mittigen #erjenl gehn Sah« meine! Sieben! für bie gefefcliche 
91ner(ennung ber ©h e f4«tbung geopfert hätte, nm eine grau 
heirathen gu fönnen, bie in ungtiidlicher ©h c lebte. SBäre 
bamals mein 9Bunfdj erhört worben, fo hätte i4 mir fed)S 
9Jtonate fpäter eine Äuget burch ben Äopf gejagt!" 

Su bem SBertf>ootlften, wal bie (Biographie bringt, gehören 
bie Wenigen ©eiten über HRuffetS (Job, über ben bi! jeßt noch 
nicht! 3tuthentifcheS üeröffentlich! Worben ift. (Paul be (Bluffet 
feßreibt barüber: 

„Slm 1. 9Jtai (1857), 7 Uhr (ÖlorgenS, fanb eine (Eon* 
fultation ber Slergte ftatt. Seibe ocrficherten mich, bah noch 
feine ©efaßr fei, unb beibe Perfprachett am anbern SRorgen in 
aller grüße mieberjufommen. (Der lag hatte feinen ungünftigen 
(ßerlauf. (Der Äranle, ber alle ärgtlichen SBorfcßriften jeßt mit 
großer Sorgfalt befolgte, fühlte fich («4*1*4 er(ei4tert. 91m 
9lbenb machte er fi4 wegen feines ©eljorfamS Komplimente, 
„die (Ruße ift bo4 etwas gu ©4öneS," fagte er. „(Dian hat 
fehr Unrecht, Por bem (Job gu erj4recfcn, ber ja nicht! Stnbere! 
ift als ber hö4f* e 9luSbrud ber (Ruhe." ©eine Stimmung war 
oortreffti4- @r plante allerlei, unter Otnberem au4 eine Steife 
na4 $aorc; aber ba er immer etwa! haben mußte, mal ihn 
quälte, fo flagtc er barüber, baß er auf ben (Borf41ag feine! 
(öetlegcr! nicht eingegangen fei, ber ißm gegen Ueberlaffung 
feiner fämmtli4en (Serie für alle Seiten unb für alle ßänber 
eine Sebenlrente Bott 2400 granc! geboten hatte, ffi! gelang 
mir, ißn ohne SDtühe baüon gu übergeugen, es fei gar nicht 
bcbauerli4, baß bal f4öt«e ©efcßäft nicht gu ©taube ge* 
fommen fei. 9Rit einer außerorbentlichen (Jheilnahme erfunbigte 
er fich nach meinen Arbeiten unb barauf geba4*e er na4 unb 
na4 aller (ßerfonen, bie er lieb hatte, all ob er eine $eerf4au 
über feine Sieben abhalten wolle, ©eine (fragen würben immer 
häufiger; baS engelhafte ®efi4t ber ©4mefter SDlarceHine 
(SRarceDine mar eine (Rönne, bie (Bluffet in einer f4meren 
Sfranlheit gepflegt hatte) tauchte in feiner (Erinnerung auf unb 
lä4elte ihm gu. S3ir fpra4en no4 gemüthli4 mit einanber 
um 1 Uhr (Ra4tS, all i4 fah, Wie er fi4 plö|li4 aufri4tete, 
bie re4te $anb auf bie (Bruft legte unb bie ©teile fudjtc, wo 
bal J&erg f41ägt, all ob er ba eine ungemöljnli4e Störung 
oerfpürte. ©ein ©eß4t nahm einen feltfamen 9luSbrud oon 
SBefrembung unb Slufmerlfamleit an; feine 9tugen öffneten fi4 
übermäßig. 34 fragte ißn, ob er leibe. (Er gab mir ein Oer* 
neinenbeö 4en. Stuf meine anbere grage antwortete er mir, 
inbern er ben Äopf auf baS Riffen legte, nur-mit ben SBorten: 
,,©4lafen! . . . (Enblich werbe i4 f4*afen! . . (Da bie 
©4laflofig!eit immer fein unoerföhnlichfter geinb gewefen war, 
fo faßte i4 biefe! (Rußebebürfniß als eine günftige Stift! auf; 
es war ber (Job. (Er f4toß bie 9lugen, um fie ni4t wieber 
gu öffnen, ©ein ruhiger unb regelmäßiger 9tthem erlof4 aD* 
mähli4- hau4te ben lebten ©eufger au! ohne eine Se* 
wegung gu machen, ohne Sudung, ohne (Bergerruug. (Der (Job, 
ben er fo fehnli4 he*:beigewünf4t, trat an ihn heran Wie ein 
greunb in ber ©eftalt bei Schlummer!; eine §ergerweiteruag 
hatte ihn herbeigeführt. 4?atte er ba! (Bewußtfein oon feinem 
©nbe? 34 weiß e! ni4t. S3ietlei4t hat er mir ben tiefen 
©4merg bei lebten SebewohlS erfparen wollen; bießei4t hat 
aber au4 bie ©rmattung bei SebenS, baS ©effihl ber (Befreiung 
unb bie füße ©ematt beS ©4lafe8 ißm ni4t bie ßraft gelaffen, 
biefe! lepte Sebewol)! au8gufpre4en. 911! ber erfte Äorgen* 
f4««nmer auf fein ©efüßt fiel, breitete fi4 eine Übermenf 41 i 4 e 
@4önheit über feine Büge, all ob alle großen ©ebanfen, benen 
fein ©eniu! einen unoergängli4en (KuSbrud gegeben, ß4 gur 
SBieberleh* oereint hätten, um einen ©trahlenfrang um ihn gn 
Winben. diejenigen, bie ihn pflegten, fonntett an ben uner* 


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Nr. 14. 


®fgfnmurt, 


227 


würfefttt Job gar gfauticn. „©# ift unmögli^," fagte 
man mir, „er fdjtäft, er roirb wieber crfoacfreu." 3<f> briidte 
meine Sippen auf feine Stirn; fie mar fatt mie ÜJlarmor." 

ÜRan fietjt fcf)Oit au# bicfen SBitttjeitungen, bafj ba# SBert 
ißanl be ÜRuffet# natf) nieten Stiftungen Ijitt ein bebeutenbe# 
jfntereffe Ijat. ®# ift fein SebenSbitb in einem grofje Suge; 
aber e# finb niete fteine merfroürbige $üge, au# benen man fif 
ba§ ©itb be# ®ifter# fetbft mafen fann. SBenn auf gegen 
biefe# SBerf bercftigte ©inwenbungen erhoben merben muffen; 
wenn man e# bcftagen barf, baff ber SBiograplj bie Sfeititafjme 
für ben 3)ifter burf attertei Steinigfeitsfram nerjettett unb 
nift ben SRutt) gehabt bat, über bie entjfeibenben ©reignijfc 
im Seben SttfrebS bie notte 28af|rt>eit ju fagen, fo ift bie 
Biographie bennof ein merfnolle# Suf mit nortrefflifcm 
SWateriat. ®er ffritif ljat fif ^ßaut be SRuffet gänjtif ent¬ 
halten; aber febr erfreutif finb bie Eingaben über bie ©nt-- 
ftefunglgeffifte nieter SKuffet’ffen S)iftungen. Stuf @rnnb 
biefer töiograpbie mirb jefjt ein titerariff gebitbeter granjofe, 
ber nift burf nermanbtffafttife ©efüljte befangen ift unb ba# 
Seben unb SBirfen Sttfreb be äßuffet# objectin beurteilen fann, 
nun enbtif eine getreue unb bebeutenbe Sfitberung biefe# 
tieben#mürbigen, großen unb ungtüdtifen ißoeten geben fönnen. 

paul £ittbau. 




$ie Börfe hat währenb ber lebten Socken lieber biel Anfechtungen 
31 t erleiben gehabt. Man Warf ihr Seidjtgläubigleit bor, als folge fie 
jebent SBtnbjiige, laffe fich bom Optimismus bethören unb falle bann 
wieber einer unnöthigen 2)eSperation anheim. Man bergaß, baß bie 
treffe ber ginan 3 Welt mit gutem ober böfem Beifpiel, wie man will, 
berangegangett ift. $>ic 35arßeflung ber XageSgejchi<hte erlitt bie un= 
glaublichften Schwanfungen, unb eS ift jeljn gegen eins ju toetten, baft 
eS ben leitenben unb entfd)eibenben Staatsmännern nicht beffer ergangen 
ift. Kußfanb mußte felbft längere Qe\t nicht toaS eS modte. sticht etwa 
mtr bie Aeußerungeu feiner offieiöfen treffe, bie ja für baS SBenbeit 
unb drehen eingerichtet unb gegrüubet ift, fonbern auch bie Mitteilungen 
feiner amtlichen Vertreter — bon Sflnatieff gan$ abgefeljen — nad) beten 
Sauberfatiouen mit ben Herren Sollegen 311 urteilen, boten unauSgefebte 
SBiberfprüche in reicher güde bar. ©erabe bie Orientfrage jeboch hotte 
ftets einen feltfamen flufammenhang mit bent Staub ber Rapiere gehabt 
unb jtoar aus unbergeßlichen ©rünben. $ie antitärfifche unb in golge 
beffen ruffenfreunbüche Stimmung, wie fte bietfach to Sittopa unb felbft 
in getaiffen Greifen SnglanbS fich feit batb jtoei fahren gebilbet hot, 
tonrbe nämlich burd) ben tfirtifdjen Bantcrott großentheilS beranlaßt. 
2Ber fein ©elb toller SBeife in ottomanifchen papieren 31 t minbeßenS 
acht ^rocent angelegt hotte, ber mußte eine untoiberfiehlidjje Sympathie 
für Sie Seiben ber d^riftlidjen Unterthanen beS Sultans fowie beren moSlo* 
witifdjen Sdjufcengel empßnben, feit bie dürfet bie gohfung ber Stofen 
fuSpenbirt hot unb eS felbft mit bem Sapital winbig auSfieht. Man 
et 3 ählt, ein bon bem türfifchen Sfrach feiner Seit hart betroffener Banqutei 
habe bor einigen Xagen mißmutig* getlagt, er begreife nicht, toie fo 
biel unnüfce Seit an bie Söfung ber orientalifchen grage berfdjwenbet 
werbe, eS gebe hoch ein fehr einfadjeS Mittel ber £>ülfe. $>ie Eürfei 
fode grie&en fttit Montenegro f^ließett^ alSbann abrüften unb baS ©elb, 
welches fie für bie u^ulängliche unb einer Kieberlage gewärtige Armee 
3 um genßer hinauswerfe, lieber 3 ur Sinlöfung ber rüdftänbigen SouponS 
berwenben. £)ann werbe ihr halb wieber bie öffentliche Meinung in ber 
gan 3 en SBelt 3 ufaden unb Kußlanb werbe ihr nichts 3 u Seibe thuit 
bfirfen. $amit hot ber brabe Mann ohne Steife! ben Kagel auf ben 
ftopf getroffen. gebenfadS wußte ggnatieff, Was er thot, als er feiner 
Seit bem Sultan Abbul A 3 i 3 fagte, bie $ürfei quäle fich «Hnüfc in 
ßnansieden Köthen. SBenn fie Verwaltung unb Armee mit ben 3 urütf= 
gehaltenen Stofen be 3 ahle, werbe fie fich &olb erholen. $)ie Machthaber 
in Stambul liehen bem böfen 9tath ein wiütgcS Ohr unb bie $ürfei 
wirb bie golgen bis an ihr felig Snbe fpüren. SRußlanb hot mit ber 
Ernennung QgnatieffS 3 nm Votfchafter in Sonftautinopel bor Saljr unb 


%aq einen Meifterecrnp auSgeführt. 2)er Shef ber ^onflabißen liirte 
fich to enger greunbfdjaft mit bem iperrjeher aller ©fäubigen fowie bem 
©roßbe 3 ier, bem feitbem fogenannten Mahmuboff, unb führte bie £fitfei 
an treuer £>anb unb unter einem unberfiegbaren Schwad bon SBorten 
ihrem 9iuin entgegen. So fonnte Sgnatiejf auch gleichmütig htonehmen, 
WaS bie Seitungen bon feinem giaSco auf ber neulixhen SRunbreife iit 
adelt Sangen 31 t e^ählen wußten. Sr hot wieber erfchredlich biei bur^ 
einaitber gefprocheit. 3)ie Stnnbe ber Slbrechitung wirb aber auch einmal 
für 9iußlanb fommen. SS fteht nur 3 n hoffen, baß, gleichbiel WaS auS 
bem Orient werben mag, bie bon innerem Mißtrauen unb ber gurdjt 
bor aderlei $reulofigfeiten getragene Särtlidjfeit 5)eutfchlanbS für ben 
Adiirten au ber SJewa uns nicht sunt bitteren Schaben anSfcßlage, unb 
bie unausbleibliche AitSeinanberfeßung in naher ober ferner 3eit bie 
9?uffeufreunbe jebeS befchönigenbe SBort, baS fie über einen gewiffen 
Vuub gefprodjeit unb gefchrtebeit, nicht fchwer bereuen laffe. Sodte aber 
Vußlanb grieben holten, woden Wir jebem Angriff aitf feine ^folitif für 
eine gewiffe S^t gern entfagen unb, wenn Sgnatieff wieber nat Berlin 
fommt, ihm eine Anerfennung 3 oden, Me felbft fein unbewegliches 5Diplo- 
matenher 3 übcrrafchen bürfte. 


^Friebrtdj Chopin. 

Soeben erfdßen in ber ftofmufifhanblung oon 9lieS to 2)reSben: 
griebrich Sl)opin; fein üeben, feine SBerte unb Briefe bon Morip 
StarafomSfi. — 3)ieS fich leicht unb angenehm lefeitbe Buch liefert 
in 3 toei Bänben h öt hß bor 3 üglid)e Beiträge 3 ur Sharafteriftil beS 
Menfchen unb Zünftlers Shop in. 3)ie hochromautifche, buftige, ja it 
mBd^te fageit weibliche unb oon aden ©ra 3 ieu angehauchte ©ruitbftimmung 
ber Xonbid)tungen beS liebenSwürbigen unb 3 U früh öerftorbenen MeifterS 
fpiegelt fich in überrafchettber SBeife in ben bielen in bie Biographie 
eingejtrenten unb größtentheilS 3 um erfteit Mal gebrudten Briefen 
Sl)OpittS. 3)er Bcrfaffer ber oorliegenben Biographie, ber nicht nur ein 
HattbSmann ShopinS ift, fonbern aud) mit beffen gan 3 cr gamilie unb 
greunbeSfreiS in lebhaften perjönlichen 9ielattonen geftanben hot unb 
uoch fteht, trägt überbieS in fehr baufeuSwerther SBeije ba^n bei, OieleS 
nur Aneföotcnhafte ober 001 t falfchen BorauSfepungen aus über Shopiit 
Verbreitete, flar unb in baS rechte Sicht 31 t fteden. So wirb namentlich 
manches 001 t grau 3 Sif 3 t früher über Shopin Veröffentlichte berichtigt 
unb baS Vertjältuiß beS jugenblidjen MeißerS 3 U ©eorge Saub als 
ein folcheS gefchilbert, baS uns mehr Anlaß gibt Sljopiit 311 Beilagen, 
als 31 t oerurtheilen, wäljrenb bie berühmte $id)terin eine weniger günßige 
9iöde bariit fpielt. Sie ßedt fid), foweit eS fich wnt ihre Be 3 iehungeit 
3 u Sßopin honbelt, leiber als eine 3 iemlid) h^älofe unb 3 ugleid) eitle 
Sgoiftin bar. Sehr erfreulich iß eS, aus tarafowsfiS Buch 3 n erfahren, 
baß es $eutfchlanb nnb beutfehe Meifter gewefen, bie Shopin 3 uerft 
eine warme unb rüdhaltslofe Anerlennuug 31 t 3rf;eil werben ließen. Unb 
3 War waren eS hier t?or aden Anberen 91 obert Schumann unb gelij 
McitbelSfohn, bie ben polnißhen Xonbid^ter auf ben Sßfafc ftedten, 
ber il)m gebührt. SBie fehr feinerfeitS Shop in wicbernm baS Jpödjße 
3 U würbigen wußte, WaS beutfehe Xonlunft herborgebracht, geht, außer 
auS feiner 2)on guan-^hootafie (wie man feine Variationen über La ci 
darem la mano wohl nennen barf) auch aus bem SBunjcße herbor, ben 
er, 3 itm Xobe erlranlt, auSfprad^, baß man il)nt Mo 3 artS Requiem 
nachfingen möge. 3)aß Shopin auch ein guter <|>ole war, fann Aiemanb 
überrafdjen, ber in ben ©eift feiner $onbid)titngcn eingebntngen; ei 
geljt burd) einen großen ^h e Ü berfclben eine wehmütige, fchmer 3 lid)e 
^lage, bie beit tragifcheit ©efchiden feiner Kation gilt, unb auch ba, wo 
ber Xonbichter h e 'tcr unb glüdlich erßheint, namentlich in ben ^polos 
naifen nnb MasurfaS, fnüpfen feine Motibe bielfach an polnifchcS 
VollSthum unb beffen d)arafterißifche Melobien an. gebet« fhmßfretmbe 
fei baS, auch bitrch bie barin bielfa<h enthaltenen Acten 3 U ShopinS 
Seben wichtige Buch empfohlen. 

<Hmil tianmann. 

^ * 

* 

gn ber nächßen Kummer bringen tbir einen längeren Auffafc: 
Mofenthol, ein Stammbudhblatt, bon gran 3 3)ingelßebt. 


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228 


Nr. 14. 


1 1 «egenanirt. 


9 «• 

Steuer »erlog u. 8uitf«*f k Mittel in 8ei*|i|. 

2>ctttfdje Srihune, betüfdg ©tegc. 

1848—1871. 

Gerammelte patertäuMfdje Didjtongtn 
tion 

(Sm$ Mit (Oerzen. 

gr. 8. brod). 4 JC geb. 6 JC 
@in gug propfyettjcfier ftreubigleit bet t)o^em 
patriotiföem unb fittlidjem Srnfte ift ba3 be= 
jeidjnenbe SWerhnal biefet ebenfo formenfdjöneit 
nie fraftboflen ©efättge, beten betannter »etfojfer 
bunb bretunbi»anjiq 3at)te bie tingenbe unb 
enbhd) fiegfjafte (Sntroicfelung ber@efd)t(fe unfereS 
»aterlanbeS jetbfüanbelnb miterleben 

■ burfte, ttjeitS als nätbfter Mugen&euge. _ 

«Ifreb SRei|ner’8 

neuefier SRoman Ijfofe“ er» J 

fcfjetnt Slittc beS nSGfhn SRanntS im 
töali^eit Feuilleton beä 

„Hetftnet ^ageBCaff“. 

SS ift bieS nadj langer Seit baS erjte SBerl 
beS berühmten »erfafferS, weldjeS wieber feinen 
Qnfjalt aus ber (Begenmart jd)öpft unb ein 
bewegtes, farbenreidjeS »ilb beS mobernen Se¬ 
hens Jbiet et_ 

Soeben erfdjienen: 

(dtMdjte 

' non 

^füd^ard Ränder. 

3nba(t: «IteS unb KeueS 9tr. 1-30. ftleine 
Sieber 9tr. 1-19. SluS ber »urftfienjeit 9lr. 1-12. 
«uf flaffijdjem »oben 9tr. 1-13. »ermifdjte 
. ®ebid)te fix. 1-2B. 

3tt rctd)Betjicrtem ffialicobanbe. »reis 4 X 

fniiariti an fraujopf^fn laiainen. 

3Rarf$eit non ttidjarb ficanbrr. 

3n teidjoeraiertem ©alicobanbe. $rei3 3 M, 
2Ubte vermehrte Auflage. 

(toluififte geituna: „©in fo liebe*, aller: 
liebfie* 93üd>eld)en ift itn* lange meßt gu 
fcänben getommen. gtoauaig Ntärcßen, ein* 
immer fdjöner al* ba* aitbere." 

SDa$eim: „$)ie Sftärdjen oon 9Ucparb SJeanber 
ftnb fo UYbeutfift, fo naib unb anmutpig, fo 
ergöfclid) für große unb Heine fttitber, baß 
man autoeilen glaubt, bie alte „Warrijeufrau" 
fei ttneber erftanben, bie einft ben ©ebrübem 
(grimm ben alten Wärcßenfchafc unfete* SBolfe* 
beben half/' 

Seipjig, 9ttär$ 1877. 

ffir eilftopf & jfrftrtef. 

J 3it (Carl hinter’* Unibcrfitätfcbudi&anb: ’ 

! lung in öcibflberg ift foeben erfreuen: > 

\ $>aull)ca. ©in tnorgenlänbifdje* ©Jebidjt in 1 1 
< 1 brei ©efängen bon Serbinanb Jöenber. . 

< | 16. eleg. bvofd). 2 JC ► 

1J $8om gleichen ^öerfaffer erjepien früher: ] ► 

; i Jtebfeo. ©ine poctifdje ©rjäptung. IC. i [ 

< 1 eleg. brofep. 1 JC 26 ► 

♦¥¥¥»¥¥ ¥¥¥¥¥¥¥¥ ¥¥¥¥¥¥ ¥¥¥¥¥» 

Heinr. Lemcke 

in Bahrenfeld bei Hamburg 

Fabrik und grösstes Lager feiner und hoch¬ 
feiner sowie selbst direct iraportirter 

Havanna- etc. Cigarren 

im Preise von 8(1 bis 1000 M. pro Mille. 
Zollfreie Lieferung für das Dentsche Reich 
von y i0 Kisten an. — Preis-Conrante gratis. 


Im Verlage von Julius Hainaller, Königl. Hof - Musikalienhandlung in Breslan, 

ist soeben erschienen: 


Drei Lieder 


für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte 

von 

Moritz Moszkoivski. 

Op. 13. Preis 2 JC 

Inhalt: 1) Bitte (Nicolaus Lenau), 2) Und wüssten’» die Blumen (Heinrich Heine), 
3) Mädchenaug! MUdclienaug! (Julius Wolff). 

3Ioritz Moszkowski 5 Op. 2. Albumblatt für Piano zu 2 Händen . 1,50 
Op. 4. Caprice für Pianoforte zu 2 Händen.2,00 


J ianoforte zu 2 Händen 


Op. 5. Hommage ä Schumann. Fantaisie pour le Piano ä 2 ms. 
Op. 7. Trois moments musicaux pour le Piano ä 2 ms. . . 

Op. 9. Zwei Lieder für Sopran mit Begleitung des Pianoforte (Die 

Verlassene — Schlaflied) . 

Op. 10. Skizzen. Vier kleine Stücke für Piano zu 2 Händen . . . 

Op. 11. Brei Stücke für Pianoforte zu 4 Händen 

Nr. 1. Polonaise . 

Nr. 2. IValzer. 

Nr. 3. Ungarischer Tanz. 


10. £er große 3 00 ^ 0 Ö u,, b $artt?inianer ^rofeffor Dr. Grrnft #ötfel in 3ena über bie 
neue Auflage öoti ^reljmS Xlp cr l c & ci1 (33tbliograpl)ifd)c§ 3«ftttut in ßeipjig): „5)ie neue 
Auflage bon „39rel)m§ ftc 41 in ber joologifdjen Literatur bi* jebt einzig 

ba, fomobl in 53cjug auf ben $e£t alö auf bie jal)lretd)en glluftrfttionen in ^oljfcßnitt. fiefctere 
ftnb sunt größten Xljeile fcl)r gut, jum Xljeile unübertrefflich unb ^cicßncit fteß ebenfo febr 
burdj 9tatnrtrene unb lebcnbige s Jtnffaffung bed Xb' erc h ara ^ erö öurc ^ tünftlerifcje, gefdpnacU 
boüc unb elegante Ausführung au£. ier lebenbig unb au^icbeub gcjd)rtcbenc Xcjt erfd^eint namentlich 
infofern locrtbooll, al§ er iuol)l bie oollftänbigfte, mit ^öenubung ber beften Literatur bis ^ur 
OJegeiimart bnrehgejührte Sammlung oott Beobachtungen über bie iJebcnSroeifc ber Xhicrc unb ihre 
Stellung im 9^atnrhonöbaIte gibt, ^abei ift ba« iittereffante unb lehrreiche Seelenleben ber 
Xhiere jo oortTefflid) gcfcbilbert, baß bieje Quelle rcichfter Belehrung cbenfomohl jebem ©ebilbeten 
mie oor allem bem oergleichenbeit ^fftjchologen auf ba* tuärmfte empfohlen »erben tarnt." 

Neuer Verlag vou Theobald Grieben in Berlin. 

Bibliothek für Wissenschaft und Litteratur 8. Band. 

Die Philosophie seit Kant. MÄTSÄ’ SY"* 

Kine geschichtliche und ethische Weltansicht zu gründen und auszubilden ist das 
Wesen und die Aufgabe den Philosophie seit Kant, welche der Verf. in meisterhafter 
Darstellung fasslich und klar in 4 Abschnitten darstellt: die Anfänge einer deutschen 
Philosophie durch Lessing, Herder und Jacobi; Grundlegung der Philosophie durch 
Kant; systematische Ausbildung der deutschen Philosophie durch Fichte, Schelling 
und Hegel; Einschränkung der absoluten Philosophie durch Schleiermacher, Herbart 
und Schopenhauer. So hat das Buch als Geschichte der Philosophie bis zur neuesten 
Zeit für jeden Gebildeten wie für den Fachmann Werth. 

Bad Reinerz. 

jtftmatWtt Ärlirp- Jinrorf, antttttttt-, Sßofltot- unb 3labt-Jlitßatt in ber (ürafföaft 
©Kap preuß. ©djleften. jte!faw-$rdffiwtt§ am 18. p#L 

jtngejeigf gegen ^atarrße atter ©djleimljäute, jUf täap ffetben, #?attif4f Inüercmtafe, 
ßungen^ßmpbpfem, ©roneßeftafie, ^ranff)eiten beS ^3lute8: SBlutmangel, ©leid^fucßt u. f. tu., fotuie 
ben ijpfterifcßen unb ^ranetiftraitftfieifett 9 tuelc^e baraud entfielen, ^olgejuftänbe na^ ferneren 
unb fieberbaften ^ranf^eiten unb pod^etiüeHeu, neruöfe unb allgemeine ©cßtnädp, Neuralgien, 
©crop^ulofe, Nl)eumati3mu3, e^fubatibe QJid&t, conftitutioneüe ©pp^ili^. 

©mpfoßlen für Neconbaledcenten unb fd^tuäc^licbe ^erfonen, fotuie ald angenehmer burcb 
feine rei ^enben ^erg lanbfc haften betannter ©ommeraufenthalt. _ 

Verlag von F. C. W. Vogel in Leipzig. ; Verlag von F. £• C. Leuckart in Leipzig. 


Soeben erschien: 

Ueber die 

Altte8tamentlichen 

Vorstellungen 

vom 

Zustande nach dem Tode. 

Eine academische liede 
von 

Bernhard Stade, 

der heiligen Schrift Doctor. 

====== 80 ~ •" 


Raub der Sabinerinnen. 

Text von Arthur Fitger 

für 

Chor, Solostimmen und Orchester 

oomponirt von 

(ieorg Vierliug. 

Op. 50. 

Vollst. Partitur. Eleg. geb. . netto 75 JC 

Orchesterstimmen. netto 100 +4C 

Vollst. Clavierau8zug. Gart. . netto 10 *4C 

Chorstimmen (ä 2 JC) . . . netto 8 JC 

Textbuch. netto 75 


girqu eine Beilage brr ^crlag^budjböitbluiifl bon Otto ©panier in ttrippg. 


TlfrCiu S.W ., liuibcnjtva&e HO. 


&iir bie dtebaetton herauttvortlid); &eorfl dürfte in Herrin. 
2>rud bon 9* #• fin 


(fxpcbitlon, Slerfl» N W , Uouifenfttflfte 82. 


C - ized by 


Google 














M15 


XLjBand. 


Sk*«*, ^tt 14. 1877. 



0 c 0 emmut 


äöocgenfcgrift für 


Jtkti luniak tcfgtiil tiat |iMtt 

Sn bügiefc« bur$ af£< ©ud&banblwiaen unb ^oflanflalten. 


ßiteratur, Ämtft uitb 

Herausgeber: ^2fauf ^£ittb<Ut in ©erlin. 


®erleget: fktvg CtiWe in Berlin. 


öffentliches ßehen. 



4 9m 50 ff. 


3uferate lebet fcrt fco Sgefomrtene $etit&eile 40 %\. 


€>ocialtftifd)e Srrtfjfimer, fociate Sßatyrljeiten. ®ort Äbolp^ ©amter. T. IT. — Ktn ©efud) bei ben Kannibalen Söefts&frital. $oit 
Dlfar ßenj. (©djluM — gltartUnr «»1 ftttuft: SKofent^al. Cin ©tammbncbblatt non gran* Dingelftebt. I. — ®. g. ©traujj 
mimt: ®i<$ter. ®on QttUug ftuboe. — Uni Her äaupttteHt: SeftoorfteQung p ©uitften ber Unter jra&ungllaffen bei Vereins ./Berliner 

' ** treffe". 3)al SBintermärdjen. $on ©Ijafefpeare, bearbeitet non 3rran$ $>ingelfiebt. Söeforodjen non $aul Sin bau. — 9totijen. — 

Snferate. 


■Sarieltgiltge Jtrtljnratr, factaie Wahrheiten. 

Son 2IbolpI) Samter. 

I. 

Sur Drientirung. 

Obgleich alles Seben, ba« Seben ber SRenfcggeit tote be« 
(Einzelnen, ein unauSgefegte« ©ergegen unb (Entgegen in 
fieg birgt — Äße« gat ben Keim be« neuen Seben« unb be« 
lobe« in ficg — fo treten bie UtnroanblungSproceffe erg in 
begimmten (Epoegen erlenutlicg jum ©orfcgein; ge jäglen iw- 
Seben be« (Rnjelnen nadj 3agrsegnten, im Seben ber Söller 
unb ber SRenfcggeit nacg 3agrgunberten unb Sagrtaufenben. 
Äße« ifl ju jeber ßnt in Umbitbung begriffen; biefe felbft 
macgt fieg aber erft nacg lürjeten ober längeren Seitläufen 
geltenb, uub Junta! im Seben ber Söller, in ben gefeßfcgagtidjen 
Sugänben berfelben, wägrt e« oft lange, bi« bie ftattgegabte 
Umbitbung in ficgtlicge (Erjegeinung tritt 

@o lange Äße« unoeränbert fegeint, haben gemeinhin bie 
Änhänger be« ©egegenben ba« Uebergewiegt, welche jähe an 
bemfelben haften, Äße« für bortrefftich erltären, unb bie Säelt, 
bie fie um geg fehen, für bie befte bet Säelten halten. ©obalb 
jebocg bie feit lange in (Entwidetung begriffenen Umbilbungen 
fidhttich getborjutreten beginnen, fcgeinbar eine Umwälzung 
be« ©eftegenben in Äu«fiiht fleht, wägrenb bie bahin jietenbe 
Bewegung, wenn audj im ©tißen arbeitenb, fchon feit lange 
borbereitet war, fo treten bie fogenannten rebotutionüren, bor« 
wärt« brängenben (Elemente in ben ©orbergrunb, fie erHären 
bie berjeit beftehenben ©efeflfegaftSpftänbe (unb mit einem ge* 
wiffen Siechte) bem Untergange geweiht unb tuüpfen an bie in 
ÄuSgcgt ftegenben Umbilbungen bie weiteft gehenben Hoffnungen 
unb Sorberungen. Schon au« biefem Verhalten ber geg fchroff 
gegenüberftehenben Parteien lägt ftch eine begerjigenäwertge 
Sehre liegen. ©eibe berfaßen in einen fegeinbar entgegengefegten, 
tgatfäcglieg in benfetben Regler, bag ge in ber ©efeflfegaft über 
ba« ©egegenbe ba« Säerbenbe, über ba« SBerbenbe ba« ®e* 
gegenbe auger Äcgt fegen. Äße« in ber Säelt ift gort* 
entwidetung. Unfere ©ebaulen mögen Sprünge machen; ieboch 
Weber in ber Statur, noch in ben gefeßfcgaftltcgen Sugänben üofl* 
jiegt geh etwa« fprungweife. SDa« ©egegenbe gebärt Säerbenbe«, 
ba« SBerbenbe lann nur au« bem ©eftegenben geroorgegen. Scgon 
Xemotrit fagt: „Äu8 Stiegt« wirb Stiegt«; niegt« wa« ig, lann 
nemiegtet werben. Äße ©eränberung ig nur ©erbinbung unb 
Xrenunng non Xgeiten" (Sange, ©efegiegte be« SJtaterialiSmuS). 
Säer ben 3ufammengang be« ©egegenben unb Säerbenben ber* 


tennt, ober auch nur auger Äcgt lägt, geßt geg non norngerein 
auf einen unhaltbaren ©oben; er tgut gut, non aßen focial- 
politifdjen (Erörterungen geg fern jn galten. 

darüber, bag bie gegenwärtige ©efeßfegaft oor einem beutlicg 
gernortretenben Säenbepunlt igrer (Entwidetung ftegt, bag Wir, 
Wie Scgmoller ((Sefcgicgte ber beutfegen Kleingewerbe) geg au«= 
brüdt, „mitten in einem (SägrungSprocege gegen", bag bie ©e= 
feßfegaft mit einer gewigen Hegigieit nadg neuen ©eftattungen 
ringt, geg eine neue ©efeßfegaftSorbnung oorbereitet, herrfegt leine 
Steinungsoerfcgiebenheit; non ben fanatifcgen Ängängern be« ©e= 
ftegenben, bie niegt« fegen lönnen, ober niegt« fegen woßen, lann 
fiigltcgerweife Äbganb genommen werben. Säer gewognt ig, ba« 
Säeltgetriebe niegt nur auf ber Obergäcge gu betraegten, unb 
bemügt ig, in bie innerlich wirlenben Urfaegen beSfetben ein* 
jubringen, wirb jugeftegen, bag gegenwärtig eine Seitepoege ber 
SJtenfeggeit im ©egriff ftegt geg abjufpielen, unb einer neuen 
©lag gu maegen, bag anbere Änfcgauungen an Steße ber bi«ger 
gettenben bereit« getreten gnb, unb treten mügen, bag mit ben 
alten Xoctrinen niegt megr auSjulommen ig. ©8 ganbelt fug 
barum, bie fürmagr feit lange fegon borbereitete unb bereit« 
beutlicg gerbortretenbe ©ewegung ju erlennen, unb über igre 
notgwenbige Sortentwidelung geg Har ju werben, bie 9teu= 
bilbungen, bie ge erforbert, in’8 Äuge ju fagen, aber jugleieg 
audg ben 3ufammengang mit bem ©egegenben niegt auger 
Äcgt $u tagen; gleicg fern geg bon Utopien ju galten, bie in 
ber ©egenwart leinen ©oben gaben, at« garr an ungaltbar 
geworbenen 3uftänben geg ju Kammern. 2)er 3»fammengang 
be« ©egegenben mit bem SBerbenben lann niegt buregfegnitten, 
ba« SBerbenbe barf aber niegt au« Siebe ju bem ©egegenben 
gegemmt werben. 

„ttnfer 9(agrgunbert'', fagt ©labftone, „ig bie Äera ber 
ÄrbeiterHage", unb fürwagr, je megr bie ©ultur borgefegritten 
ig, je megr bie SBitfenfcgaft auf aßen ©ebieten bie göcgfte Äu«= 
bitbung erfahren nnb Kenntnig, ©ilbung unb ©egttung berbreitet, 
je megr bie teegnifegen gertigleiten au«gebitbet gnb, unb eine 
©robuctionStgätigteit entwidett ig, bie aße« bisger für mögti^i 
©egattene weit überragt, lut}, je megr bie inteßectueßen unb 
materießen Sortfegritte un« mit gerechtem Stolje erfüßen — 
einen um fo grögeren (Eontraft ju biefer ©ultur bilben bie 3« ; 
ftänbe ber arbeitenben Klagen. 3gnen gegenüber erbtest 
bie ffiultur, unb bie unjutäffige unb unhaltbare Sage ber weitaus 
grogen SRegrjagl be« ©olle« tritt in ben ©orbergrunb. ®ag 
bie Sage be« unteren ©olle« in früheren 3agrgunberten noeg 
etenber at« in ber ©egenwart war, maegt bie jegige Sage ber 
arbeitenben Klage niegt weniger unerträglich. „(ES ift einfach 
täcgerlicg, ben Ärbeiter bamit ju trögen, bag feine ©orfagren 


y 


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230 


9it «egennrurt. 


Nr. 15. 


in Erhöhten gemoljnt unb bon Eicheln gelebt haben. Seber 
SO^enfcO oergteicfjt fid) unb feine Sage mit beit Durchfdjnittds 
bebingungen feinet Seit" (©chmoller, Einige ©runbfragen). 3« 
meljr mit auf unfere Enttur ftolj finb, unb ftolj fein föttnen, 
um fo meniger barf unfet ©lief fid) nur auf bie. £>öt)e bet @e= 
feßfchaft rieten, unb fid) oetfchließen, mie ed tief unten aud= 
fieljt. SSBeit unfere Euttur eine fo ho<h audgebitbete ift, bet« 
trägt fie nicht ben Eontraft mit ben thatfädjlithen Buftänben 
bet meitaud großen SRehrljeit bed ©otfcd, fie fetbft fdjiebt 
bie fociale grage in ben Sorbergrunb, unb modjt 
fie jut btennenben bed ga^unbettö. 8ur Ehre unfered Seit’ 
atterd lann ed gefagt metben, bad ©eftreben, bet unjuläfftgen 
Sage bet Arbeiterbeoötferung Abhütfe ju bereiten, ift allgemein, 
©iemald mattete in bet ©efchidjtc bet SRenfchheit audj 
nur annäfjernb eine fotche Arbeiterfrennblichfeit unb 
ein fotdjed Snteteffe fät bie unteren ©djidjten bet 
©eoölferung als in bet (Segenmart. Ed tonnte Ijieroon 
auch leine Siebe fein, fo lange bie Arbeit an fich betastet mar, 
SRenfchenWerth unb 9Renfd)enmürbe, mie mir fte heute oerftehn, 
unbefannte ©egriffe maren. Erft mit Ertenntniß betfelben mürbe 
bad Unjutäffige bet befteljenben Arbeiteröerljättniffe erfannt, 
bann aber au<| an ihrer ©efferung bon alten ©eiten gear= 
beitet. Dad ©etbftintereffe ber bei ben 9trbeiterbert)ättniffen 
unmittelbar beteiligten Unternehmer mag hier unb ba bad ©es 
fttebeu, bie Arbeiter beffet ju fleßen, abf^mächen, aber ed tann 
auch ben Arbeitgebern bad Seugniß audgefteQt merben, baß im 
großen ©anjen, fomeit ed ihnen möglich ift, fie für bad SBoljl 
bed Arbeiters ju mitten ftetd bereit finb. Ebenfo herrfcht in 
ben SRegierungdfreifen bad ernfte ©eftreben bor, für bie Sage 
ber arbeitenben Staffen ©orforge ju treffen, unb ber ©ottdgeift 
mirft fidj, bietleicht mit etmad ju großer |>aft, auf „bie Söfung 
ber focialen grage". Abgefetjen bon ben junädjft ©etheiligten, 
ben Arbeitern unb Unternehmern, unb abgefehen bon ber SRes 
gierung unb ben Parlamenten, mirb bie fociate grage in allen 
©ereinen unb Serfammtungen, in ber ©reffe, ber Siteratur, im 
Diäter, in ben ©omanen in allen Donarten behanbett, unb mirb 
bon bet SBiffenfdmft boHauf gemürbigt. ÜRur ©öämifligfeit tann 
ed - in Abrebe fteflen, baß ber Sage ber arbeitenben Staffen bon 
aßen ©eiten bad regfte 3«tereffe entgegen getragen mirb. 

greilidj fo übereinftimmenb Aße barin finb, baß bie Ar* 
beiterfrage bie aflergrößte ©eachtung berbient, in ©ejug auf bie 
SRittel, metche in Anmenbung ju bringen finb, um ben arbeis 
tenben Staffen bie ihnen gebüljrenbe ©teßung ju betroffen, 
gehn bie Anfichten himmetmeit audeinanber. SRan tann in biefer 
©ejieljung brei große ©ruppen unterfcheiben, bie ftch ihrerfeitd 
mieber mannigfach fpalten. Die ©inen glauben, baff bei aßet 
Anertennung ber SBidjtigfeit ber focialen grage biefelbe untöds 
bar fei. @ie betrachten bie focialen SRißftänbe, bie fie bereits 
mißig jugeben, atd fociate SRothmenbigfeit, etma mie im 
Atterthum bie ©flaberei aufgefaßt mürbe, metche fetbft bie 
meiteftfeljenben ©eifter, mie Ariftoteled, ald etmad @etbftoerftänb= 
lidjed, IRaturgemäßeä beljanbeiten. 9Bir finben bie peffimiftifche 
Anficht, baß in ©ejug auf bie fociate grage nichts 5Ra<h= 
haltiged gefdjeljen tann, in faft aßen Steifen oertreten. 
Die jmeite ©ruppe geht mit ihrer Anfidjt, bie im ©egenfafe ju 
jener als bie optimiftifche bejeidjnet merben tann, bahin, baß 
ihr gegenüber nichts ju gefchehen braucht. Ed foß Afled 
ber natürlichen Entmicfetung übertaffen bleiben, bie ohne bes 
fonbered Eingreifen oon außen, befonberd ohne Eingreifen ber 
©taatdgemalt, bie Sage bet Arbeiterbeoölterung oon fetbft beffern 
mirb. Der aßgemeine gortfdjritt tommt auch ben Arbeitern ju= 
gute, unb mehr als für biefen ju mitten, tann unb braucht 
nichts ju gefchehn. hierher gehört oorjugdmeife bie SRandjefters 
fchute, metche bad ©rincip bcd laissez faire, laissez aller auch 
ber focialen grage gegenüber aufrecht erhält. 3n naher ©er* 
binbung mit biefer ©ruppe fteljn auch bie SRänner, metche bie 
Arbeiter tebigtidj auf ©etbfthülfe oermeifen(@ch ul jesDelifcf ch) 
unb bie güljrer ber ©emertbereine (2Ra j irfd), granj 
Duncfer u. f. m. @ie finb jmar nicf)t btinbe Anhänger bed 
Üüssez faire, laissez aller ©rincipd, moßen aber oon ber Eins 


mirtung bed ©taated nichts ober io menig atd möglich toifjen, 
unb taffen biefe nur im fRotljfaße gelten. Die britte ©ruppe 
bagegen erforbert fetbftrebenb bie üRitroirlung ber Arbeiter jur 
Hebung ihrer Sage auch, unb jmar in erfter Sinie; fjftlt aber 
meber bad ©rincip bed ©eljntaffen noch bie ©etbfthülfe ber 
Arbeiter für audreidjenb, unb oerlangt bie thätige unb eins 
greifenbe ßRitmirfung bed Staates. Diefe ©ruppe jets 
fäßt mieberum ihrerfeitd in jrnei große oon einanber mefent* 
lieh oerfdjiebene Abtheilungen, b. L Diejenigen, metche mehr 
ober minber mit ber gegenmärtigen @efeltfdj>aftds 
orbnung audtommen ju tönnen oergteinen, unb Diejenigen, 
metdhe fie fchtechtmeg oermerfen, unb eine burdjaud neue 
©eftaltung ber ©efeßfdjaftdorbnung erforbern. Die erfte Abs 
theitung umfaßt u. A. bie ©ocialpotititer (Satheberfocialiften) 
iRaffe, ©chmoßer, $elb, ©rentano, SSagner, ©cheel, Enget u. f. m., 
freitidh mit großen ©chattirungen. ©rentano j. ©. (Dad Ars 
beitdoerhältnifi gemäfe bem heutigen ©echt) fehltest fich ben Ans 
hängent ber ©etbfthülfe burch ©emertoereine enge an, unb miß 
an ber ©efeßfehaftdorbnung fpecieß an ber Eigenthumdorbnung 
nichts geänbert miffen; anbere bagegen mie SBagner (Aßgemeine 
©otldmirthfchaftdlehre), ©dheet (Erbf^aftdfteuern unb Erbrechtes 
reform), id) felbft (©efeßfchafttiched unb prioated Eigenthunt) 
forbent nicht nur bie ©taatdthätigteit in mefenttith h ö h erem ©rabe 
heraus, fonbern holten, ohne bie alte ©efeßfehaftdorbnung aufs 
heben ju moßen, auch «ine tljeitmeife Anbahnung einer neuen 
©efeßfehaftdorbnung für unerläßlich; im abgefdjmädjten ©rabe 
auch ©chmotler (Einige ©runbfragen). Die jmeite Abtheilung 
umfaßt bie ©ociatbemofraten, metche bie gefammte ©ros 
buctiondmeife ber ©egenmart oermerfen, unb burdjtoeg eine neue 
©efeßfehaftdorbnung erftreben. Sogleich unterfcheiben fich bie 
©ociatbemofraten feljr merflich Oon ben ©ociatpotitifem baburch, 
auch Oon benen, bie in ihrer Auffaffung ber gegenmärtig beftehens 
ben unb ber ju erftrebenben ©efeßfehaftdorbnung gteichfam auf ber 
äußerften Sinlen fteljn, baß fie burdjaud anbere SBege manbetn, 
burchauä anbere SRittet in Anmenbung bringen moßen. — @o 
hebt fidj bie fociatberaofratifdje ©artei feljr merflich bon ben 
anberen focialen ©arteien ab, bie hier felbftoerftänbtich feineds 
megd erfchöpfenb, ed fei hier nur noch befonberd Sange, ©chäffle, 
Düljring ermähnt, unb nur in ben aßgemeinften Umriffen 
ffijjirt merben fonnten, gerabe hinreichenb, um bie fdjärffien 
heroortretenben Unterfcßiebe heroorjuheben, unb bie bemerfends 
mertheften ©tanbpunfte ju bejeidhnen, metchen man ber focialen 
grage gegenüber begegnet. 

Ed foß ber ©erfudj gemacht merben, bie focialiftifdjen 3«’ 
tljümer nachjumeifen, unb bie berechtigten gorberungen bed 
©ocialidmud ju begrünben. 

n. 

Sociale ©leichh^it. 

' Atd@runbirrthum bet focialbemofratifchen©artei, metcher 
fie in fatfehe ©ahnen treibt unb fte ein trfigerifdjed Biel Oers 
folgen läßt, muß bejeichnet merben, baß fie bie fociale ©teidjs 
heit erreichbar hält, unb biefe atd dielpuntt iljred Strebend 
nehmen ju müffen oermeint. 3m Programm ber focialiftifchen 
Arbeiterpartei, feftgefteflt am 23.—26. SRai 1875 in ©otha, 
heißt ed mörttidj: „Die focialiftifche Arbeiterpartei Deutfdjtanbd 
erftrebt bie ©efeitigung aller focialen unb potitifchen Uns 
gteidjljeit." ©ie fnüpft hiermit unmittelbar an bie dedaratioii 
des droits Oon 1793 an, beren britter Artifet tautet: Toas les 
hommes sont dgaux par la nature et par la loi, metchen ©runbs 
fah fchon ©ottaire audgefprodhen, toas les hommes sont n&s 
6ganx. Diefer ©afe ift in feiner Aßgemeinheit faum mehr atd 
eine inljattdtofe, menn auch wegen ber gotgerungen, bie man and 
ihm gejogen h«l» gefährliche ©hrafe. S. Stein (Sociale ®e= 
{Richte ber franjöfifdjen ©eootution) hat ben ©adjtoeid geliefert, 
baß bie in ben SRenfchenrechten ftipulirte ©leichheit „ein ©djietn, 
leine SBirßichfeit" mar, unb atd ihre ©ertljeibiger biefed ets 
fannten, „ba ergrimmten fte. granlreichd ©efeßf^aft mürbe .in 
©tut gebüßt; anftatt bie niebere ßtaffe ju ber höheren jn er* 


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Nr. 15. 




231 


heben unb baburcß jene ©teicßheit ju begrflnben, woüten fie bie 
bösere Klaffe oernicßten". 

©Zerließ treten bie Snbioibuen, welche bie ©efeüfeßoft 
bilben, junäcßft als gleicßgeartete SBefen, als SRenfcßen auf, 
aber biefe ©leicßartigfeit birgt bie weiteft geßenben Unterziehe 
in fidf- Tie 3nbioibuen treten und feßr unterfdjieben gegen« 
über, ungleichartig in ißrer Körperbefcßaffenßeit, in ißrer geiftigen 
{Befähigung, in ihrem Temperament unb ihrem GE^arafter, fie 
finb, troß ihrer ©leichartigfeit als SRenfcßen, ungleich 
unb bentgemäß ungleich wertßig als gnbiöibuen. Unb 
biefe Ungleichheit unb Ungleicßwerthigteit ber oerfcßiebenen 
3nbi0ibuen wirb für baS fociale Sehen Don ebenfo funbas 
mentaler ©ebeutung wie ihre ©leichartigfeit als 
SRenfcßen. Tie ju Tage tretenben weitreZenben Unerf(hiebe 
jwifcßen ben einjelnen Snbiuibuen führen im ©efeflfcßaftSleben 
unabweisbar fowohl ju einer ©erfcßiebenßeit ihrer Pflichten 
Wie auch ihm Siebte. 2Rit bem ©runbfaße oon ©ah (Le 
socialisme rationel) „1’inbgalitS de 1’inteUegence on de la force 
ne constitne pas l’infegalitb de droits; eUe motive seulement 
nne inegalit« des devoirs. Celni qui peut plus doit plus“ ift 
nicht auSjufommen. @8 muß ju einer rein formalen abftracten 
©efeflfeßaftstßeorie führen, wenn man an fämmttiche unterein« 
anber oetfcßiebene Snbioibuen, weil fie SRenfcßen finb, b. ß. 8“ 
einer gleidßen Strt gehören, gleiche Slnforberungen fteüen, Snan« 
fprucßnaßme abfolut gleicher Siechte jugefteßen wollte — ohne 
StüdfZtnaßme auf ihr inbioibueüeS Können unb SBollen. 
©S mu| bie ©benbürtigteit ber 3nbioibuen als SRenfchen 
conftatirt unb feftgeßalten werben, es ift aber bon bornherein 
auSgefcßloffen, bei biefer ©leicßßeit ftehen ju bleiben, ohne fo« 
fort auf bie SBerZiebenßeit ber 3nbioibnen, bie fuß auS ber 
©leichartigfeit ber SRenfchen entwicfett, ju rüdficßtigen, bielmehr 
macht fi<ß bie Ungleichheit ber bie ©efettfcßaft bilbenben 3nbi« 
bibnen in fo hoßem ©rabe geltenb, bah fie im gefammten ©e« 
feUZaftS« unb ©taatsleben fZ mit jwingenber ©ewatt ßer= 
borbrängt. SRan tann mit ebenfo grobem Siecht fagen: ber 
Staat hat bon ber Ungleichheit ber 3ttbioibuen auSjugeßen, 
wie bon ber ©leicßhett berfelben. @r hat ihre ©leichartigfeit 
als SRenfchen feftjußatten, er muh ebenmäbig ihre inbibibueHe 
SerZiebenheit berüdficßtigen. 3eber einfeitige HuSgangSpuntt 
erweift fi<ß als falfch unb führt, bon falZen ©orauSfeßungett 
auSgehenb, ju falfcßen ©onfequenjen, Weiche fich in ber ©efcßicßte 
ber SRenfcßßeit nur 8u oft fühlbar gemacht haben. Tiefes ift 
auch ber Satt, Wenn man einfeitig bon bem ©aße auSgeht, „aüe 
SRenfchen finb gleichberechtigt, finb frei". SBeber finb bie SRen« 
Zen unbebingt frei, fie finb bereits burch bie Siatur in ben 
Kreis tßreS Organismus gebannt, mithin im haben ©rabe ab« 
hängig oon ihrer inbioibueüen ©efcßaffenßeit; noch finb fie 
unbebingt gleichberechtigt, ihre perfönticße ©erfcßiebenßett fcßließt 
bie unbebingte ©teidhberechtigung auS. Tie SRenfchen finb frei, 
foweit ihre Statur ihnen freien Spielraum gewährt; fte finb 
gleichberechtigt, foweit ihre ©benbürtigteit als SRenfchen pt 
Sprache fommt unb eine gleichmäßige ©eßanblung erforbert. 
Tie SRenfchen werben alfo niemals als Sachen beßanbelt werben 
bürfen; bie ©leicßßeit ber SRenfchen befteht in bem gleichen 
©oben beS SRenfdjfeinS (oergleiche $artmann Freiheit unb 
©leichhett, „©egenwart" 1876, Sir. 45). Stuf biefem ©oben 
erheben fZ bie Unterfcßiebe, weZe bie oerfcßiebenen menfcß« 
ließen ©igenfehaften 8 U Tage förbern unb bas oerZiebene per« 
föntidje Auftreten ber ©injetnen p SBege bringt, Unterfcßiebe, 
welche bie SRöglicßteit einer fociaten ©teicßheit auSfdjließen. Tie 
©efeitigung aller focialen Ungleichheiten ift ein Siebet« 
bitb; bie menZliche Siatur macht fie oon oornherein unmöglich, 
©ie wäre aber auch jugteidj baS ffinbe beS SRenZengeZlechtS. 
Slur ber Kirchhof jeigt ©teichheit. SBo Seben ift, ift Kampf; 
unb wo Kampf ift, ergeben fich mit Slotßwenbigteit Ungleich« 
ßeiten. ©ie finb eS, welche bie SRenZheit auf ber ©ahn beö 
gortfdjrittS Oorwärts treiben. Snbent bie im Kampfe Unter« 
liegenden Wieber oorwärts brängen, ben ©iegern naeßftreben, 
fchreitet bie SRenZheit oor. ©in Seber ift ber SRenZheit in 
ißrer ©ntwidelung bienftbar, unb muß eS fern, welche Stellung 


er einnimmt 3n biefem ©inne hat ber ©aß qui peut plus 
doit plus einen gefunben ©inn; aber bie ©onfequen8, baß j ebe 
fociale Ungleichheit aufhören müffe, ift ebenfo unhaltbar wie 
unausführbar. 

hiermit ift felbftoerftänblich nicht auSgebrüdt, unb biefeS 
wäre ber entgegengefeßte geßler, baß jebe fociale Ungleich« 
heit jutäffig fei, unb man fZ »he WiberftanbStoS p unter« 
werfen habe. Tie beftehenben fociaten Ungleichheiten finb auf 
brei ©runburfaeßen jurüdjufüßren. „Tie erfte ©ruppe umfaßt 
bie natürlichen ©inftüffe. Tie Siatur gibt mit ungleichen 
$änben, fowohl ©öllern wie Snbioibuen, unb ßierbureß werben 
fZ ftets bie SebenSbejießungen unb SebenSOerhältniffe ber 
©injelnen oerZieben geftatten. Tiefe Ungleichheiten, bie 
aus ihr entfpringenben©efellfcßaftSunterfchiebe, müffen 
als Staturnotfjwenbigfeit hingenommen werben, ©ie 
Werben fZ immer nur milbern, niemals ßinWegfcßaffen taffen. 
Tie j weite ©ruppe ber ©inflüffe entfpringt auS ber inbioi« 
buetten {Richtung, welche bie ©injelnen einfeßtagen, bie, weit 
bie Sfnbiüibuen fo mannigfach oerZiebenartig geftaltet finb, 
nießt minber wie bie natürlichen ©erßättniffe Oerfcßiebenartige 
{Refultate unb baßer oerfeßiebene SebenSgeftaltungen erjeugt. gür 
biefe ift junäcßft baS gnbioibuum felbft oerantwortlicß p 
maeßen. Sliemanb wirb bie SRannigfattigleit, bie aus bem 
inbioibueüen Seben unb ©treben in ber ©efeüfchaft entfpringt, 
troß ber mit ißr oerbunbenen Ungleichheit, entfernt rniffen woüen. 
— Tie britte ©ruppe ber ©inflüffe finb bie gefellfcßaftlicßen, 
bie, fo lange bie SRenfcßßeit befiehl, fieß aüfeitig geltenb gemacht 
ßaben unb geltenb machen, halb baS 3nbioibuum mit ©ewatt 
jmingenb, halb ißm einen gewiffen ©pietraum gewäßrenb, halb 
bie ©injelnen unterbrüdenb, halb fie unterftüßenb, tßeits bie 
gefeüZafttZen Unterfcßiebe ^eröorrufenb, tßeits fie aufreeßt 
erßattenb, tßeilS bemüht fie auSjugteicßen" (©amter, ©ocial« 
leßre). $?ier ßat ber Kampf gegen bie focialen Un« 
gleich ßeiten einjufefcen. SBäßrenb bie natürlichen Ungleich« 
ßeiten ertragen, bie inbioibueüen aboptirt werben müffen, ift 
bie ©efeitigung ber burch bie ©efeüfchaft entfteßenben Ungleich« 
ßeiten anjuftreben, unb in biefer ©ejießung erwaeßfen aueß bem 
©taate als Vertreter ber ©ejeüZaft ganj pofitioe Slufgabeu. 
Stuf ©runblage beS oon ber Siatur gefeßaffenen SobenS, unter 
SBaßrung beS fieß entwidetnben inbioibuelten SebenS, 
ßat er bie im Swßnmiwnle&en ber SRenfcßen ju Tage tretenben 
Schroffheiten unb Unjuträgticßteiten naeß iDlöglicßleit auSju« 
gleichen. Ta ber SRenfcß ß<ß in ttbßängigfeit oon ber Siatur 
befinbet, unb biefe mit ungleichen ^änben oertßeitt, ba bie 
SRenfcßen in ißrem eigenartigen ©efen mit einanber ringen 
unb tätupfen, unb ißr Bufammenleben nichts weniger als ein 
3bßÜ ift, barf ber Staat nießt müßiger dufeßauer bem ©e« 
feüfcßaftsleben gegenüber fein unb pcß barauf befcßränfeit, $olijei 
ju üben; er muß feinerfeits baßin Wirten, ben gefettfcßaftlidß 
ungünftig ©efteüten auf eine ßößere ©tufe ju ßeben, er muß 
feinerfeits bem Uebermäcßtigen ein ©egengewießt entgegenfeßen. 
Slicßt barum ßanbett eS fieß, alle focialen Ungleichheiten 
aufjußeben, fonbern eS ßanbett fteß barum, bie im un« 
oetmeiblicßen fociaten Kampfe tßätigen Kräfte, fo weit 
es angängig ift, unb auch biefeS wirb immer nur feßr bebingt 
ber gaü fein, in Sudjt unb Saum ju halten, ben Ueber« 
mächtigen entgegenjutreten, ben ungünftig ©efteüten einen Stüd= 
ßatt ju gewähren; eS ßqnbett fi^ barum, bie im ©efelt« 
fcßaftSleben Wirtfamen Kräfte, mögen fie immerhin un« 
gleichartig fein, ber ©efammtßeit bienftbar ju maeßen, 
bie unberechtigten ©onberintereffen nieberjußalten, baS ©efammt« 
intereffe ju feßüßen unb ju wahren; eS ßanbelt fieß barum, 
troß ber Unglei^ßeit ber gefellfcßaftticß wirtenbett 
Kräfte, bie SRenf^ßeit, bie 3nbioibuen wie bie ©efammtßeit, 
auf bet ©aßn beS gortfcßrittS oorwärts jn fttßren. 
Sli^t bie fociale ©tei^ßeit, fonbern ber fociale gort« 
feßritt ift baS in SuSßcßt ju neßmenbe Siel. 

(Sfortfe^ung folgt.) 


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232 


JBie (Segenimtrt 


Nr. 15. 


(Ein Hefitd) bet ben (Eannibolen Weß-3lfrikas. 

(SpJfc) 

8m näc^ften SMorgen geitig brachen toir auf; ein außer: 
orbentlicß müßfamer breiftünbiger SDlarfcß führte ben mit Stein: 
geröüen bebedten 8bßang beb ©ergeS ßinab gum Dfueßuß, ber bie 
©renge bet ßlanbe= unb SanbeböKerung bitbet; ein 3Jibang»e, 
im Seßß eine« alten (SanoeS, baS aber beftänbig ßatb öoH SBaffer 
War, fungirte alb Säßrmann; ba aber in biefem gebrelßlicßen 
Saßrgeug immer nur ßöcßßenS brei bib hier fßerfonen überge= 
filtjrt »erben lonnten, fo (amt man ficß benlen, baß bie fßaffage 
beb SluffeS eine giemltcße Seit in 8nfprucß naßm. DaS gegen- 
öberliegenbe Ufer ftieg »ieber feßr fteil an, oben aber breitete 
fich eine mit ©rab beworfene $ocßebene aub, auf ber »ir langfant 
unb teucßenb unter bem ©inßuß einer fen(recßt fteßenben Sonne 
in öfttidjer Sticßtung weiter jogen. Diefe fürchterliche Schwüle 
»urbe StacßmittagS gegen 5 Ußr auf eine SBeife unterbrochen, bie 
unter anberen Umftänben, b. ß. »enn man in einer £>ütte ge: 
»efen »äre, feljr angenehm ift, fo aber bon bebentticßen «folgen 
hätte fein tömien: eineb jener heftigen Dropengewitter entlub ficfj 
nämlich plößticß, fo baß »ir mitten im «freien, noch ftunbenweit 
bom näcßften Dorf entfernt, ohne allen Schuh ben foloffalen herab: 
ftürgenben SBaffermaffen aubgefe|t »aren. 3um ©lud bauerte ber 
Stegen nur eine ßalbe Stunbe an, aber »ährenb biefer turgen Seit 
»aren att’ bie gaßltofen Keinen ©äcße unb SBafferrinnen enorm 
angefcßwotlen; oft gingen »ir gange Streden bib gum Knie im 
Gaffer unb unfer ganger oorßer fo ßübfdj georbneter 3ug bot 
butcßauS (einen erfreuliche» Snblid mehr bar. Siun, auch bab 
ging boräber, unb gegen 7 Uhr 8benbS erreichten »ir enblicß, 
böllig burcßnäßt, miibe unb hungrig, bab erfte Dfdjebaborf. $ier 
»ar natürlich HlleS in größter Aufregung, ein weiter SJtann 
»ar noch nie bafelbft getoefen, bon aßen Seiten brängte bab ®ol( 
herbei, natürlich «» meiften bie SBeibet, um biefeb SBunber an= 
gufcßauen, unb icß »urbe burch eine recht »ohl begreifliche, aber 
bodj ßöcßft unangenehme Steugier beläftigt. 3<h ßßtoß mich fc^lie^= 
lieh in bie mir pgewiefene $ütte ein unb ftettte meine Diener 
mit ©e»ehren bor biefetbe auf, um jeben ©erfueß beb ©inbringenS 
auf bab ©nergifeßfte gurüdgu»eifen; benn ich beburfte ernftlich ber 
Sluße nach biefen Strapagen, bie feßr leicht einen entfliehen S«ber= 
anfaß hätten pr «folge hoben lönnen. 

Den nächften SKorgen tonnte ich gut ©eßdjtigung beb Dorfeb 
oetmenben, »obei ich natürlich immer bon einer großen SSollb: 
maffe umbrängt »urbe. Seber ©egenftanb, ben ich trug, »ar 
ihnen bon größtem Sittereffe, bor Htlem meine ©e»ehre, bann 
bie Scßuße, bie Kleibung, Snßrumente u. f. »., unb alb ich 
einmal zufällig meinen |>ut abnahm, entftanb ein ungeßeureS 
©efchrei, ein Raufen SBeiber ftürgte bicht an mich ßetan unb be: 
fühlte unter lauten 8uSrufen ber ©ewunberung mein blonbeb £>aar, 
um fich bon ber ©djtßeit bebfelben p überzeugen; benn baß eb 
SRenfchen gibt, bie nicht bab feßmarge, (raufe $aar ber Sieger 
haben, »ar ben Beuten gang unbegreiflich- 

Die Därfer ber Dficßeba finb fämmttich fehr gleichförmig 
unb regelmäßig gebaut; fie beließen aub g»ei oft fehr langen, 
fcßmalen Steißen bon (leinen Käufern, bie ohne 3»ifchenraum 
bicht nebeneinanber gebaut finb, fo baß bie SBanb beb einen gu: 
gleich bie SBanb beb StacßbarßaufeS bilbet; in ber ÜDlitte beb 
Dorfeb fteßen gewöhnlich einige größere Jütten ober öffentliche 
$aßen, bie gu ben ©erfammlungen bienen unb in benen bie 
©alaber befproeßen »erben. Die SBänbe ber Käufer befteßen 
aub ©aumrinbe, bab Dacß aub ©lättern, bie burch per barüber 
gelegte Stäbe feftgehatten »erben; bab ©ange ift troßbem feßr 
feft unb regenbießt unb »iberfteßt jebem Dornabo, jenen äußerft 
heftigen, mit ©ewitter begleiteten Drtanen, bie, »äßrenb ber 
Siegengeit in gewiffer Siegetmäßigteit auftretenb, reinigenb unb 
erfrifeßenb bie feßwüte DreibßauSluft bureßfaufen. @b gibt hier 
»eber ÜJlatten gum Dacßbeden, »ie bei ben ßlanbe: unb fDtpungwe: 
böKern, noch auch »erben bie feßönen langen ©lattftiele ber ©ambu: 
(2Bein:)fßalme (hier häußg fätfcßlicß olb ©ambn bezeichnet) in 8n: 
»enbung gebracht. Da bie einzelnen «familien unb Dörfer in faft 


ununterbrochener Seßbe liegen, fo fueßt man ben 3ugang gu ben 
Dörfern möglichft gu erfch»eren, um bor einem plöfclicßen Ueber: 
faß gefiebert gu fein. 8m ©in: unb 8ubgang beb Dorfeb »erben 
gewößntidß große ©äume über ben 2Beg gelegt, fowie aßerßanb 
©ufeßwert unb Scßlinggewäcßfe, fteßenweife faß icß fogar eine 
ßoße ftarte SBanb errietet, bie nur eine (leine unb fcßmale Dßür 
gum 8ubgang hatte; bie gum Dorf füßrenben SSege finb feßr 
feßmat unb an beiben Seiten befinben ficfi tiefe «faßgruben, beren 
feßwaeße ©ebedung ber Uneingeweihte unmöglich ertennen (ann 
unb man baßer immer mit ortblunbigen «füßrern ein Dfcßebaborf 
betreten muß. 8ußerbem ßat man ben Salb um ba$ Dorf ßerum 
mit zahlreichen, ßöcßfteng gwei 3*>ß ouö bem ©oben ßeroorragenbeu, 
oben gugefßißten Jpolgpflöden gefpieft, bie ben nadten Süßen ber 
Sieger äußerft gefäßrlicße SBunben beibringen. 

Die Cfcßeba unterfeßeiben fich ißrem 8eußeren feßr auf: 
faßenb bon aßen anberen umwoßnenben ©ölterfcßaften. Sie finb 
berßältnißmäßig gut gebaut, fcßlant unb (räftig gewaeßfen, ißre 
Hautfarbe ift burchfcßnittlicß biet (ießter, manchmal ftar( in'ö 
©elblicße fpielenb, »äßrenb bie übrigen Slegerftämme bureßgängig 
eine bun(ei:Cßocoiatbraune $aut beßßen; ißt $aar= unb ©art: 
»ueßd ift auffaßenb ftart, befonberö fießt man ßäufig feßr große 
Kinnbärte, bie fie oft bureß ©inflecßten anberer $aare gu langen, 
tief auf bie ©ruft ßerabßängenben Spifcen berlängern. Seßr 
cßara(teriftifch für bie «fon ift ferner ber eigentümliche ftarre 
unb ftierenbe ©lid, beffen SEBitbßeit noch bureß ba8 8u3reißen 
ber 8ugenbrauen erßößt wirb; bagu (ommt ißre eigene, bon ber: 
jenigen aßer umwoßnenben Stämme bößig berfeßiebene Sprache, 
baS rauße unb (urge $erborftoßen ber meiß einfitbigen SB Örter, 
fo baß, »enn man felbft nur (urge 3«it mit biefen Beuten ber: 
(eßrt ßat, man biefelben fofort unter ßunbert anberen »ieber 
ßerauö ertennt. 

Die Setteibung ber San ift ungemein einfach. Die SRänner 
tragen nur ein (urgeS Stüd S««9 um bie ßenben, WelcßeS bon 
ißnen felbft unb g»ar auS ©aumrinbe berfertigt wirb. Die weiße 
Siinbe eines beftimmten ©aumeS Wirb abgefdjält, einige Dage in 
SBaffer gelegt unb barauf platt unb »eieß gefcßlagen; bie Sofern 
ber Siinbe erweitern fich babureß, oßne fieß bößig bon einanber 
gu löfen, unb man erßätt auf biefe SBeife eine 8rt 3«ug, Welches 
man mit einer aus Stotßßotg gewonnenen Sorbe etwas rötßet unb 
bann trägt. Steßen»eife aber fießt man aueß feßon baS feßöne 
SRattengeug, »etcßeS bie 0(anbe= unb 8ßmbateute auS ©aß ber: 
fertigen unb an bie San berlaufen, ja einige ältere Beute, bie 
ößerS mit ben genannten Stämmen berleßren, hatten bereits 
bon biefen etwas ©aumwoßenftoß eingetaufeßt. Die Kteibung 
ber Srauen iß noeß einfacher unb ßöcßft fonberbar. Die hintere 
fßartie beS Körpers »irb bureß ein Keines ßeifgegerbteS 8ffenfeß 
bebedt, ein Heines fcßmaleS Stüd beS erwähnten SlinbengeugeS 
»irb born umgeßängt, fo baß bie Reißen unb Scßenlel unbebedt 
ßnb. SBie bie SReßrgaßl ber »ilben ©öKerfcßaßen berwenben 
aueß bie Son, befonberS bie Stauen, einige Sorgfalt auf bie 
©ßege beS fjauptßaareS. Seßr ßäußg ßnbet man rings um ben 
Kopf ßerum Heine 3®pfe gebreßt, bon benen jeber einzelne mit 
SOieffmgbraßt umwidelt ober mit ©laSperten beßängt ift; ©laS: 
perlen, bann aber auch Kaurifcßneden »erben bielfacß in fpm= 
metrifeßen Steißen am Kopfe befeftigt, ebenfo »ie man aus beiben 
8rti(etn Scßnüre bilbet, bie um ben Seib getragen »erben, ©ine 
eigentümliche $aartracßt mancher Sonfrauen befteßt aueß noeß 
barin, baß man bas $aat in gaßllofe lange, bünne 3öpfe breßt 
unb biefelben »irr um ben Kopf ßerumßängen läßt, »aS ißnen 
ein feßr »ilbeS unb berwegeneS 8nfeßen berteißt. ©ine äßnticße 
Srifur, nur fdßöner unb regelmäßiger als ßier bei ben Son, be* 
obaeßtete icß übrigens aueß bei ben Stauen bom Senegal, bie 
man an bielen fßuntten bet Küße antrifß. Dättowirungen auf 
©ruft, 8rmen unb Slüden ßnb feßr allgemein, oft bon tounber= 
barer Scßönßeit ber 3eitm> n 0> bie giertießften unb regetmäßigßen 
Siguren, Sterne, Kränge u. f. ». ßnb auf ber $aut in Steißen 
ober treisförmig eingefeßnitten, bei Stauen fo»oßl »ie bei SJt&imern. 
Das Spißfeilen ber ©orbergäßne ift gteitfaÜS allgemeiner ©es 
brauch un b gilt als 3»erbe. 

Kupfer: unb SRefßngfcßmud ift, »ie überall, aueß bei ben 


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Nr. 15. 


lif $rgenmart. 


283 


San rett beliebt; bie Stauen tragen mit ©ortiebe große, biete 
unb fernere ©teffingringe um bie Knötel; biefe ©inge werben 
oon ben Ofcfjeba felbft oerfertigt unb jwar aus ben im GIfen= 
beinhanbet eine Hauptrolle fpielenben ÜReptunS (©leffingbtet in 
Sorm oon runben ©fannen); Ärme unb Singer werben gleichfalls 
gern mit ©leffingringen gefdjmüeft, befonberS am Saumen trägt 
man oielfat einen unförmlich bieten 9ttng. SaS junge Soll pflegt 
ftch bie SRafenfteibewanb fowie bie 0h r läppt cn ju burchbohren, 
um nitt feiten fünf ober fet$ 3oH laus« ^öljerrte Stäbchen 
einjufügen ober auch Heine ©inge Oon Glasperlen unb ähnlichen 
Gingen in bie fo entftanbenen Deffnungen ju fteefen. Diefe fehr 
fonberbaren Serjierungen werben aber mtr bei befonberen Ge= 
legenheiten getragen, bei öffentlichen Xänjen unb anberen fiuft= 
barteiten. SaS ©ebürfniß, ben Körper ju fehmüefen, ift ein 
allgemeines, unb als ich ben Seuten bie oielerlei Singe geigte, 
bie ich mitgebracht, War baS Grftaunen unb ber Subei ein aH= 
gemeiner. 

Sie Hauptbefchäftigung ber San finb Krieg unb Sagb. 
Shte ^Bewaffnung befteht je|t bereits jum großen Xheil aus 
Seuerfteingewehren, bie Oon ben Sactoreien an ber Säfte burch 
Saufet) oon einem ©otfe jum anbern fich oerbreitet haben bis 
tief in baS innere hinein. Sebermann, felbft Meine Surften 
oon höchftenS jel)n Sagten, hat fein Gewehr, baS beftänbig geloben 
herumgetragen wirb. Statt ber Sugeln oerwenben fie Meine 
Stüde Oon Gifen, äJteffing, Kupfer, Meine Steine u. f. W. unb 
haben babei bie Gewohnheit, baS Gewehr recht OoH ju laben, 
um ein ^eftige<S Knallen hc^otjubringen, was ihnen großes 
©ergnügen bereitet. GS ift fonberbar ju fehen, wie alle Seit 
hier beftänbig ftar! bewaffnet nmherläuft; feiner Oerläßt feine 
Hütte, ohne baS Gewehr mitjunehmen, felbft Wenn er nur im 
Sorf fpajieren geht ober fiel) ein paar Schritt oon bemfelben 
entfernt. Große ©leffer unb Speere Werben gleichfalls allenthalben 
getragen, Ärmbruft fowie ©ogetc unb Pfeile finb bagegen etwas 
Oerbrängt burch bie Seuerwaffen. ©ur jum Gelegen Meinerer 
Ihitre bebienett fich bie Ofdjeba noch immer ber Meinen ©ogen 
unb ftarf oergifteten ©feile, Wie fie befonberS bei ben Äbongo 
*(efri ju ben fog. Swergoölfern geljörenber Stamm) im Gebrauch 
finb. SBie bei ben ÄfeHe, ben Äbongo unb anberen eigentlichen 
©uftoöllern Werben auch bei ben Dfcßeba große ©e|}e jur Sagb 
oerwenbet; biefelben Werben imSBalb halbfreiSförmig auSgefpannt 
unb baS SBilb oon einer Seite her hineingetrieben, wo eS bann 
leicht mit Speeren erlegt werben fann. Sie ©e|je finb fehr 
großmafchig unb Werben aus einem ©inbfaben geftrirft, ben man 
auf fehr gefdjicMe SSBeife aus ©flanjenfafern barjuftellen oerfteht. 
Saögruben fowie jwifchen ©äumen aufgehängte Saüfpeere, bie 
mit am ©oben laufenden Striefen in ©erbinbung ftehen, werben 
ebenfalls jur Änwenbung gebracht, befonberS jur Grlegung oon 
SBitbfehweinen. SaS Sanb ift reich an SBilb; außer Schweinen 
finben fich f e h r häufig Antilopen, Äffen, StadjelfchWeine, Siger= 
Iahen, ©üffel unb ftellenweife finb fogar Glephanten unb Seo= 
parben recE|t häufig. SBährenb bie Slänner ben größten Xiftil 
bes SageS im SBalbe jubringen, arbeiten bie Stauen in ben roh 
angelegten ©lantagen, wo ©ananen unb ©taniof cultioirt werben. 
Sabaf finbet fich wilb rett häufig unb Wirb auch aus höljernen 
ober tfiönernen ©feifen geraucht; baS Hanfrauchen (Sjamba, 
Ha fchifch) oerfchmähen bie San unb baburd) jeichnen fie fich f e h r 
oortheilhaft oor ben nmwoljnenben anberen Stämmen aus, bei 
benen biefe Unfitte allgemein oerbreitet ift. 

SBaS bie Gntwicfelung ber Snbuftrie betrifft, fo fteht biefelbe 
bei ben San infofern auf einer höhnen Stufe wie bei ben 
übrigen ©egerftämmen, als eS bei ihnen recht tüchtige Schmiebe 
gibt. Sie ©leffer, Speere, Äejte u. f. w. finb häufig oon recht 
guter Ärbeit, befonberS oft fieljt man eigentümlich geformte 
unb funftöofl oerjierte große ©leffer, auf bie man fehr ftolj 
ift. Sie San in ber ©älje ber Küfte erhalten je|t baS Gifen 
aus ben Sactoreien, bie weit im Innern wohnenben aber roiffen 
baSfelbe aus einem überall maffenljaft oorfommenben thonigen 
Gifenftein herjufteüen; aut befi|en fie einen feltfam aber ftnnreit 
geformten ©lafebalg, wie fie auch eine Ärt eifemen ÄmboS jur 
©earbeitung ber ©tefferflingen haben. SBie bei oielen anberen 


©aturoötfern fteht aut bei ben San baS Schmiebehanbwerf in 
hohem Änfeßen; gewöhnlich gibt eS in einer Samilie, b. i. ein 
Gompleg oon mehreren Sörfern, nur einen Schmieb, ber in ber 
Siegel aut gleiti«tig ber ©rieftet ober SRebicinmattn ift. Son 
anberen Grjeugniffen ber Kunft unb Snbuftrie beobachtete it 
häufig fehr häbft aus Halj, knoten ober Glfenbein geftnifcte 
Söffel, ferner fehr finnreit conftruirte unb oft ftön oerjierte, 
4—5 Suß lange Ärmbrüfte unb ein fehr eigenthümtiteS 9Ru}if= 
inftrument, beftehenb aus einem mit 4 Suß langen, nur ftwat 
gebogenen Schaft, oier auS einer bünnen Siane oerfertigten Saiten 
unb einer als ©efonanj bienenben hohl«* Galabaffe. 

Mut in ihrem GharaMer finb bie San Oerftieben oon ben 
übrigen Stämmen SBeftafrilaS. Sinb fie aut einerfeitS fehr 
graufam unb, einmal im Krieg, unbarmherjig gegen ihre ge= 
fangenen Seinbe, fo finb fie bot nitt fo feig unb hintertiftig 
wie j. ©. bie Äfelle unb bie oerftiebenen Dlanbeftämme; man 
fann ihren Serfpretungen mehr glauben als irgenb einem anberen 
©olf, ja fie haben fogar eine Slrt Ghrgefühl, gewiffe über: 
nommene ©erpflittungen Änberen gegenüber einjuljalten. Gine 
unglaublite Seighcit ift bie häßlitfte Gigenftaft ber ©tehrjatjl 
ber oon mir befutten ©egeroölfer, baoon aber muß man bie 
San freifpreten unb ein Soll, baS tapfer ift, hat aut immer 
eine Seihe anberer guter Gigenftaften. ©atbem it einmal 
mit ben San ju oerfehren angefangen hatte, jog it biefe Seute 
allen anberen oor; auf einem fpäter mit Hülfe oon San auS= 
geführten faft breiwötentliten SRarft burd) ben bichteften Ur= 
walb, wobei wir im Ganjen nur auf jwei Sötfer geftoßen finb, 
ift mir Oon ber SRenge oerftiebenen GepädeS, baS it mit mir 
nehmen mußte, aut nitt baS Geringfte Oerloren gegangen, 
währenb auf einem Meinen Sanbmarft üon brei Stunben im 
Ofanbelanb unb mit Dtanbeleuten, als it mein Säger oon 
einem ©lafc jum anberen Oerlegen Wollte, mir auf bie unoer= 
ftämtefte SBeife eine große Änjafyt Säten geflöhten würben, 
oon benen it nur mit Wnwenbung oon Gewalt fpäter einen Ih e *l 
Wieberbefommen habe. 

©eligiöfe Änftauungen finb bei ben San nur wenig ju 
finben, eS gibt bei ihnen burd)auS nitt einen fo intenfio ent= 
wirf eiten SetiftiömuS, wie bei ben ßtanbe= unb Äbumaleuten 
ober wie bei ben am Gongo Wohnenben Stämmen. GS jeigt 
fit, wie bei ben meiften Siegern, eine rein tatobämoniftifte 
SBeltanftauung; fie fteHen fit ein böfeS SSBefen, einen Seufel 
oor, ber alles Unheil, waS auf Grben paffirt, anrittet unb 
ben fte burt eigenthümlite Gefänge anrufen, ju befänftigen 
unb ju Oertreiben futen. ©ei biefen Gefängen ift Giner ber 
Gljorführer, ber auf einem Meinen, hohlen Gtfenbeinjahn ftauer« 
lit flingenbe Xöne heroorjubringen Weiß. GS gibt aut eine 
Ärt ©rieftet ober richtiger URebicinmänner, bie bei Kranfljeiten 
helfen unb fonft aut Ginfluß befißen, aber bot uitt in bem 
SRaße, wie bie Dganga bei ben Ofanbetenten. Äut Stauen 
genießen öfters als 3auberinnen einiges Änfehen unb in einem 
oon mir befutten Sorfe übte ein junges SBeib, baS gleitjeitig 
als oorjüglite Uänjerin allgemein bewunbert würbe, einen fehr 
energiften Ginfluß aus. länje unb Gefänge lieben bie San 
überhaupt fehr, unb it muß fton gefteljen, baß mir bie rhht' 
miften ©ewegungen biefer Seute oiel ftöner gefallen haben, 
als bie überaus häßliten ©orfsfprünge anberer Slegeroöllet. 

SBie it ft on bemerft habe, finb bie San oon allen ben 
jaljtreitcn umwohnenben Stämmen ungemein gefürttet wegen 
ihrer Graufamfeit, befonberS aber wegen beS not bis auf ben 
heutigen Xag beftetjenben Gebrautes, bie gefangenen unb ge: 
töbteten Seinbe aufjufreffen. GS ift burtauS nitt ©lange! an 
Slahtung, Weiter bie San ju biefer gräuliten Sitte oeraulaßt, 
fonbern nur bie SButh unb eine graufame Suft, ihre Seinbe fo 
ooQftänbig wie mögtit ju oernitten. GS würben mir eine 
IReihe ftauberhafter Details erjäljtt über bie babei oorfommen: 
ben Seftlitleiten, aber mit felbft ließ man nie ju einem folten 
Sefteffen. 3)er GannibaliSmuS ift eine Gigenthümtitfeit ber 
San, bei feinem anbern Stamm, nörblit ober füblich, finbet 
fit berfelbe wieber, unb nur im fernen Dften, bei ben ©lonbuttu 
unb 9ljam:9ljam, hat Stweinfurth analoge ©erhältniffe gefunben. 




Dig zed by v^. ooQie 



2M 


lit <Sr$enni«rL 


Nr. 15. 


®ie Säuberungen, Votive biefer Keifenbe »on feine» ®annibalen= 
flammen gibt, paffen fo »otlftänbig auf meine San, baß man wopt 
annehmen fann, eS ejiftire im äquatorialen Stfrifa eine non 
Dften nach Sßeften fiep erftredenbe 3one non, ben tarnen nad) 
nerfcpiebenen, foitft aber unter einanber nerroanbten Stämmen, 
bie fämmtlicp Slnthropoppagen finb unb fiep burd) biefe, fomie eine 
Keipe anberer gemeinfamer ©igenfcpaften auf baS ©eftimmtefte 
noit allen übrigen nörbticp unb füblicp wopneitben Kegerftämmen 
unterfdjeiben. 

SBaS fcptießlicp bie politifdjeit ©erpältniffe ber San betrifft, 
fo trennen fie ficf» in jwei große ^auptgruppen: bie am Dfut 1 
unb am tinfen Ufer beS Dgowe (oberhalb beS DfanbelanbeS) 
Wopnenben, indufioe einiger Samilien am regten Ufer biefeS 
gluffeS, begeidjnen fiep als 3Kaf6 San, wäprenb bie San am 
©abun (SKpangwe), am Kpemboe, ßomo rc. unter bem “Kamen 
9Kbete=San gufammengefaßt Werben. ®iefe gwei großen ©ruppen 
teilen fid£> nun mieber in gaplreicpe Samilien, non benen jebe 
aus mehreren Dörfern gu hefteten pflegt. ®ie nerfcpiebenen 
Samilien leben in beftänbiger Seinbfcpaft unter einanber, unb 
blutige Serben, oft um ber geringften Kleinigfeit willen, gebären 
gur XageSorbnung. 

SBie bereite bemerft, finb bie San in ununterbrochener 
Bewegung; wie eine ©ötferwanberung brängt fiep biefeS Sott 
auS bem Dften immer weiter weftwärtS giepenb gwifepen bie 
feßpafte ©enölferung im Stromgebiet ber glüffe Dgowe, ©abun, 
Ktunbap, SJiuni u. f. w. ein', baS ©erücpt non einem großen 
SBaffer, non ben nielen weiften Stännern, welche europäifepe 
SSaaren bringen, ift tief in baS innere eingebrungen, unb um 
mit ben ©uropäern felbft gu »erfepren unb bie ©üter nicht erft 
auf großen Umwegen gu befommen, rüden bie San unwiber= 
fteptiep weiter unb ihre ©orpoften haben bereits baS SWeer er= 
reicht, fo baß fiep im ßaufe ber näcpften ®ecennien ©eränbe= 
rungen in ben ©enölferungSnerpältniffen biefeS XpeileS non 
SBeftafrifa ergeben werben, beren ©ebeutung heute noch nicht ju 
ermeffen ift. 

ÜBien, Cnbe Öebtuar 1877. (Dsfar 


c^itcratut uttb 


Ütofentpal. 

Sin ©tammfcuc^blatt 
öon 

^rati3 Dingelflebt. 

3e nun, fo bann. 

Sie Sonntveubbäueriu. 

L 

©in Stammbuchblatt! — ®er geneigte ßefer rümpft bie 
Kafe, gudt bie Stcpfetn: baS Hingt altfräntifdj, fleinftäbtifcp. 
SBir tennen Slutograppenfammlungen, SllbumS, fritifche ©ffaps, 
ßiteraturbilber, wie wir uns benn naepgerabe in allen Stüden 
gewöhnt haben, baS Kteinfte mit größtem Kamen gu nennen. 
3um ©jempel: eine SBirtpShauSrecpnuttg ober eine Scpneiber= 
nota aus bem notigen 3<Jp*hunbert = ein ©eitrag gut ©ultur= 
gefepiepte; eine flüchte Xpeaterrecenfion = bramaturgifche 
©lätter. Slber Stammbücher tennen wir nicht mehr; fie finb 
antiquirt. Kein moberner Stubent, taum noch ein reifenber 
#anbwerf8burfcp führt noch e ‘n Stammbuch mit fich- ®et: 
gleichen fdjmedt nach bem »ergangenen Saptpunbert; pöcpftenS 
nach bem Anfänge beS gegenwärtigen. 

©ben beSWegen, ©eneigtefter! SBeil mich ber Xob unfereS 
armen SJtofentpal um ein ÜJienfcpenalter, — nicht hoch; feien 
wir ehrlich: um niergig 3«h>* nerjungt hat, — möcpt’ id) fein 
Slnbenfen in einer, um minbeftenS ebenfoniele Sah« neralteten 
Sorm, bur<h ein Stammbuihblatt, feiern. SPBir gehörten gu einem 


Stamme. Kicpt als ob ich 3ube wäre, wie er einer gewefen; 
leiber nicht, benn als folcper hätt’ icp’S unftreitig weiter gebraut 
Slber ich bin ein Kurpeffe unb ein ScpriftfteUer, gleich >h m - S° 
finb wir in boppeltem Sinne non ©inet Samilie. „Stamm: 
buch" fiintmt! 

Slnno Xomini 1836 — ba finb bie nerfluchten niergig 3apte> 
nichts abguhanbeln, im ©egentpeil, faft noch eines barüber, — 
begab eS fid), bafj ich aus ber ©rgiehungSanftalt für junge ©ng= 
länber. Welche in Kidlingen bei $anno»er blühte, unb wo ich 
angeblich baS Xeutfcpe lehrte, in SBaprpeit aber baS ©nglifche 
lernte, urptöpticp abberufen würbe, um proniforifch für bie ßepr: 
tangel ber neuen Sprachen unb ßiteraturen an bem teorganü 
firten ßpeeurn Sribericianum in #effen:Kaffel eingutreten. SDer 
Kuf an ftch war. eprennoU, non Kiemanb ©eringerem auSge« 
gangen, als non $affenpftug, gegeiepneteu SlnbenfcnS, ber bem 
heffifdien Unterrichtswefen feine befonbere Sorgfalt guwenbete. 
Slber ich folgte nur wiberftrebenb. Kidtingen fagte mir aus« 
nepmenb gu. 3)aS grofje $auS ©aptain XrottS, beS ©orftanbeS 
ber Slnftalt, war gang auf bem Su§ eines nornehmen englifdjen 
ßanbfcpeS eingerichtet: ©equemlichteit jeber Slrt, nortreffliche 
©erpflegung, reichliche gefeüige Unterhaltung in ber nahen $atb; 
refibeng, wo ber $ergog non ©ambribge als ©icetönig re* 
präfentirte unb bie young gentlemen auS Kidtingen gaftüch 
empfing, bie in unglaublichen ©hantafieuniformen bei $of er: 
fdjienen. 3« thun gab’S blutwenig: ein paar ßectionen am 
fpäten SRorgen; bie ©onnerfationSftunben nach bem ßunch würben 
abgehalten beim Xaubenfchiegen im Kidtinger SBälbchen ober 
beim Singeln in bem ©ächtein, baS bid)t hinter bem ^auSgarten 
norüberfloh- StbenbS befuepten wir, ßehrer unb Böglinge gemein: 
fchaftlich, baS ^oftpeater, weil wir übereinfitimmenb ber Slnficpt 
Waren, eS gäbe feine beffere Schule für bie fcpwere beutfepe 
Sprache als bie Sühne. Kad) ber ©orftellung befcplog ben Xag 
ein folenner ©ommerS in „SBeffelS Scpenle", bem ©iittelpuult 
ber gangen englifcpen ©olonie in $annooer, aüwo ich ben 
beutfc|en ©orpSburfcpencomment eingufüpren trachtete unb in einer 
fdjönen ÜRittemacht fogar, gu unauSfprechtichem ©rftaune« unb 
ffiergnügen meiner wißbegierigen 3«genb, ben „ßanbeSnater" 
fteigen ließ, fämmttiche ©plinber ber Slnwefenben burepboprenb 
mit bem ©arabebegen eines föniglicp: großbritannifcp: pannoner: 
fepen ©arbelieutenantS. XaS SlKeS foüt’ icp nertaufepen gegen 
bie bumpfe, enge Scpulftube eines orbentlkpen, öffentlichen @pm= 
nafiumS?! Slber ber ©ater brängte: ber StaatSbienft fei boep 
ein ficpereS ©rob unb biete eine fefte Stellung, meinem fcpwan: 
fenben, fcpweifenben Sinne hoppelt peilfam. Slrmer, guter 
©apa! ®aS fiepete ©rob warf idj nach fünf 3apren ber £necpt: 

fepaft Weg, unb eine fiepere Stellung.SBelcpe Stellung ift 

benn fieper in unferen unfteperen Beitläuften? Kicpt einmal 
ber Xpron, gefepweige benn ein ffatpeber! ®a8 Königreich 
pannoner, fammt bem Kurfürfteutpum Reffen, wo ftnb fie peuteS 
Afüavit Deus, dissipati sunt! 

Slber non ©tofentpal, niept non mir follte ja bie 9tebe 
fein? ©ebulb. SBir langen gleich bei ipm an. 

Sin einem fepönen SKaimorgen traf icp in Kaffel ein. Um 
reept pünftlicp gu fein, melbete icp miep fofort, noep im Keife: 
anguge, bei meinem neuen Sirector, bem branen, tüchtigen 
©Jeber, ber mir aus einem ftrengen ©pef halb ein naepfteptiger 
3reunb geworben, ©f maß mit bebenflicpem ©Iide guerft meine 
poepaufgefepoffene, fcpmale ©eftalt, bann ben allerbingS net: 
wegenen SRorgenrod aus fepottifepem gewürfelten Stop, äept 
englifepen ScpnittS. „Xrauen Sie fiep auep", fragte et, „ben 
nötpigen ©rnft gu, um XtSciplüt gu palten, unb bie förperiiepe 
Kraft, bie bet fcpwete ßepramtsbienft erforbert? Sie ftnben 
in ©rima unb Secunba Scpüler, bie älter finb als Sie!" $abei 
fpürte er mit ben furgfieptigen Slugen tief in meinen bettoteft 
überreichten Xauf:, Scpul: uub UnioerfitätSgeugniffen umper. 
3<P erwieberte, baß icp miep bemühen werbe, balbmöglicpß gu 
altern, ©r bupligirte lacpenb: „Kur bergleipen Späße niept 
auf bem Katpeber. Ueberpaupt: man weiß pier, baß Sie für 
ein fcpöngeiftigeS Statt in pannoner gearbeitet paben." —Jfür 
bie ©ofaune, §err ®irector. — „Unfer $err 3Rinijiter‘ tftßt 


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Nr. 15. 


• i t Äegetrwiirt. 


285 


Sonett fageit, ba| matt bergleidjen Äflotria bei uns ni4t liebt. 
Webet fyöfyxtn ttoc^ ^öc^ften DrteS. Sapienti aat." — 34 
empfahl mi4, ebenfalls fdjon fatt, no4 ehe ich angefangen ju 
genießen. 

SWit ben Schülern, bie älter als bet Sehrer, hatte es 
übrigens feine IRidjtigteit. 3n ben oberen klaffen fa|en 93utft^e 
t>on oier* unb fönfunbjwanjig 3«h*en, oor beren ftattlidjen 
Sadenbärten unb gelehrten Sriflengläfern i4 mi4 im Stillen 
ein bissen fürstete. „Unfer $err Sßinifter" hatte in feinen 
©pmnafien jtoangSweife baS bertrauliche „Su" eingeführt, baS 
weilanb auch in bet preu|ifchen Sanbweht ljerrf4te. So oft 
i4 mi4, ben bemooften Häuptern gegenüber, fd)üd)tern unb 
halblaut barin ttrfudjte, — „fiolbe, überfefee Su nun bie nächfte 
Seriobe," ober: „3n Seinem thöme finb fiebern gehler, garnier," 

— beforgte idj ein gle«h oertraulMjeS @4o: „Stadj’S beffer, 
Singelftebt." äReine Seforgni| ift niemals erfüllt Worben. Sie 
Sdjüler, ältere unb jüngere, haben mich in lurjer Seit lieb 
gewonnen, lange Seit lieb behalten, einer oon ihnen befonberS: 
ber SRofentljal. Sa ift er enblich- 

Sr fa| in Sertia, auf ber oierten Sani oon oben. 3n 
zwei Stunben wö4entlidj würbe bafelbft ffranjöfifch „getrieben", 
Suma $ompiliuS gelefen, überfefct, erllärt. es hat mich Ärbeit 
unb fiarnpf genug geloftet, ehe ich ben langweiligen glorian, 
genetonS noch langweiligeren Selemaque, bie {Reifen beS jungen 
StnadjarfiS, 3beler unb Sotte’S bidleibige ©hreftomathie butch 
Sernarbin be Sainte*Sierre, ehateaubrianb, be Signp, Samartine 
erfept. SSofenthal fiel mir halb auf burdj eine überrafdjenb 
gute Äu3fpra4e beS granzöfif4en unb burdj bemerlenSwerthe 
©ewanbttjeit im beutfchen ÄuSbrud. er zählte bamals fechsjehn 
3ahre; wie unlängft feine Sefrologe gemelbet: geboren 1821 
)u Staffel in fiurljeffen, oon armen, wenngleich jübifchen eitern. 
SRehr finabe als Süngling, eher llein als gro|, weniger fchlanl 
als unterfefet, oon ljeßer, ungewöhnlich frifcher ®efid)tsfarbe, mit 
rothem #aat, welches leptere bamals noch nicht, wie heutzutage, 
für fchön galt. Seine Äufmerffamleit beim Unterricht War ge« 
jpannt, bis jur Unruhe; bie wafferblauen Äugen, beren ÄuSbrud 
eine früh« Sriße trübte, hielt et beffänbig auf mich fleheftet, 
mochte idh nun hoch Z M fiatheber fi|en ober peripatetif4 bociren, 
unb jappette emftg mit ber auSgeftredten |>anb, in ber be* 
latmten ©eberbenfpradhe, welche anbeutet, bah ein eifriger Schüler 
bie Äntwort auf eine geteilte Stage weil, ober aufgerufen werben 
unb „branlommen" möchte. Äucfj lachte er am längften unb 
lauteten, wenn idh einmal — bie Untugenb aller jungen 2eprcr 

— einen fchledhten 33ip ri|, zum (Stempel mich luftig machte 
über ben geiftreichen 3nljalt unb bie gefchmadootle gorm ber 
Äufgaben in ber Schutgrammatil: „Sieben Sie bie SRauS? Sein, 
ich haffe bie ÜJlauS, aber ich liebe ben Äffen." Ober: „SaS 
neue $au8 beS £>utma<herS ift grö|er als ber Stall beS SReffer* 
fdjmiebs." So hatten wir uns benn halb ftiQfchweigenb gefunben, 
unb eS währte nicht lange, bis er fi<h mir oertraulidh näherte. 
ÄIS ihn bie Seihe traf, bie franzöftfdjen (Sjercitien ber filaffe — 
bie ich corrigireti burfte, brei|ig bis oierzig an ber Sahl — 
mir in’S $auS z u bringen, blieb er, nachbem er feine fd>were 
Sürbe auf meinem Sd}reibtif4 abgelegt, an ber Sljüt »erlegen 
ftehen. „SBünfdhen Sie noch etwas?" fragte ich freunblict), baS 
offizielle „Su", wie immer au|erhatb ber Schule, ablegenb. Sach 
einigem Stammeln: 3a, ich hätte Wohl . • . SBenn ich f° frei 
fein bürfte u. f. w., zog er aus feiner Saf4e ein paar, mit 
feinet flie|enben $anbfdjrift bidht bebedte Slätter h er »or: 
„Äebichte". 34 h»e| ihn f»|en, lefen, währenb i4 zahlte, 
ermuthigenb mit bem fiopf nidte, hier unb ba befferte. Sein 
@e|4t würbe auS rofenrotlj purpurfarbig; baS golbene £aar 
funleite förmli4, h^ebar flog fein Äthem. @3 waren, fo oiel i4 
mich erinnere, ä4te S4ülergebi4te, SefefriMfre, S4nabelftubien 
eines no4 ni4t Püggen SingoogetS. Äber fie müffen etwas 
oerfpro4en haben; benn als ich, ein paar Salfre fpäter, — um, 
Wie (Sollege (Slaoigo, „meiner {Ration baS noch unbelannte Ser» 
gnügen einer 2Bo4enf4rift zu geben" — in fiaffel eine deitung, 
„ber Salon", aufthat, oerfäumte i4 ni4t, Iprifdhe Seiträge oon 
SRofenthal heranzuziehen, bie er, mehr wohl aus Sorfidjt als 


auS Sef4eibenheit, nicht mit feinem Samen, fonbem nur mit 
feiner ©Ijiffre Unterzeichnete. (Sr hatte — au4 er f4on — 
mit feinen mir bargebra4ten (Srfttingen eine f4limme Erfahrung 
gemacht. 2Rit überflie|enbem Kerzen fpra4 er einem 9Ritf4üler 
baoon, ba| er mir feine Serfe gebradht, ba| ich f ie gelobt. Ser 
erzählte es fofort weiter; bie fiunbe brang bis zum filaffen» 
lehret. Ser wieberum lie| 14 ben oorlauten Sic|ter lomrnen, 
oermahnte ihn, ba| man berglei4eit ÄBotria bei uns ni4t liebe, 
webet hohen, no4 höheren unb hö4ften DrteS (fiehe oben!) unb 
f4lo| mit bem Sefehle: „UebrigenS, wenn Su Seife madfjft, haft 
Su fie ni4t bem #errn Singelftebt zu bringen, ber nur fran* 
Zöfifcher Sehrer ift, fonbern mir, Seinem OrbinariuS, ber i4 
ja au4 Seine beutf4en Äuffäpe corrigire." Spra4'S unb entließ 
ungnäbig ben begoffenen Ißoeten, ber ftradö z« mir eilte, be* 
fchämt unb betrübt benÄuSgang feines erften titerarif4en SerfudiS 
berichtete unb mi4 um Südgabe ber lleinen Slätter bat. 34 
glaube, er hat babei geweint, ber arme URofenthat, unb i4 . • . 
Sun, i4 la4te gewi| auch ni4t. 

Zroh bem SSi|gefchid, baS unfere erfte Segegnung getrennt, 
finb wir einanber nahe geblieben, URofenthat unb i4, fo nahe 
S4üter unb Sehrer fidj bleiben lönnen. ÄtS idh int $erbft 1838 
oon fiaffel na4 gulba »erfejjt, baS hei|t: oerbannt würbe — 
auS höheren Staat8rüdfi4ten, Wie bie Offiziöfen P melben 
wu|ten — hatte er ben 3Ruth, 14 an einer @abe zu betheiligen, 
bie mir bie Spüler ber unteren filaffen zum Änbenlen wibmeten: 
ein fitberner Sedher, ein ftlbemeS Sefted, beren ich uti4 noch 
Zur Stunbe bebiene. Sein Same fteht unter ber begteitenben 
Äbreffe. 34 aber hatte ben S4merz, in ber lepten Sehrer* 
conferenz, wel4er i4 in fiaffel beiwohnte, einen, i4 weil ni4t 
ob aus h°heu, höheren ober hö4ßen Duellen erfloffenen @rla| 
Zu unterzeichnen, beS 3«haltS, ba| alles ©oüectiren in ben filaffen 
beS Lyceum Fridericianum, gleidhoiel zu Wel4qm 3wed, bei 
ftrenger Strafe oerboten werbe. Sie „Semonftration" oon hunbert 
unfdjulbigen S4ullnaben zu fünften ihres gema|regelten SehrerS 
milfiel entf4ieben, fo hohen, höhnen unb hö4P en DrteS, Wie 
tief unten — wo ber gemeine SEBurm Seib !rie4t unb bie 
Satter Serleumbung flicht 

Zwanzig 3ahre unb barüber oergingen, beoor ich SSofen* 
thal wiebergefehen, aber ni4t ohne ba| i4 im lebhaften Stief* 
medfjfet mit ihm oetblieben, Wie er zwif4en Süljnenoorftanb unb 
Sühnenbichter fi4 oon fetbft ergab. ÄuS bem finaben war in» 
beffen ein 3Rann geworben, zu bem rothen $aar ein rother Soll» 
bart gewa4fen, beibe lunftooH gehegt unb gepflegt; auch ber 
Änfap z u einem behagti4en Sätuhlein hatte fid» eingefteßt unb 
im finopf(o4 beS fef4en SBiener ©ehrods eine regenbogenfarbene 
OrbenSfchleife, bie muthig getragen, ni4t lofett oerftedt würbe. 
SSarum audh ni4t, ober warum? 3Ran hat SRofenthal eitel 
genannt. SEBenn et es war, Wat er’S in ber entwaffnenben 
SBeife ooßer Saioetät. @r freute {14 feiner ©rfolge, geno| fie, 
Oermehrte unb oerbreitete fie. Sa| in SBiener S4aufenftem 
fein photographif4eS Sorträt gehangen, in Uniform aufgenommen 
unb mit aßen Secorationen, würbe ihm oft unb bitter genug 
oorgehalten. Sur4au3 mit Unre4t, f4eint mir. Seute, bie, 
athemloS oon ber ununterbro4enen heimli4en $e|jagb auf 
fireuze unb Sterne, bie erbeuteten ©hrenzeichen im fiaften oer» 
f4lie|en, um fo zu thun, als fei ihnen ganz unb gar ni4t3 
an bem Sanb gelegen, — fie finb in ber Segel oiel eitler, oiel 
befangener unb bewu|ter als biejenigen, welche |4 ni4* f4&men, 
baS zu befi|en, was fie zu erftreben fid) nicht gefdjämt haben. 

Unb greunb SRofenthal hatte tüchtig erftrebt 3m 3af)te 
1841 na4 SEBien gelommen eroberte er, binnen oerhältni|mä|ig 
lurzer Beit, er, ber 3ube, eine Änfteßung in einem öftrei4if4 en 
ÜRinifteriuw, unb mit einem 3ubenftüd baS Surgtljeater. Oben* 
brein zur 3eit beS ©oncorbatS, ber Seaction. (Sr war ooßlommen 
acclimatifirt unb nationalifirt in Deftreich; was benn freilhh bem 
3uben leichter wirb als jebem Änberen, weil er eigentluh 
nirgenbS zu $aufe ift, alfo au4 nirgenbs fremb. SeS unge* 
a4tet unb bei aßer Sewhtlebigfeit, Siegfamfeit unb ©ef4idli4 s 
feit, bie feinem SEBefen wie feinem Salent eigen, Wu4S er nie* 
malS |4 auS zum fpezifif4e« SBiener. (Sr hat zeitlebens ni4t 


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236 


Hit Äegenwnrt 


Nr. 15. 


beit Wiener ®ialeft reben gelernt — ein Umftanb, ber feineSweg« 
fo unbebeutenb ift, wie et fehernen mag — unb wenn man 
feine gattje ©rftfeeirtung, bie perfönlicfee wie bie literarifefee, genau 
bergleidjt, fowofel mit feöfeergefeeBten al« mit gleichfeefeenben 
©rjdjeinungen, bleibt ein immerhin beutlicfeer, cfearafterifeifcfeer 
Unterfdjieb übrig. Deftreiehifcfee Zppen fenb, um nur oon brama* 
tifcfeer Ißoefte ju reben: ©riflparjer, #alm, ©auernfelb; fenb, 
eine Stufe tiefer: ©reefetler, Weilen, ©cfelefenger, BRautner. 
Keine ßiteraturgefefeiefete ber Welt wirb BRofentfeal mit biefen 
ober mit jenen ju oerwecfefeln im ©tanbe fein. 3ft ba« ein 
ßob für fie, ein Zabel für itjn, ober umgelefert? Weber eine«, 
no<fe ba« anbere, oielmefer nur bie einfache ©onfeatirung ber 
belannten Zfeatfacfee: bafe Defeteicf), bafe namentlich Wien, eine 
eigentümliche geiftige Sltmofpfeäre für fich befefet, in ber man 
geboren unb erjogen fein muh, uw in t* oöBig aufjugefeen, 
unb bie man wieberum nicht entbehren lann, wenn man in ihr 
geboren unb erjogen ift. ®ie freiesten ©eifter, Slnaftafiu« 
©rün unb ßenau, erfranften am $eimwefe, braufeen im Bleich 
unb brüben jenfeit« be« grofeen Waffer«, an tiefem, unheilbarem 
^eimwefe nach Deftreicfe, trofe ©enfur unb ©olijei, benen fie ju 
entfliehen gebauten. WoBte ©ott, bie ®eutfcfeen — wenn benn 
nun bo<h einmal ber unfelige ©egenfafe nicht weggebacfet werben 
!ann — hatten ein gleich fearfe« ^eimatSgefüfel! 

Wa« mich iw Stnfang ber fecfejiger Safere wit BRofentfeal 
jufammenfüferte, war eine ©eneratoerfammlung ber ©cfeißer: 
ftiftung in beren ©orort: Weimar, meinem bamaligen ®omicit. 
®ie Wiener Sweigftiftung war babei glänjenb bertreten burch 
ben glühenben BRofentfeal, ben bleichen Kompert, beit recfet«: 
gelehrten Weiffel, wetdjen lefeteren wir, feiner imponirenben 
Blühe unb BRilbe wegen, Btatfean ben Weiffel tauften. Wien 
ftimmte tapfer, burch ®id unb ®ünn, mit Weimar: in ber grage 
be« ©orort«, ben wir gern bauerab an Weimar gehtüpft ge= 
fehen hatten, ber ©chiBerlotterie, beren reichen ©rtrag bie 
®re«bener 3*oeigftiftung für fed) ^&tte fcfeluden mögen, ber 
®eutfcfeen Stationalafabemie, welche bie 3beatiften im ©ertoal= 
tungSratfee au« ber biofeen UnterfeüfeungSanftalt, ben ©afeungen 
jum Zrofc, ju entwideln gebachten, be« ©eneralfecretariat«, 
ba« in ©ufcfow« föänben war unb barin erhalten werben foBte. 
Reifee Kämpfe, in welchen ber injwifcfeen BReifter geworbene 
©cfeüler an ber ©eite be« alten ßehrer« foefet; aBerbing« mit 
Wecfefelnbem SluSgang: auf einem glügel ftegreich, im ©entrum 
geworfen. Äbenb« oereinigten fich greunb unb geinb in ber 
gafelicfeen Zafeltunbe be« ©rofefeerjog« oon ©adjfen, ber SRofen: 
tfeal oerbienter BRafeen auSjeiefenete. BReine ©egegnung mit ihm 
erneuerte fich au« gleichem Slnlaffe mehrere BRale, erft in Weimar, 
bann in Wien, Wohin ber ©orort übertragen worben War, unb 
wo ich «un, al« ®elegirter Weimar«, ben Wiener Sunbe«= 
genoffen fecunbirte. ®iefe oorübergehenben ©efucfee unb ©egen» 
befudje Oerwanbelten fich in ein fefte« ©eifatnmenfein, al« ich 
im $erbft 1867 nach SBien überfeebelte. BRofenthal gehörte ju 
ben ©rften, bie mich in weinet ®ienftwofenung im alten 
Kärnthnertfeor^Zheatet theilnehmenb unb glüdwünfchenb be: 
grüfeten. @r hätte geahnt, fagte er, längft geahnt, bafe er für 
feinen ehemaligen Kaffeier ©cfeulmeifeer Quartier gemacht im 
fdjönen Wien. ®arauf gingen wir, alte ©rinnerungen frifcfe ju 
begiefeen, Btrm in Btrm ju meinem Btacfebar ©a<feer fpeifen; ich 
führte noch 3nnggefeBenWirthfchaft, ba meine gamilie in Weimar 
überwinterte. Wir fpeiften fehr gut, feljr lang, fehr luftig. 
3wif<feen ben oerfefeiebenen ©ängen brachte mir mein ©cfeüter 
unb ßanb«mann öorfecfetig bei: 1) bafe er ein neue« ©tütf im 
©urgtbeater habe, ben ©cfeüljen oon Hltenbüren, welche« ich 
bem ©eneralintenbanten, Saron BRünefe, bringenb empfehlen 
müffe; 2) bafe ich feine Dper mit ÜRicolai, bie luftigen Weiber 
oon Winbfor, bemnächft wieber, unb jwar neufcenirt, wie fie e« 
bebürfe, auf ba« Btepertoir bringen möge; 3) bafe er mir ein 
Zanjpoem ju einem fflaüet „gata BRorgana" fcfereibeü woBe, 
wann ich eS feinem füreunbe ©olbmarf jur ©ompofition unb 
bem ju einem ©aftfpiel in ©icht ftefeenben Zaglioni jur 
©efcung übertragen woBe. 3<h lachte über feine ffruchtbarleit 
an ©länen unb an — Wünfdhen, unb ba er mir beim Äufbrucfe 


behütflich fein woBte, in meinen Ueberjieher ju fchlüpfen, ftatt 
beSfelben aber ben (einigen erwifcfjte, fagte t<h, unoorftchtig genug 
für einen alten „ßehrer": „ßieber greunb, Sie haben mir heute 
ein ©chaufpiel, eine Dper, ein Saflet aufgehängt; aber 3h*en 
Blöd laff ich wir nicht auch noch aufhängen." 3<h h<^ e tt- 
fahren mfiffen, bafe er mir ben CinfaB, ber nicht einmal ein 
guter gewefen, lang nicht oerjeihen tonnte. 

3ubefe hat er nic^t oerhinbert, bafe wir faft jefen ooOe 
3afere hinburch in gutem ©inoemefemen neben einanber gelebt 
haben, wenn auch nicht aBjuoiel mit einanber. Wien ift eine 
grofee ©tobt, bie eher jerftreut, al« jufammenjieht, unb bie 
®irection eine« Zljeater« ifolirt unwiBfürlich ihren 3«haber. 
Bißein wir befudjten un«, luben un« ein, begegneten un« auch 
oftmal« in gefeBfdjaftlichen Kreifen, weld^e fämmtlich, ariftofratifche, 
bureaulratifche, plutotratifdhe, fünftlerifhe, bem in Wien äufeerft 
populär geworbenen ®idjter offen ftanben. Much manche ernftere 
Btufgabe oereinigte un«: fo ba« ©chiebSri^teramt in ber ©reiä= 
luftfpiel*©oncurrenj, wel^e BRünch au«gefchrieben, unb bie 
©ifeungen be« ©omiB« für ©rricfetung eine« ©eethooenbenlmal« 
in Wien. 3«weilen mufete ich >h m in anberen ©tüden meine 
BRitwirlung ju feinen 3weden oetfagen, j. ©. bei ben „Küuftler: 
abenben" im SRufiloerein, einer ßieblingSfchöpfung BRofenthal«, 
unb bei ber ©cfeaufpielfchute, bie ihn gleichfaß« hö<hlühft inter? 
efftrte. @r hat meine ©rünbe ftet« ju ehren gewufet unb ift, 
meine« Wijfen«, niemals gegen mich aufgefeanben, an feiner 
3ntrigue betheiligt gewefen, immer wieber ju mir jurüdgelefert, 
fogar nach aBertei unoermeiblihen ®ifferenjen bei ben jahlreichen 
©roben feiner ©tüde auf bem ©urgtheater, beren ich bafelbfe 
mehrere auf bie Welt gebracht unb begraben. 

Btun feab’ ich plr|t noch ben ©djnterj gehabt, ihn felber 
begraben ju h e ^f en - BRontag ben 19. ftebruar biefe« Safere« 
1877 gefcfeafe’«, an einem munberbar fcfeönen Winternacfemittag, 
nacfebem er am Sreitag BRorgen, Wie befannt plöfeticfe, in golge 
eine« Bliffe« im §erjen geftorben. ©ein ßeidfeenbegängnife gefeörte 
ju ben gtänjenbften, welcfeer Wien ficfe erinnert. „Blucfe ©lumen 
fehlten feinem ©arge nicht", unb nicfet BRufef, wie er e« in 
feinem Zeftament, bem BtituS feiner Kircfee juwiber, auSbrüdtidj 
gewünfdfet hatte. @r felbft würbe feine greube an ber geier 
gefeabt feaben, bi« auf bie Siebe be« Dberrabbiner«. ®a fpracfe, 
über bem faum erfalteten ©taube be« Zoleranjbicfeter«, nicfet 
ber feumane be ©iloa, nicfet einmal ber ortfeoboje ©eu Blfiba, 
fonbetn ein äcfeter, jelotifher be ©anto«, bet oor Btflem ben 
3uben in BRofentfeal feeroorfeob unb bie $arfe ©ion« al« bie 
erfte, bie ewige ber Welt prie«.... 3<h glaube, bafe unfere 
geier im ©urgtfeeater, ®onner«tag ben 22. gebr., eine BRufeer: 
oorfteBung ber ®eborafe, in weldfeer bie unübertreffliche Wolter 
ficfe felbft übertraf, mefer im ©eifte be« ®icfeter« gewefen ift. 


$. S. Jtrattfe als JHdjter. 

Sieben ben ftattlicfeen ©flanjungen auf bem grofeen gelehrten 
gorfcfeergebiet, ba« ©traufe befeerrfcfete, feat er jeitleben« eine« 
„$au«garten8" mit befonberer ßiebe unb greube gewartet, beffen 
©lumenbuft unb ©cfemud ifen in trüben wie frofeen ©tunben 
erquidte. ©8 war ein ©üdjtein mit ©ebicfeten, ba« mälig unter 
feinen $änbett anwucfe« unb ba« er felbft mit einem ©arten 
Oerglicfeen feat, 

„«Botin icfe früh unb Slfienb« gern feerumtoanble, 

®a« Äug’ im ©r&nen Babe, reine Suft trinfe 
Unb an ben Keinen Beeten mir ju tfeun mache." 

©twa« altmobifcfe nennt ©traufe weiterhin feinen ©tnn. 
Blicfet ©racfetblumen fenbe man auf feinen ©eeten, nur einfache 
Stofen, braune «Reifen unb ©ilberlilien; ftatt riefenfeämmiger 
©teineicfeen ^afelfträucfeer unb eine junge ßinbe, auch (ine ©in«: 
blattlaube, „bie toofel ein ßiebe«paar bärge". 

BRicfe- befcfeleicfet — bie« ife wenigften« mein etfeer ün- 
brud — ein eigene« ©efüfel oon ©erlaffenfein unb Knmner, 


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Nr. 16. 


lit #egen**rt 


237 


inbem iefe mit jögernbem ©cferitt in ben $au8garten eines Set« 
ftorbenen eintcete. Dort finb fie, bie einfachen Stofen, bie 
braunen Stetten nnb ©itberlilien, fc^mudlofe Sluraen, bie feinem 
©eift nnb $erjen entfproffen unb bie fein Seben oerlünben, 
mäfetenb fein #erj fcfeon ju Äfdfee jerfäflt. SKan tann niefet 
intimer mit ©traufe Oer teuren, als inbem man bie fRufeepl&fee 
feines $auSgartenö auffudjt ober bas „©cfeenttifdfecfeen" unter 
feiner jungen ßinbe; aber eS ift ein mefemütfeiger ©enufe, biefer 
SSerfefer mit ifem ofene ifen, bieS SSerrn eilen in ber ffiirtfefdfeaft 
fern oon bem ©irtfee. 

©ins tommt feittju, um in biefem Saß ben mefemütfeigen 
©inbrud nodfe ju öerfdjärfen. @8 finb rnenig greubenflänge, bie 
aus biefen ©ebicfeien ertönen, ©parfant erftfeeint baS licfete 
$immetöblau, an bem bie Sebenöfonne eines bebentenben SRenfcfeen 
einmat ungetrübt auf uns feernieberlücfeett. SSiet häufiger öer= 
nehmen toir ©turmeSbraufen unb 9totfefignate atö bie ruhigen 
Harmonien, bie äJteereSftiße unb glüdlidfee gafert oertünben. 

©traufe’ Sfearafterbilb mag für ben ftreiS feiner gamilie 
unb feiner n&cfeften greunbe feftftefeenbe Büge tragen, für ben 
ertteiterten ßteiS aßet Derer, bie bem Denter unb SRettfcfeen 
Dfeeitnafeme ioibmen, ofene ifem im Sehen perfönlid) näfeer ge= 
treten ju fein, gitt baö Steife nidjt. Sludj ift offenbar nodfe 
nidjt bie Beit getommen, biefe Südc auSjufüßen. ©ie ju er: 
ganzen fann nur unternommen toerben, toenn mir ben ©inbtid 
in ©traufe’ intimfte SebenSbejiefeungen ermatten metben, ber aus 
nafeeliegenben ©rünben gegenm&rtig nocfe unftattfeaft erfefeeint. 
@trau| fetbft feat leine Seitfete feinterlaffen. * ßtitfet aus ©efemödfee 
ober eiteter Sefdjönigungäfucfet, benn in ber feiner Sieberfammlung 
oorgebrudten „Serorbnung" fafet er ben gaß einer cinftmatigen 
Seröffentticfeung bet ©ebicfete in’S Äuge unb orbnet für biefen 
gaß auSbrädlidfe an: 

©idjtet jtreng atsbann unb läget 

deinen fcfemadjen JBerS pafft reu; 

• über meine SKenftfeenfdjmäefeen 

Sudlet ja nidjt ju öerftecfen: 

Äuc| im ©rabe noch mit! euer 

Älter greunb tein fjeudfjler fein. 

©aS ibn abfeielt mar mofel efeer eine aßgemeine Äbneigung 
gegen baS Seiften überhaupt „Stiemanb beichtet gern in fßrofa", 
fagt ©oetfee unb in ben „Siterarifcfeen Dentmürbigteiten", jener 
bemerlenSmertfeen, in ben „©efammetten ©djriften" jefet jum 
erften ©tat oeröffenttidjten ©elbfttritif feines geiftigen ©Raffens, 
citirt ©traufe biefen ÄuSfprucfe, um bamit ju begtünben, bafe 
er nur über feine ©eferiftjieflerei, niefet über fein Seben ju reben 
ben Drieb oerfpüre. @o gibt eS benn — menigftenS bem 
Sßubticum gegenüber — nichts UrfunblicfeeS über ©traufe’ JperjenS: 
bejiefeungett. ©aS feinem turjen ©feeleben, trofe innerer $erjen8= 
neigung, trofe einer glüdflidfeen Unabfeöngigfeit in ben materießen 
Sebenöoerfeältniffen, troff ber Siebe ju bem gemeinfam ermorbenen 
Seftfe, ben ßjnbern, einen fo furcfetbar bebrüdenben Snfealt gab, 
baff ©trau! baS „godj" jerbredjen ober ficfe menigftenS ifem ent» 
jiefeen ju müffen glaubte, barüber tagt fidj feödfeftenS im aß: 
gemeinften Unreife unb unter Seacfetung oon benjenigen Efearaftet: 
jügen, bie ©traufe an anberen ©teßen feiner ©Triften oon fitfe 
ousfagt, ©inigeö oermutfeen. ©S ift nicgt ju überfeinen, bafe 
©traufe bei ©tfeilberung feines fteibelberger SlufentfealtS in ben 
„Siterar. Denlmürbigfeiten" über ficfe fagt: „mein ©etbftoertrauen 
mie mein SebenSgefüfet überhaupt mar nie befonbetS ftart ge: 
mefen", er mar ferner offenbar eine Statur, bie, oießeidjt eben 
in gotge biefeS SRangetS an ©etbftoertrauen ober SebenSgeffifel, 
burdfe äufeere ©inmirtungen fefer leicht aus einem gemiffen ©leidfe: 
gemixt ju bringen mar unb ber anbererfeitS bodj, ba er bei 
feinen Arbeiten oon Stimmungen abhängig mar, biefeS ©leidj= 
midfets für feine fd^affenbe zffitigteit bur^auS nidjt entratljen 
tonnte, ©r preift „bie ©infamteit ber Beß«/" in ber er „unter 
©itdjern finnenb, f^reibenb, munteren ftopfeö, fügten ^erjenS" 
feinen SSinter oertebt. 9to^ 1866 erinnert er fi^ mit Danf: 
barfeit, bafe et oon 1839—40 in einem Stuttgarter ©artentjauö 
„ein paar ber ruijig gtüdtidjften ga^re" feines SebenS jugebrac^t 


Ijabe. ©oltfee Staturen, mit befdfeantidjen Steigungen aber oon 
fenfitioer ©rregbarteit, rufeebebürftig aber teitfet beunrufeigt, 
geiftiger Dfeätigteit jugetfean aber burtfe biefetbe ni^t fo abfor: 
birt, bafe ifere ^»erjenSbebürfniffe abmelften, bie ficfe „füfeteu 
^erjenS" — ein leidjt mifejuoerftefeenbeS unb bodfe cfearatteriftifdfees 
S8ort — natfe Siebe fefenen, fotcfee Staturen pflegen benen fefer 
bantbar ju fein, bie fie in eine jarte unb fdfeonenbe Siebespflege 
— um micfe biefeS ttuSbrudö ju bebienen — nefemen, nadfe= 
ficfetig finb unb ofene meitgefeenbe eigene Änfprüdfee fearmonifcfe 
auSjugteicfeen miffen. ©S fdjeint mir bejeicfenenb, bafe ©traufe 
gerabe baS ©erfeöttnife ju feiner SOtutter mit fo inniger Siebe 
umfafeie, bafe er iferem „immer gteicfeen ©efen, iferer ©enügfam: 
teit unb ©eetenrufee" ein nimmer erlöfdfeenbeS Stnbenfen mibmete. 
©ie eS aber audj mit bem Äßetn ficfe oerfealten möge, mie feiet 
bie ©renjlinie jmifdfeen ©cfeein unb ©irtlidfeteit ju jiefeen fei, 
gemife ift, unb ©traufe’ ©ebidfete fprecfeen bieS an mefereren ©teßen 
mit tiefem ©rgriffenfein aus, bafe er ben unoermeibtidfe gemorbenen 
Stife in feinem gamilienleben mit btutenbem $erjen trug, bafe 
er ifen als ein fcfemereS, oermüftenbeS Unfeeit empfanb. gn bem 
©ebicfet: „Stacfe §aufe" ($erbft 1848) oerleifet er biefer ©timmung 
einen ergreifenben ÄuSbrud, menn er, rüdblidenb auf fein 
3ugenbteben, fagt: 

Der ©ruber jog in’S Seite fort, 

Die (Ettern rufeten an bem Siete, 

Da fudjt’ idj einen füllen Ort 
Sit meinen Dficfeent, meinem ftiele. 

Sn ftetem gleifee manifeeS 3afer 
fiebt’ iife berftedt in enger fi'Inufe; 

Äcfe, mie eS einfam trauliefe mar 
Sn meinem lieben ©artenfeaufe. 

Docfe mer, mit jungem, ftifefeem fieib, 

(Ertrag eS lang, allein ju meiteu? 

©o nafem idj mir ein fdjöne? SGBeib, 

Des Sehens Stift unb Saft ju tfeeiten. 

©ie mar mir gut, idj mar eS ifer, 

Unb bodfe — o graufameS SSerfeangnifj! 

Sn Irantem SEBafene maefet fie mir 
DaS §auä jum traurigjten ©efängnife. 

Sn greifeeit feab’ iefe midfe gefegt, 

Sur Änedfetfcfeaft bin idj nidjt geboren. 

Tuet) feab’ idj mit bem SBeibe fegt 
.fteimat unb |)auS jugteiife berloreit. 

Da ruft eS nun: nadj Raufet mir, 

Stomm feeim! in mofelbclannten Dänen: 

©raufame! mie bodj möget ifer 
Den .ftcimatlofcn fo berfeöfenen? 

Die ftinber bort, baS eigne Shit, 

©ott idfe als ©äfte bei mir fefeeu; 

Än beren Stufen idj gerufet, 

©ie foÄ iefe fremb borübergefeen. 

Der Dürftige fott am boüen gtufe 
Sntfagenb ftefeu mit trodtnem SJhmbe; 

Ädfe! unb bertodt ifen ber ©enufe, 

©o gefet er fiebenfadj ju ©tunbe! 

3n einem anberen ©ebicfet: „3m Eoncert", ebeitfaßS aus 
bem ©efeeibungöjafer 48, fefeilbert ©traufe, mie er unb fein ©eife, 
er auf ber ©alerie, „mie es bem ©rame jiernt, im Dunleln", 
fie im ©aal bem gleicfeen Eoncert beimofenen, unb mefemütfeig 
ruft er auS: 

38ir taufdfeteu gteidfeer Harmonie 
SRit gleidfegeftimmten, reinen ©innen. 

Äcfe, tonnten benn bie $erjen nie 
Den gteicfeen ©efetag unb Don geminnen? 

Docfe tief unb tiefer fintet fdjon 
Der ©eife in tröumenbeS (Erinnern, 

Setnimmt ftatt $oru= unb gtötenton 
9tur noefe baS ©dfemerjenSlteb im Snnern. 


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238 


Sic Äeienwurt 


Nr. 15. 


Sie löue f^tocigtn, unb p 8»ti’n 
®er laßen Qil&dlidjt bie ©4Welle: 

34 gel)’ allein, fie geljt allein, 

(Ein jebeS na4 bei öben 3*H«. 

Unb Wel4’ tiefes ©efüßt ratß= unb freubtofer Serßörung 
fpric^t aus ben folgenben Seilen: 

SEBeftöftlid). 

34 wollte reifen, nun öetteif’ üb nüftt: 

$o4 ob id) bleiben werbe, weift i4 ni4t. 

Saft hier id| in bei gfrembe bin, tfi ftdjer. 
ffio meine Heimat fei, baS Weib i4 nicht. 

34 wein’, i4 butt’ einmal jwei liebe Äinber: 

Ob bieS ni4t btoS ein Staunt fei, weift «ft ni4t. 

(Ein ©eib berfiieft’ i4: ob ju $aft bie Siebe, 

Ob $aft ju Siebe würbe, weift i4 ni4t. 

Sie fagen, (Bücher ßätt’ üb einfit gef4rieben: 

Ob’s ©aßrlieit ober Spott ijt, weift i4 nüftt. 

Ungläubig, ftdr’ i4, nennen mi4 bie Sente: 

Ob i4 ni4t elfer fromm fei, weift i4 ni4t. 

9tie ftab’ iä) bor bem lobe mi4 gefär4tet: 

Ob i4 ni4t längft geftorben, weift i4 ni4t- 

Saftete auf Strauß baS Unglüd feines ehetühen SebenS atS 
ein f4wereS, nieberbeugenbeS Sßerßängniß, bebrüefte unb be= 
brängte ißn anbererfeitS ber 3wangSabf4ieb, ben er uon ber 
Sehrtßätigteit batte nehmen ntüffen, in einer ißn jeitlebenS ber= 
ftimmenben, ja fd)merjti4 berwunbenben SBeife, fo erwu4fen ißm 
boeft auch toieber gute Stunben im 83erteßr mit ffreunben, bie 
er treu im Seben feftju^aften furzte unb wußte. Siefe ©inbrüde 
Hingen benn, wenn auch fettener, in feinen Siebern mieber. 
Kamentli4 bem tßfarrßauS ton SRünfheisn, wo fein greunb, ber 
fßfarter Kapp, im gliidtidjen gamilienheife, in h ormon if4 er 
Sßätigleit fchattete unb waltete,. unb feinen 83ejießungen ju biefem 
treuen ©efa^rten, bat er mehrfach poetif4en AuSbrud gegeben, 
u. A. in einer Dbe, bie auch wegen ihrer ftiliftifdjen Sur4= 
bitbung ßeroorgeßoben p werben berbient. 

Gelegentlich ftieblt ß4 auch einmal ein SonnenftTaßt be= 
ßagti4er SBohtempßnbung in bie ©ebi4te unb breitet einen 
freunbtußen Schimmer um fich aus, wie in bem anmutbigen, 
febon belannt geworbenen Sieb: „Sinbe". 

Ser 3nßatt beS „^Soetifchen ©ebenlbu4S" umfaßt übrigens 
nicht nur jene 

„f4li4ten, deinen Sieber, 

Stille Seufjer meines #etjenS 
Spiegelungen meines S4idfatS“, 

bie Strauß itt ber „Serorbnung" erwähnt, fonbern auch ®pU 
gramme, ßauptfä4ti4 lunftfinniger ^Betrachtung ber ©4äfce ber 
©thptotße! entfprungen, mußfatif4e Sonette, (Einiges in Oben: 
ftil unb SJerWanbteS. 34 halte bie ©pigramme unb Sonette 
ni4t gerabe für SKufterteiftungen auf biefem Gebiet, bo4 füllen 
fie ihre Stelle aus. 3ß eS mehr ber ©eteßrte, ber ßnnenbe 
Genfer unb ber ßunftfreunb, ber in ihnen p Sorte Iommt als 
ber Sußter, fo ijt es bo4 nie etwas UeberßüfßgeS ober Unatt= 
gemeffeneS, was jenem ben Sinn bewegt, inbem er bie föunft: 
f4äpfungen auf fi4 einmirfen läßt unb man folgt gern bem 
tmtbigen Süßrer. Unter ben Sinnfprü4en finbet fi4 inunußer 
wobtgelungene, wie j. 83. ber folgenbe, ber bur4 feine S3erbinbung 
oon ©rnft unb formgewanbter Anmutß KüdertS ni4t unwür: 
big ift: 

©er weift p leben? ©er p leiben weift. 

©er p genieften? Ser p meiben weift. 

©er ift ber SReübe? Ser f<4 beim (Ertrag 
SeS eignen Öleifteä p bef4eiben weift. 

©er lenft bie $erjen? Ser ben herben (Ernft 
Stets in ein heitre# ffiort p tleiben weift. 

©er ift ber ©eife? Ser baS falf4e ®olb 
®om e4ten f4neH p unterf4eiben weift. 

Unb wer ber fromme? Ser oon ©enfßen Wohl, 

So4 ni4ts von (Eljrijien ober Reiben weift. 


©injig in feiner Ärt, ja einjig oernratbti4 in ber ge: 
fammten poetif4en Siteratur, erfebeint mir ber lebte „Aus bem 
Jhcanlenjimmer" betitelte Hbfdjnitt beS „©ebenRnußS". Kufen 
Wir uns einen Augenblid Strauß’ äußere SebenSlage für} Dor 
bem ©intritt feines lebten SebenSjabreS in’S ©ebä4tniß prüd. 
Sen fßlan, ein 83u4 p f4reiben, wie es h«na4 etwa in bem 
„Ser alte unb neue ©taube" ju Stanbe gelommen ift, batte 
Strauft offenbar Saht* lang mit fi4 umbergetragen. 9Bir wiffen 
aus ben ,4Jiterarif4en Sentwürbigteiten", baft bie Äbfaffung 
einer ©4rift, in wet4er Strauft perfu4en follte, „ber alten 
4riftU4en 93eltanf4auung in allen ihren Zbeilen unb Srotges 
rangen, Don ©otteS: unb SBettbegriff bis auf bie Sehren Don 
SebenSgenuft unb Sitte hinaus, bie moberne natürti4e unb pb*l D: 
fopbif4e entgegenjufteUen unb bieS in einer 3orm unb Spra4e, 
bie für 9tHe Derftänbti4 unb ergreifenb wäre", gewiffermafsen 
ein 83ermä4tnift feines 1863 Derftorbenen, innigjt geliebten unb 
in SinneS: unb 81nf4auungSweife ihm oerwanbten SruberS war. 
Strauft war jur Seit Don beffen lebtet unb f4werer ©rfranfung 
gerabe mit ber Ausarbeitung Don bem neuen Seben 3«fu be: 
f4äftigt gewefen, bie 3ener nur als eine „Abf4lagSjablung" 
gelten taffen wollte, worüber Straufj in ben „Siterarif4en Sen!: 
Würbigteiten" bemerft: „34 felbft batte eS ni4t für mehr unb 
benle eben jefct an bie f 41 iejü 4 e Abjablung, allein nur 
mit halber Hoffnung, fie noch leiften ju lönnen." Siefe f4tieft: 
li4e Abzahlung f4webte Strauft junä4ft in ber Sonn einer 
m5gti4ft freien, populären Umgeftattung feiner Sogmati! als 
„lebtwiUigeS ©taubenSbelenntnift eines Senfenben unferer Sage" 
Dor, fie erfolgte bann in ber m>4 freieren ©eftatt, wie fie gegen: 
Wärtig in Strauft’ tefetem Sßer! Dortiegt. Sie SBirlung nnb 
ber augenbtidti4e ffiinbrud ber ©4rift ftnb no4 in Aller ©e: 
bä4tnift. Sie h 0 49 e h en ^ en SSogen ber ©rregung branbeten 
häufig in f4onungSlofem AuSbru4 gegen ben SBerfaffer an, beffen 
©eift unb ©emütb Don biefem Anprall lebhaft bewegt würbe. 
©S tonnte ni4t Wohl anberS fein. Senn abgefehen baDon, ba& 
Strauft in biefer lang geplanten ©4tift einem theueren 83er: 
mä4tnif) ebenfo wie einem innerften ^erjenSbebürfnift genügte, ab: 
gefehen baDon, baft fie ihm, ihrer inneren 83ebeutung na4, h^r 
ftanb als AHeS, was er fonft titerarif4 geteiftet — Don bem Seben 
3efu abgefehen —, fo Dermehrte au4 noch ein anberer Umftanb 
feine Spannung unb Derf4ärfte feine ©mpfinbli4leit. Siefer Um: 
ftanb tag in bet übertriebenen Steinung, bie er Don ber gefunfenen 
@4äj}ung feiner S4riftfteQerei feitenS beS ^ublicumS in fi4 auSge: 
bilbet hatte. ®aum hat wohl je ein ©4riftfteDer, beffen Kuf bo4 in 
allen gebitbeten Greifen feiner Kation ein in A4tung feftbegrün= 
beter war, bur4 Stimmungen beeinflußt, feine Sage fo trüb: 
finnig aufgefaßt als Strauß, als er in feinem Sagebu4 am 
19. Kobember 1867 bie SBorte nieberf4rieb: „SBaS hilft es, 
f<4 baS Semüthigenbe p Derhehlen? Shatfa4e ift bo4, baß i4 
feit meinem erften Seben 3efu mi4 in ber ©4äßung beS $ubli: 
cumS immer weiter heruntergef4rieben habe", — unb Weiter: 
hin: „eS barf heute, wenn überhaupt no4 Don .mir bie Hebe 
ift, jeber Iiterarif4e ©affenjunge an mir bie Sdjuhe abpu|en, 
ohne eine 3«re4tweifung fürchten p ntüffen", unb fcßtießlüh: 
„hat baS publicum einem SdhriftfteOer fo beutli4 wie mir p Der: 
ftehen gegeben, baß eS ihn ni4t mehr lefen will, fo meine i4. barf er 
auch nicht mehr f4veiben... ©taubt er ft4 nüßt je|t ober 
künftig im Stanbe, etwas p f4teiben, baS geeignet ift, bas 
publicum in Weiten Greifen pr $o4a4tung p swingen, fo 
foU er ni4ts meßr f4reiben." Sol4er Stimmung unb Auf: 
faffung gegenüber erhält baS Verbiet ber Sriti! faß bie 83e: 
beutung einer Art ©otteSurtheilS. $atte ft4 nun au4 baS 
SetbftDertrauen Don Strauß in ben nä4ften 3ah ten bur4 bie 
Änerfennung, Wel4e feiner S4tift über SSottaire unb feinen 
83riefen an Kenan p Sljeit würbe, wieber einigermaßen ge» 
hoben, fo lehrte bie Spannung über ben (Erfolg feiner tefeten 
Arbeit bo4 bei ber 83eräffentli4nng berfetben Dermuthli4 m 
wenig Derminbertem SJtaße wieber jurüd. Sr fühlte fuß immer 
einer Aufgabe gegenüber, über bie er f4on, wie er fie perft 
genauer in’S Auge faßte, fuß belannte: „ße iß eine fo f4were, 
baß i4 immer wieber Derjweiße, ißt mit meiner ßntenben ftraft 


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Nr. 15. 


lt* tfegcnmart. 


noch gemachten ju fein. 3)enn bie befte unb frifdgefte müfjte 
id) eittjufegen hoben, um nicht befürchten ju ntüffen, bnrcg eine 
folche Arbeit meinem titerarifdjen Stuf ooßenb« ben Sarau« ju 
machen". ®a8, ma« nach ©eröffentlidhung feiner Urbeit at« 
nächfte gotge eintrat, hot Straufj (aum in einem befferen Sichte 
betrachtet, mie bie« ba« „Stadhmort" ju feinet Schrift beuttich 
genug audfpridjt unb mie fehr er ft<h nun auch anbeterfeit« 
über niete ber gegen ihn ergangenen Angriffe erhaben fühlen 
tonnte unb erhaben fühlte, mie beftimmt er e« auch fetbft au«» 
fpradj, bafj bie 3«t ber ©erftänbigung auch für bie« Such 
tommen merbe, mie fte für ba« Seben 3efu getommen fei, fo 
mar boch bie gegenmärtige ftgatfache in ihrer gegenmärtigen 
Sebeutung baburd) nicht au« bem SBege ju räumen unb in 
ihrer SBirtung oößig ungefchehen ju machen. (Sr fetbft aner» 
tonnte mit prophetifdhem Stic!, ba§ er bie Serftänbigung. nicht 
mehr erleben merbe, b. h- « refignirte fid) bahin, ba| bie 8«= 
tunft eine gerechtere ftritif üben, baff fein Such burchbringen, 
aber für ihn, ben Sebenben, ju fpat burchbringen merbe. 

So ftanb benn eine fdjmermiegenbe Xhotfadje für Strauß 
feft, at« er am testen lag be« 3ahre« 1872 fein „ßtaehmort" 
beenbete — fchmermiegenb, benn in 40 3«h**i* fdjttftfteßerifdjer 
Xhätigteit oermadhfen ber Sdjriftßeßer unb bet SRenfch fo fehr 
miteinanber, baff e« au« einem 2eben«ereignijj, welche« ben ffiin» 
bruct hetborruft, at« ob e« bem literarifchen Stuf ben Sarau« 
mache, faft mie ein Xobtengtödtein erttingt. „Stan tautet bem 
Sdjriftfteßer ju Stabe", fo ungefähr mag ba« tritifdje unb jurn 
Zheit fehv untritifche SdjiebSgericijt, bem Strauß bamat« unter: 
tag, fich in feiner Seelenßimmung reftectirt hoben. Unb nun, 
faft genau }u berfetben Seit, lägt fich burch Sdjidfal«fügung 
auch jenes anbere Zobtenglödlein mit feinen emften, bangen 
Gängen bernehtnen, ba« nicht mehr bem Schriftfteßer, fonbern 
bem SRenfcheit gilt. @8 entroidelt fich ber töbttiche Seim bon 
Strauß’ legtet Sranfgeit, einer Sranfheit, bie unaufhaltfam 
berhängnigbott ihren SBeg befdjreibt, bie aber einerfeit« ber» 
hättnigmägig rafch ba« <£nbe herbeiführt unb bie anbererfeit« 
be« Seibenben geiftige gäfjigfeit faft unangetastet bi« ju einem 
fegt borgefdjrittenen tßuntt ihrer ffintmicftung begehen lägt. 

SJtan mug afle biefe einzelnen, ineinanber greifenben 3Ro= 
mente in’« Muge faffen, um bie Stüdmirtung biefer legten Seben«» 
borgänge auf Strauß’ gnnere« ju mürbigen. ®enn ba« Schau» 
fpiel, ba« er un« in bett legten lagen unb Stunben feine« 
Seben« bietet, ift wahrlich lein gemöhntiche«! ©etbft ber liebet» 
begabtejte SJtunb pflegt ju berftummen, menn bie bunlten Schatten 
be« tJobe« ba« ®nbe bertünben. MI« Chamiffo jum erftenmat 
an bie Sdgeibeftunbe gemahnt mürbe, fcgrieb er fein legte« 
Sonett unb bann lieg ber Sänger bie Seiet rügen unb rührte 
nid>t megr an ihre Saiten. Setten toitb ber lob anbet« at« 
au« ber gerne befangen. Mnber« aber bei Straug. Unmißtürlidj 
mirb man Mngegdgt« beffen, bag feine Seele geh beim Scheiben 
noch einmal im Sefang befreit, an bie belenntnigtreuen Stauben«» 
gelben erinnert, bie „fingenb in bie Xobe«feuer Sprangen". 

@r h®Ue ja auch fein Setenntnig abgelegt, bie SBelt hotte 
igm einen Scheiterhaufen errichtet unb bie gtammen loberten 
auf. Unb mie gleichjeitig bamit nun jene anbere gtamme empor» 
ftaderte, bie ihn, fein fterbtiche« %ty\l mätig jerftörenb, beut 
legten Utgemjug entgegenführte, fammette er noch einmal bie 
Äraft feine« Seniu«, um fich ou« Mßem, ma« ign betroffen, ben 
Oerfögnenben Mbfcgtug fetbfttgätig ju gegolten. S>ie« §etj, ,,ba« 
oft oerlannte", mie Straug in bem Sebidgt: „Serorbnung" weh» 
mütgig oon fteg felbet fagt, moflte in Stieben fegeiben, in grieben 
mit geg fetbft, mit feinen nächften Sieben unb — mit feinem 
Scgidfal, menn auch nicht mit feinen SBiberfacgem. ®a« SMug» 
lalifdge in Straug’ SBefen, ein Srunbjug feiner Statur, rang mit 
aßet Stacht gegen bie 3)iffonanjen nach einem garmonifhen ffinb» 
accorb, e« ig ein tiefe« fünftlerifche« unb äggetifdge« Sebürfnig, 
bem et in biefen legten Siebern MuSbrud gegeben gat. SBie 
ein teife jergiegenber Suftgaucg, ber legte $audj be« fdjeibenben 
Seben«, megt e« bem Sefer au« bem Scgtuggebidgt be« „Sebentbucg«" 
an. 35ie legte Strophe bedfetben ift fdgon in Seilet« belannter 
Scgrift übet Straug mitgetgeilt morben. SSoßftänbig lautet ba«felbe: 


Sem ich biefe« Mage, 

Setfj, ich Hage nicht, 

Der ich biefe« fage, 
gfiglt, ich jage niegt. 

«eute geißt’8: oerglimmen, 

Sie ein Sidgt oerglimmt, 

3n ber Sug oerf egtet atmen, 

Sie ein Don oerfegwimmt. / 

Stögc fcgtoach wie immer , 

Mber gell unb rein, 

Diefer legte Schimmer, 

Die fer Don nur fein. 

Setbft rein in föingdgt ber gorm betrachtet gegen bie Schichte 
au« biefem legten Mbfcgnitt feinem ber früheren naeg. SKandge 
oon ignen gnb im Segentgeil au«gejeicgnet bnrdg ffinergie be« 
poetifegen MuSbrud« unb Seicgtgüfggleit ber Spradge. Seinem 
ift anjumerfen, bag bie jitternbe |»anb be« Sdgmererfranlten ge 
nieberfegrieb. Mber igr innerer SBertg rügt freilich fo fegt unb 
fo nadgbrüdticg in ben oorgin angebeuteten ©ejiegungen, bag 
baneben bie Seite ber formalen ©oßenbung laum in’8 Muge 
fäßt. Unb biefer innere SBertg ig ein bleibenber unb unoer» 
gänglicger. Sr begegt für Mße, mie für Mße bie gleiche Stotg» 
menbigleit ber legten Stunbe beftegt, bie Straug bemägrt ge» 
funben. Sebidgte mie bie nadgfoigenben tragen in einem gogen 
unb fettenen Sinn ,,ba« Sieget ber Soßenbung" an geg, geigt 
un« ber Seftorbene boeg: ber ©oßenbete. 

Mn Sa pp. 

Du nimmft al« Strebenben 
Den tränten Sann, 

©iegft al« noch Sebenben 
Den Xobten an. 

D rufe nicht jur Segr, 

Sich nicht jum Zgun; 

SJtir jiemt tein Kämpfen mehr, 

SRir jiemt nur rugn. 

Sieg ich im Mette gier 
Sie in bet @rug, 

Steigt ber Sebante mir 
«och in bie Suß; 

3ch überfegau’ al« Scgwan. 

Sit Mogelblid 

De« Seben« wirre Magn 

Unb mein Sefcgid. 

Stiegt war, was idg gefdjafft, 

Mßwege gut. 

Mcg, halb gebraeg’« an Kraft 
Unb halb an Mtutg. 

«ier oon be« Slüde« «ulb 
' Sarb teg begrftgt; 

Dort gab’ tdg eigne Scgulb 
Sie fdgwer gebflgt. 

Da«, galb im Zraume, gegt 
Mu mir oorbei, 

Sein Seben ig oerwegt, 

Unb idg bin frei. 

Sa« blieb bir, Seele, nun, 

Ml« bag mit ISrnft 
Du in bir felbet rugu, 

Du gerben temg? 

Suspirium 2. 

Stunb’ um Stuitb’ fflgr icg meine Kräfte fegwinben, 

Sieg bie Manbe läfen, bie mich gier noeg binben; 

Senig Mtonben noeg, fo ig oon biefen Siegen, 

Die jegt mieg bebeuten, teiner megr ju gnben. 


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240 


9it tSfjemwart 


Nr. 15. 


(Eto’ge fttaft bet SBelten, ljUf bet mflbeit Seele, 

S)tefe lebten Dualen ftanbf)nft überminben! 

Sa, in Stufyeftunben jpüt’ idj fc^on ein ©auf ein, 

SB« non ©iegeSlüften, lüfjlenben, gelinben. 

$o<$ nid)t Sorbeer, nut bet Siebe Ätanj begeht’ id| 

SRir im ©arg bie bleidjen Soden ju umtoinben. 

SRati fantt bon bem „Oebenfbudj" nicfft fdjeibett, oljne bett 
2öunfdj ju empfiitben, bem tdj ^ierburd) Stuäbrud ;u geben midj 
gebrungen filmte, baff baäjetbe unfetem Votfe jugängli^ gemalt 
werben möchte. ERidj bünft, baff unfere ftürmifcfi bewegte, oft 
fo leibenfdjafttidj unb feinbfetig erregte 3eit ein $tnre<$t ouf 
SttleS tjat, waä fie tröften unb oerfötjnen fönnte. Unb fottte id) 
mi<ff in ber Einnahme irren, baß, Wie am ©rabe meiftenä bie 
Stimmen beö $aberö fdjweigen, fo audj biefe oon ber SRölje beö 
Xobeä geweiften Stange, biefe testen ©ebädjtniffworte eines bebeu- 
tenben ÜRenfdjen eine gaitj befonberS befdjwidjtigenbe unb tinbernbe 
Sraft beftfeen? Unb wenn bem fo ift, fottte biefe eine (Erwägung, 
EtngefidjtS ber oietfadjen, an einem SBeitbepuitlt im Seben ber 
3Renfdjf)eit unttermeibtidjen Verbitterung im Sampf ber ftreiten= 
ben Stnfdjanungen, nidjt biejenigen Sebenfen überwiegen, wetdje 
aus einer an fid) gerechtfertigten <5c§cu ber Eßtetät oon einer 
Veröffentlichung bisher jurüdgeffalten haben? ffiS Ijaitbelt ftd) 
fdjliefflidj ja bodj nur um eine Stage ber Seit- Strauff felbft 
hat ja bie Veröffentlichung üorgefehen, atS er in ber „Verorbnung" 
nieberfhrieb: 

$>od) wenn einft bieS §erj ju fragen 
Slufgeljbtt, baS oft berlannte, 

SBoHen ffiinber bann unb greunbe 
Son ben Xönett feinet Satten 
(Etwas auch oor benen braunen 
Ätingen taffen, Weht’ tdj’8 nicht. 

®aS „Sann" tiefe er unbeftimmt. Äber Wir, bie Etach 5 
tebenben, fönnen barüber wohl laum in Sweifet fein, baff eben 
bie SKittheitung biefeS poetifdjen XeftamentS baS ficherfte SJUttet 
fein Würbe, bieS oft oerfannte ^erj auch *» ben Weiteren Steifen 
wieber Oöttig ju (Ef)ren P bringen. 

3utius Dnboc. 


Juis ber <J5ttupt|lttbt. 


/eftuorßtUttni) jtt fünften ber Hiiterffüttunpkaflfn bes 
Vereins „berliner Jlreffe“. 

Pas ipiniermärchen. 

58oit ©hafefpeare, bearbeitet von granj Singelftebt. 

@» tarnt in bem vorliegenben gaße nicht von einet eigentlichen 
ßritil bie Stebe fein; e» !ann fich nur hanbeln um einen Bericht unb 
um eine Sanlfagung. 

©» ift ein faft tragifdje» Gefcßid, baß bie ftünftlerin, »eiche bie 
Anregung ju bet rnerlmttrbigen ©orjteßung gegeben hat, butch fernere» 
törperliched Seibeit bet Genugtuung beraubt morben ift, in berfelben 
mitjumirlen. grau (^^arlotte ©öltet fchtieb an mich im Secember 
Vergangenen gaßre», baß fie gelegentlich ihre» im grüßiahr bevorftehen* 
ben Gaftfpiel» gern ben Berlinern nodfj einmal ba» „©intermärcheu", 
in bem fie ihren Stuf begrftnbet vorftnelen möchte, unb jrnar ju 
Gunften be» ©eretn» „©erliner fpreffe". Al» »ich im ganuar nach ©ien 
tarn, juchte ich bebeutenbe unb lieben»mürbige $ünftlerin auf, unb 
mir verabrebeten Aße». ©on ber gbee, bie ©orjteßung auf ber alten 
(Stätte ihre» Stuhme» ju veranftalten, auf bem ®ictoriatheater, mußten 
mir von vom herein $bftanb nehmen; e» {teilten ftch ba technifche Schmierig* 
feiten entgegen, bie nicht ju überminben maren. Xage finb erforberltch, 
um bie ju einem $lu»ftattung»pcfe mie „bie fchöne SJtelufine^ noth= 
menbigen 3)ecorationeu aufjuhängen, bie SRafchinen auf§u{teüen ic. 2)a 
ba» „©intermärchen" felbft be» äußeren ©chmucfe» nicht entbehren fann, 


fo hätte bie Sühne be» Sictoriatheater» von bet $fo»ftattung bet „frönen 
2Jteluftne" geräumt metben müffen, um ber be» „©httermürchen»" 
ju machen, unb ba» märe ohne bie jeitraubenbften Semerfftettigungen 
nicht ju ermöglichen gemefen; außetbem ift von bet alten &u»ftattung 
be» „©intermärchen»^ am Sictoriatheater nicht mehr viel in brauch^ 
barem Suftanbe. ®» hätte naljeju Äße» erneuert metben müffen. 25a 
ba» publicum in ba» Sictoriatheater in Sejug auf becorative Fracht 
nur mit ben größten «nforüchen geht, fo mären, menn man e» nicht 
hätte enttäufchen motten, unerfchmingliche 9tu»gaben unumgänglich ge* 
mefen. Sagegen hntte ba» 9tationaltheater unter ber rührigen unb um* 
fichtigen Leitung von Robert Suchholj vor ftittjem ba» ,,©intermär= 
chen" gegeben. Sie SorfteHung „ftanb" alfo, mie man in ber Sheaier* 
fprache fagt; e» maren Vertreter für äße Stoßen ba, bie Stoßen felbft 
maren memorirt, bie ©tatiften unb bie ©om^arferie maren einftubirt, 
furjum hier ließ fi<h mit einigen groben eine Sorfteßung be» „©intet* 
märchen»" mit ®h«^tte ©olter al» ^ermione ju ©tanbe bringen. 3<h 
erbot mich, mit Sirector Suchhulö ba» ©eitere ju orbnen. ©ei ber er^en 
Unterrebung feilte mir biefer gefbrä^»meife mit, baß Änfang SItJril 
mahrfcheinlich Submig ©atnab bei ihm gaftiren mürbe. 3<h f«hrieb 
in 3fölge beffen an ©arnah unb fragte ihn, ob er im ©tanbe fei unb 
Suft hö&e, in ber erpen ©älfte be» ftpril neben ©h^^tte ©olter im 
„©intermärchen^ ben fieonte» barjufteßen. ©arnah jagte mir fofort ju 
unb er h«t nicht einen Stugenblicf gemanft, um fein ©erbrechen ein* 
julöfen. 

Sie fefte gufage jmeier fo h^rvorragenber Äünfller legte ben ®e* 
banfen nahe, anbere Kräfte erften Stange» für biefelbe ©orffceßung ju 
geminnen, um fo mehr, al» fi<h eine ber berühmteren bentfehen ©chau* 
fpielerinnen von felbft jur Uebemahme ber „©erbita" erbot, unter ber 
©orau»fefcung, baß ihr ein bebeutenber Sarfteßer be» glorijel jur ©eite 
gefteßt mürbe. Sa fich ©ilhelm von $ojar au» ftarl»ruhe, bet 
3ahre lang eine» ber beliebteßen ©ttglieber unfere» ^oftheatcr» mar, 
jur Uebemahme biefer Stoße bereit erflüri, unb ju ©utli|, fein 
Sntenbant, ihm ben erforberlichen Urlaub baju bemißigt hatte, fo glaubte 
ich, füt bie vier Stoßen au»geforgt ju haben. 

3njmifchen fam @rnft ©offart nach ©erlin, feierte al» ©tanfreb 
einen feltenen Sriumph unb fteßte fich au» freien ©tücfen, in bem 
femble, ba» ein munbervoße» ju merben verforach, für bie''Stoße be» 
SCutolhlu» jur Verfügung. Stun maren e» fünf! 3e überrafchenber 
biefe Erfolge bei ben ©orbereitungen maren, um fo lebenbiger mürbe 
ba» ©erlangen, nun aße erheblichen Stoßen mit erften Kräften ju be= 
fejen. grau (£laar*Selia übernahm bie Stoße ber ©auline mit einer 
£ieben»mürbig!ett, bie man erft bann befonber» jehäfcen mirb, menn 
man meiß, baß fie felbft eine au»gejeichnete Sarfteßerin ber $erntione 
fein foß; frnil Shoma» bie fleine, aber unenblich tomifeße Stoße be» 
©obfu». Stun mar noch ber ©otyjene» ju befefcen. Äu» bem alten 
Sheaterjettel be» ©ictoriatheater» erfah ich/ baß ftarl ©tittell mit 
Charlotte ©olter jene Stoße früher gezielt hatte. 9uch er ging in 
freunblichfter ©eife auf ben Äntrag ein; unb fo mar benn, ba auch für 
bie Heine Stoße ber Sorfa» gräulein ©etth Samhofer eingetreten unb 
für ben Xanj im ©chäferacte graulein gofefine Simmermaim vom 
©ictoriatheater gemonnen mar, ein (Snfemble von Zünftlern jufammen* 
gebracht, an ba» man bie haften Slnforberungen fteßen burfte. 

©i» bahin mar Slße» glatt gegangen; nun trat in ben ©orbereitungen 
ba» jmeite ©tabiurn ein, ba» ber ©törungen unb ©chmierigfeiten. 3*^ 
nächft jog bie für bie ©erbita beftimmte Sarfteßerin ihte 8ufage jnrttcf; 
e» mürbe bafür eine anbere, jmar noch nicht meit berühmte, aber bantm 
nicht minber liebliche ftünfilerin gefunben: gräulein ©tathilbe Stamm 
Vom Stefibenjtheater, melcher, San! bem Sirector <£laar, auch bieSKög* 
üchteit jur ©Htmirfung geboten mürbe, ©offart, ber buchftdblich im 
©chmeiße feine» Slngeficht» bie ehrenbften Srium^hr in ©eter»bnrg feierte, 
hatte fich junächft nicht recht überlegt, baß er ein ©erfprechen gegeben 
hatte, beffen (£rfüßung feine Kräfte eigentlich überftieg. ®anj jerfcßlagen 
von ben Slnfhrengungen be» ©aftfpiel» unb ben gefeßfchaftli^en ©tra* 
pajen in ©eter»burg, mußte er fofort nach Nürnberg fahren, um bort 
eine Steihe von ©orfteßungen ju geben, ju benen er contractUcß fer* 
pflichtet mar. ©on ba foßte er — nicht» Geringere» mürbe ihm juge* 
muthet — eine» frönen ÄbenbS nach ber ©orfteßung abfahren, am 
anbern ©torgen h'^r tirobiren, am britten Sage fbielen unb nach ber 
hiefigen Aufführung mieber jurüeftehren, um in Stümberg rneiter ja 
fpielen! Unb noch @in»: Sa» ©ublkum in ©ürnberg machte ^ine 


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Nr. 15. 


Wit 


241 


Änfprücpe geltenb; ei tvoßte Hoffart nid^t tob taffen! ®b mar Unmenfcp- 
li<be3, nmö mir ba verlangten. Aber nun mar eb gu unt ben 
Regungen ber ©JenfcpUcbleit nacpgugeben unb ihn gu bibpenfiren, benn 
ingtoifcpen Ratten mit SRueffid^t auf bab außerorbentlicpe tünftlerifcpe ©r* 
«gnifi unb auf ben mobltpätigen 8med außerorbentlicpe greife feftgefept 
merben tönnen unb bab #aub mar bureb ©orbefteßungen, noch epe eine 
ein$ige Annonce in bie Seitungjn gefommen mar, in aßen erften ©läpen 
aubverfauft. Der $of, an ber Spt&e ber Äaifer, batte fein ©rfcpeinen 
angemetbet, im Neicpbtage mar eine ßifte aufgelegt morben, bie fiep mit 
gablreicpen Unterfcpriften bebedt batte, bie©iitglieber beb©ereinb „©ertiner 
©reffe'' unb beb ©ereinb „©erliner Äünftler" patten für ft<b unb ihre 
greunbe #unberte unb Xaufenbe von ©ißetb beßeßt; bie ißuftrirten 
Leitungen bitten ihren ©orrefponbenten unb Seifnern bie betreffenben 
©Beifungen gugepen taffen; Aßeb bab mar gefcbeben in #inblitf auf bab 
Sufammenfpiel von ben pervorragenbften ftünftfem. Unb ba nun anb 
biefer Äette fcbon ein ©lieb fid) aubgelöft batte, fo mar eb nicht mög= 
(ich, auch ein gtveiteb noch aubgubrecpen, ohne ben ©paratter ber ©e= 
fammtbeit erheblich gu veränbem. Die ©orfteßung hätte bemgemäß auch 
unter gang anbem ©ebingungen von Statten geben müffen. Die un* 
verfebrte Nahrung beb ©efammtgaftfpielb mar bie ©runbbebingung, 
'an ber nicht mehr gerührt uub gerüttelt merben fonnte. gür ben 
Autolpfub mußte ein erjter ftüuftler eintreten; aber mober ihn nehmen? 
3«h bemerle bei biefer ©elegenpeit, baß mir gu unferm tebbafteften ©ebauem 
auf ben ©eiftanb beb königlichen ipoftpeaterb bebbatb Verliebten mußten, 
meit bie ©orbereitungen gu ben fiönigbbramen aße Stoäfte beb Scpau= 
fpietpaufeb voßtommen in Anfprucp nahmen, unb rneil unb eine binbenbe 
Sufage für ben entfeheibenben Abenb niept gegeben merben tonnte, Alb ein* 
äiger Netter aub ber Notp ftfjien fich noch griebrieh $aafe barguftefien. 
fterglicpfteb, liebenbmürbigfteb ©ntgegentommen von feiner Seite, aber eben 
fo tebbafteb ©ebauern; unb bie beftimmte ©rllärung: non possamos. 
Abgefepen bavon, baß $aafe ben Autolpfub überbauet nie gezielt batte, 
mar ihm jefct bie ©Jittvirfung beim beften ©Bißen gerabegu unmöglich. 
(5r batte nftmlicb vor menigen Dagen einen ©ertrag mit ber #ofbüpne 
abgefebtoffen, bureb ben er feinen ©erpflidjtungen gu einem längeren 
©aftfpiel auf feinen ©Bunfcp enthoben morben mar gegen bie beftimmte 
©erpfticptiutg: innerhalb eineb gapreb auf feiner ©ertiner ©übne auf* 
gutreten. Da fiep gmifeben ihm unb ben leitenben ©erfönticpleiten am 
§oftpeater ein ©onflict Vorbereitete, fo mar ber Äünftler eben fo menig 
in ber Sage, fetbft eine ©efäßigfeit von ber Seitung beb Jpoftpeaterb 
gu erbitten, mie gu geftatten, bab ber ©erein „©erliner ©reffe" für ihn 
eine folcbe erbitte, ©in Aubtveg mar noch ba, aber er mar fo feef, 
bab ber $inmeib auf biefen unmöglich vom ©erein „©erliner ©reffe" 
gegeben merben fonnte; griebricb fcaafe fetbft mar eb, ber ihn begegnete! 
Alb praltifcper ©tonn ber ©übne erfannte er fofort, bab bie $aupt= 
fchmierigteit bab Nürnberger ©ublicum mar; mürbe biefeb befriebigt, fo 
mnbte ©offart tommen, ob tobt ober tebenbig, unb griebricb £>aafe er= 
Härte bemgemäb, bab tx > am ©offart frei gu machen, unentgeltlich in 
Nürnberg fpielen moße. Delegramnt an ben Director Neef. Nücfant- 
mort: bie ©ombination ift angenommen! Unb mäbrenb ftaafe feinen 
Koffer paefte, um gu ©unften beb ©erehtb „©erliner ©reffe" in Nürnberg 
gu fpielen, fchnürte ©offart fein ©Anbei in Nürnberg gufammen, um 
bab ©teicbe b^ crort ^ b n tpun. 

Nun traf unb ber lepte, ber febmerfte Schlag! grau ©barlotte 
©Bolter ertranfte fo bebenfticb, bab brei Dage vor ber ©orfteßung jebe 
Hoffnung, bie berühmte tfünftlerin am 7 . April mitmirfen gu feben, 
aufgegeben merben mubte. Da fepien eb einen Augenblid, alb ob nnn 
Aßeb, Aßeb vergeblich gemefen fei, alb ob bie ©aftb, auf ber bab gange 
tunfivoße ©ebäube mübfam errichtet mar, unb mit einem Nucf entgegen 
merben foßte! konnten mir an einen voßgültigen ©rfaß gerabe für 
©barlotte ©Bolter unb gerabe für ihre #ermione benten? ©ab eb einen 
verftedten Ummeg, ber unb gum diele führen mürbe? $ättc eb unb 
genügt, menn g. ©. ©lara ßiegler, mab bei ihren liebenbmürbigen ©e= 
fhujjmgen für bie ©erliner ©reffe übrigenb gu begmeifeln märe, irgenb 
mie alb ©Jebea ober gar alb ©entbefilea anfgetreten märe? Nein! Die 
©orfteßung muß abgefept merben! Dab mar ber erfte, ber fürchterliche 
©ebante, ber ficb ber ©eranftalter berfeiben bemächtigte. 9lber mie? Die 
©ißetb befanben ficb ingmifchen fdjon gum großen Dbeil in ben ^änben 
ihrer rechtmäßigen Inhaber; eb mären Vießeid)t auch f^an ©ißetb gu 
ben hoppelten un b breifachen ©reifen aub gmeiter $anb angetauft, bie 
Jfaffe beb ©ereinb „©ertiner ©reffe" batte fcbon einige Kubgaben geleiftet, 


bie im ©erbältniß gur Veranfchlagten ©innabme gering, gum ©eftanbe 
ber Äaffe aber erheblich erfdjienen. Nßeb mar fo complicirt, baß mau 
nicht mußte, mo man anfangen foßte, um bab mit fo Viel tfoftrengungeu 
mübfam ©efügte mieber gu löfen. Depefchen an bie aubmärtigen Äünftler, 
Depefcben an biejenigen abmefenben ©ätglieber beb Neicbbtageb, bie mit 
Nüdficht auf bie ©orfteßung früher nach ©erlin gurüdgulebren ficb 
genommen batten; Stbfage bei $ofe — eb mar nicht burcbgulommen! 

ßmeiter befferer ©ebante: Die ©orfteßung muß auf aße ftäße ge¬ 
geben merben. ©or Stßem aber lein ©ertufcbeln, lein ©efKönigen ber 
graufamen SBabrbeit; größte ©ublicität für bie SNittbeilung, baß Sftau 
©barlotte SBolter bureb fdjowre Ärantbeit an ber SNitmirlung verbinbert 
mirb. Denjenigen, bie in #inblid auf bie ^erinione ber ÜBolter ihre 
©ißetb genommen haben, foß eb freifteben, bie ©ißetb ber ftaffe gurüd^ 
gugeben. 

OTer mer foß nun bie ftermione fpielen? ®b muß eine ftünftlerin 
erften Nangeb fein, fie muß bie Noße bereitb gefpielt haben; hoppelte 
Scbmierigteit! Da mirb ein Name genannt; unmöglich, bie ©etreffenbe 
bat unliebfame ©rfabrungen in ©erlin gemacht, ©in gmeiter — eine 
vortreffliche Äünftlerin, aber bab ©ublicum glaubt ihr bie §ermione 
nicht mehr, ©in britter — fie mirb unablömmtich fein unb menn fie 
fid) fofort auf bie ©ahn fept, tann fie hoch laum red)tgeitig eintreffen! 
©ine eingige vereinigt aße ©igenfd)aften in ficb, um alb möglicher ©rfap 
gu bienen. Sie ift fchön, jung, intereffant, eine aubgegeichnete Äünftlerin 
unb in©ertin noch nicht betannt: ^rangibta ©fintenreich- Dringliche 
Depefcbe, bringticb nicht nur nach ^ Ntobub ber ©eförberung, fonbern 
aud^ bem Inhalte nach, unb barauf in einer Stunbe bie Äntmort: „3cb 
fahre beute ttbenb ab, tomme gur ©robe unb gur Aufführung, grangtbfa 
©fintenreich." 

Unb bab Nefultat: von lßOO vorbefteßten ©täpen, — b. b- oon 
folchen, bie berüdfichtigt maren, benn bie ©efteßungen -gingen hoch in 
bie Daufenbe, — finb etma 20 ©läpe (alfo iy 8 ©rocent) gurüdgegeben, mit 
benen natürlich auf ber Stefie mieber eben fo viel gtüdlidj gemacht 
morben finb, fo baß bie Stoffe am ©Jörgen unb Abenb ber ©orfteßung 
gefcbloffen blieb. 

Dab finb fo einige menige Data gur ©efcbichte biefer Aufführung. 
©Benn man f«b überlegt, melche Opfer von ben ©ingelnen gebracht 
morben finb, fo mirb eb ferner merben, bafür eine äquivalente An* 
ertemtung gu finben. NJan ermäge: ©offart, ber brei Dage eineb an 
Nubm unb ©eminn reichen ©aftfpielb in Nürnberg preibgibt — bie 
Hälfte ber ©innabme von brei Abenben Vor anbvertauften Käufern —, 
ber bie große Neife von Nürnberg hierher unb von fytx nach Nürnberg 
gurüd macht, um in einem Acte mttgumirlen; griebricb $aafe, ber, um 
hieb gu ermöglichen, von biw ttadh Nürnberg reift, bort einen Abenb 
fpiett unb am anbem Dage hierher gurüdfebrt; ßubmig ©arnap, ber, 
um reebtgeitig hier eingutreffen, in ben lepten acht Dagen fünf große 
Noßen fpielen muß, ber am Abenb nach ber ©orfteßung beb „Defi" 
Von Hamburg abreift, am ©Jorgen hier eintrifft, vom ©abnbof auf bie 
©robe gebt, am Abenb bie gmeite ©robe, am Sottnabenb früh bie britte 
©robe mitmacht, unb am Abenb bie töbtenbe Noße beb Seonteb bar« 
fteßt; gräuletn grangibta ©ßmenreich, bie auf bie Depefcbe bin *b re 
©arberobe fepneß gufammenpadt, unb ebenfaßb von Hamburg in Nadjt 
unb Nebel abreift, um fich benfelben Anftrengnngen gu untergieben, bie 
fich tar ferneren ©erantmortlichteit, bie auf ihr taflet, mobt bemußt ift, 
bie gum erften SNal vor bab ©erliner ©ublicum tritt — unb grnar vor 
bab aßervermöbntefte, freilich auch bor bab aßerbefte —, bie gegen bie 
©rinnerung ber SBolter gu lämpfen bat unb nach ber ©orfteßung um 
NJittemacht nach Hamburg gurüdtebren muß, um am anbem ©Jorgen 
im bortigen Stabttbeater bie ©robe mitgumacben; ©Jittefl, ber aub 
©tünchen lommt, unb in ©ertin lebigtich ber ©orfteßung beb „ABintet* 
märchenb" tvegen Naft macht, um gu feinem ©aftfpiel nach Niga tveiter 
gu reifen; ©Bilbetm Von $ojar, ber bie große Neife aub ftartbrube 
unternehmen mnß, unb nach ber ©otfteßung mieber bortbin gurüdfebrt; 
©mit Dbomab, ber alb Director beb Dbaliatbeaterb babitrch, baß er 
bie beiben gugträftigften ©Jitglieber — fich unb ©ettp Dampofer 
— feiner ©ßpne entgiept, einen Dpeaterabenb gerabegu opfert; ©mit ©laar, 
ber fogar gmei Abenbe in bie Scpange feptagen unb am Nefibengtpeater 
opne bie gtvei nncptigften toeiblicpen ©Jitglieber, opne grau Termine 
©laar^Detia unb opne gräulein ©Jatpitbe Namm ©orfteßungen geben 
muß; Director ©mit $apn vom ©ictoriatpeater, ber bem ©aßet ber 
„fepönen ©Jelufine" bie Solotängerin gräulein Qimmermann entgiept; 


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242 


®t t dtitnmaxt 


Nr. 15. 


mtb bie anberen ißeaterbirectoren, bie mit Rficfftcßt auf bie ©orftedung 
bei „Söintermftrcßeni" ißr ganzei Repertoire einricßten, refpectioe um* 
änbem müßen, wie ber ©eneralintenbant bei tütrlirußer ftoftßeateri 
©. ju $utliß, ber auf einige £age feinen erften fiiebßaber, oon $ojar, 
ber $>irector bei ©tabttßeateri in Hamburg, Jßodini, ber feine erfte 
ftelbin Fräulein granjiöfa Edmenreicß entbehren muß; unb — last not 
least — Robert ©ucßßolz, bem bie ©orßedung in ein erfolgreicßei 
©aßfpiel ßiueinßagelt unb ber bie aufreibenben groben zu leiten hat — 
man oerliert fcßon bei ber bloßen Aufzählung ben Atßem! 

3ß nun bie ©orßedung aller biefer bejcßwerlicßen unb opferbereiten 
fieißungen wertß gewefen? 3<ß glaube oßne aflei ©ebenlen biefe Srxage 
bejahen §u bßrfen. $>er hoppelte Swed ift erreicht: 2>em publicum ift 
ein tünßlerifcßer ©enuß ber feltenften Art geboten unb ben Unter? 
ßüßungilaßen für bie Suoaliben ber geber eine ungewöhnlich reiche 
Einnahme zugeführt worben, ©eit ben berühmten dRüncßener dRufter? 
oorßedungen ift eine folcße Aufführung, wie biefe bei „©intermftrcßeni", 
wohl nicht $u ©tanbe gebracht worben. 

$er dRuth bei grftulein gran§i§fa Edmenreicß, im lebten Augen? 
blicfe für grau Eßarlotte ©olter einzutreten, hat ftch reichlich belohnt. 
($3 war nicht möglich, baß ftch junge, reichbegabte Äünftlerin gleich* 
zeitig unter fcßwierigeren unb unter glücflicheren ©ebinguugen h* er 
einführte, ali fie ei gethan hat. ©ie hot ftch mit biefer einen Rode unb 
mit einem Schlage bie aufrichtige ©ßmpatßie bei beften $ublicumi, bai 
ftch oiedeicht jernali in einem ©erliner Xßeater jufammengefunben, er? 
worben, unb ali ipermione einen ooden ungetrübten Erfolg errungen. 
©cßon burd) ih re äußere Erfcßeinung, burch ihre fd^öne gigur unb ben 
ebel gefchnittenen Äopf mit ben fprechenben bunleht Augen wußte fte bei 
ihrem erften Erfcßeinen für fich etnzuneßmen. dRit reijenber Einfachheit 
tmb ^erzlicßteit fpielte fte ben ejponirenben erften Act; in bet großen 
©eene ihrer ©erßoßung fanb fte Accente oott tief ergreifenber, er? 
fchüttember ©ewalt, unb ber ©eifad bei $ubiicumi ßeigerte ftch uaeß 
biefem Auftritt jnm Entßußaimui. Auch in ber ©erießtifeene war ihr 
©piel bebeutenb unb bureßgeißigt; jebe fiinie war richtig gezogen, nur 
bie eine ober anbere oiedeicht etwai §u ßarl; aber jebenfadi hot granziita 
Edmenreicß burch i^re Sarftedung ber ftermione ihren Ruf auf bai 
©länzenbße gerechtfertigt unb einen fcriuntpß gefeiert, ber in ihrer 
Äünßlerlaufbaßn entfeheibenb fein wirb. 

Rieht fparfamet im ©eifad geigte fich bai publicum gegenüber ber 
heimifeßen Äünßlerin, grau Termine Elaar?2)elia, bie bie Rode ber 
fhmpatßifcßen $auline übernommen hotte unb naeß ber ©eene im Werter 
wieberholt ftürmifch gerufen würbe. dRit gug unb Recht ; benn bie burch 
$er$enigüte entflammte fieibenfcßaftlicßleit ber Mouline tonnte leine 
glaubwürbigere unb berebtere ©ertreterin flnben ali in unferer Äünßlerin. 
Rebenbei bemerft auch feine fchönere: ße fah wunberood aui. Riemali 
ift bai oon ©halefpeare fo ßübfd) angebeutete ©erßftltmß ber $auline 
ju ihrem dRann, bem Ißantoßelßelben Antigonui, eiitleuchtenber erfchienen, 
ali hier bnreh bie gebietenbe $>arßedung ber impofanten grau Elaar?$elia. 
3ßr glaubt man ei, baß fte troß bei flönigi ©erbot ftch ben Eintritt 
erzwingt, baß bie brei oontehmen ©icilianer, unter benen fich auch ihr 
dRamt beßnbet, ißt nicht feinbfeltg gegenüber zu treten wagen, baß fie ben 
Äertermeißer bei ©eite fchiebt, um ftch btn ©eg zu bem feßreienben Äinbe 
§u bahnen, grau Elaar?$elia hot fcßon oft glftnjenbe Erfolge gefeiert, 
wenn fte in erfter fiinie ßanb; fte wirb ei bieimal gewiß nießt §u be? 
retten hoben, baß fie ftch in bie §weite fiinie geftedt hot; aueß bort 
blüßen bem waßren Äünßler fiorbeeren. 

fiubwig ©arnaß iß nießt nur unzweifelhaft ber befte fieontei, 
fonbem ber fieontei iß aueß, wie ich glaube, ©arnaßi beße einheit? 
licßße, bureßgefüßrteße fünßlerifcße fieißung. 3)er fieontei, biefer 
unbebeutenbere Otßedo, gilt in ©cßaufpielertreifen ali ber ßöcßße Aui? 
brud beßen, wai man eine unbantbare Rode zu nennen pßegt. Unbantbar 
iß oiedeießt nießt bai rechte ©ort, aber antipatßifcß iß bie Rode oon 
Anfang bii zu Enbe; benn fieontei iß ungerecht, graufam, ßerzloi, aui 
unmotioirter Eiferfucßt, unb ganz oui fteß felbß ßeraui, oßne baß ißm 
eine liebeniwürbige ©<hwftcße gleicßfam ali Entfcßulbigung bienen tönnte. 
Äein dRenfcß feßürt feinen ©erbaut, fein ©erleuntber fcßwftrzt bie un? 
fcßulbige £ermione an, bie ganze Umgebung iß oon ber £reue feinei 
©eibei überzeugt. Er adein iß unbegreißieß unb hart auf eigene 
gauß. dRan fodte meinen, baß ber $arßeder biefe gigur, um fte oer? 
ftünblicß zu geßalten, Oerftcßtlicß ober lächerlich zu machen gezwungen 
fei; ber großen ftunß fiubwig ©arnaßi gelingt ei aber, biefen 


dRann fowohl oerftünblicß wie wahrhoß intereffant z u btlbett. 
3n feiner 3)arftedung erfdßetnt bie Eiferfudht bei fieontei zum* auch 
ali eine tief innerliche ©erwirrung, aber boeß fo, baß man biefe nur 
beflagen, ße nießt oerftcßtlicß ßnben barf. ©ie erfeßeint ali ber 
unglücflicße Auißuß einer großen ©eele. dRan grodt zwar biefem fieontei, 
aber unwidtürlicß wenbet fieß ißm aueß bie ^h e 'l na h w e §u; man ßnbet 
ißn mitleibeniwertß, nießt albern. $)aiv©piel ©amaßi war in jeber 
bebeutenben ©eene gleicß bebeutenb. Unb wie meißerßaft War bie ganze 
Rode angelegt unb bureßgefüßrt! SBie tunftood geßeigert oon ben erßen 
unerßeblicßen Regungen ber Eiferfucßt bii zu bem tobenben Auibnttfe 
berfelben Oor bem ©erießt unb oor bem Urtheilifprucß bei belpßifcßen 
©ottei. dBelcße milbe tiefe Xraurigleit lag über biefem fieontei, naeßbem 
er fein jeßwetei Unrecßt ertannt, unb wie ßed ttnb innig war fein Subei, 
ali er bie ©eliebte wieber in feine Arme fcßließt! dRit einem SEBorte: 
bie glüdlicßße fieißung einei unferer erßen lebenben ßünßler. 

Einen prächtigen ©egenfaß z u bem büßeren feßroßen fieontei 
bilbet ©olßjenei, ber liebeniwürbige, poetifcß frtfeße ^önig Oon Arta? 
bien, zu welchem ber geißoode ©earbeiter $ingelßebt ben ^errfeßer 
bei fabelßaften ©ößmeni gemaeßt ßat. 2)en ftltereu Xßeaterbefucßem 
war ei belannt, wie oorzüglicß ^arl dRitted biefe Rode barftedt; bie 
anbern, bie biefen auigezeießneten Eonüerfationi = ©cßaufpieler nur ali 
©onoioant im grad tennen, werben erßaunt gewefen fein, mit welcher 
©ewanbtßeit unb fieicßtigleit ßier Eonrab ©olz unb ber ©eilcßenfreffer 
ben ßötßften ©til unb bie £oga ßanbßabt. ^olßjenei iß oon bem 
3)icßter unb oon bem ©earbeiter granz $ingelßebt, ber wegen biefei 
SBertei mit gng unb Recßt ben Rußm bei Racßbicßteri beanfpntcßen 
barf, nießt befonberi reich auigeßattet. 2)ie einzige ©eene, mit bet 
^olßjenei eine oode SBirtung erzielen tann, iß bie im brüten Acte, 
ali er beim geße ber ©cßaffcßur feinem oerliebten ©oßne mit # ber 
SBürbe bei Äönigi entgegentritt; unb mit biefer ©eene erzielte dRittel 
bie bodfte SBirfung. Qu nießt geringerem ©erbienfte möcßte icß ei ißm 
anrechnen, wie er bureß fein dRitwirlen in ben ©eenen, in welchen er 
actio ali ©preeßenber wenig beteiligt war, bureß fein ©erhalten bai 
Enfemble förberte unb ßob. ©erabezu unübertrefflich war fein ßummei 
©piel in ber erßen ©erwanblung bei leßteu Aufzugei: bie ©egrüfjung 
mit fieontei unb bie bureß ißerbitai fiicblicßleit ßerbeigeftthrte ©erföß? 
nung mit feinem ©oßne giorizel. 

Unb tann man fieß ein reizenberei fiiebeipftreßen beuten ali bai, 
welcßei wir in biefer ©orßedung faßen: dRatßilbe Ramm ali ©erbita 
unb ©ilßelm Oon $ojcar ali giorizel? dRatßilbe Ramm iß feßon bureß 
bie morgenfrifeße Anmutß ißrer Erßßeinung wie faum eine zweite zur 
«ßerbüa geeignet. Unfer publicum weiß aueß Iftngß, baß ße unter ben 
jugenbließen ©cßaufpielerinnen zu ben begabteften gehört, unb baß ißre 
einfa^e, oon jeber Affectirtßeü freie poetifeße Ratürlicßteit ße berechtigt, 
fteß an ßößere Aufgaben ßeranzuwagen, ali ße bai mobeme fiuftfpiel 
ben naioen unb muntren ©adßfcßen zu ßeden pßegt. $ie einzige ©e= 
forgniß, bie laut würbe, galt ißrem Organ. Aber merfwürbig! 3)iefelbe 
©timme, bie in bem tleinen Raume bei Reßbenztßeateri biiweilen nur 
mü Anßrengung auireießt unb in ber Anßrengung mitunter fpröbe Hingt, 
füdte im SBoßllaut ben großen Raum bei Rationaltßeateri Oodfommen 
aui. Aueß SBilßelm oon ipojar fodte ben gufeßauem eine ftßnlicße freubige 
Ueberrafcßung bereiten. dRan tannte ißn oon früher ßer namentlich ali 
lomifeßen Raturburfcßen, ali fcßücßternen ©edmaui, ali ©abecommiffar 
©ittig, unb war nun erßaunt, zu feßen, wie ßcß fein Talent oerinnerüeßt 
unb oertieft ßat, mit welchem poetifeßen 3)ufte er bie entzüdenbe Heine 
Rode bai giorizel umgibt. $ai $ftrcßen gließ wirllicß, wie ©ßafe? 
fpeare ei wid, ben Xurteltftubcßen, bie anmutßig bureß bie trübe §anb? 
lung ßinburcßßattem. 

Qu bem ©eßen, wai ber am ©eften fo reieße Abenb bot, geßörten 
bie übermütigen Rüpelfcenen, bie naeß ad’ ben fieiben nnb ©eßmerzen, 
bie wir in ben erßen Aufzügen gef eßen haben, wie ein fiabfal wirten. 
Unb ßier waren Zünftler, bie ben berben ©ßatefpeare’fcßen $umor fo 
auffaßen, wie er aufgefaßt fein wid: in ber ftnßerften Potenz bei Ueßer? 
mutßei. Einen glftnzenberen ©eweii feiner tünßlerifcßen ©ielfeitigfeit 
tonnte Ernß ©oßart, bem wir noeß oor wenig ©oeßen ali dRanfreb 
Zugejubelt ßaben, nießt erbringen ali bureß feine $arßedung bei Ekiuneri 
Autolßtui. ©eine ©anblungifftßigteü in biefer ©aubluttgirode war ganz 
unoergleicßlicß. 3n Welcßer Einzelheit berfelben gebührt ißm bai tm 
feßiebenße Sob? Ali eßrlicßer ©auner, wie er fein frößlicßei Sieb 
trftdemb baßer gezogen lommt? Ali ©pißbube, ber bem einfältigen 


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Nr. 15. 


9it 6tgtn*«rt 


243 


StopfnS Scmrfdjaft tntb 9(^mtg abfdjtmtibelt? TO fcanfiter, ber bie 
$orftö!pel übertölpelt? TO großer $err üom $ofe, ber bie bteberen 
©<$äfer jur Untermürftgfeit jtoingt unb iljnen baS ©elb auS ber Safere 
locft? 3$ »etjj eS nic$t 3$ »ei& nur, bab t$ feiten tyetzltdjer unb 
meljr im Sweater gelabt ljabe als über biefen pradjtootten SlutolpfuS. 
3>eS $ubel* mar au<$ lein (Enbe; noch am ©e$luf$ verlangte baS 
$itblicum, baS bie $arjtetter immer unb immer »ieber Ijeroorrief, unter 
biefen au<$ $offart nodj einmal begrüben §u fömten, ber iitz»tfdjen 
üietteidjt gerabe fein SBiKct für Nürnberg coupiren lieb- Stber »aljrltdj, 
eS berloljntc ber Sfcülje, um biefeS einen ÄcteS »itten bie befdjmerlidje 
Steife ju machen! (Sin baitf bareres unb befriebigtereS publicum Ijat 
Stoffart »o$l nie gefunben; unb eS mub bod> für einen KünfHet immer 
einen getoiffen Metz fjabett unb Ujm eine gemiffe (Heitugtyuung gemähten, 
fid| bei einem fo feierlichen Änlafc burdj ein fo »idjttgeS Xrtbunal non 
Stenern bestätigen §u laffen, bab man mit gug unb Stecht §u ben 
Korpppäeit ber beutfepen $arftettungSfunft fidj rechnen barf. 

liefern ttatolpfuS ftanb ebenbürtig ber StopjuS non (Emil $lj»inaS 
jur ©eite. Stau mub ihn gefehen höben, biefen unglaublichen StopfuS, 
beffen Ißljpftognotnie ben Umgang mit feiner $eerbe mieber^ufpiegelu | 
fdjeint, tote er fidj treuherzig befchminbeln läfjt; man mub ih n gefehen 
haben in feiner unbefchreiblichen (Einfältigfeit — ita<$erzäl)lett läfjt e* 
fuh nicht. Stber »et ihn gefehen $at, ber toirb baS blöbe (Hefid&t nicht 
nergeffen, baS biefer StopjuS zeigte, als SlutolptuS ihm mit gröbter 
©emütljSnipe auöeinanberfefct, »el$e ©trafen für ben ©ohn beS alten 
©djäferS, für ihn, ben unglücflichen StopfuS, erfonnen »erben. 3e£t, 
ȟhrenb ich biefe Seilen fdjreibe, mub ich bie gebet nor Sachen bei 
©eite legen; fo ftar! ift bie ©itfung noch in ber (Erinnerung. <Et»aS 
nnmiberftehlich ÄomifdjiereS ift nicht benlbar, als biefe* Ärmefünber- 
geficht 1 Unb als 9lutolpfuS ihm unter ttnberen erzählt, bab er, SMopfu*, 
mit $onig beftrichen »erben fotte, ba erinnert ftch ber $arftetter, bab 
er oorher #onig §u feinen Sieblingöfpeifen unb ftedt Oer- 

langenb bie Snnge ljerauS. Uber ach! er zieht f*e fönett »ieber zurücf 
unb bie tieffte ©etrübnifj malt fleh in feinen oerzerrten Bügen, öl* er 
oemimmt, bab er bamit ben ©efpen zur Währung bienen fott. DaS 
»ar fein (Gelächter mehr im Theater, baS »ar ©cfrrütt. 

gräulein öetip Damhofer hot als $orfa* eigentlich nur (liegen* 
heit, ihr $übf($eS Geficht zu feigen. Sur (Entfaltung ihres eigenartigen 
Xalenteö als fefche ©teuer ©oubrette bot bie Motte teiber feine ®er= 
antaffung. 

$>en beiben St omifem ftanb übrigens §err Stenzel bom Mationais 
theater als trefflicher Partner zur ©eite; oon ben ftänbigen Stitgliebern 
biefer Sühne mub auch befonberS nach $err Kreupfamp als ÄntigouuS 
mit allen (Ehren genannt »erben. 

Samit hätten »ir bie houptfächlichen f)arftetter befprochen. Mach 
bem Stabe unfereS SlatteS überaus eingehenb, aber nicht genügenb ein- 
gehenb nach bem Stabe ihres Serbienftei. Unb bamit ift bie Sifte unferer 
5Danffagungen noch immer nicht abgefchloffen. Sor Ottern müffen »ir 
noch ftlbert Xraeger für feinen poetifepen, geiftootten unb form* 
getoanbten $rolog bauten, ben (Emil $ahn oom Sictoriatheater mirfungS- 
oott oortrug, fterrn Sireetor Suchholz für bie müheootte unb gefepiefte 
3nfcenirung, unb fcerrn Stannftaebt, bem Setter ber muficirenben §eer= 
jehaaren. 3<h mübte noch ein ganze Meihe oon Mamen nennen, »enn 
ich tltten, bie fleh um biefe JBorftettung Serbienfte er»orben hoben, 
gerecht »erben »ottte; unb ich üin flehet, bab i<h ben (Einen ober 
ftnbent oergeffen »ürbe. ßaffen »ir eS baher für heute beS (Hüten 
genug fein, ^ie Sorftettung »urbe burch ben Sefu<h ©r. Staj. beS 
faiferS, ©r. St. unb St. Roheit beS Kronprinzen, beS (HrobherzögS unb 
(ErbgvobhorzogS oon Saben, ber Prinzen ©ithetm unb ©eorg oon 
^reuben, beS (Erbprinzen oon Sieiningen ic. geehrt. 

paul Cinbau. 


gioiiieti. 


®tt 9teidj*fau}ler iß mflbe unb ^at feine Semiffion eingetei^i, 
»itb aber too^l einen Urlaub nehmen unb bann «ieberlammen. So 
lautete eine unb am Dfterjonntag jugegangene SKitt^eilung, meldje »ir 
in ber »origen Stummer »olflmeiMidj mit teiner Silbe erwähnt ^aben. 
Cb ^atte bamit leine CUe. S)a| bie Semiffion fi(b unmöglitb ertteifen 


werbe, war Hat unb ber Urlaub war ni$t neu. Hu<^ bie Betrachtungen 
ber Blätter im 3» ! unb ÄuSIanbe lonnte man giemlith fo boraubfehen, 
wie fte erfolgt finb. Bielleicht »Ute eb rathfam, bie Seitartitel unb 
Botijen Uber bab Borlommniß im Saß flehen ju laffen. Btan tann 
fte bann febeb grühjahr »ieber gum Kbbrud bringen. Bie Sngrebiengen 
finb betannt Schmerjli^eb Bebauern, »o nicht Beftfirgung, gnoerfichtliche 
Hoffnung auf beb ftangterb Sieberlehr, begeiferter Bfldblid auf bie 
Befangenheit, Kathlofigleit nicht nur wegen ber 3ulunft, fonbem anch 
für bie Bauer beb 3nterim8, ßaatbrechtliche Cjbofbb oon wegen ber 
Stedoertretung, oergebliche Umfchau nach geeigneten Berfonen jur Bub: 
füdung ber Sude, unerfdjöpfliche Betailmaterei befhmterrichteter Corre= 
fbonbenten, offieiöfe Bementib, forgfame Ueberficht bet Bagebfümmen, 
wie ße ftch * n b« Breffe Beutfchlanbb unb fenfeitb ber Srengen bib nach 
Honolulu hin oernehmen taffen, oerftühter Subei ber Cterifalen unb 
grangofen, gegenteilige fpi^e Bemertungen ber Btütter über bab SRag 
| oon Unabhdngigleit unb Sürbe, bab fuh bei biefer Gelegenheit fnnbge= 
geben habe: enblich alb Sturgbab eine amtliche Botig beb Beichbangeigerb 
in gwei Beilen, bie einen Urlaub beb gürflen Bibmard für fo unb fo 
oiele SRonate nebft gewohnter Bertheitung bet Arbeiten angeigt unb bie 
fpaltenlangen SReßejionen ber 3<Uungen in Btaculatur Oerwanbelt. 
Glüdlich ber Sothenchroniß, ber burch Xemperament, Crfahrung unb oor 
BUem burdj bab nur einmalige Crfcheinen biefer Blfttter wöhrenb ooOer 
fieben Bage oor überftürgenben ^ergenbergießungen unb feierlichen nufc= 
lofen Beclamationen gef^üßt iß. Cb iß gang felbßoerßünblidh, baß bab 
Seich ohne Bibmatd noch füt eine geraume 3«t nicht fertig werben 
lann, mtb eb bebarf bagu nicht Oieler Sorte. Bet Btangel ber Organik 
fation war feit Crlaß ber Berfaffung ebenfo betannt, wie unoermeiblich, 
mürbe aber in ber ttbwefenheit iljteb Schbpferb nich» weniger alb Oermin: 
bert erfcheinen. Ber Bubbrud ber Hoffnung jeboch, baß gerabe baraub 
bie 9toth»enbigteit ber Beform ftch ergeben werbe, tonnte nicht aubbleiben, 
War ietbeffen bei Sichte befeßen ein germanifcß fanguinifeßer Scßerg. Baß 
bie Bachricßt beb Büdtrittb im Bublanbe ßier unb ba wie ein grieben8= 
geießen wegen beb Orient« begrüßt wnrbe, War ärgerlich, tonnte aber 
angefeeßtb ber triegblußigen Spracße einiger CoUegen in ber Breffe, für 
welcße man ben Beicßbtangler frifeßweg berantwortlicß maeßte, nicht 
Sunber neßmen. »tan weiß in Barib nnb Sonbon nießt genug, weffen 
beutfeße 3ournalißen, bie fuß einmal in eine »ießtung oerbiffen ßaben, 
fäßig ßnb unb wie ße bann teiner anberen 3"fpiration bebürfen alb ber 
ißrer eigenen ßoeßweifen Becßtßaberei. Ob eb gnm grieben tommt, rußt 
oßneßin noeß im Scßoße ber Gdtter, oon bet Büde ber Banßaoißen 
gu feßweigen. Bab Bu^Iicuoc iß beb $in unb $er über bie rnfftfeßen 
Bbßcßten ßerglicß mübe. 8“”> Glftd ßnb wir Wenigßenb bie Befcßicßten 
unb Slnetboten oon Qgnatießb Seife enblicß lobgeworben. Bie Barifer 
3eitungen namentlich hatten fieß barin Überboten. Cin oietgelefeneb 
Bouleoarbblatt ließ ßcß aub Sonbon über bie Soiräe, welcße Sorb Berbß 
3gnatieff gu Cßren gab, unglaubliche Binge berichten. Cb würbe Süßt 
gemacht unb gefungen. Cine rnfßfcße Gräßn, bie ßcß unter ben Gäften 
befanb, überrafeßte wäßtenb einer B Q ufe Cingeborne unb gtembe bureß 
bie Bteißerfcßaß, mit welcßer fte bie mobtowitifeße Bationalßßmne gu 
pfeifen anßng. Btb ber liebenbwürbige Sirtß, ber bab Crßaunen bet 
Änwefenben über biefe ungewohnte Btt tünßlerifcßer Ggtcution waßmaßm, 
naeß bem Cnbe ber erßen Stropße oerbinblicß fragte, warum Btabame 
bie ^ßmne nießt lieber ftnge, erwieberte 3gnatieffb Sanbbmännin, ße 
tenne bie Sorte nießt genau unb habe bem oereßrten Jtreife bie Selobie 
nießt oorentßatten wollen. Barauf pßff ße weiter. Bie Cnglänber ßaben 
ßcß natürlich über ben Beriet, alb er in Sonbon eintraf, nießt wenig 
geärgert. 3finatieß hatte bort oßneßin teine gfinßigen Crimterungen 
gurüdgelaßen. Cr iß bagegen feßon abgeßärtet. 3m Uebrigen ßat man 
fieß mit bem »unbertießen Sann gu oiel befcßäftigt nnb man wirb füt 
einige 3'ü oon ißm Bbfcßieb neßmen bürfen. Könnte man babfelbe erß 
einmal oon ber orientalifcßen ffrage fagen, würben ßcß gewiß bie Senig* 
ßen barübet befeßweren. 

¥ * 

* 

0. Sach, in L. Bub principieHen Grünben ßnb wir nießt im Stanbe, 
3ßren Sunfcß gu erfüllen. Zßeilen ße unb gef. mit, woßin mir bie 
Sanufcripte fenben follen. 


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I« «tgemtmrt. 


Nr. 15. 


(Sebugene popuL liiffliiK 

über (Gcgenftänbc ber Bolf£wirtl)fcfyaft, ^olitif, 
Literatur 11 . bgl. m., beä Berfefjr-- u. Gomntmial 
lebend k., auef) leidjtcre Sft^eit ic. für ein qntc^ 
Wochenblatt bei hohem Honorar fofort gefudjt 
Balbige Offerten erbeten sub M. C. 123. an bie 
9lmt. Ej;p. u. fjaafe n|tcin & Uoglcr, geip 5 . 6 tr. 77 . 

Delius’ 

SHAKSPERE 

IT. (Stereotyp-) Auflage 

2 starke Bände, brochirt: IG JL In 2 fei¬ 
nen Halbfranzbänden: 21 JL 

Jedes einzelne Stück: 80 Pf. 

[Letztere werden, soweit der Vorrath 
reicht, in früheren Auflagen geliefert.] 

Verlag von R. L. Friderichs 
in Elberfeld. 

Graue Lieder. Von L. W. 

Bei lind ift erfdjtenen itnb burd) jebe Bild)- 
fjanblung 51t belieben: 

Ctfpng, mitlnub, Jjcinfr, 

Wad) ben 

^anbfc^rifttic^en Duetten in QtteimS Wadjlaffe 
bargeftellt üott 

^feetnrid? IJfrößCe. 

©rei8 iM, 75 s,. 

©erlin S.W. Siebel’fdjc Serlag8bud)f)blg. 

♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦ 

X Soeben ift im ©erläge toort (frnfl 3uliuS X 

: ©üntl)er in Seipjiß erjef)ienen unb in allen ♦ 
©udjfyanblungen oorrätfyig: T 

X Jö. §dine, J)as »omnofutiönare X 
♦ gtanßmdi. (L’ancien regime.) ♦ 

X dutorifirte beutfdje SluSgabe bon X 

X ß. ftntfdfer. 28 Sogen gr. 8. ©fe= x 
♦ gant auSgeftattet. fßreiS 7% JL ♦ 
♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦ 
gtrbartion, tScrfin S.W., üinbcnftra&e 110. 


Redacteur gesucht. 

Für die Redaction eines belletristischen Journals, welches seinen Lesern auch 
belehrende Beiträge bietet, wird ein tüchtiger Redacteur gesucht. Offerten unter 
Mittheilung des Bildungsganges und der bisherigen Thätigkeit nebst Beifügung einer 
Photographie werden erbeten unter Chiffre C. (>1121. durch die Annoncen - Expedition 
von Haasenstein & Vogler in Frankfurt a. M. 

Eventuell würde auch auf eine talentvolle jüngere Kraft reflectirt. 


7. 2>cr ^oolog ^rofejfor l)r. 91. 'flagcnflcther in öeibelbcrg über bie neue Auflage üoii 
BrcljmS Xfjier leben (Bibliograpl)ifd)e3 Snftitut tit Seipzig): „Wad)bem e§ Dr. Breljrn nad^ 
Zttwlf Safjren üergönnt ift, fein „QHnftrirtea $I)terleben" in ^tuciter Auflage heranäziigeben, wäre 
e3 fefjon eine baufbare Aufgabe für ben Bcrfaffer gewefeit, ben Jrortfdjritten, welcfje bie Zoologie 
in eben btejer 3eit gemalt t)at, burd) einfache Eintragung ber neuen Srrungenfdjaften in bie feiner 
Beit auf fleifcigfteä Sammeln begriinbetc unb gefdjidt biaponirte 2)arfteflung geregt ju merben. 
$cr Berfaffer ^at fief) bamit nicht begnügt. Wenngleich man lange nicht fagen tarnt, e£ fei fein 
Stein be$ alten (Gcbäiibcä auf bem anbereit geblieben, üielmehr ber Efyarafter gänzlich bewahrt ijl, 
fo finbet fich boefj auch fein ftlcdd)en, an welchem man nidjt erlernten fönnte, bafj be£ 9(utor* 
9luge auf# neue auf ilpn geweilt, in gewiffenl)after Selbftfritif c3 unterfudjt, an ihm gefeilt ^be. 
2>as Weite fügte fid) um fo leichter in ben organischen Bcrbatib, al8 manches wie früher auf ben 
eigenen Beobachtungen beruht, anbereö auf fold)cn, 511 bencu ber üont Berfaffer auSgeftreittf 
Samen gitft unb Whttl) erroadjfett ließ, ober weldjc ben {einigen innig ücrtoanbt finb. 

Welatio faft nod) erheblicher finb bie Beräitbenmgeit in ben 9lbbi(biutgen. $)ie etwa nod) 
üorljanben gewejeneu 2>arfteflungcit nadj mangelhaften wlufenmejemplaren ic. üerjdjwinben, um 
foldjeu nach lebenben Xljierctt, gänzlich eigenen 1111b zahlreicheren fßlafc 511 machen. So finb brei 
^fünftel ber 9lbbilbnngen neu, unb unter ihnen finb nidjt wenige wahrhafte (Genial be au 3 
bem % hi er leben. Soldjeä ber Statur abjulaufchen, bieten bie zoologtfdjen (Härten treffliche 
(Gelegenheit. 3n bie Seitfragen greifen bie oergleidjenbeit 2)arftellungen ber Bterhänber nach 
Sfeletten unb giifebilbungen, in bie 50tobe bie neuen Bilber 001t Waffenhunben. 3)aö Buch wirb 
in biefer Erneuerung 110d) populärer 1111 b Verbreiteter werben, al3 eö war; auch wiffeu 
fchaftlicheu itreije werben üon feiner ÖJefd)icfltchfeit in Beobachtung nnb 2)arfteÖung unb feinem 
gleifje Bortl)eil ziehen fditnen." 

Im Verlage von Ernst Julius Günther in Leipzig erschien nnd ist in allen Buch- 
handlungen zu haben: 

Gemischte Gesellschaft. 

Heitere Plaudereien 
von 

Oscar Hl 11 menthaI. 

Zweite Auflage. 

Preis eleg. brochirt 3 JC, eleg. gebunden 4 1 /, JL 

Motto: Wenn auch die Verständigen nicht erbarmlos — richten werden, was ich 
gedichtet harmlos — und die Günstigen werden lieben und loben — was ich geschrieben 
und gewoben — so werden doch die Misswollenden, grollenden, — die nicht sehenden und 
nicht sehen wollenden — geringschätzig blicken auf diese Sachen — und sich zwingen, an 
keiner Stelle zu lachen. — Ihnen sei der Schaden, den sie sich selbst zufügen — dass sie 
sich um ihren Part betrügen. (Rückert-Hariri.) 

Inhalt: Buch uud Autor. — Vom grünen Rhein. — Mein Hausfreund. — Locomotiven- 
Pliffe. — Bayreuther Tagebuchblätter. — Was die Gummiräder erzählen. — Ein Recept 
gegen Gemüthssehmerzen. — Der Liebesbrief — Wie Dichter schreiben. — Ein ehrlicher 
Finder. — Schlaflose Nächte. — Ein Seufzer unter Blumen. — Visitenkarten. — Zoodra¬ 
matische Ergüsse. — Ein Ehrenmann. - Schwarze Strophen. — Ein Beitrag zur Küchen- 
Aesthetik. — Nücken und Tücken. — Neue Epigramme. 

„Gemischte Gesellschaft“ schliesst sich in Inhalt und Ausstattung am Nächsten den 
„Allerhand Ungezogenheiten“ desselben Verfassers an, von welchen bereits die fünfte 
Auflage erschienen ist. 

Weiter Berlag üon Xljfo&alü ©rieben tn Berlin. 
fiiMtotliek für tnilfenfrirnft unb Citcratnr 4. iBanb. 

pvei "püdjer (öefd)id)fe urtö 'g’ol'Utß. 

©on Dr. Dttofor «orenj, orbcntl. ©rofeffor alt ber ©äiener Uniuerfität. 12 JL 
,,©s finb in biejent SBertc be3 befanntcu $>iftoriferä eine Diethe oon Ijoditiueieffantcn 
Slbljanblungeit über Stnat nnb Sirene, fomie ©eiträge jn ber neueren itnb neneften fritijdjen 
Unterfu^ung jnr ©efdjicfitc älterer geit enthalten. 3)aS @anje bietet einen rocrtbooüen 
©eitrng jur l)iftorij^en üiteratnr." (Köln. 3eitnng.) — Weit nnb jeitgetnäf} bearbeitet, 
bnbei in linnblidja' Slnägabe, roirb bie Sammlung greunben ber tl)eid]id)te nm jo luift 
tommencr jein, al# bie meiften Ülujjäje im ©u^ljanbel uic^t mcljr jn tjaben ober in jclb= 
ftänbigem Slbbrud nie $u befommeit loaren. 

Snljalt: I. Staat nnb Sirene. Sbaijer ivricbritf) II. unb fein ©er^ältniß jur romiidicii 
Äirdjc. Siei^sSlanjlcr unb 9icid)äfaujlei in 2)eutjd)lanb. ©apftioa^I unb «atfert^um. 
Äird)enjreil)eit unb ©ijcl)ojemaI)lcu. ®ie 3cjuitcn uitb bie ©rüitbnng ber öftere. Staat« 
jdfitle. SVirdjeuftvnfni im Mittelalter. — II. 3ur neueren nnb neueften ©efd^idite. lieber 
englife^e ©ejd)id)tc be« 16. unb 17. 3af)rf|unbert«. Äaijer ^ojepl) II. unb bie belgif$c !)fe 
oolution. üorb ©almerfton. Säa^St^um ber englifdjen ©crfafjmig. ftönig l'ubroig L oon 
©apern. — III. Slritijefjc Untcrfudjimgcn jur Wejd)irf)te be8 13. unb 14. 3al)rbunbert«. 
Dttofar II. oon ©ß()mcn unb bab @rjbi8t^um Saljburg. Xie Söalil ÄönigS floolf ouu 
9Iaffan. ©lictter Stabtre^t8=©rioilegicu Honig ©nbolf’8 i. Scopolb III. nnb bic Sd)roei,ier 
©fliibc. Sempac^er Se^laeljtlicbcr. Defterr. Sagengcjd)id)te bom 12 M. 3n()vt)iinbcrt. 


giit bie »ebaction oerantroottlieb: #e«r« $titl« in Itertin. 
3?rutf oon Jß. 0. tfni&iur in Jrifiig. 


jrpfbflion, Brrfin N.W., 8otiifen(h-afte 32. 


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JK 17 . 


Stoffe, tat 28. toxU 1877. 


XL Band. 




pic 0c0cmuait 

j äßocfjettfchrift für ßiteratur, Äunft unb öffentliches Sehen. 


Herausgeber: 'gftftf w 


fti« Jmdtti tifhriri rin giraa. 

S» b**i*he» alle SBucftaitMungni nnb ^oflanfJaUen. 


©erleget: Oeorg ©tilfe in ©erlin. 



Irris ftt fasris! 4 gurk 50 gf. 

3nferatc jeher Act pro Sgefpaltene $etitgeüe 40 $f. 


: ©er fcufftanb in ®*>n Asiaticus. — Le drapeau blanc. ©on SB. ©üjtoto. (Seeluft.) — Literatur wtto Jlttnfh ©er 

| ©laube an ©eiftererf^einungen in nnferer 8*tt. ©ine ©djilberung unb ©etxadjtung öon Jürgen ©ona Sftetyer. — ©ie greitjerrn 

i Hnßflit: 0011 SBfcfanbetg. ©on Äarl ©raun-feieBbaben. — Ueber bie Ifinftlerifdje gorm bon öffentlichen ©enlntälem. ©on 9ttaj ©djaBler. 
[ ** — ©«$ ber {Nutytfkftbt: @aju3 ©rac<$u3, ber ©olf&tribun. ©rauerfpiel in 6 fcufofigen bon Wbolf ©ilbranbt. ©efprod&en bon $aul 

\ ß in bau. — Opern unb ©pmpbonien. ©on #. ©tjrlidj. — ^otijen. — Snferate. 


i 

I Ber in Japan. 

» 

DaS 3af)r 1877 wirb aller 2Bat)rfc^einü(^(eit nach für 
Sapan ein entfcheibenbeS werben: ber Sufftanb, welker feit 
SRitte gebruar auSgebrodjen ift, hat eine ungleich größere SBe= 
beutung, als bie flehten Unruhen gegen Gnbe beS »origen 
Saures. Söenn bei Gelegenheit ber lefeteren auch manche 

^Berichte non Sanb* unb Seefdhladjten gefabelt haben, fo han* 
beite es firf> in Sßahrheit bo<±> nur um eine hanbooß Seute, 
i h&hftenö einige Hnnbert, welche non ber Slegierung jwar mit 
großen Soften, aber boch leicht genug ju paaren getrieben 
■ würben. Dragifcf) war ber SluSgang infofern, als etwa bunbert 
[ Siebellen, nadjbem ihre Sache oerloten war, fich nach alter 

f Sitte ben Saud) auffdhlifcten. Diesmal hanbelt es fidf aber 

; um einen Äampf ber Slegierung gegen ben mächtigften Stamm 

! beS SanbeS, bie ©rooinj Satfuma, welker hier unb ba »on 

Sapanertt wohl eine ähnliche Stoße, wie bie ©teufjenS in 

Deutfdjlanb »inbicirt wirb. Dabei ift es nicht ein jufammen* 
i gelaufener Slebeßenhaufen, womit bie Slegierung ju tl)un hat, 
fonbern bie wohlorganifirte Streitmacht einer ©rooinj, welcher 
eS bis jefct gelungen war, einen Staat im Staate ju bilben, 
aße SlegierungSoerorbnungen ignoriren unb fich ganj felbft* 
ftänbig erhalten ju tönnen, unb bereu Sewohner einftimmig 
»on aßen Japanern als ber friegerifehefte unb tüchtigfte Stamm 
anerlannt wirb. äöäljrenb bie Slegierung in ben Stohren 1871 
unb 72, nadjbem bie SRebiatifation aßet ©rooinjialregierungen 
befehloffen War, fich beeilte, bie lefcteren »oflftänbig p ent* 
' waffnen, unb bie ©orräthe an ÄriegSgeräth theils an Ort unb 
^tefle, theils in ben Häfen, wo baSfelbe auf ©efteßung gerabe 
»om ÄuSlanbe angetommen war, bis auf ben lebten Sleft con* 
fiScirte, wagte fie eS nicht, in Satfuma irgenb eine SRafjregel 
biefer Sri burdjjuführen. Die Samutai biefer ©rooinj hatten 
• in bem ©ürgertriege »on 1868 ben größten Süttljeil an bem 

, Siege ber Slegierung unb ber Slieberlage beS ShiogunS ge* 

( habt, unb bilbeten eine tapfere, triegSgeiibte Druppe unter be* 

' währten Anführern. Uber unjufrieben mit ber ©olitit ber 

c Slegierung, mit ber SSertheilung ber hbchften Staatsämter unb 

: bergleichen, hatten fidh bie Satfumatruppen fdhon 1870 »on 
: Debbo in ihre Heimat jurfiefbegeben, unb feit jener ßeit »er* 
; harrte bie genannte $ro»inj fchmoßenb gegen SlßeS, was »on 

[ ber Slegierung fam. Bwar war eine nicht geringe Slnjahl 

; ' oon Satfumaleüten in aDienften ber Slegierung geblieben, unb 
i .in ber Slrmee, ganj befonberS aber in ber Sßlarine, ftnb »iele 
btt einfluhreidhften Steßen »on ihnen befe|t. füueh ber aus 
[ (Satfumanern befteljenbe Dheil ber Sanb* unb Seemadht gilt 
r 


für ben tüchtigften. Die beiben SRänner aber, weldhe als bie 
einflufereichften betrachtet werben, Shimibju Saburo, Dnlel 
beS früheren dürften »on Satfuma, unb gelbmarfchafl Saigo, 
beffen jüngerer ©ruber ©räfibent ber SluSfteBungScommiffion 
in ©hiiabelphia war, hatten fidh überhaupt gar nicht mit ber 
Slegierung eingelaffen, ober hatten, Wie j. ©. ber erftere, »er* 
geblich nach bem gemünzten ©nfluffe geftrebt. 

3n Satfuma felbft ging SlßeS feinen Gang, als wenn 
bie Gentratregierung faum ejiftirte; ihre ©erorbnungen 
würben nid)t befolgt, unb aße ©eamten bis jum Gou»erneur 
hinauf waren nur (Süth <im ^ < 0 ( - ®aS ÄriegSgeräth hatte man 
nicht ausgeliefert, unb unter bem Slamen »on ©ri»atf<hulen 
unter bem ©rotectorate »on Shimibju Saburo unb Saigo, 
gröhtentheilS auch mit beren Gelbe, würbe bie ganje ber Sa* 
muraitlaffe angef)örenbe Sugenb beS SanbeS im ÄriegShanb* 
wert unterrichtet. Stach Berichten einer ber heften Rettungen 
foß bie Slnjahl ber Sdhüler nicht weniger als 7000 betragen, 
wo»on 3000 in ber Hauptftabt Ätagofchima, bie anberen in ben 
Heineren Stäbten wohnten. Unter biefen finb faft aße bie 
Solbaten nnb ©oüjeileute, welche früher unter Saigo bienten, 
unb meiftenS gleichzeitig mit ihm nach Satfuma jurüdRehrten, 
als er fein Slmt als fjelbmarfdhaß nieberlegte. Slße biefe fräf* 
tigen unb wohlbewaffneten SRänner foßen bis jum Sleufjerften 
entfdhloffen unb bereit fein, ihren militärifchen Rührern Saigo, 
Äirino unb Shinowara überaß h‘ n ju folgen. Sie bilben 
ben £ern ber Siebeßenarmee, Welcher fich übrigens faft aße 
waffenfähigen Samurai aus ber ©roöinj angefdjloffen haben 
foßen, fo bah ihre 3 a ht au f 20,000 gefdljä&t wirb. SRit 
SBaffen werben fie für ben Stnfang genügenb auSgerüftet fein, 
unb in ber Stähe »on Sagofchima befinben fich eine fßuloer* 
mühle unb eine Äanonengiefcerei. 

Diefen ni^t ju unterfdjähenben Gegnern hat bie Slegie* 
rung eine Slrmee »on 25—30,000 SRatrn entgegenjufteßen, welche 
aber wohl nicht aße auf bem $riegsfc|auplafee »ermenbet 
werben tönnen. Dort foßen bis je$t etwa 15 ©ataißone unb 
2 ©atterien »ereinigt fein. 3m Ganjen gelten bie Slegierungs* 
truppen, weldhe pm größten Dheil ber ©auerntlaffe entnommen, 
ben Satfuma*Samurai nicht für ebenbürtig in ©ejug auf 
friegerifche Dapferteit unb Düdhtigfeit. Dagegen haben fte ben 
©ortheil einer guten Drganifation, unb ben anberen, baff ihr 
ÄriegSgeräth, i$re SRunttion leichter ergänjt werben tönnen 
als bei ihren Gegnern. Der SRariue haben bie teueren natürlich 
nichts gegenüberjufteßen, unb haben fich bamit begnügen müffen, 
ihre Äüften, namentlich ben Hafen »on Äagofdhima, fo gut wie 
möglich ju befeftigen, Wie eS heifet, auch mit einer ©atterie 
Ärnpp’fcher Gefdhühe. Der SRarine hat bie Slegierung eS ju 


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262 


9it Ätgenwart 


Nr. 17. 


baitfett, bafc bie Snfurgenten nicfjt auf bet Stofe! Nippon ge= 
lanbet ftnb, wie es ihre Abfidjt gewefen. 

SBaS nun ben fc|on längft geahnten Au8brudj beS ganjen 
AufftanbeS betrifft, fo war bie unmittelbare ©erantaffung baju 
ber ©erfudj ber Sentratregierung, bie ©utuerooträthe aus ber 
fo gefährlichen Nachbarfchaft non £agofrf)ima ju entfernen. 
Am 31. Sanuar fam bort ein Kämpfer — fein ÄriegSfdjiff — 
an, mit einigen Seamten an ©orb, welche ben Auftrag hotten, 
bie fraglichen ©ul»er»orrätl)e an ©orb ju fchaffen. Dies mürbe 
aber non einer Anjaljl bewaffneter ßöglinge ber erwähnten 
©rioatfdhulen »erljinbert, inbem fie bie ©earnten mit fofortigem 
Dobe bebrohten, wenn fie weiter ÜRiene machen würben, ihren 
Auftrag auSjuführen. Der Dampfer mufjte unoerri^teter Sache 
wieber abjie|en. Natürlich war nun grofje Aufregung unter 
ben Schülern, welche bie beiben Häupter ihrer ©artei, Sl)t= 
mibju unb Saigo, burch Deputationen beftürmten, jefct loSju- 
fchlagen. ©eiben war ber AuSbrudj »evmuthlich 5« Unrechter 
$eit gefommen, unb fie entfernten fich heimlich öon Äagofdjima; 
Niemanb fannte ihren Aufenthalt. Die Regierung fanbte nun 
ben ©iceminifter ber ÜRarine unb ben ©iceminifter beS Snnern 
nach Äagofcfwtta, um ben Stanb ber Dinge näher ju unter: 
fudjen. Dort fd^itften fie juerft jwei ©eamte an’S ßanb, um 
mit ben ©eljörben ju »ertehren; biefe würben aber oon ben 
Nebeßen feftgenommen, unb bie beiben Abgefanbten ber fRegie= 
rung mufften an ©orb bleiben unb fuhren nach einem Heineren 
§afen, wo fie heimlich mit bem ©ouoerneut »on Satfuma 
»erfeljrten, ber über ben Au8brud) ber Rebellion auch weiter 
fein §ef)l machte. Sie benachrichtigten möglich ft fchnell bie 
Negierung unb forberten fie auf, fofort Druppen nach Suma= 
moto, einer geftung iw Norben »on Satfuma ju fchicfen. @8 
war in ber Dhat h°h e Seit; benn am 15.*5ebruat rücften 
brei 3nfurgentenfdjaren unter ben ©eneräten Saigo, Äirino 
unb Shinowara in bie ©rooinj Äumamoto (früher £cigo) ein, 
wie bie ©roctamation ber Regierung fagt, „unter bem ©or= 
wanbe, einige fragen an bie Regierung ju ftetlen". @3 ift 
bieS bie ftereotppe formet japanif^er Aufftänbe; bie Anführer 
berfelben haben gewöhnlich feine anbere Abftd)t, als bem Sfaifer 
eine ©ittfchrift ju überreichen ober mit ber Regierung eine 
©efprechung ju haben, woju fie aber, beS gröfjern ©nbrucfs 
wegen, es für angemeffen halten, einige Daufenb ©ewaffnete 
mitjubringen. 

SBaS nun bie SRafjreaeln ber Regierung betrifft, fo muff 
man anerfennen, bafj bief eiben mit grofjer Schnelligfeit ge= 
troffen finb. Dabei haben wieber bie mobernen ©rfinbungen 
beS Delegrapljen unb ber Dampffdjiffe wefentlich mitgewirft. 
@8 ift ber Regierung äufjerft ju Statten gefommen, bafj 
eine Delegraphenlinie »on einem ©nbe SapanS nach bem 
anbern geht, mit »ielen ©erjweigungen nach bem Snnern, 
nnb bah ferner »iel DranSportbampfer, welche in ben £>änben 
ber Negierung »oflftänbig tobt bagelegen unb ganj un= 
brauchbar geworben wären, einer wohtabminiftrirten Dampf= 
fdjifffahrtSgefeüfchaft überlaffen würben, welche fie Wohl ju 
benufjen unb in gutem Stanbe ju erhalten wufjte. SRit 
biefen Schiffen nun war es ber Negierung möglich, rafch alle 
»erfügbaren Druppen auf ber Snfel Äiufpiu au concentriren, 
wo jefct etwa 15—18,000 SRann gegen Die Snfurgenten 
operiren. Drofebem machen bie Äaiferlidjen offenbar nur lang: 
fam gortfdjritte. SRit einer peinlichen Aengfttidjfeit wacht bie 
Regierung barüber, bah feine ungünftigen Nachrichten »on ben 
Seitungen »eröffentlicht werben; unb ba fie felbft nichts @nt= 
fcheibenbeS ju melben hat, fo ift bis ictet noch feine officieße 
©efanntmachung über ben ®ang bet Dtnge erlaffen worben, 
mit Ausnahme ber Abfefcung ber Stofurgentenführer unb beS 
®ou»erneurS »on Satfuma, fornie ber ©rnennung beS faifer= 
liehen Oberbefehlshabers, beS ©tinjen Arifugawa=nomtta, mit 
bem Aufträge, bie Nebeßen fchteunigft ju ©aaren ju treiben. 
ße|tere finb, wie gefügt, in bie benachbarte ©rooinj $igo im 
Norben »on Satfuma eingefaßen uub haben bort juerft baS 
fefte Sdjlojj in ber $auptftabt Äumamoto angegriffen, aber 
bis jefjt nicht einnehmen fönnen; es foß bieS überhaupt baS 


feftefte Sdjloh in Sapan fein unb wirb »on 1200, nach °n= 
beren ©ersten »on 3000 SRann »ertljeibigt. Die Snfurgenten 
haben nur einen Keinen Dljeil ihrer SRadjt jurüdgelaffen unb 
auf einem benachbarten §ügct eine ©atterie errichtet, welche 
bas Sdjtofj bezieht- Sljte $auptmadjt ift an ber fjeftung 
»otbei unb weiter nach Norbert marfchirt, nur wenige SReiten 
»on Shimamoto, unb hier fdjeint nnn in einem fct>r gebirgigen 
Derrain ein richtiger ©uerißafrieg geführt ju werben. Die 
Leitungen nehmen natürlich ben SRunb fehr »ofl unb berichten 
fdjon feit mehr als 14 Dagen beftänbig »on Schlachten unb 
Siegen, bie aber immer an berfelben Steße ftattfinben. 3m 
münblichen Serfehr erjählt man fid) genug »on Nieberlagen 
unb ferneren ©erluften ber Äaiferlidhen, welche in man* 
eben Gefechten »on ben Schwertern ber Satfumaner, bie 
fich toie etwa bie alten Schotten in’S ®efed)t ftfirjen 
foßen, fehr übel jugeridjtet würben. ®S ift fctiwer, ber 
Wahrheit aßer biefer drjählungen auf ben ®runb ju fommen; 
fouiel aber fteht feft: ber Kampf geht nicht in Satfuma 
»or fich, fonbern in ber nörblid) gelegenen ©rooinj, in welche 
bie Satfumaner eingefaßen finb, unb Dreht fidh um bie geftung 
Äumamoto, welche »on le|teren belagert wirb' unb »on ber 
faiferlidjen Armee entfett Werben foß. Dies ift trofc möglidift 
rafcher Soncentration »on Druppen noch nicht gelungen; unb 
leitete haben fidh erft noch ben 2Seg nach Äumamoto burch 
ein fehr gebirgiges ßanb unb unter fchweren Kämpfen mit 
bödjft tapfem, wohlbewaffneten unb jewanbten Snfurgenten 
ju bahnen, beren führet als bie heften ©eneräle 3<*panS gelten, 
©or einigen Dagen finb wieber neue Druppen, »ermuthlich 
bie lefcten, »on ^ebbo abgegangen, ein ©eweis, ba§ eS für bie 
Negierung eine fiebenSfrage ift, ihre Kräfte bis jum Aeufeerften 
anjufpannen. Nach ben lebten Nachrichten foßen übrigens 
einige (Srbwerfe ber Snfurgenten, welche ben SBeg nach Äuma= 
moto »erfperrten, »on ber faiferlichen Armee nach achttägigen 
Kämpfen genommen fein, fo baß biefelbe nur noch jwei beutfehe 
SReilen »on ber genannten geftung entfernt ift. 

©inen unangenehmen ©inbruef macht eS, in ben japanifdjen 
©lättern wieberljolt baoon ju lefen, bah bie faiferlichen Druppen 
irgenb ein Dorf ober eine Stabt in ©ranb gefteeft hoben, nnb 
jwar innerhalb beS »on ihnen befehlen SejirfS; aud) bie Stabt 
lumamoto ift auf ©efehl beS Schlohcommanbanten bis auf 
einen Keinen Dljeil niebergebrannt, aus Nücffidjten ber ©er= 
theibigung. ©S foß bieS nicht wenig böfeS ©tut gemacht unb 
bie Neiljen ber Snfurgenten noch »erftärK haben. Sehr »or= 
theilhaft bamit contraftirt baS ©enehmen ber Nebeßen, welche 
nach ©ericf>ten felbft bet offteiöfen „DageSneuigfeiten" »on 
ihren gührern ben ©efehl hoben: erftenS, baS NegierungS* 
eigenthum unangetaftet ju taffen; jweitens, feinen NegierungS= 
beamten ju töbten; brittenS, AßeS ju »ermeiben, was ein 
Nachtheil ober eine ©efchweriidjfeit für baS Solf fein fönnte. 
— Diefe ©ranbftiftungen ber faiferlichen Druppen finb fein 
befonberer ©eweis für ihre Stärfe ober baS ©ertrauen ihrer 
gührer. ©benfo ift auch bo£ ©erhalten ber Negierung, bie 
rafchen Druppenfenbungen ausgenommen, nur fehr fc 
müthiger Art. ©or ber ©reffe, welche in Sapan bereit 
»erbreitet ift, hat fte entfehlich« Angft, unb bürfen bie Ü- . . 
nichts »eröffentliehen, was irgenbwie ungünftig ift. fc. 
im ©ri»at»erfehr foß man fehr »orfidjtig fein müffen, ui l' . 
©otijei hot ©efehl, 3eben, ber wie ein Nebeß auSftelj' 
arrettren unb »erhören ju taffen. SRehrere ber höchften .- 1 
amten finb »on föoto aus, wohin ber Sifc ber Negü-c 
»erlegt worben ift unb bie faiferließe fjramilie ftd) ebe 
aufhält, in ihre refp. ©rooinjen gefchidt worben, um 
ben AuSbruch »on Unruhen ju »er|üten. Dtofcbem foß« 1 
Norben bereits fotche auSgebrochen fein: inbefj hot bie f « 
rung für jefct wenig »on ben anberen ©rooinjen ju fü i”; 
erftli^ weit eS bort an SEBaffen fehlt, unb bann w. « 
bortigen Samurai auch »enig geneigt ftub, fiir.bie Satfi;. • 
bie Äaftanien aus bem geuer ju holen, ©eitere ©ewe 
bem geringen ©ertrauen, welches bie Negierung in ibr o 
SRacht hot, liegen barin, bafj einerseits nicht ohne iljr iS- 




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Nr. 17. 


9t* ©egenwart. 


268 


nach ber beliebten attjapanifcben ©tanier ber ©erfudj gemacht 
fein foU, ben ©enerat ©aigo ju ermorben, mtb baß fie anberer» 
fei« an ©ßimibsu ©aburo — beffen {Rame bi« jept oon bent 
Stufftanbe fern gehalten ift, obgleich er benfetben mit feinem 
ganjen Vermögen unterftüpt paben fott, jebenfafl« aber feinen 
X^eit baran ^at — Kbgefanbte gerieft bat, um mit ißm ju 
üerijanbetn. 

©tan fann fomit nicht fagen, baß bie {Regierung fc^on 
jept Diel Sorbeent errungen höbe. Äber menn auch oon ent- 
fsheibenben mititärifcben ©rfolgen noch feine fRcbe fein fann, 
fo ift eS immerbin ein günfttge« Seiten für bie Regierung, 
baß ihre Strmee überhaupt ganj brat) ©taub §u batten fcheint. 
@S hieß fonft »obt oft genug, ©aigo« iRarae fei fo aümät^tig, 
baß, wo er ftebe, auch bie Strmee fi<b fofort um i^n fammeln 
würbe. Xie« ift nun nicbt ber galt gewefen, wemgfien« nicht 
in bem ©tobe, wie einige fieute otefleicßt erwartet, ö« erftärt 
ficb bie« aber barau«, baß ber größte Xßeit ber ©atfumaner, 
welche früher ber Strmee angehörten, biefetbe gleichseitig mit 
©aigo neriaffen unb ficb uw ihn gefcbart buben. — 
ferner mögen bie Snfurgenten auch wobt auf eine gleichseitige 
(Erhebung anberer {ßrooinsen gerechnet haben, welche inbeffen 
bi« jept noch nicht in entfcbeibenber 2Beife ftattgefunben. Smmer» 
bin foflen, wie gefagt, im SRorben Unruhen auSgebrocben unb 
einige Xaufenb ©amurai non ber Snfet ©ifofu ficb ben Snfur» 
genten angefcßtoffen buben. Db bie gübrer ber lepteren fetbft 
eine allgemeine Erhebung erwartet buben, ift fchwer su fugen. 
Xer Stnjchein ift bafür, baß fie gans allein auf ©atfuma ge» 
rechnet, hier Stile« wobt oorbereitet, bi« sum entfcbeibenben 
Stugenbtia gewartet, unb ficb beSpatb auch non alten bisherigen 
StuSbrüdjen ooßftänbig fern gehalten buben. 2Benn fte nun 
auch uietteicbt nicht ber faiferlicben Strmee eine nottftänbige {Riebet» 
tage beibringen, fo wirb aßet Sßabrfcheintichfeit na* ber Äampf 
bocb lange genug bauern, um su einem ©ompromiß S u führen, 
welker öerfcbiebenen bet jefeigen hoben ©earnten ihre Stellung 
foften unb Slnbere an’8 {Ruber bringen wirb, ©8 ift f^werticp 
ansunebmen, baß bie nieten ©atfumaner, welche bie nieberen 
unb höheren DffjsierSfteflen in ber Strmee unb ber Flotte ein» 
nehmen, gegen ifere eigenen ßanbSteute bi« sum Öeußerften 
tämpfen werben, um fo weniger, at« fie bei einem {ßerfonen» 
wecbfet in ben feöc^ften SRegierungSfteflen für ficb perfönlicß 
gar nicht« s« fürchten buben. @8 wirb wobt ein ©toment 
tommen, wo fie, nachbem fie ber {Regierung gegenüber ihre 
Pflicht getbon, mit Slnftanb sum ^rieben ratben tönnen. 

fjöloljönta, beit 12. SRfaj 1877. Asiaticus. 


Le drapeau blanc. 

83 on VO. Küßow. 
ce^tni.) 

Faft gleichseitig mit b’Slnbetot, bem ©eneratoberften ber 
Snfanterie bieSfeit« ber ©erge, ftarb 1569 auch ©riffac, ©enerat» 
oberft ber fransöfifchen Snfanterie jenfeit« ber ©erge. {Run er» 
nannte ©arl IX. überhaupt nur noch einen ©eneratoberft ber 
fransöftf^en Snfanterie; ber erfte war ©t>itipp ©trossi- Xer 
Xitel warb batb in ben anbern eine« ©eneratoberften ber fran» 
jöfifchen unb fremben Snfanterie umgewanbett, ba aßmäbtich 
oerfchiebene frembe {Rationalitäten nur burcb einsetue {Regi» 
menter in ber fransöfifchen Streitmacht repräfentirt waren unb 
bie ©teßen ihrer ©eneratoberften eingingen, ©on ben fremben 
behielten nur bie ©chweiser einen ©eneratoberften bi« sur {Re= 
ootution; berfetbe butte aber gar feine ©ommanborecbte, er be» 
fteibete oielmebr nur eine ©breufteße unb war eine Slrt ©er» 
mittler swifchen bem £ofe unb ben ©cbweiserregimentem. Xer 
tepte ©eneratoberft ber ©chweiser war ber ©raf oon Strtoi«, 
fpötere Äönig Sari X. 

Xie ©teße be« ©eneratoberften ber franjöfifdfeen nnb 
fremben Snfanterie war feit 1581 im $aufe ©peroon erblich 
geworben; eS Waren mit ihr nach nnb nach eine ©tenge ©rioi» 


tegien oerbunben Worben, welche fetbft bie ©ladjt be« ßönig«, 
Über feine Snfanterie p oerfügen, nachteilig einfchränften. 

.8118 ßubwig XIV. großjährig geworben war, benupte er 
ben Xob ©ernburb« oon SRogaret, $ersog« oon ©pernon, um 
bie ©teße be« ©eneratoberften ber Snfanterie 1661 gans auf» 
Subeben. ®r übernahm fetbft bie Functionen unb ©rärogatioen 
biefer ©teße. Xen {RegimentScommanbanten aber gab er nun 
ben Xitel: ©olonet (ftatt bisher ©teftre be Samp); ber SReftre 
be Samp butte bisher bie stoeite Sompagnie be« {Regiment« 
gebubt; er erhielt nun bie erfte, ber ßieutenant»Solonel, bisher 
Sapitän ber erften Sompagnie unb ©tefloertreter be« ©enerat» 
oberften, würbe jept Führer ber sweiten Sompagnie unb einfach 
©tefloertreter feine« SRegimentSoberften (Sotonet); bie weiße 
Sommanbofabne ging ^ur Oberftencompagnie über, blieb aljo 
bei ber erften be« {Regiments. 

Sm Sabre 1670 erhielt bie fransöfifche Snfanterie suerft 
bie Uniform unb s»ar beßgruu; s«r Xiftinction erhielten bie 
{Regimenter £>ofen, SBeften unb Futter oon anberen Farben; 
SU biefeit XiftinctionSfarben wurbeu aber auSfcbließ; 
lieh biejenigeu ber löniglitben ßior^e, nämlic| blau, 
weiß unb rotb gewählt. Xie ©anbf^teifen unb Fibern an 
ben §üten waren oon ber Farbe be« {RegimentSoberften; 
au« ben ^utfchleifen aber finb bie fpäteren Socarben beroor» 
gegangen. 

Xie Sommanbofabnen ber {Regimenter woflen Wir oon 
nun an mit einem StuSbrucf, ber in Xeutfdjlanb geläufig warb, 
einfach bie fieibfaßnen nennen, bie Stegimentsfabuen aber, 
welche in aßen möglichen Farben auftraten, bie Drbonnanj» 
fabnen. 

Xie ßeibfatjnen, urfpriingtich at« Sommanbofabnen gans 
Weiß, erlitten wäbrenb be« 17. Sabrbunbert« eine Umänberung. 
Xet ©runb ber ßeibfaßne be« {Regiment« btieb weiß, bagegen 
nahm biefer ©runb in ficb auf entweber bie ©mbleme ber 
Srone, für aße {Regimenter beSfetben Sanbe« gleich, aber bann 
bie prooinsiaten unb SBappenembteme ißre« ßtegimente«, fo 
baß fie ficb oon ben Drbonnansfabnen beSfetben nur noch 
bur<b bie ©runbfarbe unterfchieb. Xie« war s- ©• ber Fuß 
in Franfreidj, wo inbeffen ba« weiße Sreus burchgängig auch 
auf bie ßeibfaßne geftidt warb. 

SBie oerbreitet ber ©ebrauch ber weißen, aber nun embte» 
mirten ßeibfaßnen war nnb wie lange er ficb erhielt, geigen 
wir am beften burcp einige ©eifpiete. 

Stt« ©btüpp V. oon feinem ©roßoater sum Äönig oon 
Spanien gemalt worben War unb nun« am 28. Februar 1707 
ein {Reglement für bie Organifation ber fpanifchen Snfanterie 
gab, oerorbnete er, baß bie ßeibfabne jebe« {Regiment« auf 
weißem ©runbe ba« rotbe burgunbifcbe Äreus tragen foßte, 
am @nbe jebe« Slrme« bie ÄönigSfrone, in ben SBintetn 
Swifchen ben Äreusarmen bie ßöwen unb Xbütme oon Saftitien; 
bie Drbonnansfabnen eine« jeben {Regimentes foßten in ben 
§auptfarben ber ©rooins ober bet ©tabt fein, beren 9tamen 
e« führte. 

Sm Sabre 1787 ließ Äönig Friebrich Sßilbetm II. oon 
{ßreußen jebem Snfanterieregiment nur oier gaßnen, unb s>oar 
tarnen baoon s»ei auf ba« 1. unb stoei auf ba« 2. 3Ru«tetier= 
hataißon be« {Regiment«, ©on ben su>ei F a ßuen eine« ©a» 
taißon« in beffen SRitte ftanb bie eine im erften, bie anbere 
im brüten ©lieb; bie erftere warb bie Stoancirfabne, bie teptere 
bie {Retirirfabne genannt Xie ttoancirfabne be« 1. ©ataißon« 
erhielt ben befonberen {Ramen ßeihfabne unb auf weißem 
©runbe in ber ©ritte ein orangefarbene« Frib mit bem preußi* 
fcßen fcßwarsen Slbter, oon einem ßorbeertrans umfcßtoffen; bie 
anberen Faßum buüen auf orangefarbenem ©runb in ber 
©ritte ein runbe« weiße« Frib mit bem preußifcben Säblet. 

Unter ben XiftinctionSfarben bot überhaupt bie preußifcbe 
Xrabition bem SBeiß bie {Rümmer ein« bewahrt, fo in ben 
©äbettrobbetn ber 1. ©ompagnie eine« ©ataißon«, in ben 
Stcbfetftappen ber alten I. Slrmeeabtbeilung (oor 1859; — 
1. unb 2. Strmeecorp«). 

SBir bemertten früher, baß nur bei ben ©cbweisern bie 


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264 


9t* ©rgettumrt. 


Nr. 17. 


weiße gapne fiep niept alg ©ommanbofapne finbet; bieg gilt Sompagnie; ba bie ©ompagnien fe^r Kein waren, fo gwang 

inbeffen niept non ben ©cpweigerregimentern in frembent ©ienft; bann aßerbingg bie Rotp, mehrere berfelben gufammenjuftoßen, 

biefe Regimenter Ratten oietmepr, wenigfteng im 18. Sapr» um ©cproabronen non 100 bis 150 ©ferbett gu bilben; bieS 

punbert, Seibfapnen mit weißem ©runb, fowopl im frangö» gefdjap aber nur oorübergepenb, eben fo oorübergepenb wur» 

fifcpen al« poßänbifcpen, fpanifcpen unb neapolitanifcpen ©ienft. beit bann aucp aug mehreren ©djwabrotten Regimenter ge» 

-— bitbet. ©ie permanenten Gaoalerieregimenter würben 

3m 3at)re 1721 [teilte ber Regent gu ©unftett feineg guerft 1671 errietet unb biefe Regimenter würben nun oon 

©opneg, beg $ergogg oon ©partreg, bie ©teile beg ©eneral» SReftreg be ©amp, niept oon ©olonelg commanbirt unb fie 

oberften ber Snfanterie wieber tjer; bie Oberften ber Regi» führten burdjroeg Drbonnangftanbarten oon ben Farben ihrer 

menter nahmen nun wieber ben Xitel SReftreg be ©amp an, ©pefg, Sßrooingen u. f. w. ®te eingige weiße gapne ber 

mit ben gapnen warb aber leine Stenberung oorgenommen, fämmtlicpen „teilten ©aoalerie" war bie ipreg ©eneral« 

unb alg 1730 ber §ergog oon ©partreg feine ©teile nieber= oberften. 

legte, würben aucp bie Regimentgcommanbanten wieber ©oto» Reben bie Regimenter ber teilten ©aoalerie traten nun 

neig genannt. bie ber ©ragonet, audj fie führten nur Drbonnangguibong, unb 

3um testen SRale oor ber großen Reoolution warb gu bag eingige weiße ©uibon aller ©ragoner war bag beg 

©unften beg Sßringen ©onbe im §apre 1780 bie ©bärge beg ©eneraloberften, ben audj fie erhielten. 

©eneraloberften wieber ein geführt; bie ©olonelg würben aber» ©eit 1693 batte bie frangöfifdje Ütrmee bann audb $ufaren» 

malg SReftreg be ©amp; jept bereit nur jebeg Bataillon regimenter; im Sapr 1779 beftanben beren fünf, fie würben 

eine gabne; alle gapnen waren Orbonnangfapnen mit ben alg befonbere SEBaffe conftituirt unb erhielten alg folcpe einen 

garben ber ^rooingen u. f. w. Rur bag Regiment ^ßicarbie, eignen ©eneraloberften in ber Sßerfon beg §ergogg oon Drleang 

bag Regiment beg ©eneraloberften, erhielt außer ben beiben (^ß^ilippc ©galite). 

Orbonnangfabnen feiner grnei Bataillone a(g britte eine weiße 1 ©te Slrmeerefornt oon 1788 ließ oon ben gangen 18 ©out» 
Seibfapne. 3m Sabre 1788 warb bie ©teile beg ©eneral» j pagnien ber SRaifon bu Roi im weiteren Sinne (SRaifon bu 
oberften abermalg unterbrüdt, bie SReftreg be ©amp würben j Roi, SRaifon beg Sßrinceg, ©ranbe ©engbarmerie unb Sßetite 
Wieber ©olonelg, bie gapne beg erften Sataißong jebeS Regi» , ©engbarmerie) nur 4 ©ompagnien ©arbeg bu corpg übrig, 
mentg würbe wieber bie weiße Seibfapne unb bie beg gweiten welche bann auch 1791 ein fcbredlicbeg ©nbe fanben. ßuglei^ 

©ataißong blieb bie Orbonnangfabne. würben bie ©teilen ber ©eneraloberften ber leichten ©aoalerie, 

©ie Reoolution brachte bann bie breifarbige gapne, ber ©ragoner unb ber £>ufaren aufgehoben unb bie ©omman» 

wobei eg wegen unserer ©eftimmungen oiele Verwirrung gab; banten ber frangöfifdjen ©aoaterieregimenter, bigber SReftreg be 

bag Äaiferreidj brachte baneben bie Kbler. ©b e wir nun auf ©amp, würben gum erften SRat gu ©olonelg umgetauft. 

bie Reftauration eintreten, werfen wir noch «iuen ©lief auf - 

bie frangöfifdje ©aoalerie unb beren gähnen unb ©tanbarten. SSir paben nun gefebn, baß unter bem gangen alten 

©ie berittene Sepngritterfcpaft würbe urfprünglidj oom frangöftfehen Äönigtpum fiep feine ©pur oon einer weißen 

ßonnetable in Vertretung beg Äönigg geführt SRit ber @r» frangöfifepen Rationalfabne, oon einer weißen gähne ber 

ridjtung ber Orbonnanrcompagnien nahm ber ©onnetable auch Könige ober ber ©ourbong, oon einer Weißen gähne oon 

bag ©ommanbo über oiefe. 3ebe Orbonnangcompagnie butte Sorp finbet 

eine gähne für bie fiommeg b’armeg unb ein ©uibon für bie Suchen wir gu finben, wo benn eigentlich ber Urfprung 

Strcperg in ben garben ipreg ©apitäng. Klg nun bie weiße biefer gähne beg frangöfifchen Äönigtpumg liegt, oon welcher 
gapne überall ©ommanbofarbe warb, nahm fie auch ber ©onne» ber ©raf ©pamborb niept laffen wiß. ©ei einigem guten 

table an, unb aller SEBaprfcpeinltcpfeit nach, bem Vorgänge bei SBiCten unb einiger Racpforfcpung ift bie Söfung niept aUgu» 

ber Snfanterie analog, in gwei ©jemplaren; bag eine für feine ferner gu finben. 

Slutorität über bie Drbonnangcompagnien, bag anbere — Cor- Rach ber ©jecution Subwigg XVI. nahmen bie frangö» 

nette blanche de France — für feine Slutorität über bie fifcpen ©migranten, welche fiep über bie oerfepiebenen Sänber 

Sepngritterfdjaft — Ban et arriereban. ©ie Sepngritterfcpaft ©uropag gerftreuten, alg gemeinfameg ©rfennungggeicpen eine 

warb gum lepten SRal gu perfönlicpem ©ienft im 3apre 1674 Weiße Slrmbinbe an. ©ie tpaten bag niept etwa, um fiep 

aufgeboten; ber Porte-cornette blanche de France fommt alg bie Racpfolger ber ©roteftanten ©onbeg unb §einricpg 

aber noep alg waprfcpeinli^ erblicper ^oftitet im 18. Sapr» oon Raoarra gu begeidjnen, fonbern um fitp barguftellen als 
punbert oor. • bie treuen Anhänger beg Äöni^g, welcpe ipre ßänbe rein 

Sllä wäprenb ber italienifcpen Äriege bie leichte ©aoalerie wüßjten oon jeber ©cpulb an fernem blutigen ©nbe, um gu 

unter oerfepiebenen Ramen aug ber ©engbarmerie gänglicp proteftiren gegen bie rotpe pprpgifcpe SRüpe ber Republif, 

auggefipieben war, ftettte ^»einriep II. 1549 neben bem ©onne» gegen bie rotpe gaptte beg ©errorigmug. ©ie oergierten biefe 

table einen fetbftftänbigen ©eneraloberften ber leichten ©aoalerie »rmbinbe mit brei Silien, aber niept mit ben golbnen Sitten 

auf; biefer napm nun auch eine weiße ©ommanbofapne für bie ber alten föniglicpen agurbtauen gapne granfreiepg, fonbern 

gefammte teiepte ©aoalerie an. ©ie Sepngritterf^aft würbe mit mit f cp war gen. 

ber teueren gleich unb auch bem ©efept beg ©eneraloberften ©oetpe fepreibt am 18. ©eptember 1797 aug bem ©oft» 

ber leisten ©aoalerie unterfteßt, fo oft fie noep aufgeboten warb. pof gur Ärone in ©epaffpaufen: 

©ie alte ©engbarmerie unb bie unmittelbar aug ipr ftam» „SRafaronifcpe Uniform frangöfifeper ebter ©aoateriften. 

menben ©peoaujlegergcompagnien gingen im Sauf ber 3eit ooß» gürcpterlicpeg geiepen ber brei fcpwargen Silien auf ber weißen 
ftünbig in bie ©arben beg ^önigg (Maison du Boi) unb bie ©inbe am Krm." 

©arben ber ©ringen auf; bie ©teße beg ©onnetable warb fepon ©benfo füprten bann unb in bemfetben ©inne bie Sn» 

1627 aufgepoben, unb ber ©eneratoberft ber teiepten ©aoalerie furgenten ber Venbde unter ©parette eine weiße gapne mit 

warb bamit ber Oberbefeplgpaber ber fämmtticpen eigentlichen fcpwarg auggegaeftem Ranbe, barinnen ein ©cpilb mit 

Reiterei, ©iefe ©cplacptencaoaterie, immer noep ©aoalerie legere golbenen Silien unb golbener Ärone unb mit ber Umfcprift: 

genannt, obgleich fie im Vergleich gu ben Slrlebufieren gu ©fetb. Pro deo et rege. 

ben Slrgoutetg, ben ©ragonern unb ben fonft entftepenben Krten SUg Subwig XVIII. im 3apre 1814 naep granfeeiep 

oon ©aoalerie bie eigentliche fepmere war, entfprecpenb ben tarn, war oon einer weißen gapne gar niept bie Rebe, ©er 

beutfepen „Reitern" beg 17. unb 18. Saprpunbertg, entwicfelte Ärieggminifter ©raf ©upont be fStang fefete nur am 13. Äpril 

fiep nun felbftftänbi^. 1814 bie weiße ©ocarbe an bie ©teße ber breifarbigen. 

gu bem Regtmentgoerbanb gelangte bie frangöfifdje Run patten in ber ©pat in ber lepten 3 e *t beg alten ßönig» 

©aoalerie fepr fpät; bie eigentliche ©inpeit berfelben war bie tpumg bie ©ruppen am ^ut eine weiße ©ocarbe getragen. 


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Nr. 17. 


265 


9it ©egcnmari. 


aber tebigüep in golge einer ber nieten aßen ßeiten, feit Uni= \ 
formen egiftiren, geläufigen Uniformoeränberungen. Xie erften , 
gleichartigen ßutcocarben mürben überhaupt erft nach bem j 
grieben non Ut^Srottf 1697 bei ben franjöfifcpen Gruppen ein* I 
geführt unb btefe erften ©ocarben maren eben fo jufäßig 1 
fcpwarj als bie fpäteren weife. 

©rft ju ©ent ®nbe 1814 unb Anfang 1815 gewann j- 
baS ©migrantenelement einen perborragenben (Sinftufe auf 
ßubwig XVIII. §ier erliefe er am 17.3uni 1815 ein Xecret ! 
über bie (Srrieptung eines ^Regimentes leichter Infanterie, I 
welches ben Xitel Kronregiment (Sa ©ouronne) führen foßte. j 
XiefeS foßte eine gähne mit meifeem ©runbe, barauf bas ! 
Sßappen grantreicpS unb bie SBejeicpnung beS Regiments 1 
tragen. Xer §erjog non geltre, ©eneral Starte, Kriegs* ! 
minifter feit bem 11. ÜRärj 1815, hatte ben König auf feiner 
glucpt nach ßiße unb ©ent begleitet unb berfap auch pier 
bei ifem bie gunctionen beS KriegSminifterS unb überhaupt 

bis junt 9. Suli 1815. Äm 8. 3uli war ßubwig wieber in 

Baris eingejogen; am 9. 3uti warb Slarle als KnegSminifter j 
burdj ben SRarfcpaß ©ounion St. <£pr erfept; aber es ift Rar, 
bafe bie Xecrete, welche in Betreff ber ©ntlaffung ber alten | 

unb ber Äuffteßung einer neuen Ärtnee am 16. 3uli erlaffen | 

würben, fchon non Starte norbereitet waren. 

Unter biefen befinbet fich nun eine Drbonnanj, welche 
ganj im Sinne beS alten KönigtpumS bie Steflen ber ©eneral; 
oberften ber nerfchiebnen Stoffen ju ©unften ber Brinjen non 
©ebiüt wieber (»erfteUte. Xer ©eneraloberft foßte in feiner 
SQ3affe ein Regiment erhalten, welches ben Xitel ^Regiment beS ; 
©eneraloberften annähme. SS würben aber gefchaffen ©eneral* 
oberften ber ßinieninfanterie, ber leichten 3nfanterie, ber 
©firaffiere unb Xragoner, enblicp ber ßufaren, im ©anjen nier. j 

3ebeS ^Regiment eines ©eneraloberften erhielt eine ßeib* J 
fahne ober ßeibftanbarte, je nach ber Stoffe. 

3n bem ^Regiment eines ©eneraloberften ber 3nfanterie • 
foßte bie ßeibfopne non ber erften güfiliercompagnie beS 
erften BataißonS geführt unb non einem Dffijier mit bem 
Xitel Snfeigne be la Sompagnie generale getragen werben. — 

3m ^Regiment eines ©eneraloberften ber Sanalerie warb bie 
ßeibftanbarte ber erften Scpwabron anoertraut unb non einem 
Dffijier mit bem Xitel Somette blanc getragen. 

Xie ßeibfapne für bie ßinien* ober leiste 3nfanterie 
foßte weife fein, mit ßilien überfät unb bie 3nfcprift tragen: 
Praeteriti exemplum fidesque futuri, bie gleichfalls wetfeen , 
beiben ßeibftanbarten erhielten in ber SDZitte eine Sonne in 
©otbftiderei mit ber Sufcprift: Nec pluribus impar. Xie ( 
ßeibfapnen foßten nur ben König, bie Sßrinjen non ©ebiüt 
unb bie 2Rarf<häße non granlreich grüfeen unb felbft non 
aßen übrigen gähnen unb Stanbarten ber Ärntee begrüfet [ 
werben. 

3n biefem Xecret ift mieberunt non einer weifeen gähne j 
granfreicps gar nicht bie Siebe. X)er ©eneral Sufane in ! 
feiner ©efdpicpte ber franjöfifchen Sanalerie macht barauf auf* 
merlfam, bafe Starte 1783 — er war bamats adjtjepn 3apr 
alt — in baS fRegiment ©eneraloberft ber §ufaren eingetreten 
war unb in bemfeiben fchon am 5. September 1784 bie Steße 
beS Somette blanc erhalten hatte. Sr rnufete bähet ebenfo 
wohl als ßubwig XVIII. wiffen, Was eine meifee ßeibfahne 
ober ßeibftanbarte bebeute. 1 

ÜRocp 1816 gab ßubwig XVIII. ben Xepartemental* i 
legionen Drbonnanjfahnen non berfepiebenen garben je nach : 
ihren ^roninjen unb erft 1820, als mitten in ber wütpenb* I 
ften SReaction, unter bem fiegteidjen Sinfluffe ber alten Smi= i 
granten, bie franjöfifcpe 3nfanterie wieber in ^Regimenter f 
formirt würbe, erhielt fie bie weifee gähne als Drbonnanjfahne, t 

als SRationalfapne. ; 

Xiefe weifee SRationalfapne tann baper in ben Äugen 
ber granjofen unmöglich eine anbere Bebeutung haben, als i| 
bie einer gähne beS fpafjeS, ber SReaction, tur§ ber ©migran* ; 
ten non 1790. I 


oSiferatut ttttb 

Der ftlanbe an (SttPererfjpetmincjtn in nnferer 3eit. 

(Eine Scpilberung unb Betrachtung 
Don 

3ürgett Bona ITleyer. 

äRancfeem mag eS feltfam erfefeeinen, in unfern angeblich 
fo aufgetlärten unb jebenfaßs wiffenfcpaftlidj hochgebilbeten 3eit 
iibn ben neu auferftanbenen ©tauben an ©eiftererfepeinungeu 
reben ju woßen; man ift geneigt ju meinen, eS müffe an Stoff 
baju fehlen unb wenn niept, fo fei eS boep angemeffener, baS 
Sieben barüber ben betpörten Xporen ju überlaffen unb ooit 
folcpem Spul öor Berftänbigen ju fcpweigen. Xie ßefer biefeS 
Blattes müffen borauSfepen, bafe icp anberer Meinung bin. 
ÄßerbingS glaube icp, bafe es einen ©eficptöpuntt gibt, unter 
bem fiep auep bie wirRicp ÄufgeRärten unb Berftänbigen nnferer 
3eit mit biefem ©egenftanbe befepäftigen foßten. Xie SJteu* 
belebung beS alten ©laubenS an ©eiftererfepeinungen unb ipre 
Sluffcplüffe über baS XieSfeitS unb genfeits ift eine pöcpft merl* 
Wftrbige 3citerfcpeinung, eine 3eitfran!peit üieüeicpt, bie unS 
jWeifetn läfet, ob Wir mit Ste<pt ftolj fein bürfen auf ben popen 
Stanb unfereS SBiffenS unb mepr noep feiner SRacpmirfung im 
ßeben. Unb jebenfaßs bebarf bie Xpatfacpe biefer SBieberbelebung 
beS ©eifterglaubenS einer Oemünftigen SrRärung, wenn Wir 
niept an bem geiftigen gortfepritt ber SRenfcppeit felbft irre 
werben foßen. 

Xer ©taube an ©eiftererfepeinungen fputt jur 3eit fcpou 
niept mepr in einjelnen Köpfen aflein, er pat ganje SRaffeit 
erfafet unb greift immer weiter um fiep. 

Xie üueße biefeS neuen ober bielmepr nur neu aufgewärmteu 
©laubenS fprubelte juerft lebhaft jenfeitS beS DceanS in ben 
Bereinigten Staaten StorbamerifaS. Xiefelbe trat als pöpere 
Sntwidetung beS XifcprüdenS unb XifcpRopfenS auf. SRan 
glaubte baS Klopfen riipre üoit ©eiftem per unb immer beut; 
licper pörte mau in bemfelben bie Spracpe ber ©eifter unb 
lernte fie oerftepen. Snbe ber oietjiger 3apre war biefer ©laube 
in ber ganjen Union fepon iiberaß belannt unb feine Änpängct 
nannten fiep, eben in ber SReinung, bafe fiep pier ©eifter offen; 
barten, Spiritualiften ober Spiritiften, unb bie Betonen, Welcpe 
ju bem Berfepr mit ben ©eiftem befonberS geeignet erfpienen, 
SRebia (SRittler). Solcher SRebia foß eS 1850 fepon etwa 
30,000 in ber Union gegeben paben. 3« ber Stabt Bpß as 
belppia aßein gab eS etwa 300 magnetifepe 3itRl; Welcpe fiep 
mit ©eiftem unterhielten. 3m Äpril 1864 warb ben Senats* 
mitgliebern beS SlepräfentantenpaufeS ju SBafpington ein 9Re* 
morial übergeben, üon etwa 13,000 Bürgern unterfeprieben, 
baruuter Don angefepenen ßeuten, wie bem ©ouDerneut Don BUS; 
confin, 9Rr. Xaßmabge, welcpeS um eine fßrüfung ber ©elfter; 
feperei bat. Xie Betenten berichteten bon luftfepwebenben 
Xifcpbemegungen, geifterpaften Xönen in ber ßuft, wunberbar 
entftanbenen ßiepterfepeinungen unb anberen feltfamen Xingen, 
bie nur burdj Stnnapme eines ^ineinragenS ber ©eifterwelt in 
bie unfrige erRärbar fepienen. Sie wünf^ten bie Sinfepung einer 
wiffenfcpoftlicpen BtüfungScommiffion jur Srgrünbung, ob pier 
bie SBelt abgefepiebener ©eifter fiep rege ober ob nur jur 3*it 
noep unbefannte pppfifdje Kräfte jum Botfcpein tämen. 3m 
3apre 1866 fepäpte man in Storbamerüa bie 3®hl ber Spiri; 
tualiften auf etwa 2,500,000 unb 1870 bereits auf mepr als 
8 SRißionen. 3ut 8eü foßen bie Spiritiften ÄmerifaS fiep auf 
etwa 11 SRißionen belaufen. SRag biefe Scpäpung bießeiept 
auep übertrieben fein, gewife jäplt ber Spiritismus feine Stn* 
pänger bort naep bieten ^unberttaufenben. @S gepören bort ju 
benfelben angefepene unb geleprte SRänner, fo aufeer bem fepon 
genannten ©ouberneur auep ber betannte Stnbrew 3ncffon 
XabiS, ber Slicpter ©bmonbS, ber früpere ©pefrebacteur beS 
in Slews^or! erfdpeinenben beutfepen republilanifcpen XageblattS 
„9lew*Dor!er Xemolrat" Dr. ©uftab Bloebe unb ber Beofeffor 


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266 


Nr. 17. 


Sit Gegenwart. 


bet Sgemie Hare. ®er Stifter ©brnonbs blieb eine Seit lang 
ungläubig unb betlangte fepe, biinbige ©eweife. ®a geigten peg 
igm im ®unfelgimmer bewegliche Siegterfcgeinungen öerpgiebenfter 
Art, unangefapt bewegten fug SRöbel bin unb get, ein Sello unb eine 
©ioline würben bon unpcgtbarer $anb gezielt, Klingeln würben 
übet ben Köpfen bet Anwefenben geläutet, igm felbet warb ein 
Xucg auö bet Safere gegogen unb mit bielen Knoten berfegen' 
wieber gineingeftedt. Aueg würbe ©bmonbS an ERancgeS tv 
innert, was nur er wiffen fonnte. ®a8 fonnte feiner EReinung 
nach nur bon ©eiftern bewirft werben. ®er Siebter ©bmonbS 
befebrte fieg jum Spiritismus unb warb nun in SBort unb 
(Schrift einer ber eifrigften Apoftel biefer neuen Segre. ®ie 
Spiritiften bilben jegt in Amerifa gagllofe Vereine, haben an 
20 Srittriften, beren eine, baS Banner of light in Softott, 
über 30,000 Abonnenten gägtt. 68 finb in Sorbamerifa biete 
bunbert ©üeger über biefen ©egenftanb gefegrieben, beren manege 
bereits in mehreren Auflagen gu 10,000 ©semptaren berbreitet 
finb. 3® Augufi 1868 bat bie Sationalconoention ber Spiris 
tualiften bon Amerifa gu Socgeper im Staate Sew^orf ihre fünfte 
©erfammtung gehalten, auf welker in 19 ©runbfägen ihr ©laube 
feftgeftellt warb, baß unS fortwäbrenb ein ©eifterreieg umgebe, 
bebölfert bon ben Seelen ber abgefdjiebenen guten unb böfen 
ERenfcgen. 3n allen fei baS Streben borhanben, fieg gum göegften 
©eipe aufgufegwingen, ber niegt bloS fdjaffenbeS SBettprincip, 
fonbent tiebenber ©ater fei. 

So bol ber Spiritualismus in Amerifa tbeilweife ben 
©garafter einet {Religion angenommen, ftrebt barnatg bie 
wanfenbe Seligion gu erfegen ober ben noch borhanbenen Seti= 
gionSglauben gu ftügen unb gu ergängen. ©emiffermapen als 
Dberpriefter biefer neuen Seligion fungirte eine Seit lang ber 
auch in ©uropa befannt geworbene ©eifterfeger ERt. Honte, 
naeg feinem früheren ©erufe ein Xgeologe. 

©ben biefer ERr. $ome febeint eS gewefen gu fein, ber 
bor einigen ®ecennien biefen ©lauben guerft über ben Dcean 
mit ffirfolg naeg ©nglanb braute. Salb gab es nun auch in 
Sonbon ®unfelpgungen, in welchen geeignete SRebia ihr Sicht 
leuchten. liegen. ©efonberS eine junge ®ame SRip glorence 
©oof erwies geh als ein für bie ©eifter wunberbar angiegen= 
beS ERebium. ®on reifen Seuten unterftügt fonnte ge halb 
nur biefem ©eruf ber ©eifterbefegmörung leben, ohne biefen 
heiligen ©erlebt felbft gum ©elbberbienen mipbrauegen gu mügen. 
®ie ©täubigen erlebten jefet bureb ihre Hülfe bie wunberbarften 
®inge in ihren ®unfeltammem. ©eifter erfebienen unb günbeten 
Sichter an, bie rafcb wieber oertöfegten; anbere ©eifter fpielten 
ungchtbar bie lebte Sofe, noch anbere gaben rätbfetbafte Ant* 
Worten, einige enträtbfetten fogar geheime ®inge. Aupergalb 
ber ficb bilbenben gläubigen ©emeinbe geigte ficb natürlich bei 
ben nüchternen ©nglänbern guerp oiet Unglaube biefen ©erichten 
gegenüber, auch toogl H®gn unb ®pott; aber bie 3agl ber Ans 
bänger wuchs, ©in ©orrefponbent ber Augsburger Allgemeinen 
Leitung fegreibt in ber ©eilage bom 19. Dctober 1860 bereits, 
bie ©nglänber hätten aus bem Spiritualismus eine SSiffenfcgaft 
gemacht. Schott begfce bort ber Spiritualismus brei ftänbige 
Journale, bon benen baS Spirituatmagagin allein wöchentlich 
gegen 15,000 ©jemptare abfege. 3nt Herbp 1860 habe bie 
gange titerarifche unb politifege ©rege baS spirit rapping, 
knocking, tipping wieber aufgenommen, ©inige Journale, wie 
XgaderagS ©orngitl SRagagine, glaubten an bie ©erbinbung beS 
®ie8feits unb beS Senfeits bureh bie Klopfgeifter, anbere be* 
ftritten baS Secgt biefeS ©laubenS. 3« ber Politiken ©rege 
»ertgeibigte »orgüglicg bet „Star“, zugleich $auptbertreter beS 
ERaterialiSmuS, baS ©eifterftopfen. 

„Auf biefem gefegneten ©oben beS fjortfegritts — fegreibt 
ber ©aton bon ©ülbengubbe über ©nglanb — gat fieg eine 
jaglreicge fogenannte progregibe fpiritualigifcge ©efeUfcgaft ge= 
bilbet. 3wei SRonatSf (griffen: Spiritual Magazine bon SBils 
finfon, noeg an ber Sibet galtenb, unb Human nature bon 
Dr. ©umS, unterftügen biefe ©emegnng. ®ie SBerfe $owittS, 
beS Dr. Afgburner unb gmeier befannter StgriftgeKerinnen, ber 
Stauen SRorgan unb ©rogtanb, geben einen beutlicgen ©eweis 


bon bem gunegmenben Snterege beS ©ublicumS." 8» ben Ans 
gängern gehörten fegon gerborragenbe Seufe wie Sorb Sgtton 
(Sulwer), ber 1858 geftorbene Sogn beS Socialreformer Sobert 
Dwen, ber mit FranftinS ©eift unb anberen abgefegiebenen 
Seelen Unterhaltungen gu gaben glaubte unb biefelben berögents 
liegte, unb neuerbingS traten fogar aueg berügmte Saturtunbige, 
ber ©ghfifer SSilliam ©roofeS, ber ©ntbeder beS XgaHiumS 
unb ber ©rgnber beS SabiometerS, unb ber Soolog unb ®ars 
winift Alfreb Suff eil SBallace auf bie Seite ber Spiritigen. 

Samentticg biefe legte SBenbung ift fo nterfmütbig, bap 
wir berfelben noeg einige Aufmerffamfeit guwenben mügen. 3nt 
3agre 1867 gatte geg in Sonbon ein ©erein freier Forfcger 
unter bem Samen „®ialeftifcge ©efeUfcgaft" gufammengetgan, 
beren auSgefprocgener 3wed war, Ades borurtgeüsfrei gu unters 
fuegen. ©orggenber biefer ©efeUfcgaft war ber befannte Urs 
gefcgicgtler 3ogn Subbod, ©aronet unb ©artamentSmitglieb. 
3m ©orftanbe fafjen augerbem: Sorb Amherleg, ber Anatom 
^ujleg, bet ©oetges©iograpg SeweS unb autg eine ®ame, 
SRig ©obbe, benn bie berurtgeilSfreie ©efeUfcgaft war aueg 
borurtgeilsfrei in ber Sulagung ber naeg Aufftärung grebenben 
Frauenwelt. 3« einer Sigung nun biefer ©efedfCgaft brachte 
einmal ein Arjt bie wunberbaren Xgatfacgen beS Spiritismus 
jur Spracge, jwei anwefenbe Herren begütigten aus eigener @rs 
fagrung bie SSunber biefer neuen ©laubenSwelt unb wiefen 
barauf gin, bag bie Xgatfacgen ja aueg fdjon bon berühmten 
©elegrten wie bem ©rofeffor SRorgan, bem ©teftrifer SRr. 
©arleg unb Anberen als richtig anerfannt feien. ®arüber 
entfpann peg in ber biateltifcgen ©efeUfcgaft eine äugerg ges 
reijte ®ebatte. ®ie Spiritigen bilbeten nur eine Winjige ERis 
norität, aber bie ©efeUfcgaft tonnte boeg igre Aufgabe bor= 
urtgeilSfreier ©rüfung ni<gt furjWeg 4>alt maegen lagen bor 
biefer neu aufgefcgloffenen ©eigerwelt. So warb benn be= 
fcglogen, ben ©erwaltungSratg ju erfu^en, ein ©omit6 jur 
©rüfung ber Xgatfadjen einjufegen. ®ie8 gefegag, baS ©omite 
beftanb aus 30 ©efeßfcgagSmitgliebern, ©elegrten beS ärjtlicgen, 
riegtertiegen, tiregtiegen StanbeS, aueg Xecgnitem unb 3ngenieurett 
unb anberen ©efegäftsteuten. ®iefe 30 Seute bilbeten etwa 
ben fünften Xgeil ber ganjen ©efeUfcgaft. Sur ©rleicgterung 
ber ©rüfung bitbete biefeS ©omite SubcomiteS bon g^S bi* 
fieben ©erfonen unb biefe SubcomitfeS bilbeten naeg bem ©rincip 
ber ArbeitStgeitnug weitere SpecialfubcomitäS ju noeg grünb' 
liegerer Unterfuegung. ®ie wunberbaren ©rfegeinungen fj>ome3 
bilbeten ein gauptfäcglicgeS Object ber ©rüfung, aber aueg ba= 
rüber ginauS würbe öffentlich gu SRittgeilungen über ben @egen= 
ftanb aufgeforbert unb baS ERitgetgeilte tgunlicgft ber ©rüfung 
unterjogen. So forfegten nun biefe ®omit6S oom 26. 3anuar 
1869 an gwei 3agre lang unb — aus ber SRajorität ber 
Sweiger war eine entfegiebene ERajorität bon ©eiftergläubigen 
geworben. Saeg bem ©eriegte beS ©omit68 gatten fie 15 3u= 
fammenfünfte gegabt, gatten bon 33 ©erfonen 3*ugenauSfagen 
unb bon 31 ©erfonen getriebene ©eriegte 'ttaeg ^örenfagen 
ergalteu. @8 mar bei feinem 3<ugni§ ©etrug ober Fätfcgung 
entbedt worben. Als wogt begeugte Xgatfacgen foHten fotgenbe 
gelten: 

1. Sßuitberbare Xöne werben gegört, bie bon Xifcgeit, SRöbelit, 
SBänben auSgegen, ogne bureg Stop ober anbere me^as 
nifege ©emegungSurfacgen erregt gu fein. 

2. ©S erfolgen feltfame ©ewegungen fegmerer Körper ogne 
meeganifegen Anftop. 

3. ®iefe ©ewegungen erfolgen oft gu einer 3«t unb einer 
Seife, wie bieS bon Anmefenben gewünfegt wirb, fo bap 
biefe ©ewegungen unb bie mit ignen berbunbenen Xöne 
als S^tenantworten auf bepimmte Fragen gelten tönnen. 

4. ®iefe Antworten unb SRittgeilungen gaben metp ben 
©garalter niegtsfagenber ©emeinptäge, treffen aber bi*: 
weilen aueg ®inge, bie nur einer ©erfon befannt pnb. 

5. 8ur Herbeiführung biefer ©rfegeinungen fegeinen befonbere 
Umftänbe nötgig gu fein; bie ©egenwart einiger ©erfonen 
(fogenannter SRebieu) erweift peg als notgmenbig, bie 
©egenwart anberer ©erfonen erweift peg als fcgäblieg. 


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Nr. 17. 


9it 


267 


' 6 . 96er auep burep Sorgfältige ©eaeptung biefer Umftänbe 
werben bie ©rfcpeinungen titelt gefiepert. 

®ie« alfo war ba«, wa« naep bern ©efammtberiept be« 
®reihiger*©omit68 für nunmehr auägemaept gelten fofl. ®ie 
©rgebniffe ber einjelnen ©ubcomitb« lauteten noep Diel günstiger, 
©aep benfelben würben noep folgenbe Spatfaepen bejeugt: 

1 . 13 Saugen — Ratten äRenfepen unb anbere Körper frei 
in bei^Suft feproeben fepen. 

2 . 14 Beugen — Ratten $änbe nnb‘ menfepenäpnliepe ©es 
ftalten erfepeinen fepen unb biefelben felbft berührt. 

3. 5 Beugen Ratten fiep bon unfieptbaren Kräften an ©teilen 
ipre« Körper« berührt gefüllt, an benen fte berührt p 
fein borget gewännt batten. 

4. 13 Beugen — butten bon unfieptbaren SBefen auf unfidpt* 
baren 9[nftrumenten SRuftfftüde Spielen bören. 

5. 5 Beugen — beftätigten, bah rotpglüpenbe Kopien auf bie 
§änbe unb Köpfe bon SWebien gelegt feien, ohne biefelben 
p berbrennen. 

6 . 8 Beugen — butten betaißirte ©aepriepten bur<b Klopfen, 
©epreiben erbalten. 

7. 1 Beuge — baneben auep falfcbe ©aepriepten. 

8 . 3 Beugen — erhielten ©eifterjeiepnungen in ©leiftift nnb 
Farben. 

9. 6 Beugen — erhielten genaue ©orberfagungen. 

Diefer ©eriept warb bem Serwaltungöratp übergeben mit 
ber ©itte, benfelben pm ®rud p beförbem. ®er ©etwal* 
tungäratp banlte am 20. 3uli 1870 bem Somite für feine 
gro|e SRfipWaltung, Weigerte fi(b aber, unter ber Autorität ber 
©efeßfepaft biefen ©eriept bruden ju laffen. ®a« Somitb gab 
nun ben ©eri<bt felbft perau« unb ein beutfeper ©piritift 
Dr. SBittig fuepte benfelben bureb Ueberfepung auch in ®eutfcp= 
lanb jn oerbreiten. 

©ei ben Unterjochungen felbft war ber fepon genannte 
©ppfüet ®illi«ui.®roole«, SRitglieb ber ©Opal ©ocietp, mit 
betbeiligt gewefen. Bur Unterftüpung ber ©aepe bot berfetbe 
andp feine ©eobaebtungen fetbftftänbig mitgetbeilt in bem eben* 
fall« bon SBittig 1872 überfepten 8 u(b: „®er ©piritiämn« 
unb bie SBiffenfepaft. ©fperimenteHe Unterfucpungen über bie 
pfoeptfepe Kraft." 

@(bon pbor butte fi<b 9tfreb SBallace in feinem 1866 
oeröffentlicpten ©uepe: „®ie wijfenfepaftliepe Slnficpt be« Ueber* 
natürlichen" für ben ©piritiömu« erflärt. 3 « bemfelben con* 
ftatirt SBallace, bah ungeachtet ber fteptifd^en ©rüfung ber 
©piritiämu« beträchtlich pgenommen höbe. @r fürchte, bie 
Broeifler befänben fiep in ber Sage be« König« bon 9ba, ber 
nicht an ©i« bube glauben wollen, al« man ihm babon erjäplte. 
Ober fte feien Wie SBilbe, bie juerft bon Suftballen«, Sete* 
grapben ober fßpotograppien etwa« hörten. 91« tpoma« 
©rap feiner Beit bie 9u«füprbarleit bon ©ifenbapnen barp* 
tpun fuchte, bube bie ©binburgp ©eoiew angebeutet, bah wopl 
bie Bwong«iade am beften für ihn paffen würbe. Unb felbft 
ein $utnphrp ®abp habe über ben ©ebanfen gelacht, bah «tun 
Bonbon je mit ©a« feilte erleuchten lönnen. @r feinerfeit« 
wolle biel lieber biefe wunberbaren Spatfacpen be« ©piriti«mu« 
glcutben, al« glauben, bah fo biele berftänbige SRänner, welche 
bie IBaprpeit be« ©piriti«mu« erfannt buben wollten, ©arren 
ober Xoßpäuäter feien. 9uch b“be ber ©laube, bah bie Kluft 
jwifepen ben SKenfcpen unb bem Slttgeift burch eine ©eifterwelt 
auägefüßt fei, nicht« SBiberfinnige«. 3« biefem ©lauben fucht 
SBallace bie Sehre be« ©piritiämu« wiffenfepaftliep p recht* 
fertigen. 

©exp im Sinter be« »origen Sabre« put p Sonbon ein 
grober (Songreh britifeper ©piritualiften ftattgefunben, an wel* 
epem fidp auep 9npänger an« 9merifa unb ©uhlanb betpeiligten. 
©« würbe auf bemfelben feftgefteßt, bah fiep ber ©piritiämu« 
pöcpft bortpeilhaft mebicinifcp oerwertpen laffe. ©epon biele 
Teilungen feien burep bie ©atpfepläge bet ©eifter bewirft worben 
butep ©emnittelung paffenber SRebia, beten ©ermeprung pm 
$eil ber SKeitfeppeit beäpalb bringenb roünfepenäroertp fei. ©in 
tüpner 9rjt maepte fogat ben ©orfcplag, p biefem Bu>ed 


Krantenpäufer ju grünben, in welchen afle Kuren ben ©inwir* 
fnngen ber ©eifter überlaffen würben. 9Ran fönnte faft fagen, 
er pabe borgefcplagen, bafelbft immer eine ftarle ©atterie non 
©eifterfraft pm ©epuf ber Teilungen auf Bager p palten, 
©in anberer ©piritift biefe« ©ongreffe« meinte, e« werbe pr 
beffern ©rlenuung ber Kranfpeiten gut fein, barauf p palten, 
bah bie peitfräftigen ÜRebium« immer pgteiep peßfeperifcp feien. 
SBie bie« 5 U bewirten, fagte er freilich niept. 9n biefem ffion* 
greh pat auep ber ^anptapoftel be« ©piritiämu« in ©ufjlanb, 
91ejanber 9ff&fow, rufftfeper ©taatäratp, Speit genommen 
unb ift bann bon ©nglanb mit jwei jugenblicpen SRebien, Knaben 
bon 13 unb 17 3upren, bereichert naep Petersburg peimge* 
teprt, um eben biefe Knaben pr ©etfügung ber wiffenfepaft* 
liepen iprüfungäcommiffion p fteflen, welcpe berufen war, bie 
SBaprpeit ober ben Irug biefer SBunberwelt p ergrünben. ®a« 
©rgebnih ift burepau« negatib auägefaßen, auhergewöpnlidie, un* 
ertlärbare Spatfad^en tarnen niept pm ©orfepein. SDie ©piri* 
tifteu paben bie« natürlich uu« bem Unglauben unb tpeilweife 
fogar au« ber Sugeitb ber ©rüfenben p ertlären gefuept, fo 
bah man wiebet annepmen muh, t« gehöre pm prüfen biefer 
SBunber fepon bornweg ber ©laube an biefelben ober gar eine 
gewiffe 9lter«fcpwäcpe. 

3 n ©uhlanb übrigen« pat ber ©piritiämu« aufjer in 
©orbamerita unb ©nglanb im ©egenfap p bem ungläubigen 
©ipitiSmu« feinen günftigften ©oben gefunben unb fepeint na* 
menttiep auep in pöperen Kreifen gepflegt p werben, ©eben 
bem rufftfepen ©taatäratp 9ff6tom wirb noep ein ©eneral* 
abjutant ©r. SRajeftät be« ©jaren, ©mit gfürft bon ©apn* 
SBittgenftein al« 9npänger be« ©piritiämu« genannt. S)et 
©taatäratp 9tf&tow gibt feit 1874 in beutfeper ©praepe eine 
monatliche 3 eitf<prift, „©fpepifepe ©tubien" betitelt, perau«, 
wel^e „borjüglicp ber Unterfuepung ber wenig getonnten $pä* 
nomene be« Seelenleben« gewibmet ift". Siefe Beitfcprift, bie 
icp mir bon iprem ©eginn an gepalten pabe, um 9ßeS p er* 
fapren, Wo« bie ©eifterwelt 9merita« unb ©uropa« mitptpeiten 
weih, gibt über ben ©tanb be« berbreiteten ©piritiämu« eine 
äufserft teprreiepe 9u«tunft. 

(tJortfefeünfl folflt.) 


Ule ireiperru tum WeflTtitbcrg.*) 

©aep unb naep beginnt man auep in Seutfcplanb bie ga* 
ntiliettpapiere p fcpäpen unb p publiciren, wie bie« in ffing* 
lanb fepon feit lange ber gaß ift. Srüper bominirten bie 
„©riefwedpfel" ber Sicpter unb ©eleprteu bei un«; — bie ©riefe 
au« jener 3 «t, wo ba« ©orto noep fepr poep war, unb man 
alfo fepr lange ©riefe feprieb, um bie Koften perauäjufcplagen, 
— ©riefe, bie, wenngleich fte bemüpt finb, bie 3 orm ftreng 
pribater ^erjendergiehungen p bewapren, boep pin unb wieber 
eine fo boctrinäre unb leprpafte Sonart annepmen, bah man 
ben ©erbnept niept unterbrüden tann, ber ©riefftefler fei fiep 
ber bemnäepftigen ©eröffentlicpung bemüht gewefen unb pabe, 
wie man im 3 o* 9 ®n ber ©eeptdanwälte fagt, „naep pinten 
ptaibirt". Siefe ©ebenäart erwäpne icp, weil fie einige ©e* 
aeptung, ja bießeiept ba« literarifepe ffiürgerrecpt berbient. ©ie 
pat folgenbe ©ntftepung: 8 B 0 ba« ©erieptäberfapren öffentlich 
ift, ba füptt proeilen bie ©ibilpartei ba« ©ebürfnifj, in iprer 
©aepe, beren ©cproäcpen unb ©efapren fte einfiept, ben ©er* 
panblungen, opne bap berpflieptet p fein, felbft beiproopnen. 
®er 9nwalt, bießeiept ebenfaß« befeelt bon ber Ueberjeugung, 
bah bie @adje für feine ©artei niept wopl p gewinnen ift, 
rieptet feinen ©ortrag, weteper eigentlich für bie ©iepter beftimmt 
ift, fo ein, bah er gewifj ben 3 wed niept berfeplt, ba« §erj 
be« anwefenben ©lienten auf ba« Xieffte ju rüpren; unb ber 


*) ©riefe mmSopann ©ptlipp ffreiperrn bon SBeffenberg, 
auä ben fapren 1848—186$, an 3«forbtnl=ftoftntp, öftr. Segations* 
ratp a. ®. 2 Xpeile. Setpjig 1877, ©rodpau«. 


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268 


Sie «ege«wart. 


Nr. 17. 


©rfolg ift bann ein und) allen Seiten befriebigeuber. ®er $In= 
Watt bat äße ®h re 0011 & et ©ebanblung bet Sache; unb Wenn 
auch bet Klient feinen ©rocefj berliert, fo ift et boch äberjeugt, 
bafj, wie tperr non Schmerling f. 3- in bet ©autstirdje in 
granlfurt a. SK. Jagte, „SlüeS gegeben ift, WaS gefcbeben werben 
tonnte". ®er Stifter ift aufrieben, weit et red)t gefprod)en; 
unb bet ©egner, weit et beit ©rocefj gewonnen. ©nbe gut, 
9lße8 gut. 

Hehntich finb jene Uterarifcben „©riefwechfet". SKan bat 
auweilen ben ©inbrud, bafc bet ©riefftefler webt an baS Sßubtis 
cum bentt, welkes hinter ibnt, als an ben Äbreffaten, welker 
bor ibm ftebt, mit anbern ©orten, — baff auch et „nach hinten 
ptaibirt bat". 

$eute, in unferen fdjnefltebigen Sagen, — in ber Seit bet 
©oftfarten, bet Kohrpoft unb bet Telegramme (welche, beiläufig 
bemertt, ben Stil unrettbar berberben), gibt eS nicht mehr fo 
ausführliche ©riefe. Mein bamit ift uns fdjwerlidh geholfen. 
®enn wir finb, loenigftenS auf literarifdjent ©ebiete, bon bet 
©eröffentlidtung ber Sriefwedjfel au bet ber ©apierfchnifcet, 
©afchaettet, ©intabungen unb ©ratutationen herunter: 
gelommen. ®et alte Schlöffet in §eibetberg betbtannte Iura 
bot feinem Tobe äße feine pribaten ©apiere, bamit nicht „mit 
feinem titerarifchem Seidjnam noch ÄrebSfang getrieben werbe". 

©8 ift atfo fdjon im $inbtid auf bie titerarifche Sßapier: 
fchnifcelpublication ein ©lücf, bah wir auch in bet ©eröffent: 
lidjung nachgelaffenet ©apiere etwas mehr in baS ©ebiet bet 
©otjtil gerathen finb unb lieber ®enlwürbig!eiten unb ©riefwechfet 
utiferet Staatsmänner, Wie a- ©• unferer fäarbenberge unb 2Beffen= 
berge, lefen, als jene alejanbrinifd^ftholtafttfch aufgefräufeiten 
Sdjnifcel, mittels beten irgenb ein gelehrter Kommentator be= 
fähigt wirb, ben ©eweis anautreten, „Wo unb waS ber grofje 
©oethe h<nte bor hunbert fahren ju SKittag gefpeift hat". 

Schon bon biefem Stanbpunlte aus begrüben wir bie ©er: 
öffentlidjung ber ©riefe beS greiherrn ©hilipb non ©effen: 
berg mit greuben. ©effenberg hat au jtoei feht betriebenen 
Seiten eine Kofie auf ber öftreichifchen pelitifchen Schaubühne 
gefpiett, einmal aur Seit beS ©ieiter ©ottgreffeS unb bann im 
3a1jre 2lcf)tunbbierjig. Su jener Seit hatte er einen heebors 
ragenben tffntljeil an bem Suftanbefommen ber beutfehen SuitbeS* 
acte, ©r rühmte fi<h namentlich ber Urheber beS HrtilelS 
„®teiaehn" au fein, welcher fämmttichen beutfehen ©unbeSftaaten 
eine „ftäubifch« ©erfaffung" betreff, — eine Serljeifjung, 
welche freilich feht wenig ©erth hatte; benn bie beiben ,,©or= 
inächte" glaubten fich baburch nicht gebunben, unb ber an fid} 
fchon höchft probtematifche SonftitutionatiSmuS ber SKittet: unb 
fleinftaaten litt unter ber ©etonung unb Auslegung, welche 
nach Anleitung uon griebrich ©enjj ber gürft Metternich 
bem ©ort „ftänbifch" gab, nämlich f°, bah hiuter biefem höchft 
interpretationsfähigen ©eiwort, baS Hauptwort „©erfaffung" 
boflftänbig berfdjWanb. 

3m 3<>h re 1848 würbe ©hiüpp ©effenberg, welcher 
Don 1831 an als „Mann beS UmfturaeS" mihtiebig geworben 
unb bei Seite gefdjoben war, auS feinem Sdjmoßwinlet „brau: 
hen im ©eich" Wieber hetborgehott. ®enn was bei Äaifet grana 
unb Metternich mihtiebig gewefen, baS warb nun bei Äaifer 
gerbinanb unb ber „conftitutioneßen 9tera" populär. ©effen= 
berg übernahm 1848 ben ©orftfc im ©abinet unb baS SKini: 
fterium ber auswärtigen Singetegentjeiten, um bann im Kobern* 
ber bem bemnächfügen Shftem Schwaraenberg:Stabion:Sach 
©Iah au machen, unb fich abermals in ben Sdjmoßwinlet au= 
rüd^uaiehen. SKeift aus biefem aßerbingS reiaenben Schmoß: 
winlel, nämlich aus gteiburg im ©reiSgau, baS in ibhßifdjer 
Schönheit an bie ©erge beS Sdjwarawatbes gelehnt bod> in ber 
SKitte awifchen Kom, ©aris, Sonbon, ©ien unb ©ertin liegt, 
baS alfo fo recht ein geeigneter ©unft ift, wo ein alter Staats: 
mann feine „würbeooße Mu|e", fein „otium cum dignitate“, fagt 
©icero, geniehen mag, ohne fich barum ben ©ettljänbetn gana 
au entfremben, — aus bem ©reiSgau alfo finb biefe bertrau: 
liehen ^eraenSergiehungen, wenigftenS aum gröberen 
batirt; unb gerietet finb fie an einen bamats noch jungen unb 


folglich auch »hoffnungSboßen" ®iptomaten, beuf jefcigen $etauS= 
geber ber ©riefe, §errn bon 3öforbin!, ber im Sommer 1848 
in granlfurt a. M., wo er fich noch als SegationSfecretär bei 
ber, bereits etwas bipolthph geworbenen, !. f. ©räfibial:©unbeS: 
tagS:©efanbtfchaft aufhielt, bon ©hitipp ©effenberg, als 
berfelbe auS feinem greiburger 2lfpl (ober ©jil?) über granl= 
furt nach ©ien reifte, um bort baS $reua ber auswärtigen 8n= 
getegenheiten auf feine, nicht mehr feht jugenblidjen Schultern 
au laben, entbedt unb mit nach 2Bien genommen würbe, unt 
bort, fo lange ©effenbergS Minifterium bauerte, als ©räjibial= 
fecretär unb SegationSrath a u fungiren. gürft Schwaraen: 
berg fdjidte bann $errn Säforbin! wieber nach granlfurt a. M. 
aurücf, unb awar, ich gebe baS wörtlich, weit eS etwas feltfant 
Hingt, „mit Sutljeitung an ben öftreichifdjen ©eboflmächtigten, 
§errn bon Schmerling, bei bem bamatigen ©raheraog Keidj8= 
berwefer". 

$err Stnton bon Schmerling war 1849 au gleicher Seit 
beutfdjeS ©artamentSmitgtieb in granlfurt, öftreidjifchcö ©ar= 
tamentSmitgtieb für ©ien, Sremfier (Dlmüj}) unb bergl., Se: 
boßmächtigter DeftreidjS bei ber probiforifchen ©entratgewalt 
beS angeblich «o<h in ber ©ntftehung begriffenen, in ©irltich= 
teit aber fchon als unrettbar aufgegebenen „®eutfd)en KeidjS", 
geheimer ©ontreminifter beS Keid)SberweferS gofjann gegen 
beffen öffentlichen SKinifterpräfibenten Heinrich bon ©agem, unb 
enbtich öftreidjifcher 8Riniftercanbibat, — eine ©ielfeitigleit, bie 
felbjt einem ©effenberg etwas bebenttich erfchien. „®aS ift ja 
wahre Simonie!" feufate er (©riefe I, 12). 

#err bon Söforbinl ging fpäter, währenb beS fenteren 
©ertaufS feiner biplomatifchen Saufbahn, nach bem $aag, nach 
©erlin unb bann wieber nach SBien, — enblidj nach 9Kabrib. 
©enn ihm feine ©efdjäfte bieS erlaubten, fuchte er bon Seit au 
Seit $erro bon ©effenberg in beffen ©reiSgauer „JuScutum" 
auf. 3m Uebrigen ftanb er mit ihm in einem ununterbroche: 
nen ©riefwechfet, beffen offene ©ertrautidjteü unb ftetS gleich 1 
bteibenbe freunblidje ©efinnung beiben ©orrefponbeitten gleich 
feht jur ©hre gereicht. 

HßerbingS gibt uns baS oben genannte Sud) bon biefem 
1 ©riefwechfet nur bie eine Seite, nämlich nur bie ©riefe beS 
| greiherrn ©hüipp bon ©effembetg. ®ie Schreiben 3öfor s 
binlS an ©effenberg werben nicht mitgetheilt. 3ft eS un: 
! gerechtfertigte ©efdjeibenheit ober ein Uebermajj perfönlidier Küd= 
pcht, weshalb man fie unterbrüdt hat, — wir wiffen eS nicht, 
j unb baS ©uch berfagt unS barübet bie HuStunft. 


! ®ie greiherrn bon ©effenberg finb ein altes atemannifdjeS 
i unb tathotifdjeS StbelSgefchtedjt. Sie ftammen urfprüngtich aus 
; ber Sdjweia, unb ich bermuthe, bah fie ihren Kamen bon 
ber gridthat’fchen Kuine ©effenberg, in bem Schwerer ©anton 
Harau, führen. Später finben wir fie in ben borbet: 
| öftreichifchen Sanben, namentlich in bem greiburger ©reiSgau, 
Wohin fie fchon mit ffaifer Kubotf bon ^absburg über: 
i gefiebett fein woßen. Später erwarben fie ©üter in Söhnten. 
' ®er ©rofjbater beS öftreichifchen SRinifterS, 3oh ann ©hitifP 
j bon ©effenberg, unb beS Äonftanaer ©iSthumSberweferS 
! Sflnaa Heinrich bon ©effenberg, häufte in getbtirch im 
; ©reiSgau. ©ir finben im hörigen 3ahrhunbert ben reicht- 
ritterfchaftüchen Hbet SübbeutfchtanbS überaß, theilS an ben 
territorialfürfttichen tpöfen, theilS im ®ienfte ber Kirche, auf 
beit ©ifdjofsfifcen unb in ben ©apitetn. ®er ©ater bet ©effen* 

I berge, greiherr ©hiühh bon ©effenberg, war nach 
, ®re8ben „au £>ofe bienen gegangen"; er war ©onferenaminißer, 

! Oberfthofmeifter unb ©raieher beS fädjfifdjen fturprinaen unb 
; Thronfolgers griebrich Huguft; berheirathet war er mit einer 
©räfin ®hurn au ©atfafina. HuS biefer ©h e flammten brei 
! Söhne. ®er jüngfte lehrte nach ©oßenbung feiner theologifh' 
juriftifchen Stubien nach ®reSben aurücf, wo er in bie gufj: 
tapfen feines ©aterS trat unb ©ouberneur bet lönigtichen ©rinaen, 
ber Söhne griebrich HuguftS, Würbe. ®er ättefte, 3oh ann 
©hitibP, geboren am 28. Kobember 1773, geftorben in grei: 


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Nr. 17. 


Sie «egntnmrt 


269 


bürg im ©reiSgau am 1. Sluguft 1858, ift ber öftreidhifdje 
SRinifter, beffen ©riefe uns h* et borliegen; unb ber gweite, 
Sgnaj $einridj, geboren am 4. Rooember 1774, geftorben 
am 9. Stuguft 1860, ift ber beräumte antirömifche Konftanger 
©iSthumSOerwefer, ben man nidf)t mit Unrecht als ben 
Rachfolger beS 3uftinuS SebroniuS begeidfjnet. 

®er SBiener SBeffenberg fowol)l, als fein jüngerer ©ruber, 
bet Konftanger, finb beibe nicht in SreSben bei ihrem ©ater, 
fonbern in Selbfirdj bei ffreiburg bei ihrem ©rofjöater aufgetoadfjfen. 
®ann ftubirten fie an ber bon (Ejjefuiten geleiteten Sanct ©als 
üatorfdjule in RugSburg. ©on tyet ging ©hilipp nach SBien, um 
atsbalb I. !. $ofrath gu werben, unb Heinrich nach bet Reinen 
Unioerfität ®iHingen, unb fpäter in bifdfjöftidhe ®ienfte, um im 
Sahre 1800 bei ®alberg, welcher bamals ©ifdhof in Konftang 
geworben, baS ©eneratoicariat ber ®iöcefe Konftang an: 
gunebmen. ®iefe ®iöcefe Konftang erftrecfte fich bantalä noch 
über öftreichifche# unb fdjWeigerifcheS ©ebiet. Heinrich SBeffen» 
berg nahm bei bem Eintritte feines neuen unb wichtigen SlrnteS 
fofort biejenige Stellung, welche er fein ganges Sehen hinburdfj 
beibehalten hot- @8 war bie ber beutfdhen Kirdhenfürften # beS 
borigen SahrhunbertS, welches ©äculum charalterifirt wirb burdj 
bie Unterbrüdfung beS SfefuitenorbenS, bie gaüicanifchen greis 
heilen, bie auf SuftinuS jfrbroniuS (SBeihbifchof bon $ontheim) 
beruhenbeit ©mfer ©unctationen unb ben SofepljtniSmuS in 
Deftreidj. Schon borher ^atte Heinrich SBeffenberg mit (Eifer 
gegen bie ©äcularifationen gefämpft, er wollte bie reichSfflrftliche 
Stellung ber beutfdhen ©rgbiöcefen unb ©isthümer aufrecht er« 
halten wiffen, weil er fürchtete, bie ©ifdföfe möchten fonft bem 
päpftlidjen RbfolutiSmuS gum Opfer fallen; unb als er felber 
an bie Spifce beS Konftanger ©iSthumS gelangte, ging er mit 
jfruereifer baran, nach Slrt eines felbftftänbigen ©riefterfürften 
feine ®iöcefe gu orbnen unb gu regieren, ohne oiel nach bem 
päpftlichen RuntiuS in ßugern gu fragen, ©r folgte ben Spuren 
eines ©offuet, gbnelon, gteurp nnb anbeter ©adicaner unb 
ftritt namentlich für bie Rothmenbigfeit einer grünblichen miffen= 
fdjaftlichen ©ilbung ber ©riefter, wäprenb matt bon anberer 
©eite bemüht war, biefelben gu „ 2Reffe=ßefemaf<hinen" herunter 
gu brficfen. 3« einem ßehrgebidjjt „gbnelon" h»t er ergreifenb 
ben Kampf gefdhilbert, „ben ber Wahre ©eift beS (EljriftenthumS 
immer noch mit ber pljarifäifchen unb fabbucüifdhen ©ejinnuug 
gu beftehen h<*t". 3«» 3<*h re 1814 ging Heinrich SBeffen: 

berg nach bem SBiener ©ongreffe,. um bort „für ffiinleitung einer 
gwecfmäfiigen #erftedung unb nationalen (Einrichtung ber fathoIU 
fdhen Kirche in bem wieber befreiten ®eutfd)lanb HRittel unb 
SBege auSfinbig gu machen". 3» ben ©ingaben an ben Kongreß, 
welche er mit feinem SBiener ©ruber ©hilipp unb mit bem 
©rgbifdjof Spiegel oon Köln berathen hatte, Perlangte er, 
baff bie ©erfaffung ber tathotifchen Kirche in ®eutf<hlanb auf 
ber urfprüngiichen ©runblage, mit ®iöcefans, ©rooingial; unb 
Rationalfhnoben unb einem ©rimaS an ihrer Spi^e wieber auf: 
gerichtet, unb bah bie pon Rom ufurpirten ©echte bem ©rimaö, 
ben ©rgbifdfjöfen, ben ©ifdhöfen unb ben Spnoben jurücfgegeben 
würben. SldeS baS ift näher ausgeführt in feiner ®en!f<hrift 
„®ie beutfcpe Kirche", welche im Rprit 1815 erfdhien. 
©or Rdern lämpfte $einridj SBeffenberg gegen ben Stbfdhlufj 
oon ©oncorbaten mit Rom feitenS ber ©ingelftaaten. SBenn 
überhaupt man ben ©oben beS ©oncorbats betreten wolle, müffe 
eS ein ReidhSeoncorbat für gang ®eutfdhlanb fein, abgufdjliefjen 
pon bem ©ongreffe ober bem ©unbeStag. 

©on all biefen ©länen SBeffenbergS hat fich nichts Oer: 
wirRidjt. ®ie meiften Regierungen behanbelten biefen ©egenflanb 
mit großer ©leichgültigfeit, in bem Rei<hB:©oncorbat erblichen 
fie einen Singriff auf ihre „Souüeränetät", biefeS ®anaer= 
gefchen! ber ffrembherrfdhaft unb beS RheinbunbS. Sie beeilten 
fich Sonbersffoncorbate gu fliehen unb erhielten fdhon nach 
gwangig 3^**** tne ©elohnung bafür in ©eftalt beS „ober: 
rheinifdhen KirdhenconflicteS". 

SRan btdt bamals Heinrich oon SBeffenberg nur 
für einen gutmütigen unb fonberbaren Sdhwärmer. Seine 
©otfdhläge gingen RangloS gum OtcuS hinab. SBer weih, ob 


fie nicht einmal mit oerftärtter ©ewalt jurüdffehren. ©ewih 
aber oerbient ber äJtann, fein ßeben unb SBirfen unb feine 
zahlreichen Schriften gerabe h eu t ju Sage eine gröbere ©e= 
rüdfidhtigung als ihnen ju Sheil Wirb. SBer fich näher über 
ihn informiren will, ftnbet eine neue unb gute SarfteHung oon 
3- fjriebrich in ben „©abifchen ©iographien" beS Dr. 
griebrich oon SBeedh, IL ©. 452—485 (1876). 

SBenben wir uns oon bem Konftaujer SBeffenberg &u 
bem SBiener, b. i. ju feinem älteren ©ruber ©hilipp, fo bürfen 
wir beffen politifche ßaufbahn in SBien als betannt oorauSfefeett 
unb fügen nur noch einige SBorte bei jur ©harafteriftif feiner 
©erfon unb feiner nadhgelaffenen ©riefe. 

Sluch er ift in feiner gangen Haltung unb Sluffaffung, gleich 
feinem ©ruber Heinrich, im SBefentlidhen ein SRann beS acht: 
jehnten 3ah r h un bertS, obgleich auch feine SBirffamfeit in 
baS neungehnte fällt. 

3<h Oerbinbe mit biefer ©egeichnuttg burdhauS nicht ben ©e: 
griff eines Sabels, ©or etwa oiergig 3ahren, in unferer roman: 
tifdhen Seit, war es in Seutfdhtanb SRobe, oon bem adhtgehnteu 
Sahrhunbert in einem oerädhttidjen Sone gu reben, oon „flachem 
RationaliSm", „feistem SlufRäricht" u. bgl. gu fpredhen :c. SBenn 
ich nicht irre, hat fogar Riebuhr, ber freilich in Rom auch 
nichts ©uteS auSridhtete, in biefer Sonart Oon Heinrich 
SBeffenberg gefprochen. 

$eute wiffen wir bie ©erbienfte beS ad)tgehnten SahthnnbertS 
beffer gu fchä^en. SBaS man früher auf Rechnung ber fogen. 
„groben Reoolution" oon 1789 ic. fcfcte, (©rofeffor Slbolf 
Sdhmibt in 3ena hat uns neue Sluffchlüffe unb ©elehrung 
über ben, theilS in mpthifdHegenbarer, theilS in gerabegu Oer: 
logener ffleife aufgepu|ten ©harafter biefer 8 £ ü gegeben), baS 
fefeen wir auf Rechnung ber üorauSgegangenen bidjterifchen, 
wiffenfchafttidhen unb reformatorifchen ßeiftungen jenes 3 a h rs 
hunbertS. SBir laffen uns einen $ume, einen Stbam Smith, 
einen ©oltaire unb einen ßeibnig nicht mehr fehlest machen. 

freilich oermögen bie beiben SBeffenberg nicht gur 
©röhe jener Senltr hinangureichen. Sie ftnb eben fo wohl 5 
Wodenbe, als, baS tann man nicht oerhehlen, etwas bilettantifdje 
unb eReltifche Raturen, Welchen für fritifefjc feiten bie rüdffichtS: 
lofe ©nergie, bie fchtoffe ßinfeitigleit unb ber harte unb fefte 
©riff fehlten, ohne bie man nichts auSridhtet. ®enn bagu ntuh 
man, wie ber Srangofe fagt, ein wenig „ben Seufel im ßeibe 
haben". ®ie SBeffenbergS finb aufgeRärte, humane unb ebel: 
benfenbe SJtänner, bie oiel gefehen, oiel gelernt unb fich barauS 
eine gro^e unb Rare SBeltanfdljauung gebilbet haben, aber babei 
hoch nie oergeffen tönnen, bah fie gu jenem {athotifdfjen Slbel 
SübbeutfchlanbS gehören, ber gur Kirche unb gu $ofe bienen geht 
unb feinen engen Bufammenhang mit Stttöftreich nicht oer: 
leugnen fann, baS bamals in ber Regel baS Strebegiel biefer 
maeferen alemannifchen Ritter bilbete. 

3ohann ©hilipp SBeffenberg War oon 1831 bis 1848 
gu SBien in Ungnabe unb hielt fich faft biefe gange Seit über 
in ®eutfchlanb auf. Slber er ift trofcbem unb troh feiner beutfdhen 
Jperfunft ftets Deftreidher oom SBirbel bis gur 8eh e geblieben, 
unb ebenfo ift er es auch in biefen ©riefen, welche aus ber 3eit 
feiner gweiten ©erabfehiebung unb Ungnabe herrühren. 

fragen wir unS: SBarum fdhrieb er benn biefe gange Reihe 
gahllofer ©riefe an feinen jungen ffreunb, ©ertrauten unb 
Sdhüler? fo lommen wir nach richtiger (Erwägung aller Umftänbe 
gu bem (Ergebnifs: ©r fühlte baS ©ebürfnifj, fein $erg auS= 
gufdjütten, feine ©ergangenheit gu redhtfertigen unb feine Rach: 
folget gu fritifiren. ®iefe ©riefe folgen feinen Rachfolgern, 
ben öftrei^ifchen SRiniftern, in berfelben- SBeife wie in ber 
griecfjifchen Sragöbie ber ©ha ( ber $anblung folgt. 3<h fage 
„ber ^anblung" unb nicht „ben gelben"; benn ich würbe mich 
burdfj ben ©ebtaud) beS leiteten SBorteS in einen unheilbaren 
SBiberfprudh mit SBeffenbergS Sluffaffung fefcen, ber mit bem 
bamaligen ©ang ber ©olitit, namentlich Ungarn gegenüber, 
burdhauS nicht einoerftanben ift. 

SBeffenberg, aufgeforbert, feine ®enfwürbigfeiten aufgu: 
geidhnen, lehnt bieS ab mit ben SBorten: „J’aime trop ma patrie 


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270 


Bit «tattttturt. 


Nr. 17. 


pour en ecrire l'histoire“ (I, 84). ©ießeidht ober Wat bie Siebt 
ju Deftreich unb bie gurdjt beffen ©löfien ja entlaßen nicf>t 
ber einjige Gruitb, bet ihn abhielt, BRemoiren ju fchreiben. ©r 
ift'überhaupt nicht im Stanbe, fo fc^eint eS, einen langen epifdjen 
gaben ju {pinnen unb begnügt fi(f| beShalb mit furjen tytiföen, 
elegifcljen unb bibactifchen 3mprot)i{ationen, mit wetten et bie 
3eitgefdfji<hte begleitet, unb welche bet Blbreffat fjiet in jwei 
ftattlidjen ©ättben gefammelt unb »eröffentlidjt ^at. 

©er von bem ffiud)e „©nthüßuttgeit" erwartet, bet täufcht 
fid). ©effenberg ift fein Samarmora. 6r fdjreibt nicht aus 
©ancüne unb weil mit »oüfommener Sopaütät bie ©flichten 
ber DiScretion ju wagten, Welche iljm feine frühere amtliche 
©teflung aufertegt. güfflt et einmal baS unabweisbare ©es 
bürfnifj, etwas ©ittereS ju fagen, {o »ertaufcht er baS Deutfeh 
mit granjöftfch, — wie beun überhaupt feine grofje ©otliebe 
für veraltete franjöfifche ©ebensarten unb gewiffe ©enbungen 
eines f<hotaftifd)en BRöndjS: ober Küchenlatein uns ftets in Gr= 
innerung rufen, ba| et bem »origen 3aljtt)unbert angehört. 

©on Deftreidfj auS fd»idt man ihm juweilen Blbfehriften 
»on ©oten unb fonftigen Hctenftüdfen, welche eljnebieS mehr ober 
weniger juris publici finb ober werben. 8ber in bie eigene 
lidfjen Geljeimniffe beS ©abinetS ift er nidft mehr eingeweiht. 
6t befdjwert ftc^ öfters barüber. „BRehte greunbe in ©ien", 
fagt er, „Wiffen entweber felbft nichts ober fte fürsten fi<h, mit 
etwas ju fchreiben." 

Die einzige t)od)geftettte ©erfon, mit welker ©effenberg 
noch in ©erbinbung fleht, ift ©rjherjog 3o^ann, ber „©eidljS: 
»erwefer", welken ©effenberg in golge »on Gintabungen 
öfters in granffurt am BRain befugt unb berätl). Äm 10. BRai 
1849 fd^reibt ihm (©effenberg) grau »on ©ranb^of (bie 
„SReidjSOerWeferin") fetjr bringenb „er möchte bodfj ja halb nach 
granffurt fontmen". ©effenberg macht ftch aud) bereit, aber bie 
babifd)e BRilitärrevotte tritt i|m bajwifdjen (I, 37). 

Durch ben ©eidhSverwefet erfahren Wir aber auch nicht 
»iel Bleues. 6r ift in ben Gang ber öftreicf)ifdjen ©otitif 
ebenfalls nid)t »ottftänbig eingeweifjt. 6t erfd)öpft ficf) in 
Samentationen, baff er »on ©reufjen fdjon lange unb »on 0eft= 
reich feit Kurjem gänjlieh im Stich gelaffen fei. 6ineS DageS 
hatte BRiniftereonfeil ftattgefunben. Der ©eichSVerwefer hatte fich 
roäljrenb berfelben fdjweigfam »erhalten. Gnbtich fragte ihn 
ber BRinifterpräfibent »on Ga gern nach feinet BReinung. 
„A Moinung?“, lautete bie reid)8»ermeferli<lje Antwort, „joa, i 
hob joa goar koane Moinung!“ (Stepe G. greitagS „BRathh"). 
Der gute ©rjherjog fonnte faum begreifen, ju welkem 3®e<fe 
eigentlich er ftdj noch in granffurt befinbe. ©einem greunbe 
©effenberg fpradj er öfter bie 8bfid)t auS, otjne ©eitereS ju 
gehen. Bißein er erhielt jebeS Stal »on ©ien ©ontreorbre; 
vießeicfjt backte man, man wiffe nicht im SorauS, wie man itjn 
nicht nodj einmal als Karte auSfpielen fönne, wenn auch nicht 
für baS beutfche SReidh unb beffen ©erfaffung, bann bodj etwa 
gegen ©reufjen. So blieb er benn in granffurt, ähnlich jenem 
„auS Sergefjlidjfeit fielen gelaffenen ©egenfchirme". 

3m Uebrigen fei auf ben reichen 3n^alt beS ©udjeS felber 
»erwiefett. 

®aS §auS Derer »on ©effenbergsgetbfirdj, aud) ©effenberg^ 
Btmpringen genannt, ift 1864 mit einem 6nfel beS grei^errn 
3o|ann ©Ijilipp ausgeftorben. ©ie ru^en nun Äße in ber 
gamüiengruft beS f)übfdjen Sanbfi^es gelbfirdE» bei greiburg im 
©reiSgau. Die ©reiSgauer unb bie bö$mifd)en ®ütec beS 
Kaufes finb auf ben ®raf'en ©hilipp ©ooS*©albe<f über: 
gegangen, beffen SRutter eine Dodjter beS grei^errn ©hilipp 
»on ©effenberg war. 

Kart Srami»tPiesbat>«n. 


lieber bie btittftlcrif^e Jom «wt öffettflidje» UeHbmälerH. 

®ro|e SRänner bur«b 6rricbtung bon Denfmälern ju e^ren 
ift ein ©ebürfnil, baS »on jeljer in ben 6ultur»ölfern lebenbig 
gewefen ift. BluS ber ©lüt^ejeit ber griecljifcben ©laftif haben 
[ich eine SReitje »on ©ortrütftatuen, befonberS aber, in weit über: 
wiegenber 8a1jt, »on ©orträtbüften erhalten, bie eine ®aterie ber 
berühmteften getbherren, Staatsmänner, Dichter u. f. w. barfteflen, 
3n ber römifhen Kaiferjeit würbe bie 6rridjtung »on ©tatuen 
wefentlidh burch ben autofratifhen, auf ©elbftoerherrtichung ge: 
richteten ©ißen ber Kaifer beeinflußt. Daneben aber fugten 
bie Kaifer baS Btnbenfen an ihre Ih oten burch arChiteftonifche 
Denfmäter ju berewigen, theilS burch toloffale ©auten felbft, 
theilS burch Driumphbögen unb foloffale, mit ©etiefS gefdhmüdte 
©äulen. — 3m SWittelatter nahmen, bem religiöfen Sinne ber 
Seit gemäfj, bie Denfmäter meift bie gorm bon ©rabbenfmätern 
an, auf benen bie giguren, jum Ztyit in tiegenber ©teßung 
auf ©arfophagen, jum Dheit in aufre^ter als Blifchenftguten 
über bem ©rabe an ben Kirdhenwänben angebracht würbe«. 

©ach bem breifjigjährigen Kriege, befonberS aber bom 18. 
3ah c ft un bett ab, erfdheint bie Bieigung jur ttuffteßung »on Denf: 
malern, aßerbingS meift »eranta|t »on gürften unb jur men«: 
mentalen ©erherrtidjung berfelben, in ftetenr dunehmen begriffen, 
bis in ber neuern Seit, feit ber |>ebung bei ©elbftbemufjtfeinS 
im ©otfe, bie 6rrichtung »on Denfmälern aufhörte, eine ©räroga: 
tioe ber gürften ju fein, unb auch auS ber SRitte ber Blationen 
felbft ber Slnftofs jur ©rrichtung »on Denfmälern für ihre großen 
BRänncr gegeben würbe. Biber erft in neuefter Seit hat biefe 
©eigung einen etwas acuten ©harafter angenommen. Ueberaß 
bilbeten fid) SomiteS, eS würben ©ammlungen »eranftaltet, 
©rogramme entworfen, ©oncurrenjen auSgefchrieben, ©reife »er: 
theitt: lut}, bie Denfmaterrichtung brohte ju einer ©tobefache 
ju werben. Kein 3ah r »ergeht, ba| nicht aus irgenb einem 
©intet DeutfdjlanbS ber Äufruf jur ©rünbung eines DeutmatS 
erfchaßt, fo ba| ju fürchten fleht, eS Werbe in Sufunft faum 
noch »iS eine befonbere ©hre gelten tönnen, burch ein Denfmat 
verewigt ju werben. 

Dabei ift eS nun in ber Dijat auffallenb, bafs tro| beS 

©iferS, welchen bie DenfmatScomitbS jeigen, unb tro| beS leb: 

haften 3»tereffeS, baS auS nahe liegeuben ©rünben bie Künftter 
für bie ©rrichtung »on Denfmälern bethätigen, eS boch noch ©ie: 
manb bis je^t eingefaßen ift, bie grage nach ber geeigneten gorm 
berfelben aufjuwerfen unb fich barübet ©echenfchaft ju geben, 
ob fich n i$t ein ©tittcip auffteßen taffe, wona^ in jebent ge: 
gebenen gatte eine beftimmte gorm, j. ©. Statue ober ©ü|e/ 

bie conectefte fei; uttb wenn auch »ereinjette Stimmen ber 

äfthetifchen Kritif bann unb Wann (j. ©. bei Gelegenheit ber 
großen ©oncurrenjauSftettung ber SRobeße jum Goethebenfmat 
für ©erlin, vom Schreiber biefeS) auf bie ©othwenbigteit einer 
©ntfdjeibung über biefe grage hi»9cwiefen haben, fo ^errfc^t 
bodh noch immer in biefem Gebiet ein folget ©fanget an Klar: 
heit unb tieferem ©erftänbuifj beS inneren SufammenhangS jwifchen 
Stoff unb gorm eines KunftwertS, ba| foldhe »ereinjette ©tim: 
men notljwenbiger ©eife wirfungSloS »erhallen mu|ten. 6s 
bürfte atfo ber ©erfuch nicht überflüffig etfehernen, bie 6nt: 
fcheibung über bie geeignetfte gorm »on Denfmälern auf ein 
einfaches äfthetifcheS ©rincip ju begränben. 

©er jemals einen näheren ©inbtief in bie Ärt unb ©eife 
ju ttjun in ber Sage war, in welcher tjeatjutage bie meiften 
Kunftwerfe — eS ift hier junächft nur »on benen ber bilbenben 
Künfte bie ©ebe — ju entfielen pflegen, bem wirb eS nicht 
entgangen fein, wie babei »ielfadfj eiuerfeits ganj jufäßige Um: 
ftänbe, anbererfeits, wo eS fich uw gegebene BRotive, wie bei 
Denfmälern, hanbett, eine tjattlofe ©ittfür in ber ©ntmerfung 
ber ©fijje bie ©auptroße fpieten. Statt auS bem ibeeßen 3* 1 
halt beS BRotivS ben aßgemeinen ©tan für bie Grunbforat unb 
bie Gefefee für bie formalen Details ju fchöpfen, wirb in ben 
meiften gäßen nach 9<mj äußerlichen, mit ber Kunftform in gar 
feinem Sufammenhange ftehenben ©üdfichten »erfahren — j. 8. 


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Nr. 17. 


9it ttegenuMirt. 


271 


Wenn ein KomitS lebiglicß auf bi« Ißatfadße hin, baß nic^t ge* 
nug Selber eingegangen finb, ftatt eine Koncurrenj ffir eine 
©tatue auSpfcßreiben, ßcß mit einer folgen für eine 5öüfte 
„begnügt", ober umgeteßrt, wo, wie in bielen gäßen, eine ©tatue 
ganj ungeeignet wäre, bennocß eine folcße projectirt wirb, „weit 
bie gefammette Summe bap ßinreidßt"; als ob, äftßetifcß g t- 
nommen, eine ©ttße an ßcß einen geringeren ftunßmertß als 
SentmatSform befäße als eine ©tatue, unb als ob nießt toiet= 
meßr bie grage, ob ©tatue ob ©üfte, banaeß p entfeßeiben 
w&re, welche gorm für ben gegebenen galt, nämlich naeß ©taß= 
gäbe ber barpßeßenben ©erfönlicßteit, bie geeignete ift. 

Aber auch bie ftünßter befinben ßcß hierüber größtenteils 
in einer auffaßenben Unttarßeit, ober Dielnteßr fte legen ißrer* 
feits auf fotdje innerlich sbebeutfamen gragen p wenig Sertß, 
um fle überhaupt in näßere Krw&gung p sieben. @8 ift ja 
männigticß betannt — unb unfere geiftreicße XageStritif, bie 
ben ©runbfaß »ert^eibigt, baß es bei einem Äunftmerl auf ben 
©egenßanb wenig ober gar ni<ßt antomme, fonbern afletn auf 
baS „Sie", auf baS geniale ©tacßwert, bot baS 3ßnge bap bei- 
getragen, bieS Unwefen p beförbern —, baß ben meiften ftünft; 
lern ber ibeeße gnßatt beS ©totios immer erft in jweiter ober 
britter ßinie fte^t, wäbrenb baS erfte unb wüßtigße ©toment 
für fie ber äußerliche Kinbrud, bie gan§ abftracte Harmonie 
unb SirfungStraft ber Sinien unb gormen, bie feintönige ©racßt 
beS SotoritS u. f. w. ift, unbefümmert barum, ob biefe SirtungS* 
mittel als Ausfluß unb AuSbrud eines ibeeßen ©eßatts, einer 
„fünftterifcßen Seele" erfcßeinen, atfo in notßwenbiger ©ejießung 
pm geiftigen 3nßatt beS ©totios fteßen ober nießt. Saß bie 
tünßterifcße Xß&tigteit baburcß aus einer wahrhaft compoßtio; 
neßen p einer, nacß biefer ©eite hin, btoS combinatorifdßen 
ßerabgefefct unb baS geiftooDe Sunftwerf p einem meßr ober 
weniger geiftreicßen ftunßftüd begrabirt werbe, lümmert fie 
wenig, wenn nur bie Sirtung, nämlich bie ftets bureß blenben» 
ben ©cßein meßr als burdj inneren ©eßatt ßeroorgerufene ©e= 
wunberung beS „gebitbeten" ©ubticumS, bamit erreicht wirb. 
@o ift bie betftänbige SReßejion, oerbmtben etwa mit einem nur 
auf äußerliche ©cßönßeit gerichteten Saftgeffißl, ftatt ber fcßöpferi* 
f<hen ©ßantaße, bie Duelle, aus ber unfere meiften heutigen 
IfrinftWerfe entfpringen. Sap fommen noch mancherlei anbere, 
ebenfowenig tünßterifcße ©üdßeßten, wie baS Streben, etwas 
9ieue8, Ungewöhnliches, oom hergebrachten AbweicßenbeS p 
feßaffen, unb auf biefe Seife wirb baS fogenannte „geniale ©tadj- 
Werl", b. ß. bie 93irtuofität in ber ©robucirung äußerlicher 
Kffecte, über bie innere Saßrßeit unb bie anfprueßstofe, aber 
inßaltSoolle Schönheit gefteßt. 

Seit baüon entfernt, baS ©tacßwert in ber fünftlerifcßen 
©robuction als etwas Unwichtiges p betrachten, erlernten wir 
barin bielmehr ein feht WefentticheS unb nothwenbigeS ©toment: 
es ift ber organifdj gegtieberte fiiörper, but<h ben bie Seele ßcß 
ihrer reichen Zß&tigteit bemächtigt unb ftch barin realifirt. Aber 
es muß in biefem ftörper eben eine ©eele ejtfttren, fonft führt 
ber Körper nur ein ©cheinleben. 3fn ber ©laftit hat baS ßtnea= 
ment, ber eble ©hßtßmuS in ber Bewegung ber gormen, in ber 
©taterei baS ßannonifeße Kolorit in feinen wirlungSboßen %on- 
unb ©timmungSgegenfäfcen unjWeifetßaft ihre große ©ebeutung; 
aber biefe ©ebeutung barf leine abftracte fein, fte muß als AuS= 
brud einer lünftlerifchen gbee felbft pr Krfdßeinung unb pr 
Sirlung tommen. gn ber alten Streitfrage, welche gorberung 
an ein ftunftwert bie berechtigtere fei, nämlich bie, baß eS eine 
3bee barfteße, ober aber bie, baß es butch bie reine ©cßönßeitS: 
form bie Anfdjauung befriebige, wirb pmr bie Bufamntengeßörig: 
leit beiber ©tomente oorauSgefeßt; aber bie grage ift, auf welchem 
©toment ber $auptaccent ruße, welches öon beiben als bie charat= 
teriftifche ©igenßhaft beS ÄunftwerteS als eines folcßen ju betrachten 
fei 3m ©roßen unb ©anjen neigen fich bie Slefthetiter mehr, bet 
erfteren, bie Zünftler — mit aßeiniger ÄuSnahme ber ejtremen 
©pirituatiften — ber jweiten ®nficht ju. ©S liegt, nun nahe 
p fagen, baß beibe Änficßten einfettig mtb feßon barum fatfeß 
feien; baS Saßre fei tnelmeßr, baß eine toößige ©leich6ereh= 
tigsng, eine abfotute ®urcßbringung beiber Momente ben ©h as 


ralter beS ßunftwerleS als eines folgen auSmachen. ®iefe 8e« 
traeßtungsweife, fo anmutßenb fie auf ben erften ©tid feßeint, 
ift gleicßwohl nicht preidjenb jur ©eftimmung beS concreten 
©egriffs beS ÄunftwerfeS. Bwar, wenn man fo im Allgemeinen 
twn Äunft fprießt, fo tann man ja jugeben, baß ißr Sefen — 
im Unterfhiebe von ber Siffenfcßaft — eben barin liegt, baß 
fie nießt btoS ©ebante feßteeßthtn, fonbern in gleifcß unb ©lut 
oerwanbelter, für bie Anfcßauung finnlicß realißrter ©ebante, 
unb barum biefe finnlicße ©eranfdßaulichung unumgängliche ©e= 
bingung für ben ©ßaratter eines ftunfiwerleS als eines folcßen 
fei. Somit w&re nun aßerbingS bie oößige fflteichberecßtigung 
beiber ©eiten, n&mlicß bergbee unb ber ©eftaltung, auSgefprocßen; 
unb bieS ift auch für bie Äunft als ©efammtgebiet böflig p» 
reidßenb. ©ine anbere ©teßuug aber nimmt bie grage ein, wenn 
nießt oen Äunft überhaupt, fonbern Don einer beftimmten ftunft, 
j. ©., um fogleicß ben weitllaffenbften ©egenfaß anpfüßren, 
Don Arcßiteltur unb ©oefie bie 3tebe ift. hierbei ift offenbar, 
wenn Don ber ©teßung ber gbee pr ©eftaltung gefproeßen wirb, 
baS grabueße ©erßältniß, welcßeS baS ©ewießt ber gbee p 
bem beS SarfteßungSmaterialS einnimmt, ber wefentlicßfte ©unlt. 
Senn wenn in ber ©oefie ber ibeeße ©eßatt Don unDerßältntß= 
mäßig größerem ©ewießt ift als baS SarfteßungSmaterial, bas 
teießte unb flüchtige, faß felbft immaterieße Sort, fo fiitbet in 
ber Arcßitettur baS umgeteßrte ©erßältniß ftatt. $ier ßanbelt 
eS ßcß pnäcßft — was bie 3bee betrifft — um einen praltifcßen, 
lünftterifcß ju geftaltenben 8wed, nämlidß um ein ©auwert, fei 
eS ßireße ober $au3, ffiifenbahnßaße ober ©alaft. Unb welche 
materiellen ©taffen, welche Aufwenbung Don meeßanifeßer Arbeits^ 
traft, welcße ©aumDerfcßwenbung iß nötßig, um fo einfache 3been 
ju Dcrwirtlicßen! ©tan oergteieße beifpielsweife ein ©ßatefpeare’s 
fcßeS Srama ober ben ©oetße’fcßen gauß, ßinßcßttich beS 3been* 
gewicßtS einerfeitS unb ber Schwere unb ©tafßgteit beS Sar= 
fteßungSmaterialS anbererfeitS, mit irgenb einem ©auwert, unb 
man wirb weiter teineS ©eweifes bebürfen. 

©äßer p einanber liegen — feßon weil beibe berfelben ffinU 
widlungSreiße, nämlicß ber ber bßbenben ftünße angeßören — 
©laftif unb ©taterei, beren ©teßung p einanber in naßer 
©ejießung p unferm Sßerna fteßt. Sie ©eftimmung beS ©er» 
ßältnijfes biefer beiben fünfte p einanber ßat feine befonberen 
©eßwierigteiten. ©S tann jWar leinem Steifet unterliegen, baß 
in ber ©laftit einerfeitS bie ©eßwere beS ©tateriats (Stein, 
©tetaß u. f. W.) gegen baS ber ©talerei (garbenßoffe, SeittWanb) 
geßatten, bebeutenb überwiegt, anbrerfcitS ber SbeentreiS, übet 
welcßen bie ©taterei gebietet, fowoßl an liefe Wie an Umfang 
ein uuenblicß reicherer ift als ber ber ©eßwefterfunß; Woraus 
ßerborpgeßen feßeint, baß bie ©taterei ißrem Sefen nach Don 
ibeeßerer ©ebeutung iß als jene, ©on ibeeßerer aßerbingS, 
aber — woßtgemertt — nießt Don ibeaterer; unb biefer wieß= 
tige Unterfcßieb wirb ß&ußg um fo leicßter außer Acßt gelaffen, 
als bie ©laftit ja boeß törperlicß reale ©eftatten barfteße, wäßrenb 
ßcß bie ©taterei nur mit bem tünßterifcßen ©eßein berfelben auf 
ber gläcße begnüge. Siefer Unterfcßieb läuft aber, abgefeßen 
Don bem ßereoffopifdßen ©eßen, bodß nur barauf hinaus, baß 
baS ©emäibe nur eine einzige Aitficßt barbietet, wäßrenb baS 
©itbmert beren, b« ©eränberung beS ©tanbpuntteö, eine un= 
enbtieße Bnßt gewäßrt. Sagegen überwiegt bie ©taterei bureß 
bie concrete Saßrßeit beS Kolorits bie ßcß auf bie reine gorm 
befdßr&ntenbe ©laftit bebeutenb an Äraß reatiftifeßer Anfcßauticß' 
teil, unb ße iß beSßatb in ungleich auSgebeßnterem ©taße befäßigt 
unb berufen, concrete gbeen, nämlicß baS gefammte, nnenblicß 
reieße ©ebiet fowoßl ber 9iatur= wie ber geiftigen Seit, in beren 
realen KrfcßeinungSformen pr Sarfteßung p bringen, wäßrenb 
umgeteßrt bie ©laftit eine foldße größere ©ef&ßigung naeß ber 
entgegengefeßten, nämlicß ibeaten ober, wenn man im ©egenfaß 
p ber concreten Anfcßauticßteit beS ©emätbes es fo neunen 
wiß, abßracten Stiftung ßin beßfct. Um nießt ben Sefer bureß 
bie untßänblicßere ©egrünbung biefeS ©aßes p ermüben, mag 
beifpielsweife nur auf bie Sßatfacße ßingewiefen werben, baß 
baS grueßts unb ©tumenftüd, baS ©tißleben, bie Sanbfdßaft, 
ja fetbß bie nieberen ©attungea beS ©eures ißteS wefentlicß 


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272 


9it $e$eni0art. 


Nr. 17. 


reölifHfdjen ©jarafterd falber rool)l bet äRaleret, nid^t abet bet 
SßlafHf jugängtidj ftnb, roäfyrenb umgefeljrt nai) bet ibealiftiföen 
Stiftung l)in SRotiöfreife — j. 93. bie Allegorie — ejiftiren, 
toeldf>e getabe ben Hauptinhalt bet plaftifd^en ®arfteHung aud= 
machen, toäipenb fte bet SRalerei betfagt ftnb obet hoch oetfagt 
fein foOten. 2)enn bah bergteidjen gemalt mitb, ja, befonberS 
)u Seiten bed SBerfafld bet ßunft, borjugdmeife gemalt tnutbe, 
!ann ald lein ©etoetd gegen bie SBahrheit bed ©afced geltenb 
gemacht werben. 

SBenn abet biefe SBaljrtyeU jugegeben werben muh, f° folgt 
bataud bon fetbft, bah füt ein unb badfelbe SRottb ed feinet 
Wegd, Ijinfidjtlidj bet Äuffaffung, gleichgültig ift, ab badfelbe butch 
bie ißtaftil obet bntch bie SRalerei bargeftedt werbe. (Sin fcfjla; 
genbed Söeifpiel babon — unb bied führt und nun unferm Xhema 
nähet — bietet bie fßorträtbarftellung, bie für bie @nt= 
fcheibung übet bie Stage nach bet geeigneten ®enhnal8fonn 
bon wefentlicher ©ebeutung ift. Hier tritt, getabe weil ed ftch 
um badfelbe SRotibgebiet hanbelt, bie ®iffetenj jlbifdjen plaftifd|er 
unb maletifchet 99ef)anbtung8it>eife mit befonberer ©dfjärfe ljer; 
bot; fo bah eine attju realiftifdEje Auffaffnng ald gehler mehr 
auf bet ©eite bet fßlaftit, eine aüju ibeatiftifdje mehr auf bet 
ber SRalerei in’d ©emicht fällt. Unb bied ift burchaud natur= 
gemäh; benn wenn man erwägt, wad bie fßlaftif butch M* ®«r= 
jidjtleiftung auf bad natürliche Sncarnat nicht nur an inbibü 
bueüen AuSbrucfSmittcln, fonbetn auch an realer (Srfdfetnungd: 
lebenbigfeit, gegenübet bet SRalerei, einbüfjt, fo bürfte ed unfehwet 
ju begreifen fein, wedhalb fie um fo mehr ihre ganje ®arftel= 
lungdtraft nach ber entgegengefefcten ©eite h' n 5« concentriren 
fuchen unb butch bie djaralterijiifcbe Ausprägung bet bad 3n- 
nete in ibealetet SBeife jut (Stfcheinung btingenben gorm ju 
wirten fuchen muh- SBenn ed ihr betfagt ift, bie flüchtigen 
AudbrucfdWeifen, welche aud bet ©timmung bed SRomentd f)ex= 
botgehen, bad ®trötljen, ©tblaffen, ben @lanj ber Augen u. f. w. 
ju fairen, fo bleibt ihr bafür in ber Ausprägung ber <haraf= 
tetiftifchen gorm bie Darlegung bed allgemeinen, b. h- ibealen 
Snhaltd bed ®haratterd in um fo höherem Stabe eigentljümlidj. 


(64t«S folgt.) 


ITtaj Sdjasicr. 


jl»$ bar jÄauptftabt. 
dhajns Chraid)us, ber Dolhstribrnt. 

Drauerfpiel in 5 Aufaügen bon Abolf 95BiI6ranbt. 

Unfer fcoftheater Ijat fid^ baS wirlfame unb poetipb* Drauerfpiel 
Abolf ©ilbranbtS „(SajuS ©ractuS" leibet entgegen taffen; unb 
für ein büfjnentüdjtigeS literarifteS ©tücf wäre im Repertoire unjerer 
etfien »üpne getabe in biefem 3uh*e bot fo hft&ft »lap gewefen! Die 
etoigen StönigSbramen allein tpun’S ja nidji, unb ©peculationSpüde mit 
ftembem (Kapital füt eigene Retnung thun’S aut nid^t. I$an fagt, baß 
bie Deubena beS SBUbranbt’ften ©tücfeS bemfelben bte »rettet beS $of* 
tpeaterS betfd^loffen hübe; bad ©etüdjt ift abet gewiß ni^t begtünbet. 
Söilbranbt hut Pt bon aller Denbenamaterei fo fern wie möglidj ge= 
galten; et hat $ajuS ©ractuS in ben SJtittelpuntt bet #anblung gepeilt, 
itid^t weil biefer ft<^ allenfalls aut aum Selben eines focialbemolratk 
ppen DenbenabramaS eignen lönnte, fonbern weil biefer wunberootte 
körnet ihn bitterißh gereiat $at. Dem Dieter wüte eS fdjüefslid) gana 
gleichgültig gewefen, ob (SltacchuS auf ©eiten bet »lebS obet auf ©eiten 
beS ©enats geftanben ^fttte. DaS ^elben^afte, menfchlich ®tofce, baS 
Dichtetifcbe, baS übet ben 3^nen ber Partei fte^t, nicht bie $attei h^t 
bie Anregung au biefem Drama gegeben, wie man, wenn man ftch 
bem 3nh<tlte beSfelben unb bet Durchführung einigermaßen oertraut 
macht, ohne »tühe erfennen muß. 3^ wüßte auch nicht, baß biefeS 
©tücf reüolutionärer fei als etwa „SieSco“ obet gar Wilhelm Dell", 
unb fann nicht finben, baß bie »oltSfcenen im „Gracchus" bemagogifch 
unb agüatorifch auftegenbet feien, als bie gorumjeene im Julius 
ttüfat". Dhue bis auf ©chillet unb bis auf ©hafefpeare autüdaugreifen. 


| ip „SRarino galiero" oon Heinrich Ärufe, beffen Aufführung an ber 
©ofbühne mit Siecht au {einerlei Aergemiß bie »eranlaffung gegeben hut, 
oieüeicht fanfter, weniger reoolutionär unb aripohatenfreunblicher als 
„OracchuS"? 

3ch meine, baS Repertoire eines erßen ^oftheaterS foHte auch 
; nuce ein Repertorium ber bramatißhen ©erootbringungen, foweit biefe 
I oon »elang pnb, barfteUen. SJian wirb aber einem Dieter wie Abolf 
SSübranbt, ber hoch unaweifelhaft au unferen begabtepen unb refpectabelpen 
»ühnenfchriftpellern gehört, nicht baburch fchon gerecht, baß man Oon 
| Qtit au 3ett eine einactige »luette oon ihm aut Aufführung bringt. 

| äBilbranbt h a * brei bebeutenbe Römertragöbien gefchrieben: „(BajuS 
j (UracchuS", „Attia unb Rteffalina" unb „Rero"; alle biefe ©tücfe aeigen 
' uttS beit Dichter oon einer gana unberen, oicl bebeutenberen ©eite, als 
j wir ben »etfaffer oon „Unerreichbar" unb „3ugenbliebe" uns borftetten 
lönnen. Die Dragöbien mögen in oielen fünften bie »ebenfeit unb 
1 Rügen ber ftritü heranSforbem — baS ip ©ad^e ber ftritü, nnb in biefer 
| »eaiehung laßt pe’S ja, @fott fei Danl, an allem münfehenömertheu 
®ifer nicht fehlen — aber jebenfaßS ip man eS meines (SrachtenS bem 
Dichter ßhulbig, biefe SBerfe nicht ber ^Beurteilung au entaieheit. Das 
$oftheater fcheiitt inbeßen biefe Anftcht nicht au theilen. gür bie ^of- 
bühne ip SBilbranbt immer noch ber Dichter oon „Unerreichbar" unb 
ber „3ugenbUebe", nichts weiter. (Einem 3ufalle, bem ©apfpiel oon 
(Ehurlotte SBoIter, oerbanfen wir bie »efanntfdjaft mit „Arria unb 
SReffalina", einem anberen Sttfuüe, bem ©aftfpiel oon fiubwig »amap, 
haben wir eS au banfen, baß wir @ajuS ©racchuS auf einer »erliner 
»ühne gefehen hüben. DaS foKte nicht fein. Denn wie forgfültig biefe 
©tücfe auch auf ben $rioatbühnen bargeßeüt werben, wie rühmlich baS 
»epreben ber »rioatbirectoren fein mag, um eilte ber Dichtung würbtge 
Aufführung a« eraielen, — für biefe breit angelegten Dichtungen, bie 
einen großen feenerißhen Apparat erforbem, erweijen fich biefe anet= 
| fennenSWerthen ^eipungen im Qlanaeu unb Großen hoch nicht als auS^ 
! reichenb. (ES fehlt ba an bem nötigen SRaterial. Rur ein $ofteater 
ip befähigt, über ein ftünbigeS ^erfonal oon hiureichenber ©türfe au 
oerfügen, um bie großen »olfSfcenen, bie in biefen Dragöbien fepr 
1 wefeutlich ftnb, wirtungSOoE unb lünplertfch aur Darpeilung au br\ugeu. 

! 3n eiuem »rioattheater, baS einfach nicht im ©tanbe ip, ein genügeub 
parfeS ^erfonal au engagiren, muß man a®tfchen ben aluei Uebeln 
! wühlen: entweber bie »olfShaufen bis iu’S Lächerliche au oerminbent, 
ober bie bewaffnete Rtacpt au feülfe au rufen, in welchem gatte eS pep 
ftetS ereignet, baß ein tleinerer »ruchtheil ber (Eomparfen eine un= 
gewöhnliche Lebenbigfeit in ben (Beften an bett Dag legt, mährenb Pt 
bie anberen gana b a fpö oerhalten, »on ben (Eoftümfchwierigleiten gar 
nicht au reben! 

»on allen in biefem SBinier neu aufgeführten Dramen hut „GtajuS 
| Gracchus" wopl unbepritten ben bebeutenbpen (Erfolg erruugeu — unb 
auch oerbient, wie ich glaube. DaS ©tücf ip intereffant, in oortrefflichem 
i Deutfeh gefchrieben, forgfam unb fein in ber (Ehoralteripif unb gut gc: 
baut. Rtit bem richtigen gupincte beS Dichters hut SBilbranbt aus bcu 
$anblungen beS (SfracchuS alles baS auSgeftieben/was nur hipunfep 
i bebeutfam, aber nicht poetifch ip; oon Acfergefepen unb @etreibeoerfüufeit 
ip nicht bie Rebe. SBilbranbtS Gracchus ip nur ber Rtamt beS Rechts 
im höheren ©inne. (Er ift oor Allem ber »ruber beS ermorbeten DibenuS 
(UracchuS, ber »ruber, ber eS nicht Oergeffen hut, baß ber phuöbc 
Rleucßelmorb, ben bie-Arißolraten begangen hüben, not ungefüllt gc= 
blieben ip; er ift ber ®atte ber Licinnia, ber ©opn ber Cornelia. Der 
$elb aeigt baper aut uitt jene conOentionette (Eonfequena — „pune 
Römertugenb" heißt man’S aut —, bie bie meiffen römiften Dpeater* 
pguren mit ber Doga umauwerfen pffegen; er ift ben guten SSBorten ber 
(Sattin unb ber Rtutter augünglit/ er ip eine parfe, aber (eineSwegS 
eine unbeugfame unb unoerföhnlite Ratur; gerabe beSpalb wirb er uns 
fo fpmpathift* üub 9Bilbranbt hut bafür geforgt, baß fein §efb Pt 
biefe ©hmpatijie gleit burt fein erpeS Auftreten erweeft 

(SractuS feprt aus ©kitten aurücf; er hut ohne (Genehmigung beS 
©taateS ben $roconful oerlaffen. Der ©enat will gegen ben »erräther 
{lagen, als (SractuS auf bem gorum erfteint unb feine »ertheibigung 
fo glünaenb führt, baß bie ^lage nitt nur wirfttngSloS bleibt, fonbern 
baß fogar ber Angeflagte anr hötpen SBürbe, aum »olfStribuu erhoben 
| wirb. Die ©eene ift oortrefflit- Die »ehunblung beS »olfs auf ber 
»tthne ip feit ©halefpeare eine tppifte geworben; ft»n ©oete hut es 
herausgefühlt, baß fit nittS »effereS, nittS »otttommenereS in biefer 


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Nr. 17. 


Di* 


273 


©esiepung fc^affen liege, ali ei in ber gfarumfcene bei „Gäfar" von 
©palcfpeare geboten ip. Stucp SBilbranbt pat pcp biei grofje SRufter 
genommen, unb fein ©iffigbenfenber mirb ei ifjm verübeln. ©ei ipin 
ift Carbo ber grüprer bei ©olli, bet Stepräfentant bei SBanfelmutpi 
bet Stenge, bie Graccpui sunacpp tobtfcplagen miß unb tyn fd^lieglid^ 
im ©riumpp auf bie ©(buttern tybt 

Graccpui ip nun ©ribun. ©eine Huuptpüfte ftnb bie Slventiner, 
bie bemofratifcpen Hdfjfpome, bie jungen Sanatiler, bie ben ©enat 
baffen unb um jeben ©reii bie ghreipeit bei ©taatei begrünben motten, 
„fetbft mit bet blutigften ©pat". Slli ibr gfäprer erfegeint bei SBilbranbt 
Sätoriui, ber in einer meifterbaft burepgefübrten ©eene oot bem ©otfi- 
tribun fein Programm entrollt unb ibm feine unb feiner Gepnnungi= 
genoffen ©ienpe anbietet, SReminiicensenjäger merben ni<bt 0 er fehlen 
hier mieber an ftoftnift) p erinnern. ©er gfüb rer be* Gegenpartei ift 
natürlich Sudui Opimiui. 3cp mitt ber $anblung bei SBilbranbt’fcpen 
©rantai nicht folgen; icb übergebe baber auch ben SRorbverfucp, ber 
gegen Graccpui unternommen mirb, unb bie ©eleibigungen bei Opimiui 
bureb bai ©oll ic. Sille Sdbenfcpaften ftnb entfeffelt, ati ber jüngere 
©cipio Äfricaniti rubmgefrönt peimfeprt. ©er ©enat fübtt fogteicb 
bai natürliche ©ebürfnifj, pcp auf biefen p ftüften, um bem ge= 
fäprlicpen Graccpui einen ebenbürtigen entgegenpftetten. Graccpui 
aber unb ©cipio ftnb t>on ben verföpnlicppen Gefmnungen befeett, 
unb ei febdnt, ali ob ftmifdjen biefen bdben mäeptigpen SRämtern 
Storni bie Gintracpt erhielt unb babureb bie ©tettung bei ©enati 
bii in bie Grunboeften erschüttert merben mürbe. ©a fpriept ber 
verfcplagene Opimiui dn SBort aui, bai bie ©dben p ©obfrinben 
maept. ©cipio pat früher bie Grmorbung bei ©iberiui Graccbui ge¬ 
billigt unb billigt fte noch, mäprenb in Graccbui ber Gebaute, Stäche 
p nehmen megei biefei febnöben SReucpelmotbei, niemali erftorben ift. 
Slli ©cipio burep Opimiui genötigt mirb, noch einmal hier p erflären, 
bafj bem ©iberiui Graccbui fein Siecht gegeben fd, verläfjt ben peifj' 
blütigen ©ruber Gajni affe ©efonnenbeit, affe Gelaffenbeit, unb bie 
©eiben, bte ftcb foeben noch frettnbfcbaftlicb bie ^anb gebrüeft, Scheiben 
ali erbitterte greinbe oon einanber; bie ©enatipartei triumpbirt. 

Graccbui ift, mie fcpoü bertorgepoben mürbe, nicht unverföbnlicp; 
bie inpänbigen ©itten feiner SRuttev unb Gattin rühren auch ihn, mie 
bie oereinten ©pränen ber ©eturia unb ©olumnia ben ftarlen Gotiolan, 
unb mit bem Gebauten, bap ficb ber Gongict smifepen ihm unb ©cipio 
boeb noch auigldcben merbe, begibt er ftcb S ur töupe. 8 “ biefem er* 
febnten Sluigleicp tommt ei nicht, benn in bcrfelben Stacht mirb ©cipio 
ermorbet. Graccbui felbft mirb bei SRorbei gejieben. ©er SRörber 
aber ift Sätoriui, ber Slventiner, ber afferbingi nur bie leftten fürepter* 
licbften Confeguenjen ber Stacbepolitif bei Graccbui giebt. tiefer 
fiätorini gleicht bem „vermummten Gape", ber ficb bei bem Siebter 
bei „SBintermärcpeni, ©eutfcplanb" einpfteffen pgegte: 

,,©u bift ber Stiebtet, ber ©üttel bin ich, 

Unb mit bem Geborfam bei Änecptei 
©offftreef ich bai Urteil, bai ©u gefüllt, 

Unb fei ei dn ungereebtei. 

3 cp bin bein Sictor, unb ich geh 
©eftänbig mit bem blanlen 
Sticbtbeile hinter ©ir — ich bin 
©ie ©pat toon deinem Gebauten.'' 

Slli Graccbui ftcb biefer furchtbaren SBaprpeit bemupt mirb, ali er 
ftcb Selbft ber Urpeberfcpaft an bem SRorbe p sdpen bat, Straft er ficb 
bureb dgenmittigen ©ob. ©er Gebaute, ©cipioi unaufgetl&rtei Gnbe in 
unmittelbaren Sufammenpang mit Gajui Graccbui unb mit beffen ge? 
tränmter Stäche megen ber Grmorbung bei ©iberiui ju bringen, ip 
biporifcb unb poetifcb bebeutenb. SRommfen fapt ben ©ob ©cipioi nicht 
anbeti auf: ,,©ap ber Slnpifter ber ©pat — *> er Gtmorbung bei ©cipio 
— ber Graccpeitpartei angepört haben mupte, ip einleucbtenb; ©cipioi 
Grmorbung mar bie bemolratifcbe Slntmort auf bie aripofratifepe ©lut- 
feene am Tempel ber ©reue." 

©ie SBUbranbt’fcpe ©ragöbie, bie am Stationaltbeater mit befonberet 
©orgfalt einpubirt mar, übte eine mächtige SBirfung aui. ©ie enthält 
auch dne ganje Steibe träftiger pactenber ©eenen, unb mir fragen nicht 
lange nach Äopnifp, nach Stare Slnton, nach ©olumnia, mir glauben 
einfach tiefem Gracdbtti, ber bai ©olt bureb feine feurige ©erebtfamleit 


Sit gemimten, bureb fdne Klugheit su Idten toerpebt, unb unfere ^bdl ; 
nähme begleitet ipn. gfür einen ber bebeutfamen ©orjüge biefei Xrauer* 
fpieli halte ich bie freie biebtedfebe ©ermertbung bei biporifeben SJtatedali. 
Obgleich P<b SBilbranbt burebaui nicht ftreng an bie Gefehlte bült, 
gebt bureb fdne gattse Dichtung ein echt gerichtlicher gug. ©ie 
biebterifebe GrPnbung b°t ftcb leine S^ffdn angelegt; aber pe bat ftcb 
ftreng innerhalb bei (Sbaratteri unb ber ©thnmung ber biporifeben 
3 eü gehalten; pe püfet ficb auf bie Gefcbicbte unb pellt bie Gefcbi^te 
nicht auf ben Äopf. Gin ©dfpiel bafür habe id^ febon angeführt: bie 
biebtedfebe Grllärung für ben ©ob ©cipioi. Gbenfo glüeflieb ift bie 
3ufammenfübrung unb GegenüberPettung ber bdben gelben Gajui 
Graccbui unb ©cipio Slfncanui, unb bie burdb Opimiui berbeigefübrte 
Gntsmdung berfelben. ©iefe lefetere ©eene ip namentlich mit groper 
Äunp unb mit bem voffpen ©erpänbnip für bie ©üpue bebanbelt. 

©er Hauptfehler bei ©tücfei fepeint mir ber su fein, bap Opimiui 
nicht intereffant genug ip. ©er grübrer ber ©enatipartd pütt* ali 
Gegenfap s u bem mueptigen Graccpui üerpärft merben {offen, ©ap 
Opimiui affdn ali Gegengemicpt niept bienen lann, pat ber ©iepter 
übrigeni felbp gefüplt unb beimegen noep ben ©cipio Slfdcanui perbei- 
gepolt, ©iefer Hdb ip in menigen madigen Bügen bortrepiicp d^arals 
tedfirt; eben fo ber Uebenimürbige, menfcpenfreunblicpe Gonfnl SRetel= 
lui — eine prächtige Gparalterftisse! Stoch eine Stuipeffung pätte icp 
SU maepen, bie bai Gattse betrifft: ©ai ©tüdf ip nach meinem Gefcpmad 
SU laut, gfap unauigefept tobt unb lärmt bie fünf Siete pinburep bai 
©oll, unb menn icp ein SJtotto su meiner Äritil su mäplen pätte, fo 
mürbe icp ei bem ©tüde felbp entnehmen unb bai SBort Garboi an bie 
©pipe biefer ©efpredfjung pellen: „SBai ip ba mieber loi? SJtan meint 
immer, ei brennt irgenbmo; ’i ip ’ne 3dt, mie menn gans Stom bai 
Sieber pätte!" Äuperbem finb bie braven Stömer, abgefepen Von iprem 
lauten ©preepen, auep in ipren Sluibrüden biimeüen etmai su beutlicp ; 
Pe paben eine versmdfelte ©orliebe für ©ilber aui bem ©pierretepe, 
bie in ber Slnmenbung auf Stenfcpen niemali fepr freunbHcp mirlen. 
©ap ber Gine ben Slnbern „Hunb" nennt, miff icp noep gelten laffen, 
auep gegen ben „SBolf" unb gegen bai „Sturmeltpier" pabe icp niepti 
©efonberei einsumenben; aber dne „Staifräpe" gept mir boep über ben 
©pap. Gine vernünftige äritif mirb ei fiep inbeffen niept bdlommen 
lagen, biefen ^leinigleiten dne übergrope ©ebentung beisnmegen, unb 
bie feltene Gelegenheit, über ein gelungenei, tücptigei unb maprbaft 
literadfd^ei ©rama ipre rüdpaltlofe «nedennung auisnfpreepen, niept 
ungenüpt vorübergeben lagen. Gajni Graccpui ip feiner 8 dt mit bem 
erpen Griffparserpreife geehrt morben. ©ai ©erliner ©ublicum pat bai 
©otum ber ©reiiriepter nacpträglicp ratipeirt. 

©er ©arfteffer ber ©itelroffe mar fyetr Submig ©arnap. SBiI= 
branbt ip bem ftünpler für biefe auigeseiepnete fcpaufpielertfcpe Seipung 
SU ©an! verpgicptet. Herr ©arnap Spielte mit Sdbenfcpap opne Heber* 
trdbung, mit Straft unb mapvoff; er mürbe naep jebem Stete brd ober 
viermal gerufen, ©ie Gpre bei H«v°rrufi mar am erPen unb smdten 
Slbenbe auep bem abmefenben ©idpter s« 0 d>acpt. 

paul Cinbau* 


®ptrtt unb <Si)mpl)onitn. 

„©er ßönig pat’i gefagt", lomifcpeOper in 3 Sieten von Gbmonb Gobinet, 
Sffupl von £eon ©efibei. Bunt erpen SJSale aufgefüprt im ftönigl. 
Opernpaufe am 19. Slpril. — ©pmpponie Von ©ratt unb Urban. 

„Tel brille au second rang qui sMclipse au premier“; ei glänst 
Giner im s^eiten Stange, ber im erpen verfepminbet. ©ie föaprpeit 
biefei ©erfei aui ©oltairei H^tdabe gab pdij mieber in voller Shraft 
!unb bei ber erpen Sluffüprung ber obengenannten Oper. 

©ie bietet ©ielei, bai fomopl ber Opära comique, mie auep 
vielen beutfepen ©üpnen ben Grfotg fiepert: dn sttar gücptig entmorfenei, 
bei 3 ufammenpangei ermangelnbei, aber boep reept triftig auigefüprtei 
unb viele unterpaltenbe ©eenen bietenbei ©ejrtbucp, Idcpte grasibfe SRupt, 
bie mdpentpdli bem ©drialen fern bleibt, unb manche, menn auep niept 
gerabe originelle, boep fepr gripreiep concipirte Stummem, bie audp 
muglalifcp gut gearbdtet finb, viel SBecpfel ber ©ecoration, ber Gopfime, 
alfo Gelegenpdt für bie ©arpeffer, gep im vortpeilpaftepen Sicpte su 
Stiflen. 


A 


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274 


9it <5*g*n»nrt. 


Nr. 17. 


90arum hat bie Oper beraiocp im Dpernhaufe triebt bie 90irlung 
ergielt, melche fiep erwarten liefe? — 90eil fie eben berufen iß, im gmeiten 
Range gu glängen, niept im erfien. Sa« publicum, gurnal ba« norb* 
beutfepe, miß auf ber großen Opembü^ne leine lang au«gefponnene 
Eonberfation«oper hören; bie Seit, in meiner e« noch mit naibem Ser* 
gnügen ben Älängen ber „90etßen Same" unb be«„Rtaurer unb Schlöffet" 
lauste, iß borfiber. 9Ran hört fie noch an, wenn Sßacptel ober Riemann 
eine Hauptrolle ftngt, alfo um ber (Sänger, niept nm ber SJhtfil mißen. 

E« iß ein bebeutfame« Beiden, bafe unter aß’ ben tomifdfjen Opern, 
meldfje bie Hofbüljne in ben lepten gapren gebraut pat, gerabe bie in 
ber bramatifdpn unb mufllalifcpen gorm' einfaepft angelegte, ,,ba« 
golbene äreug", ben größten Erfolg errungen pat. SDiefeS lleine 90erf 
mürbe pier in ber aßerungünßigßen Seit einige Sage bor 90eipna<hten 
gegeben, oor leerem Haufe, bot einem publicum, ba« menig ober niept« 
erwartete — ei trat gang anfprucp«lo« auf, opne Rufmanb bon Hanb* 
(ung, bon bramatifepen Effecten, opne rntpige Pointen, opne geißreiche 
mufttalifepe Snfammenßeßung, opne Srabourarten — ei braepte nur 
einige einfache, bon freunbüepem Eemütpe geugenbe Hummern, einige am 
mutpige Epöre, ging frifcH bormärt«, unb bauerte laum 2 ©tunben. 
Sa« publicum mar pöcpliep überragt, mürbe marrn nnb immer märmer, 
erfreute ficH biefer einfachen, Iteblicpeu Rhifif, biefer parmlofen Hanblung; 
bie Erfcpeinung mar eine gang unermartete, ungemopnte; unb ber Korns 
ponijt errang einen boßftänbigen Erfolg. Sie Oper pat auf fehr bielen 
Sühnen biefelbe günftige betbiente Rufnapme gefunben. 

E« pat fiep alfo gezeigt, bafe man in Seutfcplanb bocp noch mehr 
für bie Gattung ber einfachen, empfinbfamen 3Rnfü günftig geftimrat 
ift, unb ihr nodj eper Raum auf einer größeren Sühne gemährt, al« 
ber pilanten Konberfationioper, bie mit ben fpäteren Ruber’fcpen 90erlen 
(Sominio, Seufel« Rntpeil) begann, unb bann in bie Offenbadjiaben 
überging. Siefe lepteren paben eigentlich ben Riß gmifepen ben großen 
Xpeatern unb ber Eonberfation«oper perbeigefüprt, ber fiep immer niepr 
unb mehr ermeitert. Einerfeit« berträgt ber Soit unb bie Richtung, bie 
jene in bie SRobe gebraut paben, fiep nicht mit ben Ueberlteferungen 
ber Hof= unb bebeutenberen ©tabttpeater; anbererfeit« ift aber biefer Son 
unb biefe Richtung in ber Stöbe. Sextbicpter unb Komponiflen einer 
lomifcpen Oper mögen nocp fo feften Sorfaß pegett, fich bon biefer SJtobe 
fern gu galten — fie lönnen il)n niept confequent bunpfüpreu, menn fie 
nicht bon bornperein einen gang anberen 90eg einfcplagen, aße« 
Eefpräcp berbannen, unb auch bem Sentimentalen größere Entfaltung 
gemäßen. Ob in biefer 90eife auch ein fixerer Erfolg erhielt mirb? 
Sie grage ift gar ferner gu beantmorten, menn man fich an ba« ©dpidfal 
ber fo reigenben unb bornepm gehaltenen „Segäpmung ber 90iber* 
fpänßigen" erinnert. Saß aber bie oben guerß angeführte (Haftung 
auf großen Sühnen feinen bauemben Erfolg mehr erreichen mtrb, ba« 
läßt fleh mit Sicherheit behaupten. 90ir haben auch für bie mahre 
Eonberfationöoper leine ßSflangßätte, leine ©djule, unb auch fein reepte« 
publicum. Un« fehlt ein nationaler SRaßßab bafür. Sie grangofen 
bagegen paben eine Srabition bafür, fie halten baran feft, unb mit 
boßem Rechte, ©ie genießen ben unermeßlichen 9Sortheil, baß in $ari8 
feit fehr langer Seit eine Sühne epftirt, Le thä&tre de l’op^ra comique, 
melche nur bie (Haftung ber Eonberfationäoper pflegt. S^arfteßer, ©änger, 
Ehor, Orchefter, 2lße8 ift nur für biefe (Haftung gefault, gür biefe 
beftimmten ©änger ic. bitten bie dichter ihre Sibretti, componiren 
bie Sonfefcer ihre SJlufil. Seibe miffen ganj genau, mie hoch fie hinauf* 
ßeigen lönnen, unb unter melche Stufe fie nicht tiefer hinabgehen bürfen. 
$>er geneigte Sefer möge fich toohl bergegenmärtigen unb in’ä Eebächtniß 
prägen, baß Dffenbach nie für bie Opära comique gefchrieben hat; feine 
Saufbahn begann in bem Keinen ©aale ber Champs elysäes, in melchem 
fcuerft ein lafchenfpieler („prestidigitateur“) feine jhinftftüdd^en bor= 
gebracht hatte, bort gab er fein „bouffoneries“ Iob deux »veugles etc.; 
erft fpäter überfiebelte er nach anbem Skatern — na^ bem „Orpheus“ 
ftanben ihm mohl aße, in benen lomifd^e üRnfcf borgetragen mürbe, 
offen — mit Vuftnahme ber Opära comique, für bie fein ©tit, feine 
Xe^te nicht paßten. — Offenbach ift bem $arifer nicht ber eigentliche 
Komponift lomifcher Opern, fonbern ber genialfte, mufifaftfd|e Haupt* 
mitarbeiter ber genialften offenbichter. 3>ie Opära comique ift eine 
Sühne, bie ihre feineren franjöfifchen fcrabitionen nicht aufgibt. Eä ift 
biel fchmeret für nnä in Seutfchlanb, eine Oper, bie in ber Op&a co- 
mique aufgeffthrt mürbe, gut mieber^ugeben, alä eine Offenbach’fche ober 
eine anbere beüfelben Eenre«; biefe läßt ftch in’ö Serlinerifche ober 


90ienerifche übertragen; ber feinere franjöfifche %on aber miberftrebt 
folgen Experimenten. 

kommen mir nun „jur Sache", §ur lomifchen Oper beä Hatm 
Selibeä. Ser Sejt geigt überaß bad Streben, mipig gu fein innerhalb 
ber Erengen be$ Änftanbe», unb man muß bem Sichter gugeftehen, baß er 
biefe Erengen eingehalten hat; aber eö ift leine feine ^omil, bie er 
bietet, fonbern recht berbe, unb bie um fo berber erfcheint, je eleganter 
bie fieute oben auf ber Sühne gelleibet finb. Sie Hanbtung fpielt in 
Serfatßeä gur S^t fiubmig XIV. unb ber Staintenon, in einer fjtewb^ 
mo noch bie feinften Planieren aßgemein borherrfchten. Ein SRarquiS 
oon älteftem Äbel erreicht nach fedfjömonatlichem fehnfuchtöooßen H«^« 1 
baä h*<hftt Stal feiner 90tinf^e, eine «ubieng beim Könige, hat aber 
bie etiquettemäßige Serbeugung oergeffen, unb plagt fich unb bie 
©einigen bie gange erfte ©eene hinburch, biefe Reoereng gu ßnben! Saf 
ift Ijöchft lächerlich, aber nicht lomifch! Er geht gum Könige unb lommt 
gang aufgeregt gurüd, beim ber SRonarch h fl t ih n wach f^war gamtUe 
gefragt nnb bemerlt, er moße ftch ©ohne« annehmen. Rmt 

blühen ben Rtorqui« mopl Pier Söchter, jeboch tein ©opn; aber ber 
Äönig hat ia gefagt: „Sie haben einen Sohn", ber Rlarqui« h fl t & 
in ber Sermirrung bejaht, alfo muß er fich einen ©ohn fchaffen. 
©eltfamermeife theilt er ba« Ergebniß ber Änbieng beim Könige feiner 
grau unb — bem fterrn ÜRiton mit, bem ^rofeffor ber Sanglmtft in 
Serfaiße«, ber neben feinen Sectionen auch We öerltebten Eorrefponbengen 
gmifchen ben Samen, bie er unterrichtet, unb beren Anbetern beforgt. 
Siefer fonberbare Sertraute be« gamiliengeheimniffe« fchafft Rath, «übern 
er einen fremben jungen, hübfehen Sauer, ben er auf ber Straße trifft, 
fofort in ba* Calais be« Rlarqui« führt, unb biefem al« Sohn empfeeplt; 
für bie Ergiehung, für ba« Seibringen feiner Rtanieren miß er forgen; 
in 10 ßectionen foß au« bem Säuern jungen ein echter Eaoalier merben. 
Ser improbißrte Sohn ßnbet fich nach einigen Sagen fo gut in feine 
Rofle, baß er im Haufe ba« Oberße gu unterß lehrt, eine Rtaffe tofler, 
aber cabaliermäßiger Streiche auöübt, unb fogar feinem $apa einen 
gemiffen Refpect einßößt. Soch gulept brüdt ihn ber auferlegte ttbel 
gu fehr, unb er begeht einige Shaten, bie feinem Urfprunge beffer ent* 
fprechen. Äl« er betrunlen au« einem ©pielhaufe nach ©anfe lehrt, 
fo ergählt er felbß, begegnet er nach einanber einem Rtarqui« unb einem 
ginancier, feinen gulfinftigen ©chmägern, bie er aber nicht leiben lamt, 
metl feine „Schmeftem" gmei anbere junge, nette Eabaliere lieben, benen 
auch er mohlmiß. Er fängt mit Senen Hünbcl an, fie giepen bie Segen, 
unb er — um nicht getöbtet gu merben — fteßt fich ftbe«mal tobt. Ser 
SRarqui« unb ber ginancier glauben ein jeber, er habe feinen ©eßmager 
getöbtet unb entßiehen bor bem ftrengen Sueßgefepe unb bor ber Rache 
be« Sater«. Ser Äönig erfährt ben Sorfaß unb fenbet bem Rlarqui« 
feine Eonboleng fammt bem Hcrgogötitel al« Srößung. Unb ba ber 
Äönig gefagt hat, baß ber Sohn be« Haufe« tobt iß, fo muß biefer tobt 
bleiben. Ser Sauernjunge läßt fich’« gefaßen, unb gieljt nach H<mf* mit 
feiner garotte (ber S°fe ber ßftarquife), reich befchenlt bon ben jungen 
Samen, bie er bon ben befaßten aufgebrungenen greiem befreit hat, 
unb bon beren Anbetern, Eabalieren, bie nun bie H**nb ber Eeliebten bon 
ben Eltern erlangen. 

90ie ber geneigte Sefer au« biefer flüchtigen Ergählung erfehen mirb, 
fehlt e« ber Hanblung nicht an lomifchen Momenten; aber ße bemegt 
{ich eben nur im äomifchen, bauert fehr lange (bie Sorßeßung füllte 
3% ©tunbe) unb berliert gulept aße 90irlung. 

Sie Rhiftl be« Hetm Selibe« gibt überaß 3«Mßniß bon feinem Salente 
unb gebiegener mußlalifcher Silbung. Sie Erßnbuug iß nicht fehr be* 
beutenb, aber bie Kombinationen ßnb geißreich; eingelne fWomente ßreifen 
aßerbing« f<hon fehr nahe an ba« Offenbach^Eenre, aber im Eangen iß bie 
Ulippe hoch glücflich umfehifft morben. H^borguheben ßnb im erßen Hcte 
ba« Heine Enfembleftüd: bie Änftmß ber Sänfte für bie Äubieng, in 
melcpem ein rococoattige« Sh«ma recht fein burchgeführt iß; einßieb, ba« 
garotte unb Senoit abmechfelnb ßngen; *ein fehr niebUche« Kouplet, in 
melcpem Rtiton, ber Sangprofeffor, garotte unterrichtet, mie ße ßcp be* 
nehmen müße, menn ße einmal aße feine ÜÄanieren bon ihm gelernt 
haben mirb; ba« Ouartett gmifchen Senoit, bem gegraften Sauemjnngen, 
feinen Eltern nnb bem Sangprofeffor; enblich ein redpt effeetboßer 
©cplußmalger ber gatotte. gm gmeiten «cte lonnte ich nur an einem 
Keinen Sergettfape Eefaflen ßnben, melchen bet „Eraf" Senoit unb bie 
beiben bon ihm protegirten Änbeter feiner ©chmeßem fingen. Sie Roßen 
ber jungen Eabaliere merben bon Samen bargeßeßt, ba« Sergett mirb 


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Nr. 17. 


91t •*$*«*«;! 


275 


alfo bon 2 Sopranen unb bem Denor auSgefüprt, unb iß ebenfo fein 
erfunben, als reigenb formeß gearbeitet. DaS ginale, in welcpem bie 
aus bem Äloßer befreiten jungen tarnen ipten ©ruber pfeifen, mag 
recpt effectüoH fein unb auch recpt gut gearbeitet; i<p petfönlicp pabe 
feine grenbe an berartigen prtdehtben Saucen. 3m britten Äcte ift 
baS Duett s»tf<$ett ©enoit unb Qarotte ju nennen, wopl eines ber 
beften Stüde ber Oper. Die ÄitfangSmelobie jeigt, baß herr DelibeS 
gana ber ©tonn märe, um im anmntpig^empfinbfamen ©ente Zubers 
unb ©oilbieuS fepr ©eacptenSwetfpeS §u leißen. 

gaffen mir nun baS ©efagte in ein ©efammtnrtpeil jufammen: Die 
Oper ift pübfcp, unterpaltenb, angenepm; aber fie i(t gu lang, bie ©e= 
fptäcpe müffen gefügt werben; rntb enblicp — baS ©Setl faim nur üon 
einer ©üpne perab wirlen, welcpe bie ©attung, welcher eS ange* 
pört, imraerwäprenb pflegt, Einer folgen ©üpne gegenüber pegt 
baS publicum gana anbere Erwartungen, fteßt gana anbere gorbe= 
rungen, als gegenüber ber hofoper; unb — fo fonberbar bieS auep 
flingen mag — jernept Sorgfalt biefe auf bie DarfteHung unb 
äußeren gornten berwenbet, um befto mepr entfernt fie ßcp non bem 
eigentlicpen 3^’ DaS leichtfüßige ©eure bedangt einen engeren 
Staune, auf welkem Slßes recht aufammengebrängt erfdjehtt, recht 
fnappeS, fcpiteflei Spiel. Sinb biefe ©orbebingnngen niept erffißt, fo 
fcpleidjen Scbwerfäßigfeit, ©efpretytpeit fiep ein, bie fcplimmßen geinbe 
ber ©attung. 2fnf ber hofbüpne lonnte baper auep bie forgfältige, im 
©an^en fepr gute Darßettung nicht bie SBirfung erzielen, bie bießeiept 
eine minber gute in einem anberen Staunte erzeugt pätte. Die Dempi, 
fowopl ber ©efpräepc als ber ©tuftl, erfepienett alle gu langfam; eS War 
bieS eine golge acptungSWertpeßcr ©ewtffenpaftigfeit, bie eben batauf 
fiept, baß SUlcS ritptig nuSgefprocpen unb gefepmäßig gefungen werbe, 
«ber weniger ©ewifjenpaftigleit ber ©uSfüpruitg unb lürjere Dauer 
ber ©orflelluug pätten ber Oper entfepieben genüpt. ©Sir begnügen uns 
baper anjufüpren, baß gräulein fflttnnie $aud unb perr ©ruft, bie 
Dräget ber hauptroßen Sarotte unb ©enoit, ipr ©ejteS tpaten, unb 
einige fepr wirffaine ©Momente patten, baß gräulein fiepmann unb 
gräulein hofmeißet als junge Eabaliere reijenb auSfapen unb fepr 
pübfcp fangen, baß fcerr Salomon bie fepr wenig angenepme Stoße beS 
©fcltquiS mit altgewopnter ©teißerjepaft wiebergab, baß Sacpfe 
als Dgnameißer ©titon überrafepenb gut fpielte unb fang, unb baß alle 
Heineren Stoßen fept gut befept waren. Decorationen unb ©usßattung 
ließen nicptS au wünfepen; fie trugen eper a« fepr baS ©epräge einer 
QTWfm Oper, als einer leüpten, lontifcpen. 

Dal .©wblfcmn geigte ftep niept fepr günfHg; am meißen warb eine 
eingelegte Äaffetfcene biffatfc&t. 

Son neuen Eompoßtionen braepten bie lepten ©Jocpen ehte Spm= 
pponie Don herrn ©ratt, einem jungen ©medianer, ber pier feine 
Stnbien boßenbet pat. Der Eomponiß beftpt unleugbares Dalent, Er= 
finbung unb Empfmbung; bo<p baS gäprt unb braufet ©ßeS no(p budp 
einanber, unb bebarf ber Klärung. Eiuaelne ©teßen laffen uns bie ' 
Hoffnung pegen, baß ber Eomponift biefe Klärung an ßcp bornepmen 
wirb, ©iel ©ergnügen paben wir an ber grüplingS*Spntpponie bon 
Urban gepabt, bie bon ber ©ilfe’fcpen Eapeße vortrefflich gefpielt würbe. 
DaS SBerf ift namentlicp in ben erften beiben Säpen recht frtfcp erfunben 
unb mit großer geinpeit inftrumentirt. ES fanb lebpafteßen ©eifaß, ber 
ftep beim britten Sape aum Dacapo«2htfe fteigerte. 

ff. ©prlicp« 


n«ti|eit. 


Die Diplomatie pat bei ben lepten ©erpanblungen üor bem Kriege 
Scpaben gelitten unb brauept baper für ben Spott nicht au forgen. So= 
wopl in Sonbon, wo baS famofe ©rotofoß gebraut, als in Eonftantittopel, 
wo eS feroirt würbe, ftnb bie unglaubhaften Ueberetlungen unb Scpniper 
oorgefommen, oon weiten Stußlanb au profitiren wußte, wemt eS fte 
nidpt peimlicp felbft begünftigt patte. Ein franabftfcpeS ©latt pat bafür 
bie betpetligten Staatsmänner in amüfanter fBetfe Spießrutpen laufen 
laffen. DaS 3<>urnat beS Debats erinnerte baran, wie eS bie Diplo¬ 
maten im ©ergleicp au anberen Sterblicpen gut pätten. Der geringfte 


Slttacpä ftpon genieße baS größte ©rioitegium. Ein Examen beim Eintritt 
in bie Earrifete fei faum erforbedttp ober boep fepr leicht au beftepen; 
baS Äbancement bagegen bei einigem ©efepief bon bornperetn geficpert. 
©'tan füpre ein Seben boßer geftltcpteiten; es fei, wie ©iSmarcf einmal 
in feinen ©defen bon granffurt aus ftdp auSgebrücft pabe, ein Stegime 
bon Drüffeln, Depefcpen unb ©roßfreuaen. Äncp fiele ben Herren gar 
nicht ein, bie ©erträge, baS ©ölferreept ober bie internationale ©efepiepte 
an ßubiren. Der befte Empfang fei ipnen tropbem überaß geficpert. 
©tan würbe ipnen gewiß gern bie Drüffeln nnb auep bie ©roßfreuae 
gönnen, wenn fie nur erträgliche Depefcpen unb correcte ©rotoloße in 
richtiger grammatüalifcper gorm abaufaffen berftänben, unb nicht burep 
fepr bebenllicpe ©erfepen ben grieben, beffen ffiaprung ipnen anbertraut, 
gefäprben Wüßten! Derfetbe borpin genannte ©iSmard patte im 3 u «i 
1857 in einer berlraulicpen h^aenSergießung feiner Scpwefter gefeprieben, 
man pabe feinen ©egdff babon, welcpe güße bon 9ti(ptigleiten nnb 
EparlataniSmuS bie Diplomatie berberge, unb was ber boSpaftefte 
Demofrat barüber fagen möge, reiche noep nicht an bie ©taprpeit. 
Solcpe nneprerbtetige ©etraeptungen würben burep bie Suhfcpenfäße 
angeregt, bie bem biplomatifcpen Scplußact, bebor ber $rieg entfepieben 
war, borangingen nnb biefen eingeleitet paben. Da war ein englifeper 
©'tinifter nur mit ©Rüpe au bewegen gewefen, feinen £anbfi| tura bor 
Oftern au berlaffen unb naep Sonbon a« fommen, wo baS ©rotoloß in 
großer &aft nocpmalS beratpen, umrebigirt unb uuteraeiepnet werben 
foßte. Der franaöfifepe ©otfepafter, ein bornepmer f'tarqiriS, berief fiep 
auf ein StenbeabouS in ©ariS, woßte benjelben Slbenb abreifen unb patte 
eS baper fepr eilig. 3u btefer SBeife lam baS Slctenftüd au Stanbe, baS 
fiep fo berpängnißboß erweifen foßte. Dies SlßeS flingt faum glaublich, 
tarnt jeboep Stiemanben überrafepen, ber einmal glaubwürbig eraäplen pörte, 
welcpe SBicptigfeit man in jenen Greifen ber eigenen ©erfon, fowie bereu 
©equemlicpteiten unb Eonbenienaen beilegt. Da war bie gute alte Scpule 
boep anberS geartet. ©>tit Strcpt würbe bei biefer ©elegenpeit barauf 
pittgewiefen, wie bon Daßepranb auf bem SBieuer Eongreß fiep 
nicht begnügt pabe, bie ©oraüge beS franaSfifcpen Äftfe# bor bem öftrei<pi= 
fepen ober beutfepen feftaufteßen, fonbern wie er bie europäifepen 2lnge= 
legenpeiten in ipren geringpen Einaelpeiten erforfept, Kommata unb 
©unfte ber biplomatifcpen Scpriftftüde forgfam erwogen unb eS bnrcp= 
gefept pabe, baß fein Einßuß, ob wopl er baS gefcplagene unb gebemü- 
tpigte granfreiep bertrat, überafl füplbar war. fiäßt aber bie mobente 
Diplomatie an Stubium, Ernp, UrbeitSfraft unb Dalent ©taneperlei au 
wünfepen übrig, fo iß bie Slnbacpt, mit welcper namentlicp in Deutfcplanb 
MeS, was aus jener Sppäre unter bie £eute tommt, unbefepen wie eine 
Offenbarung ptngenommen wirb, bon pfpcpologifcpem 3«tereße. Ein gutes 
Dpetl iß oprtepin mißberßanbener Sdatfcp. Unb wo eS ftep um fogenannte 
©tittpeilungen panbelt, paben bie gläubigen $fcer unb £efer offenbar 
leine Slpnung babon, baß, wenn man ein ©erüept bemimmt ober eine 
$lnficßt auSfprecpen pört, für gewiffenpafte gournalißen, bie boep nicht 
gana auSgeßorben ftnb, bie reepte Aufgabe erft beginnt. Da muß ßubirt 
unb controiirt werben, ob nicht ein inbibibueßeS, wenn nicht gar bem 
beutfepen ©ortpeil wiberfprecpenbeS 3utereffe im Spiel iß, unb ob bie 
©aepriept ober ttuffaffung ßeperen ©oben pat. ©IU anberen ©Sorten, bie 
DageSgefcpicpte pat wie bie $ißode ipre ©orauSfepnngen unb ©ebhtgun; 
gen, bie auf bie Dauer opne Scpaben für ben Erebit ber ©reffe nicht 
pintangefept werben fönnen. Sonß läßt ßcp wopl ©uffepen maepen unb 
©elb berbtenen. ©ber eS papert mit anberen Dingen, bie, wenn auep 
nur ibealißp wichtig, boep einen relatiben SBertp beanfpruepen. ©Senn 
Dalma bon ©alerie, ©aderte, beaiepentUcp auep ber Elaque lauten 
©pplanS babongetragen patte, war er beim Scpluß beS Stüdes boep 
auweilen traurig. Slacp ber Urfacpe gefragt, fagte er lopffcpüttelnb: Die 
fleine ©auf ba brüben iß ftiß geblieben. Dort faßen nämlicp bie Äenner. 
Dalma war aßerbingS nur ein Scpaufpieler, aber wenn ein ftomöbiant, 
wie fepon ©oetpe fagte, einen ©farrer lepreu lönnte, fo foßte fein ©ei= 
fpiel auep für ©entlemen ber ß^ihmgSwelt nicht gana ttdoreit fein. 


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276 


9it ®*g*ttnMtrt. 


Nr. 17. 


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[Letztere werden, soweit der Vorrath 
reicht, in früheren Auflagen geliefert.] 
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Schriften und Reden 

von 

Dr. Johann Jacoby. 

- Zweite Ausgabe — — 

mit Nachträgen in vier Halbbänden ä 1 »JC 



gLftactton, ^erftn S.W., ßinbenftra&e HO. 



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Herausgeber: £inbavt. — Verleger: §fiCßc in Berlin. 

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'gSeßdTtmgett nehmen fämmtlidje BudjljanMungen unb Poftanftalten entgegen. 

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§nßaft be& foeBm au&QeQebeneti ^weifen gbeftc& (3ffat): 

I. I^ans^opfen. ^tDtfdjen Dorf unb Stabt. 

Honette. 

II. Jacob n. ^alfe in-IDien. Das Jenfler 

in ber IDoljnung. 

in. Karl Dogt in (Senf. ©in frommer Kn? 
griff auf bie heutige IDiffenfdjaft 
2Tlit einem Porträt: 


IV. 2fboIf IPtlbranbt in IPien. Drama- 
turgifeije Unterhaltungen. 

V. Kuno ^fifcber in Qetbelberg. ©tn Itie* 
rarifdjer $tnbltng als „£efjtngs vfanfl". 
VI. Paul £inbau. jerbinanb Saffales fefjte 
Hebe. ©tne perfönltdje (Erinnerung. 
Hbolf IDtlbranbt, nach bem ©elgemälbe non <fran 3 £enbad? 
rabirtnonj. Sonnenleiter in IDien. 


Bad Beinerz. 


JtftmafWer 6t0irg*-<£ttrorf, Brunnen-, hofften- nnb Stabe-jtnßaff in ber ©raffdjaft 
©lab ^teug. Schleften. jtaffatt • froftintig am 1». gflaf. 

jingejeiaf gegen Katarrhe aller ©d)leimf)äute, jteQfftopffeiben, <ßrottif<ße %*§ermi*fe f 
ßungenM£mpt>pfem, ©rondjeftafte, ftranfljeiten beä ©luteS: ©lutmangel, ©leicbfu^t u. f. to., fotoie 
beit ^tjfterifdhcit unb ^rauenßranßßeiten, mcldjc baraut entfielen, golgeyujitänbe nach ferneren 
unb fieberhaften ftranfljcitcn unb 58od)en0ef<en, nerüöfe unb allgemeine Neuralgien, 

©cropßulofc, fttjemnattömuft, egfubatibe ©tdu, conjlitutionelle ©ppbiliS. 

Empfohlen für 9tcconöale3centeit unb fcf^mäd^Iicfie Sßerfonen, fowie alt angenehmer bnreß 
feine tetynben ©ergtanbfd)aften befannter ©oimiteraufenthalt. 

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HI1H HlIM UUU UUU NNN* NNN DDDDDDD 

HH1I HHH UUU ÜÜU NNnJL NNN DDDDDDD» 

HIHI IIHH Uüü UUU NNN^ft, NNN DDD DDD 

HIIH HHH UUU üüü NNN vfj. NNN DDD DDD 


HHHHHHIIHH 

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Probe-Nummern gratis. 

Verlag von R. JENNE in Leipzig. 

3rür bie Webaction üerantroortlicfc: £eorg glitte in gerttii. fxpetitien, MetTi« N.W-, Üoutfrnffra&e 551 

$nicf oon £|. äeuSner in afripiifl. 


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JK18 


tat 5. gKni 1877, 


XL Band. 



<3wmaü. 


^ocpenfcprift.Jgj*' fiiteratur, Äunft unb öffentliches öebeit. 


Herausgeber: 'gfattf <£tttb<t1t in Berlin. 


|tta t#tt riit ginn. ®«leget: %m% «Ulfe in Berlin. N* P» ®“Ü«l 4 |«i 50 Pf. 

Bis bfiie^cn bur<$ alle SutWanMttngen unb ^oftanftalten. ^njecate Jebee Ärt pro SstfpaUettt $etitjeile 4& v 4$? 


Bol!3ttrirtfjfdjaftIi($e (Sottfufion, Älaae unb Klärung im $eutfdjeit $Reid}3tage. Boit ftavl Braun. — ßiteratur unb ftunft: SDidjimigcu 
»cm öon ^ ar * ®ef«*nmclt bon feinen Srreunben, Ijerauögegeben bon ®mil SRitterSfjauS. Befprodjeit bon Sßanl Einbau. — 3)ev 

jjtlDttli: ®Inube an ®eiftererfd>einungen in unferer Seit, Ctne ©cgilberung unb Betrachtung bon Sürgeu Bona Btetjer. (ftortfefcnng unb 

@<$lnß.) — fful ber 3)ramatifc$e ftufffiptungen. „©truenjee." Xrauetfpiel bon Saube. Befprodjeit bon Julius 

_ ftagen. — $)ie Äu^jtettung in ber 9tationaIgaIerie. Bon Stiegel. — Stotzen. — Bibliographie. — gnferate. 


bolkBtmrthfthaftlitpe (Confttlton, Älagt unb Klärung 
im btatfcpeit tteitpstage. 

®er 27. unb 28. Slprit 1877 werben gwei benfwürbige 
Sage für bie Bollswirthfcpaftlicpe ©ntwiefetung unb baS par= 
lametttarifcpe Sehen int ®eutfcpen SFleicf» hüben. Sie» wirb 
Sebent Har werben, ber einen Rücfblic! auf bie testen fünf* 
gehn 3apre wirft. Sine fotepe Rücf= unb Runbfcpau ift te^r= 
reic^. 

©iS junt 3apre 1867 beruhte bie wirtpfcpaftlicpe ©inpeit 
®eutfcplanbs auf einer fepr unfieperen ©runblage. ®aS eingige 
reale ©anb, welkes uns bereinigte, war her gotfcerein. @r 
umfafjte niept einmal baS gange ®eutfdjlanb unb war ein 
blofjer Vertrag, bon internattonalem ©parafter, gefcploffen auf 
htrje geh, banehen noep fünbhar; in feiner ©ntwiaelung ge= 
pemmt burep ein liberum veto, baS, wie auf ben weilanb 
potnifepen Reichstagen, jebetn ©tngelnen guftanb, mit ber 
SBirfung baS ©ange gu pinbern. Ser ßoöberein glich einem 
Kinbe, baS nur bur* galten baS Sehen erlernte. Sollte ein 
gortfdjritt gemalt, foQte g. ffl. eine Sarifreform burchgeführt 
ober ein HanbelSbertrag ahgefihloffen werben, bann griff bie 
füb* unb Weftbeutfche ©ruppe, welche man bamals unter bem 
tarnen ber „Sarmftöbter" ober ber „SBürgburger Koalition" 
gufammenfafjte, gu ihrem ©eto, unb es blieb fein anbereS 
SWittel iihrig, als ben ßoHoereinSoertrag gu fünbigen unb ber 
DppofitionSpartei bie ©Japl gu fteHen, entweber unter Stuf* 
gäbe ihres SBiberfprucpS in bem ©erein gu bleiben ober aus 
bentfelben auSjutreten. ®ie gu ber genannten ©ruppe gepören-- 
ben ©ingelftoaten fahett fich jebodj jebeSmal genöthigt, fich gu 
unterwerfen, benn bie Qo^en Regierungen fonnten eben fo 
wenig bie 3oHt>erein8einfiinfte entbehren, wie ihre Unterthanen 
ben freien ©erfepr mit bem übrigen ®eutfeplanb, ober wie 
man bamals noch fagte, mit „bem beutfehen ÄuSlanb". 

Statt aber fich bnrep foldje SRifjerfotge belehren gu taffen, 
würbe bie Oppofttion gegen ben .golfoerein, gegen ©reufjen 
unb bie tton Reiben eingefeptagene reformatorifipe Richtung 
immer Hüfner. ®aS Stärffte letftete fie gu Anfang ber fecpS= 
giger 3apre *u ihrem SBiberftanb gegen ben beutfch : franjöfifchen 

S anbetSoertrag, welchen ißreufjen im gebruar 1862 auf ber 
runblage beS englifch=franjöfif^en HanbelSoeitregeS Bon 1860 
abgefchloffen h atte - war bamals eine grope Koalition. 
Sarin lag ihre Starte unb zugleich ih« S^wäche. @S waren 
bie Ultramontanen, welche bamals fdfjon biefelbe Sbiofpnfrafie 
gegen bie SRöglichteit einer (Erweiterung Bon tßreu|enS ÜJtact)t= 
fteüung in Steutf^lanb fühlten, wie auch uo<h h«ute; — eS 
Waren bie ^Jarticulariften, welche in ber wirthfchaftlichen @itt= 


heit mit einem Spürfinn, welcher burch Stngft unb Mißtrauen 
gef^ärft warb, ben SSorläufer ber politifchen ©inheit erbtidten 
unb bamals burch ih r fchwäbifcheS Oberhaupt bie Carole aus» 
gaben: „Sieber granjöfifch, als ^reu^ifdh"; — eS waren bie 
Sdjufcjöllner, welche baS ihnen entriffene ©ebiet wieber erobern 
unb baS publicum auSbeuten wollten, unb fich $u biefem 
ßwecfe ben ^ßarticulariften mit einer folgen ©mphafe in bie 
2lrme warfen, baff ber Rrotectioniftenhäuptting üon ÄerStorf, 
Hofrath unb ©aumwoufpinner in Augsburg, auf einer ihrer 
©erfammlungen rief: Riebet jetjn 3°ß°etetne gefprengt, ats 
an ber Souoeränetät beS Königreichs ©apern auch nu * ein 
Härchen gefrümmt." 

S)ie brei Häupter, nämlich baS ba Ultramontanen, bas 
beS IßarticulariSmuS unb baS beS ©rohibitiofpftemS, hielten 
ihr „SRütli", unb eS ftrömte ihnen Stiles ju, was centrifugat 
ober confuS war, b. p. 2HIe8, was bie grage ber wirtf)f(h a ft= 
ti^en ©inpeit unb ber politischen greipeit 35eutf^lanbS nidpt 
Berftanb ober bie güprer auf bem SBege ju berfelben mit feinem 
Haffe Berfolgte. SeboÄ felbfi unter ben Stufpicien iprer an= 
geftanimten popen Regierungen füplte bie fo japlreiche ©oa= 
lition fiep noch uiept mächtig genug gegen ©reupen. Sie flüch¬ 
tete ficb unter bie gittige OeftreidpS, welchem fie bie Hoffnung 
Borjauberte, in ben ßoÜBerein mit feinem ganjen Staatencom= 
plej eintreten unb barin entweber ©reufjen bie güprung ent= 
reigen ober wenigftenS auch hier ben ®uatiSmuS aufriepten ju 
tönnen, Wie in bem SunbeStage in granffurt. 

®ie öftreiepifepe Regierung bi| leiber auf bie Socffpeife 
an, namentlich war eS ber Ritter Sinttm Bon Schmerling, bem 
immer noep feine 1848er ©autSfircpewStinnerungen im Kopfe 
herum fpuften. Unb fo begann man mit gutem ÜRutpe ben 
getbjug gegen ©reufjen. @r bauerte einige Sapre unb enbete 
Hägticp, Biedeicpt weit man ju früp bie 3JiaSte abgeworfen patte. 

®enn fepon im October 1862 patte auf bem H“ubel3tage 
in Riünpen ber oben genannte ©aummoltfpinner unb H°f = 
ratp öffentlich Berfünbigt, bie 3oütarife beS HanbelSBertrageS 
fönne man ftep ja gefallen laffen, aber ber Strtitel 31, welcpcr 
grantreiep baS „Re^t ber meiftbegünftigten Ration" einräume, 
oerpinbere ben ©intritt Bon Deftreicp unb mache ben ©ertrag 
gang unannehmbar. ®et HanbelStag, obgleich berfelbe aus 
Oeftreicp, unb gwar aus folcpen Sänbern, welcpe gar niept gutn 
®eutfdpeit ©unbe gepörten, über alle SRafjen befepieft war, ent= 
fepieb ftep für ben HanbelSBertrag unb für baS feit 1860 
fanctionirte grofje Bötlerrecptlipe ©ritteip ber meiftbegünftigten 
Rationen. 

$ie ©oalition würbe aber baburep noep niept entmutpigt. 
„Deftreicp", rief fie, „pat unferen Regierungen für ben galt 
iljreS StuStrittS aus bem 3 0 üoerein bie bisherigen ©innapmen 


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278 


Ute ’ÄejeHiitÄft. 


Nr. 18. 


garantirt; wir taffen alfo ©reußen im ©tiche." ©o laut fie 
fcfjrie, fo tonnte fie bod) ttid^t umhin, fid) im Stillen ju fagen: 
„Äber, wer garantirt uns bie öftreid)ififjen gbtanjen, wie Wirb 
man bie Sinfünfte »erteilen, etwa nadj Kopfjahl? Dann fom= 
men wir jufurj, bennbie ©erben, SRatjen, Salaten, Dalmatiner, 
©tobenen unb Kroaten oerjeljren feine joflpflichtigen Saaren. 
Unb bann! wirb uns Deftreid) in SRetaß jaulen ober in ©a* 
pier, baS um bie §ätfte entwertet ift?" Äber man befdjwicfj* 
tigte ben im gnnern nagenben Surm biefer berechtigten 3weifet 
baburch, baß man im Äeußern eine befto größere 3u»erficht 
jur Schau trug unb feef prophezeite: „©reußen wirb ben 
Schimmel bon ©ronjeß befteigen, gebt Ädf)t, wir werben ein 
jweiteS Dlrnüp erleben." 

Äber ©reußen that Das nicht. ®S fagte, wer bis jum 
30. September 1864 nicht beitritt, ber wirb als ausgetreten 
betrachtet; unb fo tarnen benn bie ^Regierungen alle, alle. Spät 
tarnen fie, wie einft ©raf gfolani, ber weite Seg über Sien 
entfdhutbigte baS Säumen, — einige tarnen in ber elften 
©tunbe erft, — eine fogar erft Um breibiertel auf 3wölf, — 
aber als bie ©onne beS 30. September 1864 übet baS Sanb 
fdjien, waren alle 3oß»«reinSbe»oßmädhtigte in ©erlin fchon 
berfammelt unb bie ©eneralconferenj beS, auf ber ©afis ber 
Einnahme beS beutfdj-franjöfifchen ©ertrageS neu aufgerichteten 
3oßbereinS tonnte burdh ©reußen eröffnet werben. Seber ber 
fo geräufebooß in ©eene gefegte „großbeutfehe SReform* 
herein" (lucus a non lucendo), ber $errn bon ©arnbüler 
aus ©tuttgart jum ©orfißenben hatte unb fich »orjugsweife 
mit ber 3oßfrage befdjäftiate, noch auch ber noch lärmenber 
auSpofaunte granffurter gürftentag bom Äuguft 1863 »er= 
mochte baran Etwas ju änbern. 

Enbtich 1866 folgte bem Krieg mit Dariffäßen ber Krieg 
ber Kanonen. Der greifen: bon ©arnbüler rief im §alb= 
monbfaal ju ©tuttgart fein „Vae victis!" Mein bie 5£|aten 
(baS Königreich ©achfen ausgenommen) entfprachen wenig ben 
Sorten. Deftreich hätte, mit bem ©rafen Kent im „König 
Seat", ju ÜRanchem feiner hohen ©erbünbeten bon bamals 
fagen föniten: 

— „Cure breiten 9teben mag bie lijat 
9tee^tfertigen, itnb aus ben boUen SBorten 
Äud) gute äBerte folgen taffen." — 

♦ 

* * 

Der griebe 10 g ein. Die ©erftänbigung mit Deftreich 
erfolgte. Der Storbbeutfdje ©unb würbe begrünbet. Der 3°ß= 
herein, bisher nur bon unregelmäßigen Sanberoerfammlungen 
hanbelSpolitifeher Diplomaten repräfentirt, erhielt eine ßentral= 
gemalt unb warb parlamentarifch. 

Der Storbbeutfcße SReidjStag, ber nie bon irgenb einer 
parlamentarifchen Körperhaft an StrbeitSfraft, ©ntfdjloffenheit 
unb reformatorifchem Eifer übertroffen worben ift, fdjicfte fich 
an, ben Schutt unb bie Drümmer, welche bas ftnfettbe SRittel* 
alter unb ber ©erfaß ber Station unb ihres ©efammtftaats 
jurücfgelaffen hatte, aus bem Sege ju räumen. Er befeitigte 
bie interterritorialen, intercommunalen, interconfeffioneßen 
©thronten unb gab ber Station bie ®e werbe*, 3 U 9 : / ©er«h e:: 
UchungS* unb StieberlaffungSfreiheit, welche baS ©ebunbenfein 
an bie ©choße befeitigten, bie hlummernben Kräfte wedften 
Unb eS ntöglidh machten, baß überaß ber richtige SRann an bie 
richtige ©teße gelange. Deutfdjlaitb war hierin weit hinter 
aßen ßulturoöltern jurüdfgeblieben. Die ©efeßgebung feit 
1867 holte in wenigen gatjren bie ©erfäumniffe oon gal)r* 
hunberten nach- Die IReformen fanben bamals leinen Siber* 
fprudfj, am wenigften bon Denjenigen, welche fie jeßt wieber 
bejthneiben ober abfehaffen woßen; unb manches ©latt, welkes 
jeßt behauptet, man fei ju weit gegangen, feßimpfte bamals, 
man gehe nicht weit genug. ES würbe ju weit führen, wenn 
wir aße ^Reformen im Einzelnen aufjäßlen unb begrünben 
woßten. ©enug, währenb ber goüoeretn nur ben Saaren- 
perteht geftattet hatte, geftattete bie ©efeßgebung. beS Storb= 


beutfdhen ©unbeS, welche fich auf baS Deutfcße Steich übertrug 
unb in bemfelben fortfe^te, auch ben freien ©ertehr ber SRen* 
feßen. ©ie »erwirflicbte aße jene gorberungen, welche ber 
„©oltÄWirthfchaftliche Kongreß" iin ber 3 e ü o° n 185® bis 
1865 aitfgefteßt unb wäßretib beS Kriegs, am 4. Äuguft 1866 
in ©tattttfehweig, in ein Programm jufammengefaßt hatte, 
welches fchon in ber ©erfaffung beS Scorbbeutfcßen ©unbeS 
»on 1867 theilweife feine ©erwirtlidhung fanb. 

(SS folgte nun auch für Deutfchlanb eine 3eit beS wirtl)* 
fdjaftlidßen ÄuffdjwungS; bann aber jene 3 cit ber lieber 
fpeculation unb Ueberprobuction, welche ^ppertropßie ganj 
Europa unb Ämerifa ergriff; unb enblidh jene fchwere KrifiS, 
Welche in ben fchuhjöflnerifchen Sänbern am ftärfften graffirt 
unb bisher noch nicht beenbigt ift. 

$lud) in Deutfdjlanb waren bie ©erlufte fdljlimm, aber 
noch weit fcfjlimmer war bie ©erwirrung, weldhe bie KrifiS 
anftiftete in ben Köpfen ber SRenfdfjen. 

Söenn Semanb irant wirb, fo forfdht man nach ben Ur- 
fachen ber Krantheit in feiner bisherigen ßebenSweife, man 
jucht biefelben feiner (Sonftüution gemäß ju mobificiren, inbem 
man ibm Diät u. f. w. oerorbnet. 

Slber eS wirb feinem oernünftigen Slrjt einfaßen, bie 
©onftitution felbft umftoßen ju woßen, etwa in ber Strt, baß 
er feinen ©atienten auf ben Kopf fteüt unb bie 3nfnh r un b 
Slbfuhr ber StahrungSmittel ju bewerffteßigen oerfu^t tn um= 
gelehrter ©ichtung, als fie bis bahin erfolgt ift. 

SBoher ift bte ©erwirrung entftanbenV SRan fchreibt fte 
©öswißigen ju, weldhe an ben llnoerftanb unb bie ßeibew 
fchaften in berechnenber Seife appeßiren; welche ben ©ranb 
jehüren, um fich barait ihre Suppe ju fodhen; welche gern »erfahren 
mödhten wie jene mittelalterlichen Sarbareit, bie jur 3«l ber 
SRenfdhenpeft guben erfchlugen, weil fie bie ©runnen vergiftet 
hätten, unb jur ßeit ber Stinberpeft alte Seiber »erbrannten, 
weil fie baS ©ieh »erhebt hätten. Slßein eS finb nicht bloS 
bie ©öswißigen, weit fröhlicher finb bie (Sonfufen. Sie bie 
gefchlagenen granjofejt itad) bem Kriege nach, ©erräthent fudj : 
ten, um fie ju ©ünbenböcfen für bie ganje Station ju machen, 
fo fudßt bei uns in Deutfchlanb gebet bem Änbern, unb eine 
©artie ber anbern bie ©chulb aufjubürbeit, währenb lefctere 
in Sirfßchfeit eine Äßen gemeinfame ift. Unb bann touunen 
Duacffalber jum ©orfchein, welche mit irgenb einem beS= 
peraten SRittel bie franfe 3eit heilen woßen unb Diejenigen 
»erläftern, weldhe behaupten, baß nichts helfe als Ärbeit, gleiß, 
©parfamfeit unb auSbauernbe ©ebulb, unb baß man bie £>pper= 
trophie ber innern ©robuction burd) ©djubjöße nicht heßen 
fann, fonbern nur noch »ergrößern. Die ©chupjößner ba= 
gegen behaupteten, ber greihanbel fei an Äßem ©chulb, währenb 
boch befanntlidh Deutfchlanb noch gar nicht ben greihanbel 
hat, fonbern ein ©hftem »on ginanj= unb gemäßigten ©<hu|' 
jößen, an welchem auch fein Sftenfdh in gegenwärtigen fdjweren 
geiten etwas änbent wiß, unb währenb bie KrifiS nirgenb 
mörberifdjer, »ernichtenber unb bauentber ift, als in fRußlanb 
unb in ben ©ereinigten Staaten »on Storbamerila, wo gerabe 
höhere ©<hu^= unb ©rohibitiujöße beftehen, als irgenbwo 
anberS. 

Äuf ber anbern ©eite richtet man feine Ängriffe auch 
gegen bie ©ewetbe* unb bie gugfreiheit, ohne ju bebenfen, 
baß biefe Einrichtungen bei aßen ©ulturoöllern beftehen, unb 
baß bie ©eßauptung, nur Deutfchlanb fönne biefelben nicht 
»ertragen, feine anbere ©orauSfe|ung haben fann, als bie 
Deutf^en feien fein Eulturuolf. SRan bebenft nicht, wie bie 3ug : 
unb ©ewerbefreiheit im ©runbe genommen auch iu Deutf<h : 
lanb gar nichts SleueS finb; baß biefe großen ©rincipien tton 
in manchen beutfehen Einjelftaaten au§ »or 1867 beftamen, 
wie namentlich auch > n ©ceußen, welches in gotge beffen, trop 
ber Ungunft »on Klima unb ©oben, an Sohlftanb unb Sin* 
wobnerjahl fchneßer wuchs, als bie anbern Staaten; baß bie 
©efeßgebung beS Slorbbeutfchen ©unbeS nur unificirt hat, toaS 
»orßer getrennt unb in einem beillofen Sirrwarr bureß ein* 
anber gerüttelt war. Die SRißftänbe, welche ftch jeigen, jfnb 


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Nr. 18. 


279 


Hit ©egenwart. 


unbermeiblicpe ffirfcpeinungen beS UebergangSftabiumS, roetc^eä 
au^etbem noc^ erfcpwert wirb erftenS burch bie focialiftifc^e 
Bewegung, jweitenS burd) beit großen ftrteg unb beffen gol= 
gen, unb enblicp burd) bie wirtbfcbaftlicpe ft'rifis, welche ihre 
Urfacpe in ganj onberen Singen f)at, als in ber ©eroerbe» 
orbnung nom 21. 3uli 1869. ©nblicp finb fie folgen beS 
UmftanbeS, baf) wir. bie 3 U 9= unb ©ewerbefreibeit punbert 
3abre ju fpät eingefüprt haben, unb noch baju in einer 3«t, 
welche geeignet ift, alle ©(Richten ber ©ebölfetung aufjurübren 
unb in bie lebpaftefte Bewegung ju fepen. 

©tatt nach Stbfc^affung ober Sefcpräntung ber 3ug= unb 
©ewerbefreibeit ju freien, faßte man bie ©inricptungen 
fotbern, welche geeignet finb, biefelbe ju ergänjen. 

Such in ber bollSwirthfchaftlichen Speorie traten allerlei 
©ntwidelungen ein, welche }ener Slufregung, theils mit bem 
SBiQen ber Urheber, tpeilS gegen benfelben, bienten. 

©ine Seit lang put uian bie fogenannten Äatbeber» 
focialiften oerantwortlid) machen wollen; unb eS ift ja 
wahr, ba{j ftch SSiele focialiftifcpe, unb Slnbere fogar feubat» 
mhftifch=romantif(be Sauberfünfte ober menfcpenerlöfenbe unb 
bie ©efeflfcpaft rettenbe Uniberfalarjneien oon ihnen oer» 
fpracpen. ©iefleicpt hüben einige ©jcentricitäten beS ©rofeffor 
©cpmoller, befannt bnr<b feinen ©treit mit ©rof. oon 
Sreitfcpfe, unb beS ©rofeffor Sbolf SEBagner, befannt butch 
feinen feltfamen, offenen ©rief an Dr. fp. ©. Oppenheim, ju 
jener trügerifcpen Erwartung Stnlajj gegeben. SBotlte ja fogar 
barnals Slbolf SEBagner ben ©taat ober bie ©emeinbe ber» 
p flirten, auf eigene Soften SEBopnungen für bie ^Berliner Sir» 
beiter ju bauen, als wenn es gerathen wäre, bie ohnehin fchon 
böcpftbebenflicbe $bP eirtro hh* e ber großen ©täbte noch burd) 
lünftlicpe Stimulantia ju fteigern! 

SQein alle biefe ©oraulfepungen buben fi<h als ooU= 
ftänbig irrig erwiefen. Ser „©ongreh für ©ocialpoütif", 
ju welchem fich bie fogenannten „Äatbeberfocialiften" bereinigt 
haben, ftebt ebenfalls auf bem ©oben ber wirtbfd)afttichen 
Freiheit, er put fich als ein febt leiftungSfähigeS SGBerfjeug 
jur gortbübung unb ©erbreitung ber SBiffenfcpaft bewährt unb 
nunmehr bnrch feine Kooperation mit bem „©olfswirtp 5 
fcpaftlicben Kongreffe" thatfächlich ben3rrthum wiberlegt, 
als gäbe es jwei SBiffenfcpaften ber ©oltSWirtbfcpaft, etwa 
eine fchwarje unb eine weihe. 

3 n neuefter Seit aber ift es SRobe geworben, ju be= 
haupten, es gäbe überhaupt feine SEBiffenfcpaft. „SEBeg mit bem 
boctrinären ©lunber, eS lebe bie ©rajis!" — baS war baS 
gelbgefcprei ^Derjenigen, welche jwar nicht bie SRajorität bilben, 
aber ben ©chein einer folgen burch bie Suhl ih rec Serfatnm» 
lungen unb ihrer löfd)papiernen gabritate ju erjeugen be= 
müht finb. 

Sie ©önfequenj biefeS ©orgehenS ift nicht ju beftreiten. 
Sa bie SBiffenfcpaft nur bem ®efammtintereffe bient, fo 
rufen bie ©ertreter ber ©onberintereffen:’ „lieber mit ber 
SEBiffenfchaft!" ©tan leugnet, baff eS wirthfcbuftlidje ©atur» 
gefepe gebe, man beftreitet bie ©egelmäjjigfeit unb ©efep» 
mäfjigfeit ber wirtschaftlichen ©ewegung, man fwht bie Suis» 
nahmen jum ©efep ju erbeben unb bie ©injetintereffen über 
baS ©efammtwopl ju {teilen. 

* 

* * 

Sille bie oben gefcpilberten ©ewegungen unb ©eftrebungen 
erhielten einen unerwarteten Stuffcpwung burch ben Slbgang 
beS SötinifterS Selbrüd. ©ewohnt ben 2Jted)attiSmu3 ber ©e= 
börben unb beren ©ewalt über bie ötonomifcpe SBelt, foroobl 
im ©nten, wie im Schlimmen, fehl ju übetfcpäpen, glaubten 
bie SBirthfcpaftSreactionäre, baS ganje bisherige ©pftern pube 
nur auf ben jwei Schultern biefeS auSgejeicpneten SWanneS 
geruht unb fei mit ihm oerfchwunben. ©eftübt auf biefe 
©orauSfepung, fepte man „ben lebten $aucp oon Stoff Unb 
3Jtann" baran, bei ben ©eicpStagSwablen bom Sanuar 1877 
obenauf ju fornmen nhb berfünoigte einen glänjenben ©ieg 


nach beren ©eenbung. Sillein biefe ©otfchaft, welche SlnfangS 
hin unb wieber ©tauben fanb, weil man bei ber eigentpüm» 
liehen ©arteigruppirung beS ©eicpStagS unb ber großen 3al)t 
neuer ©titglieber juerft feine rechte Ueberficpt butte, but fidt> 
als irrig erwiefen. SllerbingS finb bie greiconferbatiben 
(Seutfche SReidhSpartei) überwieaenb ©chufsjöHner, aber hoch 
bei Weitem nicht alle. Sie Seutfchconferbatiben (Sllt= 
conferbatioen) finb beinahe alle greihänbler. SEBaS baS 
Sentrum anlangt, fo hat fich eine febr anfehnliche SKinorität 
bon bet ftreng fchuhjäönerifdhen Stichtnng beS greiherm 
oon ©chortemer emancipirt; eS finb bieS oorjugSweife bie 
©apern; unb auc| SBinbthorft=^teppen ift nichts weniger, 
als ein in ber SBoHe gefärbter ^rotectionift. Sie gort» 
fcprittSpartei ift freibänblerifch bis auf ©inen, unb biefer 
©ine ift natürlich aus SBürttemberg, baS überhaupt bon 
allen Bänbem am meiften ©chupjöHner gefteßt pat Sie 
^Jolen enblicp finb opne jebe SluSnabme greihänbler. Sie 
Stationalliberalen finb leiber, wie gewöhnlich, getpeilt, 
jeboep bilben bie greihänbler bie SDtehrjahl in quali et 
quanto. 

SlUeS SaS wufjte wahrftheinlicp ber fäcpfifiht ©ofrath 
unb Slbgeorbnete Slsfermann noch niept, als er, obgleich ber 
freihänblerifchen beutfep- conferbatioen Partei angehörig, für} 
nach ©röffnung beS SteicpStagS fiep gebtungen fanb, bei ber 
©eneratbebatte über ben Eßatentgefefeentwurf „ben Umfcpwung 
ber öffentlichen Meinung, welcpe fiep ben ©rincipien 
ber freien ©oncurrenj abgewanbt pabe", ju proclamiren 
unb gleicpfam ex cathedra ju berfünben, „bie bolfS» 
wirthfcpaftlidpe ©cpule, welcpe bie greibenfer gro|= 
gejogen, fei mit ihrem Batein ju ©nbe". 

Sie ©reigniffe haben ben ©roppeten Bügen geftraft. 

Ser SteicpStag pat alle Singriffe gegen bie Sog- unb 
©ewerbefreibeit jurüdgewiefen, namentlich ben Slntrag beS 
©rafen bon ©alen, welcper in feiner ©egrünbung fo ritterlich» 
recptgtäubig*offenberjig war, bah ber grope partamentarifdje 
Saftifer aSBinbtporft eS für nötpig pielt, etwas mit ber 
©ammetbürfte barübet ju fapten unb ben ffampf auf ein 
anbereS ©einet übenufüpren, nämlicp auf bie Stellung beS 
latpotifcpen Slbels in Seutfcplanb, eine grage, beren Sufammen» 
pang mit ber ©ewerbeorbnung gerabe nidjt 3ebermann einfiept. 
Sie ©rflärnng beS ©eicpSfanjleramtSpräfibenten ^ofmann, 
bap bie berbünbeten ©egierungen an bem ©rincip ber Sng 5 unb 
©ewerbefreipeit feftpalten unb baSfelbe burep ©efepe über baS 
SeprlingSwefen, ftHnber» unb grauenarbeit unb gewerbliche 
©cpiebSgericpte fortjubilben unb ju ergänjen beabfieptigen, 
fanb ben ©eifaU beS SReicpStagS. 

Slm 27. Slpril berwarf ber ©eiepstag mit gweibrittel» 
majorität ben ©efepentwurf wegen bet StuSgleicpungS» 
jölle auf ©ifen (jur Slbwept beS franjöfifcpen SRihbtaucpS 
mit ben titres d’aequit a caution). 2 Ran pielt ben ©ntwurf 
für einen Sorläufer beS ©cpupjoUS, unb unter biefen Um» 
ftänben oermoepte ipn felbft bte pope Stutorität bon ©hniftem, 
wie ©amppaufen unb Slcpenbacp, niept ju retten. 

©nblicp am 28. Slprii jwang „bie bolfSwirtpfcpaft» 
licpe ©cpule", obgleich „mit iprem Satein }u©nbe". Wie 
$err Sldermann fagt, — ben gteipetm oon ©arnbüler, 
welcper feine „grohbeutfepe ©eformator"»©oHe oon 1860 
bis 1866 wieber aufjunepmen gebaepte, ju einem wenig 
glänjenben ©üdjug. 

3cp wieberpole: ber 27. unb 28. Slpril finb für bie 
SEBirtpfcpaftSpolitil beS Seutfcpen ©eieps jwei benlwürbige 
Sage. 

Karl Braun, 


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Goc le 



280 


Nr. 18. 


ftic $*genvarl. 


oSiteratiir unb ^unfl. 

Dtdjtuitgfit oon Äarl Giebel. 

©efammclt Don feinen greunben, herausgegeben ton 
©mit SRüterShauS.*) 

Sie Verausgabe ber Sichtungen Don Äarl ©iebel, bern Dor 
einigen 3ah** n im SBupperthal oerftorbenen Sinter, bie beffen 
SanbSmann unb greunb ©mit {RitterShauS mit warmen unb 
ftimmungSDoßen Serfeit einführt, ift ein erfreuliches unb banfenS* 
wertes Unternehmen. Äarl ©iebelS 5Rame, ber in bem engeren 
ßreife feiner SBupperthaler Veirnat Dießeicht in überfchwänglicher 
SBeife gefeiert worben, ift ben gernfteljenben, bem großen {ßubli* 
cum bisher fo gut wie unbefannt geblieben. Unoerbientermaßen. 
Senn Sari Siebet befifct ein reines unb echtes latent, eine 
wahrhaft poetifche Äber. Sie ©iebefte Sid)tung erhebt ft 
nicht fehr hoch; ober fie bringt tief, ©ie ift einfach unb glicht 
in ber ©mpßnbung unb wahr im SluSbrud; afleS ©efünftelte, 
Sefchwerliche, ^ß^rafen^afte liegt ihr burchauS fern. Sie SSerfe 
biefeS SBupperthaler Sßoeten machen ben ©inbrud, als ob fie 
mühelos hingeworfen, gleich auf ben erften Sßurf geraden, als 
ob fie meiftenS gtüdliche 3mprooifationen feien, ©iebel tüftelt 
nicht an ber gorm; er nimmt gewöhnlich bie einfachfte unb be- 
quemfte: bie Diergeilige Strophe mit alternirenben männlichen 
unb weiblichen SSerfen, Don benen gewöhnlich nur ein BerSpaar 
reimt. Äudj mit ber {Reinheit beS {Reims nimmt eS ber Sichter 
nicht aflgu genau, ©r fucht atfo feineSwegS burch formale unb 
äußerliche ©igenfehaften gu glängen. 3BaS feine 93erfe auSgeichnet 
ift: bie Mnfchauung, bie Stimmung, bie ©mpßnbung unb ber 
richtige Son bafür, bie {Ratürlichfeit, Knappheit unb Schönheit 
beS ÄuSbrudS. 

ÄuS biefen ©igenfehaften unb auS biefen SRängetn ertlärt 
eS ftch, baß oiele ber ©ieberfchen Sichtungen gur mufifalifchen 
ffiompofition befonberS geeignet erfcheinen, fie finb merfwürbig 
fangbar, eS finb richtige Sieber. ©S finb baljer auch fei}* öiete 
biefer ©ebidjte fchon in SWufif gefefct, namentlich Don 9Rarfchner. 
SBie Don felbft fcheinen ßch gu feinen {Rheinliebern g. 93. ber 
mußfalifche {RhpthmuS unb bie SWelobie gu gefeßen, unb jeher 
gehörige wirb auS Berfen wie ben folgenben bie ungefchriebene 
Stuß! h^rauSllingen hören: 

(gilt SRäbcheit fo fchon wie bie Sorelei, 

Unb bod) fo gut unb fo treu babei, — 

©0 holb unb fo rein, fo rein unb fo linb: 

SRein rheinifcheS SRäbcßen, mein ^er^iged Siitb! 

Unb fäß auf ben Bergen bie ftolge grau, 

2Rit golb’nent Vaar unb mit Äeuglein blau; 

{Rur bu bift bie geh, bie gang mich gewinnt: 

SRein rheinifcheS SRäbcßen, mein herjigeS Sinb! 

60 fahr’ ich bergunter ben fdjönen Strom 
Unb grüß’ bie Burgen unb grüß’ ben Som, 

Unb ßnge boß Sufi, wie treu wir uns finb: 

SRein rheinifcheS SRäbcßen, mein herziges Sinb! 

3Rocß eines ber {Rheinlieber mag gur 93efräftigung beS @e' 
fagten hier auf geführt werben: 

Stacht am 8 tßeine. 

©S waren brei luß’ge ©efeßen, 

Srei luft’ge ©efeßen am {Rhein; 

Sie liebten nichts mehr als ben heßen, 

Sen funfelnben, perlenben ©ein. 

Äm ©tranbe „ 8 ur golbenen Staube" 

©rllangen brei ©läfer gumal — 

ÄlS leiS burch bie grünenbe Saube 
Ser ©chimmer beS SRonbeS fich fahl. 


*) ©erlin 1877, ©. ©rote’fcße BerlagSbucßhanblung. ÄuS ber 
„Sammlung Don ©erten geitgenöfßfcßer ©cßriftßeßer". 


Sie ©erge — bie herrlichen ßebeu — 

©ie fah’n in bie ©ollen hinein; 

©in (Schifflein laut leife getrieben, 

©S wogte unb raufchte ber 9i^ein. 

Unb über bie ©erge gezogen 
Äam leife ein bläulicher Suft 
Unb legte fich über bie ©ogen, 

©S buftete träumenb bie Suft. 

Unb über bie ©erge gezogen 
$am leife bie gürftin ber Stacht 
Unb fpiegelte tief in ben ©ogen 
SeS ÄugeS begaubernbe Fracht. 

Sie luft’gen ©efeßen oergaßen 
3 m ©lafe ben perlenben ©ein. 

©ie träumten, unb fchweigenb fie faßen 
Uitb fah’n in bie ©eite hinein. 

Siefe ©igenart unfereS Sichters macht eS erllävlidj, bafi 
er ben BotfSton befonberS gtüdlicß 5 M treffen weiß. Unter ben 
mobernen Sichtungen wirb man nicht Diele finben, welche fo 
treu ben ©haralter beS BolfStiebeS aufweifen, wie einige ber 
©ieberfchen, bie uns in ihrer Schlichtheit gang merfwürbig Der: 
traulich unb heimlich flingen. ©0 baS Siebten „©erlaßen": 

{Run geht baS Itiub 51 t weinen 
Unb fucht ben ftißßen Ort; 

©S gog unb ßoh mit ©inem 
Äß Stuß unb grieben fort. 

©S war ein glücflich ©lühen 
©ohl an bem fünften Ort; 

3 wei bergen waren felig 
©eit über bie ©rbe fort. 

©S warb ber ©tngig=©ine 
Untreu mit $erg unb ©ort. - 
s {Run geht baS Ätnb gu weinen 

Unb fucht ben fHßften Ort. 

Sluch fö« baS 9SolfSlieb im höhnen ©tile, baS an bie 
©aßabe ftreift, trifft ©iebel mit feltfamem geingefühl baä 
{Richtige. 34 fü^re hier als Belag baS Heine ©ebidjt an, 
welches „Ser lefjte ßtitf' übertrieben ift: 

©S harret Dor bem Shore 
©in {Reiter unb ein {Roß. 

©S faarrt im ©anb beS Stoßes $uf, 

©S bringt herauf beS SteiterS Stuf: 

„Äomm mit! lomm mit, #enoß!" 

„„Sie ©eele wirb mir bange! 

3 m ©las wirb trüb ber ©ein! 

3m SRantel grau, auf fchwargem Shier 
5Redt ß<h ber ßRann unb ruft nach mir, 

34 muß ©enoß ihm fein! 

©0 hebt ben lefeten Becher! 

Saßt ihn gur Steige gehn!"" 

©S wieh’rt baS Stoß. Ser {Reiter lacht. 

©ie reiten in bie ew’ge Stacht 
Huf {Rimmerwieberfehn! 

Sie ©ieberfchen Sichtungen weifen bem Statte uitb ber 
Behanblung nach eine große Serfchiebenartigfeit auf. Äußer 
ben fangbaren Siebern unb ben Siebern im BolfSton hat ber 
Sichter eine gange {Reihe Don poetifchen ©chitberungen, oon 
©figgen unb „Bitbern auS bem Seben", wie er fie nennt, ge^ 
trieben, — Heine ©pen, Wenn man wiß, in benen bie ^erfoit 
beS SichterS gang oerfchmimmt. Äuch unter biefen befinben 
ßch einige Don echter Schönheit 34 führe hier, ba man ben 
Sinter hoch nur aus feinen eigenen Ärbeiten fennen lernen 
fann unb ni^t aus bem, maS ein greunb über ihn fagt, Don 
biefen Bilbem bie beiben folgenben auf; 


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Nr. 18. 


281 


flie (Segeuroart. 


Die 5 toeitc grau. 

„„(Sr bat geweint! Kr hat geflagt! 

Unheilbar fdjieit feilt tiefer Sd)mer$!““ 

„So tjaben fie 51t mir gefügt. — 

0 ©ott! wie ift mir wefj urn’d Jpet$! 

Üöeife felbft unb fann’d uergeffen ttimmer 
3dj fab bie Dbräne ja genau, 

Aid er mich führte in fein ^hmner, 

SJtir jeigt’ bad ©üb ber erften grau/' — 

Dad Stäbgerätb — cd ruht febon laug, 
giel unbemertt jur ©rbe f}tu. 

Sie ftiert ed an unb feufeet bang: 

„Unb boeb föitnt’ nie icb laffett ihn!** 

Dann milb ftcb ü)te ©liefe bebett: 

„Du tböriebt $er$! warum fo trüb! 

©log’ er bein 3*oeifeln bir bergeben — 

3cb Weife! icb weife! er bat bieb lieb!“ 

„Süß! hört’ icb nicht# !V" Sie febaut urnber, — 
&alb offen ift bed 3 intmerd Dbür. — 

„Kd war fein Stritt! ©So bleibet er!V 
Souft fam er immer gleich du mir, 

Sanf an bad #er$ mir liebetruufen!“ — 

Sie ftebet auf. 3ur Dbüre febau! 

3 b n ftrbt fte, wie er füll berfunfen 
Stebt bor beut ©Üb ber erften grau. 

Kr fiebt fte nicht; er merft fie nicht. 

3 b* Äuge ftarrt. 3b* #er$ ift fehler, 

Unb leichenblaß ihr Ängeficbt. 

Stumm ju bem ©Übe bliefet er. 

Sie fcbleicbt jurücf. Sie fept fteb nieber: 

„0 (Sott! er liebt fie mehr ald bieb’. 

3u ihr bin treibt’d ihn immer wieber! 
Uttglüdlicb er! Uttglücflicb i<b!" 

Sie febreeft empor. Die Diele fraebt. 

Sie ftiert ihn an, fo lalt, fo b^b** *“ 

„©Sad bat bieb benn fo bleich gemacht, 

Üttein liebed ©Seife? Dir ift nicht wobl! 

©lein liebed ftinb, wad macht bir Schmerlen V" 
Sie febaut ihn ftumm uub frageitb an, 

«Ruht fchluchaenb bann an feinem Werden: 

„0 bu mein einiger, einiger ©tarnt!“ 

©tama bleibt immer fchöu! 

Durch# grünumranfte genfter blieft 
Die Sonne ind @emacfe. 

©rofemutter ftpt unb nieft unb ftrieft, 

Sie nieft ben ganzen Dag. 

3b* $aar warb weife; ed grub bie 3*it 
©tel tiefe gurren ein. 

3 u ihren güfeen tänbelnb fniet 
3b* jüngfted Knfelein. 

„©Sad niefft bu benn fo immer$u?“ 

Die fleine Unfcbulb fpridjt: 

„ÖSrofemutter! gar nicht febön bift bu! 

Dein &aar gefüllt mir nicht — 

Unb überm Äuge auf ber Stirn 
Die grofee gälte ba! 

Kd tft ©tama Piel fchöner hoch! 

Sie fchön ift hoch ©tama!“ 

(Srofemutter fiebt ben Siefeliug an: 

„„Schönheit oergebet halb! 

Dad Älter bat’d mir angetban 
Unb auch ©tama wirb alt!““ 

„©tama!?“ — Ded Kinbed Äug’ umzieht 
Kin ©auch non Kümmernife — 

„0 nein! ©tama bleibt immer fchön! 

Dad weife ich 0 an ö gewife!“ 


Sieben ben ©ebichten biefer Art, bie wohl junt Db c tf 
äufeeren Anregungen ihr Dafein oerbanfett, ber Krählung eine# 
greunbed, ber Seetüre, bem Betrachten eine# Silbe#, bent ©etbft* 
ertaufehten unb Beobachteten, bielleicht auch ber flüchtigen Auf; 
forberung oon ©eiten einer luftigen ©efeßfebaft — Rar! ©iebel 
liebte befonber# biefe Art bed 3mproOifirend — enthalt ber 
fleine Banb unb fogar in feinem mertbboflften Beftanbtbeite 
biele Dichtungen reinfter@efübtdthrif, ©ebichte eigener Stimmungen 
unb ganj inbioibuefler Siegungen, bie ber $ 0 et aud fich felbft 
heraud gefchrieben hat; unb Aße, bie ben liefeendwürbigen ebelr, 
leichtlebigen unb treuen SRenfchen gefannt haben, wiffen wie 
wahr gerabe biefe finb. — 

„Karl ©iebel 

geboren in Barmen am 13. 3anuar 1836 
geftorben bafelbft am 0. SRai 1868." 

Diefe wenigen ©Sorte im trüben Safonidmu# ber Seichen* 
fteiue fielen auf ber erften ©eite ber ©ebichtfammlung; fie ftnb 
bie einjigen Data, welche bie befreunbeten $eraudgeber über bie 
Berfönlicbfeit bed Dichterd mitjutbeilen für nötljig erachtet haben. 
Kd ift auch nicht oiel mehr über bad fo furje Seben Kart 
©iebel# ju fagen; fein befonberd berborragenbed Kreigniß ift in 
bemfelben ju oerjeichnen, wenigftend feine#, bad nach ber Außen* 
Welt hin bemerfendwerth h er ^tritt. 

Karl ©iebel ftammt aud einer begüterten ©Supperthaler 
s ^atricierfamilie. ©eine ungeberbige freie Küuftlernatur war 
bie ooflfommene Berneinuug ber Korrectheit, ©treitge unb fteifen 
Khrbarfeit feiner Umgebung, ©eine übermütige greigeifterei 
ftanb in offnem SSiberfpruch ju ber refpectabeln grömmigfeit, 
welche bie ©einigen ben Ueberlieferuitgen bed ©Supperthale# 
folgenb in ©Serfeu unb ©Borten betätigten. Karl ©iebel war, 
wie man ju fagen pflegt, aud ber Art gefchlageit, unb man 
würbe ihn, wenn er nicht gar ju liebendwerth, ju anftänbig unb 
ebel in feinen ©efinnungen unb £anbtungen gewefen wäre, ant 
®nbe gar ald ungerathenen ©ohn betrauert haben. Aber fichertich 
ftanb er in ftetern, wenn auch unaudgefprochenen Kampfe gegen 
bie Serhättniffe, bie ihn umgaben, uub gegen fich fetbft. 0h ne 
Steigung unb ohne irgenb welchen Beruf hatte er fich bem Kauf* 
manndftanbe gewibmet, in biefer Bejahung wenigftend bem #er* 
fommen getreu. Aber fein ungebänbigted fünftlerifched Dempe* 
rament taugte nicht hinter bem $auptbuche. Schon fein Aeufeered 
fprach bem ©tanbe $ol)n, ju bem er fich fchliefelid), Pennuthüch 
um feine Uttannehntlichfeiten ju haben, bequemt hatte: Die 
ungewöhnlich h°h e > ftarf burchgearbeitete ©tim mit ben trofcig 
aufftarrenben gaitj furj gefchorenen paaren, bie Briße, ber 
lange 3iegenbart, ferner bie ganje Art unb ©Seife feine# Auf¬ 
treten# unb feine# Anjugd, bad ungebührliche $aldtuch, bad, 
nachläffig in einen grofeen Knoten gefchluttgen, bie beiben 
langen unb breiten 3ipfcl bedfelben jeigte, ber unglaubliche 
©chlapphut, für ben, fo weit bie ©Supper fließt, fein B*n* 
bant $u finben war, ber grofee SWantel — man hätte bei biefer 
merfwürbigen Srfcheinung an Afled eher gebaut, ald an ben 
©ohn unb präfumtioen @rben eine# grofeen ©Bupperthaler $aufed. 
Auch feine ^anbfdjrift hatte nicht einen 3ug bed faufmännif^eu 
©harafterd angenommen. Der faufmännifche ©inn war ihm 
gänjlich Perfagt; er war freigebig bid jur Berfchwenbung nicht 
nur mit feinem (Selbe, aud) mit feiner Beit, mit feiner ©efunb* 
heit. ®r war ein greunb pon luftigen Sumpanen unb Pon 
einem guten Olafe ©Bein. Unb gerabe in bem wegen feiner 
Droftlofigfeit mit Unrecht berittenen ©Supperthal war ihm bie 
aniegenbfte ©efeßfehaft befchieben. 

Snmitten ber h°h^ t ©chornfteine, bie, um einen focial* 
bemofratifchen Audbrudf ju gebrauchen, aud ben „Bwingburgen 
ber Snbuftrie" aufragen, hatte fich fröhliche, fünftlerifch unb 
wiffenfchaftlich anregenbe Kolonie juiammengefunben, in welcher 
noch Pon anbem Dingen ald Pont Kourdjettel, Pott Dürfifd^* 
roth, Pon Bänbern, Korbein unb Sifcen gefprochen würbe, in 
ber bie echtefte gröhüchfeit h err f^ te un ^ ^ em un ^ 
müth reichliche Slahrung geboten würbe. Sch h a &e biefe ©efeß* 
iaft, bie namentlich greunb Pon S. um fich ü u fammeln wufete, 
bie gerbinanb greiligrath in einem Briefe an mich ald eine 


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282 


ID xt (Stginmart* 


Nr. 18. 


„unoergletchliche" begeidfaete, unb in bcr ber alte ©türgebecher 
£offmann oon gaflerSleben feine Xrinftieber oortrug, fchon früher 
einmal gefdjitbert. 3n biefer freien ^Bereinigung non tüchtigen 
Sünftlern unb -tüchtigen $ilettanten mären bie „JBupperthaler 
Sichter" atfo, namentlich ßart Siebet unb ©mil 8 flitterö^auö f 
ftänbige (Safte. ®a mürbe muficirt, gefangen, gebietet, beclamirt, 
improoijtrt, fritifirt unb gtorificirt unb ba fühlte fid) ©iebel 
toohler als irgenbmo auf ber SBelt. ®S ift möglich, bnß fa m 
ba oon ben greunben ber SBeifjrauch gu reichlich geftreut mürbe; 
aber ma« thut 1 «? „Sie Änerfennung ift ba« Srob be« ©eifte^"; 
unb {ebenfalls h ö * ©iebel, bem eS fonft an Änregung unb 2tuf' 
munterung gänglich fehlte, gerabe in biefent greunbeSfreife $ait 
unb ©tüfte gefunben, beren er gur Sefämpfung all ber SBiber* 
märtigfeiten, bie fam entgegentraten, gar fehr beburfte. Siefe 
greunbe ftnb fam mie im Seben fo auch im lobe treu geblieben; 
fie haben ihn auf bem lebten SBege begleitet, unb ihrer 3nitiatioe 
ift bie Verausgabe feiner gefummelten ©ebichte, bie ben Stauten 
be« grühberftorbenen in bie meiteften ßreife tragen merben, 
gu banfen. 

3m Uebrigen ift über ba« Seben Sari ©iebel« nicht üiel 
gu fagetu 8 tn gutem Unterricht Ifat eS ihm nicht gefehlt; er 
ift, mie biele Söhne au« ben großen föaufmannSfamilien be« 
SBupperthal«, gu feiner SluSbilbung nach ©ngtanb gefchieft mor= 
ben, mo er fich mit allem SWöglichen, nur gerabe nic^t mit bem, 
ma« er hätte thun fallen, befchäftigt, unb mo er, anftatt fich mit 
ben (Seheimnijfen be« SBeben« unb SBirfen« oertraut gu machen, 
poetifdje Ältotria getrieben h a *- @in fcijöneS ©ebiefa oon ihm 
ift in ©nglanb entftanben, „Heimat" übertrieben: 

Unb id) liebe fie bodj!- 

Sumpf unb trübe 

Scannte ich oft 

Sie ©loden ber fteimat, 

Soch heute Hingen fie über ba« Stteer 
©o mehmuthfelig, 

©o ttmnberbarlid), 

Saß felbft mein lachenbeS $erg 
3h* »irb. 

SBie ein ©ilb ber Sauberin, 

Ser Sichterfreuubin Sttorgana, 

©rblid’ ich ferne am Vorigottte, 

2Behmüthig »infenb 
Sie ©ärten unb ©Hefen, 

Sa« fch»argbef(hieferte Vau« 

SJtit ben grünen genftern, 

Unb am genfter 5um ©arten 
©eh* ich bie SÄutter. 

Stuf ihren ßnieen 
Stuhet ein ©udj — 

©ie lieft in bem ©uche. 

geh feh* eS genau, — 

©« ift ba« ©uch, 

Sa« einft bem ©ohne 
©tit Shrünen fte fdjenlte, 

Unb ba« ber ©ohn, 

511 « er fortging — 

©ergab. 

©ie lieft bie SBorte, 

Sie eigenhönbig 

5 lu« »armem bergen „gu ftetem ©ebenfen" 

©ie eingefchrieben — 

3«h glaub’, eine ^hrüne 
gäHt heifi auf bie ©ibel. — 

fBehmfitffig über ba« ©teer 
Älingen bie ©loden ber Heimat. 

9lach feiner Sftüdfehr ift er in ba« oäterliche ©efdfaft ge* 
treten unb hat, felbft noch in gang jugenblichem Stlter, eine 
blühenbe fdfane grau geheirathet, obmoht er gum geregelten 


gamilienleben unb gur ©he geringes latent befaß. Sa er bieg 
felbft in einem feiner ©ebichte auSfaridjt, !ann man biefe peilt; 
liehe S3ahrhcit fytx ohne 3 nbiScretion mieberholen: 

V&tt’ e« nimmer gebacht, 

Saß ein ©trom, fo h«6/ 

3m SBinter »ürb’ 

Su.ftarrem ©i«! 

Saß ein Süngleiu oon ©olb, 

©0 ben ginger fchntüdt, 

SBie’n ©tühlftein ferner 
5 luf bie ©eele brüdt! 

Saß nach prangenbem Sag 
©0 ftürmifch bie Stacht, 

©0 tranl ba« $erg! — 

Vfttt’S nie gebacht! 

SBiete anbere feiner ©ebichte taffen biefetbe tiefe ©erftimmung 
erfennen, bie ftch hi er fo treuhergig unb trübe auSfaricht. 60 
ba« folgenbe: 

SBenn ©ine« hoch nur nicht fo ferner, 

SBenn ba« ©ergeffen fo ferner nicht »är’! 

3 <h hub’ mich geriffen 00m SOtutterfchoob, 

3«h h a b’ mich gemunben oon greunben lo«, 

3 th hübe ber Untreu Teufel gefehlt 

Unb bie Siebe mußte $u ©rabe gehn. 

3 «h h«be gemeiitet in ftiüer Stacht. 

„Stun fei e« oorüber!'' hob’ ich gebaut. — 

SQBenn ©ine« hoch nur nicht fo ferner, 

SBeitn ba« ©ergeffen fo ferner nicht mör’! 

®ie ©chmermuth, bie ihn in ben lebten 3 «h^u f« in ^ 
Seben« fo häufig befiel, mürbe noch burch fein förderliche« 
Seiben beftärft. Unb er mar gang unb gar nicht ber SRmm 
bagu, fich gu fchonen, um burch ffiernunft unb SJtäßigung bem 
Uebet, ba« fan gu (Srunbe rieten foHte, ©inhalt gu gebieten. 
Unbefümmert, faft übermüthig untergrub er ben feften Sou. 
$ie Slergte fchidten ihn erft nach Steuenahr, bann nadh SWabeiro. 
S)aS erfte Sfftal freien e« aud), al« ob er gefiarft nach ber Reimet 
gurüdfehrte; aber eS mar nicht bie malfae ©efunbheit, e« »er 
nur ber erborgte Schein. $er duften ftetlte fich halb »iebet 
mit erneuter unb oerftärfter ^eftigfeit ein, unb bie «ergte riethen 
ihm, noch einmal auf üRabeira ©tärfung gu fachen. ©Sie er- 
fd^rafen mir alle bei feiner gmeiten Stüdfehr! ®a mar feine 
holbe läuf^ung mehr möglich; e « mar ein manbelnbe« ©feleü, 
ein bem lobe pdjer ©emeihter, ber un« ein traurige«, furge* 
„SBieberfehen!" entgegenftöhnte. ®ie ffleiber fchlotterten um bie 
entfleifchten ©lieber, ba« ©efaht mar gum ffintfefcen abgemagert 
unb bie Äugen brängten ftch gmifchen ben ftarf oorfpringenben 
Sadenfnochen unheimlich au« ben Höhlen herüor. S)ie ©timm- 
bänber üerfagten fare ®ienfte faft ooöftänbig. ®S mar felbft 
ben greunben fdjmer, bie in rauhem gtüftertou mühfam tymx- 
gebrachten SBorte gu oerftehen. ©ben fo menig mie feine greunbe 
tüufchte ©iebel fich felbft über feilten 3 nftanb: 

„3<h nieiß eS, baß ich fterben muß!" 

©0 fpridjt ein g^ber taufenbmal 
Unb »&hnt, Oiel taufenb Steilen »eit 
©ei noch bie ©tunb’ ber le|ten Oual. 

„34 meiß e«, baß ich fterben muß!" 

Unb »eiß, bie geit ift mir nicht fern. 

Unb hoch! 3 <h muß e« ja geftelfa! 

3<h lebte, ach! noch gar gu gernl 

„3«h meiß e«, baß ich fterben muß!" 

©0 faff’ ich f e ft bie jchöite SBelt 
Unb grüße jeben Slugenblid, 

SBo fie mich umfangen ^ätt. 


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Nr. 18 . 


• 1 1 (Stgnttmirt. 


288 


Da fomen bie Settern unb Safen unb jammerten unb 
flaqten: „#ätteft bu bie« unb jene« getljan, ^atteft bu bie« 
unb jene« unterlaffen"; unb ba raffte ft4 ber Dieter, beffen 
plftftföe ftraft faft erlogen, beffen fleißige ©tärfe aber unfle- 
Broten mar, noch wenige läge öor feinem lobe auf unb gab 
feinen woljjlwottenben Reinigern, bie iljn mit bem: „D ^ätteft 
bu nidjt!" quälten, bie Mntwort: ,,©o fyabe id) bodjl" 

Zafl trau! id) geworben! 34 trag’«, tute i4 foU! 

©a« flagt il)r fo mttleib«=, fo öonuur{«uoff: 

Ijätteft btt ni^t! O, ^iUteft bu nicht, 

6 « träte fo bleich nicht bein Slngeficht! 

0 , bätteft bu nicht !" — 

9hut toobl berat, ich fafl’ *u4 : mein ßenj l)at geblftbt! 

$et ©ein bat gefchäumet! Za« §er$ b«t geglüht! 

@o bube ich hoch! ©o höbe ich boch! 

3)eb freut ficb bie Seele unb jubelt noch: 

©o bube ich boch! 

SBäbrenb be« lebten ©tabium« feiner ftranlbeit lam noch 
eine nmnberbare Harmonie unb Sftuhe über ihn. ©r fchrieb ba 
noch ba« frifche 2ieb: „©egen Stegen!" 

©ech« Zage unb fecb« Mächte burch, 

Unb ba« obn’ all Sefcbtuerbe, 

Zrinlt nun bie alte ©ünberin, 

Za« ftneipgenie: bie (Srbe! 

Zo4 toa« fie trinft! — ber Zeufel bol’«! 

3 b« ma^t’« oielleicbt junt ^raffet! 

©ie trinft unb trinfet fonber Staft 
ßautuarme« SRegenwaffet! 

Za bol’ ich echten UMtmfier! 

Za« ift ein anbre« Xtinlen! 
grau SJhitter ©rbe! fteb ba« dtolb 
3m Haren ©lafe blinlen! 

34 tTinf bir ju unb ruf bir ju: 

Profit! ju taufenb Skalen! 

9tun aber tbu’ mir au4 ©ef4eib! 

Zo4 tbu’« in ©onnenftrablen! 

Za« le^te feiner ©ebichte, ba« in ber Sorahnung ober 
metmebr in ber ©ewißbeit feiner nahen Äuftöfung entftanben 
ift, „Zer Zob al« greier" unb lautet: 

34 mei&, bab offen 
Za« Xbor im ©arten, 

Zo4 lann i4 nimmer 
©teben unb »arten; 

Hu4 famt er lommett 
9luf rieten ©egen, 

Za lann i4 nimmer 
3 bm geb’n entgegen. 

Statur, bie SJtntter, 

SDie man4en freier 
®tir Uebenb fanbte 
Sur grübltng«feter; 

Zte ftet« mi4 führte, 

Um gut ftu wählen, 

©4i<ft nun bcn lebten, 

9Jti4 ju öermäblen! — 

©o blieb, o SRuttet, 

SRein ßieboerlangett ? 

Stabt er, fo faftt mi4 
©in böfe« Sangen! 

Stabt er, fo wirb mir 
©eltfam ju SRutbe! — 

Stille! — Sie SJtutter 
©4idt nur ba« ©ute. 


Stuhig unb frieblich Wie biefe« lefcte fflort war fein 
loh. 8u4 bie Ungläubigften unter un«, bie feinen ©arg um* 
ftanben, glaubten an ba« „8uferflehen", ba« über bem offenen 
©rabe erflang, glaubten baran, wenn auch ui$t ganj in bem 
©inne, wie e« ber $err $aftor gemeint Zie gteunbe 

be« eblen Zidjter« wußten, baß feine einfachen unb anfarad)«* 
lofen ©efänge 2eben«traft unb ©tärfe genug beftfcen würben, 
um fich über fürs ober lang oernehmbar ju machen unb bem 
Zobten bie allgemeine Änerfennung ju erwarten, bie bem 2ebenben 
oerfagt geblieben ift. Ziefer 9ugenbticf ift, wie ich meine, jefet 
getommen. 

paul Sittbau. 


Der erlaube an flKtßmrfdjetmtngen in (tnftrtt 3tit. 

Sitte ©dctlberung unb Betrachtung 
non 

Jürgen Bona iTttyer. 

Oortfr&ung unb 6(bIuS.) 

SKan fieht, bafj jur Seit bie bisset genannten Sauber oor= 
jugämeife gu biefem ©eifteroerfehr audertefen ju fein fdjeitten. 
3 nbeffen fannte man fdjon t»or einigen brei|ig Sauren ben 
©eiftergtauben in Jrantreicb auch- <£a1fagnet'$ „Lumiöre des 
morte“ mar ein in manchen Greifen gern getefene« Such- S3ou 
beroorragenben Seuten fdjtoffen fid) iß. Serouj unb 58. $ugo 
bem ©^iritiSmuä an. Später ttjeilten ficb bie franjöftfe^en Spirit 
tuatiften in jmei Parteien, beren eine 9tibai(, genannt 8tttan= 
ßarbec, beren anbete ißierart, Herausgeber ber „Revue spiri- 
tualiste“ führte. 9t(ä ftarbec 1869 ftarb, hielt ihm ber be: 
fannte (Jamille Slammarion, berühmt a(3 Slftronom, bie 
©rabrebe. „3ahlreiche Schüler" — fo berichtet $ertp in feinem 
Such „®ie mpftifchen ©rfdjeinungen ber menfehiiehen Statur" — 
„befuchten bie im SifcungSfaal au^geftetlte Seiche, aber fie hotten 
fdjon einen ®roft bon jenfeit# be« ©rabe«: ber ©eift 8Han* 
fiarbec« mar gefommen ihnen ju fagen, mie feine erften ©e» 
ängftigungen unb erften ©inbrüde maren unb melche früher 
Hinübergegangenen feiner Seele ju ihrer ©efreiung oon ber 
SOtaterie beiftanben." Äarbec« „Livre des esprits“ hat 18 2luf= 
tagen erlebt. — Seitbem aber fcheint in Stanfreich ba« Qntereffe 
für ben Spiriti«mu« etma« nachgelaffen )u hoben, feine 3our= 
nale gingen ein, julefet auch ißierart« „Revue spiritualiste“, 
an beren Stelle 1870 eine 3«tfchrift: „Le concile de la libre 
pensbe“ treten foüte. ®S ift bejeidjnenb für ben franjoftfcheit 
SpiritiSmu«, baff er al« eine Hrt thatfädjlidjer ©rrettung au« 
ben ©anben be« ben ©eift unb bie Unfterblidjteit ber Seele 
leugnenben SKaterialidmu« auftrat. $er ^rieg unb feine poli- 
tifchen folgen hoben feitbem onbere Sntereffen fo fehr in ben 
©orbergrunb be« nationolen Seben« gefteüt, ba| bie Steigung 
jum SpiritiSmu« barüber jurüefgebrängt ju fein fcheint. lieber: 
bie« hot ba« ©laubenSbebürfnijj be« ©otfe« anbere gemohntere 
©eleife gefunben, um feine Seele unb ba« emige Seben ju retten. 

Stach ben Ißflphifdjen Stubien foU ®h' erä bie Sötufie, 
bie ihm bie ißolitif je^t läfet, baju oermenben, in einem jmei= 
bänbigen Säerfe, „L’homme et la nature“, feine phitofophifihen 
9lnfichten über ben SpiritiSmu« barjulegen. Seine Spiritiften 
fcheint Sranfreidj je^t bem nahen ©etgien übertaffen ju motten. 
SSenigften« hot fich unlängft in ©rüffet ein ©ecanonicuS SJtautj 
oon ©orbeauj unter bem Staaten Dr. ©onrab niebergetaffen, um 
at« magnetifcher 8trjt fpiritiftifch ju heilen. Stuf bem im Sep: 
tember 1875 ju ©rüffet gehaltenen Spiritiftencongrefj foü biefer 
©jeanonieu« bie rnertmürbigfte Siebe gehalten hoben. Der tßrä= 
fibent be« ©ongxeffe« bejeichnete at« ben 3med be« SpiritiSmu«, 
bie ©täubigen um ein ©anner ju fchaaren, um ben mit ein: 
anber oerbunbenen Ultramontanen unb SDtateriatiften mit ©r: 
folg entgegentreten $u föttnen. Ob bort für biefen 3®ed f<h on 
mit ©rfotg gearbeitet ift, oermag ich «ic£)t gu fagen. 


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A 


J 



284 


Nri 18. 


9te ©egenwart. 


Sn (Deutfcßlanb t)at bec Spiritismus bis jeßt nur Dafen 
in ber SBüfte beS fonftigen wiffenfcßaftlicßen Unglaubens aufju* 
weifen, mit Ausnahme bon Deftreicß, wo er in ben ßößeren 
Streifen SBienS fich Anhang erworben ßat. (Sine grau Gräfin 
©aß geb. SBurmbranb bat fieß bureß ein ©ucß als warme Sers 
treterin gejeigt. — ©or etwa jwanjig gaßren gab eS auch in ber 
Stabt bet gntettigenj, in ©erlitt, eine fpiritiftifcße ©efettfeßaft, 
beren Hauptträger ein injwifcßen ju ben ©elftem gegangener 
(Renbant Hornung war, ber in ben Sauren 1857 unb 1858 
jwei bide mir leibet befannte ©ücßer ßerauSgab, eins betitelt 
„(Reue ©eßeimniffe beS (DageS. $urcß ©eifteS * SRagnetiSmuS 
»ermittelte ®eifter=äRanifeftationen aus bem uneutßüttten 3enfeitS" 
unb ein anbereS, „Seuefte Srfaßrungen aus bem ©eijterleben. 
(Dßatfäcßlicßer ©eweiS eines 3ufammenßangeS beS bieSfeitigen 
mit bem jenfeitigen Seben, jur ©erftänbigung für bentenbe, bor* 
urtßeitsfreie Sefer". Seiber fcßeint ber fetige Hornung als 
abgegebener ©eijt ni<bt mehr fo regfam geblieben ju fein, wie 
er jur 3 £ it feines irbifcben (DafeinS war, fein ©eift ßat int 
SenfeitS bie ftitle ©etneinbc feiuer jurtidgebliebeneit fpiritiftif<ben 
Anhänger wie eS fcßeint int Stiebe getaffen. SBenigftenS ift mir 
ni<btS bon Weiteren Sntßüttungen $ornungS aus bem genfeitS 
befamtt geworben. geßt fcßeint ber Spiritismus in ©erlin bor 
auberem Sdjwinbet ober ben realen gntereffen ber irbifeßen 
©egenwart juriidgetreten ju fein, ©anj neuerbingS aber bot 
fieß in ©otsbam unter bem auSgebienten Sattetmeifter $oguet 
eine Heine ©emeinbe Spiritiften ju bilben attgefangen, in welcher 
fcltfam genug bie ©eifter mitunter pm lattje aufforbern. 

©inen begeifterten Apoftel ßat ber Spiritismus jüngfier 
3eit in ber jroeiten Sntettigenjftabt beS beutfeben SReidjeS, in 
ber gefeierten UniberfitätSftabt Seipjig, gefunben in bem 
Dr. SBittig, bem Sßrcnmitglieb ber cnglifcben ©efettfeßaft beS 
Spiritismus unb bem eifrigen Ueberfeßer-ettglifcßer fpiritiftifeber 
Schriften. Stuf feinen ©etrieb Ijat ficb aucß in Seipjig ein 
Spiritiftenberein gegriinbet, ber regelmäßige ©ereinSabenbe hält, 
aber im Igaßre 1875 boeb erft aus 25 eigentlichen SRitgliebern 
beftanb, bie für ben Spiritismus 2 (Dßaler 3aßreSbeitrag übrig 
hatten. 3u ben Sifcungen würben auch Sicßtmitglieber juge* 
laffen unb ift eS ßöchft waßrfcßeinlicß, baß auS ben ßittgefom* 
menen Neugierigen injwifcßen neue SRitglieber geworben finb. 
(Docß Hagt Herr SBittig in einem Appell an Att*(DeutfcßlanbS 
Spiritualiften im SRärjßeft ber „©fpcßiftßett Stitbien" bori* 
gen gaßreS über 9Rangel an (Dßcilnaßme unb brobt mit bem 
Aufßöten feiner ©ublicat tonen, wenn ihm nicht halb reiche 
©önner folcße Summen pr ©erfiigung {teilten, wie reiche greunbe 
ber Sache bem Herausgeber beS „Spiritualist“ in Sonbon gaben, 
nämlich 5000 Xbaler. gmmerßin läßt ficb alfo noch fagen, 
baß bie 3«t beS Spiritismus in (Deutfcßlanb noch nicht gelommen 
ift. Sitte ernftere tbeoretifebe ©eaeßtung ßaben bemfelben nur 
g. H- Sichte in feiner ©fpcßologie, (Eß. 1, 1864, unb in feiner 
Anthropologie, 3. Stuft., 1876, unb ©ertß gefchentt in bem 
feßon genannten Suche, p bem foeben ein Supptemeutbanb 
erfeßeint, „(Der Spiritualismus unb oerWanbte Srfcheinungen ber 
©ergangenbeit unb ©egenwart". 

(Der Spiritualismus hat auch bereits ben ©erfueb jur ©e= 
winnung einer wiffenfcßaftlicßen Xßeorie ber Srfcheinungen ge» 
macht. (Dreierlei Auffaffungen ringen noch mit einanber um ben 
Sieg. Naeß einer Auffaffuttg, welche befonberS bon Dr. Sar* 
penter bertreten ift, wirb angenommen, bas menfcßlicße ©eßttn 
befonberS fenfitiber Naturen befiße eine gewiffe ®raft fenfttiber 
AuSftraßlung über ben eigenen Scßäbel hinaus, eine Art Hinaus* 
toirfen in bie gerne, Welche bann als ©eifterfeßeinung bon fen* 
fitiben Augen aufgf'aßt werbe. SS ift bieS bie SerebrationStßeorie 
mit ihrem tecßnifu,en AuSbrud. Naeß einer jweiten Stuffaffung 
fofl eine jeitweife Abtrennung ber Seelen ßebenber bon ißrent 
Seibe möglich fein unb biefe abgetrennten Seelen foHen bann als 
©eifter fießtbar werben. (Die britte Nicßtung bon Spiritualiften 
nimmt an, baß bie Seelen Abgeftorbener jeitweife Wieber leib* 
ließe ©eftalt anneßmen unb in biefer ©eftalt fießtbar auf Srben 
erfeßeinen tönuen. (Die erfeßeinenben ©eifter gelten alfo als 
(Naterinlifationen abgefeßiebener Seelen, ©on biefen brei Stieß* 


tungen ßätt ficb offenbar bie erfte mit ißrer SerebrationStbeorie 
am näcßften auf bem ©oben einer pßhfifcßen Srflärung ber 
SBunberbericßte. Sben beSßatb wirb fie bon ben ©ertretem ber 
beiben anberen Nicßtungen ßart befämpft. 5)iefe beiben anberen 
Sicßtungen legen befonberS ©ewießt barauf, baß naeß ißrer Auf* 
faffung bureß bie Zßatfaeßen baS (Dafein felbftftänbiger geiftiger 
Snbftanjen neben ber ftörperwett als feftgefteOt gelten tann. Sie 
betrachten fteß infofern als gemeinfame ©egner beS SRaterialiS* 
muS, ber ben ©eift nur als eine gunction beS Körpers tennen 
witt. A6er unter fteß finb aueß bie Sertreter biefer beiben 
(Richtungen wieber ßartnädige ©egner. (Die fogenannten ©fpcßifer 
ftören nießt bie ewige Süße ber abgefeßiebenen Seelen auf unb 
iaffen Alles bureß bie Abtrennung ber noeß lebenben Seelen 
bewirten. (Die ©ertreter ber testen Sticßtung legen aber gerabe 
barauf befonberS ©ewießt, anpneßmen, baß bie ffielt abge* 
feßiebener ©eifter in unfere Srbenwett ßineinragt. Sie ßnben 
baritt ben troftbotten ©eweiS für ben ©lauben an Unfterblicßteit. 
Sie behaupten, baß feine ber beiben anberen (Dßeorien im Stanbe 
ift ju erflären, wie bie erfeßeinenben ©eifter als wirfließe Körper 
fießtbar unb greifbar finb. (Das bermöge nur ißte Üßeorie ber 
jeitweifen SRaterialifation ber Seelen ju erflären. Sie Wollen 
baßer jteß allein als bie reeßten Spiritualiften betrachten. 

(DaS ©erießtete gibt ungefäßr ben gegenwärtigen (Dßatbe* 
ftanb biefeS wunberbaren ©laubenS unferer 3«it. 3BaS fotten 
wir nun über benfeiben benfen? 

2Ran erwarte nießt bon mir eine betaittirte ©rüfung ber 
uielen crjäßlten (Dßatfacßen. Sine folcße ©rüfung ber borlie* 
genben ©erießte wäre ganj unmöglich, waßrßaft prüfen ließen 
fieß nur bie Sinjelfätte felbft, wenn man fie miterlebte. 3<ß muß 
mieß begnügen, an ber H“nb ber ©erießte an einigen ßerauS* 
geriffenen Houptfacßen barptegen, warum wir anneßmen fönneit, 
baß bie ©riifung felbft ben ©ebingungen ftrenger SBiffenfcßaft* 
ließfeit nießt genügte unb baß feßon beSßatb bie angeblichen 
2 [jatfachen nicßtS beweifen fönnen. 

(Die Spiritualiften feßetten eifrig auf bie 3unft ber ©e* 
leßrten, welcße ißre ßeitige Sacße ßößnen, aber nießt unterfueßen. 
Sie ßaben ficH fogar feßon pm SRitleib berftiegen nüt biefeu 
armen Sterblichen, Welcße ben Offenbarungen beS genfeitS ßoeß* 
mütßig ben Süden feßren. Sie preifen bie einjelnen Aus* 
naßmen ber oerbtenbeten ©eleßrtenpnft glüdlicß, welcße bou 
ber anmaßenben 2BiffenSblenbung fieß frei gemaeßt ßaben. 3u 
SBaßrßeit ift p biefem Seßetten wenig ©runb borßanben. Scßon 
oft ßaben einjelne ©eleßrte unb geleßrte Sommifßonen äßnlicße 
SBunberbinge geprüft unb ißre Sicßtigfeit erfannt. Aucß biefeu 
neuen SBunberbericßten ßaben angefeßene Saturforfcßer wie 
garabaß unb (Dßnball einige ©eaeßtung gefeßenft, ßaben aucß 
auf eine genauere ©rüfung berfelben ßcß einlaffen wollen, aber 
uatürtieß nur unter ben bon ißnen felbft p ftettenben ©rüfungS* 
bebingungeu. 3feboeß baS Stetten folcßer ©ebingungen empört 
bie ©eifter, beSßatb tonnten ißre Sefcßwörer ßcß auf biefelbeit 
nießt einlaffen. (Die ©eifter werben bureß bie ©egenwart attp 
ftarfer 3weifler berfeßeueßt, bie Äraft ber fie ßerbeilodenben 
URebien gebroeßen. SRan muß wenigftenS ben guten SBitten 
mitbringen, fieß bon ber SBaßrßeit ber ©cifterwett überzeugen 
ju laffen. 3Ber mit bem böfem Söitten fommt, ben (Drug auf* 
jubeden, befommt nießt leicßt etwas ju feßen unb ju ßören. — 
(DaS erinnert an bie attbefannte ©taubenStßeorie, naeß weteßer ber 
©laubenSwitte ber ©laubenSeinficßt botangeßen fott. 3Ber glauben 
will, muß feinen jweifelnben Serftanb einftweiten ju Hanfe laffen. 
— ®iefer ©orfeßrift fönnen woßt nur (Diejenigen genügen, bie 
nur geringen ©erftanb erßalten ßaben. ©lern aber ber liebe 
©ott einen Haren ©erftanb gab, ber tann biefe ßerrlicße ©ottes* 
gäbe nießt bem blinben ©Bitten ju Siebe einfach falt {teilen, ber 
muß fie unbebingt gebrauchen unb barauf reeßnen, baß gerabe 
fie baS reeßte Organ jur Srtenntniß ber SBaßrßeit iß. So 
lange bie Spiritiften eine gewiffe ©erleugnung beS freien ©et* 
nunftgebraueßs unb ein Abfeßen bon ben ftrengften ©ebingungen 
wiffenfeßafttießer gorfeßung forbern, fönnen fie nie barauf reeßnen, 
auf bem offenen gorum ber SBiffenfcßaft ißre SBunberwelt als 
SBaßrßeit anerfannt ju feßen. So lange finb ißre ©egner be* 


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Nr. 18. 


Sie ©egruuinrt. 


285 


rechtigt, auf ©runb fdjon früherer Prüfungen ä^ulid^er Dinge, 
auch bei biefen neuen SBunberberichten fettfame Däufdjungen ju 
»ermuthen. 3e wuitberbarer bie Ifjatfadjen feinen, um fo 
uothwenbiger ift bie forgfältigfte oom ftärfften 3weifel einge« 
gebeue Prüfung unb geftfteßung bec S^atfa^en. 

Die ©piritiften lieben gern tyerttor, bah fdjon recht biete 
ungläubige Zweifler burch bie SEBahroehmung ber Ifjatfat^en 
belehrt feien, bah aber, fo weit befannt, noch lein ©piritift 
bon bem gewonnenen ©tauben wieber abgefallen fei. SBaS baS 
teuere betrifft, fo läfjt fich bocfj junächft nur fagen, baff ben 
Äbfaß bom Spiritismus nodj Siiemanb öffentlich befannt Ijat. 
Dies Phänomen läßt ancfj eine anbere ©rilärung ju als bie 
fpiritiftifdje. 833er einen grofjen grrthum eingefehen Ijot, Pflegt 
feine ertannte unb abgetane X^orheit nicht gern bor aller 
SBelt Äugen an ben ©tanger ju ftellen, er fchweigt lieber bon 
bem, was war. Unb was bie mancherlei ©efdjichten ber Be« 
leljrung früherer 3toeifler jum Spiritismus betrifft, fo muh ich 
geftehen, baß alle mir befannt geworbenen berartigen ©efdjidjten 
auf mich ben Kinbrud gemacht haben, als fei eben hier bodj 
ju biel bon bem twrauSgefefcten guten ©taubenSwißen borhanben 
gewefen. graft immer wirb nur gehört unb gefehen, aber nicht 
wahrhaft geprüft. 

Unb eben baS ift auch ber Kljaratter beS ganzen Seridjte8 
ber ©rüfungScommiffton ber biatettifchen ©efeßfcfjaft. Die 
KomitbS taffen ftd) mit Ijödjftem ®ifer münblich unb fchriftlich 
berichten, aber fie felbft prüfen ungemein Wenig, prüfen oft nicht 
einmal bie 3uberläffigfeit ihrer 3eugen. 3« bem ganjen Buche 
beS StaturforfcherS SBallace ift faft gar nicht bon eigenen Be« 
obachtungen bie Siebe. Die angeblichen Xhatfachen finb auf 
©eridjt unb ©örenfagen angenommen. Das ift nidjt bie. rechte 
Ärt, fo wunberbare Dinge ber jweifetnben SJiitwelt glaubhaft 
ju machen', baS bient nur, fie in bem ©tauben an baS Siecht 
ihres 3*beifelS ju beftärfen. 

3nbeffen wir wollen, um biefen 3weifel ju rechtfertigen, 
ben Xhatfachen felbft noch einmal etwas näher treten. 

Das ©eifterhaftefte ber Krjäljlungen betrifft unjweifelhaft baS 
©eben ber erregten ©eifter in bie gerne unb in bie 3ufunft. Solche 
Krjäfßungen finb befanntlich nicht neu. Schon im oorigen 3“h r5 
hunbert wollte ©webenborg einen folgen weitfichtigen ©eher« 
geift beftfeen. Durch baS ©erebe über ihn warb bamalS Kant 
oeranlafit, feine geiftreiche Heine ©chrift: „Dräume eines ©eifter; 
feherS, erläutert burch Dräume bet SJletaphhfil" ju fchteiben. 
$ö<hft unbefangen gibt Kant ju, bah wir biel jir wenig oon 
ber Statur beS ©eifteS wiffen, um mit Beftimmtheit fagen ju 
fönnen, ob nicht bie ©eifterwelt bon einem ähnlichen ©anb 
wechfelfeitiger Änjieljung berbunben fein fönne, Wie bie 8S3elt 
ber ©ejtime burch bie anjiehenbe 833eltfraft. Kt befennt, bah 
an fich ihnt bie leptere feineSwegS begreiflicher fei, als bie 
bielleicht ebenfo thatfächtich borhanbene Änjiehung unb gern; 
wirfung ber ©eifter. Äber bebor wir biefen ©lauben annehnten, 
will Kant bor Äßem fichere geftfteßung ber Dtjatfacljen unb 
eben biefe bermiht er. — 

Stoch heute flehen wir ben ©eiftergefdjichten nicht anberS 
gegenüber. 8E3er wollte nicht gern belemten, bah eS an fich &e« 
trachtet nicht unbegreiflicher wäre, wenn unfere Seele im ©tanbe 
fein möchte, über bie gewöhnliche Staunt« unb 3eitanfdjauung 
erhaben, ferne unb jutünftige Dinge ju fpüren unb ju ahnen, 
als eS unbegreiflich ift, Wie unfere Seele eS anfängt, fo ©ieteS 
im ©ebächtnih ju behalten, ültan^eS jeitweife ju bergeffen unb 
fich bodj beSfelben wieber ju erinnern. Die grage geht nur bahin, 
ob wir in ben Dtjatfachen eben fo fieberen ^Inhalt haben, baS gern« 
wiffen anjunehmen, als baS unleugbar borhanbene ©ebächtnih- 

Unb eben ber ©runb ju folget ©leidjfteüung ift immer 
noch P beftreiten. 

Stehmen wir eine ber beftbeglaubigtften berartigen ©efchichten 
aus bem ©u<he beS StaturforfcherS SBallace: 

3n ber Stacht jroifdfjen bem 14. unb 15. Stobember 1857 
träumte bie ©attin beS Kapitäns SSBheatcroft, welche in Kam« 
btibge wohnte, bah fie ihren (jur 3eit in 3ubien befinblichen) 
©emaht erbliche. @ie erwachte fofort unb, als fie aufblicfte, 


fah fie biefelbe ©eftalt neben ihrem ©ette ftehen. Kr erschien 
in feiner Uniform, bie $änbe gegen feine ©ruft geprefjt, mit 
berworrenem $aar unb ganj bleichem Änttih- Die ©eftalt blieb 
etwa eine bolle SJtinute fichtbar unb berfchwanb alsbamt. Die 
grau fchlief nicht wieber ein in jener Stacht. Äm nächften 
SJtorgen erjählte fie ÄßeS ihrer SJtutter unb fprach ihren ©lauben 
aus, bah Kapitain SSBheatcroft entweber getöbtet ober berwunbet 
fein müffe. 3m ©erlauf ber 3«it traf ein Zelegramm ein, 
welches melbete, bah ber Kapitän bor ßudnom am 15. Stöbern« 
ber 1857 getöbtet würbe. Stach eingegangenem Bericht be« 
fdjeinigte baS KriegSminifterium biefeS DobeSbatum. Die SBittwc 
blieb bagegen überjeugt, bah ih r ©atte am 14. Stobember ge« 
faßen fein müffe. Kin SJtebium betätigte bieS unb im December 
laut ein ©eridjt bon einem greunbe, ber berichtete, bah öor 
feinen Äugen Kapitän SBljeatcroft am 14. Stobember gefaßeti 
fei. Das KriegSminifterium felbft berichtigte in einem neuen 
Dobtenfdjein feinen früheren 3rrtijum. 

Diefe ©efdjidjte Hingt ja unjweifelhaft äufjerft glaubwürbig. 
Äber boch entfpridjt ihre bloße Änführung ben wiffenfchaftlichen 
gorberungen tßatfädßtid>er geftfteßung feineSwegS. SJtr. SBallace 
würbe als Staturforfdher gewifj auf feinem ©ebiete fo leicht nicht 
eine in einem Suche angeführte Wunberbare Dhatfache annehmen. Kr 
entnahm biefe ©ef<hi<hte einem fremben ©piritiftenbudje bon Stieß. 
Dwen, unb nimmt ungeprüft ihre SBaljrheit an. ©ewih, fie lonnte 
Wahr fein, aber afö gorfdjer hätte et, bebor er bieS annahm, 
Krlunbigungen über bie Dhatfä^lidhteit ber Krjählung auf bem 
KriegSminifterium anfteßen, hätte baS ©rabfreuj mit ber Datums« 
infdjrift in Sudnom juberläffig nnterfudhen taffen unb cnblicß 
über bie 3ubertäffig!eit bet ÄuSfagen bon SJtr. SBljeatcroft 
fichere Krlunbigungen einjiehen müffen. ©efonberS wäre ju 
erfunben gewefen, ob bießeidjt bie grau burch frühere ©riefe 
ihres ©atten auf einen Kampf in ber beftimmten Seit oorbe« 
reitet war. DaS ÄßeS hat bet ejactc Staturforfdher untertaffen. 

SBie in biefera einen gafl, fo fteßt eS mit bet ©rüfung 
folcher jweifelhafter Seelenjuftänbe überhaupt, ©ine wiffenfdfjaftlieh 
genügenbe geftfteßung ber ißatfacßeit gibt eS bislang nicht. 

8 Bir Woßen aber einmal felbft annehmen, biefer gaß unb 
einige ähnliche gäfle bon geifterhaftem gernwiffen wären wirllidj 
boßftänbig gut beglaubigt worben; was mürbe baS bcweifenV 

ßorb ©acon bemertt einmal feßc richtig, wie wenig bie in 
ben Dempeln aufgehängten Danlfpenben für ©ebetSerhörungeu 
beweifen lönnen, bah fromme ©ebete wirtlich ©eljör bei beu 
©öttem finben. Danlfpenben werben nur aufgehängt, Wenn baS 
©ewünfdjte, Krbetene eingetroffen ift. gür bie bielen nicht er« 
hörten ©ebete hängt man aber leine 3eidjen in bie Zentpel. 

SBiffenfchafttich beweifen lönnten nur biele ffleifpiele, welche 
in unferm gaße eS ermöglichten, abjujdhäfeen, wie oft ein folcheS 
gernwiffen baS Stetige traf, wie oft es irrte, ©o lange eine 
folche Unterfudfjung nießt geführt ift, bleiben bie einjelnen ©ei« 
fpiele nichts als ©eifpiele eines jufäßigen oftmals pfßdßologifcß 
erllärbaren 3ufammentreffenS. 

©iS auf SBeitereS fagen wir gewift nicht ju biel, wenn 
wir behaupten, bie grage nach bem gernwiffen unb gemwirlen 
ber Seele ift leinenfaßs fprudjreif unb bie unlritifcße Ärt ber 
©erichterftattung über biefe SBunber gibt unS baS boße Siecht 
jum wiffenfchaftlichen 3n>eifel. 

©anj anberS aber müffen wir ben übrigen Berichten bon 
bem, was bie ©eifter thun unb fagen, gegenüber treten. SBir 
müffen unbebingt annehmen, bah bie Statur fich nicht miber« 
fpredjen lann, bah ÄßeS, was törperhaft in ber Körperwett 
erfcheint, auch ben ©efe^en ber Körperwett uptertiegen muh. 

8 Benn atfo ©eifter erffeinen, muh uenigftenS geifter« 
haft babei jugehen. ©eifter, bie als Körper materialifirt ju 
unS tommen, mit uns reben wie wir reben, ftch lauwarm unb 
weich anfühten, fogar ihre Demperatur meffen taffen, bie in 
Knglanb 3tehh arm onitaS unb in Deutfdjtanb bieHeidßt noch bie 
gtöte btafen, bie in Difdj unb ©tuhtbein fahren unb fdjwere 
Difdhe, auch Stühle unb SJienfchen fchwebenb in bie Suft führen — 
baS mit ©erlaub ju fagen — muh Unfinn fein. Solche ©eifter 
finb leine ©eifter, fonbem SJienfchen, bie trügen. 


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286 


lit 6*$tiM»arL 


Nr. 18. 


®8 ift Ijödift mertwürbig, p feben, Wa« bie ©laubigen 
tfjun, um biefen natürlichen Sweifei p erlebigett. Alle ihre 
©eweife brefynt ficb immer nur barum barpttyun, bafj bie SDtebien 
unb bie ©eifter nicht ent unb biefelbe ©erfon finb. Sn bem 
S»ede b“t man fogar in ber ©unleltammer bie entjücften 
HRebien an $änben unb «?üfjen gebunben auf bie (Erbe gelegt 
unb f)at bann p tödlich, wenn ein ©eift erfcbien, ba« ©un!e(= 
jimmer mit tünfttidj angebrachten Apparaten elettrifcb erteilt, 
um p jeigen, bafj ba« SRebium noch gebunben auf ber (Erbe 
lag. ©on einer genauen ©rüfung ber Suübauenben, ob ba«, 
wa« man bann in ber erteilten ©unleltammer liegen fab, 
wirtlich noch ba« gebunbene SRebium mar, ift nie bie SRebe. 
Unb märe auch bie« augenfdbeiniicb bemiefen, fo märe boeb 
mieberum nur Ilar gefteflt, bajj ba« SRebium unb ber ©eift nicht 
ein unb biefelbe ©erfon fei. SRun hätte man bem ©eifte p ßeibe 
gefeit mäffen. ®a« t^at einmal bei einer Sifeung in ßonbon 
ein bummbreifter ©eutfeber, er umarmte ben ©eift Äatie, ber 
ftcb feinen Armen entmanb unb bann toor weiterer ©rofanirung 
oon begeifterten Anhängern, bie ben ®eutfdjen prüd^ielten, 
gefcbüfct warb. ©er ©eift Äatie aber erfcbien halb barauf 
roieber an ber Zfy&t be« ©unteljimmer« unb gab nodj ©er: 
battung«ma|regeln pr ©erbütung ähnlichen Unheils. — 

©eifter, bie man umarmen fann unb bie Wieber fontmen, 
Wenn ihnen bie« Ungtfitf in ber irbifefjen SBelt paffirt ift, finb 
gemijj leine ©eifter. ©eifter, bie fo erfreuten, finb waf>rfd(ein: 
lieb leibhaftige SRenfcben. Unb anbere ©eiftererfdjeinungen be= 
ruhen Wabrfcbeinücb auf tünftlidj erjeugten ßicbtwitfungen, Wie 
fie un« ja au<b magiftbe ftünftler oorpgauleln oerfteben. ©ie 
©läubigen, bie mehr in ihnen feben, laffen fi<b bureb bie aRacfjt 
ihrer <Sinbitbung«fraft täufeben unb blenben.| 

©ie (Erfahrungen, bie in biefer ©ejieljung ©pnbaü in 
einer ©eifiergefellfebaft gemacht b at , unb bie mir felbft p $am= 
bürg in ben magnetifeben ©jungen be« ©aron ©upotet p machen 
Oergönnt waren, bube ich in bem (Eapitel über ben Aberglauben 
in meinem ©uebe pm ©ilbungSfampf unferer Seit einer ein« 
gebenben ©etraebtung unterjogen unb barf ich hier Wohl pr 
(Ergänpng barauf oermeifen. 

„©emgemäi — fo fcblojj bort meine ©etraebtung — 
muh e« Aberglaube fein, wenn geglaubt wirb, bie Seelen Ab: 
geriebener lömtten mit einem Abbitb ihre« im ©rabe rubenben 
ßeibe« noch fiebtbar in biefer SBelt erfebeinen unb ohne Sprach 1 
organe boeb reben wie fonft, ober fönnten gar in Stuhl« unb 
©ifdjbeine fahren unb ihre ©ebanlen budjftabirenb auStlopfen. 
Sichtbar ift nnr ba« Wirtlich körperhafte, erfebeinenbe ©eifter 
mäffen baber bo<b menigften«, gleich bem {Regenbogen ober anberen 
ßuftfpiegelungen, au« beftimmten ©erbältniffen törperlicber Su« 
ftänbe erUärbar fein, unb nur wirtliche ftörper lönnen tönenbe 
ßuftbemegungen erzeugen. Stoch niemal« aber ift bie ojectioe 
SSirtlicbleit folget ßuftpbantome erwiefen, fonbem immer nur 
feftgefteUt worben, bafj (Einzelne ober auch SRebrere glaubten 
©eifter p feben. 6« banbett ficb fomit nur um Xbatfacben ber 
menfcblidben ffiinbitbung« traft, ohne bafj bi«ber je etwa« biefer 
(EinbilbungStraft (Entfprecbenbe« in ber äufjeren ©rfdbeinungöwelt 
bat naebgewiefen werben tönnen." — 

SBie tommt e« aber nun, ba| gerabe in unferer Seit unb 
befonber« in ben genannten ßänbem biefer alte SBabngtaube an 
©eiftererfdbeinungen mit folcbem (Erfolg neu erftanben ift? ©a« 
war bie febon am Ahfang biefer ©etradjtung aufgeworfene ftrage, 
beren ©eantwortung pm Zfytii febon in ber Scbilberung ber 
(Entwicfelnng biefcd Aberglauben« lag. @« mag aber boeb nämlich 
fein, nun pm Sdjlu| biefer ©etraebtung bie (Eulturbebeutung 
biefer (Erfcbeinnng noch auSbrücttUb beroorpbeben. 

©er ©laube an ©eiftererfebeinmtgen bat offenbar ben fruebt* 
barften ©oben in benjenigen ßänbem gefunben, beren Xrabition 
ftreng wiffenfcbaftlicber Arbeit noch jung ift, unb be«balb noch 
leinen fo beberrfebenben ©influfe auf bie ©ott«bitbung auSöbt, 
wie bei und in ©eutfebltfnb. Stur ©nglanb, ba« biefe Xrabition 
bat unb boeb *wrt ©eiftent ftart beimgefutbt warb, macht in biefer 
$infi<bt eine Ausnahme. Unb gerabe hier finb e« achtbare äRänner 
ber SBiffenfcbaft, unb noch obenbtein ber SRaturwiffenfcbaft, Welche 


ftcb be« fonberbaren ©tauben« atutebmen. ©iefe ©batfache febeint 
ein ©ulturrätbfel p fein, aber lein unlösliche«. SRebr al« bei 
uu« in ©eutfcblanb ift in ©nglanb bie Wiffenfcbaftticbe 

AuSbilbung Sache be« ©rioatftubrum« unb bie ©flege ber SBiffen: 
febaft bemgemäfi auch toiet häufiger al« bei un« Sache ber fßrioat« 
neigung. ©er englifebe ©elebrte ift häufiger ein freiet ßiebbaber 
ber SBiffenfcbaft, ein ©itettant. ©ie« bat feine guten, aber auch 
feine nachteiligen Solgen. ©in folcber ©ilettant trägt nicht bie 
ben freien Umblicf beengenben ScbeuKappen wiffenfcbaftlicber 
©rabition, unb fiebt unb leiftet baber mitunter genial fReue«. 
Aber bafür fehlt e« ihm benn auch mitunter an metbobifeber 
Schulung, ift er leichter getäufebt unb fiebt Salfcbe«. So tommt 
e« im oortiegenben «falle, bah ber beutle ©elebrte auf ©runb 
ber erlernten wiffenfcbaftlicben ©rabition biefen pfpcbologifcb boeb 
immerhin bbcbft mertwürbigen ©laubendpftänben gar lerne ©e= 
aebtung fRenten will, unb ba| anbererfeit« englifebe ©elebrte 
ficb ohne metbobif^e Unterfucbung bem ©tauben an biefe ©r« 
febeinungen in bie Arme werfen. 

©oeb fpielt babei offenbar noch eine tiefere ©utturbemegung 
mit hinein, ©er naturwiffenfcbaftlicbe SRaterialidmu« tommt in 
©nglanb jefct pm erfien SRale in weiteren ftreifen mit bem 
ftrengen Sircbengtauben be« ©olle« in ©onflict. ©a finben bie 
©eifter nicht gleich bie rechte Ausgleichung, ©ie materialiftifebe 
©laubenSlofigteit befriebigt bie an’« ©tauben gewöhnten ©eifter 
nicht, unb ba« treibt felbft gtaubenSbebürftige üRaturforfcber an, 
einen neuen ©tauben au« bem SRaterialiSmu« felbft erfteben p 
laffen. ©ie gleiche ©rttärung gilt auch für ba« Auftommen 
biefe« ©eifterglauben« al« SRödfcbtag gegen ben IRibitiSmu« oon 
3 ungru§tanb. ©« jeigt ficb aifo wieberum in groben ©uttur: 
jiigen, ba| bie IRicbtbefriebigung be« unabweisbaren ©tauben«: 
bebürfniffe« ber menfcbticben ©eraunft pm Aberglauben führt. 
SRur befonnene ©ernunft unb SBiffenSforfcbung tann ein ©olt 
oor biefem Unheil bewahren. 


jUtd her ^attpiflabt. 

Dromatifihe Aufführungen. 

„lütmettfee." 

Xrauerf^iel üon §. fiaubc. 

5 )em erfolgreichen ©aftfpiel be« $errn Emmerich Robert oer= 
banft ba« ber ^au^tflabt bie ©damttfehaft mit jwei 

bramatifchen Sfceuigleiten: Martin Oreif« „^ero'' unb fiaube« 
„©truenfee^. SBöh^^b ba« Xrauerfpiel be« hodjbegalten ß^rifer« nur 
einen Slchtungfterfotg erringen fonnte (ben bie iage«breffe für ben bere<h= 
tigten ertlärt), burfte fich „©truenfee^ einer fe^r f^m^athifchen Aufnahme 
rühmen, bie freilich «um nicht geringen Xheil ber bortrefflichen $ar> 
fteüung ber Xitelroüe burch §errn Robert ju bauten ift. ^ro|bem 
ßaube« „©truenfee" in ben breiig fahren, bie feit feinem erften ( 5 rs 
fcheiiten berfloffen finb, über bie größte ßaht ber beutfehen Sühnen 
gegangen ift unb feinen $la( in ber fiiteraturgefchichte gefunben h 11 ^ 
waren ihm bie Serliner Xtpatex bi« heut fo gut »ie berfchloffen geblieben, 
fo baf} ba« SBert bei feiner jüngften tlufführung im 9 tefiben$; fetter 
einem 3ntereffe begegnete, »ie c« in ber ^aubtftabt fonft nur bur<h «tte 
echtere „premi^re“ erregt »irb. SRittelft ber urafaffenben unb ftiliftifch 
fehr gelungenen Sorrebe, bie Saube ber Suchau«gabe be« „Struenfee^ 
borau«gefchic(t hut, ift e« leicht, ben @rünben nach§ugehen, »eiche ber 
bewährten Hrbcit eine« bewährten Sramatifer« bie Sühnen Serfin«, 
ober in erfter 9 teihe bie ^ofbühne, feiner Seit hatten berfchlteften föntten. 
3 )er Orunb ober, wie Saube ihn nenut, ,,ba« SBiberfbiel", »ar in leinem 
Geringeren ju fuchen, al« in SReberbeer, bem (Eomponiften, beffen ocr^ 
ftorbener ©ruber Michael ©eer et»a ^wan^ig 3 «h rc ö*>r Saube ben 
©truenfee*(Stoff behanbelt hotte, ohne bafc e« bem älteren ©erte bi« 
bahin gelungen war, gugang ju ben kühnen gu finben. Saube, „oon 
ber naioen Meinung burchbrungen, bie« mödhte gerabe feine« ©ruber« ^ 
»egen eine gewiffe Sh^Inahme bei ihm er»e<fen", theilte SÄebcrbeer 


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Nr. 18 . 


tftgtttnrart 


287 


mit, baß ißn bcr Struenfee * Stoff bis gur Abfaßung eines fünfactigen 
TrarnaS intereßirt habe. „Ter gute Stil unter beutfeßen $oeten beftönb 
toenigftenS bisher noch immer barin, baß man im Beicße ber poetifd^ert 
©aßl unb ©rßnbung bie 3bee einer alltäglichen ftaufmannS=©oncurreng 
nic^t fannte, unb baß ftdh Seute um fo näher rücften in freunbfcßaftlicßer 
©eßnnung, welche einen gleichen «Stoff in $aupt unb $erg getragen." 
Ter ©omponiß bachte anberS. 3« bem Strnenfee=Stoße eine Art 
gamilien = SAajorat erblicfenb, mürbe er bureß SaubeS SAittßeilung 
bis gur Spracßlofigfeit beftür^t unb aus beßen 8 i mmer getrieben, 
fo baß Saube bie Bßrofc lourn beenbigen fomtte, welchen Beig 
eS gewähren müffe, bie beiben Struenfee = Tranten einmal auf ben 
Bühnen gu oergleichen. — Bon nun an lieg SAeperbecr alle 9Jtinen 
fpielen, baS neue Stücf oon ben kühnen fern zu halten, felbft üoit 
benjenigen, welche es bereits gur Aufführung angenommen hatten. 
Auf baS Becßt ber Anciemtität fich ftüpenb, erreichte er auch manchen 
©rfolg feiner Bemühungen, wenn auch nicht in TreSbeit unb 9Aün= 
eßen, welche bem Saube’fcßen Trarna bie günftigften «Stätten gewor* 
ben waren unb wo bie ©ieberaufnaßme beS Beerben TrauerfpielS 
mit .bem Befcheibe abgelehnt würbe, „baß .feine gorm jept Oeraltet 
erfeßeine unb folcß ein Aufmanb oon 8 *it bem oorauSfietlichen Erfolge 
nicht entfpreeße". SAeperbeer mußte nun fein ftauptaugenmerf auf Berlin 
richten, für beffen §ofbüßne baS neue ©erf angenommen worben war. 
#ier auf bem fieberen unb breiten Boben feiner Baterftabt, ftanb SAetjer* 
beer ber größte ©tnßuß git ©ebote, eine gute Aufführung auch no<ß 
bem neuen Stücfe gu bewertftettigen unb hiermit einen Act ber ^ßietät 
für feinen Bruber zu erfüllen. „$ier geigte eS fich benn aber grell 
genug, baß eS fich um ©oncurreng im alltäglicßßen Sinne beS ©orteS 
ßanble." 3« ©erlin War ber Stoff überhaupt nicht erlaubt. Tie Auf* 
führung beS oon ber 3«tenbanj angenommenen Saube’fcßen StücfeS 
würbe üoit ber StaatSbehörbc aus Büdfficßf für Tänemarf Oerboten, 
trophein eS fich öiel utehr als baS Beer’fchc oon allen grellen Ber* 
ßältnißen unb SAotiüen ber wirtlichen ©Jefcßicßfe entfernt gehalten. 
Aacß zweijährigen Bemühungen gelang eS Saube, baS bem Stücf ßinber* 
ließ gewefene Borurtßeil git befeitigen. ©ine ©abinetSorbre oerfügte 
bie Aufführung feines „Struenfee", beffen erfte Borftellung für ben Beginn 
ber Tßeaterfaifon feftgefept würbe. „©er hätte gebaeßt, baß fo rnülj* 
fame ©roberung oon einem Zünftler wie §err SAeperbeer mir gu nießte 
gemaeßt unb gu feinem 3wedfe auSgebeutet werben lönnte. Tie ©abinetS* 
orbre tag oor, bie ©aßl ber 3 »tenbanj lag oor, einem gewößnlicßen 
Boeten wäre ba gar lein ©eg gutn ©htjeßieießen erficßtlicß gewefen . . . 
Aber SAeperbeer fueßt unb ßnbet einen unb plößlicß erfeßeint ein 
SAinißerialbefeßl: Ta „Struenfee" bureß ©abinetSorbre erlaubt fei, fo 
fotte ber oon SAicßael Beer Oor bem oon Saube aufgeführt werben." 

Unb fo gefeßah eS auch. SuubeS „Struenfee" gelangte im 3aßte 
1848 auf bie Bretter beS $oftßeaterS, um fofort wieber zu Oerfcßwinben, 
Wäßrenb baS ältere ©erf, in erßer Sinie bureß bie ootgüglicße Seiftung 
^etibricßS’ in ber Titelrolle, bann bureß SAeperbeerS begleitenbe an 
feßönen ©ingelßeiten reiche SAufif, ein Bepertohreßücf ber ftofbüßne Würbe, 
oon ber eS erft im Anfang ber SecßSgigerjaßre mit JpenbricßS feinen 
Abfcßieb naßm. 

©S ift hier nießt ber Ort, bie Borgüge ber beiben Bearbeitungen 
beS Struenfee*StoßS gegen einanber abguwägen, ober beS Sängeren bei 
ber Scßäpung ber poetifeßen Bebeutung beS hier in Betracßt lommenben 
Saube’fcßen TrauerfpielS zu üerweilen. ©ie baS Beer’fcße ^at eS längft 
einen B^P iu ber Siteraturgefcßicßte gefunben, bie ißm alle Borgüge 
naeßrüßmt, welcße ben äußeren ©rfolg eines TrarnaS bem großen 
Bublicum gegenüber bebingen: eine glüefließe ©aßl beS Stoffs; rafcß 
unb energifcß fieß entwiefetnbe $anblung, bie einen großen Beitßtßum 
oon Situationen in fieß fcßließt; ftcßere Seicßnung ber ©ßaraltere; große 
Beßerrfcßung ber Büßnentecßni! unb eine fraftootte, bureßfießtifle, nießt 
feiten &u poetifeßem Scßwunge fieß erßebenbe Ter $eroorßebung 

biefer Bor^üge ift ber gewichtige Tabel entgegenjuftellen, baß ber ©on< 
pict, weteßer baS tragifeße ©nbe beS gelben ßerbeifiißrt, nur inbirect 
bureß ben Staatsmann Struenfee unb in erfter Sinie bureß ben Ber - 
liebten ßeroorgerufen wirb, ber bureß feine feßwärmerifeße Seibenfcßaft 
bort ßnnloS ßanbelt, wo er feiner Atacßt unb feinem Anfeßen naeß bie 
Sage beßerrfeßen müßte. Saube oerfueßt in ber erwähnten Borrebe biefen 
Tabel $u wiberlegen, nießt minber ben jweiten, baß fein „Struenfee" 
eine Sutriguentragöbie, unb baß enblicß bie SBaßrung ber brei arißote= 
lifcßen ©inßeiten, wenn aueß mit glän^enbem Büßnengefcßicf, aber oßne 


Aücfßcßt auf bie 90&aßrf(ßetntießfeit ber etn^efnen Situationen büreßgeffißrt 
fei unb nur fo habe bureßgefüßrt werben fönnen. TaS B^licum gab 
bem Tid^ter Aecßt, inbem eS feinem SSerle bte freunblicßfte unb eßren= 
ooUße Aufnahme bereitete, welcße bem um baS beutfdße Tßeater fo ßocß= 
Oerbienten SAanne aueß oon ©erjen §u gönnen ift. 

$err ©mmerieß Aobert oerlörperte in bebeutenber ©eife baS 
Bilb beS „feßwärmerifeßen Staatsmannes"; eS war eine einheitliche, aus 
bem Bollen gefeßöpfte unb oor Allem glaitbwürbige Seiftung, bie maß- 
oolle Berwenbung ebelfter lünftlerifcßer SAittel belunbenb. Tie fiebenten 
Scenen beS 5 weiten unb beS oierten ActeS waren eS befonberS, in benen 
ber Zünftler feine fcßönflen @)aben bot unb ben tauten Beifall beS bis 
auf ben lebten B^b gefüllten #aufeS entfeffelte. $err Aobert fanb in 
ben Tarftetfem ber (Gräfin ©atteii unb beS StaatSratßS ©lulbberg in 
grau Termine ©laar = Telia unb $erm Äepplfr, bie wirlfamße 
Unterftübung. 3^fcenirung unb AuSftattung beS StücfeS maeßten bem 
oerbienten Seiter beS AeßbenjtßeaterS alle ©ßre. 

Julius bfagen. 


SDie ^uB^ellattg ttt ber iTotional^alerte. 

AuSflellungcn wie biejenigen, welcße feit ber ©röffnung ber AationaU 
galerie beren Tirector, ©err Dr. 3o*ban, Oeranflaltete, gehörten früßer 
in Berlin ju ben feltenen ©rfeßeinungen. Bei ber unoerfennbaren Be= 
beutung betreiben aber für baS öffentliche fömftleben ber ^auptftabt muß 
man biefe neue ©ihrießtung immer wieber mit greube unb Tanl be¬ 
grüben. ©tr hatten im ?Aai unb 3»tm Oorigen 3ußre3 ©elegenßeit, 
uns ein Ooücs Bilb oon bem ©irfen beS trefflicßen SanbfcßaftSmalerS 
$einricß granj=Treber 511 oerfeßaffen, wir faßen bann im oergangenen 
©inter jaßtreieße ©erfe oon Aetßel, güßrtcß, Doerbecf unb ©unfel, unb 
ßnben in ber gegenwärtigen AuSftellimg ©ntwürfe, Stubien unb fertige 
Arbeiten oon ©enneberg, ©iTßelm Scßirmer unb ^arrer oereinigt. Ter 
Swecf folcßer 3ufammenftet(ungen laitn nur ber fein, bie Befucßer mit 
bem BilbungSgang, mit bem ganzen Streben itnb ©irfen ber betreffenbeit 
3Reißer befannt ju maeßen, ißnen fertige ^©erle oorjnfüßren, ße aber 
aueß gleichzeitig in bie ©erfftatt, wie biefelbett entftanben ßnb, ein^u* 
füßren. Tem aufmerffameren Beobachter unb bem üertrauteren ^unßs 
freunbe wirb bieS aueß bei ber gegenwärtigen Ausheilung teidßf werben, 
aber im 3utereffe beS BublicumS im Allgemeinen, baS gerabe in folcßen 
Ausheilungen bie befte Gelegenheit ßnbet, fieß ber fotnft meßr unb meßr 
Zu näßern, möcßte icß einen ©unfeß nießt unterbrüefen. ©S feßeint mir 
nämlicß oßne grage, baß bnreß eine cßronologifcße Anorbnung ber Ar* 
beiten eines ÄünfllerS jener 3® e ^ eigentlich erft wirlltcß erteießt werben 
lann, benn baS müßfamd Süfäntmenfucßen beS fäcßlicß unb geitlicß 3 U ' 
fammertgeßÖrigen, wenn ei an oerfeßiebenen Stellen in oerfdßiebenen 
Bäumen ber Aufteilung Oertßeilt iß, iß natürlich nießt 3ebermannS 
Sacße, unb nur Terjetiige, ber gewßßnt iß, bie Tinge gefcßicßtlicß gu 
betrachten, wirb ßeß ßiergu oon feibß oeranlaßt ßnben. Oßne ©ewittnung 
eines gefcßicßtlicßen StanbpunfteS aber wirb baS Berßältntß beS ©ingelnen 
Zur ftttnß immer bilettantifcß, minbeßenS aber zufällig fetn. 8 ® at iß 
eS ja flat, baß bei ©inrießtung oon Ausheilungen, wie biejenigen in ber 
Aationalgalerie ßttb, noeß anbere Bücfßcßten beaeßtet werben müßen. Ta 
muß man barauf feßen, jebeS einzelne Stücf mögltcßß in baS ricßtigße 
Sicßt zu bringen, ba muß man fueßen, einer gangen ©anb, einem geotgen 
Saal eine möglicßß ih ßtß ßimmenbe ÖJefammtanorbmtng gn geben, ba 
muß man banaeß ttäcßtett, bie ^auptfäcßen an bie ßeroorragenben Stellen 
gu btingen unb AeßnlicßeS meßr. Auf alle biefe ßpurifte iß mit ©infießt 
unb ©efeßmaef Bücfß^t genommen worben, unb nur ber gefcßicßtlUße 
©eßeßtspunft ßat biSßer feinb böttijg genügenbe Beadßtung gefunben. 3<ß 
füßte ein Beifpiiel ätt. 3m etßeit Sintmer bet AuSßellung Oon ©enne= 
bergs Arbeiten ßeßt man ben ÄOßtencattbn gum „Wilben 3öß«^ unb 
eine Weine ffiiebetßöiung beS @entätbeS OOm 3«ßte 1871, wäßteitb bas 
©emälbe feibß, wtfcßeS 18^6 fettig Würbe, nebß bet garbenffigge unb 
einigen Stubien ent paar Säfe weiter ßänjgt ©S Würbe meines ©r= 
acßtenS faeßlitßer unb lehrreicher gewefen fein, wenn affe biefe Stücfe 
im erßen Sintmer Oereinigt worben wären, was ß<ß oßne Bebenfen 
ßätte maeßen laßen. Unb wenn baun fo fortgefaßren wäre, fo hätte 
bie AuSßellung oon feibß unb oßne ©eitereS 3*bem eine flare Heber* 
ßeßt über beS ßünßlerS ©ntwidfelungSgang geben mftßen. 3ubem icß 
biefen ©ebanfen ßier einen AuSbrucf gebe, will icß baS Oerbtenßlicße unb 


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288 


Bit ®tgenw«rt 


Nr. 18. 


müpebode Unternepmen nicpt entfernt tabeln, üiclntepr wodte icp nur bic 
Änbeutung eined ©eßcptSjmufteS geben, burep beffen ©eaeptung weitere 
WuSfteflungeit biefer 2lrt gewiß noch nupbringenber, bebeutfamer uub 
miterriepteuber werben müßteu. 

Shtbolf $citneberg, bon bern itapeau 300 ©tüde auSgeßedt ßnb, 
wibmete fiep erft ber ftunß, als er bereits 25 3 apre alt war, uub laum 
50 Sa^re alt ftarb er bereits, ©eine felbftftänbige fftnßlerifcpe Xpätig= 
feit umfaßt jwei igatyrjefjnte, bon 1866 bis 1876. 2luf ber Slfabemie 
au Antwerpen uub in (|SariS unter XpomaS ©outure in bie Äuuft ber 
Malerei cingefüprt, folgte er ^uude^ft einer coloriftifcpen Stiftung uub 
trieb bie breite, berbe ©epaitblungSweife bis &u einer gewiffen becora= 
tiben SRoppeit, wie mau fie in feinem ©rftlingSwerf, ber „©tubeutenfaprt", 
boit 1853 (9fr. 11 unb 12) ßept. Xropbem jetgeit fiep fepon itt biefem 
©ilbe güge, bie baS unleugbare Xalent befunbeit, uub bie bann in beu 
uäcpften Arbeiten immer bebeutenber jmb flarer perbortreten. Xer 
Stritt bon biefer „©tubenteufaprt" au bem im folgenben 3 <*P* gemalten 
/, 8 t 0 c Mnerpaar" (^r. 15 ) $ erßaunliep, unb noep erßauttlicper bann ber 
au bem 1856 fertig geworbenen „wilben 3^0«" (9fr. 84). ©inen folgen 
2 luffepwung in brei Sauren lamt nur ein großes Xalent nehmen! 
$enneberg gab biefem ©ilbe lebhafte Würben, bie er jeboep burep einen 
tiefen, braunen ©ruubton aufammenpielt, fo baß fie nicpt entfernt bunt, 
bielmepr burepauS rupig unb aufammenßimmenb erfepeinen. Xurcp bie 
gau^e garben^altuug gept ©Sätme unb ftlarpeit, unb ber ©efammt= 
cinbrutf beS ©etnälbeS iß ein fepr boraüglicper. ©tan erfennt in bent= 
(eiben neben ben ©igenfepafteu, bie ber bisherige ©ilbungSgang beS 
StüußlerS ergab, auep bebeuteitbe ©iuflüffe beS Rubens, beffen ©tubium 
Jpcmteberg gerabc in jener 8 eit mit großem ©ifer oblag. Xer Äünßler 
wieberpolte baS ©Ser! zweimal, beibe ©tale jeboep in fleinerem ©faßftabe. 
Xie eine biefer ©Sieberpolungen befinbet fiep in ber ©cpad’fcpen ©amm* 
luitg ju ©tünepeu unb ift pier niept auSgeßedt. ©ei ipr fehlen jene 
lebhaften Socaltöue unb jene fepöne $larpeit, bie bem großen ©ilbe 
eigen ftnb; bagegen pat bie Narbung einen borperrfepenben uub ferneren 
braunen Xon erhalten, ber ebenfo an bie ©timmuitg beS ©artonS (9tr. 1), 
wie an ©igentpttmlicpleiten ber mobernen blämifepen 9Jtalweife erinnert, 
©epr aitberS geartet ift bagegen bic zweite ©Sieberpolung (9fr. 2 ), bie 
adcrbingS auep crß im 3 a P r * 1871 entßanb, #ier ift ber warme, 
braune ©runbtoit beS großen Originals weggefadeu; bie Socaltöue cr= 
(feinen felbftftäubiger unb babei lichter, fo baß alfo bie ©efammtfarbeit= 
Wirfung, in eolorißijepem ©etraepte, auep weniger parmonifcp ift. Xa= 
gegen iß bie ©ompoßtion allerbingS in aeitpuerifeper ftinßcpt überfiept-- 
lieber geworben, opne baß freiliep bas ©iitjelne flarer unb im (RuSbrucf 
tiefer wäre. Xie ganje ©epanblungSweife entjpricpt ber ©utftepungSaeit 
beS ©übeS uub jeigt bie ©Sanblung an, bie ber ftüußler bermöge feines 
©ilbungSgaugeS in ben 15 Sauren feit ber ©ntßepung beS großen ©e^ 
mälbcS erlebt patte. Ftagt ntait, wie bie ©epanblungSWeifen ber beiben 
©Sieberpolungen $um bargeftedten ©egenftanbe ßep bereiten, fo ent¬ 
jpricpt aderbingS feine bcrfelben bem ©egenftanbe fo bödig, wie bie ber 
großen ©uSfüprung, bie baS ©Silbe, Seibenfcpaftlicpe, ^Spantaßifcpe uub 
Xüßcre auSbrüdt, opne biefen ©parafter burep eine adau fcpwere Spaltung I 
au übertreiben ober ipn burep au große Älarpeü uub ©eßimmtpeit ju 
fcpwäd^en. 

3n beu folgenben ©ilbern, bie nod) ^u $ariS entftanben, wirb ber 
oberßädjlidjere ©eft^auer einen bebeutenberen gortfdjritt nic^t wa^r= 
nehmen, bod^ wirb ein eiugetyenberer ©etrac^ter .bemerfen, wie ber $ünft 
ler burc^ fortgefepte ©tubien eine immer größere ©id^erpeit unb fertig: 
feit ja erringen fuepte. gür bie ©ef(päßigung fteunebetgS mit ber I 
Sanbf^aft jeugeu japlreid^e ©tubien (S'lr. 26, 33, 39, 42, 68 u.,f. w.) 
fowie bie große ©ußd^t beS „töegenßeinS" bon 1867 (9fr. 160). ©hu 
gepenbe unb glüdttiepe Xpierftubieu bejeugt bie „^afenpepe^ bon 1859 
(9fr. 105 unb 106). Qn bem „©erbredjer aus berloreuer ©pre" (9fr. 254) 
wirb mau bie ergiebigen pppfiognomifd)en ©tubien nic^t berfemteu, 
wenn man auep biedeid^t in bem ausgeprägt franabßfcpen ©^arafter beS 
gan&en ©ilbeS unb nameutlid^ ber malerifc$en ©e^anbluitgSweife einen 
gewißen Bfücffcfjritt au fepeit geneigt fein burfte. ©in in berfelben 21 rt 
bepaubelteS ©emälbe „9titter unb 9fpmppe // bom ga^re 1861 (9fr. 181) 
(djließt bie ^arifer ©poepe beS tfünßlerS ab; ein ©ergleicp beSfelben mit 
ber „wilben 3 uö&" Idjrt, ^enneberg in ben fiebeit 3 a $ tc u, bie 
awif(^eit beiben ©Serien liegen, au Originalität unb grifepe nidjt ge¬ 
wonnen patte; feine ©rrungenfepaften tagen auf bem ©ebiete ber Xecpnif | 
unb ber #ülf*mifienfcpaften feiner Äunß. > 


©ine bebeuteitbe ©Sanblung in feilten ihinftauftpauuitgen unb 3 teleu 
brachte ein ©ufentpalt in 3fulien bon 1861 bis 1863 perbor. Um in 
©eift uub ©rt ber malerifcpen ©epanbluitgSweije XiaianS, ben er ungc= 
mein bewuitberte, reept einaubringett, maepte er tu ©enebig ©opien naep 
awei ©auptwerfeit beS ©feifterS (9fr. 191 unb 192); unb ebenfo maepte 
er naep ben älteren Florentiner ©feißern, um bie fitpere Seicpnung unb 
beu tief empfuitbenen ©uSbrud in beren ©fatereien reept au berßepeit, 
aaplreid^e a«<puerifepe ©tubien (9fr. 18 unb ff.). 3« 9fom aber aog 
ipit boraugSWeife bie ©ampagna burep bie ©epönpeit tprer lanbfepaßs 
Ucpen 9fatur unb bie reiabode ©rfepeinung iprer ©ewopner an. ©ine 
fepr große ©fenge bon ©tubien ber berfepiebenften ©rt, fowie eine gaitae 
9feipe bon ©ampagnabilbern ßnb bie Fruept biefer 9fetgung, bie bei 
bem fpäteren ©ufentpalte ^ennebergS in ©om neue 9fapruitg fanb. 
©twa fünfaig 9fumment ber ©uSftedung bertreten biefen Xpeil feiucr 
fünftterifepen Xpätigfeit. 

^eitnebergS (JSpantafie befepäßigte ßep gern unb bauentb mit ben 
©ilbern bon ©egenßänben, bie einen etpiftpeit ober wenn man wiü 
metappbfifdpeit $iittergruitb paben. Xie ©uSßedmtg acigt meprere fokper 
©Uber in berfcpiebeneit ©ntwürfett unb ©ftaa*n, unter benen bie aut 
„^Spantafie" gepörenben (©r. 190 unb 234 bis 243) befonbere ©eaeptung 
berbieneit bürßen. Seiber finb biefe elf ©lätter ititpt in ber Steipern 
folge, wie fie entßanben ßnb, angeorbnet unb eS iß baburep bie ©e= 
wiitnung einer ftaren unb leicpten Ueberßtpt über baS admäplicpe Steißn 
unb bie admäplicpe ©uSgeßaltung ber ©ompoßtion unnötpigerweife er= 
fcpwert worben. 9(tiS biefem Streife beS ((SpantaßelebenS unfereS &ünß- 
lerS ging auep „bie 3agb naep bem ©lüde'' (9fr. 3) peroor, bie au 
©fünepen, wo $enueberg feit 1863 lebte, begonnen unb au ©erlin, wo- 
pin er 1865 übergeßebelt war, beenbet würbe. Xie mit auSgeftedteu 
©ntwürfe unb ©tubien (9fr. 4 bis 10, 16, 76, 157) legen bie admäplicpe 
Xurcparbeitung ber ©ompoßtion beutlicp bar unb laben befonberS beS- 
palb auep au einer eingepenben ©etraeptung ein, als baS fertige ©itb feit 
beinape aepn 3opten, feitbem eS auerß auSgeßedt würbe, ein erflärter 
Siebling beS ©ublicumS iß. Unb eS berbient biefe «uSaeicpnung. Xenn 
in ber meifterpafteften ÄuSfüprung ßedt eS einen ©toff bar, ber fo reept 
in baS £era unferer 3^it greiß, unb bem unerfättlicpen ©treben naep 
©elb unb ©enuß, opne tenbenaiöS unb moraliftrenb au fein, ben ©piegel 
oorpält. ©fan barf eS in biefem ©inne unb in Shtfepung beS nerwanbten 
©egettßanbeS ein ©eitenßüd au XürerS berüpmten Äupferßicp „Stitter, 
Xob unb Xeufel" nennen. Xie ©rfepeinung biefeS ©ilbeS nun aciflt bie 
oben erwäpnte ©Sanblung, welepe ßep burep ben italienifepen Äufentpalt 
anbapnte, oodaogen; biefelbe ßeigerte ßep mepr unb mepr unb errcicpte 
in beu ©falereien für bie ©ida ©Sarfepauer in ©partottenburg (©r. 56 
unb ff.), beren ©eßimmung als SBaitbgemälbe bieS befonberS begünßigte, 
ipren ftöpepunft. $enneberg patte bie breite, colorißifepe ©epanbtungS- 
weife mit einer mepr aciepnertfepen, bie tiefe Futbenßimmung mit einer 
Iicpteren Haltung feiner Xöite öertaufept, unb er patte ßep pierburep, in 
©erbinbung mit einer warmen ©eigung für baS beutfepe Seben unb bic 
beutfepe ^unß im 16. Saprpunbert, ben ©feißent ber beutfepen SRenaiffancc, 
itamentlicp ^olbein, genäpert. hierfür fpredpen auep befonberS bie 
meifterpaften ©tubien au ben ©Sarfcpauer’fcpen ©falereien (9fr. 161 bis 
174). Xaß $enneberg aber babei auep, wenn eS ber ©egenßanb nape 
legte, naep einer malerifcp - colorißifepeit ©odenbung ßrebte, leprt baS 
liebenSwürbige ©ilb „baS ©färepen^ (9fr. 159), baS in feiner Futben^ 
ßimmung unb tpeilweife in bem aarteßen ©edbunfel gepalten iß. 

©fan wirb aus aden biefen Arbeiten unb ©erfuepen ^ennebergS bie 
Ueberaeugung gewinnen, baß er ein ftünßler Wat, ber in oodßer 9teb= 
liepfeit unb mit feltenem Floiß feinem ©erufe oblag. 9Benn ipm ©fan- 
eperlei, was bem teepnifepen ©ebiete augepörte, fepwer würbe, fo muß 
mau immer berüdfieptigen, baß eine $anb, bie bereits 25 3&pre alt iß, 
niept mepr fo leiept lernt unb ßep bequemt, wie eine, bie bon Äinbpeit 
auf geübt iß. ©Senn er bei ber SluSgeßaltung feiner ©ontyoßtionen ßep 
nie genug tpat, fo muß man ben ©runb pierau in feiner inneren wapr* 
paßen ©efepeibenpeit fuepen, unb wenn er in ©etreff ber ÄuSfüprung 
bon ©inaelnpeiteti oft fepwanfte, fo pat bieS feinen ©runb in ber friti-- 
fepen ©epärfe, womit er feine eigenen Arbeiten anfap unb beurtpeilte. 
©ebeutenbeS pat er geleiftet, ©ebeuteitbereS burße man noep bon ipm 
erwarten, ©ein Xob iß ein großer, ein uiterfeplieper ©erluß für bie 
beutfepe $unß. 

©ine Äünftlernatur bon bemfelben eblen unb reinen ©treben tritt 
uns in ber au)eiten ttbtpeüung ber ftuSßedung entgegen. ©Senn aber 


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Nr. 18. 


289 


(6t%t nnmrt. 


§enneberg einen ©ntwidelungggang nahm, ber bon einer colorißifchen 
©ehanblunggweife jn einer mehr jei(^neri[<^en fiep bewegte, fo begann 
SBilhelm ©firmer feinen ©übungggang in ber ftreng seic$nerif($ett 
Schule unb er enbigte mit ber anggefprocheneit Neigung für coloriftifcpe 
©epanblung. ©ejne felbftftänbige Xhätigleit umfaßt etwa ben hoppelten 
Seitranm bon ber ftennebergg; fie beginnt etwa 1825 unb enbigt mit 
bem Xobe beg Künftlerg im 3 a h rc 1866. f e h r 0 ro & e 8 fl h* uou 

SBerfen — audfc^Iieglid^ lanbfdjaftlidjer Ärt — gingen aug feiner SBerf* 
ftatt ^erbor nnb in ben oerßhiebenjten ©eftp über. Unter feinen Gön* 
nem fielen mehrere Nlitglieber beg Königgpaufeg obenan. Xer Kaifer 
felbft gab breizepn in feinem ©efipe befinbliche, meift größere Gemälbe 
jnr Äugftettung pw; in bem Schlöffe beg ©rinzeit Älbrecpt bei Xregben 
wie im ©alaig beg Kronprinzen ju ©erlin führte ©firmer SBanb* 
malereien aug, beren ©ntwürfe auch auggefteflt finb (Nr. 126 big 129, 
136 unb 137). gür ben bringen Karl malte er mehrere Änficpten aus 
Glienife. Unb im neuen SNufeum führte er mehrere ber SSanbbilber 
im ügpptißpen ©äulenpofe wie im grieepißpen ©aale aug. Huch unter 
ben ©ribatperfonen patte er niept wenig greunbe, bie gern Arbeiten 
bon ihm erwarben, unb bag ©erliner publicum, bem er 40 3aljre lang 
auf ben Äugjtettungen mit großer Negelmäßigleit feine SEBerfe borfüprte, 
mußte ihn pocp zu fcpäpen. ©o wirb benn bie gegenwärtige ©ereinigung 
bon Gemälben, ©tubien unb geiepnungen feiner $anb ©ielen außer= 
orbentücp witttommen fein, unb ©iele werben in mannen biefer ©tücfe 
alte ©elannte begrüßen. 

Xie neue beutfepe ßanbfcpaftgmaierei nimmt betanntücp ihren Äug= 
gang bon ©arfteng, ber eine neue Äuffaffung ber ßanbfcpaft in ben 
4?intergrünben mehrerer feiner ©ompofitionen nieberlegte. Xieg ©orbilb 
whrfte in Nom beftimmenb auf 3ofef Litton Ko cp ein, ber big bapin 
mit bem unbefangenften unb treffenbften Naturfimt feine ©tubien gemacht 
patte unb nun bie Nicptung jum gbeaten einßplug. Kocp würbe im 
eigentlichen ©inne ber ©ater unferer neueren Saubfcpaftginaterei; ber 
Kreig feiner ©cpüler, Anhänger unb Nachfolger ift ein fe^r großer. 
@ine augführliche Xarftettung biefeg gefchichtüchen ©erpältniffeg höbe ich 
im erften Xheil meiner „Gefcpicptc ber beutfehen Kunft feit 
©arfteng unb Gottfrieb ©epabow" (©. 106 big 126 unb 332 
big 339) $u geben gefucp.t, unb ich barf pür auf biefelbe mit bem ©e= 
merfen hinweifen, baß bie Nationalgalerie ein Gemälbe bon Kocp aug 
beffen guter geit, fowie zahlreiche SBerte bon beffen unmittelbaren unb 
mittelbaren Nachfolgern befipt, bie ein wiHlommeneg SNaterial zum 
©tubium biefer ©erhältniffe bieten. Än Kodj unb beffen ©chule lehnt 
fich nun auch SSBilpelm ©firmer auf’g ©ngfte an. 3« feinen jeichne- 
rifchen ©tubien, namentlich benen feineg römißpen Äufentpalteg (Nr. 11 
big 51) erlennt man bag glüdlicpe ©treben nach Haren, feften unb 
juhenr ßinien, bie ben ©paratter ber jeweiligen Sanbßpaft beftimmt unb 
uor Ättem wahr wiebergeben. 3» feinen Oelgemälben fteht man bag 
Xunpflingen zeichnerifeher Gewohnheiten unb bie Äbficpt, in ben ein* 
Zeinen ßocaltönen ber Naturwahrheit möglich ft zu entfpreepen. Xiefen 
«Gtunbfäpen pulbigenb, bewegte er fich eben ganz auf bem ©oben ber 
Kocp’fcpeii ©<pule. Xie fünften unter ben auggeftellten ©ilbern, foweit 
fie biefer (Epoche beg Künftlerg angehören, bürften bie großen 2anb= 
Schäften oon Nami unb Xiboli (Nr. 123 unb 158) fein, Später fudjte 
©chirmer ©eziehungen zu Glaube ßorrain, bie ihm befonberg beffen 
Liber veritatis »ermittelt haben muß; ben beftimmenben (Einfluß ber= 
felben nimmt man in ber carapanifchen ©hantafielanbfchaft »on 1843 
(Nr. 124) unb bem ftafenbilbe bon 1860 (Nr. 155) wahr. 9Nan !ann 
bie geit biefer ©eziehungen alg eine befonbere ©poche im fünftlerifchen 
2eben ©chirmerg anfehen, man barf fie aber auch alg Uebergang zu ber 
nächften, ber zweiten großen ©poche feiner Xhätigfeit auffaffen. Unter 
ftarfen Änflängen an romantifche Gefühlgtoeife ging er nämlich z w füb= 
italienißhen ober ibealen ©timmunggbilbem über, unb er fuchte benfeiben 
eine möglichft boWommene ©inheitlichfeit baburch zu geben, baß er jebeg= 
mal nur ©inen ftimmunggbollen Ntoment auffaßte, biefen aber burd) eine 
coloriftifche ©ehanblunggweife unb feine garbenftimmung, gleichfam wie in 
Zarter ßpril, augbrüdte. SBenn er biefer Nichtung feiner Ihinft nun auch mit 
einem felpr entwidelten malerifchen ©inn unb mit großem Gefchicf folgte, 
fo ftehen bodh nicht alle SBerfe biefer ©poche auf gleicher ©öhe. ©ier 
unb ba will eg mir fcheinen, alg hätte bag Xunftige, weicheg er feinem 
Kolorit gern gab, etwag Ungefunbeg an fich, alg hätte bigweilen bie 
«ehanblung etwag Gemachteg. 3^ möchte beghatb bie Sßerle biefer 
^Epoche nicht ohne SSBeitereg benen ber erften ©poche borziehen, wie bag 


meift gefchieht, weil mir eben biefe in fich noch gefunber zu fein fcheinen. 
Nudj finb biefelben in allen Xheileit, ber 2anbfchaft, Nrchiteltur nnb 
©taffage, burchweg intereffant; fte befchäftigen überall, wo bag Nuge fich 
hinwenbet, ©hantafie unb Geift auf bie anziehenbfle $lrt, ohne baß ba= 
burch bag SBerl alg Ganzeg feine ©inheit berliert. Xie 2anbfchafteii 
ber lepten ©poche geben immer nur einen einzigen ftimmunggbollen Mo¬ 
ment; fie haben einen lprifch s mufitalifchen ©harafter, währeitb feine 
älteren SBerle an eine epifche ©ntwictelung erinnern unb plaftifche $lar; 
heit z« 0 m. Xiefe älteren SBerle aber lünbigen in einzelnen ihrer 
Xheile bereitg bie fpätere Neigung unb ©efähigung zut SBiebergabe 
glänzenbet garbenerßheinungen, gefchloffener garbenftimmungen an. 

Xer Äünftler, beffen Arbeiten bie brüte Äbtheilung biefer ÄugfteHung 
füllen, §ugo£arrer, ift einfeitiger alg ^enneberg unb ©chirmer, aber 
in biefer ©infeitigleit ift er ungemein ftcher unb bebeutenb. Urfprünglich 
bem ©aufache gewibmet trieb ihn Neigung unb Xalent zur SNalerei, 
aber er wechfelte barum nicht auch & cn Gegenftanb feiner ©tubien; ben 
3nhalt feiner malerifchen Uebungen unb Xarjtellungen bilben ganz &or* 
wiegenb ©auwerle, bon ben ftolzen Nuinen Nomg herab big zu einem 
berfallenen Xhorwege ober einem fchmucflofen Gewölbe. Ntit boHer 
SBahrheit bringt er bag Gefehene treu auf bie 2einwanb, unb babei 
führt fein tünftlerifcheg Äuge ihn ganz ß<her, um bie Xöne zu einem 
©tlbe zu bereinigen. Äber atlerbingg, — ich für mein Xheil wenigfteng 
bin ber Änfidjt — allerbingg tritt hierbei bag 3 ntereffe an ber SRalerei 
alg ^unftwerf hinter bem an bem Gegenftanbe zurücf. SEBettu man bie 
fepr zahlreichen §arter’fchen ©tubien unb ©ilber burchgeßt, fo finbet 
man überaü biefelbe treffenbe Äuffaffung unb naturwahre Xarftellnng; 
biefer bem Zünftler angehörenbe Xheil feiner Ärbeit ift immer ber 
gleiche, aber bie Gegenftänbe finb bie mannigfaltigften. Xer Neiz ber 
Äbwechfelung beruht alfo im Gegenftanbe unb nicht in bem Ä&ie ber 
Xarftettuitg feiteng beg Äünftlerg. 3n biefem ©inne war eg gemeint, 
wenn id) bemertte, baß ftarrer einfeitiger fei alg bie anberen beiben 
Wnftler, beren SSerfe biefe Äugfteüung mit ben feinigen zugleich um* 
faßt, hiermit Witt ich ih«, fein Xalent unb feine fieiftungen wahrlich 
nicht bertleinern, bielmehr wieberljole ich l>aß bie Sicherheit feiner 
Äuffaffung unb Xarftettunggweife, auf bem ©oben eineg augfchließlicheit 
unb ftrengen Nealigmug, zu ber lebhafteren Änertennung hinreißen, — 
aber freilich jenfeitg ber Grenzen biefeg ©obeng gibt* eg auch noch 
Ärchüe!tur= unb Sanbfchaftgmalerei, beren ©etrad)tung lehrt, wag ©arrer 
abgeht: bie Ntannigfaltigleit ber Stimmungen unb bie Äraft poetifcher 
Geftaltung. gnuerpalb jener Grenzen aber ift er ein SNeifter, beffen 
frühen Xob jeher ftunjtfreunb h c rjli<h beflagen muß. 

SNit bem Äbfchiebggrnße bon biefer bebeutfamen unb lehrreichen 
Äugftettung oerbinben wir bie Hoffnung, baß fte recht halb eine eben= 
bärtige Nachfolgerin erhalten möge. 

ff. Hiegel. 


Stottjen. 

Xer ^rieg im Orient mit feiner gütte bon bunüen ©roblemeit 
ber nahen unb fernen gutunft ift feit etwa bierzepn Xagen nun wirtlich 
auggebrocheit. ©olititer aller Kategorien finb mit ber grage befcßäftigt, 
wag er ber SBelt an ©eränberungen, wenn nicht ber £anbtarte, hoch 
ber SNa^tberhältniffe bringen mag. Könnte man bie Nttnifter beg Äug* 
wärtigen in ben berfdßebenen fiänbern bazu bewegen, baß fie, wie in 
einem betannten Gefettfchaftgfpiel, ihre ©rwartungen unb ©peculationen 
nieberfchrieben unb berfiegelt einer Urne anbertrauten, fo würbe bic 
fpätere Kenntnißnahme biefer ^erzengergießungen ftcherlich bie feltfamften 
SBiberfprüche zn Xage förbem. Ueberatt hofft man auf ßoealiftrung beg 
Kriegeg. Sollte biefe aber nicht burchzufepen fein, fo möchte 3*ber mit 
möglichft wenigen Opfern möglichft biele Bortheile babontragen. Xer 
©goigmug gilt ja in ftaatlichen Xingen für eine ©flicht, wäfjrenb er im 
©ribatleben zwar berpönt iß, aber eben fo häufig, nur nicht mit ben= 
felben beßhönigenben ©hrafen bon SBahrung nationaler 3ntereffen unb 
bergleichen, bie Xriebfeber menßhlidjer $anblungen bilbet. Xie inneren 
Negungen unb Necßnungen ber ©abinete finb übrigeng im Großen unb 
Ganzen fein Gepeimniß. SNan wünfept bureßweg ben Nuffen fo biele 
Schläge unb ©erlufte wie möglich, macht fich ^ ra uf *>*6 


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290 


1 i t <5t$e itxuirt 


Nr. 18. 


fie, ob rafcg ober nach einiger 3 «*/ fingen unb ben fcgon oor fed^d 
Sauren mit aßgemeiitem (Eiiiöerffänbnifs unb innerem fernerem ©erbruff 
ber beteiligten ©täcgte burcglöcgerteit ©arifer grieben arteigen merben. 
ftommt eS jur gerffüdelung ber europäifcgen Xürfei, fo beult bie 
öffrepipe HnnejionSpartei, eS ©erbe auch für Oeffrep babei ein Stüd 
SanbeS* abfaflen. Dann mürbe mieber eine Slrt oon t^atfäd^lid^em 
(Eonbominium in ben ©allanprooinzen bis auf 3BeitereS beliebt merben. 
SBeld^e Vorteile aßetbingS ein foIcgeS S3er^ältuig Deffrep in ben 
Gegenben ber (Eiber unb (Elbe eingebracht gat, ift in guter (Erinnerung. 
Hber ©tauten profitiren pon gemachten (Erfahrungen genau fo biel 
mie Snbioibuen, baS ^eigt blutwenig. Sept fiep ©ufflaitb in ©ul* 
garien feff, fo mirb (Englgnb bie ©gnb noch mehr auf (Egppten legen, 
als eS fcgon getgan W «nb auf egen, maS fp am Bosporus machen 
lögt granlrep aPU öprerji upt, ober boeg nur infofem eS naeg bem 
Moment auSfchgut, mo irgeub ein fehlerhafter Scgacgang in Berlin igm 
aus feiner ftfolixpng in (Europa gerauSgelfen lönnte. gtaüen möchte, 
mie bisher, oon fremben ©iegen mieber etmaS babontragen. lieber 
Deutfcglanb enblp pmeigt beS (Egroniffen ©öffpleit. ©at boeg fpgar 
ein berühmter ©lann, bem felbjt feine geinbe noeg niemals ju bieleS 
Sieben oorgeworfen, neulich einige 3Borte über unfere ©eziegungen nach 
äugen faßen lagen, bie gegen feige offenbare (Erwartung einen erfegred* 
liehen Särm oerurfachten unb ign vielleicht im Stißen münjdjen liegen, 
er wäre feiner fprpmörtlpem Sieferbe treuer geblieben. Sogenannte 
infpirirte ©lütter, bie iubeffen oft fonberbaren (Eingebungen folgen, 
finb iept jegr ,ffbel auf (Englanb p fprpen, bem alle möglichen 
©erfibien unb Scglecgtigfejten jugef^jcieben merben. Nacg einer be= 
ftimmten Neige bon Sappen fpirb fp baS merllp äuberu, unb ber 
engliföe (Einflug mirb glSbann in publkiffifcgen ©gmnen gefeiert merben. 
3nawifcgen aber ftrömt JHßeS bon Nuffenfregnblpleit per. gn gemiffen 
ffaatSmännifcgen Öfficipen gefegiegt baS freilich mit bem humanen ©inter* 
gehanten, bag man bem im Orient befegäftigten unb burch neue HuS* 
begnungen gefegmäegten Sluglanb fchou bie ©ebiugungen ber aisbann 
noch mehr als jept nothmenbigen Hßianz borfchreiben merbe. Huf biefe 
profunbe aöeisgeit bilben fiep einige Xgeoretiler um fo mehr ein, als 
fie bermuihen unb coniecturiren, fie merbe geeigneten höheren Ortes 
getheilt. 3n Wahrheit möchte man fich bie 3mangSlagc DeutfcglanbS 
mit folgen fabenfeheinigen Äanncgiegereien möglpff oerfcgleiern unb 
fcgönfärben. Schließlich mirb natürlich HßeS anberS fontmen, als man 
es fleh Oorffeßte. 3ebe 3eitung wirb tropbem ben HuSgang ganz fo oor* 
hergefagt gaben unb ben ©erlauf beS Krieges je nach bem ©ortheil beS 
geftiegenen HbonnentfntS unb bem Nfptgeil ber berminberten Hnjeigen 
in Nccgnung, bringen. Hn. gpcgtönenben Declamgtionen per ©lenfcgen* 
mohl unb ©ölterglüd mirb lein ©langel fein. Hber halbwegs orientirte 
Sefer, bie fich nicht leicht ein X für ein U machen laffen, merben miffen, 
maS babon p halten ift. 

* 

* * 

ttoigmal* „flüanfreb“ unb bie fetten* 

©leine ©tittgeilungen über eine bor fahren ftattgehabte Hufführung 
bon ©gronS „©lanfreb" in einem lettijcgen Xgeater haben in Sir. 16 
biefeS ©latteS eine mit Xgeobor Nolanb Unterzeichnete (Entgegnung 
herborgerufen. 3<$ muff bem in feiner Nationalität Geträntten barauf 
Zunäcgff berfichern, bag mir nichts ferner gelegen hat, als über bie 
Setten etwas geinbfeligeS ober GeringfcgäpenbeS p fagert, unb bag eS 
mir leib tgut, menn meine garmlpfen ©emerlungen in foPem Sinne 
aufgefagt morben finb. ©leine, ©tittgeilung hatte gar leine politifcge 
ober nationale Xenbena, fonbern nur eine bramaturgipe. SBenn bie 
£etten ihre emften ©eftrebungen auf Hebung ihrer Nationalität burch 
Hneignung beutfeper ©ilbuug au fötbern fuchen, fo miß ich eS gana unb 
gar bahingefteßt fein laffen, ob in biefem Sßroceg erft bie beutfepe ©il* 
buug tommt unb bann baS beaepuete Streben, ober umgetehrt. $err 
©olanb fteßt in Hbrebe, bag bie lettifche Nationalität gegen bie beutfehe 
anaulämpfen fuche; menn er aber gleich barauf angibt, bag „ein 
griffiger ftampf' beffehe, fo lann ich ihm berfiefieru, bag auch ich leinen 
anbem ftampf als einen griffigen gemeint habe. 

Der Scßmerpunlt aber in ber (Entgegnung beS ©erm Nolanb liegt 
bar in, bag er nicht augeben miß, ber fiette fei im ©anaen meniger be¬ 
gabt, als ber Deutffhe unb ber Nuffe. geh lann gegen biefen ©Siber- 
fpruch nur auf bie Xhatfacpe hinmeifen, bag in ben Stäbten bie Deutfchen 


bie hwrfchenbe ober richtiger maggebenbe Nationalität bilben. Snbem 
©err Nolanb felbff jugibt, bag bie Setten fich öor Hßem beutfehe ©il= 
buttg unb beutfcheS SBiffen anaueignen fuchen, erlennt er ja mohl biefe 
Xhatfache felbff an, benn nur einer üorgefdjrittenen Nationalität pflegt 
man naegaueifern. Den Setten aber barauS einen ©ormurf an machen, 
märe ja überaus thörpt unb brutal baau, ba in ber Xgat bie Setten 
bei ihrem gutartigen unb friebfertigen (Eharalter lange genug unter 
fegmerem Drude au leiben hatten. DaS HßeS pliegt ja aber boef) upt 
aus, bag p bie Sbee, für baS lettifcge Xheater gerabe ©pronS ^,©latt= 
freb^ an mählen, fehr fonberbar pnben tonnte. Hber einzig unb aßeiu 
um biefen ©uult hat eS fieg in meinem Heilten Hrtilel geganbelt, niegt 
aber barum, ben lettifcgen ©olfsffamm gerabaufepen. 

Die ©eriegtigung, bag bie Setten igr ©ereinSgauS früger gebaut 
gaben als "bie Deutfcgen, nehme teg mit Daul an unb betenne meinen 
Srrtgum. Dag ber (Erbauer beS atuffifeg fo boraüglicgen beutfegen @e- 
merbegauSfaaleS ein Sette mar, ffegt mit meiner ©emerlung, bag eS 
unter ben Setten fegr tücgtige ©länner gebe, in leitiem SBiberfprucg. 
SBäre aber mein ©egner ebenfo afuffifeg angelegt, fo mürbe er bie Xen= 
bena meines HrtitelS npt fo falfcg oerffanben gaben, mie eS an meinem 
aufrptigen ©ebauern gefegegen iff. 

Hubolpg <5en^e. 

* 

* * 

Die ©orffeßung beS „aSintermärcgenS'' an jungen beS Ser= 
eins „©erliner ©reffe", mePe, beiläufig bemerlt, einen, Neinertrag 
oon 9000 ©tgrl für bie UnterffüpungStaffen ergeben gat, finbet Oon 
Seiten ber illuffrirten ©reffe in Deutfcglanb bie oerbiente Hufmerl- 
famteit. 3« ber neueften Nummer ber Seipaiger „3llnffrirten 
geitung" befinbet fp bereits eine oortreffliege geiegnung oon 
Döpler junior, melcge bie ©eriegtsfeene barffeßt unb in ber Umrahmung 
bie luffigffen (Epifoben aus bem Nüpelacte. gu ber finnig coim 
ponirten geiegnung bringt bie „Sßuffrirte geitung^ einen intereffanten 
Huffap über bie ©orffeßung Oon (Eugen gäbe 1. Die anbem ißuffrirten 
©lätter merben halb folgen; mie mir gören, mirb in einer ber näcgffen 
Nummern ber „Gartenlaube" ein ©Ub oon ©rofeffor Döpler, ©ater, 
erfegeinen, mePeS bie ©ilbfeene beS lepten HcteS aum ©ormurf gat. 
Den Huffap baau fegreibt Hlbert Xracger. gür „Ueber Sanb unb 
©leer" gat ©err Necglin, ©ogn, eine gepuung componirt, melcge 
eine t Scene aus bem Sgalefpeare’fegen Drama barffeßt. Den Huffap 
baau fegreibt JRobert Daoibfogn. (Enblp bringt bie ©Wiener „Neue 
illuffrirte geitung", oon 3oganneS Norbmann gerauSgegeben, 
ein .Gruppeupilb, melcgeS bie Darffeßer, bie fP z u biefer ©orffeßung 
oereinigt gaben, im ©orträt miebergibt: bie Damen grattaiSla (Eßmen-- 
rep, ©ermiue (Elaar^Delia, ©latgilbe Namm, ©eitg Damgofer unb 
3 of<fine gimraermann; bie ©erreit: Submig ©arnag, Grnff ©offart, 
Äarl ©litteß, (Emil XgomaS unb aöügelm oon ©ojar. Den Huffap für 
baS aöiener ©latt fegreibt grip ©lautgner. 


DaS jept ausgegebene zweite ©eft ber ©lonatSfcgrift „Norb unb 
Süb", ©erlag oon Georg Stille, ©erlin, gat folpenben 3ngalt: 

©ans ©opfen: „gmifegen Dorf nnb Stabt." Nooeße. 

3acob oon gälte in aöien: „DaS ftenffer in ber 3Bognung" 
(befegäftigt fieg mit ber 5rage, mie baS genffer in ber 3Bognung lünff^ 
terifdg tu beganbeln iff, um fp ber übrigen gäuSlpen (Einrichtung 
garmonifeg anaufegntiegen). 

tarl ©ogt in Genf: „(Ein frommer Hngriff auf bie heutige ©friffem 
fegaft ' 7 (beganbelt bie Hgitationen, melcge namentlich in Gnglanb unb 
3 talien aus Unoerffgnb unb ungehöriger GefüglSbufelei gegen bie ©ioi- 
fection au miffenfcgaftlpen gmeden unternommen morben finb). 

Hbolf aBübranbt: „Dramaturgifcge Unterhaltungen." (Der erffe 
huffap, „©leinSreunb Scäüola", fprpt über Öie (Einmirlung ber Äritil 
unb beS ©ublicumS auf bie braptatifege ©robuction.) 

ftuno gifeger in©eibelberg: „Gin literarifcger ginbling alsSeffingS 
Sauft" (polemifirt gegen bie unberechtigte ©ppotgefe, baff eine neuer* 
bingS aufgefunbene mittelmäffige literarifcgc ©erporbringung ein Sefffng’* 
jcgeS .GeiffeSprpbuct fei). 

©aul Sinbau: „gerbinapb SaffaßeS lepte Nebe. (Eine perfönlicge 
(Erinnerung" (fcgilbert gerbinanb Saffaße als Nebner oor bem Düffel« 


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Nr. 18 . 




991 


botfer ©ericpte unb jeigt burd) ©egenüberftettung ber Xi«pofition biefer 
lebten Siebe unb be« SBortlaute« bie Ärt unb SBeife, tote fid^ Saffatte 
auf feine oratorifcpe ©robuction borbereitet pat). 

Xern ftefte ift ba« ©ortrüt Äbolf SBilbtanbfc« :beigegeben nach 
einem jepr (parafteriftifepen 0efgemäU)e bon gtanj Skubmcp, auf 
Supfer rabirt bon 3 . Sonnenleiter in SBien. 


$iblfc*grapptc. 

$ortoica, Äbf., $ur ©nttoidelttttgÄgefehiepte be« SBitten«. Vortrag, 
gr. 8. 80 S. SRagbeburg 1876, gaber. —. 54. 

— SBejen unb Aufgabe ber ©pilojoppie, ip* e ©ebeutung für bie ©egem 
wart unb ifjre Äu«ficpten für bie gulunft. gr. 8. 63 S. ©erlin 1876, 
©. tpabel. (Äucp unter bem Xitel: Xeutfcpe geü* unb Streitfragen, 
glugfcpriften jur Äenntnife ber ©egentoart. $erau«gegeben bon gr. 
b. ftolpenbotff unb SB. 0nden. $eft 78.) 1. 40. 

$app, ©rnft, ©mnblinien einer ©pilofoppie ber Xeepnif. gur ©nfc 
jtepungdgefcpidjte ber ©ultur au« neuen ©efupt«punften. SRit $ap(s 
reichen in ben Xe# gebmdten glhiftraiionen in fcoljfcpnitt. gr. 8. 
XVI, 360 S. ©raunjcbweig 1877, SBeftermann. 

Ä taufe, Älbr., bie©ejepe be« menfcplicpen §er$en«, toiffenjcpaftlich 
bargeftettt al« bie formale Sogif bei reinen ©efüpl«. ßej. 8. XVI 
n. 407 S. mit 1 XabeHe in qu. gr. 4. £apr 1876, SR. Schauenburg. 

16 . — 

Sange, grbr., Älb., logifcpe Stubien. ©in ©eitrag $ur Steubegrün* 
bung ber formalen Sogif unb ber ©rfenntnifetpeorie. gr. 8. 149 S. 
“unb 1 Steintafel in qu. gr. 4. Sferlopn 1877, ©aebcfer. 4. 80. 
SRaaffen, grbr., neun ©apitel über freie Äirdje unb ©eroiffenSfreipeit. 

gr. 8. IV u. 470 S. ©ra* 1876, Seufcpner u. £uben«fp. 6. — 
9Ronat«hefte, Unter SRitwirfung bon g. Äfepet* 

fon foroie mehrerer namhaften gacpgeleprten rebigirt unb pecau«= 
gegeben b. ©. Scpaarjcpmibt. gr. 8. S. 1 — 96 u. 1 Steintafel. 
13. ©b. 1. u. 2. §eft. Seipjig 1877, tojcpnp. ü 3aprg. 10. — 
0nden, Äug., Äbam Smith unb 3mmanuel ftant. Xer ©inflang unb 
ba« SBecpfelberpältnife ihrer £epren über Sitte, Staat unb SBiffen* 
Jd)aft bargelegt, l. Äbtpeüung. ©tpif unb ©olitif. 8. XII u. 
726 S. £eip*ig 1877, Xunder u. fcumblot 6. — 

Stabenpanfen, ©., Ofiri«. »eltgefejc in ber ©rbgefcpicpte. 3. ©b. 
(«ucp unter bem Xitel: SRifrofo«mo«. X)er SRenfcp al« SBelt im 
kleinen.) gr. 8. 794 S. Hamburg 1876, 0. SReifenet. 4 10. 60. 
Siotpfcpilb, Spinoja. gur ^Rechtfertigung feiner ©pilofoppie unbgeit. 
©ine Xenffeprift «um 200jährigen Xobeitage. 8. 32 S. £eip$ig 
1877, Äofcpnp. — . 75. 

Spinoja« ©rieftoecpfel im Urtexte perau«gegeben unb mit einer ©tu* 
leitung über beffen Seben, Schriften unb £epre berfehen b.$. ©in«? 
berg. Ängepängt ift: La vie de B. de Spinoza par Jean Coleros. 
8. IV. u. 252 S. Seidig 1877, ftofcpnp. 3. — 

Stabe, ©ernp., über bie altteftamentlichen ©orftettungen bom gm 
ftanbe nach bem Xobe. ©ine atabemifcpe Siebe, gr. 8. 36 S. 
ßeipjig 1877, g. ©. SB. ©ogel. -. 80. 

Stioufe, -Xpcob., bt« ©ttfeetfeben:ber gufwtft. , gorfepuiigen über 
©rmeiterung >ber beS «tenf^lichen Reifte# unb beffen 

gortfefcen «ach ton Xobe. 8. 93 S. ßeib&ig 1877, ©. Schloemb. 

1. 50. 

©ollelt, 3oh-/ ber SqmboI=©egriff unb bie ueuefte «efthetit. gr. 8. 

V u. 120 S. 3ena 1876, $. Xufft. 2. 40. 

SBeid, ßubto., 3bealreali4mu6 unb SRaterialUmud. ©ine attgemein 
berftünbUche XarfteHuug ihre« nnffeufchaftlichen SBerthe«. (Äuch 
unter bem Xitel: ©ibliothet für SBiffenfd^aft unb Literatur. 15. ©b. 
Äbtheilung für SBerfe aügemeineren 3nhalt«. 3. ©b.) gr. 8. IV u. 
152 S. ©erlin 1877, Xh- ©rieben. 3. — 

SBiganb, Älb., bie altematibe Xeleologie unb bergufatt bor ber fönig= 
liehen Äfabemie bet SBijfenfchaften ju ©erlin. 8. 36 S. ©affel 1877, 
Xh- Äah. 80. 

SB immer, 3-, über SReligion unb ba« ©rnige im ©h^^i^uto. gr. 8. 

14 S. Seidig 1877, 0. SBiganb. —.80. 

©reitinger, fteinr., bie ©ermittler be« beutfehen ©eifte« in grau!* 
reich- ÄntrittSrebe. gr. 8. 37 S. Sürid) 1876. 1 . 20 . 


©ö^inger, 9R. SB., beutfehe Xichter. 6. ÄujI. Um* u. &um großen 
Xheil .neu bearb. b. ©. ©bfeinger. 18. unb 19. Lieferung. 2. S3b. 
IX 41 . ß< 641—672 unb 112 6. Nachtrag. Äarau 1877, Sauerlänber. 

ü —. 90 . 

©rifebajh, ©b., bie treulofe SBitttoe. ©ine chineftfche Siobette unb 
ihre fRanberung burch bie SBeltliteratur. 3., umgearb. u. mit ber 
Ueberfefeung eine« türfifchen u. eine« Xalmub'Xe^te« berm. Äufl. 
12. dV u. 128 S. Stuttgart 1877, Fröner. 

Jßeitfcbuh/ grbr., ber gleichoi^Bige ©ntmidlung«gang ber griechifchen 
unb beutfehen ^unft unb Literatur, ©ulturhiftorifche Stubien. 
gr. 8. VII u. 106 S. Seidig 1877, X- O. SBeigel. 2. 40 . 

SRohl, ßubm., unfete geiftige ©Übung, gr. 8. II u. 76 S. ßeij>$ig 
1877, Sehloemb- 

$etri, SRor., §ur ©inführung Shatefpeare’« in bie ^riftliche gamtlie. 
©ine populäre ©rläuterung ber borgüglichften Xramen be«felben. 
2. berm. Äufl. 9Rit S.’« Porträt in Stahljti<h- 8. 202 S. ®an- 
nober 1877, ©. SReper. . 4. 80. 

©reffe, bie fatljolifche jn ©uropa 1877. 2. berm. Sfufl. 12. VI u. 
188 S. SBür^burg 1877, SBoerl. 

©röhle, $einr., ßeffing, SBielanb, $einfe. Stach ben hanbfchrifiltchen 
OueHen in ©leim« Staeplaffe bargeftettt. gr. 8. XII u. 324 S. 
©erlin 1877, Siebe1. 6.76. 

Stutenberg, Äbf., bon ber ginne ber ©artei. Siterarifche £rieg«s 
u«bgrieben«bilber. gr.8. VlIu.262S. ©erlinl877, Xenide. 4.—. 
SBilmann«, SB., ©eitrftge jur ©rtlftrung unb ©efeh^e pe« Stibelttugen^ 
liebe«, gr. 8. VI u. 90 S. $atte 1877, ©uchhaublung be« SBaifen^ 
häufe«. 

giegler, Xpeob., Stubien unb Stubienföpfe au« ber «euerem unb 
neueften Siteraturgefchichte. 8. IX u. 343 S. Schaffhaufen 1877, 
©aber. 4.80. 

©. ©er fh 015 , ba« Xeftameut ©eter« be« ©roben. ©ine ©rfinbuitg 
Stapolfon« I. Sejr. 8. 83 S. St. ©eter«burg 1877, Sehmipborff. 
Ä. ©ernftein, »ie man Kriege einfäbelt. ©opulftrer ©eitrag jur 
Äenttjcichnung ber ruffifepen ©olüif mit bejonberer ©erüdfichtigung 
be« Ätimfriege«. (Separatabbrud au« ber ©olt«^geitung.) fl. 8. 
IV unb 88 S. ©erlin 1877, g. Xunder. 
ftarl ©raun^SBie«baben, geitgenoffeu. ©rjählungen,©pu^^pi^u 
unb Äritüen. ©efamutelte gepilleton«. 2 ©be. gr. 8. IV unb 
382 unb 316 S. ©rapnfehweig 1877, ©ietoeg. 12. —. 

©lern, örodhau«, Seremia« ©ottpelf, ber ©ol!«fchriftftetter. 12. 
88 S. ©erün 1877, Springer. 

Änt. ©fengerp, granj Xe&f. Äutoriprte beutfehe tjeberfefcung (au« 
bem Ungarifcpen) pon ©. Heinrich, gr. 8. IV unb 190 S. 
£eip«ig 1877, Xunder u«b ^umblot. 4. —. 

©nlturhiporifcpe ©Über au« bem SReiitinger 0berlanbe. III. Seg.S. 

S. 33—66. ^ilbburgpaufen 1877, fteffelring. 

§erm. Xunger, bet oogtlänbifchc gelehrte ©auer. 8. 99 S. ©lauen 
1876; Steupert. l. 20 . 

©IfapsSothringen, feine j ©ergangeitheit — feine gufunft. gr. 8. 

IV unb 98 S. Strafeburg 1877, Xrübner. 
griebriep« be« ©rofeen au6ge*&hlte SBerfe. 3u’« Xeutfche übet' 
trpgen bn ^einr. SRerfen«. ©ingeleitet bom ga- X. SBegele. ©b. III. 
l.>%ülfte. >©(riefme<hfel gr. b. ©r. 1. Xhl. ©ripfe an ©oltaire. 
^gr. 8. VIII unb 385 S. SBürjburg 1876, Stüber. 6. —. 

©efepühte ber eh ema tigen ^ochfcpule 3ulia ©arolina §n f>elmftebt. 

8 . 70 S. SRit. Äbbilbung. fcelmftebt 1876, ^tiepter. 1.26. 
Stub. ©oede, ba« ©rpfehej^ogtpum i ©erg unter Socupim SRurat, 
Stapoleon I. unb Soui« Stapoleon 18)06—1813. ©in SSeitrag jur 
©efdpicpte ber fran^öftfepen grembperrfepaft auf bem reepten Stpein- 
nfer. SReift naep ben Äcten be« Xüffelborfer Staat«sÄrcpib«. 8. 
100 S. ß51n 1877, Xu 9Ront«Scpauberg. 

Sari Xpeob. ipeigel, ber öftreiepifepe ©rbfolgeftreit unb bie Saifer^ 
»apl Äasl« VII. gr. 8. XIV unb 386 S. StörbUngen 1877, ©ed. 
grbr. b. $elln>alb. ©ulturgefcpicpte in iprer natürlichen ©ntmieflung 
bi« «ur ©egentoart. 2. neu bearb. unb fepr berm. Äufl. 16.—22. 
Sieferung. (Scplufe.) gr. 8. 2. ©b. S. 386—799 uub VL Äug«burg 
1876, Sampart. ©ottfednhjg %% —. 


A 


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292 


9i t Ätgeitnmrf. 


Nr. 18. 


(^A'VUYr.y^Y^YoY^Y 





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Herausgeber: ^auC ^lin&au. — Verleger: $eorg §tiCfie in Berlin. 

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Profpecte gratis; Probeheft jur Hnjtdjt bnrdj jebe Buchhandlung. 

ZTCan fann jeher <geit in bas ilbonnentent eintreten. 

gn^aCt öes f oebctx auj&gcgeBerim an>citcn $>eftc& 


I. ff a n s F} o p f e n. gmtfdjen ^ or f un & Stabt 

Hooeüe. 

II. 3acob o. ifalfe in IPien. Pas Jenjler 

in ber IPohnung. 

III. Karl Pogt in <5enf. (Ein frommer Kn* 
griff auf bie heutige ZPtffenfdjaft, 
mit einem Porträt: 


Drama* 


IV. Kbolf tPifbranbt in IPien. 

turgifcbe Unterhaltungen. 

V. Kuno (fifcber in fjeibelberg. €in lite* 
rarifdfrer ^inbling als „Sefjtngs ifauft". 
VI. Paul £ tu bau. Jerbinanb £aflales le^te 
Hebe. (Eine perföttlicbe (Erinnerung. 
Kbolf IPilbranbt, nach bem (Delgemälbe ron Jran 5 £enbadj 
rabirt ron 3- Sonnenleiter in IPien. 


3 tt f e r « f e. 


gür ein Saftblatt ob. 0 rö|. pol tt. 8 ig. 
toünjdjt e. SJZufifrefereiit 5 . Wufiffeft 
in 6öln bie Veridjterftattung 511 übernel)= 
men. Off. unter H. H. a. b. @jpeb. b. ®t. 


Graue Lieder. Von L. W. 



Geschichte- und Sprachforscher, Theologen 
und Philologen 


machen wir auf unseren jüngst ausgegebenen 
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Snbalt: I. ®Rn 3ungö0arabieö. II. »un ben 
ßüttenbeib. IH. 4)e ©6ber SWael. 

@in ®anb oon 12 Vogen 8. brod). 2 JL 70 
eleg. in engl. Semen, jwelief*einbanb mit ©olb* 
preffiing 4 JL 

liNdfM) galt« 8.W., Stnbfnftrafcf no. 


©oeben erfcbieit im Verlage oon 3. Vacmrifler 
in fifenai|: 

®ie 

gcwerblidjen Jortbilbungöfttjultn 
Deutfdjlanbö. 

iReifeftubien unb iRcfotmöotfc^läge 

auf ©runb eine« 

ben ÄgI. ^rtu|. SRinifletien bei Äultu« 
uub ^anbeU eingerti^ien Weifeberi^tS 

auögearbeitet Oon 
Dr. plaget, 

Dirigent ber getoerblidpn ^ortbilbungSjdiule in (Hbing. 

. 2Rit 11 Anlagen. — 3 - 

Seeben wurde ausgegeben: 

Nachtbilder. 

Zehn Charakterstücke für Klavier 

von 

Theodor Kirchner. 

Op. 26. 

Zwei Hefte ä 3 JL 60 
Leipzig, April 1877. 

Breitkopf & Hirtel. 


90* bie Webactton nerantnwrtlicb: #»r| ^title in glerdn. 
%)zu& oon 01. g. Vmlner in /eifiig. 


hiermit beehren toir un« ba« (Srjc^eincn einer 
oierten omnrbrten Auflage 
Oon 

$ei«rty bon ©tj&el’« 

(kfäi'ljk in |« 0 l*funBjrit 

Ult 1789-95 

in Sieferungeit k 1 JL 
anp^eigeit. Siefg. lu.2, melden ein Sn^alt«^ 
üerjetebnij fomie bie Urteile mehrerer ber per; 
oorragenbften Sadjjeitfdjnfteit beigefügt, fönnen 
in ieber Vud^^anblung oorgelegt toerben. 

^te gortfelung erf^eint in rafdjer golge. 
3)üffelborf. 

Verlagilattllnttg len 3ulitt* Vnllend. 

3n meinem Verlage ift foeben erfc^ienen: 

Anno JSroeitauftnb. 

3u!unftSpoffc mit ©efang unb Danj 

Oon 

&axt ^tf^. 

Vrei«: 2 JL 

Verlin. £eo iiepmann»foßn, 
W. 52. Viarfgrafenftr. 


fifebition, ffterfi« N.W., JPouüenftrale 32. 


BAD HOMBURG 

V» Stunde von Frankfurt am Main. 

Homburg’s Heilquellen sind von durchgreifender Wirkung bei allen Krankheiten, 
welche dnreh die gestörten Functionen des Magens und Unterleibs erzeugt werden, auch 
bei chronischen Leiden der Drüsen des Unterleibs , namentlich der Leber nnd Milz, hei 
der Gelbsucht, Gicht u. a. w. 

Die Reinheit der frischen Bergluft empfiehlt Hombnrg zu stlrkendem Aufent¬ 
halt für NerTenleidende. 

Mineralb&der, Sool- und Kiefernadelb&der. Molkenkur. 

Das Orchester spielt täglich 3 Mal; ausserdem Militair-Concerte im Kurgarten, Extra- 
Concerte bedeutender Künstler, Theater, Bälle , Bdunions, Kinder- und Waldfeste, 
Feuerwerke, Illuminationen in steter Abwechselung. 

Im Knrhause elegante Conversations- und Tanzsäle, Lesezimmer, Caf^ mit Billards. 
Der bisherige Restaurant Chevet unter der früheren Leitung- 

Unmittelbar am Kurhause reizende Anlagen und Park mit Orangerie und Palmen hang, 
schattige Promenaden, Wald- und Oebirgspartieen. 


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äößdjenfdjritt für fitteratur, Äunft unb ojfentltdjeö ßebett. 


Herausgeber: «^ittbitlt in Serlin. 


3tkti Snitlnk t#isl ein |imnt. Serle 9 et: «eng «tf((e in »erlin. P«« J" 4 I*rt 50 Pf. 

Bn fetteten bunt «Be ©uflfenMunflen unb $ojtanftalteiu 3gerate lebet Äst pro Sgefpaftene ^etitjeile 40 $f. 


$ie „grictionen" beS $Heid)3fan$ler3. 9$on SB. Op ueitfjeint. — ©fyronit ber Oricntbingc bis pr $riea3crfläruttg 9iuf}lanb$. ®on 
Politicus. I. — ©ocialiftijdje Srrtbümer, foctale SBatyrljeitcn. Sou Wbolpl) ©arntcr. V. — Literatur unb fhm|l: 303aS ®ater 
Bltfiflft: ÄlejriS erjä^lt. $on gtuan Xurgäii jetu. (Ueberfefeung uon ß.) — Uebcr bie fünftlerifdje gorm uoti öffentlichen 2)ettfmälerii. 

Sott ©djaSler. (@d)lu&.) — Hu* ber $ramatifd)e Stufföhrungen. @iit ©lifemöbel. $offe mit (Bejang in 4 Sieten 

öon <£. (Sofia. SRufif uon <S. Sfeiflöcfcr. 93eft>rod)en uon $aul ßinbau. — Zotigen. — $3ibltograj)ljie. — 3nfcrate. 


Die „irirtioitfit“ bes tleidfBkanjIers. 

SWait mag lange fud)en in ben SBlättem ber ©efdjidjte, 
et>e man einem leitenben Staatsmann begegnet, ber in unb 
über ben ©renjen feines SaterlanbeS fo mächtig, in feiner 
Stellung fo unantaftbar befeftigt mar, wie gürft ©iSmard. 
®ie mächtigften Staatsmänner abfoluter ©tonardjien waren 
immer nur in wedjfelnben ©ünfttingSfteßungen; ein SRajarin, 
©hoifeul, ©otemlin, tonnte einer Hofintrigue jum Opfer 
faßen; bie größten Staatsmänner conftitutionefler SRonarchien, 
ein ©itt, ein ©eel ober ©atmerfton, ein %fjrtx8 ober ©mjot, 
mußten oft geringen Äammermajoritäten weiten unb waren 
nie fidjer, ob fte ihr Programm oom ©iiniftertifche aus ober 
oon ben ©änlen ber Dppofition entwideln burften. ©iSmard 
bagegen ift ber ©tinifter oon ©otteS ©naben; er fjat ein ©eich 
gegrünbet nnb ift mit biefem Steife innig oerwadjfen; er fteljt 
gleidjfam nominatim in ber beutfdjen SteiehSoerfaffung. Äein 
SRenfch lann fief» emftljaft oorfteßen, bafj Üngunft oon Oben 
if)n ftürjen, ober gar, bafj er einem parlamentarifchen ©lifj* 
trauenSootum unterliegen foßte. ©Sir haben uns fogar baran 
gewöhnt, uns oon ©arjin aus regieren ju taffen, unb biefeS 
pommerfche ®orf ober Stittergut macht jeitweilig ©erlin bie 
@h re ftreitig, ^>auptftabt oon iSeutfdjlanb ju fein. 2>eutfchlanb 
wiß oon ©iSmard regiert, fein nnb oerjidjtet auch nicht barauf, 
felbft wenn er Äranrheit oorfchüfct; es wiß bann lieber ein 
bischen weniger regiert fein, als oon einem Hnbten. 3n ber 
auswärtigen ©otitit, bie wahrlich ber brennenben gragen genug 
birgt, ift baS ©ertrauen ber Station ju ihm ein fo bltnbeS, 
bajj bie ©oltsoertretung laum eine grage an ihn richtet, ©in 
folget ©rab oon ©opularität, wie ©ismards, ift, in $eutf<h* 
tanb wenigftenS, noch niemals erreicht worben; eben fo wenig, 
als jemals eine mmifterieße Steßung in einem nicht abfolu* 
tiftifqien Staate mit foldben Äemtern unb SRadjtbefugniffen 
auSgeftattet war, wie bie {einige. 

Srohbem fuchen übereifrige unb aßju befliffene Anhänger 
mit bem Schein einer gemiffen Sutorifation bie ©teinung ju 
oerbreiten, bafi beS dürften Steßung untergraben werbe, baff 
feilt ©influfj gehemmt fei. ©erüchte, halbe fttnfpielungen, ©er* 
bächtignngen, apofrhPhe ©efdjichtdhen, bie nicht ju oerificiren 
finb, SlßeS wirb aufgeboten, um bie gegenwärtige ©eurlanbung 
beS großen SRanneS in einer baS ©ublicum beunrnhigenben 
©Seife auSjubeuten. 3n einem erften Slrtitel biefer »rt, ber 
oon ben 2eipjiger „©renjboten" aus bie fRunbe burch bie 
beutfehe ©reffe machte, war oiel oon weiblichen ffiinflüffen bie 
Siebe. £>en ©erliner SESifeblättem ein wiutommener Stoff! 
©iir bäucht aber, ba| bie ©reffe tarnen fchonen mü|te, weld^e 


fich in ber ©reffe nicht oertheibigen lönnen. Saffen wir bie 
©Seiber aus bem Spiel, erftenS aus Stitterlichleit, jweitenS aus 
i Selbftadhtung. ©Syr fteden jboch nicht mehr in ben 2ebenS= 
j oerhältniffen beS Ancien-regime; freilich, wenn baS conftitu* 
1 tioneße Spftem bei uns in ©Birllichfeit burchgeführt wäre, 
. lönnte bergleichen auch in ber fjorm ber ©erbädhtigung nicht 
I mehr auffommen. ' Selbft wenn aße biefe oon ben ,,©renj= 
i boten" angebeuteten Quengeleien wahrhaftig ftattgefunben hätten, 
! fo wären ©ismards Stellung unb ©olitit grof? genug, ba| er 
fte ignoriren bürfte. Sßer über ben ©fei fpringt, fpringt aud) 
über ben Schwanj. '©3er bie fociaten ©iemente, bie Statur* 
iräfte beS ÄBtthni unb beS ÄbergfaubenS, bie ber Ultrmnon* 
taniSmuS gegen ihn aufbietet, in offenem Kampfe nicht ju 
fhenen brauet unb feine weltgefchichtliche SRiffton an ihnen 
; fiegreich erfüllt, ber lann ben 3üngern ßopolaS gönnen, baff 
j fie bei Hofe in obfeurer ©Seife fchwaehe Xröftungen einftreichen, 
i bie mit ben StaatSgefd)äften gar nichts ju thun haben. 

UebrigenS haben in ©reufjen wohl manchmal Seute regiert, 
bie oon bem SRonarchen nicht officielt baju beauftragt waren; 
| feiten aber waren biefe Seute weiblichen ©efdjlechts. ©erabc 
1 oon ©antoffelljerrfcbaft erjählt uns bie branbenburgi(ch=preu|ifd)e 
! ©efchichte wenig ober nichts. 

! SRachen wir uns boh nicht Heiner, als wir finb! ®ic 
| öffentliche SReinung, welche ben SteichSfanjler trägt, ift ftärler 
! unb er felbft ift in höherem ©rabe oer ©tinifter ber Station, 
als er felbft anjuneumen fcheint. ®et SRann ift nicht burch 
Hofintriguen ju befeitigen. Seine ©egner erhöhen feine ©tacht, 
wenn feine ungefchidten Sobhubler fie nicht oerHeinern. 

©BaS ift alfo beS ©ubels Sern? SBoju ber 2ärm ber 
aßju offieiöfett fjreunbe? — 

©in jweiter Slrtilel, angenfcheinlidb aus berfelben Quelle, 
fpricht oon ben Hemmniffen, bie ber SieihSlanjler oon Seiten 
feiner Goßegen erfahre. ©Seit entfernt, feine ©läne ju förbern, 
feine grofjen 3been bienftfertig auSjuarbeiten, fteßten fte ben* 
felben pafftoen ©Biberftanb entgegen. ©S wirb auf baS Steigs* 
eifenbahnproject, auf feine wirtschaftlichen unb Steuerreform* 
pläne hingetoiefen. — Hiermit befinben wir uns auf befanntent 
©oben. ®a8 finb bie grictionen, oon benen ©iSmard fchou 
mehrmals ben SteichStag unterhielt unb bie er jebeSmat beweg* 
licfi fchilbert, wenn im SteidjStage bie Heefteßung oerantwort* 
lieber ©tinifterien jur Sprache lommt. 

Seitbem oor jehn 3ahren bie Storbbeutfchc ©unbeSoer* 
faffung in ben engen Sdjranlen eines oorgelegten SertragS* 
entwurfS unb mit einer gewiffen, oon ber hiftorifdjen Situation 
gebotenen H a fi Jur ©erathung unb ©ntfeasibung gelangte, 
gaben bie treueften, wärmften unb aufrichtigften Anhänger beS 
großen ©3erleS, baS ©ismards Starnen trägt unb oerljertlicbt, 


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294 


Sie ®egen»art. 


Nr. 19. 


ftetS ben wichtigen 5£^eil ber Verfaffung für unfertig unb 
»erbefferungSbebürftig erflärt, ber junäc£)ft feine conftitutioncfle 
Steßung normirt. (Sr allein trägt auf feinen breiten AtlaS* 
fdjuttern bie Verantwortlicf)leit für baS weite {RegierungS* unb 
VerwattungSgebiet beS Deutfcßen {Reiches, nnb wenn et e§ audj 
im ©anjen überfein fann, unmöglich !ann er eS im (Sinjelnen 
befjerrfdjen. 333er fo »iel tedjnifcfje Detailfenntniffe befäße, 
als bie einjelnen gächer erforbern, ber wäre ein potenjirter 
Delbrüd — unb bie Statur fd^afft fcßon bie einfachen DelbrfidS 
feiten genug, — fidjerlich aper wäre er fein ViSmard geworben. 
Der {ReichSfanjler fann aßerbingS feine Voßmachten belegiren 
unb »erteilen, aber bie ganje Verantwortlichfeit ruht immer 
auf iljm; biefe ift entweber erbrüdenb ober fie ift gar nichts. 
Unb baS Sefctere wäre nicht im Sinne beS {Reid)8fanjler8, 
bem es boc§ (Srnft ift mit einer Verfaffung, an beren 
©eftattung unb Ausführung er felbft ben größten Unheil bat. 
Unter feinen Voßmachten ift aber audj eine, bie er nicht 
belegiren fann unb bie beshatb aus jebem Unwohlfein unb 
jebem Urlaube beS ÄanjterS eine große ©taatsfrage macht: 
bie conftitntionelle (Sontrafignatur ber faiferlicßen Verfügungen 
unb (Srlaffe ftelit nnr bei ißm unb fann nicht übertragen werben. 
Dies ift eine Anomalie gegen alle conftitutioneHen ©ewohn* 
heilen, bie überall mit einem coßegialifdj organifirten (Sabinet 
ober ÜRinifterium jufanttnenhängen. „Der Äönig fann nicht 
fterben", — mit biefem {RedjtSfah, ben bie Dßronfolgeorbnung 
»erwirflicht, ift für ben wichtigften gactor ber ©taatSconti* 
nuität geforgt; aber ber S'anjler ift in biefem Sinne nicht 
unfterbtich, er fann plöfclich erfranfen ober fterben: wer unter* 
jeichnet bann bie (Stnennung feines {RachfolgerS? — Sa, er 
felbft muß feine (Sntlaffung unterfdjreiben. (SS fönnte boch 
einmal einen Äanjler geben, ber baS nicht tßun will. 

Daß bie {Reidjsoetfaffung an biefem {punfte unfertig ift, 
würbe jeitweilig non allen ©eiten jugegeben. Der (Sinfeßung 
»erantroortticher URinifter aber würbe Anfangs bie SRüdfid)t 
auf bie ©tettnng beS VunbeSrathS unb auf bie (Smpfinblichfeit 
ber founeränen VunbeSgenoffen entgegengehalten. Vis 1870 
würbe behauptet, baß bie ftrammere (Sonfolibation beS VunbeS 
im Snnern ber AuSbehnungSfähigfeit beSfelben nach Außen 
(über ©übbeutfchlanb) fchaben fönne. Die „monarchifche ©pifee" 
würbe bamals noch »erfüllt getragen, unb man war froh, uiit 
bem VunbeSrath unb feinen 2tuSfcf»üffen bem ^ßrojecte eines 
gürftenljaufeS entgangen ju fein. 

©obalb man aber bie grage nach ihrer inneren $wed= 
mäßigfeit beßanbelte, fo fpifcte fie ViSmard auf ben ©egen* 
faß jwifcfjen einer einheitlichen uno einer coflegialifchen Abmini* 
ftration ju nnb hob bie Vorjüge ber erfteren lebhaft ber»or. 
(Sr fchilberte bie„grictionen", weldje iu ißreußen ber jähe SBiber* 
ftanb ber (Sollegen bereite, unb jwar nicht bloS im BRinifterconfeil, 
fonbern non ben einjelnen BRinifterien aus, wo ©eheimräthe 
oft für ihr fpecielleS Departement einen „ßocalpatriotiSmuS" 
entfallen, ber baS ©emeinwefen beeinträchtigt. Als einmal, 
gelegentlich beS Dmeften*äRünfter’fchen Antrages im grühjahr 
1869, SaSfer »ermittelnb bie ©teUung eines engtifdjen Premiers 
barfteUte, ber für bie politifche Haltung beS (SabinetS unb für 
beffen innere Uebereinftimmung bie Verantwortung trage, bie 
Seitung ber ©pecialgefc^äfte aber feinen »erantwortlidjen 
(Soßegen überlaffe, ba fanb ViSmard biefen ©ebanfen fehr 
fpmpathifch unb äußerte: „333ir finb »ießeidjt in nieten Dingen 
einiger, als wir wiffen." 

DaS war, wie mir fcßeint, für bieSmal woßl ein Srrthum; 
ber VunbeSfanjler meinte burchauS etwas AnbereS, als ber 
berebte Abgeorbnete, ju beffen VorauSfefjungen es gehörte, 
baß ein englifdjeS ÜRinifterium aus ber Partei ber parlanten* 
tarifdjen ÜRajorität gebilbet wirb unb baburdj in fid) baS 
wefentlichfte URoment ber (Sinheit trägt, ber (Sinheit in fich 
unb ber Uebereinftimmung mit ber ßänbesoertretung. 

ViSmard fügte bamals tjinju, auf etliche BRiniftertitel 
fofle eS ihm jur {Roth nicht anfommen, wenn er nur in ber 
©adje nicht non feiner Ueberjeugung abjuweichen brauche. 
Diefe Sbee ift in einer etwas wunberlidjen S33eife in’S 


ßeben getreten: einige {ReidjSbeamte (früher Delbrüd, jeßt 
VütoW unb |>ofmann) tragen BRiniftertitel, aber nicht a.ls 
{ReichSminifter, nicht oem {Reichstage nerantwortlich, ber ihre 
©efdjäftsführung ju prüfen unb ju controliren hot, fonbern 
als preußifche ©taatSminifter ohne preußifdjeS Vortefeuitte, 
mit ©iß unb ©timme im preußifchen BRinifterratb, alfo im 
Sßrincip bem preußifchen Sanbtage nerantwortlich, mit bem fie 
nichts ju ttjun hoben. Von ben Kriegs* unb URarineminiftem, 
bie fa auch bem fReidje angehören, aber im preußifchen 
SRinifterium fifeen, gar nicht ju reben. SReuerbingS war nun 
in berfelben michtung angeregt worben, ob ber preußifche 
ginanjminifter nicht juglei^ SRinifter ber VeichSftnanjen fein 
foßte. SBie wäre es nun aber, wenn biefer Doppelminifter 
im Sanbtage ein SRißtrauenSnotum erführe, — was bei einem 
ginanjminifter, ber Steuern unb Anleihen erwirfen foß, 
immerhin felbft in Preußen nicht gaitj gleichgültig ift, — im 
fReidjStage aber persona gratissima wäre, ober umgetehrt?! 

9lße biefe Verfucße unb ^rojecte finb ungenügenb, wenn 
eS auch richtig ift, baß bie Angelegenheiten beS SReicßS nicht 
leicht in ber 333irl(i<hleit fo oon ben preußifchen Angelegen* 
heilen jn trennen finb, wie eS eine conftitntioneße Abftraction 
annehmen mag. „Seicht bei einanber wobnen bie ©ebanfen, 
bod) hott im SRaume ftoßen fich öie Sachen." Aber in ben 
bisherigen Vejiudjen liegt feine- Söfung. ©erabe bie jüngfte 
auffäßige „grktion" bejog fich ouf baS fReichSbubget, fpecieß 
ben SRarineetat. 

3Bir leugnen bie griftionen nicht, wir müßten fonft bie 
ÜRaturgefefje ableugnen. 333o Seben ift, ba ift griction. 5Rur 
ber fiegreiche AbfolntiSmuS fann fie momentan »ermeiben, 
aber er bejahlt bafür bie Äoften in ber 3“*ooft. {Regieren 
heißt Überreben. Daju gehört ©ebulb. Daß große unb that= 
fräftige 9Renf<hen leicht ungebulbig werben unb rafdj honbeln 
woßen, ift natürlich- Allier bie Heineren Seute finb eben baju 
ba, in ber inneren Verwaltung baS langfamere Dempo h«r= 
beijuführen, welches »or übereilten Verfugen bewahrt. Dcunit 
ift nicht gefagt, baß wir uns auf bie ©eite beS preußifchen 
äRinifteriumS gegen ViSmard fteßen: wir Wiffen ja nid)t ein= 
mal, ob unb was für Differenjpunfte obwalten. {Rieht unfere 
ißartei, fonbern gürft ViSmard ift ber Urheber ber (Sr* 
nennungen, welche baS preußifdhe {Diinifterinm bitbeten. 3n 
feinem Verhalten jum ßteich^eifenbahnproject, ju ViSmardS 
wirthfehoftti^en (Sonceptionen hot baS preußifche ÜRinifterium 
jebenfaßs einige 3Q3ißfährigfeit bewiefen; bie ©chwierigfeiten 
liegen f)kr ficßerlich mehr in ben Sachen felbft, als in ben 
{ßerfonen. 

(SS ift unmöglich, in biefen Dingen baS {ßubticum als 
{Richter anjurufen, ba eS an aßet juüerläffigen gnformation 
gebricht. 3BaS aber non ben erwähnten Vefchwerben unb An* 
Hagen auf einen ernften ^intergrunb jurücfweift, brängt uns 
bie Ueberjeugung auf, baß ber URittelweg jwifeßen AbfolutiSmuS 
unb {Parlamentarismus, ben wir bisher gewanbelt finb, ein gar 
horniger unb holbwegS unpractifabter {ßfab ift, baß, um „gric* 
Honen" ju »ermeiben unb bie ©ebanfen beS leitenben ©taatS* 
mannS, foweit fie ausführbar finb, jur ©eltung ju bringen, 
ein einheitlich^ ÜRinifterium erforberlicß ift, welches nur aus 
ber ÜRajorität ber VoitSüertretung gebilbet werben fann, unb, 
wie gegenwärtig bie Sachen liegen, nur aus einer liberalen 
ÜRajorität. DaS Sefctere bringt fd)Ott ber „Sulturfampf" fo 
mit fich- DaS Veftreben, bie liberale {Partei ju fdjwächen, 
hat, foweit eS erfolgreich war, bie ÜRacht beS meichSfanjterS 
nicht erhöht, güt feine große {potitif wirb er im ©anjen 
nur bei ber liberalen {Partei bie »oße Unterftüßnng fmben; 
bann aber fann nicht »erlangt ober erwartet Werben, baß bie 
liberale {Partei in ben {Rechts* unb wirthfdjaftlichen grogm 
fich ih ter ©elbftftänbigfät begebe unb »on ihrem {Programm 
auch nur einen wefentlidfjen $unft faßen taffe. 

ff. S. Oppenheim. 


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Nr. 19. 


1 i * ©egenmart. 


295 


C^rditik ber ®nentbingt bis j»r Äriegserklärung 
fttfMattbs. 

i. 

Äm 24. Slprit biefeS SaljteS h fl t Slußlanb fich als int 
SriegSjuftanbe mit ber Pforte befindlich erlfärt und finb noch 
am. nämlichen Dage die geinbfeligfeiten oon ©eiten ber ruffi* 
jc^en Struppen burdj baS Ueberfchreiten ber tftrfifchen ©renje 
* in Stfieit eröffnet morben. Der 24. Slpril 1877, als ber lag, 
an welkem ber ruffifchriürfifdfje Krieg feinen Slnfang 
nahm, bitbet ben Slbfchluß für eine mit fjartnäcfigen Stufftänben 
unb blutigen KriegSepifoben, büftem ißalaftreooluttonen nnb 
feltfamen SerfaffungSeEperimenten im oSmanifchen Steife er* 
füllte unb oon biplomatifc^en Serhanblungen jwifdjen ben 
Sertragsmächten durchlebte unb umrahmte Sßorgefc^id^te. 
ES ift ber geitpunlt gefommen, bie widhtigften Daten biefer 
83orgef<hi<hte in einem Ueberblicl jufammenjufaffen unb, fomeit 
bieS ber äußerlich ertennbare 3 u fammenhang ber Dinge ge* 
ftattet, ju einanber in Sejieljung ju feßen. SBohl oerftanben, 
ber äußerlich erfemtbate ßufamtnen^ang. Denn bie gäben, 
bie in bie Orientbinge non allen ©eiten einfdhießen, werben 
an ©teilen gefponnen, bie nur bem SBlicfe weniger Singe* 
weiften ihre ©eheimniffe entfchleiern. ^Beiläufig bemerft, 
fchemt uns bieS ber einjtge Sorjug ju fein, beffett heutigen 
DageS bie jünftige Diplomatie fich nod) oor ber übrigen poti* 
tifchen SEÖelt erfreut, baß fie in ihren ©pißen wenigstens bis 
ju ben Eabineten oorbringt, wo bie teitenben Staatsmänner 
am SBebeftuhl ber ßeit bie Schüßen ^in* unb ^erfliegen 
taffen. Das überlegene biplomatifctye Säbeln, mit welkem 
auf bie mehr ober minber irregeljenben Kombinationen nicht 
eingewei^ter Kreife, ju benen tn erfter Steife bie ju publi* 
jiftijcher Arbeit verpflichtete ißreffe gehört, oon Oben f>erabge= 
fe^en wirb, hat gewiß feinen guten ©runb; nur ift es fein 
befonbereS perfönlicheS Serbienft ber „Eingeweihten", baß fie 
Dinge, bie Urnen oon ülmtSwegen jugängtid) gemadjt werben, 
beffer wiffen als Shtbere, oor benen biefelben Dinge oon 3lmtS= 
wegen geheim ju galten finb. Sei ber Stufgabe, bie uns an 
biefer ©teile obliegt, taufen wir jedoch faum ©efabr, mit 
unfern Semerfungen einem Sefferwiffenben Slnlaß ju fwffifanter 
Kritif ju geben; wir werben uns nicht auf bie Suche nach ber 
Dinge oerborgenem Urfptung begeben, fonbern im Sichte beS 
DageS bleiben, wo wir bann freilich nichts SlnbereS finben 
fönnen, als was offen ju Dage liegt. Söenn wir bie DageS* 
ereigniffe, welche jufammen bte Sorgefdjtdjte beS ruffifch=tür= 
fifchen Krieges barfteQen, überfichttid) gruppiren unb untere 
einanber in ftufammenljang feßen, fo maßen wir uns bamit 
nic^t an, bem Scfer neue ©efichtspunfte für bas Serftänbniß 
ber Orientbinge ju erfdjliefjen ober bunlle Stbfchnitte berfelben 
durch überraf^enbe Sichteffecte ju erhellen. 3Bir wollen uns 
bamit jufrieben geben, wenn untere Shponif ber Orientbinge 
bis jum ^Beginn beS Krieges aufweift, warum eS jum Kriege 
fommen mußte unb wie fich biefe Sloihwenbigteit in ben ein= 
jelnen Ereigniffen wiberfpiegelt 

Die, Orientbinge liegen an fich «w beswegen ungünftig 
für eine friedliche, oon Stufen fyet ungeftörte Entwicklung, 
weit bie im SBefiß befindliche unb deshalb im Stecf)t wohnende 
mu^amebanifdje Seoötferung beS oSmanifchen SleicheS nur in 
ihrem fteinften Dljeile hinreichende greifinnigfeit ber Slnfchau* 
ungen fich angeeignet hat, um bie ©leidhberedjtigung aller 
Staatsangehörigen ohne Unterfchieb ber ^Religion als bie 
©runbbebingung ber Sjiftenj eines ©taatSwefenS ber ©egen* 
wart jujugeftehen. SBaS baher auch oSmanifchen SReich 
oon Oben h't angeorbnet werben mag, um ben gorblrungen 
ber dhriftti^en Seoötferung nach ©tei^berechtigung mit ber 
muhamebänifchen gerecht ju werben, es ift bisher ftets nur 
ein Dheorem gewefen; eS hat fich a ^ 8 ' n ber ißra^iS unau8= 
führ bar erwiefen, Weil bie auSführenben Organe ber SRehrheit 
nach ih tet Slnfchauung jufolge nur ein oerbienftli^eS 
SBerf ju thun benten, wenn fie bie ben Kf)tiften gemachten 


3ugeftänbniffe, als unter einer 3dJangStage erfolgt, in praxi 
nicht weiter beachten, fonbern nach wie oor ben äRoSlem als 
ben oon ©ott jur fjerrfchaft SluSerlefeuen, in feinem Siechte 
frühen, bie ©h r if ten c * ne ®wtbe (fRajah) im redjtlofen 
3uftanbe niebethfilten. Ausnahmen beftätigen auch in biefem 
gaüe nur bie Sieget. Die ©tärfe ber Steformpartei unter 
ben Dürfen ift nur eine geringe unb ihr ©influjj nach Oben 
hin nur beswegen jeitweife mächtig, weil bie Sßforte burdf) 
baS ©chlagwort „Steform" äufjere ©efahren befdjwören ober 
hoch ben aus ©rünbeit ber SRachtpotitif auf ihren ©dfiup be= 
bauten Siegierungen ein Slrgument an bie §anb geben will, 
ihre türfenfreunblidhe Haltung oor ber öffentlichen SReinung 
KuropaS einigermaßen rechtfertigen ju fönnen. 3m ©runbe 
genommen ift bei benen, weldje (Gelegenheit hatten, mit ,,3ung= 
türfen" perfönlich ju oerfeljren, ber ©laube an beren inneren 
©rnft bei ber Einführung oon Steformen nicht gar groß, fo 
baß bie allgemeine gorberung nach Sefteüung oon ©arantien 
für bie ju gewäßrenben Sleformen nur atlju berechtigt erfdjeint. 

Eine flacht, welche aus irgenb wetten ©rünben mit ber 
ißforte eine Serwidelung ftcrbeifü^reit will, braucht beswegen 
nur barauf ju warten, baß in irgenb einem £anbeStt)eile bie 
chriftliche Seoölferung, oieÖeicht aus ganj localen Sefchwerbe= 
grünben, „fich erhebt" unb für bie Sorgefchicfjte eines Orient* 
friegeS ift baS erfte Slatt jur SluSfütlung aufgefchlagen. 
Derartige Sorfommniffe wieberhoten fich f° häufig, baß eS 
gar nicht einmal irgenb welcher geheimen Slnreijung jur „Er* 
pebung" bebarf. 3m Slamen ber SRenfilichfeit unb Eioilifation 
werben bann Sorftellungen bei ber Sßforte erhoben unb ber 
Diplomat müßte fehr ungefchicft fein, ber nicht oon ba ab in 
einer angemeffenen ßeit ben ,Kriegsfall" herbeiführen fönnte. 
SiS wann baS Seßtere ju erfolgen hat, wirb fich tebiglich 
nach militärifchen Erwägungen richten; ber ÄriegSfaU muß 
gegeben fein, wenn bie StriegSbereilfchaft hergeftettt ift. DiefeS 
ikßtere bauert für Slußlanb j. S. lange genug, um in ber 
ßwifdhenjeit mit anderen SRächten f«h fomeit jn oerftänbigen, 
baß ber Slriea junächft wenigftenS „localifirt" bleibt, unb er 
Wirb biefen feinen Eharafter auch 5 U ®nbe beibehalten, 
wenn biefeS frühjeitig genug eintritt, was einmal oon bem 
fdfjnetlen Erfolge ber ruffifchen äBoffen, ferner aber oon SlußlanbS 
SRäßigung in ber SluSnufcung biefeS Erfolges ber befiegten 
fßforte gegenüber abhängt; hoch biefe ^Betrachtung führt uns 
fd)on in ben Strieg hinein, ja barüber hinaus, während Wir 
bodE) nur bis ju feinem ^Beginn das Slmt des Ehroniften über* 
nommen haben. 

Das erfte Shtjeichen bafür, baß bie Orientbinge bemnä<hft 
in gtuß gerathen würben, bot bie fogenannte „ißobgorißa* 
Slffaire". Sei bem Sefuche beS SRarfteS oon ißobgorijja, 
einem türfifchen ©renjort, waren am 20. October 1874 in 
einem Streite mit Dürfen oon festeren etliche jwanjig SRonte* 
negriner getöbtet worben; erft baS Einfehreiten ber ©amifon 
bämpfte das Slutoergießen. Es fchrie baS oergoffene SBlut in 
SRontenegro nach Slache; ber gürft SlifolauS oertangte oon 
ber Pforte als ©enugthuung bie ftrengfte Seftrafung ber 
©cßulbigen. Die eingefeßte ©peciatcommiffion fprach jedoch 
nur ßerferftrafen aus unb oerurtheilte feinen ber ©chulbigen 
jum Dobe. Der gürft oon SRontenegro forderte SBtut um 
SBlut unb, um bie Slectamation ju erledigen, oerhängte ber 
©uttan über einen ber ©chulbigen baS DobeSurtheil. Um 
18. ganuar 1875 wurde ju Eettinje bie große Slationalffup* 
fchtina eröffnet; ber gürft fprach fein unbedingtes Vertrauen 
ju Slußlanb aus, gab feiner Danfbarteit gegen bie wohlwollenden 
Stbfichten beS ftaiferS Slle^anber SluSbrucf; erflärte, baß er ben 
gegenwärtigen gürften Serbiens (SRitan Dbrenowitfch) als 
feinen treuen gromb betrachten fönne unb forderte bie Solfs* 
oertreter auf, in ihre §eimat jurücfgef ehrt, barauf ju fehen, 
„baß in unferem Solle bie ©efühle für unfer Saterlanb 
Serbien nie unb nimmer erfterben". Der Ehef beS firiegS* 
bepartementS 3lija ißlamenatfdh erflärte, baß bie Stnfchaffung 
oon Kriegsmaterial fehr bebeutenb unb baß er in biefer Se= 
jiehung beftrebt fei, SlUeS ju thun, „um SRontenegro für ge* 

* 

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296 


Hi t ©egejtwart. 


Nr. 19. 


wiffe ©oentualitäten in ben gehörigen ©tanb ju fefeen". liefet 
ganz unzweibejttige Hinweis auf einen beoorfteljenben ®ürfen= 
frieg würbe oon bei ©fuptfcßina mit großer greube begrüßt. 
®a inzwifdjen ber listige lag noch nicht erfcfjienen, fo würben 
nad) einer ©erftänbigung mit bet ©forte (am 26. 3anuar), 
über eine beibe £t)eite befriebigenbe ©rlebigung ber ©obgori|a= 
Slffaire, bie an ber ©renje jufammengejogenen Gruppen ent* 
taffen. 

®a8 ferbifdje ©aterlanb war injroifdjen non ber natio= 
nalen ©artei, bie burch bie ©efedfdjaft ber „Omtabina" weitoer= 
Zweigten ©influß auf bie ©eoölferung auSfibt, ju patriotifdjen 
SSadungen erlji|t worben. 3n ber ferbifdjen ®fupfd)tina hotte 
bie nationale ©artei baS entfdjiebene Uebergewidjt, wäljrenb 
gürft ©Milan, beffen ©inn getabe nicht auf SfriegSruhm ftefjt, 
unb in wetten bie biplomatifdjen Slgenten ber fremben ©Mächte 
brangen, fid) nid}t ju einer abenteuerlichen ©olüit fortreißen 
ju taffen, bie conferoatioe als bie oerf)ältnißmäßig frieblid)er 
gefinnte Partei begünftigte. Slm 25. ©März würbe bie @fup= 
fdjtina, in welker es ju feljr ffanbalöfen ©orfäflen getommen 
war, aufgelöft. 

®er Stpril 1875 brachte ben äußeren Sütlaß ju ber 
orientalifchen ©erwidetung. SluS ber Herzegowina tarnen 
ohrjerreißenbe Klagen ber s Jiajah über ©ebtüdungen burdh bie 
eingeborenen SöegS, benen bie türüfchen ©ehörben ©orfdjnb 
leifte, mit ben erften Flüchtlingen nach ©Montenegro, unb wür¬ 
ben oon bort in ber üblichen Uebertreibung weiter oerbreitet. 
Umgehenb antwortete bie ©forte mit ber ©efdjulbigung ©Monte-- 
negroS, baß es bie Unjufriebenheit in ber Herzegowina fdjüre. 
®och fanb ber SluSbrudj eigentlicher Unruhen erft um bie 
©Mitte 3uli ftatt; bei ber (Einziehung oon Steuern war in einer 
Drtjdjaft unweit ber batmatinifchen ©renje SBiberftanb geleiftet 
worben unb ein (£^rift hatte babei feinen lob gefunben. ®ie 
©eoölferung hotte fid) erhoben, bie tleinen türüfchen ©Militär^ : 
poften oertrieben unb bie öftreicfjifche gähne aufgepftanjt. | 
©dhneü behnte ftef» bet Stufftanb aus, ba überall bie Unju= 
friebenheit ber fRajah mit ihrer gebrüdten Sage ber Slufforbe= 
rung anfdjeinenb im SorauS jur ßeitung beS SlufftanbeS be= 
fignirter gfihrer, bie SBaffen ju ergreifen, in bie £anb arbeitete. 
$u Xaufenben würben bie Sitten unb Schwachen, bie SEBeiber 
unb Sfinber mit beerben unb HouSrath über bie ©renje nad) 
©Montenegro ober Dalmatien geflüchtet, währenb bie waffen= 
fähige ©Mannfdhaft ju 3nfurgentencorpS fich organifirte, benen 
oon allen ©eiten ©tammeSgenoffen juftrömten. ®ie im Sanbe 
befinblichen türüfchen ©treitfräfte waren junächft ju fchwabf), 
um baS gelb ju behaupten. 

®ie brei öftmädhte, welche, wefentlidj im ^inblid auf 
eoentueHe Serwidelungen im Orient, fich J u &«m fogenannten 
„®reifaiferbünbniß" fd|on oor fahren oereinigt unb barüber 
oerftänbtgt hotten, jebe wichtige internationale grage p- 
näcfjft unter einanber ju erörtern, um, wenn irgenb möglich, 
bann gemeinfam oorjugehen unb baburch ben grieben (Europas 
oor Störungen p behüten — fo etwa ift jene« „©ünbniß" 
in authentifdhen (Erläuterungen feines gweefeö bargeftedt wor= 
ben — haften ben Slufftanb in ber Herzegowina für eine 
Slngelegenheit, bie, wenn fie nicht bei ßeiten oon ber ®ageS= 
orbnung entfernt würbe, leicht bie orientaüfehe grage hinter 
fich h er jieh en Wnnte. 83or SlUem war Oeftrei^ in biefer 
Dichtung beforgt, welches feine Gruppen in Kroatien unb 
®almatien oerftärfte, bamit nicht bie (Erhebung in fein eigenes 
©ebiet hinüberareife. ®ie brei SWädhte machten in ©eigrab 
unb ©ettinje ©orftedungen gegen bie Unterftühung, bie ber 
Slufftanb in ©erbien unb ©Montenegro fänbe, unb brangen in 
bie fßforte, ben Slufftanb fo fchnell wie möglich b ü unterbrttden. 
Ob btefe Stritte oon jeber ber brei ©Mächte in ber Slbficht 
unternommen würben, bie orientaüfehe grage am (Eclatiren ju 
hinbern, ift jum minbeften fraglich; ^ebenfalls ift biefe 2lbfic|t, 
wo fie baS leitenbe ©Motio war, fchlteßlidh bo<h nicht oon ffir= 
folg begleitet gewefen. ®eutfchlanbS unb OeftreichS guter 
2BiHe fann wohl nicht bezweifelt werben; legeres räumte ber 
Pforte auf beten äSBunfdh ©efugniß ein, burch bas mare 


clausum oor bent §afen oon filel (wo baS türtifche ©ebiet, 
baS öftreichifche uuterbrechenb, an ben Canale della Narenta, 
eine fchmale ©udjt beS abriatifchen ©Meeres grenjt) Gruppen 
©eljufs Unterbrüdung beS SlufftanbeS auSjufchiffen, ba bie 3«= 
furgenten injwifchen fich ßinreichenb oerftärft hotten, um felbft 
©läge wie ®rebinje einjufchließen, unb ©Mitte Sluguft etwa 
auch ©oSnien oon SnfurgentencorpS burchftreift ju werben 
begann. ®ie ©forte, bem Slufftanb gegenüber auf militärifche 
(Erfolge rechnenb, bie benn auch ber (Sntfa| oon Xtebinje burch 
bie bei $let auSgefchifften Gruppen oorübergeßenb brachte, ocr= 
hielt fich noch immer ableljnenb gegen bie ©ermittelungSoerfndje 
ber brei ©Mächte. ®iefe waren injwifchen einen ©chritt weiter 
gegangen unb jwar war bieS ber entfeheibenbe ©dhritt, ber 
in logifdjer Singlieberung ber weiteren ©chritte fchließtidj junt 
Kriege führen mußte, wenn bie ©forte nicht jeber an fie ge= 
ftetlten gorberung nachgab, wobei fie freilich nid)t ficher war, 
baß ihre ©adhgiebigfeit nur jur ©teHung weiterer gorbevungen 
ermutljigt hoben würbe. ®ie Sotfchafter ber brei ©Mächte 
forberten, oon benen grantreidhs unb 3talien8 uuterftüht, baß 
bie ©onfuln ber ©ertragSmächte fich olS ®elegirte ad hoc auf 
ben ©chauplah beS SlufftanbeS begeben fotlten, um bie 3ufur= 
genten jur gormulirung ihter SSSünfche nadE) oorauS= 
gegangener ©uSpenbirung ber geinbfeligfeiten, fowie baju ju 
bewegen, baß biefelben mit ©ommiffaren ber ©forte in 
©eißanblung einträten. Zugleich fotlten bie ©onfutn bie 
3nfurgenten oerfidhern, baß bie ©Mächte für bie gerechten SBünfche 
ber chriftlichen ©eoölferung bei ber ©forte gürfpradhe einlegen 
würben. ®ie ©forte nahm biefe ©ermittelungSoorfchläge an 
(22. Sluguft) unb ernannte ©eroer ©afdja ju ihrem ©pcciaü 
commiffar für bie Herzegowina. — ®ie Sufurgenten waren 
inbeffen, ob aus eigener <Entfd)ließung ober auf ®irectioe oon 
außen her, bleibe baljingeftellt, nicht eben willens, ben SBeg 
ber ©erhanblungen *u betreten. Stuf einer ©efprechung ber 
3nfurgentendhef8 im Älofter Äoffierowo würbe (am 27. Sluguft) 
befchloffen: erftenS fich beffer zu organifireu, zweitens bie ©or= 
fchläge ber ßonfuln anzuhören, aber jebe beftimmte- ©rtlärung 
ZU oermeiben, ba man zunädjft 3nformationen einholen müßte. 
Slm 3. ©eptember trafen ber ©fortencommiffar unb bie fremben 
(Eonfuln in ©Moftar, ber Hauptftabt ber Herzegowina ein; oon 
ben 3nfurgentendhefS erfdhien SMiemanb. ®ie ©onfularcommiffion 
tßeilte fich (om 9. September) in zwei ©ruppen, beten eine ßcß 
in ©eoefinje, bie anbere in ®tebinje inftallirte, um mit ben 
SnfurgentenchefS zu oerhanbcln; fie fehlten am 22. ©eptember 
nach ©Moftar zurüd im ©efifce bet ©rtlärung, baß bie 3nfur= 
gentenchefS fi^ in ©erhanblungen zur Sache nicht eher eiit= 
laffen würben, bis ihnen ein SBaffenftiUftanb gewährt fei; ber 
©fortencommiffar bürfe an ben ©erhanblungen nicht theilnehmen. 
®roh biefeS ©Mißerfolgs würbe bie (Epifobe ber ©onfularcom= 
miffion nicht abgefdhloffen, fonbern bie (Eonfuln erhielten SSBei- 
fung, in ©Moftar zu bleiben, unb ©eroer ©afdja würbe inftruirt, 
ihre ©Mittheitungen entgegenzunehmen, ohne in ©erhanblungen 
binbenber Slrt mit ihnen einzutreten. ®ie ©laubücher, @rün= 
büchet unb ähnliche biptomatifche Slnthologien enthalten umfang¬ 
reiche, ©eridjte ber betreffenben ©onfularbelegirten; auf ben wei= 
teren ©erlauf ber ®inge hat ihre Stnwefenheit auf ber.©eobach- 
tungsftation ©Moftar feinen ©inftuß gehabt. ®er Äufftanb 
bauerte fort. ®ie ©forte oermehrte ihre ©treitfräfte in 
©oSnien unb ber n et i e 9°UH na unb häufte namentliA Grup¬ 
pen längs ber ferbifchen ©renze an, ba in ©erbien bie 
Stimmung fiA immer mehr erhifete. Slm 1. September trat 
bie ferbifqje ©fupfchtina p ^ragujewa| zufommen unb ber 
gürft ©Milan fah fidh genöthigt, ein nationales ©tinifterium 
mit ©iftitfeh an ber ©pi|e zu berufen. ®ie am 10. ©eptember 

S haltene ®htonrebe bezei^net bie Sage Serbiens als eine 
mierige, für bie Sänge ber 3eit unerträgliche, wenn eS nicht 
ber ©kisheit beS ©ultanS unb ber ©roßmächte gelinge, ©oSnien 
unb bie Herzegowina, beten ©dhidfal uns nicht glei^gflltig fein 
fann, zu pacificiren. ©erbien habe ein 3ntereffe baran, baß 
einer Sage ber ®inge, bie periobifch wieberfehrenbe Äufftänbe 
mit fich füh rf » ein für ade ©Mal ein ©nbe gemacht werbe. ©S 


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Nr. 19. 


Ulfe Gegenwart. 


297 


werbe beSljalb innerhalb ber ©reitjen feiner }chwad)eu Strafte 
baljin wirten, bafj ein ©rgebnijj erjielt werbe, welches $u« 
frieben^eit in Jene Sänber ju bringen geeignet fei. — Die am 
20. September non ber Sfupfchtina befdjloffene Äbreffe war 
fet)r entfliehen gehalten; fte »erficherte ben dürften, bafj bie 
Station nicht gleichgültig bleiben fönne für bie Sage ihrer 
©rüber in ©oSnien itnb ber tperjegoroina, bie mit ben 2Baffen 
für ihre SRenfchen« unb ©otf3red|te fämpften unb bereit Schmer« 
jenSfdjrei ein ©djo in ber eioilifirten SBelt gefuttben höbe; fie 
fei ju jebem Opfer bereit. 3n geheimer Sifeung würbe barauf 
am 28. September ber Stegierung ein ©rebit für militärifche 
gweefe bewilligt, gürft SRilan, mit biefem Stuf ju ben Stoffen 
nicht einoerftanben, »erlegte (am 29. September) bie Stuptfdjina 
nach ©eigrab; begab fiep (am 4. October) in bie Sifcung unb 
ertlärte, bafj er bte ©ntlaffung beS SRinifteriumS angenommen 
habe; er liefj (am 7. October) fämmtliche SRitglieber in feinen 
St'onaf fommen unb unter felbftooBjogenem StamenSaufruf über 
ben Stieg mit „3a" unb „Stein" abftimmen. gür ben Stieg 
ftimmte ba nur eine SRinorität »on 12 Slbgeorbneten. Das 
neue SRiuifterium Saljewitfdh fuhr inbeffen trop feines frieb« 
liehen ©rogrammeS fort mit ben unter Stiftitfd) begonnenen 
Lüftungen. 

Die ©forte fegte ittjwifdjeit, um ben ©orftellungen ber 
fremben SRäcpte beffer begegnen ju lönnen, ihren Steform« 
eifer burd) »iel»erfpred)enbe grofjherrliche gfermanS unb SrabeS 
in Scene. Schon am 1. September war ben ©ouoerneuren aller 
©ilajetS eingefchärft worben, über eine gute unb unparteiifdje 
^Rechtspflege bei ben (Berichten beS Schert (canonifchen Stecpts 
beS 3slant) unb ben Gimlgeridjten ju wachen unb pflid)t»er« 
geffene ©eamte jur gebührenben ©eftrafung anjujeigen, na« 
mentlich aber gegen bie ©ebrüefungen habgieriger Steuerpächter, 
als eine ber §aupturfa^en »on Unruhen, mtt Strenge einju« 
fchreiten. Sin 3rabe »om 2. October »erhiefj Steuernachläffe, 
©ertretung ber ©emetnben in ben ©ro»injial»erwaltungSräthen, 
©inberufuitg »on Deputationen ber allgemeinen ©ilajetsoer« 
fammlungen unb »on einjetnen Stotabeln aus ben ©rooinjen 
nach ©onftantinopel unb Anhörung berfelben, um für bie 
burdjjuführenben Steformen eine ©tunblage ju gewinnen. Der« 
artige conftitutionetle Slnwanblungen finb faft überall bie 
Shntptome einer h et rtnbred)enben 3rinanjfataftropl)e ge« 
wefen; fo auch pkt- 

9tm 6. October würbe bie Siebuction ber Binfen ber 
türfifdjen StaatSfchulb »om 1. 3anuar 1876 ab um 
50 ©rocent angeorbnet mit bem iHuforifchen ©erfprechen, bah 
nach fünf Sapren bie Binfen wieber »oU gejaplt, für bie 
injwifdjen nicht gejohlten 50 ©rocent nach fünf Sahren ein« 
julöfenbe Obligationen gegeben werben foUten. Damit war 
ber Staatsbanferott erflärt, hotte fich bie ©forte ben euro« 
päifdjen Sapitalmarft für bie ßufunft felber gesperrt. 3n ber 
Stote beS auswärtigen SRinifterS »om 7. October, welche biefe 
SRajjregel erläuterte, würbe bie fojufagen abfolute Unmöglich« 
feit eingeräumt, neue ^ülfSqueflen ju fdjaffen, um einerfeits 
ben Staatsgläubigern, anbererfeits auch not ben unabweiS« 
barften StaatSbebürfniffen gerecht ju werben, währenb boch 
bie burchjuführenben Steformen junächft nur eine ©ermel)rung 
ber Staatsausgaben jur feolge hoben fönnten. 

Der Steform«3rabe »om 2. October würbe burd) bie »on 
Ser»er ©afdja »om 15. October für ©oSnien unb bie tperje« 
gowina erlaffenen „Danfimat" (Änorbnungen) »erfünbet, unb 
barin u. 91. Slbfchaffttng ber Beljntfteuer, ©infammlung ber 
Steuern burd) eigene »ertrauensmürbige Organe, ©erwenbung 
ber eingegangenen Steuern junächft für örtliche ©ebütfniffe, 
namentlich für UnterridjtSjwecfe unb Schulbauten, »olle ferei« 
heit ber ©ultuSauSübung, ©infefcung eines ©rofjen StatpS bei 
ber ©ilajetSregierung, (Ernennung eines Stotabeln aus einem 
ber christlichen 9lbelSgef<hlechter jum 9lblatuS beS ©ali (©ila= 
fetSgouoerneur) »erl)etfjen. 9lm 20. October erliefe ber ©rofj« 
»ejier SRapmub Stebim ©afcha ein ©ircular an alle ©eamten 
jur (Erläuterung ber befchloffenen Steformen, worin ein befon« 
bereS ©ewicht auf bie alljährlich in jebem ©ilajet einjuberufenbe 


9lHgemeine ©erfamntlung (jeber Ort foUtc itt biefelbe einen 
©ertrauenSmann entfenben), ber u. 91. bie ©ertheilung ber 
Steuern obliegen foUte, gelebt würbe. 

DieOftmächte hatten tnjwifdjen über weitere gemein« 
fame Schritte jur ©eilegung ber Orientwirren, weldje 
©ejeichnung mehr unb mehr in ©ang fam, unter einander »er« 
hanbelt Oeftrei^=Ungarn, an beffen ©renjen ber §eerb 
beS 9lufftanbeS bampfte, übernahm in feolge biefer SReiftbetfjei« 
ligung bieSeitung unb ©orbereitung jener Schritte. Der 
öpreid)ifch=ungarifche SRinifter beS 9leu|ern, ©raf 9lnbraf[t), 
entwarf unb bie brei ^Regierungen »erftänbigten fich über rine 
Stote, welche bie gorberungen ber SRächte an bie ©forte 
präcifirte. 9luS »ergebenen Urfachen, an beten ßufäüigfeit 
übrigens Stiemanb glaubte, fonnte biefe Stote burd) bie brei 
©otfdjafter in ©onftantinopel nicht fofort überreicht werben. 

3n bie baburd) etwa »on 9lnfang Stooember ab gewonnene 
ferift fiel (25. Stooember^ ber 9lnfauf bet in ben Jfjäuben 
beS Ähebioe befinblid^en Suejcanalactien burch ©ngtanb, 
was aBgemein bie 9luSlegung fanb, bah bie englifd)e Stegierung 
[ich 9tngefi<htS ber immer mehr »erwiefetnben Orientfrage gegen 
jebe Soentualität ju beden unb »or 9lflem fich bie ©erfügung 
über ben nädjften Seeweg nach Subieu ju fiefeern fu^e. 

Unterm 12. December würbe »om Sultan ein auf baS 
ganje SReid) fich bejiehenber 9teform«german ertaffen. ßu« 
gefagt würbe barin eine grünbliche 3uftijreform, bafirenb auf 
ber Unabhängigfeit unb Unabfehbarfeit ber 9tid)ter; eine ge« 
rechte ©ertheilung unb orbnungSmäfjige ffirhebung ber Steuern; 
freie 9luSübung beS SuttuS; gteicfemäfeige gulaffung afler 
Unterthanen ohne Unterfchieb beS ©laubenS ju ben öffentlichen 
9lemtern u. f. w. Stiemanb würbe burch biefe grofeherrlicfee 
SBiBenSbefunbung befriebigt; biefelbe erf^ien »ielmehr lebig« 
lieh als eine 3ßuftration ber tro| aBer früheren Steformoer« 
heifiungen nicht beffer geworbenen StechtS« unb ©erwaltungS« 
juftänbe unb folgeweife als ein ©runb mehr, bie enbliche 
Durchführung ber nun fo oft fchon »erheifeenen Steformen 
burch befonbere ©ürgfehaften, ©atantien, ficher ju fteflen. 
Die Oftmächte »erhandelten benn auch über bie in biefer §in« 
ficht erforberlichen SRobificationen ber 9lnbraffh=Stote, welche 
am 30. December 1876 ihre befinitiöe feaffung erhielt, in ber 
fie ben übrigen ffiertragSmächten mitgetheilt würbe. Die ©e» 
beutuna biefer Stote lag nicht in bem 9luSmafj ber »on ihr 
unter fünf ©unften aufjjejäljlten Steformen, bie junächft jur 
©eruhigung ber aufftänbtfchen ©rooinjen »erlangt würben, 
nnb beren Dringlichfeit bie Stote bamit begrünbete, bafj anbem« 
fafls im nächften Frühling ber 9lufftanb fich weiter »erbreiten 
unb Serbien unb SRontenegro in ben Äampf eintreten möchten. 
Die ©ebeutung ber Stote lag »ielmehr barin, bafj am Schluffe 
als „bie grölte Schwierigfeit, welche man um jeben ©reis über* 
winben muff", „baS grünblich eingewurjelte SRijjtrauen, 
welchem aüe ©erfprechungen ber ©forte bei ben Steiften begegnen", 
bejeidjnet würbe. Die (Sonclufion, welche bie Stote barauS jog, 
war: „Die ©abinete halten es für bur^auS nothwenbig, ju »er« 
langen, bafj bie Stegierung beS Sultans burch eine offi« 
cielte SRittheilung ihre 9tbjid)ten in ©ejiehung auf baS ge« 
fammte Steidj, wie fie in bem 3rabe. »om 2. October unb in 
bem feerman »om 12. December bargelegt finb, beftätige, 
unb bafj fie jugleidj ben SRädjten ihre 9lnnahme ber oben 
(in ber Stote) erwähnten ©unfte notificire, welche bie 
©eruhigung ber ©rooinjen jum befonberen ßrneefe haben. 
Ohne ßweifel würben bie ©hriften burch biefe SRittel nicht 
bie feorm ber ©arantie erhalten, welche fie äugen« 
blicftich ju »erlangen fdjeinen; aber fie würben eine 
»erhältni|mä|ige Sicherheit in ber Dhatfadje felbft finben, 
bafj bie octropirten Steformen »on ben SRächten als uner« 
läfetich anerfannt werben unb ba| bie ©forte (Europa gegen« 
über bie ©erpflidjtung übernimmt, fie jur 9luSfüh« 
rung ju bringen."—9llS eine SRafjregel jur SBiebererwecfung 
beS ©ertrauenS ber chriftlichen ©eoölferung würbe (©unft 4) 
bie @infe|ung eines jur §älfte aus SRuhamebanern, jur ^älfte 
aus ©haften beftehenben, »on ben ©inwoljnern ber ©rooinj 


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298 


ffl i e ©egenmart. 


Nr. 19. 


I 


aus ben Rotabein gewählten äuSfdjuffeS, um bie Ausführung 
ber Reformen ju übermalen, üorgefchlagen. 

Rachbem bie Regierungen ber anberen VertragSmächte 
bent Sn^alte ber Rote beigepftid^tet hätten, würben bie barin 
empfohlenen Reforntborfchläge in ibentifdjer Raffung non ben 
33otfd)aftern DeftreicfiS, RufjlanbS unb DeutfdjlanbS am 
31. 3anuar 1876 ber Pforte überreicht, währenb bie Vertreter 
ber übrigen brei Vertragsmächte bie barin enthaltenen Vor* 
fd)läge im Ramen ihrer Regierungen unterftüfcten. Am 6. gebruar 
ertlärte bie Rforte ben Votfcfjaftern, bajj fie befdjloffen höbe, 
ben aufftänbifthen ®iftricten bie in ben fünf RunKen ber 
Anbraffh*Rote erwähnten Reformen ju gewähren unb am 
16. gebruar oeröffentlidjten bie ßeitungen in ©onftantinopel 
eine officiöfe R?ittf)eilung bahin gehenb, baff VeljufS Raciftct* 
rung beS AufftanbeS ber Sultan, unter Sefräftigung ber im 
lefcten german (oom 12. ®ecember 1875) enthaltenen aHge= 
meinen Reformen, für VoSttien unb bie Herzegowina noch 
bie Durchführung befonberer Reformmafjregeln (entfprechenb 
ben oon ber Pforte acceptirten Vorfcf|lägen ber Anbrafftj=Rote) 
angeorbnet unb gleichzeitig eine allgemeine Amneftie für bie 
Aufftänbifchen, bie junt ©ehorfam jurütffehten, erlaffen höbe. 

Hier fchltejjt bie erfte Rbafe ber Vorgefdjicfjte beS gegen* 
wärtigen OrienttriegeS ab. Sin nothwenbiger Ruhepunlt für 
bie Action ber VertragSmächte ift gegeben, Runädjft muffte — 
fei eS nun aus wirtlichem Vertrauen jur Durchführung ber 
oerheifeenen Reformen unb jn beren beruhigenber SBirlung, fei 
eS bloS um ber SSBahrung beS äußeren AnftanbeS wegen, ber 
bei ber Rforte ben reblidhen SBiUen borauSzufefjen heifdjte — 
abgewartet werben, ob nicht in golge ber Reformwißigfeit 
ber Rforte bie, nach ben officiellen ©rllärungen wenigftenS, 
Don allen Rtädjten fehnlichft herbeigewünfd)te Racification 
VoSnienS unb ber Herzegowina unb bie allein bie gortbauer 
beS griebenS oerbürcjenbe VefdjWidjttgung bet djriftlcchen Ve= 
Döllerung beS oSmamfchen Reiches eintreten würbe. 2Bir taffen 
beSfjalb auch jo «nfeter Darftctlung einen Ruhepunlt eintreten. 

Politicus. 


JodfllifKfdje 3rrif)fitner, fociale Wahrheiten. 

$on ^bolpti Samtcr. 

V. 

®a8 focialiftifche Rarteigetriebe. 

@3 ift unmöglich, bie focialiftifdjen Srrthümer ju be* 
fptechen, ohne baS focialiftifche Rarteigetriebe ju berühren. Sann 
bas, was fie Wollen, als ftidjholtig nicht befunben werben, fo 
muh noch wehr, wie fie ihre Sorberungen geltenb machen, auf 
SBiberfprudj ftofjen. SBer eS unternimmt, bie ©efdjide ber 
SRenfchheit ju behanbeln, unb fich gar unterfängt, fie in anbere 
Sahnen lenlen ju wollen, ber muh bor Allem ben boüen fitt- 
lidjen ©rnft mitbringen, welcher ju biefer hohen nnb für ben 
Einzelnen, unb fei er bie perfonificirte SBeiSheit, unerreichbaren 
Aufgabe erforberlich ift. @3 ift unmöglich, für bie focialeit 
SRifjftänbe nach Slbtjütfe ju fuchen, ohne bie Entwicklung ber* 
felben genau ju Derfolgen; es honbelt fich in erfter Sinie barum, 
ben 3nfammenhängen unb Verfettungen, aus benen fie entfprun* 
gen, nadjzu formen. DiefeS führt nothgebrungen ju gcfdjichtlichen 
Unterfudjungen; mit jwingenbet ©ematt Dertieft man fich in bie 
©efchidjte ber einzelnen VolfSftaffen, ber Völler, ber fReufdjheit. 
Unb welch ein Vilb beS XrübfalS, Sommers, GlenbS enthält 
biefe ©efchichte. ©3 bebarf beS Karen VlicfeS unb ber Doüen 
©nergie, um trofc beS traurigen VilbeS, welches bie ©efchichte 
entrollt, ben oft tief Derftecften ffortfdjritt ju erlennen unb bie 
Hoffnung auf bie 3ufunft ju bewahren. Vei einem tieferen 
©ingehen in bie ©efchichte fafjt einen wirllich »ber SRenfdjheit 
ganzer Sommer" an, unb Wenn man noch fo Wenig auS ihr 
mitbringt, wenn man noch fo Diele Rrobteme ungelöft hinter fich 


taffen ntuh, ein unzweifelhaftes Refultat hot bie ©efchichte für 
jeben Sorjeher: ihn mit tiefem ©rnft ju erfüllen, ber fi<het 
eines gewiffen XrfibftnneS nicht entbehren wirb. 

Unb mit biefer Stimmung, bie fich eines 3eben bemäcfj* 
tigen muh, ber fich wit ber focialen Srage befchöftigt, Dergteiche 
man bie focialbemofratifehe Rreffe, wie fie in ihren Schriften 
unb 3eitungen fich funbgibt. @S hot Riemanb baS Recht, ber 
focialbemofratifdjen Rartei borzuwerfen, fie meine eS nicht ernft 
mit ber Sache, bie fie Dertritt, fie habe nicht beS Volles SBoljl 
im äuge, aber ihr ganzes ©ebahren legt eS in ber Xljat nahe, 
anzunehmen, eS fei ihr nur um Aufreizung unb Vergiftung beS 
VoltSgeifteS, um äuffta^elung ber wilbeften Seibenfd^aften ju 
thun; fie Oerbiene nicht, bah man fich wit ihr in ernftliche @t= 
örterungen einlaffe, Dielmehr feien alle SRittel anjuwenben, um 
fte ju oernidjten. ®ie SBortführcr ber Socialbemolraten werben 
mit einem gewiffen Schein Don Recht fagen: unfere ©efeKfdjaftS: 
juftänbe finb nid^t baju angethan, fie mit Sammethanbfchuhen 
anjufaffen, auch lönnen wir mit ben Arbeitern, ben getnedjteten 
Arbeitern, nicht in fanfter Rebeweife fpredjen; fie müffen jur 
©rlenntnih ihrer unwürbigen Sage gebracht werben, bie grofee 
SRaffe muh ouS ihrer Sethargie aufgerüttelt werben. ©3 fei 
barum, bah unfere ©efeHfchoftSjuftänbe eine fdjarfe Äritit 
herauSforbern, bah bie Dhren ber ärbeiter ftärlere jöne Der: 
langen, als in ber fogenannten gebilbeten SBelt angefchlagen 
werben; aber muh benn Schärfe ber Sfritil in mahlofeS Schmähen, 
offene beutliche Sprache in giftige Rebewenbungeit auSarten? 
3Jtiiffen bie Rtaffen erregt werben, um eine Vefferung ihrer Sage 
ju erzielen, unb muh Z u biefem Veljufe äUeS mit ber gröhten 
©ehäffigleit zufammeugetragen Werben, was geeignet ift, Unzu= 
friebenheit unb §ah z u erregen; muh, WaS SRiOionen heilig 
unb unantaftbar ift, bie Religion oerhöljnt, alfo in ber Iljot 
ber VollSgeift üergiftet unb an bie Derberblidjften Seibeufchaften 
appeöirt Werben? 

feine Heuchelei! SSitl bie focialbemofratifehe Rartei auf 
eine ReDolution hiuarbciten, fo erltärt fidh ihr ©ebahren; ba3= 
felbe wirb nur Derftänblich, Wenn ihr 3iel bie ReDolution ift. 
Reoolutionen taffen fi^ nicht immer Dermeiben, fie finb im ge* 
gebenen Rtoment gefeitfdhafttiche Rothwenbigleit, unb nur fdjwache 
Seelen werben, falls fie ba finb ober auch nur in fieberet Äu3= 
ficht ftehen, Dor ihnen fcheu zurüefweidjen. äber auf Reoolu* 
tionen hinarbeiten ift baS benlbar Sehmachtollfte unb Xh ö ' 
richtfte. SBeil fchon Reoolutionen wie ©rbbeben fommen unb 
als Raturnotljwenbigfeit ertragen werben müffen, fo ift eS um 
fo terwerflicher, bie mit ihnen üerlnüpften ©räuel abfiehttidj 
ijeraufzubefehwören. 9Jtan fehe auf baS nufcloS oergoffene Vlut 
in ber ReDolution Don 1789. ®ie Srüdjte ber franzöfifchen 
Rebolution für bie 2Renf<hheit mögen nicht hoch genug beran* 
fchlagt werben lönnen; aber niemals wirb ber Rachweis zu er* 
bringen fein, bah olle ©räuel, bie in ihr gefdjehen, eine Roth 1 
Wenbigleit Waten, bah oll baS Vlut, fei eS ber Häupter ber 
ReDolution, fei eS ber unzähligen Schutblofen, bergoffen werben 
muhte, um baS zu erreichen, was erzielt ift. RiematS Wirb 
ber RachweiS z« erbringen fein, bah nicht burdj eine zeitgemäfje 
Reform hätte erzielt Werben lönnen, WaS als Refultat ber Re* 
botution gepriefen wirb. ®ie Stein=parbenberg’fche ©efe|gebung 
hat tief unb erfolgreich in bie ©igentljumSorbnung unfereS 
VaterlanbeS eingegriffen unb war im öoüften Sinne beS SBorteS 
eine — wenn auch frieblidje Rebolution; wie Spbet (©efchichte 
ber franzöfifdjen Rebolution) conftatirt, „war bie Anhäufung ber 
©ütermaffen 1792 nicht geringer als 1788. 3)ie groben Ve* 
fi^ungen hotten fich tu onberer Seife gruppirt unb bie Herren 
gewedhfelt, ober bie 3aljl ber ©igenthümer war nicht gewachfen. 
Xenit bie Heineren Vauern unb bie ärmeren Seute, bie fich 
1791 zum Saufe gebrängt, waren zum gröhten Xljeile barin 
berunglüdt. Sßer nicht fchon im SSinter erlegen war, würbe 
burcfj Unruhen bor ber SriegSerflärung zum Vettler. Specu* 
tation unb Agiotage tljaten baS Uebrige: genug, ber gröhte 
Xheil ber Sirchengüter befanb fich jefct in ben ^änben ftäbtifcher 
Gapitatiften. Vor ber Rebolution ift ber Voben ber Keinen 
SBirthfdjaften ganz f° 9 r °6 gewefen wie heute." ®ie Reoolu* 


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Nr. 19. 


9ie <5*g*it mar t. 


299 


tionen fabelt, felbft abgefehen Don ben Gräueln, bie fie unb 
jtoar nothgebrungen im befolge haben, gemeinhin eine SReaction 
jur golge, welche einen wesentlichen Iheit oder angeblichen Gr; 
rungenfdjaßen wieber iHuforifd) macht. DaS Gnbe ber franjö= 
fifc^en SRebolution (eit 1792 war Schließlich baS Regiment 5Ra; 
poleonS I., ber Stebotution bon 1848 ÜRapoteon in., be$ Gont; 
muueaufftanbeS baS Regiment 2Rac äRaljonS, Don welchem bie 
Socialbemolraten nicht enthußaSmirt Sein werben. SRebolutioneu 
anbahnen ift nicht nur ein Verbrechen, eS ift eine Xhorheit. 
SBaS Sich aus ber IRebotution troß ber nach ihr folgenben SRe= 
action erhält, hätte auch *m 3Bege ber SReform erjielt werben 
tönnen. SRicht nur jeber Sittlich empßnbenbe, fonbern jeber 
richtig benlenbe SRenfdj wirb immer nur eine Reform, niemals 
eine 9teootution#in StuSfidjt nehmen. Die SRebolutionen finb 
gemeinhin mehr golge beS SSiberftanbeS ber ^rtoilcgirten Klaffen, 
bie ihre Vorrechte, auch wenn fie lange hinfällig geworben finb, 
nicht aufgeben wollen, als Derjenigen, welche einen neuen 3« : 
ftanb b er &eiführen wollen. Diefe bringen es immer nur ju 
einer SRebolte; ju einer SReoolution treiben bie ^atöftarrigen 
Anhänger eines bereits iiberwunbeuen 3eitalterS. 

SSürbe eS fi<h nur um bie focialbemotratifche Sßartei als Solche 
hanbeln, fo lönnte man über ihr Auftreten getroft hinweggehn; 
mag immerhin jebe Partei, Soweit es fie fetbft betrifft, ihren Stn= 
fchauungen ÄuSbrud geben, — aber, unb beShalb ift es un= 
erläßlich, ffcfj mit ihr auch nach biefer Stiftung ju befdjäftigen, 
ihr Auftreten gefä£>rbet bie Sache, ber fie bienen wollen; es 
ift ein wefentli^eS ftinberniß ber fociaten SReform. Die focial; 
bemofratifche Sßartei fchrecft junächft eine große Stnjaht Sßerfonen 
Don Vehanblung ber focialen grage jurüd, unb entjieht ißr 
Kräße, bie recht wohl geeignet finb, ihr wefentlidje Dienße ju 
teiften. GS wäre ein jwar nahe tiegenber aber fehr billiger 
unb feineSwegeS jutreffeuber Ginwanb, wenn bagegen behauptet 
würbe, bie SJiitWirlung fchtoachherjiger Seelen, bie auf Grunb 
beS focialbemolratifchen SluftretenS überhaupt baoor jutüdßhreden, 
fich mit ber focialen grage ju befdjäftigen, wiegt fehr leicht unb 
tann entbehrt werben. Ser Kreis Derjenigen, bie fich «mR mit 
ben fociaten gragen befchäftigen, iß ein Diel ju Heiner, als baß 
man ihn ohne Vebenlen noch mehr einengen foHte. GS ift 
minbeftenS muthwiHig, bie gotberungen, welche im gntereffe 
einet focialen Umgeftaltung aufgefteUt werben, ganj abgefehen 
baoon, wie weit fie berechtigt finb, in einet SBeife geltenb ju 
machen, baß fie bie große äRehrjaht jurüdßhredt. 3Raß unb 
Umfang biefer gorberung finb Doch minbeftenS Strittig, woju 
noch burch bie gorm ben Streit Derftärfen? Seicht benft 
fich auch bie focialbemotratifche Partei nicht bie Durdjfeßung 
felbß ber bered» tigtßen focialen gotberungen; es ftnb eine 5tnjaht 
Vorurtheile unb Voreingenommenheit, eine übergroße SRaffe 
Zweifel, berechtigte unb unberechtigte, ju befeitigen; woju noch 
biefe Kämpfe baburch erfchweren, baß man neben Vebenfen — 
gur<ht erregt? DaS Stnwachfen ber focialbemolratifchen Ve« 
wegung bewetß an ßdj fehr wenig. Die güljrer ber focial-- 
bemotratifchen Partei werben fich am wenigßen hierüber einer 
läufdhung hingeben; fte wißen am beften, was ihre Grfotge ju 
bebeuten hoben. — Unb nicht nur bie öffentliche SReinung wirb 
Durch baS Auftreten ber focialbemolratifchen Partei gegen fociale 
^Reformen eingenommen, wäfjrenb ße bei fachgemäßer Veijanb; 
lung für biefelbe gewonnen werben lönnte, fonbern auch bie 
fociale Gefeßgebung wirb entfdjieben Durch bie focialbemo; 
hatifche Partei auf gehalten. Viele bahin fchlagenbe Gefeße, 
beifpielSweife baS SeljrlingSgefeß, Pbänberungen ber Gewerbe; 
orbnung, wären Rhon lange burchgefeßt, wenn nicht bie gurdjt 
herrfchte, man macht ber focialbemolratifchen Partei Sngeßänbniße. 
SBeber bie Regierung, noch bie nationaltiberale Partei unb felbft 
bie gortßhrittspartei wirb biefeS jugeben wollen, aber bennoch 
iß eS wahr. Unb wenn bie Gefeße lommen, bann werben fie 
auS gurdjt not ber Socialbemolratie (f. ^ülfSlaßengefeß) ein; 
geengt, eingefchnürt, ße werben entfliehen burch bie gurcht Dor 
ben Socialbemolraten beeinßußt. 3Rag biefe Sdjulb auch in 
erßet Sinie bie Gefeßgebung treßen, ße trifft wahrlich nicht in 
lefcte* Sinie bie Socialbemolratie mit. 


Die focialbemotratifche Partei wirb burch ißt Gebühren 
bie geinbin ber Sache, ber fie bienen will; bie fociale SReform 
wirb nicht am wenigßen Durch ße felbft aufgehalten. 0b fie 
Schließlich jur Grtenntniß bierton tommen wirb, ob ße anbere 
SBege einßblagen wirb, wirb bie 3ulunft ergeben; ße h“t in 
einem ihrer Organe erttärt: fie fei bereit ju lernen. Die 
fociale Vewegung würbe baburch unenblicß gewinnen, benn wie 
biete grrthümer auch innerhalb ber focialbemolratifchen Partei 
noch obwalten, bie fociale grage beherrfcht bie Gegenwart, unb 
nicht ben politißben Parteien, fonbern ber fociaten Partei ge; 
hört bie 3utunß. 

(®d)tu8 folgt.) 


ofiteratur unb 


tt)ö0 Datei Vieris erjalflt. 

9Son (Etirgdnjetp.*) 

(Ueberfefeung uon % 8.) 

Gs ift nun wohl jwanjig gaßte her, baß ich in meiner 
Gigenfdjaft als Snfpector bie jiemlich beträchtlichen Güter meiner 
Dante burchßreifte. Die berfdjiebenen Dorfpfarrer, mit benen 
ich mich betannt ju machen für meine Sßßi^t hielt/ Waren gn; 
bioibuen Wie aus einem Stüde unb nach berfetben Schablone 
gefchnitten. Sn bem testen SBeiter, ben ich }u befidhtigen hotte, 
tarn ich enblidj mit einem Sßopen jufammen, ber mit feinen 
VcrufSgenoßcn leine äehnlichteit hatte. GS war ein alter, naheju 
hinfälliger SRann, ber fdjon längft feinen Slbfdhieb erbeten haben 
Würbe, Wenn ihn bie Dringlichen Vitten feiner Gemcinbe, bie 
ihn — unb baS ift in SRußlanb eine Seltenheit — liebte unb 
Derehrte, nicht }um Vteiben Derantaßt hätten. 

3wei Vefonberheiten ßelen mir an biefem Vater ftlejiS 
auf. So nannte man ben Sßopen. 3«nächft bettelte et nicht 
nur nichts für fich felbft, fonbern erllärte mir fogar Don Dorn; 
herein, baß er nichts brauche; fobann erinnere ich mich nicht, 
jemals auf einem menfdjlichen Stntlijj ben 9tuSbrud einer tieferen 
Drauer, einer DoUftänbigeren SoSlöfung Don Stllem gefehen ju 
haben, einen folgen äuSbrud beS „Sebenbigtobten",- wie man 
bei unS fagt. 

Die Süge biefeS GefidjtS waren gewöhnlich; eS War ein 
VauemthpuS: gefurchte Stirn, Heine graue 9lugen, große 3tafe, 
jugefpiftter Kinnbart, fonnenDerbrannte, rothe |>aut. 3lber ber 
3tuSbrud! Sn bem ertofchenen Vlide ßaderte nur mühfam unb 
gar traurig ein IReft Don Seben auf, unb auch bie Stimme war 
erloßhen, als ob fie nicht mehr lebte. 


*) Die folgenbe Grgätjlung beS rufftfchen Dichters war urfprAngtidj 
für bie 9Ronat8fchriß „9torb unb ©üb" beftimmt, in beten Slaljmen 
biefelbe auch beßer hineingepaßt hätte als in ben ber hitifdjen Sochett; 
fchrift „Die @egenwart". Wein äußerliche ©rünbe oeranlaßen uns jur 
Aufnahme ber ©rjählmcg an biefer Stelle. Die ©efchichte erfdjeint in 
ruffifcher Sprache in einer Petersburger SRetme, welche baS Datum beS 
1 . SKai alten ©tilS (13. Wtai) trägt. Da lein Vertrag wegen Schußes 
beS geiftigen SigentßumS jwif^en Wußlanb unb Deutßhlanb befteßt, fo 
lönnte eine beutfche Rettung bie Durgänjew’f^e WooeHe am 17. ober 18. 
in einer nicht autorifirten Ueberfeßung auS bem jRufßfdjen bringen. DaS 
Sunißeft bon „Worb unb Süb" Wirb aber erß am Gnbe biefeS SRonatS 
auSgegeben, unb unter biefen Umßänben würben wir fomit gänzlich 
barauf haben bereichten mäßen, bie Grjählung bon Durgänjew ju bringen. 
Daju tonnten wir uns um fo weniger entfcßließen, als nach Den 8euße= 
rungen beS ruffifcßen DicßterS berfelbe fich leiber, wenigßenS einßweilen 
bon ber literarifcßen Probuction gänjlich jurücfjieht. Qnbem wir bie 
WobeHe in ber „©egenwart" gleichzeitig mit ber rufßßhen Webue ber; 
ößentlidjen, lönnen wir uns bie Priorität ber Veröffentlichung in Deutfeh; 
lanb unb baS Originale ber Hrbeit fidjern. Die obige Ueberfeßung ift 
bie einzig autorißrte. D. 9t. 


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300 


Nr. 19. 


9 it Äegonwart. 


St würbe front uitb mufete einige läge ba« ©ett Ritten, 
©ater Slteji« befutte mit jeben Stbenb; nid)t um mit mir ju 
plaubern, fonberit um ®urafi ju Rieten; er fcf)ien an bem Spiel 
mehr Gefallen ju finben al« it- ©ine« Slbenb«, als er mit 
mehrere SRale matfeh gemalt batte, brachte ich bie Unterhaltung 
auf fein »ergangene« Seben, auf feine Sümmerniffe, beren fo 
beuttiche ©puren et jeigte. ©ater Slleji« tiefe fich perft nötfeigen, 
aber er erjählte mir fcfeliefeticfe hoch feine ©efchidhte. Srgenb 
etwa« an mir mufete ihm. gefallen haben, benn mit bem erjten 
©eften Wäre er ftwerlit fo offenljerjig gewefen. 

Sch wifl oerfuchen, biefe ©rjälfeung, unb fogar mit feinen 
eigenen SBorten wieberjugeben. ©ater Stlejfe« fptacfe in einfacher, 
Harer, logifdjer SBeife, ohne irgenb eine jener Stebewenbungen, 
wie fee bem geifeticfeen ©tanbe unb ber ©ro»inj eigentümlich 
finb. St h°be feljon mehr at« einmal bie SBahrnehmung ge= 
macht, bafe biejenigeit Stuften, bie ba« Seben gehörig h e tum= 
geworfen h°t unb bie fttiefelit mit Sittern abgeftloften haben, 
fich fammt unb fonber« biefer einfachen 8lu«brad8roeife bebienen, 
wie immer auch ihre gefeflfehafttite ©tetlung fein mag. 

©ater Slleji« begann atfo: 

St hatte eine gute unb »erftänbige grau. St liebte fee 
»on ganjem £erjen, unb fee ftenfte mit att Äinber; aber faft 
alle ftarben in früher $inbheit. ©inet meiner ©öljne würbe 
©rjbiftof; er ift »or nitt tanger 3eit in feiner ®iöcefe geftorben. 
SRein anberer ©ohn, Sofob, — non bem will it 3h n en jefet 
erjäljlen. 

St bratte ihn auf ba« Seminar ber ©tabt %. St 
erhielt batb »on ihm bie günftigften ©eritte. @r war tn allen 
3weigen be« Unterritt« ber ©rfee. ©ton at« junger ©urft 
that er fet baljeim burt feinen Steife unb feine 3uriicfhottung 
peröor. ®r fprat ben ganjen lag fein SBort, fafe über feinem 
©ute uub ta«. Stiemat« bereitete er nn«, Weber mir not ber ©opin, 
bie geringftc Unannehmtitfeit. @« war ein bemütf)ige« f?erj! 
©iöweiten nur übertiefe et fet ber Träumerei in einer SBeife, 
bie feinem Sitter nitt jufeanb. ©eine ©efunbheit War nicht 
befonber« „fräftigtit"- 

®em begegnete nun cinft eine gaitj feltfame ©efehitte. 
©r war gerabe jehn 3af)re att geworben. Suft am läge »or 
©t. ©eter »erliefe er ba« £au«.beim SRorgengrauen unb btieb 
währenb be« ganjen ©ormittag« braufeen; enbtit fam er wieber. 
SBir fragten ihn, meine grau unb it, wo er gewefen wäre. 

— St bin im SBalbe fpajieren gegangen, fagte er; uub 
ba ift fo ein Keiner grüner ©rei« gefommen, ber hat »iet mit 
mir geplaubert unb mir Heine Stüfte geftenlt, bie rett gut 
geftmeeft hoben. 

— SBa« für ein fteiner grüner ©rei«? 

— St weife e« nitt, it h°6e not nie fo eine» gefehen; 
ein ganj Heiner ©rei« mit einem #öder auf bem Stüden, ber 
immer mit ben ©einen jappelt unb tatt unb tatt unb grün ift, 
grün wie ein ©aumbtatt. 

— SBiefo grün? ©ein ©efett aut? 

— ©ein ©efett unb feine #aare unb feine Stugen aut- 

Unfer ©ohn hotte niemals bie Unwahrheit gefagt; aber 

jefct befefetit un«, bie ©opin unb mit, ber 3>oeifet an ihm. 

— ®u bift im SBalbe eingefehlofen, bie Sonne hat ®ir 
auf ben ®opf geftienen, unb im ®raume tjaft ®u ben Heilten 
©rei« gefehen! 

— St h°be nitt gefttofen. Unb feljt her, toenn 3h r 
mir nitt glauben wollt, hier habe it not eine Heine Stufe, bie 
in ber ®afte geblieben ift. 

©ei biefen SBorten nahm Sofob bie Stufe au« ber ®afefje 
unb jeigte fee un«. ©« war eine runbe grutt, bie ungefähr 
einer Äaftanie äljntit war, nur mit einem gtaum überjogen, 
unb ben gewöhnlichen Stüften gar nitt glüh- 3t legte fee bei 
©eite, um fee bem Slrjte fpäter ju jeigen; aber it habe fee 
nitt wieber finben tönnen. 

SBir bratten atfo unfer $inb auf ba« Seminar, wie it 
fton bie ©hre hotte, Shnen mitjutljeilen, unb er erfreute un« 
bort fehr burt feine ©rfotge. Oftmals fagten wir un«, meine 
grau unb it: ?tu« bem wirb ’ma«, ein ganjer SDtann! SBenn er 


au« ben Serien heimtehrte — e« war eine wahre greube, ifen ju 
fehen mit feinem hübfefeen ©efett! ®abei war er ftill unb fettig, 
gefiel aller SBett, unb alle SBett wünfefete un« ©tüd ju biefem ©ohn. 
Stur mit feinem Körper War e« nicht, wie e« hätte fein follen. 
©r blieb mager, unb bie gute garbe ber ©efunbljeit wollte fich 
nitt immer auf feinem ©efett jeigen. Unb fo wirb er nun 
alfo 19 Safere alt; mit feinen ©tubien wirb er batb fertig 
fein, ba belommen wir ptöfjlit einen ©rief »on ihm, uub er 
ftreibt un«, unfer ©ohn Satob: „Sieber ©ater unb liebe SRutter! 
©eib nitt böfe auf mit, geftattet mir in ba« welttite Seben 
jurüefjutreten. SJtein $erj wiberftrebt ben geifetiten ©flitten. 
St höbe Slngft »or ber ffierantworttitfeii; it höbe Slngfe »or 
ber ©ünbe. ®et 3weifet ift in mir aufgetautt. Ohne ©ure 
Suftimmung unb ohne ben gamitienfegen nÄbe it mit P 
nicht« entfttiefeen; aber it mufe ©ut ©ine« fagen: nt fürtte 
mit ö or mit fetbft, weit it ju benten begonnen habe." 

Sit» wein werter $err, wie biefer ©rief mit betümmerte! 
©r gab mir teiber bie ©ewifeheit, bafe it in meinem Slmte 
feinen ©rben hoben würbe. SRein ättefter ©ohn ift SRönt! 
Unb biefer jüngere will nun gar ben geifetiten ©tanb ganj 
oertaffen! ®ie Statritt war mir um fo fcfemerjliter, at« in 
unferer ©emeinbe feit jwei Saferfeunberteti alle ©open SRitglieber 
unferer gamilie gewefen waren. St wufete mir aber fagen: 
SBa« foK e« taugen, mit bem Jfopf gegen bie SBanb ju renueit? 
®a« ©etfeängnife treibt ifenl SBa« würbe ba« für ein Seelen: 
feirt werben, ben 3weifet an fet unb an feinem ©erufe be: 
ftteiton! 

St nahm mit meiner grau Stücffprate unb ftrieb an 
meinen ©ohn ungefähr fo: „D mein ©ohn Sofob! ®enfe nat! 
SRife jehnfat bie ©Oe ab, be»or ®u banat fefeneibefe. ©rofe 
finb bie ©twierigfeiten unb ©ebrängnifee im weltliten ©tanbe: 
bie Äälte, ber $uuger unb bie ©erätttidjfeit gegen ben ©rieftet: 
feanb. Sw Sorau« mufet ®u e« wiffen, mein ©ohn, Stiemanb 
Wirb ®ir bie hütfreite £>anb entgegenfereefen. Safe e« nitt 
barauf anfommen, fpäter ju bereuen, wa« fet nitt wieber gut 
maten täfet. SRein fefentiter SBunft ife, Wie ®u weifet, aH«: 
jeit ber gewefen: in ®ir meinen Statfotger ju hoben. SBenn 
®u aber an ®einem ©erufe ju jweifeln begonnen hofe, Wenn 
®u in ®eiuem ©lauben erftüttert bift, jiemt e« mir nitt 
mehr, ®it jurüdjufeatten; ber SBiOe be« $errn geftehe! ®eine 
SRutter unb it Werben ®ir unferen ©egen nitt »erfagen." 

Unb Safob antwortete un« unoerjüglit: „®u h«fe wit 
überglüeflit gematt, ©ater! ©« ife meine Sbfett, mit bem 
Saienfeubium ju weihen. ©« fehlt mir nitt an ©önnern; it 
Werbe bie Uniüerfetät bejiefeen. 3t werbe ®octor werben, benn 
it fühle in mir eine grofee Steigung jur SBiffenftoft." 

St lo« Sofob« ©rief unb würbe barüber nur not 
trauriger. Unb halb hotte it Seinen mehr, ber meinen Äunt: 
mer teilen foOte; benn meine arme Sitte erfätiete fet jufe ju 
ber 3eit unb fearb. SBar e« wegen ber ©rfättung, ober weit 
fee bet liebe ©ott au« ©armherjigfeit für fee ju fet nahm? — 

SBie oft weinte it für mit, ®Utwer ber ich war, unb 
ganj aOein; aber wa« war ba ju tun? Oft wäre man gtücf: 
tit, wenn man unter bie ©rbe fäme, aber fee ife hart, biefe 
©rbe, unb öffnet fet nitt nat ©etieben! ®a« war atfo ba« 
©eftid, ba« mir befefeieben war, unb gleitjeitig erwartete it 
meinen ©ohn; benn er hotte mir gemetbet, bafe er nat $oufe 
fommen würbe, bevor er nat SRoStau fet begäbe. Unb richtig, 
er fam aut batb in ba« väterliche $au«; aber er blieb nicht 
lange; e« war, at« ob irgenb etwa« ihn befeänbig auffeatette. 
©r hätte gtüget hoben mögen, um fo ftneO al« möglich P 
feiner lieben Univerfität ju fliegen. St befragte ihn toegeu 
feiner 3weifet, aber it erhielt nur wenig Stuffttnfe. ©in 6t: 
wa« hätte er fet in ben ftopf gefegt, — biefe« ffitwa«, unb 
nitt« weiter. 

SH« er mit »erliefe, um bie Univerfität ju bejieljen, nafem 
; er taum einen $eUer mit fet, nur ein paar fiteiber. ©r hotte 
! närnlit grofee« ©ertrauen ju fet/ unb nitt ohne ©raub! 6r 
| befeanb fefer gut fein ©jamen, er würbe ©tubent, »erftaffte 
1 fet ©rioatfeunben; benn er war in ben alten ©praten gut it- 


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Nr. 19. 


301 


Bit ®egelunart. 


fcfelagen. SBürben ©ie eS glauben? St (Riefte mir fogar ©etb. 
DaS machte mit Steube — gewife niefet bes ©elbeS wegen, baS 
idfe ifem mit liebebotten ©orwürfen jurücffdfeicfte, aber weil iefe 
barauS erfafe, bafe bet iunge ©lenfcfe ei weit btingeit würbe. 
Aber aefe, meine ©efriebigung war nur bon furjet Dauer. 

SBäferenb bet erften Serien teerte et feeim unb wie wunber; 
bar, «fe erlannte meinen Jafob gat niefet mefer! ©o traurig, 
fo berfefeloffen war et gewotben. ©tan tonnte faum ein SEBort 
aus ifem feerauSbringen. 

Sr fd^ien um jefen Jafere gealtert ju feaben. Sr war ja 
jefeon früher, baS ift richtig, fdfeüdfetern gewefen, er errötete bei 
bet geringften Äleinigfeit wie ein junges ©täbefeen, aber wenn 
er bie Singen auffefelug, fo fafe man wofel, baff ei in feiner 
©eele liefet war.' Jefet aber — baS war leine ©dfeücfeternfeeit 
mefer — baS war 93erfd^ött»tert^eit, baS war ©ienfcfeenfcfeeu wie 
beim SEBolfe; er fafe fo bon unten herauf! fragte id) ifen, fo 
fefewieg er, ober jeigte bie Jäfeoe. Sein ©rufe, fein Säcfeetn; 
ber reine ©tein! Jtfe fragte miefe: feat er fiefe bem Drunfe er= 
geben? Der $immet befeiite uns babor! Ober bem harten* 
fpiel? Ober ift ifem irgenb etwas jugeftofeen in Solge einer 
©efewätfee für baS weibticfee ©efcfeleefet? Denn in bem Sitter 
üben bie ©eije eine ftarte SBirfung; unb in einer fo grofeen 
©tabt Wie ©ioSfau, ba fefett eS niefet an fcfelecfeten Seifpielen 
unb fefetedfeten ©etegenfeeiten. 86er nein, niefets bon attebem 
war es. SEBaS er tränt, war nur ÄwaS nnb SBaffer, er fafe 
fein SBeib auefe nur bon ber ©eite an unb berfeferte gar niefet 
mit ben Jünglingen feines Alters. 

SBaB mir am bitterften bon AHem war, baS war, bafe er 
baS ©ertrauen ju mir bertoren batte. Sr trug eine ©leicfe= 
güttigteit jnr ©dfeau, bafe Alles ifem fefeat unb nitfetig ju fein 
{«feien. Jtfe oerfudfete mit ifem über feine ©tubien unb bie Unis 
üerfität ju fpreefeen — nun, auefe barauf batte er feine, wenigflenS ■ 
feine gute Antwort. Sr ging freitidfe jur $ircfee, aber ni«fet i 
ofene eine gewiffe ©efrembung; fonft War er immer berftfeloffen 
unb ungefeilig, aber ba in ber ßirtfee fefewebte beftänbig ein 
leifeS Söefeeln um feine Sieben. Ju biefer SBeife öerbraefete er 
feefeS SBoefeen bei mir, bann reifte er nadfe ©toSfau I 

©on ©toSfan aus fiferieb er mir mehrere ©täte unb es j 
wollte mir nadfe feinen ©riefen fefeeinen, als ob er auf beffere I 
©ebanten getommen wäre. ©un benten ©ie fi«fe meine ©es 
ftürjung, Wertfeer $err, als plöfelidfe, mitten im SBinter, wenige | 
Etage bor SBeifenaefetcn Jafob plöfelicfe erftfeeiut! SBie? SBaS? j 
Auf Weltfee SBeife? Jefe wufete ja, bafe ju ber 3«it feine , 
Serien finb. 

— Du tommft auS ©toSfau? i 

— AuS ©ioSfau. | 

— Unb bie Uniberfität? 

— Die feabe itfe im ©ti«fe gelaffen, bie Uniberfität. 

— Du feaft fie bertaffen? 

— Ja boefe, ja. 

— Sür immer? 

— Sür immer. 

— ©ift Du franf, Jafob? 

— ©ein ©ater, oerfefete er, itfe bin uiefet traut! 

Aber fein ©efiefet featte einen AuSbrucf, bafe itfe gerabeju 
eutfefet babon war. SS war fürcfeterlicfe, bieS ©efitfet, finfter, 
nitfet menf«feti«fe. Die SBangcn eingefeöfett, bie ©acfenfnocfeen bors : 
fpringenb; nur #aut unb ßnotfeen. Die Stimme, als wenn fie 
aus einer Donne täme, unb bie Augen — allmächtiger ©ott, 
was waren baS für Augen! Drofeenb, witb, ein ewiges #in 
unb #er, niefets Stetiges, bie Augenbrauen jufaramengejogen 
unb au<fe bie Sippen oerjerrt. Stcfe, was war auS meinem armen* 
Jafob geworben, aus meinem unfefeulbigen Jofepfe - geworben! 
Jefe berlor faft ben ©erftanb. Sollte er berrütft geworben fein? 
baefete itfe bisweilen. Sr irrte feerum wie ein ©efpenft, er ftfelief 
uiefet in ber ©aefet. Sr feierte plöfelicfe in eine Sefe unb würbe 
wie ein Stein, bafe es mir eistatt über ben ©fielen tief. Sr 
featte mir gebrofet, bafe er baS $au3 oertaffen würbe, wenn itfe 
ifen nitfet jufrieben tiefee, aber itfe war ber ©ater, iefe fafe, Wie 
meine lefete Hoffnung jufammenbraefe, unb ba feätte itfe fefemeigen 


füllen! O nein! Unb eines DageS — idfe featte bie ©elegeus 
beit gut abgepafet — ba befefewor itfe Jafob, mit Dferänen in ben 
Augen befefewor idfe ifen, im ©amen feiner oerftorbenen ©tutter: 

— D Jafob, fage mir als Deinem geiftlicfeeu unb fleifcfes 
lidfeen ©ater, was feaft Du? Döbte miefe niefet, fage Dein ©c= 
feeinmife, fcfeütte mir Dein $erj aus! ^aft Du irgenb einer 
«feriftlicfeen ©eele etwas SöfeS jugefügt, fo bei«fete eS. 

— ©un, ©ater, fagte er mir ptöfetiefe, unb bieS gefdfeafe 
bei Anbrutfe ber ©aefet, Du feaft miefe erfcfeüttert, itfe werbe Dir 
bie ganje ffiaferfeeit fagen. Jefe feabe feiner Seele etwas Söfcs 
jugefügt, aber meine eigene gefet ju ©runbe. 

— SBiefo baS? 

— Jefe will eS Dir fagen. Unb Jafob btidfte ju mir 
auf, jum erften ©lat feit bier ©tonaten! 

— SS ift nun fefeon Oier ©tonnt feer, begann er. Aber feier 
oerfagte ifem bie ©timmc, unb er atfemete feudfeeub. 

— ©ier ©tonat, fagft Du? SBaS? @o fpridfe boefe, fpanuc 
ntiefe niefet auf bie Softer! 

— ©ier ©tonat feer, baß itfe Jfeu fafe, Jfen! 

— Jfen? SBet ift baS? 

— Jfen, ben ntau niefet neunen barf, wenn bie ©aefet anbriefet. 

©tir würbe eS falt üont ©efeeitel bis jur ©ofele, unb itfe 
fing au ju beben. 

— SBaS? Jfen? fragte itfe, Du fiefeft Jfeu? 

— Ja. 

— Du fiefeft Jfen jefet? 

— Ja. 

— SBo? 

Jtfe Wagte niefet ben Äopf ju wenben, unb wir fpratfeen 
beibe mit gebämpfter Stimme. 

— 2Bo? wieberfeotte itfe. 

— Da, ba feinten; unb er bejeiefenete mir mit bem ©lief 
einen ©unft, — ba, ba feinten! 

Jtfe befeerrfdfete miefe unb blicfte natfe ber bejeidfeneten ©teile, 
©iefets. - 

— Aber Jafob, ba ift ja nicfetS; im ©amen bcS $immetS! 

— Du fannft eS niefet fefeen, aber itfe, itfe fefee! 

Jefe blicfte noefe einmal fein, Wieber nicfetS; unb ba fiel 
mir bet Keine ©reis aus bem SBalbe ein, ber ifem eine ftaftanie 
gefefeenft featte. 

— 5B3ie fiefet et aus? fragte itfe ifen. ©rün? 

— ©ein, niefet grün; fefewarj. 

— ©fit Römern? 

— ©ein, er fiefet fo auS wie ein ©lenftfe, aber et ift ganj 
fefewarj. 

SBäferenb er fpratfe, featten fiefe feine Sippen übet bie 3“fene 
geftütpt, er War bleitfe wie ber lob geworben, unb et brüefte 
fiefe an miife, unb feine Augen traten aus bem ftopf feerbor. ©o 
ftarrte er auf ben ÜBinfel ba feinten. 

— Aber bas ift ja nur bet ©dfeein, fagte itfe ju ifem; 
Du fiefeft baS ©efewarje eines ©cfeattenS, unb Du feättft baS 
für einen ©ienfdfeen. 

— O nein, iefe fefee feine Augen, ba, ba, er rollt fie, er 
erfeebt ben Arm, er maefet ein 3*i<fecn. 

— SSBarte Jafob, taffe miefe gefeen, itfe Witt SBeiferaucfe att= 
jünben, ein ©ebet fpreefeen unb Dicfe mit bem geweifeteu SBaffer 
oom ftopf bis ju ben Sü^en befprengen. 

Jafob fdfeob miefe mit einer ©ewegung bei ©eite. 

— Jefe glaube nidfet an Deinen SBeiferauefe noefe au Dein 
SBeifewaffer, baS ift niefet einen ßopefen wertfe; Den werbe iefe 
niefet loS werben! ©eitbem Sr ju mir getommen ift, eines DageS, 
eines ©ommertageS — oerwünfefeter Dag! — ift Sr mein ewiger 
©egleiter, unb iefe tann Jfen niefet oerjagen. Das mufet Du 
wiffen, ©ater, unb nun wunbere Dicfe nidfet mefer über mein 
©etragen, unb quäle miefe niifet weiter. 

— Aber an welcfeem Dage fam er ju Dir? fragte iefe, in* 
bem idfe baS 3eicfeen beS jheeujeS über meinen ©ofen maefete. 
SBar eS an bem Dage, ba Du mir über Deine 3weifet feferiebft? 

Jafob ßiel meine ^anb jurücf. 

— Saffe miefe, macfee miefe niefet jornig, bafe nidfet noefe 


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302 


Sie Gegenwart, 


Nr. 19. 


Schlimmeres gefdjieljt. (SS bängt an einem $ärcE)en, bafe id| 
mir etwas antfeue. 

©ie fönnen fic^ benten, mein wertber $err, mie mir bei 
attebem ju ©iutbe mar. ®ie ganje 9?ad)t, ich weife eS noch, 
habe ich gemeint. „0 mein $err unb Sott," badete ich, „wo» 
mit feabe i<fj Zeinen Born öerbient?" 

$ier jog ber ©ater ätejis aus feiner Safere ein grobes 
tarrirteS Zafchentud), unb mäbrenb er fidj bamit fchneujte, Der» 
fud^te er mit einem Bfrfel beS ZudjeS fid» baS äuge ju mifdjen. 

Steifet fd^ted^t, fufer er fort, mar nun baS Beben, baS für 
uns begann. 3$ batte nur einen Sebanfen. SBenn er nur nid^t 
baoonläuft, menn er nur nidjt fiefe fetbft etmaS antfeut! 3<h l> e & 
ibn neefet einen äugenbtid aus ben äugen, aber id) hütete midj 
wofet, ibnt ein SBort baoon ju fagen. Stun featten mir ju jener 
Beit ganj nabe bei uns eine ©adjbarin, bie SBittroe eines 
Dbriften, SJtarfa ©amidjna mar ibr ©ame. 3cfe hotte grofeeu 
SRefpect oor ibr, weil fie, obwohl jung unb fdjön, boefe eine Der: 
ftänbige unb rubige Stau mar. 3cfe befugte fie bäufig, unb fie 
batte lein DeräcbttidjeS ©orurtfeeit gegen mein ämt. ®a i(b 
oor Summer unb ©orgen nicht mehr mufete, maS ich anfangen 
fotlte, erjählte ich ihr plöfelicfe äfleS, maS gegeben mar. Bu» 
uädjft mar fie ganj entfett. SS burchfchauerte fie; unb bann 
fam ibr ein (Sinfatl. ©achbetn fie lange gefebmiegen, fpradj fie 
ben SBunfcfe aus, meinen ©ofen fennen ju lernen unb mit ibm 
eine Unterrebung ju hoben. Unb i«b b fl tte gleich baS Sefüfet, 
bafe ber SBunfcfe ber Srau Dbriftin auf alle SäHe erfüllt merben 
müffe; benn eS mar nicht roeiblidje ©eugier, fonbem etmaS 
änbeteS, fjöbereS. 3<fe feferte nach £>aufe jurüd unb oerfuebte 
3ofob ju überreben: 

— Somm, mein ©obn, mir wollen bie Dbriftin befueben. 

äber er ftröubte fiefe mit $änben unb Süfeen: 

— Stein, ich gebe nicht! febrie er. SBaS hoben mir uns 
ju fagen? 

äber febtiefetiefe brachte ich ihn boeb baju unb fuhr ihn, 
nadjbem ich meinen Keinen ©glitten befpannt hotte, jur Dbriftin; 
unb bann liefe ich f»e, Wie mir überein gefommen maren, allein. 
3fb munberte midj felbft barüber. SBeSfeatb bat er nur fo fdjnelt 
feine (Sintoilligung gegeben? äber gut, gut, um fo befferl 

®rei ober oier ©tunben fpäter fam mein 3ofob mieber. 

— ©un fagte ich, mie finbeft ®u unfere ©adjbarin? 

<Sr antmortete mir nicht, aber ich liefe mich nicht abfdjteden. 

— ®S ift eine tugenbbofte ®ame, fufer ich fort; unb fie 
ift ®ir gemife freunblicfe entgegengefommen. 

— 3a, fie ift ntd^t mie bie anbeten. 

®a ich ihn meniger unempfinblich fanb, magte ich bie 
meitere Srage: 

— Unb bie ©erfuefeungen beS ZeufelS? £>efe? 

3ofob marf mir einen ©lief ju, ber mie ein ©eitfcfeenfdjtag 
auf mich fiel, unb mürbe mieber fchmeigfarn. 3dj wollte ifen 
nicht länget beläftigen unb jog mich in mein Bintmer jurüd. 
eine ©tunbe barauf trat ich an feine Zfeür, fab burch’S ©cfetüffel» 
loch unb — mürben ©ie eS glauben — mein 3ofob fchlief! er 
batte ficb auf fein Keines ftinberbettefeen niebergeftreeft unb fchlief. 
Swanjigmal befreujte ich mich- SDtöge ber gütige Sott ©egen 
bie J&üHe unb Sülle ber SJtarfa ©amiebna fpenben, ihr, ber 
lieben Zaube, bie baS §erj beS ©erhärteten ju. treffen gemufet! 

änc anbern SRorgen fab ich, wie 3ofob ohne ein SBort ju 
fagen, feine SWüfee nahm, ©oll ich ifen fragen, mobin er gebe? 
Stein. (Sr gebt ganj gemife ju ifer. Unb richtig, er ging ju 
ihr unb blieb länger bort als am ®age oorfeer. Unb am 
anbem Sage ging et mieber bin unb lagS barauf auch. 3<h 
marb mie neu geboren, ich fab ganj beutticb, bafe in meinem 
©ohne eine grofee ©eränberung oorging, unb enbtidj fonnte man 
ihm mieber in’S äuge btiefen. (Sr jeigte noch immer Zraurig» 
feit, aber eS mar nicht mehr jene ©erjmeiflung unb jene angft» 
ooHe ©cheu. 

äber ach, ich war nidjt lange luftig! äQeS foUte mieber 
jufammenbredjen. 3ofob mürbe mieber unjugängtidj unb milb, 
unb man fonnte fich ihm nicht mehr nähern, gerabe mie ebebem. 
(Sr fdjlofe fich iw fei« Bimmer ein unb befugte bie Dbriftin 


nicht mehr. Ob er fie beleibigt bot? fragte ich mich, unb ob 
fie ihm bie Zfeür oerboten? Stein; menn er auch verloren ift, 
fo unhöflich mirb er nicht gemefen fein. 3dj tonnte eS nicfet 
mehr auSljalten, ich fragte ihn. 

— Stun fage mir 3ofob, mie ftebt eS benn mit unferer 
Stacbbarin? SS fommt mir oor, als ob ®u fie ganj Der» 
geffen boft. 

— ®ie ©adjbarin! febrie er plö%li<h mie ein SBafenftnniger. 
SBillft ®u benn, bafe (Sr fich über mich luftig machen foQ? (Sr? 
Unb 3ofob ballte mütfeenb bie Sänfte jufammen unb beulte: 
Stüber bot er ficb immer ba jufammengebtteft, aber meiter nichts; 
jefet aber fängt er auch an ju lachen unb jeigt mir bie Bäfene- 
SBeicfee oon mir! ÜDtad), bafe ®u fortfommft! Setfefewinbe! 

3ch mufete nicht recht, an men biefe lebten SBorte gerichtet 
maren. 3<h tonnte mich nur müfefam auf meinen Süfeen jur 
®bür binauSfdjleppen. äm felben Zage ging ich S u ®?orfa 
©amichna. 3«h fonb fie in tiefer Zrauer; auch f* e war abge» 
magert, auch fie moQte ni^t oon meinem ©ohne mit mir fprechen, 
fie fagte mir nur eins: ®a ift feine menfehtidje ^filfe mefer 
auSreichenb; beten ©ie, mein ©ater, beten ©ie! Unb f)ict haben 
©ie Selb für 3b? e ärmen, aber oor allen ®ingen beten ©ie! 

Srofeer Sott! als ob ich nicht fo mie fo fefeon gebetet hätte, 
Zag unb S?adjt! 

$ier jog ber ©ater älejiS mieber fein Zafchentuch h er00r 
unb mifchte fich öie äugen ab, aber bieSmal ohne eS oerbergen 
ju motten; unb nach einer furjen Siubepaufe fuhr er in feiner 
Srjählung fort: 

Unb nun loüerten mir bergab, 3ofob unb ich, Wie ©djnee» 
maffen oom Sipfel. 3n ber Ziefe mar ber äbgrunb, mit faben 
ihn beibe ganj genau oor unS, aber meSbatb fich ba noch feft» 
Kammern? SRan tonnte bie ©ache nicht mehr geheim hotten; 
in ber ganjett Semeinbe mar grofee äufregung, man ftüfterte 
fich i“/ bafe ber ©obn beS ©open befeffen fei, unb bafe bie öe» 
börben benachrichtigt merben müfeten. Unb man hätte eS auch 
getban, mie man fagte, menn man nid)t mit mir SJiitgefübt 
gehabt hätte. 

3njmifchen mar ber ©Unter ootüber unb ber Senj mar 
gefommen. Unb ber liebe Sott hotte uns einen fo mitben unb 
bellen Srübling gefdjicft, mie ihn bie ätteften Seute nicht gefeben 
batten, ©onne ben ganjen Zag, fein SBinbftofe, fo feböne laue 
Suft. Unb ba fam mir ein. Sebanle in ben Sopf! SBenn ich 
3atob überreben fönnte, mit mir ju ©anct SRitropban oon 
SBoronefd) ju pilgern? SBenn baS nicht hilft» bann gibt’S nnr 
noch eine föülfe: ben Zob. 

Unb fo fafe ich eines äbenbs auf ben Stufen meiner ©chmeUe, 
bie äbenbbämmerung rötbete ben Fimmel unb einige SBachteln 
fangen; bie äepfetbäume maren in ©tütbe. ©o fafe ich ba unb 
id) fagte mir: mie tann ich eS anfangen, um 3afob meine äb- 
fichten mitjutbeiten? ®a fommt er plö^lich felbft aus bem ^»aufe, 
bleibt einen äugenblicf unbeweglich fteb<n mie überrafcht unb 
bodt fich biefet neben mir auf ber Zreppe nieber. 3<h fürchtete 
mich foft, fo jufrieben mar ich. äber ftill! Uub er bleibt fifcen, 
betrachtet ben Sonnenuntergang unb fagt auch Kin SBort; unb 
mir mar fo, als ob bie Stührung über ihn fäme. äOmäbtidj 
bellten fich frine äugen auf, noch ein Kein biScben meiter — unb 
bie Zljränen mären ihm gefommen. äls ich biefe äenberung 
mabrnabm, — toaS fonnte gefebeben? ich mufete eS barauf an» 
fommen laffen — fafete ich ©tutfe. 3afob, fagte ich ju ihm, 
höre mir ju ofene Born. Unb ich begann ihm Bug unt Bug 
meinen ©tan auSeinanberjufefcen: mie mir beibe ju ©anct SRitro» 
pfean pilgern moUten, ju Sufe, ben ©ad auf bem Stüden, — 
unb oon unS nach SBoronefch mar eine (Sntfernung oon gut ge» 
rechnet 150 SBerft, — unb mie angenehm eS fein mürbe, in ber 
SRorgenfrifdje beS SrühlingB über baS junge SraS ju geben, 
immer ju geben 1 Unb mie mir, menn mir enblidj ba mären, in 
änbadjt binfinfen mürben, unb mie, menn mir fo recht inbrünftigen 
unb aufrichtigen #erjenS auf bem Srabe SRitrophanS beten moüten, 
oieBeicht — mer meife eS! — ber gute ©chubheilige ein Sürmort 
für uns einlegen unb ber liebe Sott ©armberjigteit üben unb 
meinen 3ofob heilen mürbe; benn begleichen ift ja fdjon ge» 


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Nr. 19. 


®i t ©egfnwart. 


803 


f4eßen! 94, nun benlen Sie fi4 meine greube, mein guter 
f?err! . . 

— @8 ift gut, fugte plößtüß gafob, i 4 ßabe nichts bagegen, 
mir motten un 8 auf ben SBeg machen. 

wollte meinen Sinnen gar nic^t trauen. 

— Stein fjreunb, ftömmette üß, mein Xäub4en, mein 
Säoßltßäter! 

Unb barauf fragte er: Säann motten mir aufbre^en? 

— Storgen, menn ®u mittft. 

Unb richtig, am anbern Sage malten mir und auf! Säir 
nahmen unfere Säde auf ben Süden unb bie großen Säanberftäbe 
jur $anb unb fort ging ’ 8 ! Sieben ootte Sage fdjritten mir 
fürbaß unb roäßrenb ber ganjen .Beit mar uns bie Säitterung fo 
günftig, e 8 mar mie ein SBunber! Säeber Stegen, no4 große 
$ifee. Stein $afob füllte ficf) mit jeber Stunbe rooßter. 34 
muß 3 ßnen nun no 4 fagen, baß 3 a!ob au 4 früher f 4 on, menn 
er in freier Suft mar, 3ßn ni4t faf), aber er fpürte 3ßn ßinter 
feinem Süden, er ßörte Seine S4ritte, ober er faß, mie Sr mie 
ein S4atten auf ber Stbe neben 4m tjerf4ti4, unb ba 8 quälte 
meinen Soßn meßr at 8 aßed 9nbere. 3eßt aber ereignete ß4 
ni4t8 bergteicßen; fogar in ben SBirtßdßäufern, wo mir über« 
nadjteten, jeigte füß leine Stf4einung. 38ir fpra4en menig, aber 
mie rooßl füllte man ß41 S 8 ie glüdlüß mar i4, benn itß faß 
mein fiinb mieber auferfteßen. Snbti4 langten mir nun in 
Säoronef4 an! Säir fäuberten und unb auf benn, na4 ber SÜir4e! 

SBäßrenb breier langen Sage »erließen mir bad ©ottedßaud 
faß ni4t einen 9ugenbtid. Säieoiet Steffen ließen mir beten, 
mieoiet Äerjen anjünben, unb 9ßed oertief fo gut! gromme 
Sage, rußige 9tä4te! Stein guter 3afob f4lief mie ein fleined 
Sinb. Sr fetbft bra4te juerft mieber bad ©efpräcß auf bie 

©ef4i4ü- 

— ©ater, fragte er mi 4 , fießft ®u ni 4 td? unb atd er bad 
fagte, lä 4 elte er. 

— 34 feße ni 4 td, antwortete i 4 . 

— Sun üß aucß ni4t! 

Säad ßatte i4 no4 ju mänf4en! Steine Srlenntti4leit 
fär ben Sdjußßeiligen mar grenjenlod. So gingen brei Sage 
baßin, unb ba fagte i4 ju 3«tob: Sun, mein 3«nge, ftnb mir 
mieber moßtauf, nun bleibt und nur no 4 eind ju tßun übrig, 
©eüßte, nimm bad 9benbmaß( unb bann in ©otted Samen na4 
§aufe! Unb menn Su ®i<ß geßörig erßolt ßaben mirft unb 
®üß int |»aufe ein menig umgetßan ßaft, um mieber ju Kräften 
ju tommen, bann muß man feßen, ob man ni 4 t irgenb eine 
©ef 4 äftigung für ®i4 finbet; Starfa Sami4ua mirb und gemiß 
babei beßülfticß fein. 

— Sein, nein, fagte 3<>lob, mir bärfen fie nic^t betätigen; 
aber mir müffen ißr einen Sing mitbringen, ber auf einen Ringer 
bed ßeitigen Stitropßan geftreift ift. 

918 i4 bad ßörte, mürbe üß ganj aufgeräumt: Simm ®i4 
nur in 94 t, f4 er i te *4/ unb wüßte ja einen oon Silber, benn 
golbene Singe ßnb ©erlobungdringe! — 3olob mürbe über unb 
über rotß,'unb mieberßotte nur, baß man Starfa Sami4na ni4t 
betätigen bürfe; mit altem 9nberen aber mar er einoerftanben. 

9m anberen Storgen gingen mir atfo jur 0ir4e. Safob 
beichtete unb na4bem er gebetet, unb mit met4er 3ubrunft ge: 
betet! f4idte er ß4 i um 9benbmaßt an. 34 ßiett rnidj ein 
menig abfeitd; i4 füßlte ben ©oben gar ni4t unter meinen 
Süßen. ®ie Sngel im Fimmel finb nidßt fetiger. 34 f £ ße nun 
alfo ju, unb mad gef4ießt? 3«tob ßat bad 9benbmaßl genommen, 
aber er bringt feine Sippen nüßt an ben ftel4 mit ßeißem Säein, 
mie jeber guter Sßrift ed tßut, ber ben Seib bed #errn em: 
pfangen ßat. Sr breßte mir ben Süden ju. 34 ging auf 
ißn ju. 

— Sun, 3alob, fagte i4, mittft ®u ni4t trinten? 

®a menbet er fi4 plößli4 um. 94, mein £>err, i4 taumelte 
jurüd, fo fur4tbar erf4ra! i4! grüßer ßatte er ein für4ter= 
lüßed ©efüßt geßabt, jeßt mar ed bad ©eß4t eined mitben Sßiered! 
©tei4 wie ber Sob, bie #aare gefträubt, bie 9ugen f4ief, — mir 
oerfagte bie Stimme oor Sntfeßen; i4 wollte fprecßen, unb i4 
tonnte nic^t! Unb er ftürjte aud ber ftir4e ßetaud, i4 ßinterbrein! 


Sr läuft gerabedmegd jum Säirtßdßaud, mo mir abgeftiegen waren, 
unb wirft ben Sad auf ben Süden — unb barßaupt in’d greie! 

— Säoßin, 3<»lob? rief i4- Säad ßaft ®u? Säarte! $jalt! 

Sr aber — fein Säort ©ef4eib! Sr läuft, fpringt na4 
re4td unb linfd, mie ein §afe — ni4t möglid) ißn ju ßaf4en! 
Unb er »erf4minbet. Dßne einen 9ugenbtid ju oertieren, feßre 
i4 jum Säirtßdßaud jurüd. 34 mietße eine Setega, unb babei 
f4totterten mir bie ©lieber unb i4 fagte immerju unb immerju: 
94 ©ott! 94 ©ott! unb i4 begriff ni4td Oon bem, mad ge: 
f4eßen mar. 34 naßm ben Säeg na4 unferer §einiat, weit 
idj mir fagte: Sr ift ganj fi4er na4 biefer Si4tung ßin ge: 
laufen. Unb fo mar ed au4! Se4d Säerft Oon ber Stabt faß 
i4 ißn, mie er mit großen S4ritten längd bed Säeged oormärtd 
eilte. 34 erregte ißn unb fprang oon ber ®elega ßerab. 

— 3«fob, 3ofob! 

Sr blieb ftradd fteßen unb ma4te eine ßalbe S4menfung 
ju mir mie ein Solbat, mit niebergef4tagenen 9ugen, mit ju: 
fammengetniffenen Sippen. Unb mad immer üß ißm fagen mo4te, 
er blieb ba ftitt unb fteif mie ein ©ößenbilb, — unb bann ging 
ed mieber oormärtd. Säad tonnte i4 anfangen? 34 fdßlep>p>te 
mi4 ßinter ißm ßer. 94, mar bad eine Seife, mein guter 
$err! So angeneßm ber Säeg na4 Säoronef4 gemefen mar, fo 
für4terti4 mar bie Südteßr. Spra4 <4 mit ißm, fo fnirf4te 
er mit ben Säßnen, ftemmte bad ftinn auf bie Scßutter mie 
ein ®iger, mie eine §päne. ®aß üß nidßt oerrüdt geworben 
bin, ßabc üß nie begreifen tönnen. Unb enbti4, eines Sa4td, 
in einer räu4rigen 3Sba, — er faß gerabe auf ber Sant am 
f?crbe unb f4lenferte mit ben ©einen unb blidte lange Seit um 
fi4 — ba fiel üß oor ißm auf bie Änie, meinte bitterlüß unb 
jammerte: 

— Si4te ben armen, alten ÜRann, ber ®ein ©ater ift, 
bo4 ni4t ju ©runbe! Spri4, Wad ift ®ir gef4eßen? 

®a faß er mi4 feft an; er f4ien gar ni4t ju wiffen, wer 
oor ißm War. Sr fpra4 plößli4 unb milfeiner Stimme, bie 
mir no4 immer in ben Dßren Hingt: 

— £>öre, alter Staun. ®u roiüft bie Säaßrßeit Wiffen, ®u 
fotlft fie Ocrneßmen. 918 i4 bad 9benbmaßt naßm, — ®u er= 
innerft ®i4 beffen? — ald i4 bie Softie im Stunbe ßatte, ba, 
plößlüß in ber Sir4e, am ßetten ®age, faß i4 3ßn oor mir, 
3ßn! ©erabe oor mir, ald ob Sr aud bem ©oben aufgeftiegen 
fei. Unb Sr raunte mir ju, — unb niemald ßatte Sr bidßer 
mit mir gefpro4en — unb Sr raunte mir ju: „Spei aud, tritt 
barauf!" Unb üß tßat, Wie Sr gebot: üß fpü aud, üß trat 
barauf! Unb fo bin üß benn oerbammt in alte Swigfeit, benn 
äße Siinben foßen »ergeben werben, nur ni4t bie Sfinbe wiber 
ben ßeiligen ©eift! — 

Sa4bem mein Soßn biefe für4terti4en Säorte gefpro4en, 
warf er füß ßintenüber auf bie ©an! unb üß f4lug rüdtingd 
ju ©oben. 

®er ©ater 9lejid f4wieg einen 9ugenbtid unb brüdte fi4 
bie 9ugen mit beiben |Ȋnben ju. 

So war ed, fußr er enbtüß fort, unb i4 wiß Sie nun 
ni4t länger meßr quälen unb mi4 au4 ni4t. Säir f4teppten 
und ßeim, unb halb barauf war bad Snbe ba, unb i4 »erlor 
meinen 3alob. Sr aß ni4t meßr, er trän! ni4t meßr! gaft 
unaudgefeßt tief er in feinem 3immer auf unb ab, ßierßin unb 
bortßin, unb wieberßotte in einem fort, feine Sünbe tönne nüßt 
»ergeben werben. 9ber ben 9nbern faß er nic^t meßr. Unb 
medßatb ßätte Sr au4 lornmen foßen, ba Sr bie Seele meined 
Sinbed fißon oßneßin jur ©erbammniß gebra4t ßatte! Unb 
fobatb 3u!ob bettlägerig mürbe, »erlor er bie ©eßnnung, unb 
oßne 8ei4te, mie ein jämmerlicßer Säurm, oertieß er bied Sanb 
für bie Smigleit. 9ber i4 mag nüßt glauben, baß ber gütige 
©ott ißn mit ooßer Strenge geratet, mtb unter 9nberem glaube 
üß cd au4 bedroegen ni4t, weil er fo f4öti mar, mein 3a!ob, 
in feinem Sarge! Sr war wie üerjüngt, er mar ß4 fetbft 
mieber äßnti4 geworben, atd er ein tteined ®inb mar. 2)ad 
9ntliß fo faubet, fo rußig, ein liebed tteined 2ä4eln auf ben 
Sippen, bie $aare ju tleinen Singeln geträufelt. Starfa Sami4na 
tarn, um ißn ju feßen unb fte ba4te mie üß- Sie ließ ©turnen 


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304 


Hie (Segenwart. 


Nr. 19. 


um ign ft reuen, fie legte eineu ftgönen Strauß auf bie ©teile 
beS §crjenä unb lieg auf feinem ©rabe einen ©tein errichten. 

Unb itg — idg blieb allein. Unb nun Wiffen ©ie, mein 
guter #err, bie Urfatge beS grogeu Summers, ben ©ie auf 
meinem äntlig freunblitgft gaben bemerfen wollen. Er wirb nie 
bergegen, unb er !ann nie bergegen! 

3tg wollte bem ©ater SllejiS einige tröftlicge SBorte fagen, 
aber itg fanb uicgtS; unb wir trennten uns fegweigfam. 


lieber bie känftleriftge /orm tunt öffenilidjen Denkmälern. 

(Sollet.) 

legren Wir uaeg biefen notgwenbigeit Siorbcmertungeu gn 
unferui Tgerna gurüd unb berftänbigen wir uns junäcgft über 
einen praftiftgen Vßnnft, itöntlidg über ben ber Erricgtung bon 
Senfmälerit gu ©runbe liegenbem 3wed. Sie Antwort f(geint 
giemlitg einfaeg: ber 3rt»etf ift offenbar ber, bie Erinnerung an 
einen grogen SKann lebenbig gu ergalten, für beffen ©erbienfte 
um bie ©efammtbUbung ober bie ©taatSWogtfagrt bie Station 
gu bauernber Sanfbarfeit fieg berpflügtet füglt. SaS liegt ja 
übrigens fegon in bem Stauten (Senf*3Jtal, monumentum) aus* 
gefproegen. Tiefe Erflarung entgalt nun gwei Momente, wetege 
wefentlicg in ber Senfmalsform gur ©eltung gu bringen finb: 
einmal bie Ißerfönlitgfeit beS geiernben felbft, fobann feine 
Serbienfte. SeneS betrifft bie Sarftedung ber Hauptfigur, 
alfo bie Slrt ber bilbmägigett Seranfcgauticgung ber ©erfönlitg* 
feit, baS gweite bie becoratioe i]utgat, im weiteften ©inne bie 
äuSftgmüdung ben ©iebeftatS, auf weltgeS bie ©eftalt als ergaben 
über bie lebenbige gufäöige SRenftgenmaffe geftedt gu werben 
pflegt. Sn bem erfteren Slioment wirb es fi(g mitgin um eine 
portrötmägige Snbibibualifirung, freilicg innerhalb ber ©reugen 
einer ibealen Sluffajfung, in bem gweiten um eine fgmbolifirenbe 
änbeutung ber ©erbienfte (benn biefe finb als rein geiftigen 
©egaltS nur in gorm adegoriftger ©erfinnbilblitgung barftedbar), 
fei eS in figuraler, fei eS in bloS ornamentaler SBeife ganbeln. 
©eibe SJtomente müffen augerbem in beftimmtem 3ufamntengang 
mit einanber ftegen, b. g. ge bürfen niegt bloS augerlitg ber* 
bunben, fonbern cS mug igre innere Segiegung auf einanber 
gur Slnftgauung gebraegt, folgli(g oerftänbtieg, b. g. im beften 
SBortftnne populär fein. Senn ogne fotdge populäre ©erftänb* 
litgfeit wirb ber eigentlüge Swed beS Senfmals berfeglt, unb 
bieS ift leiber bei unfern meigen Senfmälern ber gaH. 

Siefe Tgeile biiben alfo bie ©runbform beS Senfmals; 
jeber berfelben mobigeirt fitg nun aber wieber — unb gwar 
ftets in gegenfeitiger SBecgfelbegiegung — je naeg bem Sgarafter, 
ber SebenSftedung u. f. w. ber bargufteHenben ©erfönlitgfeit. SBaS 
bie Hauptfigur betrifft, mit bet wir eS gier borgugSweife gu 
tgun gaben, fo tritt unS fogteieg bie burcganS uiegt widfürtidg 
gu entftgeibenbe grage entgegen, ob in einem gegebenen gatle 
ein ©tatue ober eine ©üfte bie geeignetge gorm fei. Es fommt 
alfo, ba boeg bie SBagl ber einen ober anbern gorm niegt gleüg* 
gültig unb etwa bloS natg bem Umfang beS ©elbbeutels, über 
ben baS leitenbe Eomite ober ber SJtagiftrat einer ©tabt gu 
biefent 3wed gu verfügen gat, gu entfegeiben ift, barauf an, ob 
für bie ©eftimmung jenes UnterftgiebS gtg übergaupt ein fo 
einfacgeS ©rincip angeben läge wie jenes burtg ben ©ebraueg 
gegeiligte ©efeg, bag gürften gu (ßferbe, bie anberweitige be= 
rügmte SHengggeit bagegen, aueg wenn ge wie ber alte ©lütger 
igre Tgaten nur gu (ßferbe ootlfügrt, bennoeg gu gug bargen 
fteQt werben. 

Stun figeint eS aber bo<g Vorn gerein gicmlicg einleucgtenb, 
bag bie gange gigur, alfo bie ©tatue, ftreng genommen nur 
bann beredgtigt ift, aber bann aueg geboten erftgeint, wenn eS 
fieg um einen SRann ganbelt, ber in ber Tgat mit feiner gangen 
©erfönlidgfeit, b. g. nitgt bloS mit feiner geiftigen Tgätig* 
feit, fonbern autg mit feiner gangen förperlitgen Erftgeinung in 
ber bolfstgümlitgen Slnftgauung lebt; ©üften bon folgen SRün* 


nern, gu betten mitgin auger ben gürften befonbctS gelbgerrn, 
©taatSmänner, Äangelrebner, ©olfSmänner u. f. w. gegören wür* 
ben, bürften fitg nur für geftgloffene (Räume, als Stiftgen* ober 
Eonfolgguren eignen, auf öffentlichen flögen aber in ber Tgat 
uugenügenb fein. Sen ©egenfag gu foltgen SJtännern ber praf* 
tiftgen Tgatfraft, wie wir ge lurg begeitgnen fönnen, biiben nun 
bie SJtänner ber tgeoretifdgen Tgatfraft, bie Hecoen ber SBiffen* 
ftgaft, bei benen gauptfätglitg ober oielmegr, ba eS gtg um bie 
©etanftgaulitgung igrer fpecigftgen ©rüge ganbelt, auSftglieglicg 
ber Äopf bie Hauptfatge ift. Senn igre SBirffamfeit unb epotge* 
matgenbe Tgätigfeit beftgränft gtg auf bie ©pgäre ber Sntel: 
ligettg, b. g. ber Tgeorie, nitgt ber fßra^iS. ©o erftgeint gier 
bie Söüfte, womöglicg, um fgmboliftg bie ©röge beS SJtanneS au= 
gubeuten, in tologalem SRagftabe, nitgt nur gegattet, fonbern 
als bie adeiit pagenbe, baS 9Befen biefer ^erfönlicgfeit am ftgärf- 
ften auSbrütfenbe Sorm; unb gwar in bem ©rabe, bag eine 
©tatue biefeS SBefen nitgt nur weniger (garatteriftiftg gur 8n-' 
ftgauuttg bringen, fonbern fie in ben meiften Süden gerabegu 
entfteden unb in’S iribiate gerabgiegen würbe. 

SSBenn gier prattiftge Xgatfrag in einen ©egenfag gur tgeo- 
retifegen Sntedigeng geftedt ift, fo barf aderbingS bieS nitgt fo 
migberftanben werben, als ob bie ergere ber Sntedigeng ober bie 
gweite ber Energie entbegre; fonbern eS fod bamit nur ange= 
beutet werben, bag im erfteren gade baS geigige ©trebeu 
fitg wefentlitg in prattiftger ©eftaltung offenbare, Wagrenb 
eS im gweiten fitg auf bie ©pgäre beS $entenS beftgränfe. 
SBir gaben in ber bor einiger 3^it ftattgefunbeuen 2luS= 
ftedung ber Eoncurrengmobede gu beu ®entmalern 9Ucjan= 
ber unb SBilgelm bon HumbolbtS bie greifbaren (Belege für 
bie fditgtigfeit beS oben auSgefprotgenen ©ageS bor äugen ge* 
gabt, könnte eine gegenbe ober figenbe ©tatue eines baS 
SBeltad burtgforftgenben StiefengeifteS wie älepnber von H um; 
bolbt, bei weldger — ein fegr wefentlitger fJJunft in biefem 
gade — fetbftberftänblitg ber (Realität ber gangen Erftgeinung, 
autg in ber Haltung beS ÄörperS unb im Eoftüm, Stecgnung 
getragen werben mügte, eine anbere SBirtung geroorbringen als 
eine foldge, weltge bie uniberfale (Bebeutung beS geiftigen HrroS 
nur abguftgwätgen unb in’S Iribinle gerabgugiegen geeignet 
wäre? gadS aber, um foltge SBirtung gu bermeiben, ber Äünft* 
ler ben beliebten äuSrneg futgte, burtg bie äugerlicge 3utgat 
einer conbentioned rgetoriftgen Bewegung ober einer ebenfo con* 
bentioneden unb nitgtsbebeutenben antifen SRatttelbrapirung jenen 
Einbruct ber einmal notgmenbig mit bem mobernen Seitcoftüme 
oerbunbenen Trivialität gu umgegen, fo würbe — was ginfügt-' 
litg ber Aufgabe einer inbivibualigrten fßorträtbarftedung notg 
viel miglitger Wäre — ber notgwenbig ju forbernbe Einbrud 
einfatger SebenSwagrgeit in ber äugeren Erftgeinung bodenbs 
berfälftgt unb fiiige ftatt fünftleriftger SBagrgeit geboten werben. 
Senn eS liegt auf ber H a|t b, bag bei foltger antit*brapirten 
©tatue in ber Xgat nur ber $opf eine SBagrgeit ift, fo bag, 
wenn biefer fortgenommeu unb ftatt beffen ein beliebiger anbrer 
aufgefegt würbe, bie Sarftedung in feiner SBeife getriffen er* 
fegiene. Sft alfo ber Sfopf in SBirtlitgfeit nitgt nur bie Haupt* 
fatge, fonbern adein baS SRoment, weltgeS bie ©tatue erft gu 
einer Sarftedung gerabe biefeS SJtanneS matgt, Weltgen SBertg 
gat bann adeS Uebrige für bie bebeutungsoode ©eftaltung in 
foltgem gade? Offenbar nitgt nur gar feinen, fonbern oielmegr 
notg ben negativen, bag ber föopf, bieS adein wagre SRoment 
ber gangen Sarftedung, burtg ben räumlitg wie ibeed ben grdg* 
teu Tgeil ber äufmerffamfeit itt änfprutg negmenben Sörper, in 
eine ©efidgtsgöge gerütft Wirb, weldge ign am Wenigften gar 
SBirtung gelangen lägt; eine 3wedmibrigfeit, bie fraffer gar 
nitgt gu benfen ift. — Sie Eoftümfrage ift übergaupt bei Senf* 
malSporträtS von ber größten SBitgtigfeit, unb ift beSgalb gier 
notg näget barauf eingugegen. SBer barin einguftimmen geneigt 
ift, bag bei ber monumentalen Sarftedung eines grogen SRanneS 
StdeS gu bermeiben fei, was ben äuSbrud feiner ibeedeit ©röge 
unb feiner giftoriftgen ©ebeutung abguftgwätgen geeignet ift, ber 
wirb autg barüber nitgt gweifetgaft fein, bag bie ©efagr einer 
foltgen äbftgwatgung borgugsweife in ber peinlichen Treue gu 


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Nr. 19. 


JBte (Segtnmflrt. 


805 


fu<$en ift, welche bei Staiuen in bet ^Beobachtung beS Seit’ 
coftümS beobachtet wirb. $enn fetbft abgesehen uon bet fich in 
©efchmadlofigteit iibetbietenben Siobetaune, weichet unfere mo= 
berne Reibung unterworfen ift, brüdt fich nicht in bem 3*it 5 
coftüm überhaupt getabe bie Sefchränttheit ber 3**t, in ber 
jener grofje Stann jufäßig lebte unb über welche er fich burch 
feine ibeeße Sebeutung erhoben hot, aus? — unb wirb folglich 
nicht getabe baS, Was ihn groft erfcheinen täfit, nämlich baS 
$inauSgehen über feine Seit, burch biefe Aeuherlidjteit in' 
ber ©rfdjeinung für bie Anfdjanung, namentlich eines fpäteren 
©efchledjts, oernichtet? — Aber faft fchlimmer noch ift bet ent: 
gegengefefcte gehler, nämlich ber ©rfafc beS SeitcoftümS burch 
eine fogenannte ibeale ©ewanbung, beren Stufter ber Antite 
entnommen ift; ein gehler nämlich nicht etwa btoS beS Stan: 
gelS an hiftorifdjer SBahrheit wegen, fonbern weit bie öotlS: 
thümtiche Anfchauung, in welcher ber grofje Stann feiner 9la* 
tion angehßrt, baburcfj ööfiig öerfälfcht wirb. @8 mag hier ber 
Serbeutüchung halber in Kürge auf ein ©eifptel folcher 93er: 
fälfdjung hingewiefen werben, ba8 um fo fchtagenber fein bürfte, 
at8 ba3 betreffeube 2)entmat notorifch ba8 bebeutenbfte öffent= 
liehe Kunftwerl biefer Art in Serien ift, nämlich auf bie Sdjlü= 
ter’fdhe „Seiterftatue be8 großen Kurfürften". 3Ber feine Sugenb 
in Serlin jugebracht hot, wirb unfere ©mpfinbung barin thei= 
len, ba| er fich fetbft in fpäteren fahren nur fchwer oott biefer 
antitifirten Sorfteßung be8 großen Kurfürften h°t lo8machen 
tönnen, um ba8 geitgemäfje, b. h- ttiftorifch=cortecte SBilb beS* 
felben au8 bem ©tubium ber »aterlänbifdjen @ef dachte an bie 
©teile be8felben gu fejjen. SEBie Siele aber lommen überhaupt 
nie ju folcher ©orrectur ihrer Sorfteßung! 9hm lann man 
aber wohl mit Stecht fragen, ob e8 Aufgabe ber fich ihrer 
wahren Siele immer bemühter werbenben Kunft ber Gegenwart 
unb überhaupt Stoed folcher monumentalen Schöpfungen ift, bie 
ooll8thümliche Sorfteßung öon einem groben Staune, bem bie 
Station bie gröhte $>anlbarleit fchutbet, in bie 3rre gu führen? 

SEBie ift nun aber au8 biefem Dilemma, bah bei ber 
monumentalen Darfteflung eine8 groben Staune« Weber einem 
bomirten Seitgefchmad ©onceffionen gemacht, noch burch bie 
unwahre Suthat einer fogenannten ibealen ©ewanbung eine Ser= 
fälfdjung ber bollöthümlichen Anfchauung geftattet werben bürfe, 
herauSgulommen? 3n biefe grage fpifet ftd) bie gange Schwierig: 
leit ber gormftage gu. Sie Zünftler fühlen bie Sebenllichleit 
biefer Alternatiöe fehr wohl unb fuchen fich meift bamit gu 
helfen, bah fie einen Stittetweg einfdjlagen, inbem fie jwar in 
einigen Details ba8 Seitcoftüm beibehalten, baSfelbe aber jum 
groben X^eil burch einen brapirten Stantel oerbecten, fo bah 
fdjeinbar beiben Sorberungen, nämlich ber hift°rif<hen Irene 
unb ber ibeälen ©eftattung, Rechnung getragen wirb. Aber 
wirb nicht getabe burch foldjeS Saöiren jwifchen ber ©cpßa be8 
Seitcoftüm« unb ber ©harpbbiS ber conoentioneßen gbealiftrung 
bie Unwahrheit folcher Switterform, bie niemals eine organifche 
©inheit bitben, atfo auch niemals eine innere SBahrheit hoben 
lann, erft recht beiunbet? SEBie alfo, noch einmal, ift biefem 
Uebelftanbe abguhelfen? 

Sie Antwort fcheint uns, wenn anberS unfere obige ©nt« 
gegenfefcung Don Stännem ber praftijehen Shattraft unb benen 
ber theoretif^en gnteßigeng als gutreffenb erfannt wirb, fehr 
einfach: in bem Umftanbe, bah bie erfteren öorgugSweife bem 
öffentlichen Beben unb bamit ber öollsthümtichen Sorfteßung 
angehören, liegt ihre Serechtigung auf eine ©tatue; aber man 
erwäge babei wohl, bah getabe biefe klaffe öon Stännem, wie 
gürften, gelbherten, Staatsmänner, Kanjetrebner u. f. w. auch 
in ^in^cht beS ©oftümS auherhalb beS nur öon ber Stobelaune 
abhängigen ©oftümgefeheS ftehen. $>enn waS man auch fonft 
gegen StanbeScoftüme, Uniformen, latare u. f. W. einwenben 
mag, fo wirb man bo<h cum grono salis gugeben tönnen, bah 
in ihnen etwas ßtepräfentatioeS, ber monumentalen Seljanblung 
SugänglicheS liegt, baS fich leidjter mit ber inbiöibueßen SBürbe 
oereinigen läht als baS priöate Seitcoftüm, welches — wenn 
eS, wie fo oft (man erinnere fich nur an bie ©oftüme ber Sopf : 
geit, ber ffteöoIutionSjeit unb ber Seit beS erften frangöfifchen 


Kaifergeit) an fich gefchmadloS unb lächerlich ift — ben gu 
feiernbeu groben Stann ohne feine ©djulb an biefem gtu<h ber 
Sädjertichfcit participiren läht. 

doppelt fchwer fäßt aber biefeS ©epräge ber Sächerlidjleit 
in’S ©ewidjt, wenn es benjenigen lenlmätern aufgebrüdt wirb, 
welche bie groben SBenler ber Station, bie ftißen Kämpfer für 
bie SBahrheit, bie groben ©roherer auf bem unioerfalen Seiche 
ber SBiffenfdjaften ehren foßen. Stänner ber praltifdjen ZfyaU 
traft pflegen auch in ih r£r gongen Serföntichteit eine ©nergie 
beS SEBiHenS unb eine Kraft beS felbftftänbigen ©horafterS gu 
offenbaren, welche eS bem Silbhauer tatet leichter macht, fetbft 
bie Sufäßigleit ber ©oftümirung gu überwinben unb ihnen trofc 
beS particutaren ScitgefchmadS eine würbeöoße Haltung gu öer: 
leihen. StnberS bei ben Stännem ber tljeoretifchen gnteßigeng: 
gebeugt ben geäfften Ztyit ihres Bebens über bem ©chreibtifcfj 
ober auf baS Katljeber gelehnt, baS öon ihnen nur Kopf unb 
Schultern erbliden läht, müffen fie nothwenbig in eine leibliche 
Unfräftigfeit unb äubertidje §attung8lofig!eit gerathen, bie, 
wenn fie als Sorbilb für bie plaftifche Storfteßung bienen fofl, 
gerabegu als eine Satire auf bie innere ©röfje ihres oft bahn: 
bredjenbeu unb wetterfchütternben SBirfenS erfcheiuen muh- 2Bie 
anberS geftaltet fi^ bagegen ihre ©rfd^einung, wenn für bie 
plaftifche 2)arfteßnng ihrer ißerfönlithleit öon ber oft bürftigeit 
Seibtichleit, bie bei ihnen ja ohnehin gar nicht ber £)effentlich : 
leit angehört, abgefehen unb nur bet geiftöoße SDenlerfopf in 
bem ®entmal öerewigt wirb. SefonberS aber bürfte aus bem 
©runbe h«ct eine Koloffatbüfte aßein am ißtahe fein, Weit, wenn 
bie gange gigur bargefteflt würbe (wie fchon früher bemerft 
würbe), gerabe baS SBefentliche, ber Kopf nämlich, gu ©nnften 
ber unwefentlichen unb — h*nfichtti^ beS monumentalm SunltS 
— entfteßenben auberweitigen Körperlichteit, einf^liefelidh beS 
lächerlichen ©oftümS, in eine ^öhe gerüdt Wirb, Welche bem 
betradjtenben 9tuge eine meift unttare unb oft fatfehe, jebenfaßS 
aber fehr ungenügenbe Slnfidjt barbietet. 

SEBir haben bis je|t, ber beutlicheren ?lnf^auung hotber, 
nur bie einanber am entfernteren entgegenftehenben Sppen in 
ber 9teihe ber inenfchlichen BebenSfphären betrachtet, unb bei 
biefen bürfte aßerbingS baS oben aufgefteßte ©efefc über bie 
geeignetfte gorm ihrer plaftifchen ®arfteßung — nämlich ob 
Statue ober Süftc — unbebingte ©eltung hoben. @3 gibt 
nun aber jwifchen biefen ©ftremen öerfchiebene 3n>if<h e nftufen, 
bei benen eine ftrifte 9lnwenbung beS ©efejjeS gweifelhaft fein 
lann; namentli^ gilt bieS, um fogleich ben fihwierigften gaß 
öorguführen, für bie 5)entmäter öon Künftlern im weiteften 
Sinne beS SEBortS. Snbeh wirb auch h* ec ö* e ©ntfeheibung über 
bie grage, ob ©tatue ober Süfte gu wählen fei, wefentlidj ba: 
öon abhängm, ob bie 9trt ihrer Ihötigfeit, Wie bie ber ftrdji: 
telten, Silbhauer, Slaler, mehr praftifcher, ober, wie bie ber 
mufilatifchen ©omponiften unb Ili^ter, mehr tljeoretifcher 9lrt ift. 
Sluch h^v trägt übrigens baS ©oftüm baS ©einige bagu bei, 
bie grage gu entfdjeibeu, ba bie Stänner ber bilbenben Kunft, 
eben ber praltifdjen SBBeife ihres ©Raffens wegen, burch ihr 
leicht unb ohne entfteßenben S*oong gu ibealifirenbeS Sltelier: 
coftüm fich tiott öorn herein mehr für bie ftatuarifche 2>arftel: 
lung ber gangen ißerfon eignen, gttr bie Stufiler fcheint uns 
unbebingt nur eine Koloffalbüfte guläffig; fie müßten benn einer 
Seit angehören, beren mehr malerifches ©oftüm eine Abweichung 
öon ber Segel geftattet; eine Abweichung, bie natürlich outfj 
für aße übrigen Klaffen gültig ift. Aber man benle fich bei: 
fpietsweife ben Siefengenius eines Seetljoöen mit feinem mach 5 
tigen Kopf eines gürnenben Se«S, beffen ^)at3 unb Stuft ein* 
gegwängt erfcheint in baS abfcheuliche „Sferbelummet" beS hohen 
wutftigen SodlragenS feinet Seit, öon ben übrigen Seigen beS 
UeberrodS, ber $ofen unb Stiefel gu fchweigett, unb frage fich 
cmfttich, ob eS möglich ift, bah fotd^e Sorfteßung etwas anberS 
als eine abfcheuliche ©aricatur werben lann. ©ang ähnlich 
öerhätt eS fich mit ben $id)tem. ©S ift ja belannt, bah bei 
üieten Statuen unfrer Sationatbichter, wie ©oethe, Schißer, 
Setfing u. f. w. öon ben Sleifterhänben eines Sietfchel, SegaS 
u. A. in bewunbemSWürbiger SSBeife bie Schattenfeiten beS Seit: 


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806 


Ol« ©ejenwart. 


Nr. 19. 


coftümS, wenn nidjt überwunben, fo bodj fe^r gemilbert ober 
gefäidt Derftedt erfdjeinen. ?tber fcfiort bie unabweisbare 5orbe= 
rung, mit biejen Sdiattenfeiten abjuredjnen, entjiefjt ber ®t- 
9 ftaltungSfraft beS SünftterS notlpoenbtgerweife einen großen 
* Iljeit feiner fdjöpferifdjen Energie unb Sreiljeit; — unb biefer 
SSertuft, welcher ficO als ein Mangel an Unbefangenheit unb, 
objecti», als ein ^inneigen ju einem bloS r^etorifc^en IßatljoS 
(wie bei ber ©egaS’fdjen Sd|illerftatue) fennjeidjnet, biirfte — 
bielleicht mit einer einjigeit, fogleich ju ertoähnenben Ausnahme 

— bei allen Statuen biefer ©attung leidet nadjjuweifen fein. 
®ieje Ausnahme ift 9Uetfd)etS tjerrlidje „öefftngftatue", unb 
gerabe fie liefert abermals einen beweis für bie Dtidjtigfeit 
unfreS ©efefceS. 

®enn es fann nämlich ferner fogar ber Sali eintreteu, bah 

— fdjeinbar im SBtberfptudj mit unferm (Sefefc — fitr einen 
Sltann bon prattijdjer X^attraft fich mehr eine Söüfte, umgelehrt 
aber auch für einen SJtann ber tljeoretifdjen Sntefligenj mehr 
eine Statue fich eigne. Um ohne SBeitereS bie SJlöglidjleit 
fotd)er Umlehrung burch ein Seifpiel ju erläutern, mag hier 
an jwei SRänner erinnert werben, welche einen folgen umgelehr- 
ten ©egenfah bilben unb bie ihrem El)aralter nach Sebent in 
prägnanterer SEBeife bor klugen ftehen: ber eine ift eben Seffing, 
ber anbere ©raf SKoltle. SBarum bürfte eS wohl Sebent, ber fich 
bie ißerfönlidjleiten unb ©fjaraltere biefer beiben SRänner in boiler 
ßebenbigleit bergegenwärtigt, ebenfo paffenb erfcheinen, bah ein 
2)enlmal SeffingS als Statue, wie bah ein folcheS bon SKoltfe 
als ©oloffalbüfte ju geftalten fei? $>er ©runb ift ber, bah 
bie ©ebeutung ßeffingS, obfdjon eines SDtanneS ber Seber, bo<h 
Wefenttich in ber ftreitbaren ©nergie, womit et feine frieblidje 
SBBaffe führte, unb mieberum bie ©röhe beS „groben Schweigers“, 
obwohl eines 9ftattneS beS Schwertes, biel mehr in feiner theo- 
retifchen Snteüigenj als in feiner unmittelbar nach Muffen hin 
fich offenbareren Jfjatfraft Wurjelt. ©S treten, wie man an 
biefem ©eifpiel erlcnnt, mithin in biefer Srage Umftänbe auf, 
bie in einjelnen Säßen fich f° fein jufpifcett, bah eS fdjltefjlid) 
bem lünftlerifchen Salt Seffen überlaffcn bleiben muh, Welchem 
bie ßöfung folget fchwierigen Aufgabe jugefaßen ift, im gege= 
beiten Säße fich barüber Har ju werben, ob ber ©erföntidjteit 
unb bem ©haralter beS Sarjufteßenben bie eine ober bie anbere 
Sorat entfprechenber fei. ®ber burch folche Slppcflation an baS 
lünftterifche ©efüht in jweifelljaften Säßen wirb baS Don uns 
aufgefteflte ©efe| leineSwegS umgeftohen unb etwa ber SBifllür 
unb fubjectiDem ©elieben freier Spielraum gewährt; Dielmehr 
hanbelt eS fich babei nur um bie DerftänbnihDoße Slnwenbung 
beS Ißrincips für jeben gegebenen Saß- 

Dia; Sdjastec. 


JIiiö bet <Äaupfflabf. 


Dramatifd)e ^Uffälfningett. 

&w ^lihmabef. 

tßoffc mit ©efaitg in 4 Mieten t>on ©. ©ofta. SOfcufif non ©. SRillöcfer. 

Ueber bie bor einigen Xagen an ber griebrich SBilhelmßabt gegebene 
$ofle „©in ©lipmäbel" ift menig zu fagen. @4 ift eine# ber fogenaitnten 
,,©<hublabenßücfe", mie fie mit fouftftarter Slbßchtlichleit für bad »irtuofen* 
tpum biefed ober jened Zünftlers zurechtgemadjt toerben. Sttan fennt 
biefe ©tücfe einer übertounbenen $robuction pr ©enüge. »alb hanbelt 
ed fi<h barum, einen mibermilligen »ermanbten ju überzeugen, baß ber 
ungeratene Sieffe ober bie ungeratene Stichle, bie fit ber »filjne ju= 
menben mill, entßhiebened Talent pr ©chaufpielfunft beßfct; halb barum, 
einem ©terbenben, ber fein Xeßament macht, burch Vorführung bon 
mibermärtigen fingirten Vermanbten — Vermanbten, bie immer berfelbe 
©chaufpieler barftellt, geiööfjnlidj ber Wiener bed enterbten mürbigen 
©ohned ober Neffen — bie ßuft zu benehmen, fein Jpab unb ©ut einem 
Slnbern zu bermachen, als biefem SBürbigen; halb barum, einen un= 


belannten greicr aud ber fßrobinz bem ©chmiegerbater P berleiben, ba? 
bureb/ bafe man biefem bie angeblichen ©Idubiger, traute, erften grauen 
unb flinber beg Unbetannten, bie mieberum berfelbe ©ttttfrtefat bar= 
Zufteüen ^at, auf ben $al4 fdjicft; batb barum, bei b^en $erfonen, bie 
ein entfteibenbe4 3Bort zu fbreeben bo6en, einem Dümmling, bem eine 
biäponible ©teile zugebaebt ift, um freiere gleichzeitig ein braoer SRann 
petirt, bie ©bnncen z u toerberben unb bem brauen ÜJiann z« b el f en - 
©ofta fich für biefe le^te ^onjunctur entfdjieben. ©eine Arbeit iß 
nicht erheblich, unb e$ gebührt ihm eigentlich lein anbered SSerbienft ald 
bad immerhin nicht zu unterfchähenbe, §errn ©chmeighofer ©elegenheit 
geboten zu h a & c u, bad publicum burch feine aufcerorbentltch braftifte 
Äomif zu erheitern. &ber mit ©chmeighofer fchminbet auch ßußiglcit 
oon ben ©rettern. &err ©chmeighofer erfcheiitt im erßen Siete a(d un- 
bebeutenber ©chauf^ieler, im zmeiten ald franzöfifcher Äbbä, im britten 
ald italienifcher Xanzmeißer unb im öierten ald alter ©tubent. S*u 
erßen Siete mirb öftreichifched Zaubermelfch gefprochen, im zweiten 
franzöfifched, im britten italienifched, im oierten ein t?aubermelfch / bad 
mahrfcheinlich atabemifch fein foH. 5)ie gute §älfte üon bem, mad bie 
beiben ftauptyerfonen: ber ©chaufpieler unb bad „S3ltfctndber' ftnechen 
— alfo genannt, meil bie Xante im Xelegraphenamt befchdftigt iß unb 
meil man bon ihr behauptet, baß ße in Xh ft i unb ©ebanfen fchnett fei 
mie ber ©lifc — bleibt unoerßdnblich. Xad fanit, nach bem zu fdjließcn, 
mad man oerßeht, übrigend bem ©rfolge nur förberlich fein. 

Xie Xarfteflung bed ^errn ©chmeighofer iß in ihrer SBetfe 
ooHeitbet. $err ©chmeighofer gehört zu ben Äomifern ber übermüthtgßen 
©attung. ©r h«t fich, tote ed fcheint nach englißhent ®orbilbe, eine ganz 
befonbere ©pecialität heraudgebilbet, in ber er um fo unbeßrittner SJteißer 
iß, ald er ungefähr ber alleinige iß. ©riedgrämige fieute mögen 
DieHeicht menn fie bad ®aud öerlaffen, fopffdjüttelnb fagen: „©§ iß boch 
Zu toll"; aber biefe SBeidheit fommt ihnen eben erß, meitn bad ©piel 
öorüber iß. ©chmctghoferd ejcentrifche Äomi! iß für ben Slugenblüf — 
unb barauf !ommt ed im Xheater boch f c h^ mefentlid) an — gerabezu 
unmiberftehlich. Xer Äünftler entmidelt einen ganz erßaunltchen 9ieich= 
thum an ©rßnbungen bon burledfen ©Kerzen, unb er hat ben guten @e= 
fthmad, bie luftigen Shtancen, bie er erfinnt, nicht tobt zu h^u; fo* 
halb ße ihre zünbeitbe SBirfung gethan haben, lommt etmad Slnbered, 
Steued, immer Sludgelaßened. S3ei allem tollen Unfinn, ben ©chmeighofer 
treibt, iß er boch bideret, unb man läßt ßd) bon ihm Xinge gefallen, 
bie bei einem meniger tattfeßen ©cpaufpieler gerabezu anftößig merben 
müßten, ©ein ©piel beßpt bie rechte innerliche gröhlichteit, bte unauf- 
haltfam hwuorfprubelt; er iß immer mit Seib unb ©eete bet ber ©ache, 
ermattet nicht einen Slugenblicf, mirb nie „abßänbig", um einen guten 
^robinzialidmud zu gebrauchen. SBenn bie ©chaufpieler ber ernßen 
SUchtung ald „©eelenmaler" bezeichnet merben, fo fann man ©chmetg- 
hofer mit blecht einen ber lußigßen „©eelencaricaturenzeichner" nennen. 

Xad „Söltpmäbel" fpielte gräulein bon SJteerdberg, eine recht muntere, 
aber leinedmegd ungemöhnliche ©chaufpielerin, bie leiber bidmeilen noch 
fingen muß, unb ihre ©timme iß nicht fchön; aber ihre ©rfcheinung 
hat etmad fo Siebendmürbiged, greunblid^ed, ©aubered, baß ße fchon 
baburdb für ßch einnimmt unb ben günftigen ©inbruef, ben ihr ©rßheiiten 
herborruft, burch ih r berßänbiged unb befcheibened ©piel ßch zu erhalten 
meiß. Sille übrigen Stollen finb ganz unbebeutenb; fie mürben nament¬ 
lich bon ben Herren SJtaj ©chulz unb ©roba unb bon gräulein ©life 
©chmibt mit einer liebebollen Eingabe gefpielt, bie an Dpferfrenbigteit 
ßreifte. Ueberhanpt mar bad ©nfemble gut, unb #err ©chmeighofer ber- 
half bem ©tüde zu einem ©rfolge. 

paul £tnban. 


Stilen. 


Xie erfte ©efßon bed neuen Steichdtaged iß feit acht Xagen ge* 
fdjloffen unb gehört fchon ber ©efchichte an. Sille SBelt iß barin ein* 
berßanben, baß ße, bon einigen nützlichen ©efepen abgefehen, nichtfehr 
fruchtbar mar. Xie Parteien maren noch nicht recht zufammengemachfen 
unb gemiße ©chattirungen in ihrem eigenen ©chooße, um ed zart 
Zubrücfen, mürben einigemal mit SRühe berßüHt. »ei ber gollfrage fiel 
ohnehin SlUed audeinanber. Xiefe hat ßetd bad $ribitegium etited 


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Nr. 19. 


Sie Gegenwart, 


307 


3an!opfelS bitterßer Ouolität gehabt, ©uelfen unb ©pibeßinen, ©äpßlicpe 
unb greibenler, Suitier unb ©lebejer, paben niemals eilte fo grünblicpe 
Abneigung gegen einanber empfunben, wie baS gwifepen ©cpttpgößnern 
unb greipänblern bex gaß fein (oft. ERan fagt, bex ftetS billige unb 
gemütplofe ©elbpunlt fpiele eine Stoße babei. SebenfaßS iß bex gegen« 
{eilige ERangel an ©pmpatpie gwifepen ben beiben fjelblagern auch im 
lebten SleicpStage Wiebet feparf perDorgetreten. ©ie ©cpu^gößnet fiub 
{epr Derßimmt na«p #aufe gegangen unb auf ipre SBiberfacper, nämlicp 
bie ERancpeßerfcpule, um fo jcplecpter gu {preßen, als biefe mit gewarnter 
©cplaupeit opexixt unb ben ©rotectionißen baS Koncept für geraume 
3eit Derrüeft pat. ©ie leptexen Waren nach ben jfingßen Sleuwaplen 
mit taufenb haften ausgewogen, bie SJlaggen unb SBimpel mit ßolgen 
Starnen unb ©ebifen gefepmfidt, lönnen aber niept einmal ein gerettetes 
©oot in bem peimifepeu $afen als SfriKpi iprer ERüpeu aufweifen. (ES 
pat borerft bei ben gefunben freipänblerifcpen ©rabitionen ©eutfcplanbs 
fein ©ewenben. (Einen SBecpfel auf bie Sulunft paben fiep bie Jerxen 
beim «bfepiebe gum ©roß auSgeßeßt. «ber wer weiß, ob ex eingelöft 
wirb. ©ie gouoemementale ©reße, ober bie ßcp bafüx gern ausgibt, 
war non ihren Süuftonen wegen einer ERajorität für äße gäße fepon 
nach ben SBaplen wohl giemlicp geheilt, unb fte wirb je|t auch bte 
(Enttäufcpung in ©aepen ber gehofften fogenaunten SBirtpjcpaftSreform 
auf ftoften bex Konfumenten gu bem Uebrigen gelegt haben. (ES würbe 
ohnehin in biefen Gingen auf mehr als einer ©eite ftomöbie gefpielt. 
(Ein ERinißer erlitt behaglich eine Siieberlage, bie ihn ooit feinen intimften 
geinben befreite. ©aS Zentrum botirte gegwungen, unter ber Iperrfcpaft 
einer begreißiepen «ngß bor intereffirten SBapHreifen, für pope 8*W e 
unb fah fte fcpließlicp gang oergnügt burch bie bentwürbige ERajorität 
Dom 27. «pril nieberßimnten. «ßeS in «ßem war bieS SBaterloo beS 
©epubgoßeö baS wicptigße (Ergebnis ber ©efßon. (Eine poepintereßaute 
©arentpefe bilbete bie ÄatigletlrtfiS, über welche allerlei (Enthüllungen 
noch immer nicht Derpegen wollen, ©ei ben lepteren ergeht eS ben 
Derfchiebenen ©etheiligten Wie ber 3üpfattf<paft eines ftrengen ©rebigerS. 
SBenn biefer über bie ©ünber unb ©ottlojen feinen 8®™ auSfchüttet, fo 
freut ft<h Seber, baß ber Machbar bie Derbiente Section erhalte, Stiemanbem 
fäßt ein, fidb gu fragen, ob er nicht bießeiept felbft gemeint fein lönne. 
©tu ßiberaleu iß eS gang recht, baß mebißrenben unb frottbirenben 
Röfleuten bie SBaprpeit gefagt wirb. Snfofem ße felbß aber gelegentlich 
als ©ünbenböde ßguriren foßen, paben ße an jenen offenhergigen ©traf« 
prebigten nicht baSfelbe befaßen. ©ie SteicpStagSmitglieber werben Don 
aßen biefen feltfamen ©orgängen ihren ©erWanbten unb 3rreunben in 
ber ©robing foDiel gu ergäplen haben, baß jenen babei §ören unb ©eben 
Dergehen wirb. «m wenigßen h°t ber Reichstag wie immer in ber 
auswärtigen Srage geleißet. ©a$ überläßt er nadp ber SanbeSßtte bem 
Steicpölangler unb ben Sournalißen. ©aS publicum iß bamit ein« 
Derßanben, lauft harten unb ßubirt bie ©Optionen ber Kämpfer, bie fiep 
nun balb gerßeifchen werben. «uf bie (Erfolge ber dürfen wiß Etiemanb 
wetten. (ES fragt ß<h nur, wie lange ße bie unausbleibliche Stieberlage 
auffchieben lönnen. ©ie ©ürlenfteunbe meinen, wenn eS eine hintmlifche 
©erecptigleit gebe, müßten bie Stußen gefcplagen werben, Dergeßen aber, 
baß nach bem «uSfprucp ©onaparteS, ber baDon etwas Derßehen mußte, 
ber liebe ©ott gewöhnlich mit ben ßarlen ©ataißonen iß. ©er ößent« 
ließen Meinung geht es in ber Siegel ebenfo, gumal wenn bie höhnen 
OrteS approbirten ©pmpatpien nach berfelben ©eite neigen. Unb wenn 
ein paar brabe Beute Don ßttlicper SRotpwenbigleit auch in ber ©olitil, 
Don ©ertragstreue unb begleichen Deralteten Gingen gu {preßen ß<h 
herausnehmen, fo erinnert bie Aufnahme, welche ihre berehtgelten ©roteße 
bei bem großen Jpaufen ßnben, an bie ©ewunberung, welche oor 3apr 
unb Xag bie hrimifche ©iSciplin ber ©reße einem in einer beutfehen 
^auptßabt beglaubigten ©efanbten Napoleons HI. einßößte (Er fagte 
unter bier Äugen: SBir glauben aud| guioißen, wie man bie ©ollsßimme 
ergieht. ©or ben (Erfolgen Sh ter ^Retpobe aber rnüßen wir bie ©egel 
ßreichen! Db ber ©iberpart Don bem Kompliment fehr gefchmeichelt War, 
iß nicht belannt geworben. 

* 

* * 

«ul bem fiartenberlage beS ©ibliographif<h en SnßitutS in 
ßeipgig ßnb einige fehr fauber ausgeführte harten beS ÄriegSfchauplapeS 
herborgegangen, weld^e bem SeitungSlefer für bie ©erfolgung ber (Er« 
eigniße im Orient gute ©ienße leißen werben, «n bie ©peciallarte 
ber Kuropäifchen Xürlei unb (EriechenlanbS fchließt fich eine 
Ueberfi^tSlarte beSfelben ©ebietS unb eine folche beS (Europäifchen 


©ußlaub, währenb bie brei anberen unS borliegenben harten SRurnä« 
nien unb ©nlgarien, bem fchwargen SReere unb. ^aulafien 
gewibmet fiub. — «uS Heinrich ÄiepertS „©anbatlaS über aße 
%ty\U ber (Erbe" unb feiner berühmten „(Eenerallarte ber (Europäifchen 
$ürtei" liegen unS in ©onberabbrüden eine ©olitifche UeberfichtS« 
larte ber «fiatifchen Xürlei unb eineÄarte Don ber©alachei 
unb ©ulgarien oor, beibe aße ©orgüge aufweifenb, welche benÄrbeiten 
ÄiepertS unb ben lartographifchen ©erlagSWerleu ©ietrichßieimerS 
eigenthümlich fiub. 

* * * s 

3)ie ge werblich engortbilbungSf<hulen3)eutf<hlanbS. Steife« 
ßubien unb SReformoorfchiäge auf ©runb eines im «uftrag beS fgl. 
©reuß. ERinißerium beS HultuS unb beS ftaitbelS eingereichten Steife« 
berichtS, Don Dr. Stagel, Oberlehrer in (Elbing. ((Eifenach, fflaemeißer.) 
3)er ©erfaffer berichtet über bie außerpreußißhen gewerblichen ©chulen 
$eutfd)lanbS unb Dergleicht ße mit ben preußißhen. ©er ©ergleich ergibt: 
baß ©reußen in biefer ©egichung gurüdgebüeben iß unb baß etwas gur 
görberung gefchehen müße. Weiteren ©erlaufe feiner Haren unb 
überßehtiidjen ©arfteßungen tommt bann ber ©erfaßer auf bie lepten 
©erhanblungen beS «bgeorbnetenhaujeS über ben betreßenben ©egenßanb 
gurüd, geigt, wie fehr bie «nßdjteit unb EReinuugen barüber auSeinanber 
gehen unb macht ßhließlicp eigene, gum minbeßen fehr biScutirbare 
©orfdjläge über ben ©eg, auf welchen eine ©eßerung ber in Srrage 
ftehenben ©erhältniße gu ergielen fei. «ßen, bie fich gewerb« 

liehen SortbilbungSfrage befepöftigt haben, wirb bie ©eprift ßeper Wiß« 
lommen fein. 

* * 

(Einer ber liebenSwürbigßeit unb angefepenßen frangößfdjen ©eprift« 
ßeßer, Sales Klaretie, forbert in ber ©arifer „Presse“ feine Kollegen 
auf, gu einem Körnitz gufammengutreten, um bem oor nunmehr 20 3«h re « 
am 1. ERai 1867 oetßorbenen ©iepter «Ifreb be ERuffet ein ©enl« 
mal gu fepen. „©eorge ©anb", fepreibt Klaretie, „wirb balb ipre 
©tatue im ßujembourg haben, Samartine bie {einige auf einem ößent« 
licpen ©la^e; eS iß Qtit, bie gegen «Ifreb be ERußet begangene ©er« 
fäumniß eingupolen. ©er ©iepter beS „©cfenntnißeS eine# ftinbeS biefeS 
SaprhunbertS" pat benfelben «nfpruep auf ein ©enlmal wie bie be« 
rühmte ©erfaßerin ber „Steifebriefe"; ber SRann, ber in bie Staepwelt 
ben tiefen ©eprei eines unfterblicpen ßeibenS auSgeßoßen, ber bie „Stäcpte" 
gefungen pat, Derbient wie ber ©iepter ber poetifepen „©etraeptungen" 
ein biScpen ©ronge unb ein ©tüdepen ERarmor! ©ariS fcpulbet bieS 
bem ©iepter um fo mehr, als «Ifreb be ERußet ©arifer iß, in ©ariS 
geboren unb in ©ariS geßorben. ©er traurige SapreStag biefer grüp« 
lingSnacpt, bet ben lepten ©eufger beS ©iepterö ber „ERainacpt" entgegen« 
napm, ber SapreStag biefeS ©obeS, — eS iß fepon ber gwangigße! — 
möge auep bie ©erherrlicpung beS ©icpterS ber Sugenb unb beS ©cpmergeS 
begeiepnen 1" 

* * * 

W. 0. in Br. ©ie «nwenbung beS SEBorteS „irritiren" in ber ©e« 
beutung Don „irrefüpren", iß eine mißbräuchliche unb burep bie Ktpmo« 
logie niept gu rechtfertigen. „Irritare“ pat immer bie ©ebeutung Don 
„reigen", „aufregen", „ergümen", „ärgern", „neroöSmacpen"; ebenfo baS 
frangöfifepe „irriter“. 


Bibliographie« 

Äarl ^i liebt anb, (Sefcpicpte granlreicps Don ber ©pronbeßeigung 
BouiS ©pilippS bis gum gfaße EtapoleonS III. 1. ©peil, ©ie 
©türm« unb ©rangperiobe beS SulitönigtpumS. (1830 — 1837.) 
gr. 8. XVI unb 737 ©. («uep unter bem ©itel: dkfepiepte ber 
europäifepen ©taaten. $erauSgegeben Don $. «. 2. feeren, g. 
«. Ulert unb SB. D. ©iefebreept. 38. Sieferung, 2. «btpeilung.) 
©otpa 1877, gr- «• ©ertpeS. 16. —. 

(Eb. ^lawacet, ©oetpe in HarlSbab. 8. 96 ©. farlibab 1877, 
Sfeßer. 2. —. 

Bub. d. ^örmann, tiroler ©ollStppen. ©eiträge gur ©efepiepte ber 
©itten unb ftleininbußrie in ben «Ipen. 8. VIII unb 290 ©. 
SBien 1877, ©erolb. 


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BOS 


iie Äegemnurt. 


Nr. 19. 


9 » f < * • i *• 

fiiteraturlilatt. 

Unter SRitrotrfuiig non finu» findet, Ctrl fall 
fr««»#», Carl van «fblrr, t)M« §r«»kfr|tr, 
3. gtltr, «t. Cllrkranb, 3 hUm 3un», itrbinanb 
C9rnbrr$rr, Ant. 3<tf"M>. Alfrtk «allninn, 
3. V. 3ln$rrlr, u. a. fjerborragenbeti ©djriftfteHem 
Ijttauftgegrben oon 

jurfo » gbf ittget. 

tdt erfle Stummer erf^eimt om 5. ftoi. 

Borläupg mirb äße oier$ehn Xage eine elegant 
audgepattete Stummer, im Umfange oon 12—20 
Seiten SejicomOctao, jur Äudgabe gelangen. 

^Imnuibpets p. ®urt IJL 50 kt. I P. =2% I. gw. 

Sille ©uchhanblungen unb ^oftanftalten 
neunten ©epeßungen an. 

$ie Ubmtuifhrntiou bei „£iter«tnrilott" 
SBien, III., ftanptftraße 28. 

Yciing von Otto Meissner in Hamburg« 
Gesammelte 

Schriften und Reden 

von 

Dr. Johann Jacoby. 

= Zweite Ausgabe z= 
mit Nachträsren in vier Halbb&ndPTi a 1 M. 


Soolbad Nauheim 


Sri ironfifurl o. iflStation d JBain-Äf8fr-£atn 

Alkalischer Säuerling und saliniscbe 
Trinkquellen. Ziegcn-Molke. Inhalation 
ozonhaltiger Oradirluft. Naturwarmc, 
kohlensäurereicheSoolbädcr. Saisondauer 
vom 1. Mai bis 30. Sept. Abgabe gewöhnt. 
Soolb&der auch vor, bez. nach dieser Zeit. 
Nähere Auskunft ertheilt bereitwilligst die 
Orossh. Hess. Badedirectlon Nauheim. 
Jäger, Bergrath. 



Sin afabemißh gebilbeter 3onrnoliß, ber be? | 
reitd in leitenber Stellung au großen Organen 
tfyfttig mar, münjeht bie Kebaftioit einer ent> | 
Rieben liberalen 3eitung p übernehmen. i 
Nähere Hudfunft ertheilt ber Herausgeber j 
biefer 3«tf<hrift unb ber Ebefrebafteur ber 
©ofpßhen Belang, Herr Dr - Wrtfe. 

Ausgegeben wird: Antiq. Catalog No. 118 
Numismatik, No. 119 Geschichte, besonders 
Preussens. JL A. Stargard, BerlinW. 63 Jägerstr. I 


Sn meinem Berlage ift foeben erhielten: 

Anna JnitttaufenJi. 

3»tunft«poffe mit ©efaitg unb Xanj 

oon 

<£stf 3lif|. 

tyreiS: 2 JL 

Merlin« JLeo ^iepmamtsfobn, 
W. 52. ßRarfgrafenftr. 


Sfuguft Bbtberg’f 4 ie 

^>au0tnttte£ für 4anötr>irf^e. 

flach langjährigen Beobachtungen unb Erfahrungen, bie ich an ber Hanb renommirter in 
örjte machte, ift cd mir enblich gelungen, biejenigeu &onlmittel pfammenpfteßen, melchc 
anpmenben finb, um bie bei Werben, beut Mink* unb $4mnr)iie| fo hö»P§ oorfommenbeit 
Unpträglichfeiten p bejeitigeit. Ed ift ein {chon lange gefühlted ©ebürfniß, bah bem fianbmirthe 
biefe Hausmittel bequem jugängig gemacht merben unb bag bem enormen ©djtoinbel, melcher auf 
biejem ©ebiete betrieben mirb, entgegengetreten merbe; ed ift j. B. befannt, bah man bie $rfifen= 
puloer für Bferbe k. pm größten Zbetl aud Stbfäßen oon SBachholber unb ©reifelbeeren, toelche 
bie $epißationen liefern, ^crftellt. Solche ©chtoinbelprobufte merben bem ßanbmirthe ind Hand 
getragen, meldjer fte arglod bem Ironien $h* erc ferabfolgt; burch fotche gemiffenloje Mittel hat 
berjelbe fid) nicht nur unnötige (idbaudgaben gemacht, h&upg fornint ed auch oor, baß fogar Der 
Berluft bed Xhi^ä P beflagen ift. 

©tan motte meinen Hausmitteln, bie ich, ermähnt, nach ©orfeprift berühmter ^hierärste 
herfteüe, bie oerOiente Beachtung Rollen unb, mo fie nicht fehlen, mirb man balb bie Btahrnehnrang 
machen, bah fich biefel 6 eu in jeher $lrt auf bad ©län$enbße feemähren unb baß man fich Diele 
Umftänbe, Unlopen unb SBeitläupgfeiten burd) jofortige Änmenbung bei folgenben ©orfommnißen 
erjparen fann. 

I. flrfiffn frti Pffrtf«. 

a. Srnfenpnlber Littra A mirb angemenbet im erpen ©tabium, mo bad $ferb in bad Prüfen 
oerfäßt unb ber $uften beginnt, in Original^ncfeten pro B<uf l JL 

b. f rttfenfmloet Littra B. I, mirb angemenbet im jmeiten unb britteif ©tabium ber Prüfen, 
mo ber ^udfluh beginnt, in Originalpacfeten pro $acf l JL 

II. Abmagerung bei Pferbeu, Kiubntel? unb S^meinen. 

8 re|pulber mirb angemenbet bei flppetitlofigfeit, menn bie Xljiere nicht freffen moßen unb 
Äbmagerung eintritt, in großen Originalpacfeten pro B fl cl 1 JL 

III. 3n htr 

iHl^s unb üafMmlber. 2 )iefed oortreffli^e Bnloer mirb hauhtfädjlich in f»ilch= unb SRafb 
mirtbjehaften angemenbet unb mirft in jebem gafle fehr oortheilhaft auf bie Berbaiumg, fo baß 
ber fhifcertrag bei Äühen unb ©chmeinen fichtlich erhöht mirb, großed tyad l 

IV. $it|[uUcrl2timc f Cätpnung her fiutrrfß|e f S5^nni-3ln$he^ititiig 

bei Pftrbeit« 

leptationlsglnib. Um bad Eangmerf ber Bferbe im gefitnben Ruftanbe p erhalten, mafc^e 
man nach ;ebcr flnftrengung bie gefchmächten Eliebmafjen mit bem meftitntiond=gluib, melchem 
man in biefem 2falk 10—14 gleite Xheile SBaßer pfeßt. ©ei Berfdjjiag, fiahmungen k. 
reibe man, nachbem ein gleiched Xh e Ü SSBaffer pgefefct, bie betreffenben ©lieber gehörig ein. ©reid 
pro Slafd^c l JL. 50 

V. 3nr Herhfituiig he$ ^uffjwites. 

§ttfi#«iere« Bußerorbentlich guted SJcittel um ben ^uf elajtifch p erhalten unb bad ©pröbe* 
merben beffelbeit ju oerhüten. $reid pro Traufe 1 JL ©ebrauchd = 2lnmeifung ift jebem ©aefete 
unb ftlajdjc beigebrueft. 

©utachten! Sie Vlugiifl ttftrberg’fdlen f-ülmlttel ftnb oon mir einer grunblityn Unter' 
fuchung untermorfen morben. $>ad flefnltat ip ei* fe$r gftnPiael, benn biefe ^audmittel bcPehen 
fämmtlich aud reinen, ttnntrfälf^ten, triftig mirfenben ©tofen, unb finb mit großer ©orgfalt, 
nach ben Kegeln ber Ihutp bereitet. 

©ei ber fo rationeßen Bufammenfebung biefer Haudmittel unterliegt ed feinem 8 »«fd/ 
bie ?3lnmenbung berfelben ben entftirbenften, beßen Erfolg haben mirb; baher fönnen biefelben 511 
bem 5 U hem felbige bepimmt finb, mit bolent Ke#t empfohlen merben. 

Ehemnip in ©achfen. l>r. jt« #rnefe, Ehemifer nnb Technolog. 

Borftehenbe burchgehenbd oorjüglich« fah oon ben bepeit SCbierfrrgten empfohlen 

unb mürben jum Xheil feit 25 3ahren mtt beftem Erfolge angemenbet. Ed liegen auf ®hmf«h 
Wttefte jitr Einficht bereit, ©ei ©epeßungen Oon 10 JL unb barüber erfolgt bie Bof^nbnng franco. 

IralrU «nb General=2>cj>öt 

®ebl)arb8borf in ©c^Ieficn. Attgnit Jl^tDerg. 

Bad Reinerz. 


itRmalifcfier Mebirgo-Kurort, Slmnnen-, SEoflen- nnb Jlnbe- JlnPaft in ber ©raffdhaft 
©la| preuß. ©chlepen. $aifon-Eröffnung am 1B. ^lai. 

jknge|d|f gegen Katarrhe aßer ©chieimbäute, ^eff&opffeiben, dfrouifEe fmbermfofe» 
SnngensEmphh?^/ ©roncheftape, Äranfhciten bed ©tuted: Blutmangel, ©leicfifuc|t n. f. m., jotoic 
ben btjftcrif#cit unb ^franenftraniBeifen, melche baraud entßehen, Srotgeppänbe naÄ fchmeren 
mtb peberhapen Äranfheiten unb ibodlenbetten, neroöfe unb aßgemeine ©chmäche, Neuralgien, 
©crophnlofe, Nheumatidmub, ejfubatioe ©icht, conpitntionefle ©hphcüö. 

Empfohlen für Keconoaledcenten unb fchmächliche Berfonen, fomie ald angenehmer burch 
feine reiaenben ©erglanbfchaften befannter ©ommeranfenthalt. 


metactl#», Mnrttt S.W., ainbenütafee HO. ftüt Me «ebaction »erantwortlich: 6t$x% dürfte in IlerCiii. fjpebiU#«, perdu N.W., ^onifengrabe 3t. 

Xtud oon gl. p. |eultier in /eiriis* 


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JV7 2Ö 


Stoff«, tot 19 . p*{ 1877 


XL Band. 


Ji t (!3c0ciuiinrt. 


SÖD^enf^rift für Literatur, iftmft imb %flt(idjeö ßefceiu 


Herausgeber: 'gfcUtf <^ittb«tt in SBerlin. 


* 

fehl fmitak s#M «« SonuL »erleget: «terg Stille in »erlin. ?«« ?» ®m«W 4 I«l 50 |f. 

Sn tigie$ctpnm$ alle SBudftanblungen nnb ^oflanflalten. Snferat* jebei Art pro Sgefpalteitc fßetitseile 40 $f. 


§n$aft: 


2)cr potttifdje SlblatuB beS Obercommanbanten bet ruffifdjeit 3)onauarmee. — ©ociatijttfdje 3rrrt)ümer, fociale SBatyrljeiten. SSon Stbolpf} 
©amter. (©djlufc.) — Siteratnr unb Slunfl: 2>rei ®i$äljlungen bon ©uftab ^taubert. $ejj>rodfjen bon SR. ß. — (Sin ©ana nac§ ber 
©onnentoarte. ®on ©erwarb bon 2tmtyntor. — flttl ber gaujitflabt: ®on ben Sweatern. SSon % £>. — SDiufifalifdje SUifntynmgen. 
©efotodjen bon ©tyrlidj. —- SRotijen. — Offene Briefe unb SÄntmorten. SSon SRartin ©reif. — ©ibliograbljie. — jjnfetate. 


Der politifdje Xblotns ks OObmotmnanbanten ber 
rnfftfdpett Donanamtee. 

Die gegenwärtig an ber Donaumünbung nnb im armem» 
ft^en Hocplanbe opevirenben ruffifcEjen Heere befinben fiep in 
«pnlicper Sage, wie bie preußifcpe Strrnee bei SluSbrudj beS 
öftreidptfdpen Krieges non 1866: wäprenb einer nach 3aljr» 
geinten gäljlenben griebenSgeit an H au Pi «nb ©liebem um» 
geftaltet, werben biefe Gruppen oon ©eneralen geführt, bie 
ihrem eigenen ©aterlanbe wie ber übrigen SBelt bis jefct un* 
bcfannt gewefen finb unb fiep crft gu bewähren haben. ©on 
bem berühmten Sertheibiger ©ebaftopolS, ©eneral non Dob* 
leben, unb einigen anberen gur Seit beS ÄrimlriegcS genannten 
Dffigieren abgefeljen, finb bie SDtänner, welche gegenwärtig bie 
Stufmerffamteit ber gefammten cioilißrten SBelt auf fich ge* 
gogen haben, fämmtlich homines novi. 3n ber Stbficpt, bie 
2efer biefer ©lätter wenigftenS einigermaßen über bie Stamen 
gu orientiren, bie feit ben lebten SBocpen in SebermannS 
SJtunbe finb, haben wir uns oor einiger Seit mit einem 9tu8» 
funftSerfudpen nadh Petersburg gewanbt. Stadpfteljenb theilen 
wir bie uns geworbene Antwort mit. 

@t ©eter&butg, ®nbe Stpril (a. ®t.). 

„lieber bie 'gelbperrn, bon beten ©efd^idtlic^leit StußlanbS 
uäcpße Sufunft Abhängen Wirb, weiß man außerhalb ber mili» 
tärifcpen gadpfreife bei unS nicht oiel mehr als bei Spnen. ®a3 
Sertrauen, welches ben leitenben ©erfonen ber Donau» unb ber 
Sau!afu3*Strmee entgegengetragen wirb, grünbet ftch ber Haupt» 
focpe nach auf ben Srebit, beffen ber feit nunmehr fünfgehn 
fahren fungirenbe SriegSminifter ©eneral SJtiljutin fidj bei 
bem großen Publicum unb namentlich bei ben liberalen unb 
nationalen Parteien erfreut, ©leicp feinem oerftorbenen ©ruber, 
bem früheren ©taatSfecretär für Polen, gehört ber ©eneral gu 
ben wenigen höhnen SSürbenträgern, bie, außerhalb bet hctr» 
fcpenben Säße geboren, allein fleh felbft ihre ©rfolge oerbanfen 
unb ihre Abneigung gegen ©ebatterfchaften unb Stüdficpten auf 
bie Hofgunft burch bie Dpat bewährt haben. Stach bem waS 
hier bettautet, hat ber SriegSminifter fiep mit bem Herfommen, 
baS für baS Obercommanbo einer großen actiben Strmee einen 
hodpgeßeßten SDtann berlangt, baburch abgefunben, baß er in bie 
©hmennung beS ©roßfürften Stitolai Stifolajewitfdp I. gum Se» 
fehlshabet beS Donauheeres willigte unb im Uebrigen feine 
SBaplen allein nach Serbienft unb gäpigfeit getroffen. — Der 
jeßt fecpSunboiergigjährige gweite ©ohn beS SaiferS StiloIauS 
(feit 1866 mit einer Dodpter beS Pringen Peter bon Olbenburg 
l^h^athet) betleibet feit fahren bie Stellungen beS ©eneral* 


| infpectorS beS ©eniewefenS (fein SlblatuS ift Herr b. Dobleben) 
unb ber ©aoalerie, fowie eines ©ommanbeurS beS Petersburger 
ÜRilitärbegirfS, gu welchem belanntlicp baS ©arbecorpS gehört, 
©leicß feinem jüngeren ©raber, bem Statthalter beS ÄautafuS, 
hat ber ©roßfürft im Sfa^re 1854 (ober 1865) einige SBod^en in 
bem belagerten Sebaftopol unb beffen Umgebung jugebradjt 
unb bort ben ©eorgenorben 4. klaffe „für Dapferteit" erworben, 
feitbem aber auSfcßließlich in Petersburg gelebt, wo er wegen 
feiner galanten 2t6enteuer unb feiner ©egietjungen gu ber fchönen, 
wieberholt aus ber Stefibeng oerbannt gewefenen Dängerin Sißlowa 
ebenfo betannt war, wie wegen feiner militärifdjen Steigungen, 
©on bem bem ©roßfürften beigegebenen Stabschef, ©eneral 
Stepofoifhigfp, oermag iäf nur angugeben, baß er poluifd^er Äbfunft 
unb tatholif^er Stetigion ift unb für einen außerorbenttich thätigen 
unb gefdjeibten SDtann gilt. ®r gehört bem Keinen Stbel an, 
ift tebiglidj burep perfönlicheS Serbienft hinanfgefemmen unb 
Oon bem ffriegSminifter felbft auSgefucht worben. Die Slb* 
neigung beS lefcteren gegen oomehme Salonljelben unb pöftfehe 
©eneralabjutanten ift eine aßerfeitS anerfannte Xpatfacpe, bie 
; auch neuerbingS baburch i um SluSbrud gebradpt worben ift, baß bie 
| meiften ber gegenwärtig im Selbe befinblicfjen ©orpS» unb Di» 

' oifionScommanbeure ber begeichneten Sphäre nicht angehören, 
I fonbem für wirtliche Solbaten gelten, ©ingelne StuSnaljmen finb 
| natürlich mit untergelaufen unb erttären fiep fattfam aus ben 
| Schwierigteiten, mit benen ber jebeS SlnpaltS in ben großen 
ffamilien entbehrenbe ffriegSminifter gu fämpfen hat. 

Die intereffantefte unb eparafteriftifepefte a u e r ©rnennungen, 
Weldpe SRiljutin bur^gufepen gewußt pat, ift nidjt»militäri= 
feper Statur. SluS ben Seitungen werben Sie wißen, baß ber 
©eljeimrath 2fürft Dfchertaßtp bem ©roßfürften als politifdjer 
©eratper beigegeben unb bagu auSerfepen ift, bie geitweilige 
Stbminiftration ©ulgarienS gu übernehmen. Dicfe (übrigens fdpon 
im Stooember oorigen Sah*«* befdploffene) Steactioirung eines ber 
befannteften jjrühter ber SJtoSfauer Stationalpartei, iß gerabegu als 
©retgniß gu begeidpiten unb würbe in unferer ©reffe ebenfo 
Furore gemadpt haben, wie beim großen publicum, wenn biefe 
©reffe niept fdpwerwiegenbe ©rünbe pätte, in ©erfonenfragen bie 
größte Sorßdpt gu beobachten unb jeben ©onßict mit ber Ober* 
preßOerWaltung, bie ßrenger als jemals früher üon ihren un= 
eingefdpräntten Sefugniffen ©ebrauep ma^t, auS bem SBege gu 
gepen. 3m Uebrigen iß bie ©rregung, in welcher wir uns feit 
©rlaß beS RriegSmanifefteS beßnben, eine fo leibenfchaftlidpe unb 
tumultuarifdpe, baß bem ©ingelnen nur wenig ©eacptung guge» 
wenbet wirb unb baß bie meiften Seute ßdp auf Stamen, bie 
einige 3al)te lang nidpt genannt worben ßnb, für ben Slugen* 
blid nur mühfam beßnnen. — ©inige furge ©emertungen werben 
auSreidpen, 3pnen gu fagen, wer gürft Dfcperlaßtp ift unb welcpe 


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BIO 


fit «tgtnwart 


Nr. 20. 


©ebeutung feine ©eförberung gu einet bet wittigften politiften 
Stellungen bet ©egenwart 1jot unb — not hoben lann. 

®ie nach ©eenbigung beS potniften StufftanbeS bon 1862 
unternommene Stufjtficirung V®lenS war befannttit baS ©erf 
StifotauS SRiljutinS, beS ©ruberS unfereS KriegSminifterS. ÄlS 
©auernfreunb, ®emofrat unb gürtet bet Slationatpartei fdjien 
biefer tatentooße unb energifte SRann oot ollen feinen 3eit= 
genoffen geeignet, baS ©er! bet auf Soften beS SlbelS butt^ju; 
füfjrenben potniften Slgrottefotm, bet 2at)mlegung beS fatl)o(i= 
ften ©teruS unb bet ©ewinnung beS potniften ©auernthumS 
für bie rufftfte unb griec^tfc^^ott^oboje Sache, burtguführen. 
SRit ber Unbrautbarfeit beS übetlommenen Petersburger Se= 
amtenthumS ebenfo genau belannt, mie mit ben Stwierigfeiten, 
welche bet conferbatioe ®^eil beS tufftfd^en b°b en 8betS unb 
ber ©üreaufratie feinem füljnen unb folgenreichen Unternehmen 
in ben ©eg legen werbe, wählte StifotauS SRiljutin ein bötlig 
neued, in Stufitanb unerhörtes SRittel gur ©urcßführung feines 
3wecf8: er befehle baS in ©arftau errichtete Drganifation3= 
comitb unb alle bemfelben unterfteflten höheren Slbminiftratio: 
fteltungen mit Votontairen beS äujjerften Flügels ber SRoSlauer 
Nationalpartei, bie er felbft auSWählte unb bie baS ©er! ber 
©otalumgeftattung beS ehemaligen Königreichs mit ber leiben: 
fchaftlichen StüdfichtSlofigfeit fanatifcher SRiffionäre in Angriff 
nahmen unb als ihre eigene Sache betrieben. ®ie beiben wit= 
tigften SteffortS, baS beS inneren unb baS ber Sinanjen, würben 
in bie bewährteren unb ftärtften #änbe gelegt; baS erftere über* 
nahm ber hotfteborene, aber teibenftaftlit bemofratifche unb 
nationale 3riirft ®f<herfafjft), baS leitete ein gum HRißionär 
geworbener früherer ©ranntweinpätter Koftelew; beibe SRänner 
waren Don Katfoiu empfohlen worben unb gehörten bem engeren 
Steife ber Stawophilenpartei, b. h- ben nationalen unb fir<h- 
lidjen Ultras an. gürft Xfc^erfa^ft) war halb bie Seele ber 
©arf tauet Verwaltung, bet unumfchränfte ©ebieter über ben 
©nunbbefifc beS potniften SlbelS unb ©teruS, ben er nach einem 
mit SRiljutin oereinbarten Spftern „reorganifirte", b. h- gerfttug 
unb an bie bäuerlichen ißfahter Dertheilte. Seine SlrbeitSlraft 
unb fein abminiftratioeS ®alent würben nur burch bie 8tücffichtS= 
lofigfeit übertroffen, mit welcher er gegen bie ariftofratifc^en 
unb cterifatcn Elemente öorging unb bie ihn fdjon halb nach 
Uebernahme feiner Stellung in einen heftigen ©onftict mit bem 
Statthalter beS Königreichs, ffelbmarfchaß ©rafen ©erg, einem 
hochbetagten, ftreug conoerfatioen unb allen cjtremen SRafjregetn 
abgeneigten ßiotänber öerwicfelte. innerhalb ber Verwaltung, 
welche bie Umgeftaltung $olenS beforgen foHte, entbrannte alS= 
halb ein Sampf ber fßrincipien unb SReinungen, ber noch leiben: 
fdjaftlidjer geführt würbe, als ber Streit gegen ben gemein: 
farnen ©cgner, unb ber fchliefjlich auch ö‘ e Petersburger Ste= 
gierungSlreife, beren Entfteibung angerufen würbe, in jwei 
feinbtiche Hälften fpaltete. So langp SRiljutin oben auf war 
unb mit $ülfe feines VruberS bie öffentliche SReinung beherrfchte, 
blieb ber factifdje potnifche SRinifter beS inneren regelmäßig 
Sieger in biefem Kampfe: als ber fed)S SRonate früher (an 
Stelle ffJlatonows) gum SRinifterftaatSfecretär für Voten ernannte 
fßräfeS beS OrganifationScomitSS im ®ecember 1866 fchWer er« 
!ranlte, muhte aber aud} ©fterfafjfp ben Kärgeren jiehen. ©äljrenb 
bie Kunbe bon bem Schtaganfaß, ber SRiljutin bienftunfäljig 
gemacht, in ©arfchau eintraf, war ©raf Vcrg bereits in VeterS* 
bürg anwefenb, um fich über ben unbotmäßigen locum tenens 
beS erfranften SRinifterS beim Kaifer gu befchweren; ®fter: 
fajjfpS ©efuche um bie Ertaubnifj gu einer ®ienftreife blieben 
unberüdfichtigt unb als ber gürft ben nachgefuchten Urlaub 
enblit burch Vermittelung ber ©rofjfürftin geleite erhielt unb 
in VeterSburg eintraf, ftellte fit heraus, bah er gu fpät ge= 
fommeu war. ©erg hotte fo glüdlit gu operiren gewußt, baff 
Sfchetlafjfij) nitt nur nicht SRiljutinS Stachfotgerftaft erhielt, 
fonbern giemlich ungnäbig empfangen unb babureß oeranlafjt 
würbe, feinen Slbfchieb ju nehmen — ein ©reigni^, baS in ganj 
fRuglanb als Spmptom eines SpftemSwe^felS angefehen unb 
in ©arfchau mit enbtofem 3ubel aufgenommen würbe. 

©rottepb jog unfer Sürft fich na( h 3RoSlau juritd, wo* 


hin feine befreunbeten ©arfchauer ©oüegen ihm wenig fpäter 
folgen muhten. Satlow unb bie übrigen Snfpiratoren ber öffent: 
liehen UReinung unfeter „erften 9tefiben}= unb ^auptftabt" forgten 
bafür, ba§ bem geftürjten Staatsmann bei feinem ©rfcheinen an 
ber SRoSfwa ein enthufiaftifcher Empfang Würbe unb bah ber 
Sürft fofort bie Stellung eines anerkennten #aupteS ber —’oon 
ie|t ab rafch bon ber früheren $öhe herabgleitenben, aber immer 
noch einfluhreichen — SRationalpartei überfam. 3n biefer ©igen: 
fd^aft fpielte Ifcßerfahlp auf bem im Sommer 1867 öerjammelten, 
aus allen Stawenlänbem befchidten ethnographifchen Kongreß 
eine wichtige, bieüei^t bie widßtigfte Stolle. 3« ben auStänbi: 
fchen ©röhen, welche bom ©rofjfürfien ©onftantin, bem SRoSlauer 
©eneralgouberneur dürften ®olgoru!i, bem SRetropoliten unb 
anberen hohen ©ürbenträgern feierlich empfangen, bon ber SRoS: 
(auer SRunicipatität burch ein gtänjenbeS ©antet gefeiert worben 
waren, gehörten belamttlich auch bie ©jechenführer Stieger unb 
©alajtp.*) Stuf bem erwähnten am 2. Suni (21. SRai) abge: 
hattenen ©antet hielt ber ©rftere bie berühmte Siebe, «in Welcher 
bie ruffifchen ©rüber baran erinnert würben, bah ih r ©influh 
auf baS auher=ruffif^e Stawenthum wefenttidh burch bie Stellung 
bebingt fein werbe, wel^e fie bem „in fernere Verfchulbung 
gefallenen, aber auch fchwer geftraften" Votenthum freiwillig 
einräumen Würben, „©ährenb ganj Europa bie Vortei ber 
Voten nahm," fo hieß es am Schluff ber Stieger’fdjen Siebe, 
„haben Volajtp unb ich StuhtanbS gutes Stecht anertannt unb 
baS ®h«n ber Slufftänbifdhen als unheilbringenb entfliehen öer= 
urtheilt. ®arum burften wir uns aber bo<h nicht oerhehlen, 
bah bie Voten einen eigentümlichen, nach ©pradjje, ©efdhidhte 
unb ©ultur oou ben Stuffen oerfdhiebenen weftflawifcßen Stamm 
bitben unb bah out fie ein SRedijt auf Stnerfennung ißreS VoltS: 
thumS befihen. ®ie allgemeine ftawifche ©ruberliebe bleibt ein 
leerer Stall, fo lange ein flawifter Stamm ben anbern ber= 
fttingen Will, benn bie erfte gorberung unferer ©ruberliebe ift 
bie Slnerfennung ber gegenfeitigen ©teitberettigung. Stitt für 
bie Voten allein, für alle Slawen ift ber lefcte Slufftanb ein 
ftwereS Ungliid gewefen, benn er hot oerloanbte $ergen ge: 
trennt unb mit einer ©itterleit erfüllt, bie befeitigt werben mn|, 
ehe oon flawiften Erfolgen bie Siebe fein, ehe auf Verwirf: 
litung bes groben panftawiftiften ©ebanienS im Ernfte ge: 
rechnet Werben fann. Einem groben Volte Wie bem rufftften 
giemt eS, grohmüthig gu fein unb fit beS erfottenen Sieges 
würbig ju geigen. Sur Seit ftnb bie ©emütljcr not erregt 
bie gcftlagenen ©unben not nitt oernarbt — bie 3ett einer 
leibenftaftstofen ©eurtheilung ber Satlage wirb unb muh ober 
not lommen. ®ann werben aut bie V°len fit einer Stner: 
lennung ber Stette StuhtanbS nitt entgiehen lönnen, — für 
Eut Stuffen wirb eS aber bann an ber Seit fein, baS ft&ne 
©ort ber Vergebung unb Verföhnung gu fpreten unb auch 
VolenS Stette offen unb grohhergig anguerfennen." SRit einem 
®oaft auf bie tünftige SluSföhnung gwiften Stuffen unb Voten 
fchloh ber berühmte egetifte Stebner unb Vüblicift — wäßrenb 
feines Vortrages wieber|ott oon SRihfallSbegeugungen berfetben 
ruffiften Suhörer begleitet, bie ihn bis bagu mit Slufmerlfamteiten 
überßäuft hotten. 

©ie ftwierige Aufgabe, auf biefe potemifte StuSeinanber: 
fefeung eine paffenbe Antwort gn ertheilen, fiel bem SRanne gu, 
ber (oießeitt ben eingigen Katlow ausgenommen) mehr als 
irgenb ein febenber Stuffe gur Verftärfung beS ©egenfa^eS 
gwiften ben beiben „©ruberftämmen" beigetragen hatte. Vom 
SeifaßSruf feiner gahireiten greunbe ftürmift begrübt, erhob 
©fterlahfp fit gu einer Sieptil, Wette nat ©on unb 3ütott 
bie leibenftaftlite Erregung beS SpreterS bewies. S u bem 
©tauben an bie ftawifte Sntereffenfolibarität unb an bie S M = 


*) Huf biefem Kongreß waren u. «. aut gwei SJeputirte ber SB eit ben 
beS KönigreitS Satfen, ber ©utbänbter Schmaler aus S3au|eu unb 
ein Dr. ®eutfdjmann anwefenb. 3« SRoSlan nannte §err ©totaler fit 
„©molj&r", wäprenb ©eutftmann ben wohlflingenben Stamen „©ujntÄn" 
annahm. ©aS britte ©lieb biefeS XriumoiratS §err war gn §anfe 
geblieben, oießeitt weil biefer fRante fit nitt paffenb flawiftren lieh, 


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Nr. 20. 


Ute 


311 


funft be« ©anftawidmu« belannte ber ©ebner fiep bebingungato«; 
ober — fügte er pinju — ber dufunft bütfe bie <£egenmart 
niept geopfert, vor ©Dem aber nidpt auper ©ugen gefegt toerbett, 
bap bie ©erwirRicpnng ber panftamiftifcpen Sbee, beit gottbe* 
ftanb, bie ©inpeittiepfeit unb ba« Saepätpum ber tuffifdpen 
©eiep« 5 Steatitöt gut ©orauSfepung fjabe. ©egen biefe ,,©ca: 
lität" patten bie ©oten freoentlicp bie $änbe erhoben. ©on 
ber Regierung ftet« mit Scponung bepanbett, bei ipren 3nftitn ; 
tionen betoffen unb »or otten übrigen ©ewopttern be« rufPfdjen 
Steigs bnrdp ba« ©efdpent einer conftitutioneUen ©erfaffung be= 
oorgugt, patten bie ©oten fnp ftet« at« unbantbore Söpne be: 
wiefen. ©n ipnen fei e«, reueooü in ba« fdpmäptidp oertoffene 
©aterpau« jurüdjufepren, an ipnen ben erften Scpritt ju tpnn. 
„©Hein oon bem polnifdpen Solfe püngt feine Bulunft ob, ©ups 
tonb ift ©oten nidjt« fcputbig!" Unb um bie ootte Sepätfe be« 
©egenfaped feiner ©nfdpauungen gegen bie ©ieger’fdjen nodp ein* 
mot perau«jntepren, fdptop ber früpere potnifdpe Sinifter be« 
gnnem mit ber ©nfpietnng auf einen ©egenftanb, über metepen 
©uffen unb ©geepen gteiepfaH« oerf epiebener Seinung traten: 
er braepte ein $oep auf bie mutpig gegen ipre pohtifepen ©e= 
brünger t&mpfenben ©utpenen ©atijienS au«, um fidp bann 
(von jnbelnbem, punbertftimmigem ©eifaH begrüpt) triumppirenb 
nieberjufepen. 

«nf bie journalipifdje ©oternif, toetdpe biefem merttoürbigen 
ruffifdp^geeptfepen ©ebetonrnier folgte, Kann icp midp Pier ebenfo 
toenig cmlaffen, toie auf ben toeiteren ©erlauf be« etpnograppi; 
fdpen ©ougveffe« unb auf bie ©ebe, in toetdper Stieger am 
4. 3uni bie „rufpfepen ©rüber" jur ©efreiung ©utgarien« auf* 
rief; genug, bap bie „2Äo«fauer Beitung" Sjeperfaptp« Sefenntnip 
jur panftamiftifcpen Sacpe ebenfo gut piep, toie feine ©u«füprungen 
über bie abforbirenbe ©ebeutnng be« „reaten" ruffifdpen ©eiep« 
nnb bap ber gange ©organg bagu beitrug, be« gürften ©opn« 
larität über ba« gange tveite ©eidp gn Verbreiten unb bie a£tge= 
meinfte ©ufmertfamteit auf ben mutpigen ©ebner vom 2. 3uni 
(21. SOtai) gu ridpten. — Dap ein podpgefteHter, ber brttten ©ang= 
Raffe angepüriger Staatsmann a. D. an nationaten Demonpra= 
tionen Speit napm nnb fidp auf ©eben über bie Bufunft be« 
©anftami«nui« unb ©uptattb« ©erpättnip gu berfetben eintiep, 
mar in ©nplanb gu neu unb gu ungemopnt, um auf bie map: 
gebenben ftreife anber« toie abftopenb unb mipfättig gu mieten, 
unb biefe« SipfaHen folt bem #emt ©epeimratp unb Witter 
beuttidp genug auSgebrfictt morben fein. gürp Xfdpertaptp liep 
fiep ba» menig anfeepten; opne ©üeffiept auf bie oorfidptige $at* 
tung, metdpe ba« taifertidpe ©abinet in ber ©anbiotenfrage beob: 
aeptete unb bie einem Dementi ber bamat« von 3gnatieff befolgten 
peQenenfreunbtkpen ©otitif giemtiep äpnticp fap, — trat er bem 
SRadlauer ©tamencvmit6*) gu, ba« im Sinter 1867—1868 mit 
alten Sittein für Unterfttipung be« ©ufpanbe« unb ber tpaien* 
luftigen ©tpenifdpen ©egierung agitirte. Der gürp mürbe baburep fo 
populär, baP bie SoStauet SÄunicipaütät ipn menig fpäter — aber: 
mal« gum ©ntfepen ber $vftreife — gu tprem ©otom& (Ober: 
büxgermeifter) ermäptte. Die ©nnapme oon ftäbtifdpen ©pren* 
ämtern mar feit ©infüprung ber neuen Sunicipalotbnung 
SoStau« bet bem tiberatifirenben ©bet Sobe gemotben, ber 
erfte nodp ber neuen Orbnung gemäptte Oberbürgerraeifter ein 
gürp Septfcperbatoto gemefen. So napm Xfdpertaptp leinen ©n= 
ftanb, einige 3ap«e lang ben ©btpion ber „erften |>auptftabt" 
ju fpieten nnb bie ipm »orgefepten popen @taat«beamten burdp 
gropartige „ftaatsbürgertidpe" ©Hüten gu erf^reeftm unb gu er: 
bittern. ©ang befoubet« maepte ber podpgebotene ©ürgermeifter 
baburep von fidp reben, bap er bei einer feiertiepen, bem ©mpfang 
be« fiaifer« gettenben ffiour im Äremt ben ©tap neben bem 


*) 2)a« (feitbem über alle grdperen (stabte ©nplanb« verbreitete) 
„©omit4 jur ttnttvpüpung mtpteibenber Slawen" würbe 1867 burdp 
ben epentaligeu Surator ber ©tVSlauer UnioerpMt ©epeintratp 89a<p= 
ntet jew gegrftnbet. De« bomepmen nnb gemäpigten SBegtünber« 9)a<p> 
folget im ©rftflbtnm war ber betumtte, im vorigen Sfapte berftorbene 
©rvfeffor ©ogobin, ber bie politif^e ©ebeutnng biefer Septtpätigteit«» 
gofeBfcpaft befonber« betonte. 


©oubernement«abet«marfdpatt unb über bem ©ioitgonverneur 
be« 3Ro«fauer ©onvemement« beanfprudpte. „Sir beibe", fagte 
er taut gu bem ©epräfentanten be« ©bet«, „fhtb bie eigenttiepen 
Sirtpe ber ©robing unb ber ©tabt, weit mir unfere ©emter 
bem ©ertranen be« in unferen ©orporationen vertretenen Xpeit« 
ber ©eoötterung verbauten, mäprenb ber $err ©ivitgouvemeur 
pier nur at« ©eamter beSfetben Staat« fungirt, beffen pope« 
Oberpanpt mir gn begrüpen bie ©pre paben fotten." — Diefe« 
unerpörte, mit ber Sicperpeit be« ©riftolraten gefproepene, alte« 
fterfommen auf ben ßopf ftettenbe Sort madpte bamat« in 
©eterSburg wie in SRo«tan förmlitpe Senfation; man fap ba«: 
fetbe für ein Spmptom be« „gortjepriitä" unferer liberalen ©nt: 
midetung — unb be« maptofen ©pvgeige« an, ber ben Öiebling 
ber ©ationatpartei erfüllte, unb ermattete von bem tedtn Spredper 
wapre Sunberbinge. 

Diefe Sunberbinge paben bi« jept auf fiep märten taffen. 
Bäpigteit unb ©«Parrtiepteit ftnb einmal unfere @aepe nidpt; 
naep ©eenbigung feiner ©mtdgeit mar gürft Xfdpertaptp ber 
Sadpe unb ber mit berfetben vertnüpften ©rbeitataft mübe. Da 
fiep ein ©aepfotger feine« Scptage« niept gteidp fanb, mäptie man 
einen Kaufmann, beffen ©erfuepe, e« bem fürfttiepen ©orgänger 
gteiep gu tpun, von bem ©onvernenr Durnomo fo fadgrob be: 
antwortet mürben, bap bcvfetbe feinen ©bfepieb neptnen mnpte; 
ber pope ©bet gog pep Vom „@taat«bürgertpnm" (grashdanstwo) 
vottenb« gurüd nnb unfer gürft erpielt in bem tepten Ober: 
bürgermeifter 9Ko«tau«, $errn ©epumoeper, einen ©rben, ber, 
wegen Xpeilnapme an ber Stroupberg’fdpen ©tünberung ber 
©ommergbant, caf^rt unb (wenn idp nidpt irte) gut ©erfenbung 
naep Sibirien, jebenfalt« gu einer ©riminalftrafe verurtpeitt 
morben ift. — ©on bem gttrften Xfcpertaptp mar nadp biefer 
©ürgermeiftcrepifobe gapre lang nidpt« mepr gu pören. ©r lebte 
gapre fang abmetpfetnb in t©o8tau unb auf feinen ©ütern, Wie 
e« piep, mit ber Untiebfamteit betaben, metepe er wegen feiner 
liberalen unb nationaten Sgcentricitäten auf pep gegogen patte, 
bi« ber $riegdminifter pdp im fperbft Vorigen Sapie« be« fäpigften 
nnb energtfepften ber oüttn greunbe feine« ©rnber« annapm unb 
benfetben für ba« wichtige ©mt empfapt, bie ju occupirenben 
türtifdpen ©rovinjen in einer ben ruffifepen unb ftamifdjen 3n= 
tereffen entfpreipenben Seife etngurii^ten nnb ad interim gn 
vermalten. — Der au«gefprodpene ©arteipanbpunft, bie Unab: 
pängigteit, ber ©prgeig unb bie ©rbeitStüdptigleit be« auf ber 
|>öpe be« öeben« ftepenben Sanne«, taffen begreipiep erfdpeinen, 
bap feine ©mentnutg grope« ©uffepen erregt unb unfere ©a: 
tionaten mit fvopen Butunpapoffnungen erfüllt pat" 


Jodaliftifipe 3rrtpfirner, fetale ttaprpetftn. 

©on 2lbo(pp Samter. 

VI. 

Die gorberungtn be« Sociati«mu«. 

©ine iebe Sritil, bie auf ©ereeptigung ©nfprmp madpt, 
barf nidpt nur negativ, gerfepenb fein, fonbern mup audp ein 
poptive« ©tement in fidp bergen. Die ©efpredputtg ber foeia: 
iifrifepen Strfepren pat fdpon bie bere^tigten gorberungen be« 
Sociati«mn« burepbtidten taffen; pe fotten pier in mögtiipfter 
Sürge gufammengefapt werben. 

Sociale ©Ieicppeit gu etgielen ift unmägtiep, aber niept 
minber unpattpaft bie fociate Ungteiippeit, wie pdp fotepe 
in ber ©ntmkfetung ber menfdptidpen ©efettfdpap perauägebitbet, 
bepepn gu taffen. Der foeiaten Rngteidppeit, wie pe fiep 
gegenwärtig entwidett, fo weit at« mögtiep entgegengntreten, 
mup ba« unverrüdbare B»t ber Sociatpotiti! fein. Dap ber 
©rfotg ber Statur ber Sadpo naep immer nur ein bebingter fein 
lann, ip fetbpverpänbticp, biefe« barf bie bapingietenben ©e: 
prebungen nidpt perabminbem. ©in ©tid auf bie tpatfäeptidpen 
©erpättnipe genügt, um bie Stotpwenbigfeit ernennen gu taffen, 

* 


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312 


Ute Gegenwart. 


Nr. 20. 


ben gegenwärtigen Bertjättniffen mit aller (Energie entgegen ju 
treten. 3Bir feljett nach einer ©eite anljäufung tiefiger Ber* 
mögen, auf ber anbetn ©eite naljeju ooßftänbige Bermögen«: 
iofigfeit. Sie ffiigenthumöbertheitung unb, mit ihr im 
engften 3wfantmenhange fteljenb, bie ©intommenbertheilung 
finb e«, in welcher bie unhaltbaren focialen 3uftänbe culminiren. 
3tach einet t>on mir aufgefteßten Berechnung hatten in ißreufjen 
bon ben felbftthätigen ißerfonen 81.48% ein bürftige«, 13.45 % 
ein erträgliche«, 3.27% ein gute«, 1.80% ein reifliche« @in= 
tommen. 3n ©achfen ergibt fich nach ben feljr genauen @r= 
mittelungen be« bortigen ftatiftifdjen Bureau« folgenbe« SRefultat: 
78.23% bürftige«, 15.42% erträgliches, 4.34% gute«, 2.1% reich- 
liehe« ©inlommen. Sie unerhebliche Sifferenj jwifdjen beiben 
©taaten erttärt fich h*»«eichenb burch bie größere 3nbuftrie 
©achfen« unb bie größere Sanbwirthfdjaft fßreufjen«, unb bie 
Uebereinftimmung bet ßtefuliate bietet eine ©arantie, ba| bie 
non oerfcfjiebenen ©eiten angefteßte Berechnung im großen 
©anjen richtig ift. 

darüber, bah ein ©efeßfchaftSjuftanb, in welchem ca. 80% 
ber ©elbftthätigen nur ein bürftige« unb 14% ein erträgliche« 
©intommen haben, nicht« weniger al« ein ©ulturjuftanb ift, 
unb bafj, fo lange et fortbauert, wir leinen ©runb haben, un« mit 
unferer ©ultur ju brüften, braucht nicht ein SBort nerloren ju 
werben. ®« ift hierbei fofort hetborjuljeben, baff e« fich bei 
Beurteilung ber focialen ßuftänbe teineöweg« aflein um bie 
$ölje be« ©intommen« h a «belt. Sürftige«, erträgliche«, 
anbererfeit« gute«, reichliche« ©intommen finb burchau« relatioe 
Begriffe, ©ine beftimmte ©umme bilbet für ben ©inen ein 
feljr h»he«; für ben Stnbem ein fehr tärglidhe« ©intommen. @3 
tarnt alfo fofort jugegeben Werben, ba§ bie #ölje be« ©in* 
tommen«, obgleich fte bie ©runblage ber materiellen ©jriftenj 
bilbet, teineöweg« ba« allein ©ntfeheibenbe ober auch nur ba« 
SBefentlichfte ift. 3emanb lann mit recht bielen Mitteln au«= 
geftattet fehr traurig unb mit bethättnihmäfjig wenigen Mitteln 
ganj jnfriebengefteflt leben; aber folgenbe Berhältniffe finb e«, 
bie im 3ufammenljange mit bem tnapp jugemeffenen ©in; 
tommen be« bei Weitem größten Xheileä ber ©rwerbthätigen, 
ber arbeitenben klaffen, ihre fociale Stellung gerabeju uner= 
träglich machen. (Bergt „©oncorbia" 1876, Str. 14.) 

Bunächft ift e« ihre mangetrtbe ©elbftftänbigteit. 3*n 
engeren Sinne be« SBorte« ift bie 3af)l ber Unabhängigen auf 
mirthf<haftli<hcnt ©ebiet überhaupt Kein; jeher ©efchäftSmamt 
ift bon feinem Äunbenfreife, wie e« ber Beamte oon feinem 
Borgefefcten ift, abhängig; aber biefe Slbhängigteit lägt fich wohl 
nicht im entfernteren mit berjenigen Dergleichen, in welcher ber 
Arbeiter in ber gabrit bon Wenigen Sßerfonen, wie bem SBert= 
führer u. f. w. fteht. Bei ben jungen noch unerjogenen ßeuten 
wirb bie geübte Sucht nicht nur unbeanftanbet bleiben, fonbern 
al« betrachtet werben; e« ift aber nicht aufjer Sicht ju 

laffen, bafj bie Arbeiter jeitleben« bie auSficht haben, ber 
gabriforbnung, bie oft böfe genug ift, unterworfen }u werben 
(ber Mafchinenbauer in Berlin nennt feine gabrit ,,ba« 3«<h ts 
hau«"), baff fie barauf borbereitet fein müffen, jeitleben« — 
lebenbige Mafchinen ju bleiben. ©« mag biefe« bei ber unent: 
behrtidjen ®h e ^ un 6 ber arbeit unbermeiblich fein; aber e« muh 
conftatirt werben, um bie ©elbftftänbigteit unb bie gerühmte 
greiljeit ber arbeitet in’« richtige Sicht ju fefcen. Sie Arbeiter 
haben bie greiheit, ba« BertragSberljältnih ju löfen, bie gabrit 
ju berlaffen; aber wohin gehen, wenn fie nicht bedungene 
wollen? hieran {flieht fich bie ttnfidjerfjeit ber materiellen 
©yiftenj an. SBie e« mit biefer befchaffen ift, ift allgemein be= 
tannt. ©o lange bie ©efchäfte gut gehen, braucht ber Arbeiter 
nicht beforgt ju fein; aber er befinbet fich fofort in gefährbeter 
Sage, wenn flaue Seiten ober gar förifen eintreten. Ser arbeitet 
hebt jeben Sag bor ber auSficht einer ftünbignng, ohne ju 
wiffen, ob unb wann er neue arbeit finbet. Sie Behauptung, 
bah e« teinem fleihigen unb willigen Arbeiter an Strbeit fehlt, 
ift wenig mehr al« eine WebenSart. Stber trauriger noch al« 
bie feljtenbe ©elbftftänbigteit, mehr noch al« bie mangelnbe 
Sicherheit ber wirtschaftlichen Sage, was einzeln noch Äße« 


felbft bei befcheibener Sohnhöhe ertragen werben tann, ift bie 
$joffnung«lofigteit be« Slrbeiter«, feine Sage ju berbeffern. 
SBelche Äuöfichten ftehn it}m — bon ganj befonberen ©lücf«-- 
fäUen abgefehen — offen? Sie Möglidjteit be« BorwärtStommen 
ift freilich nicht auögefchtoffen, unb e« werben jafjtreiche gäHe 
bafür angeführt — ber alte Borfig wanberte mit wenigen 
©ilbergrofehen in Berlin ein —, aber biefe gälte finb Slu«= 
nahmen, werben auSnaljmen bleiben unb bei juneljntenber 
Sichtigleit ber Bebölterung unb ber ©oncentration be« Kapital« 
immer feltener werben. Ser arbeitet hat leine anbere auöftdjt 
al« bauemb arbeitet ju bleiben, bauernb auf einer unterge= 
orbneten Stufe ju berharren, bauemb unfetbftftänbig, bauemb 
ber Unficherljeit ber wirtschaftlichen ©jiftenj auSgefe&t ju fein. 
Siefe $offnung«lofigteit ift, wie auf bem ©ongrefj für Social: 
politit 1872 ein arbeitet felbft erttärt hat, ber munbefte gteefen 
am Seibe be« arbeiterftanbe«; „in ben meiften gälten fagt fich 
ber arbeitet: ich tann breijjig 3ah« ununterbrochen in ber 
gabrit arbeiten unb bin bann fo weit wie ju anfang." §ierju 
tonemt fchliehltch, bah, Wie au« einer abhanblung be« ©efjeim: 
rath 3acobp erftchtlicfj (arbeitSlöljne in Stieberfchlefien), ba« 
Maximum be« ©intommen« eine« inbuftrieHen arbeitet« in einem 
alter non 35—40 3ah«n erreicht wirb. Ser arbeiter hat 
alfo nicht allein nicht bie auäfidjt, im h«h eren ®lt<* beffer ju 
ftehn, fonbern umgetehrt, et weih, auch wenn er nur ba« 
bierjigfte 3af)e überfchritten hat, wirb er fich fehlster ftehn, 
weil feine Seiftung«fähigteit bereit« abnimmt, ganj ju fchweigm 
bon bem fchtimmften gaße, in welchem bie atterSinbatibität 
eintritt. 

©anj abgefehen bon ber Sohnhöhe befinbet fich 
ber arbeiterftanb wegen feiner Unfetbftftänbigteit, 
wegen ber Unficherljeit feiner wirthfdjaftlidjen Sage, 
wegen ber $offnung«tofigteit in beffete Berhältniffe 
überjutreten ben befifeenben ftlaffen gegenüber in einer 
burchau« untergebenen Sage, bei welchen aße biefe Ber: 
hältniffe entweber gänjlich fortfaßen ober fich in Wefentlich ab: 
gefchwädjtem Mähe geltenb machen. Sie SBichtigteit ber ffiigen: 
thumSbertheitung tritt bei biefen ©rwägungen in boßer ©djärfe 
herbor. SBie berfchieben ift bie Sage berjenigen, bie neben 
ihrer arbeit ein wenn auch nur Heine« Befifcthum haben, ba« 
ju ihren SebenSbebürfniffen einen Keinen 3uf$uh gewährt, unb 
für aufjerorbentliche gäße unb für bie 3utunft ihnen al« 8te= 
ferne einen 9?othgrof<hen bietet 1 Ser ungeheure abftanb, ber 
jwifdjen ben lebiglich Beftfcenben unb lebiglich arbeitmben liegt, 
tann nicht bertannt werben. 

Siefen Berhältniffen gegenüber ift e« abfolut unftattljaft, 
bie arbeiter lebiglich auf ihre ©elbfthülfe ju berweifen. „©« 
hiefee bem gefunben Menfdjenberftanbe ju nahe treten, Woßte 
man nicht banon auSgehen, bah be« arbeiter« eigene Haltung 
bie unerlähliche BorauSfehung für feine Sebenöfteßung ift, ba| 
er nur burch tfrleifj unb ärbeitfamleit fich ein ©intommen ber.- 
fchaffen lann, bah er nur burch aneignung bon Senntniffen 
bahin gelangen tann, werthboße arbeit ju berridjten unb ba« 
burch ein höhere« ©intommen ju erjielen, bah er nur burch 
©parfamfeit unb SBirthfdjaftlichteit fein ©inlommen richtig ju 
berwenben bermag; bah er bagegen burch Trägheit unb Süber= 
lichteit nicht nur bie Möglichst, fonbern auch jeben berechtigten 
anfpruch auf eine angenteffene Sebenöfteßung berwirtt SBie 
felbftberftänbtidj biefe SBahrheiten auch finb, e« ift falfdj, bei 
ihnen ftehn ju bleiben unb aufjer a^t ju laffen, bah, wenn 
auch einerfeit« ohne bie boße Mitwirfung ber arbeiter fich 
nicht«, abfolut nicht« für fte tljnn läjjt, biefelben anbererfeit« 
nicht au«f<hliehli<h für ihre Sebenöfteßung berantmorttidj gemacht 
werben Iönnen. SBeber bie Bebürfniffe noch bie Befchaffung 
ber Befriebigungömittel finb in ba« auSfdjliehliche Belieben unb 
können ber ©injelnen gelegt, ©inerfeit« bilbet bie Statur, 
anbererfeit« bie gefettfchaftlidjen Berhältniffe bie ©renjen, 
in benen fich ber ©injelne ju bewegen bermag. ©« ift baljev 
eine bißige, an’« Sribiale ftreifenbe Mahrheit, ju behaupten, fo 
lange bie arbeiter träge unb roh, f° lange fie nicht nüchtern 
unb fparfam finb, ift mit ihnen nicht« ju machen, unb eS ift 


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Nr. 20. 


9it (Segrnmart. 


313 


minbeftenä bequem, bie fociate Srage baburdj ju erlebigen, bap 
man bie eine ©eite, bie ©elbftoerantwortlicpteit ber Arbeitet in 
Betracht jie^t, unb bie anbete, bie ©teKung bet ©efeßfdpaft 
auper acpt läpt. — Stuf bent Arbeiter taflet bie gefammte 
büjtere Bergangenpeit ber SJtenfcppeit. @8 finb erft einige ©e* 
netationen feit ber Seit »ergangen, als bie Arbeiter nocp £etf>; 
eigene waren, nacp aßen ©eiten getnebett, in ben tiefften aber; 
glauben oerfunlen; !aum ftnb fie, unb zwar nur tpeoretifdp für 
frei erllärt, unb fdpon glaubt man, fie lebiglidp auf ipre 5ßer= 
fönlicpleit unb ©eibftpfilfe üerweifen ju tönnenl SBeil fie per; 
fönlidp frei geworben, mfiffen fie mit ihrer ißerfönlid^feit für 
ipre £eben«fteßung ooß einftepen; aber biefe« entbinbet bie 
©efeßfepaft nicpt babon, iprerfeit« bie gefeßfcpaftlicpen Bebin; 
gungen ju fc^affen, welcpe ba« ©infepen ihrer Berfönlidpleit 
ermöglicht. Sticpt nur ber arbeitet, auep bie ©efeßfdpaft hat 
pßflidhten ju erfüllen" (Samter, ©ociallepte). auch SBagner 
fagt, „bie Ipefe, bap gebermann üoHftänbig allein feine« eigenen 
Wirtpfcpaftticpen ©lüde§ ©chmieb, allein für fiih Derantwortlidp 
fei, unb bap ber ©taat fiep nicht weiter um ba« wirtpfdpaftlicpe 
©rgepen bet gnbioibuen ju lümmern habe, ift eine giction" 
(allgemeine BoIlSWirtpfdpaftälepre). 

®aä SJtap beffen, toa« ber ©taat erfüllen mup unb er« 
füßen lann, mag nadp aßen ©eiten ftrittig fein, SBagner hat 
ooflftänbig mit ber Behauptung Stecht, „ei ift ein rnüpige« unb 
notpwenbig »erfeplte« Beginnen, ba« Bereich ber ©taatStpätig; 
(eit ein für aßemal feftfepen ju Woßen", aber mit ber anficht 
mup entfchieben gebrochen werben: ber ©taat habe ft<h nicht in 
bie wirtschaftliche Bewegung einzumifdpen, ,,e« lann leine an= 
Drbnungen bei Staate« geben, welche bie Siegelung unb görberung 
ber Delonomie an fich jur aufgabe hätte" (©ermann, ©taat«; 
rechtliche Unterfuchungen), oielmehr wirb man fidp ©. o. Scheel 
anjufdjliefjen h“ben: „ber ©taat wirb fich nicht freuen bürfen, 
mit eigenem Borgehen in bie (wirtpfcpaftlidpe) ©ntwidelung 
einjugreifen" (©ociale fragen), ©rft Wenn biefe anftdpt, bie 
bereit« bon einer großen anjahl peroorragenber ipeoretiler unb 
BtofKler (SBagner, ©chmoßer, Stoffe, ©elb, ©neift, Engel, SReipen) 
geteilt wirb, allgemein principielle anerfennung ge= 
funben, lann oon ber ©ntwidelung einer bernünftigen Social; 
politil bie Siebe fein, ©in anfang mup mit ihr entfchieben 
gemalt werben; fie ift bie erfte Borau«fepung, um ben 
focialen SDlipftänben entgegenzutreten. 

©8 ift bei Betrachtung ber gefeßfcpaftlicpen Berhältniffe 
an bie ©pifce gejleflt, bap bie fociale Ungleichheit in ©eftaltung 
ber Beppoerpältniffe culminirt. ®er au8gang«punlt jeber fo; 
cialen Sleform wirb alfo bie ©igenthum«orbnung fein müffen. 
©ier ift ber Buntt, wo ber ©taat feine ©ebel einzufepen pat. 
®ie ©runblage ber ©ocialpolitil ift bie ©igentpum«; 
orbnung. Bon einer abfdpaffung be« Bribateigentpum« barf 
nach leiner ©eite bie Siebe fein, aber ebenfo wenig bürfen bie 
unhaltbaren gefeßfchaftlichen Suftänbe, welche ba« B*i»®teigen; 
thum in feiner auSbilbung gefchaffen, aufredjt erhalten werben. 
$ie gegenwärtige ©igentpumSorbnung barf leine«wege« al« etwa« 
Unautaftbare«, al« ein abfolute« Siecht aufgefapt werben, fie 
mup fidp, Wie aße menfdplidpen gnftitutionen, ber ©ntwidelung 
be« SRenfcpengefcpledpt« anpaPen unb pch ihr unterorbnen. auch 
bie ©igentpumSorbnung ift nicht« al« ein ißrobuct be« jeweiligen 
©efcßfdpaftSzuftanbe«, unb hat in ber Ipat im Saufe ber Seiten 
weitreiepenbe Umwälzungen erfahren. ®a« Eigentum hat p<h 
al« möglidjft unumfehräntte« abfolute« au«gebilbet. Stoch jefet 
gilt al« ©runbfap be« ©igentpumSredpt«: „®er ©igentpümer hat 
ba« Becpt, fein ©igenthum ju gebrauchen unb z» mipbrauepen." 
@r ift hierin unbefcpränlt. ©benfo lann ber ©injelne fein 
©igentpum unbefcpränlt auSbepnen, foweit feine @rwerb«traft 
reicht, ©r lann ©igenthum auf ©igentpum häufen, opne Slüd; 
fiept auf bie Berpättniffe ber (relatio) Stidptbefipenben unb 
beren anfprüdpe unb Bebürptiffe. hierin, in ber unbebingten 
©errfepaft über ba« ©igenthum, in bem übergropen Spielraum, 
welcher bem ©igenthümer intenfib wie ejtenfio, opne Slüdfidpt 
auf feine SDtitmenfdpen, auf bie gefeßfchaftlichen anfprüche unb 
©rforbentiffe eingeräumt ift, liegt ber ffiern be« focialen 


Uebel«. ®iefer abfoluten $errfdj}aft be« ©igenthum« mup ent; 
gegengetreten werben, unb biefe« ift, ba Don einer Bufhebung 
be« ißrioateigenthum« abgefepen werben mup, nur baburep ju er; 
Zielen, bap bem fßtiDateigentpum ein gefellfcpaftlidhe« ©igen; 
tpum z«« ©eite gefefct wirb. SBeil bem Eigentümer über 
fein ©igentpum unumfdjränlte ^errfdpaft zugeftanben. werben 
mup, weil bem Einzelnen niept oerweprt werben lann, ©igen; 
tpum in unbegrenztem Umfange an pep zu bringen, opne Slüd= 
fiept auf feine SKitmenfcpen, beäpalb ip bie ©tablirung Don 
gefeßf^aftlicpem ©igentpum neben bem ^rioateigentpum unab; 
wei«bare Stotpwenbigleit. @« ift Don SBi^tigleit zu conftatiren, 
bap e« Weber eine ©efeßfepaft gegeben, in ber nur ißrioat; 
eigentpum ejiftirte unb nidpt auep gefeßfcpaftlidpe« ©igentpum, 
ttoep eine ©efeßfepaft, in ber e« nur gefeßfcpaftlicpe« ©igentpum 
unb lein fßriDateigentpum gab, fonbetn bap wir ftet« unb überaß 
gefeßfcpaftlidpeS unb priDate« ©igentpum oereint antreffen, fo 
»erfepieben au<p ber Umfang unb bie Bebeutung berfelben waren. 
,,®a« heutige abfolute fßrioateigentpum", fagt SBagner, „ift eine 
piftorippe ©rfdpeinung, unb zwar eine folcpe oon fepr jungem 
®atum." ®ie gorberung, neben bem fßrioateigenttjum ein ipm 
ebenbürtige« gefeflfcpaftlite« ©igentpum einzufüpren, ift nicht 
eine gbeologie, Welcpe burepau« neue ©efeßfepaftsfepöpfungen in 
auäfupt nimmt, fonbern bewegt fiep auf bem Boben be« bereit« 
Beftepenben. @8 panbelt fiep bei ipr nur barum, bie tpatfäcplicp 
ejiftirenben ffräfte in’8 richtige ©leicpgewicpt zu fepen; biejenigen, 
welcpe im Berlaufe ber gefcpicptlicpen ©ntwidelung ungebüprlicp 
in ben Borbergrunb getreten, zurüdzubrängen, biejenigen, welcpe 
Zurüdgeblieben, zur berechtigten ©eltung zu bringen. ©8 ift 
burepau« erforberliep, bem ©efeßfdpaftäeigentpum einen bem Ißrioat; 
eigentpum ebenbürtigen Boben zu bereiten. 

Bon bem Boben biefe« gefeßfcpaftlicpen ©igentpum« au« 
lönnen unb foßen bie focialen ©cpäben geebnet werben. ߧ 
wäre leerer OptimiSmu« annepmen zu woßen, bap burep bie 
gnftitution be« gefeßfcpaftlicpett ©igentpum« ein gefeßfcpaftlicpe« 
©Iborabo gefdpaffen werben Wirb, welcpe« frei »on ©cpäben ober 
auep nur Kämpfen fein werbe. SBelcpe gnftitutionen auep in 
ber ©efeßfdpaft ißlafe greifen, ftet« wirb ihnen ba« Unooßlommene 
unb Äampf ©rzeugenbe menfcplicper Einrichtungen anpafteit; 
neue Kämpfe werben neue ©egenfäfce erzeugen unb neue Be= 
ftrebungen waeprufen; aber bie Errichtung eine« ebenbürtigen 
gefeßfcpaftlicpen ©igentpum« neben bem fßrittateigentpum wirb, 
unb barum lann e« fiep aßein panbeln, bie ©efeßfepaft auf eine 
pdpere ©tufe peben. ®er ©taat erhält burep ein au«; 
reiepenbe« gefetlfcpaftlicpeS ©igentpum bie erforber; 
licpen SRacptmittel, ben focialen ©cpäben ernplicp entgegen; 
treten z« lönnen, Wäprmb burep aufredpterpaltung be« fßrioat; 
eigentpum« bie inbiDibueße wirtpfcpaftlidpe greipeit gewaprt 
* bleibt. SBenn man bem ©taat ba« Stecht zuertennt unb bie 
fßfticpt auferlegt, ni^t müpiger Sufdpauer gegenüber ber ©nt; 
Widelung ber gefeßfcpaftlicpen Suftänbe zu bleiben, fo mup man 
ipit auep utit ben nötpigen SRacptmitteln auSftatten, ein gefeß; 
fcpaftlicpe« ©igentpum einzufüpren. ©pecieß pier einjugepen, 
wie ba« gefeßfcpaftlicpe ©igentpum einzurichten fei, erfepeint 
unftattpaft (f. mein ©efeßfcpaftlicpe« unb Ißribateigentpum), zu- 
näcpft panbelt e« fiep oor aßem barum, bie Stotpwenbigleit, 
neben bem fßrioateigentpum gefeßfcpaftlidpe« ©igentpum z u 
etabüren, peroorzupeben, ber gbee be« gefeßfdpaftlicpen Eigen; 
tpum« weiteren Eingang z u oerfepaffen. Bemertt mag nur 
Werben, bap e« erforberliep ift, zwei Extreme z« bernteiben: 
aße« ©igentpum, weldpe« bie ©runblage ber wirtpfcpaftlidpen 
©jiftenz bilbet ben fßrioaten zu überlaffeu, wie e« in bet gegen; 
wärtigen ©efeßfdpaft ftattfinbet, Woburcp eine SJtinberpeit unge; 
büprenbe« Uebergewicpt errungen — unb aße« ©igentpum, unb 
fei eS audp nur ba« Brobuctioeigentpum, ber ©efeßfepaft zu über; 
weifen, woburcp jebem inbioibueßen wirtpfcpaftlidpen Seben bie 
abera würben unterbunben werben. 

®ie gorberung, bap neben bem Briuateigentpum ein ge; 
feßfdpaftlicpe« ©igentpum eingefüprt werbe, ftept im ©intlange 
mit bem ©inweife SBagner«, „bap bei fortfepreitenben ©ultur; 
oöllern regelmäpig eine auSbepnung ber ©taatStpätigleü • er; 


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314 


Nr. 20. 


fflit (St ge «wart. 


W«, „baß in ber vergangenen ©etiobe baS öffentliche Sßohl 
in ber bamatö ^errfc^enben Auffaffung in ber $auptfadje raög; 
lic^ft freie Entfaltung beS privatwirthfchafttichen SpftemS vet= 
langt, für bie ©egenwart unb bemnächftige weitere Qu- 
lunft bei uns bi« AuSbeljnung beS gemeinwirthfchafts 
liehen SpftemS bie Signatur ift«. £. v. Scheel fpridjt 
es beuttid) auS: „Sei unferen gefeüfdjaftlidjen 3wftänben, wo 
immer nodj vietteidjt auch in immer größerem Srudjtljeil eine 
große unb jebenfaüS gu große Anjaljt von Angehörigen beS 
SotfeS an ber ©renje beS notljwenbigften SebeuSbebarf unb in 
unfidjeren wirthfdjaftlidjen 3 u ftönben lebt, unb wo bie Armut!) 
unftreitig nicht burdj eigenes Serfehulben, fonbern ju einem be* 
beutenben Ztyil burdj bie focialen 3«ftänbe erzeugt wirb, ift 
eS gewiß ein ©ebot ber ©eredjtigteit unb Klugheit, baß 
ber Staat burdj Wohlbegrünbete planmäßige Ser= 
wanblung eines IheilS beS ©rivateigentljumS in ©e« 
meineigenthum auf baS Sohl ber ©efammtheit unb 
im Sefonberen auf bie Hebung unb Entladung ber 
unbemittelten Soltöfchidjten hinarbeite" (©rbfdjaftSs 
fteuern unb SrbredjtSreform). 

Sie Errichtung eines auSreidjenben gefeüfdjaftliehen Eigen: 
thumS neben bem ©rioateigentljum wirb unftreitig bie weitaus 
Widjtigfte fociale gorberung bilben, unb eS wirb fuß empfehlen, 
baß alle Anftrengungen fich jnnäehft bahin concentriren, baß ihr 
©ewige geleistet werbe. Xurdj Erfüllung berfelben würbe in 
ber Xhot bie gefeüfdjaftlidje Drbnung Don ©runb auS umge= 
ftaltet, unb unfere gefellfchaftlichen 3uftänbe würben ein burdjauS 
oeränberteS AuSfehen gewinnen. Selbftoerftänbtidj ift eS aber 
mit Errichtung beS gefeüfdjaftliehen EigenthuraS allein nicht 
abgemacht. Sa neben bem gefellfchaftlichen Eigenthum baS 
©rivateigentljum aufrecht erhalten bleiben foü, alfo gewiffer= 
ma^en bie fapitaliftifdje (private) ©robuctionSWeife mit in bie 
neue ©efeüfdjaftSorbnung, wie fie bur<h Errichtung beS gefett; 
fchaftlichen EigenthumS eniftelja würbe, hinüber genommen 
werben würbe, fo werben nothwenbigerweife Sorteljtungen ju 
treffen fein, um ihren SRißbräuchen entgegen ju treten, Welche 
fich nidjt ntinber als bie beS abfoluten ©rivateigentljumS geltenb 
gemacht hoben. ES barf mit Buöerfic^t in AuSficht genommen 
werben, bah baS gefeüfchaftliche Eigenthum an fich bereits ber 
Uebermadjt beS ©rivatfapitalS, wie eS fich jefct in ber ©robuction 
geltenb macht, ein erfolgreiches ©egengeroidjt bieten wirb; ift 
erft eine weitreidjenbe ©ematt in ber ©efeüfdjaft conftituirt, 
Welche bie Aufgabe h«t, bahin ju wirten, bah bie ©robuction 
nicht aüein im 3ntereffe ber Einzelnen, fonbern audj in bem 
ber ©efammtheit fich Vottjiehe, ift fomit bie ©robuction bem 
auSfdjließlidjen Eigennnfee entjogen, unb gelangt auch baS gefeit; 
fcßaf Hieße Sntereffe jum genügenbeu AuSbrud, bann wirb auch 
ber hart angegriffenen tapitalijtifehen ©robuctionSWeife ihre |>aupt:‘ 
Waffe, Staben ju ftiften, entjogen. 3h re Unumfd)räntthei.t 
ift eS, welche fie gefährlich macht. 3mmerljin aber Wirb fie 
auch befonbere Seadjtung oerbienen, auch wenn neben ihr gefeü; 
fdjaftlicheB Eigenthum unb in golge beffen gemeinwirthfd)aft= 
lieh« ©robuction ejiftiren 

Abgefcßafft tann bie private tapitaliftifche ©robuctionSs 
Weife ebenfowenig werben, wie eS unftattljaft ift, baS ©rivat; 
eigenthum aufjuljeben. Auch bie inbioibueüe Erwerbsthätigfeit 
barf von bem ©oben ber ©efeüfdjaft nicht verfdjwinben. Sir 
wollen nichts wiffen von bem auSfdjließlidjen SnbioibualiSmuS 

— aber auch nichts von bem auöfdjtießlichen SocialiSmuS. 
3nbioibualiSmuS unb SocialiSmuS foüen ebenfo im Einttange 
in ber ©efeüfchaft walten, wie ©echte ber Einzelnen unb ber 
©efammtheit im StaatSWefen gleichmähig ©ettung beanfprudjen. 

— Sohl aber tann unb muh bie private fapitaliftifdje ©ros 
buctionSWeife, auch foweit fie neben ber gemeinwirthfdjaftlidjen 
©robuction aufrecht erhalten Wirb, beS raonopoliftifdjen EljarafterS 
entfleibet werben, ber ihr jefct anhaftet. Kapitaliftifdj ift jebe 
©robuction; eS hanbelt fich nur barum, ob baS Kapital ber 
©efeüfchaft, einzelnen Senigen, ober möglichft Sielen gehört. 
Soweit es nicht ber ©efeüfdjaft überwiefen ift, ift eS geboten, 
eS foviel als möglich ju veraügemeinern, bejieljungSweife eS fo 


Sielen als möglich jugängig ju machen. SiefeS läßt fich «**= 
reichenb burch ein jwedentfpre^enbeS ©etbs unb Sanlwefeu 
erreichen. 3«fct bient baS Sanfwefen in erfter Smie ben Selb; 
möchten (ber Sörfe), bem $anbel, ber ©reßinbuftrie; baSfdbe 
wirb bahin n« reformiren fein, bah e* ber gefammten ©to= 
buction möglichft unmittelbar meßbar gemacht wirb. — Stau 
hat ber tapitaliftifdjen ©robuctionSWeife (richtiger ber inbivi; 
bualiftifchen) bie genoffenfdjafttidje gegenübergefieüt. Sie 
ift ein gutes SKittel; unb Sinbeglieb jwifdjen ber gefettfehaft; 
liehen unb ber inbioibualiftifdjen ©robuctionSWeife. Senn, wie 
hervorgehoben, Weber auf bie gefeüfchaftliche uo<h bie inbioi; 
bualiftifdje ©robuctionSWeife vernichtet werben fann, fo wirb bie 
jwifchen ihnen ftehenbe genoffenfchafttiche von ganj befon= 
betet Sebeutung. Sie geforberte geuoffenfdjaftlidje ©robuct»n$= 
weife „mit Staatshülfe" erfcheint burchauS unftatthaft, wenn fie 
auSfchiiehtich herrf^e« foü; fie erfcheint unftatthaft, Wenn fie 
tebigtich burch ben Staat in’S fieben gerufen werben foü, in 
weldjent gaüe fie nichts als SreibhauSpftanje fein würbe; fie 
ift burchauS am©la|, wenn fie neben ber gefellfchaftlichen 
unb inbioibualiftifdjen ©robuctionSWeife fich naturgemöfi 
entwidett; unb in biefem gatle hat fie Volten Anfprudj 
auf StaatSunterftüfyung. ES barf nicht auher Adjt ge* 
laffen werben, bie ©rofjinbuftrie hat burch baS je^ige 
Sanlwefen eine fehr nachhaltige Stü^e; bie gorberung, ba| 
ber genoffenfchaftlichen ©robuction eine entfpredjenbe Unters 
ftü^ung gewährt werbe, ift nicht nur berechtigt, fonbern unab* 
weisbar. ipierburdj erlangt bie {Reform beS SanlwefenS eine 
weittragenbe Sebeutung, burch biefelbe foü bie genoffenfchafttiche 
©robuctionSWeife einen feften §att gewinnen. Eine bahin jielenbe 
{Reform beS SanfwefeuS ift eine ber wichtigften focialen 
gorberungen. 

ES ift gront gemacht gegen baS auSfdjliefjtiche ©rioats 
eigenthum unb bie gorberung erhoben, ba^ neben ihm ein ge; 
feüfdjafttidjeS ©Iah greife, ti ift gront gemacht gegen bie Uebermacht 
beS Kapitals in ber ©robuction unb bie gorberung erhoben, 
baff burch eine {Reform beS SanlwefenS bie ©robuctünSmittel 
möglidjfi weiten Kreifen jugängig gemacht, unb jugleidj ber ges 
noffenfdhaftlichen ©robuctionSWeife neben ber gefeüfchaftlidjen unb 
inbioibueüen bie Sege geebnet werben. Es muff fdjtiefslidj noch 
gront gemalt werben gegen bie inbioibuatiftifdj atos 
miftifdje {Ri^tung, welche bie gegenwärtige Sirthfdjaft beherrfcht, 
unb bie gorberung erhoben werben, baf) auch f» Weit ben 
3nbivibuen freie Erwerbsthätigfeit eingeräumt wirb, gefells 
fchaftlidhe 3«fammenhänge gefdwffen werben, welche geeignet 
finb, bie fdjranfenlofe Eoncurreuj unb ben aus ihr entftehenben 
Krieg Aüer gegen Aüe ju bärapfen. Sie inbioibueüe Erwerbs= 
thätigfeit mu| aufrecht erhalten werben, baS ift genugfam h**s 
vorgehoben worben; fie foü nur nicht auSfchlie&li<h h*wf«h«» 
beShalb mu6 bem ©rivateigenthum ein gefeüfdjaftticheS Eigens 
thum jur Seite treten; fie foü auch nicht unbebingt hctrfdjen, 
beShalb mu^ ber Kapitalherrfchaft burch ©eform beS SanlwefenS 
entgegengetreten werben — unb beShalb muff auch an Stelle 
ber jefct herrfdjenben auSfchlie^lichen inbioibueüen {Richtung für 
bie wirthfehafttidj tljätigen Kräfte, foweit fie gemeinfam wirten 
tönnen, eine organifche Sereinigung angeftrebt werben, 
greilich „bie alten äBirtfjfdjaftSorbnuugen finb eingeriffen, unb 
jeber Serfuct) eines {ReubaueS ober einer grünbtidjen ©eforra 
ift unterblieben. 3cht, nadjbem enbltch baS Sebürfnig wieber 
mehr anerlannt wirb, neigt fich bie Sdjwierigfeit, bie „„ents 
feffelten wirthfchaftlichen Kräfte"" ber atomifirten mobernen Ers 
werbSgefeüfchaft Von ©euem orgauifch ju verbinben" (SBagner). 
©ichtSbeftoweniger fteüt fich biefeS als unerläßlich heraus. Sou 
einer SEÖieberherfteüung beS alten 3unftjwangeS tann felbßrebenb 
nach teiner Seite hin bie ©ebe fein, aber ebenfowenig von ber 
Aufrechterhaltung ber Sdjrantenlofigfeit, bie nach Aufhebung ber 
3ünfte eintrat. „Sie Sdjrantenlofigfeit führte im SBirthfchaftSs 
leben ftatt jur größten Entmidelung ber Kraft Aüer, tebigtidj 
jur ungehemmten $errfchaft bet öfonomifdj Starten, ber ©eichen" 
(Srentano, Arbeitsverfjältniß). Sie Sereinigung nnfamntens 
gehöriger Kräfte, burch welche auch ber ötonomifch Schwache gut 


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Nr. 20. 


#U <$tgtKtniri 


315 


©ettung p tommen oermag, bie Schaffung eine* gemeinsamen 
©oben«, auf meinem gemeinfame 3«tereffen gemeinfame ©er= 
tretung finben, eine ©ewerbeorganifation, welche frei ift 
oon ben Seffeln unb bem gormenham be« alten 3nnung«»efen« 
unb burd)brungen non bet 9totb»enbigfeit bev freien. inbioibueßen 
©ewegung, gugleicb aber bie Bufammengebörigleit bet ©eruf«= 
genoffen feff im Auge hält, fteflt ficb als abfotute 9?otb»enbig= 
teit ^erauS. 

®ie b*er aufgeffeßten Sorberungen bilben ein einheit* 
lidpes ©ange«, beffen ©rtncip beutlid) beroortritt: fein nadter 
3nfeiüibuaH«mn§. er töbtet bie raenffblicbe ©efeüfc^aft; fein 
«udföHrflitber ©«cialiSura«, er oernicbtet ba« 3nbiüibuum. 
Stuf bem ©oben be« SnbinibualiSmub unb be« ©ociali«: 
mu§ muffen fidj bie gefeßfcbaftlicben Snftitutionen aufbauen, 
atfo neben ©rioateigentbum: gefeßfcbaf fliehe« ©igentbum; neben 
inbioibueller unb genoffenfcbaftlicber ©robuctionsmeife: gefeilt 
fcbaftlicbe©robuctioH; neben ©ewerbefr eibeit: ©ewerbeorganifation. 
3nbiöibuali«mu« unb ©ocialiömu« finb leine ©egenfäfce, fonbem 
Unterer au« erfterem entfproffen ift ein Oberes ©ebilbe beäfetben. 
3« bet ©eSeßfdjaft muff bie ©erfönticbleit ber ©ingelnen erbat: 
ten bleiben, wie bie ©erfönticbleit felbft babin brdngt, ficb auf 
bem ©oben ber ©emeinfdjaft ju betätigen. ®ie Aufgabe 
ber Butunft ift, bie inbinibuetten unb gefettfCbaf t* 
lieben Äräfte at« gleichberechtigte SDtäd)te }u conffi: 
tuiren. ®ie Harmonie jmifd^en 3nbiöibuati«mu«i ober ©ocialiä« 
um« muff ba« meltbetnegenbe ©rincip »erben. 


ofiferafttt unb &mfl. 


Drei dnäblanciiett »tut Gmftat) Jlaubert.*) 

-®er ©etfaffet non Stabame ©ooarp unb ©atammbö bot in 
bet. frangöfffCben Siteratur niete tncbr ober minber gtiidticbe 9 lafy 
abmer gefunben; Dtiemanb jebodj, ber ihn erreicht ober ber ficb 
i|m and» nur genähert höbe. @t ftebt noch immer unenbticb 
hoch über jenen anberen ©ealiften, bie etwa« ©ute« gefcbaffen 
au hoben »ahnen, »enn fte etwa« ©djmulige« recht genau be= 
Schrieben haben, unb bie in pomphaften ©orreben non großen fociaten 
Stagen unb Aufgaben ft>re<hen, bie fie ju löfen beabffcbtigeit, unb 
bie fie nicht einmal richtig beleuchten lönnen. 

©uffaö Staubert ift im guten ©inne be« SBorte« ein Schrift: 
ffefier. ©neige« non bem, toa« er gefchrieben bot, »irb noch 
lange Sabre bleiben; Afle«, »ad an« feiner Scbet geftoffen ift, 
oerbient non un«, feinen Beitgenoffen, getefen au »erben. Sr 
befffct ein auffeiorbentticbe« ©eobadjtungStalent: er fiebt febarf, 
tief, ridjtig. ©ein ©til ift non erftaunlicber Äraft nnb ©rächt. 
(Sr arbeitet mit ber aßergröfften ©orgfatt. ©eine Arbeiten finb 
bie mit unenblicher 3Rüb £ groffgegogenen Äinber feine« ©eifte«. 
Sr bat nicht« nerfäumt, »a« in feinen Äräften ftanb, um fie 
au etwa« ©oßlommenen a u machen; unb einige banon finb 
2Reiffer»erle. 

Sn bem ©eften, »a« Staubert gefchrieben bat, redhne ich bit 
Heine ©rgäbtung, bie nor wenigen Sagen unter bem Xitel Un 
coenr simple, „©in einfache«"—ober richtiger „(Sin einfältige« #etg" 
erfchienen ift ©8 ift bie rübrenbe ©efdjicbte einer armen SRagb, 
ber e« nicht gerabe Schlecht im Seben gebt, nicht Schlechter »enigfteu« 
al« trtelen anberen; bie auch 0011 Stiemanb bebauert wirb, unb 
bie in ber ©infalt ihre« linblichen bergen« bie Schweren Schläge 
be« ©chidfat« ohne ©tagen empfängt unb erbutbet, um fcbtieff= 
lieh, einem nerwunbeten Xbiere gleich, ffumra barunter gufanrmen: 
gubrechen unb au oerfdjeiben. 

Seticitfe, fo beifet ba« treue, einfältige SBefen, ift eine 
SESaife, bie non armen ©auern au« ©armbergigleit aufgenommen 
unb non biefen auägebeutet unb gemiffbanbelt wirb, ©ie ift 
Schlecht gelleibet, ffbtedjt genährt, ©ie bötet bie ©übe, friert 


*) Gustave Flaubert. Trois Contes. Paris 1877, Charpentier. 


im SBinter, fchtäft auf ber ©treu, belommt nie einen ©fennig 
Sohn, obgleich fie ben ganaen Xag unermüblich arbeitet, unb 
wirb febtiefstieb mit Schimpf unb @c|anbe nom #ofe gejagt, »eit 
man fie, ungerechter SBeife natürlich, anHagt, geftobten au haben. 
— ©ie nermiethet fleh bei einem anbetn ©auern. ©ie ift nun 
adjtaebn Sabre alt; ein ftarled, gefunbe« SOtäbcben. ©in finecht 
nertiebt ftdh in fie, nerfpricht ihr, fie au heiraten, unb nimmt 
ffhtiefflicb eine alte Stau, bie reich genug ift, um ihn nom 
ÜRititärbienft lodlaufen au lönnen. Seticite, bie ihm ihr gange« 
§erg gegeben hotte, ift unglüdtich. „Sie warf fleh ouf bie ©rbe, 
rief ben lieben ©ott an unb jammerte unb ftöbnte gang aßem 
im Selbe, bi« bie ©onne »ieber am $immel erfdjien. ®ann 
lehrte fte nach bem $ofe gurüd unb ertlärte ihrer $errfcbaft, 
bafe ffe fortaieben »oüe." — ©ie gebt barauf nach b*r ©tabt 
unb nermietbtet fidj bei Srau Aubain in ©ont:©neque at« 
Xienftmagb. 3n biefer ©teßung bleibt fte fünfaig 3ob*e lang, 
bi« gum ©nbe ihre« Sehen«. 

Srau Stubain, eine SBittwe, bot a»ei ©tnber, ©aut unb 
©irginie, bie non Seticit6 »ie a»ei höhere SBefen angebetet werben. 
Slucb Srau Slubatn erfcheint ber SRagb »ie eine überirbifch 
©rbabene. ©8 gibt ÜJtenfcben, beren $erj fo reich ift, bag fte 
immer unb immer geben lönnen, ohne je au empfangen unb 
ohne arm au »erben. Seticite beult nie au fiefj, fdjafft non früh 
bi« fpät für ba« SBobt ber £>errf<baft, erwartet niemat« ®anl, 
empfängt auch leinen, unb ift gana glüdtich. Srau Slubain, 
©aul unb ©irginie taffen fidf non Selicit6 bebienen nnb anbeten, 
unb finben, baff bie« in ber Drbnung ift. ®ie« ift bie fdjönfte 
Beit im Seben ber 3Ragb; aber fie bauert nicht lange, ©aut 
»irb auf bie Schute geffhidt unb oerläfft ba« elterliche $au«. 
®er Sätm be« 3ungen fehlt ber armen Selicitfe mehr at« ber 
eigenen HRutter. ©ie tröffet ficb jeboeb, inbem fie ffdh nun gana 
unb'gar ber Iteinen ©irginie begibt, ©ie folgt biefer auf 
Schritt unb Xritt, »ie ein treuer |iunb feinem |>errn, fie legt 
fie au ©ett, Heibet fie an, führt fie aur ©dfule unb ift ffet«, 
fo »iel fie lann, in ihrer ©efeßfehaft ©ei biefer ©etegenbeit 
empfängt fie benn auch gong beiläufig ihren erffen Unterricht 
in ber djriffticben {Religion, ©ie taufet mit ©rftaunen unb 
unbef^reibücher ©brfuCht. 

,,©ie glaubte ba« ©arabie« gu feben, bie ©ünbflutb, ben 
Xburm oon ©abet, ©täbte in Stammen, bie ©emidjtung oon 
©ötlem, bie Berfförung bon ©öfeenbilbern; unb oon bem »unber« 
baten ©lange ber neuen Sehre geblenbet, fußte fie ifft $erg mit 
©befurcht oor bem Stßmädffigen unb mit ©Chreden oor feinem 
Borne. ®ann »einte fie al« fie bon ben Seiben ©briffi hörte. 
SBatum hotten fie ihn getreugigt, ihn fo fanft, fo gut, ber bie 
&inbtein liebte nnb bie Äranfen heilte? ®ie ®ogmen waren 
ihr unoerffänbticb, unb fie gab fidf auch leine 9Rüf)e, biefetbeu 
gn begreifen, ©ie ffhtief ein, »enn ber ©rieftet biefetben gu 
ertlären begann." 

Stau 3fnbam hält e« für ihre ©flicht nicht« gu oerfäumen, 
um ihre Xodjter gu einer »obtergogenen, jungen ®ame gu machen. 
®ie« lann in ber Keinen ©robingialffabt nicht burChgefü^rt »erben, 
©irginie foß be«batb gu ben Urfulanerinnen nach §onfleur 
geben, ©ie reift ab. Saut »einenb nimmt fie oon ihrer SRutter 
Kbfchieb; unb SRiemanb benlt an bie ®ienffmagb, bie oor ©djmerg 
über bie Xrennung erffarrt ift. — 9tun ift Selicit« oereinfamt; 
benn Srau ftnbain, obgleich fie ffch oiet bebienen täfft unb ba« 
Stäbchen ooßauf befdjäftigt, lann boch nicht Wie ein ®inb oer= 
bätfdhelt unb gepflegt »erben, unb bem ©ebürfniff unaudgefefeter, 
forgenber Aufopferung Selicitb« genügen, ©ie muff »ieber ein 
£inb in ihrer Stäbe haben unb fo oerfäßt fie auf ihren Keinen 
Steffen ©ictor. 

„ffit erfchien jeben ©onntag, nach ber ÜDteffe, mit rotben 
©aden unb btoffem $al« unb nahm fofovt an einem Xifdje ©la|, 
ben Selicit« für ihn unb ficb gebedt batte, ©ie felbff aff wenig, 
bamit bet ©efueb be« kleinen bem $aufe leine Ausgaben ber: 
utfacbe, aber ©ictor muffte effen, hi« er barüber einf^lief. ©ie 
faff iffm ffumm, faff regnngSlo« gegenüber. SBenn bie ©efper= 
gfode fdjlug, »edte fie iffn, orbnete feinen Anpg unb lieff ficb 
mit mütterlichem ©tolge oon ihm gut Äirdje führen." 


r 


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®ie <5eje«®flrt. 


Nr. 20. 


316 


Pictor beutet bie Xante aus. Sie mertt eS nikt einmal; 
gibt ifjnt SlßeS, was et non ihr »erlangt unb liebt ihn, wie pe 
Pirginie geliebt bat unb Wie fie jebeS Kinb, baS fik oon it>r 
befküfjen taffen miß, lieben muft. — Der Purfke Wäkff heton 
unb wirb als Schiffsjunge auf bie See gefdjicft. 

„Pon nun an backte gelicitfe unauSgefefet an ihren Steffen. 
Prannte bie Sonne, fo quälte fie fein Dürft; wetterte es, fo 
fürchtete fie ben Plifc für ihn. Sie fah ihn im Sturme bie 
furchtbar fdjaufelnben SRaften ertlimmcn unb eS fchwinbelte ihr; 
fie erbliche ihn in ber 2Ritte oon äRenfkenfreffern, im Kampfe 
mit tiefigen Slffen; fein Söilb erfchien ihr als baS eines Sterbens 
ben auf einer wüften 3nfet. Unb mit feiner lebenben Seele 
fpradj fie je tion ber Unruhe, bie pe oerjehrte. 3n ihrer nüchften 
Pülje gab eS anbere Sorgen, bie ihr gröfter erfdjienen, als iftr 
eigener Kummer." 

Pirginie ift nicht fräftig. Die guten Urfulanerinnen aus 
tponfleur fcftreiben, fie fei gut unb tiebenSwürbig, aber etwas 
fdhwächtich. Stau Slubain ift beunruhigt. gelicitfe hat gar nichts 
StnbereS ju tftun als pe }u tröften. Sin Pictor barf fie nur 
benfen, wenn grau Slubain ihrer nicht bebarf. Unb eines DageS 
fommt ein ©rief für pe an, ben fie, ba pe nicht tefen fann, 
grau Slubain jum Porlefen übergibt. Diefe wirb btaft unb fagt 
mit tiefer Stimme: „@3 ift ein Unglücf... 3h 1 Stoffe ift tobt." 

- „gelicitfe pel auf einen Stuhl unb fcftloft bie Stugenliber, 
bie plöfclik roth Würben; bann, bie Stirn gebeugt, bie $änbe 
fchlaff hernieberhängenb, ftarr »or fik ^inMidenb, fagte pe längs 
fam mehrere 3Rale: „Slrmer Heiner Sunge! Slrmer Heiner 3unge!" 
Plöfclik erb lief te fie einige grauen, bie mit SBafcftförben über 
ben #of gingen. Sie erinnerte fief), baft fie noch eine Slrbeit 
ju »errichten höbe. @ie ging an ben gluft, warf einen Raufen 
fkmufciger SBäfke neben p<h, fniete nieber, ftreifte bie $embS* 
ärmet in bie $ölje unb machte fich unöerbroffen an ihr Doge* 
wert. Die Sanbfkoft war öbe, ber SSBinb fräufelte bie Obers 
ftäche beS SSafferS, unb auf bem ©rmtbe erbliche fie grofte, 
bunfte ®ewächfe, beren faferige ©urjeln wie baS Haupthaar eines 
©rtrunfenen oon ber gtuth hin* unb hergefpült würben. Slber 
pe gab fich »ftrem ©chnterje noch nicht h* n »nb hielt bis jur 
Stacht tapfer aus. Dann erft, als fie aßein in ihrer Kammer 
war, Warf fie fich ouf ih r ®ett, begrub baS §aupt in bem Kiffen, 
unb bie gehaßten gäufte gegen bie Schläfen ftemmenb ftöhnte 
unb ädjjte pe." 

©ine neue furchtbare Unruhe oerbrängt halb ben Schmer} 
über PictorS Dob. Pirginie, an ber gelicitfeS |>er} mit aßet 
Siebe hängt, wirb franf. ©ineS DageS wirb grau Slubain in 
aßer ©ile nak Jponfteur gerufen, unb als pe bort eintrifft, 
erfährt fie, baft iftre Docftter geftorben fei gelicitfe ift ihrer 
Herrin etwas fpäter gefolgt, ba fie oor ihrer Slbreife baS £au3 
noch in Drbnung bringen muft. Sie ip erfkredlik beunruhigt; 
aber Was macht baS? Sie fann bodj nicht auch f° °h ne SBeitereS 
baoonlaufen, um ben Droft }u hoben, ihren Siebling oießei^t 
noch einmal }u umarmen. Por bem Ktofter ber Urfulanerinnen 
angetangt hört pe baS Sterbeglocken läuten. 

,,©S ift für einen Slnbern", bakte fie, unb }og heftig bie 
Klingel. @S bauerte einige SRinuten bis fie einen fkleppenben 
Schritt im ©ange härte unb bie Dljür enblich geöffnet würbe. 
Die Pförtnerin keilte gelicitfe auf ihre athemlofe Anfrage mit 
ruhiger Salbung mit, baft Pirginie „baftingefkieben" fei. — 
dwei Dage unb }Wei Päkte lang hielt bie alte SRagb Seikenwake 
neben bem tobten Kinbe. Sie wieberljotte bie ©ebete, bie pe 
mit Pirginie gelernt hotte, befprengte baS Säger mit SBeiljwaffer 
unb fe|te pk bann wieber, um bie Dobte }u betragen. Sie 
bemerfte wie bas ©eftkt gelblik, bie Sippen bunfel würben, 
wie bie Pafe pk }ufpi|te unb bie Stugen tiefer unb tiefer in 
ihre $ö!jten fanfen. Sie fiiftte biefe gefkloffenen Stugen »er« 
fkiebene SRate; pe Würbe faum erftaunt gewefen fein, wenn pe 
Pk nok einmal geöffnet hätten, du gutertefct widelte pe ben 
Seiknam in baS Dobtentudj unb legte ihn in bie fkmale Saftre, 
otbnete nok einmal bie fkönen, langen blonben $aare unb 
fe|te eine Plumenfrone baranf. SBöftrenb beS PegräbniffeS bakte 
fie an ihren fleinen Pictor unb baft pe iftm bie lefete ©hte 


nikt hotte erweifen Iönnen. @S war ihr als begrübe pe bie 
beiben Kinber auf einmal, unb ihr Sknter} war gren}entoS." 

grau Slubain ift ber Per}Weiflung nahe, gelicitfe, als ob 
ihr felbft niktS fehle, tröffet pe. Sie fofle an ihr nok lebenbeS 
Kinb, an Paul benfen, pe foße bieS „if|t", ber Perfforbenen, ju 
Siebe thun. 

3ahre gehen bahin. Paul entfrembet pk ber $eimat. 
Die beiben grauen leben einfam in bem »eröbeten $aufe unb 
befreunben pk bis }u einem gewiffen ©rabe, obgteik Srau 
Slubain ftetS „bie $errfkoft" bleibt unb gelicitfe nie Oergiftt, 
baft fie bie SRagb ift. Sie unterhalten pk ffetS oon Pirginie. 
©ineS DageS, beim Stufframen in einem lange oeroaktäfpgten 
SBanbfkranfe, pnbet grau Slubain einen Keinen, oon ben SRotten 
}erfreffenen $ut, ber Pirginie gehört hotte, „gelicitfe bat, ihn 
kr }u fkenfen. Die beiben grauen ffanben ffk gegenüber unb 
fahen pk an; ihre Stugen füßten pk mit Dhtänen; enblik öffnete 
bie Herrin bie Slrme unb bie 9Ragb warf pk an ihre Prüft 
unb füftte pe. ©S war bieS baS erffe 3Ral in ihrem Seben." 

©in neuernannter Unterpräfect iff nak Pont=©oeque ge* 
fommen unb ift grau SlubainS Pakbar geworben, ©r hot in 
ben ©olonien gelebt, ift mit einer ©reolin »erheiratljet unb beppt 
unter anberen ejwtifken SBunberbingen einen Peger unb einen 
Papagei, gelicitö bewunbert befonberS ben fkönen Pogel. ©r 
ift aus Stmerifa herübergebrakt worben, aus bem Sanbe, wo 
Pictor geftorben ift. Der Unterpräfect Wirb halb barauf nak 
einer Präfectur Oerfefct, unb oor feiner Slbreife oon Pont*©ooque 
fkenft er ben Papagei grau Slubain, mit ber er, Währenb feines 
SlufenthalteS in ber Keinen Stabt, auf freunbfkaftlik nakbarlikem 
gufte gelebt hat. Diefe makt pk aber aus Dhieren nikt oiel unb über* 
läftt „Soulou" ihrer gelicite. Pun Wirb ber Papagei oon ber ein* 
fältigen alten grau geliebt unb gepflegt. @r fann ihr ihren Pictor unb 
ihre Pirginie }War nikt erfefeen, aber er befkäftigt jeben ihrer 
freien Slugenblicfe, gerabe Wie bie Kinber bieS früher getljan hatten. 
SBaS foß bie alte grau maken, wenn fie mit ihrer Slrbeit fertig 
ift? Sin ffk felbft hot Pe nie gebakt unb fann pe nikt benfen. 
3ftre Sieblinge, bie Kinber, pnb tobt. Sie >muft immer einpn 
fleinen ©öften hoben, ben pe anbetet. Soulou wirb nun ber 
©egenffanb ihrer Siebe... ©ineS SRorgenS pnbet pe ihn tobt in 
feinem fkönen groften Käpg. Sie weint barüber bermaften, baft 
grau Slubain iftr enblik jagt: „Pun fo laft Dir baS Dftier aus* 
ffopfen." Der Slpothefer gibt iftr bie Slbreffe eines äRanneS 
in $a»re, ber bieS beforgen fann, unb gelicitö geftt »on Pont* 
©oeque nak $onfleur, um baS Padet mit bem tobten Pogel 
oon bort aus ftkerer beförbern }u Iönnen. Sie ift nun bereits 
hok in Softten, eine Sekjigerin. Sie ift fehr fkwerhörig ge* 
worben, beinah taub. Slber pe iff noch tüffig unb fkreitet fkneß 
in ber SRitte ber breiten ©haufffee bahin. Die Poft Oon ^»onffeur, 
oon oier ffarfen Pferben im ©alopp ge}ogen, überholt fie. Der 
Kutfker fnaflt mit bet Peitfke, bamit fie aus bem SEBege gehe. 
©S gelingt bem SRanne nok, bie Pfetbe auf bie eine Seite ber 
©haufffee }u Werfen unb pe nikt }u überfahren, aber er iff 
wütljenb unb fklägt mit feiner fktoeren Peitfke nak k r - 
trifft pe mit folker ©ewalt, baft pe beWufttloS nieberfäßt. 

3h« erffe Pewegung, als pe wieber }U pk fam, war, nak 
bem Padet )u feften. ©ott fei Dantl Soulon war unoerfehrt 
Sie fühlte einen brennenben Sknter} auf ber linfen SBange. 
Slls pe bie §anb borthin führte, }og pe Pe roth }nrüd. Sie 
blutete. Sie fe|te pk auf einen Steinhaufen am SEBege, ffißte 
baS Plut mit einem Dafkentuke unb aft bann ein Stücfken 
Prob, baS pe aus Porffkt mit auf bie Peife genommen hotte; 
bann fefete pe }itternb unb leife wimmemb ihren SBeg fort. 

„SWS pe auf ber $öhe oon ©Squemanoiße angetangt war, 
erblidte pe bie Sikter oon ^onffeur, bie in ber Pakt wie 
Sterne btifeten; weiter hinten erfkien unbeuttik baS SReer. Da 
würbe Pe fkwak: baS ©tenb ihrer Kinbheit, baS Unglüd ihrer 
erffen Siebe, bie Drennung oon Pictor, ber Dob ihrer Pirginie 
— bie ©ebanfen erbrüdten ffe; unwiberffehlik wie baS SSBogen 
ber gluth fliegen pe in ihr auf; unb pe fühlte pk oor Sommer 
erffiden." 

3m Saufe ber deit ffirbt bann auk grau Slubain. Das 


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Nr. 20. 


ffli t «tgenarart. 


317 


$au£ in ©ont ©oeque geht auf ben ©rben, ©aul, über. Tiefet 
bewohnt ©atis unb bemüht fuß, baS ©runbeigentßum ju oer* 
taufen. ©inftweilen geftattet er gelicite, in ißrer Keinen Kammer, 
bie fie fünfjig goßre lang bewohnt bat, ju bleiben. ®lüdlt4er= 
kneife finbet ft 4 tein Käufer. TaS $au8 bleibt teer unb jerfättt, 
ba gelicitb nid^t tnagt, irgenb weftße ^Reparation ju »erlangen. 
— Unb enblidj fcßlägt auch ißre ©tunbe. Tie alte grau, bie 
in ihrem langen Seben nach unb nach Stiles »ertoren bat; Wa8 
fie liebte, unb beren $erj eigentlich nur nodb an ben wenigen 
^Reliquien bängt, bie ihr bon ben geliebten lobten geblieben 
finb: an einigen SRufdjeln, bie ©ictor ihr bor »ierjig goßren 
gefdjidt hatte, an ©irginieS §ut, an einigen Keinen @e* 
ftbenfen oon grau Stubain unb enbticb an bem auSgeftopften 
©apagei, — geücite ertältet fi(b in ber feuchten Kammer, in 
ber webet genfter noch Tßüren fdjliefjen, unb ftirbt eine» fanften 
TobeS. (Sine arme 9ta4barin, ©imonne, mit ber gelicifö ihre 
lebten ©iffen nodb tbeilt, pflegt fie wäbrenb ihrer ffiranlßeit. StlS 
©imonne fühlt, baff e$ mit ihrer greunbin ju ©nbe geht, halt 
fie „Soulou" herbei unb bringt ihn ber ©terbenben. 

„Sagen Sie ihm Stbieu." — Ter auSgeftopfte Sogei war 
ein ©ilb beS ©lenbs geworben. Tie SRotten jerfraßen ihn; 
einer feiner glügel war gebrochen; ber SB erg, ber ben Seib 
füllte, brang aus ber jerriffenen Stabt unter bem ©au4e ßerboc. 
Slber gelicite war nun bereits erbtinbet; fie fah oon bem Sitten 
nichts, Hißte ihren lebten Siebling järtli4 unb legte bann ben 
Weichen befieberten ffiörper an ihre SBange." 

Tarnit enbet bie ©efcbidjte oon bem „einfältigen $er$en". 
Tiefelbe enthält im Original noch biete loftbare ©injelßeiten, bie 
in biefer Slnalßfe taum angebeutet werben fonnten, unb bie 
mit Stube gelefen werben müffen, um gewürbigt werben ju 
fönnen. glaubert hat nicht ein SBort beS ©ebauernS für feine 

$etbin. @r bebanbett fte, bem Stnfcheine nach, wie alle SBett 

fte ftetS behanbett hat: ohne ihre ©4merjen ju bemerlen, ohne 
mit benfelben SRitleib ju haben. ©r etiäßlt einfach, wie eS 
iht im Seben ergangen ift; er fagt nicht einmal, baß es ihr 

eigentlich bodb recht f4lecßt ergangen fei; — aber man fühlt, 

baß baS große £>ec$ beS SttdjterS bie Seiben beS einfältigen 
$erjenS oerftanben unb tief empfunben hat. 

Tie beiben anberen ©rjäßiungen, welche fich noch ln bem 
©anbe „Trois Contes“ befinben: „La Legende de Saint Julien 
l’Hospitalien“ unb „Herodiaa“ finb in ber Ärt oon „©alautmbö" 
unb ber „©erfuchung beS heiligen SlntoniuS" gefd^rieben. ©ie 
enthalten einige wahrhaft großartige Schönheiten; aber bie leßte 
©rjäßlung, £erobia8, ift bermaßen confuS unb fcßwer Oerftänblicß, 
baß ich, wenn ©uftao glaubert feinen Seruf als ©4riftftetter 
nicht Oiel ju ernft nähme, beinah geneigt wäre ju glauben, er 
habe bamit baS ©ubticum mßftificiren wollen. 

H. i. 


ditt Chang nad) kr Jonnemnarte. 

„Unbefugten ift ber ©intritt nicht geftattet" ober ähnlich 
lautete bie gnßhrift übet einem Tßore in ber fcoljbergitterang, 
welche baS große, pariartige Terrain ber ©onnenwarte bon ben 
übrigen SBalbpartien beS ©rauhauSbergeS bei ©otSbam fcßeibet. 
dögemb ftufcte ich unb prüfte meine Segitimation junt ©intritt; 
fte beftanb, bie Wahrheit ju gefteßen, in nichts Slnberem, als 
bem lebhaften SBunfche, bieS eigenartige gnftitut burch ben Slugen* 
fchein tennen ju lernen, unb in einer fehr flüchtigen ©elanntfchaft 
mit bem liebenSwürbigen ©onnenobferbator, bem ©rofeffot Dr. 
©pöret. SBar biefe ©erectjtigung auch eine geringe, fo war fie 
immerhin beffer als gar leine, — „per aspera ad astral“ tröftete 
ich midß, unb auf bie ©efaßr hin, burch einen menf^lichen ©er* 
beruS als ein Tßeil jenes »erfehmten ©anjen, welches ©ubticum 
heißt, betrachtet unb abgewiefen ju werben, öffnete ich baS Tßor 
unb trat in bie heiligen Staunte ber Stnftatt, einer Hnftalt, bie 
fo recht baS fiinb unferer, höchften Problemen jugewanbten Seit 
unb eine $et}erquidung für geben ift, ber über bie Tottarjägerei, 


über bie StentabititätSrechnungen unb 5Rüj}li4Ieit8theorieu unferer 
Sage bezweifeln möchte. 

©om ©artentßor an fteigt baS Terrain immer nodh in bie 
£öße, um ftdh in ber SRitte beS umjäunten ©ranbftüdeS ju jener 
hä<hften Suppe ju erheben, welche jeßt erft bie gunbamentbauten 
jum eigentlichen ©ebäube ber ©onnenwarte trägt. 3ft aber bieS 
©ebäube auch er ft iw ©ntfteßen begriffen, fo ftnb bie> übrigeu 
©aulichleiten bet ©onnenwarte boch fdjon beoöllert unb es wirb 
bort gegenwärtig fchon tapfer beobachtet unb gerechnet. 

S)i^t am ©ingange fteljt ein faubereS, mafftOeS Räuschen 
für ben SReifter ber IGampfmafchine; hinter biefem $äuSdEjen ift 
ber, mehrere SReter im Slur^mejfer haltenbe, berühmte ©runnen* 
fdhacht tief in baS gnnere beS SergeS getrieben unb hinter bem 
©rannen fteljt baS SRafdjinenljauS mit jwei SRafchinen, welche 
abwe^felnb beftimmt finb, baS SBaffer beS ©runnenS emporju* 
heben, in bie oerfcßiebenen ©ebäube ju leiten unb bem Stobt* 
fqfteme für bie ©ewäffetung ber SBalb* unb ©artenanlagen ju* 
juführen. 

34 näherte mich & e w ©rannen, blidte fcßwinbelnb unb 
fchauerab über bie niebrige ©infaffung in feine gähnenbe, bem 
Stuge unergrünbli^e liefe unb bewunberte bie iiertidhe, fteinerne 
Iteppenfpirale mit eifernem ©elänber, welche in feine ©adftein* 
wanbungen eingefprengt ift unb bem SRanne ber SBiffenjchaft 
geftattet, bis jut SBafferfläche unten hinabjufteigen, um bort 
©enbelbeobachtungen ju machen. 

Sidht neben bem ©runnen bemerlte ich einen offenen Schacht* 
bau, ber überrafdjenber SBeife burch leine Umgitterung gefiebert 
War; er bient jur ©erftettung einer fogenannten ©runnenfammer, 
b. h- eines unterirbifchen SiwutetS, in welches man nur »on ber 
Xteppe beS ©runnenf^achteS aus wirb gelangen fönnen, um bort 
©eobachtnngen bei conftanter Temperatur unb ähnliche, baS Tages* 
licht flieljenbe, wiffenfchaftliche ©errießtungen ootjunehmen. ©o* 
halb biefe ©runnenfammer fertig ift, Wirb ber TageSfdjacht wieber 
jugefdhüttet werben. 

©on biefen ©ebäuben führt unS ein reijenber ^Jarfweg 
I immer noch bergan ju einer ©rappe oon brei mafßben, einfachen, 
aber gefchntadoott in’S ©aumgrün hineingebauten Käufern. ©S 
finb bieS bie SBoßnungen für bie SRänner ber SBiffenfdjaft. T)aS 
erfte $au8 5 ur Siechten bewohnt ber Dbferoator ber ©onne, §err 
©tofeffor Dr. ©pörer; baS jweite wirb oon bem gijfternobfer* 
oator, ^»ertn Dr. ffiogel bewohnt werben, unb im britten, mehr 
nach rechts jurüdgebauten, wirb ber erfte Stffiftent, fjert Dr. 
Sohfe SBohnung nehmen. Tiefe Heine Stepubli! wiffenf^aftli^er 
SRänner wirb aber ißten ©räßbenten in ©eftalt eines ©erlinet 
TirectoriumS hoben; baS Tireetorium befteßt aus ben Herren 
©rofeffor StuWerS, ©rofeffot görfter unb ©rofeffor ßireßhoff, 
welcße fämmtlicß in ©erlin feßßaft ftnb. 

Tie ©onnenwarte ift lein SteicßSinftitut, wie oielfacß an* 
genommen Wirb, fonbern ©cßöpfung unb ©igentßum beS preußi* 
feßen Staates; ißr ofpeietter Stame ift „SlßrophhfilolifdheS 
Dbferbatorium", ba fte ben ©eobaeßtungen nidßt nur ber ©onne, 
fonbern fämmtticßer ©eftirne unb oielen anberen, bamit jufammen* 
ßängenben wiffenfcßaftlichen ©rforfeßungen bienen Wirb, unb nur 
jur ©equentlttßfeit (unb, wie icß meine, aueß jum ©ewinne bet 
beutfdßen ©praeße) ift baS furje, fdßöne unb bejeießnenbe SBort 
„©onnenwarte" eingefüßrt worben. 

©on ben SBoßnnngen ber ©eleßrten erteilte icß naeß 
fernerem, furjem ©teigen bie ßö<hf(e ®uppe beS ©elänbeS. 
©egenwärtig fteßt man bort bie Anfänge jum eigentlichen §aupt* 
gebäube ber ©onnenwarte, bie auS einem ©entratbau unb jkjfi 
ftanfirenben Tßürmen befteßen wirb. Ter eine Tßurat lOirb 
jur ©eoba^tung ber ©onne bienen unb ben großen Stefractor 
beherbergen, ber jeßt feßon an einem anberen Drte »om ©onnen* 
obferbator benußt Wirb, ber anbere Thurm Wirb baS größere 
Tubliner gernroßr aufneßmen, welcßeS beftettt, aber noch “*4* 
eingetroffen ifi Ter ©entralbau wirb ©onferenijintmer unb 
bergleüßen enthalten, unb bemfelben wirb ein Heiner Tßurm — 
ober nur ein Stifalit — oorgelagert fein, in we!4em ber $elio* 
grapß, b. ß. bie ©inrüßtung jur pßotographif4en gijirung bcs 
©onnenbilbeS, feinen ©laß finben Wirb. 


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318 


11 1 Äegenwurt. 


Nr. 20. 


Uebet Steine unb ©cljutt, ftatf unb auägegrabene Erb* 
maßen fdjritt ich weiter, um ein Heine# ^dljetneS, weil ge* 
tünchte# $äu3($en }u erreichen, ba# nicfyt fern non ber BaufteHe 
aufgeßhtagen iß unb als interimißifcheS Dbferoatorium bient. 
Per aspera ad astral 3d) erfletterte ba# £>ügelcf)ett unb fanb 
ben §ernt fßrofeßor bei ber Arbeit. ®ie Bretterbarade ge« 
währt gerabe fo nie! Baum, baß brei bis nier fßerfonen ßcfj 
um ba# Snßrament in berfeiben bewegen fönnen. Auf holjtm, 
complicirtem ©tatin ßeljt ber große Befractor, ber burch |öd^ft 
ßnnreiche Einrichtungen unb bie feinften SRifrometerfd^ranben 
leicht gehanbhabt werben fann; ift feine Aje richtig auf ben 
©onnenförper eingefteüt, fo nermittett ein mit bem 3nftrumente 
oerbunbene# Uljrroerf bie Bewegung be# gernrohrS, welche mit 
bem fdjjeinbaren Sange ber Sonne fo äbereinftimmt, baß auch 
bei längerer Beobachtung bie ©onne aus bem Snftrumente nicht 
entfcljlüpfen fann. 3<h badete an bie ßaulbad|’f<he ©effilier« 
ittuftration, welche uns ben ©terne beobachtenben ©eni bei 
ber Arbeit geigt — unb hoch welch ein Unterfchieb! ©eni, ber 
Sreis, umgeben non ben geheimnißootten SBerfjettgcn feines 
aftrologifchen SBaljnS; umnebelt non magifchen SDötftpfen, bie 
einem Baudjfaße entfteigen; angeftrahlt non bem beleuchteten 
Eßtaneteuafpect unb ben 3eidjen beS SthierfreßeS in ber SBattb« 
nifche — unb h* er t>er gebanfenflate, gewißenhafte, nimmer 
arbeitSmfibe Aßronom beS neunzehnten 3ahrhunbertS, bet Ber« 
hältnißmäßig junge, frifche, ftrebenbe ERattn, ber mit biefem 
feinem Suftrumente fdhon im 3oljre 1868 in 3nbien war, um 
eine oorher berechnete Berßnfterung ber ©onne ju beobachten; 
ber jebem SBaljne unb Aberglauben feinblich, reblidj forfchenb, 
nüchtern calculirenb, eine SBißenfcfjaft pflegt, bie trofc ber herr= 
lidhften Befuttate, bie Wir ihr fdhon oerbanfen, boch an bie 
Sebulb, Ausbauet unb ©elbftoerleugnung beS Seleljrten bie 
uugeheuerften Anforberungen ftetltl 2>er Seiger an ber Uhr, 
Welche bie gortphritte ber Aftronomie geigt, rücft oft in einem 
3ahrhunberte nur eine ERinute weiter — feit bem unfterbtichen 
$aHep, ber auf ben Sebanfen fam, einen ißlanetenbutchgang 
gur EReßung ber ©onnenferne ju benufcen, wie feiten Warb ber 
SRenßhheit bie Setegenljeit, bieS Berfaijrett nachzuahmen! ®ie 
BenuS, welche betartigen ^Rechnungen ^aup>tfäc^tidh als Anhalt 
bient, geht beifpietsweife in einem Sahrhuuberte nur zweimal 
in fdhneQer Aufeinanberfolge burch bie ©onne, — im nötigen 
Saljrhunbert gefdhah baS 1761 unb 1769, im laufenben 1874 
— bie ErfdEjeinung wirb fidh 1882 wieberholen, unb bann wirb 
bie SBelt ber Selehrten genötigt fein, bis jum 3ahre 2004 
ju warten, nm etwaige gehler hei bem bann wieber eintretenben 
BenuSburdhgange ju corrigiren! 

Sern möchte ich bem gebitbeten Baien, welchem noch ttie 
bie Selegenheit würbe, einet ©onnenbeobachtung burch ben Sie« 
fractor beijuwohnen, ein ungefähre# Bilb be# Hergänge# ent« 
werfen — felbftuerftänblith zwingt mich ber fnapp bemeßene 
Baum biefeS Blattes, bem Bilbe jebe eingehenbere Behanbiung 
unb jebe Detaitmalerei »orjuenthalteu. 

E)er Holzbau, in Welkem baS 3nftrument aufgefteüt ift, 
hat feine genfter; in einer gewijfen $öt>e enthält er aber einen 
Stanz Bon genßerlaben, Bon benen je einer, bem ©tanbe bet 
©onne entfpredhenb, geöffnet wirb, bamit burd) bie Deffnung, 
Wie bur<h eine Sef<hü|pforte, ba# Sloljt be# 3nftrumente# nacf) 
ber ©onne gerichtet werben fann. Sein SRenfdfj fann aber burch 
ungefärbte ßiufen bie ©onne beobachten, er würbe fofort baS 
Augenlicht einbüßen; hi«*» wie überall, erträgt bie fcffioadhe 
Ereatur fein birecte# Sicht; nur reffectirteS ßidht Bermßgen Wh: 
auszuhalten unb ohne Sefatjr für unfern ©eljapparat länget zu 
beobachten, ©c läßt benn ber Aftrohom ba# Sonnenlicht burch 
ben Befractor in einen Saften fallen, in beffen freiSrunben Aus« 
fchnitt bie Dcularlinfe beS SnßrumenteS geßedt wirb unb beffen 
eine feljlenbe ©eitenwanb geftattet, bequem in baS Snnere be# 
SaftenS zu blicfen. $ier }et)en wir nun baS reflectirte, leucfj* 
tenbe ©onnenbilb entweber ganz ober nur ein ©tüdf beSfelben, 
je nach ber BergrößerungSfähigfeit ber Sinfen; bie Bergrößerung 
fann fo weit getrieben werben, baß ber freisrunbe ©onnenranb 
beinahe_al# gerabe Binie erfdheinl 2>a jeboch mit ber Sunahme 


ber Bergrößerung bie Sidhtftärfe unb ®euftief|frit be# Bilbe# 
abnimmt, fo gibt eS ein für miffenfdhaftliche $Wecfe nicht z u 
überfchreitenbeS SRaß, welche# ftets oom ©onnenobferBator feß* 
gehalten wirb. SRit bem diamanten ift in eine Sinfe ein ©hftem 
Bon ßinien geriet, unb baS ©onnenbilb erfcheint baher mit 
einem äußerß feinen ßiniengitter bebecft, welche# bie Beftimmung 
gewiffer fünfte im ©onnenbilbe unb bie Berechnung ihrer Ber* 
fdjiebung wefentlich erleichtert. $eute zeigte ftch nun im Sonnen* 
bilbe eine Sruppe Bon Bier gröberen, fchwarzen ©onnenflecfen, 
Bon benen zwei mit einem weniger bunflen $ofe beutlich um« 
geben waren. 2>ie SBiffenfdhaft bezeichnet biefe Siede als Ißro* 
bucte theitweifer Abfühlungen in ben glühenben ©onnengafen; 
man^e folcher glede bauern SRonate hinburch unb Berfchwinben, 
wenn fie am Dftranbe ber ©onne eingetreten pnb, nach Sogen 
am SBeftranbe berfelben, fommen aber häufig «odh 14 lagen 
am Dftranbe Wieber zum Borfdjein. SRan hot hinaus ©dhlfiffe 
auf eine Ajenrotation beS ©onnenbaUS gezogen; es bleibt 
aber aU^ h* er noc h manches Sebeimnifj zu Iöfen, zumal boS 
Auftreten ber ©onnenflede zu Berfdjiebenen 3 e ‘ten rin Berfchieben 
Zahlreiches ift unb man gefunben hot, bafs nach einer ißeriobe 
Bon etwas mehr als 11 3ah ten bie größte SBenge biefet fflecfen 
aufzutreten pflegt. 

Bachbem ich längere Seit bie ©onnenflede flnnenb be« 
trachtet unb ber SBunber beS EontrafteS ftaunenb ■ inne geworben 
War, benn ba# fdjwarze Eentrum folchen Siede# entfenbet immer 
noch über 4000 ÜRal mehr Sicht als ein gleich großer Ijjril 
be# BollmonbeS, fprach idh bem $errn ^ßrofeffor meinen befchei« 
benen SBunfdh aus, einen Btid in bie geheimnifjboDe Souber* 
fdhönheit beS ©onnenfpectrumS thun z u bürfen. Bereitwillig 
erfüllte ber liebenSWürbige Setehrte meine Bitte. ES ift jebem 
Sebilbeten befannt, ba| baS farblofe Sonnenlicht, beffen ©trabten 
burch rin IßriSma gebrochen werben, fi<h in bie bunten Farben 
beS BegenbogenS zerlegt unb bafs biefe« garbenbitb, ©peetrUm 
genannt, burch fenfredht zur Breitenentwidetung. ftehenbe, ftär* 
fere unb fchwädjere bunfle Sinien getheilt wirb, Wet^e nach 
bem Bhhf»*er fjraunhofer „ßraunhofer’fche Sinien" heißen. EHe 
SBiffenfdhaft hot burch eine «folge hier nidht näher zu begrün* 
benber ©dfjtüffe ermittelt, baß bie ©onne ein gtüljenber fefter 
ober Pfiffiger Sörper ip, ber Bon Safen umgeben wirb, weiche 
bie mit ihnen gleiche Brechbarfeit hobenben Strahlen beS 
©onnenförperS oerf^tuden unb auf biefe SBeife bie fchwarzen 
Sinien im ©pectrum erzeugen. ®iefe «fraunhofer’fdhen Sinien 
entfpredjen nun ben hellen Sinien berjenigen ©pectra, wet^e 
burch bie Sichtquelle giüljenber irbifcher ©tope erzeugt werben, 
unb auS biefer Uebereinftimmung hot man Weiter ermittelt, baß 
in ber SaSatmofphäre ber ©onne folgenbe uns ABen befaUnte 
©toffe Borhanben finb: Sifen, Batrium, Satium, Ealcium, 
Btagnefium, Ehrom unb Bidet. E)ie Anwefenheit Bon 3iuf, 
Supfer unb Sobatt ift wahrfdheinlich; Sotb, ©Uber, Blei, Dued- 
fitber, Arfen unb 3inn fönnen auch Borhanben fein, bodj in fo 
geringer ERenge, baß pe Bon un# nicht mehr nachzuweifen pnb; 
zwei auf unferer Erbe jeboch fch r häufig Bstfommenbe ©tope, 
Siefet unb ©auerftoP, fehlen ber ©onne bolHommen. Umge« 
fehrt beutet aber bie große ERenge ber ffraunhofer’fchen Sinien 
batauf hiu, baß auf ber ©onne Biele ©toPe ejipiren, welche 
unS gänzlich unbefannt pnb unb beren Batur uns auch für bie 
3ufunft wohl immer BerfchloPen bleiben wirb. 

ES leuchtet ein, baß biefe Annahmen nur bann erhärtet 
werben tonnten, wenn es ber EBpfenßhaft gelang, bie Sa#« 
atmofphäre bet ©onne allein (ohne bie gleichzeitig birect wir« 
fenbe SidpqueKe beS fepen ober püfpgen ©onnenförperS) einer 
fpeetratanalptifcheu Unterfuchung zu unterziehen, unb bie# hot 
betannilid} bei ber totalen «finßerniß ber ©onne im Sommer 
1868 pattgefunben, wo bie geipreicpen ÄufpeUungen beS genialen 
fßrofefforS ftirchhoff Beweisfrap gewonnen hoben. 2)a# Dr. Ute 
unb fjmmmet’fche BölfSbuch („^hhPlotif^e unb chemifche Unter« 
hottungen." Seipjig, 1873. ßriebrich ffleifchet.) äußert pdh 
über biefe SRaterie fotgenberweife: „S)ie gange SichthüBe ber 
©onne, namentlich ober bie unter bem Bornen ber Ekotuberangeit 
(§eroorragnngen) befannt geworbenen hornartigen Erhebungen 


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Nr. 20. 


Ute Gegenwart. 


819 


Met ben Staub bet oerßnfterten Sonnenfcßetbe geigten fließt nut 
beutticß ein aug gaßtreicßefl ßeßen Streifen beßeßettbeg Spec« 
trum, wie eg bon einer glfißenbeu (yngßüße erwartet werben 
mußte, fonbem eg traten batin auch befonberg jene Streifen 
ßeroor, welche ben gramtijofet’fdjen Sinien D, E unb F ent« 
fprtdfjen. ®iefe int Spectrum ber Sonnenatmofpßäre auftreten« 
ben Streifen gehren aber bem Spectrum beg SBaffetftoffeg an, 
unb barang haben benn bie ©eobacßter ben Schluß gezogen, 
baß mcßt nur bie bampfförmige $ütte beg Sonnenförperg, fon« 
bern audß gang befonberg bie ©rotuberangen aug ungeheuer 
großen glfißenbeu ©agmaßen befielen, welche oorguggweift 
Säaßerftoff enthalten." 

®iefe ©rotuberangen nun finb eg, welche bag 3ntereffe 
«ließt nnr beg Aftronomen, fonbem auch jebe# gebilbeten Säten 
mächtig gu erregen pflegen unb ich tann mir bie ©ein beg @e« 
lehrten roßt gut oorfteilen, ber in feinem ßiflcn Obfematorium 
twn ber Iftftigen ÜÄeugitr eineg gar leine wißen fcßaftlicßen 
©oeaugfeßungeu mitbringenben ©efucßeg überfaßen unb naio ge« 
beten wirb, ein Heineg ©rotuberangdßen aufgugeigett. Selch er« 
mübenbeg $in« unb ftertebet», Stagen unb beantworten! Welch 
oergebltcße ©etnüßungen beg Aßtonomen, mit wenigen Säorten 
einen Auggug beg Säiffeng gu geben unb bem Saien munbreeßt 
gu machen, ber bocß gut grünbticßen Seleßrung eineg jaßre« 
langen Unterrießtgcurfug in ©f)t)fil unb Aftronomie bringenb be« 
bürftig wäre! ®enn — unb bieg fofl hier betont werben — 
eine ©rotuberang am Sonnenranbe, bie heute Hießt nur bei 
Sinfterniffen, fonbem jeber Seit beobachtet werben !ann, lägt 
ßdj nicht unmittelbar, etwa Wie ein intereffanteg Xßier in einer 
SRenagerie, bem Auge beg wißbegierigen Saien oorfüßten. 
Selbft burch fohlegefärbte Sinfen, bnrdE) bie Wir birect in bag 
Sonnenlicht gu bltcfen bermögen, fann fte nicht unmittelbar be« 
obadjtet werben, wenn bie emptiongartig auffdjießenben, glühen« 
ben Säafferftoffgafe bießeidht auch $unberte nnb Xaufcnbe bon 
Steilen weit ang bem Sonnenranbe emporwirbeln unb in 
größerer Stöße betrachtet für bag menfcßtiche Auge felbft ben 
tmpofanteften Augbrucß eineg ©ulfang in erbrüdfenben Schotten 
ftetten unb alg ein mifroffopifcßeg ©ünftcßen erfcßeinen laßen 
würben, ©rotuberangen laßen ßeß eben nur mittelbar burd) 
ben Spectralapparat beobachten, burch welchen blicfenb man ben 
Sonnentanb in ©egießung auf bie Säaßerßoßlinien beg Spec« 
trumg uuterfucßt 

3<ß bermieb eg baßer gewißenßaft, ber Siebengwütbigfeit 
beg $erm ©rofeßorg burd) meßr ober minber peinerregenbe 
Sragen läßtg gu faßen unb begnügte micß mit einem flüchtigen 
©liefe in ben Spectralapparat, ber an ben Stefractor angefdßranbt 
worben unb in beßen berbunfettem inneren bie farbige SBunber« 
blume bei Spectrumg leudßtenb aufgeblüßt war. 5)urcß bie 
Analtße biefer bunten, gauberßaßen ©raeßt ßnb uni Stätßfel 
entßüßt worben, beren bloße grageßettwtg ben früheren 3aßr« 
ßunberten noch unbefannt war unb biefe Stätßfellöfungen haben 
unfern ©tief berart gefdßärft, baß wir ihn triumpßirenb in bie 
Sonnenfernen bei SBeltenraumeä tauchen unb wißenfcßaftlicße 
Xßatfacßen felbft bon gijfternen ablefen bürfen, bie Stißionen 
Sonnenfernen ober ffirbmeiten bon uni entfernt ßnb unb beren 
Sidßt, um big gu uni gu bringen, gange SOtenfdßenalter gebraucht 
Staunen unb anbäcßtigeg Schauern erfaßt uni, wenn wir in 
foldßen ©etraeßhingen gum flantmenben Sonnenbaße emporbliifen; 
ber immer rege, nie gang geßißtc ®urß ber äRenfeßßeit nach 
bei Säißeni betebenben Duetten iß ber geßeimnißboße Stachel, 
ber bie (Kreatur, auch wenn ße ermatten ober auf gewonnenen 
Sorbeeten behaglich einfcßlummem möchte, immer wieber empor« 
rüttelt nnb gu neuem Sinnen unb ßrorfeßen treibt, — unb wenn 
wir oft audß feßmerglicß bag SRißoerßältniß gwifeßen ber maje« 
ßätifeßen Stöße bei Aßg unb ber relatioen Seringfügigfeit ber 
(Srmeiterung unferei Säißtng empßnben, gang ermatten, gang 
ßoßnungilog gufammenßnfen fann ber ffible nie, bem eg oer« 
gönnt iß, bie lecßgenbe Bunge, wenn aueß mir tropfenweife, aug 
jenem erfrifeßenben Duett gu näßen. 

Säir oerließen bai interimißifdße Dbferoatorium unb ber 
buftige ©audß fcifcß angegünbeter Cigarren entrüefte uni ber 


ultima Thule bei Säeltenrauuteg unb gab uni bet irbifeßen 
Seit unb ©KrHicßfeit wieber. 

Ctn fleineg ^olgßüttgcßen gu magnetifeßen SOfeßungen ent« 
beefte icß noeß, — auch biefeg iß pvobiforifdh unb Wirb fpüter 
bureß eine bleibenbe Conßruction erfeßt werben, bie ißreu ©laß 
füblidj oom $auptgebäube ßnben Wirb. 

®er fteunblitße Cßef ber Sonnenwarte begleitete mitß noeß 
auf einem Umwege burdf ben noeß witben, aber in fatter, ßerbft« 
ließ feßöner garbenpradht feßimmembm ©arf nadß bem Attggangg« 
tßore, unb nach warmen Säurten beg Xtanfeg unb einem ßerg« 
ließen {cöubebrucf meirterfeitg trat icß wieber in bag fteflbunfel 
ber ©aumgruppen beg ©raußaugbetgeg. 3*ßt ging eg bequem 
bergab ber Stabt gu. SJtit einem erßößten ©efüßle ber Suft 
tranf icß bie reine fflalbluß. Ctwag Wie Stolg auf mein 
©aterlartb unb meine Seit etfüßte meine ©ruß, benn — 
fein Sufricßtiger fann biefe Xßatfacße in Abrebe ßeßen — Wie 
berfeßrt unb elenb ung audß Sieieg erfcßeinen mag, bie Seit, 
in bet wir leben, iß eine große! SDWgen ßcß noeß fo oiele 
$inberntße auf ber ©aßn unfeteg ©ingeng auftßürmen, menfeß« 
lidße Augbauer wirb ße befeitigen unb jebet lag feßt einen 
ÜRartftein, ber in Seßalt irgenb einet Sntbecfung Ober ©rßnbung 
ober ©erbeßerung bag Stücf erfennett läßt, um wetdßeg bie 
SOfeufcßheit ßdß bem großen, nur geahnten Siete wiebet genähert 
ßatl Per aspera ad astra! (Serhatb oon Umtntor. 


Jln$ bet Jiattßißafcf. 


Dott kn dtjeateftt. 

5)rei erflc Kup^rungcn itinet^ttlb eiltet ®^ale{b€ore^ 

Ädnigibtamen im Sc^anfpiel^aufe, etmäjjtgte Q^intrittdJpreife uttb fe^r öicl 
Äabetten in ben ÄönigU«^eit J^eatetnl ßaittet ^rec^enbe Ämeije, bafj 
bie Saison morte bet Reutet im Knotige ifl nnb baj uttgemöfjrtluber 
®HtteI bebarf, ben SBirfnngen biefe« mftdjtigften 3r e ^ n ^« bet X^eater* 
faffen folangc al# itgenb mögli<| Cinljalt ju i^uti. Ob bie SWtttel richtig 
gemäht finb? 9li(^t in aßen gdtten feinen fic ftdj bemühten motten; 
bie ftönigftbramen jie^en an einem ^atbnötten ^ctr&tte ootftber, ba« 
non ben offenen, fronen ^efl^tetn einiget f)ü|enb feitet Sttfcget be« SRat« 
etglänji, beten ftiebii^e Aufgabe e§ mit ift> brtrjüt^un > wie ein (eete« 
$arquet benno# ein ootte# fein ttttne. gute« anU 

mottete i<$ ffltali^ einem Jttngeten S)rdmati!et, welket fl^ bon mit bie 
fßlftftognomie be« €c^anfpiel^aufe« bei bet founbfobietten Änffü^timg 
eine« feinet ©tftefe befc^teiben kffen »öttte. „®iel Äabetten?" fötf^te 
er ftngfHi^ »etter, „dtti ty ©ftnle /# , entgegnete t(^ atgk« unb fptacb 
bamit bem $i$ter einen nic^t nnbetrft^fli^en tfytil bet Tantieme ab, 
gu meiner ba« „gute Vüttet^au«^ i|n berechtigt haben würbe. 9tan, 
bie ÄbniglUhen @ch«ufpiele „haben 1 « ja «ott fei ®ant tiify tiötyiti“, 
ba« ift hoch ein £toß, bon bem nur su wünfthen wäre, er ließe fleh 
auf alle anbereu Sweater mit gleichem Rechte anwettben, wenn fle bet 
fabelten ober „dead-heads u bebftrftig fein fottten, mit WeidJen Porten 
ber dnglänber ungefchlachterweife nufer feittffi^Iige» unb tücffkht«botte« 
„fffreibetger" »iebersugeben fucht. Um % ba« Stefibinstheater fcheint 
in ben Statigleiten, womit e« tm« im Verlaufe mm dmeridh 9tobert« 
dafifbiel ttbevrafdjrte, nicht ba« rechte Mittel gefunden §n h°ben. Ä n 
ben ©chaufpielern liegt e« ft^erlkh^nUht, bietteidjft auch nicht an ben 
Etüden, leichte, aber amüfante fßaare: wohl aber an bem drbfeinbe be« 
Xheaterbefuche«, bem Soitnenfchein, welket nnwiberftehlich in*« gfreie 
lodt, an bem StühKng; ihm wohnt bie fBunbertraft hvne, oon ber 
Seroh ben gelben feine« nennt ®tttde# befeett fein läfft unb welche 
bemfelben ben tttamen gibt: „dr besaubert". 3)ie breiartige tontöbie 
ßoni« Seroh« beruht auf ber Borau9fe«ttng f e« gebe SMenfchen, welche 
burch bie Gemalt ihre« ftftde« unwiberftehli^ Wirten, fleh „SÄenfch unb S3ieh /# 
unterthänig machen, d« honbelt fich allen Grüfte« um ein 0tftd 3ße«meri«* 
mu«, ober genauer, um bie fiaubettraft, mit welcher ber hinbuftanifche 
Magier bie bWartigfien Gelangen feinem Bitten [ich swingt, freilich nicht 
ohne oorher eine 9orficht«mahregel angemembt ju haben, bie in bem ttub* 
brechen ber Giftsfth 116 befte^t. dennoch befteht swif^en bem „obarmour“ 


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320 


Di* «eg* mm üxt 


Nr. 20. 


(fo heißt bad franzöfif4e Original bed ©tüded) am Ganged unb bem in 
ber komöbie ein bebeutenber Unterf4ieb zu Gunften bei festeren. ©Bäh= 
reitb ber $inbu nur bad Steptil ju bezaubern vermag, berücft Seropd 
„Sirc^iteft Gerarb" erflend einen ©ären, bann fämmtli4e ©erfonen bed 
©tüded — worunter ftd> einige fcpr verjtodte befinben — unb f4ließli4 
eine kreuzotter. Daß ein ©ühnenwerl, wel4ed mit folgen SJhtteln arbeitet, 
non ber kritit nic^t entsaft genommen toerben barf, liegt auf ber §anb. 
Gd bleibt nur bie grage §u beantworten, ob ed ben einen 3med, 
Welker ed ejiftenjbere^tigt erfc^einen taffen würbe, erfüllt: ob bie um 
finnige ©oraudfepung, bie bem Stüd zu Grunbe liegt, te4nif4 gewanbt 
verarbeitet fei, ob ed „unterhält" Unb barauf läßt fi4 wopl mit „3a" 
antworten. Dad ©tüd ift bi* auf wenige unbeträchtliche Sängen in ber 
Ggpofttiondfcene unb im jweiten «ct gefchidt „gemacht", unb führt und 
in bemküraffiersSttttmeifter a. D. ©oucßarb unb bem ©aron non Sttortfang 
zwei vortreff li4 gezeichnete Dppen Vor, welche genügen, bem Suftfpiel 
überall eine freunbliche Aufnahme zu fchaffen, wo bie beiben Stollen fo 
vortrefflich gefpielt werben wie im SRefibenztheater von ben Herren 
keppler unb ©edmann. Die übrigen ©erfonen bed ©tüded ftnb be* 
tannten ober gewöhnlichen ©chlaged: ber 3<mberer Gerarb bad Sbeal 
einer noblen Sßuglhtgdnatur, fchön, liebendwürbig, genial, heroif4; bie 
ZU bezaubcrobe Orafentochter ein reizenber, tropiger ©Bilbfang, ber eben* 
falld z u bezaubembe Graf ein bicftöpftger alter #err mit legitimiftif4 s 
militärifchem Änftrich. gür gute ©chaufpieler ift bie Darfießung biefet 
giguren eine bantbare Aufgabe, ©effer ald im Stefibenztpeater tonnte 
fte taum gelöft werben. £err Stöbert verrichtete feine ©ezauberungd= 
arbeit in eleganter, liebendwütbiger ©Seife unb im britten Siete (wo ed 
gilt, bem ftarrfinnigen (Strafen ben Sauber empfinben zu laffen, ber alte 
®err jebo4 bafür allein nicht empfänglich ift) unter ©titwirfung unb 
bem Slufwanbe feiner bewährten ©ortragdtunft. Fräulein ©tatpilbe 
Stamm war eine reizenbe Gomteffe voll jugenblicher Slnmutp. Die 

fehr begabte künfllerin tonnte fich bei biefer Gelegenheit eined eigen* 
artigen, aber vollwichtigen Driumppeö rühmen. Sttd Gerarb*Stobert im 
zweiten Stete Von ihr fagt: „Sie ift anbetungdwürbig", ftimmt 

ein lautbentenber gufd^auer im ©arquet zu, inbem er weit vernehm¬ 
lich nachfprach: ,,3^/ fie ift wirtlich anbetungdwürbig." Dad Suter- 
mezz*> erregte bie größte Weiterleit. #err ©rodtp (Graf), £err 

granz ©Ballner ber Süugere unb grau Gruft ergänzten bad 

Gnfemble vortrefflich. — Derfelbe Slbenb brachte ein einactiged Drama 
von ©arbou unb Decourcelle: „©tarcel". Gin ©ater pat feinen 
vierjährigen ©ohn burch einen Sufaß erfchoffen, ift barüber geifted= 
tränt geworben unb wirb geheilt, inbem ihm fein inzwifchen geborener 
zweiter ©ohn ald ber vermeintliche (unb wirtlich) erfchoffene vorgeführt 
Wirb. Schließlich mertt er bie Däuföung, bleibt aber geheilt. 34 ver* 
muthe, baß bie 3*>ee bed ©tüded von Decourceße herrührt unb baß 
©arbou fie für bie ©üpne verwerthet pabe, benn nur ein fo gefehlter 
Dramatiler wie er vermag ben wiberwärtigen ©toff fo erträglich z u 
geftalten, ald ed pier gesehen ift. Smmerpin palte ich ed für eine 
©erirrung, berartige SRotive rein pathologifcher Slrt auf bie ©ühne zu 
bringen. Ginige gelungene Sluönahmen, wie bad betannte ,,©ie ift wahn¬ 
finnig" unb vielleicht auch biefer „©torcel", beweifen nicht bagegen; hier 
unb bort panbelt ed fich lebiglich barum, bem ©chaufpieler Gelegenheit 
Zur Gntfaltung feiner ©irtuofität zu geben. Died mag wohl auch ber 
Grunb gewefen fein, wedhalb §err Stöbert und mit bem ©arbou'fchen 
Drama betannt gemacht pat, unb fo foß ihm bie Slnertennung nicht 
verfagt fein, baß er ben geiftedtranten Gafton in maßvoüfter unb gerabe 
barum in befto ergreifenberer ©Seife fpielte. Die wenig bebeutenbe Partie 
ber leib* unb liebevollen Gattin unb ©tutter bed Oranten wuepd unter 
ber Eingabe, mit welcher bie künfllerin fich ih r wibmete. 

3m ©Ballnertpeater begrüßte am lepten Donnerftag ein „aud* 
Vertaufted Waud" fünf ©Biener Gäfte (bie Damen ginaltj, Sint, klein, 
©treitmann unb #errn Gppich), bie fich ö u einem Gefammtgaftfpiel mit 
bem 3&>ede vereinigt hüben, ben ©erlinem Dffenbachd pier noch nicht 
gehörte Operette „©targot, bie fchöne ©äderin" vorzuführen. SEBie bei 
bem eben erwähnten Suftfpiel, fo ift auch bie Signatur biefer neuen 
Operette bad Stmüfante. Der Degt von SReilpac unb $alevp mit feinen 
unvertennbaren ©eziehungen zu bem ber ©tobam Slngot verwerthet nicht 
ungefchidt ben 3upalt eined alten franzöfifchen ©oltdliebed (la boulan- 
göre a des dcus), in welchem von einer reichen unb frönen ©äderin 
bie Siebe ift, bie gleichzeitig mit einer Sreunbin einen bed $ochverrathd 
verbächtigen grifeur liebt, ihn rettet unb bie fchließlich fich ben Werzogin^ 


titel tauft, zu einem luftigen Gewebe von aüerhanb möglichen unb 
unmöglichen Situationen, welche aber oft recht tomifch Wirten, fo ftart 
auch bie 3umuthungen ftnb, bie fte ber Staivetät bed 3ufchauerd {teilen. 
3u biefem Sibretto hat Offenbach aud bem reichen ©telobienfchape feiner 
unzähligen früheren Opern unb bem einiger anberen bewährten &onu 
poniften eine leichtflüfftge, heitere unb hiu unb wieber graziöfe ©Sufi! 
Zufammengefteßt. Sind äßen Gden lachen und bie wohlbetannten Geflehter 
ber vielen Sieblingdtinber Offenbachd entgegen: fte treiben mit einanber 
unb ben Söhnen unb Döchtern ihrer ©erwanbten Secoq, 3°hann Strauß, 
©laißarb unb wie fie aße heißen mögen, ein heitered ©erftedfpiel, tn 
beffen ©elaufcßung ber 3ufchauer einen angenehmen Dheaterabenb ver¬ 
bringt, unb für einen folchen bantbar zu fein ift ©flicht. 3« bie Ghren 
bed Slbenbd theilten fich bie Dräger ber mufttalifchen fyutptroßen, p| c 
Damen ginalp unb Sint, Werr Gppich unb bie beiben bewährten 
heimifchen ©titglieber Gngeld unb ©Meißner, von benen befonberd ber 
erftere in feinem ©olizeiagenten eine töftliche Gharge fchuf. fytxx Gppich 
ald grifeur ©emabiße bewährte fich in bem ©ortrage bed Goupletd „Die 
Siebe fragt nicht wiefo" ald einen Gefangdtomiter erften Sianged. 
3nfcenirung unb Studftattung waren vortrefflich. 

lieber bie erfte Slufführung von 3uled ©erned „Der Goutier 
bed Gzaren" im ©ictoriatheater nnb über bad Gaftfpiel Dommafo 
©alvinid in nächfter Stummer. 3. 


JUnfiluiUfclie ^nptjrnngen. 

©om Schluffe ber ©aifon. 

„Subad SJtaccabäud" Von Wünbel, aufgefübrt von ber Äönig = 
liehen Wodjfchule für audübenbe Donfunft. — ©eethovend 
9. ©pmphonie unb Daubertd „Äaifermarfcß", audgeführt von ber 
königlichen kapelle. 

Die Goncerte ber königlichen Wochfchule für audübenbe Dontunft 
unb ber königlichen kapeße haben ber ©tufilfaifon einen fpäten unb 
würbigen Stbfd)luß gegeben. SBad jept — ©litte ©toi — noch an ©tufifc 
aufführungen im Goncertfaale ftattflnben wirb, bad bürfte, wenn nicht 
ganz Slnßerorbentlitheö eintrifft, woßl leinen ©toff bieten zu befind 
berer ©efprechung. 

Die königliche W^hf^ule hat zu ihrer lepten Oratorienaufführung 
„Subad ©toccabäud" von W^nbel gewählt. Gd enthält biefed ©Ser! 
neben unbefchreiblich herrlichem auch manche Schwächen. Der geneigte 
Sefer, ber meine Slrtilel mit einiger Slufmertfamleit beehrt, wirb fich 
erinnern, baß ich vor einigen ©Soeben ben Gljor aud 3ubad ©toccabäud: 
„Stein, nimmer werfen wir und hiu" (ber englifche Degt: „We never will 
bow down" Hingt energifeßer) ald eine jener Schöpfungen bezeichnte, 
vor benen ich mein tünftlerifched ©Sorgengebet verrichte. 34 tarnt alfo 
fagen, baß ich bad Oratorium von langer 3^1 h^ tenne, von einer 
Seit, ald man noch aud lebenbigem eigenem ©tubium bie großen ©Berte 
tennen lernte, unb niept aud langen unb gefpreizten Debuctionen ge¬ 
lehrter ©tufttphilologen, bie fich $ u aßeinigen berechtigten kennern ber 
©teifter aufwerfen. Stiemanb barf mich alfo eined SJtangeld an ©ietät 
Zeihen, wenn ich behaupte, baß bie meiften granenarien in Subad 
©taccabäud eigentlich ©ravourarien ftnb, bie mehr ihrer 3*it bed gc^ 
fchnörtelten Gefanged angehören, ald baß fte ald kunftmerle gelten 
tönnten. Dad werben bie ^änbelianer natürlich nicht gelten laffen. 
Diefe finb ja nicht beffer, ald bie Suner überhaupt. Seber biefer Herren 
hat feinen ^eiligen, beffen ©Bunber er aßein zu begreifen unb zu ver= 
tünbigen vermag. Dabei tommen benn bie aßerfonberbarflen Dinge 
Zu Dage. 34 h ö&e fcerrn Ghrpfanberd ^änbel-©iographie neuerbhtgd 
bur4ftubirt unb werbe bemnä4ft ni4t aud h e ^uudgegriffenen ©äpen, 
fonbem aud ganzen ©erioben bed ©u4ed barlegen, baß bte beutßhe 
Siteratur wenig ©onberbarered unb Unlogif4ered — ich mähte bie aßerpöf- 
li4fien ©Borte — aufzuweifen hat, ald man4e pfh4uiugif4e unb cultur* 
hiftorif4e Darlegungen biefed $errn. ®tefe ©ehauptung foß binnen 
turzer 3^ü unwiberlegli4 bewahrheitet werben, jept hübe ich bon ber 
Slufführung bed Oratoriumd zu beri4ten. 

Ghöre unb Or4efter leifteten ganz ©orzügli4ed. Die Steinpeit ber 
Sntonation unb bad geuer bed ©ortraged ber Stimmen, bie Superhett 
unb klangmirtung ber inftrumentalen ©egleitung ließen ni4td z u 
Wünf4en. Die ©oliften bagegen waren, mit Studnapme bed $errn 
krolop von ber Oper, ber ftep wieber ald SJSeifter im Oratoriengefange 


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Nr. 20. 


*i t OegtnanirL 


821 


icigte, toon ber Art, baft bie ©erwunberung über ein Königliche® 3n= 
pitut, bö® nacp fieben Sauren niept® ©effere® an Scpülem auf$u»eifen 
put, eine fe^r berechtigte ift. Die Sopranipin gräulein folba 
gritfcp befipt eine fepr fd^arfe unb jugleicp näfelnbe Stimme, beren 
SRegifter ganj ungleich an®gebilbet finb; man hörte toon hier ju hier 
Ionen eine anbere Klangfarbe — in ber Arie< „Dann tönt ber Saute 
unb $arfe Klang" tonnte man glauben, baft jwei toerfcpiebene Stimmen, 
bie eine ba® b, bie anbere ba® barauffolgenbe swetgepricpene g fangen, 
labei fingt fie manchmal mit einer be»unberung®»ürbigen Seelenruhe 
unrein. $Jh rc Koloratur ift fehr gut entwicfelt, aber ber ©ortrag ijt eipg« 
falt, unb »enn eine fo alte Schnörfelaric, »ie bie oben angeführte, 
nicht mit geuer, fonbem nur folfeggienartig gefungen »erben lann, fo 
»äre ba® ©efte, fie bliebe ganj »eg. Der Seift $änbel® jümte ganj 
ge»ij nicht. $err Nufat machte einen faft fomifcpen (Einbrucf, »enn 
er mit feiner Stimme ba® ©olf ju ben ©affen rief. Neben ben beiben 
(Benannten »irtte gräulein^openfcpilb »ahrhaft erquidenb. 3 h rc ®tt- 
ftimme ift jwar ettoa® fahl unb ermangelt ber Klangfchönheit, ift aber hoch 
boll unb Mar unb auch in ben Negipern gleich; babei ift bie Sntonation 
eine fiebere unb reine, ©enn bie junge Dame fich fo »eit felbftftänbig 
entmicfelt haben »irb, baft fie nicht mehr grau Joachim ju copiren fucht, 
bann fann fie auf groften (Erfolg rechnen. grau goachim ift eine 
3«bitoibualität m it ihren Sorjügen unb Schwächen, unb id) habe fchon 
einmal in biejen ©lottern bemertt, ihre Nachahmerinnen »erben fich 
immer $u ihr berhalten, »ie ber gemalte Dpeatermonbfcpein §um »irMichen. 
Unb theatermonbfeheinartig »ar ber ganje ©ortrag ber Soliften toon ber 
©ocpfcpule, fo !alt unb nüchtern at® nur möglich; ich meine®theil® habe 
fein ©erftänbnift für folche Auffaffung; ich benfe mir immer, man fann 
auch ba® Maffifchefte Oratorium, jumat ein fo epifep-bramatifepe® »ie biefe®, 
mit recht toiel geuer unb Sch»ung fingen, ohne irgenb et»a® „Unfittlicpe®" 
®u begehen. 3 $ weift jwar, baft ©anbeimilch ein toiel tugenbhaftere® 
Setränf ift al® alter Npeimoein, baft biefer beraufdjen unb jene höchften® 
ben ©agen toerberben fann; aber ich glaube feft, baft ber liebe Sott mir 
bie Sünbe toergeben »irb, »enn icp hoch lieber Npeinwein trinfe, unb 
»enn ich mich auch in ber Kunft lieber ein wenig beraufche, al® immer 
nüchtern bleibe. — (Einer tomifchen (Erfcpeinung muft ich noch SrWäpnung 
thun. Unter ben Soliften »ar ber treffliche $err Krolop allein toom 
Dpeater, unb er »ar ber (Einzige, ber feine Dpeaterpoptur annahm, 
er fang »ie ein Künftler, ber üor Allem feinen ©art fchön toor« 
tragen »iH, ohne »eitere Sutpaten; aber gräulein fcopenfcpilb unb $err 
Nufaf jogen bie Schultern in bie $öpe, fpreijten bie güfte unb ftreeften 
ben Arm mit bem Notenblatte in peroifeper Stellung au®, al® hatten 
fie auf ber ©ühne Seneralprobe für ein Nitterfcpaufpiel. ©ie ich ba® 
fo oben fah, ba famen mir immer ©ir 5 a Schafft® ©orte in’® Sebächtnift: 

„3u be® ©erftanbe® unb ©ipe® Umgehung 

3P nicht® geriefter al® Augentoerbrepung." 

Summa Summarum: Orchefter unb (Epor ganj toortrefflicp, Denor« 
unb Sopranfoli meift pocpfcpülerpaft. 

Da® lepte Spmpponieconcert ber Königl. Kapelle hat, ftatt »ie ge« 
»öhnlich im (Eoncertfaale be® Openthaufe®, auf ber ©ühne ftattgefunben, 
mit Unterftüpung be® Stern’fchen Sefangtoerein®. Ueber bie Klang« 
»irfung be® Orchefter® toon ber ©ühne waren bie toerfchiebenartigften 
Urtpeile $u toeraepmen. ©iele bie im ©arquet gefeffen Magten, fie hätten 
nicht gut gehört, Alle® nur in toerbünntem ©aftftabe bemommen. dagegen 
Waren faft Alle, bie ihren ©lap im erften Nange gefunben, gleich bem ©er« 
faffer freubig überragt toon ber Klangfchönheit. (E® ift alfo fepr ferner 
SU entfeheiben, ob jener Uebelftanb au® ber geringeren Afuftif ber Oertlich' 
feit ober au® fehlerhafter (Einrichtung be® Orchefter® entftanben »ar. 
Sin fepr grofter ©ortheil, ben jene® (Eoncert im Dpeater bot, bleibt unbe« 
preitbar: baft auch ein gröftere® publicum im Stanbe »ar, bie Senüffe ju 
tpeilen, unb e® möge ber genauen (Erwägung ber ©orpänbe empfohlen fein, 
ob bie (Eoncerte ber Königl. Kapelle nicht immer auf ber ©ühne gegeben 
»erben fönnten. ©ir »ollen perft toon ber neuen (Eompofition fpreepen, 
toon Daubert® „Kaifermarfcp". Derfelbe ip eigentlich mehr eine ziemlich 
breit angelegte (Eantate, mit ©enupung jweier (Eporäle, jtoifepen welchen 
ein marfchartige® (Eantabile unb bann ein bewegter ©ittelfap abwechfelnb 
ertönen. (Erpere® ip fepr anmuthig unb ebel erfunben unb toon un= 
mittelbarer fepöner ©irfung. Der ©ittelfap bagegen erfepien p »eit 
au®gefponnen unb bie ©irfung beeintrüchtigenb, burch Kürjung »irb 
meiner Ueberjeugung nach bem Saucen eine abgerunbete gorm gegeben 


unb ber (Erfolg gefiebert »erben. Neben biefem Kaifermarfch fam noch 
©eher® (Eurpantpen=Outoerture, eine prächtige ©acp’fcpe „Spmpponie" unb 
enblicp ©eethotoen® neunte $ur Aufführung. Die Seiftungen ber König« 
licpen Kapelle waren, gleich benen be® Stem’fchen Sefangtoerein®, toor« 
trefflich- 3« bem ginale ber neunten erfepienen, mit Au®napme be® 
immer ffinplerifcp getoiffenpaften §erm ©ep, bie Solipen niept fepr 
bi®ponirt. Namentlich gräulein Sepmann napm bie Aufgabe reept 
fcpalfpaft leicpt, al® finge fte irgenb ein Siebcpen. Sie warf ipre 
©affagen nur fo pin, opne bie geringpe ©eaeptung be® Dafte® unb 
Nphtpmu® unb läcpelte pinterbrein ganj anmutpig. Ob ba® genial ip, 
weift icp niept, feine®faü® »ar e® ber ©ürbe be® Segenpanbe® an« 
ßemeffen. g. Sprlicp. 


^Cotijnt. 


Ia® biplomatifcpe ©orfpiel be« Kriege® wirb nun halb gänslicp 
ju Snbe fein unb ba® eifeme ©ürfelfpiel pat injwifcpen fepon begonnen, 
lie lepten lepefcpen Pnb gewecpfelt, toölferrecptlicpe Unterfucpungen in 
ben ßeitartifeln fo oft »ieberpolt unb abgebrueft, baft man pe fepier 
au®wenbig weift. lie lepteren erinnern an bie Antwort, »elcpe ein 
amerifanifeper lafcpenbieb einem Anwalt ber bepoplenen ©artei gegen« 
über, ber ipn feparf in Kreujfragen toerwicfelte, jum ©epen gab. Un« 
gebulbig fagte er, jwifepen ipm, bem lieb, unb einem Abtoocaten bepepe 
ber Unterfcpieb, baft er einen plbernen Söffe!, »0 er ipn pnbe, fogleicp 
einfteefe, jener aber toorper ein ©uep nacpfcplage unb bann, »enn er pep 
toor bem Strafgefep fieper glaube, ganj ba®felbe tpue! 3n bem jüngpeu 
©ortwecpfel pat bie offene Spracpe ber englifcpen ©iniper, fowopl 
Nuftlanb gegenüber al® im Parlament 3«öen, ber bafür Sinn pat, er 
frifepenb angemutpet. Nuffffcpe Soppi®men paben aüerbing® bie Seifter 
weitpin fo grünblicp toerwirrt, baft, »0 eine mönnlicpe, einfach »apre 
Nebe toemommen »irb, bagegen ein Sefreifcp ertönt, ba® niept® »iberlegt, 
fonbem nur ben ©aftpab bietet, »ie tief ber £ieb gefeffen pat. ©e« 
»unberung®»ertp ip aber bie Sebulb, mit ber ba® ©ublicum aügemeiue 
Sßprafen unb ©enbungen entgegennimmt, ©enn ber 3 eitung®lefer fid) 
burep ben Augenfcpein überzeugt pat, baft ein Staat feine Neutralität 
toerfünbet aber feine eigenen 3 ntereffen ju »apren entfcploffen ift, pält 
er fiep für toier unb jwanjig Stunben beruhigt unb gept feinen Se= 
fcpäpen naep. ©0 jene 3 «Kreffen anfangen unb »o fie aufpören, ift 
niept gefagt, aber bie gormel genügt ber leichtgläubigen ©enge. 3 n 
biefer ©ejiepung pepen auch bie Seiffungen englifcper Staatsmänner 
hinter benjenigen iprer (Eollegen auf bem geftlanbe niept fonberlicp jutüd. 
$err Ipier® fagte einmal, ber gröftte Nebner lönne opne Semeinpläpe 
niept fertig »erben, fonft pöre Niemanb mepr ju. lie® Ajriom mag 
erMären, »ie auep ba® praftifepe britifepe gnfeltool! zuweilen burep 
toielbeutige unbeftimmte ©ajimen für einige befriebigt »irb. ©an 
lönnte ba® befannte ©ort be® fcpwebifcpen ©iniper® unb Diplomaten 
au® bem fiebfreputen 3 aprpunbert über bie geringen ©ittel, mit »elcpen 
bie ©enfepen regiert »erben, noch jutreffenber auf bie Neben®arten an« 
»enben, mit »elcpen pe pep aller Orten abfpeifen laffen. Docp weift 
3 opn ©uü in ber Negel »a® er will, unb er pnbet pep ju Sunpcn 
feiner reellen ©ortpeile in toerwicfelten Staat®problemen rafeper jureept 
al® jüngere ©ölfer, bie jebe toon berufenen $erfonen jureeptgefnetete 
ofpeiöfe Speife »ie ®immel®manna empfangen unb auch tooüfommen 
toerbauen. 3« ber lepten Debatte be® englifcpen Parlament® würbe 
übrigen® fowopl toon ber Oppofition, »ie auch toon ben ©änlen ber 
©iniper au® niept nur Nuftlanb, fonbem auch ber Dürfet manche berbe 
©aprpeit gefagt. ©linb unb tpöriept nannte leptere $err ©iniper (Eroft 
»egen iprer unglaublich toerblenbeten Ablehnung be® $rotoloü®. Der 
ottomanifepe ©otfepafter in Sonbon fagte befanntlicp Sorb Derbp, bie 
Dürfen wollten lieber j»ei ©rotoinjen toerlieren ober au® Suropa ganj 
toerfepwinben, al® pep bemütpigen unb bie Sinmifcpung be® Audlanbe® 
in ipre Angelegenheiten bulbenl Alfo gan* »ie ber ©app, mit welchem 
ber Sultan trop feiner grünblicpen Ungläubigleit auep fonp eine gewiffe 
©apltoerwanbtf^ap oft genug toerratpen pat. ©eiben ip ba®: Non 
po 88 umu 8 ! gemeinfam, jene gefäprlicpe Detoife, mit »elcper ©in® IX. 
feine Sänber toerlor unb ber Sultan Schritt für Schritt nach Apen pin 
toerbrängt »erben fönnte. Der Dritte im ©unbe im Saufe be® 3apr* 
punbert® »ar ©ilpelm I. toon Oranien, König toon $o!Ianb, bem im 


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322 


iit •egenBMtrt 


Nr. 20. 


Beginn ber belgif#en Weoolution noch eine Art Berfonal*Union Angeboten 
mar. Gr faßte feinen ®opn aum Äönig oon Belgien ernennen laßen. 
Sieber möcpte i#, rief ber eigenfinnige ©ann au$, ^errn be ^otter 
als belgif#en Äönig fepenl DaS toar nämli# ein eingefleif#ter 
Wejmblifaner nnb ber ftd^ fing bftnleube Cranier meinte, wenn ber au# 
Äönig »firbe, »erbe eS ni#t lange »ähren unb baS abtrünnige Sanb 
»erbe ipm f#on »lebet aufaüen. Gr patte aber bie We#nung opne ben 
©irtp gemacht, nämlich ohne bie fchlauen Belgier, bie ftch einen Goburger 
Brinaen aum Äönig holten nnb oon $offanb ui#tS mehr »iffen tpolltcn. 
Wilhelm 1. hotte baS Wa#fepen. Dem Sultan tarnt eS ähnlich ergehen 
unb fein ©^idtfal wäre um fo mehr felbftoerf#ulbet, als fein Baßabium, 
ber Artilel IX. be« ^arifer BertrageS, für »el#cS er fterben miß, längft 
mit feiner Ginwißigung burchlöchert toar. Den Beweis toirb ber Sefer 
gern erlaffen. GS fehlte nur noch, baß folche paarftmltenbe Gontrooerfen 
fich auch in bie ©o#en#ronif ber Gegenwart berirrten. ©an liefe 
ihr bei bem erften ©ort babon. 


Offene Briefe ttttb jutfniorfett. 


H«l* Webacteur! 

©äprenb mir eine 3rlntp in Berliner DageSMättern empfangener 
Schmähungen als Achtungserfolg meines borher in ©ien toohl aufge¬ 
nommenen DrauerfpieleS „Wero" in 3P*et gefönten 3eitf#rift interpretirt 
wirb, erhalte ich auf anberem ©ege Wa#ri#t über baS Schicffal eines 
aroar minbet umfangreichen unb toohl auch ber Beachtung minber toerthen 
fyrif#en Gebi#teS, wel#eS, entfprechenb bem intimeren Gparaltet ber 
tyrif#en Boefie, in einer einfachen Gafftrung feinen Abf#Iuß fanb. Da 
aber mit biefer Befeitignng noch eine anbere ©anijmlation mir Oer* 
bunben f#eint, fo glaube ich aus einer lange beobachteten Weferoe 
herbortreten unb baS gegen mich beliebte Berfahren »eiteren Äreifen 
mittheilen au foßen. 

3 ur 8«t beS 200jäprigen Jubiläums ber Schlacht bon gehrbeßin 
erfchien in ben „Btenßif#en 3<*P*l>ü#ern" ein barauf beaüglicher Auffap 
bon B. GrbmannSbörfer, »elcher na#ftepenben BoffuS enthielt: „Wo# 
jept eraählt man im Haoellanbe bie anmuthige Segenbe bon bem Äinbe 
bon Sehrbellin: »ie am borgen ber Schlacht ber Äurfürft bur<h baS 
bon feinen Bewohnern berlaffene Dorf ^aefenberg bem 6#Ia#tfdbe au* 
reitet, trifft er am ©ege, gatta aßefot in bem leeren Drt, in ber Gile 
ber Angft bergeffen, ein »immembeS JHnb, baS ßepenb bie Arme au 
ihm erhebt; im Weiten rafft er eS empor bom Boben, in ber Meinung, 
eS irgenbwo in Sicherheit au bringen — aber inbem beginnt bie Schlacht; 
ben Seinigen boran »irft ftch ber Äurfürft in baS Getümmel, fämpfenb 
hat er beS ÄinbeS ni#t mehr Acht, unb erft als bie Schlacht gef#lagen, 
ber Sieg gewonnen, ba gebenlt er beS fJinblingS, unb fiepe ba, am 
Wiemenwerl feines $amifcheS hat ber ftnabe fleh feftgellammert unb 
blidt ihm unberfehrt unb lä#efttb in bie Augen. Der Äurfürft patte 
fiep felbft feinen S#upgeifl bur# bie S#la#t getragen." 

©ein 3rreunb Subwig Speibel in ©ien, ein regelmäßiger Sefer 
genannter 8ettf#rift, machte mich auf bie f#öne Sage aufmerffam unb 
forberte mich auf, folche bi#tertf# au behanbeln. Waepbem i# mich «in 
paar Dage bamit getragen, f#rieb ich auf einem gemetnfamen Spajier* 
gange baS Gebt#t nieber unb wir bewerten unb feilten eS fofcann Beibe 
mit einanber bur#. ©ein ftremtb patte biel ^reube baran unb er 
f#idte eS $etm Äarl tJrenael für bie „Wational*8eituug" in Berlin, 
ber aber, wopl »eil eS post festem lam, ni#t wiffapren lonnte. Sine 
paffenbe Gelegenheit, eS au oeröffentlicpen, bot fiep mir erft »ieber, als 
icp oor a»eiSfaprenaur Btitarbeiterfcpaft am „Düffelborfer Äünftler* 
Album" eingelaben würbe. 3<p fanbte baS Gebt#t für ben oortg* 
jäprigen 3aprgang unb lebte beS Glaubens, baSfefbe fei erfepienen, bis 
i# mi# oor Äuraem oon bem Gegentpeil überaeugte. 3n meiner Ueber* 
rafepung, noep mepr aber, i»ei! icp niept flcper wußte, ob fiep eine Ab* 
feprift baoon unter meinen oon einem entfernt wopnenben greunbe oer* 
waprten papieren befinbe, feprieb icp an ben feitperigen Herausgeber 
beS AlbumS, Herrn Gruft Scherenberg in Glberfelb, nnb erlunbigte 
miep naep bem Grunb ber AuSftpließung; augleicp bat icp um Suvftcfgabe 
beS mir wünfcpenSWertpen ©anuferipteS. AIS idp auf biefe 8uf$rift 
noep brei ©o^en noep immer opue Antwort war, erneuerte icp mein 


Grfucpen, unb nun erhielt icp ein längeres Schreiben beS genannten &exr\i, 
bem icp bie folgeuben Steßen mit mögltcpP^c ©eglaffung aßer perfön* 
licpen Bemerlungen entnehme: „3pr mir unter bem 26. April, alfo fepon 
fepr fpät im notigen 3apre gefanbteS Gebicpt „DaS Äinb oon Sfeprbeflin" 
fpraep miep berart an, bap icp eS, obfepon bie Borbereitungen in biefer 
Beaiepung bereits abgef^loffen waren, alSbalb au bie BerlagSpanblung 
beS „Äünfiler*AlbumS" uaep Düffelborf fanbte mit ber angelegentlichen 
Bitte, baSfelbe einem Äünftler aur Slluftration |U übergeben. 3<P 
glaubte, baft bieS gefepepen. AIS icp jeboep im Spätfommet Iura Oor 
bem Abfcplup beS DrudeS au nutnblicper Befprecpung na# Düffelborf 
fupr, tpeilten mir bie Berleger mit, ein bebeutenber bortiger Scplacpten* 
maler, ber felbft Dichter ift, habe benfelben Stoff in BerS unb Bilb 
bepanbelt, unb ba fie ipn gern mit biefem Beitrag im Album paben 
woßteu, fo hätten fie 3p* Gebicpt niept in Safe gegeben. 3# »ar über 

-nieberjulegen, wie ge}#epen. Btein Aerger wucpS, 

als icp fcplieili# erfuhr, bag 3pr Gebicpt opne Wotp fortgekffen, ba bie 
BerlagSpanblung, bie allein bie ©api ber Bilber patte, fcplie|lich niept 
einmal baS fraglicpe Bilb beS beaeiepneten berühmten SReifterl, fonbern 
ein anbereS opne Gebicpt genommen pabe. ßRetne wieberpolt bringenben 
Bitten, mir weuigfieuS 3P* Gebicpt aurüdaugeben, blieben unerfüßt, ba 
bie H«^^en mir fagteu, fie fönnten eS beim beften ©ißen niept »ieber 
finben, fie müfjten eS feiner 8eit oon bem Äünftler (fo oiel icp wei6, 
niept Oon bem Oorftepenb beaeiepneten), bem fie eS aur 3Huftration uebft 

anberen Gebicpten übergeben, niept aurüderpaltm paben." 

Daü icp bere#tigt war, miep na# bem Sepidfal meines erbetenen 
Beitrages au erlunbigen, was Scperenberg am S#lu^ feines Briefes 
beiweifelt, ergibt bie wißtürli#e, wenn au# na# ber gegebenen Auf* 
fläruug ni#t i§m aur Saft faßenbe Berfepleuberung unb gleiepgeitige 
Ausbeutung fremben geiftigen GigentpumS bur# bie Herausgeber. Denn 
eS ift laum anaunepmen, ba6 iener Sepla#tenmaler, ber auglei# Di#ter 
ift, oon anberer Seite ben Antrieb unb bie Gruobibee au feiner be* 
abfi#tigten 8#öpfnng erpalten als bur# meine Besfe. Der 3*ß, baft 
ein wenig belannter Sagenftoff meprete Äünftler unb Di#ter auglei# 
bef#äftigt, ift gewiß äußerft feiten, unb biefen 8ufaß pier anaunepmen, 
Oerbietet mir bie eigentpümli#e, auglei# oorforgli#e unb unbebenlli#e 
aßanifjulation, welcpe meinem Gebi#t au Dpeil geworben ift. Wa# 
biefer, jebenfaßs au# für anbere, aumal jüngere Autoren leprrei#en 
Ginleitung folge baS Gebi#t nun felbß. 

DaS Äinb oon geprbellin. 

„Der S#web’ ift eingefaßen im Sanb", 

Der Äurfürft pört ben Strei#, 

Gr rebet feinen Derflinger an. 

Der trabt mit feinen Dragonern ooran, 

Grft an ber HuOel ma#t er Holt. 

Sie paben elf Dage ni#t abgefattelt 
Auf bem Witt aus gfranlen bur#^S Wei#. 

Der ©rangel, wie er baS ©etter fpürt, 

©ei#t na# bem Wppn oeraagt, 

Do# f#arf ift ber Äurfftrft pinterbrein, 

Der Sanbgraf mit bem ßlbenten Bein 
SRuß ipn fteßen bei 3eprbeßin. 

©i#l ift er au piftig im Aoanciren, 

Doep eS tpnt ni#iS, er pat eS gewagt 

Sfriebri# ©ilpelm war auerft eraürnt. 

Daß man ni#t warten lann. 

Do# wie er bie peßen Fanfaren oernimmt. 

Da war er babei unb baß ergrimmt, 

S#idt fofort an ben 3elbmarf#aß, “* 

GS foß’n bie S#wabronen OorwärtS rüden 
Unb reiten ßRann neben Wtann. 

«r fetter floßt au bem fepweren Bott 
Unb aiept ipstt ftradS oorauf. 

Gr reitet aus einem Dorf peroor 
Dnb pält oor einem »eiten ©oor, 

AnfUptig »irb er ben gfeinb: — 

Wo# mißt er ipn ab, ba trifft ipn ein ©irnmenr, 

Gin Ätttblein »eint au ihm auf, 


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Nr. 20. 


9 \t Qtttuutxl 


m 


Unb hurtig fcpmingt et ben ginbling auf# ©ferb 
ttnb fept ihn bot ftch bin. 

3 h n jammert bai arme junge ©lut, 

Sr miß ei bringen in fixere £ut, 

Da füttt in ber glanle ein ©chug. 

Die Cbriften {(bauen nach feinen ©ienen, 

©te tonnten ben regten ©tnn. 

Unb bereit« bie Aanonabe Iracht, 

Derflinger macht ei recht. 

Doch »o er bie ©Option berlor 
gftbrt ©tangel neue dementer bor, 

Rn Leuten fehlt ei ihm nicht. 

Sohl h<*t & ber Äurfürfi halb erfehen, 

Sr mirft {ich in bai ©efedjt. 

Den ©aßafch gefchtoungen er fprengt boraui 
Stab ein in bai ©emühl, 

Unb auf unb nieber raffelt bie ©flacht, 

Saft hatten fie ihn gefangen gemacht, 

©taßmeifter groben faßt neben ihm. 

Srjt §n ©ittag hürt er ©ictoria blafen — 

S« mar fein leichte« ©piel. 

Unb al« er fleh jfpt im (Sattel befinnt 
Unb an bai Anäblein rührt, 

Da hängt ei noch immer am Aoßer bicht. 

Unb lächelt ihn an boß Sunerftchf 
9(1« gruj* e« ben gelben ber ©arf. 

Sr hebt'« in bie Luft unb fie falutiren 
Dem Ainb, bai &iun ©ieg fie geführt. 

München, ben 9. ©ai 1877. martin (Steif« 


^Bibliographie. 

Sug. Dh- ®nhn, ©efdjichte Lothringen«. ©it genealogifchen Xabeßen 
unb hiftarif^en Aorten, l. ©b., 1. Lieferung. gr. 8. X nnb 6. 
l—96. (Ru# unter bem Xitel: ©ibliothef für ©iffenfehaft unb 
Literatur. 24. ©b. fciftorifche Rbtheilung. 6. ©b.) ©erlin 1877, 
(Stieben, -ifcrfcheint in 8 Lieferungen ü 1. 60. 

$eiuri<h b. $urter, griebrich b. $urter, !. I. fcofratl) nnb Rei#«; 
hiftoriograph unb feine Seit ©om 3ahre 1844 bis ju beffen 
Xobeijahr 1866. 2. u. lepter ©b. gr. 8. XVI unb 600 6. 
(Sra$ 1877, ©ereini=©uchbruderei. 

©elf fjupbeni), bie cnlturgefchichtlichen gorjehungen uub ihre Lite* 
ratnr. 8. 66 6. ©ien 1877, §ortleben. 

3o|. Ae Ile, bie 3efuiten;$pmnafien in ßefterrei#. gr. 8. 804 6. 
© ttofett 1870, O lbeufr ou r g. 

grbr. Air ebner, Sottfrieb ©ilhelnt Leibni). ©ein Leben unb Denlen. 
8 . VII unb 868 ©. Süthen WT, «Bettler. 

©*rc. Lanbau, Gfiobamti ©occaccio, fein Leben nnb feine Serie. 8. 
XI unb 268 ©. ©tuttgart 1877, Sotta. 6. 60. 

3- Lebfer, 3oachim Heinrich Sampe. Sin Lebenibilb aui bem 

alter ber RufRärung. 2 ®be. 8. IX, 420 8. unb l ©orträt in 
©hotographie unb 412 ©. ©raunfehmeig 1877, ©iemeg. 14. —. 

Dttolar Loren), brei ©flehet Sefdjichie unb ©olitil. (Ru# unter bem 
Xitel: ©ibliothel für ©iffenf#aft unb Literatur. 4. ©b. #ifte= 
rifche Rbtheilung. 1. ©b.) 8. VIII unb 630 ©. ©erlin 1877, 
©rieben. 

©. 3- Sojfing, ißuftrirte ©ef#i#te ber ©ereinigten Staaten non 
Rmerila. ©it $olsf#mtten bon g. Darlep. 1. ©b. 1—9. 

Liefemng. fl. 4. ©. 1—828. ©tnttgart 1877, Auerbach- Sr= 
fcheint in ca. 40 Lieferungen fl —. 80. 

Xheob. ©artin, bai Leben bei ©rinsen 9übett / ©rins^Äemahl ber 
Aönigiu non Snglanb. ©Kt ©euehmigung 3#rer ©ajeftät ber 
Aönigiu ©ictoria überfept bon Smi! Lehmann. 1. ©b. 8. XI 
unb 621 ©. ©otha 1877, g. 21. Berthe«. 

©olfg. ©lenjel, ©ef#i#te ber Reuseit. ©om ©eginn ber ftansö* 
fif#en Rebolution bii «ur ffiieberherfteßung bei beutfehen Rei#i 


1789—1871. Srfte bißige ©efamottguiggbe pon ©eitseli einzeln 
erfchienenen Serien über neuere ©ef#i#te. 3n 18 ©bn. ober 66 
Lieferungen. 8 . Lfg. l. ©. 1—96. ©tuttgart 1877, Aröner. 

& —. 46. 

gr. ©üller, Aaffel feit 70 3ahren, zugleich auch Reffen unter hier 
Regierungen, bie meftphälif#e mit inbegriffen, ©efchilbert auf 
©runb eigener Srlebniffe. 8 . VII unb 276 ©. Aaffel 1876, #ühn. 

int. ©Aller, Aaifer ©ilhelm 1797—1877, 8 . VI unb 236 ©. mit 
©orträt in Lithographie, ©erlin 1877, 3 . ©pringer. 3. 60. 

©. Raf#£r, grau« De&t ( 8 ebä#tnigrebe. 8 . II unb 12 ©. ©erlin, 
1877, ». ©eler. . 

C>. R. D. Rei#arb (1761-1828). ©eine ©elbftbiographie überarbeitet 
unb herauigegeben bon f^erm. Uhbe. 8 . VI unb 663 ©. Stutt¬ 
gart 1877, Sotta. 

S.bon Reinharbftoettner, Lui) be Samoeni, ber ©änger ber Lufiaben. 
©iographifche ©K))e. 8 . II unb 69 ©. Leipzig 1877, fcilbebranbt. 

g. bon ©alpiui, ©aul bon guch«, ein braubenburgifch>preu|if(her 
©taatimanu bor jmeihunbert 3 ahren. ©iographifcher Sffap. 8. 
X unb 196 ©. Leipzig 1877, Duuder A ^umblot. 4 . —. 

©chöu, su ©chup unb Xrup am ©rabe ©chöni. ©Uber aui ber 3eit 
ber ©chmach uub ber Srhebung ©reugeni. ©on einem Ofipteugen. 
2.-4. Lieferung. 8 . ©. 193—743. ©erlin 1876, g. Dunder. 

©. Xaine, bie Sntftehung bei mobemen granfreich. Otutmriprte bentfehe 
©earbeitung bon L. Aatfc|er. 1 . ©b. Da« borrebolutionäregranf= 
reich. 8 . XXUI unb 416 ©. Leipsig 18T7, i. 3 . ©ftnther. 

©aui ©elf, Kn feltenei Leben. 8 . II unb 442 ©. gürich 1877, 
S. ©chmibt. 

S. ©eig, ©efchichte ber ©tabt ©peier. 8 . 131 ©, mit einer Aarte. 
©peier 1876, ©erlag bei @emerbe=©ereini. 

Aurt bau ©ipleben, pro et contra ©taria ©tuart, Aänigin bon ©<hott- 
lanb unb ihr ©erhältnig su %acob Sari bon ©othmeß nach Briefen 
unb fteten bargefteßt unb pfpchologifch betrachtet. 8 . 84 ©. 3ürich 
1877, S. ©chmibt. 

$. pan 3toiebined=©übenhorft, Dorfleben im 18. 3ahrhunbert. 
Sulturhiftorifche ©lissen aui 3nneröfterreich. 8 . IV uub 178 ©. 
»ien 1877, ©erotb. 


S. fflbve<ht, Äaiferlieber. 8. 47 ©. ©fluchen 1877, Xh- «dermauu. 
©tlh- 211per4, bie $elbenbraut. Sin ©ebicht aui bem amerifantfehen 
©efeeiungifriege. 12. 109 ©. Re»*0or! 1877, ©ißmer & Roger«. 
2lna!reon, frei übertragen bon ©or. «liberg. 16. 180 ©. ©erlin 
1877, fcerp, 

©. 2tuuafchi, aui Aönig ©obtebrab’i Xageu. 3 ©by? n 8. 728 ©. 

mit 1 ©tahlftich- Leipsig 1877, ©. ©chäfer. 

©erth- Äuerbgch, ©albfrieb. A family-story from tke Fatherland. 
Tranelated by S. A. Stern. 8. 514 ©. ©tuttgart 1876, 

Auerbach- 

Der %uibru<h bei Ariegei. Sunt 80. ©eburtitage bei Äaiferi. 

8. 29 ©. Srlangen 1877, Deuh^vt. 

©ahn frei! Deutfcher Xnmerhumor bon gerb, ©oep, ©. ^ufelanb 
u. Ä. Hermann. 2. 2lufl. io. VIII u. 106 ©. ^of 1877, 

©rau. 

©ot. ©tuet, Aatfer ©igiimunbi Xraum. Srsählenbei ©ebiept. 12 . 

33 ©. Hamburg 1877, ©agmann. Sartonnirt. 

21ngeliui ©entpien, ©leimigs^olfieeuer ©uerngefchi^en. 1. ©b. 

Alaai ®innerL 8. II u. 182 ©. ÖÄbed 1876, ©eetig, 

3opm ©rindmann, ©og un ©minegel obba bat ©füben geit um. 
($eute mir, morgen bir.) 2. Rufi. 12. VI u. 46 ©. Ropod 
1877, ©ertper. — . 60. 

§einr. Rlfr. ©ultpaupt, bur<h geog unb ©lutgc* ©ebichte. 12. 
176 ©. ©reilau 1877, Xremenbt 

g. Sallin, tpierfreunbliche ©efcpichten. 2(ehren, gelefen auf mancherlei 
gelbem, l. .§eft. 8. 48 ©. $annober 1877, S. ©eper. —. 60. 
©. X. Simino, smei grauen. Roman. Rni bem gialientfchen bon 
©ilhelmine gurchheim. 2. ©be. & ©8 6. ©ien 1877, 
$artleben. 3. 60. 

Di<htungen bon ©ufchlin nnb Lermentom in beutf<her Ueberfepung 
bonRnbr. Rfcharin. 8. IV u. 327 ©. Dorpat 1877, ©attiefen. 


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324 


9!* «egfwwart 


Nr. 20. 


9 «• 

3m Bedage oon Burg Stille in Berlin 
cr(d|ien joeben unb iß burdj jebt Bucßtjanblung 
jn beftießen: 

f Iriirr unb frtfitjt 

öon 

( 6 . Mit RSUtonbnufy. 

15 3 / 4 3Bog« ftt. 8. IVfjr «Cegant auf ^efinpapi« 
mit ©rnammt-s5igti«lifn nnb 3rfmro«#. 
©ro<$. greift 3 JC, geb. nt. ©olbf($tt. 4 JC 60 A. 

2 )er ©erfafjer, üon beffcit £elbenltcb ,,©ton = 
ui Ile" in bemfclben Verlage binnen ÄHrjem 
^ tu ei Auflagen erjcbicncit, ift ben kiefern bcr 
,,(&egemuart" nodj bejonbera burd) ben fdjönen 
Nadjruf ju ©einrid) oon iHeiji’3 lOOjäA 
rigem ©eburtStagc belannt: 

„2)n $um fiitftern Neidj ber lobten 
gürncnb Angegangner ©eift, 

2 >iejer Okufj fei bir entboten, 
Unglürfferger, großer fleift." 

(u.f.tu. fiefye Seite 218 ber „ßieber nnb Qlejänge"). 



in SWonatft&rften. 

jperauSgegeben oon 3nlius Coljmctjrr. 

Äünßlcrijd)cr fieiter Qstax &tetfdf. 

$iefe in SBort unb Bilb anerlannt gebkgenße 
unb ebelße 3ngenbftbrifi toirb in ben nun folgen: 
ben freßew beS X. unb XI. BanbeS, bereu jeber 
ein @an}e8 für fidj biibet, u. % nadjßeljenbe 
bödjß toertßootte Originalbeiträge Ijetootragenber 
@d)ri[tßellcr unb SQnßler oeröffentlicßen: 

frrjfri<bt»#itber: Sitter ber Btarienburg oon 
feb. b. ftöppen, iflnß b. fBtlb. fricbriiß. — 
®er große Äurffltß o. Rer*. Sfrwibt, illuß. o. 
S. ttamß|Mfeg. — SAtoeifter ßeibenbtlber m. 
Bompof. jtadb Rlfrtb ftet|el. — Xietridj o. Bern 
o. §?H| SD«!«, m. (Eompof. o. 3. Mene. 

fnfipuni«* bon fret«. b. Üfrmib, «mil 
Rrommcl, fterm. U|be, 3. «ubmig, Salti gieß, 
ttilß. fiHber u.iHuß. 0. Ott« ftniOe. Sog. 
ftltmßb, fr. freoioer. 4. Offterbiuger u. St. 

^titber an« ber .flalttr: 8t»erge ber Ibtet: 
toelt, SEBilb beS SBalbe«, o. Vbolf ftiOer, iuuß. 
b. Bait« frommer. — Btljeimniffe beb Bßaiurr. 
leben« b. frerm. Bogner. — aipentßiere o. Boß. 
3oeger u. R. S. Brote, illuß. b. geb. gUofter u. St. 

Stoffobeo b. felir $o|o, g. Baeßter, 3ot. 
Btorm, X). gootooe u. St., m. ßornpof. b. (I. B. 
freßbeo, 8. Borger, tt. griebrifr, fr. Xbomooo 
unb Stnberen. 

BMrfreo b. X|eob. Btorm, Brot# B&Amoun, 
3oL Btorm, B. Büttgen, B. geoertafr u. St., 
illuß. b. B. ftttmfil, g. gliojer, O. f tetffr u. St. 

«^eteoolifber: B. Bt. Strnbt b. Sero. fro|o, 
SR. BlaubinS b. 3. Btitler. — BAUI b. g. B. 
Rippen, muß. b.». griebrifr, B. Blimffr u. St. 

jteotffre Sogen b. Berner fra|o u. BUß. 
OßerMalb, tHuß. b. 3. Bote, 8. Borger u. St. 

lieber, Bebifrte, SprüAe b. Bowooei Beitel, 
ftorl Berot, g. Bobenjlcbt, B. Btitbgeo, 3oß. 
Xrojoo, 3- Btorm, g. 880, B. Ban# u. St., 
ittuß. b. 3of. Ritter B. gfitrifr, 8ob. Rifrter, 
fr. 88rlter, D. frletfiß, fr. Z|omooo u. St. 
Stttbfef, Trrßonbeoibttugeu o. R. Bimiit. 
Ssr# ole Bofrloobloogeo oob Roßooßotteo 
jo tcftieiea. frreil bet Bauet (6 frefte) 6 Barl. 

Bertag bon 3tlpbms» fflärr in Setpjig. 


Delius’ 

SHAKSPERE 

1Y. (Stereotyp-) Auflage 

2 starke Bände, broebirt: 16 JC In 2 fei¬ 
nen Halbfranzbänden: 21 JL 

Jedes einzelne Stück: 80 Pf. 

[Letztere werden, soweit der Vorrath 
reicht, in früheren Auflagen geliefert.] 
Verlag von R. L. Friderichs 
_ in Elberfeld. 


areig, Prof. Dr.. Ueber die Bestrebun¬ 
gen der Soeialdemokratie. Preis 40 & 
erschien soeben im 
Verlage von Emil Roth in Giessen. 

Soeben erfdjienen unb burd^ afle ©udj= 
^anblungen §n be^ieAn: 

Brrntfarb trn Iriuk 

$rofrffot a. b. Uniberfltät ©trafeburg. 

^ef(ßi(ßte bet fngfifißfn^ifteratttr. 

Srfter ©anb. ©i^ 31t SBidif’g Auftreten. 

8. VIII u. 470 ©eiten. Sßrei«: 8 JC 
©erlag 0. Hubert ttppenfyetia in iBerlin. 


3n meinem ©erläge ift foeben erfc^ienen unb 
tann buxd) ]ebe ©u($^anblung bezogen toerben: 
®er 

rufflßß-türfitfdje |i(ß>}ug 

in 

ber europaif^en dürfet 

1828 uu 1829 

bärge ft eilt im 3a^re 1845 

burtß 

Jreiljenrn von SbrUke, 

SRajot im flöniflliit $reuftiWen <Peneral#ftbe 

Süeite HufIs§e. 

3Kit harten unb $l&nen. 

$rcid: 10 JC 60 *. 

gier flu, ben 8. gftai 1877. jtftger. 

! ^pborilmen m§ X^eorie unb (Erfahrung 
< J über ©tebicin, 3)iät unb ©abdnren in ber 

: Infeftknikjittt nl |ii|t | 

<! oon Med. Dr. ftrtas Beuffeu, fdnigl. ap. ! 

J ©^bf l *ul unb ©töbt=^reil=®unbarjt oon 
o Äöln. (®in ©ortraj.) ®egen 1 JC ober 
* 60 fr. öjtr. SB. in ©nefmarfen liefert franco 
; p.©oft: fans#elleriii€arlsbal,' üiguteu. i 



Bad Beinerz. 


^fimalifdier ^ebirgs-cÄnrorf, Brunnen-, hofften- nnb Jlabe-ilnflaft in ber ©raffefjaft 

OJ(a§ preuS- 6cbtc(ien. Saifon-Eröffnung am 13 . 

Angqcigt gegen ^atarr^e aller ©cbleimbäutc, ^eAßöpffeiben, dironif^e ^uBercufofe, 
öungeiuenipbAem, ©roitcbeltafie, föranfljciten beS ©lute§: ©lutmangel, ©leiebfuebt u. f. tu., fomic 
ben A)fterifcben nnb ^rauenßranRAüen, tuelcbe barau^ entfielen, golgcjuftanbe nach ferneren 
unb fieberhaften ^ranfbeiten unb ^BofbenBellcn, ncruöfe unb allgemeine ©cbtoäcbe, Neuralgien, 
©cropbulofc, s Jtbeumatiömu§, ejfubatiüe ©iebt, conftitutionellc ©ppA 1 ^- 

©nipfoblen für NcconbaleSccnten unb fcbtuacblicbe ©erfouen, fomie als angenebmer bnrd) 
feine rei^enben ©crglanbfcbaften befanntcr ©ommcraufentbalt. . r> r . 


Altbewährte, seit vielen Jahrhunderten bekannte alkalische 
Kochsalz-Thermen (80—5b« Rlaum.) 

Cur iiniinterbrocheii nährend 
des ganzen Jahres 

SaltWasserheilanstalten, Säuische-, Stoisch- 
Irische, Dampf- * Cchwimm-Bäder. 

Electricitlt, zie-- — , — « uu - ^ , G _ ... . 

Molken etc. etc. Namint Iicne 

Saison-Vergn ilgungen 
Coueerfei Bnite etc., Bind 
für das laufende Jahr vermehrt. Die 
^iiniuer reicher ansgestattet. Miffl. Theater, 
Wiseherei, ff effrewwe», Ausflikfje etc. etc. 



BAD HOMBURG 


% Stunde von Frankfurt am Main. 

Homburg’g Heilquellen sind von durchgreifender Wirkung bei allen Krankheiten, 
welche dnreh die gestörten Functionen des Magens und Unterleibs erzeugt werden, auch 
bei chronischen Leiden der Drflsen des Unterleibs, namentlich der Leber und Milz, bei 
der Gelbsucht, Gicht u. s. w. 

Die Reinheit der frischen Bergluft empfiehlt Homburg zu stärkendem Aufent¬ 
halt fttr Nervenleidende. 

Mineralb&der, Sool- und Kiefernadelbftder. Molkenkur. 

Das Orchester spielt täglich 3 Mal; ausserdem Militair-Concerte im Kur garten, Extra» 
Concerte bedeutender Künstler, Theater, Bälle, Rdnnions, Kinder- und WaUhtte, 
Feuerwerke, Illuminationen in steter Abwechselung. 

Im Kurhause elegante Conversations- und Tanisäle, Lesezimmer, Caf# mit BHlaria. 
Der bisherige Restaurant Chevet unter der früheren Leitung- 

Unmittelbar am Kurhause reizende Anlagen und Park mit Orangerie und Falnflklnu, 
schattige Promenaden, Wald- und Gebirgspartleen. 


©erUglBu^anblnngen •earg groleci & Ko. 


ftimn ©tUagei oon ben 

in Sem, Karl »ftm»lfr in ftonnooct nnb ber $ürr’f*en MMInn§ tn fieiygig« 


fUbOCtifr», Mw(i« S.W., Sinbenftvage HO. 9flv hie Rehaction heranttx>ortli$: #e#r§ glitte in JlerriR. fzfrehitio«, |lnti» N.W n 8o«qe«ltra0f 

JOwd hon |B. #. tralMr in 

♦s. 


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Jt?21 


9 a CI», 26 . 3 Ui 1677 . 



pic (!3c0ciiuiart 

äöod^ettfc^rtft für ßiteratur, ihrnft unbl^it^eö Leben. 


Herausgeber: 'gfctttf oSitttatt in ©erlin. 


Itta $uuhd nfhrät ttu 

8» §«§fe$m bütti) alle @udjf''* n klunflen unb $ofianfiaIten. 


«erleget: ®mg Stillt in «erlitt. 


|ttts pn fnrät 4 gut 50 9 f. 

Sfnferate Jebes Art pto Sgeipaltene 40 $f. 


Ä S)er StegicnmgJweAfcl in granfreidj. Äon * * * — (Sljromf bcr Orientbinge 6i3 jur IhrieoSerflfamtg SRuftfanbS. II. Äon Politicus. 

mmtl ~ &iteratar n*b Sraitfl: ßojfaUc unb gfreiligrat^. Äon <5d)mibt~2Bei&enfel3. — Äunftbenfmäler unb tyiftorifdje SUtcrt^ümer. Äon 

ICtus. — Inf bet gattytflafet: Xommafo Salotni. Äon $aul Sinbau. — Stotzen. — ÄibUogrmiljie. — Qnjerate. 


Xommafo (Salötni. Äon $aul Sinbau. — Stotzen. — ÄibUograpljie. — ^njetate. 


Der Krgienutgswtthftl itt irattkreid). 

Sott ***. 

SPan batte ßdj feit einiger ßeit in (Europa baran gewöhnt, 
grantreich wie alle anbeten citiilifirten unb mehr ober weniger 
wohl conftituirten StaatSlörper ju beobachten nnb ju beurtheilen. 
S)ie Pepublil beftanb bort feit nahe an adE)t Saljren. Die lebten 
SBahlen hatten gejeigt, baß biefelbe bereits weittierbreitete unb 
fefte SBurjeln geflogen habe; bie (Shrlichleit unb ©Überleit 
beS ©räfibenten würbe felbß tion feinen geinben launt bejwei= 
feit unb tion feinen greunben als über jeben ©erbaut erhaben 
—rät tfl cfte flt: — man burfte beSßalb entnehmen,-bafc bie (Epjtaf 
her Pepublil nicht plö|li<h, ja ohne jeben ©orwaub gewiffer* 
maßen, in fjrage gefteflt werben lönnte. — Slber bieS ift nun 
gef<|eben; unb bie Üeberrafdjung übet ben gänjtidj unerwar= 
teten Ümfdjwung in ber Sage ber Dinge ift oorläuftg fo groß, 
baß fie ber (Sntrüftung, bie ihr auf ben $aden folgt, noch 
nicht ©la| gemacht hat Der SParßhaE SPac SPahon lann fi<h 
rühmen, bie granjofen nnb bie ganje SBeli mehr in (Srftauneit 
gefegt jn haben als fein ©orgänger Papoleon III. bieS getljan 
hatte. Die tion ihm gewagte Dh at hat jwar nicht biefelben 
großen Proportionen beS Decentber ftaatSftreicheS; eS fehlen ihr 
bie ©erfdjwörung, baS ©Inttiergießen, bie ©tnlerferung unb 
©erbanmtng ber Gegner unb anbere ähnliche (Elemente, welche 
bie (Eroberung beS XhroneS tion grantreich burch feinen lebten 
Äaifer wie mtt einem geheimnißoouen, furchtbaren PimbuS um= 
gebot — aber Papoleon war ein SPatm, »on bem oiele Seute 
außerorbentliche SPaßregeln erwarteten ober befürchteten, wäh= 
renb bie fprichwörtlidje Sopalität beS SParßhaES SPac SPahon 
ben ©ebanlen an einen (Sewattftreich als einen unbegrünbeten 
unb unwürbigen ©erbacht toerfcheudjte. Unb nun hat ber heutige 
©räfibent ber Pepublil gezeigt, baß er, gerabe fo gut Wie ein 
fÜnberer, im Stanbe iß, bie ihm tiom ölgemeinen SBahlredjt 
antiertraute Gewalt für rein perfönliche ßwede ju conßSciren. 
Die SBelt ift wieber um eine (Erfahrung reifer, um eine hübfdje 
SEujton ärmer: auch ber SParfdjaE SPac SPaßon war nicht 
bet> SPann, um ben ©erfühmnflea, welche ber Seßh großer 
SPacßt auf bie meißen SPenßhen auSübt, ßegreidb wiberßeljen 
ju lömten. (ES war ißm geftattet, ftdj einen SBafhingtonjum 
Sorbilb ju nehmen; er tierfucht in biefern Äugenblid ein SJconf 

E werben. 2>ie Sßotioe, wel^e feine HanblungSweife bebingt 
ben, liegen fo llar tior, baß ber Äurjß^tigfte ße er* 
men muß. 

33ie lebten Sßahlen hatten ber republilanif^en Partei eine 
bebentenbe SWajorität in ber jmeiten Kammer geß^ert 3m 
Senate bagegen oerfügten bie brei monarchif^en gractionen — 


bie ©onapartiften, Drleanißen unb Segitimiften —, fobalb fie 
fich im Kampfe gegen bie Ötepublil unter bem allgemeinen fo- 
genannten conferoatioen ©annet ju einem QJanjen oereinigteu, 
über eine SRajorität tion brei bis acht Stimmen. SDxefe Heine 
Uebermadjt genügte jeboch, Wie bie (Erfahrungen beS tier= 
gangenen SaßreS es gejeigt hatten, um bie freien ©ewegwtgen 
ber republilanißhen Partei ju lähmen @S hanbelte fid) 
bemnach für bie (Segnet bet ©epublil tior allen Gingen ba= 
tum, äRaßregeln ju treffen, welche ihnen auch ' n ifulunft 
bie Unterftü|ung einer Senatsmajorität fieberten, ßu bem 
3wede war eS angejeigt, heute bereits bie (Erfafcwablen, 
bie im f^ühjahre 1879 ftattßnben werben. in’S ?luge ju faffeit; 
nttb bieS Üingte wieber, bie unmittelbar bcoorftehenbeu 
SBahlen ju ben @eneral= unb SRunicipalriithen auf baS fefjärffte 
ju überwachen, ba bie (Sonftitution beit Piitgliebern biefer 
©erfammtungen bie Sieuernennungen in ben Senat antiertraute. 
9lun lonnte jebo^ laum ein 8*mf e l barüber erhoben werben, 
baß bie SBahlen ju ben @eneral= tmb ©iunicipalräthen rein 
republilanifch auSfaEen würben, wenn biefelben unter ber 
Seitung unb bem Schuhe bet »on bem SKinifterium 3ules 
Simon ernannten ©räfecten unb Unterpräfecten ftattßnben 
follten. (Es war bemnach eine Lebensfrage für bie £onfet= 
oatioen, b. h- für bie ©efinnungSgenoffen unb greunbe beS 
SRarfchaÖS SWac 3Jiahon, baS ©anifterium 3uIeS Simon ju 
befeitigen unb baSfelbe burch ein entfeßieben antUrepubldanifcheS 
ßabinet ju erfe|en. Pur wenn ihnen bieS gelang, tonnten fie 
irgenb welche Hoffnung bewahren, in bem SBahuampfe nidht 
oottftänbig ju unterliegen. 

2)ie tierfeßiebenen SPinifterien, mit benen ber SParfchaE 
feit feiner (Ernennung jum ©räfibenten ber Pepublil fucceffitie 
regiert hatte, waren fämmtlich, eins nach bem anbern, geßürjt 
worben, weil fie nicht im Sinne bet republitanifchen Kammer* 
majorität tiorgegangen waren. ®er SParfchaE hatte jeboch 
bisher feine conßitutioneEen ©erpßichtungen unb bie parla« 
mentarifchen Oebräuche gewiffentsaft beobachtet, nnb bei ber 
(Ernennung eines jeben neuen (EabinetS ber äKajorität neue 
(Eoncefßonen gemad^t. (Er hatte anf biefe SBeife, im Saufe tion 
tiier 3ahren, ein gutes Stüd SBegeS auf ber potitifeßen ©aßn 
juriidgelegt Seine erften, alten ^reunbe, ©roglie, ©uffet unb 
gourtou, bie ihm tior Sahren im guten Äampfe gegen ben 
politifdjen unb religiöfen greißnn jur Seite geßanben hatten, 
waren nun im öffentlichen Sehen unenblidj weit »on ihm ent= 
fernt. SPänner wie ber ©htlofoph Simon, ber alte Pepubli* 
lauer @retip, ber Proteftant SBabbington hatten fie als ®hef 
beS (EabinetS, ©räfibent ber Kammer, SPinifter beS (EultnS er= 
fe|t. ®ie öffentliche SPeinung belämmerte fich laum noch um 
ße; fie waren in ©ergeffenheit gerathen; man tonnte annehmen, 


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Ute ®e#ettttntrt. 


1fr. 21 . 



baff fie für alle Beiten beseitigt feien. Die Ginaemeihten 
raubten jeboch, baf} fie noch immer baS €>f)r beS SJcarfchaHS 
batten unb baf» fie baS Glhfee gewiffermahen belagerten. SJlan 
fpradj non einem Ministbre occulte, Don einer „bunfeln ®e= 
malt", welche ben SDlarfdjaH in ihte 9te|e ju jie^en Werfudjte; 
man erfannte ihren Ginflufj jebeSmal, fo oft eS fich barum 
hanbelte, SRahregeln ju treffen, welche Der cltrifalen propa* 
ganba ^inbentb in ben 2Beg treten ober bie praftifcbe Ver= 
wertljung repubtitanifdjer S^eorien erleichtern fouten. §ie unb 
ba ftiefj ein wadjjfamer Stepublifaner einen SßarnungSruf aus. 
Die grofje SÄenge wollte baDon nichts h öten - Verfügte bie 
Stepublif nicht über eine bebeutenbe SRajorität in ber Kammer? 
2Bar eS benfbar, bah ein reactionäreS SRinifterium auch nur 
einen Sag not berfelben hefteten fönne? 38aS fonnte eS 
f «haben, wenn ber 2J?arf<haH platonifche ©pmpathien für bie 
Stopaliften unb bie Sonapartiften ^egtc? Gr war Präfibent 
eines conftitutioneKen Staates unb muhte nolens volens mit 
einem SRinifterium regieren, baS Don ben gractionen ber ßinfen 
getragen unb unterftü|t würbe. Das Gabinet 3uleS ©imon 
war m biefer Sage; bie jüngften Slbftimmungen no«h hatten 
es auf baS beutlichfte gezeigt. Der SRarfcpan felbft muhte 
Wünfdjen, nicht genötigt ju werben, feine SRinifter ju wechfetn, 
benn er hätte neue Stathgeber im ©inne ber SRajorität nur 
bann finben tönnen, wenn er biefelben jnr Süden 3ule8 
©imonS unter ben ffreunben GambettaS wählte. Die polttifche 
Vergangenheit beS Vräfibenten ber Stepublif bürgte bafür, baff 
er auch in Bntunft, wenn au«h ungern, fo bo«h ohne SEBiber- 
ftanb ju teiftcn, fortfahren werbe, fi<h ben 83efcf)lüffen ber 
Kammer ju fügen. Sr war fein greunb ber Stepublif, aber 
er galt mit 9ted)t für einen Shrenmann, unb man hatte feinen 
©ewaltangriff auf bie Gonftitution Don ihm ju ffirdjten. 

Dies war SlHeS ganj richtig unb ift eS auch h eutc noch 
bis ju einem gewiffen Grabe; nur hat fich währenb ber lebten 
Dage herauSgefteHt, bah hie Sonftitution elaftifd) genug ift, 
um bem SRarfchaH ju geftatten, ohne biefelbe ju jerreifjen, ber 
Stepublif einen gefährlichen, ja Dieüei«ht töbtluhen ©dhtag ju 
Derfe|en. Sr hat ben erften beften Vorwanb ergriffen, um, 
unter ben bei ähnlichen Gelegenheiten üblichen Vef<hönigungS= 
Phrafen, |ju erflären, bah er mit bem SRinifterium SuleS 
©imon ferner nicht mehr regieren fönne, ba biefeS SRinifterium 
ffranfreich in bie Ärme beS StabicaliSmuS, an ben Slbgrunb 
beS VerberbenS ju führen brohe. 

Der Vrief unb bie Votfdjaft beS SRarfdjaHS, in benen 
bieS auSgefprochen ift, finb ©«hriftftücfe, welche, ganj abge= 
fehen Don ihrem moralifchen Sßerthe, bem Verfaffer wenig Gf)re 
machen, ©ie ftnb mit einer Slffectation Don militärifchem grei= 
mutt) gefdjrieben, bie einen gerabeju peinlichen Ginbrucf macht,; 
unb bet barin gemachte Vetfuch, bie §anblungsweife beS 
SRarfdjaHS burch bie Stellung, bie er ber Station gegenüber 
einnimmt, rechtfertigen ju wollen, beruht auf einer fallen 
VorauSfefcung unb ift ungefchicft. 

Der SRarfchaH fpricht in feinem ®riefe an 3uleS ©imon 
Don feiner Veratttwortlidjleit bem franjöfifchen Volle gegen= 
über unb ftefit biefe ber Verantwortlichfeit beS SRinifterS her 
Kammer gegenüber entgegen. 23er ißräfibent ber Stepublif 
ignorirt, inbem er auf biefe SBeife nörgelt, bah er nicht etwa 
wie ber Kaifer Stapoleon burch ein ^llebiScit beS ganjen fran* 
jöfifchen VolfeS §um daupt ber SjecutiDgewatt ernannt worben 
ift, fonbern ba| er feine Stellung auSfdjliefslich bem Vefhlu| 
einer aus Urwahten heroorgegangenen Kammer Derbanft 3KU 
biefer aüein hatte er ju rechnen. Seber birecte Äufruf an 
baS VoH würbe ein Verrath an ber Verfaffung fein, auf bie 
er ftefa heute noch beruft. 

«Iber gerabe weit bie Srtlärungen, welche ber SDtarf^all 
für feine ^anbtungSweife gibt, nicht genügen, um biefelbe $u 
rechtfertigen, gerabe beSbalb barf man mit Dollftünbiger ©idjer* 
heit annehmen, bah bie Don ihm getroffene Gewaltmahregel 
baS Siefultat eines, oortäufig wenigftenS, Dor nichts mehr ju= 
rücffchrecfenben SntfchluffeS fei. Die Seftfttigung biefer Sin: 
nahm« finbet fich übrigens in ben nerf^iebenen Sieten, welche 


ber Sntlaffung beS SWinifteriumS 3uleS ©imon unmittelbar 
gefolgt finb. 

Der $erjog Don Vroglie ift jum ^ßräfibenten beS neuen 
SabinetS ernannt worben; baS SJfinifterium beS 3nnem hat 
ber fKarfchall bem burch feine rücffiehtslofe Snergie wohl* 
befannten $erm Don ffrourtou anoerfraut. Diefe Slamen finb 
in ber neueflen Gefdjishte beS franjöfifchen Parlamentarismus 
genügenb befannt, um feinen ßweifel barüber ju taffen, welche 
potitif bie heutige Regierung Don granfrei^ ju Derfotgen 
beabfiehtigt. 3h c Programm ift: Krieg bis aufs SReffet gegen 
aQeS mepublifanifche unb unbebingteS, Wenn Dieüei^t auch 
etwas DorfichtigeS SBohtwoHen für bie Umtriebe ber cteritalen 
Partei. Das ßiel, wetd^es eine fotdhe Politif Derfotgt, ift leicht 
ju erfennen: SBieberherfteHung bet SDtonar^ie. 

Dies ift SlHeS ganj flar, unb bie greunbe fowohl wie bie 
fjfcinbe beS SRarf^aQs fprechen fich aüt Doüfommener Offen: 
heit barüber aus. Slber bie ©ache wirb äufjerft confuS unb 
unflar, fobatb man bie 3 u tnnft, unb fei es auch nur bie aller: 
nächfte, in’S Sluge faffen will. Der SRarfchall will bie 9ieftau= 
ration ber SRonarchie. Sebetmann gefielt bieS ju. Slber bie 
SRajorität beS franjöfifchen VolfeS Derlangt, foweit fich bieS 
heute erfennen iaht, bie Slufrechterhaltung ber SRepubtif. SBer 
wirb fdjtiehtich 9ted)t behalten? Der Spef ber S^ecutiogewalt 
ober bie Station? 3ener fann bie Kammer bis jum 16.3uli 
Dertagen unb fann fie bann, wenn er Dom Senate nicht im 
©tiche gelaffen wirb, auflöfen. Diefe, bie Station, hat baS 
Stecht, bei ben Steuwaljlen bie wütljenbften Gegner beS SJtar: 
fchatls ju ihren Vertretern ju ernennen. Die Regierung wirb 
SlHeS aufbieten, was in ihren Kräften ftet)t, um bie SBaplen ju 
Gunften ber SJtonarchie ju beeinfluffen; man wirb überall bie 
energifdheften Präfecten unb Unterpräfecten ernennen, unb 
biefe werben rücffichtSloS Dorgehen, um baS in fie gefegte 
Vertrauen ju rechtfertigen. — SBirb ihnen bteS gelingen? 
<£s ift jum minbeften h öc hfl jweifelhaft, ja eS ift unwahr: 
fdheinlid). Die neue Kammer wirb, wenn nicht SlHeS trügt, 

. eine reputifanifche Werben, wie bie alte eS War. Dte SRügtkf}: 
feit jeboch ift nicht ganj auSgefchloffen, bah baS monardhifche 
Glement in ihr Dorwiegenb fei. DaS ift baS günftigfte Ste: 
fultat, welkes bet SOtarfchaH ju erreichen hoffen barf. 3n 
jebem gaHe hat er feine eigne ©teHung nun untergraben. 

Güter republifanifchen Kammer gegenüber bleibt bem 
Präfibenten ber Stepublif nur bie SBahl, feine Gntlaffung ju 
nehmen ober einen ©taatsftreidh ju wagen. 3n Gegen: 
Wart einer monarchifchen Kammer wirb er wie früher mit ben 
unoerfähnlichen, eiferfüdjtigen Denbenjen ber Megitimiften, 
Orleaniften unb Vonapartijten ju fämpfen haben, um fdjtiefj= 
lieh, nadhbem er mit jwei fjracttonen ber conferoatioen Partei 
|e6i*odhen hätte, bem wirflichen Dberhaupte ber britten: 
Heinrich V., Slapoleon IV., Graf Don Paris ober §erjog Don 
Slumale, pia| ju machen. Slber auch biefe SRobification tönnte 
nur in gotge eines GewaltftreicheS ftattfinben; benn eS ifi 
gerabeju unbenfbar, bah irgenb enter ber genannten Prä: 
tenbenten eine gefe|tiche SRajorität in ber Kammer nnb im 
©enate Dereinigen würbe. 

Der SRarfdhaH SRac SRahon hat nun Dorläuftg Dier SGBo^en, 
bis jum SBieberjufammentritt ber Kammer, $eü, um barüber 
nachjubenfen, wie er feine eignen Sntereffen in $ufunft am 
ficherften wahren fönne. Slm heften wäre es wohl für ihn, 
wenn er etnfähe, bah er fich geirrt h«t, unb wenn er fich ent: 
fdfjlöffe, ein SRinifterium jn ernennen, welches, anf bie te: 
publiianifche Kammermajorität geftüfet, mit ihm regieren wollte. 
— GS ift im hüchften Grabe unmahrfcheinlich, bah er bieS 
thun wirb. 3Ran barf im Gegenteil annehmen, bah er, am 
SRanbe ber Grube ftehenb, bie er ber Stepublif gegraben hat, 
fchliefjtich in biefelbe faHen wirb, um Don bort aus einen 
DhietS, Slapoleon ober b’Slumale bie Bügel ber Stnnerung er= 
greifen ju fehen, bie ihm nicht etwa gewaltfam entriffen worben 
finb, fonbern bie er felbft, wenn auch nicht freiwiHig fo boch 
burch eigne Ungefchicflichfeit, hat faHen taffen.^ 


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Nr. 21. 


IÜ!r ®eg*nw«rt. 


327 


Chronik bcr ©ritttlbittgt Ms jur ünegserklärmig 
ttttfUanb«. 

n. 

Dunp bie förmlite ©rflarung ber Pforte, bafe jie be= 
ftloffen pabe, beit aufftänbiften ®iftricteit bie in beit fünf 
fünften ber Hnbraffp=Note erwäpnten ^Reformen ju gewähren, 
war non ihrer Seite ben fämmtnten fet« am parifer Ver= 
trag non 1856 beteiligten SNätten, ben (ogenannten „Vertrag«* 
mähten" gegenüber etne moralifte Verpflichtung ber ftärfften 
Hrt eingegangen toorben, binnen einer, jwar nicpt beftimmt 
befrifteten, aber bot nitt ju langen $eit VoSnien unb bie 
$erjegowina ju paciftctren. SÖtan tonnte bamal« — im gebruar 
1876 — fdjon behaupten, bafe bie öffentliche SKeinung ©uropa« 
an ba« (Gelingen biefe« PacificationSwerte« nicht glaubte; ganj 
abgejehen banon, bafe bie ben aufftänbifc^en Diftricten be* 
nacpbarten Staaten, ba« founerüne gürftentpum SWontenegro 
unb ba« Vafaßenfürftentpum Serbien, unter ber $anb alle 
Vorbereitungen trafen, um noch im Saufe be« Sahte« „in bie 
Hction ju treten". Huch M bem Vafaßenfürftenthum Rumänien 
mürben oon ben Kammern namhafte Summen für bie Hu«= 
rüftnng ber Hrmee bewißigt, mobei bie Regierung freilich ju 
oerftchent nicht unterliefe, bafe fle bie friebfertigfte potitif be= 
jwede unb ftrenge Neutralität beobatten werbe. Dafe e« jum 
Äriege tommen mürbe, mürbe alfo aut w Vufareft angenommen. 
Hm 24. gebruar mürbe bie männliche Veoölterung Serbien« 
ootn 25. bi« jum 50. Sabre jur Vilbung einer „Neferoearmee" 
einberufen. 

Die Pforte hatte injmiften am 23. gebruar einen bie 
fünf Punfte ber Hnbraffp=Note gemähtenben Srabä erlaffen 
unb aßen Snfurgenten, bie binnen oier SBoten in ihre Heimat 
jurüdfepren würben, oofle Hmneftie jngefitert. Hm 4. SWärj 
war aufeerbem für VoSnien unb bie ^»erjegowina Steuerfreiheit 
auf jmei Sabre bemißigt worben; bte Veoölterung mar burt 
bie golgen be« Hnfftanbe« in ihren wirtpftafttiten Verhält 
niffen fepr jurüdgefommen unb für’« ffirfte bot nicht präftationä* 
fä|ig. Hm nämliten Sage war im Huftrage ber öftreicpiften 
Negierung ber Statthalter oon Dalmatien, gelbjeugmeifter 
greiberr oon Nobit, ein wegen feiner fübflaoifte« Hbftammung 
ben Sufurgenten f^ntpat^ifter SNilitär, in ©ettinje, ber $aupt= 
ftabt SNontenegro«, eingetroffen, um mit ben Snfurgententef« 
eine Unterrebnng jn haben. Sn golge ber bort gewonnenen 
Hnftanungen lub er ben ©ouoerneur Hli Pafta unb ben 
©enerat Htnteb SNuthtar Pafta ju einer Vertretung nat 
Nagufa auf ben 26. SRätj ein unb erjielte mit ihnen eine 
Verftänbigung bapin, bafe oom 28. SNärj bi« 10. Hprit bie 
geinbfeligteiten in ber $erjegomina ooßftänbig eingefteßt werben 
foflten. Die Verhanblungen jwiften ben türtifcpen Vehörben 
unb ben Snfurgentencpef« foßten jebot, trofc ber Hufpicien, 
unter benen fie eröffnet waren, abermals ju teinem ©rgebnife 
führen. Die geinbfeligteiten würben auf« Neue eröffnet unb 
nach mehreren oergeblichen Verfuten gelang e« bem ©enerat 
Htnteb SNutptar pafcha am 28. Hpril, Niffitft jn entfefcen. 

3u ben jmei aufftänbiften prooinjen ^erjegowina 
unb Vo«nien trat jefct — im SRai 1876 — eine britte pinju: 
Vulgarien. Sn ben Valfantpälent nörblit non ^ßf)itippopel 
brat/ *n golge einer oon Hufeen per aufgeftatelten ©ereijtpeit 
bet bulgariften Veoölterung gegen bte türtifte, ein fit fdjneß 
burt ba« Sanb oerbreitenber Hufftanb au«, ber inbeffen halb 
oon ben NegierungStruppen unb oen ihnen fit anfcpiiefeenben 
grcitoifligen (Vaf<hi=Vojuf8) in Strömen Vlute« erftidt würbe. 
Unerhörte ©raufamfeiten würben babei oerübt, bie oon ben 
©egnern ber Pforte, um gegen biefe bie öffentlite ÜNeinung 
Europa« jur (Empörung aufjurufen, namentlit in Vetreff ber 
3afjl ber gäfle auf« Hergfte übertrieben würben. Die „bulgarian 
atrocities“ haben in ©nglanb $errn ©labftone unb feinen 
greunben für oiele ÜJtonate einen au«giebigen Stoff ju SNeeting«» 
agitationen gegen ba« Dorpminifterium bargeboten, weites 
Wegen feiner „türtenfreunblicpen" Haltung ftwerer moralifter 


SNUftulb an jenen ©räueln bejuptigt würbe. Die angefteßten 
Unterfutungen liefeen, wenn fit babei aut Viele« oon bem, 
Wa« behauptet Worben war, al« übertrieben herau«fteßte, bot 
not eine fo ftwere Summe oon SRiffetpaten übrig, bafe fit 
mehr unb mehr bie Ueberjeugung befeftigen mufete, e« fei felbft 
beim beften SBiflen ber türtiften Negierung bie Durtfüprung 
oon Neformen, Welte bie Sage ber t*iftlit en Veoölterung 
aut nur ju einer erträgliten matten, nitt anber« möglit/ 
al« unter befonberen Garantien, pinfittlit beren Veftaffen* 
peitfreilit bieSNeinungen ber VertraaSmächte auSeinanber gingen. 

@in tragifter 3»ift en faß warf gleit jeitig an einer anberen 
Steße auf bie innere Sage im o«maniften Neite einen büftern 
Statten: bie (Srmorbung ber Sonfuln in Salonifi 
(6. SRai). Der fanatifirte türtifte ißöbel, ber ben Herren Hbbot 
unb SNoulin bie Stulb baran beimafe, bafe eine junge Vulgarin, 
bie, um jum SSlam überjutreten, fich nat ber Stabt begeben 
woßte, oon ihren Vegleitem entführt worben war, hatte an ben 
„©hriftenhunben"fit blutig gerätt. Deutftlaub unb grant= 
reit, beren confularifte Vertreter unter fträfliter Conoenienj 
ber türtifcfeen Vehörben Oon ßRörbethanb getroffen worben 
waren, fdjidten ©eftwaber nat Salonifi unb nötbigten bie 
Pforte, bie gebüljrenbe ©enugthuung ju geben, ©ine 3«t 
lang war bie (Erregung ber mubamebaniften Veoölterung 
wegen ber alSbatb (10. 2Rai) ooßftredten fjinrittung bet 
SWörber fo grofe, bafe man eine aßgemeine ©hriftenoerfotgung 
im o«maniften Neite, ein „Vlutbab" in ©onftantinopel be= 
forgte unb fcpon in ©rwägung gejogen haben foß, ob fit nitt 
jum Stufce ber fremben Staatsangehörigen ©eftwcwer «ach 
bem Voöporu« begeben foßten. Um für aße gjfSe betet« ju 
fein, ging am 26. SNai ba« englifte Ntittefmeergeftwaber in 
ber au« bem testen orientaliften Kriege befannten Vefifabai 
(an ber ©infahrt ber Darbaneßenftrafee) oor Hnler. Die 
Salonifi=Hffaire jog übrigen« teine weiteren golgen nat 
fit; nur bafe fie bie 3af|t ber „Dürfenfreunbe" erheblich littete. 

Sn ©onftantinopel h«trftte in ber Dpat eine grofee 
Hufregung; bot galt biefelbe, wie fit halb jeigte, niebt ben 
©fjriften, fonbern War wefenttit potitifter Hrt. Die ©eftitte 
bet fogenannten Softabewegung ift noch nitt aufgeflärt. 
Die be« Nett«ftubium« befliffene atabemifte Sugenb oon 
Stambul fühlte fit — woher ipr biefe« ©efüpl tarn, ift eben 
ba« ©eheimnife — plöplit baju berufen, „an bie Spi|e 
ber Vewegung ju treten" unb burt laute Äunbgebungen 
ibr patriotifte« NZifebepagen mit bem Verfaß be« Neite«, 
ipren SBunft nat ausgiebiger Vetljeiligung be« Volte« 
an ben öffentUten Hngetegenpeiten au«jubrüden. Hut bie 
Stambuler fßreffe haßte oon biefen Veftwerbeit unb 2Bünft«t 
wieber. SNan forberte aber nitt blo« neue ÜJiaferegeln, fon= 
bern aut neue Ntänner. Der ©rojwejier Ntahmub Nebim 
Vafta würbe bejittigt, al« eine ©reatur be« ruffiften Vot= 
ftafter« ©eneral Sgnatieff, ben toßften Verftwenbung«= 
iaunen be« Sultan« unb ber corrupteften $arem«wirthft a ft 
Vorftub ju teiften, um fo ba« Neiaj ooßenb« ju oerberben, 
bamit es beim nätften Stiege mit Nufelanb unter ben erften 
Stöfeen wie ein morfter Vau jufammenbrete. ©8 war ba= 
bei auf bie ©ntfe&ung be« Sultan« Hbbul Hjij felber abge= 
fepen; junätft jebot mufeten ber ©rofeoejier unb ber Steicp* 
ul=3«lam, ba man beffen ©utatten« (getwa) bei einem fölten 
Hct benötigte, befeitigt werben. Die Softe« forberten bie 
Hbfefeung Veiber, unb ba auf bie Druppen fein Verlafe freien, 
ooßjog nt ber SEBetfel am 12. SNai opne befonbere Sdpwierig= 
leiten. Ncepemmeb Nuftbi V a ft° trat al« ©rofeoejier 
an Ntapmub Nebim« Steße, wäprenb ^airußap ©ffenbi an 
§affan gepmi« Statt Sdäeit'nl=3«tam würbe. Der wegen, 
feiner ©nergie in bopem Hnfepen ftepenbe §uffeitt Honi V®ft a 
würbe SriegSminifter, SJiibpat fßafcpa Ntinifter opne ®o«e= 
feuiße unb Vräftbent be« StaatSratp«. Damit war ba« 
fal be« Sultan« Hbbul Hjij entftieben; er würbe nidpt für 
Würbig gepalten, bem o«maniften Neite bie in Petitionen 
ber Sofia« oerlangte „Verfaffung" ju geben. Sn ber Natt 
oom 29. jum 30. SNai würbe ein äRinifterratp abgepalten uttb, 


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828 


lie 


Nr. 21. 


tiacf)betn ber neue @cbeic^-ut=33tam in feinem ©utatten juge* feiten hatte bie ©forte Bon Anfang an als mit ihrer SouBeräne* 

ftimmt, bie Hbfeftung beS Sultans Hbbul Hjij, bie <£r= tät unnereinbar jutüdgewiefen unb fte hat noch juleftt burt ben 

ijebung beS nad) bem ©efeft jur SEbronfolge berufenen ©Junb ihre« ©otftafterS in fionbon ertlärt, oafj fie lieber ben 

älteften ©rinjen beS §aufeS DSman, beS Sof)ne3 beS Sultan« Sßerluft non jwei ©rooinjen ertragen al« ju biefem Opfer an 

Stbbut ©Jebftib, auf ben Xfiron befdjloffen. Sultan ©fürab V., ftoheitSretten fit entfdjliefjen motte, 

ein mittentofeS SEBerfjeug feiner ©Jinifter, h at nicht lange in ©ie SriegSüorbereitungen in ©iontenegro unb 

ben gteuben beS gto|t)erriicben $aremS geftwelgt ©Jan lief} Serbien maren mittlermette, troftbem baß bie Vertreter ber 

ihn junätft in einem am 2. Sfuni an ber $ot)en ©forte oer* fremben ©iätte in Gettinje unb ©eigrab officiett beharrlich jum 

lefenen ©ejcript baS ©iinifterium im Hmte beftätigen unb bem* grieben mahnten, fomeit gebiepen, baff baS obligate grag* unb 

feiben ben Huftrag erteilen, „jene ©egierungSform auSfinbig Hntroortfpiel mit ©runb unb $med ber Lüftungen am 

ju machen, weite allen ©eichSangeljörigen ohne Unterftieb 10. 3 uni burch eine an ben dürften ©Jitan gerichtete Stuf* 

am heften ju entsprechen üermöge, um 3ebermann Botte grei* forberung beS ©rofjoejierS „fit ju erttären" beginnen tonnte, 

heit ju fidjern, unb bie ©ermaltung beS ©eidjeS auf ©runb* ®S erfolgte bie übliche „©etheuerung frieblicher ©efinnungen". 

lagen ju gtünben, bie ben mähren ©ebürfniffen beS ßanbeS Hm 20. 3uni erging bie nämliche Hufforberung an ben dürften 

entfprechen, fomie im Ginllang mit ben liberalen 3been beS ber Schmarjen ©erge, ber umgehenb am 22. 3«tti feine ©e* 

Zeitalters ftehen füllen". Hm 4. 3uni gab eine Sdjeere bem forgnif? Bor ber Anhäufung türttfdjer Streitfräfte an ber ©renje 

entthronten unb im ©alafte Bon ©fcheragan eingeftloffenen ©JontenegroS auSfpracf). «Im 25. 3uni gab bie ©forte eine be= 

Sultan Stbbut Hjij ben ©ob; bie Angabe, bafj er mit eigener fdptnchtigenbe ©egenerflärung ab. Hm 29.3uni ging ffürft©lilan 

§ anb fit bie Hbern öffnete, hat nirgenbwo ©tauben gefunben. jur ferbiften Hrmee in’S Säger Bon ©eligrab. Hm 2.3uli erfolgte 

ine blutige Äataftrophe brängte bte anbere. Hm 16. 3uni in ©eigrab unb ßettinje gleichseitig bie SriegSerflärung 

mürben auf einer bei ©Jibbat ©afta abgehaltenen Gonferenj gegen bie ©forte, Berbunoen mit ftwungljaften ©fanifeften, 

ber SriegSminifter fjuffein Honi unb ber ©Jinifter beS Steurern, morin als $wecf beS Krieges bie ©efreiung ber unter bem 

©afdjib ©af<ha, Bon einem tfdjerteffifchen Offijier ©amenS ©ürfenjodje feufjenben ©laubenS* unb StammeSbrüber ange* 

fjaffan angeblich „aus Stäche" ermorbet; an bem ©törber mürbe fünbigt mürbe, gfirft Sari Bon ©umänien rief in feiner 

Berbächtig ftnell 3uftij Bottftredt. ©amals mürbe Saufet $hronrebe uom 3. 3uli bie (nach irrtümlicher Huffaffmtg) 

©afcha ©Jinifter beS Heufjern, ber noch heute iw Ämte ift. Born ©arifer ©ertrag garantirte ©eutralität ©umänienS an, 
©>ie brei Oftmätte maren SCngeficptS ber ftch mehr unb melche bei SSohluerbatten bie ©forte ju refpectiren Berfptach. 

mehr Bermidelnben ©erljättniffe im oSmaniften ©eicpe in* @S tft nicht unfere Hufgabe, ben Stieg ber ©forte mit ©tonte* 

jmifdjen über „meitere gemeinfame Schritte" in ©eratljung ge* negro, ber heute noch fortbauert, ju fdjitbern; er hat als effec* 

treten. ®en äußern Slnlah baju hatte ber übliche frühjahrs* tiBeS Srgebnifj für bie ©tontenegriner nur bie Sxnnahme beS 

befuch geboten, ben Äaifer 3llejanber Bon ©ufelanb auf feiner im albanifdjen ©renjbiftrict errichteten gorts ©tebun (20. Dct) 

©eife nach ®ab ®ms in ©erlin am 11. ©tai abftattete. SluS unb bie (Sinfchliefeuttg ber in ber fjerjegomina gelegenen Biel* 

SBien fanb fit ber ©tinifter beS 5leu|ern ©raf Slnbraffp ein, genannten fjeftung ©ilfitft jur fjolge gehabt, 

um mit bem dürften ©ismarcf unb bem dürften ©ortfchaloff 2)er ferbift=türfif(he Ä'rteg Berlief für bie ferbifte 

über bie Drientbinge ju conferiren. ®a biefelben fid) nicht Slrmee, in melche jahlreiche ruffifdje freiwillige eintraten unb 

mehr in bem engen ©ahmen eines localen SlufftanbeS bemegten, über bie halb (9. Sluguft) ber ehemals ruffifd)e ©eneral Jfier* 

fonbern burch ©rhebung in ©ulgarien bafür geforgt war, najeff baS Dbercommanbo übertragen erhielt, fehr unglüffftch- 

ba§ „bie grofje Drientfrage" auf bie XageSorbnung fam, fo ®er türfifche ÄriegSminifter Stbbut Äerim ©afta, ber am 

war eS nur natürlich, bajj anftatt Deftreid) * Ungarns nun* 25. 3uli ben Oberbefehl übernommen hatte, concentrirte feinen 

mehr biejenige ©Jacht bie ßeitung ber gemeinfamen Schritte Angriff gegen bie ferbifche feftung Sllejrinafc, wobei ihm bie 

bei ber ©forte übernahm, bie fid) für berufen hält, bie ©e* türnfche ©renjfeftung ©ift als Stüfcpunft biente, fürft ©Jilan, 

freiung ber cf|riftltt en unb flaoiften Sriiber im Orient in’S bet fit über ben unglücfliten StuSgang beS Krieges nitt 

©Bert ju fepen: ©u^lanb. SDaS Born fürften ©ortftaloff tauften tonnte, futte fton am 24. mtguft bie ©ermittelung 

ausgearbeitete fogenannte ©erliner ©temoranbum, weites ber ©ertragSmätte nat, beren ffiertreter benn aut am 4. Sep* 

fit junätft auf bie ©acification ber ^erjegomina bejog unb tember in ©onftantinopel ihre guten ©ienfte jur Herbeiführung 

bei beffen ftliefeliter Slbfaffung man ben Stgenten ber Huf* eines SEBaffenftittftanbeS anboten. ®ie ©forte mottte anfänglich 

ftänbiften, ben ©uffen SEBeffeli|fi, unb ben ©räfibenten beS nur über einen „griebenSftlufj" Berhanbeln, um fit ben ©reis 

montenegriniften Senats ©etrowitft mit ihren Suformationen ihrer SBaffenfiege, baS bem falle nahe Htejinafc, nitt ent* 

hörte, mürbe am 14. ©Jai ben ©ertretern ber übrigen ©er* gehen ju taffen; fie jog bie ©erljanblungen btS Gcnbe October 

tragSmätte in ©erlin jur ©Jittheilung an ihre ©egierungen h* n - 5lui 24. October mürbe bie für bie dürfen ftegreite 

jugeftettt. franfreit unb Stalien ftimmten ju; ©nglanb „Stlatt bei S)juniS" geftlagen unb nat rinem abermaligen 

Berfagte feine ßuftimmung, wie natträglit ertlärt worben am 29. October jwiften Hfejinah unb 3)eligrab erfottenen 

ift, weil es beforgt habe, burt feine ßuftimmung in einen Sieg fiel Hlejrinafc am 31. October in bie £änbe ber türtiften 

Ärieg gegen bie ©forte Berroidelt werben ju fönnen. ®er Hrmee. 

©Bortlaut biefeS HctenftücfeS mürbe Bon ber „Firnes" am ®er ferbifche Stieg mar bamit beenbet. Huf einen ©oth- 

4. 3uli Beröffentlitt. @S h“tte bie ibentifte ©Jittheilung, ft^ei beS fürften ©lilan mar Bon Sioabia in ber firim au«, 

welche auf ©runb ber ©erliner Hbmatungen bie ©ertreter wo fit Äaifer Hlejanber aufbiett, bem ruffiften ©otftafter 

ber übrigen fünf ©ertragSmätte am 30. ©lai an bie ©forte Sgnatieff bie telegraphifte Söeifung jugegangen, wenn bie 

ju ritten beauftragt maren, burt ben injwiften eingetretenen ©forte nitt binnen 48 Stunben Serbien einen fetsmötigcn 

Xh^onroetfel einen Huf ft ub erfabren („®eutfter ©eitSanjeiger" ©Jaffenftittftanb gewähre unb bie fofortige ©inftettung oer 

Bom 30. ©Jai) unb fie ift aut hinterher unterblieben. S)ie f einbfeligteiten anorbne, bie biplomatiften ©ejiebungen abju* 

©forte hotte natürüt Bertraulit Senntni| Bon jenen Hb* breten. S)iefeS ruffifte Ultimatum wirfte. ®te (Sinftellung 

matungen erlangt unb mürbe fiter eine ablehnenbe Hntwort ber feinbfeligteiten mürbe fowoljl gegen Serbien wie gegen 

barauf erteilt hoben. ®er Sernpunft mar nämlit, ba| über ©lontenegro, weites barum gar nitt natgefwljt hatte, auf ©u§* 

bie ®urtführung ber ©eformen in ber ^erjegomina ber ©forten* lanbs SEBunft aber fit baju bereit erflärte, angeorbnet. ®ie in 

commiffar fit mit ber gemiftten ©otabelncommiffion (©untt toller SBeinlaune Born ©eneral Sftemaieff am 17. September 

4 ber Hnbraffh=©ote), ber ein ©f)rift präfibiren müffe, ju Ber* ju ®eligrab Berübte ©roclamirung ©man« jum ,^önig Bon 

ftänbigen habe unb bajj bie Sonfuln unb ©ertreter ber Serbien" mag mit biefer ©rmähnung abgefertigt fein. 

©Jätte bie S)urd)führung ber ©eformen überwaten $>ie ©forte hatte es mährenb biefer „Stiege" nitt mit 

füllten. Sine folte „Ueberroatung" ihrer inneren Hngetegen* bem Safte gehalten: inter arma ailent legea. Das ©eform* 


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Nr. 21. 


Sir Gegenwart. 


329 


wer! war, fotoeit e« um Gonftructionen auf bem ©apier fich 
feanbelt, einige Stabien weiter geförbert worben. 9m 15.Suli 
hatte ber ©rofeoejier bem Staatßratlj einen ©erfaffungßentwurf 
oorgetegt unb war biefer im ©rincip gebilligt Worben. Der 
Staatßratlj h otte fid) barauf am 17. 9uguft unter ©eroer 
©afdjaß ©orftfc jur 9u8arbeitung eine« ©efotmprogrammeß 
oerfammelt. Dem „feit bem jeljnten läge feiner Sijronbefteigung 
an einer ©eifteSfranfljeit leibenben ©ultan SOturab V." hatte 
baß ©tinifterium, nadjbem ber ftetß bienftwißige Sdjeifthul* 
Sßlam baß entfpredjenbe getroa abgegeben, bie ßügel ber ©e* 
gierung auß ben $änben genommen unb feinen älteften ©ruber 
al« ©ultan Stbbut §atnib II. am 31. 9uguft jum Saifer beß 
ottomanifdjen fReic^ed proclamirt. 9m 13. October war ben 
©ertretern ber ©rofemächte, gelegentlich einer 9©ittf)eilung in 
©etreff beß SBaffenftiflftanbeß mit Serbien, baoon SJenntnife 
gegeben worben, bafj bie ottomanifdje ©erfaffung u. 9. eine oon 
ber ©eoölferung gewählte gefefcgebenbe ©erfammlung, einen 
ernannten ©enat unb ©eneralrätpe in ben ©ilajetß oorfefee. 
©nglanb betrieb injroifcfien baß ©roject einer ©onferenj 
jur ffiermittelung beß griebenß jwifchen ben triegfüljrenben 
jC^eilcn unb jur Sicherung ber ©uhe im oßmanifcpen ©eiche 
überhaupt. 

9eufjerlich fchien fomit 9nfang ©ooember 1876 in ben 
Orientbingen eine SBenbung jum grieben fein Wahrnehmbar, 
alß (10. ©ooember) bie ©foßfauer Gjarenrebe bie unter 
ber frieblichen £>üße ftd| nicht länger bergen laffenbe ihriegß* 
gefahr offen legte, ©om Ärernt war baß glammenjeichen auf* 
geftiegen, welche« burch baß weite Gjarenreich bie rechtgläubige 
©eoölterung jur ffiorbereitung für ben ^eiligen Ärieg aufrief 
unb oon ber auf ©ufelanb blicfenben ©laoenwelt fenfeit ber 
Donau alß baß „feeß auß bem ©orben brechenbe greiheitßlicht" 
bejubelt würbe. Der Äaifer 91ejanber, ber f«h fo gern alß 
„griebenßfürft" feiern liefe, oerfidjerte oor bem SRoßfauer 9bel 
unb ©emeinberathe, im |>inblicf auf bie in ©onftantinopel ju 
eröffnenben ©erfeanbtungen ber ©ertreter ber ©rofemächte wegen 
ber griebejtßbebingungen, normal«: „3Rein ^ei^cfter SBunfcfe 
ift, bafe wir jur aßgemeinen Ucbereinftimmung tommen." @t 
fuhr jeboch fort: „gaflß eß aber nicht baju fommt unb ich 
fe|en werbe, bafe wir foldje ©arantien, welche bie ©ofl* 
füferung beffen, waß wir mit ©echt oon ber Pforte oerlangen 
tonnen, nicht ju erlangen oermögen, fo höbe ich bie fefte 9b= 
ficht, felbftftänbig ju honbeln unb bin überjeuat, bafe in 
biefem gaße ganj ©ufelanb meinem ©ufe folgen leiften werbe, 
wenn id) eß für nötljig erachte unb bie ©fere ©ufelanb« eß 
forbert. ©ott helfe unß, unferen heiligen ©eruf burchjufüljren." 

©in lebhafter Depefdjenwechfet jwifchen ©eterßburg unb 
Eonbon, ber für bie Oeffentlichleit beregnet war unb berfelben 
benn auch fehleunigft übergeben würbe, hielt ©uropa in 9them. 
HJtan wufete im ©orauß, bafe auß ber ©onferenj ber griebe 
nur noch eine lurje griftung ju fchöpfen oermochte, unb war 
gefpannt barauf, ob eß jwifdjen ©nglanb unb ©ufelanb 
oießeidjt jefet fdjon jum ©rud>e tommen würbe. 9m 2. ©o= 
oember batte ber englifdje ©otfefeafter Sorb Eoftuß auß jJ)atta 
in ber Krim über eine 9ubienj beim- Saifer 9leEanber 
berichtet, am 12. ©ooember würbe biefe Depefdje oom Foreign 
office oeröffentlidjt. Der Saifer erflärte, ©ufelanb geftatte eß 
feine SBütbe nicht, bie wieberfeolten ßurüctweifungen ber ©forte 
hinjunefemen; wenn ©uropa nicht energifch hanbeln woße, 
werbe er genötigt fein, allein oorjugelien. Der fiaifer 
öufeerte fein „©ebauem über baß eingewurjelte SÄifetrauen gegen 
bie ©olitit ©ufelanb« unb über bie ©eforgnife einer oon ©ufe= 
lanb beabfiefetigten ©robernngßpolitit, wie foldhe in ©nglanb 
fortwährenb ju Sage trete". ®er Saifer ertlärte, teine @robe= 
rungßwfinfehe ju haben, unb gab in ber aßerbeftimmteften unb 
förmlichften ©Seife fein ©fetenwort, bafe er nicht bie 9bfidjt 
habe, „©onftantinopel an fidfe bringen ju wollen", beffen 
©efifc nur ein Unglücf für ©ufelanb fein würbe. @r würbe 
audj ©ulgarien lebiglich prooiforifdh biß jum 9bfcbtuffe be« 
grid>enß unb biß bahnt befefeen, wo bie Sicherheit bet chrift= 
liehen ©eoölterung ber ®ürtei fieser gefteßt fei. Ceftreich möge 


©oßnien befefeen; ©nglanb fich an einer glottenbemonftration 
gegen ©onftantinopel betheiligen. ®en ©ebanten, bafe ©ufe* 
lanb in Snbien ffiroberungett machen woße, ertlärte ber Äaifet 
für eine 9bfurbität unb Unmöglichteit. — ®ie ©eröffentlichung 
ber ®epefcfee über biefe 9ubienj Wünfchte bie ruffifche ©egie* 
rung, „barnit fich &i e öffentliche ©feinung ©nglanbß beruhige". 

9m 14. ©ooember oeröffenttiefete baß „Journal de St. 
Petersbourg" ein ©unbfefereiben beß ©eichßtanjlerß ©ortfehatoff, 
worin bie theilweifeS©obilmachung ber ruffifdhen9rmee 
angetünbigt würbe. 3n bet ©Siener „©olitifcheit ©orrefponbenj" 
würben offieiöß bie ©arantien aufgejählt, welche ©ufelanb für 
unerläfelich halte, bamit in ben brei aufftänbifefeen ©rooinjen bie 
©eformen auch wirtlich jur ^Durchführung gelangten; eß wareu 
bieß u. 9.: aßgemeine ©ntwaffnung, ©eorganifation ber Socal* 
polijei unter 3ulaffung ber chriftlichen ©eoölterung, ©rnennung 
eine« eingeborenen ©priften jum ©ouoerneur, ©infefeung einer 
permanenten ©ontrolcommiffion, beftehenb auß ben ©onfuln 
ber ©rofemächte. ®er oon rufftfeher ©eite infpirirte ©rüffelet 
,,©orb" fügte bem noch hiaä u: „3 ut Durchführung ber ©nt* 
waffnung ift unerläfelidh bie 9nwefenheit einer auß fremben 
Druppen beftefeenben militärifchen 9©acht, jeitweilige Occu* 
pation ber brei ©rooinjen, wie fie na^ bem 9ufftanbe 
im Eibanon bort ftattgefunben hat." 

9fleß biefeß foßte auf einer in ©onftantinopel abju* 
fealtenben ©onferenj, beten 3afammentreten ©nglanb oor* 
gefcfelagen unb woju bie ©forte fiefe am 18. ©ooember ju* 
ftimmenb ertlärt featte^ erörtert werben. Die ©forte ernannte 
©bfeem ©afcfea unb ©aofet ©afcha ju ihren ©ertretern; bie 
©rofemächte ifere ©otfdjafter bei ber ©forte, beiten einige oon 
ihnen noch aufeerorbenttiche ©onferenjbeooflinächtigte beiorbneten: 
©nglanb ben feierliien ßKarquiß of ©alißburp, ber, ehe er fid) 
nach ©onftantinopel begab, mit fürftlichem ©omp unb oielem 
©eräufefe bie grofee Dour burch bie §auptftäbte ©uropaß: ©ariß, 
Serlin, ©Sien unb ©om machte; grantreich ben beweglichen 
©omte ©hauborbp, ber burch ein gerabe nicht feine« Sn* 
triguenfpiel bei biefer ©elegenfeeit bie franjöfifch=ruffif^e 9ßianj 
einjufäbeln oerfuchte. 

9m 5. December liefe fidb in einer oiel bemertten ©ebe ber 
©eiefeßfanjler giirft©ißmara oor bem beutfehen©eichßtage über 
bie Orientbinae oernehmen. @r ertlärte mit gehobener Stimme: 
„3«h bin ooßfommen in bet Eage, ju oerfiefeern, bafe baß Drei* 
Äaiferbünbnife noch h eute feinen ©amen in ooßftem SKafee 
oerbient unb in ooßer Störte beftefet", unb eine frühere prioatc 
9eufeerung wieberbolenb: „Sch werbe ju irgenb welcher actioen 
Setheiligung Deutfchlanbß nicht ratfeen, fo lange in bem ganjen 
Streite für Deutfcfelanb tein Sntereffe in grage fteht, welche« 
auch nur ben gefunben Änochen eine« einjigen pommerfcheit 
©Zußtetierß Werth wäre." 

9m 12. December traten bie Gonferenjbeüoflmächtigten 
unter ©enerat Sgnatieffß ©orfifc in ©onftantinopel jur erften 
Sifeung ber ©orconferenj jufammen, beten lefete Sifeung 
am 20. December ftattfanb. 9n bem nämlichen Dage erhielt 
SKehemeb ©ufefebi ©afcha, welcher ber ©erfünbigung ber ©er* 
faffung wiberftrebt hatte, feine ©ntlaffung alß ©rofeoejier unb 
©libbat ©afcha trat an feine Sfeße. 91ß am 23. December 
bie ©onferenj ihre erfte Sifeung abhielt, eröffnete fie ber 
Sorfifeenbe Saofet ©afcfea mit ben ©Sorten: „Die eben oer* 
nommenen 9rtifleriefaloen gelten ber ©eröffentlichung ber ©er* 
faffung, burch bi e baß ottomanifehe ©eich umgeftaltet werben 
wirb." Daß ©laborat, über welche« bie ©ertreter ber ©rofe* 
möchte auf ber ©orconferenj fich geeinigt hatten, nahm Saofet 
©afdja ad referendum an fich- Durch bie ©erfaffungßproda* 
mation foßte ben ©onferenjoorfchlägen bie Spifee abgebrochen 
werben. Die neue ottomanifehe ©erfaffung war ben Gon* 
ftitutionen beß Occibentß nachgebilbet ©in untheilbareß ©eich; 
eine ottomanifehe ©ation; eine Staatßreligion: ber Sßlam, in* 
beffen ohne theolratifchen ©hataüer; ©ultußfreibeit, ©refefreiheit, 
Eehrfreiheit, ©ereinßrecht, ©etitionßre^t; ©leichh^t aßer Unter* 
thanen oor bem ©efe|; gleiche gugängli^feit ber öffentlichen 
9emter ohne Unterfchieb ber ©eligion u. f. w. Der Sultan: Ähalif 


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380 


Ute ©egcnroari. 


Nr. 21. 


ber SRuhamebaner, Souoerän aller Ottomanen. ©erantwortlidje 
SRinifter. 3 toe i Kammern: ein »om (Sultan ernannter Senat 
unb eine gewählte Deputirtenfammer mit feften ©ejfigen ber 
SRitglieber u. f. w. Unabfefcbarfeit ber 3Rid^ter unb Seamten. 
Decentraüfation mit Selbftoerwaltung in ben ©rooinjen unb 
©emeinben. — ®8 war mehr gewährt, als bie SRädjte je ge= 
forbert batten, aber ohne internationale ©erbinblicf)feit, ohne 
©arantien. Unb um bie grage ber ©arantien breite fi<b 
bocb feit lange fcbon bie orientalifcbe ©erwicfelung ju einem 
gorbiftben knoten jufammen, welchen mit bem Schwerte ju 
burcbbauen auch ein Alejanber fcbon bereit ftanb. 

Die ßonferenj War »om 23. Decentber 1876 bi« jum 
20. Sanuar 1877 oerfammelt. ©acbbent auf ihren ©orfcf)lag 
ber SBaffenftiflftanb jwifchen ben megfübrenben Dheilen bi« 
jum 1. SRärj 1877 »erlfingert Worben war, befdjäftigte fie fidb 
bamit, bie auf ber ©orconferenj »ereinbarten Sorfdjläge ber 
Pforte plauftbel ju machen unb beren ©egenoorfdjläge ju fritis 
ftren. Saofet ©afdja war ftet« mit bem ©inwanbe jur Stelle, 
bah bie Integrität unb Unabhängigfeit ber Pforte nid|t »erlefct 
werben bfirfe. Die ©onferenj lieg »on ihren fjrorberungen nach 
einanber bie Dccupation ber aufftänbifcben ©tooinjen, bie inter* 
nationale ®en«barmerie, bie ©antonnirung ber türfifchen Gruppen, 
bie neue Abgrenjung ^Bulgarien« unter ©uttljeilung in jwei ©ro= 
»injen (mit ben $auptftabten Sofia unb Dtrnowa) faßen; fie 
gab nach, bah bie ©ontrolcommiffion eine gemifd)te europäifdj* 
tiirfifcbe fein liJnne, unb bah bie ©eftätigung ber ©ouoerneure 
in ben ju pacifitenben ©rooinjen nur wäbrenb ber erften fünf 
Sabre ben SRädjten jufteljen fofle. Saofet ©afcha blieb bei 
bem „Non possumus“ unb lieb ju beffen ©efräftigung ben 
„©toben ©atlj" am 18. Sanuar ficf) oerfammein, ©egen 200 
SBürbenträger, barunter bie ©ertreter ber griedjifdjen unb ar= 
menifdhen Äircfee, befcbloffen „einftimmig", bie »on ben SRäcpten 
gemachten ©orfdjläge abjulepnen, ba fie ber Sntegrität, Un= 
abhängigfeit unb SBürbe be« ottomanifcben ©eiche« juwiber; 
liefen. -Da« ßwifcbenfpiel ber ©onferenj war ju ©nbe. Sn 
ber Sipung »om 20. Sanuar erftärte ber SRarqui« »on Sali«= 
burp bte ®egen»orfcbläge ber ©forte für unannehmbar. Da 
bie ©forte fidh geweigert habe, bie »on ben SRädjten geforberten 
jwei®arantien für bie Ausführung ber jugeficperten ©ef ormen : 
bie ©eftätigung ber ©ouoerneure burdj bie SRädjte unb bie 
Organifirung einet in 2Baljrbeit unabhängigen. ßontrolcom- 
miffion ju bewifligen, fd^cine fein gemeinfamer ©oben mehr 
für eine weitere ©erfeanblung »orfeanben ju fein unb fei baf)er 
bie ©onferenj al« gefdjloffen ju betrachten, ©eneral Sgnatieff 
fpraefe fidh in gleichem Sinne au« unb liefe afle.©erantwort= 
iicbleit auf bie ©forte jurüeffaßen. Die ©otfehafter unb fonftigen 
©onferenjbeooflmäcbtigten »erliefeen im ßaufe ber näcbften Dage 
©onftantinopel; wir machen fie jum Schluffe namhaft. @8 
»ertraten Deutfdjlanb: greiherr ». Sßerther; granfreich: ©raf 
©ourgoing unb ©raf ©feauborbh; ©rofebritannien: Sir @Biot 
unb SRarqui« ». Salisburp; Stalien: ©raf ßorti; ßeftreidj; 
Ungarn: ©raf 3i<hD unb greiljerr ». ßalice; ©ufelanb: ©eneral 
Sgnatieff. 

' Die Pforte war nunmehr barauf bebadjt, möglichft fchneß 
mit Serbien unb SRontenegro jum griebenSfdjluffe ju ge= 
langen. Deftreich leiftetete ihr bei ber ©inleitung ber grieben«; 
»erhanblungen gute Dienfte, unb auch bie anberen SRädjte 
ertheilten bem dürften SRilan ben ©ath, feine Sdjtoierigfeiten 
ju machen, Wäbrenb SRontenegro umgetebrt fidh lange gegen 
bie ©räffnung ber ©erhanblungen in ©onftantinopet fperrte, 
unb barauf fjorberungen wegen ©ebiet«abtretung erhob unb 
fefthielt, bie »on ber ©forte al« „unannehmbar" bejeidjnet 
würben. 9Rit Serbien würben bie birecten ©erhanblungen ju 
©onftantinopet am 20. Februar eröffnet; fdjon am 1. SRärj 
gelangte ba« fJriebenSinftrument jur Unterjeirfjnung welche« 
ben Statas quo ante wieber IjetfteBte. Serbien würbe barauf 
»on ben türrifdjen Druppen geräumt. Die mit ben montene* 
grmifeben ©eüoflmäcfetigten am 5. SRärj eröffneten ©erfjanb; 
Iungen finb nicht ju @nbe gelangt; auf ihren Abbruch ift fpäter 
jurücfjufontnten. — Sn bie ßeit ber ©oroerhanblungen mit 


Serbien fäßt ber am 5. jftbruar erfolgte Sturj SRibljat 
©afcha«, ber auf ©runb »rtifel 113 ber »on ihm felbft ent; 
worfenen ©etfaffung in’8 ®u«lanb »erbannt würbe. Die 
offieiöfe türfifche Darfteßung gab al« ©runb biefer über ©acht 
in Scene gefegten ©efeitigung be« „^Reformator« be« o«mani= 
fchen ©eidpe«" an, „bafe oie »om Sultan aufgegebene abfotute 
©ewalt nicht burdj anbere $änbe geübt werben fottte". Sultan 
Slbbul $amib unb feine perfönlidhen greunbe, »or Stßem fein 
Schwager SRahmub Damat ©af^a, besorgten wohl, bafe unter 
SRibhat bie äRacfjt be« ©rofeoejier« ju grofe werben möchte, 
um baneben noch für eine perfönlidje ©inwitfung be« Sultan« 
auf bie StaatSgefcijäfte ©aum ju laffen. Die in ©onr« ge= 
festen abenteuerlichen ©erüchte »on burdj ÜRibhat geplanten 
Staat«umwäljungen haben feinen ©tauben gefunben. ©ach= 
folget SRibfeat« im ©rofeoejierat würbe ber frühere ©otfehafter 
in ©erlin ©bljem ©afcha, ber jur ßeit noch im Slrnte ift. 

©ach bem „Scheitern ber ©onferenj" trat ©ufelanb ohne 
lange« 3ö9 ern in bie Slction ein. fjürft ©ortfehafoff ruh* 
tete am 31. Sanuar ein ©nnbfdjreiben an bie ©ertrag«; 
möchte, welche«, nach einer Darlegung ber burch bie Ablehnung 
ber einmüthigen ©onferenjoorfchläge gefefeaffenen „neuen ©hafe", 
fagt: „Die Ablehnung »on Seiten ber türfifdjen ©egierung 
»erlebt ©uropa in feiner SBürbe unb ©uhe. ©8 ift un« »on 
SBichtigfeit ju wiffen, wa« bie ©abinete, mit welchen wir un« 
bisher »erftänbigt haben, ju tbun gebenfen, um auf biefe 
Ablehnung ju antworten unb bie ©rfüßung ihre« SBißen« ju 
fichern." ©ine ©eantwortung biefer ©ircularbepefcfee ift nicht er; 
folgt, ba ©ufelanb alSbalb felbet bie Snitiatioe mit ©orfchlägen ju 
einem „weiteren Xbun" ergriff. Der ruffifche ©otfehafter bei ber 
©forte, ©eneralSgnatieff, trat nämlich ÄnfangSRärj eine ©unb; 
reife burd) bie europäifdjen ^auptftäbte an, um, wie e« juerft 
hiefe, „bie beriihmteften Slugenätjte ©uropa« wegen eines 
hartnäefigen Slugenleiben« ju confultiren", welcher unglaubhafte 
©orwanb inbeffen halb faßen gelaffen würbe, ©eneral Sgnatieff 
traf am 4. SRärj in ©erlin ein, ging bann nach ©att«, wo 
er fidj »om 8. bi« 16. SRärj aufhielt; er conferirte bort mit 
bem ruffifchen ©otfehafter am grofebritannifefeen §ofe, ©rafen 
Schuwaloff, ging bann felbft nach Sonbon, »on wo au« et 
am 22. SRärj wieber in ©ari« eintraf, um über SEBien (25. bi« 
27. SRärj) unb ©erlin (28. SRärj) nach ©eterSburg jurüdjulehren. 

@8 hanfcelteficfe bei ber ©eife be« ©eneral«>Ügnatieff 
barum, bie 3»ftimmung bet SRädhte ju einem »on : ©ufelanb 
entworfenen „©rotofoß" ju erlangen, welche« ben 3wecf haben 
foßte, bie »on ben ©onferenjbeooßmädhtigten »erlangten ©e-- 
formen nochmal« aufjujählen unb al« „einmüthige fforberung 
©uropa« an bie ©forte" ju beftätigen. 3m engli fchen ©abinet 
war ber ruffif^e ©rotofoflentwurf ©egenftanb ber eingebenbften 
©rwägungen. @8 würbe in golge berfelben mit ©ufelanb über 
Slbänberungen »erhanbelt; namentlich über bie ffrorrn, in welcher 
©ufelanb fidj ju einer Stbrüftung „geneigt erflären" ober, wie 
©nglanb »orfchlug, „oerpflidjten" fönnte. Die ©forte, geftü^t 
auf ba« am 19. SRärj feierlich eröffnete erfte ottomanifche 
©arlament, lehnte es ab, fich Abmachungen, bie jwifdjen 
©nglanb unb ©ufelanb etwa getroffen werben möchten, ju fügen. 
Die al« Antwort auf bie Dhronrebe non ber Deputhcienlammer 
befdjloffene Slbreffe wie« in einem am 27. SRärj angenommenen 
©affu« jebe ©inmifd|ung be« Slu«lanbe« in bie titneren %n- 
gelegenheiten be« oSmanifdjen ©eiche« abfolut jurücf unb fpradj 
fich ebenfo mit ber gröfeten ©ntfdjiebenheit gegen jebe ©ebiet«; 
abtretung an SRontenegro au«; bie Sntegrität unb Souöeränetät 
be« ©ei^e« tnüffe burchau« ungefchmälert bleiben. 

Stm 31. SRärj fano im auswärtigen Slmte ju Sonbon bie 
Unterjeichnung be« ßonboner ©rotofoll« ftatt, »on wel; 
efeem bem türfifchen ©otfehafter SRnffuru« ©af^a fofort SRit* 
t|eüung gemacht würbe, fobafe bie ©forte 3«t jur Ueberlegmig 
einer Antwort hotte, faß« biefe« ©rotofoß »on ©ufelanb etwa 
in fjorm eine« „Ultimatum«" ifer jugefteßt werben foßte, wie 
ba« am 5. April burch ben ruffifchen @efd)äft8träger ». ©eliboff 
gefdjafe. 3m ©rotofoß nehmen bie SRächte Act »on bem fffrieben 
mit Serbien; in ©etreff SRontenegro« betrachten fie eine ©e; 


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Sfr. 21. 


ff* ptit nwqrt. 


331 


ricgtigung feinet ©renjen unb bie ©ewögrung freiet ©cgtff* 
fagrt auf bet Vojana (Elbflug beS SeeS non Slutari in’S 
Äbriatifdge Meer) für roünfcgeitswertg; fie erlennen bie Vereit* 
wißigfeit bet Pforte ju Reformen an; fie beantragen nicgt, 
burcg Vermittelung igrer Vertreter in Sonftantinopel unb 
burcg igre einjelnen Agenten in ben türfifcgen Proöinjen eine 
Ueberwacgung ber Slrt unb SEBeife auSjuüben, in meldet bie 
Verformungen ber Pforte auSgefiigrt werben; wenn igre $off* 
nungen auf eine Verbefferung ber Sage ber Sgriften aber nocg* 
ntals getäujcgt werben foßten, fo glauben fie erflären ju rnüffen, 
bag ein folget ©taub ber Dinge unberträglicg ift mit igren 
Sntereffen unb mit benen SuropaS im Elßgemeinen; fie be= 
galten ficg für einen folcfjen gafl nor, genteinfam bie Mittel 
ju bejeicgneu, weldje fie für geeigneter galten, baS ©ebetgen 
ber Sgriften unb bie Sntereffen beS aßgemeinen griebenS ftcger 
ju fteßen. — 3n einem bem Protoloße beigefügten Proces 
verbal über beffen Unterjeicgnuiig ift junacgft bie ©rltärung 
beS ruffifcgen VotfdgafterS ©rafen Scguwaloff niebergelegt, wo* 
nacg SRuglanb, nacgbem bie Pforte mit Montenegro ^rieben 
gefcgloffen, bie Vatgfcgläge ber Mäcgte angenommen unb aus* 
jufügren ficg bereit gejeigt gäbe, mit berfelben in ElbrüftungS* 
oerganblungen einjutreten bereit fei. ©nglanb gab bie @r= 
Kärung ab, bag, wenn ber griebe jwifcgen Puglanb unb ber 
Pforte nicgt erjielt werbe, baS protolofl „nuß unb nicgtig" fei; 
Stalien fcgfog ficg mit einer ägnlicgen Srflärung an. 

Die Mäcgte, nameutlicg Gnglanb unb Deftreicg* Ungarn, 
liegen es bei ber Pforte an Verfucgen, fie jur Elnnagme beS 
ProtoloßS ju bewegen, nicgt feglen; über biefe „legte pgafe" 
ber orientatifdgen «rifiS ift inbeffen nocg nidjjtS ElutgentifcgeS 
belannt geworben. Die Pforte ftügte ficg auf igr Parlament. 
Elm 10. Elpril legnte bie ottomanifcge Deputirtenlammer, am 
11. Elpril ber Senat jebe ©ebietSabtretung an Montenegro 
ab, nacgbent Saofet Pajcga in einem oom 9. Elpril baiirten 
Utunbfcgreiben bie fegr eingegenb ben Verlauf ber Drientbinge 
recapitulirenbe Elntwort ber Pforte auf baS Sonboner 
Prototolt ertgeilt gatte, bie eine ablegnenbe war. 

Die Dinge eilten fegt fdgneß igrern fcgon längft ftdgtbar 
gewefenen SluSgauge entgegen. Elm 16. Elpril reiften bie monte* 
negrinifdgen Untergänbler oon Sonftantinopel nacg Dbeffa ab, 
um ficg bem Saifer SUejanber oorjufteßen, ber am 20. Elpril oon 
Petersburg ju ber am Prutg aufgefteßten „Sübarmee" abging. 
Elm 23. Elpril üerlieg ber ruffifcge ©efcgäftSträger o. SReliboff 
mit bem VotfcgaftSperfonal Sonftantinopel, bie ruffifcgen Unter* 
tganen unter ben ©dgug beS beutfcgen PeicgeS fteßenb. Elm 
24. Elpril fanb bie ÄriegSertärung SRuglanbS an bie 
Pforte burcg ein in Petersburg oeröffentlidgteS unb im §aupt= 
quartier ju SHfdgeneff oerlefeneS Manifeft ftatt Ein bemfelben 
Dage ricgtete gürft ©ortfdgaloff ein SRunbftgreiben an bie 
Vertreter PuglanbS im EluSlanbe. Der Sinn biefer Elcten* 
ftüde fagt fidg in ben Sag jufammen, bag nacg ber Vertoer* 
fung beS Sonboner prototoflS nunmegr in fjolge ber gartnäcügen 
Steigerung ber Pforte, auf bie berecgtigten gorberungen SuropaS 
einjugegen, für Puglanb ber SlugenblidE jum felbftftänbigen 
Raubein eingetreten fei. S8 würbe aucg leinen Sluaenbticf 
gefäumt. Die geinbfeligleiteu würben fcgon in ber Etacgt oom 
23. jum 24. Elpril eröffnet. Die ultima ratio fpridgt feitbem 
aus bem egernen Munbe ber ©efcgüge unb ber Sßrontft, ber 
über bie Drientbinge bis jur ÄriegSertlärung fRuglanbS ju 
beridgten gatte, legt bie gebet nieber; feine Elufgabe ift erfüut. 

©ftlitt, im fflai 1877. PolitkBs. 

Seriegtigutifl. 3m etflen fflptitel tauft auf ©. 297 aU Saturn 
bet Stubtaffn=9lpte bet 30. Secemfcet 1875, nicgt 1876 ftegpn, tute 
burcg einen Srudfegtet ju lefen ift. 


Literatur unb guttß. 


£aff(tüe ttttb irtiligratg. 

diu biograpgifcget Sei* unb Sadjttag. 

3m Mai 1848 war greßigratg aus feinem faß jtoei« 
jägrigen ffijil in fein Vaterlanb jurüdEgelegrt. Die Eteoolution, 
bie er in fegten Siebern borget oerhinbet, feierte igre Siege in 
ganj Deutfcglanb. ffir begab ficg nacg Düffelborf, um inmitten 
biefer ffieoolution ju fein unb bie Verwirliicgung igrer Sbeale 
mit ju erftreben. St würbe in biefer Stabt Vürger unb ftanb 
in ben borberften Steigen ber rgeinifcgen Demofratie, weldge in 
leibenfcgaftlidger Stügrigfeit auf fociatrepublilanifdge Siele loS* 
ftürmte. Die ftammenben ©ebidgte greiligratgS aus jener 1848er 
Seit galten ber görberung biefe» ßwetfeS; fie bilbeten gleügfam 
feine gügrertgaten als VorftanbSmilgtieb beS Düffelborf er ®ol!8= 
ctubS, benn jum eigentlicgen Etgitator unb übergaupt ju einem 
Parteifügrer gatte greiligratg nicgt baS 3«ug. 3m 3«ü gab 
er fein belannteS ©ebicgt: „Die Dobten an bie Sebenben" als 
ein glugblatt jum Veften jenes VolfSclubS gerouS unb burcg 
ben maffengaften Verlauf biefeS Siebes jum Preife bon einem 
Silbergrofdgen würbe in ber Dgat bie leergeworbene VereinSfaffe 
wieber reicglicg gefüllt. Elber aucg eine Slnllage erfolgte barauf. 
Elm 29. Etuguft würbe ber Dicgter bergaftet unb unter äuget* 
orbentlicger Elufregung fag bie Düffelborfer ©epöllerung bem EluS* 
gang feines ProceffeS bor bem Scgwurgericgt entgegen. 

EllS einen ber energieooßften Elgitatoren in ben greifen 
ber rgeinifcgen Demofratie gatte greiligratg aucg gerbinanb 
Saffaße lernten gelernt, ber überbieS ebenfaßs in Düffelborf 
rnognte. Der junge 23jägrige Mann gatte ficg mit bem geuet 
ber Vegeifteruttg bem fünfjegn Sagt älteren Dicgter angefcgloffett 
unb igr freunbfcgaftticger Verlegt entwidelte gcg inmitten ber 
Stürme ber Etebolution. Saffaße mar bamalS feit jwei Sagten eine 
eigenartige Serügmtgeit burcg bie Vejiegungen jur ©rftfin $ag* 
felb, beren SRecgte er bis jur eigenen Selbftberleugnung gegen 
igren Satten berfolate. Der grogartige Slanbalproceg wegen 
beS aus fotcgem Einlag 1846 unternommenen Saffcttenbiebftagls 
bei ber ©eliebten beS ©r°f cn 4>agfelb, Varonin bon Mepeuborf, 
war felbft in jener Seit ber rebolutionören Srregungen nocg baS 
Sreignig, meldgeS bie aßgemeinße Etufmerffamleit rege ergielt. 
Vom 8.—11. Etuguft 1848 gatte biefer Proceg uor ben Kölner 
Slfgffen in feinem legten Sjabium gefpielt. Die glänjeube, biel 
bewunberte VertgeibigungSrebe SaffaßeS bei biefer ©elegengeit 
gatte igm feine greifptecgung eingetragen. Vei aßebem war er, 
Wie gefagt, einer ber Sifrigften unter ber bemotratifcgen Partei, 
ein Vepublifaner bon ftarler lieberjeugwtg, ein Socialift, ber 
jmar erft nocg in feinem politifcgen ©laubenSbelenntnig ^tecfte, 
ber inbeffen bocg fcgon bamalS — waS geWögnlicg nicgt be* 
acgtet wirb — in ben Elrbeiterbereinen birecte fjjüglung mit bem 
Proletariat fucgte unb biefeS felbft, wie Vrieffiteßen ergär,ten 
werben, als baS einjig jutunftsfägige ©efdglecgt anerlannte. 3m 
September trat er als ein gewaltig mirfenber Vcbner, jum erften 
Mal feit feiner jgreifprecgung in ®öln, in ber bortigen bemo* 
fratifcgen VotfSberfammtung auf. Dann macgte er aus ber aß* 
gemeinen Elufregung wegen ffreitigratgS Vergaftung in Düffel* 
borf einen Sturmbod gegen bie jBegörbe. Sr oerfagte eine 
Elbreffe gegen ben StaatSprocnrator, in welcger er mit ber 
bialeftifcgen Verebtfamleit, bie igm fo glaujeng ju ©ebote ftanb, 
eine Vertgeibignng beS gefangenen Dieters jn einer wucgfigen 
ElnUgge feiner Verfolger jufpigte. ©S war ber Einfang jener 
reoouitionüren Stgitationen in Düffelborf, jpelcge einfcgüdgternb 
genug auf bie ©efcgmorenen wirlten, um igrerfeijts ^reiligratg 
am 3. Dctober freipfprecgen, bie aber Saffaße felbft im Etope,m : 
ber in $aft, bann in jwei politifcge proceffe unb im SJinter 
1850 anf fecgs Monate in'S ©efängnig bracgten. 

greili^ratg lam n,a<g feinpc greifprecgupg nacg Söln in 
bie Pebaction ber Eieuen 3tgei,nifgen 3 e ßung, beren Seitung 
als rabicales Sociaiiftenblatt tn Mat^’ $änben rügte. Die 


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882 


11 f «t $ tu m a x t 


Nr. 21. 


erftarfenbe Steaction braute fton im SRai 1849 biefem ge= 
fürchteten Organ ber Demofratie ben Untergang, ©ie ftarb 
befannttit mit bem Drofc be« mächtigen StebeHengebitt« 
greiligrath« in rotb gebrucfter Schrift. 3 h re Stebacteure ents 
flohen ober mürben oerhaftet; nur greiligrath blieb leiblich uns 
angefochten noch ein 3ahr lang in Sötn. 3« ben oerhafteten 
©enoffen jene« Stheinifchen 8ettung«fretfe« gehörte auch Sari 
Schabber, ©orrector be« ©latte« unb güf)rer eine« Arbeiters 
oerein«. Die noch Meinen Staber beSfelben mürben baburch ber 
bitterften Stoth preisgegeben, namentlich al« auch «och bie ©tutter 
mährenb biefer Beit bahinftarb. Die greunbe übernahmen be§= 
halb bie Sorge für bie ©erroaiften. greiligrath nahm bie 
ältefte lochtet Dljuänelba gu fleh- ©ie laut mit bem ©tnrlat 5 
fieber behaftet in fein $au«, melche« er in ber 3obnnni«ftrahe 
bewohnte, unb bie golge mar, baf} auch greiligrath« Staber 
unb er fefber Oon biefer SranMjeit angefteeft mürben. Die gange 
Familie tag im Sieber bamieber. Da !am SaffaHe auf ©efut 
oon Düffelborf unb in bet hingebungSooHen greuubftaft, beren 
er in fo hohe® ©tafie fähig mar, forgte er gunätft mie ein 
SRetter in ber Stotf) für ben fronten Dichter. Dann mar er auch 
gleich bereit, ba« ©tapper’fte ©lenb mit linbern gu helfen. 

„Sieber greiligrath," fchrieb er nach feiner JRüdfeht Oon 
Düffelborf, „ich habe foeben einen ©rief oon bem Arbeiteröerein 
in ©epg auf bie Staber Schoppet« erhalten. Die ©räfin 
(£>ahfetb) mollte fchon lange beSbalb nat Söln lommen, um 
fit bei Dir gu erfunbigen, ma« am gwedmähigften für bie 
armen Staber gefchehen fann. Stunmehr hat fit bie ©räfin 
entfehtoffen, Deinem eblen ©eifpiet gu folgen unb, obwohl e« bei 
un« manche grofje Unbequemtichteüen hat, ein« ber Staber gu 
fit ju nehmen unb gu ergieljen. Denn alle« Anbere, ma« man 
thun lönnte, märe ja boch blo« eine nur fehr oorübergehenbe 
unb in ber Dljat nicht« helfenbe $ülfe. Am liebften hätte bie 
©räfin ein SRäbten, unb grnar märe e« gut, menn e« nicht 
mehr gar p Mein ift, etma 4 unb 8 Saht- 3ft aber fein ©täbs 
chen ba, fonbern nur Snaben, fo mag’« ein Snabe fein. Stur 
ba« fleinfte, erft einige ©Soeben alte Sinb mürben mir nicht 
acceptiren fönnen, ba unfere $au«baltung auf ein fo junge« 
Sinb fich fchlcd^terbing« nicht einrichten läfjt." 

Stach monatelanger #aft mürbe ©pappet entlaffen unb 
nahm feine Sinber rnieber gu fich. ©tit ihnen ging et bann 
nach Sonbon, mo er ftt mieber oerheirathete, beutften Unter-- 
rieht ertheitte unb ein Sogirhau« einrichtete. 

3nt Sommer 1850 überfiebelte greiligrath nach Düffels 
borf gurüd unb nahm feine SBohnung nahe babei, in ©itf. Stun 
mürbe ber perfönliche ©erfebr mit SaffaHe aut mieber recht lebs 
haft. Diefer mar oon jeher ein flotter Sebemann, ber eine 
luftige 3e<hgefettf<baft in feinem fjaufe liebte. Sin folgen Dheil 
ju nehmen oerlodte er greiligrath, ber auch öe« Stheine« 3Bein 
in hohen ©hten hielt, fo oft er nur eine ©eranlaffung bap fanb. 
©tan mirb bie SRittheilung einiger gemütlicher AuStaffungen 
pr ©harafteriftit SaffaHe« nach biefer Stiftung, unb auch feine« 
greunbe«, gemifj gern entgegennehmen. 

„Sieber 3unge," fchrieb ihm einmal SaffaHe, „thue mir ba« 
nicht an, auch heute mieber auSgubleiben! ©eefer (ber jefeige 
Dberbürgermeifter) hatte mir geftem Abenb, oon Dir fommenb, 
fo fi^er Dein ©rfteinen gugefagt! Aut miH ich ®ie baSfelbe 
gern erleichtern unb möglich »taten. Somme heute Abenb um 
8 Uhr. Swift en 12 unb 1 Uhr miH it in ©erüdfuhtigung 
ber Umftänbe Dir einen ungelränften SRüdgug geftatten. Much 
werbe it mährenb biefer wenigen ©tunben Wie eine liebenbe 
©tutter über Dit Waten unb Dit nitt fo Oiel trinfen laffen, 
bah ®eine. ArbeitSfähigteit für ben folgenden Dag baburt ge= 
ftmätt mürbe. Demnat Oerlierft Du nitt« al« bie ©tunben 
oon 8 bi« 10 Uhr, bie Du fonft oieHeitt, unb aut nur oiel* 
leitt, hätteft benufjen fönnen. Du fannft Abenb« bi« 7 % Uhr 
arbeiten; Du fannft, ohne Seftmer, um 8 Uhr am anbern 
Dage mieber am Arbeitstift fifjen. 3t bitte Dit, iah e« 
nitt Stil bei Dir werben, mit t®*t bebauerlite Ablehnungen 
ju accabliren. Unb befonber« bieSmal nitt, ba e«, h«rannahen= 
bet Stürme wegen, OieHeitt für lange ba« le|te ©tal ift, an 


weitem ba« nie genug p feierabe „edite bibite“ bei mir ans 
geftimmt mirb." Statbem er burt einige erfreulite fßrioats 
mittheilungen ihn be« ©Weiteren bahin gu übergeugen futt, bah 
„bie ©ötter gürnen, wenn man ihnen lein Danfopfer weiht", 
heiht e« bann not einmal beruhigenb im fßoftfcriptum: „Die 
©räfin läht Dir fagen, bah bie«mal gar lein ©elage fein 
mürbe, fonbern blo« gang heiter unb mäfjig unb einfat." 

Durt irgenb ein ©tifjoerftänbnih fühlte fit greiligrath, 
gerabe al« er fit anftidte, Düffelborf gu oertaffen unb oor gu 
ermartenben ©erfolgungen fit abermal« nat ©ngtanb gu Jütten, 
burt SaffaHe beleibigt. Al« biefer baoon hörte, ftrieb er ihm 
feine ^Rechtfertigung unter ©ormürfen, bah ber greunb eine 
Itänfenbe Abfitt oon ihm habe oermuthen fönnen: 

„©efonber« aber — mie lönnteft Du benn bagu in mir ben 
SBifien borau«fe|en, Dit beleibigen refp. fränlen gu rnoUen? ©Bar 
mein bisherige« ©eneljmen gegen Dit ®i e gegen einen ©teuften, 
ben man hänfen unb beleibigen miH? Ober habe it Dir nitt 
ftetS greunblitfeit, $erglitfeit unb gebiegene Attung bemiefeu? 
©Bie fonnteft Du mit nur in einen fo ungerett fränfenben 
©erbatt nehmen! ©emih, er hänft mit: benn it glaube nitt, 
bah $u, menn Dir bie Säte mit irgenb einem Anberen guges 
ftohen, in einen ähnliten ©erbatt gefaHen wäreft. Unb bot 
hatteft Du gerabe bei mir, ber it Dir ftetS nur entgegengelommen 
bin, am wenigften ©eranlaffung bagu. — ©ober atfo biefe ©er= 
bitterung be« ©emüth«? Dot genug baoon! ©ine SatiSfaction 
aber bip Du mir ftutbig für biefen Argmohn! ©ie beftehe 
barin, bah Du mit geftatteft, Deine Abreife nat Sonbon unb 
bie Hoffnung auf Deine balbige Mdfeljr gu feiern. Seftimme 
be«hatb felbft ben Abenb, ben Du mit in biefer, Dir gewifj 
Oielbefefeten ©Bote, bagu ftenfen fannft." 

3n Sonbon fanb jfreiligrath fehr horbe ©nttäuftungen. 
Seine rabicale ©efinnung, bie gmei Stedbriefe, Welte hinter 
ihm oon ben preufiiftcn ©eritten wegen feine« neuen £>eft« 
reoolutionärer ©ebitte unb bann wegen angebliter Setheiligung 
an ber rheiniften ©ommuniftenoerftmörung erlaffen worben 
waren, ftanben ihm in ber Sonboner SaufmannSWelt fehr im 
SBege. Son ber literariften ©eftäftigung gu leben, geigte füh 
ebenfo ftmierig, ba faum ein ©erleget in Deutftlanb bamal« 
etwa« oon ihm in Drud gegeben hätte. SRit ber eigenen Sloth 
fämpfenb, mar er gleitmohl raftlo« beforgt, nur bie Stoth ber 
anberen, gleit ihm oerftlagenen SRänner gu milbern unb ba= 
für nahm er aut SaffaHe« eble ©ereitwiHigfeit unb oermögtiten 
SRittel in Anfprut- SaffaHe that nat Sräften, ftidte au« 
feiner Dafte unb ma« er bei feinen ffreunben gefammelt, nat 
Sonbon an bie ©ebrängten, einmal 10 ©fb. ©terl., ein anber 
©tat bunbert gtanc«, inbem er Magte, „bah t m nat ben fargen 
©eiträgen unb theitmeifen refus bie Suft gu weiterem ^ernm* 
gehen oerginge". Aut beftmittigte er ben empfinbtiten Stotg 
greiligrathö wegen ber ©eforgnih beSfelben, bah m®n glauben 
fönne, e« fei ba« ©elb aut für ihn beftimmt ober er fei übers 
baupt ber ©ittfteUer für bie Anberen. „Die Anberen aber, mie 
gefagt, miffen nitt einmal oon Deiner Snteroention al« An* 
teiher." Die eben ftattgefunbene ©arifer Decemberreoolution 
hielt SaffaHe für eine Urfate mehr, bah ber „©ourgeoi«" feine 
Dafte gegen bie Stoth ber geflütteten Demotraten fo gugefitöpft 
hielt. „Die Stüpibität unferer ©ourgeoi«", ftrieb er be« SBeiteren 
über jene« ©reignih, „ift roirtlit unglaubtit- Diefe melle 
©iatrone glaubt, bah ihr bie testen 3äh«e ouäfaHen, fei ein 
Beiten ihrer beoorftehenben Serjüngung, eine« neuen grüh^ng«! 
Die bürgerliten Demohaten taffen bie Söpfe hängen, mie 
Drauermeiben, unb geftehen befteiben, bah bie 2Bett für bie 
nätflen Decennien not nitt reif fei, ihre SBeiSbeit gu ertragen. 
Stur bie Arbeiter geitnen fit burt ib r en Slaffeninftinct au«, 
mit bem fie begreifen, bah ber 2. December ein ©anborageftent 
für bie ©ourgeoifie gemefen ift." Sobann h e *6t eS not ® 
biefem Düffetborfer ©riefe oom 15. December 1851 in ©epg 
auf greitigrath« eigene Sage: „3t freute mit fton fo, bah 
Du 'eine AnfteUung an einer Sonboner ©ibtiothet gefunben 
hätteft uub traurig ift e« mit, biefe greube bementirt gu fehen. 
Die ©räfin grüht Dit nnb Deine gamitie hooglitft. SäBeh 1 


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Nr. 21. 


li t ©egeitwart. 


333 


mütljig gebenlen toir oft ber Seit, wo bet lefcte ©tohilaner noch 
ba war unb manchmal eine Sowie oertilgen half- ©ber alle« 
Schöne lehrt wieber unb barutn erinnere Std) unter allen Um« 
ffänben, bap laut feierlichem ©elübbe ber erfte ©benb, ben Xu 
Wieber in Xüffetborf weilft, nicht Sir, noch irgenb einem anberen 
©ott bet Ober« unb Unterwelt al« mir gehört!" 

greitigrath erhielt enblich nach lungern garten in Sonbott 
eine ©npeüung im Somptoir üon SRr. 3of*Ph Dfforb, einem 
jübifchen Kaufmann ber Sitt». 

©enn au« bem ©riefwedjfet in biefer Seit noch etwa« erwäh« 
nen«werth ift, fo ift e« bie pdjttidje Siebhuberei, mit welcher Saffalle 
ba« £iebling«wort greitigrath«: „Xtofc allebem unb aüebem" barin 
mehrfach citirt. greitigrattj führte e« fdjon in ber gtüdtichen 
©oetenjeit, bie er früher am Schein oerlebte, im 2 Runbe, hatte 
e« bann nadh ©urn« jum Xitel unb ©ebantengang eine« feiner 
teibenphafttichften rebolutionören Schichte benufct unb feitbem 
War e« }u einem geflügelten ©orte geworben. ©ber eiferfüchtig 
War ber Sichter barauf, bap ihm ba« Urheberrecht baran ge« 
Wahrt bleibe, auch trug e« fein Siegel al« ©ahrfprudj. 

3m Uebrigen geriet!) ber ©riefwechfet jwiphen Saffalle unb 
bem ejcilirten greunbe mehr unb mehr in’« Stoden. greitigrath 
machte ihm phtieptidj wohl noch mehrfache Senbungen, aber er pprieb 
nicht« ©äljere« an Saffalle. Xiefer hatte ihm fein Xrauerfpiet 
„granj oon SftKngen" jugeljen taffen, um be« Sichter« Urtivit 
barüber ju Oernehmen, unb barauftjin äußerte pdj berfetbe benn 
auch einmal wiebet gegen ihn. Unterm 7. ©ooember 1860 
antwortet nun Saffalle mit folgenbem intereffanten ©rief: 

„Seit oielen fuhren Warp Su mir eine ©ntwort fchutbig 
geblieben unb auch alle« ©ahnen burdj ©atj blieb umfonft. 
Sch glaubte baher wirtlich, bap Su etwa« gegen mich hötteft 
unb gerabe weit ich mir gar nicht bewußt war, bie« heroor« 
gerufen ju haben, fdjmerjte e« mid) um fo mehr. Um fo mehr 
greube hat mir nun Sein ©rief gemacht, ber mir jeigte, bap 
e« nicht« al«, freilich arge, gaulheit war, wenn Su fo lange 

mich 9 °r nicht« hören liegest." ,,©a« Su Oom Sidingen 

fagft, freut mich, befonber« wenn e« nic^t blo« au« fcöfltdjleit jc. 
jo gefagt, fonbern anch ganj gemeint ip; aber ben Xitel, ein ©oet 
jn fein, fann ich, beffen bin ich mir wohl bewußt, boch nicht 
in ©nfprudj nehmen. 3 <h hatte, aufrichtig gefptodjen, ba« 
Sranta trofc feiner gormennadilüffigleiten für ein fet)r gute«; 
mich aber beSWegen boch nullement für einen Sichter unb 
nie wieber würbe mir ein« gelingen! Sie ©hantafie be« 
Sichter« geht mir eben ab. Sie« ba habe ich meit mehr mit 
reoolutionürer Stctionäfraft al« mit bidjteripher ©egabung fertig 
gebracht nnb jebe« Srama, ba« ich fdjteiben lönnte, würbe mir 
immer wieber biefe« Sine unter anberen gormen unb ©amen 
fein, gfir ba« Spriphe habe id) gar,lein Xatent; man lömcte 
mich i°bt fdjtagen, e|e ich ein einfach innig tprifdje« ©ebicpt 
fertig brächte, unb in jo weit ba« Sprtfdje im Sramatiphen ent« 
palten fein mup unb im Sidingen j. ©. ift, fehlt ei mir boch 
feljt an ber regten gäljigleit, bie eigene Stimmung in ©eife 
wahrhafter ©efüIjtSunmittetbarleit wieberjugeben. ©ei 
biefem ©ebredjen tann man wohl mit fpecutatioen ©ebanten 
nnb reoolutionürer ©ctionölraft- einen betartigen Stoff tragifdj 
unb erfdjfitternb gepalten, man lönnte eoentueP ein noch f® 
oortrefflidje« Srama barauS gemacht haben, aber man bleibt 
nidjtSbeftoweniger himmelweit baoon entfernt, ein Siebting ber 
©ötter, ein Sichter jn fein." 

' ,,©ie erfreut hat mich ®eiue Sdjitberung Seine« gamitien« 
leben«! ©ie einfach unb er greif enb Seine ©orte: nun e« wirb 
9tadjmittag! Sa« ©efüljt oerpehe ich 0 at fehr! ©erflehe e« 
um jo mehr, al« ich mid), ich weip nicht mit welchem ©echt, 
fo lange für ben ©epräfentanten ber ewigen Sugenb gehalten 
habe unb nun feit einiger Seit einjufeljen anfange, bap e« mir 
eben anch 8 <ht mie gebeut. 8 war bin ich laum noch auf bem 
SRittag be« SebenS, bin noch jung; aber ba« Sitter naht mir 
tn gotm oon Äranttjeit! ©o ip jene unbepegbare, ©He« oer« 
ladjenbe gugenblraft hin! Seit neun SWonaten leibe ich fehr 
unb mufj mid) gewöhnen, Irant ju fein unb nicht mehr afl« 
mächtig über mich, wie fonp! Sie Seele, ba hap Su recht. 


bie bleibt ungebeugt! Sich, e« ift fdjmer, pe ungebeugt ju er« 
halten in Seutfdjtanb, fernerer hier al« im S|it! @8 mufj bei 
Such in Sonbon mehr ©aterlanb fein al« hier: 3h* feib bodj 
bort immer mehr ganj in bemfetben ©ebanlentrei« Sebenbe. 
$ier habe id) jwat ©ienfdjen genug unb juoiet, aber wo pnbet 
man hier wahre ©ebantengenoffen? Sie finb fort unb geiftig 
lebt man fomit einfam, ganj einfam!" 

©t« Saffalle einige 3ahre fpäter feine ihn oerjeprenbe 
„reoolutionäre ©ction«lraft" für bie fociatbemotratifdje ©gitation 
mit all feiner Seibenphaptidjleit einfefete, ba warb er überall 
hin um ©epnnung«genoPen. ©uch an greitigrath wanbte er 
fith be«hatb. ©ber biefer lönnte pdj für bie Saffatle’fd)en 3been 
nidpt erwärmen. Sr war in ber bidjterifdjen ©uffafiung ber 
nationalen wie fociaten 3 beate ber ©tte geblieben unb fah be« 
ruhigter fchon ©iete« oon bem gut ©irHichleit werben, wa« ihm 
einft al« 3iel lühnfter ©ünfdje oorgefchwebt. Saffalle aber war ju 
einer neuen reootutionären ©arteiibee burdjgebrungen, bie feit 
feiner 3ugenb fchon in ihm gearbeitet hatte. Ser Sichter folgte 
ni$t bem ©gitator; ihr ©riefwedjfet fanb baher auch burdj bie 
Burüdljattung greitigrath« fein Snbe unb fie faljen pdp auch 
nicht Wieber. 

S<hmibt«U?eijjenfels. 


fintt^enkntaler nnb hi^oriftpe ^Uterthnwcr. 

Sine unpotitifdje ©ei^«comoetenjfrage. 

©or fiurjem brachten bie Leitungen im 3 nferatentheit eine 
gantilienanjeige, wonach ber ftöntglid^e Sonferoator ber Äunft« 
benlmäler, ©eheimer ©egierung 8 ratlj Oon Duaft auf ©abenSteben, 
ba« 3eitü<h e gefegnet hat. Sa« öffentliche Seben hat fo gut Wie 
gar leine ©otij oon biefem Xobe«fatt genommen; hö<hP en 8 , bap 
ber jiemtich ebenfo im ©erborgenen fein befcheibene« Safein 
friftenbe ©erein für bie ßunp be« ©ittetatter« bei ber nädjften 
Sifeung Oor ber Xage 8 orbnung bem Sahinfcheiben feine« lang« 
jährigen SDtttgliebe« unb, irren Wir nicht, ©titftifter«, einige 
©orte be« ©nbenlen« gerichtet hat. ©ir glauben fogar getroft 
behaupten ju bürfen, bap eine grope SRehrjaht fonft leiblich 
unterrichteter unb pcp für ©iffenfdjaft unb ffunft intereffirenber 
Seute, oon ben engften gadhlreijen natürlich abgejeljen, überhaupt 
erft bei biefer ©etegenljeit oon bem ©orhanbenfein eine« Staat«« 
amte« mit bem ftoljen Xitel: „königlicher Sonferoator ber ftunp« 
benlmäler" Äenntnip erhalten, ober bodh wenigften« nöthig gehabt 
hat, pdj barauf ju bepnnen, bap man gelegentlich einmal fo etwa« 
gehört habe. 

Sap un« nicht« ferner liegt, al« ben ©erftorbenen bafür 
oerantworttidj madjen ju wollen, bebarf taum ber befonberen 
^eroorpebung. ©enn e« pch in ben fotgenben ©emerlungen 
um ©erfönti^e« hanbette, fo würben wir in ber Sage fein, fo« 
Wohl oom SRenfdjen al« oom Sadjoerftänbigen, trofc ber Sin« 
feitigteit ©eiber, nur mit ber ooPlommenften ^odhacptung ju 
fptedjen. 3 «beffen bient bie ©erfon nur al« erfter ©nftop unb 
©u«gang«punlt für* bie Sa^e. Unb biefe fdjeint un« wenigften« 
burcpau« nicht einfach f° i u liegen, bap man bem ©runbfah 
„Le roi'est mort, vive le roi! u , ober, um unter ©erwahntng 
gegen jebe ©n)ügtichteit beutfch ju reben, ber gleichwertigen 
©eget be« bentfdhen ©riüatredjt« „Sifern ©ieh ftirbt nie" ohne 
©eitere« ©nwenbung wünfcpen lönnte. Schon ber Umftanb, 
bap pcp in ber Oeffenttichleit nicht ba« geringfte 3 ntereffe wei« 
terer Äreife für bie jonft fo nahe tiegenbe grage nach bem: ©a« 
nun? ober wenigften«: ©er nun? gettenb macht, bap ein ©e« 
wuptfein oon einer ber ©u«füQung bebürfenben Süde fo gut 
Wie gar nicht empfunben wirb, fcheint un« bafür }u fptechen, 
bap bie Sache fetbft pch ni^t in ber richtigen Sage bepnbet 
unb bap Pe fetbft nicht fo bleiben lann, wie pe ift. 

Ueber bie nationale, gefdjichttiche unb funftgejchid)ttiche ©e« 
beutung bet Srforfchung unb wütbigen Srhaltung ber oorljanbenen 


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384 


9t* «fgMpart 


Nr. 21 


Sung« nnb tjiflorifd^en ©enfraäler jeber Art glauben wir nigt 
oiel SBorte matten gu bürfeu. Sebed ffiotf, welged eine ©er« 
gangengeit bat, gält bie {Erinnerungen unb SBagrgeigen berfelben 
heilig, wenn ed unb weil ei auf eine gufunft bofft, bie bem 
ibr oon beut gegenwärtigen ©efgtegt llebevtieferten bad ©leige 
tgun foB. Unb gerabe je megr Wir ©eutfgen bem Aber alle 
ferneren Seiten ber Serriffenbeit hinüber geretteten ©efügl ber 
Sufammengegörigleit oerbanfen, bad und enblig bog wieber 
gufammengebragt fyat, um fo mehr ©erantagung haben wir, 
auf bie wfirbige {Erhaltung ber 8eugen jener ©ergangengeit he« 
bagt gu fein, in ber fgtiegtig bie ©efügldfäben, bie und gu« 
fammengegalten haben, angefnüpft unb gekannt ftnb. 

* hierüber bitrfen alte Parteien, bie Anhänger ber Kommune 
ausgenommen, einig fein. 

dagegen wirb eine furje genetifge ©tigge Aber bad, wad 
in ©reugen, non bem wir audgegen, gur {Erreichung jener Swecfe 
Oorganben ift, unb namentlich über bad Statt bed ©onferoatord 
nicht Abergüfgg fein. SBte fo ©ieted oerbanfen wir auch bie ©teile 
bed königlichen ©onferoatord ber Suttgbenfmäler bem anregenben 
SBorbilbe Stanfreigd. SBie ber gu ©runbe tiegenbe ©ebanfe ber 
©igenart Stiebrig SBtlgelmd IV. äugerft fbmpatgifg fein muhte, 
fo ift auch feine AudfAgrung non bemfetben angeregt unb mit 
ber (Errichtung ber ©teile bed ©onferoatord burcb ©abinetdorbre 
Oom 1. 3uti 1843 ind SBerf gefegt. ©ine im fotgenben Sabre 
unter Suglerd SKitWirfung ertaffene Snftruction regelte bie 
Sunctionen unb ben SBirtangdfreid bed ©onferoatord, eben bed 
s jegt berftorbenen, bamafigen ©auraigd oon £luaft; unb burcb 
einen ©rfag bed ©ultudminigeriumd, WeTgem ber ©onferoator 
unmittelbar unterteilt war, Würbe auch fein ©ergältnig gn ben 
^Regierungen unb anberen ©egörben präcigrt. 3m SBefentligen 
war hiernach ber ©onferoator ein bloger ©agoerftänbiger ohne 
©jecutibe, beffen ©ntagten in allen einfcbtagenben fragen 
nicht umgangen werben fottte; et fofite ferner Snfpectiond« 
reifen machen unb Aber beten ©rgebnige berichten, auch wobt 
©orfgtäge gu ©eftaurationen u. f. w. einreicben, unb enblig Wirb 
ihm auch bad wenigftend wiebergott bon ihm in Anfprug ge« 
nommene SRegt beigelegt gewefen fein, bei ©efagr im ©erguge 
bie AudfAgrung bon ©erfügungen ber unteren ©egörben bid gut 
©ntfgeibung ber ©entralingang gu flftiren. Snbeffen war auch 
biefer befgeibene ©ingug bed ©onferoatord nach Sage ber ©efeg« 
gebung, welche Abrigend im SBefentligen beute noch gilt, nur 
innerhalb ber ©rengtn ber ©taatdOerwaltung felbft möglich, unb 
ba ed ein ©echt ber ffiinwirfung bon ©taatdwegen nur bei 
Sunft= unb anbetn ©ettfmälern im ©igentgum bed ©taatd unb 
berjenigen öffentlichen Korporationen gibt, welche rücffigttig 
ihrer ©ermögendberwaltung unter ©taatdauffigt fteben, fo blieb 
bie gange gtofje ©ontäne bed ©riüatbefiged nur bem frommen 
SBunfge unb ber gAtlicben ©inwirfung gugänglig. #ietaud 
ergab jtg bann meift bad wenig elfprieglige ©efultat, bag bet 
Staat gwar immer fofort mit feinem ungebetenen guten 8tatb ( 
bei ber £anb war unb häufig genug in ber ©erfon bed, 
©onferoatord bad gewöhnliche ©gicffal folgen SRatggeber erfuhr, 
mit ber ©gat aber niemald bei ber $anb fein burfte unb fonnte. 
Hm fchlimmften geigte geh biefer Uebetftanb, fo wie bie Srage 
ber würbigen ©rgaltung, namentlich ber ftilgemägen, oon im 
©egg armer ©emeinben ober oon ©rioatleuten beßnbtigen ©au* 
bentmätern, ober auch uur bie Stage ber ©rgaltung quand 
mdme bürg Abwenbung bed Abbrugd, gur pecuniäten würbe. 
Dgne materielle ARittel fann bie befte Abfigt unb bie benfbar 
oortreffligfte Drganifation in fotchen Stagen gu nichts führen. ®te 
Drganifatien hat man freilich fgäter in ben fAnfgiger Sagten 
bureg ©htfegung einer permanenten königlichen ©ommifgon gur 
©rforfdgung unb ©tgattnng ber ^unftbenfmäler noch oeroott= 
ftänbigt, welcher anger ben betreffenben SRinifteriatbeamtcn unb 
bem ©onferoator, ber ©eneralbitector ber SRnfeen oon EUferd, 
ber ©egeime Dberbauratg ©tAler nttb ber beTannte Sunftgiftoriler, 
©egeime OberreOigondratg ©djnaafe angegörten. 9taig bem 
jegt erfolgten ®obe bed ©onferoatord fann bie ©ommifgon, oon 
beten ©rgttngung nidjtd befannt geworben ift, wenn ge Aber« 
gaupt notg ejiftirt, gerabe noch aud einigen SRinigerialrätgen 


beftegen. Snbegen gat biefelbe weniggend früher einige Bebend« 
geiegen oon geg gegeben, ©ot längerer Seit ift und ein ®rucf« 
egemplar eined Oon berfelben audgearbeiteten Stagebogend gu 
©egdjt gefommen, welcher bei ben ©orarbeiten gur HufgeQung 
eined Snoentard ber fammtlicgeu Äunft= u. f. w. ®enfmäler ber 
©tonaregie ©etwenbung gnben foflte, unb tgeilweife auch aud« 
gegeben gu fein fegeint. ®ie ©ommifgon gat ferner in allen 
©rooingen ©orrefponbenten ernannt, welche mit igr ober mit 
bem ©onferoator, fo lange fie unb er lebten, in ©erbinbung 
geganben gaben mögen, hiermit ift, wenn wir oon bet ©ei« 
begaltung ber bei ber Hnnepion in $annoOer unb in ©cgledwig« 
$otftein oorgefunbenen ©onferoatoren bet Sanbedaltertgümer, 
unb bon ber ©egaQung oon Socalconferoatoren an eingetaen 
Orten g. ©. in SBiedbaben unb in ©tratfunb abfegen, bie 
Organifation in ©reugen, foWeit ber ©taat in Stage fommt, 
unfeted SBigend erfegöpg. 

©ereitd oben ig ber ©runbfeglet augebeutet, beftentwegeu 
biefer gange, an geh bortreglicge Hpparat nicht gweefentfpretgenb 
functioniren fonnte unb niemald fönnen wirb. SBer jemald in 
ber Sage gewefen ift, bie ©eigülfe bed ©taatd für bie ©rgaltung 
oon ^Reliquien ber ©orgeit, bie nicht bem ©taate gehörten, gu 
erbitten, wirb tegetatägig ber ©ergegerung bed lebgaftegen Suter« 
eged in ©efeUftgag mit bem acgfelgudlenben ©ebauem, bag 
„feine Sonbd" bagu oorganben feien, begegnet feint ©eim ©fanget 
eined geeigneten etatömägigen Sonbd bleibt nnt ber für ©naben« 
bemiOigungen, alfo ber Httergöcgge ©ifpogtiondfonb bei ber ©eneral« 
gaatdfage übrig, unb biefem ift ed auch gu Oerbanfen, toenn 
trogbem nocg etwad, unb gwar unter folgen Umftänben oer« 
gältnigmägig Oiel, gefeiget worben ift. SBie fegt aber biefer 
Sonb bon allen ©eiten in Hnfprug genommen wirb, unb 
welchen gagltofen Attentaten berfelbe audgefegt ig, barüber gat 
ber Sinangminiger in ben ftammetoerganblungen unb iu ber 
©ommifgon oerfdjiebentticg Auffglug gegeben, ©ebenft man 
ferner, bag biefer allgemeine SAcfenbAger auch für bie fleingen 
Summen nur bürg eine auf ben ©erigt gmeier ©finiger er« 
lagene, unb oon beiben gegengegeignete ftönigfige Orbre er« 
fglogen unb in ©ewegung gefegt wirb, fo> wirb ogne SBeitered 
flar fein, bag gier bie geeigneten ©littet für eine planmäßige 
©rforfgung unb ©rgaltung ber gigorifgen ®enfmalet, welge 
gu ben bauernben, niemald erlebigten Aufgaben bed ©taatd ge« 
gört, nigt oorganben unb nigt gu fugen gnb. 

Atterbingd ift früger einmal ber Serfug gemagt Worben, 
eine Aenberung in biefer hinggt gerbeigufügren. Am 26. gebruar 
1852 nagm bie Jmmalige gweite Sammet in igrer 29. ©igung 
ben oon einer unbegritten erften Autorität bed Saged, oon 
Steigendperger, gegettten Antrag an: „®ie Sommer wotte bie 
©rwartung audfpregen, bag bad ©finigerium bei AufgeOung 
bed nägften ©tatd auf bte planmägige ©rgaltung ber gefgigt« 
ligen ©eufmäler bed Sanbed fpecieöe Stäcfggt nehmen werbe." 
©inen ©rfolg nag ber materiellen ©eite gat biefe oon ber 
©ertretung ber ©teuergagler audgegangene Anregung nigt ge« 
gabt, unb wir erinnern und nigt, bem Antrag wieber begegnet 
gu fein, woran bie fpäteren gnangietten unb potitifgen Sugäube 
©gulb fein mögen. Auf biefem ©taHbpunft bed ©tangeld aller 
etatdmägigen ©tittel für bie befonberen Swecfe ber ©age gegen 
wir trog ber ffltiüiarben in ©reugen nog geute. ©trabe bied 
fgeint und aug baran ©gulb gu fein, bag wir fogar ber ergen, 
notgwenbigen ©runblage einer planmägigen ©rforfgung unb 
©rgaltung, ber Snoentarigrung ber ©entmäler, nog fag ooH« 
gättbig entbehren. @o lange biefelbe nigt gnm Smecf einer 
Slafggcirnng ber ©enfmöler nag igrem Anfprug auf Untergattung 
aud öffenttigen ©titteln, turgum gur AufgeQnng eined auf be« 
gimmten, regrimägtg oerwenbbaren ©titteln fugeuben ©laned 
gefgiegt, gat ge atd bloge SufammeugeQung oon ©ateu eben 
nur ein ootwiegenb tgeoretifged 3niereffe, toelged ber ©taut 
wogt fötbern, aber nigt gunt unmittelbaren ©egenftaube feined 
©ingreifend magen fann. ©emgufotge ig ge bidger bem 
wigenfgagligen ©ifer oon ©efgigidoemnm unb ©rioat« 
perfonen Aberlagen gewefen, bie bann alletbingd bürg ©ntnahme 
enter gtögeren Sagt bon ©jemplaten oon ben ©taatdangaäen 


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Nr. 21. 


flif Äf|ttnmrt. 


335 


untergügt worben gnb. Ron einer planmäfjigen Snitiatiöe bes 
@taatö ig bagegen nichts betannt geworben. Ser non bet 
©ommiffbn anSgearbeiteten Fragebogen, toeldje lebigtieg jenen 
tgeoretifegen ©ammelcgarafter gaben, ift bereits oben ©rwägmtng 
gefcgegn. Heber ben neueften ©taub ber Slnoentarfrage gibt ein 
int nötigen Sagte bung bie Tagesblätter betannt geworbener 
©ircularertafj beS ©uttuSminigerS SfuSfunft, in welhem ben 
Oberprägbenten aufgegeben wirb, bie Rrooinjialoertretungen pr 
^Bewilligung ber SRittet für bie Snoentarigrung p bewegen. 
Sanacg liegen mit ©taatsunterftiigung neröffentticgte Snoentare 
nur für ben RegierangSbejitf ßajfet unb für bie Rrooinj hannooer 
not, wägtettb bie Rgeinprooin} bie ÜRittel für bie Bfcüentari« 
ftrung ber bortigen Raubenfmälet nub Ueberrefte ber Seegängen* 
geit aus gänbifegen Fonbs bewilligt gat, unb HegnliegeS für 
©cglegen in HuSgcgt ftegen foüte. bem Gebiet ber atten 
HRonaregie gnb Wir atfo in ben 30 Sagten feit ber ©intid}* 
tung ber ©onferoaiorgetle p nicgtS gefommen. SBaS bagegen 
eine ©entralgeüe mit öffentliegen SRittetn teigen tann, beweift 
baS bereits feit längerer Seit nottenbete Sunentar non ©tfafs« 
Sotgringen. 

88 ir fönnen aber übergaunt bie Slbwälpng biefer Hufgabe, 
gefcgweige benn bie ber planmäßigen Rgege unb ©rgalluttg, auf 
bie Rrooittgen nitgt für ben nötigen SBeg gatten. Stuß einmal 
ReibeS als bauernbe Rerpfliegtung ber ganzen Ration unb als 
Rationalaufgabe nnb Sntereffe anerfannt werben, fo tann bie 
natürti(ge ©onfequenj nidgt abgelegnt werben, baß bie ganje 
Ration, ober um ftaatSreigttüg p fpretgen unb glettg mit ber 
Tgür in'S $auS p fallen, baS Reih beiptragen nnb bie ganje 
Hngelegengeit begnitio in bie hanb p negmen unb p regeln 
gat SBie bie ©acge fetbft (eine fpecigfeg nroninjieüe ober eütjel« 
gaatliege, pteußifcge, fähgfege, fonbern eine beut fege ig, fo gegärt 
ge aueg igrer eigenen Ratur nacg materiell unb formell unter 
baS Reitg, wetcgeS fo öerpfliegtet als berechtigt ift, biefelbe nor 
fein Forum p jiegit. 

Seit jerftrent im ganjen Reiige liegen bie ftummen Beugen 
ber gemeinfamen Rergangengeit, beren würbige ©rgattmtg Stilen 
gtettgm&ßig am &erjen liegen muß, nnb oft genug gnb geenbe 
bie bebeutfamgen unb größere Stiftet erforbernben nicht and} 
gerabe im Reg| ber ieignngSfägiggen ©igentgümer ober im 
Territorium ber oermögtieggen RuubeSgaaten. SEBir geftegen 
offen, bag wir ber Rittgeflerei um nationale Hlmofen in jeher 
Form, namenttieg aber in ber Form ber Sotterie, mögtiegg abgolb 
gnb, unb böig gaben geg alle grügeren Unternehmungen, aucg 
öon ber anertanntegen nationalen Rebeutung, biSger bureg fotege 
nicgtS weniger als jWeifetSogne erfegetnenben SRittet über SBager 
gatten »äffen. SBir erinnern nur an ben ftölner Tom. Segt, 
wo wir ben RereinigungSpunft für alle nationalen §nterejfen 
Wiebergewomien gaben, fönnen unferer SRetnung nacg aud} bie 
genügenben Stiftet pr (Erfüllung beS nationalen B»edS ber 
(Srforfdjuug unb würbigen ©rgattung ber geggidgtlidjen unb ber 
fiungbenfmäter beS ReiegeS niegt fegten. haben wir (Selb genug, 
um auf ReiegSlogen ben Griechen igte Hltertgfimer oon Otgmpia 
anSpgraben, fo glauben wir, ogne bem ftafgfcgen Httectgum in 
feinet Rebeutung als rectpirttS ©tement beutfeg er Kultur im 
geringgen p nage treten p wollen, bag wir aueg für baS 
hemb, melcgeS unS nager ig unb bleibt als ber Rod, baS Rötgige 
aufpbringen in ber Sage fein mügen. 

Ser gegenwärtige Beitpunft, mit welcgem in bem hauptgaat 
beS Reicgs bureg ben Tob beS ©onferOatürS ooDftänbig freie Ragn 
eröffnet ig, wirb als ber geeignete niegt berfannt werben fönnen. 
@<gon an geg erfegeint es unmöglich, eine in ber Saufatng, ber 
ftunggefegiegte, ber Haffifegen nnb ber egrigtiegen Hregäologie unb 
in ben prägiftorifhen SBigeofegaften, afleS Fäeger, bie ber ©on« 
ferbator begerrfegen rnfigte, gleichmäßig befcglagene ©ctgacität p 
ftitben; unb wäre ge gefunben, fo bleibt eS pm minbeften fegr 
fraglieg, ob ge fieg p ber gafgben ©teüung eines ©utcnglerS, 
wie eS bie beS ©onferbatorS tgatfäcglieg war, gerbeitagen würbe, 
pmat bie Sotation unfereS SBigenS niegt befonberS berloefenb 
ig. SBie ganj anbetS würbe geg bie @aege unter Seitung einer 
ReitgScommifgon gegolten, für welege geg in ganj Seutfegtanb 


unjweifelgag bie geeigneten ftrüge gnben würben, unb ber p« 
näögg bie Stufgabe gegellt wäre, bie ber Srgattung auS ReicgS« 
mittein würbigen Seufmäler ber SBergangengeit p betpkgnen 
unb auf ©runb biefeS SSerjeiegniffeS über ben $lan nnb ben 
oorauSficgtliegen, jügrlicg in ben ©tat einpgedenben Sebatf be» 
ftimmte SSorfegläge an ben ReiegSfanjler p tilgten. Sie Frage 
ber weiteren Drganifation fann gier, wo eS geg tebigtieg um 
eine erfte Stnregung ganbett, auf geg berugen, unb wirb geg, 
fobatb nur bie SRittet ba gnb, bureg eine auf ben S3ericgt ber 
©ommifgon p erlaffenbe Sngruction beS ReicgSfan^lerS leiht 
ertebigen. Rur weit man fo gern auf bie Racgbarn qctmptu 
geirt, fei es gegattet, auf bie in SBien begegenbe ©entratcommifgon 
für ben öftreiegifegen ©efammtgaat ginjuweifen. Ron Ftanfreieg 
möegten wir gar nidgt fpreegeu, um niegt oor SSertegengeit unb 
Reib oergummen p müffen. SBaS gier für baS Reih bor« 
gefhlagen wirb, beftegt bort längft, unb in welhem Umfang 
unb mit Welhem ©rfotge, beweifen aufjet ben orbenttihen ©tats« 
gofitionen bie beim jünggen ©tat beantragten ©rebite pr pgoto« 
grapgifhen Rerbielfättigung ber hangtbenfmäter begufs Rer« 
tgeitung ber Hbpge an fammtlihe @hbten. SBir finb p ©nbe. 
Stögen Siejenigen, bie eS angegt, baS Sgnge tgnn.*) 

ICtus. 


Jl»5 btt ^etöptfletbf. 


Somtnsfo Salbttti. 

Freunbe, auf beren Urtgeit >h etwas gebe, — namentlich 
Slbotf SBitbranbt unb Slbolf ©onnentgat — gatten mir fegon 
bon SBien auS unb galt} unabhängig oon einanbet in faft über« 
fegwangtieget SBeife igr ©ntjüefen über ben itatienifhen Tragöben 
©aloint auSgefgrohen, ben ge ogne irgenb Wethen oorghtigen 
Rorbegatt als ben ergen unter ben tebenben ©egaufgietern be« 
jeügneten. Stit ungewögnlihen ©rwartungen fag ih bager bem 
erften Hugreten ©atOimS entgegen. SReine ©rwartungen gnb 
übertroffen worben, ©aloitti ig — kg gimme bem Urtgeit 
meiner Freunbe bofifommen bei — niegt nur ei» Steiger ber 
SargeKungSfung, et tg unter ben barfteflenben Äünglern ber 
jegigen Generation ber Steiger. 

©aloini beggt fegöne natürlihe SRittet: eine manntihe, 
gattlih« Gegatt, fräftig unb breitfegitltrig, mit gemötber Rrng, 
einen intewffanten ffiogf mit ebel gefhnitienen Bügen, mit goger 
©tim, mit lebgafteu intelligenten Stiegen, mit einem energifegen 
SRunb, unb oor HSent ein munbertooUeS Organ oon bem fettengen 
SBogttaut, Ooü ©egmelj nnb ftraft pgtekg. Ron bcefen reiegen 
Raturgaben ift nie ein eblerer Gebrauh gemäht worben. 

Sk Gleieggeit ber SanbSmannfhaft, bes fiungpietgeS unb 
ber Rebingungen, unter benen ftig bie fiünglev nnS gezeigt 
gaben, bröngt unwiüfürlieg p einem Rergleug jwifhen Tommafo 
©aloini, ben geute baS Rertiner Rublicum bewunbert, unb 
©rnego Rofg, bem eS oor einiger Beit feine ©gmpatgien ent« 
gegengebraegt gat. 

Sk beiben berügmten itatienifhen Xragöben, bie jufäüig 
ober abghtlih tu berfetben Rolle als OtgeUo perft oor bem 
norbbeutfegen Rubttcum erfegienen gnb, gnb in Repg auf bie 
natürlihen SRittet, übet Wethe ge Oerfügen, gtekg gut bebaegt, 
in füngledfher Regkgnng aber Hutipobe». SEBenn man Rofg 
p ben ReaKgen rehnet, fo mügte man ©aloini ben gbeatigen 


*) 3« ber 3wif<geit}ttt bis pm fföbnuf bes obigen Gemertimgen 
ig bie Hnfmertfennfeit bet ReiegSbegtebeu Mn ben Fctegbeifen aus birect 
für bie groge in Hnfpcuh genommen worben. Sie bk Bettungen 
metben, ig in ber @igung bes RunbeSratgS twm 9. ÜRai b. 8 . eine 
ben ©<g u b bet beutfegen Ihutgbenfmale betreffenbe ©ingeebe be# SorganbeS 
beS GerbanbeS beutfeger Hrcgitelten« unb Bngenieitroereine »orgelegt unb 
über btc gefegüfttiege Geganbtung berfelben befegWffen worben. 


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336 


Sie Gegenwart. 


Nr. 21. 


beigefetten. 3<P pabe mir atlmäpticp bie ©leinuttg gebübet, bah 
SRoffi me^r iener Äunftricptung angepört, bie fiep in ffranfreich 
gu©egimt ber 3utimonarcpic Sapn bracp unb bort „StomantiSmuS" 
genannt mürbe. gür bie $etben ber ©ictor £mgo’fepen Dramen 
fönnte icp mir taum einen geeigneteren Darftetler benten, at§ 
SQoffi. DaS ift auf ber ©üpne biefelbe SBitbpeit unb Seiben: 
fcpaftticpfeit, bie uns aus ben erften Dramen SBictor $ugo8 ent: 
gegenftürmt. Stoffi arbeitet mit ben ftärfften ©tittetn, er gept 
gern bis au’S Sleufjerfte; man tann nicpt behaupten, baff fein 
Spiet äftpetifdpeS SBoptgefatten einflöht, aber er ergreift unter 
Umftänben mäcptig. 

Satoini mürbe aber jener Scpute gugugäpten fein, bie man 
in Sranfreidp im ©egenfap gut romantifcpen als bie „ttaffifdpe" 
begeidpnet. Seine ftunft ift ftreng unb gemeffen, er ift pauS: 
pätterifcp mit alten ftarfen ©tittein, fein Spiet ift oerinnerticpt 
unb bereitet bem gufdpauet ftets baS reine ©epagen. ©oetpes 
Definition biefer beiben Sdputbegriffe, ber mit einem futgen 
SBorte baS Stomantifcpe als ungefunb unb baS Älaffifdje als 
gefunb pinftettt, trifft audp pier ootlfommen gu. 

Stoffi, beffen merfmürbigeS Xatent in teiner SBeife ge= 
fcpmülert merben fott, macpt als Othello bie ©eftie glaubhaft, 
Satoini bagegen entfteibet ben Dtpetto ber ©eftie unb macpt 
ipn menfdplidp rüprenb. 3ener erregt oornepmlidp ©ntfepen, 
biefer baS ©titgefüpt. ©ei Stoffi tobert bie ßeibenfcpaft nadp 
aufjen perauS, bei Satoini brennt fte nach innen hinein. Stoffi 
gerlegt bie Stotte in eine Summe bon ©ingelmirfmtgen, Satbini 
fafit nur baS ©ange in’S Stuge, er bringt ber ©efammtauffaffung 
Opfer bon fotzen ©ingelmirfungen, bie ficE) ein Stnberer jo leiept 
nicpt entgegen taffen mürbe. 

Die gange ©erfdpiebenartigteit ber beiben Zünftler tritt am 
beuttidpften peröor in iprer Sluffaffung ber Siebe gu DeSbemona. 
©ei ©offi ift biefetbe rem finniicp unb oerberbticp, bei Satbini 
ibeat unb täutemb. Stuf ben Othello bon Stoffi bat DeSbemonaS 
Siebe leinen erbebticben ©inftufj gehabt, er erjdpeint uns im 
gangen Stüde bon Anfang bi8 gu ffinbe fo rnitb unb ungeberbig, 
mie er bon #aufe au8 ift; er fönnte allenfalls fcbon in ber 
erften Scene in einem Stnfatt bon SButp bie ©etiebte umbringen, 
©anj anberS Satbini. Sein Dtpetto erf<beint in bem erften 
Xpeit ber Dragöbie at8 ber gebänbigte Söme. Die ftarfen 
Seibenfcbaften, bie ibm bie Statur mitgegeben bat, ftnb burdb 
feine Siebe gu DeSbemona unterjocht unb in ber ftarfen ©ruft 
feft oerfcptoffen. Seine Siebe gu DeSbemona unb DeSbemonaS 
Siebe gu ihm bat alles SSitbe unb Xpierifcbe bon ihm abge= 
ftreift ®r ift ein barmtofer, gutmütbiger Solofr, er felbft bat 
gu feinet Säpmung 00 Qp e Vertrauen, er fürchtet fi<b nicht 
mehr bor fiep. Stupig unb mürbig läfjt er bie ©efcbutbigungen 
beS ©rabantio über fiep ergeben, ohne beteibigenben #opn, ohne 
berauSforbernben Xtop, im ootten ©efübt feiner Siebe gu De8= 
bemona unb ber #errf<haft, bie er burdb biefe über fidb errungen 
bat. dwifdpen feiner natürlichen SBitbpeit, bie er tief in fidb 
gurfidgebrängt bat, unb ber Stufjenmett, bie biefe SBitbpeit reigeit 
fönnte, ftebt mie eine unüberminbticbe Sdpupmauer bie potbe 
©facht ber DeSbemona, bie Stiles begütigenbe, reine, ebte Siebe. 
So gibt er bem Senat ©efcbeib, einfach, fdpticpt, befdjeiben in 
feiner Stürfe, ein tapferer ©tann, ber ben üufseren geinb nie 
gefürchtet bat, unb ber nun in feinem ©lüde auch ben inneren, 
„bie ©eftie in ber ©ruft", nicht mehr gu fürchten braucht, ©r 
ift gang ber ©tann, mie ihn Subooico fpäter fcpitbert: „ber ebte 
©eiß, ben ßeibenfcpaft nicht regt"; „the natare, whom passion 
could not shake“. 

So auch begrübt er DeSbemona auf ©ppern nicht mit fimt= 
liehet Seibenfchaft, fonbern mit rübrenber ^erjticbfeit, mie banf* 
bar bem ©efdbid, baS ihm feinen guten ©eift, fein beffereS 3#» 
feinen Sdbubenget gefchidft bat. 

SBie ganj anberS mar biefe Scene bei Stoffi! Stoffi jeigte 
unS in einer burcbauS meifterbaften Darftettung nur ben bon 
Sinnentuft beraufdbten Dtbetto. ©tan erinnert fidb wobt noch, 
mie er jene ©egrüfiungsmorte bor Stufregung gittemb b erüor ' 
flieh, mie er DeSbemona mottüftig padfte, an fich brüdfte unb 
mit fich fdbleppte, mäbrenb er ihr in einer faft biebifchen Süftem= 


beit baS „andiamo“ jutattte. 3<h ftbrieb bamatS über biefe 
Scene, mie fte Slofft barftettt: „3n feinem ber atterfrangöfifdbften 
Demimonbeftüde ifi eine Ungmeibeutigfeit fo fdbroffer unb greller 
Strt aufgumeifen, mie fie Stoffi in baS eine SBort: „andiamo“ 
legt, mit meinem er fein geliebtes Sßeib in bie epprifebe 
Kemenate fchteppt. SBürbe biefer Stbgang nicht burep bie bott» 
fommenfte ffunft in ber Darftettung geabelt, er müre unauS« 
fpredptich anftöpig." Die Scene mürbe mie gefagt meifterpaft 
gefpiett. ftür ©offis Dtbetto ift DeSbemona bor StEem bie 
beiibtütige finnlicpe Senetianerin, fte ift nidpt „bie 3«ngfrau 
gart unb fcpön unb gtüdticp unb abpotb ber ©ermüptung", 
als melcpe fie ber tiebenbe ©ater fd^itbert, fonbern bielmepr, 
mie Dtbetto in feiner ÜButp fp&ter non ipr fagt, „bie Dirne 
bon ©enebig, bie Dtbetto freite". Stoffi giept bie DeSbemona 
atfo gang in’S Sinnliche herab, Satbini aber erbebt fte burep 
feine Darftettung in baS ©migmeibtiepe, baS uns pinangiept. 
Durcp ©afft wirb fie bergröbert, burdp Satbini geabelt. 

©ropartig fünftterifcp beranfepautidpt Satbini bie SBanbtung, 
bie in ipm borgept, als fein Sdpu| unb Scpirm, feine Siebe 
ipm genommen rnirb. $ier patte Stoffi, bon bem bie afrifanifepe 
Stoppeit niept einen Slugenbtid gemiepen mar, ungleich teicptereS 
Spiel. 

©ei Satbini ift, mie idp fepon fagte, Dtpetto gun&dpft im 
©ertrauen auf feine Starte unb auf jeine Siebe gebutbig, lang: 
mütpig, gutmütpig; bie Bürtlidpfeit pat alle feine Seibenfcpaften 
in Scffetn gefcplagen. Stls nun aber burep 3agoS ©erleumbung 
biefe Seffeln gemattfam gefprengt merben, als er ffiptt, mie bie 
Stoppeit nunmepr entfeffelt in ipm fiep mieber aufb&umt, beS 
geringften StntaffeS gemärtig, um über ipre Seute perguftürgen, 
ba erbebt Dtpetto bor ftep unb feiner SBilbpeit ©r füplt, fte 
ift ba, lauernb unb entjeplidp, er maept übermenfdpticpe Sin: 
ftrengungen, um baS gu erreichen, mag DeSbemona fpietenb ge: 
tungen mar: um fiep gu bemeiftem; er palt fiep gurüd, er gept 
fiep aus bem Siege, er füreptet bie btofje ©erüprung mit bem 
berpaftten Dbject, benn er füptt, bah cS nur einer ©eringfügigfeit 
bebarf, um gur befinnungStojen SButp getrieben gu merben. ©r 
pört 3agoS ©efcpulbigungen ftitt unb fdpeu an, er madpt fanm 
eine ©emegung, — nur bah bie $anb einmal unmitttürtidp gu= 
fammentrampft, als ob er baS ©ebürfnih pabe, eine Scplange 
gu ermürgen. ©r atpmet bietteiept bekommener, aber bodp rupig, 
fein ©tid ift mepr forf^enb als gomig; bem maS in ipm borgept 
berbietet er ben mapmepmbaren StuSbrud. Unb boep, mie 
fürcpterlicp ift biefe Stupe! ©tan füptt, mie fiep, um ben ©olfS: 
ausbrud gu gebrauchen, Stiles in ipm perumbrept. Sdpauerlidper 
als bas Reuten beS Sturmes unb baS ©rotten beS Donners ift 
biefe bleierne unpeimtiepe Stille ber ©emitterfepmüle bei gelbem 
fepmeftieptem $immeL 

Da näpert fiep 3ago, nnglüdticper SBeife berüprt er ipn; 
baS ift entfepeibenb, nun ift eS um alte ©efonnenpeit gefepepen, 
er ftürgt auf ipn, mirft ipn gu ©oben, trampelt auf ipn — 
nodp einen Slugenbtid unb ber SBurnt ift gertreten! Da gemiaut 
er noep einmal bie $errfcpaft übet fiep, er fcpämt fiep feines 
3üpgom8, er bittet 3<>go faft um ©ergebnng, er pitft ipm 
auf, unb fein ©ntfdpluh ift gefaftt: bie Stacpe bep&lt er fiep t>or 
für bie Sdpulbige. 

Die Darftettung biefer Scene beS brüten Stetes gepört gu 
bem ©betften unb Sdpönften, maS bie DarftettungStunft uns gu 
bieten oermag. SBer ©erftänbnih für fünftlerif^e Slnorbnung 
unb ©tieberung, für ©flrbereitung unb Steigerung befipt, rauf 
biefen Dtpetto SatoiniS bemunbern. ©S ift ftannenSmertp, mie 
biefe fünftterifdpe Seiftung in iprer ©inpeitlidpleit burcpgefüprt 
ift. Da mirb nidpts aufgefpart, nidpts gur ©ermertpung für ben 
$aupteffect im $intergrunbe gepalten, nidpts gelünflelt Die 
fteime pnb oon Stnfang ba, aber man füptt, mie fte gteiepfam 
madpfen unb reifen. Die Darftettung begleüet unb erg&ngt bie 
Didptung unb geigt ftdp auf ber $öpe iprer groben Stufgabe. 
SBie fiep bei Spalefpeare ber ©paratter entmidett, fo pier in ber 
Darftettung. Unb mo bie Darftettung oermöge ber ipr gu ©ebate 
ftepenben ©littet, ber ftarten finntiepen SBirtung burdp Spracpe 
unb ©eberbe, auSfüpren tann, mag bie Didptung burep baS tobte 


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Nr. 21. 


/ 


li t $f8*tt*art 


337 


getriebene SBort nur cmgubeuten toetmog, ba tßut ße f»iet bei 
©aloini im reinften ©imte baS irrige. ©aloini feiert ben größten 
Triumph, ber bem ©(ßaafpielet beßßieben ift: er enthüllt uns 
bie oerborgenen ungeahnten Schönheiten ber Sichtung. (Sr hott 
bie ©eilen ßeroor, bie ber Sinter in bie liefe oerfenft hat. 
Sie ootte Schönheit beS bewunbernStoertßen britten SlcteS biefeS 
SramaS hoben bie meiften Sußßauer, bie boch ihren ©ßatefpeare 
am Schnürten gu hoben glauben, oor ©albint fichertich nicht 
erfaßt. 

Unb toomit ergiett er biefe gewaltige SBirtung? @8 ift 
nicht gu befiniren. Sie getoöhntichen bittet oerfcßmäßt ein 
ftünßler wie ©atoini oon oorn herein, aber er menbet auch 
feine ungewöhnlichen an. 

(Sine folche SRacßt ber ©afßoität, mie fie hier gebietet, 
ift faft unglaublich. Ohne baß er uns irgenb etwas ßcßtbar 
macht, macht er Ätteö fühlbar: oon ben erften {Regungen ber 
SSermunbetung unb ber Sleugier bis gu ber Unruhe unb ber 
gefteigerten ©eängßigung, oon ber Oetßiißten 316 weht jebeS 
ßhmöhlicßen ©ebanlenS, bis gu ber notßgebrungenen Stüdleßr 
auf ben oerberbtidjen SBeg, ben feine „honesty“, fein ehrlicher 
geraber ©inn gu betreten ß<ß fträubt, bis enbtich gu bem 
Stugenblid, ba er bie ©etoißßeit erlangt gu hoben glaubt, baß 
er getäufcßt mirb, unb bamit gugteich ber unmiberruftiche ©e= 
fchtuß reift, an ber Sirne Stäche gu nehmen. 

Sticht in btinber SSButß h°ftet et biefem graufigen Siete ent* 
gegen. öwifcßen bem ©orfafce, SeSbemona gu töbten unb bem 
Vollbringen bet £ßat tiegt in Dem Srama ein breiter Bwißßen; 
raum; unb auf bem langen SBege läutert ßcß bie perfönlicße 
Stäche wegen ber erlittenen tiefen &rän!ung gu einem ßößeren 
Riete ber (Serecßtigteit im Sienfte ber gefräntten ©total. @8 
ift nid^t ber eifetfücßtige ©atte, ber nad) ©lut ledjgt, — „bie 
Sache miH’S!" Stur baS Sachliche ift entfeheibenb, bie ©erfön= 
licßfeit be» ©eteibigten fchminbet gänglicß. Othello töbtet Se3= 
bemona, nicht Weil ße ihn betrogen, ße muß fterben, „fonft be= 
trügt ße Slnbere" — „more men“, fagt ©ßatefpeate noch 
fcßärfer unb energifeßer. Siefe ibeale SBanblung gum Unpetfön; 
ließen oom ©etfönlicßen fann ßcß in Othello nicht ooltgießen 
ohne gemaltige Srjdjütierung. Sie (Smpötung über baS unet; 
hörte ©erbrechen, beßen er SeSbemona geißt, löft ßcß auf in 
tiefßen ©eßmerg, in ßerggereißenbe Stauer unb Sßränen, „grau; 
fame Shränen" „crnel tears“ löfcßen ben tobernben Sorn. Set 
ftarfe, unglüdlicße $etb meint. 

8 »ar grau’n oergießen Sßtänen, wenn ße wollen, 

$o<ß fühlt ß<b unfet £>erj feltfam beengt 
©ef|n Shränen wir aus SRänneraugen rollen. 

Set grauen Xßräne fcßmilgt, boch bie beS SRanneS fengt 
SBie gl&h’nbeS Ölei, wenn aus bem marternden 
$etjen gepreßt ße wirb ..." 

©eim Snblicf beS meinenben Othello, mie ihn ©atoini bar; 
fteöt, ßobe icß biefer SBorte aus ©ßronS „Son 3uan" lebßaft 
gebenlen mäßen. ^ 

Heber bie tefcten ©eenen beS ©aloinifcßen Othello höbe ich 
nur toenig gu jagen. Sie Säuberungen, melcße ber italienifcße 
©earbeiter oorgenommen hot, befremben uns Storblänber. ©ei 
ber (Srmorbung ber SeSbemona iß baS ©raußge bis auf ben 
©ipfet getrieben unb auch ber ©elbftmorb beS Othello erregt 
©cßaubem. Sin unb für ßcß genommen ift ©aloiniS Seiftung 
oon ooQenbeter Sünftterfcßaß. 

Stucß über ben |j>amtet ober richtiger ben „Amleto“ @al; 
oinis — benn es ift nießt ber bänifeße ©ring, mie mir ißn uns 
oorßeOen — will icß für ßeute nießt fpreeßen. SRan mirb einem 
fo feltenen Äünßler mie ©atoini nießt babureß feßon gerecht, baß 
man ßeroorßebt, mie geiftooQ biefeS ober jenes gemacht fei ©eine 
(Sigenart unb ©ebeutung läßt fuß auch beßer als aus ber re; 
flectirenben Stolle beS $amtet aus ber ©cßilberung feines Otßello 
erfennen, unb ßier ift menigftenS ber ©erfueß bagu gemacht morben. 

paul £inban. 


@in Varifer 8 toif<$enfall hat in bet lepteren 3eit biel bon fidj 
teben gemalt unb bet Sfanbatchronit ergiebigen (Stoff geliefert, mürbe 
inbeffen in Seutfchlanb nicht genug beamtet. (Ein Vlatt in Sfamcq 
Ijatte ben Äaifer bon SRuftlanb in heftiger unb unaiemlidjer ©eife an* 
gegriffen. Herr Vaul au* (Eaffagnac, gemöhnlidj bon (Eaffagnac genannt, 
brachte bie Sadje in bet Verfaitter ftammer pr Spraepe unb berlangte 
bie gerichtliche Verfolgung be* Artifcl*. Sie Regierung fonnte nach 
bem Vreftgefep nicht batauf entgehen, meil lein Strafantrag ber be* 
theiligten au*märtigen Regierung, alfo in biefem gatte tttußlanb*, bor* 
lag. Unb fo lam bie 8 *itung in tttancb mit einem blauen Auge babon, 
melched ihr bie ißhilippila (Eaffagnac! auf ber Sribüne fomie borher 
fchon ein grober Ausfall in beffen bona^artijtifchem Sötatt „Vah^'' jus 
gefügt hatten. 211 $ (Saffagnac am 2 lbenb nach ber @ifctutg in $ari$ 
eintraf, fanb er bie Vifitenlarte be$ tuffifchen Votfchafter«, gürften 
Drloff, bor. (Sr berfehlte nicht, bie$ am attberen Xage im $u 

erzählen unb in biefer bi$creten SBeife über bie ihm ermiefene 2 luf= 
merlfamteit 51 t quittiren. 2 )ie Vonajmrtiften ergehen fich nftmlich dem 
in ber giunlerei, ba 6 IRugianb eine Veftauration in ihrem Sinne be* 
günftige. Sie Drloff f<he Vifitenfarte mar baher ©affet auf ihre SKühlc. 
3eftt mürbe inbeffen ber Vorgang pm ®egenftanbe einer lebhaften 
Votemil in ber ^arifer ißreffe. Drloff mürbe ber Saltlofigleit gediehen, 
unb e$ fielen hüben unb brüben leibenfchaftliche ©orte. 3 fn ben Salon* 
fprach man bon nicht* ftnberem. 3 Jlan fanb ba* Verfahren be* Vot* 
fchafter* pm minbeften auffüttig unb meinte, er habe felbft bie fran* 
jöfifche Regierung baburch berieft, ba| er für ©affagnac, ber einen 2 ln* 
griff gegen biefelbe megen 3tichtberfolgung be* Slrtilel* gerichtet, Partei 
ergriff. Drloff lieft berfichern, er habe feine Äarte nicht megen Caffagnac* 
Äammerrebe, fonbern in golge be* im „^ab*" erfchienenen ruffenfreunb* 
liehen Ärtifel*, unb bebor er noch bon jener Hiebe Äenntnift erhalten, 
in be* ^ournaliften ©ohnung abgegeben. Ser £ärm, melden ba* 2Ule* 
machte, brang nach $eter*burg, unb e* ging ein Serücht, Drloff habe 
feine Semiffion angeboten, meldje Sortfchaloff abgelehnt h^tte. Sa* 
mürbe bann telegrabhifö offt*iö* bon $eter*burg au* bementirt, toomit 
bie Sache äufterüch erlebigt mar. @* ift inbeffen anpnefjmen, baft 
gürft Drloff in «luftigen gätten fich ber Varifer treffe gegenüber, 
menigften* ber bonajmrtiftifchen, borfichtiger benehmen mirb. ©eint 
biefe fich auf Srunb eine* Schritte* ber fcöflicijleit, über beffen (£on= 
benienj man berfchiebener Änficht fein fann, in güufionen miegte unb 
ben ßiitpg Äaboleon* IV. in bie mieber aufgerichteten Suilerien unter 
ruffifchen Äufpicien im Sraume p erbtiden glaubte, fo geht e* ben 
gtanpfen im Allgemeinen, ma* ruffifche ©inberftünbniffe betrifft, nicht 
biel beffer. Vo*hafte Seute haben oft behauptet, gürft Drloff habe in 
Vari* jur befonberen Aufgabe, biegranpfen bei guter ßaune *u erhalten 
unb fie glauben p machen, e* lönnte boch einmal p einem corbtalen 
(Einbemehmen jmifcheu granlreich unb Vuftlanb lommen. Samü fotte 
bann gegebenen gatte* ein Srud nach ber anberen Seite au*geübt 
merben. 3u Verliit glaubt man nicht an biefe Au*ftreuungen. ©ir 
miffen ba* burch eine fehr bertraulidje Sepefche be* gürften Vi*mard, 
bie un* auf einem ungemöhnlichen ©ege p ©eficht gelommen ift. 
Siefe Anbeutung mirb gemift Auffehen erregen unb bietteicht geeignete, 
übrigen* unnüfee ttlachforfchuttgen anftetten laffen. ©ir begnügen un* 
inbeffen mit einem Au*pge au* bem bottlommen rechtmöftig in unferen 
Vefifc gelangten, fehr intereffanten Schriftftüde, morin e* heiftt, man bürfe 
gürft Drloff al* einen pberläfftgen greunb Seutjchlanb* anfehen unb 
behanbeln. Sie Vefürchtungen, baft bie Abulationen, bie ihm in $ari* 
entgegenlommen mürben, eine Aenberung barin bereiten lömtteit, theile 
ber VeidjSlanftler nach feiner langjährigen Vetanntfchaft mit ihm nicht, 
gürft Drloff fei fehr bereit, Schmeicheleien, fomeit fie pr Secoration 
feiner Votfchafterftettung gehören, baar unb gut p befahlen. Aber 
politifdj pgängüch bafür fei er nicht, meil er ein fehr ftarfe* unb bor* 
nehme* ruffifche* 9tationalgefühl habe, meldje* ihn, feiner Anficht nach, 
auf gute Ve*iehungen p Seutfdjlanb anmeife. Siefe, mie man fleht, 
galt* confibentiette Sepefdje batirt bom (Enbe Januar 1872, macht aber 
ben (Einbrucf, al* ob fie geftem gefdjrieben märe. Sie gran*ofen aller 
Parteien unb garben merben barau* entnehmen, baft ihre Hoffnungen 
unb Speculatiouen auf rufftfehe (Eonniben* fehr minbiger Statur finb. 
Auf biefen Vemei* tarn e* an unb er ift hiermit, mie un* fcheint, in 
unmiberleglicher ©eife geführt. 


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338 


1t t Gtttnwarl 


Nr. 21 


♦ 


La Battaglia di Avahy. 

©on Sebro Ämerico, au#gepeßt im Äloßer ©an ©an Annunciato 
in glorens- 

Amerifa fcpeint unter ben übrigen Arbtpeiten bajn berufen $u fein, 
in gufunft nicht nur in commeteteßer, fonbem auch in artiftijcper ©in- 
ficht eine peroorrageitbe Stoße p fielen. 

©ie amerifanif<he Stalerfcpule, bie wir bisher nur bem ©amen nach 
fannten, pat früher uic oon fiep teben gemacht, weit fie feit ihrer ©nt= 
ftehung ftet# in ben geffeln eine# übertriebenen StaterialiSmu# fcpmacptete. 
©ie oiel p oiel gerühmte Freiheit, bie fonfl in ber neuen Seit herrfcht, 
fanb auf ba# Aebiet ber ftunp Ieiber nk^t bie rechte Anwenbung. ©elbft 
heute noch, wo Dr. $ebro America jene ©chute p (ihren gebracht, gibt 
eS in ©raptien eine Stenge bon Artiften, bie bon einer anberen ©icptung 
bnrcpau# nicht# wiffen motten. 

©em gefeierten ©rafHioner Dr. ©ebro Americo, ber in $ari# unb 
©rüffet feine ©tubien gemacht, war e# bom ©cpidfat borbehatten, ben 
©ann enbtich P brechen, ©ein ©eniu# erwecfte bie braplianifcpe ©chute, 
beren Häuf* er ift, p neuem, beffetetn ©Raffen bnrch eine ©eipe impo- 
fanter ©tpöpfungen. ©or §eh w 3u|r«n feierte feine Palette fchon unter 
bem britten Sta^oteon in ©ari# Triumphe, unb feine „Aarioca" pg bie 
Aufmerffamfeit alter Aebitbeten auf fich. *uf ber Unioerfität ©rüffet, 
Wo er bie pptlofoppifcpe ©octorwürbe unb ein Äatpeber erlangte, bewies 
er gleichseitig in einem Auffepen erregenben Beptpreite, baff fein ferne# 
©atertanb auch in wiffenfcpaftlicper ©infleht reif fei, mit Autopa in bie 
©epranfen &u treten, gasreiche ©ecorttionen, bie ©pmpatpien feine# 
funptiebenben Sfatferi unb ber einftimmige ©eifaß ber gefammten euro« 
päifcpen ©reffe belohnten feine ©erbienpe um bie görberuttg ber frönen 
üütipt 

©ie# ift ber Staun, ber nun mit einer neuen ©cpöpfintg in bie 
Oeffentlicpfeit getreten ift. ©or etwa fünf fahren beauftragte ihn feine 
Regierung, ein Äoloffalgemülbe au# ber heimatlichen Acfcpicpte su ent» 
werfen, unb er nahm bie ehrenbe Stijpen bantbar an. Um inbeffen 
ungepörter feinem frönen ©eruf obliegen su tbnnen, oiettetept aber auch, 
um ben gepäffigen Anfeinbuugen feiner ©eiber p entgeh«*, uertaufepte 
er ben Aufenthalt in ©io mit bem in glorens. $ier im SWoper ©. ©. An« 
nunciata entpanb fein lebte# unb größte# Aemilbe, bie ©flacht bei 
Aoapp, ein Sfunpmerf erften ©ange#. 

®# ift elf Steter taug unb peben Steter poep. 3« ergreifenber 
Seife pat ber ftüfcfßer bariu ben Stampf bei Aoapp, ber am 11. ©ecem« 
ber 1868 s wippen ©rafitianem unb ©araguanem ftattfanb, behanbett. 
©ie Ausführung ift in ber ©pat meifterhaft; ber Ainbrud, ben bie Aroff* 
artigleit ber Aompoptiou, ba# Beben unb bie ©ewegung ber ftreitenben 
#eere, bie Straft in ben robuften Körpern unb ber Au#bn*d ber mitben 
föpfe auf ben ©efchauer macht, überwältigend 

Aehntich empörten SteereSweßcn, bie bom ©türme gepeitfeht hoch 
anfßpäumen, um gleich barauf in bem unabfehbaren Safferberge p 
oerjepwinben, erfcheinen bie beiben feeere, bie, bon Iriegerifchem Antpußa#^ 
mu# ergriffen, an ben Ufern be# Abahh aufetaauberpürsen. ©ie ber« 
jerrten Heßcpte? ber palbuadten ©araguatier erthmen wilbe tampfluft; 
bie ihrer cioilifirteu Aegner mümtlicpe Antfcptoffenpeit. ©er ©ieg neigt 
fich SU Auitßen ber Befeteren. Aan$e Aolonnen werben bon ihnen unter 
ben Angen be# ©aron# bon ©rtumppo, ihre# populärßen General#, buch« 
pübtiep sufammengehauen, wäprenb anbete linf# im ©orbergrunbe ge« 
feffelt bor bem Dberfelbperm, $erpg bon Aajia#, um Anabe flehen. 
Auf bem Aepcpt be# Starßpaß# glönst bereit# bie greube über ben ©teg. 
©eine ©uite, barunter ber ©aron bon $enpa unb ber ©eecapüän $e« 
reira ba Amipa, berfolgt mit ©pannung ben ©erlauf ber ©dpfoept. Atne 
ßartätfepe serreifft eine peranfprengeube Orbonnan#. Seiter bom wirb 
ber Starcpefe bo $erbol, ein braplianifcper gäpuriep, bon mehreren Sie« 
publüanem angegriffen unb getöbtet. Um ihn perurn tobt ber Stampf. 
3n berfelben Aepcpt#Unie fprengt (General Aamarra, ber $ti>ei 3apre 
fpdter Bopes erfchoff, cm ber ©pifce ber ©eferoe heran unb entfeheibet bie 
©chlacht. ©echt# im Hintergründe ringt eine Stuftet, bie snfößig in ba# 
Aewüpl gerathen ip, bcrsmeifelnb bie Hänbe. ©er ©ängling in ihren 
Armen ip tobt; nur ihr Heiner ©opn beppt noch genug <Beipe#gegenwart, 
an fchleuuige glucht #u benfen. Unter ben ©übern ber Aephüpe liegen 
in buntem ©urcheinanber bie Beiden erfchoffener ©eger, f aragnaner unb 
©rapliauer neben ^ferbecababern. ©a# ip ber üuffere Ainbrud, ben ba# 
Aemülbe macht. 


©och großartiger aber wirft feine fünßlerißhe ©oßenbung, feine 
wunberbare Beleuchtung unb ba# h^trliche Aolorit. 

Angepcht# biefer eminenten Befftungen ip e# nicht su berwunbem, 
wenn bie italienifdjen Sachseitfchripen nicht mübe werben, ba# Bob be# 
großen ©rapliauer# su berbreiten. ©ie beutfehe, fransöpfdje unb rufpfche 
treffe hat mit ihrem Urtheil ebenfafl# nicht surüdgehalten. ©erfchiebene 
Afabemien, barunter bie bon ©eapel, überfanbten ihm Ahrenbiplome. 
Slorens, Anfang gebruar. 

21. oon bem Sorne. 

* 

* * 

©er ftampf um’# ©echt, ©oit Dr.©ubolph bon 3h e¥ iug, lönigl. 
preuff. Äeh. 3upisrath unb $rofeffor an ber Uniberfität Aöttingen. 
6 . neu burdjgefehene Aup. 12 . (XII, 95 ©.) Sien 1877, Stans- 

A# lann bei Anseige ber fünften AuPage einer (lout©orwort) in breisehn 
Ueberfepungen berbreiteten unb bielbefprocpenen ©rofepüre niept mepr bie 
Aufgabe be# ©eferenten fein, eine 3uhalt#fiberpcpt su geben; e# genügt, auf 
ba# Arfcpeinen biefer neu bttrepgefepenen Au#gabe pinsuweifen unb mag 
gepattet fein, einige fritifepe ©emerfungen ansulnüpfen. — ©ie ©eprip ip 
au# ber (Erweiterung eine# in SBien im 3apre 1872 gehaltenen ©ortrage# 
entftanben nnb e# ift offenbar ber Unmine über ben mangelpapen ©inn 
für ©eepidbepauptung in Oepreicp, welcher pe bictirt pat. ©er ©erfaffer 
felbp weip meprfaep barauf pin, baff gegenüber ber Aefepgebung be# 
beutfepen ©eiepe# feine ©ebenlen niept in gleichem Staffe gelten; aber 
auep bei un# pnbet fiep ©cplenbrian genug, um bie Aufrüttelung burep 
eine folcpe geparnifepte Änfpracpe al# seitgemäff su emppnben. Süre 
bie Arbeit in gorm einer Abpanblung entworfen, fo würbe Pe um fo 
oiel weniger eiubringlicp gewirlt paben, al# pe oermutplicp minber ein« 
feitig in ber ©etonung ber Aepcpt#punfte au#gefaßen wäre. 

3m einleitenben Abfcpnitt pebt ber ©erfaffer ben Aebanlen pertmr, 
baff ber ^roceff ber ©ecpt#entwidelung niept ein ruhige# unb friebliepe# 
Sacpfen unb Serben fei, wie bie romantifcp angepauepte piporifepe 
©ecpt#fcpute annapm, fonbem ein unabläfpge# ©ingen realer Städte 
in hartem Kampfe, ©ie# ift fepon oon Hegel au#gefprocpett nnb phnmt 
mit bet neueren ©ieptung in ber Auffaffung ber organifepen ©atur 
überein, naep welker aße Antwidelung Pep in ber gorm ber Aoncurreug 
ober be# Äampfe# um’# ©afetn ooßsieht. Senn aber biefe ©arffeßung 
auf ©. 10 in bem ©ape gipfelt: „ba# ©eept ip ein Stacptbegriff", fo 
ift bei biefer fpinosiftifepen Senbung ber Unterfcpieb swifepen ber ©edfrt#* 
ibee unb ben äußeren Stitteln iprer ©ealipmng äberfepen unb unbeachtet 
geblieben, baff ba# Uebergemicpt ber Stacht auf bie ©auer immer auf 
bie ©eite ber ©ernunft unb be# ibealen gortfepritt# in ber Antwidelung 
faßen muff, ©iept weil ba# ©eept auf ber Stacht rupt, ip e# ©eept, 
fonbem weit e# ©eept ift, swingt c# bie Stacpt su feiner gropnbe. ©ei 
bem Uebergang sunt Äampf be# Aiuselnen um ba# concrete ©eept Oer« 
rniffe icp bie ©emerlung, baff biefer leptere Äampf mepr in primitioen 
3upänben auf bie ^ppfiognomie ber ©ecptSbilbung wirlt, al# peute, 
wo bie geregelte Stafcpinerie ber Aefepgebung burep gans aubere Agi« 
tationSmittel angeftad^elt werben muff, al# burep ben gefeplicpen tampf 
be# Ainsetnen um fein concrete# ©eept. 

©er Amnbgebanle be# »ortrag# ip ber, baff ber Siberftanb gegen 
ba# Unrecpt unb bie ©epauptung be# ©eept# mit aßen gefeplicpen Stitteln 
Sßpicpt eine# Sfeten fei ©iefer ©ap ip opne gweifel rieptig, imb bie 
Oppofftion, welcpe sunt ©peil gegen benjelben erpoben worben ip, pammt 
wopl baper, baff bie Ainfcpränlungen, welcpe er erleibet, niept ooßßanbtg 
angefüprt unb niept georbnet sufammengepeßt pnb. ©orweg bemerfe 
icp, baff e# pcp pier niept um eine ©ecptSppicpt, fonbem um eine 
moralifcpe ^piept panbeit, wa# ber ©erfaffer Ieiber mtauggefpTOcpen 
läßt. 3n welcpen gäßen icp sur ©erfolgung eine# Unrecpt# (©emmcia« 
tion u. f. w.) juribifcp oerpffieptet bin, ip genau im Aefep angegeben; 
überaß, wo ba# Aefep barüber feine ©orfeprift entpätt, pept e# recptlicp 
in meinem ©elieben, ob icp ©ecpt#bepauptung ober ©ecpt#oersicpt oorsiepe. 
Säre bie ©ecptSbepauptung eine ©ecptSppicpt, fo würbe Pe burep blo# 
moralifcpe ©üdpepten niept eingefepränft werben fönnen; tp fie hingegen 
nur eine moralifcpe SßPicpt, fo fartn pe burep coflibirenbe moralifcpe 
^piepten anberer Art überwogen werben. Ob icp punbert ©pater auf# 
©piet fe|e, um einen ©pater ehtsuflagen, um ben icp gepreßt bin, ift 
neben ber Stecpt#frage feine bloße Sntereffenfrage, wie 3pering ans«* 
nepmen fepeint; benn wenn icp baburep meiner gamitie ben ©parpfennig 
für ^ranfpeit#? ober UngtüdSfäße entsiepe, ober miep in eine ©cpuifc 


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Nr. 21. 


Hie <$ej<itttrurt, 


889 


gürge, Me burcp Entbehrungen hex SKeinigen getilgt werben mug, jo 
»erlege icp bamtt Bgicpten, Me weit pöpere« ©ewtcpt paben, alb Me 
moralijcpe Bgicpt ber RecptSbepauptung. Bag bie Eoßifion berBgtcpten, 
»on ber icp nur Ein Beifpiel angeführt pabe, gans unbertidfgcptigt ge¬ 
blieben ig, palte icp für ben Hauptmangel ber ©djrtft. Bet zweite 
befielt meine« (Erachten« barin, bag bem Einsclnen su biel ©cpulb 
beigemeffen wirb nnb ben Sugänben ber ©efeggebung unb Rechtspflege 
SU wenig, wenn ber Recptsoetsicpt in einem Statte Me RecptSbepauptung 
überwiegt. Ber ©ag: „Bpue fein Unrecpt" ntug bem Btenfdpen immer 
bon-Reuem eingefcpärft Werben; ben anbem: „Bulbe fein Unrecpt" (©. 60) 
brauet man ipm niept erft einsuprägen. Bie menfcplicpe Ratur gräubt 
ficH gans bon felbft mit jebem Blutstropfen bagegen, Unrecht über fiep 
ergeben su tagen, unb Wenn fie eS boep tput, fo mögen tauge bittere 
Erfahrungen ba« RecptSgefüpl bi« §u bem ©rabe gebrochen unb abge* 
ftumpft ^aben, bag man lieber bie RecptSlränfung fdpweigenb butbet, 
angatt bei ben ©eriepten Abpülfe su juchen. SBo ba« gejchriebene Siecht 
mit bem BoltSbewugtfein im Einllang unb bie Rechtspflege rafch unb 
woplfetl ig, ba wirb ber Einseine gans 9 *wig geh nicht bie Butter bom 
Brote nehmen tagen, ohne bie Recptspülfe in Anfprucp su nehmen; 
wo aber bie ©efege ben Sumpen gegenüber bem anftänbigen Btann, ben 
Brotetarier gegenüber bem Befigenben, ben Raufbolb gegenüber bem 
ruhigen Bürger, ben Eprabfcpitetber gegenüber bem BeteiMgten, ben 
Berttagten gegenüber bem Kläger begfingigen, wo bie RecptSpgege in 
Bagatettfachen burch ffaprläffigfeit unb 2Biberwißen ber Richter, bei 
grögeren Objecten burch Sangroterigfeit uttb Koftfpieligfett b*r $tocege 
abfdprecft, ba tann man Weber bem BottSgeig, noch bem Einsetnen einen 
Borwurf barau« machen, wenn er eine heilige ©<peu »or ber Beratung 
mit ber 3ugts betommt, welche ihm gepere Opfer unb fettene ober un* 
Sureicpenbe ©enugtpuung in AuSgcpt gellt. 3um Bpeil führt ber Ber* 
fager Mefe Urfachen ber Schwächung be« RecptSgefüpl« felbft an; aber 
er sieht nicht bie Eonjequens barau«, bag er feine Bpilippifa bann hoch 
wohl Wefentlich an eine unrichtige Abreffe gerichtet hat, bag in erger 
Reihe bie fraglichen Bliggänbe ber ©efepgebung unb RecptSpgege ab« 
gegellt Werben mögen, unb bag es nach Erfüllung btefer Bebingung 
gar feiner befonberen Ermahnungen an ba« publicum s«r Be* 
paaptung feiner Rechte bebürfen wirb. Ber Berfager fpriept für 
ben Bergleich ber Barteten in aßen gälten, wo e« geh nur um 
objectibe« ober unbefangene« Unrecht ohne rechtswibrige Abfiept hau« 
beit, unb behauptet bie Bgicpt be« SBiberganbe« gegen ba« Unrecht 
nur ba, wo ba« Unrecht at« foUpe« ein beabgeptigte« ober böswillige« 
ig ( 6 . 21 — 23); anbrerfeit« macht er felbg barauf aufmerffam, Wie 
wenig ReeptSfäifg gegen bie reeptswibrige Berlepung su gnben ig, wo 
biefe Berlepung niept genau in ©elb au«subrücfen ig, ober wo bie 
RecptSWibrigfeit eine Wett über ba« Btag ber materiellen ©cpäbigung 
piuanSgepenbe ©cpntferei einfcpliegt ( 6 . 84—87). ©erabe Me gfätte alfo, 
für toelcpe ber Berfager feine Btagime aufgellt, gnb bie in ber ©efeg* 
gebmg oerpältuigmägig ungünftig gegellten. Bag er felbg feinen 
©rutfbfap niept opne Ehifcpränfung oerganben wigen will, gept barau« 
per»*, bag er Me Bwcegfucpt ber Bauern al« eine Berimmg be« 
RedjPSgefüpI« in ©eftalt be« EigentpumSfinne« beseidpnet, welche (wie 
in ber Siebe bie Eiferfucpt) ipre ©pi|e gegen fiep felbft feprt, 
inbelft ft getfNMrt, wa« ge gtt tetten fnept (©. 24). Hat fonaep bie 
Bgicpt ber RecptSbepauptung anep ber reeptswibrigen Abgdpt gegenüber 
ipre ©Tengen, fo barf ge ftndp nidpt al« eine unbebingte pingegeßt 
werben, fonbetn mtfg burcp präcife Angabe ber ©rensen auf ba« ipr 
Sulommenbe Blag eingefcpränlt werben. 

Ben tepten ©runb baför, bag ber Berfager eine Mo« relatioe Bgicpt 
at« eine anfepeinenb abfotute behauptet, mödpte icp barin fuepen, bag er 
ge niept bto« at« eine Bgicpt gegen ba« ©emeinwefen, fonbem audp 
augerbem noep unb in erger Reihe at« eine Bgicpt gegen fiep felbg, 
al« ein abfotute« ©ebot ber moralifcpen ©elbgerpaltung pingettt (©. 19). 
Run ig aber, wie ©epopenpauer gezeigt pat, ber Begriff einer Bgicpt 
gegen fiep felbg im birecten ©inne unmöglich; äße Bgicpten gegen fiep 
felbg tönnen mir inbirect au« ber Bgicpt gegen ba« ©emeinwefen ab* 
geleitet nnb begrünbet werben, rnfofern 3 eber berbunben ig, fiep förpertidp 
nnb geigig in tfleptigem guganbe «ur Erfüßung feiner Bgicpten gegen 
Anbere su erhalten. H&*t man hieran feg, fo ig bie RecptSbepauptung 
nur infomeit Bgicpt gegen fiep felbg, at« ge ber eignen B« r fan bie 
gur Uebung iprer Bgi^ten erforberlicpe foctale ©teßung wapren foß, 
unb gnbet ipre ©rensen an jebem Opfer, welche« biefe ©teßung in 


poperem ©rabe fcpäbigen würbe, at« ber RecptSoersicpt e« im concreften 
gaie tpnt. Rtntfnt man bagegen, wie ber Berfager su tpun fepeint, 
Bgicpten gegen gep felbg an, bie niept burch bie Bgicpten gegen ba« 
©emeinwefen BeMngt wären, fo erpalten biefe einen ©epein bon Un* 
bebingtpeit, ber ebenfo in Sßiberfprücpe oerwicfeln mug, wie er bon einer 
wiberfprucpSboßen Bag« auSgept. — 3*i Uebtigen entpält bie fteine 
Brofcpüre einen Reicptbum frtfdper unb antegenber ©ebanfen, ber ipre 
Seetüre für jefcit Sefer sum BergnÜgen macht. 

Ebuarb bön ffartmann. 

* 

* * 

3m Berlage ber Btittler’fcpen H°fbueppcmblimg tn Berlin ig bor 
ftursem eine Karte be« gansen rnfgfcp*tfirfifche« KriegSjcpaupfagcS er* 
fepienen, welcpt an Harpeit unb Beutticpteit niept« su wftnfcpen übrig lägt. 

Biefetbe ig fitpograppirt in bem 3ngitut bon ©rebe, in wetdpem 
auep bie harten für ba« ©enerrigafömer! gegoepen Werben, nnb gewig 
ig bon ben betreffenben SCbtpeitungen im grogen ©eneratgabe maneper 
freunbtiepe SBint bei ber Anfertigung ber genannten Äartt ertpeitt worben. 

3ebem aufmerlfamen Sefer ber Kriegsberichte wirb biefe neue Karte 
eine pöcpg witüommene ©abe fein. ß. 


ßibiiti&tapljit. 

gj. ®ingelfttbtjämmtlidje SBerle. Ctflt ©efammtaiiägabe tn 12 
SBbn. l. Wbtfdlnng. (Etjä^lenbe ®i^lungen. 3. 8b. 8unte SRet^e. 
8 . 383 ©. 8trttn 1877, ^aetel. 

©njl. ®roj, An einer Duelle. 9ioman. Xetttfd^ non Ctnil Seemann. 
?Ü8 Wn^ang: ©in ^ädt^en Briefe. 2 8be. 8. 491 ©. SBien 
1877, ^artlebew. 6. 40. 

Uni. ©bjotbi, Silber aus beutf^er unb norbifc^er Sage, fileine 
Sichtungen. 12. 61 ©. tlnclam 1876, firflget. 

@rnfl (SdfteiN, HÄabeleine. ©ebic^t. 12. 66 S, Seipjig 1877, §att= 
btoch- ©eiutben mit ©olbfehnitt. 

©al». ffarinA, btonbeS ®aar. 9toman. «n« bem 3talientfdjen flber= 
fejt »on ß. 8ot«her8. 8. 329 ©. Seipjig 1877, ©runom. 6 . — . 

«. fjelbberg, ©üb nnb Worb. Woman. 2 8be. 8. 381 © Stuttgart 
1877, Sotto. 

gerb, greiligeath’9 gefammelte Sichtungen. Weue, fehr »ermehtte 
nnb oeruottfUnbigte ftubgabe. 6 8be. 8. LXXII u. 1891 ©. 9Rit 
gr.’8 8ortt#t in ©tohlfüch. Stuttgart 1877, Cotta. 10. —. 

3ac. grety, neue ©chtoeijerbilber. ©rjAhlungen. STOit ber Siograbhtt 
nnb bem Btlbnifj be* Berfaffer*. 8. XIV n. 296 @. Sfltich 1877, 
grobeen. 

get. ©otthelf, Seiten «nb greuben eine« ©«hulmeifter«. Weue Wohl* 
feile «trtgabe. Slit ber Sebenbgefchichte ©otthelf*. 2 8be. 8. IV 
u. 40 ©. Biografie u. 464 ©. Berlin 1877, Springet. 2. 40. 

Otto ©rote, Sucrejia .Borgia. (Sine WooeKe an* ber ©efchichte ber 
$6pfle. 8. 99 ©. Bflrich 1877, ©chabelip. 

ffnap. ©rtttt’# gefammelte SBerle. $erau*gegeben »on £nbto. Sing, 
granll. Bttt bem be8 Sichter«. 6 Bbe. in ca. 24 n)6cfient= 

liehen ßiefenntgen. 8. l. Lieferung, l. Bb. VI u. ©. 1—80. & —. 76. 

$afi«, bet Storr »on ©djira«. ©afiftfehe Sieber »erbeutf^t burch 
griebrich Boben^ebt. 8. XLIII u. 211 ©. Berlin 1877, 
$ofmann. ©ebunben 6. —. 

DScat ^artmann, moberne gbptten. ^oefien. 8. 86 ©. Bftrich 
1877, <t. ©chmibt. 

!P. ^epfe, ©fiüjenbuch. Sieber nnb Bilber. 8. VIII u. 266 Berlin, 
1877, $erfc. 

g. feöarmelan, je länger je lener. Stöcfäleä on BerteKfcheS en 
»opperbhaler BRonglaat. 8. 111 @. ©tberfelb 1876, Sduenßeht. 

§erm. $8ttp, au8 ber beutfehen ©ötteruett. BaKaben. 12. 100 @. 
^annober 1877, C. Keper. 


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340 


llt G*g<tt«u»rt 


Nr. 21. 




Verlag yon 

Frtedr. Vieweg * Sohn in Braunschweig. 

(Zn beziehen durch jede Buchhandlnng.) 

Zeitgenossen. 

Erzäliliiiip, Cbaratteristitefl null Kritiken. 

Gesammelte Feuilletons 

von 

Karl Braun-Wiesbaden. 

Zwei B&nde. gr. 8. geh. Preis zpb. 12 JL 

Verlag von Otto Meissner in Hamburg. 
Gesammelte 

Schriften und Reden 

von 

Dr. Johann Jacoby. 

= Zweite Ausgabe ' 

mit Nachträgen in vier Halbbänden ä 1 JL 

3m »erläge oon griebrid) ©rcbcn in »raun* 
fdjtoeig ift foebeit erjdjiencit unb in allen »itefp 
tyanblungcit 51t Ijabcn: 

«yrad)ltrf)c 

§itnbett ber Gegenwart. 

»on 

Dr. Äuflujl Seemann, 

©rnnnafial • fcireftor a. ®litflliebe mehrerer flclebrtnt 

©efetlfdjaften. 

GJroß 8. GJeljeftet. $rei 3 2 JL 80 A. 

Die in borliegenbcm ©erfe üon einem com- 
petenten gorfdjer anfgebeeften geiler liegen 
großenteils jo oerfteeft, baß fte felbft öott ben 
(ijcbilbetften untiermerft begangen mcrbeit. Da8 
»udj ift beSljalb mistig für alle, toeld)e fidj 
einer correcten 6d)reibtoeifc ju befleißigen fiuft 
ober »eruf füllen. ___ 

/ areis, Prof. Dr., üeber die Bestrebun- 
I t S en der Socialdemokratie. Preis 40 ^ 
erschien soeben im 

Verlage von Emil Roth in Giessen. 


Verlag von Julius Springer in Berlin N. 

Soeben erschien: 




Von 

Dr. Julius Lehr, 

Prof, der Volkswirthzchaftalelire am Grossli. Bad. 

Polytechnikum zu Carlsruhe. 

Preis 3 M. 60 Pf. 

Obiges Werk ist keine polemische Flug¬ 
schrift, sondern eine erschöpfende und 
systematische Darstellung der Theorien 
des Schutzzolls und Freihandels, wie solche 
von ihren vorzüglichsten Vertretern ge¬ 
lehrt werden. Es behandelt in rein sach¬ 
licher, vorurtheilsfreier, aber doch präg¬ 
nanter Weise diese wichtige Frage und 
ermöglicht dem Leser eine schnelle und 
gründliche Orientirung. Wir glauben, dass 
die Lehr’sche Arbeit einem wirklichen Be¬ 
dürfnisse — es existirt nichts Aehnliches 
— entgegenkommt und vollständig ge¬ 
eignet ist, dem Publikum über eine Streit¬ 
frage Klärung zu verschaffen, welche zur 
Zeit wie keine andere das öffentliche 
Interesse in Anspruch nimmt und voraus¬ 
sichtlich auch nicht so bald von der Tages¬ 
ordnung der deutschen Wirthschaftspolitik 
verschwinden wird. 

Zu beziehen durch jede Buchhandlung. 


3nt Verlage ber Unterjeic^ueten ift foeben erfdjtenen: 

ftott fl&ambetta unb ftitte Irmeett. 

®oit fcoltnar t$rei|ernt 1101t ber <9ol$. 

@in SBanb in ®rojp0ctaü. 19 »ogen. SJttt einer föarte. »reis 6 
Die Itiffäfce, tpeld^e grl). ti. b. ©olp 1874 u. 1875 in ben preuß. 3a^büc^em 
toeröffentlidjte, liegen bem ©er!e 511 ©runbe unb ftnb nun $u einem »tube erweitert 
unb tiertioUftdnbigt toorben. @4 liegt fomit ein abaerunbeteS »ilb ber rriegerifdjen 
Dljätigfeit Öainbetta’S tior, beS großen SttamteS, ber in jener benftoürbigen 8«* 
granfrei ©efdjicfe leitete. Dl), gontone jagte oon ihm: „®r toar bie Seele beS 
©iberftanbeS, unb toaS bis (Snbe Qannar feitenS be$ fran$öfif(]&en Zolles geleiftet 
mürbe, mar fein ©er!/' „©ambetta’S »ebeutung", fo fdpreiot bd$ HRilitair- 
©odjenblatt, „ift juerft unb am beften oon $auptmann 0. b. <8olfc anerfannt unb 
auSgefprodfjen toorben." — Das ©er! ift burc§ feine populäre nno fefjelnbe Dar- 
fteflungSioeife für bie ganje Sefermelt bon ljoljem guterejfe. 

»erlitt W. 3f. $4«eiber k §0*9. («dUf*ml>t 4 

Unter ben Sinben 21. ftöniglictye $of&uc$fytnMimg. 


Soeben ist im Verlage der Unterzeichneten erschienen: 

Briefe der Brüder Friedrichs des Grossen 

an meine Grosseltern. 

Herausgegeben und bevorwortet von 

Leo Amadeus Graf Henckel Donnersmarck. 

Ein Band in Octav. 8 Bogen. Mit dem Portrait und Facsimile eine 4 Briefe* de* Printen Heinrich 
ton I*reussen. Preis geheftet 3 JL 60 elegant gebunden 5 JL 20 
Dio vorliegenden Briefe sind Seitens der Brüder Friedrichs des Grossen an den General- 
licutenant Grafen Henckel Donnersmarok und dessen Gemahlin, die spätere Oberhoftneisterln am 
Hofe des Grossherzogs Carl August von Weimar gerichtet worden. 

Dieselben geben einen wichtigen Beitrag zur Bcurtheiluug der Zeit Friedrichs LL und des 
grossen Königs selbst, und bieten durch ihr individuelles Gepräge eine Interessante Charakteristik 
der so verschieden gearteten fürstlichen Briefsteller. 

Die Briefe sind der Sitto de* 18. Jahrhunderts gemäss in französischer Sprache abgefasst 
und in ihrer eigenthümlichen Orthographie unverändert erhalten worden. 

Nicht nur Historiker, sondern auch alle Freunde vaterländischer Geschichte werden dieses 
Buch wiUkommcn heissen. 

Berlin W. F. Schneider & Comp. (Goldschmidt & Wilhelmi) 

Unter den Linden 21. Königliche Hofbuchhandlung. 


Altbewährte, seit vielen Jahrhunderten bekannte alkalische 
Kochsalz-Thermen (30—55<> Rtaum.) ^ 

Cur ununterbrochen nährend 
des ganzen Jahres. 

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das laufende Jahr vermehrt. Die 
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BAD HOMBURG 

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Homburg 9 » Heilquellen sind von durchgreifender Wirkung bei allen Krankheiten, 
welche durch die gestörten Functionen des Magens und Unterleibs erzeugt werden, auch 
bei chronischen Leiden der Drüsen des Unterleibs, namentlich der Leber und Milz, bei 
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Im Kurhause elegante Conversations- und Tanzsäle, Lesezimmer, Caf6 mit Billards. 
Der bisherige Restaurant Clievet unter der früheren Leitung. 

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dut bie öiebaclion uerantivoctiid): 6<»r§ £Utt< in 
$nt(t uon #. fentnrr in Jiip |ig. 


tApfGUioti, UnCtB Ä.W n tfoniimftraftr 92. 


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^erlitt, ben 2. 3tt«{ 1877. 


XI Band. 




pe (!3cpmtmrt. 

äßodjeitfchttft für Literatur, Äunft itttb öffentliches ßeben. 


f -i^er&nSQeber: ^frtttf ^iltba» in »erlin. 


|tkn Suuitik trty'iit ehe ginnet. 

8u htftiehfn bur# affe ©ud&ljanblimflen unb ^offanftal 


i%.v. 



eget: 0eorg Stille in 33etlin. 


greis pu fsarfal 4 firfe 50 |f. 

Snfcrate jeher Slrt pro 3ßeipartene ^etitjcile 40 




Snrnn Äffafoto uttb baS ©latöencümue.' — bent Saitbe ber $opett. ®on SBtlljelm ©olbbaum. — Literatur unb ftunfl: 5)er 
garbenfinn in ben üerfd^iebenen Sßerioben ber tnenfdjlidjen (Sntttucfeluug. »on Jpugo SRagnuä. — $ie ®fquilinijd)en 0bqfeeIanb= 
fdjaften. »on Wbolf Xrenbelcnburg. — Sfceue beutfd&e Seitfd^riftcn. 93on $auf Sinbau. — ber ujjtfiöbt: 2)ramatijd)e 
«uffft^rungen. grreunb grifc. ©fjarattetgernftlbe in 3 mieten tum ®nfmann=®^atriön. ©efotodfjen tum SnliuS §agen. — SRotiaen. 
— Offene »riefe unb Antworten. 3ur »aterfdjaft beS $inbe8 tum geljrbeflin. »on $1). gontane, (Srnft ©djerenberg, ßubtnig 
©peibel. — gnferate. 


Jtnan 3 U|akow unk kas Slowencomtte. 

(6ortefponbenj aus 6t. Petersburg.) 

Änfchtiefjenö an bie in 9ir. 20 ber „©egenwart" erfchte= 
nene, aus ber genaueren Äenntnik ber eintägigen »erhält 
tiiffe bernorgegangene ß^arafteriftif beS Politiken ElblatuS 
beS Doerconunanbanten ber tuffifchen 5)onauarmee fenbet uns 
unfer Petersburger Gorrefponbent in bent na<fjftef)enben Strtitet 
einen netten intereffanten »eitrag jur ©efdjichte ber panffo: 
wiftifdjen »ewegung in Etufjtanb, in welchem bie perfknli^= 
teit beS anberen tjfüljrerS ber mächtigen flawiftifchen Partei 
üjre Sßürbigung erfährt. 

„lagB nad>bem. meine ber „©egenwart" beftimmte SRotij 
über ben Surften Ifdjertafjfy abgefenbet worben war, brachte bie 
„SRoSlauer Seitung" ausführliche »erichte über bie »erljanblungen, 
welche in einer ®if}ung beS biefem ©taatSmanne eng affilirten 
SRoSlauer ©lawencomitöS gepflogen worben Waren. §err 3wan 
Ettfalow, ber betannte Süt)cer unb Publicift unferer ©Iawophilen= 
partei, batte ju biefen »erhanblungen burch einen »ortrag ben 
Etnftok geboten, bon bem bas ©erficht woljl auch ju 3h nen 8 e: 
brungen fein wirb. Stach einer ©inteitung, welche bie ©fre 
ber gegen ben 38lam gefchleuberten ftriegSertlärung Oornehm- 
licb für ben in benSlawencomitbS oerförperten rnffifihcn National* 
willen in Etnfptudfj nahm unb „gewiffe" oon loSmopolitifcfjen 
Sbeen erfüllte oomehnte Steife ber Petersburger ©efettfehaft 
mit einer bitteren Sauge oon ©pott übergok, braute ber SRebner 
Sur Senntnik feiner ©enoffen, ba| @. ER. ber Saijer geruht 
habe, ben ©lawencomitbS eine birecte »erbinbung mit bem ©hef 
ber bei bem Dbercommanbo ber Sonauarraee befinblichen ©ioil: 
abtheilung unb bie Einteilung befonberer Agenten bei biefem 
»eamten ju geftatten. SluS bem 2)eutfd)en in’S SDeutlidje über: 
feht h«tkt baS nichts ElnbereS, als bak $err Ellfalow unb beffen 
Sreunbe ©elegenheit haben werben, mit bem Surften Sfdjerfakfp 
unb ber biefem unterteilten ©ioiloerwaltung »ulgarienS beftän= 
bige Sühlung ju erhalten unb ihre EReinungen über baS, was 
jur »efeftigung ber »ruberbanbe jwif^en fRuffen unb @üb= 
flawen erfptieklidh ift, aßejeit an bie richtige Elbreffe ju bringen. 
Sein ©eringerer als $err Sltfalow felbft wirb bie gefchäftlid^en 
»ejieljungen jwif^en bem ©omits unb bem lünftigen Elbmini: 
ftrator »ulgarienS ju oermitteln unb barüber ju wachen haben, 
bak biefelben ftch innerhalb ber oorgefchriebenen Sphäre ber 
„EBohlthätigteit unb Sürforge für »erwunbete unb fRothleibenbe" 
bewegen 1 2>a ber SRenfch ni^t oom »tobe allein lebt unb ba 
3 wan ©ergejetoitfeh ein oiel ju guter orthobojer ©hrift ift, um 
über ben Sörpem feiner »rüber beren ©eelen ju oergeffen 
ober feine ©orge für bie „flawifche Sache" auf ©harpiejupfen 


unb ©elbfammeln ju befchränlen, hat bie getroffene ©nt: 
fdjeibung eine aukerorbentliche politifche Tragweite. Ellfatow 
unb feine jahlreichen Sreunbe fehen für auSgema^t an, bak 
ihnen geftattet fein werbe, auf bie jwifchen ®onau unb »altan: 
abbachung einjurichtenbe »erwaltung ben legitimen ©influk ju 
üben, auf welchen fie burch ihre »ergangenheit Elnfpruch er: 
worben ju haben Oermeinen. 

®a fich über bie lünftigen Saaten biefet Herren in ber 
©egenwart noch nicht abfpredjen läkt, unb ba immerhin möglich 
— wenn auch nicht wahrfdjeinlich — ift, bak biefen Ufaten 
engere ©renjen gejogen werben, als in SRoSlau gehofft unb 
ange n o m men wirb, befthr&nfe ich mich für heute barauf, 3h nen 
einige ®aten über bie »ergangenheit }u übermitteln, auf welche 
3wan ©ergejewitfeh Ellfalow feine SutunftSanfprüche grünbet. 
3h«n ßefern Wirb baburch bie SRöglichteit geboten fein, felbft 
barüber }u urtheilen, ob eS übertrieben ift, wenn man bie bem 
Sütjrer ber ERoStauer nationalen Semolratie ertheilte ©rlaubnik 
jur Xljeitnahme an ben Eltbeiten ber Xfdjertaklp’fchen »erwal: 
tung für ein politifcheS ©reignik Oon entfehiebener »ebentung 
anfieht. 

©leich ber SRehrjahl unferer „nationalen" »oll« = unb 
SreiheitSmänner ift $err 3wan Etffaiow ber_ ©oljn eines alten 
ElbelSgefchlechtS. SBie meitanb ERafter ©abshitt hat bie ruffifche 
®emolratie eS niemals mit „Sangftöcfen, Suklanbftreichern unb 
tollen tupferfarbigen »ierlümmeln, jonbern immerbar mit abligem 
©emüthe unb fürftlichem ©eblüte, mit »ürgermeiftern unb groken 
Herren" gehalten unb babei ihre ^Rechnung gefunben. 3man 
©ergejewitfeh gehört einem wohlbegüterten anfehntichen ©efchle^t 
an, baS ber fRationalfache bereits jwei berühmte ©treiter ge: 
liefert hat. ©ein »ater ©ergei Ximofejewitfcf) (geb. 1791, 
geft. 1869') ift ber »erfaffer ber berühmten „Etufftfchen Samilien: 
throni!" (beutfeh Oon fRacjinSli, Seipjig 1858), eines ber an: 
iiefjenbften ȟcher, bie jemals in rufkfdjer Spraye getrieben 
unb ber ©hre ber Ueberfehung gewürbigt worben ftnb, — fein 
»ruber Sonftantin (geb. 1817 ju SRoSlau, geft. 1860 auf ber 
3 nfel Saute) war ber eigentliche »egrünber ber ©lawophilen: 
Partei unb ber famofen Xljeorie, nach welcher bie rnfftfehe 
©ioilifation mit bem „heibnijdjen SBeften" ju brechen unb fi<h 
ben Oerlaffenen ^eiligthümern beS reinen »oltSthumS unb ber 
orientalif^ : orthobojen Kirche jujuwenben hat. Xtiefer liebenS: 
würbige, oon wahrhaft ibealem ©eifte erfüllte ©^Wärmer, fein 
Sreunb ©homjätom, ber jüngft oerftorbene ©amarin unb bie ©e: 
brüber Hirbjewsli waren bie erften oornehmen unb gebilbeten 
SRuffen, bie mit ber fRüdfehr „jum »oltsthum" ©rnft machten, 
baS nationale ßeben eifrig unb erfolgreich ftubirten, ben »erfuch 
machten, bie panflawiftifche 3bee mit bem rufftfehen ßeben in 
»ejiehung ju fehen unb aus ber ruffifchen ©efchichte wiffen« 


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842 


Mit 8t$tuvatL 


Nr. 22. 


fcbaftlicb ju begrünben. ©on ben ©jrcentricitäten biefer SRännet, 
welche ben franjöftfdjen {Rod mit einem häutigen Sfanjät Der« 
tauften, baS rotbe $emb ii6 er ben ©ejntleibem unb bie ©eip« 
fteiber in ben ©tiefein trugen, finb bje ©fawopbilen Dgn 
beute längft jurüdgelomtnpn —, ihre ^eorieti Werben bagegp 
mit erbebtem ©ifer, mit burcb bie ©rfaljrung geläutertem ©e« 
fd)id unb mit ad’ ben #ütfsmittetn, welche bie ©egenwart für 
bie politifche ©ropaganba bietet, Weiter Derfolgt unb erfreuen 
ficb einer Süngerfdjaft, Welche als Wichtiger tjacfor ber neuruffi« 
fdjen ©nttoidelung anjufeljen ift 

„Par droit de conquete et par droit de naissance“ ift 
3wan ©ergejewitfcb ber fjübrer biefer Süngerfdjaft, ber $aupt« 
apoftet ber non feinem ©ruber begrünbeten Doctrin, bie erft 
burcb ib« i« bie politifdje ©rajiS überfefct worben ift. Unter 
bem alten {Regime Don jeber öffentlichen Xbätigfeit auSgefchlof« 
fen unb auf gelegentliche Arbeiten über bie ruffifche ©otlS« 
inbuftrie befdjränft, gehörte er ju ben ©rften, bie Don ber ber 
ruffifdjen ©reffe ju Unfang ber fed)jiger 3ahre gewährten 
gröberen greibeit ©ebrauch machten. Sie Don ihm im $erbft 

1861 gegrünbete SBochenfchrift „Djen“ (ber lag) jäl)lte als 
$»auptorgan ber nationalen Partei, als lobfeinbin beS Übels 
unb ber ©ureaulratie 3abre lang ju ben einflu|reichften, led« 
ften unb gefürchtetften ©rfcheinungen beS ruffifcben ©cbrifttbumS. 

1862 wegen eines gegen ben felbftfüchtigen hohe« ©teruS ge« 
richteten WrtifelS jeitweife fuSpenftrt, ftanb ber „Djen" 1863 an 
ber Spijje ber glätter, welche ben „ SSoltSfrieg" gegen baS 
„bem weftti<hen SBefen Derfadene" ©ölen, bie {Ruffification Sit« 
tbauenS, bie UuSrottung beS KatholiciSrauS auS biefer Sanb« 
fdjaft unb bie ©inführung beS ungetheilten ©emeinbebefi|eS in 
biefelbe forberten unb aus biefem Ueberbleibfel altDäterifcher 
UnWirtbf<häftli<h^it unb Barbarei einen Sdftein beS mfjtfchen 
SebenS unb eine neue gormel ber ©tDilifation machten, ©o 
maßlos War bie fjeftigleit, mit welcher $err Utfafow gegen 
ba§ „weftliche SBefen" unb beffen Ausgeburten, ben KatljolictS« 
muS unb bas Deutfdjtbum bonnette unb jut Befreiung ber 
unter öftreicbifcbem „3oche" fchmachtenben ruthenifdjen, troa« 
tifdjen, tfchc^ifcbcu u. f. w. ©rüber aufforberte, bah bie {Regierung 
ben „Djen" Wieberboit in ©träfe nehmen unb (ba Weber ©träfe 
noch ÜBarnung fruchtete) enblicfj Derbieten muhte. 3®au Ser« 
gejewitfch antwortete mit ber ©egrünbung eines groben läge; 
blatteS, baS unter ben wecbfelnben Flamen „dRoSlWa", „üRoStwi« 
tjänin" unb „dRoSlWitfdj" enblofe Kämpfe gegen bie {Regierung 
unb bereu angeblich occibentale Denbenjen führte. Das ©elb 
ju biefem Unternehmen h<*tt en reiche ÜRoSfauer Kaufleute unb 
ftabrilanten Don SwanoWo betflegeben, beten fdjuf}jödnerifche 3n« 
tereffen ebenfo eifrig wie gerieft Derfocbten würben. 8«m 8wed 
einer SReoifion beS SoUtarifS unb einer (natürlich nur bö<hft mah« 
Doll gemeinten) Annäherung an bie 8oQfbfteme ber übrigen euro« 
päifchen ©taaten hatte ber 3inanjminifter D. Meutern um bie 
©litte ber fechjiger 3«bre eine ffinquste unb bie ©injiehung Don 
©eriebten ber wiebtigften ruffifcben §anbels!amment angeorbnet; 
barauS ju erbitterten Angriffen gegen bie anti«nationalen Ab« 
fiebten beS ©ouDernementS Aniah ju nehmen unb bie ffirbattung beS 
ftreng protectioniftifchen SpftemS als religiöfe unb patriotifche 
©flicht ju prebigen, Derftanb fich bei 3wan ©ergejewitfcb Don 
felbft. ©on Alters brr war bie „nnDetfennbare" Aebnlidjfeit 
jwifchen ber ruffifcben unb ber ameritanifchen ©ntwidelung eines 
ber SieblingStbemen beS pbantaftifcheften aller ruffifcben ©ublt« 
cifien gewefen; jefct würbe biefeS Stedenpferb mit {Berufungen 
auf beS groben ffiarrep grohe ©ntbedungen neu anfgejäumt 
unb bem ruffifcben {Reiche bie SRuftergültigleit beS 8od« unb 
^anbelSfbftemeS ber Union allwöchentlich fecfjS 3Sal geprebigt. 
©eibe ©taaten batten ihre ©flauen freigegeben, beibe ©taaten bie 
{Rebellion „füblicber ©arone" nieberjuwetfen gehabt, — beibe 
waren Dobfeinbe beS „perfiben Sllbion" unb beS hinter biefem 
ftebenben „Derfaulten" europäifchen SBeftenS, folglich waren 
beibe baju beftimmt, baSfelbe 2Birtbf<baft3fbftem ju Derfolgen 
unb ?lrm in 3lrm an ber ©pifee einer geläuterten ©uttur 
ber 3nfunft ju marfchiren. — ©on ber norbamerifanifchen 
Union unb ihrem ©itrgerfriege bnUm jablreicbe fiefer ber 


„SKoSfwa" wenige 3ahre Dor ber ©egrünbung biefeS ©latteS 
jum erften SKale gehört, in bep etpig Iffrunfenen ©ommobore 
gor (bep als auherorbe^tti^ef ©cfantypr nach SWoSlau unb 
fßeterSbprg tarn, um {Ruhta^p Ur feine hem Slorben bewiefenen 
©bmpatbien ju bauten) jum e^e« 3Rale einen ftmerifaner ge= 
feben: gerabe barum würben bie neuen Sffatow’fdjen Xbeorien 
mit allgemeiner ©egeifterung aufgenommen unb als tieffinnige 
Offenbarungen beS ©olfSgpifteS unb einer nationalen ©bü° : 
fopbic ber ©ef$icbte Don Xaufenben bärtiger fjftbrilqnten unb 
Katiunh&nbler banfbar nachgefprochen. 

{Rach ©eenbigung ber {Reutern’fhen ©nquete unb nach 
feitigung ber an biefelbe gefnüpften ©efür^tungen ber ©chu^ 
jöQner, gab ^err Sffafow bie rebactionelle Shätigleit für einige 
3abre auf. ©eit ber {Parteinahme {RufilanbS für bie ©ache 
©reuhenS unb feit ber ©reisgebung ©anbiaS f^ienen bie 3*it- 
läufte ber Don ihm empfohlenen ftreng «nationalen ©oliiif un« 
günfHg ju fein, ber ewigen $änbei mit ber OberprehDerwaltung 
war ber je|t 50 jährige 3Ranu mübe unb feine Dor Kurjern 
erfolgte $eiratb mit 3rl. Xjutf^bew (einer $ofbame 3- 3R- ber 
Kaifetin) mochte ihm bie jeitweife SRüdfebr in’S ©rioatleben 
an unb für fich wünfebenswertb erfcheinen taffen. SRebrere 3al}re 
lang befchräntte 3wan ©ergejewitfcb feine Xbätigteit auf wiffen: 
fchaftliche ©tubien, gelegenttidbe 3ritungSartilel unb auf bie 
Xbeitnabme an ben ©i^ungen beS ©lawencomitäS, baS er mit 
grünben geholfen batte. 3n weiteren Kreifen Würbe fein Slame 
nur ein SRal, im griibjabre 1868, ba aber bei einer aufier; 
orbenttich intereffanten (Gelegenheit genannt: als ©orfifeenber 
eines ber jablreichen ©omiteS, welche fich in ©erantaffung ber 
#unger8notb Don 1867/68 gebilbet batten, war ber ©emabl beS 
§rt. Xjutfhew mit bem ©ro|fürften Ibronfotger in einen ©rief« 
wechfel unb in bie Sage getommen, ©r. Kaifert. Roheit eine 
{Reibe WertbDolIer {Ratschläge über SRaterien ber inneren unb 
äußeren ©olitil ju ertbeilen. ©roben biefer lehrreichen ©or« 
refponbenj fielen bem bamaligen ©bef ber „Dierten Stbtbeilung" 
(©enSbarntetie) in bie $änbe unb gaben ju einer lebhaften 
©ontroDerfe jwifchen bem hoben Slbreffaten unb bem 
Pächter bet öffentlichen Sicherheit ©erantaffung, aus welcher 
übrigens ber lefctere als Sieger betDorging. — SBäbreub ber testen 
jwei 3ahre gehörte ber frühere {Rebacteur beS ,,©)jen" auSfcbliefitich 
bem ©lawencomitä unb ber Don biefem betriebenen, ©ropaganba 
an. 9to<h lurj Dor ÄuSbruch beS Krieges b< e U er feinem ©oipilt> 
eine an bie ftbreffe ber „höheren ©eterSburger Steife" gerichtete 
©bitippila, Welche bie mertwürbigften ®inge mit unDerglkch« 
liehet Offenheit jur Sprache brachte, bie offkiede rufftfehe 
Diplomatie als ©egenftanb beS ©potteS unb ber ©erachtung 
ader europäifchen ©öltet bejeichnete, über bie dRihgunft unb 
Seinbfeligteit tlagte, mit welcher bie aus Serbien jurüdgefebrten 
Steiwidigen Don ber ©otijei Derfotgt unb an bem Drogen fer« 
bifcher Uniformen unb @b ren J < ‘ 1 h en Derbinbert würben, unb. bie 
fchliehtich unoerbüdt auSfpra^, bah ber ©jar fein im Kreml 
gegebenes ©etfprecben Durch ©rttärung beS Don. bet Station 
festlich gewünfehten Krieges gegen bie Ungläubigen, eintöfen 
mttffe. Die SRoStauer 3«tung war unttorfichtig genug, hiefen.©or« 
trag abjubruefen unb. fich babnrdj bie ©onfiScatiou eines groben 
DbeitS ihrer Sluflage jujujiebeu, — bah bie geretteten unb burcb 
jablreiche Äbfchriften über ganj {Ruhlanb Derbreiteten Sjemplare 
bie gröhte SEBirtung übten, Dermochten aber Weber '©cueral 
Sewafdjow, ber interimiftifd^e Seiter ber Dierten Slbtbeitung, noch 
©ebeimrath ©rigorjew, bet ©bef bet „Obemermattung für. Sin« 
gelegenbeiten ber ©reffe", ju uerbinbem. 

„Sld* Seit Doran" ift bisher 3wan SHfalowS Sofung ge« 
wefen unb biefer Sofung. wirb er auch in her neuen, ihm er« 
öffneten Dbätigteit treu bleiben. Ueber {Rüdfidjten. ber ^ofgunft 
unb ber eigenen Sicherheit ift biefer muthige, ebenfo fauatifche 
Wie itberjeugungStreue SRanu Seit feines Sehens erhaben ge« 
wefen unb. nicht an ihm Wirb es liegen, wenn er fich nicht 
bemnächfi in Sutgarien einen ebenfo bebeutenben {Ramen macht, 
wie bisher in {Ruhlanb. 3<h bente, wir werben halb genug 
Don ihm ju büren betommen." 


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Nr. 22. 


9ft Gegenwart. 


343 


Im bem £anbe ber Jtoptn. 

(Sine gettgetnäjje Setrachtung. 

©om „©utturfampf" war Anno bagumal noch lange rticfyt 
bie Webe. ®er fatholifdje trieft er war nod) fein AuSbunb non 
Stenitenj, ber ©aftor berief fich nodfj mit blumenreicher ®en= 
timentalität auf ©chleiermacherS gottfeligen ©eift unb ber Stabbi 
flimmerte fldj um ÄUeS weniger, als um bie ©teidjberechtigung 
feiner bemüthigen ©chäffein mit ben djriftlidjen Snfaffeit beS 
Staates. ®ie Heine SBelt, in ber ich aufgeworfen, war frisier 
ein completeS SbpH, unb wenn bie Honoratioren gu ßönigSs 
geburtStag fidj gufammenfanben, um inter pocula ihren ©atrio: 
tiSmuS gu offenbaren, fo floh eitet SOtitch ber frommen ®enfung 8 : 
art über ben Stanb beS Bechers, wobei fogar wäljtenb ber 
festeren ©tabien beS ©etageS bie brei Stingberoahrer ber brei 
©onfefftonen — ber eine im tangmaKenben ®alar, ber anbere 
im fdjtidhten enggefnöpften ludjrode, ber britte im glattfeibenen 
Sfaftan — nicht fetten einanber menfr^eitstrunfen in bie weit: 
geöffneten Arme fielen. 

Sn jenen lagen oerfdjtug mich baS ©efdjid gen Offen, in 
baS Sanb beS ©garen. ©eftaloggis (Seift gu meiner Werten 
unb ®iefterweg9 gu meiner Sinfen Wanberte idfj, faum gwangig: 
jährig, einem fargen ®örfdfjen auf ber eubtofen farmatifchen 
Tiefebene gu, wo in einem fahlen weihgetünchten H e rrenhaufe 
gwei Heine ©toStowiter beS AriabnefabenS darrten, an bem fie 
ein beutfcfier Sekret in baS Sabprinth ber SBiffenfdjaften unb 
fünfte geleiten fottte. 3 <h war fein ©oflbtutpäbagoge, unb bte 
Stufgabe, bie ich übernommen, wuchs immer broijenber oor meinen 
Augen in bie Hö^e, je nähet id) bem ©eftimmungSorte fam. 
AIS gar baS ungebctbige ftaöifd^e Äitabenpaar, baS fünftig 
meiner Dbforge fld) erfreuen fottte, nach ben erften lagen unferer 
gegenfeitigen ©efanntfdfjaft atter^anb Unarten unb Eigenwillig; 
feiten entwidelte, fah id) erfdjredt nad) einem ©unbeSgenoffen 
umher. ©in beutfdjer Hauslehrer bthft in fotd^er ßage inftinctiu 
nad} bem nächften ©otteSmanne bin; er brauet eine Autorität, 
hinter bie er ficfj fletlen fann, unb wer repräfentirt auf bem 
platten Sanbe eine foldje in höherem ©taffe, als ber fteife, wort: 
farge Herr ©aftor, ber feifte, fprachfelige Herr ©robft unb — 
im ©ebarfSfatte — bet fdjweigfame, tatmubgetränfte Herr SRabbi? 
®a# war mtn teiber eine rtergebfidje AuSfdhan, benn in bem 
®örffein gab eS webet Ifatholifen, ©roteftanten noch Snben, 
atfo auch Weber ©robft, ©aftor noch Stabbi; aber ein ©ope war 
Botljanben, AnaftafiuS mit Warnen, unb — in ber Stotij frifft 
ber Xeufet befamtttich Stiegen. 3<h machte atfo bem ©ater 
AnaftafiuS feufgenb meine Aufwartung. @t empfing mich, wie 
id} nicht anberS fagen fonnte, fehr teutfetig unb cotbial. ©ein 
Simrner war gwar entfefclid} faf)l unb mein Auge fpühte um« 
fottft nad| einem ©uche, bem attegeit hütfreichen ©ermittter geiftigen 
StapporteS; baffir aber ftanb auf bem rohgegimmerten jifhe 
eine entforfte Wiefenftafdje mit gebranntem ©Baffer, baneben ein 
halbnoHeS ©las Bon fehr beträchtlichen ®imenfionen unb ein 
eben angefd}nitteneS Saib fhwargen, groben ©robeS. 

®a3 ©efpräch war batb in lebhaftem ©ange. ©ater Ana: 
jtaflus, ein oethältni|mäfifig ferner ©Kann mit langem fd}Wargem 
©art: unb Haupthaar, ergähtte attertei Schnurren oon feinen 
AnrtSbrfibetrt unb Kumpanen, Hagte in feht beweglichen ©Borten 
über ben ©eig feiner SDtufdjnfS, fluchte mit ungenirter Derbheit 
über ben Heiligen ©tptob unb etliche anbere Heilige; aber für 
meine päbagogifchen ©hntergen geigte er nicht baS leifefte SRit* 
gefüht; er fhien gar nicht gn wiffen, bah ba 8 ©rgiehen übet: 
hanpt eine ftunft fei. Allmählich fanb ich benn auch heraus, was 
ihm als würbigfteS Bei«hen tabetlofer SebenSführung galt; er 
prifS ober Berfpottete feine ©piet: unb Jrtnffumpane, je nachbem 
fie Biel obet wertig gebrannten SBaffetS gu Bertragen im ©tanbe 
tnaren, unb Wuf}te nicht genug WühmenS Boti ben gahlreihen 
Äniffen unb ftnnftftücfen, mit benen et felbft ben RreiSegecutor 
im Äartenfpiele gu übertiften pflegte. @0 Berftrich eine gute 
©tunbe refuftatlofer ©onoerfation, unb als ich wirf) gum Abfdjiebe 
erhob, war ich genau fo hilflos wie Borher. 


3 <h begegnete mäljrenb meines breijährigen ©jits in bem 
ruffifhen ®örftein noch öfters bem wunbertichen ©otteSmanne, 
begreiftidherweife ohne befonberen ®rang, bie weiteren Kapitel 
feiner SebenSweiSheit gu oernehmen. @r präfentirte fie im 
©runbe auch oermöge gang biredter ©erfonification, benn eS ge: 
fdfwh faft immer, baff fein ©ang fhwanfenb, feine Augen ftarr 
unb ber Hauch feines ÜDiunbeS Bon weithin fpürbarem ©rannt: 
weinbufte war. ©on ©ater AnaftafiuS tonnte ber Uebelwollenbftc 
nicht behaupten, bah gwifd&en feinen Honblungen unb feinen 
SBorten ein Unterfchieb fei. ©rft nach oielen Sohren, als ich 
längft wieber in bie n e tntai gurüdfgefehrt unb ber ©äbagoge 
an ben Waget gehängt war, erfuhr ich burcfj 3ufaH, bah Anas 
ftafiuS, ber ©ope, gottfelig in’S SEBaffer gefprungen, um bie ©lutlj 
beS Delirium tremens gu fühlen, babei aber jämmerlich um fein 
Seben getommen war. ©feine beiben dögtinge waren fchou oor= 
her mitten in bie ©ranbung beS ©anflaoiSmuS hineingetaumelt, 
unb Wer weih, ob fie nic|t in Serbien Bon ben Xürfeu ben 
©arauS erhielten, ©in höhli<h«r Waufch ift ©eibeS, ber beS 
©open oont Branntwein wie ber feiner ©chujjbefohlenen Bom 
©anflaoiSmuS. 

©in ©uteS hot gleichwohl bie ©efanntfdjoft mit bem ©ater 
AnaftafiuS für mich gchobt; ich benüfcte nämlich Bon ba an bie 
©elegenheit, mich genauer über baS ruffifcfje „©hriftenthum" unb 
beffen geiftiiche ©eelenbeWahrer gu unterrichten, unb fann nun 
wohl ein befcheibeneS Säörtlein mitreben, wenn baS ©efpräch 
auf bie armen türfifchen ©h r ifi ett fommt, Welche ber ©gar in 
feiner ©igenfdjaft als weifier ©apft fidh oerpflichtet fühlt, auS 
ihrem muhamebanifchen Segefeuer gu ertöfen, fintemal auch Me 
traurige ©egenb oon ©heim mir auf meinen SBanberungen bc= 
fannt geworben, wo, Wie männigtich befannt, feit Bielen Sohren 
mittetft ftnute, ©ife unb Sajonnet bie armen Uniaten in beit 
©dhoh beS „wahren ©taubenS" hineingemartert werben. 

©San begeht ja gewifj feine ttnbid, wenn man Bon bem 
Hirten auf bie Heerbe fchlieht, welche feiner Obhut anoertraut 
ift. S<h >oar anfangs naio genug, ben ©open AnaftafiuS als 
ein Hnicurn gu betrachten. ©Benn ich *h tt ln ber ©chenfe mit 
ben ©tufchifS bechern unb allen ooran ber roheften ©rluftigungcn 
fich erfreuen fah, fo fam eS mir, bem pietätöotten ©pröhling 
einer cioilifirteren ©reite, nicfjt in ben ©inn, bah ct ein XppuS 
fei. 3<h höüe midh an ber ©eftalt fo mandheS ehrwürbigen 
©farrherrn aus ber Heintat mit einer berartigen ©uppofttion 
gu oerfünbigen geglaubt. Aber je mehr ©open ich lernten lernte, 
befto breifter entwicfelte fidh in mir bie ©orftetlung, bah ©ater 
AnaftafiuS nur ©iner oon Siefen, ja bah er nicht einmal einer 
Bon ben ©chlimmften war, benn aüefammt tränten fie fich in’S 
®elirium hinein unb fpielten fie bem armen ©tufchif am ®arten= 
tifche bie fauer erworbenen ffopefen aus ber ®afche, wobei fie 
bot bem ©utSs unb bem ©tabtherm wie bie Hunbe fronen 
unb fidh für ein paar elenbe ©tofcfjen bagu hergaben, ben HonS: 
wnrft gu fpielen, falls im ©belhofe baS ©ebürfnih entftanb, ein: 
getroffene ©äfte burd) auSgelaffene ©pähe gu erheitern. 

Sch Berfpüre feine Steigung, eine ©efchidhte beS ©openthumS 
gu fehreiben. Aber oon felbft brängt fleh bei biefer Betrachtung 
bie Betheetenbe ©Birfung beS ©äfaropapismus unter baS Auge, 
bet nirgenbs in fo fraffen formen in bie ©rfcheinung trat wie 
fett ©eter bem ©rohen in Stuhlanb. Sener ©rgbifchof Sfeofan, 
ber, auf ©eterS Hrchliche ®hüÜ 0 leit hinweifenb, mit fnedjtifchem 
©nthuftaSmuS äuSrief: „Sieh ba, 0 Kirche StuhlanbS, beinen 
®aoib unb ©onftantin!" war ber erfte ©HaBe im ©openfaftan, 
unb feitbem fani ber „rechtgläubige" ©rieftet immer tiefer in 
ben ©chlantm, baS arme ©otf unwiberftehlidfj hinterbrein giehenb. 
®arüber befteht fein Stueifel, bah auf bie ®aner jeber Staat 
©dhiffbrudh leibet, welcher bem ©faffen bie Dberljanb über feine 
eigenen SBerfgeuge einräumt. ®er SRufti, H°öjo unb Ulema 
finb redht eigentlidh baS Serljängnih beS ÖSmanenftaateS in 
©nropa, unb wenn eS — Wie Anno 1840 thatfächlidj auf ber 
©rüde Bon ©alata in ©onftantinopel gef^ah — einem ®erwif<h 
ungeftraft hiügehd * 1 fann, bah tx bem erften ©tinifter beS Weites, 
weil berfelbe liberalen Steigungen hufbigt, Bor altem ©olfe in 
baS ©eftdjt fpeit, fo ift eben oont Staate nicht mehr bie Stebe. 

* 


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344 


Oie (Segenmart. 


Nr. 22. 


Slbet anbererfeits oerträgt für legt nocg lein 9So£f ber ©rbe bie 
oöflige SoSlöfung Don alter pofitioen Seligton unb alfo au<g 
nidjt bie ööttige Unterjochung be« Klerus unter bie 3mede be« 
Staates. 2Ran mag oon ben preußifdjen üRaigefegett benten toie 
immer man motte — ben ©ormurf mirb man ignen nicht er; 
fpareit Knnen, baß it)re Prämiffe ju umfangreich ift, infofern 
fie nämlich barin beftegt, baß ber Staat, unb fei eS auch nur 
oorübergegenb, ber SEßaffe be« ©olle« ben Priefter erfegen lönne. 
Unb baS heutig« preußifcge SSotf ift boch noch ganj anbere« #otj, 
als ber SRufdjit ju Peter« feiten eS marl SBie felbflgerrlidj 
unb gemattfam aber hatte boch bicfer brutat ©roßte unter allen 
SotnanoffS ben ortgobojen ©leruS feines SeiigeS gelnetet, be; 
brängt unb zerrieben! ®a fuhr fdjnett einmal ein renitenter 
©ifcgof ober ©rzbifcgof in ben Werfer, um bort etenbigtich ju 
oerhungern, ohne OorangegangeneS gefeglicge« Verfahren, fonbern 
SJraft eines UlafeS, eines bloßen unb unberhüttten Sic volo, sie 
jubeo. ®a8 Schlimme babei mar, bah ber Pope bei bem Solle 
all feine Autorität einbüßte unb oor allen ®ingen jur Ser; 
mittlung Oon SRoral unb Silbung unfähig mürbe, ©r hielte 
fortan einen in geiftlicge ©emänber maSlirten StaatSbiener, unb 
folche Säge machte auS ihm einen Somöbianten, ben baS Soll 
je nach Sebarf oerfpottet ober bemitteibet. 3>n biefer Situation 
ging ihm fetbft auch ber ®tang, fich intettectuett ju bereichern, 
oerloren, unb ba er benn boch bem SRufdjit in irgenbmelcget 
Sichtung ©trnaS oorgeben muhte, fo tränt er mehr als biefer, 
oor bem er auherbem baS Stecht beS SRüßiggangeS oorauS hatte. 
SBenn Sattsam in feinem gelehrten SBerte „über bie Sationali; 
täten (Europas" Sußtanb im tttttgemeinen unb bie Prooinz 
ffiafan inSbefonbete „ein mahrhaft entfestige« ©ernifg oon 
©griftentgum, S^lam unb Schomanenthuiu" nennt, fo begreift 
man leicht, mie fo bie SBagrgeit biefeS SluSfprugeS leinerlei 8lb; 
jug leibet. ®er Pope, ben fich baS moStomitifche StaatStirgen; 
thum zuregtfgnigte, mar eben nicht geeignet, mit SBort unb 
©eifpiel baS ©gaoS p fonbern. 

©in paar Setege auS ber Seetüre mögen baS Segtgefagte 
unterftüfcen. Xaoier ^ontmaire be §ett, bem ffijar Silolaus für 
fein SBerl „Les Steppes de la mer Caspienne“ einen gogen 
Drben oerlieh, fagt unter 9lnberem: „SigtS lann mit ber ©nt; 
jitttichung beS tuffifchen ©leruS oergtigen toerben, beffen Sgnoranj 
nur burch feine Saftergaftigleit übertroffen mirb. ®em größten 
®geite nach oerbringen 3JtöndE)e unb ^ßrieftcr ihr Sehen in fgam; 
lofer Xvuntengeit, toelge fie pr ©rfüttung ihrer geiftlichen 
Pflügten unfähig macht; ja bet bloße Slnblicf beS Popen erregt 
©fei unb Sermunbermtg. SBenn man biefe SRänner mit unge; 
lämmteu Sorten, meinrothen ©efigtern unb fgmugigen ©etoän* 
Dem fieht, üermag man nicht p begreifen, bah fie Serlünbiger 
beS göttlichen SBorteS fein fotten." gürft ®olgoruloff nennt bie 
SRönge, metche betanntlich bie alleinigen Slnroärter ber ruffifchen 
©ifgofsfige finb, „eine untgätige, Oerberbte SRenfgenttaffe, metche 
neben ber Sureautratie Sußtanb am meiften fgäbigt", unb 3man 
©olomin — felbft ein Priefter — berichtet, baß eS nur ber 
Siirfprage eines im Staate ^o^fituirten SRanneS bebürfe, um 
jeben ©rjbifchof pr SBeigung eines MfterS p oermögen, menn 
teuerer auch notorifch beS SefenS unb Schreibens untunbig 
märe. Sog jerfchmetteruber lautet baS Urtgeil beS ©ngtänberS 
©ameron. „SBaS Unmiffenheit unb ©emeinheit anbelangt," fagt 
biefer, „fo ift ber ruffifche ©leruS ohne ©teigen in allen Sän; 
bem ber SBelt, ©riechentanb nicht ausgenommen, beffen Se; 
mohner felbft einräumen, bah bie SRitgtieber beS in ben nieberen 
SBeigen ftehenben ©feruS bie Oerlaffenften ©reaturen ber ©rbe 
finb." ©nbtig beniertt Sttejanber Herzen irgenbmo in feinen 
Sgriften: „®er SRufgit Oerachtet bie Popen als gaullenzer unb 
habfüchtige gnbioibuen, melche auf feine ftoften leben; alle Sotl3= 
joten unb ©affengauer haben als Heroen beS Säuerlichen unb 
Serächtlichen ftets ben Pfaffen, ben ®iafonu« unb beren grauen." 

Unb beren grauen . . . iu biefen brei SBorten liegt ein 
ganze« Stüd ruffifcher Sittengefgigte Oerborgen. ®enn bie 
Popabja ift ein mahrer SluSbunb oon fgtegtem Seifpiet; fie 
gibt ber „Satbatla" fopfagen nog ein ®oubl6 oor. ®enn 
menn biefe als ^intertaffene ber nach igret ©gefgließung in bie 


Strmee geftedten Snbioibuen um beS lieben SrobeS mitten als 
Kupplerin, SBahrfagerin unb SchidfatSbef^mörerin burch bie 
®örfer fchteicht, fo umgibt fie menigftenS lein oerführerifcher 
SUmbnS; bie fßopabja aber, melche, um ben SRihhanblungeu 
ihres geiftlichen ©begatten p entrinnen, ber Satbatla erfolgreiche 
©oncurrenj macht, gehört ju ben Honoratioren; man refpectirt 
fie in ber H^tte beS ttRufchitS unb ift bemgemäfj ihrem Xreiben 
zugänglicher. SBieoiel herjerfrif^enbe Sßoefie ftedt boch in bem 
einfachen Sah men eines beutfehen SfarthaufeS! Unb metche 
tettigenj! ttRan benlt unmitttürtich an Sefftng unb Herber. Unb 
nun geräth fotch ein neugieriger beutfeher Hauslehrer in bie 
übetbuftenbe, branntmeingefchmängerte Stmofphüre einer mffifchen 
Sopenhütte, fchaut Schmuh unb Unrath ringsum, ben Herren 
beS H°ufeS trunlen einherf^manlenb, bie grau leifenb, in jer; 
fegten ©emänbern unb mit mieten Huarfträjjnen mie eine leib; 
haftige gurie, bie fi'inber oemachläffigt, unfauber, in Oergeffeuer 
©de tauemb. Son gamitienfinn unb gamitienteben nicht bie 
leifefte Spur, bafür aber emige Sroietradjt unb unheimti^e 
Sauferei, bie fich «ieh* fetten jum ©aubium beS SRufchilS auS 
bem Snuern beS H Q ufeS bis auf bie ©affe unb in bie Schente 
fortpflanzt. Unb biefer elethafte Unfug, ber nicht etma bie kui- 
nähme bilbet, prätenbirt, mit „chrifttichem" äRahftabe gemeffen 
Zu merben, beanfprutht mohl gar noch eine cioilifatorif^e ÜRiffion! 

©S fällt mir nicht im ®raume ein, zu behaupten, bafj 
biefeS Sammerbitb auch auf bie höhere ©eifttichleit, auf bie 
Sifdjöfe unb ©rzbifchöfe unb ttRitglieber beS Heiligen Spnob 
paffe. Unter biefen mag mehr als ©iner fein, ber höhere geiftige 
unb fitttiche Stnforberungen berträgl Äber im Staate finb boch 
auch fie oon bem Slugenbtide an Sttaoen, in melchem ber höchft; 
perföntiche SBitte, nämlich ber beS ©zarS, fich geltenb zu machen 
beliebt. Unb zmar nicht etma btoS Sttaoen in Sezug auf ben 
Sfutettect, mie bie h°h e u SBürbenträger ber römifchen Ißapft; 
lir^e, fonbern Sttaoen im leibhaftigen phhpf<hen Sinne. Seulich 
hat ein mettlunbiger SRaronite im türtifdjen Parlamente fich 
für baS Protectorat beS ©zarS atterergebenft bebautt, inbem er 
bem Äaifer ber Seußen an baS „oäterliche" Herz legte, er möchte 
boöh lieber bie Sifdjöfe unb ©rzbifchöfe, melche in Sibirien o«r* 
fommen — „pourrissent“, fagte ber parlamentsbericht ber „®ur; 
quie" — auS ihrem Sammer erKfen, als bie SBomten feine« 
ScepterS noch meiter hinaus über bie ©renzen feine« Seiche« 
ZU unbanlbaren ©griften tragen. ®er fchtaue ttRaronite traf 
ZioeifelloS ben Äern bet Sache. SSenn man in Sujjlanb at« 
Sifchof unb ©rzbifchof be« ©efchideS tgeithaftig merben lann, 
ohne ©efeg unb Urtel nach Sibirien „oerfchidt" zu merben, mie 
fott man al« ungemeiner „©hrift" fidh bana.ch fegnen, in biefe« 
©efegid ogne Sotg hineinzurennen? 

®er ©ffenbi aus bem äRaronitentanbe fpiette atterbing« nur 
auf bie römifch;tathotifchen ©rzbifchöfe potnif^er Hertunft, auf 
bie getinSti u. f. m. an. Stber er hätte breift auch bie geiftlichen 
©roßen be« „rechtgläubigen" SBelenntniffe« in feine ^Betrachtung 
einfegtießen lönnen, benn auch biefe finb ber „immer gefdhäftigen 
©hrfudjt beS Haufe« Somanoff" gegenüber mittentofe Unechte. 
Schon 3man ber ©raufame oinbicirte fich baS Secgt, SReffe ju 
(efen. ®ann formutirte Peter ben ©ib für alle in ben Heiligen 
Stptob zu berufenben ©eifttichen, inbem er in ign bie SBorte 
hineinfügte: „Sög fegmöre, baß ber ©egerrfher Sußtanb« ber 
göcgfte Sicgter biefeS geiftlichen Kollegiums ift." ©nblicg pro; 
clamirte ßatgarina oon Staats megen ben ©runbfag, baß ber 
Segent mit ber göcgften geiftlicgen ©ematt bon ©ott betteibet 
fei. Peter gatte meniger- apobittifeg, aber befto braftifeger fegon 
oorger benfeiben ©ebanten in bie SSBorte gefaßt: „S33ir müffen 
um Sußtanb alle bureg ßmietraegt gefpattenen ©rieegen fegaren, 
metege in Ungarn, ber ®ürtei unb Sübpoten zerfreut mognen 
unb uns zu igrem ttRittelpunlte, igrer Stüge maegen, um bureg 
eine Slrt priefterlicger Dbergerrfcgaft eine allgemeine Hegemonie 
zu erringen." ®aß meber ber erfte Stejcanber noeg Sitotau« 
bie Saturen maren, um biefe ©agn freimittig zu oertaffen, brauegt 
teinem ©efcgicgtslunbigen gefagt zu merben, unb menn tatgoli; 
fegerfeit« naeg SRemoirenquetten ber ©emeiS oerfuegt mürbe, baß 
ber erfte Ktepnber feg einen Sugenbtid mit bem ©ebanlen 


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Nr. 22. 


ftit <5egenroart. 


345 


getrogen ßabe ( jur römifcßen Äircße überjutreten, fo fpringt bie I 
Verwegenheit eines folgen SerfucßeS ton felbft in bie 9lugen. j 
6» mag Ja fein, bafj 9tlej:anber in feinen „mpftifd^eu" lagen, ; 
als er mit ber non 3ean ©aul abgelegten Quliane non Ärübener ! 
ßcß in retigiöfe Uebungen nertiefte, mit berlei romantifcßen 9ln* ' 
wanblungen tänbelte; aber gewiffer ift jebenfatls, baß er ficß in ; 
ber Doppelmürbe als geißlicßeS unb weltliches Oberhaupt ber ; 
fcßiSmatifcßen Welt ju woßl füllte, um berfelbeu ju ©unften j 
beS römifcßen ©apfteS ju entfagen. ®S ift etwas SettfameS um 
bie ^errlic^feiten eines abfoluten unb unumfeßränften iperrjeßer* 
wiHenS. Sriebricß ber ©roße gab ißnen bie Deutung, baß er i 
ber erfte Wiener feines Staates fei, unb terfeßloß ßcß aus biefem i 
©eßcßtspunlte unter Hmftänben auch einer gewiffen Doleraitj 
gegen bie Qefuiten nicht; non einem ©jaren ift es nicht betannt 
geworben, baß er bie retigiöfe Dulbung unter feine ©rärogatite 
aufgenommen hätte, unb gerabe Katharina hielt, währenb fie mit 
Sottaire unb Diberot correfponbirte, bie „Jfeßer" unter eifernem 
Süße ju ©oben gebrüeft. SRur fo ift es auch J u nerftehen, baß 
bet milbefte aller SRomanoffä, Älejanber ber Zweite, nicht not ben 
blutigen Slanbaten jurüdfeßaubert, welche ber „rechtgläubige" | 
SefeßrungSeifer mit ben armen Qnirten non ©heim aufführte. 
Der ©abatergeßorfam beS ©open ift ein ©feiler beS abfoluten 
^Regiments ber ©jareit. 

SRag man nun übet SRußlanbS 916= unb 9tuSfichten in ber 
gegenwärtigen oricntatifchcn ffrije wie immer benten, fo bleibt 
boeß baS ©ine gewiß, baß ber Sorwanb ber „©hriftliißfeit" in 
bem ncueften Dürlenlriege fo wenig wie in allen früheren ernft* 
haft ju nehmen ift. Wo ©ater 9tnaftafiuS als Serlünbiger beS 
göttlichen Wortes unb jwar als einer non nieten gebeihen 
(onnte, ba ßot man wahrlich feinen ©runb, fein ©laubenS* 
belenntniß in ben Sorbetgrunb ju ftellen, unb am allermenigften 
Seranlaßung, biefe 9trt „©hriftentßum" in frembet Herren Sänbern 
ju propagiren. 9lucß ber ©rätejt ber „Humanität" fällt folcßer* 
maßen in fleh fetbft jufammen. ©S ift nämlich nicht wahr, baß 
jemals non bem ©ßriftentßume in flatifcßen Sänbern eine ßuma* 
nitäre unb cinilifatorifche Wirlung auSgegangen, ganj befonberS 
nicht wahr in Sejug auf baS fcßiSmatifcße ©hriftenthum. Saug* 
niß beffen bie Stoffen nebft allen ihren ffibflaoifeßen 9lpperti* 
nentien. DaS SRebium für bie cinilifatorifche SRifßon beS ; 
©ßrißentßumS war nun einmal baS germanifeße ©lement. 

Wenn aber Humanität unb ©hriftenthum aus bem SRoti* 
nenfnäuel ber ruffifdjen Drientpolitif entfallen, fo bleibt als 
einjiger Driebgrunb ber ©anflaniSmuS übrig, ber nämliche ©an* 
flaniSntuS, ber auch bie Säule beS moöfowitifcßen StaatSürdjen* ' 
thumS bilbet. DaS möge ©uropa, baS cuttinirte ©uropa in feiner , 
nbenblänbifcßen $ätfte, fürforglicß im 9luge behalten. Die Dürfei j 
bot bis ju bem 9lugenblicfe, in weichem fie, non ber SRotßwenbig* ■ 
feit gebrängt, ju conftitutioneHen Hnfäßen ihre Zuflucht nahm, | 
ohne Wiberrebe ein jammert ilb nerlotterter SRißmirtßfcßaft. 
9lber baS Unglücf hat eine täuternbe ffraft. DaS noch not J 
feinem Snfammentritt nielbefpöttelte türlifeße ©arlament beweift | 
boCh troß aUebem, baß baS ottomanifche ©lement nie! bitbfamer 
unb culturfäßiger ift als baS flatifcße. Die $objaS unb ©ffenbiS , 
jeigen eine intelligentere ©ßhßognomie, als fie noch für eine 
geraume Weite ben ©open, ftnäfen unb SRufcßilS na<ßjurüßmen 
fein wirb. Wer fie in ißrem 9tnlaufe ju mobernen Wanblungen 
hemmen unb ftören will, muß minbeftenS auf einer Theten 
SilbungSftufe fteßen als fie, unb baS ift bei bem Stoßen nicht 
ber SaH. Woßt aber ßnb fie für bie potitifeße Sulunft ©utopaS 
ungefährlich/ währenb ber ©anflatiSmuS, falls er fiegt, eine 
immenfe ©efaßr für alle frieblicße unb culturede ©ntmidetung 
barfteOt. Die 911tematioe auf ber Satfanßatbinfet Reifet nicht: 
©hrift ober SRufelmann, fonbern Slate ober Ottomane, unb 
wer, mit bem beutfeßeu Dichter ju reben, ton jWei Uebeln eines 
ju Wählen hat/ für ben ift eine Saht ju haben feine {Qual. 

tPtltjclm (Solbbaunt. 


oSttetafttt un6 gunß. 

Her Jarbenftnn ftt ben nerfdjtebtnen geneben 
ber menfd^lidjett (Ettturidtelnitg. 

DaS fromme ©ewanb, in welches SRofeS bie SdjöpfungS* 
gefeßießte beS SRenfcßen gehüllt hat, wenn er fagt: „Unb ©ott 
feßnf ben SRenfcßen ihm jum Silbe, jum Silbe ©otteS feßuf er 
ißn", ift im Saufe ber Saßrßunberte benn hoch etwas attmobifcß 
unb fabenfeßeinig geworben. SRan braucht ßeutjutage nicht mehr 
bie Seforgniß ju hegen, in ben ©erueß eines ©rjfefeerS unb 
Ungläubigen ju gerathen, wenn man jmeifetnb baS $aupt fdjüttett 
über bie SchöpfungShhpothefe, mit welker ber erleuchtete ©efe|= 
geber beS SubenthumS bie glaubenS-- unb wiffenSburftigen @e= 
müther feiner StammeSgenoßen ju beruhigen trachtete. Sehen 
wir ja boch, wie fetbft Dheologen ton 3ach bie jwingenbe 5Roth s 
Wenbigfeit einer Sdetifion ber ScßöpfungSgefchiChte nicht fo ohne 
SBeitereS ton ber $anb ju weifen Wagen, tielmeßr ju ©on= 
ceffionen terftehen ober boCh wenigftenS ju Serfudjen, bie alt* 
teftamentliche SChöpfungSlehre ben heutigen haturwiffenfChafttichen 
91nfchauungen anjupaffen. 91HerbingS erinnern alle berartigeu 
Serfucße, mögen fie nun ton IRaturforfchern ober ton Dheologen 
unternommen worben fein, auffällig an jene ©roceburen, bie 
ber berüchtigte griedjifChe Wegelagerer ©rofrufteS mit ben un= 
glüdlichen, in feine $änbe gefallenen 3teifenben auf feinem ge= 
fürchteten Solterbett tornahm. Denn Wie biefer ben unglüdliCßen 
Wanberer, ber ton fleitter fförpergeftalt war, fo lange beßnte 
unb auSeinanberjog, bis er bie gefürchtete Settftatt ihrer ganjen 
Sänge nach ausfüllte, währenb er bei Snbitibuen ton befonberS 
auffadenber Sörperlängc fich leichter ju helfen wußte, inbem er 
burdj 91bfChneiben ber Seine ihnen bie für fein SRarterbett er* 
forberlidje ©röße ju geben juchte, fo wirb auch bie mojaifeße 
SChöpfungSgefCßicßte, fpannt man fie in ben dlaßmen ber ÜRatur* 
Wijfenfcßaft, ober umgefeßrt bie jRaturwiffenfcßaft, preßt man ße 
in baS gebrängte, unnachgiebige SCßema ber Dßeologie, entweber 
unnatürlich terrenft unb terjerrt ober unterantwortli^ ter* 
ftümmelt unb entftedt. Wenn aber auch alle berartigen Ser* 
fueße fteß als fruchtlos unb an 3Rüßen reich, an befriebigenben 
©rfolgen bafür aber befto ärmer erwiefen haben, fo gelten ße 
unS boeß als ein ßöCßß bebeutfameS Seiten unferer Seit, als 
ein Seiten ton bem mächtigen unb täglich Wacßfenben ©inßuß, 
Welcßen bie ÜRaturWiffenfdjaften auf baS geiftige Seben ber Söller 
ßcß erftritten ßaben. Diefem ©inßuß ift eS benn aueß juju* 
feßreiben, Wenn ein großer Dß e *t ber ©ebilbeten ßCß bereits mit 
bem ©ebanlen ju befreunben anfängt, baß ber SRenfcß nießt als 
baS tollenbete Wefen, als baS ©benbilb ©otteS, wie ißu unS 
SRofeS fcßilbert, aus ber §anb beS ScßöpfetS hertorgegangen 
fei; baß tielmeßr fowoßl bie lörperlicße ßform, wie bie geiftige 
SeiftungSfäßigteit, welche heute baS ßRenfcßengef^lecßt in fo 
hertorragenber Weife jieren, als bie ©robucte einer Sahttaufenbe 
langen, fortfcßrittlicßen ©ntwidelung angefeßen werben müßen. 
Die ©ntWidelungSgefeße, naeß benen bie Sitbung ber lörper* 
ließen Sorm erfolgt, ßaben bie großen SReifter ber mobernen 
SRaturwißenfChaften in Haren unb feßarfen Sügen gejeießnet. 
Weniger ergiebig finb bagegen bie ©inbtide, welche wir in ben 
SilbungS* unb ©ntwidelungSgang ber terfeßiebenen Sinnes* 
tßätigleiten beS ßRenfcßen bis jeßt gewonnen ßaben. 2Ran ßat 
ßcß bisßer noeß wenig barum getümmert, in welcher Weife ßcß 
woßl baS 9luge unferer Stammeseltern gegenüber ber Farben* 
praeßt ber Scßöpfung terßalten, ober wie ißt ©eßörnert auf 
bie ßarmonifeßen melobiöfen Weifen beS SogelfangeS reagirt 
ßaben mag? ©injelne wenige Sorjcßer, unter benen tor allen 
ber geniale ©eiger ju nennen iß, ßaben auf bie Wicßtigfeit 
berartiger Unterfucßungen woßl aufmerffam gemaeßt, unb aueß 
feßon rccf)t ftßäßenSwertßeS ÜRaterial jur Söfung berfelben herbei* 
getragen, boeß mangelt unS troßbem immer noeß eine umfaßenbe 
Senntniß ber ©efeße, naeß benen bie einjetnen Sinnesorgane 
ißre ßjunctionStßätigfeit entwidelt ßaben. ©S fei uns beSßalb 
geftattet, biefem füßlbaren SRangel infofern eine Heine 9lbßiilfe 


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846 


JBi t Gegenwart, 


Nr. 22. 


p ftaffen, als wir eine, als Ophthalmologen und befonberS nalje= 
tiegeube ©inneSäuhcruitg, närnlit baS garbenfehen, gerabe nat 
bet foeben erörterten ©eite ^in einer genauen Unterfudjung 
würbigen woBen. 

Seoor wir aber in bie Unterfudjung fetbft eintreten, bürfte 
eS fit empfehlen, furj baS BRateriat, auf unb mit bem wir 
unfere ©tiüffe aufbauen woBen, ju prüfen. ©Sir werben woljl 
!aum barauf regnen bürfen, bieS ÜRaterial in ben auf unfere 
Seit überlommenen JReften ber alten ©cutptur unb ©aulunft in 
erftöpfenber unb befriebigenber güfle ju finben; benn aus ben 
früheften ©erioben beS garbenfinnes möchten ftd) woljl !auin 
ttod^ mit einiger ©itert)eit berartige SRefte nad^Weifen taffen. 
©Senn Wir alfo Oon biefem Sweig ber Ärtäologie nid^t bie 
wünfdjenöwerttje ©elehrung unb Unterftiifcung erhoffen lönnen, 
fo müffen wir uns nadj anberen ergiebigeren DueBen umfeljen. 
Unb eine foMje glauben Wir üor ÄBent in ber ©pradje unb 
beren ©ebilben gefunben ju haben. ®ie ©orfteBung, bie ®m; 
pfinbung eine« jeben ftarf unb War auSgefprodjenen garbentoneS 
muh fidj notljwenbigermeife ju aBen Seiten auch burt einen 
fpratliten ÄuSbrud gefennjeidjnet hoben; es miß unS unbeuf= 
bar fteinen, baf} man ju gewiffen Seiten irgenb einen garben; 
ton j. ©. ©tau erfannt unb als fotzen empfunben hoben fönne, 
ohne nitt alsbalb biefer SRefchautlhätigleit aut in einer be= 
ftimmten fpratliten gorm geregt ju werben, ©obatb einmal 
baS menfdjlidje Äuge fit eine« garbentoneS in ftarer unb be; 
friebigenber ©Seife bewußt ju werben anfing, muffte fich auch 
baS unabweisbare ©ebürfnifj regen, biefer ©inneSempfinbung ein 
fprachli^e« ©ewanb ju geben. ©tan tonnte fit aüenfaES ben 
unbeftimmten UebergangSfarbcit gegenüber eine Beit lang bamit 
begnügen, fie hauptfättidj nur ju empfinben, ohne fie jugleit 
auch burdj einen eigenen {prächtigen ÄuSbrud ju charalterifiren 
— unb man thut bie« ja oielfach oudj h cut not — ober lonnte 
bieS ©erfahren wohl nicht auch Sorben gegenüber feftljalten, bie 
bem menfdjtidjen Äuge aBentljalben in ber auSgefprotenften 
©Seife entgegentreten, Wie j. ©. ©rün. ®aS ©rün beS SaubeS 
fpielt in ber Schöpfung eine fo heröorragenbe Stoße, baff man 
wohl taum im ©rnft baran benlen barf, bah einmal eine 
Seit gegeben hoben fönne, in Welcher ber ©tenft baS ©rün 
wohl feinem garbenWerth nach empfunben, aber nicht baS Se= 
bürfnifj gefühlt höbe, biefe ©mpfinbung auch fpratlit jum ÄuS= 
brud ju bringen, ©obalb bie menjehtidje Btefcljaut einmal bie 
gähigfeit befafj, in bem ©rün ber Sanbfchaft eine garbe p 
empfinben, muhte notljwenbigerweife biefe ©mpfinbung auch in 
ben ©ebilben ber Sprache bemerfbar werben. ©Sir müffen beS; 
halb aus bem gehlen fprachlicher ÄuSbrüde für ©rün in irgenb 
einer ©poche unferer ©ultur gcjwuugetvrmahen ben ©<htuh 
jieljen, bah in ben betreffenben ©erioben ber Btefehaut eben noch 
bie gähigfeit gemangelt höbe, ©rün feinem garbendjarafter 
nach p empfinben. ©enau baSfelbe gilt auch bon ©lau, bon 
SRoth u. f. w. ©teine Sefer werben aus biefen ©emerfungen bereits 
wohl fdjon erlannt hoben, in welcher ©Seife wir baS fpradjtidje 
©taterial p benüfcen unb bon welchen ©runbfäfeen Wir bei ber 
©ettüfcung beSfetben auSpgehen gebenlen. ®er ©runbgebante 
ift atfo, wieberhoten wir benfetben nochmals, ber, bah ouS bem 
gehlen eines jeben fpratliten ÄuSbrudeS für einen flat unb 
fchorf ausgeprägten garbenton in irgenb einer ©eriobe unferer 
©uttur ber ©d)tuh gejogen werben müffe, bah nun in biefer 
©eriobe überhaupt bie gähigfeit, ben betreffenben garbenton als 
foldjen p empfinben, ber menfdjtidjen 9te|l)aut nodj gefehlt höbe. 

©Sohl in bem Kulturleben aBer ©ölfer taffen fich ntit 
tioBfter Sicherheit ©etioben nachweifen, in welchen ihre Sprache 
in ber ©djilberung farbiger ©ffecte nid^t aBein überraftenb arm 
p nennen ift, fonbern in benen fogar ein üoßftänbiger ©langet 
in ber ©ejeichnung ber befannteften garben p bemerfen ift. ©o 
bermiht man j. ©., nach ben Unterfudjungen beS berühmten 
©pradjpljitofophen ©eiger, in ben ätteften literarifdjen SReften 
ber Snber eigentlich noch fo 8“t wie jebe garbenbejeitnung. 
9lur eines einjigen garbentoneS wirb ^ier gebacht unb jwar beS 
©oth; boeb fann auch biefe ©mpfinbung noch feine oöBig ge- 
Härte unb fpecififche geWefen fein, ba ber fpradjticbe ÄuSbrud 


für ©oth fich bon bem für baS tjeBe unb tichtreiche ©Seih noch 
nicht oöBig getrennt hot. ©tan empfanb eben in jenen frühen 
©pochen an bem ©oth tjouptfädjtich nur erft beffeu ©ehalt an 
tebenbiger ®raft, an Sichtftärfe, weniger aber beffeu garben; 
djaratter; man hotte es noch nicht gelernt, an bem rotljen gar; 
benton Sidjtftärfe unb fpecififchen garbencharafter als p>ei ge; 
fonberte gactoren anpfehen. @S war mithin in biefen frühen 
©erioben bie Stefchaut eigentlich nur im ©tanbe, Sicht unb 
ginfternih in ihren oerfchiebenen SntenfctätSgraben p empfinben, 
wäljrenb bagegen bie garbenempfinbung fich nur barauf befchränfte, 
bah ntan oon ber ©jeiftenj ber rotljen garbe mehr eine unflare 
Äfjnung, wie eine bewuhte ©mpfinbung unb ©orfteBung hotte. 

Än biefe uranfängtidje ©eriobe, in welker ber garbenfinn 
nur erft in feinen primitioften Äeuherungen §ur ©ethätigung 
fam, fdhtieht fidh als nächfte ©ntwidetungSphafe biejenige au, 
in welcher bie ©mpfinbung oon ©otlj unb ben ihm naljeftehenben 
®önen, wie Drange unb ©etb, ooüfommen auSgebitbet war, 
bagegen bie ©mpfmblidjfeit für fämmttidje übrigen garben 
eigenttidh noch fo gut wie ganj fehlte. $er fprachtiche Nachweis 
für biefe ©eriobe ift oerhättnihmähig leicht p führen, ba uns 
bie ©Serie $omerö für benfetben ein ungemein ergiebiges unb 
intereffanteS SDtateriat liefern. ®S ift eine ben ©Ijilologen feljr 
wohtbelannte ©rfcheinung, bah gerabe bie ©Serie beS $omer 
eine gang auffaüenbe Ärmuth in ber ©djilberung farbiger ©ffecte 
bemerlen taffen. ®er gefammte garbenlreis, in wetdhem fich 
bie $omerifdjen ©ilber bewegen, fefct ftd) eigentlich nur aus 
©otlj unb ben ihm oerwanbten Ionen pfammen. ®aS ©riSma, 
welches bem mobernen Äuge in reifer garbenoielpljt crfcheint, 
umfahte in ber homerifdjen Seit nur baS rothe ©nbe bes{elben; 
fo befchreibt ber göttliche ©änger $. ©. in bem ^Regenbogen nur 
bie röHjlidjen garben beSfelben, inbem er fagt: 

SBie litonion 8«u8 am Fimmel bie purpurne 2fri« 

Spannet ben Sterblichen — 

3n ber SanbfchaftSmalerei beS $omer tritt ber garben; 
mangel in einer fo auffaBenben ©Seife p läge, bah fidj biefer 
eigentümlichen ©rfdjeinung taum 3emanb wirb berfdjtiefjen 
lönnen. ®aS ©lau beS Rimmels, baS ©rün ber Platten unb 
gturen tritt in ber £>omerifdjen Sanbfchaft niemals als djaral; 
teriftifcher garbenton auf. ©etrachten Wir bie farbenfatten Silber, 
in Welcher fpätere ®ichter bie SReije einer Sanbfdjaft fchilbern, 
fo Wirb uns ber eigentümliche ©tjaralter, ber fich i» ber $orae= 
riften Sanbfchaft auSfpricht, um fo beutlicher unb tlarer bemüht 
werben, ©egenüber biefem fo auSgefprochenen garbenmangel 
fäüt eS um fo mehr auf, bah bie Sichteffecte fowoljl ber fianb; 
{djaft Wie aBer bie bamatigen BRenfdjen umgebenben ©eräth' 
{taften, oon $omer burch eine fReihe ber Oerfchiebenartigjieit, 
ungemein prt empfunbenen unb gtücftidj nüancirten Sejeich; 
nungen gefdjilbert werben. ©S erhalten bie ^omerifchen ©ilber 
in gotge beffen ein ganj eigentümliches ©epräge; farbenarm 
entworfen, man lönnte faft fagen, ©rau in ©rau gemalt, ftraljtt 
bennodj aus benfetben eine güBe ber prädjtigften Sichteffecte; 
baS gteiht unb funtett, fpiegelt unb glüht in aBen Äbftufungen 
beS Sid^teS, unb $War in einer ©Seife, bah ber Ueberfe|er fich 
oergebtich umfdjaut, wie er biefem Si^treichtum in entfpredjenber 
©Seife gerecht werben möge, ©in ©erftänbnih für biefe wunber; 
baren ©ilber, welche fich bei taum einem anberen ®ichter in 
gleitet SBeife Wieberfinben bürften, geht unS erft bann auf, 
wenn wir in Uebetlegung jiehen, bah in ber $omeriften Seit 
ber garbenfinn eben not ein wenig ausgiebiger war, fit nur 
auf bie ffenntnifj ber roten garbe uitb ihr oerwanbter löne 
befträntte; bah bagegen fämmttite anberen garben ihrem garben; 
Werth nat oon ber 9lefeljaut nitt empfunben warben unb fit 
beShatb nur burt ihren ©ehalt an Sitt bemerlbar machen 
tonnten. ©S empfanb bemnat baS Äuge beS ^omeriften 
©teuften nitt bie reiche garbenfüBe ber ©töpfung burch 9 e ' 
fonberte unb torolteri{tifte ©inbrüde einer jeben einjetnen 
garbe, fonbern tebigtit nur burt eine SReihe ber mannigfatften 
Sitteffecte, je natbem bie betreffenbe garbe mehr ober minber 
littreit War. Unb aus biefem ©runbe ift ber göttlit« ©änger 


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Nr. 22. 


lit Gegenwart. 


347 


iit ©cbitberung ber ßiebteffecte ein fo grölet EReifter, wäbrenb 
er in bet Siebergabe bet garben Ijrafet bem Heinften ©tümper 
gurflcfbtelbt. UebtigenS wirb ei tat» ^eute faunt gelingen, bie 
licbtptäcbKgen, in allen ©djattintngen bet glübenbpen Beteucb: 
hing fcbifiemben Bitber Römers bureb geeignete trab entfprecbenbe 
ÄuSbrücfe wiebergugeben; jebet Berfucb bagu ift eitel ERühe; 
benn nnfet mobemeS Äuge ift nidjt mehr int ©tanbe, alle bie 
»oit gantet gefcbitberten ßiebteffecte uaebguemppnben. Sir haben 
mit-bet fortföreitcnben ©ntwiefetung beb garbewpnneS längft 
geleimt, bie eigentbümlieben ßiebteffecte beS |>omer in cbarafteri: 
ftifcbe gartenemppnbungen aufgulöfen nnb übergufübren unb fo 
ift benn nnfet Äuge in bet 99eurtbeitung bet ün9 umgebenben 
gmrbenpraebt wof)t teilet unb geübter geworben, $at bafttt 
aber baS 95erpänbni| für bie ßi^ieffecte, mittetft welcher fteb 
bie garben bem $omerifdjen Äuge bemerfbar gu machen mufften, 
jum grofjen Zbeit eingebüfjt. 

©o berufen benn bie ©cbifberungen $omerS auf einet tiefen 
PbbPologif<b«n Stottjwenbigfeit, auf bem bamatigen 3«ftanb beS 
garrienPnneS, eine Zbatfacbe, welche bereits früher non ein« 
jetnen Äutoren in gebübrenber Seife gewürbigt morben ift; fo 
erftärt 3 . 99. ©tabpone, bet befannte unb gelehrte Senner 
Römers unb feinet Seit, baff ber garbenpnn in ben $ometif$en 
Seiten noch ein rubimentäeer unb erp wenig entwicfeltet ge= 
wefen fei. 

Än bie foeben gefdjitberte Bb°f e beS garbenpnneS, in 
welcher wefentließ nut Rotb mit feinen oerwanbten garbentönen 
empfunben würbe, febtiept fi<b in bem fortfdjritttidjen ©nt: 
wiefetungögang jene fßetiobe an, in welket peb neben Rotb bie 
Smppnbung für garben mittlerer ßkbtftärfe, alfo für ba» fpec: 
trale ©rün, berauSÖilbete. Unb §wat täpi pef) an bem ©nt: 
wicfetungSprocep, welchen bie ©mppnbticbfeit für ©rün gu burcb= 
laufen batte, in fef)r (later Seife baS ©efep Wahr net) men, auf 
welches mit bereits borbin aufmerffam malten, bap nämlich im 
Änfang nicht fowobl bet garbentoertb eines jeben garbentoneS 
bet Refcbaut bemerfbar Wat, fonbern tebiglicb nur ber 2 iebt= 
effeet ber betxeffenben garbe. Zenu bie fetten Zöne beS ©rün 
waren erweislich juerft mit ber ©mpfmbung beS jpetten, gablen 
3 U einem Begriff bereint, wäbrenb bas bunfle ©rün mit ber 
Borftettung beS Zünften unb ©ebattigen überhaupt oerfdjmoljen 
war. Rur Wenn Wir biefe Zbatfacbe unüerrüeft im Äuge be* 
batten, Wirb eS oerpänblicp, Warum man in gewrffen fßerioben 
beS grieepifeben ÄttertbumS mit bemfetben ÄuSbrucf, mit bem 
man fpäterbin ©rün 3 U begetcbnen pflegte, bie SBorftettung beS 
J&etten unb gabten berbanb unb fo 3 . 99. bie garbe beS ©anbe« 
ober beS weiten 9Beine8, ober beS ©tabtes mit bemfetben Sort 
tenngeiebnete, mit bem man in fpäterer Beit baS ©rün ber 
ßanbfcbaft belegte, gn biefer fßeriobe beS garbenpnneS erfebien 
bem Äuge baS ©pectrum atfo nur bis ©rün inctupoe fiebtbar; 
alte garbentöne, wetebe jenfeits ©rün Kegen, waren gu jener 
Beit ber menfeblicben Regbaut ebenfo wenig bemerfbar, wie es 
beutgutage no<b bie Uttrafarben finb; barum fonnte SenoppaneS 
auch behaupten, ber Regenbogen wüte breifarbig unb gwar rotb, 
getb unb gelbgrün. 

3 m unmittelbaren Änfdjlup an biefe fßeriobe tritt jene 
©poche be# garbenpnneS auf, in welcher Btau als gefonberfer 
garbenton bureb einen fpeciflfcben ©mppnbungsoorgang in ber 
Refebaut ftcb fühlbar machte. Unb gwar bemerfen wir hier 
wieberum baSfetbe ©efefc, wie in ben früheren ffinlwicfelungS: 
ppafen beS garbenpnneS, baff nämticb bie betten Rüancen ans 
ffraglich mit ber Borftettung beS fetten, bie bunften Zöne ba» 
gegen mit ber beS Zünften noch gu einem 99egriff geeint waren 
unb fi<b erft gang attmäbticb aus biefen allgemeineren 93or* 
ftettungen gu ben fpecieüeren eines beftimmten garbentoneS, in 
biefer ©poche atfo gu ber beS 93!au, emporfebwangen. ®8 war 
atfo baS bette 99tau urfprüngticb mit ber Borftettung eines ge: 
wiffen ßicbteffecteS oerfdbmotgen, wäbrenb baS bunfte 99tau in 
bem 99egriff beS Zünften unb Schattenreichen überhaupt ent= 
hatten war. Unb ba, wie wir borbin gefeben haben; in biefem 
Begriff auch bie 93orftettung beS bunften ©rün enthalten war, 
fo fann es uns nicht Sunber nehmen, wenn in gewiffen ©pochen 


eine anffattenbe 93erwechfetung gwifepen ©rün unb Blau ficb be: 
merfbar mach*. UebrigenS werben wir unfere Behauptung, ba| 
baS bette Btau urfprüngticb mit ber Borftettung eines ßicbteffecteS 
gufammenfiet unb beS Begriffes einer garbe noch boQftänbig 
entbehrte, in böcbft ^arafteriftifeber Seife an bem griedjifcben 
ÄuSbrucf ytewtog bartbun fönnen. Zenn wäbrenb biefeS Sort 
im $omer tebigtüb nur bagu benupt wirb, gewiffe gtäitgenbe 
ßidjteffecte gu «barafteripren unb ihm ber Begriff beS garbigen 
in biefer BKt noch gang unb gar nicht anbaftet, tritt in ber 
fpäteren ©räcität, fo bereits bei fßtato unb ÄriftoteteS, ber näm: 
liebe ÄuSbrucf in unlösbarer Berbinbung mit ber .Borfieüung 
beS garbigen auf; unb gwar bebeutet er jefct ein buttes Btau 
ober auch wobt ©ranbtau. 

ZaS ©pectrum umfaßte in biefer B«it atfo bie garben 
Roth, ©rün, Btau; fo fdjilbert benn audh ÄriftoteteS ben Regen: 
bogen ats breifarbige Brücfe. Zie gwifd^en biefen brei Zonen 
fi<b pnbenben attmähtichen Uebergänge Würben noch wenig be: 
achtet; gwar gibt ÄriftoteteS an, bap gwifeben Rotb «nb ©rün 
p 4 bisweiten ©etb geige, boeb war eine umfaffenbere Senntnifj 
ber garten UebergangSfarben noch nicht oorbanben. Zie bunt: 
teren UebergangStöne gäbtte man noch einfach ber BorfteÜung 
beS Zünften gu, Wäbrenb bie beeren UebergangSfarben noch 
mit ber Borftettung beS fetten unb ßicbtreicben überhaupt ge: 
eint waren. ZaS Beftreben, biefe UebergangStöne bureb '- 8 er: 
Hefen ber Senntnip ber eingetnen ©runbfarben näher fettneu gu 
lernen, tritt-erft in ben fpäteren Beiten beö ÄttertbumS unb iu 
btn frühen ißetioben beS ERittclatterS beutticb in ©rfdheinung. 
©0 finben wir g. B. bei 0t»ib, ©eneca u. Ä. bie Bemetfung, 
bap im Regenbogen neben ben beutticb auSgefprocbenen garben, 
Wie Rotb, ©rün, Btau, wobt noch eine Eftenge UebergangStöne 
ejiftiren möchten, boeb liefen fiep biefetben faum mit ©icberheit 
erfennen unb unterfebeiben. 

Ueberbtiden Wir nun fcbtiefjticb nochmals bie oerfebiebeueu 
©ntwicfetungSpbafen, in benen uns ber garbenfinn entgegenge: 
treten ift, fo werben wir in ber Reihenfolge, in welcher fid) bie: 
fetben ebronotogifdb aneinanber anfebtiepen, eine gang auffaltenbc 
©efefjmätigfeit nicht oerfennen fönnen. Unb gwar fpriebt ficb 
biefelbe barin ans, baff bie ©mpfinbticbfeit gegen bie oerfebie: 
benen garben ftdb berart berauSgebitbet bat, bap bie an tebenbiger 
ftraft befonberS reichen garben guerft, bie an tebenbiger ffraft 
armen Zöne aber gütest erfannt unb empfunben würben. 3m 
bolten ©inftang mit biefem ©ejefc feben wir bie ©ntwiefetung 
beS garbenfinneS am rotben ©nbe beS ©pectrumS beginnen, unb 
Oon hier attmäbticb gegen baS blaue ©nbe beSfetben oorfebreiten. 
©S liegt bientacb bie Ännabme nabe, bap ber ©ebatt an tebeit: 
biger ftraft, b. b- atfo ber Äraft, mit Welcher bie Sichtweite bie 
Rebbaut erfebüttert unb erregt, überhaupt baSjenige ERomeut ge: 
wefen fei, welches in jenen uranfängticben Beiten, in benen baS 
meufebtiebe Äuge gegen jeben garbenton noch Völlig unempfinb: 
lieb war, ben garbenfinn guerft geweeft unb ihn atsbann auch 
in feiner ferneren ©ntwiefetung tebiglicb geleitet unb beein: 
flufjt habe. 

tfugo ITlagnus. 


Die (EfqnUtnifEbett ®öt)fFeelaiibf(baftett. 

Um wie oiet ©rg unb ©tein bauernber finb als garben, 
um fo oiet ift unfere ftenntnip ber antifen ©cutptur oottftänbigcr 
atS bie ber antifen ERaterei. Sären wir für bie ®unftgef<bicbte 
beS etafpfeben ÄttertbumS tebiglicb auf ©cbripquetten angewiefen, 
bie 926age ftänbe gleich für beibe. ©0 aber finft bie ©cbale 
ber Bitbbauerfunp, weit feit breibunbert Sah«» eine reiche 
gälte oon ©ebitben beS SReipetS tagtäglich bem Bobeu eutfteigt 
unb unS bie fcbriftticben IRachrichten oerftänbticb unb anfehauti^ 
macht ©S gibt faum eine ©poche ber antifen ©cutptur, beren 
©igentbümtiebfeit nicht bureb irgenb eins ber erhaltenen Serie 
unS oergegenmärHgt würbe, unb fap febeint es, ats ob gerabe 
biejenige, für welche unfere Zenfmäterfammtungen no4 am 
ebeften einer ©rgängung bebürftig waren, b. h- bie Beit unmittet: 


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348 


li« «egenmart. 


■ Nr. 22. 


bat bot unb nadft bem Höftepunlt bet griecftifcften ©culptur, bureft 
bie neueften gunbe in Olympia in fterOorragenber SBeife bereichert 
werben foBe. So überbliden Wir oon bem ßöwentftor ju BRfttenä 
an bis jur ehernen Soloffalftatue be$ bftjantinifcften HeralliuS ju 
Sarletta ben Btufgang, bie ©lütftejeit unb ben fRiebergang bet 
griecftifeft«römifeften ©ilbftauerfunft in erhaltenen SRonumenten, unb 
bet Süden finb troft bet anbetthalb Xaufenb 3aftre, welche jwtfcften 
ienen ©nbpuntten liegen, oerftältnihmähtg wenige. 

SBie biel ungünstiger fteftt e§ mit ben antiten ©emälben! 
Bwar an Baftl übertreffen allein bie ©afenbilber, bon benen nach 
einet mäfjigen Schäftung bisher etwa fünfzig Xaufenb gefunben 
finb, fämmtliche erhaltenen ©culpturwerte jufammengenommen, 
unb bie ftattliefte SReifte bon SBanbgemälben, wie fie uns bie 
©ampantjeften ©täbte unb SRom nach unb nach gefcftenft haben, 
fowie bie unoeräcfttliefte BRenge oon BRofaiten, wetcfte an allen 
©nben bet tömifchen Seit noch täglich jum ©orfcftetn fommen, 
begrünben numerifcft baS Uebergewicht bet ©entälbe übet bie BBerfe 
bet Eßlaftif fo entfliehen, ba§ bie ©efcfticftte bet BRalerei banach 
baS am meiften aufgeflärte ©ebiet bet antilen Sunft fein mühte. 
Sie ift es aber feineSwegS. ®enn alle jene bieten ©über finb 
nichts als HanbwerfSerjeugniffe unb gröhtentfteits noch baju feftr 
untergeorbneter Blrt. ©ewifj jtnben {ich auch ©lüde bon ftofter 
fünftterifcfter ©ortrefflicftleit barunter unb ein BRofaif, wie baS 
bet Bllejatiberjcftlacftt, ift ficherlich ein betebter Beuge für baS 
gewaltige lünftlerifcfte Sännen bet Btlten auch ' n ber BRalerei, 
aBein WaS woflen biefe ®ecoration8arbeiten für eine ©orfteBung 
bon bet Sunft eines ©olftgnot, BeujiS, ©arrftafioS ober BlpeBeS 
geben? SBerie bon ähnlicher ©ebeutung Wie fie bie Blegineten, 
ber ®i3lobol, bie ©artftenoitfculp tuten, ber Saofoon für bie 
atchaifche, mftronifcfte, pftibiafifefte, tftobifcfte Sunft haben, ejiftiren 
unter ben ©emälben nitgenb unb aueft bie Btacftbilbungen be= 
rühmtet Originale, bie man auf SBanbgemälben entbecft ju haben 
glaubt, finb fo oerwäffert unb ftiliftifcft fo umgeformt, bah fie 
faum bie aBgemeinften Umriffe ihrer ©orbilber treu bewahrt haben. 

3ft unter folchen Umftänben eine jebe ©ereidfterung unfereS 
©ilberborrathS fcfton an fieft bon grober ©ebeutung, fo muh eine 
©rfcfteinung, bie uns mit einem GftlluB bebeutenber ©ompofttionen 
zugleich ein ganj neues ©ebiet ber antilen BRalerei erfchlieht, ein 
doppeltes Sntereffe erregen, unb bieS 3ntereffe wirb um fo Weniger 
auf ben engen SreiS bet gacftwiffenfcftaft befchräntt bleiben, je 
mehr ber Stoff, bem bie ffiompofitionen entnommen finb, ©emein« 
gut aBer ©ebilbeten ift, unb je näher bie ©über berjenigen Dich¬ 
tung flehen, bie unfere moberne BRalerei eingefchlagen hat. ©eibe 
©orjüge eignen im hohem BRafje bem jüngft erfeftienenen ©radjtwerf 
oon Sari SBoermann in ®üffeIborf „®ie antilen Dbtjffeelanb« 
fchaften oom ©fquilinifcften $ügel ju SRom" (BRüncften, bei Xfteobor 
Bldetmann). 3n meifterhaften Gftromolitftograpftien, welche nach 
ooBenbet fcftönen SlquarcUcopien oon $. G. Sroftn in SBeimar 
burch bie artiftifcfte Blnftalt oon So eilt ot in ©erlin hergefteBt finb, 
werben hier jum erften BRale bie SRefte eines umfaffenben Silber« 
cftfluS oeröffentlicftt, bie nach jeber ©eite hin ju bem 3nterejfanteften 
unb ©cftönften gebären, was wir an antilen ©emälben befiften. 
3Ber ba weih, bah «rft baS fecftSjeftnte 3ah r hunbert bie Sanb« 
fcftaft oon ber unfelbftftänbigen Stoße, bie fie bis bahin auSfcftliefj« 
lieh als Hintergrunb ju gigurenbarfteBungen gefpielt hatte, befreit 
unb als ooBberechtigteS unb felbftftänbigeS ©lieb ber Sette malcrifcftet 
©orwürfe eingereiftt hat; wer ba weih, bah laum fünfjig 3aftre 
oerftoffen finb, feitbem SReuron aus Steufcftatet jum erften BRal 
es wagte, bie gewaltige Schönheit eines- BltpengipfelS in garben 
wieberjugeben, unb bah bamals bie Sritil auS teeftnifeften unb 
äftftetifcften ©rünben nachjuweifen fueftte, bah bie rauhe ©cftön= 
heit ber ^ochalpen jur bilblichen ®arfteBung burdjauä ungeeignet 
fei, ber Wirb ficherlich überrafcht fein oon SanbfdhaftSbilbern ju 
hären, bie anberthalb 3ah<taufenbe älter finb als jene erften ©er« 
juche. ®ie folgenben Betten foflen baju beitragen, biefe inter« 
ejfante ©rfefteinung bem Weiteren Sreife ber Sunftfreunbe belannt 
ju machen. 

3m 3al)te 1848 ftürjte in SRont ein tleineS $au8 ein, 
welches am norbmeftlidjen Abhänge beS ©fquilinifcften |>ügels 
in ber heutigen ©ia grajiofa ftanb. ®aS SRuniciftium oon 


Stom erwarb baS Xerrain unb lieh barauf gunbamentirungS« 
arbeiten jum ©au eines MrmenhaufeS auSfühcen. hierbei ftiehen 
Arbeiter auf eine antite ©actfleinmauer, welche an ihrem unteren 
Xheile ©puren einziger ©emalung aufwieS. Stacftbem bie SRauer« 
Oberfläche oorftdjtig gereinigt war, jeigte ftdft, bah ber ganje SBanb« 
fodel mit einem fortlaufenden, al fresco gemalten grieS gef^müdt 
war, ber burch h°d|tothe, gleichfaBS gemalte ©feiler bon 1,60 m. 
$öhe unb 0,20 m. ©reite in regetmäfiigen Slbftänben burchfehnitten 
unb fo in einjelne, ooBftänbig umrahmte ©über jerlegt würbe. 
®urch tieffdhwarje ©eitenfehatten waren bie ©ilafter fdjarf in ben 
©orbergrunb gerüdt unb bilbeten fo eine $aBe, hinter welcher 
in weiter gerne bie in gebämpftem ©olorit gehaltenen Silber 
wie BluSblide in'S greie erfchienen. Sßar fcfton biefe becoratioe 
SEBirfung eine ungemein überrafeftenbe, fo erregte bei ben ga^= 
leuten, bie bie Sunbe oon ber neuen ©ntbeefung in ©eftaaren 
fterbeijog, ber ©egenftanb ber ©emätbe noeft gröberes 3 nte rejfe. 
®enn oon ben brei aufgebedten Silbern jeigten bie jwei er« 
ftattenen — baS britte war bis jur Untenntlicftleit jerftört — 
grohe auSgefüftrte Sanbfcftaften, beren ©taffagefiguren, bureft 
beigefügte grieeftifefte 3nfcftriften gelennjeicftnet, ©eenen aus ber 
Obftffee barftefiten. ®er SBertft ber Silber bewog baS SRuni« 
cipium, fie mit bem ©tuccobewurf oon ber BRauer ablöfen, auf 
Seinmanb übertragen unb, in fefte ^oljraftmen eingefcftloffen, in’S 
©apitolinifdfte BRufeum bringen ju taffen. 

®aS Oom BRunicipium angelaufte Xerrain barg nur einen 
Xfteü biefer BRauer. 3h« gortfeftung reichte hinüber auf baS 
©runbftüd eines Btacftbam, ber troft aBer ©orfteBungen unb Bin« 
geböte fieft nieftt baju oerfteften woflte, auf feinem ©ebiet weiter« 
graben ju laffen. ©rft naeft jwei 3aft« n gelang eS ber päpft« 
licften Regierung, bie ©rlaubnih ju weiteren Btadftgrabungen 
auSjuwirlen, unb nun würbe unter Seitung beS berühmten 
römifdjen Slrcftitelten ©anina bie BRauer bis ju ihrem oermeint« 
tieften Btbfcftluh, ben man in einer glatten, mit BRärtel beworfenen 
gtöcfte ju ertennen glaubte, bloSgelegt BRan ftatte fieft leibet 
getäufeftt. ®enn ber Umftanb, bah baS teftte Silb bureft biefe 
BRauerlante in ber BRitte bureftfeftnitten wirb, fo wie eine anbere 
gleich ju erwäftnenbe ©eobadfttung leftfte halb, bah hier nieftt ein 
Btbfcftlnh ber BRauer, fonbern ein fpäter in bie SBanb gebrochener 
®urcftgang war unb bah bie SBanb jenfeit beSfelben noeft eine 
gortfeftung ftatte. 

Smmerftin War aueft fo fcfton baS ©rgebnij» ber neuen Btaeft« 
grabungen feftr erfreulich. @3 famen nämlich ju jenen brei ju« 
erft gefunbenen ©ilbtafetn noeft fünf unb eine halbe neue ftinju, 
oon benen nur eine oöBig oerwifdftt, bie anberen oerftältnih 2 
mähtg oortrefflicft erftalten Waren: im ©anjen atfo ein ©ftlluS 
oon 8 1 /, Silbern, unoerfeftrt bis auf baS erfte unb fiebente. 
®iefer fo ftatttieften Baftl jufammenftängenber, bebeutenber ©out« 
pofitionen oermag fieft nidftts oon bem, WaS fonft an antilen 
©emälben jum ©orfeftein gelommen ift, an bie Seite ju jteBen 
unb es lann nur ber ©cftwierigleit unb Softfpieligfeit beS Unter« 
neftmens jugef^rieben werben, wenn biefe in jeber ©ejieftung 
einjigen Silber in bem feftmer jugänglicften Bfntmer ber ©ati« 
lanif^en ©ibliotftel, Wo fie mit ber Bttbobranbinifcften fjoeftjeit noeft 
jeftt bie ©erbannung tftcilen, fünfunbjwanjig ooBe 3aftre oerftedt 
blieben unb erft heute bureft eine würbige Seröffentlieftung bem 
©tubium ber gorfefter unb bem ©enuh ber Sunftfreunbe ju« 
gänglicft gemaeftt Worben finb. ©S muhte eben eine Steifte oon 
gactoren jufammenwirlen, wie fte feiten einet wiffenf^aftlicften 
©ubtication ju Xfteil werben: oor BIBem auSreicftenbe SRittel; 
bann ein BRaler, ber groften Blufgabe lünftlerifcft gewaeftfen unb 
boeft befefteiben genug, unter ©erjidjt auf aBeS felbftpänbige 
©eftaffen nur baS ju geben, was iftm bie Originale gaben; 
ferner ein ©erleget unb ein ßitftograpft, benen baS 3«t««ff« 
aueft Wäftrenb einer oierjäftrigen müfteooBen Btrbeit nieftt erfaltete; 
enblicft ein Herausgeber, ber mit feinem ffinftlerifeften ©lid bie 
OöBige ©efterrfeftung beS weitfeftiefttigen wijfenfeftaftlicften BRaterialS 
Oerbanb, oftne welche eine ©Klärung ber ©Über unb eine SBür« 
bigung iftrer (unftgefcfticfttlichen ©ebeutung nieftt möglich war. 

©S ift ein Heiner Xfteil ber Obftffee, ber ben Stoff ju 
biefem umfangreichen ©fttluS geliefert hat, nämlich nur baS jeftnte 


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Nr. 22. 


lie Äegenmnrt. 


349 


unb elfte 8ucß, unb jwar fiitb auf ben 8 l / 2 ©ilbtafetn oier 
oerfcßiebene ©benteuer beS DbßßeuS bargefteUt: bie Deßnung beS 
SBhtbßßlaucßeS, ben DbßßeuS non ÄeoloS ermatten ijatte; bet 
tteberfaQ bet Saftrßgonen; baS ©benteuer mit Sitte unb enbticß 
l>ie gaßrt in bie Unterwelt. Scßon ßierauS ergiebt ßcß, baß 
nicht jebeS bon jwei ©ilaßern umrahmte ®itb ein abgefcßtoßeneS 
©anje auSmadjt, fonbern im Sufawwenßang mit bem fotgenben 
betrautet fein miß, ein Umftanb, bet bon bem tünßlerifdjen Satt 
beS SRalerS eine ßoße Sßotfteüung gibt. ®enn ba er nic^t bloB einen 
®ßeil bet SBanb bureß ein einjelneB ©emälbe, fonbetn ben ganjen 
Sottet butdj einen fotttaufenben grieS ju fcßmüden batte, fo feßte 
et au8 gutem ©runbe bie ©feiler nid^t an ben Anfang unb ba8 
©nbe jebet ©ompoßtion, fonbetn mitten in biefetbe hinein. Stur 
fo erteilte et ben beabßcßtigten becoratiben gwed, wonach bie 
©ilber, weit hinter bie ©feiterßaHe gerüdt, at8 ©uSbtide in’8 
greie wirten foQten, nur fo führte et ben ©etradßter ohne Unter: 
brecßung bon Silb ju ©ilb unb ließ ben grieS, troß feinet 
©ilaßetumraßmung, at8 ©anjeS erfdjeinen. $at aber bet Sünßlcr 
bei feinet ©feilerabtßeilung auf bie ©inßeit bet '$anblung ab: 
ßeßttieß oerjiißtet, fo hat et einen um fo größeren Stacßbrud auf 
bie matetifche ©inßeit be8 ©injelbitbeS gelegt: in biefer ©e= 
jießmtg ift jebe8 ein BoUenbeteS ©anje unb bei einjelnen, wie 
bei bem bon ©itanben nmfcßtoßenen SReereSarm (®af. IV) unb 
"bem geifentßor auf bem UnterweltSbilbe (®af. VI) nöthigt un8 
bet feine Sinn be8 SRalerS für tanbßßaftlicß:gefcßloßene Sdjön= 
heit gerabep ©ewunbetung ab. 

®ie ßeit, in welche bie ©uSfüßrung bet ©ilbet faßt, lägt 
fidj au8 äußeren Sriterien annäßemb beftimmen. ©inmal weift 
bie reine ®ilbung unb einfache Drnamentirung bet ©ilafter: 
capitäle unfete ©emälbe einet Wefentlich früheren $ e ü ju, al8 
bie ßietin fchon auSfcßweifenben unb an’8 ©atocfe ftreifenben 
©ompejanifdjen SBanbgemälbe; unb jweitens führt, in Ueberein= 
fthnmung hiermit, bie Sefchaffenheit be8 SRauerwerlS, welches 
©anina bem be8 ©ompejuBttjeaterS an bie Seite fteflt, auf bie 
leßten gohte ber römifcßen Stepubtit ober bie erften be8 Saifer: 
reich«, fo bah alfo auch an ©tter biefe SBanbgemälbe bie große 
SReßrjaßl bet ffiarapänifeßen weit übertreffen. 

Soffen wir nun in flüchtiger Ueberfcfjau bie Silber an un8 
Borübergehen! 

©in ©ebitge, ba8 einen pßantaftifcß geformten, gelbbraunen 
gelfen fdjarf in ben ©orbergtunb treten läßt, linls baoon ba8 
buntle SReer, rechts eine flare Duelle mit natürlichem getfenfteg 
batübet, bieS ift bie Scenetie, auf weichet (®afel I) bet Schluß 
beS ©eotoS* unb ber ©nfang beS SüftrhgonenabenteuerS fich ab* 
fpielen. ®enn ba baS erfte ©ilb bet ganjen »leihe Böflig jer: 
ftört ift, ift aueß ber größere ®ßeit ber ©eoloSbarßetlung oerloten 
gegangen, SBit feßen nur noch bie butdj bet ©efähtten Steugier 
entfeßetten SBinbgötter in bet Suft, ©Sollen fammelnb unb Sturm 
aufregenb, unb im SReere brei bet Schiffe, welche anfeßeinenb 
ißrem loben burch ©nlanben am S&ftrhgonengeftabe feßon ent: 
tonnen ßnb. ©in brauner gäßtmann im Sotbergrunb linls, 
ber eben fein Soot oom Sanbe abftößt, beutet in jener petfoni: 
ficirenben SBeife ber alten Sunft bie Statur beS getfengeßabes 
als ÄufentßalteS bet Scßißet unb gifdjer an. StedjtB näßen 
über ben getfenfteg brei ©efäßrten beS DbßßeuS ber Soeßter beS 
SapitßenlönigS, welcße, eine ßoße ©eftalt, mit einem Sruge in 
ber #anb ben getfenabßang jur Duelle ßerabfteigt. Sie ftnb 
auSgefcßidt ju erlunben, „welcherlei Sterbliche bort. bie grueßt 
ber ©tbe genöffen, wer bort fei bet ©eßerrfdjer unb welkem 
©oll er gebiete", unb feßneß weift ißnen baS Stiefenfräulein ißreS 
©aterS ßoeßragenbe getfenftabt. ®oeß warb ißnen, wie ®afel II 
jeigt, bort lein freunbtießer ©mpfang. 8war atßmet bie linle 
Seite beS ©ilbeS noeß tänblicße Shtße: Sämmer am SBaßer, Siegelt 
auf bem ©erge, Wirten in behaglicher Stuße ßingeßredt; befto 
bewegter aber ift bie rechte Scene, ©iner ber Säßrpgonen, „gleich 
meßt SRännem oon ©nfeßn, fonbern ©iganten", fu^t einen 
leibeSbiden ©ß ßcß jur Säße ju breeßen, ein jW.eiter eilt mit 
einem ftnüttet bem Äampfplaß p, ein britter ßebt „unmenfeß: 
ließe Steine" oom ©oben, ein oierter trägt feine ©eute, jwei 
tobte ©rieeßen, einen auf ber Scßulter, ben anbern am Strid 


I naeßfeßteifenb, „prn entfeßlicßen groß ßin", unb fo brängt ©UeS 
1 bem nädßften Silbe (Saf. III), bem $auptfcßauptai beS ©emeßels 
ju. $ier liegen im fdjön „umßügetten ©ort", beßen enger getS: 
eingang ben ©uSbtid anfs weite SReer geßattet, ber ©rieeßen 
„jwiefaeßtubernbe" Scßiße, boeß meßt meßr „naße gereißt", fon= 
i bern wilb bureßeinanber geworfen. Berfcßmettert bureß bie getS: 
j blöde ber ©liefen ragt hier eins mit bem Sorbet:, baS anbere 
| mit bem $intertßeit aus ben SBeßen ßetoor; bieS jießt ein ©liefe 
am Sorbcrtheil aufS felßge Ufer unb tippt eS pr Seite, jenes 
I treibt baßin, ber Segel unb beS SRaßeS beraubt; mit Stübern, 
ScßißStrümmern unb feßwimmenben ©rieeßen iß bie See bebedt, 
Wäßrenb Säftrpgonen barin waten, benen baS SBaßet taum bie 
Sniee neßt; aueß ben noeß nnoerleßten Scßißen broßt fidjereS 
j Serberben, benn ringsum auf ben $ößen taueßen immer neue 
Seßaaren ßeinfdßleubernber »liefen auf unb ein ©nttommen iß 
{ unmöglich, ba bießtgebrängt bie Scßiße felbft ben fcßmalen ®uS: 
| gang fperren: eine ergreifenbe Scene ßüiflofen ©ntdmpfenS gegen 
| übermenfeßließe Kräfte. ®ocß nießt alle ©rieeßen werben ein 
»laub ber ©iganten; beS DbßßeuS Scßiß entrinnt ber graufen 
j ©efaßr unb bureßfeßneibet mit gefcßweütem Segel ben in fonniger 
' ^larßeit jwifeßen Unfein unb Sorfprüngen Weit fieß ßinjießenben 
SReereSarm beS folgenben ©ilbeS. Stur ein Staeßtlang jenes 
^ampfeStobenS tönt in bie heitere Stuße biefer Seetanbfcßaft 
herüber: tintS im ©orbergtunb bebroßt ein ©äßrßgone mit et: 
| ßobenem gelsbtod ben ju ©oben geworfenen ©rieeßen. Slecßts 
| fteigen fanft bie ©eßabe ber Äirteinfel aus ber ßeObtauen glntß 
i auf unb eine anmutßige ©ruppe oon brei Stßmpßen, bie auf ber 
oorberen gelstuppe rußen, beutet auf bie freunbtießere Statur 
! beS frauenbeßerrfdjten ©itanbeS. ®aS näcßße ©ilb füßrt uns in 
| ben ©alaftßof ber äauberin. 3 n außallenb enger ©erbinbung, 
bie aüerbings aueß in ber Staßage mobemer fianbfcßaften, j. ©. 
ber ©reugßelS, ©nalogien ßat, ßnb ßier jwei oerfeßiebene Scenen 
gepaart: DbßßeuS ©egrüßung bureß Sitte unb fein Sieg über ße. 
j SBo eben baS Sanbfcßaftlicß:©r(ßiteltonif^e bie ^aupßacße iß unb 
baS ©ilb ju einer ©inßeit jufammenfdjließt, Wirb bei bet geringen 
j ©röße ber Staßageßguren bie oerleßte ©inßeit ber $anbtung nießt 
' als folcße empfunben. ®aS gntereße concentrirt ßcß auf bie Scenetie, 
j nießt auf bie ©erfonen; iß jene nur in ßcß abgerunbet, fo wiegt ße 
; bie irritirenbe ®oppelßanblung biefer fdjon auf. UebrigenS bilbete 
| biefeS Sirlebitb naeß ©bfießt beS »RalerS ben SRittelpunlt ber 
| ganjen Steiße. ®enn wäßrenb bei allen üorßergeßenben ©ilbern 
beibe einraßmenben ©ilafter ben Statten nach reeßts warfen, 
i fällt er ßier bei bem linten naeß recßtS, bei bem reeßten naeß 
! linls unb bem entfpreeßenb ßaben alle nun fotgenben ©ilafter ben 
Scßatten linls. ®atan8 ergibt ßcß, baß, wie bem Sirlebilbe 
fünf ©feilerabtßeilungen — bie eine jerßörte mitgeredjnet — 
oorßergeßen, fo bemfetben aueß fünf folgten, bie urfprünglicße 
»leiße alfo aus eitf ©injetbilbern beßanb. SRinbeftenS jwei lafeln 
alfo rußen noeß an jener Stelle, wo man, burch baS oetmeint: 
ließe ©nbe ber SRauer oerleitet, ju graben aufgeßört ßat. 

{ ®ie leßten erhaltenen anbertßalb ©itbtafeln — bie bem 
SRittetbilb junäcßß fotgenbe weiß nur unbeuttieße garbenrefte 
auf — jeigen uns DbßßeuS in ber Unterwelt, ©in mächtiges 
getfentßor feßeibet baS ließte SReer oon ber bunlelgrünen glutß 
beS ©eßeron unb läßt einen faßten Sicßtfcßein auf bie Seßaaren 
ber Scßatten fallen, bie oom ©tut beS geopferten ScßafeS an: 
| gelodt um DbßßeuS ßcß fammeln. ®ie8 ©ilb iß wegen ber groß: 
i artigen ©infadjijeit ber Sanbfeßaft unb feines ßimmungSooUen 
©otorits wie lein anbereS geeignet, unfere wenig günftigen ©or* 
| fteüungen oon antiler SRalerei unb antiter SanbfcßaßSmalerei inS: 

befonbere wefentlicß ju änbern. Stur muß ber mobente ©efeßauer 
I nie außer ©<ßt taffen, baß er bie ßücßtig ßingeworfenen ©über 
eines Stubenmalers oor ßcß ßat, bie auf tünßlerifcße ©usfüßrung 
fo wenig ©nfprudj maeßen, wie unfere heutigen ®ecorationS: 
malereien, unb baß folcße für ein ganj beßimmteS, gebämpfteS 
j Sicßt berechneten ©emälbe Weber bei ooKer ©eleucßtung, nodß in 
! nädifter Stöße auf alle ©injetßeiten ßin betradßtet werben bürfen. 
SRan maeße bie ©robe unb feße ße, womöglich in eine Steiße neben 
einanber gefteUt, aus einiger ©ntfernung an unb man Wirb oon 
ber becoratioen SBirhtng unb ber ßarmonifeßen garbenßimmung 


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850 


li t (Segenontrt. 


Nr. 22. 


bes ©ttftt« ebenfo übemafdjt fern, »ie oon btt lanbfdjaftttrhen 
©djönljeit jAeS emgelneu. 

Sei betn nur gur Hälfte erhaltenen Silbe (Zaf. vn) hat 
bet Herausgeber mit »echt auf eine farbige XBiebergabe ber= 
giftet. SRan erlennt barauf bie aus bielfachen ®arfteßungen 
bebmnten ©eftalten bcS fteimo&lgenben SifftphoS, beS Sägers 
Orion, beS Siefen ZitpoS unb ber »afterfthöpfenben ®anaibtn, 
tefttere ohne baft fie in ber UnterweltSfdhilberang ber Dbftftee 
genannt »erben. ®iefelbe Zafet enthält amh einen ©runbrift 
ber Stauer, »eiche bie Silber ernft trug. 

®ie heroorragenbe Sebattung ber Obhffeelanbf^aften für 
bie ©efchichte ber antibn SRolerei hat ber Herausgeber nicht 
nur in einem befonberen Abfchuitte beS ben Zafeln beigegebenen 
©ommentareS eingehenb gewttrbigt, fonbem auch an bieten 
©teilen feines gleichzeitig erfchienenen intereffanten SEBerteS: 
„Die Sanbfchaft in ber ftunft ber alten Söttet" erörtert. ®iefe$ 
umfaffenbe Such bitbet ben erften großen Sauftein gu einer 
©efdjMftte ber SanbfdjaftSmalerei aller Seiten unb Sötter unb 
gibt auf breitefter ©runblage in angietjenber ®arftettung gum 
erften 3Ral ein gufammenhängeubeS Sitb non bem ffiinftuft, ben 
bie Sanbfchaft in ber fönnft ber alten Sötter aßmähtidj gewann. 
SGBie feit bem ©rwachen ber itatienifchen SJtnterei noch Sah r= 
hunberte oergingen, ehe bie SanbfchaftSmaleret als fetbftftänbige 
©attung neben bie anberen trat, fo hat audh bie griedhifdhe 
SRaterei erft nach Saljthnnbcrte tanger Uebung biefeS Siet 
erreicht. ®er plaftifdje ©haratter ber griedjifchen Sanbfdjaft, 
bie g»ar alter SBege fetjöne Snfetn, Serge unb Suchten, aber 
nur als ffiingetfonnen ohne größeren Sufammenhang aufwieS; 
bie anthropomorphifdlje Stiftung bet griechifchen Setigion, in 
»etcher ftch Gtuett unb Stuft, Saum unb ©erg, 3Reer unb ©tlanb 
gu menfefttidhen SBefen oerförterten; baS oortoiegenb Staioe ber 
griechifchen ®idftfunft, bie gwar tanbfchafttichen ©eftitberungen 
nicht aus bem SBege ging, fte aber nnr als Seimert unb ohne 
jebe fentimentale Serfentung in bie Steige ber tobten Statur 
beljanbelte; enbtich ber für tanbfchafttiche Schönheit noch heute 
auffaßenb »enig empfängtidfte ©inn ber ©üblünber — AßeS 
bieS muftte rein tanbfchafttiche ®arftettungen auf lange hinaus 
unmöglich machen. ®aher finben toir gtoat oon ben ätteften 
Seiten an eingetne tanbfchafttiche Suth«ten unb $intergrünbe 
auf aßen SBerfen ber griechifchen finnft, unb in ber fßlaftit 
»irb bureft bie anthropomorpheu ®arfkcltungen oon 9tatur»efen, 
»ie bie ©eemefen beS ©lopaS unb ber Saun beS ©ragiteteS 
es finb, ber ©inbrod ber bemegten SfeereSftuth unb ber ftitlen 
SBatbeinfamteit oft überrafetjenb feftön wiebergegeben, allein biefe 
Seit tarn in ber SJtaterei nicht einmal gu tanbfchafttkh ge* 
fchtoffenen Hintergrünben, geschweige beitu gu einer fetbjiftänbigen 
Sanbfchaft. ©rft bie ©nttoidluug ber Stthnenmaterei bnreh 
AgathardijoS, ben Seitgenoffen beS Aefd|jftloS, unb bie bamit in 
Serbinbung ftetfenben Anfänge einer »iffenfchafttichen fßerfpectioe 
gaben ben Änftoft gu reinen Sartbfchaftsbilbern; hoch audh biefe 
gehen über ©ühnenbecorationen nicht hinaus unb oererben eine 
geteufte HcntergrunbSmonier audh auf bie Sanbfchaften ber ffotgegeü 

®ie ®podje einer fetbftftünbigen antiten SanbfdjaftSmalerei 
beginnt erft mit ber oößigen Umgeftattung beS griechifchen Bebens 
burdh bie SBelterobentngSgüge ÄlegiraberS beS ©xofien. 3*ftt 
»urbe burdh bie Äenntnift frember ©egenbe» ber ©inn für 
Unterfdhiebe unb Steige ber Sanbfchaft gewedt, burdh bie 6nt= 
ftehnng grofter, tärmenber ©tübte bas Sertangen nach ber ftißen 
Statur rege gemacht, burch S^rftörung beS polftthetftifdjen SoIfS* 
gtaubenS eine unbefangene Setradhtung ber tanbfchafttichen ©!jft s 
fiognomie ermöglicht; fortan »irb Steifen unb Sagen ©elbft- 
gwed, fortan tritt bei baulichen unb ©artenantagen bie Stttcffidfjt 
auf tanbfchafttiche Schönheit in ben Sorbergrunb, fortan fpriemt 
fidh auch tu ber ®ichthmft Oott unb gang baS ©efüht für bie 
Steige ber Statur unb eine betouftte Hingabe an biefetbe ans. 
Unb hiermit erft waren ber SanbfdhaftSmaterei bie fßfabe geebnet, 
nun erft tonnte ihre ©brache oerftanben »erben. Ob fie aber 
je fo ans bem He*g*tt unb fo gu Hetzen gefproetjen hat, »ie 
bie heutige? ©etoift nicht. ®agu »ar bie ©mpfängtichteit beS 
etafftfehen öeifteS fü« tanbfdhafttidhe ©inferftde nicht groft unb 


bie Serfentnng in biefetben nidht innig genug. Unb fo wenig 
je ein antiter ®idhter feine Hingabe an bie Statur fo tief anb 
herglich hat auSfpredjen tönnen, »ie ©oethe eS thut in ben ©erften: 

©rljabuer ©et ft, bu gabft mir, gabft mir Alles — 

©abft mir bie herrliche Statur gunt Äönigretdj, 

Straft, fie ju füllen, ju genieften. Sticht 
ftalt fiaunenbeu ©cfudj erlaubft bu nur, 

©ergömteft mir, in ihre tiefftc ©ruft, 

9®ie in ben Sufen eines fjreunbs gu fihaun, 

fo wenig tonnte ftd) in einem antiten SanbfdhaftSbitbe eine fo 
tiefe ©eetenftimmung wiberfpiegetn, »ie fie bie heutigen athmen. 
®enn gerabe baSjenige, »aS bie tünftlerifche Hcroorbringung 
einer fotzen in etfter Sinie oorauSfeftt, bie SÜBiebergabe ber 
athmofphärifdfjen ©rfdheinungen, bie feinen Uebergftnge gwifdhen 
SSorber -, 3Jtittet= unb Htntergrunb unb baS bümmerige 56er; 
fch»immen ber Seme, gerabe biefeS fetjlt, fo weit »it fehen 
tönnen, ber antiten SanbfdhaftSmaierei. Sn ber fjarbengebung 
legt fie baS Hauptgewicht nicht auf ben StuSbrucf einer feelifdhen 
Stimmung, fonbem auf baS Harmoniren beS ©otorits beS öitbeS 
mit bem ber übrigen SSanbftüihe: biefem orbnet jenes fidh unter. 
®aft ihr aber, »ie SBoermann meint, neben ber Sicht' unb Suft; 
perfpectioe auch bie Sinienperfpectioe, toenigftenS eine .ber mathe; 
matifdhen ©efefce fidh bewuftte, fremb gewefen fei, ift wenig* 
glaublich. 2Benn bie ftüdf}tig hingetoorfenen pompejanifchm 
Sanbfchaften grobe ißerftöfte gegen biefetbe auftoeifen, fo barf 
man barauS nidht mehr folgern, als etwa auS tanbfchafttichen 
®ecorationen unfern ©tubenmatcr für bie Äemctnift ber $et' 
fpectioe nuferer SJteifter. HütfStinien gu giehtn, bagn haben 
ober nehmen jene Hanbmerter fidh nicht bie Seit- ©ie in aßen 
®ingen, fo arbeiten fie auch fyet aus freier Haub; ihr ©efüht 
ift ihr Führer. Sind) beweifen ja fdhon bie forgfättiger auS; 
geführten Obpffeetanbfdhaften, bei benen fich Sehter gegen bie 
tßerfpectioe nur fehr oereingelt finben. Wie oieteS h‘« tebigtidj 
auf bie ftftttchtigteit btt Ausführung gefdhoben werben mnft. 
®ann aber fußten bie griechifchen SOtater, bie f«h feit AefthfttoS 
Seit mit bem ©tubium .ber ^erfpectioe befchäftigten, nnb oon betten 
eingetne fetbft wiffenfehafttidhe Serie übet biefetbe Oerfaftt haben, 
im 58ertauf mehrerer Sahrhunberte nicht bagu gelangt fein, bit 
elementaren ©efefte, gegen wtlche gerabe bie tßompejanifdfjen 
äRater am meiften oerftoften, gn entbeden nnb gu begrünben? 
SBaS foß benn in ben ©ommentaren beS AgathcnrdhoS, was in 
ben SttdEjem, bie ®emofrito6 unb StnajagoraS über ^erfpectioe 
fdjtieben, geftanben traten, wenn ihnen baS Aßoretementarfte, 
bie Äenntnift oon ber tßertürgnng nnb bem Sufawmentanfen 
bet Sinien abging? 3fu biefem fünfte atfo mag JBoermann 
bie antile SanbfchaftSmaterei gu nngünftig beurtheitt haben, 
fonft wirb man bem, was er über bie ihr gegogenen ©djranlen 
unb ihr SSerhüttnift gut mobemen fagt, unbebingt beipftichten 
nnb bie in obigen Säften wiebergegebenen Hauptrefultote feiner 
eingehenben unb anrbgenben ttnterfudhnngtn atS gutreffenb cm: 
ertennen. 

SBir fcheiben oon biefen intereffanten fragen mit einem 
Müdbtid auf bie Obpfteetanbfdhaften. ©o ho<h ft* üt ©rfinbung 
unb Ausführung über ben ®uftenbarbeiten ber ©tubenmater 
ftehen, auf bie »ie fonft bei ®eurtheitung ber antifen ßaub= 
fdhaftSmaterei angewiesen finb, fo wenig oermögen auch ft* bie 
©cftranlen ihrer Seit gu überfpringen. 3tüchtig hiugeworfen, 
oerrathen fie gwar in ben fjfiguren, wie in ben tämpfenben 
Säftrftgonen, ber 9thmphengruppe m A. eine grofte Sicherheit 
ber Sinienführung, geigen aber anbererfeits gewifte Härten in 
ben Umtiften (g. S. in ben eingetnftehenben Seifen unb über» 
hängenben ©ergluppen), bie bem Ausgleich ber oerfdhiebenen 
©rünbe ©intrag thun. ®er prächtige becoratioe ©inbmd, ben 
bie glängenb rothe ißitafterreihe unb bie abgetönten Sarben ber 
Sanbfchaften hecöotbringen, hat audt hi** bie cotortfttfth* @tim= 
mung ber iBitber bebingt, bie freilich bei einzelnen, »ie bem 
Uuter»eltöbiß>e unb ber ©eelanbfdhaft auf Zaftl IV,. ni$t »eit 
oon einer „feelifdhen" entfernt ift. ®och »ie »enig ftd| bet 
SRater noch getraute, ben beabftdhtigten tanbfchafttkhen ©htbrüd 


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Nr. 22. 


lit Gegenwart. 


351 


opne ba# ipm überlommene ©üftjeug mptpologifeper ©aturberfonifi« 
cationen petborjwbringen, ba# jeigen bie glu|götter, bie QueU« 
npmppe, bie ©ruppe bet „Ältai" nnb äpnlicpe SSBefen, burep bie 
er glüffe, Duelle unb ©eftabe cparalterifirt. ®o ftnb aucp biefe 
fepönfteu aller antiten Sanbfepaften SHnber iprer Seit, unb wenn 
je auf einem ©ebiete ber &unft, fo barf bie ©egentoart auf 
bem ber SanbfcpaftSmaterei mit ©enugtpuung auf bie Stritte 
pinweifen, bie fie über bie Seiftungen be# funftbegabten Sllter= 
tpurn# pinau# getpan paf. 

2lbolf (LtenbeUnburg. 


Heue beutle jkitftprifien. 

SWan erinnert fiep, ba| $etr Dr. Subwig ©amberget im 
Januar biefe# 3opte# in ber „©ationaljeitung" einen Huffap 
»eröffentlidpte, in bem er ftdp niept nur barauf beftptänlte, mit 
ber »allen Autorität feine# ©amen# für bie „Seutfepe 9tunb= 
fepau", ju beten gefepäpteften SÄitgrbeitern er feibft jäptt, eittju« 
treten unb biefe ©tonatSfcprift auf ba# Slngetegentliepfte ju em= 
pfeplen, fonbern auep ba# ©rincip auffteQte, ba| überpaupt nur 
biefe eine ©e»ue in unferm ©aterlanbe ein ©eept jum Safein pabe. 
Sie ©mpfeplung t>on ©eiten be# angefepenen ©ubüciften war um 
fo mirffamer, al# fie fi(p objectio unb facplicp barfteßte. $err 
Dr. Subwig SBamberger, ber eS mir niept uetubeln wirb, wenn 
idp ben japtreidpen guten ©igenfepaften, bie icp an ipm fcpäpe, 
bie ©efepielliepleit beigefeOe, öerftanb e#, bie perfönlicpe SBopt« 
gefinnung für Herausgeber unb Verleger burep bie intereffanten 
fadplicpen ituSfüprungen über ben ©parafter ber ©eüuen, über bie 
©rt unb SBeife, wie fie birigirt werben rnüffen, genügenb ju 
beden, um gattj in ber S8eleucptung be# Unparteilichen, mitpin gl# 
befugter ©üpter ju erfepeinen. @3 war niept ba# unbepolfene Sob, 
ba# bet greunb bem greunbe joßt, ba# fiep burep „Uebetfdjmanl bon 
Sieb’ unb ©belmutp" öerbäcptig maept, unb bei bem man bie »er« 
fthnmenbe ©bficptliepleit gewaprt, — ber ©rtilel fap au# Wie eine 
rieptige ftritil: neben bem warmen Sobe eine woplmeinenbe 9Rap« 
nung, bie »on SBeitem unb auf ben erften SBtirf beinape wie eine 
©üge toirlte — aflerbtng# eine ©üge, bie bei näperer Prüfung »an 
ber Siebtofung taum ju unterfepeiben ift. SBamberger fepmoflte 
traulitp mit bem lieben SBtatte, etwa Wie eine SKutter ipren Sieb« 
ling ftreiepelt unb ipm, Wäptepb fie ipm bie SEBange ttopft, ein 
tofenbe# ©(peltwort fagt, fo etwa# wie ben „bummen gungen", mit 
bem ©alomou Heine feinen Steffen H e >nri(p erquidte: 

3<P wollte wicber au# feinem SRunb 

SJernepnten ben „bummen jungen"! 

35a# pat mir immer wie Stufe! 

3 m Herjen naepgellungett. 

3Ufo neben bem Sicpte ber ©epatten. 2Bar ba# Sitpt ftrapleub 
unb ber ©(patten nur flüeptig angebeutet, um fo beffer: „Sie 
©aepe wiß’#, bie ©adpe wiß’S, mein Hetjl" Sa# feurige fRotp 
ber flammenben Siebe pob fiep um fo wirtfamer »on bem in 
biScretem ©rau gepaltenen Htntergrunbe ab. 

Sagegen lä|t ftdp abfolut niept# einwenben, unb icp bin __ 
waprpaftig weit ba»on entfernt, einem butepau# anerlennen#« 
wertpen unb tücptigen SBtatte biefen fo gewanbten ©boomten ju 
mißgönnen; ba| fiep aber ba# Sob be# befreunbeten Dbjectioen 
unter ber geber aUmäplicp ju ber ©epauptung »on ber ©ßein« 
beredptigung jener 3Ronat#fcprift jufpipte, ba# war boep ein 
biSepen ftarf. Unb pier fcplug bie nüpüepe ©erwenbung eine# 
angefepenen unb im ©ertrauen auf feine Dbjectibität ftarlen 
©epriftfteßer# in ben blinben greunbeSeifer um, ber befannt« 
liep immer nur fepabet. 

©ine fomifepere Sfluftration ju ber ©amberger’fcpen Speorie 
bon ber Ußeinberecptigung ber einen unb einigen beutfepen Stebue, 
al# fie un# ber beutfepe Seitf^riftenlatalog ber lepten üRonate 
bietet, ift ni^t benlbar. Herr Subwig ©amberger fann in gewiffem 
Sinne auf feinen Uuffap ftolj fein, benn »on ipm b'atirt gleicp« 
fam eine neue Äeta in unfeter beutfepen Seüföriftenliteratur. 


©eit bem Uugenblide, ba er nadpgewiefen pat, bap nur eine 
beutfepe Stebue ejiftiren bürfe, finb »ießeiept ein Supenb rebue« 
artiger 3eitf<priften, mepr al# wir jemals gepabt pabeu, wie 
ißilje au# ber ©rbe gefepoffen; fie aße ftnb faft glei^jeitig in’# 
Seben getreten, al# ob fie nur barauf gewartet patten, baff Herr 
Subwig ©amberger ipnen aßen einen anticipirten Stefrotog 
f^reiben Würbe, ©in mertwürbiger ©rfolg, aber immerpin ein 
©rfolg. 

Siefe Seitfepriften ftnb bem Snpalte, ber Änorbnung unb bem 
SBertpe naep fepr »erfepieben- ©# unterliegt laum einem Sweifel, 
bap »iele berfelben fiep nur be# (nrjen Seben# ber Stofe erfreuen 
Werben: — l’espace d’un mafüi —; aber bei einigen fdpeint mir 
bie Hoffnung ber SebenSfäpigleit wopl begrünbet p fein; bie 
SebenSwürbigleit ift wenigften# »orpanben. ©# giemt mir niept 
al# Herausgeber einer SBocpenfcprift unb einer SRonatSfeprift, 
bie mit ben neu entftanbaien ©lättern boep gewifferma^eu 
concurriren, eine eigentliepe Äritil über biefe lepteren ju fepreiben; 
icp wiß nur einige berfelben ju ^rfrafterifiren unb miep bei 
meiner ©parafterifirung auf bie Höpe ber ©amberger’fcpen Dbjec« 
tiöität ju erpeben fuepen. 

SBenn icp mit „SRorb unb ©üb“ beginne, fo gefepiept bie# 
nur beSpatb, weil icp »on biefer ßRonatßfeprift mit ©ewifepeit 
ju bepaupten in ber Sage bjn, bafi fie fepon nadp ben erften jwei 
Heften ipre SebenSfäpigleit naepgemiefen pat. Herr Dr. Subwig 
©amberger lann fiep jeben %Utgenblid au# ben ©üepetn be# 
©erleget# bie ©ewigpeit »erfepaffen, bap bei un# jum SJtinbeften 
für eine jweite beutfepe SKonatSfcprift noep reiepliep ©lap war. 
Siefer ©rfolg, beffen ©epneßigleit un#, bie birect ©etpettigten, 
am meiften überrafept pat, beweift fepon an ftep bie Halttofigfeit 
ber Speorie »on ber Sßeinberedptigung einer ©tonatsfeprift. 

©epon burep ben ©amen tritt in birecte ©oncurrenj mit 
ber „SRunbftpau" bie „Seutfepe ©ebue über ba# gefammte natio« 
nale Seben ber ©egenwart", peraußgegepen bon H errn Äieparb 
gleifeper in Seffau, ber, fo »iel iep weil, bisper noep leine Seit« 
feprift rebigirt pat, ©erlin, ©erlag »on ftarl H«beL Sie 
„Seutfepe ©f»ue" erfepeint jweimal monatlicp unb beabfieptigt 
in »erf^iebenen ©ubrilen über bie einjelntn ©ebiete be# öpent« 
liepen Seben#, bet SBiffcnfcpaft, Äunft unb Siteratur, refumirenb 
ju beridpten. 3ebe einjelne ©ubril pat ipren fpecieflen H era u# : 
gebet. Sie „Seutfdpe ©e»ue" würbe alfo, Wenn fie mit Umjiept 
unb ©ewiffenpaftigleit rebigirt wirb, eine gute ©pronit bet 
werben, ©rft naep einem längeren 3eitraum wirb fidp ein 
einigerma|en competente# Urtpeil barübep abgeben laffen; einft« 
weilen ift nur ju conftatiren, ba| eine ©eipe »on tüdptigen 
9Bi|enfcpaftern bem Untemepmen ipre ©titwirtung jugefagt pabeu. 
Sa# ©robepeft bringt gute unb fogar einige fepr gute ©amen. 
3tu|er biefer Umfcpau entpält bie „9te»ue" noep ein genißeton. 
3n bem ©robepefte befinben fiep bie Änfänge einer mittelalter« 
liepen ©oöeßette, eine# ©paratterpilbe# au# Deftreicp, eine# 
wiffenfepaftlidpen ffiffap# unb einer piftorifepen ©tubie. Sa# ift 
gewi| genug für ben Anfang, ja wie mir fdpeinen wiß, ju »iel. 
©ier ©nfänge! Sa# lä|t barauf feptiefjen, ba| ba# jWeite Heft 
im geuißeton »ier gortfepungen bringen wirb- 3<P mü|te miep 
fepr tauften, wenn bamit bem ©efipmaefe unfere# ©ubli« 
cum# gebient Wäre. Siefe ©erabfolgung ber geuißetonbofi#, 
palbmonatliep einen Speeläffel »oß, erfdpeint mir ganj unb gar 
falfd). ©ur jngenbliepe ©ebacteure laffen fiep burdp ben ©eij 
ber ©tannidpfaltigleit befinden. §ext ©ieparb gleifeper wirb 
nodp bie ©rfaprung madpen, ba| ein abgefeptoffener Slrtitel mepr 
wertp ift al# 25 gortfepungen. ©in äpnliepe# Untemepmen 
Wie biefe ©e»ue pat bereit# beftanben: bie „©rgänjungsblätter" 
in Hilbbürgpaufen; biefelben paben ftep tvop be# unleugbaren 
©efdpide#, mit bem fie rebigirt worben finb, niept ju palten 
»ermoept, ebenfo wenig wie bie „Seutfdpe Sparte", bie an beten 
©teße getreten ift. SBit woßen poffen, ba| ber „Seutfepeu 
©eöue" ein günftigere# Sepidfal befepieben fei. 

©in onbere#, ebenfaß# »ierjepntägig erfepeinenbe# Unter« 
nepmen ift ba# „Siteratnrblatt", perauSgegeben »on Snton 
©blinger in ©Jien. Sie erfte Siefernng, 24 ©eiten ftarl, ift 
fepr empfeplenb. 3m erften Speile bringt ba# ©latt eine ©eipe »on 


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# te ©egenmart. 


Nr. 22. 


m 


titerarifdhen ©ffapS, bie jutn Xheit bortrefftich finb. Itnfere 
Sefer begegnen barin auch jwei Flamen, bie ifjnen als 2Jtit= 
arbeitet ber „©egenwart" betannt ftnb: Jerbinanb Nürnberger, 
ber bem Xichter Stephan SJlilow, unb Natt ©mit SranjoS, ber 
©eorg Süchmamt als ßpriler eine Sefpredjung wibmet. Stufjers 
bem fchreibt in biefem erften Xheite Setigmann $efler über bie 
titerarifdje Nritit bet ©egenwart. ©etigmann geller h°t fi<h 
©nftab ©tandfje, ben ergrimmten Nritifer ber „Revue des deux 
Mondes“ jum Stuftet genommen, ber jebe titerarifdje ©rfdjeinung 
ate ein Attentat auf bie IRuhe beS NritilerS mit unoertjohtener 
Stifsgunft aufnahm nnb bemgemäfj beljanbette. ®ie Serbiffenheit 
hat ©etigmann fetter feinem Sorbilbe abgetaufcht, wenn er 
nur auch etwas Don feinem ©eifte geerbt hätte! Xer j weite Xheit 
beS SiteraturbtatteS ift ber fritifchen fRunbfdhau gewibmet unb ent¬ 
hält eine 8teitje furjer berftänbiger unb objectioer Sefprechungen, 
bie feljt gut orientiren. Stufjerbem bringt bas Statt nodj eine 
Ueberft^t über ben 3nt)att bet bebeutenberen beutfchen 3cit= 
fünften unb SRtSceHen. XaS ganje Statt rnadjt ben ©inbrud 
beS Sorneljmen unb ©ebitbeten. 

©anj biefetbe Xenbenj berfolgt bie „Siterarifche ©orre* 
fponbenj", herausgegeben bon §an8 Slbam ©töljr in Seipjig, nur 
tritt bei ber „Siterarifdjen ©orrefponbenj" baS StRet^obifc^e eines 
fRepertoriuatS über bie beutle Siteratur nodj fchätfet tjeroor. 
®ie „©orrefponbenj" bringt Stuffö^e allgemeineren 3n^atteS, 
bie jidj auf bie Siteratur bejietjen, fo' j. S. „©ntwidtung ber 
bcutfdjen Siteratur unb ©reffe im testen Saljrjehnt"; „bie fran* 
jöfifdlje Sutturbewegung in Siteratur unb ßunft unter bem 
jweiten Naiferreich" Don 3- 3. $onegger; ferner eine ftänbige 
SRubtil ber ©refjrechtSpflege, für je Sefpredjjungen ber neu er= 
fdjienenen Süctjer — bie meiften berfetben ftnb mit guten Slawen 
unterjeidjnet — unb eine SRunbfdjau über bie neueften ©r* 
Meinungen im Suchhanbet, in ben bilbenben Nünften, bem 
Xheater tc. XaS Statt ift fleißig unb mit ©efdjid geteitet unb 
fndfjt jwifdtjen bet Xrodentjeit ber rein bibtiographifdjen Stuf= 
jütjtungen unb ber Unjutängtidjteit ber faft immer inbioibuett ge¬ 
färbten ftritifen ju bermitteln. Slu<h biefeS Statt oerbient bie 
Unterftüfcung alter ®erer, Welche fldj für bie titerarifdje Se= 
wegung interefjiren. 

Son ben „Xrnmaturgifchen Stättern", einer SRonatS* 
fdjrift, herausgegeben bon Otto £>ammann unb SBiIf)tm $enjen, 
haben wir unfern Sefern fd^on Nenntnifj gegeben. @8 finb bis 
jefet hier fteftc erfdhienen, unb baS Slatt hält ft<h burdjauS auf 
ber $öhe, bie es fdjon burch fein erfteS $eft eingenommen ljat. 
©«rabe in bet Xheatertritit wirb fo biet gefünbigt unb fo biet 
ungewafdjenes 3«*8 ju Xage geförbert, bah es eine wahre ffreube 
ift, hier einer Sammlung bon Xtjeaterfritifen unb auf bas Xheater 
bejüglidjen SiiMIjeitungen ju begegnen, beten Serfaffer faft ohne 
StuSnaljme bon bem ©rnfte ihrer Aufgabe burdjbrungen finb 
unb bie bie nötfjige ©adfjlenntnih mitbringen. ®ie SRecenfionen 
ftnb nnparteiifdj unb wohtwoltenb ohne alten rectamenhaften Sei* 
gtfdfjmad. ®aS bolle Sob, baS ftch biefen Stättern fpenben täjjt, 
fchtiefjt natürlich nicht aus, bah man gegen ben einen ober ans 
beren bet barin beröffenttidjten Stuffähe recht ernfttjafte Sebenfen 
gettenb madhen lann. ©o bin ich i- ®> mit bem Sluffafje bon 
Stbotf ©erftmann, „Sorfdjtäge jur Steform bet beutfdljen Sühne", 
ganj unb gar nicht einberftanben. ©eitbem ©eorg Nöberte, to= 
mif^en HngebenfenS, mit feiner Xtjeaterreform bie benfbarft 
traurige ©rfahrung gemacht h«t, fottte man biefe SBaterie boch 
etwas borfidhtiger behanbetn. Stber fonberbar, jeber ©chriftftetter, 
ber nicht recht weih, was er fchreiben fotl, fdhreibt fReformen 
für baS beutfche Xheater. SSenn unfer Xheater im Slrgen liegt, 
fo ift, barübet fcheinen alte biefe fReformatoren einig ju fein, 
nidjtS weiter batan fchutb als ber „SRader bon Staat". ®er 
Staat muh «in Xheaterminifterium ernennen, ber ©taat muh 
Xheaterbirector werben, ber ©taat muh ©ramien auSfchreiben 
für gute Stüde, ber Staat muh bte ©dfjaufpieter bitben, ber 
©taat muh mit einem SSBorte Stiles thun! ®ie Xheaterfreiheit 
hat uns ju ©runbe gerichtet, bie Sefchränfung berfetben wirb 
uns wieber aufrichten 1 ®aS ift bie ewige Sitanei, bie unS aus 
alten biefen fReformartitetn entgegenftingt. ©inet biefer fRefop- 


matoreu, ber brottigfte unter ihnen, hat fogar in einem biden Suche, 
baS er auf feine eigenen Soften h®t brnden taffen unb in bem 
er feinem Serbruh über bie ÜRidjtaufführung feiner ©tüde einen 
berebten StuSbrud butch Serungtimpfung alter ber Slutoren, beren 
©tüde aufgeführt werben, gegeben h°t» atten ©rnfteS bafür 
ptaibirt, bah bie Nritit ton ©taatSWegen geübt werben fofle. 
©S fottte ein ©entrattritifbureau in irgenb einem SRinifterium 
organifirt werben. '„3ft bieS fchon Xottheit, h“t es bodh SRethobe!" 
3^ bin weit entfernt, bie wohtmeinenbeu Stbfidfjten beS $errn Slbolf 
©erftmann ju beftreiten. Slber nid)t ber ©taat ift es, ber baS Xheater 
heben lann unb nieberbrüdt. ®er Staat erjieht Weber ®ichter 
nodfj ©^aufpieter; ©halefpeare, SRotiäre unb Schiller hoben tont 
©taat leine ©ubtention erhalten. 3<h mühte nicht, bah Nean 
unb Xatma ein ©onfertatorium befudjt hätten, unb ton ber Sachet, 
bie atterbingS auf bem ©onfertatorium War, ift baS SBort be= 
fannt: „3dh höbe auf ber Sühne terternen müjfen, was ich a «f 
bem ©onfertatorium gelernt habe; mein befter Seljrer ift ba« 
ßontte gewefen." 

9lo^ jwei SBodjenfdjriften hoben Wir h* er S u ertebigen. 
®ie „®eutfche SEBod^enfdhrift", h«ou8gegeben ton Sicharb 
Seuter, hot äuffertich feht tiet Stehntidhfeit mit ber „©egenmart": 
baSfetbe fformat, berfetbe ®rud, biefetbe Stnorbnung; bem Statte 
merft man es aber an, bah ber SRebacteur in erfter Sinte ©oti- 
tifer ift ®ie ©otitit beanfprucht weitaus ben gröhten Xljeii 
beS StatteS; eS bringt in feiner neueften Summer bereits ben 
achten Stuffafc über baS terantmortlidlje SeidjSminifteriutn. ®ie 
potitifchen Strtifet ftnb nicht unterjeidhnet. Unter ben literarifcljen 
Stuffä^en finben wir Seiträge ton ©dfjmibhSBeihenfetS, ©eorg 
SBunbertich tc. Ueber bie Qualität beS StatteS wirb ein poti; 
tifdher ©chriftftelter beffer aburtheiten. 

©ine potemifche ©tetturtg in ber beutfdljen ©reffe fdjeint 
®ie „©chtefifdhe SBarte" einnehmen ju Wollen, bie in SreS; 
tau herausgegeben wirb. ®a tritt juerft SBilljetm SRart auf 
mit bem ©rogramm, bie ©eihet übet mobeme ©refjjuftänbe jn 
fdhwingen; aus bem erften Strtilet ift noch nicht recht ju erfeljtn, 
Worauf er tjinauSwitt. ®ann tommt Otto ©togau, ber natürlich 
bie Sottswirtlje unb ©tünber im ©arlament geihett; bann Otto 
»on Seijnet, ber einen ©arbenu ber Sörfe geihett, bann ein 
Dr. ©ermanuS, ber eine beutfche füomitie geihett. 

®iefelbe potemifche Xenbenj berfotgt bie „®eutfdhe Seich8= 
taterne", herausgegeben bon Sari Söttcher in ßeipjig, bie fich 
fchon burch ihr SteuhertidheS, ben jiegetrothen ttmfdjtag, wie 
burch ben Xitel an baS betannte Unternehmen bon Sodjefort 
anjutehnen ftrebt. XaS Meine Statt ift biet Weniger boshaft 
ats baS franjöfifdhe Sorbitb. ©inige unferer angefehenften ©dhrift= 
ftetler hoben bentfelben fchon Seiträge gegeben, j. S. ffimanuet 
©eibet, ©buarb bon Sauernfetb, ^»ermann Singg, ^ieronpmu« 

| Sorni ic. ®er „SeichStaterne" muh man nachrühmen, ba| fte 
fidh burdhauS innerhalb ber ©reitjen beS StnftanbeS hält, unb 
bah h e nicht auf ben ©tanbat fpecutirt. ©in Statt, welches 
öffentliche ©dhäben ohne 3urd)t mit f^arfer Satire jüdhtigt, 
tönnte bie fegenSreichften SBirfungen üben. Ob es bie „SeichS- 
taterne" ju einer bnrdfjgreifenben SBirlfamfeit bringen wirb, ift 
noch abjuwarten; jebenfalts ift ber anftänbige SBeg, ben fte ein= 
gef^tagen hot, ber richtige. 

XaS finb einige ber Seitfdfjriften, ju welchen ber Sams 
berger’fdhe Stuffajj bie Stnregung gegeben hot. ©s finb biet, 
feht biet, ju bietl Xiejenigen, bie fidh als überftüffig unb un= 
brau^bar heranSftetten, werben burch bie Xhritnaljmtofigltit beS 
©ubticumS bon fetbft befeitigt Werben. 3<h fühle mich feines* 
WegS berufen, mit biefen ©eburiSanjeigen mein ©utachten über 
bie borauSfidjtlichen XobeSfätte abjugeben. 

pant Sittbau. 


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Nr. 22. 


itr (Segennnirt. 


353 


bet; eßrtttp(flab(. 

Drontttlifdie Aufführungen. 

£fretmb (L’ami Fritz). 

Sparaftergemälbe in 3 Sieten oon Srcfmann«Spatrian. 

grip Kobud, ober „greunb grip", tote ipn feine Kameraben nennen, 
ift ein glüeflieper SRenfcp. ©ein ©ater, bet griebendriepter oon Lüneburg, 
pat ipm niept nur einen oortreffliepen tarnen, fonbern auch einen um 

gewöpnlicp reiepen ©efip pinterlaften. (Sr nennt ein fepöned ©aud auf 

bem SKagienplap fein eigen, eine audgebepnte garm im 2Reifentpal 
liefert ifjm einen bebeutenben Srtrag unb in feiner Selbfifte lagern 
etliche erjte ©ppotpefen bon beträchtlicher ©öpe. Dagu ift greunb grip 
in all feinem ©anbeln bon einer praftifepen ^pilofoppie geleitet, Me in 
ben Singangdfäpen bed ^rebiger Salomonid ipren gebrungenften Äud« 
bruef fmbet „(SS ift ?0lel gang eitet; wad pat ber ©ienfcp mepr bon 

aller feiner SRüpe, bie er pat unter ber Sonne? (Sin Sefcptecpt bergest, 

bad anbere aber lommt, bie (Srbe aber bleibt ewiglicp; ed ift aüed Dpun 
fo boll SRüpe, baft Riemanb audreben tann. Dedpalb ift cd am beften, 
ergänzte grip Kobud feinen SReifter, man tput nieptd, bann hat man 
fich boep wenigftend nieptd oorguwerfen. So lautete bad Ratfonnement 
unfered ©eiben unb fünfgepn lange Sabre, bid gu bem fünfte, bon bem 
unfer Sparaftergemälbe audgept, batte er in ftrengfter ©eobaeptung aller 
Sonfequengen feiner ppitofoppifepen Srunbfäpe gelebt, bie er ficp wie eine 
Rrt Katecpidmud borbielt. Ded borgend gwifepen fieben unb acht ftebft 
bu auf, bie alte „Katel" bringt bir bad grüpftücf, toelcbed bu bir naep 
beinern Sefcpmacf gufammengefteHt h a f** Staun ift ed Seit in’d Saftno 
gu geben unb bie Bungen gu lefen, ober auch einen (Sang bureb bie 
gelber gu machen, bad fepafft Stypetit. gum ©rittageften lebrft bu heim; 
nach bem (Sffen fiehft bu bie Rechnungen nach, empfängjt beine (Sintünfte 
ober maebfi Sinläufe. Rach bem Stbenbbrob gehft bu in ben „©irfepen", 
fpielft einige Partien „®öuler" ober „Ramfcp", rauchft eine pfeife, trintft 
fünf Schoppen ©kr, gehft febtafen unb bift ber glüefliepfte »tenfep bon 
ber SEBelt. ©or allen Dingen aber Kopf (übt, güfte warm unb gefunbe 
©erbauung! Unb toad noch mehr ift: werbe nicht gu fett, laufe (eine 
Snbuftriepapiere unb berheirathe bi<h nicht l ©iit folchen Srunbfäpen, 
Kobud, toirft bu fo alt werben Wie ©tetpufalem unb bie lommenben 
Sefcpleepter werben bon bir fagen: bad war ein gefcheibter, anftänbiger 
Kerl unb ein luftiger Kamerab. Sad bleibt bir hiernach gu wünfehen 
übrig, wenn ber König Salomon felbjt erllärt bat, baft ber SufaÜ ben 
©ienfepen fo gut macht wie bad Dpier, baft ber Dob bed einen ift, wie 
ber bed anberen unb baft fie beibe benfelben Ätpem haben. Unb wemt’d 
fchon fo ift, fo will ich toenigjtend fo lange atbmen, wie ed mir Der* 
gönnt ift." So lebte grip Kobud jabraud, jahrein, unb ob Älled um 
ihn perum im ewigen Secpfel freifte, fein ruhiger Seift beharrte im 
Secpfel unb lieft ed neiblod gefepepen, wenn ber eine feiner greunbe 
feiner Dapf erleit wegen huf arencapitän würbe, ber anbere eine Spinnma jchine 
erfanb, ber britte eine ^rofeffur unb ber bierte gar für feine Dichtungen 
einen Orben erhielt. „SBad für ©fcüpe fiep bie gungen geben I Der eine 
läftt fich Skate unb ©eine brechen, um mir mein (Sigenthum gu fdjüpen, 
ber anbere macht (Srfinbungen, bamit ich meine Sachen billiger belomme, 
ber britte fcpwipt ©lut unb SBaffer unb fchreibt ©ebichte, bamit ich ft&w 
eine ©iertelftunbe ber langweile piriweglomme. (Sd finb hoch gute 
gungen." 

Ruf ber ©öpe fotcher Rnfcpauungen tritt und grip Kobud int ©e« 
ginn bed Stüdd ald beften ©auptperfon entgegen; ed ftedt abfolut nicbptd 
in ihm, wad ihn gum ©eiben ober Siebpaber befähigte; aud biefem 
Srunbe fpielt er auch eine pöcpji (läglicpe Rolle, fobalb feine ©equern« 
licpleitdppilofoppie auf bie erfte unb eingige $robe gefteüt wirb, bad 
er wirb einem ber gunbameittalfäpe feined Katechidmud untreu, 
inbem er peiratpet. Der ©erfucher ift ber aUe Rabbi Sichel, ein gut« 
bergiger, ebelbenfenber Stebgiger, beften Sippen oon falomonifcher unb 
talmubifcher Seidpeit überftrömen, befonberd wenn ed gilt, Scpriftbe« 
weife für bie ©ortreftiichleit ber (She beigubringen. Diefer gröftte (She« 
oermittler aller griten hat ed fich ö u * Stuf gäbe gemacht, grip Kobud, 
ben er auf ben Knien gef Räufelt, gu oerheirathen unb ihm bereitd brei« 
unbgwangig Partien, aber erfolglod angetragen. Dad Object für bie 
oierunbgwangigfte ,ftnbet fich iu einem aüerliebften fiebgehnjährigen 
(Mnfeblüntchen — Sufel, ber eingigen Dotier eined oon griftend $öch' 


tern —, bad mit einem mächtigen ©eilchenftrauft ald grühlingdgruft 
erfcheint, währenb grift mit feinen greunben, bem Steuereinnehmer unb 
bem gelbmefter, einen Dheit feiner Sebendaufgabe erfüllt, b. h- gu SRittag 
iftt. ©ei biefer ©elegenheit erblidt Rabbi Sichel (ber erft gum Kaffee 
erfreuten (onnte) bad fchneü erblühte Kinb feit tanger Seit wieber, unb 
er fieht in ihm bie präbeftinirte SRabcmte grip Kobud. Sichet gibt 
feiner ©ewunberung bed SRäbchend unoerhoplenen Sludbrucf unb bemerft, 
baft Sufel einftend ein oortrefftiched (Speweib fein werbe. Ob biefed 
erneuten ©eweifed für bie Dpatfache, baft ber Rabbi alle hekathdfähigen 
SBefen nur in bem Sichte oon ©eirathdeanbibaten fepe, erhebt ftch unter 
ben greunben ein grofted (Gelächter, welched bem alten ©erm ©eran« 
taffung gu einer energischen Strafprebigt gibt, bie in bem Sape gipfelt, 
alle gunggefellen feien fehteepte Staatdbürger. Der SRenfcp fei niept 
tebigtiep bed ©enufted wegen ba, er habe auch höh*** Pflichten gu er« 
fallen unb oor ©Hem für bie (Srpaltung feined (Skfcptechtd gu forgen, 
bamit bem ©atertanbe ieifhtngdfäpige ©ürger unb, für bie Stnnbe ber 
©efapr, Kämpfer für feine ©röfte unb Integrität erwaepfen. (Diefer 
oon ber ©fipne perab ectönenbe Äppell, an bad in ber ©eoöllerung 
gurürfgepenbe granlreicp gerietet, war ed in erfter Sink, ber bem „L’ami 
Fritz“ in granlreicp gu bem Rufe oerpalf, ein oon lauterftem fraitgöft« 
fepern ißatriotidmud befeetted Stüd gu fein.) 

Dad Racpbenlen, in welcped bie greunbe auf ©runb biefer Rebe 
Oerfallen, ift nur fepr furg unb enbigt in ber wieberpolten ©etpeuerung 
gripend, niemald peiratpen gu wollen. Der Rabbi erflärt bagegen, er 
hoffe feinen jüngeren greunb reept balb ald Satten unb ©ater gu fepen, 
unb nimmt eine oou Kobud oorgefeptagene Sette an, bie feinem Stau« 
ben an bie Unerfcpütterlichlcit feiner ^rincipien ald h öc Pfkr Äudbrucf 
bienen foü. Damit fcplieftt ber erfte $tct. 

Sad nun lommt ift fcpnetl ergäplt, ober befter, ift fofort erratpen. 
grip ftept Sufel wieber, bad SRäbcpen erfepeint ipm reigenb, befonberd 
feitbem er an ipr wirtpfcpaftlicpe (Sigenfcpaften ungewöhnlicher «rt 
entbeeft pat, oon ben ^lepfelfcpnitten gar niept gu reben, bie Sufel gu 
bereiten oerftept. Sr entbeeft fein ©erg unb entflieht ber ©erfueperüt, in 
beren Räpe er — auf feiner oon Sufeld ©ater bewirtpfepafteten garm 
— oiergepn Dage bed füfteften Ri^tdtpund oerbraept pat, in burepaud 
formtofer Seife, opne Äbfcpieb gu nepmen. Daran unb an bem tkfen 
Scpmerge Sufeld über biefe fkt ber Dreunung erfennt ber anwefenbe 
Rabbi bie Siebe ber ©eiben gu einanber unb fiept feine Saat reifen. 
Sr ergäplt Kobud, baft ein ©urfepe aud ber Segenb um bie ©anb 
Sufeld angepalten, ber ©ater bkfe gugefagt pabe unb baft ed fiep lebig« 
licp um feine — bed ^aeptperrn — Sinwilligung panble. grip, ben 
feit feiner Trennung oon bem $acptpofe Scptaf unb 94>petit geflohen, ber 
feit fünfgepn gapren gum erften SRal unb nun fepon fortgefept feit oier« 
gepn Dagen niept in’d Sirtpdpaud gegangen ift, ber feine Sirtpfcpafterin 
anfäprt unb feine greunbe niept fepen will, grip erllärt, er gebe feine 
Sinwilligung niept. Unb ald gar Sufel gu ipm (ommt, traurig unb 
niebergefeptagen unb ipm tpränenben Stuged gefiept, baft fte ben ©urf^eu 
niept peiratpen wolle, baft ed ipr Dob wäre, ift ed mit gripend Söti« 
batdgelübbe aud unb furg gefaftt pätt er um bie ©anb Sufeld an, 
mäprenb er bem ©ater bie Srtaubnift für bie anbermeilige ©erpeiratpung 
feiner Docpter abfeptägt. Dad Soralprincip, bie Spe über bie Spe« 
iofigfeit, pat gefiegt — bad Stüef ift aud. 

Daft fein bramatif^er Sertp ein fepr geringer, laurn nennend« 
wertper ift, gept wopl aud ber ttnbeutung ber gäbet gur Senftge peroor. 
Dad „Sparaftergemätbe^ ift niept mepr unb niept weniger ald eine 
3 bpHe in Dialogform ober eine bramatifirte gbplle. Sd geigt eine un« 
oerlennbare Äepnlicpleit mit einigen Stücfen ber beutfepen Siteratur 
auf, welcpe biefed Senre am gutreffenbften begeiepnen, mit Sfflanbd 
„©ageftotgen^ unb Döpferd Dramatifirung oon Soetped „©ermann unb 
Dorotpea". gep glaube ©offend „Suife" lönnte mit berfelben ©ereep* 
ti^ung ald Unterlage für ein „Sparattergemälbe" gewäplt werben, Wie 
ed und pier in „greunb grip" entgegentritt. Docp abgefepen baoon 
weift bad Stüd, wie ber Roman ed in erpöptem SRafte tput, eine gange 
Reipe feiner pfpcpologifcper 3^0^ auf, bk aud einer intimen Kenntnift 
bed menfcplicpen ©ergend unb indbefonbere aud bem unoergteieptiepen 
©erftänbniffe peroorgepen, mit wetepem Srcfmann«Spatrian an bie ©e« 
panbtung Oon Dppen bed etfäffifepen ©olldlebend perantreten. Srdmann« 
Spatrian finb für ben Slfaft geworben, wad ©ertpolb ttuerbaep feiner 
babifepen ©eimat, wad ftngengrubet bem öftreiepifepen Dberlanbe ift. 
Sd wirb wopl unter ben Sufcpauem (einer gewefen fein, bem naep ber 


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354 


Sie «rjfttmört 


Nr. 22, 


gmeite» Scene bet Stuggang beg Stfiefeg, alle Eonflicte inbegriffen, 
gmeifelpaft getoefen träte. Unb bennocp lieft man bag Sange mit jenem 
mopltpuenben ©epagen auf ftdft mitten, melcpei man empfinbet, trenn eg 
Einem geftattet ift, einen ungepinberten Einbliet in bag innere fiebert 
einer „georbneten gamtlie" gu tpnn. Senn’g bort einmal einen ©türm 
gibt, fo ift eg ein Sturm in einem Safierglafe, unb bte tutgen Seelen* 
tämpfe, meltpe gteunb grip unb feine Sufel gu befielen paben, erfüllen 
Stiemanben auep tutr für einen ttngenblicf mit ber ©eforgnift, fie tönnten 
anberg aig gut auggepen. S^ren poetifcpen £öpepunft erreicht bie 
3bpße in ber ©tunnenfcene beg gmeiten Rctg. Rabbi Siepel trifft Sufel 
am Brunnen, fie reicht ipm einen ©runl unb er benupt bie Selegeupett, 
fie über ipre Empfhtbungen für grip atiggupolen. Er erinnert fiep babei 
au jette metpevofle Stelle beg erften ©uep ©tofig, in meldet von ber 
Werbung um Rebeffa bie Siebe ift unb läftt fiep ton ber bibettunbigen 
Sufel ben Snpalt beg ßapitelg ergäplen. 5Die Scene tergolbet mit bem 
ipr innemopnenbeu biepterifepen gaitber bag gange Stüct unb gab auep 
Fräulein gopanna ©ugla (beten Saftfpiel am Refibengtpeater 
bie Wuffttpnmg beg „Eparattergemälbeg" gu banfen ift) Selegenpeit gur 
Entfaltung ber beften Eigenfepaften ipteg ©aletttg. Sie fpraep bie gange 
niept turge Ergäpluitg mit einer urfprfingliep erfepeinenben, finbliepen 
Raivetät, bie nur gegen ben Scpluft ber Scene pin einen ©peil beg Un* 
betruftteu einbüftte, in melcpem naep meiner Ätijiept bag gange Sepeim* 
nift ber Sirlung biejer Ergäplung gu fuepen ift. ©ei iprem erfteit Stuf* 
treten (in bet britten Scene beg erften Äcteg) erfapien mir bie Äünftlerin 
311 gefuept: icp termoepte an biefe Einfalt niept gu glauben; bagegen 
fanb fie im gmeiten $ct gelegentliep iprer Begegnung mit grip ©öne 
aumutpigfter Scpalfpaftigfeit, bie in ber fpäteren Sieberbegegnuiig mit 
$obug ergreifenbett fiauten eineg tief verborgenen Seelenfepmergeg ge* 
miepen toarem ©er Stabbi Siepel beg §erm Äeppler mar eine vor* 
treffliepe fieiftung, bie um fo freunblicpet rnirfte, jemepr bet Zünftler in 
feiner ©igeretion eg verffcaub, bag Ebelmenfepliepe in ber ©ertörperung 
beg ©ppug per vortreten gu taffen. 3 n ben $änbeit eineg meniger 
feinfühligen Sepaufpielerg buttt biefet Stabbi fepr teiept unfprn* 
patpijep unb läcpetlicp »erben unb bamit märe bag Segentpetl von 
bem erveiept, mag bie ©iepter bamit beabfieptigt paben. 3 ep miß 
mit $erru Äeppler niept barüber retpten, ob ber Stabbi niept pätte 
„älter aufgefaftt" merben foflen. ©ie ©erfafter laffen ipn bie Stebgig 
übetfepritteit paben, mäprenb er fiep pier aig ein Siebgigcr bem $aupt* 
nnb ©artpaar naep, aber aig ein viel jüngerer in ber ftaltung unb 
bem Organe barfteflte. Smmerpiu barf fterr fteppler biefen Rabbi 
Sicpel feinen mertpvoöfüu fieiftungen beigefeilen. £err ©e cf mann 
patte fiep in bie Stoße beg greunb grip ftcptliep pineingelebt, er fpielte 
fie mit einem ©epagen, bag auf ben gufepauerraum gurücfmitlte, mobei 
ipra übrigeng feine äuftere Erfepeinung glfictliep gu Statten tarn: ber 
geborene greiuib grip unb ebeufaßg ein geinb beg Slngmenbigleriteng 

3nlins hageti» 


'Störten. 


Zit frangöfifepe Ärifig mar naep bonapartiftifepen ©tnftern mit 
langer £anb vorbereitet, pat jeboep bie Republilatter unb mit ipnen bie 
europäifepe Seit überrumpelt. ©apinier ftanben ber Elerug, gntrigan* 
ten unb Seiber. ©tae ©tapen ift meber frieggpelb noep Staatgmann, 
aber boep {(planer, aig man gembpnlicp annimmt unb pat big jept feiner 
©evife; J’y auis et j’y restel ni<pt erfolglog entfproepen. Ztx Sturg 
3uleg Simong unb feiner ^attei pat bie ultramontane ffrage mieber 
in ben ©orbergrunb gerüdft, niept gum ©ortpeil ber peiteren Stimmung 
berjenigen, bie mit folcpen Gingen befdpftftigt finb. Ztt dultnrtampf 
ift notpmenbig, von ber dutie, bie ipren ©ortpeil babei fhtbet, ma<p 
gepalten, ben betpeilcgten Regierungen auferlegt, unb fein dnbe ift noep 
feintgmegg in Sicpt. 5&ag Slßeg gu gegeben, mirb man anbeterfeitg niept 
beftreiten, baft ber $aber ni(ptg meniger aig amüfant ift. Zit bafür 
aufgebotenen Streiter bemegen füp nnanggefept in bemfelbeit Greife, dg 
finb ftetg biefelben Scplagmorte, biefelben Auflagen pttbeit, biefelben 
Stepliten brüben. Einige 5 lbme<pgittng märe fepr ermünfdpt, bürfte in* 
beften auf fiep märten laffen. Ein palbmegg bramatifepeg 3nterefte 
biet«t mir bie toßen Xräumereim ber derilalen |>etftfporne, bie fidp 
mie SRArepen aug taufenb nnb einer Raipt lefen. So melbete eine 


©atifer Eorrefponbeng einem augmärtigen, politifdj*tatpolifepen ©latte 
Vor einigen Xagen gang erujipaft, bie aßgemeine Sage pabe fiep in un* 
ermarteter Seife fepr günftig für ben ©atican gejtaltet. ©on vielen 
Seiten fei er ummorben, ©entfeplanb pabe ipm fepon breimal vergebeng 
Trieben angeboten, Englanb aber pabe 3 talien lategorifep aufgeforbert, 
gu entmaffnen. Ser pätte fiep bag 1870 träumen laffen l $ergleidjen 
mirb gebroeft nnb in meiten Greifen geglaubt. Eemöpnliepe ©tenfepen* 
finber tbnuen fiep (aum vorfteßen, mag in Näpfen, wo folepe $imge* 
fpinnfte ©lap finben, vorgepen mag. Roep verworrener momogliep 
neprnen fiep bie Speculationen aug, welepe bie Ultramontanen an ben 
ftrieg im Orient Inüpfen. Saraui wirb, wenn eg naep ipren Sünfepen 
gept, ein aßgemeiner Seltbranb entftepen, bet fcplieftlicp bem ©apfle 
bie weltliepe SRacpt nebft gubepör »übergeben fofl. ©tan barf aber 
bie guten fieute, bie folepeg geug gläubig verbreiten^ boep niept gu fepr 
auglaepen. Zu Orient läftt auep fonft genug Soltengebilbe auffteigen, 
bie mie eine gata ©torgana ben gufepauem ben Eefieptgtreig trüben. 
Eg gept, von ben verpältniftmäftig langfamen ftrieggoperationai abge* 
fepen, rnenig vor; bafür aber mirb um fo mepr erfunben, aßerbingg 
ftetg aug guter Oueße. Eine Erquiefung inmitten biefeg tägliep meepjeln 
ben unb boep monotonen, für Eaffer, Fliegenfänger unb Sepmaeptöpfe 
bereepneien europäifepen Speifegettelg gemäprten bie Stacpricpten aug 
Olpmpia über bie Fuube aug alten Xempetn, mie fie gum Erftaunen 
ber geitgenoffen an’g fiiept geförbert merben. ©ag finb bie mapren 
Scpäpe beg Orientg, nnb meber Stuften noep Xürfen fdttnen fie ber ©tit* 
»eit ftreitig maepen. ©tögen fiep biefe gerfleifepett unb ipr toapnftnmgeg 
©reiben mit biplomatifepen Stebengarten befepönigen: bie Snnbermerte 
ber peßenifepen Äunft »erben barum niept »eniger felbft in ipren Stninen 
ben ©efepauer entgüefen. gaft »äre auep an einem anberen guitbort 
bie Steberauferflepung beften, »ag ber be»uftten ©enug gebriept, Stent 
einer emfigen gorfepung erlebt »otben. Slber ber fepdne Ärm mar 
leiber eine geitunggente, unb eg ift naep genauer Sieptung nur ein 
ftnöepel von gtoeifelpafter hertunft übrig geblieben, ©ie Urpeber ber 
boetifepen ©tär, bie jo viele -trrffenbe Etitfäße ber Sipblätter Ver* 
anlaftt pat, tönnen fiep bamit triftest, baft eg ipren Eoßegen ber jouma* 
liftifepen gunft niept befter ergept. Ob Slrm ober ftndepel, ob ©emtg 
Von ©tilo ober irgenb etn anbereg Steinbilb, bag SUfcg ift genan fo 
gleiepgfiltig für ben beabflcptigten Seufationggmeef, mie irgenb eine ffir 
ben ©ebarf beg ©ageg erfunbene Rote, ©epefepe ober fonftige Offen* 
barung» Senn bie blauen ober gelben ©üeper erfepeinen, ift bie Saepe 
ja boep längft vergeften nnb verfepoßen. Zit ©lanbüeper fbtb opnepin 
für bie Sefepiepte gu jung unb für bag Snterefle beg ©ageä, mag bie 
neuigfeitgiüfternen gntunggiefer angept, fepon veraltet. Ein Stufte, ber 
in einem bekannten ©latt gem&pnlicp ben iitel ehteg Ecbiplomaten an* 
nimmt, ärgerte fiep nenlicp über bie englifepen Äctenfiüefe imb bemertte, 
aße inbuftrießen ©taf^inen, bie in Sroftbcitartnien arbeiten, fteßten eine 
Summe Von SfctiVit&t bar, melepe ber einer ©tißiarbe unb gmeipunbert 
©tißionen an ©tenfepenarbeit gleiepfäme, alfo bie coßective Äraft ber 
gangen ©tenftppeit übertrefte. ©aranf fragte er fartafUfcp, ob man niept 
bie Eepirntpätigteit, melepe bie ©robuction ber englifepen Unftrengungen, 
ben grüben im Orünt git erpalten, repräfentirt, äpnliep beretpne» tdnnte. 
©er Stp mar gemift niept übel. Ob jeboep ber ©erirauep von Eebanfen* 
ppogppor, welepen bie jebegmalige biplomatifcpe Äomöbie vor bem etappen* 
mäftig Vorfepreitenben mffifepen fiänberraub erforbert, einen pdperen Sertp 
beanfpruepen tann, barüber naepgnbeitten pat eg bem moüomitifepen 
©amppletiften offenbar an geit gefeplt. 

* 

* * 

©ie foeften erfepienene Special*£arte ber eutopäif^en©ürfei 
von g. $anbt!e*), ©taftftab 1:600000, ift mopl von aßert bigper er* 
fepienetten harten ber europäifepen ©ürtei bte griftte unb voftftänbigfü. 
Sie berupt auf einem eingepenben Oneffettflubittm, bet bem ale gm 
gängliepen gtinerarffiggen forgfältig benttpt ftnb. ©te Sorgfalt unb 
Eemiftenpaftigfeit beg befemnten Äartogroppen fhtben einen fpteepenben 
©emeig in bem Umftanbe, baft ©anbtle gmei ©lätter — Sofia unb 
KbHanopel — im ©etrain überpaupt niept anggefüprt pat, meil gn* 
Verläfftge ©taterialien über jene Stegionen noep niept vorpanben maren. 
©ie teepnifepe ttugfftprmtg ber ^arte ift vortteffliep. 


*) Slogan, ®. glenuning- 


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Nr. 22. 


Ate 


355 


$f<i« Briefe ttnb Jüttn>ortett. 

Jur fttUrföoflt be* von ^ehrbtUta. 

©eh* geehrter H*** Kebacteur! 

3n Kummer 20 bet „©egenmart" veröffentlichen Sie eine 8 nf<hrip 
beS $errn Klartin ©reif in Klünchen, in melier berfelbe über bie 
Herausgeber beS „Düffelborfer ÄünftieralbumS" ©ephmetbe führt unb 
ihnen öormirft, nid)t nur ein ihnen pgefanbteS ©ebicht „DaS Äinb 
non gehrbeßin" verfchleubert, fonbern auch p /Ausbeutung fremben 
geifitgen ©igenthumS" bie Hanb geboten p haben. 3$ muff eS, unb 
$mar um fo mehr als bie Dinge, ber gegebenen Darpeßung nach, bod) 
äiemlich Vermicfelt liegen, ba$in gefielt fein taffen, ob unb in mit mett 
Herr Klartin ©reif p biefem ©otmurf berechtigt mar, möchte aber hoch 
bie Vermnthung au&fprechen, ba| fleh ber klüger auf bie erfte Hälfte 
feiner Staffage: „Verfchleuberung fremben ©igenthumS" befchränft hüben 
mürbe, menn ihm befannt gemefen märe, baff bie Sage bom „Äinbe bon 
gthrbeflin" in norbbeutfehen, namentlich märfifd^en Sefebfichem nicht nur 
oft eqählt, fonbern auch, w t>en 60er 3 ah*Wt bereits, bon ©eorge Hefe* 
lief bifhterifdhhehgnbelt ttwsbe&ip, DigS ©ebicht, fehr mahrfcheintich gleich 
bamatS in einer ©eäiner Bettung oerörffettfcli#, e^ku 180§ m einem 
©anbe baterlänbifcher Dichtungen, bie, feiten* beS ©erfaffer*,\ unter bem 
XiteL „S^ifcheu ©itjjtfef w*k ©unb" (*Mta7;©eht’f<he Dmhhanb* 
lung) herausgegeben mürben, unb mie mir gepattet fein mag fytt 511 
bemerfen, nicht nur p bem ©eften wählen, maS ^efefiel gefchrieben hat, 
fonbern überhaupt unter nuferen märfifchen Biebern unb ©allaben einen 
©hrenplap beanfjmicheu bürfen. SluS biefem Häubchen „8mif4en @umpf 
unb ©anb" ifi „Das Hinb bon gehrbeßin" in betriebene anbere ©ücher 
übergegangen, fo beifpielSmeife in ben 1 . ©anb meiner „©Säuberungen 
burd) bie Klar! ©tanbenburg", in benen pdp auch bie Sage fetbft mit* 
getheilt finbet. ©S mar atfo für bie H^ren in Düffelborf feineSmegS 
geboten, Snformation unb Stnregung ans bem Klartin ©reifphen @e* 
bicht p jiehen; ob eS bennoch gesehen, entzieht fleh mahl bem SBiffeit 
beS Ätageführenben eben fo fehr mie meinem eigenen. 

Berlin, 21 . Klai 1877. (Eh* fontane. 

* * * 

©eehrter fytxx ©oltege! 

3n Kr. 20 3h rcr gefönten geitphrift (bom 19. Klai) beröffentlicht 
Herr Klartin ©reif bie ihm coßegialipher ©Seife in einem ©rivat* 
briefe gemachten Ktittheilnngen über bie inneren Ktotibe meines im 
Uebrigen megen anbermeitiger 3nanfpru<bnahwe erfolgten Kftcfttitts bon 
ber Kebaction beS „Deutfche* ffünplet=2llbimf ohuet mein* ©rmäch* 
tignng, ia ohne bie geringfte borherige ©enachridjtigiing, in 
einer gorm, melche auf ben fdjroffpen ©ruch amifdjen mir unb. ber 
Düffelborfer VerlagShanblung phlieffen läfft. 

3ch glaube eS ben geachteten Vertretern ber lepteren, ben Herren 
©reibenbad) unb ©aitmann, fchulbig p fein, hierbnr^ 5 U erfüretiy 
ba 6 bie jeitmeiligen KteiuungSverfchiebenhtiten, melche in tebaefioneßen 
gtagen pripfeen uns obmatteteu* nicht verhinberten, baff fleh mein Küdt* 
tritt in bei freunbfchafttwhfUu Sfteife voßaag, 

DaS ©djidfal beS Keinen im „lHtapter*2llbum" m$t p* Aufnahme 
gelangten ©ebi&tS „DaS ftinb bon gehrbellin" behäubett Herr 
©reif in feinem offenen ©Tiefe, <L d. Ktünchen, ben 9. Klai 1877, mit 
am tragifdhen ©athoS, tnelcheS 51 t ber ©eringfügigieit ber gangen- 
©ae^ in feinem Verhältnis fteht. Vemeift hoch bi« bei Wefer ©eiegen« 
heit bon ihm bemirfte ©nblkation feiner Dichtung in ber ff ©egenmart" 
auf’S ©chlagenbfle, ba| auch er fleh, toie eS ja allgemeine Kegel bei ©in* 
fenbung Reinerer poetifcher Veiträge ift, baS Urmanufcript ober eine 
©opie gurüefbehatten h^tte. 

fBogu ba, barf man biEig fragen, ber ggn&e Bärm um eine gufäl« 
Hg nicht mieber attfeufinbenbe — Kbfchrift? 

flber Herr ©reif hält für baS Obfer eines an feinem ©ebichte 
begangenen ©laggatS unb hut frh auch burch meine ihm in biefer Ve* 
giehuua föou unter bem 8 . KJui auSgefbrochene bringenbe VJamun^; 
nicht baoon abhalten taffen, einen ber angejehenften unb bebeutenbfteu 
Klater DüffelborfS— ber iebern Äunbigen auch ohne Kennung beS KamenS 
erfemtbar ift — öffentlich einer fo niebrigen* Ktonitmlatiou gu berichtigen 1 
©chreibt bodh Herr Klartin ©reif in Kr. 20 ber w ©egenmart M möftli<h: 
„Denn eS ift faum anrunehmen, baff jener Schlachtenmaler, ber 
zugleich Dichter ip, bon anberer ©eite ben Kntrieb unb bie 
©vunbibee git feines berechtigten Schöpfung erhalten als burch 
meine Verfe." 

©ie boreilig unb nichtig biefe Vefchutbigung ift, maS eS überhaupt 
mit bem. nach Herrn ©reif« eigenem ©ingeftftnbnifj bereits burch-oie 
bielgelefenen „^reuffifchen 3 «h»öücher" berbreiteton „»enig belann* 
ten (!) ©agenftoff" auf ft^ h°t, baS erheßt auS bem unten falgenben 
Schreiben beS Herrn S. Vaitmann in Düffelborf, 3«h a ^erS ber feit 
bem 16. December b. 3- unter ber girtna „Vaumann & ©ontp;" bon 
ihm aßein fortgeführten VerlagShanblung beS „Deutfchen ÄÄ»pler«SUbttm^. 
Der betreffenbe ©rief ging tofthrenb einer mehrtägigen aus Stalaff ber 


S &t flf fytSft frang beS bentfeffen goumatiftenlageS iit XBaimar meinerfeitS 
unternommenen Keife hier ein. 

Da Herr ©reif baS KefWtat ber bott mir in feinem eigenen 3n= 
tereffe jur Slufflärung ber Sache eingeleiteten Schritte nicht abgekartet 
hat, fb übergebe auch ich aach borh*et eingeholter auSbrücflicher 
Crmächtigung beS Herrn ©aumann bie mir getoorbene SluSfunft 
hiermit, mie folgt, ber Deffentlichfeit : 

„.Damit ©te in ber Sage ftnb, ihm (Herrn Klartin 

©reif) auf fein „©tagiat" p autmorttny brauche ich 3 hnen mol)( 
nur golgenbeS mitgutheileit. Das ©ebicht K’S*) befinbet ftch 
mitten in einem gröfferen ©anbe, in ben ber ftünffler feine lite« 
rarifchen ©robucte (bon benen er übrigens nur äuftetjt feiten 
etmaS §ur Veröffentlichung, hergab) ftets fofort nach ihrem ©nt* 
flehen ber Keihe na4 eiuptragem pflegte, unb ich h^öe biefeS 
©ebicht biel früher' gefehen, als ich auch nur eine 
Sfhunng hatte, baff ©reif benfelben Stoff behanbett 
nnb 3haen für nufer „ÄünfHersSltbum" eingefanbt 
hatte. DaS ©ebicht heifft „Begenbe" (nach gontaneS „©an* 
berang burch bie Klart") nnb iff mie bie Unterfchrip unb ber 
©laß jeigt,. ben baS Ktanufcript im ©uche einnimmt, 1869 ber« 
pkfffe modk» 3m 3ahre 1873, als K. bon ber Verlagsbuch' 
hanhfunftbat „Deutfche 3agenb" um 3Haflrirung eines ähnlichen 
StoffUI ««gegangen mürbe, nahm er auch feine oben ermähnte 
„Segenbe" mieber bor, jeichnete bajn eine Keine 3ßitfttation unb 
f^iefte beibeS — ©ebicht unb 2Httr — an Herrn Slip honS 
Dürr in Seipftig, kn Verleger ber „Deutfche Sugenb" ein, ber 
7 baSfeibe auch anuahm« 

„SWö Slprü b. 3 mar bie Slufnahme noc^t nicht erfolgt, unb 
als ich bamatS K* um einen ©eitrag für ben 26. ©anb unfreS 
„tünftler-KIbum" eefuchte — momöglich ©tlb nebft Deyt — er* 
bot er fleh, <w bie Kebaction ber „Deutfche 3*tßcnb" um Kütf« 
gäbe feiner Dichtung! p fchreiben, um mir folche für baS SHbunt* 
ju überlaffeiL ©enn nun nachträglich patt* biefeS ©eitragS ein; 
anberer anfgenommett mürbe, fo hatte baS feinen ©runb barin, 
meil ber Drucf bei De^teS nicht länger auf gehalten merbtu 
bnrfte. ©ir einigten uns nun über baS befanute anbere ©Üb 
ohne ©ebicht unb K. h at ff<h megett Kücferhaltung feiner 
„Begenbe" nicht mtHer bemüht — btoftCb* toäfm hr BHp* 
jig, unb bie 3Uupration erfeffien enbHch int^ l. Hafte beS 
9. ©anbeS ber „Deutfche SafiMtb" (October 1876); biefelbe trägt 
auffe* bem Klonogranun beS tünffesi bie 3ah r ^i a ht- bt«<©nt* 
ftehenS (1873); baS ©ebicht K’* iptnkk beigofügt, m*hl aber * 
ein folcheS üon gebor b. ^öppen. ©eabfichtigt Herr ©reif nicht 
bießeicht auch biefen Dieter beS Plagiat« ju befchulbigen? ..." 

34 bitte. Sie, geehrter H^tr ©oßege, biefer meiner ©ntgegnung einen 
©tap in ber nächpen Kummer 3h ter gefchäpten geitfehrift einjuräumen. 

ttlberfelb, 22 . Klai 1877. (Ernp Scherenberg. 

^ * « 

©ehr geehrter Herr! 

Soeben lefe ich in 3hrer „©egemoart" etaen Staffap meinet erftm 
gtennbeS Klartin ©reif, morin unter Stabercm gefagt mitb; baff tdh an 
feinem ©ebicht „DaS t«nb oon gehvbeßin^ gemetnf4afKich mit ihm g efei (t 
hätte. 3m Hmblid anf bie bon Sh*™ rnttgetheilten ©tetPfchen VUrfe, 
benen man Slffes eher als ©lütte pgePehen mirb, fönnte ber SfnSbtncf 
„feilen" felbp bem geneigtepen Befer ein Bügeln entlodfdn. ©eit ber 
öegeiff beS geilenS in ber ßiteratur eingebürgert — unb fchon Hora* 
meiff, maS labor limae ip —, berpeht man barunter ein ©efeitiggn< 
bon Unebenheiten, baS H«fköett einer glntteie Okrffäche* Kmb ging 
mein Sibfehsn bem ©reif f^en ©ebichte gegentter geeabe auf bas < ©tge«* 
theil, inbem ich mit Hülfb beS Dichtet*' bie; mobeme ©fftlfti beS ur* 
fprüttgHdhen ©ntmurfS p berfröbem, feinen - bftsmtn / Don m einon 
boßeren unb herberen überpführen beffiffen mar. 3<h fucffte iir ©reif, 
ber ja einmal föniglich bapeiiph^ Slrtißerieoffixier gemefeu, beu fchlum* 
memben ikieger ju meefen. ©ine bolttthimH4 ioftatifchb HaUung r mie 
etma.im „^rins ©itgen", faßte im $n&bmt<£ unb VerSgang, menigpenS 
angeftrebt metben. geilen tann man baS alfo nicht mohl nennen, ©h^ 
hätte Klartin ©reif tagen flauere, baff ich bai glatte Hold feittc« ©e* 
bichtS mit ber Kafpel übergangen habe. 

©ntfchulbigen Sie, baff ich mi^ inrkleinen mehre, Ä«S aber miß 
ein bfoffer poetifcher H^föaatbeiter Stabe«** tlpn, gmual ein HüIfS= 
arbeitet, ber p<h nie aus eigenem Statriefe; fonbern floM nur gerufen 
in bie ©erfe unb Keime feiner greunbe mengt? 

©mpfangen Sie fchliefflith bie ftennblithpen ©tüffe oon 3h rcm 

ggn§ ergebenen* 

©ien, 26. Klai 1877: Äibroig Speibel. 

*) 3ch halte mich nicht füt autoriptt, ben ber Kebaction ber ,,©e* 
gemratt" mitgethtiiten> üt ber bilhemge» DiScuffion aber nicht genann* 
ten Kamen beS ftüttplerS hi cr S u veröffentlichen. ©. ©. 


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350 


9tt CtgtnttitrL 


Nr. 22. 





Qn ben früher annon= 
cirten beiben (Statuen 

£»n(t 

unb 

jJSifTcnWiafl 

ift nun and) nlä britte ber 

/sauber 

ebenfalls üon 

A. Tondeur 

erfdjtenen; vorläufig nur 
in ber flcincn GJröjje 
46 ctm. tjod) a 18 JC 
üon ©Ifenbeiitmajfe mtb 
a 12 JC üon Otnpä. 

Au8fü(jrltdjc greift* 
berjcidjniffe mit Abbil* 
bungen gratis, 

(öebr. JUdjeli, 

gäcrfiit, 

Unter ben üinben 12. 


^Ubacfot r$ße(Teaeftt<$. 

Dietöebaction einer befte^enoen ooer p grün 
benben freifinniasrei^treuen ßeitung mit belle 
triftigem Srftiilfeton ober ©eiblatt wünfdjt ein 
auf politijdjem unb literarifdjent (Gebiete gut be- 
»anberter ©djrijtftcller gefegten Alters unb (£l)a= 
ralterS je eljer je lieber p übernehmen. Anträge 
»erben mit ber ^tuffd^rift: „ÜtebacteurSfteHe; pr. 
Abr. ber Deutfdjen ©oll&budjbanblung in Seipjig 
(Ouerftr. 16)" burtfr bie ©oft erbeten. _ 

Soeben wurde ausgegeben und steht auf 
Verlangen gratis und franco zu Diensten: 

Lager-Catalog 

XLIX. 

Französische Sprache und Literatur. 

(Litt^rature fran^aise ancienne et moderne.) 
1223 Nummern. 

Erankfurt a. M., Mai 1877. 

Joseph Baer & Co 


(Sin j. Autor münfdjt (Sorrei'ponbeuaen über 
Hamburg für geitiHetonS gro&er ©lättcr p 
liefe rn. Off, sub 31. R eif, poftlagernb Hamburg. 

Sur Ausfüllung freier 3^t fud)t ber Äebac- 
tcur einer fjiej. geitung ©efdjäftigung belletrift. 
Art, DranSlationen aus b. graitj., ©ornafyme v. 
iHeüifionen ic. ®efl. Angaben sub F. C. 205. an 
Aubolf ÜJloffc, ©crlin >V. Sricbridjjlr. 00. erbet, 
yyyyyyyyw u hadyyyy^aadyyyyyh 


* ©erlag non äöilbclm §cr# in ©crlin * 

(©effer’fdje ©u^tyblng., 10. 9Jtarienftra&e). 

Shijjcnbudj 

Sieber unb Silber 

üon 

"^auf <&«?»? fe. 

8. elcg. geh- 17 ©og. 5 JC\ eleg. geb. 6 JC 
Die größte £icbc itnb ©eiuunbcrung wirb 
biefett neuen ®ebid)ten $epje’3 oon allen 
Seiten entgegengebradjt. 

N^ ¥W ¥W¥VyW¥W¥V¥¥¥W W 


Delius’ 

SHAKSPERE 

IV. (Stereotyp-) Auflage 

2 starke Bände, brochirt: 16 JC In 2 fei¬ 
nen Halbfranzbänden: 21 JC 

Jedes einzelne Stuck: 80 Pf. 

[Letztere werden, soweit der Vorrath 
reicht, in früheren Auflagen geliefert.] 
Yerlag von B. L. Friderichs 
in Elberfeld. 


BAD HOMBUR& 

1 , Stande von Frankfurt am Main. 

Homburg’» II eil quellet sind von durchgreifender Wirkung bei allen Krankheiten, 
welche durch die .gestörten Functionen des Magens und Unterleibs erzeugt werden, auch 
bei chronischen Leiden der Drüsen des Unterleibs, namentlich der Leber und Milz, bei 
der Gelbsucht, Gicht u. s. w. 

Die Reinheit der frischen Berglnft empfiehlt Homburg zu stärkendem Aufent¬ 
halt für Nervenleidende. 

Mineralbäder, Sool- und Kiefernadelbäder. Molkenkur. 

Das Orchester spielt täglich 3 Mal; ausserdem Militair-Concerte im Kurgarten, Extra- 
Concerte bedeutender Künstler, Theater, Bälle, Bdnnions, Kinder- und Waldfeste, 
Feuerwerke, Illuminationen in steter Abwechselung. 

Im Kurhanse elegante Conrersations- und Tanzsäle, Lesezimmer, Cafö mit Billards» 
Der bisherige Restaurant Chevet unter der früheren Leitung. 

Unmittelbar am Kurhause reizende Anlagen und Park mit Orangerie und Palmenhans, 
schattige Promenaden, Wald- und Gehirgspartieen. 


Im Verlage von Carl Flemming in Glogau ist erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 

Specialkarte der Europäischen Türkei 

von 

F. HANDTKE, 

Dirigent der Königl. Redaction der Reymann’schen Karte. 

Maassetab 1 : 600000 . 

Preis 20 JL Einzelne Blätter werden abgegeben und kostet das Blatt 1 JL 
Diese nach den neuesten und besten vorhandenen Materialien gearbeitete Karte ist die speciellste der Türkei, welche existirt, 
daher znr Orientirung und zum Nachsehen auf dem Kriegsschauplätze fast unentbehrlich. Die Blätter 9, 10, 13 und 14 sind in den letzten 
Monaten nach dem neuesten russischen und österreichischen Material vollständig umgearbeitet worden. 

Das Berliner Militär-Wochenblatt 1876, Nr. 65, Sonnabend | 
den 8. Juli, empfiehlt die Karte mit folgenden Worten: 


„Diese Karte ist nach den neuesten und besten vorhandenen Ma¬ 
terialien bearbeitet und ist dieselbe die speziellste Karte der Türkei, 
welche existirt 4 * — diese Bemerkung der Verlagshandlung auf dem 
Umschläge ist vollkommen zutreffend. Handtke’s bewährte Dar- 
stellnngsweise kommt auch in dieser Karte wieder zu voller Geltung, 
und namentlich erscheint der Takt erfreulich, mit welchem er sich 
dem Unbekannten gegenüber beschränkt. Die terra incognita mit 


Phantasiegebilden auszufullen, ist so wohlfeil* uns ist es lieber, dass 
Handtke zwei Blätter: Sofia und Adrianopel, fast ganz ohne Berg- 
zeiehnung giebt, weil eine solche gar zu fragwürdig ausgefallen wäre. 
Sobald der österreichische Generalstab, welcher das vorzüglichste 
Material über die Balkanländer besitzt, mit seinen Veröffentlichungen 
vorgegangen sein wird, will ihm die Handtke 1 sehe Karte folgen; 
bis dahin aber dürfte sie thatsächlich das reichhaltigste und beste 
Material über die Türkei darbieten und angesichts der gegenwärtigen 
Verwickelungen im Osten sehr zu empfehlen sein. 


_Die in der vorstehenden Recension als unvollendet erwähnten Blätter Sofia und Adrianopel sind inzwischen nach dem 

neuesten und zuverlässigsten Material neu bearbeitet und gestochen worden. Für den jetzigen Krieg sind die Blätter 5, 9, 10, 13 und 14 
unentbehrlich. - 


Von JF. Handtke. 


Generalkarte der Europäischen Türkei mil ^- lpl, -"- <1 "- 

Maassstab 1:1,580,000. Grösstes Landkartenformat. Preis 1 JL 

Karte des schwarzen Meeres 


mit Specialplänen. Entworfen und gezeichnet 
von JF« Handtke • Grösstes Landkarten- 

format. Preis 1 JL 20 A.. 

£9"» Diese Karte enthält die hei einem Kriege in Betracht kommenden Landestheile der Türkei und Russlands in Europa 
und Asien, und bietet einen vortrefflichen Gesammt-Ueberblick zur Verfolgung der Kriegsereignisse zu Lande und zu Wasser 
in der Europäischen und Asiatischen Türkei. Beigefügt sind noch Specialpläne vom Bosporus, der Strasse der Dardanellen, 
von Sehumla, Varna, Silistria, Bustschnk und Küstendsche. 

Karte vom Kaukasus nebst Theilen der Asiatischen Türkei. 

(Kriegsschauplatz in Asien.) Entworfen und gezeichnet von JF. Handtke. Preis 1 JL 

$itrja eine 8tU«ge ln Ser 8erlagli«4ba«ftlaag Seit. Aräner in Stuttgart. 


fkNctte«, Mflrft* 8.W., 2tnben1tta&e HO. 


flto hie ttebaction heranttoortlidj: fleerg Stufte in 9 crR«. 
Druä hon #. feulmer in jetftitg. 


fsretttt#*, Mertt« N.W., gouifettfrafte ». 


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X 23 


SSertiu, beit 9 . $ititi 1877 . 


XI Band. 



0cncmunrt. 


Sößodjenfdjrift für 


|dti Smiltik ttfgriil tiu ginun. 

m basieren bicrdj alle ttucbbanblungen unb ^oßanftalten. 


Literatur, 


Herausgeber: Wau t 


Verleger: üfifg ©ttlfe in ©erlin. 



dffentlicHeö ßeben. 




Jinis ft» fsutrUl 4 |«rk 50 |f. 

3 n|erate jebet ®tt pro Sgefpattene $etitsei(e 40 $f. 


3>a3 tfriegSbölferretät tm rufftföstürlifdjen Kriege, ©on ©Iuntfdjli. — SfiÄtigungäredjt ber ßefjrer. ©on (£arl ©djitla. — 
fl'ttßrtff* 8^*™*** ftnnjl: Olpmpiabcn. ©on Hermann Sinag. — ©tjalefoeare* „aWacbetlj" bei ©. ©. ®ert)inu3 nnb fjr. Sfreiffig. 

® on Ulbert ©eigert. — ©Ijonetijdje ©djtüärmer. ©on ilug. ©rabow. — S)er ©alon Don 1877. ©on Nemo. — Wotuen. —- 
Snferate. ' 




9os ÄriegBuölkerrt^t in brn rufftfdj-türhi^en Kriege. 

DaS moberne ÄriegStoölterrecht toirb in bem rufftfch : tür= 
tifchen Kriege einer garten ©robe auSgefefct DaSfelbe ift eine 
©rningenfehaft ber europäifch=ameritanifchen Sulturuöller. Die 
roohlgeorbnete unb auf bas ßwedgemäfje forgfältig achtenbe 
DiSaptin in ihren Armeen, bie ©erufsbübung ber Dfftgiere, 
toeld^e bie militärifche Stotljwenbigteit mit ben Änforberungen 
beSgefitteten ÄebenS gu »erbtnben leljtt, bie gortfdjritte ber 
SiiMI&iim ühahw pt , bie attgemeiner geworbene Äaerfeunung 
natürlicher SDienfcbcnrec^te, bie fdjärfere Unterfdjeibung beS 
öffentlichen unb beS ©rtoatredjts, bie Arbeiten ber Sted)t8= 
gelehrten ber »erfdjiebenen ctoitifirten Stationen, aße biefe SJto* 
mente hoben gufammengewirft, um ein humaneres StriegS* 
»ölterredjt beS neungehnten Sahrhunberts Ijergufteßen. 

Äber fogar in ben Kriegen ber wefteuropäifchen (Eultur= 
ftaaten toirb e8 oft fdjwer, Die ©orfchriften beS im ©rincip 
anerlannten StechtS jebergeit gur Geltung gu bringen. Sticht 
immer achtet ber erregte ©olbat auf bie ibeaten ©fronten, 
welche ihm jebe unnötige Gewalttljat, jebe unnüfce ßerftörung 
unterfagen, welche ihn an bie Ächtung ber ©erfonen unb beS 
©igenthums auch i® SeinbeSlanbe ermahnen. Die gekannte 
©orge um feine ©icher!)^, bie tägliche Gefahr, bie feinem 
eignen Äeben broht, bie Hife e beS ÄampfeS, bie Krmübung 
»on ben ©trapagen, ber ßorn gegen bie fjeinbe, bie Suft fic§ 
gu rächen für erlittene ober gefürchtete Unbiß, Hunger unb 
Dürft tonnen fogar einen menfdjenfreunblichen unb gut gebil* 
beten Ärieger gu einjelnen ÄuSfchreitangen reigen unb »erleiten, 
bie er hinterbrein felber »erurtheilt. Äuclj ber ftrengfte H eet; 
führet mug manche Ungebühr übetfehen unb für entfdjulbigt 
halten. 

3n bem ©üboften (Europas ftofjen nun aber grofje Är= 
meen feinblich gufammen, bie gunt D|eil noch wenig cioitifirte 
unb fogar halbwiibe ©eftanbtheile mit fi<h in ben Äampf gieljen. 
Die muitärtfehe DiSciplin »ermag noch nicht ben gangen Heeres= 
törper orbnenb unb gäljmenb gu burchbringen. ©arbarifdhe 
Gewohnheiten brechen gelegentlich ungeftüm I 08 . Stationale 
unb religiöfe fieibenfdjaften entflammen unb unterhalten, inbem 
fte fich mit einanber »erbünben, ben alten H a B ber beiben 
©filier. Die Staffen, bie fid) als bie (Erben unb (Erneueret 
beS griechifch 5 römif^en Äaifetrei^S unb bie ©etenner unb 
©chirmer ber griechifch - chriftli^en Äirdbe fühlen, hoffen bie 
2ürten als ein wilbeS, afiatifcheS ©robereroolt, welkes bie 
gTiedjifche ©ultur »erwüftet nnb bie Gljtiften gefnechtet höbe. 


S)ie Stürfen hinwieber hoffen bie Stuffen als bie Srbfeinbe 
ihrer Herrfchaft unb bie Gerächter ihres ©ropheten. 3n beiben 
©filtern ift baS Gefühl erwacht, baff ber Stampf »ießeicht butd) 
»orübergehenbe SBaffenftißftänbe unb griebenSfchlüffe untere 
brochen, aber taum anberS fdjliefjlich beenbigt werbe, als burch 
ben Untergang aßer Xürfenherrfchaft in (Europa. 

3u biefen aßgemeinen ©ebrohungen beS ©ölferrechts 
tommen noÄ befonbere nationale @igenfd)aften ber beiben 
Gegner in ©etradht. S)er gutgeorbnete Äufmarfch ber rufft= 
fdhen Ärmee unb bie Holtung ber Gruppen in {Rumänien legen 
ein günftigeS ßeugnip ab für bie wohtüberbachten ©orberei= 
taugen unb bie energifche Heeresleitung unb für bie fefte ®is= 
ciplin in ber ruffifchen Ärmee. ®er flaoifche unb inSbefonberc 
ber ruffifdje Stationalcharalter ift als gutmüthig unb eher weich 
als hört unb graufam befannt. 3n beiben ©ejieljungen barf 
man baher troh jenes H°ffeS hoffen, ba| eS ben Führern ge= 
lingen werbe, bie ©eaa)tung beS ÄriegSoölterrechtS »on ben 
Gruppen mit Srfolg ju »erlangen. Slber auf ber anberen ©eite 
ift ein anberer ©haratterjug ber @la»en fehr bebeuftich, beit 
(Einige als focialiftifche unb communiftifche SCugenb preifen, bic 
SSefteuropäer meiftenS als eine bebtol)liche SRigachtung fremben 
(Eigentums tabeln. Äuch unter ben ©uffen bienen einzelne 
©tärame »on fehr geringer ßultur, benen man nur eine ungc= 
nügenbe Äenntnig unferer cioilifirten {RedhtSbegriffe unb taum 
einige Ächtung »or ben unoerftänblidhen ©echtSgeboten ju= 
fchreiben tann. 

SBeit fdjlimmer fteht eS auf ber türtifchen ©eite. S)a 
finb bie holbwilben unb barbarifchen ©tämme ohne europäifchc 
(Sultur »iel jahlrei^er »ertreten, bie 2>iSctptin in ber Ärmec 
loderer unb unficherer, unb bie friegerifchen Srabitionen unb 
©itten graufamer unb Wilber. ©Senn fchon bie Sioilifation 
ber ©uffen noch nicht bie H ö h e ber germanifdhen unb roma= 
nifdhen Stationen in SBefteuropa erreicht ^at, fo fteht bie tiir= 
tifche Kultur hoch wieber bebeutenb niebriger als bie ruffifche. 
SRfigen immerhin bie Gürten ben »on ihnen beherrfdjten ©filtere 
f(haften ein geWiffeS SJtag »on autonomif^er Freiheit »erftattet 
haben, fo ift hoch auch »ich* ä» leugnen unb haben bie but= 
garifchen Gräuel jum Kntfe^en KuropaS eS neuerbingS bc= 
Wiefen, ba| bie Xttrten, wenn fie 'ihre Herrfchaft bebroljt feljeii, 
»or ber witbeften Graufamteit nicht gurüdfehreefen. Der gegen¬ 
wärtige Itrieg bebroht aber bie Dürfenherrfthaft in aßen Donau= 
länbern. Da ttberbem bie groge SRehrheit ber ©eofilterung 
chriftlich unb flaoifch ift, unb ein natürliches 3ntereffe hat, bou 
ber Dürtenherrfchoft erlöft gu werben, fo hoben bie Dürfen in 
ber Dfiat ftarfe Grünbe, ihren Untettljanen gu mißtrauen unb 
überall ©errat!) gu fürsten. Gerabe biefe ^furcht aber reigt 


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858 


9ic ©egenmart. 


Nr. 23. 


ben, bet einftweiten nodj bie äEBaffen in bet ^»anb feat unb für bie geuerwaffen, atS SBurfgefcfeoffe» ©ranaten, gtintenfugetn, 

bie äRacfet befifet, gegen bie ju »nützen, wetefee feine $errfcfeaft fiünber, Patronen unb Satronenfeütfen, Sutoer, Satpeter, 

untergraben unb gefäfetben. ©cfewefet; bie Stoffe uub Sorrätfee, bie jum Strengen bienen, 

Sei biefer Sachlage ntüffeu wir. auf manche bösartige Sp ttrie Seinen, DorpeboS, Dfenamit, fßuromtin unb anbete ent= 

ceffe gefaxt fein. Aßmäfeticfe wirb eS auefe benen, wetefee baS jünbliefee Stoffe: ba8 SRateriat für bie Strtitterie, ©enie unb 

SBerf bet Srüffeter Sonferenj oon 1874 mit SRifetrauen be= Drain, wie Safetten, fßuloerwagen unb Eßutoerfiften, gelb= 

trautet feaben, flat, bafj bie Set jögermtg bet enbtiefeen Sanction fdjmieben, Sdfeenfeinriefetungen für baS $eer, Srüdfenfäfene u. f. f.; 

bes $rieg§oötferreefetS ein großer gefeter war unb ben oom bie AuSrüftungS; unb SefteibungSgegenftänbe für bie Armee, 

Shieg betroffenen Sänbern unb Seoölferungen jum Staben als Eßatrontafcfeen, Srobfäde, Äüraffe, Uniformftüefe, Sette u. f. f. 

gereift SS ift jefet fcfewer, baS Serfüumte nacfejuboten. Setbft unb überhaupt alte ©egenftänbe, wetefee für bie Gruppen 

bie Sngtänber, bte feauptfäcfetiefe bie Uebereinfunft aßet euro= ju Sanb ober jut See beftimmt finb." 

päifdfeen Staaten gefeinbert feaben, ntüffen jefet wünfcfeen, bafj „SEBerben fotcfee ©egenftünbe au Sorb oon neutralen unb 

bie feumanen ©runbfäfee ber Srüffeter Srttärung jum Soßjuge nacfe einem feinbtiefeen fiafen beftimmten Sefeiffen gefunben, fo 

fommen. 2Rit ben Sertretern ber Stoffen ftimmten in Srüffet tonnen biefetben weggenommen unb confiScirt werben, mit Sor= 

bie Sertreter ber Dütfei überein. Die Srttärung beS Ärieg8= befeatt berjenigen Quantität, wetdfee für baS Sefeiff fetber er* 

oötterredfets würbe ebenfo wie oon ben Stoffen StaatSratfe forbertiefe ift, auf bem fte gefunben werben." 

Somini, ©enerat 2eer, ^ßrofeffor 2RartenS, fo ton ben Dürfen VII. „Der ÄriegScontrebanbe gteiefe eradfetet werben fol= 

Sbfeem Safefeafe unb Saratfeeoborfe Sffenbi unter jeiefenet. Ss genbe Stete, bie ben neutraten Sefeiffen unterfagt finb: ber 

ftanb bamats niefets im SEBege, was bie beiben feeute im Ärieg Transport feinbtiefeer Druppen, ber Iransport feinbtiefeer De= 

befinbtiefeen SRäcfete feinberte, auefe atS Staaten biefetbe Sr= pejefeen unb Sorrefponbenjen, bie Lieferung oon föriegSfcfeiffen 

ttärung ju unterfefereiben. SEBäre baS gefefeefeen, fo Wären freitidj an ben geinb." 

nidfet alte ©efaferen ton ERedfetSoertefeungen befeitigt, aber es „EReutrale Sefeiffe, wettfee mit berartiger Sontrebanbe er= 

wäre boefe eine wertfeootte ©arantie oorfeanben für bie griffen werben, tönnen nadfe Umftänben in Sefefelag genommen 

Seacfetung beS ÄriegSoötferrecfetS, eine ©arantie, wetdfee bie unb fogar confiScirt werben." 

Sewofener ber Donautänber unb wetefee bie cioitifirte SEBett (Ss oerbient Seacfetung, baff biefe Seftimmungen über 

fcfementidfe oermiffen. bie Sontrebanbe für ben neutraten Raubet günftiger gefaxt 

ERufjtanb feat juerft einen Stferitt getfean, um baS $riegS= finb, atS ber engtiftfee ÄriegSgebraudfe unb bie engtifefee Dfeeorie 

oötferrecfet oorerft in gorm eines §eerbefefets ber ruffifdfeen es oerftattet. $war finb auefe feiet in ben weiten Satf, ber 

Armee befannt ju matfeen unb biefe jnr Seacfetung berfelben alte für bie Druppen beftimmten ©egenftänbe aufnimmt, fefer 

ju oerpftiefeten. Die taifertidfee Serorbnung ift oom 14. (26.) oiete jweifelfeafte Strtitet unterjubringen, aber bie torfeergefeenbe 

9)tai batirt unb entfeätt fotgenbe jwötf bea<fetenSWertfee Slrtifet: Stufjäfetung oon tauter ©egenftänben, bie offenbar, wenn audfe 

I. ®en Untertbanen ber Pforte, wetdfee in bem ruffiftfeen nitfet immer unmittetbar botfe iferer Statur unb Seftimmung 

Sieitfee wofenen, wiro bie gortbauer ifereS SBofenfifeeS unb bie nad) fofort für bie ÄriegSfüferung oerwenbet werben, gibt boefe 

ungeftörte StuSübung ifereS friebtitfeen SerufeS unter bem in beftferänfenbem Sinne bie Stiftung näfeer an, wie ber aQ= 

Stfeufee ber ruffiftfeen ©efefee juaefagt gemeine Stfelufefafe auSjutegen fei Stau muff audfe jugeben, 

II. S)en türtifdfeen ^anbetsffeiffen, wettfee jur bet baff eine oouftänbtge Stufjäfetung alter wefentttefeen, ber ÄriegS= 

itriegSerftärung fidfe in ruffiftfeen §äfen ober Sfeeben befanben, füferung bienenben Sadfeen fefeon beSfeatb niefet mögtife ift, weit 

wirb geftattet, innerfeatb ber für ifere Sefratfetung erforbertitfeen bie neuen ©rfinbungen immer wieber neue ÄriegSmittet ftfeaffen. 

ßeit, Sffiaaren aufjunefemen unb bie ruffiftfeen ©ewäffer unge= ®ie Äofeten finb nitfet ertnäfent, obwofet fte fogar naefe ber 

ftört ju oertaffen, mit bem Sorbefeatt, bafe fie feine ÄrtegS= SJieinung ber engtifdfeen Äronjnriften auSnafemSweife bann als 

contrebanbe an Sorb feaben. Sontrebanbe ju befeanbetn finb, wenn es offenbar ift, baff bie 

III. $>ie Untertfeanen ber neutraten Staaten fönnen ifere fiofetentieferung für bie Operationen ber feinbtiefeen Kriegsmarine 

^anbetsbejiefeungen ju ruffiftfeen §äfen unb Stäbten ofene beftimmt ift. Sbenfo würben oermutfetidfe autfe bie ruffiftfeen 

.fpetnmnifj fortfefeen, finb aber oerpftifetet, bie ©efefee beS Steidfes ^ßrifengeriefete bie fjrage entfefeeiben. Äber es oerbient Slnet= 

uiib bie ©runbfäfee beS SötferredfetS ju beaefeten. fennung, bafj entfprecfeenb bem feeutigen Stanbe ber SEBiffen= 

IV. 2)ie mititärifdfeen Autoritäten finb gefeatten, attenotfe* fdfeaft (ogt. Gesener, „Le Droit des Neutres“ S. 161) bie 

wenbigen ÜRaferegetn ju ergreifen, um bie recfetmäfjiae §anbets= neutraten Stfeiffe, fetbft wenn fie Sontrebanbe ffiferen, in ber 

freifeeit ber fReutraten ju fcfeüfeen, fo weit biefetbe mit ben Sieget nidfet confiScirt werben bürfen. S)ie SonfiScation autfe 

Sebingungen ber ÄriegSoperationen oerträgtitfe ift. ber Stfeiffe ift nitfet in Art. VI, fonbern nur in ben gälten 

V. ©entäfj ber fßarifer Srttärung oom 4. (16.) Aprit beS Art. VII „unter Umftänben" geftattet, b. fe. unter befon- 

1856 ift bie Äaperei unterfagt unb bürfen feine Äaperbriefe berä fefeweren Umftänben, wetefee eine Serfcfeutbung beS neutraten 
auSgeftettt werben. StfeifferS etweifen.) 

Sbenfo finb in Uebereinftimmung mit biefer Srttärung VIII. SEBäferenb ber mititärifdfeen Operationen an ber $>onau 

fotgenbe Sorfcferiften bejügtitfe bes neutraten IpanbetSoerfeferS unb ben lonauufern ift ber DberbefefetSfeaber ber actioen 
ju beaefeten: ruffiffeen Armee angeWiefen, alte in feiner SRacfet liegenden 

1. Die neutrate gtagge bedft bie feinbtidfee SEßaare mit äRittel anjutoenben, um bie Scfeifffafert unb ben ertaubten 

AuSnafeme ber ftriegScontrebanbe. Raubet ber fReutraten bafetbft mögtidfeft frei ju taffen unb 

2. Die neutrate Aßaare, ausgenommen bie $rieg3contre= biefetben nur fotefeen jeittifeen Sefcferänfungeu ju unterwerfen, 

banbe, ift auefe auf bem Stfeiffe mit feinbtiefeer gtagge gefiefeert. wetefee burdfe bie notfetoenbigen gorberungen ber ÄriegSffiferung 

3. Damit bie Stofabe oetbinblicfe fei, mu| fie effectio fein, geboten finb; biefe Sefcferänfungeu foßen fobatb als es mögtkfe 

b. fe. burefe eine auSreicfeenbe SRacfet fo gefeanbfeabt werben, ba| Wirb, wieber aufgefeoben werben. 

ber Serfefer mit ber feinbtiefeen Säfte wirftiefe oerfeinbert wirb. IX. Die mititärifdfee Autorität Wirb unter Anberm iferen 

„Diefe Seftimmungen ber Sßarifcr Srttärung finb aßen befonberen Sdfeufe ben Sinricfetungen, Arbeiten unb bem $n= 

Stäcfeten gegenüber ju beaefeten, ofene bie Sereinigten Staaten fonat ber europäifefeen Donaucommiffton gewäferen, wetefee 

oon ERorbamerifa unb ofene Spanien ausjunefemen, wetdfee burdfe eine neutrate biefer Sommiffion juftänbige gtagge ge= 

bisfeer biefer Srttärung nidfet beigetreten finb." beeft finb. 

VI. AtS ÄriegScontrebanbe finb fotgenbe ©egenftänbe ju X. 3n Uebereinftimmung mit ber ©enfer Sonoentton 

betradfeten: oom 10. (22.) Auguft 1864 bejfigtidfe ber franfen ober oer= 

„Die getragenen SEBaffen unb bie SBaffen ber Artißerie wunbeten SRititärperfonen finb bie Sommanbanten ber frieg* 

fowofet in Sereitfdfeaft atS in Dfeeite jertegt, bie Äriegsoorrätfee füferenben Armeen oerpfti^tet, bie Sorfcferiften biefer Son= 


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Nr. 23. 


Ite ©egenmart. 


859 


oention p beamten, welcße bie UnOerleßlidbteit bei ©pitäter, 
bet Ärantenwagen unb beS ärjtlidjen BerfonatS bet geinbe 
garantiren, unter Borbeßalt, baß biefetben oon bem geinbe 
ebenfo beamtet werben. 

„Bacßbem bie türlifcße Begienutg mit oorßeriger $u= 
ftimmung ton Bußlanb, anftatt beS ©enfet ÄennjeicßenS, beS 
rotten ftreujeS, fflt ißre ©pitäler unb ßranlenwagen ein 
befonbereS 3eicßen gemäßlt hat, fo werben bie ©omman* 
bunten bet Iriegfüßrenben Armeen äße erforberlicßen SBaß* 
regeln ergreifen, um ben Anftalten unb Sßerfonen, welche unter 
ben ©cßttß biefeS ßeicßenS geftettt finb, bie Unoerleßticßleit 
nach ben Beftimmungen ber (genfer ©onoention ppgefteßen, 
wenn biefe Borfdßriften auch non ©eite ber ottomanifdßen 
Autoritäten beamtet werben." 

(2)urdj biefe Beftimmung ift eine ©cßwierigleit glüctlicß 
umgangen, welche ber ©urcßfüßrung ber Genfer ©onoention 
entgegenftanb. 3n ©enf war baS rotße Äteuj im weiten 
gelbe als neutrales geicßen gewählt worben mit Büclficßt 
auf bie neutrale ©cßroeijerfaßne mit bem weiten Äreuj im 
rotten gelbe. 2)a oorerft nur cßriftlicße ©taaten bie ßon= 
nention annaßmen, fo lonnte bie gorm beS ÄreujeS Biemanbem 
anftößig erfdbeinen unb festen öberbem geeignet, auch an bie 
chriftlicßen Gebote ber Sorge für bie Seibenben uttb ber 
geinbeSliebe p erinnern. ®aß bagegen in ber dürfet biefeS 
$eicßen bei ben mußamebanifdhen Gruppen, pmal in einem 
fogenannten heiligen Kriege pnfeßen gstam unb ©hriftentßum, 
nic^t ebenfo paffenb unb beliebt fei, begreifen wir. SBit Beißt 
bat bie tuffifebe Regierung in ber ©infießt, baß baS ßeidßen 
nur ben ßweef habe, bie oerwunbeten unb tränten Ärieger p 
f«hüben, nicht aber einen ©egenfaß beS ©laubenS unb ber 
Religion bebeute, auch bie oon ben Gürten gewünfdbte Ber* 
änberung pgeftanben. gut Beachtung aber beS rothen ÄreujeS 
in ben ruffifeßen ©pitälem unb Ärantenwagen bleibt bie Jürfei 
burch ihr« Annahme ber ©enfer ©onoention oerpflichtet.) 

XL ©emäß ber ©rtlärung »on ©t. SßetetSburg oom 
29. Booentber (11. ®ecember) 1868 foß bie Änwenbung oon 
©prengtugeln unter 400 ©ranun ©ewicht oerboten fein. 

XII. ©nbtich wirb bie mititärifche Autorität, um bie 
Uebel beS firiegeS p ermäßigen unb bie gorberungen beS 
ÄriegeS mit benen ber 3Jtenfdilicß{tit möglichft ju oerföhnen, 
unter Borbehalt ber ©egenfeitigleit fich in ihren Jpanblungen 
nach ten» ©eifte ber Brincipien richten, welche auf ber Brüffeler 
©onferenj oon 1874 anSgefprochen worben finb — foweit bie* 
eiben auf bie Üürtei anwenbbar finb unb fuß mit bem be= 
onberen ßtoeef beS gegenwärtigen Krieges oereinigen laffen. — 

®ie auSbrüdlicße Berwetfung auf bie Brüffeler @r= 
ttärung ift oon hoßem SBerthe, wenngleich fie burch ben 
Borbehalt am ©cßluß einigermaßen abgefdhwäiht Wirb, ©ine 
ooUe Änwenbung ber Brüffeler ©rtlärung insbefonbere auch 
mit Bücfficßt auf baS occupirte geinbeSlanb ift in ber ®ßat nicht 
möglich- ®aS Brüffeler ©tatut oerpflichtet bie Armee, welche eine 
feinbliche $rooin$ befeßt, auch befteßenben ©inrießtungen unb 
bie hergebrachte BedjfSorbnung möglichft p achten unb p frühen. 
®abei wirb natürlich eine BedjtSorbnung oorauSgefeßt, wie 
fte unter ben cioilifirten europätfeßen Böllern fich ßnbet. 2Bo 
aber, wie in Bulgarien, eine folcße BecßtSorbnung nicht ejeiftirt 
unb es barauf anfommt, ber bisher wißtürlicß beßerrfdßten unb 
unterbrüeften Beoölterung beffere ©inrichtungen p oerfeßaffen, 
ba muß naturgemäß oon bem Occupanten tiefer eingegriffen 
unb eine neue, wenn auch nttc prooiforifdhe Berwattung ge* 
feßaffen werben. SBenn ber Borbehalt am ©ißluß nur biefe 
ober eine analoge Bebeutung hat, fo ift bagegen nichts einp* 
wenben. Außerbem gibt es noch eine große Anpßl ßö<ßft 
wichtiger BedjtSprincipien bet Brüffeler ©rftärung, bie auch 
in ber Xürlei ooße ©eltung unb Beachtung finoen können 
unb foßen. 

®a8 Snftitut für Böllerrecht (bie intematioale Ala* 
bemie oon ©ent) hat fich iw Angeficßt beS gegenwärtigen 
ÄriegeS oeranlaßt gefehen, auf bie ßauptfäcßlichften Beftim* 
mungen ber Brüffeler ©rftärung ßinpweifen unb p bereit 


Beachtung p mahnen. ®ie laiferliche 3nftruction an. bie 
ruffifchen Armeen ift bem SBunfche beS SnftitutS, beoor ber* 
felbe veröffentlicht war, poorgelommen. Aber auch i e fct wirb 
es nüfclich fein, aus bem SRanifefte beS 3nftitutS bie gebrängte 
©rinnerung an bie hauptfädjlichen ©runbfäße aufpnehmen. 

®ie Brüffeler ©rllärung befräftigt fotgenbe gegenwärtig 
unbeftreitbare BechtSOorfTriften: 

a. ®ie frieblidhen Bewohner eines oom geinbe befehlen 
SanbeS foßen fo weit als möglich, b. h- fo weit bie ©ic|erheit 
ber befeßenben Armee unb bie militärische Bothwenbigleit eS 
geftatten, in ihrem Bermögen, ihren Suftitutionen, ihren Bechten 
unb greiheiten geachtet imb gefchüßt werben. 

b. ®ie ©hre unb bie Bechte ber gamilie, baS ßeben 
unb baS ©igenthum ber 3nbioibuen, wie ihre religiöfen lieber* 
jeugungen unb bie Ausübung ihres ©otteSbienfteS foßen ge* 
achtet werben. 

c. ®ie ßerftörung ober bie unnöthige Befcßtagnahme. oon 
2Berten ber Äunft unb BMffenfdhaft unb oon Anftcüten, welche 
bem ©ultuS, ber SBohlthätigfeit, bem Unterrichte ober ben 
933iffenf(haften unb fünften geweißt finb, finb unterfagt. 

d. ®ie Bewoßner lönnen ißt Sanb oertßeibigen, aber 
unter ber Bebingung, baß fie bie SBaffen offen tragen, oer* 
antwortlicße güßrer ßaben unb ben ©efeßen unb Uebungen 
beS Krieges fieß gemäß oerßalten. ®ie ungeregelten ©treiter 
bagegen, welcße bie ÄriegSgefeße mißadßten uub Bäuberei unb 
anbere SBiffetßaten begeßen, werben mit Becßt beftraft 

e. ®er ©ebraueß oon ©ift unb oergifteten SBaffen, ber 
ÜReucßelmorb ober bie löbtung eines geinbeS, ber fieß nießt 
oertßeibigt, finb leine erlaubten firiegSmittel. 

f. Bur Blöße, bie oom geinbe oertßeibigt werben, bürfen 
bombarbirt werben, ©elbft in foldßen gäßen ift, foweit bie 
Biidficßt auf bie Bebingungen beS Angriffs eS geftattet, ©cßo* 
nung geboten unb in leinem gaß barf bie eroberte ©tabt ber 
Blünberung preisgegeben werben. 

g. Bur biejenigen B^fonen bürfen als ©pione betrachtet 
unb beftraft werben, welche heimlicher 2Beife ober unter fatfdßem 
Borwanb feinblidße AuSlunbfcßaft geübt ßaben, nießt Btilitär* 
perfonen, bie in Uniform ißren ®ienft oerrießten, noeß Boten, 
welcße offen ißre Aufträge ooßjießn. 

h. ®ie ÄriegSgefangenen foßen menfcßlid> beßanbelt werben, 
©ie werben nießt pr ©träfe, fonbern ber Sicherheit wegen 
gefangen gehalten. 

i. ®ie Bewoßner beS befeßten ßanbeS bürfen nießt ange* 
halten werben, gegen ißr Baterlanb SBaffen p tragen. 

k. Aße Blänbetung ift unterfagt. 

l. ®ie ÄriegScontributionen unb Bequifitionen bürfen nur 
unter beftimmten Bebingungen unb unter beftimmten ©cßranlen 
auferlegt werben. 

m. ®ie BoAamentäre finb unoerleßlicß. Aber man barf 
SBaßregelu ergreifen, um p oerßinbern, baß fie nießt ißre 
Brioitegien baju mißbrauchen, um bie feinbtidße Armee aus* 
ptunbfcßaften. 

n. ®ie ©apitulationen unb ßBaffenftißftänbe müffen forg* 
fällig geßatten werben. 3ene bürfen bie militärifcße ©ßre nießt 
oerleßen. 

Ipoffen wir, baß bie oSmanifcße Begierung nießt hinter 
ber ruffifchen priidtbteibe unb in äßnlicßer SBeife ißre Armeen 
- anweifen werbe, bie ©runbfäße beS cioilifirten BölterrecßtS ju 
beachten unb p ßanbßaben. 

Bluntfcßli. 


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360 


11 1 «fgcnroart. 


Nr. 23. 


Das Südjtigunipredit ber £eljrer. 

HlS bot längerer 3«it in Sertin ber gatl oorgefomtnen War, 
baß ein ßehrer wegen brutaler förperlidjer Bücßtigung eines 
3Jtäbd|en$ bon ber Schule hatte entfernt werben muffen, mürbe 
in ber „©egen Wart" eine eingeljenbere ©efprechung beS 3üd|jti= 
gungSredfjteS ber ßeljrer in SluSfidjt geftettt. ®ie nachfolgenden 
Beilen fotten bem angebeuteten Stoede entfpredjen, unb jmar fo, 
baß babei befonbetS bie förderliche Büdjtigung in’S Sluge gefaßt 
mirb. 

SBollte man ben ßetjrern überhaupt jebeS 3ü(htigunfläre<ht 
abfprechen, fo mürbe man gut thun, in biefer ©ejiehung auch 
ben alten Sprachgebrauch ju befeitigen unb baS SBort Züchtigung 
ganj aus bem beutföen Spradjfdja| ju oerbannen. ®enn menn 
bie Büdjtigung nicht meljt bei bem SBerfe ber ©rjiehung ftatt- 
haft fein foQte, too faßte fie bann fonft noch iljre Stelle finben? 
2Bie im ®eutfdjen süchtigen oon bemfelben Stamme gebilbet ift 
mie jieljen unb erjiehen, fo fann aud) in ber IßragiS beS ßebenS 
bie Büchüsung mefentlidj nur Sache ber ©rjiehung fein. 

©efefet nun, man märe ju jener Sprachreform entfdjtoffen, 
um bei ber rabicalen Reform ber ©rjieljung nicht auf falbem 
SBege fielen ju bleiben unb um ben fftücffall in bie früheren 
Slnfdfjauungen unmöglich ju machen, es mürben bo<h immer nodj 
Slnttänge baran in ber Sprache übrig bleiben. ÜRan fönnte bei 
bem ganj ftammoerrnanbten SBorte „jügeln" leicht auf ben ©es 
banfen lommen, baß am ©nbe bodj nicht bloS bie ©ferbe unb 
anbere ähnlich oertoenbete ©efdjöpfe, bie mitunter gern ifjre 
eigenen SBege geljen, einer ©egenmirfung bebürften, unb man 
fönnte fo unmidfürlidj mit ber 2Jtuttermildj ber Spraye bie 
frühere ®eufung8art mieber einfaugen, beren ©runbanfdjauung 
eben bie mar, baß es bei ber ©rjiehung gelte, ben SluSfdjrei* 
tungen, ju benen bie gugenb geneigt ift, entgegenjutreten. gn 
biefem Sinne haben auch bie ©rieten bie Büdjtigung, bei metdjer 
bie Schläge eine nicht unbebeutenbe Stoße fpielten, ein ©efdjneiben, 
ein xolafrtv, genannt, maS auch namentlich oom ©efdjneiben ber 
glügel gebraucht mürbe, ©nbtidj mürbe eS auch rathfam fein, als 
©d)tußftein einer rabicalen ©rjieljungSrefornt bie ©erbannung beS 
SBorteS „©rjiehung" felbft anjufehen. ®enn gefteljen mir eS uns 
nur ganj offen, bafj mir bei bem SBorte ©rjieljung unmitlfürlid) 
eine ©mpfinbung hoben, bie menigftenS irgenbmie anftreift an jenes 
Btenanbrifche SBort*), baS ©oethe als SRotto bem erften ©udj 
oon „SBaljrljeit unb ®idjtung" oorgefefct hot, unb baS auch bei 
ber adermilbeften Raffung hoch ben Sinn hoben müfjte, bah eS 
ohne Büdjtigung feine ©rjieljung gibt 

®aS SBort Büdhtigung hot, mie fich aus bem Dbigen er« 
geben hoben mirb, in unferer Sprache oon Haufe aus einen 
ganj humanen Sinn. ©S bejeidjnet baSjenige ©rjiehungSmittel, 
baS baju bienen fall, bie ©rjiehung auch 9 egen bie Steigungen 
beS ju erjiehenben SinbeS burchjuführen. ®ie unfanfte Serüh* 
rung, bie babei jmifdjen bem ©rjieher unb bem Object ber ®r= 
jiehung immer eintritt, unb bie ben ©harafter einer gemiffen 
Herbigteit nie mirb oerleugnen fönnen, auch menn eS nicht jene 
©etüljtung ift, melche mit ber Stuthe ober bem Stocf gefchieht, 
mirb boch ganj entfliehen jur ©rjiehung in ©ejiehung gefegt. 
®er Outgäre, aber freilich ettoaS feljiefe StuSbrud bafür lautet, 
bie Büdjtigung höbe jum 3u>ede bie öejferung, als ob eS fid) 
immer nur um Slbgemöhnung einjelner gehler unb nicht, mie 
baS burdj baS lateinifche SBort castigatio auSgebrücft mirb, um 
Herbeiführung eines fittlicljen ©efammtjuftanbeS honbelte. 

SBeit meniger Humanität beS SpradjgeifteS mürbe eS ber* 
rathen, menn eS für jene ©egenmirfung beS ©rjieljerS gegen 
jugenbHdje StuSfdjreitungen nur ben Staaten „Strafe" gäbe. 
Heutjutage mirb er mit Sorliebe gebraucht, aber gegen ben 
ftrengeren Sprachgebrauch, wonach unter biefem SBorte baS SOtittel 
jur Slufredjterhaltung beS 9ted)te$ unb ©efefeeS ju oerftehen ift. 
Strafe ober auch ®uße bejeichnete urfprünglidj, mie im ßateitii* 
fchen poena ober im ©riecljifchen ufuoQla, Vergeltung, moburch 


*) 6 fiij Saqtle ävftqcaitof ov itatStvttai, 


für ein begangenes ©ergehen ©enugthuung ober für einen ju= 
gefügten Schaben ©rfafc gefchafft werben foHte. gnfofern man 
atfo beftraft mirb, muff man fein ©ergehen büfjen, gleichoiel ob 
man baburch gebeffert mirb ober nicht. Unb felbft Wenn bie 
Strafe in einem biofjen ftrafenben SBort befteht, fo fommt babei, 
infofent bieS Strafe ift, bie beffernbe SBirfung, bie eS ja auch 
fefir wohl hoben fann, junächft nicht in ©etradjt. SBenn man 
nun heutjutage in ber Siegel oon Sdjulftrafen fpridjt, nicht oon 
3ü<htigungen, fo ift baS nicht fo anjufehen, als ob man aus 
einer Ürt oon ganatiSmuS für ©efeß unb Siecht alle Stuäfdjrei* 
tungen ber gugenb nur unter bem ©eftdjtSpunft beS ju büßen* 
ben ©ergehenS unb ber *ju leiftenben ©enugthuung betrachtete, 
gm ©egentheil, biefe Stuffaffung tritt oieüei^t mehr, als billig 
ift, jurüd. SKan fteHt bie „öefferung" beS SdhülerS fo ents 
fdhieben in ben ©orbergrunb, ba| man faft oergi|t, maS bie 
©runblage ber ©rjiehung fein muh, nämlich ber Slefpect Oor 
bem ©rjieher, ber baS ©efefc repräfentirt, unb welchem Biele bie 
©rjiehung juftreben muh, nämli^ bah bie Sichtung oor bem 
©efeh int jugenblidjen ©emüth ermedt unb feft begrünbet werbe. 

SBenn man trofcbem mit ©orliebe oon Schulftrafen fpridjt 
unb fich erlaubt, biefen ju oinbiciren, maS re^t eigentlich ber 
3ü<htigung jufommt, bah fie nämlich ben 3u>ed h°t, ju 
„bejfern", wenn man alfo baS eigentlich fdjärfere SBort feiner 
Schärfe efttfleibet unb baS eigentlich gelinbere SBort lieber gar 
nicht braucht ober boch nur oon ber förperlidhen 3ü<htigung, fo 
fann wohl fein Btueifel fein, bah baS an fich f° unfchulbige 
SBort gerabe burdj bie förperlüfje Büdhtigung in SDhhcrebit ges 
fommen fein mirb. 

kommen mir nun einmal biefer SRifjftimmung entgegen unb 
nehmen mir an, bie törperliche BüdjtiQung mürbe ganj aus ber 
Schule oerbannt Ober märe baS etwa gar nicht benfbar? 

©S ift feljr wohl möglich, bah bie förperticlje Büdhtigung in 
ben Schulen ganj abgefchafft Wirb. ©S mürbe bamit fogar oiel 
Unheil befeitigt Werben, maS, mie fich nachher jeigen mirb, bie 
Schläge in ber Schule anridhten. Stber cS mürbe bamit freilich 
auch ein toefentlidjer ©ortheil in ben gälten* fortfallen, wo bisher 
ein Schlag noch bie trefflichfte SBirfung auSgeübt hot, unb man 
mürbe fchneßer in bie ßage fommen, einen Schüler Oon ber 
Schute entfernen ju mfiffen, maS in ©ottsfdjuten noch baju 
fchmertidh möglich fein bürfte. ©in Schlag jur rechten 3*it hot 
fidj nun einmal oon jeher als ein äufjerft mirffameS SÄittel er* 
miefeit, um ein ffinb jur ©efinnung ju bringen, ©in Schlag 
jur rechten Beit h°t oft taufenb Strafen burcfj feine oorbeugenbe 
®raft entbehrlich gemacht. ®a8 mußte jener ©ater fehr gut, ber, 
als ihm ein ßehrer erjähtte, Weshalb er feinem Sohne eine ganje 
®racht Schläge Oerabrei^t höbe, ihm antwortete: „Schabe um 
jeben, ber oorbeigegangen ift." SKit ber oödigen Stbfdhaffung 
ber förperüchen Büdhtigung mürbe eS ber Schute nicht unmöglich 
werben, auSjufommen, aber eS mürbe ihr baS SBerf, baS fie 
treibt, unenbtidh erfdhmert werben, unb fie mürbe fo ju fagen 
mit ihrem ßatein fchneßer ju ©nbe fein. 

®aS ift alfo ber Sern ber Sache, ju bem mir burdj unfere 
tjhpothetifdje SetrachtungSmeife gelangt finb. ©ei näheret ©e* 
tradhtung aber fpifet ft<h bie ganje grage ju ber ©rmägung ju: 
SBas ift humaner, ein Schlag jur rechten B«ü ober ein H cer 
oon Strafen, baS burch einen einjigen Schlag Ijütte entbehrlich 
gemacht werben fönnen? ©in ©eifpiet möge baS erläutern: 

©in junger ßehrer hotte feine Schutlaufbaljn an einer 
höheren Xö^terfdhute eröffnet, ©r hatte bort in ben üerfdjiebenften 
©taffen, oon ben oberften bis ju ben testen ju unterrichten ge* 
habt, unb mar fo glüdlich gemefen, überall mit freunbtichen ober 
ernften SBorten gleidjfam fpietenb fertig ju werben. ©S mürbe 
ein greoet gemefen fein, hätte er, too fich Stiles mit bem bloßen 
SBort abmachen ließ, auch nur einen Schlag bafür an bie Stelle 
treten taffen, ©r mürbe barauf an ein ©hmnaftum öerfefct, too 
unter ber feßr loderen ®isciptin beS ®irectorS bielfach eine mtd* 
lieh tolle Bucht herrfdjte. gßm War ber ©eift ber Sdhule, ber 
er früher felbft angehört hotte, fdjon befannt. Stber er fanb eS 
boch fchlimmer, als er erwartet hatte, gfjm mar, als märe et 
aus bem Himmel feiner päbagogifdjen ©rfttingSjeit in eine Wahre 


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Nr. 23. 


Di* ©egrnmurt. 


861 


$ötte gefommen. SDlit biefem ©efübl ftanb er bot einer Quarta, 
bie üoflgeflopft war Oon übermütigen SBengelS, bie flh tote rieh* 
tige Stangen benahmen. O^ne ein SBort ju oerlieren, tiefe er 
ben gröfeten biefer Stangen, ber fidj gerabe befonberS ungeberbig 
benahm, bortommen, reichte hm, ebenfalls ohne ein SBort ju 
fagen, eine berbe SJlaulfhefle, bie biefer als berbient ruhig in= 
nahm, unb tiefe itjn bann flh fefcen. Dies mirtte toie ein 
reinigenbeS ©emitter. Die Stengels entpuppten fih jefct als ganj 
altertiebfte jungen, gegen bie nur nod) f)öd^ft fetten in ähnlicher 
SBeife einjufhreiten mar. Der eine ©hiag jur rechten Seit batte 
ein ganjeS §eer bon ©trafen überftüfftg gemalt, unb er mar 
fomit recht eigentlich ein Stet ber Humanität. 

SBenn bie ©acf)e aber fo ftebt, fo müfete gerabe im Sntereffe 
ber Humanität es eigentlich ben ßebrern jur tßfticbt gemalt 
merben, bafe fte ei nicht berfäumten, jur rechten Seit ju fragen. 
Denn eben mo ei baju bie rechte Seit ift, mirb ei bent ßebrer 
nicht immer leicht, ei mirttich auSjufüfjren. Qi gehört unter 
Umft&nben fogar SJtutb baju, ober ei gilt boch, über Sequetn: 
tichfeit ober ©nergielopgfeit #err ju merben. Um ju ertennen, 
mann ei Seit ift, ftatt überfüiffige SBorte ober mirfungStofe Se- 
ftrafungen ju berfchmenben, tafonifcb aber mit Siahbrucf auf: 
jutreten, ift auch nicht fo ganj leicht. SKan fann barum getroft 
ben ©ah auSfprehen, bafe, menn berjenige ber gröfete tßübagoge 
ift, ber nicht nötbig bot ju fotogen, ber fhtehtefte ber ift, 
meteber nicht jur rechten Seit ju fotogen oerftebt. Darum 
märe e8 fo uneben nicht, menn in ben amtlichen S'nnbgebungcn 
über bie ©hulbiSciplin, bie benn boch nun einmal baS Stecht 
ber Krperlicben Sättigung fteben taffen, nicht immer bloS bie 
Pflicht, barin SRafe ju hotten, fonbern auch bie, beit regten 
Seitpunft nicht p üerfäumen, eingefebärft mürbe, ©tatt beffen 
mirb oietfach bie gorberung geltenb gemacht, erft bann p fragen, 
menn oorber alle anberen SJtittel erfeböpft finb. @o oiel SBabr: 
beit nun auch in bem barin enthaltenen ©runbfafee liegt, bafe 
©djläge nicht angemenbet merben fotten, menn anbere SJtittel auS= 
reifen, fo falfch märe ei, menn jene gorberung, mie es atterbingS 
ben ©chein bot, bie förderliche Sühtigung als bie Ultima ratio i 
anfeben mottte, bie immer nur erft bann jur Slnmenbung fommen 
bürfte, naebbem mirflicb oorber erft alle anberen SRittel erfeböpft 
mären. DaS mirb man atterbingS oielfacb fo p machen hoben. 
316er ber ©runb mirb bann immer boch ber fein, bafe p<h mit 
anbern SJtitteln noch auSfommen läfet. @8 fommen aber auch f e b r 
oft gälte oor, bie fofort ein nachbrücflicheS (Sittfchreiten nötbig 
machen, unb für folche finb ©chläge alles anbere eher als bie 
Ultima ratio, fie müffen oielmehr ohne OieleS geberlefen ertbeilt 
merben, menn pe überboupt jur Slnmenbung fommen fotten. Die 
Sunft ber ©rjiebung beftebt bann gerabe in ber richtigen ©r= 
fenntnife, bafe alte anberen SKittel unmirffam bleiben mürben. 

Die amtlichen Kunbgcbungen enthalten feine SBarnung oor 
SBerfäutnniffen in Slnmenbung förderlicher Süchtigung. ©S ift 
babei jebenfatts bie ©rmägung mafegebenb gemefen, bafe in ben 
©hüten fo mie fo fchon oiel ju oiel gefefetagen mirb, unb bafe 
man barum immer nur auf SRäfeigung ju bringen höbe. Das 
fleht ia nun auch gemife ben SBebörben ganj mobt an, unb es 
fönnte oieUeicht auh ju SJtifebeutungen Stnlafe geben, menn fee 
jene SBamung birect auSfprechen mottten. Droh attebent aber 
mufe boch baran feftgebatten merben, bafe, menn man einmal 
bie förpertidje Sättigung überhaupt ftatuirt, bie $auptfacbe bie 
ip, bafe ber rechte Seitpunft nicht oerfäumt mirb. Damit ift ja 
noch fein Uebermafe gegeben. 3m ©tegentbeil, es ift ber befte 
SBeg, um bie Schläge fo oiel als möglich unnötig ju machen. 
Unter benen, meldje ju oiel fchtogen, finb gemife febr oiete, bie 
P<h baju nur barum oeranlafet feben, meil pe oerfäumt hoben, 
es jur rechten Seit ju tbun. @8 ift barum ein ganj richtiger 
©runbfafc, ber in mannen amtlichen SSerorbnungen geltenb ge: 
ma^t mirb, bafe jene ©trafgemalt „päbagogifhe ©inficht unb 
©efonnenbeit" jur SBorauSfefeung bot. 23er bie nicht bot, unb 
bieS in ectatanter SBeife an ben Dag gelegt bot, bem fottte aber 
nicht bloS jene ©trafgemalt entjogen merben, mie bort geforbert 
mirb. Der taugt oielmehr überhaupt nicht für bie ©hule unb 
mirb bureb ©ntjiebnng eines fo midjtigen DiSciplinarmittetS in 


ber Siegel nicht tauglicher merben. SBenn eS eben fo leiht märe, 
ohne grofee £ärte unfähige ßebrer ju penponiren, mie man um 
fähige Ofpciere aufeer Slctioität fefct, fo mürbe baS für bie ©hule 
ein grofeer ©eminn fein. 

Denn baS fann boh nicht geleugnet merben, bafe ber ©habe, 
ben unfähige ßebrer anrihten, ein ungemein grofeer fein fann. 
ÜDtan braucht nur einmal ben ©haben in SBetradjt ju jieheit, 
ber burh unpäbagogifdje Slnmenbung ber törperlihen Sühtigung 
angerihtet mirb. Der eine ©hüler mirb baburh eingefhühtert, 
ber anbere mirb gleichgültig unb ftumpf gemäht, in anberen 
mirb Droh unb SBiberfpenpigteit ermeeft, in anberen enblih gar 
©rbitterung unb SBerftocftbeit. Stimmt man baju ben ©haben, 
melher baburh entftebt, bafe biejenigen Strafmittel ungenufct 
bleiben, für bie man bie 3ugenb niht frttbjeitig genug empfäng: 
lih mähen fann, fo mähft baS ©ünbenregifter, baS ph megen 
unjeitigen ©hlagens anlegen läfet, um ein ganj SBebeutenbeS. 
Unb babei ift noh gar niht an SRafelopgfeit in ber Slnmenbung 
ju benfen, auh niht an bie ^Brutalität in ber SluSfübrung, bie 
fogar bis jur ftörperbefhäbigung oorgebt. ©S ift junäefeft nur 
Oon bem nicht burh päbagogifhe ©inpht geregelten ©ebrauh 
bie Siebe. 

©in guter ßebrer bot nur menig ju ftrafen, gefdjtoeige ju 
fhlogen nötbig. Die ftunft ber ©rjiebung ift, mie eine amtlihe 
Verfügung fagt, um fo gröfeer, je feltener fhmere ©trafen patt: 
pnben, ohne bafe bie görberung beS Unterrichts unb ber pttlihe 
©eift ber Slnftalt barunter leiben. 

©in guter ßebrer bot feine ftlaffe fo in Drbnung, bafe 
DiSciplinarfätte nur ju ben Seltenheiten gehören. Die ©hüler 
haben oor ihm Slefpect, pe achten unb, maS in ber Siegel auh 
niht fehlen mirb, pe lieben ihn: bamit bot er fie oottftänbig in 
feiner #anb, es fommt ihnen gar niht in ben ©inn, ph gegen 
ihn etmaS brrauSjunebmen, fie fönnen ph böhftmS einmal Oer: 
geffen. DaS aber fann er ihnen leiht in oäterliher SBeife jum 
SBemufetfein bringen unb burh ©efhämung mehr mitten als 
burh Seftrafung. ©in fmuptübel, mit bem ein ßebrer ju 
fämpfen bat, ift nun freilich bie Drägbeit, gaulbeit unb S«: 
ftreutbeit. Db« e ©trafen mirb’S b'tr atterbingS fhmerlih ganj 
abgeben. Slber ein guter ßebrer mirb auh * n biefer Sejiebung 
bie ©trafen möglihft entbebrlih mähen. 

@r meife Oor allen Dingen feine ©hüler anjuregen unb 
pe für ben ©egenftanb ju interefpren. @8 ift ganj erftaunlih, 
maS barin oom ßebrer abbängt. 3n einer ©hule ftarb ber 
SRatbematifuS, unter bem bie Primaner fap burhgängig nur 
SHiferableS geleiftet hotten. Der neue ßebrer mar ein genialer 
junger SKann, ber fie fo anjuregen mufete, bafe julefct bie ©on: 
ferenj in bie ßage fant, barüber beratben ju müffen, maS ju 
tbun fei, bamit bie ©hüler über ber SJlatbematif niht bic 
anberen ßebrgegenftänbe oernacfeläfpgten. Unter feinem Slah 5 
folget mar pe biefer ©orge erhoben, ©r mar auh ein tüchtiger 
ßebrer, unb bie ©hüler lernten etmaS bei ihm, aber er polterte 
unb räfonnirte fortmäbrenb über bie Dummheit unb gaulbeit 
ber 3«ogen, unb baS rnirfte nun eben niht anregenb. 

SBaS bie ©hüler im ©anjen unb ©rofeen leiften, bängt 
mefentlih oom ßebrer ab. DaS ßebrtalent ip eine ©abe, beren 
SBebeutung niht b°h genug angefhlagen merben lann. ©S meife 
ben ©hülern auh bie ©a<he leiht unb angenehm ju mähen, ihnen 
SJlutb unb ©elbftoertrauen einjufföfeen, unb jugleih ein gemiffeS 
unmiberftebliheö SJlufe mit feinen Slnforberungen ju oerbinben. 

Unb bie liebe 3«genb! 3“ man !ann mirllih oon ber 
lieben 3«genb fprehen, benn es gibt nihts ßiebenSmürbigereS 
als pe, menn fie nur reht angefafet mirb. Derfelbe Souber, 
ben baS jugenblihe SEBefen ber Ätnber auf bie $erjen ber ©Itent 
auSübt, tritt auh ben ßebrern entgegen, unb es fommt nur 
barauf an, bafe pe Sluge unb $etj bafüt haben. SBer baS mit: 
bringt, mer ben jugenblihen ©eift in feiner reijootten ©igenart 
erfafet unb tiebgemonnen bot, ben erfennt auh bie 3ogenb fofort 
mit bem pherften 3«pinct als ben rehten SJlann, bet für pe 
gefhaffen ip. ©leihfam im ©türm erobert er ph bie §erjen, nein 
oielmehr pe fliegen ihm oon felbft ju, unb menn er ihrem ©eifte 
nun bie SBunbermett beS SBiffenS erfhliefet, mie leuhten ba ihre 


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fflie ©egrnmurt. 


Nr. 23. 


362 


jugenbgtänjenben kugelt oor ©ntjüden! Unb bas ift Stiles ganj 
»örtlich $u nehmen. @8 liegt bann leine Uebertreibung unb 
leine gbeatifirung. @8 tommt ba8 AHeS wirtlich fo bot in bem 
SRajje, at8 bet Sehter fo ift, tote et fein foll unb fein fann, unb 
baS S3ilb eine8 fotdjen geliebten unb berehrten ße^terd wirb bis 
in’S h&chfte ßebenSaltet in bantbarer ffirinnerung gehalten, unb fein 
Anbeuten gefegnet. 

SRan mache pdp nut ganj einfach Hat, baff eS im SBefen 
bes jugenblidjen ©eifteS liegt, bilbfam unb empfänglich ju fein. 
SaS fiinb lann eigenfinnig unb unattig fein, unb boch ift es 
auf bet anbetn (Seite getabe ihm gegeben, folgfam unb lenl= 
fam su fein. SaS Sinb fann auch fetjt toohl träge unb unluftig 
jum Semen fein, es fann baffir liebet fpieten »ollen. Unb bod) 
ift eS auf bet anbetn ©eite getabe toiebet bie Setnbegietbe, beten 
eS wie fein Anbeter fähig ift. Unb toet ihm hilft, baS beffere 
3<h in ih m jut ^errfdjaft ju bringen, gegen ben hat es eine 
Sanfbarfeit unb Anhänglichfeit, wie man fte fonft im ßeben taum 
finben feürfte. 

Solchem Sehtet nun toitb baS Äinb auch für einen Schlag, 
ben eS jur rechten Seit empfangen, unb ber feine heitfamen SBir* 
fungen gehabt hat, etoig bantbat fein tönnen. über bie Saht 
bet Schläge, bie auSgetheilt »erben, unb für »eiche bie ftinber 
gar nicht Urfache haben, bantbar ju fein, ift leibet fehr grofj, 
ja oiel ju grofi. SBenn man nun bebentt, toaS baS nach bem 
bisherigen auf fid| hat, unb »eichet Schabe bamit bet 3agenb 
jugefügt toirb, fo toitb man nicht umhin tönnen, ju forbern, bah 
minbeftenS gegen grobe Ausbreitungen in Antoenbung beS 3ü<h 5 
tigungSrechteS bon ben SJepörben mit unerbittlicher Strenge eins 
gekritten toitb, unb ganj befonbetS, toenn fie in SRäbchenfchulen 
bortommen. 

SBarum eine brutale behanblung junget SRäbdjen noch biel 
bettoerflichet ift, brauet nicht erft auSgeföhrt ju werben. Sie 
Stage lann nut fein, ob hier überhaupt geblagen »erben barf. 
SRan toirb hier aflerbingS Unterbiebe machen müffen. 3n 
Schulen, too bis in getoiffe Klaffen Knaben unb aRäbdpen ju-- 
fammen unterrichtet »erben, möchten bielleicht bie {Berljättniffe 
überhaupt fo fein, bah hier auch bie Sßäbchen ettoaS Weniger 
jart unb namentlich weniger jart befaitet fein bürften, als anber= 
toärtS. 3» Allgemeinen aber toirb eS nicht ju oiel gefügt fein, 
toenn als {Regel aufgefteUt toirb, bah mit {Stäbchen, bei benen baS 
jur rechten Seit gefprochene richtige SBort bon eine fo burdjgrei* 
fenbe SBirfung hat, fich muh ohne Schläge fertig Werben taffen. 

Saf? grobe Ausbreitungen in Anwenbnng beS Südjt'tgungS* 
rechtes unnachfichtlid) gealjnbet »erben, fann freilich nicht genügen, 
um baS Uebel bei ber SBurjet anjufaffen. SaS tann nur ge- 
fchehen, wenn bie lieber jeugung allgemein unb mahgebenb ift, 
bah bie Süchtigfeit bes SehrerS jtoar ben Schlag jur rechten 
Seit ju geben, aber bäS Schlagen in ber {Regel entbehrlich }u 
machen »iffen muh- 

Carl Scpulj. 


tttib 


©Iprpiabeit. 

Sie juerft ©ebanleti trugen 
3n bie btinbe SRenfchentoett, 

AuS bem Steine Seuer blugeu, 
Unb baS SBort jurn SBort gefeilt; 

ßange blieb noch 'h* ©ebächtnifj 
3n ber Söller Shatentauf, 

3h«n {Ruhm trug als SSermädjtnih 
(Sine Seit ber anbern auf. 


{Run erttiugen nut noch Sagen. — 

SBer ift, ber noch Sener benft, 

Sie beS ©eifieS erften fragen 
©inen ©runbftein eingefentt? 

Sie gegrünbet, toaS wir »iffen, 

Unb Worauf wir fteh’n, gebaut. 

Sie nach langen Sinftemiffen 
©rften Strahl beS ßichtS gefchaut? — 

3n bas SRenfchennteet jerfloffen 
3ft ber Stämme lefcter {Reft, 

Sie man einft als gottentfproffen 
{ßrieS bei jebem SiegeSfeft. 

Uns erfcheinen nun als Spiele 
AuS ber Kinbljeit unfrer SBett, 

SBaS fie bort als Ijöchfte Siele 
Aller {Radh»elt aufgefteUt ... 

Soch baS 3beal ber Seiten 

Kennt nur SBanbtung, nicht Söetgeh’n, 

Unb im eto’geu SSortoärtSfchreiten 
©leibt eS, als bieS felbft, befteh’n. 

fjermanit £ingg. 


Jfjafttfpeare* „Ülacbetlj“ btt ( 6 . ®. (btmitttts unb 
ür. Ärthfftg. 

©oetlje nennt es eine ©igenfdjaft beS ©eifteS, bah er beit 
©eift ewig anregt, unb eS ift fidjerlidj einer ber ^e^rften 
Sorjüge ber SReiftertoerfe in allen ©ebieten ber Kunft, burch 
bie ihnen innetoohnenbe ©lementarfraft beS ©enicS, gleich ben 
Schöpfungen ber Statur, unS etoig jung ju erfcheinen. So »erben 
auch bie groben ©ebilbe ©hafefpeares für atte 3eiten gewichtige 
SRarffteine im ©ebiete beS geiftigen ßebenS bleiben; mit boUem 
{Recht finb fie eine „Sßibel ber SBett", ein „Spiegel, in bem feie 
üRenfdjheit fich fteht", genannt Worben, unb, ich citire abermals 
ein ©oetlje’fcheS SBort: „weit eS fein SRotib beS SRenfdjenlebenS 
gibt, baS Stiafefpeare nicht bargeftettt nnb auSgefprodpen hätte", 
barum geht in ber 3«*ttooge unfer 3ntereffe für it)n nicht unter, 
er toirb fo lange mobern bleiben, als bie menfdptichen Seiben* 
fchaften Ȋhren, fo lange als bie #erjen noch nicht berlemt 
haben in ßeib unb in ßuft höher ju Hopfen unb überjutoatten. 

hieraus entnehme ich bas {Redpt ju meinem SSerfudje: ®e- 
tannteS in einen Safammenhang ju bringen, aus bem fidj ein 
ober baS anbere neue {Refultat ergeben foU. Sa biefem S»ecfc 
habe id) aus ber umfangreichen ©hatefpearetiteratur jtoei feiner 
Interpreten, ©erbinuS unb Krepffig, herausgegriffen, unb beren 
oerfchiebene SReinungen über „SRacbetp", eine ber fpäteren Sich¬ 
tungen ©hafefpeares, bie grabe barum ben beutlichften Stempel 
feiner fchöpferifchen ©enialität trägt, gegenübergefteUt. ©eorg 
©ottfrieb ©erbinuS hat jtoar am ©nbe feines ßebenS burch eine 
getoiffe Starrheit inbibibneUer Anfichten an toiffenfdhaftlichem 
Anfeijen »efenttich ©inbupe erlitten, boch bleibt feine Ifenntnife 
bes ©hatefpeare als eine Ijerborragenbe anertannt; ebenfo ift 
Sr. ftrepffigS tritifche SSebeutung nicht gering, unb feine umfang* 
reichen SJeröffenttichungen über ben engtifepen SichterheroS taffen 
uns mit Sicherheit aUfeitige ©rünbtichteit borauSfepen. Sie 
SJerfdhiebenheiten ihrer Änfichten über ein unb baSfelbe SBert 
fepeinen mir nicht untoefenttich jum befferen SSerftänbnife beSfelben, 
baS in feiner unbergängtidjen S3ebentung {ich niemals unfern 
S5ea<htung entjiehen wirb, beijutragen. ^erföntiepen SReinungen 


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Nr. 23. 


9tt <6t$tv wart. 


363 


unb Vebenfen, bie fitg mit babei aufbrängtett, gäbe icg geglaubt 
um fo eget AuSbrud geben p bürfen, als über bie Sgatefpeare; 
esegefe bie Steten noeg teineSmegS gesoffen finb. 

Ueber bie ©ntftegung beS „SDtacbetg" ift man ziemlich genau 
unterrichtet. Dr. Norman ermähnt in feinem Xagebucg eine Auf= 
fiigtuttg ber Xragöbie im „©lobe" am 20. April 1610. Ver* 
ncutglicg ift aber baS Stüd fegon einige 3agre früher gefegaffen, 
ba es beutlicge Anfpielungen auf bie Xgronbefteigung Safob I. 
in ©nglanb, bie 1603 erfolgte, unb auf bie babureg gefegegene 
Vereinigung ber brei Königreiche Scgottlanb, ©rofjbritannien 
unb 3rlanb enthält. Stug. SBitg. Schlegel Oergleicht in feinen 
Vorlef ungen über bramatifche Kunft unb Literatur bie geiftreiche 
Art bet neuen ®pnaftie ©lüdmfinfege barjubtingen mit SopgotleS’ 
VreiS oon Algen unb MefchhluS’ Verherrlichung beS AreopagS 
in ben ©umeniben. ®en Stoff p SDtacbetg fanb Sgatefpeare, 
feiner Statur nach pr tgeatralifegen ^Bearbeitung einlabenb, in 
fjolinfgebS ©efcgiegtsbilbero, fein eigentlicher Urfprung aber ift 
bie tateinifege ©fjronif oon Rector VoetgiuS, bie ber $umanift 
©eflenben in baS Scgottifege überfegt hot. Sgatefpeare brauste 
ftofflieg gar nichts p erfinben, nur bie pfpcgologifcge SluSbilbung 
ift fein Xgeil. ®arin aber ftegt grabe in SDtacbetg feine ®icgter= 
gröfje im 3«nitg; baS ®rama mirb als eine feiner größten 
Schöpfungen bezeichnet, Statgan ®rafe nennt eS fogar fein gröfjteS 
SBert: „baS ergabenfte unb mirfungSöoßfte ®rama, baS bie SBelt 
je fah"; auch ©oetge hält SDtacbetg für ShalefpeareS befteS 
Stüd, Seffing bagegen fchreibt: „Stach beut DebipuS beS SophofleS 
muff in ber SGBelt (ein Stücf mehr ©emalt über unfere Seibern 
fchaften hoben, als „Dtgeßo", als „König Seat", als „$amlet"" 
— oon SDtacbetg fpriegt er nicht. Stuf bie beutfege Vügne ift 
SRacbeth 1772 burch eine Aufführung in SBien, oeranlagt oon 
Stephanie bem jüngeren, gelangt griebrieg Submig Stgröber 
brachte ipn am 21.SDtai 1779 in Hamburg, Schiller am 14.3Rail800 
in SBeimar pr ©arfteßung, 1825 richtete Spider ben SDtacbeth 
für bie Serliner Vügne ein. 

©eroinuS bezeichnet „fandet" als baS Stüd beS pgilofopgifcgen 
XiefblidS, „Heinrich IV." als baS ber frifegen greube an bem 
breiten, thätigen SBeltleben, „Othello" als baS ber umfichtigften 
©egrünbung ber ©garaftere, „Seat" als bas ber gemaltigft auf* 
einanberftogenben Seibenf (gaffen, „SDtacbeth" enblich: als einjig 
htrOorragenb burch ben ©tanz ber poetifegen ©arfteßung unb 
SRalerei, unb bie lebenbige Vergegenmärtiguhg oon ©etfonen, 
3«iten unb Orten. 

SDtit biefer ^Definition ftimmt Kregffig ziemlich überein; er 
lobt befonberS bie einheitliche $anbtung, bie ©uregfiegtigteit beS 
©laues, bie marfige Kraft unb ben fühnen Scgmung ber Sprache 
unb ben Steicgtgum ber poetifegen gärbung. SDtir aber miß 
fegeinen, als ob SRacbetgS ganje Vortrefflicgteit hiermit nicht 
erfegöpfenb auSgefügrt märe. 

®ie SBirfung, bie baS Stüd auf uns übt, ift im göcgften 
©tabe tragifeg, ge ift abäquat ben Kriterien, bie uaeg ber meifter= 
gaften Seffing’fcgen Analtffe beS AriftoteleS für eine ©ragöbie 
entfegeibenb finb; mir empfinben in ber Säuterung, mie ge Seffing 
oerla’ngt, Scgreden unb SDtitleiben. SDtan oergegentoärtige füg 
nur einzelne Scenen: baS gegeitmtiffooße ©eflfifter ber ©alten 
naeg ber furegtbaren ©gat, bie marferfegütternbe Segilberung 
SDtacbetgS, mie ge gefegegen, ben gammer SRacbuffS, als er ben 
SOtorb feiner gamitie erfährt, unb oor Allem jene etgreifenben 
Scenen, in benen fieg baS gttlicge Strafgericht boßziegt. SBir 
gegen gier überaß oor ber tiefften SBirfung, bie aus ber um 
mittelbaren Statur gerauSgefcgaffen ig, unb icg glaube, baff man 
barum SDtacbetg als bie tragifegfte ber ©ragöbien SgalefpeareS 
bezeichnen (ann. 

©eroinuS nennt SDtacbetg baS grabe ©egenftüd zu #amlet; 
igm ig Sener ein tragifeger £elb im ooßen Sinne beS Alter* 
tgumS, mägrenb $amtet in einer antifen ©ragöbie unmöglich 
märe. ©iefer, mie gener, ift eine fegön angelegte Statur, bie 
zum ©öfen umfegtägt, troffbem gnb ge grunboerfegieben, mie 
fegon ber äugere ©garafter ber beiben Stüde bemeift. gn 
SDtacbetg ig rafege ©ntmidlung, bie ^anblung fegreitet mit egemen 
Scgritten, überaß gnb riefige 3üge. ®ie Stegierung beS SDtacbetg 


mägret 17 Sagte, in ber Xragöbie (ommen mir aber nicht zunt 
©emugtfein ber ©reite biefeS 3citroumeS, eS reigen bie giegenben 
Ströme ©lutes uns mie in einem lägen Strubel giu — SDtacbetg 
ig bie Xragöbie ber Xgat. So hantlet bagegen, begegnen mir 
ben Seibenfcgagen mie einem fcgleicgenben Sieber; ein Xgeil beS 
Organismus naeg bem anberen mirb baoon ergriffen, bis fcglieglicg 
bie Vernichtung gefegiegt — $amlet ig bie Xragöbie beS 3ögern3. 
®ie Staturen ber beiben gelben geben hierzu bie Vebingungen. 
3n SDtacbetg ift jeher 3°ß ber garte SDtann, er ig eine Solbaten= 
natur, ber bie Verfteßung fo lange fremb ift, fo lange er niegt 
ein Verbrechen z u oerbergen gat, bie oermunbbare Steße feiner 
Seele ift ber ©grgeiz, biefen im irbifegen Seben zu beliebigen 
gilt igm fo goeg, bag bie golgen für ein künftiges ign niegt 
(ümmern; fag „tgatenfücgtig" ift er zu nennen, tarntet bagegen 
ift jeber 3oß «« Stero, fein Stolz ift niegt ftelbentgum, fonbern 
geiftige Vilbung, feine fdjärffte SBaffe ift bie Verfteßung, er ift 
gerzenSfegmacg unb ber Surcgt unb bem 3meifcl oor bem 3cn- 
feits untertgan — ©eroinuS nennt ign „tgatengüdgtig". 

®iefe ©egenfäglicgfeit, oon ber man zugeben mirb, bag fie 
oft reögt frappant ift, liegt-Kregffig gänzlich fern; er oerfudgt 
uns SDbicbetg beffer erlennen zu loffen, inbem er feine SBirtung 
mit ber beS Dtgeßo oergleicgt. gür ign fteigert fieg, gier mie 
bort, eine Seibenfcgaft zur aßein gebietenben SJtacgt in ber Seele 
beS gelben, bet SRacbetg ig eS ber ©grgeiz, bei Dtgeßo bie 
©iferfuegt. ©eibe unterliegen ber bämonifegen ©emalt, bie fie 
erfüßt, naegbem, Ootger bereit oergeerenbe SBirtung auch aße 
äugeren Vergälhtiffe jevrilttet gatte. Veibe gelben finb aueg 
meit über baS SJtag beS ©emögnlicgen angelegt, ber ehrgeizige 
StorblanbStrieger fomogl, mie ber eiferfüdjtige SDiogr, gnb Staturen 
Oon riefengaften Vergälhtiffen unb urlräftigem Seben. — So meit 
tann man ber Auslegung beipffitgten; rnenn Kregffig aber auch 
für beibe Stüde gemeinfam geroorgebt: „Scgneß reift bie ©m; 
pfinbung zunt SBoßen, baS SBoßen zum Xgun — mie ein SBirbels 
minb 6ricgt bie Kataftropge gerein" — fo ift baS, auf Dtgeßo 
bezogen, niegt motioirt. SBir fegen im ©egentgeit baS ©ift, bas 
Sago träufelt, nur langfam, nur naeg unb naeg mieten, immer 
! mieber gofft Dtgeßo auf bie Unmagrgeit ber Verlegte, unb bie @r= 
i morbung ®eSbemottaS ift niegt baS Siefultat eines fegneßen ©nt: 

[ fegluffeS, fonbern einer SlegeEion, bie ign biefe faft mie bie notg= 

| menbige Sügne ber zum Fimmel fegreienben geträntten Sittlicg: 

I feit erfegeinen lägt. 

| ®ann martirt Kregffig treffenb bie Unterfcgiebe, bie SDtacbetg 
I unb Dtgeßo in igrem ©efammteinbrud tennjeiegnen; er fiegt itt 
I DtgeßoS Seibenfcgaft gemiffermagen einen patgologifcgeu 3uftaitb, 
mägrenb SDtacbetg feibft in ber tiefften ©ntartung noeg auf ber natur= 
gemägen Vagn beS tgatträftigen SDtanneS bleibt. 3 U oermunbern 
aber ift, bag er bei feiner ßrtlärung beS SDtacbetg nur mit einem 
j SBorte Sticgarb in. gebend, ber boeg auf ben erften Vlid Vieles 
! mit biefetn gemein gat SRacbetg fomogl als Sticgarb erringen fieg 
einen Xgron, bet ignen niegt gebügrt, Veibe fegreiten oon Ver= 
breegen zu Verbrechen, bei ©eiben ooßziegt fieg baS fittlicge 
Strafgericht burdg gänzücge Vernichtung, Veibe bleiben gelbem 
gaft bis z u igrem ©nbe. *) gür ©eroinuS beginnt SDtacbetgS 
: Aegnlicgteit mit Sticgarb erft in ber ©gafe feiner Saufbagn, in 
ber jebe Umfegr ginter igm liegt, mie er „fegon fo tief hinein* 
gemaßt ift in baS Vlut", bag: „Umfegr fo läftig märe, als 
buregzugegen", unb richtig bemertt er, bag bei nägeter Ve= 
traegtung bie Aegnli^feit aßerbingS nur in ben äugeren Ver* 
gältniffen beftegt, bag Sticgarb oon Statur z u Vöfent ge* 
fegaffen, mägrenb SDtacbetg eigentlich gut unb ebel beanlagt ift 
unb erft ber Seibenfcgaft unb bem Stucg ber böfen Xgat zum 
Dpfer fäßt. 

Auger biefer ©garafteroerfegiebengeit beftegt aber zmifegen 
©eiben noeg eine anbere mefentlicge Ungleichheit, bie icg auch int 
©eroinuS nicht, fonbern nur bei Stötfdger geroorgegoben finbe: 
Sticgarb ift eine giftorifege ©eftalt unb am beften als Sßrobuct 
giftorifeger Vergältniffe zu begreifen, eS ftnb bie oorgergegangenen 


*) Vergleiche: Sg. Stötf^er, „Sgalefpeare in feinen göcgften Eg a- 
rattergebilben' 1 . 


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364 


Sit Äcgenwart 


Nr. 23. 


factifdjen ©reignige {eine notljwenbige SorauSfefcung; SRacbeth 
bagegen erftärt geh au« g<h felbft, p {einet Seftimmung gehört 
ni$t, wa« oor ihm Wat, wa« nach ihm fommt, fät it>n haben 
bie gefehiehtlidhen Sejiehwtgen einzig bie Sebeutung allgemeiner 
Sebingungen, währenb {ie mit Siicharb in ganj conctetem 3» s 
fammenhange {teilen. 

Sretjgig betont, bag im SRacbeth überhaupt feine gefehlt; 
litten SorauSfefcungen, nid^t ba« Scfjidlfat bet Sölfer, {onbertt 
bie Serhtüpfung perfönlidjer Serljältnige, ben Stammen be« 
Silbe« fdjliegen. ®r wenbet geh be« wegen auch gegen ben Set« 
fuclj, ben toit bei ©eroinu« finben, in SRacbeth eine Art fpm; 
bolifdher Serljerrlicljung be« Uebergange« au« bet norbifch ; beib; 
nifdjen Sarbarei p dinglicher ©efittung p {epen. ©eroinu« 
erfennt fchon in hantlet eine Abfichtlichfeit barin, bag bet SRann 
bet ©ioilifation unb ©elehrfamleit mitten in ein 3 e *tatter oon 
rohen Sitten unb phbgfcher ftraftübung geftedt i{t unb will, in 
bet gleidjfam jroeifeitigen Scpilberung, eine SBenbung bet Kultur 
unb Silbung angebeutet feljen. Al« ein Semei« mehr, bag 
Sfjafefpeare Derartige« im Sinne lag, bienen ihm Anbeutungen 
berfelben Abfid)t im SRacbeth, bet, al« ein SRann Oon bet alten 
Strebefrag bet $eroengefchlechter, an einet ähnlichen Scheibe, nut 
bag biefe« SRal bie 3*ü felbft p milbeten djriftlidjen Sitten 
OorWärt« bringt, geh begnbet. 

SRan mug biefe ©onjectur, SRacbeth al« fhtnbolighe gigut 
aufpfajfen, wohl bo<h al« feljt gewagt bejeichnen, wenigften« 
ift e« mit nicht gelungen, im Dejte be« Stüde« felbft irgenb= 
Wie biefe Abfid)t be« Dichter« angebeutet p finben. S^ar Wirb 
Oon bem „frommen" ©buarb al« Stadjfolger Duncan« gefproehen, 
aber beffen SRilbe unb 2ften{d)ltd)feit wirb un« gleichfad« ge; 
rühmt unb „um ihren lafeln Speife, ihren SRädhten Schlaf p 
{Raffen" empören fich bie Spotten wiber SRacöeth; Oon itgenb 
einer 3bee, für bie ge bie SEBaffen ergreifen, ift nicht bie Siebe, 
ffirepffig wiberlegt geiftooO, wa« ©eroinu« pt Seftätigung 
feiner SRutljmagung anführt; burdf) eine unbefangene Augagung 
be« Xeyte« fommt er p ber Ueberjeugung, bag SRacbeth felbft 
fdjon auf gürtete, rolje Seit» al« auf eine betgangen Seit jurüd= 
blidt, unb culturijiftorifche IßaraUelen unb ^ßerfpectiben überhaupt 
ber Silbung S^afefpeare« unb bet Denfweife feinet Seit ood; 
fommen fern Waren. 

@8 liegt nahe, bie Sdjider’fche Umbichtung ber 4?ejenerfchei; 
uungen, bie ©eroinu« eine „Iraoeftie" nennt, unb gegen bie 
befanntlid) aud) Schlegel fel)r fd^arf ju gelbe gepgen, gleidjfad« 
in bem Sinne p beuten, al« ob hiermit ber Sruch mit bet 
mittelalterlichen Stoliljeit unb Unbilbung angebeutet werben fottte; 
bodp Riefle ba« bie Abgd)t Spalefpeare« getabep migoergehen, 
unb ©dritter ift mit feinen $ejen auch roirflicf) in biefen geiler 
oerfallen. S« Sfjafefpeare« Seite« befanb fich ber fpejenglaube 
noch in üodem Schwünge; auch in ©nglanb fjatte et, eine @t; 
fdfeinung, bie Wir überall beobad^ten, mit ber ^Reformation p; 
jammen um fid) gegriffen. Slu« bet fdfjottifdjen 3legierung«jeit 
Safob I. flammen granbiofe ^ejenproceffe, unb ber ®önig felbft 
Ijatte im 3«^e 1597 eine Dämonologie oeröffentlid^t, bie ein 
ausführliche« Se^tbuch be« gefammten ^ejenwefen« unb bet 
l)ö(Iifd)cn S«ubetfünfte ift. @S hotte ba« Such einen horriblen 
©tfolg; allein im folgenben gahte feine« ©tfchoinen« foftete e« 
in Sdhottlanb 600 alten SBeibetn ba« Seben. 81« S«cob I. 
auch &önig oon ©nglanb würbe, lieg et ba« foftbate Such « eu 
crfdheinen, unb eine feiner erften SlegierungSthoten Wat eine 
Setfchätfung bet ©efefee gegen $ejen unb Soubetei. 

SJlan fieht alfo, ba| Sljafefpeare nut bem ©efchmad be« Xage« 
hulbigte, wenn et wirfti^e §ejen auf bie Sühne {teilte. Sen 
Sohnfon beweift ausführlich, bag Shofefpeare feine „Schid^al«; 
fchweftetn" treu nach gacob L Dämonologie gefdhaffen; ©etoinu« 
unb ^repffig ftnb bet 8nftdE}t, bag ihre ©eftattung conform bem 
SolfSglauben ift. SEährenb anbete Interpreten in ben $ejen 
nut ben SRefle; bet böfen ©ebanfen Slacbeth«, nut eine Sinne«; 
täufdhung, eine üerförperte Darftetlung feine« inneren SBefen« 
crfennen *), holten ©eroinu« fowohl ol« ®repffig fie für concrete 


*) Sergl. Sluboloh ©ende: ®b a t e fP eare - 


©tfcheinungen, benen bie SRadht, bie SRenfdhen p oetfudhen, 
gegeben ift. SRacbeth bleibt auch nach ihren SBeiffagungen noch 
ooüftänbig $ett feinet Dhoten, fie legen feine«weg« ben Seim 
be« Söfen in ihn, ihre höüifche Statut lägt fie nur bie fdhledhten 
Stiebe beftärfen; fie repräfentiren nicht ein leufenbe« gatum, 
wie bie 8tten e« {ich bacgten, fonbent fhtb SBerfjeuge be« 
Sdhidffal«, beffen Sterne wir in unfetet eigenen Stuft tragen, 
fie finb kupplet bet Sünbe. ©etoinu« erfennt in ihnen einen 
poetifcgen 3«9» ber an bie norbif^en Slotnen erinnert, firepffig 
geht noch einen grogen Schritt weitet, gür ihn bieten bie 
Shafefpeare’fdhen §ejen bet ibealifitten 8nffaffung Schiller« 
einigen Slnhalt. Shr plöpliche«, unheimliche« ©tfdheinen unb 
Setf^winben, ihre übermenfdhlidhe ©rüge (bie ich übrigen« im 
Stüde nicht angebeutet gefunben) bie eigentümliche Seimifcpung 
flafpfch;mpthologifcher Silber in ihren Sprüchen, alle« ba« lägt 
fie ihm poetifch oerflärt erfcgeinen, unb oeranlagt fein Dafür; 
halten, bag bei ihret Darftetluug auf bet Sühne jwifdhen bem 
frauenhaften Spul be« SolfSaberglauben« unb bet oomehm 
ibealifirenben 8uffaffung Schiftet« bie 9Ritte gehalten werben foüe. 

3Ran fönnte au« ben Ärepffig’fdhen Ausführungen hierüber 
faft einen SBiberfpruch h<rou«lefen. ®r erfl&rt perft auebtüd; 
lieh: „Alte« Da« jeigt un« bie elenben, oetädjtiichen ffiefen, 
Welche bet Solfswahn «erfolgte, auch entfernt nicht bie anfge« 
flärten, flaffifd) gebitbeten Setfuchetinnen bet SdhiBer’fdhen Se; 
arbeitung", — unb turj batauf fommt et bod) p bem oben 
angeführten Schluffe. Um biefen SBiberfpruch ftch P erflären, 
mug man bie innere SBefenpeit bet § e £en oon ber poetifchen 
Atmofphäre, in bet ge auftreten, unb Oon ihrer ©rfdtjeinung 
trennen, — batin aber liegt gerabe eine Schwäche bet ftrepffig; 
fchen Seweisfühtung. ©8 foU bie DarfteQung un« oor Adern fo 
Har al« möglich pr Anfdpauung bringen, wa« ber Dichter al« 
©horafter in feine ©eftalten gelegt, jene hat biefen pt Sotcut«; 
fepung unb ift am gelungenen, wenn ge mit ihm pfammen; 
fällt. Auch fonn ich grobe bie mpthologifchen Silber, bie ftrepfiig 
für feine Angdpt citirt, al« wefentlicge dRomente nicht erachten; 
es ift befannt, bag Shafefpeare e« überhaupt,, geliebt,. fein« 
Hafgfchen Äenntnige fo og al«" möglich p Oerrathen. . 

SBenn Wir nun bie Ängsten über ben gelben pfammen;" 
fagen, fo nennt ßrepgig ÜRacbeth: im ©Uten Wie im Söfen ben 
Dppu« be« garfen, leibenfchaftlidhen 9laturmenf<hen ber altnorbifchen 
Sarbarei. gür ihn finb bie ©efepe bet gttlichen Seit leine 
Sdpranfe, feine Sittlichfeit ift nur bie ber ©emohnljeit, fein 
fchöitger ©horofterpg ift bie innere SBahrhaftigfeit, ber SBiber; 
Wide gegen Büge unb Selbgtäufchung. 

©eroinu« geht in SJtacbeth bie Ueberfrag, ben Dro| gegen 
dRenfchen unb ©ötter, bie Sicherheit Oor rädhenben, überirbifchen 
dRädjten bargethan unb — wie e« bie poetifche ©erechtigfeit Oer; 
langt — auch P Sode gebracht. 

Ärepgig legt alfo ben fpauptton auf ba« SRenf^fein SRacbetp«, 
währenb ©eroinu« ben gelben oorjügtich al« Dräger einer gbee 
barftedt , 

©igenthümtidh ig e«, bag wir über SRacbuff, ber hoch al« 
SRacbeth« oerförperte« Serhängnig entfliehen befonbere Seacptung 
berbient, unb bem auch * n bem Stüde btei Scenen, überhangt 
nach BRacbeth unb ber Sabp bie wirfungSOodge dtode pgefaden 
ift, bei ßrepgig fein SEBort gnben. ©eroinu« wirb feiner Se; 
beutung bur^ ^eroorhebung ber ©egenfäfelidhfeit feine« ©horafter« 
p bem SRacbeth« gerecht. Augetbem fpricht er über bie Oer; 
fchiebene Auslegung jener erfchüttemben Scene, in ber SRacbug 
ben Dob feine« SBeibeS unb feiner ßtnber erfährt. „Die ßinber 
auch" gnb SRacbug« erfte SBorte bei ber entfeglichen Sotfdpaft, 
unb bann entringt gdh’8 mit weheger Sitterleit feinem SRunbe: 
„@r hot leine Äinber!" — Died, unb fpäter Dingelgebt, beziehen 
biefen Ausruf unbegreigicher SBeife auf bie XrogeSWorte SRat 
colm«; $orn unb Simrod wodten batin ben AuSbrud be« Un; 
muth«, bag SRacbeth feine ^tnber habe, an benen er (SRacbug) 
geh rächen fönne, erlennen; e« liegt wohl boch aber bie ©eroiuus’fche 
Augagung, nach ber jener Au«ruf bebeuten fod: „So teugifch 
lann nur ein finberlofer SRann geh rächen", bem ©efühle am 
nädhften. 


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Nr. 23. 


1t t ©rgenwari. 


365 


gür ©anquoS ©ljatafteripil finbet ©erbinuö fotooljl als 
Srepffig in bet $e|enfcene ben beften Anhalt, unb beibe jiepen 
fte biefelben Schlüffe, nur bap ©etbinuS audj in ©anqno An* 
lagen erfemtt, bie benen SWacbetpS complementär pnb, unb \vt- 
borljebt, tote bie bunHen ©etoalten in SWacbetfjS Seele burdj 
©anquoS freien, eblen Sinn ju erhöhter Weutlicpfeit gelangen. 

Seljr toeit jebod» fielen ©erbinuö unb Krepffig bei bet 
/ ©eurtpeilung bet Sabp SWacbetfj auSeinanber, es gipfelt hierin 
/ i^re unterfdfjieblidje Äuffaffung; ©erbinuS, mit oielem Stetst ein 
Sljalefpearomane genannt, ift geneigt ju berflären, wogegen Krepfpg 
Pty totbet bie grope Sewuitberung für biefen ©Ijarafter auflepnt. — 
©adj meinem ©mppnben ift bie Sabp SWacbeth eine bet granbio« 
feften ©eftölten bet bramatiföen Ißoefie, baS beginnen bet 
©omantiter aber, über baS fdpon ©oetpe gefpottet, pe ju einet 
liebenben ©attin unb $au8frau ju ftempeln, ober fte einen 33er: 
flärungSprocep burchmachen ju taffen, Wie ©obenftebt baS bet« 
fucht, erfcheint bodj faft tenbenjiöö. 

Sn ber$olinfijeb’fchen©hronil ift Sabp SWacbeth gefcpilbert*): 
als eine polje, eprfüdjtige grau, boD btennenbet Segierbe Königin 
ju toerben, bie nicht aufhörte SWacbetlj ju plagen, bis fte iljn 
baju bödig entfchloffen gemalt ^atte. Sljafefpeate ip biefet 
©^arafterifti! tootjl gefolgt, mit Abweichungen aber, bie uns bet« 
följntich gegen bie Sabp pimmen müffen. Stuf ben etpen Anblid 
erfdfjeint Pe uns toie eine Ktptämneftra an Stolj, ©raufamfeit, 
Unerfdjrodenheit unb ©ewiffenloPgfeit; toie ©crbinuS Pe geicpnet: 
als ein mächtiges SBeib, baS noch mcpt gurcijt als £>ap in unS 
toedt, bon furchtbarer Sicherheit im SBoden, bon breifach ge« 
P&hltet ©ntfdjlofftnljeit. @r geigt, mit welch' unerfchütterlicher 
SBtdenSfrap pe auf ihr 3**1 juftrebt, wie Pe mit teuflifdjer 
©erebtfamfeit, jeben ©eft bon SBeiblidjfeit unb SWenphlidjfeit ab« 
thuenb, ben ©atten ju bet entfeplidjen Stylt aufftadjelt, ihn an 
feinet emppnblichpen Stelle, mit bem gtoeifel an feinet SWämt* 
lityleit, bettounbenb. #ier mup bie Sabp aderbingS wie bet 
böfe Wämon beS ©atten etfcheinen, aber ©etbinuS hebt mit Stecht 
fjetbor, bap Pe felbp in biefet gräpticpen ©etirrung nicht aller 
toetttyen ßüge entbehrt. Wer ©prgeij ip auch für pe baS SWotib 
jur Ih“‘/ bo<h richtet pdj feiner ihrer ©ebanfen auf bie eigene 
©rijöljung, bap pe Königin werben will, batan benft pe nicht, 
nur auf beS ©emahleS $aupt fod bie Krone glänjen; ihm ge« 
bührt nach ihrer Äupcpt alle ©röpe, unb fein Schritt ip gu fütyt 
unb ju blutig, ihm bie IjöchPe jn berf(paffen. — So aber fehlt 
ihrem bämonifdjen SBefen jebeS ntebete SWotib, unb in einem 
SWoment fann pe, bie bon ben työdifctyen ©eipern ihre ©nt« 
weibung betlangt, auch über eine weibliche Sdjwädje nicht hin* 
weg, pe fann ben XobeSpop auf ben fdjlafenben König nicht 
führen, weil et gar fo fetyr ihrem eigenen ©ater gleicht 

Was pnb bon Sljafefpeate meipethap angebrachte Süge 
unfete Xheilnahme für ßabp SWacbetlj nicht im fjaffe untergehen 
ju laffen unb mir erfcheint es geboten, wenn ©erbinuS Pe bod 
betont. Krepfffg petyt baS ganj anberS an; für ihn ip bie Sabp 
bon bomherein eine bodenbete ©irtuopn beS ©erbrechenS, ein 
SBefen, neben welchem bet getoifftnloSseljrgei jige, aber noch nicht 
oöüig gefühllofe Krieger, fap als bie fentimentale Unfchulb er« 
fcheint S)ap pe ben jchiafenben König nicht eigenf)änbig er« 
ftedhen mag, Weil er ihrem ©ater gleicht, nennt er eine borüber« 
getjenbe Äntoanblung rein Pnnlicher Schwäche. ®ie Siebe jutn 
©atten läpt er gelten, aber nur weil für bie Ungeheuerlichfeit 
jenes ©h a rnfterS baS äphetifdhe ©efüljl nach einer SKilberung 
fuchen mup, unb bie Eingebung für ben ©emahl noch bie meifte 
©egrünbung pnbet. @8 fehlt Kteqfpg in bem ©hnrafter ber 
bramatifdhe ©ntwidelungSprocep, unb baS läpt ihn, nach feiner 
9tnp<ht, uns räthfelhap erfcfjeinen. — Stuf biefen ©ortourf will 
idh fpäter jurüdbntmen, junätyp glaube ich aus ©etbinuS no^ 
©emerfnngen anführen }u müffen, bie nnS Sabp ÜRacbeth beffer 
berpehen lehren, als bieS burdj bie KrepfPg'phe Püdjtige 2)ar« 
pellung möglidh ift. 

S)ie Weibliche Statur in Sabp ©tacbeth wirb tro| ber ete« 
mentaren Seelenftärfe, bie uns fap phaubem macht, nicht lange 


*) 8«tgl. ©ende: „Shafefpeare.“ 


jurüdgebrängt ©adjbent bie furchtbare SRorbtthat boübradht, 
futyt Pe junächP mit weiblicher Klugheit eine ©ntbedung ju ber« 
hüten, noch bei bem ©anfett feljen Wir pe als aufcidhtenbe, 
treibenbe Krap neben bem ©emahl, — bann aber peljt pe pid, 
unb als feine ihrer glänjenben ©rtoartungen pch erfüllt, als ihr 
©atte, patt in glüdflidher ©röpe ju leben, in immer neues 
Kämpfen unb ÜRorben hincingeftürjt wirb, ba ip eS ju ©nbe 
mit ihrer Krap, pe Pnlt immer mehr auf baS 2Rap beS SBetbeS 
herab, je mehr ber Kampf ben rein pjhdjotogiphen ©oben ber« 
läpt unb mit concreten ©ewalten beginnt.*) ®o^* felbp als fie 
gebrochen ift an Seib unb Seele, erfennen Wir noch bie hawor« 
ragenbpe Seite ihres ©harafterS: bie überweibliche SEBidenSpärfe. 
Slm Jage, bon Wienerinnen umgeben, ift Pe bödig $errin ihres 
©rameS unb ihrer dteue, nur in ber ©acht „ptaubert bie be« 
Pedte Seele ihr ©eljeimnip ben tauben Kiffen“. Wer Körper 
unterliegt früher als ber patte ©eip, unb es ip eine, wenn 
auch tüljne, fo boty phhfiologifch unb pfpchologifch motibirte 
SBenbung, bap pe jur ©achtwanblerin Wirb unb fo bie Dualen 
ihres ©ewiffenS berrätfj- Wie Annahme, bap ffe burdh Selbft« 
morb enbet, bie wir bei fap aden Interpreten pnben, grünbet 
pch auf nur fetjr bage Btnbeutungen in bem Stüde felbp, pe ip 
aber bodftänbig togifcfj, unb als ein Wheil ber Sühne ihres ©er« 
brcdfjenS unferem pttli^en ©ewuptfein eine ©eruhigung. 

©och ein ÜJial, idh glaube, Sabp SRacbeth ift auf biefe SBeife ^ 
richtiger erfapt, als wenn Krepffig pe unS fdjtlbert: ohne eine i 
Spur bon Scrupeln unb Seelenfampf, als norbifepe gurie. ' 
ttderbingS, in gewiffer ©ejiehung ift bet borljin erwähnte 
Krehfpg’fdhe Sabel gerechtfertigt. Wie ungeheuerliche Abnormität 
tyreS ©harafterS tritt in plaftifdjer güde bodfommen unbor« 
bereitet, als fertige Shatfadhe bor uns. SBie wir fonft gewöhnt 
pnb, baS ©atüriicfje hinjunehmen, Wirb unS hi« jugemuthet an 
bie Umteljr ber ©atur ju glauben. ©S ift fchon früh empfunben 
Worben, bap in ber ©ntwidlung ber ©eftalt ber Sabp SWacbeth 
toefentlitye „bramatifche SBidfür“ h«*Pht/ fo h“l f<hon SBidiam 
Wabenaut in feiner ©earbeitung (1665) eine Süde jwifchen ber 
©anfett* unb ber ©achtwanblerfcene gefühlt, unb eine Scene ber 
©eue unb Berfnirfdjung emgefdjaltet. Krepfpg aber bergipt bei 
feiner ©emerfung etwas SBefentlicheS in ©etracht ju jiehen — 
ben Won beS ganjen StüdeS, in bem Sabp SRacbeth bie fpetbiu 
ift, unb beffen intedectuede 3üß« pe getoiffermapen trägt ©S 
ip bie geheimnipbode SRacpt einer jeben gropen ©haratterjeidjnung, 
bap ffe uns in eine eigenartige XBelt bannt; um Sabp SRacbeth 
begreiflich ju pnben, erfcheint mir baS toie eine ©orbebingung, 
bie auch in bem Stüde burty feine erften Scenen fchon gelöft 
wirb, halb baS erfte Auftreten SRacbettjö nimmt fein gatyc* 
hunbert mit in bie Wichtung hinüber. ©S pnb bie gigantifdjen 
Kräpe eines eifemen ßeitalterS, bie beren WppuS bilben, unb 
baburch Pnb beftimmte garben für bie poetifche ©epaltung 
& priori geboten — mit biefen feljen wir eben bie Sabq SWacbeth 
gemalt.**) ©un aber geigen fidjj in bem Ijünenljapen ©harafter, 
ber burch fein Seitalter erflärt Wirb, halb auch adgemein 
menfdjliche Süge, bie jenen unferem ©erpänbnip noch näher 
rüden, unb fo glaube ich, bap man KrepffigS ©inwurf gang be* 
rechtigt nur für ben tedfjnifcljen Aufbau ber Xragöbie anerfennen 
Wirb, bap aber unfer äphetifdheS ©efttpl nicht fo fetyr barunter 
leibet, als er annimmt 

3n bet ©eurtheitung bet Sabp SWacbeth culminiren nicht 
adein bie SWeinungSoerfchtebenheiten gwifepen Krepfpg unb ©er« 
tiinuö über eine ©ingelpgur, Pe fann auch otS eparafteriftifdj für 
ben KrepfPg’fchen Stanbpunft überhaupt angefepen werben, ©ine 
oon ShafefpeareS gropartigpen ©eftalten wagt er nicht bodenbet 
ju pnben, unb fchon barum ift er, trofc ad’, feiner Anertennung 
unb feiner ©etounberung für Shafefpeare, boch feineSWegS gu 
ben eigentlichen Sljafefpeateromanen gu gätylen. T* 

Sn früheren Seiten begnügte man Pty in bilberreicher Sprache 
ben ©reis beS WityterS gu pngen; je$t pnb bie Shafefpeare« 
Untersuchungen im ©ange, unb mit $ülfe ber gelehrtepen ©on« 


*) Sergl. ©Stfcper o. a. O. 
•*) «ergl. ©ötftyt a. a. O. 


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366 


*t t &t$tnmtrL 


Nr. 23. 


jectureti berfudji man bie bigtcriföe ftraft ©Ijafefptared, bte 
grabe, weil fle incommenfnrabel tft, fo fefyr imponnt, ju attaty: 
fiten, fldj Ijäuftg genug, ftott objectitoer ßrittf, pljtfofopt)if4= 
väfHjetiföen tfoSfötoeifungen ^tngebenb. 

@oetlje erK&rt in einem ©efprädje mit ©tferraann: „er Ijafte 
©Ijafefpeare für ein SBeftn Ijöljera ®rt, ju bem er Ijinaufblide, 
nnb bad er ju bereiten I>abe"; in biefer ©emerfung pnbet 
©ertrinud einen toittforamettett @runb me^r für feine fdivanfentofe 
©er(jerrlt<§uitfl bed grofjen ©rite*. 

SBenn fdion Dr. ®. Sofyttfott, Aber ©Ijatefpeare fpredjettb, 
ben ©eufjer audftflfft: „(Ed ip jn betlagen, baff fotcp ein fcidjter 
einen Kommentar nöt^ig !>at!" — mal toärbe er erp ju ber 
feigen ©fjafefpearefiteratur fagen? 

©idjerlidj, ©erttimtd fotooljl ald Ärepfpg, taffen und be= 
greifen unb fdjäfcett, mie feljr merWjöoQ für bad ©erft&nbniff ber 
Serie beb Ztfdjterljerod bie ©ertiefung an tunbiger #artb ip; 
aber jener (Eifer, ber, um auftegen ju tönnen, unterlegt, unb 
und nidjt erflärt, fonbertt berbuntett, ip bom Uebet, mag er 
audj nod) fo geiftboQ unb geteert fidj Supern. Stad) meinem 
Saffirtjatten Ijat ftart grenjet ein feljr betjerjigendtoertfjed SBort 
gefprodjen, toenn er bon ben ©Ijalefpeare’fdje* ®ta»en fagt: 

„3e ijatmlofer mir iljnen entgegentreten, je meniger mir in 
iljnen bie flöfung bon 9t&ttjfeln unb Problemen auffudjen, je 
inniger mir und bem (Einbrudt ptngeben, ben pe, und anjiefjenb 
unb abpopenb, auf und audfiben, bepo rnefft näffern mir und 
i iljrem ©erpänbnip!" 

2Ubert IDeigert. 


J)l)oneti ( fd)t ^wärmer. 

Wenn man bie non Dag ju Dag fiep meprenbe ßitteratur über bie 
ortpograppifcpe grage na<p ben Waffen aufammenfteEte, welche oon ben 
oerfcpiebenen Hicptungen |tt Dage geförbert Werben, unb barauft fiep ein 
Bilb a» matten oerfucpte non bereu Hnpängeraapl, fo fön nie man leicht 
auf bie Vermutung lommen, bafft unfer Baterlanb meift non rabifalen 
Reformern ober beren Änpang benölfert fei, benn feiten nur ergebt fiep 
eine nor Ueperftürauug matnenbe Stimme, unb toenn eft ja einmal ge» 
{(piept, fo barf tpr Urheber fiepet fein, non ben Herrn „fonetilern" ent» 
toeber oerbäeptigt ober tot gefcpmtegen au toerben, leptere# namentlich 
bann, toenn man feine ©rünbe niept au toiberlegen weift. Da baft Keine 
aber rührige Böllchen über eigene geitfcpriften gebietet, in beiten leperifcpe 
Hnftcpten feine Hufitapme finben, fo behält eft natürlich immer Hecht 
unb freut fiep feines wacpfenben Hnpangft, benn pier unb ba finben ftch 
hoch mopl ein palbeft Bu|enb ßeute aufammen, bie aEeft baft für lautere 
Wahrheit galten, waft non ben Wortfüprem bafür auftgegeben toirb. 
3n WirKtepleit ift ber Anhang nicht fo groft: ber größere Deil bei $ub» 
lilumft oerparrt in Beilnapmlofigleit, unb felbft burch Ärafttoorte mie*): 
„in ber Schule (oft tünftig nur noch Orammatif unb StUifKf ge¬ 
lernt toerben, Orthographie bagegen gar nicht, toeil ber gramma- 
tifdfj Gebilbete ohne meitereö richtig fchretbt/ 1 

ober: 

„für bie Schulfinber mufft bet Unterricht in ber Orthographie 
gänaüch toegfallen. Sie lernen lefen unb bamit augleich auch richtig 
fchreiben. Saut unb öuchftabe bedfen fich/ 1 
löfft eft fleh nicht für bie phonetifche Stechtfdhreibung begeiftem; ja bie 
toenigen, melche auf folche ^h^afen höten, mürben fich baoon abmenben, 
memt fle müfften, mit melier Oberflächlichfeit unb Unfenntnift beren 
Urheber oerfahren. 

SBie geringe bie ©adfjfenntnift ber Herren „fonetifer" ift, fofl in bem 
golgenben bargelegt toerben. 

ftlft michtigfter ®rnnbfap ber beutfehen Eiechtfehreibung gilt befannt- 
lieh bie Hegel: Schreibe, mie $u richtig fpricbft! unb biefe gorberung, 
bafft bie Schreibung ber Wörter mit ber gebilbeten fluftfprache in mög- 
lichft noEfommene Uebereinßimmung gefept merbe, hot auch bie ortho- 
graphifche Äonferena aufgefteEt! ©ft ift aber nicht leicht, ipr in jebern 


*) ®gl. Reform, Organ des algem. fereina etc. Nr. 1. 


einaelnen gaEe gerecht au toerben. ©inige Heifpiefe, beren (Erörterung 
non ben „fonetifchen Heformem" natürlich unterlaffen mirb, ba fte nicht 
in ihren ftram pafft, toerben bieft fogleich Kar machen. 

1) Wie foEen mir bie 3. $rf. non geben lautrichtig fchreiben, gibt 
ober gibt, glpt ober gipt? Wan foE fchreiben, mie man fpricht — ©ut; 
mie fpricht man benn? 3ft baft 3 lang ober fuxa? 

Wenn ber geneigte Sefer auf fich felbft Steht giebt, fo toirb er niel¬ 
leicht bewerfen, bafft fein eigener Sprachgebrauch fchtoanK. gragten mir 
bei unfern „fonetüem^ an, fo mürben mir hftdhft mahrfcheinlich ein 
ebenfo unrichtigeft Urteil befommen, mie baft, melcpeft bie orthographische 
Äonferena in bem norliegenben gaEe abgegeben hot: bafft baft 3 turj 
fei, — mahrenb fich «uft ben Heimen unferer dichter (a- H. giebt — 
liebt; niemalft gibt — nippt) nachtoeifen lafft’ bafft in ber Sprache 
unferer neupochbeutfchen ßitteratur baft 3 lang ift.*) 

2) 3ft baft e in fenfen non bem i in tränten nerf(hieben, ober h°t 
eft gleichen Älang? 3P eft gleichKingenb, fo müffte bie Schreibung biefer 
Wörter hoch auch übereinftimmen. Wie foEen in ber „ferbefferten orto= 
grafi'' betm folche Wörter gefchrieben merben, bie mir in unferer Uu= 
tenntniftbeft phonetifepen fytili bifther brängen, fprengen, amäugen, 
gerben, färben gefchrieben hu&*u ? ^ et tuftbare Unterfchieb beft 
e unb i, ber in biefen unb ben obigen Wörtern toeber burch bie Huft- 
fprache noch burch bie gefchichtliche ©nttoicfelung ber Sprache begrünbet ift, 

— fte merben teilft nom 3mperfett abgeleitet, alfo non fanf, tranl, brang, 
fprang, amang, teilft non ©igenfdhaftfttoörtera mte(loh)gar(b), (mifft)farb(en) 

— beibehalten ober abgefdjafft merben? unb wenn leptereft, mie moEen 
fich bie Sperren „fonetifer" eutfeheiben? ®ie ©ntfepeibung mürbe auch 
non ©influfft fein auf bie Schreibung non fepen, äpen, h^P^/ u^b^ u. f. w. 
bie ja auch * on f a 6/ hofft# nafft abauleiten finb. 

3) Älingt reblich unb rötlich; fteht’ft unb ftätft, Hepbe unb 
Hebe, mehr unb mept, lehren unb leeren, 3^h’u unb a*ho gleich^ 
SoEte bieft ber gaE fein, fo müffte man fte boep bei einfeitiger Be¬ 
tonung beft fonetifchen $rinaipft auch gleich fchreiben; Kingen fte aber 
nerfchieben, fo püte man fiep boep ja, Unterfdpiebe, melcpe bie Huftfpracpe 
maept, au nermifepen, fonft mirb ja unfere Orthographie noch fcplecpter. 
atft fie naep bem ©efeprei ber fonetifepen Heformer fein foE. 

4) ftlingt baft b in griebriep unb frieblicp gleich? 

5) Wie nerpält eft fiep mit bem f in Höftcpen unb Höftlein, in toaep- 
fein unb toaepfen? — 3cp ftette biefe grage, meil bie „fonetifer" jept 
enblicp ein unfeplbareft Wittel gefunben paben, um bie S-laute grünb= 
licp au luriren. ©ft ftept in ber Reform. Orgftn des algemeinen 
fereins zur einfürung einer einfachen deutschen Schreibung, unb 
lautet aEba auf ber atoeiten Seite, mie folgt: das f bezeichnet den 
weichen — das s den harten Zischlaut. Damit sind alle schwing- 
keiten, welche in der bisherigen Schreibung lagen, hinweggeräumt 
u. f. w. Hun brauchen mir alfo nur au fragen: Wie i£ baft S in 
Wäuftlein? 3f* eft meiep, fo fepreiben mir Wäuflein, ift eft part, fo barf 
bie bisherige Schreibung mit ft beibepalten merben. Biefelbe grage 
mieberpolt fiep bei Wörtern mie reift, Ärebfe, $ädfel, güEfel, foft unb 
Äoft, unb bie oon ben „fonetilem" gegebene Söfung beft Hätfelft (ober 
Hätftelft?) erinnert an bie äpnlicpe, mie man Scpman unb Scpmänin 
unterfepeiben fann: man mirft Brot inft Waffer. grifft er’ft, fo ift eft 
ber Scptoan; frifft fie’ft, fo ift eft bie Scpmänin. $em Herausgeber ber 
obigen 8*itung unb Berfaffer beft betr. Hrtifelft,. Spextn Dr. F. W. Frickc 
in Wiesbaden, fepeint ber Unterfcpieb a^ifepen pattem unb metepem 
(b. p. tonlofem unb tönenbem) S gar niept reept Kar au feilt, benn er 
fepreibt Seite 7 wekfel, erwakfen, Seite 8 prakfis, in benen boep nach 
feiner eigenen Hegel megen ber tonlofen Huftfpracpe beft S bie Schreibung 
mit ft (8) bie richtige märe. 

6. Su öermunbem ift, bafft unfere lüpnen Heuerer bei ipren Ber» 
fuepen, eine Scprift au erftnben, melcpe bie einaelnen Spracploute oöffig 
beeft, fo wenig ©Ifid mit ben bauten an nnb gn gepabt paben. Hudp 
ai mirb oon einigen reept unpponetifcp gepanbpabt. Der „algemeine 
ferein" menbet mit rüprenber BeparrKcpteit ei cm, mäprenb boep ai oiel 
pponetifeper märe. Hocp ärger ift eft mit bem Umlaut oon an. Biefer 
mirb aEerbingft ä + « gefeprieben, aber niept fo gefproepen: 

Straucp tautet aEerbingft mie Stra*ucp, 
aber Sträucper „ niept „ Strä»ucper. 


*) Bgl. Horrigs Archiy, Bd. LVII. 8. 211 t 


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Nr. 23. 


9tt dtttnrnax t. 


867 


SBöre bag leptere richtig, jo müffte bag 4 nach > bcn Bebaut haben; 
eg bat aber in bec Bugfprache ben geblaut. SBernt wir anbern Sterb* 
licken berartige gnlonfequenzen begehen, jo finb wir nicht bafür Oer« 
antwortlich: wir haben bieje (Srbfthaft oon unjeren Vorfahren über« 
tommen; wenn aber ein jo tühner teuerer wie ®err Dr. griefe biejen 
Saut halb an halb en fehreibt, jo mufg bag auffallen. ®r tonnte fich 
ja feine „ortograp" jo gut einrichten, wie er wollte. SBatum machte er 
pe nicht richtig? (Sr fchreibt häufig, alfo wirb er auch dickhäutig 
fchreiben; ob er baä bisherige heutig (hodieraas) hinfort auch ntit in 
gefchrieben wifjen Wifi (Vielleicht fogar hinten mit einem Beiden für 4/ 
weil bag g jo lautet), bafür habe ich leinen fichent Inhalt, möchte ei 
jeboch oermuten, ba $err g. bie Siegel auf pellt: „Bie Schrift barf feine 
Unterfchiebe barpetten, welche bie Sautfprache nicht gemacht hat/' mit bem 
$in^ufügen, bafg bieje Siegel ohne Bugnahine gilt*) 

§err Prof. Dr. Btichaelig in Berlin, bem auch bie orthographifth* 
Äouferena lange nicht weit genug gegangen ip, hat bie Unrichtigteit ber 
Bezeichnung an wohl eingefehen. ®r jagt**): „Statt in würbe ich an 
ali bhanetifch richtiger oorziehn." 31 ber ai becft ja ben Saut auch nicht. 
Ber Umlaut oon an Hingt im guten $ochbeutfch wie eine Betbinbung 
oon turzem trübem a (z* B. in offen) unb reinem n (z- B. in §üte). 
2Ber alfo Sup haben fottte, ftch mit ßnlunftg=Orthographie z« befaffen 
unb, ben Porten bei $errn Dr. g. oertrauenb (S. 7) bie Srunbzüge 
feineö Orthographien Spftemü in §ntei SRimtten zu erlernen hofft, bürfte 
halb bie betrübenbe Erfahrung machen, bafg bag nicht fo ganz Reicht fei. 
(Sr würbe oieüeicht, um in bem ©orte ßeugnig Saut unb Schrift ftch 
ooltfommen beeten zn laffen, zoüchnis fchreiben; #err gf. fchreibt aber 
gerabe wie wir anbern SÄenfchentinber zeugnis. 

(Sbenfo wenig (SHücf haben bie „fonetiler" • mit bem q«. $err gf. 
fagt S. 3.: „wir dürfen qn nicht beibehalten, weil quälen, bequem, 
quantität etc. nicht kuälen etc. sondern kwälen, bekwem, kwantität lau¬ 
ten/ 1 Sollte #err gf. wohl wirtlich bie Obren feiner äRitntenfcben mit biefer 
Bugfpracbe martern? ober weift er Oieüeicht nicht, bafg wir im guten 
&ochbentf(h zweierlei I» haben? bafg biefe Saute in wer unb fchwet 
oerfeftieben Hingen? — Bag erjtere fpricht man mit Unterlippe unb Ober* 
Zühneu, bag leptere mit Unter* unb Oberlippe. Biefer Saut ift oott* 
tönernen gleich bem Klange beg n in quer unb bem beg t» in bem eng« 
lifcpen water, wag $err gf. ebenfaüg nicht zu wifjen fcheint.***) (Sg ift 
ein tönenber Bauerlaut mit ähnlich e* Btuubpettung wie p unb b, alfo 
ein rehter Sippenlaut, wftbrenb bag ooüe I» in wer, Sörne ein tönenber 
Bauerlaut mit g* Stellung, alfo ein Bahnlippenlaut ift. 

2Ber unfere Bedjtfcbreibung nach pbonetifehen ©runbfäpen oerbefferu 
witt, mufg alle biefe Binge wiffen; benn wie will er bie Schrift in Hebet* 
einftimmung mit ben wirHicft gefprochenen Sprachlauten bringen, wenn er 
oon ben einzelnen Sauten felbft nur eine oberflächliche tenntnig befipt, wenn 
er z* ©• uicht weift ober nicht wiffen witt, bafg wir im guten #ochbeutfch 
zweierlei e in ben Stammfilben haben, offeneg (h) unb gef^loffeneg (6)? Um 
folche Älehtigfeiten tümmem fich unfere Reformer nicht, fcerr SRichaelii 
fchreibt f) leren, Biet, mer für lehren (6) unb leeren (b), für mehr (4) 
unb SReer (b); iperr Bezzenbergerft) fagt, man müjfe fchreiben: das 
mer hat mer wasser; §err Dr. gfricte beobachtet über biefe ©Örter ein 
berebteg Schweigen, nur aug ber Brt, wie er ftätg (ober petg) fchreibt, 
geht heroor, bafg er biefen Unterfcftieb auch uicht tennt. Ber unbefangene 
^annoOeraner würbe, wenn er bieg ©ort nach beftem ©iffen lautrichtig 
fchreiben wollte, stäts fchreiben, bie übrigen Beutfthen mit Bezeichnung 
ber befonberen Bugfprache beg S*S<h stäts. $err gf. fchreibt — merte 
fich baö gebet, ber bie ortografi beg algemeinen fereing „ohne 
befonberen Unterricht" zu erlernen hofft — fcerr gf. fchreibt stez+tf), 
nach welchem „fonetifefjen fiftem", ip leiber nicht hinzugefügt; fottte Wohl 
ein würbiger jünger weilanb Johann Batthoroö bei biefer Berböferung 
ZU State gezogen fein? — $err g. betont mehrmalg unb auch an ber 
obigen Stelle alg oberpen Srunbfap feiner Beform: für joden laut ein 
Zeichen; aber fchon bei Schreibung biefeg (Sfrunbfapeg fünbigt biefer 


*) Bgl. allgemeine beutfehe Sehrerzeitung 1876, Br. 46. S. 386. 

**) Bie (Srgebniffe ber orthogr. ftonf. Berlin 1876. S. 14. 

***) Bgl. S. 3, Bbfap 2 o. u. 
f) a. a. D. S. 37. 

ft) Slanbbemerfungen, #atte 1876. S. 16. 
ttt) Seite 343 ber Beutfch’ attg. Seftrerz. 1876. Sir. 40 lomrnt biefe 
Schreibung zweimal oor; alfo tein Brucffehler! 


Borlämpfer ber Sleform oieüeicht gegen fein beffereg ©iffen unb Sollen, 
gn bem berechtigten Streben nach ftütge geht er foweit, fogar für 
2 Saute nur 1 Seichen zu fepen. ©ie tann man nur, wenn Saut unb 
Schrift fich beeten follen, Zeichen fchreiben! Biel richtiger ioäre hoch 
teodehn! nur müffte noch patt beg ch ein Bächen Pepen. Sollte eg 
jeboch bem „algemeinen ferein" belieben, bag z attgemein für bie Saut* 
oerbinbung ts einzuführen, fo tönnen wir unü nur inmter barauf ge* 
fafft machen, in Butunft nicht mehr Schiebümann, Slatgherr fonbem 
slzman, räzher gu fchreiben, auftetbem rüzel, winzbraot, hahnäzland, 
bdzman, hunztage! ©eich« gewaltige Briterfparuug in Butunft! §ier 
Wirb felbp bem blöbepeu Buge Har, Wie recht #err gf. hat, wenn er 
fagt (S. 8), feine neue Schreibung bringe nazional«ötonomifch hanbgreif* 
liehen Borteil. Buch „pädagogisch unt sanitärisch ist li ein ereignis“. 
@fewifg; man mufg ff<h nur beim Brgt ertunbigeu, wag bem jeweiligen 
Bepnbeu zutr&glidjer fei, Berger ober Sachen über biefe Sefunbheitg* 
Orthographie. 

@g lieften fich noch gegen oiele Ungehörigteiten wohlbegrünbete Sin« 
wenbungen erheben, z* ©• flogen bie Schreibung geende für geftenbe, 
gegen Grammatik, Falles unb Fals, nennet unb nent, magd, der her, 
mere für mehrere, namentfid) aber bamit, bafg man bie mehr alg 
40 Oerfdjiebenen Saute unferer SRutterfprache mit einem Blphabet oon 
24 Buchftaben fo barfietten witt, bafg Saut unb Bezeichnung pch oott* 
tommen beeten unb bafg aufterbem jeher Saut ein 8^« «hWt- 
innert bag nicht an $ebelö ^tvei goretten, bie in brei Pfannen gebaden 
werben fotten, fo bafg in jeber Pfanne eine liegt? 

Ber geneigte Sefer wirb pch aug bem Ökfagten ein Bilb machen 
tönnen, wie eg mit ber „ortograp beg algemeinen fereing" befiellt ip. 
Bon ber $hhfiol°&i e ber einzelnen Sprachlaute oerpehen ihre Berfaffer 
zwar wenig, gegen bie Hugfprache machen fie auch recht ftramme Ber« 
ftöfte; aber bafür halten pe für bie Söfung ber Orthographien grage 
ein grünblicfteg Stubium ber gefchicfttlichen (Sntmictelung ber Sprache 
für — ziemlich entbehrlich.*) „Man hüte sich för überschäzzung des 
historischen, wi es feit 1818 im dlnste der reakzion**) mode ge¬ 
worden ist... . Auch di astrologi w&r eine historische ersoheinung; 
aber si hat der asironomi weichen müssen .... Gegenwärtig kan 
man ein ausgezeichneter astronöm fein, öne di lersäzze der astrologen 
zn kennen, oder gär zur richtschnür zu nemen.“ SEBekhe töplichf, 
naioc Begriffgoerwirrung liegt in biefen Sftpen! SSunbert euch barum 
nicht, ih* abergläubifchen Sprachforfcher, bajg Oer gewiegte „fonetiler" 
gerabe fo wie anbete SRenfcpen finb mit einem b fchreibt! S8a§ 
lümmerfg ihn, bafg man in alter gät sint gefchrieben hat? ^err Dr. 
griefe beult: wens nur fonetisch ist! Bie Schreibung mit d ift zioar 
auch Pag nicht einmal, aber ein wenig inkonsekwens wirb ja ber neuen 
Schreibung wohl uiiht jehaben; ihre Prinzipien werben babnreh nur 
etwag bunter. SBenu alfo ber gelehrte §erauggeber ber „Beform" oer* 
ffchert***), feine Begeln lönnten in zloei 3Riuuten gelernt werben „unb 
bienen, ba pe teine Buinahme haben, z u r fepepen Bichtfchuur", fo 
fchütteln wir bag $aupt unb fageu: „Bag ift nicht wahr, benn 
bie oorgefchlagene Schreibung ip in jeber Beziehung bobeitlog; ber 
nazional*ötouomifche Borteil ip auch nicht {ehr groft, tönnte aber eut* 
fchieben baburch oermehrt werben, bafg man pe uug ferner nicht mehr 
anpriefe. SBie oiel gät lönnten Wir bann burch Bichtiefen erfpareu! 
Bie p&bagogifthe unb fanitürifche Bebeutung ip ebenfaüg minbepeug 
fraglich; nur barin hat #ert Dr. griefe recht: „gröser darf Ir wert für 
di deutsche Wissenschaft angeschlagen werden“, ga, Pe ip für bie* 
felbe ein ebenfo wichtigeg (freignig, alg für ben angehenben Baturforfcher 
ein (Ssperiment, bag unerwartet ganz anberg augfftttt alg er pch gebacht 
hatte. #at er Berpanb, fo merlt er baran, bafg er im Begriff war, 
eiSen Irrweg §u gehen." 

_ 2lug. (Srabow. 

*) Beform Seite 7. 

**) Schreiber biefeg betennt hiermit feierlich feine nationaMiberale 
®efinnung. 

***) Beform S. 7. 


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868 


91t «ejenwart 


Nr. 23. 


Der J&üon ttatt 1877. 

Ber „©alon", bic aß jährlich »iebertehrenbe Batifet ÄunftauSßel* 
lang int 3nbußriepalaße bec EfjampS ElpfdeS, ift feit etwa brei ©ochen 
eröffnet unb ziept, trop beS orientalifdjen Kriege« unb ber inneren 8er* 
»ürfniffe granfreicpS, »iebetum einen großen Bpeil ber öffentlichen 
Äufmerffamleit an fleh- 

Ba baS beutfehe publicum nun einmal bie non Manchen fd^arf 
getabelte, non Oberen aber, wie mir ßheint, mit größerem Rechte ge= 
priefene Eigeufdjaft beß|t, auSlänbifcpeu 8#5nben ein reges gntereffe 
entgegen zu bringen, fo ift e$ genug am Blafee, unferen Sefern auch 
non ber bieSjäprigeu ÄuSßeßmtg eine gebrängte Ueberficht ga geben. 
Unfer Bericht !ann natürlich nur fehr fragmentarifch fein; »ogu würbe 
eS auch bienen, eine betaißirte Beurteilung non einer Stenge non 
ftunßwerlen zu geben, bie ber Sefer »opl niemals zu Gefixte betone 
men tnirb, unb bie ©palten biefeS Blattes mit Samen angufüßen, bie 
allem Änfcpein nach ebenfo unbetannt bleiben »erben, toie fie eS bis 
jefet getoefen finb? SEBtr »erben uns baher barauf befdjtänlen, bie 
^^fiognomie ber ftunßauSßeßung im Äßgemeinen bargußeßen unb 
biejenigen Sterle zu nennen unb zu befchreiben, »eiche ent»eber auf 
bleibenbett Stertp Änfprucp machen lönnen ober in irgenb einer ^inftept 
für bie ftunßgußänbe granlreicpS charatteriftifch finb; babei »erben 
»ir immer behufs ber Begleichung bie beutfehe fhtnfi im Äuge be= 
halten. 

©eit ich töe ^arifer HunßauSfteßungen regelmäßig befuge, pabe 
ich aßjäptlich Gelegenheit, bie ftereotppe Illage ju hören: „Ber bteS= 
jährige ©alon fteht »eit unter bem beS nergangenen 3apreS !" ES »äre 
nun grunbfalfch, »enn man hieraus et»a bie Folgerung sieben »oßte, 
baß fleh bie frangöftfepe $unft auf einer fepiefen Ebene beßnbe unb 
langfam ihrem Untergange gußeuete. Gang im Gegenteil; bie fran= 
göpfepe Hunß fteht auf fehr feften grüßen unb hat in ihrer foliben Bet' 
nit eine fo ftchete Grunblage, baß fie fich, auch ohne bie Beihülfe oon 
neu auftauchenben Genies, noch fehr lange auf ihrer gegemoärtigen 
$öpe palten tonn. Ueberpaupt pat fleh bie frangöftfepe Ihmß »eit 
gleichmäßiger unb »eniger fprunghaft entwidelt, als bie beutfehe; ba* 
mit hängt bernt auch ber Umftanb gufammen, baß eS in grantreich 
niemals an fehr aitftänbigem Mittelgut gefehlt pat unb pöcpß »apr= 
{(peinlich nie baran fehlen »irb. Bie großen frangöfifepen Steißer brin* 
gen bie ftunft langfam unb ßepet oorwärtS, ohne baß babei eine Beoo* 
lution beS GefcpmadeS entfteht unb ohne baß mit ben Ueberlieferungen 
ber Befangenheit gebrochen »irb: eS »erben noch heutzutage in granl* 
reich Bilber gemalt, bie ein Bomenichino ober ein Boufftn als gute 
©chülerarbeiten anerlennen würbe, »ährenb bei uns bie Seformarbeit, 
bie oon GarßenS ausging, einen tiefen Äbgtunb gtotfepen alter unb 
neuer fhtnfi gefepaffen pat. (Bie fogenannte romantifepe Bewegung oon 
1830 beftanb eigentlich nur in einer Bermehrung ber tünßlerifcpen 
Stittel.) Stenn beffen ungeachtet jebeS 3apr bie fteretniabe über bie 
Berftlechterung beS ©alonS erfchaHt, fo pat bieS feine Utfaepe oielleicht 
gerabe in biefer Gleichförmigfeit unb ©tabilität, »eiche ben Befchauer 
langweilt unb ihm baS Entferntere, palb Bergeffene, in glängenberem 
Sichte erfcheinen läßt als baS, »aS er oor Äugen hat. 

Ber Gparalter beS ©alonS oon 1877 ift alfo, unferer Steinnng 
nach/ ooßßänbig ibentifcp mit bem Gparalter beS oorjährigen, beSjenigen 
oon 1875 u. f. ». deiner ber bereits berühmten Zünftler hat fich uns oon 
einer neuen, intereffanten ©eite gezeigt; unb eS ift lein neues Balent 
auf getaucht, bem man eine »irllich große Snfunft prophezeien bürfte. 
Bagegen befinben fich unter ben fünftpalbtaufenb auSgefteßten fünfte 
werten fehr üidc intereffante, pübfcpe, tüchtig gearbeitete ©achen; bie 
Steißer haben fich größtentheilS auf ber errungenen ©tufe zu erhalten 
gewußt, unb unter ben jüngeren Äünßlero beßnbet fich fo mancher, an 
beffen SBiege eine gütige gee gef proben hat: „Bu wirft greife unb 
Stebaißen in $üße unb grüße erhalten, bie Bettungen »erben bich loben 
unb bie BanquierS »erben bich gum Effen einlaben; unb »enn bu fonft 
nicht auf ben Äopf gefaßen bift, fannft bu es auch sunt Dritter ber 
Ehrenlegion bringen/' BaS ift aber auch ÄßeS! BergebenS fuchen »ir 
unter ber Unmaffe ber auSgefteßten S&erle nach einem einzigen, welches 
im ©tanbe »äre, unfer Gemüth bauernb zu feffeln; oergebenS nach 
einer origineßen Äünftlernatur, bie unbeirrt, ohne bem äußeren Erfolge 
itachsujagen, ihre eigenen Bahnen einfehlägt. ÄßeS ift nüchtern, cor> 


rect, atabemifch; unb glauben »ir ja einmal auf eine Originalität gu 
flößen, fo müffen »ir uns halb überzeugen, baß biefelbe ländlich ge= 
macht unb nur bem Betlangen entfprungen ift, um jeben Breis bie 
Äugen beS BnblicumS, ber gournaliften unb ber BreiSrichter auf fich 
ZU lenten. 

innerhalb biefer Grenzen läßt fich aber, wie gefagt, noch fehr 
Oiel #übfcpeS fchaffen; »aS bie große ftunß oerliert, baS gewinnt bie 
Heine. 

Beginnen »ir nun bie Ueberficht ber heroorragenbften Sterte. Ber 
erfte Blafe gebührt, wie herfömmlich, ber $ißorienmaletei, btefent Äunß; 
Z»eige, ber fich tu fo engem Bnfammenhange mit bem Sationalwohl= 
ftanbe befinbet, baß er in bem reichen granfreiep gang naturgemäß gu 
hoher äußerer Blüthe lommen mußte. 3n ber Bpat ift bie Ängahl ber 
auSgefteßten §ifiorienbilbet oine überrafchenb große, unb unter biefen 
nehmen »ieber bie retigiöfen Barfteßungen eine h^roorragenbe ©teßung 
ein. 3ch »iß oon oomherein geftehen, baß ich ber fogenannten 
religiöfen SKalerei ber 9teugeit nur fehr »enig Sntereffe entgegen^ 
gubringen oermag. Bie Barfteßung oon ©toffen, »eiche unferem mober= 
nen $$beenlreife fo fern liegen, wie bie Gerichte ber ^eiligen unb 
ÜKärtprer, ift meiner Änßcht nach nur möglich unter ftrenger Änlehnung 
an bie italienifdjen unb beutfch^nieberlänbifchen Steiftet beS 14. unb 
15. SahrhunbertS, alfo in ber archaiftifchen Steife oon Ooerbed unb 
Srührich. Bie frangöfifchen religiöfen Gemälbe gehören aber theils — 
unb baS finb noch bie beften — ber Bolognefifchen ©djule beS 16. unb 
17. BahthunbertS an, theils finb fie in bem »iberwärtig füßlichen ©tile 
ber mobemen Sefuitenfd^ule gehalten. Ein fflteifterwerf biefer hP^«^= 
fchett, halb bpzantinifchen, halb Bariferifchen Stalerei, bie unter ben 
Äufpicien beS „aßerfüßeften ftergenS 3efu /y fteht, ift bie „Vierge con- 
solatrice“ oott Bouguerau. Biefer nicht unbegabte Staler hat g»ei 
©pecialitäten, bie man trofe ihres fcheinbaren GegenfapeS leicht unter 
bem gemeinfchaftlichen GefichtSpuntte ber „Berläuflidjleit" gufammen- 
faffen lann: er malt nur Stabonnen unb nadte Stäbchen, bie einen fo 
glatt unb roftg wie bie anbern, fo baß er zugleich für baS Eabinet 
beS ©errn StarquiS unb für bie ^auSlapeße ber $rau Starquife ©e= 
fteßungen annehmen lann. Berfelben ©chule gehört ber „Ehriftuö mit 
ber Ehebrecherin" oon §umbert qn, ber befonberS bie hpsaniinifeße 
©eite betont, bagegen bie Glätte beS BoneS nicht in bem Stoße befifct, toie 
fein glüdlicher Eoßege. Ba liefert hoch bie Bologonefer ©cßule oerhältniß^ 
mäßig noch erfreulichere Bilber. ©o zeichnet fich ber „barmherzige 
©amariter" oon Bupain burch gute Gruppirung unb tüchtige Behanb- 
lung beS Städten aus, »ährenb fein „Startprium ber hh- GerOaftuS 
unb BrotaftuS" bagegen an theatralifchem ÄuSbrud leibet. Bis gum 
GroteSfen fteigert fich biefer ÄuSbrud bei bem „heiligen ©ebaftian" oon 
Boulanger. Ber Staler hat biefen ^eiligen nicht, wie lanbeSüblich, 
nadt an einen Baum gebunben bargefteßt, fonbern geigt ihn nach feinem 
Stortqrium, n>ie er, blutenb unb entfteßt, brohenb oor ben ßaifer 
Stafimian hintritt. Ber ©chreden beS ÄaiferS Oor btefem abfcheulichen 
Gefpenft ift begreiflich, bürfte aber etwas »eniger lomifch auSgebrüdt 
fein. 3ch tönnte no^ eine gange Seihe oon Stabonnen, ^eiligen, 
Stärtprem u. bergl. aufgäplen, aber man »irb mich hoffentlich biefer 
unerquidlicpen Äufgabe gern entheben. Seiber ift leine Äuöficht oor- 
hanben, baß bie in gfranlreich h ert W e nbe Epibemie ber religiöfen 
Stolerei nacplaffen »erbe: ber ©taat hat fich bewogen gefühlt, eine 
große Ängapl gerabe berartiger Sterle angulaufeit, unb ein berartigeS 
Argumentum ad hominem übt immer großen Einfluß auf bie fron« 
göfifchen Zünftler aus. BaS eingige religiöfe Bilb oon Bebeutung ge= 
hört biefer Kategorie eigentlich nur bem Samen nach an: eS iß bies 
ber Äopf Johannes beS BäuferS oon bem Elfäffer Renner. Biefer 
Äopf, ber eigentlich ein Botträt iß unb nur aus einer bigarren Saune 
beS ÄünftlerS auf einem Beßer bargeßeßt iß, iß gerabegu betounbenmgS^ 
»ürbig gemalt; bie garbe iß oon einer S3ärme unb einer Klarheit, bie 
nur noch ein einziger ber auSßeßenben Staler erreicht hat: ber auch als 
Bilbhauer mit Secpt berühmte Baul BuboiS in feinem Bilbniß eines 
Heinen Stäbchens. 

Unter ben §ißorienbilbem profaner Ärt nimmt ber „Bob beS Gene^ 
ralS Starceau" Oon 3ean Bau! SaurenS ben erßen Sang ein. Ber 
Zünftler hat ben Stoment bargefteßt, wie ber ößreicpifche Generalßab 
bie Seicpe beS gefaßeneit jungen Generals befudjt. Ber tobte $elb, in 
einfacher grünet Uniform, liegt auf einem Bette auSgeftredt; ipra gu 
^äupten ftept ein frangößfeher Dfßgier, beffen gurüdgehaltener ©^merg 


x 


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Nr. 23. 


JVt* 6«g«it»art. 


m 


Sunt ergreifenden ÄuSbrucf gebraut worben ift; oot ihm ppt ber 
ößreicbißbe General Kräh, webmutbsoott fein ©eficbt in ben $änben 
oerbergenb, wäbreitb bie anbere Sette oon ben leife auftretenben nnb 
ßftßernben Offizieren eingenommen wirb. Xie bekommene Stimmung 
be« Xobtcnzimmer« ift in ber oorzüglidfjpen ©eife Wiebergegeben; Äuf= 
faffnng unb &u«fübrung machen biefe« ©ilb jum bebeutenbften be« bie«s 
jA^rigen Salons. ©eniger ausgezeichnet, aber tropbem febr beamtend- 
werth/ iß ein große« ©ilb bon ß. Stälingue, welche« ber SeoolutionSs 
gef (biente entnommen ift; es zeigt un« SobeSpierre, am borgen nach 
feinem Sturze, berwunbet auf einem Xifcbe liegenb, ihm zur Seiten 
bie büfter bltcfenben, gefangenen Sd)tec!enSmämter, zur ßinfen bie aufs 
geregte ©olfSmenge. 3$ fefc mich bergeben« unter ben auögeßettten 
©ißorienbilbern franzöpf^er Italer nach einem britten erwähnenswerten 
©emälbe um; ich tann baber mit ebenfo großer ©ewiflenbuftigfeit wie 
©enngtbuung ben britten piap einem beutßben Siater einräumen, bem 
SRainzer 9t. Sichel. Sein ©ilb ftettt un« bar, wie ber ©arbinal 
©uife ht 9tom ben Kopf be« Äbmiral« ©olignp empfängt; ber öorgang 
iß äußerp WirfutigSOott auSgefübrt, unb geitßnung unb garbe pnb 
unbebingt zu Toben. Xie beutfeben Künßler buben ft(b überhaupt biefe« 
Sabr, zum erßen Stale feit bem Kriege, in größerer Änzabl un ber 
SluSßettung betbeiligt. Sie bfirfen z»ur felbßoerßänblicb Weber auf 
Siebaitten no<b auf günpige ©eurlbeilung ber fraitzöpßben Kritit reg¬ 
nen, aber bemtoeb ip Xeutphlanb tm ©anzen würbig Oertreten. 9teben 
©ichel, ber außerbem no<b ein ganz bezügliche« Kinberporträt au«s 
gepellt but, ip zunächß ©uffow zu erwähnen, beffen „öetlorene« ©lücf" 
unb „Käpten" ben Berlinern öon ber üorjäbrigen ÄuSpettung tyz be« 
funnt ip. ßiebermann ip bureb btoti ted reatipifd^e ©entebilber, 
9toeher bureb ein Heine«, febr fehlest gehängte« unb baber laum zu 
febenbe« ©übeben, Sd&teber burd) eine ©ruppe ©aßhi*©ozu!S Oers 
treten, gfür fftnpige gätte Witt ich mir erlauben, ben beutfdpen Künft* 
lern einen 9tatb zu ertbeilen: Senbet nur Silber großen gormate« ein, 
benn e« ßheint bei ber $ängecommifßon Princip zu fein, ben „PrufßenS" 
nur bie oberften piäpe auzuweifen. 

Xa« ©enre ip oon ben granzofen immer oerbältnißmäßig wenig 
gepßegt worben; ben fap au«f(bließlicb in Pari« wopnenben Stalern 
gebt ber hrnigt ©erlebt mit bem ©olfe unb bie Kemttniß feiner Sitten 
größtenteils Oottlommen ab; e« bleibt ihnen baber nur ba« bißeipbe 
©enre unb ba« ©opttmbilb übrig, in weitem pe Xücbtige« Ieipen. 
©ibert unb ©orm« wetteifern in ber zierlichen Xarßellung oon folett 
gepupten Spaniern be« 18. JJabrbunbert«; ß<5op pellt römißbe 9tingcr 
in ber Ärena in ber ©eife ©fronte« bar; aber Teiner erreicht auch nur 
annäbernb ben belgifcpen ftegenmeifter Hlrna Xabema, beßen „Bubienz 
bei Ägrippa" wohl al« ba« Non plus ultra ber Malerei gelten tann. 
Slncb auf bem ©ebiete ber ßanbfcbaft pnben wir wenig fteroorragenbe«. 
Seit 9toußeau, ©orot unb Xiaz geporben pnb, beppen bie gfranzofen 
nur noch einen einzigen ßanbfcbaßSmaler Oon ©ebeutung, Xaubignp, 
beßen „Stoubaufgang" fiep wiebenim bureb poetifepe Stimmung au«s 
Zeichnet. Xie Uebrtgen buben fämmtlich oerfucht, ©orot unb Xiaz tyxt 
Stanieren abzuguefen; bie Öolge baoon ip, baß pe bie Unarten biefer 
Steiper angenommen buben. Stau fleht taum eine anftänbig gezeichnete 
ßanbßhaft; Sitte« ip unbepimmt unb oerwißht. Xa« frifche ©rün ip in 
oottpänbigem Stißcrebit, man ßebt nur noch ©rau ä la ©orot ober ©elb 
a, la Xiaz. ©ir brauchen, um auf bem ©ebiete ber ßanbßbaftSmalerei 
mit ben granzofen erfolgreich Z u concurriren, nicht einmal unfere 
fchweren ©efdjüpe, bie ©ebrüber Achenbach, in’« ffelb z« führen; wir 
pnb ihnen hier unbebingt überlegen. 

ÄnberS pebt e« mit bem Porträt; b^ iß Superiorität ber 
Sranzofen, trop ber (Erfolge tttiebter« unb Slngelp«, noch taum ers 
fd^üttert. gwar fcheint ber berühmte <&arolu« 55uran mit jebem 
3abre an Talent zu oerlieren; wenn man fein bieSjäbrige«, grelle« unb 
aßectirte« Damenporfrät betrachtet, follte man taum glauben, baß bers 
fetbe ^ünpler ba« btrrliche $orträt in ber ©alerie be« Suyemburg 
gefebaßen put. dagegen but ©onnat bieömal ein Steiperwert alters 
erpen Stange« geliefert, ba« Porträt be« alten $bier«, ein S3ilb oon 
einer unglaublichen ßebenbigteit unb Reinheit. 3b m fehttefeen ßch würbig 
an ber fchon erwähnte $. Duboi«, Sllpb- ^irf«h mit bem Porträt 
be« Oberrabbiner« Oon ßfrantreicb unb ftenjamin ©onpant mit zwei 
eleganten $amenporträts. 

Sehr gering ip bie«mal bie Slnzabl ber Silber, bie ß<b mit bem 
Kriege befchäftigen. Steuüitle bringt eine lebenbig bewegte ©pifobe 


au« ber Schlacht oon Spidjetn, unb 3)^taille ein ®ilb mit bem Xitel 
„Salut aux blessäa“, welche« einen Xrupp oerwunbeter ©efangener bar* 
peilt, oor benen franzöpfche Stabsoffiziere ba« Ääppi lüpen. Xer 
^ünpler b«t Pch, wie man Oerßchert, auf perfönlichen ©unfeh be« Stars 
fchatt« Stac Stabon, bewogen gefühlt, bie Preußen in Oepreicher zu 
Oerwanbeln; warum? Uebrigen« ip ba« ©ilb oortreßlicb gemalt. 

Sachbem ich uoch bie äußerp forgfältig gemalten Stillleben Oon 
©ergeret, Xb- Souffeau unb XeSgoffe erwähnt bube, tann ich 
mich ber Sculptnr zuwenben, bie un« nicht lange aufbalteu wirb. Xer 
größte lebenbe ©ilbbauer grantreich«, ?aul Xuboi«, ip bieSmal nur 
bureb Ztoei tleine ftinberbüpen oertreten, welche teine b^uorragenbeit 
©igenfhaften aufweifen. Xagegen but ber junge talentootte ©b a pu auch 
heuer eine Sßrobe feiner ©egubung geliefert. Sein ©autrelief für ba« 
©rab ber ©räpn b’Ägoult (betannt unter bem Samen Xaniel Stern), 
welche« ben ©ebanten barftettt, zeigt bicfelben ©xgenfchafteu: Klarheit, 
©razie unb ßformfebönbeit, wie fein prachtootte« ©rabbentmal $enri 
Segnault« in ber Äunftfchule. ©eniger gefättt mir ba« Xenfmal be« 
großen SebnerS unb unoerbeßerlichen Sopalißen ©errper, gleichfalls oon 
©bupu. Xie rechte $anb liegt mit tbeatralifchem ^atpo« auf ber breiten 
©ruß, bie ganze Haltung be« Slanne« bat etwa« 91boocatenbape«, wa« 
unferem gbeal eine« großen 9lebner« burdfjauS wiberfpricht. Sterci^, 
ber Zünftler, bem ffrantreicb ben febönpen ÄuSbrucf feiner Stimmung 
nach &em ftriege oerbantt, bie ©ruppe „Gloria Victis“, bat bieömal ein 
fcböneS ^autrelief gebracht, ben ©eniu« ber Äunft auf bem ©egafu« 
barpettenb; ba« SBerl ift für bie äußere ÄuSfchmüctung be« ßouüre be« 
fHmmt. Xie unzähligen mehr ober Weniger naetten Stäbchen unb 3üng* 
linge, bie größtenteils nicht« anbere« finb, al« gebanlenlofe ©opien 
nach einem beliebigen Stobett, tann ich nibig mit Stittßbweigeu übers 
geben; zu erwähnen ift böcbßcuS ber „Sarpebon'' oon einte, ein? 
anmutbige gifiur, welche mit bem „Prix du Salon“ ausgezeichnet 
worben ip. 

Somit glaube ich meine Aufgabe für biefe« 3abr erfüllt zu buben; 
follten pch ßüdten in meiner ©efprechung bepnben, fo bitte ich, biefelben 
mit ber Schwierigteü zu entfchulbigen, au« über 4000 Jhinßwerten bie 
erwähnenswerten berau«zupnben. 

$ari«, ©nbe Stai. Nemo. 


Stoüiett. 


Xie Umgepaltung ber europäifchen Äarte, wie pe au« bem 
Ärieg im Orient b^öorgeben fott, oerurfacht ben Kolititern aller £ate= 
gorien oiel Kopfzerbrechen, ©orpehtige ©erleget nehmen pch fogar mit 
neuen Ausgaben oon Atlanten in Sicht. Kann bodj Siemanb wißen. 
Wie bie ©eit nach 3abteSfriß auSfeben wirb. Slucb ©chultinber finb 
übel baran, benn fie werben Stancherlei noch einmal umlernen müffen. 
9tach ben lepten Kriegen ging e« ihnen nicht oiel befler, nur mit bem 
Unterßhieb, baß burch biefe Xeutfd^laub« oielgepaltige Staatenbilbung 
wenigpen« im Sorben erheblich Oereinfacht würbe, wäbtenb jept in ben 
XonauTänbern unb bem ©altangebiete umgefebrt bie Xürtei zu einer 
ganzen Seihe oon fogenannten autonomen Staaten zerßblagen werben 
fott. $oßentlicb wirb beim ©gamen nicht etwa gar oerlangt werben, 
baß man ba« &tteö nicht nur auSmenbig wiffe, fonbern auch genau pubirt 
habe, welche ßarfe Xofi« 9htßentbum unb welche bomöopatbifche Ouantität 
anberweitiger ©lemente jebe einzelne ©ruppe enthalten mag. Sehr ers 
freulich Wirb ber Hnblidf jebenfatt« nicht fein, ©ie e« bei ben ©attacben 
unb Serben auSßeßt, wißen wir burch gute Seifebücher. ©« ip ber 
faum übertünchte Stängel an jeber echten ©ilbung, ganz ähnlich mie in 
Petersburg, unb obenbrein mit ber Stifere ber Kleinpaaterei patt ber 
immerhin imponirenben tufßßben Sta^tfütte. Kommt noch bie ©ulgarei 
unter irgenb einem auölänbifchen Prinzen hinzu unb geratben alle jene 
neugebadenen Souoeräne in naturwüdhpgen ßanl unb §aber, fo fann 
man fich ben burmonißben ©inbrudf oorpetten, welchen bie neue Schöpfung 
beroorbringen wirb. Prinz Kart oon Sumänien übrigen« butte pch 
feiner Seit gewiß nicht träumen laßen, baß ber Sacbtfad, mit welchem 


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Vit Vtgtitttftrt 


Nr. 23. 


et nad) Budateg reifte, eine ßänigStrone tu feinen galten barg. SN# 
er pier non Bi#mard pgicptfcpnlbigg Slbfcpieb nahm, fofl biejer ipin be« 
lanntlicp au bem unerwartet tafepen Stoancement oom Lieutenant junt 
dürften ©lürf gewünfept paben. ÜRit ber Sapl beS Springen fiarl war 
aber auch Hapoleon au# allerlei ©rünben gana einoerganben, batte ju 
biefer Kombination fogar inbirect ermutpigt. Sn einem Schreiben ber 
SRutter bei ^rinjen an ben ßaifer oon SRitte 3uni 1866, ba# in ben 
Builerienpapieren gefunben würbe, fagt biefe, S. 2R. pabe gwar ba# 
Unternehmen ihre# Sopne# nicht offen begünstigen lönnen, aber er pabe 
feinen Sntfcplng nicht gefaxt, ohne bie intime Ueber^eugung, bag er 
bamit bem Äaifer nid^t mißfallen würbe. Bie Builerienpapiere enthalten 
auch fonfüge Beweife oon ben übrigen# notorifeben Begebungen ber 
gamilie $openaolIern p bem $ofe bei Äaiferi Hapoleoit. ^rinj Leo« 
polb batte feinerfeit# bort mehrfach eine günfüge Sfofnapme gefunben. 
Hiemanb ahnte, bag biefer $tin$ fpäter burch feine fpantfepe Kanbibatur 
bie Urfacpe bei Sturjei ber Bonabarte unb einer ber größten ftaatlichen 
Umwalaungen bei 3 a P r Punbert# werben foHte. Napoleon bat auch im 
Orient fteti eine confpiratorifcp egoigifepe Bolitit oerfolgt, bie, wie LUIei 
wai er unternahm, fcplieglicp gegen ihn auifeblug. Bag er bei bem Ärim« 
triege fiep für bie Verweigerung bei: Mon frfcrel in ben brieflichen Slnteben 
bei äaifer# Hilolau# rächen wollte, unb bafür Banfenbe oon SRenjcpen« 
leben opferte, ift weltbetannt. Bie äRpgerien bei gegenwärtigen Kriege# 
werben ebenfalls einmal enthüllt werben, unb ei wirb ftcb S^gen, Welche 
Bewanbtnig ei mit ben poepperaigen ®efü^Ic« bat, bie ipn beeingugt 
haben foüen. Beinah ein Bierteljaprpunbert ift oerfloffen, feit bie 
Batarennacpricpt oon bem gatte Sebagopol# ficb ali oerfrüpt erwiei. Ätte# 
hat ficb Oeränbert, aber bie SRenfcpen mit ihren Neigungen unb Sinti« 
patbien finb biefelben geblieben. Bie fatfdpe Heuigleit hatte in Bari# 
grogen Subei peroorgerufen, benn Huglaub war bort grünblicb oerhagt. 
Ber pinlenbe Bote bei Bementii folgte inbeffen halb nad). Bai feit« 
bem eingegangene Kaf<$ be $arii würbe au jener 3«t oon $erm ÜRartin 
gehalten, beffen grau bureb ipren fcblagfertigen Sip betannt war. Bie 
Befucber plauberten gern mit ihr am fogenannten Komptoir. Um bie 
Stuube, ali ber irrthümlicbe Bericht oon ber Kinnahme Sebagopol# bie 
©emfttper erpipt hatte, aber fo eben wiberrufen war, ertunbigte fiep ein 
junger Biplomat bei SRabame IRartin nach bem BageSgeriept, unb er« 
hielt bie fcpallpage Antwort: Le plat du jour, Monsieur, c’est un 
canard a la Tartare! Bai Sort machte bamali oiel @lüd. $eutau« 
tage finb folcbe apolrpppe §igorien, wie ber gafi einer geftung faft ein 
Sapr beoor ge ficb tuirflidj ergab, feltener, werben wenigfteni rafeber 
bureb benfelben Belegrappen richtig geftellt, wie bie SBiener fagen, ber fte 
oertünbet hat. Bie Beine ber Krgnbüngen futb noch fliraer geworben 
unb ei gilt bai oon ben biplomaüfcben fo gut wie oon ben militä« 
rifeben. Bie bamit in aller Herren Länbern fcanbel treiben/ würben ein 
gana oergnügtei Stillleben führen, wenn ei leine Bementii gäbe. Slber 
man lann pienieben nicht Sitte# haben unb mug fteti bie Äeprfeite bei 
irbifegen Bergnügeni mit in ben Äauf nehmen. 

♦ 

* * 

©eorg Scpana, 8ur ©efdjicpte ber beutfeben ©efetten=Verbänbe im 
SRittelalter. Leipaig 1877, Bunder unb ^umblot. 

Victor Süm<5 $uber, ein SRonn, beffen gcmeiitnüpige# unb ebtei 
Streben wäprenb feinei Leben# oielfacb oertauut worben ift, bent aber 
felbft feine ©egner einräumen müffen, bag er ein forgfältiger unb gnu« 
reicher Beobachter unb Vergleicher focialpolitifcber 3uftänbe be# Sn« unb 
SluSlanbe# war, fagt in feiner Schrift über bie „Slrbeiter«Koalttionen* : 

„Bie englifebeu Trade-Unions entfpreeben fowohl nach Urfprung 
unb Sbee, al# nach ber befferen unb befonber# neuen (englifepen) $taji# 
wefentlich ben ©efelIen«Laben be# alten aünftigen ^anbwerl# in 
einer ben Bebürfniffen unb Verhältniffen ber mobemen 3nbuftrie ent« 
fprechenben ttRobigcation, Kntwtdelung unb Stu#bepnung." 

Bie oben genannte, mit echt wiffenfchaftlichem Seift oerfagte unb 
mit einem oortrefflicb au#gewählten unb pödjg intereffanten Urfunbenheft 
oerfehene SRonograppie über bie Verbänbe ber „Änecbte" unb ©efeüen 
unb über bie „Brüberfcbaften", oornehmlicb im oieraehnten unb fünf« 
aebuten Sohehunbert, liefert gleicbfam ben hiftorifeb^pragmatifeben Bewei# 
ju ber mehr auf „intellectueller Änfcbauung 4 ' beruhenben Sleugerung 
$>uber#. 


Sie aeigt un# aagleicb, in Wie weit ber 9tabbi«ben«Kftba Hecht unb 
in wie Weit er Unrecht hot, wenn er behauptet, e# fei Kfle# fepon ha« 
gewefen. 

Sie aeigt un# nämlich, bag febon im oieraehnten unb fünfaehnten 
Sahrhunbert in Beutfcblanb eine jener Bewegungen ftattfanb, welche wir 
heut au Sage „focialiftifch* nennen. Bie $anbwer!#gehülfen, bi# bahtn 
„ftneebte", wollen „Sefelten" werben, b. b ge wollen an bie Steüe 
be# Spange# unb be# Bienge# bie greiwitligteit unb beu Ver« 
trag fepeu. Bie 3unft, welche hn Beftp ber ritterlichen, poliaeilicben 
unb abminigratioen ©ewalt ig unb an ber Spipe ber ^ülf#« unb Unter« 
güpungdlaffen geht, wehrt geh bagegen, ©egen ben aünftigen Verbanb 
ber SReiger hüben geh bie tpeil# freiwilligen, tpeil# ebenfall# aünftigen 
Verbänbe ber „ftneebte", fpäter „©efetlenlaben" genannt Scpana 
führt un# in anfcpaulicber unb greng queUenmägiger Scbilberung bie 
©efeüenbewegung bei ben Scpneiber« unb ©cbugerlnecpten, bei ben ©erber« 
unb Scpmiebefnecpten, ben föeber«, Bäder«, ÜRüüer« unb Äepgerfnecpten, 
ben ftfirfcbnerlnecpicn unb ben ©efellen be# Baupanbrnerl# oot. Kr 
maept un# auf eine Heipe weiterer intereganter Krfcpeinungen aufmerlfam ■: 
Wit beute bie Kteritalen bie 3uglrag ber focialigifcpen Bewegung für 
ihre 3&ede a u benupen begrebt finb, fo fudpt fiep anep im oieraepnten 
unb fünfaepnten Saprhunbert fepon bie ftirepe, niept opne Kr folg, ber 
©efeüenagitationen au bemäeptigen, inbem ge ipre „Brüberfcpaften* 
grünbet. SEBie heute bie oerfepiebenen politifcpen Parteien gep einanber be# 
Äofettiren# ober gar be# Komplottiren# mit ben Socialigen befcpnlbigen, 
fo wanbten gep bantal# bie Batricier in bem Kampfe um ba# gäbüfepe 
Regiment, welchen ge gegen bie Sünfte füprten, an bie ©efeüenoerbänbe 
mit ber Bitte um $ütfe. Suweileu lam e# aber auch uor, bag bie 
SReifter bie ©efellen bewaffneten, um bie Batricier auf 1 # $anpt a u 
fcplagen. 

Ba bie bamalige Seit noch unoerbunben, b. p. ba u. St auep bie 
Orte nnb bie Beruf#arten noep mepr ifolirt waren, fo ig an eine 
nationale ober internationale Kooperation ber nach unb ©ewerbe 
für fiep begepenben Kinaeloerbänbe noep ntept a u beulen, obgleich bereit# 
Beaiepnngen, ja fogar Kartelle unter ihnen gattgnben. Shup gnb bte 
3wede ber Bewegung immer fepr llare, pogtioe, prattifepe unb eng um« 
fepriebene, im ©egenfap au ber mepr auf ba# SÜIgemeine, unb auwetlen 
auch auf ba# Bage unb Utopiftifcpe, gerichteten heutigen Bewegung, 
welcpe bie localen Berbänbe unter eine ftramme Kentralgewalt au gellen 
begrebt ig. Bort locale Selbgoerwaltung unb 3jöberali#mu#, pier 
Bictatur unb Kentralifation. 

Ba# bunte Büb, welcpe# wir oben mit ein paar Stricpen anau« 
beuten oerfuepten, üerfcpwinbet bann ooüftänbig in bem grogen Kpao# 
be# feepaepnten Suprpunbert# unb be# breigigjährigen Kriege#; nnb 
enblicp lommt bie territoriale B^liaügewalt unb „orbnet" unb „mag« 
regelt^ SUIe#. 

Ba# Bncp Oon Scpana put niept nur für fctgoriler oon Sach, 
fonbern für jeben ©ebübeten, namentlich für Sille, welcpe Boß#wirtp« 
fepaft, Knlturgefcpicpte, Bolitil unb Socialpolitil treiben, etn groge# 
Sutereffe. K# bietet eine banlen#wertpe Krgänaung au B*®f. ©ierte# 
„©efepiepte be# ©enoffenfcpaft#re<hte#". 

Karl Braun. 

* 

* * 

Slip felbß im üege. 

Kin Stimmnng#bilb üon SRajimilian Bern.*) 

Bie Sraeugnige junger Baiente pgegen niept fowopl wegen iprer 
lünglerifcpen fReife, al# wegen ber Unmittelbarleit unb Srifcpe, mit 
welker bie Bpuntage ipren fepdpferifepen Bieng oergept, unfer Sutereffe 
au erregen. Hicpt wa# er bereit# bietet, fonbem wo# er beteing au 
bieten oerfpriept, maept nn# ben Anfänger lieb nnb Wertp. Ber heilige 
©taube ber Sugenb an bie eigene &rag unb ipre unausbleiblichen Siege 
lann ipren ©aben, wenn ge au# bem £em einer wirlltcpen Beanlagung 
entganben finb, einen Heia oerleipen, ber bem Suchen unb B*üfen ber 
fpäteren Supte fag immer feplt. 

Sn biefent Sinne ig bie Slnerlennung, Welcpe SRagimitian Bem 
mit feinen Krgling#werlen „Sluf fcpwanlem ©runbe /# unb „®egrüpp <# 


*) Berlin 1877, K. Bicpteler & Ko. 


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Nr. 23. 


1! t 9 tgenmaxt. 


371 


gefunken fyrt, eine wohlberechtigte. 3* breiter ßdj bet SilettantiSmuS 
auf bern Gebiet ber ©obelle macht, beßo freuttög** 'muß ein wirllich 
originelles (Eiaählertalent begrübt werben. Saß ©ern ein folcheS in 
ber Shat befipt, ift auf Grunb ber bis jept gebotenen groben taurn 511 
bejtoeifeln. Ser junge Autor oerfügt über eine Sarßettnng bon nicht 
gewöhnlicher ßmtlicher ftraft, über eine (Eharafterißif bon Schärfe unb 
SebenSwahrheit unb ift in ber §anbhabung ber ßilißifchen gornt forg* 
fam unb eigentümlich, wenn auch nicht frei bon GefdjmacKofigleiten. 
Sollte man ber Anerleitnung ben gweifel gefeiten, fo bürfte man aller* 
bingS fragen: ©irb biefe* Salent bie ©chwierigfeiten einer größeren 
(Eompoßtion überwinben unb wirb eS bie urfprüngltch engen Grettaen 
feiner ©egabung burch bie Aufnahme beS mobernen hebend in reicherer 
Sülle au erweitern wiffen? 

©er biefe Stage geneigt war au bejahen, wirb burch ©ernö neuefte 
ißooeHe „©ich felbft im ©ege" etwa* enttäußht fein, ©ir felbft ge* 
hören au biefen halb (Enttäußhten. (Entweber haben Wir bem Autor au 
oiet augetraut ober er h a * ö u biel besprochen. ©eine ©tufe hat neben 
ihren alten Voigügen feine neuen offenbart, wie wir anfänglich hofften. 
SaS Keine ©erfchen ftellt eine engbegrenate ©eit bar unb enthält im 
(Einaetneu mancherlei beachtenswerte güge, ift aber leine (Einheit, fein 
in ftch abgefchloffener Organismus. ©ernS Begabung liegt mehr im 
(Eolorit, als in ber Segnung, mehr in ber inbiöibuellen (Eharafterißif, 
als in ber abgerunbeten (Eompoßtion. ©eine Sarßellung wirb bon ber 
©timmung bet Abenbbämmerung beherrfcht, mit ber bie ©onne bon uns 
Abfdjieb nimmt. (Er berlehrt lieber mit ber Stacht, als mit bem Sage 
bei SebenS. Oft liegt jeboch in ber tragifchen ©enbung, wie fte ber 
Verfaßer liebt, leine innere ©öthigung. ©0 auch in bem jüngßen (Er* 
aeugniß. SaS ©änbchen fchilbert bie Siebe einei jungen armen ©chau* 
fpielerS au einem noch ärmeren ©tabuen. Dagobert Steinau ift einft 
ali Seichen ber Anerfennung ein Ärana auf bie ©üljne geworfen worben, 
aber merfwürbiger ©eije ein Sobtenlrana, ba bie ©penberin beifelben 
au einer reicheren Gabe bai Gelb nicht erübrigen fonnte. Steinau fucht 
bie Verehrerin feinei SalentS — baß ein ©tabuen ihn auf fo feltfame 
©eife überrafdjte, hat er aufäüig erfahren — lennen au lernen, unb ba 
ihm bie« nicht gelingen will, berftnft er in Srübßmt unb malt fich baS 
©ilb ber Weberin in feiner ©houtaße mit berfchwenberißh reichen garben 
auS. (Er ahnt nicht, baß ber &tana bon ber Sodjter feiner ©irthin ihm 
geworfen würbe. SaS junge ©täbdjen, ba* fchon lange in ftiller Siebe 
au bem Zünftler erglühte, wagt erft auf bem Sterbebette baS Geßänbniß 
ihrer tief empfunbenen Steigung. Auf ben Srümmern einer gebrochenen 
®Eiß«ta hie ©ehmuth beS jungen ©#anfpieletö. 

SaS ift eine einfache, menfehlich rührenbe Gefehlte. ©eShalb muß 
aber bie arme Sljilbe fterben? Set Verfaßer will eS fo, ohne biefer 
©enbung ben ©tempel innerer Glaubwürbigleit unb ©ahrljeit aufbrüefen 
au fönnen. Um eine äußerliche SHotibirung anaubringen, läßt er baS 
SJtäbdjen am offenen genßer ftch eine tüchtige (Erfältung holen. SaS 
ift aber eine fehr armfelige Art, bie Äataftrophe hetbeiaufühten. Ser 
ganae tragtfdje Schluß iß bei ben paaren herbrtg«aogcn, um bem Ver* 
faffer Gelegenheit aur Ausmalung eines rührenben ©tintmungSötl&eS au 
geben. Sarnit berühren wir bie AchWeSferfe ©ermS. ©ein ©ahlfpruch 
lautet: ©timmung um jeben ©reis. (Er lennt bie (Einfeitigleit feines 
Patents unb weiß baSfelbe trefflich auSauirfipen. (IS liegt ©htßl in 
feiwer Spraye unb Sarßettung, aber wenig ©laßt!; mangelhaft finb 
alle Uebergänge aus einer Situation in bie anbere. 3n her Ausführung 
ber Äleinmalerei ift er oft bon großer Virtuofität, leiber aber oft an 
ber Unrechten ©teile. Sie Art unb ©eife, wie bie greunbiu ber ßrana* 
fpenberin bem jungen ©chaufpieler ben (Erwerb ber wunberlicßen Gabe 
eraählt, iß ein charaKerißifcheS ©eifpiel hierfür, ©ie berichtet bon einem 
©argmagaain, in beffett AuSlagefenßer einige fttäna* lagen. 3u ber 
©erfßatt nebenan aimmert ein Sifchler einen ftiitberfarg, unb ein Keines 
SRäbdjen reicht bem ©tonne freunblich ladjenb bie Stägel, als hanble es 
ftch um eine ©uppenwiege. Sarnit nicht genug muß auch noch bie 
(Earoffe eines $ochaeitSaugeS borbeigaloppiren. gu biel, au biel! ruft 
ber Sefer mit Sannhäufet aus. Alles au feiner Seit, aber a®ei wilb* 
frembe ©enfehen cinanber aum erßen SJtal begegnen laßen, bon benen 
ber eine bem anbern bie ©timmung mit folgern Stafßnement gleichfam 
eintrichtert, h^ 6 t haS Gute übertreiben, ^eigt baS Sfatürliche wieber j 
aur Unnatur au machen. 

©oau bie (Erwähnung biefer Sehler, beren feine geringe iß? 
(Etwa um bem jungen ©cßriftßeller bie gteube an feiner Arbeit a« ber- 


leiben unb bie Sefer bon ber Seetüre beS ©erfchenS abauhalten? HeinS 
bon ©eiben! ©ir wünfehen ©ern im Gegentheil recht biele Sefer, aber 
Wir wünfehen ihm auch felbß eine ßrenge Prüfung unb Schulung feines 
eigenartigen XalentS. ©eine ©egabung gleicht einer ftitoSpe, bie nur 
bei ber forgfamßen $ßege ßch aur fchönen ©lüthe entfalten lantt. ©em 
möge auf bie Seichtigleit feiner ^robuction, auf bie Srrifdje feiner 
bichterif^en ©ürfe, auf bie SRufif feiner Sprache unb bie Aufdjaulichleit 
feiner ©d^ilberung ßola fein, aber er möge biefe Staturgaben nicht über* 
ßhäpen. $ie Siomantil beS ^unftreiter* unb ftünßlerthumS möge 
er in ihrer ©efchränfth«** recht halb berlaßen, bie Dichtung als neu* 
zeitliche ©aße im Kampfe für baS ©ahre, Gute unb Schöne gebrauchen 
lernen unb ftch tu größeren, gefdjloßeneren (Eompoßtionen berfuchen — 
baS iß uitfer fteraenswunßh- Stur bei eifemem gleiße iß es möglich, 
eine wirKich beachtenswerte Stellung in unferer Siteratur au erringen, 
^ie Statur hat bei ©ern baS Sh^ge gethan; möge er baS ©einige thun. 

Sugen ^ubel. 

♦ 

* * 

©eitbem George ©ancroft (ber ehemalige amerifanifche Gefanbte in 
©erlin) bie erße quellenmäßige, freilich nur bis aum gahre 1776 reießenbe 
Gefehlte ber Vereinigten Staaten gefeßrieben, iß in Storbamerifa biel* 
fach ber Verfließ gemacht worben, bie Gefammtgefdjichte ber Union in 
mehr bolfSthümlicher gorot baraußeüen, als eS burch ©ancroft gefeßehen 
iß. $ilbreth, ©. (E. ©rpant unb Soffing, ftnb u. Ä. auf btefem Ge^ 
biete erfolgreich gewefen, am meißen jeboch ©enfon 3 . Soffing, beßen 
„illußrirte Gefchichte ber Vereinigten Staaten^*) au ben popu* 
lärßen GefcßichtSbüchem StorbamerifaS gehört unb in hunberttaufenben 
bon (Exemplaren betbreitet iß. 3n ber $hat beßpt Soffing eine Steihe 
bon Voraügen, bie ihm baS geug au einem GefchichtSeraähler geben in 
bem guten Sinne, wie ihn bie beutfehe Gefchichte a* & in ©eder unb 
fpäter in gerb, ©eßmibt uitb ©erniefe gefunben hot. ©tan würbe 
irre gehen, wollte man SofftngS ©uch in bem Sichte eines OuellenwerfS, 
baS bisher unbetannteS hißorifcheS ©taterial beratbeitet, betrachten: eS 
fteht im Gegentheil burdjauS auf ben Schultern feiner, in ber beutfehen 
fritif<h'hißonfth en Schule gebilbeten Vorgänger. Aber bor biefen hat ec 
ben nicht hoch genug au ßhäpenben Voraug ber lebenSboÜen, eleganten 
unb bennoch gewißenhaften SDarftelTung, welche fich uu baS Verßänbniß 
unb gntereße ber weiteßert Greife ber Gebilbeten wenbet unb tn biefen 
ben Sinn für bie Gefchichte beS VaterlanbeS energifcher werft, als bie 
aber bielfach fehr trorfene Art eS bermag, mit 
ber ©ancroft unb feine Stachfolger (Entßehung unb ©achsthum ber großen 
Siepublif fchilbem. SofftngS ©arßeüung unterfcheibet fechS ©erioben: 
bie Seit ber (Entberfungen, bie ber Anfieblungen unb brittenS bie ber 
Kolonien, an welche ftch bie bierte ©eriobe, bie ber UnabhängigfeitS* 
fampfeS anfcßließt. Sie fünfte $eriobe, bie ber großen ßaatlicheu (Ent* 
wirflung, führt bann bie Gefchichte bis aum ©eginn beS ©ürgerlriegeö, 
ber, in Verbiubung mit ber Gefchichte ber ihm folgenben gahre bis aum 
AuSgange beS erßen Amtstermins Grants, ben 3uh®tt ber fecßften 
$eriobe bilbet. 3u ben erßen brei Abfchnitten iß baS ethnographifche 
(Element befonberS ßarf betont, unter bollßänbiger ©eherrf^ung bei 
einfehtägigen SRaterialS. Sie (Ergebniße ber grunblegenben ©erfe bon 
©choolcwift, ©hipple, Sh. ©aip unb ein Shell beS überreichen ©late* 
rialS, welches Hubert ©ancroft aufammengetragen, werben hier au einer 
Karen Gefdhichte ber Ureinwohner beS großen Kontinents berwerthet. — 
Sie ©ebeutung beS Sofßng’fdjen ©ucpeS als bolfSthümlicheS ©er! 
wirb erhöht burch bie große gabt oft gana bortreßlicher ^olafchnitt* 
SUußrationen bon ber $anb gelij SarlepS, ber in ber Union au ben 
©eften auf bem befonberen Gebiete gehört. Sie AuSßattung ber beutfehen 
Ausgabe iß fehr gelungen unb übertrifft bei weitem bie beS Originals. 

3 * 9 - 


*) (Erßheint in 40 Sieferungen. Stuttgart, Verlag bon Aug. 
©ertß. Auerbach- 


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372 


Sie «egemtmrt, 


Nr. 25. 


3 » f < * • i «• 

Delius’ 

SHAKSPERE 

IY. (Stereotyp-) Anflage 

2 starke Bände, brochirt: 16 JC In 2 fei¬ 
nen Halbfranzbänden: 21 JC 

Jedes einzelne Stück: 80 Pf. 

[Letztere werden, soweit der Vorrath 
reicht, in früheren Auflagen geliefert.] 

Verlag von R. L. Friderichs 
in Elberfeld. 


Verlag von Otto Meissner in Hambnrg. 
Gesammelte 

Schriften und Reden 

von 

Dr. Johann Jacoby. 

=: Zweite Ausgabe 
mit Nachträgen in vier Halbbänden ä 1 JC 

Sri fronifurt o. ffl , Station d. Main-JIrorr-flaSn. 

Alkalischer Säuerling und talinischo 
Trinkqucllen. Ziegen-Molke. Inhalation 
ozonhaltiger Oradirluft. Naturwanne, 
kohlensäurercichcSoolbäder. Saisondauer 
vom 1. Mai bis SO. Sept. Abgabe gcwöhnl. 
Soolbäder auch vor, bez. nach dieser Zeit. 

Nähere Auskunft ertheilt bereitwilligst die 
Grossh. Hess. Badedirection Nauheim. 

Jäger, Bergrath. 

Im Verlage von H. Hartung & Sohn in 

Leipzig erschien soeben: 

Beiträge zu 

Raphael’s 

Studium der Antike. 

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Carl von Pulszky.i 

Oktav. Preis: 1 JC 60 A. 


Für Reisende nach Schweden-Norwegen. 


Schweden-Norwegen. 

Ein 

practisches Handbuch für Reisende 

von 

Yngrar Nielsen, 

Assistent a. königL Reichsarchive iu Cliristiania. 

3. Auflage. 

Revidirt bis Frühjahr 1877. 

Mit 7 Karten und Plan von Stockholm. | 
Preis 7 JC | 

Schweden apart 7 M. 50 Pf., Norwegen I 
apart 6 M. 

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Schweden - Norwegen. 

Hamburg. 

W. Mauke Söhne, 

vormals Perthes, Besser & Mauke. I 


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durch jede Buchhandlung zu beziehen: 

Klimatische Sommerkurorte. 

Leitfaden für Aerzte und Laien 

von 

Dp. med. H. Reimer. 

Kl. B. IV. u. 301. Preis brochirt 4 JC 
Berlin, den 21. Mai 1877. G. Reimer. 


yebadtsa, Merfia S.W., fiinbenftroftc HO. 


Wfttfrfttf 3> er unglüdlic^e Paul flirtor Nttdptt***, beffeu ©eföid bor 3a$r unb Sag getoifs 
jebeS füfylettbe $er§ tief bewegt Ijaben toirb, ift nun aus jdjtoerer Ärantyeit toieber 
(o wett genefen, feine geifttgeit firäfte gebrauchen p lömten. fyanbelt ftdj um einen ©djrift; 
jteller, melier öon ber 5öftfjne fjerab tote in ber (Erzählung ftetS Sbleö unb ©ebanlenrei^ed Der 
fünbete, unb fo toenben fi# bie Unterzeichneten an alle Sreunbc unb öefdjüger beS UnglficfS, bei 
©gölten unb ber ßiteratur, mit ihnen ben feit fahren tief (Gebeugten, böflig HJHttellofen, für ein 
neues Schaffen unb SBirten auSjurüften. S)ai gro|e latent Söidpnann’4 toirb bie äKenföenliebe 
ber ©eber Vergelten, ©efl. Beiträge bitten toir birect an uni zu richten. 

$ermann ©oftenoble, ^erlagibuchhnnblung, 3ena; Büchtet & Äappler, Eerlagd? 

_ bnchhonblung in Btflmberg; %. üon teiitterfelb, Stettin, gBeifeenbiitget Strafte 26 . 

aeqoizeq nz uoflunipunqqong e^w qomQ 

'ask. *ja os v«ä i «!«•»..< 

, 9;i9SU0^'BqOg J9UI9S UOA *SSU9Jd J9Q ‘ßjsqusu«|d *mp9iU 

: uduarqosjd uoqeog 

•ij/ jW nnqooi ‘ qazoaxjqg piiqofH U0A 8*l*9A 


Mendelssohns Werke für Kammermusik 

= vollständig. "" — 

Für fünf und mehrere Streichinstrumente« Partitur, stimmen. 

Complet in 1 brochirtem Bande und in Umschlägen. JC 9.—. JC 14.40. 

Octett f. 4 Violinen, 2 Bratschen n. 2 VioloncelL Op. 20. in Es . . . . „ 9.90. „ 6.30. 
Erstes Quintett f. 2 Violinen, 2 Bratschen n. Violoncell. Op. 18. in A . „ (3.—) „ (2.20) 
Zweites Quintett f. 2 Violinen, 2 Bratschen u. Violoncell. Op. 87. in B . „ 2.40. ,, 3.90. 
Quartette für 2 Violinen, Bratsche und Violoncell. 

Complet in 1 brochirten Bande.„13.—. „ —.—. 

Complet in 4 brochirten Bänden.. —.—. „20. —. 

Erstes Quartett. Op. 12. in Es. 1.80. „ 3.—. 

Zweites Quartett. Op. 13. in Am. 2.10. „ 3.—. 

Drittes Quartett. Op. 44. No. 1. in D.„ 2.10. „ 3.10. 

Viertes Quartett. Op. 44. No. 2. in Em.„ 2.40. „ 3.30. 

Fünftes Quartett. Op. 44. No. 3. in Es. „ 2.40. „ 3.90. 

Sechstes Quartett. Op. 80. in Fm. 1.80. „ 3.—. 

Andante, Scherzo, Capriccio n. Fuge. Op. 8. in E, Am, Em u. Es . . . „ 1.80. „ 2.70. 

Für Pianoforte und Saiteninstrumente« Part. u. st. 

Complet in Umschlägen.JK43.—. 

Sextett f. Pfte., Violine, 2 Bratschen, Violoncell n. Contrabass. Op. 110. in D . . „ 7.20. 

Erstes Quartett f. Pfte., Violine, Bratsche n. Violoncell. Op. 1. in Cm. „4.20. 

Zweites Quartett f. Pfte., Violine, Bratsche n. Violoncell. Op. 2. in Fm .... „4.20. 

Drittes Quartett f. Pfte., Violine, Bratsche u. Violoncell. Op. 3. in Hm.„ 7.60. 

Erstes grosses Trio f. Pfte., Violine n. Violoncell. Op. 49. in Dm. „4.80. 

Zweites grosses Trio f. Pfte., Violine n. Violoncell. Op. 66. in Cm. „6.10. 

Sonate f. Pianoforte n. Violine. Op. 4. in Fm. „2.10. 

Variations concertantes f. Pianoforte u. Violoncell. Op. 17. in D. 1.50. 

Sonate f. Pianoforte n. Violoncell. Op. 46. in B. „3.30. 

Sonate f. Pianoforte n. Violoncell. Op. 68. in D.. „8.60 

Lied ohne Worte f. Violoncell n. Pianoforte. Op. 109. in D.,(—.99) 

Leipzig, Verlag von Breitkopf & Härtel. 


Altbewährte« seit vielen Jahrhunderten bekannte alkalische ^ 

- Kochsalz-Thermen (30—55» Rdaum«) 

Our ununterbrochen wahrend 
des ganzen Jahres. 

E?.ltvisflcrhoilanstalten, Hessische-, Bflmhsh- 
bische, Dampf- * 3chviam-Bllsr.^^0^!5i0^^^av 
Eie Ctrl citlt, Ziegenmilch, m ... . Ä 

Kolken etc. etc. Sämmtliche 




Sämmtliche 
Snison-Yergnlignngen: 
\eerte, Hütte etc., sind 
Jahr vermehrt« Die JLrwe- 
reicher ausgestattet. 1 Kgl* Theater, 
JFiseherei, IfeMreMueti, An* fl ft ff e etc. etc. 


BAD HOMBURG 

V« Stunde von Frankfurt am Main. 

Homburg 9 » Heilquellen sind von durchgreifender Wirkung hei allen Krankheiten, 
welche durch die gestörten Functionen des Magena und Unterleibs erzeugt werden, auch 
hei ehroniachen Leiden der Drflaen des Unterleibs, namentlich der Leber und Milz, hei 
der Gelbsucht, Gicht n. s. w. 

Die Reinheit der frischen Bergluft empfiehlt Homburg zu stärkendem Aufent¬ 
halt für Nervenleidende« 

Mineralbäder, Sool- und Kiefemadelbäder« Molkenknr« 

Das Orchester spielt täglich 8 Mal; ausserdem Militalr-Coneerte im Kurgarten, Extra- 
Concerte bedeutender Künstler, Theater, Bälle, Rdunions, Kinder- und Waldfeste, 
Feuerwerke, Illuminationen in steter Abwechselung. 

Im Knrhanse elegante Conversatlons- und Tanzsäle, Lesezimmer, Cafd mit Billards. 
Der bisherige Restaurant Chevet unter der früheren Leitung. 

Unmittelbar am Knrhanse reizende Anlagen und Park mit Orangerie und Palmenhaus? 
schattige Promenaden, Wald- und Gebirgspartieen« 


güt Me Rebaction becanttsortUit: flttrg Stufte in pofh. 
fcrud bon M* fl* teaftaer in jri?|ffl. 


ftffttttta, MerCta N.W., Ssaifeaftrste n. 


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JV7 24 


Rettin, beu 16 . 3 #»t 1877 . 


XL Band. 



äßochenfchrift für fiitcratur, Äunft unb öffentliches Beben. 


Herausgeber: ^fcutf ^tnbittt in ©erlin. 


|tln Siminl uföriit ritt |«Mtr. »erleaet: «tera StiWt in »erlin. ?*« tuartnl 4 Bork 50 |f. 

8u btsiefan butt$ alle IBuippanblunöen unb ^oftanftatteit. Suferate ieber Ärt pro Sgefpattene ^ctitjeile 40 $f. 


2)ic Sutunft 3rran!reid>3. ®on ßcopolb 9Ric^tcr. — gur ®erfälfd)ung bcr fiebenSmittel. $oit SU. ftofaeuä. — ßiteratur nnb 
ftttfirtff* fie&etüoljl! $oit SBtlljelm Senfert. — $)ie ®e|eimratf)3tod(}cr. $on ^cbtoig^oljtit. — Sommerliche Sörtefc. ©djulae. 

^UJUUl. ®oit $aul Stitbau. — $er ^tieg gegen graitlreich 1870 — 71. $on Xfieobor Montane. 93efprod)en bon 9K. SäljnS. — entlegene 
eulturen. Stilen unb Silber bon Söttfjelm ©olbboum. ©eforod)en bon ftrifr 3Kautl)ner. — Zotigen. — Snferate. 


Oie Zukunft JrankreMh«. 

»on teopolb Hicfjter. 

J)ie ßufunft granfreichs ift einmal wieber in grage ge= 
fteßt. JieS ift wäljrenb ber lebten fieben Satire ein falbes 
Jiufcenb ober mehrere ÜJtale gefcheljen; man befdjäftigt fiel) oiel= 
fad^ unb eifrig mit biefem Jherna, ober man ift bariiber nicht 
erftaunt; man ift beswegen !aum beunruhigt. — J)ie Seute, 
bie in ber 5Rad)barfdj!ft beS SSefuo leben, oertieren nid^t gleich 
baS Herj, wenn bie (Erbe etwas ju beben anfangt, ©ie haben 
SleljnlicheS erlebt unb überlebt unb mögen fich fagen: „Saß 
bie (Erbe nur beben; baran fönnen wir nichts änbern; fie wirb 
fich frf>on wieber beruhigen." ®er üKenfd) gewöhnt fich an 
Stiles: an ©taatsflreictje unb br'oljenben Umfturj poiitifdfjer 
©erfaff ungen ebenfo gut wie an ©rbbeben. J>ie granjofen 
haben fich baran gewöhnt, bie ßufunft granfreichs in grage 
gefteHt ju felfen, unb es würbe ihnen oiefleidfjt etwas fehlen, 
fie würben fidj langweilen, wenn fie fich nicht oon Beit ju Seit 
mit biefem Problem befchüftigen fönnten. — Heute haben fie 
ben Sopf ootl baoon, unb es ift ergö^lich uno erbaulidh ben 
geuereifer ju beobachten, mit bent fie nun bie Söfung ber 
grage in baS Sluge faffen. SlUeS Slnbere: ein höchft amüfanteS 
neues ©tfief im Calais 3tOpal; ber ©erlauf beS SDtobiliarS 
einer in ber ganjen SBelt berühmten Jame ber ,,^atb=SD3ett"; 
ber Srieg im Often unb bie ganje orientatifche grage; ein 
graufiger ©atermorb; ein neues öorjüglidjeS ©uch oon glaubert; 
Die ©erftärfung ber ©efafcungen in ben beutfdjen ©renjfeftungen; 
bie 5htnftauSftettung, ja, ber Grand Prix de Paris — SlUeS 
bieS unb Sehnliches, was unter gewöhnlichen ©erlfättniffen 
©toff ju jahtreichen, enbtofen Jiiscuffionen unb ©peculationen 
in SBort unb Schrift gegeben hoben würbe, wirb 'nun mit ge= 
bührenber Stichtacbtung fdptefl erlebigt, 'mm nicht ganj unb 
gar überfehen. wein »ernünftiger 3Jcenfdg, fo meint man in 
©ariS, !ann unb barf fich heute mit etwas Slnberem befcf)äf= 
ttgen als mit ber ßulunft granfreidjS. @8 ift Dies bie bet 
weitem amüfantefte unb fpannenbfte aller Sctualitäten. — 
(Eham, ber »ortrefftiche Saricaturift beS „©harioari", einer ber 
beften Senner unb ber liebenSwfirbigften 3tepräfentaten beS 
franjöfifdfjen ©olfSgeifteS, oeröffentlic|te oor einigen Jagen 
eine flehte Sridjmmfl/ bie in wenigen ©trieben bie Situation 
Dom franjöfifchen ©tanbpunfte aus wiebergibt. J)aS ©ilb ftellt 
einen bewaffneten 3tuffen unb einen ebenfalls bewaffneten 
Jürfen bar. Seber ber Saterlanbsoertheibiger ftubirt aufmerk 
fam ben Snhalt einer franjöfifchen Bettung. (Ein Offijier 
fommt eiligen SaufeS herbeigeftftrjt unb fragt, weshalb bie 
beiben ©otbaten fich nicht fcf)on längft bamit befchäftigt hoben, 


fich gegenfettig umjubringen. J)er ©ine oon ihnen antwortet 
barauf: „Hoben ©ie benn noch nicht gehört, bah bie Sammer 
in ©erfaitleS aufgelöft worben ift?" — ®er ©jar unb ber 
©uttan felbft fönnen fich augenblicflich nicht uiel um bie 
orientalifche grage befümmern, ba ihre Stufmerffamfeit natür¬ 
licher Sßeife oon bem ©djaufpiele in Slnfprud) genommen ift, 
baS feit oierjehn Jagen an ben Ufern ber ©eine feinen Slnfang 
genommen hot; wie fönnte man ba oon ben granjofen oer= 
langen, bie unmittelbar opr ber ©ül)ne fifeen, ja bie thei U 
weife mitfpielen unb bie {ebenfalls bie @agett ber ©choufpieler, 
fowie überhaupt bie Soften ber großen Slufführung unb bie 
©efprechung berfetben ju bejahten hoben — wie fönnte man 
oon ihnen oerlangen, frage ich, baff fie an etwas SlnbereS als 
an bie .gühmft granfreichs benfen foßten? ©ie benten an 
nichts SlnbereS unb fie fprechen, fchreiben, lefen oon nidjts 
Slnberem: „J)ie 3 u * un fi granfreichs ift in grage gefteßt." 
©S bürfte fidh auch für uns ber ÜDfühe oerlohnen ruhig ju 
erwägen, wie fich biefelbe ber Sßaljrfcheinlichfeit nach geftaltcn 
Wirb. — Jie ©oentualitäten, bie man babei in ©erücffidb= 
tigung ju jiehen hat, finb jahlreich- 

@S ift möglich, bah granfreidh oortaufig noch bie republi- 
fanif^e ©egierungSform beibehalte. 3n biefem gaße würbe 
entweber ber ÜJtarfdhaß 2Kac SDtahon an ber ©pifce ber ©jecu^ 
tiogewalt bleiben, ober er würbe burch einen Der brei ©räfi- 
bentfchaftScanbibaten: JhierS, ©reop, ©eneral ©h fl njh er- 
fe|t werben. 

@S ift möglich, baf? bie Stegierung in bie Hönbe ber 
ÜJfonarchiften überge|e. J)ann würben ber ©ohn StapoleonS III., 
ber ©raf oon ©hamborb, ber ©raf oon ißaris unb höchft 
wahr f dh ei Blich auch ber H ct Jog oon Slumate als Jhronpräten= 
benten unb 3Uoaten aufteeten. 

@S ftreiten fich olfo augenblicflich nicht weniger als acht 
fßerfonen, oier Stepublifaner unb oier SWonar^iften, oon 
benen eine jebe ihre ©artet hot, um ben ©efifc beS ©räfiben= 
tenfeffels ober beS JhroneS in granfreidj. JieS ift feine 
Uebertreibung. Jie genannten ©erfönltchfeiten finb fammtlich 
„des candidats serieux << , unb eine jebe oon ihnen h fl t mehr 
ober Weniger beredjtigte, aber beftimmte unb reeße SluSfichten, 
fchliefelidh ben Sieg über bie anberen fieben ©oncurrenten 
baoonjutragen. 

J)ie ©anbibatur beS ©rafen oon ©hamborb bürfte augen- 
blidflich als biejenige bejeicljnet werben, welche bie geringften 
StuSfi^iten auf ©rfotg barbietet. Jer ©ertreter beS legitimen 
©rincipes ift föniglich großartig in ben Slnfprücheit, bie er 
ftefit. @r hot feinen ©injug in granfreich, baS ©rgreifen ber 
Bügel ber Regierung an ©ebingungen gefnüpft, bie aßer 


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374 


9it «fgenanirf. 


Nr. 24. 


SSahrfcheinlichteit nach nicht erfüllt »erben tönnen. @r glaubt, 
eS fei nicht mit feiner SSürbe oereinbar, ben Sßron, non bem 
bie SReoolution iljn gewaltfam entfernt h a */ ouf ©Segen ber 
©eWalt ober ber gntrigue wieber ju ertämpfen. Sr loill ben» 
felben nur befteigen, wenn baS ftanjöfifche Sott it>n barunt 
erfuc^t. — SaS h ot flute SBeae! Äber abfolut unmöglich ift 
eS ntcht, baß ber ©raf oon ©hamborb als #einridj V., König 
oon granfreidj, fterbe. SOtan ftnbet in ber franjöfifchen Ärifto» 
fratie oernünftige unb gebilbete ßeute, bie bieS fteif unb feft 
glauben. @8 finb meift ftreng ort^oboje Katholilen, bereit 
politifdje Speculationen auch baS SBunber afS einen möglichen 
gactor in ©erüdfidjtigung sieben. 

Ser ©raf oon ©ariS wirb oon feinen ©egnent nur 
wenig mehr gefürstet als fein föniglidjer Setter, ber ©raf 
oon ©hamborb. ßu ©unften feiner Ganbibatur {preßen jwei 
Sachen: GrftenS, ba| ber fluge, gewanbte, eljrgeijige ^erjog 
oon ©roglie, ber ©räfibent beS heutigen SJtinifteriumS, greunb 
unb ©efdE)üher ber orleaniftifdjen X^ronprätenfionen ift, unb 
baß fämmtluhe SDiinifter, bie feit ben 16. ÜDtai baS franjöfifche 
Sabinet bilben, entweber Orleaniften finb ober ju berjenigen 
Klaffe oon ©onapartiften gehören, welche fich gegebenen gaueS 
leicht unb f^neQ jum DrteaniSmuS belehren Würben; unb 
jweitenS, baß bie ©rinjen oon Orleans nicht mit berfelben 
unerbittlichen Strenge, wie ber ©raf oon ©hamborb, an 
gewiffen ©rincipien fefthalten. SaS SBort Heinrichs IV.: „Paris 
vaut bien une messe“, würbe Ijtutgutage oiel leichter oon 
einem ©rinjen oon Orleans als oon bem testen franjöfifchen 
Sourbon auSgefprochen werben, Siefer h Qt fidE| entfcßieben 
geweigert, bie weifte gähne gegen bie breifarbige ju oer» 
tanfchen, als feine greunbe oor einigen gahren ben ©injug 
Heinrichs V. in ©ariS bis auf bie lebten ©injelljeiten oor» 
bereitet hotten — bie ©alafutfdhen waren fchott befteQt —; 
jene, bie ©rinjen oon Orleans, würben fidf) an berartige 
Kleinigleiten neuerlich nicht gelehrt - haben. 2Öa8 jeboch auf 
ber anberen ©eite bie ÄuSfidjt auf einen Srfolg bes ©rafen 
oon ©ariS oerminbert, baS ift ber oon bett greunben ber 
Orleans mit ©echt bebauerte ÜJtangel an ©ntfchloffentjeit, ben 
bie ©rinjen feit ihrer (Rüdtehr aus bem ©jcil an ben Sag 
gelegt hoben. Sie Orleaniften fürchten unb bie (Republitaner 
nehmen mit ßuoerficht an, baß eS bem ©rafen oon ©ariS 
an bet nöthigen Snergie fehle, um im entfcßeibenben Äugen» 
blide ben Schritt ju wagen, ber ihn möglidjerweife auf ben 
%f)ton oon grantreich erheben tönnte, ihn aber auch, im gatle 
beS SQtißlingenS, »ieber über bie ©renjen feines ©aterlanbeS 
treiben würbe. Sie ©ringen oon Orleans ftnb unter Änberem 
barin echte granjofen, baß fie baS ßeben in grantreich über 
ÄUeS h»(h l<hä|en. Sie leben jefct in ©ariS in groftem 
Änfehen, im ©enuß ber jaljllofen Änneljmlichteiten, bie ihnen 
ber ©efifc eines foloffaten ©ermögenS oerfcfiaffen lann; unb 
bie gurcßt, »ieber im Sjil leben ju müffen, ift oieHeidjt größer 
bei ihnen als ber SBunfch, bie SJtonarchie ju ©unften ihrer 
gamilie wiebet hergefteüt ju fe^en. Saju fommt, baß bie 
orleaniftifche Partei größtenteils aus Seuten befteht, welche 
bie große, faft in Äengftlidjfeit auSartenbe, oorficßtige Klugheit 
ihrer gübrer in ootlem SJiaße teilen. — Sie gamilie ber 
Orleans finbet ihre jahlreicbften Anhänger in ber wohlhoben» 
ben unb reichen Sürgertlaffe. SticßiS aber fürstet man bort 
fo fehr als baS Unbefannte, biefe natürliche unb erfte golge 
einer jeben SReoolution. Sie ©rinjen oon Orleans würben 
oiele gute nnb treue Sßartifanen ßnben, wenn fie einmal auf 
bem Stjrone oon granfreit fäßen; aber es ift feßr ju be» 
jweifeln, baß ße unter ihren greunben fampfbereite Solbaten 
rectutiren fönnten, welche geneigt wären, einen Sprung mit 
ihnen in bie Sunfetbeit ju machen. 

Ser Onfel beS ©rafen oon ©aris, ber |>erjog oon Äumale, 
barf nur infofern als ein monar<hift er Shronprötenbent be= 
lernet werben, als bie Seftßnahme ber ffij:ecunoge»alt burt 
ibn bie ffiinleitung jnr SBieberherftettung ber conftitutionetten 
Monarchie fein würbe, ßu ©unften feiner (Sanbibatur fpridjt 
außer ben Wmftdnben, welcße bie ^rätenßonen bes ©rafen oon 


©aris begünftigen, bie Shatfache, baß ber ^er^og oon Äumale, 
gcrabe weit er fich nicht jum König oon granfreüh auSrufen 
taffen, fonbern fich mit bem Sitel eines ©räfibenten ober Statt» 
halterS begnügen Würbe, auch ^ ben gemäßigten 9iepublifanem, 
unter benen fich oiele alte unb oerlappte Orleaniften befinben, 
auf Spmpathie unb oieQeitt auf wirlliche pfiffe rechnen tönnte. 

Ser oon ben iRepubtitanern bei weitem am meiften ge; 
fürchtete Sßnmprätenbent ift ber faiferlicße ©rinj fiouis 
Napoleon, ßwar ift über feine ©erfönlicbfeit nnb feine ©e= 
fähigung nur (ehr wenig betannt. Seine Änßänger befleißigen 
fich, bie gtänjenben Änlagen feines ©eifteS ju rühmen unb 
ibn in jeber ©ejiehung als einen jum §errfcben geborenen 
©rinjen barjufteUen; in ber repubtifanifchen ©reffe bagegen 
bejeitnet man ihn als einen Iränttichen, unintelligenten, wenn 
nicht gar geifteSarmen güngting. Äber ber Sohn SiapoleonS 111. 
hat eine gasreiche ©artet im Sanbe, unb biefe gählt unter 
ihren ©titgliebern äRänner, welche, wie ihre unmittelbaren 
©orfahren, bie Helfershelfer beS SecemberftaatSftreicheS, bereit 
finb ju wagen, fobalb nur bie SRögli^teit gu gewinnen nicht 
ooüftänbig anSgefchloffen ift. Sie ©onapartiften Würben oor 
nichts jnrücffchrecfen, um bie ßügel ber Regierung, bie ihnen 
am Sage nach ber Schlacht oon Seban entriffen worben finb, 
wieber ju ergreifen, ©änjlich ungleich ben Orleaniften fürchten 
fie baS Unbetannte nicht Sie feßen nnbebingteS ©ertrauen 
auf ben ©efiß ber ©jecutiogewalt unb finb überjeugt, baß 
biefe ihnen in turjer grift wenn auch nicht allgemeinen, fo 
boch ootlftänbigen ©eßorfam unb theilweife fnechtifcfje Unter» 
Würßgteit feitenS beS franjöfifchen ©olteS erjwingen würbe. — 
©S mag wunberbar erfdjeinen, baß folcße H°ffoungen heute 
bereits genährt werben tönnen, wenige gahre nadh bem Äbfchluß 
beS granlfurter griebenS, ber ben Krieg beenbete, für ben bie 
©Item beS ©rinjen SouiS Napoleon bie ©erantwortlidhleit 
tragen müffen, unb ber grantreich f° empfinblidje Opfer an 
©elb, fianb unb politifcher ÜRachtfteUnng geloftet hat; — aber 
biefe wunberbaren Hoffnungen finb teineSwegS gänjlich unbe» 
recßtigt ©tan h at Währenb ber lebten fechS gaßre fo oief 
über bie Urfachen beS Krieges nnb ber währenb beSfelben oon 
ben granjofen erlittenen Stieberlagen gefchrieben unb gefproctjen, 
bie Shatfachen finb bermaßen oerjerrt worben, baß heute feltene 
Selbftftänbigleit beS SenlenS unb UrtheilS baju gehört, um bie 
einfache SBahrljeit wieberjußnben unb ju erlennen. ©ebentt 
man, baß nur wenige granjofen ju wiberfpte^en wagen, 
wenn man ihnen fagt, Seutf^lanb h«be grantreich hiuterlif% 
räuberifd) überfallen, nnb baß eine folclje ©eßauptung, bie 
jebeS SBort ber ©efcßichte oon 1870 ber Unwahrheit jeißt, 
oon oieten granjofen aufrichtig geglaubt wirb, bann wirb man 
auch ertlärlid) finben, baß es ben güßrern ber bonapartiftifchen 
©ewegung bereits gelungen ift, einen großen Sßetl ber fran» 
jöfifdien Station oon ber Unfdjutb StapoleonS UL an bem 
Unglüde granlreicßS ju überjeugen. „Sie Seutfcßen hüben 
grantreich überfallen" — fchreiben unb fagen bie Anhänger 
ber gefallenen Spnnaftie; — „ber Kaifer, bem bie ©er» 
theibigung ber franjöfifchen ©hre anoertrant war, mußte ben 
Hanbfchuh aufnehmen, ben König SBilhelm ihm in’S ©eficßt 
fchteuberte; baß bie Ärmee ju fdjwach war, um ben einbringen» 
ben beutfchen Horben ju wiberfteßen, war Scßutb ber republi» 
tanif^en Oppofition unter bem Kaiferreiche, ganj befonberS 
beS Hertn ShierS; baß ber griebe enblich uiit fo ungeheueren 
Opfern erlauft werben mußte, ift ber topflofen, egoiftifcßen 
©olitil ber (Regierung ber Slationaloertheibigung, namentlich 
bem oerberblichen ©influß gutes gaoreS unb ©ambettas auf 
bte übrigen ©titglieber ber Stegiernng jujufchreiben." — Äuf 
biefe unb ähnliche werthüoUe Argumente geftüßt tommen bie 
bonapartiftifd^en Ägitatoren fobann ju ben tübnften golge* 
rungen, bie fcßließlid) alle barin gipfeln, baß Siapoleon IV. 
allein in ber Sage fei, baS rotße ©efpenft beS (RabicaliSmuS 
ju oerf^eucßen, bem oerberblichen Streit jmifchen ben ©onjer* 
oatioen, Orleaniften unb Segitimiften ein ffinbe ju machen, 
bie ebetften gntereffen grantrei^S ju Wahren unb ber „©roßen 
Station" ben ©laß an ber Spifce ber europäifcßen Staaten 


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Nr. 24 


91« ©rgrnwart. 


375 


ttrieber ju gewinnen, bet ipr oon ©otteS* unb ©edptswegen — 
txnefo unb weshalb pat ntan pat matt niemals wiffen lönnen — 
julommt. 

@8 feplt im republifanifcpen Saget teineSwegS an ge* 
toanbten, fajarffinnigen .©ubliciften unb ©ebnern, welcpe bie 
SRicptigleit ber bonapartiftifcpen Argumentation aufbecfen lönnen, 
unb bie es fiep jur ^ßflidjt machen, bieS ju tpun. Stiers, 
©ambetta, SuleS ©imon, ©reop finb nidjt Spännet, bie fic^ 
öon einem ©affagnac ober Stöbert Kitcpel einfe^ttc^tetn ober 
übertölpeln taffen; unb bie republilanifcpen ©lätter „Le Temps“, 
„Le Journal des Debats“, „La Republique frai^aise“ finb 
ben $auptorganen ber bonapartifttfcpen gartet, „L’Ordre“ unb 
„Le Pays“, unenblicp überlegen; aber Söller werben niept burcp 
SSernunft unb SEBaprpeit allein regiert ober in ihren ©pmpa* 
tpien beeinftupt; unb tn ben beftfcenben, politifcp einftupreicpften 
SHaffen ^ranfreicbS feplt es nicht an Seuten, benen es in ipren 
Äram papt, ber bonapartiftifepen ©petoril &ü ßpten i“ öffnen 
unb fte ber republilanifepen Sogil ju toerfd^tiefeen. ®iefe Seute 
haben einfach Surcpt oor ber ©epublil. ©ie haben bie ©e= 
fchichte »on 1793 oon ihren ©ropeltern erjäplen hören unb 
haben bie raucpenben Stuinen ber Suiterien unb beS Jpötel 
be Sille mit eigenen Slugen betrachten lönnen. ©ie fagen, 
bie ©epublil müffe jum ©abicaliSmuS, jur Sontmune führen, 
unb fie jiepen ben ärgften laiferlicpen ®efpotiSmuS ber ©cpreclen8= 
perrfcpaft beS ©ociatiSmuS oor. ©ie hatten bie »erjagten Dr= 
leaniften unb bie auf ©rincipien reitenbeu Segitimiften für ju 
feproacp, um bie ©epublil ju betämpfen, unb fie glauben beS= 
halb ipr $eit uur im Saget beS lampftuftigen SonapartiSmuS 
ftnben ju lönnen. 

®te ©epublilaner begnügen ftd) bamit fpöttifch ju lächeln, 
Wenn man oon ber Sieftauration ber legitimen Konarcpie unter 
Heinrich V. fpricht; fte Juden bie Stdjfetn, Wenn man ben ©a= 
men beS ©rafen oon ©ariS anführt; fie werben etwas nach' 
benltiep, wenn man beS §erjog8 oon Äumate erwähnt; aber 
ihre Kienen »erfinftern ftep unb ihre ßuoerficpt oerfcpwinbet 
ganj unb gar, fobatb man oon ihnen eine KeinungSäuperung 
über bie ÄnSfupten beS ©rinjen SouiS Slapoteon auf ben 
Xpron »on grantreicp oerlangt. ©ie fürchten leinen ber ©rä= 
tenbenten fo feht wie ben ©opn ©apoleonS III., unb fie haben 
guten ©runb baju; benn bie rüdfidptslofe ©nergie feiner Stn= 
länget unb ber unoerföhntiche $op, ben biefe ben ©epubli= 
lauern gefchworen haben, macpen bie ©onapartiften ju gefäpr* 
liehen ©cgnem unb werben fie, Wenn fie fügen fottten, ju 
unbarmperjigen ©ewattherren machen. 

©ine jebe ber genannten brei conferoatioen ober richtiger 
utonarepifepen Parteien — benn es ift falfeh, Könner wie 
IpterS, ®ufaur, ©reop, Söon ©ap, SEBabbington, Seon ©e= 
nautt u. f. w., welche ber gemäBigt repubtitanifchen ©artei 
angehören, als reoolutionäre, als niepteonferoatioe ©olitiler 
bejeimnen ju wollen —, bie Segitimiften, ßrleaniften unb ©ona= 
partiften, glauben auf ben ©hrentitet Slnfprucp ju haben: 
„Sertpribiger beS ©igentpumS, ber gamitie unb ber Ätrcpe." 
SSBaS baS angeblich bebropte ffiigentpum angept fo ift ju be= 
merlen, baB fiep einige ber reiften ©runbbeftper unb 3n= 
bnftrieüen oon Sranlreicp oertrauenSooQ in baS republilanifcpe 
Saget begeben paben. Sn ©ejug auf bie Familie lann man 
breift behaupten, baB öie bebeutenbe Keprjapl ber Könner, 
welcpe peute an ber ©pipe ber republilanifepen ©ewegung in 
Sranlretcp ftepen, in SEBort, ©eprift unb Spat für bie Aufs 
reepterpaltung ber ejeiftirenben gamilienbanbe unb Serpältniffe 
anfgetreten fhtb unb auftreten würben, unb baB ihnen bie ©e» 
fepiepte beS ftönigtpumS ober beS Saiferr&cpeS in Sranfreicp 
in biefer ©ejiepung niept gerabe als „gutes ©eifpiel" oor® 
gepalten werben tönnte. Uber bie förepe, b. p. bie latpolifepe 
xirepe, ober no<p rieptiger unb enger, ber UttramontaniSmuS, 
würbe in ber £pat in ber Slepublil einen ©egner finben unb 
muB als treuer, eifriger ©erbünbeter ber monarepifepen ©ontre= 
reootution bejeiepnet werben. @8 ift gar niept ju bejweifeln, 
bap öie ultramontane ©artei aüe 0ebel in ©ewegung gefept 
pat unb ftr ©ewegung erpalten wirb, um bie republilanifcpe 


©artei, welcpe burd) ben ©turj beS liberalen KinifteriumS 
SuleS ©imon eine erfte empftnblicpe Slieberlage erlitten pat, 
nun »oüftänbig ju »erniepten. — liefet Umftanb gibt ber 
jepigen ÄrifiS eine eigentpümlicpe unb feine wieptigfte ©ebeu= 
tung. 5E)er ©ieg ber ©ontrereoolution wirb baburep gleicps 
bebeutenb mit einem ©iege beS UltramontaniSmuS. SEBie fidp 
auep bie nöcpfte 3 u ^ un f t ^ranlteicpS geftalten möge, eS ift 
fiepet, baB bie franjöfifcpe ©egierung, welcpe nun an baS ©über 
lommen wirb, ber tatpotifepen Äircpe gegenüber eine beftimmte, 
unjweibeutige Haltung anjunepmen paben wirb, güt baS Äu8= 
lanb, namentliq für Sleutfeplanb unb Stalien, wirb es bemnadp 
eine fjrage oon niept geringem Sntereffe fein, ob bie fcpwebenbe 
grage über bie $u!unft f^ranlreicps ftplieBlicp ju ©unften beS 
UttramontaniSmuS ober beS SiberatiSmuS beantwortet werbe. 
2>ie ©ieberlage ber ©epublilaner würbe einer ©artei bie Ober* 
hanb geben, welcpe willig ober unwillig, über lurj ober lang 
fiep bereit erttären unb bereit fein rnüBte, baS ©cpwert für 
©om ju jiepen. SUS $err XpietS am 24 Kai 1873 bie 
©ebnerbüpne oertieB, auf ber er bie ©eepte ber repubtilanif^en 
©räfibentfepaft gegen bie ©oatition ©roglie=©uffet oertpeibigt 
patte, rief er feinen ©egnern baS SlbfcpiebSwort ju: „Vous 
serez les proteges de l’Empire." Kan lann ber monar* 
epifepen ©artei, welcpe jept bie ©epublit ju confiSciren be= 
abfiqtigt, für ben fJaU baB P« fügen follte oorauSfagen: „Yous 
serez les proteges de Rome.“ 

©on ben brei republitanifcpen ©anbibaten jur ©räfibent= 
f^aft — E£pier8, ©reop unb ©panjp — pat ber leptgenannte 
»orläufig bie geringften SluSfidften auf ©rfolg. ©iegt nämlich 
bie republilanifcpe ©artei, fo wirb fie niept unmittelbar nach 
bem ©iege »ergeffen lönnen, wie fepr fie gefüreptet pat, baB 
ber ©olbat, ber peute noep an ber ©pipe ber ©epubtil fiept, 
feinen ©influB auf bie 9trmee ausüben möge, um bie ©epu= 
btil ju »erniepten. ©panjp gilt für einen ©epublilaner; aber 
er ift ©eneral. ©aep ber ©rfaprung, bie man foeben mit 
einem Karfcpaü gemacht pat, beffen ©hrtiepteit fprücpwörtticp 
geworben Wat, wirb man fiep »or oem Serfucpe fepeuen, 
Wieberum eittem ©olbaten baS SooS ber ©ation anjuoertrauen. 
®er ©eneral ©panjp pat eine grope 3n*nnft oor fiep: er wirb 
mögtieperweife naep ©ariS berufen werben; er mag poffen, 
KarfchaU oon grantreidp ju werben. ®ap er ber ©aipfotger 
Kac KaponS werbe, Wenn biefer geftürjt werben ober fiep 
jurüdjiepen follte, ift unwaprfcpeinlicp. Äber er ift ber repu= 
blitanifipe ©anbibat ber Slrmee, unb fein ©ame burfte pier 
ni^t mit ©titlfcpweigen übergangen werben. 

§err ©reop, bet ©röfibent ber ©ationaloerfammlung jur 
3eit ber ©räfibentfepaft beS $errn XpierS, unb ber mit großer 
©timmenmeprpeit gewählte ©räfibent ber foeben oom KarfcpaH 
Kac Kapon oertagten unb }ept mit Sluflöfung bebropten 
jweiten Kammer, ftept bei allen gemäpigten ©epublitanern in 
popem Slnfepen. ©r ift ein Kann, beffen ©prlicpleit felbft 
oon feinen erbittertften fjeinben niemals bejweifelt worben ift 
©r pat japlreicpe ©eweife feiner Unabpängigleit unb feinet Un= 
erfeprodenpeit gegeben; ber unparteiifepe ©erecptigteitSfinn, mit 
bem er Sapre lang bie ftürmifepen SDiScuffionen ber ©ational- 
oerfammlung unb Kammer geleitet pat, oerbient unbebingteS 
Sob. Slber gerabe einige feiner oorjüglicpften ffiigenf^afteii 
finb eS, welcpe feine greunbe unb ©ewunberer unfeplüffig 
maepen, ipm ipre ©timmen ju geben, ©olitifcpe ©arteten 
»erlangen oon iprem güprern etwas StnbereS als ooüftänbige 
Unparteilicpfeit; fte wollen oon biefen unbebingt unterftüpt 
unb oertpeibigt werben. ®ie Slrt unb SGBeife jeboep, wie §err 
©re»p naep bem ©turje beS $errn IpierS ben ©räfibenten* 
feffel ber ©ationaloerfammlung $erm ©uffet überlaffen pat, 
iäpt fte befürepten, bap eS ©reop an ber rüdficptslofen ©nergie 
feplen möge, bie monarepifepe ©ewegung mit ftarler, porter 
Sauft nieberjupalten. Unter einer ©räfibentfepaft ©reop Wür= 
ben fiep fömmtlicpe jpolitifcpe fjüäctionen, mit AuSnapme ber 
rabicalen oieüeidpt, einer gewiffermaßen jügellofen greipeit er* 
freuen. ®ie ©opaliften unb bie ©onapartiften würben ipre 
©ropaganba ungepinbert fortfepen lönnen unb baburep etn« 


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376 


3Dte «egnutturt. 


Nr. 24. 


bauernbe, grofje ©efapr für bic {Republif bilben. {Run jagen 
fic^ bie {Republifaner aber mit oodem {Redjte, baff fie non einer 
föniglicpen ober faifertidjen {Regierung Weber Xoleranz noep 
©erec^tigteit ju erwarten paben würben unb baff fie begpalb 
»on einer republifanifcpen {Regierung »erlangen, ihre unoer* 
föpntidpen geinbe mit bemfelben SDtajje ju nteffen, mit bem 
biefe fie meffen würben. Xer jutünftige {präfibent ber 5Re= 
publif fod ein SDlann fein, ber fiep jur erften Stufgabe ftettt, 
bie {Republif in granfreidj ju confotibiren; bieg aber !ann 
nur gef diesen, inbem er fidj ben monarcpifcpen Parteien unb 
Slgitationen alg geinb, niept etwa alg {Richter entgegenftetlt. — 
9Ran fürcptet, ba| ®reop bieg niept tpun, bah er im ©egen* 
tpeit gleite greipeit für geinb unb greunb beanfprucpen 
würbe. Slu« biefem ©runbe ift eg waprfcpeinlicp, baff felbft 
bie aufrichtigen {ßereprer beg $errn ©reop einem Slnberen alg 
ihm, nämlich Herrn Xpierg, bem republifanifcpen ©jcpräfibenten, 
ihre Stimmen geben werben. 

Xie Slrt unb Söeife, wie Herr jCtjierS oon feinen poti* 
tifcpen ©egnern befämpft wirb, ift cparafterifcp für bag heutige 
granfreidj. SBenn man bebentt, welche Xienfte ber greife 
SRann feinem SSatertanbe geleiftet pat, mit welchem SRutpe er 
jur Stunbe ber ©efapr bem fiegreidjen geinbe gegenüber auf* 
getreten ift; wie er feine SRüpe, leine Xemütpigung gefreut 
hat, um in {Rufjlanb, ©nglanb, Italien, Deftreicp Hülfe ober 
wenigfteng Spmpatpten für bag ju 93oben gefcplagene granf* 
reicp jn erflehen; wenn man feine §anblunggweife jur 3«it 
ber {Roth mit ber ber {ßrätenbenten oergleicht, bie nun Sin* 
fprücpe auf ben Xpron oon granfreidj geltenb ju machen 
wagen; wenn man fich baran erinnert, baff bie ganze {Ration 
in Xpierg ben {Befreier beg {ßatertanbeg begrübt hat, bah bie 
aug unoerfätfdhten Söa£)lett peroorgegangene {Rationaloerfamm* 
tung ihn mit einer überwiegenben {Majorität jum {ßräfibenten 
ber {Repubtif, jum erften {Bürger granfreicpg erwählt hat; wenn 
man enblicp in {Betracht jief)t, bah in feiner hoppelten 

©igenfcpaft alg Staatgmann unb Scpriftfteder tn ganz ©uropa 
ohne jeben IBergleicp, ohne jeben 3meifei als bie erfte lebenbe 
franjöfifcfie iperfönlicpfeit gilt — bann überfommt einen Scham 
für granfreicp, ®ntrüftung gegen biejenigen granzofen, betten 
feine SBaffe ju oergiftet, ju fcpmupig ift, um Xpierg bamit 
anzugreifen. — §err Xpierg hat ber SSerleumbung unb IBer* 
bädjtigung, bem unwürbigen §obn über fein Sitter, ben wahr* 
haft efelpaften Slnbeutungen auf fein nahe beoorftehenbeg ©noe, 
nur eifiaeg, üeräcptlicpeg Schweigen entgegengeftedt Slber bie 
{Republikaner haben ihn gerächt. Xie SButp ber 3Ronarcpiften 
hat ade gractionen ber liberalen {Partei, mit Slugnahme ber 
ultrarabicalen allein, oereinigt. Xpierg ift ber ßanbibat oon 
Xufaure, Sap, {Renault, ©reop, 3uteg Simon, ©ambetta; 
Xpierg ift ber unzweifelhafte {Rachfolget ÜRac SRapong, wenn 
eg ber republifanifchen Stimme ju feinen Scbjeiten noep ein* 
mal gelingen fottte, fich ®epör unb ©eltung ju oerfdjaffen. — 
Slber eg ift fraglich, ja eg ift nicht einmal waprfcpeinlicp, bah 
bieg ber gad fein werbe. 

Xer 9Rarjcpad 2Rac SIRapon, {präfibent ber {Repubtif, ift 
ein erflärter geinb ber {Repubtif, aber er ift ein ebenfo un= 
jweibeutiger Sreunb ber {ffiacfjtftetlung, bie ihm an ber Spifce 
ber {Repubtif eingeräumt worben ift. Seine fdjlichte 
feit ift hä u f*8 gelobt worben. ®iefelbe foß hier nicht an= 
gejweifelt werben; aber feine Sntedigenj, alg Staatgmann 
wenigfteng, ift felbft »on feinen SSerehrern unb eifrigften 
{Parteigängern niemalg alg eine heroorragenbe angepriejen 
worben, unb man barf, ohne tjöhnifch ju fein, annebmen, bah 
biefelbe eine gewöhnlidhe, wenn nicht gerabeju eine befdhränfte 
fei. 3n ber nächften Umgebung beg uRarfchattg befinben fich 
bagegen einige fehr gewanbte, gewipte, ehrgeizige {Dtänner, 
welche gewiffe moraliphe Scrupel beg üRarfcljatlg in feiner 
SBeife tpeiten, beren Stellung in ber beg SEUarfcfjattg wurjett 
unb mit biefer ju ©runbe gegen würbe, unb bie fidjerlicf) ade 
fünfte ber Xialeftif unb {Rhetopif aufbieten, um bag ©ewiffen 
beg {Dfarf^adg ju beruhigen unb ihm einjureben, bie {Pflicht 
erpeifdje, bah er auf oem {poften »erharre, ber ihm, bem 


2Rarf<had, bie Slugübung ber ^öc^ftcn ©eWalt, unb ihnen, 
feinen greunben, ade {Bortheile, welche eine fotche 3Racht= 
ftedung fpenben fann, fidjert. „@g gibt — fo fagt ein fran- 
jöfifcheg Sprichwort — feinen ärgeren Xauben, alg benjenigen, 
ber ni^t hören wid." ®g gibt, fann man auch fugen, feinen 
SDfenfdhen ber leichter ju bethören ift, alg benjenigen, ber ben 
{Sorten ber {Betljörung im eigenen Sntereffe ein widigeg Dfjr 
leiht. dRan barf annehmen, bah bie $aug= unb Xafetgenoffen 
beg {Dfarfchadg nicht auf unüberwinbtiche Schwierigfeiten ge¬ 
soffen finb, alg fie fich iü e Slufgabe geftedt haben, ben §erjog 
oon 3Ragenta baoon ju überzeugen, er f^ulbe bet ®h te / ber 
{Pflicht, bem {Baterlanbe, biefeg, bag {ßaterlanb, gegen bie 
fteigenbe glutp beg {Rabicaligmug zu oertheibiaen, unb er 
fönne bieg nur, inbem er feine Stedung alg (Sh e T ber Sjecu= 
tiogewalt per fas et nefas beibehalte. SRan put ben „mober= 
nen SBapatb", wie ber ©raf oon ©h am borb ihn genannt hat, 
oiedeicht fogar flehentlich gebeten, bie bebrängte {Ration nicht 
Zu »erlaffen, fich nöthigenfadg für fie aufzuopfern, unb ber 
fdjtichte 9Rann mag guten ©taubeng fein, wenn er fiep ein= 
bilbet, er fei eiu oon ber {Borfepung zur {Rettung granfreidh^ 
augerwählteg SBerfzeug. 3n btefem SBabne bürfte er auch 
bie Stimme feineg ©ewijfeng überhört haben, bie ihn wenig* 
fteng einmal an fein heitigeg {Berfprechen gemahnt haben muh, 
granfreiep im Sinne ber ©onftitution, im Sinne ber conftitu* 
tioneden SIRajorität zu regieren. 

$er SRarfchad 3Rac {Diajhon ift {ßräfibent ber {Republif, 
unb eg ift gar niept zu bezweifeln, bah et {präfibent ber SRe* 
pubdf zu bleiben wünfept. ®r pat ganz unberechenbare S3or= 
tpeile üor aden feinen {Riüaten. ©r fipt wie in einer ftarfen 
geftung, bie biefe erobern möchten, opne fiep jeboep über einen 
Slngriffgptan einigen zu fönnen unb opne ben 2Rutp ober bie 
SRittel zu paben, oereinzelt zum Sturme oorzugepen. — 3a, 
wenn fiep bie jjeftung freiwidig ergeben wodte! Slber wem? 
Xen {Bonapartiften? Xann würben Stepubtifaner unb SRopu* 
liften {ßerratp fepreien. — Xer {Republif? Xann würtfen bie 
äRonarcpiften ben {Diatfcpad anflagen, er pabe bie »on ipneit, 
auf ipn gefegten Hoffnungen auf bag Scpänblüpfte gemthbrauept’ 

— Xer Sdfarfcpad befinbet fiep in ber Sage, niept einer einzige« 
groben {Partei {Befriebigung geben zu fönnen. Xie {Republifaner 
werben ihm niept oerzeipen, bah et ben IBerfucp gemacht pat, 
fie zu überrumpeln. @r wirb ipr IBertrauen nie wieber ge* 
Winnen, felbft wenn er fiep ihnen wieber anoertrauen wollte. 
Xie 3Ronarcpiften finb in brei, feparf oon einanber getrennte 
fjractionen getpeilt. @r fann fiep niept mit einer einzigen be* 
freunben ober compromittiren, opne fiep mit zwei anberen z u 
oerfeinben. ©r pat bie Sffiapl: oor ber SRajorität zurüefzutreten 
unb eg biefer zu überlaffen, einen neuen {präfibenten nach ihrem 
Sinne an feiner Stede zu wäplen, ober er fann geftatten 

— wag jebodp ein tBerratp an ber SSerfaffung wäre —, bah 
bie ßügel ber {Regierung ben $änben eineg ber monarepifepen 
Xpronprätenbenten überlaffen werben; enblicp fann er, auf ben 
SEBortlaut ber {ßerfaffung geftüpt, fagen, bah « r bag dteept pabe, 
big zum 3apre 1880 {präfibent ber {Republif zu bleiben, ob 
mit ob gegen ben SEBiden bet URaforität, unb baff er gefinnt 
fei, »on biefem Stecpte, bag fiep oiedeiept burep ein {piebigcit 
noep befräftigen liehe, im oodften 9Rahe ©ebrauep zu maepen. 
©g ift waprfcpeinlicp, bah er fiep bazu entfliehen wirb: 
erfteng weil er baburdp bie {Republifaner wenigfteng niept ganz 
befriebicien würbe unb bie ÜRacpt in $änben bepielte, ben Sampf 
gegen fte fpäter, bei einer günftigeren ©elegenpeit noep einmal 
aufzunepmen; zweiteng weil er baburep mit feinem ber politifcpen 
greunbe, bie ipn am 24. ÜRai 1873 unb am 16. aRai 1877 
unterftüpt paben, pofitio breepen würbe, britteng enblicp, weil er 
fiep felbft mit feiner nächften Umgebung baburep ben gröfjten 
Xienft leiften würbe. 

@g ift in ber Xpat fepr fcpwieria, fiep heute, am ®or= 
abenb ber Srifig, über bie nädjfte 3utunft fjranfreicpg zubet* 
ftcptlicp augzufpreepen. Snfofern aber SBetten ber gewöpnlicpe 
{probierftein fubjectioer Ueberzeugung ift, bin icp geneigt p 
fagen — niept inbem icp mich über eine entfte grage leicpt* 


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Nr. 24. 


fflie Gegenwart. 


377 


fettig auSfpredbe, fonbern um eine forgfältig begrünbete Slnftdjt 
möglichft anfdjaulich ju machen —, bafj bie StuSfidjten auf 
@rfotg bet oerfdjiebenen ©rafibentfchaftScanbibaten unb Sl^ron- 
ptätenbenten ungefähr wie folgt notirt »erben fönnten: 

2 ju 1, bafj ber äRarfcfjatt SRac SRaljon Sßräfibent bleibt, 
1 ju 2, bafj §err 2f)ier2 ©räfibent »irb, unb 
1 ju 10, bafj ber ©rinj SouiS Napoleon ober ber $erjog 
öon Slumale an bie ©pijje bet Regierung tritt. — ®abet ift 
jebodj »of>l ju berüdftdjtigen, bafj bie größten Stennpreife nicht 
fetten oon ben »enigft gefürchteten Gompetitoren, oon foge= 
nannten „Outsiders“ gewonnen »orben ftnb. — Sßir müffen 
noch au f manche Ueberrafdjung borbereitet fein, unb ich glaube 
mich ««h* S tt * mn / menu ich faß«, bafj »ir in ber Xh at barauf 
boroereitet ftnb. 


3ur tterfalfthttng ber febeusmiitel. 

@8 ift faum ju biet gefagt, wenn behauptet Wirb, bajj bie 
abfichttiche ©erfätfdjung ober auch bie ©ermengung ber oerfdjieben= 
artigften SebenSbebürfniffe mit billigeren ©ubftanjen gerabeju 
eine gnbuftrie geworben fei, unb eS ift eine feftfteljenbe Xljat: 
fache, ba{j baS confumirenbe publicum fehr bieten Xäufchungen 
bei bem ©inlauf ber notfjwenbigen SBaaren au8gefe|t ift. 

3u einem grofjen Xheit beruhen berartige «Manipulationen 
gewiffermajjen auf einem ftiüfchweigenben Uebereinlommen ber 
©robucenten, ober hoch ber SBieberoerläufet mit ben ©onfu= 
menten, welche theitweife billiger einlaufen wollen als möglich 
ift, theitweife aber auch gerabeju reinere unb barum concen= 
trirtere SBaaten berfchmähen. SBenn bie geftofjenen, gepulüerten 
©ewürje wefenttidj billiger berlauft werben unb werben fönnen 
als bie unjerlleinerten, trofcbem bafj baS ©uloerifiren ober SRaljten 
mit ©elbloften berlnüpft ift, fo leuchtet eS ein, bah babei befon« 
bete ©erljältniffe obwalten müffen. gn ber Xl)at ift eS belannt, 
bah weitau« ber gröjjte Xl)eit bet im Kteinöerteljr gebrauchten 
©ewürje auS fotchen ©tabliffementS bejogen werben, welche ftch 
mit ber ©ewinnung oon ätherifdjen Delen befaffen, unb e8 ift 
mehr atS wahrfcheintich, bah bie ber Xeftißation unterworfenen 
unb bem gröhten Xljeil *h teä DeleS beraubten SRaterialien bem 
©ublicum al8 ßimmt, Stellen, Steuewürje, Pfeffer u. f. W. an= 
geboten werben. Slber babei bleibt eS noch nicht einmal, unb 
nicht feiten Wirb fotchen bereits einmal benujjten aromatifchen 
©ubftanjen noch eine ganj erhebliche Quantität gemahlnen fpoljeS 
unb ähnlicher ©ubftanjen jugefefct. Sticht minber ift eS belannt, 
bah ejtrahirte Sanißefdjoten mit etwas Senjoefäure, bem aro= 
matifchen Seftanbtheite beS ©enjoeharjeS, beftreut werben, um 
baburch bas StuSfeljen oon frifchen ju erhalten, unb immer finb 
bie ©erläufet bereit, baS ©itronenöt, welches im reinen 3«ftanbe 
ju leicht, wie bie grauen fagen, oerbirbt, boch in ben ©peifen 
wegen feiner intenfioen SBirlung Oorfdjmedt, ju oerbünnen, ben 
ju fauren ©fftg abjufdjwädjen unb ben ju fdjarfen Pfeffer burdj 
Vermengen mit Slbfätten aller Slrt ju mitbem. ©iS ju ben 
^ölern unb Krämern herab, einer ©efeßfdjaftsltaffe, welcher be= 
tanntlich namhafte Stationalölonomen bie XafeinSberedjtigung ab= 
fprechen, weit fie felbft nicht probuctio finb, lommen alle ©er= 
täufer berartigen jum Xheit ganj unbewuhten SBünfdjen beS 
©ubticumS gern entgegen. Sei allen ift ein beftimmteS 
jwifdjen Xaumen unb 3«igefinger recht beutlich ausgeprägt, unb 
bie SJtüljewaltung tarnt ja nicht umfonft oerlangt werben. Sin 
unb für fidj läfjt ftdh gegen folcfje ©erfefcung ber ©ewürje unb 
anberer SebenSbebürfniffe mit inbifferenten ©ubftanjen, burch 
welche fie fdjeinbar billiger ober theilhaftiger werben foßen, 
nichts fagen, wenn bie ©reiSetmäfjigung ber ©erbünnung pro= 
portionat ift; jumeift ift bieS aber nicht ber galt, man muh bie 
lejjtere ju theuer bejahten unb bem ffletrug wirb baburch 2f)ür 
unb Xhor geöffnet. 

Sin biefen ©erhältniffen haben bie Käufer felbft jum guten 
Xheit ©chutb unb man tann babei nicht immer oon beabfidj* 
tigtem Setrug fprechen, wenn audh bie ©renje jwifchen bem @r= 


taubten unb Unerlaubten fcfjwierig feftjuftellen ift. gebenfaßs 
wirb man aber gut tljun, fämmttidje ©ewürje unjertleinert ju 
taufen unb bie SRüh e beS ©uloernS nicht ju fcheuen, ober wenn 
bieS nicht thuntidj ift, biefelben ben Stpotheten ober Xroguen: 
hanblungen ju entnehmen, bie eine auSgefprodjene ©arantie für 
bie Sleinheit gewähren. SRit #ülfe beS SRilroflopeS läfjt fich 
wenigftenS bie Slbwefenheit frember SRaterialien leicht conftatiren. 
Ungleich bebentlidjer geftaltet ftch bie Sache, wenn berartige $anb= 
lungen ooflftänbig hinter bem SRüden beS Käufers oorgenommen 
werben. 8on einem juberläfftgen Hamburger ©ewährSmann ift 
mir oerfichert worben, bah i- ®. ber Safran, bie belannten 
fcharlachrothen ©tütljentheite (Starben) bon Crocus sativus, nicht 
feiten mit gefchabten ©ferbemuSletn oerfätfdjt würben. Stad) bem 
forgfättigen Xrodnen unb ©räpariren taffen fich befonberS bie 
ianggeftredten SJtuSleln ber SBirbelthiere burch ©«haben in einen 
3uftanb überführen, welcher eine ©ermifchung mit bem Safran 
entfdjieben ermöglicht, ©ben fo Weih man, bah tfinfHidje Kaffee¬ 
bohnen ouS ©apiermaffe, bie mit ©^werfpath, Ih°n unb garbes 
fubftanjen berfefct wirb, bargefteßt werben. Sei bem ©rennen 
Werben biefe ©apierbohnen ebenfalls braun unb tragen fidjer 
baju bei, im ©erein mit ©acca unb ©ichorie bem Kaffee grünblich 
feine ©igenthümtidjteit ju nehmen. 

gür ben ©h™*^ ift bie geftfteßung berartiger offenbarer 
©etrügereien, bie fidjer auch ben ©taatSanwatt intereffiren bürften, 
an fith eine leichte Slufgabe. ©ie Wirb aber fehr unbanlbar, wenn 
man gerabeju banadj fud|t unb man lommt gewöhnlich halb ba= 
hin, baS erfolglofe $erumtaften in fo maffenhaft üerbreiteten ©er= 
brauchSartiletn aufjugeben. ®a8 ©ubticum, unb Oorjügtidj bie 
Äaufteute, Welche birect mit biefem oerlehren unb bie fdjliejjlidj 
gewöhnlich auch betrogen Worben finb, faßten, Wenn ihnen irgenb 
eine bebenfliehe ©rf^einung entgegentritt, competente §ütfe in 
Slnfpruch nehmen unb oerbädjtige SBaaren an ©erfu^Sftationen 
ober gadjdjemüer eintiefem. 

Sluc| bie nicht gerabe fetten torfommenben ©ermengungen 
oon Delen unb SRehlforten, bie faft ftets hinter bem Stüden beS 
Käufers oorgenommen werben, finb entfdjieben betrügerifdie |)anb= 
lungen, burch Welche ftch bie ©erfäufer einen unerlaubten ®e= 
winn oerfchaffen. SBenn baS ©rooenceröt theuer ift, baS fehr 
ähnliche ©efamöl aber bißiger, fo ergretfeu weitherjige ^änbter 
bie ©eljätter mit ©efamöl unb füßen bamit harmlos bie gäffer 
unb gtafdjen, bie ©rooenceröt enthalten, unb wenn baS SRohnöl 
theurer ift als Stüböt, fo mag manches Kilo beS tefeteren ju 
bem erfteren taufen. ®ie Dete oermifchen fich ooflfommen unb 
eS gehört mit ju ben f^wierigften Slufgaben beS SlnatptiferS, 
berartigen Xhaten auf bie ©pur ju lommen. Oftmals bleibt 
lein anberer SBeg, um bie Steinfjeit nicht trodnenber Dete, Wie 
baS ©rooenceröt ift, ju prüfen unb bie Slbwefenheit Oon trodnenbcit 
unb öerljarjenbett Delen ju conftatiren, als Uljrwerle unb äf)n= 
liehe ©orri^tungen mit beftimmten ©ewichtSmengen ber frag: 
liehen gette ju ölen unb nadjjufeljen, Wie lange Seit baS Schmier: 
mittet feine ©djutbigleit tljut, ohne ju Oerharjen. SKan gewinnt 
baburch WenigftenS beftimmte Slnhaltepunlte jur ©eurtheitung. 

Ungleich einfacher unb fidjerer ift bie ©rüfung beS SJteljleS, 
welches meinen ©rfahrungeu nach oiel fettener mit fremben Sör= 
pern, wie ©chwerfpath, treibe u. f. w. oerfefet, aber ungleich 
häufiger als man meint mit anberen bißigeren SRehlforten oer= 
mengt Wirb, ge na^bem bie eine ober anbere SReljtforte bißiger 
ift, mengt man fie anberen tljeueren ©orten bei unb erjielt fo 
einen unerlaubten ©ewinn. Sticht fetten wirb auch SteiSmefjl, 
Welches ab unb ju recht bißig ift, unferen tjeintifdjen SRehlforten 
beigemengt. X)a bie gormen ber ©tärlelörner unferer ©etreibe: 
arten oerf^ieben finb unb fich öon benjenigen beS Steifes, ber 
$ülfenfrüdjte unb ber Kartoffeln leicht unterfcheiben taffen, fo ' 
finb berartige SRaniputationen, Xanl beS SRilroftopeS, leicht ju 
erlennen. Sti^t minber leidet bie eigenttidhen ©erfätfdjungen beS 
SRehleS burch ©chwerfpath — fchwefelfauren ©arpt —, Kreibe, 
©hpS unb bergteidjen, bie fogar als fogenanntes Kunftmehl an= 
geboten worben finb unb bem SReljt bis ju 10 ©rocent jugefept 
werben. ©8 genügt, ju ihrer ©rlennung eine Heine Quantität 
beS SRehleS ju oerafdjen unb ben Slfdhenrücfftanb ju wiegen. 


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378 


9t* «cgenwÄrt 


Nr. 24 


Könnt’ ber ©ruft geheimfteS Renten 
^ettbegtänjt Sein ©lief umfah’n, 

©tauben würbeft Su i!jr Renten, 

Sag ju weh Su ihr gerate. 

SRag bie SBett Sir Sob befunben, 

Sie \t) um Sich tädjeln felj’, 

©elbft il)r ©reis fottt* Siel) berwunben, 

©ulj’nb auf eines Stnbern 2Beh. 

SRandjen 3el)ltritt wofg beging id), 

Soch — gab anbem Slrm eS nid>t, 

8113 nur ben, ber einft umfing mich, 

8u boüftreden mein ©eridjt? 

Soch nic^t felbftgetäufcht bergig eS: 

Siebe geht nur nach unb nad); 

2Bät)ne nic^t, bag jähen StiffeS 
@id| ein £>erj bom Hetzen brach’. 

Seben tjoc^t im Seinen Weiter, 

SGBie baS meine blutenb brennt, 

Unb ber ®ratn, ber it)r ©egteiter, 

Sft — bag ewig wir getrennt 
D ein SBort boQ tiefrem Kummer, 

8113 ber Sob entpregi itjn gätt’; 

©eibe teben, bodj bom @djlumtner 
SBecft un3 ein berwittwet ©ett. 

Hogft Su, Sroft mög* ®ir gewähren 
UnfreS KinbeS ftammetnb SBort, 

SBirft ®u’S „©ater" fprechen lebten, 

®em fein ©ater Wa<bt b*»fort? 

SBenn ibt Hübbdjen ®ir begegnet, 

©id) ibr SRunb an Seinen pregt, 

Senfe fein, ber noch ®i«b fegnet, 

Sen Su liebenb fegneteftl 
Sollt’ ibr Slnttifc jenem gleichen, 

SaS auf immer Su bertiegt, 
ditternb wirb’S Sein £erj befcbleicben, 

Sag eS bennoeb treu mir ift. 

8tH mein Sehlen rnagft Su wiffen, 

8111 mein Seib ift nur in mir; 

8ttt mein hoffen liegt jerriffen, 

SSo Su gebft — boeb gebt’S mit Sir. 

Kein ©efüht mehr fann ich faffen; 

©totj, ber einer SBett nicht wich, 

SBeicbt bor Sir — bon Sir bertaffen, 

Stucb bertägt bie Seele mich- 
Soch eS ift — umfonft bie SBorte — 

@itter, wenn mein 8Runb ge fpriebt; 

5Rur bas Senfen fprengt bie Pforte, 

Unb ber SDStHe zähmt eS nicht. 

Seb’ benn wohl! — ©o — ohne $offen, 

Ohne ©anb, bas mich umgibt, 

Herjwunb, einfam, blifcgetrogen — 
äRefjr noch fterben fann ich nicht 

lUi(b«tm 3«nfen. 


Ser ©ehatt an Slfclje ift zwar bei ben berfdjiebenen SJtebtforten 
etwas fdjwanfenb unb hängt wefentticb mit bon ben äugern 
3rudjtfdhid)ten ab, bie ihm beigemengt finb, man wirb aber an: 
nehmen tönnen, bag nur ©fehl, weites nicht mehr als 2 ©ro= 
cent Slghenrücfftanb b»ntertägt, nicht als mit jenen Stoffen ber: 
fätfebt betrachtet werben fann. ©o einfach nun o«<h berartige 
©erafchungen finb, fo finb hoch immerhin einige SBägungen babei 
nothwenbig unb f<hon beswegen fönnen ge nur in Saboratorien 
auSgefährt werben unb entziehen fich bem grögern ©ublicum. 
@8 ift aber äugerft roünfd)en8mertl), bag unfer wichtigstes ÜRahrungS: 
mittet mögtichft bietfeitig controtirt wirb, ba nur baburdj ben 
©erfätfehungen borgebeugt werben fann, unb man ntug, um eine 
fot<he Controte §u ermöglichen, einen mögtichft einfachen ©tag« 
gab antegen. Referent hat in ben tefctbergangenen fünf fahren 
an berfchiebenen Orten bie im $anbet borfommenben äRehlforten 
unterfuegt, wohl gegen bierjig einzelner ©toben, ohne eine ©er: 
fätfdjung mit unorganifchen ©ubftanjen ju gnben (oftmals aber 
anbere billigere äRehlforten). Sie ©tabt ©otfja i) at fürjtich 
33 SRehtproben prüfen tagen, unter benen nur eine war, bie 
4 ©rocent einer frembartigen unorganifchen ©ubftanj enthielt. 
SieS beweift aber nichts Weiter, als bag bie unterfuchten ©orten 
gut waren unb bag einzelne Unterfuchungen wenig erfolgreich 
finb. Sie ©rüfungen mügen regetmägig unb allgemein auS: 
geführt Werben unb eine bon $imeth, ©rofegor in Kiet, bor* 
gefdjlagene SRethobe ift ganz borjügtidh geeignet, bieS ju ermög: 
liehen. SaS ©erfahren beruht auf bem berfchiebenen fpecigfchett 
©ewidjt beS SRehteS, ber ©erfätfdjungSgoge unb beS Chloroforms, 
Welches lefctere zur ©rüfung benufet wirb. SaS fpecigfche ®e: 
wi<ht beS ©djwerfpatljeS beträgt 4,4, baS ber Kreibe 2,23, beS 
KatffteineS 2, 5 —2,7, beS gebrannten ©hpfeS 1,81, beS ungebrann: 
ten 2 , 32 . SaS fpecigfche ©ewidjt beS Chloroforms bagegen be: 
trägt 1,65, ift aifo biet geringer als baS ber genannten ©toge, 
wäljrenb baS SRef|t unb bie ©tärfe leichter gnb als baS Chloro: 
form. Uebergiegt man nun einen Xheetöffet bott beS ju unter: 
fuchenben SRehteS in einem fteinen geeigneten ©laScplinber (bie 
gewöhnlichen SReagirgläfer, bie fog. ©erjeliuSröhren finb fehr Wohl 
baju geeignet) mit fo biet Chloroform, bag man bequem ghüttetn 
fann unb eine genügenb l)oh« Stüffigfeitsfäute (bis % beS Keinen 
CqtinberS) ba ift, fo trennen geh bie ©eganbtheite nach 3Rag= 
gäbe ihrer Schwere. Sie gnb in bem Chloroform nicht löslich, 
unb etwa oorhanbene mineratifche Seftanbtheite werben geh, Weit 
fie fdjwerer atS bie glüffigfeit gnb, auf bem ©oben abtagern, 
währenb baS leichtere SReijt geh über bem Chloroform abfeheibet. 
Sa in bem 2Rel)l immer etwas äRüljlfteinftaub unb 8lfdje ent: 
hatten ift, fo wirb fich auch getS auf bem ©oben ein fdjmufcig 
auSfehenber ÜRieberfdjtag gnben. ffiin weiger ©obenfafc Wirb ba: 
gegen je nach feiner Quantität eine Heinere ober grögere ©er» 
fätfdjung mit SRineratftogen anjeigen, bie bann jeber Chemifer 
näher bezeichnen fann. SaS ©erfahren ift in ber Xh°t fo ein: 
fach, bog eö wohl berbient, allgemein befannt unb benufet ju werben. 

21. Efofaeus. 


ofttnrafttr mtb fittttß. 
£tbc«wfol! 

(Sorb ©pron an 9tba.) 

Sebe Wohl, unb wär’S für immer, 

Seb’ benn wohl für alle Seit! 

Ob Su nicht bergibft, fotl nimmer 
SRedjten wiber Sich mein Seib. 

Hält’ Sein 3tug’ bie ©ruft burchbrungen, 
Sran fo oft geh barg Sein feaupt, 

SJenn Sich füget ©chlaf bejwungen, 

Ser auf immer Sir geraubt — 


Die töe^eiutratyöfodjter. 

Son ffebtoig Dohm. 

SBaS berfteht man unter „©eheimrathStodjter" ? 

Siefe Sochter ift ein SRäbchen, baS einen ®eheimrath jnm 
©ater hat unb aus biefem @runbe unter ©ubatternbeamtai wie 
ben Hoflieferanten beS ®eheimratt)3 für ein bureaufratigheS 
©onntagSfinb gilt. 


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Nr. 24. 


Dir töfjennturt. 


879 


Unter ©eßeimratß aber oerßeßt man einen üftann, ber in 
feinem ©ureau unter allen Umftänben unb mitunter auch im 
©taat Oon großer SBic^tigfeit ift — einer SBidjtigfeit, bie einen meßr 
ober Weniger glänjenben Steflej auf feine ©attin, feine Softer, 
fein Sienftmäbcßen, feinen ©tiefetpufcer u. f. w. ju werfen pflegt; 
benn ber gef|eimrätf)tidje SBoßlgerucß tßeilt fi<ß wie ber Suft 
einer perßfdjen Stofe allen Singen mit, bie mit bem ©eßeimratß 
in näherer ©ejtebung ju fielen bie ©ßre haben. @tabtgericbtä=, 
XribunalSs, ginanjs unb anbere Stätte fönnen oieloerfprecßenbe 
ober aucß fetjr bewährte ©taatsbiener fein; baS „©ebeim" aber 
ift ber ©lorienfdjein, ber über einer gewißen Quantität oon 
©eamtentugenben oon SRedjtSmegen fcßwebt. Mitunter ift eS freilich 
nur bie flagge, unter ber ältliche ©taatsbiener, bie ©ruft mit 
Drben befrachtet, in ben £>afeu eßtenooller Stufte einlaufen, eine 
Art Snoalibenpoeße. SaS „©eljeime" ift baS ibeale Settauge 
auf ber magern Srüße ber ©eamtencarriöre, es ift wie ein §er= 
oorruf beS effectooüen ActeurS im ©taatsbienft bei offener ©eene. 

Sn unferer Seit, bie immer mehr jur ©leidjbeit ftrebt, 
unb bie Alles nibeßirt, beginnt ber Stimbu» beS „©ebeimen" unb 
feiner Socßter ju fdjwinben. ©inftmatä waren bie djarafterifti-- 
fcßen SDterfmale ber Seßteren fo Weithin ficßtbar, baff fte im 
SDtunbe beS ©olfeS lebten, wenn biefer ©olfSmunb aucß baS, bie 
höchfte Sichtung nicht aüsfcßtiefjenbe 2Bort „Softer" in „3ößre" 
Oermanbelt hatte, unb bie allgemeine SJieinung unter „©efteim= 
rathsjößre" ein mißliebiges fßrobuct bureaufratifcßer Arroganj 
oerftanb, ein ©emifcß oon bilnnem Sljee unb wafferblauen Augen, 
mit einem SBort, ein bleicßfücßtigeS, woßlgefämmteS unb Wof)ler= 
jogeneS, mit einem SRäScßen jum Stümpfen unb meiftenS auch mit 
£>aitbfdjuljen oerfeßeneö weiblüße8 ©ebilbe, bem ber Suft unb 
bie £l)aufrifd)e ber jungen ßRäbcßenblüthe unter bem ©inßujj beS 
höheren ©eamtentidS abßanben gefommen War. 

SBie ber ©denfteßer unb ber ©cßufterjunge unb bie geifts 
rei^e 3übin, iß audj bie ©ebeimratbStocßter aus bem ©erlittet 
focialen Seben faft Oerfcßwunben, ober wenigften8 fo. jieralicß mit 
ber Oberen ©eamtentod)ter oerfcßmoljen. 

Siefe nun gehört in eibifdjet ©ejießung Oieöeicßt ju ben 
berOorragenbften unter aßen lödjtern. Snbeßen bietet ißr ©ß a: 
rafter, ifjre Stellung in ber ©efettfcßaft unb ißr SebenSlauf nodj 
immerbin einige ©igentßümlicßfeiten bar; fte bat nodj immer etwas 
SppifcßeS, ba8 ju <haralteriftren ber dwed biefeS AußaßeS ift. 

Sie ©rjießung ber ©eßeimratbS = ober b ö b eren ©eamtens 
tocbter (bie fidj übrigens oon ber anberer junger 9Jtäbcßen wenig 
ober gar nidjt unterfcßeibet) läßt nah hergebrachten SRaßftäben 
Wenig ju wünfhen. ©ie befuht eine höhere Sßhterfhule, fte 
mäht ben SurfuS in ber erften fflaffe burh, unb Wenn es ben 
oerjweif eiten Anftrengungen ber ©orfteßerin gelungen ift, für 
biefe erfte fflaffe einen wißenfcßaftlicß gebilbeten Beßrer einjus 
fangen, fo oerliebt fie fih nid)t nur in biefen Seßrer, fonbern 
nimmt auh bie ^enntniß einiger, in ben Seitfäben niht ber* 
merfter ©injelßeiten über Alejanber ben ©roßen, bie $oßenftaufen 
ober ©hißer unb ©oetße mit in baS Seben hinüber. 

Sn ihrem fedjSjeßnten Sabre Oerläßt fie ba8 Snfiitut für 
höhere Xödjter, ohne inbeffen auf ben Sorbeeren ihrer ©ilbung 
auöjurußen; im ©egetttßeil, fte feßt ißre SDtufitftunben, baS tag- 
lihe ein« ober jweiftünbtge Ueben am ©laoier mit eingerechnet, 
unoerbroffen fort; ihr ©ergnügen lommt babei ebenfowenig in 
©etraht, wie baS etwaige SDtißoergnügen ber über ober unter 
ihr SBobnenben. Stuh franjöftfhe unb engltfhe ©onOerfationS« 
ftunben läßt ße wißig über ftdj ergeben, wenngleih böswißige 
düngen behaupten, baß bet $roßt bei biefen Sectionen ganj auf 
©eiten bet Sehrmeifter wäre; benn feiten hört man fie in einem 
©efpräh mit einem Sranjofen ihr heimatliches Sbiom oerleugnen, 
unb im 3ufammenfein mit ©nglänbern gibt fie biefen ftetS ©es 
legenljeit, fih in ber beutfhen ©prahe }u oerooßlommnen. 

Sft ber ©eheimrath wohlhabenber Slrt, fo tritt wohl noch 
ein wenig ftodjftunbe, Stalienifh, ©hneibern mit Kaffee unb 
ßuhen unb einigen Sreunbinnen, Äöpfejeihnen unb <gefeßigeö 
Sefen mit oertheilten Stoßen bi"P/ um jebeS hinbcrniß für bie 
©ntwidelung ber geheimrathstöhterlihen ©eele aus bem SBege 
ju räumen. 


SBelheS nah biefem ßühtig ftijjirten ©ilbungSgang bie 
©efhäßigung ber erwahfenen höheren ©eamtentodjter (unb auh 
bie ber meiften anbern jungen SRäbhen) im #aufe fein Wirb, 
läßt fih leiht ermeffen. ©ie wirb ein bisdjen ©laoier fpielen 
unb ein biShen nähen, fie wirb ein biShen feine SBäfhe plätten 
unb ber SDtarna ein biShen in ber Sßirthfhuft helfen, inbem fie 
SDtorgenS mit tleinen Sauftbanbfhuben nnb großer ©orfidjt ben 
©taub oon ben SDtöbeln im ©alon entfernt, unb in ber ©peifes 
lammet ein SDtäuShen jagt ober baS ©ingemahte befhnupperi 
©ie wirb auh unb ju in ber ßücße betroffen werben, wo fie 
fih Ijerabtaffenb freunblih mit ber ßöhin unterhält unb mit einem 
febt Iritifhen ©eftht oon biefer ober jener ©peife ehrbar loftet. 
Oft Wirb man fte auh utit einer 3Rufi!= ober Beihuenmappe 
burh bie ©traße fhweifen unb beS SlbenbS beim ©tiden feiner 
fragen befhäftigt fehen, was ihr eine reine innere ©efriebigung 
gewährt, unb was fte theils ju eigener ©erfeßönerung, theils ju 
©efhenlen betreibt. 

Sn ben Raufen, bie ihr biefe mannigfaltigen Slnfprühe, 
bie baS Seben an fie fteßt, gewähren, träumt fte oon einem üers 
ftoffenen ©aß unb feßmiebet ©lane für ben nähften. 

Sie ©ignatur ihrer Xßätigteit ift: »ein biShen". ©ie nippt 
nur an aßen ©efhäftigungen unb hat boeß fo oiel ju tßun. 

Unb ißr ©ßaralter? ©r bietet baS ©ilb eines tleinen 
3Riniaturs©ßaoS. SlßeS wogt burheinanber, baS Srodene oom 
Seuhten ift niht gefhieben, es ßerrfht Sunlelßeit. Soh Oers 
gebenS ßarrt bie Sußaberin biefeS breiartigen ©eelenjuftanbeS, 
baß eine ©timme rufe: „68 werbe Süßt!" aber über ben SEBaffertt 
fhwebt fein ©eift SaS bureß ©rjießung unb üftihterjteßung 
faleiboffopartige Arrangement ißrer fhlecßten unb guten ©igens 
fhaften ßält gewöhnlich für’S ganje Seben oor. 

UebrigenS ßnbet man unter ben ©eamtentöcßtern oießeiht 
bie beften ©jemplare weiblicher Sugenb. ©ie ßnb entfhieben 
gutartig unb oerftänbig unb ohne irgenb einen innern Srang, 
ber fie auf ben SB eg beS SafterS führen fönnte. 

tfreilih ßnb tljre Sugenben meift negatioer Art. Sie 
©eamtentoeßter unterfheibet ßh baburh Oon ben Söcßtern 
Snbuftrießer, ffiünftler, ©cßriftfteßer, Ariftofraten u. f. W., baß 
bie Soitettenfrage für ße bebeutungSloS ift, unb bie SeßcitS in 
ber SBirthfhnftölaße ißrer 9Rama niht üon ißrer fßufcfucßt ßers 
mißren. An ßoße Abfäßc unb impofante Schleppen ßat ße nie ißr 
§erj gehängt, ©on bem dufammenpaßen beftimmter garben ßat 
fte nur eine feßr unbeftimmte ©orfteßung. Sie ©änber unb 
©hleifen, bie fie an ßh Wenbet, ßnb fdjmal, unb entweber etwas 
greß ober etwas oerblihen. Sßr ©hußwerl bejießt ße auS meßr 
harafterooßen unb preiswürbigen als eleganten ©efhäften, was 
jwar ber ßäuSlihen Oefonomie, niht aber ißren foliben beutfhen 
güßen ju gute lommt. 

Sßr 4»aar trägt ße, ben mobemen ©truwelpeterfrifuren jum 
nahaßmungswertßen ©eifpiel, in woßlgeorbneten ©ußen, ju beren 
§erfteßung ße ßh no<ß immer ber attmobifeßen, längft oerpönten 
©omabe bebient. ©ie geßört niht ju jenen bewunberten Stets 
nen ber ©alonwelt, bie tede unb geiftreihe Antworten geben 
unb bejaubernbe ©lide oerfenben, niht ju jenen jungen Samen, 
bie ißre ©Item in gehörigem ©efpect ju erhalten wißen, benen 
®örbe auStßeilen eine Sonne ift, uttb bie an weißen $änben roßge 
Woßlgepßegte SRägel tragen. 

Sßr Äleib ift einfah wie ißre Siebe, ße ßält baS oierte 
©ebot, unb ißre gingernäget ßnb, mit geringer Slahßülfe einer 
woßlfeilen Siagelbürfte, wie ©ott ße gefhaßen ßat. 

©ie bringt feiten burh &ofetterie bie SRütter ißrer greuns 
binnen jur Setjweißung, unb eine ©onoerfation mit anberen jungen 
ßRäbhen beginnt ße gewößnlih mit ben ©Sorten: ,,©inb ©ie 
mußfalifh?" 

©ie iß burcßauS ftreng fittlih, WaS beutlidj ju ertennen 
ift an ißrem Abfheu gegen Seihenberbrennung unb ©ioileße. 
Auh rätß ße nur auSnaßmSWeife ißren greunbinnen ju einer 
#aartracßt ober ju einem Äleiberfhnitt, bie ße für unlleibfam 
ßält. gäßt eine Same ißrer ©efanntfdjaft einer Siebeöleibens 
fhaß anßeim, fo wunbert ße ßh feßr. ©ie felbft erlaubt ßh 
ßöhßenS für ißren ©rebiger ober ben ^elbenfpieler im ©haus 


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880 


fflte «fgfitnrart. 


Nr. 24. 


fpielljaufe ober ihren ©efanglehrer im Verborgenen p fchwätmen, 
WaB baburdj pweilen on ben lag fommt, bah bie Photographien 
bet betreffenben Herren in ben liefen ihrer Sleibertafehe bon 
ber SBafdhfrau, bie baS ju ber Xafdje gehörige Sleib ju Waffen 
nid^t umhin fann, entbedt werben. 

3f|r ftarfeS ftttlicheB ©efüljl befunbet fte ferner baburd), baff 
fie bie SJtufi! nur mit SluBfchluh bon SBagner cultiüirt, unb un= 
extern Sdjmud unb falfdjen 3öpfen gegenüber tbtre Entrfiftung 
nicht unterbrüden fann, obgleich fie Sefctere bur<h ein Surrogat 
bon Sßofle p erfefcen uic^t oerfdjmäht — ein Surrogat, baB burcf) 
feine unüerhof|lene Steigung, plöfclich unb borftig bie eigene bünne 
HaarfüQe ju burc^bre^en, elfer Slnfprud) barauf Ij&tte, pm 
Stopfen einer SJtatrafce, als jur Haarfrifur eine? jungen 3Jtäb= 
<hen3 bertoenbet p werben. 3Jtit einem guten leint oetfehen, 
eifert bie Veamtentochter auch gegen ben ©ebraudj beB fßuberB; 
ift if)t leint aber fo fo, fo bebient fie ficfj jwar beB unfittlic^en 
SJteljlB — aber ganj heimlich- 

3ft»r ©eficht ift fein unb intereffant, fie bermeibet gern attju 
brünett p fein. 9ln Sonntag Vormittagen unb audj an St)l= 
oefterabenben glaubt fie an ©ott unb geht, wenn bie ©loden 
läuten, jur Äirdje; auch fdjwärmt fie häufig für Vücfjfet, waB 
bei ben lottern SttbnftrieHer eigentlich gar nicht oorfommt. 
3hr ©Ijarafter geigt aud) grofje Sopalität gegen bie föniglidje 
gamilie, waB fie baburcf pr öffentlichen ffenntnifj bringt, baß 
fie, wenn ein SJiitglieb berfelben im Sljeater ober im Eoucert 
fidjtbar Wirb, einen anbaucrnb langen Hals macht, unb über bie 
Vewunberung beB SleiberfchnittS ber ißrinjeh Amalie ober beB 
botben SädjelnB ber ißrinjefj ©ifela überhört fie leicht eine 
Shatefpeare’fdje Scene ober eine Veethoüen’fdje Sonate. Slucf) 
befinbet fie fidj für Seichenparaben unb SluBfteQungen bon StuB= 
ftattungen fürftlicher ißerfonen ftetB im Vefifc bon Einlahlarten. 

Heut ift fie faum noch ftolg; nicht mehr berfchmäht fie mit 
aKerpanb im Slang unter ihr ftehenben jungen SJtäbchen ump= 
gehen, grüher freilich, alB bie Snbuftrietlen ihr Vermögen nur 
in feltenen SluBnahmefäHen nach Millionen berechneten, ba hielt 
fie ben Umgang mit ÄaufmannBtöchtern unb gübinncn für einiger* 
mähen compromittirenb, unb fie neigte bap, greunbinnen biefeB 
StanbeB unb biefer Stetigion ihren StanbeBgenoffen unter leichtem 
Erröten alB Schulfamerabinnen, Slteliergefährtinnen, Steifebe* 
lanntfchaften u. f. w. p präfentiren, um bie Vorfteßung ju er* 
weden, bafj nicht ihr SBifle, fonbern bet 3ufaß btefe Vefannt* 
fchaft ju SBege gebracht habe, unb bah biefelbe nur eine ftü<h= 
tige fei. 

Sie ift gebilbet, aber nicht überbilbet. Sie weih ganj ge* 
nau, Wo ber Schein entfpringt; bie tömifchen ffaifer unb bie 
beutfchen unb bie ißäpfte (ann fie an ben gingern ^ergäfjlen, 
fte hat fogar ein Vuch, ganj oofl bon Xabeflen. Slber ©ott fei 
®anl, ®ubi(wurjeln fann fie nicht auBjiehen, unb Schriftftefler 
Wie Vucfle, ®arWin, fjädet werben nie in bie Sage fommen, 
ihre reine Seele mit Sdjredbilbern bon Slffenmenfdhen unb foB* 
ntifchen Xräumen bon SBeltuntergängen unb Slbfdjaffung bott 
©eheimräthen p trüben. 

Sie ift abgerichtet, ganj beftimmte, bon Urahnen ^erftams 
ntenbe 9tnf#auungen in ihrem Vufen p tragen; fte ift abge* 
richtet für förperlidje Zartheit, inbem bie Erjiehung ihr mit 
grober Vorfidjt alle biejenigen Uebungen, bie bie MuBfeln ftärlen 
fönnten, anB bem SBege räumt. Sie ift abgerichtet, bas Xenlen 
für eine nur männlichen köpfen pfommenbe Verrichtung ju 
halten. 

Stoch eine Wefentliche ©abe, Welche bie ©eheimrathBtodjter 
in reicherem SJtafje älB' anbere junge Mähren befifct, bürfen Wir 
nidht unerwähnt laffen: bie lugenb beB SBartenB. 2>aB SJtäbchen 
wartet, bie SJtutter wartet, ber Vater wartet, bie ganje gamilie 
wartet — gebulbig. SBorauf? Stuf einen SJtann für baB SJtäbchen. 
®ah fi<h bie hübfche, gebilbete, wohlerjogene Üochter nicht ber» 
Ijeirathen lönne, fommt Weber bem ©eheimrath noch ber ©es 
heimräthin, am aHerwenigften ber lo^ter in ben Sinn. 

(SineB SJtorgenB inbeffen erwacht baB Sö^ter^en jiemlidh 
erftaunt barüber, bah feine« jweiunbjwanjigjährigen ®e= 
burtBtag feiert, ohne ©elegenheit gehabt ju haben, bie Voffifdje 


Leitung burdh ihre VerlobungBanjeige p bereidhern. Sie wirb 
nachbenflich, allmählich hört fie auf, forgs unb harmloB in’B 
Seben hineinjuleben. Sie wartet nach toie bor, aber ber ©h° s 
rafter ihteB SBartenB ift berwanbelt. ®aS gebulbige SBarten 
Wirb ju einem ungebulbigen, f^merjli^en, erjümten. Sie wartet 
nicht mehr paffib, eB fommt Stetion in ihr Seben. $ie loilettens 
frage'tritt für fie auB bem Stabium ber ©leichflnUigfeit, unb 
biß grellen garben berbrängen bie berblichenen. Sie ejperimens 
tirt mit ihrem ^aar, mit ihrem ^leiberauBf^nitt, unb eineB 
SageS taucht auf ihrem ^taupt ber bielgefchmähte ßopf auf. 

Sie wirb jufehenbB auBwenbig heitrer, liebenBwürbiger, 
munterer; burdh Stnflüge bon Sofetterie compromittirt fie ihren 
tabellofen Stuf, fie bemüht fidh bielfagenb ju lächeln unb bers 
heihenb ju bliden. SJtit franfhafter $aft lieft fie aHmorgenbs 
lieh bie VerlobungBanjeigen in ben Leitungen, alB Wenn fie 
unter ben bielen Slawen ihren eigenen lieben Stamen fuchte, 
unb ein leifer ©roll beginnt ihr ©emüth ju erfüllen gegen bie 
SJtänner, bie fi<h mit ganj frembew, unbefannten Siamen berloben. 
Sie horcht auf jebeB SBort, baB tjetrathBfähige junge SJtänner ju 
ihr reben, um baB eine, heifjerfehnte SBort h«auBjuhören, baB 
nie gefptodhen wirb. SBie ber ©rtrinfenbe an einen Strohhalm, 
fo flammert fie ft<h an irgenb eine unbebadhte Schmeichelrebe, bie 
ein jugenblicher Steferenbar ihr ht einem angeheiterten Seelen= 
juftanbe ahnungBloB barbringt, unb wie ein Steh fdjtingt fte feine 
eigenen SBorte um ben harmtofen güngling, fo bah er SJtühe hat, 
ber Umftridung ju entrinnen. 

S)ie ganje ©efeUfdjaft erfcheint ihr allmählich int Sichte 
einer gegen fie gerichteten Verfdfjwörttng. Stuf jeben VaH, in jebe 
Soir6e jieht fie wie in einen gelbjug — auf Eroberung auB. 

5)ie Xage, bie SJtonate, bie gafre fchreiten unaufhaltfam 
üorwärtB, unbefümmert um bie Hoffnungen, bie fte jerftöreu, 
unb in biefem aufreibenben, angftooüett, haffnungBlofen Äampf 
Oergenbet baB junge SJtäbchen bie foftbaren Kräfte ihrer jungen 
Seele, oerlicrt Harmlofigfeit, Slbel, SBürbe unb ©üte. SJtan h Q t 
ihr Oon früher Sugenb an eingeprägt, bah e* ihr einjiget Seruf 
fei, ©attiu unb Mutter ju werben. Sie lämpft alfo für ihre 
Ejiftenj, unb je mehr fte fid) anftrengt, baB 3i‘l i« erreiche^, 
je härter Wirb fie beurtheilt, je weniger hat fte auf Erfolg ju 
redhnen. ES ift eine wilbe 3agb nach bem ©lüd, bei ber ber 
lob ihr pr Seite fchreitet; benn unoerljeirathet fein heifet für 
fie: Sterben im Seben. 

Sie weih, bah ß* unoerljeirathet einer focialen SJtifjgeburt 
glei^geachtet wirb, einem SJtafel in ber SBeltorbnung. 

Unb fie tämpft weiter. Sie Wirb adjtunbjwanjig, fte 
wirb breifjig Saht alt unb älter. Sie fährt fort ju tanjen, 
aber fie tanjt Wie auf einem Vullan. Sie Wirb corpulent, ihre 
rofigen garben oerlieren fich in tränlli^graue Vläffe ober in 
grelle Stöthe. 3h r Saß ift hoffnungslos. ®ie ©efetlßhaft hat 
fie auB ben Steiljen ber ju oerheirathenben SJtäbchen geftrichen; 
ehe fte eB ahnt, ift fie nur noch eine 3«ff« in ber groben 3ahl 
ber Unoerheiratheten. 


2)ah baB höhere Veamtenthum baB gröhte Eontingent für 
ben SUtjungfemftanb liefert, ift Xhatfa^e. 3<h glaube, bah äntei 
©rünbe bafür mafjgebenb fmb. 

ErftenB: bie löchter, bie ber Veamtenftanb probucirt, werben 
meift ohne SJtitgift in’B Seben geflohen. Eine StuBftattung, bei 
ber hanbfefte leinene SBäfche, ein fßlüfehfopha unb einige EJu^enb 
oon einer alten Xante geftiftete ftlberne Söffe! bie Hauptrolle 
fpielen, ift in ber Siegel SlUeB, waB ber ©eheimrath ju leiften 
im Stanbe ift, unb man mag nun fagen, waB man will, ©elb ift 
ein für allemal bie SBünfchetrutije, bie jebem SJtäbdfjen, unb 
hätten anftatt ber ©rajien Unholbinnen an feiner SBiege ge- 
ftanben, baB erfehnte Sefam ber Ehe öffnet. 

Unb jweitenB: bie Veamtentodfjter befiel am wenigßen 
biejenigen Eigenfdhaften, bie, wie Schopenhauer meint, eines 
SJtanneB fßhantafie fo bethören, bah er in ben SBahnßnn Oer* 
fällt, fi^ lebenslang mit einer Jäftigen (leinen Steffin ju be* 
haften. Einfachheit, HäuBlichleit, ein fileib ohne Schleppe, ein 
guter Eharalter, Virtuofität im ^ragenftiden, höhere Xödjters 


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Nr. 24 


Ul* 9egenmart, 


881 


_c_ 

fcpulenbilbung, bie Hbwefenßeit ejtcentrifcper Stegungen im @e: 
mütß, unb bie Hoffnung, baß eine grau im Stotpfaü einen mittel: 
mäßigen ©ierfucßen ju baden, ein Dberßemb ju plätten, SBäfcpe 
ju sägten unb eine Veetßooen’fcpe Sonate ju flimpem tm ©tanbe 
fei, mit einem SEBort baS „©emmelblonbe" im geiftigen XppuS 
bet ßöperen Veamtentocßter, pat Don jepet weniger SJtänner in 
bie ©pe gelodt, als bie argliftigen gallftride, bie eine pßanta= 
pifcpe ober elegante Xoitette, pifante SJtanieren, muntrer SEBelt= 
pmt unb bie fünfte bet Bunge unb beS SlugeS ipnen legen. 

SBenn nun wehigpenS jeber ©eßeimratp unb pöpere Ve= 
amte fitp ßerbeiließe, fein fünfjigjäßrigeS Sienftjubiläum ju feiern! 
Äber füßtloS gegen ben Drben unb baS faiferlicpe Hanbfcpreiben, 
bie feiner bei biefer ©elegenßeit toarten, befertirt er oftmals 
feinen Däterlidßen fiepten Diel p früß, unb begibt fidp in’S 
genfeitS mit ^interiaffung einer piilflofen SBittwe unb einiger 
in ben breißiger gapten ftepenben Xöcpter. 

gn Snbten Derbrennt man bie lebenbigen SBitttoen mit bem 
tobten (Satten, gn unferm ßoeßeioitifirten Sanbe fenlt man ben 
tobten Vater allein in bie ©ruft; mit ipm Werben bie Hoffnung, 
bie SJtöglidpfeit jum Seben, baS SBoplergepen feiner SBittwe unb 
feiner unDerpeiratpeten Xöcpter begraben. Sin feiner Seicße ftagen 
fie um ipn unb — um fiep. 

gür ben unberforgten ©opn finbet pep ein ©tipenbium; 
Verwanbte unb greunbe forgen bafiir, baß er feine ©tubien fort: 
fepe, bamit er jurn SBoßlergeßen beS ©taats in feines Vaters 
gußtapfen treten fönne. 

Sie ©efeßfeßaft ift außerorbentlidp jartffiplenb, unb nur 
ganj aflmäßlidp jiept fie fiep Don ber fcpwarjgefleibeten gamilie, 
bie Don einer Keinen fßenfion leben muff, jurfid, unb bie prä: 
tentiöfe Sürftigfeit berfelben, bie Don bem ©epeimratpStitel, 
einigen Oerblaßten Samaßmöbeln, einem lebensgroßen Porträt 
beS feligen ©epeimratpS unb einem nur wenig befecten loftbaren 
Kaffeeferoice mepr gepöben als berbedt wirb, entlodt ipr ein 
Säcpeln. ©in Vefucp bei ber guten ©epeimrätpin mit ipren ab: 
gefdpafften Sienftmäbcpen, ipren alten Jungfern, ben träbfeligen 
©efieptera, ber ßeimlidpen ©tiderci, bie, wenn ber ©oft anftopft, 
unter "ben Xifcp fliegt, wirb nadpgerabe etmaS peinli(p. Unb halb 
Hopft fein ©aft mepr an. ©ie finb ber ©infamfeit berfallen, 
fie ßnfen unb berfümmern. SaS ©tüd ift für fie auSgefpielt, 
ber Vorpang fällt; waS bapinter oorgept, bie ßeißen Xßränen, 
bie auf bie fcßlecptbesaplten #anbarbeiten fallen, baS nagenbe, 
bittere ^erjeleib, wen fümmert baS! 

SaS Seben ber alten gungfer in feiner traurigften ©eftalt 
beginnt für beS tobten ©epeimratpS Xocpter, pe ift überjäplig. — 

SJtan pat bepauptet, bie Slbnapme ber ©peftpließungen pabe 
ipren ©runb in ber fittlicpen ©orruption, in ber pußfueßt, ben 
prätenponen unb ber Ueberbilbung ber jungen SJtäbcpen. SJtan 
pat bepauptet, baß ein SJtann ni<pt mepr wagen fönne, einem 
SJtäbcpen feine $anb anjubieten opne einen, in irgenb einem 
©til möblirten ©alon, opne SJteißner Xafelgefcßirr unb perpfeße 
Xeppicße, einen Hauöfreunb, einen Keinen SJiafart ober Stidßter 
an ber SBanb, eine ©ommerfrifepe in Oftenbe u. f. w. 

SaS pnb DöHig aus ber Suft gegriffene Vepauptungen. 

3m Veamtenftanbe, paben wir gepört, gebeipen bie alten 
Jungfern am japlreicpften, unb gerabe ba pnben wir bie reinften 
unb anfprucplofeften ©jemplare ber SBeiblicpfeit, bie Vertreterinnen 
ber eepten beutfeßen Hausfrau, beren Anbetung bie SJtänner ju 
empfeplen feiten Derfäumen. 

Sie Veamtentocßter fuept man DergebenS bei Pferberennen, 
beim ©fating:9tinf, bei ben Premiören im Xßeater unb bei fonftigen 
fafpionablen unb foftfpieligen Vergnügungen. 

Stießt pe ift es, bie es für ipre Pffießt pält, an Vabeorten 
jwei= bis breimal täglidp Xoilette ju maeßen, bie um 11 Upr 
aufpept, um SJtittemacßt luftig wirb unb gofepßinenßanbfcßuße 
für fünf ober feeps SJtart trägt. 

SJtit mepr Stecpt tönnte man bepaupten, waö bie ©pen 
Derringert, feien niept bie Knfprücpe ber grauen, fonbern bie ber 
SJtänner. Ser materiell gepmtte SJtann beS ©rünberjeitalterS pat 
begriffen, baß bie grau für ipn, wenn er außer feinem ©epalt 
nießts bejiept, Vraten in ©uppenffeifcß, SBein in SEBaffer, eine 


amttfante gerienreife in einen befdpeibenen ©pajiergang im Xpier* 
garten ober in einen ©ommerpp auf bem Valfon mit einigen 
Vlumentöpfen oermanbelt, unb wenn ipm bie Verpeiratpung nidpt 
einen 3«wa<p8 am ©infommen fiepert, unterläßt er eS lieber pdp 
pecuniär unb gefeüfcßaftticß ju Derfcplecptern, eS fei benn, baß 
eine peftige StebeSleibenfcpaft an bie Dberfläcpe treibe, was ibcal 
in ipm ift. 

gür baS SJtäbcpen gilt baS Verpeiratpetfeiu als ein großes 
©lüd an unb für pep, unb um biefeS ©lüdeS, baS baS ^»öepfte, 
bie Siebe, einfeßließt, tpeilßaftig ju werben, jiept pe mutpig mit 
iprem ßreiSridjter unb feinen 800 Xpalem ©epalt in irgenb 
ein entlegenes Keines Step, in baS fein ©dpimmer großftäbtifeper 
gteuben fällt. Dpne SJturren binbet fie baS föücpenfdpütjdpen 
um unb foept unb näpt unb fdpafft unb forgt unb liebt beit 
©atten unb fdjlürft mit Vepagen an feiner ©eite ben bünneu 
Kaffee unb ben Dualm feiner billigen ©igatre, unb ipre füpnfteu 
Xräume gepen bapin, einmal in iprem Sitter, wie ipre SJtutter, 
©epeimrätpin ju werben. — 

Sen Uebelftanb, baß eS mepr grauen als SJtänner gibt, 
pat man ftpon in alten Seiten fdpwer empfunben, unb man pat 
oerfudpt ipm baburdp ju begegnen, baß man bie grauen einfaep 
becimirte. gm Orient töbtete man entweber je naep Vebürfniß 
bie weiblidpen Kinber bei iprer ©eburt (man tput eS noep bis 
auf ben peutigen Xag), ober man entlebigte fidp iprer burep bie 
befannten SBittWenoerbrennungen. 

Stadp einer Stngabe Don Karl griebritp Steumann (,,©e: 
fcpiipte beS englifdpeit SteicpS in gnbien") Derbrannte man allein 
in Dftinbien epebem ungefäpr 33,000 SBittwen jäprlitp. SllS 
ber Stabjap ©uepet ©ingp im ©ebiet 3«noo ftarb (fo erjäplt 
ber ©eograpp greberic Srew), ber niept weniger als 300 grauen 
pinterließ, würben biefe fämmtlicp an Derfcpiebenen Orten bem 
Stnbenfen beS §errn unb ©ebieterS geopfert. 

©in pdahifcpeS fummarifdpeS Verfapren! Socp Stiemanb wirb 
bepaupten wollen, baß eS bem ©efepmad moberner, ciDilifirter 
Stationen entfpräcpe. geuer, ©trid unb SEBaffer pelfen nidpt mepr 
gegen baS pbringlicpe Sebenbigbleiben ber SEBeiber. 

SEBir bebürfen auep biefer ©ewalttpaten nidpt mepr. ©S 
gibt ein fepr einfaipeS SJtittel, bie Stacptpeile, bie gegenwärtig 
ber ©efellfcpaft aus ber Ueberjäpligleit ber grauen erwaepfen, 
in Vortpeile ju Derwanbeln. SieS SJtittel peißt: bie öfonos 
mifdpe ©elbftftänbigfeit ber grau, ©obalb bie ©rjiepung 
eine iprer Hauptaufgaben: ben SJtenfcpen ju befäpigen, baß er 
fetbftänbig ejiftire, gelöft paben wirb, fällt bie Unberpeiratpete 
Weber pdp nodp bem Staat jur Saft, fonbern tritt bamit in bie 
Steißen ber nüplicpen unb willlommenen ©lieber ber menfcplicpen 
©efellfcpaft. 

Ser SBeg jur öfonomifepen ©elbftftänbigfeit ber grau be: 
ginnt bei ber ©rjiepung. Sie ©tjiepungSfrage eingepenb ju 
erörtern, gepört' niept in beit Staum biefeS KuffapeS. Stur fo 
biel: 3ebe Vefcpäftigung, bie ein günftigeS Stefultat paben foH, 
muß ernft unb metpobifdp betrieben werben. 3« bem Stugen: 
blid aber, in bem bie SJtänner ipre ernpen ©tubien beginnen, 
pört baS SJtäbcpen auf ju lernen. SaS SJtäbdpen pat ftets ge: 
pört, baß eS ein Ungiüd für eine grau fei, fiep ipren SebenSs 
unterpalt erwerben ju müffen; wie foü fie barauf fornmen, es 
füd eine ©ßre unb eine ^ffidpt ju palten, für pdp felbft ju forgen? 
Um unabpängig }u fein, muß man jur Unabpängigfeit erjogen 
Werben. 3pt ift aber Don gugenb auf eingeprägt worben, baß 
ftets ein männlidper Kopf ba fein werbe, für pe ju benfen, ein 
männlidper Strm, pe ju fdpüpen, ein männlidpeS Portemonnaie, um 
Pup, XpeaterbilletS u. f. w. für fie ju bef^affen, unb Pe weiß 
niept, baß biefe Xpeorie pdp in ber PrajiS nidpt burdpfüpren läßt. 

Sie guten. ©Item, bie bem ©opn gegenüber fo gewiffenpaft 
ipre Pfficßt erfüllen, bauen baS ©cpidfal ber Xocpter auf un: 
beftimmten Hoffnungen unb SEBünfdßen auf. 

SJtir fällt ber SluSfprucp einer SJtutter ein, bie, als man 
ipr rietp, bie ungewößnlidße mupfalifcpe Anlage iprer Xocpter 
fünftlerifdp auSbilben }u laffen, antwortete: „Unfere ©öpne foften 
unS fepon genug, faßen wir auep noep an unfere ©dpwiegerföpne 


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382 


9it 9t gf«wart 


Nr. 24. 




beulen? Unb tuet tuet6, bießeicfjt ift ihr lünftiger äftann nid^t 
einmal mufüatifdj." 

Diefe treffliche grau War ber Änßdjt, bie bon ben meiften 
Ottern geteilt wirb, baß Äße#, Was für bie Xodjter gefdjähe, 
hoch nur bem ©atten berfelben ju ©ute löme unb gar feinen 
praftifdjen Swecf habe. 

Die arme Xodjter hat ht ben Äugen ber ©Itern gar feine 
3nbibibuatität; fie ift ein 3U berheiratljenbeS Object, unb mit ber 
6h e <ft ÄtteS für fie abgetßan, hört jebe ©erantwortlidjleit ber 
Gütern auf. ©ine ÄnfdjauungSWeife, bon beten graufamer Sieb: 
lofigleit bie ÜJtutter fd)Wetlicf) eine Äfjnung hat, eine ÄnfdjauugS* 
weife, bie nur $u oft ber ftotjen ©eheimratijstodjter ein lummer* 
boßeS Dafein bereitet, im günftigen Saß als überbürbete, fdjledjt 
bejahlte Seljrerin ober @tüf}e ber $auSfrau, im ungünftigeren 
als — berfdjämte Ärme. 

(64(u| folgt.) 


Sommerli^c Briefe. 

©djulse. 

„©lüdtidje Weife unb angenehmes fßprmont!" rief ich 3h nen 
ju, als ber ©djaffner bas brüte ©ignal gegeben hatte. 

„Unb Sie halten SBort? ©ie fd^reiben mit?" 

„©enigftenS einmal, ©ie bürfen fid) barauf berlaffen." 

Der 8»g fefete fid) in Bewegung, ich sog ben #ut, ©ie 
grüßten mit ber $anb, unb mit bem fußen ©cheibeworte: „©effern 
©ie fleh!" faufteu ©ie babon. 

©ebeffert habe ich wich nun swar noch nicht, benn ich bin 
nodj iwrner in Berlin, unb Oerbringe einen nicht unwefentlidjen 
Xfjeit beS XageS bamit, mit bem ©tocfe Ouabrattöcher in bie 
ftaubige Suft su fchneiben, um mir einige ÄuSfidjt sn berfdjaffen; 
aber ich Wifl 3huen wenigftenS fdjreiben, fo gut ober fo fehlest 
eS bei ber fürchterlichen |>ihe gehen wiß. 

Die einzige Oueße, in ber unfereinS h«er Ijerumptätfdjern 
fann, ift bie ber ©oefie. 3u biefer poetifc^en ©djwimmanftalt, für 
welche baS polizeiliche ©erbot wegen beS ©abenS an unerlaubten 
Orten noch nicht befteht, habe ich, wie fo oft in meiner fdjwülen 
©ersweiftung, auch i e fct meine Zuflucht genommen. Wicht als 
ob ich wich in meinen alten Xagen noch auf’S ©erfemadjen ber* 
legte — biefe Prüfung ift unS bis jefct erfpart geblieben —, 
aber baS ©ettmßtfein meiner Unsulänglichfeit hat mir boch nicht 
bie greube genommen an ben poettfdjen ©aben Änberet. 

kennen ©ie beft Dichter @djuise? 3<h weine nicht ©rnft 
©chulse, ben Dichter ber „besauberten Stofe", ich weine Xheobor 
©dhulse, ber foeben in ÜRitweiba (im Verlage oon ®arl Schar* 
fchmibt) feine bidjterifdjen $erborbringungen veröffentlicht h°t 
(1877). 

„Dichtung unb ©ahrljeit in ausgewählten Siebern", 
heißt bieS ©erl, beffen ffiiertljeilung uns geftattet, ben SebenS* 
lauf unfereS Dichters ungefähr fennen su lernen. Xfjeobor ©chulse 
ift, wie wir aus einer ferneren Ängabe erfehen, in griefad ge* 
boren. 3<h werbe mich hüten, hier ben ÄuSruf ber ©tubenten 
in ©alingrbS „Weife bu«h ©etlin in 80 ©tunben" su Wieber* 
holen: ,,©ir woßten nicht lachen, aber griefact ift gut!" 

Der erfte Xljeil ift überfdjrieben: „ÄuS meiner ©hmnaftaften* 
Seit" 1865—69, ber sweite Xljeil: „ÄuS meinet ©tubentenseit", 
Wooember 1869 bis Äuguft 1872, ber britte 3Theit ; „ÄuS meiner 
Sehrerseit", September 1872—77; ber vierte Xheil enthält bann 
noch Womansen unb ©aßaben, ©efdjidjten aus bem wirtlichen 
Seben unb Wüthfet. ©ir haben eS hier alfo, Wie ©ie auf ben 
erften ©lief feljen werben, nicht mit bem erften ©eften su thun. 
Der Dichter hat feinen regelrechten ©ilbungSgang burdjgemacht, 
unb feine ©erle taffen eine mertwürbige Selefenheit auf ben 
erften ©lief erlernten. ©djon brr Xitel „Dichtung unb ©ahr= 
heit" beweift, baß fid) $err Xheobor ©chulje mit unfern llafftfchen 
Siteratur Wohl tertraut gemacht hat. 

©emt $err ©chulse auf ©eite 13 fingt: 


„H8djte meine $finbe legen 
Siebenb auf bein $aupt, fo fchfin;" 

ober auf ©eite 14: 

„3$ bab’ im Xraum getrfiumet, 

Daß ich Dir entfagen gefolt 
3«h wachte auf, — unb bie Xljrftnen 
Sinb mir oon bet Hange gerollt;" 

ober auf ©eite 16: 

„3h weiß nicht, ob ich fallen fol 
Die $änbe jum (Bebet, 

Unb beten, baß (Bott Dich fegnen mol’ 

@o. Wie mein #et$ eS fleht;" 

ober auf ©eüe 18: 

„0 weh’ mir! Sehe, Sehe 
Schleicht mir in’S §et$ hinein," 

fo läßt fid) ohne Änmaßung unb ©djneßfertigleü im Urtheil 
beinahe bie ©ermuthung auSfprechen, baß {jerrn ©djulse einige 
ber nicht gans unbefannt gebliebenen ©ebidjte Heinrich feines 
auf irgenb eine SEBeife 3ugänglidj gemacht worben fein bürften. 

Äber auch ©olfgang ©oetlje ift unferm Dichter ein ber* 
trauter greunb geworben. Der SBeintatifdje ©eljeimrath hat 
einmal ein Sieb gefchrieben, baS alfo anfängt: 

„gfileft wieber Sufdj unb Xhat 
Stil mit Webefglan}, 
fiöfeft enblich auch einmal 
Heine Seele gans" 

gür ben Änfang ift baS gans h ft bfdj, aber man lann eS 
boch noch beffer machen, fo s- ©• wie #err Xheobor ©chulse eS 
madE|t, auf ©eite 16: 

„tBtfltbeubauch in Salb unb Xljal, 

Sercßenfang unb fiuft! 
gfileft, Hai, mir auf einmal 
Heine bange Brujt. 
fißfeft meinen bleichen §arm :c." 

Derfelbe ©eheimrath hat auch einmal ein Siebdjen gefchrieben, 
in bem eS heißt: 

„Heine Wulf’ ift hin, 

Hein perj ift jdhwet; 

3^ ßnbe fie nimmer 
Unb nimmermehr." 

Das ift gar nichts gefagt, benn ba fehlt jebe SWotitrirung. 
Diefen SWangel hatXhieobor ©dhulse richtig erlannt unb er fchreibt: 

Heine SRuhe ift hin, 

Unb mein §etj ift feßwer, 

Seit ich elenb bin, 

Dich 1 gar su felfr. 

Drum auch! Wun weiß man boch, Warum feine Wnlje ht» 
ift unb fein fters ferner! ©eil er elenb ift, ach! gar su fehr. 

©ilhelm SWüfler, ber Dieter ber „©riechenlieber", ber 
„Wtfißerlieber" unb ber „©interreife", hat einft ein ©ebidjt oer: 
faßt, ber „Sinbenbaum", baS burch bie ©ompofition non grans 
Schubert in einigen beborsugten Greifen belannt geworben ift. 

„Äm Stunnen öor bem Dljore 
Da fteht ein Sinbenbaum; 

3<h träumte in feinem Schatten 
So manchen ffißen Xraum. 

3<h fchnitt in feine Winbe 
So manches liebe Hort, 

SS gog in greub’ unb Seibe 
3u ihm mich immerfort" 

@o ähnlich bittet auch unfer Dichter: 


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Nr. 24. 


9it «fgrnatarL 


383 


„(68 fkc%t eine alte Stube 
9m Brunnen not bem Dßor. 
ffiobl mancher fdjnitt in bie Kinbe 
(Seinen Kanten, t>teI 3aljre juoor!" 

©ie »erben bo<h ba hoffentlich nicht gleich ben Borwurf 
beS Plagiats erheben »ollen i ®8 hat wirf lieh nicht Oiel auf 
fich, wenn ©chulje Oon Müller etwas entlehnt, e8 bleibt in ber 
gamilie. 

3« bem erften befinbet fi<h ein „IhrifeS Drama 

auS ber Sugenbjeit in Siebesliebem", baS 22 ©ebidjte jählt. 
Der Dichter mu| bamalS noch recht jung gewefen fein, benn 
bie Sieber jinb aus ben fahren 1866 — 68 batirt unb im 
Bopember 1869 hat er baS ©gmnafium oerlaffen. 

Die erften fieben Sieber filbem bie erwachenbe Seibenfdjaft; 
im achten liebt ber Dichter bereits ganj regelrecht. Siegelrecht 
ift eigentlich nicht baS richtige Mort, benn eS muh etwas mit ihm 
hoch nid)! ganj in ber Orbnung gewefen fein. (Sr fagt ba: 

„Du lieber (Sott, ich weih ja nicht, 

©as mich f° froh hmt macht.... 

Denn ich bin heut ben ganjen Dag 
Koch nirgenbS wo gewefen." 

DaS follte ihn eigentlich bestimmen, um fo mehr als ber 
3uftanb, ben er in ben folgenben Berfen fchilbert, anfdjeinenb ein 
bebenf lieber ift. „3ft’S mit ber Siebe ein fotcheS Ding?" fragt er, 

„Daß eS innen einem, wie im ©einfaß, gährt 
Unb Hingt unb fingt unb fummet?" 

Sillmählich bemächtigt fich feiner eine noch unheimlichere 
©timmung; er brüeft baS burch bie Morte auS: „Mir graut bie 
4?aut" (©eite 15), unb fdjtiefslich merft ber graue greunb, baß 
ihn fein Siebten Oerläßt. Da will er benn bon Siebe über* 
haupt gar nichts mehr Wijfen, unb in ber gtüdlidjen Einfachheit, 
bie ihm fo wohl anfleht, fagt er: 

„Kuu h«6’ ich alles Sieben fatt 
Unb alles ^erjeupocßenl" 

Der Siebe entfagt er einftweilen, benn er liebt fpäter noch 
einige Male, aber ber fßoefie bleibt er getreu: (©. 21) 

„3cb glaub’, ich werb’ noch einmal toll 
Kot lauter $oeße. 

Denn, h«b’ ich einmal bdfeS Blut, 
fjfang ich ju reimen an." 

9u3 biefer ©timmung h^auS begreifen wir bie meiften 
feiner ©ebf te. 

Die Siebet auS ber ©tubentenjeit erfcheinen mir im 2lü= 
gemeinen weniger bemerlenSwertlj. 28ir finben jwar manches 
finnige Sieblein, fo baS an feinen ©tubenlameraben: 

,,©ir tßeilten beib’ ein gimmer 
(Sr flflger unb ich bummer;" 

aber bie Sieber aus ber erften 3ugenbjeit ftnb mir eigentlich 
hoch noch lieber. 91s Sehrer jeigt, er eine außerorbentlidje Ber* 
ooölomranung in ber gorm unb im ©ebanlen, fo j. 23. in bem 
Siebe „Dharanbt", Dctober 1875: 

„3u Dharanbt, in bem Dßale, 

©ießß bu Oon gelSgeßein 
(Sine alte Burgruine, 

Mag wohl manch’ 3aßr alt fein." 

Bemerlen ©ie, liebe greunbin, biefe Borficßt im StuSbrud! 
Menn ein Snberer bon einer alten Burgruine fpridjt, fo fcheut 
er fich gar nicht, mit aller ftedheit bie Behauptung aufjufteDen, baß 
biefe alte Burgruine alt ift; ber Sehrer aber, ber weih, bah 
eine aufmertfame Sugenb feinen Morten lauft, Wirb fich bor 
jeber bermeffenen Behauptung hüten, er fagt: „bie alte Burg« 
xuine mag wohl manch* Sah* alt fein." Dann h«fct es weiter: 


„8u Dharanbt, in bem Dhate, 

Da röthen abenblich 
3m Wbenbfonnenglanje 
Der Berge ©ipfel fich-" 

@S liegt mir auherorbentlich fern, bie ©laubwürbigleit beS 
§erm ©chulje anjujweifeln, aber geröthete SBipfel ber Berge 
im Dljale — ich glaube nft recht baran. Mit bem 2Uter lammt 
unferm Dieter auch ber behagliche $umor, ba bichtet er im Saß« 
1873 unb jwar am 15. Januar — man follte einen folgen 
Dag nicht bergeffen —: 

„(SS ift ein neblichteS ©etter; 

Die ©traben ftnb feucht unb nah, 

3<h fah ju $>aufe am Sender 
Unb bachte an Dies unb Das. 

Unb bachte: — ©aS wohl ju Mittag 
Die SRagb wirb lochen h<ut? 

©aure Sinfen ober 6ierhüben, 

Dber Klöße? — baS wäre gefcheitl 

Unb gibts nun feine Sinfen, 

Kidjl Eierbuhen, nicht Klöß? — 

Kun fo gibts eben was anb’reS, 

Unb ich bin barob auch nicht MS." 

©ie fehen, $err Dheobor ©chulje ift ein bertrüglicher Mann, 
man fann ganj gut mit ihm auSfommen. ©eräth er einmal in 
einen ©treit, fo reicht er freubig bie £>anb jnr Berföhttung bar: 
,,©ei wieber gut unb jürne mir nicht weiter! 

SS war ja böfe nimmer hoch gemeint; 

Komm, ifj mit mir aus biefer ©chüffel weiter 1 
Der erfte ©treit, er ftnb’ uns fchneU oertint. 

Kimm auf ben Ijingemorf’nen Sßffel wiebet! 

3<h tann ja effen fürber nicht allein —" 

Den 9bftuß beS liebenSWürbigen Büchleins machen einige 
finnige SRätljfel unb ba habe ich einmal wieber meine Dhorheit 
bewunbert. 9f habe mir früher auf meinen ©djarffimt im 
Cnträthfeln bisweilen etwas eingebilbet unb einmal fogar ein 
fßreiSräthfel richtig gelöft; als $reiS erhielt ich ein Buch Oon 
einem burch bie ©rünbungen befähigten unb beShalb fittlf ent* 
rüfteten Biebermann: id) glaube, es Ijifß „Der Sügner unb fein 
©oljn", jebenfaUS War eS befmufct unb aufgefnitten unb 
Würbe beShalb nicht jurüdgenommen; feibem habe ich nie wieber 
Söfungen eingereidjt. §ätte ich bieSmal mein ©lüd oerfueßt, fo 
Würbe ich ntich gerabeju lächerlich gemacht h ft ben. Da h e >6t 
ein Bäthfel: 

„Senn bu mich gibft, fo haft bu nichts berloren; 

Srh&ltfl bu mich, fo brenn’ ich »ft wie Sohlen, 

Unb nimmfi bu mich, fo haß bu nichts geftoljlen, 

Unb bennoch wirb bir ©träfe oft erloren," 

3<h rieth natürlich „Quiftorpfe 28eflenb*2tctien!" 

,,©enn bu mich gibft, fo haß bu nichts Oerloren" 

SBeftenbsHctiett — ftimmt! 

„(Srhfiltß bu mich, f° brenn' ich oft Wie Kohlen, 

Unb nimmß bu mich, fo haß bu nichts geßof)ten" 

2Beftenb*9ctien — ftimmt mieberum! 

„Unb bennoch wirb bir ©träfe oft erloren." 

2Beftenb*9ctien — ftimmt erft recht l 9uf ber lepten ©eite 
fanb ich aber bie Söfnng: „ftufe", unb baS ift benn boch nicht 
ganj baSfelbe. 

Käher lam ich anberen mit ber folgenben Raffung: 

„Du biß bie erße ©ilbe gewiß, biß bu baS @anje; 

Doch lannß als fotcheS nimmer bu meine le|te fein. 

(Srß werben lannß bu biefe, geßhmüdt mit einem Kranje, 

Unb mußt fftr*S ganje Seben bann meine lepte fein." 


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384 


Hit <5*jtit*art. 


Nr. 24 


„Suitgfrau" Reifet bie Söfung; ich Ijatte „£>ebe=2lnttne" ge? 
ratzen. 

Sebett Sie moljl, meine Serehrtefte. SEBenn bie $i|e an? 
bauert, jo ftelje ich Seiten nic^t bafür, baß Sie non mir nicht 
nodj ben einen ober anbern Srtef erhalten. 

3h* 

pau( 1 inbau. 


3Der Ärieg gegen /ranhrtith 1870—71.*) 

©on Dheobor Soutane. 

Sange Seit h“l man und Deutfdhen oorgetoorfen, baß mir 
jmar »orjüglidje ^iftorifd^e gorfchet, aber fdjlechte ©efd)idhtS? 
Treiber feien. Der Sormurf mar geregt, unb er trifft uns 
jum Dljeit noch jefct. ®et)ört es boch ju ben Senn jei eben beS 
beutj^en ©ehrten, ja beS beutfcben „gaebtnamteS" überhaupt, 
baß er eS im Äflgemeinen »erfcbntäbt, populär, b. h- „gemein? 
»erftänbtich", unb »or aßen Gingen „ anfdjaulicb'' ju fdjreiben: 
fei eS, baß ihm bie gäljigleit baju abßanben gefommen ift, in? 
bem er burdfj aßju anbauetnbeS Detailftubiumi in eine Ärt 
geiftiger Surjfidfjtigleit »erfüllt, meldje ißn hinbert, »or ben 
Säumen ben SBalb ju feilen, fei es, baß iljn bie gurdjt jurüd? 
hält, »on ben gadjgenoffett für einen ^ßoputaritätS^af<^er unb 
im SBieberbolungSfafle am ©nbe gar für einen „Dilettanten" 
gehalten ju merben. DaS Äcßfetjuden aber, mit meldjent man 
bieS fürchterliche SBort auSjufprecßen pflegt, mirlt auf ben 
üorurtheilSlofen Beobachter oft recht fomif<|. — SBie Sielen 
»on benen, bie mit hößenridjterlichem @rnfte baS DobeSurtßeil 
„Dilettantismus" fäßen, märe »on ganzem #erjen etmaS „diletto“ 
ju münfdjen: etmaS »on echter unbefangener greube an bem 
»on ihnen betriebenen ©egenftanbe, ber ihnen ja oft genug nur 
noch “Iß ih« Specialbomäne, gar nicht mehr um feiner felbft 
mißen, 3ntereffe abgeminnt. 

Solch’ echter diletto, marm unb tief, bodh barum nicht 
minber ftar unb grünblich, h“i ^heobor gontane befeelt, als er 
fein Such über ben großen Srieg gegen granlreich fchrieb; unb, 
baß ich eä gleich i u Einfang fage, ber Siebe jur Sache ent? 
fpredjen (obgleich gontane nicht gadjntann, b. h- in biefem 
gaße, nicht SriegSmann ift) bie Semttttiß unb bie Sunft. Der 
Scrfaffer h“t nicht nur mit treuem gleiße baS reiche, fchmer 
ju bemältigenbe Material auSgenu|t: er ift auch Äugenjeuge 
jener großen Seit unb h“t in golge feiner abenteuerlichen ©e? 
fangenfdjaft bie franjöfifchen Buftänbe aus nädhfter Sähe nur 
aßju genau lennen gelernt, ©r h“t ein Äuge für baS ©ha? 
ralteriftifche einer ©egenb mie SBenige, unb biefe glüdfliche Se? 
gabung, bie feine berühmten „ SBanberungen burdj bie SKarl 
Branbenburg" jur ßReifterfchaft heranbilbeten, lommt ihm ju 
Statten, ebenfomohl für ben lünftlerifchen Untergrunb ber 
©injelfchilberungen, mie für Sennjeicßnung beS SchauplafceS 
militärifcher ©teigniffe. gontane ift, mie gejagt, nicht Berufs» 
folbat; hoch er ift Solbat mit bem #erjen unb mit bem Äuge; 
er h“t baS »oße Serftänbniß bom SBefen preußifchen Krieger? 
thumS; benn er h“t es feit feiner 3ugenb geliebt unb ftubirt; 
unb »ießeicht eben beShaib, baß ihm bie Sprache ber militäri? 
fchen Dechnil nicht gachmanttSjargon ift, »erfleht er eS, ben 
mähren Inhalt ber SunftauSbrüde »oßgültig in einfacher unb 
ebler Sprache mieberjugeben. Seine ftrategifchen Ueberblicfe 
finb burchfichtig unb Har, feine ©efedjtSbilber einleudhtenb unb 
fräftig unb babei burchauS frei »on jenem blechernen ©ellap? 
per, mit bem uns, ©ott (ei’S geHagt, bie SriegScorrefponbenten 
jo gern regaliren. 

Die SehanblungSmeife ift übrigens nicht ganj gleichmäßig. 
Sch habe baS SBerl gelegentlich als „beßetriftifdh" bejeichnen 
hören. Der ÄuSbrud ift überhaupt nidjt jutreffenb; ganj unb 
gar unpaffenb erfcheint er aber für ben jmeiten Dheil, ben 
„Srieg gegen bie Sepublil". Obgleich tiefer Dheil mehr als 


*) ©erlin 1873—76, ©erlag ber Ägl. @elj. Dbetbofbutbbruderei. 


taufenb Seiten umfaßt, h“t bie SRaffenbaftigleit beS SRaterialS 
hier bo<h ju einer fehr fachlichen unb compenbiöfen gorm ge? 
nöthigt, bie »on ber beS erften DheiteS („ firieg gegen baS 
Saijerreidb", 854 Seiten) abftidht. 2Ran mag bieS als einen 
©ompoßtionSfehler tabeln; aber menn eS ein folcher ift, fo liegt 
er bo<h in ber Satur ber Sache, ja ht ber Äuffaffung »on 
$eer unb Soll felbft begrünbet, unb lein SBerl über ben $rieg, 
auch baS beS ©eneralftabs nicht, mirb fidj biefem ©inftnß ent? 
jiehen lönnen. — Den Srieg gegen baS Saiferreich befchreibt 
gontane in ähnlicher Ärt, tote er in feinen branbenburgißhen 
©Säuberungen unfere Start fdhilbert. Dies bürfte auffaflenb er? 
fcheinen, meil eS boch in bem einem gaße bie Darfteßung eines 
jeitlidh ©efcheljenben, im anbern biejenige eines örtlich Sor? 
hanbenen gilt; aber eS ift bennoch nicht nur maljr, fonbern 
auch jmecfmäßig. Denn bie ÄuffaffungSmeife gontaneS ift baS 
»oßftänbige ©egentheil ber Äbftraction; feine ©igenthümlichleit 
beruht gerabe barauf, baß er niemals nur „baS Ding an fid}" 
fießt; bielmehr erblicft er immer baS Ding im Strome ber 
©efdjichte unb baS ©reigniß ftetS in feinen Sejiehungen jur 
Dertlichleit unb jur Socalhiftorie. DaS ©efcßaute unb baS 
©efdhehenbe regen in feiner Seele eine ffiett »on ©rinnerungen 
unb Setrachtungen an, 

„(ES ift in feiner ©ebantenfabrif 
©ie mit einem SEBebermeifterftüd, 

2Bo ein Xritt taufenb gäben regt, 

(Ein Schlag taufenb ©erbinbungen fdjtägt." 

Die malerifche ftennjeichnung beS SocalS, baS biographifdfje 
©haralterbilb, ber antheilSboße ßteflej ber Stimmungen, bie 
hiftorifche SteminiScenj — baS ßnb bie begleitenben äRomente 
ber ©rjähtung gontaneS, unb feine Äunft befiehl barin, baß 
bieS rei^e SKaterial boch immer ber $auptfa<he untergeorbnet 
bleibt: ein Sahnten fdjöner Sanbjei^nungen, ber mit bem $aupt? 
bilbe gleichzeitig componirt ift unb mefentlich ju beffcn Serftänbniß 
beiträgt, ber eS jebodj an leinet Stefle beeinträchtigt unb ftört 
Schon bie Südftcht auf biefen le$teren S U «H* oerbot rnoßt eine 
gleichartige SehanblungSmeije für ben jmeiten Dhetl bes SBerleSt 
©roße, einheitliche, in gemaltigem SRonumentalcharafter gehaltene 
Silber merben burdh leichteres Seimert nicht geftört; fie tyben 
fidh fcharf unb Har auS bemfelben heeoot. Unruhige unb un? 
geheute ©reigniffe, melche fich toie Sebetbilber »on einem ftetS 
bemegten $intergrunbe löfen, um mieber in ihn ju »erßießen, 
mürben unoerftänblich merben, menn fte nicht fo feft unb glicht 
als möglich eingerahmt mürben. Unb fo ift ber »ermeintliche 
©ompofitionSfehler »ießeicht ein ©ompofitionS»orjug. 

Dheob'or gontane h«t uns früher ben ßrieg um SdjteSmig? 
^»olftein unb ben »on 1866 gef^ilbert, unb biefe SBerle finb 
»on Submig SurgerS SJteifterhanb ißuftrirt morben. ©ine bet? 
artige Sugabe fehlt bieSmal. Die in ben Dejrt gebrudHen $olj? 
fchnitte »erfolgen »ielmehr einen ganj anbern 3>oed: fte »eranfchau? 
ließen ftrategifdhe unb tattifche ©ombinationen unb Situationen. 
Unb biefen 3toed erreichen (ie »oßlommen; benn fte finb gut 
entmorfen unb tedjnifch ganj »ortrefflidf) auSgeführt Der Sericht 
felbft aber, ben fie unterftüfcen, ift fo beutti^ unb bei aßet 
jachgemäßen Soflftänbigleit fo fttapp gehalten, baß auch bie rein 
militärifchen Äbfdhnitte burchauS Har merben unb einbringlidj 
mirlen. DaS ift eine bebeutenbe unb erfreuliche Seiflung, unb 
jmar eine foldje, bie nicht lebiglich ber forgfältigen Ärbeit, fonbern 
gutentheils einer perfönlichen Segabung, nämlich ber poetifdjen 
unb jugleidh beutf^en Satur gontaneS entfpringt Dies miß 
fagen, baß man ohne ©inbitbungSlraft überhaupt lein ©efedjt 
anfdhaulich fchilbern lann, baß man eS aber nur bann rnahr 
fchilbern mirb, menn man nicht „Drouoüre", fonbern „Dichter" 
ift. gontane erfinbet nicht, fonbern er »erbittet; er »erfteht 
eS, ein ©egebeneS, boch “nf roeiten Saum SerftreuteS unter ein? 
heittichen lünftlerif^en ©efidjtSpunRe jufammenjufaffen, es rhpth? 
mifch ju gliebern unb in bie richtige Seleuchtung ju rüden, fo 
baß aßeS SBefentliche fcharf heroortritt unb ©haraRer mie innerer 
dufammenenhang etlennbar merben. Unb menn biefe fdjöne 
©abe beS ©pilerS ben Serfaffer bei Schlacht? unb ©efedjts« 


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Nr. 24 


Ufr ©fgenmurt 


$85 


fcpitberungen unterftüfjt, fo oerpetrlicp er einzelne piftorifcpe 
^öpepunfte burcp beit Schwung uttb bie Snnigleit feiner Sprit. 

Stein faepliep genommen ift ba« ffler! Fontane« aBerbing« 
nicpt in allen feinen Steilen oon ganj gleichem SBertpe. Da« 
ift begreiflich; benn ber erfte ber oiet ftarfen |>al&bänbe ift fdjon 
1873, bet le|te um bie 3af>re«roenbe oon 1876/77 perauSgegeben 
morben. Die Quellen fließen fär bie oerfcpiebenen Ißerioben be« 
Krieges überhaupt nicpt gleich reichlich unb fte mären ju Anfang 
trüber mie jept. 3Rag fiep aber auch im (Sinjelnen ber tritt fdjen 
Forfcpmtg bie« unb jene« anbet« ergeben, al« e« bi« bargefteflt 
ift, mag ba unb bort ein SRißoerftänbniß, ein 3rrtt»um unter: 
taufen, mag nicht Äße« intreffen, ma« ber Butor über bie ©rünbe 
einzelner SRaßnahmen, Aber ben urfächtidpen Sufammenpang ge: 
wiffer ©reigniffe rnuipmaßt — wefentlicp finb biefe unoermeib: 
lieben Stängel nicht; wefenttich ift bagegen ber ©eift, au« bem 
heran« ba« Buch gefchrieben ift: ber ©eift ber BaterlanbSliebe 
unb ber ©ereeptigteit, ber SBaprhaftigteit unb ber Bißigteit; 
wefentlicp finb ba« aufrichtige Stubium, bie einficptäoofle Bn= 
orbnung unb bie eble Sunftgeftalt be« ©anjen. Die Bereinigung 
biefer ßttlicpen, miffenfchafttichen unb fünftlerifcpen Borjüge er: 
hebt Fontane« umfaffenbe« 3Berf p einem Bot!«buche im beften 
unb mürbigften Sinne be« SBorte«, unb fie finb e«, bie im 
Dauer fieser »erben. 

m. ejahns. 


Entlegene Culturen. 

Slijjen unb Bilber Don SBilpelm ©olbbaum *) 

Die gefammetten Buffäpe be« geiftreichen Feuiöetoniften 
liegen al« bet neuefte Banb ber ftattlicpen Bibliothef be« „Bfl: 
gemeinen Berein« für beutfehe Siteratur" oor un«. Bon ben 
bi«her erfdpienenen SBerfen biefer Bibliothef, beren üortrefflicpe 
Seiftungen nicht alleitt Oon ben Stanbpuntten ber Bucpbinber, 
Bucpbruder unb Buchhalter, fonbern auch oon bem ber Buch: 
fchreiber Bnerlennung oerbienen, Oon ben bisher üeröffentlicpten 
brei Serien finb minbeften« bie Hälfte ber Bänbc gefammelte 
Feuilletons ober ©ffap«. Diefer Umftanb ift nicht allein für bie 
betreffenben Bücher cparaKeriftifcp, er ift unferer ganzen Seit fo 
eigentümlich, bah er eine auSbrücfliehe föerborpebung wopl 
oerbient. 

8Bie e« Seiten gab, in benen bie SRenfcpen noch leine Basier* 
fabrifen unb Stahlfebern bejahen unb barum ihre ©ebiepte, 
Sehngebote unb fonftige Buffäfce in Starte Steintafetn eingraben 
muhten, fo gab es auch un« weit näher liegenbe Berioben, in 
benen felbft bie mifcigften unb gelehrteren SRänner nur biefe 
Bücher ju fchreiben oermochten. $atte fo ein »ürbiger beutfeher 
©eleprter einmal feine Feber gefdpnitten, bann muhte fie min: 
beften« ihre fünfhunbert Foliofeiten OoBfcpreiben; weniger hotten 
bie Herren niemal« }u fagen. 2Ran fann ben Dag al« ©poche 
ntachenb für bie ©utturgefäichte bezeichnen, an welchem ba« biefe 
btätterreiepe Buch oom bünnen Büchlein, ber ungefüge Foliant 
oom gewanbten FeuiBeton abgelöft würbe. Stoch ift bie „fßeriobe 
ber biefen Bücher" nicpt ooüftänbig überwunben, benn noch gibt 
e« beutfehe ©eiehrte, welche einen Banb fchreiben, fo oft fie 
einen fteinen ©infaü hoben, unb Welche auf bie armfeligen Keinen 
Seute geringfepäpig petabfepen, bie ben einen ©ebanten nicht 
über zwei bi« brei Spalten pinauSzufpinnen Wiffeu. 

Selbft bie Bnpänger ber mobenten „bünnen" Bicptung leiben 
mitunter noch an einem BtaoiSmu«, ber in ihnen Büdbilbungen 
au« ber Foliantenzeit peroorzubtingen fuept. Der aBgemeine 
SBunjcp unfrer Feuifletoniften, ihre jerftreuten Buffäpe in einem 
fauber gebrudften Buche oon anfepnlicper Bogenzahl Oerewigt zu 
fepen, iß eiuerfeit« — foweit er ber ©itelteit entflammt — ein 
Sug biefe« Btaoiämu«, anbrerfeit« freilich bie einzig mögliche, 
notpwenbige unb oon ben Sefern geforberte Bettung wertpooBer 
Arbeiten, wenn biefelben nicht in Sanb gefchrieben fein foBen, 
wie bie weiften Beiträge zur Zageäliteratur. 


*) Berlin 1877, Ä. $ofmann unb So. 


Da« Sammeln z«ftreuter, herrenlos geworbener FeuiBeton« 
ift aber auch ein Bet bet ©ereeptigteit gegen ihren Butor. Der: 
felbe ift eine Snbioibuatität, er wiB al« folepe gefannt unb oom 
zweiten unb britten Stitarbeiter berfelben Seitfchrift unterfchieben 
werben. Beim Sefen eine« einzelnen furzen Brtitel« ift ba« nur 
für ben genauen Senner ber Siteratur möglich. ®rft ben brei= 
punbert Seiten be« Buche« gegenüber lernt auch ba« große 
Bublicum benfelben Butor perfönlicp fennen, wenn e« auch oiel= 
leicht aBe Zpeile be« Buche« fchon oorper einzeln gelefen hot. 
@8 hot z- B. in ber „Beuen freien ißrejfe" aBe FeuiBeton« oon 
SBithelm ©olbbaum mit 3«tereffe ftubirt, ben Barnen aber 
bi« zu bem Bugenblicfe nicht behalten, wo biefe Brtifel ihm 
unter bem Zitel „©ntlegene ©ulturen, Stijzen unb Bilbet" ent: 
gegentreten. 

SBilpelnt ©olbbaum ift nach Stoff unb Form feiner Br: 
beiten eine beachtenswerte, eigentümliche ©rfcheinung. ©r hot 
mit Sari ©mit Fronzo« jene« Sänbergebiet zum Boben feiner 
cnlturhiftorifchen Sdhitberungen gewählt, für ben Franzo« ben 
treffenben Barnen „$albaften" gefunben, unb ber bie ©renzge: 
biete oon Oeftreidh unb Bußlanb umfaßt; nur baß ©olbbaum« 
Derrain Oiet weiter nach Dß«n, unter Umftänben fogar bi« nach 
Sibirien reicht. Srinnert biefe BuSbeutung einer beftimmten Sanb: 
ftrede auch unmiBfürlicp an ben berühmten polnifdh s jübifc^en 
Bettler, bet feinen Sdhwiegerföhnen al« Btitgift bie einzelnen 
Brooinzen fßofen, fßolen unb ©atizien — zum Bbbetteln fdhenKe, 
fo ift bodh gerabe bie genaue Durdpforfcpung einzelner be« 
fepräntter ©ebiete ein Segen für bie Siteratur, welche ohne 
immerwährenbe Sufupr neuer Stoffe mitten im ©olbe ihrer 
fcpötcen Formen oerhungern fönnte. 

Da« Buch Oon ©olbbaum ift nicht ganz einheitlich. Die 
brei Bbtpeilungen: Buffifch, Boluift unb 3äbifch — würben 
ZWar ber ©inßeit nicht Wiberfprechen, ba biefe brei ©pitßeta 
einen gewijfen gemeinfamen ©runbzug befipen, aber innerhalb 
biefer Bbtheilungeu Oerfudht ber Berfajfer ba« ©nttegenfte zu= 
famntenzubringen: hier bie SBürbigung eine« DageSpelben, ber 
oierzeßn Sage nach Bbfajfung be« Buffafee« fchon oerfcßoBen war, 
bort eine Keine BRonographie über ben jübifepen SRinnefänger 
Süßfinb, hier perföntiepe Beifeeinbrücfe, bort Bacpahmungen un: 
bebeutenber poinijeper SKzzen. 

Sntereffant unb grunblegenb ift ©olbbaum ba, wo er er= 
Zählen fann, wa« et felbft gefepen unb wie er e« gefepen. @r 
ift ein feparfer, feiner Beobachter, er Oerftept ba« Bilb ber St* 
tuation fcpneB z« ffizziren, mit geiftreichen äBenbungen peHe 
Sicpter aufzufe|en, er ift ein warmer, frifepet ©ulturlämpfer, 
opne baß auep ber fepärffte Bngriff gegen palbariatifcpe Barbarei 
bei ihm ben peinlichen ©inbrud einer Uebertreibung, gefepweige 
benn einer ©aricatur zurüdlaffen würbe. 

Die Keinen Satiren auf Bußlanb« Humanität: „Bn ber 
©renze", „SbpBe" unb „tobte Seelen", fo wie ba« liebeooB ent: 
morfene Bilb be« unglüdlicpen Dichter« Bbam SRidiewicz, enblicp 
bie oorzüglidje Scpilberung feine« Befucpe« beim „gutem 3üb’", 
bem wunbertpätigen Scpwinbler Oon Sabagora, finb wertpooBe 
Beiträge zur Senntniß jener SebenSfreife. Bber ©olbbaum ift 
auep «in fein füplenber Bfocpotoge unb überbie« mit waprpaft 
hiftorifepem Sinne begabt. Diejenigen Buff äße, in welchen zu 
feinen fcpriftfteBerifchen Fäpigfeiten auep noep bie §ülfe ber 
SBiffenfdhaft pinzutrat, finb barum bie gelungenften, finb z«nt 
Dpeil oon bleibenber Bebeutung. Da« ©efpräcp „DürKfcpe 
3uben", in welchem er minber befamtte Zpatfacpen in origi: 
neBer Form mittpeilt, ber meifterpafte Buffap „Zalmubifcpe 
©eifter", in Welchem er eine ©prenrettung be« öfter genannten 
al« gefannten Buche« auf Soßen feiner Befenner burep führt, fo 
wie mehrere literarifdpe ©ffap« eröffnen neue ©eßdptSpunKe auf 
bie oerfdpiebenften ©ebiete.*) 


*) ©ttoa« ju ßflcptig iß in bem Buffafj „SBintermärcben" eine ©nt= 
bedang oon Bwfeffor 3. Saro benüpt. Der gelehrte Jtenner ber @e= 
fepiepte ber ftaoifepen Söller patte oor oieten 3apren auf eine polnifcpe 
Sage al« jiemtiep fiepere Urquelle ju Spafefpeate’« Btärcpenfpiel pin= 
getoiefen. Cüotbbanm fepeint auf ©nenb biefer erften «nbeuhntgen feinen 


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886 


Bit <Stge«*mrt 


Nr. 24. 


©olbbaum charaltetifirt oorjüglich; er erfinbet tjübföe ©i* 
tuationen, in benen feine eigenen ülnjic^ten und aud bem SKunbe 
ergöfcticher ober fonft merfroürbiget ißerfönii^feiten tebenbiger 
entgegentönen, Sagegen fcheint i^nt bie ©abe bed guten Sr* 
jä^terd, bie entlegene Kultur burdj eine frembartige, facutnettbe 
©efcßichte gemiffermaßen unjerem ©ebächtniffe einjuprägen, nicht 
in gleichem ©rabe oertie^en $u fein. 3n ben „©ibirifcfjen galten" 
ift ber Verfuch gemalt, Säuberungen oon ßanb unb ©täbten 
an ben rotten gaben einer gludjt oon Verbannten anjurei^en; 
bodj geht bie gtucht gar ju gefafjrlod t>on Statten, a(d baß 
und bad ©t^icffat ber gtüchtlinge übermäßig aufregen (önnte. 
Sei guted Verne äberf^tägt ber ßefer bie culturf)iftorifd}en ffiin- 
lagen, »eit it)nt bad 3ntereffe für ben Koutier bed Klaren j. V. 
feine 9luf)e lägt; bei ©olbbaum üermeilt man fo lange bei ben 
trefflichen ©ittenbilbem, baß man bie armen Sieifenben »oß= 
ftänbig oergibt. ®odj fann biefer fanget an — ©pannfraft, 
luenn man fo fagen biirfte, naturgemäß nur ba ju einem geiler 
toerben, wo ©olbbaum, wie in ben fibirif^en gafjrten, offenbar 
gerne ben Sefer nic^t nur belehren, fonbem auch lebhaft mit fich 
fortreißen möchte. SBo er aber bei feiner eigenen unb ruhigen 
unb befcßeibenen SarfteßungStoeife bleibt, ba üerjichtet man mit 
Vergnügen auf einen garbenföitnmer, ber mit feiner blenbenben 
ißradjt leidet über Unwahrheiten ber gei^nung täufchen fann. 

SBad bei ©olbbaum unb bei ©einedgleichen immer wieber 
attjieht, ob fie nun in fd)ticf)ter gorm ©inbrüde wiebergeben 
ober ob fie abenteuerliche ©rlebniffe erbichten, bad ift bad @c= 
heimniß ber „ßtctuatität". Sie ©eiehrten and ber „Veriobe ber 
bitten Sucher" hielten ed für ein erftrebendmerthed ßiel if>ired 
©htfltijed, Wenn fie wie Zacitud ihre golianten sine ira et 
studio gefdjrieben hatten. Sie ßfeutralitätderflärung bed großen 
©efihichtfchreiberd war febod) um nichts werthöoüer ald manche 
anbere neuere; wie jebet echte ©ohn feiner eigenen Seit nahm 
er Partei, erfaßte ficf> für unb gegen feine ©egenftänbe. 

Sie Parteinahme iß ein 3«fl aßet unferer jüngern Schrift* 
ftefler, auch ber Veßetriften, wenn fie nur leife an ein ©ebiet 
ftreifen, bad mit bem politifchen oerWanbt ift. Stögen anbere 
barin eine tabetndmerthe Vermifchung ber ©titarten erblicfen, 
wir Süngern halten bie frifche SRöthe ber Senbenj für ein Seiche« 
ber ©efunbheit, unb Wenn bie Senbenj fich fo lohaler SJiittel 
bebient, wie bei ©olbbaum, bann gehört bie tenbenjiöfe Schrift 
gewiß ju ben wenigen menfcßenwürbigen ©affen, mit metdjen 
bie großen Sümpfe jwifchen Stationen audgefochten werben. 

#tiß ItTantf}n«r. 


3fefi}eit. 


Die poUtifc^e ©aifon gept $u (Enbe unb bie ©ontmerferien flauen 
peran. Sana im Stillen werben in ber Cmubtftabt Verteerungen für 
Steifen unb «udfiüge an bie ©ee ober auf bie Vcrge getroffen. Die 
Trennung bon ben Verliner «mtepmlicpteiten wirb Stiemanbem afigu 
fcpwer fallen. Die (Eanalifation pat fc^on wieber, ber Fimmel unb ber 
©tabtfüetel wiffen § um wieoieltenmale, gaitae ©trapen weit bad $ffafter 
aufreifcen laffen unb ben Verlepr gehemmt. Drob Stelen Sprengend 
ift ber ©taub am (Sanal unb an ben ftreuamtgdpunften bed Dpiergar« 
tehd oft unbefiegbar. 3« ben Dramwapd wirb an Dagen, Wefd niept 
regnet, bie $ipe unerträglich unb lä|t bie fpricpwörtticpe §öfiicpleit ber 
berliner gegen bad fepöne ©efcplecpt, bad bortommenben S*He# min« 
heftend eine Viertelftunbe ftepenb andparren mu&, für bie gerühmte 
norbbeutfepe Vilbung hoppelt befdpämenb erfepeinen. SRan hat fäjon 
wieberholt bie gefeüfepaftliepen ©itten ber Völler, bie (Erben einer alten 
(Eultur fhtb, Wie beifpieldweife bie SJtatiener, unb bie gemtanifeben Se= 
pflogenpeiten in eine parallele gestellt, bie teinedwegd au unferen Sunften 
audgefallen ift. iRicpt genug bemertt wirb aber gewöhnlich ein befon« 

anaiehenb gcfdjriebenen, Kterarpiftorifepen Veitrag berfafct ab paben, 
wäprenb Vrofeffor (Earo inawifepen in golge weiterer gorfepungen einer* 
feüö bie ©aepe felbft ficperjtetlte, anbrerfeitd im intereffanteften $untte 
(ber berüchtigte ©palefpeare’fcpe ©cpniper „Vöpmen am SReeredpranbe" 
fotlte feine (Entfepulbtgung finben) mobificirte. 


berd eparafteriftifeped SRoment. SBenn namentlich ber VeWopner ber 
beutfepen Vtetropole an Urbanität im Umgang auweiten erpeblicp au 
wünfepen übrig läpt, fo bilbet er fiep auf biefen angeborenen SRangel 
noep obenbrein biel ein. Dad Steifen naep gewiffen tüplen hochgelegenen 
Segenben pat benn auep, bon fanitätlicpen SRotiben abgefepen, ben 
unfepäpbaren Vortpeil, bap man bort bem echten Verliner liebend« 
würbigen ßinb feltener begegnet. Dad altgewohnte Drofcpfenwefen 
wirb ebenfalld tein fcpmeralicped ^eimwep erwecten. ©o biel ber 
famofe Diffo^ in feiner Steife in’d Vtiüiarbenianb auep gelogen paben 
mag, barin pat er gana Stecpt, ba§ man bei ben bi0igen Vreijen ber 
Verliner giacred fiep berleitet fepen tönnte, ben ganaen Dag &u fapren. 
Wenn man nämlicp teine übertriebenen VorfteUungen bon menfepen« 
würbiger Steinlicpteit unb fonft teine Sile pabe. Die peimifepen Bettnn« 
gen aubererfeitd mit iprem wunberfepönen tyapitz unb ipren fonftigen 
Voraägen werben in ber gerne nidjt überaud bermipt. Sollte ed 
waprenb bed ©ommerd wirtücp fepon au griebendöerpanblungen tommen, 
würben biefe niept bei und fiattfinben. SJtan würbe in Verliu auf 
aUerbingd fepr weife Vetracptungen über bie eintreffenben Delegramme 
angewtefen fein, bie, grofientpeild ruffenfreunblicp augeftupt, fiep immer« 
pin bom SJtorgen bid aum Äbenb wiberfpreepen mögen, wenn fie nur 
wäprenb atoöif ©tunben fiep wie eine palbwegd intereffante Steuigteit 
audnepmen. Ob man einige Dage früper ober fpäter erfäprt, wie 
Stuplanb feine cibilifatorifcpe SJtijfion, bon Welcper ßatpoliten unb 
fonftige Äeper im alten ©labenlanbe au eraäplen wiffen, nunmepr auep 
in ber Vulgarei berwirtlicpt, ift in SBaprpeit aiemlicp gleichgültig. Slucp 
nöcp betaillirten Vericpten über Stumäniend nationale «Biebergeburt 
unter ruffifeper Äegibe werben bie SBemgften eine unftiHbare ©epnfucpt 
empfinben. 3n Vutareft gept ed allem Slnfcpetn naep feltfam au. Der 
rumänifepe SRinifterpräfibent foU ein geleprter «Rann fein unb fepöne 
wiffenfcpaftlicpe ©ammlungen paben. Slld neulich ein franadfifeper ior« 
refponbent fiep bet ipm mit einer (Empfehlung einfüprte, empfing er 
biefen fepr tura unb entfcpulbigte fiep mit ber Stotpwenbigteit, einem 
SRinifterratp beiauwopnen, ber fogleicp ftattfinben werbe. Der £or« 
refponbent erwiberte fcpneü gefapt, ed fei ipm gar niept um Steuig« 
leiten au tpun, er pabe nur fo biel bon beit ©ammlungen ©r. Sgcel« 
lena gepört unb wünfepe einen Vegriff bobon an erpalten. Da würbe 
ber SRinifter freunbltcp unb a^igte bem wi|begierigtn grembea fein 
tleined SRufeum wäprenb boller anbertpalb ©tunben. (Erft am (Enbe 
ber Slubiena fiel ipm ein, baj er bie (Eonfeilfipung gana bergeffen unb 
berfäumt pabe. ©o würbe einem fepr berbreiteten, wenn auep niept 
immer glaubwürbigen $arifer Vlatte bon feinem ©peciaibericpterßatter 
eraäplt. 3u biefem galt Hingt bie ©aepe beömegen niept fo fepr aweifel« 
paft, weil bie Shiffen bem felbftftänbig geworbenen Stumänien bie £aft 
ber Regierung gro|entpeild freunblicp abgenommen paben. Die £riegd^ 
correfponbenten patten übrigend bid jept eine gute ging 

wenig bor, unb fie amüfirten fiep auf Äofien iprer Vlätter, fo weit bad 
in ienen unwirtpliepen ©egenben aüerbingd tpunliep war. Die gewif* 
fenpafteren entwarfen für bie tünftigen ©cplacpten ftrategifepe Vläne, 
bie bon bem publicum mit gntereffe gelefen würben. Da| fie fiep 
burepweg falfcp erweifen werben, tput nieptd sur ©aepe. Dad 3eituugd« 
wefen wäre auep fonft überaud fcpwierig unb tönnte taum be^epen, 
wenn niept bad politifcpe ©eböeptnij bei bem normalen Durcpfcpaittd* 
lefer in ber Siegel fo überaud tura angelegt wäre. 

* 

* * 

$*etpt in ^orlobab. *) 

Die (Hoetpeliteratur ift foeben burep ein ©epriftepen bermeprt — 
taum bereichert — worben, wetdped bed Diepterd bielfältige Veaiepungen 
au bem berüpmten $artdbabe aufammenfaffenb barfteüt. Dad Heine 
Vuep, perrüprenb bon einem greifen «rate, einem (Ehrenbürger bon 
farldbab, lennjeicpnet fiep fogleicp ald bie «rbeit eined woplwoüenben, 
in ber ©oetpeliteratur freitidp gana unb gar niept peimifepeu Dilettanten. 
(Ed bringt taum irgenb etwad Steued; bad «ttbelannte ift am eprono« 
logifcpen gaben tunftlod aufgereipt — bamit pat fiep ber Verfaffer be* 
gnügt (Erfreulich ift aud bem Vüeplein au bemepmen, bafj gräulein 
bon Semeaow, weleped einft bem gealterten Didjter noep einmal eine 

*) (Sloetpe in ^arldbab. Von Med. Dr. (SbnaTb ^lawaäet. Det 
Sieinertrag ift aur (Enieptung eined @oetpe*3Ronumentd in ßarlf« 
bab beftimmt ftarldbab 1877, $and geller. 


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Nr. 24. 


St* tftftiMttttri 


88? 


ßtühenbe Seibenfchaß tote einem Jünglinge einaußößen beßintmt mar, 
gegenwärtig noch lebt, unb baß bie oerehrte ©ame bie Äbfidß hat, ihre 
SBeaiehungen au ©oethe in einet autobiographifdjen Arbeit baraulegen. 
SHiefe Kunbe iß geeignet, ein gewißrf freubigeS Äuffehen nnb bie leb* 
Hafteße (Spannung auf bicfe ©Mittheilungen aus gtäulein non SeweaowS 
Sebet ju ertegen. ©et (Entfcßluß, biefelben §11 geben, oerbient ben 
ttdrmßen He*öen§banl jebeS gebilbeten ©eutfchen. 

©ie fonßigen neuen Rotten in bem oben ermähnten SBertchen fltib 
faum Oon ©dang; leibet hat auch bet ©erfaßer ßdj eine ganje Steife 
läßlicher ©inge entgegen laßen, welche einem SBerfe „©oethe in Karls* 
fcab" nicht fehlen burften. gür eine etwa nöthig werbenbe zweite Auf¬ 
lage toitb ftd^ bie ©enußung bet Äutobiographie H- Ä. 0. Reicßarbö 
(Stuttgart 1877) empfehlen; bet erften aber hätte fchon bet Äbbrud 
jenes brolligen ©ocumenteS nicht mangeln bürfen, meines in „©oetljeS 
©riefen an griebr. Äug. SBolf" (©erlin 1868) S. 112—114 ju finben 
war. ©iefer ©rief (KatlSbab, 3. 3uli 1810) iß eines ber lußigften 
Sdjriftftüde aus ©oetyeS gebet, baS mit überhaupt lennen, unb baS miß 
etwas fagen, benn ber fleißige ©oetheßatißiler (E. Ä. Diesel in (Elfter* 
berg hat uns gegen 10,000 ©riefe (Goethes nachgewiefen. 

(Eben biefem oerbienten ©Manne bante ich auch bit Kenntniß eines 
bisher ungebrucften Schreibens oon ©oethe, meines — an ben 
Kanalet gr. oon ©lütter gerichtet — eine werthootte (Ergänzung 51 t 
„©oethe in KatlSbab" bilbet (ES fei hier nach ©ieaelS Äbfdjrift au 
Ruß unb grommen aller ©erehrer beS ©idßerS im Ättgemeinen unb beS 
ÄutorS jener ©Monographie im ©ejonberen mitgetheilt. ©oethe fchrieb: 

„(EarlSbab, ben 8 . ©Iah 1820. 

(Ew. ^ochmohlgeboren 

erwiebere fogleich meinen beßen ©anl für bie fo glüdlidjen ©ebichte, 
bie mich am heitern, fonnigen ©Morgen, nachbem eS bie Rächt, bem 
SBunfdj aller ßanbleute gemäß, Eraftig geregnet hatte, auf baS lieb* 
lichte begrüßten; fte finb mir, wie bie ©eranlaffungen, Werth- 

©Möge ich bei3h ren gamilien* unb geftlreifen immer gegenwärtig fein! 

©en oerlangten Äuffaß überfenbe nächftenS. ©egcnwärtig nur 
baS Rötßigße toegen Riemer. Sie toerben fich ein großes ©erbienß 
erwerben, Wenn Sie ihn erhalten; ein folcher ©erluß wirb erft mit 
ber Seit mertlich, wb bann baS ©ebauern au jpät fommt. 

Seine tafche Äuftünbigung war bie golge eiuet Äpprehenßon, 
bie fich wahrfchrinlich Oerlohren hat; baS Nähere werben Sie leicht 
Oon ihm oemehmen. ©ietteicht empfinbet er fchon, baß eine DrtS* 
unb ©ienßoeränberung auch Schwierigleiten habe unb ÜnannehmlicheS 
mit ftch führe. 

So oiel bemerte nur: baß ich *h m Me ©teßhunbert ©h a fo 
bep ber ©ibliothel als Sinetur auch gerne tünftig gönne; in bem 
augenblidlichen ©ang beS ©efcßäftS wüßte ich nicht, wie ich ihn 
wahrhaft unb atoedmäßig wollte eingreifen laßen. 

©en jungen $errfchaften ift auch an feiner (Erhaltung gelegen 
unb fie werben Oon ihrer Seite gern etwas thun. ©ieS ÄtteS nun 
feh 3hrer (Einßdß unb thütigen Klugheit anheimgegeben. UebrigenS 
bemerle, baß oon borther jebeSmal ben oierten ©ag Rachricht au mit 
tommen tarnt. 

©ie (Eur behanbelt mich bieSmal fehr günfüg; mein ©eßnben ift 
oon bet Ärt, baß ich, toäre uh $auer gewiß, fogleich mieber au 
3 huen aurüdtehren möchte. 

©aS ©Setter war bisher wenigßenS trocfen, ber Schnee Oerfliegt 
gleich, einige fehr fchöne Stunben ßnben fleh immer aum fpaaieren. 

©ie (Einöbe fängt an ßcß a u beleben, grau ©räfin 0 . ber Rede, 
unb gürft oon ©bum unb ©agis ftnb angelangt, nebß anbern Un= 
genannten. 

(Empfehlen Sie mich ja Seremssimo gelegentlich, unb fonft ho- 
minibuB bonae volunfcatis. Unb griebe unb greube mit allen. 

3 . SB. 0 . ©oethe." 

SÖemerlungen aut Äufflürung beS ©tiefes ftnb nicht nöthig; et 
fpricht für fleh felbft. ©enn wer unb was Riemer war, batf man 
wohl als betannt ootauSfeßen. (Er hatte bamalS — „in golge einer 
Äpptehenfion^ — feine Stellung als Unterbibliothetar au SBeimar 
aufgetünbigt; bie Sache tarn aber halb wiebet in’S ©leicße; wie man 
fieht: wefentlich butch ©oetheS ©Mitwirtung, ber auch ' n biefem gatte, 
wie fo oft unb ht allen möglichen ©erhältniffen, auSgleichenb unb oet* 
mittelnb eingriff. ^ermann U^be. 


®err ©ebacteur! 

©ie 3hnen in ©etreff meiner ©attabe, ,,©aS fiinb oon gehr* 
bell in" oon mehreren Seiten angegangenen (Erflärungen nöthigen mich 
au einer fachlichen (Ermiberung. 

©or Ättem iß eS mir nicht eingefallen, fchledjtweg au behaupten, 
bie locale Sage 00 m „Äinb Oon gehrbettin" fei oor mir niemals bich* 
tetifch behanbelt worben, fonbern ich gab lebtglich bie Duette an, woraus 
ich f&r meinen ©heil geköpft unb fügte bem atterbingS bei, baß mit 
bie Oon $**rn ©rnß Scherenberg mitgetheilte ^onftettation (auch 
$err ©h- gontane erlannte fte in feiner gufchrift an bie „©egenwatt" 
als eine oerwidelte an) einigen ©runb au jenem ©erbaut gebe, ©iefen 
habe ich nunmehr mit frohem $eraen fallen laßen, aber um fo härter 
muß ich baS gegen mich beliebte ©erfahren ber Herausgeber beS„©üffel* 
borfer ftünjtleralbumS" oerurtheilen, welches allein bie Utfache ber 
SDMißhettigfeiten geworben. 3<h wa r jut ©Mitarbeiterfchaft oon ben Herren 
eingelaben worben, hatte mich an bem ootauSgegangenen Sahrgang fchon 
betheiligt unb meinen neuen ©eitrag rechtzeitig eingefanbt. ©erjelte 
war überbieS 00 m ©ebacteur befonberS anerlennenb aufgenommen unb 
aur Sttuftration auS beßen freiem Äntrieb empfohlen worben, unb nichts* 
beßoweniger hat man ftittf^weigenb baS ©ebicht befeitigt unb auch ie*> e 
9 Medamation oon rebactionetter Seite unerhört gelaßen. Db ich due 
Äbfchrift aurüdbehalten hatte ober nicht, änbert aber gar nichts an biejer 
witttürlichen HanblungSweife. SBeitn übrigens Herr Sdjerenberg, ber 
felbß ühriler iß, baS Iprifd^e ^robuct eines Änberen, baS er aljo hei= 
oorhob, nachher als eine ©agatette anfieht unb als jolcpe beaeichnet, fo 
lommt biefeS einer ©erurtheilung beS poetifchen ©ebieteS nahe, auf bem 
er gleichfalls thätig ift. SBaS ferner bie mir oon H^tcn ©rnß Scheren* 
berg aum ©orwurf gemachte ©erößentlichung feiner Sußhrift anlangt, 
fo oerwechfelt berjelbe einfach bie 9Matur einer friebüchen (Eorrefponbeua 
mit einer Icbiglith öum 3 wed oon ©edamation unb Äbwehr angehtüpften. 
Hier iß ber confibentielle (Eharalter Oon oornherein auSgefchloßen; man 
ßeht auf bem Kriegsfüße. 3umUeberßuß hatte ich mein befcploßeneS 
©orgehen fehr beutlich angelünbigt gehabt, ©ben fo oerhält eS fich 
mit feiner Äufftellung: ich hätte erft baS Otefultat ber oon ihm angeßellten 
Recherchen abwarten fotten, ehe ich einen Schritt that. SBaS hätte biefeS 
Recherchiren beftenS gattS für mich au Sage geförbert, als bie oon jeber 
©erpßichtung gegen mich abfehenbe (Ertlärung ber Herausgeber in Rr. 22 
ber „©egenwart 7 ? Rach Ättem halte ich baS ©ebahren in ©üßelborf 
für incoulant unb ungehörig. 

3um Schluß noch ein SBort beaüglich beS hitifchen „(Eingefanbt" 
meines oerehrten greunbeS Subwig Speibel, ber launig behauptet, 
eS fei oon mir bie geile mit ber Rafpel oerwechfelt worben, ©a baS 
oon ihm fo geißreich begrünbete ©ergröbernber ©ebichtform, in bem 
eS lünßlerifchen 3 «tentionen entfpricht, einem ©erfeinern in ge* 
wißem Sinne gleichlommt, fo blieb ich bei bem mehr h*rlömmlichen, 
wenn auch ungenauen ÄuSbrud. 

ÄchtungSOott IHartin <5reif. 

©München, ben 7. 3 uni 1877. 

* * 

(Entgegen bem neu entbedten phhftlalifchen ©efepe, nach welchem 
lein ©latt bort Raum hat, wo bereits ein anbereS oorhanben iß, er* 
ßehen oon SBoche au 3Bo<he neue S^tfchrißen. ©ieSmal iß aur Äb* 
wechSlung eine politifcße SBochenfchriftau fignalißren. ©aS „©eutfehe 
©MontagS*©latt" (©erlag oon R. ©Moße, ©erlin) Witt eine (Er* 
gönaung au allen übrigen 3 eitungen bilben, eS oerfpricht nicht nur 
auS oerläßlichen Duetten bie neueßen Rachrichten ber ^olitil unb ber 
©örfe au bringen, fonbern auch *>aS geuitteton unter ©Mitwirtung erßer" 
gebem befonberS au pflegen. Unter ben Schriftßettern, bie ihre ©Mit* 
arbeiterßhaft bereits augefagt haben, ßnben wir bie Ramen: ©uptow, 
Hopfen, Spielhagen, H- Oppenhein unb £öwe*(Ealbe. 

Dr. Ärthur Äewpfon, ber bie h°h e ®<hule ber politifcßen 3our* 
nalißi! in SßariS unb SBien mit (Erfolg abfoloirt hat, übernimmt bie 
(Epefrebaction. ©ie ©erfpreeßungen brauchen bloS feß eingehalten au 
werben, unb bem neuen „©eutfehen ©MontagS*©latt" iß eine angefehene 
Stellung unter ben politifcßen ©lättem ©eutfchlanbs geßcßert ©Mit 
ber oon Schmibt*(EabaniS geleiteten humorißifchen „©etüner ©Montags* 
aettung" fcheint baS oorwiegenb politißhe neue „©MontagSblatt" alfo 
nicht eigentlich concurriren au wollen. 


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388 


Sit 6t$tttnMtrL 


Nr. 24 


3 « f t x « 11. 


fltrltg kn gfihMu’föm fuHnhlug i« jnlin. 

^eröer’s 

@ ä turnt lidje SBetfc. 

$erauggegeben 

non 

3 *ernQarb $npfan. 

(Erfter ©anb. 

XLIV u. 648 gr. 8. geh. 4 JC 


Soeben erschien: 

Der 

rossiscli-tiiT^iscliB Krieg 1877 

von 

Wilhelm Müller, 

Professor in Tübingen. 

Erste Lieferung. — Preis 60 A. 

Inhalt: Das Vorspiel am Bosporus. 


(Eine beutfcfye ZTConatsfcfjrift. 

Herausgeber: ^auC ^tin&au. — Verleger: $eorg §fiCße in Berlin. 

€rfd?eint in monatlichen fjeften von 8 —JO Bogen £e 5 ifon* 8 . in eleganter Husßattnng mit 

Kunftbeilagen in Habirung. 

Preis pro Quartal 5 ZlTarf, pro 3a^rgang 20 ZTtarf, 

^äe^dTungert nehmen fämmtlicfye Bud^anölungen unö Poftanftalten entgegen. 

Profpecte gratis; Probeheft 3 nr Unflat bnrdj jebe Bnchhatiblnng. 

9V” BTan fann jeöer &e\t in bas Abonnement eintreten. 


Der bekannte Herausgeber der Politischen 
Geschichte der Gegenwart« der neuesten 
Biographie des Kaisers Wilhelm sowie der 
Kriegsgeschichte 1870/71 hat sich die Auf¬ 
gabe gestellt, den russisch-türkischen Krieg, 
welcher die Augen der ganzen Welt auf 
sich zieht, in gedrängter Darstellung zu be¬ 
schreiben. Die erste Lieferung enthält eine 
genaue Darlegung der Thatsachen, welche 
zu diesem Kriege geführt haben, eine Schilde¬ 
rung der dabei hervorragenden Personen, ihrer 
Bestrebungen, Motive nnd Erfolge, eine Cha¬ 
rakteristik der einzelnen Grossmächte und 
ihrer Stellung zur orientalischen Krisis. 

Das Werk erscheint in Lieferungen ä 60 3, 
in entsprechenden Zwischenräumen nach dem 
Verlaufe der Ereignisse auf dem Kriegsschau¬ 
platz und wird allen denen empfohlen, welche 
das Bedürfhiss haben, sich durch die Lektüre 
einer auf soliden historischen und politischen 
Studien beruhenden Schrift einen zuverlässigen 
Führer durch das Labyrinth der militärischen 
und diplomatischen Phasen dieses russisch- 
türkischen Krieges zu verschaffen. 

Verlag von Carl Krabbe in Stuttgart. 

. (Soeben erfdjien: 

2\.ntiquört|'d)cr Anzeiger Itr. 2. 

Krfdjeint jeben BRonat nnb toirb auf Verlangen 
gratis unb franco oerfanbt. 

€, Btenenhabn’g Antiquariat. 

„ Berlin, Äommanbantenftr. 77/79. 

Verlag öon ^erbinaab #ufte in Stuttgart. 

Soeben erfdjien unb ift burch alle ©udjfymb* 
hingen $u beziehen: 

$>ag ttrheberretyt 

an 

5SetR«t bet ßifbenbe® 

gtapPen nnb gewerBfidlett sfönfietn. 

Btach bem 

gemeinen beutfd>en Siecht fpftematifch bargefteflt 
Don 

Dr. titoltar IDädjttr. 

351 Seiten in Octaü. Sßreig 8 JC 

5 )er Verfaffer, meiner in feinem 1876 er* 
fd)ienenen Autorrecht bad literarifche Urheber; 
recht behanbelt hatte, gibt hier in gleicher weife 
eine »iffenfchaftliche $arfteßung beg burch bie 
9ieich8gefefce o. 9., 10. u. 11. 3anuar 1876 nor= 
mirten Btedjtg an ©Serien ber bilbenben fünfte, 
Photographien u. ge»erblichenBRuftem. Quriften, 
Zünftler u. Snbuftrieße ftnben aße einfchlagenben 
Sragen unter ©erücffichttgung ber gefebgeberifdjen 
Vorarbeiten unb Verhanblungen, ber neueften 
Literatur unb ber 8 tecl|ifprechung eingehenb unb 
in aßgemein berftänblicher ©Jeife erörtert. 


§n^aft be& f’oebett angegebenen dritten Jbeftes (§u*tt): 

I. €manucl (Seibel. Die3agb oonBejiers. j IV. Karl (Soebefe in (Söttingen. (Em. (Seibel, 


Dorfpiel einer UlbigenfertragÖbie. 

II. ^erbinanb Kürttoerger. KünjHer; 
bräute. ZTooeße. 

III. IDilpelm £iibfe in Stuttgart. Peter 
Paul Hubens. 

f}ier 3 u bas Porträt (Emannel (Seibers, 


V. £ubmig Hnjengrnber. gur PfPYd? 0 * 
logie ber Bauern: IDie ber tauber un? 
gläubig marb. 

VI. Karl v. (gebier in Hieran. Hlejfanbro 
HIan 3 oni. 

Habirung Don 3. £. Haab in HIün<hen. 


Hlit biefem PJeft ift ber erjte Banb gefchlojfen. Derfelbe umfaßt 30 Bogen dert mit 
5 3HaP r ationen in Habirung, foftet brochirt 5 Ularf, elegant gebunben 7 Hlarf 50 Pf. 

Die bisher erfchienenen Huflagen ber ein 3 elnen Defte ergeben nur noch menige coiid 
plette (Exemplare; riicfjtänbige Bejteßungen merben oafyer jobalb als möglich erbeten. 


Board of Managers: 

The Governor of Virginia. 

The Treasurer of the Commonwealth. 
The Auditor of Public accounts. 


t onlur r enj - eiben 

für 

eine (§to£o pfat^'gleiter=g>fafue 
te f enttals Robert E. Lee. 

Office of the Board of Managers. 

Lee Monnment Association 
(incorporated Jany. 25. 1871.) 
Richmona Virginia U. 8. America. 

3« bem obengenannten ©ureau in ßUdjmonb (Virginia) »erben am erften BRontag 
im BRonat September 1877 big 12 Uhr BRittaga aße BRobeße, Reidjnungen wtb ®n* s 
»ürfe für eine KoloffaDLeiter=Statue beg ©eneraig Stöbert @. See in (Empfang ge= 
nommen, unb foß liefe Statue auf bem Kapitol;Square 511 Btichmonb, Virginia u. S. 
America, errichtet »erben. Ve»erber »oßen ihre .ßfithnwaöcn für Statue unb Jßiebeftal, 
zugleich mit Angabe ber Soften, ber 3äh Iun 0^^ c ^ n 9 un 0 cn un ^ btv erforberlichen 4»er= 
ffeßunggäeit bem Kuratorium frdnhrt einfeuben. Vor bem genannten erften BJtontage im 
September 1877 »erben bie BJtobefie »eher auggepacft, nod^ bie S^^w^ügen anggejteflt 
»erben, bagegen »erben nach feuern Termine Ve»erbungen »eber angenommen noch in 
Vetracht gezogen »erben, eg (ei benn, bafs ber Verzögerung unborhergejehcne (Ereigniffe «1 
(Urunbe liegen. 3nbent fich bag Kuratorium bie ooße gfretheit horbf|ält, einige ober aße 
Ve»erbungen zu ber»etfen, »irb baffelbe bie Anfchläge am britten BRontag im September 
1877 öffnen nnb brei Xage fpäter ben 3 u Wl ß 0 crthcilen. 3^be »eitere 3t*formation, 
»eiche ge»ünfcht »erben fönnte, »irb bereit»ißigft auf eine Anfrage an ben Unterzeichneten 
ertheilt »erben. Aufträge beg Kutatoriumg: 

S. KBaflTett jFrentfy, Sefretair. 

Kine Photographie beg ©eiteraig 9t. K. See fann bon BR. ®z e ^ e ^ ©ilbhauer in Btom, 
Via Xorino 66, erbeten »erben. 


Soeben erschienen und wurden versandt: 

TolimE Amadeas Mozarts Werte. 

Requiem rev. von Joh. Brahms. 

(Serie XXIV. No. 1) . JC 8.—. 

Kanons No. 41 —61 rev. v.G.Notte- 

bohm. (Serie VII. Abth. 2) . JC 3.—. 
Kritischer Bericht (Serie VH) 

von G. Nottebohm . . . . JC-. 30. 
Leipzig, 4. Juni 1877. 


Felii Mendelssohn Bartholdy’s Werlo. 

Op. 89. Heimkehr ans der Fremde. Lieder¬ 
spiel in 1 Acte. (Serie XV. No. 122.) 
Partitur JC 10.80. Stimmen JC 16.—. 
Kl.-Ausz. JC 6.30. 

Op. 98. Musik zu Oedipus in Kolonos von 
Sophokles. (Serie XV. No. 116.) 
Partitur JC 10.80. Stimmen JC 16.—. 
KL-Ausz. JC 4.50. 

Breitkopf dt Härtel. 


Oieritt eine Beilage non ber ©erlaggin^hanblnng (Ebnarb gallierger in Stuttgart. 


gUtaitt#«, Mtrft* S.W., Einbcnftrage 110. ®üt Die JRcbaction Detantoortli$: #etrg StiCte in Matia. fspeHtian, tterTia N.W n EouÜenßraSe 32 . 

©rud non M* #• Veatner in ^fi||t|. 


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X 25 


3tetfitt, bet» 33. $««{ 1877. 


XI. Band. 



SBocbenfcbrift für 


Jtta* $nnink ntytiit tiw jhg»tr. 

3u btftiefcn butc$ alle ©udjtjanblunflfn unb $oftan [lallen. 


(!3c0cmunit. 

Literatur, $uitft unb MMÜä)e$ ßeben. 


Herausgeber: <2fctltf ^illbatt in Berlin. 


Serleget: ©eorg ©tilfe in ©ertin. 


JJrtis pi futiil 4 §nk 50 |f. 

3 n[eratc iebei Art |n:o sgelpaftrne ^etitjcil* 40 $1 


ftoc| einmal bet SeujififottMitg. Brnt Saul tato j er. — (Serbien unb bie ruffiföe SRationatyartei. — Sitmtir mM Hilf: 6fi&en- 
ft-firtff. buch. Sieber unb Silber non $aul #e$e. Befprodjen non fugen Sabel. — 3)ie ©efjeimratljStodjter. Bon $ebtoig $ o!)m. 
ymfWrl. (©3jlu&.) — ®ine fran^öfifc^e fiiteraiurgeföidjte. Bon 3 . SJMljltj. — $er Oang itadj bem fifenljammer. Bon g. (£1). B. Wo<Ss 
Sallemant. — 9toti$en. — Offene Briefe unb Antworten. Bon f$r. ^enantier. — 3nferate. 


fad) einmal ber ^tupiftjroang.*) 

3efct noch Oom 3eugnt|jtoange reben, nad) ber 
SReinung ber jüngften Autorität auf biefern Gebiete (Stabt 
geridjtSrath Rrof. Dr. Rubo im Rtoiljeft ber „Rreuhifdjen 3a^r= 
bficher") Gulen nach Sitten tragen. SRanche Tinge fann man 
in ber Tljat nid)t oft genug wteberbolen; aber baS, waS Rrof. 
Rubo ju biefer ßeljre beigetragen b at / lau« als eine Ber? 
me^rung beS ßtt^enifcfien Schaftes — um bei feinem Silbe ju 
bleiben — uidht angefeben werben. Gr bat Gontrebanbe nach 
Sttben gebracht unb Gnten ober anber bergleicben geberoieb 
für ben SBeiSbeitäooget ber Ätbene ausgegeben. Äuf feine 
Autorität gefüllt bot bie Rreffe, ohne bie Grünbe ju prüfen, 
feinen Grgebniffen ohne SBeitereS beigeftimmt unb eS fehlt 
nicht mehr uiel, bann glaubt auch 3eber, ba§ eS in Rreuhen 
gar (einen ßeugnibjwang mehr gibt unb bah bie preufjifcben 
dichter aller Snftanjen feit jtoei SJtenfcbenaltern mit Blinb? 
beit gefdftlagen baS nicht gefeben hoben, was baS Gemütft beS 
ißrof. Rubo entbecft bot. 

Tie SBabrheit erforbert eS, folchen üJieinungen entgegen}^ 
treten. Taber will auch ich nicht über bie 3wetfmä§ig!eit 
ober Hörte beS BeugnihzwangeS, überhaupt nicht de lege fe¬ 
renda reben. 3dj will auch nicht barüber bonbeln, bah ber 
ßeugnihjwang fiep au|er in ben Territorien, wo ber gemeine 
Strafprocefj gilt, noch in Jtttölf beutfdjen BunbeSftaaten oor? 
finbet, bah ihn nicht nur baS franjöfif^e Stecht (ennt, fon? 
bem bah fogar ber freie Gnglättber wegen ßeugnihweigemng 
non ben Gerichtshöfen fo lange in H a ft gehalten werben (ann, 
bis er [ich fügt; nur bem griebenSridfjter ift eine fiebentägige 
Grenze gefegt (Stephen, Gommentaries on the Laws of 
England IY, S. 427). 


*) Unfete Sefer nrijfen, ba| bie ,,@egentnart" lein p olitif4e8 Partei: 
Watt tft unb bafj mit ben Setfecptetn bet oerfdjiebenflen Stuffaffungen, 
namentlich, wenn biefe fachlich begrünbet finb, ba8 SBott gönnen. SBir 
glauben eben, bajj bie Siöcuffion fötbetlichet ift al8 einfeitige 
Xenbenptachetei, unb ba| bie fteiftnnige gartet biefe SiScuffton am 
toenigften ju freuen h“t- S>emgem8| btingen mit auch obige Hui* 
ffthtungen beö $ettn €tabtti<htei8 Dr. $aul Zapfet ohne befonbete 
Setmahtung non unfetet Seite hier jum ftbbrucf. SEBenn auch bie 
Stage Übet bie SBeteihtignng, ba8 SBftnfchenSmetthe unb 9tothmenbige 
be8 geugnihimangeS einer Conttooerfe unterliegt, fo bttrfte e8 hoch 
{einem 8meifel unterliegen, ba| bet ©ebtauch, bet bon biefem geugnifj« 
gmang unter Umftänben gemacht motben ift, tief Bef lagt »erben muff. 

Sie Web. 


GS foQ nur unterfucht werben, was ift gegenwärtig in 
Sreuhen fRecbtenS. 

SRan barf ben ßeugnihiwang nicht auf bie allgemeine 
Sflicbt beS Staatsbürgers jurüeffübren, für bie Grreichung beS 
StaatSjwedS t^ätig ju fein, fonft mühte eS auch eine allge¬ 
meine TenunciationSpflicbt geben. Ter Grurib liegt oielmebr 
in ber Unentbebrti^ieit beS ßeugniffeS für bie Rechtspflege. 
Um ben Ängefcbulbigten ju überführen ift baS 3«uguih notb- 
wenbig; ebenfo aber auch unt benfelben ju entlaften. 

Tie Ärt unb SBeife aber, wie bie ßeugnihpflicht ergwun* 
en Wirb, ift oerfchieben unb abhängig non bem Gtjarafter 
es StTafproceffeS. Rach bem bis giun 3abre l848 in Teutfch- 
lanb üblichen 3nquifitionSprincip fteflte man auf ber einen 
Seite an ben Sefdjulbigten bie ^orberung, bie SSahrbeit &u 
fagen unb }u geftehen, unb eS ift gewifj befannt, ba(j man 
jnr Grmittelung ber Sßa^r^eit bie Tortur brauste. Stuf ber 
anbero Seite entfprach btefem an ben SJefdjulbigten gefteUten 
Rertangen bie fßflicht eines 3eben, ßengmh abjulegen. So 
wie ber gegen ben Refdjulbigten geübte ßwang feine Grenjen 
(annte, fowieman bie göltet nicht als eine Strafe bezeichnen 
barf, fo war auch ber &wang gegen ben 3 eu g««/ ju reben, 
unbegrenzt, fo lönnen au^ bie gegen ihn angewanbten 3wangS= 
mittel nicht als Strafe aufgefafjt werben. 

Seit bem 3abre 1848 bat fi<b aber bie Stellung beS 
Slngeflagten geänbert; er ift nicht mehr oerpfliebtet, ein Ge- 
ftänbnih abzulegen, unb bie Erzwingung eines folchen ift fo¬ 
gar oerboten. Tiefe Reränberung batte binficbtlicb beS unge» 
porfamen 3 eu 9 e « zur golge, bah man entweber ihn bloS 
wegen biefeS Ungeborfams ftrafte, ober boeb gegen ben ihn 
bebrobenben 3®ong bureb eine zeitliche Begrenzung febüfete. 

Ta bie preuh- Griminatorbnung oon 1805 noch ganz - 
unter bem Ginbrud beS 3nquifttionSprincipS fleht, fo (ennt 
biefelbe gegen ben ungeborfamen Beugen auch feine Straf?, 
fonbera nur B^aagSmittel, bie freilich gefeplicb nicht be= 
grenzt werben lönnen, fonbern wobei lebiglicb baS oemünf? 
tige Grmeffen beS Richters entfebeibenb fein muh. Tie 
preuhif(h e RrajiS b Q t biefe Sluffaffung unangefochten feit zwei 
SRenfchenaltem oertreten. Sie finbet fid) auSgefprocben in 
Rejcripten beS SRinifterS, in ber 3ubicatur beS oberften 
Gerichtshofes unb in ben parlamentarifchen Rerbanblungen. 
StlS am 7. September 1862 ber HbQ. Tweften über ben 
betannten gaH beS RebacteurS H a 9 en in Snfterburg jprach, 
bat er fidh über bie Stage, ob eS nac| preufjifdjem Re^t einen 
3wang ober eine Strafe gegen ben 3 eu 9 en gebe, gar nidht 
auSgelaffen, fonbern nur getabett, bah, währenb baS Suftiz- 
mintfterium früher eine Bef<hränfung beS B^angeS anorbttete, 


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890 


Hi t Gegenwart. 


Nr. 25. 


matt gegenwärtig benfelben oßne Sefcßtänfung übe. Die SluS* 
füßrungen DweftenS weifen barauf ßin, baß er ber Slnficßt »on 
ben ßwangSmitteln ungleich näßer ftanb (©ten. Ser. b. Slbg.= 
h- »on 1862, III, ©. 1478). 

3tt bemfelben Saßre braute ber Äbg. 3oßn einen @e= 
feßentwurf ein, welker bie bezüglichen Seftimmungen ber 
Sriminalorbnung über ben ßeugntfewang Aufheben foflte. 3n 
bem ©cßoße ber fortfcßrittlicßen Suftijcommiffion würbe ja 
aßernäcßft bie fjrage erörtert, ob baS Serfaßren gegen ben 
ungeßorfamen ßeugen nacß ben jeßt befteßenben ©efeßen ein 
«Straf = ober ^wangSoerfa^ren fei. Die SDleßrßeit ber Som* 
miffion ßat fieß auSbrüeflicß für baS teuere entfliehen unb 
baS Sorßaitbenfein ber ©träfe geleugnet (Ser. b. Suft.=Somm. 
in ©oltbammerS Streß. Sb. XI, @. 505). 

©rft in neuerer ßeit ßaben gucßs (©taatSanwalt unb 
Sfkofeffor in SreSlau) unb ißoffelt (©tabtgeriditSratß in Serlin) 
fowie »erfcßiebene anbere Sublijiften in ber sßreffe bie Slnficßt 
»ertreten, baß in ißteußen nur eine gewiffe ©träfe gegen ben 
ungeßorfamen ßeugen »errängt werben fönne unb ihnen ßat 
fleh aueß SRubo angefeßloffen. inwiefern bie für bie Statur 
als ©träfe beigebraeßten ©rünbe unnötig finb, foll unten er* 
örtert Werben. 

Bunäcßft muß ich mieß gegen SRubo wenben, welker behauptet, 
baß feit ©rlaß beS SReicßSftrafgefeßbucßeS eS in Preußen aueß 
nicht einmal eine ©träfe gegen ben ungeßorfamen ßeugen gebe. 

SBäre biefe Slnficßt richtig, bann fönnte ber SReicßStag 
nießt mit bem feßarfen Jabel »erfeßont werben, baß er uns 
im SRüeffcßritt gegen baS preußifiße Stecht in § 69 ber beut* 
feßen ©trafproceß = Drbnung fowoßl eine ©träfe, wie ein be= 
grenjteS BwangSmittel wiebereingefüßrt ßat. Dann wüßten 
wir nicht, weSßatb ber leßte SReicßStag ben Slntrag ber Slbg. 
SaSfer unb @en. auf fofortige ©infüßrung beS § 69 ange* 
nommen ßat. Denn baß wir in Sßreußen »om Sßferb auf 
ben ©fei tommen foKen, !ann woßl nicht in bet ÜJteinung 
ber liberalen SReicßStagSmeßrßeit gelegen ßaben. X»o<h prüfen 
wir bie ©rünbe beS Sßrof. SRubo näßer. 

SluSgeßenb »on bet Seftimmung beS § 2 beS ©infüßrungS* 
gefeßeS jum SReicßSftrafgefeßbucß, wonaeß baS SanbeSftraf* 
reißt außer Äraft tritt, infoweit baSfelbe SDlaterien betrifft, 
weliße ©egenftanb beS SReicßSftrafgefeßbucßeS bilben, ßält 
Sßrof. SRubo bie ©träfe gegen ben ungeßorfamen ßeugen be8* 
wegen für aufgeßoben, weil ba8 ©trafgefeßbueß in bem Slb* 
feßnitt »om SDleineibe allein bie Sorau8feßungen auffüßrt, unter 
welchen ein ßeuge ober ©aeßoerftänbiger ftrafbar ift. SBetl 
in biefem Slbfcßnitt »on ungeßorfamen ßeugen feine Siebe 
ift, fönne aueß ein foteßer nießt geftraft werben. @8 liegt auf 
ber $anb, baß biefe Sluffaffung »on „SDIaterie" ju ben größten 
Ungereimtßeiten füßrt. Denn jener Slbfcßnitt ßat bie „falfcße 
SluSfage" »or ©eridßt jum ©egenftanb unb läßt ba8 weitere 
Serßalten be8 ßeugen ganj außer Setracßt. @r fprießt be8= 
ßalb aueß nießt »on ßeugen allein, fonbern auiß »on folgen, 
bie es unternehmen, einen Slnbern ju einem falfcßen ßeugniß ju 
»erleiten, mit anbera SB orten nießt ber „Beuge" ift SDIaterie beS 
SlbfcßnitteS, fonbern „ba8 Bewfln‘&" SBürbe bie SRubo’fcße Sin* 
ließt richtig fein, bann müßte ber B eu flCr weleßer feine richtige 
SluSfage befeßworen ßat, aber, ärgerließ übet ba8 »iele fragen, 
ben ©eridßtsbof beifpielsweife mit jener bureß ©öß »on Ser* 
ließingen flafftfeß geworbenen SRebenSart begrüßte, ftrafloS 
bleiben; benn audß biefe SRebenSart ift in ber SDIaterie »om 
SDIeineib weggelaffen. SBenn alfo SRubo meint, ein 3 eu 9« 
fönne nur foweit geftraft werben, als er eine faifeße SluSfage 
madßt, bann gibt bie ©igenfeßaft als 3 eu 8 e « m ©erießtsfaal 
einen greibrief jur ungeftraften Segeßung aller übrigen im 
©trafgefeßbueß bebroßten ^»anblungen. 

$tof- SRubo läßt fuß aber mtt biefem ©runbe no«ß nießt 
genügen: er eradßtet — unb baS ift ber ©eßtußtrumpf feiner 
Slbßanblung — bie Seftimmungen ber Sriminalorbnung aueß 
beSwegen für aufgeßoben, weil bie in ißnen beßanbelte SKaterie 
»om Btugnißjwange ©egenftanb beS § 343 beS SReicßSftraf* 
gefeßbucßeS fei: 


„©in Seamter, weleßer in einet Unterfueßung ßwongS* 
mittel anwenben läßt, um ©eftänbniffe ober SluSfagen 
ju erpreffen, wirb mit ßucß^auS bis ju 5 Saßren 
beftraft." 

hier hätte iiß gewünfeßt, baß Shibo ben ßapibarftil bei 
©ehe gelaffen unb eine fteine ©rläuterung beigefügt ßätte. 
SSiü er anneßmen, baß ein SRicßter, ber gegen ben ungeßor* 
famen Beugen ßwangSmittel anwenbet, fi^ eines feßweren 
SerbreeßenS fcßulbig maeßt unb BueßtßauSftrafe »erwirft? Dann 
weße bem fffranffurter ©tabtgerießt! ®ann müßte aueß ber 
©eßarfrießter mit bem Jobe beftraft werben, ber in StuSfüßrung 
beS UrtßeilS beim Äöpfen ben Serbreeßer „mit Sotfaß uno 
Ueberlegung" töbtet, ganj wie § 212 beS SReießSftrafgefeßbti^ 
eS »erlangt, ©elbftuerftänblicß feßen alle jene Sorfeßriften 
»orauS, baß bas bebroßte haubein ein „unbefugtes" fei Säßt 
aber SRubo befugte BwangSmittel gegen ben B eu gen ju, bann 
finb fie buriß jenen § 343 gerabeju beftätigt Ober meint er, 
weil ber Sßaragrapß überßaupt »on unbefugten ßtoaugSmittetn 
fpredße, fo ift bie Stnwenbung lanbeSgefeßlidßer ©rjwingungen aus* 
gefcßloffen? ®a8 ßieße aber boeß ben ©egenftanb ber SDIaterie 
nießt naeß bem Snßalt, fonbern nadj einem einjigen, irgenb 
beliebigen SBort einer Sorfcßrift beftimmen. ©o faßt SRubo 
aber felbft nießt ben Segriff ber „SDIaterie" auf, bem wir fonjl 
im SlUgemeinen juftimmen. ©in berartigeS SBortinterpretiren 
ift ein längft überwunbener ©tanbpunft. Stuf ber erften ©tufe 
ber SRecßtSwiffenfcßaft wirb bem einjetnett SBorte eine foldße 
Sebeutung beigelegt: fo fingen bie Körner ißre Surisprubenj 
an — ben ©aeßfunbigen erinnere ich u« bie SlnSlegung beS 
Slquilifcßen ©efeßeS —; fo ift ber Jalmub interpretirt; fo 
ßaben bie ©loffatoren im SDIittelalter wieber begonnen, ©ine 
entwicfelte SBiffenfdßaft fießt auf ©eift unb Snßalt einer Sor* 
ftßrift unb orbnet ißnen bie SBirffamleit beS SBorteS unter. 
Slucß wer biefeS beftreitet, !ennt bie Clemente ber SRecßtS* 
gefdßiAte nitßt. 

J>ie in Setracßt lommenben Sorfißriften ber preußifeßen 
Sriminalorbnung »om 11. ®ecember 1805 ftnb folgenbe: 

§ 7: Sebermann im ©taate, oßne Unterfcßieb beS ©tanbeS, 
ift fcßulbig, bem SRicßter auf ©rforbern, bei Sermeibung einer 
angemeffeneit Stßnbung alles Dasjenige mitjutßeilen, Was 
ißm in Sejießung auf ein ju unterfuißenbeS Serbrecßen ober 
ben Jßäter befannt ift. 

§ 311: Steigert fiiß Semanb, als B««9« fi<ß »erneßmen 
ju laffen, fo foll er baju »on feinem orbentlicßen SRicßter bureß 
©elb* ober ©efängnißftrafen angeßalten werben. 

§ 337: ©egen Diejenigen, weteße in ben nießt aus genom* 
menen gäßen bie törperlicße ßeiftung beS B cu geneibeS be* 

S oerweigern, muß ebenfo »erfaßten werben, als gegen 
, gen, Wel^e fieß ber Slblegnng beS B eu gniffeS gänjließ 
entjießen wotten. 

©S ift bereits barauf ßingewiefen worben, baß, bem 
Sßarafter ber preußifeßen Sriminalorbnung entfprecßenb, bie 
bem Beugen angebroßten SRacßtßeile nicht als ©trafen, fonbern 
als BwangSmittel erfdßeinen. Slueß wäßrenb ber Serßanblungen, 
bie gerabe in ber leßten SReießStagStagSfeffion über biefe ffrage 
ftattfanben, ßaben felbft ßerworragenbe SDütglieber ber liberalen 
Sßartei bieS anerfannt. SRicßtSbeftomeniger miß ich jugeben, 
baß fieß mit ben Sertßeibigern ber „©troftßeorie" immer noeß 
ftreiten läßt. Slfle faft legen ©ewießt barauf, baß in ben an* 
gejogenen Seftimmungen bie BwongSmittel felbft als ©träfe 
bejeießnet werben. Slßein bieS fann nießt entfeßeibenb fein; 
benn jene BwongSmittel treten äußerlicß in ber ©eftalt »on 
©trafen auf, wäßrenb gerabe baS SBort „anßalten" mit aßer 
©ntfdßiebenßeit barauf ßinbeutet, baß ein Bwang geübt werben 
foß. Denn bureß eine Sriminalftrafe fann SRiemanb ju einem 
unmittelbaren Dßun „angeßalten" werben. Slucß in bem 
§ 337 ift Wieberum nießt »on einer Seftrafung bie Siebe, 
»ielmeßr jeigt ber SluSbrucf „gegen ben cibeSweigernben Be«9<n 
ju »erfaßren", baß wieber an bie „BwangSmittel" geboeßt ift; 
benn mit einer ©träfe „»erfäßrt" man nießt. Slber iä) lege auf 
biefe SBorterllärungen fein ©ewießt ^püdßft bebeutfam ift es, 


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Nr. 25. 


JDfe ©rgenwart. 


391 


bah in ben ©eftimmungen ber ©riminalorbnung baS SDlah unb 
bie Ärt ber Strafe oermiht toirb. liefern ©inwanb wirb oon 
ben Gegnern, unb namentlich oon fllubo, mit ©efdjid burd) 
ben Hinweis auf Stp H. Sit. 20, § 35 beS Sl. &*{R. bc= 
gegnet, Wonach, wenn bie ©efe^e eine willfürliche Strafe am 
orbnen, biefelbe nicht über ©efängnijj oon 6 SBochen ober 
©elbbuhe oon 50 Sttjalern auSgebehnt werben barf. SEBenn 
nun ©rof. fllubo nach & em ^Begriff ber SBiffenfdjaft „wiHfüt* 
liehe Strafe" eine fotaje nennt, bie bem ©rmeffen beS 9üd)tetS 
anheimgegeben ift, jo überfieht er für baS altpreuhifd)e Specht, 
ba| biefeS jenen SBegriff nicht fennt, fonbern bie witßürliche 
Strafe — wie eben gefcheljen — gerabe abgegrenzt hot. Sah 
aber überall ba, wo in ben alten ©riminalgefefcen flRah unb 
2trt ber Strafe nicht genannt ift, bie wiUfürliche Strafe ge* 
meint fein foß, ift ebenfalls eine unrichtige fflehauptung, mit 
welker bie ganze Theorie jufammenftürjt. 

Semt bereits in einem fltefeript oom 7. gebruat 1815 
ift barauf fjingewiefen, baff ber erwähnte § 35 nur bann an* 
wenbung ftnbet, wenn baS @efe| felbft fi<h beS auSbrudS 
„wiKtürliche Strafe" bebient (Kampfe, Saljrb. V, S. 32). SieS 
ift auch bi e allein richtige Stuffaffung beS lanbrechtlichen ©traf* 
rechts; bieS wirb auch beftätigt burd) 2trt. VIII beS ©in* 
füferungSgefefeeS jum preuhifdjen @trafgefefebud)e oom 14. april 
1851 — einen Bufafe ber ßommiffion ber II. Kammer —, 
Wonach eine Hanblung als Uebertretung gilt, wenn fie in ben 
©efefeen als eine wiUfürliche bezeichnet ift. Bwor hat man 
bieS auch bann unb mit Unrecht behaupten moUen, wenn bie 
©efefee oon „nadibrüdlidjen", „oerhältnifjmähigen", „angemeffe* 
nen" Strafen reben (Eiemme, ©loffen S. 31), niemals hat man 
eS barauf auSgebehnt, wenn fchlechtljin unb ohne jeben Bufafe 
Oon „Strafen" bie Siebe ift Sem wiberfpridjt nicht § 7 
ber ©riminalorbnung, welch« nur einen aUgemeinen ©raub* 
gebanfen einleitenb heroorfeebt, ohne an benfelben eine Straf* 
fanction ju fnüpfeit. ©ife ber SRaterie ift § 311. ffirwägt 
man nun ben ganzen ©eift ber ©riminalorbnung, fo barf 
man fid) biUig nicht wunbem, bah biefen ßwangSmitteln — 
bie man um beS gelehrten anftriefes mitten zuweilen executio 
ad faciendum nennt, was gud)ä. in $Rr. 176 ber „Sdjlefifcljen 
ßeitung" arg mi^uerftetjt — eine anbete ©renje nicht gefefet 
ift, als baS pflicfetmähige ©rineffen beS unparteifdjen unb un* 
abhängigen {Richters, ber fie nur fo weit oerhängen fott, als 
baS Beugnifj felbft notljwenbig ift, unb nicht länger, als eS 
bie ©ebeutung ber Hauptfacbe oerlangt. Senn einer folchen 
abfurbität, baff ein Beuge Safere lang eingefperrt bleiben foU, 
wäferenb ber ^auptangeflagte nur ju einer geringen Strafe 
oerurtheilt werben würbe, halle ich einen preuhifdjen flüefeter 
nicht für fähig. Sieht man fiep auch l>ie gäHe, in benen ber 
.ßeugnifjjwang in ber großen preuhifdjen flRonardjie feit 70 
fahren jur Slnwenbung fam, näher an, fo wirb man junächft 
bem abgeorbneten ©rof. Söefeler barin beitreten fönnen, baff 
biefe gäHe nur oereinjelt waren unb meift ihren ©ife in ben 
©reff* (fügen Wir noch feinzu) unb in ben SiSciplinargefefeen 
hatten. 3m Uebrigen hat man feinen ßwang auSgeübt, wenn 
mit ber aburtfeeilung ber Sache auch ofene ben Beugen oor* 
gefdjritten Worben, ober auf fein ßeugnife oerzidjtet ober baS* 
felbe überflüffig geworben ift. 9lUeS baS würbe mit bem Straf* 
djarafter nicht oereinbar fein. 2Ran hat auch ben Beugnifj* 
jwang oon bem {Ricfeter ber Hauptfadje üben laffen, nicht oon 
bem orbenttidhen flüchtet beS Beugen, was wieberum bei einer 
Strafe oerfaffungSmä|ig nicht möglich ift. Unb biefe ganje 
©rapS — baS wirb jefet erft entbeeft — foU eine irrige ge* 
wefen fein! Unb um biefen Srrtfeum aufjubeefen, bringt man 
ein ganjeS Ärfenal oon Sophismen unb ©djeingrünben herbei! 
©ine Härte lag nur barin, baff man bei fllequifitionen an ben 
flüchtet auf Vernehmung beS Beugen über bie Sauer ber 
BwangShaft nicht 3enen, fonbern bie erfuchenbe ©efeörbe ent* 
fefeeiben lieg. Saburcfj fam ber flüchtet namentlich bei Sis* 
ciplinaroergefeen in eine fchiefe Sage, bie in ber jurifüfehen 
©onfequenj oerfchulbet, aber nicht ganz begrünbet ift. 

Ueberfteht man baS fltdeS nur mit einem Keinen Xheil 


oon Dbjectioüät, fo barf man fich nicht fo arg entfefeen, ba§ 
biefer Bwang ein lebenslänglicher fein fann. SEBenn Bemanb 
einem Änbetn eine Dhrfeifl« gibt unb fich banach erfunbigt, 
welche Strafe auf biefe tljätliche ©eleibigung gefegt ift, fo wirb 
man ihm antworten ntüffen, ba| er nach § 185 beS flteicfjs* 
ftrafgcfefcbudjä mit ©elbbu^e bis zu 1500 Vfarf ober mit ©e* 
fängnifj bis zu 2 Sohren geftraft werben fann. Slber eS wäre 
biefelbe Sotlheit, wenn er in ber Shat mit biefer hödjften 
Strafe belegt wirb, wie wenn ein B«uge wegen B«ugni|weige* 
rang lebenslänglich in $aft bleiben foltte. 

Ob biefeS unbegrenzte BwangSmittel in ben $ 8 au unfereS 
heutigen StrafoerfahrenS pa§t, ob eS nicht im SSMberfprach 
ftebt mit bem ÜBewufjtfein unfereS SSolfeS, mit bem ©eifte 
unferer B e il/ — baS ift eine ganz owbere grage, bie ja 
auch fchon burch bie neue Strafprocefjorbnung ihre Söfung 
gefunben hut Siefe hat an bie Stelle beS billigen richterlichen 
©rateffenS eine zeitliche ©renze gefegt, h“l über auch gleichzeitig 
eine wirtliche ©eftrafung beS ungehorfamen B £ U 0 en eingeführt, 
bie wir bisher in ©reu|en nicht fannten. 

3<h hübe bie Stimmen, welche in ber öffentlichen flRei* 
nung jüngft über ben Beugnifewang fich hören liegen, mit 
einer gewiffen ©enauigfeit geprüft. 3 d) hübe nur in ©inern 
©latt („©olfSzeitung" fllr. 66 ) ben ©ebanfen gefunben, bafj 
ber Beugni^zwang an fid) oerwerflich fei. Sie flfteinung würbe 
fich änbern, wenn gegen jenen ©erfaffer felbft einmal eine 
ftrafbare ^anblung oerübt würbe unb er bei oorljanbener 
Beugni^weigerang fid> feiner ganzen fllechtlofigfeit oöllig be= 
wu^t werben würbe. Sie SlUgemeinheit Oerlangt oon bem 
einzelnen 3 nbioibuum bie ©rfüttung oieler ©flichten unb bie 
Beugnigpflicht ift noch nicht bie gärtefte. 3cp werbe — bis 
auf bie „©olfSzeitung" — überall SeifaH finben, wenn ich 
meine, bafi ber Bragnifewang ba eingeführt werben müfjte, wo 
er nodj nicht befteljt unb ba| — wenn in ©reuten eine folche 
Süde wäre — wir nicht bis zur ©inführung ber beutfdjen 
Strafprocefeorbnung, bis jum 1 . Dctober 1879, warten bürften. 

fltichtsbeftoweniger will fltubo gegenwärtig in ©reufjen 
jeben auf ben B«ugen geübten B TOfln 0 befeiügt fegen. Sah 
bie ©reffe flluboS B«ugnih mit ©ifer für fteg angerufen h a h 
baif nicht SBunber nehmen. SEBie bereits bemerft, finb bie 
meiften ber wenigen gälte beS 3 £ ugni&zwangeS auf bem @e= 
biete ber ©reffe zur Änwenbung gefommen. SRan barf eS ihr 
nicht oerübeln, bafj fie mit greuben eine Sluffaffung begrübt, 
welche fie oon einem böfen Sroljgefpenft befreit. 

fllllein biefe Sluffaffung ift eine burdjaus unrichtige unb 
oerfehrte; fie muh bie öffentliche flReinung oerwirren unb irre 
leiten. Senn ich wage eS offen auSzufprechen, bah wohl lein 
preufjifdjer flüchtet auf ©raub ber fltubo’fchen anficht ben 
Beugnifowang für aufgehoben erachten Wirb. Ser preufjifche 
Stifter fagt felbft bei harten ©efefcen — unb um ein foldjeS 
hanbelt eS fidg hier nicht —: dura lex, sed lex. 

paul Kayfcr. 


Serbien nnb bie rufftfehr Itationalpariei. 

(©rief aus @t. Petersburg.) 

„SEBie oot fechS unb oor zwölf SRonaten ift bie aufmerf* 
famfeit ber europäifhen ©olitifer auch iw gegenwärtigen äugen* 
blid mit befonberem ©adjbrud auf ben Keinen, oon noch nicht 
anbertfjalb SRittionen bewohnten ferbifdjen Staat gerichtet. Sie 
©elgraber {Regierung war eS, weihe im Sommer oorigen Sahres 
burch ihr ©orgehen baS „bishen Herzegowina" zu einer inter* 
nationalen ©erwidelnng erweiterte unb bie öffentliche flReinung 
fliuhlanbS in eine ©ewegung brachte, beren fdjliehlicber aus* 
gang ber im aptil biefeS 3<>hr £ ö erHärte Krieg gewefen ift — 
Serbiens ©erhalten wirb oorauSfichttidj barüber entfheiben, ob 
biefer Stieg localifirt ober aber Deftreid) * Ungarn zu einet 
Kction gebrängt wirb, welche mit ber Kuflöfung beS Sreifaifer* 
©ünbniffeS gleichbebeutenb wäre, lieber bie ©eziehungen beS 


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392 


Hit Gegenwart 


Nr. 25. 


gürften äRilan ju unfetet Negierung unb jum dürften @ort= 
fchafow oermag auch h«« Niemanb genaue NuSlunft ju geben, — 
unfere Negierung ift abec ju wieberljotten Stalen barübet be= 
lehrt worben, baß bet Heine Staat an bet unteren Xonau bet 
ftatoifc^en ©ewegung unter Umftänben ©efefce geben !ann, benen 
bet ©ehotfam nicht oerweigert »erben batf. 3tdjt Xage oor 
ttuSbrudj beS ^etbt^cf»=türfifc^en ÄriegeB erhärte ©raf Sdjuwalo» 
einem Stitgtiebe beS ßonboner ©abinets, baß er bie in Setgrab 
getroffenen friegerifchen ©ntfdjließungen für nicht befinitio gefaßt 
anfcfje unb baß et bie ttufredjterljaltung beS griebenS |offen 
ju bürfen glaube. SBäljtenb beb gefammten nötigen SEBinterS 
fpradj man fi<h in ben maßgebenben Steifen unfetet Nefibenj 
jo abfällig übet bie ferbifdje Sache unb bie burdj biefelbe ent« 
jünbete ©ewegung aus, baff bie StoStauer Nationalen bie Hoff¬ 
nung auf eine ©erftänbigung mit bem gürften ©ortfdjalow 
förmlich aufgaben unb fammt ben oont Ximof jurüdgefehrten, 
mit bet äußerften Ungunft beljanbelten, felbft an bem Anlegen 
ihrer ferbifeben Uniformen Oerljinberten freiwilligen taute Stage 
übet ben Stbfalt bet Negierung non Nußlanbs beiligften Xrabi: 
tionen führten. Nichts befto weniger gab bie S3ernid)tnng beS 
ferbifdjen |>eereg jum ffirtaß jenes Ultimatums baS 
burdj welches gürft ©ortfc^ato» baS erfte Stal aus bem Nahmen 
bet gemeinfamen europäifdjen Stetion ^erauSttat, unb muffte 
Saifer SUefanber in benfetben Xagen, in benen er fich über 
Serbien in ben ^ärteften StuSbrüden ausfpradj, bie $älfte feiner 
Strmee mobil matten, um baS öon Serbien unternommene 
SEBerf für eigene Nennung fortjufefeen. Scheinbar ftanb bie 
barauf fotgenbe ruffifdje Stetion mit ben ferbifdjen Vorgängen 
in feinet Sejieljung, tbatfächlidj, unb wie in StoSfau unb 
Petersburg Sebermann muffte, batten aber gerabe bie jmif$en 
Xonau, Ximot unb Storawa geflogenen ©«blauten bie tljaten: 
luftige Stimmung b erüor 9 ecu f en > wel<be ben Saifet ju bem 
peinlichften unb fdjwerften ©ntfdjtuß feines Sehens nötbigte. 
Xie jabtreidjen unb gewichtigen Stimmen, bie fidj wäbrenb beS 
ootigen fterbft unb SBinter in unfetet preffe erhoben, um auf 
©runb gewiffet oon unfeten gteiwiüigen gemachter ffirfabrungen 
bie nationale ©egeifterung für bie toben, unbiSciplinirten, nur 
auf ben eigenen unb baju fc^ted^t öerftanbenen ©ortljeil bebaebten 
„ferbifeben ©rüber" für einen oerhängnißoollen Srttljum ju 
ertlären, finb gegenwärtig oetftummt, Niemanb Wagt eS ben 
Satfow, Stffafow unb gürft Stefchtfdjerßfy ju wiberfpredjen, 
wenn biefe bie botnebmen Serbenfeinbe fcblecbte Patrioten unb 
febteebte, lurjfidjtige politifer nennen, welche bet SolfSWiHe 
tnoralifdj unmöglich gemacht unb ju ewigem Schweigen oerur: 
tbeitt habe. 3“ ben periobifcb Wieberfebrenben 8tuSeinanber= 
fefcungen unfeter offieiöfeft Preffe über bie ©efäbrlidjfeit einer 
Oon Nußlanb unabhängigen fübflawifdj=ferbifeben greiwiüigeit: 
bemegung unb übet bie Notljwenbigfeit, bem SBienet ©abinet 
butcb Nieberbaltung bet Selgtaber Slfpirationen ein Pfanb 
für bie Stäßigung unb Setbfttofigfeit bet faifetlicben Negie: 
tung ju geben — ju biefen StuSeinanberfefcungen judt baS 
nationale Nußlanb bie Stcbfettt. „SEBaS unfere einbei* 
mifdjen fßittS unb NouberS oon Nüdfidjten auf Deftreicß unb 
©uropa fabeln", febtieb gürft Stefcbtfdjerßlh neulich im ,,©rafb= 
banin", „mag füt bie 3«tungSfdjreiber beS StuSlanbeS in ©e= 
traebt lomnten — Wir wiffen iängft, was baoon ju batten ift. 
Xer Xriumph ber feigen ©inbeit beS ©jäten unb feines ©olfeS 
bat bejüglich biefet Petersburger ©otetie ben SeweiS geführt, 
baß biefelbe 1) in ©ejug auf unfere StaatSgefchäfte nufjloS, 
2) baß fie abfotut machtlos ift, 3) baff ihre $auptwaffen Sügen 
unb ©erleumbungen gegen baS tuffifebe Sott waten, 4) baff bie 
Potitif biefet Herren batin beftanb, ben ©jäten unb baS Soll 
ju beleibigen unb bie Unjufriebenbeit ber Nation mit ben ihrem 
ÜJtonardjen jugefügten Stänfungen füt baS Stjmptom einer 
reoolutionären Stimmung auSjugeben. Xiefe ißartei, welche 
baS Sßort „uttratuffifcb" erfunben bat, bie oor ©urofm friert 
unb webet füt bie tuffifebe Sitdje nod| füt bie tuffifebe @b te 
ein |)frj bat, ift eben ju Stüem, auch junt Nieberträcbtigften 
unb febeinbat Unbenfbarften fähig." 

Sn SEBiett unb ©erlin ift man anfebeinenb mit bet Sennt= 


nignabme beffen, »aS oon unfeter Negierung näher ftebenben 
$te|otganen getrieben unb telegra^birt wirb, ju eifrig be- 
febäftigt, um fkh um SluStaffungen oon bet Sltt bet üor= 
ftebenb mitgetbeitten ju tümmern — in Setgrab oerfotgt man 
bie entgegengefefcte ÜRajime, weit man weiß, baß bie tünftigen 
Stabien beS StiegeS gerabe fo oon unfetet öffentlichen SReinung 
werben beftimmt werben, wie bie bisherigen. Seit länget ats 
jwölf SRonaten befteljt jwifchen SNoSfau unb ©etgrab bet tegfte 
unb engfte Setfeht; übet bie SBedjfelfätte beS oor jährigen 
getbjugeS finb bie gübtet beS StawencomitSS in SRoStau häufig 
früher unb beffer unterrichtet gewefen, als bie Herren unfeteS 
auswärtigen StmteS — übet bie Stimmung in Petersburg unb 
SRoSlau wußten gewiffe Natbgeber beS gürften SRilan gewöhn: 
ticb f<bon ©efcheib, wenn bet ©enerat:©onfut Sarjow biefen 
©eftheib erft erwartete, ©ebeimniffe gibt es in biefer Se= 
jiebung nicht. Schon jefet läßt ß<h abfeßen, baß wenn gütft 
HJtilan bem Oon feinen tumänifchen Nachbarn gegebenen Setfpiel 
fotgt, fidj unabhängig ertlärt unb um bie ©rlaubniß bittet, 
unfeten gähnen folgen ju bürfen, biefe ©rlaubniß auf bie 
Xauer nicht oetfagt werben fann unb nicht oerfagt werben 
wirb. SEBenigftenS für ben Slugenbtid ift es wichtig, was Swan 
SttfatoW in ber am 13. 3Rai gehaltenen erften ©erfammtung 
ber SNoSfauer ftawifchen SBohtthätigleitSgefetlfchaft (fo heißt baS 
frühere Stawencomitü jeftt officiett) fagte, „baß bie ftawifche 
Partei, nachbem fie fich lange auf engen unb fchmalen Pfaben 
butchfchlagen mußte, auf einen großen unb breiten SBeg ge= 
langt ift unb oor ben ©renjmarlen beS gelobten ßanbeS fteljt". 
Xa§ gefammte, heute bie Partei ber Ntebrljeit bilbenbe nationale 
Nußlanb hat bem Nebner ihr begeifterteS „So ift eS" jugerufen, 
als berfelbe feinen ©eridjt über ©efchichte unb Sorgefcbidjte ber 
flawifchen ©efeltfchaft mit ber folgenben Sfyoftrobhe befeßtoß: 
„Schon weht jenfeit ber ruffif^en ©renje bie rufjifdje gähne, 
Wel^e erhoben worben ift, um ben gelnedjteten, etniebrig: 
ten, oon bem mit feiner Slufttärung ba<h m üih>9 prunfenben 
©uropa tief oerachteten rechtgläubigen ©ötlerfchaften ber 
©attanhatbinfet greiheit unb SRenfcheurechte mieberjugeben. 
Xer fchlummernbe Orient ift erwart, unb nicht allein bie Slawen 
ber ©allanhalbinfet, bie ganje flawifdje SSett erwartet ihre 
SBiebergeburt. ©ine neue, ganj neue 3«*t bricht an, bie 3ftorgen* 
röthe beS großen ftawifchen XageS ift erfchienen." — SBenn oon 
ferbifcher Seite baS ©ebürfniß nach einer ©ettjeitigung an bem 
Oon Nußlanb begonnenen SBerfe gefühlt unb mit bem gehörigen 
Nadjbrud bocumentirt Wirb, fo erfdjeint eine gewattfame Nieber^ 
ljaltung beSfetben gerabeju unbenlbar; fehen bie Sltfatom unb 
©enoffen eS hoch bereits gegenwärtig als ein unoerhättnißmäßig 
großes 3 u geftänbniß an bie Sntereffen Deftrei^-.UngarnS an, baß 
bie unter ber #errfdjaft beS Kaufes ^abSburg fteßenben Slawen: 
ftämme oon jeber Xheilnaljme an bem neu improoifirten ftawi: 
fehen ©ötlerfrühting auSgefchloffen finb unb nicht einmal ihre 
Sympathien für bie ruffifeße Sache frei befennen bürfen. ©S hat 
hier großen ©inbrud gemacht, baß bie Xfdjedjen bem ©eifpiet 
ihrer ©taubenSgenoffen im latholifchen Kroatien gefolgt finb, unb 
baß ber im Saht 1867 oon bem gürften Xfdjerfaßty fo rüd: 
fidjtStoS behanbette, wegen feiner Poienfreunbfdjaft öffentlich 
jurecht'gewiefene Dr. Nieger an ber Spi^e ber böljmifchen ßanb= 
boten geftanben hat, welche in einer jpetrn SRfalow jugefenbeten 
Slbreffe feierlich ertlärten, „baß ©öhmeit als äußerfter ©orpoften 
beS Slawentums .... bem mächtigen Slawen, ber bem fd)wachen 
©ruber ju Hülfe gefommen, jubetnb juftimme" unb fich »bau bem 
gealterten unb entchriftlidjten ©utopa" toSfage, welches feiner 
Seit Partei füt ben £>albmonb ergriffen habe. — Xaß unfer 
©otfehafter in SSien, ©eßeimrath Stowifow, ber Partei „ber 
Petersburger Pitts unb NouherS" angehört unb auS biefem 
©runbe Xfchechen unb Nutljenen ftets mit ©eringfchäyung unb 
Oornehmer ftälte begegnet ift, weiß man nirgenbs fo genau wie 
in ÜWoSlau, unb feßon barum rechnet man es bem Nieger unb 
©enoffen boppett h oc h an, baß fie unentwegt ber ftawi: 
fehen gähne treu geblieben unb fich aus ßiebe ju berfelben 
abermals ber Ungunft ber SEBiener BJtadjtljaber unb ber „PeterS: 
bürget ©eoatterfdjaft beS ©rafen 5lnbraffy" auSgefe|t haben. — 


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Nr. 25. 


Dt* <£egett®art. 


393 


Sud {Rüdpdjt auf Oeftreicf) bie ferbifcße ©ewegung gewaltfam 
nieberzuf)alten, gefcßweige bemt einer ungarifcf)=beutfcf)en 3nva= 
fron in biefeS gürftentßum bie SBege ju bereiten, würbe nadj 
Meinung ber Affafow unb Mefdjtfcßerßft) gerabeju einen |>ocf)= 
berratl) an ber flawifdjen Sadje bebeuten, ben unfere {Regierung 
viefleidjt verfucljen, aber freier nidjt ju Enbe führen wirb. Die 
Dräget ber opfcrfreubigen Stimmung, welche SRußlanb ergriffen 
Ijat unb beren Unterßüfcung baS ©ouvernement wenigftenS bis 
auf Weiteres nicht entbehren (ann, pnb einmal bie nationalen 
SBortfüßrer, unb gürft ©ortfdjafow fennt ben Einßuß biefer 
Herren, welche feine eigene Popularität begrünbet I^abett, ju 
genau, als baß er eS auf einen ©rucf) mit ihnen anlommen 
taffen fönnte. ftätte ber erfahrene Seiter unferer Diplomatie 
es überhaupt für möglich gehalten, bie Slutij surücfjuftauen, 
Welche bie Sommermonate beS vorigen Jahres (jene Monate, 
währenb welcher ber Kaifer unb fein Kanzler auf Steifen waren 
unb, wie man hier fagte, bie Mäufe auf bem Difdje beS aus¬ 
wärtigen Amtes tanzten) entfeffetten, — er würbe es nicht jum 
Kriege hoben fommen laffen, benn währenb ber Dauer biefeS 
Krieges werben ber Statur ber Sadje nach ®iejenigen an ber 
©pifce ber öffentlichen Meinung marfchiren, welche biefen Krieg 
machten. Unfer gefammteS Ijöl)ete3 ©eamtentßum, ber vom $of 
unb Von ber Oberpreßverwaltung beeinflußte Dheil ber ©reffe, 
bie ©örfe, bie Deutfdjen, bie nationalitätslofen ©«hinten ber 
höheren ©efeflfcßaß waren ber KriegSeVentuaiität ebenfo feinb= 
lieh Wie bie meiften Minifter. fjerr Von {Reutern fah voraus, 
baß ber Krieg baS eben in ber Teilung begriffene Sinanjmefen 
ruiniren werbe, bie beiben oberften Pächter über bie öffent* 
liehe {Ruße, General Dimafdjero unb ©eneral Sewafdjow 
(ber Minifter beS Innern unb ber AblatuS beS EfjefS ber 
„britten Abteilung"), Wußten ganz genau, baß eine friegerifdje 
©ewegung ben Einßuß ber bemohtitifcf)*nationalen ©artet ver* 
hoppeln utüffe, ber Suftijminißer ©raf ©atjlen faß pdj in ber 
Durchführung feiner {Reformpläne gepinbert, Sperr SSBalujew ift 
von Alters her Seinb aller ftawiftifchen ©eEei täten, Ablerberg, 
S5B. Steven unb bie übrigen Männer von ber perfönlidjen Um* 
gebung beS Monarchen tonnten feinen Augenblicf barüber 
zweifelhaft fein, baß bie Appellation an baS ©chwert 
neue unb nicht eben bequeme Elemente an bie Oberfläche förbern 
unb ihren Einßuß in ben ©chatten ftetten werbe. 2Bie follen 
biefe Herren, bie jebeö Kinb als (Segnet ber getroffenen Ent* 
fdßießung unb als £emmniffe ber von ben faiferlichen Damen, 
bem KleruS, ben jüngeren ©enetalen unb bem liberalen Abel 
geübten Iriegerifdjen Einßüffe fennt, — wie follen biefe Herren 
eS anfangen, einer ©ewegung bie ©efefce ju geben, bie birect 
gegen pe unb bie von ihnen vertretene Anfcljauung gerietet ift? 
3e tiefer wir in ben Krieg'hineinfteuern, je nacßbtüeflitljer bie 
©oltsfraß zu ©unften beSfelben in Anfprudj genommen wirb, 
bepo forgfältiger muß bie {Regierung mit ber ©olfsftimmung 
unb mit Denjenigen redjnen, welche biefe Stimmung gemacht 
haben unb noch fortwäljrenb machen. Der ßerrfeßenben Auf« 
faflung nach »ft ber Krieg Weber ein Swifcßenfafl, noch eine bem 
Kaifer burdj bie Umftänbe abgerungene {Rothwenbigfeit, fonbern 
bie natürliche Sortierung beS 1863 begonnenen ©roceffeS ber 
Semichtung unb Auffaugung ber wefteuropäifchen Elemente 
innerhalb beS rufpfeßen ©taatSlebenS; von biefen (Elementen 
einen wirffamen SBiberftanb gegen bie zu einer großen euro* 
päifcßen ©erwitfelung treibenben Kräfte erwarten, ßieße baS 
SBefen ber gegenwärtigen KrifiS verfennen, unb bie ©efcßidjte 
ber lebten zwölf 3aßw rufpfcher Entwicklung auf ben Kopf 
ftellen. Es ift nun gefeßeßen, was bie ßhärfer feßenben unb 
fühneren unter ben ©lawopßilen bereits 1865, bei (Einleitung ber 
gegen bie ehemals polnifcßen unb beutßhen ©rovinzen geübten SRufp* 
pcirungSpolitif offen ßerauSfagten: „An ber SBeicßfel unb Düna 
haben wir ben Anfang gemacht, unfer Sinale werben wir am 
SoSpotuS auffpielen." Die Söfung ber orientalifeßen grage 
bilbet nach bet MoSfauer Doctrin ben natürlichen Abfcßluß beS 
„nationalen" ©rogrammS, welches bie gegenwärtige Regierung 
pcß ßücfweife hat aufnöthigen laffen unb welkes in ben Augen 
ber flawißhen ©artei ihr £>auptöerbienft bilbet. (ES iß nicht 


| ©hrafe, fonbern Sßaßrßeit gewefen, wenn §err Affafow in einem 
neulich an biefer ©teile erwähnten ©ortrage feinen verftorbenen 
©ruber, ben verftorbenen Eßanjäfow unb ben gleichfalls ver* 
ftorbenen 3«ri ©atnarin als bie wahren ©äter beS ©hftemS 
bezeießnete, baS feit bem 25. April b. 3- Z u * Anerfennung ge* 
fommen ift; bie von biefen Männern, namentlich Von ©amarin 
gethane Arbeit war nothwenbig, um ber ©artei, welche heute 
im ©amen beS Slawentums ©ejeße zu geben beginnt, an baS 
©über zu verhelfen unb bie Siction ber fogenannten „(Einheit" beS 
(Ezaren mit feinem ©olfe möglich Z u machen, ©o lange bie 
: wefteuropäifchen (Elemente einen felbftßänbigen Sactor beS 
ruffifchen ©taatSlebenS bilbeten, wäre baS unausführbar gewefen. 

©on ben ©BitterungSVerßältniffen an ber unteren Donau 
unb von bem Dempo ber bort vorbereiteten KriegSereigniffe wirb 
eS abhängen, ob ©erbien feßon währenb ber gegenwärtigen ©hafe 
ber Dinge aus feiner 3utücfßaltung ßervortritt unb baburch 
eine Klärung unferer ©eziehungen zum SBiener (Eabinet herbei* 
führt ober ob baS fpäter gefdjießt. SBaS bei 3ßuen für aus* 
gemacht gilt, baß IRußlanb für ben Saß eigenmächtigen {erblichen 
Eintritts in bie Action zu einer öftreichifchen ©efeßung beS 
SürftenthumS „3a unb Amen" fagen werbe, wirb hier auf’s 
(Eifrigfte beftritten. Man barf gerabe barauf wohl gefpaunt 
fein, bie (Entßheibung barüber wirb zugleich bie Entfcßeibung 
I barüber abgeben, ob unb in wie weit unfer Eabinet von ber 
j Strömung abhängig iß, Welche baSfelbe in biefern verßängniß* 

I VoEfien afler von bem mobertten SRußtanb geführten Kriege ge* 
i trieben ßat. Unfere ©eziehungen z« Serbien hüben befanntlid) 

; eine fehr merfwürbige ©efdjicßte hinter fieß: fünfzig 3ahre lang 
jähen ©ußlanbS Staatsmänner eS vornehmlich barauf ab, ben 
1 noch aus ben Dagen beS ©rinzen Eugen ßerrüßrenben öftreichifchen 
, Einffuß in biefern ßanbe zu befämpfen unb bie an biefer 
öftreichifchen Drabition feßhaltenben ©arteigänger Kara*©eorgS*) 
I unb feiner fßaeßfommen nieberjuhalten, eS müßte merlwürbig 
Zugehen, wenn baS von einem Entel beS Mitofdj Dbrenowitßh 
regierte, feit 3 a h r & e h n t*n mit Deftreich*Ungam verfeinbete mo* 
berne ©erbien, baS ©erbien, baS uns in ben Krieg geritten 
hat, von ber nationalften {Regierung, welche iRußlanb gehabt 
ZU hüben glaubt, einer öftreichifchen 3«üafion überlaffen werben 
foEtel" 


| *) £ara*<Beorg, ber Stierer in bem (urjprünglid) übrigens nicht 

gegen bie ©forte, fonbern unter ©eihülfe berfeiben gegen baS ©etgraber 
! 3anitfcharen=SRegintent gerichteten) ferbifchen ©efreiungSlampfe von 1804 
neigte gleich ber Mehrzahl feinet Sanbsleute entßhieben zu Deftreich, 
rief erft, nachbem er in 3Bien tein ®ehör gefunben, ruffifchen ©chup an 
unb nahm biefer Macht gegenüber ftets eine refervirte unb mißtrauifche 
©tcEung ein. AIS Serbien im 3aijre 1813 von ber ruffifchen {Regierung 
ben Dürfen preisgegeben würbe, z°fl Sara=@eorg fich nach Deßreidj 
Zurüd; als er 1817 in fein ©aterlanb heim lehrte, würbe er auf An* 
ftifttu feines AebenbuhlerS MUofth, beS Oberhauptes ber ruffifchen ©artei 
unb fpäteren fianbeSfürften, ermorbet. — (üleich Rara^eor^ ber bereits 
1788 unter üaubon gegen bie Dürfen gefönten hatte, war auch fein, 
1843 unter rufpfdfer Qulaffung zum dürften erwählter Sohn Älejanber 
entfehiebener Anhänger OeftreichS unb Segnet ber ruffifchen *pau= 
ftawiftifchen ©artei, von welcher er im Sahre 1857 geftttrzt Würbe. 
Daß ber Sultan bie Abfefeung biefeS (inzwifdjen nach Oeftreicß über* 
gepebelten) dürften guthieß, gefeßah auf Aatß ber ruffifchen unb ber 
franzößfeßen Diplomatie. 


! 


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894 


Bit <5 1 8 1 itwart. 


Nr. 25. 


oSifftafttr nnb Jumft. 


3hijjcnlmd|. 

Siebet unb Silber ooit ©aul §epfe. 

Berlin 1877, Berlag bon ©illjelm #erj (Befler’fche Budjhanbung). 

@8 gehört ju ben ©tgentßümlidjteiten gewißer latente, baß 
fie und mit ißren Schöpfungen menfdjlicß unmittelbar naße treten. 
Bwar beruht bie tünftlerifcße ©ebeutung einer ©rfdjeinung ftets 
auf ißrer perfönlidjen, unb für ben Senner gibt e8 laum etmaS 
©efdjmactlofereS als bie gebanlenlofe Xrennung beS SünftlerS 
Dom SDtenfcßen. Seibe gehören bielmeßr jufammen wie Seib unb 
Seele, unb es ift unjweifelßaft, baß man ben einen nic^t be= 
greifen fann, oßne jugleidj oudj ben anberen liebenswert^ ju 
finben. Aber wäßretib einige Xatente hinter ißren ©rjeugniffen 
gänjlicfj ju öerfdjwinben ffeinen, ift bie Art, wie anbere im 
Spiegel ißreS 3<ßö ein ©ilb ber Seit geben, eine fo unmittet= 
bar perfönlicße, baß man ßcß faft unwißtürtidj ben bilbenben 
Sflnftler, ben SRußter, ben dichter als 3ttbibibuum oorfteßt. 
3e reifer baS urfprünglidje ©efcßeti! ber Statur bei bem @in= 
jeltten ausgefallen ift, je weniger fidj bie Aneignung frember 
Elemente nacßroeifen lägt, befto entfcßiebener werben biefe Aus« 
ßraßlungen beS ©erfönlidjen, befto öerlodenber wirb eS fein, 
fidj in bie ©igentßümlidjteüen beS 3«bit»ibuumS ju öerfenten. 

Stuf bidjterifdjem ©ebiete gehört ©aul |>epfe ju jenen ©lüd= 
lidjin, bie mit bem 8<uiber eines großen perfönlidjen SteijeS auS= 
geftattet ßnb. Audj wer biefen dichter mit bem fcßönen 8tapßaetS= 
topfe unb ber woßtflingenben Siebe nicljt lennt, oermutbet mit 
9tecßt, baß ber Spenber fo geifttwßer unb tünftlerifdj auSgereifter 
Schöpfungen ein IiebenSwörbiger SOtenfdj fein müffe. das Au8= 
geglichene, baS $armonifdje, mit eiuem SBort baS ©efdjmäcfooße 
feines SBefenS macht ihn ju einer burdjau8 eigenartigen @rfdjei= 
nung auf bem beutfdjen ©arnaß. So geiftooH SlUeö empfangen 
ift, WaS et bringt, fo bringt ficß hoch ber ®eift niemals bor, 
um bem latente ju helfen, Woburcß fogleich ein ©rueß in ber 
Sunftleiftung entftehen würbe. die Anmut!) feiner Schöpfungen 
gewinnt ihm baßer nicht nur unter ben grauen jaßlreidje Sn* 
hänget, fonbern weiß auch baS männliche ©mpßnben bauernb 
ju feffeln. SBie feßr man £>epfe mit bem ©orwurfe, baß ißm 
bie Sälte unb ©lätte marmorner gorm als ßöcßfteS 3«! flelte, 
Unrecht tßat, haben- feine beiben 3eitromane „die Sinber ber 
SBelt" unb „3m ©arabiefe" jur Ueberrafcßung aller derjenigen 
bewiefen, bie es über faßen, wie ftarf bereits in feinen Stobeßen 
baS Stecßt beS Staturgemäßen betont unb wie nacßbrüdlidj bamit 
bie Abwenbung bon aßem Älabemifcßen bezeichnet war. SEBer ein 
Aegerniß für bie ^S^iliftet ift, uub baS ©lüd einer geiftig ge= 
abelten Sinnlichleit preift, befifet immer eine ftarle reformatorifeße 
Aber, mag er äußerlich auch noch f» ungefährlich erfcßeinen. SEßie 
fdjabe, baß es $epfe tticgt gelungen ift, feine gäljigfeiten für 
bie ©üßue bauernb ju concentriren! Sein „$anS Sange" unb 
fein „©olberg" tauchen in bem Stepertoire unferer befferen Sühnen 
woßl immer wieber auf, aber einen feften ©laß tjaben fie in 
unfetem Xßeater nicht erringen lönnen, unb bon feinen übrigen 
Stüden fagt Saube mit Stecht, baß ißnen bie ftarfen männlichen 
Büge fehlen, baß fie ju lurj angebunben unb im SDtutterfdjoße 
nicht ausgetragen feien. 

©8 muß SBunber nehmen, baß eine fo reiche, auf bem 
©ebiete ber epifdjen unb bramatifdjen ©oefie gleich fruchtbare 
didjternatur wie $epfe ber Sprit immer nur flüchtige ©efudje 
abgeftattet hat. ©on feinen gefammelten SBerten befteßt ber erfte, 
bie ©ebidjte entßaltenbe ©anb etwa nur jur Hälfte aus eigenen 
Schöpfungen, wäßrenb ber übrige Xßeil eine gaßlidje Stätte 
für muftergültige Aneignungen aus ben ©erbencalifdjen, 3talie= 
nifdjen unb Spanifcßen geworben ift. Aber auch bie felbßßänbigen 
©rjeugniffe ftrömen in überwiegenbem SRaße ben Steidjtßum ber 
©oefte nicht im SBoßllaut beS unmittelbar empfunbenen Siebes 
aus, fonbern laffen bie Sprit in jener epifdj angeßaucßten SBeife 
erfcßeinen, bei welcher in ber Stimmung bereits ein ©lement 


bet $anblung aufgelöft iß unb weifen fomit bereits auf bie 
eigentliche $eimat beS ^»epfe’fcßen SJtaterialS ßin. daneben bietet 
biefe erfte tprifdje Sammlung namentlich in ben „Steifeblättern" 
mancherlei bem eigenen Seben ©ntnommeneS, auf ©erfonen unb 
bei beftimmten ©etegentjeiten ©ebi^teteS, fowie eine Anjaßl bon 
Sprüchen, welche eine güße tiefer, oft an ©oetße erinnember 
SebenSWeiSßeit enthalten. 

3« bemfelben ©eiße ift bie foeben unter bem Xitel „Sfij= 
jenbucß. Sieber unb ©über" erfcßienene ©ebichtfammlung bon ©aul 
$epfe geßalten. diefelbe wirb nicßt nur jur ©erboßftänbigung 
eines ber anmutßigßen dicßterporträts ber ©egenwart wißtommen 
fein, fonbern ift auch bon ßerborragenbem eigenen SBertße. ©Senn 
aucß ber tünftlerifdje Schwerpuntt $epfeS in ber ©rjäßlung liegt, 
fo finb hoch feine Iprifdjen Schöpfungen teineSwegS als nur ge= 
iegentticße unb untergeorbnete Abfäße einer unermüblicßen ©ro= 
buction anjufeßen. ©ielmeßr ßaben wir hier mit bofler Seele 
empfuitbene unb tünftlerifdj bargebotene ©rjeugniße bon echtem 
bidjtetifdjem ©epräge oor uns. StraßU ber ©eniuS beS ©oeten 
nach biefer Sticßtung auch nicßt in fo energifdjem Sicßte wie nach 
ber Seite ber Stooeße unb beS StomanS, fo ßnb bie bon bem 
dichter ßeraufbefdjworenen ©über unb ©eßalten bocß bon betn= 
feiben Bauber einfcßmeicßelnber SiebenSWürbigteit umgeben, bem 
biefer ßünftler feine ©rfolge auf epifdjem ©ebiete ju berban= 
ten ßat. 

die erfte Abtßeilung „Silber unb ©efcßicßten" jcigt #epfc 
als ben forntgewanbten dichter, ber feine Stoße bielfältig auS= 
wäßlt, oßne eS babei über einen gewißen ©ttetticiSmuS hinaus^ 
jubringen. ©alb fdjlägt er im tlafßfdßen Atterthum, balb im 
romantifcßen Sanbe beS SJtinnebienßeS unb ber Stitterlicßteit fein 
bicßterif^eS Atelier auf, hier teßrt er aus 3talien, bort aus 
bem ©otenlanbe mit poetifdßen Sdjäfceu beloben ßeim, baS ftiße 
SBalten ber Statur bermag ißn nicßt rninber wie baS fociale 
Stingen unb Seiben ju begeiftern. AßeS mit ©efcßmad unb jar= 
ter ©mpßnbung, aber im ffiiujelnen oft oßne bie rechte Sers 
tiefung. Am gelungenften ßnb bie Staturbilber, wie „grübling«- 
begräbniß" unb „SBalbcßronit". Unter ben eigentlichen Stomanjen 
berbienen biejenigen ben Sorjug, Welcße ßdj ganj in ber Spßärc 
beS ©emütßS bewegen, wie „der Scßent bon ©rbadj" unb „das 
Spinett". SBo eS ßcß bagegen um Stoße bon ßeroifcßer Statur, 
um einen meßr energifcßen SBurf ßanbelt, ba erfdjeint ^»epfeS 
SJtufe bon ju jartem ©lieberbau, namentlich Wenn ße ißre na= 
türlicße Anmutß berteugnen unb redenßaß erfcßeinen wiß. Stan 
füßlt eS oß ganj unmittelbar, baß baS ©ewaltige meßr äuge: 
beutet als auSgefüßrt, baS dämonifdje nur leicßt berüßrt, nicßt 
aber im innerften S'ern erfaßt iß. Stur ein SJtal ßat ßcß ber 
dicßter böflig concentrirt unb einen Sdjuß in’S Scßwarje ge= 
tßan. „der ©irat" ift eine mufterßafte Stomanje unb jeigt in ißren 
acßtfüßigen 3omben ein träftigeS männlicßeS Auftreten, die Scßulb 
beS Seeräubers, ber ben armen 3nfelbewoßnern bie ßinber raubt 
unb an bem greifen ©riefter einen abfcheulidjen SJtorb begeßt, 
wirb ebenfo ergreifenb, wie feine Sühne in ber Stacßt beS SBaßn= 
finnS gefcßilbert, ber feine fdßwarjen gitticße um ben ©erbrechet 
fdjwingt unb ißn bem Untergange entgegenfüßrt. das ©ebidjt 
„der ©icisbeo" beßanbett baS Xßema ber UnauflöSlicßteit ber 
©ße innerhalb ber tatßolifcßen ßircße. der ©eteinigung ber 
Siebenben barf ber prießerlicße Segen nicßt ju Xßeil werben, 
aber ber ©unb iß troßbem geheiligt butcß bie ißrem Bufammen; 
leben oorauSgegangene ©rüfung unb bie Steinßeit ißrer wanbel= 
lofen Siebe, das ©ebidjt raufcßt in bem pradjtooßen ©ewanbe 
ber Xerjinen waßrßaß töniglidß einßer. 

der jweiten Abtßeilung „SteueS Seben" ßat $epfe folgeubeS 
SJtotto tiorgefeßt: 

Sieber ßnb wie föirfdjen am Baum 
Bur Beit ber Steife, 

®u fdjüttelft nur taum 

AuS bem ©tegereife 

An einer fjanbooH bicß gu erfrifcßen, 

§unberte faßen bir in ben ©djoß. 

®inb aucß etliche grüne bajwifdjen 
3ß ber Schabe nicht groß. 


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Nr. 25. 


11 1 ffegetturari. 


895 


SRit biefett SBerfett ift ber ffi^aratter ber Sprit, bie in fangeS; 
tuftigen geilen immer maffenhaft auftritt, fet»r glüilich beseidjnet. 
3n ähnlicher SBeife hat £>eget einmal bie feine ©emerfung ge= 
macht; ba| bie Sieberbidjtung eine fich ftetS erneuernbe ©turnen: 
flur fei. 3n ber X^at ift probuctiöer Reichtum immer baS 
befte fiennjei^en für jebe ursprüngliche ©egabung. Kann man 
auch nicpt verlangen, bafi jebeS einseine Sieb ein Äunftwerf fei, 
welches bie ©ebeutung ber ganjen Gattung würbig vertritt, fo 
ergibt bod) bie Summe mehr ober meniger gelungener Srjeug: 
Kiffe eine geiftige ßraft, bie jeben Augenbtid mit einer ©teifter; 
leiftung überrafdjen !ann. Auch $epfe3 Sieber finb in ihrem 
SBerthe ungleich, oft allsu fubjectio, fo baff ihnen ber Stempel 
beS Stilgemeingültigen fehlt, oft aber auch oon einer ©ielobie 
ber Sprache, oon einem Reis ber ©rfinbung, oon einer An= 
mutt) bet Ausführung, baff man fte flaffifdj nennen mufj. Die 
©oefie erfüllt liier ihren ebelften öeruf, inbem fte biefe rauhe 
unb mangelhafte SBirttidjfeit in ihren golbenen Schleier einhütlt. 
Die ffraft ber Sinntid)feit fteht überall unter ber $errfihaft eine« 
geiftigen Abels, bem bie Harmonie unb baS ©lafc jur anberen 
Ratur geworben finb. Am reisenbften finb biejenigen ©ebidjte, 
in welken su biefem fd)önen ©inftang gwifdjen 3nhatt unb gorm 
noch eine humoriftif<he ©ointe fommt, wie in „©räutigamS Am= 
meuuhr", einer aüerlifbften SAeinigteit, bie wir als ©robe her* 
fejjen: 

Den testen ßufj, 

Dann fdjeiben muj». 

Die Upr fdflägt Set»n - 

Die SRutter will nun jdjtafen gehn. 

©o früh getrennt! 

©ein Sämpctjen brennt; 

Die Uhr fthtägt Cif - 

Cr träumt unb reimt von Ri;’ unb Cif. 

Roch ein ©onett 
Unb bann }u ©ett. 

Die Uhr fchtägt 3wölf - 
Dafe @ott uns }u einanber helf! 

©tili ift bie Rächt, 

Cr liegt unb tüncht; 

Die Uhr fdjlägt CinS — 

Äein Äiffen ift fo hart wie feinS. 

Run fällt in Ruh’ 

DaS Äug’ ihm ju; 

Die Uhr fcplägt 3®ei — 

©ad)t fdjteicht ber Äuppler Draum herbei. 

©ein ®cf)ä|}elein 
©chlüoft ju ihm ein; 

Die Uhr jcptägt Drei — 

Die grau SRama ift nicht babei. 

Cr (oft unb füfit 
Rad) fcerjgelüft; 

Die Uhr fchtägt Söier — 

SRit ©chatten tbut fi<h auf bie Zhür. 

grau gama naht; 

SSerrath! SSerratf)! 

Die Uhr fchtägt günf — 

$a, faubreS ©aar! ha, Schaub’ unb Schimpf! 

Cr fürdht’ fich nicht, 

Cr lacht unb fpvid)t: 

Die Uhr fchlägt ©echS — 
hinaus, bu neibifche 2BettcrI)e;’! 

©ie fdjturft hinaus, 

SRacht Särm im $auS; 

Die Uhr fchtägt ©ieben — 

©o ift bie lange Rächt geblieben? 


D ©onnenfchein 
Unb noch allein! 

Die Uhr fchtägt 8ld)t — 

Ach, mär’ ber Zag herumgebracht! 

©tan wirb gefielen müffen, bafi biefeS ©ebidjt, um einen 
Seffing’fdjen AuSbrud su gebrauchen, nicht im Äansteiftil ber 
Siebe, fonbern in einer Spraye gehalten ift, bie ihr füfiefteS 
©eheitnnifi wohllauteitb oerlünbet. 

Der Abfdjnitt „©ermifchte ©ebidjte" enthält bie ©erlen ber 
Sammlung. Der Siteraturfreunb begegnet ihnen aber hier nicht 
Sum erften ©tat, fonbern hat fie fdjon längfi wie gute ©efannte 
in fein #ers gefc^Ioffen. Sir meinen bie Dichtungen aus beit 
Romanen: „Die Äinber ber SBelt" unb „3m ©arabiefe". SßJer 
erinnert fich nicht t> er rührenben ffirfiheinung ©albetS, beS fronten 
• SBeltfinbeS, baS, aus bem aetherifdjen Stoff ber 3ean ©aut*fchen 
©eftalten erfdjaffen, fich iu ©etjnfucht oersehrt, aber nicht nach 
©herubim unb Seraphim, fonbern nach bem $immel menfdjlicher 
Siebe unb ©erfötjuung? ©ern leiht man wiebertjolt fein Dhr 
biefen Sautep, in benen ©alberS füfie ©Melancholie wehttagt. 
©ehören biefe ©ebichte boch su bem ©eften, was unfere philo; 
fofihifdje Sprif neuerbingS f>erüorgebracht h at! Desgleichen mufi 
ber prächtige £pmnuS „Zünftlers SBeiljnachtSlieb" aus bem Roman 
„3m ©arabiefe" bem ©orsüglichften beigesähtt Werben, was bie 
beutfihe Sprache in biefer ©attung fennt. SBie auf leichten SBogen 
wirb ber Sefer oon ben ©erfen in eine ©ebanfenwelt ooK herr* 
liehet gernfichten getragen. Die „gwölf Dichterprofile" ftnb 
Weniger geiepnungen, als ©üften su nennen. Rieht baS malerifdje, 
fonbern baS plaftifche ©lement wiegt oor. 3« ber gefäUigen 
Slrt, wie biefe Di^tertöpfe gemeißelt finb, betunbet fich eine 
oon $ehfeS liebenSWürbigften ©igenfehaften: bie neiblofc Einer; 
tennung fremben SerbienfteS. Diefe ©tebaittonS finb Heine Äunft; 
Werfe, halb mehr halb weniger fprechenb gehalten, suwcilen finb 
bie djarafteriftitchen güge fcharf herausgearbeitet, suweilen herrfcht 
bie tppifche ättgemeinheit oor. 

Die Hbtheitung „Sanbfchaften mit Staffage" ift eine Samm; 
lung oon StimmungS6itbern, bei benen bie Raturlprif burd) baS 
hineinfpietenbe fflfenfchengef^id belebt wirb, ©orherrfdjenb finb 
bie matten garben. 3« ihrer Detailfdhönheit erinnern biefe ©iiber 
an Etquareltmalerien, in ber geinljeit ihrer Ausführungen an 
Silberftiftseidjnungen. Der Dichter belaufet bie Ratur bei ihrem 
©rwachen, Währenb ihres geheimnigooQen Schlafes, in ber ©oefie 
ihrer oerfchiebenartigen Seleuchtung, aber baS AUeS erhält feine 
eigentliche Seele erft burch baS ©fenfehenhers unb bie Räthfel, 
Welche baSfelbe bewegen. 

©üt einigen gefuuben grüchten ber Spruchweisheit unb 
mehreren geiftOod gebachten, aber in ber allegorifchen gotm ni^t 
immer gans burchfi^tigen Dialogen nimmt ber Dichter oon feinem 
Sefer Etbfdjieb. ©r fcheibet nicht, ohne in ihm jenes reine unb 
erhebenbe ©efühl hrroorgernfen su hoben, welches nur baS echte 
&unftwerf erseugt. UeberaÜ erfreut man ftch an ber buftigen 
©lüttje einer humanen SBettanjchauung, nirgenbS oertiert man 
im Denfen unb ©mpfinben ben gufammenhang mit ben grofjen 
gragen beS DafeinS. Die Seetüre beS ^ehfe’fdjen „SfissenbuchS" 
ift ein frifdjer Drunt aus bem Quell echter ©oefie. 

(Eugen gäbe!. 


Die (ßeljeitimtihütodfier. 

©on ffebmtg Dohm. 

(SflluS.) 

Atte bie ©inwänbe su wiberlegen, bie gegen bie afonomifche 
Selbftftänbigfeit ber grau erhoben werben, oon ihrem „befecten 
©ehirn" auSgehenb unb bis su ber gurdjt oor einer SBeltanarchie 
fich oerfteigenb, würbe ©änbe füllen, ©erfdjiebene Schriften habe 
ich bereits biefer Aufgabe gewibmet. 3<h befdhränie mich hi er 
barauf, bie $aupteinmänbe noch einmal namhaft su machen, uub 
nur bei einem berfelben werbe ich etwas länger oerweilen. 


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396 


9t* ®*u«nnM»rt. 


Nr. 25. 


©rftenö pnbet man in ber ppppotogifcpen ©efcpaffenpeit bet 
Stau bie ©rünbe, bie ipr baS HauS als tpr Sphäre anweifen. 

©ei biefem ©inwanb oerfäprt man tnie bie fpanifcpe 3nqui= 
fttion, welche, anstatt bie Unflputb bet Angefiagten anjunepmen 
unb ihre Scpnlb beweifen ju taffen, getabe umgefeprt oerfupr. 

Stan entjiept ben Stauen bie ©etegenpeit, ipre Säpigfeiten 
ju entwidetn unb ju erproben, unb ftagt fie bann bet 3nferio= 
rität an. Stan öerfcptiept ipnen bie ©pmnapen, bie Unioerp= 
täten, bie Alabemien, bie Sacp= unb ©ewerbefcputen unb ruft 
i^ncn bann $u: 3pr tönnt nicht malen, nicht grieepifep tefen, 
nicht regieren, nicht häufet bauen, nicht ©efepäfte machen — 
atfo, man jüepte Such für baS HauS! 

Set Stopp bebarf im Allgemeinen, um Süchtiges ju leiften, 
einet grünbtiepen, foliben ©r&iepung unb günftiger ©ebingungen. 
©ur Staturen bon genialer ©egabung fpotten juweilen aller Hinber: 
niffe unb ber ©efepe fiufenweifer ©ntwidetung unb erreichen 
bie pöcppen Siele auch opne Schulung. 

©lögen immerhin bie Stänner ben Stauen überlegen fein; 
für ben perfömmliepen ©etrieb eines HanbwerfS, einer Sßiffen= 
jepaft, einer Kunft ober eines taufmännifepen ©eppäfts ift jeber 
®urepfcpnittSmenfcp, Stann ober Stau, peranjubilben; ein folcher 
©etrieb muthet Weber bem ©eift noch ben StuSfetn irgenb 
welche ejeentrifepe Aufgaben ober Kraftpüde ju. 

©ebt jebem beliebigen 2Jtäbchen guten lateinifchen unb 
griechifchen Unterricht, unb eS Wirb biefe Sprachen erlernen 
gerabe wie ber Knabe; fagt ihr: bein Seruf ift, bem Stanne 
ju gefallen unb Soilette ju machen, unb fie wirb ju pen ®on= 
fectionStaben wallfahrten, pe wirb Koletterie erlernen, an ©lobe* 
jeitungen glauben unb oon Sammt, @eibe unb Siebe träumen. 
Unterrichtet pe in ©otitif unb StaatSgefcpäften, belehrt pe, bap 
„Regieren" ihre ©eftimmung fei, unb fefjt pe auf einen Xpron, 
unb pe wirb als Königin fungiren wie irgenb ein Staun als 
König, ©ebt bemfelben Stäbchen Kochlöffel unb ©äpnabel in 
bie $anb unb macht ihr Weis, baS feien bie Attribute, bie ©ott 
für pe auSerWähtt, unb pe wirb lebenslang nach Stöglicpleit 
lochen unb nähen. 3<P behaupte fogar, baff eine Stau einen 
ganj richtigen ortpograppifepen ©rief ju fepreiben im Stanbe 
fein würbe, wenn pe bie Orthographie in ber Schule grünblich 
gelernt hätte. 

Seber Stenfch ift ein ©robuct ber ©rjiepung, bei bem baS 
©efchlecht gar leine ober nur eine fepr untergeorbnete Solle fpielt. 

SweitenS: ©in Hauptpinbernifj für bie ©mancipation 
ber Stau ift baS bem Stann angeftammte ©ewufjtfein feiner 
©uperiorität. Sich bie Stau als feineögteicpen ;u benfen, ift 
ihm eine paffenSwertpe ©orftellung. 

©>a8 ift eben ein Sorurtheil gleich bem früherer 3apr: 
hunberte, bap es ©flaöen geben müffe, ober ©ariaS, ober gelb= 
gelleibete 3uben, ober gleich bem ber ©annibaten, bie an ihr 
©edjt glauben, an ben non ihnen ©epegten ihre Kocpfunft unb 
ihre ©ourmanbife auSjutaffen. 

drittens ift eS bie Surcpt not ©oncurrenj, ber ©robneib, 
ber bie Stauen in eine beftimmte Sphäre bannt. 

Sfflie furjpcptig unb linbifch ift biefe Surcpt! Als ob eS 
in ber ©Belt nicht noch an Arbeitskräften fehlte, als ob bie 
©oncurrenj jwifepen Stann unb Stau nicht neue Kräpe ent- 
fepeln würbe! 

3n ©nglanb höben bie Stauen einen oiel gröperen Spiels 
raum für ihre 2patigfeit gewonnen, als eS bis fept in 2)eutfcp= 
lanb ber SaH ift. SBaprftpeinliep nidht beShalb, weil bie ©ng* 
tänber ibealen Sorberungen mehr {Rechnung tragen, weit 
©ereeptigfeit unb Stenfcpentiebe bei ipnen beffer gebeipen, fon« 
bern weil Pe ein praftifcpereS ©oll pnb als Wir. Sie engtifepe 
{Regierung tiep ttor einigen Saprjepnten ganje Stabüiertel 
nieberreipen, wo in elenben, ungefunben ©araden bie ©in* 
roohnerfepap bapinpeepte, unb baute an ipre Stelle gefunbe 
SBopnpäufer. S)ie Solge baoon War, bap bie Sterblicpleit unter 
ben ©ewopnero beS StabtbiertetS um niete ©rocente fanl, unb 
bie {Regierung bie ipr barauS erWacpfenbe ©ermeprung beS 
SationaloermögenS naep bieten Xaufenben bon ©funben berecp= 
nen tonnte. 


2)ie jwedmäpige ©erwenbung weibtieper Arbeitskräfte würbe 
baSfetbe Sefultat erjieten. 

Ser bierte ©inwanb enbtiep, ben wir etwas eingepenber 
bepanbetn wollen, wirb bon einer ©artei erpoben, bie in 3beas 
tität maept, unb auf beren Sahne baS .„@wig SBeibticpe" ges 
feprieben ftept. Sie fetbftftänbige Stau wirb bon ben ©er* 
tretem biefer Sicptung im Sicpt eines robuften StauenjimmerS 
gefepen, bie baS Siechten unb SBeben ber pimmtifipen Stofen 
auper ©ourS fept unb ©efapr läuft, im Kampf um’S Safein 
ipre Sitberftimme, ipr ©rrötpen unb ipren „unauöfpreepliepen 
Suft" einjubüpen. Sie wirb in ber ©orftellung biefer poepes 
erfüllten ©emütper ju einem Unlraut, wäprenb pe boep eine 
©turne fein foH, bie in'S ©taue pineinbuftet, ober ein Stern, 
ber in ber $öpe fepnfucptSboll blinft, ober eine AeolSparfe, bie 
nur ein Haucp bom Stunbe beS StanneS befeelt, ober eine 
©tiePerin, bie am heiligen $erb ber Kücpe beS reinen SeuerS 
püte, bamit baS faftige ©eeffteat iprem $errn wopt fepmede 
unb betomme. ©in überall äuperft getobter ©rofePor ber 
Sationalölonomie ftöpt fotgenben Angftruf auS: „ SBenn Alle 
(Stänner unb Stauen) baSfetbe wären unb alle Kräfte baSfelbe 
tpäten, fo ftänbe baS Seben bei feinem ©eginn an feinem ©nbe. 
Ser Unterf^ieb, baS gröpte ©epeimnip in einer SBelt, bie auf 
ber 3bee ber ©teieppeit in SEBefeu unb ©eftimmung beb Stoppen 
berupt, ift bie ewige Quelle beS Sebenbigen." 

SaS fugenblicpe ©atpoS biefer ©ebe ift etwas oerworren. 
Ser begeifterte ©rofeffor will bamit nur fagen, bap bie Stau 
innerhalb, ber Stann auperpatb beS $aufeS tpätig ju fein 
pabe, wenn ©rftere niept ipreS ©ef^tecpteS oertupig gepen wolle. 

„SBenn Alle baSfetbe tpäten, fo ftünbe baS Seben bet 
feinem ©eginn an feinem ©nbe." So müpten wir längft am 
©nbe ftepen; benn ber Stängel an ©erfepiebenpeit, ben iener 
$err fo energipp füreptet, ift gerabe in Solge ber bisherigen 
gefeüppaftticpen Suftänbe tpatfäcpticp »orpanben, WenigpenS WaS 
bie Srauen betrifft. 

Unfere Stauen tpun fo jiemlicp Afle baSfetbe. ■> 3puen ift 
opne ©üdfiept auf ©egabung unb ©parafter biefetbe Arbeit, bie 
Hausarbeit, aufgejwungen. Stan bepeptt ipuen baSfetbe %m- 
perament an, Sanftmutp, ©ebulb, Setbftoerleugnung u. f. W., 
benfelben btumenpaften Seelenjuftanb, biefetbe einfache AuS: 
ftattung ipreS SentorganS. 

Stan benfe, wenn bie Stänner alle baSfetbe tpäten, etwa 
alle alte tateinippe ScpripfteHer commentirten, ober wenn alle 
©laoierftimmer wären, ober dapnärjte, ober Kellner — wen 
übertiefe es niept falt bei einet fo abenteuerlichen ©orftellung? 

Stan fepeint anjunepmen, bap baS weiblitpe ©efepte^t pt 
unb fertig, geftempett unb geprägt baS Sicpt ber SBelt erbtide, 
unb am ©nbe müffen wir eS unferen Srübem noep als befonbere 
Soleranj anreepnen, bap pe niept oon allen Stauen biefetbe 
Haar« unb Augenfarbe gebieteripp fotbern. Unb in ber Spat, 
wir pnben biefe Soteranj niept überall! Scp erinnere miep, 
nach ben Siegen in Stanfreicp einen begeifterten 3eitungSartifet 
getefen ju paben, beffen Autor bie beutf^en Stauen in ooQem 
©rnp ermapnte, bap Pe pep ber gropen Siege würbig machen 
unb e(pte beutppe btonbe Stauen werben möchten. 

3<p tann biefen SBunfcp faum alberner pnben als ben 
©rtap an bie Stauen: 3pt foflt fanftmütpig fein unb unter: 
würpg u. f. W. 

Steinte man eS mit fotepen Sorberungen emftpaft, fo müpte 
man allen Stännern, bie energippen unb feurigen Temperaments 
ober ppwarjpaarig pnb, baS Hoitatpen oerbieten; benn befannt: 
tiep nepmen pcp’S bie Xöcpter nur ju oft perauS, ©parafter unb 
Haarfarbe oon ben ©ätern ju erben. 

Sollte fener ©rofeffor, als er oon ber ©erfepiebenpeit 
iWifcpen Stann unb Srau baS Seben abpängig machte, niept 
fomopt bie ©erfepiebenpeit ber inbioibueüen ©igenart als bie 
ber ©erufSarten im Sinne gepabt paben, fo liepe pep ja äugen: 
ppeintiep auf ©runb ber oon unS geplanten SBettorbnung unb 
burep forgfättige AuSwapt ber ©pegatten bie bentbar gröpte 
©erfepiebenpeit jwifepen ben ©efepteeptero erjieten. 

©S fönnte j. ©. ein lobtengräber eine Hebamme pep jnr 


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Nr. 25. 


it t • 


897 


©attin erliefen, ein Vftronom ein weibliches SBefen, baä unter 
ber Stbe in Vergroerfen arbeitet. Sin Vegetarianer rnüfjte 
eine Stau ehelichen, beten SieblingSfpeife in rohen VeefftealS 
befielt, ein ©dhornfteinfeger eine Xante, bie fi<| ber Weiften 
©djminle bebient, unb ber Siachtwädhter müfjte ein SBeib, baä 
StadjtS ftd) eineä gefunben, tiefen Schlafs erfreut, heimführen. 

Xie Stauen in ben ERittelflaffen finb in ber Xhat burch 
gteidjmäfjige Muferjie^ung unb' Stbfperrung oon ber SBelt ihres 
inbioibueöen ©eprägeS beraubt unb ber SDte^rja^t nach ju 
SRarionetten begrabirt worben, bie an ben Drähten gewiffer 
Siegeln unb Sonoenienzen beliebig gezogen werben. 

Xern SBunfdje beä ^rofefforä nach Verfdjiebenljeit wirb 
erft bann entfprochen werben, erft bann werben bie Stauen ju 
ooöen, freien 3nbioibuatitäten ftc^ entfalten, wenn bie ©rjie^ung 
gewedt haben wirb, waä in ihnen fdjlöft, wenn jcbe Stau 
„nach ihrer Sa?on" felig werben lann, wenn man fie nicht mehr 
für ben 2Rann, fonbern für fi<h erziehen wirb. 

SRag fie ju biefem 3wed immerhin bon ihrem angeblichen 
Viebeftal herunterfteigen; ich benle, eä ift beffer, ein ganzer 
äRenfdj p fein, alä eine h<tH>e ©öttin. 

SEBaS bisher burch bie Verweifung ber Stau auf baä §au$ 
unb bie ^ä.u«tic^en Verrichtungen erzielt würbe, ift nicht Ver« 
fchiebenheit, fonbern — Xrennung ber ©efdhledhter. 

Sacharbeit, fagen bie Vertreter biefer ben Stauen feinb- 
liehen Sichtung, erzeugt trodene, pebantifdje unb poefielofe Sn« 
bioibuen. Saft ein jeber SRann ift ein Sadfjarbeiter unb, wenn 
eä nidht unweibtich unb inbiScret erfcheint, möchte ich weine 
äReinung bahin auSfpredhen, baff ich unter biefen Sachwännern, 
unter SRännern, bie über VedjtSalterthümern brüten, ober bie 
in Del malen, ober an ber Vörfe mit papieren hanbeln, auS« 
nehmenb liebenäwürbige Sjemptare ber SRänntidhleit angetroffen 
habe, SRänner oon Orajie unb ©emüth unb oon feinftem Xalt. 
Sä will mir fcheinen, bafj öerfdjroben, troden unb pebantifdh nur 
SDtenfdjen mit befdhränlten Äöpfen, engen §etjen unb bürftigeu 
Xeniperamaiten fich jeigen werben. 

Db nun berartig ungünftig oeranlagte Stauennaturen mehr 
©pieträum für bie Sntroidelung ihres unerfreulichen ©hatafterS 
bei ernfter methobifcher Ärbeit, ober bei ben jerfplitterten IjäuS« 
liehen Verrichtungen ftnben werben, mufj minbeftenS zweifelhaft 
etfdheinen. 

S&herinnen, fBäfdherinnen, Vlätterinnen treiben iht §anb= 
wer! nicht jnm Vtioatoergnügen, fonbern als anftrengenben 
Veruf, unb meines SBiffenS ift es noch SRiemanbem aufgefallen, 
bafj biefe Xamen fich wefentlich Oon ben im #aufe arbeitenben 
Srauen ihres ©tanbeS, etwa burch einen ©hatalter mit SRanb« 
fohlen, burch ungemütliche XidfeHigfeit, ober mit ©dhwefelfäute 
oerfe|te ©efüljle unterschieben hätten. 

Sn bem bekannten Dueüenwerfe oon ©uftao Stemm, ,,@e« 
fehlte ber Stauen", muh biefer gegen alle Stauenbeftrebungen 
geljäffig gefinnte SRann zugeben, bah bie Slehrjahl ber Stauen, 
bie fich in Sunft, Siteratur unb ißotitil, als Slerjtinnen, als 
©eteljrtinnen u. f. w. auSgejeidhnet haben, bortreffliche ©attin« 
nen unb SRütter gewefen finb. SS lam atfo bei Srfüüung 
ihrer mütterlichen Pflichten ihre Xhätigteit gar nicht ober nur 
förbentb in Vettadjt. 

S<h begreife audh in ber Xhat nicht, was für einen oet« 
ebelnben Sinfluh es auf meine Sinber haben fottte, wenn ich 
j. V., anftatt biefen Stuffafe ju fdhreiben, in berfeiben Seit am 
Plättbrett ftänbe ober an ber Stähmafdhine fähe, ober wenn ich, 
anftatt ber Seetüre eines wiffenfchaftlidjen VudjeS objuliegen, 
mich mit meiner Södjin in bitteren Secenfionen über bie Sleifch« 
unb Sierpreife ereiferte. 

3Ran nimmt an, bah in ber SRutterfdjaft ber Veruf ber 
SRutter gipfele. 

SBaS aber eine Stau p einer guten SRutter macht, ift ein 
Warmes $erj, eine eble ©efinnung, eine entwidelte SnteQigenj; 
nicht aber bie fentimentale Vorliebe für eigengeftopfte Strümpfe, 
felbftmarinirte geringe unb XamaftferOietten, nicht bie Eingabe 
an bie Söfung oon SBafch«, Sodh« unb Xienfibotenfragen. SEBenn 
eine Xame, bie laltblütig einen lebenbigen Stal fchtachtet, eine 


gute ©attin unb SRutter fein lann, fo felje ich leinen ©runb, 
an ber SRuttertiebe einer Stau p zweifeln, bie SRufter zeichnet 
ober Vüdher führt. 

UebrigenS fchtiehen wiffenfchaftlidje Senntniffe bie wirtfj« 
fdhaftlidhen leineSwegS aus. 

SS lann eine Stau eine oortrefftiche Suppe lochen unb babei 
oergteidjenbe ©pradhwiffenfehaft treiben. SS lann eine Stau in 
einem Vufen, an ben fie zärtlich iht junges ftinb btüdt, wett« 
bewegenbe Sbeen tragen. 

SBaS ift weiblich unb was ift unweibtidj? SS ift 
unweibtich, Vücher p binben, Vüdher p führen, Vüdher p fehret« 
ben, Sbelfteine p faffen, optifche Snftrumeute herpfteQen, SRufter 
p jeidhnen u. f. w.; aber es ift weiblich, Vaufteine p tragen 
(wie es in Deftreich oon Stauen gedieht), auf bem Selbe unb 
in Sabrilen bie fdhwerften, fdhmu|igften unb anftrengenbften Sir« 
beiten p Oerrichten. SS ift unweiblich, Slerjtin p fein, aber 
es ift hodjfteibtich, als ßranfenwärterin in Sajarethen SRänner 
p oerbhtben unb p pflegen, obgleich biefe Xienfte oiet auf« 
reibenber, wiberwärtiger unb bie Sleroen jerrüttenber finb als 
bas, was oon ber Slerjtin geforbert wirb. 

SS ift weiblich, öffentlich p fingen, aber es ift unweibtich, 
öffentlich p fprechen. XaS ©efdhledfjt, baS p f^wadh erfcheint, 
griedhifch p lernen ober SRathematif p treiben, ift ftart genug, 
bie lotoffatften Saften auf bem prten 9tüden p tragen. 

SBarum fragt ÜRiemanb: was ift männtidh unb waS ift uu« 
männtidh? Sft es männlich p fdhneibern, p nähen, p lochen, 
p baden, in Säben Vanb unb ©eibe p oerlaufen u. f. w.? 3« 
früheren Seiten oerargte man pweiten ben SRännern fotche Ve« 
fcfjäftigungen. 3n einer Petition an bie SorteS unter VhiltyP H- 
würben bie ©djneiber als unnü|e Seute benuncirt, bie, anftatt 
Wie SRänner ben Voben p befteüen ober ©einer SRajeftät im 
Kriege p bienen, nach 5ltt ber SEBeiber mit Stäherei befdhäftigt 
Wären. (1573.) 

SS ift oft bie fdhwerfte unb härtefte Strbeit, bie ben Srauen 
pgewiefen wirb, weil fie ben SRännern nicht gefällt ober p 
fchledht bephlt Wirb. Sä fdheint, wo es fich um fotche XCrbeit 
hanbelt, gilt bie Srau nidht nur für gleichberechtigt, fonbern für 
eine bem SRanne überlegene Äraft. Xer arme SRann fragt nidht: 
ift baS Weiblich ober nicht? Sr fragt: oerbient beine Stau 
ober Xodhter bainit ©etb? Sluth ber Sabrilherr nimmt auf baS 
©efchlecht feiner Arbeiter leine Stüdficht, fonbern nach bem ©runb» 
| fah: „Viel Strbeit für wenig ©elb" bebient er fich uiit Vorliebe 
! ber Srauen pr Verwerthung feines SapitalS. 

Xie Stnfchauungen über baS, waS weiblich ift ober nicht, 
wechfetn nach Seiten unb Sänbem in überrafchenbfter Seife. XaS« 
jenige, was nach ben Vegriffen ber Vergangenheit echt weiblich 
war, erfcheint ber ©egenwart oft im höchften ©rabe unweibtich 
unb umgelehrt. 

Btäumtidhe Xifferenjen, bie oft nur wenige SReiten betragen, 
bebingen biefetbe Verfchiebenheit ber ttnfdfjauung. 

3Ran geftatte uns, einige Veifpiete biefer na^ Seit unb Ort 
wechfetnben SReinungen anpführen: 3m SRittelalter war baS 
feiten ber Uranien eine burdhauS weibliche Vefdjäftigung; ba« 
gegen hätte felbft baS fdhamtofefte ffieib nicht gewagt, auf ber 
Vühne als ©chaufpieterin aufptreten. 3« Sonbon würbe 1629 
eine franjöfifdhe ©chaufpietertruppe auSgepfiffen, weit fie pm 
erften 3Rate ben Verfudh machte, bie weiblichen Vollen burch 
Srauen barfteQen p taffen. 

Vodh in meiner 3ugenb war baS Viertrinlen jungen 9Räb« 
<hen nicht geftattet, ober galt wenigftenS für äufjerft unziemlich, 
^eut genirt fich b* e jarte^e Sungfrau nicht mehr, in öffentlichen 
Socateu mit ©emüthSrulje eine „Srlanger" ju confumiren. Stau 
oon Serther machte in ben achtziger 3al)rcn beS Oorigen 3ah« ; 
hunberts in Seimar einen Verfudj z unt ©chtittfchuhlaufen, ein 
unweiblicheS Veginnen, baS ©taunen unb ©dhreden h'roorrief. 

SRadh Vamberp müffen bie Srauen in Vodhara (3nbien) 
in engen unb buntten Kleibern gehen, bie SRänner bagegen tragen 
weite unb hellfarbige. 

Stach $erobot tag es in Slegppten ben SBeibern ob, bie 
Sinläufe auf bem SRarfte zu machen; in ©riechentanb bagegen 


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898 


Hit «cflcitttmrt. 


Nr. 25. 


galt baS ©infaufen auf bem ©tarfte für burcljauB unmeibtidfj. 
©tänner befolgten es. 

3n ©ubieit (fo berietet ©rnft ©tarno iu feinen Steifen 
im ©ebiet beS blauen unb rneißen Stil) gatten alle ©erridjtungen 
im §au8halt für eines freien SBeibeS untoftrbig, unb fetten üer= 
heiratbet fid^ eine ©ubierin, ohne eine ober mehrere SKaoinnen 
ju bebingen. 

Slucb in ©ngtanb berliert baS junge Stübchen, baS §auS= 
arbeit »errietet, ihre «Stellung in ber ®efettfchaft atS „Dame", 
mährenb bei uns ein folcheS junges ©täbchen baS nominelle 
Sbeal ber ©efettfdjaft ift. 

Die unferen Gegriffen miberfprechenbfte Stuffaffung bon 
Frauenberuf finben mir in einem Stamme StmerifaB. Hubert 
|»ome ©ancroft erjäbtt in feinem Such*. „The Native Baces 
of the Pacific States of North America“ bon ben Stenten, baff 
bie ©tänner biefeS Stammes eine Snja^t Frauen nehmen, um 
jldj bon ihnen ermatten ju taffen. 

Sn einigen Stämmen ©engalenS, bei ben ÄifanS, mürbe 
eine Frau, rnenn fie fo eitel märe, ftd) t&tomiren $u taffen, als 
unrein oerftoßen merben. SBenige ©leiten rneiter, in einem anbern 
Stamme, ift bie Dätomirung ihre ©flicht unb iljr ©edE)t. 

Sn Sfjina, mo feine Frau geteert genug ift, ohne $ütfe 
einen ©rief ju fdjreiben, mürbe eine Frau, bie ein folcheS SEBerf 
ju Stanbe brühte, für ein anftößigeS ©eifpiet bafür gelten, mie 
meit eine Frau fich ihres ©efdfjlechts begeben lönne. 

Sn ©ngtanb gilt es für unmeibtidlj, mie uns ein bort jüngft 
erfdjieneneS ©ueh belehrt, menn ein junges ©täbdjen in einer 
©efettfdjaft ©acfmetl fterumreidien mollte. Diefe ©flicht liegt 
jungen ©tännern ob. 


Die Frauenbemegung ber ©egenmart ift feine roittfürliche, 
fonbern fie ift tjerborgerufen butch baS eifeme ©efefc ber ©o tfy 
menbigfeit 

Srber ©tenfdj, auch bie SBittme unb baS alte ©täbchen, 
motten teben. Um ju teben bebarf man bet Säoljnung, föteibung 
unb ©a^tung. ©eftreitet bie menfdjtf^e ©efettfcßaft, baß bie 
Frau gleich bem ©tanne im Schmeiße tyreS ftngeficijts iljr ©rob 
ju ermerben ^abe, fo müßte ber Staat für bie Unoerforgten 
eintreten. @r müßte jebet bebürftigen Frau ihren SebenBunter; 
halt fiebern, unb jmar in einer ihrer ©rjiebung unb ihren %e- 
mobnbeiten entfpredjenben SEBeife. @t muß Sorge tragen, baß 
j. ©. ber ©eheimrathstodjter SbenbS ihr Dljee, inctufioe belegtes 
©utterbrob, unb Sonntags ein Keiner $afe, eine ©ans, ober 
irgenb ein anbereS jum ©ebuf beS ©ratrnS geborneS ©efchöpf 
ferbirt merbe. ÄuS öffentlichen ©tittetn muß für fte ab unb ju 
ein Dbeaterbitlet, eine Keine ftaffeegefettfdiaft, ein Dienftmabchen 
für ©IteS, unb im Sommer eine befdjieibene ©abereife, unb märe 
es au<b nur nach Äöfen ober ©tiBbrop, beftritten merben. 

Seinen aber Staat unb ©efettfdjaft oorneljm jebe Serant= 
morttidhfeit für bie ©efdjaffung ber ßOrper; unb Seetenbebürf; 
niffe ber unoerforgten Frauen ab, unb ertauben ihnen ©efefc 
unb ©efittung niept, bie überftüffigen SBeibtt nach Dtrt ber 
Staaten gemattfam ju entfernen, fo begeben fie ein ©erbredhtn, 
menn fie ben Frauen irgenb melcpe ©rmerbSquetten Oerfdjließen 
unb bie „meibtidhe Sphäre" ju einem ©ö|enbitb machen, bem 
fie alljährlich Daufenbe bon Frauen tattbtütig opfern. 

©tan beginnt attmählidj, bem meibtichen ©efdjtecpte unter; 
georbnete ©rmerbSquetten ju Offnen. Damit ift nicht attjnoiet 
gethan. Stbhütfe für Hebet ju fdhaffen, ift gemiß tobenSmerth; 
tobenSmerther aber ift es, ben Säurjeln beS UebetB nadbjufpüren, 
fonft mäepft es nach, mit bie ftöpfe ber $pbra. 

@8 gibt für bie Frauen feine #fltfe atS bie Scei^eit ber 
Arbeit, unb biefe Freiheit muß eine unbefdjräufte fein. 

i»ht unb mieber tatht man in Deutfchtanb noch über bie 
Sbee ber ©mancipotion ber Frau oom ©tann. ©idjt jebe Sbee, 
bie oerlacht mirb, enthält eine emige SBaljrbeit. fßtincipien aber 
bon fo mettumfaffenber Dragmeite mie biefe, Sbeen, bie ju ihren 
©ertreterinnen bie erften unb intettigenteften Frauen, menn auch 
nicht DeutfdjlanbS, fo hoch ©ngtanbS unb ItmeritaS jäljlen, 
fottte man nidjt banalen ©prafen gleich mißachten ober fie als 


abenteuerliche ©rillen unb Schrullen ignoriren. 3m ©egen; 
tljeit, man fottte fie mit feiertichem ©rnft unb tief unb grünb; 
tidh prüfen. 

Freilich, mir finb ja alte pljitofophifeh gebitbet genug, um 
ju miffen, baß jebe äBahrpeit, menn fie mirttidh eine folepe ift, 
fidj mit ber ©othmenbigfeit, mit ber bie ©eftirne ihren 8reiS= 
tauf betreiben, ©ahn bredhen muß — mit ber 3*‘t- 

SBir bürfen aber barum ben Äpoftetn biefer neuen Sehre 
oon ber ©tenfdhmerbung beS SBeibeS ihren oft ungeftümen ®ifer, 
mit bem fie bie düfunft in bie ©egenmart oerfe|en mochten, 
nicht oerargen; benn — mer möchte nidht baS ©lorgenrotlj ber @r= 
fttdung fehen? 


(Eine fratt;oftfd)e fiteralnrßefdjidjtc. 

?tn SBerfen über frangOfifdhe Siteratur ift befannttich fein 
©langet; unter SanbeSfinbera unb WuStänbern blüht auf biefem 
©ebiete frifcher, fröhlicher Säettftreit. Die üoHftänbige literarische 
©emerbefreiheit hat hier fchon manches ©ute ju Dage geförbert, 
auch feljr DrigineDeS atlerbingS, oon bem man nicht fofprt be¬ 
haupten mochte, baß es gerabe gut fei; unb fo motten mir auch 
oon bem uns oortiegenben ffierfe, baS fidh über baS XIX. Saht 5 
hunbert oerbreitet, nicht fagen, baß ein teifer ober ftärferer 
Sunftjmang nicht mttnfchbar gemefen mare, ein fotdher nämlich, 
ber baS ©rfcheinen beSfetben unmöglich gemacht h^tte. „DaS 
heißt ein großes SSort getaffen unb ungenirt auSfpre<hen", merben 
unfere Sefer benfen; aber fo böS ift’S nicht gemeint. SBir 
meinen nicht baS franjöfifche SBert, fonbern bie beutfehe 
Ueberfefeung. 

©S ift auf bem titerarifchen ©tarft fchon üiel geringere 
ÜBaare ausgeboten morben, als bie in Frage ftehenbe „Franjöfifche 
Siteratur beS XIX. Sahrhuiri’ttiä Oon J. P. Charpentier; in- 
specteur honoraire de TAcadSmie de Paris“, fauin aber je eine 
eigentümlichere Ueberfehung als biefe, nodh baju „autoriftirte" 
beS §erra ®. ®h- Otto, bei bem bie Firma ©. Ärabbe in 
Stuttgart arbeiten täßt. Seiber haben mir baS Driginatmerf 
nicht jur §anb unb müffen uns mit feinem Stbgtanj in bet 
Ueberfefeung behelfen; aber biefeS ehrlich gemeinte „leibet" hat 
hoch, mie jebeS Ungtücf, auch mieber ein ©tücf im Schoße: mit 
lernen babei jrnei ©rößen, ben Stutor unb ben Ueberfeher, mit 
einem ©late fennen, jenen atlerbingS nur mit ber ©eferoe, melche 
ber gütige Ueberfefjer ju oerfchulben geruht hat. 2e|terer mollte 
nun einmal partout unb a. tout prix eigenthümtich, er moDte 
ein origineller Dofimetfcher ober ein boßmetfcheubeS Original 
fein, er mollte- 

ttber beffer, mir fpredhen juerft oom mirKtchen Äirtor; ber 
©achf^Opfer, $err Otto, mirb uns biefe rein chronelogifche ©üd= 
ficht nicht als oerbrießtidhe änmanbtung beuten motten. 

Htfo: bie oier fehabtonenmäßigen, aber gteichmoht richtigen 
©ruppen, gebitbet burch „baS erfte Äaifetreich", „bie ©eftauration", 
„baS SutifOnigthum" unb „baS jmeite Jtaiferreich", webft obligater 
©inteitung (bie fi«h übrigens ganj gut unb glatt tieft, fobatb 
man fl<h über ben echt franjOfifchen, baS heißt fenteutiöfen, man 
mOdhte fagen apobictifch-rhetorifchen Don hinmegfe|en faun) unb 
ein oergteidjenbeB ©6fum6 über bie oier ©pochen am Schluffe. 
Säer auch nur biefe beiben ftbfchnitte forgfättig tieft, erhält bie 
Ueberjeugung, baß man mit einem bentenben unb, maS oiet 
fagen mitt, oerhättnißmäßig oorurtheilsfreien, menigftenS nicht 
alle Donarten beS ©ationatbünfetS fpietenben Franjofen ju thun 
habe, ©eifpiete? Sogar ©oltaire, ber unfterbli^e ©ottaire, 
muß fich hier ganj bebeutenbe Spmptome feiner Sterblichfeit 
unb $infälligfeit herjähten hören, ganj abgefehen baoon, baß er 
in feinem „heroorragenben SBerf" übet bie „©efdhidjte ©ußtanbS" 
(hörtü) „manchmal etmaS oon ber Säahrheit abmeicht"! Ferner: 
„ber ©outan hat bie ©efettfehaft mehr oerborben, als gefchitbert". 
©elannttidh hat baS and» ©oiteoin in feiner „Döoadence de la 
litttr. fran?“ behauptet unb mir Deutfche theiten biefe Snfichh 


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Nr. 25. 


91t Äegenwart. 


809 


nämlich in iljrer 8efd|rän!ung auf bie franjöfifche Siteratur 
(wobei Wir und bodj ein SBenigeS non bent Setvagen beS bruft* 
fdjlagenben BöHnerS im ©oangelium aneignen bürften) — aber 
»nie niete bet franjöfifchen ffritifer unterfdjreiben wo!jl jene Set» 
urt^ettung? 

Zer ©erfaffer — unb baS mu|, leibet, als löblich gepriefen 
werben, wäljrenb es im ©runbe blo$ natürlich unb felbftoerftänblidj 
ift — nimmt feinen ejdufioen ©arteiftanbpunH ein: et ift tolerant, 
unb wenn et and) an $ettn Seuittot nichts ju tabeln, im ©egen* 
iljeil feine „überreiche, biebete(!), OollSthümlidje ©egeifterung" 
heroorjuljeben weil, wenn auch ©tonfeigneur Zupanloup „als 
©ifdjof, als gutet Mitbürger unb als Patriot mit feinem 6ifer 
überall hinbringt, wo eS ein ©ed)t ju oertheibigen gibt", wenn 
iljm, nämlidj bem ©etfaffet, bie mobeme ftanjöfifdje fßoefte auch 
„als heibnifdj unb alejanbrinifd)" erfdjeint (weil fie fid) nämlich 
„mit ben trügerifcfien unb oergänglichen garben beS ©antljeiSmuS 
gefchmüdt hat") — fo befttebt et fich boch möglichster Dbjectioität, 
unb eS ift au|er ben genannten ©teilen nicht leicht heraus* 
jufüljlen, wohin feine religiöfen unb politifdjen Sptnpathien 
neigen. Mudj in fpradjfichen Singen hat er (bet franjöfifche 
Mfabemifet, man benfe!) ein freies Urtljeit. 6t anerfennt, unb 
jwar beiftimmenb, ba| bie neuen ©Uten, bie häufigeren ©ejieljungen 
ju fremben ©ölfern, bie langen unb zahlreichen Kriege, Steifen 
u. f. w., ferner bie au|erorbentlid|e 6ntwicfelung bet SBiffenfchaft 
unb gnbuftrie, bet ©brache einen ©eidjthum oon neuen SBenbungeti 
unb SBörtera jugefülirt haben, boch, meint er, fei bieS nicht ohne 
einige ©efaljr abgegangen — unb jwar fei bie ©reffe hier bie 
böfe ©tiefmutter; fie charaftetifite fidj burd) $afd)en nach neuen 
SBörtern unb manchmal fogar führe fie Segler wiber bie Stein* 
heit ber Sprache in baS friebliche #auS, fo bie Mrdjiteften ber 
Mfabemie errichtet; ja, ein befonbereS SBörterbud) führe fie, 
„baS — huf)! — nicht mit bem ber Mfabemie übereinftimme"! 
ZaS muffte er boch fagen, Wenn er, ber Mfabemifer, nicht oon 
feinen eigenen Kollegen oeroehmt werben wollte. Ober hätte er 
fdjweigen, hätte er ohne irgenb einen anathematifdjen ©ejtuS 
Oorübetgehen foHen an jenem qualmenben ©chwefelpfuhl? 6s 
ift ihm bod) nid}t fo emft mit feinem atabemifdjen „Apage, 
Satanae!“, benn er fpridjt in grö|ter Seelenruhe weiter: „SBie 
bem auch fei, in ber Sprache fanb eine glüdtidje, frudjtbriugenbe 
Steuerung ftatt"! 

SBenn einmal jugegeben ift, ba| eine folche Steuerung Stoth 
tljut (unb Welcher ©erftänbige unter Zeutfdjen unb granjofen 
gibt baS nicht ju?), welchem Duett foU fie benn entftrömen? 
gjt nicht, bei uns wie in granfreidj, bie ©reffe ber einjige 
Sorn, ber aus bem Schachte ber Sialefte hie unb ba einzelne 
Äömer mit fid) führt, bie ber Seib ber Sprache ju feiner ©r* 
frifchung in fich aufnimmt? — 6S ift aber gar nicht jebeS 
granjofen Sache, ju meinen, auch bie ftanjöfifdje Siteratur müffe, 
um |ch ju erfrifchen, ein wenig in ber gtembe ftdh umfeljen. 
MnberS urteilt unfer ©etfaffet: er gibt ju, ba| ber granjofe 
in feiner Siteratur wenig ioSmopolitifd) fei unb fein £>eim nicht 
gern Oerlaffe. „68 tönnte ihm aber" — fügt er hinju — „gar 
nicht fdjaben, wenn er ein Wenig in bie grembe ginge, um fich 
oon bem ju unterrichten, was aufjer ihm oorgeht, bem geiftigen 
Seben ber anbem ©ölfer ju folgen. 6r, ber lange an ber 
Spifce ber Kibitifation ftanb (baS natürlich!) mu|, wenn er 
biefe Dberherrfdjaft nicht oerlieren will, fich aR ber auSlänbifchen 
Duelle laben unb erfrifchen." 68 wäre, beiläufig bemerlt, feljr 
ju wünfchen, bafj einmal bie ftanjöfifdje Mfabemie fich bemüfjigt 
fehen möchte, eine ©reiSaufgabe ju fteflen über ben in granfreich 
lanbläufigen ©egriff „6ioilifation". 6r ift nämlich gar nicht 
fo einfach als eS fcheint, unb je nach bem oon einer h<>h* n 
atabemifdjen ®erid|tSbarfeit fijirten 6ur8 beSfelben bürfte Oiet- 
leicht Oon anbem Stationen Kinfprudj erhoben werben. 

B« jenem unjweibeutigen MuSfprud) beS SelbftgefühtS trägt 
eben nid)t wenig ber Umftanb bei, ba| ber granjofe oon ber 
Knltur beS übrigen ©uropaS eben fo Wenig ©otij jn nehmen 
pflegt, wie Oon beffen Siteratur. Se^tereS gefleht ber ©etfaffet 
ja, wie wir eben faljen, fetber ju, unb fpecieH oon ber beutfchen 
fagt er aufrichtig unb ehrlich, ba| man in granfreidj, trofc bem 


©organg ber Stadl, oon Schiller, ©oetlje, Äant unb ^egel 
„Wenig wiffe". ®a8 wäre nun atterbingö boch au <h <in wenig 
nöttjig, wenn man in ©ejug auf bie Kioilifation unb ihre §eimat 
competent fein will. ®roh attebem h<tt bie Schiefheit beS UrtheilS 
(bie natürlich h^ wie in allen franjöfifdjen Schriften über ben 
eigenen $auSf)alt ju Zage tritt) etwas gnoffenfioeS: man merft 
unb fpürt eben boch ben ©ulsfdjlag beS ©atriotiSmuS heraus! 
SBenn Kljateaubrianb — oerficht fich, unter einer gluth oon 
SobeShhmnen — wegen feiner „poetifdjen ©rofa" getabelt unb 
biefer bie ©erechtigung abgefptodjen wirb, wenn berjelbe Schrift* 
fteHer auch wegen feiner „©efühlSreligion", bie mit bem ©erftanb 
boch nuf gar ju gefpanntem gu|e flehe, fich eine MuSftettung 
mu| gefallen laffen, fo muthet und eine folche Selbftfritit (benn 
baS ift eS fo jiemlich für einen granjofen) wohlthuenb an, aber 
wir fönnen auch nicht jürnen, wenn eS oon bem befannten (aber 
nichts weniger als egemplarifdjen) ©hitologen ©oiffonnabe heilt: 
,,©ei ihm war baS ©riedjifche faft jn einer göttlichen 6in* 
gebung geworben", unb „wer aitifcheS ©alj unb geiftootle gein* 
heit liebt, ber lefe feine lateinifdjen Sorreben" u. f. w. Säbeln 
werben wir auch, wenn ber Schwärmer ®taf oon Saint Simon 
„mit ©echt" bet franjöfifche ZacituS genannt wirb, wenn eS bon 
©nffon hei|t, er habe in feinem SBerfe „Introduction 4 l’histoiro 
de l’homme“ „Har bie Unfterblidjfeit ber Seele enthüllt" (armer 
®arwin! noch ärmerer f?ädel!) — lächeln fag’ ich, ui 161 nicht 
unwillig ben Sopf fchütteln. 

©ebenflicher wirb allerbiicgS bie Sache, Wenn ber franjö* 
fifdhe Mfabemifet beS MefthetiferS MnbrS Mbhanblung „über baS 
Schöne" eine „6ingebung beS göttlichen ©lato unb beS — heiligen 
Sluguftin" fein Iä|t! Zer heilige Muguftin als ©atron beS 
Schönen! ®a8 ift WenigftenS neu unb man barf beinahe Oer* 
muttjen, ba| bem ©erfaffer hier, wie fo oft jenem ^eiligen, 
etwas SRenfdjlidjeS pafftrt fei unb ber unheilige ©lotinuS bort 
einjutreten habe. 

®anj abfonberli^ Hingt ferner bie ©ehauptung, ba| ©ictor 
$ugo, ben ftanjöfifchen ©omantifer ex officio, „baS bramatifche 
Zalent oößig im Stich l“ff*". greilich, Wer in beffen belanntem 
Zrama „Le roi s’amuse“ nichts mehr unb nichts weniger fieht 
als „ben Ztiumph beS ©arten über ben ßriegSmann, beS fi'rüp* 
pelS über ben 6belgeformten, ber ©arrenlappe über bie ®rone, 
beS ©ürgerS übet ben 6belmann" (baS fchnurgerabe ©egen* 
tljeil ift oielmehr baS Sti^tige), ber hat, fdieint eS, auch ben 
ganjen ©tarnt mit anbem Mugen angefehen als fogar beutfehe 
Äunftridjter ju thun pflegen, ©ach i tt fe^tiefeen, ift ber 
afabemifdje $err ©erfaffer ber romantifchen ©«htung abgeneigt 
unb halt eS mit bem ^laffifchen. ©ügt er es boch an ©rnpis 
als eine Äbfonberlichteit, ba| et „fich aus ber 6inheit ber Beit 
unb beS DrteS nichts gemacht habe!" ©chredlidj — boch weiter. 
Unb je|t lommt ber granjofe mit aller nur wünfdjenswertljen 
Zeutli^leit: „®ie beutfehe ®elehrfamleit ift und granjofen oer* 
hängni|oofl geworben; Strau| ift bei uns ber ©orläufer ©enanS 
gewefen. Selbft bie ©efchidhte, fogar bie alte ©efchidjte, hat 
unter bem beutfdjen 6influ| gelitten, ©tidjelet, bet in ©iebuhrS 
gulftapfm trat, hat bie erften gahrhnnberte ber röntifchen ©e* 
fchichte «her umgeftfirjt als wieber aufgebaut — (was befonberS 
für bie liebe Sdjuljugenb höchft bebaneriieh ift!) — unb ©tommfen 
hat fie ju ©unften ber beutfchen Äaiferherrfchaft, unb uns jum 
Schaben gefällt!" — ©in foldjeS Kompliment ift wohl bem 
„grau Teodoro“ noch «i«» am atterwenigften auS geinbeSmunb 
gemacht worben; ber attwijfenbe ©erliner ©rofeffor hat alfo 
mit wahrhaft MpoQinifcher Zioination, bereits oor jweiunb* 
jwanjig gahren, als er feine römifche ©efchidjte fdjtieb, bie 
beutf^e ftaiferherrfchaft im gahve 1870 tommen fehen! SEßie 
Wirb biefe ©ermanifirung erft gtaffiten, wen'n ber gro|e ©eiehrte 
einmal Beit finben Wirb, bie römifche $aifergefdjidjte jufchreiben! 
Zann wirb baS „Tudosque“ im üppigften glore flehen! Uebri* 
genS haben Wir baSfelbe jefct fdhon; man braucht nur bem 
Ueberjeher ein wmig in bie harten ju fehen. ©on Ungefchid* 
lichteiten wollen wir hier gar nicht fptedjen, wir wollen ©tidjaub 
einen'„ftrahlenben" Zister fein laffen, wir wollen bie Mugen 
jubtüden, penn ber franjöfifche ©ebrauch beS guturumS, ben 


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400 


Kt* «tgfttntar!. 


Nr. 25. 


{eber Xertianer (ennt (j. 83. ßaljarpe totrb nic£)t im Staube 
fein, ©oltaire »irb ftd) nicht befreien fönnen, ber ©taube XhierS’ 
an Stapoleon I. wirb nicht erfchüttert »erben u. f.».), ganj un» 
genirt in’S Xeutfche herübetgenommen »irb, »enn ©ictor §ugo 
„©runblofigleit" (manque de fond) in ber auSgebehnten 
gorm befifet", »enn ©oiffomtabe nicht bie „allgemeinen ©e» j 
merlungen befifct, (!) bie ein Stoff erwarten lägt"; »enn 3aninS 1 
„Religieuse de Toulouse“ ju einer „grommen" gemalt Wirb — 
auch bafe etwa einmal ein nicht ju tiel unb (einer ftatt einer 
fteljt, »eil ber Ueberfefcer im ©ifer bet Hrbeit eine gewiffe fran= 
jöfifdje 6igenthümlici)(eit im ©ebraudj ber IRegation überfah, 
fann ja Borfommen. Unb warum nennt ©eorge Sanb ihre ; 
reijenbe Xorfgefchidjte „La märe au diable“? ©efchieljt eS ifyt 
nicht Stecht, »enn ein guter Xeutfcher, ber (ein ©latt glaubt 
»er ben SRunb nehmen ju füllen, mit einem „©fühl beS XeufelS" I 
in’S Beug gefet? 8lber was h®t benn ber gute Stenan oerfchulbet, j 
ber Bon Stero „eine oerächtliche Xreue (sic!) unb glänjenbe SchiL j 
berung" gibt? 3ft bieS Unfinn ober ©löbfinn? Wenigstens 
»iberfprid^t eS fchnurftracfs ben Sehren, „welche benjeitigen 
Bon anberen Stiliften angenommenen entfpredjenb finb". (dudj 
biefeS eble Xeutfcb finbet fiel) nämlich bei bem $ernt Ueberfefcer!) 

©8 (ommt aber nodj beffer: SRontmartin (ftatt tßontmartin) 
in feinen „Samedis“ mag Xtudfehler fein, wie „3o(afto" ftatt 
Solafte, Wie „jure postliminio“ ftatt „postliminii“ (wir »ollen 
|>errn Otto nidit auf fein ßatein Ijin prüfen), aber nicht mehr 
in biefe bequeme Kategorie gehört „£ippone" (ftatt jjippo, bem 
©eburtSort be8 ^eiligen Sluguftin), niefet mehr bahin gehört e8, 
»enn bie belannten „Messenieunes“ be8 franjöfifehen XicfetetS 
mit „SReffenier", »enn bie „Antonins“, b. h- ba8 KaiferhauS ber 
Stntonine conftant mit intonier überfefet »erben, »enn ferner 
ftatt be8 KaiferS §abrian ein „dbrien" auftaucht unb umgeleljrt 
ßegouob einen „Slbrian Bon ßecoubreut" (ftatt ber aUbefannten 
Slbrienne ßecouöreur) foH getrieben haben, »enn 3out)’S „Julien 
dans les Gaules“ mit „SuliuS (ftatt 3uüan) in ©adien“ »ieber- 
gegeben »irb! Offenbar hot hür ben Sßerfaffer feine ©elehrfam» 
(eit irre geführt, ba er Wufete, bafeauch ber grofee 3uliu8 (ßäfar 
nämlich) mit ben ©alliern ju thun hotte. 

©in anberer granjofe h°t einen erbaulichen Stornan ge= 
fchrieben mit bem Xitel: „Flavien ou Rom au desert“. XaS 
(ann bocE» unmöglich et»a8 dnbereS heilen al8 „XaS Berwüftete 
Stom"?! Unb fiehe — e8 h«ifet fo, nämlich bei unferem lieber» 
fe|er. „Agnös de Meranie“, bie Xragöbie ©onfarbS, erfdjeint 
hier als „SlgneS Bon SReran"; »enn ba8 ©aul £>eqfe fchon be= 
(annt war, barf man e8 ihm fehr übel nehmen, bafe er nicht 
feinen SReraner Slooeden biefe iduftre ©erfönlidjleit auf irgenb 
eine Weife einwob. Xie „Fragments en vers romans“ finb 
für |»errn Otto „gragmente in lateinifchen ©erfen" unb ©ifle» 

mainS „Cours de litterature dramatique“ ber-„©erlauf 

ber bramatifdjen ßiteratur"!! 

Sehr gelungen ift auch bie grage be8 UebetfefcerS an ©aut 
ßouis ©ourier (Bielmehr an beffen SRanen), warum er »oht fi<h 
nicht barauf befchränlt höbe, neben Xenophon ober ©lutard) ben 
Lutias de Patras ju überfein! Xer arme ©aul ßouiS! 
SBahtfcheinlich hot er ben fo benannten Schriftfteder eben fo 
wenig ge(annt, als irgenb ein anberer Philologe beutfdher ober 
»elfter Bunge. Slugenfcheinlich hot $ert Otto ben SuciuS 
Bon ißatrft nennen »öden — obfehon es auch ^ er für ©ourier 
nicht Biel p überjefcen gegeben hoben würbe. Xie ©ef^ichte 
Bom berühmten XintendedS, ben ©ourier auf ben Codex manu- 
scriptus beS SonguS applicirte, ift für ben Ueberfefcer Bodftänbig 
terra incognita, benn er lägt ben franjöfifchen ©eiehrten einen 
— „Statten" werfen. SBie gut es boc| ©ourier h°t gegenüber 
einem ißeter Schlenliht! 

Ohe, jam satis est! Stein, gebulbiger Sefer, ich (ann bir 
ben Schmerj nicht erfparen, noch an jwei 83eifpielen ein „©rite: 
ritum" (fo fteht eS gebrutft) für ben Ueberfefeer an bie |»anb 
p geben. tBe(anntli<h hot bie grage nach ber freien SBahl (beS 
©Uten unb beS 83öfen) neben ber ißrübeftinationSfrage fchon 
frühe bie ©eifter aufgeregt, unferen Ueberfefcer fdheint aber blo8 
bie letztgenannte p interefftren, benn bie (ennt er, bie freie 


SBahl bagegen, b. h- „lo libre arbitre“ ift ihm (urjweg „ber freie 
Stichter". SEBarum nicht? SDtan fchlage ein beliebiges SBörtcrbuch 
auf unb ber Ueberfe|er ift gtänjenb gerechtfertigt. SBeife er 
aber auch, u>ie man biejenige Kunft Reifet, „wel^e aus jeher 
philofophifche« Sehre bie barin enthaltenen Wahrheiten heraus» 
plefen unb aus biefen Xheitchen ein ©anjeS p bilben Berfteht?" 
— XaS ift nach unferem Ueberfefcer ber ©leatiSmuS. jßuuftum. 
XaS heifet baS grofee ©iumaleinS beS grofeen ©leaten Berftehen. 
83iSher nannte man jenes Verfahren ©HelticiSmuS, aber 
man mufe geftehen, jener SluSbrud dingt impofanter, hot etwas 
antilereS. Wenn baS SSictor ©oufin noch erlebt hotte! Ißarme* 
nibeS == ©oufin! 

83afel. 3. OTähly. 


Der <8>ang nad) bem dtfeti^ammer. 

Beitrag jur SchUlerliteratur. 

3u bem deiuen Kreife, »eichen ©aroline Bon Woljogen in 
3ena um fich Berfammelte, waren bie manchen dufdarungen 
aus ber ©lanperiobe unferer beutfehen ßiteratur, ganj befon» 
berS aber auch t)ie SRittheilungen über bie ©ntftehung einjelner 
daffifcher Schöpfungen unferer Xidjtertorhphäen im hüchften ©rabe 
intereffant unb »erthBod. Wie breit nun auch bie ©oethe* unb 
Schiderliteratnr Bor. uns liegt, fo ift hoch noch manches ©emer- 
(enS»erthe, welches bem glücdichen ©ünftling jenes KreifeS 
Ȋhrenb feiner Stubienjeit in 3ena Bon 1830 bis 1835 fich 
offenbarte unb für baS ganje ßeben unöergefelidj geblieben ift, 
nicht in bie Deffentlidjleit gelangt, unb felbft Spiders Xochter, 
©milie, greifrau Bon © leiden »Stufe wurm, »eiche auch nach bem 
Xobe ber Xante (f 14. 3anuar 1847) noch t»iel auS bem ßeben 
ihres grofeen ©aterS unb ihrer (aum minber grofeen ©erwanbtin 
ju bringen »ufete, feot noch manche ßüde offen gelaffen, bie ber 
Xritte h^r unb ba auSpfüden bis jefet nicht gewagt hot. 
©milie Bon Sdjider (pr bamaligen Beit noch nicht Bermählt) 
(am »ieberholt Bon Stubolftabt pm ©efuch ihrer Xante Bon 
Woljogen nach Sena. War ihre ©rfcheinung, — namentlich mit 
ber ©rinnerung an ben grofeen ©ater — im h öc feften ©rabe 
einnehmenb unb intereffant, fo war boch befonbetS bie wunber» 
Bode ©ietät Wahrhaft rührenb, mit ber fie baS SInbenfen nicht 
adein beS ©aterS, fonbern audfe beS grofeen Xichtertorqphäen 
bewahrte, unb in ber fie mit ber herrlichen äRatrone, ihrer Xante, 
ju wetteifern Jcffien. Wie ich — obwohl immer ber lebenS» 
frifche, unbefangene Stubent, boch in hiugebenber ©eobadjtung — 
©eibe mit einanber auffafete, erfchien mir baS ßeben unb Xenfen 
©eiber wie ein geheiligter ober tjeiligenber ©ultuS, beffen |>auch 
unwiberftehlich au^ SldcS feite unb bannte, was fich J u nahen 
wagen burfte. 3h r ©erftänbnife beS grofeen XicfjterS war ber» 
artig, bafe ich erft burch fte unb ihre ißietät bie ganje ©röfee 
beS bichterifchen ©eniuS überhaupt unb, fo Borbereitet, nach 5 
gehenbS auch ben ©eniuS meines herrlichen 3ugenb= unb SllterS» 
frennbeS ©manuel ©eibet in feiner Boden ©röfee begreifen lernte: 
bafe StdeS, was ber Xidjter als SRenfch niemals erfdjaut feot, 
boch bem Xicfeter als folgern Born götttidhen ©eifte gegeben wirb 
unb ihn fo, nach bem alten Wort, jum Seher unb Propheten 
macht. 

Xiefer pietätöode ©ultuS war eigentlich baS burchftehenbe 
Wefen ber hohe« §rau, mit bem fie 3ebem entgegentrat, ber 
fich nahen burfte. Xabei war aber ihre ©mpfänglichleit für 
ddeS, was an ©utem unb ©eiftoodem ihr entgegengebracht würbe, 
immer rege unb lebenbig. So bleibt mir ihre lebhafte Xheit* 
nähme unb Stührung eine ber unoergefelichften ©rinnerungen, 
als ich ihr einmal ein ©ruchfiüd ber trefflich gelungenen lieber» 
fefcung auS ©hübe fparolb Bon meinem fp&ter fo unglüdlich ge» 
ftorbenen greunbe ©arl Bon Steijenftein Borlefen mufete. ©S ift 
gerabeju nicht wahr, bafe — wie einmal gefügt worben ift — 
ber ©intritt in ihre Wohnung braufeen in ber ©orftabt ben ©tn» 
brud eines StevbeljaufeS gemacht hätte. XaS (onnte höchftenS 
nur gejagt werben Bon einem fremben, neugierigen Snteroiewer, 


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Nr. 25. 


Hi t Gegenwart 


401 


ber bei ©elegenheit etwas befonberS ©eiftreicheS fagen wollte. 
®er ©rnft, ber jebent ©intretenben überfam, war eben ber ©eift 
ber 83ewohnerin, ber burch alle Släume mit fo manchen würbigen 
Seiten unb rüljrenben ©rinnerungen ber alten 3«it gebreitet 
erfchien. 3ntmer war bie Ijerrtidje SRatrone lebhaft empfang: 
Iidj für AßeS, WaS ihr an geiftigem Seben entgegengebracht 
Würbe, konnte ich hoch jogar in boßer Unbefangenheit beS 
lebenSfrifchen Stubenten ihr mehrere SRat gelungene Schwante 
erzählen, über welche fie ftetS herjlich lachte, unb gerabe fte 
war eS, bie mich nadjbrüdlich trieb, mein erfteS Suftfpiet (1833) 
auf ber SSBeimarifdjen Ipofbüljne unter ber ausgezeichneten dutanb* 
Stegie zur Aufführung ju bringen, unb bie, immer anregenb, 
mir bie SBerte bon ©orneiße, SRacine unb SRoliöre aus ihrer 
SBibliothet fchettfte, in benen noch lü et unb ba eine üßotij mit 
SBleiftift, wie j. 85. „vu par Talma“, fief) befinbet. Stur ein ein* 
ZigeS SJtal fanb ich P e erregt, jeboch weniger erbittert als fdjnterz* 
tid) ergriffen, als fie mir fagte, ein Kritifer — ich Weih nicht 
mehr, wen fie nannte — habe bie dljetta „eine tragifdje ©urli“ 
genannt. Stoch immer nicht fann ich ben fchmerjlichen AuSbrud 
in ben Söflen ber würbigen SJtatrone babei »ergeffen: bie fchnei* 
bigfte 83erlefcung ihres tiefften Snnern brüefte fich barin aus wie 
über ein Sacritegium. dahingegen hörte ich fie ein anbereS 
SJtal herjlich h er auSlachen, als ich in beS berühmten geiftfpru* 
belnben ©öttting ©egenwart ihr erzählte, bah «ine in ben jung* 
fräulidjen fahren fchon fehr ftar! oorgerüefte befannte dame an 
einem Sefeabenb bie dhefla lefen wollte, unb ©öttting mit feinem 
marfigen 83ah troden unb furz, wie ein ißijjicato, bajwifdjen 
warf: „@fla!" ober „6clat!“ — ich Weih nicht, welche Schreibung 
ber 83oShafte babei im Sinne hatte. — doch bei anberer ®e* 
tegenljeit met;r Don folgen unb ähnlichen 3ügen unb ©rieb* 
niffen. 

derfelbe fchöne ©uttuS war eS wohl auch, bah ©aroline oon 
SBoljogen — fo gern fie fich über SdjißerS bidjterifcheS Seben unb 
Schaffen anStieh, namentlich in 85ejug auf bie feit 1787 ernft* 
lieh aufgenommenen Stubien als SBorbereitnng unb ©runbtage 
ber „britten fßeriobe“ ber höchften dichteröoßenbung — eS nahezu 
gefliffentlich überging, bem tanfdjenben 3uhörer genauere Aus* 
lunft ju geben über bie SBenufcung ober Aneignung biefeS ober 
jenen fremben Stoffes, namentlich in ben jene Sßeriobe auch fo 
herrlich lennjeichnenben fchönen SBaßaben, worüber bie Sdjißet* 
ejeegeten SRancheS als Stefuttat ihrer gorfchungen offen gelegt 
haben, doch ift bieS noch nicht bei aßen 83aßaben gegtüdt, unb 
namentlich nicht bei bem „@ang nach bem ©ifenhammer", beffen 
Stoff, wie ich iefet erft gefunben hübe unb mir felbft fehr wahr* 
fCfjeinlich ift, bod) wohl aus ben Fabliaux ber alten franjöfifdien 
Fabliers*) entnommen fein bürfte. ©etanntlicf) gab le ©ranb 
b’Auffi 1779 bis 1781 unter bem ditel: Fabliaux ou contes 
du XII. et du XIII. siöcle u. f. w., eine fehr fdjäfcenSwerthe 
Sammlung alter dichter, aus SRanuferipten ber ißarifer 83ibtio* 
thef, mit reichen, trefflichen, hiftorifdjen unb fritifchen 83emer* 
tungen in fünf SBänben heraus, bie auch fofort in deutfdjlanb 
Auffehen erregte unb auch 1795 bis 1798 in beutfCher Ueber* 
fe^ung ($aße unb Seidig, 3- ©• Sduff) erfchien. diefeS, auch 
fpäterljin ftarf auSgenupte, bemertenSwerthe, reichhaltige SBert 
fann Schiller bei feinen angeftrengten Stubien fchwertiCh unbe* 
fannt geblieben fein, obwohl bie arge griooütät ber meiften ©r* 
Zählungen feinem .reinen Sinne anftöfjig gewefen fein muffte. 
AIS Stach trag 5» unb mit bem fünften 83anbe gab nun le ©ranb 
b’Aufft 1781 mit einem langen befonberen „Discours prölimi- 
naire“ eine Steihe bon „Contes devots“, zwanzig an ber Saht, 
heraus, bon welchen „anbäct)tigen ©rjählungen" bie fiebente fo* 


*) £e ©ranb b’Auffi öerfteljt unter Fabliers bie dichter, unter 
Conteura bie (Erzähler, welche bie Crjä^Iungen »ortrugen, unter 
Menetriers bie SRufiler, welche bie (Erzählungen unter 3nftrumental* 
Begleitung fangen, unter Menestrel ben Anführer einer druppe öon 
(Erzählern unb SRufifern, unb unter Jongleur bie luftigen ^erfonen, 
dänzer unb dafdjenfpieler, bie fich gewöhnlich ber druppe an* 
fchloffeit. die (Erzählungen würben Flabels, Flables (bermuthlich nur 
Schreibfehler) ober Fabliaux genannt, bie diäter Fabliörs ober Fabliers. 


fort an SdjißerS ,,©ang nach bem ©ifenhammer“ erinnert. 3(h 
taffe bie ©rgählung in turjem, aber getreuem AuSjuge folgen, 
der SSergleidj mit SChißerS 85aßabe wirb ergeben, wie Sdjißer 
auch biefen Stoff mit feinem herrlichen bichterifchen ©efChid unb 
reinem Sinn $u behanbeln muffte. 

©in König — fo ergäbt ber bem Stamen nach unbefannt 
gebliebene gablier bei le ©ranb — hatte einen Senefdjaß, ber 
feit breiffig 3ah«n fein £anb perwaltete unb ihm fehr treulich 
biente, der Senefchaß hatte einen Sohn oon etwa fünfzehn 
3ahren, ber ooß guter Anlagen unb oon fChönet ©eftalt war. 

der Senef^aß warb tränt -unb empfahl auf bem Sterbe* 
bette bem Könige feinen Sohn, der Äönig oerfprach, 83ater* 
ftefle bei bem Sohn }u Pertreten, nahm nach beS SenefchaßS dobe 
ben Sohn zu fich iu'S Schloß unb lieh ihn mit bem eigenen 
Sohne wie baS eigene ßinb erziehen unb oon bemfelben $of; 
meifter unterrichten. Xagtäglich tarn ber föönig in bie gemein* 
famen UnterrichtSftunben unb liebtofte niemals feinen Sohn, ohne 
auch ben fßftegefohn zärtlich in bie Arme zn fchliefeen. der 
$ofmeifter war aber ein boshafter SRenfch- die oiele ©üte unb 
Siebe beS ftönigS gegen ben grembling machte ihn mihgünftig. 
3n feinem ©roß gegen ben ftnaben befchloh er, ihn zu ©ruttbe 
ZU ridfiten. ©r begann bamit, bem fönaben weih Z u machen, bah 
ber König fich mehrere SBate über feinen Athem befchwert habe, 
unb rieth ihm, zur 8Sermeibung ber Unannehmlichleit, baS ©c* 
ficht Pom König abzuwenben, fo oft biefer ihn tünftig umarmen 
Werbe. 

der arglofe Knabe that wiflig Wie ihm geljeihen. dem 
König war baS 83enehmen auffäßig. ®t befragte beit $ofmeifter 
über ben ©runb beS eigenthümlichen 85enehmenS unb ber |>of* 
meifter ertlärte, bah ber junge SRenfch nur aus ©fei {ich bon 
ihm abwenbe unb behaupte, bah beS Königs Athem ihm bis 
Zum Dhnmächtigwerben zuwiber fei. 

dies war bem König äufjerft empfinblich; iornig ging er 
fort unb fchwur bei fich, Öen Knaben niemals wieber in ben 
gafl zu fepen, fich über ihn zu bettagen. 3nbeh War er bo<h 
unruhig über ben ihm oorgemorfenen gehler. Um ©emifsheit 
barüber zu erlangen, oerfiet er auf ein befonbereS SRittel. der 
gablier fagt: 

Fit querre jusqu’ä, cinq puceles, 

Gentisftimes, cointes et beles; 

Avec elles veut donoYer 
Poar s’aleine fere essaier. 

Afle fünf „artige, junge unb feine SOtäbchen" Perfichern ihm 
nach ber Steihe, bah fein Athem ber befte oon ber SBelt fei, 
worauf ber König bem jungen SJtenfdjen fo gram Wirb, bah 
ihn nicht Wieber por Augen hoben Wiß. der ipofmeifter fchürt 
bie Abneigung bis zum $afj, fo bah ber König ben Xob beS 
jungen SRenfdjen befchlieht. ©r täht htintli^ ben görfter 
tommen unb befiehlt biefem, nachbetn er ©ehorfam nnb SBer* 
fchwiegenheit gefchworen, anbent XageS ein grofjeS geuer im 
SEßalbe anzulegen unb ben, welchen er ihm zufchiden werbe, in’S 
geuer zu werfen. 

Anbern SOtorgenS früh fenbet ber König ben ißflegefohn an 
ben görfter unter bem Sorwanb, biefem einen ©rief zu bringen, 
der ißflegefohn fteigt zu Sßfetbe unb reitet ab, inbem er bie 
$oren unferet lieben grauen Ijerfagt.*) Aber nicht genug: er 
hört unterwegs SReffe in einer SBatbtlaufe fingen unb hält an, 
um fie zu hören, da fteigt bei ber ©ommunion eine weihe 
daube oom §immet unb täht auf ben Altar einen 3ettet aus 
bem Schnabel faßen, auf welchem unfere liebe dame, bie heilige 
SRaria, zur Stettung ihres treuen dienerS.bem ©infiebter be* 
fiehlt, jenen bis SRittag bei fich i u behalten. 

der über baS lange Ausbleiben beS 3ögtingS beunruhigte 
$ofmeifter bettagt fidh beim König, ber nun, ungebutbig zu wiffen, 
ob fein 85efehl ooßzogen fei, ihn zum görfter fthidt, um AuS* 


*) Aun aber — fo fährt hier ber alte gablier fort — müfjt 3h r 
wiffen, ba|, wer biefe löbliche ©ewoljnheit hat, nimmermehr an bem 
dage, wo et fie fpridjt, zu ©runbe gehen fann. 


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402 


9it «egenwart- 


Nr. 25. 


!unft gu erhalten. Ser görfter ttrirft nun ben .fcofmeifter tn*S 
geuer, in bet SWeinung, bag biefer bie ipm gugemiefene fßerfou 
fei, unb gibt beut fpater anlommcnben 5ßPegefo^n ben öefdjeib 
für ben König, baß er ber ©äeifung geporcpt pabe. 

Ser König fiept verfteinert, fotoie er ben 5ßftegefol)tt er« 
blidt. (Er befragt ipn, gept pnt ©infiebter unb erfahrt nun, 
tote unfere liebe grau tpren Siebling befcpüpt pabe. 9hm ioenbet 
ber König bem fßflegefopn wieber feine gange Siebe gu, bicfer 
aber, gerührt non beut SBunber, bleibt im ©Salbe unb ttrirb 
ffiinftebler. 

SBadp einem 3apr trifft ber auf ber 3ngb verirrte Königs^ 
fopn ben jungen (Singebier, bleibt bei ipm unb fdjidt anbern 
XageS feine Seute an ben König mit ber 9tacpri<pt, baß er eben- 
faß* (Einftebler werben wolle- Ser König fomrnt in ben ©Salb 
unb fudpt vergeblich, beu ©opn von feinem SSorpaben abgubrtngen. 
(Snblicp wirb auch ber König fo ergriffen, baß er Krone unb 
©cepter ablegt unb au ber Stätte ein Klofter bauen läßt, um 
mit ben beiben Änberen im Klofter gu leben unb gu fterben. 

<£p. B. 2Iü&£allemant. 




©feit bem Kriege foß eS nun enblicp auch in ©uropa ©rng werben. 
Ser Sonauübergang, fo oft öerfünbet unb ftetS wieber abbefteßt, war 
nach ben lepten Sfeacpriepten unwiberruflicp befc^loffen unb foßte fogar 
fcpon palbmegS begonnen paben. 3n bem «ugenblid, wo biefe Seilen 
nacp Seipgtg geben, laffen fiep bie begüglicpen SRetbungen, wie gep vor* 
ficptige geitungSfepreiber auSgubrüden pflegen, niept pinlüngticp contro- 
iiren. Äber bis fte erffeinen, wirb bie oft getäufdfjte Ungebulb beS 
©ublicumS wopl' enblicp auf jenem verpüngnißvoßen fünfte befriebigt 
fein, ©onft müßte man ia, um einen etwas cpnifepen frangögfcpen 9tuS* 
brucf anguwenben, feine Sunge ben §unben binwerfen unb bie Wuflöfung 
beS ruffifcben KriegSrötbfelS irgenb einem für folcbe ©efcpüge patentirten 
DebipuS überlaffen, ©ept es bann weiterbin in ber ©ulgarei los, fo 
Wirb (Europa über baS ruffifepe Kriegsprogramm, baS fo biel ©rübelei 
veranlaßt pat, ohne Bmeifel ein genügenbeS Siebt aufgegedt erhalten, 
©ianepem werben babei bie klugen übergeben. gapltofe feit ©eginn beS 
Krieges unternommene ©peculationen werben fiep als falfcb erweifen, 
ohne baß gep bie Urbeber baburep für anbere ©elegenbeiten fonberliep 
entmutbigt fühlen bürften. SDfean mug niemals bergeffen, bag man ben 
©lüttem oft mit ber ©orauSfepmtg Unrecpt tbut, fie woßten ihre 
Sefer tüufepen. ©ehr oft finb ge felber irregefübrt. Stiebt 3ebermann 
iß fo febtau geartet, wie ber $arifer ©orrefponbent einer grogen Son= 
boner Qeitung, bem eine Siebe gunt Kauf angeboten würbe, welche 
©feottle in ©tragburg gehalten haben foßte unb beten apotrpppen ©pa* 
raher ber gournalip an einem eingigen unborfiebtig geratbenen ©ape 
fofort erlamtte. SDfean würbe baburep an einen ©orfaß pier in ©erlin 
erinnert, ber feiner Seit einiges Stuffeben machte unb in ben Kreifen, 
wo er belannt würbe, biel Weiterleit pervorrief. gemanb woßte bon 
bem Anlauf einer Slngapl Krupp’feber Kanonen burep ben Khebibe bon 
©gppten hinter bem 8feüden beS ©ultanS erfahren haben unb bot baS 
©epeimniß, baS einen ©onßict im Orient febon bamalS berfünben foßte, 
guerft einigen ©otfepaßent, bann, als biefe bon ber ©aepe nichts pören 
woßten, berfepiebenen ©erieptergattem auswärtiger ©lütter an. ©iner 
berfelben fepnitt baS Angebot bamit ab, bag er ein ©uep aus feiner gut 
besorgten ©ibüotpel perunterpolte unb bem barüber niept wenig ver= 
bupten ©epper ber ©ntpüßung naepwieS, wie ber ©eperrfeper aßer 
©lüubigen in ©tambul bem Kpebibe bon ©gppten burep einen offenen 
gemtan ben Stntauf bon ©tagen unb ©feunition gegattet pabe. Winterper 
geigte fiep, wenn baS ©ebäeptnig niept täufept, bag gum ©feinbeßen eine 
©erliner S^itung in bie gaße gegangen war unb bie bermeintlicp fecrete 
Staepriept pep patte aufbinben lagen, ©tarn bergleicpen paffirt, !ann fiep 
bamit trögen, bag es fepr erfahrenen unb feparfpnnigen W^auSgebem 
unb ©ebacteuren og niept beger ergept SBurbe boep (Emil be ©trarbin 
bor einigen ©ionaten mit einem angebliep beutfep=rufpf<pen ©ertrage 
wegen beS Orients betrogen, begen Original fogar mit ber Unter= 


feprift eines SBürbenträgerS beS rufpfepen WofeS berfepen War. ^iefelbe 
War jeboep unglüeflicperweife aus einem ©riefe, ber Pep in ungetreue 
Wänbe berirrt patte, perauSgefcpnitten unb bem falfepen Xejte mit bielem 
©efepiel aufgeliebt, ©o würbe ber Uuge ©irarbiu bupirt; er patte aßet* 
bingS feine fpecipfep frangBfifepe Unwigenpeit bamit bewiefen, bag er 
niept überlegte, wie jener Wbfmann unb laiferliepe ©bjutant bei ©b= 
fagung foleper ©ertrüge gar nicptS gu tpun patte, ©inem ber fologalgen 
©cpwinbel biefer ©rt war aber $err ©ißemeffant, ©epper beS Sparifer 
gigaro, gum Opfer gefaßen. Sölan patte ipm für 10,000, tage gepn= 
tanfenb granlen, ben ©nllageact gegen Suciani berlaug, ber begieptigt 
War, bie ©IBrber beS belannten römifepen ©oütilerS unb ©ubiieigen 
©ongogno gebungen gu paben. DaS ©ctengüd foßte noep in ben ©ar^ 
tonS ber italienifcpen ©eriepte feplummem unb gigaro poffte mit ber 
©erögentiiepung einen Sürm gu maepen, ber ipm bie Kogen reicpliep 
bedien würbe. 2)er ©nllageact War inbegen fepon feit mepreren Sagen 
in einem tteinem ©latt erfepienen, baS in Sligga ein verborgenes Safein 
füprt unb begen ©littpeilung baper ber ©ufmerlfamleü entgangen war. 
$err ©ißemeffant war wütpenb unb woßte bem ©tigetpüter einen $roceg 
anpüngen. Siefer aber patte noep anbere ©etrügereien voßbraept unb 
lüngg baS ©Seite gefuept. gtgaro patte baS 9lacpfepen. ©olcpe Shtge 
paffiren peperlicp, wenn auep in weniger eclatanter ©Seife, püugger als 
man glauben foßte. ©lau barf inbegen annepmen, bag fie ben ©e= 
tpeiligten niept überaß fo tpeuer gu gepen lommen unb ber Xarif ber 
©rgnbungen in ben meiften gäßen im ©erpältnig gu bereu ©Sertp be^ 
megen fein wirb. 

* 

* * 

flSUton unb feine 3ett. ,t ) 

Sie ©rögegen unter ben grogen ©eigern eines ©olleS gepören 
niept aßeht biefem an, fonbern finb ©igentpum jeber Nation, bie tpre 
©ebeutung anerlennt, ipre Seiftungen wttrbigt. ©efonberS lebpaft ig 
getS bie Speilnapme ber Seutfdpen an ben pervorragenben ©rfepeinun= 
gen beS geigig* unb gammüerwanbten ©nglanbS gewefen. Surd^ ©in= 
bringen in feine ©epöpfungen paben wir uns eine ©rt ©igentpumSreept 
an ©palefpeare erworben; ©peßep wie ©pron gnben bei uns toielfei' 
tigere, tiefere ©Sürbigung, als ipnen fo maneper Kreis ber eigenen 
Weimat gu Speil werben lügt. Unfer grögter Siepter pat feinen ©io- 
grappen in bem englifepen ©pilofoppen ©eorge W- ßeweS gefunben, 
unb jept gibt ein beutfeper Wgtoriler uns eine SebenSgefepiepte beS 
grogen englifepen ©uritanerbicpterS, begen popeitSboße, baS ftugenlicpt 
entbeprenbe ©rfepeinung an ben ©ater ber Sieptung gemapnt. 

Ser vorliegenbe erfte Speil biefeS SieptertcbenS, weleper in gwei 
©üepern von 1608—1649 reiept, bepanbelt ben grogen ©epriftgeßer mit 
einer «uSfüprliepleit, einem ©ingepen in aße ©üigelpeiten ber Umgänbe 
unb ©erpältnige, in benen gep fein Seben bewegt, bie an ©euauigfeit 
in ©rforfepung jebeS SetailS ber noep umfangreieperen Arbeit Von 
©lagon gleißt, welepe bemfelben ©egenftanb gewibmet ig. ©lit aßer 
©rünbliepleit beS beutfepen ^igorilerS, mit bem vielfeitigen ©Bigen eines 
SJtanneS, bem pöcpg umfagenbe ©tubien wie eingepenbeS unb tregenbeS 
Urtpeil auf literarifcpem ©ebiete gu ©ebote gepen, verfolgt ber ©tograpp 
bie cparaltervoße ©eftalt in iprer vielfeitigen, eigenartigen ©ntwicfelung. 
©einem unermüblicp naepforfd^enben ©ifer ig es fogar gelungen — trofe 
SÄagon — noep unbenufeteS SKaterial gu entbedlen, wie bie ftuSgüge 
auS ber ^ßabemie ber ©vogüati in Sloreng, unb eingehte Säten ge= 
nauer gu ggiren. Sie gange Arbeit geigt ebenfoviel ©ifer unb ÄuS= 
bauet in ©efepaßung beS SKaterialS wie ©efepmaef unb Umfiept in feiner 
©etwenbung. Sie Sarfteßung ig getS Har, rneig ;überfi<ptliep bie lei' 
tenben gäben beS vielverfeplungenen ©ewebeS ber fo tief unb mäeptig 
bewegten Seit perauSgugreifen, unb gep an ipneu bie verwiefelten ©er= 
pültniffe leiept faglicp entwideln gu tagen, unb fo baS $ntereße getS 
rege gu erpalten. greilicp pat ^rof. ©tern pier ben ©ortpeil, eine 
feiten groge S^i gaatlieper wie religiöfer Umwälgungen bargugeßen, 
welepe Von biefem ©egeptspunlt aus noep niept mit gteieper ÄuSfüpr= 
tiepteit in einem beutf^en ©efcpicptswerl bepanbelt worben, eine Qdt, 
bie in iprer tiefgepenben ©ewegung in ©nglanb gragen aufwarf unb 
gum Speit entfepieb, welepe noep jept gu bem lebpagegen 9»einungS= 
auStaufdp ber 'Verfcpiebenen Parteien in Seutfeptanb ©eranlagung gaben, 
©o gept g. ©. Stöger ©SißiamS — ber ©egrünber ber ^Srovibence* 


*) Son Sttfreb ©tern. 1. Spetl. ßeipgig 1877, Sünder unb $umMot. 


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Nr. 25. 


9i« «eg*ntt«rt 


m 


Pflanzungen — in feinen ttstßchten über bie Trennung non Staat unb 
fiirche fchon ebenfo »eit tote bie liberalßen Slnfichten unfrer eigenen Sei*. 
Sr fprach el mit Doller Beßiramtheit and, „baft bie $ßege ber rcligibfen 
Sntereffen unb bie Organifation bei ürcplt^en gfbenl ben einzelnen 
Bürgern zu überlaffen fei, unb baft hierin feine ©efdjrönfung ber Mttttfir 
erfolgen bürfe, fofern ße nicht gegen bie bürgerlichen Gefepe oerßieften". 
Sr iß ber fcnßcht, „baß Schuten unb Unioerßtäten nicht ftrdjliche 3« s 
ßitute zu fein haben. Sie haben folgerichtig mit ber religiöfen Sr* 
Ziehung nicht! mehr zu thun, fie ftnb «nßalten, um ben Bürger z» 
bilben, für bie oerfchiebenen Beraflarten bei geben! tüchtig zu machen". 

Bal glücftichc #eraulgreifen be! bebeutenben Stoffe! toie feine 
ftare Behanblung »erben ber eingehenben Arbeit, trop ihre! Umfang!, 
bal Sutereffe eine! graften gefertreifel fiebern, obgtei# man fleh bewußt 
»irb, baft bie eigentliche Äbfi^t — bie ßebenlgefthichte Mittonl zu 
fchreiben — z u *ücftritt gegen bie Schilberung ber beioegten Seit, in 
»eiche biefe! geben fiel. Ber Berfaffer h«t biefem Borwurf entgegen« 
gefehen unb fud)t ilpt fchon im Bor»ort zu »ibertegen. „Man »irb 
oielleichi finben, baft bie allgemeinen Sreigniffe mit unbilliger Sfolführ« 
lichfeit befprodjen »erben, baft unter ihnen bie firchenpolitifchen eine 
ungebührliche Stelle einnehmen, unb baft ber gaben ber Biographie in 
bem bunten Gewebe anfeheinenb abfeitl liegenber $hatfachen mitunter 
oerlocen gehe. Man »olle inbeßen bebenfen, baft fich mehrere ber h«= 
Dorragenbßen Schriften Mittonl gar nicht »ürbigen taffen ohne genauere 
fcennhtiß ber Sreigniffe, bie fie behanbeln, baft bie grage über ba! 
Berhältnift Don ftirche nttb Staat für jene ganze Seit unb für Milton 
befonber! eine ber größten, »enn nicht bie größte Don allen ge»efen 
ijt, unb baft bie Bielfeitigleit feine! gelben auch ben Biographen nöthigt, 
ihm auf bie Derfchiebenßen Gebiete zu folgen. Such müffen manche 
gäben fchon zeitig angefnüpft »erben, beren Mteberaufnahme erft bei 
ber Schilberung ber fpäteren gebenljahre bei dichter! möglich fein »irb." 
Bropbem lägt fich nicht leugnen, baft bie Geftali be! dichter! bem Sluge 
häuftg gänzlich entfch»inbet, »ährenb bal SBiXb ber be»egten Seit ihn 
ganz unb gar in 2lnfpru<h genommen, bie! Bilb, bal eigentlich nur 
bazu befthnmt »ar, ber Jpintergrunb bei hiftorifchen Gemälbel zu fein, 
Don Denen bie gigur be! dichter! fich, gwft unb beherrfdjenb ben Borber« 
grunb aulfüEenb, abheben foEte. greilich ift bie Barßefimtg biefer Seit, 
ber iit «h* A4 ooEziehenben Sntmicfelungen, noth»enbig, um bie Schriften 
Mittonl zu Derßehen, bie, nicht Don ihr angeregt, auf ihren Sang ein- 
Zu»irfen fudfjen. ®och Milton ift nicht ber gührer feiner Seit; er folgt 
ihr nur nach, unb fo »irb bei einer in Derartiger Hulfühtlichleit au« 
gelegten Gefehlte feine! geben! bie Seit, in bie el fiel, nnb Don ber 
e! im höchßen Grabe beeinflußt »arb, ftetl ben erften Blap beanfpruchen. 
S! iß nicht eigentlich „Milton unb feine Seit" all Dielmehr „Seine 
Seit unb Milton". Sr »irtte nicht entßhieben genug all beßimmenbel, 
leitenbel Slement, all gührer ber Seitbewegung, fonbern erft Don ihr 
beftimmt fucht er bann auf feine Meije in ihre fernere Sntwidelung ein= 
Zngreifen. Sr ßeht im Sanne feiner Seit, unb je genauer bal Singehen 
auf jebel feine Sßerfon betreffenbe Betail iß, beßo Ilaret muß biefe Sr« 
fenntnift »erben. 

SSorliegenber erßer 3^eil beßhäftigt ßch nur mit Heineren Arbeiten 
bei dichter!, berührt bagegen fchon einige ber bebeutenberen glugßhriften 


bei politißhen SchriftßeEerl, ein Gebiet, auf bem el »eit fch»ieriger, 
ßch bie ftnerfennung zu «rumrben, »eiche bem dichter — ber über ben 
Barteten ßeht — Dott ben Derfchiebenßen Seiten unb Seiten Derehrenh 
entgegengebracht »irb. Biefe grünbliche Arbeit »irb nicht »enig zur 
befferen Mütbigung jener in Bentßhlanb »eniger beachteten Seite be! 
großen Snglänber! beitragen, unb ein Mann »ie Milton hut Dollen 
Slnfpruch auf aEfeitige SBürbigung. Mit gntereße fehen »ir ber gort« 
fepung entgegen, »eiche bie große Schöpfung bei Sichterl behanbeln, 
unb fein geben „Unter ber föepttbüf unb bem Brotectorat" »ie „Unter 
ber bießauration" fchilbem »irb. Ul. öenfey. 


Briefe mb jUttwotfnt. 


3eber, ben 21. Mai 1877. 

Seht geehrte ftebactionl 

Mehrfach hut bie „Gegenwart" 9&ach»eife unb Berichtigungen zu 
Büch mann! „geflügelten Morten" gebracht, bie Don bem &evrtt Betfaffer 
ge»ift gern bei einer neuen Huftage becücffichtigt »erben ßnb. Biel« 
leicht möchte bemfelben auch bie Bewertung oerwenbbar erfcheinen, baft 
ber ttulbruct: „auf einem Brincip hetumreiten", ben Heinrich LXXU. 
Don JReuft - gobenßein = Sberlborf in einem Srtaffe gebraucht (f. Gefl. 
Morte, 10. Huß., Seite 386), in einem Don Sicero gemachten »ortfptele 
fomoftl ein Borbilb hut all auch feine Srflämng ßnbet. 

3n ber z»eiten Hctio gegen Berrel, Buch IV, Sap. XX, behauptet 
Sicero, Berrel h°be bem Sn. Salibiul fitbeme Bferbthen Don hohem 
Ännß»erth geraubt. . „Imprudens hnc incidi, judices; 44 fährt er bann 
fort: „Emit enim non abstulit. Nollem dixissem! Jactabit ae et 
in hi8 equitabit equuleia emi, peouniam solvi/ 4 Huf Beutjcft: 
„Boch ba bin ich W&n hiueingefaEenl Sr hut ße ja getauft, nicht ge« 
raubt. O, hätte ich bal Doch nicht gefagt! 3*P* »irb er ßch in bie 
Bruß »erfen unb auf biefen Bferbdjen (herum)reiten mit Den 
Morten: 3<h hübe ße gdauß, ich hübe Selb Dafür gegeben. — Sicher 
wirb er nuu bei jeber Gelegenheit auf biefen gall, »o ich ihn 
fcheinbar fo ungerechter Meife angellagt habe, zurüdlommen, um meine 
anbern Behauptungen baburch z u Derbächtigen nnb zu entträften." 
Bgl. Sap. XVI: Jactat ae jam dudam de Calidio: nanrat Omnibus 
emisse se. 

Offenbar bebeutet hier alfo bal Siceronianifche „in equuleis equi- 
tare 44 balfelbe, wie unfer „auf etwa! herumreiten", el hat aber Dor 
nnferer übertragenen nnb DeraEgemeinerten fllebeweife, für »eiche el bie 
Srtlärung enthält, bie 9nf<hautichteit bei befonberen gaEel unb ben 
Mortwife Doraul. 

Ganz ergeben# 

<fr. Beoantier. 


Abonnement der „ftjnUBttrt“ pro III. Quartal 1877. 




Unsere geehrten Abonnenten, besonders diejenigen, welche unsere Wochenschrift dzweh. ciie. 
JPoat erhalten, erinnern wir hierdurch cm, die, Ern.e.Txe.T'XLTcg ihres Abonnements pro 
ZII. Quartal 1877, damit keine Unterbrechung in der regelmässigen Uebersendung entsteht. 

Original-Einbanddeeken in Leinwand 

zu dem mit No. 26 schliessenden JiZ. Bande der „«egttUIUUtsowie zu den früheren Bänden 
können zum Preise von 1 JUTc. 50 Bf. durch, jede Buchhandlung bezogen werden. 

Berlin N. W., 32 Louisenstrasse. EXPEDITION UND VERLAG DER „GEGENWART“, 


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404 


It Gegenwart 


Nr. 25. 


1 


fine neue gerlinet Mtung! 

®a« 


lentfdje HJottfagö-llfaff 

Chefrcdacteur A ) ^ Verleger: gkl Berlin, 

• Arthur Levysohn. xl/ T Budolf Mosse. xZ/ L 1877. 


(öd gletdjfam 

eine ^rgänjnttg pt atten ^eitimaen 

bilben, bereit Stebaction am Sounabenb Abrufe (fliegt uitb erft am Sieußag itsrgeu wieber 
beginnt unb toirb baber 

24 ^tttitben früfer 0 a 8 pme $e$efd)ett=©taterial, 

welcbeg iii Sonntag Steifet in Berlin eintrifft, aumebmen. 

Stäcbjt einer palitififeen tStugenf^dit, etner ftnattsie0«p*Utififeett Kfersuif M europ. 
tfclfeutarffeg unb OriginaLKarrefpoufeenzen oon ben Caupttoeltplifeen toirb bag „KJeutfdje 
©tontagg=©tatt" ein 

rcidjljalti 0 c 3 ^ifanteS fettlHeton 

enthalten, p welchem bereits bie erften betttf^en Autoren, toie 
Ernst Dohm, Carl Gutzkow, Hans Hopfen, 


ijruHt iruuiii , Carl Gutzkow, Hans Hopfen, Löwe-Calbe, H. B. Oppen¬ 
heim, Julius Rodenberg, Friedrieh Spielhagen, Jul. Wolff, 
iljre ©titarbeiterfeböft pgefagt haben. 3)er Abonnementgpreig beträgt nur 

1 Jlotk 50 J)f. pro Öftnartal. 

^tObtiWummtZUf welche am 18. unb 26. 3unt erfebeinen, finb grätig unb franeo 
Oon ber ©erlagg’Afpefeition (Rudolf Mosse), Berlin SW. p belieben. Abonnements 
nehmen a0e Äatjerl. ©oftämter entgegen (No. 1103a VIII. Stacbtr. j.gettungSpreiSlifte 1877). 




Delius’ 

SHAKSPERE 

IV. (Stereotyp-) Auflage 

2 starke Bände, brochirt: 16 «Al In 2 fei¬ 
nen Halbfranzbänden: 21 JC 

Jedes einzelne Stück: 80 Pf. 

[Letztere werden, soweit der Vorrath 
reicht, in früheren Auflagen geliefert.] 
Verlag von R. L. Friderichs 
in Elberfeld. 


$>ramaturgifd)e Blatter. 

#i»e 

Stebigirt oon 

Dr. fttto f amnumu u. All Übelm ffrttjrn. 

©reig pro Ouartal 4 JC 50 A. 

3n^alt beS foeben erfdjienenen V. ßcfteS: 
®cr ®oft^catcr*3 n tenbant. Son Otto 
b. Seigner. — $ramatifdje gwifcbenfpiele. Äon 
Robert Pröblfc. — Kin äebteg ©olfgftücf. ©on 
K. ©t. ©auer. — $efenfton eines bramatifeben 
Autors be 1661. ©on Krnft ©Sichert. — X^eatec* 
briefe aus ©erlin, ©raunfdjweici, Hamburg, Äö= 
nigSberg, Seipzig, ©tannbeim, ©tünchen, Peters¬ 
burg, SBien. —■ Siteraturbericbte. — 8eitgef<bicbt= 
lic^e 5£beatemoti$en. 

_$urr’jcbe ©ucbbanblun g in S ei pp 9 - 


Verlag von Eduard Loli in Elberfeld: 

isch für Lungenkranke. 

Nebst einem Anhänge: Schwind¬ 
suchts-Prophylaxe im kindlichen 
Lebensalter, von Dr. Michaelis, Spe¬ 
cialarzt für Brustkranke in Freiburg i. S. 
—Mit 2 Abbildungen. — Preis 8 JC 60 ^. — 
Die Behandlung der Brust- und Lungen¬ 
leiden erfordert nach den neuesten For¬ 
schungen der Wissenschaft keine Medica- 
mente, sondern frische Luft, Bewegung 
und vor Allem eine vernünftige, jedem 
einzelnen Falle angepasste Diät. Das 
vorstehende Buch bietet eine genaue An¬ 
leitung hierzu; es enthält ausführliche 
Vorschriften für alle Fälle von Magen- 
und Brustschmerz, Asthma, Blutsturz 
und Bluthusten, Fieberdiät, Diät für 
Katarrhe mit Lufröhrenerweiterung, für 
phthisische Pneumonie, für stationäre, 
nicht fieberhafte Schwindsucht u. s. w. — 
Von grösster Wichtigkeit für kranke 
Eltern ist der Anhang. — Von demselben 
Verfasser erschien: Begriff und Ziel der 
heutigen Schwindsuchtslehre. Preis 1*4£ 
60 A. Zu beziehen durch alle Buchhand¬ 
lungen und vom Verleger. 


Soeben erschien: 

Bilder 

ans der 

Römischen Gesellschaft 

Ton 

Emil Frischauer. 

8. Preis: 2 JC 70 A. 

Inhalt: 1) Pio Nono. — 2) Antonelli. — 
3) Mmghetti. — 4) Kronprinzessin 
Marghenta. — 5) Simeoni. — 6) Riario 
Sforza. — 7) Mancini. — 8) Viscounti 
Venosta. — 9) Gräfin Mirafiori. — 
10) Nicotera. — 11) Menotti Garibaldi. 

— 12) Monteverde. — 13) Tajani. — 
14) Odescalchi. — 16) Herzog v. Gallese. 

— 16) Elpis Meläne. — 17) Orsini. — 
18) Torlonia. — 19) Saffi. — 20) Arbib. 

Leipzig, im Mai 1877. 

Fues’s Verlag (R. Reisland). 


©oeben bat bie treffe öerlaffen unb ift bureb 
lebe ©ucbbanblung p belieben: 

pu}jinfini in Jlntniltn. 

9ladfj bem «merifamfdfjeu be8 SWaj «betet 
Oon 

$dd)ett-A 6 cnßetm> 

23 ©ogen. 8. ©reig: 3 JC 
3n gegenwärtiger Seit, wo ber $au*Kafug 
nicht nur ben Irieafüljrenben ©täcbten, (onbern 
einem febr großen $bett ber ©efammtbeoölferung 


Kuropag ernftbafte ©cbwierigfeiten bereitet, wirb 
eg ©ielen eine Krleicbterunafein, über unfcbuL 
btge Späfje unb geistreiche fet|e bergttcl lacfeen 
p fömten, pmal wenn bag (bewanb ber ©r= 
Zahlung ein (o aflgemein oerjfänbltcbeg unb oon 
hohler Pb*afe Wie Oon ©tanierirtbeit gleich ent= 
femteg ift. Kg ft$t p hoffen, bafj ftch ber 
amerüanifjbe ©tünefebaufen in ber ©unjt beg 
Seie=Publicumg feinem ebrwürbigen beutfeben 
(£o0egen mit ber ©efebeioenbeit, welche beibe 
Herren fennjeiebnet, pr ©eite ftellen Wirb. 

Stuttgart, 3uni 1877. 

©erlag oon ft. ©• «uer§ai|. 


tonlurr euj=«ugft^tetku 

für 

eine gtoCoflfar=^leüer=^faJue 

brs fmtrals Robert E. Lee. 


Board of Managers: 

The Governor of Virginia. 

The Treasurer of the Commonwealth. 
The Auditor of Public accounts. 


Office of the Board of Managers. 
Lee Monnment Association 
(incorporated Jany. 26. 1871.) 
Richmond Virginia U. S. Americ 


irginia 

jta ^ern obengenannten ©ureau in SRicbmonb (©irginia) werben am erften ©tontag 
im ©conat ©eptember 1877 big 12 Uhr ©tittagg a0e ©tobeUe, Betonungen unb <£n U 
Würfe für eine (£oloffal=Leiter=©tatue beg ©eneralg Stöbert @. ßee in (Smpfana ge= 
nommen, unb foü biefe ©tatue auf bem (SapitoD©quare p Stidbmonb, ©irginia u. ©. 
America, errid&tet werben, ©ewerber wofien ihre SetOnungen für ©tatue uno ©iebeftal, 
jualeiO mit Angabe ber Soften, ber 3 a ^unggbebtngungen unb ber erforberlicben $er= 
fteuunggjeit bem Kuratorium franfirt eiufenben. ©or bem genannten erften ©tontage im 
©eptember 1877 werben bie ©tobefle Weber auggepaeft, noq bie 3^<4nungen auggejtefit 
Werben, bagegen werben nach jenem Termine ©ewerbungen Weber angenommen noch in 
©etraept aepgen werben, eg fei benn, bafj ber ©erjögerung unoorbergefebene Kreigniffe p 
©runbe liegen. 3nbem fiO bag Kuratorium bie oofie gretbeit oorbebält, einige ober afle 
©ewerbungen p oerwerfen, wirb baffelbe bie AnfOIäge am britten ©contag im ©eptember 
1877 öffnen unb brei Xage fpäter ben 8 u W a 0 crtbeilen. %ebt weitere 3itf*>*mation, 
welche gewünfOt werben lönnte, wirb bereitwifiigft auf eine Anfrage an ben Unterzeichneten 
erteilt werben. «uftrage be« gurotorium«: 

B. mffrn fivtnty, ©efretair. 

Kine Photographie beg Seneralg St. K. See tann oon ©t. Kjefiel, ©ilbbouer in Slom, 
Sia lorino 66, erbeten werben. 


yrbartt#*, PcrHi N.W., ftrow>rta&enufer 4. 


güt Oie »ebaction oeranttoortitcO: #t#?g stlde in Merlin. 
Arud oon f. g. fenlner in , /rin«. 


iitwMii«*, aieriis N.W, SmriMhste M. 



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XI. Band. 


JG 26 . 


^ / // 
if'' 


betritt, ben 30. 3««i 1877. 



Die (!5c0eimiiut 


|tkn §nntnk trfptiiii tint |i«an. 

Stt bt&ittyen burefc alle S9u4baub(ungen unb tßoflanflalten. 


fflerleger: OcotQ Stille in Berlin. 


|ttis fit 9urtal 4 |btl 50 gf. 

Sufecate jeber Art pxo Sgefpaltene $etitjeilr 40 $f. 


gn^aft: 


$ie iteuefie Revolution in granfreidj. ©on Seopolb 9lic^ter. — ©riefe aus SßariS. 3)ie Sßftöftojjnomie ber Kammern, ©on $aul 
ßinbau. — Öiterotur unb Äunjt: 2)i* vereitelte Teilung, ©on 3- Trojan. — ©iufe^pe ©uiftt. ©on Siegfrieb ©antofd). — 
(£ultur0efdjidjte unb Raturgefdjidjte. ©on (SaruS Sterne. — $errn (Styrtyjanbera ^anbelbiograp^ie unb feine Jjfodjoloöifdjen unb 
culturaefdtfdjtlidjen ftnftdjten. ©on $. SJjrlidj. — Zotigen. — Offene ©riefe unb Slnttuorten. ©laubenSbefenntnifj eines ©jnritualiften. 
©on <Ö. ©loebe. @. #orn unb 5- ©anbvoft. — ©ibliogra^te. — 3nferate. 


Die nettere Kcoolution tu ^rankreid). 

SBoit Ceopolb Hidjter. 

Ser jweite Stet ber grofjen politifepen Somöbie, bie am 
IG. SRai iit ©ariS itjrert Stnfang genommen pat, ift nun ju 
Snbe gefpiett worben. @r pat, ebenfo wie ber erfte, Weber 
allgemeinen noep entpufiaftijepen SSeifatt geerntet. Ser Senat 
pat bem SRarfepall mit einer traurigen, jögernben, motioiren» 
ben SRajorität oon 19 Stimmen bie erbetene Stutorifation ge= 
geben, bie Kammer aufjutöfen. Ser ©räfibent ber Slepublif 
triumppirt; eS ift jeboep ftarf ju bej weif ein, bajj er ftolje 
SiegeSfreube entpfinbe; ei wäre niept ju »erwunbern, wenn 
er fiep einigermaßen gebemütpigt füllte; ©runb genug baju 
tjat er. @r pat wäprenb beS Reißen ÄampfeS, aus bem er 
noep gerabe mit officieflem Seben baoongelommen ift, empfinb- 
licpe Silage befommen. — Sie republifanifepe Partei pat 
ipm burep ipre Stimmfüprer ©ambetta, Seon Sienault, ©ictor 
§ugo, Saboulape feinen Stanbpunft in einer SBeife flar ge= 
maept, bie burepaus niept fepmeiepelpaft für ipn ift. (Sr, ber 
fid) baran gewöhnt patte „ber lopale Solbat", „ber ntoberne 
©aparb" genannt ju werben, pat rupig mit anpören müffen,. 
bafj man feine ©laubroürbigfeit ftarf angejweifelt unb bafj 
man ipm in SEBort unb Seprift einige punbert SRale Wieben 
polt pat, er pabe baS in ipn gefepte Vertrauen gemipbrauept. 
Sie woplwotlenbften unb gemäpigtften feiner (Segnet paben ju 
feiner ©ntfepulbigung nur »erbringen fönnen, er fei ein braoer 
SJtenfcp, aber fein Staatsmann; es fepte ipm an poIitif(pem 
llrtpeil unb Scparfbtid; er pabe fiep »on feiner Umgebung, 
»om §erjog be ©rogtie, »om ©aron be St. ©aut, »om ©icomte 
b’$arcourt, »on §errn SBuffet unb »on ber unter uttramon= 
tanen (Sinftüffen ftepenben SRarfepaHin pinter’S üiept füpren 
taffen. — ©S ift part, fiep »on einer SEBetttribüne aus, »on 
ernften SRännem in Waren, beuttiepen ©Sorten ber SöoSpeit 
ober, günftigeren galleS, ber ©efepränftpeit jeipen ju pören, 
unb fiip niept »erpeimliepen ju fönnen, bap biefer ÄuSfpruip 
mit ber ßuftimmun^ ber angefepenften potitiftpen (Sapaci= 
täten fffranfreicps unb unter bem einftimmigen ©eifaQrufen ber 
aufgeWärten treffe »on ganj (Suropa abgegeben wirb. Ser 
SRarfepaQ ÜJlac wlapon mag fiep peute noep, wie bor furjem, 
optima fide für einen lopaten Solbaten unb niept unbebeutenben 
ißotitifer patten; aber er wirb fdjwertiep ignoriren fönnen, bap 
feine perföntiepe, unmapgebKcpe SJleinung nur noep »on einer 
winjig Weinen SRinorität getpeitt wirb. — Ser (Sewattftreiep 
»om 16. 2Rai, bem nun bie Stuftöfung ber franjöfifdpen 
Kammer auf bem fjupe gefolgt ift, faiin, wenn man eben nur 


ben Suepftaben unb niept ben ©eift beS ©efepeS berüeffieptigen 
Witt, noep einigermapen gereeptfertigt werben; aber er pat nun 
ganj allgemein bie ©efüreptung peroorgerufen, bap bie be= 
ftepenbe franjöftfipe ©onftitution ber ©efapr auSgefept fei, 
gerabe »on Semfenigen angegriffen, gefcpwäcpt unb umgeworfen 
ju werben, ber ipr »orjügliepfter ©efepüper fein fottte. — Unb 
biefe ©efüreptung, welche bie ßufunft granfreieps, ben grieben 
ber SBelt in grage fteut, ift »oUftänbig gereeptfertigt. 

Sebermann, ber ben ©reigniffen in granfreiep ju folgen 
wünfept, bat fiep junäepft fragen müffen, was ben SRarfdjall 
Mae ©lapon möglieperweife baju bewogen paben fönne, feine 
fixere Stellung an ber Spipe ber Slepublif plöplidp ju com= 
promittiren unb ju geftatten, bap biefetbe burep einen Aufruf 
an baS Sanb in fffrage gefteüt werbe? Sie Slntwort, weld)e 
baS neue SRinifterium ©rogtie=gourtou barauf ertpeilt pat, 
ift unbefriebigenb. SaSfelbe pat erWärt, ber SRarfcpaU pabe 
fiep überjeugt, bap granfreiep auf bem SBege, ben es feit »ier 
Sapren eingefeplagen pat, „in bie Slrme beS SRabicaliSmuS" 
getrieben werbe, unb bap es feine, beS fJRarfcpaHs, erfte ©fliept 
fei, niepts ju unterlaffen, um bieS fureptbare Unglücf »on 
granfretep abjuwenben. ©eweife für bie SRicptigfeit biefer ©e= 
pauptung pat baS 9Rinifterium niept gegeben, weil eS eben feine 
©eweife bafür finben fonnte. Sie ©efapr beS SRabicaliSmuS, bie 
ber ©räfibent ber fRepnblif »on feinem ©aterlanbe abjuwenben 
Wünfepte, war bis jum 16. 2Rai für menf^tiepe Sinne nod) 
niept War erfennbar geworben. SaS Sanb lebte rupig, in grieben 
unter bem Scpupe unb in ftrengftem ©eporfam einer »on ipm 
eingefepten SRegierung, welepe es bamit befepäftigt glaubte, bie 
beftepenbe ©erfaffung ju »erbeffern unb ju confotibiren. 
IReoolutionäre ©elüfte, benen in fettenen SluSnapmefäUen, pier 
burep eine wilbe Siebe, bort burep ein bropenbeS SSJort, niemals 
jeboep burep bie Spat SluSbrud gegeben worben war, patten 
nirgenbs ©efriebigung gefunben. Slebner unb SepriftfteHer — 
Sonnet Suoerbier, ber ©räfibent beS ©arifer SRunicipalratpeS; 
bie Sloepefort’fepen Leitungen „Les droits de l’homme" unb 
ber „Radical“ um einige Seifpiele anjufttpren — waren mit 
unerbittlicper Strenge »erfolgt, beftraft nnb jum Sepweigeu 
gebraept worben. SaS „rotpe ©efpenft", »or bem ber §erjog 
be ©roglie gurept peuepelte, war eben nur eine ©efpenfterer= 
fepeinung, eine Säufepung ber Sinne. Ser SRinifterpräfibent 
mufjte beSpalb auep, bei feiner öeweiSfüprung für baS Safeiu 
einer focialen ©efapr, feine ßufluept ju bem »on ipm erfunbeneit 
„latenten StabicaliSmuS" nepmen. SaS ift in ber Spat ein 
ben SRonarcpiften fepr bequemer SlabicatiSmuS. Seine Unfid)t- 
barfeit, feine Unerfinbliepfeit maepen ipn nur fureptbarer unb 
abfcpeuli^er. Ser ©eweis für feine ©jiftenj ift opne jebe 


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406 


Ule 


Nr. 26. 


©cfewierigteit geführt: est quia est. dies Argument mag 
denjenigen, bie es ju ihrer Rechtfertigung anwenben woden, 
genügen!) erfdjeinen; diejenigen aber, bie fich burd) bett ©e- 
waltftreich »om 16. SRai beunruhigt unb bebrobt fühlen, ftnb 
baburch erflärlidjer SEBeife nicht befriebigt dte §anblungS» 
weife beS SRarfchaflS fdjeint ihnen burch finbijche ©efpenfter» 
furcht nicht genügenb motioirt; fie nehmen mit »ollem Rechte 
an, bafe ber Vßräfibent bet Republit bem liberalen granfreich 
ben Krieg erttärt habe, weil er »on feiner clerifalen uni 
reactionären Umgebung aufgeforbert unb »erführt worben fei, 
bieS ju thun. 

grantreich ift, wie alle anberen fiänber ©uropas, junädfjft 
in jwei grofee politifche Parteien geteilt: bie republitanifche 
unb bie monarchifche. die franjöfijchen Republitaner, unb 
barunter äufeerft gemäfeigte, confer»att»e SRänner wie dljierS, 
dufaure, Renault, SEBabbington, fieon ©ay, bie im ©runbe 
ihrer $erjen noch f>eute Orleaniften fein mögen unb in wohl 
conftituirten SRonarchien wie in deutfchlanb unb Gsngtanb ohne 
jeben Zweifel ber regierungSfreunblichenSjtertei angehören würben, 
finb ju ber Ueberjeugung gelangt, feafe bie SBieber^erfteUung 
einer SRonarchie in granfreich unmittelbar barauf bte 2Bieber» 
eröffnung einer reoolutionären Slera jur golge haben würbe. 
Sie betämpfen bie SBieberljerftedung beS Königs» ober Keifer» 
thumS im 3ntereffe ber ^ufrecfjterhaltung beS inneren unb 
äufeeren griebenS, beS Refteljenben. ©ie bilben im heutigen 
grantreich im wahren Sinne beS 28orteS baS grofee confer» 
»ati»e ©lement. 

die franjöfifchen SRonarcfeiften fdjliefeen bie Sttugen, fobalb 
man »on ihnen »erlangt, fie follen in bie Bufunft jehen. ©ie 
fprechen »on ber ©chrecfenSherrfchaft unb »on ber Kommune 
unb fagen, bie Republit fei »on jeher an allem Unglücf, 
welches granfreich betroffen hat, ©chulb gewefen, unb es fei 
beShalb bie Pflicht eines jeben franjöfijchen Patrioten, bie 
Republit ju betämpfen unb für bie SEBiebertjerfteUung ber 
SRonard)ie, bet grantreich feine ©röjje »erbante, ju arbeiten. 

der SRarfcijaü SRac SRabon, ber Sßräfibent ber Republit, 
ift ein ertlärter geinb ber Republit unb ein offenfunbiger 
greunb ber Monarchie. dafe ein foldjer SRann jum erften 
SRagiftrat ber Republit ernannt werben tonnte, ift eine jener 
Anomalien, welche grantreich jum ©egenftanbe europäifcher 
Rerwunberung gemalt haben, ©o lange bie officieUen Rath» 
gebet beS SRarfchattS, b. h- feine »erantwortlichen SRinifter, 
ber republitanifd^en Partei angehörten, burfte man jeboch an» 
nehmen, bafe er ben ©ntfdjlufe gefaxt habe, feine perfönlidhen 
Sympathien bem beutlid) auSgefprochenen 2Biden ber 2Jta» 
jorität beS SanbeS unterjuorbnen. ©eine Stellung an ber 
©pifce ber Republit erfchien bemnach nicht unbebingt als eine 
©efahr für bie Slufrechterljaltung ber republifanifdjen Rer» 
faffung. SRit bem unmotioirten ©turje beS SRinifteriumS 
3uteS ©imon, mit ber ©infefcung beS ©abinets Rroglie» 
gourtou = Rrunet = SReauj hat fich jeboch baS Rlatt »od» 
ftänbig gewanbt. SRan weife, bafe bie §erjöge Rroglie unb 
decajeS Orleaniften finb. die Herren be gourtou unb Rrunet 
finb notorijehe Ronapartiften; ber Ricomte be SReauj enblich 
ift Segitimift. 3n bem republifanifchen SRinifterium beS Sßräfi» 
benten ber franjöfijchen Republit befinbet fich augenblicflidj 
nicht ein einjiger Republitaner; im ©egentfeeil, fämmtliche 
SRinifter, welche mit bem SRarfchad SRac SRabon bie Seitung 
ber ©ejdhicfe grantreid)S in bie $anb genommen haben — 
mit Ausnahme »ieUeicfet beS KriegSminifterS ©eneral Rerthault, 
bejjen politifche ©efinnungen ein ©efeeimnife für Sebermann 
ju fein fcheinen — finb ertlörte geinbe beS Reftehenben, ber 
Republit. Unter biefen Umftänben ift bie gurefjt »or einer 
Reootution, ober in anberen 2Borten »or einem SEBieberfeer» 
ftetlungS»erfud)e ber SRonarchie wofet gerechtfertigt. •— SldeS, 
was in grantreich liberal unb wirtlich confer»ati» ift, mufe 
beSfealb augenblidlidj iu h°h em ©rabe beunruhigt fein, dafe 
bie Rabicalen unb ©ocialiften bei berfelben ©elegenbeit gurcht 
betommen, änbert an ber Sachlage nichts, die Ungerechten 
tönnen mit ben ©erechten burch eine getneinfame ©efahr be» 


broht werben, ohne bafe biefe beSfealb allein, Weil fie ben Röjen 
ein ©efereefen ift, eine yeilfame genannt werben bürfe. — das 
SRinifterium Rroglie»gourtou tann nur einen gweef »erfolgen, 
Wenn es nic^t ganj unb gar jwectloS ift: bie SBHeberherftedung 
ber SRonarchie. dies ift nidjt für granfreich allein beun» 
rufeigenb. das StuSlanb hat baS Recht unb bie Pflicht, babei 
ein 2Bort mitfprechen ju wollen. 

„Charbonnier est maitre chez lui“, jagen bie granjojen. 
„der ärmfte SRann ift §ert in feinem §aufe; unb tein Rach* 
bar hat ein Recht, fich in bie innere Rerwaltung feines §auS* 
JjalteS mijefeen ju wollen/' dies ift ridhtig; aber boch nur 
innerhalb gewifjer, »emünftiger ©renjen; benn felbft ber reichfte 
SRann hat nicht bas Recht, fein fsauS in Rranb ju fteden 
unb baburch bie Sicherheit feiner Rachbant ju geführten. 
SEBeber im Dften noch im ©üben »on granfreich, Weber in 
Rertin noch in Rom, bürfte man fich befugt fühlen, in bie 
inneren franjöfifdjen Rerwicfetungen thatfächlidj eingreifen jn 
wollen, jo lange bie 2Birren in granfreich leinen internationalen 
©harafter annehmen. 2lber weber in deutfchlanb noch in 
3talien tann man ignoriren, bafe ber päpftliche §irt in Rom 
es ift, welcher bte grofee monarchifche ßerbe in granfreich, 
bie fich ohne feine ©inwirfung nach »erfchiebenen Rimmels» 
gegenben f)itt jerftreuen würbe, jufammenhält unb fte in ber 
»onifem gewollten Richtung »orwärts treibt. — daSSRifetrauenS» 
»otum gegen baS SRinifterium Rrogüe»gourtou, mit bem bie 
franjöfifche Kammer in einer ihrer lefcten ©ifeungen bie dages» 
orbnung befefetoffen hat, läfet feinen dweifel barüber, bafe eine 
überwiegenbe SRajorität ber Rertreter beS franjöfijchen RolfeS 
biefe 2fnficf)t tfeeilt, bafe fie bie Sßolitit beS ©abinets für eine 
cterifale hält, unb bafe auch fi e ben grieben im 3nnem fo» 
wofel wie mit bem Sluslanbe burch bie ultramontanen denbenjen 
beS heutigen SRinifteriumS für ernftlich bebroht hält. 

der ©ieg ber Sßolitit, welche ber SRarfchatI SRac SRafeon 
feit bem 16. SRai unter rüdfidhtslofer SRitwirfung eines burch 
unb burch clerifalen SRinifteriumS befolgt, würbe gteicfebebeutenb 
fein mit bem ©ieg beS UltramontaniSmuS in granfreich unb 
würbe, über furj ober lang, eine SRidion Rajonnette jur Rer» 
fügung beS SßapfteS, beS unoerföhnlichen geinbeS ber beftehen» 
ben Orbnung in deutfchlanb unb Stalien fteden. dies ift 
in ber dhat eine geuerSbrunft im Racfebarhaufe, gegen bie ju 
»erwaferen Sßflicht ber ©elbfterhaltung ift. 


£titfe üü$ JJariö. 

Sie fiyflsgMwit ber ftammtr«. 

22. 3utti 1877. 

das waren hei&e dage in RerfaideS! ©in glühenber 
Fimmel unb erhi|te Köpfe. 

©in glüdtidjer 3ufad hat eS fo gefügt, bafe ich faft allen 
bebeutenben ©ifeungen in ber deputirtenfammer unb im ©enat 
feit bet 2Biebereröjfnung bet Kammern bis ju beten Äuflöfung 
habe beiwohnen unb »on bet bequemften Soge aus ben Kämpfen 
in bet Slrena habe jufeljen tönnen. 2tbfid)tücb wähle ich h‘cc 
bie 2luSbtücfe, bie man bei bet ©chtlbetung eines ©tietgefedhts 
anjuwenben pflegt, benn mit einem folgen hatten bie Rerfaider 
debatten eine »etjweifelte Stehnlidjteit. ©S. fehlte nichts, um 
biefe 2lehnlichfeit ju einet frappanten ju machen, auch nicht baS 
tothe duch beS RabicaliSmuS, baS bie doreaborS am SRinifter» 
tifche nur ju fchwenfen brauchten, um bie Stiere jur Rechten, 
namentlich bie Ronapartiften, jur befinnungStofen SSuth gegen 
bie Sinte aufjureijen. diefelbe düefe, biefelbe Rafetei ba unten, 
biefelbe ©ttegung, biefelbe frtüole greube am Sdjeufelichen auf 
ben ©aletien; ein jammeroodeS Scfeaufpiel ba unten, unb oben 
tächelnbe damen, bie ft<h baju fchmüdlen wie ju einem fröh* 
liehen gefte. 

die franjöfifdjen Kammern f^einen ben Reruf in fich 5 U 
fühlen, ben Parlamentarismus um aden ©rebit ju bringen. Ron 


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Nr. 26. 


Sir Gegenwart. 


407 


irgenb welcher ernften Dheilnaßme am Sachlichen ift faum nocß 
eine ©pur maßrjunehmen, ei ift nur noch bie ßuft am Sfanbal, 
bie fidj borbrängt unb breit macht. 

DaS ©rgebniß ber leibenfchafttußen Debatten mar als 
feftjie^enb fdjon belannt, etje biefelben noch ißren Einfang ge« 
nommen Ratten. Man wußte ganj genau im Voraus, baß baS 
MißtrauenSbotum gegen baS „Sampfminifterium" ©roglie«3ourtou 
mit einer feljr ftarfen Majorität bon ber Deputirtenlammer, 
unb baß baranf bie Sluftöfung tiefer unangenehmen Kammer 
burch ben Senat mit einer feßr unbebeutenben Majorität befdjloffen 
werben würbe. Man Wußte, baß auch bie berebteften Sieben 
biefeS Siefultat in (einer Meife betänbern mürben. MaS bie 
©eborjugten, bie ftd^ ben ©intritt ju bem Sifcuugsfaale hatten 
erfämpfen fönnen, bie ißarifer, bie attabenbticß in bitten Raufen 
bie SeitungSläben auf ben ©outebarbS beftürmten, bie granjofen 
in ber ißrobinj, bie auf Depefdjen warteten, unb wohl auch baS 
SluSlanb in änfprucß nahm, bie junäcßft ©etßeiligten in eine 
fieberhafte Aufregung berfefcte unb auch bie gernftehenben be« 
fchäftigte, War auSfcßtießlicß ein Gefühl ber ©eugier, mar bie 
Stage: wie Weit werben ei bie ©inen mit ihren fjerauSforberungen, 
bie Zubern mit ben ©eleibigungen in ber Slbmeßr treiben? mann 
werben fie enbtich bon ben ©erbat« ju ben ©eal=3njurien über« 
gehen? 

Die Herren Deputaten nnb Senatoren, bie Somöbianten 
in biefem {täglichen ©aufelfpiele, waren fich beffen wohl bewußt. 
Sie unterfcßäßten in feiner SBeife bie ©ßte, bor bem benfbar 
größten publicum ihre (leinen Späße aufjufüßren, unb fuchten 
— ba8 muß ihnen ber ©eib laffen — bem in fie gefeßten ©er* 
trauen auf eine burch i^re ©rutalität ergöjjlicße ©orftettung nach 
Kräften ju entfpredjen. 

3cß habe bor einigen Saßreit einer {ehr erregten Sifcung ber ©a« 
tionalberfammlung unter DßierS beigewohnt unb War ber Meinung, 
baß ba in ber ©ntftettung beS parlamentarifchen SEBefen«, in feiner 
©erbreßung jum ©egentßeile, jur unparlamentarifchen Sügelloßg« 
(eit, baS Mögliche gefcßeßen fei. Die Sifcungen in ber Sammer unb 
im Senate unter Mac Maßon haben mich chte8 Slnberen belehrt. 
Sludj ber Superlatib ift in granlreicß noch einer Steigerung 
fähig, auch ba8 SCergfte (ann bort noch überboten werben. 

Sein Mort ift (räftig genug, um biefe ©erleugnung aller 
unb jeber Mürbe, um biefe Unftäthigfeit in ben ©eberben, bieS 
©ewieher unb ©ebrült, biefen wüften ßärm ju fchilbern. 

Melden ©inbrud macht eS auf uns Sernpeßenbe, wenn wir 
in einem Sammerbericßte bie nicßtsfagenben Morte: „©erfcßieben« 
artige ©ewegung" — „Mouvements divers“ — ßnben? @ar feinen. 
Mir lefen flüchtig barüber hinweg. Miffen Sie, waS biefe „ber« 
fchiebenartige ©ewegung“ in Maßrßeit ju bebeuten hat? ©ie 
bebeutet, baß auf ber ©echten unb auf ber ßinlen ju gleicher 
Seit ßunbert, jmeißunbert, breißunbert Mitglieber plöfcUcß lo8« 
brüllen, fich anftalehlen wie bie gifcßweiber, fich mit ber Sauft 
bebroßen, ihre Sifce berlaffen, in bedrohlicher Haltung unb unter 
fortwäßrenbem ©eheul gegen einanber borrüden, bieweil ber 
©räfibent wie ber ©onbucteur ber ißferbebaßn an einer Straßen« 
ede unabläfßg mit ber großen ©lode läutet unb bie Diener be8 
Kaufes unter bem fich immer mieberßolenben Stufe: „Silence, 
Messieurs, s’il vous platt!“ unb nöthigenfaH8 fogar unter Sin« 
wenbung gewaltfamer Mittel, — inbem fie nämlich bie Herren 
©ol(8bertreter Wie Sonftabler auffäffige ©olfsßaufen burch ^ßüffe 
unb Stöße au8 einanber treiben, — bie Orbnung wieber ßerjnftetten 
eifrig befliffen finb. DaS heißt im ©uphemi8mu8 ber franjößfeßen 
©arlamentSbericßte „mouvements divers“. 

Sch Wollte meinen Slugen unb Ohren nicht trauen, al8 ich 
bie Diener be8 Kaufes, biefe fogenannten „huissiers“ arbeiten 
fah- Denfen Sie fich ein »ber jtoci Dußenb rüftiger Serie in 
gefeßmadbotter ßibree, mit einer filbernen Sette um ben $at8 
unb bem Degen an ber ©eite, bie bie Dribüne umfteßen unb 
an bem Slu8gängen poftirt finb — ©ubaltembeamte, bie nach 
ihrem ©rmeffen, ohne ben ©efeßl be8 ißräfibenten abjumarten, 
in ber ihnen geeignet erfcheinenben Meife bie $au8otbnung auf« 
recht erhalten, — Subalternbeamte, bie au8 eigener Snitiatioe 
bie bon ber Station erwählten ©ertreter auffotbern, gefälligft ben 


Munb jn halten, bie auf ben ©inen ober Slnbcrn, bet ihnen 
befonberS unruhig erfeßeint, lo8gehen unb ihn jur ©nße ber« 
weifen, bie Diefen, ber ju ftarl poltert, berwamen, unb 3enen, 
ber jur Dribüne brängt, langfam unb beharrlich auf feinen ©laß 
jurüdfehieben. Unb ba8 laffen fich biefe ©raufelöpfe ruhig ge« 
fallen l 3h ren erwählten ißräfibenten lachen fie au8, berßößnen 
unb befdjimpfen ihn, ber filbernen Sette be8 ßafaien aber er« 
weifen fie ©efpect. Munberlicße ßeute! 

©ermunberung unb ©efrembnng! Da8 finb bie ©efüßle, 
bie ben gtemben, welcher biefen parlamentarifchen Safdjing bor 
ßdj borüberfaufen fießt, unauSgefeßt beherrfchen. SltteS ift feit« 
fam unb erftaunlicß an biefen ©erhanblungen, ber ©ortrag unb 
bie ©eberben be8 ©ebnerS auf ber Dribüne, bie beftänbigen 
Unterbrechungen, bie tobenben Swiegefpräche, bie Ohnmacht beS 
©räfibenten, ba8 ©eifattllatfcßen, bie ©eglüdmünfcßungen — SltteS! 

Mottte fich «in ©ebner in einer bentfehen Sammer fo ge« 
herben unb fich in bem fcßaufpielerifchen ©ortrage gefallen, wie 
e8 hier altfeitig gefeßießt, er würbe einfach au8gelacßt Werber. 
3<h habe hier bie öerfchiebenften ©ebner gehört, Minifter unb 
©abicale, ungefchidte Dölpel unb geiftbotte ßeute; in einem 
fünfte treffen pe Sitte jnfammen: in ber ©efpreijtßeit unb So« 
möbianterei beö ©ortragö. Ma8 ich ö °n bem ©inen ju fagen 
habe, gilt für Sitte. 

Mährenb ber ganjen ©ebe luftwanbelt ber ©etreffenbe, bet 
gerabe jur ©ation fprießt, auf bet jiemlich breiten Dribüne hin 
unb her, hüpft ober fdjleppt p<h — je nach ben ©ingebungen 
feiner (örperlichen ©efchaffenheit — halb nach red)t8, halb nach 
Iin(8, beugt fidh mit einem frampfhaften ©ude oornüber, al8 
motte er mit einem $echtfprung jn ben ©rünblingen im ©ar< 
terre hinabfdjießen, ober ftemmt bie $änbe gegen ba8 ©elänber 
unb wirft ben Sopf jähling8 in ben ©aden, fuchtelt babei mit 
ber ©echten, fuchtelt mit ber ßinlen, fuchtelt mit beiben ^änben, 
jappelt, ftrampelt, geberbet p<h mit einem Morte wie ein ©e« 
feffenet. 8ttte8 ba8 um bie ©epublil ju retten ober bie Mon« 
atdjie einjufchmuggeln. ©epublif ober Monarchie — an biefe 
©ebürfniße ber großen ©ation habe id) beim Stnblide ihrer ©er« 
tretet weniger gebacht al8 an bie münfehenöwerthe ©efeßaffung 
be8 „Struwwelpeters“ mit bet fdjönen ©ef^ießte oom Sappel* 
Philipp: 

,Ob ber ißbtlipp heute ftiH 
Mohl bei Xifche ftpen toiU“ 

unb ber weifen ßeßre, bie fich barauS ergibt, unb bon ber bie 
Slnßänger bet einen wie ber anbern Staatsform ©ufeen jießen 
(önnten: 

„©eibe finb gar traurig feßr, 

$aben nichts ju effen mehr.“ 

©benfo unbemünftig Wie bie ©efticulation beS ©ebnerS 
ift fein münbticher ©ortrag. Süt jebe Stimmung, bon ber er 
beßerrfcht ju fein glaubhaft machen möchte, jießt er ein anbereS 
©egifter : bom pftelnben DiScant beS SarcaSmuS unb ber Stonie 
bis jum brummenben ©aß ber patriotifchen ©ntrüftung. Mir 
ßaben ßier feßr tüchtige ©arlamentSbauchrebner. 

Slber bon bem einen Unglüdfeligeit, ber pcß auf ber Dribüne 
abßafpelt, Witt icß noch gar nichts UnliebfameS fagen. Menn er 
audjj ein ©arr ift, fo ift es eben boeß nur ©inet! Da unten aber 
ift’S fürchterlich. Da pßen ißter an bie fedjSßunbert, mit bemfelben 
freunblicßen Demperamente auSgeftattet, juft ebenfo munter unb 
frifcß unb beweglich, ebenfo guSgelaffen unb fcßäfernb wie ber ba 
oben. Unb nun fagt ber ©ebner auf ber Dribüne irgenb etwas; 
irgenb etwas muß er boeß fagen, baju ift er ja ba! SllSbalb 
erßebt ßcß ju feiner ©echten ober ju feiner ßinfen ein unbe« 
fcßreiblicßer Dumutt. Darauf reagirt bann bie Seite, bie bis« 
ßer gefeßwiegen hatte, mit ber tumultuarifcßen Sunbgebung ber 
entgegengefefeten Slnficßt. 

— ©ortrepii^. 

— ©löbßnn. 

— Seßr waßrl 

— ©rlogen. 


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408 


lit Gegenwart 


Nr. 26. 


©eifaü unb $opn, 3uftimmung unb Kblepnung wogen pin 
unb wieber. ©lode beS ©räftbenten, ©uf bet ©iener: „Steine 
Werten, Zweigen Sie gefäfligftl" ©er ©ebnet leert ein ©las 
falten Raffte, trocfnet bie Stirn unb fährt fort. 

(Sr fagt wieber irgenb etwas, ©eue Unterbrechung. KuS 
bem allgemeinen Gewirr oon Stimmen macht fich eine burch ihre 
befonbere (Energie bemerfbar. 

— ®a8 ift unerträglich! ©öS ift eine ©eteibigung! 

— 3cp mache Sie barauf aufmerffam, #ert X, ruft ber 
©räfibent, bah @*e nicht ba$ SEßort hoben. 

— SBir wollen unS nicht beleibigen laffen, unb wenn ber 
©räfibent... 

— 3«h rufe @ie jur Drbnung. 

— ©rabol ertönt eS linfS. 

— ^opapa! antwortet bie ©echte. 

Xumult, ©lode beS ©räftbenten, (Sinfchreiten ber $niffierS. 
©er ©ebner wiß fortfahren. ©ie ©echte johlt, floppt mit ben 
©ifcpchen unb üoflfüprt fonft noch oflerlei finnigen Sdpabernad, 
um ben ©ebner nicht ju Säorte tommen ju laffen. 

— (St foß’S jurüdnepmen! — ©r infultirt unS! — ©8 
ift eine grecppeit! — SBir finb piet bogelfrei! — ©er Sßräft- 
bent ift parteilich! — ©uhe ba brüben! ©uhe! 

— SBaS fagten Sie ba, mein $>err? 

— Spnen höbe ich äberhaupt nichts ju antworten. 

— Steine Herren! beginnt ber ©ebner oon ©euem. 

— ^apapa — pi! Rlopp, Kapp! auf ber ©echten. 

— Steine Werten! fchreit ber ©räfibent. Säir führen hier 
ein ffanbalöfeS Schaufpiei auf (©rabo!), ich appeflite an ihren 
Patriotismus (Sehr gut! ©rabo!) unb bitte Sie, ben ©ebner 
fortfahren ju laffen. (©erfcpiebenartige ©ewegung.) 

— ffirft muh er bie ©eleibigung jurücfnehmen, fchreit ber 
reactiopäre fpeihfporn, ber fchon jur Drbnung gerufen ift. 

Sefct ereilt ihn bie grofje Strafe. ©ie „©enfur" wirb über 
ihn oerhängt. ©aju reicht bie ©ompetenj beS ©räfibenten nicht 
aus. ©in ©efcplufj ber Rammet ift erforberlicp. SBaS ift baS 
nun, biefe „ffienfur"? ©ie ©erliner hoben barauf eine feht 
treffenbe Antwort: „Cine ©mpfehlung, unb es wäre nichts." — 
©ad| ber früheren ©efcpäftSorbnung würbe ber ©enfurirte aßer- 
bingB empfinblidj gefränH — fogar an bet empfinbtichften Stelle, 
am ©elbbeutel. Sein ©ehatt als Solfsoertreter (10,000 gtancs) 
würbe gefcpmätert, auherbem würbe ber Rammerbefchtuh, welcher 
bie ©enfur gegen ben auffäffigen ©eputirten auSfpridjt, im 
SSahlbejirfe in einer beträchtlichen Knjapt Oon ©jemptaren burch 
©tacate oerbreitet; unb auch bie Roften biefer ©efcmntmacpung 
hatte ber ©eftrafte ju tragen, ©ei ber ©eoifion ber ©efcpäftS« 
orbnung würbe nun gettenb gemacht, bah bie ©elbftrafe eines 
Kbgeorbneten nicht würbig fei unb bah bie moralifdjie Rränfung 
genüge. ©ie ©enfur ift alfo jefct nur ber theoretifch berfdjärfte 
DrbnungSruf unb bebeutet in ber ©pat gar nicpta. ©S hot fich 
gejeigt, bah ber ©räfibent nicht bie Stacht befifct, einen bor= 
lauten Schreier, ber bie ©ebatten mutpwißig ftören Will, jur 
©uhe ju bringen, bah ber Stinifter ein gutes Säort eintegen 
muhte, um „ben Sümmet jahm" ju machen, Wie Stephifto fagt. 

SBenn nun ber ©ebner im Scpmeihe feines KngeficijtS fein 
mühfeligeS Säerf oollbracht h Q t unb bie ©ribüne oerläht, fo geht 
ber Särm auf’s ©eue los. Seine greunbe begnügen fich nicht 
bamit, ihm ju applaubiren wie einer ©rimabonna nach einer 
oirtuofen ©abenj, unb in jwei=, breimal Wieberholten Salben 
burch Rlatfchen unb #urrap ih r{ 3ufriebenpeit funb ju geben — 
eine neue Romöbie beginnt. ©ie politifchen greunbe erheben fiep 
oon ihren Sipen, eilen bem hier ©efeierten unb bort ©egeiferten 
jubelnb entgegen, umringen ihn, ftreden ihm begtüdwünfcpenb 
bie biebere ©echte entgegen, fcpüttein bie feinige, fobalb fie beren 
habhaft werben, mit Snbrnnft, fchliehen ihn wohl auch in tpre 
Strme, ja, wenn es pod) fommt, geben fie ihm fogar einen Ruh, 
mehrere Rüffe. @8 ift unfagbar tührenb. 

Unb biefer Subei wieberpott ftch jebeSmal, fobalb ein Stit= 
glieb beS StinifteriumS ober einer ber güprer eine längere ©ebe 
geholten hoi 


gür heute höbe ich nur oon bem Hflgemeineren fpredjen 
Wollen. ©S wirb fiep mir wohl noch bie ©etegenpeit bieten, 
oon bem ©inen ober bem ©oberen SpecießereS ju erjählen. 
©ariS ift für ben gremben ober ©ntfrembeten nicht ber Drt jur 
ruhigen Strbeit. ©aS ©otijbuch füllt fich, ober bie Seiten, bie 
mit Stanufcript betrieben werben foflten, bleiben leer. 

paul £intatu 


difettttttt trab <£uii(t 


Die vereitelte Steilung. 

Kn einem Drte — nennen lann ich tp», 

SBenn Semanb an bem ©amen ift gelegen — 

©efcplofj bie ©ürgerfchaft in einem Sohr, 

SttS ©belfinn befonberS üppig blühte, 

©ie aßgemeine ©peilung oßeS ©uts. 

©on Klient, was jufammen fie befähen, 

©in gleiches ßooS foflt’ jebem ©injetnen, 

©in gleicher Kntpeil faßen jebem ©ürger, 

SBenn — biefeS Wat bie ©laufel beS SertragS — 
SBenn Kfle bamit einoerftanben Wären. 

Unglaublich ift’S unb bennoch fam eS fo, 

©ah Kfle fchiiehlich einoerftanben waren. 

©ei ©ielen war bie ßuft jum ©peilen grofj, 

©ei Knbern war üiefleicpt bie gurcht noch gröber, 
©ah, wenn fie nicht gutwiflig fich ergäben, 

©in fanfter ©rud fie jwingen fönnt’ baju. 

Stit einem SBorte: feft ftanb ber ©efchluh, 

©ah es jur ©peilung !äm’, unb bann ein jweiter, 
©ah eS gefchehen foflt’ in lurjer griff. 

SBer nun ein gutes gah im Refler hotte, 

©er'ging mit fich ju ©alp unb fprach ju fich: 

„©in einjig Stiftet gibt eS, ju oerhinbern, 

©ah biefer Xranf nicht einem Stanne werbe, 

©er ihn gebüprenb nicht jn fcpäpen Weih — 

©ieS Stittel ju ergreifen brängt bie Stnnbe." 

So fprechenb bohrt’ er an baS gah unb tranf; 

Unb Stancper trän! fo eifrig, bah er felber 
©er ©peilung jwar entging, bodp bon bem Säein 
©och einen ©eft jum ©peilen hinterlieh. 

©ie Seit oerging unb ber ©ermin war ba. 

©un fcpleppte gebet fcpon am frühen Storgen, 

83aS an beweglichem ©efifc er potte, 

Stit ©it’ pinauS auf ben Semeinbeanger, 

Unb f^teunigft warb ein Soprmarft aufgebaut, 

S3ie er am Drt noch nicht gefepen war. 

©a fiel eS plöplicp einem ©ärger ein, 

©ah eine Klte brauhen Oor bem ©por 
©ocp nicpt befragt fei, ob fie einoerftanben. 

Sie War bie Krmutp felber, Oiel ju bflrftig, 

KlS bah «in Stenfcp pätt’ an fte beulen lönnen. 

Such fcpien es ganj unnötpig, bie ju fragen, 

©ie burcp bie ©peilung nur gewinnen lomtte. 

©un läuft ein halbes ©ufcenb ju ipr pin 
Unb ftürmt ipr §üttcpen mit ber greubeubotfcpaft: 
„J&e Stüttercpen! ©ein ©lüdSlooS ift gefaßen! 

Stuf beine alten ©age Wirft bu reich- 

§eut wirb getpeilt — berftepft bu wopt? — getpeitt, 

©aS peiht für Piep: bu wirft jur ©olbprinjefpn. 

©u wiflft botp tpeiten? Sicherlich, bu wißft! 

3eig’ per ben alten ißtunber, ben bu paft! 

SBo ift er? Sprich, wo birgft bu beine Säpäpe?" 


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Nr. 26. 


Hit ®dg*n«u»rt. 


409 


Sie featte nicfetd old einen alten Krug, 

©eborften fcfeon unb fonft befdfeäbigt audfe, 

©tit bem fie täglich nadj bem Duelle ging, 

®er, iferer $ütte nafe, entfprang bem Seid. 

„@i6 feer ben Krug! @ib feurtig!" tiefen fte. 

®a trat entfett ein Scferitttein fie prätf, 

Safe ftort bie ÜRänner an unb enblicfe fptacfe fie: 
„^ergeben fott itfe meinen lieben Krug, 

®en beften Krug, bet meined Sttterd Xroft ift? 

©efet bocfe! ©d fdjeint, ifer feib bei Sinnen nidfet!" 

9lun fu<f»te tadjenb man ifer Kat p macfeen, 

®afj um ben Krug ed Süemanb fei ju tfeun; 

^ergeben nut müfjt fie ben alten Sterben, 

Seil bad ©ebot bet Särgerfcfeaft ed feeifcfee 
Unb ed bet Sille fei bed SRagiftratd. 
gär bied ©efäfj, bad leinen Pfennig wertfe, 

Sollt’ fie erhalten, mad ifet $erj fitfe wünfcfee: 
lifdfe, ©ett unb Sextant, »ieÜeicfet ein Sopfea gar 
Unb einen ßefenftufel, fcfeön mit ©tüfdfe bejogen. 

®ann wären auefe jwei ©afen ifer gewifj 

©on Sllabafter, fcfeön gefeenfelte 

Unb grofjgefdjnaujte, prafeteriffeen Slnfefend, 

Sie fie bei wofelbefeäb’gen ©ärgern oft 
«uf bet Kommobe ftefen, bed 3iwnterä Stolj. 

®a»on ein ©aar beläme fie gewifj, 

®enn auf bem Ginget ftänbe Diel bet 9trt. 

So fpraefeen fie, inbefj bie Sitte ftanb 
©emegungdtod, nut mit ben Slugen btinjelnb 
©on 8*it p Beit, ald ob fie fagen wollte: 

„3a, itfe »erftefee — mit ift StUed Har." 

Sttd fte p ©nbe waten, fpraefe fie bied: 

„®anf eudj, ifer |»errn! Sinn weife idj fitfeet bocfe, 
Sotan itfe bin unb wen idj fünften mufe. 

6d laut (djon längft bet Hrgwofen in mit auf, 

®afj eudfe bet Sinn naefe meinem Kruge ftänbe: 

Sefet liegt fie offen, eure Sdjänblicfefeit. 

3fer alfo feib bed Sladjtd um meine $ütte 
©efdfelidfeen, um mein Kleinob mit p ftefelen? — 

3<fe feab’ bie leifen Stritte Wofel gefeört. 

®ocfe wadfefam war idj, einet Kafee gleicfe, 

Unb war entfdfeloffen auefe Wie eine Kafee, 

®ie in bet ©nge fcferedlidj ftefe pr Sefet fefet. 

®a ifet mit fiift ben Krug nidfet feabt befommen, 
©erfudfet ifer’d, ifen p nefemen mit ©ernatt. 

3dfe aber metue, ©iefeter gibt ed nodfe 
Unb einen König, bet bad ©edfet beftfeüfei. 

Sad ©iifeter, bie »ieHeidjt, mit eutem ©olbe 
©eftotfeen, mit abfpredfeen meinen Krug! 

Sldfe, unb bet König, liebt et auefe bad ©etfet, 

©r wirb bodfe nidfetd ton meinem Ungläd feören, 

©d ftefen p ©iele jwifefeen ifem unb mir. 

®tum felbft »ertfeeibigen will idfe mein ©igen!" 

®ied fptedjjenb nafem fie einen geuerbranb 
©on ifetem #erb, an welkem fte geftanben, 

Unb feferitt entfdfeloffen auf bie ©ärger ju; 

®ie tiffen and unb flofeen in bie Stabt. 

Unb Wad audfe an bemfelben ®age nodfe 
SRit ifet berfudjt warb, StUed war »ergebend: 

Sie blieb bei bem, wad einmal fie gefagt — 

Unb alfo rnufet’ bie Xfeeilung unterbleiben. 

3. CCtojan. 


(feittfeppe (feinet. 

Unter ben italienifdfeen ®idfetern, welcfee in ben lefeten ®e= 
cennien bed »origen unb bet etften $älfte biefed 3aferfeunbert*s 
an bet Spifee bet geiftigen ©ewegung jenfeit bet Sllpen ftan= 
ben, wutjelt feinet fo feft in ben Stnfdfeauungen bet neuereu 
Beit wie bet Satirifer ©iufeppe ©iufti. ©lögen immetfein bet 
®ragöbienbi<feter ©ittorio ffllfieri, bet ©erfaffer bed epodjjemacfeens 
ben ©omand: I Promessi Sposi, Äleffanbto ©ianjoni, bet ßfes 
tifet Seoparbi in bet Setttiteratur allgemeinere Slnetfennung 
gefunben feaben, fo fönnen fie ftefe bodfe feinfidfetlicfe ber gäfeigfeit, 
bie unfere Bei* bewegenben 3b«e» junt fünftlerifife »oQenbeteu 
Sludbtudf gebraefet §u feaben, mit ©iufeppe ©iufti leinedwegd 
mejfen. ®ad Slnfefeen bed Sefeteren ift benn audfe in 3talien 
in ftetem Saifefen begriffen, fo bafe bie B^it wofei nidfet mefer 
fern ift, in welcfeer et neben ben etwäfenten ®idfetetn eine »öHig 
ebenbärtige Stellung einnimmt. 3n ber ®feat brauefet ©iufeppe 
©iufti ben ©etgleiefe mit benfelben nitfet ju fdfeeuen, jumal ba et 
»on benjenigen ©Mängeln frei ift, weltfee jenen nitfet ganj mit Un= 
reifet jum ©otwutfe gemaefet werben. Sebet jeigt et in feinen ®ttfe= 
tungen bad ftfetoffe Sefen ©ittorio Stlfierid, weltfeer redfet eigent= 
liefe bad: Odi profanam vulgus et arceo jum SafelfptUtfee ge= 
nommen featte, noefe »errätfe et jemald fatfeolifirenbe Steigungen 
wie Slleffanbto SKanjoni, nodfe enblitfe ift ifem bie an’d Krank 
feafte ftreifenbe peffimiftiftfee Seltanfifeauung Seoparbid eigen, 
bed „büfteren Siebfeaberd bed ®obed", Wie ifen Sllfteb be SRuffet 
in ben „Po&tis nouvelleo“ genannt feat. ©ielmefer »etleugnen 
bie ®itfetungen ©iuftid nitgenbd ein gefunbed, natürlitfeeö ©e= 
fäfel, Weldfeed fttfe autfe batin audprägt, bafe betfelbe ben SJtutfe 
befafe, jum Streifen bet einfeeimif^en „Ärfabiet" bet anmu* 
tfeigen ©olfdfpradfee feinet todeaniftfeen ^eimatfe »oüed Sürger= 
reifet in (einen Satiren }u gewäfeten. greilidfe würbe bad ©et; 
ftänbnife bet lefeteren burtfe bie Slufnafeme jafelrettfeer neueu 
ttebewenbungen in feofeem SRafee erfdfewert, unb feietin liegt 
auefe bet feauptfäefetidje ©tunb bafät, bafe ©iufti btd »ot Wenigen 
3afeten in ®eutfefelanb nafeeju unbelannt war. 

©rft ©aul $efefe feat fitfe bad ©etbienft etwotben, bem 
beutfdfeen ©ublicum einen grofeen Xfeeil ber ©oefien bed feerüor^ 
tagenbften italieniftfeen Satiriferd burtfe eine »ortteffütfee Ueber= 
fefeung (©erlitt 1875, Ä. £>ofmamt u. © 0 .) jugänglitfe gemaefet ju 
feaben, unb ed erftfeeint nut bebauerlitfe, bafe ber beutfdfee ®iefeter 
getabe einige ber fät bie ©igenart ©iuftid am meiften bejeiefenenbeit 
Satiren, Wie: „La Vestiziono“, „II Brindisi di GiveUa“, „11 
Ballo“ und »orentfealten feat. Sir jweifeln aber nidfet batan, 
bafe ©aut #efefe ftäfeer ober fpätet bie ©fetenfdfeulb, wel^e er 
burtfe bie meiftetfeafte Uebetttagung eined wefentlitfeen Xfeeild ber 
©ebidfete ©iuftid äbetnommen feat, einlöfen unb und bie leiteten 
unuertärjt gewäfeten Wirb, obgleitfe jugeftanben werben mufe, 
bafe einige bet bidfeet nitfet beräeffitfetigten Satiren burefe ifete 
locale glorentiner gätbung bet Ueberfefeung aufeetorbentlitfee 
Sdfewierigfeiten bereiten. 

9Ran wätbe äbtigend fefelgefeen, wollte man annefemen, bafe 
bie erwäfente Socalfätbung, welcfee mefeteten „Scherzi“ — biefe 
©ejeidfenung wäfelt ©iufti meift für feine ©ebidfete — anfeaftet, 
benfelben autfe eine lebiglidfe locale ©ebeutung »erleifet. ©iek 
mefer featte bet ®itfetet einen »iel p erfeabenen ©egtiff »on 
feinet Kunft, ald bafe et feine Slufmetffamleit nitfet ftetd auf 
bad StUgemeine gerichtet unb feierbuttfe feinen Satiren einen 
bauernben, »on einet beftimmten Beit ober einem beftimmten Orte 
unabhängigen Sertfe gefitfeert feätte. Uebet bie äftfeetifefeen 9ln= 
fidfeten, weltfee ©iufti feinfidfetlicfe» bet ®idfetgattung bet Satire 
feegte, werben Wir, abgefefeen »on ben ©ebitfeten felbft, buttfe 
jafelteicfee Sleufeerungen in feinen ©tiefen unterrichtet, »on benen 
»ot mehreren Saferen eine Sludwafel unter bem Xitel: „Le Lot¬ 
tere scelte di Giuseppe Giusti“ (Firenze, Le Monnier) »on ©. 
SUgutini feeraudgegeben worben ift. ®iefe Sammlung bietet 
äberfeaupt eine tei^e gälte »on SRaterial pt ©eurtfeeilung bed 
italienifdfeen Satiriferd. ©fee wir aber auf ben ©tunb biefed 
bidfeet nut wenig benufeten SJtaterialö eine ©fearafteriftif ©iuftid 


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410 


Oie ®<g*na>art< 


Nr. 26. 


berfuchen, mögen einige SDtittheilungen übet ben öufjern Verlauf 
beS ßebenS beS XiichterS ^iet ihre ©teile finben. 

©iufeppe ©iufti mürbe am 13. SJtai 1809 in bem Keinen 
toScanifchen Orte Ntonfummeno geboten unb erhielt, als feine 
gamitie nach äJtontecatini übetgefiebelt mar, bafelbft fomie in 
bem benachbarten glorenj feine erfte ©rjieljung. Stäubern er 
bemnödjft noch mieberhott ben Aufenthaltsort gcmedjfelt h“tte, 
lehrte er nach ÜRontecatini jurüd, inbem er laut feiner 2Jtitthei= 
lung in ber öon ihm »erfaßten ©elbftbiographie „wenig SBeteh® 
rung, menig ©rjieljung nnb bie innige Ueberjeugmtg nach Haufe 
brachte, bah er ju nichts gut Ware". Sin Saht fpäter mürbe 
er nach $ifa gefchidft, um bafelbft bie Siechte ju ftubiren. S)ie 
fßanbetten maren jebocf) menig nach bem ©efchmade ©iuftis, 
meiner es »orjog, im Sodgenuffe feiner Sugenb froh unb forg= 
los in ben lag hinein ju leben, fo bah er {pater in feinen 
/Erinnerungen an fßifa" betennen burfte: 

„SSier 3ah r öerflogen in 
Seligen greuben, 

Sie junge Zh otcn bie 
Zage Oergeubenl 
SBäljrenb oerftauben bie 
Söüdjertegale, 

Oeffnet, entziffert man 
3um erjten Säte 
Soll SonnebebenS 
5DaS Such beS SebenS!" 

®ah ber SJidjter’thatfäcfjtich üier Sahrc ununterbrochen in 
ißifa jugebracht h fl t, erfcheint im ^inblid auf eine abmeichenbe 
Angabe in bet ermähnten ©elbftbiographie jweifelljaft, melche 
über ben meiteren ©ntwidelungSgang ©iuftis nadjftehenbe SJtit; 
theilungen enthält. „Siadjbem ich", fchreibt ber dichter, „in bie; 
fern nngeorbneten ßeben btei Sah«, ohne ju einem Abfehtuffe 
ju gelangen, jugebracht hatte, begab ich mich nach ißeScia, mo 
fich meine gamilie niebergelaffen hatte, unb mo ich Weitere brei-- 
einhalb Sahre in einem raühigcn, langmeiligen, regel* unb jiet= 
lofen ßeben »ergeubete. Verriebene Zh° r heiten unb gemiffe 
Keine Verbriefjlichteiten, melche mir bamalS Wichtig erfchienen, 
mährenb ich fie je|t in ihrer ganjen ©ebeutungSlofigleit erlernte, 
trieben mich Wieber nach ißifa unb bemnächft nach glorenj unter 
bie gähne SuftinianS. Sch erlangte ben $octor; unb Aboocaten* 
titel, befifce biefelben aber, ohne mich ihtet jemals auch nur bei 
ber Unterfchrift ober auf meinen Viptenfarten bebient ju haben. 
Sdj h°be ftetS nur geringe Hochachtung unb ©rWartung hin* 
fühtlidj meiner gefefct, aber in biefer ganjen Seit war ich f° 
feft überjeugt, auch nicht baS ©eringfte Werth i u fein, bah ich 
innerlich über Seben ladjte, ber mir fagte, bah ich i tt irgenb 
etwas tauglich märe. Stur »erfpürte ich einen gewiffen uner= 
Kärlichen unb unmiberftehlichen Hang, in ßiteratur ju fchwel; 
gen, flüchtig ju lefen unb halb Verfe, halb fßrofa nieberjufdjrei; 
ben; ich enbete aber ftetS bamit, bah ich bie Vüdjer unb Blätter 
in einen äBinlel warf unb mieber ben ©ebantenlofen fpielte, 
eine Vefdjäftigmtg, für welche ich, «nt bie SBaljrheit ju geftehen, 
immer eine gemiffe Steigung befeffen habe, ©eit bem 3®hre 
1831 hatte ich, währenb ich ohne Anleitung unb ohne feften 
Vlan arbeitete, bann unb mann über bie bamaligen Sujtänbe 
ein ©ebidjt ju ©tanbe gebraut, unb eS mar mehr bie ©unft 
ber greunbe, als mein eigenes Urtljeil, welche mich barauf hin* 
Wies, bah f««h wir ein neuer S8eg eröffnen fönnte. Sine SBeile 
»ernadjläffigte ich biefe Art t>on Veruf, bann nahm ich ih n bei; 
nahe mit ©ewalt unb um eine fßrobe anjufteden mieber auf, 
ungemih, ob ich ju einem Abfdjluffe gelangen mürbe, Saljr für 
Saht habe ich bann biefe Vefdjäftigmtg fort gefegt, ohne An; 
mafjung, ohne Haft gegen Sentanb inSbefonbere unb ohne für 
baare SJtünje ju nehmen, maS bie ßeute ©uteS oon meinen 
©ebichten fagen unb mir für bie Sutunft baoon berfpredjen... 
Sch habe geliebt, wie man nur lieben tann, auch habe ich leb= 
hafte greunbfchaftSgefühle gehegt. Ueber bie greunbfehaft barf 
ich mich nicht betlagen, ober es finb nur Sleinigteiten, wohl 
aber, fei eS nun in golge eigener ober frember ©chulb, über 


bie ßiebe, welche ich inbeffen enblich jum Schweigen braute, fo 
jwar, bah ich ° n Herj unb ©eift ftarfe ©inbuhe erlitt." ®iefe 
fdjlidjten ©elbftbelenntniffe ©iuftis, welchen ber Stempel ber 
reinften SBaljrheit aufgeprägt ift, finb für bie Veurtljeilung beS 
Richters ungemein werth»od, weil fie uns einen unmittelbaren 
©inblicf in fein Seelenleben gewähren. Ueber baS büftere S?a= 
pitel feiner berfehlten ßiebe gleitet ©iufti flüchtig hinweg; auch 
weifen bie ©ebichte, abgefehen ton einem im Stadjlaffe besfelben 
gefunbenen gragment, nur geringe ©puren jener ßiebe auf, 
welche mehr, als ©iufti SBort haben Wollte, an feinem ßebenS; 
mar! gejeljrt ju haben fdjeint. Slagt er botf) in bem erwähnten: 
„Ad una Donna“ übertriebenen gragment noch biele Sahre, 
nachbem ihm jene tiefe HerjenSwunbe geflogen mar: 

„Unb ich, »erbüftert, toenbe 

Vorwärts ben gujj unb rficfraärtS bie ©ebanfen. 

So ift bie Stätte, ba ich Heintat finbe, 

Zer Sie&elofe, beffen Schritte toanfen 
®on Ort ju Ort BoII Ißein, 

Stets in ber Seit ®emüf)i unb ftetS allein!" 

gür feinen ©eelenfchmcrj mochte ©iufti in ber greunbfehaft ber 
ebelften SJtänner feines ßanbeS einigermahett Sroft finben; be= 
fonberS Waren eS Aleffanbro SKanjoni, fowie ber als Schrift; 
fteder unb Staatsmann in h°h ettt Anfehen ftehenbe ÜRaffimo 
b’Ajeglio unb ber ©efdjidjtfdjreiber ©ino ©apponi, mit benen 
ber dichter auf’s Snnigfte befreunbet mar. Sn bem Haufe ©ino 
©apponiS ju glorenj fanb ©iufti auch Währenb feiner testen 
ffranlfjeit bie liebeoollfte Aufnahme unb ißflege, bis er am 31. 
SJtärj 1850 burch einen üBlutfturj hingerafft würbe.’ 

Ungeachtet ber trüben ßebenSerfaljrungen, welche bem S)ich= 
ter befchieben Waren, würbe man bet bei ber Annahme fehl* 
gehen, bajj berfelbe feine Satiren auS einer »erbitterten @e; 
müthSftimmung h e rauS gefchtieben habe. 3m ©egentljeil legte 
©iufti großes ©eroicht barauf, in feinen ißoefien AdeS ju »er; 
meiben, maS auch nur entfernt einer perfönlicfjen Satire gleichen 
lonnte. Auch in feinen ^Briefen betont er immer, unb immer 
mieber, bafj er biefe Art ber Satire für burdjauS »erwerflidj 
halte, inbem er fich bemüht, bie in biefer Hmfi<hi gegen ihn er; 
hobenen SSormürfe ju entfräften. „Sn ben Wirtlich öon mir 
»erfaßten „Scherzi“", fchreibt er im Sahre 1844 an Aleffanbro 
SDtanjoni, „habe ich niemals eine beftimmte Ißerfönlichleit jur 
3ielf^eibe genommen, unb ich rufe hierfür ben »ernünftig benten= 
ben Iheil meiner ßanbSleute jum 3eugniffe auf. SJtein ©tre= 
ben mar barauf gerichtet, Ade inSgefammt, nicht aber ©injetne 
ju treffen, unb wenn ein beftimmter Stame in baS Dljr ober 
in ben ©eift beSjenigen, ber meine ©ebichte laS, ©ingang ge= 
funben hat, fo ift es nicht meine ©chulb, fonbern bie ©chulb 
ber ©ommentare, Welche ein Srber nach feinem ©utbünfen machen 
toodte. Shnen, bie Sie in ber Äunft SJteifter finb, mürbe eS 
nidjt in ben Sinn tommen, ju glauben, baff baS epigrammatifche 
Zaient fich 0011 Sticheleien nährt; ebenfo wenig mürben Sie 
baran benten, einem beftimmten Drte ober einer beftimmten 
ißerfon eine Satire anjuheften, welche in glorenj wie in 3Rai= 
lanb heimifch fein uüb fich ebenfomohl auf einen ©enuefer wie 
auf einen Neapolitaner bejietjen tann. Adein gemiffe jum 3om 
geneigte unb mit minjigem ©ehim »erfehene ßefer tönnen nicht 
überjeugt werben, wie Semanb fielen tann, ohne perfönliche 
Stäche ju nehmen, noch wie aus bem Sefonberen baS Adgemeine 
heruorgeht, meines ju ber SBahrheit als feiner Ouede jurüd; 
führt, ©emöhnt, in ber armfeligen Sphäre ber Reinlichen Stad>e 
unb ber ^latfdhereien ju leben, tönnen fie ohne ©igennameti 
nicht »ormärtS fommen unb glauben, ba§ ber Spott ber 3Jto; 
raliften barin befteht, auf ben erften beften SSorübergehenben 
loSjuftfirjen, unb ba| bie Satire, fadS fie nicht ihre Spijje gegen 
ein beftimmteS Opfer richtet, nicht auf eigenen güfjen ju fielen 
»ermag." 

An Stoffen für feine Stügelieber litt ©iufti trofe feiner 
Abneigung gegen bie perfönliche Satire leinen dßaugel; fehlte 
eS bo<h junächft im potitifchen unb gefedfehaftlichen ßeben 3ta= 
lienS nicht an Verirrungen, Wel^e bie Satire gemiffermafjen 


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Nr. 26. 


Bit <5t0tttJ»ari 


411 


herauSforberten. An elfter ©teile War eS bie fein ©atertanb 
bebrüdenbe grembljerrfchaft, wel^e ber Sichter unabläfßg mit 
ben fdjarfen SBaffen beS ©arcaSmuS befämpfte. SBir wollen 
ihm aber nid^t Berargen, wenn er hierbei auch manchen fpifcen 
^3feit gegen bie „Tedeschi“ Bon bet ©ehne fdjneflen ließ, jumat 
ba er ftrtS nur Bon ber reinften ©aterlanbsliebe geleitet würbe. 
3« einer feiner Satiren erjäljtt er, wie er gelegentlich in 9Rai= 
lanb mit einem ©ohne Aleffanbro äRanjoniS in ber Kirdjt Sant’ 
Ambrogio bem für bie ©olbaten ber Bftreichifdjen ©arnifott 
Beranftalteten ©otteSbienfte beiwohnte. 3« ber 5Rälje ber „©Öh¬ 
men unb Kroaten" fühlt fich ber dichter Bon eiuer Art ©fei 
ergriffen, als er plöfetich burdh bie SRufif beS ©horS bon ©erbi: 
„0 Signore, dal tetto natio“ fo tief gerührt Wirb, baff er lau? 
fdjenb fich „in bie plumpe ©djaar aus ßtorben" mifcht, gleich 1 
jam als ob es feine eigenen SanbSleute geworben wären. ©rft 
als bie ßRufif Berftummt, fehrt baS alte ©efüht beS 2Biber= 
wiflenS in bem dichter prüd, um ieboch fofort wieber einer 
befferen ßtegung p Weichen, ba bie norbifchen ©olbaten nun: 
mehr ein beutfrfjeS Sieb anftimmen. 

„Ädj, jener fjpmnuS ftang fo füg beftommen. 

Sie Sieber aus ber Äinbljeit, bie baS §erj, 

®aä einft Bon trauter Stimme fie oernommen, 

UnS toieber oorftngt in beS SebenS <5d)merj. 

SBtir war'S, als jälj ich meine SDiutter lontmen, 

Cin ©ehnen fühlt’ ich Sieb: unb SRuljewärtS, 

Sin ©rau’n, oerbannt ju fein in fremben Sanben, 

5)njj tief in Jräumen mir bie Sinne fdjnmnben." 

SieS ift fürwahr nicht bie ©pradje eines SeutfdjenljafferS, als 
welcher ©iufti eine 3eit lang gegolten hot. AnbcrerfeitS war 
eS fein gutes fRe^t, ben Stalienern ohne Unterlaß in’S ®e= 
bädjtniß p rufen, baß ihr Streben barauf gerichtet fein müßte, 
bie grembljerrfchaft p befeitigen. SeSIjalb ging er auch nicht 
gerabe fchonenb mit ben Kosmopoliten unter feinen Sanbsleuteit 
um, inbem er ihr SBeltbürgerthum in ber „Gli Umanitari“ be= 
titelten Satire auf’S SBifcigfte perfifflirte: 

„Wich gebar bie Seit. SBaS brauch' t<h 
SBeiter? gür Italien tauch’ ich 
Kie mehr eilte gebet ein. 

$ört, SanbSleute, meine Jheuren, 

SBarum fdjtiefjt ihr euch mit euren 
Alpen unb ©icilien ab? 

©oü man hier in feinem bumpfen 
Siegen 9JtutterIanb Berjdjrumpfen? 

©inb bie SRenfdjen ©lumenloljl?" 

Ser dichter erläuterte feine wirtliche Anf«ht in bem ©chreiben 
in welchem er bie erwähnte ©atire einem feiner ©efannten 
wibmet. „3<h bitte ©ie", heißt eS bafelbft, „biefe ©Ijontafie 
anjuneljmen, welche geschrieben würbe, um ein wenig jene plji: 
lofophifdjen $umanitarier p oerfpotten, Welche auf bem beque= 
men ©ebiete ber Allgemeinheiten umherftreifen unb fich barin 
berfuefjen, burch baS in ihren luftigen Sehren enthaltene ©e= 
fchwäh bie eitle 9Renge p tauften. SBare jebe Station Herrin 
in ihrem #aufe, fo tönnte man anfangen Bon allgemeiner ©rü* 
berlichfeit p fprechen: fo lange wir aber gewiffe gute fetten 
auf bem Staden hoben, will ich fortfahren, beim Auffteljen unb 
Wenn ich mich nieberlcge ftatt beS ©aterunfer bie beiben toSca: 
nifchen ©prüdjwörter p fumnten: „Tre fratelli, tre castelli.“ 
„Ognum per sö e Dio per tutti.“" 

AIS bie haupifächtiche Urfadje ber politifchen Unfelbftftänbig: 
feit 3toIienS erfannte ©iufti baS Wenig patriotifdje ©erhalten 
ber Meinen SanbeSfürften, benen er beShalb in ben Satiren: 
„Lo Stivale“ unb „L’Incoronazione“ bie bitterften SBaljrheiten 
in’S ©eftdjt fchleuberte. AnbererfeitS war ber Sichter fe|r weit 
Bon bem blinben Sprannenljaß entfernt, welcher ben Sichtungen 
©ittorio AlfieriS eigentümlich ift. ©ielmeljr War er einer ber 
©rften, welker feinem gürften, bem ©roßherjog Seopolb n. Bon 


SoScana, bie ©erföhnung anbot, als berfelbe im 3oh« 1847 
bem Sanbe eine Serfaffung gewährte, greilich muhte ©iufti 
wegen feiner gemäßigten Haltung manchen Schimpf unb £ol)n 
Bon ©eiten ber Stabicalen erbulben, beren freiheitliche ©efinnung 
barin gipfelte, aße Siejenigen p Berunglimpfen, welche nicht mit 
ihnen in bem Umfturj aßer befteljenben ©inridjtungen baS auS= 
fdjüeßliche #eil erblidten. Ser Sichter machte überbieS fein $el)l 
barauS, baß er bei einem ©olitifer Bor Aßem bie ©hrlichfeit 
ßhäfcte. „SBer nicht", fchreibt er im 3“h« 1848 an einen 
greunb, „unter aßen Umftänben ein ©hrenmann ift, mag eine 
gelbe ober fdjwarje ober breifarbige gähne entfalten, er fteht 
nicht in meinem Kalenbet, unb ich Wünfche nicht in bem feinigen 
p ftehen. Sieber in ber #öße in ©emeinfdjaft mit ben ©hr ; 
liehen, als pgleich mit ben ©etrügern im ©arabiefe. äRir er: 
feßeint eS als eine Säfterung, baS arme ©olf ©anaiße p neunen, 
bagegen halte ich für eine feljr heilige Siebe, aße Siejenigen als 
©anaiße p bezeichnen, welche baS arme ©olf betrügen... 3<h 
oertraue auf ©ott, baß er mir früher ober fpäter bie Kraft Ber« 
leihen wirb, biefe ©chanbe p enthüßen, wie ich i« ben früheren 
Sahten, als jene geiglinge feßwiegen, jitterten ober fich wie 
Knechte geberbeten, ben ÜDlutf) hotte, anbere ©djänblidjfeiten p 
offenbaren. Ser Unwiße fdhäumt augenblidlidj in mir über, 
unb erbrüdt mich- 3<h glaubte bie ©eißel für immer aus ben 
£>änben gelegt p hoben unb freute mich barüber, weil ich oic= 
malS baran ©efaßen fanb, meinen jRädjften p Berhöhnen, jefet 
fehe ich ober ungtüdlidjerwcife, baß meine Aufgabe noch nicht 
beenbet ift." ©8 ift feineStoegS eine leere fRebenSart, wenn ber 
Sichter oerfichert, baß er nur mit SBiberwißen feinem Amte als 
Stügebidjter obliege; tauchten bodj höofig genug in ihm 3weifel 
auf, ob er überhaupt würbig wäre, feine SRitmenfchen p richten. 
Siefen 3weifeln gibt er in einer feinem greunbe ©ino ©apponi 
gewibmeten ©atire rührenben AuSbrud, inbem er fich bafelbft 
folgenbermaßen apoftrophirt: 

„Unb toer bift bu, ber über Arubergeifter 

®ie ©eißel fdjtmitgft, Bon bittrem gorn entflammt, 

Unb ber, im £oben targ, im Diügeu breifter, 

3n harten iliebern biefe Seit Berbammt? 

SBarb benn auch bir, gleich beinern hohen Ateifier, 

Vertraut ber Äunft geheimes Ariefteramt? 
aSBarft bu bemüht, eh’ bu herborgetreten, 

^ochmuth unb It)orheit in bir felbß p jäten, 

®er bu bie Slnbern ridjteft inSgefammt?" 

Serjenige, welchen ©iufti als feinen HReifter ober Bielmehr, wie 
eS im Original heißt, als fein „Sölufter", „modello“, bejeichnet, 
ift fein ©eringerer als Sante, Welchem er eine grenjenlofe ©er= 
ehrung pßte, Bon ber mehrere feiner ©oefien BoßgültigeS 3eug= 
ttiß oblegen. Unter Anberem bichtete er eine feiner fdjönften 
Oben, als baS Bon ©iotto gemalte ©ilbniß beS SichterS ber 
göttlichen Komöbie in glorenj — nicht in SRom, wie eS in ber 
Ueberfefcung IpepfeS anfeheinenb in golge eines Schreibfehlers 
lautet — entbedt würbe. Ueber bie ©inwirfung, welche Sante 
auf ©iufti auSgeübt hot, beft^en wir auch c i ne autßentifche 2Rit= 
theilung beS Se|teren in einem ©riefe an SRarco Sabarrini, 
welchem et bei ber Uebetfenbung einiger Satiren fchreibt: „SBer 
würbf behaupten, baß bie Bon mir p Sante gehegte Siebe biefe 
Bier „Scherzi“ Ijeroorgebracht h fl t, Welche Bon ber SRanier SanteS 
fo Weit entfernt finb? Unb tro^bem ift eS fo; unb 3oljte h‘ n: 
burch höbe ich fein anbereS ©uch getonnt." 3 h einer SReihe 
Bon ©ebichten ©iuftis ift ber ©influß SanteS ganj unoertenn: 
bar. SBir weifen in biefer ^infidjt nur auf ben jweiten Sl)eil 
beS „Gingillino“, jener fchneibigen ©atire auf baS „©treberthum", 
hin, welcher lebhaft an bie göttliche Komöbie erinnert. Sie Ab: 
ficht, Weldje bem Sichter in biefer ©atire Borfdjwebte, ging, wie 
er am 9. ÜDtai 1845 ber SDlarchefa Suifa b’Ajeglio fchreibt, ba= 
hin: Siejenigen, welche mittelft fchmufciger unb fchimpfiidher §anb= 
langen auf Koften beS Staates in bie £>ölje ju gelangen fuchen, 
in ihrer ganjen Sliebrigfeit unb Schmach bloSjufteßen. ©chou 
in einer früheren Sichtung, ben bereits erwähnten „©rinnerungen 
an ©ifa", hotte ©iufti einen ähnlichen ©egenftanb behanbelt, 


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412 


Ute ©rgenmart. 


Nr. 26. 


iubem er, an bie ©rlebniffe feiner auSgelaffeuen Stubentenjeit 
anfnüpfenb, bem eigenen 2ofe uub bemjenigeit feiner greunbe, 
weltpe bamals mit iprn „in luftigen SRätpten bie Xricotore fangen 
im Spore", baS Stpicffal ber ©arrierentacper gegenüberfteflt, 
beiten er fpöttifcp juruft: 

„SBie oft entpuppt ftdj eilt 
@otrateä=Stffe 
Später all ftplottecnbet 
JJump ober Saffc. 

©efunb, lafteit er fiep; 

SDtit SRpeumatiSmeit 
Spielt et ben Sntpr — 

D SlnadjnmiSmen! 

Spät erft ein Xpor — 

Sei ©ott baBor!" 

3lßerbingS fann fiep ber $i<ptet niept oerpepteu, bag, luie ©in« 
gißino, audj jene „Sotrate8«$lffen" rafcp ju Slmt unb SBürben 
gelangt finb; aßein er tröftet fiep mit bem ©ewugtfein: 

„SDtägen fie jeßt fiep autp 
©lägen unb prunfeit, 

Sinb boip in Selbftfuipt uub 
©elbfutgt oerfunten. 

Unb wir — (o ftangeniepts, 

Stimm bir’ä jur Sepre!) 

3n unferm SBintet pier, 

Cpne Garriere, 

Sinb jung geblieben, 
üaepen unb Sieben." 

SRit niept minber feparfem Spotte jiept ©iufti in ber Sa« 
tire „La Vestizione“ gegen bie DrbenSjäger ju Selbe, Bon benen 
er unS in bem wutperifepen Spejereipänbter ©ecero ein roapteS 
©racptejemplar borfüprt. $a ©aut fiegfe, beffen Oorjüglitper 
Ueberfegung mir bie bisper mitgetpeilten ©elagSfteflen aus ben 
©ebiepten ©iuftis entnommen paben, bie erwäpnte Satire niept 
übertragen pat, fo mag eine furje Ütnalpfe berfelben pier ipren 
©lag finben. ®er Ärämer ©ecero, weldper burep Sutper unb 
Setrug SKißionär geworben ift, fiept, naepbem er bie üblitpe 
Sejaplung geteiftet pat, im ©egriffe, mit feierlichem firtplitpen 
©omp als SRitter beS toScanifcpen St. SteppanorbenS aufge« 
nommen ju werben. Säprenb ber firtplitpen Zeremonie pat 
©ecero plöglitp einebeängftigenbe ©ifion, bie ipn umgebenben 
Utitter unb ©rieftet oerwanbetn fiep in fürcpterlicpe ©pantome, 
unb ba, wo fitp foeben notp baS |>oftientabernafel befanb, glaubt 
er eine bürte ©eftalt, in welcper er ben „Sutper" erfennt, wapr« 
junepmen. ®urcp biefe ©rfdjeinung erfepretft, wiß er entftiepen; 
aßein feine Sinne oerwirren fi<p, fo bag er fitp, ftatt in ber 
JJirtpe, auf ber änttagebanf, ja fogar ftpon auf ber SRitptftätte 
wäpnt. 2>et erften ©ifion folgt halb eine anbere; ©ecero glaubt 
eine Slnjapt ©betteute toaprjunepmen, welcpe ipn, ben Krämer, 
ber fitp in ben oornepmen Drbetf eiubrängt, oerpöpnen unb an 
feinen fdpimpflitpen 2ebenswanbet erinnern. 9ltS autp biefe @r= 
ftpeinung gewitpen ift, brängen fitp, Wie ber oon feinem böfen 
©ewiffen gepeinigte neue DrbenSritter waprjunepmen meint, 
feine alten greunbe peran, bie, natpbem fie ipn mit ben Sorten: 
„Salute a Becero, viva il Droghiere“ pöpniftp begrügt paben, 
fein Sünbenregifter oerboßftänbigen, bis er mit bem ©nbe ber 
firtpliepen Seiet aus feinem wüften Xraume erwatpt. $n einem 
an $lleffanbro ßRanjoni geritpteten Stpreiben bemerft ©iufti gilt« 
fidpttiep biefer Satire: „SRan fönnte mir einwenben, bag „bas 
OrbenSfeft" eine lebiglitp toScaniftpe Satire ift, weil fte ben 
Drben beS peiligen Stepp an jur Sielftpeibe nimmt. 3<P würbe 
jeboep antworten: bag bie ©eifpiele oon ©erfonen, welcpe fiep 
aus ber üRiebrigfeit unb Stpanbe ju ritterlichen ©pren erpeben, 
in ber ganjen SEBett unenblitp japlreitp finb, unb wenn biefe 
Satire Sertp paben foßte, fo lönnte fie im ©runbe eine euro« 
päifcpe genannt werben ... 3tp pobe ben in ®o8cana perr« 
fepenben SRigbraucp unb jugleitp bie auf ipren ©efig potpenben 


©mporlömmlinge aßet Sänber treffen woßen. ©eftpiept e3 niept 
etwa, bag jene üon'berjenigen ©efeßfcpaftSflaffe, in weltpe fie 
fitp pineinbrängen, ftpeel angefepen, unb Oon berjenigen, weltpe 
fie oerlaffen woßen, oerfpottet, genötpigt finb, fitp unter ben 
gittigen ber abfoluten ©ewatt ju üerfteefen, weltpe ßHebrigfeiten 
unb ©ergepen oergigt, fofern nur bie 3agt ber ©ebienten toäegft? 
3njwiftpen ruft man pierfelbft, wenn baS ©erütpt gept, bag 
liefet ober 3ener bie Stbfiept pegt, baS ßtittergewanb beS St. 
Steppanäorbenä anjutegen: „ein neuer ©ecero"; unb. wäre es 
niept Slnmagung, fo würbe icp wieberpolen, was icp fagen pöre, 
bag nämlitp einige bie erwäpnte Slbfitpt aufgeben, um niept 
pinter iprem SRütfen bie Sorte ju oernepmen: „Salute a Becero, 
viva il -Droghiere.“ " 

Sie ©iufti für bie Xporpeiten be$ ©ürgerftanbeS einen 
ftparfen ©lief befag, erfannte er auh bie ©ieptigfeit be8 Ireibeu» 
ber oornepmen Seit, beren blinbe ©ereprung für aße$ SluSläiu 
biftpe er in ber Satire: „H Ballo“ geigelte. Unter ben giguren, 
weltpe ber Sitpter un3 auf bem in ber erwäpnten Satire ge« 
fipilberten ©aßfefte oorfüprt, bepnbet fiep autp ber politifepe 
©auller, ber je natp ©ebarf in liberaler ober reactionärer äftasfe 
auf tritt, unb weltpem ©iufti in bem berüpmten „Scherzo“; „Il 
Brindisi di GireUa“ ein befonbereä S)enfmat gefegt pat. .fjepje 
pat bie legtere ®icptung ebenfaßs niept übertragen, weit biefelbc 
burtp bie Oirtuofe ©eimlunft im ©efrain in ber ®pat jebe§ 
©erfutpeS einer ©atpbicptung fpottet. ®ie mit feiner 3roitie ben 
Sßtanen be3 §errn Oon Uaflepranb gewibmete Satire entpält ben 
Xrinffprutp ©ioeflaS, weltper unter aßen ©egierungdfpftemen 
feinen ©ortpeil ju finben gewugt pat unb in einer fepwatpeit 
Stunbe beim Seine bie ©runbfäge mittpeitt, natp benen er Oer« 
fäprt. „Säprenb ber Slufftänbe", befennt ©iüefla, „pielt itp als 
©ompag für jeben Sturm jepn bis jwölf ©ocarben in ber ®aftpe. 
giet ber ©riefter, fo fpiette icp ben Sttpeiften, inbem icp peilige 
Sampcn, ©priftuSbilber unb SReggewänber, fornie $ab unb ©ut 
ber Älöfter ftapt. Senn bann ber 3opf wieber 3Robe würbe, 
errichtete icp, bem ©apfte unb meinem Souüerän geporfam, 
©algen. ®aS geraubte ©ut ftanb mir nitpt im Sege, beim, 
inbem icp ®pron unb Wttar oertpeibigte, erstattete itp niemals 
jurütf, WaS itp geftoplen patte." SRit ©etpt bringt ©ioeßa baper 
feinen Xrinlfprutp aus auf bie hortefinS, auf bie grogen unb 
fteinen SRarionetten, fowie auf bie ÜRaSfen eines jeben ßaubeS, 
auf bie 3tu8fipüffe, bie ©tubS, bie gürften unb bie llirtpen: 

„Viva Arlecchini 
E burattim 
Grosai e piccini; 

Viva le maschere 
D’ogni paese; 

Le Giunte, i Club, i Principi e lu Chieso.“ 

Sir utüffen barauf Oerjicpten, ein autp nur aunäperub ooß« 
ftänbigeS ©erjeitpnig ber Satiren ©iuftis ju entwerfen unb bie 
©parafterifirung ber einjelnen giguren fortjufegen, weltpe ber 
$itpter fo ptaftif^ unb lebenSwapr barjufteßen oerntotpte, bag 
fie feiner unmittelbaren Umgebung entnommen ju fein fepeinen. 
Saft feine ©efeflfcpaftsflaffe entging ben SarfaSmen ©iuftis, bet 
fitp in biefer hinfitpt feinem ©orgänger ©arini überlegen erwies, 
ba Segterer in feiner fatirifepen ®itptung: „Il Giorao“ im Se« 
(entliehen nur ben 9bel jur Sielfepeibe feines Spottes gemaept 
patte. ®iefer Unioerfaltparafter ber Satiren ©iuftis entpält 
aber bie fieperfte ©ürgfepaft, bag jene feineSWegS fo rafcp, wie 
ber ®icpter feibft in feiner beftpeibenen Seife glaubte, unter« 
gepen, oielmepr in ber italienifcpen unb wogt autp in ber Seit« 
literatur bauernb einen ©grenptag bepaupten werben. 

Siegfrieb Samoftp. 


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Nr. 26. 


Sie (Segenwart. 


413 


Cnltnr0efd)id|tt nnb ttaturjiefdjidjte. 

deinem aufmerffamen (Beobachter tann eS entgangen fein, 
in welchem (Stabe bie lanbläufige ©efchichtSfchreibung währenb 
bcc testen Sahrjehnte an ©rebit eingebüfjt hat, toie fehr fie 
einem ©erjüngungS* unb ©ertiefungäproceffe jugängtich geworben 
ift. ©ine btofje Aufseidjnung unb «hronotogifche Drbnung bet 
(Sreigniffe, mit ber man fid) oorbem begnügte, überjufrieben 
fchon, wenn nur bie thatfädjlichen Daten richtig waren, hat ge* 
wijj ihren Serif), inbejfen wäre biefer Serth ein fehr befcfjei* 
bener, unb e« würbe faurn bie (©ühe ber gorfdjung lohnen, 
wenn man bie Sölfergefchichte nur al« eine Aufeinanberfotge 
non ©efdjeljniffen ber Sillfür unb Saune betrachten woQte, je 
nadjbem bie „Anführer" ber betriebenen (©enfdjenherben wohl* 
rooKenbe ober tüdifdje (©enfdjen waren, fügten wir annehmen, 
bah bie ©efdjichri gang anber« getommen wäre, wenn Alejanber ju= 
fällig ein geigling ober ©ero ber ©belfte feine« ©efdjtechte« gewefen 
wäre, fo fönnte un« ber ©eft oöllig gleichgültig fein, benn bann 
wäre bie ganje ©efdjidjte ein blojje« Sürfelfpiel, um bie Seit 
$u tobten, unb ber ©efchid)t«f(hreiber ftänbe weit unter bem 
©itlarbmarqueur, ber WenigftenS bie Sirfungen wohlberechneter 
©töfje ju bezeichnen hat iWit einem Sorte, bas ©tubium 
einer ©efchidjtSfdjteibung bon bem ©tanbpunfte eine« tnüftigen 
SufchauerS unb mechanifchen ©egiftrator« bünft mich eine ber 
ärgften greiheitsftrafen, bie man lefenben unb benfenben Sefen 
auferlegen fann. 

. (©an hatte ber ©efdjichtäforfchunß ein h ö h er e« Sntereffe 
belanntlich baburch p geben gefucht, baft man ihr baS SBtotto 
gab: „Die Seltgefdjichte ift baS Seitgericht", einen AuSfprud), 
ben man aber nicht bom ©tanbpunfte ber menfehtidjen ©ered)* 
tigfeit nehmen barf, benn ein ©ericht, welche« in ber Siegel bie 
Kinber für bie ©ünben ihrer ©roffbäter heimfucht, würbe fchon 
bor bem Tribunale be« blöbeften Sanbrichter« ber Ungeredjtig* 
feit gejiehen werben, ©liefe 3bee, bie $au«moral be« täglichen 
Seben«, einer gewiffen klaffe, eine« beftimmten ©olfe«, einer 
niobemen Seit, al« allgemeinen (©afjftab an bie ©efchidjte anberer 
3 eiten unb ©ölfer ju legen, Wäre fchon an ftch ganj berfehrt, 
aber ba« ©erfahren wirb boppelt unglüdlich baburch, baff bie 
„(©oral" ber Sßölfer überhaupt mit ber (©oral be« (Einjelnen 
feine ©etwedjfelung geftattet, wie ich in biefem Journale früher 
einmal, hinfichtlich ber „(ßotitif ber ehrlichen Seute", ju erläutern 
gefucht habe. 

Da« allmähliche Aufbämmem biefer Sinficht hat bie benter* 
fenSwerthe Senbung unferer ©efchichtSfdjreibung bon ber Auf* 
gät)lung bet ©h fl ten unb Abenteuer jur (Eulturgefdjichte oeran* 
la|t. Der ©runb war offenbar ber, baff man ber ©efefcmähig* 
feit unb (©oral bon ber ©efchichte, bie fich bon aufjen her nicht 
ergrünben laffen wollte, nunmehr bon innen her beijufommen 
hoffte. (©an fdjoh babei freilich bielfach noch weiter am Siele 
borbei, inbem man in bie berhängnifjbotte (©itarbeiterfchaft fürft* 
lieber Kammerbiener unb oerabfdjiebeter Höflinge gerieth, wobei 
bie ©erinnertichung ber ©efdjichte auf eine (Reihe tffeit« pifanter, 
theit« ffanbalöfer ©ouboiranefboten hinauslief. Da« menfdjtiche 
©efdjlecht neigt feinesweg« in feiner fchönem Hälfte allein jur 
atlerintimften Kritif be« lieben ©ächften unb je fchmähfüdjtiger 
unb gehäffiger ber geheime ©efchidjtSfdjreiber mit feinen $elben 
umgegangen ift, befto gefdjäfcter werben feine (©emoiren für 
ba« Klatfchbebürfnih ber ©ittenmaler. Unter bem ©amen 
„©utturgefchichte" erhalten wir bon benfelben oft nur eine @e= 
fchidjte ber $offlatfchereien, (Koben, Albernheiten unb anberer 
©idjtigfeiten, unb ba« @anje läuft auf eine KleinigfeitSfrämerei 
hinaus. Sa« hat e« 3. ©. mit ber Seltgefdjidjte 5U thun, bah 
Diberiu« unb ©ero fehr auSfchweifenbe Seute waren? ©ompejuS, 
©äfar, Antoitiu« unb Auguftu« waren e« ebenfall« unb eS erfdjien 
ben Seitgenoffen nicht al« gleden an ihrer ©röfje. Da« einzig 
©emerfenSWerthe baran ift alfo bieHeidjt, bah biefe (ßerfonen e« 
nicht für nöthig hielten, ihre ©eigungen berbotgen §u halten, 
weil bie (Wehrsaf)! fie gan3 in ber Drbnung fanb. 

Sn ber üblichen (SefchidjtSfchreibung fpiegelt fich meift nur 
auf höherer Stufe bie ©djwierigfeit ber menfchlichen ©elbft* 


erfenntnifj; man begnügt fich, oberflächlich über ©erfonen unb 
©erhältniffe abjuurtheilen, ohne aud) nur ben ©erfuch 3U machen, 
fich felbft in bie Sage ber Angeflagten gu oerfefcen, ohne bie 
gwingenben ©othwenbigfeiten gu erwägen, welche ben ©inen 31t 
einem nüfctichen, ben Anbem 3U einem fdjäbtidjen ©liebe ber 
©efeüfdjaft machten. Diefem epibemifdj graffirenben (Kangel au 
(©enfchheitSfelbfterfenntnih ben Krieg 3U erflären, unb bie 
hiftorif^e Kursfichtigleit mit SJteffer unb ©renneifen 3U operircu, 
fchrieb griebrich bon ^ellwalb feine nach SahreSfrift bereit« 
in sweiter Auflage erf^ienene ©ulturgef^ichte in ihrer 
natürlichen ©ntwideiung bi« gut ©egenwart*) unb ich 
glaube mit aller ©eftimmtheit, bah biefe« ©ucfj einen Senbc* 
punft in ber ©efchichtSfchreibung herbeiführen wirb. Da« ©uch 
gehört ben ©et3Weigungen ber groben ©ewegung an, welche 
Darwin unter ben ©eiftera be« neungehnten 3ahrh u abert« au* 
gefacht hat. ©on ber Sbee ber ©ntwideiung, bem „©efam" ber 
mobernen gorfdjung auSgehenb, weift $eHwalb barauf hin, bah 
bie menfdjliche ©efellfchaft fo gut wie ber ©ienen* unb Ameifeu* 
ober ©olppenftaat nur einen Drganiämu« höherer Drbnung bar* 
fteüt, ber fich nach nothwenbigen unb allgemein geltenben Statur* 
gefe|en entwidelt, fo bah bie ©uiturgefdjichte in lefcter Snftan3 
hoch ©aturgefdjichte bleibt unb al« foldhe erforfcht werben muh- 

Die ©ölfer treten einanber gegenüber al« »erf^iebene ©atur* 
gattungen, bie, ihrer $eimat unb ©lutmifchung gemäh, fich P 
einem Siele entwideln, welche« fie ebenfowenig lernten, al« bie 
©aupe ihr ©thmetterlingSleben. Unabänberlich treten fie mit 
ihren ©adjbarn in Kampf unb ©titbewerbung, um untet3ugeheu 
ober 3U fiegen, nach ber Strenge eine« ©aturgefefce«, burch Atu 
lagen, bie fich im lefcteren gatle möglicherweife weiter auSbilbeu 
werben. Son (©oral ober ©emüthüchleit ift bei bem Aufeinanber* 
prallen ber (©affen feine ©ebe. Sie bie djemifeijen ©erwanbt* 
fchaften im lebenben Körper anbere Sege gehen al« im tobten, 
fo wanbeln fich bie ©aturgefefee in bem DrganiSmu« höh eret 
Drbnung 3U ©efellfchaft«* ober (©oralgefefcen, bie oft genug mit 
bem „©aturredhte" in fchreienbem unb gleichwohl rechtmähigent 
©egenfa^e flehen. Worau« folgt, bah bie (©oral bei jeher ©c* 
feUfchaftStoarietät eine anbere fein wirb, unb ihre ©efefce, Wie 
(©onteSquieu fagte, mit ben ©reitegraben we^feln. 

@8 ift einleu^tenb, bah twn einem fo erhabenen ©eficht«* 
punfte ba« Urtheil über fogenannte ©erirrungen unb Abwege 
ein fehr »orfidjtige« unb milbe« werben muh. ®* e ©wltur* 
forfchung hat Weber ©eigung 3ur ©eWunberung noch 3um ©c* 
jammern ber Dinge; fie preift unb nerbammt nicht, fonbern 
fucht 3U Oerfteh.en. ©irgenb« hat Wohl ba« fdjöne Sort ber 
grau non ©tael: „Atte« begreifen, h*i&t Alle« oerseihen!" eine 
tiefere ©egrünbung unb eine unioerfalere Anwenbung gefunben, 
al« in ^ellwalb« ©ulturgefchichte. Der ©chanbthaten ©inselner 
wirb grunbfähtich gar nicht gebacht, benn Sicherlich waren biefe 
©ünbenböde ber unoerftänbigen ©ef^ichtsbehanblung entweber 
bie normalen ißrobucte ihrer Seit unb ©efeüfdhaft ober eS waren 
©aturirrthümer, fociale (©ihgeburten, unb in beiben gälten ifb 
baOon fein Aufheben« 3U machen, noch hat e« einen ©inn, ihnen 
unaufhörlich auf’« ©eue 3U fluchen. ®ie gehören ber (©enfeh* 
heitspathologie unb Deratologie an. Auch ba« ^erabfteigen ber 
©ölfer oon höheren ©ulturftufen führt 3U feinen abgrünblichen 
©etrachtungen über bie ©erworfenheit ber menfehüchen ©atur, 
benn fo gut wie bie Snbioibuen erfter unb sweiter Drbnung, fo 
werben au^ biejenigen ber britten unb oierten Drbnung, bie 
©ölfer, altern unb enblicfj ben Seg gehen müffen, ben alle« 
©ntftanbene gehen muh. 

Sri biefer ©etracfjtungSweife erf^einen benn auch gar manche 
oon unferem ©tanbpunfte gerichtete fociale (Einrichtungen in einem 
gans anberen Sichte. Da« Kaftenwefen, bie ©flaoerei, ber geu* 
baliSmu« unb Aehnliche« geben fich al« oottfommen natürliche 
unb nothwenbige, baher auch über bie gefammte bewohnte Seit 
oerbreitete DurchgangSftufen ber ©ultur su erfennen, ja fogar 
ber ganatiSmuS, bie ©eligionSfriege, Snquifition unb ^ejenpro* 
ceffe pnben ihre unparteiifche Sürbigung. Da« geht nun natürlich 


*) Augsburg 1877, Sampart u. So. 2 ©be. 


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414 


Sie Gegenwart. 


Nr. 26. 


allen Schwärmern für greipeit, ©leidjpeit unb unOeräußerlicpe 
aRenfcpenrecpte »eit über ben £>orifont. Allein bie üRöglicpleit 
ihrer bauernben Ausführung birgt ja fepon ben ©eweis in ßdj, 
baß fte bent ©epauplape unb ber 3eitanfdjauung entfpracpen. 
3 rrtpum freilich war if)t Anlaß, aber ein in foldjem ©rabe 
notpwenbiger 3rctpum, baß ßcf) bie auSfüprenben Snftanjen 
benfelbcu meiftenS fu ewigem ©upme unb unfterbliepem SSerbieufte 
anrechneten. Diefe ^Rechtfertigung einer fReipe blutiger 6arne= 
oalSfcpetfe ber äBeltgefcpicpte ift oielfacp einer tabelnben Sritif 
begegnet. (Eben »eil man ßdj gewöhnt batte, bie betreffenben 
Vorfälle unb (Einrichtungen mit ßereotpper (Entrüftung ju t>er- 
bammeit, fühlte ficb ber ©erfaffer üerpflidjtet, als Anwalt auf 
bie ©eite ber Angeflagten fu treten, unb fo entfielt nicht feiten 
bet ©cbein, als billige er ba8 ©efdjepene überhaupt, wäprenb 
er nur bie 93 erec^tigung be8 ©tanbpunfteS, bon bem e8 gefcpap, 
oertpeibigt. 

8Ran barf babei bie (EntftehungSumßänbe be8 ©udjeS nicht 
pergeffen unb muh im Auge behalten, baß 4j>ellwatb baSfelbe 
im abficptlidjen ©egenfafce fu ber abgefcbmacften ^»eulmeierei 
ber bisherigen (EulturgefdjidjtSbarftetlung gefdjrieben pat. Die 
Ausführung ift Diedeicpt nicht böllig frei bon polemifcper Ueber: 
trumpfung beS ©egnerS unb lonnte eS unter ben gegebenen 
Umßänben faum fein. SRißt f. 8. bie norbbeutfche ©efdjidjtS: 
fdjreibung ben Sfefuiten bie ©chulb an bem Au8brucp beS 
dreißigjährigen ffriegeS bei, fo fagt ^etlwalb: nein, bie ©ro= 
teftanten haben angefangen. DaS ift nun unbeftreitbar richtig; 
man hat aber bann weiter fu fragen, ob bie proteftantifche Se= 
Wegung ober ber fatholifche SBiberßanb bie feit= unb lanb* 
gemäßere Regung DentfdjlanbS »ar. SDiefe »frage ift nun aller: 
btngS fepr fdjwierig fu entfcheiben, wenn man mit fpetlwalb ben 
Srrthum beiber Parteien für im SBefentlicpen gleich groß et: 
achtet Aus biefer ©ogelperfpectioe läßt ßcp allerbingS bann auch 
fagen: SourbeS fei eine normale (Erfcpeinung unb baS unfehlbare 
©apfttpum fei ooQberedjtigt, ba ed ja bon ber SRehrfahl ber 
&atpotifen gebilligt werbe. Aber ob eS gebilligt Wirb, baS 
fcßeint mir eben bie »frage! Unterwerfung au8 ©teicpgültigfcit 
unter einen gegen bie ursprüngliche ÜRajorität ber ©ifdjöfe ein* 
geführten ©laubenSfafc ift hoch noch lange feine guftimmung. 
Aber in bem (Eulturfampfe hanbelt eS ficß, wie mir fcßeint, 
weniger um bie »frage, auf welcher ©eite liegt ber geringere 
ober ber Wohltätigere 3rrthum, als oielmepr barum, ob ein 
©taat Parteiungen gewähren laffen bürfe, bie auf Untergrabung 
feiner ARacßt hinarbeiten. 

Sn biefen unb anberen ©untten fann ich mit ben Anfichten 
beS ©erfafferS teinedwegS übereinflimmen, aber ich erfenne an, 
baß fein Such naturnothwenbig in biefer fcproffen »form erfcpeinen 
mußte, wenn es einer tieferen SBürbigung ber (Eulturgefdjicpte 
ben ©ieg oerfdjaffen wollte. Denn allerbingS »ar eS fo ein: 
gewürfelten ©orurtpeilen gegenüber, wie ße auf biefem ©ebiete 
beftepen, erforberlich, einmal rabical ootfugepen, um ben flmeifel, 
mit bem man ben Ader büngen muß, auf welchem man SBaijr: 
heit ernten will, je ßärfer befto beffer ju erregen. Stur wenige 
©ebilbete werben biefeS in ber neuen Auflage bebeutenb »er: 
ttoUfommnete SBerf lefen fönnen, ohne baoon heftig angegriffen 
unb erfchüttert jn werben, aber ich hoffe aut» feiner wirb eS 
fdjließen, ohne bas ©efenntniß, oiel barauS gelernt unb einen 
weiteren $orifont baburch gewonnen fu haben. 3<P möchte feine 
Sectürc mit bem ©enuffe beS AtpenßeigenS, ber betanntlich nur 
für fräftige unb fdjwinbel freie Perfonen im ooHen Umfange 
eintritt, Dergleichen; 2 iebpaber ber ©equemlidjfeit unb ©elbft: 
täufchung, poetißpe Schönfärber unb ©efüplSfdjwärmer mögen 
hübfch im Dpale ihren Rolb lefen unb baS Alpenglühen öon 
unten bewunbern, benn ba oben ift es bitter falt; ein fcpneibenber 
SBinb weht bis in’S äRarf, unb baS ungemilberte Sicht ber 
(EiSfelber tput ben Augen »ehe. Aber gerabe burcp biefe 3 et= 
ftörung aller Süuftonen erweift ßdj bie ^ettwalb’fcpe SBenbung 
ber (Eulturforfdjung als bie logifcpe gortfüljrung ber 5 Raturfo*fcpung, 
benn auch biefe ift, wie ber geneigte Sefer weiß, ben SieblingS: 
ibeen ber äRenfdjpeit unb bem fdjönen Scheine feit jeher feinb: 
lip gewefen. _ Carus Sterne. 


ijerrit Ctjnjfanbers fjänbelbtograpljie ttnb feine pfodjo- 
logtfdjen unb cnlturgefdjicbtlidjen 3Uiftd)ten. 

Die #änbelbiograppie beS $erm (Eprhfanber iß ein in man: 
djen Greifen oiel gepriefeneS ©uch- Unb ton einem gewiffen 
©tanbpunfte mit Siecht. ©8 jeugt oom grünbtichßen gleiße unb 
cmfigften ©tnbium Alles beffen, was auf ^änbelS Sehen unb 
SBirfen ©ejug hat. fteine Slote, bie er je erbacht, fein Unter: 
nehmen, baS er je in’S SBerf gefegt, fein SBort, baS er gefpro^en, 
fein ©rief, ben er oerfaßt, fein ©afc, bet über ihn gefdjrieben, 
feine Anefbote, bie üon ihm erfühlt würbe, ift oergeffen. SRit 
peinlicher ©enauigfeit, mit ftaunenSwerthem biographifchen ©pür: 
finne finb bie $aten gefammelt unb georbnet. So weit iß alfo 
baS Such ein üortrefflicheS. — Prüft man bagegen bie pfqcho: 
logifchen unb culturhißorifdhen Darlegungen beS ^ertn ©hrh* 
fanber, fo ßnbet man bie aDerfonberbarften $inge. Unb biefe 
Darlegungen ßnb um fo auffälliger, forbern eine grünbliche 
(Erörterung um fo entfdhiebcner heraus, als $?err ©hrhfanber bei 
jeber ©etegenljeit auf bie Unfehlbarfeit feiner culturhißorifdjen 
Anfchauungen unb feines UrtljeilS baS größte ©ewicßt legt @r 
belehrt — wie fpäter nadfjgewiefen »erben fott — Sorb 3Ral)on, 
Dhaderap unb SRacaulap, Wie fie bie ©efchichte ihre* SanbeS 
hätten auffaffcn follen; er fchulmeißert bie aRußfgclehrten SEBin: 
terfelb unb Äiefewctter in entfchiebenfter SBeife. (Er citirt ^a»: 
finS unb SOlatthefon lobenb, wo fie £änbel preifen, meint fogar 
einmal, SRatthefon habe „unübertrefflich" über $änbel8 Drgetfpiel 
gefprochen; fobalb ße aber etwas Unrichtiges, SladjtheiligeS 
ober galfdheS über ben großen lonfefcer fchreiben, werben ße in 
ben ©taub getreten; ^atolinS ift bann ein „Dh“tfa<henfrämer", 
„unglaubwürbig", „leidjtßnnig"; SRatthefon ein SKenfch oon 
„fcljäbiger ©eßnnung", unb ©eite 104 , 3 . Sanb, Wirb er um 
eines allerbingS niebrigen ©potteS Willen innerhalb 9 Beilen als 
ein SJtenfch oon „hünbifcper ©orfteHung", „niebriger ©eßnnung" 
unb „fchimpffidjer SRußfantenbefchränftheit" gefchilbert. SBer fo 
fdireibt unb urtheilt, ber räumt bet gorfdjung baS unbefdjtänf: 
tefte SRedht ein, feine Darlegungen einer feljt grünblichen unb 
ßrengen Prüfung ju unterwerfen. 

©leidh auf ©eite 12 beS erften ©anbeS ßnbet ßch eine 
Debuction, bie in ihrer Art ein Unicum genannt werben fann. 
3 dj citire ben ganjen @ap wörtlich, bamit Sliemanb ben Arg= 
wohn einer ©erbreljung ^ecjen fönne: „Daß ©eorg griebrich 
(jpänbel) auch feines alten SaterS, nicht bloS ber SRutter Sieb: 
ling gewefen, fe|en bie (Erfüllungen unbeßimmt oorauS. Den 
fieberen SeweiS lieferte mir eine Dhatfadje, bie mich ^öeßtieß 
überrafchte: ben noch lebenben ^errn Dtto fjänbel, ©uepbruderei: 
beßper fu $atte, fanb ich auf ben erßen Slid bem großen 
■äJtanne ähnlicher, als oiele Süpferftidje. SBaS ß<h fo lange, unb 
fWar bei einer Nebenlinie, bie fiep fepon um 1620 ebfweigte, 
gleichmäßig erpielt, ift gewiß als baS eept ftänbeffdje gamilien: 
geßcpt anfufepen. ©o iß fein 3weifel: ©eibe, ©ater unb 
SRutter, fanben ßcp in ipm wieber." SRan mag nun biefe ©e= 
»eiSführung regreffio ober progreffio ftellen, Oom ©efonberen 
auf baS Allgemeine ober umgefehrt auSgepenb, man wirb immer 
fu folgenbet pöchft ergöplicpen golgerung gelangen: SBeil fjerr 
Dtto ^änbel bem großen ^änbel äpnlicper fiept als oiele ftupfer: 
ftiepe, iß ber große £>. ber Siebling auep feines ©aterS gewefen; 
benn wenn ©inet ber Siebling feiner (Eltern War, fo fommt 
nach 150 Sapren in einem ganf entfernten Kebenftoeige ein 
©eßept Oor, baS jenem ganf ähnlich ßept. $err ©prpfanber pat 
miep einmal mit bem eparmanten ©ompliment beeptt, icp fteUtc 
bie Sogif auf ben &opf; icp fann baS oon ipm niept fagen, 
benn feine Sogif pat gar feinen &opf. UebrigenS ßept bieS 
pöcpft unterpaltenbe ©eifpiel burcpauS niept oereinfelt ba, icp 
Werbe fpäter noch ein ganf äpnlicpeS citiren, bei ©elegenpeit ber 
grage, warum ^änbel nur eine PaffionSmufif componirt pat. 
©prpfanber wirb eben nur Oon (Eptpfanbern übertroffen! 

©eite 78 ßnbet fiep folgenbe funffpiftorifepe Darlegung: 
£>err Gprhfanber fagt, bie Deutfcpen jener Seit paben „unge: 
mein wenig gäpigfeit fu funftmäßiger unb »itrbiger ©eßcütung" 


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Nr. 26. 


Sie OegenuMtrt. 


415 


bramatifcpet ©ebitbe .befeffen, ipre geiptiepen ©tüde Trieben fie 
fetbff, bie mettlidpen biet beteten empfingen pe „tjalb fertig t»om 
StnSlanbe". Unb nun betoeip er: „SRan gebe ben beutfepen 
93 erfuepen ben SSorfprung, ben bie franjöpfdpen unb itatie= 
nifdpen mirHiep patten, fo pellt fiep baS SBerpältnip ganj anberS. 
3)ann märe eine 2)urepbringung beS Sßettlidpen unb ©eiftliepen, 
baS nun auSeinanberpel, mögliep gemefen; $änbet pätte bie mu= 
pfalifepe beutfepe Sflpne ebenfo geraben Sieges jur £>öpe füpren 
fönnen, ttjie ©pafefpeare bie engtippe, unb S3aep mürbe nidpt nötpig 
gepabt paben, feine perrliepen ©aben gröptentpeitS fruepttoS an 
Sfirepencantaten ju berfepmenben. Sßie biete Kräfte unter beutfepen 
SRupfera baju borpanben maren, jeigeit bie 3apre 1720—50 
bei alter Ungunft ber SSerpättniffe bennotp fepr beuttiep. ÄBirf- 
tiep !am in biefer Seit alles jur SSottenbung, maS bon 1680 
in Hamburg tc. in ben Anfängen fteden blieb, nun aber niept 
als geiptiepeS SRupfbrama, fonbern atS Kantate, fßaffion unb 
Oratorium, ©o mürbe, maS Hein unb gar erbärmtiep anpng, 
enbtiep boep noep grop unb perrtiep, unb man überjeugte pep 
mieber, bap mir bas SSotT maren, bem Sutper bas ©bangetium 
prebigte." Stlfo: SBeitn bie S)eutfepen feine beutfepen, fonbern 
Stomanen gemefen mären; menn pe baS biefen Stationen eigens 
tpümtidpe ©eftpid bramatifeper ©eftattung befapen; menn in 
®eutfdptanb eine jmeipunbertjäprige Sßerfaffung bem ganzen 
öffentliepen Sehen einen geiftigen SmputS gab, bap ein beutfetjer 
©pafefpeare bie feauptmomente bet ©efepiepte feines SanbeS auf bie 
93üpne bringen unb babei beS allgemeinen SntereffeS fieper fein 
tonnte; menn bie beutfepe ©pra<pe im 17. unb ben erften 
Sapren beS 18. l^aprpunbertS anftatt auf tiefer Stufe 
ju pepen, ftpon in bem SRafje auSgebitbet mar, mie bie frans 
jöpfdpe, itatienifepe unb englifepe, unb menn mir bamatS fot(pe 
$icpter patten, mie jene Stationen — atfo au<p ben Sßorfprung 
— bann mären gute lejrte gefeprieben morben, unb $änbet 
füprte bie beutf<pe mupfatifepe ©üpne jur ©pafefpeare’fepen feöpe. 
dagegen pätten mir »ieüetcpt auep feine ©aep’fdpe fßaffion; mir 
bteiben baper boep maS mir pnb! — @8 gept botp nidpts über 
folgerieptigeS $enfent ©eite 145 fpriept i?etr ©prpfanber baS 
gtope SBort auS: „®8 ift eine alte SBaprpeit, bap ber ©taube 
auSgept, fobatb bie SBunber aufpöten." ©in gemiPer ©oetpe 
meinte atterbingS „baS SBunber ift beS ©taubenS tiebfteS ftinb". 
SBir merben fpäter eine Steuperung &errn ©prpfanberS über 
©oetpe citiren. 

©ine ebenfo bernerfenSmertpe atS ergöplicpe SSemeiöfüprnng 
liefert ber genannte SJtupfgeteprte in feinen ©etradptungen über 
bie $änbel’fcpe fßaffionSmuPf. ©eite 441, 1. ©anb, fagt er: 
„Stuf bem lonfape §änbets rnpt bie bolle SBeipe beS firep- 
tiepen ©emeinbegefangeS, bie pepre Stupe, bie baS ©efüpt gött= 
tieper Stäpe unb ©emeinfepaft erjeugen mup tc." ©eite 442 fagt 
er meiter: „ Stucp Saep pat in biefem ©tite nidpt biet gefept, 
maS #änbets ©poratgefang gteiep fommt, nidpts maS ipn übet« 
ragen fännte." ®ann fommt @.443: „Stiemanb mirb ben ©efang 
opne bie tiefpe ©rfepütterung anpören, unb deiner bürfte ben 
$änbet bafür toben motten, bap er ipn in „©ftper" ju "ben 
SBorten, in metepen $amann um ©rbarmen minfett, mieber bes 
nupt. Serffadpt ift er jebenfatts, aber nidpt aus Stadptäffigs 
jeit, fonbern mit ganj bemnpter Äbffdpt. SBaS mag $änbet 
baju bemogen paben? Sie ferage pängt mit ber meiteren ju= 
farnmen: SBarum pat $änbet feine meitere fßaffion componirt?" 

Stadpbem nun #err ©prpfanber im ©orbeigepen bemerft, bap 
#änbel3 ©affion trop iprer Unbottfommenpeit „beutfepe 
pfrömmigfeit mit bem feinen itatienifdpen ©efdpmadf unb mit ber 
engtifepen ©parafterftärfe unb Haren ©egenftänbtidpfeit ju ber* 
einen mupte" (fonft nidpts?), bap mir pier „ben Fortgang bon 
£>änbel8 ©affion ju Saep, unb fpäter bon ©aepS ©affiou 
ju #änbets Oratorien" fepen, gelangt $err ©prpfanber ju 
bem ©dptuffe, bap föänbet, ber „nidpts burep ben ©erpanb, unb 
SttteS burdp Sbeen lernte", bie opempaften bibtifepen $>icptungen 
feiner Seit bertiep, ben „geifttidpen ©enfuatiSmuS überminbenb" 
jum einfadpen bibtifepen SBorte jurüdffeprte. „Seit 1740 mar 
er über jebe mupfatifdpe ^affion pinmeg." Sttfo baS ift bie 
Stntmort auf bie ffrage, „maS $änbet bemogen pabe", bie muns 


berbare Strie auS ber $affion mit „ganj bemupter Stbfidpt, 
ju berfladpenl 5>er Sefer, ber bietteiipt glaubt, icp pabe irgenb 
einen mieptigen Smifdpenfap auS biefer famofen SJemeiSfüprung 
attSgetaffen, möge freunbti^ft p(p bie SRüpe nepmen unb ©eite 
443—48 beS erften SSanbeS bureptefen, um bie Ueberjeugung 
ju geminnen, bap icp oottfommen genau barftette. 

@. 483 fpriept §err ©prpfanber oon ©lud, ©pafefpeare unb 
©oetpe im Sergteidp ju $änbet in fotgenben SBorten: „t&änbetSSBerfe 
jeigen piftorif^en ©eift in mobemer Färbung, mäprenb ©tudS frans 
jöpfdpe Opern mobernen ©eift in forgfameS piftorifdpeS ©otorit 
pütten. (!!) ®iefe ©ntfernung bon ben Jontünfttem bringt ipn 
um ebenfo biet ben germanifepen ®idptern ©pafefpeare unb ©oetpe 
näper ic. Stur in ber unbefangenen, man mödpte fagen parnts 
tofen SJoppetftettung jn bem ftafjifcpen unb bem bibtifdpen Sttters 
tpum fepeint mir |)änbet audp gegen biefe, befonberS gegen 
©oetpe, benjenigen SSorjug ju befipen, ber bei ber fepiefen Stets 
tung, in metepe bie Stetigion in ben tepten Saprpunberten ju 
mepreren bem SRufifer meniger nupbaren, aber bem S)idpter un* 
entbeprtiepen SBitbungSetementen, geratpen ift, atterbingS nur 
einem SRufifer ju erreidpen mar." S)iefe SBorte pnb ein reept 
mürbigeS ©eitenftüd ju fotgenber ©epitberung beS „^erafteS" 
oon föänbet, bie §err ©prpfanber getegentücp einer Stuffüprung 
ber ^odpfepute als SSorrebe bruden tiefe: „SSon ber ©efammt* 
fdpitberung beS ^crafleS barf man bepaupten, bap fetbft Oon 
ber attgrieepifepen ffunft fein SBerf erpatten ift, metcpeS 
ben nationalen gelben in einer fo erpabenen Ireue barftettt." 
©o tauten bie gefepiepttiepen Stnfdpauungen beS $erm ©prpfanber, 
ber Sorb SRapon, Xpaderap unb SRacautap beteprt. @r fagt 
im 2. SSanbe @. 14, naepbem er bepauptet, „bie Xonfunft fei 
burep Saprjepnte ©runbfraft", „Iräger gefdpiepttieper ©nts 
midetung" gemefen: „SKan oermipt in ben betreffenben ®c= 
fcpicptsbücpern fetbft bie teifefte ^inbeutung barauf", obmopt „bie 
ionftunft am mädptigften auf bie Seit einmirfte", unb meiter: 
„SBer an bet feanb ber Xonfunp biefe Seit burdpmanbert, ber 
erfennt pe niept mieber in bem SSitbe, baS in ben ©efepieptS* 
büepern ftept." SBeber ßorb SRapon noep bie „einpiptigeren 
©epitberungen", bie „fßrunfreben IpaderapS", nodp bie „farbens 
reiepen ©parafierbitber SRacautapS" finb geeignet, jene oerföps 
nenbe SBaprpeit peroortreten ju taffen, metdpe jene Seit in iprer 
engeren liefe birgt, unb opne beren S)artegung bie ©es 
fepidptfdpreibung ipr Sott nur fepr ungenugenb bermattet.'' 
(3<P citire nur mörttiep!) 

®ap £>err ©prpfanber ben pttti^en Äern ber engtifepen 
©efdpitpte jener Seit beffer erfennt, als bie beften engtifepen 
©eppicptSfcpreiber, mirb Stiemanb oermunbertidp pnben naep att’ 
ben bon mir angefüprten StuStaffungen beS geteprten |>errn. 
SSermunbertidp ip nur, bap er neben ben engtifdpen |)iftorifern 
niept auep ben gropen beutfepen, ©eptoffer, untermieS. ®iefer 
pat boep in feiner ©efepiepte beS 18. unb 19. SoprpunbertS bem 
geiftigen Seben ©ngtanbS in jener ©poepe eine grünbtiepe ®ar= 
tegung gemibmet; er mar mit ©eroinuS, bem glüpenben Sers 
epret feänbetS, ber in feinem $aufe in $eibetberg nur ftänbet’fcpe 
SRufif auffüpren tiep, befreunbet; er mar bon biefem gemip auf 
bie SBebeutung $änbetS aufmerffam gemaept morben — unb boep 
täpt er biefen fßunH, ben #err ©prpfanber atS ben mieptig = 
ffen jener ©efdpitptSepocpe pinftefft, unberfiprt, unb fpri^t mepr 
bon Soefe unb ©papeSbutp u. St. S)er grope beutfepe ^iftorifer 
fagt in feiner SBeltgefepiepte: „®S fofl auS ben ©epripen einer 
Station bie ©ultur berfetben erfannt merben, fomie ber ©eift, 
auf metdpem alte potitifdpen, moraliftpen unb gefettigen Serpättniffe 
einer gemiffen Seit berupen." @r gept atfo augenfipeintiep bon bem 
©runbfape aus, bap für bie fitttiepen Stnfdpauungen unbSSebürfs 
niffe einer Station bie SBerfe ber ®icptfunft unb ber fßpitofoppie 
pdierereS Seugnip geben atS bie Xonfunft. S<P ertaube mir 
bafür ein SSeifpiet auS ber neuem ©efepiepte anjufüpren. SSont 
©nbe beS betroffenen 3f“prpunbertS bis jum Sopre 1812 bes 
fanb fiep bie ionfunp in SBien auf pöcpper §öpe. SRan fann 
mopt fagen, in ipr concentrirte pep bas ganje geiftige fieben 
ber Äaiferftabt. $apbnS „©epöpfung", bie erften neun Ouartette, 
unb bie Cmolls@pmpponie SSeetpobenS maren aßgemeines gei= 


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416 


Oie Gegenwart. 


Nr. 26. 


fttgeS ßigentpum. Mfcer ni<pt üott bort ging ber fittlicpe unb 
nationale Huffcptoung ber Nation aus, fonbern üom Sßorben, 
ber non ©(pillerS Xeö unb Siebtes Sieben an bie beutle 9Ia= 
tion, non SlrnbtS unb JfleiftS Duptungen mept bunpbrungen 
luar, als non ben großen Berten ber Bienet (Somponiften. 
ÜJhigig wäre bie grage, roel<pe§ Sunftfoert als folcpeS pöper 
f*ef)t, ob baS mufifatifc^e ober ein anbereS, ©palefpeareS 3u ; 
liuS Gäfar ober §änbel8 Sfrael, ©oetpeS gauft ober SeetpoüenS 
Kennte ©pmpponie, Kappels DiSputa ober SKojartä Sauberflöte 
— aber berechtigt ftpeint mir bie grage: Db ber ntenfölüpe 
®eift in inneren unb äußeren Kämpfen tnept fittlicpe Xpatfraft, 
niepr beton fite reinere (Smpfinbungen aus ben Berten ber 
großen Dieter ober ber großen Xonmeifter fepöpft. 

3cp fönnte noch gar manche fonberbare Darlegungen beS 
£>errn ßprpfanber beleuchten, feinen $intoei3 auf ben gefunben 
geiftigen Gepalt beS pannooerfepen #ofe8, tneil er SDiufif liebte 
(ber tßrinjregent, fpäter ©eorg IV., liebte SOtufit auep leiben: 
fcpaftlicp), auf feine (Srtlärung, tnie ein reept luftiges Siebeslieb 
fpäter ben Borten: „Uns ift ein Äinb geboren" im SReffiaS 
angepagt werben Ionnte, unb bergleicpen nodp mepr. Docp icp 
beule, bie auSfüprlicp angegebenen ©eifpiele genügen tooUftänbig, 
uni ju betoeifen, bafs bie ©eptoaepe ber logifepen ©cplüffe beS 
Jpcrrn ßprpfanber nur burep bie ©tärle feines ©elbftbewufjtfeinS 
gegen Slnbere auf gewogen wirb; oergebenS fuept man naip $Iepn= 
liepem in ben biograppifepen Berten anberer ©eleprten, in ©rimntS 
SRicpel Slngelo, in ©taprS Seffing tc. 

SRancper Sefer bürfte fiep oerwunbert fragen: XÖte war eS 
utöglicp, baff ein 2Rann, bem grofje SRufitgeteprfamteit juerfannt 
werben ntng, ber aber folcpe unglaublicpe Urtpeile fällt, eine 
gewiffe ©erüpmtpeit auep als Heftpetiter erlangen Ionnte, baß 
ipm bie ftebadion einer einftufjreicpen SRufifjeitung, alfo ein 
fticpterfprucp in lünftlerifcpen XageSfragen anoertraut warb? 
Der ©runb biefer Grfcpetnung liegt in ber befonberen Stellung, 
welcpe bie äJIufttgeleprten einnepmen unb in welcper ipnen 
größerer ©pielraum eingeräumt ift, als anberen ©eleprten. 3<P 
werbe biefen ißunlt gelegentlicp eingepenb beleucpten; peute 
uiufj icp fcpliefjen. Da icp mir bewufjt bin, ttoDlommen rupig 
unb grünblicp ju Berte gegangen ju fein; ba jeber Befer fiep 
burep bie bon mir angegebene ©eitenjapl felbft überzeugen lann, 
ob icp genau citirt unb rieptig bargelegt pabe, fo wirb bie ®r= 
tlärung, baf» icp jebe Entgegnung, welcper 2lrt unb bon welcper 
©eite immer, unberüdfieptigt taffen werbe, wopl jebern Unpar= 
teiifepen gereeptfertigt erfdpeinen. 

ff. CEprlicp. 




Die fran^dfifc^e tfrifid brängt bad Sntereffc bet orientalifchen 
mehr uttb mehr zurüd. Unb bad lEed, »eil eine hanbboE berbiffener 
Ultramontaner unb bigotter mehr ober weniger alter EBeiber bad arme 
fepon bor fieben Sauren burd) bie Bonapartißen in’« Ungtücf gebrachte 
üanb nicht zu Ätzern tommen taffen. 28er hätte bad je bon ber $eimat 
ber Voltaire, ftouffeau unb Sätdlon geglaubt! Die bon ben Brießeru 
beeinflußten grauen haben aEerbingd gerabe bei ben Sran&ofen ftetd eine 
große unb burepweg berpängnißboEe StoEe gezielt. Unberechenbar 
waren bie fchlimmen folgen, welche bie fceiratp Heinrichs IV., bei 
tfatholiten wiber EBiEen, mit ber intriganten gtorentinerin, ERaria bon 
ERebicid, für bad CEefcplecpt ber Bourbonen unb bie ganze weitere (Snt* 
wiefetung ber franzößfepen (Uefcpichte gehabt hat. Der arme äönig hatte 
eine Etynung babon gehabt, unb er fagte jehon bei einer Bejprecpung 
mit SuEp wegen ber grage, welche ^rinjeffitt er wohl Wählen tönne, 
ber ©roßperzog bon Hörens habe eine Ettcpte, bie ziemlich fcpön fein foEe, 
aber fie fei au 8 bem $aufe ber Königin Katharina, bie grantreich unb 
ihm felbft fo biet SeibÄ angethan habe. 3 ch fürchte biefe $erbinbung, 
fügte er hin&u, für mich, für bie EReinigen unb für ben Staat! Unb 
hoch würbe biefelbe aud politischen ©rünben gefchloffen. hinterher lebten 
bie beiben Satten fehr unglücftich mit einanber. Die Königin behanbelte 
ben teben*luftigen ERann h^lich Schlecht. Sineft Daged jertrahte fie 


ihm ba& Seficht. Sin anbered ERat woEte fie ihn fogar fchtagen uub 
würbe nur burch @uEhd Sugreifen, ber ihr etwai berb ben Elrm h^unter- 
ftiej, baran berhinbert. 28ie SRarie bon ERebicid nach §einrichd Sr- 
morbung bie Eiegentfchaft führte unb wie fte bie fönber erjog, iß ht 
granfretchd Äitnalen bezeichnet. Stwa ^weihunbertunbfechsig 3 a hre 
fpäter war ed wieber eine gfrembe, eine Spanierin, bie nicht eher IRuhe 
fanb, bid fte bem fchmachen (Säfar ihren {leinen $rieg abgerungeit unb 
ihn bamit um ben Dhron, fowie Sranfreich um ^wei ^robinjen gebracht 
hatte. 23ad jept bon feuern hinter ben fran&öfifchen Soutiffen bon 
Srrauenhänben gefponnen werben mag, wirb ßch früh genug enthüSen. 
UnheitboE wirb ed für bie EBohtfahrt bed fianbed audfaEen, unb bie 
EBett wirb fich glücflich preifen lönneu, wenn ber allgemeine Trieben 
babei nicht Schipruch leibet. ERan foEte §uweilen wirtlich glauben, 
jene (belehrten hatten Eiecht, bie bon bem Etiebergang ber lateinifchen 
Eiace fprechen. Dad $arteitreiben in ^erfaiEed bot jebenfaEd währenb 
ber lepten geit ein wiberlicped Scpaufpiel unb erinnerte oft gan& an 
bp^antinifche Ekrfommenheit. EBie pißorifch überlieferter $ag unb SroE 
in gfrantreich nachwuchern, babon hat man anberdwo fetten eine richtige 
SSorfteEung. (Sin fiegitimift, ber neulich in Berlin §um EJefudj eintraf, 
brach in einem Salon bei ber Eiachricht bon bem Sturm, weichen bad 
(Srfcheinen bed ERinifteriumd in ben Eieihen ber Eiepublitaner h«bor= 
gerufen hatte, in bie EBorte aud: Dad finb bie genfer, bie meine 2$or= 
fahren geopfert, unb an welchen bad Schicffat gewiß noch einmal Eiache 
nimmt! EBer möchte benn auch berechnen, welche Ungetpürne ber fran- 
Söfifche ^enteffel 311 Dage förbem Wirb, gum (Etücf fleht ber £rieg 
nicht bor ber Dhür, unb ed wirb fleh EUemanb burch ^>ad über %iauU 
reich h^aufjiehenbe Ungewitter in feiner fommerlichen ©rhatog flöten 
taffen. 2Rarfd)aE ERac ERahon mag im Innern fo biete Dhorheiten be¬ 
gehen wie er wiE. E3id er fleh &u einem ähnlichen toEen Streiche jeiu 
feitd ber ©reit^e hinreißen läßt, wirb noch einige geit üergehen. Die 
©oterie, unter beren ^errfchaft er ßeht, weiß recht gut, wad ihrer unter 
ben ERauern bon ERep ober auf ber betgifepen (Sbene warten würbe. 
(Sin ^weiter Ärieg mit gfrantreid) iß noch immer nicht in Sicht. Ein 
ben ©ranb im Orient hat man fich inftwißhen gewöhnt unb bie polu 
tifcheit Eierben werben nicht mehr babon erfchüttert. Die Söechfelwtrfung 
iß nur barin bemerfbar, baß, je bebrohlfcher bie frattjößfehe gutunft 
auch für bie Eiadjbarßaaten erfcheint, beßo freier aud belannten (Krünben 
Ehißtanbd »orgepen fich geßattet. Die römißhe Surie hat ßch bor 
lurjem für türlenfreunblich erllärt, ohne baß bie ottomanifchen Rapiere 
bedwegen, fobiel man weiß, fonberlich geßiegen wären. 3 n gewohnter 
SSerblenbung hat ber Ektican nicht bebacht, baß ber Driumph feiner 
Elpänger in $arid bie beutfehe ^olitif womöglich noch mehr auf bad 
dtewährentaffen Biußlanbd h^nwied unb biefed Dilemma ben Eiuin ber 
Dürtei nur befchleunigen lann. (Sin neuer EJeweid, baß bie für fo Uuß 
gehaltenen 3 'fmten in ben politifcßen EBelthänbetn ben naibßen ®t* 
fchöpfen biefer (Srbe ben Eiang ablaufen. 


Briefe unb jUrtworteu. 

•ümbendbekenntntß eine* SpirttnaUßen. 

©eehrtefter $err! 

Eiicht ohne (Srßauneit erblicfe ich 93b. 11 Eit. 17 3prer gefchäpten 
geitfehrijt einen bon unparteiifchem Stanbpuulte berfaßten Elrtitet über beit 
„(Stauben an ©eiftererfcheinungen in unferer geit'% unb mein (Srßaunen 
bermehrte ftch noch, atd ich in ber erßen Spalte ber „Scpilberung unb 
Betrachtung^ bed $errn gürgen Bona SReper unter ben Etamen prrbor* 
ragenber Bertreter bed amerüaitifcheit Spirituatidmud meinen eigenen 
aufgeführt fattb. Daß mein (Srßaunen in erßer $inftcht nur ein freu-- 
biged War, brauche ich nur &u berftcheru. Daß eine Arbeit wie bie bed 
§errn 3 - ER. in einer geitfdjriß wie bie „Gegenwart" einen $tap 
ßnben tonnte, bezeichnet für mich eine EBenbung in ber Stellung ber 
beutßhen Breße zum Spirituatidmud*), welche bon Seiten biefer wenig- 


*) EBir bringen bad nachßehenbe Schreiben bed um bie gförberung 
beutfeher gntereßen unb indbefonbere ber beutfepen 3 onrnalißit in ben 
Bereinigten Staaten berbienten ehemaligen (Shefrebacteurd bed„Äew=0orter 


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Nr. 26. 


fl i * ®*8ei \matt 


417 


ßenS ben guten Sillen anbeutet, biefer wichtigen Vewegung iuepr Ges 
red^tigfeit als bisher angebeipen ju taffen. Ser tote ich oon ber Ves 
beutung beS Spiritualismus überzeugt unb burcpbrungen iß, tonnte nur 
mit Schmerz waprnepmen, toie biefer, namentlich ber amerifanifcpe, für 
bie beutfcpe treffe bisher nur ber Gegenßanb enttoeber unbebingter Ver= 
neinung unb Hbweifung, ober, noch fcplimnter, böswilliger Verhöhnung 
unb Verunglimpfung war, wobei man ftch nicht fetten noch baS Vers 
bienft ber SRitterfcpaft für angebliche „Siffenfcpaftlicpleit" unb populäre 
Hufftärung perfannte. 3m beften Satte würbe ber Spiritualismus p 
Swecfen feuiltetoniftifcher Geißreicpigfeit unb fenfationelter StoOeHiftit auS- 
gebeutet. Daß bie „Gegenwart" einer Vefprechung wie bie beS #errn 
3- V. SR. ihre Spatten geöffnet, fehe ich, unb gewiß mit mir Viele, für 
ein günftigeS Vorzeichen bafür an, baß auch bie beutfcpe $reffe enblich 
anfftngt, biefer großartigen Grfcpeinung beS 3ap*punbertS biejenige emfte 
Hufmerffamfeit zuguwenben, bie ihr nach ihrer Gntwidtelung im lepten 
Saprzepnt gebührt, unb ihr in ber treffe GnglanbS längft zu Dpeit ge- 
worben ift. ERein Grßaunen in ber zweiten ^inßcpt, nämlich barüber: 
meinen tarnen in ber ERitte berühmter unb pocpoerbienter amerilani- 
fcper Spirituatifien genannt zu fepen, erlauben Sie mir mit einigen 
Sorten zu rechtfertigen. EReine greube barüber tonnte nur eine geteilte 
fein, ba mir baburch zugleich bie Verpflichtung einer Hrt oon Abwehr 
auferlegt würbe. Die Verbinbung meines Samens mit benen folcper 
ERänner, wie GbmonbS, $1. 3- $aoi3 unb &are, mußte für mich etwas 
VefcpämenbeS haben unb auch bie gewöhntichfte Vefcpeibenpeit zu einer 
Ablehnung aufforbern. Die geringe Dpätigfeit, welche mir burch einige 
Veiträge in engtifcpen unb fpiritualiftifchen Qeitfcpriften für bie große 
Bewegung zu entwickln oergönnt gewefen iß, ift, im Vergleich zu ben 
Verbienßen ber genannten brei ftauptbegrünber beS mobernen Spiris 
tualiSmuS, eine oerfchwinbenb Heine, unb wenn ich mit einem ber fcparfs 
ßnnigßen unb angefehenften gurißen ber Vet. Staaten, bem weltberühmten 
„Seher oon Vougpfeepfie" unb genialen Vegrünbet ber „#armonifcpeu 
Vpilofoppie", fotoie bem ber Siffenfcpaft beiber Setttpeile rühmlich bes 
fannten ^ßrofeffor ber Gpemie unb ERecpanif, irgenb etwas gemein habe, 
fo fönnte bieS pöcpßenS bie gleiche Vegeißerung für eine erfannte 
Saprpeü unb bie gleiche Vereitwilligfeit zu bereu öffentlichen Vertretung, 
felbß unter Opfern, fein. ÜRicptSbeßoweniget bin ich bem Verichterftatter 
in ber „Gegenwart" für feine Erwähnung meiner beShalb bantbar, weil 
er mir baburch Gelegenheit geboten hat, ein öffentliches ßeugniß für bie 
mir theure Sache abzulegen, unb biefern einige Sorte ber Vegrtinbung 
beizufftgen, beren Veröffentlichung in 3h ter in beiben Selttpeilen hoch 3 
gefehlten $eitfcprift oielleic^t baS Veße unb golgenreicpße fein würbe, 
was mir bisher für biefe Sache zu thun oergönnt gewefen. Gp t i<P 
bieS thue jeboep noch bie Verficherung, baß ich unter ben Deutfcpen 
biefeS fianbeS, bie wiffenfcpaftlicpe Vitbung unb Vefäpigung für ßcp in 
Hnfprucp nehmen tönnen, nichts weniger als ber (Einzige bin, ber ß<h 
ber neuen Vpilofoppie beS GeißeS mit Ueberzeugung zugewenbet hat, 
baß ich bietmehr, namentlich unter ben beutfcpsamerilanifcpen Herzten 
— barunter Veteranen beiber #auptpeilfpßeme — eine ganze SReipe 
überzeugter unb eifriger Anhänger ber neuen Sehre namhaft machen 
tönnte. Daß ich nach ben für unS „Spiritualißen" feßßehenben Hns 
flehten über bie Vebingungen, unter welchen, unb bie Gefepe, nach wel= 
chen ßch bie geißigen Vewegungen ooHztepeu, in ber Grwäpnung meines 
9tamenS burch $erm Vona SReper in etwas auffälliger SSBeife, etwas 
mepr als „gufall" erblicfe, werben Sie mir fepott zu Gute hatten müffen, 
wenn ich barauf bie Hoffnung grünben barf, baß Sie außer ben bis 
hierher perfönlicpen Vemertungen mir eine mögtichß turp HuSfpracpe 
über bie Sache fetbß geßatten unb 3P*en Sefem nicht oorentpalten werben. 

Der „moberne Spiritualismus" — um ber Sache ben für ße lanbs 
läußg geworbenen tarnen zu taffen — iß meiner Ueberzeugung nach: 

bie größte Vemegung beS 3öp*punbertS, 
oon pöperen geißigen ERäcpten — benen ein 3eber ben feiner philo-- 


Demohat", opue bamit feinen Hnßcpten beizutreten. DenSefern bex„Gegen= 
warf' wirb es oon 3utereffe fein, einen wiffenßhafttich gebilbeten ERann 
als „überzeugten" Spiritualißen in bem Done emßer Vegeißerung 
fpreepen zu pören, toie ipn Dr. Vtoebe pier anfeptägt. Daß bie in ber 
„Gegenwart" erfolgte Veröffentlichung ber Hrbeit beS $errn Sßrofeffor 
3ürgen Vona EReper „eine Senbitng in ber Stellung ber beutfepen 
treffe zum Spiritualismus bezeichne", fcpeiut unS boep eine etwas füpne 
golgerung zu fein, Die SReb. 


foppifepen Grfenntniß ober feinem retigiöfen Vebürfniß enlfprecpenben 
tarnen beilegen mag — beßimmt: bie Grunblage unb ber HuS* 
gangSpunft für einen neuen, wahrhaften unb naep allen 
Eticptungen pin burepgreifenben gortfepritt ber ERenfcppeit 
Zu werben. 

3cp fpreepe biefe Ueberzeugung, baS (Ergebniß einer ungefäpr 
20 jährigen emßen Vefcpäftigung mit ber Sacpe, au$ mit bem Ootleu 
Vewußtfein, bamit bei (Einigen nur mitteibigeS Säcpetn, bei Hnberen 
ungläubiges Äopffcpütteln zu erregen, oon ben (Einen für einen eprlicpen 
Scpwärmer, oon noep ERepreren oieUeicpt felbß für einen „amerifanifepen 
#umbuger" erflärt zu werben. (Eben aus biefern Grunbe aber nehme 
icp bie Vergünßigung einer furzen Vegrünbung meiner eben abgegebenen 
(Erflärung in Hnfprucp. 

Senn icp ben „mobeinen Spiritualismus" als „bie größte Ve- 
wegung unfer*S SaprpunbertS" bezeichne, fo gefepiept bieS pauptfäcplicp 
in Verücfßdjtigung folgenber fünfte: 

1) Der Spiritualismus iß eine rein geißige Vewegung unb 
feptießt ßch in biefer Veziepung anberen in ber (EntmicfetungSgefcpicpte 
ber HRenfcppeit (Epocpe maepenben (Erfcpeinungen, ber Grünbung neuer 
Settreligionen (VubbpiSmuS, ERofaiSmuS, (Eprißentpum, ERupamebaniSs 
muS ic.), ber (Entßepung umfaffenber ppitofoppifeper Spßeme (VlatoniSs 
muS, HrißoteliSmuS, SpinoziSmuS, ÄantiSmuS it.), bem Huftreten ber bie 
Siffenfcpaft unb bie Seit umgeßaltenben (Entbecfungen unb (Erßnbungeu 
(Veifpiele ßnb pier überßüffig) minbeßenS ebenbürtig an. 

2) Der Spiritualismus ift bie naturgemäße unb notpwenbige Eic = 
action gegen ben zum Gemeingut ber (Eulturwelt ber Gegenwart unb 
Zur Grunblage alles ipreS StrebenS geworbenen „ERaterialiSmuS". 
Der Gegenfap biefer iß ztoar an ßcp ein uralter, aber in Vezug auf bie 
Saffen, mit welchen ber moberne Spiritualismus feinen uralten 
Gegner befämpft, iß beffen Vewegung in ber Gegenwart eine neue (Er- 
fepeinung. Der Spiritualismus fämpft mit benfeiben Saffen , wie ber 
ERaterialiSmuS. Gr iß niept Dpeorie, Speculation, metapppfifepe Dräus 
merei, feine Grunblagen ßnb Dpatfacpen unb baS Gjperiment. 
Den Hnfprucp, welcpen ber moberne Spiritualismus auf Gntnb biefer 
erpebt, iß: baß bie neue „Geißfunbe" zu einem integrirenben unb abs 
ßpließenben 8®otge ber ^aturwiffenfepaft erpoben unb entwicfelt 
werbe. Die neue Geißfunbe iß niept Huftöfung, fonbem Grfüttnng 
ber mobernen Siffenfcpaft, fowie fie naep einer anberen 9iicptung 
pin ebenfo niept Huflöfung, fonbem Grfütlung unb Siebers 
gebürt ber Religion iß. 

B) Die große, weltbewegenbe Huf gäbe beS mobernen SpiritualiSs 
muS iß: bie Sieberperßellung beS ber Gulturmenfcppeit Oers 
loren gegangenen VewußtfeinS ipreS SufammenpaugS niept 
nur, fonbem ihrer Ginpeit mit einem geißigen Unioetfum, 
welcpeS ßcp zu bem materiellen HniOerfum (bem natürlidpen Seltaü) wie 
bie Urfacpe zur Sirfung, wie baS Sefen zur Grfcpeinung Oers 
päli 3ubem ber Gutturwelt baS Vewußtfein biefeS SufamntenpangeS 
abpanben tarn, würbe ße zföar Z u einer wunberbaren Gntwicfetung aller 
materiellen Vebingungen beS SoplbeßnbenS befäpigt, gerietp aber zu= 
gleich auf alle bie Hbwege, zu welcpen bie Verneinung ber geißigen Ve= 
ftimmung alles Sebenbigen unabftnberticp füprt, unb an beren folgen 
wir bie gefammte SRenfcppeit ber Gegenwart in allen formen ipreS 
Gemeins unb GinzetlebenS franfen fepen. 9tur burep bie Siebergeburt 
Zum Vewußtfein ihrer ibealen über baS ^ppßfcpe pinauS liegenben Ve= 
ßimmung, fann bie SRenfcppeit gefunben. Die Vebingung biefer Siebers 
gebürt aber iß niept ber retigiöfe Glaube an, fonbem baS burep tpats 
fäcpliepen VeweiS erlangte Siffen oon ber gortbauer beS geißigen 
GinzetwefenS über bie ßücptige Grfcpeinung beS natürlichen Bebens hinaus, 
unb biefen VeweiS zu liefern, biefeS Siffen zum Gemeingut ber Vtatfcps 
heit zu maepen, iß bie näcpße große Hufgabe beS mobernen SpirituatiSs 
muS. Die fozufagen inßinctioe Grfenntniß (Salten beS „Unbewußten") 
biefer Hufgabe unb ber unerläßlichen ßfotpwenbigfeit iprer Söftmg iß 
baS Gepeimniß: 

4) beS unerpört rafepen unb unioerfeüen SacpStpumS biefer geißigen 
Vewegung unb iprer Verbreitung über bie ganze (Erbe, oon welcher bie 
gefammte Gefcpicpte ber SRenfcppeit fein zweites Veifpiet aufzuweifen 
pat. Durcp biefe Dpatfacpe aber pat ber moberne Spiritualismus ben 
unumßößlicpen VeweiS für feine Seitgemäßpeit unb SebenSfäpigs 
feit abgelegt. Seine Dpeorie wie feine $rajiS pat ßcp, noep feine 80 
3apre alt — benn mit ffleept ßnb alle früperen (Erfcpeinungen äpnlicpex 


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418 


St* (S^genumrt, 


Nr. 26 


Art all fporabifcp auzufepett, unb bic eigentlüpe ©eburtöjeit be* mo* 
benteit Spritualiömuö auf bic föocpefter Älopftöne zurücfzufüpren — 
bereits über bic ganze ©rbe auSgebreitet. Seine Anbänger in allen 
Spcilen biefet aäfjlcn nocp Dielen SRiflionen (eine genauere Abfepäpung 
ift aus einem nodj ju berüprenben ©runbe, felbft in einem fianbe wie 
Amerila, unmöglich); er pat eine !aum mehr ju überfepenbe Literatur 
perbor gerufen; er gebietet in allen Sänbern, felbft bie ber aurüdgeblie^ 
benen ber romanifepen 9iace in 2Äejrifo unb Spanien niept ausgenommen, 
über eigene 3tt*fd) r *f* en / beten 8 a $l M au f 30 40 beläuft; er pat 

Saufenbe öon feinen ßwedfen gemibmeteu Vereinen unb ©efelljcpaften 
in’S Sieben gerufen; er befipt ein ganzes $eer bon ©ertretern unb Ser* 
breitem in Schrift unb »lebe; er pat fiep niept nur in ben unteren unb 
mittleren Seiten beS ©olfeS einpeimifep gemalt, fonbern ftep in bm 
pödjften Sphären menfeplieper ©efeüfepaft ©ingang berfepafft, unb zäpH 
felbft in ben fiep abfepliefjenben 9teilen ber ßrengen ©iffenfepaft eine 
©palans bon ©ertpeibigern, unter benen fiep jal)lreid>e tarnen bon un> 
berwerfiiepem Klange beflnben. Aber feine £auptftärle (unb bies ift ber 
©runb, weSpalb eine genauere Abfcpäputig feiner Anpängerzapl gerabeau 
unmöglich ift) ift in feiner Ausbreitung in ber gamilie unb im päuS- 
licken Greife au fuepen, bermöge bereu er mit IRecpt eine unfieptbare 
baS gefanfmte ©rbenrunb umfajfenbe Sirene genannt werben fann. $iefe 
unfieptbare Äitcpe begreift jeben ©lauben unb jeben Unglauben, jebeS 
religiöfe unb ppilofoppijcpe Spftem in fiep, fte bereinigt Atpeiften, 
©antpeiften, ÜRaterialiften, ©bolutionijten, ©ubbpiften, ©tupamebaner, 
getifepifien unb G^riften aller ©elenntnifje in ihrem Scpo&e; fie fennt 
leinen Unterfcbieb ber Nation unb ber SRace. ©ttt einem ©orte: ber 
moberne Spiritualismus ijt uni ber feil, unb atoar aus bem einfachen 
©runbe, weil er einem meufeblicbeu öebürfuiffe, fo alt wie bie ©tenfep; 
beit felbft, genügt, inbem er ben ©lauben an eine ©eit ber ©elfter unb 
an bie ©tögliepfeit beS menfcblicben ©erfeprS mit biefer nicht nur neu 
belebt, fonbern aum ©iffen erweitert, unb bie ©löglicpfeit Z u * ©e== 
miflpeit erhoben pat. tiefer ©laube war au feiner Seit unb in feiner 
Nation jemals gana erlofcben, aber, naebbem ficb bie moberne ©iffen* 
fepaft bie Aufgabe gefteüt ^atte, bie Materie aur Allmacht au er* 
beben unb baburep au bem ©jtreme beS „©ipiliSmuS" au gelangen, trat, 
wie jebon erwäbut, als notbwenbige SHeaction bagegen ber moberne 
Spiritualismus in’S £eben unb pielt, gerabe aum rechten S^lpunlt 
lommenb, feinen fiegreiepen Umaug bureb bie ©eit. 

6) ©ine anbere Prüfung feiner SebenSfäpigleit pat ber moberne 
Spiritualismus in bem Ueberfteben wieberbolter gefährlicher Ärifen in 
feinem eigenen Scpo&e beftanben. ©r pat nicht nur ben bereinigten 
Anfechtungen unb ©erfolgungen ber Kirche unb ber ©iffenfepaft ©iber* 
ftanb geleistet, fonbern wieberbolte dtetnigungSproceffe feiner eigenen 
©lemente burebgemaebt. Dbmopl er febon bunbert ©tot bon Augen unb 
jgnnen „bemühtet" worben ift, ift er aus aüen Kämpfen, auch ben 
febwerfien mit ficb uiit ftetS erneuter tfraft perborgegangen unb 
bat bamit ben beften ©etoeiS abgelegt, bajj er in ficb felbft bie gäpig* 
feit ber Reinigung unb ©rneuerung befipt, welche ber ©aprpeit, unb 
ber ©aprpeit allein, innetoopnt. 

6) AüeS was ber Spiritualismus jept bon feinen ©egnem ber* 
langt, ijt — © er eeptig feit. 2>ieS ift an unb für ficb toenig genug, 
fepeint aber boep namentlich für feine miffenfcbaftlüpen ©efämpfer noep 
au biel. Siefen gegenüber ift bor Allem geltenb au machen, bafj ber 
Spiritualismus niept auf bem loderen ©oben ber Speorie unb Spe* 
culation rupt, fonbern auf ber feften Unterlage ber $patf,aepe unb 
beS ©{perimenteS ftept, unb baf$ alle biejenigen feiner Waprpaft 
wiffenfcpaftlicpen Unterfucpcr, bie baS groge unb weife ©ort garabaps 
aur ©ieptfepnur genommen gaben, bag jeber gewiffenpafte gorfeper ber 
gtatur baS ©ort „unmöglich* aus feinem ©örterbuepe ftrejepen müffe, 
noep opne AuSnapme au überaeugten Anhängern unb ©ertretem beS 
Spiritualismus geworben ftnb. Sie apriori ©erneuter unb baS pro- 
fanum vulgus ber gebaufenlofen Spötter wollen wir einfach auf jene 
treffenbe Segenbe anS bem Altertpum oerweifen, naep welcher aus einem 
antifen Dralel ber AuSfprucp erging: ,,©S traten einft au gleüper Seit 
ein ©eifer unb ein Karr in ben Sempel. Ser ©eife unterfuepte erft 
unb nrtpeilte bann. Ser Starr urtpeilte fofort unb unterfuepte — gar 
niept!" 

©rooflpn, Staat Stew^orf, ©. ©t., ©nbe 9Kai 1877. 

<5* Bloebe* 


An hem .Aug. Grabow. 

Si veröffentlichen in Nr. 23 der „Gegenwart“ einen auflhz, der 
fich di anfgabp gestelfc hat, di bestrebungen der fonetiker mit 
fadenscheinigen wizzen zu bewerfen, nnt ich mus gestehen, si haben 
fich difer anfgape mit wärhaft bewunderungswürdigem gesebik 
entledigt. Es llgt mir fern, Ir fatyrisches*) talent nnterfuchen zu 
wollen, aber auf eines möchte ich Si aufilierkiam machen. Eine 
wissenschaftliche bestrebung, die an *unt für ßch richtig ist nnt 
fon der gelkmten nazion freudig begrüst wirt, darf unter keiner 
bedingung mit der lauge eines wizhaschenden mutwillens besprengt 
werden. Si antworten hlrauf filleicht, das die fonetische bewegung 
ein nnsin, eine spilerei, jedoeh keineswegs fon wissenschaftlicher 
bedentung ist; Si entgegnen filleicht, das di historische schreib¬ 
weife ungemeine vörzüge bitet, one dem guten deutschen Michel 
das schon genug gekwälte haupt zu belästigen. Sei’s! Ich wil Si 
nicht in Irem fergnügen stören, nur möchte ich Si bitten difem 
fergnügen in einlamer kammer, nicht auf offenem markte zu frönen. 

Doch wider zur fache! — Deutschlant hat fich längst für eine 
fonetische schreibweife entschiden. Schon im fibzenten unt befonders 
im achtzenten järhnndert wurde bekantlich zu gunsten der fonetik 
manche lanze gebrochen, unt zwar fon männern, welche namen wi 
Damm, Schlözer nnt Klopstock tragen. Andere wider lisen fich auf 
wortfechtereien gär nicht ein, fondern schriben — wen auch nur un- 
gemein feierhaft — nach fonetischen grundfäzzen. Zu disen zält 
Heinrich Christian Boie. Er schreibt unter anderm: „lau, übet= 
ntmft, ba$ fcplimfte, 9?pmfe, wil, folte, bu lömft, fegen, {(pwagen, wil= 
fommen, ©efelfcpaft, ©lut, oortreflicp^, gibt aber felbst in einem brife 
an Bürger zu**): Nun über deine Orthographie. Die des Museums 
ist nicht gleichförmig, ich weis es wohl, eines Theils, weil nicht 
immer meine Vorschrift beobachtet wird, andern Theils, weil ich 
nicht immer analogisch zu seyn wage. 

Es dürfte wöl angebracht fein, di stelle ans Bürgers brif, 
welche das eben zitirte wort Boie’s veranlagt hat, hlrherznfezzen, 
Si lautet***): 

Bei Ansehung der zu gebrauchenden Orthografie f) bin ich 
äuserst verlegen. Ueberall kann man doch, wiewohl man sollte, 
das y nicht abschaffen, ohne entsezlich auffallend zu werden. So 
auch das h und die Verdoplungen. Thut mans in einigen Wörtern, 
so kann gleich einer fragen: Warum thnt ihrs nicht bey allen, wo 
es den nehmli<?hen Grund der Weglassung hätte? Schreibe ich 
überall nach dem alten Schlendrian, so geschieht von dieser Seite 
nichts für die Sprache. Gehe ich einen Mittelweg, so veranlasse 
ich eine Irregularität und den Vorwurf, dass ich nicht nach fixen 
Grundsäzen verfahre. Folge ich völlig Klopstocks ganz richtigen 
Grundsäzen in der Gel. Republ. Himmel, welch ein auffallendes 
Ans ehn 1 Die Ungelehrten und Altfranken, werden mich dann für 
einen affectirten Geck halten. Was räthst du also? Ich bin mit 
der Museums] Orthografie ganz wohl zufrieden, nur ist sie eben- 
fals äuserst irregulär. In einem Worte beobachtet sie die nene 
Regel, in einem andern wieder nicht. Uebrigens die ans dem 
Lateinischen und Griechischen abstammenden Wörter dachte ich, 
könnte man immer nach alter Weise schreiben. Es fällt mir er¬ 
staunlich auf, wenn z. E. Eksekuzion geschrieben wird, so auch 
Filosofie n. e. w. Vielleicht in 10 Jahren fällts keinem mehr auf. 
Vielleicht aber auch noch nach 100 Jahren. Ich denke der Mittel¬ 
weg wird wohl ier beste sein. In Seyn esse will ich das y be¬ 
halten, in allen übrigen Wörtern aber wegwerfen. So soll auch 
das h ans einer ziemlichen Menge abmarsehiren. Das ck soll ganz 
fort. Aber dafür muss man schlechterdings, wo eine Verdoplung 
gehört wird zwey kk sezen, z. E. dekken, strekken, hergegen, 
wo man ck schrieb z. E. deckte, streckte kann das c Wegfällen 
und dekte, strekte geschrieben werden.- 


*) ©eöpalb niept lieber „fatirifcp"; baö wäre pponetifeper unb 
gleichzeitig ortpograppifeper. ©. ©eb. 

•*) Briefe von und an Bürger. Berlin 1874. IL 8. 218. 

***) A. a. 0. S. 213. 

,t) B. spricht zufor über feine Gedichtlamlong n. erwänt, das 
er di Platten für Wingnetten bei Chodowieky bestelt hat. 


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Nr. 26. 


%\t «röritmart. 


419 


Was meinst du, soll ich die Elisionen durcl\ Häkchen 1 anzeigen? 

.Ich dächte. Zwar kann ich die Hahnenfüsse nich sonderlich leiden, 
aber — um der unverständigen willen.*) 

Einmal im zitiren begriffen, wil ich auch noch eine stelle aus 
Klopstock's abhandlüng Ueber die deutsche Rechtschreibung**) an- 
* führen. Si lautet: 

Unsre jezige Rechtschreibung ist, bif auf di Bezeichnung def 
Tonf, gegen di französische ühd englische fortreflich. Denn dife 

e 

haben wirklich (der Aufdruk ist nicht ubertriben) eine gewisse 

e e # 

Barbarei. Aber aben defwagen, weil wir schon so weit sind, 
(wir schreiben schon izt nicht wenig Wörter nach danen Regeln, 
fon welchen ich bifhar geredet, und di ich. teilf auf difem Ein- 

gefurten genommen habe) weil wir schon so weit sind, bo 
solten wir follenden. 

Ef ist sonderbar genung, dafs Mut dazu gehört, dife Follendung 

forzuschlagen. Ef wird mich indef ni reuen in gehabt zu haben, 
wi di Sache auch aulTalle. 

Man könte wirklich glauben, das dife worte gestern, nicht am 
22. Jänner“ 1778, resp. im jare 1779 das fonnenlicht erblikt hätten, 
den si passen wi angegossen auf di jezzigen Verhältnisse. Kaum 
das ein man di fache der ortografireform mit flammender begeisterung 
zu feiner lebensaufgabe macht unt feine anfichten der nazion unter¬ 
breitet, fo nät schön ein anderer, nicht um dife anfichten mit kaltem 
blute zu prüfen, fondern um an einzelnen aus dem zufammenhang 
gerissenen Worten feinen schabernak auszuüben! Kan etwa damit 
der fache felbst genügt werden? 

Als antwort auf dife frage werden Si — forausgefezt das Si 
war gegen lieh felbst fint — nichts anderes, als ein lautes, kräftiges 
,,Nein!“ lagen können. Si werden zugeben müssen, das di aufgabe, 
eine dem laut volkommen angepaste ortografi zu schaffen, nicht 
das werk eines einzelnen fein kau, fondern das erst durch die 
arbeit einer reihe fon männern folche reform durchzufüren unt fast 
feierlos durchzufüren ist. Der einzelne kann sich irren — unt es 
wäre töricht, bestreiten zu wollen, das her dr. Fricke in feinem 
hochbedeutenden werke „Di Ortografireform in wissenschaftlicher, 
pädagogischer unt praktischer Beziung“ nicht dan unt wan einen 
irtüm begangen — aber es ist fache der kritik, fowöl dife feler, 
als auch di forzüge zu betrachten und berichtigungen zu liefern. 
Si tün das nicht! Si machen aber dafür hem Fricke den forwurf 
der unwissenschaftlichkeit; Si zeihen in u. a. des nichtwissens in 
bezug auf das geschlossene unt offene e: hätten Si indessen feinen 
„Aufruf zur Beschaffung einer nazionalen Ortografi für das geeinigte 
Deutschland“, sowi feine „Ortografireform“ mit aufmerkfamkeit 
gelesen, fo würden Si das nicht gelagt haben. 

Doch genug difer unerkwiklichen erörterungen, di keineswegs 
zu gunsten der perfon, filmer zu gunsten der fache geschriben fint. 
Glauben Si ja nicht, das di „fonetischen schwärmet“ fich durch Ire 
wizzeleien einschüchtern lassen, unt beachten Si bitte den sprach 
fon Ernst Eckstein: 

Wen zenmäl di ferfuche mißlingen, 

Wir müssen nur immer weiter ringen: 

Wären wir gleich an des ziles fernen, 

Wi könten wir marschiren lernen. 

Hamburg-Rothenburgsort, den 9. Juni 1877. 

Emst Horn. 


*) Di beregte gedichtfamlung llgt mir augenbliklich nicht zur 
hand; ich kan daher nicht constatiren, welch eine ortografi fon Im 
gebraucht worden ist. 

**) Ueber Sprache und Dichtkunst. Fragmente. Hamburg, in 
der Heroldschen Buchhandlung 1779. Seite 234 u. ff. 


8tom, $al. (Saffarelli, ben 28. 3Rai 1877. 
©ee$rte Sftebaction! 

greunb 2. in ©ch. fdjreibt mir nach 9tom, ich foHc mich in ber 
beutfehen Kolonie für grommann« neu erftanbene Seitfdjrift „$>ie 
# beutfehen SKunbarten" interefftren. Da« mürbe nun wenig Reifen; 
mir haben tyier wohl niete braoe ©ilbermaler unb ©ilbhader, Wie fie 
genannt werben, aber ob bie geneigt wären, auf bie Seitfdjrift ju abonni* 
ren, ift mir fe^r zweifelhaft. Auch bie Herren Archäologen unb tun 
hiftorifer taUm. Um aber bem Appett geregt *u werben, erlauben ©ie 
mir, baß ich oon ber beutfehen Kolonie in 8tom abfehe unb mich an 
gtjre ßefer wenbe. @3 ift noch gar nicht lange, baß man ba« (Eingehen 
jener 8eitf<hrift al« eine Art nationaler Schmach empfanb unb nun h«ßt 
e3, ba| bie $allif<he SBaifenhau«buchhanbiung bereit« Oerzagt, ba« wieber 
aufgenommene Unternehmen fortführen zu l&nnen. 

Ueber bie SRiföre be« beutfehen wiffenfehafttidjen ©ud)= unb 8eit- 
fchriftenbetriebe« brauche ich ©ie nicht zu unterrichten. (53 Reifet immer, 
wir fiub zu arm bazu, ©fidjer zu laufen, gragen ©ie nur, Wa3 unfere 
Seiber bei ber Hutmacherin unb bei ber ©tobißin Oertinferlifcen. Unfere 
Hücher fmb auch oerhältnißmäßig theuer, in (5ngtanb unb granlreidj, 
felbft in gtalien z<*h^ man tuum h a *& f° uiel. Aber auch bte ©tecf= 
nabeln wären theuer, Wenn man fie nicht maffenhaft oerbrauchte. fcättc 
ba3 beutfeße ©ublicum wirlliched gntereffe an feiner ©ptache unb Lite¬ 
ratur, fo würbe e3 beffer unb billiger bebient werben. 

$>ie Saht ber Abonnenten auf grommann« ÜRunbarten gebe ich 
3hneu nicht an, weil ich mich fchäme. (53 mag ja fein, baß unwiffen^ 
fchaftlicher Dilettanti«mu« auch hier fich einbrüngt, aber wo gefchähe 
ba3 nicht? ©eigentliche Abfälle, bie unter hunbert Sefern einen intern 
effiren lönnen, lagert 3eber gern in feiner gadjzeitung ab. Die 
©ibel, bie in jebem §aufe ift, lieft ja auch lein ©tenfeh oon oorn bi3 
hinten burch- 

8Bie gejagt, e3 ift hoch einigermaßen ftanba!53 für un3, baß ein 
fo intereffante« Unternehmen, wie e3 bie poltpbialeltifebe geitfehrift 
grommann« für un3 Deutfche fein muß, au3 SRangel an $heilnahme 
abermal« einzugehen broht. 

3)ie (5oEegien beutfdjer ©pmnafien befteuern fich Oerhältnißmößig 
hoch, um ihre Philologien, hiftorifchen unb naturgefchichilidjen Seit^ 
fdjriften über SBafjer zu hulten. Ohne fie Wäre auch fdjon manche bahin. 
SBa« thut ba« übrige oerehrung«würbige Hublicum? SBohin 
fott e« aber mit ber gepriefenen beutfehen SBiffenfdjaft tommen, wenn 
ba«‘ ftolze beutfehe Holt oerlangt, baß jebe Hublication feiner lehrten 
ein perfönliche« Opfer für fie fein fofl? 

3ch fürste leiber, auch wenn ©ie bie greunblichleit fyabtn, biefen 
Hemerlungen in Shrer „Gegenwart“ ein Htätyhe» zu geftatten, baß fie 
wenig fruchten werben, aber ich wollte bodj thun, wa« in meinen Kräften 
fteht unb 2. mag bann fehen, ob bie beutfehe Kolonie in 9?om unnüper 
ift al« bie beutfehe Kolonie im Reiche. 

$ochachtung30oH 

fran 3 Sanbooß* 


Bibliographie. 

tfarlAnbree, ©eographie be« SBelthanbel«. Stöit gefchiehtlidjen (5r- 
läuterungen. 1. Hb. 2. Auß. Durehgefehen unb ergänzt Oon 
9tich. Anbree. gr. 8. XX u. 716 ©. mit einem Horträt. 
Stuttgart 1877, ÜRaier. 

#einr. Aoerbed, bie fociale grage unb ihre ßöfung. 8. XIV u. 

176 ©. ©reuten 1877, ©djünemann. 2. 60. 

£arl ©üfc, Anno 8u>*ü a ufenb- 8ulunft« s Hoffe mit ©efang unb Danz 
in 3 Acten. 8. 86 6. ©erlin 1877, Liepmann«fohn. 
gZ. Dingelßebt’3 fämmtliche SBerle. (5rße ©efammtau«gabe in 
12 ©bn. l. Abthlg. (5rzählenbe Dichtungen. 4. 6. ©b. 8. 238 
u. 897 6. ©erlin 1877, ^ßaetel. ü 4. —. 

Affe auf ben gnhatt biefer 8eitfchrift bezüglichen Hoftfenbungen fmb 
Zu richten: 

2 * bie üebÄrtton ber „«egenmÄrt^. 

©erlin, NW., Ärottprtnzenufer 4 . 


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©rof. Dr. ©irnftanm (fieipjig), ©eh* SRath ©rof. Dr. XHnntf^U (geibelbera), Dr. g. ©reßlau 
(©erlin), ©rof. Dr. Karriere (©tünchen), ©rof. Dr. gelif :!>ahn (Königsberg i. ©r.), ©rof. 
Dr. ©areiS (©ießen), ©rof. Dr. gäbet (^ündjen), ©rof. Dr. Jtirihhoff (gafle a. ©.), Dr. 
3. ganfcgraf (©tuttaart), ©rof. Dr. gafpepreS (©ießen), Dr. May ©(paSler (©erlin), ©eh- 
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Kraufe] (©erlin), Bbolf ©trohtmann (©erlin) 
herausgegeben non 

DUdjnrb ^teifdjer. 

3&onatfl<h 2 «Äffte. $iertefi&hrft<9fr jlbottttemetifoprei* 4 SRarl 50 yf. 

geft l unb 2 finb bereits erfchienen. 2)aS erfte üuartal umfaßt bie 3«it bis incl. 
©eptember unb merben bie gefte 3—6 mie folgt auSgegeben merben: geft 3 am $ienftag 
ben 3. 3uli; geft 4 am 2)ienftag ben 24. 3uli; geft 5 am Mittmod) beit 15. gXitguft unb 
geft 6 Anfang ©eptember. 3)a3 2. Uuartal beginnt mit bem l. October unb merben bie 
gefte bann regelmäßig ameimal monatlich erfdjeinen. 3)ie SRetme befpridjt in jeher Kummer: 
A. #efentUdjes feben: ©olitit: SRationalöfononiie, ©tatiftif; ganbel, ©emerbe unb 3«= 
bnftrie; Sanbmirthfdjaft; B. Wffenrdjaft, flunß unb Literatur: ©taats= unb ©e^tsmiffen- 
fdjaft; ©efdbicßte, ©eographie, ©ßilofop^ie; ©tebicin unb Staturmiffenfdbaft; Kunft unb 
fiiteratur; C. #eutllftan: fRomane, 9IooelIen, populärmiffenfcßaftli^e Äbljanblungen ooit 
^eroorragenben Autoren. 

®ie Sötnifdje B^tung berietet über bie Stemte in 9lr. 130 Dom 11. 3Rai: 

-3)ie SBid^tigfeit eines periobifdjeit Organs, melcbeS baS gefammte nationale ßeben 

im ?luge beljält, bie ©reigniffe ber ©egenmart mit SRulje befpreeßen lann, für jeben 
oon ga^leutcit bearbeitet miro, fpringt fo fc^r in bie ftugen, baß es !aum enter ©mpfeplung 
bebarf. SBer bie ©ebeutung ber Dtemie beS beuy SRonbeS tennt, ift baoon bur$brungen. 
®iefe 3)entfcße 9tetme oerfpriebt oiel meßr ju merben. ©ie ßat nid)t bie Slbfußt, eine Ueber- 
fic^t ber ©olitil naeß 2lrt ber „SBocßenftbau“, ; ,9tunbf(^au“ u. bgl. &u geben, fonbern miil 
and) biefe lebiglid) als ein Mittel ber ©ilbung be^anbeln unb ba^er bur<| ©efprec^ung 
einjelner 3 r «0cn, Kritif oon politifd^en Maßregeln, baS politijdje Urtßeil läutern. ®ir 
ieflhen ein Organ htefer Btt in Oentf^lanh nodi ni^t« ©ei allen Unternehmungen miegt 
bie eine ober anbere ©eite, bei ben meiftett bie bettetriftifd)e, oor. 5)aß bie gefteUte Auf¬ 
gabe forjfam oerfolgt mirb, fchließen mir fomoßl aus ben tarnen ber pänbigen Mitarbeiter, 
melcße bte ©ürgfcßaft für eine burch unb burch nationale, non BuSfchreitungcn freie liberale 
©runbanfebauung in ber ©oliti! geben, mie aus bem fchon ©ebotenen, melcheS als ein Dor- 
trefflicher Anfang gelten barf. Bue Brtifel finb fo getrieben, baß feber ©ebilbete fie mit 
ooüem 3wteref[e unb ©erftänbniß lefen !ann; jeber berfelben bietet burch bie Buffaffung 
ober bie 2)arfteüung 9teueS, unb 9tiemanb mirb bie SReoue ohne ©elehrung bei ©eite legen, 
©o bürfen mir bem neuen Unternehmen Bnerlemtung unb ©erbreitung münfehen. 

BcjteUnngen nimmt jede £nd)l)anihlnng nnb po^anßalt entgegen. 


gilt bie fStboction McanttDortli^: #c.r( StUU in v^rdn. 
®tu 4 »ou Jf. Inte« <■> *nnl|. 


yniin W.W, &mOenat«|f s». 


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